Deutscher Drucksache 11/5349 11. Wahlperiode 14.09.89

Sachgebiet 22

Zwischenbericht der Enquete-Kommission „Zukünftige Bildungspolitik — Bildung 2000"

gemäß Beschluß des Deutschen Bundestages vom 9. Dezember 1987 — Drucksache 11/1448 —

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Vorwort 4

Abschnitt I Auftrag und Rahmenbedingungen für die Arbeit der Kommission 6 1. Aufgaben des Zwischenberichts 6 2. Entstehung und Auftrag der Kommission 7 3. Kommissionsmitglieder 8 4. Selbstverständnis der Kommission 9 4.1 Bildungsreformtraditionen und neue Herausforderungen für die Bil- dungspolitik des Bundes 1) 9

4.2 Bildungspolitische Positionen zur Einsetzung der Kommission im Deut- schen Bundestag 15 4.3 Zuständigkeiten von Bund und Ländern 2) 15 5. Voraussichtliche Entwicklung der Wohnbevölkerung und des Arbeits- marktes. Auswirkungen auf den Bildungsbereich 16 5.1 Möglichkeiten und Grenzen der Vorhersage langfristig wirksamer Faktoren, die für die zukünftige Bildungspolitik des Bundes bedeut- sam sind 16 5.2 Entwicklung der Wohnbevölkerung 17 5.3 Entwicklung des Arbeitsmarktes 20 5.4 Auswirkungen auf den Bildungsbereich 22

1) Die Auffassungen der Mehrheit und der Minderheit sind im Text einander gegenübergestellt. 2) Die von einer Minderheit ergänzend vertretene Auffassung über „Wechselseitige Abstimmung im bildungs- und wissenschaftspolitischen Bereich" ist im Anschluß an Kapitel I.4.3 abge- druckt. Drucksache 11/5349 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode

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Abschnitt II Bildung und europäische Integration 27

Abschnitt III Auswertung von Anhörungen und Expertengesprächen 32

1. Arbeitsprogramm und Stand der Durchführung 32

1.1 Arbeitsschwerpunkte und Arbeitsformen der Kommission 32

1.2 Vorgehensweise im ersten Jahr — Erwerbsarbeit als Ausgangspunkt 33

1.3 Anhörungen und Informationsbesuche 34

1.4 Externe Gutachten 37

2. Auswertung von Verbände- und Expertenanhörungen zur zukünftigen beruflichen Erstausbildung und Weiterbildung 39 Vorbemerkung 39

2.1 Arbeitsschwerpunkt „Zukunft: Voraussichtliche Entwicklung bil- dungspolitisch bedeutsamer Faktoren" 39

2.1.1 Expertenanhörung zum Thema „Entwicklung der Bildungs- und Er- werbsbeteiligung und ihrer Bestimmungsfaktoren" am 11. Mai 1988 40

2.1.2 Expertenanhörung zum Thema „Zukunft, auf die das Bildungswesen vorbereitet sein und selbst mit vorbereiten sollte" am 16. Juni 1988 . 46

2.1.3 Expertenanhörung zum Thema „Strukturwandel in Arbeit und Beruf und sein Verhältnis zu Bildung und Ausbildung unter besonderer Be- rücksichtigung des Flexibilitätsaspektes" am 15. Februar 1989 52

2.2 Verbändeanhörung zum Arbeitsschwerpunkt „Berufliche Erstausbil dung und Erwerbsarbeit" am 14. September 1988 62

2.3 Verbändeanhörung zum Arbeitsschwerpunkt „Weiterbildung — Le- benslanges Lernen" am 8. Februar 1989 88

2.4 Anhörungen zum Arbeitsschwerpunkt „Perspektiven der Hochschul-- entwicklung" , 101

Abschnitt IV Ausblick auf die weitere Kommissionsarbeit 126

Anhang Beiträge von Kommissionsmitgliedern zur Analyse bildungspolitisch bedeut- samer Strukturwandlungen und zu Problemzonen der beruflichen Erstausbil- dung und Weiterbildung Vorbemerkung 127

1. Der Prozess der Bildungsexpansion und der Wandel der Bildungsbeteili- gung (Prof. Dr. Klaus Klemm) 128

2. Das Duale System — Realität und zukünftige Entwicklung im Verhältnis zur Weiterbildung (Frau Prof. Dr. Ingrid Lisop) 134

3. Qualifizierung besonderer Gruppen (Frau Imma Hillerich MdB) 142 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode Drucksache 11/5349

Seite 4. Differentielle Gleichheit und subtile Diskriminierung. Zur Gleichstellung der Geschlechter in Bildung und Beruf — eine Zwischenbilanz (Frau Prof. Dr. Sabine Gensior/Frau Prof. Dr. Sig rid Metz-Göckel) 148 5. Technischer Wandel und Bildung (Frau Prof. Dr. Ingrid Lisop) 169 6. Bildung und Umwelt (Frau Imma Hillerich MdB) 177 7. Internationale Verflechtungen und Konflikte als Herausforderung an die Bildungspolitik (Eckart Kuhlwein MdB) 184

Anlagen 1. Auszug aus dem Stenographischen Protokoll der 27. Sitzung des Deut- schen Bundestages — 11. Wahlperiode — am 17. September 1987: Bera- tung des Antrags der Fraktion der SPD Einsetzung einer Enquete-Kom- mission ,,Zukünftige Bildungspolitik — Bildung 2000" — Drucksache 11/ 711 — und des Antrags der Abgeordneten Hillerich und der Fraktion DIE GRÜNEN Einsetzung einer Enquete-Kommission — Drucksache 11/801 187 2. Auszug aus dem Stenographischen Protokoll der 48. Sitzung des Deut- schen Bundestages — 11. Wahlperiode — am 9. Dezember 1987: Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Bildung und Wissenschaft (19. Ausschuß) zu dem Antrag der Fraktion der SPD Einsetzung einer Enquete-Kommission ,,Zukünftige Bildungspolitik — Bil- dung 2000" und zu dem Antrag der Abgeordneten Frau Hillerich und der Fraktion DIE GRÜNEN Einsetzung einer Enquete-Kommission — Druck- sachen 11/711, 11/801, 11/1448 197

Drucksache 11/5349 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode

Vorwort

Mit der Einrichtung einer Enquete-Kommission zur sene Analysen — vor allem zu Fragen der beruflichen Bildungspolitik hat der Deutsche Bundestag Neuland Erstausbildung und Weiterbildung — dargestellt wer- betreten. Bildungspolitische Fragen haben zwar den, und er enthält bewußt noch keine Wertungen schon bei Enqueten des Bundestages eine Ro lle ge- und Empfehlungen der Kommission. Problemdarstel- spielt, zuletzt in der Kommission, die sich mit dem lungen von Mitgliedern der Kommission, die in der Jugendprotest im demokratischen Staat beschäftigte. zweiten Phase unserer Arbeit diskutiert werden sol- Der Versuch jedoch, in gemeinsamer Anstrengung len, finden sich im Anhang. Sie könnten auch den aller Fraktionen des Deutschen Bundestages unter Anstoß zu fruchtbaren öffentlichen Diskussionen ge- Einbeziehung von Sachverständigen von außerhalb ben. des Parlaments bildungspolitische Antworten auf neue technologische, ökonomische, ökologische und Der Zwischenbericht wurde in der 25. Kommissions- soziale Herausforderungen zu finden, ist neu. Dieser sitzung am 14. September 1989 einstimmig beschlos- Zwischenbericht soll einen Eindruck davon vermit- sen. Ein Kommissionsmitglied hat sich der Stimme teln, was wir in gut einem Jahr Arbeit aus diesem enthalten. Trotz zweier Minderheitsvoten drückt dies Versuch gemacht haben. Abstimmungsergebnis den Willen aller Kommissions- mitglieder aus, miteinander eine gemeinsame Ana- Dabei werden wir mit Sicherheit diejenigen enttäu- lyse zu erarbeiten, die Grundlage der in der zweiten schen, die von uns bereits im Zwischenbericht fertige Phase der Kommissionsarbeit zu erörternden Empfeh- Antworten erwarten. Die Bildungspolitik ist ein kom- lungen sein kann. plexer Bereich der Gesellschaftspolitik, der nicht nur in hohem Maße von je unterschiedlichen Wertvorstel- Bei aller verständlichen Enttäuschung über den Ge- lungen bestimmt ist, sondern auch gesellschaftliche halt des Zwischenberichts bleibt immerhin bemer- Macht- und Interessenstrukturen widerspiegelt. Je- kenswert, daß eine Reihe von Problemen von Parteien des Bemühen um Konsens muß sich dessen bewußt und Sachverständigen gemeinsam erkannt werden. sein. Dennoch gab es einmal in der Geschichte der Dazu gehören insbesondere die Schaffung des euro- Bundesrepublik gegen Ende der sechziger und zu päischen Binnenmarkts und die sich daraus ergeben- Beginn der siebziger Jahre die übereinstimmende den neuen Herausforde rungen an unser Bildungssy- Forderung in Gesellschaft und politischen Parteien, stem, aber auch an die Zusammenarbeit zwischen daß wir das Bildungswesen quantitativ und qualitativ Bund und Ländern. ausbauen müßten. Dieser Konsens ist später zerbro- chen. 1,5 Millionen junge Menschen sind trotz Bildungsex- pansion und Erhöhung des Lehrstellenangebots in Die Bildungspolitik des Bundes steht vor der Bewälti- den siebziger und achtziger Jahren ohne eine qualifi- gung vieler alter wie neuer Aufgaben. Es kann nicht zierte Ausbildung geblieben. Auch in den neunziger vermessen sein, wenn wir an die erste Phase der Bil- Jahren — so prognostizieren- bildungspolitisch Ver- dungsreform in der Bundesrepublik Deutschland an- antwortliche und Experten — wird der Anteil der un- zuknüpfen versuchen. versorgten Bewerber eines Altersjahrgangs etwa In diesem Jahr können wir auf zwanzig Jahre Verfas- 10 % betragen: Mit einer weiteren Million junger sungsreform auch für den Bildungsbereich zurück- Leute ohne Ausbildung ist bis zum Jahr 2000 zu rech- blicken. Nicht alles, was damals auf den Weg ge- nen. bracht wurde, genießt heute ungeteilten Beifall. Aber das Bundesausbildungsförderungsgesetz, das Hoch- Wir werden uns mit dieser Aufgabe für die berufliche schulrahmengesetz, das Berufsbildungsgesetz, das Erstausbildung und Weiterbildung in der zweiten Arbeitsförderungsgesetz, die gemeinsame Bildungs- Phase der Kommissionsarbeit ebenso wie mit den planung in der Bund-Länder-Kommission für Bil- Konsequenzen des Geburtenrückgangs für das Bil- dungsplanung und Forschungsförderung, die Ge- dungssystem befassen müssen. Damit im Zusammen- meinschaftsaufgabe Hochschulbau sind — bei allen hang steht auch die weitere Entwicklung im Hoch- Schwächen und Konflikten — ein beredtes Zeugnis schulbereich, der von einem für viele überraschenden für die Wahrnehmung gesamtstaatlicher Verantwor- Anwachsen der Studentenzahlen gekennzeichnet ist. tung unter Wahrung der Kulturhoheit der Länder im Die Gleichstellung der Geschlechter in Bildung und föderativen System unserer Verfassung. Beruf, der technische Wandel und Beiträge der Bil- dungspolitik zur Bewäl tigung der ökologischen Krise Der Zwischenbericht sagt einiges über die unter- sind weitere Schwerpunkte unserer Beratungen im schiedliche Einordnung jener ersten Phase der Bil- Herbst 1989. dungsreform aus der Sicht der politischen Parteien und der Sachverständigen in der Kommission. Er ist Die Kommission soll neue Langfristperspektiven für ein Tätigkeitsbericht, in dem noch nicht abgeschlos die Bildungspolitik des Bundes entwickeln und — so-

Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode Drucksache 11/5349 weit sich dies vermeiden läßt — die tagespolitischen An dieser Stelle möchte ich all jenen Frauen und Män- Auseinandersetzungen ausklammern. Das ist in ei- nern danken, die uns bei unserer bisherigen Arbeit nem relativ „trägen" Bereich der Gesellschaftspolitik geholfen haben, dem Bundesminister für Bildung und nicht einfach, in dem jede politische Entscheidung Wissenschaft, den Mitarbeitern seines Ministe riums den Anspruch erhebt, die richtige langfristige Per- und anderer Bundesministerien, Vertretern der Län- spektive zu zeigen und — so oder so — mit Sicherheit der, Lehrenden und Lernenden und den Gutachtern auch mittel- und langfristige Auswirkungen hat. Eine und Experten, die als Personen oder als Vertreter von der Chancen unseres Auftrages ist es, zu einer diese Institutionen oder Verbänden Vorschläge gemacht Auswirkungen berücksichtigenden Verstetigung der haben, wie der Bund künftig seine Bildungspolitik Bildungspolitik des Bundes im Zusammenwirken mit gestalten sollte. den Ländern und anderen relevanten Politikberei- chen beizutragen. Sie haben die Kommission nicht nur sachkundig un- terstützt, sie haben ihr auch den Eindruck vermittelt, Es ist zu hoffen, daß die Kommission ihre Analysen bis daß der Wille zu einer zweiten Phase der Bildungsre- zum Ende ihres Mandats Mitte 1990 soweit abschlie- form in allen gesellschaftlichen Gruppen deutlicher ßen kann, daß sie in der gebotenen Sorgfalt, wie im artikuliert wird als im „Raumschiff Bonn". Für die Einsetzungsbeschluß von ihr gefordert, „bildungs-, Kommission bedeutet dies auch eine Aufforderung, gesellschafts-, wissenschafts-, arbeitsmarkt- und fi- Bildungspolitik als wichtigen Teil der Gesellschafts- nanzpolitische Entscheidungen im Rahmen der Ge- politik wieder in das Bewußtsein der politischen Dis- setzgebungszuständigkeit sowie des Haushalts- und kussion zu rücken und auszuloten, welchen Beitrag Kontrollrechts des Deutschen Bundestages" vorberei- sie in welcher Form zur Mitgestaltung der Gesell- ten kann. schaft leisten kann.

Eckart Kuhlwein, MdB Vorsitzender der Enquete-Kommission „Zukünftige Bildungspolitik — Bildung 2000"

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Abschnitt Auftrag und Rahmenbedingungen für die Arbeit der Kommission

Kapitel 1.1 Die Enquete-Kommission sieht sich mit ihrer Arbeit sowohl in der Tradition der Beratungen zur Entwick- Aufgaben des Zwischenberichts lung des Bildungssystems der Bundesrepublik seit den fünfziger Jahren als auch als Teil einer internatio- In diesem Tätigkeitsbericht wird über die Arbeit der nalen Debatte um die Zukunft der Bildung in einer Enquete-Kommission „Zukünftige Bildungspolitik — sich schnell wandelnden und zusammenwachsenden Bildung 2000" in der ersten Arbeitsphase seit ihrer Welt mit „alten" und „neuen" Herausforderungen für Konstituierung am 25. Februar 1988 berichtet. Im Mit- die Bildungspolitik. Hieraus leitet sich auch das telpunkt standen die Durchführung und Auswertung Selbstverständnis der Kommission ab, das einleitend einer Reihe von Anhörungen und Gesprächen und die dargestellt wird. Eine zweite Vorgabe liegt in der Be- Vergabe von Gutachten zu Fragen der beruflichen grenzung des Kommissionsauftrags auf die im Grund- Erstausbildung und Weiterbildung und zu Entwick- gesetz verankerten Zuständigkeiten des Bundes. Ein lungen im Arbeitsleben, die für die künftige Bildungs- besonderes Kapitel befaßt sich mit den im Einset- politik bedeutsam sind. zungsbeschluß nicht ausdrücklich erwähnten Auswir- kungen demographischer Entwicklungen und Verän- Der Zwischenbericht enthält daher zunächst eine derungen auf dem Arbeitsmarkt für den Bildungsbe- Sachstandsdarstellung zu den Arbeitsschwerpunkten reich. Auch hierbei handelt es sich einerseits um von der Kommission. Darüber hinaus soll er einen Aus- der Bildungspolitik hinzunehmende, andererseits von blick auf die geplanten Arbeiten in der zweiten Phase ihr aber auch mitgestaltbare, langfristige gesellschaft- geben, in der die Kommission die gewonnenen Er- liche Entwicklungen. kenntnisse zu bewerten und den Mitte 1990 vorzule- genden Schlußbericht zu erstellen hat. Dieser Bericht Im Abschnitt II befaßt sich die Enquete-Kommission enthält daher noch keine abschließenden Bewertun- mit einem zentralen Thema der künftigen Bildungs- gen und insbesondere noch keine Empfehlungen der politik, das in der aktuellen Diskussion mit im Mittel- Kommission, sondern vorläufige Analysen zu ausge- punkt steht. Es handelt sich um den auch bildungspo- wählten bildungspolitischen Problemen und Aufga- litisch bedeutsamen Prozeß der europäischen Integra- ti ben einer längerfristig angelegten Bildungspolitik des on und die Schaffung des europäischen Binnen- marktes ab 1993. Die Enquete-Kommission hat des- Bundes. Sein Zweck ist es, gegenüber dem Deutschen halb beschlossen, diesem Fragenkomplex einen eige- Bundestag und der Öffentlichkeit Rechenschaft über nen Abschnitt im Zwischenbericht zu widmen, in dem den Stand der Diskussion in der Kommission zu ge- über die Auswertung einer von der Enquete-Kommis- ben. Hiervon erhofft sich die Kommission auch Kritik sion am 11. Januar 1989 durchgeführten Expertenan- und Anregungen für ihre weitere Arbeit. hörung hinaus eine Gesamtdarstellung von Heraus- Dabei ist zu berücksichtigen, daß die Sachstandsdar- forderungen der europäischen Integra tion für die zu- stellung zu den einzelnen Arbeitsschwerpunkten der künftige Bildungspolitik des Bundes gegeben wird. Kommission ungleichmäßig ist. Dies wird auch in der Abschnitt III enthält als Kern der Sachstandsdarstel- Gliederung des Berichts deutlich. Die Kommission hat lung Zwischenergebnisse zu allen Arbeitsschwer- noch nicht alle für erforderlich gehaltenen Anhörun- punkten in Form von Auswertungen der bisher durch- gen durchführen können. Einige von der Kommission geführten Verbändeanhörungen und Expertenge- vergebene Gutachten sind noch nicht abgeschlossen, spräche, soweit dies bis zum Abgabetermin des Zwi- vorliegende Gutachten noch nicht ausgewertet. Auch schenberichts zeitlich geleistet werden konnte. konnten einige im Frühsommer 1989 durchgeführte Anhörungen noch nicht ausgewertet werden. Abschnitt IV schließt mit einem Ausblick auf die ge- plante Vorgehensweise der Kommission in der zwei- Dennoch konnte der ursprünglich vorgesehene Abga- ten Phase. betermin für den Zwischenbericht (Ende Juni 1989) Im Zusammenhang mit der Erarbeitung des Zwi- nicht gehalten werden. Die Kommission hat daher in schenberichts sind von verschiedenen Kommissions- ihrer Sitzung am 7. Juni 1989 beschlossen, die Präsi- mitgliedern Ausarbeitungen zu einer Reihe von Fra- dentin des Deutschen Bundestages um Genehmigung gestellungen in die Kommissionsarbeit eingebracht für eine Verschiebung bis Ende September 1989 zu worden, die ursprünglich als Entwürfe für diesen Zwi- bitten. schenbericht vorgesehen waren. Diese Beiträge wer- den im Anhang abgedruckt. Abschnitt I enthält neben der Beschreibung der Auf- gaben des Zwischenberichts eine Darstellung des Am Ende jedes Abschnitts und jedes Namensbeitrags Auftrags der Enquete-Kommission und ihrer perso- im Anhang befindet sich ein Verzeichnis der zitierten nellen Zusammensetzung. Anschließend werden die Literatur. Kommissionsprotokolle werden einheitlich Gestaltungsbedingungen für die Arbeit der Kommis- unter Angabe der Sitzungsnummer und der Seitenan- sion beschrieben. gabe zitiert.

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Kapitel 1.2 der der Kommission sind acht nicht dem Deut- schen Bundestag, der Bundesregierung oder ei- Entstehung und Auftrag der Kommission ner Landesregierung angehörende Sachverstän- dige. Auf Antrag der Fraktion der SPD (Drucksache 11/711 vom 17.8.1987) und der Fraktion DIE GRÜNEN c) Die Kommission hat dem Deutschen Bundestag (Drucksache 11/801 vom 15.9.1987) hat der Deutsche über das Ergebnis ihrer Arbeit zum 30. Juni 1989 Bundestag am 9. Dezember 1987 einvernehmlich die einen Zwischenbericht und zum 30. Juni 1990 Einsetzung einer Enquete-Kommission „Zukünftige den Abschlußbericht vorzulegen. Bildungspolitik — Bildung 2000" beschlossen. Grund- lage war die Beschlußempfehlung des Ausschusses für Bildung und Wissenschaft (Drucksache 11/1448 II. vom 4.12.1987). Der Kommissionsauftrag lautet: Die Enquete-Kommission soll die langfristig wirksa- men gesellschaftlichen Faktoren untersuchen, de- nen der Deutsche Bundestag für den seiner Rege- lung unterstehenden Bereich der Bildungspolitik a) Zur Vorbereitung bildungs-, gesellschafts-, wis- und die dort Tätigen vorausschauend Rechnung tra- senschafts-, arbeitsmarkt- und finanzpolitischer gen müssen. Sie hat die Aufgabe zu klären, welche Entscheidungen im Rahmen der Gesetzge- Maßnahmen und gegebenenfalls Veränderungen bungszuständigkeit sowie des Haushalts- und in diesem Rahmen notwendig sind, damit sich Ju- Kontrollrechts des Deutschen Bundestages wird gendliche sowie Erwachsene durch eine zukunfts- eine Enquete-Kommission „Zukünftige Bil- trächtige Erstausbildung und Weiterbildung auf dungspolitik — Bildung 2000" gemäß § 56 der neue Herausforderungen und die Übernahme von Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages Verantwortung im persönlichen und gesellschaftli- eingesetzt. chen Leben, in Arbeit und Beruf, in Kultur und Poli- tik vorbereiten können. Die Enquete-Kommission wird ihre Arbeit auf die im Grundgesetz verankerten Zuständigkei- Die Kommission soll darüber hinaus Vorschläge ten des Bundes beschränken. Dazu gehören ins- machen, welche Anforderungen sich für die Bil- besondere im Bildungsbereich: dungspolitik des Bundes ergeben aus: Dem Ziel der Gleichstellung der Geschlechter, den ökologischen — die auswärtigen Kulturbeziehungen und die Erfordernissen, den technologischen Umwälzungen Auslandsschulen der Industriegesellschaft, den internationalen Ver- (Artikel 73 Nr. 1 GG) flechtungen und Konflikten, den tiefgreifenden (ausschließliche Gesetzgebung), Strukturänderungen und dem damit verbundenen — die betriebliche und die überbetriebliche Be- Wertewandel. rufsausbildung inklusive berufliche Weiter- Die Kommission soll Möglichkeiten aufzeigen, wie bildung aus der konkurrierenden Gesetzge- die Bildungspolitik des Bundes im Zusammenwir- bung ken mit anderen relevanten Politikfeldern, wie der (Artikel 74 Nr. 11 GG), Arbeitsmarkt-, der Technologie-, der Wirtschafts- — die Regelung von Ausbildungsbeihilfen aus und der Finanzpolitik besser auf vor uns liegende der konkurrierenden Gesetzgebung Herausforderungen- ausgerichtet werden kann. Da- (Artikel 74 Nr. 13 GG), bei sollen die Erfahrungen anderer Industrieländer und die Perspektive der europäischen Zusammen- — die allgemeinen Grundsätze des Hochschul- arbeit, insbesondere auch die geplante Schaffung wesens aus der Rahmengesetzgebung des EG-Binnenmarktes, einbezogen werden. (Artikel 75 Nr. la GG), — der Aus- und Neubau von Hochschulen aus der Gemeinschaftsaufgabe (Artikel 91 a Abs. 1 Nr. 1 GG), — Vereinbarungen mit den Ländern aus der Ge- Die Kommission soll im Rahmen ihres Untersu- meinschaftsaufgabe gemeinsame Bildungs- chungsauftrags insbesondere folgende Fragen klä- planung und Forschungsförderung ren, (Artikel 91 b GG) — wie sich die Bildungsbeteiligung entwickelt hat, sowie ob bestimmte Schichten und Gruppen benach- teiligt sind, welches gegebenenfalls die Gründe — die Übertragung von Kompetenzen an die dafür sind, und wie deren Chancen verbessert Europäische Gemeinschaft werden können; (Artikel 24 Abs. 1 GG). — wie sich der Übergang von der Schule in Berufs- b) Die Kommission setzt sich aus neun Abgeordne- ausbildung bzw. Hochschule und der Übergang ten des Deutschen Bundestages zusammen. Das vom Bildungs- in das Beschäftigungssystem ent- Benennungsrecht der Fraktionen richtet sich wickelt haben, und welche Konsequenzen sich nach dem Verhältnis 4 : 3 : 1 : 1. Weitere Mitglie daraus ergeben;

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— welche Kenntnisse, Fähigkeiten, Fertigkeiten Bis Ende 1988 Leiter der Zentralabteilung und soziale Haltungen in der Berufsausbildung, Ausbildung der Robert Bosch GmbH Stuttgart der Hochschule und der Weiterbildung vermit- telt werden müssen, wenn der einzelne im ra- Frau Prof. Dr. Christine Heym schen Prozeß wirtschaft licher und sozialer Ver- Institut für Anatomie und Zellbiologie änderungen aktiv bestehen können soll, und wie der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg Innovationsfähigkeit und Flexibilität besser ge- fördert werden können; Prof. Dr. Klaus Klemm Fachbereich Erziehungswissenschaften — welche Konseqenzen die Veränderungen durch der Universität-Gesamthochschule Essen die neuen Kommunikationstechnologien ha- ben; Prof. Dr. Peter Lerche Institut für Politik und öffentliches Recht — wie lebenslanges Lernen für alle ermöglicht der Universität München werden kann, und welche Folgerungen sich dar- aus für Organisation und Finanzierung der Wei- Frau Prof. Dr. Ingrid Lisop terbildung ergeben; Fachbereich Erziehungswissenschaften — welche Veränderungen im Hinblick auf neue der Johann-Wolfgang- Goethe-Universität Entwicklungen im Bildungsbereich für das Be- Frankfurt soldungs- und Beamtenrecht vorzusehen sind; Frau Prof. Dr. Sigrid Metz-Göckel — welche Mittel für die Finanzierung der berufli- Hochschuldidaktisches Zentrum chen Bildung, der individuellen Ausbildungsför- der Universität Dortmund derung, des Hochschulbaus und der Hochschul- forschung erforderlich sind und von wem sie auf- Prof. Dr. Dr. Erich Staudt gebracht werden sollen; Institut für Arbeitswissenschaft und Institut für Angewandte Innovationsforschung e. V. — welche Aufgaben sich für die Bildungspolitik (IAI) an der Ruhr-Universität Bochum des Bundes aus der Schaffung des europäischen Binnenmarktes ergeben." Der Enquete-Kommission wurde vom Deutschen Bun- destag zur organisatorischen und wissenschaftlichen Unterstützung ihrer Arbeit ein Sekretariat zur Verfü- gung gestellt:

Kapitel 1.3 Leiter des Sekretariats Kommissionsmitglieder Ministerialrat Jörg Allkämper (vom 5. Februar 1988 bis 31. August 1989, ab 1. Juni 1989 mit einer ande- ren Aufgabe in der Verwaltung des Deutschen Bun- Abgeordnete destages betraut) Ministerialrat Dr. Günter Lachmann (ab 1. Septem- CDU/CSU-Fraktion: ber 1989) Klaus Daweke (Obmann) Stellvertreter/Wissenschaftlicher Koordinator Alois Graf von Waldburg-Zeil, stellvertretender Regierungsdirektor Klaus-Jürgen Luther Vorsitzender (ab 24. März 1988) Frau Prof. Dr. Roswitha Wisniewski SPD-Fraktion: Wissenschaftliche Mitarbeiter Frau Dr. Rose Götte Dr. habil. Gerd-E. Famulla (ab 1. August 1988) Eckart Kuhlwein, Vorsitzender Dr. Matthias Paul-Krumpholz (ab 15. Juli 1988) Prof. (Wiesloch) (Obmann) Frau Dr. Beatrix Wilms-Melzer (vom 1. Juli 1988 bis 30. September 1989) FDP-Fraktion: Dipl.-Volkswirt Johannes Zabel (ab 18. Juli 1988) Friedrich Neuhausen (Obmann) Fraktion DIE GRÜNEN: Büroleiter Frau Imma Hillerich (Obfrau) Oberamtsrat Walter Döhmen (ab 16. Februar 1988)

Büro- und Schreibkräfte Sachverständige Frau Stefanie Poétes (vom 25. Februar 1988 bis 8. November 1988) Prof. Dr. Sabine Gensior Frau Frau Carola Vaculik (vom 10. März 1988 bis 18. Juli Fachhochschule für Wi rtschaft Berlin 1988) Berliner Institut für Sozialforschung Frau Bettina Thurn (vom 28. Juni 1988 bis 19. März und sozialwissenschaftliche Praxis e. V. (B.I.S.) 1989) Prof. Dr. Heinz Griesinger Frau Martina Weyler-Esch (ab 8. November 1988) Honorarprofessor an der Universität Stuttga rt Frau Astrid Engel (ab 2. Mai 1989)

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Studentische Hilfskräfte vom 16. Januar 1989 bis zum 31. Mai 1989 als Prakti- Stud. phil. Alex Mänz (ab 29. August 1988) kantin im Sekretariat tätig. Ihre praktische Studien- Stud. phil. Sabine Herget (vom 3. Mai 1989 bis zeit leisteten stud. phil. Volker Czylwik vom 1. August 31. Mai 1989) 1989 bis zum 31. August 1989 und stud. iur. Annette Kliemann vom 21. August 1989 bis zum 29. September Im Rahmen des Bundestag-Internship- Programms 1989 im Sekretariat ab. war Frau Laura Ernst aus Marathon, Florida (USA)

Kapitel 1.4

Selbstverständnis der Kommission

Die Geschichte der Pädagogik und die Geschichte der Bildungspolitik in der Bundesrepublik Deutschland belegen, daß gesellschaftliche Dynamik und historische Umbrüche immer erneut die Bildungsfrage aufwerfen. So steht die Enquete-Kommission ebenso in einer Linie historischer Kontinuität, wie sie neuartige Fragestel- lungen mit einem entsprechenden Auftrag beantworten soll.

4.1 Bildungsreformtraditionen und neue Herausforderungen für die Bildungspolitik des Bundes

Die Mehrheit in der Kommission vertritt folgende Auf- Die Minderheit in der Kommission vertritt folgende fassung: Auffassung: In diesen historischen Zusammenhängen sieht es die Als der Bundesminister des Innern und die Ständige Kommission als ihre Chance und Aufgabe an, unter Konferenz der Kultusminister der Länder 1953 den Beachtung ihres Auftrages zu absehbaren und er- Deutschen Ausschuß für das Erziehungs- und Bil- kennbaren Entwicklungen von herausfordernder Be- dungswesen beriefen, erhielt dieser lediglich den deutung für das Bildungswesen Abwägungen vorzu- Auftrag, „die Entwicklung des deutschen Erziehungs- nehmen und Vorschläge zu unterbreiten, um Hilfe- und Bildungswesens zu beobachten und durch Rat stellung für die Bildungspolitik in der Bundesrepublik und Empfehlung zu fördern" , wie es in § 1 der Satzung Deutschland zu leisten. des Ausschusses hieß (Deutscher Ausschuß für das In Anknüpfung an deutsche Bildungstraditionen und Erziehungs- und Bildungswesen 1966, S. 966). Das -gegebenheiten erhielten nach dem zweiten Welt- Selbstverständnis des Ausschusses reichte aber bis zu krieg die Länder der Bundesrepublik Deutschland dem „äußersten Ziel", das „Gewissen der Nation" zu wieder die Kulturhoheit, die ihrer föderativen Verf as sein (so Walter Dirks in seiner Rede auf der konstitu- sung entsprach. Ursprünglich regelte das Grundge- ierenden Sitzung), um durch „Rat", „Kritik", „Vor- setz lediglich die staatliche Schulaufsicht, die Grund- schläge" und „Warnungen" die historische Neubesin- sätze des Religionsunterrichtes und die Privatschul- nung und das historische Neubeginnen der jungen freiheit; durch Verfassungsänderung am 12.5.1969 er- Republik zu begleiten (Ebenda, S. 978 ff). Der Aus- hielt der Bund die Rahmengesetzgebung über allge- schuß war auf das Wohl- der Na tion wie auf das Ganze meine Grundsätze des Hochschulwesens und die Mit- des Erziehungswesens verpflichtet. wirkung im Rahmen der Gemeinschaftsaufgaben 1970 formulierte der Deutsche Bildungsrat und die beim Ausbau und Neubau der Hochschulen sowie im von ihm eingesetzte Bildungskommission: „Das um- Rahmen der konkurrierenden Gesetzgebung eine fassende Ziel der Bildung ist die Fähigkeit des einzel- mögliche Bundeszuständigkeit für Ausbildungsbei- nen zu individuellem und gesellschaftlichem Leben, hilfen und Förderung der wissenschaftlichen For- verstanden als seine Fähigkeit, die Freiheit und die schung; ferner können Bund und Länder auf der Basis Freiheiten zu verwirklichen, die ihm die Verfassung von Vereinbarungen bei der Bildungsplanung und bei gewährt und auferlegt ... Die im Grundgesetz genann- der Förderung von Einrichtungen und Vorhaben der ten Grundrechte, die hier stellvertretend für alle hu- wissenschaftlichen Forschung von überregionaler Be- manen Grundrechte stehen, gelten für alle in gleicher deutung zusammenwirken. Außerdem hat der Bund Weise. Jeder einzelne soll sie wahrnehmen können — abgeleitet aus der Regelungszuständigkeit für das und sich so verhalten, daß er jedem anderen Mitglied Recht der Wirtschaft — maßgebliche Zuständigkeit der Gesellschaft die Wahrnehmung derselben Grund- für die Regelungen außerschulischer Berufsbildung, rechte selbstverständlich zugesteht. Damit ergeben die durch das Berufsbildungsgesetz von 1969 und die sich aus den Grundrechten auch Pflichten. Jeden geänderte Handwerksordnung eine einheitliche und Staatsbürger zur Wahrnehmung seiner Rechte und weitreichende Rechtsgrundlage erhalten hat. zur Erfüllung seiner Pflichten zu befähigen, muß des- In diesem vorgegebenen rechtlichen Rahmen hat es halb das allgemeine Ziel der Bildung sein, für die eine Fülle von Initiativen und Bemühungen um Wei- nächst den Eltern der Staat sorgen muß. " (Deutscher terentwicklung und Reform des gesamten Bildungs- Bildungsrat 1970, S. 29) wesens in der Bundesrepublik Deutschland gegeben, Ungleichheiten der Bildungschancen sollten soweit die sowohl in Aktivitäten der Länder selbst als auch in wie möglich abgebaut, Benachteiligungen aufgrund

Drucksache 11/5349 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode gemeinsamen Bemühungen von Bund und Ländern regionaler, sozialer und individueller Voraussetzun- ihren Ausdruck fanden. gen aufgehoben werden. Jeder einzelne sollte seinen Lerninteressen und Lernmöglichkeiten entsprechend Als besonders herausragend können angesehen wer- gefördert werden und in einem vielfältigen curricula- den: ren Angebot nicht nur Kenntnisse und Fertigkeiten — In der Ständigen Konferenz der Kultusminister der erwerben, sondern auch zur Erkenntnis von Zusam- Länder in der Bundesrepublik Deutschland wur- menhängen, zu selbständigem Handeln, zu Koopera- den seit ihrer Gründung als ständige Selbstkoordi- tion und der Übernahme von Verantwortung und zu nierungseinrichtung der Länder über 1000 Be- lebenslangem Lernen befähigt werden. schlüsse zum Schul- und Hochschulwesen gefaßt, Dieses gesellschaftsreformerische Engagement wur- die im Sinne eines kooperativen Bildungsföderalis- de begleitet und unterstützt durch ökonomische und mus entscheidende Weichenstellungen vorge- machtpolitische Interessen, die in einem Ausbau des nommen haben. Bildungssystems und dem Aufspüren der „Bega- — Auf gemeinsame Initiative des Bundesinnenmini- bungsreserven" den Garanten für Wirtschaftswachs- sters und der KMK wurde 1953 der „Deutsche Aus- tum und internationale Konkurrenzfähigkeit sahen. schuß für das Erziehungs- und Bildungswesen" als Die Neubewertung der Bildungspolitik hatte schon gutachterliches Expertengremium berufen, das 1964 dazu geführt, daß der Deutsche Ausschuß in sei- ,,... die Entwicklung des deutschen Erziehungs- nem Gutachten über das berufliche Ausbildungs- und und Bildungswesens beobachten und durch Rat Schulwesen wirtschaftliche und soziale Tatbestände und Empfehlungen fördern ... " sollte. In seiner Ar- nicht wie bisher nur implizit erwähnte, sondern zur beit bis zu seiner Auflösung hat dieser Ausschuß Begründung und Rechtfertigung von Bildungspolitik insgesamt 29 Gutachten und Empfehlungen ver- heranzog. Er widmete den Fragen des Berufslebens abschiedet, die die bildungspolitische Diskussion eigene, umfangreiche Kapitel. Dies, weil das berufli- maßgeblich mitbestimmt und beeinflußt haben. che Ausbildungs- und Schulwesen „mehr als die an- — Auf der Basis eines Verwaltungsabkommens zwi- deren Bereiche des Erziehungswesens von der Bevöl- schen Bund und Ländern nahm 1957 der Wissen- kerungs- und Berufsstruktur, von dem Entwicklungs- schaftsrat seine Arbeit auf, der durch seine stän- stand der Wirtschaft und der Technik, von sozialen dige Beratung der Wissenschaftsförderung unter und politischen Ideen und von Macht- und Interessen- Beteiligung von Bund und Ländern bis zur Gegen- positionen abhängt. " (Deutscher Ausschuß für das Er- wart die Hochschul- und Wissenschaftspolitik mit ziehungs- und Bildungswesen 1966, S. 416) beeinflußt hat. Als zwei Wochen nach der Verabschiedung des Deut- — Mit dem Abkommen vom 15.7.1965 wurde dann schen Ausschusses das Abkommen zwischen Bund von Bund und Ländern der Deutsche Bildungsrat und Ländern über die Errichtung des Deutschen Bil- berufen, der im wesentlichen Vorschläge und dungsrates geschlossen wurde, drängten speziell die Empfehlungen für die Entwicklung und Struktur erwähnten wirtschafts- und sozialpolitischen Struk- des Bildungswesens unterbreiten sollte. Neben turprobleme auf eine Bewäl tigung. Empfehlungen und Gutachten verabschiedete der Deutsche Bildungsrat 1970 den „Strukturplan für Der wachsende Zustrom junger Menschen zu weiter- das Bildungswesen" (Deutscher Bildungsrat 1970), führenden Bildungsgängen war „unter Verwerfung dessen Empfehlungen von einer weitgehenden jeden Gedankens an Restriktion" (Deutscher Bil- Übereinstimmung in den allgemeinen Grundsät- dungsrat 1970, S. 14) durch Verbesserungsvorschläge zen und der gegenseitigen Bereitschaft zur Ver- zu bewältigen, welche- pädagogischen Erfordernissen sachlichung ideologischer Gegensätze getragen stärker zu ihrer Geltung verhelfen sollten. So domi- waren. Der Strukturplan hatte umfassende bil- nierten neben der Sicherung der Bildungsausgaben dungspolitische Diskussionen und Aktivitäten zur als Planungsansätze in den öffentlichen Haushalten Folge. Die Arbeit des Bildungsrates endete 1975 die Diskussion über Strukturfragen des Bildungswe- mit Auslaufen des Abkommens. sens selbst sowie die Curriculumreform und die Leh- rerbildung. Die Begabungsforschung sowie die Aus- — Durch ein Verwaltungsabkommen vom 25.6.1970, einandersetzung mit neuen Schulkonzepten ermög- das durch Verfassungsänderung von 1969 möglich lichte eine fundamentale Konsensbildung in der Bil- geworden war, errichteten Bund und Länder für dungskommission und eine Orientierung an pädago- verbessertes Zusammenarbeiten die Bund-Län- gischen Leitmotiven. So ergab sich eine Art Doppel- der-Kommission für Bildungsplanung (später: und strategie von pädagogischer Strukturreform einerseits Forschungsförderung), die kurz-, mittel- und lang- und von regionaler Strukturreform andererseits. Der fristig angelegte Vorschläge und Planungen ausar- von der Bund-Länder-Kommission für Bildungspla- beiten sollte. Neben vordringlichen Maßnahmen nung und Forschungsförderung entwickelte und von und mittelfristigen Stufenplänen legte die Kom- den Regierungschefs von Bund und Ländern be- mission 1973 einen Bildungsgesamtplan vor, der schlossene Bildungsgesamtplan von 1973 (BLK 1973) nach längeren Debatten Zustimmung in Bund und und der Fortschreibungs-Entwurf von 1980 (siehe BT Ländern fand. Im Jahr 1977 nahm die Kommission Drucksache 9/2012 vom 1.10.1982) zielten darauf, eine Fortschreibung dieser Planungen vor, die je- letztere insbesondere durch rechtliche und finanzielle doch über ein Entwurfsstadium nicht hinausge- Lösungen voranzutreiben. langte. Dennoch haben Planungs- und Arbeitsme- thoden der BLK bis heute ihre Bedeutung für das Mitentscheidend dafür, daß der beschriebene päd Bildungswesen behalten. Außerdem wickeln Bund agogische und politische Konsens, wie er sich bis zum

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und Länder seit 1976/77 durch Erweiterung des Ende der sechziger Jahre herausgebildet hat, zumin- Abkommens ihre Abstimmung zur Forschungs- dest im quantitativen Bereich — höhere Bildungsaus- förderung weitgehend über die BLK ab. gaben für den Ausbau des Bildungswesens auf allen Stufen mit dem Ziel höherer Bildungsbeteiligungs- Der Einsetzungsbeschluß des Deutschen Bundestages quoten und dem Abbau von schicht-, geschlechts- und nennt die maßgeblichen Problemfelder, deren sich die regionalspezifischen Benachteiligungen — verwirk- Kommission annehmen soll. In ihrer Arbeit geht die licht wurde, war die einvernehmliche Entwicklung Kommission deshalb davon aus, daß für eine wirk- einer neuen verfassungsrechtlichen Grundlage für same Hilfestellung zur Gestaltung des Bildungswe- das Zusammenwirken von Bund und Ländern im Be- sens in der Bundesrepublik Deutschland die vom reich der Bildungs- und Wissenschaftspolitik. Ihren technischen Wandel, von ökologischen, gesellschafts- Höhepunkt hatte diese aus heutiger Sicht überra- politischen und sozialen Veränderungen, von interna- schend weitreichende institutionelle Reform bereits tionalen Verflechtungen und Konflikten sowie von mit der Verfassungsreform von 1969 (Einundzwanzig- veränderten Lebensstilen ausgehenden Wirkungen stes Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes (Finanz- hinreichend mitzubetrachten und zu bedenken sind. reformgesetz) vom 12.5.1969 und Zweiundzwanzig- Deshalb erwartet die Kommission, daß andererseits stes Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes vom ihre bildungspolitischen Empfehlungen auch auf ge- 12.5.1969). sellschafts-, wissenschafts-, arbeitsmarkt- und finanz- politische Bereiche Einfluß haben werden. Nur so Jedoch waren bereits zu diesem Zeitpunkt auch An- werden sich letztlich langfristig wirksame Struktur- zeichen sichtbar, daß die Bereitschaft zur Anwendung probleme sachgerecht bewäl tigen lassen. dieser neuen Instrumente und zur effektiven Durch- setzung der im Konsens entwickelten Reformvorstel- Für die Kommission sind Erfahrungen anderer Indu- lungen nachlassen würden. Im Zusammenhang mit strieländer und insbesondere Perspektiven europäi- den Ölpreis-Krisen der siebziger Jahre und den sich scher Zusammenarbeit, auch in Verbindung mit der verhärtenden verteilungs- und gesellschaftspoliti- Entstehung des EG-Binnenmarktes, maßgebliche schen Auseinandersetzungen verlor die Bildungsre- Vorgänge. Weltweit ist erkennbar, daß die Ausbrei- form den Platz an der Spitze der inneren Reformen, tung neuer Technologien, wachsende Umweltbedro- den Bundeskanzler in seiner Regie- hung, Probleme der Arbeitslosigkeit insbesondere rungserklärung 1969 für sie vorgesehen hatte (Deut- junger Menschen, Bemühungen um Durchsetzung scher Bundestag, 6. Wahlperiode, 5. Sitzung, Bonn, der Menschenrechte und um f riedliches Zusammenle- den 28.10.1969, S. 26). ben der Völker als Herausforderungen auch an die nationalen Bildungssysteme und die bildungspoliti- Dennoch zielten der Bildungsgesamtplan von 1973, sche Zusammenarbeit zwischen den Ländern und in der Stufenplan zu Schwerpunkten der beruflichen Bil- internationalen Gremien (EG, Europarat, UNESCO, dung von 1975, das Programm zur Durchführung vor- OECD) gesehen werden. dringlicher Maßnahmen zur Minderung der Beschäf- tigungsrisiken von Jugendlichen von 1976 (Fo rt International findet dies seinen Ausdruck in zahlrei- -schreibung 1977), der Ergänzungsplan musisch-kul- chen neuen Analysen, Kommissionsberichten und turelle Bildung von 1977 und eine Reihe weiterer BLK Empfehlungen, die sich auf je nationalem Niveau mit Beschlüsse zu Modellversuchen in allen Bildungsbe- dem Zustand und den Entwicklungsnotwendigkeiten reichen (siehe den Überblick in BLK 1989 a, S. 50 ff) der Bildungssysteme befassen. So wurde in Japan und schließlich der Entwurf der Fortschreibung des 1984 von der Regierung ein „Rat zur Reform des Erzie- Bildungsgesamtplans von 1980 darauf, den pädagogi- hungswesens" eingesetzt, der nach dreijähriger Ar- schen und bildungspolitischen Konsens, der sich in beit umfängliche Empfehlungen zur Weiterentwick- - den sechziger Jahren herausgebildet hatte, in einer lung des gesamten Bildungswesens vorlegte. Aus zwischen den Ländern und im Einvernehmen mit dem ähnlichen Gründen wurde im United Kingdom (Eng- Bund entwickelten Form voranzutreiben und in der land und Wales) 1988 ein Gesetz zur Reform von Bil- bildungspolitischen Praxis zu verwirklichen. dung und Wissenschaft (The Great Educa tion Reform Bill) verabschiedet. In Dänemark hat ein Erziehungs- In die Kette dieser wei treichenden Vereinbarungen rat 1987 einen großen Bericht zur Perspektive des gehört nicht zuletzt auch der „Öffnungsbeschluß", dänischen Bildungssystems vorgelegt. In Frankreich den Bundeskanzler und die Minister- hat 1987 auf Anforderung durch den französischen präsidenten der Länder 1977 gefaßt haben, um die Präsidenten das Collège de France seine „Proposi- Einrichtungen der beruflichen Bildung und die Hoch- tions pour l'enseignement de l'avenir" vorgelegt, vor- schulen für die geburtenstarken Jahrgänge offenzu- bereitet und gefolgt von mehreren Berichten und Vor- halten, „Überlastmaßnahmen" zu verwirklichen und schlägen der französischen Erziehungsminister der die privaten und öffentlichen Beschäftiger zu ermuti- achtziger Jahre. In den USA schließlich löste der Be- gen, die gestiegenen Qualifikationen auf dem Ar- richt „A Nation at Risk" über den Zustand des Bil- beitsmarkt auch anzunehmen (Regierungschefs von dungssystems, den 1983 „The National Commission Bund und Ländern 1977). on Excellence in Educa tion" vorlegte, eine breite De- batte aus. Der Abbau regionaler Disparitäten, die Sicherstellung eines flächendeckend verfügbaren Mindestpro- Bei allen nationalen Besonderheiten und Unterschie- gramms von Bildungsangeboten aller Stufen und das den zeichnen folgende Gesichtspunkte die Mehrheit Postulat, allen Jugendlichen eine „zukunftsträchtige" der hier erwähnten Analysen und Vorschläge aus: Der Berufsausbildung und allen Erwachsenen Möglich- Verweis auf die Bedeutung des Zusammenhangs zwi- keiten des lebenslangen Lernens in Einrichtungen der schen Bildung und nationalem Wohlstand, der Ver Erwachsenenbildung und im Betrieb zu sichern — das

Drucksache 11/5349 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode weis auf die Notwendigkeit von Bildung für den so- alles ist zwar auch heute noch Konsens (siehe den zialen Zusammenhalt und die Entwicklung der Demo- Bericht der Bundesregierung zur Sicherung der Zu- kratie und die Förderung des Individuums. Die En- kunftschancen der Jugend in Ausbildung und Beruf quete-Kommission sieht deshalb ihre Aufgabe — un- (BMBW 1984) und die BLK-Beschlüsse zu den Be- beschadet der Unterschiedlichkeit im Auftrag und schäftigungsperspektiven von Absolventen des Bil- Anspruch sowie der Zusammensetzung der oben ge- dungssystems (BLK 1987 und 1989 b)). Er findet auch nannten ausländischen Gremien — auch in diesen seinen Ausdruck im Einsetzungsbeschluß der En- Zusammenhängen einer internationalen Debatte um quete-Kommission. Doch sind die Forderungen weder die Zukunft der Bildung in einer sich schnell wandeln- qualitativ noch quantitativ hinreichend eingelöst. den und zusammenwachsenden Welt. Die Enquete-Kommission sieht sich mit ihrer Arbeit Trotz der Beschränkung des Kommissionsauftrages sowohl in der Tradition der Beratungen zur Entwick- auf die bildungspolitischen Zuständigkeiten des Bun- lung des Bildungssystems der Bundesrepublik, wie sie des — und weniger auf die wissenschafts- und for- seit den fünfziger Jahren immer wieder geführt wer- schungspolitischen — ergibt sich aus dem Einset- den, als auch als Teil einer internationalen Debatte zungsbeschluß eine große Komplexität. Deshalb darf um die Zukunft der Bildung in einer sich schnell wan- die Kommission trotz aller harten gesellschaftspoliti- delnden und zusammenwachsenden Welt. schen Fakten und trotz der geforderten Mehrdimen- sionalität der Aufgabenstellung nicht den vorrangi- Es kann nicht davon ausgegangen werden, daß die gen Bildungsaspekt entgleiten lassen. Denn: „Es sol- Bearbeitung der zum Teil unerledigten Aufgaben len Menschen sein, die fähig sind, ihre Persönlichkeit ohne weiteres und in den bisherigen Bahnen der bil- frei zu entfalten; Menschen mit Glauben und Gewis- dungspolitischen Zusammenarbeit von Bund und sen; Menschen, bei denen Kunst, Wissenschaft und Ländern möglich ist. Die den bildungspolitischen Ent- Forschung gedeihen; Menschen, denen das Eltern- scheidungen in den achtziger Jahren zugrundegeleg- recht anvertraut werden kann ... Die Bildungspolitik ten Eckdaten, zum Beispiel zur langfristig erforderli- will die Menschen befähigen, ihr Leben selbstverant- chen Zahl von Studienplätzen im Bundesgebiet, sind wortlich und sinnvoll zu gestalten ... Jeder von uns soll nicht mehr aktuell. Hinzu kommt, daß die Strukturver- sagen können, er arbeite, damit das Universum in ihm änderungen durch den technischen und ökonomi- und durch ihn sich um eine Stufe erhebe." So Her- schen Wandel, durch ökologische, gesellschaftspoliti- mann Höcherl 1965 zur Verabschiedung des Deut- sche und soziale Veränderungen, durch internatio- schen Ausschusses für das Erziehungs- und Bildungs- nale Verflechtungen und Konflikte und veränderte wesen (Deutscher Ausschuß für das Erziehungs- und Lebensstile zu tiefgreifend geworden sind. Bildungswesen 1966, S. 986, 989). Demzufolge hat die Kommission nicht nur bildungs- politische, sondern gesellschafts-, wissenschafts-, ar- beitsmarkt- und finanzpolitische Entscheidungen zur zukünftigen Bildungspolitik vorzubereiten, und zwar in wechselseitiger Abstimmung so, daß den langfristi- gen gesellschaftlichen Entwicklungen Rechnung ge- tragen werden kann. Gerade in der Untersuchung der langfristig wirksamen gesellschaftlichen Faktoren liegt ein wesentlicher Unterschied zu den Aufträgen vorangegangener Bildungsausschüsse und Kommis- sionen. Die Bildungspolitik des Bundes wird folglich im Auftrag der Enquete-Kommission — explizit und schärfer formuliert als historisch je zuvor — zur Bün- delung von Gesellschaftspolitik. Die Herausforde- rung, vor der die Bildungspolitik als Gesellschafts- politik oder umgekehrt die Gesellschaftspolitik via Bildungspolitik heute steht, lautet: Wie kann und soll sie ihren Beitrag zur Bewäl tigung langfristig wirksa- mer Strukturprobleme leisten? Dabei soll die Enquete-Kommission gemäß Einset- zungsbeschluß die Erfahrungen anderer Industrielän- der und die Perspektive der europäischen Zusammen- arbeit, insbesondere auch die Schaffung des EG-Bin- nenmarktes, einbeziehen. Zur Einordnung des Auftrags der Enquete-Kommis- sion in die Diskussion in vergleichbaren westlichen Industrieländern formulierte der Bundesminister für Bildung und Wissenschaft, Jürgen W. Möllemann, in seinem einleitenden Referat anläßlich seiner Diskus- sion mit der Enquete-Kommission am 2. November 1988: „Die Arbeit dieser Kommission fällt in eine Zeit eines internationalen bildungspolitischen Auf-

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bruchs." (10/2) In der Tat läßt sich feststellen, daß die Herausforderungen, die weltweit ausgehen von der Ausbreitung neuer Technologien, von wachsender Umweltzerstörung, von Arbeitslosigkeit (insbeson- dere von Jugendarbeitslosigkeit) und von der Not- wendigkeit, national wie international ein friedliches und demokratisches Zusammenleben zu sichern, auch als Herausforderungen an die nationalen Bil- dungssysteme und an die bildungspolitische Zusam- menarbeit zwischen den Ländern und in internationa- len Gremien (EG, Europarat, UNESCO, OECD) gese- hen werden.

Die neu gewonnene Bedeutung, die der Bildung und Ausbildung in den achtziger Jahren zugemessen wird, findet interna tional ihren Ausdruck in zahlrei- chen neuen Analysen, Kommissionsberichten und Empfehlungen, die sich auf je nationalem Niveau mit dem Zustand und den Entwicklungsnotwendigkeiten der Bildungssysteme befassen. So wurde in Japan 1984 von der Regierung ein „Rat zur Reform des Erzie- hungswesens" eingesetzt, der nach dreijähriger Ar- beit umfängliche Empfehlungen zur Weiterentwick- lung des gesamten Bildungswesens vorlegte. Aus ähnlichen Gründen wurde im United Kingdom (Eng- land und Wales) 1988 ein Gesetz zur Reform von Bil- dung und Wissenschaft (The Great Educa tion Reform Bill) verabschiedet, ein Gesetz, das der amtierende Erziehungsminister schlicht als „cha rter for better education" bezeichnete. In Dänemark hat ein Erzie- hungsrat 1987 einen großen Bericht zur Perspektive des dänischen Bildungssystems vorgelegt: „Danish Educational Planning and Policy in a Social Context at the End of the Twen tieth Century". In Frankreich hat 1987 auf Anforderung durch den französischen Präsi- denten das Collège de France Vorschläge für die zu- künftige Ausbildung („Proposi tions pour l'ensei- gnement de l'avenir”) gemacht, vorbereitet und ge- folgt von mehreren Berichten und Vorschlägen der französischen Erziehungsminister der achtziger Jahre. In den USA schließlich löste „A Na tion at Risk", ein Bericht über den Zustand des Bildungssystems, den 1983 die National Commission of Excellence in Education vorlegte, eine breite Debatte aus. Diese öffentliche Auseinandersetzung über die Bedeutung von Bildung für die Zukunft der USA ist auch jetzt noch nicht abgeklungen; der 1988 vom damals zu- ständigen Minister William J. Bennett herausgege- bene Bericht „American Education — Making It Work" ist wohl nur ein weiteres Element in dem natio- nalen Diskurs über das Bildungssystem der USA.

Bei allen durch nationale Besonderheiten beding- ten Unterschieden und bildungsökonomischen Pro- blemen eines statistischen Nachweises zeichnen zwei Gesichtspunkte die Mehrheit der hier angespro- chenen Analysen und Vorschläge aus: zum einen der Verweis auf die Bedeutung von Zusammenhängen zwischen Bildung und nationalem Wohlstand und zum anderen der Verweis auf die Notwendigkeit von Bildung für den sozialen Zusammenhalt und die Ent- wicklung der Demokratie. John Lowe spricht in sei- nem Gutachten für die Enquete-Kommission ( „Educa- tional Trends and Prospects in OECD Member Coun- tries") genau diese beiden die neuerliche Debatte um Bildung vorantreibenden Aspekte an, wenn er — die internationale Diskussion beschreibend — formuliert:

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„Zweifellos besteht beispielsweise ein Zusammen- hang zwischen der Höhe der Bildungsinvestitionen eines Landes und ihrem ökonomischen Erfolg" (Lowe 1989, S. 7), und wenn er ebenso schreibt: „Viele Län- der, insbesondere Schweden und die USA, würden hinzufügen, daß es nicht ausreicht, wenn ein Bil- dungssystem nur erstklassige Arbeitskräfte ausbildet, sondern daß es sie zugleich auch zu guten Staatsbür- gern erziehen und es langfristigen sozialen Zielen die- nen müsse." (Lowe 1989, S. 44) Das hier angesprochene Doppelziel — die Sicherung ökonomischer Leistungsfähigkeit wie die Förderung der sozialen und demokratischen Gesellschaft — fin- det sich zum Beispiel gleichermaßen in „A Nation at Risk" und in den „Propositions pour l'enseignement de l' avenir" . In dem Text aus den USA heißt es gleich einleitend: „Kenntnisse, Fähigkeit und Bereitschaft zum Lernen, Information und eine qualifizierte Intelli- genz sind das neue Rohmaterial des internationalen Handels ... " und weiter: „Eine hohe Bildungsbeteili- gung ist entscheidend für eine freie, demokratische Gesellschaft ... " (The National Commission on Excel- lence in Education 1983, S. 7). Ähnlich argumentiert der Vorspann des französischen Bezugtextes: „Im üb- rigen scheint sehr häufig Übereinstimmung zu beste- hen zwischen technologischen Anforderungen zur Si- cherung eines Fortschritts der Wissenschaft und der wissenschaftlichen Ausbildung auf der einen Seite und ethischen Zielen, die dem Ideal einer demokrati- schen Gesellschaft entsprechen. " (Collège de France 1985, S. 10) Trotz der Beschränkung auf die bildungspolitischen Zuständigkeiten des Bundes — und weniger die wis- senschafts- und forschungspolitischen — , ergibt sich aus dem Einsetzungsbeschluß der Enquete-Kommis- sion eine enorme Komplexität. Die Kommission hat historisch und systematisch vergleichend zu arbeiten, und sie hat Folgeabschätzungen vorzunehmen. Vor allem: Sie darf trotz aller harten gesellschaftspoliti- schen Fakten und trotz der geforderten Mehrdimen- sionalität des Denkens nicht den Bildungsaspekt ent- gleiten lassen. Denn: „Es sollen Menschen sein, die fähig sind, ihre Persönlichkeit frei zu entfalten; Men- schen mit Glauben und Gewissen; Menschen, bei de- nen Kunst, Wissenschaft und Forschung gedeihen; Menschen, denen das Elternrecht anvertraut werden kann ... Die Bildungspolitik will die Menschen befähi- gen, ihr Leben selbstverantwortlich und sinnvoll zu gestalten ... Jeder von uns soll sagen können, er ar- beite, damit das Universum in ihm und durch ihn sich um eine Stufe erhebe." So Hermann Höcherl 1965 zur Verabschiedung des Deutschen Ausschusses für das Erziehungs- und Bildungswesen (Deutscher Aus- schuß für das Erziehungs- und Bildungswesen 1966, S. 986, 989).

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4.2 Bildungspolitische Positionen zur Einsetzung kompetenz für die Wahrnehmung staatlicher Aufga- der Kommission im Deutschen Bundestag ben haben." (Kultusministerkonferenz unter Mitar- beit des Bundesministeriums für Bildung und Wissen- Die Einsetzung einer Enquete-Kommission zur zu- schaft und der Westdeutschen Rektorenkonferenz künftigen Bildungspolitik wurde von den Fraktionen 1977, S. 1) Dieses „Kernstück der Eigenstaatlichkeit der SPD und der GRÜNEN beantragt. In den Bundes- der Länder" (Bundesverfassungsgericht 1957) grün- tagsdebatten zur Einsetzung der Kommission am det auf Artikel 30 GG, wonach die Ausübung der 17. September 1987 und 9. Dezember 1987 wurden staatlichen Befugnisse und die Erfüllung der staatli- unterschiedliche Einschätzungen über ihren Stellen- chen Aufgaben Sache der Länder ist, soweit das wert in der bildungspolitischen Entwicklung, ihre Grundgesetz keine andere Regelung trifft oder zuläßt. Ziele und Schwerpunkte und über das Spannungsver- Die Länder sind danach für den größten Teil des Bil- hältnis ihrer Arbeit zu den verfassungsrechtlichen Zu- dungswesens zuständig. Dies bet rifft vor allem die ständigkeiten der Länder im Bildungsbereich sicht- schulische Bildung und Ausbildung einschließlich bar. Ausbildung an den Hochschulen und die Erwachse- nenbildung. Die beiden Debatten sind in den Anlagen 1 und 2 im Wortlaut abgedruckt. Wie jedoch die — nicht abschließende — Aufzählung von bildungs- und wissenschaftspolitischen Zustän- digkeiten des Bundes im Einsetzungsbeschluß zeigt, hat der Bund beachtliche Kompetenzen, unter ande- 4.3 Zuständigkeiten von Bund und Ländern rem für die betriebliche Berufsausbildung und Weiter- bildung, für die Rahmengesetzgebung im Hochschul- In der öffentlichen Diskussion vor der Beschlußfas- bereich, für die gemeinsame Bildungsplanung auf der sung über die Einsetzung der Enquete-Kommission Grundlage von Vereinbarungen mit den Ländern so- wurde an den Anträgen der Fraktion der SPD und der wie für die Finanzierung von Investitionen in Bildung Fraktion DIE GRÜNEN aus verfassungsrechtlicher und Wissenschaft einschließlich Ausbildungsbeihil- Sicht Kritik geübt. Zwei Argumentationslinien sind fen nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz. erkennbar: Es bestehe die Gefahr, daß der Deutsche Dies kommt auch in dem überproportionalen Anteil Bundestag sich mit der Einsetzung einer Enquete- der investiven Ausgaben im Haushalt des Bundesmi- Kommission „Zukünftige Bildungspolitik — Bildung nisters für Bildung und Wissenschaft (Einzelplan 31 2000" in die bildungspolitischen Zuständigkeiten der des Bundeshaushalts) zum Ausdruck. Die Länder, Ge- Länder einmischen würde. Oder: Angesichts der im meinden und Gemeindeverbände zusammen tragen Vergleich zu den Ländern geringen Zuständigkeiten dagegen zum Beispiel den ganz überwiegenden Teil des Bundes im Bildungswesen sei die Einsetzung ei- der laufenden Sachausgaben und der Personalausga- ner Enquete-Kommission „Zukünftige Bildungspoli- ben. tik — Bildung 2000" nicht sinnvoll, da der Bund Emp- fehlungen der Kommission kaum selbst umsetzen Aus diesem Grunde ist eine Zusammenarbeit zwi- könne. Daher sei zu befürchten, daß die Enquete- schen Ländern und Bund im Bildungswesen geboten. Kommission einen neuen „Mängelbericht" vorlegen Die europäische Integration ist ein weiterer Anlaß für würde, wie dies 1978 bereits mit dem Bericht der Bun- eine Intensivierung dieser Zusammenarbeit. desregierung über die strukturellen Probleme des fö- derativen Bildungssystems (Drucksachen 8/1551 vom Eine Minderheit der Kommission vertritt zur wechsel- 23.2.1978 und 8/1956 vom 23.6.1978) geschehen sei. seitigen Abstimmung im bildungs- und wissenschaft- lichen Bereich ergänzend folgende Auffassung: Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bun- - Für die Überlegungen zur „Reichweite" des Untersu- destages wurden von den Berichterstattern des feder- chungsauftrags der Enquete-Kommission und ihrer führenden Ausschusses für Bildung und Wissenschaft späteren Empfehlungen kommt es nicht allein auf die um ein Rechtsgutachten zu der Problematik einer En- quete-Kommission des Deutschen Bundestages aus verfassungsrechtliche Kompetenzordnung an. Wich- tig ist auch die durch die Staatspraxis dem jewei föderalistischer Sicht gebeten, kamen jedoch in ihrer ligen Ausarbeitung zu dem Thema „Die Vereinbarkeit der Bedarf angepaßte, das heißt nicht statische, Koopera- tion zwischen den verschiedenen öffentlichen und pri- geplanten Enquete-Kommission ,Zukünftige Bil- dungspolitik — Bildung 2000' mit dem Bundesstaats- vaten Entscheidungsträgern in der Bildungs- und Wissenschaftspolitik. prinzip" vom 12.11.1987 zu dem Ergebnis, daß verfas- sungsrechtliche Bedenken nicht durchschlagend In einem vom Parlamentarischen Rat bei der Arbeit seien. Auf Empfehlung des mitberatenden Rechtsaus- am Grundgesetz nicht vorhersehbaren Umfang hat schusses wurde danach in die Beschlußempfehlung sich in den vergangenen vier Jahrzehnten die Not (Drucksache 11/1448 vom 4.12.1978) einleitend eine wendigkeit zu einer wechselseitigen Abstimmung Übersicht der wesentlichen Zuständigkeiten des Bun- auch im bildungs- und wissenschaftspolitischen Be- des im Bildungsbereich eingefügt (siehe Kapitel I.1). reich herausgebildet: Unbestritten liegt die „Kulturhoheit" bei den Län- Innerhalb des Bildungssystems, vor allem im Schul- dem: „Die Verantwortlichkeit für die Bildungspolitik und im Hochschulbereich, betrifft dies vor allem die und Bildungsplanung wird durch die föderative Abstimmung zwischen den Ländern, um ein Mindest- Staatsstruktur bestimmt. Nach dem Grundgesetz für maß an Vergleichbarkeit und Einheitlichkeit der Le- die Bundesrepublik Deutschland sind dem Bund nur bensverhältnisse im Bundesgebiet zu gewährleisten. nach Zahl und Umfang festgelegte Aufgabenbereiche Die Länder hatten zu diesem Zweck schon vor der zugewiesen, während die Länder eine A rt General Verkündung des Grundgesetzes als Mittel der Selbst-

Drucksache 11/5349 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode koordination damit begonnen, mehr im Stillen, in der Kapitel L5 „Ständigen Konferenz der Kultusminister", zusam- menzuarbeiten. Voraussichtliche Entwicklung der Wohnbevölkerung und des Arbeitsmarktes. Auswirkungen auf den Bildungsbereich Neben diese horizontale Koordination auf der Ebene der Länder ist immer stärker die Notwendigkeit zur In diesem Kapitel werden im Anschluß an methodi- vertikalen Koordination zwischen Ländern und dem sche Vorbemerkungen einige grundsätzliche Aussa- Bund und zunehmend auch der Europäischen Ge- gen über die Entwicklung der Wohnbevölkerung und meinschaft getreten. des Arbeitsmarktes referiert; es wird jedoch auf eine detaillierte Darstellung quantitativer Prognosen ver- Der Bund bringt dabei seine Zuständigkeiten und zichtet. Aus der Volkszählung 1987 ergeben sich ei- Handlungsmöglichkeiten auf wich tigen Feldern der nige Anpassungsnotwendigkeiten für die Poten tial- Bildungspolitik ein. In der Staatspraxis war auch im- rechnungen des Instituts für Arbeitsmarkt- und Be- mer unbestritten, daß der Bund aus Gründen der ge- rufsforschung der Bundesanstalt für Arbeit (IAB), das samtstaatlichen Repräsentation und Finanzkraft zu- heißt für die Bestimmung der effektiven und poten- mindest eine Mitfinanzierungskompetenz hat, zum tiellen Erwerbspersonenzahlen, die erst nach dem Ab- Beispiel in der wissenschaftlichen Großforschung in- gabetermin für den Zwischenbericht vorliegen wer- nerhalb und außerhalb der Hochschulen, im kulturel- den. Auch die BLK wird ihre „Gesamtbetrachtung zu len Bereich und im Spo rt. den Beschäftigungsperspektiven von Absolventen des Bildungssystems" (BLK 1989 b) fortschreiben. Diese Ergebnisse sind jedoch erst für das Jahr 1991 — Anläßlich der Verfassungsreform von 1969 sind dem nach dem Abgabetermin für den Abschlußbericht der Bund, auch mit dem Ziel einheitlicher Lebensverhält- Enquete-Kommission — angekündigt. nisse im Bundesgebiet, eine Reihe von Mitplanungs-, Mitentscheidungs- und Mitfinanzierungszuständig- Die in diesem Abschnitt behandelten Fragen waren keiten zugewachsen und zum Teil gesetzlich neu ge- auch Gegenstand einer Anhörung in der 3. Sitzung regelt worden. Zu erwähnen sind vor allem das Be- der Enquete-Kommission am 11. Mai 1988, deren we- rufsbildungsgesetz sowie das Berufsbildungsförde- sentliche Ergebnisse in Kapitel III.2.1.1 dargestellt rungsgesetz, das Arbeitsförderungsgesetz, das Bun- sind. desausbildungsförderungsgesetz , das Hochschulbau- förderungs- und das Hochschulstatistikgesetz, die Ge- meinschaftsaufgabe Gemeinsame Bildungsplanung 5.1 Möglichkeiten und Grenzen der Vorhersage und Forschungsförderung, die konkurrierende Ge- langfristig wirksamer Faktoren, die für die setzgebungsbefugnis zur Förderung der wissen- zukünftige Bildungspolitik des Bundes schaftlichen Forschung und das Recht, Rahmenvor- bedeutsam sind schriften über die allgemeinen Grundsätze des Hoch- schulwesens zu erlassen, das zum Hochschulrahmen- Die Enquete-Kommission soll sich mit bildungspoliti- gesetz von 1976 geführt hat. schen Aufgabenstellungen befassen, die im Übergang zum 21. Jahrhundert auf den Bund zukommen, soweit Die vertikale Koordination umfaßt zunehmend auch dies heute bereits absehbar ist. Der Auftrag der Korn- die Abstimmung der Bildungs- und Wissenschaftspo- mission nennt einen Katalog gesellschaftlicher Fakto- litik mit einer Reihe anderer Politikbereiche. Hierin ren, den sie bei ihren Analysen und Vorschlägen zu liegt eine wesentliche Rechtfertigung für die Mitwir- berücksichtigen hat, die Jugendlichen und Erwachse- kung des Bundes an der gemeinsamen Bildungspla- nen eine „zukunftsträchtige" Erstausbildung und nung von Ländern und Bund. Die Einsicht in die Not- Weiterbildung ermöglichen sollen. Sie muß also vor- wendigkeit dieser Verknüpfung hat nicht zuletzt dazu ausschauende Betrachtungen über Entwicklungsten- geführt, daß Bund und Länder 1970 das Verwaltungs- denzen des Bildungswesens und seines Bedingungs- abkommen über die Errichtung einer gemeinsamen gefüges anstellen, die diesen Herausforderungen für die zukünftige Bildungspolitik des Bundes gerecht Kommission für Bildungsplanung geschlossen haben. werden. Mitglieder der BLK sind neben den Kultus- und den Wissenschaftsministern der Länder und dem Bundes- Die Enquete-Kommission ist sich bei ihrem Vorgehen minister für Bildung und Wissenschaft deshalb auch der Unsicherheit prognos tischer Aussagen bewußt der Bundesminister für Forschung und Technologie, und geht davon aus, daß gesellschaftliche Entwick- der Bundesminister des Innern, der Bundesminister lungen nur in beschränktem Umfang voraussehbar der Finanzen, der Bundesminister für Wirtschaft, der sind: Bundesminister für Jugend, Fami lie, Frauen und Ge- sundheit und der Chef des Bundeskanzleramtes. Der Wandel aller Lebensbereiche und die Abhängig- keit aller Teilbereiche in Wirtschaft und Gesellschaft voneinander ist ein Kennzeichen a ller Industrielän- An diese Überlegungen knüpft auch der Einsetzungs- der. Es gibt jedoch eine Anzahl von heute bereits beschluß für die Enquete-Kommission an, die Mög- absehbaren — zum Teil weit in der Vergangenheit lichkeiten aufzeigen so ll, wie die Bildungspolitik des angelegter, zum Teil relativ neuer — gesellschaftli- Bundes im Zusammenwirken mit anderen relevanten cher Tendenzen, die für die zukünftige Bildungspoli- Politikfeldern, wie der Arbeitsmarkt-, der Technolo- tik bedeutsam sind. Die Expertenanhörungen der En- gie-, der Wirtschafts- und der Finanzpolitik, besser auf quete-Kommission haben deutlich gemacht, daß je- neue Herausforderungen ausgerichtet werden kann. denfalls eine qualitative Beschreibung möglicher oder

Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode Drucksache 11/5349 wahrscheinlicher Trends in vielen Bereichen geleistet nes wie auch immer festgestellten „Bedarfs” — poli- werden kann und daß sich hieraus Konsequenzen für tisch nicht wünschenswert. Bildungspolitik muß, auch die zukünftige Bildungspolitik des Bundes ergeben wegen des „Bürgerrechts auf Bildung", im Rahmen (siehe hierzu im einzelnen die Auswertungen in Ab- der jeweils zur Verfügung gestellten Mittel dazu bei- schnitt III, in denen diese der Kommission von ihren tragen, daß die Bildungsentscheidungen der mündi- Gesprächspartnern in Anhörungen vorgetragenen gen Bürgerinnen und Bürger verwirklicht werden Vorschläge für Maßnahmen des Bundes („Optionen") können. dargestellt sind). Die Kommission kann schon aus Zeitgründen (und aus Insgesamt ist die Prognostik vom Ziel der Punktge- Kapazitätsgründen) nicht die Vielzahl von relevanten nauigkeit abgerückt und zum Beispiel zur Angabe Berichten, die von einzelnen Ministe rien, Länderre- von Schätzkorridoren übergegangen. Wie das Bei- gierungen oder der Bundesregierung vorgelegt wer- spiel von Prognosen von Studienanfängerzahlen zeigt den, und die Flut wissenschaftlicher Veröffentlichun- (siehe Kapitel III.2.4), können auch solche Korridore gen zu ihren Arbeitsschwerpunkten durch eigene falsch liegen. Es gibt aber — gerade aus dem Bil- Analysen ersetzen. Dies gilt in besonderem Maße für dungsbereich — auch Beispiele für relativ zutreffende den Strukturwandel. Die Kommission ist bemüht, die Projektionen und Prognosen: Die in dem Entwurf der Fülle der Informationen, die zum Beispiel die an der Fortschreibung des Bildungsgesamtplans (Drucksa- Strukturberichterstattung beteiligten wirtschaftswis- che 9/2012 vom 1.10.1982) genannten Zahlen über die senschaftlichen Forschungsinstitute zusammengetra- voraussichtlichen Studienanfänger im Jahre 1987 und gen haben (siehe den Überblick in der Stellungnahme die notwendigen Bildungsausgaben für das Jahr 1985 der Bundesregierung, Drucksache 11/3017 vom lagen nur geringfügig über bzw. unter den dann tat- 29.09.1988), sowie die einschlägigen Ergebnisse der sächlich festgestellten. Hier erweist es sich als beson- Bildungs- und Berufsbildungsforschung in ihre weite- ders wichtig, die impliziten Voraussetzungen und po- ren Analysen einzubeziehen. litischen Setzungen offenzulegen, von denen solche Rechnungen ausgehen, und die auf das Ergebnis von In den folgenden Abschnitten geht es darum, an- Modellrechnungen durchschlagen. Dies zumal dann, schließend an einige in den bisherigen Kommissions- wenn andere Politikbereiche, insbesondere die Fi- beratungen aufgezeigte Trends der Bevölkerungsent- nanzpolitik, solche Zahlen zum Ausgangspunkt ihrer wicklung, zur Entwicklung des Arbeitsmarktes und Planvorgaben machen. zur Bildungsnachfrage, vorläufige qualitative Aussa- gen zu voraussichtlichen Tendenzen in Gesellschaft Bei Überlegungen zur künftigen individuellen Nach- und Wirtschaft zu machen, die für die weiteren Ana- frage nach Bildung ist zunächst die Bevölkerungsent- lysen und die Ableitung konkreter Empfehlungen für wicklung zugrunde zu legen. Wie im folgenden Ab- die künftige Bildungspolitik des Bundes bedeutsam schnitt dargelegt, gibt es bereits bei der Bevölke- sein dürften. rungsdynamik erhebliche Unsicherheitsfaktoren. Vorausschätzungen zur Größe und Struktur des Ar- Der Wert dieser qualitativen Beschreibungen voraus- beitsmarktes, differenzie rt etwa nach Branchen und sichtlicher Trends für die weitere Kommissionsarbeit Regionen, wie sie zur genaueren Bestimmung des ist trotz des vorläufigen Charakters vieler Aussagen Bedarfs an Ausgebildeten notwendig wären, sind bereits deutlich sichtbar: noch viel schwieriger: „Eine verläßliche, mittel- oder gar langfristige Vorausschau auf den künftigen Ar- Von allen in Verbände- und Expertenanhörungen Be- beitskräfte- und Qualifikationsbedarf gibt es nicht fragten hat die Enquete-Kommission übereinstim- und wird es nach dem heutigen Stand der wissen- mend die Auskunft erhalten, daß in Zukunft mehr und schaftlichen Erkenntnisse auch nicht geben können. breitere Qualifikationen- für möglichst viele erforder- Bedarfsprognosen können nur Modellrechnungen — lich sein würden. Insbesondere in der Weiterbildung Projektionen — sein, die die Abhängigkeit künftiger werde es nicht mehr ausreichen, nur für Fach- und Entwicklungen von ausgewählten — zum Teil will- Führungskräfte Qualifikationsanpassung und -erwei- kürlich gesetzten — Annahmen deutlich machen. Ihre terung regelmäßig vorzusehen. Dies sei auch für un- zahlenmäßigen Ergebnisse dürfen nur mit diesem und angelernte Arbeitnehmerinnen und Arbeitneh- Vorbehalt verwendet werden: die ,Richtigkeit' dieser mer notwendig. Dafür müßten schon in der Erstausbil- Ergebnisse ist daher auch kein unbedingtes Gütekri- dung die Voraussetzungen hinsichtlich der Bereit- terium einer Prognose. Deren Wert liegt vielmehr schaft zum lebenslangen Lernen und der Fähigkeit darin, daß sie mit dem Aufzeigen von Tendenzen und zum selbständigen Wissenserwerb gelegt werden. Abhängigkeiten Hinweise auf eventue llen Hand- lungsbedarf geben. " (BMBW 1980, S. 145) Auch bei feststehender Nachfrage nach Arbeits- 5.2 Entwicklung der Wohnbevölkerung kräften gibt es zudem keinen feststehenden bzw. un veränderbaren Qualifikationsbedarf. Dazwischen liegt zumindest noch die intervenierende Va riable der Alle Aussagen in Bezug auf die künftige Bevölke- Arbeitsorganisation. In manchen Bereichen fehlen rungsentwicklung sind mit hohen Schätzrisiken be- darüber hinaus Daten und Vorgaben, auf denen die haftet, nicht nur im Hinblick auf die Geburtenent- Dimensionierung wichtiger Teilbereiche beruhen wicklung, sondern auch wegen der Auswirkungen müßte (zum Beispiel die Zahl der rückkehrwilligen von Wanderungsbewegungen. Grundsätzlich wird Ausländer der zweiten Genera tion). In einem demo- man von einem deutlichen Rückgang der Bevölke- kratischen Staat ist eine Festlegung der Kapazität ein- rung ausgehen können, der sich aber wegen der vari- zelner Bereiche des Bildungswesens — aufgrund ei ierenden Jahrgangsstärken nicht gleichmäßig, son-

Drucksache 11/5349 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode

dern in Schüben vollziehen dürfte. Alle Bevölke- rechnungen der Bevölkerung, wie zum Beispiel des rungsprognosen stellen als Basistrends die Bevölke- Bundesministers des Innern 1987, der Prognos AG rungsabnahme als Folge der gesunkenen Reproduk- 1986 und des DIW 1984. tionsrate und die damit einhergehende völlige Um- stellung der Altersstruktur dar. Die Schwankungs- breite der als möglich erachteten Veränderungen der Die Ergebnisse langfristiger Vorausberechnungen Reproduktionsrate ist so gering, daß der grundsätzli- sind natürlich sehr stark von den Annahmen über die che Trend zur Abnahme in allen Modellrechnungen Entwicklung wichtiger Einflußfaktoren abhängig. Das nicht beeinträchtigt wird. Über die Entwicklung des DIW hat daher neben einer „Grundvariante", in der Ausländeranteils und eventuelle Zuwanderungen die für am wahrscheinlichsten erachteten Trends über beim deutschen Bevölkerungsteil (Um-/Aussiedler) die künftigen Geburten- und Sterbeziffern sowie die gibt es sehr unterschiedliche Auffassungen. Die Wanderungssalden zusammengefaßt sind, noch zwei Schaffung des EG-Binnenmarktes hat die vollstän- Alternativ-Varianten gerechnet. In der „oberen Vari- dige Freizügigkeit der Arbeitskräfte zum Ziel. Große ante" sind die Faktoren gebündelt, die zu einem ge- Wanderungsbewegungen erscheinen vielen Beob- ringeren Bevölkerungsrückgang führen würden, in achtern aber unwahrscheinlich, da alle EG-Mitglieds- der „unteren Variante" dagegen diejenigen Tenden- länder von mehr oder minder ausgeprägtem Bevölke- zen, die einen besonders starken Rückgang zur Folge rungsrückgang betroffen sind. hätten. Die daraus folgende Bandbreite für die Ge- samtbevölkerung läge im Jahre 2000 erst bei 1,5 Mio. Zur Illustration der möglichen Bevölkerungsentwick- Personen, würde aber über 4,2 Mio. im Jahr 2020 lung sei hier die neueste Modellrechnung angeführt, schnell bis auf 7,4 Mio. (das entspricht 17,5 % der die das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung an unteren Variante) wachsen. Die verschiedenen Aus- -gestellt hat (DIW 1988). Die Ergebnisse des DIW lie- gangsbedingungen sind in Tabelle 1 zusammenge- gen zum Teil deutlich über denen anderer Vorausbe stellt.

Tabelle 1 Annahmen fiber die künftige Entwicklung der Sterbe- und Geburtenziffern sowie Wanderungen

Deutsche Ausländer

Sterbeziffern Weitere Verringerung der Sterblichkeit Die altersspezifischen Sterbewahrschein- um 2/3 des Rückgangs der Jahre 1967 bis lichkeiten des Zeitraums 1984/86 werden 1985 mit abnehmenden Raten konstant gehalten Geburtenziffern Grundvariante Weitere Verringerung der geburtsjahr- Weitere Veränderung des Flexibilitätsmu- gangsspezifischen Fruchtbarkeit bis auf sters bei einem abgeschwächten Rück- 1 300 Kinder je 1 000 Frauen gang der Geburtenzahlen, die bis 1995 an- dauert (1 260 Geburten je 1 000 Frauen) - Obere Variante Weitere Verringerung der altersspezifi- Die durchschnittlichen Geburtenziffern schen Geburtenziffern nur in den jüngeren der letzten fünf Jahre werden konstant ge- und älteren Altersjahren; in den mittleren halten Altersjahren leichter Anstieg bis auf insge- (1 520 Geburten je 1 000 Frauen) samt 1 500 Kinder je 1 000 Frauen gleichen Geburtsjahrgangs Untere Variante Stärkere Verringerung der Geburtenzif- Stärkere Anpassung der altersspezifischen fern bis auf 1 200 Kinder je 1 000 Frauen Geburtenziffern an das Flexibilitätsmuster gleichen Geburtsjahrgangs deutscher Frauen, das heißt stärkerer Rückgang der Fruchtbarkeit in den jünge- ren und älteren Altersjahren (1 150 Geburten je 1 000 Frauen) Wanderungen jährlicher Wanderungssaldo jährlicher Wanderungssaldo 1987 1990 2000 2020 1987 1990 2000 2020 bis bis bis bis bis bis bis bis 1989 1999 2019 2040 1989 1999 2019 2040 Grundvariante 50 40 20 10 50 30 20 10 Obere Variante 50 45 25 15 50 50 30 20 Untere Variante 50 35 15 5 50 20 10 5

Quelle: DIW 1988, S. 408 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode Drucksache 11/5349

Abbildung 1

Die Bevölkerungsentwicklung a) der Bundesrepublik Deutschland für ausgewählte Altersgruppen von 1987 bis 2 040 Mio. Personen

a) Grundvariante Quelle: DIW 1988, S. 407

Die unterschiedlichen Annahmen für die Modellrech- Die Wohnbevölkerung insgesamt würde demnach bis nung sind nicht einfach willkürlich gegriffen oder aus zum Jahre 2000 nur geringfügig um 0,5 Mio. auf Beobachtungen ableitbar, sie verweisen vielmehr auf 60,6 Mio. abnehmen, die altersmäßige Zusammenset- politische Entscheidungsspielräume und die Ände- zung sich jedoch bereits erheblich verschieben (über rung von Rahmenbedingungen. Abweichungen 60jährige von 20,6 auf 24,6 %, unter 20jährige von durch kurzfristig eintretende Entwicklungen, wie 22,1 auf 19,6 %). Ein starker Rückgang würde bei etwa der hohen Zahl von Umsiedlern seit 1988, kön- der Gesamtzahl danach erst ab 2010 mit einer Ein- nen in solchen idealtypischen Überlegungen natür- wohnerzahl von 58,2 Millionen einsetzen und zu lich nicht vorhergesehen werden. So ist der angenom- einer Einwohnerzahl von 44,8 Mio. im Jahre 2040 mene Wanderungssaldo für Deutsche für 1988 und führen. In der unteren Variante würde die Einwoh- 1989 für alle Varianten bereits widerlegt, er kann den- nerzahl bis 2040 auf 42,4 Mio. sinken, in der oberen noch mittelfristig realistisch sein. Dann wäre lediglich auf 49,8 Mio. eine einmalige Korrektur des Umfangs der Gesamtbe- völkerung notwendig, mit der in den Folgejahren auch weitergerechnet werden müßte (deren Effekt Der Anteil der Ausländer an der Gesamtbevölkerung wäre aber bei einer einmaligen Korrektur von bei- steigt den Rechnungen zufolge in allen drei Varian- spielsweise 0,5 Mio. sehr gering). ten: auf 6,9 Mio. in der Grundvariante, auf 6,4 Mio. in der unteren bzw. 8,4 Mio. in der oberen Va riante. In Der mögliche Verlauf der Bevölkerungsentwicklung der oberen Variante würde der Ausländeranteil mit gemäß Grundvariante des DIW, schon untergliedert 16,9 % den höchsten Wert erreichen. Bei den unter nach drei Hauptaltersgruppen, ist in Abbildung 1 wie- 20jährigen liegt er jeweils noch etwas höher, das heißt dergegeben. er „verbessert" die Altersstruktur. Drucksache 11/5349 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode

Die Zahl der Frauen geht in allen Varianten stärker beeinflußt durch den Umfang des Angebots an Teil- zurück als die der Männer, die jedoch in der Minder- zeitarbeitsplätzen. heit bleiben. Das Angebot an Arbeitskräften ergibt sich zunächst Für den Zeithorizont, der für die Enquete-Kommission aus der Bevölkerungsentwicklung; danach ist es ins- von Interesse ist, seien hier noch einige Einzelanga- besondere abhängig von der Dauer von Ausbildungs- ben aus der Grundvariante genannt: Der Bevölke- prozessen, den wahrgenommenen Möglichkeiten der rungsrückgang zwischen 1986 und 2010 wird mit Erwerbsbeteiligung und — damit zusammenhängend 2,9 Mio. beziffert. Dahinter verbergen sich folgende — dem Wunsch von bislang Nichterwerbstätigen bedeutsame Einzelveränderungen: nach Erwerbsarbeit, zum Beispiel aufgrund veränder- ter Lebensentwürfe, insbesondere von Frauen. Mögli- — Die Zahl der unter 20jährigen nimmt um 3,3 Mio. che Verläufe der globalen Entwicklung können Ab- ab; bildung 2 entnommen werden, die die Ergebnisse ei- ner IAB-Modellrechnung grafisch zusammenfaßt. Sie — die Zahl der über 60jährigen nimmt um 3,3 Mio. stellt die einzige Untersuchung in dieser Detaillierung zu; und Tiefe dar. Weitere Studien wären auch zur Kon- trastierung und Absicherung wünschenswert. — der Anteil der Ausländer an den unter 20jährigen würde auf etwa 15 % wachsen und in den folgen- Fragestellungen dieses Abschnitts wi ll die Enquete- den Jahren weiter steigen. (So auch in der Tendenz Kommission bei einem Informationsbesuch im IAB mit Prof. Dr. Linke (Bundesinstitut für Bevölkerungs- dessen Mitarbeitern erörtern. forschung, BIB) in der Expertenanhörung am Zur allgemeinen Problematik der Vorhersage des Ar- 11. 5. 1988, 3/50 und 116.) beitskräftebedarfs insbesondere in sektoraler und Zu deutlich anderen Ergebnissen als die DIW-Modell- qualifikatorischer Gliederung siehe zum Beispiel BLK rechnungen kommt man nur, wenn man einen starken 1987, S. 33 ff. Die BLK stützt sich zur Kontrastierung Anstieg der Reproduktionsrate unterstellt oder die po- ihrer Berechnungen des Neuangebots an Erwerbsper- sitiven Wanderungssalden sehr viel höher ansetzt. sonen mit der „Nachfrage" auf die IAB/Prognos-Stu- Auch bei einer sehr groß angenommenen Zahl von die (v. Rothkirch/Weidig 1985 und 1986; s. BLK 1989 Umsiedlern und zuziehenden Ausländern 1) nähme b, S. 32 ff). der Anteil der unter 20jährigen durchgängig ab (von Die Kurven für das Poten tial und den Bedarf an Ar- ca. 22 % im Jahre 1986 auf ca. 21 % im Jahre 2000 und beitskräften in Abbildung 2 nähern sich nur unter auf unter 18 % im Jahre 2030). Eine hohe Zuwande- recht positiven Annahmen zur Wirtschaftsentwick- rung würde jedoch dazu führen,daß die absolute Zahl lung und restriktiven Annahmen für die Potentialent- der unter 20jährigen sich bis zum Jahre 2000 in etwa wicklung einander an. Auch als Fernwirkung der Bil- auf dem jetzigen Niveau halten würde. Erst dann dungsexpansion ist aber wohl mit einem deutlichen würde ein deutlicher Rückgang von etwa 13,5 Mio. Anstieg der Frauenerwerbsquote zu rechnen, denn auf 10,5 Mio. im Jahre 2030 einsetzen. Solch ein Sze- empirisch besteht ein eindeutiger Zusammenhang nario würde aber Veränderungen in der Setzung poli- zwischen der Höhe des formalen Bildungsabschlusses tischer und finanzieller Prioritäten in einem derarti- und der Erwerbsbeteiligung bei Frauen (so Dr. Kühle gen Umfang nach sich ziehen müssen, daß deren Fol- wind (IAB), 3/68). gewirkungen nicht übersehen werden können. Diese Denkmöglichkeit bleibt daher an dieser Stelle außer Das bedeutet, daß die unterste Potentialvariante si- Betracht. cher nicht in Betracht kommt. Hieraus ergibt sich, daß zumindest in den neunziger- Jahren noch erhebliche Beschäftigungsprobleme zu erwarten sind. Die in der Modellrechnung unterstellte Arbeitszeitverkürzung 5.3 Entwicklung des Arbeitsmarktes von 1 — 1,3 % pro Jahr (je nach Variante) liegt höher als die bislang tarifvertraglich vereinbarten Verkür- Die Nachfrage nach Arbeitskräften ist global von der zungen. Dies bedeutet, daß von einer Zunahme von wirtschaftlichen Entwicklung, das heißt also dem Teilzeitarbeitsverhältnissen ausgegangen wird. Nach Wirtschaftswachstum in Verbindung mit dem Struk- Lage der Dinge ist damit zu rechnen, daß diese ganz turwandel, sowie von Veränderungen der Arbeitszeit überwiegend Frauen angeboten werden und somit und der Produktivität abhängig. Die Zahl der Er- der bisherige Trend fortgesetzt würde. Laut Dr. Pütz werbstätigen wird speziell noch einmal beträcht lich (BIBB) wird 80 % der Beschäftigungszunahme von Frauen durch Teilzeitarbeit ge tragen (3/216); diese ist 1 ) Die im Anschluß genannten Zahlen basieren auf folgenden mit einem hoch überdurchschnittlichen Einsatz in Ist-Ergebnissen bzw. Annahmen: nicht ausbildungsadäquaten Tätigkeitsfeldern ver- Umsiedler: bunden (IAB, 3/109). Wenn dieser Trend nicht durch 1987: + 76.644, gesellschaftspolitische Gestaltung gebrochen wird, 1988 bis 1990: + 225.000, würde er angesichts gestiegenen Ausbildungsniveaus 1991 bis 2000: + 110.000, 2001 bis 2030: + 60.000. von Frauen bedeuten, daß erworbene Qualifikationen Ausländer: in der Berufstätigkeit noch stärker als bisher keine 1987: + 139.137, Anwendung finden würden (siehe auch Kapitel ab 1988 jährlich + 140.000. III.2.1.1). Einbürgerungen: 1987 bis 2000: 14.000, Die Arbeitsmarktbilanz des IAB bezieht sich unmittel danach ansteigend bis auf 25 000 im Jahre 2030. bar nur auf die abhängig Beschäftigten. Entwicklun-

Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode Drucksache 11/5349

Abbildung 2

Arbeitsmarktbilanz 1965-2000 Ergebnisse der Modellrechnungen auf Basis 1982 übertragen auf Effektivwerte 1987

-

Quelle: Klauder, Schnur, Thon 1985; Tischvorlage Dr. Kühlewind, IAB (3/106)

gen im Bereich der „neuen Selbständigkeit" und der der im Kapitel I.5.2 geschilderten starken Zunahme „Aussteiger" liegen in nicht zu vernachlässigender älterer Menschen (überproportional noch einmal der Größenordnung. Sie sind hier nur implizit in der Ent- Anteil der über 80jährigen) speziell mit einer deutli- wicklung der Erwerbsquoten berücksichtigt. Dieser chen Zunahme der Nachfrage in Pflegeberufen und Komplex bedürfte gesonderter Erörterung. bei personenbezogenen Dienstleistungen allgemein zu rechnen. Insbesondere deshalb, weil von einem Die IAB/Prognos-Studie geht von einer Fortsetzung starken Ansteigen der Zahl der kinderlosen älteren des sektoralen Strukturwandels aus und berechnet Menschen auszugehen ist. Verschiebungen zwischen den Sektoren der Wi rt -schaft in folgendem Umfang: Im verarbeitenden Ge- Die Auffassung, daß mit einem erheblichen Wandel werbe ist mit einem beträchtlichen Rückgang (etwa der Qualifikationsstruktur und -nachfrage zu rechnen 16 %) zu rechnen, während die Dienstleistungen, mit sei, wurde auch von Dr. Pütz (BIBB) vor der Enquete Ausnahme von Handel und Verkehr, mit einem deut- Kommission vertreten. Die Bundesrepublik folge ver- lichen Zuwachs (ca. 21 %, ohne öffentlicher Dienst) zögert dem Trend zur „Dienstleistungsgesellschaft", rechnen können (v. Rothkirch/Weidig 1985, S. 52 und der in anderen westlichen Industriestaaten schon wei- eigene Berechnungen). Dies bedingt einen erhebli- ter fortgeschritten sei (3/10). Bei der Be trachtung von chen Wandel der Qualifikationsstruktur und -nach- Tätigkeiten statt Wirtschaftssektoren bzw. -branchen frage. Für die Zeit nach dem Jahr 2000 ist aufgrund sei die Tertiarisierung allerdings bereits jetzt viel aus- Drucksache 11/5349 Deutscher Bundestag - 11. Wahlperiode

Tabelle 2 Projektionen zum Angebot und Bedarf an Arbeitskräftena) nach Qualifikationsebenen bis zum Jahre 2000, in Mio. bzw. in %

Angebotsprojektion (BLK) Bedarfsprojektion (IAB/Prognos)d) Bestand 1985 Neu- untere Abgänge Gesamtangebot mittlere obere Qualifikationsebene angebot Variante Variante Variante

Mio. Mio. Mio. Mio. % Mio. EP Mio. EP Mio. EP % % ET % ET % ET

I. ohne ET 5,7 22,7 4,0 18,6 4,4 17,9 4,5 17,8 Ausbildungs- EL 1,3 58,3 abschluß EP 7,0 25,6 0,7-0,7 3,0-3,2 4,5-4,7 17,8-17,7 II. mit beruf- ET 16,8 67,1 14,6 66,9 16,3 66,9 16,9 66,7 lichem EL 0,8 35,9 Ausbildungs- EP 17,6 64,5 6,4-6,8 6,4-7,0 17,0-18,0 67,4-67,4 abschl.b) III.mit Hoch- ET 2,6 10,2 3,2 14,5 3,7 15,2 3,9 15,5 schul- EL 0,1 5,8 abschlußc) EP 2,7 9,9 1,8-2,0 0,7-0,8 3,7-4,0 14,8-14,9

Insgesamt ET 25,1 100 21,8 100 24,3 100 25,4 100 EL 2,2 100 EP 27,3 100 9,0-9,5 10,1-11,0 25,3-26,7 100 Auszubildende 1,6 - - - - - 0,9 - 1,0 - 1,0 - a) Ohne Auszubildende b) Betriebliche Lehre/Berufsfachschule/Fachschule; IAB/Prognos differenzieren diese Kategorie noch in die beiden Bereiche Abschluß einer betrieblichen Lehre/Berufsfachschule und Meister-/Techniker- oder gleichwertiger Fachschulabschluß. Der Anteil der zweiten Abteilung wird gleichbleibend mit 6,7 % (1982) bzw. 6,6-6,8 % (2000) angegeben (vgl. v. Rothkirch/Weidig 1986, S. 12 und 43) c) Fachhochschule/Wiss. Hochschule d) Tätigkeitsspezifischer Trend der Qualifikationsstruktur ET = Erwerbstätige EL = Erwerbslose gemäß Mikrozensus EP = Erwerbspersonen (ET + EL) Quelle: Tessaring 1988, S. 187 im Anschluß an BLK 1987 und v. Rothkirch7Weidig 1986 geprägter: 67% der Beschäftigten seien mit der Er- nach der Struktur. So ergibt die Neuberechnung der bringung von Dienstleistungen befaßt (Dr. Alex BLK von 1989 in der Gesamtbilanz Abweichungen (BIBB), 3/72). von weniger als 3 %. Die BLK hebt jedoch hervor, daß die Beschäftigungssituation für Absolventen von Erst- Wie an dieser Gegenüberstellung deutlich wird, ist ausbildungen noch bis Anfang der neunziger Jahre das Ergebnis solcher Betrachtungen stark von der A rt angespannt bleiben werde. Erst danach würden sich des Zugriffs abhängig. In der Kommission wurden die Beschäftigungsaussichten für qualifizierte Neube- darüberhinaus starke Zweifel daran geäußert, daß die werber zunehmend verbessern (BLK 1989 b, S. 35). Bundesrepublik dem Entwicklungspfad der USA fol- Parallel dazu finde eine „forcierte Subs titution älterer gen werde, der auch als Deindustrialisierungsprozeß Ungelernter durch junge, gut ausgebildete Absolven- beschrieben werden könne. Die Enquete-Kommission ten statt." (Dr. Alex, 3/17) hat daher bei der Zielsetzung des in Arbeit befindli- chen Gutachtens Nr. 13: „Strukturwandel der Ausbil- dung im Dienstleistungsbereich - Wandel des dualen Systems?" einen Schwerpunkt bei der Klärung der 5.4 Auswirkungen auf den Bildungsbereich begrifflichen und empirischen Grundlagen gesetzt (siehe auch Kapitel I11.2.1.1). Zunächst sollen die grundsätzlichen Aussagen aus Abschnitt 5.2 über die Entwicklung der Bevölke- In Tabelle 2 sind die Rechenergebnisse dreier Projek- rungszahlen der Jahrgänge, die sich im Bildungswe- tionsvarianten (Szenarien) von IAB/Prognos zum sen befinden, etwas präzisiert werden. Qualifikationsbedarf nach Ausbildungsniveaus der Projektion der BLK zum „Angebot" des Bildungssy- Abbildung 3 gibt eine grafische Darstellung einer stems (das heißt den erwerbssuchenden Absolventen) Modellrechnung des Statistischen Bundesamtes über gegenübergestellt. die Entwicklung der Stärken von Altersgruppen, die für die Erstausbildung im wesentlichen in Be tracht Bei insgesamt geringer Schwankungsbreite ergibt kommen. Der Verlauf der einzelnen Kurven zeigt, daß sich bei dieser Modellrechnung vor allem ein starker die verschiedenen Stufen des Bildungswesens pha- Anstieg der Hochschulabsolventen und eine Ab- senverschoben mit dem Bevölkerungsrückgang kon- nahme der formal nicht Qualifizierten bei der Bedarfs- frontiert werden, und daß dieser auch nicht gleichmä- rechnung, worauf in Kapitel I.5.4 detaillierter einge- ßig verläuft: Alle Kurven weisen lokale Minima und gangen wird. Die Gesamtbilanz bis zum Jahr 2000 Maxima auf. Für die Bildungspolitik bedeutet dies, zeigt eine erstaunliche Nähe von Angebots- und Be- daß mit wachsender Nachfrage (bzw. der Aufrechter- darfsprojektionen, sowohl in Absolutzahlen als auch haltung einer hohen Nachfrage), wie zum Beispiel im Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode Drucksache 11/5349

Abbildung 3

Entwicklung ausgewählter Altersgruppen der Wohnbevölkerung 1965 bis 1986 (Ist) und 1987 bis 2030

Quelle: Weishaupt/Weiß/v. Recum/Haug 1988, S. 42. Die Grafik basiert auf Modellrechnungen des Statistischen Bundesamtes für Deutsche und für Ausländer (zur Erläuterung der Annahmen für die beiden Teilmodelle siehe BMBW 1988, S. 264).

Hochschulbereich, nur noch infolge steigender Bil- werden müßten. Planungsstrategien und die Fristig- dungsbeteiligung sowie verlängerter Verweilzeiten keit von Einzelplanungen müssen also überdacht wer- und nicht mehr — wie in den sechziger und siebziger den. Jahren — aus demographischen Gründen gerechnet werden kann. Die Fortschreibung bisheriger Verfah- Hinsichtlich der Verläßlichkeit von Projektionen zur ren der Personalbedarfsbemessung würde im übrigen künftigen quantitativen Entwicklung des Bildungsbe- dazu führen, daß ständig Kapazitäten zwischen den reichs ist zunächst festzustellen, daß die Aussagen einzelnen Zweigen des Bildungswesens verlagert über die Entwicklung von Schüler- bzw. Studenten- Drucksache 11/5349 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode

Abbildung 4

Schülerinnen und Schüler 1975 bis 2010 in ausgewählten Schularten

Quelle : KMK 1989, S. 8. Die Vorausberechnung wird derzeit von der KMK überarbeitet. Die aktualisierten Zahlen sind für den Herbst 1989 zu erwarten. -

zahlen einen unterschiedlichen Grad an Sicherheit Die Variabilität der genannten Bedingungsfaktoren besitzen. Unsicher sind bereits Aussagen über den legt eine entsprechend behutsame Interpreta tion der Elementar- und Primarbereich, da diese für die erste in Abbildung 4 skizzierten Entwicklungsmöglichkeit bzw. zweite Hälfte der neunziger Jahre zum Teil auf nahe. Annahmen über die Geburtenentwicklung beruhen. Auf der anderen Seite ist die Entwicklung im Bereich Wie der abgeknickte Kurvenverlauf für die Berufli- der Sekundarstufe II und im Hochschulbereich von chen Schulen in Abbildung 4 verdeutlicht, ist für die der demographischen Seite her bis zum Jahr 2000 zweite Hälfte der neunziger Jahre mit einer stark ab- bzw. bei den Hochschulen auch deutlich darüber hin- gesunkenen Absolventenzahl im dualen Berufsbil- aus bereits jetzt beschreibbar. Gerade für diesen Sek- dungssystem zu rechnen. Eine derar tige Angebots- tor wird aber deutlich, daß die demographische Ent- lücke könnte einerseits eine Chance für die Ausländer wicklung lediglich Ausgangszahlen für die Bildungs- der zweiten und dritten Genera tion für den Einstieg in planung liefern kann. Zentral für die tatsächliche Bil- eine qualifizierte Berufstätigkeit bieten, andererseits dungsnachfrage sind die Bildungsentscheidungen der würde sie erhebliche Anstrengungen im Bereich der Individuen, die ihrerseits zu einem erheblichen Teil Nachqualifizierung von nicht formal qualifizierten Ar- von Wertvorstellungen geprägt und damit einem beitskräften herausforde rn. Wandel unterworfen sind. Ferner ergeben sich Ab- hängigkeiten aus mehr oder minder förderlichen so- Die BLK schätzt die Zahl der Abgänger aus dem Bil zialen Bedingungen und aus der Bewe rtung von Aus- dungssystem ohne abgeschlossene Berufsausbildung bildungsabschlüssen auf dem Arbeitsmarkt. im Zeitraum von 1986 bis 2000 auf 1,04 Mio. (BLK Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode Drucksache 11/5349

1989b, S. 28). Diese Zahl kommt allerdings nur zu- BLK 1989 b: Gesamtbetrachtung zu den Beschäfti- stande, wenn unterstellt wird, daß über die Hälfte der gungsperspektiven von Absolventen des Bildungssy- Jugendlichen, die eine Ausbildung zunächst nicht be- stems. Materialien zur Bildungsplanung, Heft 18. ginnen bzw. abbrechen, mit Hife von Nachqualifzie- Bonn rungsmaßnahmen noch während der Laufzeit der BMBW 1980: Stand, Entwicklung und Ergebnisse der Vorausschätzung einen Abschluß nachholen (etwa Prognoseforschung zum künftigen Arbeitskräfte- und 0,7 Mio; BLK 1987, S. 62), sonst läge sie noch erheblich Qualifikationsbedarf. Bericht an den Ausschuß für Bil- höher. Diese Nachqualifizierung ist vor allem deshalb dung und Wissenschaft des Deutschen Bundestages. notwendig, weil Bildungszertifikate immer stärker zur Bonn, 22. August 1980 Zugangsvoraussetzung zum Beschäftigungssystem (bzw. zur Voraussetzung, darin zu verbleiben) wer- BMBW 1984 (Hrsg.) : Bericht der Bundesregierung zur den. Sicherung der Zukunftschancen der Jugend in Aus- bildung und Beruf. Schriftenreihe Grundlagen und Hieraus folgt, daß sich insbesondere das duale Ausbil- Perspektiven für Bildung und Wissenschaft. Bd. 4. dungssystem auf einen weitaus höheren Anteil aus- Bonn/Bad Honnef ländischer Jugendlicher einzurichten haben wird. Aus Kapitel I.5.2 ergibt sich weiter, daß für das gesamte BMBW 1988: Grund- und Strukturdaten 1988/89. Bildungswesen, zumal im großstädtischen Bereich, Bonn bedeutende Aufgaben bei der interkulturellen Bil- dung bestehen. Die Kommission hat zu diesem The- Bundesministerium des Innern 1987: Modellrech- nungen zur Bevölkerungsentwicklung in der Bundes- menbereich das Gutachten Nr. 14: „Evalua tion des Standes der Forschung in bezug auf kompensatori- republik Deutschland. Bonn sche bzw. interkulturelle Bildung ausländischer Ju- Bundesverfassungsgericht 1957: Entscheidungen gendlicher in der Bundesrepublik Deutschland" ver- des Bundesverfassungsgerichts, herausgegeben von geben und erhofft sich vom Abschlußbericht genauere den Mitgliedern des Bundesverfassungsgerichts. Aufschlüsse. 6. Band. Nr. 22. Tübingen. S. 309-367 Ab Mitte der neunziger Jahre wird in allen Bereichen Collège der France 1985: Propositions pour l'enseig- ein deutlicher Rückgang der in den 20er Altersstufen nement de l'avenir. Paris befindlichen Absolventen von Erstausbildungsgän- gen zu verzeichnen sein. Dies bedeutet, daß der ge- Deutscher Ausschuß für das Erziehungs- und Bil- sellschaftliche Bedarf an neuem Wissen nicht mehr dungswesen 1966: Empfehlungen und Gutachten des überwiegend durch dessen Vermittlung in der Erst- Deutschen Ausschusses für das Erziehungs- und Bil- ausbildung gedeckt werden kann, sondern ein weite- dungswesen 1953 — 1965. Gesamtausgabe. Im Auf- res Moment mit hoher Durchsetzungskraft auf die trag des Ausschusses besorgt von Hans Bohnenkamp, Verwirklichung des lebenslangen Lernens drängt. Dr. Walter Dirks, Doris Knab. Stuttgart Schreiber (Siemens AG) formulierte diesen Sachver- Deutscher Bildungsrat 1970: Empfehlungen der Bil- halt in der Expertenanhörung der Kommission am dungskommission. Strukturplan für das Bildungswe- 15.2.1989 so, daß die demographische Entwicklung sen. Stuttgart dafür sorgen werde, daß sein Unternehmen künftig das Alterspotential besser ausschöpfen müsse (15/81; Deutscher Bundestag, 6. Wahlperiode, 5. Sitzung, siehe auch Kapitel III.2.1.3). Neben dem technischen Bonn, den 28. Oktober 1969, Abgabe einer Erklärung und wirtschaftlichen Wandel werde die Weiterbil- der Bundesregierung, S. 20-34 dung auch aus diesem Grund einen zusätzlichen An- Deutscher Bundestag, Drucksache 8/1551 vom 23. Fe- stoß erhalten, „weil Fachkräfte nicht mehr im bisheri- bruar 1978: Unterrichtung durch die Bundesregie- gen Umfang aus dem Bildungssystem nachkommen. " rung: Bericht der Bundesregierung über die struktu- (15/99) Wenn der Zugang zur Weiterbildung nicht rellen Probleme des föderativen Bildungssystems hoch selektiv gestaltet werden so ll, wird ein um so größeres Angebot bereitgestellt werden müssen. Deutscher Bundestag, Drucksache 8/1956 vom 23. Juni 1978: Unterrichtung durch die Bundesregie- rung: Beschluß der Bundesregierung vom 21. Juni Verzeichnis der in Abschnitt I zitierten Literatur 1978. Ergänzung und Schlußfolgerungen zum Bericht der Bundesregierung über die strukturellen Probleme des föderativen Bildungssystems B IB B 1986: Bundesinstitut für Berufsbildung (Hrsg.) : Szenario des Berufsbildungssystèms bis 1995. Bearb.: Deutscher Bundestag, Drucksache 9/2012 vom 1. Ok- Winand Kau und Christoph Ehmann.Berlin/Bonn tober 1982: Unterrichtung durch die Bundesregierung zum Stand der Beratungen sowie zum weiteren Ver- BLK 1973: Bund-Länder-Kommission für Bildungs- fahren der Bund-Länder-Kommission für Bildungspla- planung (Hrsg.), Bildungsgesamtplan, Band I und II nung und Forschungsförderung zur Fortschreibung (Drucksache K 50/73). Stuttga rt. 1. Auflage des Bildungsgesamtplans BLK 1987: Künftige Perspektiven von Absolventen Deutscher Bundestag, Drucksache 10/863 vom 5. Ja- der beruflichen Bildung im Beschäftigungssystem. nuar 1984:Unterrichtung durch die Bundesregierung: Mate alien zur Bildungsplanung, Heft 15. Bonn ri Bericht über die Bevölkerungsentwicklung in der BLK 1989 a: Bund-Länder-Kommission für Bildungs- Bundesrepublik Deutschland, 2. Teil: Auswirkungen planung und Forschungsförderung — Geschäftsstelle auf die verschiedenen Bereiche von Staat und Gese ll (Hrsg.), Jahresbericht 1988. Bonn -schaft

Drucksache 11/5349 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode

Deutscher Bundestag, Drucksache 11/701 vom deutschen Rektorenkonferenz 1977: Das Bildungswe- 17. August 1987: Antrag der Fraktion der SPD. Einset- sen in der Bundesrepublik Deutschland. Bonn zung einer Enquete-Kommission „Zukünftige Bil- dungspolitik — Bildung 2000" KMK 1989: Vorausberechnung der Schüler- und Ab- solventenzahlen 1987 — 2010. Arbeitsmaterial der Deutscher Bundestag, Drucksache 11/801 vom Kultusministerkonferenz. Bonn. Stand: 24. April 15. September 1987: Antrag der Abgeordneten Frau 1989 Hillerich und der Fraktion DIE GRÜNEN. Einsetzung einer Enquete-Kommission Lowe, John 1989: Educational Trends und Prospects Deutscher Bundestag: Drucksache 11/1448 vom in OECD Countries (Perspektiven der Bildungsent- 4. Dezember 1987: Beschlußempfehlung und Bericht wicklung in Mitgliedsländern der OECD). Gutachten des Ausschusses für Bildung und Wissenschaft für die Enquete-Kommission „Zukünftige Bildungs- (19. Ausschuß) 1. Zum Antrag der Fraktion der SPD politik — Bildung 2000", Paris (Manuskript) Drucksache 11/711 — Einsetzung einer Enquete- Kommission „Zukünftige Bildungspolitik — Bildung Prognos AG 1986: Prognos-Report Nr. 12. Basel 2000" 2. Zum Antrag der Abgeordneten Frau Hillerich Regierungschefs von Bund und Ländern 1977: Be- und der Fraktion DIE GRÜNEN — Drucksache 11/801 schluß zur Sicherung der Ausbildungschancen (Maß- — Einsetzung einer Enquete-Kommission nahmen zum „Abbau des Numerus Clausus ") vom 4. Deutscher Bundestag, Drucksache 11/3017 vom November 1977. Bulletin Nr. 119, vom 25. November 29. September 1988: Stellungnahme der Bundesregie- 1977, S. 1094 — 1096 rung zu den Berichten der fünf an der Strukturbericht- erstattung beteiligten Wirtschaftsforschungsins titute v. Rothkirch, C./Weidig, I. 1985: Die Zukunft der Ar- (Strukturberichte 1987) beitslandschaft. Beiträge aus der Arbeitsmarkt- und Berufsforschung. Nr. 94.1 und 94.2. Nü rnberg DIW 1984: Langfristige Perspektiven der Bevölke- rungsentwicklung in der Bundesrepublik Deutsch- v. Rothkirch, C./Weidig, I. 1986: Zum Arbeitskräftebe- land. Bearb.: B. Koss. In: Wochenbericht des Deut- darf nach Qualifikationen bis zum Jahre 2000. Bei- schen Instituts für Wirtschaftsforschung, Nr. 24/1984, träge aus der Arbeitsmarkt- und Berufsforschung S. 272 ff Nr. 95. Nürnberg DIW 1988: Zur langfristigen Entwicklung der Bevöl- kerung in der Bundesrepublik Deutschland. Bearb.: Tessaring, M. 1988: Arbeitslosigkeit, Beschäftigung E. Schulz. In: Wochenbericht des Deutschen Instituts und Qualifikationen — Ein Rück- und Ausblick. In: für Wirtschaftsforschung, Nr. 32/88, S. 397 ff. Mitteilungen aus der Arbeitsmarkt- und Berufsfor- schung. Nr. 2/88, S. 177 ff Einundzwanzigstes Gesetz zur Änderung des Grund- gesetzes (Finanzreformgesetz) vom 12. Mai 1969: The National Commission on Excellence in Education Bundesgesetzblatt, Jahrgang 1969, Teil I, Nr. 37 vom 1983:A Nation at Risk. The Imperative for Educational 14. Mai 1969 Reform. Washington D.0

Klauder, W./Schnur, P./Thon, M. 1985: Arbeitsmarkt- Weishaupt, H./Weiß, M./v. Recum, H./Haug, R. 1988: perspektiven der 80er und 90er Jahre — Neue Modell- Perspektiven des Bildungswesens der Bundesrepu- rechnungen für Poten tial und Bedarf an Arbeits- blik Deutschland. Baden-Baden kräften. In: Mitteilungen aus der Arbeitsmarkt- und Berufsforschung, H. 1/1985, S. 41 ff Wissenschaftliche Dienste- des Deutschen Bundesta- Klug, Stefan 1984: Determinanten der Bildungspla- ges 1987: Die Vereinbarkeit der geplanten Enquete nung — Ergebnisse aus der Längsschnittuntersu- Kommission „Zukünftige Bildungspolitik — Bildung chung des Bundesinstituts für Bevölkerungsfor- 2000" mit dem Bundesstaatsprinzip. Gutachten vom schung. BIB-Materialien zur Bevölkerungswissen- 12. November 1987 (Manuskript) schaft. Heft 36 Zweiundzwanzigstes Gesetz zur Änderung des Kultusministerkonferenz unter Mitarbeit des Bundes Grundgesetzes vom 12. Mai 1969: Bundesgesetzblatt, ministers für Bildung und Wissenschaft und der West Jahrgang 1969, Teil I, Nr. 37 vom 14. Mai 1969

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Abschnitt II Bildung und europäische Integration

Die berufliche Erstausbildung junger Menschen so- Prof. Dr. Thomas Oppermann, Universität Tübingen wie die Weiterbildung werden sich in Zukunft weiter- Herr Dr. Ernst Piehl, Direktor des CEDEFOP, Berlin hin und eher noch verstärkt auf die internationalen Herr Garcia Prieto, Spanischer Vertreter im Bildungs Verflechtungen einstellen müssen. Darüber hinaus ausschuß des Rates der EG, Mad rid steht die Bildungspolitik in der Bundesrepublik vor Herr Fritz Rath, Europäischer Gewerkschaftsbund, einer zusätzlichen besonderen internationalen Her- Brüssel ausforderung, der Schaffung eines großen europä- Prof. Georg Rothe, Universität Karlsruhe ischen Binnenmarktes mit etwa 320 Millionen Men- Frau Lieselotte Seibel-Emmerling, MdEP, Vizepräsi- schen bis zum 1.1.1993. dentin des Ausschusses für Jugend, Kultur, Bildung, Information und Sport, Nürnberg Dieser Perspektive wird im Einsetzungsbeschluß, auf Prof. Dr. Winfried Sommer, Universität Karlsruhe dem die Arbeit dieser Enquete-Kommission beruht, in Herr Geerd Woortmann, Deutscher Indust rie- und der folgenden Aufgabenstellung Rechnung getragen: Handelstag, Bonn. Die Kommission soll im Rahmen ihres Untersuchungs- auftrages neben anderen auch die Frage klären, „wel- Schriftliche Stellungnahmen übermittelten der Bun- che Aufgaben sich für die Bildungspolitik des Bundes desminister für Wirtschaft, Dr. , aus der Schaffung des europäischen Binnenmarktes MdB, Frau Vasso Papandreou, Mitglied der EG-Kom- ergeben." mission, und der Parlamentarische Staatssekretär Die Auseinandersetzung mit dieser Frage hat die En- beim Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung, quete-Kommission bisher zum einen implizit in einer Wolfgang Vogt, MdB. Reihe von Gesprächen und Anhörungen, deren Schließlich wurden bisher zwei Gutachtenaufträge Thema nicht unmittelbar die Bedeutung des europäi- vergeben, die sich teilweise (John Lowe: Perspektiven schen Binnenmarktes war, vorbereitet. In diesem Zu- der Bildungsentwicklung in Mitgliedsländern der sammenhang sind besonders zu nennen OECD) bzw. ausschließlich (Prof. Dr. Meinhard Schrö- — die Anhörung „Entwicklung der Bildungs- und Er- der: Bildungsrechtliche und rechtspolitische Aspekte werbsbeteiligung und ihrer Bestimmungsfakto- der Schaffung des europäischen Binnenmarktes für ren" (11.5.1988), die Bildungspolitik des Bundes) mit Fragen aus dem Themenkomplex „Europäischer Binnenmarkt und die — das Gespräch mit dem Bundesminister für Bildung Bildungspolitik des Bundes" befassen. und Wissenschaft am 2.11.1989, Eine vorläufige Auswertung dieser Anhörung, Exper- — das Gespräch mit dem Präsidenten der Westdeut- tengespräche und des ersten der beiden genannten schen Rektorenkonferenz und dem Vorsitzenden Gutachten, das bereits vorliegt, führt zu der folgenden des Wissenschaftsrates (22.2.1989) sowie Darstellung einschließlich- der in ihr enthaltenen zen- — das Gespräch mit Vertretern der Länder tralen Fragen. (17.5.1989). In der öffentlichen Anhörung der Enquete-Kommis- Darüber hinaus hat die Enquete-Kommission am sion zum Thema „Bildung und europäische Integra- 11.1.1989 in Berlin in den Räumen des Europäischen tion" (11.1.1989) leitet der frühere baden-württember- Zentrums für die Förderung der Berufsbildung gische Kultusminister und langjährige Europaparla- (CEDEFOP) eine eintägige Expertenanhörung durch- mentarier Prof. Dr. Hahn seinen Redebeitrag mit einer geführt, die ausschließlich dem Thema „Bildung und allgemeinen Feststellung ein: „Ich bin der festen europäische Integration" gewidmet war. Als Exper- Überzeugung, daß die eigentliche Basis der europäi- tinnen und Experten nahmen an dieser Anhörung schen Einigung die Kultur ist, die uns verbindet ... Auf teil: der anderen Seite ist europäische Kultur ... eindeutig MinDirig Karsten Brenner, Bundesministerium für Bil- Einheit in der Vielfalt." (12/82) In dem hier angespro- dung und Wissenschaft, Bonn chenen Spannungsverhältnis zwischen der europäi- Herr Jean-Louis Devaux, Französischer Vertreter im schen Kultur einerseits und den je nationalen Bildungsausschuß des Rates der EG, Paris „Sprachkulturen" (wie Hahn formulierte — 12/82) an- Prof. Dr. Wilhelm Hahn, ehemaliges Mitglied des Eu- dererseits haben sich die Fragen danach entwickelt, ropäischen Parlaments, Kultusminister a.D., Heidel- ob es einen rechtlichen Rahmen für eine europäische berg Bildungspolitik gebe, wie sich, wenn ja, innerhalb die- MinRat Dr. Karl Friedrich Larenz, Bundesministerium ses Rahmens das Verhältnis zwischen Gemeinschafts- für Bildung und Wissenschaft, Bonn zuständigkeiten einerseits und den Zuständigkeiten Herr Dr. John Lowe, Pa ris der Mitgliedstaaten andererseits gestalte und wie sich RegDir Dr. Hermann Müller-Solger, Bundesministe- — im Falle der Bundesrepublik Deutschland — die rium für Bildung und Wissenschaft, Bonn Zuständigkeitsteilung zwischen den Bundesländern

Drucksache 11/5349 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode auf der einen und dem Bund auf der anderen Seite im eine Kompetenz zum Abbau regionaler Unterschiede Verhältnis zu möglichen Gemeinschaftszuständigkei- und zum sozialen und wirtschaft lichen Zusammenhalt ten verhalte. der Gemeinschaft zugesprochen. Hinsichtlich der Gemeinschaftsorgane ist es grund- Die Realisierung dieser drei Hauptziele wird in zwei sätzlich unstrittig, daß das Bildungswesen der Mit- Aktionsbereichen angestrebt: In der schulischen gliedstaaten und eine auf dessen Entwicklung gerich- Grundbildung und in der Qualifizierung von Arbeit- tete Bildungspolitik nicht in deren Zuständigkeitsbe- nehmern. Die Europäische Kommission hat mit dieser reich fallen. Gleichwohl stellt sich als Problem, inwie- Mitteilung Bildung und Ausbildung in das Zentrum weit zur Effektivierung der EG-Freiheiten der Freizü- des europäischen Integra tionsprozesses gerückt. gigkeit und der Niederlassung die Notwendigkeit be- Die hier skizzierten Tendenzen — die des „Richter- steht, den Bildungssektor in gemeinschaftsfreundli- rechts" wie die der tatsächlichen Politik der Gemein- cher Weise zu gestalten, soweit ausreichende Rechts- schaftsorgane — stützen die Vermutung, daß inner- grundlagen (EG-rechtlich siehe besonders Artikel 57, halb der Gemeinschaft teilweise nachhaltige Tenden- 118, 128 des EWG-Vertrages) bereitstehen. Das be- zen bestehen, die Gemeinschaft unter weiter — zu trifft namentlich Teilbereiche der Berufsausbildung weiter? — Auslegung der vorhandenen Rechtsgrund- (Zugang, Anerkennung von Abschlüssen). Auf der lagen in die Nähe einer Bildungsgemeinschaft zu ent- bereits herangezogenen Anhörung zum Thema „Bil- wickeln. Der weiteren Aufklärung dieses Sachverhal- dung und europäische Integra tion" hat Prof. Dr. Op- tes dient der erste Teil eines Gutachtens, das die En- permann darauf verwiesen, daß der Europäische Ge- quete-Kommission zum Thema „Bildungsrechtliche richtshof „den Begriff der Ausbildung außerordentlich und rechtspolitische Aspekte der Schaffung des euro- weit gefaßt" hat (12/94). „Er reicht im Grunde von der päischen Binnenmarktes für die Bildungspolitik des Volksschule bis zum Universitätsabschluß ... insbe- Bundes" vergeben hat. Darin soll unter anderem fol- sondere die Hochschulausbildung ist, europarechtlich gende Frage untersucht werden: „Inwieweit ist die gesprochen, Berufsausbildung im Sinne des Artikel Europäische Gemeinschaft unter Ansehung geschlos- 128. Das wird mittlerweile nirgendwo mehr ernsthaft sener Verträge, politischer Willenserklärungen, er- bestritten." (12/94) Andererseits ließ der Gerichtshof gangener Urteile sowie der politischen Praxis der erkennen, daß der Zugang zur Ausbildung, nicht aber Kommission und des Rates der zuständigen Minister Bildungs- und Ausbildungspolitik, vom Anwendungs- auf dem Wege zu einer Bildungsgemeinschaft?" bereich des EWG-Vertrages erfaßt würde. Auf dem Hintergrund der prinzipiell erkennbaren Im Rahmen seiner Interpreta tion der Rechtsprechung Entwicklungen in Richtung auf eine europäische Bil- des Europäischen Gerichtshofs, insbesondere der dungsgemeinschaft (wie rechtlich abgesichert diese „Gravier-Philosophie", faßte Prof. Dr. Oppermann in Entwicklung letztlich auch sein mag) ergeben sich für der genannten Anhörung sowie grundsätzlicher in ei- die Enquete-Kommission nach ihren bisherigen Bera- nem darauf bezogenen Gutachten (Oppermann 1987) tungen insgesamt die folgenden Fragenkomplexe, um sein Urteil zur Kompetenz der Gemeinschaftsorgane deren Bearbeitung sie sich bis zum Schlußbericht be- wie folgt zusammen: „... Es gibt punktuelle Bildungs- mühen wird: zuständigkeiten der Gemeinschaft, die sich im einzel- nen in der Entwicklung der Dinge hier und do rt erwei- (1) Wird es infolge der Entwicklung des Binnenmark- tern. " (12/93) Diese Erweiterung vollzieht sich nicht tes tatsächlich zu verstärkten grenzüberschreiten- nur durch „Richterrecht" (Prof. Dr. Oppermann, den Wanderungsbewegungen von Arbeitneh- 12/90), wobei dessen Grenzen zu beachten sein wer- mern, Arbeitnehmerinnen und ihren Familien den, sondern auch durch Alltagshandeln der Gemein- kommen? Und wenn- ja: Wird dies die Arbeitneh- schaftsorgane. Neben der Fülle von Entschließungen, mer und Arbeitnehmerinnen aller Qualifikations- Empfehlungen, Schlußfolgerungen oder Mitteilun- niveaus in etwa gleichmäßig treffen, oder ist es gen, die in der Europäischen Gemeinschaft mit Rele- vielmehr so, daß sich vor allem die Mobilität der vanz für die Bildungspolitik der Mitgliedstaaten for- besonders Qualifizierten erhöhen wird? Ange- muliert wurden, macht dies insbesondere die Mittei- sichts einer Entwicklung auf dem europäischen lung der Europäischen Kommission über die „Bildung Arbeitsmarkt, die in den achtziger Jahren in allen in der europäischen Gemeinschaft. Mittelfristige Per EG-Ländern durch einen Rückgang der Beschäf- spektiven: 1989 — 1992" vom 18.5.1988 deutlich. tigten aus anderen EG-Ländern gekennzeichnet Darin werden drei Ziele einer europäischen Bildungs- ist (in der Bundesrepublik von 1980 bis 1986 zum politik aufgeführt: Beispiel von 732 000 auf 498 000 - vgl. dazu Euro- stat 1988, S. 170 f), spricht vieles dafür, daß grenz- Das erste Ziel umfaßt die Ermittlung des Beitrages der überschreitende Wanderungsbewegungen von Bildungs- und Ausbildungssysteme zur Schaffung des Beschäftigten vor allem Führungskräfte, Techni- Binnenmarktes. Hierbei ist insbesondere die Förde- ker und Ingenieure, Angehörige der freien Berufe, rung der Freizügigkeit von Personen zu erwähnen. Im Lehrer und Ausbilder, Wissenschaftler und allen- Rahmen dieses Zieles soll auch der Ausbau eines ein- falls noch besonders qualifizierte Facharbeiter be- heitlichen Systems von Qualifikationen und Befähi- treffen wird. Dr. Kühlewind vom Ins titut für Ar- gungsnachweisen erfolgen sowie der Fremdspra- beitsmarkt- und Berufsforschung verwies in der chenunterricht verbessert und die multikulturelle Bil- Anhörung am 11.5.1988 ( „Entwicklung der Bil- dung gefördert werden. Das zweite Ziel bemüht sich dungs- und Erwerbsbeteiligung und ihrer Bestim- um die Verknüpfung von Bildung und Wirtschaft, um mungsfaktoren") in diesem Zusammenhang auf die gegensätzlichen Positionen in vermittelnde zu die grundsätzlichen Schwierigkeiten der Migra- überführen. Im dritten Ziel wird der Bildungspolitik tions-Prognosen: „Alleine die Ausländerwande-

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rungen, unabhängig von Qualifikationsstufen, bis Der Beschluß des Bundesrates zur „Mitteilung der zum Jahr 2000 vorauszuschätzen - was da auf uns Kommission über die Bildung in der Europäischen zukommen könnte — ist schwierig. Deswegen su- Gemeinschaft" vom 14.10.1988 verdeutlicht diese chen wir Alternativen in den globalen Varianten. Problematik. Dort heißt es: „Weder der EWG-Ver- Das Statistische Bundesamt hat jetzt versucht, der trag noch das Sekundärrecht der Gemeinschaft Erweiterung der EG um Spanien, Po rtugal und ermächtigen ihre Organe, eine eigenständige Bil- Griechenland dadurch Rechnung zu tragen, daß dungspolitik durchzuführen. Auch die Einheitli- es einen positiven Wanderungssaldo eingebaut che Europäische Akte hat der Gemeinschaft keine hat. Aber zu der Frage, wie das dann auch noch erweiterten Befugnisse im Bildungswesen verlie- mit Qualifizierungsstufen aussieht, können wir hen. " (Bundesrats-Drucksache 281/88 vom nichts sagen. " (3/99) 14.10.88)

(2) Inwieweit unterliegt die bildungspolitische Ent- Aus der Sorge heraus, der gerade für das Bil- wicklung in der Gemeinschaft einer parlamentari- dungswesen der Bundesrepublik Deutschland so schen Kontrolle? Prof. Dr. Oppermann formulierte wesentliche Föderalismus könne ausgehöhlt wer- dazu in der erwähnten Anhörung: „Das bedeutet, den, artikulieren die Kultusminister der Länder daß der Entscheidungsprozeß auf europäischer neuerdings verstärkt ihren Mitwirkungsanspruch Ebene noch nicht so demokratisch ist, wie es sich in europäischen Fragen. In einer Presseerklärung viele wünschen. " (12/97) In diesem Kontext zur 244. Plenarsitzung der KMK am 15./16. Juni schlug Prof. Dr. Hahn vor: „Ich bin der Meinung, 1989 in Mainz erklären sie dementsprechend: „In daß das Verhältnis der Kompetenz zwischen EG einer ausführlichen Aussprache stimmten die Kul- auf der einen und den Mitgliedstaaten auf der tusminister und -senatoren überein, daß die KMK anderen Seite durch eine Ergänzung der Römi- mit Blick auf die europäische Integra tion ihre auf schen Verträge — es ist in der Einheitlichen Euro- die Europäische Gemeinschaft bezogene Arbeit päischen Akte nicht passiert — institutionell ge- erheblich intensivieren muß. Nach Auffassung der klärt werden muß. Erst das würde den Ländern KMK ist es notwendig, die Position der Länder in (gemeint sind hier die Länder der EG — Anmer- die verstärkten Aktivitäten und Diskussionen so- kung der Enquete-Kommission) helfen, die in wohl der EG-Kommission wie der Ministerräte ständiger Sorge sind, überfahren zu werden, weil einzubringen. Der KMK geht es um aktive Mitge- sie erleben, daß immer etwas dazu kommt und sie, staltung in den Bereichen, in denen die Europäi- wenn über diese Sache letztlich in Mehrheitsent- sche Gemeinschaft eine Kompetenz hat und in scheidungen verhandelt wird, außen vor bleiben, denen zugleich die bildungs- und kulturpoliti- da andere entscheiden." (12/83) schen Interessen der Länder berührt sind. Die Kul- tusminister unterstrichen noch einmal die Auffas- (3) Wie verträgt es sich mit dem föderalen Prinzip der sung, daß es vor dem Hintergrund der Kulturho- Bundesrepublik Deutschland, wenn sich einer- heit der Länder unverzichtbar sei, den Föderalis- mus als ein zukunftsweisendes Instrument in die seits eine europäische Bildungsgemeinschaft ent- wickeln sollte, wenn aber andererseits die in wei- Gemeinschaft zu integrieren." (KMK-Pressemit- teilung vom 19.6.1989) ten Bereichen zuständigen bzw. auch zuständigen Bundesländer, wie behauptet wird, trotz des soge- Der hier angesprochene Gegenstandsbereich soll nannten Bundesratsverfahrens (Artikel 2 des Zu- in dem bereits erwähnten Gutachten „Bildungs- stimmungsgesetzes zur Einheitlichen Europäi- rechtliche und rechtspolitische Aspekte ... " weiter schen Akte) nicht oder allenfalls nachträglich mit analysiert werden. Die darauf bezogene Leitfrage der jeweils zur Regelung anstehenden Materie im Leistungsverzeichnis für dieses Gutachten lau- befaßt werden? Die Frage ist umstritten. Die damit tet: „Wie verhält es sich ... mit der Bewah rung im Tieferen angesprochene Problematik ist viel- des föderalen Prinzips in der Bundesrepublik schichtig: Wenn der Bund mit Rücksicht auf die Deutschland?" Dies versteht sich insbesondere auf föderale Struktur und die ihm fehlenden Zustän- dem Hintergrund des vom Bundesverfassungsge- digkeiten sich innerhalb der Gemeinschaftsor- richt anerkannten Satzes, daß die Einräumung von gane Zurückhaltung auferlegt, besteht nach Auf- Hoheitsrechten gemäß Artikel 24 Abs. 1 GG die fassung mancher die Gefahr der Vernachlässi- Identität der Verfassung nicht beeinträchtigen gung der Interessen der Bundesrepublik Deutsch- darf. land in der Europäischen Gemeinschaft. Prof. Dr. Hahn formulierte dazu: „Der Bund ist hier nicht in Diese aus der bestehenden Rechtslage abgeleite- der Lage, in Europa vieles zu sagen, weil er immer ten Problemkomplexe werden zugleich durch die wieder darauf schielen muß, was die Länder dazu schon angedeutete Frage hinreichender parla- sagen und ob er eine Stellungnahme überhaupt mentarischer Kontrolle intensiviert: Diese Frage abgeben kann. " (12/82) Wenn der Bund aber im der parlamentarischen Kontrolle der durch den Konzert der Partnerländer bildungspolitische Er- Bund im Rahmen der EG mitgetragenen bildungs- klärungen der Gemeinschaftsorgane mit erarbei- politischen Aussagen durch den Bundestag ist, tet und auch trägt — wie etwa bei der Formulie- gerade wegen der beschränkten Zuständigkeit rung des Textes „Bildung in der Europäischen des Bundes, nicht bef riedigend geregelt. Das ist Gemeinschaft. Mittelfristige Perspektiven 1989 — zugleich eine Sache demokratischer Legi timation. 1992" — so läuft er Gefahr, die eigene Zuständig- In der bereits mehrfach herangezogenen Anhö- keit zu überschreiten und Länderrechte zu verlet- rung zum Thema „Bildung und europäische Inte- zen. gration" formulierte der Abgeordnete Daweke Drucksache 11/5349 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode

diese parlamentarischen Bedenken: „Ich frage diesem Zusammenhang führte Herr Woortmann weniger nach den Kompetenzen, sondern eher vom DIHT in der mehrfach erwähnten Anhörung nach der Sicherstellung der demokratischen Mit- aus: „Weiter fehlt es, meine ich, an konsequenter wirkung der Parlamente. " (12/88) Fremdsprachenausbildung. Deswegen würde ich ein paar Forderungen aufstellen. Die Diskussion, (4) Welches sind schließlich die Sachgebiete, auf de- ob zum Beispiel Hauptschüler eine Fremdsprache nen im Prozeß der Entwicklung zum Binnenmarkt erlernen sollten oder nicht, würde ich wieder zu ein bildungspolitischer Handlungsbedarf inner- den Akten legen. Ich bin dafür, daß auch Haupt- halb der Gemeinschaftsorgane und innerhalb der schüler möglichst eine Fremdsprache erlernen. Im Bundesrepublik Deutschland entsteht? Unbescha- Gymnasium sollten zwei lebende Fremdsprachen det der Tatsache, daß die Enquete-Kommission für erlernt werden, davon eine bis zum Abitur. Fachli- die weitere Beratung dieses Komplexes die vom che Fremdsprachenkenntnisse sind für Studenten Bundesminister für Bildung und Wissenschaft in ganz bestimmt empfehlenswert. Auch bei den Auftrag gegebene Analyse der möglichen Auswir- Lehrlingen sollten mehr Fremdsprachen eingebaut kungen der Schaffung des Binnenmarktes auf das werden, mindestens aber eine, wir würden das deutsche Bildungswesen (vgl. die Erläuterungen Zusatzqualifikation nennen. " (12/75) von MR Dr. Larenz in der Anhörung „Bildung und europäische Integra tion" — 12/32 ff) abwarten Interessant sind in diesem Zusammenhang die Er- will, lassen sich auf der Grundlage der bisherigen gebnisse einer Vergleichsstudie aus den USA, die Beratungen folgende vorläufige Feststellungen das Institut der deutschen Wirtschaft 1988 breit treffen: vorgestellt hat: Dieser Studie zufolge nehmen die Schiller der Bundesrepublik hinsichtlich der — Die Frage des Qualifikationsniveaus der Erwerbs- Fremdsprachenkenntnisse vor denen der UdSSR, tätigen insgesamt wird angesichts bildungsexpan- Frankreichs, der USA, Japans und Großbritan- siver Tendenzen in wichtigen Pa rtnerländern ge- niens einen eindeutigen Spitzenplatz ein (vgl. sehen werden müssen (vgl. dazu das von der En- Lenske 1988, S. 43). Gleichwohl gilt aber auch, daß quete-Kommission in Auftrag gegebene Gutach- die Erfolge im Sprachunterricht, die gerade klei- ten „Perspektiven der Bildungsentwicklung in nere Länder wie zum Beispiel die Niederlande vor- Mitgliedsländern der OECD", so zum Beispiel die weisen können, auf weitere Entwicklungsmöglich- Feststellung dort: „... alle Länder sind jetzt von der keiten hinweisen. Notwendigkeit überzeugt, eine hoch qualifizierte Bevölkerung heranzubilden und zu erhalten." — Unbeschadet der Tatsache, daß die Frage der Re- Lowe 1989, S. 60). Dr. Pieh (CEDEFOP) formu- gelung einer wechselseitigen Anerkennung von lierte dies in der Anhörung vom 11.1.89: „Der Qua- Berufsausbildungsabschlüssen gegenwärtig in der lifizierungsdruck, vor allem durch den technologi- Europäischen Gemeinschaft vorangetrieben wird, schen Wandel und durch Weltmarktfaktoren seit bleibt der Tatbestand, daß der Zugang von Lehren- längerem im Gange, wird vor und nach 1993 weiter den und Forschenden zu Schulen und Hochschu- zunehmen. Die Auswirkungen betreffen alle Qua- len in Nachbarländern bisher völlig unbefriedi- lifizierungsstufen. " (12/189) gend geregelt ist. Eine Vergleichbarkeit der Leh- — Die Frage der Bildungs- und Ausbildungszeiten in rerausbildung und auch der Hochschullehrerlauf- der Bundesrepublik Deutschland wird durch den bahnen ist bisher kaum gegeben, obwohl diese Vergleich mit den Partnerlände rn innerhalb der Vergleichbarkeit eine wichtige Voraussetzung für EG neu stimuliert. Zu diesem ebenfalls komplexen das weitere Zusammenwachsen der EG-Länder Problem liegen zahlreiche, teilweise widersprüch- wäre. Darüber hinaus ergibt sich für diese Gruppe liche Äußerungen und Unterlagen vor. Der erst das Problem des Zugangs zum öffentlichen Dienst später zu formulierende Standpunkt der Kommis- in den jeweiligen EG-Partnerländern. Nach Arti- sion (in den Grenzen ihrer Zuständigkeit, insbe- kel 48 des EWG-Vertrages ist eine Freizügigkeit sondere im Rahmen ihrer Aussagen zu Hochschule der Arbeitnehmer innerhalb der EG-Mitgliedstaa- und zur beruflichen Weiterbildung) wird unter an- ten zu gewährleisten. In Verbindung mit Artikel 7 derem einbeziehen müssen, daß es nicht allein auf des EWG-Vertrages, der ebenfalls ein Diskriminie- das Alter beim Erreichen des ersten universitären rungsverbot bezüglich der Staatsangehörigkeit Abschlusses ankommen kann (im Verhältnis zur enthält, wird die Mobilität der Personen gefördert. tatsächlichen Studiendauer in den übrigen EG- Nach Absatz 4 des Artikel 48 findet diese Vor- Ländern und sonstigen wich tigen Ländern, die auf schrift jedoch keine Anwendung auf die Beschäfti- vielfältige Ursachen zurückzuführen sind), son- gung in der öffentlichen Verwaltung. Der Absatz 4 dern auch auf andere Umstände, wie etwa Quali- ist zum Gegenstand einer juristischen Auseinan- täten der jeweiligen Hochschulausbildung in den dersetzung geworden, die sich um die Klärung des einzelnen Disziplinen; jeweilige Anteile der nicht Begriffes „öffentliche Verwaltung" bemüht. Man erwerbstätigen Jugendlichen, die sich in Ausbil- neigt dazu, daß nicht die einzelnen nationalen Vor- dung und Studium befinden, und andere mehr. stellungen und Begriffsabgrenzungen von „öffent- Auch bei Einbeziehung relativierender Faktoren licher Verwaltung" dem Artikel 48 zugeordnet wird aber die Frage einer wünschenswerten und werden können, sondern daß auf der Ebene der sachangemessenen Verkürzung der Ausbildungs- Europäischen Gemeinschaft eine einheitliche De- zeiten bestehen bleiben. finition von „öffentlicher Verwaltung " im Sinne eines hoheitlichen Aufgabenbereiches festgelegt — Die Fremdsprachenausbildung in Bildung und werden müsse. Nur dieser hoheitliche Bereich und Ausbildung gewinnt zusätzlich an Bedeutung. In nicht der in der Regel weiter abgegrenzte Bereich

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der öffentlichen Verwaltung mit ihren auch nicht- Gemeinschaft (Mittelfristige Perspektiven: 1989 — hoheitlichen Bereichen sei von der Freizügigkeit 1992) der Arbeitnehmer auszunehmen. Die Tendenz der Rechtsprechung des Europäi- EG-Kommission 1988: Mitteilung der Kommission schen Gerichtshofes geht dahin, den hoheitlichen über die „Bildung in der Europäischen Gemeinschaft, Bereich und damit die EG-Auffassung von „öffent- Mittelfristige Perspektiven: 1989 — 1992". Brüssel licher Verwaltung" enger zu fassen, als es den Vor- stellungen einiger EG-Mitgliedstaaten entspricht. Eurostat 1988: Statistisches Amt der Europäischen Der Schul- und Hochschulsektor wäre danach Gemeinschaften (Hrsg.), Beschäftigung und Arbeits- nicht mehr dem hoheitlichen Bereich eines Staates losigkeit. Brüssel, Luxemburg zuzuordnen und in vollem Umfang Angehörigen der EG-Mitgliedstaaten zugänglich. Da der Beam- EWG 1988: Grundlage der Europäischen Gemein- tenstatus nach bundesdeutschem Recht grund- schaft. Text des EWG-Vertrages und der ergänzenden sätzlich den eigenen Staatsangehörigen vorbehal- Bestimmungen nach dem Stand am 1. Juli 1987, bear- ten bleibt, der Schul- und Hochschulbereich je- beitet und eingeleitet von Thomas Läufer. Bonn doch einem EG-Bürger nicht verwehrt werden darf, ergibt sich die Frage statusrechtlicher Konse- KMK Pressemitteilung vom 19. Juni 1989 zur 244. Ple- quenzen. Die Enquete-Kommission sieht hier wei- narsitzung der Ständigen Konferenz der Kultusmini- teren Klärungsbedarf. ster und -senatoren der Länder in der Bundesrepublik Deutschland am 15./16. Juni 1989 in Mainz — Die Austauschprogramme innerhalb der Staaten der Gemeinschaft werden wich tiger und auch not- wendiger werden. Dies gilt sowohl für den Aus- Lenske, Werner 1988: Qualified in Germany — Ein tausch von Schülern und Studenten, dies gilt aber Standortvorteil für die Bundesrepublik Deutschland. auch, gerade angesichts der bisherigen Vernach- Institut der deutschen Wirtschaft. Köln lässigung dieser Gruppe, zusehends für Auszubil- dende und junge Arbeitnehmer und Arbeitnehme- Lowe, John 1989: Educational Trends and Prospects in rinnen. Herr Rath vom Europäischen Gewerk- OECD Countries (Perspektiven der Bildungsentwick- schaftsbund formulierte dazu in der mehrfach her- lung in Mitgliedsländern der OECD). Gutachten für angezogenen Anhörung „Bildung und europäi- die Enquete-Kommission „Zukünftige Bildungspolitik sche Integration" : „Wir denken, daß eine ähnliche — Bildung 2000". Paris (Manuskript) Perspektive, wie sie bei Erasmus (Gemeinschaftli- ches Aktionsprogramm zur Förderung der Mobili- Oppermann, Thomas 1987: Europäisches Gemein- tät von Hochschulstudenten — Anmerkung der schaftsrecht und deutsche Bildungsordnung. Schrif- Enquete-Kommission) besteht, daß bis zu einem tenreihe Studien zu Bildung und Wissenschaft Nr. 44. bestimmten Zeitpunkt jeder Student der Gemein- Bonn schaft einen bestimmten Teil seiner Ausbildung in einem anderen EG-Land absolviert haben sollte, Unkorrigiertes Wortprotokoll der 3. Sitzung der En- auch für den Bereich der Berufsbildung gelten quete-Kommission „Zukünftige Bildungspolitik — sollte." (12/66) Bildung 2000" am 11. Mai 1988 zum Thema „Entwick- lung der Bildungs- und Erwerbsbeteiligung und ihrer Bestimmungsfaktoren" Verzeichnis der in Abschnitt II zitierten Literatur Unkorrigiertes Wortprotokoll der 12. Sitzung der En- Bundesrats-Drucksache 281/88 vom 14. Oktober quete-Kommission „Zukünftige Bildungspolitik — 1988: Beschluß des Bundesrates zur Mitteilung der Bildung 2000" am 11. Januar 1989 zum Thema „Bil- EG-Kommission über die Bildung in der Europäischen dung und europäische Integration"

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Abschnitt III Auswertung von Anhörungen und Expertengesprächen

Kapitel III.1 gesellschaftlichen Leben, in Arbeit und Beruf, in Kul- tur und Politik vorbereiten können. Die Kommission Arbeitsprogramm und Stand der Durchführung untersucht dabei besonders die im Einsetzungsbe- schluß erwähnten Anforderungen, die sich aus der 1.1 Arbeitsschwerpunkte und Arbeitsformen der Gleichstellung der Geschlechter, ökologischen Erf or- Kommission dernissen, technologischen Umwälzungen in der In- dustriegesellschaft, internationalen Verflechtungen Die Enquete-Kommission hat in der Zeit von der Kon- und Konflikten, den übrigen Strukturveränderungen stituierung Ende Februar 1988 bis zur parlamentari- in Wirtschaft und Gesellschaft und veränderten Le- schen Sommerpause im Juni 1988 die Grundstruktur bensstilen ergeben. ihres Arbeitsprogramms beraten. Ziel der Beratungen war es, den im Einsetzungsbeschluß festgestellten Die unter dem Stichwort „Zukunft" zusammengefaß- Kommissionsauftrag zu konkretisieren und zugleich ten Analysen stellen eine wesentliche Grundlage für die Arbeit auf diejenigen Einzelfragen zu konzentrie- die Bestimmung von bildungspolitischem Handlungs- ren, die die Kommission für besonders wesentlich und bedarf in den einzelnen Bildungsbereichen dar, für vordringlich hält. Zugleich sollte das Arbeitspro- die der Bund Zuständigkeiten hat. Insofern hat dieser gramm in der verfügbaren Zeit und mit den Möglich- Arbeitsschwerpunkt Querschnittscharakter für die keiten der Kommission realisierbar sein und die später übrigen Arbeitsschwerpunkte der Kommission. Aus zu treffende Entscheidung über die Form der Zusam- diesem Grund hat die Kommission ihre ersten Anhö- menführung von Ergebnissen der Kommissionsbera- rungen auch diesen Themen gewidmet. tungen im Zwischen- bzw. Schlußbericht nicht ein- schränken. Arbeitsschwerpunkte sind zunächst: Die Kommission wird in den weiteren Beratungen (1) Zukunft: Voraussichtliche Entwicklung bildungs- darauf achten, daß im Arbeitsschwerpunkt „Zukunft" politisch bedeutsamer Faktoren nicht starre Vorgaben für die übrigen Arbeitsschwer- punkte gemacht werden. Die Kommission wird auch (2) Berufliche Erstausbildung und Erwerbsarbeit umgekehrt Auswirkungen von bildungspolitischen (3) Weiterbildung — Lebenslanges Lernen — Veränderungen auf andere Bereiche zu berücksichti- gen haben. Zum Beispiel ist auf die höchst bedeutsa- (4) Perspektiven der Hochschulentwicklung men Folgen der höheren Bildungsbeteiligung und der (5) Bildung und europäische Integra tion. über einen längerfristigen Zeitraum deutlich verbes- serten Qualifikationsstruktur hinzuweisen. Gerade Arbeitsformen der Enquete-Kommission sind — mit diesen längerfristigen Entwicklungen soll sich die grundsätzlich öffentliche — Gespräche mit Experten, Enquete-Kommission vor allem befassen. Deshalb ist Informationsbesuche und Gespräche mit Lehrenden es für die Kommission eine maßgebliche Aufgabe; die und Lernenden vor Ort und mit bildungspolitisch in der täglichen Bildungsarbeit und in der tagespoliti- Verantwortlichen, Verbändeanhörungen, Analysen schen Auseinandersetzung nicht so deutlich sichtbar durch der Kommission angehörende Sachverstän- werdenden Interdependenzen herauszuarbeiten. dige, externe Gutachten und wissenschaftliche Ausar- Hier müssen die Neubestimmung des Stellenwerts beitungen durch das Sekretariat der Enquete-Kom- der Bildungspolitik gegenüber anderen gesellschaftli- mission. chen Teilbereichen und die spätere Ableitung von konkreten Empfehlungen zur zukünftigen Bildungs- poltik ansetzen. Besonderheiten der einzelnen Arbeitsschwerpunkte Ausgangspunkt für die Festlegung der übrigen vier Der erste Arbeitsschwerpunkt der Enquete-Kommis- Arbeitsschwerpunkte und der in ihnen im einzelnen sion „Zukunft: Voraussichtliche Entwicklung bil- behandelten bzw. noch zu behandelnden Fragestel- dungspolitisch bedeutsamer Faktoren" weist im Ver- lungen sind die im Einsetzungsbeschluß aufgeführten gleich zu den übrigen Arbeitsschwerpunkten einige „Insbesondere-Fragen" . Die Arbeitsschwerpunkte (2) Besonderheiten auf. Hierunter werden alle Aktivitä- — Berufliche Erstausbildung und Erwerbsarbeit —, ten der Enquete-Kommission zusammengefaßt, die (3) — Weiterbildung — Lebenslanges Lernen — und die Untersuchung der langfristig wirksamen gesell- (4) — Perspektiven der Hochschulentwicklung — um- schaftlichen Faktoren zum Ziel haben, denen die Bil- fassen dabei diejenigen Bildungsbereiche, auf die sich dungspolitik des Bundes vorausschauend Rechnung die bildungspolitischen Zuständigkeiten des Bundes tragen muß, damit sich Jugendliche und Erwachsene konzentrieren. Dabei folgt die innere Struktur der ein- durch eine zukunftsträchtige Erstausbildung und zelnen Arbeitsschwerpunkte im Grundsatz jeweils Weiterbildung auf neue Herausforde rungen und die dem im Untersuchungsauftrag vorgegebenen Ra- Übernahme von Verantwortung im persönlichen und ster:

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— Entwicklung der Bildungsbeteiligung, auch für be- 1.2 Vorgehensweise im ersten Jahr — stimmte Schichten und Gruppen (Ursachen für Be- Erwerbsarbeit als Ausgangspunkt nachteiligungen und Möglichkeiten zur Verbesse- rung ihrer Chancen) ; Im Mittelpunkt der Aktivitäten in der ersten Phase der Kommissionsarbeit stand neben dem Arbeitsschwer- — Übergang von der Schule in Berufsausbildung punkt „Zukunft" die Frage, vor welchen Aufgaben bzw. Hochschule ( „Erste Schwelle") und vom Bil- die zukünftige Bildungspolitik des Bundes steht, da- dungs- ins Beschäftigungssystem („Zweite mit sich Jugendliche und Erwachsene auf neue Her- Schwelle"); ausforderungen und insbesondere auf die Übernahme von Verantwortung in Arbeit und Beruf — Bildungsziele und ihre Vermittlung im Prozeß wirt- vorbereiten können. schaftlicher, technologischer, ökologischer und so- zialer Veränderungen; Diese thematische Konzentration für die erste Phase der Arbeit wurde von der Kommission aus einer Reihe — Kosten- und Finanzierungsfragen. von Gründen vorgenommen: Diese einheitliche „Binnenstruktur" läßt auch eine die — Bildungspolitik muß davon ausgehen, daß Er- Bildungsbereiche übergreifende Darstellung von län- werbsarbeit gegenüber anderen gesellschaftli- gerfristigen Tendenzen und Problemen zu, soweit sie chen Bereichen wie Freizeit und informe lle Arbeit für die Ableitung von Empfehlungen der Kommission für die ganz überwiegende Mehrheit der Bevölke- erforderlich ist. rung, zunehmend auch für Frauen, eine zentrale Bedeutung hat. Von der Realisierung des Berufs- Der fünfte Arbeitsschwerpunkt, „Bildung und euro- wunsches hängt für das Individuum auch die Mög- päische Integra tion", weist als weiterer Querschnitts- lichkeit zur Entfaltung in anderen Lebensberei- bereich wiederum einige Besonderheiten auf. In ihm chen ab. Die Erwerbsarbeit und sie prägende Prin- soll gemäß Einsetzungsbeschluß untersucht werden, zipien (zum Beispiel „Leistung") dominieren in der „welche Aufgaben sich für die Bildungspolitik des Industriegesellschaft derart, daß ein Sinndefizit zu Bundes aus der Schaffung des Europäischen Binnen- entstehen droht, wo Lebenszeiten nicht mehr von marktes ergeben". Weiter soll die Kommission die der Erwerbsarbeit ausgefüllt sind. Dies gilt für Ar- Möglichkeiten aufzeigen, wie die Bildungspolitik des beitslose ebenso wie für Senioren. Dies gilt für die Bundes in bildungspolitischen Fragen der europäi- Gesellschaft und Wirtschaft insgesamt. Die politi- schen Integration mit anderen relevanten Politikfel- sche Diskussion über Wege aus der anhaltend ho- dern zusammenwirken kann. Dabei sollen nicht nur hen Arbeitslosigkeit, die Debatten um das Ende einschlägige andere Politikfelder des Bundes, son- der „Arbeitsgesellschaft" oder auch über „Flexibi- dern auch die bildungspolitische Zusammenarbeit mit lisierung des Normalarbeitsverhältnisses" bestäti- den Ländern berücksichtigt werden. gen diese These, die auch durch alle Untersuchun- gen zur Einstellung der Bevölkerung gegenüber Arbeit und Beruf und durch Jugendstudien belegt werden (vgl. zum Beispiel das im Auftrag der En- Weitere Arbeitsschwerpunkte für die zweite Phase quete-Kommission vom Deutschen Jugendinstitut erstellte Gutachten über „Lebensentwürfe von Ju- Mit diesen fünf Arbeitsschwerpunkten ist der Einset- gendlichen: Mo tivation und Berufsorientierung, zungsbeschluß der Kommission noch nicht vollständig Pläne und ihre Realisierung"). Zur Begründung abgedeckt. In der ersten Phase der Kommissionsarbeit und Entwicklung ihrer bildungspolitischen Vor- sind vor allem folgende Fragen, die zum Teil auf die in schläge konzentriert sich daher ein vorrangiges der zweiten Phase in den Mittelpunkt rückenden Interesse der Enquete-Kommission auf das System Überlegungen zu konkreten Empfehlungen der Kom- der Erwerbsarbeit und auf die sich darin vollzie- mission hinzielen, nur am Rande bearbeitet worden: henden langfristigen Veränderungen, zum Bei- spiel im Zusammenhang mit der Einführung neuer (1) Wie können Jugendliche und Erwachsene durch Technologien, Umweltfragen, Arbeitsorganisation eine zukunftsträchtige Erstausbildung und Wei- und -gestaltung. terbildung — über die Vorbereitung auf das Ar- beitsleben hinaus — auf die Übernahme von Ver- — Auch wenn die Beziehungen zwischen dem Bil- antwortung im persönlichen und gesellschaftli- dungs- und Beschäftigungssystem nicht im Sinne chen Leben, in Kultur und Politik vorbereitet wer- eines funktionalen, ein- oder wechselseitigen Ab- den? hängigkeitsverhältnisses präzise definierbarer „Systeme" und objektiver Anforderungen be- (2) Welche Möglichkeiten bestehen, die Bildungspo- schrieben werden können, wie dies bildungsöko- litik des Bundes im Zusammenwirken mit anderen nomisch und -statistisch in den sechziger und sieb- relevanten Politikfeldern, wie der Arbeitsmarkt-, ziger Jahren nachzuweisen und in der Bildungs- der Technologie-, der Wirtschafts- und der Fi- planung teilweise auch anzuwenden versucht wor- nanzpolitik, besser auf vor uns liegende Heraus- den ist, sind Veränderungen innerhalb des Be- forderungen auszurichten? schäftigungssystems von erheblicher Bedeutung für die pädagogische und bildungspolitische Pra- (3) Welche Veränderungen im Hinblick auf neue Ent- xis. Erst die genaue Kenntnis der Entwicklungen wicklungen im Bildungsbereich sind für das Besol- innerhalb des Systems der Erwerbsarbeit ermög- dungs- und Beamtenrecht vorzusehen? licht eine angemessene, gegebenenfalls kritische

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Vorbereitung auf die Berufs- und Arbeitswelt un- sion — die Diskussion mit Vertreterinnen und Vertre- ter pädagogischer Zielsetzung. Dabei geht es um tern von Verbänden, mit Wissenschaftlerinnen und die Förderung und Stärkung der Persönlichkeit, Wissenschaftlern und Lehrenden und Lernenden ge- die Verminderung sozialer Ungleichheiten, die sucht wurde. Dabei wird jeweils darauf hingewiesen, Förderung gesellschaftspolitischen Engagements zu welchen bisherigen Aktivitäten der Kommission in für Mensch und Umwelt und andere Fragen, die im anschließenden Kapiteln als Zwischenergebnisse be- Zusammenhang mit dem Einsetzungsbeschluß der reits Auswertungen vorgenommen werden konnten. Kommission stehen. Zu berücksichtigen ist dabei Ziel dieser Auswertungen war es, zunächst die von auch, daß die Bildungsexpansion und die gestiege- den eingeladenen Expertinnen und Experten und Ge- nen Qualifikationen eine Herausforderung oder sprächspartnern der Kommission übermittelten Ein- Chance für das Beschäftigungssystem und für die schätzungen und Ansichten über bildungspolitische Entwicklung von Strategien zur aktiven Bewälti- Probleme, Handlungsbedarf und Handlungsmöglich- gung des Strukturwandels darstellen, daß also das keiten des Bundes ohne Wertung der Kommission zu- zukünftige Verhältnis von Bildungs- und Beschäf- sammenzufassen und gegebenenfalls kontroverse tigungssystem voraussichtlich stärker von wech- Ansichten einander gegenüberzustellen. selseitigen Beziehungen und Verflechtungen ge- prägt ist bzw. sein sollte. 1.3 Anhörungen und Informationsbesuche in der — Kriterien für die Beurteilung gelungener pädago- ersten Phase gischer wie bildungspolitischer Praxis können auf- grund der institutionellen Trennung von Bildungs- und Beschäftigungssystem bzw. anderen gesell- Arbeitsschwerpunkt „Zukunft: Voraussichtliche schaftlichen Teilbereichen auch nicht aus dem Bil- Entwicklung bildungspolitisch bedeutsamer dungsbereich allein gewonnen werden, sondern Faktoren" nur in der Rückvermittlung aus den anderen Teil- bereichen. Ob Jugendliche mit den neuen Infor- Am 11. Mai 1988 erläuterten Dr. Gerhard Kühlewind, mations- und Kommunikationstechnologien Wissenschaftlicher Direktor im Institut für Arbeits- selbständig und unter Nutzung potentieller Ge- markt- und Berufsforschung der Bundesanstalt für Ar- staltungsspielräume umgehen, läßt sich schließlich beit, Nürnberg, Dr. Helmut Pütz, Stellvertretender erst am Arbeitsplatz selbst feststellen. Das gleiche Generalsekretär des Bundesinstituts für Berufsbil- gilt für umweltbewußtes Handeln, für die Frage dung, Dr. Laszlo Alex, Hauptabteilungsleiter des Bun- der Gleichstellung der Geschlechter, die Konflikt- desinstituts für Berufsbildung, Berlin und Bonn, und und Friedensfähigkeit sowie auch die Aneignung Prof. Dr. Wilfried Linke, Direktor des Bundesinstituts weiterer sogenannter Schlüsselqualifikationen. für Bevölkerungsforschung, Wiesbaden, der Kommis- Das heißt also, daß aufgrund ihrer primär persön- sion ihre Vorstellungen zur Entwicklung der Bil- lichkeitsorientierten Zielsetzung Bildungsprozesse dungs- und Erwerbsbeteiligung und ihrer Bestim- zwar nicht aus Anforderungen des Beschäfti- mungsfaktoren. Eine besondere Rolle spielten in der gungssystems abgeleitet werden können, daß an- Diskussion zwei Fragenkomplexe: dererseits aber ohne den gegebenenfalls kriti- schen Rückbezug der in der Ausbildung gelernten — Wie werden sich die Qualifikationsanforderungen Fähigkeiten und Kenntnisse auf den Bereich der auf dem Arbeitsmarkt voraussichtlich verändern, Erwerbsarbeit ein entscheidender Teil der Lebens- und wie kann mit Hilfe der beruflichen Erstausbil- praxis in der Industriegesellschaft ausgeblendet dung und der Weiterbildung dazu beigetragen bliebe. Bildung würde im schlechten Sinne ideali- werden, daß möglichst- alle Jugendlichen und Er- stisch oder abstrakt. wachsenen die notwendigen Qualifikationen er- halten? Der Bund hat besonders im Bereich der beruflichen — — Wird die künftige Erwerbsbeteiligung von Frauen Erstausbildung und in der Weiterbildung unbe- in vorliegenden Szenarien zur Arbeitsmarktent- strittene Zuständigkeiten. Auch von daher ist die wicklung ihren Wünschen oder Absichten entspre- Beschreibung von neuen Herausforderungen aus chend geschätzt, und welcher bildungs- und ar- diesem Bereich für die Bildungspolitik des Bundes beitsmarktpolitische Handlungsbedarf ergibt sich im Einsetzungsbeschluß der Enquete-Kommission aus einer auch gesellschaftspolitisch zu begrün- gerechtfertigt. Der Bund hat aber auch über die denden Annahme einer höheren Erwerbsquote Berufsausbildung hinausgehende Zuständigkei- von Frauen, wie sie auch in anderen Industrielän- ten, die mit anderen relevanten Politikfeldern zu dern zu beobachten ist? koordinieren sind. Dies bedeutet auch für die En- quete-Kommission, daß in der weiteren Arbeit Be- Die Auswertung dieser Expertenanhörung findet sich ziehungen zwischen der auf Erwerbsarbeit ausge- in Kapitel III.2.1.1. richteten Berufsausbildung und Weiterbildung und der kulturellen ebenso wie der politischen Bil- Am 16. Juni 1988 wurden in einer öffentlichen Anhö- dung zu berücksichtigen sind. rung eine Expertin und fünf Experten zu der Frage gehört, auf welche Zukunft das Bildungswesen vorbe- Diese Schwerpunktsetzung der Kommission wird reitet sein und selbst mit vorbereiten sollte. Dabei ging auch in dem folgenden Überblick über die im ersten es neben methodischen Fragen vor allem um eine Ein- Jahr durchgeführten Anhörungen und Informations- schätzung der Herausforderungen, vor die sich die besuche sichtbar, in denen — als eine wesentliche künftige Bildungspolitik des Bundes aus der Sicht der Grundlage für die Meinungsbildung in der Kommis eingeladenen Wissenschaftlerin und fünf Wissen-

Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode Drucksache 11/5349 schaftler gestellt sieht, und welche Konsequenzen — Bildungsziele und ihre Vermittlung im Prozeß öko- sich hieraus für die zukünftige Bildungspolitik des nomischer, technologischer, ökologischer und so- Bundes als aktiv die zukünftige Gesellschaft — und zialer Veränderungen, nicht nur das Bildungswesen im engeren Sinne — mit gestaltender Politikbereich ergeben: — Kosten und Finanzierung der beruflichen Erstaus- bildung. — Gleichstellung der Geschlechter, Ausbildungseinrichtungen des dualen Systems waren auch das Ziel von Informationsbesuchen der Enquete — ökologische Erfordernisse, Kommission: — technologische Umwälzungen, Am 19. Oktober 1988 besuchte sie die Technisch gewerbliche Ausbildungsstätte der Robe rt-Bosch- — internationale Verflechtungen und Konflikte, GmbH in Stuttgart-Feuerbach und das Bildungszen- trum der Industrie- und Handelskammer Mittlerer — sonstige Strukturveränderungen und damit ver- Neckar in Grunbach. bundener Wertewandel. Auf dem Programm des Informationsbesuchs der En- Teilnehmer waren — in der Reihenfolge des Vortrags quete-Kommission in Rotenburg/Wümme am 3. Mai —Prof. Dr. Winfried Schlaffke, Ins titut der deutschen 1989 standen Wirtschaft e.V. Köln, Dr. Helmut Mikelskis, Ins titut für — ein Gespräch mit Schülern und Lehrern der Ei- die Pädagogik der Naturwissenschaften an der Uni- chenschule Scheeßel versität Kiel, Prof. Dr. Rudolf zur Lippe, Lehrstuhl für Sozialphilosophie und Ästhetik an der Universität Ol- — eine Diskussion mit Lehrlingen, Umschülern und denburg, Prof. Dr. Klaus Haefner, Fachbereich Mathe- Ausbildern der Technischen Ausbildungsstätte der matik und Informatik der Universität Bremen, Prof. Dr. Handwerkskammer Lüneburg-Stade und Oskar Negt, Institut für Soziologie der Universität Hannover, und Frau Dr. Renate Köcher, Ins titut für — ein Gespräch mit Repräsentanten aus Politik, Demoskopie, Allensbach. Diese Expertenanhörung ist Handwerk, Kommunal- und Arbeitsverwaltung in Kapitel III.2.1.2 ausgewertet. zur Berufsbildung in kleinen und mittleren Betrie- ben im ländlichen Raum in der Kreishandwerker- Die Beratungen zu diesem Arbeitsschwerpunkt wur- schaft Rotenburg. den in einem weiteren öffentlichen Expertengespräch Ein Bericht über diesen Informationsbesuch findet am 15. Februar 1989 fortgesetzt, in dem Dr. Gerald sich in Kommissionsdrucksache Nr. 11/24. Heidegger, Institut Technik und Bildung der Univer- sität Bremen, Prof. Dr. Burkart Lutz, Institut für sozial- Am 12. Januar 1989 besuchte die Enquete-Kommis- wissenschaftliche Forschung, München, und Dr. sion das Bundesinstitut für Berufsbildung in Ber lin, Hanns E. Schreiber, Generalbevollmächtigter Di- um sich von wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen und rektor, Hauptabteilung Personalführung und Bil- Mitarbeitern zusammen mit der Leitung des Ins tituts dungspolitik der Siemens AG, München mit der Kom- über eine Reihe von die Enquete-Kommission berüh- mission über den „Strukturwandel in Arbeit und Beruf renden Forschungsvorhaben zu informieren, insbe- und sein Verhältnis zu Bildung und Ausbildung unter sondere zur Qualität der beruflichen Bildung/Struktur besonderer Berücksichtigung des Flexibilitätsaspek der Ausbildungsqualität im dualen System, zur Quali- tes" diskutierten. Dr. Helmut Schube rt, Deutscher tät und Wirtschaftlichkeit beruflicher Weiterbildung Handwerkskammertag, Bonn, hat der Kommission und zur berufs- und arbeitspädagogischen- Qualifizie- eine schriftliche Stellungnahme zur Verfügung ge- rung der betrieblichen Ausbilder. stellt. Zur Auswertung siehe Kapitel III.2.1.3.

Arbeitsschwerpunkt „Weiterbildung — Lebenslanges Lernen" Arbeitsschwerpunkt „Berufliche Erstausbildung und Erwerbsarbeit" Auch zu diesem Arbeitsschwerpunkt führte die Kom- mission zunächst eine ganztägige Anhörung von Ver- Am 14. September 1989 führte die Kommission eine bänden und Praktikern durch. Die Kommission fragte ganztägige Anhörung von mehr als 30 Arbeitnehmer- am 8. Februar 1989 etwa 30 Arbeitnehmer- und Ar- und Arbeitgeberorganisationen, Lehrerverbänden beitgeberorganisationen, Verbände und Träger von und anderen an der beruflichen Erstausbildung betei- Weiterbildungsmaßnahmen, ligten Verbänden durch. Der in Kapitel III.2.2 ausge- werteten Anhörung lag ein ausführlicher Fragenkata- — welchen Weiterbildungsbegriff sie ihren Überle- log zu folgenden Bereichen zugrunde: gungen zur zukünftigen Gestaltung dieses Bil- dungsbereichs zugrunde legen, — Bildungsbeteiligung, Wahl der Bildungswege und — wie sie Angebot und Nachfrage und die Weiterbil- Zugang zu den Bildungsangeboten, dungsbeteiligung beurteilen, — Übergang von der Schule in die Berufsausbildung — welchen Beitrag Weiterbildung zur Sicherung der ( „erste Schwelle") und vom Bildungs- ins Beschäf- Beschäftigung bzw. zur Rückkehr besonderer tigungssystem ( „zweite Schwelle"), Gruppen wie zeitweise nicht Berufstätige und län-

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gerfristig Arbeitslose ins Erwerbsleben leisten Arbeitsschwerpunkt Perspektiven der kann, Hochschulentwicklung"

— wie mit Hilfe von Weiterbildung der Strukturwan- Die Vorgehensweise der Enquete-Kommission zu die- del bewältigt und wie insbesondere der/die ein- sem Arbeitsschwerpunkt unterscheidet sich von der zelne befähigt werden kann, sich im raschen Pro- Arbeitsplanung bei den übrigen Arbeitsschwerpunk- zeß des technischen, wirtschaftlichen, ökologi- ten insofern, als die Kommission zunächst das Ge- schen und sozialen Wandels und internationaler spräch mit hochschul- und wissenschaftspolitisch Ver- Verflechtungen zurechtzufinden, und antwortlichen und Sachverständigen gesucht hat. — wie dieser Bildungsbereich künftig organisiert und In der öffentlichen Kommissionssitzung am 2. Novem- finanziert werden so ll. ber 1988 diskutierte der Bundesminister für Bildung Diese Verbändeanhörung ist in Kapitel III.2.3 ausge- und Wissenschaft, Jürgen W. Möllemann, im An- wertet. schluß an seinen Vortrag über „Perspektiven der Hochschulentwicklung" mit den Mitgliedern der En- Zum Arbeitsschwerpunkt „Weiterbildung — Lebens- quete-Kommission. langes Lernen" gab es zusätzlich eine Reihe öffentli- cher Expertengespräche. Den Auftakt bildeten Vor- Ebenfalls zu Vortrag und Diskussion in öffentlicher trag und Diskussion mit Prof. Dr. F riedrich Edding, Sitzung am 22. Februar 1989 wurden der Präsident der Max-Planck-Institut für Bildungsforschung, Berlin, in Westdeutschen Rektorenkonferenz, Prof. Dr. Hein rich der Kommissionssitzung am 8. März 1989 zum Thema Seidel, und der Vorsitzende des Wissenschaftsrats, „Verteilung von Aus-und Weiterbildungszeiten im Prof. Dr. Dieter Simon, von der Kommission eingela- Lebenszyklus". den. Am 15. März 1989 wurde eine Anhörung von Experten Am 12. Januar 1989 besuchte die Enquete-Kommis- zu dem Komplex „Kosten und Finanzierung der Wei- sion das Max-Planck-Ins titut für Bildungsforschung in terbildung" durchgeführt, an der Dr. Christoph Eh- Berlin und diskutierte mit dem Geschäftsführenden mann, Behörde für Schul- und Berufsbildung der Direktor, Prof. Dr. Peter Mar tin Roeder, und Wissen- Freien und Hansestadt Hamburg, Prof. Dr. Eduard schaftlerinnen und Wissenschaftlern über Fragen der Gaugler, Seminar für Allgemeine Betriebswirtschafts- Forschungstätigkeit und der Forschungsförderung lehre, Personalwesen und Arbeitswissenschaft der außerhalb der Hochschulen, über Schwerpunkte der Universität Mannheim, Dr. Hermann Schmidt, Gene- Bildungsforschung und ihre praktische Umsetzung ralsekretär des Bundesinstituts für Berufsbildung, sowie über einzelne Forschungsvorhaben. Von beson- Berlin und Bonn, Dr. Josef Siegers, Bundesvereini- derem Interesse für die Kommission waren dabei Er- gung der Deutschen Arbeitgeberverbände, Köln und gebnisse von Projekten des Instituts zur Erwerbsarbeit Dr. Reinhold Weiß, Institut der deutschen Wi rtschaft und Familiengründung von Frauen, zur Arbeitsbio- e.V., Köln teilgenommen haben. Ergänzend zu den graphie und Persönlichkeitsentwicklung von Fachar- Fragen und Antworten auf der Weiterbildungsanhö- beitern sowie zur Einstellung zu Leistungsvergleichen rung am 8. Februar 1989 wurden drei Hauptaspekte im Hochschulbereich und zur Bewe rtung von Fachbe- der Frage nach Kosten und Finanzierung der berufli- reichen ( „ranking"). chen, allgemeinen und politischen Weiterbildung er- In Kapitel III.2.4 sind die aus diesen Gesprächen sich örtert: abzeichnenden Problemfelder im Hochschulbereich — Welche Mittel für die Finanzierung der Weiterbil- dargestellt. dung und ihrer Weiterentwicklung werden benö- Auf dieser Grundlage und einer die Vorstellungen der tigt? Fraktionen zusammenfassenden Berichterstattervor- — Von wem sollen diese Mittel aufgebracht wer- lage hat die Kommission im Frühjahr 1989 die weitere den? Vorgehensweise zu diesem Arbeitsschwerpunkt in der zweiten Phase ihrer Arbeit festgelegt. Im Zentrum — Welche Auswirkungen haben unterschiedliche sollen vier öffentliche Expertengespräche zu den The- Formen der Finanzierung auf die Teilnehmer und menkomplexen Bildungsinhalte/Lehre, Hochschul- die Anbieter? strukturen, Frauen und Hochschule sowie Forschung Zu einem „Streitgespräch" über „Weiterbildung im stehen, die im Herbst 1989 durchgeführt werden. Tarifvertrag" lud die Enquete-Kommission zu ihrer Grundlage dieser Gespräche sollen die im Zwischen- Sitzung am 10. Mai 1989 Expertinnen und Experten bericht gegebene Darstellung der Problemfelder im der Tarifparteien und Wissenschaftler ein. Teilnehmer Hochschulbereich sowie spezifische Kataloge von waren Prof. Dr. Karl-Friedrich Ackermann, Universi- Orientierungspunkten sein. tät Stuttgart, Dr. Reinhard Bispinck, Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliches Ins titut des Deutschen Ge- werkschaftsbundes, Düsseldorf, Frau Dr. Gisela Dy- Arbeitsschwerpunkt „Bildung und europäische bowski-Johannson, Industriegewerkschaft Metall, Integration" Frankfurt, Prof. Dr. Dieter Görs, Universität Bremen, Direktor Dr. Ulrich Gruber, Hauptabteilung Aus- und Die Kommission führte am 11. Januar 1989 zu diesem Weiterbildung der Hoechst AG, Frankfurt, und Dr. Querschnittsbereich eine öffentliche Expertenanhö- Peter Knevels, Tarifpolitische Abteilung der Bundes- rung in den Räumen des Europäischen Zentrums für vereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände, die Förderung der Berufsbildung (CEDEFOP) in Ber- Köln. lin durch.

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Der Fragenkatalog zu dieser Anhörung schlüsselt den (2) Lernort Berufsschule Informationsbedarf der Enquete-Kommission zum eu- ropäischen Binnenmarkt ab 1993 detail liert auf. Aus- (3) Längerfristige Entwicklung des Hochschulbe- gehend von einer Einschätzung, welche für die Bil- reichs. dungspolitik bedeutsamen Anpassungsprozesse die Vollendung des Binnenmarkts in der Wirtschaft, auf Ziel des Informationsaustauschs war es, die Überle- dem Arbeitsmarkt, im kulturellen, sozialen und politi- gungen der Enquete-Kommission zu diesen Fragen schen Leben auslösen könnte, wurde der Beitrag des auch unter Zugrundelegung der Analysen und bil- Bildungssystems zur aktiven Förderung und Mitge- dungspolitischen Absichten der Länder fortzuführen, staltung der europäischen Integra tionsprozesse dis- da hier Zuständigkeiten von Bund und Ländern eine kutiert. intensive Kooperation erfordern. Referenten und Teilnehmer an der Diskussion mit der Die Ländervertreter wünschten sich von der Enquete Kommission waren in- und ausländische Expertinnen Kommission des Deutschen Bundestages, daß sie die und Experten — Vertreter von Regierungen, von Wi rt verfassungsrechtlichen Schranken ihrer Arbeit be- -schaftsverbänden und Gewerkschaften, Abgeordnete achten und dazu beitragen möge, daß sich der Bund des Europäischen Parlaments und Wissenschaftler, an der Finanzierung der Bildungsausgaben in stärke- darunter einige Gutachter, die für die Enquete-Kom- rem Maße beteiligt. mission internationale Fragen bearbeiten. Die Auswertung dieser Anhörung ist in Abschnitt II Die Länder sehen durch die Politik der Europäischen enthalten. Gemeinschaft die föderative Struktur der Bildungspo- litik in der Bundesrepublik bedroht. Die europäische Vereinheitlichung sei zu wenig an föderativen Struk- turen ausgerichtet. Die Rechte und Zuständigkeiten Gespräch der Kommission mit den Ländern der Länder müßten vom Bund nicht nur geachtet, son- dern auch gegenüber den Ansprüchen der Europäi- In ihrer Sitzung am 17. Mai 1989 konnte die Enquete schen Gemeinschaft verteidigt werden. Kommission Frau Staatssekretärin Elisabeth Rickal, Kultusministerium Rheinland-Pfalz, Minister Prof. Dr. Die Länder fordern zugleich, daß Europa im Unter- Diether Breitenbach, Kultusminister des Saarlandes, richt stärker berücksichtigt werde, zum Beispiel in- und MinDir Dr. Joachim Schulz-Hardt, Generalsekre- dem mehr Fremdsprachenunterricht angeboten, tär der Ständigen Konferenz der Kultusminister der zweisprachige Ausbildungsgänge eingerichtet und Länder in der Bundesrepublik Deutschland, zu einem Schulpartnerschaften sowie der Lehrer- und Schüler- Informationsgespräch begrüßen. austausch verstärkt werden. Nach einer allgemeinen Aussprache über die Erwar- tungen der Länder an die Enquete-Kommission kon- zentrierte sich das Gespräch auf folgende Fragen: (1) Bildungspolitische Zusammenarbeit in Fragen der 1.4 Externe Gutachten europäischen Integra tion und auswärtigen Kultur- politik (insbesondere Auslandsschulen) Folgende Gutachten hat die Kommission vergeben:

Tabelle 3 - Von der Enquete-Kommission vergebene Gutachten

Lfd. Nr. Thema Gutachterinnen und Gutachter 1 Strukturwandel des ländlichen Frau Dr.-Ing. Doris von Dosky, Raums — Anforderungen an die St. Gallen zukünftige Bildungspolitik des Bundes 2 Beteiligung und Einmündung von Frau Dr. Anne Schlüter, Bochum Frauen in gewerblich-technische Frau Dr. Irmgard Weinbach, und naturwissenschaftliche Aus- Koblenz bildung und Berufe. Möglichkei- ten des Distanzabbaus 3 Vorurteile — und deren Falsifi- Frau Prof. Dr. Lenelis Kruse kation — hinsichtlich ge- Frau Dr. Annette Niederfranke schlechtsspezifischer Merkmale Frau Dipl.-Psych. Ute Hartmann und daraus folgende Eignung für Universität Heidelberg bestimmte Berufe und Führungs- Psychologisches Institut positionen 4 Bildungsbeteiligung in der be- Rainer Block, Universität — ruflichen Weiterbildung Gesamthochschule Essen Drucksache 11/5349 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode noch: Tabelle 3

Lfd. Nr. Thema Gutachterinnen und Gutachter

5 Educational Trends Dr. John Lowe, Paris and Prospects in OECD Member Countries (Perspektiven der Bildungsentwicklung in Mit- gliedsländern der OECD) 6 Lebensentwürfe von Jugendlichen: Deutsches Jugendinstitut, Motivation und Berufsorientie- München — Arbeitsgruppe rung, Pläne und ihre Realisie- Prof. Dr. Hans Bertram rung Frau Renate Borrmann-Müller Frau Susanne Driescher Frau Martina Gille Frau Irene Hoffmann-Lun Frau Barbara Keddi Frau Dr. Sabine Sardei Frau Dr. Gerlinde Seidenspinner Frau Dr. Angelika Fölke 7 Neue Medien/Informations- und Prof. Dr. Winfried Sommer, Kommunikationssysteme und Bil- Pädagogische Hochschule dungswesen — für die Bildungs- Karlsruhe, Fachgebiet politik des Bundes nutzbare Soziologie internationale Erfahrungen und Innovationen 8 Zur Bedeutung der Informa tions- Prof. Dr. Hans-Günter Rolff und Kommunikationstechologie/ Dr. Hermann Pfeiffer Neuen Medien für die zukünftige Frau Claudia de Witt Bildungspolitik des Bundes Dr. Peter Zimmermann Universität Dortmund, Institut für Schulentwick- lungsforschung 9 Qualifkationsbedarf des Be- Gesellschaft für Ausbildungs- schäftigungssystems und indi- forschung und Berufsentwick- viduelle Bildungsansprüche aus lung e.V., München berufspädagogischer Sicht, ins- Dr. Arnulf Bojanowski besondere im Hinblick auf das Dr. Michael Brater Verhältnis von Berufsbildung Prof. Dr. Heinz Dedering und Allgemeinbildung im Kontext unter Mitarbeit von technischer und sozio-kulturel- Erhard Fucke ler Entwicklung und Veränderung Dr. Gerhard Herz 10 Benachteiligte im Berufsbil- Dr. Frank Strikker, Universität dungssystem — Strukturen, Ur- Bielefeld, Fakultät für sachen,künftige Entwicklung Pädagogik und Maßnahmen 11 Umweltlernen in der Berufsbil- Dr. Christoph Nitschke, dung und der beruflichen Wei- Wissenschaftszentrum terbildung Berlin 12 Erfahrungen mit dem dualen Prof. Dr. Karlwilhelm System der Berufsbildung unter Stratmann Berücksichtigung der Wand- unter Mitarbeit von lungen des Begriffs „dual" Dr. Manfred Schlösser und der praktizierten Dualität Markus J. Lier Institut für Pädagogik der Ruhr-Universität Bochum 13 Strukturwandel der Ausbildung Gesellschaft für Förderung im Dienstleistungsbereich — arbeitsorientierter Forschung Wandel des dualen Systems? und Bildung GmbH, Mülheim StD Dr. Heribert Wirtz Dr. Richard Huisinga Prof. Dr. Antonius Lipsmeier Universität Karlsruhe Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode Drucksache 11/5349

noch: Tabelle 3

Lfd. Nr. Thema Gutachterinnen und Gutachter

14 Evaluation des Standes der For- Frau Dr. Leonie Herwartz-Emden schung in bezug auf kompensa- unter Mitarbeit von torische bzw. interkulturelle Frau Cornelia Mansfeld Bildung ausländischer Jugend- Frau Komelia Schilli licher in der Bundesrepublik Universität Oldenburg, Fach- Deutschland bereich Erziehungs- und Kulturwissenschaften 15 Problemzonen der Qualifikations- Frau Prof. Dr. Helga Krüger aneignung von Frauen in Zusammenarbeit mit Frau Silke Axhausen Frau Uta Brandes Frau Susanne Kretzer Frau Antoinette Rozema Universität Bremen 16 Bildungsrechtliche und rechts- Prof. Dr. Meinhard Schröder politische Aspekte der Schaf- und Mitarbeiter fung des europäischen Binnen- Universität Trier markten für die Bildungspolitik des Bundes

Kapitel III.2

Auswertung von Verbände- und Expertenanhörungen zur zukünftigen beruflichen Erstausbildung und Weiterbildung

Vorbemerkung zung der Enquete-Kommission am 11.5.1988, Seite 166. Da die schriftlichen- Stellungnahmen der Ver- Die folgenden Auswertungen von Anhörungen wur- bände in den Wortprotokollen vom 14.9.1988 und vom den in der Enquete-Kommission bisher unterschied- 8.2.1989 nicht durchnumeriert sind, werden sie als lich intensiv beraten. Dies spiegelt sich auch im unter- (Anlage Nr./Seite) zitiert. Beispiel: (II/85). schiedlichen Stand ihrer Bearbeitung. Grundlage der Auswertungen waren die unkorrigier- Den Auswertungen ist jeweils eine Gliederung, eine ten Wortprotokolle (Bandabschriften) der einzelnen Vorbemerkung zur Methode der Auswertung und ein Anhörungen zusammen mit den von den eingelade- Verzeichnis der Abkürzungen von Organisationen nen Expertinnen und Experten bzw. Verbänden über- und Verbänden vorangestellt. In der Anlage zu jedem sandten Thesenpapieren und schriftlichen Stellung- Kapitel finden sich die den Teilnehmern vorab über- nahmen. Sie werden einheitlich zitiert als (Nummer sandten Fragenkataloge oder Orientierungspunkte der Kommissionssitzung/Seite). Beispiel: (3/166) ver- und — bei den Verbändeanhörungen - Listen der weist auf das unkorrigierte Wortprotokoll der 3. Sit teilnehmenden Organisationen und ihrer Vertreter.

Kapitel III.2.1

Arbeitsschwerpunkt „Zukunft: Voraussichtliche Entwicklung bildungspolitisch bedeutsamer Faktoren" Drucksache 11/5349 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode

Kapitel III.2.1.1

Expertenanhörung zum Thema „Entwicklung der Bildungs- und Erwerbsbeteiligung und ihrer Bestimmungsfaktoren" am 11. Mai 1988

Gliederung B. Auswertung der Anhörung

A. Vorbemerkungen 1. Modellrechnungen zur Entwicklung der B. Auswertung der Anhörung Erwerbsbevölkerung und zur Bildungsbeteiligung

1. Modellrechnungen zur Entwicklung der Er- Mögliche Entwicklungen der Erwerbsbevölkerung werbsbevölkerung und zur Bildungsbeteili- („Potential an Erwerbspersonen") können im Über- gung blick der Abbildung 2 in Kapitel I.5 entnommen wer- den (IAB 3/106). Die beiden in den Modellrechnungen 2. Entwicklung der Erwerbsbeteiligung von mit unterschiedlichen Annahmen berücksichtigten Frauen Hauptvariablen sind die Entwicklung der Erwerbsbe- teiligung von Frauen und der Wanderungssaldo (das 3. Determinanten der Bildungsentscheidung heißt die Summe aus Zu- und Abwanderungen von Deutschen und Ausländern). Die Berechnungen stut- 4. Entwicklung zur „Dienstleistungsgesellschaft" zen sich auf die Bevölkerungsvorausschätzungen des Statistischen Bundesamts (3/5). 5. Trend zur Höherqualifizierung? Auf der Nachfrage- bzw. Bedarfsseite gehen das Wachstum des Bruttoinlandsprodukts (BIP) und die 6. Aufgaben für die Bildungspolitik Produktivitätssteigerung je Beschäftigten als Haupt- größen in die Überlegungen ein. Das Ergebnis ist laut 7. Zukunft der Berufsausbildung und des dualen IAB, daß die Arbeitsmarktprobleme noch anhalten Systems werden. Eine demographisch bedingte Entlastung werde noch auf sich warten lassen (Dr. Kühlewind 8. Berufsausbildung und Abitur 3/7). Es sei auch ganz erheblich von der Wirtschafts- entwicklung abhängig, wann und in welchem Um- C. Resümee fang sie eintreten werde.

D. Zusammenfassung von handlungsorientierten In der Diskussion schloß sich daran die Frage an, ob Vorschlägen der Experten (Op tionen) Bildung somit auch auf Erwerbslosigkeit vorbereiten und traditionelle Rollenverteilungen (etwa: zeitwei- lige Erwerbslosigkeit ist Frauensache) problematisie- ren müsse. Zudem sei zu prüfen, ob und wie die Ein- sicht in die Notwendigkeit der Neuverteilung des Ar- A. Vorbemerkungen beitsvolumens geweckt werden solle, um die Verein- barkeit von Familienaufgaben und Erwerbstätigkeit für beide Geschlechter auch im Lebenszyklus zu ver- Ausgangspunkt der in der 3. Kommissionssitzung am bessern (3/166). 11.5.1988 durchgeführten Expertenanhörung war die Überlegung, daß Zukunftsbetrachtungen auf rein Prof. Dr. Linke stellte im Anschluß an den zweiten quantitativer Basis nur unzureichende Aufschlüsse Bericht der Bundesregierung über die Bevölkerungs- über inhaltliche und qualitative Gestaltungsmöglich- entwicklung (Drucksache 10/863 vom 5.1.1984) einige keiten und -notwendigkeiten geben. Daher waren die wichtige Arbeitsergebnisse aus der Arbeit des BIB Experten neben der Präsentation relativ gesicherter dar. Er wies auf zunehmende Unsicherheiten mit Schätzungen um die Darlegung von Bestimmungsfak- wachsendem Prognosezeitraum hin, die sich auch in toren insbesondere zur Entwicklung der Bildungs- der Bezeichnung der Rechenergebnisse niederschla- und Erwerbsbeteiligung gebeten worden. Im Bereich gen: „Vorausschätzungen" umfassen einen Zeitraum der künftigen Frauenerwerbstätigkeit — auch im in- von 10 bis 15 Jahren in die Zukunft, bei längeren Zeit- ternationalen Vergleich — sollte ein besonderer räumen wird von „Modellrechnungen” gesprochen Schwerpunkt liegen. (3/20). (Zu einer grafischen Darstellung unterschiedli- cher Varianten siehe 3/223.) Folgende Experten standen der Enquete-Kommission zum Gespräch zur Verfügung: Prof. Dr. Wilf ried Linke Die Haupteinflußfaktoren sind die Geburtenhäufig- (Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung, BIB, keit und der künftige Umfang der ausländischen Wiesbaden), Dr. Helmut Pütz und Dr. Laszlo Alex Wohnbevölkerung. Für das Jahr 2000 wird mit einem (Bundesinstitut für Berufsbildung, BIBB, Berlin und Anteil von 12 % an der Wohnbevölkerung gerechnet Bonn) und Dr. Gerhard Kühlewind (Ins titut für Ar- (1980: 7 %). Nach diesem Zeitpunkt wird von einer beitsmarkt- und Berufsforschung der Bundesanstalt Zuwanderung von Ausländern vor allem aus kulturell für Arbeit, IAB, Nürnberg). fernen Ländern ausgegangen (3/117).

Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode Drucksache 11/5349

Das BIB weist insbesondere auf die gegenüber dem In einigen europäischen Industriestaaten und den Bevölkerungsrückgang als sehr viel schwerwiegen- USA ist die Entwicklung der Frauenerwerbsbeteili- der eingeschätzte Veränderung der Altersstruktur der gung schon weiter vorangeschritten als in der Bundes- Bevölkerung hin (3/51). Auf den Bildungsbereich republik Deutschland. In Frankreich, Italien und den werde die starke Abnahme der Jahrgangsstärken der Niederlanden sind die Zuwächse höher, und auch das Jüngeren in kürzerer Frist durchschlagen als bei- Niveau liegt zum Teil deutlich über dem der Bundes- spielsweise auf den Arbeitsmarkt. Ein besonderes republik (3/108 und 110). Mit dem Älterwerden der Problem liege darin, daß der Bevölkerungsrückgang besser ausgebildeten und stärker berufsorientierten nicht kontinuierlich verlaufe, sondern mit schwanken- Frauen-Jahrgänge ist mit weiter wachsender Er- dem Umfang der Jahrgänge verbunden sei (3/52). werbsbeteiligung auch dieser Altersgruppe zu rech- nen. Die Entwicklung der Jahrgangsstärken, die für die einzelnen Bereiche des Bildungswesens relevant sind, Das klassische Drei-Phasen-Modell (erste Beruf s- sind in Abbildung 3 des Kapitels I.5 dargestellt. Die phase, Familienphase, zweite Berufsphase) verliert an Grafik beschreibt den Verlauf nach dem Modell I C Bedeutung. Die Dauer der Unterbrechung der Er- des Statistischen Bundesamts, das heißt — verein- werbstätigkeit wird kürzer. Haupteinflußfaktoren für facht — konstante Geburtenhäufigkeit beim deut- das Erwerbsverhalten sind Zahl und Alter der Kinder, schen Bevölkerungsanteil (Stand: 1984) — I — und Aus- bzw. Berufsausbildung und Schichtzugehörig- Annäherung an das Geburtenniveau der Deutschen keit der Familie (IAB 3/108). Die Zunahme der Frau- bis 1999 sowie jährliche Zuwanderungsüberschüsse enerwerbstätigkeit erfolgt vor allem im Dienstlei- von 55 000 bis zum Jahr 2009 — C. stungssektor und in Form der Teilzeitarbeit, die 80 % der Beschäftigungszunahme ausmacht (BIBB 3/216). Durch Multiplikation mit angenommenen Bildungs- Überdurchschnittlich viele teilzeitbeschäftigte Frauen beteiligungsquoten für die verschiedenen Stufen und sind nicht ausbildungsadäquat beschäftigt (3/109), Einrichtungen des Bildungswesens kann aus diesen eine große Zahl sogar nicht sozialversicherungspflich- Zahlen der voraussichtliche „Ausbildungsbedarf" er- tig (1-2 Mio, 3/98 und 99). rechnet werden. Da diese Quoten höchst anfällig ge- genüber Veränderungen gesellschaftlicher Rahmen- Mit Fortschreiten der Tertiarisierung der Wirtschafts- bedingungen und abhängig von individuellen Ent- struktur kann eine weitere Begünstigung der Frau- scheidungen und Teilhabemöglichkeiten an verfüg- enerwerbstätigkeit einhergehen, wenn die Gestal- baren Bildungsangeboten sind, ist diese Rechnung tungsspielräume des Technikeinsatzes so wahrge- vom BIB nicht durchgeführt worden. Die Zahl der aus- nommen werden, daß Verdrängungsprozesse in Teil- ländischen Jugendlichen im Bildungssystem wird da- bereichen nicht Überhand gewinnen (IAB 3/109). bei als besonders hohes Schätzrisiko beurteilt (3/145). Vorhandene Gestaltungsspielräume seien in der Ver- Haupteinflußfaktoren bei diesen sind neben der ge- gangenheit häufig nicht zugunsten von Frauen ge- schätzten Altersstruktur von Zuzüglern die zur Zeit nutzt worden: „Zunehmende Erwerbschancen haben noch geringere Bildungsbeteiligung bei ausländi- nicht ohne weiteres auch einen Abbau geschlechts- schen Arbeiterkindern gegenüber deutschen Arbei- spezifischer Unterschiede bei Aufstiegschancen, Ar- terkindern und die höhere Abhängigkeit der Bil- beitsbedingungen, Arbeitsplatzsicherheit und Bezah- dungsentscheidung von der Geschwisterzahl/Fami- lung zur Folge." (Ebenda ; siehe hierzu auch Ab- liengröße (3/148). schnitt 7 in diesem Kapitel.) Insbesondere aufgrund der Fernwirkungen der Bil- dungsexpansion rechnet- das IAB damit, daß die reale 2. Entwicklung der Erwerbsbeteiligung von Frauen Entwicklung der Frauenerwerbstätigkeit zwischen der mittleren und oberen Va riante des Anstiegs liegen Von 1970 bis 1987 hat sich die Anzahl erwerbstätiger wird (siehe Abbildung 2 in Kapitel I.5 und 3/68 und Frauen um 0,4 auf 10 Mio. erhöht, während die Zahl 98). der beschäftigten Männer im gleichen Zeitraum um 1,1 Mio. zurückging. Die global nicht sehr hoch er- scheinende Zunahme verdeckt die deutliche Steige- 3. Determinanten der Bildungsentscheidung rung bei den verheirateten Frauen der mittleren Al- tersgruppen, weil die Beteiligung an den „Rändern" Eine der vom BIB der Kommission zur Vorbereitung durch verlängerte Ausbildungszeiten und frühzeitige- auf die Anhörung am 11.5.88 übersandten Veröffent- res Ausscheiden aus dem Erwerbsleben (Alters- lichungen (Klug 1984) befaßt sich mit familien- grenze) stark abgesunken ist. Die kontinuierliche Zu- strukturellen Einflüssen auf das Bildungsverhalten nahme des Frauenanteils hat in einigen Branchen (3/150ff). Darin wird offenbar davon ausgegangen, aber lediglich dazu geführt, daß Frauen nur unterpro- daß Bildungsentscheidungen ganz überwiegend von portional von Beschäftigungsrückgängen betroffen Frauen/Müttern beeinflußt werden, denn in dem ge- waren. Insgesamt liegt jedoch seit 1970 — abgesehen samten Artikel ist in bezug auf erhobene Einstellun- von konjunkturellen Schwankungen — der Frauenan- gen nur von diesen die Rede. Einleitend wird festge- teil bei den registrierten Arbeitslosen über 50 %. stellt, daß sich der Einfluß sozio-demographischer Gleichzeitig fand eine Erhöhung der Stillen Reserve Merkmale auf die Planung und Realisierung des statt; „von der hohen Arbeitslosigkeit herrührende Schulbesuchs weiter verstärkt habe (3/151). 'Entmutigungseffekte' haben den sonst zu erwarten- den Anstieg der effektiven Frauenerwerbsbeteiligung In Krisenregionen und bei Frauen aus unteren Sozial gebremst." (IAB 3/107) schichten, ohne weiterführende Schulbildung, ohne

Drucksache 11/5349 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode abgeschlossene Berufsausbildung und geringem Net- menden Bildung von Mischkonzernen, der Diversifi- toeinkommen fand danach bei Verschlechterung der zierung von Firmen und speziell der Auslagerung von gesellschaftlichen Rahmenbedingungen eine Korrek- Dienstleistungen aus Großfirmen in selbständige Un- tur der Bildungsaspirationen nach unten statt (3/153). ternehmen mit Problemen behaftet. Die Familiengröße habe keinen Einfluß auf die Ein- stellung zum Abitur (3/160). Der Einfluß der Konfes- Die Entwicklung des Anteils an den Beschäftigten sionszugehörigkeit auf Bildungsentscheidungen sei entspreche nicht unbedingt dem Anteil am Arbeitsvo- nicht signifikant, wohl aber der der Konfessionslosig- lumen, da im Dienstleistungsbereich im höheren keit, die jedoch mit der Zugehörigkeit zu höheren Maße Teilzeitarbeitsplätze geschaffen würden (Pütz, Sozialschichten korreliere (3/154). 3/217). Mittelfristig wird insbesondere ein Wachstum der produktionsbezogenen Dienstleistungen (Finanz- Stadt-Land-Unterschiede würden hinter wirtschafts- beratung, Marketing, Werbung, Software-Entwick- strukturell bedingten Einflüssen des jewei ligen Bun- lung) vorhergesagt, langfristig demgegenüber vor al- deslandes zurücktreten (3/154). Die Entscheidung für lem ein Wachstum der personenbezogenen Dienstlei- die höhere Schullaufbahn werde im wesentlichen von stungen, insbesondere des sozialpflegerischen Be- folgenden intrafamiliären Einflußfaktoren positiv be- reichs (Alex 3/17). Die zweitgenannte Bedarfsent- einflußt: höheres Einkommen der Familie, Zugehörig- wicklung sei vor allem Ergebnis des wachsenden An- keit zu oberen Sozialschichten, weiterführende Schul- teils von Alten an der Bevölkerung. Abg. Frau Dr. bildung und „emanzipatorische Einstellung" der Mut- Götte knüpfte daran die Frage, ob hierdurch neue ter (insbesondere operationalisiert in der Frage nach Schlüsselqualifikationen benötigt würden. Das den Verhaltsweisen einer „guten Mutter"). Klug refe- Thema verweist auf das Gutachten Nr. 15: „Problem- riert auch Auswirkungen auf das Schulwahlverhalten. zonen der Qualifikationsaneigung von Frauen". So finde sich unter der vorgenannten Bedingungskon- stellation auch in hohem Maße eine Befürwortung der Insgesamt würde derzeit zu wenig Ausbildung im Gesamtschule (3/157). Dienstleistungssektor geleistet, und die Zahl der Aus- bildungsplätze sei zu gering; schon in der Vergangen- heit habe sich dieser Bereich nicht an der Ausbildung über den Bedarf hinaus beteiligt (Pütz 3/88). (Zu den 4. Entwicklung zur „ Dienstleistungsgesellschaft"? Strukturproblemen der Ausbildung siehe Ab- schnitt 8.) Das BIBB formuliert als Ausgangshypothese seiner Überlegungen einen „eindeutigen Trend zur Verstär- kung der Dienstleistungsgesellschaft. " (3/9) Die Bun- desrepublik Deutschland folgt dabei nach dieser Ein- 5. Trend zur Höherqualifizierung? schätzung verzögert dem Trend der westlichen Indu striestaaten. Das Verhältnis vom ersten und zweiten Wirtschaftssektor zum dritten Sektor bei den Erwerbs- Es wurde in Frage gestellt, daß das Konstrukt Höher- personen betrage in den USA 30 zu 70, in Frankreich qualifizierung hinreichend operationalisiert sei. Dr. 39 zu 61 und in der Bundesrepublik erst 46 zu 54 (Pütz Alex konzedierte, daß die Taxonomie des Lernwertes 3/10). Bei der Be trachtung von Tätigkeiten/Berufen bzw. der Qualifikationen noch nicht genügend ausge- (und nicht Wirtschaftssektoren oder Branchen) sei die arbeitet sei und sich zu stark an formalen Abschlüssen Entwicklung zum tertiären Sektor noch deutlicher bzw. an der in einer Bildungseinrichtung zugebrach- - vorangeschritten, er umfasse bereits 67 % der Be- ten Zeit orientiere (3/17). Weiter wurde auf die Not- schäftigten (Alex 3/72). Diese Ausführungen wurden wendigkeit der schnelleren Anpassung von Ausbil- von Mitgliedern der Enquete-Kommission problema- dungsordnungen verwiesen (Pütz 3/26). So müsse tisiert, sie verwiesen insbesondere auf den Einfluß zum Beispiel die Ausbildungsordnung „Bankkauf- unterschiedlicher Erhebungskonzepte. So erscheint mann/Bankkauffrau" schon nach zehn Jahren neuge- es vor allem unter dem Gesichtspunkt des Qualifika- ordnet werden. Prof. Dr. Staudt konstruierte daran tionsbedarfs keinesfalls offensichtlich, zum Beispiel anschließend folgenden möglichen falschen Zirkel das „technische Büro" und die Software-Entwicklung der Höherqualifizierung : unsichere Qualifikations- einfach unter den sehr heterogenen Beg riff der prognosen führten zu mehr, breiterer und höherer Dienstleistungen zu subsumieren. (In einem Schrei- Ausbildung. Die lange Verweildauer an Bildungsein- ben vom 21. Juni 1988 an die Enquete-Kommission richtungen begünstige die schnelle Veraltung des teilt das Bundeswirtschaftsministerium hier Bezug Know-how. Die dann festgestellte falsche Erstausbil- nehmend mit, daß die Frage der Abgrenzung der dung führe zu einer weiteren Verlängerung von Aus- Dienstleistungsberufe Gegenstand von Erörterungen bildungszeiten (3/53). Demgegenüber müsse über die im Ständigen Unterausschuß des Hauptausschusses Verteilung der Bildungszeiten innerhalb von Lebens- des BIBB sei.) läufen grundsätzlich neu nachgedacht werden (3/81). Dies begründe die künftige strategische Bedeutung Kritisiert wurde weiter, daß vielfach gewerbebe- der Weiterbildung. reichsspezifische und tätigkeitsbezogene Aspekte vermischt würden. Daneben sei ein wachsender Auch Dr. Pütz sieht hier noch große Mängel und ver- Dienstleistungsanteil innerhalb gewerblich-techni- weist in diesem Zusammenhang auf das japanische scher Berufe festzustellen. Auch die Klassififikation System der Weiterbildung, das bislang weitgehend nach Wirtschaftssektoren ist angesichts der zuneh noch nicht zur Kenntnis genommen sei (3/61). Damit

Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode Drucksache 11/5349 wachsende Anforderungen nicht zu ständig verlän- Die IAB/Prognos-Studie ist auch Grundlage des „Sze- gerten Ausbildungszeiten führen (zum Beispiel vier narios des Berufsbildungssystems bis 1995", welches Jahre im dualen System), sei eine Verlagerung von das BIBB 1986 als mittelfristigen Orientierungsrah- Inhalten in die berufliche Weiterbildung notwendig men erarbeitet hat (zu einigen Tabellen siehe 3/223 (3/91). Die Enquete-Kommission hat dies zum Anlaß ff). Ausgangspunkt hinsichtlich der Wirtschaftsent- genommen, am 8. März 1989 ein Expertengespräch wicklung bildet dabei die Annahme eines Trends zu mit Prof. Dr. Edding zum Thema „Verteilung von Aus- hochwertigen Industriegütern, zu intensiverem inter- und Weiterbildungszeiten im Lebenslauf" zu führen. nationalem Güteraustausch und zu einer hohen An- Dessen Auswertung erfolgt erst im Hinblick auf den wendungsdichte der Informa tions- und Kommunika- Endbericht. tionstechnologie über alle Sektoren und Berufe hin- weg (3/12). Den Einwendungen von Prof. Dr. Staudt wurde jedoch insbesondere unter Hinweis auf die neugeordneten Metall-/Elektroberufe widersprochen. Eine Höher- qualifizierung sei in zweierlei Hinsicht zu verzeich- 6. Aufgaben für die Bildungspolitik nen: Zur Durchsetzung der von ihm prognostizierten Ten- (1) als Berufsstruktureffekt und denz zur Höherqualifizierung formuliert das BIBB fol- (2) als Qualifikationsstruktureffekt. gende Voraussetzungen: Der zweite Prozeß vollziehe sich insbesondere unter — Differenzierte und qualitativ hochwertige Ausbil- dem Einfluß des Generationswechsels in hohem Maße dungs- und Weiterbildungsmöglichkeiten müßten (Pütz 3/215). Dies entspreche der Tendenz, erhöhten angeboten werden. Anforderungen durch Veränderung der Anforde- rungsprofile in den Berufen zu begegnen und weniger — Die Förderung der Akzeptanz neuer Technologien völlig neue Berufe zu schaffen. In diesem Prozeß sei müsse in Aus- und Fortbildungsordnungen ver- auch eine Konvergenz der übergreifenden berufli- stärkt berücksichtigt werden. chen Anforderungen in Richtung abstraktes und — Allgemeinbildung und berufliche Fachbildung adaptives Denken zu verzeichnen (3/219). So erfor- dere beispielsweise die Tätigkeit an einer CNC-ge- müßten stärker miteinander verbunden werden. steuerten Maschine höhere fachübergreifende Quali- — Die fachübergreifenden personalen und sozialen fikationen und kognitive Fähigkeiten als die Zerspa- Kompetenzen (Schlüsselqualifikationen) müßten nungstätigkeit mit einer herkömmlichen Maschine stärker entwickelt werden, sie seien eine Voraus- (3/58 und 59). Ähnliches gelte auch für die Wartung setzung zur Überwindung der Taylorisierung der beim Einsatz computergesteuerter Diagnosegeräte. Arbeit. Dr. Pütz verweist auf die Ergebnisse der IAB/Prognos- Studie, der die Zahlen in der folgenden Tabe lle zur — Die Weiterbildung werde noch bedeutsamer, als Entwicklung der Qualifikationsstruktur entnommen dies in der heutigen Fachdiskussion schon gese- sind (3/12): hen werde (Pütz 3/13 und 14). Dr. Alex sieht die Förderung von Akzeptanz in engem Tabelle 4 Zusammenhang mit den Gestaltungsmöglichkeiten des Arbeitsprozesses durch die Mitarbeiter (siehe in Qualifikationsstruktur (in %) diesem Zusammenhang ausführlicher Kapitel III.2.1.3). Die Einbeziehung in Informa tions- und Ent- Facharbeiter scheidungsprozesse bei der Technikeinführung sei und Ange- Un-/An- Fachschule/ hier zentral. Dafür müßten in der Ausbildung die ent- stellte mit Hochschule gelernte Meister sprechenden Voraussetzungen qualifikatorischer A rt Berufsaus- bildung geschaffen werden. Die Akzeptanz neuer Technolo- gien werde so lediglich ein qualitativer Maßstab für 1982 32 (a) 53 (b) 7 8 die Produktivität (3/96). Qualifikationsziel sei der 2000 (c) 20 (a) 59 (b) 7 15 selbständig planende, eigenverantwortlich han- delnde und berufsfähige Facharbeiter (3/15). (a) Abnahme entspricht ca. 3 Mio. Personen (b) Zunahme entspricht 1,5-1,7 Mio. Personen Abg. Frau Dr. Götte wies darauf hin, daß soziale Kom- (c) Durch Rundungsfehler insgesamt 101% petenz auch im Hinblick auf den wachsenden Anteil Quelle: v. Rothkirch/Weidig 1986, S. 37 der ausländischen Bevölkerung gesehen werden müsse (siehe Abschnitt 1). Die Schulen müßten besser auf ihre noch zunehmende Integrationsaufgabe vor- Trotz des geschilderten globalen Trends sei aber nicht bereitet werden. davon auszugehen, daß die Notwendigkeit zur Höher- qualifizierung alle Berufe im gleichen Maße erreichen Innerhalb des Produktionssektors sieht das BIBB eine würde. Insbesondere im Handwerk, dem ein Großteil steigende Bedeutung der Umwelt- und Werkstoff- der 383 Ausbildungsberufe zuzurechnen sei, gebe es technik (3/11). In der ökologischen Berufsbildung daher, auch aufgrund individueller Betreuungsmög- gebe es zum einen noch Probleme bei Lehrern, Aus- lichkeiten, gute Chancen für ausländische und lern- bildern und Auszubildenden in Hinsicht auf die prak- schwache Jugendliche. Das Handwerk unternehme tische Umsetzung ökologischer Einstellungen im Be- beachtenswerte Anstrengungen in dieser Hinsicht rufshandeln. Gleichzeitig wurde beklagt, daß viele (3/85). Betriebe noch nicht hinreichend den Bedarf in diesem Drucksache 11/5349 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode

Bereich wahrgenommen hätten. Es liefen aber viele Rückgangs des Bedarfs an Fachkräftenachwuchs in Modellvorhaben, die auch motivierenden Charakter diesem Bereich für nicht sinnvoll halte (3/89). Beschäf- besäßen (Pütz 3/91 und 92). Im Bereich der Umwelt- tigungs- und Aufstiegschancen für Frauen sieht er in kompetenz in der beruflichen Qualifikation, bei den der Höherqualifizierung für qualifizierte Dienstlei- Problemen der Klein- und Mittelbetriebe und bei der stungsbereiche (3/92; siehe hierzu aber auch die Be- Förderung lernschwacher Jugendlicher und Erwach- wertungen oben in Abschnitt 4). Zu denken sei hier sener sieht das BIBB besondere Defizitbereiche bei vor allem an eine Ausbildung jüngerer Frauen mit der Erstausbildung und Weiterbildung; hier bedürfe höherer schulischer Qualifikation in einem dualisier- es auch noch verstärkter Anstrengungen der Berufs- ten tertiären Bereich (3/85). Das BIBB prüft derzeit, ob bildungsforschung (3/16). (Siehe auch Kapitel durch die Neuschneidung von Berufen eine Kombina- III.2.2.) tion von kaufmännischen und gewerblichen Ausbil- dungsgängen vor der Phase der Fortbildung zur Mei- sterprüfung erreicht werden kann. Insbesondere für den Handwerksbereich sieht Dr. Alex hierin große 7. Zukunft der Berufsbildung und des dualen Systems Chancen, auch und gerade für Frauen (3/94). Durch eine entsprechende Vergütung könne die At- Zur Entwicklung von globalem Angebot und Nach- traktivität bislang niedrig bewe rteter Bereiche, zum frage nach Ausbildungsplätzen sowie zu eventuellen Beispiel im Gesundheitswesen, gesteigert werden. So Ungleichgewichten wurden keine Aussagen ge- sei etwa in den USA im Krankenhausbereich nach macht. Dr. Alex vertritt die Ansicht, daß die duale einer entsprechenden Aufwertung ein großer An- Ausbildung in der heutigen Struktur nicht unbescha- drang von Männern zu verzeichnen gewesen; dies det das Jahr 2000 überleben werde (3/19). Ernste Pro- habe zu einer annähernden zahlenmäßigen Gleich- bleme für dieses Organisationsmodell ergäben sich, verteilung der Geschlechter geführt (3/96). falls es sich nicht dem Dienstleistungssektor öffne, ins- besondere im Gesundheitsbereich, in dem bislang überwiegend nicht dual ausgebildet werde (3/61; die 8. Berufsausbildung und Abitur Ausbildung für Gesundheitsberufe vollzieht sich überwiegend aufgrund staatlicher Normierungen, In verschiedenen Zusammenhängen wurde die Frage aber außerhalb des BBiG in Einrichtungen des Ge- der nichtakademischen Berufsausbildung von Abitu- sundheitswesens). Infolge der steigenden Qualitäts- rienten (bzw. Personen mit einer anderen Hochschul- anforderungen an die Ausbildung, zum Beispiel des zugangsberechtigung) erörtert. Grundsätzlich geht höheren Bedarfs an breiter beruflicher Grundbildung, das BIBB davon aus, daß die Studierquote in den werde der Anteil der Großbetriebe an der Ausbildung neunziger Jahren weiter ansteigen werde (3/19; siehe erheblich steigen (3/15). hierzu auch Kapitel III 2.4). Dies werde insbesondere Zugleich vertritt Dr. Pütz die Auffassung, daß die Kon- bei Frauen der Fall sein, so daß man davon ausgehen kurrenz zwischen dualer und vollzeitschulischer Aus- könne, daß jetzt eine Grenze ihrer Beteiligung am bildung sich zugunsten der dualen Ausbildung ent- dualen System erreicht sei (Alex 3/64). Insgesamt ge- scheiden werde. Die Wirtschaft werde diese aufwer- rate aber das duale System wegen des steigenden ten, auch durch Erhöhung der Ausbildungsvergütun- Anteils von Abiturienten bei den Schulabgängern un- gen (3/14). Die fehlende Ausbildungsvergütung ist ter Druck, da für diese verschiedene attraktive Ausbil- seiner Meinung nach der wesentliche Grund, weshalb dungsangebote gemacht würden, zum Beispiel in den auch zu Zeiten der größten Nachfrage nach Ausbil- Berufsakademien und in Assistentenausbildungsgän- dungsplätzen die Attraktivität vollzeitschulischer An- gen (3/18 und 19). In diesem Zusammenhang sind auch die Verwaltungs- und Wirtschaftsakademien, gebote unbefriedigend geblieben sei. Prinzipiell könnten auch schulische/theoretische Ausbildungs- Sparkassenakademien und ähnliche Einrichtungen wege zu hocheffizienten Berufsqualifikationen füh- zu erwähnen, die zum Teil nicht das Abitur als Ein- ren; in USA und Japan seien sie jedoch mit einer Pola- gangsvoraussetzung haben, de facto aber großenteils risierung der Qualifikationen verbunden (3/87). von Abiturienten frequentiert werden. Diese „Sonder- ausbildungsgänge " weisen zwar auch eine Kombina- Noch nicht beantworten läßt sich nach Auffassung des tion von theore tischen und praktischen Ausbildungs- BIBB bisher die Frage, ob die Anforderungen, die die teilen auf, werden aber entweder von den Bet rieben neugeordneten Metall-/Elektroberufe stellen, mit ei- oder vollschulisch angeboten, auf jeden Fa ll aber au- nem Hauptschulabschluß zu bewältigen seien (Pütz ßerhalb des BBiG (3/222). Die Berufsakademien besit- 3/86). Man prüfe derzeit, ob für lernschwache Jugend- zen jedoch Strukturmerkmale, die in die Richtung ei- liche die Erreichung der vollen Berufsqualifikation in ner vom BIBB erwarteten und für notwendig gehalte- Teilschritte und den Erwerb von Teilqualifikationen nen Dualisierung des Dienstleistungssektors gehen zerlegt werden könne. Bei dieser Gruppe müsse flan- (3/58). Auf diese Weise könne die „duale Lücke" kierend die berufs-, arbeits- und sozialpädagogische (3/58) geschlossen werden, die vor allem im sozial- Förderung noch weiter ausgebaut werden (3/85 und pflegerischen und Freizeitbereich sowie bei den hö- 86). herwertigen produktionsorientierten Dienstleistun- gen gesehen wird (3/19). In Beantwortung kritischer Einwände der Sachver- ständigen Frau Prof. Dr. Gensior und Frau Prof. Dr. Derartige Ausbildungsangebote, die sich an die wach- Metz-Göckel unterstrich Dr. Pütz, daß er eine „undif- sende Zahl von Personen mit steigenden schulischen ferenzierte" Werbung für gewerblich-technische Be- Qualifikationen richten, könnten dazu beitragen, die rufe bei Mädchen und Frauen wegen des erwarteten Arbeitsmarkt- und Aufstiegschancen von jungen

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Frauen zu erhöhen; dies sei bei solchen Angeboten Die Auswertung dieser Gutachten erfolgt erst nach eher zu erwarten als bei vollzeitschulischen Ausbil- dem Zwischenbericht im Hinblick auf den Schlußbe- dungsgängen (3/85 und 18). richt.

C. Resümee D. Zusammenfassung von handlungsorientierten Vorschlägen der Experten Die Anhörung ergab Klärungsbedarf bei den Bestim- mungsfaktoren für die Erwerbs- und Bildungsbeteili- Bildungspolitische Optionen wurden von den Vertre- gung speziell von Frauen, insbesondere was die Frage tern des BIBB formuliert. Sie sind überwiegend in der der künftigen Entwicklungsmöglichkeiten angeht. Analyse des Abschnitts B bereits genannt, werden Die Kommission erhofft sich hierüber genaueren Auf- jedoch noch einmal der besseren Lesbarkeit willen schluß aus dem Gutachten Nr. 15 zu „Problemzonen gesondert aufgeführt: der Qualifikationsaneignung von Frauen". (1) Es wird ein ausreichend differenzie rtes und ein Im wesentlichen offen blieb die Frage nach der künf- qualitativ hochwertiges Angebot an Ausbil- tigen Entwicklung von Angebot und Nachfrage nach dungs- und Weiterbildungsmöglichkeiten benö- Ausbildungsplätzen sowie eventue ller sektoraler und tigt (3/13). regionaler Disparitäten. (2) Allgemeinbildung und berufliche Fachbildung Noch vertieft werden muß die Thema tik des enormen müssen stärker miteinander verbunden, die noch Anwachsens des interkulturellen Austausches, spe- bestehende Trennung aufgehoben werden ziell auch im Zusammenhang mit berufsbedingten be- (3/14). grenzten Auslandsaufenthalten im europäischen Bin- nenmarkt. Dies soll im Rahmen des Gutachtens Nr. 14: (3) Berufliche Erst- und Weiterbildung müssen stär- „Evaluation des Standes der Forschung zur kompen- ker aufeinander abgestimmt und miteinander satorischen und interkulturellen Bildung ausländi- verzahnt werden (3/14 und 91). scher und deutscher Jugendlicher in der Bundesrepu- (4) Der mögliche Rückgang der Arbeitszerlegung blik Deutschland" erfolgen. und Chancen für Dezentralisierung erfordern Die der Kommission vorgetragenen Bedenken zur Zu- übergreifende Qualifikationen, mehr personale kunftsfestigkeit des dualen Systems sind eingeflossen und soziale Kompetenzen (3/14). in die Themenstellung des Gutachtens Nr. 13 zum In den Ausbildungs- und Weiterbildungsinhalten „Strukturwandel der Ausbildung im Dienstleistungs- (5) müssen die Förderung der Gestaltungsmöglich- bereich — Wandel des dualen Systems?", das auch keiten neuer Techniken und ihrer Akzeptanz einen Beitrag zur Klärung des Begriffs und des Um- verstärkt berücksichtigt werden (3/13 und 96). fangs von Dienstleistungsarbeit sowie zur Frage der Berufsbildung für Abiturienten bringen soll. (6) Zur Verbesserung der Vermittlung von Umwelt- Der in der Anhörung kaum thematisierte Vergleich kompetenz müssen Umsetzungsmaßnahmen in- mit der Situation in westlichen Industriestaaten ist tensiviert werden (3/92). Gegenstand des Gutachtens Nr. 5: „Perspektiven der (7) Der Ausbau eines dualisierten tertiären Bereichs Bildungsentwicklung in Mitgliedsländern der der Berufsbildung bietet besondere Chancen zur OECD". Förderung der Arbeitsmarkt- und Aufstiegschan- Problemaspekte der Anhörung sind in die Vergabe cen von Frauen (3/85). folgender abgeschlossener Gutachten eingeflossen: (8) Es soll überprüft werden, ob die Neuschneidung — Nr. 2: „Beteiligung und Einmündung von Frauen von Berufen einen Beitrag zur Frauenförderung in gewerblich-technische und naturwissenschaftli- darstellen kann, insbesondere durch Kombina- che Ausbildung und Berufe" tion von gewerblich-technischen und kaufmän- nischen Ausbildungsgängen (3/94). — Nr. 7: „Neue Medien/Informations- und Kommu- nikationssysteme und Bildungswesen — für die (9) Die Förderung lernschwacher Jugendlicher und Bildungspolitik des Bundes nutzbare internatio- Erwachsener muß verbessert werden: nale Erfahrungen und Innovationen" — durch berufs-, sozial- und arbeitspädagogi- — Nr. 8: „Zur Bedeutung der Informa tions- und Kom- sche Förderung, munikationstechnologie/Neuen Medien für die zukünftige Bildungspolitik des Bundes" — Prüfung, ob durch Modularisierung ein voll- wertiger Berufsabschluß auch in Teilschritten — Nr. 9: „Qualifikationsbedarf des Beschäftigungs- erreicht werden kann (3/16, 85 und 86). systems und individuelle Bildungsansprüche aus berufspädagogischer Sicht, insbesondere im Hin- (10) Besonderer Bedarf in der Berufsbildungsfor- blick auf das Verhältnis von Berufsbildung und schung besteht in den Bereichen lernschwache Allgemeinbildung" Jugendliche und Erwachsene, kleine und mitt- lere Unternehmen sowie Umweltkompetenz so- — Nr. 11: „Umweltlernen in der Berufsbildung und wohl in bezug auf Erstausbildung als auch Wei- der beruflichen Weiterbildung" terbildung (3/16). Drucksache 11/5349 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode

Kapitel III.2.1.2

Expertenanhörung zum Thema „Zukunft, auf die das Bildungswesen vorbereitet sein und selbst mit vorbereiten sollte" am 16. Juni 1988

Gliederung B. Auswertung A. Vorbemerkung B. Auswertung 1. Wandel der Produktionsstruktur 1. Wandel der Produktionsstruktur Prof. Dr. Schlaffke stellt einen zunehmenden Konsens 2. Notwendigkeit von Schlüsselqualifikationen der Sozialpartner „in Richtung auf flexible und inno- und informationstechnischer Grundbildung vative Organisationsstrukturen" fest (5/9), die auch 3. Steigende Bedeutung der Weiterbildung zur Humanisierung der Arbeit beitragen könnten. Die einseitige Ablehnung der Mikroelektronik gehöre 4. Wirtschaft und Gesellschaft im Wertewandel zum größten Teil der Vergangenheit an. Der rechner- gesteuerte Taylorismus, der durch Arbeitsteilung und 5. Emanzipation und Solidarität im Spannungs- computerisierte Produktionsanlagen gekennzeichnet feld sei, werde von der Wirtschaft kaum noch als Idealvor- 6. Ökologische Erfordernisse stellung angesehen. Diesem System sei der Trend ge- genwärtig, die Menschen herauszudrängen und zu Ganzheitliche Bildung 7. dequalifizieren. Inzwischen habe sich herausgeste llt, 8. Übernahme von Verantwortung daß auch „die intelligente Technik nicht intel ligent" sei und die Qualität des Mitarbeiters „das A und O" im 9. Gleichstellung der Geschlechter Umgang mit diesen Technologien darstellen müsse 10. Schaffung von Freiräumen (5/10). Nicht die Eindimensionalität, nicht die „bloß instrumentelle Vernunft zur Massenproduktion" be- stimme die Zukunft, sondern ganz im Gegenteil: „Wir A. Vorbemerkung brauchen als Produktionsfaktoren Phantasiefähigkeit, Gestaltungskraft, Kreativität". Die Integra tion sei nicht nur eine Sehnsucht von New Age, sondern et- Ausgangspunkt der Anhörung war die Einschätzung was, das sich in den Tendenzen der Wi der Kommission, daß eine deterministische Zukunfts- rtschaft ab- zeichne (5/11). perspektive nicht vorgegeben werden kann, daß je- doch versucht werden sollte, grundsätzliche Entwick- Die früher vorherrschende Isolierung und Spezialisie- lungstendenzen und alternative, mögliche Zukunfts- rung weiche zunehmend einer vermehrten Integra- szenarien mit Hilfe von Sachverständigen aufzuzei- tion und Verzahnung von Arbeitsabläufen. Die da- gen, aus denen im weiteren Verlauf der Kommissions- durch in diesem Bereich auftretende größere Vernet- arbeit Folgerungen für die zukünftige Bildungspolitik zungsfähigkeit bringe höheren Qualifikationsbedarf des Bundes gezogen werden sollen. Soweit in den ein- mit sich (5/189). Die Höherqualifizierung führe dazu, zelnen Beiträgen handlungsorientierte Vorschläge daß die Chancen für Ungelernte und Angelernte im- geäußert wurden, werden diese im Anschluß an die mer geringer würden. Es entstehe das „Bildungsmo- jeweiligen Abschnitte aufgeführt. dell der Zwiebel" mit einem „Qualitätsbauch" (5/10). Als Expertin und Experten nahmen an der Anhörung teil: Prof. Dr. Haefner verweist auf eine „zweite koperni- kanische Wende", in der der menschliche Geist zu- Prof. Dr. Klaus Haefner nehmend erkenne, daß „das Gehirn, der menschliche Universität Bremen Intellekt, der homo sapiens nicht das einzige informa- Fachbereich Mathematik und Informatik tionsverarbeitende leistungsfähige System auf der Erde ist" (5/40). Zur Problemlösung in Vergangenheit Frau Dr. Renate Köcher und Zukunft bemerkt er pointiert: „Wir haben die alte Institut für Demoskopie Allensbach Struktur: Man nehme das Gehirn. Wir haben die neue Prof. Dr. Rudolf zur Lippe Struktur: Man nehme den Rechner. " Aufgrund dieser Lehrstuhl für Sozialphilosophie und Ästhetik Entwicklung habe das Bildungswesen sein altes Mo- an der Universität Oldenburg nopol verloren, denn viele Prozesse könnten nun auch technisch realisiert werden (5/43). Dr. Helmut Mikelskis Institut für die Pädagogik der Naturwissenschaften Die Informationstechnik werde immer bedeutender an der Universität Kiel und sei ein Ausdruck zukünftiger Strukturen. Sie Prof. Dr. Oskar Negt könne in vier „Hauptsätzen" zusammengefaßt wer- Institut für Soziologie den (5/41 f; 5/215-217): der Universität Hannover (1) Jeder praktizierte, wohlbeschreibbare Prozeß der Prof. Dr. Winfried Schlaffke Informationsverarbeitung könne technisch sicher Institut der deutschen Wirtschaft e. V. Köln realisiert werden.

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Dies bedeute, daß ein im Detail bekanntes Wissen, 2. Notwendigkeit von Schlüsselqualifikationen und wie ein Prozeß zu organisieren sei, die Vorausset- informationstechnischer Grundbildung zung darstelle, diesen Prozeß auch technisch si- cher realisieren zu können. Die vollständige Be- Der Begriff der Schlüsselqualifikationen umfaßt allge- schreibung eines Ablaufes garantiere die Umsetz- meine, fachübergreifende Bildungselemente, die dem barkeit in die Praxis. Das Rechnen und das Steu- Bereich der Allgemeinbildung zugerechnet werden ern seien hier als Beispiele zu nennen. können. Die informationstechnische Grundbildung (2) Jeder praktizierte, aber nur im Prinzip beschreib- hat den Umgang mit Computern zum Gegenstand. bare Prozeß der Informationsverarbeitung könne Prof. Dr. Schlaffke sieht in der Arbeitswelt einen all als Heuristik „akzeptabel" technisch abgewickelt -gemeinen Trend zu höheren Qualifikationen, der sich werden. auch in der Integra tion und Verzahnung bisher ge- Diejenigen Prozesse, die nicht vollständig und nur trennter Aufgabenbereiche ausdrücke. Entsprechend „im Prinzip" bekannt seien, können dennoch, würden Breitenqualifikationen und Vernetzungsfä- wenn auch nur „akzeptabel", in die Praxis umge- higkeit benötigt, die im Zusammenhang mit einer zu setzt werden. Insofern liege hier ein heuristisches nehmenden Flexibilität neue Gestaltungsfreiräume Verfahren vor, das zu brauchbaren, wenn auch eröffneten und damit die Mo tivation und Leistungsbe- nicht hundertprozentig richtigen Ergebnissen reitschaft ansteigen ließen (5/189). Die Mo tivation der führe. Als Beispiel sei hier der Schachcomputer zu Bürger zum lebenslangen Lernen steige mit dem nennen. Selbstbewußtsein und der Sicherheit, bestimmte Kenntnisse zu beherrschen. Es gelte die Formel: Lie- (3) Bei konstanter Leistung fielen die Kosten um ca. ber Weniges, dieses aber wirk lich sicher zu wissen 15 % pro Jahr, also in zehn Jahren auf ca. 20 %. (5/8). Die fallenden Kosten der technischen Informa- Die Bildungspolitik der Zukunft muß nach Auffassung tionsverarbeitung würden es ermöglichen, daß die von Prof. Dr. zur Lippe durch drei Grundsätze ge- Arbeitskosten stabil bleiben oder sogar steigen kennzeichnet sein: lebenslanges Lernen, innovatives könnten. Lernen und integra tives Lernen (5/31 f). Das innova- (4) Bei konstanter Leistung nehme das Volumen in- tive Lernen zeichne sich dadurch aus, daß es keine formationstechnischer Systeme um ca. 10 % pro extrapolative Fortsetzung des Expertenwissens und Jahr ab. der Expertensystematik mehr zulasse. Das integra tive Lernen habe das naturwüchsige Nebeneinander von Die ständige Verminderung der räumlichen Größe Disziplinen der europäischen Wissenschaftsge- von informationstechnischen Systemen erleich- schichte zu überwinden (5/33). Es sei auch zuneh- tere es dem Menschen, sich diesen Systemen im- mend undenkbar, eine Alterna tive zwischen be- mer mehr zu nähern. Damit werde die Informa- stimmten Fähigkeiten einerseits und einer Allgemein- tionsverarbeitungsleistung „unmittelbar in der bildung andererseits aufzustellen (5/34). Nachbarschaft des Menschen" verfügbar sein können. Die immer stärker geforderte Flexibilität und Anpas- sung verlange vielfach eine ausgeprägte Kreativität. Nach Ansicht von Prof. Dr. Negt, der die Studie von Kreativität, Gesundheit und Geselligkeit als drei Kern/Schumann „Das Ende der Arbeitsteilung?" Grundvermögen des Menschen bildeten die Einheit (Kern, Schumann 1986) anführt, gibt es durch die von Leben und Lernen. Die modernen Kulturen ver- neue Technik nicht nur Rationalisierungsgewinner, säumten aber g rundsätzlich,- den Übergang vom Teil- sondern auch Rationalisierungsverlierer. Daher wie- haben am Leben zu der Verantwortung für das Leben derhole sich „die gesellschaftliche Polarität jetzt noch zu stärken (5/207 f). Die Ausbildung dürfe nicht pri- einmal in der betrieblichen Realität" (5/172). Die Ent- mär auf bestehende Berufsbilder hinauslaufen, denn wicklung der Arbeitsinhalte, die Dequalifizierungs-, nur eine unmittelbar zwecklose Bildung setze tief ge- aber auch Requalifizierungstendenzen in sich berge, nug an, um Nutzen zu bewirken (5/209). spreche gegen eine Instrumentalisierung von Bil- dung, die zudem Momente von Kritikfähigkeit zer- Prof. Dr. Haefner stellt heraus, daß sich der Mensch störe (5/115). durch eine „psychische Mobilität mit Informa tions- technik " auszeichnen müsse — die menschliche Infor- Zusammenfassung von vorgetragenen mationsverarbeitungsleistung und die technische In- handlungsorientierten Vorschlägen der Experten: formationsverarbeitungsleistung seien aufeinander — Nach Meinung von Prof. Dr. Schlaffke werde das abzustimmen (5/44). Im Rahmen einer informa tions- „Ende der Arbeitsteilung" nun „tendenziell zu- technischen Grundbildung sei nicht der Mensch an nehmend mit Ausrufungszeichen versehen". Aus die Technik anzupassen, sondern er sei so zu qualifi- diesem Wandel der Produktionsstruktur fordert er zieren, daß er die Technik beherrsche (5/46). Durch „Breitenqualifikationen, Übersichtswissen, Ver- die Kompetenz zur Technikbeherrschung erfülle sich netzungsfähigkeit" als die „zentralen Bildungsfä- der alte Traum der Chancengleichheit. Gene tische higkeiten" (5/10 f). und milieubedingte Unterschiede könnten durch die „Krücke Informationstechnik" kompensiert werden — Prof. Dr. Negt fordert ein umfassendes Verständnis (5/47). Man sei „auf dem Wege von der alten Vision für Bildung in der Arbeitsgesellschaft: „Bildung als eines autonomen, nur auf sich selbst gestellten homo Bürgerrecht und nicht nur Bildung als Qualifika- sapiens ... zu einem psychisch mobilen homo sapiens tionsmöglichkeit. " (5/115) informaticus". Individuelle Bildung werde zuneh- Drucksache 11/5349 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode mend abgelöst durch informationstechnische Realisa- hängen. Die Bildung müsse die Fähigkeit erzeu- tion (5/52). Der homo sapiens informaticus sei aber gen, die Informationen verarbeiten zu können. kein technizistisch ausgestatteter Mensch, sondern er Das „zerfaserte Überblickswissen" sei lern- habe die Kompetenz, „unter Ausnutzung des Denk- schwach und belaste das Gedächtnis (5/117 f). zeuges wieder Ordnung ... in die ihm angebotenen Informationen zu bringen". Dies sei der eigentliche (2) Die Kompetenzen des Umgangs mit der bedrohten Bildungsauftrag (5/146). und gebrochenen Identität der Menschen, die wiederum in einer gesellschaftlichen Flexibilisie- Damit bezüglich der Informationsverarbeitungs- rung ihre Ursache habe. Flexibilität schaffe nicht kenntnisse keine Zweiklassengesellschaft entstehe, nur größere Freiheitsspielräume, sondern stoße müsse diese Herausforderung zur psychischen Mobi- Menschen auch häufiger aus ihren Lebenszusam- lität mit Informationsverarbeitungstechnik auf allen menhängen heraus (5/118 f) . Ebenen des Bildungswesens angenommen werden, beginnend mit der Erziehung der Kinder, die wie- (3) Die technologische Kompetenz, die nicht nur die derum bei der Qualifizierung der Eltern ihren Aus- technische Qualifikation, sondern auch das Wis- gangspunkt nehmen müsse (5/47f). Im Bereich der sen um die gesellschaftlichen Wirkungen von Ausbildung müßten mehr Fähigkeiten und weniger Technologien enthalte. Die Kenntnis sei zu ver- Fertigkeiten vermittelt werden, da letztere immer mitteln, daß „Technik ein gesellschaftliches Pro- schneller von informationstechnischen Systemen jekt" darstelle. Dabei sei es zu vermeiden, den „aufgesaugt" würden. Die Spezialisierung sei zugun- „antitechnischen Affekt" durchschlagen zu lassen sten einer Qualifizierung für das soziale System als (5/119f). „soziotechnisches System" zurückzudrängen. Es müsse auf ein Leben in einer „human computerisier- (4) Die ökologische Kompetenz des pfleglichen Um- ten Gesellschaft" vorbereitet werden (5/49f). gangs mit Menschen und Dingen, die ihre eigenen Gesetzmäßigkeiten hätten. Damit werde nicht nur Zur Bedeutung der von Prof. Dr. Haefner angeführten die Zerstörung der Umwelt angesprochen, die Informationstechnik, insbesondere zu deren ersten „noch ein relativ traditionelles Problem" darstelle „Hauptsatz" (siehe Abschnitt 1), merkt Prof. Dr. (5/120). Bei der Bewältigung der ökologischen Schlaffke an: „Was man technisch machen kann, muß Krise gehe es um die „Veränderung von Denkwei- noch nicht vernünftig sein". Auch sei die These von sen und kulturellen Verhaltensstilen ... und nicht Prof. Dr. Haefner falsch, daß Bildung ihre Monopol- nur um das genauere Wissen von den Gefähr- stellung verloren habe — ganz im Gegenteil: „Bildung dungsbereichen" (5/234). und Ausbildung gewinnen neu an Monopolstellung" (5/53 f). Prof. Dr. zur Lippe kritisiert die These von (5) Die Kompetenz der Wahrnehmungsfähigkeit für Prof. Dr. Haefner, daß die Informationstechnik die Recht und Unrecht, die Ausbildung einer Sensibi- psychische Mobilität erhöhe (5/146-148): „Ein sol- lität „gegenüber dem, was ungleich ist, was unge- cher Computer ist im strengen Sinne immer eine Pro- recht ist. " Das Rechtswissen der Menschen sei kei- these ... Dann ist doch die Frage erlaubt, wieso man neswegs schlechter geworden. Das Messen der eigentlich durch Prothesen die Mobilität erhöht" eigenen ReChte an der Realität stelle eine immer (5/168). Auch Prof. Dr. Negt ist skeptisch und bezeich- bedeutender werdende Kompetenz dar (5/121). net den psychisch mobilen homo sapiens als einen Menschen, „den ich nicht will ... Denn das ist der (6) Die geschichtliche Kompetenz des Umgangs mit potentielle Mitläufer ... , der im Grunde keine wirkli- der Zeit. Da die durch Arbeit geprägte Lebenszeit che kulturelle Stabilität ausbildet" (5/170f). immer geringer -werde, sei eine sinnvolle Ausein- Frau Dr. Köcher verweist auf den außerordentlichen andersetzung mit der immer größer werdenden Informationshunger der Bevölkerung, die aber zu- Freizeit nötig. Das beschleunigte technologische gleich eine auffallende Unfähigkeit zeige, das große Wachstum und die „Umwertung der Dinge" wür- Informationsangebot für sich selbst nutzbar zu ma- den eine derartige Kompetenz verlangen, die chen (5/124). Das Problem des Fernsehens bestehe „nicht bloßes Fortsetzungsverhalten der Arbeit", darin, „eine Informationsillusion zu kreieren, den Ein- sondern auch die Mußefähigkeit zum Inhalt habe druck, informiert zu sein, obwohl ganz klar gerade die (5/121). Information über das Fernsehen außerordentlich pro- Zusammenfassung von vorgetragenen blematisch ist" (5/125). Prof. Dr. Haefner sieht eben- handlungsorientierten Vorschlägen der Experten: falls das Problem eine Übersättigung an Informatio- nen, die mit einer relativ geringen Kompetenz des — Nach Ansicht von Prof. Dr. Schlaffke reiche wie in Umgangs mit diesen Informationen einhergehe. Das der Allgemeinbildung, so auch in der Berufsausbil- Konzept einer psychischen Mobilität mit Informa- dung ein „additiv aufgesetztes Wissen und Kön- tionstechnik könne aber helfen, eine derar tige Kom- nen" nicht aus, vielmehr sei ein integriertes Kon- petenz heranzubilden (5/145). zept gefragt, das Fachkenntnisse, fächerübergrei- Als Grundlage für eine mögliche Reform des Bil- fende Qualifikationen sowie personale und soziale dungssystems nennt Prof. Dr. Negt sechs gesellschaft- Tugenden enthalte (5/191). liche Schlüsselqualifikationen, durch die „eine Umde- finition des Lernbegriffs" erfolgen solle: — Prof. Dr. Haefner fordert die Implementierung des Konzeptes der psychischen Mobilität mit Informa- (1) Die Kompetenz der Verarbeitungsfähigkeit ein- tionstechnik, weil es erst durch „eine vernünftige zelner Kenntnisse zu orientierenden Zusammen Komplementarität menschlicher und technischer Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode Drucksache 11/5349

Informationsverarbeitung" Lösungsansätze geben der Weiterbildungsphase sei aber eine stärkere Aus- könne (5/61). einanderentwicklung zu beobachten, denn bei Frauen sinke das Fortbildungsinteresse weit früher als bei Männern (5/127 f). 3. Steigende Bedeutung der Weiterbildung Zusammenfassung von vorgetragenen handlungsorientierten Vorschlägen der Expertin Prof. Dr. Schlaffke führt aus, daß die Weiterbildung und des Experten: seit drei bis vier Jahren als ein zentrales Instrument angesehen werde, „den Strukturwandel sowohl im — Prof. Dr. Schlaffke fordert eine neue Konzeption in Materiellen ... als auch im Mental-Geistigen bewälti- der Weiterbildung, die künftig nicht mehr nur Füh- gen zu können" (5/14). Die Weiterbildung bedürfe rungskräfteausbildung sein könne, sondern auf ei- einer langfristigen Konzeption und könne nicht mehr ner breiteren Ebene anzusetzen sei. Das bedeute, als „Feuerwerk" zur Bekämpfung kurzfristiger Pro- „spezifische Konzepte für spezifische Gruppen" zu bleme herangezogen werden, denn dann werde es zu schaffen (5/15). einem „ganz erheblichen Brandschaden" kommen. — Frau Dr. Köcher führt als zentralen Klärungsbedarf Die Weiterbildung nehme im bildungspolitischen an, wie Weiterbildung „gerade bei Frauen lebens- Prioritätenkatalog der Unternehmen den ersten Platz langes Lernen ermöglichen und stimulieren" ein. Sie sei nicht nur eine Bringschuld der Unterneh- könne, so daß die hohe Rückkehrbereitschaft in men, sondern der einzelne müsse auch eigenverant- den Beruf nach einer Familienphase auch verwirk- wortlich für seine Leistungs- und Einsatzfähigkeit mit licht werden könne (5/129f). sorgen. Das Konzept der Weiterbildung müsse Theo- rie und Praxis miteinander verknüpfen; es sei deshalb von Vorteil, wenn sie in der Nähe des Arbeitsplatzes erfolge (5/193) und dual aufgebaut sei (5/16). Der Zu- 4. Wirtschaft und Gesellschaft im Wertewandel sammenhang von Aus- und Weiterbildung sei zu stär- ken; beide Bereiche müßten in einem integ rierten Die Wirtschaft wird nach Auffassung von Prof. Dr. Konzept aufeinander abgestimmt werden (5/192). Für durch ein höheres Komplexitätsniveau cha- die an- und ungelernten Mitarbeiterinnen und Mitar- Schlaffke rakterisiert sein, ebenso sei die ganze Gesellschaft beiter bedürfe es spezifischer Schulungsmaßnahmen durch diese Tendenz gekennzeichnet. Die im Werte- mit besonderer didaktischer Komponente, damit diese wandel zum Ausdruck kommende postmaterialisti- Gruppen den Anschluß an die technische Entwick- lung behalten könnten. Auch diene die Weiterbildung sche Bewegung dürfe nicht überbewertet werden, sie führe aber in vielen gesellschaftlichen Bereichen zu dem Abbau sozialisationsbedingter Abwehrhaltun- einer Neueinschätzung von Arbeit, Fami gen von Frauen, die diese gegenüber der Technik lie, Politik äußern würden (5/193). und Umwelt. Die postmaterielle Sicht einer aus- schließlichen Orientierung an Ideellem und an Frei- Prof. Dr. zur Lippe verweist auf die Notwendigkeit, zeit treffe nicht zu, vielmehr würde die Neueinschät- bereits in der Erstausbildung die „Keime" zu einer zung von Arbeit diese qualitativ aufwerten. Die Arbeit Weiterbildungsbereitschaft zu entwickeln (5/35). Hier verstehe sich mehr und mehr als eine Methode der müsse, und er verweist dabei auf den Philosophen Identitätsfindung und Selbstverwirklichung. Damit Gadamer, „alles Wissen durch die Phase des Fragens wachse auch eine neue Motivation und eine neue gehen" (5/210). Das lebenslange Lernen der einzel- Zufriedenheit in der Arbeitswelt heran (5/12). nen Menschen müsse sich im Rahmen einer lernen- - den Gesellschaft vollziehen, denn sonst führe es zu Prof. Dr. Negt verweist auf gegenwärtige Umbruch- einer bloßen Anpassung. Die „kulturellen Lebensfor- und Krisensituationen und forde rt daraus eine Erwei- men" in der Gesellschaft müssen von diesem Lernen terung der Deutungswissenschaften, denn sie seien in geprägt sein (5/213). der Lage, die hier auftretenden Orientierungsschwie- rigkeiten zu überwinden (5/113). Die Modernisierung Nach Ansicht von Prof. Dr. Haefner müsse ein modu- des Bildungssystems in der Bundesrepublik Deutsch- lares Weiterbildungssystem neben der technischen land sei aber nicht durch Krisenerscheinungen be- Organisation der informationellen Umwelt auch den stimmt gewesen, sondern im Gegenteil aus dem „Be- ganzen Bereich der Mo tivation inklusive des Affektiv dürfnis, aus einem gewissen Überfluß heraus das Bil- Musischen berücksichtigen. Der Mensch sei im Sinne dungs- und Ausbildungssystem zu reformieren" des homo politicus und des homo sapiens informaticus (5/112). zu qualifizieren, und es sei dafür Sorge zu tragen, daß die technische Organisation des Wissens transparent Nach Ansicht von Prof. Dr. zur Lippe könne der Wer- werde (5/50 f). tewandel „nicht als Ethik, als Moral, als Gesetz, also nicht unmittelbar normativ vollzogen werden. " Bil- Frau Dr. Köcher führt aus, daß das Weiterbildungsin- dung müsse ein „Bewußtsein dafür wecken, daß wir in teresse auf den ersten Blick recht groß erscheine, aber wesentlichen Ungewißheiten leben." Die neuen im einzelnen falle eine ganz enge Altersbindung auf. Werte müßten wachsen und Einfluß darauf haben, wie Nach dem 40. Lebensjahr nehme generell das Inter- die Menschen ihr Leben miteinander gestalten' esse an Weiterbildung stark ab. In geschlechtsspezifi- (5/211 f). scher Differenzierung ergäben sich weitere Auffällig- keiten: Die Gleichstellung der Geschlechter sei im Dr. Mikelskis stellt heraus, daß sich die derzeitige Ausbildungssystem bereits stark fortgeschritten, in Gesellschaft mitten in einem Paradigmenwechsel zu Drucksache 11/5349 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode befinden scheine, der alle wissenschaftlichen, weltan- 6. Ökologische Erfordernisse schaulichen und politischen Bereiche in umfassender Weise ergriffen habe. Er sei weder abgeschlossen, Dr. Mikelskis stellt fest, daß derzeit eine Umbruch noch sei sein Ausgang entschieden. Der Umbruch phase vom „verfestigten mechanis tischen Para- vom mechanistischen zum ökologischen Paradigma digma" hin zu einem „ökologischen Paradigma" vor- würde weitergehen. Das derzeitige Übergangssta- herrsche. Die Handlungsmöglichkeiten würden sich dium könne als durch Unsicherheit geprägte „Ex- entsprechend ändern. Es gelte nicht mehr: „Ich tue perimentiergesellschaft" gekennzeichnet werden etwas, um etwas zu bewirken", sondern angesagt sei (5/198 f). nun: „Ich tue etwas, und es wird sich sehr viel wan- deln, und ich muß auf diese komplexe Situation rea- Frau Dr. Köcher weist auf eine Veränderung in den gieren." (5/22) Einstellungen und in den Interessen der Bevölkerung hin, die auf ein deutlich geringeres Engagement am Die derzeitige ökologische Krise sei durch eine „Ent- öffentlichen Leben hindeuten würden. Der soziale sinnlichung und Entwirklichung" des Verhältnisses und insbesondere der politische Bereich seien hier zu zur Natur gefördert worden und fordere eine Wieder- nennen. Der Wertewandel drücke sich in einem „sehr herstellung der Einheit von Erkennen, Erleben und starken Rückzug auf den sehr kleinen Lebensbereich Handeln. Die bisherigen Bildungsinstitutionen hätten des Selbst und der Kleingruppe" aus (5/127). sich im wesentlichen auf die Herausbildung von öko- logischem Wissen beschränkt; bezüglich des Erlebens und des Handelns seien sie weitestgehend wirkungs- los gewesen. Diese Entwicklung gebe ein „Zeugnis von der Einseitigkeit heutiger Bildungsrealität" ab 5. Emanzipation und Solidarität im Spannungsfeld (5/23). Damit Bildung den ökologischen Erfordernissen ge- Frau Dr. Köcher sieht im modernen Zeitalter eine grö- recht werde, seien sieben Leitlinien heranzuziehen, ßere Veränderungsgeschwindigkeit, die die ganze die mit dem Streben nach der Einheit von Erleben, Gesellschaft umfasse. Die Flexibilität erfasse auch bis- Erkennen und Handeln im Zusammenhang stünden her stabile Zusammenschlüsse. So bleibe zum Beispiel (5/201f) : auch die Institution der Ehe von diesem Wandel nicht unberührt: jede dritte Ehe würde geschieden. Einer (1) Betroffenheit als innere Reaktion des Subjekts auf Frau, die sich aus welchen Gründen auch immer auf äußere Sachverhalte die Ehe verlasse, müsse daher gesagt werden, „daß das keine Lösung ist" (5/162). Es müsse mehr Verantwortung statt Gleichgültig- keit und mehr Nachdenklichkeit statt Schnellin- formationen geben. Die Abschwächung sozialer Milieus und Klassen be- wirke tendenziell eine Atomisierung der Gesellschaft, (2) Wiederbelebung der Sinne und Schulung der die durch die Emanzipa tion des Individuums von sei- Wahrnehmungsfähigkeit ner sozialen Umwelt verursacht werde. In einer Zeit der Ressourcenknappheit und von Verteilungskämp- Es seien konkrete sinnliche Naturerfahrungen zu fen steige der Solidaritätsbedarf, der aber von einer fördern und eine Anleitung zur Wahrnehmung der abnehmenden Solidaritätsbereitschaft der Menschen Welt, des Anderen, des Selbst zu geben. begleitet werde. Die derzeit zu beobachtende Orien- tierung an kleineren Lebensbereichen sei ein Aus- (3) Ausbildung von -Urteilskraft druck dieser Entwicklung (5/127). Die Wissensaneignung müsse zum Urteil weiter- geführt werden, die Wertfreiheitsideologie sei zu Auch nach Ansicht von Prof. Dr. Negt verbinden sich überwinden. mit steigender Flexibilität Vor- und Nachteile. Die moderne Gesellschaft erhöhe die Freiheit und die Ge- (4) Handeln lernen staltungsspielräume des Individuums. Damit verbun- Ziel sei eine aktive Persönlichkeits- und Kompe- den sei eine größere Zeitsouveränität. Die damit ver- tenzentwicklung und der Bezug auf die gesell- bundene Steigerung der Entscheidungsalternativen schaftliche Dimension von Bildung. könne aber auch einen Druck mit sich bringen, sich den schnell ändernden Verhältnissen anpassen zu (5) Ganzheitliche Zugänge zur Welt müssen: Die Menschen würden dann „aus ihren Le- benszusammenhängen herausgestoßen." Die Vertrei- Zentral sei das Denken in vernetzten, komplexen bung sei „ein Element unserer Gesellschaft" Systemen sowie die Betonung von Einheit und (5/118). Interdisziplinarität statt Parzellierung und Atomi- sierung. Dr. Mikelskis sieht dagegen in der Gewährung von (6) Heutige Situation in ihrer Geschichtlichkeit be- Freiräumen „eine Möglichkeit zur solidarischen Ge- greifen staltung ... und auch zur Emanzipation" , so daß Emanzipation und Solidarität in einen positiven Zu- Es müsse eine dynamische statt statische Weltauf- sammenhang gesetzt würden. Zur Erreichung dieses fassung vorherrschen; die heutige Situation sei in Zieles müßten „Freiräume in verschiedensten Bil- ihrem „Gewordensein" und „Gemachtsein" zu se- dungsbereichen" geschaffen werden (5/102). hen. Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode Drucksache 11/5349

(7) Phantasievolle Gestaltung der Zukunft ständige Nutzung der Informationstechnik als Denk- zeug" zu praktizieren und nicht nur theore tisch zu Ein kreativ-entdeckendes Lernen im Zusammen- behandeln (5/49). Seine These, daß der informa tions- hang mit Zukunftswerkstätten und Zukunftsuto- technologischen Dimension ein großer Stellenwert pien sei vordringlich. einzuräumen sei, wird angezweifelt. So hält es Dr. Zusammenfassung von vorgetragenen Mikelskis für völlig überzogen, der Informationstech- handlungsorientierten Vorschlägen des Experten: nologie eine Dominanz in der Bildungspolitik einzu- räumen (5/101). Dr. Mikelskis fordert, daß das Bildungswesen der „Entsinnlichung und der Entwirklichung" des Ver- hältnisses zur Natur entgegenwirken müsse. Die Wie- derherstellung der Einheit von Erkennen, Erleben 8. Übernahme von Verantwortung und Handeln sei eine zentrale Zukunftsperspektive von Bildung (5/23). Prof. Dr. Schlaffke stellt fest, daß „Bildung sowohl dem einzelnen wie auch der Gesellschaft verpflichtet" sei, und daß sie den einzelnen befähigen solle, „seine Persönlichkeit zu behaupten, aber auch der Gese ll 7. Ganzheitliche Bildung -schaft zu dienen" (5/186). Nach Ansicht von Abg. Prof. Weisskirchen gibt es in der durch einen Individuali- Für Dr. Mikelskis stehen die ökologischen Erforder- sierungsschub gekennzeichneten Gesellschaft einen nisse im engeren Zusammenhang mit einer ganzheit- wachsenden Solidaritätsbedarf (5/54). Auch hierfür lichen Bildung. Er sieht durch den Umbruch vom me- bedürfe es der Weckung gesellschaftspolitischer Ein- chanistischen zum ökologischen Paradigma eine Ab- sichten. lösung des in determinis tischen Kategorien verlaufen- merkt an, daß die Verantwortung den linear-kausalen Denkens durch einen globalen, Prof. Dr. zur Lippe im Handeln des Menschen aus seinem Erleben heraus evolutiven Ansatz. Die Kunst des Umgangs mit Unsi- kommen müsse und nicht auf normativem Wege in ihn cherheit und Komplexität als Kennzeichen der heuti- „hineingepflanzt" werden könne. Eine Gesellschaft, gen Zeit bestehe darin, „auf mehreren Ebenen gleich- die den alten Werten ihre Grundlage entzogen habe, zeitig zu denken, zu fühlen und zu handeln." Diese könne sich nicht einfach neue verordnen, sondern „Dreiheit" müsse durch ganzheitliche Bildung er- müsse neue Verantwortungsmöglichkeiten als neue reicht werden (5/23). Werte finden (5/35). Die immer stärker geforderte Fle- Ein ganzheitlicher Ansatz könne auch der Tendenz xibilität und Anpassung verlange vielfach eine ausge- entgegenwirken, daß Wissen und kognitive Fähigkei- prägte Kreativität. Kreativität, Gesundheit und Gesel- ten als zentrale Bestandteile des Abschluß- und Be- ligkeit als drei Grundvermögen des Menschen bilde- rechtigungswesens eine zu große Bedeutung erlang- ten die Einheit von Leben und Lernen. Die modernen ten und dadurch einige Bevölkerungsgruppen be- Kulturen versäumten aber grundsätzlich, den Über- nachteiligt würden (5/25 f). Bildung müsse mehr als gang vom Teilhaben am Leben zu der Verantwortung „Einwurzelung" verstanden werden in einer Einheit für das Leben zu stärken (5/207 f). Verantwortung von Erleben, Erkennen und Handeln (5/27). Zur Be- müsse dadurch ermutigt werden, daß sie Widerhall wältigung der vielschichtigen dynamischen Realität finde, daß auf Initiativen gehört und daß von den insti- bedürfe es weniger Vorschriften und mehr Freiheit in tutionell „Verantwortlichen" geantwortet werde allen Bereichen des Bildungswesens, denn alle Betrof- (5/212). fenen seien an diesem Entwicklungsprozeß zu beteili- Zusammenfassung von vorgetragenen gen (5/26). handlungsorientierten Vorschlägen des Experten: führt aus, daß die ganzheitliche Prof. Dr. Schlaffke Prof. Dr. zur Lippe fordert, daß zur Erlernung von Ver- Bildung auf breiten Grundqualifikationen aufbauen antwortung kleinere Gruppen auf längere Zeit an ei- müsse, um funktionale und extrafunktionale Fähig- nem Projekt mit gestaltenden Beiträgen beschäftigt keiten und Fertigkeiten verbinden und integ rieren zu werden sollten (5/210). können (5/191). Bildung müsse über fachliche Quali- fikationen hinaus auch gesellschaftspolitische Ein- sichten wecken (5/16). 9. Gleichstellung der Geschlechter Prof. Dr. zur Lippe weist darauf hin, daß Ganzheitlich- keit „alles andere als bequem und harmonistisch oder auch nur harmonisch sei" . Ganzheitlichkeit bedeute, Die Gleichstellung der Geschlechter und die Verein- „daß man durch die Widersprüche hindurch zu leben barkeit von Familie und Beruf werden nach Ansicht hat" . Das sei schwieriger und nicht bequemer (5/104). von Frau Dr. Köcher verstärkt zu einer gesellschaftli- Kognitive Fähigkeiten müßten mit sinnenhaften inte- chen Aufgabe. Dabei sei zu gewährleisten, daß der griert werden. Ferner setze nur eine unmittelbar Fortschritt, der sich in dieser Beziehung bereits im Bil- zwecklose, nutzlose Bildung tief genug an, um den dungssystem zeige, auch außerhalb davon fortgesetzt Komplexitätsanforderungen der modernen Gesell- werden könne (5/128). Die Mo tivation von Frauen, am schaft gerecht werden zu können (5/209). Bildungsprozeß teilzunehmen, sei auch in Abhängig- keit von den damit verbundenen Berufsaussichten zu Prof. Dr. Haefner fordert, ganzheitliche Überlegungen sehen. Die Gleichstellung der Geschlechter könne stärker ins Zentrum der Cur ricula zu rücken, „eine deshalb nicht isoliert im Bildungswesen und durch die

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Bildungspolitik verwirklicht werden, sondern sei um- Prof. Dr. Schlaffke sieht im Zusammenwirken von All fassend anzugehen. Eine besondere Aufgabe komme -gemeinbildung , beruflicher Erstausbildung und Wei- der Weiterbildung zu, damit im Anschluß an die Erzie- terbildung die Chance für Frauen, diese „zum Um- hungsphase der Kinder die Wiedereingliederung in gang mit neuen Techniken zu motivieren und sozia- das Berufsleben erleichtert werden könne (5/130f). lisationsbedingte Abwehrhaltungen abzubauen" (5/193). Nach Ansicht von Dr. Mikelskis werde die Internationale Untersuchungen zeigten, daß Familie „derzeitige Benachteiligung von Mädchen und und Beruf in der Bundesrepublik Deutschland we- Frauen sowie von Angehörigen unterprivilegierter sentlich stärker „auseinandergedacht" würden als in Bevölkerungsschichten" abgemildert, wenn „das anderen Ländern. So schwäche sich auch der Kontakt Wissen und der Kopf" als „zentrale Bestandteile ge- der Frauen zum Beruf während ihrer Familienphase rade des Abschluß- und Berechtigungswesens" durch stark ab mit der Folge größerer Schwierigkeiten bei die in der ganzheitlichen Auffassung geforderte Ein- der Rückkehr in ein Beschäftigungsverhältnis. Auch heit von Erleben, Erkennen und Handeln ergänzt die im internationalen Vergleich langen Ausbildungs- würde (5/24 f). zeiten würden tendenziell eine rela tive Schlechter- stellung der Frauen gegenüber den Männern bewir- ken, da die Familienphase hinausgeschoben werde und Frauen in höherem Alter größere Rückkehr- 10. Schaffung von Freiräumen schwierigkeiten in den Beruf vorfänden (5/130). Dr. Mikelskis sieht die Bewältigung der dynamischen Unterschiedlich sei das Interesse von Männern und Realität erst dann als möglich an, wenn „weniger Ge- Frauen für einzelne gesellschaftliche Bereiche. Die setze, Erlasse, Richtlinien und Vorschriften verordnet These, daß dieser Tatbestand sozialisationsbedingt werden" und „mehr Freiheit alle Bereiche des Bil- und damit durch Erziehung und gesellschaftliche Ein- dungswesens durchweht" (5/26). Die zu schaffenden flüsse bedingt sei, wird aber von der Expertin sehr Freiräume sollten den Betroffenen zur Verfügung ste- skeptisch beurteilt. Chancengleichheit dürfe nicht mit hen. Die Politik habe in diesem Zusammenhang die Gleichmacherei in Verbindung gesetzt werden. Aufgabe, Rahmendaten zu schaffen und für die so- Daran sei aber zu denken, wenn einige den Idealzu- ziale Absicherung von Gruppen zu sorgen, die durch stand der Gleichberechtigung erst dann erreicht se- das Wirtschafts- und Gesellschaftssystem benachtei- hen würden, wenn bei Männern und Frauen ein glei- ligt würden (5/102). Die Menschen sollten sich auf ches Interessenspektrum vorzufinden sei. Ein Bil- einen zielgerichteten Entwicklungsprozeß einlassen, dungssystem, das Männern und Frauen Rechnung an dem alle Betroffenen ernsthaft und ergebnisoffen trage, müsse dagegen „einerseits Chancengleichheit" zu beteiligen seien (5/203). schaffen, „andererseits aber auch unterschiedlichen Interessen Entfaltungschancen bieten" (5/128). In der Die Bildungsreform darf nach Ansicht von Prof. Dr. zur anschließenden Diskussion wird von Frau Prof. Dr. Lippe „keine institutionalisierte Reform" sein: „Man Gensior eingewandt, daß die Interessen der beiden darf nicht damit anfangen, daß man Regeln macht, Geschlechter zunächst gleich seien und erst durch die Gesetze erläßt, Prüfungsordnungen festlegt für Dinge, Berufsrealität geprägt würden (5/134). Frau Prof. Dr. von denen man noch gar nicht weiß, was sie werden Metz-Göckel argumentiert in gleicher Weise und sollen. " (5/36 f) Prof. Dr. Haefner erwägt die Einfüh- führt aus, daß die spezifischen Verwendungschancen rung von mehr Wettbewerb im Schulsystem, um Inno- für Frauen erst ihre Interessen bestimmen würden, so vationen zu fördern. Dabei sei auch an „eine gewisse daß diese Interessen schließlich doch sozialisationsbe- Teilprivatisierung des Schulbudgets" zu denken dingt seien und durch die Verwendungschancen „po- (5/49). Im übertragenen Sinne müsse von „Deregulie- sitiviert" würden (5/144). rung" gesprochen werden (5/64).

Kapitel 111.2.1.3

Expertenanhörung zum Thema „Strukturwandel in Arbeit und Beruf und sein Verhältnis zu Bildung und Ausbildung unter besonderer Berücksichtigung des Flexibilitätsaspektes" am 15. Februar 1989

Gliederung 2. Veränderung der Arbeitsorganisation — Ent- scheidendes Merkmal strukturellen Wandels A. Zu den Experten und zur Form der Auswertung B. Ziel des Expertengesprächs 3. Zur Zukunft des dualen Systems und der Fach- arbeit C. Auswertung 1. Zum Strukturwandel der Erwerbsarbeit a) Gymnasiale und Hochschul-Ausbildung ver- drängen duales System der Berufsbildung a) Gewachsene Prognose-Unsicherheit und (Prof. Dr. Lutz) Gestaltungsoffenheit b) Für ein „psychosoziales Morato rium" zum b) Mögliche Entwicklungsalternativen Erlernen von Gestaltungskompetenzen (Dr. c) Wandel der Tätigkeiten und Berufe Heidegger)

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c) Duales System und Facharbeiterberuf sind zentrierte, und an denen die Experten die bildungspo- im Kern nicht gefährdet (Dr. Schreiber) litischen Problem- und Handlungsaspekte des Struk- turwandels vor allem darlegten. d) Ausbildungskosten und Zukunft des dualen Systems 4. Schulabschlüsse — Qualifikationsstruktur — Schlüsselqualifikationen B. Ziel des Expertengesprächs a) Verschiebungen in der innerbetrieblichen Wie der Vorsitzende, Abg. Kuhlwein, in seinem Ein- Qualifikationsstruktur leitungsstatement hervorhob (15/3 ff), signalisiert der b) Schlüsselqualifikationen als Mittel zur Ent- Begriff „Strukturwandel" in Arbeit und Beruf, daß hierarchisierung und Steigerung der berufli- man grundlegende Entwicklungen feststellt, die über chen Flexibilität den Tag hinaus ihre Bedeutung haben, und zu denen 5. Gleichstellung der Geschlechter Politik, zumal Bildungspolitik, ein Verhältnis finden müsse. Unstrittig sei wohl, daß moderne Gesellschaf- 6. Praxisbezug im Studium — Bildungszeiten ten durch einen tiefgreifenden strukturellen Wandel „Betriebsverbundenes Studium" und Be- geprägt seien. Allerdings würden Meinungsunter- rufsakademien — privilegierte „Semi-Aka- schiede dann hervortreten, wenn der Strukturwandel demisierung" oder praxisnahes Studium? in einem umfassenden Begriff gekennzeichnet werde, wie zum Beispiel „postindust rielle Gesellschaft", b) Bildungszeiten — Probleme der Vergleich- „Dienstleistungsgesellschaft" , „Informations-", „Frei- barkeit zeit- " oder „Risiko-Gesellschaft" , weil mit diesen Be- 3. Berufliche Weiterbildung: Notwendigkeit — In- griffen oft nur eine Seite oder auch eine Posi tion inner- halte — Formen halb eines umfassenderen Phänomens bezeichnet werde. Viel schwieriger sei es dann noch, wenn man D. Zusammenfassung handlungsorientierter Vor- ohne dieses gemeinsame begriffliche Fundament von schläge der Sachverständigen einem Teilsystem, hier: Beschäftigung, auf ein ande- res Teilsystem, hier: Bildung, schließen bzw. das Wir- Anlage: Orientierungspunkte kungsverhältnis zwischen beiden zutreffend erfassen wollte, um bildungspolitische Schlußfolgerungen zie- hen zu können. A. Zu den Experten und zur Form der Auswertung Das Expertengespräch zielte vor allem auf drei Pro- blembereiche: An dem Expertengespräch nahmen teil: (1) Strukturwandel in Arbeit und Beruf bzw. im Be- Dr. Gerald Heidegger, Institut Technik und Bildung schäftigungssystem der Universität Bremen (2) Verhältnis von Bildungs- zu Beschäftigungssy- Prof. Dr. Burkart Lutz, Ins titut für Sozialwissenschaft- stem liche Forschung, München Dr. Hanns E. Schreiber, Generalbevollmächtigter Di- (3) Veränderungen im Bildungs- bzw. Ausbildungs- rektor der Hauptabteilung Personalführung und Bil- system und neue bildungspolitische Ziele und dungspolitik der Siemens AG, München Aufgaben. Dr. Helmut Schubert, Geschäftsführer des Deutschen - Handwerkskammertags, Bonn, mußte seine Teil- nahme kurzfristig absagen. Seine schriftliche Stel- Zu 1: lungnahme wurde bei der Auswertung berücksich- tigt. Hier geht es um die langfristigen „ Veränderungen in Arbeit und Beruf", zugespitzt in der Frage nach der Grundlage der Auswertung waren das unkorrigierte „Krise des Systems der Erwerbsarbeit", wie sie von stenographische Wortprotokoll des in der 15. Sitzung einer Reihe von Sozialwissenschaftlern behauptet der Enquete-Kommission geführten Expertenge- wird. Gesprochen wird hier von einer „Krise des Nor- sprächs sowie die schriftlichen Beiträge (Anlagen zum malarbeitsverhältnisses", von der „Flexibilisierung Wortprotokoll) der Sachverständigen. Wortprotokoll der Arbeit" , von „Regulierung-Deregulierung des Ar- (S. 1-84) und Anlagen (S. 85-115) sind fortlaufend beitsverhältnisses", von der „Entprofessionalisierung numeriert. Die schriftlichen Beiträge von Dr. Heideg- oder Reprofessionalisierung" der Arbeit. In den ger, Dr. Schreiber und Dr. Schube rt wurden eigens Orientierungspunkten ist eine Reihe von Faktoren für das Expertengespräch verfaßt, der schriftliche Bei- bzw. Indikatoren aufgeführt, anhand derer die mögli- trag von Prof. Dr. Lutz ( „Welche Qualifikationen brau- chen strukurellen Veränderungen über die hier ge- chen wir? Welche Qualifikationen können wir erzeu- nannten Schlagworte hinaus konkretisiert werden gen?") entstammt dem Band: Hesse, J.J./Rolff, H.-G./ können. Zöpel, Chr. (Hrsg.): Zukunftswissen und Bildungsper- spektiven, Baden-Baden, 1988. Hierzu gehören unter anderem: Die Auswertung wurde nicht nach den den Experten — die Entwicklung des Arbeitsmarktes mit der Frage zur Vorbereitung zugesandten Orientierungspunkten nach dem Verhältnis von Erwerbstätigen zu Er- (siehe Anlage), sondern nach den Schwerpunkten ge- werbslosen (Stichwort: Zweidrittel-Gesellschaft) gliedert, auf die sich die Diskussion wesentlich kon nach der Struktur des Erwerbspersonenpotentials

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und des Wandels der Qualifikationsanforderun- Zu 3: gen;

— das Verhältnis von „ Mensch und Technik" am Ar- Der dritte größere Problembereich bet rifft die Frage beitsplatz sowie im Bildungs- und Freizeitbereich; nach den möglichen inhaltlichen und methodischen darin eingeschlossen die Frage, ob tatsächlich die sowie institutionellen Veränderungen im Bildungsbe- selbständige Persönlichkeit oder aber der „ma- reich und seinem Zusammenwirken mit anderen Poli- schinelle Charakter" Zukunft hat; tikfeldern, hier vor allem der Arbeits- und der Be- schäftigungspolitik, aber auch der Technologie- und — Wandlungen im „ Verhältnis der Geschlechter" zu- einer Reihe anderer „Strukturpolitiken". Welche so- einander; mit der Frage nach dem Fortbestand der zialen, persönlichen und sachinhaltlichen Lernziele „männlichen Hegemonie" in Arbeit und Beruf, die sollen vor allem verfolgt werden, welche Lernmetho- zumindest im Bildungswesen schon kräftig im Zer- den werden hierfür favorisiert, und welche grundle- fall begriffen ist; genden institutionellen Änderungen müßten gegebe- nenfalls erfolgen, um seitens des Bildungs- und Aus- — veränderte „ Einstellungen zu Arbeit und Beruf" mit der Frage danach, ob das Beschäftigungssy- bildungssystems den künftigen strukturellen Heraus- stem hinreichend Anknüpfungspunkte für gestie- forderungen vor allem im Bereich Arbeit und Beruf gene Ansprüche der Betroffenen auf Sinnhaftig- gewachsen zu sein? keit, Mitverantwortung und Umweltverträglich- keit ihrer Tätigkeit gibt; — Wandlungen des sogenannten Normalarbeitsver- hältnisses, der Normalberufsbiographie (S tich- C. Auswertung

wort : „ Flexibilisierung des Arbeitsverhältnisses"); mit der Frage danach, ob sich hier Annäherungen bzw. Überschneidungen zwischen einem betrieb- 1. Zum Strukturwandel der Erwerbsarbeit lichen Interesse an Flexibilisierung des Arbeitsver- hältnisses und einem Arbeitnehmerinteresse an partizipativer Arbeitsgestaltung abzeichnen. a) Gewachsene Prognose-Unsicherheit und Die Liste dieser Merkmale und Fragen zum Struktur- Gestaltungsoffenheit wandel des Beschäftigungssystems ließe sich fortset- zen. Da es immer ein ganzer Komplex von Faktoren Die Sachverständigen Prof. Dr. Lutz und Dr. Heideg- ist, der strukturelle Wandlungen schließlich bewirkt, ger betonen eine gewachsene Prognoseunsicherheit kam es hier weniger auf deren vollständige Erörte- bezüglich des künftig zu erwartenden Strukturwan- rung, als vielmehr auf deren begründete Gewichtung dels in Arbeit und Beruf. Der Modernisierungsprozeß an. Die erste Frage lautet also: Welche Faktoren in- der Nachkriegsgesellschaft in den fünfziger und sech- nerhalb des Strukturwandels stellen vor allen anderen ziger Jahren verlief für die Sozialwissenschaftler da- besondere Herausforderungen an das Bildungssystem mals, so Prof Dr. Lutz, noch unter der Annahme eines dar? relativ sicheren Zusammenhangs zwischen Prognose, Planung und Politik (15/102). Heute sei die Prämisse einer kontinuierlichen industriegesellschaftlichen Re- Zu 2: produktion und Entwicklung sowie damit einherge- hender — sich zwar wandelnder, aber deutlich be- Der zweite größere Problembereich betrifft das Ver- stimmbarer — Qualifikationserfordernisse in Frage hältnis zwischen Bildungs- und Beschäftigungssy- gestellt (15/103). So könne heute beispielsweise der stem. Dabei geht es vor allem um Antworten auf die häufig vertretenen These von der zunehmenden Ent- Frage nach den Konsequenzen vorausgegangener, beruflichung der Arbeit (Flexibilität, Mobilität, le- vor allem bildungsökonomischer, aber zum Beispiel benslanges Lernen) die These von der Reprofessiona- auch arbeitsmarktpolitischer Bemühungen um eine lisierung der Arbeit gegenübergestellt werden (erwei- bessere quantitative und qualitative Anpassung zwi- terte Fachkompetenz, partielle Autonomie), ohne daß schen beiden Systemen. Vor allem in den siebziger zureichende Anhaltspunkte für das Eintreffen der ei- Jahren gab es aus dem Blickwinkel des Beschäfti- nen oder anderen Entwicklungs richtung vorhanden gungssystems Kontroversen zur These einer Über-, seien. Es gebe statt dessen „divergierende Verände- Unter- oder Fehlqualifizierung und Auseinanderset- rungsimpulse" (15/103). Allerdings deuten für Prof. zungen um die Polarisierungsthese. Heute scheint Dr. Lutz die Veränderungen in den Arbeitsstrukturen sich dagegen erneut die Einsicht von einer gewissen auf einen „tiefgreifenden Bruch mit dem (...), was Selbständigkeit des Bildungswesens durchzusetzen, jahrzehntelang als quasi naturgesetzliche Logik indu- wenn man wieder auf Leitartikel-Themen wie dem strieller Entwicklung verstanden wurde" (15/104). folgenden stößt: „Zuviel Bildung gibt es nicht". Die Prof. Dr. Lutz (15/9f) und Dr. Heidegger (15/13) beto- Frage stellt sich, wie die vielfach wiederentdeckte re- nen angesichts der Prognoseunsicherheiten und der lative Autonomie des Bildungssektors einzuschätzen Unterschiedlichkeit der möglichen Entwicklungsver- ist, und welche Folgerungen sich daraus ergeben, läufe in Arbeit und Beruf die Offenheit der zukünfti- wenn einerseits nicht nur an die ökonomisch be- gen Entwicklung sowie die bedeutsame und relativ stimmten Qualifikationsanforderungen angepaßt eigenständige Rolle der Bildungspolitik bei der Ge- werden soll und kann, andererseits aber auf eine rea- staltung des Strukturwandels. Prof. Dr. Lutz hebt hier- listische „zukunftsträchtige" Bildung und Ausbildung für ausdrücklich die „Schlüsselrolle des Bildungssy- nicht verzichtet werden darf. stems" hervor (15/106).

Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode Drucksache 11/5349 b) Mögliche Entwicklungsalternativen Handwerks ist insgesamt eine Geschichte von aus- sterbenden und neuentstehenden Berufen” (15/109)), Dr. Heidegger und Prof. Dr. Lutz sehen mehrere Ent- aber keinen „Strukturwandel des Systems der Er- wicklungsalternativen, die das System der Erwerbsar- werbsarbeit" , der sich zum Beispiel auch in einer an- beit in Verbindung mit der technischen Entwicklung deren Einstellung zu Arbeit und Beruf manifestieren nehmen könnte. Für Dr. Heidegger geht es (in Anleh- müßte. So hätten etwa die Verkürzung der Arbeitszeit nung an Brödner 1986) in der „Fabrik 2000" um die und die Ausdehnung der Freizeit eher noch zu einer beiden vor allem für die Berufsbildung bedeutsamen Ausdehnung des handwerklichen Bereichs (bis in den Varianten „technikzentrierter oder menschenorien- Bereich Schattenwirtschaft hinein) geführt, nicht aber tierter Pfad": „Technikzentrierung" impliziere das eine andere Einstellung zu Arbeit und Beruf mit sich Konzept der Anpassung von Qualifikationen an tech- gebracht. Auch in den veränderten Inhalten der neu- nische Veränderungen; „menschenorientierte Ent- geordneten Elektro- und Metallberufe komme keine wicklung" rücke die Frage nach den Subjekten der neue Arbeitseinstellung zum Ausdruck. Gleichwohl Gestaltung und deren Fähigkeiten in den Mittelpunkt sei nicht zu verkennen, daß es neben Berufen mit (15/92 f). erheblichen inhaltlichen Veränderungen eine Reihe von Berufen mit einer „Erweiterung der Produktions- Prof. Dr. Lutz unterscheidet, orientiert an dem weite- breite” (zum Beispiel im Nahrungsmittelbereich) oder ren Technikeinsatz in der Produktion, drei mögliche auch mit höheren theoretischen Anforderungen (zum Entwicklungslinien: (1) Die weitere Zerlegung des Beispiel im Gesundheitsbereich) gebe, die insgesamt Produktionsprozesses mit tendenzieller Dequalifizie- und zugleich sehr differenzie rt Ansprüche an das Aus- rung der Beschäftigten („rechnergestützter Taylor"); bildungssystem stellten (15/109f). So müßten bei- (2) die Produktion in teilautonomen kleinen Einheiten spielsweise im Handwerk gleichzei tig traditionelle innerhalb des Großbetriebs, mit höherer Qualifikation und modernste Technologiekenntnisse vermittelt und Motivation der Beschäftigten, abgeflachter Hier- werden (15/110). archie, hoher Innovationskraft, Flexibilität und Effi- zienz ( „rechnergestützter Helpach"); (3) den wesent- lich durch eine Zwei-Klassen-Gesellschaft geprägten Produktionsprozeß, bei dem eine Klasse als hochqua- 2. Veränderung der Arbeitsorganisation — lifizierte Elite („Alphas") herangebildet wird, die die entscheidendes Merkmal strukturellen Wandels anspruchsvollen, dispositiven Aufgaben in der Werk- statt wahrnimmt, und bei dem eine andere Klasse als Einhellig wird die Veränderung der Arbeitsorganisa- wenig qualifizierte Mehrheit („Epsilons") ohne Auf- tion im Zusammenhang mit der Technologieentwick- stiegschancen zurückbleibt, die die ausführenden lung als entscheidender Dreh- und Angelpunkt für die Aufgaben übernimmt ( „rechnergestützter Huxley") künftige Richtung des Strukturwandels in der Er- (15/7 ff). werbsarbeit eingeschätzt, auch wenn bestimmte Be- rufsbereiche (Friseur/in, Verkäufer/in und andere) von dieser Entwicklung ausgenommen seien. Unter- c) Wandel der Tätigkeiten und Berufe schiedliche Auffassungen bestehen bei den Sachver- ständigen hinsichtlich der Anstöße zur Entwicklung Die Sachverständigen Dr. Schreiber und Dr. Schubert neuer Formen der Arbeitsorganisation und dement- gehen weniger von „brüchig gewordenen Großtheo- sprechend auch in Bezug auf das Gewicht, das sie gegebenenfalls den hierzu erforderlichen zusätzli- rien” (Prof. Dr. Lutz) über den Strukturwandel des chen arbeits- und bildungspolitischen Maßnahmen Systems der Erwerbsarbeit aus, als vielmehr von be- stimmten, aus ihrem jeweiligen Erfahrungshinter- zuerkennen. grund (Industrie bzw. Handwerk) begründeten empi- Zwar sei es falsch, so Prof. Dr. Lutz, die neuen arbeits- rischen Phänomenen. Dementsprechend konzentrie- organisatorischen Konzepte mit ihrer partiellen Rück- ren sie sich in ihrer Argumentation auch unmittelbar nahme von Arbeitsteilung, einem höheren Grad an auf Tätigkeits- und Qualifikationsveränderungen in Autonomie für qualifizierte Arbeitskräfte sowie ab- den von ihnen vertretenen Bereichen und nicht so nehmender Bedeutung hierarchisch-bürokratischer sehr auf die Perspektive der gesellschaftlichen Teilsy- Kontrollstrukturen „als unmittelbare Folge des Einsat- steme Bildung und Beschäftigung bzw. deren Ver- zes neuer Techniken" zu sehen, doch komme es am hältnis zueinander. ehesten im Zusammenhang mit produkt- oder ferti- Für Dr. Schreiber befinden wir uns „in einer Phase gungstechnischen Innovationen zu entsprechenden tiefgreifender Veränderungen in Produktion, Verwal- arbeitsorganisatorischen Rearrangements (15/104 f). tung und Service, die sich auf die Berufstätigkeiten Offen sei allerdings, wie weit sich diese neuen Formen auswirken" (15/97), und die häufig durch die Mikro- von Arbeitsorganisation, Qualifikation und Beschäfti- elektronik ausgelöst seien. Zu konstatieren seien ins- gungsstrukturen von der Mikroebene einzelner Be- besondere: Die Automatisierung von Standardtätig- triebe auf die Makroebene ganzer Volkswirtschaften keiten, die Verschiebung des Arbeitsvolumens vom projizieren ließen (15/105). Im günstigsten Falle Bereich der Produktion zum Dienstleistungsbereich, „würde (sich) wohl erstmals in der Geschichte zivili- kürzere Innovationszyklen, Globalisierung der sierter Nationen ein realis tischer Weg eröffnen, um Märkte und veränderte Arbeitsorganisation (15/97). den Widerspruch zwischen den grundlegenden Wer- ten demokratisch verfaßter Gesellschaften und den Dr. Schubert sieht aus der Sicht des Handwerks zwar Konstituanten ihres Beschäftigungssystems aufzulö- einen Prozeß ständigen Wandels ( „Die Geschichte des sen." (15/105)

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In eine ähnliche Richtung argumentiert Dr. Heideg- Unterschiedliche Auffassungen bestehen in der Ein- ger aus bildungspolitischen bzw. berufspädagogi- schätzung des dualen Systems bezüglich eines zu er- schen Erwägungen. Er wendet sich gegen das seiner wartenden Verlustes an Attraktivität im Vergleich zu Ansicht nach traditionelle Verfahren der Ableitung einer akademischen Ausbildung (Prof. Dr. Lutz). Au- von Qualifikationsanforderungen aus jewei ligen Ver- ßerdem unterscheidet sich die Einschätzung des dua- änderungen der Technologie. Danach gebe es erstens len Systems aus berufspädagogischer Sicht (Dr. Hei- eine neue Produktionstechnik, der zweitens eine ver- degger) gegenüber denjenigen Auffassungen, die änderte Arbeitsorganisation folge, woraus dann drit- eher aus der Perspektive des künftigen Qualifika- tens eine andere Qualifikationsstruktur abgeleitet tionsbedarfs für Industrie und Handwerk entwickelt werde. Diesem — von ihm so bezeichneten — „tech- werden (Dr. Schreiber, Dr. Schubert). Entsprechend nik-deterministischen Anpassungsansatz" in der Be- dieser unterschiedlichen Sichtweisen diffe riert auch rufsbildung gelte es, einen „Gestaltungsansatz" ent- die Reichweite von Ergänzungs-, Korrektur- und Al- gegenzusetzen, der die allseits konstatierte Offenheit ternativvorschlägen zum dualen System der berufli- der Zukunftsentwicklung bildungspolitisch aktiv auf- chen Bildung. greift und das Ziel der Befähigung zu einer partizipa- tiven Arbeitsgestaltung in den Mittelpunkt stellt: „Eine gebildete Gesellschaft würde auf andere Ar- Prof. Dr. Lutz verweist auf die seiner Ansicht nach beitsformen drängen, und diese anderen Arbeitsfor- bestehende und für die weitere freiheitliche, demo- men könnten dann auch andere Produktionstechni- kratische und rechtsstaatliche Entwicklung höchst be- ken zur Folge haben, und zwar gerade angesichts der deutsame Koexistenz von zwei Wegen der beruflichen neuen Informations- und Kommunikationstechni- Erstausbildung in der Bundesrepublik (15/9 ff) . Nur ken." (15/13) hier würden zwei ähnlich anspruchsvolle Berufswege — Facharbeiter und Ingenieur — nebeneinander aus- Für Dr. Schreiber ist der Prozeß wachsender Ermes- gebildet, obwohl beide mit unterschiedlichen Chan- sensspielräume am Arbeitsplatz im Zuge veränderter cen bzw. Privilegien (Status, Einkommen, Aufstiegs- Arbeitsorganisation bereits jetzt zwingendes Erfor- möglichkeiten, Arbeitsbedingungen) ausgestattet dernis, auch aus unternehmerischer Sicht, und zwar seien. Für die Zukunft sieht Prof. Dr. Lutz die Koexi- für Ingenieure wie für Facharbeiter. Er verweist dar- stenz dieser beiden Wege beruflicher Erstausbildung auf, „daß der Verantwortungsspielraum eines Fachar- in hohem Maße gefährdet. Schon in den letzten Jah- beiters in diesen Fertigungsinseln, in diesen automa- ren sei die Attraktivität des dualen Systems zurückge- tisierten, aber doch integrierten Teilen der Fertigung gangen, eine Entwicklung, die nur wegen der hohen immer größer wird und zu viel größerer Selbständig- Bewerberzahlen aus den geburtenstarken Jahrgän- keit, auch Entscheidungsfreiheit führt. " (15/28 f) Für gen nicht offenkundig geworden sei. Für die neunzi- ihn sind Anpassungs- und Gestaltungsansatz insofern ger Jahre befürchtet Prof. Dr. Lutz eine Abwendung keine Alternativen oder Gegensätze, weil „der Struk- derjenigen befähigten Jugendlichen, die bislang turwandel, die Veränderungen in der Arbeitsorgani- Facharbeiterberufe ergriffen hätten und nun attrakti- sation bereits von sich aus den größeren Gestaltungs- vere akademische Berufe über ein Studium zu errei- spielraum erfordern." (15/80) Auch aus seiner Sicht chen trachten würden. Das abnehmende Interesse an sind Formen flexibler und kurzlebiger Arbeitsorgani- der Ausbildung im dualen System treffe zuerst die sation mit flachen Hierarchien und integ rierten Ar- Berufsfelder und Branchen mit schlechten Berufs- beitsaufgaben nicht nur als Folge neuer Technologien chancen und Arbeitsbedingungen sowie geringen di- zu sehen, sondern auch als Resultat veränderter An- daktischen Qualitäten. So sei in der Gesamtheit der forderungen eines immer globaler und internationaler Bauberufe die Zahl der neu abgeschlossenen Ausbil- werdenden Marktes, der rasches Reagieren auf Kun- dungsverträge innerhalb der letzten drei Jahre bereits denforderungen verlange (15/100). In ähnlichem um 50 % gesunken (15/63). Sinne argumentiert auch Prof. Dr. Lutz, der an die ver- änderten wirtschaftlichen Bedingungen auf den Ab- satz- und Versorgungsmärkten erinnert, die starke Das Fazit von Prof. Dr. Lutz lautet: Das duale System „Turbulenzen" aufwiesen. Demnach lägen Arbeits- mit seiner Facharbeiterausbildung sei hervorragend organisationsformen mit höherer Verantwortung geeignet aus Sicht der Beschäftiger, es würde — ohne und Qualifikation auch im ökonomischen Interesse politische Gegensteuerung — allerdings zunehmend (15/104). unattraktiv aus der Sicht der Jugendlichen (15/46). Bei gleichen Qualifikationsvoraussetzungen sei der Inge- nieurberuf einfach attraktiver als der Beruf des Fach- arbeiters. Das duale System stelle keine dauerhafte 3. Zur Zukunft des dualen Systems und der Konkurrenz im Vergleich zu höheren Ausbildungs- Facharbeit gängen dar (15/47), eine Entwicklung, die durch die Differenzierung in der Besoldungsstruktur des öffent- a) Gymnasiale und Hochschul-Ausbildung verdrän- lichen Dienstes noch gefördert werde. Zudem sei zu gen duales System der Berufsbildung (Prof. Dr. erwarten, daß durch den Seiteneinstieg von Ingenieu- Lutz) ren die Aufstiegschancen von Facharbeitern zuneh- mend blockiert würden (15/51). Nach Prof. Dr. Lutz Einhellig betonen die Sachverständigen die Bedeu- führt diese Entwicklung insgesamt zu einer Situa tion tung des dualen Systems der beruflichen Bildung und ähnlich der in Frankreich, bei der nur noch die am der Facharbeiterberufe im Hinblick auf die künftige wenigsten schulisch Qualifizierten in eine Facharbei- wirtschaftliche und gesellschaftliche Entwicklung. ter-Ausbildung einträten (15/52).

Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode Drucksache 11/5349 b) Für ein „psychosoziales Morato rium" zum d) Ausbildungskosten und Zukunft des dualen Erlernen von Gestaltungskompetenzen (Dr. Systems Heidegger) Eingehend diskutiert wird die Frage, ob und mit wel- Auch Dr. Heidegger sieht für die Zukunft die Gefahr chem Gewicht die Ausbildungskosten das duale Sy- der Spaltung der Belegschaften in höherqualifizierte stem in den neunziger Jahren dadurch gefährden „Semi-Akademiker" bzw. Produktionsingenieure, die könnten, daß für mehr und mehr Bet riebe diese Auf- die anspruchsvollen Produktionsaufgaben überneh- wendungen nicht mehr finanzierbar bzw. gegenüber men, und Facharbeiter, die mehr und mehr zu einer verschiedenen betrieblichen Interessengruppen bis Randbelegschaft werden könnten (15/14). Im übrigen hin zu den Aktionären nicht mehr legitimierbar seien relativiert Dr. Heidegger die pessimistische Prognose (Prof. Dr. Lutz, 15/11). Dr. Schreiber veranschlagt die von Prof. Dr. Lutz im Hinblick auf einen möglichen betrieblichen Nettokosten der Ausbildung pro Auszu- Bedeutungsverlust des dualen Systems. Für ihn si- bildendem auf etwa 80 000 DM (15/34), die sich aus chert die duale Ausbildung — von Ausnahmen in neu- Ausbildungsvergütungen, Ausbilder- und Sachko- geordneten Berufen bzw. der Ausbildung in manchen sten abzüglich des produktiven Beitrags des Auszubil- Großbetrieben abgesehen — bereits gegenwärtig denden zusammensetzten (15/44). Er sieht vor allem nicht die Zukunftschancen für die Jugendlichen in aufgrund der tariflichen Entwicklung zwar eine finan- Ausbildung und Beruf, da sie eher auf Anpassung an zielle Grenze der bet rieblichen Ausbildungsfähigkeit, die betrieblichen Qualifikationserfordernisse als auf stellt jedoch zugleich fest: „Unsere Überzeugung von die Entwicklung von Gestaltungskompetenzen bei der Überlegenheit des dualen Ausbildungssystems ist Jugendlichen orientiert sei (15/41). Das duale System so groß, daß wir alles tun werden, um aus unserer biete kein „psycho-soziales Morato rium", in dem die Sicht das duale System aufrechtzuerhalten." (15/35) Jugendlichen diese Kompetenz erst lernen könnten (15/43). Hierzu bedürfe es vielmehr eines neugestal- Dr. Heidegger verweist darauf, daß die Höhe der Aus- teten Systems offener Berufsbildung mit einer besse- bildungskosten stark von dem Anteil der mit einge- ren Integration von Erstausbildung und Weiterbil- rechneten „overhead — Kosten" abhinge und daß es dung (15/16f). Im übrigen konzentriere sich die Dis- aufgrund des produktiven Einsatzes der Auszubilden- kussion zu stark auf den industriellen Bereich und den auch eine Reihe von Ausbildungen vor allem im nehme die hohen und zum Teil wachsenden Fachar- Handwerk gebe, in denen Nettoerträge erwirtschaftet beiter-Anteile im Handwerks- und Dienstleistungsbe- würden (15/43). Nach seiner Auffassung hätten im reich mit zum Teil attraktiven Qualifikationsanforde- übrigen die Betriebe die primäre Verantwortung für rungen (zum Beispiel den Einsatz von Mikroelek- die Ausbildungsfinanzierung. Grundsätzlich sei aber tronik bei der Heizungstechnik) nicht richtig wahr die Ausbildung nicht an Rentabilitätskriterien, son- (15/72). Dr. Heidegger erwartet außerdem künftig dem an gesellschaftlichen Zielen zu orientieren eher eine Absenkung der Gehälter von Ingenieuren (15/44). und damit einen Angleichung an den Facharbeiter- Für Prof. Dr. Lutz liegen die veranschlagten 80 000 lohn. DM Kosten pro Auszubildenden eher noch im unteren Bereich des Kostenspektrums, das nach den Untersu- chungen der „Edding-Kommission" von 1974 eine ex- c) Duales System und Facharbeiterberuf sind im treme Differenzierung aufweise. Gleichwohl sieht er in der Finanzierungsfrage zwar ein wich tiges, aber Kern nicht gefährdet (Dr. Schreiber) nicht das zentrale Problem für die Zukunft des dualen Systems und der Facharbeit (15/45). Auch Dr. Schreiber sieht die künftige Entwicklung des dualen Systems und des Facharbeiterberufs nicht so kritisch wie Prof. Dr. Lutz und verweist darauf, daß die . Einstellungschancen für Jugendliche mit einer 4. Schulabschlüsse — Qualifikationsstruktur — Ausbildung im dualen System auch künftig höher Schlüsselqualifikationen seien als für Jugendliche ohne Ausbildung (15/80). Als Vorteile des dualen Systems, zum Beispiel gegen- über einer nur-schulischen Ausbildung nennt Dr. a) Verschiebungen in der innerbetrieblichen Qualifikationsstruktur Schreiber die Ermöglichung betriebspraktischer Er- fahrungen und den Erwerb von Fachqualifikationen, Kenntnis und Umgang mit neuen, zum Teil sehr ko- Die Sachverständigen registrieren einhellig ein stei- stenintensiven Technologien sowie Erfahrungen im gendes Niveau bei allgemeinbildenden und berufli- Betrieb als sozialer Lernort. chen Abschlüssen, äußern hierzu aber unterschiedli- che berufsbildungspolitische Einschätzungen. Am Die Entlohnung von Facharbeitern und Ingenieuren Beispiel eines Großbetriebs zeigt Dr. Schreiber auf, würde sich im übrigen tendenziell angleichen, und daß durch eine beschleunigte technisch-ökonomische die Aufstiegschancen für Facharbeiter seien beträcht- Entwicklung, die sich zum Beispiel in immer schnelle- lich. Dr. Schreiber hebt außerdem hervor, daß Länder ren Produktinnovationszyklen niederschlage, die mit einer Ausbildung im dualen System die geringste Qualifikationsanforderungen an die Mitarbeiter ge- Jugendarbeitslosigkeit aufwiesen. Er plädiert demzu- stiegen seien (15/19f). Zwar sei die Gesamtzahl der folge für den Einsatz von EG-Mitteln, um die Etablie- Mitarbeiter bei der Siemens AG in den letzten 15 Jah- rung des dualen Systems in anderen EG-Mitgliedstaa- ren konstant geblieben, doch hätten sich gravierende ten zu forcieren. Verschiebungen in der Qualifikationsstruktur zugun-

Drucksache 11/5349 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode sten der Hochschulabsolventen ergeben. So habe sich ingenieure), die höherwertige Tätigkeiten verrichten, der Anteil der Hochschulabsolventen von 1973 bis und Facharbeiter, die weniger qualifizierte Tätigkei- 1988 von 11 auf 22 % verdoppelt, die Zahl der Fach- ten verrichten, entgegenzuwirken (15/14). Im Mittel- arbeiter (ca. 20 %) sei konstant geblieben, der Anteil punkt steht dabei für ihn die persönliche Fähigkeit zur der Un- und Angelernten habe sich von 40 auf 24 % Gestaltung des Arbeitsprozesses, die man dem bisher fast halbiert (15/22). Zudem sei über die Hälfte derje- üblichen Anpassungsansatz in der beruflichen Bil- nigen, die als Facharbeiter begonnen hätten, über dung entgegenstellen müsse. Erste Ansätze einer sol- Weiterqualifizierung in den Bereich der Angestellten chen Persönlichkeitsbildung gebe es in den neuge- übergewechselt. Die Angelernten bekämen über Be- ordneten Metall- und Elektroberufen. Zu den Schlüs- gleitkurse Teilqualifikationen vermittelt und erhielten selkompetenzen im einzelnen seien zu zählen: Ab- die Chance, sich in zwei- bzw. dreieinhalbjährigen straktions- und Handlungsfähigkeit, Kenntnisse, Begleitkursen zu Facharbeitern ausbilden zu lassen. Kreativität und Phantasie, aber auch soziale Fähigkei- ten wie Autonomie, Solidarität, Kommunikations- so- Dr. Schreiber stellt weiter fest, daß der Anteil der wie Kritikfähigkeit. „All dies zusammengenommen Hauptschüler in den Meta ll- und Elektroberufen stän- könnte dazu führen, daß die soziale Gestaltung von dig rückläufig sei, und daß der Bedarf an Hauptschü- Arbeit und Technik am Arbeitsplatz eine Leitidee der lern in den Metallberufen an manchen Standorten beruflichen Bildung selbst werden könnte." (15/15) nicht mehr gedeckt werden könne (15/39). Im kauf- männischen Bereich behalte die Ausbildung von Auch Dr. Schreiber betont die Notwendigkeit der För- Realschulabsolventen ihre Bedeutung, während für derung von fachübergreifenden Fähigkeiten wie die Abiturienten die Lehre zunehmend nur eine „Denken in Systemketten, Sozialkompetenz, geistig- Durchgangsstation auf dem Weg zum Studium dar- fachliche Mobilität sowie einen 'internationalen Hori- stelle. Diese Entwicklung sei zu überdenken zont" (15/99). Diese in einem wissenschaftlichen Stu- (15/98). dium zu erwerbenden Fähigkeiten ergänzt Dr. Schrei- Für Prof. Dr. Lutz ist der wachsende Anteil von Abitu- ber um Schlüsselqualifikationen, die in der Ausbil- rienten und Realschülern im dualen System nicht not- dung zu vermitteln seien. Er verweist unter anderem wendig schon als ein bildungspolitisches Verdienst zu auf einen aus Bundesmitteln geförderten Modellver- bezeichnen. Absolventen mit gehobenen schulischen such zu neuen Ausbildungsmethoden ( „PETRA"), in Abschlüssen würden sich zum Beispiel in „höherwer- dem vor allem Selbständigkeit und Integrationsfähig- tigen" Ausbildungsberufen konzentrieren und damit keit innerhalb von Gruppenarbeit gelernt werden sol- das wachsende Rekrutierungsproblem für den be- len. Allerdings möchte Dr. Schreiber die von Dr. Hei- trieblichen Facharbeiternachwuchs durchaus nicht degger eingebrachten Begriffe wie Autonomie und gleichzeitig mit lösen (15/62f). Auch wenn für die Kritik nicht in der Ausbildung, sondern vielmehr erst Elektroberufe wie auch speziell für die Ausbildung in in der späteren Facharbeitertätigkeit angesiedelt wis- Großbetrieben die Umstellung des Facharbeiternach- sen. wuchses von Hauptschul- auf Realschulabsolventen offensichtlich keine Schwierigkeiten bereite, gebe es In einer kontroversen Diskussion über mögliche Be- in den Metallberufen ausgesprochene Probleme, sich ziehungen zwischen beruflicher Innovationsfähigkeit vom bislang typischen Hauptschulabsolventen auf die und Lebensalter, bei der Frau Prof. Dr. Gensior beson- Absolventen mit höheren Schulabschlüssen umzustel- ders die innovativen Leistungen älterer Menschen len (15/62f). Die Schwierigkeiten würden im übrigen hervorhebt, betont Dr. Schreiber die seiner Ansicht noch dadurch verstärkt, daß unter dem Druck der ge- nach vor allem im jugendlichen Lebensalter vorhan- - burtenschwachen Jahrgänge auch die Realschule be- dene Kreativität bzw. Fähigkeit zu fachlichen Innova- reits ins Abseits gerate und an Attraktivität verliere. tionen, die es für Forschung und Entwicklung zu nut- zen gelte (15/81 f). Zusammenfassend ergibt sich nach Prof. Dr. Lutz das doppelte Problem: Mit der Zunahme höherer schuli- Dr. Schubert unterstreicht die Bedeutung neuer Aus- scher Abschlüsse finden sich einerseits weniger Be- bildungsmethoden, mit denen beispielsweise in den werber für wichtige Facharbeiterberufe wie zum Bei- neugeordneten Metall- und Elektroberufen die Fähig- spiel im Metallbereich, andererseits sind die Bet riebe keit zur Planung von Arbeitsvorgängen und zur Orga- bzw. Ausbilder auf Absolventen mit höheren Schulab- nisation eines gesamten Arbeitsablaufs vermittelt schlüssen nicht oder schlecht vorbereitet. „Das ist eine werde. Er verweist außerdem auf einen im Hand- andere Kultur, das ist eine andere Orientierung. Die werksbereich angesiedelten Modellversuch, in dem Ausbilder trauen sich nicht mehr". (15/63) speziell auf kreativitätsfördernde Maßnahmen abge- hoben wird. Dabei gehe es um richtiges Sehen, For- mempfinden, Gestalten und schöpferisches Handeln (15/111). Für Dr. Schubert haben „Schlüsselqualifika- b) Schlüsselqualifikationen als Mittel zur tionen", die man am besten in einer produktionsge- Enthierarchisierung und Steigerung der bundenen betrieblichen Ausbildung lerne, insbeson- beruflichen Flexibilität dere für diejenigen „zuviel Ausgebildeten" Bedeu- tung, die im erlernten Beruf keine Beschäftigung fän- Dr. Heidegger sieht vor allem in der Entwicklung von den und in eine andere Berufstätigkeit überwechsel- Schlüsselkompetenzen bei den Auszubildenden ein ten. Die Wissenschaft könne hierzu eine wich tige un- geeignetes Mittel, um der Spaltung der Belegschaften terstützende Aufgabe übernehmen, indem sie die in in „Semi-Akademiker" (zum Beispiel Produktions einer Berufsausbildung erzielbaren Fähigkeiten, die

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auch für die Ausübung anderer Berufe geeignet seien, 6. Praxisbezug im Studium — Bildungszeiten erforsche und den Betroffenen und Bet rieben weiter vermittele (15/114). a) „Betriebsverbundenes Studium" und Berufsakademien — Privilegierte „Semi-Akademisierung" oder praxisnahes 5. Die Gleichstellung der Geschlechter Studium

Die relativ geringen Anteile von Frauen in gewerb- lich-technischen Berufen sowie in Führungspositio- Ausgehend von einem weiter wachsenden Anteil von nen werden von den Sachverständigen einhellig be- Hochschulabsolventen im Beschäftigungssystem er- stätigt. Ebenso sind sie sich über die ungenügende örtern die Sachverständigen vor allem Probleme der Wirkung von bisherigen Maßnahmen (zum Beispiel Verbindung von Theorie und Praxis im Studium, der Modellversuchen) zur Erhöhung des Frauenanteils in unterschiedlichen Funktionen verschiedener Hoch- diesen Berufen bzw. Positionen einig. schultypen sowie der Studienzeiten. Im Mittelpunkt steht dabei die Ausbildung von Ingenieuren und Be- Für Prof. Dr. Lutz ist klar: „Die Facharbeiter-Kultur triebswirten. hat einen grundlegenden antifeministischen Zug." (15/61) Er warnt zugleich davor, den von ihm für die Dr. Schreiber stellt fest, daß die Unternehmen keine Zukunft diagnostizierten Facharbeitermangel, der quantitativen Probleme bei der Deckung ihres künfti- wegen der in höhere Bildungsgänge abwandernden gen Bedarfs an Bet riebswirten erwarten, daß aber der „intelligenteren jungen Männer" eintreten werde, zunehmende Bedarf an Ingenieuren mittel- und lang- durch eine stärkere Feminisierung kompensieren zu fristig kaum zu decken sei (15/23). Probleme der wollen. Prof. Dr. Lutz vermutet, daß eine höhere Betei- Nachwuchssicherung in diesem Bereich würden we- ligung von Frauen in bisher überwiegend von Män- niger die Großbetriebe als die Klein- und Mittelbe- nern ausgeübten und zugleich stark professionalisier- triebe bekommen, die infolge des technologischen ten Berufen eine Verstärkung der zwischenberufli- Wandels Ingenieure überhaupt erst einmal verstärkt chen Arbeitsteilung mit sich b ringe, die im Grunde einsetzen müßten (15/37). Von daher richte sich auch dem Gleichstellungsziel widerspreche (15/62). Am ein verstärktes Interesse auf die Berufsakademien, Beispiel von Ingenieurinnen zeige sich, daß in diesem von denen man sich eine engere Bindung zwischen überwiegend männlichen Beruf Frauen sich wie eine dem Nachwuchs an qualifizierten Beschäftigten und Minderheit verhalten würden, „um sozusagen als In- den Unternehmen erwarte (15/23). Allerdings bezwei- genieurin im Rahmen der Ingenieur-Kultur Karriere felt Dr. Schreiber aus Finanzierungsgründen die Rea- zu machen, das Ingenieurmäßige gegenüber den lisierungschancen für die weitere Errichtung von Be- Nicht-Ingenieuren ganz besonders hervorheben. " rufsakademien in anderen Bundesländern als Baden (15/62) Württemberg und verweist außerdem auf die Konkur- renz zu den Fachhochschulen, deren Leistungen — Dr. Schreiber weist darauf hin, daß sich je nach Defi- vor allem im Bereich der Ingenieur- und Betriebs- nition des Führungskreises nur zwischen 2 bis 2,5 wirte-Ausbildung — „von der Wirtschaft als ganz vor- Frauen in Führungspositionen befänden (15/76). Die- züglich" beurteilt würden (15/38). jenigen — relativ wenigen qualifizierten Frauen —, die mit circa 35 Jahren noch im bet rieblichen Arbeits- Dr. Schreiber betont weiter, daß die technische und prozeß seien und in Verbindung mit einer Ingenieur- naturwissenschaftliche- Ausbildung an den Universi- bzw. Betriebsleiter-Ausbildung Führungsqualifikatio- täten und Fachhochschulen weitgehend die Erwar- nen erworben hätten, würden auch als Führungskraft tungen der Unternehmen erfülle, daß aber beim wirt- tätig werden können. Sie erhielten einen Bonus bei schaftswissenschaftlichen Studium der Praxisbezug der Einstellung, da man von der Unternehmensseite erheblich verbessert werden müsse (15/98). Als An- her dem gegebenen Zustand der Unterrepräsentanz satzpunkt zur Überwindung dieses Problems wird das von Frauen in Führungspositionen bewußt entgegen- von der Siemens AG praktizierte „betriebsverbun- wirken wolle. dene Studium" gesehen, bei dem „gute, schnell stu- dierende Betriebwirte und Ingenieure" durch gezielte Dr. Heidegger sieht zwei Ansatzpunkte, um dem Ziel Praktika, arbeitsmethodische Kurse, Kooperation bei der Gleichstellung der Geschlechter in Arbeit und Diplomarbeiten und zum Teil durch Stipendien vom Beruf näherzukommen. Zum einen verweist er auf das Unternehmen gefördert würden (15/40f). Dr. Heideg- Beispiel der Büro- bzw. kaufmännischen Berufe, in ger sieht in dem Ausbau der Berufsakademien und denen sich in der Berufswahl für hochqualifizierte des betriebsverbundenen Studiums die Gefahr, daß Tätigkeiten zunehmend Angleichungen zwischen nur noch die auf diesem Weg qualifizierten „ Semi den Geschlechtern abzeichneten. Zum anderen seien Akademiker " die höherwertigen Tätigkeiten im Be- im Falle einer weiteren Abflachung der betrieblichen trieb erhalten und „für den Rest nichts mehr bleibt." Hierarchien Erleichterungen beim Wiedereinstieg ins (15/42) Er hält demgegenüber gestalterische Maßnah- Berufsleben gerade für Frauen zu erwarten, die nach men im Rahmen der Arbeitsorganisation für unab- einem vorübergehenden Ausscheiden aus dem Be- dingbar, die auf eine Abflachung der Hierarchien und trieb beispielsweise in eine enthierarchisierte Arbeits- auf ein zu schaffendes integ riertes System der beruf- gruppe zurückkämen und innerhalb dieser Arbeits- lichen und allgemeinen Aus- und Weiterbildung ziel- gruppe angelernt und weitergebildet würden ten, um auf diese Weise einer Spaltung der Gesell- (15/74). schaft entgegenzuwirken.

Drucksache 11/5349 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode b) Bildungszeiten — Probleme der Vergleichbarkeit bei dem die herkömmliche Ausbildung flexibilisiert („eigenständige Wahl von Modulen” ; siehe hierzu Kontroverse Aufassungen werden über die Studien- auch Abschnitt D) und die Weiterbildung auf praxis- zeiten an deutschen Hochschulen vertreten. Dr. nahe Inhalte und Gestaltungsfähigkeit der Mitarbei- Schreiber: „Die Studienzeiten sind einfach zu lang." ter hin orientiert würde (15/18). Aus den bestehenden (15/24) Er plädiert unter Hinweis auf den europäi- „managementorientierten Qualitätszirkeln” und den schen Binnenmarkt 1992 außerdem für eine Überprü- „gewerkschaftlichen Gestaltungsarbeitskreisen" soll- fung der Notwendigkeit des 13. Schuljahrs und ver- ten seiner Meinung nach „gemeinsame Gestaltungs- weist auf das Berufseintrittsalter eines französischen zirkel" gebildet werden. Diese könnten dann Gestal- Ingenieurs von 24 Jahren gegenüber demjenigen sei- tungsaufgaben im Betrieb permanent durchführen nes deutschen Kollegen von 28 oder 29 Jahren. Ge- und würden „ein Scharnier bilden zwischen einerseits genüber dieser Posi tion werden eine Reihe skep- Lernchancen unmittelbar am Arbeitsplatz ... und (an- tischer Einwände vorgetragen. Prof. Dr. Klemm dererseits) Weiterbildungskursen zur theoretischen (15/59ff): Die längeren Bildungszeiten schlagen sich Vorbereitung und Vertiefung" (15/18). Hier wäre offensichtlich nicht nega tiv in den Außenhandelsda- auch eine Verbindung zur gewerkschaftlichen Arbei- ten der bundesrepublikanischen Wi rtschaft nieder, terbildung herzustellen (15/18). die im Jahre 1988 einen Exportüberschuß von 130 Unter Hinweis auf die Notwendigkeit, kurzfristig auf Mrd. DM erwirtschaftete. Die Berufseintrittsalter veränderte Anforderungen reagieren zu können, seien dann nicht vergleichbar, wenn — wie in den schlägt auch Dr. Schreiber eine höhere Flexibilität der USA und Japan — keine Wehrdienstzeiten von 18 Weiterbildung vor, und zwar sowohl im Hinblick auf Monaten eingerechnet werden müßten. Die deut- die Zusammenarbeit zwischen Bildungsträgern und schen Naturwissenschaftler würden wegen eines stär- Beschäftigungssystem als auch — innerbetrieblich — keren Praxisbezugs bzw. einer engeren Spezialisie- auf die Verknüpfung zwischen Unternehmenspla- rung im Studium eine vergleichsweise geringere Ein- nung und Personal- und Bildungsplanung (15/99). arbeitungszeit benötigen. Wegen vielfältiger Mög- Seine weiteren Vorschläge zur Erfüllung eines wach- lichkeiten der Kombination von Studienabschnitten senden Bedarfs an berufsbegleitender Weiterbildung dürften gerade die französischen Durchschnittsdaten (15/99) : ( „Mischdatum") nicht mit bundesdeutschen Daten verglichen werden; in Frankreich müßten die hoch- — Berücksichtigung der Weiterbildung in der Tarif- qualifizierten Absolventen des Baccalaureat ein bis politik, zwei Jahre länger in die Schule („cours préparatoi- res"), bevor sie die Aufnahmeprüfung für die Grandes — Bereitschaft zum Erbringen von Eigenleistungen Ecoles machen könnten. der Beschäftigten fördern (eigenverantwortliche Weiterbildung in der Freizeit), Prof. Dr. Lutz ergänzt diese Einwände mit dem Hin- weis, daß der deutsche Ingenieur, der drei oder vier — Information und Beratung über inner- und über- Jahre länger studiere, gegenüber dem französischen betriebliche Weiterbildungsmöglichkeiten verbes- Ingenieur bei Berufseintritt bereits ein hohes Maß an sern, Praxiserfahrung mitbringe (15/71). — Kooperation zwischen Wi rtschaft, freien Bildungs- trägern und öffentlichen Bildungseinrichtungen (zum Beispiel unter Einschluß der Hochschulen) ausbauen. 7. Berufliche Weiterbildung: Notwendigkeit — Inhalte — Formen Für Dr. Schubert stellt aus der Sicht des Handwerks die Frage der öffentlich-rechtlichen Anerkennung Mit dem strukturellen Wandel in Arbeit und Beruf ein- von Weiterbildungsmaßnahmen ein wichtiges Pro- hergehend wird von allen Sachverständigen ein stei- blem dar, das nicht durch zu frühe (vor einer gewissen gender Bedarf an Weiterbildung festgestellt. Einen Konsolidierung) bundesweit geltende Fortbildungsre- zusätzlichen Anstoß erhält die Weiterbildung nach gelungen und staatliche Maßnahmen bewäl tigt wer- Auffassung von Dr. Schreiber dadurch, daß aufgrund den solle. Er plädiert statt dessen für die Einführung der demographischen Entwicklung bald nicht mehr eines Bildungspasses, aus dem Arbeitnehmer wie Ar- genügend qualifizierte Fachkräfte aus der Erstausbil- beitgeber — auch auf dem künftigen europäischen dung zur Verfügung stehen würden (15/99). Dr. Schu- Binnenmarkt — Informationen über erworbene Quali- bert betont die Einsicht in die Notwendigkeit einer fikationen ersehen könnten (15/115). ständigen Weiterbildung als wich tiges, neues Ausbil- dungsziel (15/111). Er verweist darüber hinaus auf inhaltliche Veränderungen in der Berufsarbeit und hier besonders auf den Umweltsektor und begründet D. Zusammenfassung handlungsorientierter daraus aktuelle Zusatzaufgaben sowie eine gewisse Vorschläge der Sachverständigen Vorreiterfunktion für den Weiterbildungsbereich (15/113). So könnten beispielsweise der Erwerb und die sichere Beherrschung von umweltbezogenen Dr. Schubert: Kenntnissen und Verfahren zunächst im Weiterbil- dungs-Bereich angestrebt werden, um diese dann als — Für Klein- und Mittelbetriebe ist die Ausbildung Ausbildungsinhalte in bestehende oder neue Berufe an herkömmlicher und modernster Technik zu- zu integrieren (15/113). Auch Dr. Heidegger betont gleich wichtig und auch künftig in betrieblichen die Verbindung zwischen Erstausbildung und Weiter- und überbetrieblichen Maßnahmen zu vermitteln bildung und schlägt hierzu ein Integrationsmodell vor, (15/110).

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— Künftig sind verstärkt solche Ausbildungsinhalte zu erhöhen. Dies bedeutet auch, daß nutzenäqui- zu vermitteln, die — wie bei den Bau- und Ausbau- valente Alternativen geschaffen werden müssen berufen — nicht oder noch nicht in den Ausbil- (15/52 f, 65). dungsordnungen enthalten sind, wie zum Beispiel aus dem Bereich des Umweltschutzes, aber auch Qualifikationen für Restaura tions- und Reparatu- Dr. Heidegger: rarbeiten (15/110). — Die wissenschaftliche Erforschung von Schlüssel- Zur Überwindung der Spaltung der Belegschaften qualifikationen, die am besten in einer produkti- bzw. der Gesellschaft in einen kleineren Teil mit hö- onsgebundenen betrieblichen Ausbildung gelernt herqualifizierter und anspruchsvoller Berufstätigkeit werden, ist zu verstärken, um die Voraussetzun- und einen größeren Teil mit weniger qualifizierter, gen und Fähigkeiten zu beruflicher Mobilität zu überwiegend ausführender Berufstätigkeit sind fol- klären und zu fördern (15/114). gende Maßnahmen zu ergreifen: — Weiterbildungsmaßnahmen sollen nicht vor ihrer — Demokratisierung der Berufsbildungsplanung, an Konsolidierung durch öffentlich-rechtliche Fortbil- der neben den Tarifpartnern auch Auszubildende, dungsregeln festgeschrieben werden; stattdessen Eltern und Ausbilder zu beteiligen sind (15/12). soll ein Bildungspaß eingeführt werden, der über Qualifizierungsmaßnahmen auch im EG-Bereich — Die soziale Gestaltung von Arbeit und Technik am Auskunft gibt (15/115). Arbeitsplatz ist als Leitidee beruflicher Bildung zu verfolgen. Das Ziel ist der „hochgebildete Fachar- beiter" (15/73). Dr. Schreiber: — Die Berufsbildung ist zu flexibilisieren („Modulari- sierung"), um die Selbständigkeit des Lernens zu — Im Weiterbildungsbereich soll die Kooperation fördern, indem den Auszubildenden innerhalb ge- zwischen Betrieben, freien Bildungsträgern und wisser Grenzen eine eigenständige Wahl von fach- öffentlichen Bildungseinrichtungen ausgebaut lichen und allgemeinbildenden Modulen ermög- werden (15/99). licht wird. Die Ausbildungsabschlüsse sind weiter zu fassen, und eine permanente Evalua tion des — Der steigende Bedarf an Weiterbildung ist ver- Ausbildungsstandards ist vorzunehmen (15/16 f). stärkt in der Tarifpolitik zu berücksichtigen Fernziel ist die Integra tion beruflicher und allge- (15/99). meiner Bildung, auch um die Spaltung innerhalb — Selbstgesteuerte Lernprogramme zur Unterstüt- des Bildungs- und Ausbildungssystems wie in der zung eigenverantwortlicher Weiterbildung sind zu Gesellschaft zu überwinden (15/15, 43). entwickeln (15/99). — Zu entwickeln ist ein System der integ rierten Erst- — Notwendig ist die Weiterbildung von Führungs- ausbildung und Weiterbildung, das heißt eine „of- kräften zum Erlernen und zur Anwendung eines fene Berufsbildung” im Verbund mit einem Modell kooperativen Führungsstils, um Mitarbeiter zu mo- autonomer Weiterbildung. Im Bet rieb sind „Ge- tivieren und Spielraum für eigenverantwortliches staltungszirkel" aufzubauen, die permanent be- Handeln zu eröffnen (15/100). triebliche Gestaltungsaufgaben wahrnehmen, und die ein Scharnier bilden zwischen Lernchancen unmittelbar am Arbeitsplatz auf der einen Seite Prof. Dr. Lutz: und Weiterbildungskursen zur theore tischen Vor- bereitung und Vertiefung auf der anderen Seite (15/18). Auf dem Hintergrund neuer Arbeitsorganisations- und Personalstrukturen, verbunden mit dem schritt- weisen Abbau von hierarchisch-bürokratischen Kon- trollstrukturen, eröffnet sich zum erstenmal in der Ge- Anlage schichte zivilisierter Nationen ein Weg, „um den Wi- Orientierungspunkte derspruch zwischen den grundlegenden Werten de- mokratisch verfaßter Gesellschaften und den Konsti- tuanten ihres Beschäftigungssystems aufzulösen. " Seit längerem wird ein Strukturwandel des Systems (15/105). der Erwerbsarbeit diagnostiziert, der nicht nur als we- sentlicher Teil eines tiefergehenden gesellschaftli- — Beruflichkeit muß ins Zentrum des gesamten Bil- chen Wandels gedeutet ( „Ende der Arbeitsgesell- dungsprozesses gerückt werden. Ziel ist ein „be- schaft", „Informationsgesellschaft?"), sondern auch ruflicher Polyspezialist" als neue Normfigur des in seinen Folgen für das Bildungs- und Ausbildungs- gebildeten Menschen. Die Beherrschung eines be- system beschrieben wird. Um möglichen grundlegen- stimmten Berufsfeldes sollte unverzichtbarer Be- den Veränderungen bildungspolitisch vorausschau- standteil oder Kristallisationspunkt von Bildung end Rechnung tragen zu können, ist für die Enquete- und Erziehung insgesamt werden (15/105). Kommission „Zukünftige Bildungspolitik — Bildung 2000" eine gewichtete Analyse der langfristig wirksa- — Die relative Selbständigkeit und Konkurrenzfähig- men „Faktoren" notwendig. Hierzu können unter an- keit berufsbildender Ausbildungsgänge gegen- derem gehören: über den gymnasialen und Hochschul-Ausbil- dungsgängen sollen gestärkt werden, um die reale — Veränderungen in der Struktur des Arbeits- Chancengleichheit alternativer Bildungsangebote marktes (insbesondere Umfang und Struktur des

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Erwerbspersonenpotentials, des Angebots an Ar- — Veränderte Einstellung zu Arbeit und Beruf (Wer- beitsplätzen und der Qualifikationsanforderun- tewandel); gen) ; — Bedeutungsveränderung des Arbeitsinhalts (Pro- — Veränderung der Arbeitsorganisation und der Ent- dukt- und Umweltorientierung). scheidungsspielräume am Arbeitsplatz im Zusam- menhang mit der Entwicklung und dem Einsatz Bei der Erörterung dieser „Faktoren" ist zu berück- von neuen Informations- und Kommunikations- sichtigen, daß sie — geschlechtsspezifisch differen- technologien; ziert — gegebenenfalls recht unterschiedliche Aus- prägungen zeitigen können. — Wandel der Berufe und der Berufsstruktur/Berufs- form der Arbeit; Ziel des Expertengesprächs ist es, über eine Erörte- rung dieser und/oder gegebenenfalls anderer „Fakto- — Arbeitszeit-Veränderungen (zum Beispiel Flexibli- ren” des Strukturwandels im Wirkungszusammen- sierung) ; hang von Bildungs- und Beschäftigungssystem zu be- — Modifikation des Arbeitsrechts und der sozialen gründeten Einschätzungen für die künftige Bildungs- Sicherung ( „Regulierung-Deregulierung"); politik des Bundes im Zusammenwirken mit anderen relevanten Politikbereichen zu gelangen. — Modifikation der Altersgliederung im Erwerbssy- stem (Berufsbiographien); Die Liste der „Faktoren" stellt keinen verbindlichen — Flexibilisierung bzw. Individualisierung von sozia- Leitfaden für das Expertengespräch dar, sondern ent- hält „Orientierungspunkte", die je nach dem Ver- len Lagen und Lebensläufen; ständnis der Experten zum Verhältnis von (Aus-)Bil- — Funktionswandel von Interessenvertretungen; dung und Beschäftigung variiert werden können.

Kapitel III.2.2

Verbändeanhörung zum Arbeitsschwerpunkt „Berufliche Erstausbildung und Erwerbsarbeit" am 14. September 1988

Gliederung 3. Vorberufliche Bildung — Arbeits- und Wirt- schaftslehre A. Methodische Vorbemerkung und Verzeichnis der Abkürzungen von Verbändenamen 4. Duales System und Qualität der Berufsbil- B. Auswertung dung I. Erwartungen der Verbände an die Enquete-Kom- 5. Lernort Berufsschule mission „Zukünftige Bildungspolitik — Bildung 6. Überbetriebliche Ausbildungswerkstätten 2000" 7. Vollzeitschulische und selbstverwaltete Aus- II. Einschätzungen und Handlungsvorschläge der bildung Verbände a) Übergreifende Problembereiche und Hand- 8. Steigerung der Ausbildungsbereitschaft bei lungsf elder Jugendlichen und bei Bet rieben 1. Bedeutung von Arbeit und Beruf, Berufs- und 9. Ausbildungsabbruch und Abschlußprüfungen Lebensplanung bei Jugendlichen 10. Lernbeeinträchtigte in der Berufsbildung 2. Verhältnis von Bildungs- zu Beschäftigungssy- 11. Behinderte in der Berufsbildung stem 3. Gleichstellung der Geschlechter und Berufs- 12. Wandel der Berufsinhalte — berufliche und bildung allgemeine Bildung — Schlüsselqualifikatio- nen 4. Ökologische Erneuerung und Berufsbildung 13. Berufliche Neuordnung, neue Methoden, Aus- 5. Neue Informations- und Kommunikations- bildung der Ausbilder technologien und Berufsbildung 14. Übergang von der Ausbildung in den Beruf tion 6. Berufsbildung und europäische Integra („2. Schwelle") — Zukunftsfestigkeit von Be- b) Spezielle Problembereiche und Handlungsfel- rufen der 15. Ziele und Formen beruflicher Weiterbildung 1. Entwicklung des Ausbildungsstellenmarktes („1. Schwelle") 16. Kosten und Finanzierung der Berufsbildung 2. Schulabschlüsse beim Übergang in die Berufs- Anhang: ausbildung Fragenkatalog und Teilnehmerverzeichnis

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A. Methodische Vorbemerkung und Verzeichnis Zu den Abkürzungen der Verbände-Namen: der Abkürzungen von Verbändenamen Der einfacheren Darstellung halber ist in der Auswer- Dieser zusammenfassenden Auswertung liegen als tung durchweg von „Verbänden" die Rede, auch Materialien das unkorrigierte Wortprotokoll der Ver- wenn einzelne Organisationen oder Institutionen sich bändeanhörung vom 14.9.1988 (6. Kommissionssit- selbst nicht als Verband im strengen Sinne bezeich- zung) und die hierzu vorgelegten schriftlichen Stel- nen würden. Die Verbände werden mit ihren geläufi- lungnahmen der Verbände (Kommissions-Drucksa- gen Abkürzungen genannt, gegebenenfalls wurden che 11/2-4 bzw. Anlagen I, II, III zum Wortprotokoll) Abkürzungen eigens für diese Auswertung gewählt. zugrunde. Eine „Erste Auswertung des Wortproto- Die im Kuratorium der Deutschen Wi rtschaft für Be- kolls der Verbände-Anhörung vom 14.9.1988" wurde rufsbildung (KWB) zusammengeschlossenen Ver- in der Kommissionssitzung am 2.11.1988 erörtert bände werden — aufgrund ihrer gemeinsamen (Kommissions-Drucksache 11/8) und in diese zusam- schriftlichen Stellungnahme — im Auswertungstext menfassende Auswertung integ riert. als KWB zitiert, einzelne Verbände des KWB sind nur Nicht berücksichtigt wurden die von den Verbänden dann zitiert, wenn die mündlich vorgetragenen Stel- zusätzlich vorgelegten Materialien, Positions- und lungnahmen ihrer Vertreter aus dem Wortprotokoll Thesenpapiere, die sich nicht explizit auf den zum (W) besonders zu berücksichtigen waren. Analoges 14.9.1988 versandten Fragenkatalog beziehen. Ihre gilt für einzelne DGB-Gewerkschaften. Die Verbände Auswertung erfolgt später bei der Erarbeitung von werden wie folgt abgekürzt: Vorschlägen für den Endbericht. AGA Arbeitsgemeinschaft Arbeit und Ausbildung Die mündlich vorgetragenen Stellungnahmen der e.V./Berlin Verbände orientierten sich im großen und ganzen an den grundlegenden Untersuchungsaufgaben, die im BBJ Verein zur Förderung kultureller und berufli- Abschnitt II des Einsetzungsbeschlusses der Enquete cher Bildung von Jugendlichen und junger Er- Kommission „Zukünftige Bildungspolitik — Bildung wachsener e.V./Berlin (BBJ Consult) 2000" aufgeführt sind. Die schriftlichen Stellungnah- men bezogen sich — entsprechend der Gliederung BDA Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitge- des vorgegebenen Fragenkatalogs — stärker auf die berverbände in Teil III des Einsetzungsbeschlusses aufgeführten speziellen Fragestellungen. BDI Bundesverband der Deutschen Industrie Diese zusammenfassende Auswertung soll anhand BDP Bundesverband Deutscher Privatschulen e.V./ des hierfür entwickelten Themenrasters, das auch die Schulen in freier Trägerschaft Gliederung der übergreifenden bzw. speziellen Pro- blemfelder im Abschnitt B bildet, in konzentrierter BER Bundeselternrat Form die Sachdarstellungen bzw. Problemanalysen BFZ Berufsförderungszentrum Essen e.V. der Verbände sowie den von ihnen eingeschätzten bildungspolitischen Handlungsbedarf für den Ar- BLBS Bundesverband der Lehrer an beruflichen beitsschwerpunkt „Berufliche Erstausbildung und Er- Schulen werbsarbeit" wiedergeben. Am Ende eines jeden Un- terkapitels sind in wiederholender Kurzform — die CJD Christliches Jugenddorfwerk Deutschlands. zum Teil gemeinsamen, zum Teil unterschiedlichen Gemeinnütziger Verband e.V. oder kontroversen — Lösungsideen bzw. Handlungs- CPK Industriegewerkschaft Chemie-Papier-Kera- vorschläge ( „Optionen") aufgeführt, die von den Ver- mik - bänden vorgetragen wurden. Beides zusammen — die Sach- bzw. Problemanalyse und die Handlungsvor- DAG Deutsche Angestellten-Gewerkschaft schläge — bilden eine nach Einschätzung der Kom- mission wichtige Grundlage für die Erarbeitung von DBJR Deutscher Bundesjugendring Empfehlungen für diesen Bereich im Schlußbericht. DGB Deutscher Gewerkschaftsbund DIHT Deutscher Industrie- und Handelstag Zur Zitierweise: DL Deutscher Lehrerverband Die Quellen wörtlicher und sinngemäßer Zitate sind im Text durch Anfügungen der entsprechenden Be- DPhV Deutscher Philologenverband e.V. legstellen in Klammern kenntlich gemacht. Das Proto- koll der 6. Sitzung der Kommission enthält die Band- GEW Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft abschrift der Anhörung und — jeweils getrennt nume- HBV Gewerkschaft Handel, Banken und Versiche- riert — als Anlage die von den Verbänden übersand- rungen ten schriftlichen Antworten auf den Fragenkatalog der Kommission. Es bedeuten: IB Internationaler Bund für Sozialarbeit. Jugend (W/Seitenzahl): Wortprotokoll der Verbände-Anhö- sozialwerk e.V. rung vom 14.9.1988; (I bzw. II bzw. III/Seitenzahl) : IGM Industriegewerkschaft Metall Jeweils eines der drei Konvolute schriftlicher Stel- lungnahmen der Verbände (Anlagen I,II und III zum KWB Kuratorium der Deutschen Wi rtschaft für Be- Wortprotokoll; Kommissions-Drucksachen 11/2 —4) rufsbildung Drucksache 11/5349 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode

VBE Verband Bildung und Erziehung II. Einschätzungen und Handlungsvorschläge der Verbände VDR Verband Deutscher Realschullehrer vds Verband Deutscher Sonderschulen — Fach- a) Übergreifende Problembereiche und verband für Behindertenpädagogik Handlungsf elder VLW Bundesverband der Lehrer an Wirtschafts- 1. Bedeutung von Arbeit und Beruf, Berufs- und schulen Lebensplanung bei Jugendlichen

ZDH Zentralverband des Deutschen Handwerks Nach gemeinsamer Auffassung von Gewerkschaften (W/6f), Arbeitgebern (W/10) und Lehrerverbänden (W/18) ist es entgegen mancher Einschätzungen falsch, heute von einer sinkenden Bedeutung von Ar- B. Auswertung beit und Beruf zu sprechen. Neuere Studien würden belegen, daß zumal bei Jugendlichen Arbeit und Be- ruf eher wichtiger geworden seien, und damit verbun- I. Erwartungen der Verbände an die den auch inhaltliche Ansprüche auf Sinnerfüllung Enquete-Kommission „Zukünftige Bildungspolitik und Selbstverwirklichung im Beruf und der Wunsch — Bildung 2000" nach einer qualifizierten Ausbildung (W/6f). Gewerkschaften und Lehrerverbände erwarten neue Nach Auffassung des VBE sollte das verstärkte Inter- Impulse für die in den sechziger Jahren begonnene esse der Jugendlichen an Arbeitszufriedenheit, Frie- Bildungsreformdiskussion. Sie erhoffen sich Hilfe und den, Umwelt bis hin zur Technologiekritik zu positi- Vorschläge bei der Besei tigung von Defiziten im Be- ven Konsequenzen in der Berufsbildung führen und reich der Berufsbildung, auch gegenüber den Heraus- nicht mit kurzsichtigem wirtschaftlichen Denken und forderungen, die sich bis ins nächste Jahrtausend stel- anachronistischen Wertvorstellungen beantwortet len werden, und möglichst gemeinsame Beschlüsse werden (I/140). Das KWB stellt eine „neue" Leistungs- (kein Verharren in „Wagenburgen") über Ziele, In- orientierung fest, die das Streben nach materiellem halte und Verfahren von Bildung, Ausbildung und Wohlstand ebenso wie den Wunsch nach persönlicher Weiterbildung (W/3f, W/20). Erwartet werden auch Freiheit und Selbstverwirklichung umfasse (I/43). dementsprechende Anstöße für die Gesetzgebung Eine wichtige politische Bildungsaufgabe sieht das (W/14). KWB darin, die Grenzen der Übereinstimmung zwi- schen subjektiven Erwartungshaltungen der Indivi- Von Arbeitgeberseite wird die Rückwärtsorientierung duen und ökonomisch sinnvollen Möglichkeiten des des Fragenkatalogs zur Anhörung kritisiert, da die Unternehmens (Technikeinsatz, notwendige hierar- dort angeführten Problemlagen zur Berufsbildung chische Struktur) deutlich zu machen. Die CPK ver- sich auf die Ausnahmesituation der beruflichen Inte- weist auf eine wachsende Tendenz zur Identifikation gration geburtenstarker Jahrgänge bezogen hätten mit dem Arbeitsinhalt, der neben dem stofflichen vor und sich in Zukunft nicht mehr so stellen würden allem die sozialen und kommunikativen Momente (W/8f). Außerdem gehe der Einsetzungsbeschluß der umfasse. An die Stelle des klassischen Facharbeiter- Enquete-Kommission „Zukünftige Bildungspolitik — ethos trete zunehmend die Bedeutung personaler Bildung 2000" zu stark vom Individuum und dessen Kontakte und die inhaltliche Befriedigung durch die Bildungsansprüchen gegenüber der Gesellschaft statt Tätigkeit (II/40). Nach DGB-Auffassung gehören Ar- vom Blick auf die notwendige Erhaltung der interna- beit und Beruf zu den „Basisansprüchen" der Jugend- tionalen Konkurrenzfähigkeit und der dafür erf order- lichen; eine Neudefinition von Leistung, die die in- lichen Qualifikationen aus. Das duale System der Be- haltlichen und subjektiven Ansprüche der Jugendli- rufsbildung habe seine Bewährungsprobe in quantita- chen an die Arbeit — auch in Krisenzeiten — stärker tiver und qualitiativer Hinsicht bestanden, insofern berücksichtigt, sei notwendig (W/7f). gehe es in Zukunft wesentlich um seine Bestandssi- cherung und Weiterentwicklung. Die Arbeitgeber- Eine Tendenz zu früher Selbständigkeit in der Le- seite bedauert die vom Deutschen Bundestag be- bensplanung vieler Jugendlicher ( „weg vom Eltern- schlossene Einschränkung des Untersuchungsauf- haus") bemerkt der BLBS und sieht dieses Bestreben trags der Kommission auf den Bereich der beruflichen durch die oft längere finanzielle Abhängigkeit vom Bildung (W/11). Dadurch könne das Verhältnis von Elternhaus gebremst. Um angesichts einer ange- allgemeiner zu beruflicher Eildung und vor allem de- spannten Arbeitsmarktsituation und erhöhter Bil- ren Gleichwertigkeit nicht angemessen in der Öffent- dungsanforderungen gleichwohl einen relativ frühen lichkeit zum Ausdruck gebracht werden. Übergang in das Erwerbsleben zu ermöglichen, schlägt der BLBS nach einer „Grund-Erstausbildung" (Berufsschul-)Lehrerverbände hoffen auf einen Aus- die Einrichtung von „Teilarbeits-/Teilweiterbildungs- bau der staatlichen Kontrollfunktion über das duale Verhältnissen" vor, die in enger Abstimmung mit der System hinaus auf den gesamten Bildungsbereich, um Erstausbildung zu organisieren seien. Außerdem plä- für alle das Recht auf Persönlichkeitsentwicklung und diert der BLBS für die Einrichtung von „attraktiven berufliche Qualifikation zu sichern (W/20). Außerdem Bildungsgängen", die neben Studiengängen und den rechnen sie mit Impulsen für eine bessere Abstim- bestehenden Lehrberufen in „vertretbarer Zeit" zu mung von Bundesrecht zu Landesrecht, um die Stel- einem anerkannten Berufsabschluß mit Aussicht auf lung der beruflichen Schulen im dualen System zu einen Arbeitsplatz führen 'würden (I/117). Das CJD verbessern (W/14). differenziert Berufs- und Lebensplanungen der Ju-

Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode Drucksache 11/5349 gendlichen je nach Schulabschluß. Danach verhielten gebot machen, wo ein entsprechendes Marktangebot sich Abiturienten deutlich karrierebewußter als nicht ausreicht (W/20). Arbeitgeber, Gewerkschaften Haupt- und Realschüler; gemeinsame Merkmale wie auch Lehrerverbände heben die wachsende Be- seien relativ kurze Berufs- und Lebens-Planungs- deutung von Schlüsselqualifikationen hervor, die zu Zeiträume (3-5 bzw. 1-2 Jahre)sowie eine sehr be- selbständiger und verantwortungsbewußter Arbeit wußte Trennung zwischen Arbeit und Freizeit erforderlich seien und die die berufliche Flexibilität (I/169). der Jugendlichen beim Übergang ins Beschäftigungs- system wesentlich verbessern könnten (W/4, 12). Ein gestiegenes Durchschnittsalter der Auszubilden- den (1986: 18,3 Jahre) sowie die Tendenz zu höheren Zusammenfassung von handlungsorientierten Schulabschlüssen wird von der DAG registriert, die Vorschlägen der Verbände: eine erwachsenengerechte Erstausbildung sowie die Befähigung zur Weiterbildung und den Erwerb sozia- — Arbeitgeber: Das berufliche Bildungswesen ist ler Kompetenzen fordert (I/11). stärker auf die Sicherung der internationalen Wett- bewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft zu Zusammenfassung von handlungsorientierten orientieren (W/9f). Vorschlägen der Verbände: - Gewerkschaften: Die fachliche, persönliche und — Den gewachsenen inhaltlichen Ansprüchen der soziale Qualifikation des einzelnen ist stärker in Jugendlichen auf Sinnerfüllung und Selbstver- den Mittelpunkt zu stellen (W/4, 12, 15). wirklichung in Arbeit und Beruf ist durch Ermögli- chung einer qualifizierten Ausbildung und Schaf- — Staatliche Ausbildungsangebote sollen unzurei- fung anspruchsvoller Arbeitsplätze entgegenzu- chende Angebote der Wirtschaft ergänzen (BLBS kommen (DGB W/6f). W/20). — Das Problem der Abstimmung zwischen subjekti- — Schlüsselqualifikationen sollen zur Förderung der ven Erwartungshaltungen der Jugendlichen und persönlichen und beruflichen Kompetenz und Fle- ökonomischen Möglichkeiten des Unternehmens xibilität des einzelnen verstärkt vermittelt werden ist zu einem Thema der politischen Bildung zu (gemeinsame Position) (W/4, 12). machen (KWB I/43f). — In enger Abstimmung mit der Erstausbildung sind 3. Gleichstellung der Geschlechter und „Teilarbeits-/Teiiweiterbildungs-Verhältnisse " Berufsbildung einzurichten, um Jugendlichen bei angespanntem Arbeitsmarkt gleichwohl den heute früher ge- wünschten Weg in die Eigenständigkeit (finan- Nach einhelliger Auffassung der Verbände stehen der zielle Unabhängigkeit vom Elternhaus) zu ermög- Gleichstellung der Frau in Ausbildung und Beruf noch lichen (BLBS I/117). immer eine Reihe von Hindernissen entgegen. Zwar vermerkt die IGM zunächst positiv, daß der Anteil der — Dem gestiegenen Durchschnittsalter der Auszubil- Frauen im dualen System auf 41 % gestiegen sei denden entsprechend soll die Erstausbildung er- (W/88), und das ZDH stellt fest, daß sich 130 000 oder wachsenengerechter organisiert werden (DAG fast 20 % weibliche Lehrlinge in gewerblich-techni- I/11). schen Berufen des Handwerks befänden und Frauen in 65 Berufen Meisterprüfungen ablegen würden (W/79); doch seien trotz besserer schulischer Qualifi- kationen bei den unvermittelt gebliebenen Ausbil- 2. Verhältnis von Bildungs- zu Beschäftigungssytem - dungsplatzbewerbern und -bewerberinnen rund 2/3 junge Frauen (unter anderem DGB II/10). Etwa 70 % Die Arbeitgeberseite sieht die Aufgaben des zukünf- aller weiblichen Auszubildenden konzentrierten sich tigen beruflichen Bildungswesens vor allem in der auf 15 typische Berufe mit hohem Frauenanteil (KWB Sicherung der Wettbewerbsfähigkeit der deutschen I/50). Nur 15 % befänden sich in gewerblich-techni- Wirtschaft auf den internationalen Märkten und plä- schen Berufen insgesamt (DL III/3). Exemplarisch sei diert für eine arbeitsplatzbezogene differenzierte die Benachteiligung der Frauen im Einzelhandel: Qualifikation im Berufsbildungssystem (W/9f). DGB 80 % Bewerbe rinnen, 60 % der Auszubildenden, 40 % und Lehrerverbände kritisieren die Orientierung der der betrieblich Weitergebildeten; charakteristisch sei beruflichen Erstausbildung der letzten Jahre als zu auch die geringere Entlohnung (DBJR III/63). Der vds sehr vom betrieblichen bzw. gesamtwirtschaftlichen verweist darauf, daß die künftige berufliche Situation Bedarf bestimmt (W/15). Sie sprechen sich für die Si- lernbehinderter, lernbeeinträchtigter, benachteiligter cherung des Grundrechts auf eine freie Berufswahl Mädchen noch deutlich schlechter aussehe als die für (W/19) sowie für eine gleichermaßen fachliche wie benachteiligte junge Männer (W/84). subjektorientierte Qualifikation aus, die die Entwick- lung der Persönlichkeit, der Fähigkeit zur Mitgestal- Für die Benachteiligung von jungen Frauen werden tung von Wirtschaft und Gesellschaft sowie zur Kon- vielfältige Gründe genannt, wobei es nach Auffas- fliktfähigkeit in den Mittelpunkt stellt (W/4f, 12). Die sung des DBJR oft unmöglich ist, dafür konkrete Per- DAG fordert Impulse für ein Ausbildungssystem, in sonen als Verantwortliche zu benennen (III/63). Die dem „Jugendliche den Beruf erlernen können, den sie Verbände halten Vorurteile bei Eltern, Arbeitgebern, nach ihren Neigungen, Entwicklungen und Chancen Berufsberatern, aber auch zum Teil bei den Frauen auch erlernen möchten. " (W/15) Nach Auffassung des selbst für das Haupthindernis auf dem Weg zur BLBS muß der Staat ein ergänzendes Ausbildungsan Gleichstellung der Geschlechter in Ausbildung und

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Beruf. Der DL: Objektive Barrieren gibt es nicht (III/7). schusses des BIBB sowie gemeinsame Empfehlung Allerdings stellt die CPK auch fest: Die Barrieren lie- von DGB und BDA vom Juli 1987; 1/57). gen nicht auf Seiten der Frauen (11/43). Nach Auf- — Frauenförderpläne sollen in allen Bet rieben und fassung des DL werden in koedukativen Schulen Verwaltungen aufgestellt werden (DBJR 111/64). die geschlechtsspezifischen Bildungsentscheidungen verstärkt (II1/8). Der BDP konstatiert, daß Mädchen — Insbesondere ist die Ausbildung und Beschäfti- leichter getrennt von Jungen lernen würden, vor al- gung von Frauen in qualifizierten Frauen- und ge- lem in naturwissenschaftlichen Fächern. Koedukation mischten Berufen mit Zukunftschancen am Ar- sei nichts anderes als eine Erweiterung der Jungen- beitsmarkt zu fördern (IGM W/93). schule, die den Jungen einen Chancenvorteil biete (W/84). Ähnlich argumentiert der BER (W/72). — Quotierung von Ausbildungs- und Arbeitsplätzen (IGM 11/65). Das KWB hebt die Schutzbestimmungen in 30 von 383 — Bei Vergabe von Aufträgen durch die öffentliche Berufen hervor, die einer Ausbildung von jungen Hand sind diejenigen Unternehmen zu bevorzu- Frauen entgegenstünden (I/50). Für einige Verbände gen, die ausreichend Ausbildungs- und Arbeits- (DL III/9; IB II/149; AGA III/36; BBJ 111/47) stellt sich plätze für Frauen bereitstellen (DAG 1/16). als ein Haupthindernis die später oft schwierige Ein- gliederung in den Arbeitsmarkt dar ( „zweite — Verbesserung der Informa tion und Berufsberatung Schwelle"), die junge Frauen bereits bei der Wahl des über gewerblich-technische Ausbildung insbeson- Ausbildungsplatzes zusätzlich in Nachteil setze. dere für Mädchen (ZDH W/80; KWB W/102). In den neugeordneten Berufen im industriellen Me- — Frauenförderung soll ein integ rierter Bestandteil tall- und Elektrobereich sehen die Verbände aufgrund der betrieblichen Personalpolitik werden (KWB der dort verlangten, stärker theore tischen Orientie- W/102). rung durchweg erhöhte Chancen für die Qualifizie- — Aufstellung personalpolitischer Grundsätze sowie rung von jungen Frauen. Der IB forde rt darüber hin- Betriebsvereinbarungen mit Personal- und Be- aus, im Rahmen der Ausbildung einen frauenspezifi- triebsräten zur Erhöhung des Frauenanteils, wo es schen Zugang und Umgang mit der Technik zu er- möglich ist (DAG 1/16). möglichen (III/150). Das KWB rät zur Berücksichti- gung der Empfehlung des Hauptausschusses des — Es sind zielgruppenspezifische Maßnahmen zur Bundesinstituts für Berufsbildung vom 6.3.1987 zur Wiederqualifizierung von Frauen nach einer Fami- „Ausweitung des Berufsspektrums für Frauen im ge- lienphase zu entwickeln (BFZ W/103 f). werblich-technischen Berufsbereich", nach der zum Beispiel Schülerinnen verstärkt in Betriebspraktika in gewerblich-technische Berufen einbezogen werden 4. Ökologische Erneuerung und Berufsbildung sollen. Ebenfalls wird die Umsetzung der gleichnami- gen gemeinsamen Empfehlung von DGB und BDA Einhellig wird von den Verbänden betont, daß durch vom Juli 1987 nahegelegt (I/51). Umweltprobleme alle Berufe direkt oder indirekt be- troffen seien. Das KWB (1/68) befürwortet ein jeweils Mit Blick auf den Zusammenhang von Ausbildung berufsspezifisches Vorgehen bei der Vermittlung von und späterer Berufstätigkeit forde rt der DBJR Inhalten des Umweltschutzes, der Gesundheit, der „Frauenförderpläne" in allen Bet rieben und Verwal- Ressourcenschonung, der Vermeidung von Emissio- tungen (III/64). Die IGM plädiert darüber hinaus für nen und der ökologisch verträglichen Produktgestal- eine ausdrückliche Bevorzugung junger Frauen bei tung (I/68). Auch der DGB sieht Chancen für den der Einstellung in gewerblich-technischen Berufen - Umweltschutz nur in enger Verbindung mit der Be- und tritt für eine Quotierung von Ausbildungs- und rufsrolle (I1/20), und der ZDH stellt fest, Umweltschutz Arbeitsplätzen ein (II/65). Die DAG schlägt die Auf- lasse sich sinnvollerweise nur mit der beruflichen Tä- stellung personalpolitischer Grundsätze vor, nach de- tigkeit zusammen vermitteln (W/135). Die Schaffung nen über Betriebsvereinbarungen mit Personal- und besonderer Ausbildungsberufe für den Umweltschutz riebsräten — wo es möglich ist — jeweils zur Hälfte Bet wie beispielsweise des Ent- und Versorgers wird von männliche und weibliche Bewerber und Bewerberin- den Verbänden eher als notwendige Ausnahme ange- nen eingestellt werden sollen (I/16). Außerdem soll sehen. Das CJD verweist positiv auf bereits beste- nach Auffassung der DAG die öffentliche Hand bei hende Fortbildungsberufe (Baumpfleger, Ökowirt der Vergabe von öffentlichen Aufträgen diejenigen und andere), die auf vorhandenen Ausbildungsberu- Unternehmen bevorzugen, die in ausreichendem fen aufbauen (W/121 f). Maße Frauen Ausbildungs- und Arbeitsplätze zur Verfügung stellen würden (1/16). Der BDI betont den hohen Stellenwert der Umweltbil- dung für die Industrie (W/137): „Umweltschutz hat für Zusammenfassung von handlungsorientierten die Industrie ... keine Alibifunktion. Unsere Wirt- Vorschlägen der Verbände: schaft und auch unser Wohlstand können nur in einer — Ermöglichung eines frauenspezifischen Zu- und intakten Umwelt funktionieren" (W/139). Die Bundes- Umgangs mit der Technik im Rahmen der Ausbil- republik Deutschland spiele zudem eine Vorreiter- dung (IB III/150). rolle bei Umweltschutztechnologien (W/137). Für die CPK ist die ökologische Frage identisch mit der Auf- — Schülerinnen sollen verstärkt in Betriebspraktika gabe, die Industriegesellschaft weiterzuentwickeln in gewerblich-technischen Berufen einbezogen (W/118). Allerdings hänge eine bessere Berücksich- werden (Empfehlung vom 6.3.87 des Hauptaus tigung des Umweltschutzes im Bet rieb auch mit

Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode Drucksache 11/5349

der Erweiterung von Mitbestimmungsrechten für Fortbildungsberufe für den Umweltschutz sollten Betriebsräte zusammen, wofür eine Novellierung auf notwendige Sonderfälle begrenzt bleiben (ge- des Betriebsverfassungsgesetzes erforderlich sei meinsame Position). (W/120). — Mehr Umweltschutz im Betrieb soll durch Befähi- Gute Chancen für einen verbesserten Umweltschutz gung der Mitarbeiter zur praktischen Kritik und sieht der ZDH in Verbindung mit der Nutzung der zur Entwicklung alternativer Strategien ermög- Mikroelektronik, zum Beispiel bei Gas-, Wasserinstal- licht werden (DGB II/20); zu flankieren ist diese lateuren und Heizungsbauern. Verwiesen wird außer- Qualifizierung durch Erweiterung von Mitbestim- dem auf einen vom Handwerk initiierten Modellver- mungsrechten für den Bet riebsrat (Änderung des such in Hamburg, das „Zentrum für Wasser und Um- Betriebsverfassungsgesetzes) (CPK W/118). welt", bei dem in Aus- und Weiterbildung neuen Pro- — Für Umweltlernen in Schule, Ausbildung und blemen des Umweltschutzes im Bereich des Hand- Hochschule sollen entsprechende Bildungserfor- werks Rechnung getragen werden so ll. dernisse primär in vorhandene Fächer integ riert Einhellig betonen die Verbände die Notwendigkeit werden; didaktische Konzepte sind zu entwickeln einer Verhaltensänderung bei den Individuen für ei- (CPK W/120). nen wirksamen Umweltschutz (zum Beispiel BDI W/137): Wissen und Verhalten müßten zusammen passen bei der „Schlüsselqualifikation Umwelt- 5. Neue Informations- und schutz". Vom BDI wird ferner darauf hingewiesen, Kommunikationstechnologien und Berufsbildung daß berufliche Bildung zwar besonders geeignet sei, Umweltschutz-Qualifikationen zu vermitteln, daß Obwohl die qualitativen Wirkungen des Einsatzes aber hierfür Familie und Schule gleichermaßen wich- neuer Informations- und Kommunikationstechnolo- tig seien (W/138). gien (IuK-Technologien) auf Arbeit und Beruf als noch Der DGB plädiert dafür, Fachinhalte des Umwelt- nicht hinreichend erforscht gelten (vgl. besonders die schutzes verstärkt in die Lehrpläne, Ausbildungs- und Hinweise des CJD I/198), sehen die Verbände hier Prüfungsordnungen aufzunehmen und ökologisches eine der zentralen Herausforderungen an unsere ge- Handeln im Sinne einer vorherigen Folgeabschätzung samte Lebenswelt. Einhellig wird zwar der Gestal- zu lernen. Hierzu gehöre auch die Befähigung zur Kri- tungsspielraum von Arbeit beim Einsatz neuer IuK- tik an der bestehenden betrieblichen Praxis und die Technologien hervorgehoben — Tenor: der Computer Entwicklung alternativer technischer und wirtschaftli- determiniert nicht die Arbeitsorganisation und den cher Strategien (II/20). Arbeitsumfang am Arbeitsplatz — , doch die tatsächli- chen Anwendungen und deren soziale Folgen werden Im Hinblick auf die naturwissenschaftlichen Studien- recht unterschiedlich beurteilt. gänge an den Hochschulen reklamiert die CPK das Fehlen von Kenntnissen über Arbeitssicherheit, Um- Diejenigen, die sich im Hinblick auf die positiven Wir- weltschutz und ra tionelle Energieverwendung und kungen der IuK-Technologien weitgehend festgelegt betont, wie notwendig gerade ein entsprechendes haben, wie das KWB (I/70-73) oder auch der BDP Problembewußtsein für diejenigen Absolventen sei, (I/94 f), betonen eine damit verbundene Tendenz zur die später in Forschungs- und Entwicklungsabteilun- Höherqualifikation, den Ersatz monotoner, repetitiver gen beschäftigt seien (W/118). Teilarbeit ( „Abkehr vom Taylorismus"), einen weite- ren Rückgang der körperlichen Arbeit, die Zunahme In bezug auf die (berufs-)schulische Behandlung des geistiger Anforderungen, die Förderung der Gleich- Themas Umwelt sprechen sich die Verbände einhellig stellung der Geschlechter,- die Erhöhung von Gestal- gegen ein eigenes Unterrichtsfach hierfür aus (zum tungsspielräumen am Arbeitsplatz und eine wach- Beispiel BLBS W/123). Der BDP möchte Umweltschutz sende Eigenverantwortung wegen des möglichen de- vielmehr als durchgängiges Unterrichtsprinzip veran- zentralen Einsatzes der Technik. Außerdem wird auf kert wissen (I/94). Für die betriebliche Ausbildung die Sicherung der Arbeitsplätze durch Einsatz neuer wird die Berücksichtigung des Umweltschutzes in den IuK-Technologien verwiesen (KWB W/140). neugeordneten Berufen einhellig begrüßt. Ebenfalls werden die hierzu vom BIBB durchgeführten For- Verbände, die eher auf Probleme hinweisen, welche schungsprojekte und geförderten Modellversuche po- mit dem vermehrten Einsatz von neuen IuK-Techno- logien auch verbunden seien, betonen einen Rück- sitiv gewürdigt (CPK W/119), allerdings wird bei- spielsweise von der CPK auch die fehlende Entwick- gang der Zahl von Arbeitsplätzen mit geringeren lung didaktischer Konzepte bemängelt (W/120). Qualifikationsanforderungen sowie Veränderungen der Tätigkeitsstruktur mit wachsenden Mobilitätser- Zusammenfassung von handlungsorientierten fordernissen und eine funktionale Auflösung der bis- Vorschlägen der Verbände: herigen Lerninhalte (DAG I/24 f). Sie sehen eine Ge- fahr der sinnlichen, kulturellen und sozialen Verar- — In Arbeit und Beruf wird wirksames Umwelt- mung (VBE I/145) und eine Widersprüchlichkeit zwi- schutzverhalten am besten durch Aneignung öko- schen technikinduzierter erhöhter Lebens- und Ar- logischer Qualifikationen (Wissenserweiterung beitsqualität einerseits und Bedrohung des Lebens und Verhaltensänderung) mit und in der jeweili- andererseits (BER I/159). gen Berufsrolle gelernt und stellt eine Aufgabe für alle Berufe dar. Die Berücksichtigung des Umwelt- Gleichwohl sehen auch die zuletzt genannten Ver schutzes ist bei der weiteren Neuordnung der Be- bände ebenso wie die Gewerkschaften und Lehrer rufe fortzusetzen; spezielle Umweltberufe und verbände die mit dem Einsatz der IuK-Technologien

Drucksache 11/5349 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode verbundenen Probleme nicht als Resultate eines ob- Nutzung der neuen IuK-Technologien zu fördern jektiven, gleichsam naturwüchsig verlaufenden Pro- (IB II/152). zesses (CPK II/51), sondern als arbeits- bzw. bildungs- politische Herausforderung, der mit entsprechenden — Die Grundqualifikationen im Hinblick auf IuK- Maßnahmen erfolgreich begegnet werden kann. Technologien sind zu verbessern, die Lernorte da- für angemessen auszustatten und gegebenenfalls Auf die Notwendigkeit einer sozialverträglichen durch Lernortverbund zu nutzen (GEW II/145). Technikgestaltung, bei der Ansprüche der Arbeitneh- — Bei der Förderung von Benachteiligten ist die mer und Arbeitnehmerinnen auf ganzheitlichen Ar- „kompensatorische Funktion" von IuK-Technolo beitsinhalt, Partizipation an den bet rieblichen Ent- gien zu nutzen; entsprechende staatliche Förde scheidungen und soziale Kommunikation berücksich- rungsprogramme sind aufzulegen (CJD W/148). tigt werden, verweisen besonders die Gewerkschaf- ten (CPK II/51; GEW 111/142 —145). Da nach ihrer Auf- fassung für die Beschäftigten beim Technikeinsatz so- wohl die Rolle des Bedieners wie des Gestalters mög- 6. Berufsbildung und europäische Integra tion lich ist (vgl. hierzu auch DBJR III/68), machen sie ihr Urteil über die Technikentwicklung gleichsam zwin- Die Verbände erwarten besondere Herausforderun- gend von der Beachtung der Kriterien sozialverträgli- gen an die Berufsbildung im Rahmen des weiteren cher Technikgestaltung abhängig. Die Beteiligung europäischen Einigungsprozesses (zum Beispiel Ver- der Beschäftigten sei bereits bei Einführung der gleichbarkeit, Anerkennung, Übertragbarkeit von neuen Techniken zu sichern. Abschlüssen).

Insbesondere die Lehrerverbände sehen in einem ho- Ganz überwiegend sehen die Verbände — zumindest hen Qualifikationsstandard auch in Bezug auf die IuK- für den Bereich der Bundesrepublik — in der dualen Technologien die wichtigste Chance zur Technikge- Berufsbildung auch in Zukunft die wich tigste und ver- staltung und fordern verbunden damit eine wirksame breitetste Form beruflicher Qualifizierung. Für die an- Interessenwahrnehmung im Hinblick auf eine hu- deren europäischen Länder, außer für Dänemark, mane Gestaltung der Arbeitsplätze (BLBS I/133). Ge- wird dagegen die schulische Form der Berufsbildung genüber der mit dem Einsatz von IuK-Technologie als die gegenwärtig und künftig überwiegende einge- einhergehenden Verstärkung zweckrationalen Den- schätzt. Exemplarisch dazu der BLBS: „In einem inte- kens gelte es, so der BLBS, die Fähigkeit zu situativ grierten Europa wird es sicher duale und schulische pragmatischem Handeln in der Ausbildung, in Lern- Ausbildungssysteme nebeneinander geben.” (I/125) arrangements vorzugsweise in der Schule zu fördern Bezüglich der Entwicklung einer europäischen Be- (I/133). Nach Ansicht des IB können die Chancen der rufsbildung hebt das KWB hervor, daß die Römischen neuen Technologien dann positiv genutzt werden, Verträge keine Harmonisierung der Ausbildungssy- wenn Kommunikations-, Kooperations- und Konflikt- steme vorsähen, sondern nur der Ziele, „deren wich- fähigkeit verknüpfende Prinzipien der beruflichen tigstes eine den Erfordernissen der technischen und Bildung sind (II/152). Die GEW verweist auf die Not- sozialen Entwicklung entsprechende Ausbildung für wendigkeit, die Grundqualifikationen im Hinblick auf jeden" sei (I/55). Der IB stellt fest, daß die Berufsbil- die IuK-Technologien zu verbessern. Sie hält eine dung in Vollzeitschulen, wie sie in eine Reihe von EG bessere Ausstattung der Lernorte mit IuK-Technolo- Ländern praktiziert werde, in der Regel nicht mehr gien für notwendig und rät zu verstärktem Lernortver- den Anforderungen des Arbeitsmarktes genüge und bund (II/145). Das CJD hebt die kompensatorischen konstatiert verstärkte Bemühungen zur Entwicklung Möglichkeiten hervor, die in den neuen Technologien einer „alternierenden- Ausbildung", die Arbeitserfah- stecken würden und bei der Ausbildung von soge- rungen in der Ausbildung vermittle (II/150). Das KWB nannten Problemjugendlichen nutzbar gemacht wer- verweist positiv auf eine entsprechende „Entschlie- den könnten. Positive Beispiele gebe es bereits in ßung des Rates vom 18. Dezember 1979 über die alter- Großbritannien und Frankreich ( „Breitenprogramm") nierende Ausbildung von Jugendlichen". Diese Ent- (W/148). schließung empfiehlt Ausbildungsmaßnahmen, in de- nen Ausbildung, Arbeitsplatzerfahrungen und außer Zusammenfassung von handlungsorientierten betrieblicher Unterricht miteinander verbunden wer- Vorschlägen der Verbände: den, die eine hinreichend breite Grundlage haben — Auf die verantwortliche Mitwirkung bei der Ein- sowie eine angemessene Vergütung und sozialen und führung und beim Einsatz neuer IuK-Technologien arbeitsrechtlichen Schutz vorsehen (I/54). und die Nutzung des damit verbundenen Gestal- In die gleiche Richtung zielen die vorn BBJ beispiel- tungsspielraums bei der Arbeitsorganisation („so- haft hervorgehobenen „Leitlinien für die Verwaltung zialverträgliche Technikgestaltung") sind die (zu- des Europäischen Sozialfonds in den Haushaltsjahren künftigen) Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer 1989 bis 1991 ", nach denen Maßnahmen der berufli- in Bildung und Ausbildung entsprechend vorzube- chen Bildung Vorrang eingeräumt wird, wenn sie be- reiten (CPK II/51, GEW III/142-145, BLBS I/133). stimmten Anforderungen an die Vermittlung theoreti- scher und praktischer Kenntnisse und Fähigkeiten — In der Ausbildung ist das situativ-pragmatische genügen (III/47). gegenüber dem technologiegeprägten zweckra- tionalen Handeln zu verstärken (BLBS I/133); Von Gewerkschaftsseite wird darauf hingewiesen, Kommunikations-, Kooperations- und Konfliktfä- daß die oben genannte Entschließung des EG-Rates higkeit sind als Voraussetzung für eine posi tive zur „alternierenden Ausbildung" nicht als umstands-

Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode Drucksache 11/5349 loses Bekenntnis zum beispielhaften Charakter des sche Berufe begegnet werden. In diesen Berufen sei bundesdeutschen dualen System für Europa gedeutet zugleich ein wachsender Anteil von Dienstleistungs- werden dürfe, sondern nur als Hinweis auf eine ange- tätigkeiten zu erwarten. messene Verzahnung von Theo rie und Praxis, Arbei- Die Gewerkschaften DGB, CPK, IGM, GEW und DAG ten und Lernen, bei der im übrigen auch die Frage der halten trotz gewisser Verbesserungen die strukturel- Mitbestimmung der Arbeitnehmer jeweils näher zu len und quantitativen Probleme der beruflichen Erst- klären sei (W/134). ausbildung für überhaupt nicht gelöst. Die DAG sieht Arbeitgeber- und Gewerkschaftsvertreter gehen da- aufgrund mangelnder Auswahlmöglichkeiten für aus- von aus, daß die Frage der Vergleichbarkeit von euro- bildungsplatzsuchende Jugendliche generell keinen päischen Berufsabschlüssen weiter in den bereits lau- Anlaß zur Entwarnung (I/3). Der DGB kritisiert, daß fenden sogenannten Entsprechungsverfahren gere- von den Geburtsjahrgängen 1960 bis 1970 1,35 Mio. gelt werde, in denen im übrigen nur Transparenz über Jugendliche ohne Ausbildung geblieben seien (I I/4). Abschlußqualifikationen, nicht über die Wege dahin, Selbst das unzureichende Ausbildungsangebot sei hergestellt werden könne (W/ 146 ff). Die EG-Kom- nur durch öffentliche Finanzhilfen und ergänzende mission werde voraussichtlich einen Vorschlag zur schulische Ausbildungsangebote erzielt worden. Die Einführung eines europäischen Berufsbildungsaus- Ungleichheit der Ausbildungschancen habe sich eher weises unterbreiten (W/146). noch verstärkt (II/5). Besonders betroffen seien junge Zusammenfassung von handlungsorientierten Frauen, deren Berufschancen sich auf ein eingeengtes Berufsspektrum konzentrierten (zwei Drittel a ller Vorschlägen der Verbände: weiblichen Auszubildenden fänden sich in zehn Beru- — Auf europäischer Ebene ist auch bei fortschreiten- fen). Hauptschüler und ausländische Jugendliche der Integration von der Koexistenz verschiedener blieben unverhältnismäßig viel häufiger ohne Ausbil- Ausbildungssysteme auszugehen (BLBS I/125). dungsplatz, die regionalen Ungleichgewichte hätten — Berufsausbildung auf europäischer Ebene soll eine sich weiter verstärkt. Die Struktur der Ausbildungsbe- angemessene Verzahnung von Theo rie und Praxis, rufe entspreche weder der gegenwärtigen noch der Arbeiten und Lernen unter Wahrung von Mitbe- künftigen Beschäftigungsstruktur um die Jahrtau- stimmungsrechten der Arbeitnehmer beinhalten sendwende. Die GEW betont besonders die unterneh- (HBV W/134). merische und öffentliche Verantwortung für eine qua- lifizierte Lehrlingsausbildung und sieht ein Mißver- — An Entsprechungsverfahren zur Herstellung von hältnis in der Fehlqualifikation zahlreicher Jugendli- Transparenz über Berufsabschlußqualifikationen cher gegenüber steigendem Bedarf an qualifizierten in Europa ist weiter zu arbeiten (DIHT, DGB Facharbeitern und Angestellten ( „Ausbildungskrise") W/146 ff). (II/122). Der DBJR stellt fest, daß die Zahl der Ausbil- — Von der EG-Kommission wird der Vorschlag zur dungsplätze zwar zugenommen habe, jedoch nicht in Einführung eines europäischen Berufsausbil- ausreichendem Maße: „Der Ausbildungsmarkt ist zu- dungsausweises erwartet (DIHT W/146). sammengebrochen und das, obwohl die öffentliche Hand zigtausend Ausbildungsplätze angeboten, öf- fentlich finanziert hat." (W/44) b) Spezielle Problembereiche und Handlungsfelder Lehrerverbände wie DL, BLBS, VLW und auch der Bundeselternrat (BER) stellen insgesamt eine Ent- 1. Entwicklung des Ausbildungsstellenmarktes spannung auf dem Ausbildungsstellenmarkt fest, be- („1. Schwelle") tonen jedoch die verbleibenden regionalen und be- rufsstrukturellen Diskrepanzen- sowie ein geändertes Einhellig betonen die Verbände zunächst eine Zu- Bildungs- und Ausbildungsverhalten. Vor allem die nahme des Ausbildungsplatzangebots in den letzten steigende Nachfrage nach kaufmännisch-verwalten- Jahren. Die Beurteilungen darüber, ob es sich um ein den bzw. Dienstleistungs-Berufen gegenüber einem quantitatives und qualitativ ausreichendes Angebot künftig zunehmenden Bewerbermangel in gewerb- handele, gehen jedoch zwischen den Verbänden zum lich-technischen (Facharbeiter-)Berufen wird hervor- Teil weit auseinander. gehoben. Der VLW plädiert aufgrund der hohen Uneingeschränkt positiv beurteilt das KWB die Ent- Nachfrage nach Ausbildungsplätzen in Wirtschaft wicklung von Angebot und Nachfrage in der berufli- und Verwaltung für eine Förderung und den Ausbau chen Erstausbildung und die Entwicklung der Bil- schulischer Erstausbildung (II/103). Die Berufsbera- dungsbeteiligung (1/33-35). Aufgrund der hohen tung steht nach Auffassung des BLBS vor der ent- Ausbildungsbereitschaft der Betriebe sowie staatli- scheidenden Frage: Soll sie bestehende Motivationen cher Förderprogramme blieben nur 10 % eines Jahr- zur Persönlichkeitsentfaltung verstärken oder dazu gangs ohne Ausbildungsabschluß. Noch vorhandene raten, sich frühzeitig den Bedingungen des Arbeits- Angebotslücken sollten nicht durch außerbetriebliche marktes zu fügen (I/108)? (vollzeitschulische) Ausbildungsangebote geschlos- Zusammenfassung von handlungsorientierten sen werden, sondern ließen sich durch steigende re- Vorschlägen der Verbände: gionale Mobilität und auch verbesserte Regionalent- wicklung weitgehend kompensieren. Berufsstruktu- — Stärkung wirtschaftsschwacher Regionen und För- rellen Diskrepanzen, die in einer überproportionalen derung der regionalen Mobilität von ausbildungs- Nachfrage nach Ausbildungsplätzen im Dienstlei- platzsuchenden Jugendlichen, um regionale An- stungssektor zum Ausdruck kämen, könne durch stär- gebotslücken beim Ausbildungsplatzangebot zu kere schulische Motivierung für gewerblich-techni schließen (KWB I/33f).

Drucksache 11/5349 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode

— Mehr schulische Motivierung von Schülern und dungsinhalte (Betriebspraktika, Projekte, praktische Schülerinnen für gewerblich-technische Berufe Fächerangebote) in der Schule zur Förderung der Be- fördern (KWB 1/34). rufsreife (I/149). Auch der BER hält die Berufsvorbe- reitung in der Schule für verbesserungswürdig und — Das Mißverhältnis zwischen Ausbildung in Beru- spricht sich für eine intensivere Berufsinformation und fen mit hohem Beschäftigungsrisiko einerseits und -beratung, auch in der gymnasialen Oberstufe, aus steigendem Bedarf an qualifizierten Facharbeitern (I/157). Das CJD sieht starke Defizite bei Jugendli- und Angestellten in „zukunftsträchtigen Berufen" chen hinsichtlich wichtiger Grundanforderungen andererseits ist abzubauen (GEW II/122). (Rechtschreibung, Grundrechenarten) und vermutet — Die schulische Erstausbildung ist aufgrund der unter anderem eine mangelnde Diagnosefähigkeit hohen Nachfrage nach Ausbildungsplätzen in der Lehrer, um Lernbeeinträchtigungen bei Jugendli- Wirtschaft und Verwaltung auszubauen (VLW chen festzustellen (I/171f). Die AGA hält für viele Ju- II/103). gendliche eine Übergangsbetreuung in der Zeit zwi- schen Schule und Beruf für sinnvoll, um Hilfestellung bei der Lehrstellensuche zu geben (III/36). Für die große Zahl der Altbewerber, die zum Teil in „Warte- 2. Schulabschlüsse beim Übergang in die schleifen" auf einen Ausbildungsplatz gewartet hät- Berufsausbildung ten, sind nach Auffassung des DGB (I1/9) und der CPK (II/41f) neue Formen der Nachqualifikation und der Übereinstimmend gehen die Verbände von einem finanziellen Förderung — gegebenenfalls mit Teilfrei- weiter steigenden Trend zu höheren Schulabschlüs- stellungen seitens der Betriebe — zu entwickeln, um sen und verlängerten Bildungszeiten sowie aufge- ihnen das Übergangsproblem zu erleichtern und die schobenen Berufsentscheidungen aus, in deren Folge Chance auf eine qualifizierte Ausbildung zu eröff- die Eingangsvoraussetzungen für den Beginn einer nen. qualifizierten Berufsausbildung ansteigen werden. Das KWB prognostiziert, daß künftig 70 % aller Zusammenfassung von handlungsorientierten Hauptschüler, zwei Drittel aller Realschüler und ca. Vorschlägen der Verbände: ein Viertel aller Hochschulberechtigten eine betrieb- — Eine ausreichende Anzahl qualifizierter Ausbil- liche Ausbildung anstreben werden (I/48). Für Haupt dungsplätze soll unabhängig vom Schulabschluß und Sonderschüler sowie besonders für Jugendliche der Bewerber bereitgestellt werden (DAG I/13, ohne Schulabschluß werden wachsende Schwierig- DBJR III/61). keiten beim Übergang an der „ersten Schwelle" pro- phezeit. Zwar deute die weitere Entspannung am — Haupt- und Realschulabschlüsse sollen gleichge- Ausbildungsmarkt, von dem das Übergangsverhalten wichtig anerkannt und gestärkt sowie die Durch- in den vergangenen Jahren stark beeinflußt worden lässigkeit zu späteren schulischen und beruflichen sei (KWB 1/47), auf wieder höhere Akzeptanz von Weiterqualifikationen verbessert werden (DL Hauptschülern vor allem im Handwerk hin (DL III/6f). III/7). Doch betonen besonders die Gewerkschaften, wie — Ein mittlerer Bildungsabschluß für alle ist anzu- zum Beispiel die IGM (II/61 f), einen eher noch anstei- streben (unter anderem DGB II/10). genden Verdrängungswettbewerb zwischen den ver- schiedenen Schulabschlüssen und in der Folge eine — Eine abgeschlossene Schullaufbahn auf niedrigem stärkere Hierarchisierung der Ausbildungsberufe und Niveau ist einer abgebrochenen höheren Schul- damit verbundene soziale Ungleichheit. laufbahn vorzuziehen- (vds I/149). Um der sozialen Differenzierung an der „ersten — Die Diagnosefähigkeit von Lehrern und Lehrerin- Schwelle" entgegenzuwirken, plädieren DAG (I/13) nen zur Feststellung von Lernbeeinträchtigungen und DBJR (III/61) für die Bereitstellung einer ausrei- ist zu verbessern (CJD 1/171 f). chenden Anzahl qualifizierter Ausbildungsplätze un- — abhängig vom Schulabschluß der Bewerber. Der DL Zur Hilfestellung bei der Lehrstellensuche ist eine fordert eine gleichgewich tige Anerkennung und Stär- Übergangsbetreuung einzurichten (AGA III/36). kung der Haupt- und Realschulabschlüsse sowie die — Für „Altbewerber" aus „Warteschleifen" sind Durchlässigkeit zu späteren schulischen und berufli- neue Formen der Nachqualifikation und finanziel- chen Weiterqualifikationen (zum Beispiel Fachschule, len Förderung zu entwickeln, gegebenenfalls mit Fachoberschule) (III/7). Der IB hält zur Stärkung der Teilfreistellungen seitens der Betriebe (DGB II/9; Hauptschule im Verdrängungswettbewerb eine en- CPK II/41 f). gere Kooperation mit Bet rieben der Region für erfor- derlich (II/149). Mehrere Verbände sprechen sich ex- plizit für das Ziel aus, möglichst allen Jugendlichen 3. Vorberufliche Bildung — Arbeits- und einen mittleren Bildungsabschluß (DGB: „kein Zu- Wirtschaftslehre rück zur Hauptschule" ; II/10) und daran anschließend eine berufliche Erstausbildung zu ermöglichen (DGB, CPK, VBE, GEW). Nahezu alle Verbände betonen — wenn auch mit un- terschiedlicher Intensität — die Notwendigkeit und Der vds gibt zu bedenken, daß eine abgeschlossene zugleich Defizite arbeits- und wirtschaftsbezogener Schullaufbahn auf niedrigerem Niveau besser sei als Bildung auf allen Stufen des allgemeinbildenden eine abgebrochene höhere Schullaufbahn und fordert Schulwesens. Der DGB hebt die sehr unterschiedliche die Berücksichtigung wirk lichkeitsnaher Ausbil Ausprägung der Arbeitslehre je nach Schultyp hervor

Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode Drucksache 11/5349 und kritisiert, daß sich die KMK im Jahre 1987 nicht über ein gesamtes Berufsfeld oder gar mehrere Be- über eine Empfehlung zur Arbeitslehre als Schulfach rufsfelder gewonnen werden könnten (I/91). für alle Schularten der Sekundarstufe I zu einigen ver- Eine klare Grenze arbeits- und wirtschaftsbezogener mocht habe (II/13). Notwendig sei gleichwohl die Bildung wird da gesehen, wo es um die Vermittlung Weiterführung der Arbeitslehre bis zum Ende der Se- beruflicher Fachbildung geht. So warnt beispiels- kundarstufe II, um die Durchlässigkeit zwischen den weise der VLW vor der Illusion, bereits in der allge- beiden Stufen zu erhöhen. Die DAG hält die Vermitt- meinbildenden Schule könne eine berufliche Teilqua- lung berufs- und arbeitsorientierter Inhalte in den lifikation vermittelt werden (II/107f), und der DL rich- letzten beiden Jahren aller allgemeinbildenden tet das Augenmerk auf den „Kulturbereich Wirt- Schulbereiche für verstärkt erforderlich (1/16). Der DL schaft" , den es zu erschließen gelte, anstelle einer registriert eine bereits relativ weitgehende berufliche vermeintlichen Vorwegnahme beruflicher Bildung Orientierung in Haupt- und Realschulen und verweist (III/9) . auf einige fachübergreifende erfolgreiche Ansätze zur stärkeren Öffnung der Gymnasien für die Arbeitswelt Zusammenfassung von handlungsorientierten wie Projekte der Ini tiative Gymnasium/Wirtschaft Vorschlägen der Verbände: (III/9). Gegenüber dem BLBS (I/124), der GEW (II/133) und dem DGB (II/13), die die Einrichtung des Faches — Arbeits-, berufs- und wirtschaftsbezogene Inhalte Arbeitslehre explizit auch an Gymnasien fordern, hal- (Arbeits- und Wirtschaftslehre) sollen in der ten der DL (III/9) und der DPhV (III/16) eine etwas Sekundarstufe I und II der allgemeinbildenden stärkere Ausprägung der wirtschaftsbezogenen Aus- Schulen (DGB II/13) bzw. in den letzten beiden bildung in dem vorhandenen Fächerkanon des Gym- Jahren aller allgemeinbildenden Schulbereiche nasiums für ausreichend. (DAG I/16) vermittelt werden. — An den Gymnasien ist das Fach Arbeitslehre ein Zur Gestaltung des Faches Arbeitslehre stellen DGB zurichten (BLBS 1/124, GEW II/133, DGB II/13). (II/13) und GEW (III/133) fest, daß es noch überwie- gend additiv und nicht integra tiv in bezug auf die — Die wirtschaftsbezogene Ausbildung im vorhande- beteiligten Fächer (Wirtschaft, Technik, Hauswirt- nen Fächerkanon des Gymnasiums ist zu verstär- schaft) vermittelt werde. Seltener werde der Arbeits- ken (DL III/9, DPhV III/16). lehre die handlungsorientierte Integra tion techni- — Das Fach Arbeitslehre soll als handlungsorientier- scher, ökonomischer und politischer Zusammenhänge tes integratives Fach (Wirtschaft, Technik, Haus- aufgetragen, die auch als Schritt auf dem Weg zur wirtschaft) vermittelt werden (DGB II/13, GEW Aufhebung der Trennung zwischen Berufs- und A ll III/133). -gemeinbildung gesehen werden könne. Der VBE sieht in der Überwindung dieser Trennung eine zen- — Die Kooperation zwischen Schule, Berufsberatung trale bildungspolitische Aufgabe der nächsten Jahre und Betrieben ist zu verbessern (gemeinsame Posi- (1/142). Inhaltlich verbindet der DGB mit der vorberuf- tion) . lichen Bildung das Vermitteln von Einsichten über — Die verschiedenen berufsvorbereitenden Maßnah- Vor- und Nachteile technisch-ökonomischer Prozesse men sind aufeinander abzustimmen und in ein Ge- und Entscheidungen sowie über die Abhängigkeiten samtkonzept der Berufsvorbereitung einzubezie- zwischen Technik, Wirtschaft und Gesellschaft sowie hen (DGB II/6). deren geschichtlicher Gewordenheit und Veränder- barkeit (W/5). — Lehreraus- und -weiterbildung sowie Unterrichts- materialien zur Verbesserung des Arbeitslehre- - Nahezu alle Verbände plädieren für eine bessere Ko- Unterrichts sind zu fördern (KWB 1/53), desglei- operation zwischen Schule, Berufsberatung und Be- chen Lehrer-Betriebspraktika (IB 1/53). trieben und betonen die Notwendigkeit von Betriebs- — Die Kenntnis über Berufe, Berufszweige sowie erkundungen, Betriebspraktika und Projekten im über die spätere rechtliche Stellung als Auszu- Rahmen der Arbeitslehre. Der DGB setzt sich dafür bildender im Betrieb ist zu verbessern (DBJR ein, daß die zersplitterten berufsvorbereitenden Maß- III/65). nahmen aufeinander abgestimmt und in ein Gesamt- konzept der Berufsvorbereitung überführt werden — Zur Gewinnung näherer Kenntnisse über die Be- (II/6). Das KWB fordert darüber hinaus verbesserte rufsfelder sollen Einjährige Berufsfachschulen ein- Unterrichtsmaterialien und eine intensivere Lehrer- gerichtet werden (BDP I/91). aus- und -weiterbildung für diesen Bereich (1/53). Auch Lehrer-Betriebspraktika werden vom KWB für erforderlich gehalten, nach Meinung des IB sollten sie 4. Duales System und Qualität der Berufsbildung schon während des Studiums beginnen (II/150). Für die künftigen Auszubildenden fehlt es nach Meinung Der beruflichen Erstausbildung wird von allen Ver- des DBJR vor allem an der Kenntnis über Berufe und bänden ein uneingeschränkt hoher Stellenwert beige- Berufszweige sowie über rechtliche Regelungen ihres messen. In der dualen Berufsbildung sehen die Ver- späteren Status' im Betrieb (III/65). Der BDP sieht im bände ganz überwiegend auch für die Zukunft die Schulfach Arbeitslehre lediglich das Angebot einer verbreitetste und wichtigste Form beruflicher Qualifi- Grundinformation, die für eine berufliche Orientie- zierung in der Bundesrepublik. rung noch längst nicht ausreiche und schlägt unter anderem die Einrichtung bzw. den Besuch von Einjäh- Das KWB: „Dieses System ist wie kein anderes in der rigen Berufsfachschulen vor, in denen Kenntnisse Lage, nicht nur für die erforderlichen Ausbildungska-

Drucksache 11/5349 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode pazitäten zu sorgen, sondern ebenso die Anpassung und Bürogehilfinnen am unteren Ende der Erfolgs- der Ausbildung an veränderte Berufsanforderungen quoten-Skala, was auch mit der Ausbildungsqualität zu sichern und die erforderlichen Ressourcen bereit- zusammenhänge (CPK II/39). zustellen. " (W/9) Weiter betont das KWB, daß durch die betriebliche Ausbildung auch die Einstellung und Auf die Bedeutung und die hohe Akzeptanz beider das Verhalten des einzelnen positiv beeinflußt werde Lernorte des dualen Systems wird einhellig hingewie- und daß die Jugendlichen zum erstenmal nicht für sen. Der VBE betont darüber hinaus die Vorteile einer sich selbst tätig seien, sondern mit anderen auf ein breiten Palette von Lernorten und Ausbildungsmög- einheitliches Ziel hinarbeiten würden (W/29). Sie lichkeiten (I/139). Der BDP unterstreicht, daß die würden auch nicht unkritisch ausgebildet, sondern duale Berufsausbildung zwar gute, interna tional aner- beispielsweise via Jugendvertretung in demokrati- kannte Erfolge zeitige, gleichwohl aber nicht die ein- sche Verhaltensweisen eingeübt (W/29). Darüber hin- zige Form der Berufsausbildung sein dürfe. Folgende aus lernten sie die Beteiligung an der Arbeitsgestal- Ausnahmefälle werden aufgeführt: Besondere Maß- tung (Abkehr vom Taylorismus) kennen und bekämen nahmen für Benachteiligte ; Assistentenberufe mit ho- die ökologischen Erfordernisse aufgezeigt (W/10). hen Theorieanteilen, die am Lernort Bet rieb nicht ver- mittelt werden könnten; berufsfeldübergreifende not- Von anderen Verbänden werden eine Reihe ihrer An- wendige Schwerpunktausbildungen (zum Beispiel sicht nach zum Teil gravierender Probleme des dualen Wirtschaftsdolmetscher) (I/87f). Systems benannt und Veränderungs- bzw. Verbesse- rungsvorschläge angemerkt, bevor es gewissermaßen Übereinstimmend wird eine verbesserte Abstimmung als ein „Exportschlager" (so der VLW W/13) fungieren zwischen Schule und Betrieb gefordert; der BER ver- könne. Der DGB: „Da die Organisationen der Wi rt weist im einzelnen auf die Notwendigkeit einer ver- -schaft/Arbeitgeber die Berufsausbildung als ihre Auf- besserten Koordination und überregional einheitli- gabe reklamieren, müssen die Betriebe sich an der chen Anwendung von Ausbildungsordnungen, Prü- Realisierung des Anspruchs auf Ausbildung für alle fungsordnungen und Rahmenlehrplänen in densel- Jugendlichen messen lassen." (II/6) Kritikpunkte (die ben Berufen (I/156). in einzelnen Kapiteln der Abschnitte A und B jeweils Zusammenfassung von handlungsorientierten im einzelnen aufgenommen und, soweit möglich, in Vorschlägen der Verbände: Form von Pro- und Contra-Argumenten dargestellt werden) be treffen unter anderem — Die duale Berufsausbildung stellt auch für die Zu- kunft die wichtigste Form beruflicher Qualifizie- — die Gleichstellung der Geschlechter in der Berufs- rung in der Bundesrepublik dar (gemeinsame Posi- bildung (vgl. A.3) tion). — die ökologische Erneuerung (vgl. A.4) — Zu weiteren Optionen, die sich zum Teil aus ein- — den Ausbildungsstellenmarkt (vgl. B.1) zelnen Kritikpunkten und Veränderungsvorschlä- gen am dualen System ergeben, vgl. die einzelnen — das Verhältnis von bet rieblichen Zielen zu Ausbil- Kapitel in Abschnitt A (insbesondere A. 3, 4) und B dungswünschen und Chancen auf eine berufliche (insbesondere B. 1, 5, 9, 10, 14, 15, 16). Ersterfahrung (vgl. B.14 und B.16) — die Form und die Zuständigkeiten bei den Ab- schlußprüfungen (vgl. B.9) 5. Lernort Berufsschule

— die Rolle der Berufsschule im dualen System (vgl. Die Bedeutung der Berufsschule innerhalb des dualen B.5) Systems wird besonders von den Lehrerverbänden — die Ausbildungschancen Lernbeeinträchtigter und (LV, BLBS, VBE) und der GEW hervorgehoben. Aus- Behinderter (vgl. B.10 und 11) gehend von der grundsätzlichen Bedeutung des dua- len Systems für die berufliche Erstausbildung wird — die Form der Ausbildungsfinanzierung (vgl. eine Stärkung der Rolle der Berufsschule gefordert. So B.16). plädiert der BLBS dafür, „daß nun endlich damit an- gefangen wird, ein duales System in echter Partner- Die Qualität und die Akzeptanz des dualen Ausbil- schaft zwischen beiden Lernorten, der berufsbilden- dungssystems wird je nach Wirtschaftsbereich, Be- den Schule und dem Betrieb, zu verwirklichen. " triebsgröße und Berufsfeld differenzie rt beurteilt. Das (W/13) KWB hebt die hohe Qualität und Akzeptanz im kauf- männischen und Dienstleistungs-Bereich sowie in den Entsprechend dieses eigenständigen Anspruchs der gewerblich-technischen Berufen hervor und verweist Berufsschule innerhalb der Dualität — die. GEW: Die auf eine BIBB-Studie (Projekt 1 059: „Ganz die Alten? Berufsschule hat „einen eigenständigen, auch staatli- Was Auszubildende meinen, was Auszubildende chen Bildungsauftrag" (W/41) — wird eine stärkere tun?"), nach der sich 80 % der Auszubildenden positiv Berücksichtigung der berufsschulischen Seite bei der über ihre Ausbildung äußerten (I/40). Die Gewerk- Erarbeitung von Ausbildungsordnungen und Rah- schaften betonen die Qualitätsunterschiede in der menlehrplänen bzw. schon bei der Formulierung von Ausbildung bei Industrie und Handwerk. Im Durch- „Eckwerten" bei anstehenden Neuordnungen von schnitt werde jeder siebente Ausbildungsvertrag vor- Berufen gefordert (VLW W/13; GEW W/42). Vor allem zeitig gelöst, davon überdurchschnittlich viele im die GEW sieht auch den Gesetzgeber gefordert, um Handwerk (DGB II/8); ähnliche Unterschiede gälten angesichts der zukünftigen Qualifikationsanforderun- für den Prüfungserfolg. Hier lägen die Bürogehilfen gen (Gestaltungsqualifikationen, Mitbestimmungsfä-

Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode Drucksache 11/5349 higkeit) eine bessere Abstimmung zwischen Theo rie — Die Berufsschulen und der berufsschulische Lern- und Praxis bzw. zwischen schulischem und berufli- inhalt sollen stärker in die Abschlußprüfungen in- chem Lernen herzustellen: „Hier muß der Bundesge- tegriert werden (BLBS W/132). setzgeber den Zusammenhang von Berufsschule und Betrieb, soweit er das kann, auch unter Überwindung — Berufsschulen sind stärker zu kulturellen Einrich- überkommener Zuständigkeiten, eventuell über tungen (Fremdsprachen, neue Lernmethoden) Bund-Länder-Kommissionen oder andere Kommissio- auszubauen ( „allgemeine Jugend-Gesamtschu- nen, stärker wiederherstellen." (W/44) len") (GEW II/125).

Der BLBS verweist darauf, daß die berufsbildenden — Berufsschulen sollen verstärkt für Weiterbildungs- Schulen systema tisch vom Prüfungssystem abgekop- maßnahmen herangezogen werden (BLBS W/56). pelt seien und forde rt eine Änderung des Berufsbil- dungsgesetzes, „nach der a lles geprüft werden kann, was in der Berufsausbildung gelernt wird." (W/132) Unter Hinweis auf wachsende Qualifikationsanforde- 6. Überbetriebliche Ausbildungswerkstätten rungen wird von den Lehrerverbänden eine bessere personelle und sächliche Ausstattung gefordert. Zu- Die überbetrieblichen Ausbildungswerkstätten (ÜBAS) dem wird unter Hinweis auf die aktuelle Situa tion in werden vor allem zwischen Lehrerverbänden und Ar- den Berufsschulen (Lehrermangel, Unterrichtsausf all) beitgebervertretern unterschiedlich beurteilt. Beto- tik der Länder für Mitte und die weitere Personalpoli nen die Arbeitgebervertreter eher deren qualitätssi- der neunziger Jahre eine alarmierende Unterversor- chernde Funktion für die Ausbildung in Klein- und gung vorausgesagt, die den steigenden theore tischen Mittelbetrieben, so sehen die Lehrerverbände hierin Qualifikationsanforderungen sowie den europäischen eher eine Verlagerung von Ausbildungskapazitäten Herausforderungen in keiner Weise gewachsen sei. an einen möglichen „dritten Lernort", der bei ange- Gefordert wird dagegen der Ausbau der Berufsschu- messener Ausstattung der Berufsschulen im Grunde len auch zu kulturellen Einrichtungen, in denen ver- überflüssig sei. stärkt Fremdsprachen gelehrt und neue Lernmetho- den angewendet werden (GEW: Berufsschulen sind Das ZDH weist die These, die ÜBAS würden einen zu allgemeinen Jugend-Gesamtschulen zu entwik- dritten Lernort darstellen, mit dem Hinweis auf klar keln; II/125). Weiter wird die Reduzierung der Pflicht- gegliederte Zuständigkeiten zwischen Bet rieb und stundenzahl und die Anerkennung der berufsschuli- Berufsschule zurück (W/58). Den ÜBAS komme viel- schen Lernleistungen in der Lehrabschlußprüfung so- mehr — auch im Hinblick auf die Qualifizierung für wie Freistellung zur theore tischen und praktischen neue Technologien — eine wich tige Rolle bei der Si- Weiterbildung für Berufsschullehrer gefordert. cherung eines gleich hohen Qualifikationsstandards auch für Auszubildende in Klein- und Mittelbetrieben Auf die ihrer Ansicht nach anhaltende und eigenstän- zu (so auch die DAG W/57). Außerdem hätten sich die dige Bedeutung von beruflichen Vollzeitschulen, ÜBAS auch bei der Ausbildung von Jugendlichen mit auch über die Zeit des Ausbildungsplatzmangels hin- Lernschwierigkeiten hervorragend bewährt (W/59). aus, weisen alle Lehrerverbände hin. Das KWB sieht Die DAG hebt außerdem die wichtige Rolle der ÜBAS eine schulische Alterna tive bzw. einen Ersatz zur für den Bereich kaufmännischer Ausbildung hervor Lehre im dualen System allerdings einzig in denjeni- (W/16), stellt die prinzipielle Schwierigkeit der Tren- gen Berufsausbildungsabschlüssen, die — wie im Ge- nung zwischen kognitiven und fertigungsorientierten sundheitswesen — nur in Berufsfachschulen erwor- Kenntnissen und Fähigkeiten und deren Zuordnung ben werden können (I/40f). zu verschiedenen Lernorten fest (W/57) und plädiert des weiteren für eine unbefristete finanzielle Absiche- Zusammenfassung von handlungsorientierten rung der ÜBAS (W/16). Vorschlägen der Verbände: BLBS, GEW und VLW sprechen sich mehr oder weni- — Innerhalb des dualen Systems ist die Rolle der Be- ger eindeutig gegen eine weitere Förderung der rufsschulen zu stärken (Beruf sschulehrer-Ver- ÜBAS vor einer materiellen und personellen Besser- bände) sowie ihre angemessene Beteiligung bei stellung der Berufsschulen aus. Der BLBS verweist auf der Erarbeitung von „Eckwerten", Ausbildungs- die Existenz von 2400 Berufsschulen, die sich für den ordnungen und Rahmenplänen vorzusehen (VLW Ausbau zu Berufsbildungszentren, vor allem auch im W/13; GEW W/42). Bereich der Weiterbildung, eignen würden (W/49). Eine unangemessene Rolle spielen nach Meinung der — Der Gesetzgeber soll — gegebenenfalls über die GEW die ÜBAS dann, wenn sie auch theore tische Auf- Bund-Länder-Kommission oder andere Gremien gaben übernehmen, obwohl sie nur die betriebliche — Voraussetzungen für eine bessere Abstimmung Ausbildung ergänzen sollten (W/48). Ein Bundespro- zwischen schulischem und bet rieblichem Lernen gramm für die ÜBAS sei im übrigen nur zu akzeptie- schaffen (GEW W/44). ren, wenn zugleich ein Notprogramm für die erwar- tete schwierige Lage an den Berufsschulen aufgelegt — Die personelle und sächliche Ausstattung der Be- werde (W/49). Der VLW kritisiert, daß im kaufmänni- rufsschulen soll im Hinblick auf wachsende und schen Bereich ÜBAS vor allem für Großbetriebe (Ban- veränderte Qualifikationsanforderungen und we- ken, Einzelhandelsketten) zur Verfügung ständen, gen eines erwarteten akuten Lehrermangels ver- der Lebensmittel-Einzelhändler hingegen bei der bessert werden (gemeinsame Posi tion der Berufs- Vermittlung der Lerninhalte auf sich selbst gestellt sei schullehrer-Verbände) . (W/47).

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Zusammenfassung von handlungsorientierten Für außerbetriebliche Ausbildung bzw. Ausbildung in Vorschlägen der Verbände: selbstverwalteten Ausbildungszentren sieht das KWB (I/41f) ebenso wie der BLBS (I/116) — zumal in Zeiten — Die ÜBAS sind für die Sicherung eines gleich ho- günstiger Ausbildungsmarktlage keinen weiteren Be- hen Ausbildungsstandards, zum Beispiel im Hin- darf. In „alternativen Bet rieben" sei die Qualität sowie blick auf den Umgang mit neuen Technologien, für die Ordnungsmäßigkeit der Ausbildung oft nicht ge- Jugendliche mit Lernschwierigkeiten und vor al- währleistet. Zu akzeptieren sei diese Form der Ausbil- lem für Klein- und Mittelbetriebe, weiter zu för- dung allenfalls bei Eigenfinanzierung des betriebli- dern und finanziell langfristig abzusichern (Ar- chen Teils und Beachtung der gesetzlichen Vorschrif- beitgeber, DAG). ten (I/42). DGB wie CPK würdigen den Beitrag außer — An Stelle der ÜBAS sollen die Berufsschulen zu betrieblicher Ausbildungsstätten für die Zeit akuten Ausbildungszentren mit vermehrten Weiterbil- Ausbildungsplatzmangels. Die CPK verweist beson- dungsaufgaben ausgebaut werden (BLBS W/49). ders auf die dort geleistete positive Arbeit mit lern- schwachen Jugendlichen (I I/40). Allerdings kritisiert — Bundesprogramme zur Förderung der ÜBAS sollen der DGB zugleich, daß hier vielfach tarifliche und nur bei gleichzeitiger Auflage eines Not-Pro- gesetzliche Schutznormen umgangen würden (II/9). gramms für die Berufsschulen verwirklicht werden (GEW W/49). IB (II/148) und AGA halten die Ausbildung in selbst- verwalteten Projekten vor allem in Problemregionen und für Problemgruppen für notwendig und wir- kungsvoll. Die AGA fordert Ausbildungsprojekte als 7. Vollzeitschulische und selbstverwaltete Standardeinrichtungen in Regionen wie Ber lin- Ausbildung Kreuzberg (III/35). Der BBJ sieht in den ökologischen Projekten zur Stadterneuerung, zum Beispiel in Ber- Bei den Begründungen für die vollzeitschulische Be- lin-Kreuzberg, aber auch in Bremen und im Saarland, rufsbildung in der Bundesrepublik wird einerseits de- auBerbetriebliche Ausbildungseinrichtungen, in de- ren eigenständige oder alterna tive, andererseits de- nen eine sinnvolle Verknüpfung von sozialpolitischen ren kompensatorische Funktion im Verhältnis zur und ökologischen Zielen angestrebt werde. Diese Pro- dualen Ausbildung betont. Vor allem von den Lehrer- jekte übten „eine Art sozialpolitischer Feuerwehr- verbänden wird mit dem Verweis auf steigende theo- funktion" aus. Sie seien in eine Struktur von Trägern, retische Anforderungen aufgrund technologischer staatlichen Finanzierungen und bestimmten Ziel- Entwicklungen (BLBS I/125ff) das berufliche Vollzeit- gruppen einbezogen und als Ergänzungen zum dua- schulwesen als eine „quantitativ bedeutende und len System zu sehen. Es ergebe sich die erstaunliche qualitativ hochwertige Alterna tive zum dualen Sy- Situation, daß ein sozial benachteiligter Jugendlicher stem" herausgestellt, die die theoriebezogenen In- ohne Hauptschulabschluß zum Beispiel einen aner- halte in systematischer Weise fördere (DL II1/9). Auch kannten Ausbildungsberuf im Gas-Wasser-Bereich die doppelqualifizierende Ausbildung (Berufsab- lerne und zugleich eine Reihe ganz praktischer Qua- schluß mit höherem Schulabschluß) sehen beispiels- lifikationen im Bereich Umwelt und Energie erwerbe weise die GEW (II/134) und der VBE (I/142) als eigen- (W/113 f). ständige Variante der vollzeitschulischen Berufsbil- dung. Nach Auffassung des VLW (II/108) haben sich Sorge bereitet einigen Verbänden (AGA, IB, BBJ, außerdem bestimmte Bildungsgänge für Assistenten- DBJR) die Form der künftigen Finanzierung der Aus- berufe als Alternative zur dualen Ausbildung zuneh- bildungsprojekte. Die Jugendhilfe sei nicht eigentlich mend entwickelt und bewäh rt (vor allem im Bereich auf Ausbildung, sondern- auf Heimunterbringung zu- Fremdsprachen und Datenverarbeitung). geschnitten (AGA W/106). Andererseits bringe die Einbeziehung der Jugendberufshilfe in die Jugend- Die kompensatorische Funktion vollzeitschulischer hilfe — wie das ein Referentenentwurf zur Novellie- Ausbildung im Verhältnis zum dualen System wird rung des Jugendhilferechts vorsehe — die Gefahr, daß wesentlich mit der begrenzten Reichweite des Markt- dann „für eine normale Jugendarbeit kaum noch Geld mechanismus im Ausbildungsbereich begründet da wäre, zumal es Zuwächse im Bereich der Jugend- (VBE 1/142). Für strukturschwache Regionen, so der hilfe bestimmt nicht geben wird." (DBJR W/46) Von DL (II1/9) und für Problemgruppen am Ausbildungs- daher wird eine Finanzierung aus dem Bereich Bun- markt, so der IB (III/150), bedarf das duale System der desanstalt für Arbeit/Bundesministerium für Bildung Ergänzung. Der BDP will diese Ergänzungen, in die er und Wissenschaft/Bundesministerium für Arbeit und die oben genannten Assistentenberufe einbezieht, Sozialordnung vorgeschlagen (DBJR W/46). auch im Rahmen der europäischen Integra tion nur als Ausnahmen verstanden wissen (I/92). BLBS und DGB Zusammenfassung von handlungsorientierten heben die Diskussionen um Alternativen zum dualen Vorschlägen der Verbände: System gleichzeitig auf eine andere Ebene, indem sie — Bei unzureichendem Ausbildungsplatzangebot, entweder die Besonderheiten und Vorteile der ver- insbesondere in strukturschwachen Regionen und schiedenen Lernorte (Schule, Bet rieb, gegebenenfalls für Problemgruppen, bedarf das duale System er- Labor) herausstreichen (BLBS I/126f) oder auf die gänzender Ausbildungsangebote (VBE IDL/142, Schutz- und Mitwirkungsrechte der Arbeitnehmer ab- III/9, IB III/150). heben (DGB II/16), die es in jedem der Ansätze auch im Prozeß der weiteren ökonomischen und sozialen — Die doppelqualifizierende Ausbildung (Berufsab- Integration der Europäischen Gemeinschaft zu be- schluß mit höherem Schulabschluß) ist als eigen- rücksichtigen gelte. ständige Variante der vollzeitschulischen Berufs-

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bildung weiterzuentwickeln (GEW II/134; VBE und Qualität der Ausbildung restriktiv hineinwirken 1/142). würden. VBE (I/138) und CJD (I/162) sehen auch in- nerhalb des ökonomischen Kalküls Chancen für eine — Um Assistentenberufen als Alterna tive zur dualen erhöhte Bereitschaft zur Erstausbildung bei den Be- Ausbildung bundesweite Bekanntheit und Aner- trieben, wenn Qualifizierung der Mitarbeiter als Zu- kennung zu verschaffen, würde eine entspre- kunftsinvestition und Ausbildung als ein langfristig chende Rahmenvereinbarung der KMK begrüßt wirksamer, integraler Bestandteil der Personalpla- (VLW II/108). nung verstanden werde. — Die Schutz- und Mitwirkungsrechte der Arbeit- nehmer sind in jedem ergänzenden oder alternati- Nach Auffassung des BLBS muß der Staat dann für ein ven Ansatz zum dualen System zu berücksichtigen ergänzendes Angebot sorgen, wenn die von der Wirt- (DGB II/16). schaft angebotene Zahl von Lehrstellen zur Siche- rung der freien Ausbildungsplatzwahl nicht ausreicht — Selbstverwaltete Ausbildungsprojekte sollen vor (I/111). allem in sozialpolitischen Problemregionen als Standardeinrichtungen ermöglicht und bei der von Die weitestgehenden bildungspolitischen Maßnah- ihnen angestrebten Verknüpfung von sozialpoliti- men fordert die IGM, die wie die anderen beteiligten schen und ökologischen Zielen unterstützt werden Gewerkschaften (DGB, CPK, GEW, DAG) das Recht (AGA III/35; BBJ W/113). aller Jugendlichen auf eine qualifizierte Ausbildung (GEW: und auch auf sinnvolle, identitätsstiftende Ar- — Die Finanzierung der Ausbildungsprojekte sollte beit II/123) gegenüber den ökonomischen Interessen nicht über die Jugendhilfe, sondern über andere der Betriebe hervorhebt. Die IGM verweist auf die staatlichen Finanzierungswege bzw. Institutionen Stärkung der öffentlichen Verantwortung für die be- (BA, BMBW, BMA) erfolgen (DBJR W/46). rufliche Bildung: „Dies könnte von der Einführung einer Berufsbildungsabgabe bis zur staatlichen Ga- rantie einer beruflichen Erstausbildung für alle Ju- 8. Steigerung der Ausbildungsbereitschaft bei gendlichen reichen. Diese Garan tie müßte durch eine Jugendlichen und bei Bet rieben Ausbildungsverpflichtung der Bet riebe und öffentlich geförderte alterna tive Angebote beruflicher Erstaus- Von allen beteiligten Verbänden wird die Verantwor- bildung realisiert werden." (II/59) Auch der BLBS tung der Wirtschaft/Arbeitgeber für ein ausreichen- denkt an eine Ausbildungsverpflichtung der Betriebe, des Angebot an geeigneten Ausbildungsstellen her- zumindest für Problemgruppen (I/112). DAG, CJD vorgehoben und die Bedeutung betriebspraktischer und DBJR halten zur Hebung der bet rieblichen Moti Erfahrungen in der Berufsbildung betont. Unter- tion für die Erhöhung eines qualifizierten Ausbil--va schiedlich eingeschätzt wird die Ausbildungsbereit- dungsangebots eine gerechtere Finanzierungsrege- schaft der Betriebe sowie die Art und das Gewicht der lung vor allem im Interesse der Klein- und Mittelbe- zusätzlichen Maßnahmen, die zur Sicherung eines triebe für erforderlich (vgl. hierzu näher weiter unten quantitativ und qualitativ hinreichenden Ausbil- Punkt B. 16). dungsangebots für alle Jugendlichen seitens der Be- Der DBJR charakterisiert darüber hinaus die Ausbil- triebe, des Staates und der Schulen/Berufsschulen er- dungsordnungen und Rahmenlehrpläne als wich griffen werden sollten. tige Instrumente des Staates, um die richtigen Weichen- Das KWB stellt eine sehr hohe Ausbildungsbereit- stellungen auf dem Ausbildungsmarkt vorzunehmen schaft bei den Betrieben und bei den Jugendlichen (III/58); die DAG verweist- hierzu ausdrücklich auf das fest. Es sieht potentiellen Handlungsbedarf für den Berufsbildungsgesetz (I/6). Fall nachlassender Ausbildungs-Motivationen bei Ju- gendlichen in Zeiten wieder günstigerer . Arbeits- Bezogen auf den Bereich Schule und Arbeitsamt spre- marktlage, in denen das Mo tiv, schneller Geld zu ver- chen sich nahezu alle Verbände für eine Verbesse- dienen, gegenüber dem Interesse an einer qualifizier- rung der Ausbildungs- und Berufsberatung bzw. des ten Ausbildung erneut ansteigen könnte. Aktueller Berufswahl- und Arbeitslehre-Unterrichts aus. Der Handlungsbedarf besteht nach Einschätzung des DGB plädiert für ein Gesamtkonzept der Berufsvorbe- KWB bereits jetzt gegenüber den verschiedenen Pro- reitung und für die verbindliche Einführung des blemgruppen am Ausbildungsmarkt ( I/36f) (siehe Faches Arbeitslehre in der Sekundarstufe II (II/6). Der auch weiter unten Abschnitte B. 10 und 11). Auch BER VBE greift die Forderung nach einem 10. Schuljahr und BDP betonen die hohe Ausbildungsbereitschaft auf, um einen mittleren Schulabschluß für möglichst der Betriebe. Der BDP wendet sich gegen die Aus- alle Jugendlichen zu sichern (1/139). Er stellt in diesem übung jeglichen Zwangs auf die Bet riebe zur Auswei- Zusammenhang das dreigliedrige Schulwesen zur tung ihres Lehrstellenangebots (I/86). BER, DAG, DL Disposition, das aufgrund seiner Strukturprobleme und DBJR schlagen als eine freiwillige Maßnahme die eher ein Hindernis auf dem Wege darstelle, allen Ju- Ausweitung des Ausbildungsverbundes vor, das heißt gendlichen einen qualifizierten Schulabschluß zu ver- mehr Betriebe sollen bei der Schaffung zusätzlicher mitteln. Der DL fordert in Ergänzung zur punktuellen Ausbildungsstellen (DAG: nach Qualitätskriterien des Berufsberatung der Arbeitsämter eine kontinuierliche BIBB; I/6) kooperieren. Schul- und Berufsberatung durch die Lehrer (III/4). Patenschaften zwischen Schule und Bet rieb schlägt Mehrere Verbände (DAG, VBE, VLW, CJD) verwei der BER vor (I/156). Von seiten des KWB wird beson- sen auf die ökonomischen Rahmenbedingungen und ders auf die Möglichkeit der Ausbildungsberatung Ziele, die in die betriebliche Entscheidung über Zahl durch die Kammern verwiesen (I/38).

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Zusammenfassung von handlungsorientierten ein qualitativ und quantitativ ausreichendes Ausbil- Vorschlägen der Verbände: dungsplatzangebot (III/66); ähnlich argumentiert der BER (I/158). — Schaffung von zusätzlichen Ausbildungsplätzen durch Ausbildungsverbund nach Qualitätskrite- Die Ursachen für Ausbildungsabbrüche werden von rien des BIBB (DAG I/6 und eine Reihe anderer den Verbänden nicht näher explizit erörtert, Einschät- Verbände). zungen darüber sind jedoch zum Teil implizit an den einzelnen Maßnahmen erkennbar, die zur Verringe- — Betriebe sollen berufliche Erstausbildung verstärkt rung der Zahl der Ausbildungsabbrecher und zur Ver- bei ihrer langfristig wirksamen Personalplanung besserung des Erfolgs bei Abschlußprüfungen vorge- berücksichtigen (Qualifizierung als „Zukunftsin- schlagen werden. vestition") (VBE I/138, CJD I/162). Einhellig befürworten die Verbände eine verbesserte — Der Staat soll für den Fa ll einer nicht ausreichen- Information und Beratung vor Beginn der Ausbildung den Zahl von Ausbildungsplätzen für ein ergän- ( „Laufbahnberatung") sowie Betriebspraktika in al- zendes Angebot sorgen (BLBS I/111). len Schulformen der Sekundarstufe I mit dem Ziel, — Es soll eine staatliche Garantie zur Sicherung der eingehende Kenntnisse über die Inhalte und Anforde- beruflichen Erstausbildung für alle Jugendlichen rungen der einzelnen Ausbildungsberufe zu gewin- ausgesprochen werden, gegebenenfalls gekoppelt nen. Das KWB betont darüber hinaus die Wichtigkeit an eine Ausbildungsverpflichtung bzw. -abgabe einer sorgfältigen Auswahl der Jugendlichen durch der Betriebe (IGM II/59). den Betrieb und eine entsprechende Qualifikation der Ausbilder, um die persönlichen Probleme der Auszu- — Eine Ausbildungsverpflichtung der Bet riebe zu- bildenden frühzeitig erkennen und ausgleichen zu mindest für Problemgruppen ist zu erwägen (BLBS können (1/59). Letzteres ist auch ein Anliegen des vds, I/112). der das rechtzeitige Erkennen von Schwierigkei- ten gerade bei Lernbehinderten betont, die ohne Ver- — Die Ausbildungsbereitschaft soll auch über wich- trauensverhältnis und Bezugsperson eher zum Aus- tige Instrumente des Staates wie Ausbildungsord- weichen und Ausbildungsabbruch neigen würden nungen und Rahmenlehrpläne zur Vornahme von Weichenstellungen auf dem Ausbildungsmarkt (I/149). gesteigert werden (DBJR III/58); gegebenenfalls Einige Verbände fordern ein stärkeres Eingehen auf auch über eine Änderung des Berufsbildungsge- die persönlichen Bildungsbedürfnisse der Jugendli- setzes (DAG I/6). chen, denen die Ausbildungsbedingungen besser an- zupassen seien (VBE I/143; BER I/158; DBJR III/48). In — Die Ausbildungs- und Berufsberatung sowie der den Berufsschulen soll nach Meinung des VLW die Berufswahl- und Arbeitslehre-Unterricht sind zu Bildung förderungsbedürftiger kleiner Lerngruppen verbessern (gemeinsame Posi tion der Verbände); ermöglicht werden (II/111). In den Betrieben muß es Lehrer sollen eine kontinuierliche Schul- und Be- nach Auffassung des BER vor allem darum gehen, die rufsberatung anbieten (DL III/4). pädagogisch-psychologische Qualifikation der Aus- — Ein mittlerer Schulabschluß (10. Schuljahr) für alle bilder zu verbessern, die mit einer sich verändernden ist anzustreben (VBE I/139). „Klientel" von Auszubildenden zu tun hätten (Alter, Schulbildung, Wertvorstellungen) (I/180). Der IB erin- — Zwischen Schulen und Betrieben sollen Paten- nert an die notwendige Qualifizierung von Facharbei- schaften eingerichtet werden (BER I/158). tern und Gesellen, die neben den Ausbildern und — Die Ausbildungsberatung durch die Kammern ist Lehrern zum Teil in erheblichem Umfang mit Ausbil- stärker zu nutzen (KWB 1/38). dungsfunktionen befaßt seien (II/151). BLBS (I/129) und VLW (II/111) fordern strengere Maßstäbe bei der Prüfung von Betrieben im Hinblick auf ihre Ausbil- dungseignung. 9. Ausbildungsabbruch und Abschlußprüfungen Bei der Frage nach den Verbesserungsmöglichkeiten Eine Reihe von Verbänden hebt zunächst die hohe bei Abschlußprüfungen sprechen sich die Verbände Zahl derjenigen hervor (ca. 90 %), die ihre Lehrab- einhellig für die Abkehr von der punktuellen Prüfung schlußprüfung bestehen. Das KWB betont darüber aus und plädieren für ausbildungsbegleitende Lern- hinaus, daß künftig statistisch besser zwischen tat- zielkontrollen und Leistungsnachweise. Der VLW sächlichen Ausbildungsabbrechern und Berufs- stellt fest: „Man kann in einigen Bundesländern etwa wechslern, Betriebswechslern und Wohnortwechslern Industriekaufmann werden, jedenfalls im schriftli- unterschieden werden müsse. Einem Ausbildungsab- chen Teil der Prüfung, wenn man eine Ankreuzprü- bruch im engeren Sinne könne durch Maßnahmen vor fung über sich ergehen läßt, ähnlich wie Sie es aus den und während der Ausbildung entgegengewirkt wer- Führerscheinprüfungen oder anderen ähnlich um- den (I/59). Der DBJR verweist auf viele Jugendliche, strittenen Qualifikationsnachweisen kennen. " (W/13) die sich an der „1. Schwelle" mangels Ausbildungs- Der BDP fordert die Schaffung berufsqualifizierender platzangebot mit einem „Ersatzberuf" abfinden müß- Zwischenabschlüsse (I/92), und die GEW verweist in ten, der nicht ihren Wünschen entspreche, und die diesem Zusammenhang auf den ihrer Einschätzung später in eine andere Ausbildung wechselten. In ei- nach erfolgreich abgeschlossenen Modellversuch nem solchen Berufswechsel sei nichts Nega tives zu „contrôle continu" , dessen Umsetzung noch ausstehe erkennen, allerdings sei die beste Gewähr zur Ver- (II/136). Die DAG plädiert für eine Reduktion der meidung von Ausbildungswechsel und -abbrächen überregional erstellten Prüfungsaufgaben und für

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eine stärkere Berücksichtigung der individuellen, eigneten sozialpädagogischen Maßnahmen bzw. länderbezogenen und bet rieblichen Gegebenheiten ihnen angemessenen Ausbildungsgängen als (1/20). durchaus kompensierbar eingeschätzt werden; um diese. Gruppen geht es hauptsächlich in diesem Zusammenfassung von handlungsorientierten Abschnitt B.10; Vorschlägen der Verbände: — Berufslaufbahn-Beratung" und Betriebspraktika c) die primär aus körperlichen bzw. psychischen vor Beginn der Ausbildung in allen Schulformen Gründen Benachteiligten bzw. Behinderten, die der Sekundarstufe I (gemeinsame Posi tion). überwiegend in besonderen Einrichtungen ausge- bildet werden; um diese Gruppen geht es im näch- — Stärkeres Eingehen auf die persönlichen Bildungs- sten Abschnitt B.11. bedürfnisse der Jugendlichen, denen die Ausbil- dungsbedingungen besser anzupassen sind (VBE Die hier in Anlehnung an die Verbände-Statements 1/143; BER I/158; DBJR III/48). vorgenommene Differenzierung schließt nicht aus, daß einige der von den Verbänden abgegebenen Ein- — Schaffung förderungsbedürftiger kleiner Lern- schätzungen und vorgeschlagenen Maßnahmen für gruppen in der Berufsschule (VLW II/111). alle drei Gruppen gelten können oder auch sollen. — Verbesserung der pädagogisch-psychologischen In nahezu allen Stellungnahmen wird auf die schwie- Qualifikation der Ausbilder (BER I/180) wie auch rige Situation von Problemgruppen am Ausbildungs- der mit Ausbildungsfunktionen betrauten Fachar- und Arbeitsmarkt hingewiesen, für die besondere beiter und Gesellen (IB II/151). berufsbildungspolitische Maßnahmen erforderlich — Strengere Prüfung von Betrieben im Hinblick seien. Der BDP fordert innerhalb eines insgesamt un- auf ihre Ausbildungseignung (BLBS I/129, VLW ausgeglichenen Ausbildungsstellenmarktes motivie- II/111). rende, sozialpädagogische Maßnahmen für diejeni- gen, die aus sozial unterprivilegierten Schichten stam- — Schaffung berufsqualifizierender Zwischenab- men und an Ausbildung nicht besonders interessie rt schlüsse (BDP 1/92). I/85f). Der vds diagnostiziert zwar insgesamt seien ( — Ersatz punktueller Prüfungen durch ausbildungs- ein verbessertes Ausbildungsplatzangebot, sieht je- begleitende Lernzielkontrollen und Leistungs- doch nach wie vor große Probleme da rin, für behin- nachweise (gemeinsame Posi tion); Umsetzung der derte und lernbeeinträchtigte Jugendliche adäquate positiven Ergebnisse aus dem Modellversuch Ausbildungs- und dauerhafte Arbeitsplätze zu finden „contrôle continu" (GEW II/136). (I/148). Auch der IB sieht einen besonderen Bedarf an zusätzlichen Hilfen für die Ausbildung benachteilig- ter Gruppen (III/147). Das CJD differenziert die Pro- blemgruppen im einzelnen und hebt besonders die 10. Lernbeeinträchtigte in der Berufsbildung Schwierigkeiten der nach seiner Einschätzung 4-8 % lern- und verhaltensbeeinträchtigten Jugendlichen Die Stellungnahmen der Verbände machen deutlich, hervor, für die sich im Gegensatz zu den Lernbehin- daß eine klare begriffliche und nichtdiskriminierende derten (zum Beispiel in den Berufsbildungswerken) Abgrenzung zwischen sogenannten lernbeeinträch- keine angemessenen Arbeitsplätze finden würden tigten, lernschwachen, benachteiligten und behinder- (I/164; W/30). Bei den 800 000 jungen Ausländern im ten Jugendlichen bzw. sogenannten Problemgruppen Alter zwischen 15 und 25 Jahren registriert das CJD untereinander und zu anderen Jugendlichen am Aus- nur 300 000, die eine berufliche Qualifizierung auf- bildungsmarkt sehr schwierig ist. In vorläufiger analy- wiesen. 500 000 seien- durchaus ausbildungsfähig, bei tischer Abgrenzung soll daher hier auf dem Hinter- ihnen mangele es nur an der Schriftsprach-Kompe- grund der Verbände-Stellungnahmen zwischen drei tenz, die zu fördern sei (W/31 f). Hingewiesen wird Gruppen von „benachteiligten" Jugendlichen unter- vom CJD auch auf ca. 15 % junger Aussiedler, „die in schieden werden: unserem System mit den Maßnahmekatalogen nicht zurecht kommen und dann als Arbeitslose am Arbeits- a) die primär aus ökonomischen bzw. konjunkturel- markt scheitern." (W/32). len Gründen Benachteiligten, die voll ausbil- dungsfähig sind und — nach Auffassung der BDA Die AGA stellt fest, daß die Ausbildungssituation in (W/34) — nur aufgrund einer zeitweiligen Ausbil- Problemregionen eher noch schlechter geworden sei dungsstellen-Übernachfrage nicht in das Beschäf- (III/34). Für Langzeitarbeitslose, die keinen Ausbil- tigungssystem integriert worden sind, und die bei dungsplatz erhalten hätten, würden die Chancen weiterer Entspannung auf dem Ausbildungsmarkt nochmals vermindert. Räumliche Mobilität sei wegen künftig alle einen Ausbildungsplatz erhalten wer- zu geringer Ausbildungsvergütung bzw. den Kosten den; insbesondere für diese „Altbewerber" gelte für einen eigenen Hausstand nicht finanzierbar. Die es, die „Qualifikationsoffensive" fortzusetzen Bereitstellung eines ausreichenden, auf gesellschaft- (ebenda); lich relevante Aufgaben ausgerichteten Ausbildungs- platzangebotes dürfe nicht der Wirtschaft allein über- b) die primär aus sozialen Gründen Benachteiligten, lassen bleiben. die zum Teil aus schwierigen Familienverhältnis- sen stammen, die zum Teil keinen Hauptschulab- Der BBJ verweist auf den BLK-Bericht „Künftige Per- schluß erreicht haben und die von den Verbänden spektiven von Absolventen der beruflichen Bildung überwiegend als „Lernbeeinträchtigte" angese- im Beschäftigungssystem" (BLK 1987), nach dem bis hen werden, deren Lerndefizite allerdings bei ge zum Jahre 2000 ca. 1 Mio. Jugendliche ohne Ausbil-

Drucksache 11/5349 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode dung erwartet werden. Außerdem würden nach einer 60 000 Jugendlichen ohne Hauptschulabschluß er- Prognose des Instituts für Sozialforschung und Gese ll reicht werden (W/36). -schaftspolitik im Jahre 2000 annähernd 170 000 Ju- gendliche sich nicht in das bestehende System von Das KWB hält an Stelle von „Maßnahmekarrieren" Ausbildung und Arbeit integriert haben, falls nicht die Schaffung von zum Beispiel zweijährigen Ausbil- berufsbildungspolitische Maßnahmen ergriffen wür- dungsgängen unterhalb des Facharbeiterniveaus für den, die die besondere soziale und psychische Situa- sinnvoll, in denen die Praxisorientierung stärker zu tion dieser Jugendlichen berücksichtige (Gefahr eines akzentuieren sei (I/39; W/35). Im übrigen sei die in- neuen Jugendlichenproletariats) (III/42). nere Differenziertheit der Ausbildungsordnungen im Hinblick auf die Anforderungen zu erhalten (W/38): Der DBJR verweist innerhalb einer seines Erachtens „Wenn wir die Anforderungen in der Stufe der Berufs- noch immer unbefriedigenden Situation am Ausbil- bildung zu hoch schrauben, schaffen wir für einen Teil dungsmarkt auf die besondere Benachteiligung von weniger leistungsfähiger Schulabgänger keine Aus- Frauen, die knapp 60 % der unvermittelt gebliebenen bildungsmöglichkeit." (W/40) Auch der BDP emp- Bewerber/innen ausmachen würden (III/57). fiehlt, über die Zertifizierung von Teilfeldqualifikatio- nen in vielen Berufen nachzudenken, um hohe Ab- Alle teilnehmenden Verbände halten besondere An- brecherquoten für eher praktisch veranlagte Jugend- strengungen und Maßnahmen für eine qualifizierte liche zu vermeiden (I/88). Ähnlich erwartet der BER Ausbildung derjenigen Problemgruppen am Ausbil- vom Gesetzgeber, daß dieser Teilqualifikationen zu- dungsstellenmarkt für notwendig, die aus sozialen läßt, die als Elemente in einem Bausteinsystem für Gründen oder wegen ihrer Nationalität benachteiligt eine spätere Vollqualifikation fungieren könnten sind. Hingewiesen wird zunächst auf die Notwendig- (W/36 f). keit des Erreichens bzw. Nachholens eines allgemein- bildenden Schulabschlusses, um die Chancen für ei- Zusammenfassung handlungsorientierten nen erfolgreichen Berufsstart zu steigern. Außerdem Vorschläge der Verbände: wird für die Vergabe von Ausbildungsplätzen an alle Jugendlichen — auch ohne Hauptschulabschluß — — Lernbeeinträchtigten soll mit ergänzender sozial- pädagogischer Betreuung und zusätzlichen För- plädiert und (zum Beispiel seitens der CPK) explizit gegen eine Diskriminierung von Jugendlichen mit derlehrgängen eine Vollausbildung in einem aner- Hauptschulabschluß gegenüber denjenigen mit höhe- kannten Ausbildungsberuf ermöglicht werden (weitgehend übereinstimmende Posi rem Schulabschluß Stellung bezogen (11/38). Der DL tion aller Ver- sieht außerhalb des dualen Systems in den berufli- bände; Verweis auf die Empfehlung des Haupt- chen Vollzeitschulen eine sinnvolle Möglichkeit, die ausschusses des Bundesinstituts für Berufsbildung Ausbildungsschwierigkeiten von Problemgruppen vom 6.12.79). wenigstens teilweise zu kompensieren (III/5). Der — Maßnahmen im Rahmen des Benachteiligtenpro- BLBS kritisiert die seines Erachtens in der Indust rie gramms werden durchweg positiv beurteilt und verbreitete Bestenauslese, die eine Segmentierung sollten nach Verlagerung des Programms in die der Ausbildungsbereiche nach sich ziehe (I/113). Zuständigkeit der Bundesanstalt für Arbeit nicht eingeschränkt werden (gemeinsame Posi tion). Einhellige Unterstützung finden die von der Bundes- regierung geförderten sozialpädagogischen Maßnah- — Für ausländische Jugendliche sollen besondere men zur Begleitung und Be treuung benachteiligter Maßnahmen zur Förderung • der Schriftsprach- Jugendlicher während ihrer Ausbildung. Einige Ver- Kompetenz ergriffen werden (CJD W/31). bände befürchten allerdings Beschneidungen des „Benachteiligtenprogramms" durch seine Verlage- — Zur Erreichung des Ziels, „Lernschwache" zu ei- rung in die Zuständigkeit der Bundesanstalt für Arbeit nem normalen Ausbildungsabschluß zu bringen, (BA) (nach § 40c AFG). Die Gewerkschaften befür- sind curriculare Handreichungen auf Basis der worten unter Hinweis auf die entsprechende Empfeh- Ausbildungsordnungen für die Betriebe zu erar- lung des Hauptausschusses des Bundesinstituts für beiten, Vertrauensverhältnisse zwischen Jugendli- Berufsbildung vom 6.12.79 eine Vollausbildung in ei- chen und Ausbildern zu schaffen sowie besondere nem anerkannten Ausbildungsberuf auch für alle berufsschulische Hilfen und sozialpädagogische Lernbeeinträchtigten, für die sozialpädagogische Betreuung zu gewähren (ZDH W/36). Betreuung und Förderlehrgänge angeboten wer- den müßten (DGB II/6) ( „keine Discountangebote" ; — Die innere Differenzie rtheit der Ausbildungsord- W/37). Das ZDH verweist auf das „Nürnberger Mo- nungen im Hinblick auf die Anforderungen soll dell", in dem im Rahmen des Benachteiligtenpro- erhalten bleiben (DIHT W/38). gramms „Lernschwache" zu einem normalen Ausbil- dungsabschluß gebracht worden seien. Zur geplanten — Es sind praxisorientierte zweijährige Ausbildungs- Etablierung dieses Modells gehörten: die Entwick- wege zu schaffen (DIHT W/35). lung von Curricula für die Betriebe auf Basis der be- stehenden Ausbildungsordnungen, ein persönliches — Im Rahmen normaler Ausbildungsordnungen soll Vertrauensverhältnis zwischen Jugendlichem und die Möglichkeit zum Erwerb von Teilqualifikatio- Ausbilder, sozialpädagogische Be treuung, besondere nen mit entsprechenden Abschlußzertifikaten ge- berufsschulische Hilfe. Ein Ausbildungsabschluß schaffen werden, die die Chance für die spätere könnte nach Auffassung des ZDH auf diesem Wege Erlangung einer beruflichen Vollqualifikation of- für mindestens die Hälfte der von der KMK gezählten fenlassen (BER W/36 f).

Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode Drucksache 11/5349

11. Behinderte in der Berufsbildung henden Arbeitslosigkeit an der „zweiten Schwelle" entgegenzuwirken. Dementsprechend plädiert auch Das KWB charakterisiert die Behinderten, die ihre der IB für eine wohnortnahe Ausbildung (II/149). Die Ausbildung überwiegend in anerkannten Ausbil- DAG legt besonderen Wert darauf, daß spezielle Aus- dungsberufen und Ausbildungsbetrieben absolvie- bildungsordnungen für Behinderte sich an den dazu ren, als besonders leistungsbereit, motiviert und zu- vom Hauptausschuß des BIBB verabschiedeten ein- verlässig. Nur relativ wenige würden nach Ausnah- zelnen Empfehlungen orientieren (I/11). Nach Auffas- meregelungen (§ 48 Berufsbildungsgesetz bzw. 42b sung des IB soll außerdem die Durchlässigkeit zwi- Handwerksordnung) bzw. in besonderen Einrichtun- schen den nach § 25 BBiG geordneten und den nach gen ausgebildet. Die Integration Behinderter werde § 48 BBiG besonders eingerichteten Ausbildungsgän- durch die grundsätzlich positive Einstellung der Be- gen vor allem auch bei den Berufsbezeichnungen ge- triebe ihnen gegenüber und durch zahlreiche staat- währleistet sein, um ein Höchstmaß an Integration für liche Hilfen (nach Arbeitsförderungsgesetz und die Behinderten zu erreichen (II/149). Schwerbehindertengesetz) unterstützt. Neuerungen seien daher auf diesem Gebiete nicht erforderlich, Eine Reihe von Verbänden spricht sich explizit für die wohl aber eine stärkere Aufgeschlossenheit gegen- Flexibilisierung von Ausbildungszeiten aus (zum Bei- über den Behinderten in der Gesellschaft insgesamt spiel VLW II/105), wie auch für die Möglichkeit des (I/45f). Erwerbs von Teil- und Nach-Qualifikationen mit ent- sprechender Zertifizierung (zum Beispiel BER I/157). Im Gegensatz zu dieser überwiegend positiven Ein- schätzung verweist der vds darauf, daß im Jahre 1984 Unterschiedlich akzentuiert werden die Auswirkun- 30 % der behinderten Jugendlichen nach Abschluß gen des verstärkten Einsatzes von Informations- und ihrer Berufsausbildung arbeitslos gewesen seien, ge- Kommunikationstechnologien im Hinblick auf die genüber 8 % aller Jugendlichen an der „2. Schwelle". Qualifikationsanforderungen an die Behinderten. Ebenfalls liege hier der Anteil der Ausbildungsabbre- Verweist der BLBS eher auf die Schwierigkeiten, die cher deutlich über dem Durchschnitt. Darüber hinaus lernschwache Jugendliche unter den derzeit bekann- gelinge es aufgrund unzureichender Hilfen und Maß- ten Lernformen mit den neuen Denkstrukturen haben nahmen vielen behinderten Jugendlichen nicht, sich (I/118), so sehen BER (I/157) und VBE (I/140) in den in das Beschäftigungssystem einzugliedern (I/151). neuen Medien (Computer) eher eine Möglichkeit, Einhellig sprechen sich die Verbände für das primäre Lernschwierigkeiten abzubauen und — so der DL Ziel der Ausbildung Behinderter in anerkannten Aus- (III/6) — auch behindertengerechte Arbeitsplätze ein- bildungsberufen nach § 25 BBiG aus; nur bei schwe- zurichten. Voraussetzung für Lernerleichterungen sei ren Behinderungen (so der DBJR III/61) sollte die Ein- allerdings eine bessere schulische Ausstattung und richtung von bzw. die Teilnahme an Sonderausbil- Erweiterung der didaktischen und curricularen In- dungsgängen nach § 48 BBiG erwogen werden. Eine halte sowie — nicht nur im Hinblick auf den Umgang realitätsnahe Ausbildung sowie verbesserte Integra- mit den Informations- und Kommunikationstechnolo- tion in die Gesellschaft gelinge am besten bei gemein- gien — eine bessere Qualifizierung des Lehrperso- samer Ausbildung von Behinderten und Nichtbehin- nals. derten in qualifizierten Berufen. Die Existenz von Son- Verbesserte Ausbildung für Behinderte und Benach- dereinrichtungen und minderqualifizierten Ausbil- teiligte ist nach Meinung des DBJR gekoppelt an eine dungen in Anlernberufen belegt nach Auffassung der angemessene Finanzierung, die durch die Erhebung (II/130) nur den erheblichen Nachholbedarf in GEW einer Ausbildungsabgabe gesichert werden kann der Berufsbildungspolitik. Für das Erreichen des Aus- (III/60). Die CPK verweist auf eine gemeinsame, mit bildungsziels sollten den Behinderten bereits bei der - den Arbeitgebern verabschiedete Empfehlung, in der Berufswahl wie auch in der Lehre und an der zweiten Betriebe zu verstärkter Einstellung behinderter Ju- Schwelle begleitende, vor allem pädagogische Hilfen gendlicher aufgefordert werden. Darüber hinaus regt angeboten werden und ihnen — so der (I/152) — vds sie ein erneutes Nachdenken über eine erhöhte An- soweit erforderlich eine Verlängerung der Ausbil- rechnung der Schwerbehindertenabgabe bei Einstel- dungszeiten ermöglicht werden. lung von Behinderten an (III41). Der DL führt folgende Ausbildungsträger und -formen an, denen bei der Ausbildung Behinderter besondere Zusammenfassung von handlungsorientierten Bedeutung zukomme: überbetriebliche Ausbildungs- Vorschlägen der Verbände: stätten, berufliche Vollzeitschulen (auch im priva- ten Bereich), Behindertenwerkstätten, öffentlicher — Primäres Ziel der Ausbildung Behinderter ist deren Dienst, mobile Lernhilfen an Berufsschulen, Kranken- Qualifizierung in einem anerkannten Ausbil- haus- und Heimunterricht, besondere Ausbildungs- dungsberuf nach § 25 Berufsbildungsgesetz ge- gänge der Industrie und des Handels (III/6). meinsam mit Nichtbehinderten; die Einrichtung von Sonderausbildungsgängen nach § 48 Berufs- Der vds geht wie die große Mehrheit der Verbände bildungsgesetz soll möglichst nur bei schweren davon aus, daß trotz des Oberziels (Ausbildung im Behinderungen vorgenommen werden (gemein- anerkannten Ausbildungsberuf) für viele Behinderte same Position). nur eine Sonderausbildung nach § 48 Beruf sbildungs- gesetz bzw. § 42 Handwerksordnung möglich sei — Die Durchlässigkeit zwischen den nach § 25 BBiG (I/152). Er schlägt vor, dabei die individuellen Belange geordneten und den nach § 48 BBiG besonders der Behinderten wie die regionalen Besonderheiten eingerichteten Ausbildungsgängen ist zu gewähr- des Arbeitsmarktes zu berücksichtigen, um der dro leisten (IB II/149).

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— Bei der Berufswahl und während der Lehre sind dung gewesen, einer Integration von allgemeiner und begleitende pädagogische Hilfen für Behinderte beruflicher Bildung bedürfe es von daher nicht (1/64). anzubieten und gegebenenfalls eine Verlänge- Auf den engen Zusammenhang von Schlüsselqualifi- rung der Ausbildungzeiten zu ermöglichen (vds kationen und fachbezogenen Qualifikationen, die sich 1/152). nur gemeinsam vermitteln ließen, verweisen neben dem KWB ( „Wahrnehmung des gesellschaftlichen — Bei der Einrichtung von Sonderausbildungsgän- Wertewandels in der betrieblichen Berufs- und Ar- gen nach § 48 Berufsbildungsgesetz bzw. § 42 beitswirklichkeit", I/67) auch der BLBS (I/130) und der Handwerksordnung sollen individuelle Belange BER (I/158). der Behinderten sowie regionale Besonderheiten des Arbeitsmarktes berücksichtigt werden, etwa Vor allem die Gewerkschaften legen Wert auf poli- durch Verlängerung der Ausbildungszeiten (vds tisch-soziale Qualifikationen im Sinne einer Befähi- 1/152), wohnortnahe Ausbildung (IB II/149) und gung zur Partizipation an betrieblichen und gesell- ähnliche Maßnahmen. schaftlichen Entscheidungen aus eigenen Bedürfnis- sen und Interessen der Arbeitnehmer und Arbeitneh- — Die Möglichkeit zum Erwerb von Teil- und Nach- merinnen (DGB II/18). DGB (II/21) und GEW (II/141) qualifikationen mit entsprechender Zertifizierung betonen Autonomie und Kritikfähigkeit im Medium ist vorzusehen (unter anderem BER 1/157). der beruflichen Tätigkeit. Der VBE verlangt, daß Bil- — Für die verstärkte Nutzung der neuen IuK-Techno- dung und Ausbildung ihren Ansatzpunkt in Kernpro- logien in der Ausbildung von Behinderten sind die blemen unserer Gesellschaft haben müßten, um die Schulen entsprechend auszustatten (DL III/6). Jugendlichen urteils- und handlungsfähig zu machen (I/144). Der VLW fordert die Berücksichtigung auch — Für den für Behinderte besonders schwierigen literarisch-ästhetischer, geschichtlich-sozialer, sprach- Übergang von der Ausbildung ins Erwerbsleben licher und wirtschaft licher Bildungselemente in der ( „2. Schwelle") sind besondere Maßnahmen zu er- Berufsbildung (II/112). Auf die Notwendigkeit der greifen, zum Beispiel durch Schaffung behinder- Vermittlung von Fremdsprachenkompetenz in der be- tengerechter Arbeitsplätze (DL III/6). ruflichen Bildung verweisen einhellig auch die ande- — Für die verbesserte Ausbildung Behinderter ist die ren Verbände. Erhebung einer Ausbildungsabgabe (DBJR III/60) Gemeinsames Anliegen der Verbände ist auch die sowie eine erhöhte Anrechung im Rahmen der Vermittlung fundierter Kenntnisse im Bereich Um- Schwerbehindertenabgabe (CPK II/41) anzustre- weltschutz und Arbeitssicherheit (vergleiche hierzu ben. Abschnitt A. 4). Der BLBS verweist außerdem auf die Bedeutung von Schlüsselinhalten wie Werkstofftech- nik, Informationstechnik, Meß-, Steuerungs-und Re- 12. Wandel der Berufsinhalte — berufliche und geltechnik, deren Aneignung die Zukunftsfestigkeit allgemeine Bildung — Schlüsselqualifikationen von Berufen erhöhen würde (I/128).

Ein Vergleich der Verbändevorstellungen zu den Der DL betont als gemeinsames Merkmal der Schlüs- Kompetenzen, die Jugendliche im Hinblick auf die selqualifikationen „Offenheit für andere und ande- neuen Anforderungen erwerben sollen, offenbart zu- res" (III/11); DAG (I/24) und DBJR (III/67) heben die nächst ein breites Spektrum an Übereinstimmung Befähigung zum lebenslangen Lernen hervor. ( „Schlüsselqualifikationen") : Fähigkeit zu selbständi- Zusammenfassung von handlungsorientierten ger Planung , Durchführung und Kontrolle; Fähigkeit Vorschlägen der Verbände: zur Übernahme von Verantwortung und Gestaltung in - Arbeit, Beruf und Politik und für die Umwelt; Kreati- — Für die neuen Anforderungen im persönlichen, be- vität und Problemlösungsfähigkeit; Teamfähigkeit, ruflichen und gesellschaftlichen Leben sind den Abstraktionsvermögen und Denken in Zusammen- Jugendlichen verstärkt „Schlüsselqualifikatio- hängen. nen" zu vermitteln: Selbständigkeit, Verantwor- Für eine Revision der Ausbildungsinhalte setzt sich tungsbewußtsein, Gestaltungsfähigkeit, Kreativi- tät, Teamfähigkeit, Denken in Zusammenhängen, die GEW ein. Rahmenlehrpläne, Ausbildungsordnun- gen und Prüfungen müßten geändert werden, um der Befähigung zum lebenslangen Lernen (gemein- Dominanz fachlicher Orientierung mit allgemeinbil- same Position). denden, politischen, ökologischen und projektorien- — Ganzheitliche Persönlichkeitsentwicklung (CPK tierten Zielen entgegenzuwirken. Überhaupt sieht die II/47; BDP I/93; BER I/143) und Selbstverwirkli- GEW in der Separierung beruflicher von allgemeiner chung (VBE I/143) sind als Ziele beruflicher Bil- Bildung ein vordemokratisches Relikt (III/139). dung zu verankern. Betonen einige Verbände darüber hinaus die Not- — Der Dominanz fachlicher Orientierung in den Aus- wendigkeit von ganzheitlicher Persönlichkeitsent- bildungsinhalten ist mit der Verankerung allge- wicklung (CPK II/47; BDP I/93; BER I/159) und Selbst- meinbildender, politischer, ökologischer und pro- verwirklichung (VBE I/143), so relativiert das KWB jektorientierter Ziele entgegenzuwirken (GEW das Ziel der Persönlichkeitsbildung mit dem Hinweis III/139). auf das gestiegene Eintrittsalter und die höhere allge- meine schulische Vorbildung der Auszubildenden — Schlüsselqualifikationen werden seit jeher und (I/64). Im übrigen sei der Erwerb von Schlüsselquali- werden auch künftig ohne expliziten Auftrag zur fikationen seit jeher auch Aufgabe der beruflichen Bil Integration von beruflicher und allgemeiner Bil-

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dung gleichzeitig mit den fachlichen Qualifikatio- zung mancher Ausbildungsordnungen (I/94); der BER nen vermittelt (KWB I/64). spricht sich gegen eine Verlängerung der Ausbil- dungszeiten aus und sieht im Ende der Erstausbildung — Politisch-soziale Qualifikationen wie Autonomie den Beginn der Weiterbildung (I/159). und Kritikfähigkeit der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sind in der beruflichen Tätigkeit zu Über die verstärkte Anwendung neuer Ausbildungs- entfalten (DGB II/18, 21; GEW II/141). methoden (Leittext, Projekt, Planspiel, Rollenspiel) sind sich die Verbände einig. Das CJD verweist auf Bildung und Ausbildung müssen ihren Ansatz- — eine „Seminarkonzeption zur Entwicklung einer fir- punkt in Kernproblemen unserer Gesellschaft ha- meninternen, projektorientierten und teilnehmerzen- ben (VBE I/144). trierten Ausbildung" (I/187 — 196). Überbetriebliche — Literarisch-ästhetische, geschichtlich-soziale, sprach- Ausbildungsstätten und Lernbüros werden allgemein liche und wirtschaftliche Bildungselemente sind befürwortet sowie eine Verbesserung der Kooperation auch in der Berufsbildung zu berücksichtigen zwischen Berufsschule und Bet rieb vorgeschlagen. (VLW II/112). Auf eine verbesserte Qualifizierung der Ausbilder vor allem im pädagogischen Bereich legen die Verbände großen Wert, wobei sich das KWB gegen eine weitere 13. Berufliche Neuordnung, neue Methoden, Professionalisierung dieser Tätigkeit und für den Aus- Ausbildung der Ausbilder bilder auf Zeit ausspricht (I/67). Der DGB hingegen befürwortet eine Verbesserung der rechtlichen Stel- Einigkeit herrscht unter den Verbänden darüber, daß lung des Ausbildungspersonals und eine Aktualisie- Verbesserungen der Berufsbildung notwendig seien, rung der Ausbildereignungsverordnungen sowie eine Unterschiede bestehen im Hinblick auf deren Art, Ausweitung ihres Anwendungsbereichs (II/22 f). Umfang und jeweilige Reichweite. Zusammenfassung von handlungsorientierten Das KWB hält die Anpassungsfähigkeit des dualen Vorschlägen der Verbände: Systems in bezug auf die Anforderungen der Wirt- schaft für hinreichend gegeben, so daß eine grund- — Eine grundsätzliche Umstrukturierung der Berufs- sätzliche Umstrukturierung der Berufsausbildung bildung ist nicht nötig, neue Ausbildungsordnun- nicht nötig sei. Neue Ausbildungsordnungen holten gen holen die fortgeschrittene Ausbildungswirk- die weiter fortgeschrittene Ausbildungswirklichkeit lichkeit in den Betrieben nur ein (KWB I/65 f). im allgemeinen nur ein (I/65 f). Dagegen sieht der — Eine Umorientierung der Berufsbildung ist not- DGB aufgrund gesellschaftlichen Strukturwandels wendig, um die Qualifizierung stärker an interes- und den damit verbundenen neuen Qualifikationsan- santer und abwechslungsreicher Tätigkeit zu forderungen die Notwendigkeit einer Umorientierung orientieren (DGB II/26). der Berufsbildung (II/18). Vorherrschende Muster be- trieblicher Rationalisierung der Arbeit (Taylorisie- — Die kontinuierliche berufliche Neuordnung ist rung) würden zwar in Frage gestellt (II/25), jedoch eine geeignete Methode zur Anpassung der Aus- verstärkten die betrieblichen Qualifizierungsstrate- bildung an geänderte Ausbildungsziele; hierzu ge- gien die Ungleichheiten des allgemeinen Bildungssy- hören einen breite berufliche Grundbildung und stems noch, anstatt kompensatorisch zu wirken (II/26). späte fachliche Spezialisierung (gemeinsame Posi- Von daher fordert der DGB die Ausrichtung betriebli- tion). cher Qualifizierung nicht nur an ökonomisch-nützli- cher, sondern auch an interessanter und abwechs- — Einzurichten ist- ein vollzeitschulisches Berufs- lungsreicher Arbeit (II/26). grundbildungsjahr für alle Ausbildungsberufe mit voller Anrechnung auf die Ausbildungszeit (DAG Einhellig sehen die Verbände in der kontinuierlichen I/22). beruflichen Neuordnung eine geeignete Methode zur Anpassung der Ausbildung an geänderte Ausbil- — Die Ausbildungszeiten für alle Berufe sind auf dungsziele sowie zur Sicherung und Hebung der Aus- 31/2 Jahre festzulegen (CPK II/50). bildungsqualität. Breites Grundlagenwissen und die — Ausbildungszeiten sollen nicht verlängert werden, Vermittlung von Schlüsselqualifikationen werden ge allerdings ist eine bessere Verzahnung von Erst- genüber beispielsweise betriebsspezifischen Qualifi- ausbildung und Weiterbildung anzustreben (BER kationen besonders betont. Die mit den Neuordnun- I/159). gen häufig verbundene Theoretisierung der Ausbil- dung sowie der Wegfall von bestimmten Ausbildungs- — Neue Ausbildungsmethoden (Leittext, Projekt, berufen mit niedrigeren Anforderungen (zum Beispiel Planspiel, Rollenspiel) sollen verstärkt angewen- Teilezurichter) wird allerdings vom vds problemati- det werden (gemeinsame Posi tion). siert, der ohne flankierende Maßnahmen wachsende Schwierigkeiten für Lernbeeinträchtigte und Behin- — Die pädagogische Qualifikation der Ausbilder ist derte am Ausbildungs- und Arbeitsmarkt befürchtet zu verbessern (gemeinsame Posi tion). (I/148). Die DAG forde rt ein schulisches Berufsgrund- — Die Ausbildertätigkeit soll nicht weiter professio- bildungsjahr für alle Ausbildungsberufe mit voller nalisiert werden, sondern auf Zeit ausgeübt wer- Anrechnung auf die Ausbildungszeit (I/22). Die CPK den (KWB I/67). hält zukünftig eine 3 1/2 jährige Ausbildungszeit für jeden Beruf für unumgänglich (II/50). Der BDP plä- — Die rechtliche Stellung des bet rieblichen Ausbil- diert dagegen für eine Aktualisierung und Verkür dungspersonals ist zu verbessern, die Ausbilder-

Drucksache 11/5349 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode

eignungsverordnung ist zu aktualisieren und ihr den Verbänden einhellig unterstrichen. Das KWB prä- Anwendungsbereich auszudehnen (DGB II/22 f). zisiert, daß „Berufserfahrungen" nach Defini tion des Berufsbildungsgesetzes (§ 1 Abs. 2) bereits in der Aus- bildung vermittelt würden, räumt allerdings ein, daß 14. Übergang von der Ausbildung in den Beruf aufgrund der Konzentration auf die Bereitstellung ei- („2. Schwelle") — Zukunftsfestigkeit von nes ausreichenden Ausbildungsplatzangebots in den Berufen letzten Jahren die Frage der sicheren Anschlußbe- schäftigung in den Hintergrund gerückt sei (I/61). Einhellig verweisen die Verbände auf die Schwierig- Zwar handle es sich hier vielfach um „Sucharbeitslo- keit bzw. Unmöglichkeit der Erstellung von Progno- sigkeit", außerdem habe die Zahl der sozialversiche- sen über die Entwicklung der Berufsstruktur. Gleich- rungspflichtig Beschäftigten von 1980 bis 1987 um wohl unterbreiten sie — je nach Einschätzung zugrun- knapp 1 Mio. — überwiegend gut ausgebildeter jun- deliegender berufsstruktureller Probleme — eine ger Fachkräfte — zugenommen, doch seien zur Be- Reihe von Vorschlägen zur Verminderung des Be- wältigung der noch vorhandenen Probleme an der schäftigungsrisikos beim Übergang von der Ausbil- „zweiten Schwelle" ergänzende Maßnahmen not- dung in den Beruf. wendig. Als beste Maßnahme wird eine Wirtschafts-, Finanz- und Tarifpolitik gefordert, die zusätzliche, Als Ursache für Übergangsprobleme an der „zweiten rentable und konkurrenzfähige Arbeitsplätze schaffe. Schwelle" diagnostizieren vor allem die Gewerk- Die GEW plädiert für eine aktive Arbeitsmarktpolitik schaften ein erhebliches Auseinanderklaffen zwi- (II/137) und die IGM für eine stärkere Verzahnung schen Ausbildungs-und Beschäftigungsstruktur. Ver- bildungs- und arbeitsmarktpolitischer Instrumente wiesen wird auf den sektoralen Strukturwandel, dem (II/68). Mindestbedingung sei ein ausgebautes Orien- die Verteilung auf die Ausbildungsberufe nur sehr tierungs- und Beratungsangebot, wie es an der „er- verzögert folge (CPK: 1985 befanden sich 56,9 % der sten Schwelle" zur Verfügung stehe. Erwerbstätigen, aber nur 45,1 % der Auszubildenden in Dienstleistungsberufen; II/45). Die GEW sieht im Die weitestgehende Forderung an die Adresse der Übergangsproblem an der „zweiten Schwelle” außer- Arbeitgeber richten BLBS (II/129), VBE (I/143) und dem eine unaufgearbeitete Hypothek aus „den letz- DBJR (III/66), die für Kündigungsschutz nach der Aus- ten 10 Jahren der Ausbildungskrise" (II/135). bildung eintreten. DGB (II/15), GEW (II/107) und BLBS (I/113) setzen sich bei fehlender Anschlußbe- Zur Vermeidung von Fehlqualifikationen und Siche- schäftigung für die — falls erforderlich staatliche — rung beruflicher Optionen hält die GEW ein verstärk- Förderung von Teilzeitarbeitsplätzen kombiniert mit tes Angebot an Doppelqualifikationen für erforder- Weiterbildungsmaßnahmen ein. Auch BDP und DAG lich, die im Kollegschulversuch in Nordrhein-Westfa- (I/20) empfehlen Weiterbildungsmaßnahmen mit len entwickelt worden seien (höherer Schulabschluß Praktika bzw. eine „berufsbegleitende Nachqualifi- und qualifizierter Berufsabschluß) (II/135). kation" (BDP I/92), und die GEW spricht sich in die- Das KWB betont die problemlos erfolgte Integra tion sem Zusammenhang für die intensive politische Dis- der Mehrheit der Ausgebildeten in das Beschäfti- kussion eines „dualen Weiterbildungssystems" aus, gungssystem. Gewisse Schwierigkeiten ergäben sich wozu Modellversuche in Kooperation von Berufsschu- wegen der zeitweiligen und den Betrieben abgefor- len, Volkshochschulen und Betrieben entwickelt wer- derten Ausbildung über den eigenen Bedarf hinaus. den sollten (II/107). Die Möglichkeit der Vergabe von Immerhin seien nach einer BIBB/IAB-Studie rund befristeten Arbeitsverträgen wird vom KWB (I/62) und 67 % der erfolgreichen Ausbildungsabsolventen in vom CJD (I/182) vorgetragen,- wobei das KWB zu- den achtziger Jahren direkt im erlernten Beruf tätig; gleich eine Verlängerung des Beschäftigungsförde- die Arbeitslosenzahlen von Absolventen in als proble- rungsgesetzes von 1985 forde rt, das am 31.12.1989 matisch geltenden Berufen wie Fleischer/in, Friseur/ ausläuft und den Abschluß bef risteter Arbeitsverträge in und andere seien stark rückläufig, und in vielen mit einer Dauer von bis zu 18 Monaten erlaubt (I/62). Berufen zeichne sich bereits ein Fachkräftenmangel Der DBJR hält dagegen eine bef ristete Beschäftigung ab, zum Beispiel in der Bauwirtschaft (I/56 f). nur in Ausnahmefällen für gerechtfertigt und spricht sich außerdem gegen die seiner Ansicht nach verbrei- Demgegenüber sehen vor allem die Gewerkschaften tete Übernahme auf berufsfeldfremde Arbeitsplätze DGB, IGM, CPK, GEW und auch der DBJR nach wie nach der Ausbildung aus (III/66). vor große Probleme an der „zweiten Schwelle", dem Übergang von der Ausbildung in die Beschäftigung. Der BLBS schätzt Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen Der DGB verweist auf die hohe Zahl von Auszubilden- zwar als problematisch ein, plädiert jedoch für deren den bzw. Ausgebildeten in „Sackgassenberufen" Anwendung in Krisenregionen (I/129). Eine Veraus- auch im Angestelltenbereich (zum Beispiel Bürogehil- gabung öffentlicher Mittel für den Erwerb beruflicher fin, Verkäuferin) (II/14), und der DBJR macht darauf Ersterfahrung nach der Lehre schätzt der IB in jedem aufmerksam, daß viele Jugendliche keinen „Normal- Fall als höher und effektiver als deren Verwendung arbeitsvertrag" in ihrem Ausbildungsberuf mehr er- für Arbeitslosenunterstützung ein (II/151). hielten, sondern Teilzeitbeschäftigungen anträten, befristete Arbeitsverträge abschlössen und dadurch Für die Berufe, die ein Ausbildungsplatzangebot über zu einer Reserve- oder Randbelegschaft gemacht wür- den (III/62). den Nachwuchsbedarf hinaus aufweisen, empfiehlt der VLW zur Verminderung des Beschäftigungsrisi- Die Bedeutung einer ausreichenden Phase der beruf kos eine berufsfeldbreite Grundbildung möglichst lichen Ersterfahrung für alle Jugendlichen wird von über die gesamte Ausbildungszeit hinweg. Auf diese

Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode Drucksache 11/5349

Weise werde die Beschäftigungschance in einem an- davon nahmen 4 Mio. an beruflicher Weiterbildung deren Beruf desselben Berufsfeldes erhöht (II/112). teil. 50 % des Weiterbildungsangebots sei von den Betrieben bereitgestellt worden (I/75). Primärer und Zusammenfassung von handlungsorientierten wichtigster Ansatz für Maßnahmen der beruflichen Vorschlägen der Verbände: Weiterbildung ist nach Einschätzung des KWB der — Zur Erleichterung des Übergangs für Jugendliche Betrieb, das Unternehmen. Der wirtschaftliche Bedarf von der Erstausbildung in das Beschäftigungssy- an qualifizierten Mitarbeitern bestimme die Maßstäbe stem ( „2. Schwelle") sind „ergänzende Maßnah- für Inhalte, Formen und Umfang der Weiterbildung men" des Staates notwendig (gemeinsame Posi- (I/74). tion). Der DGB stellt dagegen aus seiner Perspektive vor — Über eine abgestimmte Wirtschafts-, Finanz- und allem eine Verschärfung der sozialen Ungleichheiten Tarifpolitik sind zusätzliche, rentable und konkur- in der beruflichen Weiterbildung fest und führt diese renzfähige Arbeitsplätze zu schaffen (KWB einerseits auf betriebliche Merkmale (Hierarchie, Branche, Betriebsgröße), andererseits auf den Ar- — Es ist eine aktive Arbeitsmarktpolitik zu betreiben beitsmarkt zurück, der das Qualifizierungspotential in (GEW II/137); Bildungs- und Arbeitsmarktpolitik betriebliche und öffentlich geförderte Weiterbildung sind besser miteinander zu verzahnen (IGM differenziere bzw. hierarchisiere. Seine These: Die öf- II/68). fentlich finanzierte Weiterbildung erfülle nur eine ku- — Für die Phase nach der Ausbildung soll Kündi- rative Funktion; an Stelle berufsqualifizierender Maß- gungsschutz geschaffen werden (BLBS II/129; nahmen seien — wegen der Arbeitsmarktsituation — VBE I/143; DBJR III/66). eher Diagnose- und Therapiemaßnahmen getreten (II/26 — 29). — In enger Abstimmung mit der Erstausbildung sind zur Sicherung der beruflichen Ersterfahrung gege- Fragen des Zugangs zur beruflichen Weiterbildung, benenfalls mit staatlicher Förderung „Teilarbeits-/ ihrer rechtlichen Ordnung und Struktur sowie ihrer Teilweiterbildungs-Verhältnisse" einzurichten Finanzierung können als Schlüsselfragen bezeichnet (DGB II/15; GEW II/107; BLBS I/117; ähnlich DAG werden, zu denen die Verbände unterschiedliche, I/20; BDP I/92). zum Teil kontroverse Auffassungen entwickelt haben. Die Arbeitgeber sehen in einem pluralistisch aufge- — Die Möglichkeit des Abschlusses bef risteter Ar- bauten, nicht nur fremdfinanzierten Weiterbildungs- beitsverträge ist abzusichern (Verlängerung des markt mit Wettbewerbsorientierung und Eigeniniti- Beschäftigungsförderungsgesetzes) (KWB I/62; ative ohne feste Strukturen die beste Gewähr zur Er- CJD I/182). füllung des Weiterbildungsbedarfs (KWB I/75f). — Die Verausgabung öffentlicher Mittel zur Schaf- Gewerkschaften und zum Teil auch Lehrerverbände fung von Stellen für den Erwerb beruflicher Erster- sowie anderen Organisationen verfolgen dagegen fahrung ist gegenüber der Zahlung von Arbeitslo- Ziele wie Aufhebung von sozialen Benachteiligungen senunterstützung vorzuziehen (IB 11/151); vor al- bei der Weiterbildungsbeteiligung (DGB II/28), Ver- lem in Krisenregionen sollen Mittel für Arbeitsbe- meidung rigiden Leistungswettbewerbs (VBE I/145), schaffungsmaßnahmen eingesetzt werden (BLBS staatliche Verantwortung bei allgemeinem, volkswirt- I/12). schaftlich notwendigem Weiterbildungsbedarf („für alle") (VLW II/117), tarifvertragliche Regelungen oder — In Berufen mit hohem Beschäftigungsrisiko soll Betriebsvereinbarungen für die betriebliche Weiter- über die gesamte Ausbildungsdauer eine berufs- bildung (CPK II/53), Orientierung auf abschlußbezo- feldbreite Grundbildung vermittelt werden gene Maßnahmen (DGB II/31; DAG 1/27), Entwick- (Zweck: Erhöhung der Beschäftigungschancen in lung von Strukturen zur firmenunabhängigen fachli- einem anderen Beruf desselben Berufsfeldes) chen und allgemeinen Weiterbildung (DBJR III/69) (VLW II/112). und die Verrechnung von Arbeitszeitverkürzungen mit Weiterbildungszeiten (CPK II/53; IB II/152). Der DGB zieht darüber hinaus eine Verbindung von ge- 15. Ziele und Formen beruflicher Weiterbildung samtgesellschaftlichen Problemlagen (Arbeitslosig- keit, Umweltschutz, Gesundheitsversorgung und an- Anmerkung: Im Mittelpunkt der Anhörung am 14.9. dere), für deren Lösung mehr qualifizierte Arbeits- standen Fragen der Erstausbildung. Gleichwohl wur- plätze zu schaffen seien, zur Erweiterung und Verbes- den auch Zusammenhänge zur beruflichen Weiterbil- serung des Qualifizierungsangebots im Bereich der dung hergestellt, insbesondere im Zusammenhang Weiterbildung (II/32). mit Fragen der Ausbildungsdauer, des Nachholens von (Erstausbildungs-)Abschlüssen und der Vorberei- Für eine stärkere Einbeziehung und Nutzung der Be- tung auf lebenslanges Lernen. Die Kommission hat rufsschulen und Lehrer in die berufliche Weiterbil- daneben eine gesonderte Anhörung von Verbänden dung sprechen sich die Lehrerverbände aus, die die zur beruflichen Weiterbildung durchgeführt (siehe Bereitschaft und Voraussetzung zur Weiterbildung Auswertung in Kapitel III.2.3) am ehesten durch eine breite berufliche Erstausbil- dung (Grundbildung) auf hohem Niveau gewährlei- Die Verbände gehen einhellig von einer wachsenden stet sehen. Sie plädieren zugleich für einen erweiter- Bedeutung der beruflichen Weiterbildung aus („quar- ten, stärker subjektorientierten Bildungs- und Lern- täre Bildungssäule"). Bereits 1985, so das KWB, gab es begriff (Freude beim Lernen) in der Weiterbildung. 8,4 Mio. Teilnehmer an Weiterbildungsmaßnahmen, Das KWB betont besonders die Vorteile arbeitsplatz-

Drucksache 11/5349 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode bezogener Weiterbildungsmethoden (Qualitätszirkel, dung aus dem Jahre 1981, nach der sich die jährlichen Lernstätten und erfahrungsbezogenes Lernen in klei- Nettokosten auf 20,2 Mrd. DM beliefen. In Fortschrei- nen Gruppen) (I/76f). bung des Trends der Kostenentwicklung sei heute mit ca. 33 Mrd. DM Nettokosten zu rechnen. Diese Zahl Zusammenfassung von handlungsorientierten sei allerdings wegen der gestiegenen Zahl von Aus- Vorschlägen der Verbände: bildungsplätzen und höheren Ausgaben für Sach- und — Zur Erfüllung des Weiterbildungsbedarfs ist ein Personalkosten in der Ausbildung (Neuordnung) als pluralistisch aufgebauter, nicht nur fremdfinan- noch zu niedrige Schätzung anzusehen (1/79). zierter Weiterbildungsmarkt mit Wettbewerbs- Andere Verbände beschränken sich ganz auf qualita- orientierung und Eigeninitiative ohne feste Struk- tive Aussagen und heben aus ihrer Sicht bedeutsame turen zu entwickeln (KWB I/75 f). Aspekte der Finanzierung beruflicher Bildung hervor. — Die Erfüllung des Weiterbildungsbedarfs hat sich So spricht sich der DL für eine stärkere Förderung der zu orientieren an: beruflichen Schulen aus, die zwischen 1975 und 1983 eine Erhöhung der Schülerzahl um 30 % und eine O der Aufhebung von sozialen Benachteiligungen Senkung der Ausgaben pro Schüler um 4 % erfahren bei der Weiterbildungsbeteiligung (DGB hätten (III/12). Die für die achtziger Jahre geplante II/28), Umschichtung der Mittel zwischen den Bildungssek- O der Vermeidung rigiden Leistungswettbewerbs toren — so der BLBS — sei als mißlungen anzusehen (VBE I/145), (I/135f). Der VBE betont, daß zur Realisie rung seiner inhaltlichen Vorschläge nur relativ geringe Mittel er- O staatlicher Verantwortung bei allgemeinem, forderlich seien. Die Weiterentwicklung des Berufs- volkswirtschaftlich notwendigem Weiterbil- bildungsbereichs sei mit einer 10-15 %igen Steige- dungsbedarf ( „für alle") (VLW II/117), rung der öffentlichen und p rivaten Ausgaben dieses O tarifvertraglichen Regelungen oder Betriebs- Bereichs zu finanzieren (1/146). Die AGA macht deut- vereinbarungen für die betriebliche Weiterbil- lich, daß Ausbildungsprojekte in Problemregionen in dung (CPK II/53), vollem Umfang auf öffentliche Mittel angewiesen seien, allerdings erhielten diese nach dem Jugendhil- O abschlußbezogenen Maßnahmen (DGB II/31; fegesetz für ihre Arbeit im Bereich betreutes Wohnen DAG I/27), und Ausbildung noch immer nur 155 DM pro Tag und O der Entwicklung von Strukturen zur firmenun- pro Jugendlichem, ein traditionelles Heim für reines abhängigen fachlichen und allgemeinen Wei- Wohnen hingegen entsprechend 250 DM. Der BBJ terbildung (DBJR III/69), fordert, keine Abstriche mehr bei der Förderung nach AFG und JWG vorzunehmen und das BSHG (hier O der Verrechnung von Arbeitszeitverkürzun- § 26) zu novellieren, um auch denjenigen Jugendli- gen mit Weiterbildungszeiten (CPK II/53; IB chen eine berufliche Perspektive zu bieten, die nicht II/152), nach AFG oder BAföG gefördert würden (III/49). O der Qualifizierung zur Arbeit an gesamtgesell- schaftlichen Problemlagen (Umwelt, Gesund- heit, und anderen) auf neu zu schaffenden Ar- b) Formen der Finanzierung beitsplätzen (DGB II/32). Die Arbeitgeber sprechen sich ausdrücklich für die — Berufsschulen und Lehrer sollen verstärkt in der Beibehaltung der ihrer Ansicht nach erfolgreichen beruflichen Weiterbildung eingesetzt werden. Ein einzelbetrieblichen -Finanzierung in der Berufsbil- subjektorientierter Bildungs- und Lernbegriff ist zu dung aus. Auch für die überbetrieblichen Ausbil- verfolgen (gemeinsame Position der Lehrerver- dungsstätten, deren Investitionsvolumen ca. 5,3 Mrd. bände). DM betrage, gelte im Grundsatz das Prinzip der Trä- — Es sind arbeitsplatzbezogene Weiterbildungsme- gerfinanzierung, obwohl deren Ausbau nur mit öffent- thoden (Qualitätszirkel, Lernstätten, Erfahrungs- lichen Mitteln möglich gewesen sei und auch deren lernen in Kleingruppen) zu favorisieren (KWB Modernisierung gegebenenfalls nur mit Hilfe von Zu- 1/76 f). schüssen der öffentlichen Hand erfolgen könne. Das KWB fordert die Länder und Gemeinden auf, den Be- rufsschulen zur Erfüllung ihres Bildungsauftrages 16. Kosten und Finanzierung der beruflichen eine angemessene personelle und sächliche Ausstat- Bildung tung zu sichern (keine Überalterung des Lehrkörpers, gegebenenfalls kleinere Klassen, moderne technische a) Mittelbedarf Geräte) (I/80f). Zur Höhe der gegenwärtigen und künftig zu erwar- Die Gewerkschaften fordern eine Ablösung der ein- tenden Ausgaben für die berufliche Bildung machen zelbetrieblichen Finanzierung durch eine Umlage — die Verbände kaum Angaben. Das KWB verweist dar- bzw. Fondsfinanzierung, die durch Beiträge a ller Be- auf, daß sich die Frage so nicht stelle, weil die Ausbil- triebe, Unternehmen und Verwaltungen ermöglicht dungskosten ebenso wie andere Kostenarten als be- werden solle. Auf die verfassungsrechtliche Zulässig- triebsnotwendig zur Erstellung der betrieb lichen Lei- keit dieser Finanzierungsform wird ausdrücklich hin- stung angesehen würden und in die Kalkulation ein- gewiesen (Bundesverfassungsgerichts-Urteil vom gingen. Zitiert wird eine Erhebung des BIBB zur Er- 10.12.1980 bzw. DGB-Stellungnahme zur Bundes- mittlung der Kosten der bet rieblichen Berufsausbil tagsdrucksache 10/5143 vom 4.3.86) (II/34).

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Auch die DAG (I/28) und der DBJR (III/71 f) sprechen Die Gewerkschaften halten dagegen eine Lösung der sich für eine gesetzlich zu regelnde Umlagefinanzie- ihrer Ansicht nach bestehenden berufsstrukturellen rung aus, die auf Basis einer einheitlichen Bemes- Probleme nur durch Schaffung einer Umlagefinanzie- sungsgrundlage eine gerechte Verteilung von Ausbil- rung für erreichbar (DGB II/34). Als Vorteile werden dungskosten ermöglichen soll. Die IGM fordert die im einzelnen von der IGM genannt: Unabhängigkeit Festlegung von Vergaberichtlinien und die wirksame der Ausbildungsentscheidungen von der Bereitschaft Kontrolle einer Mindestausbildungsqualität sowie die und Fähigkeit der Bet riebe zur Übernahme der Aus- schrittweise Einbeziehung der beruflichen Weiterbil- bildungskosten; Steigerung der Zugangschancen und dung. Arbeitgeber, Arbeitnehmer und Staat sollen zu- Wahlmöglichkeiten für Jugendliche, auch im Hinblick sammen über Mittelaufbringung und -vergabe ent- auf kostenintensive Ausbildungsverhältnisse; ein hö- scheiden (II/69). Die tarifvertraglich vereinbarten Sy- heres Angebot an Ausbildungsplätzen in struktur- steme der Umlagefinanzierung, etwa im Baugewerbe schwachen Räumen; eine größere Gerechtigkeit in und in der Landwirtschaft, hätten zwar zu Qualitäts- der Ausbildungsfinanzierung zwischen den Unter- steigerungen geführt, seien quantitativ aber nicht nehmen mit relativ hohen und niedrigen Ausbil- ausreichend und begünstigten regional und sektoral dungsanstrengungen (II/70; in ähnlichem Sinne auch unterschiedliche Lösungen (II/70). die Argumentation des DBJR III/70 — 72). Der BLBS sieht in der Berufsbildung als Teil des Bil- Die DAG sieht in einer gesetzlichen Finanzierungs- dungssystems eine Aufgabe der staatlichen Gemein- umlage Chancen zur quantitativen Verbesserung des schaft, aus der der Staat sich nicht ausklammern Ausbildungsangebots sowie zur Förderung überbe- dürfe. Die „Zersplitterung der Zuständigkeiten in der trieblicher Ausbildungsstätten; außerdem werde so Berufsausbildung" sei im Hinblick auf eine effekti- Wettbewerbsverzerrungen entgegengewirkt (I/28 f). vere Nutzung der Mittel zu überprüfen und zu korri- Die DAG fordert zugleich eine Rahmengesetzgebung gieren (I/135). Der VLW warnt in ähnlichem Sinne vor des Bundes für die pluralistisch gegliederte berufliche der Etablierung eines dritten Lernortes neben Schule Weiterbildung, um eine bedarfsgerechte institutio- und Betrieb, da hierdurch eine optimale Nutzung der nelle Finanzierung zu sichern. Die Einbeziehung von vorhandenen Ressourcen verhindert würde (II/117). Arbeitslosen wird ausdrücklich betont (I/29). Der BDP Zusätzliche Mittel sind nach Auffassung des VBE fordert in diesem Zusammenhang eine Erweiterung durch alle an der Berufsbildung beteiligten Gruppen der Weiterbildungschancen für Arbeitslose, die — un- bereitzustellen. Hierzu sollen entsprechende Um- ter Aufrechterhaltung ihres Anspruchs auf Arbeitslo- schichtungen im Bundeshaushalt sowie zusätzliche senunterstützung — auch Schulabschlüsse nachholen Investitionen der Wirtschaft im Berufsbildungsbereich möchten, bevor sie sich beruflich höher qualifizieren vorgenommen werden (I/146). Der BDP hält vor allem könnten (I/98). im Weiterbildungsbereich eine Selbstbeteiligung der Zusammenfassung von handlungsorientierten Teilnehmer für geraten und forde rt darüber hinaus Vorschlägen der Verbände: den Einsatz von Mitteln der Bundesanstalt für Arbeit sowie von Bundesmitteln im Rahmen der Wirtschafts- — Aufgrund seiner Vorteile (keine Verwaltungsko- förderung. Ebenso seien in strukturschwachen Gebie- sten, bedarfsgerechte Allokation, einzelbetriebli- ten Regionalprogramme der Länder erforderlich. Vor- che Motivation, Flexibilität) soll das einzelbetrieb- geschlagen wird außerdem die Einführung eines „Bil- liche Finanzierungssystem beibehalten werden dungsgutscheins", der jedem einen — von der öffent- (KWB I/82 f). lichen Hand finanzierten — Anspruch auf einen Zu- schuß zu den Weiterbildungskosten sichert (I/96). — Eine Umlage- bzw. Fondsfinanzierung ist aus fol- genden Gründen einzurichten: Ausbildungsent- scheidungen werden unabhängig von einzelbe- c) Beurteilung der Finanzierungsformen trieblichen Kostenerwägungen, Berufs-Zugangs- chancen und -Wahlmöglichkeiten der Jugendli- Nach Auffassung des KWB hat sich das heutige ein- chen steigen, es gibt mehr Ausbildungsplätze in zelbetriebliche Finanzierungssystem bewährt. Seine strukturschwachen Regionen, es findet ein Kosten- Vorteile: Keine Verwaltungskosten durch Umlageer- ausgleich zwischen ausbildenden und nicht aus- hebungen, bedarfsgerechte marktorientierte Alloka- bildenden Betrieben statt (DGB II/34; IGM II/70; tion, einzelbetriebliche Motivation, Flexiblität. Dem- ähnlich DBJR 70-72 und DAG I/28 f). gegenüber brächten alle Finanzierungsalternativen — Für eine Fonds- bzw. Umlagefinanzierung sind wie Fondsfinanzierung und steuerliche Anreizsy- Vergaberichtlinien zu erlassen und eine Mindest- steme Nachteile mit sich, zum Beispiel massive Wett- ausbildungsqualität zu sichern und zu kontrollie- bewerbsverzerrungen und konjunkturabhängige Ef- ren; Arbeitgeber, Arbeitnehmer und Staat ent- fekte, die sich wiederum nega tiv auf die ausreichende scheiden über Mittelaufbringung und -vergabe Versorgung der Jugendlichen mit Ausbildungsplät- (IGM II/69). zen auswirken würden. Hinzu kämen nicht lösbare Probleme der Ausschüttung (Bedarfskriterien?), De- — Länder und Gemeinden sollen den Berufsschulen motivierungseffekte bei den Ausbildungsbetrieben zur Erfüllung ihres Bildungsauftrags eine ange- wegen der aufzubringenden Verwaltungskosten und messene personelle und sächliche Ausstattung ge- — bei den steuerlichen Anreizen — Wirkungslosigkeit währen (KWB I/80 f). und unerwünschte Verzerrungen im Hinblick auf eine ausgewogene Entwicklung des Beruf sbildungssy- — Die Weiterentwicklung des Berufsbildungsbe- stems (I/82 f). reichs ist mit einer 10-15 %igen Steigerung der öf-

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fentlichen und p rivaten Ausgaben für diesen Be- — in außerbetrieblichen und in selbstverwalteten reich zu finanzieren (VBE I/146). Ausbildungszentren, — Für eine effektivere Nutzung der Mittel ist die auch im Hinblick auf die Berufsausbildung von „Zersplitterung der Zuständigkeiten in der Berufs- besonderen Gruppen? ausbildung" zu überprüfen und zu korrigieren (BLBS I/135). 1.4 Von welchen jetzigen oder sich abzeichnenden Lebensvorstellungen und Lebensplanungen von — Für die berufliche Weiterbildung ist — über eine Jugendlichen sollte bei der Weiterentwicklung Rahmengesetzgebung — eine bedarfsgerechte in- des Berufsausbildungssystems ausgegangen wer- stitutionelle Finanzierung zu sichern, die auch Ar- den? beitslose ausdrücklich einbezieht (DAG I/29); letz- 1.5 Welche Verbesserungen hinsichtlich der Berufs- tere sollen — unter Beibehaltung ihres Anspruchs ausbildung behinderter Jugendlicher halten Sie auf Arbeitslosenunterstützung — für eine spätere für geeignet und erforderlich? berufliche Höherqualifizierung auch Schulab- schlüsse nachholen können (BDP I/98). 2. Übergang von der Schule in die Berufsausbildung — Für Ausbildungsprojekte in Problemregionen sind („ erste Schwelle ") und vom Bildungs- ins Beschäf- ausreichende öffentliche Mittel für be treutes Woh- tigungssystem („zweite Schwelle" ) nen und Ausbildung bereitzuhalten (AGA II/39). 2.1 Wie hat sich der Übergang von der Schule in die — Das Bundessozialhilfegesetz (hier § 26) ist zu no- Berufsausbildung entwickelt, wie wird er sich vor- vellieren, um auch denjenigen Jugendlichen eine aussichtlich weiter entwickeln, welche Bedeu- berufliche Perspektive zu bieten, die nicht nach tung haben dabei die verschiedenen Schulab- dem AFG oder BAföG gefördert werden (BBJ schlüsse, und welche Konsequenzen für die Bil- III/49). dungspolitik ergeben sich daraus? 2.2 Welche Barrieren bestehen für Frauen beim Über- gang in das berufsbildende System? Wie können Frauen verstärkt für eine zukunftsträchtige Aus- Anhang: bildung gewonnen werden, und sind dafür Be- Fragenkatalog und Teilnehmerverzeichnis rufsausbildungen im gewerblich-technischen Be- reich und im Dienstleistungsbereich geeignet? Fragenkatalog Wie schätzen Sie in diesem Zusammenhang die Neuordnung z. B. der Metall- und Elektroberufe ein? 1. Bildungsbeteiligung, Wahl der Bildungswege und 2.3 Welche Bedeutung hat zur Zeit für Jungen/für Zugang zu den Bildungsangeboten Mädchen die arbeits- und wirtschaftsbezogene Bildung in allgemeinbildenden Schulen für die 1.1 Wie beurteilen Sie die bisherige Entwicklung und Übergänge vom Bildungs- in das Ausbildungs- bestehende Trends von Angebot und Nachfrage und in das Beschäftigungssystem? Welche Verän- in der beruflichen Erstausbildung und der Bil- derungen sollten hier nach Ihrer Einschätzung dungsbeteiligung, insgesamt und für bestimmte vorgenommen und durch den Bund gefördert Schichtenlen oder soziale Gruppen, auch differen- werden? - ziert nach Berufen oder Berufsfeldern und in re- gionaler Sicht? 2.4 Welche Alternativen zum dualen System der Be- rufsausbildung haben sich entwickelt, auch in an- 1.2 Welche Maßnahmen halten Sie für geeignet und deren Mitgliedsländern der Europäischen Ge- erforderlich, um die Betriebe zu motivieren, allen meinschaft? Wie werden diese Entwicklungen Jugendlichen eine qualifizierte Berufsausbildung von Ihnen eingeschätzt, auch im Hinblick auf die anzubieten? Durch welche Maßnahmen könnten europäische Integration? Jugendliche, die häufig keine Berufsausbildung anstreben oder erhalten (z. B. Jugendliche ohne 2.5 Wie können die berufsstrukturellen Probleme von Schulabschluß, Ausländer), dazu gebracht wer- Absolventen des Ausbildungssystems beim Über- den, ein Ausbildungsverhältnis einzugehen? gang in das Beschäftigungssystem vermieden werden, z. B. im Hinblick auf das Problem der 1.3 Welchen Stellenwert hat und wie beurteilen Sie Fehlqualifizierung oder der „Zukunftsfestigkeit" die Qualität und die Akzeptanz der Ausbildung von Berufen? — in verschiedenen Beschäftigungsbereichen, 2.6 Durch welche Maßnahmen während der Berufs- auch im Hinblick auf die Wirkungen von Neu- bildung kann die Zahl der Ausbildungsabbrecher ordnungen von Berufen, verringert und der Erfolg bei den Abschlußprü- fungen verbessert werden? — in den verschiedenen Lernorten des dualen Systems, 2.7 Welche Entwicklungen sollten gefördert werden, um allen Auszubildenden, die dies wünschen, — in staatlichen und privaten Vollzeitberufsschu nach ihrer Ausbildung eine ausreichende Phase der beruflichen Ersterfahrung zu ermöglichen? Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode Drucksache 11/5349

3. Bildungsziele und ihre Vermittlung im Proze ß 4. Kosten und Finanzierung ökonomischer, technologischer, ökologischer und sozialer Veränderungen 4.1 Welche Mittel für die Finanzierung der berufli- chen Bildung und ihrer von Ihnen für erforderlich 3.1 Welche fachliche, personale und soziale Kompe- gehaltenen Weiterentwicklung werden benö- tenz brauchen Jugendliche im Hinblick auf neue tigt? Anforderungen und die Übernahme von Verant- 4.2 Von wem sollen diese Mittel aufgebracht wer- wortung im persönlichen und gesellschaftlichen den? Leben, in Arbeit und Beruf, in Kultur und Politik? Wie können die erhöhten Anforderungen an die 4.3 Welche Auswirkungen haben unterschiedliche Auszubildenden, insbesondere im Hinblick auf Formen der Finanzierung auf den einzelnen — die Vermittlung von Schlüsselqualifikationen wie Auszubildenden wie Betrieb? z. B. planerisches Denken und die Fähigkeit zur Teamarbeit, künftig erfüllt werden? Liste der teilnehmenden Verbände und ihrer 3.2 Werden Veränderungen der Berufsausbildung Vertreter von Ihnen für erforderlich gehalten, insbesondere in bezug auf Ausbildungsziele, -inhalte, -organi- sation und -methoden, die betriebliche und schu- I. Arbeitnehmer- und Arbeitgeberorganisationen lische Interessenvertretung und die Aus- und Fortbildung von Ausbildern, um 1. Deutscher Gewerkschaftsbund und Einzelgewerk- schaften: — die Berufsausbildung stärker auf Persönlich- keitsentwicklung, Denk- und Gestaltungsfä- — Gewerkschaft Handel, Banken, Versicherun- higkeit der Jugendlichen zu orientieren, gen

— die Berufsausbildung stärker für die Bildungs- — Gewerkschaft Öffentliche Dienste, Transpo rt motivation zu nutzen, und Verkehr — Industriegewerkschaft Chemie-Papier-Kera- — fachbezogene und andere Ausbildungsinhalte mik zu verbinden, — Industriegewerkschaft Metall — neuen Herausforderungen, z. B. des Umwelt- schutzes, der Gesundheit, der Ressourcen- Herr Hanshorst Viehof (DGB-Bundesvorstand) schonung, der Vermeidung von Emissionen Frau Maria Huesmann (Gewerkschaftsjugend/ und der ökologisch verträglichen Produktge- DGB) staltung, Rechnung zu tragen, Frau Eva Kuda (IGM) Herr Rainer Brötz (HBV) — einer inhaltlichen Überfrachtung von Ausbil- Herr Dr. Michael Ehrke (HBV) dungsordnungen und der damit verbundenen Frau Heidrun Lotz (DGB Berufsfortbildungs- Verlängerung der Ausbildungszeiten entge- werk) genzuwirken? Herr S. Oliver Lübke (DGB/ÖTV) Herr Jürgen Walter (IGCh) 3.3 Welche Konsequenzen haben die neuen Kommu- Herr Lothar Zindel (ÖTV) - nikationstechnologien und andere technologische 2. Deutsche Angestellten-Gewerkschaft Veränderungen auf die Ausbildungsziele, -in Herr Jens Vojta halte, -organisation und -methoden, wie können sie genutzt werden 3. Kuratorium der Deutschen Wirtschaft für Berufsbil- dung und Trägerverbände: — zur Förderung der Gestaltungsfähigkeit von Arbeit für den Einzelnen und für den Be- — Bundesverband der Deutschen Indust rie e.V. trieb, Herr Dr. Kreklau — Bundesverband der Freien Berufe — zur Förderung der Gleichstellung der Ge- Herr Stobrawa schlechter, — Bundesverband des Deutschen Groß- und Au- — zur Humanisierung der Arbeit, ßenhandels e.V. Herr RA Dr. Ottow — zur Durchsetzung ökologischer Erfordernisse in der Arbeitswelt, — Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitge- berverbände und wie können dabei sinnliche, kulturelle oder Frau Dipl.-Volksw. Ingeborg Weegmann soziale Verarmung verhindert werden? — Deutscher Bauernverband Herr Dr. Heribert Mühl 3.4 Wie kann die Fähigkeit und Bereitschaft zur Wei- terbildung für alle gefördert und welche betrieb- — Deutscher Industrie- und Handelstag lichen und außerbetrieblichen Weiterbildungsan- Herr Dipl.-Sozialwirt Raddatz gebote müssen entwickelt werden? Herr Feuchthofen Drucksache 11/5349 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode

— Hauptgemeinschaft des Deutschen Einzelhan- 7. Verband Bildung und Erziehung dels e.V. Herr Dr. Wilhelm Ebert, Bundesvorsitzender Frau Léonard Herr Hjalmar Brandt, stellv. Bundesgeschäftsführer — Zentralverband des Deutschen Handwerks 8. Verband Deutscher Realschullehrer * ) Herr Dr. Schube rt Herr Hansjoachim Kraus Herr Herwig Herr Horst Wollenweber 9. Verband Deutscher Sonderschulen II. Lehrerverbände Fachverband für Behindertenpädagogik Herr Franz Rumpler, Bundesvorsitzender Herr Heinz-Günter Schwemmer, Bundesgeschäfts- 1. Arbeitsgemeinschaft Freier Schulen, führer Vereinigungen und Verbände gemeinnütziger Schulen in freier Trägerschaft Herr Dipl. -Kfm. Joachim Böttcher, stellv. Vorsit- zender des Bundesverbandes Deutscher Privat- III. Sonstige Verbände schulen e.V. Herr Prof. Dr. J.P. Vogel, Geschäftsführer der Ar- 1. Arbeitsgemeinschaft „Arbeit und Ausbildung" beitsgemeinschaft Freier Schulen Frau Gabriele Mersch, Geschäftsführerin Frau Gisela Sommer 2. Bundesverband der Lehrer an') beruflichen Schu- len e.V. 2. BBJ Consult Herr O.St.Dir. Dipl.-Ing. Peter Grothe, Bundesvor- Herr Schneider sitzender Berufsförderungszentrum Essen e.V. Herr Prof. Dr. Bader 3. Herr Walter Brückers 3. Bundesverband der Lehrer an *) Wirtschaftsschu- Herr Norbert Meyer len e.V. Herr Hans-Georg Kappler, Bundesvorsitzender 4. Bundeselternrat Herr St.Dir. Dr. Wolfgang Fischlein Frau Ilse Oppermann, Vorsitzende 4. Deutscher Lehrerverband 5. Christliches Jugenddorfwerk Deutschlands e.V. Herr Josef Kraus, Präsident Herr Dipl. -Pol. Uwe Wienholz Herr Winfried Heger 5. Deutscher Philologenverband e.V. *) Herr B. Ruck, 1. Vorsitzender 6. Deutscher Bundesjugend ring Herr Prof. Dr. Heldmann Herr Marc Roach 6. Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft 7. Internationaler Bund für Sozialarbeit Herr Jochen Schweitzer, Geschäftsführendes Vor- — Jugendsozialwerk e.V. — standsmitglied der GEW Herr Franzjosef Esch, Stellvertreter des Vorsitzen- Herr Bernhard Eibeck den der Geschäftsführung

Kapitel 111.2.3

Verbändeanhörung zum Arbeitsschwerpunkt „Weiterbildung — Lebenslanges Lernen" am 8. Februar 1989

Gliederung Anhang: Fragenkatalog und Teilnehmerverzeichnis A. Methodische Vorbemerkung und Verzeichnis der Abkürzungen und Verbändenamen A. Methodische Vorbemerkung und Verzeichnis der Abkürzungen von Verbändenamen B. Auswertung Dem Arbeitsschwerpunkt „Weiterbildung — Lebens- 1. Weiterbildungsbegriff langes Lernen" hat sich die Kommission unter ande- 2. Weiterbildungsbeteiligung rem auf dem Weg über eine große Verbändeanhörung genähert. Ziel dieser in der 14. Kommissionssitzung 3. Weiterbildung und Beschäftigung am 8. Februar 1989 durchgeführten Anhörung war es, einerseits einen weiten Rahmen von Einzelthemen für 4. Weiterbildung und Strukturwandel diesen Arbeitsschwerpunkt zu erhalten, innerhalb dessen die Kommission während ihrer Arbeit noch 5. Organisationsformen der Weiterbildung einmal Unter-Schwerpunkte setzen kann, anderer- 6. Kosten und Finanzierung seits auch eine Zuspitzung des umfangreichen Gebie- tes „Weiterbildung" aus dem Blickwinkel des je spe- *) Mitgliederverbände des Deutschen Lehrerverbands zifischen Verbandsinteresses zu bekommen.

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Die Kommission hat die Anhörung in sechs Themen- len in freier Trägerschaft, Bundesverband komplexe gegliedert: Deutscher Privatschulen e.V., Frankfurt — Begriff der Weiterbildung AuL Bundesvereinigung Arbeit und Leben, Düs seldorf — Bildungsbeteiligung BA Bundesanstalt für Arbeit — Übergang in das Beschäftigungssystem Berufsförderungszentrum Essen e.V. — Strukturwandel BFZ lin/ — Organisationsformen der Weiterbildung BIBB Bundesinstitut für Berufsbildung, Ber Bonn — Kosten und Finanzierung BLBS Bundesverband der Lehrer an beruflichen Der Fragenkatalog und die Liste der teilnehmenden Schulen e.V., Bonn Verbände und ihrer Vertreter finden sich im An- hang. BMVg Bundesministerium der Verteidigung, Abtei- lung I — Berufsförderungsdienst —, Bonn Vertieft wurden in drei auf die Anhörung folgenden Deutsche Angestellten-Gewerkschaft, Ham- Expertengesprächen der Kommission die Fragen von DAG burg „Verteilung der Weiterbildung im Lebenszyklus" (8.3.1989), „Kosten und Finanzierung der Weiterbil- De.Vg. Deutsche Vereinigung für die Rehabilitation dung" (15.3.1989) und „Weiterbildung und Tarifver- Behinderter e.V., Heidelberg trag" (10.5.1989). Der Innenausschuß des Deutschen Bundestages hat gemeinsam mit dem Ausschuß für DFR Deutscher Frauenrat, Bonn Bildung und Wissenschaft am 8.5.1989 eine Anhörung DFV Deutscher Fernschulverband, Pfungstadt zur politischen Bildung durchgeführt, deren Frage- stellungen in Teilen mit dem Untersuchungsauftrag DGB Deutscher Gewerkschaftsbund, Düsseldorf der Enquete-Kommission übereinstimmen. Die Aus- (zugleich für seine Einzelgewerkschaften wertungen dieser Anhörung und der genannten Ex- und das Berufsförderungswerk des DGB) pertengespräche stehen noch aus, ebenso die Aus- DHV Deutscher Hochschulverband, Bonn wertung des von der Kommission vergebenen Gut- achtens Nr. 4 zur Weiterbildungsbeteiligung. Entspre- DVV Deutscher Volkshochschul-Verband e.V., chend werden diese Themen in der vorliegenden Aus- Bonn wertung der Verbändeanhörung nur unvollkommen Deutsche Evangelische Arbeitsgemeinschaft abgehandelt. Ev.LK für Erwachsenenbildung e.V., Karlsruhe/ Materialien sind die schriftlichen Stellungnahmen Leiterkreis der Evangelischen Akademien in (zitiert als I/...; II/...; III/...), die die Verbände zur Anhö- Deutschland e.V., Bad Boll rung vorgelegt haben, sowie das Wortprotokoll der FeU Fernuniversität-Gesamthochschule Hagen Anhörung (zitiert als 14/...). FRK Ständige Konferenz der Rektoren und Präsi Die folgende Darstellung gliedert sich in sechs Kapi- denten der staatlichen Fachhochschulen der tel, die jeweils die thematischen Schwerpunkte der Länder in der Bundesrepublik Deutschland Diskussion zusammenfassend referieren und im An- schluß die handlungsorientierten Vorschläge der Ver- GEW Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft, bände soweit solche deutlich wurden — subsumie- Frankfurt am Main ren. - Kath.LK Katholische Arbeitsgemeinschaft für Er- Die sechs von der Kommission gestellten Fragen wa- wachsenenbildung, Bonn/Leiterkreis der ren bewußt relativ offengehalten. Diese offene Frage- Katholischen Akademien, Schwerte stellung reicht als Strukturmittel allein nicht aus. Zu- KWB Kuratorium der Deutschen Wirtschaft für Be- sammenfassung und Auswertung orientieren sich da- rufsbildung, Bonn (zugleich für die Träger- her an folgender vierschrittiger Binnenstruktur: verbände) — Darstellung der für die Gegenwart gegebenen Ein- schätzungen, LAAW Landesarbeitsgemeinschaft für eine andere Weiterbildung in Nordrhein-Westfalen, — Darstellung der prognostizierten Entwicklung, Enger — bereits praktizierte Lösungen und deren Bewer- REFA REFA-Verband für Arbeitsstudien und Be tung durch die Verbände, triebsorganisation e.V., Darmstadt — für die Zukunft vom Bund geforderte Lösungen SBB Stiftung berufliche Bildung, Arbeitslosenbil (handlungsorientierte Vorschläge der Verbände). dungswerk, Hamburg Die Verbände werden im Text wie folgt abgekürzt: VLW Verband der Lehrer an Wirtschaftsschulen e.V., Langelsheim ABH Akademie für Führungskräfte der Wirt- schaft, Bad Harzburg WK Wuppertaler-Kreis e.V. Deutsche Vereini gung zur Förderung der Weiterbildung von AGFS Arbeitsgemeinschaft freier Schulen, Vereini- Führungskräften, Köln gungen und Verbände gemeinnütziger Schulen in freier Trägerschaft, Berlin/Schu WRK Westdeutsche Rektorenkonferenz, Bonn

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ZFU Staatliche Zentralstelle für Fernunterricht teresse an der beruflichen Weiterbildung für eine inte- der Länder der Bundesrepublik Deutsch- grierte Weiterbildung (Ev.LK 14/22f). Als problema- land, Köln tisch wird auch bewe rtet, daß bei allseitiger Betonung der wünschenswerten Verbindung der drei Weiterbil- dungsbereiche künstliche Grenzlinien in den Organi- sationsformen die gegenteiligen verbalen Bekundun- B. Auswertung gen ad absurdum führten (BIBB III/13; DAG II/56). Der Bezug der Begriffsdefinition zur Organisa tions- 1. Weiterbildungsbegriff form wurde deutlich angesprochen, und hier insbe- sondere die Fragen nach Trägerkooperation, Träger- autonomie, Koordination, auch hinsichtlich des kom- Die von der Kommission formulierte Frage nach dem menden europäischen Binnenmarktes und der in des- Weiterbildungsbegriff (siehe Anhang) verweist be- sen Folge erwarteten vielfältigen Angebote an Wei- reits auf den Zusammenhang von allgemeiner und terbildungsmaßnahmen II/56; beruflicher Bildung. Dieser wird in der Regel von den (DAG Ev.LK II/33; FeU 14/72; VLW III/114). Verbänden aufgegriffen und nicht in Frage gestellt. Ausgehend von der Weiterbildungsdefinition des Deutschen Bildungsrates ( „Weiterbildung ist Wieder- Insgesamt wurde Sorge hinsichtlich der Qualitätsstan- aufnahme organisierten Lernens nach Abschluß einer dards kommerzieller Anbieter geäußert und eine Aus- Bildungsphase") ist für eine große Gruppe ein Kon- grenzung bestimmter Gruppen infolge der Kommer- sens dahin gehend beschreibbar, daß diese Weiterbil- zialisierung befürchtet. Weiterbildung wurde als dung nie als ausschließlich beruflich-fachliche Quali- vierte Säule des Bildungssystems gefordert (AuL III/6; fikationsaneignung zu sehen sei, sondern — als „inte- vgl. aber KWB III/41: Weiterbildung als Dach, nicht als grative Weiterbildung" — intellektuelle, soziale, emo- Säule des Systems). tionale Lernprozesse ebenso verknüpfe wie berufli- che, politische, allgemeine Weiterbildung (,,Werkstatt demokratischer Kultur", LAAW II/97; AGFS 14/56, Als eine mögliche zukünftige Gefahr wurde von den 1/3 f; BA II/4; BFZ II/9f; BLBS II/34 f; BMVg III/27; DAG Verbänden ein „Qualifizierungszwang" — der auch 14/9 und II/55; DGB II/9 f; DVV 14/46 und 1/17; LAAW von der Definition des Weiterbildungsbegriffes ab- II/97; SBB II/80 f; WK I/17). Das Kuratorium legt je- hänge — und eine aus dem erweiterten Weiterbil- doch Wert darauf, diese ihm unzureichend erschei- dungsbegriff erwachsene Degradierung der Erstaus- nende Definition um die integrierte Weiterbildung, bildung zur bloßen „Vorstufe" der Weiterbildung be- die am Arbeitsplatz vermittelte Unterweisung, zu er- schrieben (AuL III/4; BIBB III/23; LAAW 14/61 f). weitern (KWB 14/6). Der Evangelische Leiterkreis ent- Wünschenswert sei für die Zukunft eine neue Be- wickelt ein Modell der Verbindung a ller Bereiche bei griffsbestimmung, die von der engen Verbundenheit Identität jedes einzelnen Bereichs (Ev. LK 14/20). Das der drei Weiterbildungsbereiche ausgehe, Konse- Kuratorium betont die Eigenständigkeit der berufli- quenzen im Bereich der organisatorischen Koordina- chen Weiterbildung. Dies sage aber nichts über eine tion berücksichtige sowie im Vorfeld bereits die brei- inhaltliche Begrenzung auf die nur fachliche Hand- testmögliche berufliche Grundbildung und die Pla- lungskompetenz aus, sondern „berufliche Weiterbil- nungsbeteiligung der Träger garantiere. dung" als Begriff bedeute „beruflich verursachte" Weiterbildung, die auch die allgemeine und personale Der DHV warnte allerdings vor einem „holistischen Weiterbildung verbessern könne und solle (KWB Rundumschlag" in der Absicht, Probleme zu lösen, die III/47). Immer gehe es um Hilfe zur Bewältigung von der Sozialpolitik bzw.- dem Bemühen von Kirchen und Problemen in Beruf, Gesellschaft und Freizeit, auch Parteien („Sinnfragen") aufgegeben seien (DHV 14/ sei Weiterbildung eine wesentliche Möglichkeit, Be- 74f). Auch die DAG warnt vor der Vorstellung einer nachteiligungen auszugleichen (BFZ II/23; BLBS „Schule der Nation" in er Weiterbildung (14/105). II/51; DW I/17). Als Trend für die Zukunft zeichne sich aber auch eine Zuspitzung der Zielsetzung auf die Qualifizierung von Arbeitslosen ab (BA II/5). Die Aufgabe des Bundes sei im Sinne des Zieles einheitli- begriffliche Trennung in „Weiterbildung" und „Fo rt cher Lebenschancen eine Angebotsgarantie für struk- -bildung" erscheine nicht mehr als zeitgemäß: Weiter- turschwache Gebiete und ländliche Räume, die Fest- bildung sei der Oberbegriff, Fortbildung mehr zweck- legung von Qualitätsmerkmalen und deren Überprüf- bezogen und stärker arbeitsmarktrelevant (AGFS 14/ barkeit — in diesem Zusammenhang auch die Aner- 56; DAG 14/5; DVV 14/46; KWB 14/31). kennung von Weiterbildungsberufen — , die Rege- lung von Weiterbildungsberatung — auch auf ein eu- Probleme der gegenwärtigen Situation sehen Ver- ropaweites Angebot bezogen — , die Regelung der bände in einer Begriffsdefinition und -interpreta tion, Zertifizierung und die Garantie vergleichbarer Wett- die den Schwerpunkt zu sehr auf die berufliche Wei- bewerbschancen (DAG II/59; DAG 14/5 und 14/42; terbildung lege, und die damit Bevölkerungsgruppen, SBB III/82; siehe auch unten Kapitel 2). die nicht erwerbstätig seien, a p riori ausschließe (AGFS 14/57; BFZ II/10; DGB 14/40; siehe auch LAAW 14/62, die für die Existenz einer unter wirt- Die zukünftige Ro lle der Hochschulen in der Weiter- schaftlichen Gesichtspunkten dysfunktionalen Wei- bildung sei durch das Hochschulrahmengesetz bereits terbildung eintritt. Auch sei Weiterbildung nicht in ausreichend beschrieben, Kooperationsverträge mit erster Linie als Wirtschaftsfaktor zu sehen: VLW Einrichtungen der Weiterbildung könnten hier wei- III/14). Ohnehin spreche das durch Wünsche nach terführen, ein Handlungsbedarf für den Bund bestehe Einkommens- und Statusverbesserung verstärkte In nicht (DAG II/58; FeU II/90).

Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode Drucksache 11/5349

Handlungsorientierte Vorschläge der Verbände: vereinbarungen zu erheben, bzw. wenn hier der Wi- derstand der Arbeitgeber zu groß sei, eine gesetzliche — Träger, Veranstalter und Teilnehmer bedürfen in Regelung zu schaffen (II/80 f). Das KWB bestätigt den der Zukunft einer Begrifflichkeit, die dem gemein- Bedarf an Weiterbildung auch für An- und Unge- samen Anspruch einer integra tiven Weiterbildung lernte. Hier sei Unterweisung am Arbeitsplatz erfor- Ausdruck verleihe und Inhalte und Ziele der Maß- derlich, die in Weiterbildungsstatistiken zu berück- nahmen transparent mache. sichtigen sei. Trotz sich allmählich abzeichnender steigender Nachfrage fehle es einzelnen Personen- — Dem Ziel der integrativen Weiterbildung müssen gruppen aber noch immer am nötigen Selbstvertrauen die tatsächlich praktizierten Organisationsformen (BFZ II/15 und 17). Steigend sei insbesondere die Be- entsprechen. teiligung an Maßnahmen, die von der Bundesanstalt — Auf jeden Fall müsse der Staat regelnd eingreifen, für Arbeit gefördert würden (BA II/5). Die gegenwär- wo Personen außerhalb des Erwerbslebens vom tige Dominanz der beruflichen Weiterbildung ver- Zugang zur beruflichen Weiterbildung — und stärke die Chancenungleichheit, zumal kleineren Un- damit (sofern ein integra tiver Weiterbildungs- ternehmen eine Freistellung der Arbeitnehmer oft begriff zugrunde liege) auch von allgemeiner nicht möglich sei. Im Bereich der politischen Weiter- Weiterbildung —, systematisch ausgeschlossen bildung sinke die Beteiligung auch aufgrund zu hoher seien. Teilnehmergebühren wieder ab (Ev.LK II/74). Die AuL verweist besonders auf Ungleichheiten zwischen Großbetrieben und kleineren Unternehmen (III/6f). 2. Weiterbildungsbeteiligung Über die Teilnehmerauswahl auf der Basis des Be- triebsverfassungsgesetzes gehen die Meinungen der Zu diesem Teil der Anhörung fragte die Kommission Tarifparteien weit auseinander: Das Kuratorium nach Angebot und Nachfrage sowie nach der künfti- wünscht eine Orientierung am Bedarf, die DAG for- gen Entwicklung, nach den Problemen besonderer dert eine prinzipielle Änderung oder entsprechend Gruppen und den spezifischen Aufgaben des Bun- modifizierende Teilabsprachen (KWB 14/102; DAG des. 14/104).

Die gegenwärtige Situation wird wie folgt beschrie- Die Bundeswehr verzeichne eine überproportional ben: Defizite seien für den ländlichen Raum feststell- große Beteiligung an einem alle Qualifikationsebenen bar, für Schichtarbeiter, Pendler und familiengebun- erfassenden Angebot an Weiterbildungsmöglichkei- dene potentielle Teilnehmer, für Arbeitslose, für äl- ten (BMVg III/23 ff und 14/126). tere Arbeitnehmer und für wenig qualifizierte Arbeit- nehmer sowie für Arbeitnehmer in Klein- und Mittel- betrieben (AGFS I/6; AuL III/6; DAG II/80; REFA III/ Für die Weiterbildung ausländischer Arbeinehmer, 65; SBB 14/124 und III/ 85; VLW 14/116 und III/115; die neben der Vermittlung beruflicher Qualifikation WK 14/48f). Im Gegensatz dazu hält der DFV das der Vermittlung von Sprachkenntnissen und von Angebot für ausreichend (II I/35). Die ZFU verweist Kenntnissen der politischen und wi rtschaftlichen Zu- Problemgruppen auf die Möglichkeiten der Fernlehr- sammenhänge besonders bedürften, fehle es an um- angebote (III71). Das KWB unterstreicht, daß durch- fassenden Angeboten (DAG II/61). Frauen als beson- aus auch ältere Arbeitnehmer als Innovationsträger dere Gruppe zu fördern wurde zum Teil als problema- für den Betrieb zu sehen seien und entsprechend wei- tisch erachtet, denn von Unternehmensseite erfolge tergebildet würden (III/48), sieht bei der Qualifizie- die Qualifizierung entsprechend dem Bedarf am Ar- beitsplatz und nicht nach geschlechtsspezifischen rung Arbeitsloser aber ausschließlich die Gesellschaft - und nicht die Betriebe gefordert ( „Weiterbildungs- Überlegungen (KWB III/49, vergleiche aber AGFS Beratung ", III/50). Die größte Teilnehmerzahl habe 1/6 f und BFZ II/17). Eine Ifo-Untersuchung bestätige die Volkshochschule zu verzeichnen (DVV 1/18 und aber die insgesamt hohe Bereitschaft von Frauen, an 14/46). Die große Nachfrage der Frauen (72%) erkläre Weiterbildungsmaßnahmen teilzunehmen (DGB sich aus den „Entfaltungs" -Möglichkeiten der VHS 14/44), dieser Bereitschaft müsse mit — noch fehlen- Angebote (14/46). Es zeichne sich jedoch zunehmend den — Frauenförderplänen und betrieblichen Ange- eine Kommerzialisierung und Konzentration auf zah- boten speziell für Frauen geantwortet werden. Den- lungsfähige Zielgruppen ab. Eine solche privatisierte noch seien Frauen gegenwärtig mit Berufung auf das Weiterbildung trage zur Ausgrenzung bestimmter alte Argument des „Kinderrisikos" bei allen Weiter- Gruppen bei (DVV I/18; SBB III/85). bildungsmaßnahmen „ganz eindeutig erheblich un- terrepräsentiert" (ABH 14/51 f). Deshalb würden ge- Für den Erwerb extrafunktionaler Qualifikationen schlechtsspezifisch Förderungsmaßnahmen unter der (besonders Bewe rtung der Folgen des technischen Bedingung ihrer Effizienz befürwortet (BA 14/90 f), Wandels) werde nur ein geringes Angebot bereitge- besonders „Rückkehrerinnen" seien zu fördern (DGB stellt (BFZ II/15). Der DGB verweist auf eine Studie 14/5). Auch die tarifvertragliche Festlegung gezielter von IAB und BIBB, wonach 50% aller von neuen Tech- Frauenförderung fand Befürworter (DGB 14/38 und nologien betroffenen Arbeitnehmer noch an keinerlei 44). Wegen der sich schnell ändernden sozialen und Weiterbildung teilgenommen haben (DGB 14/95 c/d fachlichen Bedingungen des Erwerbslebens seien je- f). Auffällig sei in der Weiterbildung die Dominanz der doch Wiedereingliederungsmaßnahmen von weniger höherqualifizierten Nachfrager (statusorientierte Se- als drei Monaten abzulehnen. Die Beteiligung allein- lektion). Die unteren Tarifgruppen hätten lediglich erziehender Frauen sei wegen der für diese Frauen Zugang zur Einarbeitung und Anpassungsfortbildung schwer zu lösenden Kinderbetreuungsaufgabe nur (BIBB III/19; BLBS II/39; SBB III/84). Der DGB fordert durch besondere Angebote in Wohnungsnähe zu ver- rif- deshalb, Weiterbildung zum Gegenstand von Ta bessern (DFR 14/12).

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Bezogen auf Frauen in Führungspositionen fragte die Ausbilder und eine Lehrerfortbildung, die den Praxis- Kommission, ob es einen besonderen weiblichen Füh- bezug der Berufsschullehrer sichert (Freistellung alle rungsstil und ein alte rnatives weibliches Führungs- fünf Jahre), außerdem die vermehrte Einstellung von konzept gebe. Dies wurde verneint — unter anderem Berufsschullehrern (14/111; siehe hierzu auch BLBS mit dem Hinweis auf die Frauen abverlangte Bewäh- 14/118 und VLW 14/116). Die Koordination außerbe- rung in der gemischt-geschlechtlichen Arbeitswelt. trieblicher Maßnahmen (DGB 14/40), Qualitätsüber- Besondere Veranstaltungen — vor allem unter weibli- prüfung durch die Arbeitsämter (BA 14/91) sowie ge- cher Leitung — seien dagegen üblich (ABH 14/52; WK zielte Gruppenbildung bei den Teilnehmern (WK 14/ 14/5f). 13: Zielgruppendefinition als „Gütesiegel") werden ebenfalls als Maßnahmen zur qualitativen Verbesse- Die kurze Dauer von Weiterbildungsmaßnahmen, die rung des Angebots empfohlen, Die BA verweist auf nicht erwachsenengerechte Methodik und die zu ge- die Grundsätze zur Qualitätssicherung, die im Ent- ringe Beachtung der Vorkenntnisse und der Lernfä- wurf schon erarbeitet seien und in die Verträge zwi- higkeit wirkten sich insgesamt nega tiv auf die Nach- schen Arbeitsämtern und Trägern integ riert werden frage aus (SBB III/85), hoch sei dagegen die Beteili- müßten (14/91). Das BIBB betont die Schwierigkeiten, gung, wenn die Maßnahme von der Interessenvertre- diese Grundsätze von der nur programmatischen tung der Arbeitnehmer initiiert worden sei oder durch Ebene in die Realität zu überführen; die Basis der Bildungsurlaub an Attraktivität gewinne, Beweise Arbeitsämter sei bisher nicht erreicht (14/92). Als be- hierfür liefere ein erfolgreiches Programm für An- und sonders kritisch wird der Wettbewerb über den Preis Ungelernte bei Daimler-Benz (DGB 14/96f). Nach Ein- eingeschätzt (AGFS 1/57; DGB 14/39). schätzung des Kuratoriums steigen Bereitschaft und Beteiligung, sobald Weiterbildung sich für eine Während der Fernschulverband die Durchsetzbarkeit Gruppe als notwendig erweise, zum Beispiel für von Qualität mittels Normen im Bereich der „Dienst- Frauen nach der Familienphase (KWB 14/7). Der Zu- leistung" Weiterbildung bezweifelt (DFV 14/146), for- gang für neue Unternehmen im Bereich der Weiterbil- dert der DGB den Bund auf, nach dem Vorbild des dung sei durch das Fernunterrichtsschutzgesetz er- Fernunterrichtsschutzgesetzes die Qualitätsstandards schwert, hier sei die Angebotsseite unnötigerweise zu in der Weiterbildung zu sichern (14/5). stark begrenzt (KWB III/47. Eine völlig andere Ein- schätzung des FernUSG findet sich beim DGB, der das Gleichzeitig wurde darauf verwiesen, daß der Weiter- Setzen von Standards begrüßt (14/42). bildungsbedarf der Zukunft zunächst in den Unter- nehmen entstehe und die Nachfrage entsprechend In der Zukunft werde die Weiterbildungsnachfrage gelenkt werden müsse (AuL III/6; DGB II/81; KWB III/ kontinuierlich steigen, weil gerade der Bedarf an Wei- 45). In diesem Zusammenhang warnt das Kuratorium terqualifizierung älterer (infolge der demographi- aber vor der Hoffnung, „auf Vorrat" weiterbilden zu schen Entwicklung) und ausländischer Arbeitnehmer, können (III/49). Der Bedarf an wissenschaftlicher Wei- Aussiedler und (infolge eines veränderten gesell- terbildung werde zweifellos steigen, da die Halb- schaftlichen Selbstverständnisses und neuer Rollen- wertszeit des Wissens sich dramatisch verkürze. Die vorstellungen) der Frauen zunehme (BA II/5; BFZ steigende Nachfrage mache AFG-Mittel an den Hoch- II/16 f). Die Volkshochschulen sehen für ihre Ange- schulen notwendig (FeU II/90; vgl. aber BA II/6, wo- bote (insbesondere Sektion Sprachen, Kultur, Gesell- nach keine Maßnahmen an Hochschulen als berufli- schaftswissenschaften) steigende Nachfrage, wie che Weiterbildung gefördert werden könne). Der WK auch für den Bereich der technischen Qualifikation sieht Weiterbildung an Hochschulen ausschließlich steigende Nachfrage prognos tiziert wird (DVV I/18). auf berufliche Weiterbildung beschränkt (I/24). Der Bedarf und Nachfrage, die schon gegenwärtig nicht Hochschulverband bringt ein „Sabbatjahr" für berufs- - identisch seien, entwickelten sich weiter auseinander, tätige Akademiker in die Diskussion (DHV 14/109). dies besonders, weil die Mo tivation der potentiellen Teilnehmer fehle (KWB II/45). Ausgehend von positiven Erfahrungen mit psychoso- zialen Hilfen für Arbeitslose, mit methodisch und di- Aber auch in der Zukunft werde es eine Gruppe von daktisch entsprechend gestalteten Lehrgängen zur theoretisch nicht bildungsfähigen Menschen geben, Verbesserung der Vermittlungsaussichten für Ar- denen eher durch entsprechende Arbeitsplätze als beitslose nach § 41a AFG (zum Beispiel Bewerbungs- durch Maßnahmen der Weiterbildung zu helfen sei training) wurde für die Zukunft ein Ausbau dieser (BFZ II/19). Dagegen steht die ausdrückliche Beto- Maßnahmen — die die Bundeanstalt für Arbeit jedoch nung des relativen Erfolges von Angeboten, die sich in jedem Einzelfall prüfen will — gefordert (AGFS an Personen ohne Berufsabschluß, mit geringer Schul- I/4 f; DAG II/60; vgl. aber BA 14/91). Alle Übergänge bildung usw. wendeten (SBB 14/29). bzw. Umschulungen sollten durch Bildungsmaßnah- Da es auf dem zukünftigen Arbeitsmarkt weniger um men unterstützt werden (BFZ II/18). kurzzeitiges Anpassungslernen als um ganzheitliches Sollte es in Zukunft für die Weiterbildung einen freien Lernen gehe, komme besondere Bedeutung der Qua- Markt geben, hieße das, daß der Informa tions- und lität der Maßnahmen zu. Das Kuratorium beschreibt Datenbedarf drastisch steige, insbesondere müsse zunächst das durchweg hohe Niveau der Maßnahmen sich der Kontakt zwischen Bildungseinrichtungen und der Wirtschaft (KWB 14/6). Die Mehrheit der Anhö- Unternehmen verstärken. Das mache die Einrichtung rungsteilnehmer sucht Lösungen zu Qualitätsverbes- regionaler Weiterbildungsdatenbanken erforderlich serung bzw. -sicherungen, darunter auch die Orien- (DAG II/0; KWB III/6). tierung an den Anforderungen der Wi rtschaft (SBB 14/27f; WK 14/13: „Programm-Beiräte"), und zur För- Der steigenden Nachfrage müsse der Bund durch eine derung der Ausbilderqualifizierung (BFZ 14/86). Die größere Öffnung des Fernunterrichtsbereichs begeg GEW fordert eine sozialpädagogische Kompetenz der nen und auch Selbstlernformen gegenüber dem Prä-

Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode Drucksache 11/5349 senzunterricht mehr Chancen bieten (Novellierung den Trägern selbst bzw. vom Staat einzurichten des Fernunterrichtsschutzgesetzes unter Berücksich- seien. tigung der Situation von Frauen und Arbeitnehmern mit wechselzeitiger Arbeit: KWB III/47 und 56). Wäh- rend die ZfU positiv eine Zunahme des Fernlehrange- bots beschreibt (III/71), stellt die SBB eine nach wie 3. Weiterbildung und Beschäftigung vor bestehende Unterrepräsentanz der Problemgrup- pen auch in diesem Bereich fest (III/84). Der DGB Die dritte Frage der Kommission zielte auf die Be- (14/42) nennt das FernUSG als Beispiel für ein wün- schäftigungswirksamkeit von Weiterbildung und auf schenswertes Bundesgesetz zur Qualitätssicherung in den zukünftigen Bedarf hinsichtlich der Förderung der Weiterbildung. Die Koordination der regionalen von Übergängen, der Aufstiegsmöglichkeiten im er- Angebote könne eine weitere Aufgabe des Bundes lernten Beruf, der Beschäftigung in anderen Berufen sein, auch europaweit. Das KWB (14/99 ff) bezieht sich und der Rückkehr nach einer Familienphase. auf positive Beispiele von Weiterbildungsdatenban- ken in Bayern und Berlin, warnt aber vor der illusori- Die gegenwärtige Situation werde gekennzeichnet schen Vorstellung einer bundesweiten Datenbank für durch die Gleichzeitigkeit von Chancenverbesserun- alle Bereiche. Die wissenschaftliche Weiterbildung gen durch Weiterbildung und die Pervertierung des solle bundeseinheitlich — auf der Basis des Hoch- Ansatzes eines „lebenslangen Lernens" zur „lebens- schulrahmengesetzes — geregelt werden (DGB langen Angst um Kompetenz" (LAAW II/98). Weiter- 14/5). bildung wirke auf die Beschäftigungssituation, indem zum Beispiel Berufsfeldorientierungen und Umorien- Über Information als Motivation ( „Die Möglichkeiten tierungen die Arbeitnehmer zur Berufs(neu)wahl mit auf dem Arbeitsmarkt selbst einschätzen können") verbesserten Beschäftigungschancen führten, durch gab es weitgehenden Konsens (BIBB III/20; DAG Umschulung in zukunftsträchtige Berufe die dauer- II/60; DFV III/35). Unterschiede wurden allerdings hafte Wiedereingliederung ermöglicht werde, indem deutlich, als es darum ging, ob staatliche Lenkung durch besondere Maßnahmen längerfristig Arbeits- oder Markt die Beteiligung regeln sollten. Gegen die lose — besonders Frauen — in ihrem Selbstvertrauen Markt-Lösung sprach sich eine Reihe von Verbänden gestärkt werden, indem Aussiedler auf den Arbeits- aus: AuL (III/7), der DGB (14/5 und II/82), DVV markt der Bundesrepublik vorbereitet werden, Men- (14/121: Hinweis auf nega tive Erfahrungen in den schen in einer Familienphase — den Umständen an- USA und in Baden-Württemberg) und LAAW (14/122: gepaßt — den Anschluß an die sich verändernde Ar- „ruinöse Konkurrenz" ; „Wildwuchs" und Spaltung in beitswelt und an veränderte soziale Bedingungen auf- Maßnahmen der wirklichen Bildung und der bloßen recht erhielten (DVV I/19; SBB III/86 f) und indem Therapie) sowie der VLW (III/116). Das Kuratorium, verhindert werde, daß durch längere Arbeitslosigkeit das die Markt-Lösung favorisiert, beschreibt aber die „Qualifikation und Persönlichkeit von immer mehr entsprechende Information über den Bedarf als Vor- Menschen verfallen" (SBB III/87). Die LAAW warnt aussetzung (KWB 14/7 und III/46). Für Benachteiligte vor der zu positiven Einschätzung jener Projekte, die sollen zielgruppenspezifische Förderprogramme als unter dem Namen „Neuer Start mit 35" firmieren, weil Sofortmaßnahmen entwickelt werden, ohne das Wei- sie wegen des fehlenden Einbezugs der Arbeitsver- terbildungssystem grundsätzlich zu verändern (SBB waltung und der fehlenden anschließenden Beschäfti- III/85 f). gungsmöglichkeiten zur Erfolglosigkeit verurteilt seien (II/98). Die gegenwärtige Wirkung von Weiter- Über die Bundeskompetenz hinaus geht die Forde- bildung konzentriere sich auf die Gegensteuerung rung, durch einen entsprechenden Bildungsauftrag in gegen den rapiden Wissensverfall (BFZ II/19; BLBS den Schulgesetzen der Länder die beruflichen Schu- II/42; Ev.LK II/35). Gleichzeitig weisen die Verbände len zur Sicherung eines flächendeckenden Angebots darauf hin, daß Defiziten im Beschäftigungssystem, zu nutzen (VLW III/116). der Tatsache, daß die Gesellschaft insgesamt in der Zukunft weniger Arbeitskräfte brauche, nicht allein durch Qualifikationsmaßnahmen begegnet werden Handlungsorientierte Vorschläge der Verbände: könne. Das differenzierteste Weiterbildungsangebot könne stets nur Ergänzung zur Beschäftigungspolitik — Für den zukünftig steigenden Bedarf im Bereich sein, und nur individuelle Schwierigkeiten mildern, der Weiterqualifizierung älterer, ausländischer nicht Arbeitsplatzmangel beseitigen (AuL III/8, BFZ und weiblicher Arbeitnehmer, aber auch von II/19, BLBS II/42; DAG II/82; LAAW II/98 und Ev.LK weiblichen Führungskräften, von Akademikern II/75). und im europäischen Ausland fremdsprachig ar- beitenden Personen, also traditionellen Problem- Maßnahmen der Bundesanstalt für Arbeit wiesen ge- gruppen und neuen Gruppen am Weiterbildungs- genwärtig eine über 80%ige Erfolgsquote auf. Insbe- markt, müssen entsprechende zielgruppenspezi- sondere für kaufmännische, elektrotechnische und fisch gestaltete, in den Inhalten aber weitrei- metallverarbeitende Berufe sei diese posi tive Bilanz chende, ganzheitliche Angebote sichergestellt ein Nachweis der These, daß jede Weiterbildungs- werden. maßnahme nur positiv auf die Beschäftigung wirke, sofern sie die künftigen Anforderungen des Arbeits- — Dem steigenden Bedarf an Informa tions- und Da- marktes berücksichtige (BA II/6). Neben den objekti- tenaustausch zwischen den Trägern und Anbie- ven Daten über den Verbleib nach einer Weiterbil- tern einerseits sowie zwischen Markt und Nachfra- dungsmaßnahme wurde auch die subjektive Ein- gern andererseits sollte durch gezielte Koordina- schätzung von Beschäftigten dahin gehend interpre- tionsmaßnahmen geantwortet werden, die von tiert, daß die Verwertbarkeit mit der Arbeitsplatznähe

Drucksache 11/5349 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode der Weiterbildung steige (KWB III/52). Auch der VLW Im Sinne der Korrektur von Fehlqualifizierungen empfiehlt die Nähe zur Arbeitswelt (III/117). werde es nun ganze Ergänzungsstudien geben müs- sen, die dann interdisziplinäre Absprachen erforder- Zweifel an der derzeitigen Möglichkeit, Beschäfti- ten (DHV 14/73). Die FRK stellt sich hier berufsbeglei- gungswirksamkeit realistisch zu beurteilen und auch tende Kontaktstudien in einem „Baukasten-System" zu prognostizieren, wurden vor dem Hintergrund ge- vor (14/416). Auch Teilzeit- und Fernstudien wurden äußert, daß zwar 73 % der durch das AFG geförderten als Lösungen offeriert (ABH 14/53 f, FeU 14/71, WRK Arbeitnehmer nach sechs Monaten eine Beschäfti- 14/67). Berufliche Aufstiegsfortbildung könne jedoch gung innehaben, die Dauer der Wiedereingliederung auch auf einer darunterliegenden Ebene der Fortbil- aber nicht absehbar und es auch nicht überprüfbar sei, dungsakademien vermittelt werden (DHV 14/73). Da- ob die nun ausgeübte Beschäftigung ohne die Weiter- von zu unterscheiden sei die eigentliche, immer auf bildungsmaßnahme nicht auch hätte ausgeübt wer- Forschung bezogene wissenschaftliche Weiterbil- den können (BIBB III/20). dung, die das Niveau der regulären Hochschulveran- Die besten Beschäftigungsaussichten ergäben sich, staltungen haben müsse und im „eigenen" Fach wei- wenn schon kurz nach der Ausbildung durch Anpas- terqualifiziere, Wissen aktualisiere und die auch nicht sungsmaßnahmen zusätzliche Qualifikationen erwor- ausschließlich unter dem Aspekt der Verwertbarkeit ben würden, und wenn die Qualifikation so breit sei, nachgefragt würde (WRK 14/66 f). Der Zugang sei in daß Beschäftigung auch außerhalb der bisherigen Tä- den genannten Fällen bundeseinheitlich auf der Basis tigkeit möglich sei (BA II/7, BIBB III/21). Maßnahmen des Hochschulrahmengesetzes und der Landesge- zur Verbesserung der Vermittlungsaussichten (nach setze zu regeln (DGB 14/5). § 41a AFG) seien nur zum Teil erfolgreich, da oft das Bisherige Lösungen — wie die nach dem Arbeitsför- entsprechende methodisch-didak tische Konzept noch derungsgesetz geförderte Weiterbildung — müßten fehle (BFZ II/19). verstärkt werden; auch nicht im Erwerbsleben ste- Ganz generell werde in der Zukunft sinnvolle Be- hende Personen müßten hierzu Zugang erhalten schäftigung nicht mehr ausschließlich in der Erwerbs- (BIBB III/26; BLBS II/51 und 67; KWB III/62 f). Zu- arbeit gesucht, insofern gelte es hier auch andere In- gleich fordert die Fernuniversität die Öffnung der halte der Weiterbildung zu bedenken. Bereits heute AFG-Förderung zugunsten von Nachfragern im Be- sei die Klientel der Volkshochschulen überwiegend reich der Hochschul-Weiterbildung (FeU II/91). Iden- weiblich und nicht ausschließlich an einer Umsetzung tität und Selbstvertrauen fördernde Maßnahmen wie der erworbenen Qualifikation im Erwerbsleben inter- Bewerbungstrainings hätten sich bewäh rt (BFZ II/20). essiert. Dieser Trend setze sich fo rt (DVV I/19). In der Zukunft müsse die Anpassungsfortbildung zu- gunsten von breiter, persönlichkeitsfördernder Wei- Für alle Lebens- und Tätigkeitsbereiche erfordere der terbildung abgelöst werden (AFGS I/3; DAG II/63; technologische Wandel auch in Zukunft verstärkt die DGB II/83; DVV I/17; SBB III/2), gleichzei tig sei bei Förderung höherer Qualifikation und sozialer Fähig- der Auswahl der Inhalte der Qualifikationsbedarf der keiten — die Entwicklung gehe in Richtung Speziali- Wirtschaft zu berücksichtigen (KWB III/52; WK I/25). sierug und gleichzeitige Verbreiterung der Anforde- Das Kuratorium vertritt die Auffassung, es müsse in rungsprofile (Ev.LK II/75) — , und alle sich zukünftig der Regel auf erworbenen Kompetenzen aufgebaut noch ergebenden Veränderungen könnten durch die werden, und nur in wenigen Fällen (zum Beispiel bei Erstausbildung nie voll antizipiert werden (DAG Akademikern mit nicht mehr gefragter Fachrichtung) II/63). Das Erwerbspersonenpotential werde durch sei die Umschulung in den Vordergrund zu stellen Binnenmarktmigranten, Fauen und Aussiedler weiter (KWB III/53 f). Das BFZ dagegen verweist auf die steigen, während die Zahl der Langzeitarbeitslosen Erfolge, die durch vollständige Umschulung in zu- gleichfalls kontinuierlich anwachse. Die Nachfrage kunftsträchtige Berufe bisher für zahlreiche Arbeit- nach Ungelernten werde auf unter 20 % absinken nehmer erzielt werden konnten (II/20). Die Fernuni- (BA II/6). versität will besonders im Hinblick auf Wiedereinglie- Durch den europäischen Binnenmarkt und die Inter- derung von Frauen die in der Familienphase erworbe- nationalisierung der Wirtschaft werde der Bedarf an nen Qualifikationen berückichtigt sehen (FeU II/91). Führungskräften und deren Weiterbildung steigen Die regionalen Arbeitsmarktbedingungen seien stär- (WK I/25), die Nachfrage der Frauen nach Teilzeitwei- ker zu beachten (VLW III/117), und potentiellen Rück- terbildung werde wegen geänderter Lebensmodelle kehrerinnen und Rückkehrern müsse in einer wachsen (BA II/7), und in den neunziger Jahren gelte „Schnupperphase" alternative Berufsfindung ermög- es zunächst eine große Zahl von Aussiedlern weiter- licht sowie beim Umgang mit den sich verändern- zubilden, deren Beschäftigungsaussichten vornehm- den sozialen Bedingungen geholfen werden (Ev.LK lich durch die Beherrschung der deutschen Sprache II/75). stiegen (SBB II/8). Ebenso fordere der Binnenmarkt vermehrt berufsbezogene Fremdsprachenkenntnisse von einer großen Gruppe von Arbeitnehmern (AGFS Handlungsorientierte Vorschläge der Verbände: I/9). — In der Zukunft komme dem Ausbau der Maßnah- Besondere Bedeutung komme in der Zukunft der wis- men zum Erwerb höherer Qualifikationen und so- senschaftlichen Weiterbildung zu: Die WRK spricht zialer Kompetenzen steigende Bedeutung zu; ent- von einem „epochalen Vorgang" , dem sich niemand sprechende Angebote müßten verstärkt werden. entziehen könne (14/106 ff). Der schon bestehende gesetzliche Auftrag sei von den Hochschulen beson- — Bisherige Maßnahmen zur Vorqualifizierung und ders ernst genommen worden und werde dies auch für Förderung des Selbstvertrauens seien stärker aus- die Zukunft (DHV 14/108; WRK 14/66 und 14/106 ff). zubauen.

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- Der Qualifikationsbedarf der Wi rtschaft und die schen Binnenmarkt 1992 in einem Angebot prakti- regionalen Bedingungen müßten ermittelt und ge- ziert, das europaweit Kurse in Wirtschaftswissen- rade bei den Inhalten der öffentlich geförderten schaften, Jura, Humanwissenschaften und Sprachen Maßnahmen in stärkerem Maße berücksichtigt verbinde (FeU II/91). werden. Der Bund müsse zukunftsweisend vor allem auf dem Gebiet der Zertifizierung durch entsprechende Rechtsverordnungen tätig werden und 4. Weiterbildung und Strukturwandel (BLBS 11/44) ein Weiterbildungs-Baukasten-System fördern, das von Beratung über Vorqualifizierung bis zu abschluß- Der Strukturwandel begründe die Notwendigkeit von bezogenen Angeboten zielgruppenspezifisch fördere Weiterbildung, wobei aber gleichzei tig die Weiterbil- (SBB III/93), wobei jeder dieser Bildungsbausteine zu dung als Motor dieses Wandels zu begreifen sei (BFZ einer verwertbaren Teilqualifikation führen und II/11). Die Ausgangslage für Weiterbildungskonzepte Übergänge garantieren müsse (siehe auch unten Ka- ergebe sich aus dem Rückgang arbeitsintensiver In- pitel 5). Der DFR erwartet von einem solchen gesetz dustrien und dem Aussterben ganzer Branchen sowie lieh geregelten Baukastensystem auch die Einbezie- der daraus resultierenden Notwendigkeit, die perso- hung der beruflichen Erstausbildung (14/399). nellen Konsequenzen sozialverträglich zu gestalten (SBB III/91). Diese Notwendigkeit sei um so dringli- cher als Berufstätigkeit nach wie vor die Lebensper- Handlungsorientierte Vorschläge der Verbände: spektive für den überwiegenden Teil der Erwerbsbe- völkerung darstelle (VLW III/119). — Um dem zur Bewältigung des Strukturwandels Weiterbildung dürfe nicht nur Anpassung an techno- notwendigen Ziel verstärkter ethisch-reflektieren- logische Entwicklung sein, sondern müsse Beurtei- der Inhalte der Weiterbildung gerecht zu werden, lung der Folgewirkungen, Fähigkeit zu Verände- sei es nötig, die Trennung zwischen beruflicher rungshandeln und Freiwerden von vermeintlichen und allgemeiner Weiterbildung begrifflich, inhalt- Sachzwängen sowie die Findung einer beruflichen lich und organisatorisch aufzulösen. Identität durch ganzheitliche, fächerübergreifende — In einem prinzipiell offenen Weiterbildungsge- Qualifizierung anstreben III/9; (AGFS I/9; AuL BIBB schehen müsse auch durch Bundesgesetze sicher- III/22; /65; II/83; /99; ZfU III/74; DAG II DGB LAAW II gestellt sein, daß durch Teilqualifikationen mit KWB III/55 und SBB III/91 unterstreichen ausdrück- lich die Vorrangigkeit fachlicher Qualifikationen im Zertifikaten und gesicherten Übergängen lebens- Anforderungprofil, betonen daneben aber die Bedeu- lange, dem Lebenszyklus aber angepaßte Weiter- tung der genannten Schlüsselqualifikationen). Wei- bildung (Baukasten-System), möglich sei. terbildung sei zugleich der „Schutzraum", in dem die Auseinandersetzung mit der veränderten Produk- tions- und Arbeitswelt und sich wandelnden gesell 5. Organisationsformen der Weiterbildung schaftlichen Grundsätzen eingeübt werden könne (LAAW II/99). Ob die bisherigen Organisationsformen in der Lage sind, lebenslanges Lernen zu ermöglichen, wurde be- Zukünftig müsse Weiterbildung sich vor allem der zweifelt (SBB III/95). Diese Zweifel zielen auf die be- Internationalisierung der Wirtschaft und deren Folgen schränkte Marktfähigkeit, die der Weiterbildung atte- (internationales Bewußtsein erzeugen) annehmen stiert wurde, und auf das marktorientierte Mode ll, das (Ev.LK II/76), die Trennung von beruflicher und allge- zur Zeit durch zu starke Verflechtung von Angebot meiner Weiterbildung vollständig auflösen (BFZ II/9; und ökonomischem- Verwertungsinteresse verschie- DAG II/66) und verstärkt die ethische Reflexion zu dene Gruppen systematisch ausschließe; darüber hin- ihrem Arbeitsfeld erheben. Zwei Drittel a ller betrieb- aus halte es wegen der fehlenden Markttransparenz lichen Kurse ließen sich der reinen technologischen auch Berechtigte fe rn (DAG II/67; DGB 14/95c; DVV Anpassungsfortbildung zuordnen (Ev.LK I1/75). Zwar I/21; Ev.LK II/76; LAAW II/99; SBB III/95). Vom BIBB bildeten auch weiterhin Fachkenntnisse den Kern ei- kam der Hinweis, daß — Beispiel Fernunterricht — nes Qualifikationsprofils, extrafunktionale Fähigkei- Marktwirtschaft und öffentliche Verantwortung nicht ten (analytische, sozialkommunikative und andere) grundsätzlich als widerstreitende Prinzipien aufzufas- träten aber verstärkt hinzu (BFZ II/10). sen seien. Es gelte lediglich, Arbeitnehmerinnen und Gleichzeitig wurde vor der Vorstellung gewarnt, man Arbeitnehmer zu schützen, die noch nicht „marktfä- könne „auf Vorrat" weiterbilden. Einer prinzipiell of- hig" seien (111/24). Der Wettbewerb über den Preis fenen Zukunft müsse auch mit einer offen gestalteten benachteilige sozial Schwache, und der Markt ver- Weiterbildung begegnet werden. Weiterbildung nachlässige die ländlichen Regionen (DGB 14/4 und müsse den einzelnen in den Stand setzen, auf Verän- II/85; DVV I/21). Im Zusammenhang mit regionaler derungen infolge des Strukturwandels zu reagieren, Unterversorgung hebt die DAG den Nutzen der Fern- indem sie flexibel und lernfähig mache (BLBS II/44, universität hervor (I/69) und forde rt vom Bund die För- DVV I/20). Die offene Gestaltung nehme Form an in derung von Modellversuchen für den ländlichen der Vermittlung längerfristig benötigter, aktueller Raum (14/4). Die Einheitlichkeit der Lebensverhält- Qualifikationen (BA II/7). nisse müsse durch ein bundeseinheitliches Weiterbil- dungsgesetz garantiert werden (DAG 14/9f). In die- Auf der organisatorischen Ebene wurde die beste- sem Zusammenhang wurde auch die Überlegung ei- hende „Europäische Vereinigung der Fernuniversitä- ner Grundgesetzänderung angesprochen, durch die ten" als Modell für die Zukunft beschrieben: Hier die Kompetenz des Bundes im Bildungsbereich erwei- werde bereits Kooperation mit Blick auf den europäi tert werden solle (DAG 14/60). Durch das Auseinan-

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derklaffen von Bedarf und Nachfrage unterblieben — Dualisierung der Weiterbildung: Lernförderung im wichtige gesellschaftlich wünschenswerte Qualifizie- Arbeitsvollzug und organisiertes Lernen (BLBS rungsprozesse, wenn es keine gesetzliche Regelung II/47) gebe (DAG II/67). Andererseits wurde die Auffassung vertreten, die — Mitplanung der Weiterbildung durch Betriebsräte herrschende Struktur in ihrer Pluralität ermögliche (DAG II/69; DGB II/85) gerade die flexiblen Angebote, die für unterschiedli- che Zielgruppen erforderlich seien (DAG II/67). In den — Fondslösungen für Klein- und Mittelbetriebe neugeordneten Ausbildungsberufen sei auch bereits (DGB II/84; Ev.LK II/77) die Verpflichtung der Erstausbildung, zur Weiterbil- dung zu befähigen, verankert (KWB III/56), „um die berufliche Beweglichkeit zu sichern". Positiv wurde — Freistellung zur Weiterbildung (BFZ II/24; BLBS auf den Fernunterricht als gelungene Verbindung von II/46; DGB II/83; LAAW II/100) bzw. Kombina- Marktwirtschaft und Rahmenregelung verwiesen tionslösungen Privatzeit/Freistellung (AGFS I/11) (BIBB III/24).

Auch ein Symptom der gegenwärtigen Lage sei es, — Schaffung von Weiterbildungsangeboten während daß Weiterbildung zum Teil nicht als Ch ance, sondern der Arbeitszeit nach US-amerikanischem Muster als Belastung und Bedrohung empfunden werde. In (FeU II/92) der Gegenwart gebe es für Beamte und Arbeitslose bereits die Verpflichtung zur Weiterbildung; dieser — längere „Bildungspausen" (Pausen inhumanen Regelung müsse entgegengesteuert wer- zur Bildung) (AGFS I/11; LAAW den (BIBB II1/23; VLW 111/119). II/100). Am nachdrücklichsten betont AuL, daß auch tarifvertragliche Regelungen Den Anforderungen der Zukunft, wie sie vor allem im einen gesetzlichen Anspruch auf Bildungsurlaub Kapitel 4 (Strukturwandel) beschrieben wurden, solle nicht ersetzten (III/13). mit neuen Organisationsformen begegnet werden: Grundsätzlich heiße lebenslanges Lernen nicht allein Im Zusammenhang mit den tarifvertraglichen Rege- organisiertes Lernen, sondern es müsse auch auf lungsmöglichkeiten sei auf das Expertengespräch Selbstlernformen (Vorträge, Bücher, Zeitschriften, „Weiterbildung im Tarifvertrag" (10. Mai 1989) ver- Konferenzen) zurückgegriffen werden (AGFS I/10; wiesen, dessen Auswertung für die zweite Hälfte der BIBB III/24; KWB III/56 und De.Vg. I/16). Das Kurato- Kommissionsarbeit vorgesehen ist. rium verweist auf die besondere Bedeutung eines de- zentralen Konzepts für Lernungewohnte: Lernumge- bung Arbeitsplatz (KWB III/58). Das Angebot für orga- Insgesamt hänge aber die Akzeptanz von der Freiwil- nisiertes Lernen sei durch zentrale und regionale Wei- ligkeit und den guten Zugangsmöglichkeiten (BLBS terbildungsdatenbanken übersichtlicher zu gestalten II/45 „Keine Bringschuld des Arbeitnehmer") ab, das (DGB 14/42; ZFU II/75). Die DAG bezweifelt, daß bei heißt durch Weiterbildungsberatung, durch Maßnah- der gegenwärtig noch problematischen Datenlage ge- men, die der Lebenssituation angepaßt seien, durch setzliche Regelungen zu schaffen seien (14/60f). erwachsenengerechte Methoden, durch flexible Lehr- Staatliche Regelungen oder die prinzipielle Dualisie- gangszeiten und Stützangebote in kritischen Lebens- rung (Berufsschulen und Bet riebe, Innungen, Kam- phasen müsse der Zugang zu überbetrieblichen Maß- mern, Volkshochschulen) sollten Transparenz und nahmen erweitert werden (BFZ II/25), durch adäquate zugleich Qualitätsstandards sichern. Hier wurde Formen seien die unterschiedlichen Bereiche der poli- besonders auf die posi tive Wirkung und das Bei- tischen Weiterbildung, der musisch-kulturellen Bil- spiel des FernUSG verwiesen (DGB 14/42; ZFU dung, der Familienbildung, der freizeit-orientierten 14/129). Rahmenregelungen hätten ferner die Auf- und der beruflichen Weiterbildung, auch des zweiten gabe, Nachfrage am Bedarf auszurichten (DAG Bildungsweges attraktiv zu gestalten (DAG II/68 f). II/67). Schließlich sei durch Werbung und durch die Ausge- staltung der Erstausbildung die Nachfrage zu fördern Die Arbeitgeber sollten zukünftig verpflichtet wer- (VLW III/120). Diesem Ziel diene auch die Strukturie- den, den Qualifikationsbedarf (gemeinsam mit den rung der Weiterbildung in kürzere, überschaubare Betriebsräten) zu ermitteln (DGB II/84). Abschnitte, die miteinander kombinierbar seien (AGFS I/11). Die Frage nach dem tarifvertraglichen Regelungsbe- darf wurde breit diskutiert. Neben der Feststellung, daß ein Bedarf hier nicht vorhanden und nicht abseh- An die Adresse der Betriebe richtete sich der Appell, bar sei (KWB III/58; WK I—/25) bisherige Arbeitszeit- im Interesse langfristiger Personalplanung auch Ar- verkürzung habe schon zur Weiterbildung freigeste llt beitnehmer der mittleren und der unteren Qualifika- (AGFSI/11; KWB III/58 f), Weiterbildungsbereitschaft tionsebene prophylaktisch weiterzubilden und nicht hänge in großem Maße auch von individuellen Ele- auf den Markt zu verweisen, innerbetriebliche Ange- menten wie Begabung und Fleiß ab (KWB III/58 f) —, bote mit außer- und überbetrieblichen zu kombinie- wurden folgende Forderungen nach künftigen Rege- ren und mit berufsbildenden Schulen gemeinsame lungen aufgestellt: Konzepte zu erarbeiten (AGFS I/11; BFZ II /23; BLBS II/36 und 47; VLW III/117). Die Notwendigkeit der — Besondere Förderung von Frauen und von Gering- Zusammenarbeit sieht — mit Blick auf die Effizienz — qualifizierten (DAG II/69) auch das KWB (III/43 und 52).

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Handlungsorientierte Vorschläge der Verbände: 6. Kosten und Finanzierung

Staatliche Rahmenregelungen und Maßnahmen des Der Bereich der Kostenermittlung stellt in der Gegen- Bundes wurden eingefordert hinsichtlich wart noch ein Problem dar. Individuelle Weiterbil- dungskosten und Weiterbildungskosten der Bet riebe — der Einführung von Bildungsgutscheinen für Men- seien bisher nicht exakt ermittelt worden (BIBB III/25). schen außerhalb des Erwerbslebens (Ev.LK IU Die bisherige Struktur der Kostenübernahme für Maß- 77); nahmen der beruflichen Weiterbildung stellt sich nach Angaben des KWB so dar, daß der größte Anteil — einer Stufenausbildung im Sinne des „Baukasten bei den Betrieben liege (15 Mrd. DM), daß die Bun- Systems" insbesondere für benachteiligte Grup- desanstalt mit 6 Mrd. und die öffentliche Hand mit 4 pen (BFZ II/25; DFR 14/11; DFV III/36; SBB III/96 Mrd. DM beteiligt seien; über die Höhe der finanziel- und 14/28); len Aufwendungen der Individuen lägen keine Daten — offener Weiterbildungsangebote in kommunaler vor (KWB III/60). Auch in der Zukunft sei der Finan- Verantwortung (DVV I 21/22; SBB III/99); zierungsbedarf kaum prognos tizierbar, da keine auf einheitlichen Grundlagen basierenden Kostenerhe- — der Zertifizierung ausschließlich in der Form staat- bungen der Wirtschaft vorlägen. Konkret erfaßbar licher Anerkennung (DGB II/85); der DFV weist seien nur die staatlichen Aufwendungen (BLBS II/ darauf hin, daß die Weiterbildung selbst im Be- 49). wußtsein der Öffentlichkeit das erstrebenswerte Gut sein müsse und weniger das Zertifikat (III/36); Handlungsorientierte Vorschläge der Verbände:

— des Schutzes der Konsumenten vor Angeboten ge- — Die Forschungslücken im Bereich der Kostener- ringer Qualität und vor einem durch starke Zer- mittlung (individuell und betrieblich) seien mög- splitterung des Angebots unübersichtlich gewor- lichst bald zu schließen (BIBB III/25). denen Markt (BLBS II/47); — Im Abstand von fünf Jahren sollten alle Län- — der ausschließlichen Förderung gemeinnütziger der Weiterbildungsentwicklungspläne aufstellen Träger (DGB II/ 84); (GEW 14/410). — der Abstimmung von Weiterbildung und berufli Für ein Mischsystem der Weiterbildungsfinanzierung cher Erstausbildung (AuL III/12; VLW III/120); (Wirtschaft-Staat-Teilnehmer) sprechen sich AGFS (I/12), BIBB (III/25), das KDW (III/60f) sowie der DVV — Änderungen im Betriebsverfassungsgesetz und im I/21-22) aus. Dabei komme es darauf an, eine mög- Personalvertretungsgesetz mit dem Ziel, in der be- lichst differenzie rte Lastenverteilung zwischen Betrie- trieblichen und überbetrieblichen Weiterbildung ben, Bundesanstalt für Arbeit, Staat und Individuen zu dem Betriebsrat und dem Personalrat zusätzliche erreichen (BIBB) und darauf hinzuwirken, daß die Kompetenzen einzuräumen (DGB II/85); Trägerorganisationen den Marktgesetzen unterwor- — eines Systemverbundes von Präsenzuniversitäten fen blieben, jedoch dort angemessen subventioniert und Fernuniversitäten (FeU II/92). würden, wo sie öffentliche Interessen wahrnähmen (DVV). Von dem umfangreichen Forde rungskatalog weicht das KWB deutlich ab, indem es für den Gesetzgeber in Als primäre Aufgabe der Unternehmen wird die Wei- der Zukunft nur eine Aufgabe formuliert: eine AFG terbildungsfinanzierung- von DGB, BLBS und AuL Änderung mit der Maßgabe, ein ausgewogeneres dargestellt (II/85, II/50, III/ 14). Auch das BIBB schließt Verhältnis von kurativer und präventiver Weiterbil- sich dieser Sichtweise an, wobei für die Zukunft tarif- dung zu schaffen (14/8). Gleichzeitig verweist das Ku- vertragliche Regelungen über Freistellung, Finanzie- ratorium auf den Koordinierungskreis von Wi rtschaft rung und Gestaltung gefordert werden (BIBB III 25). und Gewerkschaften, der entscheidende Regelungs- aufgaben übernommen habe (KWB 14/33). Dagegen sieht der DGB im Koordinierungskreis lediglich eine Handlungsorientierte Vorschläge der Verbände: Antwort auf die noch unzureichende gesetzliche Re- gelungslage (14/42). — Der überwiegende Finanzierungsanteil für die be- rufliche Weiterbildung müsse künftig weiterhin Grundlegende Änderungen im Bereich der Weiterbil- von den Betrieben erbracht werden (BLBS II/50). dungsorganisation seien „nicht nur überflüssig, son- dern schädlich" (KWB 14/7). Dem Staat komme ledig- — Tarifverträge sollten Freistellung, Finanzierung lich eine subsidiäre Regelungskompetenz neben den und Gestaltung der Weiterbildungsfinanzierung funktionsfähigen Mechanismen wie dem Berufsbil- regeln (BIBB III/25, BFZ II/24). dungsgesetz und der Handwerksordnung zu (KWB — Der Gesetzgeber solle künftig einen Bildungsur- 14/33). laub für alle von mindestens zwei Wochen pro Jahr ohne Lohnausfall garantieren (GEW 14/410). Der DGB fordert, bestehende gesetzliche Möglichkei- ten verstärkt zu nutzen (14/43). Er weist auf die bereits Eine Eigenbeteiligung der Teilnehmer an den Kosten durch das ILO-Abkommen von 1974 gegebene Ver- der Weiterbildung lehnt die GEW kategorisch ab, die pflichtung zur schrittweisen Einführung von Bil- Finanzierung solle aus öffentlichen Mitteln und einer dungsurlaub hin (14/6). Berufsbildungsabgabe sichergestellt werden (14/

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419), auch der DGB favorisiert eine Finanzierung aus nanziell Schwächerer und bei der Überwindung öffentlichen Mitteln (II/86). von Strukturproblemen zu leisten (KWB III/61 ff). Wo Eigenbeteiligung gefordert wird, etwa um die — Finanzierungshilfen seien allen Träger offen zu Weiterbildung als knappes Gut zu kennzeichnen und halten, indem zum Beispiel der Teilnehmer/die entsprechend motivationsfördernd einzusetzen, wird Teilnehmerin mittels Bildungsgutscheinen ent- jeweils ein differenziertes System, das nach Einkom- scheide, welchen Träger er/sie finanziere (AGFS mensverhältnissen staffelt bzw. bestimmte Zielgrup- 1/12). pen subventioniert, gefordert (AGFS I/12, AuL II I/ — Um Pluralität zu gewährleisten, seien möglichst 14 ff, BIBB III/25, BLBS II 50, DLFV 14/404, VLW III viele Träger in den Genuß der öffentlichen Förde- 121). Das KWB modifiziert den geforderten Beitrag rung zu bringen (DLFV 14/404). des einzelnen dahin gehend, daß auch Weiterbil- dungszeit außerhalb der Arbeitszeit als Kostenanteil — Unabhängig von den sich jährlich ändernden zu sehen sei (III/61). Haushaltsbedingungen seien rechtsverbindliche Gewährleistungsansprüche festzuschreiben (GEW 14/410, LAAW II/100). Handlungsorientierte Vorschläge der Verbände: — „Kartellartige Förderungsstrukturen" nach AFG bzw. Bundesjugendplan seien aufzulösen (LAAW — Die Eigenbeteiligung solle zugunsten einer Finan- II/100). zierung aus öffentlichen Mitteln aufgegeben wer- den (DGB, GEW, AuL). — Freie Träger seien mit einer Grundausstattung so- wie einer zusätzlichen Projektfinanzierung zu för- — Eigenbeteiligung sei nach Einkommensverhältnis- dern (Ev.LK II/ 77-78). sen zu staffeln (AGFS, BIBB, BLBS, VLW). — Für eine duale berufliche Weiterbildung seien Fi — Individuelle Weiterbildung solle stärker steuerlich nanzierungsmodelle zu entwickeln (BLBS II/51). begünstigt werden (BIBB III/26). — Im Bereich der Hochschulweiterbildung seien eine — Die Kosten für berufliche Weiterbildung seien Anlauffinanzierung zu gewährleisten und Modell- auch zukünftig von den einzelnen und der Wi rt versuche der wissenschaftlichen Weiterbildung zu -schaft, von der Bundesanstalt jedoch nicht über fördern (FeU II/94). den durch das AFG bestimmten Rahmen hinaus zu tragen (BA II/8) — Den Hochschulen seien zusätzliche Lehrauftrags mittel zur Verfügung zu stellen und ein Entschei- — Sofern es keine unzumutbaren Belastungen für die dungsspielraum bei der Gebührenfestsetzung zu Individuen nach sich ziehe, sei auch eine Weiter- schaffen (FRK 14/418). bildungsfinanzierung mittels Darlehen zu erwä- gen (AGFS I/12). — Neben der direkten Bezuschussung von Veranstal- tungen fordern die Verbände finanzielle und Das gegenwärtige Verhältnis der Träger und Institu- steuerliche Anreize, wie erhöhtes Unterhaltsgeld, tionen zu staatlicher Förderung sei gekennzeichnet das am Einkommen des Zielberufs zu orientieren durch ein Auseinanderklaffen von Kostenentwick- sei (BFZ II/27 ff), Absetzbarkeit der Kosten für die lung und Fördermitteln (AuL III/14), durch die nicht berufliche Weiterbildung von der Steuerschuld, durchgängige Förderung aller Träger (AGFS I/12), statt wie bisher vom zu versteuernden Einkommen durch die nicht ausreichende staatliche Finanzierung (DAG II/70), steuerliche Erleichterungen zugun- von dem Staat obliegenden Leistungen, die die freien sten privater Anbieter, die gegenwärtig noch der Träger in Subsidiarität erbringen (AuL III/14), durch Wettbewerbsverzerrung- infolge staatlicher Sub- das Fehlen eines rechtsverbindlichen Gewährlei- ventionen ausgesetzt seien (ZFU III/76). stungsanspruches (GEW 14/410), durch Wettbe- werbsverzerrungen in der Folge staatlicher Finanzie- An der derzeitigen Fassung des AFG wird überein- rungshilfen für einzelne Träger (ZFU III/76). stimmend Kritik geübt. Es sei zum Reparaturinstru- mentarium verkommen und genüge nicht mehr seiner In Zukunft, so die durchgängige Darstellung der Ver- Aufgabe, den Produktionsfaktor Arbeit dauerhaft zu bände, werde sich bei steigendem Weiterbildungsbe- stärken. Der Versichertengemeinschaft würden von darf und steigendem Finanzierungsbedarf diese Si- ihr selbst aufgebrachte Mittel vorenthalten (AGFS tuation verschärfen. 1/13). Vor dem Hintergrund der Ermessensentschei- dungen im Rahmen des AFG mache sich Rechtsunsi- cherheit breit (AGFS I/13). Die Abhängigkeit von Handlungsorientierte Vorschläge der Verbände: haushaltspolitischen Entscheidungen verhindere auf Seiten der Träger kontinuierliche Arbeit (AuL III/14), — Maßnahmen allgemeiner und politischer Bildung und die Träger seien infolge von Kürzungen gezwun- sollten ausschließlich öffentlichen und gemeinnüt- gen, ihre Kapazitäten zu reduzieren (AGFS I/13 ff). zigen Trägern vorbehalten bleiben (AuL III/16). Die Arbeitsteilung, die der AFG-Förderung nur noch kurative Funktion in der Weiterbildung zuweise, nach — Ausschließlich gemeinnützige Träger sollten in der jedoch die Betriebe zunehmend weniger Verant- den Genuß öffentlicher Förderung kommen (DGB wortung für die Weiterbildung Arbeitsloser überneh- II/87-88, VLW III/121). men, sei langfristig nicht finanzierbar (BIBB III/26), — Der Staat habe mit öffentlichen Mitteln subsidiäre und das Ziel der Qualifizierung von Arbeitslosen und Hilfe bei der Förderung gesellschaftspolitisch ge- Ungelernten sei durch die enge Haushaltslage der wünschter Entwicklungen, bei der Förderung fi Bundesanstalt für Arbeit gefährdet (KWB III/63-64).

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Handlungsorientierte Vorschläge der Verbände: Anhang: Fragenkatalog und Teilnehmerverzeichnis — Die alte Rechtslage, wie sie vor der neunten No- velle der AFG bestanden habe, sei wieder herzu- stellen (AGFS I/13 ff, KWB III/63-64). Fragenkatalog 1. Weiterbildungsbegriff — Es sei eine Finanzierungsform zu schaffen, die eine konjunkturunabhängige, konstante, ja antizykli- Welchen Weiterbildungsbegriff legen Sie Ihren Über- sche Weiterbildungspolitik erlaube (BFZ II/26). legungen zur zukünftigen Gestaltung dieses Bereichs zugrunde unter besonderer Berücksichtigung des Zu- — Die Leistungen nach dem AFG seien auszuweiten sammenhangs von allgemeiner und beruflicher Wei- (BLBS II/51). terbildung und des Zusammenwirkens verschiedener Träger im staatlichen und privaten Bereich; welche — Bei der geforderten Verbesserung der AFG-För- Rolle soll der Bund dabei übernehmen? derkonditionen sei darauf zu achten, daß dies nicht über eine Erhöhung der Beiträge zur Bundesan- stalt geschehe (KWB II1/63-64). 2. Bildungsbeteiligung, Zugang zu den Angeboten der Weiterbildung — Eine im Sinne der Einheitlichkeit der Lebenschan- cen länderübergreifende Gewährung einer ausrei- Wie beurteilen Sie Angebot und Nachfrage und die chenden Grundversorgung (AuL III/15) Weiterbildungsbeteiligung — auch hinsichtlich der Probleme besonderer Gruppen und z. B. unterschied- — Der Rückzug der Bundeszentrale für politische Bil- licher Qualifikationsebenen bis hin zur wissenschaft- dung aus der politischen Weiterbildung im Inter- lichen Weiterbildung — , und wie beurteilen Sie ihre esse freier Träger (AuL III/15) künftige Entwicklung; welche Maßnahmen des Bun- des schlagen Sie gegebenenfalls vor? — Die Bereitstellung einer Infrastruktur für Informa- tion und Beratung sowie Forschung und Entwick- 3. Weiterbildung und Beschäftigung lung (BIBB III/26) Wie beurteilen Sie die Wirkungen und den künftigen — Eine Ausfallbürgschaft des Bundes bei Defiziten Bedarf (vor dem Hintergrund verschiedener Weiter- im Haushalt der Bundesanstalt der Arbeit (KWB bildungsmaßnahmen für Berufstätige, für zeitweise III/63-64) nicht Berufstätige und für längerfristig Arbeitslose) im Hinblick auf — Rahmenrichtlinien für ein einheitliches, unbüro- — die Förderung von Übergängen von und in den kratisch-offenes Weiterbildungsfinanzierungssy- Beruf stem (DVV 1/21-22) — die Aufstiegsmöglichkeiten im erlernten Beruf — Konzentration der staatlichen Förderung auf die — die Fortbildung und Beschäftigung in anderen Be- Weiterbildung der sozial und bildungsmäßig Be- rufen nachteiligten (SBB III/98) — die Rückkehr ins Beschäftigungssystem nach einer Familienphase? Speziell an die Länder richtete sich der Appell, die KMK solle sich auf gemeinsame Eckdaten einigen, um eine Angleichung der Länderregelungen in der 4. Weiterbildung und Strukturwandel Weiterbildungsfinanzierung zu ermöglichen (DAG II/70). Welche Ziele stellen sich der Weiterbildung im Kon- text ihrer Aufgabe, die einzelne/den einzelnen zu be- Im Bereich der Sonderprogramme gehen die Meinun- fähigen, sich im raschen Prozeß des technischen, wirt- gen auseinander. Die SBB forde rt ein neben dem AFG schaftlichen, ökologischen und sozialen Wandels und stehendes Sondergrogramm „Benachteiligtenpro- internationaler Verflechtungen zurechtzufinden, und gramm für Erwachsene", das vor allem die besonde- welche Angebote und erwachsenengerechten Metho- ren Kosten einer zielgruppenspezifischen beruflichen den halten Sie für geeignet, diese Ziele umzuset- Weiterbildung anerkenne, und das mit jährlich rund zen? 1-2 Mrd. DM — bei einem Bund-Länder-Gemein- den-Schlüssel von 40 zu 40 zu 20 — ca. 250 000 Be- nachteiligte versorgen könne (III/98). Der Forderung 5. Organisation nach Berücksichtigung der besonderen Kostensätze angesichts des höheren pädagogischen Aufwandes Welche Stellung beziehen Sie hinsichtlich der Vor- für bestimmte Gruppen schließt sich auch das BFZ an stellung „lebenslangen Lernens", und welche Orga- (II 29/30). Dagegen weist AuL Sonderprogramme ka- nisationsformen halten Sie für geeignet, die Bereit- tegorisch zurück. Sie seien der „falsche Weg", viel- schaft, eine lebenslange Weiterbildung anzubieten mehr sei eine Breitenförderung durch Bund, Länder bzw. in Anspruch zu nehmen, zu fördern? Hier ist auch und Gemeinden nötig (III/14). die Frage nach einem gesetzlichen/tarifvertraglichen

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Regelungsbedarf bzw. einer marktorientierten Ent- Deutscher Fernschulverband, Pfungstadt wicklung angesprochen. Herr Schachtsiek Deutscher Gewerkschaftsbund, Düsseldorf (zugleich 6. Kosten und Finanzierung der Weiterbildung für seine Einzelgewerkschaften und das Berufsförde- rungswerk des DGB) Herr Karl Jostarndt, DGB-Bundesvorstand Welchen Finanzierungsbedarf sehen Sie für das von Herr Oliver Lübke, DGB-Bundesvorstand Ihnen bevorzugte Weiterbildungskonzept — auch im Hinblick auf den Zusammenhang zwischen Weiterbil- Frau Heidrun Lotz, Berufsförderungswerk Herr Heinz Schlieper, IGCh dung und Beschäftigung — und durch welche Finan- zierungsmodelle sehen Sie Möglichkeiten der Be- Frau Eva Kuda, IGM darfsdeckung? Hier ist auch nach den derzeitigen Deutscher Hochschulverband, Bonn bzw. künftigen Möglichkeiten der Qualifizierung im Prof. Dr. Heldmann Rahmen des Arbeitsförderungsgesetzes gefragt. Deutscher Volkshochschul-Verband e.V., Bonn Prof. Dr. Dr. h. c. Günter Dohmen Liste der teilnehmenden Verbände und ihrer Fernuniversität-Gesamthochschule Hagen Vertreter Prof. Dr. jur. U. Battis

Akademie für Führungskräfte der Wirtschaft, Bad Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft, Frankfurt Harzburg am Main Frau Gisela Böhme Herr Jochen Schweitzer Arbeitsgemeinschaft freier Schulen, Vereinigungen Katholische Arbeitsgemeinschaft für Erwachsenenbil- und Verbände gemeinnütziger Schulen in freier Trä- dung, Bonn/Leiterkreis der Katholischen Akademien, gerschaft, Berlin/Schulen in freier Trägerschaft, Bun- Schwerte desverband Deutscher Privatschulen e.V., Frankfu rt Monsignore Krems Prof. Dr. J. P. Vogel Herr Joachim Böttcher Kuratorium der Deutschen Wirtschaft für Berufsbil- Berufsförderungszentrum Essen e.V. dung, Bonn (zugleich für die Trägerverbände) Herr Dr. Gummersbach Herr Brumhard (KWB) Herr Spelberg (KWB) BRATT-Institut für neues Le rnen, Goch Herr Woortmann (DIHT) Herr Wilfried Schoof Herr Malcher (BDA) Bundesanstalt für Arbeit, Nürnberg Landesarbeitsgemeinschaft für eine andere Weiterbil- Herr Oberdirektor Dr. Herbe rt Pfuhlmann dung in Nordrhein-Westfalen, Enger Bundesinstitut für Berufsbildung, Berlin/Bonn Frau Birgit Meyer-Ehlert Herr Dr. Edgar Sauter REFA-Verband für Arbeitsstudien und Betriebsorga- Bundesministerium der Verteidigung Abteilung I — nisation e.V., Darmstadt Berufsförderungsdienst —, Bonn Herr Rolf Meyer Herr MinRat David Staatliche Zentralstelle für Fe rnunterricht der Länder Bundesverband der Lehrer an beruflichen Schulen der Bundesrepublik Deutschland, Köln e.V., Bonn Herr Vennemann Herr Peter Grothe Bundesvereinigung Arbeit und Leben, Düsseldorf Ständige Konferenz der Rektoren und Präsidenten der Herr Klaus Beck staatlichen Fachhochschulen der Länder in der Bun- Herr Claus Sobott desrepublik Deutschland Prof. Dr. Gerd Hoffmann Deutsche Angestellten-Gewerkschaft, Hamburg Herr Dr. Herbert Nierhaus Stiftung berufliche Bildung, Arbeitslosenbildungs- Herr Loewe werk, Hamburg Herr Vojta Herr Frank Glücklich Deutsche Evangelische Arbeitsgemeinschaft für Er- Verband der Lehrer an Wirtschaftsschulen e.V, wachsenenbildung e.V., Karlsruhe/Leiterkreis der Langelsheim Evangelischen Akademien in Deutschland e.V., Bad Herr Kappler Boll Herr Pfarrer Apsel Westdeutsche Rektorenkonferenz, Bonn Herr Theo W. Länge Prof. Dr. Peters Deutsche Vereinigung für die Rehabilitation Behin- Frau Steiger derter e.V., Heidelberg Wuppertaler-Kreis e.V., Deutsche Vereinigung zur Prof. Dr. K. A. Jochheim Förderung der Weiterbildung von Führungskräften, Deutscher Frauenrat, Bonn Köln Frau Helga Tölle Herr Bendziula

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Kapitel III.2.4

Anhörungen zum Arbeitsschwerpunkt „Perspektiven der Hochschulentwicklung"

Gliederung der Hochschulen und ihre Entwicklungsperspektiven zu führen und dem Max-Planck-Ins titut für Bildungs- A. Methodische Vorbemerkung und Verzeichnis der forschung (Berlin) einen Informationsbesuch abge- Abkürzungen von Institutionen- und Verbändena- stattet. Folgende Gespräche sind für diesen Abschnitt men ausgewertet worden:

B. Auswertung 2.11.1988 mit dem Bundesminister für Bildung und Wissenschaft, Jürgen W. Möllemann 1. Entwicklung der Studentenzahlen und der (Protokoll Nr.10), Studentenpopulation 22.2.1989 mit Prof. Dr. Hinrich Seidel, Präsident 2. Studienzeiten, Berufseintrittsalter und Ein- der Westdeutschen Rektorenkonferenz mündung in das Beschäftigungssystem (WRK) und Prof. Dr. Dieter Simon, Vorsit- zender des Wissenschaftsrates (Protokoll 3. Struktur des Studiums, inhaltliche Anforde- Nr. 16, Teil I), rungen 17.5.1989 mit Frau Staatssekretärin Elisabeth 4. Wissenschaftliche Weiterbildung Rickal, Minister Prof. Dr. Diether Breiten- bach und MinDir Dr. Schulz-Hardt, Ge- 5. Wissenschaftlicher Nachwuchs und wissen- neralsekretär der Ständigen Konferenz schaftlich-technische Fachkräfte der Kultusminister der Länder in der Bun- desrepublik Deutschland (KMK) (Proto- 6. Hochschulforschung koll Nr. 22, Teil I). 7. Hochschulautonomie und Entscheidungs- Die Denkschrift der WRK: „Die Zukunft der Hoch- strukturen schulen — Überlegungen für eine zukunftsorientierte 8. Personal- und Mittelausstattung der Hoch- Hochschulpolitik" und die „Empfehlungen des Wis- schulen senschaftsrates zu den Perspektiven der Hochschulen in den 90er Jahren" (beide aus dem Jahr 1988) wur- 9. Ausbildungsförderung und Wohnraumbau für den als schriftliche Stellungnahmen der Organisatio- Studierende nen zur Expertenanhörung gewertet und zur Vertie- fung der mündlich vorgetragenen Aussagen herange- 10. Frauenförderung zogen.

11. Internationalität der Hochschulen, Europa Für den Abschnitt 4 sind Stellungnahmen zur Verbän- deanhörung der Kommission über „Weiterbildung — 12. Wettbewerb und Differenzierung Lebenslanges Lernen" am 8.2.1989 ausgewertet wor- den. Der „Exkurs: Fachhochschulen" (Abschnitt 13) 13. Exkurs: Fachhochschulen ist eine Auswertung des Stenographischen Protokolls Anlage: Anhörung des Ausschusses für Bil- der 44. Sitzung des Ausschusses für Bildung und Wis- dung und Wissenschaft „Entwicklungsstand senschaft am 10.5.1989 und der schriftlichen Stellung- und Perspektiven der Fachhochschulen" am nahmen der Verbände. 10. Mai 1989 Punktuell werden Ergänzungen vorgenommen, die Materialien entstammen, die der Enquete-Kommis- sion zur Verfügung standen: Bericht des BAFÖG-Bei- A. Methodische Vorbemerkung und Verzeichnis rates, „Prognose der Studienanfänger, Studenten und der Abkürzungen von Institutionen- und Hochschulabsolventen bis 2010" der KMK (Doku- Verbändenamen mentation Nr. 106 vom April 1989) sowie die Veröf- fentlichung des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufs- Die Enquete-Kommission hat zu diesem Arbeits- forschung der Bundesanstalt für Arbeit (IAB) über den schwerpunkt ihre Arbeiten noch nicht im gleichen „Arbeitsmarkt für Akademiker: Gestern — heute — Umfang und in der systematischen Weise aufgenom- morgen". Daneben wurden die Antworten der Bun- men wie zu anderen Schwerpunkten. Dies soll erst im desregierung auf Große Anfragen von CDU/CSU, Rahmen von vier Expertengesprächen im Oktober FDP und SPD (Drucksachen 10/6419, 11/2603) ver- und November 1989 erfolgen (siehe hierzu den Aus- wendet. Erst für den Schlußbericht können aus den blick auf die weitere Arbeit in Abschnitt IV). Sie hat Gutachten Nr. 3, 5, 6, 7 und 15 (siehe Kapitel III.1.4) bislang die Gelegenheit genutzt, um mit hochschulpo- einschlägige Teilergebnisse für den Hochschulbe- litisch Verantwortlichen Gespräche über die Situa tion reich ausgewertet werden.

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Verzeichnis der Abkürzungen von Institutionen- und VDS Vereinigte Deutsche Studentenschaften Verbändenamen: e.V.

AStA Allgemeiner Studentenausschuß der Fach- VHW Verband Hochschule und Wissenschaft im hochschule Gießen Deutschen Beamtenbund

BLK Bund-Länder-Kommission für Bildungspla WRK Westdeutsche Rektorenkonferenz nung und Forschungsförderung DAAD Deutscher Akademischer Austauschdienst e.V. B. Auswertung DAB Deutscher Akademikerinnenbund DFG Deutsche Forschungsgemeinschaft 1. Entwicklung der Studentenzahlen und der DSW Deutsches Studentenwerk e.V. Studentenpopulation FeU Fernuniversität-Gesamthochschule Hagen Die Zahl der Studienanfänger hat sich von 1975 bis FRK Ständige Konferenz der Rektoren und Präsi 1983 um 37 % auf 222 000 erhöht (siehe Tabelle 5). denten der staatlichen Fachhochschulen der Länder in der Bundesrepublik Deutsch- Nach einem vorübergehenden Rückgang wurde im land Studienjahr 1988 der bisherige Höchststand mit etwa 235 000 Studienanfängern erreicht. GEW Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft 1987 begannen insgesamt 16 321 Ausländer ein Stu- HIS Hochschul-Informations-System GmbH dium an deutschen Hochschulen, davon 13 163 an HLB Hochschullehrerbund e.V. Universitäten und Gesamthochschulen, 492 an Kunst- sowie 2 666 an Fachhochschulen (außerdem 3 an IAB Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsfor- Fachhochschulen für öffentliche Verwaltung). Die schung der Bundesanstalt für Arbeit Zahl der ausländischen Studienanfänger ging 1988 leicht auf 14 209 zurück (StBA 1989, S. 13). JUSO Juso-Hochschulgruppen LHG Bundesverband Liberaler Hochschulgrup Der erneute Anstieg der Studienanfängerzahlen hat pen viele Beobachter überrascht. Er ist hauptsächlich dar- auf zurückzuführen, daß die Übergangsquoten zu StBA Statistisches Bundesamt Schulen, die eine Hochschulzugangsberechtigung

Tabelle 5

Studienanfänger a) nach Hochschulen (in Klammern: Anteile der Frauen bei den deutschen Studienanfängern) - Universitäten (b) nachrichtlich: Jahr Insgesamt Kunsthochschulen Fachhochschulen Verwaltungs Gesamthochschulen fachhochschulen 1970 121 456 89 072 3 151 29 233 - (30,9) (37,8) (40,6) (9,2) 1975 162 206 118 063 2 618 41 525 1 241 (37,0) (41,3) (45,0) (24,6) (29,4) 1980 181 843 135 158 3 094 43 591 8 120 (40,6) (43,5) (45,4) (31,4) (41,3) 1983 222 513 160 175 2 915 59 423 9 604 (37,5) (41,0) (49,2) (28,1) (39,9) 1986 201 519 144 634 2 686 54 199 10 210 (39,8) (43,5) (47,4) (29,8) (44,4) 1987 c) 218 179 155 650 2 734 59 795 11 525 (39,6) (43,4) (49,2) (29,7) (47,7) 1988 c) 235 000 170 000 3 000 62 000 15 000 (39,5) (42,3) (51,7) (28,1) (46,0)

a) Studenten im 1. . Hochschulsemester des Sommer- und Wintersemesters b) Einschließlich Pädagogische Hochschulen und Theologische Hochschulen C) Vorläufige Ergebnisse Quelle: Statistisches Bundesamt, Studentenstatistik, zitiert nach: Wissenschaftsrat 1988, S. 91 und 286 und StBA 1989, S. 13 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode Drucksache 11/5349

Abbildung 5

Studienberechtigte, Studienanfänger a), Studenten und Hochschulabsolventen b) 1981 bis 2010

a) Studienanfänger: Unterer We rt = 70 %-Übergangs-Variante; oberer We rt = 80 °/0-Übergangs- Variante; b) Studenten und Hochschulabsolventen (2010): Unterer We rt = 70 %-Übergangs-Variante/Ziel- Berechnung; oberer Wert = 80 %-Übergangs-Variante/Status quo-Berechnung- Quelle: KMK 1989, S. 19 vergeben, weiter gestiegen sind und sich der Zeit- kommen Erfahrungsphasen unterschiedlichster Art raum zwischen Erwerb der Hochschulzugangsbe- (Praktika, sonstige Erwerbstätigkeit, lange Reisen). rechtigung und dem Studienbeginn fortlaufend ver- Lag im Jahre 1972 der Prozentsatz derjenigen, die im längert hat. Jahre des Erwerbs der Hochschulzugangsberechti- gung ein Studium aufnahmen, noch bei 58,7 %, so ist Die KMK weist vor allem auf zwei Faktoren hin: den dieser bis zum Jahre 1986 auf 24,2 % gesunken (Wis- steigenden Anteil derjenigen Abiturienten, die Wehr- senschaftsrat 1988 S. 293). Diese beiden Zahlen sind oder Zivildienst absolvieren (1980: 44 %, 1988: 78 %), zwar nicht ganz miteinander kompatibel, weil die Stu- und die Verdreifachung der Zahl der studienberech- dierquote gesunken ist, sie macht jedoch die erhebli- tigten Bewerber um berufliche Ausbildungsstellen chen Verhaltensänderungen im Grundsatz deutlich. (1980: unter 25 000, 1988: über 74 000). (KMK 1989, Der häufigste Alterswert (Modalwert) männlicher Stu- S. 12) dienanfänger liegt unterdessen bei 21 Jahren, bei den Frauen bei 19 Jahren (Wissenschaftsrat 1988, S. 93), HIS gibt an, daß sich der Anteil derjenigen Studien- doch dürfte er bei ihnen auch bald deutlich steigen. anfänger, die zwischen Schulabgang und Studienbe- ginn einen Berufsbildungsabschluß erworben haben, Die weitere Entwicklung der Studentenanfängerzah- zwischen dem 76er und 83er Jahrgang auf 12 % ver- len ist vor allem von zwei Faktoren abhängig: den doppelt hat. Bei Frauen liegt der Anteil bei 18 % , bei Übergangsquoten zu Gymnasien und anderen zur denjenigen, die ein Fachhochschulstudium aufneh- Hochschulreife führenden Schulen sowie der Studier men, sogar bei einem Viertel (HIS 1989, S. 8/9). Hinzu quote. Die erstgenannte Quote hat sich in den vergan- Drucksache 11/5349 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode

Tabelle 6 Deutsche Studenten insgesamt (ohne Studenten an Verwaltungsfachhochschulen, in Klammem: Zahl der deutschen Studentinnen)

davon Hochschulen Jahr Insgesamt ohne Fachhochschulen davon Fachhochschulen 1970 496 207 397 502 98 705 (—) (124 694) (—) 1975 785 827 650 607 135 220 (268 303) (236 665) (31 638) 1980 953 091 788 249 164 842 (353 227) (305 423) (47 804) 1985 1 229 179 974 901 254 278 (468 451) (397 510) (70 941) 1986 1 255 350 991 201 264 149 (478 241) (404 923) (73 318) 1987 a) 1 294 397 1 016 215 278 182 (493 463) (416 316) (77 147) 1988 a) 1 347 081 1 056 944 290 137 (515 346) (435 072) (80 274) a) Vorläufiges Ergebnis Quelle: Wissenschaftsrat 1988, S. 122 und 313, StBA 1989, S. 9 genen Jahren noch fortlaufend erhöht. Für das Jahr und einem Übergang von 80 %. Bis zum Jahre 2010 2000 liegen die Schätzungen des Anteils der Personen würden nach dieser Berechnung die Studentenzahlen mit einer Hochschulzugangsberechtigung zwischen noch einmal leicht ansteigen. Dies bedeutet, daß im 35 % (KMK/BLK) und 40 % (Wissenschaftsrat) eines gesamten Prognosezeitraum keine „Normallast" an Altersjahrgangs (so Minister Prof. Dr. Breitenbach). den Hochschulen erreicht wird. Von Minister Prof. Dr. Breitenbach und Staatssekretärin Frau Rickal ist da- Die Quote derjenigen, die binnen drei Jahren nach her die Forderung erhoben worden, das räumliche Erwerb einer Hochschulzugangsberechtigung ein Ausbauziel auf etwa 1 Mio. Studienplätze und ent- Studium aufnahmen, war von 1972 bis 1983 mit Aus- sprechend auch die Personalausstattung anzuheben. nahme der Jahre 1979 und 1980 durchgängig rückläu- fig. Vom Maximalwert der vergangenen zwanzig Die wesentlichen Ergebnisse der neuen KMK-Pro- Jahre von 1972 mit 91,8 % sank sie bis 1983 auf 64,6 %, gnose sind in Abbildung 5 grafisch wiedergegeben. wobei dieser Rückgang geschlechtsspezifisch sehr Bei den Studienanfängern ist seit den siebziger Jah- stark differierte: Bei den jungen Männern war eine ren ein deutlicher Rückgang- der Sonderwege zum Abnahme von 92,1 auf 73,2 % zu verzeichnen, wäh- Studium zu verzeichnen. Der Anteil von Gymnasial- rend der Rückgang bei jungen Frauen von 91,3 auf und Gesamtschulabsolventen stieg vom Jahre 1975 54,6 To sehr viel stärker ausfiel (Wissenschaftsrat bis 1986 von 68,3 % (Gymnasien) und 0,7 % (Gesamt- 1988, S. 293/294). Im Jahre 1983 liegt jedoch für die schulen) auf 82,1 % (Gymnasien) und 3 °A. (Gesamt- Frauen ein Ausreißer nach unten (siehe Tabelle 5), so schulen) an (Wissenschaftsrat 1988, S. 94). Auch an daß sich der Abstand unterdessen wieder verringert den Fachhochschulen sind unterdessen etwa die haben sollte. Hälfte der Studienanfänger Abiturienten. Dies kommt auch dadurch zum Ausdruck, daß die Fachhochschu- Die Studierneigung ist in den letzten Jahren wieder len ihren Anteil bei den Studienanfängern von 1974 angestiegen, die Übergangsquote eines Berechtigten- auf 1987 von 25,1 auf 28,3 To erhöhen konnten jahrgangs liegt nach Berechnungen von HIS derzeit (ebenda, S. 106). bei ca. 76 %. Die KMK geht daher bei ihrer neuesten Prognose von einer Bandbreite von 70 % bis 80 % aus Die Entwicklung der Studentenzahlen ist in Tabelle 6 (KMK 1989, S. 53/54). Dies würde dazu führen, daß bei dargestellt. den über ein Jahrfünft Bemittelten Studienanfänger Aufgrund der durchschnittlich kürzeren Studiendauer zahlen nur von 1995-1999 mit Werten von unter beträgt der Anteil der Fachhochschulen bei den Stu- 200 000 pro Jahr zu rechnen ist (179 900-199 200). dentenzahlen im Jahre 1987 lediglich 21,5 %. Für die (Gesamt-)Studentenzahlen ergibt dies Werte von über einer Million im Jahre 2000 bei einer Über- Entgegen verbreiteter Vorstellungen liegt der Anteil gangsquote von 70 % und der optimistischen Studien- von Studenten mit bereits bestandener Abschlußprü- zeitverkürzungsvariante (Ziel-Berechnung) bezie- fung an den Immatrikulierten an Universitäten 1986 hungsweise von knapp 1,4 Millionen, falls die jetzigen sogar etwas niedriger als im Jahre 1975, wie Tabelle 7 Studienzeiten fortgeschrieben werden (status quo) zeigt. Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode Drucksache 11/5349

Tabelle 7 Ein Grund hierfür ist sicherlich in der Notwendigkeit zu sehen, den Unterhalt (auch) durch eigene Erwerbs- Deutsche Studenten mit bereits bestandener tätigkeit zu sichern. Hinzu kommt allerdings, daß die Abschlußprüfung wachsende Zahl von Studierenden mit abgeschlosse- (Hochschulen ohne Fachhochschulen) ner Berufsausbildung gute Chancen besitzt, Teilzeit- beschäftigungen nachzugehen. Jahr Anzahl Anteil a )

1975 86 200 13,3 % Ein Indikator für den Anstieg der Verweilzeiten ist der Anteil der Studierenden in höheren Fachsemestern, 12,7 % 1980 100 200 der seit Jahren deutlich zunimmt. Er stieg von 13,9 % 1985 120 700 12,4 % im Jahre 1935 über 20,6 % (1980) auf 23,1 % im Jahre 1986 126 600 12,8 % 1986 (jeweils deutsche Studenten im 11. und höheren Fachsemestern ohne Fachhochschulen; siehe Wissen- a) an der Gesamtzahl der Studenten an den Hochschulen ohne schaftsrat 1988, S. 123). Fachhochschulen. Über den Frauenanteil werden keine An- gaben gemacht. Quelle: Wissenschaftsrat 1988, S. 122 Die Zahl der Hochschulprüfungen hat sich von 1975 bis 1986 im Vergleich zu den Studentenzahlen nur unterproportional von 100 449 auf 117 804 erhöht. Der Anteil der Fachhochschulabsolventen stieg dabei von 29,6 % auf 32,6 % während der Anteil der Lehramts- Die Zahl von 126 600 Studierenden mit bestandener prüfungen von 37,4 % auf 15,6 % zurückging (Wissen- Abschlußprüfung im Jahre 1986 läßt sich wie folgt auf- 1988, S. 138 und 361). Siehe zum Verlauf schlüsseln: Zweitstudium 46,9 %, Promotion 18,1 %, schaftsrat auch im Flächenanteil „Diplom" sind Aufbaustudium 14,3 %, Kontaktstudium 2 %. Es läßt Abbildung 6; dabei auch die Nicht-Lehramts-Staatsprüfungen ent- sich schwer abschätzen, wieviele der „Zweitstudie- halten. renden" einem solchem Studium tatsächlich nachge- hen: „Der Status der Studenten hat eine Reihe mate- rieller und immaterieller Vorteile, so daß die Exmatri- Der Anteil der Frauen stieg bei den Prüfungen insge- kulation vielfach hinausgezögert wird, insbesondere samt von 27,1 % (1970) über 33,9 % (1975) und 35,4 % dann, wenn der Übergang in die Erwerbstätigkeit mit (1980) auf 38,7 % (1986). Bei Lehramtsprüfungen er- Schwierigkeiten verbunden ist." (Wissenschaftsrat reichte er nach ununterbrochenem Wachstum 1986 1988, S. 122) 64,9 %. Insgesamt liegt der Frauenanteil geringfügig unter den korrespondierenden Studienanfängerantei- Zum Anstieg der Studentenzahlen (und der Verweil len, bei den Fachhochschulen jedoch oberhalb der zeit) trägt wohl bei, daß ein nicht unbe trächtlicher Teil Studienanfänger- und Studentenanteile bei 32 % im Studierender faktisch ein Teilzeitstudium betreibt. Jahre 1986 (Wissenschaftsrat 1988, S. 362).

Abbildung 6

Von Deutschen mit Erfolg abgelegte Abschlußprüfungen 1960, 1965,- 1970, 1975 und 1978-1986

Quelle: Wissenschaftsrat 1988, S. 139 Drucksache 11/5349 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode

2. Studienzeiten, Berufseintrittsalter und Es gibt jedoch auch eine Vielzahl von hochschulinter- Einmündung in das Beschäftigungssystem nen Gründen für die Verlängerung der Studiendauer. Das Ministerium für Wissenschaft und Forschung des In der Bundesrepublik wird eine Kontroverse über die Landes Nordrhein-Westfalen hat dazu bislang drei Ausbildungsdauer der Studierenden und das Berufs- Einzelfallstudien durchführen lassen, und der Wissen- eintrittsalter ausgetragen. Sie wird dabei häufig im schaftsrat will künftig regelmäßig die Studienzeiten Vergleich mit anderen europäischen Ländern kriti- von Absolventenjahrgängen nach Fächern und Hoch- siert. schulorten differenziert publizieren. Seine letzte Aus- wertung des Prüfungsjahres 1986 zeigt, daß in einzel- Bundesminister Möllemann sagte in der Kommission nen Fächern zwischen den verschiedenen Hochschul- dazu: „Den späteren Übertritt in das Beschäftigungs- standorten erhebliche Unterschiede in den mittleren system, ganz überwiegend bedingt durch überlange Studienzeiten zu verzeichnen sind: In Jura ist der Un- Studienzeiten, kann sich unsere Gesellschaft, können terschied zwischen „schnellster" und „langsamster" sich die einzelnen Absolventen künftig nicht mehr lei- Hochschule gering und beträgt zweieinhalb Semester sten; denn es gibt nach 1992 jüngere Konkurrenz für (Wissenschaftsrat 1989, S. 73), in Physik und in Roma- die deutschen Hochschulabsolventen. " (10/7) Die nistik sind es aber sechs (ebenda, S. 44 und 111). Auch WRK führt dagegen ins Feld, daß bei solchen Verglei- andere Fächer weisen eine derar tig breite Streuung chen nur Gleichnamiges miteinander in Beziehung auf. (Hornbostel 1989, S. 75 f kann jedoch zeigen, daß gesetzt werden dürfe, das heißt also im angelsächsi- methodisch angemessene Korrekturen die Spann- schen Raum der Master-Grad herangezogen werden weite der Fachstudiendauern verringern.) müsse (16/11). Unter Hinweis auf die französische Si- tuation kritisiert Prof. Dr. Klemm, daß man nicht allein Unter anderem aufgrund dieser Untersuchungen läßt das Durchschnittsalter beim ersten berufsqualifizie- sich mit großer Sicherheit die Studien- und Prüfungs- renden Studienabschluß heranziehen dürfe, sondern organisation (einschließlich Anspruchsniveau der Ex- Bildungskarrieren bis zum Berufseintritt betrachten amensarbeiten) als ein wesentlicher Einflußfaktor müsse (10/32 und 33). Prof. Dr. Simon bezweifelt, daß identifizieren. Prof. Dr. Simon empfiehlt daher, die die längere Ausbildungszeit in der Bundesrepublik Prüfungszeiten, insbesondere aber die zeitlichen An- auch zu besserer Ausbildungsqualität führe. Zusatz- forderungen an Diplom- und Magisterarbeiten, zu ausbildungen unterschiedlicher Art seien notwendig, senken. Durch die Einrichtung von Graduiertenkol- um die Berufsfähigkeit herzustellen. (16/22) Er plä- legs könne dazu beigetragen werden, die Studien- diert daher für Studienzeitverkürzung und untermau- gänge inhaltlich zu entlasten, indem spezielle Gebiete ert seine Forderung mit vier Gründen (16/21 f) : kapazitätsneutral aus grundständigen Studiengängen — Hohes Abschlußalter verstärkt das Nesthockersyn- in Aufbaustudiengänge verlagert würden (16/25 und drom; 26, siehe auch Abschnitt 4). Auch die KMK hat in ihrem „23-Punkte-Katalog" Vorschläge zur Studien- — längeres Studium ist ein sozialpolitisches Pro- zeitverkürzung gemacht, die sich hauptsächlich auf blem; Studien- und Prüfungsorganisation beziehen (KMK 1988). Minister Prof. Dr. Breitenbach sieht hier aber — die Ausbildungskosten sind zu hoch; noch langwierige Umsetzungsprobleme. Diese mögen — wachsende Anforderungen lassen sich nicht durch wohl darin begründet liegen, daß die Kapazitätsver- unbegrenzte Studienzeitverlängerung bewälti- ordnung als Steuerungsinstrument der Mittelvertei- gen, sondern nur durch lebenslanges Lernen. lung bislang wirksame Veränderungen sehr behin- dert „... solange die Ressourcenvergabe an Fächer Die durchschnittliche Studiendauer weist in bezug auf unwiderruflich verknüpft ist, und zwar betreffend verschiedene Fächer und Studienorte erhebliche Un- Räume, Stellen und Sachmittel, an die Kanonbeteili- terschiede auf. Als grobe Charakterisierung kann gung in der Lehre und an der Prüfung ... solange wird man der Formulierung des Wissenschaftsrates folgen, es außerordentlich schwierig sein, eine Studienreform der konstatierte, daß derzeit mit 12 bis 13 Semestern zu betreiben." (Prof. Dr. Seidel, 16/63) für ein reines Fachstudium gerechnet werden müsse (ohne Lehramtsstudium und ohne Urlaubs- und Aus- Prof. Dr. Seidel erinnert daran, daß über der Studien- landssemester). In den achtziger Jahren war eine fo rt zeitdiskussion nicht vergessen werden solle, daß das -laufende Zunahme der Studienzeiten zu verzeichnen. eigentliche Problem das Berufseintrittsalter sei. Da- Nur noch knapp 5 % aller Absolventen der Physik und für sind neben den Studienzeiten noch eine Vielzahl des Maschinenbaus schließen innerhalb der Regelstu- anderer Faktoren von Bedeutung (siehe hierzu Ab- dienzeit ab (9 Semester), 73 bzw. 87 % überschreiten schnitt 1). Minister Möllemann weist auf die Wehr- die BAföG-Höchstförderungsdauer (von 11 bzw. 10 pflicht (10/6) und vor allem darauf hin, daß in den Semestern) (Wissenschaftsrat 1989, S. 114 und 166). anderen Mitgliedstaaten der EG überwiegend „nur Für diese Zunahme der Studienzeiten sind vielfältige 12 aufsteigende Schuljahre vor einem Hochschul- Gründe verantwortlich. Die WRK weist auf die erheb- studium gefordert werden. " (10/9) liche Verschlechterung der Betreuungsrelationen ge- genüber den siebziger Jahren hin (siehe dazu weiter Hinsichtlich des Studienerfolgs gibt es widersprüchli- unten Abschnitt 8) und betont, daß schon seit langem che empirische Befunde. Das IAB hat auf der Grund- nicht mehr unter stabilen Rahmenbedingungen stu- lage einer Längsschnittuntersuchung von Studenten diert werden könne (16/11). Prof. Dr. Seidel nennt des Schulentlaßjahrgangs 1976 festgestellt, daß etwa weiter die unzureichende Studienförderung (16/14, 10 % dieser Population ihr Studium endgültig abge- siehe hierzu Abschnitt 9). brochen haben (Stegmann/Kraft 1988). Der Wissen-

Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode Drucksache 11/5349 schaftsrat hat auf Grundlage von Berechnungen des raum bereits mehr als die Hälfte des Beschäftigungs- Statistischen Bundesamtes, die sich auf die amtliche zuwachses akademisch ausgebildeter Erwerbstätiger Prüfungsstatistik gründen, eine Erfolgsquote von le- aufgenommen (IAB 1988, S. 2: 52,5 % von 800 000 diglich 73 % festgestellt. Er führt die Abbrecherquote Personen). von 27 % hauptsächlich auf die Überlastbedingungen und Berufsaussichten zurück (Wissenschaftsrat 1988, Zu den künftigen Arbeitsmarktchancen von Hoch- S. 126). Diese Ursachenzuschreibung wird durch die schulabsolventen hat die BLK 1987 eine Bedarfs- und IAB-Studie nicht bestätigt. Ein möglicher Grund für Angebotsprognose vorgelegt, die bis zum Jahre 2000 die Differenz könnte in dem von HIS so benannten eine in etwa ausgeglichene Bilanz vorhersagt (BLK „Studienabbruch auf Zeit" bestehen, das heißt der 1987). „Der globale Arbeitsmarktausgleich für Aka- Erfahrungstatsache, daß zumindest ein Teil der „Ab- demiker, der nach diesen Projektionen um die Jahr- brecher" später noch einen Abschluß nachholt (Steg- tausendwende zu erwarten ist, darf nicht zu der An- mann/Kraft 1988, S. 499). nahme verleiten, daß in der Zwischenzeit und für be- stimmte Fächergruppen das heute bestehende Un- Die relativen Arbeitsmarktbedingungen eines Teils gleichgewicht auf diesem Teilarbeitsmarkt schon der Hochschulabsolventen haben sich gegenüber der kurzfristig abgebaut werden könnte. Angesichts der Mitte der siebziger Jahre verschlechtert (IAB 1988, in den nächsten Jahren noch ansteigenden Zahl an S. 5 ff): Die durchschnittliche Arbeitslosenquote stieg Hochschulabsolventen kann, falls sich die wirtschaft- — parallel zu der anderer Beschäftigtengruppen — liche Lage nicht entscheidend verbessert, nicht ausge- von 1975 bis 1987 von 2 auf 5,1 %. Sie liegt damit aber schlossen werden, daß sich die Arbeitsmarktlage auch immer noch unter der von Absolventen bet rieblicher für Akademiker weiterhin ungünstig gestaltet. " (IAB Ausbildungen, die sich von 3,2 % auf 6,4 % verdop- 1988, S. 11, nach Maßgabe der oben dargelegten Dif- pelte. Darunter liegt noch diejenige von Absolventen ferenzierungen) Die BLK hat ihre Berechnungen 1989 von Fach-, Meister- und Technikerschulen, die ledig- aktualisiert, dabei aber in allen wesentlichen Befun- lich 3,4 % beträgt. Seit 1983 bewegen sich die Arbeits- den bestätigt (BLK 1989). losenquoten mit Ausnahme der von Frauen mit Ab- schluß einer wissenschaftlichen Hochschule in etwa Die Berechnungen der BLK sind mit der KMK-Pro- auf konstantem Niveau. Innerhalb der Gruppe der gnose über die Entwicklung der Studienanfängerzah- Hochschulabsolventen muß jedoch ganz erheblich len abgestimmt. Gegenüber früheren Berechnungen differenziert werden. Die Arbeitslosigkeit von Fach- der BLK wird insbesondere von einer Verzögerung hochschulabsolventen liegt um gut ein Viertel niedri- der Studienaufnahme ausgegangen, vor allem auf- ger als diejenige von Universitätsabsolventen, die von grund der größeren Zahl von Ausbildungswilligen im Frauen doppelt so hoch wie diejenige von Männern, dualen System. Diese Ausbildungsentscheidung be- wobei die geschlechtsspezifischen Unterschiede bei deutet sicher in vielen Fä llen nicht den Verzicht auf Fachhochschulabsolventen noch größer sind. ein Studium, hat jedoch zur Folge, daß das Angebot an Hochschulabsolventen im Prognosezeitraum zurück- Es sind vor allem die Absolventen der Fächer bzw. die geht und erst später zur Verfügung steht. Die BLK Inhaber derjenigen Hochschulabschlüsse von Ar- prognostiziert, daß das Angebot von akademisch-qua- beitslosigkeit bedroht, die auf den öffentlichen lifizierten Arbeitskräften von 2,6 Mio. im Jahre 1985 Dienstleistungsbereich ausgerichtet sind, und in de- auf 3,7 bis 4 Mio. im Jahre 2000 ansteigen wird. Den nen besonders viele Frauen studieren. So betrug die Bedarf ermittelt sie demgegenüber in einer mittleren Zahl der arbeitslos gemeldeten Lehramtskandidaten Variante (bei 2,5 % Wirtschaftswachstum) auf 3,7 Mio. im September 1988 29 100; der Frauenanteil lag bei Arbeitskräfte (die Bandbreite wird von den Werten 3,2 68 %. Insgesamt waren 34 600 Lehrer a ller Qualifika- Mio. — bei 1,2 % Wachstum — 4,0 Mio. — bei 3 % tionsstufen arbeitssuchend gemeldet (darunter 63 Wachstum — abgesteckt).- Im Anschluß an die IAB/ Frauen), davon 18 500 Berufsanfänger (BA 1989). Die Prognos-Studie wird dabei ein Ersatzbedarf von 0,7 Zahl der ausgebildeten und examinierten Lehrer be- bis 0,8 Mio. und ein Erweiterungsbedarf von 1,3 Mio. lief sich seit Beginn der teilweisen oder zeitweilig tota- akademisch-qualifizierten Arbeitskräften berechnet len Einstellungsstops der Länder dagegen auf ca. (BLK 1989). 100 000. Ein beträchtlicher Teil dieser Absolventen ist anscheinend entweder, zumindest vorübergehend, aus dem Erwerbsleben ausgeschieden — wahrschein- lich vor allem Frauen — oder hat offenbar unterdessen 3. Struktur des Studiums, inhaltliche Anforderungen eine Beschäftigung in einem anderen Bereich gefun- den. Denn im Jahre 1988 konnten zum Beispiel nur ca. Der Bereich der inhaltlichen Anforderungen wurde in 5 000 Bewerber in den Schuldienst vermittelt werden. den Denkschriften von WRK und Wissenschaftsrat, Sie haben wohl von dem steigenden Beschäftigungs- aber auch in den bisher geführten Gesprächen der anteil der Wirtschaft bei Akademikern profitieren Kommission, nur am Rande behandelt. Der Wissen- können: schaftsrat hat allerdings 1986 in seinen „Empfehlun- gen zur Struktur des Studiums" bereits grundsätzliche Bei den Universitätsabsolventen nahm deren Anteil Aussagen zum Thema gemacht (Wissenschaftsrat, von 1976 bis 1985 von 25,3 auf 32,5 % beim Bestand zu 1986). (bei den Fachhochschulabsolventen ging er von 66,2 auf 61,6 % zurück). Der Akademisierungsgrad bei den Im Vordergrund standen Probleme der Struktur des Erwerbstätigen stieg im gleichen Zeitraum von 4,9 auf Studiums, insbesondere im Zusammenhang mit Über- 6,4 %, wobei er im öffentlichen Dienst nur noch relativ legungen zur Verkürzungen der Studienzeit. Davor- geringfügig von 16,1 auf 17,5 To wuchs. Der nicht- geschaltet sind allgemeine Programmsätze wie etwa öffentliche Beschäftigungsbereich hat in diesem Zeit bei der WRK, die eine weiter steigende Nachfrage und

Drucksache 11/5349 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode

Bedarf an Hochschulleistungen voraussagt (16/7). Ge- Steuerung und kritische Überprüfung (Technologie- meinsame Bezugspunkte sind dabei der technische folgenabschätzung)" als Aufgabe für Ausbildung und Wandel und der inte rnationale Wettbewerb sowie, Forschung, an der sich auch Geistes- und Sozialwis- speziell aus dem politischen Raum, die Herausbildung senschaften beteiligen müßten (WRK 1988, S. 26/27). des europäischen Binnenmarktes. In diesem Zusam- Diese Überlegung wird jedoch hinsichtlich ihrer Um- menhang erfolgt auch der Verweis auf die Länge der setzung innerhalb der Hochschulen nicht weiter ope- Ausbildung. rationalisiert. Auch Minister Prof. Dr. Breitenbach Zur Verkürzung der Studienzeit im Rahmen der Erst- sieht hier eine wichtige Aufgabe für die Geisteswis- ausbildung schlägt der Bundesminister für Bildung senschaften, die sich in der jüngeren Vergangenheit und Wissenschaft eine Verlagerung von Spezialwis- stark auf die Lehrerausbildung konzentriert hätten. In sen in das weiterbildende Studium vor. Er weist dar- der Diskussion am 22. Februar 1989 wies Prof. Dr. Sei- auf hin, daß dies jedoch voraussetze, den „Status der del darauf hin, daß die Fähigkeit zum interdisziplinä- Berufsbefähigung, der bei Abschluß der Erstausbil- ren Arbeiten als Gegengewicht zur immer stärkeren dung erreicht werden so ll" neu zu überdenken Ausdifferenzierung der Wissenschaftsdisziplinen im- (10/10). Der Wissenschaftsrat (siehe Ausführungen zu mer notwendiger werde. Innerhalb der Forschung „Spezialstudien" in: Wissenschaftsrat 1988, S. 155 ff) finde man diese bei Sonderforschungsbereichen und argumentiert in die gleiche Richtung. Prof. Dr. Simon themenorientierten Zentren zum Teil verwirklicht. empfiehlt für einige Studiengänge die Übernahme Voraussetzung für diese Arbeit sei Solidität im eige- von Elementen der Fachhochschulstudienorganisa- nen Fach, Verständnis für die Nachbardisziplinen und tion an den Universitäten (16/57). Durch einen Aus- Kommunikationsfähigkeit (16/64 und 65). Noch unge- bau der Fachhochschulen sollten die Universitäten löst sei jedoch das Problem, wie ein derar tiger kogni- darüber hinaus quantitativ entlastet werden (16/29). tiver Stil in einer „vernünftigen Studienorganisation" Aus den jetzigen Universitäten, so sein Anliegen, solle abgebildet werden könne (16/63). Auch Prof. Dr. Si- man dann einzelne „Elite-Universitäten hervorwach- mon hält die Forderung nach Interdisziplinarität für sen" lassen; die Durchsetzungschancen für diesen richtig und wichtig, glaubt jedoch nicht, daß man sie Vorschlag schätzt er allerdings selbst sehr zurückhal- organisieren könne (16/57). Sie müsse individuell ver- tend ein (16/54). Mittels Anreizen (Zusatzmittel, zu- wirklicht werden: „Interdisziplinarität ist eine persön- sätzliche Freisemester) solle das besondere Engage- liche, intellektuelle Anstrengung höchster Art im ei- ment von Professoren in der Lehre herausgefordert genen Kopf." (16/54) werden (16/58). Eine „pädagogische Aufrüstung" der Hochschullehrer lehnt Prof. Dr. Simon dagegen ab Das IAB leitet aus der veränderten Nachfrage und (16/27). Studenten sei auch die Lehre didaktisch/ Arbeitsmarktlage für Hochschulabsolventen (siehe pädagogisch unbefähigter Professoren zuzumuten, Abschnitt 2) die Notwendigkeit ab, eine „Öffnung der wenn diese fachlich hochqualifizierte Beiträge leisten Studieninhalte auf eine breitere Verwendung im Be- könnten (16/59). reich der privaten Wirtschaft und hier insbesondere der Dienstleistungsbereiche" zu vollziehen. Dies je- Demgegenüber argumentiert die WRK stärker in doch nicht im Sinne einer einfachen Anpassung an die Richtung Erhalt des Bestehenden und Beseitigung der „Bedürfnisse der Wirtschaft", die auch nicht genau Rückschnitte der letzten Jahre. Erst darauf aufbauend vorhersehbar seien. Neben der Vermittlung von sollten höchste Leistungen besonders gefördert wer- „transferierbarem Wissen und von Schlüsselqualifika- den (16/12 und 17). Von Graduiertenkollegs ver- tionen " sei mehr „auf übergreifende statt enge fach- spricht sich der Wissenschaftsrat auch einen Moder- liche Qualifikationen" hinzuarbeiten (IAB 1988, nisierungsschub für das Regellehrangebot: Verlage- S. 11). rung von Spezialitäten heraus aus der Erstausbildung (16/26). Für die Erstausbildung gibt es dagegen addi tive Zu- 4. Wissenschaftliche Weiterbildung satzforderungen nach einem höheren Stellenwert der fachbezogenen Informatiken und nach Verbesserung Bundesminister Möllemann legte dar, daß der BMBW der Fremdsprachenkompetenz sowie den Wunsch bereits seit vielen Jahren auf einen systema tischen nach Vermittlung fächerübergreifender und allge- Ausbau der wissenschaftlichen Weiterbildung hinar- meinbildender Inhalte, integ riert in das Fachstudium beite. Im Rahmen der konzertierten Aktion Weiterbil- (WRK 1988, S. 56). dung solle diese Linie fortgesetzt werden, die in der Im gleichen Sinne betont auch Minister Prof. Dr. Brei- Vergangenheit unter anderem zur Förderung einer tenbach drei Kriterien für eine erfolgreiche Hoch- Vielzahl von Modellversuchen und Forschungsvorha- schulausbildung: Interdisziplinarität, Praxisnähe so- ben geführt habe (10/10). Insbesondere an Fachhoch- wie Welt- und Europaorientierung (unter Einschluß schulen sind so berufsnahe Weiterbildungsaktivitäten von Kompetenzen in ein bis zwei europäischen unterstützt worden (Drucksache 11/2603, S. 27 f). Von Fremdsprachen). weitreichender strategischer Bedeutung wird ein Ausbau der wissenschaftlichen Weiterbildung vor al- Aussagen über die Notwendigkeit und die Möglich- lem im Zusammenhang mit den Bemühungen um keit einer stärkeren Berücksichtigung ökologischer Verkürzung der Erstausbildung. Der Bundesbil- Erfordernisse in den Fachstudien wurden nur von dungsminister kritisierte, daß die Hochschulen bis- Prof. Dr. Breitenbach hinsichtlich einer Einbeziehung lang die Frage vernächlässigt hätten, wie durch Ver- in die Lehrerausbildung gemacht. lagerung von Spezialwissen in das weiterbildende Allgemein formuliert die WRK die humane Gestaltung Studium Entlastungseffekte erreicht werden könnten des technologischen Wandels durch „rechtzeitige (10/7 und 8). In diesem Sinne äußerte sich auch Prof.

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Dr. Simon (siehe Abschnitt 2). In den Hochschulen Kommission. Der Wissenschaftsrat bereite derzeit werden Aktivitäten im Weiterbildungsbereich aller- eine neue Stellungnahme zur Weiterbildung vor. dings bislang kaum mit dieser Intention unternom- men, wie etwa eine gemeinsamen Stellungnahme von Im Rahmen der Anhörung der Enquete-Kommission WRK und BDA belegt (WRK/BDA 1989). Vor allem im zum Thema „Weiterbildung/Lebenslanges Lernen" Bereich der berufsbezogenen wissenschaftlichen am 8.2.1989 sind von einigen der eingeladenen Ver- Weiterbildung, die nur einen Ausschnitt aus dem ge- bände bzw. Institutionen auch Ausführungen zum Be- samten Aufgabenkreis darstellt, wird ein großer Be- reich der wissenschaftlichen Weiterbildung gemacht darf vorhergesagt. Die Ursachen hierfür werden worden, aus denen im folgenden ergänzend referiert hauptsächlich in der steigenden Akademikerquote wird (weitere Auswertung in Kapitel III.2.3). bei den Erwerbstätigen und dem wachsenden Innova- Die Weiterbildung gehört seit Verabschiedung des tionsbedarf der Wirtschaft gesehen. In diesem Bereich Hochschulrahmengesetzes im Jahre 1976 zu den Auf- solle es — unter Wahrnehmung der Unabhängigkeit gaben der Hochschulen (§ 2 Abs. 4 HRG). Aufgrund der Partner — zu einer engen Bedarfsabstimmung mit der angespannten Lehrkapazität der Hochschulen den Nachfragern kommen, die insbesondere das Ver- und der knappen Sachmittel sind Aktivitäten der hältnis von Angebot und Nachfrage und die Gebüh- Hochschulen bislang nur in geringem Umfang zu ver- renerhebung betrifft (16/14 und 15). zeichnen gewesen. Der Hochschulverband wies dar- auf hin, daß es zunächst einmal darum gehen müsse, Auch das IAB sieht einen großen Bedarf an wissen- „die Standards einer anspruchsvollen wissenschaftli- schaftlicher Weiterbildung: „Der Transfer neuen Wis- chen Erstausbildung sicherzustellen. " (DHV 14/108) sens und neuer Erkenntnisse in die berufliche Die Fernuniversität regt an, zur Anlauffinanzierung Sphäre" werde immer stärker von bereits Erwerbstä- weiterer Angebote zusätzliche Mittel, insbesondere tigen getragen werden müssen. (In diesem Sinne äu- für Modellversuche, zur Verfügung zu stellen (FeU ßert sich auch die WRK 1988, S. 28.) „Die Weiterbil- 14/262; so auch die WRK: 14/421). dung von Erwerbspersonen (wie auch von Nichter- werbspersonen) in höherem Alter und die daraus fol- „Die von Hochschulen gestaltete Weiterbildung ist gende Öffnung auch der Hochschulen für diesen Per- wissenschaftliche Weiterbildung gemäß dem univer- sonenkreis sowie die entsprechende Gestaltung von sitären Auftrag zur Pflege und Entwicklung der Wis- Studiengängen und -inhalten sind Konsequenzen, auf senschaften durch Forschung und Lehre. Wissen- die sich die Hochschulplanung schon heute vorberei- schaftliche Weiterbildung ist also forschungsgeprägt. ten sollte." (IAB 1988, S. 11) Die demographische Ent- Sie läßt sich — wie der Oberbegriff Weiterbildung — wicklung werde sich so auch in einer Aufgabenverla- in allgemeine und in berufsbezogene wissenschaftli- gerung der Hochschulausbildung niederschlagen che Weiterbildung aufgliedern. " (FeU 14/258) Die müssen. Weiterbildung an Hochschulen orientiert sich somit, wie die WRK hervorhebt, sowohl an der Entwicklung der Wissenschaften als auch an den jeweils zuzuord- Der Wissenschaftsrat hebt hervor, daß Initiative und nenden Berufs- und Tätigkeitsfeldern: „Wissenschaft- Motivation der Hochschullehrer eine entscheidende liche Weiterbildung dient dem Erwerb neuer fachli- Erfolgsbedingung für das Zustandekommen von An- cher Kenntnisse und Methoden. Somit kann sie zur geboten der Hochschulen und deren Erfolg seien. Er Wahrung oder Hebung eines einmal erworbenen sieht die Notwendigkeit, die Lehre in Veranstaltun- Qualifikationeniveaus beitragen und Befähigungen gen der wissenschaftlichen Weiterbildung auf das zur Erfüllung wachsender und veränderter Anforde- Lehrdeputat anzurechnen und weitere Anreize zu rungen, zum Beispiel auf dem Arbeitsmarkt, vermit- schaffen. Diese könnten zum Beispiel darin bestehen, teln. " (14/430) Der Hochschulverband vertritt demge- daß Einnahmen aus Kursgebühren unmittelbar dem genüber einen eingeschränkteren Weiterbildungs- Hochschulhaushalt zuflössen und auf diese Weise er- begriff, der „sich auf alle Studienangebote erstreckt, gänzende Personal- und Sachmittel zur Verfügung die an wissenschaftlichen Hochschulen gemacht wer- stünden. Die starke Stellung anderer Anbieter auf den und darauf zielen, die Absolventen einer abge- dem Markt der Weiterbildung für Fach- und Füh- schlossenen wissenschaftlichen Ausbildung mit dem rungskräfte solle die Hochschulen darin bestärken, jeweils neuesten Stand ihrer Disziplin bekanntzuma- sich auf hochschulspezifische Angebote zu beschrän- chen. " (DHV 14/72) Hieraus ergibt sich auch, daß der ken (Wissenschaftsrat 1988, S. 158/159). Die WRK er- Hochschulverband die in § 21 HRG formulierten Zu- gänzt, daß dementsprechend die Gebühren marktge- lassungsvoraussetzungen für weiterbildendes Stu- recht zu gestalten seien (mit der Op tion einer Sozial- dium nicht mitträgt, wonach das weiterbildende Stu- klausel) und das Angebot auf regionaler Ebene mit dium Bewerbern mit abgeschlossenem Hochschulstu- anderen Anbietern — ohne Verhinderung „sinnvol- dium und solchen Bewerbern offensteht, die die für len" Wettbewerbs — abgestimmt werden solle (WRK eine Teilnahme erforderliche Eignung im Beruf oder 1988, S. 58/59). Angesichts der langanhaltenden ho- auf andere Weise erworben haben. hen Belastung der Hochschulen mit ihren grundstän- digen Lehraufgaben, die aufgrund der neuesten Die WRK erhofft sich eine positive Ausstrahlung der KMK-Prognosen zur Entwicklung der Studentenzah- Weiterbildung auch in anderen Bereichen: „Sowohl len unbestritten sei, erhebe sich allerdings die grund- die Hochschulen und ihre Mitglieder als auch ihre sätzliche Frage, wie realis tisch Erwartungen an die Kooperationspartner außerhalb der Hochschulen ge- Hochschulen auf verstärkte Aktivitäten im Bereich winnen durch die Arbeit der Weiterbildung. Einerseits der wissenschaftlichen Weiterbildung bei Beibehal- können Lehrerfahrungen auf diesem Gebiet für den tung des derzeitigen Strukturmodells des Studiums akademischen Unterricht wünschenswerte Auswir- sein können, so Minister Prof. Dr. Breitenbach vor der kungen haben, andererseits kann das Verständnis für

Drucksache 11/5349 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode die Wissenschaft in der Öffentlichkeit verstärkt wer- planung, „in engster Kooperation von Hochschule den; Berufspraxis und Forschung können sich gegen- und Wirtschaft" (FeU 14/259), da ihre Entwicklung seitig neue Impulse geben." (14/435 und 436) aufwendig und teuer sei. Diese Auffassung hat auch Eingang gefunden in die bereits erwähnte gemein- Die FRK spricht sich für eine möglichst weitgehende same Erklärung von BDA und WRK zur Weiterbil- Integration von allgemeiner, beruflicher und politi- dung. Der relative Stellenwert beider Aussagen be- scher Weiterbildung aus. Diese könne durch Problem- darf noch genauerer Bestimmung. orientierung, Praxisbezug und Interdisziplinarität der Weiterbildungsangebote erreicht werden (14/414). Bei der Entwicklung und dem Einsatz neuer Medien Die WRK betont, daß auch berufsbezogene wissen- im Systemverbund im Hochschulbereich sieht die schaftliche Weiterbildung nicht ausschließlich der Fernuniversität gute Chancen zur Kooperation mit Vermittlung verwertbarer Kenntnisse und der Qualifi- Präsenzuniversitäten sowie mit anderen Trägern der zierung dienen dürfe. Dadurch leiste sie einen Beitrag Weiterbildung (FeU 14/260). Maßnahmen zur Förde- zur Persönlichkeitsbildung. „Der Bund sollte sich die- rung von Mediensystemen forde rt auch die WRK ses Konzept einer ,dualen Form' der Weiterbildung zu (14/420). eigen machen bzw. verstärkt unterstützen." (14/419) Am pronociertesten vertritt die Fernuniversität den Durch diese Verschränkung seien gerade die Hoch- Standpunkt, daß „lebenslanges Lernen" nicht nur be- schulen in der Lage, ihre Weiterbildungsangebote so deute, daß sich die Individuen mit der ständigen Not- zu konzipieren, die daran teilnehmenden Menschen wendigkeit der Weiterbildung konfrontiert sehen, zu befähigen, den Strukturwandel nicht nur zu ver- sondern daß auch die Verteilung der Ausbildungszei- kraften, sondern ihn auch in sozialer, wirtschaftlicher ten über die Lebenszeit ganz anders als bisher gere- und ökologischer Hinsicht mit zu gestalten (FRK gelt werden müßte. In Tarif-und Arbeitsverträgen 14/416). Darüber hinaus wird ein Angebot der Hoch- bzw. gesetzlichen Bestimmungen müßten Unterstüt- schulen im Bereich „universitärer Erwachsenenbil- zung und Freiräume zur Weiterbildung am Arbeits- dung" ohne Berufsbezug für interessierte Akademi- platz und innerhalb der Arbeitszeit vorgesehen wer- ker und Nichtakademiker (WRK 14/433) bzw. im mu- den sowie mit finanziellen Belohnungen ausgestattet sisch-ästhetischen Bereich als Ergänzung der Ange- sein. Dies würde auch auf die Studienzeiten durch- bote der Volkshochschulen und privaten Einrichtun- schlagen: „Nur wer sicher sein kann, die im Erststu- gen für sinnvoll erachtet (FRK 14/414). Der Hoch- dium nicht erhaltenen Bildungsangebote und -the- schulverband verweist auf drei Bereiche der gesell- men im Berufsleben ohne Nachteile wahrnehmen zu schaftlichen Bedingungen der beruflichen Tätigkeit, können, wird auch bereit sein, individuell Studienzeit in denen sich die Hochschulen große Zurückhaltung zu verkürzen. " Weiterbildung in dem beschriebenen auferlegen sollten. Sie müßten sehr gezielt ansetzen Sinne lasse sich am einfachsten über ein weitgehend und nicht „zugleich auch alle Probleme der Gesell- orts- und zeitunabhängiges Fernstudium rea lisieren schaft zu lösen" vorgeben. Sie könnten nicht Aufga- (FeU 14/60). ben der Sozialpolitik übernehmen und Bevölkerungs- gruppen, die aufgrund gesellschaftlicher Strukturver- Die WRK hebt darauf ab, daß die Veranstaltungsfor- änderungen „aus Prozessen herausfallen" , die Mög- men dem Umstand Rechnung zu tragen hätten, daß lichkeit verschaffen, im Gesellschaftsprozeß zu ver- die Mehrheit der Teilnehmer an wissenschaftlicher bleiben. Hochschulen als Institutionen in öffenlich- Weiterbildung diese neben ihrer Berufstätigkeit be- rechtlichem Auftrag könnten schließlich auch nicht treiben. An Präsenzhochschulen bedeute dies den Sinnfragen beantworten; die Antworten müßten im- Einsatz von Kompakt- und Abendkursen sowie seme- mer individuelle sein, die Fragen richteten sich an die sterbegleitende Veranstaltungen (14/421 und 435). Träger der „Pluralität unserer Weltanschauungen. " Die FRK empfiehlt -als Angebotsform den berufsbe- (DHV 14/74 und 75) gleitenden Studiengang (Kontaktstudiengang), der nach dem Baukastenprinzip organisiert sein solle (14/ Gemeinsamer Ausgangspunkt der Befragten ist das 416). Der Hochschulverband bringt als Organisations- Bekenntnis zu einem pluralen Weiterbildungssystem, form das „Sabbat-Jahr" ins Gespräch, das auch län- in dem sich Hochschulen auf die Angebote beschrän- gere Weiterbildung in Präsenzform erlauben würde ken sollen, die ihrem jeweiligen wissenschaftlichen (DHV 14/109). Er verweist, ebenso wie die WRK (14/ und fachlichen Profil entsprechen. „Dabei können die 68), auf die steigende Zahl von Interessenten, die nach Hochschulen in Teilbereichen auch in Konkurrenz zu dem Abschluß eines Erwerbslebens noch ein Studium anderen Weiterbildungsträgern treten. Gegenüber aufnehmen (14/109). anderen staatlichen Trägern sollte dies aber möglichst vermieden werden." (FRK 14/415) Unter arbeitsmarktpolitischen Gesichtspunkten sind die Rückkehrer ins Beschäftigungssystem besonders Die Möglichkeit zur Zusammenarbeit mit anderen hervorzuheben. Für sie werden Weiterbildungsange- Trägern wird zurückhaltend beurteilt. Die Hochschu- bote benötigt, „die die vorhandene Ausbildung und len seien zwar nicht nur zur Zusammenarbeit bereit, die Verbindung zu früheren Berufstätigkeit aktuali- sondern praktizierten sie auch; da wissenschaftliche sieren und auf künftige Berufstätigkeiten vorberei- Weiterbildung aber forschungsbezogen, „vielleicht ten. " (FeU 14/259) In vergleichbarer Situa tion sieht sogar mit Forschung verschränkt" sein müsse, redu- die Fernuniversität auch arbeitslose Hochschulabsol- ziere sich der Umfang des möglichen Kooperationsfel- venten. Zugunsten beider Gruppen müsse das Ar- des sehr stark (WRK 14/67). Dagegen befürwortet die beitsförderungsgesetz geändert werden, damit für Fernuniversität die Entwicklung von Angeboten der diese entsprechende Mittel eingesetzt werden könn- berufsbezogenen Weiterbildung, verstanden als In- ten. In diesem Sinne äußert sich auch die WRK strument integrierter Personal- und Unternehmens (14/420).

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Unterschiedlicher Auffassung über die Lehrerfortbil- ren die Familienphase ist, und das ist auf eine so lange dung sind die WRK und der Hochschulverband: Die Zeit schwer miteinander vereinbar, selbst wenn man WRK reklamiert die Lehrerfortbildung als genuine noch so viele sonstige soziale oder pädagogische Hil- Aufgabe der Hochschulen (14/431 und 432), während fen etwa in der Hochschule schaffen würde. " (10/16) der Hochschulverband diese den „vielfältigen Ange- Er wolle auch einer Heraufsetzung der Altersgrenzen bote(n) unterhalb der Ebene wissenschaftlicher Hoch- für Frauen bei Eingangsvoraussetzungen, die von schulen" zuordnet (DHV 14/73). Frau Prof. Dr. Heym angeregt wurde, nicht widerspre- chen; er plädiere ganz allgemein für eine flexiblere Gestaltung der Qualifizierung zum Hochschullehrer 5. Wissenschaftlicher Nachwuchs und amt (10/41). Dieser Auffassung widersp richt Prof. Dr. wissenschaftlich-technische Fachkräfte Simon, der die Gefahr sieht, daß solche Ausnahmen als „Sonderqualifikationen" für Frauen interpre tiert Der Wissenschaftsrat führt aus, daß unter dem Beg riff werden. Auf diese Weise könne man nicht verhindern, „Wissenschaftlicher Nachwuchs" nicht lediglich der daß Frauen ausgegrenzt werden (16/56; siehe hierzu Hochschullehrernachwuchs im engeren Sinne zu fas- auch Abschnitt 10). sen sei. Die zunehmende Verwissenschaftlichung al- ler Lebensbereiche verlange ein immer höheres Maß Bundesminister Möllemann trug vor, daß in den Jah- an wissenschaftlicher Kompetenz auch außerhalb der ren 1990 bis 2000 das Reservoir an Nachwuchskräften Hochschulen. „Die Übergänge zwischen Berufsaus- insgesamt sinken werde, wobei bei den Hochschulab- bildung und der Ausbildung des wissenschaftlichen solventen nach Berechnungen der KMK möglicher- Nachwuchses sind fließend geworden, auch wenn es weise mit einem Rückgang von knapp 30 % zu rech- zu einer sinnvollen Organisation der Universität ge- nen sei. Nach deren neuesten Schätzungen ist mit hört, nach wie vor zwischen beiden Aufgaben zu un- dem Maximum der Absolventenzahlen für 1994 zu terscheiden. " (Wissenschaftsrat 1988,S. 164) rechnen. Danach wird bis zum Jahre 2000 je nach Parameterwahl ein Rückgang zwischen 13 und 21 % Alle Gesprächspartner stellten fest, daß die Qualifika- erwartet. Bis zum Jahre 2005 dürfte die Zahl noch ein- tionszeiten des wissenschaftlichen Nachwuchses zu mal etwas zurückgehen, um dann wieder leicht anzu- lang seien. Das Durchschnittsalter von Promovenden steigen (KMK 1989, S. 17 und 28, eigene Berechnung). liege unterdessen bei 31,4 Jahren, in Technikfächern Dies könne, so Bundesminister Möllemann, dazu füh- sogar bei 34 Jahren. Bis zur Promo tion hätten die ren, daß sich die jetzige „Stausituation" in vielen Hochschulabsolventen durchschnittlich 10,7 Jahre Fächern sehr schnell in einen Sog verwandeln werde Hochschulausbildung hinter sich. Der Wissenschafts- (10/15). rat nennt hierfür verschiedene Gründe und betont ins- besondere, daß spezifische Fördermöglichkeiten für In einer gemeinsamen Stellungnahme vom BMBW Doktoranden fehlten. So komme es gerade in drittmit- und BMFT wird diese — auf die Hochschulen bezo- telstarken Bereichen zu Mischformen von Institutsfor- gene — Aussage verallgemeinert: Insgesamt werde in schung, Dienstleistungen und eigenen Qualifikations- den neunziger Jahren ein sehr hoher Ersatz- und Er- arbeiten. Insbesondere in den Sprach- und Kulturwis- weiterungsbedarf an naturwissenschaftlich-techni- senschaften sowie in den Rechts- und Sozialwissen- schen Nachwuchskräften zu verzeichnen sein. Die schaften fehle dagegen häufig eine sinnvolle Verbin- National Science Founda tion (USA) erwartet bis zum dung mit den laufenden Forschungsarbeiten der Ar- Jahre 2000 einen Zuwachs dieser Beschäftigten- beitseinheit des betreuenden Hochschullehrers. Die- gruppe von insgesamt 36 % in der gesamten Volks- ses Manko werde nicht selten durch eine nur sporadi- wirtschaft, bei den computerbezogenen Fächern so- sche Betreuung des Doktoranden verstärkt (Wissen- gar einen Zuwachs von- 76 %. In der Bundesrepublik schaftsrat 1988, S. 176/177). komme erschwerend die Altersstruktur des Personals in Forschung und Entwicklung hinzu: Nur 30 % der Bei einem durchschittlichen Habilitationsalter von dort Tätigen seien jünger als 50 Jahre. Da keine Mög- 39 Jahren könne kaum noch sinnvoll von wissen- lichkeit bestehe, hinreichend viel Nachwuchs aus schaftlichem Nachwuchs gesprochen werden. „Das dem Kreis der deutschen Studierenden zu gewinnen, Instrumentarium der Habilitationsförderung, das sollten vermehrt ausländische Studenten geworben überwiegend aus zeitlich bef risteten Stellen besteht, werden. Deren Zahl sei im internationalen Vergleich paßt nicht auf Wissenschaftler im Alter von Ende 30 zu gering. Außerdem wird kritisch vermerkt, daß — oder Anfang 40." (Wissenschaftsrat 1988, S. 185/189) insbesondere bei den Studenten aus dem asiatisch- Da aber die Habi litation auch nicht als Eingangsstufe pazifischen Raum — , die Sprach- und Kulturwissen- für die Professorenlaufbahn verstanden werden solle, schaften überwögen (siehe hierzu auch Abschnitt 11). müsse diese Qualifikationsstufe zeitlich vorgezogen In den USA würden demgegenüber etwa 50 % aller werden und künftig höchstens in der Mitte des dritten Doktorgrade in den Ingenieurwissenschaften an Aus- Lebensjahrzehnts liegen. Dies empfehle sich auch länder verliehen (BMBW/BMFT 1988, S. 5/6). deswegen, weil in diesem Alter die Möglichkeiten auf dem Arbeitsmarkt außerhalb des Wissenschaftsbe- Die Prüfungsstatistik des Statistischen Bundesamtes reichs noch vergleichsweise günstig eingeschätzt für Ausländer relativiert diese Aussagen: Bei den werden könnten. Eine Verkürzung der Qualifika- Fachhochschuldiplomen, die 1986 über ein Viertel al- tionszeiten sei aber, so Bundesminister Möllemann, ler Abschlußprüfungen ausmachten, entfallen zwei auch eine Voraussetzung für die Herstellung von Drittel auf die Ingenieurwissenschaften. Die Zahl der Chancengleichheit zwischen den Geschlechtern, Abschlüsse in den Geistes- und Kulturwissenschaften, „weil eine sehr lange Habilitationsphase just in die die fast ausschließlich an Universitäten erworben Zeit fällt, die für viele angehende weibliche Professo wurden, liegt nur geringfügig über dieser Quote. Bei

Drucksache 11/5349 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode den Promotionen, die insgesamt ein Sechstel aller ab- FuE-Ausgaben: Je höher die FuE-Ausgaben, desto gelegten Prüfungen darstellen, beträgt der Anteil der stärker werden diese aus dem Privatsektor finan- Natur- und Ingenieurwissenschaften ca. 43 %. Aller- ziert." (Wissenschaftsrat 1988, S. 63) dings entstammen nur etwa 13 % aller ausländischen Absolventen dem „asiatisch-pazifischen Raum" Von solchen Schwerpunktsetzungen außerhalb der (China, Indonesien, Japan, Korea, Taiwan) (StBA Hochschulen konnten die Geistes- und Gesellschafts- 1988, S. 788 und 793; eigene Berechnungen). wissenschaften bisher kaum profitieren. Bundesmini- ster Möllemann fordert daher, „daß diese zeitweilige Für den Hochschulbereich forde rt die WRK für die Fixierung auf naturwissenschaftlich-technische Be- nächsten Jahre eine antizyklische Stellenpolitik, das reiche der Hochschulen und das faktische oder ver- heißt eine vorzeitige Zuverfügungstellung von Be- meintliche Verdrängen der Bedeutung der Geistes- schäftigungsmöglichkeiten für Wissenschaftler, ehe wissenschaft überwunden wird, übrigens auch bei der es zur Welle von Emeritierungen/Pensionierungen Mittelausstattung." (10/39) Er äußert die Vermutung, von Professoren ab Mitte der neunziger Jahre kommt. daß ein wesentlicher Grund für die Schwerpunktver- Damit sollen für hochqualifizierte Nachwuchskräfte lagerung in außeruniversitäre Ins titute in Manage- auch an den Hochschulen erträgliche Berufsaussich- mentproblemen der deutschen Hochschulen zu su- ten eröffnet werden (vor allem im Rahmen des Fiebi- chen sei. Forschungsorganisation werde — anders als ger-Programms) (WRK 1988, S. 46). Das Heisenberg in den USA — immer noch überwiegend als Problem Programm sei fortzusetzen und durch andere Instru- des einzelnen Wissenschaftlers und nicht als Aufgabe mente der Nachwuchsförderung zu ergänzen. Auch der Institution betrachtet (10/13). Maßnahmen zur Frauenförderung sollen in den Dienst der Sicherung eines ausreichenden quantitati- Der Wissenschaftsrat hält die Forcierung außeruni- ven Umfangs des wissenschaftlichen Nachwuchses versitärer Forschung für sehr bedenklich und verweist gestellt werden, „wenn die Jahrgangsstärken spürbar darauf, daß nach seinen Untersuchungen der Erfolg sinken und damit auch das wissenschaftliche Bega- der externen Forschungseinrichtungen erheblich vom bungspotential abnehmen wird. Die Lösung kann frei- produktiven Austausch mit den Hochschulen ab- lich nur in individuellen Förderungen und Rücksich- hänge. Zur Verbesserung der Situa tion verweist er auf ten und nicht in pauschalen quantitativen Verfahren Schwerpunktbildung als einem wesentlichen Strate- wie Quotenregelungen liegen. " (WRK 1988, S. 48) gieelement. Bereits in seiner 85er Empfehlung zum Wettbewerb der Hochschulen formuliert er: „Schwer- punktbildung bezweckt Konzentration der Ressour- cen dort, wo Qualität ist oder Qualität entsteht." (Wis- 6. Hochschulforschung senschaftsrat 1985, S. 31) Ziel seien dabei „nicht we- nige Spitzenuniversitäten, sonderen Leistungszentren Die Strukturprobleme der Hochschulforschung ste- in einem Fach oder einigen Fächern an möglichst vie- hen im Mittelpunkt der Denkschrift des Wissen- len Hochschulen." (ebenda) Die WRK steht dieser schaftsrates. Einleitend stellt er fest: „Die Hochschu- Strategie skep tisch gegenüber. Die Verstärkung von len sind die wichtigsten Stätten der Forschung. Sie Forschungsaktivitäten hält Prof. Dr. Seidel für wün- sind das Fundament für das gesamte Forschungssy- schenswert und zum Teil für notwendig, die Schwer- stem, da sie den wissenschaftlichen Nachwuchs aus- punktbildung sei jedoch auch mit Gefahren verbun- bilden." (Wissenschaftsrat 1988, Kurzfassung S. 5) den: „Unter den geltenden Bedingungen der Kosten- Hochschulforschung beschränke sich jedoch aus for- neutralität bedeutet sie zwangsläufig Verminderun- schungs- und ausbildungsspezifischen Gründen nicht gen und Verarmung in genereller Weise. " (16/9) Dies allein auf Grundlagenforschung. Die Dynamik der liefe auf eine Untergrabung- der Fähigkeit der Hoch- wissenschaftlichen Entwicklung habe zu Überlap- schulen zur Selbstreflexion ihres Tuns hinaus: Vor pungen und teilweise zu einer Integra tion von Grund- allem in der anwendungsbezogenen Hochschulfor- lagenforschung und angewandter Forschung geführt. schung werde die Interdisziplinarität und fächerüber- Darüber hinaus bildeten die Hochschulen durch for- greifende Kommunikation gefördert. Solcherart ver- schungsbezogene Ausbildung den Nachwuchs für standene Universalität der Universitäten dürfe „nicht eine Vielzahl gesellschaftlicher Anwendungsfelder einer falsch verstandenen Schwerpunktbildung zum aus (ebenda, S. 32, siehe auch Abschnitt 5). Aufgrund Opfer fallen." (WRK 1988, S. 39) sinkender Mittelanteile an den Aufwendungen für Forschung und Entwicklung sei jedoch eine schritt- Für entscheidend hält Prof. Dr. Seidel, daß auch au- weise Verringerung des Stellenwertes der Hochschul- ßerhalb fester Programme hinreichend viel freie Mit- forschung zu verzeichnen gewesen. Dies spiegele sich tel für selbstgewählte Themenstellungen zur Verfü- in der Mittelverteilung wider, die von einem Rück- gung stünden (16/9). Er erwähnt hierbei vor allem an gang der realen Ausgaben für die Grundausstattung das Normalverfahren der DFG und mäzenatische Bei- der Hochschulen bei einem gleichzei tigen Zuwachs träge von seiten der Wirtschaft bzw. von Privatperso- für die außeruniversitären hochschulnahen Ins titute nen (16/10). gekennzeichnet sei (Wissenschaftsrat 1988, S. 64/65). In beiden Punkten sei die Entwicklung in vergleich- Die WRK erinnert den Bund auch an seine Verantwor- baren Industriestaaten genau umgekehrt verlaufen. tung: „Die verbreitete Meinung, daß die laufende Si- Mit dem relativen Zurückbleiben der öffentlichen cherung der nationalen Forschungsinfrastruktur nur Aufwendungen für Forschung und Entwicklung hin- insoweit in die Mitverantwortung des Bundes falle, als ter den privaten liegt die Bundesrepub lik aber im in- es um außeruniversitäre Forschung gehe, ist weder ternationalen Trend: „Offenbar gibt es eine A rt ge- verfassungsrechtlich begründet noch forschungspoli- setzmäßige Entwicklung für die Finanzierung der tisch vertretbar." (WRK 1988, S. 43)

Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode Drucksache 11/5349

Minister Prof. Dr. Breitenbach hält es für notwendig, Der Wissenschaftsrat legt seine ordnungspolitischen daß Bund und Länder zu einem neuen Einvernehmen Vorstellungen im Zusammenhang mit Empfehlungen und zu veränderten Strukturen bei der Forschungsför- zur Entwicklungsplanung dar. Er möchte den Hoch- derung finden. Dabei müsse auch das Faktum berück- schulen hierbei keine volle Autonomie einräumen sichtigt werden, daß Forschung in den zurückliegen- und argumentiert für ein Zusammenwirken von Staat den Jahren immer mehr zu einem Wirtschaftsfaktor und Hochschule. Hierfür seien verschiedene organi- geworden sei und eine bedeutende Rolle im Rahmen satorische und prozedurale Lösungen denkbar, etwa regionaler Strukturpolitik spiele. Die Enquete-Kom- in der Form von Beiräten oder von Sachverständigen mission könne bei der Erarbeitung einer neuen Kon- Kommissionen. Aber: „Wichtig in diesem Zusammen- zeption durchaus Impulse geben. Zur besseren Ver- hang ist es vor allem, daß jede Hochschule für sich mittlung von EG-Forschungsaktivitäten an die „Ba- Vorstellungen über ihre eigene Zukunft entwickelt. " sis" der Hochschulen sei die Entwicklung kooperati- (Wissenschaftsrat 1988, S. 231) Erst auf dieser Basis ver Strukturen notwendig, in denen KMK, BLK und könne sie sich auf ein Zusammenwirken für die Ent- WRK die tragenden Säulen bilden sollten. wicklung von Konzepten und Strategien für die neun- ziger Jahre einlassen. Nur dann seien Abstimmungen über die fachliche Kooperation und Arbeitsteilung mit Nachbarhochschulen und außeruniversitären For- 7. Hochschulautonomie und schungsinstituten seriös durchführbar. Entscheidungsstrukturen

Dem Problem der Hochschulautonomie und der Ent- scheidungsstrukturen hat sich vor allem die WRK ge- 8. Personal- und Mittelausstattung der Hochschulen widmet. Prof. Dr. Seidel vertrat die Meinung, daß die Hochschulen nur dann ihre vielfältigen zukünftigen Detaillierte statistische Mate rialien über die Personal- Aufgaben würden erfüllen können, wenn sie über und Mittelausstattung der Hochschulen wie auch für klare rechtlich-administrative Rahmenbedingungen andere Bereiche sind in der Denkschrift des Wissen- und leistungsfähige interne Arbeits- und Entschei- schaftsrates zusammengetragen (Wissenschaftsrat, dungsstrukturen verfügten. Die Verbesserung der 1988). Die öffentlichen Aufwendungen für die Hoch- Rahmenbedingungen solle jedoch nicht über erneute schulen und ihre Mitglieder (Nettoausgaben minus Gesetzesnovellen erfolgen, da die Hochschulen wei- unmittelbare Einnahmen) sind im Vergleich zu Mitte terer Organisationsdebatten überdrüssig seien; es sei der siebziger Jahre nur noch nominal gestiegen, die ein hohes Bedürfnis nach Stabilität zu verspüren Realausgaben (inflationsbereinigte Ist-Ausgaben) (16/16). verringerten sich: in der Pe riode von 1975 bis 1980 um 1 % und in der Pe riode von 1980 bis 1986 um weitere Bezüglich der internen Arbeitsstrukturen merkt die 1,4 %. Die Realausgaben betrugen 1986 16,588 Mrd. WRK kritisch an, daß die Auflösung der alten Fakul- DM (ebenda, Seite 234). Die Inflationsbereinigung ist täten häufig zu Fachbereichen mit einem zu engen in diesen Rechnungen mit dem Index des allgemeinen fachlichen Spektrum geführt hätten. Dies behindere Staatsverbrauchs durchgeführt worden. Dies ist ins- vor allem den Dialog über die Fächergrenzen hinweg besondere bei den Gerätebeschaffungen sicher nicht und erschwere die Erarbeitung übergreifender Strate- angemessen. Das Statistische Bundesamt erarbeitet gien. Voll ausgebaute Hochschulen sollten lediglich derzeit einen speziellen Index für Wissenschaftsaus über etwa zwölf Fachbereiche verfügen (WRK 1988, gaben. Der Anteil am Bundeshaushalt ging im ge- nannten Zeitraum sogar von 2,02 auf 1,30 % zurück, S. 69). Für das Fachbereichsmanagement, so Prof. Dr. - Seidel, sei die derzeitige Konstruktion des Amts des während er nominal in den Jahren 1975 und 1986 Dekans ungeeignet. Erforderlich sei eine Teilprofes- etwa den gleichen Betrag ausmacht. Der Anteil der sionalisierung, die auch zu längeren Amtszeiten als hochschulbezogenen öffentlichen Aufwendungen am dem jetzt üblichen einen Jahr führen müsse. Beim Bruttosozialprodukt sank in diesem Zeitraum um ein jetzigen Zustand laufe viel Engagement ins Leere Viertel auf 1,01 % (ebenda, Seite 244). Dieser Rück- gang vollzog sich bei gleichzeitigem erheblichen An- (16/16). Von Frau Prof. Dr. Heym wurde gegen die stieg der Studentenzahlen. Dies bedeutet, daß die lau- Professionalisie rung eingewandt, daß diese die Ge- fenden Mittel pro Student von 1980 bis 1987 von 1668 fahr einer Hierarchisierung nach dem Muster der US DM auf 1224 DM und somit um 26,6 % abnahmen Hochschulen berge (16/34 und 35). Auf der Ebene der (Realausgaben). Bei den Fachhochschulen war ein Hochschulleitungen müsse deren Kompetenz zur noch stärkerer Rückgang um 39,1 % auf insgesamt Herbeiführung rascher Entscheidungen verbessert schon niedrigerer Basis zu verzeichnen: 420 DM be- werden. Verbunden mit dem Prinzip persönlicher trugen die Ausgaben je Fachhochschulstudent im Verantwortung gegenüber den Hochschulgremien Jahr 1987 (ebenda, S. 255/256). würde dies Entscheidungsabläufe effektivieren und stärkere Transparenz ermöglichen. Die WRK hält es Die Ausgaben pro Wissenschaftler waren aufgrund aber nicht für sinnvoll, die Zuständigkeiten der Hoch- der Stagnation der Personalhaushalte nur leicht rück- schulleitungen in ähnlicher Weise wie an Hochschu- läufig. Die Anzahl der Stellen für wissenschaftliches len der USA zu stärken. Die Leitungsposition solle Personal (ohne Hochschulmedizin) ist im Zeitraum aber attraktiver gestaltet werden (WRK 1988, S. 70-72 von 1975 bis 1986 bei den wissenschaftlichen Hoch- und 16/67). Der Staat möge sich gegenüber den Hoch- schulen um 1746 auf 52 805 zurückgegangen, bei den schulen auf eine Globalsteuerung beschränken und Fachhochschulen nahm sie um 104 auf 9 137 zu hierbei insbesondere faire Wettbewerbsbedingungen (ebenda, S. 203). Durch einen Zuwachs bei der Hoch- schaffen (16/16). schulmedizin auf 18 500 Stellen (+ 2600 Stellen allein

Drucksache 11/5349 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode seit 1980, insgesamt eine Zunahme von über 30 % Betreuungsrelation von wissenschaftlichem Personal gegenüber dem Bestand von 1975; ebenda, S. 200) hat zu. Studenten eklatant verschlechtert. Die WRK rech- es insgesamt bei den wissenschaftlichen Hochschulen net mit der Gesamtstudentenzahl und kommt somit zu einen leichten Stellenzuwachs gegeben. Die Verbes- einem Verhältnis von 1: 17 im Vergleich zu 1: 11 zur serungen bei der Medizin wurden zu einem großen Mitte der siebziger Jahre. Sie vergleicht diese Betreu- Teil durch Stellenverlagerungen aus anderen Berei- ungsrelation mit den „Mißständen" zu Beginn der chen der Hochschulen erzielt, hauptsächlich aus dem sechziger Jahre (so Prof. Dr. Seidel, 16/8). Der Wissen- Bereich der Lehrerausbildung und der Geisteswissen- schaftsrat verwendet eine etwas andere Maßzahl: Er schaft. bezieht die Zahl der Stellen an wissenschaftlichen Personal auf die Stärke der Studenten im vierten Stu- Diese Stellenverlagerungen lassen die Personalent- dienjahr (an Universitäten) bzw. im dritten Studien- wicklung im Hochschulbereich insgesamt relativ posi- jahr (an Fachhochschulen). Er begründet dies mit dem tiv erscheinen. Der Schein trügt jedoch: Fast alle Stel- höheren Betreuungsaufwand im Hauptstudium und in len im Bereich der Hochschulmedizin sind pflegesatz- der Examensphase. Auf dieser Grundlage ergibt sich relevant, das heißt, ein erheblicher Teil des Mittelauf- eine Verschlechterung der Betreuungsrelation bei wandes kommt in Form von Zahlungen der Kranken den Universitäten von 1: 1,7 auf 1: 2,3 und bei den bzw. der Krankenkassen wieder herein. Der Kosten- Fachhochschulen von 1: 4,1 auf 1: 6,2 (Wissenschafts- deckungsgrad aufgrund von Verwaltungseinnahmen rat 1988, S. 203). Diese Meßzahl hat allerdings den der medizinischen Einrichtungen ist im Zeitraum von Nachteil, daß in ihr eine eventuell höhere Abbruch- 1978 bis 1986 sogar von 53,5 % auf 70,1 % gestiegen quote in den ersten Semestern aufgrund des ungün- (ebenda, S. 247). Bei den Kliniken liegt dieser Satz stigen Betreuungsquotienten nicht berücksichtigt sogar noch höher. Dies bedeutet, daß die verlagerten ist. Stellen nur noch einen wesentlich geringeren Kosten- aufwand verursachen als in den Fächern, denen sie entstammen. Insgesamt hat sich gegenüber der Mitte der siebziger Jahre das Verhältnis von Hochschulme- 9. Ausbildungsförderung und Wohnraumbau für dizin zum „Rest" der Universitäten bei den öffent- Studierende lichen Aufwendungen (abzüglich der unmittel- baren Einnahmen) von 1: 4,4 auf 1: 2,4 „verbessert" Die Gesamtzahl der nach dem Bundesausbildungsför- (ebenda, S. 234, eigene Berechnung). Es ist fraglich, derungsgesetz (BAföG) geförderten Studenten ist ob sich diese Entwicklung weiter fortsetzen kann und zwischen 1981 und 1987 um 20 % zurückgegangen welche Konsequenzen sich für die Hochschulfinanzie- und liegt nunmehr bei 273 000 (etwa genauso viele rung aus der Reform der Krankenversicherung erge- wie im Jahre 1972; Beirat 1988, S. 28). Die Entwick- ben. lung des Anteils der Geförderten an der Gesamtstu- Aufgrund der Stagnation bei der Personalausstattung dentenzahl kann aus Abbildung 7 abgelesen wer- der Hochschulen (in absoluten Zahlen) hat sich die den.

Abbildung 7 Quote der BAföG-geförderten Studierenden 1972-1987 an wissenschaftlichen Hochschulen und Fachhochschulen

BAföG-Bezieher bezogen auf die dem Grunde nach förderungsberechtigten Studierenden a )

a) Zahl der Studierenden abzüglich derjenigen, die länger als nach der Förderungshöchstdauer vorgegeben studieren, die an verwaltungsintemen Fachhochschulen studieren und Anwärterbezüge erhalten und die Zusatz- oder Zweitstudien betreiben

Quelle: Beirat 1988, S. 29 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode Drucksache 11/5349

Abbildung 8 Preisindex für die Lebenshaltung eines Zwei-Personen-Haushalts von Renten- und Sozialhilfeempfängern sowie Indexentwicklung des Bedarfssatzes für Studenten (außerhalb des Elternhauses lebend) 1971 = 100

— Preisindex für die Lebenshaltung eines Zwei-Personen-Haushalts von Renten- und Sozialhilfeempfängern. Er kommt den Lebensbedingungen des Auszubildenden am nächsten (vgl. 3. Bericht nach § 35 BAföG, Drucksache 8/2269, S. 17)

- Bedarfssatz von außerhalb des Elternhauses lebenden Studenten a) für 1988 geschätzter Wert (+1 % gegenüber 1987) Quelle: Beirat 1988, S. 31

99,4 % der Leistungen nach dem BAföG wurden im rat 1988, S. 19). Bundesminister Möllemann begrüßte Jahre 1986 als Darlehen vergeben (Wissenschaftsrat den Bericht und betonte, daß dem BAföG sein Stellen- 1988, S. 118). Weiter konstatiert der Wissenschaftsrat wert im Generationenvertrag wieder eingeräumt wer- ein Zurückbleiben des Bedarfsatzes hinter der Ent- den müsse (10/19). Der Gesetzentwurf der Bundesre- wicklung des Preisindexes (siehe Abbildung 8). Zu- gierung zur Novellierung des BAföG liegt unterdes- dem sei die Anpassung der Semestergrenzen und sen vor (s. Bundesrats-Drucksache 548/89 vom 20. 10. Freibeträge der Einkommensentwicklung nicht ge- 1989) . folgt. Studierende aus Familien mit mittlerem Jahres- einkommen von 40 000 bis 50 000 DM würden zuneh- Minister Prof. Dr. Breitenbach, Staatssekretärin Frau mend aus der Förderung herausfallen (ebenda, Rickal und Prof. Dr. Simon verwiesen weiter auf die S. 120). Notwendigkeit, wieder Maßnahmen für den Wohn- raumbau für Studierende mit Bundesbeteiligung ein- Prof. Dr. Seidel (WRK) wies darauf hin, daß seit der zuleiten. Vor allem in Ballungsgebieten sei dies eine Umstellung auf Darlehen und der „Ausgrenzung" unabdingbare flankierende- Maßnahme zur Schaffung mittlerer Einkommen durch veränderte Bemessungs- weiterer Studienplätze (16/25). sätze die Entscheidung zwischen Berufsausbildung und Studium von den Familien nicht mehr kostenneu- tral getroffen werden könne. Dies sei auf die Dauer 10. Frauenförderung nicht zu vertreten und führe außerdem bei einer im- mer größeren Zahl von Studenten zum ganzjährigen Die Gleichstellung der Geschlechter und speziell die Jobben, was sich studienzeitverlängernd auswirke Frauenförderung an Hochschulen ist in den bisheri- (16/14). Prof. Dr. Simon vertrat demgegenüber die gen Gesprächen von den Experten nur am Rande be- Auffassung, daß dieser Zusammenhang statistisch un- handelt worden. Daher wird dem Thema „Frauen und sicher sei (16/21). Er empfahl moderate Anpassungen Hochschulen" eine eigene Expertenanhörung im der Elternfreibeträge und der Förderungsdauer mit Herbst 1989 gewidmet. Umfassendere Erkenntnisse dem Ziel, das „Mittelstandsloch" zu beseitigen und erwartet die Kommission außerdem von dem in Arbeit die Examenszeit besonders zu fördern. Darüber hin- befindlichen Gutachten Nr. 15 „Problemzonen der ausgehende Verbesserungen erschienen ihm kurzfri- Qualifikationsaneignung von Frauen". stig nicht empfehlenswert (16/25). Der Wissenschaftsrat stellt kurz die quantitativen Di- Insgesamt wird der Bericht des Beirats für Ausbil- mensionen des Problems und eine Ursachenanalyse dungsförderung gemäß § 44 BAföG von den Ge- dar (Wissenschaftsrat 1988, S. 212, 227-229). Zu- sprächspartnern der Kommission positiv gewürdigt, nächst wird das pyramidenartige Bild der Beteiligung wenn auch seine Forderungen zur Reform der Ausbil- von Frauen an Hochschulen geschildert, d. h. die von dungsförderung nicht gleichermaßen Unterstützung Hierarchiestufe zu Hierarchiestufe abnehmenden finden, obwohl der Beirat betont, seine Empfehlungen Frauenanteile (ebenda, S. 212). Als Gründe für die halte er nur als Gesamtkonzept für ausgewogen (Bei geringe Beteiligung von Frauen, insbesondere in der Drucksache 11/5349 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode höchsten Hierarchiestufe der C 4-Professoren, wird Prof. Dr. Seidel sprach sich in der Diskussion dafür einerseits die Fächerpräferenz weiblicher Studenten aus, durch die Flexibilisierung von Regeln und Fristen vorgestellt — ein Drittel aller Professorenstellen sind im Hochschul- und Arbeitsrecht die Möglichkeiten in den Natur- und Ingenieurwissenschaften angesie- zur Berücksichtigung von „Bedingungen weiblichen delt, der Anteil der Studentinnen liegt aber nur bei Lebens" zu verbessern. Auf diese Weise könne auch 10,8 bzw. 3,9 % — und andererseits auf den nach dem der zu erwartende Nachwuchsmangel qualifizierter ersten berufsqualifizierten Studienabschluß von Stufe technisch-wissenschaftlicher Fachkräfte am Ende der zu Stufe geringeren Anteil von Frauen im wissen- neunziger Jahre durch eine bessere Potentialaus- schaftlichen Qualifikationsprozeß verwiesen. Die we- schöpfung bei Frauen gemildert werden. Er sieht gro- sentlichen Zahlenangaben sind in Tabelle 8 zusam- ßen Handlungsbedarf bei der Förderung von Frauen; mengefaßt. Der stärkste Abfall der Frauenquote ist diese müsse jedoch ohne Abstriche bei Qualitätsge- zwischen Promotion und Habilitation bzw. auf der sichtspunkten erfolgen (16/66, ähnlich WRK 1988, Ebene der Beschäftigungsverhältnisse zwischen den S. 48). wissenschaftlichen Angestellten einerseits und den Mittelbau-Dauerstellen bzw. den Assistentenstellen für den Hochschullehrernachwuchs andererseits zu 11. Internationalität der Hochschulen, Europa verzeichnen. Bemerkenswert sei auch, daß das Bild der stufenförmig zurückgehenden Frauenanteile Die Internationalität der Hochschulen wird von vielen auch für Fächer gelte, bei denen der Frauenanteil Gesprächspartnern der Kommission unter verschiede- unter den Studenten und bei den Prüfungen beson- nen Gesichtspunkten angesprochen, insbesondere im ders hoch sei (ebenda, S. 212). Zusammenhang mit Fragen des Wettbewerbs der Hochschulen untereinander und der Konkurrenzfä- Zur Verstärkung der Repräsentanz von Frauen hält higkeit der Hochschulabsolventen aufgrund als zu der Wissenschaftsrat vielfältige Maßnahmen für erfor- lang empfundener Ausbildungszeiten. Eine positive derlich: „Vorrangig muß bei der Ausbildung des wis- Bestimmung unternimmt die WRK. Sie betont: „Inter- senschaftlichen Nachwuchses angesetzt werden. Ei- nationalität ist seit jeher ein Definitionselement von nerseits müssen qualifizierte, an Forschung und Lehre Wissenschaft und seit Anfang an wichtige Tradition interessierte Frauen zur Promotion und auch weiter der Universitäten ... Diese internationalen Kompo- zur Habilitation ermutigt werden. Andererseits müs- nenten haben neben der Qualitätssteigerung in For- sen Wege gefunden werden, den Beruf des Wissen- schung und Lehre bedeutsame, nicht zuletzt auch po- schaftlers und Hochschullehrers mit den Anforderun- litische und ökonomische Sekundäreffekte: Sie vertie- gen, die sich für eine Frau aus Mutterschaft und Fami- fen das Verständnis und die Verständigung über die lie ergeben, zu verbinden." In der Qualifikations- nationalen Grenzen hinweg, prägen in wesentlichem phase seien daher besondere institutionelle Regelun- Maße das Bild der Bundesrepublik im Ausland und gen für Frauen notwendig, zum Beispiel hinsichtlich ihre Position im Konzert der Nationen und sind der Laufzeit von Stipendien und bef risteten Arbeits- schließlich ein unverzichtbares Element ökonomi verträgen sowie bezüglich geltender Altersgrenzen. scher Zukunftssicherung für eine exportabhängige „Insbesondere müssen auch außerhalb der Hochschu- Volkswirtschaft. " (WRK 1988, S. 61) len institutionelle Lösungen gefunden werden, die die Wettbewerbsnachteile von Frauen in Wirtschaft Im Bereich der Forschung wird das vorhandene Aus- und Hochschule abbauen." (Wissenschaftsrat 1988, maß an internationaler Kooperation und des Austau- S. 228 f) sches von Forschern als hinreichend empfunden. Für -

Tabelle 8 Frauenanteil an den Studenten, an den Prüfungen und am wissenschaftlichen Personal der Hochschulen (1986, ohne Fachhochschulen)

davon Anteil der Insgesamt Frauen in männlich weiblich Studienanfänger 133 203 75 106 58 097 43,6 Studenten 991 201 586 278 404 923 40,9 Diplom-, Staats- und Magisterprüfungen 60 545 39 458 21 087 34,8 Promotionen 14 535 10 822 3 713 25,5 Habilitationen 1 014 937 77 7,6 Wissenschaftliches Personal 85 618 71 890 13 728 16,0 darunter: C4-Professoren 9 956 9 726 230 2,3 C3-Professoren 7 406 6 921 485 6,5 C2-Professoren 4 484 4 053 431 9,6 Assistenten 3 062 2 688 374 12,2 Mittelbau 6 678 5 942 736 11,0 wissenschaftliche Angestellte 49 561 39 332 10 229 20,6

Quelle: Statistisches Bundesamt, zitiert nach Wissenschaftsrat 1988, S. 212 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode Drucksache 11/5349 das Studium gelte dies jedoch nicht, und zwar sowohl Innerhalb des als niedrig empfundenen Ausländeran- hinsichtlich des Auslandsstudiums von Deutschen als teils ist eine Konzentration auf wenige Länder zu ver- auch hinsichtlich des Anteils ausländischer Studieren- zeichnen: 38,5 % entfielen 1987 auf die Herkunftslän- der an deutschen Hochschulen. Zudem konzentriere der Griechenland, Italien, Spanien, Jugoslawien, Tür- sich das Interesse am Auslandsstudium auf wenige kei und Iran. Hierunter sind auch viele Bildungsinlän- Länder. Im Hinblick auf den europäischen Binnen- der. Aus Entwicklungsländern entstammten in die- markt seien daher besondere Anstrengungen notwen- sem Jahr nur noch etwa 28 % (BMBW 1988 b, S. 176/ dig. Diese Perspektive dürfe jedoch nicht zur Veren- 177, eigene Berechnung). gung des Gesichtsfeldes führen: „Europa (ist) mehr als die derzeitige politische Gemeinschaft von zwölf Der Wissenschaftsrat betont die besondere Verant- Staaten und endet inbesondere nicht an der gegen- wortung, die die Bundesrepublik gemeinsam mit an- wärtigen Demarkations linie zwischen den militäri- deren entwickelten Ländern für die Förderung und schen Blöcken. Gerade den Hochschulen der Bundes- Entwicklung von Studienangeboten und für den Stu- republik kommt hier eine besondere Verantwortung dentenaustausch mit Ländern der Dritten Welt be- zu." (WRK 1988, S. 62) sitze. Dafür seien in hohem Maße postgraduale Stu- dienangebote zur Weiterqualifikation geeignet, „so- weit sie strukturiert und damit terminiert sind. " (Wis- Der Anteil der deutschen Hochschulabsolventen, der senschaftsrat 1988, 163) Durch entsprechende Infor- an einer Hochschule der EG zumindest zeitweise stu- mationsarbeit sollten auch potentielle Interessenten diert hat, betrug 1984 nach Angaben des BMBW gut stärker als bisher auf Angebote der Fachhochschulen 2,5 % (Drucksache 10/6419 vom 12.11.1986, S. 10). hingewiesen werden. Solchen Aufgaben könnten sich Der Anteil der Hochschulabsolventen mit Auslandser- Hochschulen aber nur mit zusätzlichen Mitteln stärker fahrungen ist insgesamt etwa doppelt so hoch. Bei den zuwenden. Universitätsabsolventen betrug er 1985 6,6 %. Die Verteilung über die Fächergruppen ist ungleich und In den zurückliegenden Jahren haben viele Hoch- am höchsten in den Sprach- und Kulturwissenschaf- schulen, gemeinsam mit Pa rtnern vor allem in den ten mit 11,5 % (BMBW 1987, S. 7). Bis zur Erreichung USA, Großbritannien und Frankreich, integ rierte Stu- des Ziels, das im Zusammenhang mit dem EG-Ak- diengänge entwickelt, bei denen die Integration von tionsprogramm ERASMUS formuliert wurde — ein der Anerkennung einzelner Studienleistungen bis zur Zehntel aller Studenten in der EG solle zumindest ein Verleihung doppelter Abschlüsse geht (Wissen- Semester in einem anderen Land der Gemeinschaft schaftsrat 1988, S. 159). Insbesondere die Fachhoch- studiert haben — ist es also auch in der Bundesrepu- schulen seien beim Aufbau integ rierter Studiengänge blik noch ein weiter Weg. initiativ geworden und hätten neue Wege der interna- tionalen Zusammenarbeit in der Lehre entwickelt. Der Nach Angaben des BMBW studierten 1986 nur etwa Wissenschaftsrat hält diese Aktivitäten für zuneh- 77 000 ausländische Studenten in der Bundesrepu- mend wichtiger, vor allem im Zusammenhang mit der blik, nach Abzug der sogenannten „Bildungsinlän- Schaffung des europäischen Binnenmarktes, und for- der" (das heißt Ausländer mit einer deutschen Hoch- dert die verstärkte Förderung auch über das ERAS schulzugangsberechtigung; etwa ein Drittel) und wei- MUS- und das COMETT-Programm hinaus (ebenda, terer 10 % ausländischer Studenten aus grenznahen S. 161). Gebieten und des deutschsprachigen Auslands seien hiervon nur etwa 47 000 dem akademischen Aus- In der gleichen Richtung argumentiert Minister Prof. tausch im eigentlichen Sinne zuzurechnen (BMBW Dr. Breitenbach und regt darüber hinaus speziell die Entwicklung bilingualer Studiengänge an. Diese 1988a, S. 9). Bundesminister Möllemann wies darauf - hin, daß diese Zahl lediglich einem Anteil von etwa könnten einen Beitrag zu der von ihm angestrebten 4,3 % an der Gesamtzahl der Studenten an deutschen Kompetenz aller Studenten in mindestens zwei euro- Hochschulen entspreche. In zulassungsbeschränkten päischen Fremdsprachen leisten. Fächern sei eine Ausländerquote von 8 % vorgesehen. Er halte diese Nichtausnutzung „unter vielfältigen Gesichtspunkten, nicht nur, aber auch ökonomischen, 12. Wettbewerb und Differenzierung für einen Fehler." (10/37) Hochschulausbildungska- pazitäten müßten auch für diese Zwecke geschaffen Am Max-Planck-Institut für Bildungsforschung (Ber- bzw. erhalten werden. Prof. Dr. Seidel forderte vor der lin) sind Untersuchungen durchgeführt worden, die Enquete-Kommission eine Erhöhung des Ausländer- zum einen die empirische Erhebung der Einstellun- anteils von derzeit 6 % auf etwa 10 % der Gesamtstu- gen von Hochschulangehörigen zum Komplex Wett- dentenzahl. Hierfür seien allerdings erhebliche flan- bewerb sowie ihrer Urteile über die Qualität von kierende Maßnahmen von der Betreuung der Neuan- „Fachbereichen" (nicht im organisationstechnischen kommenden bis zum Ausbau von Nachkontakten er- Sinne) zum Gegenstand hatten und andererseits auf forderlich (16/15). der theoretischen Ebene durch Datenanalyse das Be- ziehungsgefüge zwischen den genannten Bereichen Die sogenannten Bildungsinländer stellen bei zulas- und sogenannten externen Faktoren (zum Beispiel sungsbeschränkten Fächern ein Problem dar, da sie Ausstattung, Produktivität, DFG-Förderung) heraus- auf die dort vorgesehene Ausländerquote angerech- zuarbeiten versuchten. Diese Untersuchungen sollen net werden. In der Medizin und Pharmazie sind 2 % einen Beitrag zur Diskussion um die Erfolgschancen von insgesamt 6 % der Studienplätze für sie vorgese- und die Sinnhaftigkeit der Einführung weiterer Wett- hen, in den anderen Fächern des allgemeinen Aus- bewerbsmechanismen in den Hochschulbereich lei- wahlverfahrens 3 von 8 %. sten, die seit Beginn der achtziger Jahre von der Bil-

Drucksache 11/5349 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode dungspolitik und der Politikberatung vorgeschlagen Auch beim Publikationsumfang und bei der Publika- worden sind. Ergebnisse wurden der Enquete-Kom- tionsproduktivität der Fachbereiche gibt es erhebliche mission bei ihrem Besuch des Max-Planck-Instituts Unterschiede. Ist dies angesichts der sehr weit vari- am 12.1.1989 vorgetragen. ierenden Größe der Fachbereiche in bezug auf die Forschungsproduktion nicht verwunderlich, so er- Mit Hilfe einer Fragebogenerhebung wurden die An- staunt doch, daß der „publikationsfreudigste" Fach- sichten von Universitätswissenschaftlern über eine bereich pro Kopf etwa elfmal so viel veröffentlicht wie Politik der Förderung des Wettbewerbs und der Lei- der in dieser Hinsicht letztplazierte. Nach den Befun- stungsdifferenzierung erhoben. Mittels einer reprä- den des Max-Planck-Ins tituts gibt es keinen einfa- sentativen telefonischen Nachbefragung wurde ver- chen Zusammenhang zwischen der Größe eines Fach- sucht, den Grad der Verzerrung zugunsten der Wett- bereichs und der festgestellten Produktivität. Aus der bewerbsbefürworter bei den eingegangenen Antwor- Tatsache, daß es „erwartungswidrig" einen positiven ten zu ermitteln. Unter Berücksichtigung eines auf Zusammenhang zwischen einer hohen Betreuungs- diesem Wege gefundenen Korrekturfaktors ergab quote (Studenten pro Hochschullehrer) und der Publi- sich in den untersuchten Fachbereichen Physik und kationsproduktivität gebe, schließen die Forscher auf Pojitologie/Soziologie eine Mehrheit von Wettbe- eine gelungene Arbeitsteilung in großen Fachberei- werbsskeptikern, in den Wirtschaftswissenschaften chen (Naumann 1988, S. 17). eine knappe Mehrheit für die Wettbewerbsförde- rung. Im Rahmen ihrer theoretischen Untersuchungen hat das Max-Planck-Institut Modelle konstruiert, um die Gleichzeitig wurden die befragten Professoren und vielfältigen Zusammenhänge zwischen institutionel- wissenschaftlichen Mitarbeiter gebeten, eine Beurtei- len Kontextbedingungen, der (Forschungs-)Produkti- lung der ihnen bekannten Fachbereiche anhand einer vität und der Reputa tion speziell der wirtschaftswis- vierwertigen Skala vorzunehmen. Auf dieser Grund- senschaftlichen Fachbereiche darzustellen. Es ergibt lage wurden sowohl ein Bekanntheits- als ein Bewer- sich dabei in dem sogenannten erweiterten Modell, tungsprofil für Fachbereiche innerhalb jeweils einer daß sich die Reputation der wirtschaftswissenschaftli- Disziplin aufgestellt. Die so gefundenen Reputations- chen Fachbereiche zu einem hohen Maße aus der hierarchien erwiesen sich als wenig beeinflußt durch Rezeption erklären läßt, die Publikationen der Fach- die wissenschaftspolitische Einstellung der Befragten. bereiche gefunden haben; sie hängt in einem etwas Diese wurde anhand der Einstellung zur Wettbe- geringerem Umfang von der Produktivität und den werbsförderung und einer Beurteilung einer vorge- Personalressourcén des Fachbereiches ab. Die Förde- legten Liste von Fachzeitschriften ermittelt. Die Über- rung durch die DFG und der Ausbaustand der Hoch- einstimmung war vor allem im oberen Abschnitt der schule stehen demgegenüber in einem weitaus Rangliste hoch, am Ende der Rangliste sowie bei ein- schwächeren Zusammenhang. zelnen, in der Öffentlichkeit politisch kontrovers beur- teilten Fachbereichen relativ gering. Im Gesamtbe- Die Autoren schließen aus ihren Befunden, daß unter wertungsspektrum ergab sich allerdings eine hohe der „oberflächlich dominierenden etatistisch-büro- Übereinstimmung. Für den Fachbereich Wirtschafts- kratischen Organisationsform und trotz der weitver- wissenschaften wurde die gefundene Reputations- breiteten Skepsis gegenüber individualistischen Lei- hierarchie mit einer aus der Befragung hochschulex- stungs- und Konkurrenzkonzeptionen im Bildungs- terner fachnaher Sachverständiger gewonnenen ver- bzw. Kulturbereich" (Naumann 1988, S. 22) auch in glichen und eine hohe Korrelation festgestellt. der Bundesrepublik Wettbewerbsstrukturen im Wis- senschaftssystem existieren. Es sei jedoch hervorzu- Hinsichtlich der Publikationsproduktivität der einzel- heben, daß Reputationshierarchien in der dargestell- nene Wissenschaftler ergab sich eine Bestätigung der ten Weise jeweils nur disziplinspezifischen Aussage- bereits in vielen Untersuchungen nachgewiesenen wert besitzen. Sie vermuten, daß „die zirkulierende Verteilungsmuster. „In allen Fächern zeichnen die Reputation auch eine motivierende, sanktionierende weniger Schreibfreudigen 50 % der Hochschullehrer und damit steuernde Wirkung auf die Produktion wis- für nur etwa 10 % der gesamten Titelproduktion des senschaftlicher Wahrheiten (besitze), und dies, ob- Fachs verantwortlich, während auf die produktivsten wohl dem dominierenden Organisa tions- und Finan- 15 % der Fachkollegen jeweils rund die Hälfte aller zierungssystem speziell der akademischen Lehre eine Veröffentlichungen entfällt." (Naumann 1988, S. 10) zu bürokratische und leistungsdemotivierende Struk- Für die Forscher beweist dieses Verteilungsmuster, tur vorgeworfen wird." (Naumann, 1988, S. 23) daß es innerhalb der dem Anspruch nach als einheit- lich gedachten Professorenrolle eine erhebliche Funk- Diese Überlegungen veranlassen die Max-Planck- tionsdifferenzierung gebe, „von der Forschung über Forscher zur Formulierung von Bedenken gegenüber die Lehre und Studentenberatung, über die Beteili- Ansätzen, die sich durch Einführung weiterer Markt- gung an Verwaltungs- und Managementaufgaben, mechanismen eine Optimierung der Wissenschafts- bis hin zu Beratungsaktivitäten und der Beteiligung sphäre erhoffen. Sie fragen, welchen Zusatzertrag am öffentlichen Leben. " (ebenda) Noch ungleicher ist man sich von einer Verschärfung des bereits, wie dar- das Verteilungsmuster bei den Zitationen von Veröf- gestellt, vorhandenen Wettbewerbssystems in der fentlichungen, die häufig als Hinweis für die Relevanz Forschung erwarten könne. Und sie fragen danach, ob und Qualität von Forschung gewertet werden. Insge- vorgeblich wettbewerbsfördernde Maßnahmen nicht samt ziehen die Forscher aus den Befunden den lediglich die Konzentration von Mitteln auf wenige Schluß, daß die Gruppe der „sichtbaren", veröffentli- Nachfrager bewirken werde. Schließlich stellen sie chungsproduktiven und zitierten Hochschullehrer in fest, daß das größte Strukturproblem des Wissen- den verschiedenen Fächern sehr klein ist. schaftssystems in der „weitgehend blockierten Situa-

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tion auf dem Sektor des wissenschaftlichen Hoch- beträchtlicher Teil der Bausubstanz nicht für Fach- schulpersonals" zu sehen sei. Der Anpassungsdruck hochschulzwecke geeignet sei. Diese Räumlichkeiten werde überwiegend auf den „Anfängermärkten" aus- seien von den Vorgängereinrichtungen übernommen getragen und führe dort zu einer Verschärfung der worden, die noch keinen Hochschulcharakter besa- Konkurrenz unter den Angehörigen des wissenschaft- ßen (Antwort auf Frage 1.5). Übereinstimmend wird lichen Nachwuchses sowie zu einer Anhebung der daher gefordert, die Fachhochschulen bei weiteren formalen und realen Selektionskriterien. Die Anwen- Hochschulbauten in besonderem Maße zum Zuge dung forschungsbezogener Leistungsbewertungs- kommen zu lassen. Am weitesten geht hierbei die und -differenzierungskriterien auf Probleme der Ka- FRK, die beansprucht, daß die Aufstockung bei den pazitätsanpassung der Lehre sei als äußerst problema- Zielzahlen der flächenbezogenen Studienplätze von tisch zu beurteilen. (Naumann 1988, S. 24) 850 000 auf ca. 1 Mio. ganz oder zumindest ganz über- wiegend den Fachhochschulen zugute kommen solle (Antwort auf 1.2). Dafür und für die Verbesserung der 13. Exkurs: Fachhochschulen Infrastruktur der Fachhochschulen hält die FRK eine Verdoppelung ihres bisherigen bereinigten Anteils Das Thema Fachhochschulen ist noch nicht einge- (bereinigt um die Aufwendungen für die Hochschul- hend in der Enquete-Kommission erörtert worden. kliniken) an den Hochschulbaumitteln auf 30 % für notwendig. Die GEW würde demgegenüber die Mo- Der Ausschuß für Bildung und Wissenschaft des Bun- dernisierung und den Ausbau der Laborausstattung destages hat am 10. Mai 1989 in seiner 44. Sitzung lieber in einem Sonderprogramm aufgehoben sehen eine Verbändeanhörung zum Thema „Entwicklungs- (Antworten auf Frage 1.5). stand und Perspektiven der Fachhochschulen in der Bundesrepublik Deutschland" durchgeführt (siehe Die zu realisierenden Ausbauziele hängen auch da- den Fragenkatalog und die Liste der eingeladenen von ab, welcher Anteil am Gesamtstudentenaufkom- Organisationen im Anhang). men für diesen Zweig des Hochschulsystems ange- strebt wird. Die WRK ist „froh über jeden Studenten, Zur Vorbereitung der weiteren Beratungen der En- der nicht an die Universitäten kommt. " (44/66) Die quete-Kommission und zur Vermeidung von Doppel- FRK strebt einen Mindestanteil von 40 % an und be- arbeit wird eine Zusammenstellung der wesentlichen gründet dies mit internationalen Vergleichszahlen Ergebnisse dieser Anhörung der voranstehenden über das Verhältnis zwischen den anwendungsorien- Auswertung der eigenen Expertengespräche beige- tierten und den theorieorientierten Hochschulteilsy- fügt. Die Auswertung stützt sich auf das Stenographi- stemen (44/4). Dies sei nur dann erreichbar, wenn der sche Protokoll der 44. Sitzung des Ausschusses für Bil- Anteil der Abiturienten bei den Studienanfängern der dung und Wissenschaft und auf schriftliche Stellung- Fachhochschule weiter ansteige, was von diesen auch nahmen zum Fragenkatalog, die von Verbänden vor- angestrebt werde (44/12). Ob dies gelingen könne, gelegt wurden. hänge von der Frage der Durchlässigkeit gegenüber den Universitäten (zur Weiterqualifizierung) Die Anhörung fällt in eine Zeit, in der verbreitet die (FRK 44/70) und davon ab, ob die Fachhochschulen mehr Notwendigkeit einer Standortbestimmung gesehen Frauen für ein Studium zu gewinnen könnten wird. So wird die FRK auf ihrer nächsten Plenarsit- (JUSO 44/89). zung eine Bilanz der bisherigen Entwicklung der Fachhochschulen ziehen und eine strategische Be- Nach Angaben der FRK liegt die Ist-Studienzeit im stimmung der Aufgaben in den neunziger Jahren Durchschnitt um bis zu 20 % über der Regelstudien- vornehmen (44/3). Eine abgrenzende Bestimmung zeit. Auch bei den Fachhochschulen- sei in den achtzi- der Aufgaben von Universitäten und Fachhochschu- ger Jahren ein deutlicher Trend zur Studienzeitver- len hält auch die WRK für notwendig (44/64). längerung festzustellen gewesen. Der HLB vertritt die Die Fachhochschulen haben ihren Anteil an den Stu- Ansicht, daß dies der Preis sei, der bei gleichbleibend dienanfängern seit Mitte der siebziger Jahre erhöhen hoher Ausbildungsqualität für die Überlast bezahlt können. Die Ausstattung mit Personal und Räumen werden müsse. FRK, GEW und HLB sind übereinstim- hat bei ihnen noch weniger als an den Universitäten mend der Auffassung, daß durch verbesserte Studien- mit der Nachfrage Schritt halten können. Die Betreu- bedingungen, insbesondere auch durch Einsatz von ungsrelation von Professoren zu Studenten hat sich in Tutoren, die Studienzeiten auch wieder verkürzt wer- der Rechnungsweise des Wissenschaftsrates von 1975 den könnten. Auf diese Weise würde auch Zeit ge- bis 1988 von 1: 4,7 auf 1: 6,7 verschlechtert. Dabei ist schaffen für die Einführung obligatorischer Praxisse- zu beachten, daß die Fachhochschulen keinen Mittel- mester, zu deren Gunsten die Regelstudienzeit nicht bau im Sinne der Universitäten kennen. Die Ausla- erhöht werden solle (Antwort auf Frage 2). Von seiten stung der Raumkapazität beträgt im bundesweiten studentischer Vertreter werden Einwände gegen die Mittel derzeit 151 % (nach der Systematik des Wissen- flächendeckende Einführung von Praxissemestern schaftsrates, der auf der Basis der Studienanfänger formuliert: Die soziale Absicherung derjenigen, die mit sieben Semestern Regelstudienzeit rechnet). Die kein BAföG beziehen, sei unzureichend (AStA 44/21 Streuung ist jedoch nach Fächern und Regionen ganz und 22, LHG 44/52), und die generelle Einführung von erheblich, die Auslastung beträgt mancherorts über Praxissemestern undurchführbar, weil zumindest re- 200 % (Antwort auf Frage 1.1). gional und fachspezifisch nicht für alle Studenten Paktikumsplätze zur Verfügung gestellt werden Die FRK und die GEW weisen darauf hin, daß die rein könnten (VDS 44/58). Grundsätzlich sei Praxisbezug zahlenmäßigen Werte für die Auslastung der Raum besser durch ein Projektstudium herstellbar (AStA kapazitäten die Probleme noch unterschätzten, da ein 44/22).

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Die Durchführung der Praxissemester müßten von wissenschaftlichen/sozialwissenschaftlichen Fächer den Fachhochschulen verantwortet und für ihre in- in das Fachstudium (Antworten auf Frage 3). haltliche Betreuung Kapazität durch Deputatsermäßi- gung geschaffen werden (GEW). Die Organisation Der Begriff Interdisziplinarität verweist auf das Pro- dürfe nicht den Professoren aufgebürdet werden, son- blem des Fächerspektrums der Fachhochschulen. Der dern bedürfe des Aufbaus einer Infrastruktur im nicht- Wissenschaftsrat tritt für eine vorsichtige Erweiterung wissenschaftlichen Bereich; einzurichten seien Prakti- des fachlichen Spektrums der Fachhochschulen ein. kantenämter und Koordinierungsstellen (FRK und Er nennt dafür Beispiele, die überwiegend dem tech- HLB). Die GEW betont die Wichtigkeit, die berufliche nischen Bereich zuzurechnen sind. Daneben befür- Praxis auch in ihrer sozialen Dimension zu behandeln. wortet er den vorrangigen Ausbau bestehender Fach- Fachliche Probleme seien häufig nur dann zu lösen, hochschulen, insbesondere derjenigen, die bislang wenn die sozialen und ökologischen Rahmenbedin- auf wenige Fächer begrenzt sind. Die anderen Stel- gungen Beachtung fänden (Antworten auf Frage 1.4). lungnahmen gehen deutlich weiter. Neben den Kom- binations- und internationalen Studiengängen wird Die GEW legt dar, daß der Praxisbezug jedoch nicht auch stärker in die geistes- und gesellschaftswissen- darin zu sehen sei, daß die Studierenden einen Teil schaftliche Richtung argumentiert. Besonders interes- ihrer Ausbildung außerhalb der Fachhochschule ab- sant dürfte in diesem Zusammenhang der Vorschlag solvierten. Er beruhe darauf, daß die Auswahl und sein, den Bereich der Gesundheitsberufe (FRK) bezie- Kombination der theoretischen Inhalte nicht der Logik hungsweise der medizinischen Versorgung (GEW) — einer Disziplin folge, sondern eine andere sinnvolle wie in den Niederlanden an den HBO-Hochschulen und praxisbezogene — so sei zu hoffen — Konstella- die nichtärztlichen Gesundheitsberufe — an Fach- tion bilde, sowie in der Auswahl der Lehrenden (44/40 hochschulen anzubieten (Antworten auf Frage 1.2). f). Die WRK betont, daß die Praxisorientierung eines Die LHG regt darüber hinaus an, insgesamt zu über- Studiums auch gar nichts Fachhochschulspezifisches prüfen, welche Umverteilung von Studiengängen von darstelle. Zwischen der Zahnmedizin und der Philoso- Universitäten an Fachhochschulen oder auch umge- phie als Extrempole von Praxis- und Theorieorientie- kehrt vorgenommen werden könnten, zum Beispiel rung gebe es an den Universitäten jede Ausprägung im Bereich der juristischen Berufe (44/55). dieser Merkmale. Die einseitige Hervorhebung eines Profils könne nur zu Diskriminierungen des jeweils Hinsichtlich des weiteren Ausbaus der internationa- anderen führen (44/65). Die GEW hinterfragt darüber len Kontakte sieht der DAAD schwerwiegende Pro- hinaus die vielfach als natürlich betrachtete Kombina- bleme: Die bisherigen Aktivitäten seien weitgehend tion von Praxisorientierung, kurzer Studiendauer und nur von einer Fachrichtung — Betriebswirtschaft — stark strukturiertem Studium. Dies sei nur eine mögli- getragen, es fehle die erforderliche Infrastruktur che Kombination, der keine Notwendigkeit zu- (Auslandsämter) und die klare Zuordnung der Fach- komme. Daher solle man die Fachhochschulen auch hochschulen zu ausländischen Hochschulsystemen nicht auf dieses Modell festlegen (44/31 und 32). (44/115). In diesem Zusammenhang wird von einigen Vertre- tern auch eine Abgrenzung der Fachhochschulen ge- Skeptisch beurteilt wird die Umsetzung der vom HRG genüber den Berufsakademien vorgenommen. Diesen gewollten Erweiterung der Aufgaben der Fachhoch- komme keinesfalls Hochschulcharakter zu, sie bilde- schulen in Forschung und Entwicklung in den Lan- ten arbeitsplatzspezifisch und betriebsbezogen aus, deshochschulgesetzen. Wo die HRG-Intention formal und ihr Angebot stelle eine Art gehobener Berufsaus- umgesetzt wurde, sei dennoch kein „Forschungsam- bildung dar. Ihre Entstehung gehe auf den Verdacht biente" entstanden- (FRK). Der HLB ist der Auffas- zurück, „daß die Fachhochschulen sich in Praxisferne sung, daß es deutlicher politischer Signale und Ent- bewegen" , der bereits in deren Gründungzeit prophy- scheidungen in Bund und Ländern bedürfe, um das laktisch geäußert worden sei (VHW 44/ 48). Potential der Fachhochschulen für Forschungs- und Entwicklungsvorhaben zu aktivieren. Davon müßte insbesondere die Ausstattung der Fachhochschulen Interdisziplinarität im Studium ist nach Meinung der profitieren und deren rechtlich-administrativen Rah- GEW noch nicht hinreichend ausgeprägt, was sie menbedingungen deutlich verbessert werden. Die auch auf die zu geringe Forschungsorientierung der idealtypische Figur hierfür in den Stellungnahmen ist Fachhochschulen zurückführt, denn anwendungs- orientierte Forschung zwinge häufig zur Interdiszipli- der Deputatsnachlaß zur Vorbereitung und Durchfüh- rung von Vorhaben sowie damit verbunden die Zur- narität (Antwort auf Frage 3). Der VHW weist darauf hin, daß ein gewisser Forschungsumfang eine grund- verfügungstellung von Mitteln, um den Ausfall an (FRK, sätzlich notwendige Voraussetzung für eine qualifi- Lehrveranstaltungen ausgleichen zu können Antworten auf Frage 5.1). zierte Lehre darstelle. Dem Fachhochschulprinzip GEW und HLB, entsprechend solle es anwendungsbezogene For- schung sein (44/46 und 47). Die FRK beurteilt die Lage Die DFG stellt fest, daß Anträge aus Fachhochschulen optimistisch und verweist insbesondere auf die Kon- etwa die gleiche Erfolgsquote hätten wie die Gesamt- zeption neuer Studiengänge, in denen Verbindungen heit, soweit die kleinen Antrags- und Bewilligungs- zwischen Technikwissenschaft und Betriebswirt- zahlen überhaupt statistische Aussagen zuließen. Sie schaft bzw. Sozialwissenschaften gefunden seien, auf nennt mögliche Gründe für eine Antragsabstinenz Studiengänge mit Sprachangeboten sowie auf die von Fachhochschullehrern: Die Personalstruktur (1), Einbeziehung von Fragen der Wissenschaftsethik. die materielle Ausstattung (2) und die spezifische Der HLB nennt für fachübergreifende Lehrangebote Koppelung von Forschung und Ausbildung an Fach- als Erfolgsbedingung die Integration der allgemein hochschulen (3).

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Zu 1: Infolge des WRK-Beschlusses von 1987 „Zum Verhält- Das wissenschaftliche Personal an Fachhochschulen nis von Universitäten und Fachochschulen und zur besteht zu 95 % aus Professoren. Schon an Universitä- Gemeinschaft der verschiedenen Hochschularten in ten mit ihrem geringeren Lehrdeputat für Professoren der Westdeutschen Rektorenkonferenz", speziell zur besitzen diese unter dem wissenschaftlichen Personal Promotion von Fachhochschulabsolventen, sei es, so das geringste Zeitbudget für die Forschung. der HLB, nur zu einer einzigen Vereinbarung — zwi- schen dem Fachbereich Wirtschaftswissenschaften der Universität des Saarlandes und dem Fachbereich Zu 2: Betriebswirtschaftslehre der Fachhochschule des Saarlandes — gekommen. Darin werde die Zulassung Die an den Fachhochschulen vorhandene Ausstattung zur Promotion ohne die Absolvierung eines vollen ist unzureichend. Die DFG dürfe und könne keine Zweitstudiums geregelt. Dagegen gebe es mindestens Grundausstattung finanzieren. zwei entsprechende Vereinbarungen, die nicht auf ein spezielles Fach bezogen seien, mit ausländischen Universitäten (Metz und Nancy) (Antwort auf Frage Zu 3: 6.2). Die Forschung an Universitäten ist eng verknüpft mit der Ausbildung des wissenschaftlichen Nachwuchses Die WRK erläutert, daß die Ingenieurwissenschaften (Doktoranden, „post-docs"), vor allem in den Natur- derartige Bestrebungen bisher insgesamt abgelehnt und Ingenieurwissenschaften. Die Ingenieur-Ab- hätten und die für die Geisteswissenschaften vorgese- schlußarbeiten der Fachhochschulen sind häufig in henen Modellversuche noch nicht zustande gekom- praxisbezogene Vorhaben integriert, die in Koopera- men seien (44/63). Die FRK hält den im WRK-Beschluß tion mit Betrieben durchgeführt werden. Forschungs- beschriebenen Weg insgesamt für gescheitert, da die vorhaben mit unmittelbarer Anwendungsorientie- Fakultätentage und auch einzelne Fakultäten eine rung, die auf verwertbare, in neue Verfahren und Pro- Mitwirkung verweigert hätten (44/69 f). Der Vorsit- dukte umsetzbare Resultate gerichtet sind, seien aber zende der FRK hat in Reaktion auf die unbefriedigen- traditionell nicht Sache der DFG (44/110-112). den Fortschritte die Entwicklung von Aufbaustudien- gängen an Fachhochschulen in Kooperation mit deut- Bezüglich künftiger Möglichkeiten der Forschungs- schen oder aber vorzugsweise ausländischen Hoch- förderung gehen die Ansichten auseinander: Die FRK schulen vorgeschlagen (Master-Programme), deren hält ein eigenes Forschungsförderungsprogramm für Abschluß unmittelbar zur Promotion berechtigen soll die Fachhochschulen für notwendig, dessen Mittel (Antwort auf Frage 6.3). Der VHW empfiehlt, den Weg später in die Hochschulhaushalte eingestellt werden einer „kooperativen Promotion" zwischen Universitä- sollten (Antworten auf Fragen 5.4 und 5.5). Staatliche ten und Fachhochschulen zu beschreiten, wie dies im Mittel an die Förderungsinstitutionen seien zu quotie- Falle der Pädagogischen Hochschulen schon einmal ren, und es solle überprüft werden, ob anwendungs- erfolgt sei (44/48, in diesem Sinne auch die GEW orientierte Forschung und Grundlagenforschung in 44/86). Ein eigenständiges Promotionsrecht der Fach- einer Administration (sprich: DFG) sinnvoll gemein- hochschulen wurde in der Anhörung nur von einem sam verwaltet werden könnten (Antwort auf Frage studentischen Vertreter gefordert (AStA 44/23). Der 5.2). Der HLB ist dagegen der Auffassung, daß Maß- HLB rät zu flankierenden gesetzgeberischen Maß- nahmen zur Herstellung einer Normalsituation in der nahmen, um die Herstellung der Gleichwertigkeit der Lehre absolute Priorität hätten. Spezielle Mittel zur Fachhochschulen zu befördern (44/45 f). Forschungsförderung sollten auf Hilfen zur Antrags- vorbereitung und die Ergänzung der Grundausstat- tung beschränkt werden. Auf Dauer angelegte Son- Die FRK konstatiert einen inneren Zusammenhang derforschungsmittel werden als überflüssig erachtet. der Frage der Promotionszulassung zu der der Un- Die Quotierung von Mitteln für anwendungsbezo- gleichbehandlung von Fachhochschul- und Universi- gene Forschung (jedoch nicht speziell für Fachhoch- tätsabsolventen im öffentlichen Dienst. Sie verweist schulen) und die Vereinfachung von Antrags- und darauf, daß diesen Regelungen auch eine Steuerungs- Bewilligungsverfahren bei Kleinprojekten solle ge- funktion hinsichtlich der Studienaufnahme in beiden prüft werden (Antwort auf Frage 5.2). Hochschulteilsystemen zukomme. Unter dem Ge- sichtspunkt der Kostenneutralität hält sie eine einheit- Die FRK schätzt den Anteil der Studierenden, die im liche Eingangsbesoldung bzw. -vergütung nur auf ei- Anschluß an ein Fachhochschulstudium promovieren nem niedrigeren Niveau als dem derzeitigen Einstieg möchten (bei entsprechenden Rahmenbedingungen) in den höheren Dienst für möglich, an die sich Auf- auf maximal 10 %, konzediert aber, daß es hierüber stiegsmöglichkeiten anschließen sollten, die der keine empirischen Erkenntnisse gebe (Antwort auf realen Leistung in der Tätigkeit entsprächen. Der HLB Frage 6.1). Die WRK vermutet „allenfalls 1 bis 2 %" fordert etwas vorsichtiger, daß die Differenz der Ein- (44/63). Die GEW gibt jedoch zu bedenken, daß unter gangsbesoldungen des gehobenen und höheren den gegenwärtigen Bedingungen in einigen Fächern Dienstes nicht größer als eine Besoldungsgruppe sein der Mehrheit der Studenten (zwei Drittel aller Inge- dürfe. Aufstiegsmöglichkeiten bis A 15 für Fachhoch- nieure und der Hälfte der Bet riebswirte) eine ange- schulabsolventen müßten eingeräumt werden. Die messene Möglichkeit zur Weiterqualifikation verwei- GEW beurteilt die Durchsetzungsmöglichkeiten ega- gert werde (44/17). Und dies, so ein studentischer Ver- lisierender Besoldungsregelungen skeptisch (Antwor- treter, nachdem die stofflichen Anforderungen der ten auf Frage 8). Fachhochschulen immer mehr denen der Techni- schen Universität angeglichen worden seien (AStA, Übereinstimmend gehen FRK, GEW und HLB von der 44/19). Notwendigkeit der Abschaffung der Besoldungs-

Drucksache 11/5349 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode gruppe C 2 an den Fachhochschulen aus. Als Grün- Anlage de werden einerseits die Konkurrenz um qualifi- zierte Hochschullehrer mit der Indust rie und ande- Anhörung des Ausschusses für Bildung und Wissen- rerseits die durch die Besoldungsdifferenz bei glei- schaft „Entwicklungsstand und Perspektiven der chen Funktionen hervorgerufenen persönlichen Fachhochschulen in der Bundesrepublik Deutsch- und sozialen Konflikte genannt (Antworten auf Fra- land" am 10. Mai 1989 ge 7). Sprecher der eingeladenen Organisationen Der DAB weist darauf hin, daß die derzeitigen Eingangsvoraussetzungen für Fachhochschullehrer Ständige Konferenz der Rektoren und Präsidenten der Frauen besonders stark benachteiligten. Die geforder- staatlichen Fachhochschulen der Länder in der Bun- ten fünf Jahre Berufserfahrung nach der Promotion desrepublik Deutschland, Bremen (davon drei Jahre außerhalb der Hochschule) seien Prof. Ronald Mönch von Frauen wegen der gerade dann in der Regel ein- Bundeskonferenz der Rektoren und Präsidenten gelegten Familienphase nicht in der akzeptierten Kirchlicher Fachhochschulen Qualität zu erbringen (44/96). Weil es keine Bewerbe- Prof. Dr. Jochen Windheuser rinnen gebe, könnten daher die Fachhochschu- len Frauen auch gar nicht diskrimieren, selbst wenn Westdeutsche Rektorenkonferenz, Bonn sie es wollten (FRK 44/104). Die GEW regt an, Prof. Dr. Klaus Ring Frauen von dieser Auflage zu befreien, und ihnen während der ersten Berufsjahre durch Praxisse- Wissenschaftsrat, Köln mester die Möglichkeit zu geben, eventuell fehlen- Herr Dr. Hans- Jürgen Block de praktische Erfahrungen nachzuholen (44/100). Bonn Ein umfassendes Programm zur Stärkung des Deutsche Forschungsgemeinschaft, Herr Dr. Christoph Schneider Frauenanteils unter den Studierenden und Profes- soren sei vonnöten, da der Frauenanteil wegen der Hochschullehrerbund, Bonn Schrumpfung der traditionell stärker von Frauen Prof. Dr. Willi Groß frequentierten Bereiche derzeit sogar zurückgehe Prof. Günther Edler (VDS 44/59 f). Verband Hochschule und Wissenschaft, Bonn Prof. Karl Sinn Die FRK will die bisherige Personalstruktur im Prinzip beibehalten; deren Grundidee sieht sie in der „Pari- Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft, Frankfurt tät" zwischen den Professoren und dem nicht-wissen- a. M. schaftlichen Personal. Wissenschaftliche Mitarbeiter Prof. Dr. Johann Schneider sollten nur in zentralen wissenschaftlichen Dienstlei- Herr Gerd Köhler stungseinrichtungen eingesetzt werden. Demgegen- über hält die GEW eine Erweiterung der Personal- Deutscher Akademikerinnenbund, Hamburg struktur aufgrund der Aufgaben in den Bereichen Frau Luise Joppe Weiterbildung sowie Forschung und Entwicklung für erforderlich. Zur Erledigung dieser Aufgaben Bundesanstalt für Arbeit, Nürnberg sollten wissenschaftliche Mitarbeiter und Mitar- Herr Dr. Manfred Tessaring beiterinnen in unbefristeten Beschäftigungsverhält- Cusanuswerk-Bischöfliche Studienförde rung, Bonn nissen gewonnen werden. Insbesondere sollten Herr Thomas-Maximilian Gauly Angehörige dieser Statusgruppe Praktika und Aus- landskontakte betreuen. Zur Quantifizierung des Deutscher Akademischer Austauschdienst, Bonn Bedarfs und zur Festlegung der Einsatzbereiche Herr Dr. Karl Roeloffs schlägt sie die Durchführung von hochschul- und fachspezifischen Modellversuchen vor, in denen Deutsches Studentenwerk, Bonn auch die Kooperationsmöglichkeiten mit Universitä- ten bei Forschungsprojekten erprobt werden soll- Vereinigte Deutsche Studentenschaften, Bonn ten. In diesem Rahmen könne auch die Promotion Ring Christlich-Demokratischer Studenten, Bonn von wissenschaftlichen Mitarbeitern ohne den Herr Christian Schede Umweg über eine ausländische Universität erfolgen (44/86). Juso-Hochschulgruppen, Bonn Herr Harald Schrapers Übereinstimmend sind die Verbände der Auffassung, Bundesverband Liberaler Hochschulgruppen, Bonn daß Tutoren bei der Verbesserung und Weiterent- Herr Alexander Fritsch wicklung der Lehre an Fachhochschulen eine wich- tige Funktion zukomme. Für Studienanfänger wird Fachhochschule Gießen — AStA ein Bedarf von zwei Stunden (FRK) bis vier Stunden Herr Peter Justen (GEW) pro Woche gesehen. Die hierfür notwendigen Mittel seien zusätzlich auszuweisen (Antworten auf Bund-Länder-Kommission für Bildungsplanung und Frage 1.1). Forschungsförderung (beobachtend)

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Fragenkatalog 4. Frauenstudium Durch welche Maßnahmen könnte erreicht wer- 1. Überlast und Ausbau den, daß der Frauenanteil an den Studierenden 1.1 Wie hat sich das zahlenmäßige Verhältnis von der Fachhochschulen insbesondere in den techni- Hochschulpersonal und Studierenden in den schen Fächern erhöht wird? Welche Schritte sind Fachhochschulen seit 1971 entwickelt, und wel- bisher von den Fachhochschulen selbst unter- chen Bedarf sehen Sie bis 1995 nommen worden? — an Hochschullehrerstellen, 5. Forschung 5.1 Inwieweit ist bisher die vom Hochschulrahmen- — an Stellen für wissenschaftliche Mitarbeiter, gesetz gewollte Erweiterung der Aufgaben der — an Stellen für Nichtwissenschaftler, Fachhochschulen auf Forschung und Entwick- lung in die Länderhochschulgesetze übernom- — an Stellen für Tutoren? men worden, und welche Erfahrungen haben die Fachhochschulen in diesem Bereich mit den Mini- 1.2 In welchen Fachrichtungen und welchen Regio- sterialverwaltungen gemacht? nen wird ein verstärkter Ausbau der Fachhoch- schulen für erforderlich gehalten? 5.2 Wie könnte beim Bund sichergestellt werden, daß Fachhochschulen nach der Gemeinschaftsauf- 1.3 Reicht die Zahl der Plätze für im Fachhochschul- gabe Forschungsförderung ausreichend Mittel für studium vorgeschriebene Praktika oder Praxisse- eigene anwendungsnahe Forschung und Ent- mester gegenwärtig aus? wicklung erhalten? 1.4 Werden besondere Schritte der staatlichen Seite 5.3 In welchen Bereichen besteht ein besonderer Be- für erforderlich gehalten, um das Angebot an sol- darf der Fachhochschulen für eine finanzielle För- chen Plätzen zu erhöhen? derung der angewandten Forschung und Ent- wicklung? 1.5 Wie ist der Anteil der Fachhochschulen an der Hochschulbauförderung von Bund und Ländern, 5.4 Wie müßte ein solches Förderprogramm struktu- und wie verhält sich dieser Anteil zum Anteil der riert sein? Fachhochschul-Studierenden an der Gesamtzahl der Studierenden? Wie hoch müßte der Anteil der 5.5 Welcher Einrichtung sollte die Abwicklung über- Investitionen an Fachhochschulen am gesamten tragen werden? HBFG-Volumen bis 1995 sein? Halten Sie ein 5.6 Ist ein solches Förderprogramm nur vorüberge- FHS-Sonderprogramm für erforderlich? hend oder auf Dauer erforderlich? 1.6 Welche Probleme ergeben sich für die Fachhoch- 5.7 Inwieweit sind Fachhochschulen bis heute an den schulen insbesondere aus den Bestimmungen für Forschungsförderungsprogrammen der EG betei- Geräteanschaffungen nach dem HBFG? ligt, und wie könnte ein angemessener Anteil an 2. Studienzeiten diesen Programmen sichergestellt werden? Wie verhalten sich die Regelstudienzeiten und Ist 6. Promotion Studienzeiten in den verschiedenen Studiengän- 6.1 Wie viele Studenten/Absolventen von Fachhoch- gen an Fachhochschulen und an verschiedenen - Hochschulen? Halten Sie eine generelle Aufstok- schulen sind an einer späteren Promotion interes- kung der Regelstudienzeiten auf acht Semester siert (Anteil)? aus inhaltlichen Gründen für erforderlich? Sollen 6.2 Sind auf der Grundlage des WRK-Beschlusses von dabei Praxissemester eingerechnet werden? Kön- 1987 inzwischen konkrete Maßnahmen zur Eröff- nen die Fachhochschulen eine inhaltliche Integra- nung solcher Promotionen entwickelt bzw. ver- tion von Praxissemestern und die entsprechende einbart worden? Betreuung gewährleisten? Werden von der Wirt- schaft, von Verwaltungen bzw. Verbänden über- 6.3 Wie könnte nach Ihrer Auffassung sichergestellt haupt ausreichend Plätze für Praktika angeboten, werden, daß geeignete Fachhochschulabsolven- und was sollte getan werden, um das Angebot zu ten ohne Zeitverzug promovieren können? vergrößern? 7. Besoldungsrecht 3. Studienreform Wie müßte das Besoldungsrecht verändert wer- Welche Anstrengungen haben Fachhochschulen den, um die Hochschullehrerlaufbahn an Fach- unternommen, um angesichts der Nachfrage nach hochschulen attraktiver zu machen? breiteren Qualifikationen auf dem Arbeitsmarkt 8. Ungleichbehandlung Studiengänge interdisziplinär anzureichern? In- wieweit gibt es im Studium fachübergreifende Welche Überlegungen haben Sie angestellt, um Projekte? Halten Sie in den Fachhochschulstu- die Ungleichbehandlung von Absolventen von diengängen eine Art „Studium generale" für Fachhochschulen bzw. Universitäten im öffentli- sinnvoll? Halten Sie Angebote in den Fremdspra- chen Dienst abzubauen, und sehen Sie — ange- chen für erforderlich? Wie würden sich solche An- sichts der Finanzprobleme der öffentlichen Hand gebote auf die Studiendauer auswirken? — auch kostenneutrale Lösungen?

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9. Begabtenförderung Deutscher Bundestag, Drucksache 8/2269 vom 9. No- vember 1978: Unterrichtung durch die Bundesregie- Welche Schritte oder Maßnahmen könnten dazu rung. 3. Bericht nach § 35 BAföG zur Überprüfung der beitragen, daß die Begabtenförderungswerke Bedarfssätze sich verstärkt der Förderung von Fachhochschul- studenten widmen? Deutscher Bundestag, Drucksache 10/5143 vom 10. COMETT und ERASMUS 4. März 1986: Gesetzentwurf der Fraktion der SPD. Entwurf eines Gesetzes zur Finanzierung von Ausbil- Wie sind die Erfahrungen der Fachhochschulen dungsplätzen in der Berufsbildung (Ausbildungs- mit COMETT und ERASMUS? Sind hier beson- platzfinanzierungsgesetz) dere Schritte auf der staatlichen Seite erforderlich, um die Beteiligungsmöglichkeiten der Fachhoch- Deutscher Bundestag, Drucksache 10/6419 vom schulen zu verbessern? 12. November 1986: Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage der Fraktion der CDU/CSU und der Fraktion der FDP: Probleme der Hochschulpolitik Verzeichnis der in Abschnitt III zitierten Literatur im Bereich der Europäischen Gemeinschaft, insbeson- dere der Förderung der Mobilität von Studierenden und Wissenschaftlern Beirat 1988 — Beirat für Ausbildungsförderung: Vor- schläge zur Reform des Bundesausbildungsförde- rungsgesetzes. Schriftenreihe Grundlagen und Per- Deutscher Bundestag, Drucksache 11/2603 vom spektiven für Bildung und Wissenschaft. Nr. 21. Bonn/ 30. Juni 1988: Antwort der Bundesregierung auf die Bad Honnef Große Anfrage der SPD-Fraktion: Entwicklungsstand und Perspektiven der Fachhochschulen in der Bun- BA 1989: Arbeitsmarktbeobachtungen der Fachver- desrepublik Deutschland mittlung für besonders qualifizierte Fach- und Füh- rungskräfte — Bericht über das Jahr 1988. In: Amtli- Enquete-Kommission „Zukünftige Bildungspolitik — che Nachrichten der Bundesanstalt für Arbeit. Nr. Bildung 2000" : Bericht über den Informationsbesuch 5/1989. Nürnberg von Mitgliedern der Enquete-Kommission und des Sekretariats in Rotenburg/Wümme am 3. Mai 1989. BLK 1987: Künftige Perspektiven von Absolventen Kommissionsdrucksache Nr. 11/24 vom 11. 5. 1989, der beruflichen Bildung im Beschäftigungssystem. Bonn Materialien zur Bildungsplanung. Heft 15. Bonn HIS 1989: Durrer, Franz; Minks, Karl-Heinz: Über- BLK 1989: Gesamtbetrachtung zu den Beschäfti- in Studium, Berufsausbildung und Berufstätig- gungsperspektiven von Absolventen des Bildungssy- gänge keit. In: HIS Kurzinformation A3/89. Hannover stems. Materialien zur Bildungsplanung. Heft 18. Bonn Hornbostel, Stefan: Anmerkung zur Diskussion um BMBW 1987: Deutsche Studenten im Ausland. Bil- die Fachstudiendauer an bundesdeutschen Hoch- dung und Wissenschaft aktuell Nr. 11/87. Bonn schulen. In: Beiträge zur Hochschulforschung 1/2 — 1989, S. 39 ff BMBW 1988a: Zur Wettbewerbsfähigkeit der Hoch- schulforschung in der Bundesrepublik Deutschland IAB 1988: Arbeitsmarkt für Akademiker: Gestern- im internationalen Vergleich. Bonn heute-morgen (Bearb.: Manfred Tessaring). In: Ma- terialien zur Arbeitsmarkt-- und Berufsforschung Grund- und Strukturdaten 1988/89. BMBW 1988b: 5/1988 Bonn BMBW/BMFT 1988: Gemeinsame Stellungnahme zu Kern, Horst; Schumann, Michael 1986: Das Ende der Leistungsstand und Perspektiven von Wissenschaft, Arbeitsteilung? München Forschung und Technologie in der Bundesrepublik Deutschland. Bonn KMK 1988: Beschluß der Kultusministerkonferenz über vorrangige Maßnahmen zur Verkürzung der Brödner, Peter 1986: Fabrik 2000. Alternative Ent- Studienzeiten. (Beschlossen auf der 139. Plenarsit- wicklungspfade in die Zukunft der Fabrik. Berlin zung am 23./24. Juni 1988 in Wiesbaden)

Bundesinstitut für Berufsbildung 1989: Ganz die Al- KMK 1989: Statistische Veröffentlichung der Kultus- ten? Was Auszubildende meinen, was Auszubildende ministerkonferenz Nr. 106: Prognose der Studienan- tun. Projekt Nr. 1059 fänger, Studenten und Hochschulabsolventen bis Bundesrats-Drucksache 548/89 vom 20. Oktober 2010. April 1989. Bonn 1989: Gesetzentwurf der Bundesregierung: 12. Gesetz zur Änderung des BAföG Lutz, Burkart 1988: Welche Qualifikationen brauchen wir? Welche Qualifikationen können wir erzeugen? Bundesverfassungsgericht 1981: Urteil des zweiten In: Hesse, J.J./Rolff, H.-G./Zöpel, Chr. (Hrsg.): Zu- Senats zum Gesetz zur Förderung des Angebots an kunftswissen und Bildungsperspektive. Baden-Ba- Ausbildungsplätzen in der Berufsbildung (Ausbil- den dungsplatzförderungsgesetz) vom 10. Dezember 1980. In: Entscheidungen des Bundesverfassungsge- Naumann, Jens 1988: Qualitätsabstufungen und Lei richts. 55. Band. Tübingen stungswettbewerb zwischen Fachbereichen — objek-

Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode Drucksache 11/5349 tive Gegebenheiten und subjektive Bewertungen. WRK 1988: Die Zukunft der Hochschulen — Überle- Beiträge aus dem Forschungsbereich Schule und Un- gungen für eine zukunftsorientierte Hochschulpolitik. terricht des Max-Planck-Instituts für Bildungsfor- Dokumente zur Hochschulreform Nr. 63/1988. Bonn schung Nr. 25, Februar 1988. Berlin WRK/BDA 1989: Berufsbezogene wissenschaftliche Statistisches Bundesamt 1988: Prüfungen an Hoch- Weiterbildung als Aufgabe von Hochschule und Wirt- schulen 1986. In: Wirtschaft und Statistik 11/88, schaft. Bonn (Beschluß des 17. Plenums der WRK vom S. 786 ff 13. Februar 1989) Statistisches Bundesamt 1989: Fachserie 11, Reihe 4.1: Studenten an Hochschulen. Wintersemester Wissenschaftsrat 1985: Empfehlungen zum Wettbe- 1988/89, Vorbericht. Stuttgart werb im deutschen Hochschulsystem. Köln Stegmann, H.; Kraft, H. 1988: Bestimmungsfaktoren Wissenschaftsrat 1986: Empfehlungen zur Struktur für den Studienabbruch und Berufswege von Studien- des Studiums. Köln abbrechern. In: Mitteilungen aus der Arbeitsmarkt- und Berufsforschung Nr. 4/1988, S. 498 ff Wissenschaftsrat 1988: Empfehlungen des Wissen- schaftsrates zu den Perspektiven der Hochschulen in WRK 1987: Zum Verhältnis von Universitäten und den 90er Jahren. Köln Fachhochschulen und zur Gemeinschaft der verschie- denen Hochschularten in der Westdeutschen Rekto- Wissenschaftsrat 1989: Fachstudiendauer in ausge- renkonferenz. In: WRK Arbeitsbericht 1987, S. 31 ff, wählten Studiengängen an Universitäten. Prüfungs- Bonn jahr 1986. Drs. 9247/89. Köln

Drucksache 11/5349 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode

Abschnitt IV Ausblick auf die weitere Kommissionsarbeit

Der Schlußbericht der Kommission muß Ende Juni Ferner müssen die insgesamt 16 Gutachten für die 1990 dem Deutschen Bundestag zugeleitet sein. Nach Kommission, die zum Teil noch nicht abgeschlossen Vorlage des Zwischenberichts steht der Kommission sind, ausgewertet werden. noch ein Dreivierteljahr zur Verfügung, um die noch nicht ausgewerteten Expertenanhörungen zum Ar- Die Kommission wird in ihren weiteren Beratungen beitsschwerpunkt „Weiterbildung — Lebenslanges bemüht sein, die vorliegenden und noch zu erwarten- Lernen" und die vom Innenausschuß und vom Aus- den Materialien so aufzubereiten und zu diskutieren, schuß für Bildung und Wissenschaft des Deutschen daß die Ergebnisse zu Aussagen und Empfehlungen Bundestages im Frühjahr 1989 durchgeführte Anhö- im Endbericht entsprechend dem Einsetzungsauftrag rung von Verbänden zur politischen Bildung sowie die führen. im Herbst 1989 stattfindenden Expertenanhörungen der Kommission zum Arbeitsschwerpunkt „Perspekti- ven der Hochschulenentwicklung" auszuwerten. Da- Dabei wird es vor allem darauf ankommen müssen, bei geht es — wie bei den bisherigen Auswertungen die übergreifenden Zielsetzungen zu konkretisieren, — um die Zusammenfassung der Einschätzungen von maßgebliche Problemzonen herauszuarbeiten und Expertinnen und Experten sowie Verbänden zu aktu- spezielle Handlungsfelder aufzuzeigen (vgl. auch ellen und zukünftigen Problemen in diesen Bildungs- Einsetzungsbeschluß). bereichen und um die von ihnen aufgezeigten grund- sätzlichen Handlungsmöglichkeiten des Bundes zur Ob und inwieweit die Kommission außer einigen In- Bewältigung langfristiger Probleme. formationsbesuchen, unter anderem beim Institut für Zur Frage möglicher Einflüsse und Auswirkungen der Arbeitsmarkt- und Berufsforschung der Bundesanstalt Bildungsexpansion auf den öffentlichen Dienst sind für Arbeit in Nürnberg und von Bildungseinrichtun- vor der parlamentarischen Sommerpause 1989 maß- gen im Raum Kassel, noch weitere Außenaktivitäten gebliche Verbände und die Bundesregierung um Aus- wird wahrnehmen können, muß von Verlauf und Er- kunft und Hilfestellung gebeten worden. Die Ergeb- gebnissen der vordringlichen Arbeiten abhängig ge- nisse sind dementsprechend aufzuarbeiten. macht werden.

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Anhang

Beiträge von Kommissionsmitgliedern zur Analyse bildungspolitisch bedeutsamer Strukturwandlungen und zu Problemzonen der beruflichen Erstausbildung und Weiterbildung

Vorbemerkung

Dieser Anhang zum Zwischenbericht enthält Beiträge von einzel- nen Kommissionsmitgliedern, die zu den Beratungen des Zwi- schenberichtes vorgelegt wurden, jedoch von der Kommission in- haltlich noch nicht erörtert werden konnten. Sie werden in den weiteren Beratungen der Kommission zusammen mit den Ergeb- nissen der Anhörungen, Expertengespräche und Abschlußbe- richte der Gutachten in die Diskussion einbezogen werden, um Empfehlungen für die zukünftige Bildungspolitik des Bundes zu erörtern. Insofern sind auch ausdrückliche Hinweise auf Empfeh- lungen der Enquete-Kommission Vorschläge der Autorinnen und Autoren für die späteren Beratungen in der Kommission.

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Anhang 1

Prof. Dr. Klaus Klemm

Der Prozeß der Bildungsexpansion und der Wandel der Bildungsbeteiligung

Die Beantwortung der der Enquete-Kommission ge- 121 000 Studienanfänger gezählt wurden, waren dies stellten Fragen danach, 1988 249 000 (vgl. KMK 1989, S. 13). Nur bei sehr oberflächlicher Betrachtung kann dies als eine Folge „wie sich die Bildungsbeteiligung entwickelt hat, der Bildungswerbung der sechziger Jahre und der mit ob bestimmte Schichten und Gruppen benachteiligt ihr einhergehenden Öffnung der Schule gedeutet sind, welches gegebenenfalls die Gründe dafür werden. Hier handelt es sich in Wahrheit um einen sind, und wie deren Chancen verbessert werden weitgehend kontinuierlichen Prozeß, der in den fünf- können" (vgl. Abschnitt III des Einsetzungsbe- ziger Jahren einsetzte. schlusses), Dazu kommt sodann: Gleichzeitig mit der Verlage- erfordert ein zweifaches Vorgehen. Zunächst bedarf rung der Schülerströme hin zu den längeren Bildungs- es einer beschreibenden Analyse der Ende der acht- wegen vollzog sich die zeitliche Ausdehnung auch der ziger Jahre feststellbaren Bildungsbeteiligung; daran „niederen" Schulbildung. Ende der sechziger Jahre anschließen können, sofern die Analyse einen ent- wurde das 9. Hauptschuljahr bundesweit eingeführt, sprechenden Bedarf ausweist, Maßnahmen zur Ver- seither haben einzelne Bundesländer das 10. Schul- besserung etwa festgestellter Mängel bei der im Bil- jahr auch an Hauptschulen verpflichtend bzw. wahl- dungssystem beobachteten Chancenverteilung erör- weise verankert. Und auch in den an die Hauptschule tert werden. Bei der Beschreibung der gegenwärtigen traditionell anschließenden Wegen der beruflichen Bildungsbeteiligung kann sich die Analyse auf die Bildung expandierte die Schulzeit, z. T. durch eine Fachliteratur und hinsichtlich sehr aktueller Daten auf Verlängerung der Ausbildungszeiten auf bis zu drei- Sonderauswertungen des Mikrozensus stützen, so daß einhalb Jahre sowie z. T. durch eine Verstärkung des auch schon für den Zwischenbericht eine fundierte Zulaufs zu Vollzeitberufsschulen, so etwa zu den neu Darstellung möglich ist. Hinsichtlich zu empfehlender Maßnahmen kann die Kommission noch keine Vor- eingerichteten Fachoberschulen. Schließlich expan- dierte die Teilhabe in diesem Sektor des Bildungswe- schläge machen, da darauf bezogene Gutachten noch sens auch dadurch, daß immer mehr Jugendliche ei- nicht ausgewertet werden konnten und da derartige nen Beruf erlernten. Die Quote derer, die in den acht- Empfehlungen in der Kommission bisher allenfalls im ziger Jahren das Bildungs- und Ausbildungssystem Ansatz thematisiert wurden. mit einer abgeschlossenen Berufsausbildung verlas- Die Beschäftigung mit der Bildungsbeteiligung muß sen haben, stieg auf etwa 85 % (Mikrozensus 1987 — sich — zumal dann, wenn nach ihrer Entwicklung vgl. KLEMM 1989). Auch wenn dies bedeutet, daß gefragt wird — auf zwei Aspekte konzentrieren: Zum immer noch 15 % der Jugendlichen ohne Berufsaus- einen muß der Prozeß der Bildungsexpansion ganz bildung bleiben, hat es auch hier einen Expansions- generell betrachtet werden; zum anderen muß unter- prozeß gegeben. Insgesamt läßt sich am Ende der sucht werden, wie sich im Prozeß der Bildungsexpan- achtziger Jahre sagen, daß es in der deutschen Ge- sion die Beteiligung bestimmter Schichten und Grup- schichte nie zuvor eine in diesem Umfang lernende pen entwickelt hat. Daher soll zunächst die Bildungs- Jugend gegeben hat. expansion beschrieben werden. Mit diesem Begriff wird gemeinhin der Prozeß benannt, in dessen Verlauf Ihre bisherigen Untersuchungen, insbesondere die immer mehr Kinder und Jugendliche immer länger im Anhörung zum Thema „Entwicklung der Bildungs- Bildungssystem verblieben sind. und Erwerbsbeteiligung und ihrer Bestimmungsfak- toren" (11.5.1988), führen die Enquete-Kommission Eine genauere Untersuchung dieses Prozesses zeigt, m.E. zu der Einschätzung, daß die Bildungsexpansion daß sich die Bildungsexpansion in der Bundesrepu- der Vergangenheit in ihrem Ertrag nicht als störende blik analytisch in zwei Elemente zerlegen läßt. Zum „Überqualifikation", sondern als stützender Faktor einen läßt sich feststellen: Die Zahl der Kinder, die auf der künftigen ökonomischen und gesellschaftlichen länger dauernde und höher bewertete Bildungswege Entwicklung gesehen werden kann. Diese Einschät- geschickt werden, ist seit Gründung der Bundesrepu- zung wird insbesondere durch folgende Aspekte ge- blik kontinuierlich angestiegen. Während Anfang der stützt: fünfziger Jahre noch etwa 80 % aller Schüler der Klasse 7 diese Klassenstufe in Volksschulen besuch- O Unbeschadet der Tatsache, daß die Arbeitsmarkt- ten, sind dies Ende der achtziger Jahre nur noch ein forschung auch für die neunziger Jahre bis zum Drittel. Diese Abwendung von der Volks- und dann Ende dieses Jahrhunderts hohe Arbeitslosenzah- Hauptschule wurde begleitet von einer entsprechen- len voraussagt, wird gleichzeitig ein steigender den Nachfragesteigerung nach „mittlerer" und „hö- und sich wandelnder Arbeitskräftebedarf unter- herer" Bildung in Realschulen, Gymnasien und neu- stellt. Die in diesem Zusammenhang immer wie- erdings Gesamtschulen, und sie wurde in ihren Wir- der herangezogene IAB-Prognos-Studie geht da- kungen noch verschärft durch den Ausbau alternati- von aus, daß der Wandel der sektoralen Struktu- ver Wege zur Studienberechtigung (vgl. KLEMM u. a. ren wie auch der der Tätigkeitsstrukturen eine 1985, S. 84). Ihre Fernwirkung lag in der Vervielfa- kontinuierliche Höherqualifizierung der Beschäf- chung der Studentenzahlen: Während 1970 erst tigten erfordert. Unter Bezug auf die IAB-Prognos-

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Untersuchung formulierte in der o. g. Anhörung der Enquete-Kommission vom 11.5.1988 (Tisch- Dr. Pütz (BIBB): „Wir erwarten einen Rückgang vorlage — Schreiben vom 4.5.1988) haben deut- der Un- und Angelernten von 32 % im Jahre 1982 lich gemacht, daß der Zustrom junger ausgebilde- auf 20 % im Jahre 2000, eine Zunahme der Fach- ter Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen in das arbeiter und Angestellten mit Berufsausbildung Beschäftigungssystem drastisch zurückgehen von 53 % im Jahre 1982 auf 58 % im Jahre 2000, wird. So wird z. B. der Jahrgang der 20jährigen, einen etwa gleichbleibenden Bedarf von Fach- der als durchschnittlicher Jahrgang der in das Be- schulabsolventen — jeweils 7 % — und eine Zu- rufsleben Eintretenden exemplarisch herangezo- nahme der Hochschulabsolventen von 8% auf gen werden kann, von 1985 noch 1,06 Millionen 15 %." (3/12) Weiter formulierte Dr. Pütz in dieser bis zum Jahr 2000 auf nur noch 0,63 Millionen Anhörung: „Aus all dem ergibt sich, daß ein hoher zurückgehen (vgl. dazu S. 13). Diese Reduzierung Qualifikationsstandard notwendig ist, weil mehr bedeutet zugleich auch, daß der Zustrom neuen entwicklungsintensive Produkte und hochwertige Wissens und neuer Fertigkeiten, soweit diese in Dienstleistungen verlangt werden." (3/13) Aller- der beruflichen Erstausbildung erworben werden, dings setzte in der Erörterung im Rahmen dieser von immer weniger Menschen getragen wird. Es Anhörung Prof. Dr. Staudt hinter die These vom liegt auf der Hand, daß diese im Vergleich zu vor- Trend zur Höherqualifizierung ein deutliches Fra- ausgegangenen Generationen eher höher qualifi- gezeichen. Er formulierte in diesem Zusammen- ziert werden müssen. Menschliche Fähigkeiten hang: „Ist das, was hier Höherqualifikation ge- und damit auch deren individuelle Bildungs- und nannt wird, nicht nur eine längere Verweildauer Ausbildungswünsche brachliegen zu lassen (so in irgendwelchen Ausbildungsgängen? Der wie sich dies gegenwärtig in der hohen Zahl von Nachweis, ob das höher, tiefer, mehr oder Schülern ohne Schul- und Beruf sbildungsab- schlechter ist, fehlt dabei in Ihrer Statistik völlig, schluß dokumentiert), dies kann und sollte unsere wenn ich das richtig sehe." (3/53) Gesellschaft auch vor diesem Hintergrund nicht länger zulassen. O Die Globalprojektion der IAB-Prognos-Studie wird gleichwohl durch zahlreiche Enzelhinweise, die die Enquete-Kommission in ihren Anhörun- O Diesen eher aus der Sicht der Bedürfnisse des gen sammeln konnte, gestützt: In der Anhörung Beschäftigungssystems abgeleiteten Hinweisen „Auf welche Zukunft sollte das Bildungswesen auf die Notwendigkeit einer hohen Qualifikation vorbereitet sein und selbst aktiv mit vorbereiten?" möglichst aller Heranwachsender entsprechen in- (16.6.88) verwies u. a. Prof. Dr. W. Schlaffke (IW) dividuelle Wünsche der künftig am Erwerbsleben auf zahlreiche Studien, die in der Einschätzung Beteiligten: Nach gemeinsamer Auffassung der übereinstimmen, daß der Taylorismus für die Gewerkschaften und der Arbeitgeber — dies er- künftigen Produktionsverhältnisse nicht mehr gibt eine Auswertung der Verbändeanhörung charakteristisch sei und daß als Folge davon ein zum Thema „Berufliche Erstausbildung und Er- Trend zur Höherqualifizierung vorherrsche (5/10). werbsarbeit" (14.9.1988) — ist es nicht haltbar, Gleichsam einen Beleg für diesen Trend, der in von einer sinkenden Bedeutung von Arbeit und der Industriesoziologie allerdings umstritten ist Beruf zu sprechen. Neuere Studien würden, so und allenfalls als eine durchaus noch nicht ent- ergab die angeführte Anhörung, belegen, daß bei schiedene Entwicklungsmöglichkeit beschrieben Jugendlichen — zumal bei jungen Frauen — Ar- wird, lieferte Dr. H.E. Schreiber von der Siemens beit und Beruf eher wichtiger geworden seien und AG im Rahmen des Expertengesprächs zum daß dies verbunden sei mit gesteigerten Ansprü- Thema „Strukturwandel in Arbeit und Beruf und chen an Sinnerfüllung und Selbstverwirklichung sein Verhältnis zur Bildung und Ausbildung unter im Beruf sowie — in Konsequenz davon — mit besonderer Berücksichtigung des Flexibilitäts- einer Verstärkung der Wünsche und Ansprüche aspekts" (15. Februar 1989). Zur Entwicklung bei an eine qualifizierte Berufsausbildung. Diese Ein- Siemens formulierte er: „Während die Zahl der schätzung wird von dem durch die Enquete-Kom- Mitarbeiter in den vergangenen 15 Jahren etwa mision in Auftrag gegebenen Gutachten „Lebens- konstant geblieben ist, hat die Qualifikations- entwürfe von Jugendlichen: Motivation und Be- struktur sich deutlich verschoben. Der Anteil der rufsorientierung, Pläne und ihre Realisierung" an- und ungelernten Arbeitskräfte an der Gesamt- voll bestätigt. Neuere Jugendstudien resümierend belegschaft ist von 40 % auf 25 % zurückgegan- heißt es dort: „... es hat zwar eine Umwertung von gen, der Anteil der Universitäts- und Fachhoch- Arbeit stattgefunden, dennoch spielt Arbeit für schulabsolventen von rund 10 % auf 20 % gestie- die Lebensplanung von Jugendlichen eine wich- gen. Der Anteil der Facharbeiter blieb etwa kon- tige Rolle. Einerseits nimmt die instrumentelle Be- stant. Wir erwarten, daß diese Entwicklung sich deutung von Arbeit als ,Möglichkeit, Geld zu ver- fortsetzt. " (Schriftliche Stellungnahme vom dienen' zu, andererseits wächst der Anteil der Ju- 20.1.1989, S. 1 — Punkt 1.2) gendlichen, die Arbeit als befriedigende Tätigkeit schätzen ..." (DJI 1989, S. 85). O Das Ergebnis der qualifikationsspezifischen Pro- jektionen zum Arbeitskräftebedarf, die These von Insgesamt ergibt die von der Enquete-Kommis- der Höherqualifizierung, gewinnt durch die ab- sion bisher geleistete Bestandsaufnahme zum sehbaren demographischen Entwicklungen eine Themenkomplex „Bildungsexpansion" , daß die zusätzliche Stütze: Die Darlegungen des Direk- Folgen dieses Expansionsprozesses, gerade auch tors des Bundesinstituts für Bevölkerungsfor- da, wo er bis in die Berufsausbildung hineinge- schung, Herrn Prof. Dr. W. Linke, auf der Sitzung wirkt hat,

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O die qualifikatorische Basis einer zukunftso rien- sprung der Mädchen noch größer: 28,6 % der tierten Entwicklung der Bundesrepublik dar- Mädchen gegenüber 23,1 % der Jungen besuch- stellt, ten diese Schulen (Sonderauswertung des Mikro- zensus 1987, bisher unveröffentlicht). Allerdings O die unverzichtbare Grundlage für die Realisie- wirft die nach wie vor geschlechtsspezifische Ein- rung von Lebens- und Berufswünschen Jugendli- mündung in die unterschiedlichen Berufsausbil- cher und ihrer Beteiligung an einer demokrati- dungswege im Anschluß an die allgemeinbilden- schen Gesellschaft sichert und den Schulen (hier verwandelt sich der weibliche O dazu beiträgt, die Bundesrepublik auf europäi- Vorsprung wieder in einen Rückstand) die Frage sche Herausforderungen kulturell und qualifika- nach den inhaltlichen Prozessen geschlechtsspe- torisch vorzubereiten. Dieser internationale zifischer Vorprägung in den Schulen auf. Aspekt der Bewertung des Prozesses der Bil- O Ungleichheiten zwischen den Angehörigen der dungsexpansion wird in dem von der Enquete - verschiedenen sozialen Schichten wurden im Ver- Kommission in Auftrag gegebenen Gutachten lauf der Bildungsexpansion kaum gewandelt: „Educational Trends and Prospects in OECD Ende der achtziger Jahre besuchten z. B. 11,2 % Member Countries" unterstrichen. Dort formuliert aller 13- und 14jährigen Arbeiterkinder, 42,7 der Gutachter: „Countries will be obliged to ex- aller Angestelltenkinder und 54,4 % aller Beam- ploit their education and training provision in a tenkinder Gymnasien (Sonderauswertung des much more sophisticated way than in the past in Mikrozensus 1987). Diese sozial ungleiche Vertei- order that the optimal number of citizens may be lung setzt sich im Verlauf des weiteren Bildungs- qualified to the highest possible level." (LOWE weges fort: In der gymnasialen Oberstufe z. B. 1989, S. 12) lernten 51,0 % aller 17- bis 18jährigen Beamten- Ändert man nun aber die Blickrichtung und fragt nach kinder, 40,3 % aller Angestellten- und 15,6 % aller der Teilhabe von „Schichten und Gruppen" an die- Arbeiterkinder diese Alters (Sonderauswertung sem insgesamt für die Gesellschaft nützlichen und für des Mikrozensus 1987). In die Universitäten die Einzelnen sinnvollen Expansionsprozeß, so läßt schließlich wechselten 1987 nur noch 4,7 % aller sich Ende der achtziger Jahre im Rückblick auf die Arbeiterkinder eines Altersjahrgangs, aber 21,2 % Expansionsphase feststellen, daß sich das Gefüge so- aller Angestellten- und 34,4 % aller Beamtenkin zialer Ungleichkeit, das in den sechziger Jahren z. B. der (eigene Berechnungen nach: Sonderauswer- durch die „Kunstfigur" des katholischen Arbeiter- tung des Mikrozensus 1985 und BMBW 1989 b, mädchens vom Lande beschrieben wurde, deutlich S. 174). gewandelt hat. Die Vorprägung von Lebenschancen durch die Schule blieb zwar im Prinzip erhalten, die Eine Differenzierung nach Gehaltsgruppen bietet ungleiche Verteilung auf unterschiedliche soziale im Prinzip das gleiche Bild: Je höher das Einkom- Gruppen wurde aber deutlich abgeschwächt. Ende men des „Familienvorstandes" ist, umso höher ist der achtziger Jahre läßt sich hinsichtlich der Chancen- auch die Bildungsbeteiligung der Kinder. 1987 verteilung in den allgemeinbildenden Schulen fest- besuchten von den 13- und 14jährigen Kindern stellen: aus Familien, deren „Vorstand" unter DM 2 500 monatlich verdiente, 15,4 % ein Gymnasium; aus O Regionale Unterschiede bestehen bei der Bil- der Einkommensgruppe „DM 2 500-DM 4 000" dungsbeteiligung nach wie vor - wenn auch ab- taten dies 33,6 % und aus der Gruppe „über DM geschwächt. Sie manifestieren sich zum einen als 4 000" sogar 65,8 % (Sonderauswertung des Mi- Unterschiede zwischen den einzelnen Bundes- krozensus 1987).- ländern: So besuchten 1985 von den 13- bis 14jäh- rigen Jugendlichen in Niedersachsen (niedrigster O Bei der Frage nach der Bildungsbeteiligung muß Wert bei den Flächenstaaten) 23,1 % ein Gymna- Ende der achtziger Jahre, anders als in der Start- sium, in Nordrhein-Westfalen (höchster Wert bei phase der Bildungsexpansion, auch die Situation den Flächenstaaten) 29,3 % (vgl. BÖTTCHER u. a. ausländischer Kinder betrachtet werden: 1987 be- 1988, S. 67). Zum anderen finden sich derartige suchten von allen ausländischen Schülern im Al- Unterschiede immer noch als „klassische " Stadt- ter von 12 bis 14 Jahren 69,2 % eine Hauptschule, Land-Unterschiede: In Heidelberg besuchten 14,2 % eine Realschule, 12,6 % ein Gymnasium. 1985 noch 14,3 % aller Schüler eine 7. Klasse einer Die Bildungschancen ausländischer Schüler sind Hauptschule, im Neckar-Odenwald-Kreis aber damit ungleich schlechter als die deutscher Schü- 51,3 %; in Bonn gingen im gleichen Jahr noch ler (Sonderauswertung des Mikrozensus 1987). 20,1 % der Jugendlichen in die 7. Klassen der Hauptschulen, im Kreis Kleve aber 51,5 %; in Damit läßt sich insgesamt nach einer langen expansi- Bamberg besuchten 22,9 % aller Schüler 7. Klas- ven Phase der Schulentwicklung feststellen, daß die sen die Hauptschule, im Landkreis Amberg-Sulz- Bildungsbeteiligung in allgemeinbildenden Schulen bach aber 71,7 % (vgl. ROSNER 1989, S. 168f). ein Bild erheblicher Ungleichheit bietet: Kinder aus Arbeiterfamilien, aus Familien mit niedrigem Ein- O Ungleichheiten zwischen den Geschlechtern wur- kommen sowie ausländische Kinder treten mit deut- den - mißt man sie an formalen Schulabschlüssen lich niedrigerer schulischer Vorqualifikation in das - aufgehoben, tendenziell sogar umgekehrt: System der Berufsausbildung ein. Unbeschadet der 1987 besuchten unter den 13- und 14jährigen immer wieder proklamierten Gleichwertigkeit unter- 28,1 % der Mädchen, aber nur 25,0 % der Jungen schiedlicher Bildungs- und Ausbildungswege prägt Gymnasien; bei den Realschulen war der Vor dies deren spätere Ausbildungs- und Berufschancen.

Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode Drucksache 11/5349

Generell gilt, daß die Jugendlichen und jungen Er- Altersgruppe in den gymnasialen Oberstufen und in wachsenen ohne Schulabschluß wie auch die mit ein- vollzeitschulischen Bildungsgängen lernen, bedeutet fachem Hauptschulabschluß geringere Chancen ha- dies, daß etwa zwei Drittel aller jungen Ausländer ben, eine zukunftsorientierte Ausbildung zu erhalten. immer noch nicht an Berufsbildung beteiligt sind. Der Innerhalb der nichtakademischen Berufsausbildung Klärung des auch kulturellen Hintergrundes dieses finden sich die Auszubildenden mit Hochschulbe- Tatbestandes dient ein Gutachten, das die Enquete rechtigung überwiegend in Ausbildungswegen, die Kommission zum Thema „Evaluation des Standes der — soweit absehbar — in eine gesicherte und gut be- Forschung zur kompensatorischen und interkulturel- zahlte berufliche Zukunft führen; abgeschwächt gilt len Bildung ausländischer und deutscher Jugendli- dies auch für die Auszubildenden mit Realschul- oder cher in der Bundesrepublik" in Auftrag gegeben vergleichbarem Abschluß. Die Berufschancen vieler hat. der Ausbildungsberufe, die überwiegend von Auszu- bildenden mit Hauptschulabschluß gewählt werden, Gleichsam im Kontrast zu den Erfolgen, die Mädchen sind dagegen deutlich schlechter. Über die tatsächli- und junge Frauen im allgemeinbildenden Schulsy- che Erreichbarkeit bestimmter Ausbildungswege in stem haben (dort haben sie die Jungen und jungen Abhängigkeit vom Niveau des Schulabschlusses wird Männer überholt), bleiben die jungen Frauen mit ihrer aus schulischer Ungleichheit auch berufliche Un- Bildungsbeteiligung im Bereich der beruflichen Erst- gleichheit. Dieses Bild von je nach Schulabschluß ab- ausbildung auf akademischem wie auf nichtakademi- gestuften Ausbildungschancen zeichnet auch das von schem Niveau benachteiligt. In der beruflichen Aus- der Enquete-Kommission in Auftrag gegebene Gut- bildung im dualen System macht sich diese Benach- achten „Strukturwandel im ländlichen Raum". Dort teiligung zum einen in der relativ geringen Band- heißt es: „Die quantitativen Verschiebungen in der breite bei der Wahl des Ausbildungsplatzes bemerk- Qualifikationsstruktur im Laufe der siebziger Jahre bar: 34,4 % aller weiblichen Auszubildenden konzen- hatten zur Folge, daß hochqualifizierte Ausbildungs- trierten sich 1987 auf nur 5 Ausbildungsberufe (bei berufe im gewerblich-technischen Bereich (z. B. den Männern beträgt die entsprechende Quote Werkzeugmacher, Maschinenschlosser, Radio- und 22,7 %), 54,9 sogar auf insgesamt 10 Berufe (bei den Fernsehtechniker, elektrotechnische und Elektronik Männern 36,0 %). Zum anderen macht sich der Ver- Berufe) immer schwerer für Hauptschulabgänger zu- lust des schulischen Vorsprungs der jungen Frauen gänglich wurden und vermehrt mit Realschulabsol- darin bemerkbar, daß sehr viele von ihnen in perspek- venten besetzt wurden. " (v. DOSKY 1989, S. 19) tivenarmen Berufen lernen: Von den 732 000 weibli- chen Auszubildenden erlernten 1987 allein 61 585 Dieser auch aus den jährlichen Beruf sbildungsberich- (also 8,4 %) den Beruf der Friseurin (BMBW 1989b, ten der Bundesregierung ablesbare Sachverhalt be- S. 103). stätigte sich für die Enquete-Kommission in der Anhö- rung zur „Entwicklung der Bildungs- und Erwerbs- Ein ähnliches Bild des „Umkippens" des weiblichen beteiligung und ihrer Bestimmungsfaktoren" Startvorteils am Ende der allgemeinbildenden Schul- (11.5.1988). Dort führte Dr. Pütz vom BIBB hinsichtlich zeit bietet sich im Bereich der akademischen Berufs- der Anforderungen in den neu geordneten Ausbil- ausbildung. Zum einen gilt: Obwohl mehr junge dungsberufen aus: „Wie ist es mit den Jugendlichen Frauen als junge Männer eine Studienberechtigung mit normalem Hauptschulabschluß? Das ist eine erwerben, stellen Frauen 1987 nur 40,2 % aller Stu- Frage, die für uns noch offen ist." (3/86) Die hier dienanfänger und nur 38,0 % aller Studenten (BMBW durchscheinende Skepsis hinsichtlich der Ausbil- 1989b, S. 135). Eine differenzierende Analyse nach dungsfähigkeit von Schulabsolventen ohne Schulab- Studiengängen zeigt zudem, daß die jungen Frauen schluß und auch von solchen mit einfachem Haupt- überproportional häufig- solche Fachgebiete wählen, schulabschluß fand bei dem Besuch der Ausbildungs- die besonders wenig Arbeitsplatzperspektiven haben: abteilung der Firma Bosch (am 19.10.1988) in Stuttgart So studierten 1987 z. B. allein 9,0 % aller Studentinnen eine Bestätigung: Die Enquete-Kommission erfuhr Germanistik, unter den 15 Studienbereichen, die von dort, daß nur noch 25 % der Auszubildenden bei Bosch Studentinnen am häufigsten gewählt werden, sind über den Hauptschulabschluß verfügten und daß alle dagegen die Ingenieurwissenschaften nicht vertreten anderen Auszubildenden höhere Schulabschlüsse (BMBW 1989b, S. 150). Den hiermit angesprochenen mitbrachten. Weiter wurde der Kommission berichtet, Sachverhalt der Benachteiligung von Frauen wird die daß für die Auszubildenden mit Hauptschulabschluß Enquete-Kommission in einer Reihe von Gutachten besondere firmeninterne Stützkurse in Deutsch und weiter aufklären lassen. Mathematik mit dem Ziel der Steigerung der Ausbil- dungsfähigkeit angeboten werden. Überblickt man insgesamt die groben Strukturen der So wie die Jugendlichen mit niedrigen Schulabschlüs- Chancenzuweisung (auch) durch Bildung und Ausbil sen, also vor allem Arbeiterkinder, Kinder aus sozial- dung, so läßt sich Ende der achtziger Jahre immer schwachen Familien und Kinder ausländischer Ar- noch feststellen, daß die Herkunft aus sozial schwä- beitnehmer und Arbeitnehmerinnen, geringere Start- cheren Familien, die Zugehörigkeit zur ausländischen chancen beim Eintritt in die Berufsausbildung haben, Bevölkerung, die Herkunft aus weniger dicht besie- so sind auch die Chancen der ausländischen Jugend- delten Regionen der Bundesrepublik und die Tatsa- lichen ganz generell ungünstig: Der Berufsbildungs- che, Frau zu sein, die Wahrscheinlichkeit einer gerin- bericht 1989 weist aus, daß 1987/88 lediglich 26,8 % geren Bildungsbeteiligung im allgemeinbildenden der 15- bis unter 18jährigen ausländischen Jugendli- Schulsystem, gar keiner oder einer weniger perspek- chen einen Ausbildungsplatz haben (BMBW 1989a, tivenreichen Berufsausbildung und auch von Er- S. 124). Da zugleich nur sehr wenige Ausländer dieser werbslosigkeit deutlich erhöhen.

Drucksache 11/5349 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode

Den zuletzt angesprochenen Gesichtspunkt, das er- 1989); bezogen auf die kommenden Jahre geht die höhte Risiko der Erwerbslosigkeit letztlich als End- Bund-Länder-Kommission für Bildungsplanung und punkt ungleicher Chancenverteilung in Allgemein- Forschungsförderung davon aus, daß zu den schon und Berufsbildung, belegt die Arbeitsmarktstatistik ausbildungslos gebliebenen jungen Menschen bis eindrucksvoll: 1987 waren bei der Arbeitslosenquote zum Jahr 2000 etwa eine weitere Million Ausbil- von 9 % unter den „abhängigen Erwerbspersonen" dungslose hinzukommen wird (BLK 1989, S. 28). ohne Ausbildungsabschluß 18,4 % arbeitslos, unter Wenn diese Annahme zutrifft, dann werden im Jahr denen mit einer Fach-, Meister- Oder Technikerschule 2000 von den dann unter 40jährigen mindestens 2,5 dagegen nur 3,4 % (TESSARING 1988, S. 4). Hierbei Millionen ohne einen wie immer gearteten berufli- scheint es sich um einen Zusammenhang zu handeln, chen Abschluß bleiben — trotz Bildungsexpansion der in zahlreichen Industrieländern so oder ähnlich und genereller Höhergalifizierung. Daß jedoch Aus- beobachtet wird. Mit Blick auf den internationalen bildungslosigkeit in diesem Umfang nicht hingenom- Prozeß der Bildungsexpansion und auf die damit zu- men werden muß, dies lehrt die Lern- und Altersfor- sammenhängende Frage der Verwertbarkeit „höhe- schung. rer" Bildungs- und Ausbildungsabschlüsse heißt es in dem von der Enquete-Kommission in Auftrag gegebe- Die Enquete-Kommission leitet aus diesen Beobach- nen Gutachten „Educational Trends and Prospects in tungen, gestützt auf erste Ergebnisse der bisherigen OECD Countries" : „The only certitude is that the Anhörungen, vorläufige Hinweise für spätere Emp- higher the qualification the better is the chance of fehlungen zu einer „Qualitativen Bildungsexpansion" locating a job. In popular language 'it still pays to be a ab: graduate'". (LOWE 1989, S. 29) O Übereinstimmend wird die Notwendigkeit gese- hen, die hohe Zahl der Menschen ohne Schulab- Die Chancen, die in den allgemeinbildenden Schulen schluß und ohne Berufsausbildung zu verringern sowie in der beruflichen Erstausbildung erfahrene — durch eine Verbesserung der schulischen und Ungleichkeit der Bildungschancen dann später durch der beruflichen Erstausbildung, aber auch durch berufliche Weiterbildung auszugleichen, sind denk- die Einbeziehung der Ausbildungslosen in die be- bar gering. Das von der Enquete-Kommission in Auf- rufliche Weiterbildung. Auf diesen Aspekt wies trag gegebene Gutachten „Bildungsbeteiligung in der insbesondere der Generalsekretär des BIBB, Dr. beruflichen Weiterbildung" zeigt, daß sich die „Betei- Hermann Schmidt, in der Anhörung vom ligungshierarchie", so wie sie aus Analysen zur schu- 15.3.1989 hin. Im übrigen ist hiermit ein Komplex lischen und beruflichen Bildung bzw. Ausbildung ver- angesprochen, der international als bedeutsam traut ist, in der beruflichen Weiterbildung noch ver- eingeschätzt wird. In dem schon wiederholt her- schärft fortsetzt. In der Zusammenfassung zum Gut- angezogenen Gutachten zu Entwicklungstrends achten heißt es: „Im Zeitverlauf ist eine verschärfte in anderen OECD-Ländern heißt es dazu: The Polarisierung, ein zunehmendes Auseinanderdriften general objective is to raise the level of knowledge der Weiterbildungsquoten der unterschiedlichen so- and skills of all young people, and especially to zialen Gruppen zu konstatieren: die Weiterbildungs- retain in one form or another of education and beteiligung der vornehmlich gehobenen Qualifika- training those who are at present marginalised tions- und Statusebenen, die sich eh durch eine über- in the formal system and who give up organised durchschnittliche Bildungsquote auszeichnen, steigt learning as soon as legally possible, or even before z. T. erheblich, während die der eher unteren Ebenen in certain countries." (LOWE 1989, S. 57) sinkt, teilweise sogar unter das Niveau, das Ende der 70er Jahre erreicht wurde ... Als Verlierer dieser ver- O Zur Erreichung dieses Ziels bedarf es in Bildung schärften Polarisierung lassen sich folgende soziale und Ausbildung auch angepaßter didaktischer Gruppen (als kleinster gemeinsamer Nenner der Ansätze. Prof. Dr. zur Lippe veranschaulichte dies 3 Repräsentativerhebungen) ausmachen: an- und un- in der Anhörung am 16.6.1988: „Wenn ich mit gelernte Arbeiter, einfache Angestellte, Erwerbstä- dem ABM-Handwerker meines Umweltprojektes, tige der gewerblichen Berufe und sachbezogenen das ich nebenbei mitbetreue, arbeite, dann gibt es Dienstleistungsberufe." (BLOCK 1989, S. 8). nie eine Schwierigkeit, uns praktisch über prakti- sche Lösungen zu verständigen, und zwar bis hin Die hier skizzierte knappe Bilanz der Jahre der Bil- zu den differenziertesten Fragen einer hochdiffizi- dungsexpansion mit ihrem Verweis auf die erhalten len Ästhetik. Gerade da ist eine ganz hohe Korn- gebliebenen Verteilungsmuster von Ungleichkeit petenz bei Menschen, die nicht in der Lage sind, müssen die Sinne schärfen für die Schattenseiten des das verbal zu fassen, die sich das selber nicht Prozesses der Höherqualifizierung. Zukünftig, dies zutrauen ..." (5/107). Daß hierbei bereits gang- wurde in unterschiedlichen Zusammenhängen der bare Wege etwa in der Kombination von Berufs- bisherigen Kommissionsarbeit immer wieder heraus- ausbildung und sozialpädagogischer Unterstüt- gestellt, muß sich das Bildungs- und Ausbildungssy- zung erprobt werden, ergaben sowohl die Ver- stem mehr als in der Vergangenheit denen zuwenden, bändeanhörung zum Thema „Berufliche Erstaus- die bei der kontinuierlichen Anhebung der Anforde- bildung und Erwerbsarbeit" (14.9.1988) wie auch rungen in Bildung und Ausbildung nicht haben mit- die Anhörung „Weiterbildung — Lebenslanges halten können: 1987 verließen immer noch 59 000 Ju- Lernen" (8.2.1989). gendliche, nahezu 10 % eines Altersjahrgangs, die all- gemeinbildenden Schulen ohne einen Schulabschluß Bei der Frage, wie hier dauerhafte Erfolge erreicht (BMBW 1989b, S. 68); im gleichen Jahr waren von den werden könnten, zeichneten sich in den bisherigen 1960 und später Geborenen mehr als 1,5 Millionen Beratungen der Kommission zwei möglicherweise endgültig ohne Ausbildung geblieben (KLEMM kontroverse Positionen ab:

Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode Drucksache 11/5349

Einerseits wurde empfohlen, der hier benannten Be- Deutsches Jugendinstitut: Lebensentwürfe von Ju- nachteiligtengruppe besondere Anstrengungen zu gendlichen: Motivation und Berufsorientierung, Pläne widmen — auch in Form längerer Lernzeiten und be- und ihre Realisierung. Gutachten für die Enquete- sonderer ökonomischer Anreizsysteme zur Gewin- Kommission „Zukünftige Bildungspolitik — Bildung nung für die Teilnahme an beruflicher Weiterbildung 2000", München 1989 (Manuskript) (vgl. dazu die Anhörung am 15.3.1989). v. Dosky, D.: Strukturwandel des ländlichen Raums — Andererseits wurde, z. B. in der Verbändeanhörung Anforderungen an die zukünftige Bildungspolitik des am 14.9.1988, der entgegengesetzte Weg vorgeschla- Bundes. Gutachten für die Enquete-Kommission „Zu- gen, nämlich der der Verkürzung von Ausbildungs- künftige Bildungspolitik — Bildung 2000", St. Gallen zeiten für lernschwächere junge Menschen — bei 1989 (Manuskript) gleichzeitiger Anspruchsreduzierung hinsichtlich der Lerninhalte. Enquete-Kommission „ Zukünftige Bildungspolitik — Bildung 2000": Unkorrigierte Wortprotokolle der öf- fentlichen Anhörungen am 11. Mai 1988, 14. Septem- ber 1988, 8. Februar 1989, 15. Februar 1989 und Literatur: 15. März 1989 BLK: Gesamtbetrachtung zu den Beschäftigungsper- Klemm, K. /Rolff, H.-G./Tillmann, K.J. : Bildung für das spektiven von Absolventen des Bildungssystems, Jahr 2000, Reinbek 1985 Bonn 1989 Klemm, K.: Die vergessene Generation: Bilanz der Block, R.: Bildungsbeteiligung in der beruflichen Wei- Ausbildungskrise, in: Pädagogik, Heft 7/1989, terbildung. Gutachten für die Enquete-Kommission S. 111 f „Zukünftige Bildungspolitik — Bildung 2000", Essen 1989 (Manuskript) KMK (Hrsg.): Prognose der Studienanfänger, Studen- ten und Hochschulabsolventen bis 2010, Bonn 1989 BMBW (Hrsg.): Berufsbildungsbericht 1989, Bonn 1989a Lowe, J.: Educational Trends and Prospects in OECD Member Countries. Gutachten für die Enquete -Kom- BMBW: Grund- und Strukturdaten 1988/89, Bonn mission „Zukünftige Bildungspolitik — Bildung 1989b 2000", Paris 1989 (Manuskript) Böttcher, W./Budde, H./Klemm, K.: Schulentwicklung Rösner, E.: Abschied von der Hauptschule, Frankfurt im Ländervergleich: Föderalismus, Nord-Süd-Gefäl- 1989 le und Schulentwicklung, in: Rolff, H.G./Klemm, K./Pfeiffer, H./Rösner, E.: Jahrbuch der Schulentwick- Tessaring, M.: Arbeitsmarkt für Akademiker: Gestern lung 5, Weinheim 1988, S. 49-74 — heute — morgen, in: IAB: Mat AB 5/1988

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Anhang 2

Prof. Dr. Ingrid Lisop

Das Duale System — Realität und zukünftige Entwicklung im Verhältnis zur Weiterbildung

1. Zum Sachverhalt „Problemzone" (5) die Nichtanerkennung des Facharbeiterbriefes aus schulischen oder alternativen Ausbildungs- Das Duale System der Berufsausbildung gilt als da- gängen und insgesamt eine Abschottung gegen- durch charakterisiert, daß es die beiden Lern- bzw. über der schulischen Ausbildung verhindere Ausbildungsorte Betrieb und Berufsschule kombi- (noch) die notwendige Entwicklung integrativer niert.. Diese repräsentieren das Prinzip der Selbstver- Verbindungen und Gleichwertigkeit; waltung der Wirtschaft einerseits und der öffentlichen Verantwortung durch die Staatsverwaltung anderer- (6) die im Rahmen der Erstellung der Ordnungsmittel seits, und sie realisieren das duale Prinzip der Ver- angewandten Tätigkeitsanalysen und Qualifika- schränkung von Theorie und Praxis, Arbeiten und tionsprofile begrenzten die Berufsausbildung auf Lernen. den Erwerb von Spezialkenntnissen und -fertig- keiten und verschütteten dadurch die Anliegen Das Duale System wird als bewährt und erfolgreich und Chancen von Bildung. bezeichnet, und es erfreut sich breiter gesellschaftli- cher Akzeptanz. So wurden auch in den Anhörungen Eine üblicherweise nicht angeführte Schwäche wurde und in den Expertengesprächen der Enquete-Kom- für die Kommission in einem Gutachten über den mission ausführlich die bereits als klassisch zu be- „Strukturwandel im ländlichen Raum — Anforderun- zeichnenden Auffassungen über die Stärken, jedoch gen an die Bildungspolitik des Bundes" sichtbar. Sie auch die Schwächen des Dualen Systems vorgetra- scheint generell dort wirksam zu sein, wo Monostruk- gen. Als Stärken gelten: turen, wirtschaftliche „Ausdünnungen" oder Struk- (1) Pädagogische Effizienz durch die Verbindung von turveränderungen prägend sind: Das Duale System Theorie und Praxis, Arbeiten und Lernen; tendiere dazu, regional vorhandene Strukturschwä- chen noch zu verstärken, „weil die im regionalen (2) Flexibilität und Innovationsnähe (durch Wettbe- Strukturwandel benötigten neuen Qualifikationen werb, einzelbetriebliche Finanzierung, Anpas- nicht ausgebildet werden. ... Das Angebot an vollzeit- sung an quantitative Veränderungen); schulischer Berufsbildung weist zusätzlich eher ein zufälliges räumliches Muster auf und vollzeitschuli- (3) die Funktion des Dualen Systems als gemeinsam sche Einrichtungen werden tendenziell eher dort stär- getragenes ordnungspolitisches Instrument der ker angeboten, wo auch eine relativ günstige Versor- Sozialparteien (Tarifparteien). gung im betrieblichen Breich gegeben ist" (von Dosky 1989, 17). Die ersten beiden Punkte werden als positiv auch in der Diskussion um die Weiterbildung genannt; um den dritten Punkt wird im Kontext von Weiterbildung Mit „Stärken und Schwächen" des Dualen Systems noch gerungen, z. B. in der Frage um tarifvertragliche der Berufsbildung ist eine erste, auch in der Enquete Regelungen der Weiterbildungsansprüche, -zeiten Kommission „Zukünftige Bildungspolitik — Bildung und -formen. 2000" thematisierte -Problemzone benannt. Eine reine Stärken-/Schwächen-Bilanz verdeckt jedoch in nicht Als Schwächen gelten: geringem Maße jene anderen strukturellen Problem- zonen, die durch die einzelnen Gutachten sichtbar (1) Die ordnungspolitische Schwerfälligkeit bis Un- wurden: beweglichkeit, sie mache die Flexibilität und In- novationsnähe aufs Ganze gesehen zu einer Fik- Rechtsgrundlage für die betriebliche Berufsausbil- tion; dung sind u. a. die sogenannten Ordnungsmittel. Am Prozeß der Erstellung der Ordnungsmittel (Berufsbild, (2) die Verbindung von Arbeiten und Lernen, Theorie Berufsbildungsplan, Ausbildungsrahmenplan, fachli- und Praxis kranke an der schlechten, wenn über- che Ausbildungspläne, Prüfungsanforderungen) sind haupt möglichen Abstimmung der Lernorte und außer den Tarifparteien der Bund, die Länder und das am Qualitätsgefälle zwischen Ausbildungsbetrie- Bundesinstitut für Berufsbildung beteiligt. Die Ab- ben und Ausbildungsberufen sowie der mangel- stimmungsverfahren im Hauptausschuß des Bundes- haften pädagogischen Professionalität von Ausbil- dern und Lehrern; instituts für Berufsbildung einschließlich des Länder- ausschusses für Berufsbildung und den Berufsbil- (3) Markt- und Strukturabhängigkeiten wirkten als dungsausschüssen auf Kammerebene sollen sichern, bestimmende Einflußgrößen. Das Duale System daß möglichst viele bildungspolitische, wirtschaftli- sei eher ein ökonomisches Vorleistungssystem che, technische und soziale Gesichtspunkte und Inter- denn Teil des Bildungssystems; essen berücksichtigt werden. Darüber hinaus finden Abstimmungen noch auf den Ebenen zwischen den (4) die Anpassung an vorgegebene Veränderungen Tarifparteien und innerhalb derselben, zwischen folge dem betriebswirtschaftlichen Kalkül und Bund und Ländern und zwischen den staatlichen In- führe so zu Engpässen; stanzen und den Tarifparteien statt. Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode Drucksache 11/5349

Dieses Gefüge von Abstimmungen verdeutlicht, mit Tiefgreifende Strukturveränderungen sind Freiset- welch hochsensiblen Machtstrukturen man es beim zungsprozesse der folgenden Art: Dualen System zu tun hat. In seinem für die Enquete- Komission erstellten Gutachten über „Erfahrungen Gesellschaftliche Entwicklungen und Umbrüche set- mit dem Dualen System der Berufsausbildung unter zen durch die stets technisch und ökonomisch ver- Berücksichtigung der Wandlungen des Begriffs dual flochtenen Veränderungen außer Arbeitskräften so- und der praktizierten Dualität" nennt Stratmann das wohl überkommene Produktivkraftpotentiale wie Duale System folglich nicht zu Unrecht ein „Sank- technische Aggregate, Produktionsverfahren und tuarium" (Stratmann 1989, 183), das heißt Aufbewah- Wissensbestände aus ihren bisherigen Funktionszu- rungsort für einen Reliquienschrein. Auch die histori- sammenhängen frei als auch Rechtsformen, Formen sche Quellenlage macht deutlich, daß es durch seine von Institutionalisierungen sowie allgemeine Tradi- Komplexität und Interessenabhängigkeit immer eine tionsbestände des Denkens, Fühlens und Wollens. besondere Problemzone der Bildungspolitik war. Freisetzungserscheinungen sind im weitesten Sinne des Wortes mit Auflösungserscheinungen verbunden, Statt von einem Sanktuarium könnte man im Prinzip weshalb sie sozialen Sprengstoff enthalten; man auch von einer Tabuzone sprechen. Bekanntermaßen denke allein an Arbeitslosigkeit und an Wertdiffusion. ist das Tabu sozialpsychologisch dadurch gekenn- Das Freigesetzte stellt Herausforderungen an neue zeichnet, daß sich an seine Berühung Vernichtungs- gesellschaftliche Formgebungen und Einbindungen, ängste knüpfen. Folglich gilt, wer das Duale System woraus für Bildung die Aufgabe und die Chance von kritisch-konstruktiv würdigt, eventuell und sogar ver- Aufklärung und zukunftsgerichteter Qualifizierung ständlicherweise als sein Feind. resultieren. Freisetzungen bergen durch die Offenheit der Entwicklung unterschiedliche Möglichkeiten für Aus diesem Grunde sei die konstruktive Absicht, von neue Vergesellschaftungen. der die Arbeit der Enquete-Kommission geleitet ist, bezüglich des Dualen Systems wie folgt umrissen: „Gestaltend eingreifen" (Hervorhebung I.L.) ist auch der Grundtenor des Berufsbildungsberichts 1989, auf Folgt man dem Einsetzungsbeschluß der Enquete den noch näher einzugehen sein wird. Sein erster Teil Kommission, dann ist es nicht das Bildungssystem an liest sich wie ein einziger Appell an die Innovations- sich, dann sind es nicht in der Kompetenz des Bundes bereitschaft zum Zwecke der Wettbewerbssicherung liegende Teilbereiche an sich, die neu bedacht wer- der bundesdeuschen Wirtschaft. Der Bericht spricht den müssen, sondern ihre Zukunft im Zusammenhang davon, daß im Anschluß an die „erste Runde" der mit den tiefgreifenden Strukturveränderungen unse- Neuordnung nach deren kritischer Prüfung die rer Gesellschaft. Konsequenterweise muß dann auch „zweite Modernisierungswelle" anstehe (BMBW das Duale System daraufhin geprüft werden, ob es 1989, 4). Die außerordentliche Dringlichkeit der Ver- Veränderungen ausgesetzt ist, die rechtzeitig verhin- änderung, die aus dem Bericht spricht, wurde der dert oder konstruktiv innovierend aufgefangen wer- Enquete-Kommission auch in zahlreichen Anhörun- den müssen. Hierfür Perspektiven zu entwickeln, das gen vermittelt. verlangt, Strukturanalysen vorzunehmen, die — sollte Die Zukunft des Dualen Systems im Zusammenhang es sich wirklich um ein Sanktuarium handeln — wie mit den tiefgreifenden Strukturveränderungen läßt eine Enttabuisierung wirken könnten. Und nicht um- sich an drei Problemzonen des Dualen Systems beson- sonst betont deshalb auch der Beruf sbildungsbericht ders markant aufzeigen: Zum einen sind die diversen 1989 (BMBW 1989, 5) die Notwendigkeit, die heiklen Dualitäten des Dualen Systems in ihrer Vielschichtig- Problemzonen der Berufsbildung „offen und vorur- keit und unterschiedlichen- Relevanz hinsichtlich des teilsfrei" zu diskutieren. Dieser Diskussion — nicht Bildungsauftrages zu reflektieren. Die Frage der Kon- aber vorweggreifenden Optionen — dient der vorlie- kurrenzfähigkeit und damit der Umgestaltungsnot- gende Beitrag. wendigkeit des Dualen Systems ist in einem zweiten Schritt am Ordnungssystem, am Berufsbezug und an Wenn es richtig ist, daß wir uns in einer weitreichen- der beruflichen Neuordnung darzulegen. Und den Phase tiefgehender Strukturveränderungen be- schließlich gilt es, die neuartige Vernahtung von Aus- finden, dann ist das Bemühen um eine bloße Fortent- bildung und Weiterbildung zu erörtern. wicklung des Dualen Systems obsolet geworden. In diese Richtung gehen jene Einschätzungen, die für die neunziger Jahre vor einer sehr großen K rise, wenn nicht dem möglichen Zusammenbruch des Dualen Systems warnen. So der Soziologe Burkart Lutz in der 2. Die Dualitäten des Dualen Systems öffentlichen Anhörung der Kommission am 15. 2. 1989 zum Thema „Strukturwandel in Arbeit und Beruf und Obwohl die gängige Vorstellung das Duale System im sein Verhältnis zu Bildung und Ausbildung unter be- wesentlichen durch die Kombination zweier Lernorte sonderer Berücksichtigung des Flexibilitätsaspekts" charakterisiert sieht, bezieht sich die Dualität auf und der Berufspädagoge Georg Rothe in der Anhö- mehr als den doppelten Lernort Betrieb und Berufs- rung am 11. 1. 1989 zum Thema „Bildung und euro- schule. Sie hat diverse, auf komplizierte Weise ver- päische Integration" . Solche Prognosen, empirisch schränkte Ebenen, und auch in sich sind die Pole der gestützt und von Befürwortern des Dualen Systems Dualitäten inzwischen verdoppelt, vervielfacht oder vorgetragen, müssen ernstgenommen werden. Es in ihrem ursprünglichen Wesen verändert. Aus dieser wäre verantwortungslos, sie als Horrorphantasien ab- Komplexität erklärt sich, daß es im Dualen System zuqualifizieren. Dauerprobleme gibt (vgl. „Schwächen-Katalog").

Drucksache 11/5349 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode

So läßt sich eine zweite Ebene der Dualität außer der (BMBW 1989, 4) neu als Politikum stellt und damit zur genannten der Lernorte in der Trägerschaft identifi- Kernfrage von Bildungspolitik geworden ist. zieren. Der Träger einer Bildungseinrichtung finan- ziert diese, und er bestimmt im Zuge der Durchfüh- Der Berufsbildungsbericht 1989 bezeichnet das Duale rung im Rahmen der einschlägigen Gesetze das be- System „als ein quantitatives und qualitatives Kern- sondere pädagogische Profil; schließlich wählt er das stück des Bildungssystems" (BMBW 1989, 4), das es zuständige Personal aus. Die Trägerschaft in der Dua- als solches zu erhalten gelte. Was diese Forderung len Ausbildung ist in sich mehrfach dual gebrochen. angesichts des Strukturwandels bedeutet, das soll im Auf Seiten der Schulen fungieren die Kommunen für folgenden an einigen, bei weitem nicht an allen Pro- die sächlichen, die Länder für die personalen Belange. blemen beleuchtet werden. Als Zugangsebenen wer- Auf Seiten der Betriebe finden wir außer Einzelbetrie- den dabei die Komplexe Ordnungssystem, Neuord- ben, Betriebsverbänden und überbetrieblichen Ein- nung und Berufsbezug sowie Weiterbildung gewählt. richtungen als Träger auch die Kammern. Ergänzend Die Rolle der Berufsschule wird dabei jeweils mit be- hierzu sind im Zuge staatlicher Förderprogramme zur handelt. Um Mißverständnissen vorzubeugen: dies Steuerung der Stellenkrise auf dem Ausbildungs- und hat seinen Grund nicht darin, daß eine Enquete- Arbeitsmarkt außerbetriebliche Einrichtungen als Kommission des Bundestages keine Länderbelange Träger entstanden, die von Bund und Ländern bzw. aufgreifen darf. Das Duale System als halbierte Dua- aus Mitteln der Arbeitsverwaltung finanziert wer- lität zu behandeln, käme im übrigen einer Groteske den. gleich. Die Ebene der Trägerschaft verschränkt sich ihrerseits Die Berufsschule ist zwischen ihrem öffentlichen, in wieder mit der sozial- und arbeitsmarktpolitischen den Rahmenlehrplänen verankerten Bldungsauftrag Dualität der Sozialparteien sowie mit der gesetzgebe- und der durch Berufsbildungsgesetz und Ordnungs- rischen Hoheitsfunktion von Bund und Ländern. Für verfahren auferlegten Qualifizierungsverpflichtung den Erlaß der Ausbildungsordnungen ist der Bund, für dilemmatisch gefesselt. Die Berufsschule leistet an die schulischen Rahmenpläne das jeweilige Bundes- vielen Orten fachtheoretisch, fachpraktisch und päda- land zuständig. Zwischen Bund und Ländern sowie gogisch Hervorragendes. Dennoch ist sie aufgrund zwischen den Ländern und den am Prozeß zur Erstel- objektiver Strukturen bildungspolitisch — oder ge- lung der Ordnungsmittel beteiligten Tarifparteien nauer: gesellschaftspolitisch — nicht „handlungsfä- gibt es jedoch — wie bereits zu Anfang erwähnt — hig" , sondern Objekt des Dualen Systems. Hinzu differenzierte Beteiligungs- bzw. Abstimmungsver- kommt, daß die räumliche und sachliche Ausstattung, fahren. daß die Zeitkontingente (ein Berufsschultag pro Wo- che) und der für die neunziger Jahre drohende ekla- Schließlich müssen wir, bedingt durch die Arbeits- tante Lehrermangel in keinem Verhältnis zur Schärfe

marktlage, zwischen Ausbildung im „ Normalfalle" und Vielfalt ihrer pädagogischen Probleme und Auf- und derjenigen nach dem Arbeitsförderungsgesetz gaben stehen. Man denke allein an die Altersspanne unterscheiden (sogenanntes Benachteiligtenpro- und an die unterschiedliche Vorbildung und soziale gramm), auch dies ist eine Dualität eigener Art. Herkunft der Schüler. Als letzte, aber besonders wichtige ist die didaktische Dualität zu nennen. Die Didaktik ist die Theo rie bzw. Lehre vom Lehren und Lernen. Sie umfaßt deren 3. Ordnungssystem, Berufsbezug und Neuordnung Strukturen und Prozesse in einer Breite, welche die „Der Charakter der Ausbildungsordnungen, die lang- Ziele, Inhalte und Methoden ebenso umfaßt wie die - Ausstattung der Lernorte und die Qualifizierung der fristig tragfähig sein sollen und sich nicht an den am Lehrenden. An diesem umfangreichen Komplex las- weitesten fortgeschrittenen Betrieben orientieren sen sich folgende bedeutsame duale Ausdifferenzie- können, sondern die Ausbildungsfähigkeit aller ge- rungen ausmachen: eigneten Betriebe erhalten müssen, bringt es mit sich, daß neue Ausbildungsordnungen in vielen Fällen Ausbildungsordnungen und Lehrpläne „nur" festschreiben, was inzwischen bereits bet riebli- che Ausbildungspraxis geworden ist" (BMBW 1989, — Lehrgänge und produktive Tätigkeit 5). Diese Aussage muß durch eine weitere ergänzt — Fachtheorie und Fachpraxis werden, will man sich der Bedeutung von Ausbil- dungsordnungen angemessen nähern: — Spezialbildung durch Tätigkeitsbezug und fach- übergreifende Qualifikation Laut Verzeichnis der anerkannten Ausbildungsberufe sind knapp 10 v. H. überhaupt nicht durch Ausbil- — Berufsbildung und Allgemeinbildung dungsordnungen geregelt, ein knappes Viertel der Regelungen stammt aus den Jahren 1936-1945, und — Ausbilder und Lehrer bzw. Theorielehrer und Leh- weitere rund 46 v. H. stammen aus der Zeit zwischen rer für Fachpraxis. 1946 und 1980. Alle didaktischen Dualitäten stellen sich heute in al Man wird sich folglich der Interpretation, die Strat- len Lernorten als Gestaltungsaufgabe. Das heißt aber mann in seinem Gutachten über die Erfahrungen mit nichts anderes, als daß erstens mit der Dualität Schule dem Dualen System macht, nicht ganz entziehen kön- — Betrieb die Lernortfrage neu bedacht werden muß nen. Sie lautet: „daß das Bewährungskriterium sehr und daß sich zweitens die historisch nicht zu erhär- behutsam zu verwenden ist, wenn auch nur jene Maß- tende Behauptung „Berufsausbildung ist Bildung" stäbe angelegt werden, die das Berufsbildungsgesetz

Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode Drucksache 11/5349 vorschreibt. ... Wie man die Langlebigkeit so vieler die Hauptschule geworben wird, ist seitens der durch Ausbildungsordnungen rechtfertigen soll, bleibt ... den Bund zu vertretenden Neuordnungen das Ein- ein Geheimnis." (Stratmann 1989, 241) Und nicht nur gangsniveau für die Duale Ausbildung über das das: Läßt sich doch die Frage nicht von der Hand wei- Hauptschulniveau hinausgehoben worden. Dies sen, womit sie überhaupt gerechtfertigt werden; ab- wurde in allen Anhörungen deutlich, als Problem aber gesehen vom Konsens der Tarifparteien, der nach Be- besonders von den Vertretern der Länder benannt. rufsbildungsbericht 1989 dazu dient, die Akzeptanz Die berühmt-berüchtigte Aussage Schelskys, die der Berufsausbildung zu sichern. Schule fungiere als Zuteilungsapparatur für Lebens- chancen, gilt wohl nun auch für die Neuordnungen. Wie fortschrittlich bzw. neu also sind die Neuordnun- Daran ändert auch die Tatsache nichts, daß die Zu- gen, wenn sie bestenfalls nur festschreiben, was gangsberechtigungen sich formal nicht verändert ha- längst Praxis ist? ben. Die Neuordnung der Ausbildungsberufe in den So ist die Möglichkeit einer Zweigliederung des Dua- Hauptbereichen Metall und Elektro sowie der Büro- len Systems nicht von der Hand zu weisen. Der eine berufe und im Einzelhandel beinhaltet die Moderni- Teil könnte sich privatisiert und auf hohem An- sierung der grundlegenden Rechtsverordnungen, die spruchsniveau konsolidieren und zur Ausbildung für z. T. über mehr als 40 Jahre unverändert waren. Im Wenige werden. Für die möglicherweise Vielen, die einzelnen erfolgte eine Neubestimmung der Berufs- dieser Ausbildung nicht mehr gewachsen sein wer- bezeichnung, der Ausbildungsphasen (-stufen) sowie den, müßten dann andere Möglichkeiten gefunden der Ausbildungs- und Prüfungsinhalte. Die Stufung werden bzw. müßte der Staat einspringen. In einem gliedert vom Allgemeinen zum Speziellen und rückt solchen Falle müßten sich allerdings Arbeitsmarkt- damit innerhalb des Gesamtverlaufs eine Dualisie- politik und Ausbildungspolitik neuartig und intensi- rung zwischen Polyvalenz einerseits und Fachrich- ver als jetzt verzahnen, um im Anschluß an die Aus- tungsspezifik andererseits in den Blick. bildung (zweite Schwelle) für Arbeitsplätze zu sorgen; Durch die didaktisch allgemeinen Elemente in der geriete doch sonst die Ausbildung lediglich zur zeit- Neuordnung wird nicht die Frage aufgeworfen, ob weiligen sozialpolitischen Ruhigstellung. sogenannte allgemeinbildende Fächer, z. B. Politik, Deutsch oder Fremdsprachen, Sport oder Kunst im Auch der jüngste Berufsbildungsbericht erörtert diese Ausbildungsgang enthalten sein sollten. Vielmehr potentielle Zweiteilung. Zwar plädiert er ausdrücklich geht es darum, daß jede Spezial-Ausbildung heute in dafür, „ungerechtfertigte", „verfestigte Vorbildungs- hohem Maße allgemeine theoretische Elemente ent- strukturen" zu lockern (BMBW 1989, 2). Er sagt auch hält und dadurch polyvalenten Charakter angenom- eindeutig, daß sich „eine durchgängige Bevorzugung men hat. So qualifiziert die Neuordnung z. T. auf wis- von Bewerbern mit mittleren oder höheren Abschlüs- senschaftspropädeutischem Niveau für eine breite sen" „von den objektiven Anforderungen her nicht Pallette von Berufen und legt zugleich eine Basis für rechtfertigen" läßt (BMBW 1989, 5). Dennoch ist die die spätere Weiterbildung. Infolgedessen setzt sie be- Realität der sozialen Differenzierung (Hierarchisie- züglich der inhaltlichen Vorkenntnisse und bezüglich rung) durch das Zugeständnis bestimmt, daß Qualifi- des Methodenwissens ein Eingangsniveau voraus, kationsanforderungen auch soziale Entscheidungen dem Hauptschulabsolventen/innen nicht mehr ge- und somit nicht nur durch konkrete Arbeitsbedingun- wachsen sind. Die Anforderungen an Vorkenntnisse, gen vorgegeben sind. aber auch an selbständige Arbeitsplanung, -ausfüh- Die geschilderte Komplexität der Dualitäten des Dua- rung und Ergebniskontrolle, an schriftliche und len Systems bringt es mit sich, daß die meisten seiner mündliche Ausdrucksfähigkeit, an Teamfähigkeit, an Probleme und Problemlagen ambivalent, d. h. doppel- das Anwendenkönnen von Lerntechniken, an Frustra- wertig sind. Daraus folgen bildungspolitische Wider- tionstoleranz und Umstellungsfähigkeit, die sich neu- sprüchlichkeiten bzw. Lähmungen zwischen „einer- erdings bei selbständigem Lernen durch Nutzung der seits" und „andererseits", und es wird unterschwelli- sogenannten interaktiven Lernsysteme stellen, rei- gen, unkontrollierten Entwicklungen freie Bahn ge- chen weit über das hinaus, was die Hauptschule ihren boten. Absolventen bietet. Auf dieses Problem verwies zum Beispiel in der Expertenanhörung am 15. 2. 1989 der Zur Veranschaulichung solcher Ambivalenz-Pro- Vertreter der Firma Siemens. Wie andere Großbe- bleme mögen hier zwei ausführliche Zitate aus dem triebe auch, rekrutiere sie ihren Facharbeiternach- Berufsbildungsbericht von 1989 stehen. Im ersten Fall wuchs hauptsächlich aus Realschülern (Protokoll der geht es um Segmentierungen innerhalb des Dualen Anhörung, S. 39). Systems einerseits, um neue Wege von Ausbildung andererseits: Der neuartige, hochtheoretisierte Lehrgangscharak- ter der betrieblichen Seite der Berufsausbildung hat „Allen Ausbildungsplatzbewerbern eine Chance zu mehrfache Auswirkungen. Er nähert, pädagogisch geben, wird auf Dauer nur gelingen, wenn sehr betrachtet, die betriebliche Seite der Ausbildung der viele Ausbildungsbetriebe das Bewerberpotential schulischen an. Er verwischt so — worauf vor allem die möglichst gut ausschöpfen. Nur so können die Dis- Vertreter der Länder in der Kommissionssitzung am krepanzen zwischen den Berufsgruppen beim be- 17. 5. 1989 verwiesen — die Grenzen zwischen der ginnenden Wettbewerb um den Nachwuchs in ge- schulischen und der betrieblichen, der beruflichen samtwirtschaftlich und für die einzelnen Branchen und der allgemeinen Bildung (Lernortfrage). Schließ- vertretbaren Grenzen gehalten werden und das lich bewirkt er ein bildungspolitisches Dilemma: duale System gegenüber der Konkurrenz anderer Während in einzelnen Bundesländern verstärkt für Ausbildungsmöglichkeiten bestehen. Möglichst

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viele Ausbildungsberufe des dualen Systems müs- fene Formulierung von Ausbildungsordnungen er- sen für leistungsschwächere Jugendliche, für junge leichtert werden und so die notwendigen Anpassun- Ausländer und Aussiedler mit Sprachdefiziten und gen der Berufsbildungspraxis über möglichst lange für behinderte junge Menschen offengehalten oder Zeiträume auch ohne formelle Neuordnung möglich mehr als bisher geöffnet werden ... Andererseits machen" (BMBW 1989, 4). müssen diese Ausbildungsberufe für Bewerber mit mittleren und höheren Abschlüssen attraktiv blei- An dieser Aussage wird zumindest berufspädagogi- ben, andere müssen attraktiver werden. Um dies zu schen Experten klar, daß das Berufskonzept die Aus- erreichen, muß von den im Rahmen des Berufsbil- bildung nicht mehr fundieren kann. Die Neuordnung dungsgesetzes gegebenen Möglichkeiten zur indi- selbst ist dafür Beweis, wie noch zu zeigen sein viduellen Förderung sowie zur Differenzierung von wird. Anforderungen und Ausbildungszeiten für die ein- zelnen Auszubildenden stärker Gebrauch gemacht Das Argument, unser Berufsbildungssystem sei durch werden, aber auch über neue Ansätze der Gestal- seine Bindung an Ausbildungsordnungen zu starr für tung der Ausbildung nachgedacht werden" (BMBW die Wandlungsprozesse, die sich durch die informa- 1989, 2). tionstechnischen Veränderungen stellen, wurde der Enquete-Kommission auch in einer Expertenanhö- An verschiedenen Stellen des Berufsbildungsberichts rung vorgetragen, wenngleich aus subjekt- und nicht wird davor gewarnt, daß Jugendliche mit formal ge- aus objektbezogener Sicht (vgl. hierzu meinen Beitrag ringer Vorbildung auf der Strecke bleiben. Dennoch „Technischer Wandel und Bildung"). Dem Ordnungs- werden die fachtheoretisch sehr anspruchvoll ausge- system der Dualen Ausbildung, so hieß es, sei legten Neuordnungen als Mindestanforderung einge- „zwangsläufig von vornherein ein Defizit an Moderni- stuft, wird ihre Offenheit gegenüber Vorbildungsan- tät eingebaut" , woraus sich die Forderung nach offe- forderungen betont. So heißt es: nen Berufsbildern ergebe (Heidegger am 15.2.1989), doch ohne Differenzierung nach ungleicher Wertig- „Qualität und Konkurrenzfähigkeit des dualen Sy- keit. stems werden im wesentlichen durch Bildungsziele, Bildungsinalte, Anforderungsniveau und Bildungs- Die Bemühungen um Flexibilisierung korrespondie- zeiten bestimmt, die für den betrieblichen Teil der ren mit internationalen Bemühungen, insbesondere dualen Ausbildung ... in den Ausbildungsordnun- des Internationalen Arbeitsamtes, neuerdings aber gen beschrieben sind. In den neuen Ausbildungs- auch des BIBB, flexible Baukastensysteme (modulare ordnungen sind sie nicht statisch festgelegt, son- Systeme, „Modules of Employable Skills-MES") zu dern lassen ausgehend von offen formulierten, auf schaffen. langfristige Tragfähigkeit angelegten Mindestan- forderungen, Raum für Entwicklungen, die den be- Die Einsicht mag schockieren, aber es läßt sich die trieblichen Realitäten, den sich durch wirtschaftli- Annahme nicht von der Hand weisen, daß die Neu- che, arbeitsorganisatorische und technische Ent- ordnungen historisch lediglich ein Übergangsphäno- wicklung ändernden Anforderungen sowie der Vor- men darstellen. Für diese Annahme gibt es — außer bildung und der Leistungsfähigkeit des jeweiligen den bereits angeführten — die folgenden weiteren Auszubildenden entsprechen" (BMBW 1989, 4). Gründe:

Auch die neuen Qualifikationsanforderungen der Die Ausbildungsberufe sind nicht identisch mit den ganzheitlichen Ausbildung hinsichtlich selbständigen Erwachsenenberufen. Anders ausgedrückt: Die bis- Planens, Durchführens und Kontrollierens und der her durch die Ausbildungs-Ordnungsmittel- öffent- neue methodische Sechsschritt: Informieren, Planen, lich-rechtlich ausgewiesene Struktur der Ausbil- Entscheiden, Ausführen, Kontrollieren und Bewerten dungsberufe deckt nur teilweise die Struktur des Be- haben einen durchaus ambivalenten Charakter. Ei- schäftigungssystems und seiner Tätigkeitsprofile ab. nerseits präsentieren sie sich als neuer Lernweg, an- Es bestehen ebenso Defizite wie Überschüsse, wobei dererseits geraten sie zur bloßen Transferangelegen- der Strukturwandel Tendenzen der Auflösung des heit von der Vorbildung auf neue Inhalte, das heißt sie bislang organisierenden Prinzips „Beruf" ins Licht werden als Qualifikation nicht vermittelt, sondern vor- rückt. Dies läßt sich besonders gut an den Diskussio- ausgesetzt. Wenn 'es außerdem gelten soll, daß „Fehl- nen um die Stufengliederung in der Neuordnung ab- entwicklungen in anderen Bildungsbereichen ... lesen. nicht auf Kosten der Berufsausbildung korrigiert wer- den (dürfen)" (BMBW 1989, 5), wenn gleichzeitig eine Zeitlich gliedern die (industriellen) Neuordnungen Verkürzung der Bildungszeiten in Schule und Ausbil- den Verlauf der Ausbildung nach folgenden Phasen: dung erwogen und Praxisorientierung gegen Theo rie Grundbildung auf Berufsfeldbreite (z. B. alle Elektro- ausgespielt wird, dann kann vor dem bildungs- und berufe), gemeinsame Fachausbildung, ebenfalls auf sozialpolitischen Scherbenhaufen, der da vorpro- der Breite des gesamten Berufsfeldes oder nach Be- grammiert wird, nur gewarnt werden. Zumal es — rufsgruppen, sodann berufsspezifische Fachausbil- wiederum im Berufsbildungsbericht — unverblümt dung und schließlich mit 1,5 von 3,5 Jahren eine fach- heißt: „Das Bemühen um Konsens dient der Akzep- richtungsspezifische Fachbildung. Hier werden Be- tanz in der Berufsbildungspraxis. Dies darf aber nicht rufe wie z. B. Industrie-Elektroniker/in oder Konstruk- auf Kosten einer raschen und notwendigen Aktuali- tionsmechaniker/in in Fachrichtungen zerlegt. Für sierung der Berufsausbildung gehen. Die ständige den Beruf Konstruktionsmechaniker/in bedeutet das Aktualisierung der Berufsausbildung sollte darüber z. B. eine Aufteilung nach Metall- und Schnittbau- hinaus durch eine für technische Entwicklungen of technik, Ausrüstungstechnik und Feinblechtechnik.

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Diese als Fachrichtungsmodell bezeichnete Gliede- und in Großbetrieben des Metallsektors bereits ab- rung stellt einen Kompromiß zwischen den Tarifpar- zeichnet: teien dar. Die Gewerkschaften wollten möglichst we- nig Differenzierung, während der Arbeitgeberseite an Alle Neuordnungen bieten die Möglichkeit, die ersten spezialisierten und voneinander abgegrenzten Aus- ein bis zwei Jahre der allgemeinen, polyvalenten bildungsberufen gelegen war. So interpretiert die Ge- Qualifizierung (heiße sie, wie sie wolle) von der fach- werkschaftsseite das Fachrichtungsmodell auch als (richtungs)spezifischen Phase zu trennen und eventu- „sechs Berufe mit insgesamt 16 Fachrichtungen oder ell sogar diese Phase modular zu zerlegen. Vom Ge- Berufsprofilen", die Arbeitgeberseite dagegen spricht samtbildungssystem her betrachtet, hieße das: die po- von „Berufsabschlüssen genannt Fachrichtungen" lyvalente Phase kann schulischen Bildungsgängen bzw. von „eigenständigen Qualifikationen, die zu oder außerbetrieblichen, aus öffentlichen Mitteln oder Ausbildungsberufen zusammengeführt werden" Fonds finanzierten Trägern übertragen werden. Spe- (Stratmann 1989, 267). Unter Hinweis auf die seit den zialisierungen, Vertiefungen und Verbreiterungen 20er Jahren immer erneut geführte ausführliche Dis- verlagern sich in den Weiterbildungsbereich. Die kussion des — nicht nur — „didaktisch prüfenswerten duale Ausbildung gäbe also einerseits Teile an schu- Berufskonzeptes" (Stratmann 1989, 230) zieht Strat- lische o.ä. Vorphasen, andererseits an die Weiterbil- mann in seinem Gutachten den Schluß, daß das Be dung ab. Durch die Perspektiven der Kombination von rufskonzept „für die Stabilität des Dualen Systems Arbeitszeit und Bildungszeit könnte sich hier eine weiterer Erörterung und auch ,berufs'-wissenschaftli- ganz neue Art des Dualen Prinzips (nicht Systems!) cher Analysen" bedürfe (Stratmann 1989, 268), zumal der Verbindung von Arbeiten und Lernen formieren, „es naiv wäre anzunehmen, daß diese (gemeint sind das auf der Basis der entkoppelten Maschinenlaufzei- didaktische Erwägungen, I. L.) überhaupt den leiten- ten von den Arbeitszeiten verständlich wird. den Gesichtspunkt für Neuordnungen abgäben. " So betrachtet, weist der Berufsbildungsbericht zu (Stratmann 1989, 272) Recht auf die zentrale Rolle der Berufsausbildung als Kernstück des Bildungssystems hin; denn die Heraus- Ohne Zweifel läßt sich das Festhalten am Berufsprin- forderungen des Strukturwandels an das Duale Sy- zip aus sozialgeschichtlich bedeutsamen Wurzeln, stem werfen unumgänglich die Frage nach der Rolle wie z. B. dauerhafte soziale Zugehörigkeit, soziale des Bildungssystems insgesamt auf. Die Ideologie der Sicherheit und überschaubare Laufbahnen, erklären Bildung über den Beruf scheint an das Ende ihrer Wir- (Beck, Brater, Daheim 1980, Famulla 1987). Unbe- kungsmöglichkeiten gelangt zu sein. Wenn eine streitbar ist aber auch, daß es dafür steht, daß am Ende breite und neuartige Öffnung des Dualen Systems der Ausbildng eine zwar volle, häufig aber schmale gegenüber der allgemeinen Bildung nicht leistbar ist, Einsatzfähigkeit am Arbeitsplatz in dem Sinne erlangt dann muß das allgemeine Bildungswesen instand ge- ist, daß „Spezialisierungen, Vertiefungen und Ver- setzt werden, das Niveau der Bildung der Allgemein- breiterungen beruflicher Fähigkeiten, die für den heit bei gleichzeitiger Veränderung der Curricula zu ersten Berufseinstieg nicht notwendig sind, in den steigern (vgl. hierzu DGB 1989). Weiterbildungsbereich zu verlagern" sind (BMBW 1989, 1).

Alles in allem sind wir folglich mit einem in sich wider- 4. Ausbildung und Weiterbildung spruchsvollen Bündel von Flexibilitätsforderungen konfrontiert. Formal wird eine rasche inhaltliche An- Die Verzahnung von Erstausbildung und Weiterbil- passungsfähigkeit des Ausbildungssystems ohne die dung scheint unausweichlich geworden zu sein, Schwerfälligkeit der Ordnungsverfahren verlangt. In- wenngleich sie kein- absolutes Novum darstellt. Be- haltlich spaltet sich die Forderung. Die eine Seite setzt reits das Berufsbildungsgesetz von 1969 versteht ja auf eine ökonomische Durchrationalisierung der Aus- unter beruflicher Bildung die berufliche Erstausbil- bildung mittels Zeitverkürzung, Selbstlernverfahren dung und die Weiterbildung. Diese ist demnach seit und unmittelbarem Praxisbezug. Die andere Seite 20 Jahren sowohl als öffentliche Aufgabe als auch als verlangt eine möglichst für die Berufsfeldbreite gül- Teil einer über das Jugendalter hinausreichenden tige Sockelqualifizierung (z. B. Kaufmann/frau für Bü- Qualifizierung rechtlich fixiert. Historisch war dies ein rokommunikation bzw. -organisation) sowie neb en Novum; denn bis dahin war die berufliche Weiterbil- fachlichen auch personale und soziale Kompetenzen, dung eine Angelegenheit privater Nachfrager und didaktisch — noch immer unausgegoren — zusam- Anbieter. Sie beinhaltet im wesentlichen Aufstiegs- mengefaßt in der Forderung nach Schlüsselqualifika- fortbildung (z. B. zum Meister) und freiwillige „An- tionen. passungsfortbildung" zur Aneignung von Innovatio- nen. Inzwischen kann Weiterbildung allerdings we- In seinem für die Enquete-Kommission erstellten Gut- der „als beliebige Privatsache noch als eine nur Grup- achten zieht Stratmann daraus den Schluß, daß in peninteressen dienende Maßnahme betrachtet wer- Zukunft auch in dieser Hinsicht mit einer neuen Art den. Es kann viemehr ein gesamtgesellschftliches In- der Dualisierung bzw. Segmentierung gerechnet wer- teresse an einer allseitigen ständigen Weiterbildung den müsse, nämlich der berufsfeldbreiten Sockelqua- einer möglichst großen Anzahl von Menschen unter- lifizierung einerseits und einer stromlinienartigen, be- stellt werden, das ähnlich stark ist wie das gesell- rufsbezogenen Stufenausbildung mit Grundbildung schaftliche Interesse an Schulbildung für alle" (En- andererseits (vgl. Stratmann 1989, 275). quete-Kommission 1989 (b), 34). Neben dieser Entwicklung muß eine weitere ins Auge Dies bedeutet: Ohne eine breite und permanente Wi gefaßt werden, die sich im kaufmännischen Bereich terbildung können die Bürger/-innen Wirtschaft und

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Gesellschaft nicht mehr verantwortlich gestalten. Der fentlichen und freien Trägern sollten mehr als bis- unsere historische Epoche strukturell kennzeich- lang gesucht werden. nende ständige rasche technisch-ökonomische Wan- (7) Besondere Aufmerksamkeit ist der Weiterbildung del verlangt über die Aufstiegs- und Anpassungsfor- von Frauen zu widmen. Es sollte diskutiert wer- bildung hinaus eine vorwegnehmende Weiterbil- den, ob für betriebliche Frauenförderung eine An- dung. „Die Schwerpunkte der Weiterbildung heute schlußfinanzierung nützlich sein kann. Gleiches haben sich verlagert. Waren es noch vor einem Jahr- gilt auch für die Einrichtung bet rieblicher und zehnt die Bemühungen, verpaßte Bildungschancen überbetrieblicher Weiterbildungsausschüsse so- nachzuholen, so richten sich die Erwartungen an die wie für gesetzlich gestützte Programme in Anleh- Weiterbildung heute stärker darauf, Innovationspo- nung an das Arbeitsförderungsgesetz. Flankie- tentiale zu schaffen und Anpassungsprobleme inner- rende Regelungen familienpolitischer Art sind im halb des Beschäftigungssystems neu lösen zu helfen" Hinblick auf Weiterbildungschancen von Eltern (Enquete-Kommission 1989 (b), 33). Die Vorbereitung besonders dringlich. auf die europäische Entwicklung 1992 bietet hierfür ein anschauliches Beispiel. (8) Die Finanzierung der Weiterbildung wird derzeit noch sehr stark von Akzenten beherrscht, welche Neben der Fortbildung ist die Umschulung ein be- die Weiterbildung als Privatinteresse entweder deutsamer Teil der Weiterbildung geworden. Insofern der Betriebe oder der Erwerbstätigen betrachten. auch sie zu beruflich qualifizierenden Abschlüssen Kartellartige Regelungen der Förderungsstruktur führt, erfüllen Ausbildung und Weiterbildung heute und Finanzierung verhindern flexible Anpassun- partiell die gleichen Aufgaben. Es läßt sich also sagen, gen Einzelner, aber auch ganzer Regionen. Es daß berufliche Erstausbildung und Weiterbildung zu scheint notwendig, in der Finanzierungsdebatte einem großen Gesamtsystem zusammengerückt sind. neue Eckwerte zu finden, um über eine absi- Hieraus ergeben sich neue Anforderungen für beide chernde Regelung der Ansprüche der Nachfrager Teilbereiche: hinaus auch eine relative Planungssicherheit der Anbieter und die Entwicklung mittel- und länger- (1) Die berufliche Erstausbildung hat besondere Auf- merksamkeit darauf zu richten, alle Jugendlichen fristiger Konzepte zu garantieren. für lebenslanges Lernen zu motivieren und zu In allen Anhörungen zur Weiterbildung, aber auch in qualifizieren. Hierzu bedarf es neuer pädago- derjenigen über den Strukturwandel in Arbeit und gisch-professioneller Anteile in der Ausbildung Beruf wurde die zunehmende Gefahr der sozialen der Ausbilder und Berufsschullehrer. Spaltung nach höherwertiger Arbeit einerseits und nach niedrig bewerteter andererseits diskutiert. Die (2) Die Inhalte der Erstausbildung müssen stärker als Experten Lutz und Heidegger schlossen nicht aus, daß bislang so strukturiert werden, daß die Weiterbil- die herkömmlichen Facharbeiter zur Randbelegschaft dung daran nahtlos anknüpfen oder problemlos werden könnten, weil sogenannte Semiakademiker fehlende Bausteine nachtragen kann. (Produktionsingenieure u. a.) „von oben in die Pro- (3) Aus der Bedeutung des ursprünglichen Prinzips duktion hineinsickern" (Enquete-Kommission 1989 von Schlüsselqualifikationen (vgl. Mertens 1974) (c), 14). für die Schaffung von Innovationspotential und Heidegger setzte dieser Entwicklung die Forderung demokratischer Partizipation resultiert, daß Aus- entgegen, daß vom bislang vorherrschenden qualifi- bildung und Weiterbildung die allgemeine, spe kationsorientierten Selbstverständnis der Berufsaus- zielle und politische Bildung neuartig als Einheit bildung Abschied genommen- werden müsse. Interna- zu denken und didaktisch und methodisch aufzu- tionale Vergleiche bestätigten längst die mangelnde bereiten haben. Konkurrenzfähigkeit des Dualen Systems gegenüber den mittleren beruflichen Ausbildungsgängen (z. B. (4) Die Infrastruktur unseres Bildungswesens ver- Techniker-Ausbildung plus Kurzstudium), deren Ab- langt von beiden Bereichen, nämlich der Erstaus- solventen auch rascher ins Erwerbsleben überträten. bildung und der Weiterbildung, die Bereitschaft, Dagegen hätten wir „sehr viele, die die duale Ausbil- Kompensationsfunktion im Hinblick auf Defizite dung als Warteschleife oder als Zwischenposition zu übernehmen, die aus der Schulbildung resultie- oder was auch immer positiv verwenden" (Enquete- ren. Kommission 1989 (a), 15). Der Begriff der Bildung (5) Die Weiterbildung verlangt öffentliche Unterstüt- treffe auf die Berufsausbildung erst dann zu, wenn zung und öffentlichen Schutz sowie eine Kontrolle neben der Persönlichkeitsbildung die „soziale Gestal- der Qualität. Diese scheint aufgrund eines gewis- tung von Arbeit und Technik am Arbeitsplatz eine sen Überangebots kommerzialisierter Weiterbil- Leitidee der beruflichen Bildung werde" (Enquete- dung dringend geboten. Qualitätskontrollen und Kommission 1989 (c), 15). Von Marktschwankungen rechtliche Absicherungen dürfen aber gerade im unabhängiger als bisher werde die Berufsausbildung Bereich der Weiterbildung nicht zu bürokrati- darüber hinaus nur in einem modularisierten Verbund schen Einengungen und Verhärtungen führen, mit einer gesicherten Weiterbildung und unter Bedin- vielmehr müssen Kombinations- und Wahlfreiheit gungen, die Raum für ein psychosoziales Moratorium sowie die Chancengleichheit aller Nachfrager ge- böten, wie es Absolventen weiterführender Bildungs- währleistet bleiben. gänge seit eh und je gewährt werde. Soziale Phantasie und Gestaltungskompetenz für die Bewältigung der (6) Neuartige Verbundsysteme nicht nur regionaler Zukunftsaufgaben auch in den Betrieben könnten Natur, sondern auch zwischen den Betrieben, öf dort nicht zur Entfaltung gelangen, wo eine zu frühe Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode Drucksache 11/5349

Einbindung in Hierarchien und Sachzwänge erfolge. von Dosky, D.: Strukturwandel des ländlichen Raums B. Lutz warnte in diesem Zusammenhang davor, daß — Anforderungen an die zukünftige Bildungspolitik die Bildungspolitik ihre allgemeine gesellschaftspoli- des Bundes. Gutachten für die Enquete-Kommission tische Verantwortung gegen „das Linsengericht kla- „Zukünftige Bildungspolitik — Bildung 2000". Bonn/ rer Vorgaben" verkaufe: „Damit ist aber die entschei- St. Gallen 1989 (Manuskript) dende Frage nicht, was gibt diese Gesellschaft der Bildungspolitik vor, sondern die entscheidende Frage ist dann: Was kann und muß die Bildungspolitik tun, DGB-Bildungswerk Hessen e.V.: Gründe für eine um die gesellschaftliche Entwicklung und die Ent- neue Bildungspolitik. Von der Defensive zur Offen- wicklung von gesellschaftlicher Arbeit in welche sive. Frankfurt, Juni 1989 Richtung zu steuern?" (Enquete-Kommission 1989 (c), 9f). Enquete-Kommission „ Zukünftige Bildungspolitik — Hinsichtlich eines solchen Ziels und vor dem Hinter- Bildung 2000": Protokoll Nr. 12 (Teil I): Öffentliche grund der Auswertung vor allem des Gutachtens über Anhörung von Experten zum Thema: „Bildung und die Geschichte des Dualen Systems und die Erfahrun- europäische Integration", 11. Januar 1989 (a) gen und Wandlungen in seinen bedeutendsten Berei- chen wird darüber hinaus auch erörtert werden müs- Enquete-Kommission „ Zukünftige Bildungspolitik — sen, ob die in allen Anhörungen genannten Stärken Bildung 2000": Kommissionsdrucksache Nr. 11/15. und Schwächen des Dualen Systems nicht auch die Weiterbildung — Lebenslanges Lernen (Schriftliche Weiterbildung in eine Krise treiben können, wenn Stellungnahmen). 1. Februar 1989 (b) diese strukturell dem Dualen System angeglichen wird.

Enquete-Kommission „ Zukünftige Bildungspolitik — Wenn für die Weiterbildung Schwächen wie „Zwei- Bildung 2000": Protokoll Nr. 15: Öffentliche Anhö- klassengesellschaft", „Bildungsferne", „mangelndes rung von Experten zum Thema „Strukturwandel in Methodenrepertoire", „Gewinnorientierung" u. ä. Arbeit und Beruf und sein Verhältnis zu Bildung und genannt werden, so sind die Ähnlichkeiten auch mit Ausbildung unter besonderer Berücksichtigung des den Schwächen des Dualen Systems nicht von der Flexibilitätsaspektes". 15. Februar 1989 (c) Hand zu weisen. Deshalb besteht — so der Vorsitzende der Kommis- Famulla, G.-E.: Das Berufskonzept von Arbeit — ein sion, Eckart Kuhlwein, in seiner Einführung zur Ex- Politikum. In: Weinbrenner, P. (Hrsg.): Zur Theo rie pertenanhörung über den Strukturwandel in Arbeit und Praxis der politischen Bildung an beruflichen und Beruf und sein Verhältnis zu Bildung und Ausbil- Schulen. Alsbach 1987 dung — für die Kommission „die Frage darin, wie die vielfach wiederentdeckte relative Autonomie des Bil- dungssektors einzuschätzen ist, und welche Folgerun- Mertens, D.: Schlüsselqualifikationen. Thesen zur gen sich daraus ergeben" (Enquete-Kommission 1989 Schulung für eine moderne Gesellschaft. In: Mittei- (c), 5). lung aus der Arbeitsmarkt- und Berufsforschung 1974, S. 41 ff.

Literatur Stratmann, K.: Erfahrungen mit dem Dualen System Beck, U./Brater, M./Daheim, H.: Soziologie der Arbeit der Berufsausbildung unter Berücksichtigung der und der Berufe. Reinbek bei Hamburg 1980 Wandlungen des Begriffs „dual" und der praktizier- ten Dualität. Gutachten für die Enquete-Kommission Bundesminister für Bildung und Wissenschaft (Hrsg.): „Zukünftige Bildungspolitik — Bildung 2000". Bonn/ Berufsbildungsbericht 1989. Bonn 1989 Bochum 1989 (Manuskript)

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Anhang 3

Imma Hillerich, MdB

Qualifizierung besonderer Gruppen

I. Problembenennung bildungsplatz. Für diese Gruppen ist Ausbildungsfä- higkeit nur durch zusätzliche Hilfen und darauf ge- richtete staatliche Maßnahmen im Anschluß an ihre Zum Begriff „ Benachteiligte" (allgemeinbildende) Schulzeit erreichbar. In der aktuellen öffentlichen und wissenschaftlichen Es ist in der berufsbildungspolitischen Diskussion üb- Diskussion wird von „Benachteiligten Jugendlichen" lich geworden, Jugendliche, denen die genannten vor allem im Hinblick auf die erschwerte Integration Gründe, insbesondere wenn mehrere zusammentref- in den Ausbildungs- und Arbeitsmarkt gesprochen. fen, den Einstieg in Ausbildung und Beschäftigung Damit wird der Grundkonsens, allen Jugendlichen erschweren, als „Benachteiligte" zu bezeichnen. eine qualifizierte Ausbildung zu ermöglichen, auch Auch wer sich der stigmatisierenden und damit wie- zum Beurteilungsmaßstab für eine eventuelle Be- der benachteiligenden Effekte diese Bezeichnung be- nachteiligung. Die Gründe für Erschwernisse bei der wußt ist, ist in diesem Dilemma gefangen. Integration in den Ausbildungs- und Arbeitsmarkt Daß es zu dieser Bezeichnung gekommen ist, reflek- sind jedoch vielfältig. tiert die außerordentlich starke und normierende Lei- Auf Seiten des Ausbildungsmarktes geht es zunächst stungsorientierung in unserer Gesellschaft und zu- um eine quantitativ ausreichende Zahl von Ausbil- gleich die Hilflosigkeit von Bildungspolitik, sich die- dungsplätzen, die — hält man sich an die grundge- ser wirkenden und wirklichen Norm nicht entziehen setzlich garantierte Freiheit der Berufswahl und, da- zu können, selbst wenn sie anderen Maßstäben folgen mit korrespondierend, des Ausbildungsplatzes — grö- will und den gesellschaftlichen Leistungsdruck we- ßer sein muß als die Zahl der Nachfrager/innen, um gen seiner deformierenden Persönlichkeitswirkung Wahlfreiheit zu ermöglichen. Das Ausbildungsplatz- und seiner sozialen Auslesewirkung kritisiert. Auch förderungsgesetz von 1976 hielt als Mindestforderung ein versuchsweise objektivierendes Verständnis von einen Überschuß von 12,5 % für erforderlich; andern- „benachteiligt sein" als vergleichsweise höheres Aus- falls sollte über die Erhebung einer Umlage entschie- bildungs- und Arbeitsplatzrisiko entgeht dieser Pro- den werden, die zur Schaffung zusätzlicher Ausbil- blematik nicht, zumal es die bildungspolitisch eben- dungsplätze genutzt werden sollte. (Das Gesetz ist aus falls relevante Dimension der Subjekte, ihrer persön- anderen Gründen später vom BVerfG für nichtig er- lichen Verfaßtheit, Entwicklungspotentiale und Defi- klärt worden). Die Entwicklung in den achtzigerJah- zite, ausblendet. ren, als die Nachfrage nach Ausbildungsplätzen das Die Verwendung des Begriffs „Benachteiligte" ge- Angebot deutlich und anhaltend überstieg, hat ge- schieht hier im Bewußtsein des beschriebenen Dilem- zeigt, daß weder die Ausbildungsplätze anbietenden mas. Langfristig wird dieses Dilemma nur aufzulösen privaten und öffentlichen Arbeitgeber noch die Bil- sein, wenn Bildungspolitik als Gesellschaftspolitik — dungspolitik in der Lage waren, diese Wahlfreiheit durch beharrlichen Einsatz für die Bildungs- und Ent- auch nur annähernd zu gewährleisten. faltungsmöglichkeiten aller — überzeugende Bei- Von Bedeutung auf Seiten des Ausbildungsmarktes spiele und schließlich- auch Strategien entwickelt für sind aber auch qualitative Merkmale, zum einen im eine Gesellschaft, die ohne Stigmatisierung und Be- Hinblick auf die geforderten schulischen Vorausset- nachteiligung, ohne Marginalisierung und Ausgren- zungen, zum anderen im Hinblick auf die Zukunftsfe- zung die menschlichere ist. Dies wird der Bildungspo- stigkeit und Verwertbarkeit der Ausbildung für künf- litik am ehesten gelingen, wenn sie ihren Einsatz für tige Beschäftigung. Beide Merkmale wirken mit an „Benachteiligte" nicht nur als sozialpolitische Korn- den möglichen Erschwernissen bei der Integration in pensation versteht, sondern als Bereicherung, die dem Ausbildung und Beschäftigung. Nicht zufällig ist ja gesamten Bildungswesen zugute kommt. von „erster und zweiter Schwelle" die Rede. Wie sich die genannten Gründe für „Benachteili- Auf Seiten der Jugendlichen sind neben dem immer gung" in den letzten Jahren und künftig miteinander noch diskriminierend wirkenden Faktor Geschlecht verschränken, soll im folgenden dargelegt werden. subjektive Voraussetzungen von Bedeutung, die im Begriff „Ausbildungsfähigkeit" zusammengefaßt werden. Dem zu Beginn genannten Grundkonsens „Alte" Problemgruppe zufolge ist bei allen Jugendlichen, die eine berufliche Ausbildung anstreben, von ihrer Ausbildungsfähig- In den 80er Jahren, die durch einen ausgeprägten keit auszugehen. Normalerweise gilt sie mit dem Ausbildungsplatzmangel gekennzeichnet waren, Hauptschulabschluß als erreicht. Aber nicht alle Ju- konnte eine große Zahl von Jugendlichen weder ihren gendlichen erreichen den Hauptschulabschluß auf- Ausbildungswunsch realisieren noch „irgendeinen" grund sozial, psychisch oder körperlich bedingter Ausbildungsplatz erhalten. In den jährlich erstellten Lernbeeinträchtigungen bzw. Behinderungen, aus- Berufsbildungsberichten der Bundesregierung wird ländische Jugendliche (ohne wie mit Hauptschulab- die Zahl der unvermittelten Bewerber/innen mit ca. schluß) erhalten wegen Sprachdefiziten keinen Aus 50 000 Jugendlichen in den Jahren 1983-1986 ange-

Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode Drucksache 11/5349 geben (Genaue Zahlen 1983: 47 000; 1984: 58 000 dungsprobleme von Benachteiligten keinesfalls auto- 1985: 58 000; 1986: 46 000). Demgegenüber weisen matisch erledigen. Zudem werden qualitative Krite- die ebenfalls im Berufsbildungsbericht veröffentlich- rien, wie eine stabile Beschäftigungsperspektive aus ten Berufsbildungsbilanzen der Arbeitnehmervertre- der Sicht der Bewerber/innen oder qualifikatorische ter im Hauptausschuß des Bundesinstituts für Berufs- Eingangsvoraussetzungen aus der Sicht der Betriebe, bildung erheblich höhere Daten aus, die um das Vier- ein größeres Gewicht erhalten. Einschätzungen über bis Fünffache über den Angaben der Bundesregie- den Umfang der Gruppe von Jugendlichen, die in den rung liegen. Anhand weiterer Berechnungen auf Ba- 90er Jahren ohne Berufsausbildung bleiben könnte, sis des Mikrozensus 1987 ist inzwischen bekannt, daß sind verschiedentlich veröffentlicht worden und bezif- von den Geburtsjahrgängen 1960 bis 1969 15 Prozent, fern — auf der Basis derzeitiger Entwicklungen — nämlich 1,5 Millionen junge Menschen, davon mehr diese „neue" Problemgruppe auf 1 Mio. bis 1,5 Mio. als die Hälfte Frauen, ohne jeden beruflichen Ab- Personen (Bund-Länder-Kommission 1989; Heide- schluß geblieben sind (Klemm 1989). Diese erschrek- mann 1989 S. 211). Ein Blick auf die Struktur der kend hohe Zahl derer, die in den 80er Jahren ohne „neuen" Problemgruppe weist auf eine gegenüber Berufsausbildung geblieben sind, weist als „alte" Pro- den 80er Jahren stärkere Konzentration auf lernbeein- blemgruppe deutlich auf berufsbildungspolitische trächtigte und sozial benachteiligte Jugendliche hin Hypotheken der Vergangenheit hin. An der Integra- (vgl. Kommissions-Gutachten zum Thema „Benach- tion dieser „alten" Problemgruppe in Ausbildung und teiligte im Berufsbildungssystem" 1989, S. 53, Beruf wird sich auch jegliche künftige Bildungspolitik S. 90). des Bundes messen lassen müssen. Analysiert man die Struktur der unvermittelt geblie- benen Jugendlichen, so wird erkennbar, daß einige „ Zweite Schwelle" Gruppen von Jugendlichen überdurchschnittlich von dem Ausbildungsplatzrisiko betroffen waren. Hierzu Neben dem Übergang von der Schule in eine Berufs- zählen: Jugendliche mit und ohne Hauptschulab- ausbildung wird die „Zweite Schwelle" von der Be- schluß, Jugendliche mit Sonderschulabschluß, Ju- rufsausbildung in eine Beschäftigung zukünftig eine gendliche mit Lernproblemen, behinderte Jugendli- größere Bedeutung erhalten. Nur durch eine berufli- che , Ausbildungsabbrecher/innen, Altbewerberin- che Ersterfahrung können die Lernerfolge aus der nen, ausländische Jugendliche sowie Jugendliche in Berufsausbildung abgesichert und gefördert werden. sozialen Notsituationen. Zudem sind Mädchen und Ähnlich anderen westlichen Industrieländern zeich- junge Frauen weit überproportional von den Ausbil- nen sich in der Bundesrepublik Deutschland Tenden- dungsplatzproblemen betroffen. zen ab, die auf eine labile Eintrittsphase in das Be- schäftigungssystem hinweisen. Die Stabilität der Be- Besondere Schwierigkeiten, einen Ausbildungsplatz schäftigungssituation wird dabei stark vom Ausbil- zu erhalten, bestanden und bestehen vor allem in dungsberuf, dem Ausbildungsbetrieb und der wirt- wirtschaftlichen Krisenregionen. Jugendliche aus die- schaftlichen Situation der Heimatregion bestimmt. sen Gebieten sind bei der Suche nach einem Ausbil- Insbesondere Fachkräfte, die in Kleinbetrieben aus- dungsplatz deutlich benachteiligt. Anhaltende Ver- gebildet wurden, haben Schwierigkeiten, im An- mittlungsprobleme in Ausbildung haben zudem Ju- schluß an ihre Ausbildung eine adäquate (unbefri- gendliche, auf die mehrere der genannten Kriterien stete) Beschäftigung zu finden. Bedenkt man ferner, zutreffen, z. B. Mädchen ohne Hauptschulabschluß daß Jugendliche mit Lernproblemen in der Schule oder junge Ausländer/innen in Krisenregionen. In und Jugendliche mit bzw. ohne Hauptschulabschluß jüngster Zeit müssen auch junge Aussiedler/innen, vornehmlich in derartigen- Ausbildungsgängen vorzu- bei denen die Behebung von Sprachproblemen vor- finden sind, so wird deutlich, daß sich die Spirale der rangiges Ziel ist, zu diesen Gruppen' gezählt wer- Benachteiligung an einzelnen Stellen im Berufsbil- den. dungssystem und anschließend auf dem Arbeitsmarkt fortsetzt.

„ Neue" Problemgruppe II. Handlungsbedarf einer sozial ausgewogenen Prognosen und Berechnungen über die zukünftige Berufsbildungspolitik Entwicklung des Ausbildungsmarktes weisen auf ei- nen einschneidenden Rückgang der Bewerberzahlen Politischer Handlungsbedarf im Hinblick auf die be- hin. In einem Szenario des Bundesinstituts für Berufs- rufliche Qualifizierung von lernbeeinträchtigten Ju- bildung wird ein allgemeiner Rückgang auf 400 000 gendlichen ergibt sich vor allem aus folgenden Über- bis 500 000 erwartet. Bei der Einschätzung des zu- legungen: künftigen Angebots an Ausbildungsplätzen besteht eine größere Prognoseunsicherheit. Daher können Im Zuge steigender Anforderungen am Arbeitsplatz derzeit nur Vermutungen über das Verhältnis von aufgrund technologischer Umwälzungen der Indu- Angebot und Nachfrage auf dem Ausbildungsmarkt striegesellschaft wird der Stellenwert einer berufli- angestellt werden. Bei ungünstigen wirtschaftlichen chen Qualifizierung für alle Arbeitskräfte wachsen. Rahmendaten dürfte ein Rückgang des Ausbildungs- Da sich Rationalisierungsbestrebungen am stärksten platzangebotes zu erwarten sein, in dessen Folge die auf den Abbau von Arbeitsplätzen für einfache und Vermittlungsschwierigkeiten von Problemgruppen unqualifizierte Tätigkeiten auswirken, droht Jugend- bestehen bleiben werden. Selbst bei einem Überan- lichen ohne eine berufliche Ausbildung ein steigen- gebot an Ausbildungsplätzen werden sich die Ausbil des Arbeitsplatzrisiko. Auch die Teilnahme an Weiter-

Drucksache 11/5349 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode

bildungsveranstaltungen wird ohne qualifizierten Be- rufsbildungspolitik hat somit sowohl die kompensato- rufsbildungsabschluß kaum zu verwirklichen sein. In rische Aufgabe, die Kette von (sozialen) Benachteili- einer Untersuchung des Instituts für Arbeitsmarkt- gungen von der Herkunftsfamilie über die Schule bis und Berufsforschung wird sogar darauf hingewiesen, zur Berufsbildung zu unterbrechen, als auch die prä- daß von einem zukünftigen Bedarf der Wirtschaft an ventive Aufgabe, die Lernpotentiale aller Jugendli- nichtqualifizierten Arbeitskräften kaum gesprochen chen im Hinblick auf ihre stabile Integration ins Be- werden kann (vgl. Gottsleben 1987, S. 10). Allein schäftigungssystem zu fördern. schon unter arbeitsmarktpolitischen Gesichtspunkten wird es daher notwendig, allen Jugendlichen eine berufliche Ausbildung zu ermöglichen. III. Handlungsoptionen Besondere Aufmerksamkeit wird bei der Förderung von benachteiligten Jugendlichen auch dem Ziel der Berufsbildungspolitische Maßnahmen zur Förderung Gleichstellung der Geschlechter gewidmet werden der beruflichen Ausbildung von benachteiligten Ju- müssen. Das nach wie vor enge Berufsspektrum und gendlichen sind nicht notwendigerweise an ein be- die insgesamt labilere Beschäftigungssituation von stimmtes Förderungs- oder Finanzierungskonzept ge- Frauen — beides ist der geschlechtsspezifischen Seg- bunden. Im Mittelpunkt der Maßnahmen stehen viel- mentation des Arbeitsmarktes geschuldet — verschär- mehr qualitative Kriterien, die sich an den Vorausset- fen die Ausbildungs- und Beschäftigungsprobleme zungen der Jugendlichen orientieren und eine opti- lernbeeinträchtigter und sozial benachteiligter junger male berufliche Qualifizierung für diese Jugendlichen Frauen gegenüber ihren männlichen Altersgenossen. anstreben. Der immense Handlungs- und Veränderungsbedarf auf diesem Feld ist allerdings nur im Kontext der ge- samten Problematik „Gleichstellung der Geschlechter Leitlinien in Ausbildung und Beruf" adäquat darstellbar (vgl. den Beitrag von Sigrid Metz-Göckel und Sabine Gen- Die Entwicklung in den vergangenen Jahren hat ge- sior über „Differentielle Gleichheit und subtile Diskri- zeigt, daß einem Teil von benachteiligten Jugendli- minierung. Zur Gleichstellung der Geschlechter in chen, die eine betriebliche Berufsausbildung unter Bildung und Beruf — eine Zwischenbilanz " im An- den derzeit geltenden Bedingungen nicht absolvieren hang 4). können, mit (sozial)-pädagogischen Hilfen durchaus ein beruflicher Ausbildungsabschluß gelingt. Eine Ein weiterer Aspekt ist in den gestiegenen Bildungs- Vielzahl von Modellversuchen und die Träger im „Be- aspirationen vieler Jugendlicher zu sehen. Der in den nachteiligtenprogramm" der Bundesregierung haben letzten zwanzig Jahren deutlich angewachsene pro- neue, erfolgreiche Wege bei der beruflichen Aus- zentuale Anteil von Schülerinnen und Schülern an bildung benachteiligter Jungendlicher aufgezeigt Realschulen, Gymnasien und Gesamtschulen - drückt (Zielke, D./Lemke, I.G./Popp, J. 1988). „Erfolgreich" sich auch in einer zunehmenden Nachfrage nach be- meint in diesem Kontext die Spannweite vom gelin- ruflicher Bildung aus. Die Nachfrage nach einer be- genden Ausbildungsabschluß bis hin zum Übergang ruflichen Qualifizierung ist jedoch nicht auf Jugendli- in dauerhafte, ausbildungsadäquate Beschäftigung. che mit mittleren und höheren Schulabschlüssen be- grenzt. Auch und gerade Jugendliche mit und ohne Lernen in Projekten, sozialpädagogische Unterstüt- Hauptschulabschluß sowie ehemalige Sonderschüler/ zung, zusätzlicher Unterricht, ganzheitliche Lehr- und innen artikulieren ihre berechtigten Wünsche nach Lernmethoden sowie der Einbezug der Lebensver- einer beruflichen Ausbildung. Eine sozial ausgewo- hältnisse benachteiligter Jugendlicher in die Gestal- - gene Berufsbildungspolitik wird daran zu messen tung der Ausbildung sind zentrale Stichworte für sein, in welchem Umfang und mit welchen Zielen sie diese Ausbildungsmöglichkeiten. diesen Erwartungen nachkommen kann. Die Enquete-Kommission „Bildung 2000" sollte sich Die Aufgaben der Berufsbildungspolitik haben sich in an folgenden Leitlinien orientieren: den letzten 20 Jahren erheblich gewandelt. Nach der erstens: — ,je stärker die Benachteiligung ist, um Verabschiedung des Berufsbildungsgesetzes waren so intensiver sollte die Förderung Anfang der 70er Jahre vor allem Fragen der Standar- sein' disierung und Vereinheitlichung des Beruf sbildungs- systems von Bedeutung. Die anhaltende Jugendar- zweitens: — ,es sollte soviel „Normalität" ange- beitslosigkeit brachte in der Folgezeit eine Konzentra- strebt werden wie irgend möglich', tion auf die quantitative Versorgung der jungen Ge- drittens: — ,Lernerfolge in der Ausbildung bedür- neration mit Ausbildungsplätzen mit sich. Mittler- fen der Absicherung in der beruflichen weile gewinnen Diskussionen um qualitative Aspekte Ersterfahrung'. der beruflichen Bildung wieder mehr an Bedeutung. Dies gilt sowohl für die Debatte über die Neuordnung Erst die Erfüllung dieser Kriterien läßt das Ziel einer der Ausbildungsberufe als auch für die Ausbildungs- stabilen Integration in das Beschäftigungswesen er- wege von benachteiligten Jugendlichen. reichbar erscheinen. Wichtig aber ist, daß der zwar nicht realisierte, aber Legt man die geschilderten Überlegungen zugrunde, zumindest formulierte Grundkonsens, allen Jugendli- lassen sich verschiedene Handlungsalternativen zur chen eine qualifizierte berufliche Ausbildung zu er- beruflichen Qualifizierung benachteiligter Jugendli- möglichen, weiterhin Bestand hat und als übergeord- cher formulieren. Angesichts des heterogenen Perso- nete Zielsetzung der Berufsbildungspolitik gilt. Be nenkreises erscheint es wenig sinnvoll, ein allgemein-

Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode Drucksache 11/5349 gültiges Konzept zu favorisieren. Die Gestaltung der ihre Berufsausbildung um theoretische Lern- und Prü- Ausbildungswege soll sich allerdings daran orientie- fungsanteile zu reduzieren und um ihnen einen Ab- ren, daß sie erstens Optionen zum Abschluß einer schluß unterhalb des Facharbeiterniveaus attraktiv zu Berufsausbildung eröffnet, zweitens einen vollwerti- machen. gen Abschluß oder eine spätere Fortsetzung einer Be- rufsausbildung ermöglicht und drittens den Übergang Damit werden schulische und gesellschaftliche Be- in Beschäftigung einbezieht. nachteiligungen und Leistungsdefizite perpetuiert so- wie Einkommensdifferenzen legitimiert. Angesichts Auf der Grundlage dieser Vorgaben können verschie- steigender Qualifikationsanforderungen im Beschäf- dene Ausbildungswege entwickelt werden, die sich tigungssystem wird damit nicht nur die Beschäfti- an der Berufsausbildung im dualen System orientie- gungsschwelle für benachteiligte Jugendliche weiter ren (vgl. Strikker 1989, S. 72ff.): erhöht, auch ihre Voraussetzungen für den späteren Erwerb zusätzlicher Qualifikationen durch Weiterbil- dung werden durch die theoretisch geringerwertige Berufsvorbereitung Berufsausbildung verschlechtert (vgl. Strikker 1989, S. 82 f.). Berufsvorbereitende Maßnahmen können benachtei- Entsprechend der Leitlinie „je stärker die Benachtei- ligten Jugendlichen die Möglichkeit eines verlang- ligung, um so intensiver sollte die Förderung sein" , samten Einstiegs in die berufliche Bildung bieten. sollten vielmehr die Möglichkeiten sinnvoller Verlän- Während der Teilnahme an einer Maßnahme haben gerung von Berufsausbildungsphasen für benachtei- sie Gelegenheit, sich auf die Anforderungen einer ligte Jugendliche überlegt werden, die ihnen Mißer- Berufsausbildung vorzubereiten, ihren Berufswunsch folge bei der Zwischenprüfung oder bei der Abschluß- zu überprüfen und erste Erfahrungen mit der ange- prüfung durch längeren Vorbereitungszeitraum er- strebten Tätigkeit zu machen. Zudem kann den Ju- sparen. gendlichen in berufsvorbereitenden Maßnahmen bei der Behebung von Lerndefiziten und Verhaltens- schwierigkeiten geholfen werden. Bet riebliche Prak- tika bieten neben der Realerfahrung Möglichkeiten, Förderung erste Kontakte mit Betrieben aufzunehmen, um im Anschluß an die Maßnahme einen Ausbildungsplatz Vor allem aber sollte an den Erfahrungen der Träger zu erhalten. im „Benachteiligtenprogramm" mit sozialpädagogi- scher Unterstützung und Begleitung der Berufsausbil- Allerdings müssen berufsvorbereitende Maßnahmen dung benachteiligter Jugendlicher angeknüpft und qualitativen Kriterien genügen: Sie dürfen nicht als diese im Sinn der genannten Leitlinien weiterentwik- ,Warteschleifen' fungieren, sondern müssen tatsäch- kelt werden. Notwendige Voraussetzung ist hierzu lich inhaltlich und hinsichtlich der vertraglichen Rah- die finanziell bedarfsgerechte Ausstattung des Be- menb edingungen Berufsvorbereitung und Berufsaus- nachteiligtenprogramms. bildung miteinander verbinden. Sie sollten hinsicht- lich der Berufsfelder auf kommunaler und regionaler Benachteiligte Jugendliche benötigen oft eine Unter- Ebene miteinander und auf das vorhandene und ab- stützung bei der Stabilisierung ihrer Persönlichkeit, sehbare Arbeitsplatzangebot abgestimmt sein. Die bei der Entdeckung eigener Fähigkeiten, bei der An- bisher stark geschlechtsspezifische Ausrichtung der leitung zum Lernen und bei der Gewöhnung an einen Berufsfelder muß abgebaut werden. Ausbildungsalltag. Neben der sozialpädagogisch orientierten Berufsausbildung (als Vollzeitmaß- nahme) werden im Benachteiligtenprogramm- zudem ausbildungsbegleitende Hilfen angeboten. Diese A usbildungszeit Maßnahme richtet sich vor allem an Jugendliche mit geringeren Lernschwierigkeiten. Ausbildungsbeglei- Im Hinblick auf die Ausbildungszeit soll kurz auf die tende Hilfen bieten den besonderen Vorteil einer fle- aktuelle Diskussion um eine Verkürzung der Berufs- xiblen Einsetzbarkeit in Abhängigkeit von dem je- ausbildung für bestimmte Gruppen eingegangen wer- weils aktuellen Bedarf an Stützunterricht. den, die weniger aus der Sicht und dem Bildungsinte- resse benachteiligter Jugendlicher als vielmehr unter Auch hier ist — insbesondere im Bereich der Vollzeit- dem Aspekt der Differenzierung des Beruf sbildungs- maßnahmen — auf den Abbau der faktisch sich voll- systems geführt wird. Verkürzungen der Berufsaus- ziehenden geschlechtsspezifischen Berufszuweisung bildung für benachteiligte Jugendliche werden eng zu achten. an die Gewinnung von leistungsstärkeren Jugendli- chen für anerkannte (normale) Ausbildungsgänge ge- Schließlich sind — im Hinblick auf die ,Zweite koppelt. Für besonders qualifizierte Jugendliche, Schwelle' — die bisher noch recht wenigen Versuche vornehmlich Abiturienten, werden sogar Zusatzquali- einer gezielten ,Nachbetreuung' und der Organisa- fikationen oder ebenfalls verringerte Ausbildungszei- tion beruflicher Ersterfahrung durch Berufsersterfah- ten in Aussicht gestellt. In diesem Fall schließt die rungsfirmen und Beschäftigungsinitiativen, die aller- kürzere Ausbildungszeit einen vollqualifizierten Aus- dings auf öffentliche (finanzielle) Unterstützung ange- bildungsabschluß mit ein. wiesen sind, auszuwerten und weiterzuentwickeln. Benachteiligte Jugendliche sind häufig auch nach er- Benachteiligten, vor allem lernbeeinträchtigten Ju folgreichem Ausbildungsabschluß auf die Absiche- gendlichen, wird demgegenüber eine besonders rung und Förderung ihrer beruflichen Lernerfolge „praktische Begabung" attestiert als Vorwand, um und Persönlichkeitsentwicklung angewiesen. Hierzu

Drucksache 11/5349 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode

benötigen sie die Möglichkeit beruflicher Ersterfah- Verkürzung der Berufsausbildung —) durch die Hin- rung, auch um ihre Vermittlungschancen in reguläre tertür zu favorisieren. Beschäftigung zu verbessern. Hierzu benötigen sie aber häufig auch, falls sie im Anschluß an die Ausbil- dung einen Arbeitsplatz gefunden haben, eine nach- ...und behinderte Jugendliche betreuende Fortsetzung der während der Ausbildung erfahrenen sozialpädagogischen Unterstützung (vgl. Eine gesonderte Problemgruppe stellen körperlich hierzu auch CEDEFOP 1986, S. 77 ff). und geistig behinderte Jugendliche dar. Ihnen stehen eigens errichtete Ausbildungseinrichtungen zur Ver- fügung (Berufsförderungswerke). Allerdings sollte dabei von dem Grundsatz ausgegangen werden, daß Besondere Problemgruppen: Junge Erwachsene spezielle Ausbildungsstätten und Ausbildungsord- ohne Ausbildung... nungen nur dann angeboten werden, wenn dies durch die Art und Schwere der Behinderung unabweisbar ist Eine besondere Problemgruppe der Berufsbildungs- (Stellungnahme des Internationalen Bundes für So- politik sind Jugendliche und junge Erwachsene, die in zialarbeit auf der Verbändeanhörung der Enquete den vergangenen Jahren keine Berufsausbildung ab- Kommission zur „Beruflichen Erstausbildung und Er- solvieren konnten, aber weiterhin an ihrem Wunsch werbsarbeit" am 14.9.1988, Stenographisches Proto- nach einer beruflichen Qualifizierung festhalten koll, S. 149). Bereits in der Schule kann darauf hinge- (,alte' Problemgruppe, s.o.). Dieser Personenkreis um- wirkt werden, daß der Berufswahlunterricht für be- faßt meist junge Erwachsene zwischen 20 Jahren und hinderte Jugendliche ausgeweitet wird und durch 25 Jahren (z. T. sogar über 25jährige), die an verschie- eine Verzahnung mit nachgehenden Hilfen eine Ko- denen berufsvorbereitenden Maßnahmen teilgenom- operation von Lehrkräften, Ausbildungsberatern/in- men haben und/oder kurzeitigen Tätigkeiten nachge- nen, Eltern und Ausbildern/innen angestrebt wird. gangen sind. Der stabile Einstieg in das Beschäfti- Durch derartige Maßnahmen kann erreicht werden, gungssystem ist ihnen allerdings nicht gelungen. Die daß das Berufsbildungsangebot für behinderte Ju- familiäre Situation, die bisherigen Lern- und Arbeits- gendliche ausgeweitet wird. Hierbei ist darauf zu ach- erfahrungen und das Alter dieser Personengruppe er- ten, daß diese Sonderausbildungsgänge für behin- fordern neue Konzeptionen der beruflichen Qualifi- derte Jugendliche auf Dauer ausbaufähig für weitere zierung. Hierfür bieten sich verschiedene Kombina- berufliche Qualifikationen sind (Stellungnahme des tionen der „Instrumente" berufsvorbereitende Maß- Fachverbandes für Behindertenpädagogik auf der nahme, Arbeiten und Lernen, Fortbildung und Um- Verbändeanhörung der Enquete-Kommission zur be schulung sowie Arbeitsbeschaffungsmaßnahme an. ruflichen Erwerbsarbeit am 14.9.1988, Stenographi- Neuere Konzeptionen orientieren sich dementspre- sches Protokoll, S. 151 ff.). chend an einem Baukasten- oder Modulsystem. Auf der strukturellen Ebene wird entscheidend sein, Im Hinblick auf eine Gleichstellung von behinderten durch ein flexibles System von unterschiedlichen Jugendlichen mit nichtbehinderten Jugendlichen Lerneinheiten die Optionen auf den Abschluß eines wird in Zukunft vor allem zu untersuchen sein, ob und anerkannten Ausbildungsberufs zu erhalten. Bei der welche Möglichkeiten zu einer Integration von behin- Gestaltung der Ausbildungswege sollte angestrebt derten Jugendlichen in „normale" Ausbildungsgänge werden, die Erfahrungen, Lebenssituationen und In- bestehen. Derartige Überlegungen und Projekte kön- teressen der Teilnehmer/innen einzubeziehen. Dies nen auf Erfahrungen bei der Integration von behin- bedeutet, daß auch die familiäre Situation bei der Or- derten Jugendlichen- in allgemeinbildenden Schulen ganisation der Ausbildung berücksichtigt werden soll, zurückgreifen. z. B. durch die Einrichtung von Betreuungsmöglich- keit für Kinder oder eine Sonderregelung bei der Aus- bildungsvergütung bzw. dem Unterhaltsgeld. Durch Qualfizierung der Ausbilder/innen eine derartige Zielgruppen- und Teilnehmerorientie- rung kann es gelingen, junge Erwachsene auch zu Eine der drängendsten Aufgaben ist die pädagogi- einem späteren Zeitpunkt an eine berufliche Ausbil- sche Qualifizierung der Ausbilder/innen. Immer wie- dung heranzuführen und ihnen als Fachkräfte neue der tauchen Probleme auf, weil Ausbilder/innen mit Wege am Arbeitsmarkt zu eröffnen. Zudem kann ein benachteiligten und behinderten Jugendlichen arbei- derartiges Baukastensystem für Ausbildungsabbre- ten müssen, ohne eine entsprechende Ausbildung cher/innen den Fortgang einer Berufsausbildung si- oder Weiterbildung im methodisch-didaktischen Be- cherstellen. Sie hätten die Möglichkeit, die zum Ab- reich erhalten zu haben. Daher erscheint es angemes- schluß der Ausbildung fehlenden Anteile zu ergänzen sen, die pädagogische Weiterbildung der Ausbilder/ und ohne entscheidenden Zeitverlust die Prüfung zu innen insgesamt auszuweiten und auf die Bereiche absolvieren. der Persönlichkeitsbildung auszudehnen (Stellung- nahme des Christlichen Jugenddorfwerks Deutsch- Um Mißverständnissen vorzubeugen: Es handelt sich land auf der Verbändeanhörung der Enquete-Kom- hierbei um Vorschläge, mit denen die eingangs ge- mission zur „Beruflichen Erstausbildung und Er- nannten Hypotheken der Berufsbildungspolitik, ge- werbsarbeit" am 14.9.1988, Stenographisches Proto- messen an dem Ziel einer qualifizierten Beruf sausbil- koll, S. 170). dung für alle Jugendlichen, abzuarbeiten sind, kei- nesfalls darum, eine reduzierte Berufsausbildung Abschließend sei darauf hingewiesen, daß unter (s. o. Abschnitt Ausbildungszeit — Diskussion um schiedliche Bildungs- und Leistungsvoraussetzungen,

Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode Drucksache 11/5349 seien sie durch konjunkturelle Entwicklung, durch Gottsleben, V. 1987: Randgruppe in der zertifizierten soziale Notlage oder durch körperliche, seelische und Arbeitsgesellschaft? Zur abnehmenden Bedeutung geistige Beeinträchtigung bedingt, nicht notwendi- der Nicht Formal Qualifizierten (NFQ) am Arbeits- gerweise sich zu strukturellen Nachteilen bzw. Pro- markt, in: MittAB 1/1987, S. 1-14 blemgruppen verfestigen müssen. Auch die Berufsbil- dungspolitik kann derartiger Verfestigung entgegen- Heidemann, W.: Trendwende in der Qualifizierung? wirken, indem sie die „normale" Berufsbildungspra- Alte Probleme und neue Herausforderungen, in: Ge- xis für die genannten Leitlinien, Fördermöglichkeiten werkschaftliche Bildungspolitik, Heft 7-8/89, S. 209 und für die Ausweitung pädagogischer Kompetenz bis 220 öffnet. Kau, W./Ehmann, Ch.: Szenario des Berufsbildungs- systems bis 1995, (BIBB), Sonderveröffentlichung, Literatur: Berlin 1986 Klemm, K.: Die vergessene Generation, Bilanz Berufsbildungsbericht der Bundesregierung, heraus- der Ausbildungskrise, in: Pädagogik 7/8-1989, gegeben vom Bundesminister für Bildung und Wis- S. 111 f senschaft, div. Jahrgänge Bund-Länder-Kommission für Bildungsplanung und Stenographisches Protokoll der Verbändeanhörung Forschungsförderung (BLK) 1989: Künftige Perspekti- zur „Beruflichen Erstausbildung und Erwerbsarbeit" ven von Absolventen der beruflichen Bildung im Be- der Enquete-Komission am 14. September 1988 schäftigungssystem, Mate rialien zur Bildungspla- nung, Heft 15, Bonn 1989 Strikker, Frank, „Benachteiligte im Berufsbildungssy- stem — Strukturen, Ursachen, künftige Entwicklun- CEDEFOP: Qualifizierung für alle. Ein Leitfaden zur gen und Maßnahmen" , Gutachten erstellt im Auftrag

Projektplanung neuartiger Ausbildungs- und Be- der Enquete-Kommission „ Zukünftige Bildungspolitik schäftigungsprojekte für arbeitslose Jugendliche in — Bildung 2000", Bielefeld 1989 (Manuskript) der EG, erstellt von Ketter, P.M./Petzold, H.J./Schle- gel, W. im Auftrag des Europäischen Zentrums für die Zielke, D./Lemke, I.G./Popp, J.: Außerbetriebliche Förderung der Berufsbildung — CEDEFOP, Berlin Berufsausbildung benachteiligter Jugendlicher. An- 1987 spruch und Realität. BIBB, Berlin 1988

Drucksache 11/5349 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode

Anhang 4

Prof. Dr. Sabine Gensior/Prof. Dr. Sigrid Metz-Göckel

Differentielle Gleichheit und subtile Diskriminierung. Zur Gleichstellung der Geschlechter in Bildung und Beruf — eine Zwischenbilanz

Vorbemerkung vaten Formen des Zusammenlebens, die Arbeitszeit- souveränität und die Verteilung von Erwerbs-, Fami- Bei diesem Text handelt es sich um eine analytische lienarbeits- und Bildungszeit im Lebenslauf von Zwischenbilanz, in der versucht wird, die komplexen Frauen und Männern haben müssen. Zusammenhänge zwischen Bildung, Berufs- und Fa- Mit der Angleichung des Bildungsniveaus zwischen milientätigkeiten aufzuzeigen, soweit sie uns von bil- Frauen und Männern entfällt einerseits eine Legitima- dungspolitischer Relevanz zu sein scheinen. Die tion für die Aufrechterhaltung sozialer Ungleichheit ,Frauenfrage' ist in unserem Verständnis gleichzeitig zwischen ihnen. Andererseits wird der soziale Druck Ausdruck eines bestimmten G eschlechterverhältnis- größer, den Frauen ausüben können, weil sie über ses, und dieses ist ein historisch-gesellschaftliches Re- mehr Ressourcen im Sinne eines kulturellen Kapitals sultat der Strukturierung und Bewertung von Arbei- (Bourdieu) verfügen. Dies erzeugt zugleich höhere ten. Damit bündeln sich wie in einem Brennglas in der Spannungen, die auch in der neuen Frauenbewegung ,Frauenfrage' alle Struktur- und Lebensfragen dieser einen Ausdruck finden. Auch ist seit ca. 20 Jahren mit Gesellschaft und in dem Besonderen das Allgemeine. der Selbstkontrolle der Gebärfähigkeit eine weitere Dem Endbericht werden die Empfehlungen vorbehal- Voraussetzung geschaffen, Aufgaben und Arbeiten ten. zwischen den Geschlechtern neu zu verteilen und die Reproduktion der Gesellschaft selbstbestimmter zu steuern. In diesem Sinne ist die demographische Ent- 1. Einleitung: Trends und Positionen wicklung auch Resultat der Befreiung von ,Natur- zwängen'. Auch ist das ,Gewaltmonopol des Staates' „Das Europäische Parlament fordert, daß 1990 zum durch die Möglichkeit der Selbstkontrolle der Gebär- europäischen Jahr der Chancengleichheit von Män- fähigkeit ein Stück weit zurückgedrängt. nern und Frauen in der schulischen und beruflichen Bildung erklärt wird" (BT-Drucksache 11/273, Unter- Die Beziehungen zwischen Bildungs- und Erwerbsbe- richtung durch das Europäische Parlament, S. 6). teiligung von Frauen sind — auf einen einfachen Nen- ner gebracht — von dreierlei Art: Eine höhere Ausbil- Eine solche öffentliche Demonstration wäre über- dung korreliert mit einem Anstieg in der Erwerbsbe- flüssig, wäre die Gleichstellung auf diesem Feld teiligung und einem Wandel (Hinausschieben und bereits erreicht, wobei die Bundesrepublik weder Kontraktion) der ,Familienphasen'. Eine zweite struk- genereller Spitzenreiter ist, noch das Schlußlicht im turelle Veränderung besteht in der Ablösung des kon- europäischen Vergleich bildet. sekutiven ,Drei-Phasen-Modells'. Dieses hat zwar in Die Lagebeschreibung ist vielmehr zu differenzieren. den achtziger Jahren noch etwa für die Hälfte der Alle europäischen Länder haben in den letzten Jahren Frauen mit Kindern Gültigkeit, zunehmend tritt je- vermehrte Anstrengungen unternommen und ver- doch als ein weiteres Lebenskonzept das Vereinbar- stärkt Maßnahmen durchgeführt, um einer Chancen- keitsmodell hinzu. Die- Gleichzeitigkeit von Familien- gleichheit der Geschlechter in Ausbildung und Beruf und Berufstätigkeit ist für diese Gruppe charakteri- näher zu kommen, wobei in allen Ländern — wenn stisch, wobei allerdings die Frauen mehrheitlich ihre auch in unterschiedlicher Art und Weise — besondere Erwerbstätigkeit zeitlich verringern. Gleichstellungsorgane eingerichtet wurden (Institut Darüber hinaus sind gleichzeitig eine Zunahme von Frau und Gesellschaft, 1988). Einpersonenhaushalten (1/3 aller Haushalte) und ver- Zu den leisen Strukturveränderungen von ,weitrei- änderte Konstellationen in den p rivaten Lebensver- chender' Bedeutung gehört in der Bundesrepublik die hältnissen (Zunahme der Alleinerziehenden, der Ein- kontinuierliche Steigerung der allgemeinen und be- zelkinder, der Fortsetzungsehen, der Stieffamilien ruflichen Ausbildungs- und Erwerbsbeteiligung der u. a. m.) zu verzeichnen. Frauen. Sie hat zu Verschiebungen im Abhängig- Angleichung und Differenzierung kennzeichnen die keits-Unabhängigkeitsgefälle zwischen Frauen und strukturellen Beziehungen zwischen der Bildungs- Männern geführt. Die Auseinandersetzungen über und Erwerbsbeteiligung von Frauen und Männern die Gleichstellung der Geschlechter hat in der Bun- seit den sechziger Jahren. desrepublik ein Stadium erreicht, das nach einer ernsthaften Umstrukturierung des „Verhältnisses der Eine Angleichung bezieht sich darauf, daß von einem Geschlechter" einschließlich der Rahmenbedingun- Defizit junger Frauen in der Allgemeinbildung nicht gen für „männliche Berufsbiographien" drängt. Zuge- mehr die Rede sein kann. Vielmehr hat sich mit zu- spitzt läßt sich formulieren, daß die Aufhebung des nehmender ,Gleichheit des allgemeinen Bildungsni- allgemeinen Bildungsdefizits junger Frauen noch an- veaus' beider Geschlechter ein Perspektivwandel der nähernd im Rahmen herkömmlicher Geschlechterbe Betrachtung ergeben: Nicht mehr Frauen allein, son- ziehungen möglich war. Eine berufliche Gleichstel- dern das Verhältnis der Geschlechter und die Arbeits- lung wird weiterreichende Konsequenzen für die pri teilung zwischen ihnen stehen im Mittelpunkt der kri-

Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode Drucksache 11/5349 tischen Aufmerksamkeit, ebenso aber auch die Wi- mehren sich in diesem Politikfeld von Familie und dersprüche, die sich aus den Anforderungen familia- Arbeitsmarkt Stimmen, die anstelle einer Trennung ler Tätigkeiten, der zeitlichen, aber auch inhaltlichen von Erwerbs- und Familienarbeit eine , Gesamttätig- Organisationsform beruflicher Arbeit sowie den von- keit im Sinne einer konkreten Utopie konzipieren'. einander tendenziell abgeschotteten Arbeitsmarkt- strukturen ergeben, durch die Frauen und Männer In dieser sind Beruf und Familie für Mütter und Väter voneinander getrennt werden. Sie werden in einem im Sinne gemischter Tätigkeiten mit reduziertem (be- beschönigenden Sprachgebrauch als Vereinb arkeits- ruflichen) Zeithaushalt vereinigt (Teichert 1989, Voll- probleme der erwerbstätigen Mütter bezeichnet. mer 1989, Kurz-Scherf 1989). Des weiteren ist festzu- halten, daß das Normalarbeitsverhältnis des berufstä- Während bis in die jüngste Vergangenheit eine Sicht- tigen Mannes mit eigener Familie im Hintergrund weise vorherrschte, in der Bildungs- und Erwerbsver- eine ,Normalfamilie' voraussetzt, diese wiederum lauf von Frauen und Männern miteinander — quasi eine Hausfrau, die die Reproduktionsaufgaben für voraussetzungslos — verglichen wurden, gewinnt in den Mann und die Kinder übernimmt. Diese Normal- den beiden letzten Jahrzehnten eine Arbeitsmarkt familie wird — wie gerade die Daten über die stei- analyse an Bedeutung, die von einer Segmentierung gende Erwerbsbeteiligung verheirateter Frauen mit des Gesamtarbeitsmarktes in relativ abgeschottete Kindern zeigen — von der Wirklichkeit überholt (vgl. Teilarbeitsmärkte ausgeht. Die Arbeitsmarktseg- Deutscher Forschungsdienst, DF-Digest, Sonderaus- mente stehen nicht allen Arbeitnehmern in gleicher gabe 5/88, S. 8), so daß eine Neuaufteilung von Arbei- Weise offen, und die Zuweisung zu ihnen ist nicht ten zwischen den Geschlechtern, zwischen erwerbs- allein, wohl aber auch Ergebnis von Qualifikations- tätigen Eltern mit Kindern im betreuungsintensiven barrieren. Für Frauen sind sie spezifisch von Lappe Alter und zwischen Personen mit versorgungsabhän- 1981, für das Verhältnis von Bildung und Beschäfti- gigen Menschen zukünftig nötig wird. Zudem ist von gung allgemein von Blossfeld 1984 aufgezeigt wor- jetzt an von einem ,Frauenbild' auszugehen, in dem den. ,Familie' nur für eine kurze Phase bestimmend ist. Die Differenzierung bezieht sich einmal auf die Glo- Die Welt von morgen wird in ihrer Gesellschaftsstruk- balkategorie Frauen. Differenziert nach Alter, Fami- tur von der Erwerbsarbeit geprägt bleiben. Auch be- lienstand, Nationalität, Bildungs- und Ausbildungsni- steht Übereinstimmung unter Experten da rin, daß das veau verbinden sich mit der Geschlechtszugehörig- System der Erwerbsarbeit seine Strukturen und Orga- keit vielfältige Existenzweisen. Die Differenzierung nisationsdynamik verändern wird, wobei die zuneh- bezieht sich aber auch auf Unterschiede in den Aus- mende Spaltung des Arbeitsmarktes auch auf gesell- bildungs- und Berufsverläufen, die sich bei Frauen im schaftliche Segmentationsprozesse verweist, die ihren Vergleich zu Männern abschwächen, aber auch kon- Ausgang bei der Art des Übergangs vom Bildungs- in stant bleiben bzw. sich verstärken können. Diese Un- das Beschäftigungssystem nehmen. Das Bildungs- terschiede haben wiederum zwei Ursprünge: Einer- und vor allem das Berufsbildungssystem (mit Erst- seits die geschlechtliche Zuweisung von privater All- und Weiterbildung) tendiere, so wird konstatiert, da- tagsarbeit an Frauen, die ihre außerfamiliale Berufstä- hin, die bestehenden Ungleichheiten und Spaltungen tigkeit (in den Augen vieler Menschen) ,zweitrangig' auf dem Arbeitsmarkt zu stützen und zu vertiefen, so macht (Familienideologie). Andererseits auch die daß die Ausweitung von Arbeitsverhältnissen im in- Struktur des Geschlechterverhältnisses selbst, die sich formellen Sektor sowie Familienaufgaben hierüber aus der Tradition einer hierarchischen Geschlechter- immer wieder neu den Frauen zugeschrieben werden. ordnung ergibt (Geschlechterideologie). Die breite gesellschaftliche Diskussion über den Stel- lenwert der Erwerbsarbeit und ihre unterschiedliche Werden Berufswahlentscheidungen von Frauen — so- - Verteilung auf die Geschlechter verweist u. a. auch in fern ihnen Wahlfreiheit unterstellt werden kann — einem neuen Bezug auf Bildungsprozesse und Bil- ausschließlich unter dem Aspekt des Qualifikationser- dungsinstitutionen und darauf, daß hier immer wieder werbs analysiert, wird dies der Lebensrealität von die Ungleichheit der Geschlechter hergestellt wird. — Frauen ebenso wenig gerecht wie eine ausschließlich Dies ist ein neues, zusätzliches Resultat dieser gesell- auf den beruflichen Einsatz von Frauen zentrierte schaftspolitischen Auseinandersetzung. — Chancen- Qualifikations- und Berufsforschung, die den ,Fami- gleichheit und gleichberechtigte Teilhabe an der Ge- lienzyklus' bzw. private Verpflichtungen ausblen- sellschaft erfordern eine qualitative Weiterentwick- det. lung der Bildungs- und Wissenschaftsinstitutionen so- Eine dritte Veränderung im Zusammenleben von wie der beruflichen Aus- und Weiterbildung. Frauen und Männern resultiert aus dem Zeit- und Wir skizzieren im folgenden die veränderten Bil- Wertkonflikt zwischen Familien- und Berufstätigkei- dungsansprüche junger Frauen (und ihrer Eltern) und ten. Frauen stellen mit ihrem doppelten Lebensent- ihre Auswirkungen auf wurf (DJI-Gutachten) oder ihrem zwiespältigen Leben die herkömmliche Vereinseitigung einer st rikten a) Berufsfindung und Berufsausbildung und die Trennung von Erwerbs- und Familienbereich in Frage, worin mit steigender Erwerbsbeteiligung für b) Erwerbsbeteiligung von Frauen. , Frauen eine immer stärkere soziale Sprengkraft liegt. Quer dazu liegen Überlegungen zu einem menschen- zentrierten Verständnis von Bildung, zur technologi- Die ,Krisenanfälligkeit' des Privatbereichs ist über- schen Entwicklung und zu Konzepten von Arbeit. Auf wiegend der Inflexibilität bzw. Starrheit der betriebli grundlegende Veränderungen in diesem Bereich ge- chen/ beruflichen Arbeitsorganisation geschuldet. Es hen wir zunächst ein.

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2. Technisch-ökonomische und sozio-kulturelle mit Massenfertigung Bedeutung gewinnen konnte, Umbrüche als Herausforderung für Bildung und weil sie die große Serie, den standardisierten Produk- Qualifizierung tionsprozeß und hohe Kapitalkraft voraussetzte, durch eine ,Lösung' komplettiert, die Automation und Flexi- Die publizistische und literarische Landschaft der ver- bilität vereinbar macht. Wichtig sind daneben aber gangenen Jahre war u. a. auch vom Thema „Technik" auch andere technische Neuerungen — so die Ent- geprägt. Kein Büchertisch, der nicht vor Publikationen wicklung neuer Werkstoffe (z. B. Kunststoffe und Guß) über Neue Technologien überquoll; kein Feuilleton, und Fertigungsverfahren (z. B. Klebetechnik) sowie das sich nicht über Computerspiele und Neue Medien die Fortschritte in der Meß- und Handhabungstechno- ausließen. Nicht zu vergessen all jene Veröffentli- logie (z. B. Sensoren und Aktuatoren bei Industriero- chungen, die das Bild eines ,,gläsernen Menschen" botern) — , die vielfach erst die Voraussetzung dafür oder einer „gläsernen Gesellschaft" 2u zeichnen nicht sind, daß die Mikroelektronik tatsächlich in den Alltag müde wurden. Wenn wir hier das Thema Neue Tech- der Betriebe eindringen kann. Versucht man das in niken und Technologien thematisieren, dann deshalb, die Technologie einsickernde neue Handlungswissen weil wir der Ansicht sind, daß in Zukunft auf betrieb- der Betriebe auf seine organisatorische Relevanz, licher wie gesellschaftlicher Ebene durch Kapital und seine Umstrukturierungsmöglichkeiten hin zuzuspit- Staat eine neue Phase der Vergesellschaftung erreicht zen, so ist von einer durch mehr Flexibilität und grö- werden kann, die die Bedingungen von Arbeit und ßere Funktionsbreite erweiterten Zugriffsmöglichkeit Leben, sozialen Bewegungen und Politik neu formu- technischer Systeme zu sprechen. liert. An dieser Stelle gewinnt die Vorbereitung der Die Mikroelektronik-Anwendung — und die Anwen- Individuen auf neuartige Strukturierungs- und Diffe- dung anderer neuer Techniken — ist durch den Über- renzierungsprozesse der Gesellschaft eine wichtige gang aus einer Phase rascher quanitativer Auswei- Rolle. Wir fragen daher hier, ob und in welcher Weise tung des Neuanwenderkreises in eine Phase der Aus- neue Techniken und Technologien, speziell die Infor- weitung, Differenzierung und qualitativen Weiterent- mationstechnik als Querschnittstechnik, die Bedin- wicklung des Produktspektrums in anwendenden Be- gungen liefern werden, unsere Gesellschaft, d. h. un- trieben gekennzeichnet. Durch das Eindringen in sere ökonomischen, sozialen und ideologischen Be- vielfältige Anwendungsbereiche erhalten Mikroelek- ziehungen umzustrukturieren und welche aktive tronik und Informationsverarbeitung zwei wichtige Rolle Bildungsprozesse hierbei spielen können. Rollen quer zu anderen Techniken, aber gleichzeitig Technisch-wissenschaftliche Neuerungen, insbeson- wird mit der Verflechtung auch die Bedeutung der die dere die Mikroelektronik, haben die Beziehungen Mikroelektronik „aufnehmenden" Techniken erhöht. zwischen der technischen Struktur der Produktions- Angesichts dessen ist abzusehen, daß die entschei- prozesse und menschlicher Arbeit entkoppelt. Die denden Probleme qualitativer Art sind; d. h., es Tendenz zu flexibler Reorganisation der Produktions- kommt auf Bildung und Qualifizierung an. Die prozesse scheint in weiten Bereichen eine „andere" Schwierigkeiten liegen in der Vermittlung und Korn- Qualifizierung der Arbeitskräfte nahezulegen; die bination von digital- und analogtechnischen, hard- größere Distanz menschlicher Arbeit zum technischen und softwareorientierten, elektronischen und ander- Prozeß erlaubt prinzipiell Alternativen, d. h. auch qua- weitigen Erkenntnissen und Erfahrungen. Das domi- lifiziertere Formen des Einsatzes menschlicher Arbeit. nierende — und für Bildungspolitik wichtige — Pro- Insgesamt müssen wir jedoch von zwei alternativen blem liegt in der Verbindung von Expertenwissen mit Entwicklungsmöglichkeiten der Anforderungen aus- erforderlichen Kenntnissen des Anwendungsgebiets. gehen: Einmal von einer Höher- bzw. Requalifizie- Mehrfachlichkeit und soziale/kommunikative Fähig- rung, zum anderen von einer Dequalifizierung. Wel- keiten können als „Leitmotiv"- für Qualifikations- und che Entwicklungslinie die tragende werden wird, ist Bildungsanforderungen in den verschiedensten Be abhängig von der organisatorischen Gestaltung der reichen dienen. Arbeit, vor allem von einer veränderten, aktiven Bil- Da wir davon ausgehen können, daß einige wichtige dungs- und Qualifizierungspolitik, die sich von einem Rahmenbedingungen für die Gestaltung von Technik, verengten beruflichen Bildungsbegriff löst. Organisation, Arbeit und Bildung für die nächsten Anstöße für Innovation und organisatorische Reform 10-20 Jahre bekannt sind und die bisherigen makro- und Qualifizierung im Betrieb bietet fraglos die Per- ökonomischen Grundkonstellationen fortwirken wer- fektionierung der Mikroelektronik durch die Entwick- den, wie verstärkte internationale Arbeitsteilung und lung funktionsreicher, billig herstellbarer Mikropro- wachsende Weltmarktkonkurrenz, Veränderung des zessoren, die sich durch vielfältige Verwendbarkeit Spannungsverhältnisses von Ökonomie und Ökolo- auszeichnen, und die in der Fertigung für die ver- gie, neuartige Entwicklungen im Dienstleistungssek- schiedensten Zwecke der Steuerung und Regelung tor, veränderte Grenzziehungen zwischen sekundä- eingesetzt werden können: als Bausteine von umrü- rem und tertiärem Bereich etc., stellt sich die Frage, stungsfreundlichen Steuerungssystemen mit Fehler- welchen Weg die Arbeitskräfte-Nachfrage einschla- diagnose für Maschinensysteme; von funktionsrei- gen wird. Die vorherrschende Auffassung lautet, daß chen und hochelastischen Steuerungen für multifunk- wir es künftig mit einer steigenden Nachfrage nach tionale Einzelmaschinen; von frei programmierbaren formal hochqualifizierten und mittleren Qualifikatio- Steuerungseinheiten für Industrieroboter; von flä- nen zu tun haben werden und — auf der anderen Seite chendeckenden hochintegrierten Regelungssyste — mit einer sinkenden Nachfrage nach gering quali- men für Großapparaturen. Durch die Mikroprozesso- fizierten Arbeitskräften. ren wird jene bereits in den fünfziger Jahren begin- Wenn wir an dieser Stelle der Analyse die ge- nende Automation, die zunächst nur für Großbetriebe schlechtsspezifische Arbeitsteilung des Arbeits-

Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode Drucksache 11/5349 marktes bereits einbeziehen, so deshalb, weil es sich puterisierung in Produktion, Verwaltung, im Bereich hierbei auch um eine qualifikationsbedingte Segmen- der Massenkommunikation bis hin in den Bereich der tierung handelt, die durchaus den Charakter einer Freizeitgestaltung sind so hoch, daß überall dort, wo altersbedingten Segmentierung hat. Die folgenden diese Technologien noch nicht eingeführt sind, sie Entwicklungen gilt es jeweils festzuhalten: verhindert werden sollten und dort, wo es sie schon gibt, sie möglichst weit zurückgedrängt werden soll- — Unqualifizierte Arbeitskräfte, insbesondere ten. Diese grundsätzlich kritische Position steht vor Frauen, werden aus dem Erwerbsleben ver- dem Problem, die Beweislast dafür zu tragen, daß die drängt. individuellen und gesellschaftlichen Kosten eines ,Ausstiegs' aus den Anwendungsbereichen der Infor- — Die berufliche Qualifizierung nimmt derzeit bei mationstechnologien nicht noch größer werden als die den Frauen schneller zu als bei den Männern, so augenblicklichen Gefahren. Die Analogie zur Atom- daß der Zeitpunkt eines „Gleichziehens absehbar energiediskussion liegt nahe. Doch im Gegensatz zur ist. ,militärisch-friedlichen' Nutzung der Atomenergie ist der Anwendungsbereich der Informationstechnolo- — Zugleich aber dehnt sich der Sektor hockqualifi- gien erheblich umfassender und vielseitiger. Denn es zierter Tätigkeiten, das sind technische, planende sind Techniken/Maschinen, die Daten erfassen, spei- und leitende, deutlich aus. Dieser Sektor scheint chern, mittels Programmen verarbeiten, vervielfälti- stärker als andere Bereiche fest in Männerhand zu gen, übertragen und sie wiedergeben. sein. Die ,Informatisierung' gesellschaftlicher Arbeits- und Derzeit haben auf allen drei Ebenen (der ökonomi- Lebensbereiche geschieht mittels recht unterschiedli- schen, der sozialen und der ideologischen) die (be- cher Techniken, und deren individuelle und soziale gründeten) Spekulationen das Übergewicht vor den Auswirkungen lassen sich kaum in einem einheitli- handfesten Analysen. Der gegenwärtige Kenntnis- chen System beschreiben. Schlagwörter wie „Infor- stand und die sich darauf beziehenden Diskussionen mationsgesellschaft" dürfen darüber nicht hinweg- weisen noch entscheidende Mängel auf. Es liegen täuschen. Von daher ist es verständlich, wenn die Kri- kaum strategische Orientierungen vor; die zukünftige tik an den unterschiedlichen Informationstechnolo- Tatsache der Abnahme notwendiger Arbeit wird weit- gien Schwierigkeiten hat, einen gemeinsamen Nen- gehend vernachlässigt, und der Anspruch der Frauen- ner zu finden. Bei der Kritik an der Atomenergie, der bewegung, die in Jahrhunderten gewachsenen Tech- Bio- und Gentechnologie ist die nicht beherrschte Na- nosysteme grundsätzlich und weitertreibend zu hin- tur ein entscheidender Ausgangspunkt, von dem aus terfragen, ist bisher weder von ihr selbst eingelöst bis zur Kritik an der gesellschaftlichen Anwendung noch ökonomisch und politisch aufgenommen bzw. übergegangen werden kann. umgesetzt worden. Bei der Kritik der Informationstechnologien konzen- Trotz oder gerade wegen der Mängel und Einschrän- triert sich das Interesse auf die gegenwärtigen Formen kungen ist es u. E. wichtig, die Diskussion um Neue ihrer Anwendung, auf ihre Auswirkungen als Jobkil- Technologien und deren Stellenwert für die gesell- ler und vor allem darauf, daß sie „Machtkonzentratio- schaftliche Entwicklung zu intensivieren. Führende nen neuartigen (informationellen) Typs " hervorbrin- Computer-Experten gehen von der Unumkehrbarkeit gen. Die Informationstechnologien ,an sich' (d. h. un- technologischer Prozesse aus (Joseph Weizenbaum): ter dem Aspekt der Naturaneignung) stehen nicht im „Wir haben es mit einem ähnlichen Vorgang wie in Zentrum der Auseinandersetzung, sie erscheinen der Bürokratie zu tun: Ist eine bestimmte Arbeitsweise eher als ambivalent- nach dem Motto: Es kommt dar- einmal eingeführt worden, fällt es außerordentlich auf an, wer und zu welchem Zweck, in welchem Inter- schwer, sie rückgängig zu machen. Im Falle der Corn- esse sie anwendet. — Auch das alternative „Netz- puter, Roboter und Mikroprozessoren scheint es mir werk" hat seine EDV-Anlage. Eine solche Argumen- geradezu unmöglich zu sein, sie wieder abzubauen ... tation jedoch ist nicht mehr grundsätzlich, sie muß dif- Es gibt einen ,point of no return'." (FR-Dokumenta- ferenzieren zwischen der Technologie und den ange- tion, 30.11.83) wandten Techniken, um letztere konkret in ihren Möglichkeiten und gegenwärtigen Auswirkungen Ungeachtet aller Schwierigkeiten in den Einführungs- beurteilen zu können. Computergesteuerte Produk- phasen also ein unaufhaltsamer Aufstieg der Compu- tion, die Entwicklung neuer Kommunikationstechno- tertechnologien und allgemeiner noch: der Informa- logien oder staatliche Massendatenerfassungen erfor- tionstechnologien? Wer ihn verhindern will, riskiert dern je eigene Betrachtungen der angewandten Tech- den Zusammenbruch (des Betriebes, der Branche, der nik und ihres sozialen Umfeldes. Wirtschaft, der Gesellschaft). Da bleiben nur zwei grundsätzliche Alternativen des Denkens/Handelns Diese Ambivalenz in der Bewertung hat zu folgendem (bei vielfachen Überschneidungen im einzelnen): geführt: Bildungs- und Qualifizierungspolitik haben in den vergangenen Jahren in vielfältiger Weise — Man teilt diese Einschätzung zur gesellschaftlichen und teilweise voraussetzungslos — an die Durchset- Durchsetzung der Informationstechnologien nicht zung der Informationstechnologien angeknüpft; und und sagt: die Entwicklung ist umkehrbar. Vielleicht dies sehr oft im Sinne von Anpassungsqualifizierung nicht sofort, vielleicht nicht in allen Anwendungsbe- auf allen Niveaus. — Die Un- und Angelernten sowie reichen, aber man fordert (zumindest) den Einstieg in die Fachkräfte sind von einem solchen Qualifizie- den Ausstieg. Man setzt Zeichen, denn die negativen rungskonzept allerdings in besonderer Weise betrof- individuellen und gesellschaftlichen Kosten der Corn fen. — Diese vorschnelle Orientierung auf das ver-

Drucksache 11/5349 Deutscher Bundestag 11. Wahlperiode engte Menschenbild unseres Produktions- und Be- sowohl ein Zeichen des „Wohlstandes", aber auch der schäftigungssystems, das sich in sämtlichen geronne- angespannten Anforderungen für den Einsatz von Ar- nen Strukturen (Arbeitsbewertung, Arbeitswissen- beitskraft und Menschenenergie in der Arbeitswelt. schaft, Systeme der Entgeltfindung) widerspiegelt, Die Balance zu halten zwischen Selbstbehauptung birgt die Gefahr in sich, daß die Chancen einer Neu- und Anerkennung der anderen, die ebenfalls begrif- gestaltung des Verhältnisses von Bildung und Arbeit, fen werden als solche, die sich um eine Balance bemü- wie sie durch die neue Querschnittstechnologie gege- hen, kennzeichnet ein integratives Bildungsverständ- ben sind, auch bildungspolitisch verspielt werden. nis, das in der neuen Bildungsdiskussion insbeson- Man springt auf den ,fahrenden Zug', ohne sich dere von Frauen betont wird (Prengel 1986, Mettler- gründlich der Richtung zu versichern, die er schon Meibom 1988). Dies liegt darin begründet, daß Selbst- längst eingeschlagen hat. behauptung für Frauen in Bildungsprozessen verbun- Sollte berufliche Bildung weiterhin kognitiv oder den ist mit einer Geschichte des Ausschlusses, der technisch verengt beg riffen und institutionalisiert inhaltlichen Begrenzung wie der Niveau-Reglemen- werden, so wäre die Chance vertan, die die Neuen tierung, aber vor allem einer qualitativ anderen Erfah- Technologien prinzipiell bieten: eine Restruktierung rungsdimension. Nicht die kriegerische, ritterliche und Neuorganisation betrieblicher Arbeit; eine eman- oder weltzugewandte humanistische Auseinanderset- zipiertere Arbeitszeitorganisation; ein Aufbrechen zung kennzeichnen die Bezugspunkte weiblicher Bil- des geschlechtsspezifisch gespaltenen Arbeits- dung, sondern in der Vergangenheit die Vorbereitung marktes und eine Neubewertung von Bildungs- und auf ein Leben in der Familie, heute die Vorbereitung Qualifikationsniveaus. auf eine differenzierte Biographie (DJI-Gutachten) oder einen widersprüchlichen weiblichen Lebenszu- sammenhang: Ein Leben mit Kindern und Erwachse- 3. Persönlichkeits- und soziale Bildung: nen in intimer Einheit verlangt die Anerkennung des/ Selbstbehauptung und Anerkennung von der anderen unabhängig von Leistungen und berufli- anderen chen Erfolgskriterien. Das kann durchaus funktional dafür sein, daß berufliche Normen des Sich-Durchset- Wenn von Persönlichkeitsbildung die Rede ist, dann zens, den anderen Übervorteilens, Sich-auf-der-Basis geht es in modernisierter Va riante um Ich-Stärke, von-Interessen-und-Vorteilen-Begegnens u. a. erst Identität, Entwicklungs- und Konstitutionsmöglich- dadurch ausgelebt werden können. In diesem Sinne keiten des Individuums. Auf die Herauslösung des lebt aber auch der Mann bis heute nicht vom Beruf Einzelnen aus den herkömmlichen sozialen Verbän- allein, sondern aus einem zweiten Kontext heraus, in den und Verpflichtungen baute die bürgerliche Ge- dem Zuwendung, Rücksicht und grenzenlose Aner- sellschaft in ihrer Entstehungsphase und dachte sich kennung jenseits von Konkurrenz und Leistung ver- das Individuum als männlichen Unternehmer oder mittelt werden (sollen). Staatsbeamten, der im Hintergrund eine Familie hatte, über die er bestimmte. Vom gebildeten Bürger- Daß Frauen der unteren sozialen Schichten früher tum waren Frauen damals ebenso ausgeschlossen wie ohne eine eigene Familie lebten, zusätzlich zur ,Auf- heute aus der technischen Kultur. Diese Gleichset- zucht der Kinder' und der Familienarbeit massenhaft zung oder Analogie ist nicht bloß Provokation. Wie niedere Arbeit für geringen ,Frauenlohn' leisteten, weit reale Prozesse des Ausschlusses sich mit kultu- daß Töchter ärmerer bürgerlicher Schichten ,heim- rellen Überhöhungen und natürlichen Zuschreibun- lich' arbeiteten, daß im klassischen Sinne bürgerliche gen verbinden lassen, läßt sich daran erkennen, wie Frauen Hausarbeiten und Kindererziehung unter ausbeuterischer Indienstnahme anderer Frauen ver- spät und schmächtig überhaupt eine familienfreundli- - che, am Privaten orientierte, Erziehung des männli- richteten, läßt die Interessendivergenzen zwischen chen Geschlechts diskutiert oder gar bet rieben Frauen in Familienkonstellationen erkennen, hat aber wird. heute insofern zu einer Angleichung zwischen den Frauen geführt, als sie alle eine doppelte Vergesell- Die Konzentration auf das Individuum als das zu bil- schaftung — nämlich auf Berufstätigkeit und „Fami- dende Subjekt, das durch die Bildungsanstrengungen lienleben" hin — erfahren. Die Vorstellung eines Le- hindurch erst zum seiner selbst mächtigen Subjekt bens mit Kindern bestimmt (noch) maßgeblich weibli- wird, ist aufgrund der sozialen Selektion, die sich da- che Berufsausbildung und Berufskarrieren. Positive mit verband, zu kritisieren. Ebenso kritikwürdig sind Momente wie Qualifizierung und Selbständigkeit die sozialen Bezüge, die darin nicht zum Ausdruck paaren sich dabei allerdings mit Verzichten und per- kommen. Die Einbindung in Kollektive oder die Fä- sönlichen Kosten (s. die vielen Niedrigrenten und den higkeit, sich in Gruppen welcher Art auch immer ,ge- Medikamentenkonsum), die für Frauen identitätsbe- bildet zu verhalten', erfordert mehr als nur die eige- drohend sind und Auswirkungen auf das labilisierte nen Interessen wahrzunehmen. Eines sozialen Ler- System „Familie" haben, dem doch die Festigkeit ei- nens bedarf es, damit Menschen ohne Fremdunter- nes Felsens, auf den alle bauen, abverlangt wird. drückung und Ausbeutung anderer auch zu denen werden, die die soziale Umgebung verkraften kann und mit denen wir gerne zusammenleben möchten. 3.1 Eine Trennung überwindende Daß Menschen erst ,gebildet' werden (müssen), damit Bildungskonzeption. Für einen neuen sie ihren Lebensunterhalt verdienen können, ist eine Geschlechtervertrag große Errungenschaft fortgeschrittener Industriege- sellschaften. Die immer längeren Pausen vor dem Ar- Strukturelle Widersprüche, die sich aus den heteroge beitsleben — ein soziales Morato rium eigener Art für nen, sich teilweise kraß widersprechenden Anforde immer mehr Menschen, auch die Frauen — , sind rungen der Systeme Arbeits- und Familienwelt erge-

Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode Drucksache 11/5349 ben, ihre wechselseitige Abhängigkeit voneinander ses Jahrtausend hinaus sein. Dies fordert Gestaltungs- bei gleichzeitig hierarchischer Anordnung und unter- fähigkeiten, die über Toleranz, Nützlichkeit und ,Er- schiedlicher Arbeitszuweisung an die beiden Ge- folg' hinausgehen (v. Weizsäcker-Rede — 8. Mai —, schlechter geben den sozialen Rahmen ab, innerhalb Leben in einer europäischen Gemeinschaft und Welt- dessen Frauen eine Reihe von spezifischen Brüchen gemeinschaft ohne Krieg). und Krisen ihrer Bildungs- und Berufsbiographie er- fahren. Ein weiteres Problem in „der bildungstheoretischen oder bildungsphilosophischen Diskussion sehen wir in Über diese Brüche und Krisen können sie weniger einer ,Überhöhung' des Bildungsbegriffs, aus dem selbst bestimmen, als daß sie ihnen zu Bedingungen dann ein reduzierter ,Berufsbegriff' folgt. Deshalb ist aufgezwungen werden, über die sie kaum entschei- eine allein auf die Individuen orientierte Bildungspo- den. Daher gehört zu einem Bildungsverständnis aus litik nicht angemessen. Sie muß gleichzeitig auch sy- der Sicht von Frauen auch Kritik an diesen strukturel- stematisch und strukturell ansetzen und die Selek- len, privat und gesellschaftlich immer wieder durch- tions- und Allokationsmechanismen flexibel und gesetzten Zumutungen und das Interesse an mate riel- durchlässig halten, sowohl zwischen den sozialen ler und sozialer Entlastung. Deshalb heißt Verbreite- Schichten, den Geschlechtern, Altersgruppen als. rung der Doppelorientierung nicht nur kritiklose An- auch Kulturen. passung an soziale und berufliche Standards von Männern, sondern bedeutet das Erarbeiten neuer Bildung geht in beruflich verwertbarem Wissen, trotz Kompromisse im Geschlechtervertrag: Kompromisse der Betonung von Schlüsselqualifikationen, nicht auf, wie solche im Gesellschaftsvertrag moderner Ge- weil für ein humanes Zusammenleben soziale Fähig- meinwesen oder im anzustrebenden Geschlechterver- keiten ausgebildet werden müssen, die verschiedene trag entstehen durch politische Bewegungen, wie bei- Dimensionen umfassen: spielsweise die der Frauen. Ihre ,politische Bildung' — Politische Bildung, die Menschen in ihren unter- hat zur Auseinandersetzung um Rechte und Privile- schiedlichen Interessen zu einem f riedlichen Zu- gien geführt, die Männern längst zugestanden wer- sammenleben verhilft; den (teils auf Kosten von Frauen) und heute auf die Neuverteilung von Arbeiten zielen. — Musische Bildung, weil sich die Menschen von der Verausgabung von Energien auch kreativ wieder Wir meiden den Begriff ganzheitliche Bildung, da er erholen wollen; möglicherweise anfällig für neue Ideologien ist: Ei- nerseits geht es um eine Verallgemeinerung der den — Kulturelle Bildung, weil Menschen in Verbindung Frauen kompensatorisch zugeschriebenen Fähigkei- mit den ,materiellen Verhältnissen' Symbolsy- ten der Einfühlung, der Rücksichtnahme, der Bezo- steme entwickelt haben, ' die unterschiedliche genheit auf Leben und Kinder. Gewaltfrei mit Men- Menschengruppen, Ethnien und Völker auch ver- schen zusammenleben ist als Bildungskonzept alter- schieden gestalten (multikulturelle Bildung). nativlos, obwohl es dies in der Praxis doch nicht ist. Andererseits ignoriert der Ganzheitsbegriff die Span- Denn der Mensch lebt nicht vom und für den Beruf nung, Ambivalenzen, ja die Zerreißprobe, die Indivi- allein, schon gar nicht die Frauen, so ließe sich ein duen erfahren, sofern sie auf eine Veränderung von bekannter Topos für unsere Diskussion verwandeln. Rahmenbedingungen zur Entfaltung ihrer Potentiale angewiesen sind. Für eine Verallgemeinerung ,von Nach diesen programmatischen Ausführungen wen- weiblichen Fähigkeiten' in einer Wohlstandsgesell- den wir uns der Analyse der Daten zur Ausbildungs- schaft wie der unsrigen oder auch gegen eine Ver- und Erwerbsbeteiligung zu und untersuchen damit weiblichung bestimmter menschlicher Fähigkeiten die grundlegende Frage, inwieweit ,gleichberechtigte (im Sinne einer Reservierung auf oder Delegation an Verhältnisse' sich bereits abzeichnen. Frauen) spricht die Notwendigkeit, daß in einer al- ternden Gesellschaft nach der Jahrtausendwende in umgekehrter Form Pflegeleistungen und menschliche 4. Bildungsvorsprung und Ausbildungsdefizit: Betreuungsweisen entwickelt und geleistet werden Benachteiligung von Mädchen gibt es noch müssen, die nicht bloß funktional zu organisieren, sondern mit Liebe und Verstand zu verrichten sind. Visionen von durchrationalisierten aseptischen und Die Entwicklung der allgemeinen Bildungsbeteili- fabrikmäßig betriebenen Alten- und Krankenheimen gung im letzten Jahrzehnt zeigt einen leichten Vor- gibt es bereits. Ein ,reduzierter' Umgang mit Men- sprung der Mädchen gegenüber den Jungen. Das schen gleich welchen Alters, Geschlechts und welcher weibliche Geschlecht hat offenbar die kühnsten Er- Kultur, die aus dem Rahmen von Normalitätserwar- wartungen übertroffen und sich ,als das lernfähigere tungen fallen (die die Gesellschaft ausstößt oder zu Geschlecht' erwiesen, jedenfalls statistisch gesehen Wegwerfmenschen macht), — ist ein Indiz für ein un- und gültig für unseren kulturellen und historischen menschlich funktionierendes Arbeits-, Versorgungs- Kontext. „Mädchen sind eher schulreif. Im Alter von und Bildungssystem. sechs Jahren waren 1985 bereits 50 % der Mädchen, aber erst 46 % der Jungen eingeschult. Dieser Vor- Nicht Chancengerechtigkeit zu proklamieren, son- sprung gewinnt an Kraft bis zum Abitur. Unter den dern Bedingungen anzugeben und anzuregen, in de- Nichtversetzten stellen Mädchen in allen Jahrgängen nen Fähigkeiten zu gleichberechtigtem Verhalten al- mit 40% die Minderheit. Im Entlassungsjahrgang ler Menschen ausgebildet werden können, wird eine 1985 waren nur 39% der Schulabgänger ohne Haupt- der Herausforderungen der Bildungspolitik über die- schulabschluß weiblich. Der Überholvorgang ist noch

Drucksache 11/5349 Deutscher Bundestag - 11. Wahlperiode

Tabelle 1 Stellung des Familienvorstandes im Beruf

Status der 17-18jähri insgesamt Arbeiter Beamte Angestellte Selbständige gen Wohnbevölkerung

ins ins ins ins ins w. m. w. m. w. m. w. m. w. m. ges. ges. ges. ges. ges. Schülerlinnen Realschule 5,7 6,0 5,4 5,5 5,9 5,1 6,1 (5,5) 6,6 6,3 5,7 6,8 5,5 5,9 5,1 Gymnasium 25,9 27,0 24,8 12,8 11,9 13,8 49,8 49,6 50,1 37,4 37,9 36,9 30,8 32,5 29,2 berufl. Vollzeit- schule 6,9 8,7 5,2 6,7 9,0 4,8 4,7 6,6 (2,9) 6,6 8,1 5,1 6,1 7,3 5,0 übrige Schulen 4,2 5,2 3,2 3,2 4,4 2,2 5,1 6,0 (4,2) 4,0 4,3 3,6 4,1 (5,0) (2,8)

insgesamt 43,5 47,9 39,3 28,7 33,6 24,4 66,8 68,9 64,8 55,3 57,2 53,5 47,3 51,8 42,4

Auszubildende kaufm./techn. 14,2 18,8 9,9 16,2 22,6 10,4 11,3 13,8 8,9 15,6 19,0 12,3 13,4 18,2 8,6 gewerbl. 20,8 11,0 29,9 28,7 15,1 41,0 12,5 6,4 18,2 15,5 7,5 23,5 21,6 12,3 30,7

insgesamt 35,0 29,8 39,8 44,9 37,7 51,4 23,8 20,2 27,1 31,1 26,5 35,8 35,0 30,5 39,3

Quelle: Umgestellte und ausgewählte Daten aus: Klemm, Klaus: Bildungsexpansion und ökonomische K rise. Sonderauswertung der Mikrozensusdaten 1985 durch IFS Dortmund, in: Zeitschrift für Pädagogik 1987, H. 6, S. 833 lange nicht abgeschlossen, insbesondere die weibli- 4.1 Ausbildungsspektrum und berufliche che Abiturientenquote wird weiter ansteigen. Es ist Segregation durchaus denkbar, daß in nicht allzu ferner Zukunft jeweils 55-60 % der Schüler von Haupt- und Sonder- Die Konzentration der Frauen auf wenige Ausbil- schulen männlich, von Realschulen und Gymnasien dungsberufe, die zudem teilweise eine ,inoffizielle' weiblich sind." (Stiefel 1987, S. 22) Altersgrenze haben (Kindergärtnerin, Arzthelferin, Friseurin etc.) und kaum Aufstiegsmöglichkeiten bie- Der Anstieg in der allgemeinen Bildungsbeteiligung ten, kurz, die Bestandteil des ,instabilen Frauenar- ist insbesondere, aber nicht nur auf die Töchter der beitsmarkts' sind, bedarf einer genaueren Betrach- Mittelschicht-Familien zurückzuführen. Diese kön- tung. nen inzwischen eine den Jungen vergleichbare, wenn Friseurin, Bürokauffrau, Verkäuferin, Arzthelferin so- nicht überlegene allgemeine Bildung erwerben. wie Industrie- und Bankkauffrau sind die Berufe, in Selbst die Töchter aus Arbeiterfamilien haben in der denen Mädchen und junge Frauen sich nach wie vor Allgemeinbildung einen leichten Vorsprung gegen- konzentrieren. Ihnen steht der Kraftfahrzeugmecha- über Arbeitersöhnen (Klemm 1987, S. 836). niker, der Elektroinstallateur,- Maschinenschlosser, Maler und Lackierer, Tischler und Kaufmann gegen- Das Verhältnis von allgemeiner Bildung zu berufli- über (s. Schaubild 1). Zwar sind im letzten Jahrzehnt cher Ausbildung junger Frauen ist jedoch gegenwär- Rückgänge bei den Verkäuferinnen, auch den Friseu- tig durch besondere Diskrepanzen gekennzeichnet: rinnen zu verzeichnen, sie werden jedoch kaum durch Einem geringen Vorsprung in der allgemeinen Bil- Anteilsteigerungen der Frauen in den ,Männerberu- dungsbeteiligung steht eine deutliche Minderbeteili- fen' kompensiert. gung und typische Konzentration in der beruflichen Erst- und Weiterbildung gegenüber, die durch ein re- Der Anteil der Mädchen an der beruflichen Bildung gionales Gefälle noch verschärft wird. Gleichberech- im dualen System ist von 35,8% im Jahre 1960 auf tigt in der Schule, diskriminiert im Beruf lautet ein 41,2% im Jahre 1987 gestiegen. Die Entscheidungen Fazit (Faulstich-Wieland u. a. 1984), das durch die für einen Beruf bzw. eine Berufsgruppe von jungen frisch entbrannte Koedukationsdebatte zur subtilen Frauen und Männern im Vergleich fallen jedoch nach Ungleichbehandlung in der Schule allerdings wieder wie vor deutlich auseinander. Es kann daher nur von problematisiert wird (Kauermann-Walter u. a. 1988). einer geringfügigen Angleichung im letzten Jahr- Die unterstellte koedukative Gleichbehandlung in der zehnt gesprochen werden. Von den 430 anerkannten Schule erweist sich bei genauerem Hinsehen durch- Ausbildungsberufen sind 30 aufgrund von Schutzbe- aus als subtile Ungleichbehandlung, die eine berufli- stimmungen den Frauen verschlossen. Dazu gehören che Diskriminierung vorwegnimmt. vor allem Berufe im Bauhauptgewerbe, im Bergbau sowie im Hoch- und Tiefbaubereich. In der Berufsbildungsforschung wird inzwischen, we- Inwieweit durch technologische und arbeitsorganisa- niger von Berufswahl als von Berufsfindung und Be- torische Veränderungen auch eine prinzipielle Öff- rufslenkung der Frauen gesprochen (Lemmermöhle- nung dieser Berufe für Frauen sinnvoll und möglich Thüsing 1988, Faulstich-Wieland 1985). sein wird, sollte als eine offene Frage behandelt wer- Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode Drucksache 11/5349

Schaubild 1

aus: Statistisches Bundesamt, Bildung und Kultur Fachserie 11, Reihe 3 Berufliche Bildung 1987 den. Trotz formaler Zutrittsmöglichkeiten zu allen üb- der Mädchen an Berufsschulen ohne einen betriebli- rigen Berufen für beide Geschlechter besteht eine chen Ausbildungsplatz) in den untersuchten Städten Aufspaltung des Ausbildungsmarktes fort. zwischen 0,5% und 16%, in abseits gelegenen ländli- chen Kreisen dagegen zwischen 32% und mehr als Der Ausdruck frauenspezifisch oder frauentypisch 60% (Sommerfeld-Siry, 1988, S. 524). hierfür wäre irreführend, denn er schreibt allein den Frauen etwas zu, was ebenso als „Diktat des Ausbil- Der in solchen Regionen mißglückte Start junger dungs- und Arbeitsmarktes" beschrieben werden Frauen ins Berufsleben- prägt die ersten Berufsjahre muß. maßgeblich und auch die späteren Lebenswege, denn die Rückkehrprobleme nach der ,aktiven' Familien- Die ,eigenen Interessen' der Frauen richten sich viel- phase verschärfen sich in solchen Konstellationen mehr nach den Verhältnissen. Junge Frauen lassen (vgl. auch Gutachten von Dosky). sich viele Optionen offen und vermögen sich oft auch im Nachhinein mit der ,erreichten Ausbildung' zu identifizieren (Optionslogik der Bremer Berufsbil- dungsforscher, Schlüter, Gutachten, S. 1). 4.3 Frauen in gewerblich-technischen Ausbildungswegen

Neben der Konzentration der weiblichen Auszubil- 4.2 Regionales Gefälle denden auf ein enges Berufsspektrum und die unteren Ränge der Berufshierarchie gibt es eine gravierende Aufgrund mangelnder Berufsvielfalt im Angebots- technikbezogene Trennlinie zwischen Männer- und spektrum werden Mädchen besonders in struktur- Frauenberufen. Auch diese Beg riffe haben ideologi- schwachen Regionen zu einem „Ausbildungsver- sche Funktion, denn sie lassen übersehen, daß Berufe zicht" veranlaßt. Ländliche Randgebiete (z. B. Ost- im historischen Verlauf zu Frauen- bzw. Männerberu- friesland) weisen die schlechtesten Ausbildungs- und fen gemacht werden und nicht per se etwas mit der Erwerbschancen für Frauen aus und sind auf unter- Geschlechtszugehörigkeit zu tun haben. Ein gutes stützende, staatliche Maßnahmen angewiesen. In die- Beispiel für die politische Herstellung der ,Ge- sem Vergleich einzelner Städte und ländlich periphe- schlechtlichkeit eines Berufes' ist der Setzer-Beruf, rer Kreise in Niedersachsen, Hessen und Nordrhein der im 19. Jahrhundert zeitweise durchaus ein Betäti- Westfalen schwanken die Ungelerntenquoten (Anteil gungsfeld für die Frauen der höheren Schichten war Drucksache 11/5349 Deutscher Bundestag - 11. Wahlperiode

Tabelle 2 Auszubildende in 20 ausgewählten „Männerberufen" Stand: 31. Dezember

1978 1987 Ausbildungsbereich/ insgesamt Männer Frauen insgesamt Männer Ausbildungsberuf Frauen Anzahl % Anzahl - % Industrie und Handel Dreher(in) 9 931 9 875 56 0,6 8 590 8 289 301 3,5 Elektroanlageninstallateur(in) 14 801 14 559 42 0,3 8 010 7 871 139 1,7 Elektrogerätemechaniker(in) 3 027 2 982 45 1,5 2 217 2 118 99 4,5 Feinmechaniker(in) 4 234 4 147 87 2,1 3 995 3 527 468 11,7 Holzmechaniker(in) 3 796 3 738 58 1,5 3 562 3 188 374 10,5 Maschinenschlosser(in) 41 571 41 486 85 0 2 40 439 39 862 577 1,4 Mechaniker(in) 11 680 11 578 102 0,9 14 112 13 249 863 6,1 Nachrichtengeräte- mechaniker(in) 4 405 4 270 135 3,1 3 338 3 038 300 9,0 Tankwart(in) 4 082 3 806 276 6,8 3 437 2 919 518 15,1 Werkzeugmacher(in) 21 269 21 155 114 0,5 18 970 18 509 461 2,4 Handwerk Bäcker(in) 23 884 23 193 691 2,9 28 894 24 684 4 210 14,6 Elektroinstallateur(in) 48 614 48 509 106 0,2 48 784 48 332 452 0,9 Fleischer(in) 22 200 22 053 147 0,7 17 437 16 928 509 2,9 Kraftfahrzeugmechaniker(in) . 88 633 88 425 208 0,2 77 929 77 134 796 1,0 Maler(in) und Lackierer(in) 34 370 33 749 621 1,8 34 944 31 889 3 055 8,7 Maurer 29 936 29 908 28 0,1 15 528 15 464 64 0,4 Orthopädiemechaniker(in) 731 710 21 2,9 692 637 55 7,9 Schlosser(in) 18 737 18 708 29 0,2 23 374 23 159 215 0,9 Tischler(in) 35 139 34 512 627 1,8 34 602 31 674 2 928 8,5 Öffentlicher Dienst Fernmeldehandwerker(in) 12 147 11 888 259 2,1 14 908 13 725 1 183 7,9 insgesamt 432 987 429 25.1 3 736 0,9 403 762 386 196 17 566 4,4 Anteil an den Auszubildenden insgesamt in % 28,5 45, 1 0, 7 x 23,2 38,4 2,4 x

1 ) Ausbildungsberufe mit einem Anteil weiblicher Auszubildender von unter 20 %. aus: Statistisches Bundesamt, Bildung und Kultur Fachserie 11, Reihe 3 Berufliche Bildung 1987

(s. Lette-Verein, B. Robak 1988). Um die Jahrhundert- soziale Geringwertigkeit der beruflichen Vorbilder wende jedoch wurden Frauen in ihm nicht zugelas- hinzu. Konkret heißt dies z. B., daß die Väter der sen, im Zuge der technologisch-arbeitspolitischen Hauptschülerinnen sich kaum um berufliche Chancen Umstrukturierungen in den achtziger Jahren wurden der Töchter kümmern, die Ehefrauen und Mütter da- schließlich erneut weibliche Auszubildende, sogar in mit allein lassen, sie sogar behindern, und diese um merklicher Anzahl, angezogen bzw. zugelassen. Über ihre Töchter anständig unterzubringen, oft nach alten die Steuerung der Berufsfindung in technikfernen Orientierungen handeln" (Schlüter/Weinbach, Gut- Ausbildungsberufen ist vom Gutachten von Prof. Dr. achten 1989, S. 1). Von 1978 (Beginn der Modellver- Krüger: „Probleme der Qualifikationsaneignung für suche) bis 1987 sind absolut und prozentual die weib- Frauen" detailliertere Auskunft zu erwarten. Das vor- lichen Auszubildenden bei den in Tabelle 2 aufge- liegende Gutachten von Dr. Schlüter/Dr. Weinbach: führten ausgewählten Berufen gestiegen. „Beteiligung und Einmündung von Frauen in gewerb- lich-technische Ausbildung und Berufe. Möglichkei- Diejenigen jungen Frauen, die sich für eine Ausbil- ten des Distanzabbaus" resümiert als Ergebnis der dung in einem gewerblich-technischen Beruf ent- Berufsausbildungsforschung, daß „das Milieu für die schieden haben, haben gute Prüfungsleistungen er- Chancenverteilung entscheidend ist. Die Diskriminie- bracht. rung der Mädchen (ist) eine durchgängige landes- „Nach der Ausbildung sind Mädchen allerdings vier- weite Tatsache. Zu den eher arbeitsmarktbedingten mal so häufig erwerbslos wie Jungen ... Schlechte Hemmfaktoren, wie der Enge des Angebotsspektrums Beschäftigungschancen nach der Ausbildung fanden von Ausbildungsplätzen für Mädchen, kommen als vor allem die Elektroinstallateurinnen, Maschinen- status- und rollenbezogene Faktoren die Begrenztheit schlosserinnen und Kraftfahrzeugmechanikerinnen des beruflichen Entwicklungshorizontes, die Ambiva- vor ... In diesen Ausbildungsberufen mit den höchsten lenz der inhaltlichen Zukunftsorientierung und die Besetzungszahlen standen die jungen Frauen einer Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode Drucksache 11/5349

Verbleib der Teilnehmerinnen an Modellversuchen zur gewerblich-technischen Ausbildung

übergroßen Konkurrenz männlicher Bewerber gegen- Grunde marginale Größe, käme ihr nicht ,symboli- über. Gute Beschäftigungschancen nach der Ausbil- sche' Bedeutung zu. Allerdings besteht die Erwar- dung hatten die Informationselektronikerinnen und tung, daß durch die erfolgte Neuordnung der Metall- die Meß.- und Regelmechanikerinnen. Das heißt, daß und Elektroberufe die veränderten Anforderungen grundsätzlich die Beschäftigungschancen in gewerb- (größere Anteile von dienstleistenden Zwischenfunk- lich-technischen Ausbildungsberufen für junge tionen, Verringerung der körperlichen Anforderun- Frauen sehr differenziert zu betrachten sind. " (Schlü- gen, Zunahme von Theorie) den Frauen entgegen- ter 1989, S. 34) kommen könnten. Die Vorschläge eines Gutachtens (Schlüter) gehen in die Richtung, eine Technikakzep- Insgesamt waren von den Teilnehmerinnen der Mo- tanz der Mädchen und jungen Frauen aufzubauen dellversuche in Nordrhein-Westfalen 47% als Fachar- und dabei über einen längeren Zeitraum ein ganzes beiterin, 16% als Angelernte, 10% in der Weiterbil- Bündel von Einflußfaktoren zu beachten. dung sowie 20% erwerbslos und 7% ohne Berufstätig- keit (Strauß 1986, S. 36). Auf Bundesebene sehen nach den Erhebungen des BIBB die Daten etwas günstiger - aus (vgl. Schaubild 2 und 3). 4.4 Erste Schlußfolgerungen Die Empfehlungen des BIBB zur „Ausweitung des Gleichwohl gibt es bedeutsame Veränderungen im Berufsspektrums für Frauen im gewerblich-techni- Ausbildungsverhalten junger Frauen, die zukunfts- schen Bereich und die gemeinsame Empfehlung des weisend sind. Ein Mangel an Ausbildungsplätzen hat Deutschen Gewerkschaftsbundes und der Bundesver- früher bei ihnen zu einem Verzicht auf Ausbildung einigung der Deutschen Arbeitgeberverbände ,zur geführt. Heute versuchen sie einen höheren Schulab- Herstellung der Chancengleichheit junger Frauen' schluß zu erreichen oder eine berufliche Vollzeit auf dem Arbeitsmarkt vom Juli 1987 sowie die Aktivi- schule zu besuchen, um ihre beruflichen Qualifizie- täten der Bundesregierung (BMBW) zielen auf wei- rungschancen zu verbessern. Gleichzeitig lag ihr An- tere Verbesserungen für junge Frauen in gewerblich- teil an den nicht vermittelten Bewerbern im Jahr 1987 technischen Berufen. bei 63,2%. Jedoch könnten sich auch ihre bisher schlechteren Einstiegskarten in das duale Ausbil- Die IG-Metall wird sich mit einem Aktionsschwer- dungssystem aufgrund der demographischen Ent- punkt für eine Steigerung des Frauenanteils in den wicklung in den neunziger Jahren deutlich verbes- neu geordneten Metall- und Elektroberufen einsetzen sern (s. Berufsbildungsbericht 1988, S. 18), denn der (s. Anhörung vom 14.9.1988, Berufliche Erstausbil- Anteil von Mädchen bzw. jungen Frauen an den Be- dung und Erwerbsarbeit). werbern nimmt weiter zu (57,2%). Die Chancen aus- ländischer Mädchen sind allerdings nach wie vor in Die Bemühungen können jedoch nicht darüber hin- dramatischer Weise unzureichend. wegtäuschen, daß der bisherige Anteil von Frauen in den Kernberufen des Metall- und Elektrobereichs ver- Die geteilte Orientierung der Frauen auf eine Er schwindend gering ist (unter drei Prozent), eine im werbstätigkeit und ein Leben mit Kindern zwingt sie Drucksache 11/5349 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode allerdings gegenwärtig noch zu vielfachen Kompro- (2) Die vermehrten und verlängerten Bildungsan- missen und ,eigenen Wegen', die einseitig als Berufs- strengungen junger Frauen sind z. T. auch durch und Weiterbildungsdezifizite der Frauen gedeutet ihre minderen Berufschancen bedingt und damit werden. Sie kommen insbesondere dadurch zustande, teilweise auch Ausdruck ihrer schlechteren Chan- daß der Maßstab von Berufs- und Weiterbildung weit- cen auf dem Ausbildungsstellenmarkt. In dieser gehend noch das traditionelle männliche Lebensmo- Deutung könnte das verlängerte Moratorium der dell ist, von dem die Frauen abweichen und daher mit jungen Frauen in den Institutionen der allgemei- Sondermaßnahmen zu behandeln sind. nen Bildung und der Berufsvorbereitung wider- sprüchliche Folgen haben: Die Freisetzung von Dies kann sich jedoch als Fehlschluß erweisen, denn frühen und umfänglichen Familienpflichten (Hin- die massenhafte individuelle Nachfrage von Frauen ausschieben der Geburt des ersten Kindes, mehr nach mehr Bildung und Berufstätigkeit wirkt ihrer- Einkind-Familien) bei den einen; andererseits das seits insofern am Aufbau neuer Strukturen mit, als Niedrighalten des Berufsbildungsniveaus von öffentliche und private Einrichtungen veranlaßt wer- Frauen und damit die problemlose Zuweisung den, für die Realisierung dieser weiblichen Über zum ,frauentypischen' Arbeitsmarktsegment ge- Nachfrage und für veränderte Rahmenbedingungen rade über frühe Heirat. Ökonomische Gründe der einer allgemeinen beruflichen Teilhabe zu sorgen. Aufnahme und Fortsetzung einer Erwerbsstätig- Dazu sind im Abschlußbericht detaillierte Empfehlun- keit sind bei Hauptschülerinnen ausgeprägter als gen vorzulegen. bei akademisch ausgebildeten Frauen (Huinink Folgende Begründungen lassen sich für einen ,Struk- 1987). Letztere entscheiden sich sowohl im höhe- tureffekt' anführen, der durch steigende Bildung mit- ren Alter für eine ausschließliche Familientätig- bewirkt wird und sich langfristig an der Auflösung des keit, entschließen sich jedoch auch verstärkt nach gespaltenen Arbeitsmarkts für Frauen messen lassen einer „aktiven" Familienphase zur Berufsrück- muß: kehr. (3) (1) Unsere Gesellschaft leistet sich zur Zeit eine Über- Die Bildung der Frauen — so lassen sich die theo- investition in die Allgemein- und teils auch in die retischen Überlegungen fortführen, ist vom Be- Berufsausbildung der jüngeren Frauengeneratio- schäftigungssystem stärker abgekoppelt als die nen. Nicht alle Frauen können ihre Bildung aus- der Männer. Damit wird der doppelten Orientie- schließlich — wie Männer es tun — in Berufskar- rung und Verpflichtung der Frauen, sowohl für die rieren umsetzen, sondern setzen sie auch um in Familie zu sorgen als auch finanziell selbständig (ausschließliche) Familien- und Kindererzie- leben zu können, (scheinbar) besser entsprochen. hungstätigkeiten. Niemand beklagt diese Tätig- Sind Frauen damit die Vorhut einer zukünftigen keiten als sozialen Verlust (z. B. in der Figur der Entwicklung? akademisch gebildeten Hausfrau). Der Sinn sol- Für eine größere Distanzierung der Bildungspoli- cher Investition in das weibliche Geschlecht tik von aktuellen und akuten gesellschaftlichen könnte idealistisch betrachtet darin liegen, Frauen und speziell arbeitsmarktpolitischen Prozessen über mehr Bildung einfach glücklicher zu machen. plädierte insbesondere Prof. Lutz in einer Experte- Er kann aber auch darin liegen, Frauen aus der nanhörung mit einem Krisenargument, indem er beruflichen Konkurrenz mit Männern auszuschal- einer gestaltend eingreifenden Konzeptionierung ten. das Wort redete: Die Warte- bzw. Bildungsschleifen für junge „... Es gibt gute Gründe für eine Annahme, daß die Frauen, die Erhöhung des allgemein-bildenden massiven Krisensymptome- des dualen Systems Eingangsniveaus für die derzeit Frauen vorbehal- der frühen siebziger Jahre in den neunziger Jah- tenen Berufe, Frauenberufe, eine fachliche Seg- ren mit weit größerer Virulenz wieder auftreten mentierung bereits in der allgemeinen koedukati- werden, daß es zu einer weitverbreiteten Abwen- ven Schulbildung für die geschlechtsspezifischen dung von der dualen Ausbildung kommen wird, Leistungskurswahlen u.a.m., all dies deutet eher und daß sehr bald, im Laufe der neunziger Jahre in auf eine Abschottung als eine Auflösung der Be- wichtigen Berufsfeldern ... mit dem Kippen des rufssegmente hin. Aber dies könnte auch hinter- Marktes (gerechnet werden muß). gründig die Funktion haben, für ,Familienarbeit oder private Alltagsarbeit' auszubilden, wenn die ... Warum sollte Deutschland gelingen, was keiner Orte für eine ,Frauenbildung im herkömmlichen anderen Industrienation gelungen ist, nämlich ne- Verständnis' immer seltener werden. Zur Bewälti- beneinander zwei Wege der Vorbereitung auf gung von Alltagskrisen, zur Konfliktregulierung spätere Berufstätigkeit koexistieren zu lassen, die man — wenn ich es mal verkürzt auf den Bereich im privaten Zusammenleben mit Kindern, für das private Zusammenleben mit „individualisierten" der industriellen Produktion anwenden darf — als Facharbeiter und Ingenieur bezeichnen kann. Menschen (Beck 1986) sind Bildungsvorausset- zungen gefordert, die wir im Abschnitt über unser Zwei Wege nebeneinander konkurrieren zu las- Bildungsverständnis dargestellt haben. sen, die eigentlich beide gleiche Intelligenz erfor- dern und von denen der eine weitaus mehr Privi- In der Kommission ist diese Debatte mehr indirekt legien, Vorteile mit sich bringt als der andere! in der Auseinandersetzung über die Wertschöp- fung der Haushalte und die Bedeutung der Erzie- ... Und die Frage, warum eigentlich ein Jugendli hungsarbeit geführt worden (Kühlewind, Da- cher mit einer mindestens durchschnittlichen Be weke, Götte, Weisskirchen). gabung in Zukunft Facharbeiter werden soll, wird Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode Drucksache 11/5349

nicht dadurch beantwortet, daß man sagt, die Be- dung einstellen. Damit käme es in der Tendenz zu triebe bräuchten ihn." (Lutz, 15/11) einer Auflösung der dualen Ausbildung. Prof. Griesinger erwähnte bereits zu Beginn der Kom- (4) Wie verknüpft sich nun die grundsätzliche Kritik missionsarbeit die Schwierigkeiten der Bet riebe an der Selektionsstruktur der Berufsausbildung, im Stuttgarter Raum, Auszubildende zu bekom- wie Prof. Lutz sie aus der Perspektive von Jugend- men (Kurzprotokoll, 2. Sitzung am 13.4.1988, lichen und ihrer Eltern formuliert, mit der Mög- 2/8). lichkeit neuer Arbeitsverteilungen zwischen den Geschlechtern? Bisherige Prognosen (BIBB) beziehen sich vor al- lem auf die Erhöhung der schulischen Vorbildung Zunächst einmal ist festzuhalten, daß Prof. Lutz Jugendlicher in der Berufsausbildung. Der Anteil weitreichende kritische Zukunftsvisionen formu- der Hauptschüler soll bis zur Jahrtausendwende liert hat, die sich aus dem in der Gesellschaft auf ein gutes Drittel (zum Vergleich: 1970 waren durchgesetzten Wunsch nach allgemeiner Höher- es 70%) zurückgehen, der der Realschüler auf die qualifizierung ergeben könnten: nämlich der Hälfte ansteigen und der der Abturienten auf 25 Möglichkeit, daß der Gesellschaft zwar nicht die bis 30%. Arbeit, wohl aber die Arbeiter ausgehen könnten. Prof. Schlaffke und mit ihm andere argumentieren Wenn wir daher aktuell noch von einem Ausbil- aus der Sicht der Betriebe für die Notwendigkeit dungsdefizit der Frauen im dualen System spre- einer Höherqualifizierung, für Schlüsselqualifika- chen können, dann könnte sich dieses aufgrund tionen u.a.m. .im Sinne von Anpassungsbildung der immanenten Dynamik des dualen Systems bzw. -qualifizierung, da veränderte Arbeitsanfor- selbst, wie gerade beschrieben, auflösen, indem derungen dies nach sich ziehen würden. In dieser andere Formen der Berufsausbildung vorherr- ,quasi-deterministischen' Sicht der Technikent- schend werden oder Frauen besonders angewor- wicklung und der getroffenen Ableitung werden ben werden, falls junge Männer diese Ausbildun- menschliche Fähigkeiten als Humankapital für gen meiden. Die zukünftige Entwicklung jetzt ein- die betrieblichen Interessen gesehen, in die zu zuschätzen, ist jedoch schwierig. Eine vorläufige investieren sich lohnt. Prof. Lutz erweitert diese und mutige Vorschau aus der Sicht von Frauen Perspektive, indem er die strukturellen Vorteile könnte jedoch vorerst lauten: des gegenwärtigen dualen Ausbildungssystems Die Wiederauflage eines Programms zur Förde- mit seinen immanenten Widersprüchen konfron- rung von mehr weiblichen Facharbeitern in den tiert, nämlich der gleichzeitigen Aufrechterhal- klassisch männlichen Berufen des Metall- und tung eines gravierenden Ungleichverhältnisses. Elektrobereichs könnte verfehlt sein, da Frauen Damit liegt strukturell die gleiche dialektische sich nicht so einfach ,umprogrammieren' lassen. Denkfigur vor wie bei der eingangs formulierten Auch könnten sie zum wiederholten Mal in beruf- ,Frauenemanzipationsthese', daß nämlich die Bil- lichen Sackgassen landen. Gleichwohl erscheint dungsexpansion und Ausschöpfung der menschli- es sinnvoll, weit mehr Ingenieu rinnen auszubil- chen Begabungsreserven grundsätzliche Verän- den, da ,Ingenieure' die Berufstätigen der Zukunft derungen nach sich ziehen (müssen), gerade sein werden, so übereinstimmend alle Prognosen. dann, wenn Menschen Wahlfreiheit haben (sol- Eine Angleichung zwischen den Geschlechtern len). Vermehrte Chancengleichheit, u. a. indem könnte dann auf einem Niveau erfolgen, das eine sie das Bewußtsein für soziale Diskrepanzen Stufe überspringt, und möglicherweise eine neue schärft, aber auch, indem sie diejenigen, die ohne Debatte zum Ingenieurstudium einleiten, das, in- Ausbildung bleiben, relativ schlechter stellt. Dies dem es ,frauenfreundlicher'- gestaltet wird, insge- wiederum beeinflußt individuelles Verhalten in samt studentenfreundlicher und ,sozial' verant- einer Weise, die Strukturen transzendieren kann, wortlicher wird? — Eine jüngst vorgelegte Unter- z. B. die Arbeitsteilung zwischen den Geschlech- suchung (vgl. Janshen/Rudolph 1987) versuchte tern, die damit auch ,dynamisch' werden muß. hierzu Gedanken zu entwickeln. Eine zweite Parallele ergibt sich daraus, daß bis- Problematisch ist diese Zukunftsoption jedoch her von einem Ausbildungsdefizit der Frauen in deshalb, da auch die Ingenieurausbildungen an technischer Hinsicht in der Tat die Rede sein Fachhochschulen und Universitäten ebenso wie mußte. Das Prinzip der dualen Ausbildung wurde die Mehrzahl der Ausbildungsberufe im dualen von jungen Frauen bisher weitaus weniger ge- System Männerdomänen geblieben sind. Sie wei- nutzt als von männlichen Jugendlichen — sieht sen allerdings deutlichere Aufweichungstenden- man von einigen Frauendomänen ab. Wenn zen auf, z. B. in der Informatik, Ökologie, Land- männliche Jugendliche die Ausbildung auf Fach- schaftspflege, auch in der Chemie (Roloff 1989). arbeiterniveau zunehmend ,verweigern', weil sie Wenn die Aufhebung der geschlechtlichen Mono- eine aufstiegsorientierte Ausbildung auf höherem polisierung von Wissen und Fähigkeiten, die Niveau vorziehen, dann ergeben sich verschie- schiefe Verteilung der Geschlechter auf be- dene Möglichkeiten: Die eine ist die Lückenbü- stimmte Ausbildungen, Berufe, Berufshierarchien ßerfunktion der Mädchen. Prof. Lutz zufolge und Machtpositionen Ziel einer vorausschauen- könnten Betriebe in den neunziger Jahren noch den Bildungspolitk ist, die gleichzeitig die Ver- „dankbar sein für Kinder der ausländischen Ar- hältnisse gestaltet, indem sie den Menschen Ge- beitnehmer und für Frauen, die sich auf diese staltungsfähigkeiten vermittelt, dann müßten Mo- Weise ausbilden lassen wollen." Eine andere dellversuche umfassender und neuer Art vorberei- Möglichkeit ist die, daß die Bet riebe die Ausbil tet werden, die nicht mehr die Fehler der alten

Drucksache 11/5349 Deutscher Bundestag - 11. Wahlperiode

Tabelle 3 Erwerbsquoten von Frauen nach Alter und Familienstand in der Bundesrepublik Deutschland (April 1988) Wohnbevölkerung, Erwerbspersonen sowie Erwerbsquoten im Ap ril 1988 nach Altersgruppen und Familienstand

insgesamt ledig verheiratet verwitwet/geschieden

Wohn Wohn Wohn Wohn Alter von ... Erwerbs- Erwerbs- Erwerbs- Erwerbs- Erwerbs- Erwerbs- Erwerbs- Erwerbs- bewölke- bevölke- bewölke- bis unter bevölke- personen quoten personen quoten personen quoten personen quoten ... Jahren rung rung rung rung

1 000 % 1 000 % 1 000 % 1 000 %

weiblich unter 5 1 475 - - 1 475 ------5-10 1421 - - 1421 ------10-15 1 387 - - 1 387 ------15-20 1963 775 39,5 1922 758 39,4 40 17 42,0 / / / 20-25 2 523 1 903 75,4 1 921 1 522 79,3 582 367 63,1 20 13 66,3 25-30 2 445 1 656 67,7 886 748 84,4 1 466 839 57,2 94 69 74,0 30 -35 2 136 1 333 62,4 349 314 89,9 1 635 895 54,7 152 124 81,6 35-40 2 039 1 298 63,7 178 162 91,1 1 654 960 58,1 207 175 84,7 40-45 1 773 1 138 64,2 104 94 90,6 1 451 854 58,9 219 190 86,8 45-50 2 326 1 417 60,9 125 111 89,2 1 905 1 068 56,0 296 238 80,5 50-55 2 163 1 161 53,7 117 100 85,2 1 736 851 49,0 309 210 67,9 55-60 1 854 762 41,1 126 93 73,5 1 377 501 36,4 351 168 47,9 60-65 1980 220 11,1 159 30 19,2 1269 126 10,0 553 64 11,5 15-65 21 201 11 661 55,0 5 886 3 931 66,8 13 114 6 479 49,4 2 201 1 252 56,9 65-70 1900 63 3,3 165 9 5,3 946 31 3,3 789 23 2,9 70-75 1 360 24 1,8 105 / / 472 10 2,0 782 10 1,3 75 u. mehr 3 114 28 0,9' 288 5 /,9 524 6 1,2 2 301 17 0,7 15 u. mehr 27 575 11 777 42,7 6 444 3 949 61,3 15 057 6 526 43,3 6 074 1 301 21,4 zusammen 31 858 11 777 37,0 10 727 3 949 36,8 15 057 6 526 43,3 6 074 1 301 21,4

Q uelle: Statistisches Bundesamt 1989, Fachserie 1, Reihe 4. An diesen Daten ist besonders die steigende Erwerbsbeteiligung der verheirateten Frauen im mittleren Alter hervorzuheben.

wiederholen. Dazu sollte der Endbericht konkrete Bildungs- und Ausbildungsniveau bestimmen maß- Utopien formulieren und Vorschläge machen. geblich die Höhe und Dauer weiblicher Berufstätig- keit. Sie haben auch Einfluß auf die Familiengrün- dung und Kinderzahl.-

5. Bildung und Frauenerwerbsarbeit oder wie Die kontinuierlichen Steigerungsraten weiblicher Er- ,Gleiche' bislang ungleich gemacht werden werbsbeteiligung zeigt Tabelle 4. Zum Vergleich sei noch die altersspezifische Erwerbs- In den letzten 20 Jahren haben sich Frauen ein erwei- quote von Frauen in Frankreich und in der Bundesre- tertes Terrain der gesellschaftlichen und beruflichen publik angefügt. Betätigung erobert, das zum großen Teil auf die Behe- bung des Bildungs- und Qualifikationsdefizites zu- Im Vergleich mit Ländern des europäischen Auslands rückgeht, dessen Reichweite jedoch nicht auf mate- liegen die Frauenerwerbsquoten in der Bundesrepu- rielle und soziale Besserstellung begrenzt ist. Die so- blik im Mittelfeld und darunter. ziale Lage und das Selbstverständnis von Frauen, ihre Erwartungen und Bedürfnisse an Berufstätigkeit, Im Unterschied zu Frankreich fällt in der Bundesrepu- Partnerschaft, Liebesverhältnisse und Familie können blik die Erwerbsquote von Frauen im Alter von 25-35 mit den Verhältnissen der fünfziger und selbst der Jahren bedeutend stärker ab. Dies hängt einmal mit sechziger Jahre nicht mehr gleichgesetzt werden. Da- anderen Einstellungen zum mütterlichen Erwerbsver- bei haben sich die Trends eher kontinuierlich fortge- halten zusammen, aber insbesondere auch mit einer setzt, als daß radikale Umbrüche erfolgt sind. Das gilt entsprechenden Bildungspolitik (Ganztagsschulen, auch für die ,Vorbereitung der weiblichen Bildungs- Kindergärten). Gleichwohl läßt sich auch in der Bun- expansion' durch ihre Müttergeneration und den Be- desrepublik Deutschland von einer stillen Revolution deutungszuwachs von Bildung und Ausbildung im der Frauen bezüglich ihrer Bildungsmotivation und weiblichen Lebenszusammenhang der Nachkriegs- Berufsorientierung sprechen, zumal trotz anhaltender generation. Arbeitslosigkeit und entmutigender Effekte die Er- Deutscher Bundestag - 11. Wahlperiode Drucksache 11/5349

Tabelle 4 Frauenerwerbstätigkeit in der Bundesrepublik Deutschland 1)

1960 1965 1970 1975 1980 1985 1986 2)

Zahl erwerbstätiger Frauen 3) 9 698 9 768 9 554 9 591 9 814 9 739 4) 10 376 Potentialerwerbsquote der Frauen 5) 49,1 49,0 48,1 51,0 51,6 53,3 53,5 Anteile der Frauen an den Erwerbstätigen 37,2 36,5 36,0 37,3 37,3 38,2 38,5 Teilzeitquote der weiblichen abhängig Beschäftigten 6) 8,6 16,4 24,4 29,5 29,0 32,0 _ 7) Erwerbsquote verheirateter Frauen 8) 32,2 33,7 35,6 39,1 40,6 42,5 9) 42,9 Anteil der von Frauen geleisteten Arbeitsstunden am Arbeits- volumen insgesamt 35,7 35,0 33,4 34,5 34,5 35,3 _ 7)

1) Falls nicht anders angegeben, sind die aufgeführten Zahlen Prozentzahlen und entstammen dem Artikel von Hans Uwe Bach et al. 1986 2) Vom Autor aktualisierte Daten, Angaben in Tausend, Quelle; Statistisches Jahrbuch der Bundesrepublik Deutschland 1988. 3) Die Anzahl der erwerbstätigen Frauen ist in 1000 Personen angegeben. 4) Das Ergebnis ist vorläufig. 5) Die Potentialerwerbsquote wird aus dem Quotienten der Anzahl von Erwerbstätigen zuzüglich registrierter und nicht registrier- ter Arbeitsloser und der Wohnbevölkerung zwischen 15 und 65 Jahren gebildet. 6) Die Teilzeitquote ergibt sich aus dem Anteil der normalerweise 1 bis 36 Arbeitsstunden leistenden Arbeitnehmerinnen an allen weiblichen abhängig Beschäftigten. 7) Entsprechende aktuelle Zahlen sind noch nicht verfügbar. 8) Der Anteil der erwerbstätigen verheirateten Frauen an allen verheirateten Frauen ergibt die Erwerbsquote verheirateter Frauen. Die Zahlen entstammen verschiedenen Jahrgängen des Statistischen Jahrbuchs des Statistischen Bundesamtes. 9) Hier wurde - da die Zahl für 1985 noch nicht verfügbar ist - die Angabe von 1984 aufgeführt. Quelle: Bach, Hans-Uwe/Brinkmann, Ch ristian, 1986, S. 356 ff. werbsbeteiligung von Frauen zunimmt (Brinkmann, Dieser Trend steigender Erwerbsbeteiligung von Anhörungspapier 11.5.1988, 3/107 ff.). Deshalb ist von Frauen wirft ein neues Licht auf das Modell der Er- einem stabilen Trend wachsender Erwerbsbeteiligung werbsperson. Diese kann nicht mehr der männliche auszugehen. Er könnte sich eher noch beschleunigen, Arbeitnehmer sein, der allein mit seinem Einkommen da der Zustrom von Frauen zu den besseren Ausbildun- eine Familie zu finanzieren hat, für die er einen Dau- gen (Hochschulstudium) anhält und diese ,gebildeten ereinsatz im Beruf leistet - um den Preis seiner Ab- Frauen' eine höhere Erwerbsbeteiligung aufweisen. wesenheit von der Familie. Zusätzlich kommen mit dem Älterwerden der besser ausgebildeten Frauengeneration auch diejenigen in die So wie der männliche Arbeitnehmer nicht mehr allein ,Familiengründungsphase', die eine günstigere Vor- Maßstab sein kann, sowenig ist auch global von einer aussetzung für eine Erwerbstätigkeit haben. weiblichen Erwerbsperson auszugehen. Vielmehr ist von einer Differenzierung der Arbeitsmarktlage von Frauen und einer Pluralisierung von Lebensmodellen Tabelle 5 und Existenzweisen auszugehen - gerade bedingt auch durch das gestiegene Bildungs- und Qualifizie- Erwerbsbeteiligung der Frauen rungsniveau von Frauen und die Krisenanfälligkeit im Alter von 15 -64 Jahren (1986) traditioneller Formen des Zusammenlebens der Ge- im internationalen Vergleich schlechter.

Land Anteil in

Bundesrepublik 5.1 Die Differenzierung der Erwerbsbedingungen Deutschland 53,1 von Frauen Dänemark 74,1 Frankreich 53,9 Zunächst ist darauf hinzuweisen, daß sich in histori- scher Perspektive die quantitative Steigerung des Großbritannien 58,9 weiblichen Anteils an der Erwerbsbevölkerung relati- 41,9 Italien viert. Japan 54,7 Niederlande 43,0 - Sie hat jetzt erst wieder den Stand wie vor 100 Norwegen 67,5 Jahren erreicht. Dies hängt mit der Veränderung Österreich 53,0 des Beschäftigungsverhältnisses zusammen, da- Schweden 77,9 mit, daß aus den mithelfenden Familienangehöri- gen abhängig Beschäftigte wurden. Zum Teil ist Schweiz 52,5 dies auch darauf zurückzuführen, daß die Er- Vereinigte Staaten 63,2 werbsquote der Männer rückläufig ist (vorzeitiger Quelle: Engelen-Kefer 1989, S. 4 Ruhestand, Arbeitslosigkeit). Drucksache 11/5349 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode

Schaubild 4 Erwerbsbeteiligung im Lebenszyklus — Altersspezifische Erwerbsquoten (a) von Frauen (in %)

(a) Effektive Erwerbsquote (Erwerbstätige und Arbeitslose, bezogen auf die Wohnbevölkerung der jewei ligen Altersgruppe) Quelle: Bach/Brinkmann 1986 nach 1983: Europäische Gemeinschaft, Arbeitskräfteerhebung 1974: Finanzen (1981), Altersspezifische Erwerbsquoten (a) im europäischen Vergleich, in BeitrAB 56

— Von großer Bedeutung ist hingegen die Verände- Drittel in ungeschützten, d. h. nicht versicherungs- rung der Binnenstruktur der Gruppe der erwerbs- pflichtigen Beschäftigungsverhältnissen (Kühle- tätigen Frauen. Erhöhung des Eintrittsalters auf wind, 11.5.1988). den Arbeitsmarkt, Anteilssteigerung verheirateter Frauen bei den Erwerbstätigen, insbesondere der — Die Teilzeitbeschäftigungsverhältnisse sind Kom- mittleren Altersgruppe, und kürzere Unterbre- promisse, die (fast) nur Frauen eingehen. chungsdauer durch eine Familienphase deuten Angleichungen an männliche Erwerbsbiographien Der gespaltene Arbeitsmarkt für Frauen kann unter an. Diesen Tendenzen stehen jedoch gravierende anderem kursorisch gekennzeichnet werden durch Unterschiede gegenüber, die insgesamt mit dem Begriff: geschlechtliche Arbeitsteilung und Ar- — eine abteilungs- und branchentypische Konzentra- beitsmarktsegmentation gut beschrieben sind. tion in industriellen Tätigkeitsbereichen, die unsi- chere Beschäftigung bieten und niedrig entlohnt — Ein Drittel der erwerbstätigen Frauen steht in ei- werden, weiterhin durch Dienstleistungsberufe nem Teilzeitarbeitsverhältnis (mit daraus folgen- auf den unteren und mittleren Hierarchien, z. B. in der Aufstiegsbegrenzung), davon wiederum ein den Gesundheitsberufen etc.; Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode Drucksache 11/5349

- eine Einkommens- und Lohndiskriminierung. schaftsnahe Berufe, Berufe, die mehr menschliche Frauen sind nach wie vor am häufigsten in den Kontakte ermöglichen, z. B. Schaltertätigkeiten in niedrigen und schlechter bezahlten Positionen. Banken ...) — oder die, beispielsweise in der Industrie, Auf der unteren Ebene der An- und Ungelernten sich in Bereichen befinden, die eine sogenannte sind Frauen zu 40%, Männer zu 26% vertreten. Der Haushaltsnähe aufweisen, wie die Textil-, Beklei- Brutto-Stunden-Verdienst eines Arbeiters in der dungs-, Nahrungs- und Genußmittelindustrie, sowie Industrie betrug 1987 18,55 DM, der seiner Kolle- die Bereiche, in denen die „weiße Ware" in der Elek- gin 13,61 DM. Ein Angestellter verdiente im troindustrie (beispielsweise Geschirrspüler, Wasch- Schnitt 4 485 DM, eine Angestellte 2 875 DM. maschinen, etc.) und die Unterhaltungselektronik Auch die Verteilung des Nettoeinkommens: 58% hergestellt werden. der Frauen liegen unter 1 400 DM monatlich, aber nur 17% der Männer läßt von Gleichstellung nicht Tatsächlich befinden sich gegenwärtig Frauen, wenn die Rede sein (Engelen-Kefer 1988). sie erwerbstätig sind, in der Masse in eben jenen kur- sorisch genannten Bereichen, in denen im übrigen — Die Aufstiegsbedingungen und -möglichkeiten ihre Arbeitsplätze auch besonders gefährdet sind. sind für Frauen (siehe Einstiegsqualifizierung, Weiterbildung, Berufsunterbrechungen und Teil- Bedeutet' dies nicht auch, daß es typische Frauenein- zeitbeschäftigung sowie instabile Beschäftigung) satzbereiche gibt, weil es ein typisch weibliches Ar- bedeutend geringer. beitsvermögen gibt? Diese Frage zentriert auf eine sogenannte typische weibliche Normalbiographie, — Die bestehende Ungleichheit in der Berufsausbil- deren Muster die Biographien von Frauen als grund- dung setzt sich demnach auf dem Arbeitsmarkt sätzlich durch zwei gesellschaftliche Vorgaben struk- fort, aber auch in dem Risiko, erwerbslos zu wer- turiert und determiniert darstellt. Die erste Vorgabe den, und in der Armut im Alter. wird in der Heirat gesehen, die zweite in der Geburt des ersten Kindes, worauf Frauen spätestens als Müt- ter der beruflichen Arbeit im Vergleich mit den Fami- 5.2 Die Sonderstellung von Frauen auf dem lienanforderungen einen nachgeordneten Stellenwert Arbeitsmarkt beimessen. Wir haben bereits zu Beginn ausgeführt, daß wir es derzeit mit einer „doppelten Orientierung" Der neueren sozialwissenschaftlichen Forschung oder einem doppelten Lebensentwurf der Frauen zu (Wegehaupt-Schneider 1982; Willms-Herget 1985) tun haben, der die herkömmliche Vereinseitigung ei- zufolge ist es seit der Industrialisierung nicht, wie viel- ner strikten Trennung von Erwerbs- und Familienar- fältig angenommen, zu stabilen typischen Frauenein- beit in Frage stellt. satzbereichen gekommen, vielmehr nehmen Frauen eine Sonderstellung auf dem Arbeitsmarkt ein, vor Lenkt man den Blick auf bildungs- und arbeitspoliti- allem in bezug auf die arbeits- und sozialrechtliche sche Problemzonen, so ist hier zu fragen, welchen Instabilität ihrer Arbeitsverhältnisse. Jedoch verän- gesellschaftlichen Sinn es machen kann, diese ver- dem sich ihre Einsatzbereiche im Zeitablauf: Wirt- breiteten wissenschaftlichen Anschauungen und schaftlicher und beruflicher Strukturwandel löste — Konzepte zu hinterfragen? Gerade die historischen besonders wenn er sich schnell vollzog — etablierte und berufsbildungsstatistischen Forschungen haben Grenzen zwischen Männer- und Frauenarbeit auf, je- ergeben, daß die These von den typischen „Frauen- doch wurden diese Grenzen immer wieder durch berufen" in einfacher Weise noch nie gestimmt hat neue ersetzt. Eine flankierende Rolle spielten hierbei und auch heute nicht zutrifft (Wegehaupt-Schneider durchgängig bildungs- und berufsbildungspolitische 1982; Willms-Herget 1985). - sowie sozial- und familienpolitische Maßnahmen, In einem ersten analytischen Schritt ist es daher vor aber auch arbeitsrechtliche Schutzmaßnahmen, die allem wichtig, die grundsätzlichen Prozesse des Un- mit unterschiedlicher Geltung eingesetzt werden und gleichmachens zu erkennen und zu analysieren und wurden. Häufig wird hieran anknüpfend die These in einem zweiten aufzuzeigen, wie Frauen wieder zu vertreten, daß ein ,spezifisch weibliches Arbeitsver- ,Gleichen' gemacht werden können. mögen', das sich durch die beständige Auseinander- setzung mit dem Arbeitsbereich ,Haus und Familie' Hieran schließt sich eine weitere Frage an: Was be- herausbilde, den Frauen im Beruf schade: Denn, was deutet es, daß die vergangenen Bildungsprozesse und Frauen im Haushalt bräuchten, entwickle sich zu ei- die bisherige Erwerbsarbeit von Frauen nicht zu ihrer nem Hindernis im Erwerbsleben. In diesem Zusam- gesellschaftlichen Emanzipation geführt haben, son- menhang wird auf eine scheinbar eigentümliche dern dazu, daß sie sowohl in der Erwerbssphäre als Selbstdefinition von Frauen verwiesen, auf ein Va- auch im privaten Leben nach wie vor benachteiligt kuum, das entstehe, da Frauen sich weder uneinge- sind? Die formale Rechtsgleichheit, wie wir sie in un- schränkt als Hausfrau und Mutter beg riffen, noch sich serer Gesellschaft in der Marktsphäre vorfinden (de- uneingeschränkt als Erwerbsarbeiterinnen definieren ren andere Seite das Gewaltmonopol des Staates ist), möchten. Hieran anschließend wird hervorgehoben, findet offensichtlich keine ausreichende Entspre- daß Frauen durchgängig eine geringere berufliche chung in den Betrieben und privaten Beziehungen, Identifikation als Männer aufwiesen, und daß ihre obwohl sich die gesellschaftliche Situation von Frauen Identifikation mit der Erwerbsarbeitssphäre dort am in den letzten 30 Jahren deutlich verändert hat. Die ausgeprägtesten sei, wo die beruflichen Anforderun- bisher uneingelöste Forderung, die Gleichstellung gen an das weibliche Rollenstereotyp anknüpften von Frau und Mann in der Gesellschaft tatsächlich (d. h., es soll sich um sogenannte hausarbeitsnahe auch sozial zu füllen, verweist jedoch immer wieder Berufe handeln, wie Heil- und Pflegeberufe, hauswirt auf die Analyse der ökonomischen und sozialen Exi- Drucksache 11/5349 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode stenzbedingungen von Frauen. Und es ist ein nicht ein. Und häufig auch haben die Arbeitnehmerorgani- leugbarer Tatbestand, daß in unserer Gesellschaft sationen (ihre betrieblichen und überbetrieblichen Einkommen und soziale Sicherung gebunden sind an Vertretungsorgane) versucht, eine Kontrolle des Ar- eine selbständige berufliche Tätigkeit; alle anderen beitsmarkts durchzusetzen in der Form einer Regulie- Formen und Existenzweisen verweisen immer noch rung des Arbeitskräftepotentials zugunsten arbeitsu- auf familiäre und persönliche Abhängigkeiten, die chender Männer. Ein anderer, nicht zu verdeckender emanzipierte, selbstbestimmte Lebensweisen in ihrer Tatbestand ist jedoch der, daß sich Frauen selbst in Mehrzahl behindern. Was bedeutet es jedoch, daß bezug auf ihr selbständiges Handeln diesen vielfälti- Frauen seit der Industrialisierung immer nur bedingt gen, oft widersprüchlichen politischen, gesellschaftli- in beruflich strukturierte Arbeitsverhältnisse inte- chen und privaten Anforderungen entzogen haben, griert waren und sind, und daß ihre Sonderstellung indem sie die soziale Machtfrage, die über die Sphäre auf dem Arbeitsmarkt nicht darüber begründet ist, der Bürgerrechte hinausgeht und die in alle sozialen was ein typischer Frauenberuf ist, sondern darüber, Institutionen (d. h. auch die Familie und den Betrieb) daß alle jene Teile und Bereiche der Erwerbsarbeit, hineinreicht, nicht gestellt haben. — Das zu verzeich- die nicht verberuflicht sind, für sie gesellschaftliche nende höhere Bildungs- und Ausbildungsniveau der Realität sind? Frauen hat hier jedoch zu einigen Differenzierungs- prozessen geführt. Bekanntlich garantieren in der Bundesrepublik nur eine abgeschlossene Berufsausbildung und eine ent- Gleiche in der Differenziertheit wieder gleich zu ma- sprechende Berufstätigkeit eine sozialversicherungs- chen, scheint ein hochkomplexes, schwieriges Unter- rechtliche Absicherung. Das heißt, daß bereits Fortbil- fangen zu sein, das gerade erst begonnen hat. dungs- und Umschulungsansprüche, Ansprüche an eine Absicherung bei Berufs- bzw. Erwerbsunfähig- keit — ganz zu schweigen von einer rentenmäßigen Absicherung im Alter — immer gekoppelt sind an eine 5.3 Entwicklungstendenzen in den berufliche Tätigkeit. Für Frauen gilt hierbei, daß sie Fraueneinsatzbereichen. aufgrund ihrer oft diskontinuierlichen, d. h. durch Ausgrenzung und Integration vielfältige Unterbrechungsphasen gekennzeichneten Erwerbs- und Versicherungsbiographie sehr häufig Die Entwicklungsbedingungen der Fraueneinsatzbe selbst völlig unzureichende Rentenansprüche erwer- reiche stellen sich branchenspezifisch unterschiedlich ben, die oft — auch bei langjähriger Erwerbstätigkeit dar — entsprechend der politisch-ökonomischen Rah- — die Höhe der Sozialhilfesätze unterbieten. Eines menbedingungen der jeweiligen Wirtschaftsbereiche, der wesentlichen Hindernisse war hier bisher der der Produktions- und Produktgeschichte etc. Wir ha- Ausschluß einer großen Zahl von Frauen von verbe ben es daher sowohl mit einer Ausgrenzung als auch ruflichter Arbeit, und dies, obwohl die Erwerbstätig- Integration von Fraueneinsatzbereichen in den Be- keit von Frauen in den letzten Jahrzehnten — ausge- trieben zu tun. Speziell die Entwicklungsbedingun- hend von einem stabilen Sockel — auch angestiegen gen im Dienstleistungssektor ergeben ein sehr diffe- ist. Die Zunahme der Teilzeitarbeit der Frauen wird renziertes Bild. Sie sind daher nicht in aggregierter daher dieses Problem nicht deutlich mildern. Weise darstellbar. Die Sonderstellung von Frauen auf dem Arbeitsmarkt Es besteht deshalb die Gefahr, daß die Fraueneinsatz- bedeutet in erster Linie, daß ihre Arbeitsverhältnisse bereiche im un- und angelernten Bereich der Industrie durch eine arbeits- und sozialversicherungsrechtliche (aber auch im Dienstleistungsbereich) bereits vor ih- Instabilität gekennzeichnet sind. Frauen befinden rem möglichen Verschwinden- in den Betrachtungen sich zumeist in Tätigkeitsbereichen (und nicht in Be- ausgeblendet werden. Sie gelten zu einem Zeitpunkt rufen), für die sie gar nicht ausgebildet worden sind, bereits als wegrationalisiert, zu dem sich recht unter- d. h. ihnen sind innerbetrieblicher Aufstieg und eine schiedliche Prozesse zu entwickeln beginnen. soziale Aufwärtsmobilität weitgehend verschlossen. Dies können nur solche „Arbeitskräfte" realisieren, In bezug auf die Indust rie läßt sich festhalten, daß die die aufbauend auf einer Berufsausbildung sich in ei- bisherigen Einsatzschwerpunkte von Frauen in den. nem Betrieb an der innerbetrieblichen Karriereleiter Fertigungsbereichen, speziell in und um diè Massen- orientieren und vor allem den Bet rieb nicht häufig montage, nach wie vor existieren. Da Frauen meist als wechseln. Frauen hingegen arbeiten oft ausbildungs- „angelernt" Eingesetzte im Bereich der Produktion zu fremd, wechseln häufig den Bet rieb, werden von der finden sind, beginnt die sich durchsetzende neue Weiterbildung sehr oft ausgeschlossen und sind — in Schneidung einfacher Produktionstätigkeiten — spe- bezug auf ihre ausgeübte Tätigkeit — sehr oft über- ziell bei der Umstellung der Produktion auf elektroni- qualifiziert. Zudem verfügen sie über Gratisqualifika- sche Basis — wichtig zu werden. Weiterbildung für tionen. Bis in die jüngste Vergangenheit haben Be- angelernt eingesetzte Frauen kann hier technisch-or- triebe (speziell Industriebetriebe) immer wieder ver- ganisatorische Veränderungen unterstützen bzw. sucht, zu Dumpingpreisen weibliche, d. h. vor allem Hand in Hand mit ihnen arbeiten. Die sich punktuell billige, flexible Arbeitskräfte zu nutzen; und immer durchsetzende Abstimmung zwischen bet rieblicher hat in der Vergangenheit der Staat durch familien-, Personalpolitik, Weiterbildung und Arbeitsorganisa- sozial- und bildungspolitische Maßnahmen sich einen tion könnte in solchen Fällen für die nähere Zukunft regulierenden Zugriff auf die Qualität und Quantität für einen neuen Typus von Angelernten (Frauen) der Heranbildung und des Einsatzes weiblicher Ar- durchaus Beschäftigung sichern. Auch bet riebliche beitskraft ermöglicht. Diese staatlichen Interventio- Frauenförderung könnte hier als Förderung durch nen reichten weit in den Reproduktionsbereich hin Qualifizierung schrittweise Raum gewinnen.

Deutscher Bundestag 11. Wahlperiode Drucksache 11/5349

In bezug auf die Dienstleistungsbereiche ist unter- im industriellen Bereich bereits in der Neuordnung dessen bekannt, daß der fehlende Sachzwang der der Metall- und Elektroberufe niedergeschlagen. Und neuen Technologien betriebspolitische Handlungs- derzeit wird die Neuordnung der Berufe in den spielräume offen läßt. Zwar sind vorherrschende Ent- Dienstleistungsbereichen, u. a. im Bereich der Büro- wicklungslinien bei den technischen Lösungen fest- berufe, betrieben. Eine andere Ebene oder auch Reak- zustellen; gleichzeitig treten jedoch alternative oder tionslinie, die vor allem an die technisch-organisatori- sogar entgegengesetzte Lösungsmöglichkeiten für sche Gestaltungspolitik auf bet rieblicher Ebene an- die Organisation von Arbeitsstrukturen in verschiede- knüpft, läßt sich derzeit mit Hilfe der folgenden Fra- nen Dienstleistungsbereichen auf. Wie in der industri- gen, die auch für Bildungsprozesse folgenreich sind, ellen Fertigung gibt es starke Branchenunterschiede einkreisen: hinsichtlich der „Automationssperren" bzw. Automa- — Wie wird die betriebliche Arbeitsorganisation ver- tionsmöglichkeiten. Als Problemzonen haben sich vor ändert und gestaltet? allem die Massensachbearbeitung und die Assistenz- tätigen bzw. routinisierten Zuarbeiten herausgestellt. — Wie verändert sich das innerbetriebliche Machtge- Computerunterstützte bzw. computergesteuerte Kun- füge? denberatung bzw. Sachbearbeitung können zu je spezifischen Anwendungsformen, unterschiedlichen — Wie verändern sich die innerbetrieblichen Kultu- Qualifikationsprofilen und Beanspruchungsmustern ren und Mentalitäten? Werden sie künftig in der führen. Es ist davon auszugehen, daß wir es derzeit in Lage sein, die bisher nachhaltige Diskriminierung von Frauen durch eine veränderte Personalein- den Betrieben mit organisatorischen Reformen zu tun haben — auf der Basis der neuen Techniken und satzpolitik zu verbessern? Sollte es, wie vielfach Technologien. Das entsprechende Schlagwort dazu prognostiziert, möglich sein, daß die Kultur be- lautet „Systemische Rationalisierung". Gemeint sind trieblicher Institutionen frauenfreundlicher wird? hiermit andere, neue Organisationskonzepte, u. a. ein Allgemeiner formuliert bedeutet dies, zu fragen, wie Übergang von einer rein fachlichen und hierarchi- die derzeit sich vollziehenden bet rieblichen Moderni- schen Arbeitsteilung, wie sie bisher vor allem im indu- sierungsprozesse auf der Basis der neuen Technolo- striellen Großbetrieb vorherrschte, zu einer mehr gien und Techniken für eine verbesserte Stellung von funktionalen Arbeitsteilung. Bet riebe im industriellen Frauen auf den betrieblichen Arbeitsmärkten nutzbar Bereich weisen in ihren modernsten Varianten — bis- gemacht werden können und welche Rolle hierbei her aber auch nur in diesen — bereits Organisations- verbesserte Bildungs- und Ausbildungsprozesse spie- formen auf, die sich einer funktionalen Arbeitsteilung len? annähern. Hierbei beziehen wir uns allerdings nur auf einige wenige Entwicklungspunkte und nicht schon Die Möglichkeit einer „gerechteren", nicht-diskrimi- auf durchgesetzte, breite Trends. nierenden Verteilung von Erwerbsarbeit, Arbeitszeit und Arbeitseinkommen zwischen den Geschlechtern Vor dem Hintergrund dieser Ausführungen und ande- scheint zwar durch die in den vergangenen Jahren rer Untersuchungen, auf die sich die Anhörungen der verbesserten Bildungs- und Ausbildungsprozesse nä- Kommission in ihren bildungspolitischen Schlußfolge- hergerückt zu sein, welche Wege jedoch zur Gleich- rungen gestützt haben, ist davon auszugehen, daß stellung der Geschlechter im Arbeitsleben beschritten eine funktionale Arbeitsteilung (Enthierarchisierung) werden sollten, stellt sich derzeit weniger eindeutig zu einer größeren Eigenständigkeit der Arbeitskräfte dar als angenommen. führen könnte, zu einer anderen Ausgestaltung der Arbeitsplätze, einer veränderten Form des Personal- einsatzes und einer homogeneren Personalstruktur. 6. Erstes Resümee: Mögliche Wege zur Als Entwicklungstrend zeichnet sich möglicherweise Gleichstellung der Geschlechter im Arbeitsleben für die Zukunft eine homogenere Arbeitsorganisation und Personalstruktur ab, die auf wechselseitige Erset- zung der Arbeitspersonen gerichtet ist und auch an- Insgesamt können wir folgende Entwicklungstenden- dere Machtstrukturen und Sozialbeziehungen als die zen festhalten: in der hierarchischen Organisation hervorbringt. Die- ser in einigen Pilotbetrieben bereits erkennbare Pro- — Unqualifizierte Arbeitskräfte, insbesondere Frauen, zeß, der mit dem Schlagwort „Enttaylorisierung" be- werden aus dem Erwerbsleben verdrängt, zeichnet wird, könnte sich in der nächsten Zeit auf — die berufliche Qualifizierung nimmt derzeit bei eine Vielzahl von Arbeitskräften auswirken, und vor den Frauen schneller zu als bei den Männern, so allem nicht nur auf die männlichen. daß der Zeitpunkt eines „Gleichziehens" absehbar Der Einsatz neuer Technologien erfordert bekanntlich ist, auf seiten der Arbeitskräfte ein Mehr an abstraktem — zugleich aber dehnt sich der Sektor hochqualifi- Denken, ein Mehr an systematischen Denkleistungen, zierter Tätigkeiten, das sind technische, planende, eine insgesamt höhere Arbeits- oder Produktionsintel- leitende Tätigkeiten, deutlich aus. Dieser Sektor ist ligenz, schnelleres Reaktionsvermögen und insge- derzeit, stärker noch als die Fertigungsberufe ins- samt auch eine höhere Verantwortung und Verant- gesamt, fest in Männerhand. wortungsbereitschaft. — Hierin sind sich alle Exper- ten einig. Bildungs-, Ausbildungs- und Weiterbil- Die berufliche Qualifizierung muß als eine unerläßli- dungspolitik versuchen hieran bereits mit vielfältigen che Anstrengung verstanden werden, damit Frauen Maßnahmen anzusetzen. Die abstrakt benannten, ge- künftig nicht wieder aus dem Erwerbsleben ausge- neralisierten Qualifikationsanforderungen haben sich schlossen werden können. Entscheidend wird in Zu-

Drucksache 11/5349 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode

kunft u. a. sein, die männlichen Monopole bei den ten konfrontiert sein mit einer gigantisch gewachse- technischen und leitenden Positionen ins Auge zu fas- nen Ansammlung männlicher Experten und Vorge- sen („den modernen Arbeitnehmer"). Die folgenden setzter. Ebenen scheinen uns hierfür handlungsrelevant zu sein: Die Rolle Bildungs- und Berufsbildungs- sowie Arbeitsmarkt- politik haben an dieser Stelle weitreichende Aufga- — gewerblich-technischer Schlüsselberufe, ben: Das zentrale Problem besteht u.E. da rin, nach — technischer Berufe sowie Möglichkeiten zu suchen, wie der benannte Prozeß der Entwicklung und Stabilisierung eines frauenspe- — von Frauen in leitenden Positionen. zifischen Arbeitsmarktes, wie die Tendenzen und Im Rahmen der allgemeinen Verknappung von Aus- Konsequenzen der steigenden Erwerbsbeteilung von zubildenden ist möglicherweise die Hypothese be- Frauen sowie das Entstehen „gemischtgeschlechtli- rechtigt — im Gegensatz zur einleitend dargestellten cher Arbeitsmarktstrukturen" in den Dienstleistungs- These von Prof. Lutz —, daß die Facharbeiterorientie- bereichen sich künftig sozial auswirken und auf wel- rung bei männlichen Jugendlichen eher zunehmen chen Handlungsfeldern sich dies niederschlagen wird. Den stärksten Schub im Hinblick auf eine solche wird. Einerseits bieten sich für eine „ Neustrukturie- Orientierung hat es in der ersten Hälfte der siebziger rung von Arbeit und Bildung ” Berufe an, die auf ein Jahre, also zu Zeiten des Mangels an Auszubildenden, hohes technisches Niveau verweisen: denn ein hohes gegeben. Wenn sich dieser Trend und der des ver- technisches Niveau und Frauenarbeit schließen sich stärkten Drangs junger Männer in technisch-leitende bisher aus. Zum anderen müssen Berufe und Berufs- Berufe fortsetzen sollte, so ist die Gefahr vorhanden, bereiche in Betracht gezogen werden, wie solche im daß sich eine Polarisierung der Geschlechter auf je- Bereich der Sozialpflege und der Gesundheitsdienste, weils bestimmte Ausbildungsbereiche verstärkt und in denen Frauen eine wichtige Rolle spielen, und fortsetzt: Hierbei wird es wichtig, zwei mögliche Ten- diese auf- und neu bewertet werden. Dies wäre der denzen zu unterscheiden: Gegenstand eines neuen Geschlechtervertrags. a) zum einen eine Tendenz zur Polarisierung der Ge- Eine andere Ebene für die Neustrukturierung von Ar- schlechter innerhalb ihrer traditionellen Berufsfel- beit und Bildung ist gegeben durch das Ineinander der, wofür hauptsächlich der Rückzug der Männer übergehen der Tätigkeitsinhalte von industriellen aus den Dienstleistungsberufen und ihre gewach- und Dienstleistungsberufen. Wenn wir an diese Ent- sene Konzentration auf zukunftsträchtige, eta- wicklungstendenzen anknüpfen, könnten sich Mög- blierte Produktionsberufe verantwortlich sein lichkeiten ergeben, die in der öffentlichen Diskussion dürfte; so vielfältig strapazierte Forderung nach „Zukunfts- berufen für Frauen" tatsächlich auch umzusetzen: b) zum anderen eine Tendenz der Feminisierung eini- Frauen könnten sich auf technisch fundierte Organi- ger Männerberufe in gemischt-geschlechtliche; sations- und Kommunikationsberufe orientieren, die eine Ausnahme bilden die männlichen Kernberufe u.E. sowohl die Sozial- und Gesundheitsberufe sowie im Metall- und Elektrobereich sowie die Baube- die Berufe im gewerblich-technischen Bereich als rufe. auch die technischen (leitenden) Positionen beinhal- Die Analyse der Veränderungstendenzen der Qualifi- ten könnten. kationsstruktur bei den Erwerbstätigen weist drei Ent- wicklungen auf: (1) die Zunahme der Erwerbstätigen An die Spezifik der Dienstleistungsarbeit (als Arbeit mit beruflicher Ausbildung, insbesondere bei den an und mit Menschen) und die Veränderungen dieser Frauen, (2) den hierfür — überwiegend von Frauen — Arbeit durch den Einsatz- neuer Informations- und zu zahlenden Preis in Form der beschleunigten Aus- Kommunikationstechnologien knüpfen sich vielfäl- gliederung unqualifizierter Arbeitskräfte aus dem Er tige negative wie positive Prognosen; sie führen in werbsleben, (3) die starke Zunahme der überwiegend ihrer Verallgemeinerung u.E. jedoch meist zu theore- von Männern besetzten hochqualifizierten Tätigkei- tisch wie empirisch problematischen Schlußfolgerun- ten. gen. Ob sich die bisher prognostizierte Integrations- funktion des Dienstleistungssektors bezüglich der Zum ersten Mal in der Geschichte weiblicher Er- Stellung der Arbeitenden zueinander auch hinsicht- werbstätigkeit hatte Ende der siebziger Jahre die lich der Frauenerwerbsarbeit fortschreiben läßt oder Mehrheit der erwerbstätigen Frauen eine berufliche ob die Ungleichheiten in der Verteilung gesellschaft- Ausbildung. Dennoch ist die erreichte Situation labil; licher Arbeit zwischen den Geschlechtern größer wer- es besteht durchaus die Gefahr, daß sie von nur vor- den, läßt sich derzeit nur empirisch beantworten. übergehender Dauer ist. Sie kann in der Zukunft von Hierfür wäre eine kombinierte Längs- und Quer- einer anderen Konstellation abgelöst werden. Wenn schnittsbetrachtung anhand ausgewiesener Kriterien sich die beschriebenen Entwicklungstendenzen fort- zur Analyse der Strukturen der Frauenerwerbsarbeit setzen, also (1) die Ausgliederung unqualifizierter Ar- wie auch zur Analyse branchen- und betriebsspezifi- beitskräfte, (2) die mühsame Neubewertung von scher Veränderungsprozesse notwendig. Der Ent- Facharbeiterpositionen und die Umstrukturierung wicklungsdynamik des Dienstleistungssektors sind im von Sachbearbeitungsfunktionen sowie (3) die Expan- historischen Verlauf politisch veranlaßte Integrations- sion von technischen und leitenden Angestellten, so mechanismen offensichtlich doch nicht ohne weiteres dürften sich die Frauen in etwa 10 Jahren zwar auf inhärent oder umgekehrt formuliert: Der verstärkte höherem Qualifikationsniveau, aber dennoch nahezu Einbezug von Frauen in lohnabhängige Beschäfti- sämtlich auf der unteren Stufe der Qualifikationspyra- gung sowie die Angleichung männlicher und weibli- mide wiederfinden (vgl. u. a. Volkholz 1989). Sie dürf cher Qualifikationsstrukturen und Erwerbsbiogra-

Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode Drucksache 11/5349 phien hat bisher nicht zu einer nachhaltigen Auflö- vaten Sektor, in: Soziale Welt 35/1984/1-2, S. 159 bis sung geschlechtsspezifischer Arb eitsmarktsegmenta- 189 tion und sozialer Ungleichheit der Geschlechter ge- Blossfeld, Hans-Peter: Kohortendifferenzierung und führt (vgl. Gottschall 1989). Programmatisch läßt sich Karriereprozeß, Frankfurt 1989 jedoch sagen, daß auch eine widersprüchliche Ent- wicklungsdynamik eine neue Ebene für die Aushan- Busch, Gabriele/Hess-Diebcker, Do ris/Stein-Hilbers, delung des Geschlechtervertrags herausbilden wird. Marlene: Den Männern die Hälfte der Familie — den Frauen mehr Chancen im Beruf, Weinheim 1988 Wenn wir im Schlußbericht zu Empfehlungen kom- men wollen, so stellt sich die Frage nach den Begrün- Deutscher Forschungsdienst für Jugend und Bil- dungszusammenhängen und Veränderungsmöglich- dungseinrichtungen: Familie heute, Sonderausgabe keiten dieser gesellschaftlichen Strukturen. 5/198, Bonn 1988 Zu klären bleibt dann, ob, wenn von „Tertiarisie- Engelen-Kefer, Ursula: Frauenerwerbstätigkeit und rungsprozessen" gesprochen wird, damit die Kom- demographischer Wandel, in: Informationen für die pensation von Rationalisierungseffekten der Produk- Frau, 1989, H. 6 tion durch die Ausweitung von Dienstleistungen ge- Faulstich-Wieland, Hannelore: Berufslenkung in meint ist oder ob an eine „Sogwirkung des Dienstlei- Frauenberufe?, in: Recht der Jugend und des Bil- stungssektors" gedacht ist, die die Arbeiten formell dungswesens, 1985, H. 5, S. 334-345 und inhaltlich angleicht. Es waren auch in den Anhö- rungen mehrere Deutungsmuster im Spiel, die derzeit Faulstich-Wieland, Hannelore u. a.: Gleichberechtigt weder theoretisch noch empirisch befriedigend sind: in der Schule, diskriminiert im Beruf, in: Rolff, H.G. Zu nennen sind hier neben der „Dienstleistungsge- u. a., Jahrbuch der Schulentwicklung 3, Weinheim sellschaft" die „Informations-, die Krisengesell- 1984 schaft", die „postindust rielle und/oder die Experten- gesellschaft". Allen diesen Deutungsmustern ist ge- Gensior, Sabine: Teilzeitarbeit und frauenspezifischer meinsam, daß sie die prägende Kraft dieser Gesell- Arbeitsmarkt, in: Gerhard, Ute/Limbach, Jutta: schaft, ihre Grundstruktur, nicht mehr durch den Ge- Rechtsalltag von Frauen, Frankfurt 1988, S. 61-75 gensatz von abhängiger Erwerbsarbeit bzw. industri- Gottschall, Karin/Müller, Jürgen: Frauen auf dem Ar- ell geprägter Arbeit und dispositiven Tätigkeiten beitsmarkt — wachsende Risiken oder neue Chan- (oder Lohnarbeit und Kapital) bestimmt sehen, son- cen?, in: Soziale Welt, Sonderband 5, 1987, S. 255 bis dern durch die diese Grundstruktur überlagernden 280 Tendenzen. Gottschall, Karin: Zur Erosion und Rekonstruktion Bisher sind die obengenannten Charakterisierungen „geschlechtsspezifischer" Arbeitsteilung in der — im großen und ganzen — wenig überzeugend be- Dienstleistungsgesellschaft, Vortragsmanuskript, Juli legt. Genauere Analysen besagen vielmehr, daß die 1989 bisher zu verzeichnenden Strukturveränderungen der gesellschaftlichen Arbeit keinen neuen Gesellschafts- Handl, Johann: Chancengleichheit und Segregation, typus hervorgebracht haben, sondern daß das Augen- in: Zeitschrift für Soziologie 13, 1984, S. 328-345 merk auf andere, sogenannte immanente Strukturver- Handl, Johann: Führt die Angleichung der Bildung- änderungen zu lenken ist, die durch einfache sozio- schancen zum Abbau geschlechtsspezifischer berufli- ökonomische Analysen nicht zu entschlüsseln sind: cher Segregation?, in: Zeitschrift für Soziologie, 1986, Auf die H. 2, S. 125-132 - — Umstrukturierung des Verhältnisses der Ge- Hübner-Funk, Sybille: Strategien der Lehrstellensu- schlechter: eine solche Analyse geht weit über Ar- che. Berufsfindungsprozesse von Jugendlichen im in- beits- und Arbeitsmarktanalysen hinaus oder — terregionalen Vergleich, Weinheim 1988 noch davor angesetzt, Institut Frau und Gesellschaft: EG Seminar, Hannover — Analysen des Bildungssystems und seiner struktur- 1988 schaffenden Merkmale. Janshen, Doris/Rudolph, Hedwig: Ingenieurinnen, Literaturverzeichnis: Berlin 1987 Bach, Hans-Uwe/Brinkmann, Christian: Erwerbs- Kauermann-Walter, Jacqueline/Kreienbaum, Ma ria beteiligung im internationalen Vergleich, in: MittAB Anna/Metz-Göckel, Sigrid: Formale Gleichheit und 3/86, S. 356-361 diskrete Diskriminierung. Forschungsergebnisse zur Bertelsmann, Klaus: Gleichbehandlung von jungen Koedukation, in: Rolff, H.G. u. a., Jahrbuch der Schul- Frauen und Männern bei der Ausbildung und im Be- entwicklung 5, Weinheim 1988, S. 157-188 ruf, in: Recht der Jugend und des Bildungswesens, Klemm, Klaus/Rolff, Hans-Günter/Tillmann, Klaus 1988, H. 1 Jürgen: Bildung für das Jahr 2000, Reinbek 1986 Beuschel, Werner/Gensior, Sabine/Sorge, Arndt: Mi- Krell, Gertraude: Das Bild der Frau in der Arbeitswis- kroelektronik. Qualifikation und Produktinnovation, senschaft, Frankfurt 1984 Berlin 1988 Kurz-Scherf, Ingrid: Familienpolitische Bedeutung ei Blossfeld, Hans-Peter: Bildungsreform und Beschäfti ner täglichen Arbeitszeitverkürzung, Skizze eines gung der jungen Generation im öffentlichen und pri phantastischen Tarifvertragsentwurfs, in: Frauen für

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Arbeitszeitverkürzung, Dokumentation einer Fachta- Statistisches Bundesamt 1989, Fachserie 1, Reihe 4 gung des Hauptvorstands der GEW, Frankfurt 1989 Stiefel, Elisabeth: Frauenbildung in einer auf männli- Lappe, Lothar: Die Arbeitssituation erwerbstätiger che Bedürfnisse zugeschnittenen Arbeitswelt, in: In- Frauen. Geschlechtsspezifische Arbeitsmarktseg- formationen für die Frau, 10/1987 mentation und ihre Folgen, Frankfurt 1981 Strauß, Jürgen: Junge Frauen in gewerblich-techni- Lappe, Lothar: Erwerbstätige Frauen — Gewinner schen Berufen, Frankfurt 1986 oder Verlierer der Krise?, in: Thien, Hans-Günter/ Wienold, Hanns (Hrsg.): Herrschaft, K rise, Überleben. Teichert, Volker: Geburtsurlaub für Väter, geschützte Gesellschaft der Bundesrepublik in den achtziger Jah- Teilzeitarbeit für Eltern. Vorschläge für eine Familien- ren, Münster 1986, S. 59-81 politik, die das arbeitsteilige Modell der Elternschaft und Ehe aufheben könnte, in: Frankfurter Rundschau, Lemmermöhle-Thüsing, Doris: Projekt Mädchen und Dokumentation, 31.7.1989 Berufsfindung, Arbeitspapier 1988 Volkholz, Volker: Der Arbeitsmarkt für Frauen im Jahr Mettler-Meibom, Barbara: Qualifikatorische, kom- 2000 — Szenarien zur Frauenerwerbstätigkeit, in: pensatorische oder integrative Bildung? Überlegun- Frauen und Weiterbildung, Fachkonferenz am 2. Sep- gen zum Auftrag von Bildung in der Informationsge- tember 1988, Amt für Berufs- und Weiterbildung in sellschaft, Manuskript 1989 der Behörde für Schule und Berufsfindung, 1989, PROKLA 55, 1984 S. 7-38 Prengel, Annedore: Erziehung zur Gleichberechti- Vollmer, Christine: Konflikt Beruf und Familie, Ham- gung, in: Die Deutsche Schule, 1986, H. 4 burg 1989 Roloff, Christine: Von der Schmiegsamkeit zur Einmi- Wegehaupt-Schneider, Ingeborg: Von Konkurrenz schung — Professionalisierung von Chemikerinnen kann keine Rede sein. Zur Bedeutung von familien- und Informatikerinnen, Pfaffenweiler 1989 und sozialpolitischen Maßnahmen im historischen Verlauf der Frauenindustriearbeit in Deutschland, in: Sommerfeldt-Siry, Petra: Probleme der Erwerbsbetei- PROKLA 49, 1982, S. 44-59 ligung von Frauen im ländlichen Raum unter beson- derer Berücksichtigung junger Frauen, in: WSI-Mit- Willms-Herget, Angelika: Frauenarbeit. Zur Integra- teilungen, 9/1988, S. 520-528 tion der Frauen in den Arbeitsmarkt, Frankfurt 1985

Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode Drucksache 11/5349

Anhang 5

Prof. Dr. Ingrid Lisop

Technischer Wandel und Bildung

1. Zum Problem der Einschätzung von Technik ren Bereichen nach sich zog. Selbst die sich gesell- und technischem Wandel schaftskritisch begreifende Technokratiethese blieb dem technik-deterministischen Denken verhaftet, in- Der technische Wandel gilt als der Faktor, von dem sofern die Technostruktur als der bestimmende ge- besondere Herausforderungen an Bildung und Bil- sellschaftliche Faktor angesehen wurde (Galbraith dungspolitik ausgehen. Die Diskussion darüber, in 1952). Umweltprobleme, Energieknappheit und die wieweit das Bildungswesen dem technischen Wandel Freisetzungswirkungen der neuen Technologien zu folgen oder ihm zu begegnen habe, wird nicht nur rückten nach und nach die sozialen Zusammenhänge von Experten geführt. „Software statt Stoffbär" ist ei- stärker in den Blick. In Programmen wie z. B. dem zur nes der populär gewordenen Kürzel, mit denen die Humanisierung des Arbeitslebens und in seinen Pro- Probleme eingefangen werden; „Computer-Führer- jekten wurde dementsprechend versucht, Technolo- schein", „Computer-Literacy", „Informatik als Schul- gieförderung, Sozialorientierungen und Beteiligung fach", „Simulative Ausbildungsverfahren", „Übungs- der Betroffenen miteinander zu verbinden. Etwa Mitte firmen" und „Lernfabriken", „neue Allgemeinbil- der siebzger Jahre erfolgte so eine Verlagerung der dung", „medial vermittelte Lernmethoden" oder gar Politik bzw. der gesellschaftlichen Interessenausein- „Gen-Technik versus Bildung" sind andere Schlag- andersetzungen schwergewichtig auf die Bewälti- worte. Zu beobachten ist dabei, daß ein Entweder- gung unerwünschter Technikfolgen (Janshen 1981). Oder-Denken dominiert. Als Beispiel hierfür lassen Auch wissenschaftlich setzte sich die Auffassung sich die Fragen anführen, ob der Umgang mit dem durch, daß der technische Wandel nicht lediglich aus Computer die Intelligenz steigere oder einschränke; technischer Sachgesetzlichkeit folge und gesell- ob er soziale Isolation oder Kommunikationsfreude schaftspolitisch neutral sei. Technikentwicklung wird bewirke bzw. ob die neuen Techniken mehr Spezial- daher heute weithin als sozialer Prozeß beg riffen und bildung oder mehr Grundbildung erforderten. Ein sol- wissenschaftlich hinsichtlich Folgen und Entstehung ches Fragen jedoch verkürzt das Denken; die Sicht erforscht (Fleischmann, Esser 1989). bleibt auf Dualitäten fixiert und erreicht nicht mehr Für die bildungspolitische Arbeit ist seitens der For- die Zusammenhänge, aus denen allein tragfähige Lö- schungslage von Relevanz: Es gibt zwar eine Vielzahl sungen erwachsen könnten. So ist ja die Neuartigkeit empirischer Untersuchungen zum technischen Wan- von Technik bzw. Technologien an sich kein Grund del; sie lassen sich aber nur sehr vermittelt für die dafür, Ausbildungssysteme oder Curricula als Ganze Die neu zu fassen. Jeder Berufsstand ist ständig mit Inno- Entscheidung bildungsrelevanter Fragen nutzen. Ursache hierfür liegt in drei sich verschränkenden vationen und Novellierungen konfrontiert; er fängt sie Komplexen. durch Weiterbildung auf. Im Bildungssystem über- nehmen neben der Fortbildung der Lehrenden die In der Erziehungswissenschaft hat es sich noch nicht Lehrbücher und Teilveränderungen der Cur ricula die (wieder) durchgesetzt, Bildung als die Kategorie zu Aufgabe der permanenten Fortentwicklung. fassen, von der her eine eigenständige Erforschung Die bildungspolitischen Dimensionen, um die es beim gesellschaftsrelevanter- Entwicklungen oder eine technischen Wandel geht, lassen sich nur erkennen, Auswertung vorhandener Ergebnisse aus Nachbar- wenn man die Grundbestimmung des technischen disziplinen erfolgen könnte (Hansmann/Marotzki Wandels so vornimmt, daß dieser aus den längerfristi- 1988, Lisop 1989, Zedler/König 1989). Die gesell- gen und tiefgreifenden Strukturveränderungen her- schaftswissenschaftlichen Ansätze für theoretisch aus begriffen werden kann. Dabei kommt man aller- analytische Gesamtkonzepte der sozio-technischen dings nicht umhin, sich wenigstens grob zu vergegen- Entwicklung sind methodisch noch relativ häufig dem wärtigen, welche wissenschaftlichen und politischen Paradigma-Denken verhaftet und daher weder unter- Einschätzungen der Technik bislang in der Bundesre- einander kompatibel noch ohne weiteres auf Bil- publik Deutschland vorgeherrscht haben. dungsbelange übertragbar. Schließlich ist es nicht un- erheblich, daß ein wachsender Anteil sozialwissen- Entsprechend dem Einsetzungsbeschluß der En- schaftlicher Technikforschung aus politisch motivier- quete-Kommission werden hier lediglich diejenigen ten Aufträgen resultiert (Rammert 1982 und 1983). Positionen berücksichtigt, die sich im weitesten Sinne als sozialwissenschaftlich verstehen. Der Einsetzungbeschluß der Enquete-Kommission „Zukünftige Bildungspolitik — Bildung 2000" ent- In den fünfziger und sechziger Jahren galten Technik spricht der hier nur anskizzierten Forschungslage, in- und Wissenschaft als Quelle des Wohlstands und als dem er Bildungspolitik als Gesellschaftspolitik kon- Potential zur Lösung gesellschaftlicher Probleme kret ausdifferenziert. Dieser Ausdifferenzierung folg- (Gehlen 1957, Richta 1972, Etzioni 1979). Die vorherr- ten die Anhörungen, die Expertengespräche und ein schende Sichtweise war die des technik-deterministi- Teil der vergebenen Gutachten. Der technische Wan- schen Denkens. Dies heißt, daß die technische Ent- del wurde als wesentlicher Faktor der gesellschaftli- wicklung als mehr oder minder unabhängige Va riable chen Strukturwandlungen angesehen, und demzu- angesehen wurde, welche die Entwicklung in ande folge sollte das Verhältnis von technischem Wandel

Drucksache 11/5349 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode und Bildung von der Enquete-Kommission gesondert 2.1 Der Wandel in den Technologien in den Blick genommen werden. So unabdingbar sol- ches ist, so sehr läuft man dabei doch auch Gefahr, Unter Technologie ist hier die wissenschaftliche Pro- dem erwähnten technik-deterministischen Denken duktionsstruktur einschließlich der dort gewonnenen aufzusitzen. „Produkte" zu verstehen. Dieser Gefahr vorzubeugen, ist Aufgabe des folgen- Der Wandel in den Technologien bet rifft drei Dimen- den Teilkapitels über die Grundbestimmung des tech- sionen. Als erste Dimension sind die in den Natur- und nischen Wandels. Mit ihm sei betont, daß der techni- Technikwissenschaften verwendeten Denkarten, Ur- sche Wandel sich bei weitem nicht in der Informa- teilsweisen, Schlußweisen, Anschauungen, Arb eits- tions- und Kommunikationstechnik erschöpft, daß ge- prinzipien und wissenschaftlichen Selbstverständ- rade im Kontext von Bildung der Unterschied von nisse zu nennen. Man könnte sie als gesellschaftlich Technologie und Realtechnik sowie der Zusammen- innovatorischen Rohstoff bezeichnen. Aus ihnen spei- hang von Technik, Ökonomie und Ethik von aller- sen sich die Theorien, die in einer späteren Phase in größter Bedeutung sind. Denn: Die neuen Techniken Technik transformiert werden. als Querschnittstechniken bieten zwar neuartig di- mensionierte Möglichkeiten der gesellschaftlichen Der hier anstehende Wandel verläuft so, daß die im Umstrukturierung. Die Bedingungen hierfür sind je- klassischen Sinne als naturwissenschaftlich, technik- doch ökonomischer und machtpolitischer Natur, wes- wissenschaftlich und geisteswissenschaftlich gelten- halb in Demokratien Bildung zu einem entscheiden- den Verfahren zu einer Integration tendieren. Es be- den Faktor wird. Sie impliziert ja mehr als nachträgli- trifft dies die analytisch-erschließenden und immer che Anpassungsqualifizierung, und selbst die Vorbe- stärker in die Mikrostrukturen vordringenden Verfah- reitung auf neuartige soziale Prozesse verbliebe, für ren einerseits und die auf Ganzheiten zielenden oder sich genommen, bei der Anpassung, vermindert le- von ihnen aus denkenden Methoden andererseits. diglich um das sogenannte time-lag. Ferner schließt Desgleichen sind lineare und dialektisch-rückkop- Bildung im Rahmen der neben Selbst- und Sachkom- pelnde Denkweisen, deterministisch feststellende petenz zu gewinnenden Sozialkompetenz auch mehr und metamorphosierende bzw. implizierende Mo- als kommunikative Fähigkeiten ein; geht es doch delle in der Theoriebildung und Empirie in ihrem Ver- beim technischen Wandel um ökonomisch und gesell- hältnis zueinander in Bewegung geraten (Huisinga schaftlich infrastrukturelle Gebilde, die eine soziale 1985). Neugestaltung herausfordern. Als zweite Dimension ist die Beziehung der wissen- Das dritte Kapitel „Technischer Wandel und neue Bil- schaftlichen Disziplinen zueinander zu nennen. Der dungspolitik" wird diese Fragen im einzelnen behan- technologische Wandel hat seinen (geistigen) Ort in deln. Hier sei lediglich darauf verwiesen, daß es um vielen wissenschaftlichen Einzeldisziplinen (z. B. Phy- die Wertung der Entwicklung und Entfaltung des Hu- sik, Chemie, Mathematik, Biologie, Geologie, Astro- manvermögens und des Demokratiegebotes insge- nomie, technische Mechanik, Strömungslehre, techni- samt geht. sche Thermodynamik, Elektrotechnik, Metallurgie, Werkstoffkunde, Konstruktionslehre) bzw. deren zum Teil atomisierter Untergliederung. Die Praxispro- bleme sind aber (heute) nicht so geschnitten wie die 2. Grundbestimmung „Technischer Wandel" wissenschaftlichen Disziplinen. Unter dem Gesichts- punkt der schnellen Verwertung der Ergebnisse wis- Bei der Bestimmung dessen, was als technischer Wan- senschaftlicher Forschung entstehen Verwerfungen del gelten darf und was nicht, laufen die durch wis- der Art, daß sich die Koordinierung des Zusammen- senschaftliche Literatur und politische Diskussionen wirkens der Spezialdisziplinen als Aufgabe und als vorgegebenen Pointierungen im Prinzip auf drei Problem stellt. Es wird unter dem Kürzel Interdiszipli- große „Bereiche" hinaus: narität verhandelt. Dieser Sachverhalt gilt sowohl für — der Wandel in den Technologien, staatliche als auch für privatwirtschaftliche For- schung. — der Wandel in der Technik, Die dritte Dimension des Wandels in den Technolo- — der Wandel im Einsatz der Werkstoffe. gien betrifft die Sicherung und Verwertung von Wis- Diese drei „Bereiche" entwickeln sich nicht unabhän- sensbeständen bzw. die Wissensrezeption und -dist ri gig voneinander, und sie sind immer verwiesen auf -bution. War es im 18. Jahrhundert noch möglich, en- die sozialen Kontexte. Deshalb wäre es wissenschaft- zyklopädische Beschreibungen der Technologie und lich genauer, statt von Bereichen von prozessualen Technik zu geben (Diderot in der „Enzyklopädie", in Einheiten zu sprechen. Sie betreffen zudem alle Le- dem Standardwerk „Déscription des arts et métiers", bensbereiche. in Jacobsen's „Technologisches Wörterbuch" oder aber durch Beckmann in seiner „Technologie"), so Die Zusammenschau von Technologie, Technik und haben heute Datenbanken diese Funktion übernom- Werkstoffen macht deutlich, daß mit technischem men. Die von der Bundesrepublik Deutschland durch Wandel nicht der bloße Austausch bzw. Ersatz (Mo- das BMFT geförderten Fachinformationszentren (FIZ) dernisierung) von Maschinen, Geräten, Anlagen etc. sind hierfür ein Beleg. Sie zeigen, wie zur Sicherung gemeint ist. Die gesellschaftlichen Dimensionen, um institutionelle Wege gesucht werden. Als aktuelles die es insgesamt geht, implizieren deshalb auch, wie Beispiel solcher Institutionalisierungsprozesse seien zu Anfang skizziert, in ihrem Kern nicht die Qualifi- die Technologieberatungsstellen bzw. -parks genannt zierungs-, sondern die Bildungsfrage. oder die Kooperationsverträge zwischen Bund, Län-

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dern, Kommunen, Unternehmen einerseits und Hoch- trachtet. Funktionell zeichnet es sich durch hohe Hit- schulen bzw. staatlichen Forschungseinrichtungen zebeständigkeit aus. Technisch erlangte es daher zu- andererseits. nächst in der Raumfahrt größere Bedeutung. Im Zu- sammenhang mit der sogenannten Ölkrise und den Abgasproblemen von Verbrennungsmotoren wurde 2.2 Der Wandel in der Technik und im Einsatz der es auch für die Flugzeugindustrie und Automobilher- Werkstoffe stellung interessant. Wäre man nämlich in der Lage, die herkömmlichen metallurgischen Motorblöcke Gemeinhin wird unter Wandel in der Technik einer- durch hochgesinterte Keramik zu ersetzen, dann ließe sich als energetischer Input Wasserstoff verwenden. seits verstanden, daß spektakuläre neue Felder wie z. B. Gen-Technik, Bio-Technik, Atom-Technik, Mi- Die Reichweite einer solchen Veränderung durch Werkstoff würde sich im gesamten System des Tank- kro-Elektronik, Opto-Elektronik entstehen. Anderer- stellennetzes, in der Oberflächenbeschaffenheit von seits wird der Blick auf neue Investitions- und Kon- Straßen oder aber in den Sicherheitsproblemen hoch- sumgüter fixiert, wie z. B. nume risch gesteuerte Pro- wirksamer Verbrennungsakte zeigen, wobei Sicher- duktionsmaschinen, Fotosatzgeräte, Scannerkassen, heit bis ins Verkehrsverhalten und ins Versicherungs- Personal- und Home-Computer, Mikrowellenherde, system hineinreicht. Taschenrechner usf., oder er bleibt an Verfahren ge- heftet, wie die Nutzung der Lasertechnik bei Opera- Von diesem Beispiel und von dem der Magnetbahn tionen, die Telekommunikation oder die Raumfahrt. aus läßt sich die erste These bezüglich des Neuen an Die Realtechnik (also alle zur Nutzanwendung vorge- der neuen Technik formulieren: sehenen und hergestellten Produkte und Verfahren) ist aber für sich genommen gesellschaftlich irrelevant. Technik muß als sozialer Tatbestand sui generis be- Mitzubedenken sind nämlich die sozialen Entste- griffen werden. Deshalb bedarf es eines Grundkon- hungs- und Verwendungszusammenhänge von Tech- zeptes des Sozialen, aus dem heraus sich erst der nik. Neben dem Grad der Mechanisierung und Auto- Zusammenhang von Technik und Bildung curricular matisierung von einzelnen Bet rieben wie von Unter- und bildungspolitisch entfalten läßt. nehmensverbünden oder Regionen, den Baukompo- nenten und der Produktionsstruktur spielen nämlich Markt, Kosten, Preise, Verteilungsniveau, Ausbil- 2.3 Technischer Wandel, Strukturwandel und Ethik dung, Export- und Importabhängigkeit u. a. m. eine ausschlaggebende Rolle im Prozeß der Technisie- rung. Zusammen mit dem Wandel in der Erwerbsarbeit ver- dichtet sich der technische Wandel zum Strukturwan- Will man nun nicht nur erkennen, welche unmittel- del. Folgt man der einschlägigen Forschung, dann bare Bildungsrelevanz eine Technik hat, dann muß resultiert der Strukturwandel aus man sie als ökonomisches und gesellschaftlich infra- strukturelles Gebilde in den Blick nehmen. Dies sei a) der Möglichkeit der Sicherung, Verwertung und veranschaulicht: optimalen Allokation der Kapitalbestände; Die Magnetbahn „Transrapid" ist ein Hochleistungs- b) der quantitativen und qualitativen Ausbildung von schnellzug, der im Rahmen öffentlicher Projekte ge- menschlichem Arbeitsvermögen; fördert wurde. Das Projekt ist zwischenzeitlich in eine c) den auf der Basis des Technischen Wandels reali- Phase eingetreten, in der es insbesondere um den sierten Produktivitäten. Verkauf und die Anwendung der konkreten Realtech- - nik im Rahmen des Verkehrssystems geht. Den Bil- Der Strukturwandel erbringt somit zunächst neue For- dungsbezug erfaßt man, wenn über die rein inge- men gesellschaftlicher Arbeit. Diese betreffen die Ar- nieurwissenschaftlichen Kreativitäts- und Wissensbe- beitsteilung und -verteilung sowie die Arbeitbeitsor- stände hinaus die Komplexe Demokratie — Parlament ganisation. Als deren wichtigste Erscheinungsformen — Öffentliche Kontrolle in das Reflexionsfeld gelan- sind zu nennen: CIM (Computer Integrated Manufac- gen. Geht es doch um infrastrukturelle Grundsatzent- turing), BDE (Betriebsdatenerfassung), FFS (Flexibles scheidungen. Deren Kern ist zwar verkehrspolitischer Fertigungssystem), WWS (Warenwirtschaftssystem), Natur; darüber hinaus ist aber u. a. ordnungspolitisch POS-Banking (Point of Sale), Risk Capital, Venture und umweltpolitisch (z. B. Lärm) zu entscheiden, wel- Capital, Portfolio-Management, Innovatorisches Ma- chen Alternativen von Schiene, Magnetbahn und nagement, CI (Corporate Iden tity), Unternehmenskul- Flugzeug der Vorzug einzuräumen ist. Dies impliziert tur, Taylor versus flexible Insellösung. vor allem arbeitsmarktpolitische und ökologische Wertsetzungen. Der technische Komplex Magnet- Hinter diesen Beg riffen stehen weitreichende Verän- bahn selbst jedenfalls liefert keine Entscheidungskri- derungen des Systems und der Organisation der Ar- terien für die verkehrs- und ordnungspolitischen beit, die sich durch die sogenannte Vernetzung über Grundsatzentscheidungen. die Grenzen von Betrieben bzw. Unternehmungen hinaus erstrecken. Auch muß der technische Wandel Technischer Wandel zeichnet sich aktuell auch durch selbst ja produziert werden, weshalb dafür volkswirt- einen Wandel im Einsatz der Werkstoffe aus. Alle schaftlich immer mehr intellektuelle und materielle Werkstoffveränderungen hier aufzuzählen, wäre ab- Ressourcen bereitgestellt werden müssen, die wie- surd. Eine Vorstellung von der Bedeutung der Werk- derum auf immer komplexere bzw. differenziertere stoffe erhält man jedoch, wenn man als Beispiel das Weise für die bet rieblichen Interessen zu koordinieren seit Jahrtausenden bekannte Mate rial Keramik be sind.

Drucksache 11/5349 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode

Die sogenannte Vernetzung, die daraus resultierende hängende Motivationsverlust bzw. Selbstverzicht auf permanente Dynamik sowie der Einbezug der Privat- Engagement und Initiative. sphäre und der Innerlichkeit in den Gesamtprozeß des Strukturwandels werden gemeinhin als das angese- Außer der ökonomischen Dimension des technischen hen, was das historisch Neue des technischen Wan- Wandels wird an diesen Beispielen deutlich, daß die dels ausmache. Diese Sicht, die zugleich den Beg riff viel erörterten Probleme der Akzeptanz, der Mitbe- Wandel relativiert, ist nicht falsch. Sie blendet aber die stimmung und Autonomie, der Kontrolle und Ober- ökonomisch-strukturelle Grundlage aus, nämlich die sicht sowie der Zuständigkeiten sich nicht auf einen Veränderungen in der Kombination der Produktions- Horizont verengen lassen, der nunmehr nach dem faktoren Arbeit und Kapital. Man muß sich klar ma- Zusammenhang der Entwicklung von Technik und chen, in welchem Maße das Humanvermögen techni- Qualifikation fragt. Gefordert ist vielmehr ein Den- siert wird, um die historische und existenzielle Reich- ken, welches Konkretisierungsmöglichkeiten für ein weite der Bildungsfrage zu verstehen. Deshalb ist es Mehr an menschlicher Entfaltung und Partizipation im Grunde sogar verkürzt, lediglich von den Produk- aufzeigt. Im Strukturwandel sind Pädagogen und Poli- tionsfaktoren Arbeit und Kapital zu sprechen. Faktor- tiker mit der Aufforderung konfrontiert, nach jenen kombination meint heute mehr, womit sich eine psychologischen, ökonomischen, gesellschaftlichen zweite These anschließt: und kulturellen Faktoren zu forschen, die dem menschlichen Vermögen durch Bildung eine neue Der technische Wandel als Veränderung der Faktor- zentrale Aufgabe zuwachsen lassen. kombination schließt außer der Kombination von Ar- beit und Kapital die Bereitstellung, Sicherung und Die Gefährdungen = und das ist die dritte These über Normierung von Werten, Leitideen, Bewußtseins- die neue Qualität des technischen Wandels — sind strukturen, juristischen, institutionellen und wissen- existentiell total. schaftlichen Strukturen ein. Die Erkenntnis der Verantwortung für die zukünftige Geschichte der Menschheit (Picht 1969, Jonas 1979, Im Mittelpunkt der gesellschaftswissenschaftlichen Sachsse 1979, Lisop 1986) verbietet daher alle ledig- Forschung über den Technischen Wandel stehen: die lich individualistischen Konzeptionen der Verantwor- Veränderung der Kooperation der Arbeitenden unter- tung. Dies heißt nicht, den Einzelnen von Verantwor- einander; der Stand der Automationstechnik bzw. tung und moralischem Engagement zu entbinden; Technisierung; die Veränderung der Beschäftigungs- wohl aber, den Rechtsgrundsatz „ultra posse nemo struktur, der Lohnstruktur und der Laufbahnsysteme obligatur" (Jenseits seines Könnens wird niemand zur sowie der hierarchischen Struktur der Industriebüro- Rechenschaft gezogen) ernstzunehmen. „Sollen setzt kratie; Fragen der Berufsstruktur und Qualifikations- Können voraus, und das heißt hier konkret: Verant- änderungen von Facharbeitern und Angestellten (Up- wortungsbereitschaft setzt Verantwortungsfähigkeit grading bzw. Downgrading, Job-enlargement bzw. voraus. " (Ropohl 1989, 562) Job-enrichment, Wegfall von Routinetätigkeiten); die Bedeutung der Technisierung für die Planung des Unter Berücksichtigung des Strukturwandels müßten Managements, die sozialen Folgen der Technisie- dazu, folgt man Ropohl, zumindest die folgenden Re- rung, insbesondere auf menschliches Arbeitsverhal- striktionen beseitigt werden: „qualifikatorische Defi- ten und Bewußtsein. zite, arbeitsrechtliche Bindungen, sozio-technische Prozeß- und Strukturcharakteristika, vorherrschende In den Gesellschaftswissenschaften spricht man in Be- ordnungspolitische Prinzipien, die weitgehende Pri- zug auf die neue Faktorkombination allerdings auch vatisierung der Ethik, der Verlust der Einheit von davon, daß die technisch-ökonomischen Prozesse der Ethik und Politik" , -die Aufteilung der Verantwortung Umstrukturierung Freisetzungen bewirken. Damit ist zwischen Herstellen und Verwendung. (Ropohl, 1989, aber nicht schlechthin die Freisetzung als Arbeitslo- 562) sigkeit gemeint. Es sind vielmehr auch überkommene Traditionsbestände betroffen. Wissensbestände, Fer- Demokratie und Bildung sind die beiden zentralen tigkeiten und Fähigkeiten, Beziehungsgefüge, Le- Faktoren, über die eine Aufhebung der Restriktionen bens- und Bewußtseinsformen, Wert- und Orientie- gelingen kann; vorausgesetzt, Bildung wird als „Qua- rungsmuster büßen ihre Bedeutung ein, insofern sie lifizierung der inneren und äußeren Verfassung von keine Entsprechung mehr in der neuen Arbeit finden. Personen und Institutionen als Träger von geschicht- Psychosoziale Verunsicherungen und Verhaltenspro- licher Verantwortung" beg riffen (Picht 1969, 113). bleme entstehen, individuell und institutionell. In ei- ner Situation, in der ein Zustand allgemeiner Verun- Die Aufgabenbereiche stehen außer Zweifel. Sie er- sicherung zu verzeichnen ist, bewegt sich die gesell- geben sich aus: schaftliche Suche nach Orientierung in zweierlei — der biotechnischen Gefährdung des Lebens; Richtung. Sie begegnet uns im Komplex „Technik und Ethik" und in der Sinnsuche in verschiedensten Le- — der kerntechnischen Bedrohung der Erde; bensbereichen. — der Schadstoffüberlastung der Biosphäre; Auch die Erörterungen über die Qualifikation und das Selbstverständnis des „neuen Facharbeiters" sowie — der informationstechnischen Bevormundung; die Identitätssuche ganzer Unternehmen (Corporate — der Freisetzung sozio-kultureller Sinnzusammen- Identity) entspringen der neuen Orientierungssuche, hänge sowie desgleichen die Phänomene der inneren Kündigung bzw. inneren Emigration und der damit zusammen — der sozio-kulturellen Entmündigung.

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3. Technischer Wandel und neue Bildungspolitik Methodenkompetenz, Interdisziplinarität, fächer- übergreifendes und praxisbezogenes Lernen sind — Der Abschnitt „Grundbestimmung des technischen auch dies ist eine alte Erkenntnis — nicht ausschließ- Wandels" enthält drei Aspekte. Die folgenden Aus- lich kognitiv-intellektueller Natur. Hierzu sei ein an- führungen greifen sie ausdrücklich auf, aber nur als schauliches und bedenkenswertes Beispiel aus der Ansatzpunkt. Im Sinne der Intention dieses Beitrages älteren Literatur angeführt. In seinem Buch „Das Phä- wird vielmehr der Versuch unternommen, ohne An- nomen der Technik" umschreibt Eugen Diesel (Diesel spruch auf Vollständigkeit übergreifende Bildungs- 1939, 98-119) die geistigen Voraussetzungen des aspekte aufzuzeigen. Die folgenden Zwischenüber- technischen Schaffens mit den folgenden fünf Erfor- schriften orientieren sich daher an bildungswissen- dernissen: schaftlichen bzw. -politischen Kategorien. — Die Gabe der Beobachtung und leichten Auffas- sung Hiermit ist nur zu einem geringen Teil „Naturbe- 3.1 Vom objektbezogenen zum subjektbezogenen gabung" gemeint. Überwiegend geht es um das, Denken was eine geschulte, aufmerksame, aber gleich- wohl ungezielte Sinneswahrnehmung an „Aper- Hierbei geht es im wesentlichen um Folgerungen aus çus" über das gewinnt, was den Erscheinungen dem, was oben zum technologischen Wandel ausge- zugrunde liegt. führt wurde. Das objektbezogene Denken geht von vermeintlich vorgegebenen, objektiv vorhandenen — Tatsachensinn Gegenstandsbereichen aus, die zu Lern- bzw. Ausbil- Dieser richte sich auf die Möglichkeiten des Ver- dungsgegenständen deklariert werden; so z. B. Auf- wirklichens in schöpferischer Absicht. Indem er bau und technisches Funktionieren von Rechnern darauf aus sei, durch neuartige Einzel- oder Zu- oder die Definition und Systematik des Beg riffs Daten sammenschau der Dinge Ideen zu verwirklichen, in der Informatik und Betriebswirtschaftslehre. Im sei er ein kreativer Sinn und kein beharrender. Mittelpunkt der objektbezogenen Erörterungen steht — Die Fähigkeit, Erfahrungen zu sammeln der Erwerb sogenannten positiven Wissens in Anleh- Dies sei die Fähigkeit und Bereitschaft, Beobach- nung an die wissenschaftlichen Disziplinen. Die Ent- tungen und das Nachdenken darüber der Komple- wicklung und Entfaltung des Denkens, die Kultur der xität der Praxis auszusetzen, um Wirkweise, Funk- Sinne und der Emotionen sowie die Förderung der tionstüchtigkeit und Folgen nachgewiesen zu be- Willenskräfte sind demgegenüber zweitrangig. Im kommen. Gegensatz hierzu rückt der technologische Wandel die Bedeutung von Denkmethoden und Erkenntnis- — Die zeichnerische Fähigkeit strategien und damit auch die Geschichte von Denk- Hierunter wird über das Zeichnen hinaus im wei- kulturen und -traditionen vor Augen. Die gegenwärti- testen Sinne die Fähigkeit verstanden, räumlich gen Forderungen nach einem neuen Denken haben und in Relationen zu denken und die entsprechen- u. a. hier ihren Ursprungsort. Sie verweisen darauf, den Vorstellungen scharf und übersichtlich darzu- daß in allen Bildungsbereichen der Erwerb von Me- stellen. thodenkompetenz weiter gefaßt werden muß, als das — Die Fähigkeit, Phantasie, schöpferische Voraus- bisher geschieht. Verfahrenskenntnisse sind nur ein schau und Wissenschaft in Wechselbeziehung zu Element der Methodenkompetenz: worauf es heute setzen als Mehr ankommt, das ist die Fähigkeit, Methoden- Hierbei geht es vor allem um die Verbindung des fragen zu reflektieren, Methoden zu variieren, ja zu Phantasiereichtums mit der Kraft und Sicherheit generieren. Selbständigkeit bzw. Autonomie sind eines raschen Beurteilungsvermögens, das sich ohne eine so verstandene Methodenkompetenz nicht aus Wissen, Beobachtung und Realitätssinn er- möglich. gibt. Außer der Methodenkompetenz rückt der technologi- Faßt man diese Voraussetzungen des technischen sche Wandel das Problem der Interdisziplinarität in Schaffens bzw. des schöpferischen Arbeitens zusam- Forschung und Lehre, das fächerübergreifende und men, dann stößt man neben Wissen und Können, ne- exemplarische Lernen sowie das Verhältnis von Theo- ben scharfen Sinnen und differenziertem Denkvermö- rie und Praxis ins Feld der neuen Gestaltungsaufga- gen auf einen Bedingungskomplex, der dem gegen- ben. Die Geschichte der Bildungstheorie und Didaktik wärtigen Leistungsdenken diametral entgegenge- sowie der Bildungsreformen zeigt, daß mit all diesen setzt ist. Es ist Muße, Fehlen von Zeitdruck und eine Fragen nichts grundsätzlich Neues zur Lösung an- Offenheit des Geistes, die sowohl von innen kommt steht. Die gesamtgesellschaftliche Entwicklung be- als auch durch äußere. Freiheit bewirkt wird. wegt sich aber auf einer historisch neuen Stufe, und die Bildungsfrage stellt sich damit von zwei Polen her Diesels Sicht der Bildungsvoraussetzungen techni- heute schärfer und unausweichlich. Der eine Pol läßt schen Schaffens konfrontiert die gegenwärtige Bil- sich als Gefahr der Kontraproduktivität mangels aus- dungspolitik u. a. mit der bereits angesprochenen reichend gebildeten Humanvermögens bezeichnen; Rolle des Menschen in Gesellschaft und Geschichte. der andere spitzt sich über die Kontroverse „techni- Während seine Sicht subjektbezogen ist und damit auf sche versus soziale Lösung" zur Radikalisierung des die Förderung des Humanvermögens im Ganzen ab- Demokratie-Ideals und damit die Wertdiskussion auf stellt, gibt es heute Stimmen, welche die Einheit der die Frage zu, welche Rolle den Menschen im jeweils Denk-, Fühlens- und Willenskräfte sowie die Kultur herrschenden Gesellschaftsbild zugestanden wird. des Kognitiven als verzichtbar hinstellen, wo keine

Drucksache 11/5349 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode leitende Tätigkeit ausgeübt wird (Haefner 1985). Bil- Prinzip alle Lernbereiche durchziehen. (Rolff u. a. dungspolitik ist daher in ihrem Grundsatz auch daran 1989, 11) zu messen, ob sie solche Sichtweisen eines technisch ökonomischen Determinismus lediglich als Übertrei- Allerdings: Wie notwendig die Bemühungen um die bung klassifiziert oder grundsätzlich ächtet. informationstechnische Grundbildung auch seien, sie müßten gegenüber dem Grundsatz ausbalanciert Wie dringlich der Wandel von der objektbezogenen werden, daß für die Schule und die berufliche Erstaus- zur subjektbezogenen Sicht als historische Aufgabe bildung eher ein Weniger als ein Mehr an Medien und ist, das läßt sich gerade an der wirtschafts- und damit IuK-Techniken zu berücksichtigen sei. „Denn in einer realitätsnahen Berufsausbildung erkennen. Die For- künftigen ,Informations- und Kommunikationsgesell- derung nach qualitativ und quantitativ stärkerer Ge- schaft', in welcher der Umgang mit dem Bildschirm wichtung der extrafunktionalen Qualifikationen, der während der Arbeit und in der Freizeit, im Berufs- und Schlüsselqualifikationen und der Allgemeinbildung im Privatleben, für eine immer größere Zahl von Men- müssen geradezu als spezifische Reaktion des Ausbil- schen zunehmen wird und zumindest die Gefahr be- dungssektors auf technische Entwicklungsschübe an- steht, daß menschliche Kontakte und unterschiedliche gesehen werden. Formen unmittelbarer Kommunikation weiter redu- ziert werden, müssen vermehrte Anstrengungen un- ternommen werden, um jene Felder zu erhalten und auszubauen, in denen Menschen unmittelbar mitein- 3.2 Sicherung von Unabhängigkeit und ander umgehen und kommunizieren. Dies gilt für die Durchlässigkeit des Bildungssystems Schule ebenso wie für die verschiedenen Erschei- nungsformen der allgemeinen Weiterbildung und der Für unsere Fragestellung geht es hier darum, daß politischen Bildung, wo Menschen unterschiedlichen auch das Bildungssystem als System herausgefordert Alters, unterschiedlicher Herkunft und unterschiedli- ist. Dies wird insbesondere am Einzug der IuK-Tech- cher Auffassungen und Meinungen aufeinandertref- niken in das Bildungswesen diskutiert. Den diesbe- fen und sich miteinander auseinandersetzen." (Som- züglichen Entwicklungsstand der nationalen und in- mer 1989, 160) ternationalen Diskussion, Entwicklung und Erfahrung hat die Enquete-Kommission durch zwei umfangrei- Der Einsatz neuer Medien und IuK-Techniken steht che Gutachten zusammentragen lassen. Sie bearbei- immer noch im Mittelpunkt der auf den technischen ten „Die Bedeutung der IuK-Technologie/Neuen Me- Wandel bezogenen Bildungsdiskussion. Das Gutach- dien für die zukünftige Bildungspolitik des Bundes" ten von Sommer weist jedoch ausdrücklich darauf hin, (Rolff u. a. 1989) sowie „Neue Medien/Informations- daß dies eine sehr verkürzte Sichtweise sei. Durch und Kommunikationssysteme und Bildungswesen — „den unvermeidlichen Einbruch der Neuen Medien für die Bildungspolitik des Bundes nutzbare interna- und IuK-Techniken (wird es) zu einem tiefgreifenden tionale Erfahrungen und Innovation" (Sommer 1989). Struktur- und Funktionswandel des Bildungswesens Beide Gutachten stellen zentrale Gegenstandsberei- kommen, der nicht nur das bisherige Verhältnis von che der aktuellen Diskussion in ein neues Licht: Erstausbildung und Weiterbildung nachhaltig verän- dern wird, sondern auch das traditionelle öffentliche Informations- und kommunikationstechnische Grund- Bildungsmonopol infrage stellen und einen wachsen- bildung für alle sei unter dem Aspekt einer Kultur- den ,grauen Bildungsmarkt' zur Folge haben wird." technik, darin sind sich die Gutachter einig, unab- (Sommer 1989, 173) weislich geworden. Sie verlange materiell eine ausrei- chende Ausstattung mit Hardware, die Entwicklung Wir können diesen -„grauen Markt" heute bereits in didaktisch angemessener Software sowie finanzielle dreifacher Hinsicht feststellen. Er umfaßt den Bereich Spielräume zum Rückgriff auf professionelle Software des kommerziellen Angebots von Weiterbildung, den und zur Nutzung öffentlicher Systeme. Personell sei Sektor der anwenderbezogenen Qualifizierung durch der Lehrerbildung besondere Aufmerksamkeit zu Herstellerfirmen und den „Teachware-Markt" ein- widmen. „Jeder Lehrer, der bisher noch keinerlei schließlich der Leittexte und der sogenannten interak- Kenntnisse über den Umgang mit Computern hat, tiven Lernsysteme. Zwar werden die letzten zwei übli- sollte eine Einführung in die drei verbreitetsten Typen cherweise dem Sektor der Lehr-/Lernmethoden zuge- von Anwender-Software erhalten, also in Textverar- rechnet; man muß aber sehen, daß sie die Lehrenden beitung, Kalkulation und Datenbanken. Besonders und Ausbildenden sowie die Cur ricula in eine Rand- Lehrerinnen sollten verstärkt und gezielt für Weiter- position bringen und damit das Bildungssystem von bildung zum Thema Neue Technologien angespro- innen aushöhlen. chen und gewonnen werden." (Rolff u. a. 1989, 11) Forderungen aus der Frauenforschung legten es auch Die Kombination von Selbstlernmedien, regionalen nahe, Teile von Unterricht und Ausbildung in ge- Medienzentren, Bildungsbörsen und von Bildungs- schlechtshomogenen Gruppen durchzuführen. und Kulturfernsehen als konzertierte Aktion eines Sy- stems individualisierten, offenen Lernens — das alles Für die Grundbildung müsse ferner klar werden, daß scheint einerseits ungeahnte Möglichkeiten zu bieten, sich kein einzelnes Fach als Leitfach empfehle. Insbe- die Zukunftsaufgabe Weiterbildung und z. B. das Pro- sondere der Informatikunterricht könne wegen seiner blem überfüllter Hörsäle zu lösen. Die für eine ent- didaktischen Verengung auf algorithmenbezogene sprechende Nutzung erforderliche Kompetenz zur Qualifikationen allenfalls als Wahlfach angeboten „Selbstqualifikation" verlangt aber ein Niveau der werden. Auch Mediendidaktik und sozialwissen- Bildung der Allgemeinheit, das wir erst noch errei- schaftliche Aspekte der neuen Techniken sollten als chen müssen.

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Zugleich wirft die Perspektive des offenen Lernens demzufolge jeder, der sich zur Fahrprüfung meldet, die Finanzierungsfrage auf, und es stellt sich das Pro- einen Fahrlehrer und ein doppelt bedienbares Auto blem, wie die soziale Absicherung der Lernzeiten ge- beizubringen hat, sind wir in der Bundesrepublik fak- regelt werden soll. Sommers Ansicht, durch die IuK tisch gezwungen, eine Fahrschule zu besuchen. Aber Techniken in Verbindung mit dem Strukturwandel trotz der ständig steigenden Stundenzahlen wird hier werde das Bildungssystem potentiell als Ganzes frei- über die Funktion und das System des Autos ebenso- gesetzt, läßt sich folglich nicht von der Hand weisen. wenig gelernt wie über die Auswirkung seines Ge- Deshalb muß zumindest tendenziell die Frage der Ge- brauchs. Ob ferner trotz des ausgeweiteten Unter- staltung des Bildungssystems als Ganzes neu bedacht richts und trotz strenger Prüfung die Verkehrssicher- werden (DGB 1989). Einer besonderen Sicherung heit verbessert wurde oder ob durch die Unterrichtsin- bzw. Verstärkung bedürfen: halte und den Unterrichtsstil die Aggressivität des Fahrstils nicht gerade gesteigert wird, bleibe dahinge- — die politische und ökonomische Unabhängigkeit stellte des Bildungssystems; — die Realisierung von Partizipation und Kompetenz Schließlich: Hat, wer eine Kfz-Ausbildung mit Aus- für alle; zeichnung durchlaufen hat, damit etwas begriffen — der Schutz vor jeglicher Kommerzialisierung; und sich zu eigen machen können, was die sinnvolle oder unsinnige Benutzung des Autos bet rifft? Ist er — die Qualitätskontrolle sowohl im öffentlichen als kompetent geworden, an der Verhinderung weiterer auch im privaten Bildungsbereich und der Schutz Verwüstung der Städte und weiterer Zerstörung von vor einer Dualisierung in qualitativ hochstehende, natürlichem Lebensraum mitzuwirken oder auch nur teure und private Bildungsinstitutionen sowie min- sich dafür zu interessieren? derqualifizierende öffentliche Bereiche.

Solange Qualifizierungen über den wichtigen und 3.3 Entbürokratisierung der Curricula notwendigen Objekt- und Systembezug hinaus nicht in gleichem Maße die soziale Kompetenz und Motiva- Mit dieser heute immer dringlicher werdenden Auf- tion und die Selbstkompetenz entwickeln, sitzen wir gabe sieht man sich ganz unmittelbar konfrontiert, einer Verdinglichung des Denkens auf, die — seien wenn man vom Aspekt „Werkstoffe" des technischen die ,Dinge' noch so kompliziert — die Stufe des feti- Wandels ausgeht. schisierenden Denkens der frühen Menschheit nur scheinbar überwunden hat." (Lisop, 1985, 20f). Werkstoffe haben in der Pädagogik stets eine Rolle gespielt, und zwar als Mittel der Realerfahrung in der Abarbeitung am Gegenständlichen. Heute hat die Der Kompetenzbegriff (Lisop 1989) umfaßt die (juristi- Realerfahrung eine hierüber weit hinausreichende sche) Befugnis ebenso wie die Zuständigkeit auf- Bedeutung erlangt. Haben wir es doch mit der Gefahr grund von Kenntnissen, Fertigkeiten und Fähigkei- einer Reduzierung der menschlichen Potentiale auf ten. Die dreigegliederte Einheit von Selbst-, Sach- die „Intelligenz der Maschinen" ebenso zu tun wie mit und Sozialkompetenz steht deshalb auch als Synonym der Verkümmerung der Sinne und des Urteilsvermö- für Bildung. Sie verweist in unserem Zusammenhang gens durch Simulation, Kunstwelten und Computeri- zurück auf die Subjektorientierung und damit auf das sierung der Sozialbezüge. Kultur ist ein Produkt aus gleichfalls aktuelle Postulat nach Ganzheitlichkeit. Arbeit und Bildung; mit einer synthetischen Kultur Damit sind wir aber unabwendbar vor die Frage ge- - der Scheinwelten korrespondiert ein durchmediati- stellt, ob der technische Wandel heute eine schärfere siertes Bildungssystem, in dem mit den Sozialbezügen curriculare Herausforderung darstellt als dies mit der die Verantwortungsfähigkeit verkümmert. Curriculumreform vor 20 Jahren der Fall war. Das, was an konkreter Selbst-, Sach- und Sozialkompetenz Begreift man den technischen Wandel im weitesten erlangt werden muß, kann nicht mehr ausschließlich Sinne nicht als direkte Anweisung, sondern als Impuls an den überkommenen Disziplinen und Fächern und zur Neubewertung der Bildungsfrage und zur Gestal- mit einem konventionell gerasterten Methodenreper- tung der Bildungspraxis, dann kann man den Werk- toire erlangt werden. stoffaspekt ausweiten zum Aspekt des Umgangs mit spezifisch technischen Produkten. Zur Veranschauli- chung dessen, wieviele Momente dabei pädagogisch Die Sicherung und Überprüfung von Qualitätsstan- ineinandergreifen, sei hierzu abschließend ein weite- dards und damit einhergehend auch der Übersicht- res Beispiel angeführt: lichkeit und der Einheit der Bildungsgänge muß ande- rerseits mit Modularsystemen, individuellen Karriere- „Man kann ein sehr geschickter, rücksichtsvoller und mustern, speziellem Qualifikationsbedarf u. ä. Beson- energiesparender Autofahrer sein, ohne die Funktion derheiten flexibel kombinierbar sein. Dem widerset- und das System des Motors und des Fahrzeugs insge- zen sich gegenwärtig aber noch die in anderen histo- samt zu kennen bzw. beg riffen zu haben. Dies gilt rischen Konstellationen entstandenen Verfahren der auch dann noch, wenn die Fahrqualität durch die Fä- Erstellung, Abstimmung und „Dekretierung" der higkeit ergänzt wird, die eine oder andere Wartung Curricula. Hier neue Rahmenbedingungen zu schaf- selbst zu erledigen, kleinere oder gar mittlere Pannen fen, ist neben den erwähnten, auf das Bildungssystem selbst zu beheben. Umgekehrt: Ein Automobilkon- gerichteten Sicherungsaufgaben wahrscheinlich die strukteur kann sehr wohl einen ,mörderischen' Fahr- schwierigste bildungspolitische Lösung, die der tech- stil haben! — Weiter: Durch das Fahrlehrergesetz, nische Wandel der Bildungspolitik abverlangt.

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Literatur: Lisop, Ingrid: Technikkompetenz. Gesellschaftsprak- tische und wissenschaftssystematische Dimensionen. Biedenkopf, G. (Hrsg.): Technik interdisziplinär. Düs- In: Fleischmann/Esser (Hrsg.) 1989 seldorf 1982 Lisop, Ingrid: 40 Jahre Berufsausbildung im techni- DGB-Bildungswerk Hessen e.V.: Gründe für eine schen Wandel — Ihre Zukunft im Rückspiegel be- neue Bildungspolitik. Von der Defensive zur Offen- trachtet. Frankfurt 1985 sive. Frankfurt, Juni 1989 Lisop, Ingrid: Sozio-kulturelle Entmündigung in der Diesel, Eugen: Das Phänomen der Technik. Zeug- Freizeitgesellschaft. Analyse und Perspektiven der nisse, Deutung und Wirklichkeit. Leipzig 1939 Abwehr. Frankfurt 1986 Etzoni, Amitai: Elemente einer Makrosoziologie. In: Picht, Georg: Mut zur Utopie. München 1969 Zapf, W. (Hrsg.): Theo rien des sozialen Wandels. Kö- nigstein/Ts. 1979, S. 147-176 Rammert, Werner: Technik und Gesellschaft. Ein Überblick über die öffentliche und sozialwissen- Paul: Wider den Methodenzwang. Skiz- Feyerabend, schaftliche Technikdiskussion. In: Technik und Ge- ze einer anarchistischen Erkenntnistheorie. Frankfurt sellschaft. Jahrbuch 1. Frankfurt und New York 1982, 1977 S. 13-47 Fleischmann, Gerd; Esser, Josef (Hrsg.): Technikent- wicklung als sozialer Prozeß. Bedingungen, Ziele und Rammert, Werner: Soziale Dynamik der. technischen Folgen der Technikgestaltung und Formen der Tech- Entwicklung. Theoretisch-analytische Überlegung zu nikbewertung. Frankfurt 1989 einer Soziologie der Technik am Beispiel der „science-based-industry". Opladen 1983 Fourastié, J.J.: Die große Hoffnung des 20. Jahrhun- derts. Köln 1954 Richta, Radovan (Hrsg.): Technischer Fortschritt und industrielle Gesellschaft. Frankfurt 1972 Galbraith, John Kenneth: American Capitalism. The Concept of Countervailing Power. Boston 1952 Rolff, Hans-Günter u. a.: Die Bedeutung der Informa- tions- und Kommunikations-Technologie/Neuen Me- Gasset, J. Ortega y: Betrachtung über die Technik. dien für die zukünftige Bildungspolitik des Bundes. Stuttgart 1949 Gutachten für die Enquete-Kommission „Zukünftige Gehlen, Arnold: Die Seele im technischen Zeitalter. Bildungspolitik — Bildung 2000". Dortmund 1989 Hamburg 1957 (Manuskript) Haefner, Klaus: Die neue Bildungskrise. Lernen im Ropohl, Günter: An den Grenzen der Ingenieurethik. Computerzeitalter. Reinbek bei Hamburg 1985 In: Universitas, 44. Jg., 1989, Nr. 6, S. 560-568 Hansmann, Otto; Marotzki, Winfried (Hrsg.): Diskurs Sachsse, Hans: Technik und Verantwortung. Freiburg Bildungstheorie I: Systematische Markierungen. Re- 1979 konstruktion der Bildungstheorie unter Bedingungen der gegenwärtigen Gesellschaft. Weinheim 1988 Sommer, Winfried: Neue Medien/Informations- und Kommunikationssysteme und Bildungswesen — Für Huisinga, Richard: Technikfolgenbewertung. Be- die Bildungspolitik des Bundes nutzbare internatio- standsaufnahme, Kritik, Perspektiven. Frankfurt nale Erfahrungen und Innovationen. Gutachten für 1985 die Enquete-Kommission „Zukünftige Bildungspolitik Janshen, D.: Rationalisierung im Alltag der Industrie- — Bildung 2000" Karlsruhe 1989 (Manuskript) gesellschaft. Frankfurt 1981 Zedler, Peter; König, Eckard (Hrsg.): Rekonstruktio- Jonas, H.: Das Prinzip Verantwortung. Frankfurt nen pädagogischer Wissenschaftsgeschichte. Fallstu- 1979 dien, Ansätze, Perspektiven. Weinheim 1989

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Anhang 6

Imma Hillerich, MdB

Bildung und Umwelt

1. Gefährdete Umwelt — Ökologische eigene Verhalten (vgl. Dierkes/Fietkau 1987, bes. Erfordernisse S. 65 ff).

Umweltschutz hat im öffentlichen Bewußtsein der Ökonomisch betrachtet besteht das Ziel von Umwelt- Bundesbürger/innen und vor allem der Jugendlichen schutzaktivitäten bisher da rin, die weitere Externali- in den letzten Jahren eine immer höhere Bedeutung sierung von Umweltkosten zu vermeiden (ihre Ge- erlangt. Schon 1985 hielten nach einer Emnid-Um- samtsumme wurde schon 1986 auf 103 Mrd. DM pro frage 82 % der Jugendlichen den Umweltschutz für Jahr geschätzt, vgl. Wicke 1986; inzwischen dürften die wichtigste politische Aufgabe (vgl. Zukunftsauf- 120 Mrd. DM pro Jahr erreicht sein) und die Entste- gabe Umweltbildung, BMBW 1988, S. 21); auch einer hung von Umweltschäden bereits am Ort ihrer Entste- Infas-Umfrage zufolge nannten 1988 62 % aller Bun- hung zu verhindern. desbürger/innen den Umweltschutz als wichtige poli- tische Aufgabe. Diesem defensiven Verständnis von Umweltschutz liegt immerhin die Einsicht zugrunde, daß langfristig Gegenüber früheren Umweltzerstörungen, die es be- die Berücksichtigung ökologischer Zusammenhänge reits vor Jahrhunderten zur Urbarmachung (Brandro- auch ökonomisch sinnvoll ist. Zwar ist hiermit der dung) und Rohstoffgewinnung (z. B. Abholzung der Konflikt zwischen Ökologie und Ökonomie weder Wälder) gab, haben gegenwärtige Umweltzerstörun- ausgestanden noch zu Ende gedacht, aber zumindest gen selbst dann vielfach globale Auswirkungen und wird versucht, die Schnittmenge zwischen Ökonomie richten irreversible Schäden an, wenn sie zunächst und Ökologie zu vergrößern, ein Anliegen, welches nur regional wahrgenommen werden. Akute Umwelt- insbesondere umweltaktive Unternehmer durch „Be- belastungen oder -katastrophen ( „Umkippen" eines triebsökologie" und „umweltorientierte Unterneh- Gewässers, Tankerhavarien) führen zusammen mit mensführung" (vgl. Winter 1987) verbreiten und prak- schleichenden Umweltzerstörungen (z. B. Schwerme- tisch erproben. Von ihnen wird auf die Notwendigkeit tallanreicherung in Organismen, im Boden und im umfassender ökologischer Qualifikation aller Mitar- Wasser), schnellem Verbrauch nicht regenerierbarer beiter/innen hingewiesen, worin ein erheblicher Fort- Ressourcen, industriellen Großtechnologien (Chemie- schritt gegenüber dem bisher in den meisten Betrie- fabriken, Atomkraftwerke) zu einem Risiko- und Zer- ben allenfalls vorhandenen Gehorsamsmodell zu se- störungspotential, welches menschliches Überleben hen ist: Umweltschutz im Betrieb als Erfüllung gesetz- auf diesem Planeten für die Zukunft in Frage stellt. licher Vorschriften, die — falls überhaupt — an Fach- Schon die Untersuchungen des „Club of Rome" über kräfte, Immissionsschutzbeauftragte, Betriebsbeauf- die Grenzen des Wachstums (Meadows u. a. 1972), der tragte für Abfall, für Arbeitssicherheit, delegiert „Bericht an den Präsidenten" (Global 2000 1980) und wird. „Global Future" (1981) verweisen darauf, daß nicht nur in den Industrie-, sondern zunehmend auch in den Die Entwicklung einer Umweltethik, die ihre Verhal- Dritte-Welt-Ländern Umweltbelastungen und -zer- tensnormen weder unmittelbar aus der Naturerkennt- störungen exponentiell wachsen. nis abzuleiten trachtet (Natur als Weltanschauung), noch allein auf das traditionelle Politikverständnis Die zunehmende Politisierung des Umweltproblems orientiert (defensiver Umweltschutz durch staatliche hat Fragen aufgeworfen nach einem zumindest Gesetze), bewegt sich noch in den Anfängen. Formu- gleichgewichtigen Verhältnis von Ökologie und Öko- liert werden noch Paradoxien und erste vorsichtige nomie, nach wirksamen umweltpolitischen Instru- Näherungen an ein neu zubestimmendes Verhältnis menten, nach Möglichkeiten umweltorientierten Ler- von Natur zu Kultur. Wie ist die Rolle des Menschen in nens und Verhaltens in allen gesellschaftlichen Berei- und gegenüber der Natur, deren Teil er zugleich ist, chen. Trotz ihrer Dringlichkeit müssen diese Fragen neu zu fassen, ohne in neue Formen der Herrschaft bisher als ungelöst gelten. über die Natur oder gar in Biologismus abzugleiten? Die Beseitigung oder Verhinderung von Umweltschä- Wie können das Fundament und die Formen demo- den wird erschwert dadurch, daß sowohl Ursache- kratischer Politik funktionsfähig bleiben, wenn die Wirkungs-Zusammenhänge als auch personelle und Mehrheit in der Gesellschaft sich umweltschädigend institutionelle Verantwortlichkeiten vielfach nicht verhält (Legitimationsproblem demokratischer Ge- eindeutig identifizierbar sind und die Komplexität sellschaften in der ökologischen Krise)? ökonomisch-ökologischer (z. B. indust rielle Altlasten), aber auch soziokulturell-ökologischer (z. B. Auto-Mo- G. Altner spricht vorsichtig von einer „ökologischen bilismus) Zusammenhänge bei den Individuen zur Sensibilisierung in Richtung ,Eigenwert der Natur'" Überforderung, Ohnmacht, Verdrängung, zu „organi- und fordert „für die Natur auch dort, wo wir sie über- sierter Unverantwortlichkeit" (Beck 1988) führt. Dies formen, eine zu beachtende Eigenpotenz, die in das erklärt vermutlich die Diskrepanz zwischen relativ Kalkül unseres technischen Gestaltens als wichtiges hohem Umweltbewußtsein und relativ geringem Element mit aufgenommen werden muß" (1987, vgl. Rückbezug auf die eigene Lebenssituation und das auch 1988).

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K. M. Meyer-Abich wendet seine Kritik gegen die Umweltbewußtsein im Sinne einer psychischen Verar- Wissenschaft als Mitverursacherin der ökologischen beitungsfähigkeit („an sich herankommen lassen"), Probleme und fordert sie auf, sorgsam zwischen „Er- einer ethischen Haltung (Verantwortung für die Zu- haltungs- und Zerstörungswissen" zu unterscheiden kunft, für die Folgen eigenen Handelns) und einer (1988). Schulung der Wahrnehmungsfähigkeit (Wiederbele- bung der Sinne, vgl. Beitrag von Mikelskis auf der H. Jonas prägte einen neuen kategorischen Imperativ: „Zukunftsanhörung" der Enquete-Kommission am „Gefährde nicht die Bedingungen für den indefiniten 16.6.1988, Stenographisches Protokoll, S. 202) kann Fortbestand der Menschheit auf Erden; handele so, und muß durch Lernprozesse gefördert werden. daß die Wirkungen Deiner Handlung verträglich sind mit der Permanenz echten menschlichen Lebens auf Hinzukommen muß die Bereitschaft, ökologisches Erden." (1979) Wissen und umweltrelevante Fähigkeiten auch in der beruflichen Tätigkeit einzusetzen: Diese Bereitschaft Offensichtlich gehört zur Befolgung. dieses Gebots ist nur vorhanden, wenn eine arbeitsinhaltliche Moti- nicht nur die Einsicht in seine Notwendigkeit. In einer vation existiert. Erst wenn auf allen bet rieblichen Fülle von öffentlichen Erlärungen zur Notwendigkeit Hierarchiestufen unter Einschluß der Leitungsebenen von Umwelterziehung und Umweltqualifikation in al- Interesse und Verantwortung für die Arbeit und ihre len vier Bereichen des Bildungswesens (vgl. u. a. Ergebnisse als eigene vorhanden sind, kann auch eine BMBW, „Zukunftsaufgabe Umweltbildung" 1987 und „ökologische Sorgfalt” greifen. 1988 und für den Bereich der beruflichen Bildung die Arbeiten des BIBB, „Umweltschutz in der beruflichen Schließlich kommt der Handlungskompetenz im be- Bildung" 1988) demonstriert die Bildungspolitik, daß ruflichen Lernen, das auf umweltgerechtes Arbeiten der politische Handlungsbedarf, das Lernen von Um- zielt, eine Schlüsselrolle zu. Noch ist umweltgerechtes welterhaltung zu ermöglichen und gezielt zu organi- Arbeiten keine Selbstverständlichkeit, es stößt viel- sieren, erkannt ist. mehr auf zahlreiche Hindernisse: im Bewußtsein der Arbeitskollegen, der Ausbilder, bei den konkreten Rahmenbedingungen oder Vorgaben bet rieblicher Rentabilität. Ökologisch orientierte Handlungskom- 2. Ökologische Bildung und Qualifikation — petenz erfordert also sowohl Eigeninitiative im Sinne Verständnis ... von Autonomiefähigkeit wie soziale Verhaltensfähig- keiten in Konflikten, aber auch Einfühlungsvermögen (gegenüber Kollegen wie gegenüber Kunden) und die Die Enquete-Kommission „Zukünftige Bildungspoli- Fähigkeit zur Partizipation (vgl. auch Nitschke, tik — Bildung 2000" hat sich zur Aufgabe gemacht, 1989 a, S. 14). diesen politischen Handlungsbedarf für ökologisches Lernen in Ausbildung und Weiterbildung zu erfassen, Dieses weitreichende Verständnis von ökologischer wozu allererst ein angemessenes Verständnis über die Bildung und Qualifikation wird von den o.g. bildungs- Reichweite ökologischer Bildung und Qualifikation politischen Erklärungen zur Notwendigkeit und gehört. Ökologische Bildung und Qualifikation soll in Reichweite von Umweltbildung durchaus gestützt Erstausbildung und Weiterbildung die subjektiven (vgl. Vorwort von Jürgen Möllemann in BMBW 1988). Voraussetzungen schaffen für umweltgerechtes Wirt- Die schon erwähnte Kluft zwischen Wissen und Han- schaften und Arbeiten in allen Berufstätigkeiten. deln schlägt sich hier nieder in der Lücke zwischen erklärter Absicht und Konzepten sowie Praxis ihrer Unabdingbar ist hierfür die technisch-fachliche Kom- Umsetzung. Daß hier ein erheblicher Forschungs- und petenz für Umweltbelange im jeweiligen Beruf, die Entwicklungsbedarf- existiert, scheint unumst ritten weit über die Kenntnis gesetzlicher Vorschriften hin- (vgl. Mikelskis auf der „Zukunftsanhörung" der En- ausgeht und den schonenden, Ressourcen sparenden quete-Kommission am 16.6.1988, Stenographisches Umgang mit Werkstoffen und Maschinen ebenso um- Protokoll, S. 25 und Hauptausschuß-Empfehlung des faßt wie Risikokontrolle, Entwicklung technologischer BIBB, 1988). In der auch durch die Neuordnung der Alternativen und neuer, umweltverträglicher Verfah- Ausbildungsberufe wiederbelebten, berufspädagogi- ren. Derartige fachlich-ökologische Kompetenzanrei- schen Diskussion haben sich im Hinblick auf Kon- cherung stellt allerdings hierarchische Arbeitsteilung zepte beruflichen Umweltlernens folgende Grund- und Spezialisierung weitgehend in Frage: Umweltge- züge entwickelt: rechtes Arbeiten erfordert neben Übersicht und Ein- schätzung der ökologischen Implikationen und Ne- — Ökologische Qualifikationen haben aufgrund ih- benfolgen der jeweiligen Tätigkeit auch Entschei- res fach- und berufsübergreifenden Charakters dungsbefugnis. den Stellenwert einer „ Schlüsselqualifikation" (vgl. Dr. Kreklau, BDI, auf der Verbändeanhörung Noch bedeutsamer für berufliches Lernen, welches der Enquete-Kommission zur beruflichen Bildung die Umsetzung von Kenntnissen und Fertigkeiten in am 14.9.1988, Stenographisches Protokoll, S. 137). die Ernstsituation betrieblicher Arbeit soweit wie Überdies decken sich die im Zusammenhang mit möglich einbezieht, ist die bei Umweltbelangen schon Schlüsselqualifikationen genannten sozialen und angesprochene, vielfach erfahrene Kluft zwischen personalen Kompetenzen: Verantwortung, Kom- Wissen und Handeln. Umweltbelastungen werden munikations- und Teamfähigkeit, Selbständigkeit, immer noch häufig verdrängt, besonders wenn die Prozeß- und Planungsdenken mit den Merkmalen Beschäftigten selbst von ihnen betroffen sind. Ökolo- ökologischer Qualifikation. Aufgrund ihrer Ab- gische Bildung schließt daher neben der technisch straktheit sind diese Kompetenzmerkmale aller- fachlichen Qualifikation weitere Komponenten ein: dings vor Instrumentalisierung für verschiedenste

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Zwecke nicht gefeit. Als Merkmale ökologischer betrieben werden könne, dafür auch nur in Ausnah- Qualifikation müssen sie also konkretisiert, gewis- mefällen spezielle Berufe erforderlich seien, sondern sermaßen „ökologisch besetzt" werden. daß jeder Beruf seine spezifischen Anteile beitragen müsse (vgl. Anlage I zum Stenographischen Protokoll — Die Ausbildung ökologischer Qualifikationen muß der Verbändeanhörung der Enquete-Kommission zur in ganzheitlichen, quasi simultanen Lernprozessen beruflichen Bildung am 14.9.1988, S. 36). Dem Um- erfolgen, um den inneren Zusammenhang ihrer weltschutz komme eine Rolle als Schlüsselqualifika- Komponenten auch konkret erfahrbar zu machen. tion zu, da es um die Aneignung von Kenntnissen, Dies erfordert entsprechende Ausbildungsmetho- Wissen und um entsprechendes Verhalten gehe. Inso- den (z. B. Projekte), vor allem aber Spielraum und fern wird auch eine „integ rierte Umweltschutzausbil- Gestaltungsmöglichkeiten für das Erwerben von dung" für nötig gehalten, die entsprechende Ausbil- Handlungskompetenz. derqualifikation voraussetze. Ziel seien „verantwor- tungsbewußte Leute, die bei all ihren beruflichen und — Jeder Beruf und jede berufliche Tätigkeit ist um- weltrelevant, die des Kfz-Mechanikers jedoch an- auch privaten Handlungen wissen, was das für Kon- ders als die der Bürokauffrau. Neben berufsüber- sequenzen für die Umwelt hat. " (Dr. Kreklau, BDI, auf greifenden bestehen vor allem berufstypische An- der Verbändeanhörung der Enquete-Kommission zur forderungen. Ökologische Qualifikationen müssen beruflichen Bildung am 14.9.1988, Stenographisches daher berufsspezifisch entwickelt und vermittelt Protokoll, S. 137, 138, 140) werden. Damit soll die Entstehung spezieller Um- Das Handwerk (ZdH) hofft für sich selbst durch um- weltschutzberufe (z. B. Ver- und Entsorger/in) weltorientierte Aus- und Weiterbildung im oben an- nicht verhindert werden, ihre problematische gesprochenen Sinne „insgesamt umweltbewußter" zu „Entlastungsfunktion" betreffend die ökologische werden (vgl. Dr. Schubert, ZdH, auf der Verbände- Verantwortung in jedem Beruf sowie ihre Chancen anhörung der Enquete-Kommission zur beruflichen am Arbeitsmarkt müssen jedoch besonders be- Bildung am 14.9.88, Stenographisches Protokoll, dacht werden. S. 137).

Probleme, Defizite und mögliche Konflikte — z. B. ... und Positionen ... zwischen Ökologie und Ökonomie im Bet rieb — bei der Umsetzung dieser Ziele werden weder vom Ver- treter des Handwerks noch von denen der industriel- Die Enquete-Kommission „Zukünftige Bildungspoli- len Arbeitgeber gesehen. Eher im Gegenteil wird her- tik — Bildung 2000" hat sich bisher, neben der Ver- vorgehoben, daß die bundesdeutsche Wirtschaft im gabe eines Gutachtens zum beruflichen Umweltler- Bereich des Umweltschutzes, insbesondere auf dem nen, lediglich im Rahmen und am Rande der Verbän- Feld der Umwelttechnologien, eine Vorbildfunktion deanhörung zur beruflichen Bildung am 14. Septem- übernommen habe. ber 1988 mit Fragen und Positionen zum beruflichen Umweltlernen befaßt. Im folgenden sollen die dort Der DGB hält die Verbindung von Umweltfragen mit geäußerten Positionen von Verbänden, aber auch bis- der Berufsrolle der Auszubildenden für richtig, kriti- herige Stellungnahmen berufsbildungspolitisch rele- siert aber die bisherige Aufnahme von Umweltlern- vanter Institutionen sowie — beispielhaft — Positio- zielen in die neuen Ausbildungsordnungen als nen der Chemieindustrie als ökologisch eminent rele- „Alibi", da ihre Umsetzung in die Ausbildungspraxis vanter Branche und Positionen von sich als „umwelt und die dazu notwendigen didaktischen Konzepte bewußte Avantgarde" verstehenden Unternehmen fehlen, und fordert, - informierend und kritisch beleuchtet werden. Gefragt werden soll, ausgehend vom oben skizzierten Ver- — daß alle Lehrpläne, Ausbildungs- und Prüfungs- ständnis ökologischer Bildung und Qualifikation, wie ordnungen im Hinblick auf die jeweiligen berufs- sich Einschätzungen zum Bedarf und zu den Kompo- fachlichen Erfordernisse des Umweltschutzes nenten ökologischer Qualifikation sowie Ansätze und überarbeitet werden, Erfahrungen zu ihrer Umsetzung entwickelt haben. Das von der Enquete-Kommission vergebene Gutach- — daß Umweltlernen in „ökologisches Handeln im ten „Umweltlernen in der beruflichen Aus- und Wei- Sinne von Folgenabschätzung" münden solle, terbildung" konnte nur in seinen Vorarbeiten (Lei- stungsverzeichnis, Zwischenbericht) einbezogen wer- — daß ökologisches Lernen auch die „Kritik beste- den. hender betrieblicher Praxis und die Behandlung alternativer technischer und wirtschaftlicher Stra- tegien umfassen" solle (vgl. Anlage II zum Steno- graphischen Protokoll der Verbändeanhörung der ... bei Verbänden ... Enquete-Kommission zur beruflichen Bildung am 14.9.89, S. 20). Der Frage, ob und inwieweit die Berufsausbildung sich ändern müsse, um neuen ökologischen Heraus- Erstaunlicherweise kamen bei der Verbändeanhö- forderungen Rechnung zu tragen, wird von seiten der rung der Enquete-Kommission weder in der schriftli- industriellen Arbeitgebervertreter (BDI) begegnet mit chen noch in mündlichen Stellungnahmen des DGB dem Hinweis auf die in den neuen Ausbildungsord- die mehr oder weniger klassischen gewerkschaftli- nungen enthaltenen Ausbildungsziele zum Umwelt- chen Ansatzpunkte umweltbezogenen Lernens zur schutz. Betont wird, daß Umweltschutz nicht generell Sprache: Arbeitsschutz und Mitbestimmung. Wäh-

Drucksache 11/5349 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode rend der Arbeitsschutz Ansätze ökologischen Lernens tern. Für die in den Ausbildungsordnungen enthalte- anhand der Sensibilisierung für Umweltbelastungen nen Umweltschutzlernziele bestehe ein „Nachholbe- am Arbeitsplatz eröffnet, existieren insbesondere im dürfnis" an praktischer Umsetzung, welches durch Zusammenhang mit der Diskussion über eine umwelt- Modellmaßnahmen mit Unterstützung des BIBB ange- orientierte Novellierung des Betriebsverfassungsge- gangen werde. Nötig für die Umsetzung seien aller- setzes Konzepte zur Verankerung des Umweltschut- dings auch mehr Mitbestimmungsrechte auf seiten zes im Betrieb, die ebenfalls handlungsorientierte der Betriebsräte. Die angesprochenen Konflikte zwi- ökologische Qualifikationen erfordern (vgl. Nitschke schen ökologisch bewußten Auszubildenden und 1989 b, S. 51). Facharbeitern seien letztendlich durch umweltbezo- gene Weiterbildung für alle Arbeitnehmer anzuge- hen, eine noch nicht in allen Unternehmen genügend erkannte Notwendigkeit (vgl. Walter, IG-Chemie, auf ... in der chemischen Industrie ... der Verbändeanhörung der Enquete-Komission zur beruflichen Bildung am 14.9.88, Stenographisches Aufgrund der erhöhten Umweltrelevanz der chemi- Protokoll, S. 120, 121). schen Industrie gibt es in dieser Branche verstärkte umweltorientierte Aktivitäten im Aus- und Weiterbil- Insgesamt sieht die IG-Chemie mit der Frage nach dungsbereich. Hier soll beispielhaft hingewiesen wer- den ökologischen Erfordernissen die Weiterentwick- den auf die mit Hilfe des BIBB entwickelten Ausbil- lung der Industriegesellschaft überhaupt angespro- dungsmittel: chen, wobei aus ihrer Sicht Eingriffe in die Natur und somit auch Belastungen der Natur in einer Gesell- — die Broschüre „Umweltschutz — eine Anleitung schaft, die ihrer Bevölkerung einen menschenwürdi- für die Aus- und Weiterbildung in naturwissen- gen Lebensstandard durch industrielle Arbeit ermög- schaftlichen Berufen" enthält praktische Hilfestel- lichen will, unumgänglich sind (vgl. Walter in: BIBB/ lungen für Ausbilder, Beispiele für Expe rimente BWP 1/89, S. 13). und Umweltschutztechniken und vertritt ein Qua- lifikationsverständnis, welches fachliche und per- sonale Kompetenz, Motivation und Handlungs- orientierung miteinander verbindet. ... von umweltorientierten Unternehmen — Als methodisches Hilfsmittel für Auszubildende soll das „Protokoll Umweltschutz" eingesetzt wer- Den im Förderkreis „Umweltfuture" und im Bun- den, mit dem jede Aufgabe unter Umweltgesichts- desarbeitskreis für umweltbewußtes Management punkten zu prüfen ist. Hierdurch soll umweltge- (BAUM) zusammengeschlossenen umweltorientier- rechtes Arbeiten zur Routine werden. ten Unternehmen geht es neben der Weiterentwick- lung der Praxis umweltorientierter Unternehmensfüh- — Ebenfalls als Arbeitsmittel eingesetzt werden soll rung auch darum, deren Ziele und Philosophie zu ver- die „Prozeßbetrachtung" unter Umweltgesichts- breiten. Hierfür wird der ökologischen Qualifizierung punkten, bevor Arbeitsvorschriften in detai lliert der Betriebsangehörigen ein großer Stellenwert bei- vorgeschriebenen Einzelschritten zur Produktion gemessen, da in den Mitarbeitern „das größte Risiko, von Chemikalien umgesetzt werden. Hierdurch aber auch die größte Chance für das Gelingen" gese- soll „das ganzheitliche Prozeßdenken und -han- hen wird. Die betrieblichen, vom Management zu för- deln entwickelt und trainiert" werden (vgl. dernden Konzepte und Maßnahmen zur Motivation Schmidt, in: BWP 1/89, S. 39ff). und Ausbildung orientieren sich an einem „koopera- — Skeptisch stimmt, daß bei der Betonung von Hand- tiven Führungsstil", am Ziel der „Fortentwicklung des lungsorientierung und individuellem Verantwor- Bewußtseins für Umweltqualität ... Hand in Hand ... tungsbewußtsein Interessenkonflikte (z. B. zwi- mit der Stärkung des klassisch-fachlichen Qualitäts- schen Ökonomie und Ökologie) und die gesell- bewußtseins, das heißt des inneren Engagements" schaftlich politische Dimension ökologischen Ar- und räumen der Kreativität der Mitarbeiter und der beitens und Wirtschaftens — gerade in dieser betriebsinternen und -externen öffentlichen Ausein- Branche — ausgeblendet bleiben und Umweltzer- andersetzung zur Beförderung von Umweltbewußt- störungen zwar als reduzierbare, letztlich aber un- sein und umweltgerechtem Leben und Arbeiten gro- vermeidbare Umweltbelastung durch Bevölke- ßen Raum ein. Auf die umweltorientierte Ausbildung rungswachstum, Lebensstandard und Verbrau- der Lehrlinge soll „größte Sorgfalt" verwendet wer- cherwünsche festgeschrieben werden (vgl. den, das „Spannungsverhältnis zwischen Ökonomie Schmidt, a. a. O.). und Ökologie" soll in Richtung der leistungssteigern- den „Gewißheit des Sowohl-Als-Auch" bearbeitet Die IG-Chemie erhofft sich vom Einbezug des Um- werden, das Ausbildungsprogramm soll neben der weltschutzes in die Ausbildung, daß die dadurch ver- Umweltorientierung auf allen theoretischen (u. a. Ein- mittelte ökologische Sensibilität der Jugendlichen fluß auf Berufsschulen) und praktischen (Lehrwerk- sich auch auf das Handeln derer auswirkt, die eine statt) Lernzielebenen und in der Prüfung ergänzt wer- derart umweltorientierte Ausbildung nicht hatten den durch umwelt- und erlebnisorientierte „Bildungs- (vgl. Anlage II zum Stenographischen Protokoll der reisen" , durch Projekte für betriebsbezogene Umwelt- Verbändeanhörung der Enquete-Kommission zur be- verbesserungen, durch pe riodische Umwelt-Bil- ruflichen Bildung am 14.9.88, S. 50). Am Arbeitsplatz dungsveranstaltungen. Ähnliche Anstrengungen sol- führe dies auch zu Konflikten zwischen umweltbe- len in der Erwachsenenbildung unternommen werden wußten Auszubildenden und ausgelernten Facharbei (vgl. Winter, 1988, S. 102-122).

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3. Beiträge wichtiger Institutionen: Schule ... und den Beruf, auf den sie sich vorbereiten, spezifisch sind" und im Vergleich zur Situation an den allge- Wenn auch die Enquete-Kommission „Bildung 2000" meinbildenden Schulen „als äußert defizitär" be- sich mit der Bildungspolitik im Kompetenz- und Ver- zeichnet. Ausgenommen von diesem Urteil werden — antwortungsbereich des Bundes beschäftigt, kommt hinsichtlich der Lehrpläne — die berufsbildenden sie nicht umhin, die bisher verfügbaren Erkenntnisse Schulen mit der Fachrichtung Landwirtschaft. We- über schulische Umwelterziehung zur Kenntnis zu sentliche Gründe für diesen — bildungs- und umwelt- nehmen, zumal diese auch bei bundesweiten und eu- politisch katastrophalen — Rückstand der berufsbil- ropaweiten Fachtagungen zur Umweltbildung (Zu- denden Schulen werden sowohl in einer fehlenden kunftsaufgabe Umweltbildung, BMBW, 1987, 1988) Qualifizierung für Aufgaben der Umweltbildung von ausführlich Erwähnung finden. Auch hieraus abgelei- Lehrern und Ausbildern sowie in fehlenden Unter- tete Empfehlungen für die gemeinsame Bildungspla- richtsmaterialien und Handreichungen gesehen (vgl. nung von Bund und Ländern dürfen nicht ausge- Lob 1988, S. 3). schlossen werden. Der Beitrag schulischer Umwelterziehung ist für be- rufliches Umweltlernen nicht nur im Bereich der be- ... und Berufsbildungsforschung rufsbildenden Schule bedeutsam, sondern auch als den Jugendlichen mitgegebene Voraussetzung für Als Instanz des sozialpartnerschaftlichen berufsbil- umweltgerechte Wert- und Handlungsorientierung. dungspolitischen Konsenses (Hauptausschuß) sowie als im wesentlichen anwendungsorientiertes For- Diese wird zwar schon 1980 in den Empfehlungen der schungsinstitut für Berufsbildung ist das Bundesinsti- KMK als Zielperspektive angegeben, und 1985 wird tut für Berufsbildung (BIBB) sowohl für die Einschät- anhand von Lehrplananalysen festgestellt, daß diese zung zum Bedarf an ökologischer Qualifikation und „Grundsätze und Ziele ... bereits weitgehend Eingang Bildung als auch für die Entwicklung und Verbreitung in die Schule gefunden haben. " (Vgl. Zukunftsauf- entsprechender berufsbildender Ansätze außeror- gabe Umweltbildung, BMBW 1987, S. 61) Dennoch dentlich wichtig. kommt die empirische Studie zur „Praxis der Umwelt- erziehung in der Bundesrepublik Deutschland" (Eule- Im Vergleich zu vereinzelten Aufsätzen und Projekten feld u. a. 1988) zum Ergebnis, daß trotz einer breiten von 1984 bis 1987 zur Frage des Umweltschutzes in inhaltlichen Ansprache von Umweltthemen in einer der beruflichen Bildung wurde ein Durchbruch zu ei- Reihe von Fächern nur 15 % der Umweltthemen „in ner verstärkten Bearbeitung dieses Themas mit der deutlich erkennbarer Weise handlungsorientiert be- Empfehlung des Hauptausschusses im Februar 1988 arbeitet" und „nur 0,8 % der Umweltthemen ... in pro- (vgl. BIBB 1988) erzielt. Diese hat — aufgrund der jektorientierten Formen behandelt" werden. Gründe „konzertierten" Abstimmungsnotwendigkeit in der für den Mangel an handlungsorientierten Unterrichts- Forschungs- und Entwicklungsarbeit des BIBB — si- und Arbeitsformen werden von Lehrern vor allem in cher auch die Einrichtung eines entsprechenden For- schulischen Rahmenbedingungen gesehen: Stoffülle schungsschwerpunktes „Qualifikationsbedarf und der Lehrpläne sowie geringer zeitlicher Spielraum Qualifizierung im Umweltschutz" sowie die zuneh- und die Zeiteinteilung durch den Stundenplan mende Relevanz dieses Themas für alle Arbeitsebe- schränken pädagogische Freiräume für die Förderung nen des BIBB ermöglicht. von Schüleraktivitäten und für interdisziplinären Un- Schon vor der Empfehlung des Hauptausschusses terricht ein (vgl. Bolscho 1989). Auch die mehrheitlich hatte das BIBB damit begonnen, berufsbezogene Um- rein theoretische Lehrerausbildung ohne Praktika — weltschutzinhalte als Standardberufsbildposition so- zumindest im weiterführenden Sek-Il-Bereich — wird wie entsprechende Lernzielformulierungen in die zum Defizit bei handlungsorientiertem Lernen beitra- Aus- und Fortbildungsordnungen einzuführen. Aller- gen. Verbesserungen empfiehlt einer der Autoren der dings ist dieser „integrative Ansatz" noch von einem Studie nicht durch „mehr Umwelterziehung, nach begrenzten Zugriff auf ökologische Erfordernisse in dem ,Gießkannenprinzip' über viele Fächer verteilt der beruflichen Bildung geprägt: und im Schulstunden-Takt angeboten" , sondern durch „konzentriertere Umwelterziehung an exem- — Umweltqualifikationen werden vorwiegend als plarischen Vorhaben. " (Bolscho, a. a. O.) technisch-fachliches Können zur Gefahrenvermei- dung verstanden, die Notwendigkeit einer allge- Über den Stand der Umwelterziehung an berufsbil- meinen Aktivierung und entsprechender sozialer denden Schulen existieren bisher keine empirischen Kompetenzen für Umweltbelange somit (noch?) Erhebungen. Die KMK verweist auf die in den Rah- nicht erfaßt. menlehrplänen für den berufsbezogenen Unterricht in der Berufsschule enthaltenen berufsbezogenen sowie — Unterstellt wird eine Arbeitsteilung zwischen Be- übergreifenden Lernziele zum Umweltschutz und auf trieb (naturwissenschaftlich-technische Ausbil- die Behandlung von Umweltthemen im Rahmen des dung) und Berufsschule (wertorientierende, sozial- allgemeinen Bildungsauftrags der Berufsschule (Se- wissenschaftliche (Allgemein-)Bildung) (vgl. Paul kretariat der KMK 1987). Von R.E. Lob, Leiter der Zen- in: BIBB 1988), die der erforderlichen Ganzheit- tralstelle Umwelterziehung an der Universität Essen, lichkeit ökologischer Qualifikation nicht gerecht wird der Stand der Umwelterziehung an berufsbilden- wird und die betriebliche Ausbildung trotz der dort den Schulen mit Blick auf das Ziel, „bei den Schülern am deutlichsten erfahrbaren Spannung zwischen ein Bewußtsein für die besonderen Umweltprobleme Ökologie und Ökonomie von der Behandlung ge- und -risiken zu wecken, die für den Industriezweig sellschaftlicher Aspekte befreit.

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Demgegenüber wird in den Beiträgen der institutsei- jede berufliche Aus- und Weiterbildung umfaßt, als in genen Zeitschrift „Berufsbildung in Wissenschaft und mehrfacher Hinsicht geeignet erwiesen: Praxis" (BWP) 1/89 ein weiter gefaßtes Problembe- wußtsein und Verständnis von Umweltqualifikationen — Als Maßstab und Zielperspektive ermöglicht es die deutlich. So werden Einschätzung des bisherigen Standes und vor al- lem der Lücken in konzeptioneller und praktischer — einleitend „Konflikte" angesprochen, „die jedoch Umsetzung, der Felder bildungspolitischen Hand- gerade die gesellschaftlichen Widersprüche zwi- lungsbedarfs, aber auch der gesellschaftlichen schen Ökonomie und Ökologie spiegeln und des- Konfliktlinien zwischen den an Aus- und Weiter- halb im Lernprozeß eine nicht unbedeutende Rolle bildung Beteiligten. spielen" (Schmidt in: BWP 1/89, S. 3); Hier dürften, neben der konsequenten Einführung — neben analytischen Fähigkeiten und technischen ökologischer Qualifikationen in jede berufliche Fertigkeiten im berufliche Alltag auch „die Fähig- Ausbildung, der enorme Bedarf an ökologischer keit zur sozialverpflichtenden, naturgerechten Ge- Bildung und Qualifikation in der Fort- und Weiter- staltung betrieblicher und gesellschaftlicher Um- bildung (Industriemeister/innen, aber auch Un- welten" einbezogen (Adler/Paul in: BWP 1/89, und Angelernte!, Ausbilder/innen, Berufsschul- S. 6); lehrer/innen ...) am wenigsten umstritten und am dringendsten sein. Dabei schlägt sich z. B. in der — beim Weiterbildungsbedarf die innovatorische Funktion des Umweltschutzes bis hin zur „Umge- Frage der Freistellung für umweltorientierte Wei- staltung der Produktionstechnik und Dienstlei- terbildung nicht nur die Spannung zwischen Öko- logie und Ökonomie bezogen auf die bet riebliche stungsaufgaben" sowie die Möglichkeit, „ein neues berufliches Selbstverständnis" zu schaffen, Personalpolitik nieder, sondern auch das Verhält- nis von ökologischer Qualifikation und sonstigen betont (Tillmann/Bülow-Rudolph in: BWP 1/89, Umweltentscheidungen (z. B. Einführung entspre- S. 9); chender technischer Neuerungen) im Bet rieb. — Defizite bei der systematischen Vermittlung um- weltschutzrelevanten Wissens in den Industrie- — Der ganzheitliche, handlungsorientierte Ansatz meisterlehrgängen angesprochen, denen für die stellt gewohnte Strukturen und Arbeitsteilungen Einschränkung von Umweltdelikten aufgrund von in der beruflichen Ausbildung in Frage und fordert Unwissenheit und Fahrlässigkeit entscheidender neue Bezüge von Kooperation und Partizipation, Einfluß beigemessen wird (vgl. Scholz/Mohns in: die der Berufsbildung insgesamt zugute kommen BWP 1/89, S. 22); können. — am Beispiel der Umweltbildung im Kfz-Handwerk Dies betrifft beispielsweise das Verhältnis zwi- die Handlungs- und Sozialkompetenz in Konflikt- schen den Lernorten Bet rieb und Berufsschule, situationen thematisiert (vgl. Albert u. a. in: BWP aber auch Erweiterungen der innerbetrieblichen 1/89, S. 30). Zuständigkeit für Ausbildung. So wäre über den Einbezug von betrieblichen Umweltbeauftragten Da es sich um recht junge Veröffentlichungen von in die Ausbildung ebenso nachzudenken wie über Mitarbeiter/innen des BIBB handelt, kann ihre aus- einen engeren Zusammenhang zwischen betrieb- drückliche Erwähnung hier nur mit der Hoffnung ver- licher Aus- und Weiterbildung und umweltorien- bunden werden, daß die angesprochenen Erweiterun- tiertem betrieblichem Vorschlagswesen. gen des Verständnisses von Umweltqualifikationen nicht bloße Absichtserklärungen bleiben, sondern in — Schließlich eröffnet dieses weitreichende Ver- der weiteren Neuordnungsarbeit, in Ausbilderkon- ständnis ökologischer Bildung und Qualifikation zepten, Modellprojekten und Ausbildungsmaterialien bei den Beteiligten innovatorische Handlungspo- weiterentwickelt und umgesetzt werden. tentiale sowohl auf der subjektiven Ebene (neuer) beruflicher Identität als auch mit Blick auf eine umweltgerechte Umgestaltung unserer Wi rt -schafts- und Lebensweise. Chancen, diese Hand- 4. (Optimistisches) Fazit lungspotentiale einzusetzen und weiterzuentwik- keln, liegen sicherlich in den vor allem bei Jugend- Angesichts der Dringlichkeit, unsere Wirtschafts- lichen gestiegenen inhaltlichen Ansprüchen auf weise, unser Leben und Arbeiten umweltgerecht (um-) Sinnerfüllung und Selbstverwirklichung im Beruf, zugestalten, kann der subjektive Beitrag beruflich ar- mit denen ein erhöhtes Problembewußtsein ge- beitender Menschen hierzu nicht hoch genug einge- genüber Gefährdungen von Natur und Umwelt schätzt werden. Entsprechend hoch ist auch die bil- einhergeht. dungspolitische Verantwortung aller an beruflicher Ausbildung und Weiterbildung Beteiligten, das Ler- Erforderlich ist also, daß na tional wie international nen umweltgerechten Arbeitens zu befördern. Für die umweltbewußtes Lernen und Handeln auf allen Beschreibung dieser zentralen bildungspolitischen Ebenen der Ausbildung — einschließlich der Ma- Herausforderung hat sich das weitreichende Ver- nagementausbildung — und der Weiterbildung er- ständnis von ökologischer Bildung, welches die Kom- folgt. Erforderlich ist weiter eine Verknüpfung von ponenten technisch-fachliche Qualifikation, Umwelt- Aus- und Weiterbildung mit einer die Umweltwir- bewußtsein, arbeitsinhaltliche Mo tivation sowie kungen einbeziehenden Investitionsplanung und Handlungskompetenz in ihrem inneren Zusammen- Gestaltung der Arbeitsorganisation. Erforderlich hang als ökologische Schlüsselqualifikationen für ist ebenfalls eine auf notwendige Verhaltensände-

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rungen zielende Umweltbildung der Verbraucher/ Global 2000: Der Bericht an den Präsidenten. Frank- innen. furt/M. 1980 Für die pädagogische Praxis wie für die Bildungspoli- Global Future: — Es ist Zeit zu Handeln. Hrsg. v. tik liegt in der Unterstützung und Förderung der hier Bechmann, A./Michelsen, G. Freiburg 1981 skizzierten umfassenden ökologischen Handlungs- kompetenz eine, wenn nicht die entscheidende Her- Jonas, Hans: Das Prinzip Verantwortung. Versuch ei- ausforderung in Gegenwart und Zukunft. ner Ethik für die technologische Zivilisation. Frankfu rt 1979

Literatur: Lob, Reinhard E.: Umwelterziehung/Umweltbildung als integraler Bestandteil zukünftiger Bildungspolitik, Altner, Günter: Wir müssen uns denkerisch wechsel- Manuskript/Arbeitspapier für die Enquete-Komis- seitig herausfordern. In: Frankfurter Rundschau vom sion, 1988 9.2.1988 Meadows, R. u. a.: Die Grenzen des Wachstums. Stutt- ders.: Umweltethik — der Schutz unserer Umwelt als gart 1972 Teil einer globalen Verantwortung. In: Calließ, J./Lob, R.E. (Hrsg): Praxis der Umwelt- und Friedenserzie- Meyer-Abich, Klaus Michael: Wissenschaft für die Zu- hung. Bd. 1: Grundlagen. Düsseldorf 1987, S. 51 bis kunft. Holistisches Denken in ökologischer und ge- 56 sellschaftlicher Verantwortung. München 1988 Beck, Ulrich: Gegengifte. Die organisierte Unverant- wortlichkeit. Frankfurt/M. 1988 Nitschke, Christoph: Umweltlernen in der beruflichen Aus- und Weiterbildung. Ein erster Überblick über BMBW: Zukunftsaufgabe Umweltbildung. Dokumen- Infrastruktur, programmatische Aussagen und prakti- tation des BMBW-Symposiums vom 24. bis 26. Sep- sche Ansätze. Gutachten im Auftrag der Enquete tember 1986 in Bonn, Bonn 1987 Kommission „Zukünftige Bildungspolitik — Bildung 2000", Mai 1989 a (Manuskript) dass.: Zukunftsaufgabe Umweltbildung. Stand und Perspektiven der Umweltbildung in der Bundesrepu- ders.: Umweltrelevante Qualifikationen unter beson- blik Deutschland, Bonn 1988 derer Berücksichtigung von Bet rieben der Berliner Bolscho, Dietmar: Umwelterziehung in der Schule. Metallindustrie. In: Schriftenreihe des Ins tituts für Ergebnisse einer empirischen Studie, in: Die Deut- ökologische Wirtschaftsforschung. Nr. 24/1989 b sche Schule, Heft 1/89, S. 61-72 Sekretariat der Ständigen Konferenz der Kultusmini- Bundesinstitut für Berufsbildung (BIBB): Umwelt- ster der Länder in der Bundesrepublik Deutschland schutz in der beruflichen Bildung. Arbeitsunterlagen (Hrsg.): Umwelterziehung in der Schule. Beitrag zum und Materialien aus dem BIBB, Berlin und Bonn 1988 Europäischen Umweltjahr 1987, Bonn (hektographiertes Manuskript) dass. (Hrsg.): Berufsbildung in Wissenschaft und Pra- Wicke, Lutz: Die ökologischen Milliarden. München xis (BWP), Heft 1/1989 1986 Dierkes, Meinolf/Fietkau, Hans-Joachim: Umweltbe Winter,Georg: Das umweltbewußte Unternehmen. wußtsein — Umweltverhalten. Gutachten für den Rat Ein Handbuch der Betriebsökologie mit 22 Check von Sachverständigen für Umweltfragen. WZB 1987 Listen für die Praxis.- München, 2. Auflage 1988

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Anhang 7

Eckart Kuhlwein, MdB

Internationale Verflechtungen und Konflikte als Herausforderung an die Bildungspolitik

Die Enquete-Kommission soll Antworten auf die Um die Relationen zu verdeutlichen (siehe Deut- Frage suchen, wie das Bildungssystem in der Bundes- sche Gesellschaft für die Vereinten Nationen republik Deutschland zur besonderen Bewältigung a. a. O.): immer dichter werdender internationaler Beziehun- gen und Konflikte beitragen kann. Der Einsetzungs- — Ein bereits vorgeschlagenes Aktionsprogramm auftrag hat damit die Erkenntnis aufgenommen, daß zum Schutz der Tropenwälder würde über eine junge und erwachsene Menschen in einer immer en- Zeitspanne von fünf Jahren etwa 1,3 Mrd. US ger werdenden Welt f riedliche Beziehungen zum Dollar kosten — den Gegenwert der innerhalb Fremden und Anderen lernen müssen, wenn die Ge- eines Tages für Rüstung ausgegebenen sellschaften, die Völker und Staaten f riedlich mitein- Summe. ander leben sollen. Er enthält gleichzeitig die Auffor- — Die von den Vereinten Nationen vorgeschlage- derung, Wege zum internationalen und globalen Den- nen Maßnahmen gegen die Verwüstung wür- ken zu vermitteln. den bis Ende dieses Jahrtausends pro Jahr 4,5 Mrd. US-Dollar kosten — den Gegenwert „Kein Land ist für sich allein lebensfähig. Klimatische pro Jahr des für Rüstung in weniger als zwei Veränderungen oder der Abbau der schützenden Tagen ausgegebenen Betrages. Ozonschicht kümmern sich nicht um nationale Gren- zen. Kriege treffen auch unbeteiligte Völker. Wirt- — Für die Weltdekade für Wasser und Gesundheit schaftliche Krisen oder Erfolge in einem Teil der Erde der Vereinten Nationen wären in den achtziger wirken sich auf alle anderen aus. Die Weltgesellschaft Jahren pro Jahr 30 Mrd. US-Dollar notwendig ist Wirklichkeit, eine gerechte Friedensordnung ist gewesen — etwa der Gegenwert der für Rü- jedoch noch in weiter Ferne. Aber die Einsicht wächst, stung in zehn Tagen ausgegebenen Summe. daß sie notwendig ist. Gemeinsame Aufgaben zwin- — Eine Mrd. US-Dollar pro Jahr — der Gegenwert gen zu Frieden und internationaler Zusammenar- des für Waffen in zehn Stunden ausgegebenen beit. " (Entwurf des neuen Grundsatzprogramms der Betrages — würde es ermöglichen, allen Frauen SPD, Bonn, März 1989, Tz. 68) Empfängnisverhütungsmittel verfügbar zu ma- chen, die bereits ausreichend motiviert sind, sie 1. In der Einleitung des Berichts „Unsere gemein- zu benutzen. same Zukunft" (Brundtland-Report) verweist die Weltkommission für Umwelt und Entwicklung Zwischen 800 Mio. und einer Mrd. Menschen leben (World Commission on Environment and Develop- in absoluter Armut. Sie erhalten nicht ausreichend ment) darauf, am Anfang müsse die Erkenntnis ste- zu essen, um voll arbeiten zu können. hen, daß die meisten ökologischen und wirtschaft- Willy Brandt hat 1988 in einem Vortrag vor dem lichen Probleme, die bisher getrennt behandelt Wiener Institut für Entwicklungsfragen festgestellt, worden seien, faktisch eng miteinander verbunden wir sollten uns bewußt sein, „daß es eine morali- seien und globale Anstrengungen erforderten. sche Mitverantwortung- für die Hungernden und Benachteiligten in der Welt gibt, und daß Sich- Die Probleme reichen von verheerender Armut, die Kümmern nicht an nationalen Grenzen Halt ma- ein Drittel der Menschheit in ihrer verzweifelten chen darf." Und spricht in einem Suche nach Lebensunterhalt zur Zerstörung der ebenfalls 1988 gehaltenen Vortrag vor der Stiftung Umwelt treibt, bis zur Luftverschmutzung als Ursa- Entwicklung und Frieden von der den Wohlhaben- che des Sterbens von Wäldern und Seen und weiter den auferlegten sozialen Verantwortung „für den zu einer Erhöhung der Temperaturen, einem Nächsten außerhalb unserer Grenzen, insbeson- Schmelzen des Polareises und einer Überflutung dere für den Nächsten in den armen Ländern der der Küstenländer sowie drastischen Folgen für die Erde." Nach seiner Auffassung hat Entwicklungs- Landwirtschaft (Deutsche Gesellschaft für die Ver- hilfe auch eine wichtige innenpolitische Dimen- einten Nationen zum Brundtland-Report, Oktober sion. Sie umfasse die Bereitschaft zur Begrenzung 1987). Die Probleme schließen massive Verschul- und zur Veränderung der Ressourcenallokation, dung und eine Verringerung des Pro-Kopf-Ein- zur Öffnung der Märkte für Produkte, die wir auch kommens in den Entwicklungsländern, das Abhol- selbst herstellen lassen sollten, wenn die Länder zen von elf Mio. Hektar Wald pro Jahr ebenso ein der Dritten Welt überhaupt eine Chance haben sol- wie den jährlichen Verlust von sechs Mio. Hektar len, ihre Situation zu verbessern. Die Berücksichti- Boden durch Verwüstung und die Verschmutzung gung dieser Dimension in der Innenpolitik werde von Grundwasser, Meeren und Böden durch giftige mit politischen und ökologischen Konflikten ver- chemische Abfallstoffe. Gleichzeitig wird mit na- bunden sein. hezu 1000 Mrd. US-Dollar pro Jahr für Rüstungs- zwecke auf der Welt mehr Geld ausgegeben, als 2. Die Vermittlung neuer Einsichten und Erkennt- das Gesamteinkommen der ärmsten Hälfte der nisse über globale Zusammenhänge und die Ein- Welt ausmacht. übung daraus resultierender anderer Verhaltens-

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weisen müssen Bestandteil von Lehren und Lernen auf die Industrieländer. Die Wirtschaftsweise in allen Bereichen des Bildungswesens werden. der Industrieländer gefährdet das ökologische Im Einsetzungsbeschluß der Enquete-Kommission System der Erde. Wenn die Länder der Dritten werden denn auch wachsende internationale Ver- Welt diese Wirtschaftsweise kopieren, wird die- flechtungen und Konflikte als Herausforderung ser Zerstörungsprozeß noch beschleunigt. an das Bildungswesen in der Bundesrepublik Deutschland genannt. Zu den zunehmenden inter- — Die Militärblöcke auf der Nordhalbkugel befin- nationalen Verflechtungen gehört auch die ge- den sich in einem Prozeß gegenseitiger Abrü- plante Vollendung des Europäischen Binnenmark- stung. An die Stelle von Konfrontation und Ab- tes bis Ende 1992, die sich in vielfältiger Weise auf schreckung tritt das Bemühen um „gemein- Strukturen und Inhalte unseres Bildungswesens same Sicherheit" . Die Abrüstung kann Chan- auswirken wird. Die Enquete-Kommission soll des- cen für wirksame Hilfen für die Dritte Welt er- halb auch die durch den Prozeß der europäischen öffnen und die Gefahr von „Stellvertreter-Krie- Integration zu erwartenden Bildungsanforderun- gen" mindern. gen beschreiben und Vorschläge für ihre bildungs- politische Umsetzung machen. — In Westeuropa organisieren die Länder der Eu- ropäischen Gemeinschaft einen gemeinsamen 3. Die Bildungspolitik wird sich in den nächsten Jah- Binnenmarkt, der die Freizügigkeit von Perso- ren — bei aller Unsicherheit von Prognosen — fol- nen, Waren, Dienstleistungen und Kapital zum genden weltpolitischen und weltwirtschaftlichen Ziel hat. Die europäische Integration ist erklär- Entwicklungen gegenübersehen, die bildungspoli- termaßen als „Europa der Bürger" angelegt, das tisch „bearbeitet" werden müssen: sich zu einer politischen Union weiterentwik- keln soll. Der Europäische Binnenmarkt will — Die Weltbevölkerung wird außerhalb der ent- sich ausdrücklich nicht nach außen abschotten. wickelten Industrieländer weiterhin stark zu- Deshalb muß im Prozeß der Integration auch nehmen. Nur 6 Mio. des derzeit über 90 Mio. eine Intensivierung der politischen und wirt- Menschen pro Jahr betragenden Wachstums schaftlichen Beziehungen zu den übrigen euro- (knapp ein Drittel der derzeitigen Bevölkerung päischen Ländern, zu den Ländern des Rates für der EG) werden außerhalb von Entwicklungs- gegenseitige Wirtschaftshilfe und zu den Län- ländern leben. Dies wird nach Angaben des dern in der Dritten Welt angestrebt werden. Bevölkerungsfonds der Vereinten Nationen dazu führen, daß die Weltbevölkerung von jetzt — Der Rückgang der Bevölkerungszahlen und die 5,2 Mrd. Menschen auf mindestens 8,5 Mrd. Veränderung der Altersstruktur in den Ländern Menschen im Jahre 2025 zunehmen wird. Ein so der Europäischen Gemeinschaft werden mögli- „geringes" Wachstum wird aber nur eintreten, cherweise erneut zur Anwerbung von Arbeits- falls die Fruchtbarkeitsrate in den Entwick- kräften aus dritten Ländern führen. lungsländern in den nächsten 30 bis 40 Jahren um ein Drittel sinkt. Wenn dies nicht eintritt, 4. Das Bildungssystem allein kann die beschriebenen kann die Weltbevölkerung in diesem Zeitraum Entwicklungen weder vorantreiben noch verhin- auch auf 10 Mrd. Menschen anwachsen. Dieser dern. Es kann jedoch junge Menschen wirksamer Zuwachs der Weltbevölkerung findet bei als bisher dazu erziehen, in ihrer individuellen Le- gleichzeitigem Bevölkerungsrückgang in der bensgestaltung die globalen, politischen, ökonomi- Bundesrepublik und rückläufigen Geburten- schen, ökologischen und sozialen Probleme und zahlen in vielen westlichen Industrieländern Lösungen zu berücksichtigen. Es kann die gesell- statt. schaftliche Akzeptanz aller Altersgruppen für mehr internationale Gerechtigkeit verbessern hel- — Der Bevölkerungsfonds der Vereinten Nationen fen. legt weiter dar, daß zur Verhinderung einer weiteren Verschärfung der Bevölkerungskrise Aus dem Einsetzungsbeschluß ergeben sich des- sofort Maßnahmen zum Sinken der Fruchtbar- halb die folgenden Fragen an die Bildungspoli- keitsrate ergriffen werden müssen. Er sieht ins- tik: besondere drei Einflußfaktoren: — Wie kann erreicht werden, daß junge Menschen O Gesundheit, einschließlich der Gesundheit lernen, Konflikte rational und friedlich auszu- der Kinder; tragen? O Information über und Zugang zu Familien- planungsleistungen — Welches Bild der weltwirtschaftlichen und welt- politischen Zusammenhänge muß vermittelt O und die Stellung der Frau in der Gesell- werden, um bei jungen Menschen die Fähigkeit schaft (die sich beispielsweise aus der recht- und die Bereitschaft zu entwickeln, internatio- lichen Stellung der Frau, ihrer Bildung, den nal bzw. global zu denken und zu handeln? Beschäftigungsmöglichkeiten und dem Heiratsalter ergibt). — Wie kann ihre Bereitschaft gestärkt werden, zu- gunsten der globalen Entwicklung auf Einkom- — Auch durch das anhaltende Bevölkerungs- mensanteile bzw. Konsum zu verzichten? wachstum verschärft sich die Armut in der Drit- ten Welt. Als Folge drohen weitere regionale — Welche individuellen Verhaltensweisen kön- Konflikte und zunehmender politischer Druck nen wie gefördert werden, um in unterschiedli-

Drucksache 11/5349 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode

chen Rollen als Erwachsener eigene Beiträge — Wie lassen sich berufliche Bildung und Hoch- zur Schonung der natürlichen Ressourcen lei- schulausbildung — zunächst im europäischen sten zu können? Binnenmarkt — stärker als bisher internationa- lisieren? — Wie können junge Menschen auf das Leben in einer zunehmend multikulturellen Gesellschaft 5. Dies sind zuallererst Aufgaben, die national — auf vorbereitet werden? Welche Möglichkeiten gibt allen Stufen und in allen Bereichen unseres Bil- es, Fremdenhaß und Ausländerfeindlichkeit bei dungssystems — gelöst werden müssen. Dazu bei- jungen Menschen gar nicht erst entstehen zu tragen können Pädagogen und Ausbilder, Bil- lassen? Welche Möglichkeiten gibt es, existie- dungs- und Berufsbildungsforscher, Konfliktfor- renden Fremdenhaß und Ausländerfeindlich- scher und Partnerschaftskomitees, Lehrerbildungs- keit abzubauen? und -fortbildungseinrichtungen, Volkshochschu- — Ist eine Internationalisierung der Bildungsin- len und alle Einrichtungen der politischen und kul- halte erforderlich? Was soll dabei wie gelernt turellen Bildung. Dazu beitragen müssen die Par- und erfahren werden (Institutionenkunde, Lan- teien, Vereine und Verbände, Stiftungen, Jugend- deskunde, Auslandsaufenthalte, Partnerschaf- organisationen und die Jugendhilfe. Dazu beitra- ten)? gen können Modellversuche, Forschungsförde- rungsprogramme und — neue — Programme zur — Wieviele und welche Fremdsprachen sollten Umsetzung der erforderlichen Innovationen in die von jedem jungen wie älteren Menschen ge- Praxis. lernt werden? Wann soll er sie lernen und wie soll er sie lernen? Zusammenwirken müssen dabei die Bildungspoli- — Welche zusätzlichen Bildungsprogramme sind tiker in Bund, Ländern und Gemeinden, die Bil- erforderlich, um Aussiedlern, Flüchtlingen und dungs-, Jugend- und Kulturpolitiker mit den Wirt- Langzeit-Asylbewerbern die berufliche Einglie- schafts-, Entwicklungs- wie Außenpolitikern. derung zu ermöglichen und nicht nur ihnen die Kultur unserer pluralistischen Gesellschaft zu Weder ist Bildung von anderen gesellschaftlichen vermitteln, sondern uns auch an dem von ihnen Teilbereichen zu trennen, noch kann sie auf sich mitgebrachten kulturellen Reichtum teilhaben allein gestellt wirksam zur Lösung der großen Pro- zu lassen? bleme unserer Zeit beitragen.

Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode Drucksache 11/5349

Anlage 1

Auszug aus dem Stenographischen Protokoll der 27. Sitzung des Deutschen Bundestages — 11. Wahlperiode — am 17. September 1987: Beratung des Antrags der Fraktion der SPD Einsetzung einer Enquete-Kommission

„ Zukünftige Bildungspolitik — Bildung 2000" — Drucksache 11/711 — und des Antrags der Abgeordneten

Hillerich und der Fraktion DIE GRÜNEN Einsetzung einer Enquete-Kommission — Drucksache 11/801

Vizepräsident Westphal:

Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 5: Kuhlwein (SPD): Herr Präsident! Meine sehr verehr- Beratung des Antrags der Fraktion der SPD ten Damen und Herren! Die SPD-Fraktion schlägt heute dem Deutschen Bundestag die Einsetzung einer Einsetzung einer Enquete-Kommission „Zu- Enquete-Kommission „Zukünftige Bildungspolitik — künftige Bildungspolitik — Bildung 2000" Bildung 2000" vor. Wir wollen in dieser Kommission — Drucksache 11/711 — die langfristig wirksamen gesellschaftlichen Faktoren Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: untersuchen, denen eine vorausschauende Bildungs- Ausschuß für Bildung und Wissenschaft (federführend) politik und alle im Bildungswesen Tätigen Rechnung Rechtsausschuß tragen müssen. Wir wollen klären, welche Verände- Ausschuß für Wirtschaft rungen in Bildungspolitik und Bildungspraxis not- Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung - Ausschuß für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit wendig sind, damit sich junge wie erwachsene Men- Ausschuß für Forschung und Technologie schen durch eine zukunftsträchtigé Erstausbildung und den Zusatztagesordnungspunkt 3: und Weiterbildung auf neue Herausforderungen in Beruf, Familie und Gesellschaft vorbereiten können. Beratung des Antrags der Abgeordneten Hille- rich und der Fraktion DIE GRÜNEN Das ist mit Sicherheit ein ehrgeiziges Unterfangen, Einsetzung einer Enquete-Kommission weil es einen ganzen Querschnittsbereich der Gesell- schaftspolitik auf den Prüfstand stellen, zukünftige — Drucksache 11/801 — Entwicklungen in vielen gesellschaftlichen Feldern Überweisungsvorschlag: prognostizieren und Vorschläge für Veränderungen Ausschuß für Bildung und Wissenschaft (federführend) von Strukturen, Inhalten und Finanzierungssystemen Rechtsausschuß im Bildungsbereich machen soll. Das wird nicht ein- Ausschuß für Wirtschaft Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung fach sein. Aber es handelt sich um eine Aufgabe, die Ausschuß für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit — wenn überhaupt — nur in der Form einer Enquete Ausschuß für Forschung und Technologie Kommission und nur vom Deutschen Bundestag gelei- auf. stet werden kann. Meine Damen und Herren, interfraktionell ist für Die Enquete-Kommission kann dabei an gute Tra- die gemeinsame Beratung dieser Tagesordnungs- ditionen der bundesdeutschen Bildungsgeschichte punkte eine Stunde vorgesehen. — Ich sehe keinen anknüpfen, etwa an den Deutschen Bildungsrat, der Widerspruch; dann ist das so beschlossen. 1965 zu Beginn der Bildungsexpansion zur Entwick- Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abge- lung von Reformkonzepten gegründet wurde oder an ordnete Kuhlwein. den Bildungsbericht '70 der sozialliberalen Bundesre-

Drucksache 11/5349 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode Kuhlwein gierung, in dem die Bildungspolitik an die Spitze der zwischen den Beteiligten im Bildungswesen humani- inneren Reformen gestellt wurde oder an den Bil- sieren wollte. Diese Grundsätze, meine Damen und dungsgesamtplan von 1973 und an den Entwurf seiner Herren, haben auch heute noch Gültigkeit, und sie Fortschreibung vom Dezember 1980. Immer h andelte sollten die Meßlatte darstellen, wenn wir das Erreichte es sich um Versuche, im Dialog von Wissenschaft und bewerten und Neues vorschlagen wollen. Politik bildungspolitische Antworten auf gesellschaft- Unbestritten dürfte dabei sein, daß die Bildungsex- liche Defizite und neue Herausforderungen zu fin- pansion als Ursache und Ergebnis der Reformphase den. eine erhebliche Veränderung der Bildungslandschaft Den Bildungsrat gibt es nicht mehr, die Bund-Län- bewirkt hat. Die Bildungsbeteiligung wuchs, wissen- der-Kommission für Bildungsplanung und For- schaftlich fundierte Inhalte verdrängten sogenannte schungsförderung darf keinen Bildungsgesamtplan volkstümliche Bildung, Unterricht und Strukturen mehr aufstellen, die Kultusministerkonferenz ver- wurden demokratischer, die Berufsausbildung wurde sucht, die tagespolitischen Konflikte zu bewäl tigen. stärker am Qualifikationsinteresse der Arbeitnehmer Aber auch wenn die beiden letztgenannten Gremien orientiert, die Hochschulen wurden ausgebaut und die Kraft fänden, eine gemeinsame Zukunftsperspek- demokratischer gestaltet. tive zu entwickeln, könnten sie die vom Parlament Aber manche der Ergebnisse werden heute ja nach verantwortete breit angelegte Volksdiskussion über politischem Standpunkt unterschiedlich bewe rtet. Ziele, Inhalte und Strukturen des Bildungssystems Kritik gibt es dabei von allen Seiten. Auf der Linken nicht ersetzen. Die Grundsätze künftiger Bildungs- macht sich Enttäuschung über die Stagna tion und politik dürfen nicht nur in Beamtenpapieren hin- und über fehlende Auswirkungen der Reform auf andere hergeschoben werden, sie müssen Thema der höch- gesellschaftliche Bereiche breit. Auf der Rechten — sten deutschen Volksvertretung werden. oder, wenn Sie so wollen, in der Mitte zwischen Union (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten und FDP — sind häufiger Klagen über ein Zuviel an der GRÜNEN) Expansion und Reformen zu hören. In beiden Lagern Dabei verkenne ich nicht, daß wir uns an der — wenn man diesen Begriff nach Ihrer Diskussion Schnittstelle mit originären Zuständigkeiten der Län- noch verwenden darf — macht sich jedoch auch Unsi- der bewegen. Ich will deshalb diejenigen beruhigen, cherheit breit, wie es denn weitergehen soll. Das ist die in einer solchen Enquete-Kommission einen An- angesichts der neuen technischen, ökologischen und schlag auf den Kulturföderalismus sehen. Wir halten sozialen Herausforderungen kein Wunder. Ich nenne sehr viel vom kooperativen Föderalismus in der Bil- dazu als Stichworte nur die ökologische K rise, die dungspolitik, so viel sogar, daß wir manchmal den technologischen Umwälzungen der Industriegesell- Druck nicht verstehen, mit dem eine Mehrheit in der schaft, die zunehmenden internationalen Verflech- Kultusministerkonferenz, voller Mißtrauen gegen- tungen, den Wertewandel, wie er sich beispielsweise über den bildungspolitischen Umtrieben der anderen im veränderten Sinnverständnis der Arbeit und der Seite, einer Minderheit ihr eigenes System aufzwin- Forderung nach mehr Selbstbestimmung in allen Le- gen will. bensbereichen zeigt, und in diesem Zusammenhang (Beifall bei der SPD) nicht zuletzt auch das gewachsene Selbstbewußtsein Wir wollen deri Länderinteressen durch ihre Einbe- der Frauen, die sich mit der tradierten Rolle in Bil- ziehung in die Arbeit der Kommission Rechnung tra- dung, Beschäftigung und Gesellschaft nicht mehr ab- gen. Aber ich stimme ausnahmsweise einmal mit der finden. derzeitigen Bundesregierung überein, wenn sie 1984 Die Gesellschaft reagie rt auf diese Herausforderun- in ihrem Bericht „Zur Sicherung der Zukunftschancen gen höchst widersprüchlich, und ebenso widersprüch- der Jugend in Ausbildung und Beruf" schreibt, in der lich ist häufig die Antwort der Bildungspolitik. Ich föderalistischen Ordnung des Grundgesetzes bleibe möchte dafür einige Beispiele nennen: die Wahrung und die Förderung eines Mindestmaßes Erstens. Das Angebot an Ausbildungsplätzen an Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse im Interesse stimmt immer weniger mit der Struktur des Arbeits- der Freizügigkeit, der Sicherung der Chancengerech- marktes überein. Hunderttausende von jungen Men- tigkeit — ich würde lieber Chancengleichheit sagen schen können mit dem in der Berufsausbildung Er- — im Bildungswesen und der Mobilität, insbesondere lernten wenig oder gar nichts anfangen. im Beschäftigungssystem, eine ständig neu zu lösende Aufgabe. Ich hätte dem zwar noch einige Argumente (Zustimmung bei der SPD) mehr hinzuzufügen, aber entscheidend scheint mir zu Die einen fordern als Konsequenz eine stärkere Ver- sein, daß nur auf Bundesebene die Verzahnung der koppelung von Ausbildung und Arbeitsmarkt, die an Bildungspolitik mit wichtigen anderen Politikberei- -deren sehen die Lösung eher in einer stärkeren Ent- chen wie Wirtschafts-, Arbeitsmarkt-, Sozialmarkt-, koppelung, um auf der Grundlage einer breiteren All Sozial-, Familien- und Technologiepolitik erfolgen -gemeinbildung besser auf Veränderungen in den Be- kann. rufen und am Arbeitsmarkt reagieren zu können. Die Enquete-Kommission wird zunächst Bilanz zie- Zweitens. Die Unsicherheit ist nicht nur in der Kul- hen müssen, nämlich die Bilanz einer Reformphase tusministerkonferenz groß, was denn unter veränder- der Bildungspolitik, die in den 60er Jahren begann ten gesellschaftlichen und technologischen Bedin- und bis in die Mitte der 70er Jahre reichte und die — gungen als notwendige Allgemeinbildung für alle damals von allen Bundestagsparteien mehr oder we- Menschen verstanden werden soll. Die Frage wird, niger getragen — Ungleichheiten abbauen, die Bil- wie Andreas Flitner in diesen Tagen nachgewiesen dungsinhalte reformieren, ein Mehr an Mitwirkung hat, noch schwieriger, wenn bestimmt werden soll, und Mitbestimmung durchsetzen und den Umgang welche Allgemeinbildung gleichzeitig auch Studier-

Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode Drucksache 11/5349 Kuhlwein fähigkeit bedeuten soll. Reicht der Fächerkanon des Siebtens. Übereinstimmung besteht inzwischen da- 19. Jahrhunderts, um die Wirk lichkeit des bevorste- hin gehend, daß nun auch junge Frauen das Recht auf henden 21. Jahrhunderts zu begreifen, oder muß der eine ordentliche Ausbildung haben. Wir hören das ja traditionelle Fächerkanon um a ll jene gut begründe- von allen Seiten, auch von der Regierungsbank. ten neuen Fächer erweitert werden, die sich die Ar- Frauen insge beitgeberverbände vorstellen? Oder etwas flapsiger: (Zuruf von den GRÜNEN: Kann einem Bundesbildungsminister einfach die A ll samt!) -gemeinbildung abgesprochen werden, weil er in ei- nem Rundfunktinterview den Autor von „Immensee" Dieses Recht ist noch längst nicht überall eingelöst. nicht nennen kann? Darf man es sich so einfach ma- Wie wollen wir eigentlich damit umgehen, daß gut chen, daß man Allgemeinbildung als klassische Bil- ausgebildete Frauen, die verstärkt auf den Arbeits- dung plus Informatik definiert? markt drängen, do rt erheblich schlechtere Chancen haben? Wie wird sich diese Erfahrung auf die nächste Drittens. Alle Seiten fordern mehr Allgemeinbil- Frauengeneration auswirken, die ja dann von Frauen dung, und dennoch werden junge Menschen oft schon erzogen wird, die in be trächtlichem Umfang mit dem, mit 15 oder 16 Jahren mit ihrem Anspruch auf Allge- was sie vorher zusätzlich gelernt haben, auf einem meinbildung alleingelassen, weil ein einziger Berufs- Arbeitsmarkt, der sie nicht haben will, gescheitert schultag pro Woche diesem Anspruch nicht gerecht sind? wird. Achtens. Die individuelle Ausbildungsförderung (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten erreicht heute nur noch eine Minderheit junger Men- der GRÜNEN) schen, obwohl wir uns doch alle darüber einig sind, daß es nicht nur aus Gründen der Chancengleichheit, Der Bundesbildungsminister hat dann ja auch noch sondern auch aus Gründen der wirtschaftlichen Ent- vorgeschlagen, Religion und Sport aus dem Berufs- wicklung und des Überlebens der Bundesrepublik er- schullehrplan zu streichen. Ist die frühzeitige berufli- forderlich ist, mehr junge Menschen besser und che Orientierung an Hauptschulen oder an Realschu- gründlicher auszubilden. Soll das Recht auf Ausbil- len eher ein Verlust oder eher ein Zuwachs an Allge- dung weiter in die Privatsphäre gedrängt werden, also meinbildung? Und warum wird dann diese Form der sozusagen privatisiert werden, oder wäre es nicht ge- Allgemeinbildung den Gymnasiasten auch in der rade geboten, die Lasten dafür von der ganzen Gesell- Oberstufe weitgehend vorenthalten? schaft tragen zu lassen, und zwar aus wirtschaftspoli- tischen, familienpolitischen und gesellschaftspoliti- Viertens. Die Ausbildungszeiten haben sich auf al- schen Überlegungen? len Stufen des Bildungswesens verlängert, und den- noch wird heute die Forde rung nach lebenslangem (Beifall bei der SPD) Lernen häufiger denn je erhoben und die entspre- chende Notwendigkeit häufiger denn je betont. Ist es Neuntens. Dem offiziellen Anspruch, gerade die vernünftig, die Erstausbildung immer weiter zu ver- rohstoffarme Bundesrepublik müsse in „Humankapi- längern — ich sage das bewußt vor allem in Richtung tal" investieren, steht eine restriktive Finanzpolitk auf das Studium — , wenn gleichzeitig einmal erwor- gegenüber, die sich auf Schule, Berufsbildung und Hochschule schon in den 90er Jahren verhängnisvoll benes Wissen einem immer schnelleren Verfallspro auswirken kann. Können wir es uns eigentlich leisten, zeß unterliegt? Kann die Konsequenz sein, Erfahrun- daß die Lehrerkollegien an den Schulen wegen des gen mit der Arbeitswelt auch für angehende Akade- Einstellungsstopps überaltern, und wollen wir eine miker in eine frühere Phase zu verlegen, und welche ganze Generation von Nachwuchswissenschaftlern organisatorischen Möglichkeiten sind dafür denkbar? - aus den Hochschulen auswandern lassen, um nur Muß nicht Studium stärker als bisher auch Weiterbil- zwei der dramatischsten Beispiele zu nennen, die dungsphasen nach einem ersten Abschluß mit einbe- deutlich machen, wie weit das Bildungswesen heute ziehen, oder wie weit muß oder darf die Spezialisie- finanziell in den Hintergrund gedrängt worden ist? rung in der Erstausbildung gehen? Zehntens. Die Erkenntnis setzt sich durch, daß wir Fünftens. Wie kann bei zunehmender Freizeit — auf einem immer enger werdenden Planeten nur im und sie wird zunehmen — verhindert werden, daß sich Miteinander überleben werden; in der Runde über die die Menschen in die passive Rolle von Nur-Konsu- andere Enquete-Kommission, die eben stattgefunden menten drängen lassen? Welche Bedeutung kommt hat, haben wir ja einiges darüber gehört. Gleichzeitig dafür dem sozialen Lernen und der musisch-kreativen wird in unserem Bildungssystem das Lernziel Solida- Bildung zu, wie kann wachsende Freizeit für mehr rität immer noch und immer wieder durch Ellenbo- Entfaltung der Persönlichkeit in Familie und Beruf, in genmentalität und Verdrängungswettbewerb gefähr- kulturellem Leben und Gesellschaft genutzt wer- det. den? (Frau Blunck [SPD]: Richtig! Leider wahr!) Sechstens. Wie erziehen wir eigentlich junge Men- schen zum sozialen Verhalten und zur Kommunika- Um es in diesem Zusammenhang auch einmal deut- tion mit anderen, wenn wir sie zu immer mehr tech- lich zu sagen: Boris Becker ist für uns nicht das geeig- nischer Kommunikation mit einem Leben aus zweiter nete Vorbild für unsere Jugend. Hand verführen? Lassen sich Kreativität und Selb- (Beifall bei der SPD und den GRÜNEN) ständigkeit entfalten, wenn Kinder fast nur noch mit elektronischem Spielzeug — so muß man schon sagen Ich hoffe, auch Sie auf der Rechten werden das nicht — operieren? bestreiten, denn man kann ja kaum sagen, daß je-

Drucksache 11/5349 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode Kuhlwein mand ein Vorbild ist, der mit seinen Steuern nach bedeutender, als die Zahl der Kollegen, die heute hier Monaco ausweicht. sind, das vermuten läßt. (Seiters [CDU/CSU]: Und was ist mit Steffi (Zuruf von der SPD: Kolleginnen!) Graf? — Wetzel [GRÜNE]: Aber seine Vor — Kolleginnen und Kollegen, natürlich. hand ist gut!) — Die Vorhand alleine macht noch kein Vorbild. Wir müssen uns nur fragen, Herr Kuhlwein, ob der Weg, den Sie gewählt haben, ein richtiger ist und ob (Beifall bei der SPD und den GRÜNEN) das vor allen Dingen auch einer ist, der Erfolg ver- Elftens. Viele sprechen heute davon, daß wir ein spricht. neues Verhältnis zur Natur lernen müssen, wenn wir Sie haben einen Artikel zu diesem Thema über- und unsere Kinder weiter existieren wollen. Unser Bil- schrieben: „Auf der Suche nach einem neuen Kon- dungssystem hat aber bisher kaum den Versuch ge- sens". Das war übrigens peinlicherweise gerade in macht, zu einer neuen Moral gegen die schrankenlose der Woche, als sich die Kultusminister in Mainz trafen, Ausplünderung der Natur und anderer Völker zu er- um einen letzten Versuch zu machen, in der Frage der ziehen. differenzierten Oberstufe einen neuen Konsens zu fin- (Beifall bei der SPD und den GRÜNEN) den, als sie alle sagten: „Den finden wir auch" und als Die Reihe der Widersprüche und offenen Fragen ein Senator aus Ihrer Partei diesen Konsens in letzter ließe sich noch lange fortsetzen, aber ich glaube, daß Minute noch einmal aufgekündigt hat. an diesen Fragen deutlich wird, wie notwendig es ist, (Beifall bei den GRÜNEN) einen neuen bildungspolitischen Konsens zu suchen. Nur dann wird es, wie in den späten 60er und frühen Ich sage das nur deshalb, weil das ein Beispiel für 70er Jahren möglich sein, in der Bildungspolitik einen die Schwierigkeiten ist, denen wir uns gegenüberge- größeren Schritt nach vorn zu machen. Dabei bin ich stellt sehen. mir im klaren darüber, daß diese Konsensfindung Ich wollte Sie fragen, ob Sie sich nicht eigentlich zu nicht ganz einfach sein wird, weil es manchmal auch viel vornehmen, oder wir uns a lle, wenn wir die Korn- ideologisch sehr verhärtete Positionen in den ver- mission gründen, nicht zu viel vornehmen, nämlich da schiedenen Lagern, sage ich noch einmal mit a ller einen Konsens zu finden, wo es ihn in manchen Fra- Vorsicht, gibt. Aber ich glaube, daß sich dieser Ver- gen scheinbar oder tatsächlich nicht gibt. such immer lohnt. Wir haben deshalb das Verfahren Die Kritik an dem Antrag hat also zunächst zwei gewählt, unseren Einsetzungsantrag vor der endgülti- Seiten. Ich möchte eine inhaltliche und eine formale gen Einsetzung der Kommission in den Ausschüssen Kritik vortragen, die formale zuerst. Sie gehen in Ih- zu beraten. Ich stelle zu meinem Vergnügen fest, daß rem Antrag sehr weit, was die Gesetzgebungskompe- die Fraktion DIE GRÜNEN mit einem eigenen Antrag tenz des Bundes und der Länder in diesem Bereich bereits die ersten Schularbeiten gemacht hat. angeht. Nach dem Selbstverständnis des Bundestages (Frau Hillerich [GRÜNE]: Danke schön!) gibt es für viele Fragen, die Sie anschneiden, keine Ich hoffe, daß auch die Koalitionsfraktionen in den Kompetenz des Hauses. Wir müssen uns also im Aus- nächsten Wochen konstruktiv mitarbeiten, damit wir schuß darüber verständigen, was wir tatsächlich klä- zu einem Einsetzungsantrag kommen, der von allen ren wollen, klären sollten, was wir klären dürfen und Seiten des Hauses getragen wird. wo wir möglicherweise die Schwerpunkte anders set- zen können. Wir haben deshalb auch vorgeschlagen, Herzlichen Dank. daß wir den Rechtsausschuß zusätzlich zu den ande- (Beifall bei der SPD) ren Ausschüssen, die- Sie genannt hatten, um Prüfung bitten, was denn tatsächlich unser Kompetenzbereich Vizepräsident Westphal: Das Wort hat der Abgeord- ist. Ich hoffe, daß das dann klar ist und daß wir uns nete Daweke. dann politisch darauf einigen können, die Themen zu nennen, die tatsächlich unsere Themen sind, und die sind in der Tat ausreichend. Daweke (CDU/CSU) : Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich will mich erst bei meinem Kollegen Das Bundesverfassungsgericht hat einmal gesagt, daß das Kernstück der Eigenständigkeit der Länder Kuhlwein dafür bedanken, daß er immer da, wo er die die Kulturhoheit sei. Heute ist der Tag, an dem vor politische Mitte beschrieben hat, mir nicht nur tief in 200 Jahren die amerikanische Verfassung in Kraft ge- die Augen geblickt, sondern auch noch durch Gesten mit der Hand klargemacht hat, wo er diese Mitte ver- treten ist, auch eine Verfassung mit föderalistischer ative zum starken Zentralstaat ist mutet. Ich wollte auch meinen Geschäftsführer bitten, Struktur. Die Altern ja eben der Dialog und der Kompromiß zwischen den das der obersten Heeresleitung mitzuteilen. Das kann Einzelstaaten. Sie sagen, genau das wollen wir leisten, nur gut sein. wir wollen diesen Prozeß fördern. Ich denke, man (Wetzel [GRÜNE]: Auch Herr Kuhlwein muß, wenn man an den föderativen Staat glaubt, die kann sich irren!) Länder in ihrer Bedeutung mit einbeziehen. Wollen — Gut, aber in diesem Falle hat er recht. Das wollte ich Sie das auch? Sie sagen beispielsweise in Ziffer I.3 nur festhalten. Ihres Antrags: Meine Damen und Herren, ich wi ll zunächst für die In Wahrnehmung der gesamtstaatlichen Verant- Union sagen, daß wir jede Ini tiative begrüßen, die die wortung für die Entwicklung der Bundesrepublik Bildungspolitik in einen größeren Zusammenhang Deutschland soll die Kommission auch auf den stellt, der ihre Bedeutung unterstreicht. Sie ist viel Sachverstand der Länder zurückgreifen.

Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode Drucksache 11/5349 Daweke Ich glaube, wenn man es so sagt, dann macht man Ländern und innerhalb der Länder geben, ist immer den Ländern deutlich, daß sie sozusagen ein Anhäng- genauso groß, wie ihn die Politiker lassen. Insofern ist sel des Bundes sind. Das sind sie aber nicht; sie sind das auch eine Kritik an uns selbst: Wenn wir mehr freie Partner. Deshalb sollten wir am besten nicht auf gestalten, wird der Spielraum für diese Gruppe — ich sie zurückgreifen, sondern sollten uns bei unseren habe das nicht als Beschimpfung aufgefaßt — bezüg- Untersuchungen auf unsere eigenen Aufgaben be- lich des Verwaltungsbereichs geringer. schränken. Der andere Vorwurf lautet, diese Gremien seien zu Das bezieht sich beispielsweise nicht — um auf den sehr von der Tagespolitik bestimmt. Was sollen wir Antrag der GRÜNEN einzugehen — auf die Schul- denn tun? Wird es gelingen — wenn das die Hoffnung angst und den Schulalltag. Wir sind nicht nur nicht wäre, müßte man sie sehr schnell zurückziehen — , die zuständig, sondern wir verheben uns auch, wenn wir neuen großen Visionen wie in den 60er Jahren zu solche Dinge mit untersuchen. beschreiben? Ich glaube nicht, daß uns das gelingen kann. Wir werden Vorschläge machen müssen zu ei- Ich finde, die Kompetenzen des Bundes sind für ner Reparatur am laufenden Motor. Die Bildungspoli- Untersuchungsaufträge, die wir uns selbst stellen tik hört nicht auf und wartet, was hier passiert. Sie können, bei weitem ausreichend. Denken Sie an die stellt den Motor nicht für zwei Jahre ab und sagt berufliche Bildung, an die Ausbildungsförderung, an anschließend: Jetzt haben wir es aber. die Grundsätze des Hochschulwesens, an die For- schungsförderung. Ich nenne auch Dinge, die Sie (Wetzel [GRÜNE]: Der Motor stottert! Er läuft nicht genannt haben, wie das Dienstrecht oder die nicht mehr!) gesamten europäischen Fragen, die aus den anderen — Es stellt sich ja gerade die Frage, wie man gestal- Ländern Europas auf uns zukommen und große Aus- tend in ein System eingreifen wi ll, das sich mit einer wirkungen auch im gesamten Bildungswesen der Eigendynamik fortsetzt. Bundesrepublik Deutschland haben. Die finanziellen Vorgaben werden wir in der Kom- Das ist zunächst aus meiner Sicht die Kritik an dem mission auch nicht ändern können. Insofern gibt es Ansatz, den Sie wählen. Die Kritik mündet vor allen sehr große Lücken zwischen dem, was wünschens- Dingen in die Frage, wie Sie es mit der Verfassung wert ist, und dem, was machbar ist. unseres Landes halten. Ein anderer Kritikpunkt an Ihrem Antrag bezieht Zu den Inhalten möchte ich einige Bemerkungen sich auf einige Widersprüchlichkeiten. Ich nenne nur bezüglich dessen machen, was mir auf den ersten einmal folgendes. Sie sagen — das haben Sie eben Blick an Ihrem Antrag aufgefallen ist. Das eine ist, daß auch wiederholt — in einem Artikel zu der Enquete wir aufpassen müssen, daß wir nicht die Arbeiten von Kommission, daß gerade bei der Frage Allgemeinbil- anderen Gremien, die eingesetzt sind und genau das dung und deren Stellenwert sehr häufig ideologische leisten wollen, was Sie fordern, nämlich koordinie- Diskussionen ausbrächen. D ann sagen Sie: Ziel ist rend tätig zu sein, wiederholen. Die Bund-Länder- aber, den Konsens zu finden. Und bei der Untersu- Kommission für Bildungsplanung führt beispiels chung der Frage, ob dieser anzustrebende Konsens weise seit Jahren Untersuchungen über die Frage Bil- nicht dazu führen muß, daß man möglicherweise seine dung und Bildungssysteme sowie über die Übergänge Grundposition verändert, sagen Sie — wahrscheinlich durch. Dort kann man eine Menge Sachverstand ab- zur Beruhigung der rein SPD-regierten L ander Saar- rufen. land und Bremen — Ich finde, Sie dürfen auch nicht den Eindruck ent- (Kuhlwein [SPD]: Wir kriegen bald wieder stehen lassen, als seien das sozusagen Gremien, die - eins dazu!) ihre Arbeit nicht getan hätten. Sie können in der Kul- tusministerkonferenz alles darüber erfahren, wel- dem Beigeordneten für das Bildungswesen in Bre- chen Stellenwert die Allgemeinbildung heute hat. Der men: Paß mal auf, du brauchst dich gar nicht weiter Streit in der Kultusministerkonferenz, über den ich aufzuregen; es wird nämlich so sein, daß wir unsere berichtete, ist ja gerade ein S treit über die Frage, wel- Grundposition gleichzei tig wahren. chen Stellenwert die Allgemeinbildung hat und wie Also angestrebt ist die Überbrückung von Ideolo- man sie definiert. gie, ein neuer Konsens bei Beibehaltung der Grund- Es gibt ein Koordinierungsgremium, das bei Ihnen position. überhaupt nicht vorkommt, nämlich der Hauptaus- (Zuruf von den GRÜNEN: Nennen Sie die schuß des Bundesinstituts für Berufsbildung in Berlin. Grundposition, und sagen Sie, was Sie dage In ihm sind der Bund, die Länder, Arbeitgeber und gen haben!) Arbeitnehmer in bezug auf die Berufsbildung koordi- Ich weise nur darauf hin, daß das eine große Schwie- nierend tätig. Es handelt sich um ein sehr gut funktio- rigkeit ist, die wir sehen müssen. Ich mache Sie nur nierendes Gremium. Dort können wir sehr viele Infor- auf diesen Widerspruch aufmerksam. mationen abrufen. Ich meine, das sollte man nicht wiederholen. Ich finde auch, daß Ihre Kritik nicht angebracht ist. Vizepräsident Westphal: Herr Abgeordneter, ge- Sie erklären — das haben Sie hier eben noch einmal statten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten als Verteidigung angeführt — , daß diese Gremien Kuhlwein? weitgehend von Beamten bestimmt seien. Ich will nur darauf hinweisen: Der Spielraum, den Sie den Beam- ten in dieser Grauzone zwischen dem Bund und den Daweke (CDU/CSU): Bitte sehr.

Drucksache 11/5349 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode

Kuhlwein (SPD): Herr Kollege Daweke, haben Sie siert würden, die in der EG erhoben werden. Das sind einmal die Definition gehört, daß Ideologie falsches wichtige Themen, die ich gerne noch anfügen Bewußtsein sei? möchte. Ich darf zusammenfassen. Wir wollen in Ihrem An- Daweke (CDU/CSU): Ja, aber immer nur die Ideo- trag einiges streichen, insbesondere die Sachen, die logie des anderen. Das scheint mir die Schwierigkeit uns nichts angehen. Wir werden umformulieren, so deutlich zu machen. daß wir den Auftrag realistischerweise erfüllen kön- nen. Wir werden dort etwas ergänzen, wo wir es für Der nächste Punkt von mir wäre die Frage, ob wir nötig halten. Aber wir wissen halt, daß Sie das Recht nicht zusätzlich ein paar Themen einbringen sollten haben, eine solche Enquete-Kommission einzusetzen. — ich habe eben schon einmal kurz darauf hingewie- Deshalb werden wir auch konstruktiv in ihr mitwir- sen — , die Sie überhaupt nicht ansprechen. Ich nenne ken. nur noch einmal ein Beispiel: das gesamte Dienst- recht, etwa die Rahmenvorgaben für die Besoldung. Ich darf zum Schluß vielleicht noch kurz aus einem Man muß doch einmal feststellen — das wird man als Buch zitieren — damit Sie sehen, wie aktuell Ihr Bildungspolitiker wohl einmal sagen dürfen — , daß Thema ist — , über neue Bildungspolitik. Das war zu- z. B. so eine Einrichtung wie der BAT und freies For- fällig ein Jahr vor der Bundestagswahl, 1976, erschie- schen eigentlich nicht zusammenpassen. Das kriegt nen. Herausgeber war Be rnd Vogel, mit Beiträgen von man gar nicht hin. Denken Sie an die Notwendigkeit, Kohl, Biedenkopf und anderen. hinsichtlich der Arbeitszeit flexibel zu sein. Sie kön- Bernd Vogel schreibt auf dem Cover: nen doch nicht die Labors plötzlich um 17.15 Uhr Der zunehmend enger werdende Spielraum der schließen. Oder denken Sie an die Schwierigkeiten, öffentlichen Finanzen und unüberbrückbare die Studenten heute haben — sie berichten einem Kontroversen über die Bildungsziele und Bil- auch davon — , weil Universitätsbibliotheken nach dungsinhalte, über die Zukunft der beruflichen dem öffentlichen Dienstrecht organisiert sind. Das Bildung, der Schule und Hochschulen signalisie- paßt eigentlich nicht zusammen. Wenn wir uns auf die ren eine Veränderung der Bildungslandschaft. Themen beschränken wollen, die uns angehen, dann Bildungspolitischer Fortschritt verlangt es wohl, geht uns, finde ich, das Dienstrecht sehr viel an. ein neues, überlegtes Konzept, das den Men- Ich bin daher der Meinung, daß wir das einbringen schen in den Mittelpunkt stellt, zu erarbeiten. sollten ; denn das Dienstrecht und das Beamtenbesol- Ich war mir nicht ganz sicher, als ich das gestern gele- dungsrecht haben große Auswirkungen auf die zu- sen habe, ob das nicht ein Satz ist, den ich bei Ihnen künftige Bildungspolitik. wiedergefunden habe. Es ist ein Satz, der fast so bei Ich rechne dazu z. B. auch die Frage, deren Beant- Ihnen steht. Ich trage das hier nur vor, damit wir uns wortung mich interessiert : Ist demnächst, wenn sich darauf besinnen, daß den Anspruch, solche Konzepte Firmen, Hochschulen und Schulen um die sehr weni- zu erarbeiten, auch unsere Vorgänger erhoben haben. gen Leute kümmern, die es in diesen Jahrgängen gibt, Die Erfolgserlebnisse, die sie hatten, waren nicht so, noch der Wettbewerb durchzuhalten — die Post be- daß wir uns mit zu viel Euphorie in diese Arbeit stür- richtet, er sei nicht durchzuhalten — angesichts der zen sollten. Ich sage aber noch einmal: Wir werden Besoldungen, die die Indust rie bietet, und der Besol- uns konstruktiv an ihr beteiligen. dungen, die beispielsweise die Bundespost jungen Schönen Dank. Ingenieuren bieten kann? Das ist doch eine wich tige Frage. Unter welchen Marktbedingungen wird sich (Beifall bei der- CDU/CSU und der FDP) das demnächst abspielen? Ich finde schon, daß das auch Rückwirkungen auf Bildung 2000 hat. Vizepräsident Westphal: Das Wort hat die Abgeord- Ein anderes Thema — auch das habe ich eben nete Frau Hillerich. schon kurz erwähnt — betrifft die Europapolitik. Wir wollen kürzere Schul- und Ausbildungszeiten. Die Europäer um uns herum haben alle kürzere Ausbil- Frau Hillerich (GRÜNE): Herr Präsident! Meine Da- dungszeiten außer bei Fachhochschulen. Also ma- men und Herren! Im Hinblick auf einen enormen Be- chen wir bei Fachhochschulen einen Krampf und ad- darf an grundsätzlicher Beratung und Auseinander- dieren zu den drei Jahren Ausbildung, die dort Pflicht setzung über unser Bildungswesen und über die ge- sind, noch künstlich Praktikazeiten, um auf die vier genwärtige und künftige Bildungspolitik gibt es Kon- Jahre zu kommen, damit ein deutscher Fachhoch- sens auch für die Bundestagsfraktion der GRÜNEN — schulingenieur Anerkennung findet in Frankreich wo hier so viel von Konsens die Rede ist. Daher begrü- und in England, wo es im Prinzip, de facto kürzere ßen wir die Initiative der SPD-Bundestagsfraktion zur Ausbildungszeiten gibt, wo es aber eben vier Jahre Einsetzung einer Enquete-Kommission. Dennoch ha- Ausbildung im Schnitt gibt, die dort grundsätzlich ben wir einen eigenen Antrag eingebracht, nicht nur, auch eingehalten werden. weil wir den im SPD-Antrag angesetzten Zeitraum für Die Frage der Äquivalenz von Abschlüssen stellt völlig unzureichend halten, sondern vor allem, weil sich. Was muß passieren, um die Anerkennung von wir eine grundsätzlich andere Ausrichtung von Bil- deutschen Abschlüssen in den Ländern der EG zu dungspolitik für nötig halten, als sie in Ihrem Antrag, erreichen? Oder etwa die Frage: Ist ein Sozialrecht liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, vorge- wie das BAföG auch auf EG-Ausländer übertragbar, nommen wird. die hier studieren? Es würde uns finanziell sofort aus Aufschlußreich für Ihr Verständnis von Bildungs- dem Sessel werfen, wenn etwa Forderungen reali politik sind die Passagen in Ihrem Antrag, wo Sie aus

Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode Drucksache 11/5349 Frau Hillerich dem wirtschaftlichen Strukturwandel und dem tech- und unterbezahlte Arbeiten abgedrängt werden. — nischen Innovationsprozeß auf eine — ich zitiere — : Und dies trotz allem, was ihnen auf Grund einer über- aus ungerechten Arbeitsverteilung zwischen Män- rtschaft vom wachsende Abhängigkeit der Wi nern und Frauen an Leistung abgefordert wird und „Produktionsfaktor persönliche Qualifikation" trotz einer vergleichsweise höheren Bildungsmotiva- schließen, die an den „Arbeitnehmer" — haben Ihre tion und durchschnittlich besserer Zeugnisse und Kolleginnen da nicht aufgepaßt?: die „Arbeitneh- Schulabschlüsse. merin" kommt nicht vor! — und an das „Manage- ment" neue Anforderungen stellen. Das ist keine Bil- Meine Damen und Herren, es liegt schon ein tiefer dungspolitik, das ist Personalpolitik in der großen Sinn darin, daß unsere I-Männchen und -Frauchen Firma Bundesrepublik Deutschland. über den Schulanfang vorsorglich mit einer Schultüte hinweggetröstet werden. Aber so viel Zuckerbrot gibt (Beifall bei den GRÜNEN) es trotz aller Anstrengungen der einschlägigen Indu- Als ich dann noch las, daß die Enquete-Kommission strie nun doch nicht, um den Kindern und Jugendli- den „Personalbedarf" aufzeigen soll, habe ich mich chen das versüßen zu können, was sie dann in unseren erst noch einmal vergewissert, ob ich nicht vielleicht Schulen erwartet. doch einen Leitartikel aus der Zeitschrift „manage- (Beifall bei den GRÜNEN) ment" vor Augen habe. Es mag ja sein, daß Sie hierin Konsens mit unserem Statt um freie Entfaltung geht es da knallhart um meß- Bildungsminister, Herrn Möllemann, haben, für den bare Leistung, um Selektion. ,Fordern statt Fördern' Bildungspolitik im Grunde nichts anderes bewerkstel- heißt da die Parole. Unsere Neun- bis Zehnjährigen ligen soll als die Anpassung menschlicher Fähigkei- werden sortiert in Kluge, weniger Kluge und angeb- ten und Haltungen an wirtschaftliche und technologi- lich eher praktisch Begabte, ganz zu schweigen von sche Erfordernisse. Nur, während Herr Möllemann denen, die noch immer in Sonderschulen abgescho- dies weitgehend dem freien Spiel der Marktkräfte ben werden, es sei denn, sie haben das nur wenigen überlassen will, liegt Ihnen das technokratische Ma- beschiedene Glück, eine Gesamtschule oder wenig- nagement als staatliches Handlungsmuster näher. stens noch für kurze Zeit eine Orientierungs- oder För- derstufe zu besuchen. Noch immer ist Schule geprägt Unserer Auffassung nach sollte Konsens in der Bil- von Zensuren und Konkurrenzdruck. Seine Folgen dungspolitik dahin gehend bestehen, daß — er- sind Schulangst und Entmutigung. Das ist die Peit- stens — den Bildungsbedürfnissen und -ansprächen sche, die über dem Zuckerbrot geschwungen wird. aller Menschen in unserer Gesellschaft Geltung zu verschaffen ist; daß zweitens das Anliegen von Bil- Noch einige Worte zur Schule selbst, meine Damen dung die Entfaltung der Persönlichkeit in allen Le- und Herren: Der ‚Nürnberger Trichter' hat noch nicht bensbereichen ist, und drittens halten wir es für not- ausgedient, ja, er ist nach wie vor das beliebteste Re- wendig, daß Bildungspolitik allen Herausforderungen quisit, und sei es in seiner modernen Gestalt als Com- begegnet, die menschliches Überleben und menschli- puter oder programmierter Unterricht. Nicht Faulheit ches Miteinander gefährden, bedrohen und ein- und Rechtschreibschwäche, Herr Minister Mölle- schränken. mann, sind die Hauptprobleme des Schulalltags, son- dern gähnende Langeweile und der allseits verbrei- (Beifall bei den GRÜNEN) tete Motivationsmangel. Wenn wundert's, denn nicht Entsprechend dieser Ausrichtung von Bildungspoli- entdeckendes Lernen, nicht Handlungs- und Pro- tik will unser Antrag die Aufgaben einer Enquete- blemorientierung, nicht fächerübergreifender oder Kommission begreifen. Ich möchte dies an einigen Projektunterricht, nicht ganzheitliches, selbstbe- Beispielen verdeutlichen. Den Bildungsbedürfnissen stimmtes Lernen sind angesagt. Statt dessen sollen und -ansprächen aller Menschen in unserer Gesell- neuerdings die alte Paukschule wiederbelebt, Elite- schaft Geltung zu verschaffen heißt für uns GRÜNE förderung fordert und fortschrittliche Schulversuche vor allem anderen: Parteinahme für diejenigen, denen abgewürgt werden — und dies nach ca. 70 Jahren das Grundrecht auf umfassende und selbstbestimmte Schulreformdiskussion und gegen den Rat und das Bildung, allem Gerede von Chancengleichheit zum Engagement vieler Pädagoginnen und Pädagogen. Hohn, immer noch nicht in vollem Umfang zugestan- den wird; Parteinahme für all diejenigen, die nicht in Bildung ist mehr als bloßes Eintrichtern von Wissen, den Genuß der für andere reservie rten Bildungsprivi- ist auch mehr als unkritische, anpasserische Berufs- legien kommen und die heute unter dem zynischen orientierung. Eine umfassende, praktisch umgesetzte Etikett „Benachteiligte" allenfalls einer nachträgli- und theoretisch reflektierte Arbeitsorientierung in al- chen Sonderbehandlung ausgesetzt werden. len Schulformen und -stufen ist dagegen notwendiger Bestandteil einer allseitig entwickelten Allgemeinbil- So muß auch hier wieder laut und deutlich gesagt dung. werden: Es ist ein Skandal, daß heute immer noch Frauen und Mädchen in Schule und Hochschule, in Dies setzt allerdings einen veränderten Arbeitsbe- Berufsausbildung und Weiterbildung ihr selbstver- griff voraus, einen, der wirklich alle Arbeit einbezieht, ständliches Grundrecht auf freie und gleichberech- also neben der Erwerbsarbeit auch die Haus- und tigte Teilnahme nur eingeschränkt wahrnehmen kön- Erziehungsarbeit, unbezahlte Sozialarbeit und vielfäl- nen, daß sie unter dem Druck männlicher Konkurrenz tige Formen unbezahlter, selbstbestimmter Eigenar- und im Zeichen einer — auch bildungspolitischen — beit. Ein auf die Produktion von Qualifikation redu- Wende immer offener ins Heim und an den Herd zu- ziertes Bildungssystem hat mit Bildung nichts mehr rückverwiesen oder in unqualifizierte Ausbildungen gemein.

Drucksache 11/5349 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode Frau Hillerich Eine der Herausforderungen, denen Bildung und reichen unterschiedlichen Kompetenzen entwirrt und Bildungspolitik unbedingt begegnen müssen, ist bei entzerrt und Reglementierungen abgebaut werden, den jüngsten Wahlen in Bremen und Bremerhaven daß Raum und Luft, allerdings auch finanzielle Mittel durch den erschreckend hohen Stimmenanteil von für freie Initiativen bleiben, die Neues ausprobieren neofaschistischen Gruppierungen deutlich geworden. und Impulse geben können. Dies ist kein Problem nur von Randgruppen oder etwa Ich danke Ihnen. eines, dem mit einem auf Institutionenkunde verkürz- ten Politikunterricht an den Schulen zu begegnen (Beifall bei den GRÜNEN) wäre. Das muß sehr viel umfassender geschehen. Auch in der Bildungspolitik müssen wir uns fragen, Vizepräsident Westphal: Das „kommen" in dem Be- was Bildung nach Auschwitz ist. Ich möchte hierzu griff „Ich komme zum Schluß" muß immerhin eine einige Sätze aus einem Aufsatz des Berliner Erzie- ganz schöne Entfernung überwinden. hungswissenschaftlers Professor Ulf Preuß-Lausitz zi- Jetzt hat der Abgeordnete Neuhausen das Wo rt. tieren. Er sagt: Auschwitz meint ... die Erfahrung, daß eine in- Neuhausen (FDP): Herr Präsident! Meine sehr ver- dustrielle Gesellschaft mit einem hohen formalen ehrten Damen und Herren! Der heute vorliegende Bildungsniveau industriellen Massenmord und Antrag auf Einsetzung einer Enquete-Kommission systematische Ausgrenzung mehrerer Bevölke- reiht sich in die Bemühungen um eine Belebung rungsgruppen aus dem Alltag organisiert und of- neuer, breiter bildungspolitischen Diskussionen ein, fenbar weitgehend gebilligt hat. Auschwitz, das wie sie von dem Bundesbildungsminister Möllemann Ausgrenzungs- und Existenzvernichtungspro- schon in seiner Ansprache vor dem Bundestagsaus- jekt, ist von der technischen Elite direkt vorberei- schuß für Bildung und Wissenschaft im Mai dieses tet und durchgeführt worden.... Klassischbür- Jahres angeregt wurden. Das ist ausdrücklich zu be- gerliche Bildung schützte offenkundig nicht vor grüßen. Friedensfeindlichkeit, Ausgrenzungsbereitschaft Ihr Antrag knüpft — das meine ich sehr im Ernst und Vernichtungswillen. und bitte zuzuhören — an die Ausführungen an, die Preuß-Lausitz zufolge liegt das auch daran, daß sich sagen, daß der Stellenwert von Bildungs- und Wis- bürgerliche Bildung nicht als gesellschaftlich eingrei- senschaftspolitik im Kontext der Bundespolitik wie- fend versteht, weil in ihrem Konzept die „Abspaltung der deutlicher werden sollte und daß wir gemeinsam der Handlungs- und Gesellschaftsebene und damit klarmachen müssen, welche Bedeutung beide Berei- der Moral", der gesellschaftlichen Verantwortung, che für die Aufgaben des Bundes haben und wie um- angelegt ist. Dies gilt ebenfa lls für den heute noch gekehrt Maßnahmen des Bundes, die er in seiner ei- verbreiteten bruchlosen Glauben an Fortschritt, tech- genständigen Zuständigkeit trifft, auf Bildungs- und nische Beherrschung und abstrakte Rationalität. Ge- Wissenschaftspolitik der Länder zurückwirken. Denn rade in unserer Gesellschaft sind Bildung und Erzie- nur beides entspricht dem Beg riff des kooperativen hung nach Auschwitz — ich zitiere noch einmal Föderalismus. Preuß-Lausitz — Nun möchte ich gleich zu Anfang an eine Bemer- daran zu binden, daß das Abweichende, das Be- kung anknüpfen, die Klaus Daweke gemacht hat. Wir sondere und das Fremde nicht als Bedrohung er- haben uns überhaupt nicht abgesprochen. Aber der lebt, sondern als Bereicherung erfahren wird. Blick fällt auf die gleichen Textpassagen. Sosehr ich (Beifall bei den GRÜNEN) den Hinweis auf die gesamtstaatliche Verantwortung des Bundes unterstütze,- so wenig förderlich erschiene Vizepräsident Westphal: Frau Abgeordnete, Sie es mir, neue Pendelschläge bei dieser Gelegenheit im müssen zum Schluß kommen. Verhältnis Bund/Länder in Gang zu setzen, die immer dadurch gekennzeichnet sind, daß einmal dem Bund Frau .Hillerich (GRÜNE): Ich komme zum Schluß. — überspitzt gesagt — jede Zuständigkeit für Bildung abgesprochen wird und dann wieder — wie sich aus „Erziehung nach Auschwitz hat aber auch den Zu- einer vielleicht mißverständlich aufgefaßten Passage sammenhang von Rationalität und Inhumanität zu re- herauslesen ließe — nur noch vom Sachverstand der flektieren. " Länder die Rede ist und nicht mehr von ihrer Kultur- Weitere Herausforderungen, die unser Überleben hoheit. Ich meine, daß eine klare Berücksichtigung und Miteinanderleben bedrohen und denen sich un- der Zuständigkeiten und Möglichkeiten dem Auftrag, ser Bildungswesen stellen muß, finden Sie in unserem dem sich diese Enquete-Kommission stellen wi ll, nur Antrag. Ich hoffe sehr, daß sich auch die anderen förderlich sein könnte. Fraktionen ihrer Aufnahme in den Arbeitsauftrag der Eine zweite Bemerkung. Die Bezeichnung „Bildung Enquete-Kommission nicht verschließen werden. 2000" weist — sie ist wohl ernst gemeint — darauf hin, daß es sich um perspektivische Untersuchungen han- Vizepräsident Westphal: Nun müssen Sie zum deln soll. Der Antrag der SPD spricht — Herr Kuhl- Schluß kommen. Das war doch ein guter Schlußsatz. wein hat es eben wieder getan — von „langfristig wirksamen gesellschaftlichen Faktoren", von einer Frau Hillerich (GRÜNE): Noch einen Satz. — Über „vorausschauenden Bildungspolitik". Das ist allge- eines muß sich die Enquete-Kommission allerdings mein, aber richtig, und muß bedeuten, daß die Unter- klarwerden: Staatliches H andeln im Bildungswesen suchung der Enquete-Kommission natürlich unmittel- sollte nicht zu einer weiteren Verrechtlichung und bares Regierungs- und parlamentarisches H andeln Reglementierung führen. Vielmehr müssen die zahl nicht ersetzen kann, aber auch die Arbeit der koope-

Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode Drucksache 11/5349 Neuhausen rativen Instrumente der Bildungspolitik nicht, der Presseverlautbarungen der Bildungspolitiker der Kultusministerkonferenz, Bund-Länder-Kommission, SPD, wie „Schlunzerei", Wissenschaftsrat — ich brauche nicht aufzuzählen, (Kuhlwein [SPD]: „Schlunzerei" stammt was hier schon gesagt ist. Sie darf auch nicht als War- doch von Herrn Möllemann! Das haben wir tesaal für kurz- oder mittelfristig zu lösende Fragen nur wiederholt!) dienen. „Flop", „geradezu wahnsinnig", „Fiasko", „gro- Ich versage es mir, bereits jetzt und hier auf Einzel- ße Klappe", „kabarettreif", „zynisch", „Schnell- heiten des Textes einzugehen. Dazu wird in den Aus- schüsse", „unfähig", „Scheitern", „Politschwabbelei" schußberatungen Zeit und Gelegenheit genug sein. — vorige Woche — , diesem hohen Anspruch gerecht Denn der Text enthält natürlich eine Reihe von Fest- wird, muß bezweifelt werden; denn in dem erwähnten stellungen — die ich jetzt einmal als Begründung Papier wird gefordert, daß Kritik von dem Versuch nehme — , mit denen wir übereinstimmen. In m an getragen sein sollte, sich zunächst in die Logik der -chen anderen Formulierungen ist praktisch das Unter- anderen Seite hineinzudenken. Dann ist in diesem suchungsergebnis schon wie vorweggenommen. Das Papier davon die Rede — Herr Kuhlwein, hören Sie gilt in besonderem Maße für den Text des Antrags der einen Augenblick zu — , daß, wer diesen Versuch un- GRÜNEN. ternehme, sich nicht in aggressiver Polemik er- schöpfe. Wir haben das eben gehört: Eine ganze Reihe von (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Themen, die Sie angesprochen haben, gehört unmit- telbar in den Bereich der Länderkompetenzen. Zwar Es läge für uns nun nahe, das einzufordern, was wäre Herr Möllemann auch ein guter Länderkultus- auch in diesem Streitkulturpapier steht. Da heißt es minister für Schulen. Aber das ist er nun einmal nämlich: „Niemand" — so sagt dieses Papier zu nicht. Recht — „darf für sich ein Recht der deutlichen Kritik und der polemischen Darstellung in Anspruch neh- Meine Damen und Herren, wenn es sich bei der men, ohne es dem Kritisierten in gleichem Maße zuzu- Enquete um eine wirklich fruchtbare Untersuchung billigen" . Aber ich sage das sozusagen als einseitige handeln soll, die bei aller Unterschiedlichkeit der be- Vorleistung. Wo kämen wir denn angesichts der zi- kannten Standpunkte dem dient, was der Kollege tierten Beispiele hin? Kuhlwein die Suche nach einem neuen Konsens ge- (Kuhlwein [SPD]: Die „Schlunzerei" kommt nannt hat — wie ich gelesen habe — , dann sollten trotzdem von Herrn Möllemann!) bereits die Feststellung und die Beschreibung der Aufgaben von der Offenheit geprägt sein, die dafür Einen weiteren Beitrag haben Sie auch in der Som- notwendig ist. merpause — offenbar in Ermangelung schöner som- merlicher Vergnügungen — geleistet, als Sie von ei- nem „phantastischen Feuerwerk von Rohrkrepierern" Ich greife das Wo rt vom Konsens gerne auf. Daß damit nicht die Hoffnung auf das Wunder der bil- sprachen. Das geht ja schon in militärische Bereiche, muß sich das mal konkret und bildhaft vor- dungspolitischen Harmonie gemeint sein kann, weiß und man stellen. Wir haben keinen Ehrgeiz, hier nachzurüsten jeder. Klaus Daweke hat einige skep tische Bemerkun- gen dazu gemacht. Aber wenn ich das ernst nehme, und mit gleichem Kaliber zurückzuschießen. geht es wohl um den Konsens der Ernsthaftigkeit des (Beifall bei der FDP — Kuhlwein [SPD]: Sa Bemühens. Da stimmen wir überein. Einen solchen gen Sie das zu Herrn Möllemann? Das wun Konsens hat es in der Bildungspolitik schon einmal dert- mich sehr!) gegeben, und wir sollten uns bemühen, daran anzu- Meine Damen und Herren, Herr Kuhlwein, im knüpfen. Wie schwer das sein wird, weiß jeder, der Ernst: Mit der Bezeichnung „Bildung 2000" wird ein über einige Jahre Praxis verfügt. großer Anspruch erhoben. Er zielt auf die Zukunft vie- ler junger Menschen, auf ihr Hineinwachsen in eine Aber, meine Damen und Herren, lieber Herr Kuhl- sich ständig verändernde Welt. Bildung ist gerade der wein, die Suche nach Konsens hat auch Voraussetzun- Politikbereich, in dem sich die Genera tionen, in dem gen. Erlauben Sie mir dazu einige Randbemerkun- sich Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft in be- gen, die in den Zwischenbereich von Kultur, Politik sonderem Maße und mit wei treichenden Konsequen- und Bildung hineinführen. zen für viele individuelle Schicksale und unsere ganze Gesellschaft begegnen. Vielleicht gelingt es uns ja, Wie der Presse zu entnehmen war, hat die SPD bei der Arbeit der Enquete-Kommission einen Beitrag Fraktion in der Sommerpause einen Schimpfwörter- zur Widerlegung des alten Vorurteils zu leisten, das katalog erarbeitet, dessen Inhalt der Öffentlichkeit in schon Joseph von Eichendorff in seinem Roman der Haltung eines „Vereins fleckenloser politischer „Dichter und ihre Gesellen" zum Ausdruck brachte. Moralisten" vorgestellt wurde. Diese Haltung ist für Er läßt da Fortunat zu Walter sagen: eine Partei ja auch selbstverständlich, die sich kürz- lich unter der Überschrift „Der S treit der Ideologien Ich habe schon oft nachgedacht über den Grund und gemeinsame Sicherheit" sogar mit der SED in dieser zärtlichen Liebe so vieler zum Staats- einem bemerkenswerten Papier u. a. um, wie es darin dienste. Hunger ist es nicht immer, noch seltener heißt, „Grundregeln einer Kultur des politischen Durst nach Nützlichkeit. Ich fürchte, es ist bei den Streits" bemüht hat. Ob allerdings die dringend zu meisten der Reiz der Bequem lichkeit, ohne Ideen empfehlende Ergänzung des erwähnten Schimpfwör- und sonderliche Anstrengungen gewaltig und terkatalogs um sommerliche Sprachblüten aus den mit großem Spektakel zu arbeiten.

Drucksache 11/5349 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode Neuhausen Meine Damen und Herren, die Enquete-Kommis- Vizepräsident Westphal: Meine Damen und Herren, sion darf — da sind wir uns sicher alle einig — kein ich schließe die Aussprache. großes Spektakel in diesem Sinne werden. Entgehen Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Anträge wir dieser Versuchung, dann hat sie die Chance, viel- auf Einsetzung der Enquete-Kommissionen an die in leicht die große Chance, einen wich tigen Beitrag zu der gedruckten Tagesordnung aufgeführten Aus- der neuen Aufbruchstimmung für Bildung und Wis- schüsse zu überweisen. Sind Sie damit einverstanden? senschaft zu leisten, die wir gemeinsam stärken und — Ich sehe keinen Widerspruch. Die Überweisungen nutzen sollten. sind so beschlossen. Vielen Dank. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode Drucksache 11/5349

Anlage 2

Auszug aus dem Stenographischen Protokoll der 48. Sitzung des Deutschen Bundestages — 11. Wahlperiode — am 9. Dezember 1987: Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Bildung und Wissenschaft (19. Ausschuß) zu dem Antrag der Fraktion der SPD Einsetzung einer Enquete-Kommission „ Zu- künftige Bildungspolitik — Bildung 2000" und zu dem Antrag der Abgeordneten Frau Hillerich und der Frak- tion DIE GRÜNEN Einsetzung einer Enquete-Kommission — Drucksachen 11/711, 11/801, 11/1448

Vizepräsident Frau Renger:

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 4 auf: Bildungsbereich als Anschlag auf die verfassungsmä- ßig garantierte Kulturhoheit werten würden. Wir ha- Beratung der Beschlußempfehlung und des Be- ben die Empfindsamkeiten ernst genommen und ha- richts des Ausschusses für Bildung und Wissen- ben den Bedenken dieser Länder weitgehend Rech- schaft (19. Ausschuß) zu dem Antrag der Frak- nung getragen, weil es uns darum ging, im Bundestag tion der SPD zu einer Enquete-Kommission zu kommen, deren Ein- Einsetzung einer Enquete-Kommission „Zu- setzungsauftrag von allen Fraktionen des Hauses ge- künftige Bildungspolitik — Bildung 2000" zu tragen wird. dem Antrag der Abgeordneten Frau Hillerich Ich will nun auch nicht behaupten, daß ich manche und der Fraktion DIE GRÜNEN Interventionen als kleinkariert empfunden hätte, Einsetzung einer Enquete-Kommission auch wenn der DIHT sie als „kleinliches Zuständig- — Drucksachen 11/711, 11/801, 11/1448 — keitsgerangel" bezeichnet hat. Bei der Vertretung von Berichterstatter: Interessen gehts ja manchmal, wie wir wissen, auch Abgeordnete Daweke ums Kleingedruckte. Die Kultusministerkonferenz sei Kuhlwein mein Zeuge dafür, wie wich tig gelegentlich selbst Neuhausen Fußnoten in einem gemeinsamen Beschlußpapier sein Frau Hillerich können. Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat sind für die (Daweke [CDU/CSU] : Essentiell!) Beratung 30 Minuten vorgesehen. — Kein Wider- Ich will auch nicht darüber rechten, warum Frau spruch. Dann ist das so beschlossen. Dr. Wilms als Bundesbildungsministerin sogar in ih- Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Herr rem Ministerium eine Tagung zur Allgemeinbildung Abgeordnete Kuhlwein. veranstalten durfte, bei der . höchstderoselbst der bayerische Kultusminister als Podiumsteilnehmer auf- Kuhlwein (SPD): Frau Präsidentin! Meine sehr ver- getreten ist, wohingegen der Deutsche Bundestag ehrten Damen und Herren! Am 17. September haben veranlaßt wurde, die Allgemeinbildung zu meiden SPD und GRÜNE im Deutschen Bundestag einen An- wie der Teufel das Weihwasser. trag auf Einrichtung einer Enquete-Kommission ein- Ich werde schließlich auch niemandem einen Vorwurf gebracht, die sich mit Fragen der zukünftigen Bil- daraus machen, wenn er die Rechte zum föderalistischen dungspolitik beschäftigen soll. Die Idee dazu ist übri- Schwur erhebt, während die Linke freudig nach Bundes- gens in der SPD-Bundestagsfraktion geboren worden mitteln für den Informatikunterricht greift. und nicht im Bonner Bild'ingsministerium, wie heute Ich bin allerdings nicht sicher, ob die Menschen in manchmal geargwöhnt wird. der Bundesrepublik diesen abstrakten Streit um Nor- Ich habe von Anfang an sehr wohl die Grenzen men noch verstehen, wenn ihnen gleichzeitig gesagt einer Bundestagsenquete in einem Politikbereich ge- wird, sie sollten sich auf ein „Europa der Bürger" und sehen, in dem die Länder eigene und vom Bund unab- auf immer enger werdende internationale Verflech- hängige Zuständigkeiten reklamieren können. Ich tungen vorbereiten. Ob es da wohl wirklich eine ver- habe allerdings nicht ahnen können, daß einige Län- trauensbildende Maßnahme für die Politik bedeutet, der schon eine Bestandsaufnahme durch den Bund im wenn die Bürger dann erfahren, daß wir stundenlang

Drucksache 11/5349 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode Kuhlwein darum gerungen haben, ob der Begriff „Schule" in aufhin abklopfen, wieweit es neuen Herausforderun- unserem Einsetzungsauftrag vorkommen darf? Wie gen im Bildungsbereich entspricht. Sie wird Vor- gesagt, ich bin ein Freund des Kulturföderalismus. schläge machen, wie die Bildungspolitik des Bundes Aber vielleicht sollte man ihn gelegentlich vor seinen aktiv an der Schaffung des europäischen Binnen- allerbegeistertsten Bannerträgern in Schutz neh- marktes beteiligt werden kann. men. Die Enquete-Kommission wird bei allen Überlegun- (Beifall bei der SPD und den GRÜNEN) gen immer im Auge haben, daß es zwar dieselben jungen und erwachsenen Menschen sind, die mal Im übrigen hat die Auflistung dessen, wo der Bund nach Landesrecht und mal nach Bundesrecht gebildet inzwischen, unbestreitbare Zuständigkeiten im Bil- werden, daß jedoch Blicke über den Gartenzaun nicht dungsbereich hat, manche überrascht. Wir sind des- erwünscht sind. Es wird sich dennoch nicht ganz ver- halb in unserem Ausschuß dem weisen Vorschlag des meiden lassen, daß die Kommission auch Begriffe wie Rechtsausschusses gefolgt und haben die Bereiche Berufsbildungsfähigkeit oder Studierfähigkeit unter mit Angabe der entsprechenden Grundgesetzartikel die Lupe nimmt. Sie sind zwar auf der einen Seite ein gleich in den ersten Absatz unseres Antrags aufge- mögliches Ergebnis von Schule, auf der anderen Seite nommen. Da finden wir denn aus der ausschließlichen jedoch auch Voraussetzung für Berufsbildung und Gesetzgebung die auswärtigen Kulturbeziehungen Hochschulbesuch, für die der Bund eigene Verant- und die Auslandsschulen, aus der konkurrierenden wortung trägt. Gesetzgebung die betriebliche und überbetriebliche Berufsausbildung einschließlich der beruflichen Wei- Meine Damen und Herren, ich möchte mich an die- terbildung sowie die Regelung von Ausbildungsbei- ser Stelle ausdrücklich bei den Berichterstattern der hilfen. Wir finden aus der Rahmengesetzgebung das Koalitionsfraktionen bedanken, die in dem schwieri- Gebiet der allgemeinen Grundsätze des Hochschul- gen Prozeß der Abstimmung mit den B-Ländern nicht wesens, aus den Gemeinschaftsaufgaben den Ausbau nur unseren Blick für die berechtigten Interessen der und Neubau von Hochschulen einschließlich der Länder geschärft, sondern auch eine Reihe zusätzli- Hochschulkliniken. Da findet sich die Möglichkeit der cher Anregungen für den Arbeitsauftrag beigetragen Übertragung auch von Kompetenzen der Länder auf haben — dies gilt insbesondere für die Europafrage zwischenstaatliche Einrichtungen, etwa auf die Euro- und für das Beamtenrecht — , besonders bei Herrn päische Gemeinschaft. Da findet sich nicht zuletzt im Daweke. Art. 91 b des Grundgesetzes ebenfalls als Gemein- (Beifall bei der SPD sowie bei der CDU/CSU schaftsaufgabe die gemeinsame Bildungsplanung und der FDP) und Forschungsförderung. Wir sollten uns jetzt in der Enquete-Kommission so Meine Damen und Herren, dies alles sollte auch bei konstruktiv wie im Ausschuß für Bildung und Wissen- denen nicht in Vergessenheit geraten, die den Bund schaft an die Arbeit machen, um bildungspolitische gern zum bildungspolitischen Nachtwächter machen Antworten auf die neuen gesellschaftlichen Heraus- wollen. Dabei gebe ich ja offen zu, daß die Bundesre- forderungen zu finden. Vielleicht wird am Ende unse- gierung sich seit der Wende offenbar in dieser Rolle res Arbeitsprozesses auch mancher Länderkultusmi- wohlfühlt. nister mit uns versöhnt sein, weil wir auch seinen eige- nen Aufgabenbereich und die Bedeutung der Bil- (Gattermann [FDP]: Das ist aber ein Irrtum, dungspolitik in Konkurrenz zu anderen Politikfeldern Herr Kollege!) wieder stärker ins Bewußtsein gebracht haben. Wenn die Kommission, wie es im Einsetzungsauf- Meine Fraktion wird dem gemeinsamen Einset- trag heißt, ihre Arbeit auf die Zuständigkeiten des zungsantrag zustimmen.- Bundes beschränkt, dann wird sie sich dennoch nicht Schönen .Dank. über Mangel an Arbeit beklagen können. Sie wird untersuchen müssen, ob es Chancengleichheit für alle (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der Schichten und Gruppen in der Bildungsbeteiligung FDP) gibt und wie gegebenenfalls Bildungschancen ver- bessert werden können. Sie wird sich mit der ersten Vizepräsident Frau Renger: Das Wort hat der Abge- Schwelle zwischen Schule und Berufsausbildung und ordnete Daweke. mit der zweiten Schwelle zwischen Bildungs- und Beschäftigungssystem befassen und Antworten su- chen müssen, wie diese Schwellen begehbar gemacht Daweke (CDU/CSU): Frau Präsident! Liebe Kolle- werden können. Sie wird sich mit den Inhalten von ginnen und Kollegen! Die Enquete-Kommission, die Berufsausbildung, Hochschule und Weiterbildung wir heute einsetzen, ist die fünfte Enquete-Kommis- beschäftigen. Sie wird in diesen Bereichen Konse- sion, die der Deutsche Bundestag in dieser Legislatur- quenzen aus den neuen Kommunikationstechnolo- periode installiert. Ich will deshalb gerne zu Beginn gien ziehen. Sie wird das Schlagwort vom „lebenslan- einen Gedanken vortragen, der in den internen Bera- gen Lernen" in praktisch-politische Folgerungen für tungen meiner Fraktion eine große Rolle gespielt hat: Organisation und Finanzierung der Weiterbildung Ich möchte die Frage erörtern, ob es eigentlich richtig umsetzen. Sie wird Prognosen für den Finanzbedarf ist, daß wir uns — wohl beginnend mit der 9. und der beruflichen Bildung, der individuellen Ausbil- 10. Legislaturperiode, aber jetzt auch in der 11. — im- dungsförderung, des Hochschulbaus und der Hoch- mer mehr mit Enquete-Kommissionen und Unteraus- schulforschung wagen und Vorschläge machen, von schüssen beschäftigen und diese einsetzen. wem die finanziellen Mittel aufgebracht werden sol- Ich will nur sagen, daß die große Gefahr besteht, len. Sie wird das Besoldungs- und Beamtenrecht dar daß wir das sozusagen als Politikersatz betreiben

Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode Drucksache 11/5349 Daweke könnten. Wenn man diese Gefahr sieht, glaube ich, Vizepräsident Frau Renger: Das Wort hat Frau Ab- kann man sie auch beherrschen. Aber man muß wis- geordnete Hillerich. sen, daß natürlich die Arbeit in diesen Kommissionen sehr speziell ist und daß wir aufpassen müssen, nicht Frau Hillerich (GRÜNE): Frau Präsidentin! Meine den Überblick, also die Gesamtschau, zu verlieren, Damen und Herren! Es liegt nahe: Auch wir bitten Sie, wenn wir immer mehr in solches Spezialistentum und der Einsetzung der Enquete-Kommission „Zukünftige immer mehr in solche Detaildiskussionen geraten. Bildungspolitik" zuzustimmen. Als zweiten Gedanken möchte ich vortragen — da Erfreulicherweise haben sich alle Fraktionen im sage ich kein Geheimnis — , daß wir uns sehr schwer- Ausschuß für Bildung und Wissenschaft darauf ver- getan haben mit dem Minderheitenrecht der SPD und ständigen können, daß Bildungspolitik, nimmt sie ih- der GRÜNEN, diesen Ausschuß zu beantragen, nicht ren Auftrag im Hinblik auf die Bildungsbedürfnisse nur wegen des sehr schwierigen Bund-Länder-Ver- und Ansprüche der Menschen in unserer Gesellschaft hältnisses, das mit dem Antrag angesprochen ist, son- ernst, sich mit Herausforderungen auseinandersetzen dern natürlich auch vor dem Hintergrund der Tatsa- muß, wie — ich zitiere aus der gemeinsamen Be- che — ich habe das hier schon einmal gesagt —, daß schlußempfehlung — : „dem Ziel der Gleichstellung wir in der Bildungspolitik eine ganze Reihe von Koor- der Geschlechter, den ökologischen Erfordernissen" dinierungsgremien haben. Dazu gehören die Bund- — um nur diese beiden zu nennen —, Herausforde- Länder-Kommission, die diese Woche getagt hat, die rungen, die weit über wirtschafts- und arbeitsmarkt- KMK, die in der letzten Woche getagt hat, und man- politische Erwägungen im Hinblick auf zukünftigen cherlei Gremien dieser Art; ich nenne ausdrücklich Qualifikationsbedarf hinausgehen. Im Mittelpunkt den Hauptausschuß des Instituts für Berufsbildung. Es der Arbeit der Enquete-Kommission sollen die Men- gibt also eine große Zahl von Gremien, die Koordinie- schen, Jugendliche und Erwachsene, stehen, denn es rung versuchen. Wir setzen mit unserer Kommission geht um ihre Zukunft, um ihre Fähigkeiten zur akti- noch eine weitere solche Koordinierungsrunde hinzu. ven und verantwortlichen Teilnahme und Gestaltung Das waren unsere inhaltlichen Bedenken in der Sa- der sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen Verän- che. Aber ich sage ausdrücklich: Wir respektieren derungsprozesse in der Gesellschaft. natürlich das Recht der Minderheit auf Einsetzung Nicht bildungspolitischer Schlagabtausch mit Ex- einer solchen Enquete-Kommission und haben des- pertenhilfe, allerdings auch kein Spezialistentum, wie halb auch von Anfang an konstruktiv an der Ergän- Herr Daweke befürchtete, sondern nüchterne, ehrli- zung und der Erweiterung der Anträge von SPD und che Bestandsaufnahme nach wissenschaftlichen Maß- GRÜNEN mitgearbeitet. stäben und Wertung der Ergebnisse unter bildungs- Herr Kuhlwein hat eben die inhaltlichen Themen politischen Zielperspektiven — das ist meine Vorstel- genannt, die anstehen. Ich will mich ebenfalls aus- lung von der Arbeitsweise der Kommission. Alle Be- drücklich dazu bekennen, daß wir — Fritz Neuhausen teiligten sollen ihre Zielvorstellungen, ihre Untersu- von der FDP, Herr Kuhlwein als Antragsteller und chungsfragen in die konkrete Arbeit einbringen. Alle Frau Hillerich als Antragstellerin — sehr konstruktiv müssen sich aber auch gefallen lassen, ihre Annah- zusammengearbeitet haben. Das war nur dadurch men, Prognosen und auch ihre allgemeinen und spe- möglich, daß sich die Sozialdemokraten und DIE ziellen Zielvorstellungen in Frage stellen zu lassen GRÜNEN bewegt haben und möglicherweise zu modifizieren oder zu korrigie- ren. Dies wird — ich gestehe dies zu — nicht leicht (Zurufe von der SPD: Auch Sie haben sich sein, denn wir wissen um die recht unterschiedlichen bewegt!) politischen Interessen und Zielvorstellungen über das, — und dadurch, daß wir uns mühsam bewegt haben; was Bildung und Berufsbildung leisten sollen — ge- das gebe ich zu. Das ist aus der Zeit, die hinter uns rade im Hinblick auf den Erhalt oder die Veränderung liegt, eigentlich ein ganz gutes Beispiel dafür, daß bestehender und sich abzeichnender Zustände in man politisch zusammenarbeiten kann, unabhängig Wirtschaft und Gesellschaft. von der Tatsache — das muß ich sagen, damit Frau Dennoch hoffe ich, daß es durch diese Enquete- Hillerich nicht in ihrer eigenen Fraktion von den an- Kommission gelingen könnte — die Vorarbeiten ha- deren Flügeln geprügelt wird —, daß Sie in der Sache ben dies zumindest gezeigt — , wenigstens den Mini- natürlich ganz schlimme Positionen vertreten haben. malkonsens über das, was im Bildungsbereich drin- Gleichwohl haben wir uns auf einen gemeinsamen gend zu verändern ist, in einigen Punkten herzustel- Antrag geeinigt. Ich finde, das verdient Erwähnung. len. Und ich hoffe, daß die Enquete-Kommission darin übereinstimmt, während ihrer Arbeit und gerade mit Die letzte Bemerkung meinerseits. Wenn wir schon Hilfe der Sachverständigen die öffentliche bildungs- eine Bildungs-Enquete-Kommission einsetzen, bitte politische Diskussion zu bereichern. ich, darauf zu achten, daß unser Text grammatisch richtig ist. Wir sollten uns, wenn es geht, einigen, daß Allerdings, die teilweise schrillen Töne, die schon im III. Abschnitt hinter dem zweiten Spiegelstrich im Vorfeld der Enquete-Kommission zu hören waren, statt „entwickelt hat" „entwickelt haben" stehen soll. stimmen bedenklich. Erfreulich ist, daß es im Aus- Es handelt sich nämlich um eine Plural. Gerade eine schuß für Bildung und Wissenschaft — trotz Verhin- Bildungskommission sollte auf solche Kleinigkeiten derungsversuchen von außen — zu einem klaren ge- achten. meinsamen Votum für die Einsetzung gekommen ist. Schönen Dank. Die grundgesetzlich fixierte Gemeinschaftsaufgabe (Heiterkeit — Beifall bei der CDU/CSU und von Bund und Ländern bei der Planung von Bildung der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD) und Forschung wurde im Ausschuß ernst genommen.

Drucksache 11/5349 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode Frau Hillerich Das Ansinnen, der Bundestag solle wegen der Kultur- Vizepräsident Frau Renger: Das Wort hat der Abge- hoheit der Länder in einer der entscheidensten Fra- ordnete Neuhausen. gen unserer Zukunft, der künftigen Gestaltung unse- res Bildungswesens, auf eigenständige Beratung und Empfehlungen verzichten — von einem bayerischen Landtagsabgeordneten wird dies im „Bayernkurier" Neuhausen (FDP): Frau Präsidentin! Meine Damen gar als „dreister Zugriff auf die ausschließliche Zu- und Herren! Die heute vorliegende Beschlußempfeh- ständigkeit der Länder" bezeichnet —, lung des Ausschusses für Bildung und Wissenschaft zur Einsetzung einer Enquete-Kommission „Zukünf- (Frau Dr. Götte [SPD]: Hört! Hört!) tige Bildungspolitik — Bildung 2000" weist gegen- halten wir GRÜNEN für kleinkariert und außerhalb über den ursprünglichen Vorlagen der SPD und der jeder bildungspolitischen Vernunft. Da bin ich wohl GRÜNEN eine Reihe von Änderungen auf und ist als etwas schärfer als die Kollegen von der SPD. Selbst- ein Kompromiß zu bezeichnen, der das Ergebnis der verständlich bejahen wir GRÜNEN unter den verfas- schon erwähnten zahlreichen Gespräche, vor allem im sungsmäßig garantierten Prinzipien auch den Födera- Kreise der Berichterstatter, war. Ich möchte mich auch lismus. Wir sehen darin eine Garantie für kulturelle für den Geist, der in diesen Gesprächen geherrscht und politische Vielfalt und — angesichts der politi- hat, sehr bedanken. Denn man findet selten die Mög- schen Vergangenheit unseres Staates — ein wichtiges lichkeit, offen und mit Konturen und dennoch koope- Gegengewicht gegen zentralstaatliche Fehlentwick- rativ miteinander umzugehen. lungen. Selbstverständlich bejahen wir auch die Kul- Ich habe schon bei der ersten parlamentarischen turhoheit der Länder als Kernstück des Föderalis- Behandlung darauf hingewiesen, daß wir diese Initia- mus. tive begrüßen und darin eine Unterstützung der Dennoch: Die Notwendigkeit einer zwischen Bund neuen Aufbruchstimmung sehen, die durch den Bun- desbildungsminister in der bildungspolitischen Dis- und Ländern abgestimmten Rahmenplanung ist doch wohl unbestreitbar. Und wenn der Bund in diesem kussion ja auch angeregt worden ist. Rahmen einen Untersuchungsbedarf hat, dann ist Meine Damen und Herren, der ursprüngliche An- eine Enquete-Kommission, die am Ende ihrer Arbeit trag der SPD ist in den erwähnten Verhandlungen der Empfehlungen ausspricht, doch wohl ein recht be- Berichterstatter entschlackt worden — das ist keine scheidenes Instrument. Ein neuer „Deutscher Bil negative Bewertung — , eine Reihe der in den Formu- dungsrat" und die Fortschreibung des „Bildungsge- lierungen enthaltenen vorweggenommenen Wertun- samtplans" wären das, was wir unserer Meinung nach gen sind entfallen. Andererseits sind die — und ich eigentlich bräuchten. meine: in ihrer Empfindlichkeit manchmal überspitz- ten — Bedenken der Länder berücksichtigt worden. (Beifall des Abg. Kuhlwein [SPD]) Aber dann ist ja diese Entschlackung deshalb wieder Ich denke, daß wäre auch das, was die Bürgerinnen behindert worden, weil die auch den Rechtsausschuß und Bürger, die mit ihren Steuern immerhin die Rie- bewegenden Vorbehalte der Länder zu einer so zu- senapparate der Kultusbürokratien und auch uns Bil- nächst nicht vorgesehenen Auflistung von bildungs- dungspolitikerinnen und Bildungspolitiker bezahlen, politischen Zuständigkeiten des Bundes geführt ha- eigentlich mit Recht von uns erwarten können. ben — so nicht vorgesehen, weil wir uns als Bericht- erstatter über diese Zuständigkeiten im klaren waren Jede Bürgerin und jeder Bürger, ganz gleich, in wel- und sie guten Gewissens — d. h.: ohne Hintertüren — cher Region lebend, welchen Alters und Geschlechts, berücksichtigt zu haben- glaubten. Aber die hier schon welcher Religion und Staatsangehörigkeit, hat das oftmals erwähnte Bereitschaft der Bildungspolitiker Recht auf Chancengleichheit in Bildung und Ausbil- zum „Kern-Konsens" hat auch diese Hürde nicht zum dung, und die ist auf Länderebene allein nun einmal Hindernis werden lassen. nicht herzustellen. Und es sind die materiellen und organisatorischen Rahmenbedingungen für die Chan- Aber im Ernst, meine Damen und Herren: Vor dem cengleichheit aller im Bildungssystem, die von den Hintergrund des Wortes vom „kooperativen Födera- Menschen eingefordert werden. Daß sie dann lernen, lismus" und vor den neuen europaweiten Entwicklun- sich bilden und weiterbilden wollen — da sind wir gen mutet manche übertriebene Bedenklichkeit eigentlich recht unbesorgt. merkwürdig an, so, als befürchte man ständig, es stehe ein bildungspolitischer Staatsstreich unmittel- Bund und Länder sind gefordert, Voraussetzungen bar bevor. für selbstbestimmtes und eigenverantwortliches Ler- (Beifall des Abg. Kuhlwein [SPD]) nen in und außerhalb von Schulen und Hochschulen, betrieblicher und überbetrieblicher Berufsausbildung Es ist kein Geheimnis, meine Damen und Herren, zu schaffen. daß die FDP in ihrer bildungspolitischen Tradition die gesamtstaatliche Verantwortung des Bundes mit ei- Meine Damen und Herren, noch einmal bitte ich nem stärkeren Akzent belegt. Aber bereits in der er- Sie daher um Zustimmung zur Einsetzung dieser sten Debatte über den ursprünglichen, damals noch Enquete-Kommission. unveränderten Antrag haben wir den Respekt vor der Ich danke Ihnen. Kulturhoheit der Länder in bezug auf diese Enquete hervorgehoben und uns in den Berichterstatterge- (Beifall bei den GRÜNEN und der SPD sowie sprächen bemüht, den Erwartungen der Länder Rech- bei Abgeordneten der CDU/CSU und der nung zu tragen. Und ich sage offen: Um so mehr ent- FDP) täuschten manche Kleinlichkeit und manche provin-

Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode Drucksache 11/5349 Neuhausen ziehe Haltung, mit der wir Liberalen nicht einverstan- ten, daß wenig Raum für manche gegenseitige Unter- den sein können. stellung von Motiven bleibt, in der sich Vorurteile (Beifall bei der FDP) spiegeln, die aber mit der Wirklichkeit meist nicht zu tun haben. Meine Damen und Herren, die Fragebereiche der Meine Damen und Herren, als ich hier in der ver- Kommission sind hier schon erwähnt worden. So wie gangenen Woche in bildungspolitischem Zusammen- sie jetzt formuliert sind, besteht die Chance einer hang hinsichtlich der Mühen des Lebens Demokrit sachlichen Untersuchung, bei der es nicht um den zitierte, hat der amtierende Präsident Nachvollzug früher geschlagener Schlachten, son- danach gefragt, ob Demokrit früher oder später als dern um den Blick in die Zukunft geht. Das reicht Sisyphus gewesen sei. Ich darf heute antworten: Si- — das wurde gesagt — von der Entwicklung der Bil- syphus ist eigentlich immer, meine Damen und Her- dungsbeteiligung und des Übergangs vom Bildungs- ren; denn er muß ja für alle Ewigkeit seinen Felsen in das Beschäftigungssystem über die Frage nach den den Berg hinaufwälzen, um ihn gleich darauf wieder für die raschen Veränderungen in Wi rtschaft und Ge- zu Tal stürzen zu sehen. sellschaft wichtigen und notwendigen Kenntnissen, Fähigkeiten, Fertigkeiten und auch Verhaltensweisen Dieses Bild läßt sich leicht auf die Bildungspolitik

des einzelnen und nach den Konsequenzen des Ein- übertragen. Aber Albe rt Camus hat ihm eine positive satzes neuer Kommunikationstechnologien bis zum Deutung gegeben. „Der Kampf gegen Gipfel", Ziel des lebenslangen Lernens, und es berührt die schrieb er, „vermag ein Menschenherz auszufüllen. Finanzierung des Bildungsbereichs, wie auch der Wir müssen uns Sisyphus als einen glücklichen Men- Blick auf den sich entwickelnden europäischen Bin- schen vorstellen. " nenmarkt geworfen wird. Vielleicht, Herr Kuhlwein, trifft das ja auch auf die (Beifall bei der FDP) künftigen Mitgleider der heute einzusetzenden En- quete-Kommission zu. Meine Damen und Herren, für uns Liberale steht Vielen Dank. dabei entgegen mancher Mißinterpretation der ein- zelne im Mittelpunkt einer Bildung, die neben ihrer (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU sowie Funktion als Vorbereitung auf die Arbeitswelt und das bei Abgeordneten der SPD) Leben in der Gesellschaft auch als ein wichtiges Mittel zur Existenzerhellung einen Wert an sich darstellt. Vizepräsident Frau Renger: Weitere Wortmeldun- gen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache. Wir Wenn wir in diesem Zusammenhang von einem stimmen über die Beschlußempfehlung des Ausschus- Konsens sprechen, meine Damen und Herren, dann ses für Bildung und Wissenschaft auf Einsetzung einer verstehen wir darunter nicht, daß die Konturen unter- Enquete-Kommission ab. Wer dieser Beschlußemp- schiedlicher Ansätze dabei verlorengehen. Aber wir fehlung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein verstehen darunter den Versuch, diese Konturen in Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Es Fragestellung und Beantwortung so herauszuarbei ist so beschlossen.

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