Plenarprotokoll 16/127

Deutscher

Stenografischer Bericht

127. Sitzung

Berlin, Freitag, den 16. November 2007

Inhalt:

Zusatztagesordnungspunkt 7: gen – Mitglieder des Deutschen Bundes- tages in die gesetzliche Rentenversiche- – Zweite und dritte Beratung des von rung einbeziehen den Fraktionen der CDU/CSU und (Drucksache 16/7107) ...... 13305 D SPD eingebrachten Entwurfs eines Siebenundzwanzigsten Gesetzes zur (CDU/CSU) ...... 13306 A Änderung des Abgeordnetengesetzes Jörg van Essen (FDP) ...... 13307 B (Drucksachen 16/6924, 16/7159) . . . . 13305 B Dr. h. c. Susanne Kastner (SPD) ...... 13308 A – Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Jörg van Essen, Dr. (DIE LINKE) . . . . . 13309 D Dr. Max Stadler, Sabine Leutheusser- Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/ Schnarrenberger, weiteren Abgeordne- DIE GRÜNEN) ...... 13310 C ten und der Fraktion der FDP einge- brachten Entwurfs eines Siebenund- zwanzigsten Gesetzes zur Änderung Namentliche Abstimmung ...... 13311 D des Abgeordnetengesetzes (Drucksachen 16/117, 16/7159) . . . . . 13305 B Ergebnis ...... 13314 D – Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Jörg van Essen, Dr. Max Stadler, Sabine Leutheusser- Tagesordnungspunkt 33: Schnarrenberger, weiterer Abgeordne- a) – Zweite und dritte Beratung des von der ter und der Fraktion der FDP einge- Bundesregierung eingebrachten Ent- brachten Entwurfs eines Gesetzes zur wurfs eines Sechsten Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes (Art. 48 Änderung des Dritten Buches So- Abs. 3) zialgesetzbuch und anderer Gesetze (Drucksachen 16/118, 16/7159) . . . . . 13305 B (Drucksachen 16/6741, 16/7151 (neu)) 13312 B – Bericht des Haushaltsausschusses ge- – Bericht des Haushaltsausschusses ge- mäß § 96 der Geschäftsordnung mäß § 96 der Geschäftsordnung (Drucksache 16/7162) ...... 13305 C (Drucksache 16/7164) ...... 13312 B b) Beschlussempfehlung und Bericht des in Verbindung mit Ausschusses für Arbeit und Soziales – zu dem Antrag der Abgeordneten Dirk Tagesordnungspunkt 42: Niebel, Dr. Heinrich L. Kolb, Dr. Karl Addicks, weiterer Abgeordneter und m) Antrag der Abgeordneten Dr. Dagmar der Fraktion der FDP: Überschüsse Enkelmann, Ulrich Maurer, Klaus Ernst, der Bundesagentur für Arbeit an Volker Schneider (Saarbrücken) und der Beitragszahler zurückgeben – Bei- Fraktion DIE LINKE: Privilegien beseiti- tragssenkungspotenziale nutzen II Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 127. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. November 2007

– zu dem Antrag der Abgeordneten Mechthild Dyckmans (FDP) ...... 13337 D Dr. Barbara Höll, Dr. Gesine Lötzsch, Klaus Uwe Benneter (SPD) ...... Kornelia Möller, weiterer Abgeord- 13338 D neter und der Fraktion DIE LINKE: Dr. Gerhard Schick (BÜNDNIS 90/ Überschüsse der Bundesagentur für DIE GRÜNEN) ...... 13340 C Arbeit zur Vermeidung von Lang- zeitarbeitslosigkeit, für mehr Quali- fizierung und eine längere Bezugs- Namentliche Abstimmung ...... 13341 C dauer des Arbeitslosengeldes verwenden Ergebnis ...... 13343 D (Drucksachen 16/6434, 16/6035, 16/7151 (neu)) 13312 C Tagesordnungspunkt 34: , Parl. Staatssekretär BMAS ...... 13312 D a) – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Dr. Ilja Seifert (DIE LINKE) ...... 13313 C Entwurfs eines Zweiundzwanzigs- Dirk Niebel (FDP) ...... 13317 A ten Gesetzes zur Änderung des Bundesausbildungsförderungsgeset- Peter Rauen (CDU/CSU) ...... 13318 A zes (22. BAföGÄndG) Dr. (DIE LINKE) ...... 13319 B (Drucksachen 16/5172, 16/7214) . . . . 13341 C Peter Rauen (CDU/CSU) ...... 13321 B – Bericht des Haushaltsausschusses ge- mäß § 96 der Geschäftsordnung Brigitte Pothmer (BÜNDNIS 90/ (Drucksache 16/7215) ...... 13341 D DIE GRÜNEN) ...... 13322 B b) Beschlussempfehlung und Bericht des Peter Weiß (Emmendingen) (CDU/CSU) . 13323 B Ausschusses für Bildung, Forschung und Dr. Barbara Höll (DIE LINKE) ...... 13324 A Technikfolgenabschätzung Klaus Brandner (SPD) ...... 13324 D – zu dem Antrag der Abgeordneten Dorothee Bär, Ilse Aigner, Michael Kornelia Möller (DIE LINKE) ...... 13325 B Kretschmer, weiterer Abgeordneter Dirk Niebel (FDP) ...... 13327 B und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Dr. Heinrich L. Kolb (FDP) ...... 13328 B (Nürnberg), Dr. Ernst Dieter Rossmann, Max Straubinger (CDU/CSU) ...... 13329 D Jörg Tauss, weiterer Abgeordneter und Volker Schneider (Saarbrücken) der Fraktion der SPD: BAföG an neue Entwicklungen anpassen – Auszu- (DIE LINKE) ...... 13331 B bildende mit Kindern unterstützen, Wolfgang Meckelburg (CDU/CSU) ...... 13331 D Auslandsaufenthalte erleichtern, Mi- Dr. Heinrich L. Kolb (FDP) ...... 13333 A grantenförderung verbessern und Hinzuverdienstgrenzen erhöhen – zu dem Antrag der Abgeordneten Ina Tagesordnungspunkt 35: Lenke, Uwe Barth, Sibylle Laurischk, weiterer Abgeordneter und der Frak- – Zweite und dritte Beratung des von tion der FDP: Studierende Mütter den Abgeordneten Dr. Gregor Gysi, durch die Sofortmaßnahme Baby- Oskar Lafontaine und der Fraktion BAföG unterstützen DIE LINKE eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des – zu dem Antrag der Abgeordneten Aktiengesetzes Cornelia Hirsch, Dr. Petra Sitte, Volker (Drucksachen 16/1444, 16/5524) . . . . 13334 A Schneider (Saarbrücken), weiterer Ab- geordneter und der Fraktion DIE – Zweite und dritte Beratung des von LINKE: Statt Nullrunde – BAföG den Abgeordneten Dr. Gregor Gysi, angleichen Oskar Lafontaine, Dr. Barbara Höll, weiteren Abgeordneten und der Frak- – zu dem Antrag der Abgeordneten Kai tion DIE LINKE eingebrachten Ent- Gehring, Grietje Bettin, Ekin Deligöz, wurfs eines Gesetzes zur Änderung weiterer Abgeordneter und der Frak- des Aktiengesetzes tion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: (Drucksachen 16/3015, 16/5524) . . . . 13334 B Sofortmaßnahmen beim BAföG – Für mehr Zugangsgerechtigkeit und Oskar Lafontaine (DIE LINKE) ...... 13334 C höhere Bildungsbeteiligung Dr. Günter Krings (CDU/CSU) ...... 13335 C (Drucksachen 16/4162, 16/3142, 16/4157, Manfred Grund (CDU/CSU) ...... 13337 B 16/4158, 16/7214) ...... 13341 D Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 127. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. November 2007 III c) Erste Beratung des von den Abgeordneten Gabriele Groneberg (SPD) ...... 13360 A Cornelia Hirsch, Dr. Petra Sitte, Volker Schneider (Saarbrücken) und der Fraktion Dr. Karl Addicks (FDP) ...... 13361 B DIE LINKE eingebrachten Entwurfs eines Hartwig Fischer (Göttingen) (CDU/CSU) . . . 13362 C Gesetzes zur Anpassung des Ausbil- dungsförderungsbedarfs Hüseyin-Kenan Aydin (DIE LINKE) ...... 13364 A (Drucksache 16/5808) ...... 13342 B Dr. Sascha Raabe (SPD) ...... 13365 A Dr. Annette Schavan, Bundesministerin BMBF ...... 13342 B Hüseyin-Kenan Aydin (DIE LINKE) ...... 13365 B Uwe Barth (FDP) ...... 13346 A Thilo Hoppe (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) ...... 13365 C Renate Schmidt (Nürnberg) (SPD) ...... 13347 B (Wiesloch) (SPD) ...... 13366 C Cornelia Hirsch (DIE LINKE) ...... 13349 B Kai Gehring (BÜNDNIS 90/ Kerstin Müller (Köln) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) ...... 13351 A DIE GRÜNEN) ...... 13366 D Peer Steinbrück, Bundesminister Thilo Hoppe (BÜNDNIS 90/ BMF ...... 13352 D DIE GRÜNEN) ...... 13367 C Jörg Tauss (SPD) 13354 C Holger Haibach (CDU/CSU) ...... 13368 A Kai Gehring (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) ...... 13354 D Tagesordnungspunkt 38: Ina Lenke (FDP) ...... 13355 B Große Anfrage der Abgeordneten Marieluise Dorothee Bär (CDU/CSU) ...... 13355 D Beck (Bremen), Volker Beck (Köln), Ina Lenke (FDP) ...... 13357 D Alexander Bonde, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Dr. Ernst Dieter Rossmann (SPD) ...... 13358 B Aktuelle Entwicklungen in Russland und Dorothee Bär (CDU/CSU) ...... 13358 D ihre Auswirkung auf die Beziehungen zwi- schen der EU und Russland (Drucksachen 16/4932, 16/6241) ...... 13369 C Tagesordnungspunkt 36: Marieluise Beck (Bremen) (BÜNDNIS 90/ Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- DIE GRÜNEN) ...... 13369 D schusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit Manfred Grund (CDU/CSU) ...... 13370 D und Entwicklung zu dem Antrag der Abge- ordneten Hartwig Fischer (Göttingen), Marina Schuster (FDP) ...... 13372 B Dr. Christian Ruck, Dr. , weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU Gert Weisskirchen (Wiesloch) (SPD) ...... 13373 A sowie der Abgeordneten Gabriele Groneberg, Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/ Dr. Sascha Raabe, Dr. Bärbel Kofler, weiterer DIE GRÜNEN) ...... 13373 D Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Für eine intensive wirtschaftliche und entwick- Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE) ...... 13375 B lungspolitische Zusammenarbeit mit dem afrikanischen Kontinent auf Augenhöhe (Drucksachen 16/5257, 16/6800) ...... 13359 C Tagesordnungspunkt 37: a) Beschlussempfehlung und Bericht des in Verbindung mit Ausschusses für wirtschaftliche Zusam- menarbeit und Entwicklung zu dem An- trag der Abgeordneten Dr. Christian Ruck, Zusatztagesordnungspunkt 8: Dr. Wolf Bauer, Hartwig Fischer (Göttin- Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- gen), weiterer Abgeordneter und der Frak- schusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit tion der CDU/CSU sowie der Abgeordne- und Entwicklung zu dem Antrag der Ab- ten Gabriele Groneberg, Dr. Sascha geordneten Dr. Karl Addicks, Hellmut Raabe, Dr. Axel Berg, weiterer Abgeord- Königshaus, Jens Ackermann, weiterer Abge- neter und der Fraktion der SPD: Energie- ordneter und der Fraktion der FDP: Neue und Entwicklungspolitik stärker ver- Strategien für die deutsche Entwicklungs- zahnen – Synergieeffekte für die welt- zusammenarbeit mit Afrika erarbeiten und weite Energie- und Entwicklungsförde- durchsetzen rung besser nutzen (Drucksachen 16/5243, 16/7153) ...... 13359 C (Drucksachen 16/4045, 16/5275) ...... 13376 B IV Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 127. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. November 2007 b) Beschlussempfehlung und Bericht des Anlage 1 Ausschusses für wirtschaftliche Zusam- menarbeit und Entwicklung zu dem An- Liste der entschuldigten Abgeordneten . . . . . 13385 A trag der Abgeordneten Dr. Christian Ruck, Dr. Wolf Bauer, Klaus Brähmig, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/ Anlage 2 CSU sowie der Abgeordneten Gabriele Groneberg, Dr. Sascha Raabe, Stephan Erklärungen nach § 31 GO zur namentlichen Hilsberg, weiterer Abgeordneter und der Abstimmung über den Entwurf eines Sieben- Fraktion der SPD: Klimawandel global undzwanzigsten Gesetzes zur Änderung des und effizient eindämmen – Klimaschutz Abgeordnetengesetzes (Zusatztagesordnungs- und Anpassungsmaßnahmen in Ent- punkt 7) wicklungsländern entschieden voran- bringen Sabine Bätzing (SPD) ...... 13385 D (Drucksachen 16/5740, 16/6962) ...... 13376 C Veronika Bellmann (CDU/CSU) ...... 13386 B Gabriele Groneberg (SPD) ...... 13376 D Swen Schulz (Spandau) (SPD) ...... 13386 D Dr. Georg Nüßlein (CDU/CSU) ...... 13377 C Ute Koczy (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) ...... 13379 A Anlage 3 Dr. Sascha Raabe (SPD) ...... 13380 B Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Dr. Matthias Miersch, Garrelt Duin, Marco Bülow, Gerold Reichenbach, Clemens Bollen Tagesordnungspunkt 40: und Steffen Reiche (Cottbus) (alle SPD) zur namentlichen Abstimmung über den Entwurf Antrag der Abgeordneten Daniel Bahr (Müns- eines Siebenundzwanzigsten Gesetzes zur ter), Heinz Lanfermann, Dr. Konrad Schily, Änderung des Abgeordnetengesetzes (Zusatz- weiterer Abgeordneter und der Fraktion der tagesordnungspunkt 7) ...... 13387 A FDP: GKV-eigene Tarife durch Koopera- tion von GKV und PKV beim Wahltarif zur Kostenerstattung ersetzen (Drucksache 16/6794) ...... 13381 C Anlage 4 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Katja Mast, Kerstin Griese und Dr. Carola Tagesordnungspunkt 39: Reimann (alle SPD) zur namentlichen Ab- Erste Beratung des von der Bundesregierung stimmung über den Entwurf eines Siebenund- eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur zwanzigsten Gesetzes zur Änderung des Einführung der nachträglichen Siche- Abgeordnetengesetzes (Zusatztagesordnungs- rungsverwahrung bei Verurteilungen nach punkt 7) ...... 13387 C Jugendstrafrecht (Drucksache 16/6562) ...... 13381 D Anlage 5

Tagesordnungspunkt 41: Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung: Antrag der Abgeordneten Irmingard Schewe- – Beschlussempfehlung und Bericht: Gerigk, Volker Beck (Köln), Jerzy Montag, Energie- und Entwicklungspolitik stär- weiterer Abgeordneter und der Fraktion ker verzahnen – Synergieeffekte für BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Zugang zu die weltweite Energie- und Entwick- Rentenleistungen für ehemalige Ghetto- lungsförderung besser nutzen Insassen erleichtern (Drucksache 16/6437) ...... 13381 D – Beschlussempfehlung und Bericht: Klimawandel global und effizient ein- Irmingard Schewe-Gerigk (BÜNDNIS 90/ dämmen – Klimaschutz und Anpas- DIE GRÜNEN) ...... 13382 A sungsmaßnahmen in Entwicklungslän- Jan Korte (DIE LINKE) ...... 13383 B dern entschieden voranbringen (Tagesordnungspunkt 37 a und b) ...... 13388 A Nächste Sitzung ...... 13383 D Michael Kauch (FDP) ...... 13388 A Berichtigungen ...... 13384 A Heike Hänsel (DIE LINKE) ...... 13389 A Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 127. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. November 2007 V

Anlage 6 Jörg van Essen (FDP) ...... 13396 A Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung Wolfgang Nešković (DIE LINKE) ...... 13397 B des Antrags: GKV-eigene Tarife durch Ko- operation von GKV und PKV beim Wahltarif Jerzy Montag (BÜNDNIS 90/ zur Kostenerstattung ersetzen (Tagesord- DIE GRÜNEN) ...... 13398 B nungspunkt 40) ...... 13390 A Brigitte Zypries, Bundesministerin Dr. Hans Georg Faust (CDU/CSU) ...... 13390 A BMJ ...... 13399 A Dr. Karl Lauterbach (SPD) ...... 13391 C Daniel Bahr (Münster) (FDP) ...... 13392 B Anlage 8 Frank Spieth (DIE LINKE) ...... 13393 B Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung Birgitt Bender (BÜNDNIS 90/ des Antrags: Zugang zu Rentenleistungen für DIE GRÜNEN) ...... 13393 D ehemalige Ghetto-Insassen erleichtern (Ta- gesordnungspunkt 41) ...... 13399 C Peter Weiß (Emmendingen) Anlage 7 (CDU/CSU) ...... 13399 C Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung Klaus Brandner (SPD) ...... des Entwurfs eines Gesetzes zur Einführung 13400 B der nachträglichen Sicherungsverwahrung bei Dr. Heinrich L. Kolb (FDP) ...... 13401 D Verurteilungen nach Jugendstrafrecht (Tages- ordnungspunkt 39) ...... 13394 C Dr. Jürgen Gehb (CDU/CSU) ...... 13394 C Anlage 9 Joachim Stünker (SPD) ...... 13395 C Amtliche Mitteilungen ...... 13402 C

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(A) (C) Redetext

127. Sitzung

Berlin, Freitag, den 16. November 2007

Beginn: 9.00 Uhr

Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Berichterstattung: Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Abgeordnete Bernhard Kaster Sitzung ist eröffnet. Christian Lange (Backnang) Jörg van Essen Ich muss Ihnen mitteilen, dass der Ältestenrat in sei- Dr. Dagmar Enkelmann ner gestrigen Sitzung verabredet hat, dass während der Volker Beck (Köln) Haushaltsberatungen in der kommenden Sitzungswoche wie üblich keine Befragung der Bundesregierung, keine – Bericht des Haushaltsausschusses (8. Aus- Fragestunde und keine Aktuellen Stunden durchgeführt schuss) gemäß § 96 der Geschäftsordnung werden. – Damit sind Sie offensichtlich einverstanden. – Drucksache 16/7162 – Dann ist das so beschlossen. Berichterstattung: Ich rufe den Zusatzpunkt 7 sowie den Tagesordnungs- Abgeordnete Norbert Königshofen punkt 42 m auf: (B) Gunter Weißgerber (D) ZP 7 – Zweite und dritte Beratung des von den Frak- Jürgen Koppelin tionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Dr. Gesine Lötzsch Entwurfs eines Siebenundzwanzigsten Ge- Anja Hajduk setzes zur Änderung des Abgeordnetenge- setzes 42 m)Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Dagmar Enkelmann, Ulrich Maurer, Klaus – Drucksache 16/6924 – Ernst, Volker Schneider (Saarbrücken) und der Fraktion DIE LINKE – Zweite und dritte Beratung des von den Abge- ordneten Jörg van Essen, Dr. Max Stadler, Privilegien beseitigen – Mitglieder des Deut- Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, weite- schen Bundestages in die gesetzliche Renten- ren Abgeordneten und der Fraktion der FDP versicherung einbeziehen eingebrachten Entwurfs eines Siebenund- zwanzigsten Gesetzes zur Änderung des – Drucksache 16/7107 – Abgeordnetengesetzes Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und – Drucksache 16/117 – Geschäftsordnung (f) Ausschuss für Arbeit und Soziales – Zweite und dritte Beratung des von den Abge- ordneten Jörg van Essen, Dr. Max Stadler, Zu dem Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, weiterer und der SPD zur Änderung des Abgeordnetengesetzes, Abgeordneter und der Fraktion der FDP ein- über den wir später namentlich abstimmen wollen, liegt gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Än- ein Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die derung des Grundgesetzes (Art. 48 Abs. 3) Grünen vor. Es ist verabredet, für die Aussprache eine halbe Stunde vorzusehen. – Dazu höre ich keinen Wider- – Drucksache 16/118 – spruch. Dann ist so beschlossen. Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort zu- schusses für Wahlprüfung, Immunität und Ge- nächst der Kollegin Gerda Hasselfeldt für die CDU/ schäftsordnung (1. Ausschuss) CSU-Fraktion. – Drucksache 16/7159 – (Beifall bei der CDU/CSU) 13306 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 127. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. November 2007

(A) Gerda Hasselfeldt (CDU/CSU): Die Ehrlichkeit und Redlichkeit der Debatte verlangt es, (C) Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! dass wir die Tätigkeitsprofile, die Anforderungen, die Über die geplante Änderung unserer Entschädigung und Belastung und die Verantwortung vergleichen können. unserer Altersversorgung wird in der Bevölkerung, wie Wenn wir dies als Ansatzpunkt nehmen, dann – da bin ich meine, zu Recht intensiv diskutiert. Das ist für die ich mir sicher – ist dieser gesetzlich fixierte Maßstab Abgeordneten, die sich dieser Diskussion stellen, vor al- nicht zu hoch gegriffen, sondern er ist angemessen und lem für diejenigen, die diese Diskussion mit konkreten der richtige. Vorschlägen begleiten, wie es die Kolleginnen und Kol- legen aus den Koalitionsfraktionen tun, nicht immer ein- (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) fach. Ich verstehe aber auch, dass manche Menschen, Bei dieser Gelegenheit, meine liebe Kolleginnen und vor allem diejenigen, die wenig verdienen, in dieser Dis- Kollegen, lassen Sie mich ein paar grundsätzliche Be- kussion ihren Unmut zum Ausdruck bringen. Gleich- merkungen machen und einige Fragen aufwerfen, die wohl will ich deutlich sagen: Bei sachgerechter Betrach- nicht nur wir zu beantworten haben, sondern die, wie ich tung erkennt man, dass diese Vorschläge ausgewogen glaube, im Rahmen der Diskussion auch die Bevölke- sind. Sie sind sachgerecht und verdienen unsere Unter- rung zu beantworten hat, nämlich zum Beispiel die Fra- stützung. gen: Was muss uns eigentlich ein unabhängiger Abge- (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) ordneter wert sein? Was sollte ein Abgeordneter an Profil, an Eigenschaften, an Fähigkeiten, an Qualifika- Als Erstes stellt sich die Frage, warum wir selbst ent- tionen mitbringen? scheiden. Für viele von uns wäre es wesentlich einfacher und bequemer, sich zurückzulehnen und diese Entschei- Bei der Beantwortung dieser Fragen sollten wir uns dung anderen zu überlassen. Das ist aber geltende Ver- bei objektiver Betrachtung darüber im Klaren sein fassungslage. Das ist geltendes Recht. Das Verfassungs- – ohne jetzt überheblich zu sein –, dass das, was die Ab- gericht schreibt vor: Wir sollen entscheiden. Wir sollen geordneten zu entscheiden und zu verantworten haben, vor den Augen der Öffentlichkeit darüber entscheiden. nicht nur für sie selbst, sondern für das ganze Land, für Ich füge hinzu: Ich finde das richtig so; die gesamte Bevölkerung, von enormer Tragweite ist. Ob es sich hier nun um Entscheidungen handelt über (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Bundeswehreinsätze im Ausland, über Maßnahmen zur denn eine Übertragung der Entscheidung an irgendeine Verbesserung des Klimaschutzes, zur Verbesserung der Kommission würde nichts anderes bedeuten, als die Ver- wirtschaftlichen Entwicklung oder zur Verbesserung der antwortung abzutreten, sie auf andere abzuwälzen. Sich sozialen Gerechtigkeit, was immer es auch ist. Wir strei- ten um die beste Entscheidung zu Recht. Vor diesem (B) vor der Entscheidung zu drücken, bedeutet, sich hinter (D) einer Kommission oder einem anderen Gremium zu ver- Hintergrund kann die Antwort nur lauten: Unsere Demo- stecken. kratie braucht die Besten in unserem Land für die poli- tische Verantwortung. Unser Ansatz ist ein anderer. Unser Ansatz ist ein transparenter Ansatz. Wir wollen öffentlich sagen, was (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) wir warum vorschlagen, dieses auch begründen und mit Wer die Besten sind, das entscheidet nicht jeder Ein- der Bevölkerung diskutieren. zelne, das entscheiden nicht wir, sondern das liegt in der (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Entscheidung der Wählerinnen und Wähler. Nur, wir be- kommen die Besten gar nicht in die Auswahl, wenn wir Es stellt sich eine zweite Frage: Warum die Diätenan- ihnen nicht das Gefühl vermitteln können, dass sie für passung jetzt? – Seit 1995 steht im Abgeordnetengesetz, das, was von ihnen verlangt wird, auch annähernd adä- dass sich die Entschädigung der Abgeordneten am Ge- quat bezahlt werden. halt eines Bürgermeisters einer Stadt oder Gemeinde in der Größenordnung zwischen 50 000 und 100 000 Ein- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- wohnern zu orientieren hat. Dieser Maßstab ist damals neten der SPD) gewählt worden, weil die Tätigkeit, die Verantwortung und die Belastung dieses Personenkreises in etwa mit de- Die Vorschläge umfassen auch eine Reduzierung der nen eines Bundestagsabgeordneten vergleichbar sind. Altersversorgung. Sie beinhalten einmal die Senkung Obwohl das seit 1995 im Gesetz verankert ist, sind wir der jährlichen Steigerungsrate, die früher bei 4 Prozent noch weit von dieser Bezugsgröße entfernt. Was nun lag und mittlerweile 3 Prozent beträgt. Diese wird auf vorgesehen ist, ist eine Annäherung daran. Selbst mit 2,5 Prozent reduziert. Die Senkung der Altersversorgung dieser Änderung wird die genannte Bezugsgröße noch beinhaltet weiter, dass der Höchstsatz von 69 Prozent nicht ganz erreicht. auf 67,5 Prozent reduziert wird. Dieser wird auch nicht wie bisher schon nach 23, sondern künftig erst nach Natürlich kann man sich dann fragen: Ist dieser Maß- 27 Parlamentsjahren erreicht. Außerdem beinhaltet er stab richtig? – Jeder könnte sich einen anderen vorstel- die Erhöhung der Altersgrenze von 65 Jahren auf len. Manche meinen, das persönliche Einkommen sollte 67 Jahre. Wir passen uns hiermit den Regelungen in der der Maßstab sein, andere wieder sagen, das Durch- gesetzlichen Rentenversicherung an. Wir wollen, dass schnittseinkommen sollte der Maßstab sein. Ich gehe das, was wir anderen zumuten, auch für uns gilt. Wir nicht so weit, zu sagen, dass zum Beispiel das Einkom- wollen uns ganz bewusst diesen Regelungen anschlie- men eines Fußballspielers ausschlaggebend sein sollte. ßen. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 127. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. November 2007 13307

Gerda Hasselfeldt (A) Natürlich taucht da immer wieder die Frage auf: Wa- fraktion bleibt bei der Ablehnung des Vorschlages der (C) rum macht ihr keine Systemumstellung, warum nicht Koalition, weil wir den besseren Vorschlag haben. höhere Bezüge und davon Beiträge für ein Versorgungs- (Beifall bei der FDP – Volker Kauder [CDU/ werk? Wir haben auch dies geprüft – die Diskussion CSU]: Dann mal los!) läuft ja nicht nur eine Woche, sondern in dieser Legisla- turperiode bereits seit eineinhalb Jahren –, und das Er- Es gibt erneut keinen Systemwechsel, aber dieser gebnis dieser Prüfung ist Folgendes: Erstens. Es würde Wechsel ist dringend notwendig, eine deutliche Mehrbelastung für den Bundeshaushalt (Beifall bei der FDP) nicht nur kurzfristig, sondern auch mittelfristig bedeu- ten. Zweitens gibt es eine Untersuchung einer ebenfalls denn alles das, was Kollegin Hasselfeldt vorgetragen unabhängigen Kommission aus dem Jahr 1993, der so- hat, trägt ja nicht wirklich. Wir merken seit vielen Jah- genannten Kissel-Kommission, ren, dass die Bürger das Gefühl haben, dass das, was mit den Diäten der Abgeordneten geschieht, nicht gerecht (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- ist. Das ist ein Gefühl bei den Bürgern, das wir schon NEN]: Das Gutachten möchte ich auch gern deshalb ernst zu nehmen haben, weil wir merken, wie haben!) viele Bürger sich bei uns mit Kritik und mit Vorschlägen die deutlich gemacht hat, dass durch eine solche Umstel- melden. lung keinerlei Einsparungen zu verzeichnen wären. Drit- Gefreut hat mich in den letzten Tagen, dass es auch tens entspricht unser jetziges System im Wesentlichen eine intensive Debatte in den Medien gegeben hat. Zu- der Versorgung in anderen öffentlichen Bereichen, die sätzlich hat mich gefreut, dass es so viel Unterstützung mit dem unseren vergleichbar sind; im Übrigen wird es für den Vorschlag der FDP-Bundestagsfraktion gegeben auch in fast allen Landtagen so praktiziert. hat, indem die Notwendigkeit des Systemwechsels auch in den Medien herausgestellt worden ist. Außerdem sagt eine reine Systemumstellung doch überhaupt nichts. Ich denke, dass die Bürgerinnen und (Beifall bei der FDP) Bürger auch ein Recht darauf haben, zu wissen, wie Deshalb will ich noch einmal deutlich machen, was hoch die Versorgung dann sein soll. Soll sie, wenn eine wir wollen. Wir wollen zur Transparenz beitragen, ja, solche Systemumstellung kommt, anschließend niedri- auch wir; denn die unabhängige Kommission, die wir ger oder höher sein, oder soll sie gleichbleiben? Ab wel- vorschlagen, wird ihre Vorschläge natürlich begründen chem Alter soll diese Versorgung dann gelten? Ich müssen, wird darlegen müssen, warum sie sagt, die Ab- meine, die Bürger haben einen Anspruch darauf, dies zu geordneten sollen dies oder jenes verdienen. hören und zu wissen. Aber, mit Verlaub, in keinem der (B) Gesetzentwürfe, in keinem der Anträge der Oppositions- Ich sage deutlich: Wir werden uns dem unterwerfen. (D) fraktionen ist davon nur ein Wörtchen zu lesen. Das kann niedriger sein; dann werden wir uns unterwer- fen. Es kann aber auch ein Stück mehr sein; dies werden (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- wir ebenso akzeptieren. Deshalb ist dies aus unserer neten der SPD) Sicht der richtige Weg. Alle, die das Hohelied des Mutes Ich frage mich, warum das so ist. Scheuen Sie die Dis- singen, den wir haben müssen, seien daran erinnert, dass kussion, wenn es ein wenig konkreter wird? viele Diätenentscheidungen gar nicht in diesem Hause gefallen sind, sondern in Redaktionsstuben. Niemand von uns soll sich hier verstecken, niemand von uns soll sich vor der Verantwortung drücken; viel- Ebenso sage ich deutlich: Wir möchten, dass es einen mehr sollen wir darüber eine offene Diskussion vor den Systemwechsel bei der Altersvorsorge gibt. Wir haben Augen der Öffentlichkeit führen, so wie es uns das Ver- uns in Nordrhein-Westfalen als FDP dafür eingesetzt, dass es zu diesem Systemwechsel gekommen ist. Er ist fassungsgericht aufgibt. Wir haben Ihnen dazu Vor- durchgeführt worden. Das zeigt, dass das Ganze mach- schläge gemacht. Der Gesetzentwurf ist beraten. Er sieht bar ist. Vor allen Dingen glaube ich, dass wir verantwort- konkrete Vorschläge vor, Vorschläge dazu, die Altersver- lich sind, wenn wir durch eigene Kapitalbeträge für die sorgung zu reduzieren, die Entschädigung an einen ob- Altersversorgung sorgen. Wir merken in allen sozialen jektiv vergleichbaren Maßstab anzupassen. Es ist ein Sicherungssystemen, dass wir zu solchen Systemände- Gesetzentwurf, meine lieben Kolleginnen und Kollegen, rungen kommen. Der Bundestag muss dabei vorange- der unsere Zustimmung verdient. hen. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) (Beifall bei der FDP) Auch das spricht für den Vorschlag der FDP-Bundes- Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: tagsfraktion. Der Kollege Jörg van Essen spricht jetzt für die FDP- Fraktion. Von daher aus unserer Sicht noch einmal die klare Ansage: Wir wollen eine Verfassungsänderung. Bisher (Beifall bei der FDP) schreibt das Bundesverfassungsgericht vor, dass wir die Entscheidung über die Höhe der Diäten selbst fällen Jörg van Essen (FDP): müssen. Es gibt ein wissenschaftliches Gutachten des Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Deutschen Bundestages, das deutlich und klar unter- Wir haben in den verschiedenen Gremien in der vergan- streicht, dass das möglich ist. Dann sollten wir es auch genen Woche die Fragen beraten. Die FDP-Bundestags- tun. 13308 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 127. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. November 2007

Jörg van Essen (A) Der Bundespräsident ist eine neutrale Institution, der gen –, wir, die Mitglieder des Deutschen Bundestages, (C) die Kommission berufen kann. Die Bürger haben dann arbeiten viel intensiver, als manchmal wahrgenommen Vertrauen in diese Kommission. Deshalb ist das der rich- wird. Deshalb sollten wir uns nicht selber kleinreden. tige Weg, die Abgeordnetendiäten festzulegen. Trotzdem kenne ich keinen Beruf, bei dem man sich Wir möchten, dass diese Kommission auch Vor- wegen seiner Bezahlung so sehr rechtfertigen muss. Die schläge für die Altersversorgung macht. Ich bin nach Kampagne der deutschen Boulevardpresse in der Ver- den guten Erfahrungen, die wir in Nordrhein-Westfalen gangenheit war schon wirklich bemerkenswert, obwohl beispielsweise gemacht haben, ganz sicher, dass die von ich gestern feststellen konnte, dass bei der Boulevard- uns vorgeschlagene Systemänderung geht. Von daher presse auch schon ein Umdenken eingesetzt hat. Das werbe ich für die Unterstützung des Vorschlages der gibt zu Hoffnung Anlass. Denn in der Vergangenheit war FDP-Bundestagsfraktion. Das ist der richtige Weg für es wirklich so, dass das bloße Erwähnen des Wortes die Festlegung der Diäten, aber auch für die Altersver- „Diäten“ schon einen richtigen Sturm der Entrüstung sorgung. ausgelöst hat, der dann mittelfristig auch von der Bevöl- kerung übernommen worden ist. Vielen Dank. Nichtsdestotrotz werden wir jetzt einer Erhöhung der (Beifall bei der FDP) Diäten in den Jahren 2008 und 2009 zustimmen. Im Üb- rigen handelt es sich um die erste Erhöhung seit dem Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Jahre 2003. Eine gleichmäßige Erhöhung, auf diese Es spricht jetzt die Kollegin Dr. Susanne Kastner für sechs Jahre verteilt, hätte eine Steigerung von etwa die SPD-Fraktion. 1,5 Prozent pro Jahr bedeutet. Das ist – ich glaube, das (Beifall bei der SPD) wissen inzwischen auch viele Bürgerinnen und Bürger – nicht maßlos, sondern völlig angemessen. Wir stehen da- mit nicht in etwa auf der Ebene eines Bill Gates oder an- Dr. h. c. Susanne Kastner (SPD): derer Reicher in unserem Land. Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zum besseren Verständnis unserer Bürgerinnen und (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Bürger hier auf der Tribüne und zu Hause an den Bild- Bill Gates ist aber nicht Deutscher!) schirmen sei noch einmal darauf hingewiesen, dass der – Ja, der ist nicht aus unserem Land. Das ist egal, Frau Deutsche Bundestag heute in der 16. Legislaturperiode Künast. Man wird immer mit Personen der obersten Ein- arbeitet. Es mag für einige Bürgerinnen und Bürger im kommensschichten verglichen. Lande und möglicherweise auch für den einen oder an- (B) deren Journalisten oder Kollegen interessant sein, wenn Es wäre auch unanständig, auf einer Ebene mit den (D) man dazu noch einige Fakten zum Besten gibt. Superreichen zu stehen, weil es sich bei unseren Gehäl- tern um Steuergelder handelt. Wenn wir dort stünden, In der letzten vollständigen vierjährigen Wahlperiode, dann würde man uns mit Recht vorwerfen, die Boden- die von 1998 bis 2002 andauerte, kam der Deutsche haftung zu verlieren. Bundestag zu 253 Sitzungen zusammen. Während dieser Zeit trafen sich die Fraktionen zu 1 226 Sitzungen, und Ich wiederhole: Wir werden 2009 auf derselben Stufe die 23 Ausschüsse tagten 2 848-mal zu den unterschied- stehen, die Bürgermeister deutscher Gemeinden und lichsten Themen. deutscher Städte mit 50 000 bis 100 000 Einwohnern be- reits heute erreicht haben. Alle diese 109 Bürgermeister Die aktuell 613 Abgeordneten des Deutschen Bun- erhalten bereits jetzt diese Bezahlung im Monat. Es han- destages betreuen 82 Millionen Bürgerinnen und Bürger delt sich um die Bürgermeister von Städten wie Plauen, in den 300 vorhandenen Wahlkreisen. Wenn meine Ab- Lippstadt, Celle, Passau und Castrop-Rauxel. Die Bür- geordnetenmitarbeiter und ich am Jahresende Bilanz zie- germeister der größeren Städte – das sind nochmals 82 – hen – ich weiß, dass es bei anderen Kolleginnen und beziehen im Übrigen natürlich wesentlich höhere Gehäl- Kollegen, mit denen ich gesprochen habe, ganz genauso ter. Wir deutschen Abgeordneten betreuen, nebenbei be- ist –, staunen wir über mehr als tausend Bürgerfälle, die merkt, in unseren Wahlkreisen 230 000 Bürgerinnen und uns erreicht haben. Hier finden sich langwierige Fälle Bürger. Auch deshalb halte ich die Erhöhung für voll- aus den Wahlkreisen, die Rente, Reha-Maßnahmen oder kommen angemessen. Asyl betreffen ebenso wie die Betreuung von Firmen in Schwierigkeiten, denen geholfen werden soll, und Ar- Ich möchte Ihnen noch eine erstaunliche Zahl mittei- beitnehmerfragen. Da sind aber auch die rasch zu erledi- len. Ein Bundesbürger gibt zurzeit pro Abgeordneten genden Aufgaben und die Fragen von Schulklassen über 60 Cent aus. Nach der Erhöhung werden es 66 Cent sein, Demokratie und Parlament. und das nicht pro Monat, sondern einmal im Jahr. Ich wiederhole: 66 Cent pro Bürger und Jahr für einen Ab- Über tausend Bürgerkontakte pro Jahr ergeben bei geordneten. Da stellt sich wirklich die Frage nach der 613 Abgeordneten immerhin 2 452 000 Anfragen aus Wertigkeit unseres Parlaments und letztendlich auch der Bevölkerung innerhalb einer Wahlperiode. unserer Demokratie. (Dr. Guido Westerwelle [FDP]: Bravo!) Liebe Kollegen und Kolleginnen, die Forderung eines Ich denke, das ist wirklich eine beeindruckende Zahl. Ich Systemwechsels bei den Altersbezügen von Abgeordne- bin ohnehin der Meinung – das sollte man durchaus sa- ten hört sich für viele vielleicht sehr gut an, weil man Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 127. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. November 2007 13309

Dr. h. c. Susanne Kastner (A) gleich an geringere Kosten denkt. Herr van Essen, in Sie, Herr Kollege Westerwelle, haben in diesem Zu- (C) Nordrhein-Westfalen ist dieser Systemwechsel in der Tat sammenhang eine unabhängige Sachverständigenkom- vollzogen worden. Die Bezüge dort sind von 4 800 Euro mission beim Bundespräsidenten vorgeschlagen. Es inte- auf 9 500 Euro gestiegen. Das ist ein Plus von sage und ressiert mich, wer in einer solchen Kommission sitzen schreibe 97,9 Prozent. Auf den Bundestag übertragen soll. hieße das eine Erhöhung der Diäten auf 13 871 Euro. (Jörg van Essen [FDP]: Der Bund der Steuer- Außerdem blieben die erworbenen Ansprüche der be- zahler!) reits im Ruhestand befindlichen Kollegen bestehen und damit auch die damit verbundenen Kosten. Ich frage mich, welches Selbstverständnis wir in unse- rem Parlament haben, wenn wir solche Entscheidungen Solche Zahlen zeigen sehr schnell, dass es nicht so in Zukunft einem anderen Verfassungsorgan übertragen. einfach ist, wie viele denken. Deshalb schließe ich mich den Worten an, die unser Erster Parlamentarischer Ge- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten schäftsführer in seiner Einbringungsrede in der vergan- der CDU/CSU) genen Woche gesagt hat: Wir müssen unsere Altersbe- Es stellt sich noch eine Frage: Welche Art von Parla- züge reduzieren; ein Systemwechsel würde das Ganze ment wollen wir in Zukunft eigentlich haben? Ich denke, nur verwässern. wir wollen ein unabhängiges Parlament mit Vertretern aus 121 Berufsgruppen. Genau diese Senkung der Altersversorgung haben wir durchgeführt. Vor zwölf Jahren hat ein Abgeordneter noch 4 Prozent seiner Diäten als Altersversorgungsan- Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: spruch bekommen. Dann haben wir auf 3 Prozent redu- Frau Kollegin, kommen Sie bitte zum Schluss. ziert, und jetzt, beim aktuellen Gesetzentwurf, sind wir bei 2,5 Prozent. Dr. h. c. Susanne Kastner (SPD): Einen letzten Satz, Frau Präsidentin. – Im Grundge- (Katrin Kunert [DIE LINKE]: Blanke Alters- setz steht das Wort Entschädigung. Ich sage zum armut!) Schluss: Ich bin stolz und dankbar, hier arbeiten zu dür- fen, um einen kleinen Beitrag für unsere Gesellschaft Außerdem führen wir – wie für alle anderen Arbeit- leisten zu können. Dafür bedarf es keineswegs einer Ent- nehmerinnen und Arbeitnehmer – auch für uns Abgeord- schädigung, sondern durchaus einer angemessenen Be- nete die Rente mit 67 ein. Es wird immer wieder behaup- zahlung. tet, Mitglieder des Deutschen Bundestages erhielten ab (B) dem ersten Tag eine hohe Rente. Das ist schlichtweg Vielen Dank. (D) falsch. Wir erwerben lediglich Anwartschaften auf die (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten spätere Rente mit 67, was anderen gegenüber auch kei- der CDU/CSU) nen Unterschied darstellt. Die Kolleginnen und Kollegen der Grünen fordern in Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: ihrem Antrag die Einrichtung eines Versorgungs- Jetzt hat das Wort die Kollegin Dr. Dagmar werks. Das kennen wir von den Versorgungswerken an- Enkelmann für die Linke. derer Berufsgruppen. Es bedeutet doch offensichtlich (Beifall bei der LINKEN) keinen Systemwechsel. Ein solcher Schritt bringt ledig- lich Neueinstellungen bei der Bundestagsverwaltung mit sich, die den höheren Verwaltungsaufwand bewältigen Dr. Dagmar Enkelmann (DIE LINKE): muss. Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Gestat- wenn Sie schon von einem Versorgungswerk reden und ten Sie mir eine kurze Vorbemerkung. Ich finde es gut, einen Systemwechsel fordern, dann hätte ich von Ihnen dass die Koalition namentliche Abstimmung beantragt eigentlich erwartet, dass Sie verlangen, dass die Abge- hat. Das schafft wenigstens Transparenz. ordneten bei einem Systemwechsel in die bestehenden (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Gert Systeme einzahlen, sodass kein neues bürokratisches Winkelmeier [fraktionslos]) Monstrum geschaffen werden muss. Wir haben erst in der vergangenen Woche in erster (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der Lesung über die Änderung des Abgeordnetengesetzes CDU/CSU) gesprochen. Bereits heute, also nach nur einer Woche, wird es den Beschluss dazu geben. So schnell kann es Es wurde bereits darauf hingewiesen, dass das Bun- manchmal in der Politik gehen. desverfassungsgericht uns diese Vorgehensweise be- schrieben hat und dass die Erklärung dafür lautet, dass (Hans-Michael Goldmann [FDP]: Sehr gut!) öffentlich und nicht hinter verschlossenen Türen über Nun wundern Sie sich, dass sich viele Bürgerinnen und Neuregelungen diskutiert werden soll. Richtig ist auch, Bürger über dieses Tempo nicht gerade freuen. Ich dass es dementsprechend momentan nicht möglich ist, denke, die Bürgerinnen und Bürger merken, dass es bei andere über unsere Gehälter entscheiden zu lassen. Das anderen Entscheidungen ganz anders geht. Die Anglei- wäre für uns alle einfacher und die Ergebnisse wären chung der Lebensverhältnisse von Ost und West wurde – davon bin ich überzeugt – überraschend. auf die lange Bank geschoben. Die Aufhebung der Kür- 13310 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 127. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. November 2007

Dr. Dagmar Enkelmann (A) zung der Pendlerpauschale wurde inzwischen wieder (Beifall bei der LINKEN – Dr. h. c. Susanne (C) vertagt. Die Verlängerung der Bezugsdauer des Kastner [SPD]: Das kann ja jeder sagen! Mal Arbeitslosengeldes I – darüber werden wir nachher bera- sehen, was Herr Lafontaine spendet!) ten – ist halbherzig. Wirksame Maßnahmen gegen zu- nehmende Armut werden auf den Sankt-Nimmerleins- Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Tag verschoben. Jetzt hat das Wort der Kollege Volker Beck für Bünd- Wir hatten hier gestern eine Debatte, in der es um die nis 90/Die Grünen. Anhebung des Arbeitslosengeldes II von 347 Euro auf 435 Euro ging. Es gab einen Antrag auf eine einmalige Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Weihnachtsbeihilfe für Hartz-IV-Empfänger in Höhe Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ein biss- von 40 Euro. Diese Debatte war von Hohn gegenüber chen mehr als nur Empörung von außerhalb des Parla- den Betroffenen geprägt. Man muss sich schämen, an ei- ments in diese Debatte zu tragen, wäre ganz gut und ner solchen Debatte teilgenommen zu haben. wäre auch der Seriosität des Themas angemessen, Frau (Beifall bei der LINKEN) Kollegin Enkelmann. Bei den Diäten haben Sie Entschlusskraft und Mut (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- bewiesen. Nun stellen Sie fest, dass die Bürgerinnen und SES 90/DIE GRÜNEN, der CDU/CSU und Bürger dieses Landes Ihnen das nicht gönnen. Was regt der SPD) die Leute tatsächlich auf? Es ist weniger die aktuelle Ich glaube, dass wir gut beraten sind, wenn wir erläu- Höhe der Diäten, sondern vor allen Dingen die Anhe- tern würden, warum Abgeordnete eine angemessene bung um monatlich fast 700 Euro in zwei Jahren. Wer Entschädigung und eine angemessene Altersversorgung trotz Arbeit auf ergänzende Sozialleistungen angewiesen haben müssen. Dadurch wird die Unabhängigkeit des ist, weil das Einkommen nicht reicht, darf sich, wie ich Mandats gesichert und damit auch die Unabhängigkeit finde, zu Recht aufregen. der politischen Entscheidungen des Hohen Hauses. Ab- Viele empören sich über die Privilegien der Abge- geordnete, die schlecht bezahlt werden, müssen es sich ordneten bei der Altersversorgung. Diese bleiben trotz entweder leisten können – das ist der Fall, wenn sie ver- einer marginalen Absenkung bestehen. Abgeordnete mögend sind; so war es im 19. Jahrhundert –, oder sie werden auch nach dieser Gesetzesänderung nicht in die unterliegen den Verlockungen der Lobbyisten, die mit Altersversorgung einzahlen. Es bleibt dabei, dass Abge- dem Inaussichtstellen von Nebenjobs und Jobs im An- ordnete nach wie vor bereits nach acht Jahren Zugehö- schluss an das politische Mandat politische Entscheidun- rigkeit zum Bundestag einen Anspruch haben, für den gen beeinflussen. Das ist die teuerste Veranstaltung für (B) der Durchschnittsrentner etwa 60 Jahre arbeiten muss. die Republik, nämlich wenn nicht nach bestem Wissen (D) Die Rente ab 67 für Abgeordnete, die uns hier verkauft und Gewissen entschieden wird. wird, ist ein Feigenblatt. Wer dem Bundestag länger an- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, gehört hat, kann ohne Abschläge bereits mit dem bei der CDU/CSU und der SPD) 57. Lebensjahr aus dem Berufsleben als Bundestagsab- geordneter ausscheiden. Wer in diesem Jahr mit Frau Kollegin Kastner, es wäre schön, wenn man die 0,54 Prozent – das sind 3 bis 5 Euro – mehr für die Rente Anträge der Konkurrenz wenigstens liest, abgespeist wurde, der darf sich zu Recht aufregen. (Dr. h. c. Susanne Kastner [SPD]: Das habe ich (Beifall bei der LINKEN) gemacht!) Wer durch Ihre Politik von einer Zwangsverrentung be- bevor man sie in der Debatte vom Tisch wischt. Wir ha- droht ist, der versteht die Welt nicht mehr. ben einen Antrag hinsichtlich eines Altersversorgungs- Wir legen Ihnen heute einen Vorschlag zur Neurege- werks vorgelegt. Darin geben wir auch an, wo das Ni- lung der Altersversorgung vor. Frau Hasselfeldt, wir veau liegen soll. Wir behaupten nicht, dass wir radikal möchten, dass dieser Vorschlag in den Ausschüssen kürzen wollen, sondern wir wollen ein transparenteres gründlich geprüft wird. Das ist ein Systemwechsel. Wir und für die Bevölkerung nachvollziehbareres Verfahren. wollen, dass Abgeordnete künftig in die gesetzliche Einen entsprechenden Vorschlag haben wir vorgelegt. Rentenversicherung einzahlen. Das Gutachten, das der Präsident des Deutschen Bun- (Beifall bei der LINKEN) destages auf unsere Anregung hin in Auftrag gegeben hat, kommt zum Ergebnis, dass wir nicht Diäten in Höhe Herr Kollege Struck hat in der Bild am Sonntag Fol- von 14 000 Euro, sondern einen Altersversorgungsbei- gendes gesagt: trag von monatlich ungefähr 3 000 Euro pro Abgeordne- ten brauchen, um das jetzige Versorgungsniveau, dessen Die Opposition will dagegenstimmen. Ich gehe da- Gesamtvolumen ja dem Volumen nicht unähnlich ist, das von aus, dass sie das Geld trotzdem gern nimmt und Sie heute beschließen wollen, zu halten. Insofern erzäh- es nicht an bedürftige Dritte spendet. len Sie Ammenmärchen. Das Gutachten kommt außer- Lieber Peter Struck, dir und allen Kolleginnen und Kol- dem zu dem Ergebnis, dass es für den Haushalt langfris- legen darf ich sagen, dass die Abgeordneten der Fraktion tig günstiger ist, die Altersversorgung über ein Die Linke das Geld aus der Erhöhung der Diäten für so- Versorgungswerk als direkt aus dem Bundeshaushalt zu ziale Projekte in ihren Wahlkreisen spenden werden. finanzieren. Ich danke Ihnen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 127. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. November 2007 13311

Volker Beck (Köln) (A) Auf diesen Vorschlag sind Sie nicht eingegangen. Sie Unser Vorschlag ist der erste Schritt dahin. Aber er folgt (C) haben das Gegenteil behauptet. Sie müssen jetzt also ein einer anderen Systematik als Ihr Vorschlag. Deshalb anderes Gutachten vorlegen, in dem dargelegt wird, dass würde ich mich freuen, wenn unser Antrag die Unter- das, was uns der Bundestagspräsident zur Beratung mit- stützung des Hauses fände. Denn nur zusammen mit gegeben hat, falsch ist. Bis dahin ist das vorliegende einer Strukturreform der Altersversorgung kann eine an- Gutachten die Grundlage der Diskussion. gemessene Diätenerhöhung auf Akzeptanz in der Bevöl- kerung treffen. Zu den Vorschlägen der anderen Fraktionen im Hohen Hause. Die FDP möchte die Frage los sein und darüber Vielen Dank, meine Damen und Herren. hier nicht mehr debattieren und die Entscheidung einer Kommission beim Bundespräsidenten überlassen. Wir (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) können aber nicht anders, als darüber selbst zu entschei- den. Denn wir sind der Gesetzgeber. Wir können doch Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: nicht bei unbequemen Fragen sagen, da möge uns ein Ich schließe die Aussprache. anderer erlösen. Wir kommen zur Abstimmung über den von den (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Ge- SES 90/DIE GRÜNEN, der CDU/CSU und setzentwurf zur Änderung des Abgeordnetengesetzes. der SPD) Zu dieser Abstimmung liegt eine Reihe von persönlichen Es rettet uns kein höheres Wesen. Die Entscheidung da- Erklärungen nach § 31 unserer Geschäftsordnung vor. Es rüber, was angemessen ist, müssen wir selber treffen und gibt Erklärungen der Kolleginnen und Kollegen vertreten. Veronika Bellmann, Swen Schulz, Dr. Matthias Miersch, Garrelt Duin, Marco Bülow, Gerold Reichenbach, Die Vorstellung, dass selbst das System der Altersver- Clemens Bollen, Steffen Reiche, Katja Mast, Kerstin sorgung von einer Kommission festgelegt werden soll, Griese, Dr. Carola Reimann und Sabine Bätzing.1) ist nun völlig aberwitzig. Denn Gesetze können die Kommissionen nicht ändern. Sie können vielleicht einen Der Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und Ge- Index nach bestimmten Maßstäben weiterentwickeln, schäftsordnung empfiehlt unter Buchstabe a seiner Be- aber sie können keine Strukturreformen vornehmen. Wir schlussempfehlung auf Drucksache 16/7159, den Ge- könnten ja auch sagen: Warum überlassen wir nicht auch setzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und SPD auf das Thema ALG I und ALG II – weil es die Parteien zer- Drucksache 16/6924 in der Ausschussfassung anzuneh- reibt – einer Kommission? Dann wären wir diese unan- men. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzei- (B) genehme Frage los. Nein, wir als Gesetzgeber können (D) uns nicht aus der Verantwortung stehlen! Wem das zu chen. – Die Gegenstimmen? – Die Enthaltungen? – Da- schwer ist, der soll sich nicht für ein Mandat im Deut- mit ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung angenom- schen Bundestag bewerben! men mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Opposition. Enthaltungen hat es nicht gegeben. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU und der SPD – Widerspruch Dritte Beratung des Abg. Hans-Michael Goldmann [FDP]) und Schlussabstimmung. Hierzu haben die Fraktionen Geschätzte Kollegen von der PDS, der Vorschlag, die der CDU/CSU und SPD namentliche Abstimmung ver- Abgeordneten unter anderem in die Rentenversicherung langt. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, einzubeziehen, genießt auch in unserer Fraktion Sympa- die vorgesehenen Plätze einzunehmen. – Sind alle Urnen thien. Aber so wie Sie das wollen, geht es gerade nicht. besetzt? – Das ist der Fall. Dann eröffne ich hiermit die Abstimmung. (Hans-Michael Goldmann [FDP]: Wie denn?) Ist ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine Wenn Sie die Abgeordneten in das heutige System der Stimme noch nicht abgeben konnte? – Das ist nicht der Rentenversicherung – also eines ohne Bürgerversiche- Fall. Dann schließe ich die Abstimmung und bitte die rung – einbeziehen, dann kommen Sie zu dem Ergebnis, Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszäh- dass ein Freiberufler, der noch nie in diesem Rentenver- lung zu beginnen. Das Ergebnis wird Ihnen später be- sicherungssystem versichert war, das Parlament nach kanntgegeben.2) vier Jahren als Abgeordneter ohne Altersversorgungsan- sprüche verlässt. Das funktioniert nur, wenn man es in Wir setzen die Abstimmungen fort. eine Bürgerversicherung einbezieht. Wir kommen zum Entschließungsantrag der Fraktion Unser Vorschlag eines Versorgungswerkes ist kompa- Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 16/7185. Wer tibel mit den Vorstellungen unserer Arbeitsgruppe So- stimmt für diesen Entschließungsantrag? – Die Gegen- zialpolitik, die alle Versorgungswerke als Teilkom- stimmen? – Die Enthaltungen? – Damit ist der Entschlie- ponente in das System der Bürgerversicherung ßungsantrag bei Zustimmung der einbringenden Frak- einbeziehen will. tion und Gegenstimmen im übrigen Haus abgelehnt. (Dr. Guido Westerwelle [FDP]: Wie stimmt ihr denn jetzt ab, Leute? Stimmt ihr jetzt zu, oder 1) Anlagen 2 bis 4 was?) 2) Siehe Seite 13314 D 13312 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 127. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. November 2007

Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt (A) Wir kommen nun zur Abstimmung über den von der Dr. Claudia Winterstein (C) Fraktion der FDP eingebrachten Gesetzentwurf zur Ände- Dr. Gesine Lötzsch rung des Abgeordnetengesetzes auf Drucksache 16/117. Anja Hajduk Der Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und Ge- schäftsordnung empfiehlt unter Buchstabe b seiner Be- b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- schlussempfehlung auf Drucksache 16/7159, den Gesetz- richts des Ausschusses für Arbeit und Soziales entwurf der Fraktion der FDP auf Drucksache 16/117 (11. Ausschuss) abzulehnen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf – zu dem Antrag der Abgeordneten Dirk Niebel, zustimmen wollen, um ihr Handzeichen. – Die Gegen- Dr. Heinrich L. Kolb, Dr. Karl Addicks, weite- stimmen? – Die Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist rer Abgeordneter und der Fraktion der FDP in zweiter Beratung bei Zustimmung der FDP-Fraktion und Gegenstimmen im übrigen Haus abgelehnt, wobei Überschüsse der Bundesagentur für Arbeit ich mir nicht ganz sicher über das Abstimmungsverhal- an Beitragszahler zurückgeben – Beitrags- ten des Kollegen Grund bin. senkungspotenziale nutzen (Manfred Grund [CDU/CSU]: Dagegen! – Olaf – zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Barbara Scholz [SPD]: Er hat dagegen gestimmt!) Höll, Dr. Gesine Lötzsch, Kornelia Möller, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE – Er hat also abgelehnt; gut. – Damit entfällt nach unse- LINKE rer Geschäftsordnung eine weitere Beratung. Überschüsse der Bundesagentur für Arbeit Ich komme jetzt zur Abstimmung über den von der zur Vermeidung von Langzeitarbeitslosig- Fraktion der FDP eingebrachten Gesetzentwurf zur Ände- keit, für mehr Qualifizierung und eine län- rung des Art. 48 Abs. 3 des Grundgesetzes. Der Aus- gere Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes schuss für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsord- verwenden nung empfiehlt weiterhin unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/7159, den Ge- – Drucksachen 16/6434, 16/6035, 16/7151 (neu) – setzentwurf der Fraktion der FDP auf Drucksache 16/118 Berichterstattung: abzulehnen. Ich bitte jetzt diejenigen, die dem Gesetz- Abgeordneter Stefan Müller (Erlangen) entwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. Die Gegenstimmen? – Die Enthaltungen? – Damit ist dieser Zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Än- Gesetzentwurf bei Zustimmung der einbringenden Frak- derung des Dritten Buches Sozialgesetzbuch und anderer tion und Gegenstimmen im übrigen Haus abgelehnt. Da- Gesetze liegt ein Entschließungsantrag der Fraktionen (B) mit entfällt die dritte Beratung. der CDU/CSU und der SPD vor. Es ist verabredet, ein- (D) einviertel Stunden zu debattieren. – Dazu höre ich kei- Tagesordnungspunkt 42 m. Interfraktionell wird vor- nen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. geschlagen, die Vorlage auf Drucksache 16/7107 zur Fe- derführung an den Ausschuss für Wahlprüfung, Immuni- Ich gebe als Erstem dem Kollegen Parlamentarischen tät und Geschäftsordnung und zur Mitberatung an den Staatssekretär Gerd Andres das Wort. Ausschuss für Arbeit und Soziales zu überweisen. Gibt es dazu weitere Vorschläge? – Das ist nicht der Fall. Gerd Andres, Parl. Staatssekretär beim Bundes- Dann ist so beschlossen. minister für Arbeit und Soziales: Ich rufe jetzt die Tagesordnungspunkte 33 a und 33 b Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kol- auf: legen! Es ist in dieser Woche öffentlich, aber auch in die- sem Haus der eine oder andere Unkenruf laut geworden, a) – Zweite und dritte Beratung des von der Bundes- die Koalition befinde sich im Winterschlaf oder sie sei in regierung eingebrachten Entwurfs eines Sechsten eine Schockstarre verfallen. Ich finde, wir sollten diese Gesetzes zur Änderung des Dritten Buches Unken ruhig weiter quaken lassen. Denn wir führen mit Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze diesem Gesetz vor, dass wir unmittelbar, rasch und sehr – Drucksache 16/6741 – schnell handeln. Wir lösen ein und wir setzen um, was wir versprochen haben. Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus- ses für Arbeit und Soziales (11. Ausschuss) Die Koalition hat sich vor gut zwei Jahren vorgenom- men, die Sozialversicherungsbeiträge in der Summe – Drucksache 16/7151 (neu) – nachhaltig auf unter 40 Prozent zu senken. Mit dem Be- Berichterstattung: schluss, den Beitrag zur Arbeitslosenversicherung ab Abgeordneter Stefan Müller (Erlangen) dem 1. Januar 2008 auf 3,3 Prozent abzusenken, werden wir dieses Ziel erreicht haben. Für den Durchschnittsver- – Bericht des Haushaltsausschusses (8. Ausschuss) diener bedeutet das immerhin eine jährliche Entlastung gemäß § 96 der Geschäftsordnung von 122 Euro. Das ist ein guter Erfolg und ein wichtiger – Drucksache 16/7164 – Schritt. Berichterstattung: Wir sind sehr zuversichtlich, dass die Bundesagentur Abgeordnete Peter Weiß (Emmendingen) für Arbeit bis zum Jahre 2011 ohne zusätzliches Geld Waltraud Lehn vom Bund auskommen kann. Die ausreichende Finan- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 127. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. November 2007 13313

Parl. Staatssekretär Gerd Andres (A) zierung der aktiven Arbeitsmarktpolitik und eine nach- Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: (C) haltige und solide aufgestellte Bundesagentur für Arbeit, Bitte schön. ein Beitragssatz wie zuletzt zu Zeiten von und ein Rückgang der Arbeitslosigkeit um mehr Dr. Ilja Seifert (DIE LINKE): als 1,1 Millionen Menschen seit Amtsantritt, das ist eine Herr Staatssekretär, Sie loben gerade die Leistungen glänzende Bilanz für einen Arbeitsminister, eine Bilanz, der Bundesagentur für Arbeit sehr. Können Sie mir bitte die ihresgleichen sucht. einmal erklären, wieso Sie 530 Millionen Euro aus der (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der Eingliederungshilfe wegnehmen wollen, um das Ar- CDU/CSU) beitslosengeld I länger zahlen zu können? Diese sind ja gerade für Menschen gedacht, die es schwerer haben, Wir profitieren dabei gewiss auch von der guten Ent- vermittelt zu werden, bzw. bei denen man weiß – zum wicklung der Konjunktur. Aber manche Skandalisierun- Beispiel bei Menschen mit Behinderungen und anderen, gen sind schon befremdlich. Ich sage hier ganz deutlich: die Eingliederungshilfe brauchen –, dass die Vermittlung Die Bundesagentur, die von der FDP als reformunfähige immer noch sehr viel problematischer als bei anderen ist. Mammutbehörde abgestempelt wird und angeblich auf- Dort fehlt es dann. gelöst gehört, Wie können Sie mir erklären, dass das für die Men- (Zuruf von der FDP: Jawohl!) schen vernünftig und sinnvoll ist, die mehr Hilfe für die Eingliederung in den Arbeitsprozess brauchen? diese BA hat in den vergangenen Jahren so gut gewirt- schaftet, dass zum Jahresende die Rücklage der BA auf (Beifall bei der LINKEN) rund 18 Milliarden Euro angestiegen sein wird, und das, obwohl für den diesjährigen Haushalt der Bundesagentur Gerd Andres, Parl. Staatssekretär beim Bundesmi- ein deutliches Minus prognostiziert worden war. Viel- nister für Arbeit und Soziales: leicht sollten einige Kollegen einmal im Licht der Reali- Herr Seifert, ich habe gerade einmal zwei Minuten täten überprüfen, was sie da so in die Mikrofone erzäh- gesprochen. Ich werde auf den anderen Teil noch zu- len. Die Realität ist: Die Bundesagentur hat ein sehr rückkommen und dann Ihre Frage beantworten. gutes Ergebnis erzielt. Ich füge hinzu: Sie macht einen guten Job. Davon sollen jetzt auch diejenigen profitie- Dr. Ilja Seifert (DIE LINKE): ren, die dieses Ergebnis mit ermöglicht haben: die Bei- Gut, damit bin ich einverstanden. tragszahlerinnen und Beitragszahler. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) (B) Gerd Andres, Parl. Staatssekretär beim Bundesmi- (D) Sie haben es sich verdient, weil sie es sind, die den Auf- nister für Arbeit und Soziales: schwung tragen. Ich war bei den Beschäftigungsquoten Älterer. – Ich finde, dass wir uns darauf nicht ausruhen dürfen und Noch etwas sei an dieser Stelle gesagt: Es sind gerade auch nicht können. Unser erstes Ziel muss es daher wei- die Erfahrung und das Wissen der Älteren in den Beleg- ter sein, alle Anstrengungen zu unternehmen, dass ältere schaften, von denen die Unternehmen profitieren. In Arbeitnehmer in Arbeit bleiben und nicht arbeitslos wer- manchem Unternehmen wird das gesehen, bewegt sich den. da etwas; bei anderen, die noch immer dem Jugendwahn Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Koali- anhängen, dürfen wir nicht nachlassen in dem Bemühen, tionspartner haben sich am Montagabend auf eine Ver- sie zum Umdenken zu bewegen. Die Unternehmen brau- längerung der Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes I für chen beides: Sie brauchen die jungen Hüpfer, und sie ältere Arbeitslose geeinigt. Arbeitslose ab 50 Jahren sol- brauchen die alten Hasen. Es ist längst nicht mehr so, len bis zu 15 Monate Arbeitslosengeld I erhalten, wenn wie es einmal war: Arbeitslos zu werden, ist auch für Äl- sie in den fünf Jahren davor zweieinhalb Jahre einbe- tere nicht mehr das Ende. Wir sind da ein gutes Stück zahlt haben. Ab 55 Jahren steigt die Dauer auf vorangekommen: Bei den 55- bis 59-Jährigen haben wir 18 Monate, wenn drei Jahre Beiträge gezahlt wurden. im zweiten Quartal 2007 eine Beschäftigungsquote von Schließlich sollen über 58-Jährige bis zu 24 Monate sage und schreibe 67,2 Prozent erreicht. Ich denke, dies Arbeitslosengeld I erhalten, wenn sie vier der letzten ist ein Erfolg, der sich sehen lassen kann. fünf Jahre versichert waren. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der Ich finde, dass das insgesamt ein tragfähiger Kompro- CDU/CSU) miss ist, durch den auch das Interesse der Versicherten- gemeinschaft berücksichtigt wird, weil die Mittel der Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Beitragszahler nur dort eingesetzt werden, wo die Ar- Herr Kollege, es gäbe den Wunsch nach einer Zwi- beitslosigkeit unvermeidbar fortbesteht. Uns ist dabei schenfrage des Kollegen Ilja Seifert. Möchten Sie sie zu- vor allem eines wichtig: Wir wollen die Förderung älte- lassen? rer Arbeitsloser verbessern. Unser Ziel bleibt: Perspek- tive statt Frührente. Gerd Andres, Parl. Staatssekretär beim Bundesmi- Wir wollen daher jedem älteren Arbeitslosen ein kon- nister für Arbeit und Soziales: kretes Arbeitsplatzangebot machen. Wo dies nicht mög- Ja, bitte. lich ist, soll er einen Eingliederungsgutschein erhalten. 13314 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 127. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. November 2007

Parl. Staatssekretär Gerd Andres (A) Nur dann, wenn es ihm trotz aller Bemühungen und För- derungsmaßnahmen im SGB II beteiligt. Das macht Sinn (C) derungen nicht gelingt, auf dem Arbeitsmarkt wieder und ist vernünftig; denn ich muss Ihnen sagen: Bevor Fuß zu fassen, wird das Arbeitslosengeld I länger ausge- wir die Systematik des SGB II eingeführt haben, hat die zahlt. Dies entspricht klar unserem Grundsatz „Fördern Bundesagentur für Arbeit für viele Menschen erhebliche und Fordern“. Mittel für Eingliederungsmaßnahmen und für eine aktive Arbeitsmarktpolitik verausgabt. Sie ist diejenige, die be- Bei alldem muss klar sein: Die Bundesagentur für Ar- troffene Menschen sozusagen aus dem einen System in beit hat zwar Überschüsse, aber wir dürfen diese auch das andere System abgibt, und zwar in nicht unerhebli- nicht über Gebühr strapazieren. Wir wollen daher keine chem Maße. In den letzten Monaten haben die Quantitä- zusätzlichen Belastungen für die BA. Gleichzeitig ten abgenommen, was uns sehr freut. Aber es handelt – auch das ist mir wichtig zu betonen – darf die Verlän- sich noch immer um mehr als eine Viertelmillion Men- gerung der Bezugsdauer für Ältere nicht zulasten der schen. Angesichts dessen halten wir es für recht und bil- Jüngeren gehen. Auch das ist ein Stück Generationenge- lig und außerordentlich vernünftig, dass die Bundes- rechtigkeit. agentur für Arbeit bei den Beitragsmitteln bzw. durch Die Bundesregierung wird zu diesem Kompromiss eine Verrechnung des Zuschusses, den wir ihr aus Steu- schnellstmöglich einen Gesetzentwurf vorlegen. Wir ermitteln gewähren, zur Finanzierung aktivierender werden dann noch ausreichend Gelegenheit haben, da- Maßnahmen herangezogen wird. rüber zu diskutieren. Dann sind auch Sie gefordert, jen- Ich sage ausdrücklich, dass der vorliegende Gesetz- seits von Unkenrufen aus der Starre zu erwachen und entwurf neben vielen anderen Sachen, die wir beschlos- sich daran zu beteiligen. sen haben und noch beschließen werden, zu der außeror- Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf wird auch gere- dentlich erfolgreichen Bilanz von Franz Müntefering gelt, wie das Verhältnis von Beitragszahlungen und gehört. Er hat dies als Arbeitsminister zu verantworten Steuermitteln bei den Eingliederungsmitteln im Be- und vorangetrieben. Es ist daher richtig und gut, daran reich des SGB II aussieht. Herr Seifert hat ja darauf hin- zu erinnern, dass dieser Arbeitsminister nach zwei Jah- gewiesen, dass wir vorsehen, aus nicht verausgabten ren eine glänzende Bilanz vorweisen kann. Das unter- Mitteln des Eingliederungstitels zukünftig gut 500 Millio- streichen alle Zahlen deutlich. nen Euro aufzuwenden, um damit diese zusätzlichen Ak- Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. tivitäten für Ältere finanzieren zu können. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Wir sind in der günstigen Situation, dass wir die Bei- tragsmehreinnahmen der Bundesagentur für Arbeit für Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: (B) sehr unterschiedliche Dinge – wie ich finde: vernünftig – (D) nutzen können. Wir werden erstens einen Pensionsfonds Ich gebe Ihnen jetzt das von den Schriftführerinnen für die beamtenähnlich Beschäftigten bei der Bundes- und Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentli- agentur für Arbeit einrichten. Damit erreichen wir ein chen Abstimmung über den von den Fraktionen der Stück mehr Generationengerechtigkeit, weil klar ist, CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurf eines Sie- dass vorhandene Mittel im Hinblick auf künftige Belas- benundzwanzigsten Gesetzes zur Änderung des Abge- tungen für die Beschäftigten der Bundesagentur für Ar- ordnetengesetzes – das sind die Drucksachen 16/6924 beit verwandt werden. und 16/7159 – bekannt: Es wurden abgegeben 557 Stimmen. Mit Ja haben gestimmt 377 Abgeordnete, Zum Zweiten werden wir dafür sorgen, dass sich die mit Nein haben gestimmt 166 Abgeordnete. Es gab Bundesagentur für Arbeit auch künftig aufgrund entspre- 14 Enthaltungen. Damit ist der Gesetzentwurf angenom- chender Regelungen aus ihrem Haushalt an den Einglie- men.

Endgültiges Ergebnis Thomas Bareiß Dr. Ralf Brauksiepe Hartwig Fischer (Göttingen) Abgegebene Stimmen: 557; Norbert Barthle Monika Brüning Dirk Fischer (Hamburg) davon Dr. Wolf Bauer Georg Brunnhuber Axel E. Fischer (Karlsruhe- Günter Baumann Cajus Caesar Land) ja: 377 Dr. Christoph Bergner Gitta Connemann Dr. Maria Flachsbarth nein: 166 Otto Bernhardt Leo Dautzenberg Klaus-Peter Flosbach enthalten: 14 Clemens Binninger Hubert Deittert Herbert Frankenhauser Renate Blank Alexander Dobrindt Dr. Hans-Peter Friedrich Ja Peter Bleser Thomas Dörflinger (Hof) Antje Blumenthal Marie-Luise Dött Erich G. Fritz CDU/CSU Dr. Maria Böhmer Maria Eichhorn Jochen-Konrad Fromme Dr. Stephan Eisel Dr. Michael Fuchs Ulrich Adam Wolfgang Börnsen Anke Eymer (Lübeck) Dr. Jürgen Gehb Ilse Aigner (Bönstrup) Ilse Falk Peter Albach Wolfgang Bosbach Dr. Hans Georg Faust Eberhard Gienger Peter Altmaier Klaus Brähmig Enak Ferlemann Dorothee Bär Helmut Brandt Ingrid Fischbach Josef Göppel Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 127. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. November 2007 13315

Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt (A) Peter Götz Philipp Mißfelder Arnold Vaatz Monika Griefahn (C) Dr. Wolfgang Götzer Dr. Eva Möllring Volkmar Uwe Vogel Kerstin Griese Ute Granold Dr. Gerd Müller Andrea Astrid Voßhoff Gabriele Groneberg Reinhard Grindel Hildegard Müller Gerhard Wächter Wolfgang Grotthaus Hermann Gröhe Carsten Müller Marco Wanderwitz Wolfgang Gunkel Michael Grosse-Brömer (Braunschweig) Kai Wegner Hans-Joachim Hacker Markus Grübel Stefan Müller (Erlangen) Marcus Weinberg Klaus Hagemann Manfred Grund (Bremen) Peter Weiß (Emmendingen) Michael Hartmann Monika Grütters Michaela Noll Gerald Weiß (Groß-Gerau) (Wackernheim) Dr. Karl-Theodor Freiherr zu Dr. Georg Nüßlein Ingo Wellenreuther Nina Hauer Guttenberg Franz Obermeier Karl-Georg Wellmann Dr. Reinhold Hemker Olav Gutting Annette Widmann-Mauz Rolf Hempelmann Holger Haibach Henning Otte Klaus-Peter Willsch Dr. Barbara Hendricks Gerda Hasselfeldt Rita Pawelski Elisabeth Winkelmeier- Gustav Herzog Ursula Heinen Ulrich Petzold Becker Petra Heß Uda Carmen Freia Heller Dr. Joachim Pfeiffer Wolfgang Zöller Stephan Hilsberg Michael Hennrich Sibylle Pfeiffer Willi Zylajew Petra Hinz (Essen) Jürgen Herrmann Beatrix Philipp Gerd Höfer Bernd Heynemann Ronald Pofalla SPD Frank Hofmann (Volkach) Peter Hintze Ruprecht Polenz Dr. Lale Akgün Eike Hovermann Robert Hochbaum Daniela Raab Gerd Andres Christel Humme Klaus Hofbauer Thomas Rachel Niels Annen Lothar Ibrügger Franz-Josef Holzenkamp Dr. Peter Ramsauer Ingrid Arndt-Brauer Brunhilde Irber Joachim Hörster Peter Rauen Rainer Arnold Johannes Jung (Karlsruhe) Anette Hübinger Eckhardt Rehberg Ernst Bahr (Neuruppin) Ulrich Kasparick Hubert Hüppe Katherina Reiche (Potsdam) Doris Barnett Dr. h. c. Susanne Kastner Dr. Hans-Heinrich Jordan Klaus Riegert Dr. Hans-Peter Bartels Ulrich Kelber Dr. Franz Josef Jung Dr. Klaus Barthel Hans-Ulrich Klose Andreas Jung (Konstanz) Franz Romer Sören Bartol Dr. Bärbel Kofler Bartholomäus Kalb Johannes Röring Sabine Bätzing Hans-Werner Kammer Kurt J. Rossmanith Dirk Becker Fritz Rudolf Körper Steffen Kampeter Dr. Norbert Röttgen Klaus Uwe Benneter Karin Kortmann Alois Karl Dr. Christian Ruck Dr. Axel Berg Rolf Kramer Bernhard Kaster Albert Rupprecht (Weiden) Ute Berg Anette Kramme (B) Siegfried Kauder (Villingen- Peter Rzepka Petra Bierwirth Ernst Kranz (D) Schwenningen) Anita Schäfer (Saalstadt) Lothar Binding (Heidelberg) Nicolette Kressl Volker Kauder Hermann-Josef Scharf Volker Blumentritt Dr. Hans-Ulrich Krüger Eckart von Klaeden Hartmut Schauerte Gerd Bollmann Angelika Krüger-Leißner Jürgen Klimke Dr. Annette Schavan Dr. Jürgen Kucharczyk Julia Klöckner Dr. Andreas Scheuer Klaus Brandner Helga Kühn-Mengel Jens Koeppen Karl Schiewerling Ute Kumpf Kristina Köhler (Wiesbaden) Norbert Schindler Ulla Burchardt Dr. Uwe Küster Norbert Königshofen Georg Schirmbeck Dr. Michael Bürsch Christine Lambrecht Dr. Rolf Koschorrek Christian Carstensen Christian Lange (Backnang) Hartmut Koschyk Christian Schmidt (Fürth) Marion Caspers-Merk Dr. Karl Lauterbach Thomas Kossendey Andreas Schmidt (Mülheim) Dr. Peter Danckert Waltraud Lehn Gunther Krichbaum Ingo Schmitt (Berlin) Dr. Herta Däubler-Gmelin Helga Lopez Dr. Günter Krings Dr. Andreas Schockenhoff Gabriele Lösekrug-Möller Dr. Martina Krogmann Dr. Ole Schröder Martin Dörmann Lothar Mark Johann-Henrich Bernhard Schulte-Drüggelte Dr. Carl-Christian Dressel Caren Marks Krummacher Uwe Schummer Elvira Drobinski-Weiß Katja Mast Dr. Hermann Kues Wilhelm Josef Sebastian Detlef Dzembritzki Hilde Mattheis Dr. Karl A. Lamers Sebastian Edathy Markus Meckel (Heidelberg) Kurt Segner Siegmund Ehrmann Petra Merkel (Berlin) Andreas G. Lämmel Marion Seib Hans Eichel Ulrike Merten Dr. Max Lehmer Bernd Siebert Petra Ernstberger Ursula Mogg Paul Lehrieder Thomas Silberhorn Karin Evers-Meyer Marko Mühlstein Ingbert Liebing Johannes Singhammer Elke Ferner Gesine Multhaupt Eduard Lintner Jens Spahn Gabriele Fograscher Dr. Rolf Mützenich Dr. Klaus W. Lippold Christian Freiherr von Stetten Rainer Fornahl Andrea Nahles Patricia Lips Gero Storjohann Dagmar Freitag Thomas Oppermann Dr. Michael Luther Andreas Storm Peter Friedrich Holger Ortel Stephan Mayer (Altötting) Max Straubinger Martin Gerster Johannes Pflug Wolfgang Meckelburg Thomas Strobl (Heilbronn) Iris Gleicke Joachim Poß Dr. Michael Meister Michael Stübgen Günter Gloser Christoph Pries Dr. Angela Merkel Hans Peter Thul Renate Gradistanac Dr. Wilhelm Priesmeier Antje Tillmann Angelika Graf (Rosenheim) Florian Pronold Dr. h. c. Hans Michelbach Dr. Hans-Peter Uhl Dieter Grasedieck Dr. Sascha Raabe 13316 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 127. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. November 2007

Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt (A) Dr. Carola Reimann Nein Dr. Konrad Schily Grietje Bettin (C) Christel Riemann- Marina Schuster Alexander Bonde Hanewinckel CDU/CSU Dr. Dr. Thea Dückert Dr. Max Stadler Hans-Josef Fell Walter Riester Veronika Bellmann Dr. Rainer Stinner Kai Gehring René Röspel Michael Brand Carl-Ludwig Thiele Katrin Göring-Eckardt Karin Roth (Esslingen) Dr. Peter Jahr Florian Toncar Anja Hajduk Ortwin Runde Manfred Kolbe Dr. Guido Westerwelle Britta Haßelmann Marlene Rupprecht Dr. Claudia Winterstein Bettina Herlitzius (Tuchenbach) Dr. Volker Wissing Winfried Hermann Anton Schaaf SPD Hartfrid Wolff (Rems-Murr) Peter Hettlich Axel Schäfer (Bochum) Bernhard Brinkmann Martin Zeil Priska Hinz (Herborn) Bernd Scheelen (Hildesheim) Ulrike Höfken Marianne Schieder Martin Burkert DIE LINKE Dr. Anton Hofreiter Bettina Hagedorn Bärbel Höhn Hüseyin-Kenan Aydin Dr. Frank Schmidt Gabriele Hiller-Ohm Thilo Hoppe Dr. Dietmar Bartsch Ulla Schmidt (Aachen) Johannes Kahrs Ute Koczy Karin Binder Dirk Manzewski Fritz Kuhn Silvia Schmidt (Eisleben) Dr. Lothar Bisky Detlef Müller (Chemnitz) Renate Künast Renate Schmidt (Nürnberg) Heidrun Bluhm Sönke Rix Markus Kurth Heinz Schmitt (Landau) Eva Bulling-Schröter Dr. Ernst Dieter Rossmann Undine Kurth (Quedlinburg) Carsten Schneider (Erfurt) Dr. Martina Bunge Monika Lazar Olaf Scholz Michael Roth (Heringen) Roland Claus Anna Lührmann Andreas Steppuhn Dr. Diether Dehm Nicole Maisch Reinhard Schultz Jörn Thießen Werner Dreibus Jerzy Montag (Everswinkel) Dr. Wolfgang Wodarg Dr. Dagmar Enkelmann Kerstin Müller (Köln) Wolfgang Gehrcke Swen Schulz (Spandau) Winfried Nachtwei FDP Dr. Gregor Gysi Ewald Schurer Omid Nouripour Heike Hänsel Frank Schwabe Jens Ackermann Brigitte Pothmer Lutz Heilmann Dr. Angelica Schwall-Düren Daniel Bahr (Münster) Claudia Roth (Augsburg) Hans-Kurt Hill Dr. Martin Schwanholz Uwe Barth Krista Sager Cornelia Hirsch Rainer Brüderle Elisabeth Scharfenberg Inge Höger Rita Schwarzelühr-Sutter Angelika Brunkhorst Christine Scheel Dr. Barbara Höll Wolfgang Spanier Patrick Döring Irmingard Schewe-Gerigk Ulla Jelpke Jörg-Otto Spiller Mechthild Dyckmans Dr. Gerhard Schick Dr. Lukrezia Jochimsen Jörg van Essen Rainder Steenblock (B) Dr. Ditmar Staffelt Dr. Hakki Keskin (D) Ulrike Flach Silke Stokar von Neuforn Dieter Steinecke Katja Kipping Otto Fricke Hans-Christian Ströbele Jan Korte Paul K. Friedhoff Dr. Harald Terpe Rolf Stöckel Katrin Kunert Horst Friedrich (Bayreuth) Jürgen Trittin Christoph Strässer Oskar Lafontaine Dr. Edmund Peter Geisen Wolfgang Wieland Dr. Peter Struck Ulla Lötzer Hans-Michael Goldmann Josef Philip Winkler Joachim Stünker Dr. Gesine Lötzsch Miriam Gruß Ulrich Maurer Dr. Rainer Tabillion Joachim Günther (Plauen) Fraktionslose Abgeordnete Dorothée Menzner Jörg Tauss Dr. Christel Happach-Kasan Kornelia Möller Henry Nitzsche Jella Teuchner Heinz-Peter Haustein Kersten Naumann Gert Winkelmeier Dr. h. c. Elke Hoff Wolfgang Nešković Franz Thönnes Dr. Dr. Norman Paech Enthaltung Rüdiger Veit Michael Kauch Bodo Ramelow Simone Violka Dr. Heinrich L. Kolb Elke Reinke CDU/CSU Jörg Vogelsänger Gudrun Kopp Paul Schäfer (Köln) Jürgen Koppelin Friedrich Merz Dr. Marlies Volkmer Volker Schneider Heinz Lanfermann Hedi Wegener (Saarbrücken) Sibylle Laurischk SPD Petra Weis Dr. Herbert Schui Harald Leibrecht Gunter Weißgerber Dr. Ilja Seifert Clemens Bollen Ina Lenke Gert Weisskirchen Dr. Petra Sitte Willi Brase Sabine Leutheusser- (Wiesloch) Frank Spieth Garrelt Duin Schnarrenberger Dr. Rainer Wend Dr. Kirsten Tackmann Gabriele Frechen Michael Link (Heilbronn) Lydia Westrich Dr. Axel Troost Iris Hoffmann (Wismar) Markus Löning Dr. Margrit Wetzel Alexander Ulrich Josip Juratovic Horst Meierhofer Jörn Wunderlich Dr. Matthias Miersch Andrea Wicklein Patrick Meinhardt Dr. Dieter Wiefelspütz Sabine Zimmermann Mechthild Rawert Jan Mücke Steffen Reiche (Cottbus) Engelbert Wistuba Burkhardt Müller-Sönksen BÜNDNIS 90/ Gerold Reichenbach Waltraud Wolff Dirk Niebel DIE GRÜNEN Dr. Margrit Spielmann (Wolmirstedt) Detlef Parr Heidi Wright Cornelia Pieper Kerstin Andreae FDP Uta Zapf Gisela Piltz Volker Beck (Köln) Manfred Zöllmer Jörg Rohde Cornelia Behm Dr. Karl Addicks Brigitte Zypries Frank Schäffler Birgitt Bender Christian Ahrendt Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 127. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. November 2007 13317

Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt (A) Wir kommen zurück zu unserer Debatte. Ich gebe das machen, die Chancen auf Einstellung noch mehr verbes- (C) Wort dem Kollegen Dirk Niebel für die FDP-Fraktion. sern und so den Menschen zumindest ein Stück weit das Gefühl geben, dass der Aufschwung auch in ihrem eige- (Beifall bei der FDP) nen Portemonnaie ankommt. Das machen Sie nicht. Das ist ein großer Fehler. Dirk Niebel (FDP): (Beifall bei der FDP) Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Kollege Staatssekretär hat gesagt, man Im Gegenteil, Sie belasten die Bundesagentur für Ar- werde Wort halten bei dem, was man versprochen habe. beit zusätzlich weiter mit versicherungsfremden Leis- Zumindest für einen Teil, über den wir nun debattieren, tungen. Das hat sogar der Deutsche Gewerkschaftsbund gilt das für den Staatssekretär ganz persönlich nicht. Ich in der Anhörung beklagt. Nach Angaben des Karl- meine damit die Verlängerung der Bezugsdauer des Bräuer-Instituts zahlt die Bundesagentur 11,9 Milliarden Arbeitslosengeldes I. Sie alle erinnern sich sicherlich, Euro für Dinge, die nicht Sache der Beitragszahler, dass es zu diesem Thema eine Aktuelle Stunde gab. Herr sondern Sache der Steuerzahler, also der Gesamtgesell- Andres hat in dieser Aktuellen Stunde für die Bundesre- schaft, wären. Zusätzlich übertragen Sie mit einer Be- gierung und vermutlich auch für sich selbst geredet. Ich teiligung an den Eingliederungsleistungen für Arbeitslo- erlaube mir, aus seinen damaligen Ausführungen zu zi- sengeld-II-Empfänger zusätzliche Lasten in Höhe von tieren. Er sagte damals: 5 Milliarden Euro auf die Beitragszahler und somit auf den Faktor Arbeit. Sie nehmen den Menschen Chancen, Ich finde es faszinierend, dass uns jetzt Zahlen und statt ihnen Perspektiven zu eröffnen. Deswegen sagen Untersuchungsergebnisse vorliegen, die belegen, wir: Ihre Arbeitsmarktpolitik geht in die Irre. dass wir das, was wir mit der Absenkung der Be- zugsdauer des Arbeitslosengeldes erreichen woll- (Beifall bei der FDP) ten, auch erreichen: ein anderes Verhalten bei den betroffenen Menschen und ein anderes Verhalten Herr Andres, Sie selbst haben völlig zu Recht gesagt, bei den beteiligten Betrieben. dass die durchschnittliche Arbeitslosengeldbezugsdauer der 50- bis 55-Jährigen ungefähr sechs Monate beträgt, Völlig zu Recht hat der Staatssekretär festgestellt, dass die der 55- bis 60-Jährigen ungefähr sieben Monate und sich die Erwerbsbeteiligung Älterer – das sagen auch die der 60- bis 65-Jährigen ungefähr elf Monate. Sie alle Forschungsinstitute – ursächlich durch die Verkür- selbst haben folgerichtig daraus geschlossen, dass Sie zung der Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes I von mit einer gesetzlich geregelten Bezugsdauer bis zu 38 auf 52 Prozent erhöht hat. Genau das war unser Ziel: 24 Monaten den Realitäten nicht entsprechen. Sie sollten (B) Wir wollten die Teilhabechancen verbessern und die Ihrer richtigen Schlussfolgerung entsprechende Taten (D) Menschen in Arbeit bringen und nicht die Arbeitslosig- folgen lassen und die richtige Politik daraus entwickeln. keit finanzieren. Das haben wir – übrigens gemeinsam Die Menschen in Deutschland wollen die Chance ha- mit der damaligen Opposition – auf den Weg gebracht, ben, ihr Leben selbst in die Hand nehmen zu können. um älteren Menschen wieder eine Chance zu geben. Sie Das bedeutet: Wir müssen die Arbeit billiger machen. sollten nicht ausgegliedert werden. Genau das drehen Die Bundesregierung hat, obwohl im Koalitionsvertrag Sie mit dem, was Sie angeblich versprochen haben, wie- vereinbart ist, die arbeitsmarktpolitischen Instrumente der zurück. Sie haben Ihr Versprechen gebrochen. Sie zu modernisieren, seit eineinhalb Jahren einen Evaluie- nehmen vielen Menschen die Chance, wieder einen Ar- rungsbericht in der Schublade liegen, an den Sie nicht beitsplatz in diesem Land zu bekommen. herangehen will. Darin steht, dass ein Großteil der Maß- (Beifall bei der FDP) nahmen, die sie mit dem Geld anderer Leute bezahlt, nicht nur nicht hilft, sondern den Betroffenen bei der Su- Zudem senken Sie die Beiträge. Das ist anerkennens- che nach einem Arbeitsplatz schadet. Ich frage mich, ob wert; denn ein Beitragspunkt weniger wird allgemein das nicht einfach nur ideologisch begründet ist, weil Sie mit 100 000 mehr Arbeitsplätzen gleichgesetzt. Eine an althergebrachten, geliebten, tradierten Maßnahmen Beitragssenkung ist allein aufgrund der Tatsache, dass festhalten wollen, damit diejenigen, die im Rahmen der Sie zu Beginn des Jahres den Bürgerinnen und Bürgern „Arbeitslosenindustrie“ Jahrzehnte Geld verdient ha- mit der höchsten Steuererhöhung in der Geschichte der ben, weiter daran verdienen werden. Das geht alles auf Republik das Geld aus der Tasche gezogen haben, not- Kosten der Menschen, die das Ganze mit ihrer Hände wendig, um die Kaufkraft der Menschen zu stärken. Die Arbeit zu finanzieren haben. Bevölkerung fragt sich völlig zu Recht: Wo bleibt mein eigener Aufschwung? Es nutzt nichts, wenn brutto viel (Beifall bei der FDP) auf dem Lohnzettel steht, aber netto nichts zum Ausge- Aus diesen Gründen können wir Ihren Vorschlägen ben übrig bleibt. Deswegen hätten Sie hier den ganzen nicht folgen. Kehren Sie zur Reformpolitik der alten Weg gehen müssen. Die zu diesem Thema durchgeführte Bundesregierung zurück! Erleichtern Sie uns als legaler Anhörung hat gezeigt, dass eine Beitragssenkung auf Opposition gegenüber dieser Regierung das Leben inso- 3 Prozent trotz einer sinnvollen und von uns geforderten fern, als wir nicht in die Lage versetzt werden, ständig Pensionsrückstellung sachgerecht und realistisch ist. Das die Reformen von Herrn Schröder vertreten zu müssen. IfW in Kiel hält 2,9 Prozent und das Karl-Bräuer-Institut Das wäre eigentlich Ihre Aufgabe. sogar 2,7 Prozent für möglich. Sie könnten also die Bei- träge noch weiter senken, Arbeit dadurch noch billiger (Beifall bei der FDP – Lachen bei der SPD) 13318 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 127. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. November 2007

(A) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: desagentur für Arbeit hatte erfreulicherweise im (C) Der Kollege Peter Rauen spricht jetzt für die CDU/ Jahr 2006 einen Überschuss von 11,2 Milliarden Euro, CSU-Fraktion. auch durch den Einmaleffekt durch die vorgezogene Zahlung der Sozialversicherungsbeiträge. Heute vor ei- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) nem Jahr ging man davon aus, dass in 2007 ein Minus von 4,2 Milliarden Euro in der Kasse sein würde. In Peter Rauen (CDU/CSU): Wahrheit sind es 6,8 Milliarden Euro, die übrig sind. Das Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und ist ein Delta von 11 Milliarden Euro. Herren! Herr Niebel, ich glaube, eine Opposition kann ein Stück glaubwürdiger sein, indem sie in manchen Wie sind diese gewaltigen finanziellen Änderungen Momenten auch Erreichtes anerkennt. zu erklären? Die positiven Daten des Arbeitsmarktes al- lein – so schön sie auch sind – erklären nicht diese ge- (Dirk Niebel [FDP]: Das habe ich!) waltige finanzielle Veränderung. Die Bruttolöhne haben Vor fast zwei Jahren ist die Bundesregierung mit zwei sich 2006 um 14 Milliarden Euro und in diesem Jahr überragenden Zielen angetreten: erstens, die Staatsfinan- weiter erhöht. Die Zahl der Empfänger von Arbeitslo- zen zu sanieren und, zweitens, wieder mehr Menschen in sengeld hat sich 2006 im Vergleich zum Vorjahr um Arbeit zu bringen. In diesem Jahr meldet Deutschland 282 000 auf 1 446 000 verringert. Im Juni war die Zahl zum ersten Mal seit 1989, das erste Mal nach der Wie- der Bezieher von Arbeitslosengeld unter 1 Million ge- dervereinigung, wieder ausgeglichene Haushalte nach rutscht. Es hat noch andere Veränderungen gegeben, die Brüssel, also Bund, Länder, Gemeinden und die sozialen aus meiner Sicht sehr zu beachten sind. Kassen. Wir haben auch Wort gehalten, indem wir die Der Vorsitzende der Bundesagentur für Arbeit, Frank- Sozialversicherungsbeiträge unter 40 Prozent gedrückt Jürgen Weise, hat diese in der aktuellen Wirtschaftswo- haben. che, wie ich finde, beim rechten Namen genannt. Er (Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Heinrich L. Kolb spricht dort von einer „massiven Verhaltenskompo- [FDP]: Vorübergehend, nicht dauerhaft!) nente“. Es ist etwas geschehen, was man mit Zahlen und Statistiken schwerlich messen kann. In der Bevölkerung Das aus meiner Sicht Wichtigste aber ist, dass wir wie- ist ein genereller Bewusstseinswandel eingetreten. Die der mehr Menschen in Arbeit gebracht haben. Firmen sind weg vom früheren Jugendwahn und haben (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und wieder die Qualität älterer Arbeitnehmer zu ihrem eige- der SPD) nen Nutzen erkannt. Voraussetzung für diesen Wandel war ein Wechsel im Denken dahin gehend, dass der Staat Nach den letzten Meldungen haben wir 864 000 (B) nicht mehr für jeden allumfassende Fürsorge bis hin zur (D) mehr sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsver- Rente garantiert und dies auch nicht mehr will. Die Re- hältnisse und 1 129 000 weniger Arbeitslose als vor formen am Arbeitsmarkt läuteten in der Tat eine wahre zwei Jahren. Dies alles – gesunde Haushalte, gesenkte Revolution in den Köpfen der Menschen ein. Die Person Sozialabgaben und funktionierender Arbeitsmarkt – ist selbst rückte wieder in den Mittelpunkt arbeitsmarktpoli- nach zwei Jahren erreicht. Wer da noch behauptet, die tischer Betrachtung, wobei der Staat die flankierenden Regierung sei nicht handlungsfähig, hat offenkundig Maßnahmen trifft. Insofern ist Hartz IV eben nicht die Probleme mit der Wahrnehmung der Realität. Fortführung des Arbeitslosen- und Sozialhilfesystems; (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Hartz IV ist ein Paradigmenwechsel Die wichtigste Veränderung ist die Festsetzung des (Frank Spieth [DIE LINKE]: Wohl wahr!) Arbeitslosenversicherungsbeitrages auf 3,3 Prozent. hin zur selbstbestimmten Persönlichkeit, die aufgefor- Wenn wir im November 2005 gesagt hätten, dass wir dert ist, sich aktiv dem Arbeitsmarkt zu stellen. zum 1. Januar 2008 die Beiträge von damals 6,5 Prozent fast halbieren werden, hätten Sie uns für verrückt erklärt. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Aber nicht nur das. Auch die Bezugszeit des Arbeitslo- Frank Spieth [DIE LINKE]: Lesen Sie mal die sengeldes für ältere Arbeitnehmer wird verlängert. Die Petitionen zu diesem Thema!) Bundesagentur für Arbeit kann 2,5 Milliarden Euro in Der Erfolg dieser Konzeption spiegelt sich in allen einen Versorgungsfonds der BA einstellen. Sie beteiligt Haushalten und in allen sozialen Kassen wider. Herr sich mit 5 Milliarden Euro an den Eingliederungsbeiträ- Andres hat eben bereits erklärt, dass mit Beginn des gen und mit 290 Millionen Euro an den Beiträgen wäh- neuen Jahres die Bezugszeiten für Arbeitslosengeld ver- rend der Kindererziehungszeiten. längert werden. Es gibt Bedenken, dass die Verlängerung Ich kenne die Bedenken bezüglich des Verschiebens diese massive Verhaltenskomponente wieder verändern von steuerfinanzierten Fürsorgeleistungen auf die bei- könnte; das muss man sehen. Nicht zuletzt hat unser von tragsfinanzierte Kasse der Bundesagentur für Arbeit. Ich mir hochgeschätzter Arbeitsminister Müntefering selbst persönlich teile diese Bedenken. Dennoch bleibt festzu- diese Gefahr gesehen. Wird es dazu kommen? Ich stellen: Mit dem heutigen Gesetz wird der Steuerzahler glaube, nicht. Die Tatsache, dass die Vorversicherungs- um 5,3 Milliarden Euro entlastet. Darüber hinaus haben zeiten zweieinhalb Jahre, drei Jahre bzw. vier Jahre be- wir durch die Beitragssenkung die in die Versicherung tragen müssen, deutet darauf hin, dass hier Arbeitnehmer Einzahlenden, also Arbeitnehmer und Unternehmer, um mit einer langen Erwerbsbiografie begünstigt werden; insgesamt rund 24 Milliarden Euro entlastet. Die Bun- sie haben es auch verdient, dass die Bezugsdauer verlän- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 127. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. November 2007 13319

Peter Rauen (A) gert wird. Aber wenn diesen Leuten gleich die Vermitt- Ich finde es übrigens auch erstaunlich, Herr Niebel, (C) lungsgutscheine gegeben werden – ich habe mein gan- dass Sie hier sagen, die arme FDP sei jetzt dazu verur- zes Leben mit Arbeitnehmern zusammengearbeitet; teilt, die Schröder’schen Reformen zu verteidigen. Das diejenigen, die jetzt begünstigt werden, sind nicht darauf macht auch deutlich, warum wir so gegen die aus, arbeitslos zu sein –, werden sie sehr schnell wieder Schröder’schen Reformen waren: Es war nämlich genau in Arbeit kommen. Wenn das intelligent gemacht wird, neoliberale FDP-Politik. dann wird diese Verhaltenskomponente nicht verändert. (Beifall bei der LINKEN) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Dann haben Sie gesagt, Herr Rauen, man müsse wür- digen, dass jetzt mehr Leute sozialversicherungspflichtig Eines lassen Sie mich, der sich im Prinzip immer tätig sind. Ich nenne Ihnen einmal ein paar Zahlen, die noch als Arbeiter fühlt, ganz deutlich sagen: Es ist schon Sie zur Kenntnis nehmen müssen: 2,5 Millionen Kinder wichtig, dass den Menschen, die ein ganzes Leben lang in Armut; 7,4 Millionen Leute, die ausschließlich oder gearbeitet haben, die Fürsorge betrieben haben, die das zusätzlich von ALG II leben; getan haben, was wir alle erwarten, nämlich für sich selbst einzustehen, ein Stück Angst davor genommen (Rolf Stöckel [SPD]: Besser als vor drei Jah- wird, dass sie vielleicht im höheren Alter noch arbeitslos ren!) werden. Ich glaube, hier werden die Richtigen begüns- 1,2 Millionen Vollbeschäftigte, die einen so geringen tigt. Ich bin mir sicher, dass dieses Gesetz auf Millionen Lohn beziehen, dass sie zusätzlich Sozialleistungen in von Arbeitnehmern eine sehr beruhigende Wirkung ha- Anspruch nehmen müssen, die Aufstocker; ben wird. (Rolf Stöckel [SPD]: Gut, dass es die Sozial- (Volker Schneider [Saarbrücken] [DIE leistungen gibt!) LINKE]: Insbesondere, wenn man zwangsver- rentet wird!) 5 Millionen in Mini- und Midijobs; 800 000 in Leihar- beit, einer modernen Form der Sklaverei. Diese Zahlen Ich glaube, das war die Mühen wert, die man bei diesem machen deutlich, dass Sie die Arbeitslosenstatistik hier Gesetzentwurf an den Tag gelegt hat. nicht ehrlich beschreiben. Schönen Dank. (Beifall bei der LINKEN) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Aber heute geht es ja um etwas anderes. Es geht um neten der SPD) die Verlängerung der Bezugsdauer von ALG I und um (B) Beitragssenkungen. Fangen wir einmal mit dem Ersten (D) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: an. Da muss ich der Union eines lassen: Hier haben Sie Jetzt hat der Kollege Dr. Gregor Gysi das Wort für sich im Wesentlichen gegen die SPD durchgesetzt. Die Linke. Die SPD verkauft das ja als großen Erfolg. Ich will (Beifall bei der LINKEN – Hartwig Fischer einmal vergleichen, was der SPD-Parteitag beschlossen [Göttingen] [CDU/CSU]: Er sagt jetzt, dass er hat und was herausgekommen ist. Ihr Parteitag hat be- seine Anwaltsbezüge spenden will!) schlossen, dass die 45- bis 49-jährigen Arbeitslosen 15 Monate lang Arbeitslosengeld I beziehen sollen, 50-Jährige und Ältere sollen 24 Monate lang Dr. Gregor Gysi (DIE LINKE): Arbeitslosengeld I beziehen. Dann haben Sie gesagt, das Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Ganze solle aus den Überschüssen der Bundesagentur Rauen, ich habe Ihnen gerade zugehört. Sie haben ernst- bezahlt werden. Was ist herausgekommen? Für die 45- haft gesagt, dass ALG-II-Bezieherinnen und -Bezieher bis 49-Jährigen gar nichts; für sie ändert sich nichts. Für selbstbestimmt leben können. Ich glaube, Sie haben nie die 50- bis 54-Jährigen kommen statt 24 Monaten nur mit einem gesprochen. Ich muss das wirklich einmal so 15 Monate heraus, das heißt, statt einer Steigerung um deutlich sagen. 12 Monate kommt nur eine Steigerung um 3 Monate (Beifall bei der LINKEN – Dr. Ralf heraus. Das ist gerade einmal ein Viertel. Das ist ein Er- Brauksiepe [CDU/CSU]: Lesen Sie mal die folg für die Union, kein Erfolg für Sie; das muss man Gerichtsurteile dazu!) ganz klar sagen. Für die 55- bis 57-Jährigen ändert sich nichts. Sie bekommen, wie jetzt, das Arbeitslosengeld I Dass Sie gestern als christliche Partei auch noch das 18 Monate lang. Erst für die 58-Jährigen und Älteren ist Weihnachtsgeld für die Leute abgelehnt haben, ebenso, eine Bezugsdauer von 24 Monaten eingeführt worden; den Regelsatz zu erhöhen, da sie Arbeitslosengeld I bislang 18 Monate lang be- (Max Straubinger [CDU/CSU]: Weil wir das kommen, ist das eine Steigerung um 6 Monate. Das ist vor zwei Jahren bereits eingeführt haben, Herr alles, was Sie erreicht haben. Gysi!) Dann muss man noch sehen, dass im Vergleich zu das spricht dafür, dass Sie gegen die Selbstbestimmung dem, was Sie gefordert haben, die Vorversicherungs- dieser Leute auftreten. zeiten erhöht worden sind und dass der Arbeitszwang verstärkt wird. Wenn man das alles zusammennimmt, ist (Beifall bei der LINKEN) kaum eine Besserstellung der Betroffenen eingetreten. 13320 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 127. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. November 2007

Dr. Gregor Gysi (A) Die Union hat sich weitgehend durchgesetzt, nicht die Die Bundesagentur für Arbeit hat einen Überschuss (C) SPD, zumindest nicht mit dem, was sie einmal beschlos- von 18 Milliarden Euro erwirtschaftet. Nichts davon set- sen hat. zen Sie in diesem Sinne ein. Was müsste man nach unse- rer Meinung mit diesen Überschüssen machen? Wir (Beifall bei der LINKEN) müssten die Bezugsdauer von ALG I deutlich verlän- Darüber hinaus werden die Kosten nicht aus den Über- gern. Beim ALG II müssten wir zumindest den Regel- schüssen der Bundesagentur gedeckt, sondern durch satz erhöhen und die Kriterien, die Sie erfunden haben Einsparungen bei ALG II und bei der Eingliederungs- und die erfüllt sein müssen, damit man es überhaupt be- hilfe. antragen kann, verändern. Wir müssten Weiterbildungs- maßnahmen und einen öffentlich geförderten Beschäfti- Nun haben Sie, Herr Staatssekretär, von den Über- gungssektor finanzieren. schüssen gesprochen. Ich schildere Ihnen einmal, was mir eine Frau geschrieben hat. Sie ist über 58 und hat un- (Beifall bei der LINKEN) terschrieben, dass sie nicht mehr vermittelt werden, son- Ich nenne Ihnen ein Beispiel: Förderunterricht für dern bis zur gesetzlichen Rente ALG II beziehen will. Kinder, die entweder besonders begabt sind oder denen Aber sie hat sich weiterhin beworben, weil sie eigentlich es in der Schule schwerer fällt. Sie wissen ganz genau, tätig sein wollte. Jetzt hat diese Frau ein Unternehmen dass es Eltern gibt, die sich diesen Unterricht leisten gefunden, das sie einstellen wollte. Das Unternehmen können, und andere, die sich das nicht leisten können. wollte aber den Eingliederungszuschuss haben. Die Wir könnten einer wichtigen Aufgabe nachkommen und Arge hat gesagt: Nein, Sie haben doch unterschreiben, gleichzeitig arbeitslose Lehrerinnen und Lehrer in Be- dass Sie nicht mehr vermittelt werden. Dann bekommt schäftigung bringen. Wir würden endlich Arbeit statt Ar- das Unternehmen auch keinen Zuschuss. – So kann man beitslosigkeit finanzieren. Sie aber verwenden nichts natürlich Zuschüsse sparen. Den Job hat sie nicht be- von dem Geld für derartige Maßnahmen, sondern sagen: kommen; dafür zahlen wir ihr weiter ALG II. Bekloppter Dieses Geld muss an die Unternehmen zurückfließen. geht es doch gar nicht. Wir hätten diese Frau in Arbeit Das ist nicht sozialdemokratisch gedacht, im Gegenteil. bringen können, machen das aber nicht. (Beifall bei der LINKEN – Dirk Niebel [FDP]: (Beifall bei der LINKEN) Aber die Arbeitnehmer zahlen auch Beiträge!) Ich habe in vielen Zeitungen gelesen, dass die Verlän- Jetzt kommen wir zur Senkung der Arbeitslosenver- gerung der Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes I für ei- sicherungsbeiträge. Sie sind stolz darauf nen Linksruck in der SPD steht. (Peter Weiß [Emmendingen] [CDU/CSU]: Zu (Heinz-Peter Haustein [FDP]: Das ist wahr! – (B) Recht!) (D) Rolf Stöckel [SPD]: Für die Bild-Zeitung sind wir nicht verantwortlich!) und rechnen immer vor, was die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer davon haben. In den Jahren 1995 bis 2006 Dieses bisschen, über das wir gerade diskutiert haben, betrug der Beitrag 6,5 Prozent. Die Große Koalition, soll also einen Linksruck der SPD ausmachen. Meine also Union und SPD, haben diesen Beitrag auf 4,2 Pro- Damen und Herren von der FDP und von der Union, ich zent gesenkt. Intern wurde vereinbart, den Beitrag weiter muss Ihnen eines sagen – vielleicht haben Sie es verges- zu senken, und zwar auf 3,5 Prozent. Wir kennen das ja sen –: Unter haben Ihre Parteien beschlos- schon von der Mehrwertsteuer: Die einen wollten eine sen, das Arbeitslosengeld bis zu 32 Monate lang zu zah- Erhöhung um 0 Prozent, die anderen um 2 Prozent- len. punkte. Als Kompromiss sind 3 Prozentpunkte heraus- (Dirk Niebel [FDP]: Das war ein großer Feh- gekommen. – Und was ist jetzt bei der Koalitionsver- ler!) handlung rausgekommen? Statt der vereinbarten 3,5 Prozent sind es 3,3 Prozent. Wieder hat sich die Wenn das jetzt ein Linksruck sein soll, dann müssten Sie Union gegenüber der SPD durchgesetzt. nach heutigen Maßstäben damals linksextremistisch ge- wesen sein. Vor diesem Ruf möchte ich Sie dann doch in Die Frage ist: Was spart man dadurch? Wer spart Schutz nehmen. was? Die Absenkung von 6,5 Prozent auf 3,3 Prozent macht für die Unternehmen eine jährliche Einsparung (Heiterkeit und Beifall bei der LINKEN) von 25 Milliarden Euro aus. Was hat sich für die ALG-II-Empfänger geändert? (Heinz-Peter Haustein [FDP]: Das ist doch in Ord- Eine Regelsatzerhöhung und die Zahlung von Weih- nung! – Dirk Niebel [FDP]: Halbe-halbe!) nachtsgeld lehnen Sie ab. Gibt es irgendwelche Verände- rungen bei den demütigenden Deklarierungen hinsicht- – Zu Ihrer Theorie sage ich gleich etwas. Wenn Sie lich Altersvorsorge, Sparguthaben, Wohnung und Auto, halbe-halbe machen, dann sind es 12,5 Milliarden. Ich die diesen Menschen abverlangt werden? Sie wissen, mache aber nicht halbe-halbe. Ich werde Ihnen das wie sich Leute fühlen, wenn sie ihren Lebensstandard gleich erklären. – Bei einer Senkung von 4,2 Prozent auf auf Sozialhilfeniveau reduzieren müssen, um überhaupt 3,3 Prozent geht es um 7 Milliarden Euro; nach der ALG II in Anspruch nehmen zu können. Das muss man Halbe-halbe-Theorie ginge es um 3,5 Milliarden Euro. ändern. Ich will Ihnen erklären, warum ich nicht halbe-halbe (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) mache. Es fängt damit an, dass Sie falsch berechnen, Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 127. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. November 2007 13321

Dr. Gregor Gysi (A) was Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer netto im Ver- Wohngeld in Anspruch nimmt. Ich sage Ihnen eines: Für (C) gleich zum Bruttoeinkommen mehr hätten. Eine Arbeit- den Facharbeiter sind 480 Euro im Jahr sehr viel Geld. nehmerin oder ein Arbeitnehmer mit 2 300 Euro Brutto- einkommen monatlich erhält im Jahr netto 124,20 Euro (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. mehr. Bei einem Einkommen in Höhe von 1 000 Euro Rolf Stöckel [SPD]) brutto monatlich sind es im Jahr 54 Euro mehr. Da ist Es gibt noch ein Zweites. Sie haben gesagt, das nichts mit 400 Euro mehr. Sie müssten schon ein Spit- komme den Unternehmen zugute. Das ist wahr. Bei den zenverdiener sein, um so viel davon zu haben. 24 Milliarden Euro an Entlastung geht die Hälfte an die Ich werde Ihnen jetzt einmal verdeutlichen, warum Unternehmen. Können Sie sich nicht vorstellen, dass es ich der Meinung bin, dass eine Senkung der Lohnneben- für einen Handwerksbetrieb, der haushaltsnahe Dienst- kosten die Unternehmen begünstigt. Darf ich Ihnen das leistungen erbringt, wichtig ist, die 40 Euro pro Mitar- erklären, Herr Niebel? beiter und Monat weniger an Beiträgen zu zahlen, weil er dadurch vielleicht den Auftrag in Konkurrenz zur (Dirk Niebel [FDP]: Gern!) Schwarzarbeit bekommt und deshalb Menschen ordent- Da Sie mir das logischerweise nicht glauben, werde ich lich beschäftigen kann? die neoliberale Freiburger Schule zitieren. Ich bitte Sie, das einfach zur Kenntnis zu nehmen, und bitte um eine Antwort darauf. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Herr Kollege, würden Sie vorher noch die Frage des (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Kollegen Rauen zulassen? Rolf Stöckel [SPD])

Dr. Gregor Gysi (DIE LINKE): Dr. Gregor Gysi (DIE LINKE): Ja, selbstverständlich. Solange ich antworte, sollen Sie aufgrund irgendeiner Regel stehen bleiben. Das zu bemessen, ist insofern (Dr. Ralf Brauksiepe [CDU/CSU]: Die Frei- schwer, als Sie gar keine Frage gestellt haben. Sie haben burger Schule war nie neoliberal!) einen kurzen ergänzenden Vortrag gehalten. Das macht – Aber wirklich schwerwiegend! nichts; den habe ich mir gern angehört. Ich werde Ihnen jetzt aber belegen – dann können Sie sich auch gerne (Peter Weiß [Emmendingen] [CDU/CSU]: wieder setzen –, warum das Ganze eine Entlastung der Von Freiburg hat er keine Ahnung! Das steht Unternehmen ist. schon einmal fest! – Gegenruf des Abg. Dirk (B) (D) Niebel [FDP]: Das können ja nur wir entschei- (Max Straubinger [CDU/CSU]: Ist das etwas den!) Falsches?) Ich komme noch einmal zu der ordoliberalen Freibur- Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: ger Schule zurück. Der berühmte Autor Alexander Herr Rauen, bitte. Rüstow, der der FDP nahestand, wie Sie wissen, schreibt unter der Überschrift „Mythos Arbeitgeberanteil“ – ich Peter Rauen (CDU/CSU): bitte Sie, einfach einmal zu bedenken, was er dazu aus- Herr Gysi, Sie haben eben eine jährliche Entlastung führt –: von 123 Euro genannt. Denn während man früher glauben konnte und es zum Teil auch so war, dass die Kosten der Sozialpo- Dr. Gregor Gysi (DIE LINKE): litik von den Unternehmern getragen wurden, sind Ja, 124,20 Euro. ja heute die Summen, um die es sich handelt, viel zu hoch, um das zu ermöglichen, Peter Rauen (CDU/CSU): (Hartwig Fischer [Göttingen] [CDU/CSU]: Ich nehme jetzt einmal ein einfaches Beispiel, damit Wir machen hier keine Lyrik! Das waren doch man im Kopf mitrechnen kann: Da ist ein Facharbeiter, Zahlen!) der auf 2 500 Euro brutto im Monat kommt. Bei einer Senkung des Satzes um 3,2 Prozentpunkte entfallen auf vielmehr wird der weitaus größte Teil des Sozial- ihn 1,6 Prozentpunkte. 1,6 Prozent von 2 500 Euro, das aufwandes direkt und indirekt von den Arbeitern bedeutet im Monat 40 Euro. selber getragen. Denn auch der Teil, der formell als Unternehmerbeitrag gezahlt wird, geht ja in Wirk- (Dirk Niebel [FDP]: Der Mann kann rechnen!) lichkeit vom Lohn ab; um so viel, wie der Unter- Das sind im Jahr 480 Euro. – Diesem Facharbeiter blei- nehmer an Sozialbeiträgen zahlen muss, kann er an ben nach Abzug der Sozialversicherungsbeiträge etwa Lohn weniger zahlen. Auch das geht also auf Kos- 2 000 Euro. Dann bezahlt er noch 150 Euro Steuern und ten der Arbeiter. muss vielleicht sein Haus mit einer Rate von 500 Euro (Beifall bei der LINKEN) monatlich abbezahlen. Er liegt mit dem, was er zum Le- ben zur Verfügung hat, oft unter dem, was der hat, der Das sage nicht etwa ich; das sagt Alexander Rüstow. – sozusagen nichts hat, der Arbeitslosengeld II bezieht und Deshalb waren meine Zahlen richtig. 13322 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 127. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. November 2007

Dr. Gregor Gysi (A) (Stefan Müller [Erlangen] [CDU/CSU]: Keine gen Einkommens ergänzend ALG II bekommen, werden (C) Antwort auf die Frage!) nicht anerkannt. Diese Menschen profitieren in keiner Weise. – So äußerte sich Dr. Ulrich Walwei, stellvertre- Wir sind gegen die Senkung des Arbeitslosenversi- tender Direktor des Instituts für Arbeitsmarkt- und Be- cherungsbeitrages – ich habe es Ihnen begründet –, weil rufsforschung in der Anhörung am Montag dieser Wo- wir Weiterbildung brauchen, weil wir die Finanzierung che zu diesem Gesetzesvorhaben. von Arbeit statt von Arbeitslosigkeit brauchen Es gab keinerlei Reaktion auf der Seite der Vertreter (Stefan Müller [Erlangen] [CDU/CSU]: Gönnt der Koalitionsfraktionen. Ich frage mich wirklich: Wa- ihr den Menschen das Geld nicht?) rum veranstalten wir überhaupt noch solche Anhörun- und weil wir fest davon überzeugt sind, dass man die Be- gen? zugsdauer des ALG I verlängern muss und das ALG II (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN grundsätzlich verändern muss. Deshalb ist die Senkung und bei der FDP sowie bei Abgeordneten der falsch. LINKEN) Sie machen es uns heute hier sehr schwer. Auch wenn Das geht ins eine Ohr hinein und zum anderen wieder die Verlängerung der Bezugsdauer des ALG I viel zu ge- heraus. Ich kann Ihnen auch sagen, warum das so ist. Sie ring ist, würden wir dazu Ja sagen, damit überhaupt et- haben eine interessengeleitete Einsichtsbarriere, und da- was passiert. gegen kommt offenbar kein wissenschaftliches Institut an. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Sie müssen zum Ende kommen, Herr Kollege. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der FDP) Dr. Gregor Gysi (DIE LINKE): Sie haben entschieden, sich für eine bestimmte Klien- Okay, Frau Präsidentin. – Aber der Senkung des tel einzusetzen, die Klientel der Facharbeiter. Auf die Arbeitslosenversicherungsbeitrages können wir nicht zu- Lebensleistung derjenigen, die noch weniger haben stimmen. Deshalb müssen wir leider insgesamt Nein sa- – und davon gibt es leider viele –, pfeifen Sie. Das gen. nehme ich Ihnen übel. (Beifall bei der LINKEN – Rolf Stöckel (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN [SPD]: Das hat uns jetzt aber überrascht! – sowie bei Abgeordneten der FDP) Max Straubinger [CDU/CSU]: Weil Sie lieber Sie erweisen ja sogar denen einen Bärendienst, von de- abkassieren!) (B) nen Sie behaupten, dass Sie etwas Gutes für sie tun wol- (D) Ich danke für Ihr Gehör und bitte Sie, hier im Bundes- len. Tun Sie doch nicht so, als sei eine um sechs Monate tag sozialere Entscheidungen zu treffen. verlängerte Bezugsdauer von ALG I in den heutigen Zeiten ein existenzieller Sicherheitsgurt! Wirkliche Si- (Beifall bei der LINKEN) cherheit – das wissen Sie – gibt es nur dann, wenn es auch einen neuen Arbeitsplatz gibt. Deswegen geht es Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: darum, darauf alle, aber auch alle Anstrengungen zu Wenn die Redezeit schon mehr als um ist, ist das mit richten. den Zwischenfragen immer so eine Sache. Herr Rauen, die Angst der Menschen – die nehme ich (Stefan Müller [Erlangen] [CDU/CSU]: Gott wirklich ernst – kann ihnen doch am ehesten dann ge- sei Dank ist es noch nicht zwölf!) nommen werden, wenn Sie aufhören, ihnen die Erspar- Ich gebe jetzt das Wort der Kollegin Brigitte Pothmer nisse, die sie für das Alter zurückgelegt haben, wegzu- für Bündnis 90/Die Grünen. nehmen, wenn sie arbeitslos werden. Deswegen sagen wir: Mindestens 3 000 Euro pro Lebensjahr müssen im Falle der Arbeitslosigkeit anrechnungsfrei bleiben. Brigitte Pothmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Aus (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) wissenschaftlicher Perspektive lassen sich keine, aber Sie können doch nicht auf der einen Seite sagen: „Leute, auch gar keine Gründe finden, mit denen sich eine Ver- ihr müsst privat vorsorgen“, und ihnen das Geld dann in längerung des ALG I-Bezuges – egal in welcher Vari- dem Falle, in dem sie es am dringendsten brauchen, wie- ante – rechtfertigen ließe. Sie wiegt die Betroffenen in der wegnehmen. einer Scheinsicherheit und führt dazu, dass Suchaktivitä- ten gebremst werden und damit die Rückkehr in den ers- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) ten Arbeitsmarkt verschleppt wird; es gibt eine Vielzahl So kann man den Menschen die Angst nicht nehmen. von Untersuchungen, die diesen Zusammenhang bele- Wir sagen: Das ist weder sozial noch gerecht. gen. Sie schafft Anreize für eine verfehlte Frühverren- tungspolitik, und die Zeche zahlen diejenigen, die kür- Woher nehmen Sie jetzt das Geld für die ALG-I-Ver- zere Beitragszeiten haben. Es profitieren nur diejenigen längerung? Schade, Herr Rauen, dass Sie dazu so wenig davon, die vor der Arbeitslosigkeit relativ gute Löhne gesagt haben. Ich finde das ganz besonders dreist: Sie bekommen haben. Die Lebensleistungen derjenigen, die nehmen das Geld im Wesentlichen aus dem Topf, dessen zwar lange eingezahlt haben, aber aufgrund ihres gerin- Inhalt dazu dienen soll, diejenigen zu fördern und zu un- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 127. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. November 2007 13323

Brigitte Pothmer (A) terstützen, die Förderung und Qualifizierung brau- Brigitte Pothmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): (C) chen, damit sie überhaupt eine Chance haben, auf dem Herr Kollege Weiß, da lacht ja die Koralle. ersten Arbeitsmarkt wieder Fuß zu fassen. 600 Millio- nen Euro, das ist ein Sechstel des Eingliederungstitels in (Heiterkeit beim BÜNDNNIS 90/DIE GRÜ- diesem Bereich. Wenn Sie den einen geben, dann neh- NEN – Peter Weiß [Emmendingen] [CDU/ men Sie den anderen. Dieses Sechstel nehmen Sie de- CSU]: Das sind Daten des Haushalts!) nen, die es am dringendsten brauchen, um wieder eine Sie sind diejenigen, die immer wieder beklagen, dass es Perspektive zu haben. immer noch zu viele gibt, die aus dem ALG-I-Bereich in (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – den ALG-II-Bereich gehen, also zu Langzeitarbeitslosen Zuruf von der CDU/CSU: Wofür wird es denn werden, und sich da zu wenig tut. Wenn die BA das ausgegeben?) Geld, das ihr für die Integration zur Verfügung gestellt wird, nicht ausgegeben hat, dürfen Sie ihr das doch nicht Auch das ist nicht sozial, auch das ist nicht gerecht. wegnehmen, sondern dann müssen Sie alles, aber auch Sie kommen zu einer Politik zurück, von der ich ge- alles dafür tun, dass diese Qualifizierung und Förderung, hofft hatte, dass wir sie gemeinsam überwunden haben. die ja – verdammt noch mal – gebraucht wird, auch Sie alimentieren, statt zu qualifizieren. Sie überweisen, wirklich stattfindet. statt zu befähigen. Das ist der falsche Weg, und das wis- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) – sen Sie eigentlich selbst, insbesondere die Kolleginnen Peter Weiß [Emmendingen] [CDU/CSU]: Wir und Kollegen von der SPD. nehmen ihr nichts weg, sie hat nächstes Jahr mehr!) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Lassen Sie mich einmal etwas zu dem Vermittlungs- Frau Kollegin – – gutschein sagen, Herr Kollege Weiß. Das ist doch ein Fake. Ich habe im Ausschuss nachgefragt: Sagen Sie Brigitte Pothmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): einmal, wie soll das denn mit dem Vermittlungsgut- Ja, gleich. – Aber Sie sind getrieben von dem Umfra- schein funktionieren? Wann soll der denn ausgegeben geelend und von der Sehnsucht nach mehr Wählerinnen werden? Da hat der Kollege Brandner zu mir gesagt, ich und Wählern. Das hat nicht funktioniert. Ich frage Sie: solle einmal an mich halten und nicht solche Fragen stel- Was machen Sie jetzt? Welche Konsequenz ziehen Sie len. daraus? (Klaus Brandner [SPD]: Das war sehr richtig! – (B) Peter Weiß [Emmendingen] [CDU/CSU]: Sie (D) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: nehmen die Zahlen nicht zur Kenntnis!) Frau Kollegin, möchten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Weiß zulassen? So weit zur Seriosität Ihrer Politik. Ich würde jetzt gern mit meiner Rede fortfahren. Herr Brigitte Pothmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Kollege Weiß, Sie dürfen sich gerne wieder setzen. Ja, gerne. (Peter Weiß [Emmendingen] [CDU/CSU]: Sie nehmen keine Zahlen zur Kenntnis! Das ist Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: noch schlimmer!) Bitte schön. Ich möchte betonen, wo wir den Korrekturbedarf se- hen. Wir sind ja nicht diejenigen, die sagen, Hartz IV sei Peter Weiß (Emmendingen) (CDU/CSU): sakrosankt, da dürfe man überhaupt nichts ändern. Wirk- Frau Kollegin Pothmer, nachdem Sie behauptet ha- liche Veränderungen brauchen wir im Arbeitslosengeld-II- ben, die von der Großen Koalition beabsichtigte Verlän- Bereich. Wir wissen alle: Die Regelsätze sind eindeutig gerung der Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes I und zu niedrig. Die Regelsätze müssen angehoben werden. die Einführung des Vermittlungsgutscheins, den wir älte- Es ist überhaupt nicht möglich, ein Kind mit 2,50 Euro ren Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern geben wol- am Tag zu ernähren. Es ist schon gar nicht möglich, ein len, damit sie nicht lange Arbeitslosengeld in Anspruch solches Kind dann auch noch gesund zu ernähren. nehmen müssen, sondern Arbeit finden, gingen zulasten der Eingliederungstitel im Haushalt der Bundesagentur (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) für Arbeit, und nachdem der Haushalt der Bundesagen- Es ist eine Schande, dass diese Kinder am Schulessen tur in dieser Woche verabschiedet worden ist: Nehmen nicht teilnehmen können. Es ist falsch, dass im Regelsatz Sie bitte zur Kenntnis, dass in diesem Jahr die Bundes- nichts, aber auch gar nichts für Nachhilfe, für musisch- agentur für Arbeit 2,7 Milliarden Euro für Eingliede- kulturelle Bildung oder für Betätigung in einem Sport- rungsmaßnahmen zur Verfügung hatte und ausgegeben verein vorgesehen ist. Darin ist wirklich gesellschaftli- hat, dass sie ausweislich ihres Haushaltes im kommen- cher Sprengstoff enthalten. Das ist eine soziale Schief- den Jahr 3,4 Milliarden Euro ausgeben will und das zu- lage, die wir beheben müssen. Deswegen brauchen wir dem mit dem niedrigen Beitragssatz von 3,3 Prozent in diesem Bereich dringend eine Veränderung. durchfinanziert ist. Es steht also mehr Geld für Einglie- derung zur Verfügung und nicht weniger. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) 13324 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 127. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. November 2007

Brigitte Pothmer (A) Ich frage Sie einmal: Wo sind Sie eigentlich geblie- (Beifall der Abg. Britta Haßelmann [BÜND- (C) ben? Wo ist Ihre Empörung geblieben? Ich kann mich NIS 90/DIE GRÜNEN]) noch gut erinnern: Die Milchpreise stiegen, und aus den beiden Koalitionsfraktionen kam die Forderung: Da Verkäuferinnen und Bauarbeiter werden doppelt zur muss man jetzt korrigieren. Wenn ich mir die Haushalts- Kasse gebeten, wenn es darum geht, die Perspektive von ansätze ansehe: Nichts, gar nichts ist da zu finden. Langzeitarbeitslosen zu verbessern: einmal in ihrer Rolle als Beitragszahlerinnen und Beitragszahler und dann auch noch in ihrer Rolle als Steuerzahlerinnen und Steu- Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: erzahler. Das ist weder sozial noch gerecht. Das Gleiche Frau Pothmer, es gibt noch einen Wunsch zu einer gilt übrigens auch für die Kosten, die entstehen, um Kin- Zwischenfrage der Kollegin Höll. dererziehungszeiten in der Arbeitslosenversicherung ab- zusichern. Das, was der Finanzminister hier macht, ist Brigitte Pothmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): wirklich ein Raubzug zulasten der Beitragszahlerinnen Ja, bitte. und Beitragszahler. Der Finanzminister kennt sich gut aus; denn er Dr. Barbara Höll (DIE LINKE): kommt von der Küste. Er hat uns neulich verraten, dass Werte Kollegin, ich teile die von Ihnen so vehement er früher Pirat, eine Art Störtebeker werden wollte. Wie vorgetragene Kritik an den Regelsätzen, an der Strei- Sie sich vielleicht erinnern, war Störtebeker ein ziemlich chung der Einmalbeihilfen bei Hartz IV usw. Ich möchte ungehobelter Kerl, vielleicht ein Raufbold. Herr einmal nachfragen: Ist meine Erinnerung richtig, dass Steinbrück, was Sie und ihn unterscheidet, ist Folgendes: Sie das mit diesen Regelsätzen, die so niedrig sind, dass Er hat es den Reichen genommen und den Armen gege- man Kinder nicht gesund ernähren kann, dass es keine ben. Ich bin mir sicher, Herr Störtebeker würde Sie heute Extrazuschüsse für herausragende Ereignisse wie Ju- nicht wählen, und das ist auch richtig so. gendweihe, Konfirmation, das Weihnachtsfest usw. gibt, hier im Bundestag mit verabschiedet haben? Ich danke Ihnen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Brigitte Pothmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Max Straubinger [CDU/CSU]: Aber Sie garan- Frau Kollegin Höll, haben Sie auch zur Kenntnis ge- tiert auch nicht!) nommen, dass wir schon vor längerer Zeit einen Antrag gestellt haben, der genau in diesem Bereich eine Korrek- Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: tur vorsieht? Nicht alles, was damals beschlossen wor- (B) den ist, ist aus unserer Sicht in Granit gehauen. Nicht al- Der Kollege Klaus Brandner spricht jetzt für die SPD- (D) les, was damals beschlossen worden ist, haben wir mit Fraktion. Zustimmung zur Kenntnis genommen, sondern haben (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der wir auch begleitend kritisiert, haben die entsprechenden CDU/CSU) Konsequenzen gezogen und tun das auch weiterhin. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Klaus Brandner (SPD): Ich frage noch einmal: Wo ist eigentlich der Haus- Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und haltsansatz geblieben, der genau die Kritik, die auch aus Kollegen! Mit dem Entwurf eines Sechsten Gesetzes zur Ihren Reihen kommt, aufnimmt? Wir als Grüne haben in Änderung des Dritten Buches Sozialgesetzbuch und an- unserem Haushaltsänderungsantrag eine Anhebung der derer Gesetze zeigt die Große Koalition auch nach Regelsätze auf 420 Euro vorgeschlagen und haben das schwierigen Verhandlungen im Koalitionsausschuss auch mit einer entsprechenden Gegenfinanzierung be- Handlungsfähigkeit. gleitet. Für uns hat die Bekämpfung der Armut der (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Ärmsten nämlich höchste Priorität. Sie kümmern sich leider um eine andere Gruppe. Auch das finden wir nicht Wir beschließen heute nämlich die Senkung des Bei- sozial, und auch das finden wir nicht gerecht. tragssatzes in der Arbeitslosenversicherung und legen Lassen Sie mich noch zu einem anderen Punkt in die- gleichzeitig fest, dass wir die Dauer des Bezuges von sem Gesetzentwurf kommen. Ich meine den wirklich un- Arbeitslosengeld I für Ältere verlängern. genierten Griff des Bundesfinanzministers in die Kassen Bei dieser Debatte können wir als Erstes feststellen: der Bundesagentur für Arbeit und damit, Herr Rauen, Weder gönnt die Linke den Menschen mehr Netto im auch in die Kassen der Beitragszahlerinnen und Portemonnaie – nämlich die Beitragssenkung –, noch Beitragszahler. Wo ist Ihre Empörung in dieser Frage? gönnt sie den Älteren eine längere Dauer des Bezugs von Dass der Bundesfinanzminister den Beitragszahlerinnen Arbeitslosengeld I; ansonsten würde sie nicht gegen die- und -zahlern 5 Milliarden Euro raubt, dass er sie um ses Gesetz stimmen. 5 Milliarden Euro prellt – mit Beitragsgeldern werden Straßen finanziert –, das können Sie, Herr Rauen, doch (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – keinesfalls hinnehmen. Nicht nur der Ehrliche, sondern Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Wer auch die Beschäftigten sowie die Arbeitgeberinnen und hat ihnen das denn weggenommen? Das waren Arbeitgeber sind hier doch die Dummen. doch Sie! Sie haben es doch geklaut!) Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 127. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. November 2007 13325

Klaus Brandner (A) Liebe Frau Pothmer, wie Sie wissen, schätze ich Sie Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes I für Ältere, da, wo (C) sehr. Heute haben Sie allerdings eine Menge gewagter besondere Risiken bestehen. Drittens haben wir genü- Konstruktionen vorgetragen. gend Geld für Aktivierungsmaßnahmen, das nach jetzi- gem Stand in beiden Haushaltstiteln – diese betreffen so- (Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- wohl SGB III als auch SGB II – nicht annähernd NEN]: Alles wissenschaftlich abgesichert!) ausgeschöpft wird. Insofern sind wir auf einem soliden Ich würde gern auf alle eingehen; aber dazu reicht meine Kurs und brauchen auf Ihre populistischen Anträge nicht Redezeit nicht. weiter einzugehen. Zuallererst möchte ich etwas zum Beitragssatz sa- (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) gen: Wir senken den Beitragssatz auf 3,3 Prozent. Das Lassen Sie mich an dieser Stelle in meiner Rede fort- ist ambitioniert – das will ich gerne feststellen –; aber es fahren. Die Entlastung für die Arbeitnehmerinnen und ist das Ergebnis einer erfolgreichen Politik, die refor- Arbeitnehmer ist hier deutlich geworden. Man kann die miert, die saniert, die investiert und die die Arbeitslosig- Durchschnittseinkommenssituation ein bisschen ambi- keit ganz erheblich zurückgeführt hat. tionierter sehen. Bei jemandem, der pro Monat ein Ein- (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der kommen von 3 000 Euro hat, ergibt dies im Vergleich CDU/CSU) zwischen den Jahren 2005 und 2008 immerhin 576 Euro. Wir haben den Beitragssatz fast halbiert. Eine so große Die Reformdividende für diesen Rückgang der Arbeits- Nettoentlastung kann sich sehen lassen. Ich habe über losigkeit ist unter anderem die Beitragssatzentlastung. den Nachfrageimpuls und die Unterstützung der Binnen- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) konjunktur gesprochen. Ich sage hier an dieser Stelle ganz klar: Eine Senkung In dem Zusammenhang sage ich auch, dass das DIW von 6,5 Prozent auf 3,3 Prozent entspricht 25 Milliarden zum Beispiel jetzt gerade aktuell titelt: Konjunktur in Euro. Das bedeutet, für Investitionen in Unternehmen kraftvoller Verfassung. Deshalb haben wir keine Sorge, stehen 12,5 Milliarden Euro mehr zur Verfügung, und dass wir den Beitragssatz so ambitioniert auf 3,3 Prozent auch die Kaufkraft der Arbeitnehmerinnen und Arbeit- absenken. Wir machen unsere Politik mit Zuversicht. Es nehmer wird um 12,5 Milliarden Euro gestärkt. Damit hat sich gezeigt, dass sie am Ende erfolgreich ist. Wir stützen wir die Binnenkonjunktur in einer, wirtschaftlich machen uns keine Sorgen bezüglich der zukünftigen Fi- gesehen, durchaus nicht unambitionierten Art und nanzverfassung der BA, die für 2007 einen Überschuss Weise. in Höhe von 18 Milliarden Euro ausweist. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) (Peter Weiß [Emmendingen] [CDU/CSU]: So (B) (D) ist es!) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Es gibt Medienberichte, in denen von erheblichen De- Herr Kollege Brandner, lassen Sie eine Zwischen- fiziten in 2008 gesprochen wird. Das Handelsblatt bei- frage der Kollegin Möller zu? spielsweise titelt heute: „Arbeitsagentur erwartet Mil- liarden-Defizit“. Die Süddeutsche Zeitung schreibt Klaus Brandner (SPD): heute: „Nürnberg erwartet Milliardenloch“. Ich könnte Bitte. noch weitere Beispiele nennen. Wir müssen uns fragen: Ist das ein Grund zur Panik? Wie gehen wir solide damit Kornelia Möller (DIE LINKE): um? Herr Kollege Brandner, da Sie augenscheinlich unter Wir müssen an dieser Stelle deutlich machen, dass in partiellem Gedächtnisverlust leiden, möchte ich Sie fra- der öffentlichen Debatte übersehen wird, dass wir ers- gen, ob Sie sich vielleicht an unseren Antrag erinnern, in tens eine Liquiditätsreserve von 6 Milliarden Euro dem unter anderem die Verlängerung des ALG I gefor- schaffen; die BA wünscht sich sogar eine von dert wurde. Außerdem wurde darin gefordert, die Über- 9 Milliarden Euro. Sie hat unsere volle Unterstützung, schüsse der BA auch dafür zu verwenden, Nichtleis- wenn sie eine solche Liquiditätsreserve aufbaut. Zwei- tungsempfänger und -empfängerinnen besser zu tens sorgen wir mit einem Versorgungsfonds dafür, dass qualifizieren und mehr benachteiligten Jugendlichen zu die Beamtenpensionen in der Zukunft durch entspre- einer außerbetrieblichen Ausbildung zu verhelfen. Sie chende Rückstellungen abgesichert werden. Drittens haben diesen Antrag abgelehnt. Das heißt, Sie sollten werden wir einen Eingliederungsbeitrag von 5 Milliar- sich zumindest daran erinnern, was Sie abgelehnt haben. den Euro vorsehen. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN – Zu- All das im Haushalt 2008 berücksichtigt bringt bei rufe von der CDU/CSU: Oh!) der jährlichen Betrachtungsweise durchaus ein Defizit. Insgesamt gesehen übersieht es aber, dass wir die Spiel- Klaus Brandner (SPD): räume systematisch nutzen, um Vorsorge zu treffen. Wir Frau Kollegin Möller, Sie wissen, dass wir eine solide müssen deutlich machen, dass mit der Liquiditätsreserve Politik machen, die durchfinanziert ist, die sich – das genügend arbeitsmarktpolitische Spielräume in den Zeit- habe ich gerade gesagt – darin zeigt, dass wir den Men- räumen entstehen, in denen die Konjunktur zurückfahren schen erstens Beiträge zurückgeben und damit ihre indi- kann. Das ist uns wichtig. Wir wollen keine Stop-and- viduelle Kaufkraft erhöhen. Zweitens verlängern wir die go-Politik. Wir wollen verantwortliche Politik und Si- 13326 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 127. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. November 2007

Klaus Brandner (A) cherheit für die Menschen. Daher müssen wir zum rich- (Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Dieser Freud’sche (C) tigen Zeitpunkt genügend finanzielle Mittel haben, um Versprecher muss im Protokoll stehen!) sie zu unterstützen. – Herr Kollege, herzlichen Dank, dass Sie meinen Ver- Deshalb sage ich klar an Frau Pothmer und andere, sprecher so freundlich bejubeln. Es zeigt Ihre Kollegiali- die dies kritisch angesprochen haben: Wir nehmen kei- tät. Ich bedanke mich dafür. nem etwas weg. 12,6 Milliarden Euro für aktivierende Ich will an dieser Stelle deutlich sagen, dass nicht nur Maßnahmen stehen im Haushalt 2008 zur Verfügung. Rüttgers, sondern auch Lafontaine und heute Gysi falsch Sie werden nicht annähernd ausgeschöpft; das muss ich liegen, wenn sie dem Motto frönen „Wer viel einzahlt, Ihnen sagen. muss auch viel rauskriegen“. Das ist ein Bild von einer völlig entsolidarisierten Gesellschaft, in der es nur da- Wir sorgen vor, und zwar erstens dadurch, dass wir rauf ankommt, dass sich jeder Einzelne selbst ausrei- Rücklagen schaffen, dass wir Reserven bilden. Zweitens chend versorgt. Für uns gilt nicht das Motto „Wenn jeder sorgen wir vor, indem genügend Mittel zur Verfügung an sich selbst denkt, ist an alle gedacht“. Solidarität ist gestellt werden, sodass in die Zukunft investiert werden unser Grundsatz. Diesen Grundsatz werden wir auch in kann, in Weiterbildung, in Qualifizierung, in die Köpfe. der Arbeitsmarktpolitik weiterhin mit Leben erfüllen. Das ist ein komplett richtiges Vorsorgeprogramm und keine – wenn man es so nennen will – gefährliche Poli- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten tik, die wir betreiben. der CDU/CSU) (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der Wir verfügen nun über ein großes Finanzvolumen CDU/CSU) dank einer erheblich geringeren Zahl von Arbeitslosen. Das schafft Spielräume, um Langzeitarbeitslose stärker Wegen dieser Finanzlage können wir uns erlauben, zu fördern. An dieser Stelle will ich die Bundesagentur Spielräume beim Arbeitslosengeldbezug für Ältere zu für ihre Arbeit loben. Wir haben immer zu ihr gestanden. nutzen. Ich will an dieser Stelle erstens ganz deutlich sa- Viele wollten sie plattmachen und haben sie von diesem gen, dass die Menschen, die hart gearbeitet haben, es Pult aus häufig sehr negativ dargestellt. Ich sage sehr verdient haben. Zweitens finde ich es gut, dass wir uns klar: Wir stehen zur Bundesagentur für Arbeit, aber wir in der Koalition darauf verständigen konnten, dass die erwarten auch, dass die dort zur Verfügung stehenden Sorgen Älterer ernst genommen werden, dass nach einer Mittel offensiv ausgegeben werden, um denen in diesem langen Erwerbs- und Arbeitstätigkeitsphase die Bezugs- Land, die der Unterstützung bedürfen, zu helfen. Dies ist dauer des Arbeitslosengeldes I verlängert wird. Denn ein Aufruf an die Kolleginnen und Kollegen dort, die das Risiko, arbeitslos zu werden, ist für Ältere einfach Spielräume, die durch die Haushalte eröffnet worden (B) (D) größer. Deshalb will ich an dieser Stelle klar und deut- sind, zu nutzen. lich sagen: Es war uns wichtig, diesen Schritt zu gehen. (Beifall bei der SPD) An dieser Stelle haben wir uns von unserem Koali- Mit diesem Gesetz justieren wir den Aussteuerungs- tionspartner durchaus unterschieden. Wir wollten, dass betrag neu. die finanziellen Leistungen aus den Überschüssen der Bundesagentur finanziert werden. Das ist uns nicht hun- (Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- dertprozentig gelungen. Aber es ist gut, dass es uns ge- NEN]: Verfassungswidrig!) lungen ist, die CDU vollständig davon zu überzeugen, Wir schaffen damit eine neue Finanzarchitektur. Das ist dass sie auf den Rüttgers-Plan verzichtet. Den Älteren hier auch schon angesprochen worden. Frau Pothmer, geben und den Jüngeren nehmen, das war mit uns nicht der Aussteuerungsbetrag ist durchaus ambivalent zu be- zu machen. Das ist uns wichtig, und das möchte ich an werten. dieser Stelle deutlich zum Ausdruck bringen. (Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (Beifall bei der SPD) NEN]: Der ist verfassungswidrig!) Uns ist auch wichtig, dass die Chancen auf Weiterbil- Das wissen wir. Der positive Aspekt war, dass durch dung nicht zulasten von Familien, Frauen und von Men- eine schnelle Vermittlung viele Menschen erst gar nicht schen mit gebrochenen Erwerbsbiografien geschmälert in Langzeitarbeitslosigkeit gekommen sind. werden. Im Gegenteil: Es ist unser Verständnis von Soli- (Dirk Niebel [FDP]: Wer schneller vermittelt darität, diejenigen, die ein erhöhtes Risiko haben, ar- wird, hat schneller Arbeit!) beitslos zu werden, entsprechend zu unterstützen. Durch eine Förderung muss dieses Risiko in der Zukunft mini- Aber für diejenigen – das ist der negative Aspekt –, die miert werden. nicht schnell vermittelt werden konnten und die arbeits- los geblieben sind, hat der Aussteuerungsbetrag genau (Beifall bei der SPD) das Gegenteil bewirkt. Denn man hat die Förderung auf- gegeben, wenn Langzeitarbeitslosigkeit drohte. Eine ent- Ich will an dieser Stelle klar und deutlich sagen: Der sprechende Verzahnung hat nicht geklappt. Diese Fehl- Grundsatz einer solidarischen Risikoversicherung bleibt entwicklung wollen wir stoppen. für uns uneingeschränkt bestehen. Die Solidarität – der Stärkere tritt für den Schwächeren ein – hält die Gewerk- Wir sorgen dafür, dass der Aussteuerungsbetrag abge- schaft – ich meine, die Gesellschaft – zusammen. schafft wird und dass sich die Bundesagentur zu Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 127. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. November 2007 13327

Klaus Brandner (A) 50 Prozent an dem Eingliederungstitel des SGB II – das destlohn von 7,50 Euro beschlossen hat, das Angebot (C) ist der Rahmen, der Grundlage für die Finanzierung von der Union, 8 Euro als Mindestlohn festzusetzen, abge- Langzeitarbeitslosen ist – beteiligt. lehnt haben? (Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (Widerspruch bei der SPD) NEN]: Herr Rauen, dem können Sie doch nicht zustimmen! – Dirk Niebel [FDP]: Das ist Sind Sie tatsächlich der Ansicht, dass dieses Thema, eine Zweckentfremdung von Beitragsmitteln!) auch wenn es nicht auf der Tagesordnung steht, auch von den Kollegen von der Union so gesehen wird, wie Sie es Das ist richtig und verantwortungsvoll. Es zeigt auch, verkündet haben? dass wir die BA nicht aus der Verantwortung entlassen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Klaus Brandner (SPD): der CDU/CSU) Herr Niebel, erstens wissen Sie, dass wir eindeutig zur Tarifautonomie stehen, dass wir ganz deutlich darauf Vieles ist uns in den letzten Verhandlungen gut gelun- bauen, dass branchenspezifische Tarifabschlüsse ins Ar- gen. Aber zwei Punkte sind noch nicht erledigt, die in beitnehmer-Entsendegesetz aufgenommen werden, und der zweiten Hälfte der Legislaturperiode mit unserem dass wir auf dem Parteitag einen allgemeinen gesetzli- Koalitionspartner zu regeln sind. Es geht erstens um die chen Mindestlohn von 7,50 Euro beschlossen haben. sogenannte Zwangsrente. Es ist wichtig, von dieser Das ist ein großer Unterschied. Ich hoffe, dass Sie diese Stelle aus zu sagen: Es darf keinen Automatismus geben, Differenzierung kennen dass man aus der Langzeitarbeitslosigkeit direkt in die Rente geschickt wird. (Zuruf von der SPD: Offensichtlich nicht!) (Beifall bei der SPD) und die Tarifautonomie als ein grundgesetzlich ge- schütztes Gut auch zukünftig Ihre Unterstützung finden Wer arbeiten will und kann, muss eine besondere Förde- wird. Wir wollen gerade nicht in die Tarifautonomie ein- rung erfahren. Mit 60 gehört man eben nicht zum alten greifen. Eisen. Wir haben dazu einen vernünftigen Vorschlag vorgelegt. Wir erwarten von unserem Koalitionspartner, (Dirk Niebel [FDP]: Das gilt dann auch für die dass er sich aktiv an einer Lösung beteiligt. Wir wissen GDL?) aber auch, dass die Zeit drängt. Ich bitte Sie daher, dass Unser Koalitionspartner irrt – zumindest was seine wir an diesem Punkt recht bald eine sachgerechte Lö- Forderung angeht –, wenn er glaubt, dass es eine Mög- sung finden. lichkeit wäre, einen Mindestlohn von 8 Euro zu verein- (B) Genauso offen will ich einen zweiten Punkt anspre- baren. Der Gesetzgeber sollte sich aus der Tarifautono- (D) chen: den Mindestlohn für Briefdienstleister. Die Bun- mie heraushalten. Wir halten die Voraussetzungen für deskanzlerin hat zugesagt, dass die Briefzusteller parallel eine Aufnahme in das Arbeitnehmer-Entsendegesetz für zur Postliberalisierung ins Arbeitnehmer-Entsendegesetz gegeben. Die Tarifvertragsparteien haben ihre Schular- aufgenommen werden. Aus unserer Sicht liegen die Vo- beiten gemacht. Da werden und wollen wir ihnen nicht raussetzungen dafür eindeutig vor. Wir müssen Lohn- hineinreden. dumping in diesem Land gemeinsam bekämpfen. Der allgemeine gesetzliche Mindestlohn wird auf der (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Tagesordnung bleiben. Er ist aktueller denn je. In den letzten Tagen haben Gutachten die Runde gemacht, wo- Wir müssen gemeinsam dafür sorgen, dass man zu der nach ein Mindestlohn grundsätzlich keine negativen Vereinbarung über die Briefdienstleister steht und nicht beschäftigungspolitischen Wirkungen hat. Für die Bau- zu viele Menschen aufgrund eines zu niedrigen Lohn- branche hat das IAB eine entsprechende Studie vorge- niveaus auf ergänzendes Arbeitslosengeld II angewiesen legt. Darüber wird kritisch diskutiert. Es ist bekannt, sind. Das ist unwürdig, und das wollen wir bekämpfen. Herr Niebel, dass es im überwiegenden Teil der europäi- (Beifall bei der SPD) schen Länder einen allgemeinen gesetzlichen Mindest- lohn gibt. Wir werden nicht locker lassen, bis wir auch in Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Deutschland einen allgemeinen gesetzlichen Mindest- lohn haben, Herr Kollege, es gibt eine Zwischenfrage des Kolle- gen Niebel. (Dirk Niebel [FDP]: Das hört sich gut an!) weil das die einzige Chance ist, eine Lohnuntergrenze Klaus Brandner (SPD): einzuziehen und zumindest für soziale Gerechtigkeit im Bitte. unteren Lohnsegment zu sorgen. (Beifall bei der SPD – Dirk Niebel [FDP]: Gilt Dirk Niebel (FDP): das auch für die GDL, die Tarifautonomie?) Vielen Dank. Herr Kollege Brandner, auch wenn die- ses Thema gar nicht auf der Tagesordnung steht, haben Ich will ganz klar sagen, dass der scheidende Bundes- Sie das Arbeitnehmer-Entsendegesetz und die Post- arbeitsminister Franz Müntefering das Thema Mindest- dienstleistungsbranche angesprochen. Können Sie mir lohn massiv vorangetrieben hat. Er hat an dieser Stelle erklären, warum Sie, nachdem Ihr Parteitag einen Min- als engagierter Debattenredner sehr häufig auf dieses 13328 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 127. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. November 2007

Klaus Brandner (A) Thema hingewiesen. Ich möchte ihm nicht nur für das In der Tat, Kollege Brauksiepe: Die Senkung ist erfreu- (C) danken – wie der Herr Staatssekretär das bereits richtig lich. Nur, wer zu spät kommt, der kann nicht erwarten, gemacht hat –, was er an unterschiedlichen Stellen in dafür gelobt zu werden. diesem Parlament sowie im nordrhein-westfälischen Parlament für die Menschen in diesem Land geleistet (Beifall bei der FDP – Klaus Brandner [SPD]: hat. Vielmehr sind wir ihm insgesamt für seine Fairness Was? Wir sind auf der Höhe der Zeit! Nur die und für sein erfolgreiches Engagement für die Menschen FDP hinkt wieder einmal hinterher!) in diesem Land zu Dank verpflichtet. Das möchte ich an Das ist doch der Punkt. dieser Stelle ausdrücklich erwähnen. (Klaus Brandner [SPD]: Sie sind doch zu spät (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) gekommen! Entschuldigen Sie mal! Der Mann Das Thema fairer Löhne wird auf der Tagesordnung ist ja total vergesslich!) bleiben, da soll sich niemand täuschen. Ich bin über- Sie geben den Beitragszahlern immer nur das zurück, zeugt, dass der kommende Verantwortliche im Arbeits- was ohne besondere Anstrengungen möglich ist. Sie nut- und Sozialministerium, Olaf Scholz, dieses Thema ebenso zen die konjunkturell bedingten Windfall-Profits für offensiv vorantreiben wird wie Franz Müntefering. Beitragssatzsenkungen. Wir verabschieden heute wichtige Änderungen beim Beitragssatz, bei der Finanzarchitektur der BA und bei (Peter Weiß [Emmendingen] [CDU/CSU]: der Verlängerung der Bezugsdauer Älterer. Wir wollen Richtig!) keinen Wettlauf um die niedrigsten Beitragssätze. Wir Sie gehen aber nicht an die Kernbereiche heran, auf die wollen einen Wettlauf um die besten Leistungen für die in der Anhörung deutlich hingewiesen wurde, zum Bei- Menschen in diesem Land. Das ist das Anliegen, dafür spiel an die versicherungsfremden Leistungen. treten wir an. Ich hoffe, dass wir dabei auf viel Unter- stützung in diesem Haus treffen. (Beifall bei der FDP) Herzlichen Dank. Der Beitragssatz zur Arbeitslosenversicherung ist zweifelsohne gesenkt worden. Zur Wahrheit gehört aber (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) auch – hier neigen Sie ja ein bisschen zur Verdrängung –, dass in allen anderen Bereichen der Sozialversicherung Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Erhöhungen stattfanden. Als Nächster hat der Kollege Dr. Heinrich Kolb für (Carl-Ludwig Thiele [FDP]: So ist es!) (B) die FDP-Fraktion das Wort. (D) (Beifall bei der FDP) Bei der Rentenversicherung war es eine Erhöhung um 0,5 Prozentpunkte, bei der Krankenversicherung um durchschnittlich 0,5 Prozentpunkte, bei der Pflegeversi- Dr. Heinrich L. Kolb (FDP): cherung – das ist bereits beschlossen – werden es Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! 0,25 Prozentpunkte sein, Ich finde, die Debatte heute markiert einen Wendepunkt in der Arbeitsmarktpolitik. Eine mutlose Koalition nutzt (Max Straubinger [CDU/CSU]: Ja! Das geht aber Senkungspotenzial beim Arbeitslosenversicherungsbei- auch mit Leistungssteigerungen einher!) trag allenfalls halbherzig und öffnet gleichzeitig wieder und nicht zu vergessen ist die Mehrwertsteuererhöhung die Schleusen für soziale Leistungen, die aus Mitteln der um 3 Prozentpunkte. Das führt im Saldo zu einer Mehr- Beitragszahler bezahlt werden sollen. belastung der Menschen in unserem Lande. (Klaus Brandner [SPD]: Sie wollten doch 3,5 Prozent! Jetzt müssen Sie nicht angeben! (Beifall bei der FDP) Wir haben Sie überholt!) Fragen Sie die Bürgerinnen und Bürger doch einmal, ob Nach dem, was Sie, Herr Kollege Brandner, am Ende Ih- in ihrem Portemonnaie wirklich mehr angekommen ist. rer Rede angekündigt haben, (Dirk Niebel [FDP]: Genau!) (Dr. Ralf Brauksiepe [CDU/CSU]: Ihr habt Gefühlt ist da Ebbe. Das ist die Wahrheit. doch 3,5 Prozent beantragt!) (Beifall bei der FDP) muss einem angst und bange werden, was die zukünftige Politik der Koalition in diesem Bereich anbelangt. Herr Kollege Rauen – Sie wissen, dass ich Sie persön- lich sehr schätze –, Sie haben gesagt, dass Sie die Lohn- (Beifall bei der FDP – Dr. Ralf Brauksiepe zusatzkosten jetzt auf unter 40 Prozent gesenkt haben; [CDU/CSU]: 3,5 Prozent, das war euer An- es wurde berechnet, dass wir jetzt bei 39,77 Prozent lie- trag!) gen. Der Herr Kollege Rauen hat gesagt, man müsse das Erreichte anerkennen. (Stefan Müller [Erlangen] [CDU/CSU]: Ja! Geben Sie doch endlich einmal zu, dass das (Dr. Ralf Brauksiepe [CDU/CSU]: Ja!) stimmt!) Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 127. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. November 2007 13329

Dr. Heinrich L. Kolb (A) – Das mag ja sein, lieber Herr Kollege Müller. Aber in (Dirk Niebel [FDP]: Allerdings! Fehlanzeige!) (C) Ihrem Koalitionsvertrag steht, dass Sie die Lohnzusatz- Man kann wirklich nicht so vorgehen, wie es Herr kosten dauerhaft auf unter 40 Prozent senken wollen. Kollege Brandner gesagt hat. Er sagte: Wir legen hier (Jörg Rohde [FDP]: Genau! Das steht da drin!) Vorräte an. Ab dem 1. Juli 2008 wird der Beitragssatz zur Pflegever- (Klaus Brandner [SPD]: Doch, natürlich kann sicherung um 0,25 Prozentpunkte angehoben; das ist be- man das!) reits beschlossen. Dann werden Sie wieder bei über Sie verhalten sich wie ein Hamster, wenn der Winter be- 40 Prozent sein. vorsteht. (Dirk Niebel [FDP]: Genau!) (Beifall des Abg. Carl-Ludwig Thiele [FDP]) Deswegen haben wir im Ausschuss einen Änderungsan- Sie sollen keine Vorräte anlegen, sondern den Beitrags- trag eingebracht. Wir haben Sie aufgefordert, jetzt alle zahlern das Geld zurückgeben. Das wäre die richtige Potenziale zu nutzen, um dauerhaft unterhalb von Vorgehensweise. 40 Prozent zu bleiben. Darum geht es doch in Wirklich- keit. (Beifall bei der FDP) (Beifall bei der FDP) Herr Brandner, besonders dreist ist: Noch bevor der Eingliederungsbeitrag gesetzestechnisch beschlossen Sollen wir Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von war, wurde er schon in Teilen verschoben. Er soll näm- der Koalition, etwa dafür loben, dass Sie jetzt einen Ein- lich zur Deckung der Verlängerung der Bezugsdauer des gliederungsbeitrag kreiert haben? Arbeitslosengeldes I dienen. (Dirk Niebel [FDP]: Machen Sie das bloß (Jörg Rohde [FDP]: Was? Ich denke, das kos- nicht!) tet gar nichts!) Er löst den wahrscheinlich verfassungswidrigen Aus- Dazu kann ich nur sagen: Während bei der Bahn ge- steuerungsbetrag ab; insoweit kommen Sie Karlsruhe streikt wird, herrscht auf den Verschiebebahnhöfen der zuvor. Großen Koalition rege Betriebsamkeit. Das ist ein Mus- (Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: ter, das wir in der Vergangenheit leider schon öfter be- Der ist aber auch verfassungswidrig!) obachten mussten. Ich sage Ihnen – hier stimme ich Ihnen zu, Frau Kollegin (Beifall bei der FDP) (B) Pothmer –: Auch dieser Eingliederungsbeitrag ist mit Ich glaube, dass die Verlängerung der Bezugsdauer (D) hoher Wahrscheinlichkeit verfassungswidrig. des Arbeitslosengeldes I eine falsche Entscheidung ist. (Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Sie führt in der Tat zur Verringerung der Suchaktivitäten NEN]: Natürlich! Alle Sachverständigen ha- älterer Arbeitnehmer. Ich glaube nicht, dass man damit, ben das bestätigt!) wie der Kollege Rauen gesagt hat, den Versicherten mit langen Vorversicherungszeiten wirklich hilft. Es sind Aus meiner Sicht ist darauf hinzuweisen, dass die BA, doch gerade diese Menschen mit langen Erwerbsbiogra- die Bundesagentur, im Saldo mit 3 Milliarden Euro be- fien, die hohe Rentenansprüche haben, die bisher aus lastet wird. Das, was Sie mit diesem Eingliederungsbei- den Betrieben herausgedrängt worden sind. trag betreiben, ist nichts anderes als Haushaltssanierung auf Kosten der Beitragszahler. Dabei machen wir nicht (Klaus Brandner [SPD]: Dann drängen Sie sie mit. doch nicht heraus!) (Beifall bei der FDP) Genau das wird in Zukunft wieder passieren. Ich halte das für falsch. Wir wollen, dass ältere Arbeitnehmerin- Es mag schön sein, dass jetzt mehr Geld als je zuvor nen und Arbeitnehmer möglichst lange am Erwerbsleben für Eingliederungsmaßnahmen zur Verfügung steht. Es teilhaben; das ist der Kerngedanke unserer Politik. Sie bleibt aber vollkommen unklar, wofür dieses Geld ei- verfallen zurück in Zeiten der Frühverrentung. Das fin- gentlich verwendet werden soll. det unsere Zustimmung nicht. (Peter Weiß [Emmendingen] [CDU/CSU]: Für Vielen Dank. die Arbeitslosen!) (Beifall bei der FDP) Eine grundlegende Neuausrichtung der arbeitsmarktpoli- tischen Instrumente ist überfällig. In Ihrem Koalitions- Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: vertrag heißt es wörtlich: Ich gebe jetzt das Wort dem Kollegen Max Das, was unwirksam und ineffizient ist, wird abge- Straubinger für die CDU/CSU-Fraktion. schafft. Diese Überprüfung soll bis Ende kommen- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) den Jahres abgeschlossen sein. Das wäre Ende 2006 gewesen. Jetzt sind wir bereits am Max Straubinger (CDU/CSU): Ende des Jahres 2007. Aber diese Frage ist noch immer Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! unbeantwortet. Wir diskutieren heute im Zusammenhang mit dem Ent- 13330 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 127. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. November 2007

Max Straubinger (A) wurf eines Sechsten Gesetzes zur Änderung des Dritten Ich glaube, dass wir hiermit einen wichtigen Schritt für (C) Buches Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze über die die Wettbewerbsfähigkeit unserer Wirtschaft machen. Absenkung des Arbeitslosenversicherungsbeitrages bzw. Vor allen Dingen werden damit auch zukünftige Ziele die Bildung einer Rücklage für die Pensionsverpflich- erreicht: Mit der Versorgungsrücklage, die gebildet tungen und darüber hinaus sicherlich auch über die Ver- wird, leisten wir einen wichtigen Beitrag, dass auch Ver- längerung der Dauer des Bezugs von Arbeitslosengeld I, sorgungsansprüche zukünftig gesichert sind. Darüber hi- welche mit einem noch zu erarbeitenden Gesetzentwurf naus ist all dies solide finanziert. Dies wird ja ab und zu umgesetzt werden wird. in Zweifel gezogen. Kollege Klaus Brandner hat vorhin Vor zwei Jahren hätten wir uns nicht vorstellen kön- bereits auf die Überschriften in den Tagesmeldungen nen, dass der Arbeitslosenversicherungsbeitrag, der verwiesen. Ich möchte nur an den Beginn des damals bei 6,5 Prozent lag, zum 1. Januar 2008 auf Jahres 2007 erinnern. Wir und die BA haben damals mit 3,3 Prozent abgesenkt werden kann. Dies ist letztendlich einem Defizit von 4 Milliarden Euro für dieses Jahr ge- der Erfolg dieser Bundesregierung, die sich zum Ziel ge- rechnet. Am Ende dieses Jahres können wir feststellen, setzt hat, den Gesamtsozialversicherungsbeitragssatz auf dass bei der BA ein Überschuss von 7 Milliarden Euro unter 40 Prozent zu senken. Dieses Ziel wird mit dem erwirtschaftet wurde. Das ist eine weite Spannbreite von heutigen Tag erreicht. über 11 Milliarden Euro. Das zeigt, dass die Maßnahmen der Vergangenheit gegriffen haben. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) In dem Jahreswirtschaftsgutachten wird wiederum Dass dieses Ziel erreicht werden konnte, ist den Bemü- von einem Wirtschaftswachstum ausgegangen, wenn hungen der Bundesregierung nach dem Motto „Sanieren, es auch nicht mehr so kräftig wie im letzten oder diesem Investieren und Reformieren“ zu verdanken. Dafür sind Jahr sein wird. die Bundeskanzlerin und im Besonderen auch der Bun- desarbeitsminister, Franz Müntefering, mit verantwort- (Dirk Niebel [FDP]: Bringt die BA doch an die lich. Ich danke ausdrücklich Bundesminister Franz Börse! Mit stimmrechtslosen Volksaktien!) Müntefering für die Arbeit, die er zur Belebung des Ar- Ich bin überzeugt, dass damit auch zukünftig positive beitsmarktes geleistet hat. Arbeitsmarkteffekte verbunden sind, die Arbeitslosigkeit (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und in unserem Land dementsprechend weiter sinken und die der SPD) Erwerbstätigkeit steigen wird, sodass wir für das Ende des Jahres 2008 gegenüber den jetzigen Planungen wie- Damit sind vielen Menschen neue Chancen eröffnet der ein ausgeglichenes Ergebnis bei der BA erwarten können. Ich bin hier sehr optimistisch. Wir sind die Opti- (B) worden. Dies kommt darin zum Ausdruck, dass (D) 1,5 Millionen Erwerbstätige mehr zu verzeichnen sind misten in unserem Land. Es sind viele Pessimisten unter- als vor zwei Jahren. Das ist ein Beleg für die erfolgrei- wegs, aber wir werden sie mit unseren Ergebnissen zum che Arbeit dieser Bundesregierung. Schluss wieder überzeugen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- neten der SPD) neten der SPD) Dieser Weg wird mit der Absenkung des Arbeitslo- Es ist hier natürlich auch darzustellen, dass zukünf- senversicherungsbeitrages fortgesetzt, weil auch das ein tige Entscheidungen anstehen. Ich möchte hier durchaus Faktor ist, mehr Beschäftigung in Deutschland zu be- auch auf das eingehen, was Klaus Brandner in Bezug auf kommen. Wenn in der Vergangenheit manchmal bezwei- einen Mindestlohn für Briefdienstleister und zum Über- felt worden ist, dass die Senkung von Lohnnebenkos- gang von der Arbeitslosigkeit in die Rente gesagt hat, ten hierzu einen Beitrag leisten kann, so muss man obwohl das heute nicht das Thema ist. feststellen: Die Ergebnisse der vergangenen beiden Jahre Ich wünsche mir einfach, dass hier das Angebot der zeigen, dass, wenn Sozialversicherungsbeiträge abge- Union angenommen wird. Wir stehen nicht für niedrige senkt werden, mehr Beschäftigung erreicht und vor allen Löhne, sondern wir stehen für hohe Löhne. Diese kön- Dingen die Wettbewerbsfähigkeit unserer Betriebe ver- nen auch erreicht werden. Wenn hier für einzelne Berei- bessert wird. che Grundlagen dafür geschaffen werden müssen, dass Herr Kollege Dr. Gysi, wenn Sie dies als Zuckerl für die Löhne nicht massiv absinken, so reichen wir dafür die Arbeitgeber darstellen, möchte ich sagen: Entschei- die Hand. Ich bin überzeugt, dass das möglich ist und dend ist letztendlich, dass wir Arbeitsplätze haben. Des- dass sich vor allen Dingen auch die SPD zu bewegen halb ist es eine große Chance für die Arbeitnehmerinnen hat. und Arbeitnehmer in Deutschland. Sie wollen ihnen Ich glaube, hier ist festzustellen: Für diejenigen, die diese Chancen verwehren, wenn Sie heute diesem An- überwiegend Briefdienstleistungen erbringen, muss eine trag nicht zustimmen und sich im Gegenteil für höhere Untergrenze geschaffen werden. Dazu reichen wir die Beitragszahlungen der Arbeitnehmerinnen und Arbeit- Hand. Dies müssen aber natürlich die Tarifparteien erar- nehmer aussprechen. Das ist letztendlich die Abkassier- beiten und in einem vernünftigen Tarifvertrag vereinba- politik sozialistischen Gedankenguts, die Sie umsetzen ren. Wir werden dieses Ziel angehen und unterstützen. wollen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Klaus Brandner [SPD]) Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 127. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. November 2007 13331

Max Straubinger (A) Verehrte Kolleginnen und Kollegen, es wird auch (Widerspruch bei der LINKEN) (C) vielfältig über den zukünftigen Übergang vom Bezug des Arbeitslosengeldes I in den Bezug des Arbeitslosen- Ich sage ganz offen: Es kann nicht sein, dass Sie von geldes II und die damit verbundene Inanspruchnahme ei- der Linksfraktion auf Möglichkeiten aufmerksam ma- gener Leistungsfähigkeit und Mittel – sei es in Form von chen, die es zu nutzen gilt, und gleichzeitig keine Hem- Sparguthaben, sei es in Form eines vorgezogenen Ren- mungen haben, abzuräumen, wenn es um Sparbücher teneintritts – gestritten. Dies ist sicherlich ein wichtiges geht. Thema. Ich glaube aber, dass es hier völlig überzeichnet (Volker Schneider [Saarbrücken] [DIE LINKE]: und überhöht dargestellt wird, weil sehr viele Menschen Das ist unseriös, was Sie behaupten!) die Chance wahrnehmen, lieber eine höhere Rente als niedrigstes Arbeitslosengeld II zu beziehen. – Genau so ist es. Das ist meines Erachtens nicht richtig. Es ist schon bemerkenswert, dass gerade die linke Auch in einem Sozialstaat müssen die Menschen im Fraktion hier einen längeren ALG-II-Bezug fordert, ob- Rahmen ihrer Möglichkeiten herangezogen werden, be- wohl sie doch immer sagt, dass die Hartz-Gesetze und vor sie ALG II auf Kosten der Steuerzahler beziehen. das ALG II abgeschafft gehören. Das ist meines Erachtens das Entscheidende. Darüber werden wir sicherlich noch eine intensive Diskussion (Beifall bei Abgeordneten der SPD) führen. Aber ich bin sehr dafür, dass wir uns dabei an der Sache orientieren. Lieber Kollege Klaus Brandner, ich Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: bin überzeugt, dass die in der Öffentlichkeit dargestell- Herr Kollege, der Herr Kollege Schneider von der lin- ten Probleme die Menschen nicht sehr berühren. Die ken Fraktion würde gerne eine Zwischenfrage stellen. meisten, wenn nicht alle, werden sich für die Rente ent- scheiden und zusätzlich eine Hinzuverdienstmöglichkeit in Anspruch nehmen. Max Straubinger (CDU/CSU): Bitte, Herr Schneider. Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- NEN]: Herr Schneider, Sie können doch die neten der SPD) Redezeit von Herrn Straubinger nicht verlän- gern! Er hat doch schon acht Minuten!) Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Letzter Redner in dieser Debatte ist der Kollege Volker Schneider (Saarbrücken) (DIE LINKE): Wolfgang Meckelburg, CDU/CSU-Fraktion. (B) Herr Kollege Straubinger, weil Sie das am Schluss an- (Beifall bei der CDU/CSU) (D) gesprochen haben, möchte ich Sie erstens darauf hinwei- sen – ich denke, Sie wissen das und können mir das auch bestätigen –, dass man bei seinen Überlegungen hin- Wolfgang Meckelburg (CDU/CSU): sichtlich der vorgezogenen Rente immer betrachten Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und muss, was man in der Zeit, während der man die vorge- Herren! Es stimmt, ich bin der letzte Redner. zogene Rente bezieht, gegenüber dem ALG II mögli- (Zurufe von der CDU/CSU: Oh! – cherweise mehr hat und was man später, während des Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Den Letzten bei- Rentenbezugs, insgesamt weniger hat. Können Sie mir ßen die Hunde!) bestätigen, dass das Minus für einen Rentner, der zehn Jahre lang Rente bezieht, selbst bei einer Rente von Der Hauptpunkt der heutigen Debatte ist – das werden 1 000 Euro bei circa 2 000 Euro liegt? wir gleich beschließen – eine erneute Senkung des Ar- beitslosenversicherungsbeitrags um weitere 0,9 Pro- Zweiter Punkt. Nachdem Sie das jetzt angesprochen zentpunkte zum 1. Januar 2008. Das ist ein riesengroßer haben: Haben Sie die Absicht, die Zwangsverrentung Erfolg der Großen Koalition. so einzuführen, wie das geschehen wird, wenn die 58er- Regelung einfach ausläuft, oder dürfen wir damit rech- (Beifall bei der CDU/CSU) nen, dass es hier noch zu Abmilderungen für die Betrof- Ein Wort an Sie, meine Damen und Herren von der fenen kommt? Wenn ja: Wann dürfen wir damit rech- PDS. Entschuldigung, ich muss ja jetzt Die Linke sagen. nen? Das ist eine Kombinatslösung aus Alt-SED, WASG und PDS. Max Straubinger (CDU/CSU): (Zurufe von der Linken) Herr Kollege Schneider, Sie stellen das völlig falsch dar, auch in der Öffentlichkeit. Keinem Rentner wird et- – Das muss man jedes Mal sagen. Sie wechseln dauernd was entzogen. Bei dem, was Sie angesprochen haben, den Mantel, sodass man nicht mehr erkennt, wer alles handelt es sich um den normalen Abschlag, der sich aus sich darunter noch verbirgt. der längeren Rentenbezugsdauer ergibt. Aber den Rent- nern wird nichts weggenommen. Ich will heute nicht zu viel Zeit auf Sie verwenden. Um es deutlich zu sagen: Sie sind nicht die zukunftstrei- (Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Es wird ihnen bende Kraft, sondern rückwärts gewandt. So wichtig weniger gegeben!) sind Sie nun auch nicht. Das ist das Entscheidende. (Lachen bei Abgeordneten der LINKEN) 13332 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 127. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. November 2007

Wolfgang Meckelburg (A) Ich will vielmehr über das reden, was wir erreicht haben, Versorgung der zurzeit 8 000 Versorgungsempfänger (C) was wir beschließen und was wir vorhaben. Unsere Poli- und der 22 000 Beamtinnen und Beamten, die dem- tik ist eine klare und real existierende Alternative zu Ih- nächst bei der Bundesanstalt Empfänger werden, hilf- rer „Wünsch dir was“-Politik. Diese Koalition hat Wirt- reich. Wir haben den Eingliederungsbeitrag der BA für schaftswachstum ermöglicht. Wir werden die jährliche Langzeitarbeitslose im Arbeitslosengeld II und wollen Nettoneuverschuldung beenden. Das ist mit dieser Ko- 5 Milliarden Euro als Eingliederungsbetrag für Hartz-IV- alition erreichbar. Wir haben zudem schon einiges auf Empfänger dorthin geben. dem Arbeitsmarkt bewegt. (Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (Volker Schneider [Saarbrücken] [DIE NEN]: Das ist nicht verfassungsgemäß!) LINKE]: Das stimmt! Lohndumping, Billig- jobs, prekäre Beschäftigungsverhältnisse!) Das kann man strittig sehen, und ich möchte das heute nicht weiter vertiefen. Wir haben das mit der FDP ein Es gab einmal 5 Millionen Arbeitslose. Nun sind es bisschen diskutiert. Ich glaube schon, dass man das ver- 3,5 Millionen. Die Zahl der sozialversicherungspflichtig treten kann. Das ist übrigens gesetzlich über den § 340 Beschäftigten beträgt wieder 27 Millionen. Das sind die SGB III – ich sage das noch einmal – abgesichert, in Stellen, an denen man sieht, dass sich wirklich etwas auf dem steht, dass diese Mittel, die als Versicherungsbei- dem Arbeitsmarkt bewegt. Die Zahl der Beitragszahler, träge gezahlt werden, auch zur Arbeitsförderung genutzt die in die Sozialversicherung einzahlen, ist ebenfalls ge- werden können. Wir befinden uns da also auf relativ si- stiegen. Es muss weniger Arbeitslosengeld ausgezahlt cherem Terrain. Ich glaube, wenn man das anders wieder werden, weil wieder mehr Menschen in Arbeit gekom- hinbekommt, wenn die Situation insgesamt noch besser men sind. Aufgrund dieser Politik sind wir in der Lage, wird, haben wir da auch mit Ihnen kein Problem mehr. den Arbeitslosenversicherungsbeitrag zu senken. Kurz gesagt – ich zitiere nun Herrn Steinbrück von gestern Verehrte Kolleginnen und Kollegen von der FDP, da Abend –: „Dieses Land ist nach zwei Jahren stärker als Sie beim letzten Mal das Gefühl hatten, dass ich Sie viel- vor zwei Jahren.“ Wo er recht hat, hat er recht. leicht zu schonend behandelt habe – ich hatte den Ein- druck, die SPD war an der Stelle ein bisschen traurig –, (Beifall bei der CDU/CSU) möchte ich das heute wettmachen. Ich will noch einmal deutlich sagen: Wir haben jetzt in der zweiten Stufe, – Meine Damen und Herren von der SPD, Sie hätten ru- beide Stufen zusammengenommen, im Vergleich des hig mitklatschen dürfen. Ich habe bewusst Herrn 1. Januar dieses Jahres mit dem 1. Januar des kommen- Steinbrück zitiert, um die Möglichkeiten der Koalition den Jahres eine Senkung des Arbeitslosenversicherungs- zu verbessern. (B) beitrages von 6,5 auf 3,3 Prozent. Das ist fast eine Hal- (D) Wir verstärken die dargelegten positiven Tendenzen bierung dieses Beitrages. Wir rutschen damit in die mit dem, was wir heute beschließen. Wir haben ergän- Zeiten der 80er-Jahre zurück, in denen es solche Bei- zend einen Antrag vorgelegt, der eine noch stärkere Sen- tragszahlungen gab. Das ist ein Erfolg, und das wird uns kung des Beitragssatzes in der Arbeitslosenversicherung auf dem Arbeitsmarkt weiterhelfen. als ursprünglich geplant vorsieht. Wir haben einen Ent- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- schließungsantrag vorgelegt – den sollten wir vielleicht neten der SPD) dann näher behandeln, wenn er ansteht –, in dem geht es vor allen Dingen um die Verlängerung des Arbeitslo- Das ist ein Gesamtbetrag von 25 Milliarden Euro. Da sengeld-I-Bezuges. Ich finde, das, was Peter Rauen sich Milliarden so schlecht vorstellen lassen, mache ich heute zu Beginn gesagt hat, sollte noch einmal klar wer- es noch einmal deutlich: Diese Gesamtsenkung bedeutet den. Durch die drei Möglichkeiten des Arbeitslosengeld- bei den Arbeitnehmern durchschnittlich 430 Euro netto I-Bezuges und die entsprechenden Vorversicherungszei- mehr in der Tasche. Das ist so ähnlich wie eine Lohn- ten bin ich relativ sicher, dass wir diejenigen erreichen, erhöhung, die im Jahr 430 Euro ausmacht. Das ist der die wir auch erreichen wollen. Das sind nämlich diejeni- Effekt, und das hat auch Wirkung. gen mit den längeren Beitragszeiten, das sind diejenigen, die es sehr ungerecht fänden, wenn sie gegenüber ande- Nun zu Ihnen von der FDP. Da gibt es ja den Streit ren anders behandelt würden. Ich glaube, da gibt es eine über die Mehrwertsteuer. Ich sage einmal deutlich: Wir ganz große Trefferquote. Darüber sollten wir aber reden, hätten den ersten Schritt, die erste Senkung des Arbeits- wenn wir so weit sind und den Gesetzentwurf vorliegen losenversicherungsbeitrages, ohne die Mehrwertsteuer- haben. Die Regierung hat versprochen, ihn so schnell erhöhung nicht hinbekommen. Wir hätten das nicht hin- wie möglich auf den Tisch zu legen. bekommen, nach der damaligen Planung schon gar nicht. Wir hätten es jetzt auch nicht geschafft, dass wir Zu dem Gesetz, das wir heute beschließen werden: Es bei 3,3 Prozent landen; ursprünglich hatten wir geht um diese Rücklage von 18 Milliarden Euro, die da 3,5 Prozent vor. Interessanterweise haben Sie ja auch ist. Ich finde, wir gehen damit sehr sinnvoll um. Wir ge- sehr schnell nachgelegt, das ist erst zwei oder drei Tage ben sie nicht für staatliche Bewirtschaftung aus – ich her. Bisher hatten Sie auch nur den Mut, 3,5 Prozent zu glaube, das wäre Ihnen auf der linken Seite das Liebs- fordern. te –, sondern wir wollen sie sinnvoll einsetzen. Wir neh- men 2,5 Milliarden Euro aus der Rücklage für den Vor- (Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Nein, wir haben sorgefonds, der gebildet wird. Diese Basis ist für die Schlüsse aus der Anhörung gezogen!) Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 127. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. November 2007 13333

Wolfgang Meckelburg (A) Wissen Sie, bei dem Eiertanz, den Sie zu den Beitrags- können auch die Bundesagentur für Arbeit oder das In- (C) absenkungen aufführen, hat man manchmal das Gefühl, stitut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung, IAB, das Sie wollen bei einem Minusbeitrag landen. Sie sonst gern zitieren, fragen. Ich lese drei Stellen vor. Die erste Stelle lautet: (Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU) Die Absenkung des Beitragssatzes zur Arbeitsför- Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: derung wird sich positiv auf die Beschäftigungsent- Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des wicklung in Deutschland auswirken. Kollegen Kolb? Das ist ein wörtliches Zitat aus der Stellungnahme des IAB. Warum? Auch das wird hier erklärt: Wolfgang Meckelburg (CDU/CSU): Sie vermindern ... Arbeitskosten, wodurch die Ja, gern. Nachfrage nach Arbeitskräften steigt. Andererseits führen sie ... zu höheren Nettoeinkommen, wodurch Dr. Heinrich L. Kolb (FDP): die Nachfrage nach Gütern und Dienstleistungen Herr Kollege Meckelburg, es kann ja sein, dass Sie steigt. die Anhörung zu diesem Thema deshalb am Dienstag- abend durchgeführt haben, damit Sie sich bis Mittwoch- Das sagt das IAB, das auch Sie sonst gerne zitieren. Zu- morgen nicht mit den Ergebnissen konfrontiert sehen letzt wird gesagt, dass eine Beitragssenkung um müssen. Wir allerdings haben die Anhörung aufmerksam 0,7 Prozentpunkte zu etwa 100 000 neuen Arbeitsplät- verfolgt, auch das, was das Karl-Bräuer-Institut gesagt zen führen wird. Die Anhörung ist eine Lehrstunde für hat. Nicht nur 3,0 Prozent – wie wir es sagen – sind ohne Sie gewesen. Ich hoffe, Sie nehmen diese Aussagen statt Weiteres möglich, sondern sogar 2,9 oder auch 2,7 Pro- des Buches, das Sie immer mit sich herumtragen, mit in zent sind nach den Aussagen des Karl-Bräuer-Institutes die Fraktion und reden darüber. Dann wären wir ein ohne Weiteres machbar – und nicht nur nach den Aussa- Stück weiter. Wir jedenfalls sind auf einem guten Weg gen des Karl-Bräuer-Institutes. und werden weitermachen. (Widerspruch bei der SPD) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- neten der SPD) Da war für uns doch klar, dass wir im Lichte der An- hörung sagen: Jetzt kann der Beitrag noch weiter gesenkt werden. – Warum haben Sie sich denn nicht ähnliche Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Gedanken gemacht? Ich verstehe das nicht. Warum ma- Ich schließe die Aussprache. (B) chen wir dann überhaupt Anhörungen? Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun- (D) desregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Ände- Wolfgang Meckelburg (CDU/CSU): rung des Dritten Buches Sozialgesetzbuch und anderer Ich bin bei der Anhörung dabei gewesen. Es hat auch Gesetze. Der Ausschuss für Arbeit und Soziales emp- kritischere Stimmen gegeben – die hören auch Sie sonst fiehlt unter Nr. I seiner Beschlussempfehlung auf manchmal gerne –, die aus der Wirtschaft gekommen Drucksache 16/7151(neu), den Gesetzentwurf der Bun- sind, wonach man vorsichtig sein sollte. Ich finde, dass desregierung auf Drucksache 16/6741 in der Ausschuss- wir sehr verantwortlich handeln, wenn wir bei fassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Ge- 3,3 Prozent landen; setzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Enthal- (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) tungen? – Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Bera- denn wir hatten uns bereits im Vorfeld darauf verstän- tung mit den Stimmen der Koalition bei Gegenstimmen digt, der Opposition angenommen. (Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Ich habe das Dritte Beratung Protokoll dabei!) und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem die Beiträge von 3,9 Prozent auf 3,3 Prozent zu senken. Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Sie hatten nichts Besseres zu tun, als diesen Eiertanz Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Damit ist der fortzusetzen. Warum haben Sie von der FDP nicht ein- Gesetzentwurf in dritter Beratung mit den Stimmen der fach die Kraft, mal zu sagen: „Mensch, das habt ihr gut Koalition bei Gegenstimmen der Opposition angenom- gemacht“? men. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Unter Nr. II seiner Beschlussempfehlung auf Druck- sache 16/7151(neu) empfiehlt der Ausschuss, eine Ent- Zuletzt will ich aus der Anhörung zitieren, weil strit- schließung anzunehmen. Wer stimmt für diese Be- tig war, ob die Senkung der Arbeitslosenversicherungs- schlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Enthal- beiträge für den Arbeitsmarkt hilfreich sei. Ich sage das tungen? – Die Beschlussempfehlung ist mit den vor allem an die Linke gerichtet, die das bei meiner letz- Stimmen der Koalition bei Gegenstimmen der Opposi- ten Rede durch Zwischenrufe wie „Woher wissen Sie tion angenommen. das?“ bestritten hat. Ich habe bewusst nachgefragt und biete Ihnen jetzt eine ganze Sammlung von Zitaten von Abstimmung über den Entschließungsantrag der Experten an. Sie können nicht nur die BDA, sondern Sie Fraktionen der CDU/CSU und der SPD auf 13334 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 127. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. November 2007

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner (A) Drucksache 16/7190. Wer stimmt für diesen Entschlie- Oskar Lafontaine (DIE LINKE): (C) ßungsantrag? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Auch dieser Entschließungsantrag ist mit den Stimmen Herren! Die nächste halbe Stunde bereitet uns – das der Koalition bei Gegenstimmen der Opposition ange- möchte ich nicht verhehlen – durchaus Vergnügen. Wir nommen. sind auch nicht nur in lauterer Absicht hier; denn wir wollen Sie heute vorführen. Tagesordnungspunkt 33 b: Der Ausschuss empfiehlt unter Nr. III seiner Beschlussempfehlung auf Druck- (Klaus Uwe Benneter [SPD]: Ja, genau!) sache 16/7151(neu) die Ablehnung des Antrags der Es geht nämlich darum, dass nicht nur in Deutsch- Fraktion der FDP auf Drucksache 16/6434 mit dem Titel land, sondern in aller Welt viele Menschen sich darüber „Überschüsse der Bundesagentur für Arbeit an Beitrags- beklagen, wie die Einkommen auseinanderklaffen, dass zahler zurückgeben – Beitragssenkungspotenziale nut- insbesondere im Management in aller Welt, auch in zen“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer Deutschland, mittlerweile Gehälter gezahlt werden, die stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Die Beschlussemp- von der großen Mehrheit der Bevölkerung schlicht als fehlung ist gegen die Stimmen der FDP mit den Stim- unanständig empfunden werden. men des übrigen Hauses angenommen. (Beifall bei der LINKEN) Unter Ziffer IV empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion Die Linke auf Drucksache Warum wir Sie heute vorführen wollen und zur na- 16/6035 mit dem Titel „Überschüsse der Bundesagentur mentlichen Abstimmung einladen, hat folgenden Grund: für Arbeit zur Vermeidung von Langzeitarbeitslosigkeit, Immer dann, wenn es irgendwelche Skandale gibt, wenn für mehr Qualifizierung und eine längere Bezugsdauer zum Beispiel Managergehälter nach allgemeiner Mei- nung viel zu hoch sind, wenn Abfindungen viel zu hoch des Arbeitslosengeldes verwenden“. Wer stimmt für sind, treten die Empörungspolitiker aller Fraktionen an diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – und beklagen sich in der Boulevardpresse darüber, wie Enthaltungen? – Auch diese Beschlussempfehlung ist unverschämt das sei. Das war etwa damals bei der Ab- bei Gegenstimmen der Fraktion Die Linke mit den Stim- findung von Esser bei MAN so. Quer durch alle Fraktio- men des übrigen Hauses angenommen. nen gab es da eine große Empörung. Auch wenn über die Ich rufe den Tagesordnungspunkt 35 auf: Vorstandsgehälter der Deutschen Bank berichtet wird, gibt es quer durch die Fraktionen Leute, die sagen, das – Zweite und dritte Beratung des von den Abgeord- sei so nicht mehr hinnehmbar; teilweise wird das als neten Dr. Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und der obszön bezeichnet. Ihre große Empörung wird in der Fraktion DIE LINKE eingebrachten Entwurfs ei- Boulevardzeitung zitiert. (B) nes Gesetzes zur Änderung des Aktiengesetzes (D) Nun werden die normalen Bürgerinnen und Bürger – Drucksache 16/1444 – sagen, wenn die Fraktionen über eine solche ungerecht- fertigte Selbstbereicherung so empört sind, dann wird si- – Zweite und dritte Beratung des von den Abgeord- cherlich irgendetwas unternommen werden. Das ist der neten Dr. Gregor Gysi, Oskar Lafontaine, Punkt, warum wir Sie heute zur namentlichen Abstim- Dr. Barbara Höll, weiteren Abgeordneten und der mung bitten: Sie wollen nichts unternehmen. Sie sind an Fraktion DIE LINKE eingebrachten Entwurfs ei- dieser Stelle total unglaubwürdig. Während sich auf der nes Gesetzes zur Änderung des Aktiengesetzes einen Seite der Sektor der Löhne, von denen man nicht leben kann, immer weiter ausbreitet, tun Sie nichts dage- – Drucksache 16/3015 – gen, dass sich auf der anderen Seite die Managergehälter Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsaus- immer schamloser nach oben bewegen. schusses (6. Ausschuss) (Beifall bei der LINKEN) – Drucksache 16/5524 – Wir machen Ihnen zwei Vorschläge. Der eine Vor- Berichterstattung: schlag ist, die Managergehälter zu begrenzen. Ich zitiere den amerikanischen Banker Morgan, der bereits im vor- Abgeordnete Dr. Günter Krings letzten Jahrhundert gesagt hat: Ich möchte nicht, dass in Klaus Uwe Benneter meiner Bank ein Manager mehr verdient als das 20-Fa- Mechthild Dyckmans che dessen, was derjenige erhält, der das niedrigste Ein- Wolfgang Nešković kommen in meiner Bank hat. Jerzy Montag Nun lachen Sie darüber. Über den Gesetzentwurf auf Drucksache 16/3015 werden wir später namentlich abstimmen. (Zuruf von der CDU/CSU: Es hat gar keiner gelacht!) Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich höre Aber ich möchte Ihnen den Zusammenhang darstellen, keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. der aus unserer Sicht besteht. Eine soziale Marktwirt- schaft kann nur funktionieren, wenn sie auf einem ethi- Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege schen Fundament beruht. Oskar Lafontaine, Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN – Joachim Stünker (Beifall bei der LINKEN) [SPD]: Lafontaine’sche Ethik!) Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 127. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. November 2007 13335

Oskar Lafontaine (A) Das heißt, es muss gewisse Grundüberzeugungen geben, (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – (C) von denen alle ausgehen können, die sich an dieser so- Manfred Grund [CDU/CSU]: Etwas höheres zialen Marktwirtschaft beteiligen. Niveau, Günter!) (Dr. Günter Krings [CDU/CSU]: Die Sie ab- lehnen!) Dr. Günter Krings (CDU/CSU): Eine der Grundüberzeugungen ist, dass es einigermaßen Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und gerecht zugeht. Jedem in Deutschland kann man erklä- Herren Kollegen! Herr Lafontaine, es ist bemerkenswert, ren, dass qualifizierte Manager beispielsweise das dass Sie im Vergleich zu den letzten Jahren deutlich be- scheidener geworden sind. Sie waren ja einmal – die äl- 20-Fache dessen erhalten, was derjenige erhält, der das teren Kollegen in diesem Haus erinnern sich vielleicht niedrigste Einkommen im Unternehmen hat. Das ist noch – Finanzminister einer Bundesregierung. Damals noch vermittelbar. Wenn aber heute Vorstandsvorsit- wollten Sie noch die Weltmärkte regulieren. Heute be- zende das 150-Fache eines Facharbeiters haben, dann ist gnügen Sie sich wenigstens damit, die Vorstandsgehälter das nicht mehr vermittelbar. Das ist nicht mehr leis- regulieren zu wollen. tungsgerecht und hat auch mit Marktwirtschaft über- haupt nichts mehr zu tun. (Oskar Lafontaine [DIE LINKE]: Sehr guter (Beifall bei der LINKEN) Einstieg!) Es ist bedauerlich, dass Sie hier wieder zu feige sein Die beiden vorliegenden Gesetzentwürfe spiegeln werden, irgendetwas zu beschließen. nicht nur ein tiefes Misstrauen, sondern eine klare Ab- lehnung des Systems der sozialen Marktwirtschaft wi- (Dr. Günter Krings [CDU/CSU]: Wir haben der. schon längst was beschlossen!) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Sie können ja einen besseren Vorschlag machen. Aber Oskar Lafontaine [DIE LINKE]: Was? Sie ha- Sie werden in der namentlichen Abstimmung heute ben das nicht richtig verstanden!) – und das bereitet Vergnügen – deutlich machen, dass alle Ihre Reden draußen völlig unglaubwürdig sind. – Es ist interessant, dass Sie diese Aussage in Ihrem Dasselbe gilt für die Aktienoptionen. Ein Mann wie Zwischenruf infrage stellen. Ich habe bei der ersten Le- sung dieser Gesetzentwürfe vor ziemlich genau einem Heiner Geißler, bei dem ich bedaure, dass er nicht mehr Jahr gesagt, dass ich bei Ihnen ein Misstrauen gegenüber hier in diesem Hause sprechen kann, der sozialen Marktwirtschaft erkenne. Im Protokoll kann (Dr. Peter Ramsauer [CDU/CSU]: Das ist man nachlesen, dass es einen Aufruhr bei der Linksfrak- (B) Heucheln!) tion gab. Sie haben damals gesagt, dass Sie die soziale (D) Marktwirtschaft ablehnen. Offenbar sehen Sie und ei- hat immer wieder darauf hingewiesen, wie obszön es ist, nige andere das inzwischen wieder anders. Das spricht dass die Aktienkurse steigen, wenn Manager ankündi- für die Geschichtsvergessenheit Ihrer Partei. Sie erinnern gen, dass Tausende Arbeitsplätze abgebaut werden. Ja- sich nicht einmal mehr daran, was von Ihnen vor einem wohl, dieser Zusammenhang ist nach Auffassung der Jahr gesagt worden ist. Linken obszön. Noch obszöner ist es aber, wenn man dadurch auch Soziale Marktwirtschaft bedeutet in unserer Gesell- schaft: Schutz der Schwachen. noch viel Geld verdient. Deshalb schlagen wir vor – das wäre mein zweiter Vorschlag –, die Belohnung von Ma- (Oskar Lafontaine [DIE LINKE]: Nein, die nagern mit Aktienoptionen zu untersagen; denn sie wer- Bereicherung der Reichen!) den dadurch geradezu angereizt, Massenentlassungen anzukündigen, um das eigene Einkommen zu vermeh- Der Schutz der Schwachen steht im Mittelpunkt unserer ren. sozialen Marktwirtschaft. Das bedeutet aber nicht, das Einkommen derjenigen, die mehr verdienen, zu deckeln. (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Die Schwachen in unserer Gesellschaft, diejenigen, die Winkelmeier [fraktionslos]) in den unteren Lohngruppen sind, würden keinen einzi- Es ist bedauerlich, dass dies bei Ihnen zu Gelächter gen Euro mehr verdienen, wenn man bei den Vorständen führt. eine Deckelung vornähme. Kein einziger Arbeitnehmer würde etwas davon haben. Sie geben Steine statt Brot. (Manfred Grund [CDU/CSU]: Es hat keiner gelacht! Was soll denn der Blödsinn?) (Oskar Lafontaine [DIE LINKE]: Aha!) Das ist eine der Ursachen dafür, dass Sie im Volk immer Die Wirtschaft ist kein Nullsummenspiel nach dem mehr Glaubwürdigkeit verlieren. Motto: Was man oben abschneidet, kommt unten an. Un- (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert sere Volkswirtschaft, unsere soziale Marktwirtschaft, ist Winkelmeier [fraktionslos]) eine dynamische Veranstaltung. Die CDU/CSU-Fraktion wird sich daher gegen einen solchen billigen Populismus entschieden wehren. Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Ich gebe das Wort dem Kollegen Dr. Günter Krings, (Ulrich Maurer [DIE LINKE]: Waren Sie in CDU/CSU-Fraktion. letzter Zeit mal in der Kirche?) 13336 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 127. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. November 2007

Dr. Günter Krings (A) Unterstellen wir doch einmal für einen Augenblick, standsvergütungen im Stillen gezahlt werden; man muss (C) dass die Manager in der Breite so charakterlos sind, wie es offenlegen. Das haben wir durch dieses Gesetz er- Sie das in Ihrem Gesetzentwurf zugrunde legen. Wenn reicht. man das Gehalt der Manager an die unteren Lohngrup- pen koppeln würde, hieße das doch, dass der Manager in (Oskar Lafontaine [DIE LINKE]: Das war ja den unteren Lohngruppen nur Arbeitsplätze wegrationa- sehr wirksam!) lisieren oder ins Ausland verlagern müsste, und schon Die Bundesregierung hat außerdem eine Kodex- könnte er sich sein Gehalt erhöhen. Ihr Ansatz kann Kommission, die sogenannte Cromme-Kommission, doch gar nicht funktionieren. eingesetzt. Von ihr gibt es klare und sinnvolle Empfeh- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – lungen zur Gehaltsstruktur in deutschen Unternehmen. Oskar Lafontaine [DIE LINKE]: Sie beherr- Über 90 Prozent der DAX-Unternehmen befolgen diese schen ja noch nicht einmal die simplen Grund- Empfehlungen bereits. rechenarten!) Ich habe bisher hauptsächlich zur Deckelung der Ge- Mir geht es darum, deutlich zu machen, dass man ei- hälter gesprochen; vielleicht noch ein paar Worte zum nerseits die Einzelfälle sehen muss, in denen es – teil- Thema Aktienoptionen. Das ist fast noch abstruser. Sie weise in den USA, teilweise auch in Deutschland – zu wollen Aktienoptionen für Vorstände verbieten. Missständen gekommen ist. Diese werden zu Recht, (Oskar Lafontaine [DIE LINKE]: Ja!) auch von unserer Fraktion, kritisiert. Andererseits muss man sehen, was der Gesetzgeber sinnvollerweise durch Übrigens hat die Cromme-Kommission, die Kodex- Verbotsgesetze regeln kann. Nicht jede falsche Unter- Kommission, vorgeschlagen, dass sich gerade bei Vor- nehmensentscheidung kann Anlass für ein Verbotsgesetz ständen die Vergütungen aus einem festen und einem va- sein. Es gibt in Deutschland Grundrechte – Art. 2, riablen Bestandteil zusammensetzen sollten. Warum? Art. 12, Unternehmerfreiheit –, die zu beachten sind. Weil variable Bestandteile wie vor allem Aktienoptionen Dass Sie mit diesen Grundrechten nicht viel am Hut ha- die Verantwortung und das Engagement eines Managers ben, wissen wir. Das haben Sie hier eindrucksvoll bestä- noch einmal steigern. Das gilt übrigens für alle Ebenen tigt. eines Unternehmens. Wir wollen mehr Beteiligung, mehr Kapitalbildung in Arbeitnehmerhand, und zwar auf Kern Ihres Gesetzentwurfs ist der alte Gedanke vom allen Stufen des Unternehmens, von den unteren und gerechten Lohn. Dieser Gedanke wurde bereits im Mit- mittleren Lohngruppen bis hin zu den Vorständen. Wer telalter diskutiert. das ablehnt, wer Leistungsanreize auch durch Aktienop- tionen ablehnt, der ist gegen Leistung in Unternehmen (B) (Ulrich Maurer [DIE LINKE]: Steht schon in (D) der Bibel!) und der gefährdet damit letztlich Arbeitsplätze, weil Leistungschancen nicht ausgeschöpft werden. Ziemlich genau ausgangs des Mittelalters hat man fest- gestellt, dass man hierfür keine, zumindest keine gesetz- (Beifall bei der CDU/CSU – Oskar Lafontaine lichen Vorgaben finden kann. Sie greifen offenbar auf [DIE LINKE]: Das ist nur Karneval!) die Zeit davor zurück. Das lässt Rückschlüsse auf den Der Staat kann einiges tun; das haben wir gesehen. Stand Ihrer Politik und Ihre wirtschaftspolitische Denk- Wir haben auch schon einiges gemacht. Wir haben die weise zu. Vorstandsvergütungsoffenlegung beschlossen. Wir ha- Herr Lafontaine, Sie haben behauptet, wir würden ben eine Kommission eingesetzt, die konkrete Empfeh- nicht handeln und hätten die Missbrauchsfälle nicht zum lungen formuliert hat, die in weiten Teilen der Wirtschaft Gegenstand der Gesetzgebung gemacht. Das ist schlicht- auch befolgt werden. Der Staat kann aber eines nicht weg falsch. machen: Er kann sich nicht an die Stelle der Eigentümer setzen; die Aktionäre müssen konkret festlegen, welche In der letzten Wahlperiode gab es in diesem Haus Vergütung gezahlt wird. keine Linksfraktion; die brauchten wir nicht; die brau- chen wir auch heute noch nicht. Aktiengesellschaften in einer sozialen Marktwirt- schaft sind vom Willen der Eigentümer abhängig. Es (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und sind keine volkseigenen Betriebe, auch wenn Sie das der SPD – Dr. Dagmar Enkelmann [DIE gern hätten. Sie haben in Ihrem Entwurf unter der Über- LINKE]: Doch, dringend!) schrift „Alternativen“ – diese Zeile kennen wir alle – na- türlich geschrieben: Keine. – Im tiefsten Herzen hätten Da haben wir, CDU/CSU, SPD und Grüne gemeinsam, Sie natürlich gern die Alternative: Umwandlung der Ak- ein Vorstandsvergütungs-Offenlegungsgesetz beschlos- tiengesellschaften in volkseigene Betriebe. sen, (Kristina Köhler [Wiesbaden] [CDU/CSU]: Ja, (Kristina Köhler [Wiesbaden] [CDU/CSU]: genau!) Hört! Hört! Lesen bildet!) Dann sollten Sie so mutig sein, das auch offen zu sagen, weil wir ja wissen, dass Sonnenlicht das beste Reini- meine sehr verehrten Damen und Herren. gungsmittel für solche Missbrauchsfälle ist. Wenn man Missbrauchsfälle dieser Art möglichst zurückdrängen (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und will, dann muss man verhindern, dass überhöhte Vor- der SPD) Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 127. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. November 2007 13337

Dr. Günter Krings (A) In den Aktiengesellschaften in Deutschland kann und (Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Gerhard (C) soll jeder Aktionär in der Hauptversammlung mitreden. Schick [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Bril- Jeder, der sich eine Aktie kauft, auch ein Mitglied Ihrer lant!) Partei, kann mitreden, kann Einfluss ausüben. In den Verwaltungsräten sind die Aktionäre vertreten, übrigens Lassen Sie mich zum Kerngedanken kommen: Wir auch die Arbeitnehmer; Arbeitnehmermitbestimmung. brauchen engagierte und qualifizierte Unternehmensfüh- Die Arbeitnehmervertreter in Aktiengesellschaften in rer für die Arbeitsplätze und für den Wirtschaftsstandort Deutschland haben mittelbar oder unmittelbar Einfluss Deutschland. Es ist richtig, dass nicht alle diesen Anfor- darauf, wie die Vergütung ausfällt. Wenn Sie das offen- derungen gerecht werden. Nicht alle werden diesen An- bar nicht für ausreichend halten, ist das auch Ausdruck forderungen gerecht, aus Unvermögen, die wenigsten eines Misstrauens gegen die Arbeitnehmermitbestim- wahrscheinlich aus Unwillen. Aber es ist ja geradezu mung in Deutschland. Offenbar haben Sie auch damit grotesk, anzunehmen, dass dann, wenn wir Aktienoptio- ein Problem. nen verbieten und Vorstandsgehälter deckeln, auf einmal die Qualität dieser Vorstände besser würde, dass sie bes- (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der sere Arbeit leisten und mehr Arbeitsplätze in Deutsch- FDP – Oskar Lafontaine [DIE LINKE]: Da ha- land schaffen und erhalten würden. ben Sie recht!) Alles in allem, meine sehr verehrten Damen und Her- Die Verantwortung der Unternehmensführer in ren, sind dies Vorschläge aus der sozialistischen Motten- Deutschland ist groß. Sie sind nicht nur für die Bilanz- kiste. Es sind Vorschläge, die schon einmal in einer deut- zahlen und für die Aktienkurse verantwortlich; sie haben schen Wirtschaftsordnung nicht funktioniert haben. Wir auch Verantwortung für ihre Mitarbeiter. Sie tragen letzt- alle in diesem Hause tun gut daran, wenn wir den Arbeit- lich auch für deren Familien Verantwortung, die vom nehmerinnen und Arbeitnehmern in Deutschland, wenn Einkommen der Mitarbeiter abhängen. Nötig sind daher wir den Menschen in Deutschland weitere Experimente engagierte und qualifizierte Mitarbeiter und Vorstände. à la PDS/Linkspartei ersparen. Entsprechend werden wir diesen Gesetzentwürfen selbstverständlich nicht zustim- Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: men. Herr Kollege Krings, Ihr Kollege Grund würde gern Herzlichen Dank. eine Zwischenfrage stellen. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Dr. Günter Krings (CDU/CSU): Aber sehr gern. Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: (B) (D) (Dr. Ilja Seifert [DIE LINKE]: Bestellte Nächste Rednerin ist die Kollegin Mechthild Frage!) Dyckmans, FDP-Fraktion. (Beifall bei der FDP) Manfred Grund (CDU/CSU): Vielen Dank. – Herr Kollege Krings, ist Ihnen ein Mechthild Dyckmans (FDP): Beispiel dafür bekannt, dass der rot-rote Berliner Senat Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kol- auch nur in einem Fall bei Unternehmen, an denen er be- legen! Bei Ihren Anträgen und Gesetzentwürfen der letz- teiligt ist und bei denen er eine Mehrheit hat, die Gehäl- ten Zeit, werte Kolleginnen und Kollegen der Linken, ter der Geschäftsführer gedeckelt hat? muss man sich wirklich fragen, was Sie eigentlich wol- (Christian Lange [Backnang] [SPD]: Das ist ja len; denn dass es Ihnen nicht um inhaltliche Regelungen interessant!) geht, ist mittlerweile den meisten bekannt. Ist Ihnen bekannt, ob der rot-rote Senat in Berlin in den Es sind nichts als Schaufenstervorlagen, die Sie hier letzten Jahren die Einkommen der Beschäftigten im öf- vorbringen; das haben Sie, Herr Kollege Lafontaine, fentlichen Dienst in Berlin massiv gekürzt hat? auch ganz deutlich und ganz offen so ausgesprochen. Denn warum beantragen Sie nicht, wenn Sie eine Mehr- Dr. Günter Krings (CDU/CSU): heit zum Beispiel für Ihren Vorschlag zum Verbot der Herzlichen Dank, Herr Kollege. – Die Frage spricht Aktienoptionen haben wollen, eine Anhörung im für sich. Sie war nicht bestellt, aber trotzdem sehr auf- Rechtsausschuss? Warum laden Sie nicht zu einem Be- schlussreich. richterstattergespräch ein oder machen wenigstens Ihre Position in der Sitzung des Rechtsausschusses deutlich? Erstens ist mir sehr wohl bekannt, dass die Linkspar- Nichts von alledem haben Sie getan, nichts. tei oder PDS – irgendwie heißt sie jeden Monat anders – im Berliner Senat vertreten ist. Zweitens ist mir bekannt, (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten dass die Linkspartei offenbar keine Anstalten gemacht der CDU/CSU und der SPD) hat, höhere Einkommen für Arbeitnehmer in den unteren Es geht Ihnen nur um eine populistische Debatte hier im Lohngruppen oder eine Deckelung der Vorstandsgehäl- Plenum. ter durchzusetzen. Insofern: Herzlichen Dank für diese Frage. Sie bestätigt wirklich, wie bigott diese Forderun- (Oskar Lafontaine [DIE LINKE]: In diesem gen sind, die Sie hier gestellt haben. Punkt, ja! Wir wollen Sie vorführen!) 13338 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 127. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. November 2007

Mechthild Dyckmans (A) – Wenn Sie jemanden testen oder vorführen wollen, wo ihnen für dieselbe Tätigkeit und Verantwortung mehr (C) dann machen Sie das bitte woanders. Das Plenum ist gezahlt wird. nicht der geeignete Ort dafür. Wir liegen schon heute mit unseren durchschnittli- (Zustimmung bei der FDP) chen Vorstandsvergütungen in Deutschland unter dem Statt zum Beispiel die Aktienoptionspläne als Ge- europäischen Maß und unter dem amerikanischen alle- haltsbestandteile der Vorstände zu bekämpfen, könnten mal. Es ist doch realitätsfern, zu glauben, dass wir mit Sie ja auch einmal darüber nachdenken, was Sie für die einer gesetzlichen Deckelung der Vorstandsgehälter gute finanzielle Beteiligung der Arbeitnehmer am Gewinn Manager in Deutschland halten könnten. Eine Ober- der Unternehmen tun könnten. Es wäre einmal eine be- grenze auf nationaler Ebene einzuführen, macht gerade sondere Sache, wenn wir positive Vorlagen, bei denen wegen der hohen Mobilität dieser Berufsgruppe keinen für die Arbeitnehmer auch etwas herauskommt, von Ih- Sinn. Der Markt für die besten Manager ist – ähnlich wie nen bekämen. für die weltbesten Fußballspieler – global und nicht auf ein einziges Land beschränkt. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) (Zuruf von der FDP: So ist es!) Außerdem vielleicht eine kleine Nachhilfestunde: Die Ihnen geht es mit Ihren Vorschlägen doch im Grunde auf Aktienoptionen basierenden Vergütungen für Vor- nur um staatliche Reglementierung und Staatseinfluss. stände sind nicht nur in den USA, sondern auch in Eu- Sie wollen eine Staatswirtschaft à la DDR. Dies hat aber ropa längst wieder rückläufig. So ist in Deutschland der in der Vergangenheit noch in keinem Land zu besseren Anteil der Optionsprogramme an den Managervergütun- Lebensbedingungen für Bürgerinnen und Bürger ge- gen bei den DAX-30-Unternehmen um fast 40 Prozent führt. gesunken. Der Markt regelt sich durchaus selber; man (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) muss ihn eben nur lassen. Für die FDP sage ich ganz klar: Wir wollen diese (Zuruf von der CDU/CSU: Sehr richtig!) staatliche Einschränkung der unternehmerischen Freiheit Unternehmen machen schon heute ihre Entscheidun- nicht. Wenn gesetzliche Regelungen in diesem Bereich gen transparenter und verständlicher. Das sehen wir an erforderlich sein sollten, dann ist für uns der einzige der Existenz und der ständigen Weiterentwicklung des Weg die Stärkung der Aktionärsrechte. Corporate Governance Kodexes. In diesem Kodex fin- den sich klare Regelungen zu Vorstandsvergütungen und (Beifall bei der FDP) Aktienoptionen. Er ergänzt damit die Vorgaben des § 87 (B) Denn die Aktionäre und nicht der Gesetzgeber oder die (D) Aktiengesetz. Wie Kollege Krings bereits sagte, halten Öffentlichkeit sind die Eigentümer der Gesellschaften. sich die Unternehmen zu über 95 Prozent an diese Soll- Nur sie haben über die Geschicke der Unternehmen und bestimmungen des Kodexes. Wir sehen also: Transpa- gegebenenfalls über die Managergehälter zu entschei- renz und gesellschaftliche Normen haben einen gewich- den. Wenn Sie einen Kleinaktionär fragen, dann wird er tigen Einfluss auf die Höhe der Entlohnung. Ihnen genau das sagen: Es ist nicht Aufgabe des Staates, (Beifall bei der FDP) diese Fragen gesetzlich zu regeln, sondern es ist seine ei- gene Aufgabe als Eigentümer der Gesellschaft. Damit bin ich bei der Höhe der Vorstandsvergütun- gen. Wir können ja durchaus darüber klagen, dass die Danke schön. Vorstandsvergütungen zu hoch sind. Aber wenn Sie die (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Strukturen der Vorstandsvergütung ändern, wenn Sie der CDU/CSU) diesbezüglich etwas regeln wollen, dann bedenken Sie doch bitte, dass es in Deutschland circa 16 000 Aktiengesellschaften und eben nicht nur die des Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: DAX 30 gibt. Sie stellen aber immer nur auf die Mana- Ich gebe das Wort dem Kollegen Klaus Uwe gergehälter dieser 30 Unternehmen ab. Extremfälle die- Benneter, SPD-Fraktion. nen Ihnen als Argument. Die Gesetzgebung richtet sich (Beifall bei Abgeordneten der SPD) aber an die Allgemeinheit und hat sich nicht an solchen Sondergruppen zu orientieren. Klaus Uwe Benneter (SPD): (Beifall bei der FDP) Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren Kolle- Ein großer Teil der Vorstandsvergütungen bei deut- gen! Zugegeben, auch mir wird schwindlig, wenn ich schen Aktiengesellschaften ist wesentlich geringer als mir die Gehälter des einen oder anderen Topmanagers bei den DAX-30-Unternehmen. Was wäre denn die anschaue. 15 Millionen Euro kassierte der Vorstandsvor- Folge Ihrer Vorschläge? Dies wäre ein Abwandern guter sitzende von RWE, Harry Roels, im vergangenen Jahr, Vorstände aus Deutschland in andere Länder, dicht gefolgt von Josef Ackermann, der es immerhin auf 13,2 Millionen Euro brachte. Das ist maßlos, das ist un- (Volker Schneider [Saarbrücken] [DIE verfroren, und das ist dreist. LINKE]: Dann holen wir uns halt chinesische Manager! Mein Gott, was ist das für eine Ar- (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Volker gumentation?) Schneider [Saarbrücken] [DIE LINKE]) Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 127. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. November 2007 13339

Klaus Uwe Benneter (A) Das ist empörend, Herr Lafontaine. Maßlos, unverfroren standsmitglieds in einem angemessenen Verhältnis zu (C) und dreist ist auch, dass solche Gehälter in keinem Ver- seinen Aufgaben und zur Lage der Gesellschaft zu ste- hältnis mehr zur Lage der jeweiligen Aktiengesellschaft hen haben. und zur tatsächlichen Leistung dieser Vorstände stehen. (Oskar Lafontaine [DIE LINKE]: Das ist ein (Beifall des Abg. Oskar Lafontaine [DIE Witzparagraf!) LINKE]) Die erforderliche Angemessenheit bezieht sich dabei ge- Es trifft ebenfalls zu, die Entwicklung der Manager- rade nicht auf die Höhe der Gesamtbezüge, sondern auf gehälter der letzten Jahre als geradezu obszön zu be- deren Verhältnis zu den Aufgaben des Vorstandsmit- zeichnen. glieds und zur Lage der Aktiengesellschaft. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der Es müsste doch auch einem PDS-Empörer vom LINKEN) Dienst einleuchten, dass die internationale Konkurrenz auf dem Markt der Vorstandsmitglieder es nicht ermög- Natürlich empört es mich, wenn ein Friseur in Sach- licht, in Deutschland durch ein nationales Gesetz abso- sen nach Tarif 3,82 Euro pro Stunde verdient und diese lute Höchstgrenzen für die Bezüge von Vorstandsmit- Manager im gleichen Zeitraum 1 700 Euro einstreichen. gliedern von Aktiengesellschaften einzuführen. Aber was machen nun unsere PDS-Empörer vom (Beifall des Abg. Oskar Lafontaine [DIE Dienst daraus? LINKE]) (Ulla Lötzer [DIE LINKE]: Was machen Sie – Das müsste auch Ihnen, Herr Lafontaine, einleuchten. daraus?) (Oskar Lafontaine [DIE LINKE]: Ich habe ja Sie schlagen vor, die Vorstandsbezüge durch Gesetz zu Beifall gespendet!) deckeln und durch ein weiteres Gesetz Aktienoptionen Die Aufgaben der einzelnen Vorstandsmitglieder und die für Vorstände zu verbieten. Mit zwei Gesetzentwürfen Lage der jeweiligen Aktiengesellschaft sind viel zu ver- auf sechs Seiten erklären Sie uns, wie wir soziale Ge- schieden, als dass man per Gesetz eine Höchstgrenze für rechtigkeit per Gesetz herstellen können. Vorstandsbezüge festlegen könnte. Wir haben es hier eben nicht mehr mit Kombinaten zu tun. (Oskar Lafontaine [DIE LINKE]: Besserer Vorschlag!) Wir müssen hier einmal mehr die Auswirkungen der Globalisierung zur Kenntnis nehmen und uns darauf ein- Schön, dass das Leben zumindest für unsere PDS-Empö- richten, nicht indem wir Fensteranträge für die Stamm- rer vom Dienst so einfach ist. Nur schade, dass die Vor- (B) tische schreiben, sondern indem wir seriös und ernsthaft (D) stellungen dieser Kollegen mit der Realität wenig zu tun einen Rahmen für die Bezügekriterien vorgeben. Meine haben. Die Wirklichkeit ist halt komplizierter als ein So- Kollegen Vorrednerinnen und Vorredner haben schon zialismus nach zentralen Planvorgaben. darauf hingewiesen, dass wir da in den letzten Jahren (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/ nicht untätig waren. Der Vorwurf, dass die Höhe von CSU – Widerspruch bei der LINKEN) Vorstandsbezügen unanständig, ja geradezu obszön und unverantwortlich ist, Verehrte Kolleginnen und Kollegen von der PDS, Sie fordern, per Gesetz dafür zu sorgen, dass unverschämt (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN sowie überbezahlte Manager nicht mehr als das 20-Fache des der Abg. Renate Schmidt [Nürnberg] [SPD]) am schlechtesten bezahlten Angestellten verdienen dür- ist berechtigt. Er betrifft zuerst die Aufsichtsräte fen. Alles verfassungswidrig; das wissen Sie auch. Aber (Beifall des Abg. Oskar Lafontaine [DIE weil Sie wissen, dass das nur Propaganda ist, LINKE]) (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der und damit leider auch viele dort vertretene Gewerkschaf- CDU/CSU) terinnen und Gewerkschafter in diesen Aufsichtsräten. fordern Sie auch noch, dass wir diesen Unsinn in na- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der mentlicher Abstimmung zurückweisen. Kein Sorge, wir SPD, der FDP und der LINKEN) werden Ihnen diesen Gefallen tun. Heute gilt: Der Aufsichtsrat muss die Angemessen- Schauen Sie sich unsere vorhandenen Gesetze doch heit sorgfältig prüfen. Wenn er dieser Pflicht nicht nach- erst einmal an, bevor Sie mit Ihren abstrusen Ideen um kommt, macht er sich schadensersatzpflichtig, genau wie die Ecke kommen und damit wieder einmal die Luftho- Vorstandsmitglieder, die sich begünstigen lassen. All das heit über den Stammtischen erobern wollen. ist schon heute im Gesetz geregelt. Hier sind verantwort- (Volker Schneider [Saarbrücken] [DIE liches Verhalten, vor allen Dingen Selbstkontrolle der Aufsichtsräte, der Verbandsfunktionäre und der Vor- LINKE]: Das ist Sache der CSU!) stände gefragt. Wir sind geduldig und erklären Ihnen immer wieder: (Beifall bei Abgeordneten der FDP sowie des Wir leben jetzt in einer sozialen Marktwirtschaft; über Abg. Dr. Günter Krings [CDU/CSU]) die Vergütung des Vorstands einer Aktiengesellschaft bestimmt sein Aufsichtsrat. § 87 des Aktiengesetzes legt Herr Lafontaine, das hat übrigens schon der Bankier schon heute fest, dass die Gesamtbezüge eines Vor- und Vordenker des PDS-Gesetzenwurfs, John Morgan, 13340 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 127. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. November 2007

Klaus Uwe Benneter (A) gewusst, als er bei einer Anhörung im amerikanischen Wenn man Aktienoptionsprogramme abschafft, dann (C) Kongress erklärte, dass in erster Linie der Charakter lassen sich die Vorstände etwas anderes einfallen und zähle. Das zu bedenken, würde ich auch dem einen oder weichen auf Phantom-Stock-Programme oder Ähnli- anderen hier empfehlen. ches aus. Sie, meine lieben PDS-Empörer vom Dienst, müssen sich mit uns und den Gewerkschaften schon et- (Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/ was Intelligenteres einfallen lassen, wenn Sie diesen tat- CSU und der FDP) sächlich üblen Missständen beikommen wollen. Zur Stärkung ebendieser Selbstkontrolle haben wir (Beifall bei Abgeordneten der SPD) 2002 den Corporate Governance Kodex auf den Weg ge- bracht. Außerdem haben wir per Gesetz – die Kollegen Gestalten, meine Kolleginnen und Kollegen PDS-Empö- haben das erwähnt – die Offenlegung der Vorstandsver- rer, ist schwieriger, als Menschen aufzuwiegeln und Em- pörung zu organisieren. Das unterscheidet Sozialdemo- gütungen beschlossen. Durch Offenlegung wird trans- kraten von der PDS, mit oder ohne Lafontaine. parent, ob die im Aktiengesetz verankerten Vorgaben – insbesondere seitens der Aufsichtsräte – eingehalten (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten werden. Beides, der Corporate Governance Kodex und der CDU/CSU) das Vorstandsvergütungs-Offenlegungsgesetz, sind wichtige Instrumente, um die Gier dreister Vorstände Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: ausbremsen zu können. Letzter Redner in dieser Debatte ist der Kollege Nun komme ich auf Ihren Gesetzentwurf zu sprechen, Dr. Gerhard Schick, Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. in dem der Umgang mit Aktienoptionen behandelt wird. Wenn ich lese, dass sich der Wert von Aktienoptionen Dr. Gerhard Schick (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- des ehemaligen Daimler-Chrysler-Chefs Schrempp auf NEN): mehr als 50 Millionen Euro belaufen soll, dann kann Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! auch ich einen dicken Hals bekommen, und zwar nicht Da läuft die Große Koalition schön in die Falle. Sie sa- aus Neid, sondern aus Wut über die Dreistigkeit, mit der gen im Endeffekt – ich fasse das einmal zusammen –: ein erwiesen unfähiger Manager, der Tausende Arbeits- Die soziale Marktwirtschaft, so wie wir sie haben, ist in plätze vernichtet hat, sich selbst bedient. Ordnung. Dann gibt es das große Klagen über ein paar Manager, die aus dem Rahmen fallen. Aber die Feststel- (Beifall bei der SPD und der LINKEN – lung, Herr Benneter, die Sie selber getroffen haben, dass Volker Schneider [Saarbrücken] [DIE das Verhältnis zwischen der Situation der Gesellschaft LINKE]: Was folgt daraus?) und den Aufgaben der Vorstände einerseits und den Ent- (B) (D) lohnungen andererseits nicht mehr stimmt, sagt doch Aber abschaffen per Gesetz, meine Kollegen von der nichts anderes, als dass die Regelung im Aktiengesetz PDS, funktioniert auch hier nicht so einfach, wie sich nicht ausreichend ist. Deswegen ist die Kritik, die die das Klein Fritzchen oder Klein Oskarchen so vorstellt. Linkspartei vorträgt, richtig. Man kann nicht nur klagen, Aktienoptionen haben sich mittlerweile leider zu einem sondern es muss, wenn der Rahmen nicht mehr stimmt, festen Bestandteil der Vergütung von Vorstandsmitglie- gesetzlich etwas geändert werden. Wir sind dafür, das zu dern entwickelt. Sie sind international weit verbreitet. tun. Sicher, Aktienoptionen sind ein ökonomischer Anreiz, den Unternehmenswert zu erhöhen. Das birgt Miss- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN brauchsgefahren wie die meisten anderen Vergütungs- und bei der LINKEN) formen auch. Nun zu Ihren Ausführungen zur sozialen Marktwirt- Ich habe es Ihnen aber schon einmal erklärt: Es gibt in schaft, Herr Krings. Ich habe mir einmal überlegt, was Deutschland längst eine ganze Reihe von Regelungen, die meisten Mitglieder Ihrer Partei wohl darüber denken. die diesem Missbrauch vorbeugen. Es ist nämlich falsch, Sie waren einmal die Partei der sozialen Marktwirt- zu behaupten, dass Aktienoptionen, so wie unser Aktien- schaft. Schauen Sie sich einmal an, was soziale Markt- gesetz sie zulässt, systematisch die kurzfristige Unter- wirtschaft bedeutet. Das heißt doch nicht nur: Wir ma- nehmensausrichtung auf Gewinnmaximierung und Ren- chen einen Grundsockel für die Schwächsten, ansonsten ditesteigerung allein fördern würden. kann passieren was will. (Dr. Günter Krings [CDU/CSU]: Der Markt ist Aktienoptionsprogramme können bei uns nur unter sozial!) der Mitwirkung der Hauptversammlung und damit in voller Transparenz beschlossen werden. Es kann also of- Schauen Sie sich genau an, was die Vordenker Ihrer Par- fen von allen Aktionären erörtert werden, ob das Pro- tei früher geschrieben haben. gramm den langfristigen Aktionärsinteressen entspricht. Außerdem dürfen Aufsichtsräte nicht Begünstigte sol- (Dr. Günter Krings [CDU/CSU]: Genau!) cher Programme sein. Es gibt gesetzlich vorgeschrieben Bei Walter Eucken steht eindeutig: Man muss etwas ge- die Möglichkeit einer zweijährigen Wartezeit, damit mit gen die Auseinanderentwicklung bei den Einkommen solchen Optionen nicht kurzfristig agiert werden kann. tun. All das steht schon heute im Gesetz. Mit dem Vorstands- vergütungs-Offenlegungsgesetz haben wir für mehr (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Transparenz bei den Aktienoptionen gesorgt. sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 127. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. November 2007 13341

Dr. Gerhard Schick (A) Dort steht etwas über Leistung und Gegenleistung. Ich der Fraktion Die Linke mit den Stimmen des Hauses im (C) frage Sie: Wo ist die Gegenleistung, wenn ein 44-jähri- Übrigen abgelehnt. Damit entfällt nach unserer Ge- ger Manager nach seinem Ausscheiden aus dem Unter- schäftsordnung die weitere Beratung. nehmen jedes Jahr noch 400 000 Euro bekommt? Das ist Abstimmung über den Gesetzentwurf der Fraktion keine soziale Marktwirtschaft. Sie müssen etwas tun, Die Linke zur Änderung des Aktiengesetzes auf Druck- (Dr. Günter Krings [CDU/CSU]: Wir haben et- sache 16/3015. Der Rechtsausschuss empfiehlt unter was getan!) Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung auf Drucksa- che 16/5524, den Gesetzentwurf der Fraktion Die Linke wenn Sie weiterhin die Partei der sozialen Marktwirt- abzulehnen. Die Fraktion Die Linke verlangt namentli- schaft bleiben wollen. che Abstimmung. Ich bitte die Schriftführerinnen und (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Schriftführer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen. und bei der LINKEN) Sind die Plätze an den Urnen besetzt? – Das ist der Fall. Ich eröffne die Abstimmung. Wir lehnen den konkreten Vorschlag ab, weil wir mei- nen, dass er zu kleinteilig ist und dass Sie mit dem Fak- Ist ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine Stimme noch nicht abgegeben hat? – Das ist nicht der tor 20 die Frage nach der Gerechtigkeit, nach der Lohn- Fall. Ich schließe die Abstimmung und bitte die Schrift- spreizung nicht richtig beantworten. führerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu (Dr. Günter Krings [CDU/CSU]: Machen Sie beginnen. Das Ergebnis der namentlichen Abstimmung einen eigenen Vorschlag!) wird Ihnen später bekanntgegeben.1) Wir müssen vielmehr an folgende Frage herangehen: Bevor wir die Beratungen fortsetzen, möchte ich die Warum klappt es eigentlich nicht, dass die Aufsichtsräte Kolleginnen und Kollegen bitten, ihre Plätze wieder ein- wirksam Kontrolle ausüben? Deswegen wollen wir klei- zunehmen. nere, effektivere Aufsichtsräte. Wir wollen mehr Trans- parenz schaffen. Das Offenlegungsgesetz war gut, Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: (Dr. Günter Krings [CDU/CSU]: Aha! Aha!) Ich rufe die Tagesordnungspunkte 34 a bis 34 c auf: a) – Zweite und dritte Beratung des von der Bundes- aber es ist nicht ausreichend. Wir müssen es weiterent- regierung eingebrachten Entwurfs eines wickeln und darauf reagieren, dass neue Schlupflöcher Zweiundzwanzigsten Gesetzes zur Änderung gefunden worden sind. Wir brauchen natürlich auch des Bundesausbildungsförderungsgesetzes Leistung und Gegenleistung und eine klare Haftungs- (22. BAföGÄndG) regel für Manager, damit dem etwas entgegensteht. (B) – Drucksache 16/5172 – (D) (Dr. Günter Krings [CDU/CSU]: Das sind ganz andere Ansätze!) Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- schusses für Bildung, Forschung und Technik- Wir müssen die Klagerechte für einzelne Aktionärinnen folgenabschätzung (18. Ausschuss) und Aktionäre für den Fall verbessern, dass der Vorstand und der Aufsichtsrat nicht im Interesse der Gesellschaft – Drucksache 16/7214 – handeln. Berichterstattung: Abgeordnete Dorothee Bär Liebe Kolleginnen und Kollegen aus der Großen Ko- Renate Schmidt (Nürnberg) alition, einfach nur zu sagen, alles sei gut, und dann wie- Uwe Barth der Empörung zu äußern, wird nicht ausreichen. Cornelia Hirsch (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Kai Gehring Wir fordern Sie auf: Tun Sie etwas gegen Exzesse, damit – Bericht des Haushaltsausschusses (8. Aus- unsere Marktwirtschaft eine soziale Marktwirtschaft schuss) gemäß § 96 der Geschäftsordnung bleibt! – Drucksache 16/7215 – (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Berichterstattung: sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Abgeordnete Klaus-Peter Willsch Klaus Hagemann Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Ulrike Flach Ich schließe die Aussprache. Dr. Gesine Lötzsch Anna Lührmann Wir kommen zur Abstimmung über den Gesetzent- wurf der Fraktion Die Linke zur Änderung des Aktien- b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- gesetzes auf Drucksache 16/1444. Der Rechtsausschuss richts des Ausschusses für Bildung, Forschung empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfeh- und Technikfolgenabschätzung (18. Ausschuss) lung auf Drucksache 16/5524, den Gesetzentwurf der – zu dem Antrag der Abgeordneten Dorothee Fraktion Die Linke abzulehnen. Ich bitte diejenigen, die Bär, Ilse Aigner, Michael Kretschmer, weiterer dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzei- chen. – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Ge- setzentwurf ist in zweiter Beratung bei Gegenstimmen 1) Ergebnis Seite 13343 D 13342 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 127. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. November 2007

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner (A) Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU BAföG-Empfänger, mehr Schüler und Studierende, die (C) sowie der Abgeordneten Renate Schmidt BAföG bekommen werden, und Schritte zur Moderni- (Nürnberg), Dr. Ernst Dieter Rossmann, Jörg sierung und Internationalisierung – das ist die dreifache Tauss, weiterer Abgeordneter und der Fraktion Botschaft, die mit der heute zu beratenden und zu verab- der SPD schiedenden BAföG-Novelle verbunden ist. BAföG an neue Entwicklungen anpassen – Wir werden damit die erste substanzielle Erhöhung Auszubildende mit Kindern unterstützen, seit 2001 beschließen. Wir erhöhen die Bedarfssätze um Auslandsaufenthalte erleichtern, Migran- 10 Prozent und die Freibeträge um 8 Prozent. tenförderung verbessern und Hinzuver- dienstgrenzen erhöhen (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP) – zu dem Antrag der Abgeordneten Ina Lenke, Uwe Barth, Sibylle Laurischk, weiterer Abge- Das heißt, Schüler und Studierende bekommen eine ordneter und der Fraktion der FDP spürbar höhere Förderung. Bei Studierenden steigt der derzeitige Höchstsatz von 585 Euro monatlich auf künf- Studierende Mütter durch die Sofortmaß- tig 643 Euro. Der Bund wird – die Voraussetzungen da- nahme Baby-BAföG unterstützen für sind in dieser Woche im Haushaltsausschuss geschaf- – zu dem Antrag der Abgeordneten Cornelia fen worden – allein im ersten vollen Jahr nach Hirsch, Dr. Petra Sitte, Volker Schneider (Saar- Inkrafttreten der Novelle, also im Jahre 2009, über brücken), weiterer Abgeordneter und der Frak- 300 Millionen Euro zusätzlich zur Verfügung stellen. tion DIE LINKE (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Statt Nullrunde – BAföG angleichen Wir rechnen mit 18,5 Prozent mehr Geförderten, also – zu dem Antrag der Abgeordneten Kai Gehring, rund 100 000 zusätzlichen Schülern und Studierenden, Grietje Bettin, Ekin Deligöz, weiterer Abge- die eine Förderung erhalten werden. Das heißt, dass der ordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE Anteil der durch BAföG Geförderten erstmals bei fast GRÜNEN 30 Prozent liegen wird. Sofortmaßnahmen beim BAföG – Für mehr (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Zugangsgerechtigkeit und höhere Bildungs- beteiligung Das ist möglich durch ein hohes Engagement beider Regierungsfraktionen und beider Partner in der Regie- (B) – Drucksachen 16/4162, 16/3142, 16/4157, 16/4158, (D) 16/7214 – rung. Dafür möchte ich mich herzlich bedanken, nicht zuletzt auch für den Verlauf der Haushaltsberatungen in Berichterstattung: dieser Woche. Denn es ist ja kein Geheimnis, dass wir Abgeordnete Dorothee Bär uns zu Beginn dieses Jahres, als wir uns im Kabinett mit Renate Schmidt (Nürnberg) Impulsen für die Modernisierung und Internationalisie- Uwe Barth rung im Bildungsbereich beschäftigt haben, noch nicht Cornelia Hirsch sicher waren, ob es im Laufe des Jahres eine BAföG-Er- Kai Gehring höhung geben kann. Ich habe damals genau das vertre- c) Erste Beratung des von den Abgeordneten ten, was wir im Kabinett besprochen und beschlossen Cornelia Hirsch, Dr. Petra Sitte, Volker Schneider hatten. Wir haben im Laufe des Jahres gesehen, dass die (Saarbrücken) und der Fraktion DIE LINKE ein- Konjunktur sich gut entwickelt und mehr möglich ist, als gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Anpas- wir dachten. Deshalb sage ich noch einmal Dank an die- sung des Ausbildungsförderungsbedarfs jenigen, die dazu beigetragen haben, dass wir nun ge- meinsam diese positive Botschaft an die Schüler und – Drucksache 16/5808 – Studierenden in Deutschland richten können. Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Bildung, Forschung und Modernisierung und Internationalisierung waren Ele- Technikfolgenabschätzung (f) mente, die wir bereits im Frühjahr im Kabinett verab- Ausschuss für Arbeit und Soziales schiedet haben. Ich glaube, dass sie sehr wichtig sind. Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Dazu gehört die Familienförderung. Die Zahlung eines Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Kinderbetreuungszuschlages für das erste Kind in Höhe Aussprache eine Stunde vorgesehen. – Ich höre keinen von 113 Euro und für jedes weitere Kind in Höhe von Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. 85 Euro monatlich – es handelt sich um einen Vollzu- schuss ohne Darlehensanteil – Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Bundes- ministerin Annette Schavan. (Ina Lenke [FDP]: Das ist zu wenig!) ist ein nächster wichtiger Impuls unserer Familienpoli- Dr. Annette Schavan, Bundesministerin für Bil- tik. dung und Forschung: Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Meine sehr verehrten Damen und Herren! Mehr Geld für neten der SPD) Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 127. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. November 2007 13343

Bundesministerin Dr. Annette Schavan (A) Ebenso bedeutsam ist im Kontext unserer integra- Freibeträge und der Bedarfssätze wird zum Beginn des (C) tionspolitischen Debatten und des Nationalen Integra- kommenden Wintersemesters, also im Jahre 2008, ein- tionsplanes, dass künftig alle Studierenden mit Migra- geführt werden. Das, was wir heute hier beraten und be- tionshintergrund, die in Deutschland leben und schließen, ist also ein zweigestuftes Verfahren. Dadurch voraussichtlich auch bleiben werden, BaföG-berechtigt wird die Bundesausbildungsförderung modernisiert, und werden. Dieser Schritt ist nach so vielen Jahren, in denen es werden wichtige Impulse gesetzt. Vor allen Dingen es schon ausländische Studierende in Deutschland gibt, werden die Mittel, die die Bundesregierung bereitstellt – überfällig. Nun ist nicht mehr wie in der Vergangenheit übrigens unter Beteiligung der Länder; denn bekanntlich die Mindesterwerbsdauer der Eltern ausschlaggebend, sind beim BAföG Bund und Länder gemeinsame Ak- sondern lediglich die Bleibeperspektive der Studieren- teure –, den. Das ist ein wichtiger Impuls im Rahmen unserer In- tegrationspolitik. (Ilse Aigner [CDU/CSU]: So ist es!) (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) im nächsten und übernächsten Jahr erheblich erhöht. Zur Internationalisierung. Früher wurde ein Studium Mit Blick auf die Kurve der Studienanfängerzahlen in der Regel in Deutschland begonnen, und dann wurden glaube ich, dass wir dies zum richtigen Zeitpunkt tun. Auslandssemester eingelegt. Wir wissen aber: Der An- Vermutlich werden wir zum Wintersemester dieses Jah- teil derer, die daran interessiert sind, ihr Studium im res die Abwärtskurve in Deutschland erstmals gestoppt Ausland zu beginnen, nimmt zu. Deshalb halte ich es für haben. Es gibt also wieder mehr Studierende in Deutsch- richtig, dass wir künftig keine Orientierungsphase mehr land; das ist wichtig. verlangen bzw. dass die sogenannte obligatorische (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Orientierungsphase wegfällt und ein Studium von Be- neten der SPD und der FDP) ginn an, auch wenn es außerhalb Deutschlands begonnen wird, gefördert wird. Das ist ein wichtiger Schritt zur In- Die Stimmung für das Studieren wird besser; auch das ternationalisierung. ist wichtig. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Dieses Gesetz ist unser Signal an die Studierenden, neten der SPD) dass wir ihre Bemühungen unterstützen und dass uns wichtig ist, ihnen nicht nur eine gute Ausbildung zu er- Schließlich werden die Hinzuverdienstgrenzen für möglichen und Exzellenz an unseren Hochschulen zu alle Auszubildenden vereinheitlicht und angehoben. Das gewährleisten, sondern ihnen auch vernünftige Möglich- heißt, künftig können alle Auszubildenden einheitlich keiten zu geben, ihr Studium zu finanzieren. und ohne Differenzierung nach Ausbildungsart – das gilt (B) also für Schüler und Studenten gleichermaßen – ohne Vielen Dank. (D) Anrechnung auf das BAföG 400 Euro netto pro Monat hinzuverdienen. Das gilt für das klassische Beispiel: Wer (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) nebenher regelmäßig einem Minijob nachgeht, wird künftig keine Kürzung des BAföGs mehr zu befürchten Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: haben. Ich komme zu Tagesordnungspunkt 35 zurück und gebe das von den Schriftführerinnen und Schriftführern (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung Meine Damen und Herren, es wird zwei Zeitpunkte über den Gesetzentwurf der Fraktion Die Linke zur Ände- für die Einführung dieser Regelungen geben. Die von rung des Aktiengesetzes bekannt, Drucksachen 16/3015 mir zuletzt genannten Impulse zur Modernisierung und und 16/5524: Abgegebene Stimmen 536. Mit Ja haben Internationalisierung werden unmittelbar nach Verkün- gestimmt 50, mit Nein haben gestimmt 481, Enthaltun- dung des Gesetzes in Kraft treten. Die Anhebung der gen 5. Der Gesetzentwurf ist damit abgelehnt.

Endgültiges Ergebnis Heidrun Bluhm Ulla Jelpke Petra Pau Abgegebene Stimmen: 536; Eva Bulling-Schröter Dr. Lukrezia Jochimsen Bodo Ramelow davon Dr. Martina Bunge Dr. Hakki Keskin Elke Reinke Sevim Dağdelen Katja Kipping Paul Schäfer (Köln) ja: 50 Dr. Diether Dehm Jan Korte Volker Schneider nein: 481 Werner Dreibus Katrin Kunert (Saarbrücken) enthalten: 5 Dr. Dagmar Enkelmann Oskar Lafontaine Dr. Herbert Schui Wolfgang Gehrcke Ulla Lötzer Dr. Ilja Seifert Ja Dr. Gregor Gysi Dr. Gesine Lötzsch Dr. Petra Sitte Heike Hänsel Ulrich Maurer Frank Spieth DIE LINKE Lutz Heilmann Dorothée Menzner Dr. Kirsten Tackmann Hüseyin-Kenan Aydin Hans-Kurt Hill Kornelia Möller Dr. Axel Troost Dr. Dietmar Bartsch Cornelia Hirsch Kersten Naumann Alexander Ulrich Karin Binder Inge Höger Wolfgang Nešković Jörn Wunderlich Dr. Lothar Bisky Dr. Barbara Höll Dr. Norman Paech Sabine Zimmermann 13344 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 127. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. November 2007

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner (A) Fraktionslose Abgeordnete Monika Grütters Dr. Georg Nüßlein Wolfgang Zöller (C) Dr. Karl-Theodor Freiherr zu Franz Obermeier Willi Zylajew Henry Nitzsche Guttenberg Eduard Oswald Gert Winkelmeier Olav Gutting Henning Otte SPD Holger Haibach Rita Pawelski Dr. Lale Akgün Nein Gerda Hasselfeldt Ulrich Petzold Gerd Andres Ursula Heinen Dr. Joachim Pfeiffer Niels Annen CDU/CSU Uda Carmen Freia Heller Sibylle Pfeiffer Ingrid Arndt-Brauer Ulrich Adam Michael Hennrich Beatrix Philipp Rainer Arnold Ilse Aigner Jürgen Herrmann Ronald Pofalla Ernst Bahr (Neuruppin) Peter Albach Bernd Heynemann Ruprecht Polenz Doris Barnett Peter Altmaier Peter Hintze Daniela Raab Dr. Hans-Peter Bartels Dorothee Bär Klaus Hofbauer Thomas Rachel Klaus Barthel Dr. Wolf Bauer Franz-Josef Holzenkamp Dr. Peter Ramsauer Sören Bartol Günter Baumann Joachim Hörster Peter Rauen Sabine Bätzing Veronika Bellmann Anette Hübinger Eckhardt Rehberg Dirk Becker Dr. Christoph Bergner Hubert Hüppe Klaus Riegert Klaus Uwe Benneter Otto Bernhardt Dr. Peter Jahr Dr. Heinz Riesenhuber Dr. Axel Berg Renate Blank Dr. Hans-Heinrich Jordan Johannes Röring Ute Berg Antje Blumenthal Dr. Franz Josef Jung Kurt J. Rossmanith Petra Bierwirth Dr. Maria Böhmer Andreas Jung (Konstanz) Dr. Norbert Röttgen Lothar Binding (Heidelberg) Jochen Borchert Bartholomäus Kalb Dr. Christian Ruck Volker Blumentritt Wolfgang Börnsen Hans-Werner Kammer Albert Rupprecht (Weiden) Clemens Bollen (Bönstrup) Steffen Kampeter Peter Rzepka Gerd Bollmann Wolfgang Bosbach Alois Karl Anita Schäfer (Saalstadt) Dr. Gerhard Botz Klaus Brähmig Bernhard Kaster Hermann-Josef Scharf Klaus Brandner Michael Brand Volker Kauder Hartmut Schauerte Willi Brase Helmut Brandt Eckart von Klaeden Dr. Annette Schavan Bernhard Brinkmann Dr. Ralf Brauksiepe Jürgen Klimke Dr. Andreas Scheuer (Hildesheim) Monika Brüning Julia Klöckner Karl Schiewerling Edelgard Bulmahn Cajus Caesar Jens Koeppen Norbert Schindler Ulla Burchardt Gitta Connemann Kristina Köhler (Wiesbaden) Georg Schirmbeck Martin Burkert Leo Dautzenberg Manfred Kolbe Bernd Schmidbauer Dr. Michael Bürsch Hubert Deittert Norbert Königshofen Andreas Schmidt (Mülheim) Christian Carstensen (B) Alexander Dobrindt Dr. Rolf Koschorrek Ingo Schmitt (Berlin) Marion Caspers-Merk (D) Thomas Dörflinger Hartmut Koschyk Dr. Ole Schröder Dr. Peter Danckert Marie-Luise Dött Thomas Kossendey Bernhard Schulte-Drüggelte Dr. Herta Däubler-Gmelin Maria Eichhorn Michael Kretschmer Uwe Schummer Karl Diller Dr. Stephan Eisel Gunther Krichbaum Wilhelm Josef Sebastian Martin Dörmann Anke Eymer (Lübeck) Dr. Günter Krings Horst Seehofer Dr. Carl-Christian Dressel Ilse Falk Dr. Martina Krogmann Kurt Segner Elvira Drobinski-Weiß Dr. Hans Georg Faust Dr. Hermann Kues Marion Seib Garrelt Duin Enak Ferlemann Dr. Karl A. Lamers Bernd Siebert Sebastian Edathy Ingrid Fischbach (Heidelberg) Thomas Silberhorn Siegmund Ehrmann Hartwig Fischer (Göttingen) Andreas G. Lämmel Jens Spahn Hans Eichel Dirk Fischer (Hamburg) Katharina Landgraf Christian Freiherr von Stetten Karin Evers-Meyer Axel E. Fischer (Karlsruhe- Dr. Max Lehmer Gero Storjohann Elke Ferner Land) Paul Lehrieder Andreas Storm Gabriele Fograscher Dr. Maria Flachsbarth Ingbert Liebing Max Straubinger Rainer Fornahl Klaus-Peter Flosbach Eduard Lintner Thomas Strobl (Heilbronn) Gabriele Frechen Herbert Frankenhauser Patricia Lips Michael Stübgen Dagmar Freitag Dr. Hans-Peter Friedrich Dr. Michael Luther Hans Peter Thul Sigmar Gabriel (Hof) Stephan Mayer (Altötting) Antje Tillmann Martin Gerster Erich G. Fritz Wolfgang Meckelburg Dr. Hans-Peter Uhl Iris Gleicke Jochen-Konrad Fromme Dr. Michael Meister Arnold Vaatz Günter Gloser Dr. Michael Fuchs Dr. Angela Merkel Volkmar Uwe Vogel Angelika Graf (Rosenheim) Dr. Jürgen Gehb Friedrich Merz Andrea Astrid Voßhoff Dieter Grasedieck Norbert Geis Maria Michalk Gerhard Wächter Kerstin Griese Eberhard Gienger Dr. h. c. Hans Michelbach Marco Wanderwitz Gabriele Groneberg Josef Göppel Philipp Mißfelder Kai Wegner Wolfgang Grotthaus Peter Götz Dr. Eva Möllring Marcus Weinberg Wolfgang Gunkel Dr. Wolfgang Götzer Dr. Gerd Müller Peter Weiß (Emmendingen) Hans-Joachim Hacker Ute Granold Hildegard Müller Gerald Weiß (Groß-Gerau) Bettina Hagedorn Reinhard Grindel Carsten Müller Ingo Wellenreuther Klaus Hagemann Hermann Gröhe (Braunschweig) Karl-Georg Wellmann Michael Hartmann Michael Grosse-Brömer Stefan Müller (Erlangen) Annette Widmann-Mauz (Wackernheim) Markus Grübel Bernd Neumann (Bremen) Elisabeth Winkelmeier- Nina Hauer Manfred Grund Michaela Noll Becker Dr. Reinhold Hemker Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 127. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. November 2007 13345

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner (A) Rolf Hempelmann Steffen Reiche (Cottbus) Andrea Wicklein Dr. Guido Westerwelle (C) Dr. Barbara Hendricks Gerold Reichenbach Heidemarie Wieczorek-Zeul Dr. Claudia Winterstein Gustav Herzog Dr. Carola Reimann Dr. Dieter Wiefelspütz Dr. Volker Wissing Petra Heß Christel Riemann- Engelbert Wistuba Hartfrid Wolff (Rems-Murr) Gabriele Hiller-Ohm Hanewinckel Dr. Wolfgang Wodarg Martin Zeil Stephan Hilsberg Walter Riester Waltraud Wolff Petra Hinz (Essen) Sönke Rix (Wolmirstedt) BÜNDNIS 90/ Gerd Höfer René Röspel Heidi Wright DIE GRÜNEN Iris Hoffmann (Wismar) Dr. Ernst Dieter Rossmann Uta Zapf Frank Hofmann (Volkach) Karin Roth (Esslingen) Manfred Zöllmer Kerstin Andreae Eike Hovermann Michael Roth (Heringen) Brigitte Zypries Marieluise Beck (Bremen) Christel Humme Ortwin Runde Volker Beck (Köln) Brunhilde Irber Marlene Rupprecht FDP Cornelia Behm Josip Juratovic (Tuchenbach) Jens Ackermann Birgitt Bender Johannes Kahrs Anton Schaaf Dr. Karl Addicks Grietje Bettin Ulrich Kasparick Axel Schäfer (Bochum) Christian Ahrendt Alexander Bonde Dr. h. c. Susanne Kastner Bernd Scheelen Daniel Bahr (Münster) Dr. Thea Dückert Ulrich Kelber Marianne Schieder Uwe Barth Hans-Josef Fell Hans-Ulrich Klose Otto Schily Angelika Brunkhorst Kai Gehring Astrid Klug Dr. Frank Schmidt Patrick Döring Anja Hajduk Dr. Bärbel Kofler Ulla Schmidt (Aachen) Mechthild Dyckmans Britta Haßelmann Walter Kolbow Silvia Schmidt (Eisleben) Jörg van Essen Winfried Hermann Renate Schmidt (Nürnberg) Karin Kortmann Ulrike Flach Peter Hettlich Rolf Kramer Heinz Schmitt (Landau) Otto Fricke Priska Hinz (Herborn) Anette Kramme Carsten Schneider (Erfurt) Paul K. Friedhoff Ulrike Höfken Ernst Kranz Olaf Scholz Horst Friedrich (Bayreuth) Bärbel Höhn Nicolette Kressl Ottmar Schreiner Dr. Edmund Peter Geisen Dr. Hans-Ulrich Krüger Swen Schulz (Spandau) Ute Koczy Hans-Michael Goldmann Fritz Kuhn Angelika Krüger-Leißner Ewald Schurer Miriam Gruß Renate Künast Jürgen Kucharczyk Frank Schwabe Joachim Günther (Plauen) Markus Kurth Helga Kühn-Mengel Dr. Angelica Schwall-Düren Dr. Christel Happach-Kasan Ute Kumpf Dr. Martin Schwanholz Heinz-Peter Haustein Undine Kurth (Quedlinburg) Dr. Uwe Küster Rolf Schwanitz Elke Hoff Anna Lührmann Christine Lambrecht Rita Schwarzelühr-Sutter Dr. Werner Hoyer Nicole Maisch (B) Christian Lange (Backnang) Wolfgang Spanier Michael Kauch Jerzy Montag (D) Dr. Karl Lauterbach Dr. Margrit Spielmann Dr. Heinrich L. Kolb Kerstin Müller (Köln) Waltraud Lehn Jörg-Otto Spiller Gudrun Kopp Winfried Nachtwei Helga Lopez Dr. Ditmar Staffelt Jürgen Koppelin Omid Nouripour Gabriele Lösekrug-Möller Dieter Steinecke Heinz Lanfermann Brigitte Pothmer Dirk Manzewski Andreas Steppuhn Sibylle Laurischk Claudia Roth (Augsburg) Lothar Mark Ludwig Stiegler Harald Leibrecht Krista Sager Caren Marks Rolf Stöckel Ina Lenke Elisabeth Scharfenberg Katja Mast Christoph Strässer Sabine Leutheusser- Christine Scheel Hilde Mattheis Dr. Peter Struck Schnarrenberger Irmingard Schewe-Gerigk Markus Meckel Joachim Stünker Markus Löning Dr. Gerhard Schick Petra Merkel (Berlin) Dr. Rainer Tabillion Horst Meierhofer Rainder Steenblock Ulrike Merten Jörg Tauss Patrick Meinhardt Silke Stokar von Neuforn Dr. Matthias Miersch Jella Teuchner Jan Mücke Ursula Mogg Dr. h. c. Wolfgang Thierse Burkhardt Müller-Sönksen Dr. Harald Terpe Marko Mühlstein Jörn Thießen Dirk Niebel Jürgen Trittin Detlef Müller (Chemnitz) Franz Thönnes Detlef Parr Wolfgang Wieland Gesine Multhaupt Rüdiger Veit Cornelia Pieper Josef Philip Winkler Dr. Rolf Mützenich Simone Violka Gisela Piltz Andrea Nahles Jörg Vogelsänger Jörg Rohde Enthaltung Thomas Oppermann Dr. Marlies Volkmer Frank Schäffler Holger Ortel Hedi Wegener Dr. Konrad Schily BÜNDNIS 90/ Johannes Pflug Petra Weis Marina Schuster DIE GRÜNEN Joachim Poß Gunter Weißgerber Dr. Hermann Otto Solms Christoph Pries Gert Weisskirchen Dr. Max Stadler Bettina Herlitzius Dr. Wilhelm Priesmeier (Wiesloch) Dr. Rainer Stinner Dr. Anton Hofreiter Florian Pronold Dr. Rainer Wend Carl-Ludwig Thiele Thilo Hoppe Dr. Sascha Raabe Lydia Westrich Florian Toncar Monika Lazar Mechthild Rawert Dr. Margrit Wetzel Christoph Waitz Hans-Christian Ströbele 13346 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 127. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. November 2007

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner (A) Nächster Redner in unserer Debatte ist der Kollege nen auch zeigen, warum das so ist: Insgesamt bekom- (C) Uwe Barth, FDP-Fraktion. men derzeit etwa 25 Prozent der Studenten BAföG. Knapp die Hälfte davon bekommt den Höchstsatz. Das (Beifall bei der FDP – René Röspel [SPD]: heißt, dass etwas mehr als 10 Prozent aller Studenten Jetzt lobe mal die guten Taten! Auch wenn es den BAföG-Höchstsatz bekommen. Doch angesichts der schwerfällt!) Tatsache, dass laut einer Erhebung des Studentenwerkes 20 Prozent aller Studenten – jeder Fünfte! – mit weniger Uwe Barth (FDP): als dem BAföG-Höchstsatz ihr Leben bestreiten müssen, Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! wird klar, dass hier etwas im Argen liegt. Denn wie kann Von allen Änderungen, die in der 22. Novelle zum Bun- es sein, dass doppelt so viele Studenten mit weniger desausbildungsförderungsgesetz enthalten sind, ist die Geld auskommen müssen als die 10 Prozent, die den wesentliche und für die von diesem Gesetz Betroffenen BAföG-Höchstsatz bekommen? interessanteste mit Sicherheit die Erhöhung der Bedarfs- sätze und der Freibeträge um 10 bzw. 8 Prozent. (Beifall bei Abgeordneten der FDP) (Beifall bei der FDP und der SPD sowie bei Gerade die SPD wird immer wieder zitiert, dass sie Abgeordneten der CDU/CSU) das BAföG vor allem als sozialpolitisches Instrument betrachtet. Dieses Vorhaben ist gut, weil hier dringender Bedarf be- steht; die letzte Erhöhung datiert schließlich noch aus (Jörg Tauss [SPD]: Das ist wahr!) dem Jahr 2001. Trotz allem ist das aber nicht genug, weil Das heißt, Ihr Fokus liegt auf den 10 Prozent der Studie- wir mit diesem Gesetz ein angestaubtes und in der Tat renden aus den einkommensschwächsten Schichten. Sie unzeitgemäßes Förderinstrument nur ein klein wenig vernachlässigen dabei aber die deutlich größere Gruppe aufpeppen. von Studierenden, die aus marginal einkommensstärke- (Beifall bei der FDP – Widerspruch bei der ren Schichten der Bevölkerung kommen, aber aufgrund SPD) der Förderstruktur des BAföG durch den Rost fallen. Dass das so ist, wissen insbesondere Sie, Frau Minis- (Beifall bei Abgeordneten der FDP – Jörg terin, sehr gut. Vor nicht allzu langer Zeit wurden Sie Tauss [SPD]: Deswegen Freibeträge!) von Spiegel Online noch damit zitiert, Sie hätten die Das ändern Sie auch mit einer permanenten Erhöhung KfW-Kredite als „Meilenstein in der Studentenförde- der Freibeträge nicht. Deswegen wiederhole ich, was ich rung“ gefeiert. Außerdem hieß es dort, Sie seien keine bereits im Ausschuss gesagt habe: Unser Problem sind flammende Befürworterin des BAföGs, sondern hielten, nicht die Studenten, die den Höchstsatz bekommen – un- (B) (D) ganz im Gegenteil, seine Abschaffung durchaus für sere Aufmerksamkeit brauchen diejenigen, die aus Fa- möglich. milien mit mittlerem Einkommen, mit einem Arbeitsein- (Jürgen Koppelin [FDP]: Hört! Hört!) kommen kommen und von ihren Eltern eben nicht adäquat unterstützt werden können. Daher frage ich Sie: Warum halten Sie trotz dieser Er- kenntnis an diesem Gesetz fest? (Beifall bei Abgeordneten der FDP – Jörg Tauss [SPD]: Schafft doch die Studiengebüh- (Beifall bei Abgeordneten der FDP) ren in NRW ab!) Der wirtschaftliche Aufschwung und die damit zu- An dieser Stelle, liebe Kolleginnen und Kollegen, sammenhängenden Steuermehreinnahmen haben nun die kulminieren in der Hochschulpolitik die gesammelten Möglichkeit eröffnet, diesen alten Karren sozusagen mit Fehlleistungen dieser Koalition. einer neuen Lackschicht zu versehen. Natürlich freut es die FDP, uns Bildungspolitiker und wohl am meisten die (Jürgen Koppelin [FDP]: Sehr wahr!) BAföG-berechtigten Schüler, Studenten und Auszubil- Angefangen bei der Mehrwertsteuererhöhung bis hin zur denden – natürlich jeweils auch in der weiblichen Form –, Frage der Verwendung der sogenannten Überschüsse der dass sie nun etwas mehr Geld zur Sicherung ihres Le- Bundesagentur für Arbeit wird immer wieder klar: Sie bensunterhalts in der Tasche haben. nehmen den Menschen so viel von ihrem Erarbeiteten (Beifall bei Abgeordneten der SPD) weg, dass es inzwischen nicht einmal der Mittelschicht mehr möglich ist, ihre Kinder in ihrer Ausbildung adä- Dies ist mit der Gesetzesänderung erst einmal gesichert. quat zu unterstützen. Wenn man sich den langen, verschlungenen und in (Beifall bei Abgeordneten der FDP – Jörg der Tat von vielen Änderungen begleiteten Weg dieses Tauss [SPD]: Und deswegen Studiengebüh- Gesetzentwurfes einmal ansieht, könnte man sogar zu ren? Jungs, überlegt euch mal, was ihr wollt!) der Auffassung gelangen, das sei schon viel. Mit Blick Das ist nicht nur sozialpolitisch, das ist auch bildungspo- auf die Realität des Jahres 2007 muss man allerdings sa- litisch ein Skandal. gen: Es ist schlicht und ergreifend nicht genug. (Jörg Tauss [SPD]: Abzocke bei den Familien – (Beifall des Abg. Jürgen Koppelin [FDP]) durch euch! – Gegenruf des Abg. Jürgen Mit einer Erhöhung der Bedarfssätze und den weiteren Koppelin [FDP]: Ich sage nur: Mehrwertsteuer- vorgesehenen Änderungen ist es nicht getan. Ich will Ih- erhöhung!) Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 127. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. November 2007 13347

Uwe Barth (A) Die Koalition bietet uns mit diesem Gesetz den Spatz Bei allem ehemaligen Streit, den wir miteinander hat- (C) in der Hand. Den nehmen wir; wir sollten aber weiter ten, sollten wir nicht vergessen: Das BAföG ist ein ge- nach der Taube auf dem Dach trachten. Der System- meinsames Kind von SPD und Union. wechsel zu einer elternunabhängigen, individuell be- darfsorientierten Bildungsfinanzierung – natürlich mit (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der einem erhöhten Darlehensanteil, gleichzeitig aber mit ei- CDU/CSU) ner Verbesserung der Beratung der Studierenden über Es wurde 1969 durch die erste Große Koalition gezeugt. die Möglichkeiten der Studienfinanzierung, über Stipen- dien und Darlehen – ist das Modell der Zukunft. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) (Beifall bei Abgeordneten der FDP) Es wurde vielfach verändert: Es wurde verbessert, ver- Angesichts einer Koalition der Stellschraubendreher schlechtert, gänzlich infrage gestellt, ausgezehrt und von ist eine echte Reform leider nicht zu haben. Um zumin- Edelgard Bulmahn dann wieder aufgepäppelt. dest Härten zu vermeiden, werden wir uns jedoch, wie wir im Ausschuss klargemacht haben, nicht verweigern, (Beifall bei Abgeordneten der SPD) zumal einige unserer Änderungsanträge und Änderungs- vorschläge in der Novelle Berücksichtigung gefunden Ich wollte mit dieser Entscheidung aber nicht nur zu haben. Was wir beim Thema „studierende Mütter“ zu meinen Wurzeln zurück, sondern das BAföG gemeinsam kritisieren haben, wird meine Kollegin Lenke nachher mit meiner Fraktion und der Koalition in dieser Legisla- noch vortragen. Ich will hier jedoch sagen: Wir werden turperiode auch deutlich erhöhen. Das habe ich im ersten dem Gesetzentwurf zustimmen, den Systemwechsel je- Berichterstattergespräch sehr deutlich gemacht. Frau Mi- doch weiterhin mit Nachdruck verfolgen. nisterin, ich hätte mir gewünscht, dass Sie mit uns ge- meinsam an der Spitze der Bewegung für das BAföG ge- Herzlichen Dank. kämpft hätten und nicht im Regelfall als Nachhut (Beifall bei der FDP) hinterhergelaufen wären. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: DIE GRÜNEN) Ich gebe das Wort der Kollegin Renate Schmidt, Dennoch verkenne ich nicht, Frau Ministerin, dass es SPD-Fraktion. für Sie ein langer, schwieriger und sicherlich nicht ganz (Beifall bei der SPD) einfacher Weg war: angefangen von Ihrer Absicht im April 2005, das BAföG auslaufen zu lassen und stattdes- (B) (D) sen Studienkredite anzubieten, wie es der Kollege Barth Renate Schmidt (Nürnberg) (SPD): gerade gefordert hat, über die ursprünglich beabsichtigte Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Frau Mi- kleine Novelle ohne jegliche Erhöhung und die dann nisterin! Liebe Kollegen! Liebe Kolleginnen! Manche vorgesehene zweistufige Anpassung von Freibeträgen mögen sich gewundert haben, wieso ausgerechnet ich in und Bedarfssätzen bis hin zur heute hier vorliegenden den Bildungsausschuss – und dies als Berichterstatterin 22. Novelle, in der eine Erhöhung der Freibeträge um für das BAföG – wollte. 8 Prozent und der Bedarfssätze um 10 Prozent in einem (Jörg Tauss [SPD]: Wir nicht!) Schritt ab dem Wintersemester 2008 vorgesehen ist. Der Grund ist ein ganz einfacher: Ich wollte zurück zu (Beifall bei der SPD) meinen parlamentarischen Wurzeln. Diese sind neben der Familienpolitik das BAföG, wofür ich von 1980 bis Es war für Sie auch ein nicht ganz einfacher und 1987 Berichterstatterin war. wahrscheinlich schwieriger Weg von dem Schreiben der damaligen baden-württembergischen Bildungsministerin (Beifall bei der SPD) Schavan an ihre Länderkollegen, für die Förderung beim zweiten Bildungsweg über Kollegs, Berufsoberschulen In diesen Jahren haben sich die jeweiligen Koalitio- und Abendgymnasien eine dreijährige vorherige Er- nen ganz schön gefetzt, und die FDP war auf jeder Seite werbstätigkeit zu fordern, bis hin zu dem heute hier vor- immer mit dabei. liegenden Status quo, das heißt der uneingeschränkten (Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der Aufrechterhaltung der Förderung beim zweiten Bil- SPD) dungsweg ohne jegliche zusätzliche Bedingungen. Da sprach der damalige Unionskollege Klaus Daweke Weil Ihr Weg von der Absicht des Auslaufenlassens vom „Engholm’schen Steckrüben-Winter“ und die SPD- des BAföG über Ihre ziemlich zurückhaltende Beschei- Abgeordnete Renate Schmidt von der „Wilms’schen denheit bei den Reformbemühungen bis hin zur Einsicht Wassersuppe“, als die Union und die FDP beim Regie- der Notwendigkeit einer deutlichen Erhöhung so weit rungswechsel 1982 das Schüler-BAföG weitestgehend war, bedanke ich mich – das ist ernst gemeint – bei Ih- abgeschafft und das Studenten-BAföG verschlechtert nen, Frau Ministerin Schavan, dafür, dass Sie uns, die hatten. SPD, als BAföG-Fraktion nach einem gewissen Zögern letztendlich unterstützt haben. (Jörg Tauss [SPD]: So etwas habt ihr ge- macht?) (Beifall bei der SPD) 13348 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 127. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. November 2007

Renate Schmidt (Nürnberg) (A) Ich danke natürlich auch meiner eigenen Fraktion heren Beträgen, genauso wie all diejenigen, die bislang (C) – allen voran Peter Struck und unserem Haushälter gefördert wurden. Klaus Hagemann – (Beifall bei der SPD) (Beifall des Abg. Dr. Ernst Dieter Rossmann Natürlich wünscht sich die Opposition mehr, und das [SPD]) sofort. Das ist ihr gutes Recht. Unsere Pflicht als Regie- und unserem Koalitionspartner, die mitgeholfen haben, rungskoalition ist aber, aus dem Wünschenswerten das unser gemeinsames Kind BAföG deutlich zu verschö- Machbare zu machen und dies in den finanziellen Kon- nern. text einzubetten. Lassen Sie mich deshalb noch auf zwei Punkte der Vorlagen der Linken eingehen. (Beifall bei der SPD) Erstens. Wir halten Studiengebühren für einen Irrweg. Vor allen Dingen danke ich aber dem Bundesfinanz- minister, der trotz seiner berechtigten Bemühungen, den (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten vielfältigen Ausgabenwünschen entgegenzutreten, deut- des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) lich gemacht hat, dass die zusätzlichen Ausgaben für das Wir halten es für einen doppelten Irrweg, diese falschen, BAföG Investitionen in die Zukunft sind, auf Landesebene erhobenen Studiengebühren vom Bund (Beifall bei der SPD) finanzieren zu lassen Investitionen, die dringend notwendig sind, und zwar in (Cornelia Hirsch [DIE LINKE]: Genau lesen!) dem Sinne, Not zu wenden; denn im internationalen Ver- und dann den Versuch zu unternehmen, die Länder dafür gleich haben wir zu wenig Studierende, und wir ver- in Anspruch zu nehmen. Dies kann nur scheitern. schwenden Talente, wenn wir es weiter zulassen, dass trotz gleicher Begabung in so hohem Ausmaß aus Arbei- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten terkindern Arbeiter und aus Akademikerkindern Akade- des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) miker werden. Zweitens. Es ist mindestens ein dreifacher Irrweg, ein (Beifall bei Abgeordneten der SPD) elternunabhängiges BAföG als vollen Zuschuss für alle Studierenden zu fordern. Dies wäre mit 20 Milliarden Bildung – das war einmal ein Aufstiegsversprechen. Euro Mehrkosten nicht nur unfinanzierbar, sondern auch Das ist es nicht mehr. Wir haben dafür zu sorgen – ge- sozial ungerecht; denn mit den Steuermitteln von Ver- rade auch hier im Deutschen Bundestag –, dass es das käuferinnen finanzierten sich die Millionärssöhne dann wieder wird. ihr Sportwägelchen. (B) (Beifall bei der SPD) (D) (Beifall bei der SPD) Das BAföG ist dafür selbstverständlich nicht das einzige Das hätte eine Zerstörung der Akzeptanz des BAföG zur Instrument, aber ein wichtiges. Es ist ein Instrument für Folge und würde es sturmreif für diejenigen schießen, Chancengleichheit und höhere Studierendenzahlen. die es in Wirklichkeit gar nicht wollen. Durch eine Kombination von Begabtenförderung und Studienkrediten – so sinnvoll diese ergänzend auch sein (Beifall bei der SPD) mögen – kann es nicht ersetzt werden. Ein richtiger Schritt – in diesem Fall zurück, weg von (Beifall bei der SPD) der ursprünglichen Novelle – ist ebenfalls, den zweiten Bildungsweg nicht durch zusätzliche Bedingungen zu Kredite sind immer die schlechtere Lösung, weil da- erschweren. Auch hier gilt: Wir können uns eine Ver- durch junge Menschen mit einem Schuldenberg, der bis schwendung von Talenten nicht leisten. Wir haben zu auf 120 000 Euro anwachsen kann, in ihr Berufsleben wenige Studierende auch deshalb, weil wir zu wenige entlassen werden. Abiturienten und Abiturientinnen haben. Die Durchläs- (Uwe Barth [FDP]: So ein Quatsch!) sigkeit unseres Bildungssystems nach unten funktioniert hervorragend. Die Durchlässigkeit nach oben herzustel- Berufliche Unabhängigkeit, Familiengründung, Schaf- len, ist mühsam und beschwerlich. fung von Eigentum – all das wird vor einem solchen Hintergrund zu einem unerfüllbaren Wunschtraum. (Beifall bei der SPD) Deshalb ist es so wichtig, dass diese Koalition, dass Deshalb dürfen wir jungen, ehrgeizigen Berufsaufsteige- das ganze Parlament am BAföG festhält, dass der Anteil rinnen und -aufsteigern keine zusätzlichen Steine in den der Geförderten nicht sinkt, sondern ansteigt und dass Weg legen. sich die Notwendigkeit des Nebenherjobbens vor allem Lassen Sie mich auf zwei weitere wichtige Verbesse- in Zeiten von Bachelor und Master in Grenzen hält. rungen der 22. BaföG-Novelle eingehen. Die zusätzliche (Beifall bei der SPD) Förderung von Studierenden mit Kindern ist eine längst überfällige Verbesserung. Hier danke ich vor allem der Deshalb ist die Anhebung der Freibeträge um 8 Prozent Kollegin Bär, die sich dies genauso wie die SPD-Frak- und der Bedarfssätze um 10 Prozent ab dem Winterse- tion zu einem Herzensanliegen gemacht hat. mester 2008 ein wichtiger und großer Schritt nach vorne. Rund 100 000 Studierende werden – Frau Ministerin hat (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten es gerade erwähnt – zusätzlich gefördert, und das mit hö- der CDU/CSU) Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 127. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. November 2007 13349

Renate Schmidt (Nürnberg) (A) Diese neue Familienförderung wird das Zeitfenster für – Herr Tauss, wir können uns das ganz konkret an- (C) die Familiengründung ein Stück weiter öffnen – das ist schauen. Ich möchte die Punkte aufnehmen, die auch dringend notwendig –, wenn es gelingt – das ist wichtig –, von Ihnen, Frau Ministerin, angeführt worden sind. Sie eine verbesserte Kinderbetreuung an den Hochschulen haben sehr, sehr stark die Anhebung der Bedarfssätze anzubieten. Hier sind vor allen Dingen die Länder gefor- gelobt und hochgejubelt. Ich finde, man muss noch ein- dert. mal ganz genau unter die Lupe nehmen, was die Große Koalition hier vorschlägt. Die Erhöhung soll sein Es gibt zudem Verbesserungen für Migranten und Mi- grantinnen sowie Auslandsstudierende. Letztere können (Willi Brase [SPD]: 10 Prozent!) künftig ab dem ersten Semester BAföG-gefördert im Ausland studieren. Auslandsstudien werden in Zukunft – richtig, Herr Kollege Brase –: 10 Prozent. Allerdings an Bedeutung gewinnen. Deshalb hat sich die Koalition soll diese zehnprozentige Erhöhung zum 1. Oktober vorgenommen, zeitnah – ich hätte gern, dass wir das bis 2008 erfolgen. Der BAföG-Beirat der Bundesregierung zum Sommersemester 2008 unter Dach und Fach brin- hatte gefordert, diese Erhöhung bereits Ende des letzten gen – zinsbegünstigte Studienkredite der KfW auch für Jahres, Ende 2006, durchzuführen. Wenn Sie diese Erhö- Auslandsstudierende anzubieten. hung jetzt nach hinten verschieben und erst zum 1. Oktober 2008 durchführen, würde das bedeuten, dass Sehr geehrte Frau Ministerin, die 22. BAföG-Novelle mindestens – aber wirklich mindestens! – noch einmal ist letztendlich von einem Reförmchen zu einer ausge- 2 Prozent draufgelegt werden müssen, ansonsten höhlen wachsenen Reform mit einem Finanzvolumen von mehr Sie das BAföG einfach weiter aus. Das ist keine verläss- als einer halben Milliarde Euro geworden. liche, keine sichere und keine kostendeckende Studienfi- nanzierung. (Beifall bei der SPD) (Beifall bei der LINKEN – René Röspel Die SPD als BAföG-Partei beansprucht einen wesentli- [SPD]: Sie haben doch für die Studenten noch chen Anteil an diesem Werdegang. keine einzige Verbesserung zustande bekom- (Beifall bei der SPD) men!) Dennoch ist damit aus meiner Sicht nicht alles erledigt. Das wäre schon schlimm genug, aber Sie setzen noch Wir werden uns umgehend an die Erarbeitung des Ent- eins drauf: Wenn Sie wenigstens diese Erhöhung zum wurfs eines BAföG-Modernisierungsgesetzes machen, 1. Oktober beschließen und die Bedarfssätze dann regel- das noch vorhandene Ungereimtheiten beseitigen und mäßig einfach anpassen würden, wäre das zumindest der Umstellung auf Bachelor und Master überall Rech- eine Perspektive, die man den Studierenden geben (B) nung tragen wird. Für uns wird das BAföG immer ein könnte. Sie schlagen aber mit der Novelle vor, dass der (D) zentraler Punkt bei der Herstellung von Chancengleich- nächste BAföG-Bericht erst ein Jahr später vorgelegt heit bleiben, für die Kinder unseres Volkes, aber vor al- werden soll, also nicht Ende 2008, sondern Ende 2009. len Dingen für die Zukunft unseres Volkes. (Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: (Anhaltender Beifall bei der SPD) Das macht doch auch Sinn!) Das bedeutet in der Konsequenz, dass in diesem Par- Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: lament über eine BAföG-Erhöhung das nächste Mal erst Ich gebe das Wort der Kollegin Cornelia Hirsch, im Jahr 2010 diskutiert werden wird. Sie orientieren sich Fraktion Die Linke. jetzt an einer Erhöhung, die schon Ende 2006 notwendig gewesen wäre, und sagen zugleich – Schwarz auf Weiß – Cornelia Hirsch (DIE LINKE): den Studierenden, dass es vor 2010 auch keine weitere Erhöhung geben wird. Das sind faktisch also vier Null- Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! runden, die Sie den Studierenden zumuten. So etwas Liebe Frau Schmidt, die Linke hält die heute diskutierte lehnt die Linke nun definitiv ab. BAföG-Novelle nicht für eine ausgewachsene Reform, wie Sie sie bezeichnet haben. Wir sind der Auffassung, (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert diese Reform ist – wenn überhaupt – eine Reparaturmaß- Winkelmeier [fraktionslos]) nahme. Außerdem ärgert uns, dass Sie diese Reparatur- maßnahme erstens viel zu spät ausführen und zweitens Frau Ministerin, Sie haben von der Studierenden- auch noch ganz, ganz empfindliche Lücken darin sind. schaft und dem wichtigen Signal gesprochen, das Sie hier jetzt aussenden wollen, sodass mehr junge Men- (Beifall bei der LINKEN – Jörg Tauss [SPD]: schen ein Studium aufnehmen wollen, daher möchte ich Purer Neid!) Ihnen nur eine der vielen, vielen Mails, die uns und si- Sie sprechen hier immer wieder von der großen Be- cherlich auch Sie erreicht haben, zur Kenntnis geben. Sie deutung der Bildung, von den Zukunftschancen der jun- gibt vielleicht ein bisschen die Stimmung in der Studie- gen Generation. Jetzt zeigt sich, dass diese Worte in der rendenschaft wieder. Da schreibt ein Student aus Dres- Großen Koalition doch eher leere Phrasen sind und nicht den: „Diese Erhöhung, die die Große Koalition vor- wirklich etwas dahintersteckt. schlägt, ist ein Hohn für alle, die BAföG beziehen. Die Sätze sind zurzeit so viel zu niedrig, dass 10 Prozent ein- (Jörg Tauss [SPD]: Purer Neid!) fach nur ein Witz sind.“ – Ich glaube, das trifft die Situa- 13350 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 127. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. November 2007

Cornelia Hirsch (A) tion der Studierendenschaft sehr klar und zeigt, vor wel- Als Nächstes möchte ich auf die Studiengebühren ein- (C) chen Herausforderungen wir stehen. gehen, weil dieser Punkt hier angesprochen wurde. Ich halte es für ziemlich verlogen, dass die SPD hier immer (Swen Schulz [Spandau] [SPD]: Ist das Ihr wieder als großer Gegner von Studiengebühren auftritt, Ernst?) sie es aber war, die mit der Einführung von Studienkon- – Herr Schulz, Sie fragen, ob das mein Ernst ist. Man ten den Weg für die Einführung allgemeiner Studienge- kann sich anschauen, was zum Beispiel die Vorgaben der bühren geebnet hat. Das muss man hier festhalten. Familiengerichte sind. Es ist keine Fantasterei, was die (Jörg Tauss [SPD]: Das ist einfach nicht wahr! Linken hier machen, wenn wir eine Erhöhung der Be- Das ist Blödsinn! Das weiß sie auch!) darfssätze um 19 Prozent noch in diesem Jahr fordern. Man muss sich außerdem die Frage stellen, ob es richtig (Jörg Tauss [SPD]: Elternabhängig oder eltern- ist, dass Studierende, die BAföG beziehen, jetzt auch unabhängig?) noch Studiengebühren bezahlen sollen. Es ist doch ab- Wenn wir diese Erhöhung von 19 Prozent beschließen surd, den Studierenden zwar die Sozialleistung BAföG würden, dann würden wir die Vorgaben der Familienge- zu geben, sie aber gleichzeitig Studiengebühren zahlen richte für kostendeckende Bedarfssätze erfüllen. Das zu lassen. wäre der richtige Schritt. (Jörg Tauss [SPD]: Nicht in den SPD-Ländern! (Beifall bei der LINKEN) Das wollen wir mal festhalten!) Ich möchte noch einen weiteren Punkt nennen, der Sie bieten den Studierenden als Lösung an, mehr hinzu- uns stört. Es ist nämlich nicht nur so, dass aktuell die Si- verdienen zu können. tuation der Studierenden an den Hochschulen schlechter (Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Was wird, auch die große Herausforderung von der sozialen gucken Sie uns an?) Öffnung wird nicht wirklich angegangen. Es gibt zwar die Erhöhung der Freibeträge – es ist auch ein richtiger Sie dürfen jetzt 400 Euro mehr verdienen. Dann ist ja al- Schritt, dass das überhaupt angegangen wird –, les wunderbar, und dann klappt alles. Das kann doch wirklich nicht die Lösung des Problems der Studienge- (Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Das ist das bühren sein. erste Mal, dass Sie das sagen!) (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert was aber fehlt, sind ganz entscheidende Punkte, über die Winkelmeier [fraktionslos]) man weiter diskutieren müsste. (B) Es ist vollkommen richtig, gemeinsam dafür zu strei- (D) Frau Schmidt, Sie haben schon angesprochen, was da ten – wir freuen uns, wenn die SPD unser Bündnispart- alles Anfang der 80er-Jahre abgeschafft wurde. Man ner ist –, dass die Studiengebühren abgeschafft werden. müsste dann aber auch sagen, was Anfang der 70er-Jahre Aber es müsste ein erster Schritt sein, den Studierenden da war. Das war beispielsweise ein umfassendes Schü- jetzt zu helfen. Deshalb schlägt die Linke vor, dass die ler-BAföG, was bedeutete, dass man sich ab der zehnten Kosten für Studiengebühren bei dem Bedarf für das Klasse nicht zwischen einer ausfinanzierten Form der BAföG berücksichtigt werden. Das würde sehr vielen Ausbildung und der Möglichkeit entscheiden musste, Studierenden helfen. Deshalb haben wir heute diesen weiter zur Schule zu gehen und eben keine Finanzierung Antrag vorgelegt. zu bekommen. Es ist doch klar, dass sich sehr viele Schülerinnen und Schüler gerade aus armen Schichten (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert für den ersteren Weg entscheiden müssen. Der Ausbau Winkelmeier [fraktionslos] – Jörg Tauss des Schülerinnen- und Schüler-BAföGs wäre eine Per- [SPD]: Dann subventionieren wir Bayern! Ist spektive, wirklich einen Schritt nach vorne zu kommen. Ihnen das klar?) (Beifall bei der LINKEN) Letzter Punkt. Es wird immer wieder die Frage ge- stellt, wie das alles finanziert werden soll. Sie, Frau Es gibt eine zweite Möglichkeit, wie Sie das Problem Schmidt, haben gesagt, die Aufgabe der Koalition sei es, hätten angehen können. Die rot-grüne Bundesregierung das Machbare möglich zu machen. Sie haben sich sehr hat den Schritt gemacht und die Verschuldung nach dem dafür gelobt, 300 Millionen Euro mehr für das BAföG Studium bei einem Betrag von 10 000 Euro gedeckelt. bereitzustellen. 300 Millionen Euro mehr klingen für (Beifall bei Abgeordneten der SPD) alle, die hier zuhören, nach unheimlich viel Geld. Es ist aber wichtig, diese Summe in Relation zu setzen, und Genau in dieser Richtung müsste man jetzt weiterdisku- zwar in Relation dazu, dass 2008 wegen der Steuerge- tieren. Man kann doch nicht bei einem solchen Schritt schenke für Großkonzerne und Unternehmen, die be- stehenbleiben. Genau deshalb fordert die Linke einen schlossen sind, 8 Milliarden Euro zum Fenster herausge- Vollzuschuss und lehnt das Darlehen ab. schmissen werden. Man muss also die 300 Millionen Euro den 8 Milliarden Euro gegenüberstellen. Das zeigt, (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert welche Priorität junge Menschen in der Großen Koali- Winkelmeier [fraktionslos] – Renate Schmidt tion haben. [Nürnberg] [SPD]: Elternunabhängig! So was Bescheuertes habe ich noch nicht gehört!) Besten Dank. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 127. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. November 2007 13351

Cornelia Hirsch (A) (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Auch bei der – grundsätzlich sehr lobenswerten – An- (C) Winkelmeier [fraktionslos] – Dorothee Bär passung der Fördersätze und Freibeträge können die [CDU/CSU]: Der Klassenkampf kann nicht Schüler und Studierenden nicht ganz zufrieden sein. mal daheimgelassen werden!) Dass Sie sie um 10 bzw. 8 Prozent erhöhen, ist gut. Das findet ausdrücklich unsere Anerkennung, ja sogar ein Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: kleines Lob. Dass Sie die Erhöhung aber um ein Jahr Nächster Redner ist der Kollege Kai Gehring, verschieben, ist halbherzig, unnötig und inakzeptabel. Bündnis 90/Die Grünen. Die vom BAföG-Beirat empfohlene Erhöhung trägt aus- drücklich das Haltbarkeitsdatum Herbst 2007. Wenn Sie (Jürgen Koppelin [FDP]: Da müsste man fast jetzt erst im Herbst 2008 anpassen, dreht das BAföG bis klatschen, dass er jetzt kommt!) dahin ohne Not eine weitere Nullrunde. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Kai Gehring (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): sowie des Abg. Volker Schneider [Saarbrü- Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! cken] [DIE LINKE]) Die BAföG-Debatten der letzten Monate haben mindes- tens eine überraschende und erfreuliche Botschaft: Warum geben Sie den Schülern und Studierenden nicht, Selbst die Große Koalition ist fähig zum lebenslangen wie von uns beantragt, wenigstens zum 1. April 2008 die Lernen. dringend benötigten Mittel zum Lebensunterhalt? (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Auch wenn wir Ihre Novelle im Grundsatz mittragen, und bei der FDP – Jörg Tauss [SPD]: Lebens- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) begleitend! Lebenslang wollen wir das nicht!) will ich im Interesse der Studierenden noch ein paar Fra- Im Februar beschloss das schwarz-rote Kabinett eine gen stellen. Es geht mir dabei um eher kleine, aber für Nullrunde für Schülerinnen, Schüler und Studierende. die Betroffenen doch zentrale Korrekturen, um die Be- Vieles, was wir heute von Ihnen hören, klang vor kurzem seitigung von Fehlern und Gerechtigkeitslücken. noch ganz anders. Da hieß es, für eine BAföG-Erhöhung stehe kein Geld zur Verfügung. Um der jungen Genera- Warum halten Sie zum Beispiel an den starren Ober- tion weniger Staatsschulden aufzubürden, wollten Sie grenzen beim Unterkunftszuschuss fest? Warum über- bei der jungen Generation sparen – ein wahrlich merk- nehmen Sie nicht unseren Vorschlag, angemessene Miet- würdiges Verständnis von Generationengerechtigkeit. und Heizkosten komplett zu übernehmen, sodass man auch in München und Düsseldorf vom BAföG leben Gut, dass es anders gekommen ist. Der träge Tanker kann? (B) bewegt sich doch. Den weiten Weg, den gerade auch Bil- (D) dungsministerin Schavan zurückgelegt hat, hat Frau (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Schmidt bereits treffend beschrieben. Unterm Strich Warum schaffen Sie den Kinderdarlehensteilerlass für kann man sagen: Die Große Koalition hat sich auf uns studierende Eltern völlig übereilt ab? Warum gewähren Grüne und auf die Opposition zubewegt. Sie keine großzügigen Übergangsfristen, damit junge El- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – tern Vertrauen in geltende Regelungen haben können? Jörg Tauss [SPD]: Ihr wart im Beiboot und wir (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) in den schönen Kreuzfahrtkabinen!) Warum stellen Sie Lebenspartnerinnen und Lebens- Daher tragen wir zahlreiche Änderungen, die Sie an Ih- partner nicht endlich auch im BAföG mit Ehegattinnen rer eigenen Novelle vornehmen, weitgehend mit, aber und Ehegatten gleich, sondern schreiben Diskriminie- eben nur weitgehend; denn das, was Sie zum Beispiel rung fort? mit dem neuen Kinderzuschlag betreiben, ist Augenwi- scherei. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Warum verweigern Sie sich der simplen Klarstellung im Gesetz, dass Studierende nicht benachteiligt werden Nach allem, was Sie bisher verkündet haben, glaubt dürfen, wenn die Hochschule ihre Studiengänge ver- doch jetzt jeder: Bald gibt es für alle BAföG-Empfänger pflichtend von Diplom auf Bachelor umstellt und das mit einem Kind 113 Euro zusätzlich. – Pustekuchen. Mit BAföG-Amt dies als förderschädlichen Fachrichtungs- Ihrem Änderungsantrag, den Sie in letzter Minute einge- wechsel wertet? bracht haben, haben Sie dafür gesorgt, dass nur diejeni- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – gen Eltern den vollen Zuschuss bekommen, die den Jörg Tauss [SPD]: Das ist ein Thema!) BAföG-Höchstsatz erhalten. Wer Pech hat, bekommt für sein Kind nicht 113 Euro, sondern 1,13 Euro. Das muss Die Schreiben der betroffenen Studierenden liegen doch man wissen. Dafür lässt sich keine Kinderbetreuung or- auch Ihnen vor. Sie hätten das also in der Novelle ändern ganisieren. Das ist ganz offensichtlich. Für jedes weitere können. Kind gibt es dann nur noch 0 bis 85 Euro. Wir fordern dagegen: Für jedes Kind von BAföG-Empfängern muss Angesichts all dieser Fragen verstehe ich nicht, wa- es 113 Euro geben – ohne Wenn und Aber! rum Sie unsere konkreten Verbesserungsvorschläge ein- fach vom Tisch wischen. Es hilft sicherlich nicht weiter, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) gegenüber den realen BAföG-Problemen eine Vogel- 13352 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 127. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. November 2007

Kai Gehring (A) Strauß-Politik zu betreiben. Hier hätten Sie den Studie- studieren möchte, darf seinen BAföG-Bezug nicht über (C) renden das Leben leichter machen können. einen längeren Zeitraum strecken. Wenn wir über die Lage und die Bedürfnisse der Stu- Die Beispiele zeigen: Notwendig ist eine grundle- dierenden sprechen, können wir das BAföG nicht isoliert gende Reform der Lebensunterhaltsfinanzierung von betrachten. Wir müssen in dem Zusammenhang ebenso jungen Menschen in Aus- und Weiterbildung. Das zen- über Studiengebühren reden, auch wenn Union und FDP trale Ziel und die Leitlinie der Grünen ist: Wir wollen das nicht passt. Denn während wir im Bund dafür sor- den Hochschulzugang für junge Menschen aus allen Ein- gen, dass die Studierenden endlich wieder so viel Geld kommensschichten, insbesondere aber aus einkommens- im Portemonnaie haben wie zu rot-grünen Zeiten, grei- schwächeren und hochschulfernen Bildungsmilieus er- fen schwarz-gelb regierte Länder gleichzeitig den Stu- leichtern. dierenden mit Studiengebühren tief in die Tasche. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Wenn man rein schuldenbasierte Ansätze zur Studiums- Jörg Tauss [SPD]: Das ist wahr!) finanzierung wie Kredite heranzieht – etliche Kollegin- Wenn zum Beispiel in Nordrhein-Westfalen Minister nen und Kollegen in diesem Raum schwebt das ja vor –, Pinkwart die Forderung nach mehr BAföG stellt, ist das fallen diese jungen Menschen von vornherein raus. wirklich ein starkes Stück. Liebe Koalitionäre, bevor Sie nach Ihrer Last-Minute- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Einigung beim BAföG die Hände beruhigt in den Schoß und bei der SPD – René Röspel [SPD]: Mittel- legen und gemeinsam feiern, muss ich Ihnen noch sagen: standsfeindlich!) Die Debatte über eine moderne Studienfinanzierung, die für mehr Chancengerechtigkeit sorgt, ist mit dem heuti- Wir sagen als Grüne klipp und klar: Die Campus-Maut gen Tag nicht beendet. Sie muss weitergeführt werden. der Neoliberalen ist abwählbar! Die Landtagswahlen in Wenn man sich die schwarz-rote Meinungsvielfalt an- Hamburg, Hessen und Niedersachsen entscheiden maß- schaut, stellt man fest, dass das wohl heißen muss: Nach geblich darüber, ob Hochschulen wieder studiengebüh- dem BAföG-Streit ist vor dem BAföG-Streit. renfreie Zonen werden können. Vielen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)) Studiengebühren wirken sozial selektiv, schrecken ab Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: (B) und grenzen aus. Deshalb müssen sie abgeschafft wer- (D) den. Das Wort hat der Bundesfinanzminister Peer Steinbrück. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei der SPD – Dr. Ernst Dieter Solange es Studiengebühren gibt, müssen wir jedoch Rossmann [SPD]: Wir freuen uns, den Bil- auch im BAföG damit umgehen. Wir haben daher vorge- dungsminister begrüßen zu dürfen!) schlagen, den Studierenden einen entsprechend höheren Zuverdienst anrechnungsfrei einzuräumen. Wer neben- Peer Steinbrück, Bundesminister der Finanzen: her jobben muss, um Studiengebühren zu finanzieren, Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich bin der soll dafür nicht auch noch beim BAföG-Bezug be- in der Tat kein so guter Kenner der Materie wie Frau straft werden. Diesen Vorschlag, vielleicht auch den der Renate Schmidt. Ich kann mich an den Zeugungsvor- Linken, hätten Sie wenigstens einmal prüfen können. gang des BAföG im Jahr 1969 nicht so genau erinnern. Es wird schnell deutlich, dass kleinteilige Reparatu- (Renate Schmidt [Nürnberg] [SPD]: So viel ren am BAföG mittelfristig nicht ausreichen. Denn viele jünger bist du auch nicht! – Heiterkeit bei der Regeln der Ausbildungsförderung werden den langfristi- SPD) gen Trends in Hochschulpolitik und Studierverhalten der jungen Menschen immer weniger gerecht: – Habt ihr etwas Unanständiges gesagt? Stichwort neue Studienstrukturen: Ein Masterstudium (Jörg Tauss [SPD]: „So viel jünger bist du wird nur dann gefördert, wenn es auf einen Bachelor auch nicht“, hat sie gesagt!) aufbaut. Aber wann genau ist das der Fall, und warum ist – Da ich keinen Ordnungsruf der Präsidentin höre, das überhaupt so? scheint sich das noch im Rahmen des Erlaubten zu be- Stichwort lebenslanges Lernen: Wer direkt nach dem wegen. Bachelor weiterstudiert, kann gefördert werden; wer erst (Heiterkeit bei der SPD) ein paar Jahre Berufserfahrung sammelt und dann mit 32 Jahren den Master nachholen will, bekommt kein Ich will mit zwei Bemerkungen sehr deutlich machen, BAföG. warum ein Haus wie das Bundesfinanzministerium seine Hand reicht, um beim BAföG zu Verbesserungen zu Stichwort Teilzeitstudium: Wer Kinder erzieht, Praxis- kommen. erfahrung sammelt oder Angehörige pflegt und deshalb nur Teilzeit studieren kann, obwohl er oder sie Vollzeit (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 127. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. November 2007 13353

Bundesminister Peer Steinbrück (A) Der erste Hinweis lautet: Wir brauchen in Deutsch- nen Hehl daraus, dass ich in meiner Funktion als Lan- (C) land nicht weniger, sondern deutlich mehr Studierende despolitiker gegen die Einführung von Studiengebühren und Akademiker. gewesen bin. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Ina (Beifall bei der SPD – Uwe Barth [FDP]: Des- Lenke [FDP]: Jawohl!) wegen sind Sie abgewählt worden!) Wir haben es bereits heute mit einem Mangel an qualifi- – Ich glaube nicht, dass das der Grund ist, warum ich ab- zierten Arbeitskräften zu tun. Dieses Land wird seinen gewählt worden bin. Standard hinsichtlich des materiellen Wohlstands und der sozialen Wohlfahrt im globalen Wettbewerb nur hal- (Uwe Barth [FDP]: Aber einer der Gründe!) ten können, wenn wir über die Qualität im Wettbewerb – Ich glaube auch nicht, dass das einer der Gründe war. bestehen. Wir werden im Wettbewerb niemals bestehen Da bin ich mir ziemlich sicher. können, wenn wir versuchen, billiger zu sein. Wenn wir in diesem Wettbewerb aber durch bessere Qualität beste- (Uwe Barth [FDP]: Das ist keine Glaubens- hen wollen, brauchen wir eine höhere Akademikerquote frage!) und nicht eine stagnierende oder abnehmende Akademi- In Gesprächen mit Studenten und ihren Eltern habe ich kerquote. sehr oft die Erfahrung gemacht, dass es jemandem, der (Beifall bei der SPD – Ina Lenke [FDP]: Auch mit rund 2 000 Euro netto nach Hause kommt, eine Akademikerinnen mit Kindern!) Tochter und einen Sohn hat, sehr schwerfällt, zweimal 600 oder 500 Euro im Jahr zu bezahlen, weil das unge- Zurzeit nehmen nur 35 Prozent eines Jahrgangs ein fähr 100 Euro im Monat entspricht. Hochschulstudium auf. Diese Quote ist deutlich zu ge- ring. Wir brauchen mindestens 40, in meinen Augen so- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ gar an die 45 Prozent, was in etwa dem Standard skandi- DIE GRÜNEN) navischer Gesellschaften entsprechen würde. Nehmen Sie das nicht auf die leichte Schulter! Auch Sie wissen, dass wir bereits heute einen Mangel an wenn er mit 1 500 oder 1 600 Euro nach Hause kommt, qualifizierten Arbeitskräften haben. Das gilt insbeson- muss er rund 100 Euro abzwacken. dere für die Naturwissenschaften und die Ingenieurwis- Die Kreditkonditionen, die da genannt werden, sind senschaften. Ich halte die Meldung, dass uns bereits auch nicht so, wie ich mir das gewünscht habe. In der heute ungefähr 50 000 Ingenieure fehlen, für eine abso- Ankündigung hieß es ja, es werde relativ leicht sein, sol- lute Alarmmeldung. Es gibt fast die gleiche Anzahl offe- che Kredite zu günstigen Zinskonditionen aufzunehmen. (B) ner Ingenieurstellen. Das bedeutet, dass uns ein ganzer Ich stelle fest: Da muss ganz kräftig gezahlt werden. – (D) Jahrgang an Universitätsabsolventen fehlt. Es gibt be- Ob es je andere Modelle dafür geben wird, will ich da- merkenswerte Berechnungen, nach denen dies zu einem hingestellt sein lassen. volkswirtschaftlichen Schaden in einer Größenordnung von 3,5 Milliarden Euro führt. Wir müssen diesbezüg- Ich will darauf hinaus, dass wir mehr junge Leute, vor lich den europäischen Standard erreichen. allen Dingen junge Frauen, aus den vermeintlich bil- dungsferneren Schichten, aus den Familien, in denen Das bedeutet, dass wir bei den jungen Menschen bisher erkennbar noch nicht akademische Laufbahnen Ängste abbauen müssen. Es darf nicht sein, dass sie aus absolviert worden sind, in den Stand versetzen müssen, rein materiellen Gründen ein Studium nicht aufnehmen. jedenfalls materiell gesichert ein Studium aufzunehmen, Das wiederum bedeutet, dass das BAföG eine konstitu- um damit in Deutschland ein Begabungspotenzial zu he- tive, grundlegende Bedeutung hat. ben, das uns sonst verloren ginge, was sträflich wäre. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Uwe Mein zweiter Hinweis – dies ist kein günstiges Zeug- Schummer [CDU/CSU]) nis für diese Gesellschaft –: Die Durchlässigkeit unseres Deshalb ist es richtig, dass wir die Bedarfssätze und Bildungssystems ist mit Blick auf die Kinder, die aus die Freibeträge erhöhen. Dass man so etwas immer über- einkommensschwächeren bzw. bildungsferneren Schich- bieten kann, Frau Hirsch, ist mir sehr klar. Aus Ihrer et- ten kommen, nicht in der Form gegeben, wie es sein was schrillen Rede sind bei mir eigentlich nur zwei müsste. Wir machen die Erfahrung – das ist statistisch, Dinge hängen geblieben, nämlich: Sie wollen immer empirisch belegt –, dass im Vergleich zum Durchschnitt noch mehr, und Sie haben die Großkonzerne auch bei viel zu wenig junge Leute, die erkennbar nicht aus einem diesem Thema wieder irgendwie hineingeschwurbelt. – Akademikerhaushalt kommen, ein Studium beginnen. So ganz nachvollziehbar ist das für mich nicht. Dadurch geht dieser Gesellschaft eine Vielzahl von Be- gabungen verloren. Viele nehmen ein Studium leider Ich muss aus Gründen der Fairness und des Anstands nicht auf, weil die materielle Frage in der Tat eine ent- eine Bemerkung machen; daran liegt mir. Die Tatsache, scheidende Rolle spielt. Ich muss zugeben, dass die Ein- dass wir im Regierungsentwurf von etwas anderen Daten führung von Studiengebühren diesbezüglich eine prohi- und Sätzen ausgegangen sind, lag schon an dem nicht bitive Wirkung hat. leicht zu übergehenden Finanzminister und nicht an Frau Schavan. Die Einführung von Studiengebühren spielt gerade vor diesem Hintergrund eine große Rolle. Ich mache kei- (Ilse Aigner [CDU/CSU]: Aha!) 13354 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 127. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. November 2007

Bundesminister Peer Steinbrück (A) Das war die Debatte, die ich mit ihr geführt habe und in Aus der Sicht des Bundesfinanzministeriums ist es (C) der sich der Bundesfinanzminister durchgesetzt hat. Das eine richtige Investition, eine Zukunftsinvestition, eine zu sagen ist eine Frage des Anstands, der an dieser Stelle klassische Investition und nicht Konsum. Ich würde mir auch gewahrt werden soll, damit das niemand in den fal- wünschen, dass die Verbesserung der BAföG-Rahmen- schen Hals bekommt. bedingungen dazu führt, dass mehr junge Menschen denn je das Studium aufnehmen. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Ilse Aigner [CDU/CSU]: Das war jetzt ehrlich! – Herzlichen Dank fürs Zuhören. Gegenruf des Abg. Jörg Tauss [SPD]: Wir sind (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten im Gegensatz zu euch immer ehrlich!) der CDU/CSU) Ich will abschließend sagen, dass ich, auch überzeugt von der Meinungsbildung in der Fraktion, zu diesem Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Projekt stehe. Das gilt ebenfalls für das, was das Parla- Das Wort zu einer Kurzintervention auf die Rede des ment in eigener Zuständigkeit bei den Freibeträgen und Kollegen Kai Gehring gebe ich dem Kollegen Jörg Bedarfssätzen erneut geändert hat. Noch einmal zu mei- Tauss. nem Verständnis von einer gestaltenden Finanzpolitik. All denjenigen, die glauben, dass alle Steuermehreinnah- (Zurufe von der CDU/CSU: Oh, nein!) men und Entlastungseffekte an anderer Stelle aus- schließlich zur Senkung der Nettokreditaufnahme einge- Jörg Tauss (SPD): setzt werden sollten, sage ich: Nein, ein Teil davon muss Ich freue mich, dass Sie sich so freuen; das ist ja fast in die Gestaltung der Zukunft dieses Landes gehen. wie in alten Zeiten. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Gestatten Sie, Herr Minister, dass ich an dieser Stelle sage: Es ist gut, in dieser Sache einen Finanzminister an Welches sind die Hauptfelder, um Zukunft für dieses seiner Seite zu haben. Insofern sage ich auch herzlichen Land zu gestalten? Das hat überwiegend mit Bildung zu Dank. tun. Sie wissen, dass ich das nicht eng meine, also nicht bezogen nur auf die allgemeinbildenden Schulen. Wir (Beifall bei der SPD) reden hier über Kinderbetreuung, vorschulische Ange- Aber nun zu Ihnen, Kollege Gehring: Es ist in der Tat bote, allgemeinbildende Schulen, Ganztagsbetreuung, so, dass das BAföG ein sehr komplexes, in seiner Syste- akademische Bildung, berufliche Bildung, Weiterbil- matik auch nicht sofort durchschaubares Gesetz ist. Hin- dung, über die gesamte Bandbreite. Will sagen: Es muss sichtlich eines Punktes bitte ich Sie, sich ein wenig zu Geld in die Köpfe und die Fähigkeiten der Menschen hi- (B) korrigieren. Es ging um die 113 Euro für die Kinder Stu- (D) neingesteckt werden. dierender. Nur zur Klarstellung: Diese 113 Euro bekom- (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) men im Grunde genommen alle; der Bedarf erhöht sich für alle um diesen Betrag. Für fast alle BAföG-Empfän- Wohl wissend, dass Sie alle kundige Thebanerinnen ger bleiben in der Praxis letztlich diese 113 Euro übrig. und Thebaner sind: Das Groteske ist, dass die Mittel, die Wer bisher kein BAföG bekam, weil das Einkommen wir dort aufwenden, nach dem geltenden Haushaltsrecht knapp darüber lag, höher lag als der Bedarf, der be- konsumtive Ausgaben sind, obwohl ich mir bessere in- kommt künftig etwas mehr BAföG. Insofern haben wir vestive Ausgaben für die Zukunft dieses Landes nicht in der Tat auf beiden Seiten eine Verbesserung. Daraus vorstellen kann. resultiert meine herzliche Bitte, dass wir an dieser Stelle (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ nicht zu falschen Interpretationen kommen. DIE GRÜNEN) (Dorothee Bär [CDU/CSU]: Das hätte ich Ich würde mir wünschen, dass wir uns über die De- auch noch gesagt, Herr Tauss, aber vielen batte zur Föderalismusreform II und die Frage der Dank!) Schuldenbremse hinaus intensiv darüber auseinanderset- zen, ob wir nicht eine Lösung vermeiden sollten, die von Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: einem falschen Investitionsbegriff ausgeht. Herr Kollege Gehring, Sie können antworten. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Kai Gehring (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Ich gehe darauf sehr Wenn man zum Beispiel einen Quader Beton auf einen gern ein, weil ich es immer schade finde, wenn Regie- Vorplatz setzt, ist das investiv, und man könnte die Neu- rungsfraktionen nicht genau wissen, was sie mit ihren ei- verschuldensregelung im Sinne einer Erweiterung der genen Änderungsanträgen beschließen wollen. Kreditaufnahme in Anspruch nehmen. Dagegen ist das BAföG konsumtiv und verschlechtert die Kreditaufnah- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, memöglichkeiten des Bundeshaushaltes. Dies ist bei der FDP und der LINKEN) schlicht und einfach Unsinn; deshalb müssen wir diese Wir haben diese Frage am vergangenen Mittwoch so- Frage weiterhin aufgreifen. wohl im Familienausschuss als auch im Bildungsaus- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ schuss thematisiert, und die jeweiligen Staatssekretäre DIE GRÜNEN) haben genau das Gegenteil von dem gesagt, was Sie ge- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 127. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. November 2007 13355

Kai Gehring (A) rade geschildert haben. Von daher gibt es hier offensicht- Wo waren Sie eigentlich, und Frau Schmidt, wo wa- (C) lich in der Großen Koalition noch dringenden Ge- ren Sie eigentlich, als das Elterngeld konzipiert worden sprächsbedarf. ist und durch diese Neukonzeption des Elterngeldes die Studentinnen mit Kind nur die Hälfte dessen bekamen, (Jörg Tauss [SPD]: Folgen Sie meiner Inter- was sie beim Bezug von Erziehungsgeld erhalten hätten? pretation, dann sind Sie gut beraten! – Mit dem Erziehungsgeld bekamen die Studentinnen Dorothee Bär [CDU/CSU]: Ausnahmsweise 24 Monate lang 300 Euro; mit dem Elterngeld wurde das hat Herr Tauss recht!) Ganze halbiert. Das macht 3 600 Euro für jede Studentin Ausweislich der Begründung des Gesetzentwurfes mit Kind aus. geht es um die Frage, dass dieser Kinderzuschlag eben (Beifall bei der FDP) nicht nur nach Bedarf, sondern auch einkommensabhän- gig gezahlt werden soll, also genauso einkommensab- Sie sollten sich also doch überlegen, ob Sie etwas mehr hängig, wie das BAföG selber auch gezahlt werden wird. oder doch etwas weniger für die Studentinnen mit Kind Deshalb ist es ganz offensichtlich ein richtiges Beispiel getan haben. Die FDP hat deshalb schon bei der Verab- gewesen, dass eben nicht jeder Studierende 113 Euro be- schiedung des Elterngeldes einen Antrag für die Studen- kommt, sondern es nur diejenigen mit dem BAföG- tinnen mit Kind eingebracht; wir haben das Baby- Höchstsatz erhalten. Uns ist erläutert worden, dass nicht BAföG genannt. Wir wollen jedem Kind ab Geburt jeder BAföG-berechtigte Studierende den vollen Zu- 280 Euro geben, und wir wollen das durch den Darle- schuss von 113 Euro bekommt, sondern nur diejenigen, hensteilerlass finanzieren, der damit verrechnet werden die den Höchstsatz bekommen. Daneben gibt es Studie- würde. rende mit einem niedrigeren Satz, die dann vielleicht Meine Damen und Herren, es wird hier so viel davon 12 Euro oder 57 Euro bekommen. geredet, dass so wenige Studentinnen Kinder bekämen. Mit dem Fakt, dass Sie hier im Vergleich zu Ihrem Im Jahr 2000 waren es 7,1 Prozent. Wenn wir sagen: ersten Vorschlag durchaus eine Änderung, nämlich eine „Wir wollen Studentinnen unterstützen, wenn sie Kinder Verschlechterung, vorgenommen haben, sollte man ganz haben“, müssen wir angesichts dieser niedrigen Gebur- offen und ehrlich umgehen. Diese Frage der Einkom- tenrate mehr Wahlfreiheit geben. Das haben Sie mit dem mensabhängigkeit sollte geklärt werden. verringerten Kinderbetreuungszuschlag einfach nicht ge- macht. Diese Streichung bleibt einfach bestehen. Es sind Ich habe aber eben auch Frau Schmidt so verstanden, 3 600 Euro Verlust für die Studentinnen mit Kindern. dass Sie als SPD ohnehin Überlegungen hinsichtlich ei- nes BAföG-Modernisierungsgesetzes anstellen. Des- Ich finde, wir sollten die Studentinnen eher ermuti- gen, im Studium Kinder zu bekommen; denn wenn die (B) halb sind das Punkte, die in diesem Zusammenhang (D) noch einmal dringend aufgegriffen werden sollten, Kinder dann drei Jahre alt sind und die Berufstätigkeit beginnt, gibt es Ganztagsbetreuungsplätze und die Ganz- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) tagsschule. Hier haben Sie wirklich nichts Gutes für die um eine bessere Förderung von Studierenden mit Kin- Studentinnen getan. dern gestalten zu können. (Beifall bei der FDP) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Deshalb will ich zum Schluss sagen: Durch Ihre Poli- tik, durch Ihr Gesetz machen Sie es den Studentinnen Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: wesentlich schwerer, Studium und Familie besser mit- Nächste Rednerin ist die Kollegin Ina Lenke, FDP- einander zu vereinbaren. Auch die katholische Kirche Fraktion. hat das gemerkt. Sie hat gesagt, die geplanten Verbesse- rungen sind ein Armutszeugnis für diese Regierung. Das (Beifall bei der FDP) Forum Hochschule und Kirche startet eine Postkarten- kampagne, um Sie auf diese Differenzen in Ihrer angeb- Ina Lenke (FDP): lich kinderfreundlichen Politik in diesem Bereich auf- merksam zu machen. Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Zu- nächst wundert es mich sehr, Herr Steinbrück, dass Sie (Beifall bei der FDP) sich zum Verfechter von sozialen Leistungen für Mütter ausrufen. Sie wissen ganz genau, dass Sie derjenige wa- Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: ren, der die 4 Milliarden Euro für die Betreuung von Das Wort hat die Kollegin Dorothee Bär von der Kindern unter drei Jahren bis zum Schluss nicht zahlen CDU/CSU-Fraktion. wollte; davon mussten Sie erst einmal überzeugt werden. (Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. (Nicolette Kressl [SPD]: Das ist nicht wahr! Nicolette Kressl [SPD]) Das stimmt doch nicht!) Frau Schavan, Sie haben sich und die Regierung Dorothee Bär (CDU/CSU): heute Morgen im Deutschlandfunk sehr gelobt und aus- Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! geführt, wie eklatant das BAföG erhöht wird. Ich will Meine sehr geehrten Damen und Herren! Frau Schmidt, mich hier jedoch auf den geringen Kinderbetreuungszu- ich habe Ihnen ganz genau zugehört. Ich fand es total schlag von 113 Euro konzentrieren. nett, dass Sie gesagt haben, dass das BAföG 1969 ge- 13356 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 127. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. November 2007

Dorothee Bär (A) zeugt wurde und es heute gleichzeitig noch ein Kind ist. aber wir sind doch eine Partei, die sich auch noch ande- (C) Da möchte man gerne mit dem BAföG tauschen. ren Themen widmet. Wenn man das auf die Begrifflich- keit bringt, die hier im Raum ist, kann man feststellen: (Heiterkeit bei der CDU/CSU) Wir haben große Kämpfer und große Unterstützung. – Das einzig Positive 1969 war, dass es da die Grünen Vorhin hat einer der Kollegen gerufen: Nach der Riester- noch nicht gab. Bei der Historie, die Sie hier vorgetragen Rente kommt das Schavan-BAföG. – Das wäre ein Be- haben, hat eine kleine Verkehrung der Vergangenheit griff, den man einführen könnte. stattgefunden, besonders was das letzte Jahr betrifft. Ich (Beifall bei der CDU/CSU – Zuruf von der bin sehr froh, dass der Bundesfinanzminister Peer SPD: Ganz bestimmt nicht!) Steinbrück die Großmut hatte anzuerkennen, Frau Kollegin Hirsch, zu Ihnen möchte ich Folgendes (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die sagen – zu Ihren abstrusen Forderungen komme ich Große Koalition ist mitten in der Pubertät!) nachher –: Sie haben angeprangert, dass die nächste Dis- dass es nicht an unserer Ministerin lag, dass es nicht zu kussion erst 2010 möglich wäre. einer sofortigen Erhöhung kam. (Cornelia Hirsch [DIE LINKE]: Stattfinden (Beifall bei der CDU/CSU) würde!) Dafür bedanke ich mich ausdrücklich. Annette Schavan – Real stattfinden würde. Das muss man noch einmal ge- war nämlich von Anfang an eine ganz große Kämpferin nau nachprüfen. Es wäre natürlich wünschenswert, dass und hat uns da unterstützt. eine solche Diskussion in diesem Hause im Jahre 2010 – wenn es denn dazu kommt – ohne Ihre Fraktion statt- (Lachen bei der SPD und der LINKEN) finden kann. Lieber Peer Steinbrück, in den letzten Tagen wurde oft (Lachen bei der LINKEN) davon gesprochen, dass die Verlässlichkeit der SPD et- was abhanden gekommen ist. Ich kann nur sagen: Mit Sie stellen sich hier hin und sagen, dass die Ihrer Großmut, dass Sie zugegeben haben, dass Sie einen 300 Millionen Euro, die der Bund zusätzlich zur Verfü- Fehler gemacht haben, sind Sie nicht nur – wie ich lesen gung stellt, überhaupt nicht viel Geld sind. Gegenüber konnte – Europas tollster Finanzminister, sondern auch jedem, der hier oben auf der Zuschauertribüne sitzt oder Europas ehrlichster Finanzminister. dieser Debatte am Fernseher folgt, ist es eine wahnsin- nige Arroganz, wenn hier ein Politiker, der gerade ein- (Beifall bei der CDU/CSU) mal über 20 Jahre ist, behauptet: 300 Millionen Euro, (B) das ist überhaupt nicht viel Geld. – Das ist eine Arroganz (D) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: sondergleichen. Frau Kollegin Bär, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Dr. Rossmann? (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- neten der SPD und der FDP) Dorothee Bär (CDU/CSU): Angeblich sind Sie immer für den kleinen Mann. Ich Ich erlaube deswegen keine Zwischenfrage, weil ich verstehe: Wenn man zwei Fraktionsvorsitzende hat, die nicht möchte, dass die Kollegen Rossmann und Tauss, Bonzen und Millionäre sind, dann sind obwohl sie von ihrer Fraktion keine Redezeit bekommen 300 Millionen Euro wahrscheinlich wirklich nicht viel haben, trotzdem reden. Geld. (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU und (Lachen bei der LINKEN – Dr. Dagmar der FDP – Uwe Barth [FDP]: Das ist schade! Enkelmann [DIE LINKE]: Was ist denn das Das hätte die Einigkeit der Großen Koalition für ein Niveau hier? Das ist ja Stammtisch!) demonstriert!) Diese 300 Millionen Euro betreffen nur den Bundes- Ich finde es auch spannend – muss ich ganz ehrlich anteil. Sie haben nicht berücksichtigt, dass es im sagen –, dass sich die SPD hier als BAföG-Fraktion oder Jahr 2009 zusammen mit den Mitteln der Länder insge- BAföG-Partei bezeichnet hat. Meine Fraktion, meine samt über 540 Millionen Euro sind. Angesichts unserer Partei und sicherlich auch die CDU, lieber Fraktionsvor- angespannten Haushaltslage sitzender, haben einen allgemeinpolitischen Anspruch. (Cornelia Hirsch [DIE LINKE]: Selbst ver- Wenn Sie sich als BAföG-Partei bezeichnen, heißt das, schuldet!) dass Sie, wenn 25 Prozent aller Studenten BAföG be- kommen, wahrscheinlich nur noch 25 Prozentpunkte bei – wir alle verpflichten uns immer wieder dazu, den nach- den Wahlen erreichen möchten. folgenden Generationen keine Schulden zu hinterlassen – sind über 540 Millionen Euro wirklich ein ganz großer (Jörg Tauss [SPD]: Für Bayern wäre das ganz Batzen Geld. gut! – Gegenruf der Abg. Renate Schmidt [Nürnberg] [SPD]: Jetzt hörst du aber auf! – (Beifall bei der CDU/CSU) Heiterkeit) Ich bin froh, dass wir es geschafft haben, einen stär- – Für Bayern wäre es gut. Ja, das stimmt. – Das ist aber keren Zuwachs zu bekommen, als es im Jahr 2001 der nicht der Anspruch. Wir kämpfen zwar für das BAföG, Fall war. Wir konnten aufgrund der Haushaltslage seit Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 127. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. November 2007 13357

Dorothee Bär (A) 2001 leider keine Erhöhung mehr vornehmen. Jetzt gibt An Sie, Frau Kollegin Lenke: Es ist wunderbar; auch (C) es eine 10-prozentige Erhöhung. Ich denke, das ist ein ich sehe das so. Auch ich würde mir wünschen, dass es ganz wichtiges Signal. Ich wünsche mir, dass diese haushaltspolitisch möglich wäre, da noch mehr Geld zur 10-prozentige BAföG-Erhöhung das Signal ist, das von Verfügung zu stellen. hier heute ausgeht. (Ina Lenke [FDP]: Das ist weniger!) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) – Das ist nicht weniger. Sie bekommen mehr Geld. Es war für uns völlig selbstverständlich, dass die Be- Es geht darum, positive Zeichen zu setzen. Ich unter- darfssätze jetzt an die gestiegenen Lebenshaltungskosten stütze Ihre Forderung, junge Frauen dazu zu bewegen, angepasst werden müssen. Wir haben eine sehr gute Lö- schon während des Studiums Kinder zu bekommen. sung gefunden. Denn auch wenn man es während des Studiums nicht so In Ihren Anträgen, Frau Kollegin Hirsch, ist von sieht, im Nachhinein weiß man, dass das Studium die 19 Prozent die Rede. Sie bauen hier wirklich Luftschlös- beste Zeit dafür ist. Es ist wesentlich leichter, Familie ser. Ich höre von Ihnen immer nur: noch mehr, noch und Studium unter einen Hut zu bekommen, als später mehr, noch mehr, noch mehr, noch mehr. Sie machen nie Familie und Beruf. einen konkreten Vorschlag. Der einzige konkrete Vor- schlag, den Sie gemacht haben, hätte – die Kollegin Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Schmidt hat es im Ausschuss schon betont – eine Erhö- Frau Kollegin Bär, Frau Kollegin Lenke würde gern hung um 20 Milliarden Euro zur Folge. Forderungen wie eine Zwischenfrage stellen. diese kann eine Fraktion immer dann leicht stellen, wenn sie sich ganz sicher ist, dass sie in den nächsten Jahren Dorothee Bär (CDU/CSU): und Jahrzehnten nie Regierungsverantwortung tragen Bitte schön. wird. (Willi Brase [SPD]: Die hat sich noch zusätzli- (Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. che Redezeit organisiert! – Gegenruf des Abg. Renate Schmidt [Nürnberg] [SPD]) Uwe Barth [FDP]: Aber sie hat schon Redezeit Wenn Ihre Forderungen aber bewirken, dass Sie nie re- gehabt! Deswegen darf sie!) gieren, dann ertragen wir das hier auch noch. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Sie haben auf verschiedene Erhöhungen, die CDU/ Bitte schön, Frau Lenke. CSU und SPD in der laufenden Legislaturperiode vorge- (B) nommen haben, geschimpft. Sie wollen trotzdem, dass (D) Steuergelder ausgegeben werden. Allerdings sagen Sie Ina Lenke (FDP): nicht, woher das Geld genommen werden soll. Frau Bär, ich gehe davon aus, dass Sie bei meiner Rede zugehört haben. Sie wissen, dass Studentinnen bis- Ich möchte auf ein paar Punkte eingehen, die schon her für 24 Monate 300 Euro Erziehungsgeld pro Monat genannt wurden. Im Namen unserer Sprecherin, Ilse bekommen haben. Durch die Einführung des Elterngel- Aigner, aber auch im Namen unserer ganzen Fraktion des, das es seit dem 1. Januar 2007 gibt, bekommen sie und auch der Fraktion der SPD möchte ich sagen: Wir jetzt insgesamt nur noch 3 600 Euro. Das habe ich zu haben uns sehr darum bemüht, die Kollegiatenförderung dem Betreuungszuschlag für Studentinnen, der jetzt nur zu erhalten. Das war ein ganz wichtiger Schritt in die 113 Euro pro Monat beträgt, ins Verhältnis gesetzt. Sie richtige Richtung. Für die Kollegschüler ist dies sehr haben hier gesagt: Die Studentinnen, die zukünftig Kin- wichtig. Es hat sich gezeigt, dass in den letzten Monaten der bekommen, bekommen das Geld BAföG-abhän- der Diskussion noch etwas erreicht wurde. Oft heißt es: gig. – Das finde ich noch wunderlicher. Dazu würde ich Am Gesetzentwurf wird nichts mehr geändert. Wir ha- gern um Ihre Meinung bitten; das ist meine Frage. ben uns eng an den Bitten orientiert, die von den Kolle- giaten an uns herangetragen wurden. Unsere Koalition Dorothee Bär (CDU/CSU): hat hier einen Riesenerfolg erzielt. Es geht jetzt um BAföG und um diejenigen, die (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) BAföG erhalten. Diejenigen, die jetzt BAföG erhalten und Kinder haben, bekommen – anders als vom Kolle- Das BAföG wird internationaler; auch dazu wurde gen Gehring behauptet wurde – die vollen 113 Euro, und schon viel gesagt. zwar unabhängig davon, wie hoch das BAföG ist. Wir Frau Schmidt, Sie haben gesagt: Die Einführung des machen hier einen ganz wichtigen und entscheidenden Kinderbetreuungszuschlags ist für mich eine Herzensan- Schritt. Wir setzen ein wichtiges Signal. Ich denke, dass gelegenheit. – Genauso ist es für mich. Sie durch Ihre ständige Schlechtrederei unserer guten Initiativen eher dafür sorgen, dass weniger Kinder gebo- Kollege Tauss hat mit dem, was er in seiner Kurzin- ren werden. tervention vorhin erklärt hat, völlig recht gehabt: (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) 113 Euro werden allen gezahlt, die jetzt studieren und ein Kind haben, egal wie hoch ihr BAföG ist. Wer jetzt Ich würde mir wünschen, dass es in Zukunft nicht studiert, erhält für das erste Kind 113 Euro und 85 Euro mehr „Studium oder Kinder“ heißt, sondern dass es in für jedes weitere Kind. Zukunft in Deutschland für jede Studentin, aber auch für 13358 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 127. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. November 2007

Dorothee Bär (A) jeden Studenten „Studium und Kind“ heißt. Denn die Das wird bei der Koalitionsfraktion der CDU/CSU (C) Kinderlosenquote bei Akademikerinnen und Akademi- beim Thema BAföG sicherlich auch der Fall gewesen kern ist alarmierend. Noch alarmierender ist sie bei den- sein, und zwar so diskret, dass sie es selber kaum ge- jenigen, die unter 30 sind. Es wäre wünschenswert, merkt hat. Es ist an anderer Stelle so gewesen, dass die wenn nicht nur mehr Kinder geboren werden würden, sozialdemokratischen Bildungspolitiker Anfang des Jah- sondern die Frauen auch jünger wären, wenn sie ihr ers- res für sich gesagt haben: Das wollen wir ändern. Das tes Kind bekommen; denn dann ist die Wahrscheinlich- machen wir öffentlich. Wir werben um Zustimmung da- keit, sich für weitere Kinder zu entscheiden, größer. für. Wir gehen mit vollem Risiko in unsere Fraktion. Dort wollen wir dafür sorgen, dass sich etwas bei einer Herr Präsident, Sie erlauben doch sicherlich ange- solchen Schlüsselfrage ändert. sichts dieses wichtigen Themas, dass ich noch einen Satz dazu sage. Das wurde vom Fraktionsvorsitzenden aufgenom- men, der noch im Sommer Häme dafür erfahren hat; ich Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: will gar nicht sagen, von welcher Seite. Daher sollte man an dieser Stelle sagen, dass es auch zum Parlamentaris- Ich erlaube Ihnen nur noch einen Abschlusssatz. mus gehört, wenn ein Fraktionsvorsitzender in Rück- sprache mit seinen Arbeitsgruppen sagen kann: Das ist Dorothee Bär (CDU/CSU): mir, das ist uns als Fraktion so wichtig, dass wir uns da- Einen Satz noch. – Ich denke, wir haben eine gute für vehement einsetzen. Möglichkeit geschaffen, Studium und Familienplanung Ich finde, es ist im Parlamentarismus nicht das zu vereinbaren. Ich denke, dass wir alle heute sagen soll- Schlechteste, wenn es nicht nur Danksagungen – das ten: Den Koalitionsfraktionen ist ein sehr wichtiger sage ich bei aller Wertschätzung – an die Regierung Schritt gelungen. Es wäre wichtig, dass auch die Opposi- gibt, sondern wenn sich fachkundige Abgeordnete aus tionsfraktionen positive Signale aussenden. innerer Überzeugung das Recht nehmen, sich für eine (Uwe Barth [FDP]: Sie hatten jetzt neun Minu- Sache einzusetzen. Das wollte ich hiermit dokumentie- ten Redezeit!) ren. Denn Kinderkriegen fängt im Kopf an. Danke schön. (Uwe Barth [FDP]: Das müssen wir noch ver- (Beifall bei der SPD) tiefen!) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: – Ich erkläre es Ihnen nachher noch einmal persönlich. (B) Zur Erwiderung Frau Kollegin Bär. (D) (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP) Dorothee Bär (CDU/CSU): Ich hoffe, dass ich bei meiner nächsten Rede im Deut- Ich bedanke mich mit voller parlamentarischer Über- schen Bundestag Frau Schavan, Herrn Steinbrück, den zeugung bei meinem Fraktionsvorsitzenden Volker Staatssekretären und dem ganzen Haus dafür danken Kauder, der sich in dieser Frage ebenfalls eingesetzt hat, darf, dass die Geburtenzahlen in die Höhe gesprungen meinem Landesgruppenchef Peter Ramsauer, meiner sind. Das hätte man dann uns zu verdanken. Ministerin Annette Schavan sowie meinen Staatssekretä- ren Thomas Rachel und Andreas Storm. Danke für die Aufmerksamkeit. (Jürgen Koppelin [FDP]: Jetzt ist es gut! – Jörg (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Tauss [SPD]: Mich haben Sie vergessen!) neten der SPD) Ich danke auch den Mitgliedern meiner Arbeits- gruppe Bildung und Forschung, weil sie von Anfang an Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: dahinterstand. Ich freue mich, dass wir unsere Regierung Zu einer Kurzintervention erteile ich das Wort dem von der Wichtigkeit dieses Themas nicht erst noch über- Kollegen Ernst Dieter Rossmann von der SPD-Fraktion. zeugen mussten. (Beifall bei der CDU/CSU) Dr. Ernst Dieter Rossmann (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich mache jetzt eine Kurzintervention, weil es Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: bemerkenswert ist, wenn in einer Debatte zwei Minister Ich schließe die Aussprache. das Wort ergreifen. Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun- (Jürgen Koppelin [FDP]: Das ist wahr!) desregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Ände- rung des Bundesausbildungsförderungsgesetzes. Der Es ist genauso bemerkenswert, dass zum Parlamentaris- Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgen- mus gehört, dass Abgeordnete manchmal von sich aus, abschätzung empfiehlt unter Nr. 1 seiner Beschlussemp- weil sie von einer Sache zutiefst überzeugt sind, sagen, fehlung auf Drucksache 16/7214, den Gesetzentwurf der dass sie auf volles Risiko gehen, und für eine Sache ar- Bundesregierung auf Drucksache 16/5172 in der Aus- beiten, die ihnen wichtig ist. schussfassung anzunehmen. – Ich bitte diejenigen, die Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 127. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. November 2007 13359

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms (A) dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse (C) wollen, um ihr Handzeichen. – Gegenstimmen? – Ent- vorgeschlagen. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? – haltungen? – Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung Das ist nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so be- mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der FDP- schlossen. Fraktion bei Gegenstimmen der Fraktion Die Linke und Enthaltung des Bündnisses 90/Die Grünen angenom- Ich rufe den Tagesordnungspunkt 36 sowie den Zu- men. satzpunkt 8 auf: Dritte Beratung 36 Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- richts des Ausschusses für wirtschaftliche Zu- und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem sammenarbeit und Entwicklung (19. Ausschuss) Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – zu dem Antrag der Abgeordneten Hartwig Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf Fischer (Göttingen), Dr. Christian Ruck, Dr. Wolf ist mit gleichem Stimmenverhältnis angenommen. Bauer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Gabriele Wir setzen die Abstimmungen zu der Beschlussemp- Groneberg, Dr. Sascha Raabe, Dr. Bärbel Kofler, fehlung des Ausschusses für Bildung, Forschung und weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Technikfolgenabschätzung auf Drucksache 16/7214 fort. Für eine intensive wirtschaftliche und ent- Der Ausschuss empfiehlt unter Nr. 2 seiner Be- wicklungspolitische Zusammenarbeit mit dem schlussempfehlung, den Antrag der Fraktionen der afrikanischen Kontinent auf Augenhöhe CDU/CSU und SPD auf Drucksache 16/4162 mit dem Titel „BAföG an neue Entwicklungen anpassen – Aus- – Drucksachen 16/5257, 16/6800 – zubildende mit Kindern unterstützen, Auslandsaufent- halte erleichtern, Migrantenförderung verbessern und Berichterstattung: Hinzuverdienstgrenzen erhöhen“ für erledigt zu erklä- Abgeordnete Hartwig Fischer (Göttingen) ren. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Ge- Gabriele Groneberg genstimmen? – Enthaltungen? – Dann ist die Beschluss- Dr. Karl Addicks empfehlung, wenn ich das Abstimmungsverhalten der Hüseyin-Kenan Aydin Grünen richtig interpretiere, einstimmig angenommen Ute Koczy worden. ZP 8 Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- Unter Nr. 3 seiner Beschlussempfehlung empfiehlt richts des Ausschusses für wirtschaftliche Zu- (B) der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion sammenarbeit und Entwicklung (19. Ausschuss) (D) der FDP auf Drucksache 16/3142 mit dem Titel „Studie- zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Karl rende Mütter durch die Sofortmaßnahme Baby-BAföG Addicks, Hellmut Königshaus, Jens Ackermann, unterstützen“. Wer stimmt für diese Beschlussempfeh- weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP lung? – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Die Be- Neue Strategien für die deutsche Entwick- schlussempfehlung ist mit den Stimmen aller Fraktionen lungszusammenarbeit mit Afrika erarbeiten gegen die Stimmen der FDP-Fraktion angenommen. und durchsetzen Weiterhin empfiehlt der Ausschuss unter Nr. 4 seiner – Drucksachen 16/5243, 16/7153 – Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion Die Linke auf Drucksache 16/4157 mit dem Ti- Berichterstattung: tel „Statt Nullrunde – BAföG angleichen“. Wer stimmt Abgeordnete Hartwig Fischer (Göttingen) für diese Beschlussempfehlung? – Gegenstimmen? – Gabriele Groneberg Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Dr. Karl Addicks Stimmen aller Fraktionen bei Gegenstimmen der Frak- Thilo Hoppe tion Die Linke angenommen. Hüseyin-Kenan Aydin Schließlich empfiehlt der Ausschuss unter Nr. 5 sei- Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die ner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/7214 die Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. Gibt es Ablehnung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Widerspruch? – Das ist nicht der Fall. Dann ist so be- Grünen auf Drucksache 16/4158 mit dem Titel „Sofort- schlossen. maßnahmen beim BaföG – Für mehr Zugangsgerechtig- keit und höhere Bildungsbeteiligung“. Wer stimmt für Ich eröffne die Aussprache und erteile als erster Red- diese Beschlussempfehlung? – Gegenprobe! – Enthal- nerin der Kollegin Gabriele Groneberg von der SPD- tungen? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stim- Fraktion das Wort. men der Koalitionsfraktionen bei Gegenstimmen der (Hartwig Fischer [Göttingen] [CDU/CSU]: Sie Fraktion Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die verabschiedet erst einmal Herrn Tauss!) Grünen und bei Enthaltung der FDP-Fraktion angenom- men. – Sie haben jetzt Gelegenheit, hier zu sprechen, wenn Sie es wünschen. Tagesordnungspunkt 34 c. Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 16/5808 (Heiterkeit bei der CDU/CSU) 13360 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 127. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. November 2007

(A) Gabriele Groneberg (SPD): Die eingangs erwähnte Verantwortung, die wir gegen- (C) Entschuldigen Sie vielmals, Herr Präsident, aber Herr über Afrika tragen, spiegelt sich natürlich auch in der Kollege Tauss ist immer so überzeugend, dass ich mich Agenda wider, mit der wir uns während unserer Doppel- ihm schlecht entziehen kann. präsidentschaft im Rat der Europäischen Union und in der G 8 befasst haben. Wir haben in Heiligendamm un- (Jörg Tauss [SPD]: Sehr gut!) sere Partnerschaft mit Afrika bekräftigt. Denn wir haben ein Interesse an einem stabilen, demokratischen und auf- Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: strebenden Afrika. Ich will nur sagen: Bei uns geht die Tagesordnung aber immer noch dem Kollegen Tauss vor. Die G-8-Regierungen bekennen sich zu ihrer Verant- wortung und zu den beim Gipfel von Gleneagles 2005 (Heiterkeit – Jörg Tauss [SPD]: Das können eingegangenen Verpflichtungen. Zum ersten Mal waren wir auch einmal ändern!) diesmal Entwicklungs- und Schwellenländer eingeladen. Damit haben wir verdeutlicht: Wir reden nicht über Gabriele Groneberg (SPD): euch. Wir reden mit euch. Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kollegin- (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) nen und Kollegen! Unser Antrag, über den wir heute re- den, ist gekennzeichnet von einer Verantwortung, die wir Im Mittelpunkt der gemeinsamen Bemühungen steht hier in Deutschland gegenüber unserem Nachbarkonti- ein langfristiges, nachhaltiges Wirtschaftswachstum in nent Afrika empfinden. Diese Verantwortung ist aber Afrika. Deshalb unterstützen wir unsere afrikanischen auch mit einem hohen Respekt verbunden. Denn mit Re- Partner in folgenden Bereichen: bei der guten Regie- spekt müssen wir die durchaus positive wirtschaftliche rungsführung, bei der regionalen Integration und beim und politische Entwicklung, die einige Regionen Afrikas Ausbau des Privatsektors, bei Maßnahmen zur Entwick- in den letzten Jahren durchlaufen haben, anerkennen. lung der afrikanischen Finanzmärkte und beim Ausbau Gekennzeichnet ist dieser Prozess durch ein überdurch- der regionalen Infrastruktur, um Afrika für Investoren at- schnittliches Wirtschaftswachstum von rund 5 Prozent, traktiver zu machen. verminderte Inflationsraten und demokratische Refor- Unsere Botschaft lautet: Afrika ist ein Kontinent der men. Chancen. Allerdings: Ohne Frieden und Sicherheit ist Natürlich gibt es Krisensituationen auf dem Konti- eine nachhaltige Entwicklung des afrikanischen Kon- nent Afrika. Erst gestern haben wir über die schreckliche tinents nicht möglich. Deshalb muss der Ausbau der afri- Situation in Darfur gesprochen, aber auch über den kanischen Sicherheitsarchitektur weiter gefördert wer- den. Neben der Unterstützung der afrikanischen (B) Hoffnungsschimmer, der im Süden des Sudans auf- (D) taucht. Wir haben darüber zu reden, dass es zahlreiche Bereitschaftstruppe legen die G 8 besonderes Augen- und ermutigende Beispiele der Überwindung von Krieg merk auf zivile Elemente wie die Polizeiausbildung und und der Linderung von Elend und Armut gibt. Auch sind technische Expertise. bei der Bekämpfung von HIV/Aids erhebliche Anstren- Ganz wichtig: In Heiligendamm haben wir uns ver- gungen unternommen worden. pflichtet, zur Bekämpfung von HIV/Aids, Tuberkulose Ghana ist ein gutes Beispiel für die Entwicklung mu- und Malaria sowie zur Stärkung der Gesundheitssysteme tiger Zivilgesellschaften, die Durchführung fairer demo- in den Ländern Afrikas in den kommenden Jahren rund kratischer Wahlen, gute Regierungsführung sowie für 60 Milliarden US-Dollar zusätzlich bereitzustellen. Da- eine positive, dynamische Wirtschaftsentwicklung, wo- mit leisten wir einen wichtigen Beitrag, damit Afrika die von auch die Bevölkerung im Lande profitiert. Ghana Millenniumsentwicklungsziele bis 2015 erreichen kann. hat das hohe Ziel der Selbstkontrolle durch den African Auch während unserer EU-Ratspräsidentschaft ha- Peer Review Mechanism, kurz APRM, erreicht. Bei dem ben wir unsere Beziehungen zu Afrika auf ein stabiles APRM handelt es sich um ein von der afrikanischen Fundament gestellt. Die EU-Afrika-Strategie, die wir ge- NEPAD-Initiative initiiertes Instrument der Selbsteva- meinsam mit der AU und mit unseren afrikanischen luation und -reformierung afrikanischer Gesellschaften – Partnern erarbeitet haben, ist geprägt von den gemeinsa- von Afrikanern für Afrikaner. men Interessen Europas und Afrikas in der Klima- und Ferner muss erwähnt werden, dass einige Länder Energiepolitik. Wir wollen eine verstärkte Zusammenar- Afrikas vorbildlich sind bei der Korruptionsbekämp- beit bei der Energiesicherheit, beim Zugang zu Energie, fung, der Durchsetzung von Rechtsstaatlichkeit, der Par- beim Klimawandel und bei der Bewältigung seiner Fol- tizipation von Parlamenten und dem Aufbau zivilgesell- gen, ebenso bei der Förderung günstiger Rahmenbedin- schaftlicher Institutionen. Natürlich ist es erfreulich, gungen für Investitionen sowie bei der Förderung von dass der Anteil von Frauen in den nationalen Parlamen- erneuerbaren Energien und von Energieeffizienz. Die ten signifikant gestiegen ist. Ich halte es für außerordent- EU-Afrika-Partnerschaft soll Teil der gemeinsamen EU- lich wichtig, dass dieses positive Bild des modernen Afrika-Strategie werden. Sie wird auf dem EU-Afrika- Afrika in Deutschland und in Europa stärker wahrge- Gipfel Ende 2007 förmlich verabschiedet. nommen wird und sich in den Köpfen der Menschen Jetzt komme ich zu den Wermutstropfen. Leider fin- festsetzt. det sich im Energieaktionsplan ein Passus, in dem von (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der einem Dialog über die friedliche Nutzung der Nuklear- CDU/CSU) energie die Rede ist. Deutschland hat sich dafür einge- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 127. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. November 2007 13361

Gabriele Groneberg (A) setzt, dass es sich dabei um einen wertfreien Dialog han- wurden vor dem G-8-Gipfel formuliert; das merkt man (C) delt, der die Nichtverbreitung mit einschließt und den Ihrem Antrag deutlich an. Frau Groneberg, Sie haben ge- Fokus auf höchste Sicherheitsstandards legt, der also sagt, dass etliche Punkte Berücksichtigung gefunden ha- nicht notwendigerweise zur Förderung der Nuklearener- ben. Wir sind, ehrlich gesagt, gespannt darauf, ob sie, da gie führt. Nuklearenergie ist für die deutsche Entwick- sie Berücksichtigung gefunden haben, letztendlich auch lungszusammenarbeit keine Option. In diesem Bereich umgesetzt werden. findet keine Zusammenarbeit statt. Diese Position versu- chen wir bei der Weltbank, in multilateralen Einrichtun- Es stimmt, was Sie gesagt haben: Afrika ist auf einem gen und in der EU durchzusetzen. richtigen Weg. Aber Afrika ist noch lange nicht auf dem Weg, den wir uns wünschen; es gibt leider einige Wer- (Beifall bei der SPD) mutstropfen. Wir halten es für sinnvoller, zur Verbesserung der (Beifall bei Abgeordneten der FDP) Energieinfrastruktur beizutragen; hier sind substanzielle Investitionen dringend erforderlich. Dies ist ein Ziel, auf Hinsichtlich der Konsequenzen, die aus den Feststellun- das wir zusammen mit unseren afrikanischen Partnern gen zu ziehen sind, unterscheiden sich unsere Anträge intensiv hinarbeiten. Zudem sind die beschleunigte Nut- erheblich. zung lokaler erneuerbarer Energieressourcen und die Wir sind der Auffassung, dass unsere Entwicklungs- Steigerung der Energieeffizienz nach unserer Auffas- zusammenarbeit viel mehr die der Armut breiter Bevöl- sung vielversprechendere Ansätze für Afrikas Entwick- kerungsschichten zugrunde liegenden Ursachen be- lung und für die Zusammenarbeit zwischen Europa und kämpfen muss; das haben wir schon oft gesagt. Afrika als die Förderung von Nuklearenergie. (Beifall bei der FDP) Ich weiß, dass in diesen Diskussionen immer gerne mit dem Finger auf einen gezeigt und gefragt wird: Was Worin liegen die Ursachen der Armut? Sie liegen unse- macht ihr denn selbst? – Wir reden hier nicht aus dem rer Auffassung nach darin – ich hoffe, Sie werden mir da hohlen Bauch. Deutschland hat den Ausstieg aus der folgen –, dass breite Bevölkerungsteile, im Grunde der Kernenergie beschlossen; das haben wir übrigens in un- gesamte informelle Sektor – er macht in den meisten serem Koalitionsvertrag festgeschrieben. – Herr Ruck, afrikanischen Entwicklungsländern, gerade in Sub- ich weiß, dass es Ihnen schwerfällt, das anzuerkennen; sahara-Afrika, mehr als zwei Drittel aus – keine Mög- aber de facto ist es so, und wir sind darüber sehr froh. – lichkeit hat, am Marktgeschehen teilzunehmen. Das ist Danach richten wir natürlich auch unsere entwicklungs- es, was sich in Afrika entwickeln muss. Das schaffen wir politische Zusammenarbeit aus. Wichtig ist – das sage nur durch wirtschaftliche Entwicklung. Die war für uns (B) ich hier ganz deutlich –: Wir verlangen von anderen einmal so wichtig, dass wir sie in den Namen dieses Mi- (D) nichts, was wir nicht selbst zu leisten bereit sind. nisteriums aufgenommen haben. Das kommt in Ihrem Antrag leider viel zu kurz. Die Bilanz unserer Doppelpräsidentschaft kann sich sehen lassen. Es freut mich, feststellen zu können, dass (Beifall bei der FDP) die vom Bundestag erhobenen Forderungen Berücksich- Im Haushalt haben Sie für die Außenwirtschaftsför- tigung gefunden haben. Im Nachgang zu diesem fast ab- derung, die in diesem Bereich extrem wichtig ist, ganze geschlossenen Jahr und zu den Debatten, die wir geführt 2 Millionen Euro mehr vorgesehen. Ich denke, es ist je- haben, kann ich feststellen: So viel Afrika hatten wir auf dermann bekannt, dass Entwicklung nicht von oben nach unserer Tagesordnung noch nie. Auch so viele positive unten verläuft; Entwicklung verläuft von unten nach und richtungweisende Beschlüsse – sowohl vom Bun- oben, sie setzt unten an. Da, wo die Wertschöpfungsket- destag als auch von der Bundesregierung –, die Afrika ten beginnen, muss unsere Entwicklungspolitik anset- betrafen, gab es bisher noch nie. Ich hoffe, dass sich das zen. Das sind der ländliche Raum, die Agrarwirtschaft, in den nächsten Jahren kontinuierlich fortsetzt, dass das das sind Kleinhandel, Kleingewerbe und Handwerk; das also nicht nur ein Strohfeuer ist und dass wir die Freude setzt sich fort zu immer größeren Einheiten. So fängt ein haben werden, daran gemeinsam weiterarbeiten zu kön- volkswirtschaftliches Rad an, sich zu drehen. Deshalb nen. sind die Mikrofinanzkredite ja so erfolgreich. Danke schön. Allerdings war die westliche Entwicklungszusam- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten menarbeit in den letzten 25 Jahren gerade in diesen Be- der CDU/CSU) reichen viel zu wenig präsent. Unsere Ausgaben für Agrarentwicklung sind seit 1980 leider rückläufig; zu- letzt lagen sie im unteren einstelligen Prozentbereich, Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: bei gerade einmal bei 1,5 Prozent, wenn ich mich recht Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. Karl Addicks von entsinne. der FDP-Fraktion. An dieser Stelle möchte ich noch einmal den Weltent- (Beifall bei der FDP) wicklungsbericht erwähnen, in dem die Feststellung ge- troffen wird – Sie haben das alle zur Kenntnis genom- Dr. Karl Addicks (FDP): men –, dass man durch die Entwicklung der Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Agrarwirtschaft, des ländlichen Raumes einen um den Herren, die Anträge – Ihr Antrag ebenso wie unserer – Faktor vier höheren Entwicklungserfolg hätte erzielen 13362 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 127. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. November 2007

Dr. Karl Addicks (A) können als durch die Förderung anderer Wirtschaftsbe- Opposition offenbar gar nicht als Teil des demokrati- (C) reiche. Das stellen wir nach 25 Jahren fest! Ich muss Ih- schen Geschehens begreift. Ich hoffe, dass wir hier bald nen sagen, ich fand diesen Bericht einigermaßen bestür- zusammen mit unseren Partnern zu einer Änderung zend. Ich hoffe, dass wir nicht in 25 Jahren hier stehen kommen. und sagen, wir hätten das zum Klimawandel und zur Entwicklung des privaten Sektors ganz anders machen Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit. sollen. Wir predigen seit Jahren, dass die Basissektoren (Beifall bei der FDP) die wichtigsten sind. Übrigens ist auch die Bildung in unserer Entwicklungszusammenarbeit bisher zu kurz ge- Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: kommen. Das Wort hat jetzt der Kollege Hartwig Fischer von (Beifall bei der FDP) der CDU/CSU-Fraktion. Natürlich ist die Förderung von Kleinhandel, Klein- (Beifall bei der CDU/CSU) gewerbe etc. nicht das Alleinseligmachende. Mindestens ebenso wichtig, wenn nicht sogar wichtiger sind Maß- Hartwig Fischer (Göttingen) (CDU/CSU): nahmen, die zu Investitionen der Privatwirtschaft führen, Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! die den Unternehmergeist, den entstehenden Mittelstand Lieber Kollege Addicks, ich bin Ihnen dankbar für Ihre in Afrika fördern und beflügeln, egal ob in kleinem oder Ehrlichkeit hinsichtlich der 25 Jahre. 16 Jahre davon war großem Maßstab. Das wird zu einer nachhaltigen Ent- die FDP mit in der Verantwortung, sodass wir alle in die- wicklung führen. sem Parlament wohl Verantwortung dafür tragen. Afrika kann nicht von außen entwickelt werden. Afrika (Gabriele Groneberg [SPD]: Schön, dass Sie wird und muss sich letztlich aus sich selbst heraus entwi- das auch sehen!) ckeln. Diese Selbsthilfekräfte müssen wir viel stärker fördern. Alles andere ist im Grunde vergebliche Liebes- Ich will Ihnen ausdrücklich bescheinigen – das haben müh. In diesem Zusammenhang ist übrigens auch unser wir im Ausschuss schon gesagt –: Der FDP-Antrag ist Wirtschaftsministerium viel stärker gefordert. Wir hatten gut, aber er ist nicht gut und nicht umfassend genug. Wir früher ein Afrika-Referat im Wirtschaftsministerium. sind der Überzeugung, dass Sie unserem Antrag beitre- Lieber Kollege Fischer, leiern Sie doch einmal an, dass ten können; denn er ist kohärent und auf Nachhaltigkeit wir wieder so ein Referat bekommen! Das würde der sowie auf die Eigenverantwortlichkeit des Kontinents Komplementarität unserer EZ gut tun. ausgerichtet. Kollegin Groneberg hat es schon deutlich gemacht: (B) (Beifall bei der FDP) (D) Wir haben uns gestern mit UNMIS und UNAMID zum Bevor meine Redezeit abgelaufen ist, möchte ich sa- Thema Darfur befasst. Vorgestern mussten wir uns im gen, dass ich der Auffassung bin, dass auch unsere afri- Menschenrechtsausschuss über Massenvergewaltigun- kanischen Partner gefordert sind. Ihr Antrag, meine gen und Zwangskannibalismus an Kindern im Krisenge- Damen und Herren von der Koalition, bezieht sich auf biet Kivu im Kongo informieren lassen, einem Land, in eine Entwicklungszusammenarbeit auf Augenhöhe. dem andere Regionen auf einem guten Weg sind, und Dann müssen wir unseren Partnern aber auch ganz deut- wir erleben Herrn Mugabe, wie er sein Volk unterdrückt. lich sagen, dass sie endlich ihre Hausaufgaben machen Ich sage aber ganz deutlich: Wir debattieren im Augen- müssen, und zwar schnell, indem sie die notwendigen blick über 47 Länder in Subsahara-Afrika, von denen Rahmenbedingungen setzen, die letztlich dazu führen, drei negative Schlagzeilen machen. Das bedeutet, dass dass die Privatwirtschaft in ihren Ländern anspringt. Wer viele Länder deutlich mehr Licht als Schatten zeigen. investiert denn Geld in ein Land, in dem die Bürokratien 13 Länder sind dem Peer-Review beigetreten, in aufgebläht sind, in dem jeder Fortschritt eher ver- 8 Ländern wird er implementiert, in 4 Ländern wurde er schleppt als vorangetrieben wird, in dem man für die Er- inzwischen durchgeführt. Mehr als die Hälfte der Länder teilung einer Lizenz monatelang braucht, in dem man in Subsahara-Afrika ist also auf einem guten Weg. seine Lieferungen nicht aus dem Zoll bekommt und in Der Peer-Review ist eine der Grundlagen für die Ent- dem die Verwaltungsmitarbeiter so mies bezahlt werden, wicklung von Eigenverantwortlichkeit in Afrika. Diesen dass sie korrupt werden müssen? Das ist in vielen Län- demokratischen und wirtschaftlichen Reformprozess dern immer noch so. Einige Länder sind auf dem richti- wollen wir gemeinsam unterstützen. Es war gut, dass die gen Weg; das wollen wir hier nicht unterschlagen. Wir Bundeskanzlerin Professor Appiah auf Vorschlag der müssen hier endlich Reformen abverlangen. Afrikastiftung für seine Verdienste um den African-Peer- Noch ganz kurz ein paar Worte zur Budgethilfe. Dazu Review ausgezeichnet hat; denn er hat die Zivilgesell- kann ich an dieser Stelle nur sagen: Kommt drauf an, mit schaft in Ghana einbezogen und ist damit einen neuen wem man es macht! – Die Länder, die ihre Parlamente Weg gegangen, der Grundlage für dieses offene Verfah- nicht an Haushaltsentscheidungen beteiligen, können ren ist. kein Partner für Budgethilfe sein. Im Grunde können es (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie auch nicht Länder sein, in denen es kein Privateigentum bei Abgeordneten der FDP) an Grund und Boden gibt. Wie soll das denn gehen? Mo- sambik kann von daher keine Budgethilfe bekommen, Ich will jetzt nicht auf jedes Thema eingehen. Zum auch deshalb nicht, weil die derzeitige Regierung die Thema Aids, dem wir uns besonders widmen – auch in Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 127. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. November 2007 13363

Hartwig Fischer (Göttingen) (A) diesem Antrag –, kann ich nur sagen: Im Bereich der renzinitiative EITI. Wer sich die Rohstoffsituation in (C) Prävention müssen wir noch mehr gemeinsam leisten. vielen Ländern anschaut, der weiß, dass wir voneinander lernen müssen, zum Beispiel von Botswana. Dieses (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Land zertifiziert seit zehn Jahren seine Rohstoffe, bietet Ich will auf den Themenbereich eingehen, den auch sie auf dem Weltmarkt zu fairen Preisen an, berücksich- der Kollege Addicks angesprochen hat, auf die Budget- tigt den daraus erzielten Erlös in seinem Budget und hat hilfe. Die Budgethilfe dient der Eigenverantwortlichkeit das Geld für die Einführung der Schulpflicht eingesetzt. in den afrikanischen Ländern. Wir müssen uns aber einig Das ist der Weg, den auch andere afrikanische Länder sein, dass es für die Budgethilfe bestimmter Grundvor- gehen müssen und bei dem wir sie begleiten können. aussetzungen bedarf. Diese Grundvoraussetzungen hei- Das wird in Regierungsverhandlungen durchgesetzt; ßen: Der Staat muss zeigen, dass er auf dem Weg von darüber bin ich froh. Good Governance ist. Der Staat muss zeigen, dass er be- reit ist, sich dem Peer-Review-Prozess zu unterwerfen. Lassen Sie mich noch auf die Umwelt zu sprechen Der Staat muss zeigen, dass er gegen Korruption vorgeht kommen. Ich kann Ihnen nur empfehlen: Befassen Sie und das Parlament an der Bereitstellung der Budgethilfe sich mit Lagos, der früheren Hauptstadt von Nigeria! beteiligt, wie bei uns üblich ist. Das sind die Grundvo- Niemand weiß, wie viele Menschen in dieser Stadt le- raussetzungen, um Demokratie zu entwickeln. ben. Die Angaben schwanken zwischen 16 Millionen und 18 Millionen. Diese Stadt ist auf Lagunen gebaut. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und Wenn Sie dorthin kommen, sehen Sie als Erstes Schiffe, der SPD) die in keinem europäischen Hafen mehr anlanden dürfen Lieber Kollege Addicks, Sie haben das Thema der und teilweise nur noch zur Hälfte aus dem Wasser he- Eigenverantwortlichkeit schwerpunktmäßig angespro- rausragen. Alte Ladungen verrotten. Trotzdem sind chen. Ich kann dazu nur sagen: Das ist doch einer der Menschen froh, wenn sie solche Schiffe betreten dürfen, Schwerpunkte des Regierungs- und Koalitionspro- weil sie dort einen Lebensraum finden. Sie fischen von gramms. diesen Schiffen aus und verkaufen die gefangenen Fische auf dem Markt. Aber diese Fische sind in der Regel (Dr. Sascha Raabe [SPD]: Der Kollege hört krank, sodass häufig Kinder erkranken. Angesichts des- gar nicht zu! Das ist ja unerhört!) sen muss es in unserem Interesse liegen, solche Staaten beim vorbeugenden Umweltschutz zu unterstützen. Ge- – Das bringe ich ihm nachher bei. – Wir haben deutlich nau das fordern wir in unserem Antrag. gemacht, dass wir einen Schwerpunkt auf die Mikro- (B) finanzen legen. Wir haben nicht umsonst Herrn Kaberuka (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) (D) von der Afrikanischen Entwicklungsbank angehört. Wir sehen, dass der beschriebene Prozess dazu führt, dass Lassen Sie mich noch einmal auf die Krisengebiete sich langsam, aber sicher ein Mittelstand entwickelt, zurückkommen. Ich bin sehr froh darüber, dass Deutsch- dass zunehmend mehr aus dem informellen in den for- land seit einigen Jahren afrikanische Länder und die mellen Sektor überführt wird und dass dadurch mittel- Afrikanische Union unterstützt, eigene Friedenstruppen standsfreundliche Strukturen aufgebaut werden. aufzubauen. Ich bin dankbar, dass das Kofi-Annan- Peacekeeping-Center, von der vorherigen Regierung ge- Da viele Bürgerinnen und Bürger nicht wissen, wo- nauso gefördert wie von der jetzigen, nun errichtet ist rum es bei den Mikrofinanzen geht, möchte ich ein Bei- spiel nennen. Wir haben einen Betrieb gesehen, der von und zum Aufbau afrikanischer Kapazitäten beiträgt. So jemandem gegründet wurde, der sich für 100 Dollar soll erreicht werden, dass die Afrikaner auch in Krisen- Schraubenzieher und anderes Werkzeug gekauft hat, um situationen eigenverantwortlich und auf der Grundlage Autos zu reparieren. Diesen Mann haben wir nach vier von internationalen Mandaten arbeiten können. Jahren wieder besucht. Er hatte den nächsten Kredit be- Afrika hat viel mehr Licht als Schatten. Ich wünsche kommen, weil er immer pünktlich zurückzahlte, und war mir, dass auch bei solchen Debatten die Tribüne für die nicht mehr alleine, sondern hatte acht Beschäftigte, weil Journalisten einmal voll ist. Wir wünschen uns natürlich, seine Werkstatt inzwischen Autos besser reparieren dass über die Krisenherde berichtet wird, um das Elend konnte. – Eine ähnliche Erfolgsgeschichte haben wir auch bei einem Betrieb erlebt, der Mais zu Mehl mahlt. der Menschen und unsere gemeinsame Verantwortung Das ist der richtige Weg, um vom informellen in den for- deutlich zu machen. Aber ich wünsche mir auch eine Be- mellen Sektor zu überführen. richterstattung darüber, wie die Afrikaner ihr Schicksal selbst in die Hand nehmen. Herr Kaberuka hat uns deut- Wir haben des Weiteren Schwerpunkte in den Berei- lich gemacht: Die Afrikaner, die in der Bundesrepublik chen regenerative Energien und Biodiversität gesetzt. Deutschland in der Diaspora leben, schicken inzwischen Das Thema Klimawandel spielt gerade seit Heiligen- unglaublich viel Geld in ihre Länder, nicht nur um ihre damm eine besondere Rolle. Ich bin froh, dass wir nicht Familien zu unterstützen und humanitäre Hilfe zu leis- nur in Heiligendamm mit einigen afrikanischen Regie- ten, sondern auch um ihre Heimatländer über PPP-Pro- rungschefs in Dialog treten konnten, sondern dass auch jekte voranzubringen. In diesem Sinne sollten wir sie un- der Folgeprozess in Lissabon am 8. und 9. Dezember terstützen. dieses Jahres in Richtung eines partnerschaftlichen Mit- einanders gehen wird. Das gilt genauso für die Transpa- (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) 13364 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 127. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. November 2007

(A) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: meilenweit entfernt. In die Grundbildung fließt gerade (C) Das Wort hat der Kollege Aydin von der Fraktion Die einmal 1 Prozent der bilateralen Entwicklungshilfe. Linke. Im Antrag der Regierungsfraktionen finden wir zu (Beifall bei der LINKEN) dieser Problematik nichts. Es gibt nur Allgemeinplätze. Sie fordern die Effizienzsteigerung der Entwicklungszu- sammenarbeit, aber Sie benennen keine konkreten Stra- Hüseyin-Kenan Aydin (DIE LINKE): tegien; sie fehlen in Ihrem Antrag. Stattdessen langwei- Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! len Sie uns auf elf Seiten vor allem mit Blabla. Uns liegen heute zwei Anträge vor, über die wir beraten. Die FDP schreibt in ihrem vorliegenden Antrag, fünf (Widerspruch bei der CDU/CSU und der SPD – Jahrzehnte weltweite Entwicklungshilfe in Milliarden- Hartwig Fischer [Göttingen] [CDU/CSU]: höhe hätten an der Armut in Afrika nichts geändert. Das Kannst du das mal auf Suaheli sagen!) ist ein Kurzschluss, lieber Kollege Addicks; denn die Interessant an Ihrem Antrag ist nur, was nicht erscheint, Ursachen für die unbefriedigende Entwicklung ver- zum Beispiel etwas zur Steigerung der Entwicklungs- schweigen Sie in Ihrem Antrag. hilfe auf 0,7 Prozent des Bruttoinlandsproduktes. Ihr (Dr. Karl Addicks [FDP]: Zuhören!) Antrag ist ein Paradebeispiel dafür, wie man alle Pro- bleme beschönigt, ohne sich auf irgendetwas festzule- Sie verschweigen den Schuldendienst und die Zinslast, gen. die die afrikanischen Länder zu tragen haben und hatten. Sie verschweigen, dass seit den 70er-Jahren insgesamt Besonders skandalös ist Ihr Umgang mit einem der 400 Milliarden US-Dollar aus Afrika herausgeschafft dringendsten Probleme. Ich spreche von Ihrem Verhält- worden sind. nis zu dem Flüchtlingsdrama vor den Toren Europas. Sie fordern ernsthaft, Deutschland müsse sich – ich zitiere (Dr. Karl Addicks [FDP]: Durch Kleptokraten, aus Ihrem Antrag – „weiterhin für die wirkungsvolle und ja!) humanitäre Eindämmung der anhaltenden Flüchtlings- Sie verschweigen, dass Privatbanken, IWF und die Welt- ströme einsetzen“. bank Afrika über Jahrzehnte in einem Würgegriff hiel- (Zuruf von der CDU/CSU: Ja!) ten. Meine lieben Kolleginnen und Kollegen von der FDP, das, was Sie fordern, nämlich Liberalisierung und Aufgrund dieser sogenannten Eindämmung kamen allein Marktöffnung, wurde den Afrikanern unter dem Begriff in den letzten vier Wochen über 300 Afrikaner bei dem Strukturanpassung längst aufgedrückt. Aber all das ist Versuch der Einreise nach Europa auf hoher See um. (B) gescheitert. Nehmen Sie das endlich zur Kenntnis! (Gabriele Groneberg [SPD]: Das ist hochgra- (D) (Beifall bei der LINKEN) dig zynisch, was Sie da sagen! – Dr. Karl Addicks [FDP]: Das ist unanständig!) Wer die Entwicklungszusammenarbeit infrage stellt, ist zynisch. Halten Sie das für humanitär, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Koalition? (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- neten der SPD) (Beifall bei der LINKEN)

Sie bringt etwas, wenn sie richtig angesetzt wird. So hat Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Sansibar – Herr Fischer, Sie fischen dort gelegentlich – Herr Kollege Aydin, erlauben Sie eine Zwischenfrage bedeutsame Fortschritte bei der Bekämpfung der Kin- des Kollegen Raabe? dersterblichkeit erreicht. Entscheidend dafür war eine Aufklärungskampagne der WHO. Die WHO stellte kos- tenlos Medikamente und Moskitonetze zur Verfügung; Hüseyin-Kenan Aydin (DIE LINKE): die Malariainfektionen gingen dort um 90 Prozent zu- Nein, die Kollegen können gleich in ihren Reden auf rück. Die Arbeit der WHO ist erfolgreiche Entwick- mich eingehen. lungshilfe, mitfinanziert durch deutsche Entwicklungs- Kommen wir zum Kernstück der deutschen Afrikapo- gelder. litik. Ich spreche von dem Wirtschaftspartnerschaftsab- Andere haben weniger Glück. In Westafrika sterben kommen mit den afrikanischen Staaten. Da sie es nicht jedes Jahr Hunderttausende an der dort verbreiteten unterschreiben wollen, droht der EU-Handelskommis- Schlafkrankheit. Der Grund: Für die Pharmaindustrie ist sar Mandelson diesen Ländern, die Entwicklungshilfe zu Westafrika kein lukrativer Markt, weil die Menschen kürzen. Mit einem Dialog auf Augenhöhe, den Sie in Ih- dort die Medikamente nicht bezahlen können. Die Linke rem Antrag fordern, hat das nun wirklich nichts zu tun. sagt: Der Zugang zu Gesundheit, zu Bildung und zu Von der Ministerin Wieczorek-Zeul hätte ich erwartet Trinkwasser ist ein Menschenrecht. – das wäre durchaus angebracht –, dass sie etwas lauter als bisher gegen die Erpressungspolitik ihres Kollegen (Beifall bei der LINKEN) Mandelson protestiert. Entwicklungspolitik muss auf die Etablierung der sozia- Ich fasse zusammen: Die FDP will Entwicklung len Sicherungssysteme ausgerichtet sein. Doch von einer durch mehr ruinösen Wettbewerb erreichen, die Regie- systematischen Ausrichtung auf dieses Ziel sind wir rungsparteien haben nicht mehr als Phrasen zu bieten. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 127. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. November 2007 13365

Hüseyin-Kenan Aydin (A) Zu solch einer Position können wir unsere Zustimmung Thilo Hoppe (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): (C) nicht geben. Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Auf die Responsibility to protect werde ich noch zu sprechen Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. kommen, aber zunächst zum Koalitionsantrag. (Beifall bei der LINKEN) Die Koalition hat einen Antrag zur Afrikapolitik vor- gelegt, der viele Wahrheiten enthält. Auch ich als Oppo- Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: sitionspolitiker kann dort kaum ein Haar in der Suppe finden. Zu einer Kurzintervention erteile ich dem Kollegen Sascha Raabe von der SPD-Fraktion das Wort. (Hartwig Fischer [Göttingen] [CDU/CSU]: Bravo!) Dr. Sascha Raabe (SPD): Trotzdem reicht es für uns nicht zur Zustimmung. Sehr geehrter Herr Kollege Aydin, wenn Sie sagen, (Hartwig Fischer [Göttingen] [CDU/CSU]: wir würden die Problematik der Flüchtlinge, die aus Schade!) Afrika aufgrund einer Vielzahl gewalttätiger, sehr dra- matischer Konflikte nach Europa fliehen, nicht ernst Wir werden uns der Stimme enthalten, und zwar aus fol- nehmen, dann erzürnt mich das sehr. Denn Ihre Partei ist gendem Grunde: Trotz der Vielzahl von 32 Spiegel- es, die jeden Einsatz und jeden militärischen Schutz, den strichen und Einzelforderungen fehlt Entscheidendes. wir bieten wollen, um Flüchtlingen Schutz vor Mord, Sie drücken sich vor einigen unbequemen Themen, und Vergewaltigung und zum Teil vor Abschlachtung zu ge- das sind gerade die Themen, bei denen Kurskorrekturen ben, ablehnt, selbst dann, wenn es darum geht, UN- dringend erforderlich sind. Flüchtlingslager in Afrika zu schützen. Sie sehen zu, wie Erstens der Agrarbereich. Zumindest die hauseigene in Afrika Menschen von marodierenden Banden hinge- Evaluierungsabteilung der Weltbank hat gestern vorge- metzelt werden, weshalb die Menschen natürlich flüch- macht, dass es möglich ist, aus Fehlern zu lernen und ten müssen. Dann werfen Sie uns vor, dass wir gegen das eine Kurskorrektur zumindest zu beschreiben. Das, was Flüchtlingsdrama nichts tun. Das ist wirklich zynisch, die Weltbank in den letzten 20 oder 25 Jahren auf dem Herr Aydin. Agrarsektor in Afrika gemacht hat, ist – das sagt die ei- (Hartwig Fischer [Göttingen] [CDU/CSU]: gene Selbstkontrolle – unter dem Strich betrachtet an der Unanständig!) Hauptzielgruppe, an den Ärmsten der Armen und an den Hungernden, völlig vorbeigegangen. Daraus folgert die Evaluierungsabteilung, dass künftig nicht mehr das (B) Sie sollten einmal für den Schutz dieser Menschen in (D) Afrika sorgen. Agrobusiness, also die Konzentration auf Großplantagen für das Exportgeschäft, im Mittelpunkt der Entwick- (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) lungszusammenarbeit stehen sollte, sondern endlich die gezielte Förderung von Kleinbauern. Denn gerade die Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Kleinbauern, die nachhaltig heimische Produkte für re- gionale und lokale Märkte anbauen, sind das Rückgrat Zur Erwiderung Herr Kollege Aydin. der Ernährungssicherheit.

Hüseyin-Kenan Aydin (DIE LINKE): (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Lieber Kollege Sascha Raabe, Sie sollten zur Kennt- Ich werde nicht müde, hier in jeder Debatte zu beto- nis genommen haben, dass meine Fraktion Militärein- nen, dass trotz aller Erfolgsmeldungen, trotz guter sätze zur Eindämmung von Fluchtbewegungen nicht als Wachstumsraten die Zahl der Hungernden in vielen das geeignete Mittel ansieht. Das haben wir immer ge- Staaten Subsahara-Afrikas parallel dazu ansteigt. Das sagt. Ich glaube auch nicht, dass wir selbst mit Militär- zeigt, dass Afrika nicht auf dem richtigen Weg ist. einsätzen in Darfur, im Südsudan oder im Kongo die Die deutsche und die europäische Entwicklungszu- Flüchtlingsströme an den Grenzen Europas aufgehalten sammenarbeit haben auf dem Agrarsektor die gleichen hätten. Was mir in Ihrem Antrag vor allem fehlt, ist, Kol- Fehler gemacht wie die Weltbank. Die Weltbank hat lege Raabe – das erwarte ich zumindest von der sozial- diese Fehler jetzt zumindest erkannt. Diese kritische demokratischen Fraktion –, dass Sie die offizielle, legale Selbsterkenntnis und eine Kurskorrektur stehen bei der Einwanderung in die Europäische Union zum Gegen- Bundesregierung und der Europäischen Union noch aus. stand Ihrer Regierungspolitik machen, damit die Men- schen nicht auf hoher See ertrinken. Das wäre Ihre Auf- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – gabe. Dr. Karl Addicks [FDP]: Das ist richtig!) (Beifall bei der LINKEN – Zuruf von der Zweitens. Das Kohärenzproblem, das insbesondere SPD: Nebelkerzen!) die Europäische Union hat, wird im Koalitionsantrag kleinlaut in einem Spiegelstrichlein angedeutet, wenn es heißt, es sei ein Problem, dass die Küsten vor Ghana und Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Mauretanien überfischt seien. Da hätten Sie sich ein Bei- Das Wort hat der Kollege Thilo Hoppe vom spiel an unserem Bundespräsidenten nehmen können, Bündnis 90/Die Grünen. der dieses Problem sehr viel deutlicher und mutiger an- 13366 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 127. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. November 2007

Thilo Hoppe (A) gesprochen hat. Er hat sogar von Schandverträgen ge- her eingenommen haben; denn nur wenn die Wahrheit (C) sprochen, die den Staaten Afrikas aufgezwungen wur- auf den Tisch kommt, ist eine Kurskorrektur möglich. den. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Ute Koczy [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Das sehen wir auch so!) Das Wort hat der Kollege Gert Weisskirchen von der Er hat die doppelten Standards verurteilt. Die Verträge, SPD-Fraktion. die dort abgeschlossen werden, dienen nicht einer nach- haltigen Entwicklung, sondern Partikularinteressen, viel- Gert Weisskirchen (Wiesloch) (SPD): leicht einigen korrupten Ministerialbeamten in Afrika Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich und einigen Fischereiunternehmen, überwiegend aus den rate sehr dazu, diese Debatte auf ihren vernünftigen Niederlanden. Kern zurückzuführen und nicht beispielsweise das (Dr. Karl Addicks [FDP]: Und Spanien!) Schicksal der Flüchtlinge zu instrumentalisieren. Darum würde ich herzlich bitten. Die Lissaboner Gipfelkon- Das, was die Entwicklungszusammenarbeit der Euro- ferenz wird dann Sinn machen, wenn die Fragen, mit päischen Union und der Bundesregierung gutgemeint denen auch Europa im Südosten und im Süden dieses aufgebaut hat, wird durch andere Politikbereiche der Eu- Kontinents konfrontiert wird, vernünftig beantwortet ropäischen Union – die Handelspolitik, die Agrarpolitik – werden. wieder zerstört. Wir erwarten, dass bei der Gipfelkonfe- renz, die jetzt in Lissabon stattfinden wird, diese furcht- In erster Linie leiden die Menschen, die versuchen, baren Widersprüche klar, mutig und frei angesprochen aus Mauretanien mit Booten zu den Kanarischen Inseln und diskutiert werden. oder von der Nordküste Afrikas nach Malta oder Spa- nien zu kommen. Ich fände es sehr gut, wenn die Euro- Das Gleiche gilt für das Thema Menschenrechte. Wir päische Union nicht versuchen würde, diese Ströme so halten nichts von dem britischen Vorschlag, den ganzen zu interpretieren, dass es darum ginge, eine Festung Gipfel platzen zu lassen, wenn der grausame Diktator Europa aufzubauen. Ich fände es gut, wenn die Europäer Robert Mugabe am Tisch Platz nimmt. Es wäre aber ge- verstehen würden, dass das ein Alarmzeichen dafür ist, nauso fatal, Mugabe kommen zu lassen und dann so zu dass es auf dem afrikanischen Kontinent Probleme gibt, tun, als sei in Simbabwe nichts geschehen. die Afrikaner und Europäer nur gemeinsam lösen kön- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN nen. sowie bei Abgeordneten der FDP) (B) Wenn wir diese Aufgabe als eine gemeinsame inter- (D) Es ist absolut notwendig – das erwarten wir von der pretieren, dann, so glaube ich, wird es möglich sein, die Bundesregierung –, die Menschenrechtsverletzungen in positiven Prozesse, die es in Afrika auch gibt, zu verstär- Simbabwe klar auf die Tagesordnung zu bringen, ken und zu beschleunigen. Dann können wir mit dafür sorgen, dass die Menschen aus dem Kongo, aus Failing (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN States nicht flüchten müssen, sondern eine Chance se- sowie bei Abgeordneten der FDP) hen, in ihren Nationalstaaten zu bleiben, ihr Schicksal in die Hand zu nehmen und das eigene Leben vernünftig zu genauso wie die Menschenrechtsverletzungen in Darfur und im Kongo; der Kollege Fischer ist darauf eingegan- gestalten. Das ist Aufgabe der Partnerschaft zwischen gen. Europa und Afrika. Ich bin zuversichtlich, dass die Bun- deskanzlerin und Frau Wieczorek-Zeul das Problem so Die internationale Gemeinschaft hat durch die Re- deuten und den Gipfel in Lissabon zum Erfolg führen sponsibility to protect einen Paradigmenwechsel einge- werden. leitet. Nicht die Einmischung in die inneren Angelegen- heiten, nicht die Souveränität ist das oberste Gut, (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) sondern dort, wo Menschen wirklich an Leib und Leben bedroht werden, wo ihnen ihre Existenzgrundlage entzo- Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: gen wird, hat die internationale Gemeinschaft die Herr Kollege Weisskirchen, erlauben Sie eine Zwi- Pflicht, einzugreifen, zu intervenieren, den Bedrängten schenfrage der Kollegin Kerstin Müller? und Notleidenden beizustehen. Doch diese Erkenntnis ist noch nicht überall angekommen. Das Engagement Gert Weisskirchen (Wiesloch) (SPD): der internationalen Gemeinschaft muss immer wieder Bitte schön. neu betont und verteidigt werden gegenüber ganz unter- schiedlichen Interessen aus ganz unterschiedlichen Kerstin Müller (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Lagern, gegenüber Wirtschaftsinteressen von großen NEN): Unternehmen, aber auch gegenüber ehemaligen Frei- Herr Kollege Weisskirchen, ich bin Ihrer Meinung, heitskämpfern, die als Befreiungskämpfer gestartet sind dass es notwendig ist, die Fluchtursachen zu bekämpfen, und jetzt als grausame Despoten ihr Dasein fristen. damit die Menschen künftig in ihren Ländern bleiben Wir müssen wirklich aus den Fehlern der Vergangen- können. Ich möchte noch einmal auf das von Herrn heit lernen. Wir müssen Kurskorrekturen klar benennen, Hoppe angesprochene Thema Simbabwe zu sprechen unabhängig von Ideologien und Positionen, die wir frü- kommen und eine ganz konkrete Frage stellen. Die Bun- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 127. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. November 2007 13367

Kerstin Müller (Köln) (A) desregierung hat die Absicht, auch dann an dem Gipfel Ich würde mir weiter wünschen, dass eine solche Ver- (C) teilzunehmen, wenn Mugabe kommt. Ich frage Sie: Wie längerung dann auch eine Entsprechung in den Ländern wird die Bundesregierung Sorge dafür tragen, dass die Afrikas selbst findet. Dort muss für eine Anpassung ge- Situation in Simbabwe offensiv Thema des Gipfels wird sorgt werden, sodass die Länder eine bessere Chance ha- und man nicht einfach „business as usual“ betreibt? ben, ihre Produkte auf unseren Märkten zu verkaufen. Der entscheidende Schlüssel ist – da gebe ich Ihnen recht –: dass sie ihre Produkte auf unseren Märkten ver- Gert Weisskirchen (Wiesloch) (SPD): kaufen können. Das ist ein Ansporn dafür, dass sie ei- Frau Müller, ich kann dem, was Sie damit zum Aus- gene ökonomische Entwicklungen in ihren Ländern vo- druck bringen, nur zustimmen. Ich hoffe sehr, dass die rantreiben. Das wünsche ich mir sehr. Bundeskanzlerin oder wer auch immer von der Bundes- regierung an dem Gipfel in Lissabon teilnehmen wird, (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten sehr klar sagt, dass das, was in Simbabwe vor sich geht der SPD) und das Verhalten von Mugabe von uns nicht hingenom- men werden können. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Herr Kollege Weisskirchen, ich darf Sie noch einmal (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der FDP unterbrechen. Der Kollege Hoppe würde gern eine Zwi- und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) schenfrage stellen. Die Europäische Union muss klar und deutlich sagen: Wenn du, Mugabe, diese Form der Diktatur fortsetzt, Gert Weisskirchen (Wiesloch) (SPD): dann kannst du mit uns nicht rechnen. Wir Europäer ver- Kollege Hoppe. urteilen das, was dort vor sich geht. Wir unterstützen alle, besonders die demokratische Opposition, die in die- Thilo Hoppe (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): sem Land versuchen, einen Weg in die Zukunft zu fin- Ich stimme Ihren Forderungen bezüglich des Markt- den, zugangs zu. Es gibt aber ein Phänomen, das im neuen Evaluierungsbericht der Weltbankabteilung beschrieben Frau Kollegin Müller, ich bin sicher, dass die Bundes- wurde – es ist nicht der gesamte Bericht –: In mehreren kanzlerin dieses Thema aufgreifen wird. Ich würde es afrikanischen Staaten sind einerseits erfreuliche Raten für fatal halten, wenn die Frau Bundeskanzlerin die beim Wirtschaftswachstum zu verzeichnen, andererseits Menschenrechte anderswo auf der Erde in den Mittel- gibt es eine Gruppe von verletzlichen und hungernden punkt ihrer Anstrengungen stellt – mit Recht –, aber ge- Menschen; die Zahl der Hungernden ist ebenso angestie- (B) rade an diesem Punkt sagen würde: Mugabe, du bist gen. (D) herzlich willkommen. Das darf nicht sein. (Beifall bei der SPD) Gert Weisskirchen (Wiesloch) (SPD): Leider! An dieser Stelle möchte ich noch etwas hinzufügen: Herr Kollege Hoppe, Sie haben mit Recht den Bericht Thilo Hoppe (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): der World Bank erwähnt. Wenn Sie in den Bericht Teilweise werden aufgrund von wirtschaftlichen Akti- schauen, werden Sie feststellen, dass die ökonomische vitäten im Goldbergbau sogar Flüsse vergiftet, und Men- Entwicklung in Afrika sehr differenziert beurteilt wer- schen, die vorher von der Subsistenzlandwirtschaft oder den muss. Es gibt eine positive Entwicklung. Nicht al- von der Fischerei gelebt haben und statistisch bettelarm lein in den Ländern Afrikas, die über große Boden- waren, sich aber selbst ernähren konnten, haben diese schätze verfügen, hat sich das Wirtschaftswachstum im Möglichkeiten nicht mehr. Laufe einer Dekade um jährlich mehr als 5 Prozent er- höht, sondern auch in den Ländern, die über gar keine Das war der Kern meiner Botschaft: Es gibt Bevölke- Bodenschätze verfügen. Ich finde, das ist ermutigend. rungsgruppen in vielen afrikanischen Ländern, die vom Das zeigt, dass kleine Unternehmen und Bauern auch Fortschritt abgekoppelt werden und denen es aufgrund durch die Mittel, die wir im Rahmen der wirtschaftlichen wirtschaftlicher Aktivitäten einiger Firmen sogar Zusammenarbeit zur Verfügung stellen, die Möglichkeit schlechter geht als vorher. Das war das Problem. erhalten, die Entwicklung in ihrer schwierigen Region positiv zu beeinflussen und sich durchzusetzen. Gert Weisskirchen (Wiesloch) (SPD): Ich stimme Ihnen zu, gerade auch was den Anteil der Ich würde mir sehr wünschen, Frau Kollegin wachsenden Probleme betrifft. Ich will das, was Sie sa- Kortmann, dass es zuletzt gelingt, das, was am Ende die- gen, lieber Herr Kollege Hoppe, nicht verharmlosen: Es ses Jahres als Gefahr droht, nämlich dass wir unsere ist virulent, und es ist dramatisch, was sich dort abzeich- Märkte nicht öffnen gegenüber den Kleinbauern, gegen- net. Aber es ist auch ein Hinweis darauf, dass innerhalb über denjenigen, die Handel treiben, gegenüber denjeni- Afrikas die ökonomische Entwicklung mit sozialen gen, die den Marktzugang nach Europa suchen, über das Polarisierungsprozessen einhergeht. Landwirtschaftsministerium oder über das Wirtschafts- ministerium zu verhindern. Wenn es nötig ist, muss eben Wir reden doch jetzt schon von African Ownership, die Frist noch einmal verlängert werden, in das Jahr von der Verantwortungsübernahme durch die Afrikaner 2008 hinein. selbst. Deshalb gibt es eine gute Chance, diesen Proble- 13368 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 127. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. November 2007

Gert Weisskirchen (Wiesloch) (A) men in den Ländern zu begegnen, indem Good Gover- dafür gesorgt hat, dass dies internationale Standards wer- (C) nance, also gute Regierungsführung, stärker vorange- den. bracht wird und sich zivilgesellschaftliche Gruppen zum Aufbau der Demokratien ausprägen. Dann kann es gelin- (Hüseyin-Kenan Aydin [DIE LINKE]: Bil- gen, über die Zeit hinweg die dramatischen Probleme, dungszusammenarbeit wurde doch auf nur die Sie hier mit Recht beschrieben haben, positiv aufzu- noch acht Staaten reduziert!) nehmen und ins Gute zu wenden. Der afrikanische Kon- Der zweite Punkt betrifft die Frage: Was tun wir zur tinent hat es verdient, dass wir ihm bei diesem schwieri- Bekämpfung von Krankheiten? Was tun bei den Medika- gen Entwicklungsprozess helfend zur Seite stehen. mentenpreisen? Ich weise nur einmal darauf hin, dass es Lissabon kann ein gutes Signal dafür werden. auf diesem Gebiet sehr viel freiwillige Zusammenarbeit (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) – freiwillige Zusammenarbeit ist mir an dieser Stelle so- gar lieber – mit hier in Deutschland bestehenden Firmen gibt. Ich denke zum Beispiel an die Firma Boehringer Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Ingelheim, die Aidsmedikamente in Afrika sehr kosten- Das Wort hat jetzt der Kollege Holger Haibach von günstig auf den Markt bringt. Ich könnte viele andere der CDU/CSU-Fraktion. Firmen nennen. Auf jeden Fall halte ich den Vorwurf an (Beifall bei der CDU/CSU) dieser Stelle in seiner Pauschalität für nicht richtig. Dritter Punkt: Sie haben gesagt, Deutschland tut, Holger Haibach (CDU/CSU): wenn es um die Frage von Gewalt geht, zu wenig. Es ist Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her- schon vom Kollegen Raabe darauf hingewiesen worden, ren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist nicht be- dass es durchaus ein gewisser Gegensatz ist, auf der ei- sonders wahrscheinlich, dass allzu viele Menschen in nen Seite zu sagen, wir beteiligen uns an keiner Stelle an Afrika diese Debatte verfolgen. Nachdem ich mir den friedenssichernden Maßnahmen, und auf der anderen Beitrag des Kollegen Aydin angehört habe, ist das – um Seite den Vorwurf zu erheben, die Regierung tut zu we- es vorweg ganz deutlich zu sagen – auch gut so. nig gegen Gewalt. Das ist Double Standard und in einer (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und solchen Debatte auf jeden Fall nicht angebracht. der FDP) (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der Man muss sich entlang seines Beitrags einmal an- FDP) schauen, wie deutsche Entwicklungszusammenarbeit, Wer bei der Anhörung im Menschenrechtsausschuss deutsche wirtschaftliche Zusammenarbeit funktioniert (B) war – ich glaube, Frau Schuler-Dschryver war auch im (D) und wie sie mit der Außen- und Menschenrechtspolitik Entwicklungshilfeausschuss – und gehört hat, welch ineinandergreift. Da wird von dieser Koalition und von schreckliche Dinge im Kongo geschehen, der muss be- der Bundesregierung, wie ich finde, eine zunehmend ko- troffen sein und auch erkennen, dass wir vor der Not- härente Politik betrieben. wendigkeit stehen, dort weiter tätig zu sein. Aber er (Hüseyin-Kenan Aydin [DIE LINKE]: Sehr muss auch anerkennen, dass es die GTZ ist, die im We- kohärent!) sentlichen dort die Arbeit macht, und dass die Situation besser wäre, wenn es mehr solche Organisationen und Das muss auch unser Anspruch sein. mehr Länder wie Deutschland gäbe. Auch da hat Der Kollege Fischer hat zu Recht gesagt: Es gibt Deutschland meiner Auffassung nach eine Vorreiterrolle, Schatten, aber es gibt auch Licht. – Ich finde es richtig, und auch das könnten Sie ruhig anerkennen. bei einer solchen Debatte auch einmal über Licht zu re- (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der den. FDP) (Gabriele Groneberg [SPD]: Richtig!) Über Ihre – ist es postkommunistische? – Rhetorik Sie haben uns vorgeworfen, wir würden zu wenig tun, zum Thema „Würgegriff des IWF und der Weltbank“ wenn es um den Zugang zu Bildung und Wasser geht. Zu will ich mich hier nicht weiter verbreiten. den Punkten Bildung und Wasser können Sie als dritten (Dr. Herbert Schui [DIE LINKE]: Tun Sie es Punkt noch angemessenen Wohnraum hinzunehmen. Sie doch!) sind auch stellvertretendes Mitglied im Menschenrechts- ausschuss. Ich empfehle Ihnen, ab und zu einmal zu des- Nur noch eine Bemerkung zur Problematik der Ein- sen Sitzungen zu kommen. wanderung und zu den Menschen, die an den Grenzen der Europäischen Union nach Europa drängen: Jawohl, (Gabriele Groneberg [SPD]: Da haben wir den das ist ein ganz großes Problem, eines, dem wir uns ver- Salat!) antwortlich stellen müssen. Aber was ist denn die beste Dann könnten Sie wissen, dass es im Wesentlichen diese Lösung? Die beste Lösung kann nur sein, dass wir die Bundesregierung gewesen ist, die bei den letzten Sitzun- Bedingungen der Menschen vor Ort so verbessern, dass gen der alten Menschenrechtskommission und bei den es für sie nicht die Notwendigkeit gibt, nach Europa zu Sitzungen des Menschenrechtsrates daran beteiligt war, gehen, weil die Bedingungen bei uns wesentlich besser genau diese drei Themen in Form von Resolutionen im- sind. Das muss doch unsere Aufgabe sein. Das ist Ent- mer wieder auf die Tagesordnung zu setzen, dass sie mit wicklungshilfe auf gleicher Augenhöhe. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 127. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. November 2007 13369

Holger Haibach (A) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- die Stimmen der FDP-Fraktion und der Fraktion Die (C) neten der SPD – Hüseyin-Kenan Aydin [DIE Linke bei Enthaltung von Bündnis 90/Die Grünen ange- LINKE]: Was tun Sie aktuell für diese Leute, nommen. Herr Haibach?) Beschlussempfehlung des Ausschusses für wirt- Das Verteilen von Wohltaten hier und da, wenn der gute schaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung zu dem weise Buana irgendwann vorbeikommt, kann dagegen Antrag der Fraktion der FDP mit dem Titel „Neue Stra- nicht die richtige Art und Weise sein. tegien für die deutsche Entwicklungszusammenarbeit mit Afrika erarbeiten und durchsetzen“. Der Ausschuss Zu dem, was Herr Kollege Hoppe in einer meines Er- empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Druck- achtens sehr vernünftigen Art und Weise gesagt hat, will sache 16/7153, den Antrag der Fraktion der FDP auf ich noch das eine oder andere anmerken. Sie haben be- Drucksache 16/5243 abzulehnen. Wer stimmt für diese klagt, dass wir uns in dem Antrag, den die Koalition vor- Beschlussempfehlung? – Gegenstimmen? – Enthaltun- gelegt hat, zu drei Themen nicht hinreichend geäußert gen? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen hätten, nämlich zu WTO, Überfischung und Umwelt. Ich aller Fraktionen bei Gegenstimmen der FDP-Fraktion darf Sie nur auf die Absätze 10 und 16 des Antrages hin- angenommen. weisen. Das ist bei uns Thema gewesen. Nun kann man über die Gewichtung diskutieren, aber es ist jedenfalls Ich rufe Tagesordnungspunkt 38 auf: ein Thema. Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten Frau Müller, wenn Sie die Bundeskanzlerin auffor- Marieluise Beck (Bremen), Volker Beck (Köln), dern, bei dem Afrika-Gipfel, wenn Herr Mugabe auf- Alexander Bonde, weiterer Abgeordneter und der taucht, deutliche Worte zu finden, dann bin ich bei Ih- Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN nen; das will ich auf jeden Fall sagen. Aber ich denke, Aktuelle Entwicklungen in Russland und ihre die Bundeskanzlerin hat bei ihrer Reise und bei ihren Auswirkung auf die Beziehungen zwischen der Gesprächen mit der Afrikanischen Union mehr als ein- EU und Russland mal deutlich gemacht, dass es nicht darum geht, Herrn Mugabe einzuladen, um ihm einen Persilschein auszu- – Drucksachen 16/4932, 16/6241 – stellen, sondern darum, ihn einzuladen, um ihn nicht aus der Verantwortung zu lassen und ihn auf dem Afrika- Es liegen zwei Entschließungsanträge der Fraktion Gipfel zu stellen. Das ist an dieser Stelle auch unsere Bündnis 90/Die Grünen vor. Aufgabe. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen, wobei Bünd- (B) (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie (D) des Abg. Thilo Hoppe [BÜNDNIS 90/DIE nis 90/Die Grünen fünf Minuten erhalten soll. Gibt es GRÜNEN]) Widerspruch? – Das ist nicht der Fall. Dann ist so be- schlossen. Das Wahrnehmen von Verantwortung ist keine Sache, die nur auf einer Seite geschieht. Afrika und die Afrika- Ich eröffne die Aussprache. Als erste Rednerin hat die nische Union haben eine Verantwortung, und wir sind Kollegin Marieluise Beck vom Bündnis 90/Die Grünen dafür aufgefordert, diese Verantwortung zu stärken und das Wort. die Menschen dort in die Lage zu versetzen, ihr Leben selbst zu bestimmen, ihre Staatlichkeit selber zu führen, Marieluise Beck (Bremen) (BÜNDNIS 90/DIE damit der afrikanische Kontinent ein Hort von wirt- GRÜNEN): schaftlicher Prosperität, von Menschenrechten, von De- Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die mokratie und von Rechtsstaatlichkeit wird. Antwort der Regierung auf unsere Große Anfrage ist schwammig, und der Beobachter kann daraus schließen, Herzlichen Dank. was auch die Spatzen von den Dächern pfeifen: Diese (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Regierung ist eben in sich widersprüchlich und hat keine wirklich gemeinsame Haltung in Bezug auf Russland. Dann kann man natürlich auch keine stringente Politik Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: entwickeln. Ich schließe die Aussprache. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Aus- und bei der FDP) schusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Ent- wicklung zu dem Antrag der Fraktionen der CDU/CSU Man kann grosso modo feststellen, dass, was die in- und SPD mit dem Titel „Für eine intensive wirtschaftli- nenpolitische Entwicklung in Russland anbelangt, die che und entwicklungspolitische Zusammenarbeit mit Antwort der Bundesregierung sehr wohl kritisch ausfällt dem afrikanischen Kontinent auf Augenhöhe“. Der Aus- und dabei, was wichtig ist, die OSZE eindeutig gestärkt schuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf und gegen die Angriffe verteidigt wird, die insbesondere Drucksache 16/6800, den Antrag der Fraktionen der aus Russland kommen. Aber wirklich klar zu benennen, CDU/CSU und SPD auf Drucksache 16/5257 anzuneh- was für eine Entwicklung sich derzeit in Russland ab- men. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Ge- spielt, davor drückt sich die Regierung. Wenn wir uns genstimmen? – Enthaltungen? – Die Beschlussempfeh- anschauen, was sich gerade jetzt im Vorfeld der Wahlen lung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen abspielt, welche Tendenzen sich zeigen, dann muss man 13370 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 127. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. November 2007

Marieluise Beck (Bremen) (A) sagen: Die Demokratie bleibt in Russland zunehmend Das jüngste Beispiel ist das skandalöse Vorgehen ge- (C) auf der Strecke. gen die Lufthansa in Bezug auf die Überflugrechte. Da ist massiv Vertrauen zerstört worden, was jeder Investor, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN der nach Russland geht, natürlich sehr genau mitbe- sowie bei Abgeordneten bei der FDP) kommt, sodass er sich fragen muss: Wie verlässlich ist Gänzlich zurückgenommen bei ihrer Beantwortung der Handelspartner Russland, wenn so agiert wird, wie ist die Regierung beim ganzen Komplex Energie- und es bezüglich der Lufthansa geschehen ist? Hinzu kommt, Umweltpolitik. Dabei stehen wir vor ganz wichtigen dass sich die Bundesregierung – nach einem Anruf aus Entscheidungen. Wie soll eine Energiepartnerschaft mit Rheinland-Pfalz, wie wir lernen konnten – weggeduckt Russland aussehen? Weitgehend keine Vorstellungen. hat. Es zeigt sich, wie widersprüchlich die russische Po- Wie soll der Investitionszugang geregelt werden? Auch litik ist. da hält sich die Bundesregierung bedeckt. Vor allen Din- Unter dem Strich ist festzustellen, dass nur ein ge- gen: Wie kann eine gemeinsame europäische Energie- meinsames Auftreten der EU gegenüber Russland – wir politik umgesetzt werden? brauchen es, auch zur Lösung außenpolitischer Fragen Die Bundesregierung bezeichnet Russland weiterhin und Krisen – Erfolg haben kann. Dort liegt der Schlüs- als „strategischen Partner“ und verdeckt damit, dass sie sel. Deswegen muss jedem „divide et impera“, das von Russland zu einem Partner erklärt, ein Land, das offen- russischer Seite versucht wird, mit einer ganz großen sichtlich viele unserer Werte verletzt und nicht teilt. Wir Geschlossenheit begegnet werden. Wie das gehen soll, sind nach wie vor der Meinung, dass die Regierung rich- wenn nicht einmal zwischen dem Auswärtigen Amt und tiger beraten wäre, zu sagen: Die strategische Partner- dem Kanzleramt Geschlossenheit besteht, ist allerdings schaft ist ein Ziel, aber derzeit ist sie keine Realität. die Frage. Deshalb bleibt unsere Forderung: Wir brau- chen in diesem wichtigen Bereich der Außenpolitik eine Wir stehen in Russland kurz vor Wahlen. Die Nach- feste Haltung, die in eine wirklich kohärente Strategie richten, die zu uns dringen, und die Entwicklungen sind der EU eingebettet ist. Sonst wird uns dieser Partner im- ausgesprochen besorgniserregend. Unter Putin hat die mer weiter entgleiten und sich immer weiter in Richtung Justiz zunehmend an Unabhängigkeit verloren. Am al- eines autoritären Regimes entfernen. lerdeutlichsten wird das bei der Behandlung des Falles Chodorkowski. Die Zivilgesellschaft ist durch das NGO- Schönen Dank. Gesetz stark eingeschränkt worden, und zwar vor allen (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Dingen durch die Vorfeldwirkung dieses Gesetzes. Es bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Ab- gibt kaum mehr eine unabhängige Berichterstattung in geordneten der FDP) (B) den Medien, vor allen Dingen nicht in den Telemedien. (D) Die Einschüchterung von Journalisten – sie gipfelte im Mord an vielen Journalisten – haben wir alle verfolgt. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Ich erteile das Wort dem Kollegen Manfred Grund Oppositionelle Parteien werden a) kaum zugelassen von der CDU/CSU-Fraktion. und b) dort, wo sie noch zugelassen sind, massiv behin- dert. Ein Höhepunkt dieser Entwicklung ist, dass von Manfred Grund (CDU/CSU): Mitgliedern der Partei Union der rechten Kräfte vor kur- zem 14 Millionen Broschüren unter dem Vorwand einge- Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kolle- sammelt worden sind, dieses Material müsse staatsan- gen! Wer in den letzten Tagen und Wochen Gesprächs- waltschaftlich dahin gehend überprüft werden, ob es partner aus Russland zu Besuch gehabt hat oder an Verunglimpfungen der Politik oder des Kremls enthalte. Diskussionen mit russischen Gesprächspartnern teilge- nommen hat – ob es Regierungsmitglieder, Abgeordnete Hinzu kommt die massive Einschränkung der OSZE. der Staatsduma oder Politologen gewesen sind –, wird Wir haben darüber gestern Abend gesprochen. Soeben festgestellt haben: Die Russen sind als Gesprächspartner lief über den Ticker, dass sich die OSZE unter den von im Moment „auf Krawall gebürstet“. Sie werfen uns vor: der russischen Regierung gesetzten Bedingungen – sie Ihr wollt uns nicht verstehen; ihr redet uns schlecht; ihr gestatten keine wirkliche Wahlbeobachtung mehr – ent- wollt uns unseren guten Präsidenten kaputtmachen; ihr schieden hat, auf die Entsendung von Wahlbeobachtern wollt nicht, dass Russland zu seiner alten Stärke zurück- zu verzichten. Ich halte das für eine richtige Entschei- findet. dung; denn sonst würde die OSZE zum Feigenblatt. Das Problem ist nicht, dass Russland zu einer be- Die russische Außenpolitik ist ein Spiegel der innen- stimmten Stärke findet, dass es ein in jeder Hinsicht auf politischen Entwicklung. Der Kreml ist offensichtlich gleicher Augenhöhe handelnder Partner wird. Was uns bereit, für die Durchsetzung der Interessen nach innen wirklich irritiert, liebe Marieluise Beck, sind die Wider- manche außenpolitische Krise anzuheizen. Das gilt ein- sprüche in der aktuellen russischen Entwicklung, in der mal für das Kosovo – Russland ist aus der gemeinsamen russischen Innen- und Außenpolitik. Widersprüche gibt Linie der Kontaktgruppe ausgeschieden –, und das gilt es weniger aufseiten der Bundesregierung als vielmehr auch für das iranische Atomprogramm. Putins Einladung auf russischer Seite. Nicht jedem Haken, der dort ge- an den Präsidenten Ahmadinedschad hat diesen wieder schlagen wird, kann die deutsche Außenpolitik in dem ein Stück weit hoffähig gemacht. Das ist eine sehr pre- Maße folgen, dass sie tatsächlich immer sofort eine Ant- käre Strategie. wort geben kann. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 127. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. November 2007 13371

Manfred Grund (A) Widersprüchlich ist, dass uns gesagt wird: Präsident schen Einflusssphäre vorbei in Richtung Europa trans- (C) Putin ist Hüter der Verfassung. Er wird die Verfassung portieren und damit einen Teil der Unabhängigkeit, die nicht manipulieren, nicht brechen, er wird sich nicht wir brauchen, um nicht gänzlich von Russland energie- noch einmal zur Präsidentschaftswahl stellen, aber er politisch an die Kette gelegt zu werden, schaffen soll. wird an der Spitze der Partei „Einiges Russland“, deren Mitglied er nicht ist, kandidieren. Kremlastrologen sa- Interessanterweise ist es Aserbaidschan und Georgien vor drei Jahren gelungen, sich mit einer Ölpipeline, die gen uns: Er wird dann versuchen, eine Stellung einzu- von Baku über Tiflis nach Ceyhan in der Türkei reicht, nehmen, die ihn, obwohl es nicht in der Verfassung steht, aus der Ölabhängigkeit von Russland herauszuarbeiten. über das Amt des Präsidenten erhebt. Danach wird er Nun gibt es viele Versuche Russlands, eigenständige eine bestimmende Rolle in der Innenpolitik und der Au- Pipelines zu verhindern, sowohl in dieser Region als ßenpolitik Russlands einnehmen. auch bis hin zu Europa, um die Vormachtstellung, die es Dazu kommt, dass wir es mit einer inszenierten russi- hat, zu zementieren. Die Vormachtstellung zementiert schen Gesellschaft zu tun haben. Inszeniert ist sowohl natürlich auch eine Pipeline, die wir als Ostseepipeline die Regierungspartei – sie ist eine Retortenpartei, eine kennen, die Nord-Stream-Pipeline, die die direkte Ver- künstliche Partei, eine Kremlpartei – als auch die zweite bindung der deutschen Energieverbraucher an Russland Partei, die vom Kreml ins Leben gerufen wurde, um gewährleistet, aber – hier nehme ich auf, was Marieluise quasi ein Gegengewicht oder ein Feigenblatt zu bilden. Beck gesagt hat – Europa spaltet. In dem Moment, in Es ist eine inszenierte Gesellschaft. Die einen tun so, als dem jeder Abnehmer an einer eigenen Pipeline hängt, würden sie demokratische Politik betreiben, die anderen fällt es wesentlich einfacher, den Hahn zuzudrehen, wenn sich ein Land wie die Ukraine oder möglicher- tun so, als wären sie demokratisch legitimierte Gesell- weise auch Polen erdreistet, etwas anderes zu denken schaft. Das ist eine Tradition, die bis zu Katharina II. zu- oder zu tun, als in Moskau erwartet wird. Es gibt also rückreicht; insgesamt ist das also nicht allzu neu. große Probleme in dem Bereich der Energiesicherheit. Es gibt eine Jugendorganisation, die sich „Die Unsri- Andere Punkte wurden schon angesprochen. Geor- gen“ – im Russischen: Naschi – nennt. Diese Jugendor- gien gehört dazu. Es gibt keinen Konflikt, den Georgien ganisation mit durchaus militanten Anklängen ist sich in den letzten 16, 17 Jahren in Ossetien und in Ab- nicht zu schade, die eine oder andere Veranstaltung von chasien erlebt hat, wo nicht in irgendeiner Weise Russ- Regimekritikern zu stören. land die Finger im Spiel hatte. Dasselbe gilt für die Das sind die Widersprüche in der Innenpolitik. Ukraine und für die Republik Moldau, die zu einem Plan aus Moskau – das war das sogenannte Kozak-Memoran- Es gibt auch Widersprüche in vielen Bereichen der dum – gesagt hat: Wir sind damit nicht einverstanden; (B) Außenpolitik. Präsident Putin war vor wenigen Wochen denn wir können nicht ein Fünftel unseres Territoriums (D) in Teheran und hat dort am Rande einer Konferenz der – einen Streifen, der sich Transnistrien nennt – auf Dauer Anrainer dieser Region umfangreiche Vereinbarungen unter russischer Hoheit lassen. Es ist ein Teil unseres mit dem iranischen Präsidenten getroffen, unter anderem Territoriums. dahin gehend, dass das Atomkraftwerk Busher mit russi- scher Hilfe und Unterstützung weitergebaut bzw. fertig- Als Antwort konnten moldauische Waren nicht mehr gestellt wird. Es gibt Verträge über die Lieferung von bis nach Russland exportiert werden. Dadurch sind ein Drit- tel der moldauischen Staatseinnahmen verloren gegan- zu 50 Kampfflugzeugen MiG-29 an den Iran und einen gen. Wir können diese Ausfälle nicht ausgleichen. Es ist Vertrag über ein gemeinsames Projekt raumfahrttaugli- ein großes Problem, dass die Transformationsländer, die cher Raketen. Es ist eine Horrorvorstellung, dass der sich in Richtung Demokratie und in Richtung Europa be- Iran von Ahmadinedschad mit der Perspektive auf wegen wollen, abgestraft werden können, wir aber kaum Atomwaffen dann über raumfahrttaugliche Interkonti- einen Ausgleich für die Sanktionen aus Moskau gewäh- nentalraketen verfügt und es damit genau zu der Bedro- ren können. Dies alles gehört in den Kontext dieser De- hung kommt, für die der amerikanische Schutzschirm batte hinein. gedacht ist, über den hier so viel diskutiert wird. Das ist der erste Widerspruch. Ich habe nicht – vorhin ist es aber angeklungen – über die Verletzung der Menschenrechte gesprochen. Die In- Zweiter Widerspruch in der Außenpolitik: Russland haftierung von Chodorkowski gehört dazu. Andere neu- versucht, die Region Iran-Mittel-/Zentralasien einzubin- reiche Milliardäre, die wesentlich regimefreundlicher den, und zwar ausschließlich im russischen Interesse. Es sind, werden an der langen Leine geführt und kaufen in geht hier um Öl, Gas und letztendlich um die Verfü- Großbritannien Fußballvereine auf. Kritische Leute hin- gungsgewalt über diese Ressourcen. Es geht Russland gegen werden inhaftiert. Wir wissen von Auftragsmor- darum, dass es turkmenisches Gas nach wie vor durch den. Der Mord an der Journalistin Politkowskaja ist uns seine Pipelines in Richtung Osteuropa, in Richtung allen noch in Erinnerung. All das gehört zu diesem wi- Ukraine, Belarus, Moldau leiten und es zu einem Vielfa- dersprüchlichen Bild, das Russland zurzeit abgibt. chen des Aufkaufpreises verkaufen kann, weil Turkme- nistan nicht über eigene Pipelines verfügt. Es geht da- Wir sind gut beraten, erstens alles zu tun, damit wir zu rum, kasachisches Öl und Erdgas genauso, also einem kollektiven Sicherheitssystem mit Russland zu- ausschließlich über russische Pipelines, in Richtung Eu- rückfinden. Es wird in Europa keine Sicherheit ohne ropa zu transportieren. Deshalb gab es auch viele Versu- Russland geben. Das heißt, vertrauensbildende Maßnah- che Russlands, den Bau einer Pipeline, die den Namen men im politischen Bereich sind von uns vielleicht sogar Nabucco tragen soll, zu verhindern, die Gas an der russi- als Vorleistungen zu erbringen. 13372 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 127. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. November 2007

Manfred Grund (A) Zweitens. Es gibt keine abgestimmte europäische – Ja, sehr richtig, auch die Botschaften. – Bei der Ver- (C) Energiepolitik. Daran mangelt es; Frau Kollegin Beck sammlungs- und Meinungsfreiheit gibt es massive Ein- hat richtigerweise schon darauf hingewiesen. Deswegen schränkungen. Ferner erfolgt – Frau Beck hat das schon sind wir gegeneinander auszuspielen. Wir brauchen drin- angesprochen – eine direkte oder indirekte Kontrolle ei- gend eine abgestimmte europäische Energiepolitik. Die nes großen Teils vor allem der elektronischen Medien, Bundesregierung geht auf diesem Weg voran. Wir müs- aber auch der Printmedien. sen Russland dazu bringen, zu den Normen zurückzu- kehren, die im freien Welthandel gelten. Das gilt für die Diese Liste könnte man um aktuelle Geschehnisse er- Energiecharta, die Russland noch zu unterzeichnen hat. weitern. Wir müssen uns nur die Tickermeldungen zum Erst dann besteht für getätigte Investitionen – Gasprom Thema OSZE und Russland ansehen. Erst gestern Abend braucht in den nächsten Jahren 70 Milliarden Dollar an haben wir darüber debattiert. Frau Beck, Sie haben ange- Investitionen, um neue Öl- und Gasfelder zu erschließen – sprochen, dass ursprünglich 70 Wahlbeobachter für Rechtssicherheit. Ein negatives Beispiel ist das Unter- 95 000 Wahllokale zugelassen werden sollten. Jetzt stel- nehmen Shell, das auf Sachalin investiert hat und quasi len wir fest, dass es diesen Wahlbeobachtern gar nicht enteignet worden ist. möglich sein wird, ins Land zu gelangen, weil die russi- sche Regierung die Visa verweigert. Das ist eine sehr Es muss Rechtssicherheit geben. Wir müssen eine ge- traurige und einmalige Entwicklung im Rahmen der meinsame und stringente Energiepolitik machen. Dann OSZE. Das muss man hier noch einmal ganz deutlich können wir versuchen, auf gleicher Augenhöhe mit kritisieren. Russland ins Gespräch zu kommen. Das ist Teil der deutschen Regierungspolitik. Wir unterstützen das Han- (Beifall bei der FDP, der CDU/CSU und dem deln der Bundesregierung auf diesem Gebiet. BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vielen Dank. Die russische Regierung scheint zu vergessen, dass bere- chenbare und verlässliche Partner gefragt sind, dass Ver- (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) trauen eine elementare Größe in der internationalen Poli- tik ist und dass man dieses Vertrauen auch verspielen Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: kann. Das Wort hat die Kollegin Marina Schuster von der Meine Fraktion – das gilt sicherlich für die Mehrheit FDP-Fraktion. in diesem Haus – steht an der Seite derer, die ein offenes, (Beifall bei der FDP) verlässliches und freies Russland anstreben, ein Russ- land, das seiner Verantwortung in der Welt gerecht wer- (B) den kann. Deswegen sagen wir auch ganz offen, dass wir (D) Marina Schuster (FDP): uns nicht unter Druck setzen lassen werden, nicht bei Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und den anstehenden Verhandlungen, aber auch nicht bei den Kollegen! Beim Tagesordnungspunkt „Aktuelle Ent- Grundlagen des Entspannungsprozesses und den Grund- wicklung in Russland“ muss ich eines vorwegschicken: lagen von Freiheit und Demokratie. Nicht alles ist verhandelbar. Menschenrechte, Demokra- tie, aber auch der Punkt Vertragstreue stehen für uns Wir haben heute zu Recht Kritik an Russland geübt. nicht zur Disposition. Ich möchte aber auch ein klares Fragezeichen hinter die Politik setzen, die nichts anderes kennt als einen Rück- Wenn wir uns die Äußerungen und das Verhalten von fall in die Mechanismen des Kalten Krieges. Ich habe Putin anschauen, dann können wir den Eindruck gewin- leider den Eindruck, dass zum Beispiel die USA immer nen, er würde fast alles für verhandelbar halten. Denn noch keinen Ansatz dafür gefunden haben, wie sie jetzt seit Monaten wirft er uns immer neue Brocken hin. mit Russland umgehen möchten. Wir dürfen nicht in die Meine Vorredner haben die Punkte bereits angespro- Zeiten der Blockkonfrontation zurückfallen. Dazu chen: KSE, OSZE, Kosovo und – das hat Frau Beck möchte ich zwei Beispiele nennen: schon erwähnt – die Luftfrachtverträge. Wir haben 1999 zusammen mit den anderen NATO- Ich sehe mit großer Sorge, dass sich Russland seit ei- Staaten den adaptierten KSE-Vertrag unterzeichnet. Ra- nigen Jahren in nahezu allen staatlichen und gesell- tifiziert haben wir ihn im Gegensatz zu Russland nicht. schaftlichen Bereichen, was die Modernisierung angeht, rückwärts entwickelt. In dem Entschließungsantrag, den (Gert Weisskirchen [Wiesloch] [SPD]: So ist die Grünen heute vorgelegt haben, sind Beispiele dafür es!) genannt worden; sie kamen in dieser Debatte auch schon zur Sprache. Wir können zu Recht über seine inhaltlichen Details streiten. Aber das politische Signal, das davon ausgegan- Ich möchte nur ein paar Punkte herausgreifen: Es gibt gen ist, ist auch klar. Das war politisch eindeutig ein erhebliche Behinderungen der Zivilgesellschaft, bei- Fehler. Weil wir damit eine politische Front aufmachen, spielsweise durch das NGO-Gesetz. Auch die Vertreter sollten wir diesen Fehler korrigieren. unserer Stiftungen in Moskau, aber auch anderswo in Russland, haben damit sehr stark zu kämpfen. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE Frau Kollegin Schuster, erlauben Sie eine Zwischen- GRÜNEN]: Auch die Botschaften!) frage des Kollegen Grund? Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 127. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. November 2007 13373

(A) Marina Schuster (FDP): ist ihr eigenes Zitat – braucht Luft zum Atmen und die (C) Nein. Freiheit, sich zu entwickeln. Zum Schluss möchte ich noch das leidige Thema der (Marieluise Beck [Bremen] [BÜNDNIS 90/ Raketenstationierung erwähnen. Ich verstehe bis heute DIE GRÜNEN]: Das ist von Frau Pamfilowa! nicht, wie es sein kann, dass man über Europas Sicher- Die Frage ist, ob der Kreml das auch so sieht! heit redet, aber nicht mit Europa darüber redet. Es ist an Sie spricht ja nicht für die Regierung!) der Zeit, dass wir uns nicht als Spielball sehen, sondern – Frau Beck, entschuldigen Sie: Auch Sie waren dabei, klare Positionen beziehen. Das liegt vor allem auch im als Wladimir Putin in jener Podiumsdiskussion in Wies- europäischen Interesse. Es gilt, endlich eine europäische baden gesagt hat: Lasst uns darüber reden. Wo nötig, Position zu definieren und diese dann auch gegenüber muss die Gesetzeslage zugunsten der Nichtregierungs- der NATO und gegenüber Russland zu vertreten. organisationen geändert werden. – Was ich damit sagen Ich freue mich, dass wir diese Debatte heute führen. will, ist nichts anderes als dies: Man könnte die Liste der Die Entschließungsanträge der Grünen sind insoweit Defizite erweitern und das Bild zeichnen, dass die De- sehr wichtig. Ich freue mich auf die Beratungen im Aus- mokratie in Russland in höchstem Maße gefährdet ist; schuss. das könnte man ohne Probleme so darstellen. Danke schön. (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: „Gefährdet“? Sie ist nicht vorhan- (Beifall bei der FDP und dem BÜNDNIS 90/ den!) DIE GRÜNEN sowie der Abg. Dr. Martina Krogmann [CDU/CSU] und des Abg. Gert Wir müssen uns mit der Frage beschäftigen: Können Weisskirchen [Wiesloch] [SPD]) wir das Bild, das wir entwerfen, mit dem Ziel der strate- gischen Partnerschaft in Übereinstimmung bringen? Es kommt darauf an, dass wir unseren Partnern in Russland Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: sagen: Haltet euch an die Verpflichtungen bzw. an die Das Wort hat der Kollege Gert Weisskirchen von der Commitments, die ihr eingegangenen seid, zum Beispiel SPD-Fraktion. an die Übereinkunft des Europarates. Darin heißt es zum Beispiel: Jetzt wäre es notwendig, das 14. Zusatzproto- Gert Weisskirchen (Wiesloch) (SPD): koll zur Europäischen Menschenrechtskonvention um- zusetzen. Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Was ist denn eigentlich unser langfristiges Ziel? Unser (B) langfristiges Ziel – das hat die Frau Bundeskanzlerin Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: (D) beim Sankt Petersburger Dialog in Wiesbaden noch ein- Herr Kollege Weisskirchen, der Kollege Beck würde mal unterstrichen – ist eine strategische Partnerschaft gerne eine Zwischenfrage stellen. zwischen Deutschland und Russland. (Marieluise Beck [Bremen] [BÜNDNIS 90/ Gert Weisskirchen (Wiesloch) (SPD): DIE GRÜNEN]: Ein Ziel? Das ist aber neu! – Bitte. Marina Schuster [FDP]: Das ist neu!) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: – Ja, das ist das Ziel. Darf ich aus diesem Anlass darum bitten, wegen der (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE fortgeschrittenen Zeit von nun an auf Zwischenfragen GRÜNEN]: Aber der Russlandbeauftragte und Kurzinterventionen zu verzichten? schreibt immer in sein Papier, dass wir eine (Hartwig Fischer [Göttingen] [CDU/CSU]: strategische Partnerschaft haben!) Richtig so!) Dieses Ziel, liebe Kollegin Beck, hat zum Inhalt, dass Bitte schön, Herr Beck. wir natürlich offen über die Probleme debattieren. Im Rahmen des Sankt Petersburger Dialogs haben wir das Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): vor wenigen Wochen getan. In unseren Diskussionen Herr Kollege Weisskirchen, Sie haben gerade gesagt, ging es zum Beispiel darum, dass wir die innere Ent- die russische Demokratie sei gefährdet; das hat mich wicklung Russlands für nicht glücklich halten. Der Mord völlig durcheinander gebracht. Ich glaube, dort gibt es an Anna Politkowskaja und andere Ereignisse sind schon nichts Demokratisches mehr, was gefährdet werden erwähnt worden, zum Beispiel die gesetzliche Ein- könnte. Denn von demokratischen Verhältnissen ist in engung der politischen Parteien und die gesetzliche Ein- Russland nichts übriggeblieben. engung bzw., wenn man so will, die Bürokratisierung der Zivilgesellschaft. Ich möchte Sie fragen, ob Sie folgende Meinung tei- len: Immerhin hat die mutige Frau Pamfilowa deutlich ge- macht – wir waren mit dabei, Frau Beck –: Wir werden Die Duma ist im Wesentlichen eine vom Kreml orga- uns dieser Aufgabe stellen und, wenn nötig, eine Geset- nisierte Schau von Demokratie. Das verschärfte Wahlge- zesinitiative auf den Weg bringen, damit die Bürokrati- setz sieht vor, dass nur die Parteien zur bevorstehenden sierung abgebaut wird. Denn die Zivilgesellschaft – das Wahl zugelassen werden, die mindestens 50 000 Mit- 13374 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 127. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. November 2007

Volker Beck (Köln) (A) glieder haben, und es verlangt, dass jede Partei in jedem zu werden, was sie werden will, nämlich eine europäi- (C) der Föderationssubjekte bestimmte Mindestmitglieds- sche Demokratie, vergleichbar mit unseren! zahlen nachweisen kann; diese Regelung hat zum Verbot (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der der Republikanischen Partei von Wladimir Ryschkow CDU/CSU – Volker Beck [Köln] [BÜND- geführt. NIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie können das doch Darüber hinaus mischt sich der Kreml in die Listen- nicht ernsthaft als Demokratie beschreiben!) aufstellungen der Parteien „Union Rechter Kräfte“ und – Ich will das ganz ernsthaft so beschreiben. Wenn Sie „Jabloko“ ein und verhindert dadurch, dass ein unabhän- sich nämlich die Umfragen vom Lewada-Institut an- giger Duma-Abgeordneter einen Listenplatz erhält. Da- schauen, wenn Sie die Böll-Stiftung fragen, wenn Sie die durch, dass die Hürde auf 7 Prozent erhöht wurde, ist es Kollegen von Memorial fragen, dann werden Sie erken- faktisch ausgeschlossen, dass der nächsten Duma eine nen, dass die innere Entwicklung Russlands, wie Herr demokratische, nicht vom Kreml gesteuerte Partei ange- Kollege Grund richtig gesagt hat, höchst widerspruchs- hört. Von einer Demokratie nach unserem Verständnis voll, höchst ambivalent ist. Aber wenn sie widerspruchs- kann nicht die Rede sein. voll ist, dann wäre es doch klug, sich zu überlegen, wo Die gelenkte bzw. souveräne Demokratie in Russland, man an den positiven Elementen dieser Entwicklung an- wie Putin sie selbst bezeichnet hat, verfügt weder über knüpfen kann, sie verstärken kann, damit Russland in eine freie Zivilgesellschaft – das sieht man am NGO-Ge- der Tat eine Chance hat – ich wiederhole es –, das zu setz –, noch finden dort freie und faire demokratische werden, was es in sich selber auch werden will: ein euro- Wahlen statt. Vor diesem Hintergrund ergibt es auch ei- päischer Staat. nen Sinn, dass man versucht, die OSZE-Wahlbeobachter (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der fernzuhalten. Denn man möchte sich nicht durch interna- CDU/CSU) tionale Beobachtung einschränken lassen. All das bedeu- tet, dass der Zugang zu den Wahlen nicht frei ist und Das ist das, was die Europäer in Russland wollen. Wir dass der Ablauf der Wahlen nicht fair und demokratisch müssen ihnen dabei helfen, dass sie es auch werden; das sein wird. ist unsere gemeinsame Aufgabe. Lieber Kollege Beck, ich will Ihnen auch sagen: Ich Gert Weisskirchen (Wiesloch) (SPD): verstehe ja, dass Sie bei dieser Auseinandersetzung in Lieber Kollege Beck, von all dem, was Sie gerade ge- Russland besondere Erfahrungen gemacht haben. Doch sagt bzw. gefragt haben, greife ich ein einziges Detail wenn Sie diese Form der Kritik fortsetzen, landen Sie re- auf. Die Stichworte sind: Jabloko, SPS und Ryschkow. lativ schnell bei dem Problem, das Dimitri Simes in (B) Ich würde die These formulieren: Wenn es den demokra- Foreign Affairs in seinem jüngsten Artikel „Losing (D) tisch orientierten Parteien wie Jabloko und SPS – das Russia“ beschrieben hat: Russland wird verloren gehen. gilt auch für einen Teil der Republikanischen Partei – ge- Er sagt deutlich, warum jetzt die Gefahr besteht, dass lungen wäre, sich zu einer überzeugenden demokrati- Russland die innere Kohärenz und die inneren Stabili- schen Plattform zusammenzutun, dann wären ebenjene tätsfunktionen verliert, die die Demokratie ausmachen: Demokraten, mit denen wir eng kooperieren und mit de- weil die USA es in dem Triumphgefühl nach dem Ende nen wir partnerschaftliche Beziehungen pflegen, in der des Kalten Krieges versäumt haben, die inneren demo- nächsten Duma; das sagen Ihnen die Kollegen selbst, kratischen Strukturen zu unterstützen und den Demokra- wenn Sie sie fragen. ten zu helfen. Stattdessen ist man Russland mit dem Gestus gegenübergetreten: Ihr müsst schön das lernen, (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) was wir für Demokratie halten. – Jeffrey Sachs zum Bei- Nur, Sie wissen genauso wie ich, lieber Kollege Beck spiel hat nichts anderes gemacht, als zu versuchen, den – lassen Sie mich das offen sagen –, dass Russland nur Neoliberalismus in Russland durchzusetzen. einen winzigen Moment in der Geschichte – das war in Das alles sind Faktoren, die herangezogen werden den wenigen Wochen der Zeit des Übergangs vom Za- müssen, um deutlich zu machen: Lasst uns dem, was in renreich zur Revolution – überhaupt die Chance hatte, Russland geschieht, mit einer Haltung der Geduld be- eine Demokratie aufzubauen. Das ist doch das Dilemma gegnen! Damit meine ich mitnichten eine Haltung des der russischen Demokratie. Ich meine, wir sollten bei al- passiven Entgegennehmens, der Permissivität. Lasst uns ler Kritik – was Sie sagen, ist ja berechtigt – die histori- aber alles daran setzen, mitzuhelfen, dass dieses Land, schen Zusammenhänge erkennen. das größte Land der Erde, kein Petrostaat wird – vor die- ser Gefahr steht Russland gegenwärtig –, der vollständig Deshalb ist mein Schluss: Wir sollten mit den Part- von den großen Rohstoffreserven – von Öl und von Gas – nern, die wir haben, geduldig zusammenarbeiten, damit abhängig wird, sondern dass dieses Land auf dem Pfad die Chance auf eine innere Entwicklung Russlands ge- der Modernisierung, den es ja bereits beschritten hat, be- nutzt wird, damit Russland hoffentlich bald, so schnell schleunigt vorankommt. wie möglich, ein demokratisches Land wird, und zwar so, wie wir Westeuropäer Demokratie verstehen. Das Dann wird relativ rasch die russische Elite vor der würde ich mir sehr wünschen. Bitte deshalb nicht allein zentralen und entscheidenden Aufgabe stehen, auch die und ausschließlich schwarze Gemälde entwerfen – auch Ökonomie zu modernisieren. Wenn Russland Mitglied wenn die in vielen Punkten sicherlich ihre Berechtigung der WTO ist, dann wird es dem Wettbewerb ausgesetzt haben –, sondern der russischen Demokratie helfen, das sein. Russland kann mit seinen Industrien und Dienst- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 127. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. November 2007 13375

Gert Weisskirchen (Wiesloch) (A) leistern dem rauen Sturm des Weltmarktes nicht stand- der strategischen Partnerschaft immer verbreitet wird, so (C) halten, ohne dass es sich ökonomisch modernisiert, die etwas wie eine Blackbox ist. Es wird nie inhaltlich be- Produktivitätsraten vorantreibt und die entsprechende schrieben. Das, was die Grünen in ihrem Entschlie- Infrastruktur bereitstellt: Bildung, Verkehr, Gesundheit, ßungsantrag anbieten, ist aber überhaupt keine Strategie. Rentensysteme. Das alles sind große Reformaufgaben, Insofern nimmt das eine dem anderen nichts. die der politischen Elite Russlands bevorstehen. Aus meiner Sicht muss man auf einer vernünftigen Man kann solche großen Reformschritte aber nicht Grundlage noch einmal darüber nachdenken, wie eine gehen, wenn man Barrieren aufrichtet und das politische außenpolitische Philosophie gegenüber Russland gestal- System kanalisiert und einengt, sondern man kann sol- tet werden kann. Ein Ergebnis des neuen Denkens, das ja che großen Reformaufgaben nur bewältigen, wenn die auch ein wenig mit einem russischen Politiker zusam- Demokratie die Chance hat, sich zu entfalten, wenn die menhängt, ist, dass man die Interessen des Partners, des Zivilgesellschaft die Freiheit hat, selbst zu handeln, und Kontrahenten oder des Gegners immer in die eigenen wenn den Menschen in Russland die Chance gegeben Überlegungen mit einbezieht, sie also nicht nur konträr wird, sich an dem Wohlstand und Reichtum zu beteili- betrachtet. Eine der großen Erfahrungen in der Außen- gen. Das ist die zentrale Aufgabe, vor der die politische politik – und nicht nur dort – ist, dass man Demütigun- Elite in Russland steht. gen immer vermeiden muss, egal, ob man sie bewusst Den Russen muss deutlich gemacht werden, dass es herbeiführt oder ob sie herbeigeführt worden sind. Das nicht gut wäre, wenn sie aus ihrem Land fliehen und sich wäre eine außenpolitische Philosophie, über die es sich am Mittelmeer oder anderswo, zum Beispiel am Schwar- nachzudenken lohnte. zen Meer, in Zypern, Ich sage Ihnen ganz nüchtern: Ohne eine wirkliche (Manfred Grund [CDU/CSU]: In Karlsbad!) strategische Partnerschaft mit Russland gibt es keine Europapolitik. Eine Europapolitik ohne Russland ist in Karlsbad oder auch bei uns in Deutschland, in Baden- nicht denkbar. Ohne eine wirkliche strategische Partner- Baden, wunderbare Häuser kaufen würden. Das alles schaft mit Russland werden Sie kein außenpolitisches sind magische Orte für die russische Intelligenz. Wenn Problem lösen können. Darauf mussten Sie erst auf- die russische Elite erkennt, dass sie eine große Reform- merksam gemacht werden. Ohne eine wirkliche strategi- aufgabe vor sich hat und dass sie sie nur bewältigen sche Partnerschaft mit Russland wird es keine stabile kann, wenn sie mit Verantwortungsbewusstsein an ihre Entwicklung geben, auch keine ökonomische. Aufgabe, die Gestaltung der Zukunft ihres Landes, he- rangeht, dann wird Demokratie sozusagen die zwangs- Der Ansatzpunkt meiner Überlegungen ist, ob nicht läufige Folge dieser Entwicklung sein, lieber Kollege auf der Basis der OSZE eine Zweitauflage der großen (B) (D) Beck. Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa, auf der man sich durchaus mit den drei Körben Das jetzige politische System der gelenkten Demo- der KSZE befassen könnte, notwendig ist. Ich will Ihnen kratie, die Putin erfunden hat und in der die Menschen ein paar Dinge vorhalten. Entschuldigung, Frau Beck, eingegrenzt bzw. eingeschränkt werden, ist nämlich ein wenn ich das so zuspitze, aber der rote Faden, der sich Hemmnis für eine solche positive Entwicklung. Das durch Ihre Vorlagen zieht, ist der erhobene Zeigefinger. können und dürfen wir nicht wollen. Das finde ich am schlimmsten. Wenn ich über die deut- (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) sche Politik gegenüber Russland, Israel und Polen nach- denke, dann werde ich nie die deutsche Vergangenheit ausblenden. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Das Wort hat der Kollege Wolfgang Gehrcke von der (Beifall bei der LINKEN) Fraktion Die Linke. Ein erhobener Zeigefinger bringt überhaupt nichts. Aber (Beifall bei der LINKEN) genau das tun Sie. Lesen Sie doch einmal Ihren Text! Ich bitte Sie, unter Berücksichtigung des Selbstver- Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE): ständnisses der russischen Politik darüber nachzuden- Schönen Dank, Herr Präsident. – Liebe Kolleginnen ken, ob das Gefühl der Einkreisung durch die Ausdeh- und Kollegen! Es ist ein Verdienst der Fraktion der Grü- nung der NATO an die Grenzen Russlands im Westen nen, dass sie die Große Anfrage gestellt und damit auch und nun zunehmend auch im Süden – das liegt auf der eine Debatte hier im Plenum des Bundestages herbeige- Hand; die Avancen der USA an Georgien, Aserbaid- führt hat. Ich hätte mir allerdings gewünscht, dass eine schan und Armenien, Mitglied der NATO zu werden, solche Debatte bei vollerem Haus und zu einer günstige- sind doch bekannt – tatsächlich aus der Luft gegriffen ren Zeit stattgefunden hätte, weil die Beziehungen zu ist. Ich bitte Sie, darüber nachzudenken, ob das System Russland wirklich eines der Grundthemen der deutschen der Raketenabwehr in Polen und Tschechien Europa und der europäischen Außenpolitik sind. Das ist über- nicht erneut spaltet. haupt keine Frage. (Beifall bei der LINKEN) Ich finde, das Ergebnis, das sich in Ihrem Entschlie- ßungsantrag niederschlägt, wird diesem Anspruch über- Ich bitte Sie, darüber nachzudenken – das brauchen wir haupt nicht gerecht. Ich gebe zu – das ist auch mein Ein- jetzt nicht auszudiskutieren; Frau Schuster ist darauf be- druck –, dass das, was von der Regierung hinsichtlich reits ausführlich eingegangen –, ob das Scheitern des 13376 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 127. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. November 2007

Wolfgang Gehrcke (A) KSE-Vertrages – weil die NATO ihn nicht ratifiziert hat – Berichterstattung: (C) nicht ein solches Gefühl verstärken muss. Ich bitte Sie, Abgeordnete Dr. Christian Ruck darüber nachzudenken, ob das von Russland artikulierte Gabriele Groneberg ökonomische Interesse daran, dass die neuen Pipelines Dr. Karl Addicks nicht an seinen Grenzen vorbeigehen – das nehmen Sie Heike Hänsel in der Energiepolitik bei anderen Staaten immer hin –, Ute Koczy nicht berechtigt ist. Ich bitte Sie, darüber nachzudenken, ob nicht gerade das Vorgehen in der Kosovo-Politik die b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- Spaltung in Europa vertieft und ob Russland in dieser richts des Ausschusses für wirtschaftliche Zu- Frage nicht eine vernünftige, weitsichtige Position be- sammenarbeit und Entwicklung (19. Ausschuss) zieht. Wenn Sie das alles ausblenden, werden Sie nicht zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Christian zu einer strategischen Partnerschaft mit Russland kom- Ruck, Dr. Wolf Bauer, Klaus Brähmig, weiterer men. Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU so- wie der Abgeordneten Gabriele Groneberg, Ich will abschließend sagen: Ich bin ein Gegner der Dr. Sascha Raabe, Stephan Hilsberg, weiterer Innenpolitik und der strategischen Orientierung der Poli- Abgeordneter und der Fraktion der SPD tik unter Putin. Das hat mit meinen politischen Vorstel- lungen überhaupt nichts zu tun. Ich kritisiere die russi- Klimawandel global und effizient eindämmen – sche Innenpolitik, aber von einem anderen Standpunkt Klimaschutz und Anpassungsmaßnahmen in aus. Ich kritisiere sie, weil sie zu wenig sozial und demo- Entwicklungsländern entschieden voranbrin- kratisch ist. Aber ich nehme immer eine Position der Ge- gen meinsamkeit mit Russland und nicht eine Position des – Drucksachen 16/5740, 16/6962 – erhobenen Zeigefingers ein. Berichterstattung: Schönen Dank. Abgeordnete Dr. Christian Ruck (Beifall bei der LINKEN) Gabriele Groneberg Hellmut Königshaus Heike Hänsel Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Ute Koczy Ich schließe die Aussprache. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Der Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/ Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Es gibt kei- Die Grünen auf Drucksache 16/7187 soll zur federfüh- nen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. (B) renden Beratung an den Ausschuss für Menschenrechte (D) und Humanitäre Hilfe und zur Mitberatung an den Aus- Ich eröffne die Aussprache und erteile als erster Red- wärtigen Ausschuss, den Innenausschuss und den nerin das Wort der Kollegin Gabriele Groneberg von der Rechtsausschuss überwiesen werden. Sind Sie damit SPD-Fraktion. einverstanden? – Das ist der Fall. Dann ist so beschlos- sen. Gabriele Groneberg (SPD): Wir kommen zur Abstimmung über den Entschlie- Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In ßungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf der Tat geht es um zwei Anträge der Koalitionsfraktio- Drucksache 16/7186. Wer stimmt dafür? – Gegenstim- nen, zum einen um die effizientere Verzahnung von men? – Enthaltungen? – Der Entschließungsantrag ist Energie- und Entwicklungspolitik und zum anderen um mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der Frak- Klimaschutz- und Anpassungsmaßnahmen in Entwick- tion Die Linke bei Zustimmung der FDP-Fraktion und lungsländern. Beide beinhalten aktuelle Problematiken, der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen abgelehnt. die unweigerlich miteinander zusammenhängen und nur global lösbar sind. Da es zu beiden Anträgen schon aus- Ich rufe die Tagesordnungspunkte 37 a und 37 b auf: führliche Debatten gegeben hat, fasse ich mich kurz – a) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- was Sie mit Sicherheit freuen wird. richts des Ausschusses für wirtschaftliche Zu- Der erste Antrag zielt darauf ab, die Energiegewin- sammenarbeit und Entwicklung (19. Ausschuss) nung mit den Herausforderungen der Entwicklungszu- zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Christian sammenarbeit zu verknüpfen. Das bedeutet zunächst Ruck, Dr. Wolf Bauer, Hartwig Fischer (Göttin- einmal, dass Einnahmen aus der Rohstoffgewinnung in gen), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der Entwicklungsländern in armutsrelevanten Bereichen wie CDU/CSU sowie der Abgeordneten Gabriele Bildung und Gesundheit Verwendung finden. Beispiels- Groneberg, Dr. Sascha Raabe, Dr. Axel Berg, weise verfügt Afrika, das über ein Zehntel der weltweit weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD bekannten Ölreserven beheimatet, über ein enormes Energie- und Entwicklungspolitik stärker ver- Potenzial. Doch gerade Beispiele wie Angola und Nige- zahnen – Synergieeffekte für die weltweite ria zeigen, dass Bodenschätze allein nicht ausreichen. Energie- und Entwicklungsförderung besser Hier, wie in so vielen anderen Entwicklungsländern nutzen auch, verhindert hauptsächlich Korruption eine breite wirtschaftliche und gesellschaftliche Entwicklung. Au- – Drucksachen 16/4045, 16/5275 – tokratische Regierungen und diverse Machtcliquen sind Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 127. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. November 2007 13377

Gabriele Groneberg (A) in der Regel die Profiteure der vorherrschenden intrans- schen Forderungen bündelt und somit die Wechselwir- (C) parenten Strukturen und eben nicht die Bevölkerung. kungen ausreichend berücksichtigt. Ich erwarte, dass der Deshalb sind wir aufgefordert, mit den rohstofffördern- Teil der Einnahmen aus dem Emissionshandel, der für den Staaten bei ihren Bestrebungen nach einem transpa- Maßnahmen in Entwicklungs- und Schwellenländern renten Abbau ihrer Rohstoffe zusammenzuarbeiten. vorgesehen wird, in absoluter Übereinstimmung mit un- serer entwicklungspolitischen Arbeit eingesetzt wird. Wir fordern daher in unserem Antrag, dass die Initia- tive EITI, die die Offenlegung der Einnahmen aus der (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Rohstoffwirtschaft fordert, um durch Transparenz die Korruption zu bekämpfen, von uns weiterhin politisch, Wir müssen Energiesicherheit und Klimaschutz als organisatorisch und finanziell unterstützt wird. gemeinsame Herausforderung begreifen. Deshalb brau- chen wir auf internationaler Ebene wirkungsvolle Instru- Angesichts der steigenden Ressourcenknappheit und mentarien und Strategien, wie wir sie in den Anträgen des wachsenden Bedarfes, der vor allen Dingen auch die fordern, die der Komplexität dieser unmittelbar mitei- Entwicklungsländer betreffen wird, ist es an uns, den In- nander verknüpften Problematiken unserer Meinung dustrieländern, den Aufbau nachhaltiger Energiesysteme nach angemessen Rechnung tragen. sowie die Entwicklung klimafreundlicher Technologien zu unterstützen. Frau Koczy, tatsächlich fördern wir mit Vielen Dank. 1,6 Milliarden Euro Projekte im Bereich erneuerbarer (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Energien in rund 40 Partnerländern. Damit zählt dieses Gebiet zu den Schwerpunkten unserer Zusammenarbeit. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Eine effiziente und kostengünstige Energieversor- Die Rede des Kollegen Michael Kauch von der FDP- gung, liebe Kolleginnen und Kollegen – darin sind wir Fraktion nehmen wir zu Protokoll.1) Deswegen hat jetzt uns sicher einig –, ist als ein weiteres daran gekoppeltes der Kollege Dr. Georg Nüßlein von der CDU/CSU-Frak- Ziel gerade für Entwicklungsländer ein vorrangiges An- tion das Wort. liegen. Wir wollen damit natürlich vor allem auch das lo- (Beifall bei der CDU/CSU) kale Wirtschaftswachstum unterstützen. In unserem An- trag fordern wir aus diesem Grund, Entwicklungspolitik als ein eigenständiges, nachhaltiges Element in eine um- Dr. Georg Nüßlein (CDU/CSU): fassende, langfristig angelegte Energieaußenpolitik ein- Herr Präsident! Meine Damen! Meine Herren! zubeziehen. 20 Jahre lang haben wir diskutiert, ob es tatsächlich so etwas wie einen von Menschen herbeigeführten Klima- Diese Problematik ist noch vor einem ganz anderen (B) wandel gibt. Ich glaube, wir müssen jetzt aufpassen, dass (D) Hintergrund zu sehen, nämlich vor dem Hintergrund des wir uns nicht in Diskussionen verfangen, in denen es da- Klimawandels. Wir haben uns in unserem Antrag mit rum geht, welche Ziele wir uns setzen, und dass wir den Folgen des Klimawandels in den Entwicklungslän- nicht anfangen, uns gegenseitig mit Zielvorgaben zu dern intensiv auseinandergesetzt. Obwohl sie kaum ei- überbieten. nen Beitrag dazu geleistet haben, dass sich das Klima zurzeit so stark wandelt, werden sie massiv von den Fol- (Widerspruch der Abg. Ute Koczy [BÜNDNIS 90/ gen betroffen sein. Wir sprechen hier von der besonde- DIE GRÜNEN]) ren Verwundbarkeit der Entwicklungsländer, zum einen Wir sollten vielmehr die Frage stellen, was wir für einen weil deren Volkswirtschaften und staatliche Institutionen weitgehenden Klimaschutz tun können und welche Vo- zumeist fragil sind, und zum anderen, weil die meisten raussetzungen dafür vorhanden sein müssen. Ich meine, Ökonomien agrarisch geprägt sind und sich somit Wet- an erster Stelle braucht Klimaschutz Akzeptanz, terextreme gravierend auswirken können. Auf diese Pro- blematik wird mein Kollege Sascha Raabe nachher in- (Ute Koczy [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: tensiver eingehen. Wenn ich das schon höre!) (Hartwig Fischer [Göttingen] [CDU/CSU]: zuallererst natürlich bei uns im Land. Wenig helfen Pu- Das ist klar, Nachhaltigkeit!) blikationen, wenig helfen Vorgaben irgendwelcher Ziele, und es helfen schon gar keine Predigten, auf was man in – Ja, natürlich, wir praktizieren das, von dem wir reden. Zukunft alles verzichten sollte. Vielmehr geht es darum, Das habe ich vorhin schon einmal erwähnt. dass wir Ökonomie und Ökologie miteinander vereinba- Weiter sprechen wir davon, dass die zunehmende Ver- ren, damit die Leute draußen akzeptieren, dass wir den knappung von Boden und Trinkwasser auch immer Ur- Klimaschutz in Deutschland zu einem ganz wichtigen sache von politischen Krisen und Konflikten war und ist politischen Tagesordnungspunkt machen. und sich dieser Zustand sicherlich weiter verstärken Wachstum und Wahrung der Schöpfung gehören für wird. Aus diesem Grund muss Klima- und Anpassungs- uns von der Union zusammen. Nur wenn es uns gelingt, politik auch als Element präventiver Sicherheitspolitik hier bei uns zu zeigen, dass man auf der einen Seite Res- verstanden werden. Wir fordern in unserem zweiten An- sourcen schonen und das Klima schützen und auf der an- trag deshalb auch, dass wirksame Instrumente zur Finan- deren Seite weiter wachsen kann, wird das alles akzep- zierung der enorm hohen Anpassungskosten weiterent- wickelt werden. Wir brauchen eine kohärente Strategie, die unsere umfassenden klima- und entwicklungspoliti- 1) Anlage 5 13378 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 127. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. November 2007

Dr. Georg Nüßlein (A) tiert. Dazu gehört, dass wir uns an die Spitze der sichtlichen Veräußerungserlösen pro Jahr 120 Millionen (C) Technologieentwicklung setzen. Umwelttechnik und Euro international einzusetzen. Das ist ökonomisch sinn- Automobiltechnik sind die Techniken, die Deutschland voll. Ebenso ökonomisch sinnvoll ist es, dabei die EZ- stark gemacht haben. Bei den Energietechnologien sind Kapazitäten zu nutzen, statt parallele Ressorts aufzu- wir mittlerweile in weiten Bereichen Marktführer. Das bauen und das Rad neu zu erfinden. sind die Dinge, die man bei uns in erster Linie voran- bringen muss. (Gabriele Groneberg [SPD]: Richtig!) Lassen Sie uns an dieser Stelle, wo wir sehr erfolgreich Sie werden sich jetzt fragen, was meine Ausführun- und sehr gut sind, entsprechend weitermachen. gen mit der entwicklungspolitischen Debatte zu tun ha- ben. Es gibt Menschen, die sagen, dass Deutschland für (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) 3,2 Prozent der weltweiten klimaschädlichen Emissio- Wir müssen und wollen darauf achten, dass die Maß- nen verantwortlich ist und dass in China die CO2-Emis- sionen pro Jahr um mehr zunehmen, als was wir in nahmen ODA-fähig sind, insbesondere im Bereich der Deutschland insgesamt emittieren. Nun sage ich: Das ist Energieversorgung und bei den notwendigen Anpassun- richtig, aber nichtsdestoweniger oder gerade deshalb gen an den Klimawandel. Denn eines ist auch klar: Nie- müssen wir zeigen, dass man für den Klimaschutz etwas mand ist vom Klimawandel so stark betroffen wie die tun und trotzdem wachsen kann; denn die Entwicklungs- Entwicklungsländer. länder haben einen Anspruch – das wird hier keiner be- Ein entscheidendes Instrument in diesem Rahmen ist streiten – auf Wachstum. Wir müssen zeigen, dass das der Clean-Development-Mechanism, und zwar deshalb, geht, ohne dass sie dieselben Fehler wiederholen. weil er einen Technologietransfer impliziert. Auch das (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Zu- muss man sich vergegenwärtigen. Aber wir müssen aus ruf von der FDP) einem solchen Mechanismus erst einmal etwas machen. Da gibt es etliche Kritikpunkte, die wir zeitnah ausräu- – Die FDP sagt gerade, auch wir hätten einen Anspruch men müssen, insbesondere beim Thema Bürokratie. Wir auf Wachstum. Weil auch wir diesen Anspruch haben müssen methodische Klarheit bei der Anrechnung von und ihn erfüllen wollen, müssen wir klug mit diesem Projekten schaffen. Wir sollten meiner Überzeugung Thema umgehen und überlegen, wie man Technologie nach das Augenmerk auf Afrika richten. Bei alledem effizient einsetzen kann, um das Klima zu schützen. sollten wir nicht versäumen, Planungs- und Investitions- sicherheit zu schaffen. CDM-Investitionen sind langfris- Die Entwicklungsländer brauchen den Transfer von tige Investitionen, für die die Industriestaaten politische angepasster Technologie. Ein ausgebautes Instrumenta- Sicherheit brauchen. Dies sollte man bei den Post-2012- (B) rium der Entwicklungszusammenarbeit gibt es in diesem Verhandlungen berücksichtigen. Auf der anderen Seite (D) Zusammenhang. Ich nenne als Beispiel die 4E-Fazilität, müssen wir uns sehr genau überlegen, wo wir solche mit der die Nutzung von Technologien aus dem Bereich Projekte umsetzen, wie man dort noch einen Beitrag zu der erneuerbaren Energien und der Energieeffizienz, die Good Governance leisten kann, um auch da entspre- wir exportieren können, gefördert wird. Das ist aus mei- chende Projektsicherheit zu erreichen. ner Sicht ganz entscheidend. Was die Themen Energiepolitik und Entwicklungszu- Es geht aber nicht nur um Hochtechnologie, um High- sammenarbeit in Deutschland angeht, muss man diffe- tech, sondern es geht auch um die Frage, was in den Ent- renzieren. Es gibt eine Reihe energiereicher Entwick- wicklungsländern sonst noch passieren kann. In diesem lungsländer, die wir dazu anhalten sollten, ihre Zusammenhang möchte ich auf einen ganz entscheiden- Entwicklung mehr aus ihrem Energiereichtum zu för- den Eigenbeitrag der Entwicklungsländer aufmerksam dern. Mit „anhalten“ meine ich nicht, dass wir uns auf machen. Ein Fünftel der Treibhausgasemissionen ent- moralische Vorgaben und Aufforderungen beschränken steht aufgrund der Rodung von Wäldern und der Beseiti- sollten, sondern wir sind in besonderer Weise als Abneh- gung von Torfböden. Auch da müssen wir nach meiner mer gefragt; da sollten wir uns einem entsprechenden Meinung ansetzen. Indonesien ist allein wegen der Ab- Verhaltenskodex anschließen. holzung der Wälder der drittgrößte Emittent nach den USA und China. Da muss man sich überlegen, wie wir Es ist an uns, in erster Linie Länder zu stabilisieren, mit diesem Thema umgehen. Ich sage: Wir müssen einen die uns Energie liefern. Das ist ein Eigeninteresse, dem ökonomischen Ansatz wählen und dürfen diesen Län- wir, wie ich meine, nachgeben dürfen. dern nichts verbieten. Wir müssen diesen Wäldern einen (Markus Löning [FDP]: Meinen Sie Saudi- ökonomischen Eigenwert geben. Wir müssen letztend- Arabien?) lich eine finanzielle Inwertsetzung des Nichtrodens in Gang setzen. Das wird im Schwerpunkt nicht aus staatli- – Saudi-Arabien ist aufgefordert, seinerseits Entwick- chen Haushalten finanziert werden können, sondern wir lungspolitik zu machen mit dem vielen Geld, das es de- müssen uns dabei insbesondere am globalen Emissions- monstrativ mit den Ölexporten macht. Aber das ist et- handel orientieren. Diesen müssen wir weltweit und um- was, lieber Kollege, was wir im Deutschen Bundestag fassend ausbauen und die Gelder hier zielgenau einset- leider nicht beschließen können. zen. Wir sollten meiner Meinung nach aber auch an die Was den Emissionshandel angeht, so sind wir mittler- Entwicklungsländer denken, die nicht in großem Um- weile auf dem Weg, von den 400 Millionen Euro voraus- fang über Ressourcen verfügen. Diese haben ein ernst- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 127. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. November 2007 13379

Dr. Georg Nüßlein (A) haftes Problem mit dem Anstieg der Energiepreise; da Ich möchte darauf hinweisen, dass wir Grünen einen (C) können wir beim Beispiel Saudi-Arabien bleiben. Ich Antrag mit dem Titel „Rohstoffeinnahmen für nachhal- bin der festen Überzeugung, dass wir ihnen durch einen tige Entwicklung nutzen“ vorgelegt haben, über den wir angepassten Technologietransfer helfen müssen, damit hier am 10. Mai 2007 diskutiert haben. Energie, Roh- sie nicht länger von Energieimporten abhängig sind. stoffe und Klima sind Themen, die zusammengehören. Dazu müssen wir in unserem Land die entsprechende Ich bin sehr froh darüber, dass hier im Rahmen der Ent- Politik betreiben. Ich bin der festen Überzeugung, dass wicklungspolitik darüber diskutiert wird. Wenn man den wir da auf einem guten Weg und für Bali entsprechend Antrag der Grünen liest, weiß man, warum wir dem aufgestellt sind. Koalitionsantrag nicht zustimmen werden: Sie sind, auch im Rahmen der Diskussion, auf bestimmte Punkte, Vielen herzlichen Dank. die ich wichtig finde, nicht eingegangen. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Die Bundesregierung muss aufgefordert werden, da- für zu sorgen, dass keine Kredite der Weltbank und der Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Entwicklungsbanken für Erdöl- und Gasprojekte verge- Die Rede der Kollegin Heike Hänsel von der Fraktion ben werden. Die Umsetzung des Salim-Berichts ist nach Die Linke nehmen wir zu Protokoll.1) wie vor sehr wichtig. Davon steht kein Wort in Ihrem Antrag. Damit hat das Wort die Kollegin Ute Koczy von der (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Markus Löning [FDP]: Sie wollen doch immer (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) entschulden!) Wir brauchen mehr Transparenz bei Bürgschaftsent- Ute Koczy (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): scheidungen der Bundesregierung. Diesbezüglich ist Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und nichts von der Bundesregierung zu erwarten. Nichts ist Kollegen! Ich möchte mich bei der Diskussion über die- getan worden. Die Gewinne aus den sogenannten Kon- sen Antrag vor allem auf die Unterschiede zu unserem fliktrohstoffen müssen sanktioniert werden. Auch das haben wir bislang nicht großartig thematisiert. Außer- Antrag konzentrieren; denn vier Minuten Redezeit sind dem ist zu fragen, was mit dem Geld passiert, das durch wenig. Erdöl- und Gasprojekte eingenommen wird. Zunächst einmal fällt das Datum des Antrages auf: Wir haben gerade über das Thema Russland gespro- 17. Januar 2007. Das heißt, Sie hatten elf Monate Zeit, chen. Ich weise darauf hin, dass die Deutsche Bank Gel- (B) mit diesem Antrag umzugehen. Der Titel dieses Antra- der des verstorbenen Diktators des zentralasiatischen (D) ges lautet: „Energie- und Entwicklungspolitik stärker Landes Turkmenistan verwaltet und wir immer noch verzahnen – Synergieeffekte für die weltweite Energie- keine Möglichkeit haben, an diese Gelder heranzukom- und Entwicklungsförderung besser nutzen“. Das ist ein men. wichtiges Thema. Ich frage mich, warum wir über dieses Thema heute so spät diskutieren. Warum diskutieren wir (Markus Löning [FDP]: Ist der Mann denn überhaupt so spät über einen Antrag, der eigentlich da- rechtskräftig verurteilt?) rauf abzielte, die G-8- und die EU-Präsidentschaft vo- Auch dieses Thema wird von den Koalitionsfraktionen ranzutreiben? ignoriert. (Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Das Schöne an diesem Antrag ist, dass man Sie an NEN]: Welche G-8-Präsidentschaft? – den Erwartungen messen kann, die Sie dort formuliert Hartwig Fischer [Göttingen] [CDU/CSU]: haben. In Punkt 18 haben Sie einen solchen Einspruch 15.15 Uhr ist früher Nachmittag!) formuliert. Sie haben einen Antrag vorgelegt, um im Nachhinein be- (Hartwig Fischer [Göttingen] [CDU/CSU]: stimmte Dinge klarzustellen. Ich finde das äußerst merk- Das heißt, 17 Punkte sind in Ordnung!) würdig. Wenn man genau liest, stellt man fest, dass Sie nicht sehr (Dr. Sascha Raabe [SPD]: So ist das weit gekommen sind. Sie fordern zum Beispiel: Prozedere!) Die Bundesregierung muss die deutsche EU-Rats- – Ich kenne das Prozedere. Umso schlimmer ist es, dass präsidentschaft im ersten Halbjahr 2007 und die es Ihnen nicht gelungen ist, Ihre Regierung adäquat vo- deutsche G8-Präsidentschaft 2007 dazu nutzen, die ranzutreiben. europäische Entwicklungs-, Energie- und Klima- schutzpolitik auf das gemeinsame strategische Ziel, (Markus Löning [FDP]: Da hat sich die Koali- die Verzahnung von Energiesicherheit, Entwick- tion nicht mit Ruhm bekleckert!) lungszusammenarbeit und Klimaschutz, auszurich- ten und in den internationalen Harmonisierungspro- Ein paar Punkte weisen darauf hin, dass Sie nicht so er- zess der Entwicklungspolitik einzubetten. folgreich waren, wie dieser Antrag vorgaukelt. Davon habe ich nichts mitbekommen.

1) Anlage 5 (Markus Löning [FDP]: Was?) 13380 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 127. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. November 2007

Ute Koczy (A) Zum Zweiten fordern Sie die Bundesregierung unter Eine Initiative im Rahmen der G-8-Präsidentschaft (C) Punkt 13 auf, den von Ihnen „eingeforderten Bericht zur war zum Beispiel darauf gerichtet, dass die Weltbank ei- stärkeren Verzahnung von Maßnahmen der Entwick- nen Vorstoß in der Frage unternimmt, wie man mit ei- lungszusammenarbeit mit dem Ansatz der Exportunter- nem internationalen Fonds Tropenwälder schützen kann. stützung für Erneuerbare Energien spätestens bis zum Die Mittel eines solchen Fonds können für die Entschä- Frühjahr 2007 dem Deutschen Bundestag vorzulegen“. digung der Nichtnutzung verwendet werden. Natürlich Auch diesbezüglich bitte ich darum, dass Sie das nach- müssen Entwicklungsländer das Recht haben, ihre Tro- bearbeiten. Lesen Sie Ihren Antrag noch einmal, und sa- penwälder wirtschaftlich zu nutzen. Davon leben Men- gen Sie dann, was Sie erreichen wollen. schen. (Markus Löning [FDP]: Den müssen sie zu- Frau Koczy, noch vor unserem Beschluss hier hat die rückziehen! Das ist doch erledigt!) Bundesregierung 55 Millionen US-Dollar für einen Fonds zugesagt, der insgesamt nur ein Volumen von Dieser Antrag macht mich vor allem nervös, weil Sie 250 Millionen US-Dollar hat. Wir sind neben Großbri- sagen, dass Sie einen „ausgewogenen Energiemix“ an- tannien die Einzigen, die dafür im Rahmen der G-8-Prä- streben. Sie sagen, dass Sie – ich zitiere – „über alle sidentschaft eine konkrete Zusage gemacht haben. Daran Energieträger hinweg Spitzentechnologien“ entwickeln sieht man: Die Regierung handelt, auch weil wir sie mit wollen, „um weltweit eine nachhaltige Energieversor- guten Anträgen unterstützen. gung zu gewährleisten.“ Wir wissen – Herr Ruck hat das gestern gesagt –, dass Atompolitik für eine Seite der (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der Koalition nicht tabu ist. Das hätte zum Tabu gemacht CDU/CSU – Gabriele Groneberg [SPD]: Vo- werden müssen. rauseilender Gehorsam!) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wir hätten uns diese Schnelligkeit manchmal ge- wünscht, als wir noch mit Ihnen in einer Koalition gewe- Wir sagen Nein zu dieser Ausrichtung. Ich bitte Sie, da- sen sind. bei zu bleiben und das nicht zu forcieren; denn es wäre eine fatale Fehlleistung in der Entwicklungspolitik, (Ute Koczy [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: wenn Sie diesen Schritt täten. Das lag an der SPD! – Jürgen Trittin [BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN]: Das lag weniger an (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) uns!) Ich möchte darauf hinweisen, dass wir in unserer Ent- Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: wicklungszusammenarbeit einen Schwerpunkt sehr ernst (B) Das Wort als letzter Redner zu diesem Tagesord- nehmen, den auch Herr Nüßlein in seiner Rede genannt (D) nungspunkt hat der Kollege Dr. Sascha Raabe von der hat, nämlich die Frage, wie wir die tropischen Regen- SPD-Fraktion. wälder in ihrer Biodiversität schützen. Es ist schon ange- sprochen worden, dass in den tropischen Regenwäldern Dr. Sascha Raabe (SPD): ein Fünftel der CO2-Emissionen entstehen. Aber auch Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und fast 90 Prozent aller Tier- und Pflanzenarten kommen in Herren! Liebe Kollegin Koczy, es geht heute nicht nur diesen Wäldern vor. Wir reden hier über ein Problem, um einen Antrag, sondern es geht um zwei Anträge. Das das wirklich sehr ernst ist und schnell gelöst werden sollte Ihnen aufgefallen sein, wenn Sie sich schon so muss. akribisch mit der Chronologie befasst und darauf hinge- Der Kollege Ruck und ich waren mit zwei weiteren wiesen haben, wann die Einbringung war. Sie wissen, Kollegen in Indonesien und haben uns vor Ort angese- dass es im parlamentarischen Prozess vor allem wichtig hen, wie schnell dort Ölpalmenplantagen tropische Re- ist, wann man einen Antrag einbringt. Wir haben diese genwälder vernichten und ersetzen. Natürlich sagt ein beiden Anträge, den zum Klimaschutz und auch den zur armes Land wie Indonesien: Wenn ihr nicht wollt, dass Energiepolitik, an sehr prominenter Stelle, nämlich in wir unsere Wälder in Ölpalmenplantagen umwandeln, der Kernzeit, noch vor den G-8-Debatten, eingebracht. dann müsst ihr uns Einkommensalternativen bieten. Wenn wir als Koalitionsfraktionen einen Antrag ein- In unserem Antrag haben wir übrigens auch geschrie- bringen, ist es so, dass wir die Bundesregierung motivie- ben, dass zu prüfen ist, inwieweit wir einen Mechanis- ren, das, was in den Anträgen gefordert wird, zu machen, mus und einen Fonds im Rahmen der Initiative REDD noch bevor wir den Antrag hier in zweiter und dritter Be- unterstützen können, die der lokalen Bevölkerung einen ratung beschlossen haben. Ausgleich geben können. Denn es gibt nicht nur Tiere (Markus Löning [FDP]: Ja, ja, ja! Das sind oder Pflanzen, sondern auch viele Menschen, die in und doch Märchen, die Sie da erzählen!) von den Wäldern leben. An dieser Stelle geht die Bun- desregierung mit gutem Beispiel voran. Wir werden das Das lässt sich auch an Zahlen festmachen, die ganz evi- auch weiter fordern und die Mittel dafür zur Verfügung dent sind. stellen. (Markus Löning [FDP]: Sie haben sich nicht Ebenso sind wir seit 1992 in Brasilien mit getraut, der Bundesregierung etwas ins 330 Millionen Euro der wichtigste Geber in dem Pro- Stammbuch zu schreiben!) gramm mit dem Ziel, die amazonischen Regenwälder zu Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 127. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. November 2007 13381

Dr. Sascha Raabe (A) schützen; wir tragen fast die Hälfte der Kosten des ge- schuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf (C) samten Programms. Das nützt uns etwas; denn es geht Drucksache 16/6962, den Antrag der Fraktionen der um das Klima, die Luft und die Temperatur – was wir CDU/CSU und SPD auf Drucksache 16/5740 anzuneh- alle brauchen. Es geht im Rahmen der Biodiversität men. Wer stimmt dafür? – Gegenstimmen? – Enthaltun- nicht nur darum, ein paar hübsche Tierarten zu schützen. gen? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen Es ist zwar schön, einen Puma und andere Tiere zu se- der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Opposi- hen; aber dort leben Pflanzen- und Tierarten, die uns im tionsfraktionen angenommen. medizinischen Bereich hilfreich sein können, weil sie für die Behandlung von Krebs und anderen Krankheiten Ich rufe Tagesordnungspunkt 40 auf: wichtig sind. Es geht also darum, dass wir dieses Erbe Beratung des Antrags der Abgeordneten Daniel schützen und diese Potenziale ausnutzen können. Bahr (Münster), Heinz Lanfermann, Dr. Konrad Im Rahmen der WTO müssen wir dafür sorgen, dass Schily, weiterer Abgeordneter und der Fraktion die Patente, die daraus entwickelt werden, nicht allein der FDP von den internationalen Pharmakonzernen abgeschöpft GKV-eigene Tarife durch Kooperation von werden, sondern auch der lokalen Bevölkerung ein Nut- GKV und PKV beim Wahltarif zur Kosten- zen bleibt. Denn dann hat man auch eine Motivation der erstattung ersetzen Menschen, diese Wälder zu schützen. – Drucksache 16/6794 – In diesem Sinne, glaube ich, machen wir eine kohä- Überweisungsvorschlag: rente und gute Politik. Ich bitte Sie deshalb, beiden An- Ausschuss für Gesundheit trägen zuzustimmen, Frau Koczy. Wenn man Ihrer Rede genau zugehört hat, hat man herausgehört, dass Sie das Alle Reden sollen zu Protokoll genommen werden. Es alles eigentlich richtig und gut finden. handelt sich um die Reden der Kollegen Dr. Hans Georg Faust, CDU/CSU, Dr. Karl Lauterbach, SPD, Daniel (Ute Koczy [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Bahr, FDP, Frank Spieth, Die Linke, und Birgitt Bender, Dann haben Sie nicht richtig zugehört! – Bündnis 90/Die Grünen.1) Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jetzt stimmen wir dagegen! Sie haben uns Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf überzeugt!) Drucksache 16/6794 an den Ausschuss für Gesundheit vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist In Wirklichkeit müssen Sie Ihre Kritik an den Einbrin- der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. gungsdaten festmachen. Geben Sie sich einen Ruck und (B) stimmen Sie unseren Anträgen zu. Ansonsten machen Ich rufe Tagesordnungspunkt 39 auf: (D) wir das allein und schützen die Welt und das Klima selbst. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ein- Vielen Dank. führung der nachträglichen Sicherungsver- (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) wahrung bei Verurteilungen nach Jugend- strafrecht Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: – Drucksache 16/6562 – Ich schließe die Aussprache. Überweisungsvorschlag: Rechtsausschuss (f) Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Aus- Innenausschuss schusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Ent- Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend wicklung zu dem Antrag der Fraktionen der CDU/CSU Auch hier sollen die Reden zu Protokoll genommen und SPD mit dem Titel „Energie- und Entwicklungspoli- werden. Es handelt sich um die Reden der Kollegen tik stärker verzahnen – Synergieeffekte für die weltweite Dr. Jürgen Gehb, CDU/CSU, Joachim Stünker, SPD, Energie- und Entwicklungsförderung besser nutzen“. Jörg van Essen, FDP, Wolfgang Nešković, Die Linke, Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung Jerzy Montag, Bündnis 90/Die Grünen, und der Bundes- auf Drucksache 16/5275, den Antrag der Fraktionen der ministerin Brigitte Zypries.2) CDU/CSU und SPD auf Drucksache 16/4045 anzuneh- men. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Ge- Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzent- genstimmen? – Enthaltungen? – Die Beschlussempfeh- wurfs auf Drucksache 16/6562 an die in der Tagesord- lung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen bei nung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es Gegenstimmen von Bündnis 90/Die Grünen und bei Ent- andere Vorschläge? – Das ist nicht der Fall. Dann ist das haltung der FDP-Fraktion und der Fraktion Die Linke so beschlossen. angenommen. Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 41 auf: Zur Beschlussempfehlung des Ausschusses für wirt- schaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung zu dem Beratung des Antrags der Abgeordneten Antrag der Fraktionen von CDU/CSU und SPD mit dem Irmingard Schewe-Gerigk, Volker Beck (Köln), Titel „Klimawandel global und effizient eindämmen – Klimaschutz und Anpassungsmaßnahmen in den Ent- 1) Anlage 6 wicklungsländern entschieden voranbringen“. Der Aus- 2) Anlage 7 13382 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 127. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. November 2007

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms (A) Jerzy Montag, weiterer Abgeordneter und der Ihr Antrag nach dem Ghettorentengesetz wurde abge- (C) Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN lehnt. Nach Aktenlage wurde entschieden: Die Antrag- stellerin habe in den 50er-Jahren in ihrem damaligen Zugang zu Rentenleistungen für ehemalige Entschädigungsantrag nur von Zwangsarbeit gespro- Ghetto-Insassen erleichtern chen. Auch seien Lebensmittel, Holzkohle und Kleidung – Drucksache 16/6437 – kein Entgelt. Zudem gebe es Widersprüche über die ge- Überweisungsvorschlag: nauen Zeiträume der Ghettohaft. Werte Kolleginnen und Ausschuss für Arbeit und Soziales (f) Kollegen, ist das nach 60 Jahren eigentlich ein Wunder? Rechtsausschuss Finanzausschuss Gott sei Dank entscheiden nicht alle Gerichte nach Haushaltsausschuss Aktenlage. Das Landessozialgericht NRW hat einen an- Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die deren Weg gefunden. Der Berichterstatter Dr. von Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen, wobei Bünd- Renesse hat die betroffene Dame in Israel aufgesucht nis 90/Die Grünen fünf Minuten erhalten soll. Gibt es und befragt. Er hat Gutachter hinzugezogen. Am Ende Widerspruch? – Das ist nicht der Fall. kam das Gericht zu völlig anderen Ergebnissen als die Rentenversicherung. Solch engagierten Richtern kann Ich eröffne die Aussprache und erteile der Kollegin gar nicht genug gedankt werden. Irmingard Schewe-Gerigk von Bündnis 90/Die Grünen das Wort, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der FDP und der LINKEN) (Zuruf von der CDU/CSU: Das hat sie schon selbst gemacht! – Heiterkeit) Die Rentenversicherungsträger haben viel zu hohe Hürden aufgebaut. Sie können doch für die Situation, der die bereits am Rednerpult steht und jetzt auch reden darf. Menschen in einem Ghetto zur Zeit des Nationalsozialis- mus ausgesetzt waren, nicht die gleichen Kriterien von Irmingard Schewe-Gerigk (BÜNDNIS 90/DIE Freiwilligkeit und Entgelt anlegen wie für die heutige GRÜNEN): Arbeitswelt in einem demokratischen Staat. Ich wieder- Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Als Rot- hole: Was hier passiert, empfinde ich als eine echte Grün 2002 das Ghettorentengesetz vorlegte, das in die- Schande. sem Hause einstimmig beschlossen wurde, glaubten wir, wir hätten ein Stück mehr Gerechtigkeit geschaffen, Ge- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN rechtigkeit für Menschen, die während des Nationalso- und bei der LINKEN) (B) zialismus in Ghettos gezwungen wurden, Gerechtigkeit In den letzten Monaten hat sich die Rechtsprechung (D) für Menschen, die dort eine Erwerbsarbeit annahmen, aber zugunsten der Betroffenen bewegt. Das Bundesso- oft, um dem Hungertod zu entgehen, und dafür bis heute zialgericht hat eindringlich eine angemessene Würdi- keinen Ausgleich erhalten haben. gung der historischen Tatsachen verlangt. Die Renten- Ich finde, es ist eine echte Schande, was nun passiert. versicherungsträger sind aber offenbar nicht bereit, Von 70 000 Anträgen auf eine solche Rente wurden nur etwas zu ändern. Sie gehen regelmäßig durch alle Instan- 5 Prozent positiv beschieden. Derzeit sind vor Sozialge- zen. Das dürfen wir nicht länger zulassen. richten noch 10 000 Streitfälle anhängig. Nichts kann bei Dass die Bundesregierung im September eine Härte- der Auszahlung der Rente für Ghettoarbeit unangebrach- richtlinie zum Ghettorentengesetz verabschiedet hat, war ter sein als Geiz. ein erster Schritt. Darauf können Sie sich aber nicht aus- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, ruhen, und Sie können die Hände nicht in den Schoß le- bei der FDP und der LINKEN) gen; denn diese Richtlinie reicht nicht aus. Auch die Jewish Claims Conference ist der Meinung, dass die Be- Es geht oft um hochbetagte, traumatisierte Menschen. rechtigungskriterien unklar und restriktiv sind. Sie for- Sie dürfen nicht in kräftezehrende, langwierige Verfah- dert, dass sie noch überarbeitet und klarer formuliert ren getrieben werden. werden. Das sehen wir genauso. Ich will Ihnen ein Beispiel einer heute in Israel leben- Liebe Kolleginnen und Kollegen, eine Einmalzahlung den 81-jährigen Dame schildern. Sie wurde 1926 in der von 2 000 Euro ist kein angemessener Ausgleich. Da- Ukraine geboren. Ihr Dorf wurde Mitte Juli 1941 von durch wird man dem Verfolgungsschicksal ehemaliger deutschen Truppen besetzt. Unmittelbar danach begann Ghettoinsassen nicht gerecht. Ich zitiere Robert Probst das Morden. Das junge Mädchen verlor über 100 Fami- von der Süddeutschen Zeitung: Es ist ein Billigfonds, der lienangehörige. Auch ihre Eltern und ihre vier Ge- niemanden zufriedenstellen kann. schwister überlebten die deutsche Besatzung nicht. Sie selbst kam in ein Ghetto und fand durch die Vermittlung Zudem bringt die Richtlinie keine Änderung der des sogenannten Judenrates Arbeit. Sie bekam kein Missstände beim eigentlichen Ghettorentengesetz. Unter Geld, aber immerhin so viele Lebensmittel, dass sie sich Antrag sieht daher vor: und ihren damals noch lebenden kleinen Bruder ernäh- ren konnte. Später gelang ihr die Flucht. Mehrere Jahre Erstens. Der Personenkreis, den die Richtlinie der lebte sie unter schrecklichsten Bedingungen in einem Bundesregierung im Blick hat, erhält pauschalierte lau- Heuschober versteckt, aber sie überlebte. fende Leistungen von monatlich 150 Euro. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 127. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. November 2007 13383

Irmingard Schewe-Gerigk (A) Zweitens. Parallel wird der Zugang zum eigentlichen Es geht auch darum, politisch anzuerkennen, dass es (C) Ghettorentengesetz erleichtert, damit anspruchsberech- sich hier um gesetzliches Unrecht handelt. Dem zollt tigte Betroffene Leistungen in vollem Umfang geltend dieser Antrag den entsprechenden Respekt. machen können. Ich will abschließend darstellen, wie dies aus Sicht Vordringlichstes Ziel muss es sein, die hochbetagten der Betroffenen wahrgenommen wird. Wie die im Ge- ehemaligen Ghettoinsassen schnell zu ihrem Recht kom- setz genannten Voraussetzungen auf die Betroffenen ge- men zu lassen, und dazu dienen die Pauschalleistungen. wirkt haben, macht eine Petition deutlich, die eingereicht Schnelle Hilfe darf aber nicht dazu führen, Menschen wurde. Der Petent beklagt, die im ZRBG genannten Kri- vom Verfolgen ihres vollen Rentenanspruchs abzuhal- terien verlangten aus der Sicht der Antragsteller, also der ten. Deshalb wollen wir die Klarstellung im Gesetz. Opfer, das Eingeständnis eines gewissen Maßes an Ei- genbeteiligung an ihrem Verfolgungsschicksal. Das Ge- Meine Damen und Herren, das Ghettorentengesetz setz wird so verstanden, dass die Frage, ob eine An- wurde 2002 einstimmig beschlossen. Ich würde mich spruchsberechtigung besteht oder nicht, allein davon sehr freuen, wenn wir die notwendigen Korrekturen hier abhängt, ob und in welchem Umfang die Opfer bereit ebenso einmütig vornehmen würden. sind, zuzugeben, ihr Verfolgungsschicksal aktiv mitge- Vielen Dank. staltet zu haben, indem sie ein Entgelt entgegengenom- men oder sich freiwillig zu einer Beschäftigung gemel- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN det haben. Dieses Eingeständnis – so wird in der Petition und bei der LINKEN) ausgeführt – ist für die meisten ehemals Verfolgten mit einem Verrat an ihrem eigenen Opferdasein gleichzuset- Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: zen und – wenn man sich das einmal konkret vorstellt – überhaupt nicht zu verstehen. Auch deswegen ist der Die Reden der Kollegen Peter Weiß (Emmendingen), vorliegende Antrag richtig und im Sinne der Opfer. CDU/CSU, Dr. Heinrich Kolb, FDP, und Klaus Brandner, SPD, nehmen wir zu Protokoll.1) Ich würde mich sehr freuen, wenn wir in diesem Hause eine Einstimmigkeit darüber erzielen könnten, Deshalb hat jetzt das Wort der Kollege Jan Korte von diesen Vorgang im Sinne der noch wenigen lebenden der Fraktion Die Linke. Betroffenen abzuschließen. Wir sollten das gesetzliche (Beifall bei der LINKEN) Unrecht, das damals herrschte, anerkennen, und den Opfern zu ihrem Recht verhelfen. Jan Korte (DIE LINKE): Ich fände es auch sinnvoll, wenn wir die Debatten (B) Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die über das Ghettorentengesetz dazu nutzen würden, ver- (D) Fraktion Die Linke unterstützt ausdrücklich den hier gangenheitspolitisch darüber zu diskutieren, wer von vorliegenden Antrag, weil es gerade angesichts des Al- dem damaligen Unrecht profitiert hat. Wir sollten zum ters der Betroffenen einer schnellen und unbürokrati- einen den Opfern zu ihrem Recht verhelfen und ihnen schen Lösung bedarf. Der Antrag hat also unsere volle Anerkennung zollen, zum anderen aber deutlich machen, Zustimmung. wer damals die Täter waren und wer davon profitiert hat. Dies könnte im Rahmen einer Debatte hier im Bundestag Auf das Problem wurde schon hingewiesen. Das geschehen. Ghettorentengesetz wurde damals vom ganzen Hause verabschiedet. Das war richtig und gut gemeint; aber in Schönen Dank. der Praxis hat sich nun gezeigt, dass es sich nicht be- (Beifall bei der LINKEN und dem BÜND- währt hat und im Übrigen für die Betroffenen unzumut- NIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordne- bar ist. ten der SPD) Die Formulierungen im Gesetz und erst recht die da- raus abgeleiteten Entscheidungen zahlreicher Sozialge- Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: richte, die die Anträge der Betroffenen reihenweise ab- Ich schließe die Aussprache. lehnten, zeigen eine Unsensibilität gegenüber der realen Situation der vom NS-Faschismus verfolgten Ghettobe- Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf wohner. Das stellt vielleicht den eigentlichen Skandal Drucksache 16/6437 an die in der Tagesordnung aufge- dar. Der vorliegende Antrag ist richtig, um diesen Skan- führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein- dal zu beenden. Die Arbeitsaufnahme müsse – so heißt verstanden? – Das ist der Fall. Dann ist so beschlossen. es im Gesetz – „aus eigenem Willensentschluss zustande gekommen“ und „gegen Entgelt ausgeübt“ worden sein. Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tages- Die Anforderungen der Freiwilligkeit und eines Entgelts ordnung. mögen für normale Arbeitsverhältnisse unter heutigen Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bun- Bedingungen zutreffende Beschreibungen sein. Für die destages auf Dienstag, den 27. November 2007, 10 Uhr, Situation in einem Ghetto – das ist hier zu Recht darge- ein. stellt worden – treffen sie aber nicht zu. Die Sitzung ist geschlossen. 1) Anlage 8 (Schluss: 15.38 Uhr) 13384 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 127. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. November 2007

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms (A) Berichtigungen (C) 126. Sitzung, Seite 13145 (B), Änderung des endgülti- gen Ergebnisses der namentlichen Abstimmung: Abgegebene Stimmen: 572; davon ja: 517 nein: 41 enthalten: 14 126. Sitzung, Seite 13147 (C), in der Abstimmungsliste ist nach dem Namen „Wolfgang Nešković“ der Name „Norman Paech“ einzufügen.

(B) (D) Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 127. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. November 2007 13385

(A) Anlagen zum Stenografischen Bericht (C)

Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten

entschuldigt bis entschuldigt bis Abgeordnete(r) einschließlich Abgeordnete(r) einschließlich

Amann, Gregor SPD 16.11.2007 Mortler, Marlene CDU/CSU 16.11.2007

Beckmeyer, Uwe SPD 16.11.2007 Müller (Gera), Bernward CDU/CSU 16.11.2007

Binninger, Clemens CDU/CSU 16.11.2007 Müller (Düsseldorf), SPD 16.11.2007 Michael von Bismarck, Carl- CDU/CSU 16.11.2007 Eduard Müller-Sönksen, FDP 16.11.2007 Burkhardt Bodewig, Kurt SPD 16.11.2007 Müntefering, Franz SPD 16.11.2007 Bülow, Marco SPD 16.11.2007 Pau, Petra DIE LINKE 16.11.2007 Burgbacher, Ernst FDP 16.11.2007 Paula, Heinz SPD 16.11.2007 Dr. Eid, Uschi BÜNDNIS 90/ 16.11.2007 DIE GRÜNEN Petzold, Ulrich CDU/CSU 16.11.2007

Erler, Gernot SPD 16.11.2007 Raidel, Hans CDU/CSU 16.11.2007

Ernst, Klaus DIE LINKE 16.11.2007 Reichel, Maik SPD 16.11.2007

(B) Faße, Annette SPD 16.11.2007 Dr. Schäuble, Wolfgang CDU/CSU 16.11.2007 (D)

Fuchtel, Hans-Joachim CDU/CSU 16.11.2007 Dr. Scheer, Hermann SPD 16.11.2007

Dr. Gerhardt, Wolfgang FDP 16.11.2007 Steinbach, Erika CDU/CSU 16.11.2007

Göbel, Ralf CDU/CSU 16.11.2007 Strothmann, Lena CDU/CSU 16.11.2007

Golze, Diana DIE LINKE 16.11.2007 Weigel, Andreas SPD 16.11.2007

Großmann, Achim SPD 16.11.2007 Wellmann, Karl-Georg CDU/CSU 16.11.2007

Hinsken, Ernst CDU/CSU 16.11.2007 Wöhrl, Dagmar CDU/CSU 16.11.2007

Homburger, Birgit FDP 16.11.2007 Wolf (Frankfurt), BÜNDNIS 90/ 16.11.2007 Margareta DIE GRÜNEN Hübner, Klaas SPD 16.11.2007

Jaffke, Susanne CDU/CSU 16.11.2007 Anlage 2 Kleiminger, Christian SPD 16.11.2007 Erklärungen nach § 31 GO Knoche, Monika DIE LINKE 16.11.2007 zur namentlichen Abstimmung über den Ent- Königshaus, Hellmut FDP 16.11.2007 wurf eines Siebenundzwanzigsten Gesetzes zur Änderung des Abgeordnetengesetzes (Zusatzta- Kotting-Uhl, Sylvia BÜNDNIS 90/ 16.11.2007 gesordnungspunkt 7) DIE GRÜNEN Sabine Bätzing (SPD): Ich werde dem Gesetzent- Dr. Lammert, Norbert CDU/CSU 16.11.2007 wurf aus Gründen der Fraktionsdisziplin und, weil ich die Erhöhung der Abgeordnetendiäten niemandem miss- Leutert, Michael DIE LINKE 16.11.2007 gönne, zustimmen. 13386 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 127. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. November 2007

(A) Ich halte die Erhöhung jedoch für einen Fehler. Es ckeln sollen bzw. ob und wann sie angepasst werden, (C) geht nicht darum, dass gute Arbeit nicht gut entlohnt dann hat dies allein durch das Verfahren immer den Ver- werden soll. Ich bin der Überzeugung, dass wir hier weit dacht der Selbstbedienung gegen sich, selbst wenn dies überwiegend sehr gute und sehr zeitintensive Arbeit leis- in dem „Diätenurteil“ des Bundesverfassungsgerichts ten. Auch ist es richtig, die Diäten an der Bedeutung der vom 5. November 1975 mit der Maßgabe „vor den Au- Tätigkeit zu messen. Ich habe daher kein Problem mit gen der Öffentlichkeit durch Gesetz“ festgeschrieben der Argumentation, dass die Diätenerhöhung durch die wurde. Leistung verdient sei. Diesen Selbstbedienungsverdacht der Bürgerinnen Für mich ist allerdings ausschlaggebend, dass weite und Bürger müssen wir Volksvertreter wahrnehmen, ihm Teile der Bevölkerung, die ebenfalls sehr gute, wichtige aber auch dementsprechend sensibel gegenübertreten, und zeitintensive Arbeit leisten und ebenfalls eine ent- um ein gewisses Verständnis für die Besoldung und Al- sprechende Erhöhung verdient haben, diese in den letz- tersvorsorge der Volksvertreter zu erzeugen. Es ist unbe- ten Jahren nicht erhalten haben und auch – noch – nicht stritten: Demokratie hat ihren Preis. Doch der Preis muss in diesem Maße von dem wirtschaftlichen Aufschwung nachvollziehbar und transparent sein. Das Ansehen der profitiert haben. Solange uns als politisch Verantwortli- Politiker bei den Wählerinnen und Wählern steht auch chen die Aufgabe nicht gelungen ist, der Bevölkerung im Zusammenhang mit dem Komplex „Diäten“. entsprechende Steigerungen des Einkommens zu ver- schaffen, halte ich eine Diätenerhöhung in der vorge- Mit kleinen und zum Teil unübersichtlichen Änderun- schlagenen Höhe für falsch. Ich werde daher, sollte das gen im System der Abgeordnetendiäten, der Altersvor- Gesetz in dieser Form beschlossen werden, die Erhö- sorge, des Zulagenwesens und der Aufwandspauschalen hung nicht für mich behalten, sondern für meinen Wahl- können wir das notwendige Vertrauen bei den Bürgerin- kreis verwenden. Über die Art der Verwendung werde nen und Bürgern nicht erzeugen. Wir müssen die Men- ich die Öffentlichkeit informieren. schen bei all unseren Entscheidungen mitnehmen, auch bei unserer Besoldung. Dies tun wir nicht, wenn wir eine Für richtig an dem Gesetzentwurf halte ich die Ab- Reform des Gesamtsystems der Abgeordnetenbesoldung senkung der Altersentschädigung. Ich setze mich jedoch in Trippelschritten begehen und immer wieder die glei- dafür ein, dass in Zukunft ein System geschaffen wird, chen Diskussionen führen müssen. Was wir Abgeordnete bei dem die Abgeordneten Beiträge in eine Versorgungs- des Deutschen Bundestages benötigen, ist eine umfas- einrichtung, sei es die gesetzliche Rentenversicherung sende Reform unserer Bezüge, Zulagen und Alterssiche- oder ein Versorgungswerk, leisten und dafür einen ent- rung. Länderparlamente wie das in Nordrhein-Westfalen sprechenden Anspruch auf Altersversorgung erwerben. haben dem Deutschen Bundestag vorgemacht, wie eine (B) In diesem Falle halte ich auch eine entsprechende Erhö- solche Reform angegangen werden kann. (D) hung der Diäten für richtig. Ich halte die geplante Erhöhung der Abgeordneten- diäten für unberechtigt, weil sie wieder nicht mit einer Veronika Bellmann (CDU/CSU): Die „Diäten“ bzw. tatsächlichen und umfassenden Reform verbunden ist, deren Erhöhungen sind ein in der Öffentlichkeit sehr die das gesamte System des Zulagenwesens, der Auf- sensibel wahrgenommenes Thema, unabhängig davon, wandspauschalen sowie der Altersversorgung einbezieht ob es sich um die Landes- oder die Bundesebene han- und kann dem Siebenundzwanzigsten Gesetz zur Ände- delt. Das Gesetz über die Rechtsverhältnisse der Mitglie- rung des Abgeordnetengesetzes daher nicht zustimmen. der des Deutschen Bundestages – Abgeordnetengesetz – vom 18. Februar 1977, zuletzt geändert zum 18. Oktober Swen Schulz (Spandau) (SPD): Den in dem Gesetz- 2005, regelt in § 11, dass sich die Höhe der Bezüge von entwurf enthaltenen Grundsatz halte ich für richtig: eine Bundestagsabgeordneten an den Bezügen von Richtern an einem nachvollziehbaren Maßstab orientierte Ent- an oberen Bundesgerichten oder an der Besoldung von schädigung der Abgeordneten in ihrer aktiven Zeit bei direkt gewählten hauptamtlichen Bürgermeistern in mit- gleichzeitiger Absenkung der Altersentschädigung aus- telgroßen Städten orientieren soll. Jedoch stößt die ge- geschiedener Abgeordneter. Deshalb werde ich der Än- setzliche Notwendigkeit, dass der Bundestag selbst da- derung des Abgeordnetengesetzes zustimmen. rüber zu entscheiden hat, wie hoch die Bezüge der Abgeordneten sein sollen, auf Unverständnis in der Be- Allerdings halte ich die in dem Gesetzentwurf vorge- völkerung. Diese Stimmung in der Bevölkerung hat un- schlagenen Änderungen bei der Altersentschädigung für ter anderem dazu beigetragen, dass der Deutsche Bun- nicht ausreichend. Ich trete für eine strukturelle Ände- destag die Diäten der Bundestagsabgeordneten seit dem rung ein, wonach die Abgeordneten selbst vorsorgen 1. Januar 2003 nicht mehr erhöht hat. Damit bleibt die würden oder, besser noch, in die gesetzliche Rentenver- Gehaltsentwicklung eines Bundestagsabgeordneten hin- sicherung einzuzahlen hätten. Diese Position ist im ter der gesetzlichen Festlegung und der allgemeinen Ein- Deutschen Bundestag derzeit nicht mehrheitsfähig. kommensentwicklung zurück. Doch selbst bei Beibehaltung des bisherigen Systems Das Thema Abgeordnetendiäten ist seit jeher in der der Altersentschädigung hätte es über die Absenkung hi- Öffentlichkeit mit Vorurteilen behaftet. Der Grund dafür naus noch einige Änderungen geben sollen. Vor allem liegt in dem unglücklichen Verfahren. Wenn der Deut- die Möglichkeit des vorzeitigen und abschlagsfreien Er- sche Bundestag für seine Mitglieder selbst beschließen halts der Altersentschädigung bereits im Alter von muss, wie und in welcher Höhe sich die Bezüge entwi- 57 Jahren – abhängig von der Dauer der Zugehörigkeit Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 127. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. November 2007 13387

(A) zum Deutschen Bundestag – ist eine nicht nachvollzieh- Leider ist auch die Opposition nicht bereit gewesen, (C) bare Privilegierung. im Rahmen einer Anhörung diese grundsätzlichen Fra- gen aufzuklären. Ohne zeitlichen Druck hätte durchaus Nach Abwägung der Argumente stimme ich dem Ge- eine externe Sachverständigenkommission gebildet wer- setz gleichwohl zu, weil ich dem im Grundsatz richtigen den können. Die Beschlussfassung hätte dann mögli- Weg Unterstützung geben möchte und nicht durch eine cherweise in einer Zeit erfolgen können, in der die posi- Ablehnung denjenigen Unterstützung signalisieren möchte, tive wirtschaftliche Entwicklung auch für einen größeren die in pauschaler und unsachlicher Art und Weise Politik Anteil der Bevölkerung spürbar ist, was die Akzeptanz und Politiker angreifen. für eine entsprechende Regelung sicher erhöht hätte. Ich werde mich auch in Zukunft für weitergehende Reformschritte bei der Entschädigung von Abgeordne- ten einsetzen. Anlage 4 Erklärung nach § 31 GO Anlage 3 der Abgeordneten Katja Mast, Kerstin Griese und Dr. Carola Reimann (alle SPD) zur na- Erklärung nach § 31 GO mentlichen Abstimmung über den Entwurf eines Siebenundzwanzigsten Gesetzes zur der Abgeordneten Dr. Matthias Miersch, Änderung des Abgeordnetengesetzes (Zusatzta- Garrelt Duin, Marco Bülow, Gerold Reichenbach, gesordnungspunkt 7) Clemens Bollen und Steffen Reiche (Cottbus) (alle SPD) zur namentlichen Abstimmung über den Entwurf eines Siebenundzwanzigsten Ge- Wir stimmen der Änderung des Abgeordnetengeset- setzes zur Änderung des Abgeordnetengesetzes zes zu, weil wir wissen, dass die SPD-Bundestagsfrak- (Zusatztagesordnungspunkt 7) tion sich engagiert dafür eingesetzt hat, wesentliche Veränderung bei den Abgeordnetendiäten, der Altersver- sorgung und der Transparenz über die Nebeneinkünfte Wir werden der Änderung des Abgeordnetengesetzes herbeizuführen. nicht zustimmen, weil wir die Änderungen nicht für zeit- gemäß und auch nicht für sachgerecht erachten. Gleich- Als Erfolg werten wir, dass es uns bereits unter der zeitig möchten wir nicht die teilweise populistischen rot-grünen Bundesregierung gelungen ist, die Offenle- Stimmen unterstützen, die in pauschaler und ebenso un- gung der Nebeneinkünfte von Abgeordneten zu be- (B) sachlicher Art und Weise Politik und Politiker angreifen. schließen. Dieser Beschluss konnte wegen Klagen vor (D) Deshalb werden wir uns der Stimme enthalten. dem Bundesverfassungsgericht erst in diesem Jahr um- gesetzt werden. Wir finden, die Bürgerinnen und Bürger Vor einer Änderung des Abgeordnetengesetzes hätte haben ein Recht darauf zu wissen, woher etwaige finan- eine breite Diskussion über die Alternativen der Diäten- zielle Zuwendungen an ihre Abgeordnete kommen. bemessung und der Altersentschädigung geführt werden müssen. Gerade die Reform der Altersversorgung war Ein weiterer Erfolg ist, dass der Deutsche Bundestag ein erklärtes Ziel, welches nun nur unzureichend erreicht zum ersten Mal in seiner Geschichte die Abgeordneten- wird. entschädigung dauerhaft an einen Orientierungsmaßstab bindet. Dieser Orientierungsmaßstab ist die Besoldung Wir verkennen nicht, dass die Altersgrenze für die Al- eines einfachen Richters an einem obersten Gerichtshof tersentschädigung auf das 67. Lebensjahr angehoben des Bundes und jene von Bürgermeistern mittlerer wird, der Altersversorgungsanspruch von 3 auf 2,5 Pro- Städte und Gemeinden mit 50 000 bis 100 000 Einwoh- zent pro Jahr gesenkt wird und ein dauerhafter Orientie- nern. Der Deutsche Bundestag verpflichtet sich mit sei- rungsmaßstab für die Entschädigung durch die Anpas- ner heutigen Entscheidung selbst, die seit 2003 nicht sung an die Vergütung der Bürgermeister von Städten mehr erhöhten Diäten in zwei Schritten auf dieses Besol- und Gemeinden mit 50 000 bis 100 000 Einwohnern er- dungsniveau anzuheben. Künftige Anhebungen werden reicht werden soll. Auf der anderen Seite entsteht nun- danach nur noch vorgenommen, wenn sich der Orientie- mehr ein Anspruch auf Altersentschädigung nach einem rungsmaßstab ebenfalls ändert. Jahr. Vor allem bleibt es aber weiter dabei, dass die Ab- geordneten nicht selbst für die Altersversorgung auf- Weniger Zustimmung erhält der Koalitionskompro- kommen müssen und das Leitbild der Beamtenversor- miss aus unserer Sicht bei der Absenkung der Altersvor- gung weiterhin gilt. sorge von 3 Prozent auf 2,5 Prozent der Entschädi- gungshöhe pro Jahr als Abgeordneter. Wir wollten einen In einem breit angelegten Diskurs hätte geklärt wer- deutlicheren Schritt an dieser Stelle, nämlich mindestens den müssen, welches Modell am besten geeignet gewe- eine Absenkung auf 2 Prozent. Wir begrüßen die Einfüh- sen wäre, eine gute Grundlage für das schwierige Amt rung der Rente ab 67 für Abgeordnete. des Abgeordneten zu bilden. Dabei wäre zum Beispiel auch zu erörtern gewesen, wie ein breiter Querschnitt Wir stimmen dennoch zu, da wir es als Erfolg werten, der Bevölkerung im Parlament abgebildet werden kann, dass die Bürgerinnen und Bürger mit der heutigen Ent- wie Unabhängigkeit und Qualifikation gesichert werden scheidung endlich Klarheit haben, unter welchen Bedin- können. gungen Erhöhungen der Entschädigungen stattfinden. 13388 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 127. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. November 2007

(A) Die heutige Entscheidung wird erneut zu mehr Transpa- Kohlekraftwerken setzen. Denn diese Maßnahmen ha- (C) renz bei den Abgeordnetenentschädigungen führen. ben aus globaler Sicht die größten Klimaschutzpotenzi- ale. Der Anteil fossil befeuerter Kraftwerke liegt zum Beispiel in Afrika bei über 70 Prozent. Wir brauchen ein Anlage 5 Innovationspaket für moderne Technologien der Ener- gieeffizienz, der erneuerbaren Energien und CO2-redu- Zu Protokoll gegebene Reden zierter Kohleverstromung, in dessen Rahmen Modell- zur Beratung: partnerschaften möglichst Deutschlands mit ausgewähl- ten Ländern auf den Weg gebracht werden sollten. Statt – Beschlussempfehlung und Bericht: Energie- Technologietransfer mit der Gießkanne zu machen, soll- und Entwicklungspolitik stärker verzahnen – ten wir Leuchttürme für saubere Energie in den Entwick- Synergieeffekte für die weltweite Energie- lungsländern entwickeln. und Entwicklungsförderung besser nutzen Doch bereits kurz- und mittelfristig muss es gelingen, – Beschlussempfehlung und Bericht: Klima- die Investitionen in klimafreundliche Technik zu verstär- wandel global und effizient eindämmen – Kli- ken. Ein zentraler Anreiz bieten die flexiblen Instrumente maschutz und Anpassungsmaßnahmen in Ent- des Kioto-Protokolls, allen voran „Clean Development wicklungsländern entschieden voranbringen Mechansim“ – CDM. Durch CDM-Projekte können (Tagesordnungspunkt 37 a und b) Treibhausgasemissionen verringert werden, wo dies zu den geringsten Kosten geschehen kann. Indem er Unter- nehmen und Staaten einen Anreiz zur Senkung ihrer Michael Kauch (FDP): Umwelt- und Klimaschutz Treibhausgasemissionen gibt, kommt CDM eine Schlüs- bedeutet, gemeinsam Verantwortung für die Erde zu selfunktion im internationalen Klimaschutz zu. CDM ist übernehmen. eine herausragende Anwendung des Marktprinzips auf In vielen Ländern der Welt ist ein dynamisches Wirt- internationaler Ebene. Er muss daher national wie inter- schaftswachstum zu verzeichnen. Das ist erfreulich. national politisch gestützt und strukturell für mehr Klima- Denn damit besteht die Hoffnung, dass sich die Lebens- schutz weiterentwickelt werden. CDM sollte ein wesent- bedingungen vieler Menschen in den Schwellen- und licher Eckpfeiler eines Klimaschutz-Abkommens für die Entwicklungsländern verbessern werden. Eine positive Zeit nach Ablauf des Kioto-Protokolls im Jahr 2012 sein. wirtschaftliche Entwicklung wird den Menschen helfen, Für die FDP ist klar, dass wir mehr CDM-Projekte brau- wenn es die politischen Bedingungen ihrer Heimatländer chen und nicht weniger, wie es einige politische Kräfte erlauben. wollen. CDM braucht bei allem Optimierungsbedarf zu (B) allererst politische Unterstützung und keinen Gegenwind. (D) Doch mit der wirtschaftlichen Entwicklung steigt der Bedarf nach Rohstoffen und Energie. Entwicklungslän- Der internationale Emissionshandel muss durch den der sind also nicht nur von den Folgen des Klimawandels Ausbau von Klimaschutzprojekten in Entwicklungslän- betroffen, sondern tragen zunehmend zu den globalen dern auf eine breitere Grundlage gestellt werden. Eine Treibhausgasemissionen bei. Auf diese klimapolitischen technologieorientierte Klimaschutzpolitik ist von zentra- Herausforderungen müssen wir in Kooperation zwischen ler Bedeutung. Industrieländern und den sich entwickelnden Ländern eine Antwort haben. Aber nur der Weg wird erfolgreich Zu den Anträgen der Großen Koalition: Die FDP- und für die Entwicklungsländer annehmbar sein, der ihre Fraktion wird den Antrag 16/5740 ablehnen und sich wirtschaftliche Entwicklung nicht behindert, aber zu- beim Antrag 16/4045 enthalten. gleich entscheidende Impulse für den globalen Kampf Der Antrag 16/5740 wird von uns aus entwicklungs- zur Eindämmung des Klimawandels gibt. Die Lösung polititischen Gründen abgelehnt, weil die Forderung muss aus Sicht der FDP vor allem Technologietransfer nach innovativen, ODA-relevanten Förderinstrumenten heißen. von uns nicht unterstützt werden kann. Außerdem haben Damit stellt sich die Kernfrage: Wie gelingt es uns, wir ordnungspolitische Bedenken, da keine wirkliche Kapital und technisches Know-how durch Investitionen Zieltransparenz beim Verhältnis entwicklungs- und um- in die Länder zu bringen, in denen der Einsatz klima- weltpolitischer Maßnahmen geschaffen wird. schonender Technik am effektivsten und am effizientes- ten ist? Das gilt allen voran für die erneuerbaren Ener- Der Antrag 16/4045 spricht zwar den richtigen As- gien. Der Einsatz von Solaranlagen ist hier zu nennen. pekt einer Verzahnung von Energie- und Entwicklungs- Klimaschonende Erzeugung von Energie in sonnenrei- politik an. Er hinterlässt aber im Ergebnis mehr Fragen chen Ländern braucht dabei auch Visionen. Eine Zu- als Antworten. Zudem gibt es Punkte, die wir nicht un- kunftsvision ist ein Stromverbund zwischen Europa, den terstützen können. Dazu gehört die Forderung nach Ein- nordafrikanischen Staaten und dem Mittleren und Nahen richtung eines globalen Dachfonds für erneuerbare Ener- Osten. Das DESERTREC-Projekt „Strom für Europa aus gien durch die Europäische Kommission. Die schlechten der Wüste Afrikas“ könnte zukunftsweisend sein. Erfahrungen mit dem Europäischen Entwicklungsfonds bestätigen uns. Dagegen hat die FDP Alternativvor- Aufgrund der Kohlevorkommen in China, aber auch schläge zur Förderung der erneuerbaren Energien in den bestimmten Regionen Afrikas ist es wichtig, dass wir auf Entwicklungsländern gemacht, die auf marktbasierte In- mehr Energieeffizienz und auf CO2-Abscheidung bei strumente aufbauen. Das ist der richtige Weg! Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 127. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. November 2007 13389

(A) Die FDP-Bundestagsfraktion hat in ihrem Antrag „Um- richt des WBGU, scheut aber vor dessen Empfehlungen (C) weltschutz in Afrika“ (Bundestagsdrucksache 16/5132) an entscheidenden Punkten zurück! Der WBGU fordert wesentlich weitreichendere Konzepte für Technologie- auch, neue Finanzierungsmechanismen zu erschließen, kooperationen für saubere Energie, aber auch die Ver- und nennt ganz konkret „die Einführung emissionsab- knüpfung der Klimapolitik mit Biodiversität aufgezeigt, hängiger Nutzungsentgelte für den Luft- und Seever- als die Große Koalition vorgelegt hat. Schon deshalb kehr“. Im Antrag der Koalition wurde daraus ein sehr werden wir den Anträgen der Regierungfraktionen nicht unverbindlicher Prüfauftrag. Genau hier muss aber ange- zustimmen. setzt werden: Die gesellschaftlichen Kosten, die der stei- gende Verkehr zu Luft, zu Wasser und auf der Straße mit sich gebracht hat, müssen wieder auf ihre Verursacher Heike Hänsel (DIE LINKE): Jeder Mensch hat das- zurückgeführt werden. selbe Recht auf Nutzung der Atmosphäre. Dieser Ge- danke muss für die Debatte um Klimaschutz und Ener- An diesem Punkt ist auch die internationale Handels- giewende grundlegend sein. Er wirkt zunächst ganz politik angesprochen. Der liberalisierte Handel verur- selbstverständlich – aber er hat weitreichende Konse- sacht ein zunehmendes Güterverkehrsaufkommen und quenzen. Wir brauchen eine gerechte Klimapolitik, in entsprechend steigende CO2-Emissionen. Zugleich un- der die Entwicklungsrechte des Südens anerkannt wer- terlaufen international tätige Konzerne soziale und öko- den. Das heißt: Regelungen zum Klimaschutz dürfen logische Standards, indem sie Standorte und Länder ge- nicht die bestehende Ungerechtigkeit in der Nutzung der geneinander ausspielen. Eine Neuausrichtung der Atmosphäre fortschreiben oder Entwicklungspotenziale Handelspolitik ist daher zentrale Voraussetzung für den der Länder des Südens beschneiden. Wir brauchen statt- Erfolg der Energiewende auf globaler Ebene. Die Bun- dessen einen Ansatz, der Emissionsrechte global in ei- desregierung tut leider genau das Gegenteil davon. nem gerechten und transparenten Verfahren zuweist. Das heißt aber auch, dass wir – die Gesellschaften des Nor- In Bali wird es auch um den Clean Development Me- dens – zuallererst unsere Emissionen drastisch absenken chanism (CDM) gehen. Die Koalitionsfraktionen for- müssen. dern den Ausbau dieses Instruments. Eine Expertenan- hörung unserer Fraktion Anfang September hat jedoch Die Linke hat in ihrem Antrag „Nationales Sofortpro- ergeben, dass 30 bis 50 Prozent der gegenwärtigen gramm und verbindliche Ziele für den Klimaschutz fest- CDM-Projekte nicht wirklich zusätzliche Emissionsmin- legen“ (Bundestagsdrucksache 16/5129) weitgehende derungen in Entwicklungsländern bringen, dass sie im Klimaziele für die Bundesrepublik aufgestellt und ein Gegenteil zu einem Netto-Mehrausstoß führen. Dazu sehr konkretes Klimaschutzprogramm formuliert. Ein kommt, dass die eigentlich geforderte Nachhaltigkeit der (B) solches Maß an Konkretisierung lassen die Koalitions- CDM-Projekte in vielen Fällen nicht gegeben ist, zum (D) fraktionen vermissen, wenn es um die Energiewende in Beispiel bei Staudammprojekten oder Aufforstungspro- Deutschland und Europa geht. Wir fordern die Bundes- jekten in Monokulturen. Wir fordern daher ein Morato- regierung auf, sich in Bali für eine verbindliche Minde- rium für die Genehmigung neuer CDM-Projekte durch rungspflicht für Industrieländer in der Größenordnung die UN und für die Ausstellung der CDM-Emissions- von minus 30 Prozent bis 2020 einzusetzen. rechte/-zertifikate für bereits laufende Projekte, bis Ver- fahren etabliert sind, die diesen Missbrauch unterbinden. Die ersten Opfer des Klimawandels sind die Menschen in den Ländern des Südens – das beschreiben Sie ja in Ih- Abschließend möchte ich noch einen entscheidenden ren Anträgen. Die Hauptverantwortlichen für den Klima- Punkt ansprechen, den ich an dieser Stelle schon oft be- wandel jedoch sind wir – die Industriegesellschaften des klagt habe: Ich begreife nicht, warum die Vergabepolitik Nordens. Daraus erwächst die Verpflichtung, Kompensa- der multilateralen Banken, in denen die Bundesregie- tionsmechanismen zur Unterstützung der Menschen bei rung Sitz und Stimme hat, von Ihnen gar nicht angespro- der Bewältigung der Klimawandelfolgen besser und zu- chen wird. Genau an dieser Stelle wird doch die von verlässiger als bislang auszustatten. Ich begrüße sehr, Ihnen ständig angeführte Verzahnung von Energie-, dass Frau Wieczorek-Zeul vorgestern im Ausschuss an- Klima- und Entwicklungspolitik ganz konkret. Die Welt- gekündigt hat, die deutschen Beiträge zu den entspre- bank finanziert immer noch und sogar im steigenden chenden Fonds aufzustocken. Entscheidend wäre aber, Maße groß dimensionierte Erdöl-, Erdgas-, Staudamm- dass langfristige Finanzierungsabkommen geschlossen und Industrieprojekte und subventioniert damit die gro- werden, damit die Unterstützung verbindlich gesichert ßen Öl- und Energiekonzerne, während die Förderung werden kann. erneuerbarer Energien stagniert. Gerade mal 4 Prozent ihres gesamten Portfolios für Energie hat die Weltbank Der Wissenschaftliche Beirat der Bundesregierung 2006 in die Förderung erneuerbarer Energien gesteckt. Globaler Umweltschutz (WBGU) empfiehlt der Bundes- Zugleich verdoppelten sich die Zusagen der Weltbank- regierung außerdem, den Zentralen Nothilfefonds der gruppe für fossile Energieträger 2006 auf fast 900 Millio- VN „durch angemessene Zahlungen zu unterstützen und nen US-Dollar, die Weltbank engagiert sich in etlichen sich für ein verbindliches Finanzierungsschema des höchst zweifelhaften Energieprojekten, Stichwort: Fonds einzusetzen“. Auf die Peinlichkeit, dass die Bun- Tschad-Pipeline. desregierung diesen Fonds – im Gegensatz zu etlichen Entwicklungsländern! – so gut wie gar nicht finanziell Die Bundesrepublik gehört zu den ganz wenigen unterstützt, hat Die Linke schon mehrmals hingewiesen. Staaten, die einen eigenen Vertreter im Exekutivdirekto- Die Koalition bezieht sich ständig positiv auf den Be- rium der Weltbank sitzen haben. Frau Wieczorek-Zeul, 13390 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 127. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. November 2007

(A) nutzen Sie diesen Einfluss endlich für die längstens ärztlichen Vergütung, sondern auch sachkundige Äuße- (C) überfällige Wende in der Energiefinanzierung! rungen von Medizinrechtlern, wie zum Beispiel dem Münchner Fachanwalt für Medizinrecht, Herr Professor Alexander Ehlers, zum GKV-Wettbewerbsstärkungsge- Anlage 6 setz. Zu Protokoll gegebene Reden So äußert sich Herr Professor Ehlers in der Ärzte-Zei- tung vom 24. Oktober 2007 wie folgt zu den Wahltarifen zur Beratung des Antrags: GKV-eigene Tarife in der gesetzlichen Krankenversicherung: „Die Wahlta- durch Kooperation von GKV und PKV beim rife werden zu mehr Wettbewerb zwischen den Kassen Wahltarif zur Kostenerstattung ersetzen (Ta- und zu mehr Freiheiten für die Versicherten führen und gesordnungspunkt 40) mit der jüngsten Gesundheitsreform wurden weitere wettbewerbliche Elemente im Gesundheitswesen etab- Dr. Hans Georg Faust (CDU/CSU): Dem Antrag liert und das System ein Stück weit liberalisiert.“ der FDP-Bundestagsfraktion „GKV-eigene Tarife durch Kooperation von GKV und PKV beim Wahltarif zur Ich kann daraus schließen, dass Union und Sozialde- Kostenerstattung ersetzen“ kann die CDU/CSU-Bundes- mokraten mit dem GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz tagsfraktion nicht zustimmen. grundsätzlich auf dem richtigen und zielführenden Weg sind, um den Wettbewerb zwischen den gesetzlichen Die Union kann diesem Antrag – obwohl er von der Krankenkassen zu stärken und den Versicherten mehr Richtung her auf dem richtigen Weg ist – nicht zustim- Freiheiten zu geben. Hier bieten gerade die neuen Wahl- men, weil er leider über das Ziel hinausschießt. Denn tarife – mit Selbstbehalten, Beitragsrückerstattung oder eine komplette Streichung des § 53 Abs. 4 Fünftes Buch Kostenerstattung – den gesetzlichen Krankenkassen eine Sozialgesetzbuch, SGB V, hätte zur Folge, dass eine Chance, ihr Leistungsspektrum aktiver als bisher zu ge- Kostenerstattung im Rahmen der gesetzlichen Kranken- stalten und sich dadurch im Wettbewerb noch besser zu versicherung, GKV, so gut wie unmöglich wäre. Dies positionieren. wollen wir als Union nicht und dies kann die FDP-Bun- destagsfraktion auch nicht wirklich ernsthaft wollen. In Was aber weder politisch gewollt war, noch so dem diesem Zusammenhang muss ich Sie leider auch an Ihr GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz zu entnehmen ist, früheres Regierungshandeln erinnern. sind Fehlentwicklungen, wie sie derzeit unter anderem bei der AOK-Rheinland/Hamburg festzustellen sind. Die Sie können die komplette Streichung des Kostener- AOK-Rheinland/Hamburg bietet nun selbst Zusatzversi- stattungsprinzips nicht wirklich ernsthaft wollen, weil cherungen für Auslandsreisen, die Unterbringung im (B) Sie, als Sie noch gemeinsam mit der Union Regierungs- Ein- oder Zweibettzimmer bei einer Krankenhausbe- (D) verantwortung trugen – vor Ihrer Zeit, Herr Bahr –, be- handlung oder für die Mehrkosten bei Zahnersatz an und reits den Gesetzlichen Krankenkassen mit dem 2. GKV- dringt damit offensiv in den Markt der privaten Kran- Neuordnungsgesetz vom 23. Juni 1997 verschiedene kenversicherer, PKV, ein. Möglichkeiten an die Hand gegeben hatten, um durch Wahltarife ihre Leistungsangebote stärker differenzieren Mit diesem Geschäftsgebaren geht die Kasse weit zu können. Auch erinnere ich mich noch sehr gut an die über das Angebot der sogenannten Wahltarife hinaus, die Aussagen der FDP-Bundestagsfraktion hier im Hohen gesetzliche Krankenkassen ihren Versicherten seit dem Hause, als Rot-Grün nur wenige Wochen nach dem Re- 1. April anbieten dürfen, wie etwa die zuvor erwähnten gierungswechsel 1998 mit dem sogenannten GKV-Soli- Tarife mit Selbstbehalt oder Beitragsrückerstattung. Die daritätsstärkungsgesetz die von Union und Liberalen reinen Zusatzversicherungen, die Leistungen abdecken, gemeinsam beschlossenen Bestimmungen zu den Wahl- die nicht zum Leistungskatalog der gesetzlichen Kran- tarifen in der Gesetzlichen Krankenversicherung wieder kenkassen gehören, durften bisher ausschließlich die pri- aufgehoben hatte. vate Krankenversicherung, PKV, anbieten. Und ich erinnere mich im Zusammenhang mit Ihrem Der Gesetzgeber hat zwar mit dem GKV-Modernisie- aktuellen Antrag auch noch gut an Ihre zustimmenden rungsgesetz aus dem Jahre 2004 Kooperationen zwi- – es waren ja nicht wirklich viele – Äußerungen zum schen gesetzlicher und privater Krankenversicherung auf GKV-Modernisierungsgesetz, GMG. Denn mit dem diesem Gebiet möglich gemacht. Die gesetzlichen Kran- GKV-Modernisierungsgesetz wurden erst wieder die kenkassen sind dabei aber ausdrücklich auf die Rolle des Wahltarife in der gesetzlichen Krankenversicherung ein- Vermittlers beschränkt worden. Versicherer sollten aus- geführt und damit den gesetzlichen Krankenkassen und schließlich die privaten Krankenversicherer sein. Hier ist deren Versicherten möglich gemacht. die gesetzliche Grundlage doch nun wirklich eindeutig. Dass der Weg, den Union und Sozialdemokraten mit Nur zur Verdeutlichung: Für Zusatzversicherungen dem GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz, GKV-WSG, vor- dieser Art steht eindeutig der § 194 Abs. 1 a SGBV, und gegeben haben, ein zielführender und richtiger Weg ist, hier ist Folgendes nachzulesen: „Die Satzung kann eine bestätigen nicht nur die ersten positiven Entwicklungen Bestimmung enthalten, nach der die Krankenkasse den bei den Mutter-Vater-Kind-Kuren und den Schutzimp- Abschluss privater Zusatzversicherungsverträge zwi- fungen sowie bei der guten Einigung zwischen den Ge- schen ihren Versicherten und privaten Krankenversiche- setzlichen Krankenkassen und der Kassenärztlichen rungsunternehmen vermitteln kann. Gegenstand dieser Bundesvereinigung zur Fortentwicklung der ambulanten Verträge können insbesondere die Wahlarztbehandlung Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 127. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. November 2007 13391

(A) im Krankenhaus, der Ein- oder Zweibettzuschlag im Dr. Karl Lauterbach (SPD): Der Antrag der FDP- (C) Krankenhaus sowie eine Auslandsreisekrankenversiche- Fraktion, den wir heute hier verhandeln, ist ein typisches rung sein.“ Beispiel für die einseitige Lobbypolitik, die diese Partei beileibe nicht nur im Gesundheitsbereich prägt. Ob nun Ich empfehle daher auch noch einmal den Blick in die die 21 000 Apotheker oder die 120 000 niedergelassenen Begründung zu Abs. 1 a des § 194 SGB V, der Folgen- Ärzte – ausgerechnet die in Wirtschaftsfragen vermeint- des zu entnehmen ist: „Gegenstand der Kooperation sei lich liberale FDP findet immer noch eine Interessen- die Vermittlung insbesondere der in Satz 2 aufgeführten gruppe, die vor einem fairen Wettbewerb bewahrt wer- Zusatzversicherungsverträge“ – also die Vermittlung von den muss. Im vorliegenden Fall sollen die Unternehmen Verträgen zur Wahlarztbehandlung, Ein- oder Zweibett- der Privatassekuranz vor dem wenigen Wettbewerb ge- zimmer sowie Auslandsreisekrankenversicherung – schützt werden, den unser Koalitionspartner überhaupt „zwischen den Versicherten der gesetzlichen Kranken- zugelassen hat. kasse und den Versicherungsunternehmen. Hierdurch Leider konnte hier auch die letzte Gesundheitsreform solle dem Wunsch der Versicherten Rechnung getragen keinen fairen Wettbewerb zwischen GKV und PKV werden, bestimmte Versicherungen, die ihren gesetzli- schaffen. Die Zweiklassenmedizin besteht weiterhin. chen Krankenversicherungsschutz ergänzen, über ihre Tatsächlich ist es sogar so, dass durch die Wahltarife für gesetzliche Krankenversicherung abschließen zu kön- Chefarztbehandlung auch in der GKV die Zweiklassen- nen. Die Versicherten der gesetzlichen Krankenversiche- medizin sogar verschärft wird. Während Zusatztarife für rung könnten von einer solchen Vermittlung eines Versi- Hotelleistungen im Krankenhaus, wie Ein- oder Zwei- cherungsvertrages insbesondere dann profitieren, wenn bettzimmer, aus ethischer Sicht kein Problem darstellen die gesetzliche Krankenversicherung für sie günstige und ich es ausdrücklich für die Verbraucher begrüße, Gruppentarife ausgehandelt habe.“ dass auch die gesetzliche Krankenversicherung endlich solche Tarife anbieten darf, lehne ich jede Form von un- Auch der Blick ins Krankenhausentgeltgesetz, gleicher Bezahlung für gleiche medizinische Leistungen KHEntgG, hier insbesondere in den fünften Abschnitt schärfstens ab. Die unterschiedliche Honorierung der „Gesondert berechenbare ärztliche und andere Leistun- Ärzte je nach Versichertenstatus – ob gesetzlich oder pri- gen“, hilft dem sachkundigen Betrachter weiter und ver- vat – ist der gravierendste Systemfehler unseres Gesund- schafft die notwendige Klarheit. In § 17 Kranken- heitswesens, wobei ich hinzufüge: Unterschiedliche Ho- hausentgeltgesetz ist ebenso eindeutig wie klar festge- norare sind sehr wohl erwünscht. Aber die Unterschiede legt, dass „… andere als die allgemeinen Krankenhaus- müssen durch die Qualität der Leistung und die Schwere leistungen als Wahlleistungen gesondert berechnet wer- des Falles begründet werden, nicht dadurch, dass der Pri- (B) den dürfen.“ Allgemeine Krankenhausleistungen sind im vatversicherte ein höheres Honorar bezahlen kann. (D) gleichen Gesetz, § 2 Abs. 2 Krankenhausentgeltgesetz, Es ist doch so: Ein gesetzlich Versicherter mit einem als „… im Einzelfall nach Art und Schwere der Krank- Höchstbeitrag von 550 Euro im Monat zahlt davon circa heit für die medizinisch zweckmäßige und ausreichende 250 Euro für die Krankenversicherung der Einkommens- Versorgung des Patienten notwendig …“ definiert. schwachen. Wechselt er in die private Krankenversiche- Zweckmäßig und ausreichend ist nicht mit Chefarztbe- rung, muss er dies nicht mehr bezahlen, weil die private handlung und Zweibettzimmer gleichzusetzen. Denn für Krankenversicherung am Finanzausgleich der Kranken- diese Leistungen sieht § 17 Krankenhausentgeltgesetz kassen zwischen Geringverdienenden und Gutverdie- ausschließlich Regelungen zwischen der Deutschen nenden nicht teilnimmt. Nur aus diesem Grunde können Krankenhausgesellschaft, DKG, und dem Verband der die privaten Krankenversicherungen trotz höherer Hono- privaten Krankenversicherungen vor. rare für die Ärzte und mehr als doppelt so hohen Verwal- tungsausgaben billiger als die gesetzlichen Kassen sein. Der Antrag der FDP-Bundestagsfraktion ist somit Wer bei hohem Einkommen gesetzlich versichert bleibt, nicht erforderlich. Erforderlich ist aber eine Klarstellung zahlt nicht nur mehr, sondern muss dazu beim Arztbe- die verdeutlicht, dass insbesondere Chefarztbehandlung such warten, bis der Privatversicherte behandelt wurde, sowie Ein- und Zweibettzimmer keine Leistungen der leistet dann die Praxisgebühr und zahlt selbst für ein gesetzlichen Krankenversicherung darstellen, die über Arzneimittel im Wert von 10 Euro 5 Euro beim Apothe- Kostenerstattung refinanzierbar sind. Die Kostenerstat- ker dazu. Über die Jahrzehnte zahlt er mehrere 100 000 tung ist grundsätzlich immer auf die Leistungen be- Euro Beitrag. Wird er dann krank, steht ihm die Privat- schränkt, die auch im Rahmen der gesetzlichen Kran- sprechstunde eines Universitätsprofessors nicht zu, der kenversicherung zur Verfügung stehen. Die Möglichkeit, dagegen den privatversicherten Studenten empfängt. die im GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz geschaffen Ärzte denken wirtschaftlich, sie behandeln nicht je- wurde, die Höhe der Kostenerstattung zu variieren, hatte den Patienten gleich. Sie bevorzugen solche Patienten, zum Ziel, die Versicherten vor unkalkulierbaren Kosten die ihnen mehr Geld einbringen – das sind die Privatver- zu schützen, die im Rahmen der Kostenerstattung anfal- sicherten. Das Einkommen, das ein Patient dem Arzt ge- len können. Die Regelung beinhaltet keine Möglichkeit, neriert, entscheidet über die Qualität der Behandlung. über das Leistungsspektrum der gesetzlichen Kranken- Das Schlimme ist, dass die kleine Gruppe der Privile- versicherung hinauszugehen, was mit den genannten gierten diese Zweiteilung der Gesellschaft für richtig Verträgen getan wird. Für eine Klarstellung wird sich die hält. In der Partei der Besserversicherten, der FDP, ha- CDU/CSU-Bundestagsfraktion einsetzen. ben sie auch ihre parlamentarische Vertretung, die diese 13392 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 127. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. November 2007

(A) Privilegien mit Klauen und Zähnen verteidigt. Das rechtfertigt. Wer aber mehr versichern möchte, muss (C) wahre Problem unseres Gesundheitssystems ist aber dies bei einer privaten Versicherung tun. Gesetzliche nicht, wie die Privatversicherten vor längeren Wartezei- Krankenkassen und private Krankenversicherungen sind ten geschützt werden können, wenn es jetzt auch gesetz- eben völlig unterschiedlich. lich Versicherte gibt, die es sich leisten können, beim Arzt mehr zu bezahlen. Das wahre Problem ist, dass die- Das Bundesgesundheitsministerium hat eine Rege- jenigen, die sich dies nicht leisten können, oft zu spät lung im Gesetz so weitgehend ausgelegt, wie sie von und dann auch noch falsch behandelt werden, weil sie mindestens einer Koalitionspartei eigentlich nicht ge- keinen oder viel zu späten Zugang zum Spezialisten ha- meint sein kann. Das Ministerium hat das Bundesversi- ben, der sich um die Bagatellerkrankungen der Privat- cherungsamt darauf hingewiesen, dass im Rahmen der versicherten kümmert. Dadurch verlieren sie nicht nur Wahltarife zur Kostenerstattung auch Zusatzleistungen an Lebensqualität, sondern sterben auch unnötig früh, wie Chefarztbehandlung und Ein- oder Zweibettzimmer verursachen aber gleichzeitig hohe Kosten für die Allge- und Leistungen bei einer Auslandsreise erstattet werden meinheit. Tatsächlich bekommen zum Beispiel Patienten können. Das geht aber über den Leistungskatalog des mit Prostatakrebs häufig eine falsche Therapie, weil sie SGB V hinaus, das sind Leistungen die über private Zu- nicht zum Fachmann gehen können. Die falsche und un- satzversicherungen abgedeckt werden sollten. Erste nötige Behandlung kostet viel Geld; denn je weiter fort- Krankenkassen bieten mittlerweile solche Tarife an. geschritten eine Krankheit ist, desto teurer wird sie. Erste Klagen sind die Folge, die den Körperschaftsstatus auch aus europarechtlicher Sicht infrage stellen. Unser Gesundheitssystem würde wirtschaftlicher und besser werden, wenn alle Patienten, die einen Spezialis- Die Wahltarife benachteiligen vor allem die Versi- ten benötigen, auch von einem Spezialisten behandelt cherten selbst. Im Gegensatz zur privaten Krankenversi- werden würden. Daher sind unterschiedliche Honorare cherung unterliegen die gesetzlichen Krankenkassen für gleiche Leistungen – ob nun in der PKV oder in der auch mit dem Wahltarif nicht den Bedingungen des Ver- GKV – der falsche Weg. Ziel einer vernünftigen, nicht sicherungsvertrags- und des Versicherungsaufsichtsge- an Lobbyinteressen ausgerichteten Politik muss es sein, setzes. Die Versicherten haben also weniger Rechte, als dass derjenige die beste medizinische Behandlung be- sie das bisher bei privaten Versicherungen gewohnt sind. kommt, der sie braucht, und nicht derjenige, der mehr Eine gesetzliche Krankenkasse hat jederzeit die Mög- bezahlt. lichkeit, durch eine Änderung ihrer Satzung den Wahlta- rif wieder zu schließen. Damit verliert der Versicherte Daniel Bahr (Münster) FDP): Die Gesundheitsre- seinen entsprechenden Schutz. Versucht er dann, bei ei- form ist gerade mal einige Monate her, und schon zeigen (B) nem anderen Anbieter die Versorgungslücke zu schlie- (D) sich erste Umsetzungsprobleme. Die Koalition hat mit ßen, wird er mit seinem aktuellen Lebensalter und sei- dem Gesetz unter anderem das Ziel verfolgt, dass gesetz- nem in der Zwischenzeit eventuell verschlechterten liche Krankenkassen auch Wahltarife anbieten dürfen. Gesundheitszustand eingestuft. Das bedeutet, dass er je Das ist vom Grundsatz her richtig, wenn es gut gemacht nach Situation erheblich höhere Prämienzahlungen in ist. Die schwarz-rote Koalition hat es aber schlecht ge- Kauf nehmen muss. Gesetzliche Krankenkassen müssen macht, mit fatalen Folgen für die Versicherten und für anders als Privatversicherer diese Tarife nicht mit Eigen- das Verhältnis von privater und gesetzlicher Krankenver- kapital unterlegen. Es erfolgt keine Risikoprüfung, das sicherung. Die Gesundheitsreform von 2004 hatte einen heißt, eine saubere Kalkulation ist kaum möglich. Ge- guten und praktikablen Weg ermöglicht. Gesetzliche setzliche und private Krankenversicherungen werden bi- Krankenkassen dürfen ihren Versicherten Zusatzleistun- lanziell und steuerlich anders behandelt. Beispielsweise gen über Kooperationstarife mit einer Privatversiche- fällt bei einer Privatversicherung Versicherungssteuer rung anbieten. Uns ist bis heute kein Grund erkennbar, an, bei einer gesetzlichen Krankenkasse hingegen nicht. warum dieser gute und erfolgreiche Weg durch die neue Das sind Wettbewerbsverzerrungen die einen fairen schwarz-rote Gesundheitsreform konterkariert wird. Die Wettbewerb zulasten der Versicherten verhindern. Bei schwarz-rote Koalition verwischt die Grenzen zwischen der gesetzlichen Krankenversicherung besteht die Ge- gesetzlicher und privater Krankenversicherung. Immer weniger Menschen werden nach der Gesundheitsreform fahr, dass es zu Quersubventionierungen zwischen dieser die Möglichkeit haben, eine private Krankenvollversi- Art Kostenerstattungstarif und dem Bereich der Pflicht- cherung abzuschließen. Auch Zusatzversicherungen bei versicherung kommt. Im Übrigen besteht ein unkalku- privaten Krankenversicherungen werden unattraktiver. lierbares Risiko, ob auf diesem Feld tätige Krankenkas- Die aktuelle Gesundheitsreform bewirkt eine Wettbe- sen ihren Status als Sozialversicherung europarechtlich werbsverzerrung zulasten der Versicherten. überhaupt halten können. Nach Gesetzeslage sollen gesetzliche Krankenkassen Die Gesundheitsreform 2003, das Gesundheitsmoder- das anbieten, was den Umfang des Sozialgesetzbuchs V nisierungsgesetz, hatte für solche Mehrleistungen über umfasst. Das sind Leistungen, die dem Wirtschaftlich- den GKV-Leistungskatalog hinaus, Kooperationen zwi- keitsgebot entsprechen und nicht der Eigenverantwor- schen privaten und gesetzlichen Krankenversicherungen tung des Versicherten zugerechnet werden können. Sie vorgesehen. Diese Kooperationen haben sich gut zum müssen ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich Wohle des Versicherten entwickelt. Mit der schwarz-ro- sein und dürfen das Maß des Notwendigen nicht über- ten Regelung der Wahltarife macht die Bundesregierung schreiten. Dafür war der Schutz der Körperschaft ge- diese Kooperationen zunichte. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 127. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. November 2007 13393

(A) Wer Wettbewerb unter fairen Bedingungen will, der Wahltarifen in der gesetzlichen Krankenversicherung (C) muss sich der FDP anschließen und Krankenkassen zu den Selbstbehalt eingeführt, also einen Teilkaskotarif für Versicherungen umwandeln. Diese sind dann keine Be- Gesunde und daraus abgeleitet höhere Beiträge für hörden mit Körperschaftsstatus mehr sondern Unterneh- Kranke. Zusätzlich hat die Koalition für Gesunde den men im Wettbewerb zueinander. Die FDP hat schon seit Beitragsrückerstattungstarif ermöglicht. Für die Kranken Jahren einen stärkeren Wettbewerb zwischen Kranken- wird es damit teurer. Mit der Kostenerstattung bei Kran- versicherungen um günstigere und innovative Tarife für kenhausaufenthalt und Arztbehandlung wird das System die Versicherten gefordert. Die FDP-Bundestagsfraktion der Solidargemeinschaft zusätzlich geschädigt und wer- tritt auch seit Jahren für die Kostenerstattung als Regel- den die Betroffenen hinters Licht geführt. Denn damit fall ein. Es ist bekannt, dass die FDP schon seit längerem wird in letzter Konsequenz die Zweiklassenmedizin im gesetzliche Krankenkassen in private Krankenversiche- Gesundheitswesen zementiert und selbst in der gesetzli- rungen umwandeln will. Dann könnten Krankenversi- chen Krankenversicherung verankert. cherungen um bessere Leistungen, bessere Versorgung und günstigere und innovative Tarife konkurrieren. Der Genau das wollen wir nicht! Es darf nicht zugelassen Versicherte könnte sich auf einem Markt das für ihn pas- werden, dass Menschen mit geringem Einkommen von sende Versicherungspaket wählen. Das alles wäre ein hochwertiger medizinischer Versorgung ausgeschlossen konsistenter Ordnungsrahmen mit fairen Wettbewerbs- werden und nur noch diejenigen mit Kostenerstattungs- bedingungen. tarifen oder entsprechenden privaten Zusatztarifen den Zugang zur bestmöglichen medizinischen Versorgung Da die schwarz-rote Koalition diesen Weg nicht ge- erhalten. Aber genau auf diesem Weg ist das deutsche hen will, ist es besser hier eine klare Trennung zwischen Gesundheitswesen mittlerweile. gesetzlicher und privater Krankenversicherung zu zie- Mir wird von Ärzten aus Krankenhäusern und von hen. Es ist deshalb sinnvoll, es bei der bisherigen Rege- ambulant tätigen Medizinern berichtet, dass die Versor- lung im Sozialgesetzbuch V zu belassen. Auch zukünftig gung der Patienten immer mehr von der Einkommenssi- sollen Zusatztarife über Leistungen, die nicht zum un- tuation abhängig ist und Privatversicherte bevorzugt mittelbaren Leistungsspektrum der gesetzlichen Kran- werden. Damit werden sozial Benachteiligte und ein- kenversicherung gehören, in Kooperation mit privaten kommensschwache Bevölkerungsgruppen von einer Krankenversicherungsunternehmen angeboten werden hochwertigen Versorgung faktisch ausgeschlossen. Eine können, nicht jedoch von der gesetzlichen Krankenkasse ALG-II-Bezieherin berichtete mir kürzlich in einem selbst. Unabhängig davon, muss jeder GKV-Versicherte, Brief, dass ihr von einem Arzt empfohlen wurde, für ihr wie in § 13 festgeschrieben, auch weiterhin die Möglich- zu früh geborenes Kind, Frühchen, eine private Zusatz- keit haben, sich für die Kostenerstattung zu entscheiden. (B) versicherung abzuschließen, um alle medizinisch erfor- (D) derlichen Leistungen zu erhalten. Ganz abgesehen da- Frank Spieth (DIE LINKE): Die FDP hat es beinahe von, dass dies gesetzwidrig ist – die Frau hätte dies nur geschafft, mich mit ihrem Antrag aufs Glatteis zu füh- mit einer Versicherung abdecken können, die monatlich ren. Ich habe mir verwundert die Augen gerieben und 60 Euro gekostet hätte. Wie soll eine ALG-II-Bezieherin mich gefragt: Will die FDP jetzt eine Stärkung der ge- das bezahlen? Michael Moore und das amerikanische setzlichen Krankenversicherung? Erst beim Lesen der Gesundheitssystem lassen grüßen. Begründung ist mir aufgefallen, dass es nicht um die Die Kommerzialisierung und Privatisierung des Ge- Stärkung der gesetzlichen Krankenkassen und der Soli- sundheitswesens lohnt sich nur für die Leistungserbrin- dargemeinschaft, sondern um eine Stärkung der Position ger, aber nicht für die Leistungsbezieher, die Kranken. der privaten Krankenversicherung geht und damit um Nein, mit Wahl- und Kostenerstattungstarifen wird mit die weitere Absicherung von Privilegien und Rendite- dem 130 Jahre alten Grundsatz in der gesetzlichen Kran- erwartungen der Aktionäre. Um es vorweg zu sagen: Wir kenversicherung gebrochen: dass Junge für Alte, Ge- werden deshalb diesen Antrag ablehnen. Ich will Ihnen sunde für Kranke und Gutverdienende für Geringverdie- auch erläutern, warum. nende einstehen. Die Linke will eine solidarische Bürgerinnen- und Wir wollen eine moderne und soziale Krankenversi- Bürgerversicherung, in die alle in Deutschland lebenden cherung. Wir wollen deshalb die solidarische und soziale Menschen einbezogen werden. In dieser sollen alle von Bürgerinnen- und Bürgerversicherung. Dies alles will allen Einkommensarten ohne Obergrenze den gleichen die FDP nicht, auch nicht mit dem hier vorliegenden An- prozentualen Beitrag einzahlen. Über diese Bürgerinnen- trag. Sie will das System der Privilegien und der Rosi- und Bürgerversicherung sollen alle die erforderlichen, nenpickerei stärken. Dabei macht die Linke nicht mit. notwendigen und wirtschaftlich vertretbaren Leistungen Deshalb werden wir gegen diesen Antrag stimmen. erhalten. Die Solidargemeinschaft trägt gemeinsam die Last des Einzelnen bei Krankenhausaufenthalt und bei ärztlicher Behandlung, bei Rehabilitation und bei ande- Birgitt Bender (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das ren Heilmaßnahmen. Dabei muss der Grundsatz gelten, hätte ich mir auch nicht träumen lassen: Die FDP dass die Kranken die bestmögliche Versorgung erhalten. schwingt sich zur Retterin von Solidarprinzip und So- zialversicherung auf. Die Krankenkassen würden durch Der Weg, der mit dem GKV-Wettbewerbsstärkungs- das Angebot von Wahltarifen ihren rechtlichen Status gesetz eingeschlagen wurde, Wahltarife einzuführen, gefährden. Deshalb sollten sie dieses Geschäft lieber den zerstört diesen Grundsatz. Die Große Koalition hat mit privaten Krankenversicherungsunternehmen überlassen. 13394 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 127. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. November 2007

(A) In der Sache ist das weitgehend an den Haaren herbei- tarife beheben. Dafür wäre schon ein größerer Wurf er- (C) gezogen. Weder dem Grundgesetz noch dem europäi- forderlich. Allerdings wird dafür auch etwas mehr Mut schen Gemeinschaftsrecht lässt sich entnehmen, dass nötig sein, als ihn diese Bundesregierung aufbringt. öffentliche Unternehmen grundsätzlich gegenüber priva- ten Unternehmen zurückzustehen hätten. Gewährleistet muss lediglich sein, dass das Beitragsaufkommen nur für Anlage 7 sozialversicherungsrechtliche Aufgaben verwendet wird. Zu Protokoll gegebene Reden Die von der FDP befürchteten Quersubventionierun- gen sind also verboten, und dieses Verbot ist im SGB V zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur auch festgeschrieben. Aber darum geht es der FDP auch Einführung der nachträglichen Sicherungsver- gar nicht. Tatsächlich will sie den Schutzzaun um die wahrung bei Verurteilungen nach Jugendstraf- PKV wieder etwas höher machen. Dabei werden sie die recht (Tagesordnungspunkt 39) guten Wünsche einiger aus der Union begleiten. Die dürften ganz erschrocken darüber sein, was sie der PKV mit den Wahltarifen eingebrockt haben. Auf einmal Dr. Jürgen Gehb (CDU/CSU): Mit dem vorliegen- muss diese sich der Konkurrenz der gesetzlichen Kassen den Gesetzentwurf setzt die Große Koalition eine Verab- erwehren. So hatten sie sich das nicht gedacht. Dabei redung aus dem Koalitionsvertrag vom 11. November stehen die Patronageverhältnisse zwischen Union, FDP 2005 um. Dort heißt es wörtlich: „Die nachträgliche Si- und privater Assekuranz in einem seltsamen Gegensatz cherungsverwahrung soll in besonders schweren Fällen zu dem Hohelied, das in diesen Parteien sonst auf die auch bei Straftätern verhängt werden können, die nach PKV gesungen wird. Jugendstrafrecht wegen schwerster Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit oder die sexuelle Wenn die PKV tatsächlich so beispielgebend und leis- Selbstbestimmung verurteilt wurden.“ Genau dies wer- tungsfähig ist, wie das diese Politiker immer wieder be- den wir jetzt tun. haupten, warum kann sie sich nicht selber wehren? Wa- rum müssen schon wieder die Verbündeten in den Zur historischen Redlichkeit gehört es allerdings Parteien angebaggert und die Gutachter in Stellung ge- auch, nicht nur einen Blick auf den Koalitionsvertrag zu bracht werden, statt den Versicherten attraktive und in- werfen, sondern nachdrücklich auch auf die langjährigen telligente Angebote zu machen? Was ist das eigentlich Bemühungen der Unionsländer hinzuweisen, diese of- für ein System, das sofort Schnupfen bekommt, wenn es fenkundige Lücke in unserem System der Sicherungs- dem Wind des Wettbewerbs ausgesetzt wird? verwahrung zu schließen. Ich empfinde es als überhaupt nicht ehrenrührig, auch von dieser Stelle einmal deutlich (B) Die Wahltarife in der GKV sind weder Bein- noch auszusprechen, welch gewichtige Beiträge die Justizmi- (D) Systembruch. Sie können das Solidarsystem sogar stär- nisterinnen und Justizminister der Länder in dieser De- ken, wenn sie bei denen, die weder auf Solidarität noch batte seit vielen Jahren beisteuern. Und wenn das Land auf Wahlfreiheit verzichten wollen, die Zustimmung zur Bayern im vergangenen Monat bei der Behandlung die- GKV festigen. Sie können sich auch finanziell für die ses Gesetzentwurfes im Bundesrat zu Protokoll gab – ich Versichertengemeinschaft rechnen. Den ängstlichen zitiere wörtlich –: „Wir können daher mit Fug und Recht Kolleginnen und Kollegen von der Linken sei da die behaupten, gemeinsam den entscheidenden Anstoß dazu Auswertung des Modellprojekts zu Selbstbehalten emp- gegeben zu haben, dass diese Sicherheitslücke nun end- fohlen, die die Techniker-Krankenkasse vor wenigen lich geschlossen werden kann“, dann ist es völlig in Ord- Jahren durchgeführt hat. Damals überstiegen die Einspa- nung, dass dies einmal auch deutlich ausgesprochen rungen die ausgeschütteten Beitragsrabatte. wird. Allerdings zeigen die bisherigen Zahlen, dass der Die Debatten in der Vergangenheit haben gezeigt, und Großteil der Versicherten nur ein geringes Interesse an es wird heute nicht anders sein, dass es sich bei dem In- Wahltarifen hat. Die meisten Versicherten scheinen mit stitut der Sicherungsverwahrung um ein bei vielen unge- dem vergleichsweise unkomplizierten Sachleistungssys- liebtes Kind handelt. Die Sicherungsverwahrung ist tem der GKV vollauf zufrieden zu sein. Das Leben ist ja unbestritten das schärfste Schwert, das unsere Rechts- auch sonst kompliziert genug. Insofern ist die Diskus- ordnung zur Verfügung stellt. Sie verhindert, dass ein sion über den Antrag der FDP auch nur von begrenzter Straftäter die Freiheit erlangt, obwohl er seine Strafe voll Bedeutung. verbüßt hat. Gleichwohl sind die bisherigen Regelungen Wichtiger ist aber ein anderer Aspekt. Wenn es uns zur Sicherungsverwahrung wie auch die nun anstehende nicht endlich gelingt, eine gemeinsame Wettbewerbsord- Neuregelung gut, richtig und leider auch notwendig. nung für Krankenversicherer aller Rechtsformen zu Denn wir sollten uns immer wieder daran erinnern: Die schaffen, werden wir solche und ähnliche Auseinander- Ratio legis aller Regelungen zur Sicherungsverwahrung setzungen immer wieder erleben. Es gibt keinen guten ist der Schutz unserer Mitbürger vor Straftätern, von de- Grund dafür, zwei Krankenversicherungssysteme mit nen mit einer hohen Wahrscheinlichkeit weiterhin eine völlig unterschiedlichen Spielregeln nebeneinander zu ernst zu nehmende Gefahr für Leib und Leben anderer betreiben. Das schadet der sozialen Gerechtigkeit, setzt Menschen ausgeht. Diese Gruppe von gefährlichen falsche Anreize für das Gesundheitswesen und verhin- Straftätern ist sicherlich überschaubar, aber es gibt sie. dert eben auch Wettbewerb. Das lässt sich auch nicht mit Wir können sie nicht einfach wegdiskutieren oder sonst einer „Sonderwirtschaftszone“ im Bereich der Wahl- einfach ausblenden, frei nach dem Motto: Was nicht sein Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 127. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. November 2007 13395

(A) darf, das nicht sein kann. All dies wäre völlig unverant- sung beraten, sich für den letzteren und damit besseren (C) wortlich. Weg entschieden hat. Ich weiß, dass er nicht alle Vorstel- lungen und Wünsche, die in der Diskussion sind, aufge- Für uns als Union zählt es zu den wichtigsten Anlie- griffen hat. Trotzdem bin ich zuversichtlich, dass dieser gen, entschlossen für die Sicherheit und körperliche Un- Entwurf eine wohl fundierte Grundlage für unsere parla- versehrtheit unserer Mitbürger einzutreten. Und die best- mentarischen Beratungen darstellt, auf die ich mich mögliche Erfüllung dieser Verpflichtungen ist für mich freue. auch keine Frage liberaler oder weniger liberaler Aus- richtung der Rechtspolitik. Entscheidend ist vielmehr das Bemühen, auf der Grundlage unserer demokrati- Joachim Stünker (SPD): Bislang ist die nachträgli- schen Rechtskultur und mit allen Mitteln unseres wehr- che Sicherungsverwahrung nur bei Erwachsenen und haften Rechtsstaates das Risiko für unsere Mitbürger, Heranwachsenden möglich, die nach Erwachsenenstraf- das von dieser überschaubar kleinen Gruppe gefährlicher recht verurteilt werden. Leider gibt es aber auch nach Menschen ausgeht, so gering wie möglich zu halten. Jugendstrafrecht verurteilte junge Täter, die trotz Verbü- ßung einer mehrjährigen Jugendstrafe weiterhin in ho- Daher will ich an dieser Stelle nochmals deutlich da- hem Maße für andere Menschen gefährlich sein können. rauf hinweisen, dass es auch bei der anstehenden Erwei- Wir werden den Schutz der Bevölkerung vor solchen terung der Sicherungsverwahrung nicht um Strafe oder jungen Schwerkriminellen verbessern. Gegen sie kann Sühne geht und dass damit selbstverständlich auch nicht künftig die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung gegen das Verbot der Doppelbestrafung oder der Rück- nachträglich angeordnet werden. Die Maßnahme be- wirkung verstoßen wird. All dies ist inzwischen wirkt, dass ein junger Täter trotz Haftverbüßung nicht in höchstrichterlich und abschließend verfassungsrechtlich Freiheit entlassen wird. geklärt. Jegliche Sicherungsverwahrung dient allein dem Schutz der Allgemeinheit vor dem nach wie vor gefährli- Allerdings ist möglicher lebenslanger Freiheitsent- chen Täter. Der Staat hat, dies ist meine felsenfeste zug bei einem noch in der Entwicklung befindlichen jun- Überzeugung, eindeutig auch diesen Schutzauftrag ge- gen Menschen ein stärkerer Eingriff als bei einem Er- genüber unseren Mitbürgern einzulösen. Als potenzielle wachsenen. Deshalb legen wir die Messlatte für die Opfer haben unsere Mitbürger ein Anrecht, den best- Anordnung der nachträglichen Sicherungsverwahrung möglichen Schutz zu erhalten, den eine Rechtsordnung sehr hoch. zur Verfügung stellen kann. Sie wird nur Jugendliche und Heranwachsende be- Ihr Recht auf Leben, ihr Recht auf körperliche und treffen, die wegen gravierender Verbrechen zu mindes- seelische Unversehrtheit darf auch nicht haltmachen vor tens sieben Jahren Jugendstrafe verurteilt wurden. Die (B) Tätern, die nach Jugendstrafrecht verurteilt wurden und Sieben-Jahres-Schwelle stellt sicher, dass ein junger (D) am Ende eines langjährigen Strafvollzugs weiterhin eine Straftäter zum Zeitpunkt der Entscheidung über die Ver- Gefahr für ihre Mitbürger darstellen. Diese Lücke wol- hängung der Sicherungsverwahrung ein Erwachsener ist. len und werden wir jetzt schließen. Nun wird diesem Lü- Von der Richtigkeit dieser hohen Schwelle konnten wir ckenschluss vorgehalten, er sei mit dem Erziehungsge- auch den Koalitionspartner überzeugen. danken des Jugendstrafrechts unvereinbar. Ich halte diesen Einwand für nicht stichhaltig, ja, ich empfinde Gravierende Verbrechen sind solche gegen das Leben, ihn geradezu als Schutzbehauptung. Sicherlich ist unser die körperliche Unversehrtheit oder die sexuelle Selbst- Jugendstrafrecht vom Erziehungsgedanken noch form- bestimmung oder Fälle von Raub mit Todesfolge – auch barer junger Menschen getragen, und dies ist gut und in Verbindung mit räuberischem Diebstahl oder Erpres- auch richtig so. Junge Täter sollen zunächst einmal im sung. Der Katalog dieser sogenannten Anlasstaten für Jugendstrafvollzug die Chance erhalten, ihre Reiferück- die nachträgliche Sicherungsverwahrung ist enger als stände durch die Entwicklung ihrer Persönlichkeit aus- der des Erwachsenenstrafrechts. zugleichen. Und wir sind doch alle glücklich, wenn dies Die Anlassstraftat muss außerdem zu einer schweren gelingt. seelischen oder körperlichen Schädigung des Opfers Doch was geschieht, wenn dies misslingt? Wir ken- oder zur Gefahr einer solchen für das Opfer geführt ha- nen doch die Berichte von Gutachtern und Therapeuten ben. Das Erfordernis schränkt die Anlasstaten zusätzlich über Täter, deren Sozialisierungs- und Erziehungsdefi- auf die schwerwiegendsten Verbrechensfälle ein. Im Er- zite im Jugendstrafvollzug nicht behoben werden konn- wachsenenstrafrecht gibt es diese Beschränkung so ten, vielleicht, weil sie auch noch nie sozialisiert oder er- nicht. zogen worden sind. Was geschieht also, wenn die Zudem bedarf die nachträgliche Anordnung der Un- Erziehung gescheitert ist, aber vom Täter weiterhin er- terbringung in der Sicherungsverwahrung einer Gefähr- hebliche Gefahren für die Allgemeinheit drohen? Bedau- lichkeitsprognose. Es müssen vor Ende des Jugendstraf- erndes Achselzucken wie bisher, frei nach dem Motto: vollzugs Tatsachen erkennbar sein, die mit hoher Pech gehabt, damit muss man halt leben. Oder raffen wir Wahrscheinlichkeit erwarten lassen, dass der Verurteilte uns auf, ein reales Defizit im System der Sicherungsver- erneut gravierende Verbrechen begehen wird. Das Ge- wahrung endlich zu beheben, auch wenn es sich nur um richt muss nach Einholung von zwei Sachverständigen- vermeintliche Einzelfälle handeln sollte? gutachten aufgrund einer Gesamtwürdigung die Gefähr- Ich bin jedenfalls froh, dass die Koalition mit dem lichkeit des Täters mit hoher Wahrscheinlichkeit auch vorliegenden Gesetzentwurf, den wir heute in erster Le- für die Zukunft annehmen. Die Voraussetzungen für ei- 13396 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 127. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. November 2007

(A) nen weiteren Verbleib in der Sicherungsverwahrung sind Die damals vorgetragenen Argumente gelten für (C) jährlich zu überprüfen. Bei Erwachsenen gilt eine Über- meine Fraktion für den Gesetzentwurf, den wir heute be- prüfungsfrist von regelmäßig zwei Jahren. raten, in besonderer Weise. Die Bundesregierung möchte die nachträgliche Sicherungsverwahrung ausdehnen auf Die Einführung der nachträglichen Sicherungsver- junge Menschen, die nach Jugendstrafrecht verurteilt wahrung für nach Jugendstrafrecht Verurteilte wird zwar wurden. Wir reden daher über Verurteilte, die zum Zeit- weiterhin nicht alle Straftaten verhindern. Aber es erhöht punkt der Tatbegehung 14 bis 17 Jahre alt oder 18 bis 20 die Sicherheit unserer Bevölkerung, wenn ein junger Jahre alt waren, soweit das Jugendstrafrecht zur Anwen- Schwerkrimineller, der anderenfalls in kürzester Zeit dung kam. In der Gesetzesbegründung heißt es hierzu, es wieder rückfällig wird, in staatlichem Gewahrsam bleibt. könne Fälle geben, in denen nach Einschätzung von Gut- achtern und Justiz nach oder noch nach Verbüßung einer Jörg van Essen (FDP): Die Sicherungsverwahrung mehrjährigen Jugendstrafe von einer entsprechenden ho- gehört zu den Themen, mit denen sich der Bundestag in hen künftigen Gefährlichkeit auszugehen sei. Diese jeder Wahlperiode erneut befasst. Aufgrund von aktuel- schwammige Formulierung überzeugt mich in keiner len Ereignissen, die in besonderer Weise für Aufmerk- Weise von der Notwendigkeit dieser Initiative. Dem ste- samkeit in der Öffentlichkeit sorgten, sah sich der Ge- hen Aussagen von namhaften Kriminologen gegenüber, setzgeber in den vergangenen Jahren mehrmals in der die überstimmend die Auffassung vertreten, dass ihnen Pflicht, Gesetze zu verabschieden, die das Instrument aus ihrer Praxis kein Fall bekannt sei, der die Notwen- der Sicherungsverwahrung für immer mehr Anwen- digkeit für eine Erweiterung der nachträglichen Siche- dungsfälle geöffnet hat. Um es vorweg klar zu sagen: rungsverwahrung auf junge Menschen erfordert. Die Sicherungsverwahrung ist leider nach wie vor not- Der Widerstand aus den Kreisen der Wissenschaft ge- wendig und daher als Maßregel der Besserung und Si- gen den Gesetzentwurf der Bundesregierung ist groß, zu cherung im Strafrecht unverzichtbar. Wenn ich Besuche Recht, wie ich meine. Eine Persönlichkeitsverfestigung mache in Strafvollzugsanstalten in meinem Wahlkreis in Richtung eines Wiederholungshanges hat in jungen und dort mit den Anstaltsleitern, aber auch mit meinen Jahren oftmals noch nicht stattfinden können. Bei jungen Kollegen bei der Staatsanwaltschaft diskutiere, werden Straftätern kann aufgrund der viel kürzeren Delinquenz- immer wieder Fälle genannt von Straftätern, die seit vie- geschichte eine zuverlässige Aussage über künftige Ge- len Jahren inhaftiert sind und bei denen jede neue Begut- fährlichkeit meist nicht zuverlässig getroffen werden. achtung die Prognose stützt, dass eine Freilassung des Die Bundesregierung sieht dies ebenso. Die Gesetzesbe- Inhaftierten in keiner Weise zu verantworten wäre. Viele gründung spricht daher von der besonderen Unsicherheit Strafgefangene bleiben auch nach langjähriger Haft wei- der notwendigen Gefährlichkeitsprognose bei jungen (B) terhin brandgefährlich. Hier bietet die Sicherungsver- Menschen, die sich aus ihrer kürzeren Lebensgeschichte (D) wahrung eine letzte Möglichkeit, auf diese Fälle ange- und Legalbiographie sowie ihrer noch nicht beendeten messen zu reagieren. Entwicklung ergibt. In der 14. Wahlperiode hat der Bundestag die nach- Auch aus einem anderen Grund halte ich die Initiative trägliche Sicherungsverwahrung eingeführt. Die Rege- der Bundesregierung für bedenklich. In den vergangenen lung, die damals auch mit den Stimmen der FDP verab- zehn Jahren hat sich die Zahl der Menschen, die siche- schiedet wurde, sieht vor, dass die Anordnung der rungsverwahrt sind, verdoppelt. Damit verliert die Siche- nachträglichen Sicherungsverwahrung auch dann erfol- rungsverwahrung ihre Funktion als Ultima ratio. Der ehe- gen kann, wenn sich der Hang zu gefährlichen Straftaten malige Richter am Bundesgerichtshof Hartmuth erst während des Vollzugs herausstellt und das erken- Horstkotte ist in der FA Z am Sonntag wie folgt zitiert wor- nende Gericht die Anordnung bereits bei Verurteilung den: „Die ausufernde Maßregelgesetzgebung läuft Ge- des Täters im Urteil vorbehalten hat. Ich glaube nach fahr, das Gerüst unseres Rechtsstaates zu unterspülen.“ wie vor, dass wir damit eine verhältnismäßige und ak- Das Bundesverfassungsgericht hat bisher die Verfas- zeptable gesetzliche Lösung gefunden haben, die sowohl sungsgemäßheit der nachträglichen Sicherungsverwah- den Bedürfnissen der Praxis als auch den Bedürfnissen rung mit der engen Begrenzung des Anwendungsbereichs nach einer rechtsstaatlich einwandfreien Gesetzesgrund- der Norm begründet. Das Gericht hat darauf hingewiesen, lage gerecht wird. dass die nachträgliche Anordnung der Sicherungsver- wahrung nur in besonderen Ausnahmefällen in Betracht Die FDP-Bundestagsfraktion war der Auffassung, kommt und auf einige wenige Verurteilte beschränkt dass diese Voraussetzungen bei der Anordnung der nach- bleibt. Durch die ständige Erweiterung der Anordnungs- träglichen Sicherungsverwahrung dann nicht mehr gege- möglichkeiten der nachträglichen Sicherungsverwahrung ben sind, wenn die Anordnung nicht im Urteil vorbehal- verliert die Maßregel gerade ihren Ausnahmecharakter. ten wird, sondern erst nachträglich erfolgt. Wir haben Ich halte es für bedenklich, wenn der Gesetzgeber hier als dieser erneuten Erweiterung der Sicherungsverwahrung Reaktion auf Einzelfälle versucht, jede denkbare Sicher- in der vergangenen Wahlperiode daher nicht zuge- heitslücke zu schließen. Der Blick in das Strafgesetzbuch stimmt. Grund für unsere Ablehnung war auch die mit zeigt, dass die Vielzahl der gesetzlichen Regelungen zur dem Gesetz eingeführte Möglichkeit der nachträglichen Anordnung der Sicherungsverwahrung mittlerweile Sicherungsverwahrung gegenüber Heranwachsenden. keine Systematik mehr erkennen lässt. Bereits damals wurde von vielen Sachverständigen da- rauf hingewiesen, dass erhebliche Probleme im Hinblick Ich halte die Ausweitung der nachträglichen Siche- auf die Prognoseentscheidung zu erwarten sind. rungsverwahrung auch vor dem Hintergrund, dass es in Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 127. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. November 2007 13397

(A) Deutschland nach wie vor an zuverlässigen Diagnose- nicht begangene Taten hinaus. Natürlich mag es in ei- (C) und Prognoseinstrumenten fehlt, für höchst bedenklich. nem rechtstaatlichen Gemeinwesen niemand recht über Es passt nicht zusammen, wenn der Bundesgesetzgeber die Lippen bringen, dass es in Ordnung sei, einen Men- ständig die Anordnungvoraussetzungen erweitert und schen für Taten zu bestrafen, die er noch gar nicht be- die Länder aufgrund ihrer Personal- und Finanzknapp- gangen hat. heit nicht in der Lage sind, die hohen Anforderungen an Was daher sehr viel leichter über die Lippen geht und die Prognoseentscheidungen und die Begutachtung zu deshalb für die Begründung bevorzugt wird, ist das Wort erfüllen. Es wird den Problemen in keiner Weise gerecht, von der Zweigleisigkeit des Strafrechtes. Demnach sei einzig und allein in der Sicherungsverwahrung die Lö- nur ein Gleis für schuldadäquate Strafe zuständig; auf sung für schwere Fälle von Straftätern zu sehen. Gerade dem zweiten Gleis der Maßregel hätte der Freiheitsent- für junge Menschen müssen Alternativen gefunden wer- zug schon keinen Strafcharakter. Auf diesem sei viel- den, ich denke da zum Beispiel an den Ausbau von am- mehr der Schutz der Allgemeinheit angesprochen oder bulanten Maßnahmen. Nicht hinzunehmen sind auch die die Besserung des Täters. Defizite, die seit vielen Jahren bestehen bei der Bereit- stellung sexualtherapeutischer Angebote. Ich bin mir im Aber auf beiden Gleisen fährt ein Täter gleicherma- Klaren, dass diese therapeutischen Maßnahmen Geld ßen in den Knast. Für ihn macht es keinen Unterschied, kosten. Wenn die Bereitstellung ausreichender therapeu- wenn der identische Vollzug das eine Mal Strafe, das an- tischer Maßnahmen jedoch geeignet ist, die Sicherheit dere Mal Maßregel heißt. Er verbringt seine Gefangen- der Bürgerinnen und Bürger zu gewährleisten, dann schaft hinter denselben Gittern unter denselben täglichen kann das Argument der leeren Kassen nicht gelten. Ich Umständen. sehe hier auch einen wichtigen Beitrag für den Opfer- schutz. Er ist unschuldig – aber gefährlich. Doch die Abwehr von Gefahr ist gerade keine Aufgabe des Strafvollzuges. Verantwortliche Rechtspolitik muss sicherstellen, Dieses ernste Begründungsdefizit sorgte vermutlich dass die Gewährleistung von Sicherheit verhältnismäßig dafür, dass man mit der Sicherungsverwahrung in der und mit rechtsstaatlichen Mitteln erfolgt. In diesem Rah- Nachkriegszeit zunächst äußerst behutsam umging. Man men bieten sich Alternativen zur Sicherungsverwahrung, beschränkte die Sicherungsverwahrung damals auf gerade in Bezug auf junge Menschen, an. Ich würde höchstens zehn Jahre für erheblich rückfallgefährdete mich freuen, wenn wir die parlamentarischen Beratun- Täter schwerster Straftaten nach der dritten Bestrafung. gen auch dafür nutzen würden, uns mit diesen Alternati- Es bestand auch kein Anlass, dieses Instrument weiter zu ven sachlich und unter Hinzuziehung von Sachverstand verschärfen, weil die Gewalttaten über einen Zeitraum aus Wissenschaft und Praxis auseinanderzusetzen. von 30 Jahren objektiv nicht zunahmen. (B) (D) Ich zitiere dazu aus dem gekürzten Zweiten Periodi- Wolfgang Nešković (DIE LINKE): Mit dem vorlie- schen Sicherheitsbericht der Bundesregierung vom genden Entwurf bezweckt die Bundesregierung, beson- 15. November 2006. Auf Seite 9 heißt es: ders gefährliche, nach Jugendstrafrecht verurteilte Straf- täter auch nach Ablauf ihrer Haftstrafen in Verwahrung In den letzten drei Jahrzehnten hat, entgegen weit zu halten, um die Allgemeinheit vor ihnen zu schützen. verbreiteter Meinung, weder die Opfergefährdung Ich gehe davon aus, dass dieses Vorhaben in der Öffent- durch Vergewaltigung oder sexuelle Nötigung noch lichkeit mehrheitlich auf Zustimmung treffen wird. Ich durch Mord oder Totschlag zugenommen; dies gilt verstehe sehr gut, dass sich die Menschen nach Sicher- auch für Sexualmorde an Kindern. heit und Schutz sehnen. Ich meine weiterhin, dass meine Ohne echte Not brachen jedoch in den späten 90er- Fraktion keinen Blumentopf bei den Wählerinnen und Jahren die rechtstaatlichen Dämme. Die Zehnjahresfrist Wählern gewinnen wird, wenn wir uns heute gegen die- wurde aufgehoben. Außerdem konnte die Sicherungs- sen Entwurf aussprechen. Wir tun uns mit unserem Wi- verwahrung nun bereits bei zweimaliger Tatbegehung derspruch also keinen Gefallen. Es geht jedoch nicht da- angeordnet werden. 2002 konstruierte der Gesetzgeber rum, was gefällt – es geht darum, was richtig ist. dann eine vorbehaltene Sicherungsverwahrung, die Richtig ist ein entscheidender Grundsatz des Straf- schon bei einer Erstverurteilung infrage kam. 2004 rechts, der sich in der französischen Aufklärung heraus- schließlich eröffnete das Bundesverfassungsgericht so- gebildet hat, seine Fortentwicklung im deutschen Ide- gar den Weg für eine nachträgliche Sicherungsverwah- alismus nahm und schließlich in das Preußische rung, die ohne Vorbehalt noch nach Verbüßung der Allgemeine Landrecht und später in das deutsche Straf- Strafe angeordnet werden konnte. gesetzbuch Eingang fand. Dieser alte und wertvolle Während die schwere Kriminalität zurückging, mar- Grundsatz ist das Schuldprinzip. Es ist die richtige Idee, schierte die Sicherungsverwahrung unaufhaltsam vor- dass die Strafe, also auch der Freiheitsentzug, seine Ur- wärts. Was über viele Jahrzehnte einmal eine winzige, sache in der Schuld des Täters haben muss. Wenn eine schwer zu begründende Ausnahme zum Schuldprinzip Haftzeit endet, dann bedeutet dies, dass eine Schuld ab- darstellte, rückte plötzlich in die Nähe einer Regel. gegolten wurde. Wir sprechen heute über eine weitere Ausweitung auf Ein weiterer Freiheitsentzug unter den bisherigen Be- die Gruppe der jugendlichen und heranwachsenden dingungen, der nunmehr unter dem Etikett der Sicherung Straftäter, von denen völlig zu Recht angenommen wird, oder Besserung stattfindet, läuft auf eine Strafe für noch dass sie noch sehr stark formbar sind. Anders als 13398 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 127. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. November 2007

(A) erwachsene Straftäter haben sie erst eine sehr kurze Le- Im Jahr 1995 waren 183 Menschen in Sicherungsver- (C) bensphase der Prägung durchlebt, auf die sie zudem wahrung. Bis März 2007 stieg diese Zahl kontinuierlich selbst kaum Einfluss hatten. an – auf jetzt 415 Personen. Das bedeutet eine Steige- rung um mehr als das Doppelte in nur zwölf Jahren! Es Diese Tätergruppe wird straffällig, bevor sie ihr Le- werden also immer mehr Menschen – tendenziell lebens- ben überhaupt in die eigenen Hände nimmt. Sie tut ande- länglich – prophylaktisch zur Sicherheit verwahrt, und ren Gewalt an, quält andere, vergewaltigt und mordet, dies ganz im Gegensatz zu der tatsächlichen Kriminali- bevor es jemandem gelingt, ihnen Empathie nahezubrin- tätsentwicklung in den für die Sicherungsverwahrung re- gen oder eine Fühlung für den Wert des menschlichen levanten Kriminalitätsbereichen: Bei schweren und Lebens. Aber weil sie Menschen sind und weil sie jung schwersten Gewalt- und Sexualstraftaten sind die Krimi- sind, sagen wir von ihnen im Besonderen: Die schreiben nalitätszahlen in dem oben genannten Zeitraum gleich wir trotzdem nicht ab. geblieben oder sogar rückläufig. Ihre Haftzeit ist eine Erziehungszeit, die ihnen oft Richtig ist, es gibt ganz wenige Menschen, die für nicht etwa die Rückkehr in die Gesellschaft, sondern ihre Mitmenschen sehr gefährlich bis lebensgefährlich erstmalig einen Einzug in die Gesellschaft ermöglichen sind, manchmal für einen gewissen Zeitraum, manchmal soll. Jeder Einzelne von Ihnen, der nach Ablauf der Haft auch ein Leben lang. Doch es ist die Aufgabe der in die Freiheit entlassen wird, ist Träger von Chance und Rechtspolitik, an dieser Stelle nicht nur die Sicherheit im Risiko zugleich. Es besteht das Risiko, dass sich alte Verhaltensmuster wiederholen und Menschen wieder Auge zu haben – dies ist selbstverständlich –, sondern missachtet, gequält oder gar getötet werden. Es besteht immer auch die Rechte der Betroffenen im Blick zu be- jedoch auch die Chance, dass die Gemeinschaft einen halten. Letzteres, mag es auch schwierig sein, ist und Menschen zurückgewinnt, der seinen Mitmenschen mit bleibt die Aufgabe, der wir Rechtspolitiker uns stellen Respekt und Verantwortung begegnet. müssen. Der uns heute vorliegende Entwurf behandelt eben- Es gab in der Rechtspolitik unter denen, die sie befür- falls Chance und Risiko. Er trägt jedoch eine schlimme worten, zur Sicherungsverwahrung einmal einen Mini- Tendenz in sich. Er sieht zuallererst das Risiko und ver- malkonsens. Nur bei wiederholten und nur bei schwers- nachlässigt die Chancen. Eine freie Gesellschaft funktio- ten Straftaten, nur bei erwachsenen Menschen, deren niert umgekehrt. Sie erträgt eher Risiken, als dass sie Persönlichkeitsentwicklung bereits abgeschlossen ist, sich von ihren Chancen trennt. und nur auf sicherer psychologischer Prognosebasis sollte Sicherungsverwahrung angeordnet werden kön- Und schließlich: Wenn eine freie Gesellschaft nicht nen. (B) umhinkommt, Risiken zu bewerten und zur Grundlage (D) der Gesetzgebung zu machen, dann lässt sie sich nur von Seit dieser Konsens verlassen wurde, erodieren die Fakten, nicht von Ängsten leiten. Ich zitiere deshalb Grenzen im Bereich Sicherungsverwahrung immer noch einmal aus dem Zweiten Periodischen Bericht der mehr. Um vermeintlicher Sicherheit willen wurden die Bundesregierung, diesmal aus der ungekürzten Fassung, Deliktschwellen abgesenkt, die Tatsachengrundlage aus- S. 47: gedünnt, der Personenkreis ausgeweitet. Stets waren schreckliche Einzelfälle Anlass, hier immer weiter zu „Gefühlte“ Kriminalität, die maßgeblich auch durch gehen. Wir Grünen haben hiergegen angekämpft, stop- die nicht immer sachgerechte Aufbereitung dieses pen konnten wir an dieser Stelle wenig. Aber wenigstens Themas durch die in ihrer alltäglichen Bedeutung konnten wir die verfahrensrechtlichen Sicherungen erhö- stetig wachsenden Massenmedien gespeist wird, hen, um Fehlurteilen vorzubeugen. kann auch kriminalpolitische Entscheidungen nach- haltig beeinflussen und deren Optionen begrenzen. Nun liegt erneut eine Ausweitung der Sicherungsver- wahrung auf dem Tisch. Nach dem Willen der Koalition Im Klartext wird hier zum Ausdruck gebracht: Weil soll nun Sicherungsverwahrung auch gegen minderjäh- die Medien Ängste weiter schüren, soll der Gesetzgeber rige Straftäter verhängt werden können; sogar bei Ersttä- weitere Gesetze machen. Überlegen Sie bitte sehr genau, tern und bis kurz vor Haftentlassung. Die für Heranwach- ob Sie das überzeugend finden. sende geltenden besonderen Schutzregelungen werden für Jugendliche nicht übernommen. Fesseln, die aus gu- Jerzy Montag (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Der ten Gründen der Sicherungsverwahrung noch angelegt vorliegende Gesetzentwurf beinhaltet die sechste Aus- sind, werden gesprengt. Es sind Türöffner für weitere weitung der Sicherungsverwahrung binnen gerade ein- Neuregelungen – sprich Ausweitungen – die ich vonsei- mal zwölf Jahren. Die vermeintlichen Lücken wurden ten der sicherheitspolitisch Nimmersatten auf uns zukom- von Mal zu Mal kleiner; die Vorschläge, um diese Lü- men sehe. cken noch zu schließen, mit jedem Mal ausgefeilter und detaillistischer. Lückenlose Sicherheit kann es in einem freiheitlichen Rechtsstaat nicht geben. Übertragen auf das Recht der Ich denke, es ist der Zeitpunkt gekommen, einmal in- Sicherungsverwahrung: Ein lückenloses Recht der Si- nezuhalten und sich die Frage zu stellen: Wo geht sie cherungsverwahrung kann es niemals geben. Daran will hin, die Entwicklung im Bereich der Sicherungsverwah- ich an dieser Stelle ausdrücklich erinnern, bevor wir nun rung? in die Ausschussberatungen eintreten. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 127. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. November 2007 13399

(A) Brigitte Zypries, Bundesministerin der Justiz: Die war keine leichte Aufgabe, denn schließlich geht es hier (C) Unterstützung des Projekts, das wir hier auf den Weg auch um höchste Rechtsgüter unserer Verfassung. Trotz- bringen, wird nicht allen in der Koalition leichtfallen, dem ist es uns gelungen, eine gute Lösung zu finden, und das ist auch verständlich. Wir reden hier über die und ich hoffe auf eine breite Zustimmung hier im Haus. nachträgliche Sicherungsverwahrung von jungen Men- schen, von Menschen, die zwar schwere Straftaten ver- übt haben, die sich aber noch in der Entwicklung befin- Anlage 8 den und die ihre Strafe vollständig verbüßt haben. Zu Protokoll gegebene Reden Wir haben uns die Arbeit an diesem Gesetz alles an- dere als leicht gemacht, aber ich meine, das Ergebnis zur Beratung des Antrags: Zugang zu Renten- kann sich sehen lassen: Wir verbessern den Schutz der leistungen für ehemalige Ghetto-Insassen er- Allgemeinheit, aber wir beschränken die Sicherungsver- leichtern (Tagesordnungspunkt 41) wahrung zugleich auf Extremfälle. Das ist eine vernünf- tige und eine verfassungskonforme Lösung. Peter Weiß (Emmendingen) (CDU/CSU): Der Terror des Naziregimes hat unendlich viel Leid über die Men- Es kann einzelne Fälle geben, in denen am Ende des schen in Europa und darüber hinaus gebracht. Dieses un- Vollzugs der Jugendstrafe die große Wahrscheinlichkeit ermessliche Leid kann durch menschliche Anstrengun- besteht, dass der Täter künftig hochgefährlich sein wird. gen allein niemals wirklich wieder gutgemacht werden. Mit diesem Gesetz schaffen wir die Rechtsgrundlage, Dennoch sollten und müssen wir alles Menschenmögli- damit wir Betroffene weiterhin in staatlichem Gewahr- che versuchen, den Überlebenden dieser menschlichen sam behalten können. Das ist ein schwerer Eingriff, das Katastrophe ihr Leben zu erleichtern, den Schmerz – wo ist aber auch der wirksamste Schutz für die potenziellen es geht – auch durch finanzielle Leistungen zu lindern. Opfer. Das ist Konsens in der deutschen Gesellschaft. Das Grundgesetz verlangt, dass wir zu diesem Mittel Das Versagen aller staatlichen und mitmenschlichen nur in besonders schwerwiegenden Fällen greifen. Das Instrumente zum Aufhalten der Katastrophe der Nazi- ist vor allem eine Frage der Verhältnismäßigkeit. Die Si- diktatur und der organisierten Vernichtung menschlichen cherungsverwahrung ist das schärfste Schwert, dass das Lebens müssen wir im Bewusstsein, auch der jungen Strafrecht zu bieten hat. Für junge Menschen, die das Generation, halten – damit solche Barbarei niemals wie- Leben noch vor sich haben, stellt sich die Sicherungsver- der geschehen kann. wahrung zudem noch härter dar als für ältere Erwach- sene. Bei ihnen ist es auch besonders schwierig, eine si- Zu den menschenverachtenden Verbrechen der Nazi- (B) chere Prognose über ihre Gefährlichkeit zu erstellen; diktatur gehört auch, dass Millionen von Menschen in (D) schließlich ist ihre Lebensgeschichte erst kurz und ihre Ghettos zusammengepfercht wurden, erst in ihren eige- Persönlichkeitsentwicklung dauert noch an. nen Städten, dann in großen, überregionalen Ghettos. Für uns heute unvorstellbar lebten sie dort zusammenge- Wir haben diese Umstände in unserem Gesetzentwurf pfercht und in ständiger Todesangst. Warschau, Krakau, berücksichtigt und daher strenge Voraussetzungen für die Theresienstadt sind Namen, die uns bis heute den Schre- nachträgliche Sicherungsverwahrung aufgestellt. Vier cken vor Augen halten! Bedingungen müssen erfüllt sein: Erstens. Der Betrof- fene muss zu mindestens sieben Jahren Jugendstrafe ver- Um der Selektion in die Vernichtungslager zu entge- urteilt sein. hen oder um sich mit einer zusätzliche Mahlzeit vor dem Zweitens. Die Strafe muss verhängt worden sein we- Verhungern zu bewahren, bemühten sich viele, innerhalb gen eines Verbrechens gegen das Leben, die sexuelle des Ghettos zu arbeiten. Selbstbestimmung oder die körperliche Unversehrtheit Menschen, die unter unwürdigen Bedingungen in oder wegen eines Raubverbrechens mit Todesfolge. Ghettos zusammengepfercht wurden und die mit der Drittens: Die Tat muss beim Opfer zu einer schweren Hoffnung, dadurch ihr Leben retten zu können, eine Ar- seelischen oder körperlichen Schädigung oder Gefähr- beit annahmen, müssen selbstverständlich von den Aus- dung geführt haben. gleichs- und Entschädigungszahlungen bedacht werden. Viertens. Am Ende des Vollzugs der Jugendstrafe Im Jahr 2002 haben wir im Deutschen Bundestag muss nach einer gründlichen Gesamtwürdigung die hohe fraktionsübergreifend das „Gesetz zur Zahlbarmachung Wahrscheinlichkeit stehen, dass der Betroffene weitere von Renten aus Beschäftigungen in einem Ghetto“ be- solche Straftaten begehen wird. schlossen. Doch von den 70 000 Anträgen konnten bis- lang nur 8,72 Prozent positiv beschieden werden. Die Dies sind Voraussetzungen, die den einen zu eng und 5 Prozent, die im Antrag genannt werden, entsprechen den anderen nicht eng genug waren. Es ging bei diesem nicht den tatsächlichen Zahlen. Das ist zu wenig! Die ge- Gesetz aber nicht darum, einen Kompromiss zwischen setzliche Rentenversicherung kann nur dann einen Ren- unterschiedlich hohen Forderungen kurzerhand auszu- tenantrag bewilligen, wenn zwei Bedingungen erfüllt rechnen. Es ging dabei um viel mehr. Es ging darum, die werden: die Beschäftigung erstens aus eigenem Willens- Besonderheiten des Jugendstrafrechts mit dem Erforder- entschluss und zweitens gegen Entgelt. Im Zusammen- nis eines wirksamen Schutzes der Allgemeinheit in einen hang mit der in Ghettos verrichteter Arbeit erscheint es sinnvollen und angemessenen Ausgleich zu bringen. Das mehr als fraglich, ob diese Begriffe geeignet sind. Im 13400 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 127. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. November 2007

(A) Bereich der gesetzlichen Rentenversicherung sind sie je- sich um Vorschläge zur Änderung des Gesetzes zur (C) doch Voraussetzung für die Anerkennung einer Beitrags- Zahlbarmachung von Renten aus Beschäftigungen in ei- zeit. nem Ghetto, kurz ZRBG. Niemand will diesen Opfern des Naziregimes ihren Das ZRBG ist 2002 fraktionsübergreifend vom Deut- Anspruch auf finanzielle Entlastung ihrer derzeitigen schen Bundestag beschlossen worden. Ziel war es, ren- Lebenssituation versagen. Dies lässt sich aber nicht, wie tenrechtliche Regelungen zu ergänzen, die aufgrund neu- die Damen und Herren der Fraktion Bündnis 90/Die erer Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zur Grünen vorschlagen, über eine Änderung der sozialver- Arbeit in einem Ghetto erforderlich geworden sind. Das sicherungswirksamen Kriterien von geleisteter Arbeit er- Bundessozialgericht hatte – im Gegensatz zu seiner frü- langen. heren Rechtsprechung – entschieden, dass eine in einem Betrieb des Ghettos Lodz aufgenommene Tätigkeit unter An die Adresse der Grünen gerichtet kann ich nur sa- Umständen als „sozialversicherungsrechtlich relevante gen, dass es überaus bemerkenswert ist, mit welcher Ve- Beschäftigung“ eingestuft werden kann. Das wären dann hemenz Sie jetzt dieses Gesetz schlecht reden. Tatsache auch Beitragszeiten, die in der gesetzlichen Rentenversi- aber ist: Für Sie als damaliger Koalitionspartner muss cherung zu berücksichtigen sind. doch absehbar gewesen sein, dass sie den wenigsten Op- fern gerecht werden. Das nenne ich symbolische Politik! Diese Rechtsprechung zum Ghetto Lodz betrifft aus- Oder wollen Sie ernsthaft behaupten, dass 2002 keiner schließlich Tätigkeiten, die gerade nicht als Zwangsar- der Experten in der damaligen rot-grünen Regierung da- beit anzusehen sind. Sie wurden im Rahmen einer relati- mit rechnete, dass durch dieses Gesetz nur wenige Be- ven Freiwilligkeit, aus eigenem Willensentschluss und troffene in Form einer Rente entschädigt werden kön- gegen Entgelt ausgeübt. Das Bundessozialgericht hat nen? klargestellt, dass dann selbst in der Zwangssituation ei- nes Ghettolebens ein Beschäftigungsverhältnis möglich Wir können uns jetzt mit juristischen Spitzfindigkei- ist. Es hat damit die Freiwilligkeit als Grundvorausset- ten über die gesetzliche Rentenversicherung aufhalten. zung für ein Beschäftigungsverhältnis im sozialversiche- Wir können aber auch handeln! Und hier, meine Damen rungsrechtlichen Sinne gerade nicht infrage gestellt. Das und Herren, hat die Bundesregierung die Lage bereits er- Bundessozialgericht hat sich vielmehr im Rahmen des kannt und deshalb schnell und unkompliziert reagiert. bestehenden Systems mit der Frage auseinandergesetzt, Am 1. Oktober dieses Jahres ist eine Richtlinie der Bun- welche Art und welcher Umfang staatlichen Zwangs desregierung in Kraft getreten, die die Defizite der bishe- (noch) mit dem Begriff des Beschäftigungsverhältnisses rigen Entschädigungspraxis korrigiert. Es ist die „Richt- im sozialversicherungsrechtlichen Sinne zu vereinbaren linie über eine Anerkennungsleistung an Verfolgte für ist. Dabei hat es ausdrücklich an der Unterscheidung (B) (D) Arbeit in einem Ghetto, die keine Zwangsarbeit war und zwischen Beschäftigungsverhältnis und Zwangsarbeit bisher ohne sozialversicherungsrechtliche Berücksichti- festgehalten. gung geblieben ist“. Mit einer einmaligen Entschädi- gungszahlung von 2 000 Euro werden wir den Bedürf- Durch das ZRBG, das sich eng an die Vorgaben des nissen der mittlerweile hochbetagten ehemaligen Bundessozialgerichts anlehnt, wird die rentenrechtliche Ghetto-Insassen eher gerecht als mit immer neuen Ände- Differenzierung zwischen Zwangsarbeit und der Be- rungsanträgen zu dem 2002 beschlossenen Gesetz. Ich schäftigung im sozialversicherungsrechtlichen Sinne stimme Ihnen zu, dass den Betroffenen lange Rechts- nicht aufgehoben, sondern fortgesetzt. Denn das ZRBG streitigkeiten nicht zuzumuten sind. Genau deshalb er- verfolgt das Ziel, dass Rentenzahlungen aus den nach sparen wir ihnen diesen Weg durch die Instanzen. der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts anzuer- kennenden Beitragszeiten für Ghetto-Beschäftigungen Die Richtlinie ist noch druckfrisch, die Anträge eben nicht an anderen Besonderheiten unseres Rentenrechts erst ausgegeben. Dennoch haben bereits über 1 000 Be- scheitern. troffene einen Antrag gestellt. Es ist also mit einer gan- zen Reihe von Anträgen zu rechnen. So war vor Inkrafttreten des ZRBG insbesondere für Berechtigte mit Wohnsitz im Ausland die Zahlung einer Die Wiedergutmachung ist eine gesamtgesellschaftli- Rente aus diesen Beitragszeiten wegen der zu beachten- che Aufgabe! Deshalb ist es nur richtig und gut, dass den Regelungen über die Zahlung von Renten ins Aus- nicht nur die Gruppe der Rentenversicherten den finan- land in den meisten Fällen nicht möglich. Was die Aner- ziellen Ausgleich der Ghetto-Arbeiter übernimmt, son- kennung einer Beitragszeit aus einer Beschäftigung in dern dass wir dies als gesamtgesellschaftliche und damit einem Ghetto anbelangt, sind auch nach Inkrafttreten des staatliche Aufgabe annehmen. ZRBG – wie durch das Bundessozialgericht vorgegeben – Ich sage: Bevor wir über langwierige, beitragspoliti- die Freiwilligkeit und Entgeltlichkeit der Beschäftigung sche Spitzfindigkeiten diskutieren und an der gesetzli- zumindest glaubhaft zu machen. Die Erfüllung weiterer chen Rentenversicherung herumdoktern, sollten wir han- Voraussetzungen für eine Rentenzahlung, wie zum Bei- deln! Die Opfer des Naziregimes verdienen unsere volle spiel die Beachtung der Regelungen über die Zahlung Solidarität und Hilfe – wie sie die Richtlinie der Bundes- von Renten ins Ausland, ist dagegen nicht mehr erfor- regierung schnell und unbürokratisch garantiert! derlich. Die in dem Antrag geforderten Erweiterungen des Klaus Brandner (SPD): Bei dem von der Fraktion ZRBG durch neue Definitionen des Begriffs „Beschäfti- Bündnis 90/Die Grünen eingebrachten Antrag handelt es gung aus freiem Willensentschluss“ sowie des Begriffs Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 127. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. November 2007 13401

(A) „Entgeltlichkeit sind nicht mit dem Begriff der Beschäf- sche Streitfragen klären soll, sehen wir keine Notwen- (C) tigung im sozialversicherungsrechtlichen Sinn zu verein- digkeit. Sowohl die Rentenversicherungsträger als auch baren. Es mag zwar fraglich erscheinen, ob die Begriffe die Sozialgerichte haben die Möglichkeit, im Rahmen „Beschäftigung aus freiem Willensentschluss“ und „Ent- der vorgeschriebenen Sachverhaltsaufklärung gutachter- geltlichkeit im Zusammenhang mit Arbeit im Ghetto den liche Stellungnahmen von Historikern erstellen zu las- Sachverhalt zutreffend beschreiben können. Für die ge- sen. Davon wurde auch vielfach Gebrauch gemacht, zum setzliche Rentenversicherung müssen diese Merkmale Beispiel zu Ghettos in Ungarn, in Galizien, in Litauen aber elementare Voraussetzung für die Anerkennung ei- und dem Generalgouvernement. Dabei hat sich gerade ner Ghetto-Beitragszeit bleiben. Denn ansonsten würden auch herausgestellt, dass es nur wenige Ghettos gab, de- der gesetzlichen Rentenversicherung Aufgaben zuge- ren Zustände mit denen im Ghetto Lodz vergleichbar wiesen, die keinerlei Bezug mehr zur Sozialversicherung waren. und zur Versichertengemeinschaft haben, sondern als reine Entschädigungsleistungen anzusehen wären. Die Absicht, den Menschen zu helfen, die in den Ghettos unter entsetzlichen Bedingungen leben und ar- Leistungen für Beschäftigungen in einem Ghetto, die beiten mussten, ist zu begrüßen. Diesen Menschen mit keine Beschäftigungen im sozialversicherungsrechtli- den Möglichkeiten der gesetzlichen Rentenversicherung chen Sinn darstellen, können ausschließlich als steuerfi- zu helfen, war auch die Intention des Gesetzgebers bei nanzierte Leistung auf der Grundlage einer eigenständi- der Schaffung des ZRBG. Er ist dabei durch die Schaf- gen Entschädigungsregelung erbracht werden. fung von mehreren Fiktionen in diesem Gesetz an die Grenzen dessen gegangen, was in der gesetzlichen Ren- Das Bundesministerium der Finanzen hat seit dem tenversicherung noch möglich und verfassungsrechtlich vergangenen Jahr Gespräche mit Vertretern der Jewish vertretbar ist. Wenn es bei rund 70 000 Anträgen nur zu Claims Conference geführt, um eine Billigkeitslösung rund 5 900 Bewilligungen gekommen ist, dann liegt es außerhalb des ZRBG zu finden. Mit dem Beschluss des an den barbarischen Arbeitsbedingungen in den Ghettos. Bundeskabinetts am 19. September 2007 zur „Richtlinie Man muss sich aber auch darüber im Klaren sein, dass der Bundesregierung über eine Anerkennungsleistung an ohne das ZRBG kaum ein verfolgter Ghetto-Insasse von Verfolgte für freiwillige Arbeit in einem Ghetto, die bis- der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts profitiert her ohne sozialversicherungsrechtliche Berücksichti- hätte. gung geblieben ist,“ ist die von der Fraktion Bündnis 90/ Die Grünen geforderte Alternativregelung zum ZRBG Den Antrag von Bündnis 90/Die Grünen, die Rege- schon längst konkretisiert worden. Die Richtlinie richtet lungen des ZRBG im Ergebnis auch auf Zwangsarbeit sich an Verfolgte, deren Tätigkeit in einem Ghetto nicht auszudehnen, lehnt die SPD-Fraktion ab. (B) alle Merkmale eines rentenrechtlichen Beschäftigungs- (D) verhältnisses erfüllt, und sieht die Zahlung einer einma- Dr. Heinrich L. Kolb (FDP): Das Thema der heuti- ligen Leistung aus humanitären Gründen in Höhe von gen Debatte ist ein wichtiges Thema, das einer kurzfris- 2 000 Euro vor. Der Forderung von Bündnis 90/Die Grü- tigen Lösung bedarf. Das will ich für meine Fraktion nen nach einer Pauschalregelung ohne Differenzierung schon zu Beginn meiner Rede hier sehr deutlich sagen. zwischen freiwilliger Arbeit und Zwangsarbeit kann sich Es taugt aber nicht für die parteipolitische Auseinander- die SPD-Fraktion jedoch nicht anschließen. Denn für setzung oder gar die parteipolitische Profilierung, so wie Zwangsarbeit ist bereits im Rahmen des Stiftungsgeset- die Grünen das hier ganz offensichtlich versuchen. zes „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“ eine Ent- schädigung gezahlt worden. Ich rate dazu, zu einem fraktionsübergreifenden Vor- gehen zurückzukehren, und vor allen Dingen sich auch Auch die im Antrag von Bündnis 90/Die Grünen ge- noch einmal sehr bewusst zu machen, warum das Gesetz nannte Entscheidung des 4. Senats des Bundessozialge- zur Zahlbarmachung von Renten aus Beschäftigungen in richts vom 14. Dezember 2006 führt zu keiner anderen einem Ghetto, ZRBG, das wir ja im Jahre 2002 hier in ei- Erkenntnislage. Es bestehen erhebliche Zweifel, dass die nem breiten Konsens beschlossen haben, letztlich nicht vom Senat entwickelte Definition von Freiwilligkeit zu so gewirkt hat, wie wir alle es uns erhofft und gewünscht einem Leistungsanspruch in der gesetzlichen Rentenver- hatten. Das ZRBG war ein Versuch, die Problematik der sicherung führen und durch die heutigen Beitragszahler ehemals in einem Ghetto Beschäftigten rentenrechtlich finanziert werden soll. Diese Zweifel werden offenbar zu lösen. Der Gesetzgeber, also dieses Hohe Haus, hat auch vom 4. Senat des Bundessozialgerichts geteilt. 2002 einstimmig diesen Ansatz gewählt, weil er sich da- Denn in seiner Entscheidung stellt auch der 4. Senat die bei auf die vorangegangene Rechtsprechung des Bun- Frage, ob die Finanzierung einer Rente für eine Ghetto- dessozialgerichts, BSG, stützte, die ihrerseits seit 1997 Beschäftigung, die nicht den Kriterien einer Beschäfti- erstmals eine rentenrechtliche Lösung für ehemals in ei- gung im Sinne der Sozialversicherung entspricht, aus nem Ghetto Beschäftigte vorgab. den Rentenversicherungsbeiträgen der heutigen Versi- cherten verfassungskonform ist. Wegen der Zurückver- Bis zum Urteil des BSG zum Ghetto Lodz vom weisung des Verfahrens an das zuständige Landessozial- 18. Juni 1997 – Az.: 5 RJ 66/95 = BSGE 80, 250 – gericht zur weiteren Sachaufklärung musste der 4. Senat wurde davon ausgegangen, dass Arbeit in Ghettos, die die Verfassungsmäßigkeit nicht weiter prüfen. von der deutschen Besatzung oder auf ihre Veranlassung hin eingerichtet wurden, als Zwangsarbeit auf Grundlage Für die im Antrag geforderte Einsetzung einer Kom- eines öffentlich-rechtlichen Gewaltverhältnisses geleis- mission, die im Zusammenhang mit dem ZRBG histori- tet wurde. Da damit keine rentenversicherungspflichtige 13402 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 127. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. November 2007

(A) Beschäftigung vorlag, kamen Zahlungen aus der gesetz- Da die FDP-Bundestagsfraktion aus den dargestellten (C) lichen Rentenversicherung auch nicht in Betracht. Mit Gründen den Ansatz der Fraktion der Grünen ablehnt, dem Urteil des BSG wurde nun die Arbeit im Ghetto eine entschädigungsrechtliche Lösung grundsätzlich aber Lodz als ein sozialversicherungspflichtiges Arbeitsver- unterstützt, werden wir uns bei der Abstimmung über hältnis angesehen, das auf freiem Willensentschluss be- den Antrag auf Drucksache 16/6437 enthalten. ruhte und gegen Entgelt ausgeübt wurde. Ergänzend zur damals bestehenden Rechtslage sollten mit dem ZRBG Renten für Beschäftigungszeiten in ei- Anlage 9 nem Ghetto grundsätzlich auch im Ausland auszahlbar gestellt werden. Bis dahin war das nicht in allen Fällen Amtliche Mitteilungen gewährleistet. Schließlich sollten Rentenansprüche auch Der Bundesrat hat in seiner 838. Sitzung am 9. No- dann entstehen, wenn eine Zugehörigkeit der Antragstel- vember 2007 beschlossen, den nachstehenden Gesetzen ler zum Personenkreis des Fremdrentengesetzes oder des zuzustimmen bzw. einen Antrag gemäß Artikel 77 Abs. 2 deutschen Sprach- und Kulturkreises nicht gegeben sein des Grundgesetzes nicht zu stellen: sollte. Das ZRBG sollte also den bestehenden renten- rechtlichen Weg zur Lösung des Problems ausbauen. – Gesetz zur Neuregelung des Rechtsberatungs- rechts Hier muss man, glaube ich, klipp und klar feststellen, dass der Versuch, die Frage im Rahmen des Rentenrech- – Zweites Gesetz über die Bereinigung von Bundes- tes zu lösen, sich als in der Praxis nicht gangbar erwie- recht im Zuständigkeitsbereich des Bundesminis- sen hat. Denn die rentenrechtliche Herangehensweise teriums der Justiz hat – für uns alle unerwartete – Schwierigkeiten mit sich – Zweites Gesetz zur Änderung des Pflichtversiche- gebracht. Die rentenrechtliche Lösung, für die Verhält- rungsgesetzes und anderer versicherungsrechtli- nisse des Ghettos in Lodz passend, war nicht ohne Wei- cher Vorschriften teres auf andere Ghettos übertragbar. Insbesondere der Kern der rentenrechtlichen Lösung, also die Geltendma- – Erstes Gesetz zur Änderung des Bundesnatur- chung einer „aus eigenem Willensentschluss zustande schutzgesetzes gekommenen“ und „gegen Entgelt ausgeübten“ Tätig- keit, war in der Antragspraxis für andere Ghettos nicht – Gesetz zu dem Protokoll vom 28. Oktober 1993 zur ohne Weiteres nachweisbar. In seiner praktischen An- Änderung des Europäischen Übereinkommens wendung hat das ZRBG daher nicht zu befriedigenden vom 30. September 1957 über die internationale (B) Ergebnissen geführt, sondern zu hohen Ablehnungsraten Beförderung gefährlicher Güter auf der Straße (D) und einer Klagewelle. Von den etwa 70 000 Anträgen (ADR) wurden bisher nur circa 5 Prozent positiv beschieden. Die Vorsitzenden der folgenden Ausschüsse haben Dazu will ich aber für meine Fraktion sehr deutlich mitgeteilt, dass der Ausschuss gemäß § 80 Abs. 3 Satz 2 sagen: Den Rentenversicherungsträgern, also den zu- der Geschäftsordnung von einer Berichterstattung zu den ständigen LVAs, kann das Scheitern der Umsetzung des nachstehenden Vorlagen absieht: ZRBGs, anders als es die Grünen in ihrem Antrag tun – „… haben viel zu hohe Hürden aufgebaut“ –, aber Haushaltsausschuss nicht vorgeworfen werden. Sie haben nur nach der im Gesetz geregelten rentenrechtlichen Logik gehandelt. – Unterrichtung durch die Bundesregierung Nach alledem halte ich den von den Grünen vorgeschla- Bericht der Bundesregierung über die Entwicklung der genen Lösungsweg einer weicheren Formulierung der Finanzhilfen des Bundes und der Steuervergünstigun- rentenrechtlichen Kriterien nicht für richtig. Auch eine gen für die Jahre 2005 bis 2008 (21. Subventionsbe- Parallelität von Rentenrecht und Entschädigungsrecht richt) kann die Lösung nicht sein. – Drucksachen 16/6275, 16/6487 Nr. 1.2 – Ich meine, eine abschließende Entschädigungslösung allein ist – vor dem Hintergrund der bei der Umsetzung Ausschuss für Gesundheit des rentenrechtlichen Ansatzes aufgetretenen Probleme – der richtige und sinnvolle Weg. Die Bundesregierung ist – Unterrichtung durch die Bundesregierung insoweit bereits auch in Gesprächen mit den Vertretern Erster Erfahrungsbericht der Bundesregierung über der Opfer. Zentrales Ziel der Entschädigungsregelung die Durchführung des Stammzellgesetzes (Erster muss die Herstellung von Rechtsfrieden sein. Die Höhe Stammzellbericht) einer angemessenen Entschädigung wird meines Erach- – Drucksache 15/3639 – tens unter Gewichtung vieler Umstände erfolgen müssen. Wir sollten das Ergebnis dieser Gespräche abwarten und – Unterrichtung durch die Bundesregierung nicht – wie es bei Annahme des Antrages der Grünen der Zweiter Erfahrungsbericht der Bundesregierung über Fall wäre – parallel dazu ein Signal aussenden, das eher die Durchführung des Stammzellgesetzes (Zweiter geeignet ist, Verwirrung zu stiften als Klarheit zu schaf- Stammzellbericht) fen. – Drucksache 16/4050 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 127. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. November 2007 13403

(A) Ausschuss für Bildung, Forschung und Drucksache 16/5681 Nr. 1.39 (C) Technikfolgenabschätzung Drucksache 16/6041 Nr. 2.17 Drucksache 16/6389 Nr. 1.31 – Unterrichtung durch die Bundesregierung Drucksache 16/6389 Nr. 2.59 Nationaler Bildungsbericht 2006 – Bildung in Deutsch- Drucksache 16/6389 Nr. 2.103 land Drucksache 16/6389 Nr. 2.104 und Drucksache 16/6389 Nr. 2.105 Stellungnahme der Bundesregierung Drucksache 16/6389 Nr. 2.106 Drucksache 16/6389 Nr. 2.107 – Drucksache 16/4100 – Drucksache 16/6389 Nr. 2.119 Drucksache 16/6389 Nr. 2.120 – Unterrichtung durch die Bundesregierung Drucksache 16/6389 Nr. 2.121 Bericht der unabhängigen Expertenkommission „Fi- Drucksache 16/6389 Nr. 2.122 nanzierung Lebenslangen Lernens“ – Der Weg in die Zukunft – Drucksache 15/3636 – Finanzausschuss Drucksache 16/6389 Nr. 2.73 – Unterrichtung durch die Bundesregierung Drucksache 16/6389 Nr. 2.115 Stellungnahme der Bundesregierung zum Bericht der Drucksache 16/6389 Nr. 2.117 unabhängigen Expertenkommission „Finanzierung Le- Drucksache 16/6389 Nr. 2.124 benslangen Lernens“ Der Weg in die Zukunft – Druck- Drucksache 16/6389 Nr. 2.138 sache 15/3636 – Drucksache 16/6715 Nr. 2.19 – Drucksache 15/5427 –

– Unterrichtung durch die Bundesregierung Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Berufsbildungsbericht 2007 Drucksache 16/6041 Nr. 2.8 Drucksache 16/6389 Nr. 2.131 – Drucksache 16/5225 – Drucksache 16/6715 Nr. 2.30 Drucksache 16/6715 Nr. 2.41 – Unterrichtung durch die Bundesregierung Bericht zur technologischen Leistungsfähigkeit Deutsch- lands 2007 Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und und Verbraucherschutz Stellungnahme der Bundesregierung Drucksache 16/6389 Nr. 2.67 – Drucksache 16/5823 – Drucksache 16/6501 Nr. 2.6 Drucksache 16/6715 Nr. 2.21 Drucksache 16/6715 Nr. 2.22 (B) Die Vorsitzenden der folgenden Ausschüsse haben Drucksache 16/6715 Nr. 2.28 (D) mitgeteilt, dass der Ausschuss die nachstehenden EU- Vorlagen bzw. Unterrichtungen durch das Europäische Parlament zur Kenntnis genommen oder von einer Bera- Ausschuss für Gesundheit tung abgesehen hat. Drucksache 16/6501 Nr. 1.11

Auswärtiger Ausschuss Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Drucksache 16/150 Nr. 1.37 Drucksache 16/5199 Nr. 1.35 Drucksache 16/3382 Nr. 2.12 Drucksache 16/5199 Nr. 2.34 Drucksache 16/4105 Nr. 2.56 Drucksache 16/5199 Nr. 2.36 Drucksache 16/4501 Nr. 2.11 Drucksache 16/5199 Nr. 2.37 Drucksache 16/4501 Nr. 2.12 Drucksache 16/5199 Nr. 2.38 Drucksache 16/5199 Nr. 1.1 Drucksache 16/5199 Nr. 2.39 Drucksache 16/6389 Nr. 1.16 Drucksache 16/5199 Nr. 2.40 Drucksache 16/5199 Nr. 2.41 Drucksache 16/5199 Nr. 2.42 Ausschuss für Bildung, Forschung und Drucksache 16/5199 Nr. 2.43 Technikfolgenabschätzung Drucksache 16/5199 Nr. 2.44 Drucksache 16/6041 Nr. 2.11 Drucksache 16/6041 Nr. 2.12 Drucksache 16/6715 Nr. 2.6 Innenausschuss Drucksache 16/6389 Nr. 2.53 Drucksache 16/4105 Nr. 2.35 Drucksache 16/6389 Nr. 2.80 Drucksache 16/5681 Nr. 1.38 Drucksache 16/6389 Nr. 2.94

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