Plenarprotokoll 13/86

Deutscher

Stenographischer Bericht

86. Sitzung

Bonn, Donnerstag, den 8. Februar 1996

Inhalt: -

Nachruf auf den Abgeordneten Dr. Ulrich b) Unterrichtung durch die Bundesregie- Böhme 7479A rung: Aktionsprogramm für Investi- tionen und Arbeitsplätze (Drucksache Gedenkworte für die Opfer des Flugzeug- 13/3629) 7481 A unglücks in der Dominikanischen Repu- blik 7479B c) Unterrichtung durch die Bundesregie- rung: Jahresgutachten 1995/96 des Anerkennung für das Wirken von Hans Sachverständigenrates zur Begutach- Koschnick in Mostar 7479 D tung der gesamtwirtschaftlichen Ent- wicklung (Drucksache 13/3016) . . . 7481 A Glückwünsche zu den Geburtstagen der Abgeordneten und in Verbindung mit Wolfgang Krause (Dessau) 7479 D Zusatztagesordnungspunkt 3: Eintritt des Abgeordneten Dr. Guido We sterwelle in den Deutschen Bundestag . 7479 D Abgabe einer Erklärung der Bundesre- gierung zum Jahreswirtschaftsbericht Bestimmung der Abgeordneten Kerstin 1996 und zu dem Bericht der Bundesre- Müller (Köln) als ordentliches Mitglied gierung Aktionsprogramm für Investi- und Oswald Metzger als stellvertretendes tionen und Arbeitsplätze 7481 B Mitglied im Vermittlungsausschuß ... 7480 A in Verbindung mit Bestimmung des Abgeordneten Dr. Max Stadler als Mitglied des Gremiums gemäß Zusatztagesordnungspunkt 4: § 9 Abs. 1 des Gesetzes zur Beschränkung des Brief-, Post- und Fernmeldegeheim- Antrag der Abgeordneten Margareta nisses und des Gremiums nach § 41 des Wolf (Frankfurt), Marieluise Beck (Bre- Außenwirtschaftsgesetzes 7480A men), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Erweiterung der Tagesordnung 7480 B Reformblockaden überwinden: Die ökologische, wirtschaftliche und so- Nachträgliche und geänderte Ausschuß- ziale Erneuerung einleiten (Druck- überweisungen ...... 74 80 C sache 13/3713) 7481 B Dr. Günter Rexrodt, Bundesminister BMWi 7481 C Tagesordnungspunkt 4: Rudolf Scharping SPD 7488A CDU/CSU 7491 D a) Unterrichtung durch die Bundesregie- rung: Jahreswirtschaftsbericht 1996 der Joseph Fischer (Frankfurt) BÜNDNIS 90/ Bundesregierung „Vorrang für Be- DIE GRÜNEN 7495 D schäftigung" (Drucksache 13/3601) . . 7480D Dr. F.D.P...... 7498C II Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 86. Sitzung. , Donnerstag, den 8. Februar 1996

Jürgen Koppelin F.D.P 7499 C Ulla Jelpke PDS 7563 C Dr. Wolfgang Gerhardt F.D.P 7500 B Wolfgang Zeitlmann CDU/CSU . 7564D, 7566 B Dr. PDS 7503 D Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast SPD . . 7566 C Erwin Teufel, Ministerpräsident (Baden- Württemberg) 7507 B Namentliche Abstimmung 7569 A (Köln) SPD 7508 B Ergebnis 7575 C Heide Simonis, Ministerpräsidentin (Schleswig-Holstein) 7512 C Tagesordnungspunkt 6: Dr. Norbe rt Blüm CDU/CSU . . . . 7515 C CDU/CSU . . . . 7516D Beschlußempfehlung des Ausschusses Jürgen Koppelin F.D.P 7520 C nach Artikel 77 des Grundgeset- zes (Vermittlungsausschuß) zu dem Dr. Dieter Spöri, Minister (Baden-Würt Gesetz zur Förderung der beruflichen temberg) 7521B Aufstiegsfortbildung (Aufstiegsfortbil- Dr. Wolfgang Schäuble CDU/CSU . , 7521C dungsförderungsgesetz) (Drucksachen Dr. Renate Hellwig CDU/CSU . . . 7522 B 13/2490, 13/3023, 13/3070, 13/3225, Margareta Wolf (Frankfurt) BÜNDNIS 90/ 13/3363, 13/3662) 7569B DIE GRÜNEN 7523B in Verbindung mit Dr. F.D.P. . . 7525C, 7550C Dr. , Bundeskanzler . . . 7528 A Tagesordnungspunkt 7: - Oskar Lafontaine, Ministerpräsident (Saarland) 7535 A Beschlußempfehlung des Ausschusses Dr. Otto Graf Lambsdorff F.D.P. . 7538D, 7547 C nach Artikel 77 des Grundgesetzes (Vermittlungsausschuß) zu dem Gesetz Dr. Wolfgang Schäuble CDU/CSU . . 7541 A über zwingende Arbeitsbedingungen SPD 7545 D bei grenzüberschreitenden Dienstlei- Dr. Christa Luft PDS 7549A, 7550 D stungen (Arbeitnehmer-Entsendege- Jürgen Türk F.D.P. ...... . . . 7551 A setz) (Drucksachen 13/2414, 13/2839, 13/3155, 13/3364, 13/3663) 7569 B Ernst Schwanhold CDU/CSU 7552 A Dr. CDU/CSU 7569 C Tagesordnungspunkt 5: Dr. Peter Struck SPD 7570 C Kerstin Müller (Köln) BÜNDNIS 90/DIE a) Antrag der Fraktion der SPD: Neurege- GRÜNEN 7572 B lung des Staatsangehörigkeitsrechts (Drucksache 13/2833) 7554 B Ulrich Irmer F.D.P 7573 B Dr. Heidi Knake-Werner PDS 7544 B b) Antrag der Abgeordneten Cern Özde- Dr. Norbert Blüm, Bundesminister BMA . 7575B mir, Kerstin Müller (Köln) und der Frak- tion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Min- Namentliche Abstimmungen 7578 A destkriterien für eine Reform des Staatsangehörigkeitsrechts (Drucksa- Ergebnisse 7581D, 7584 B che 13/3657) 7554 C c) Zweite und dritte Beratung des von den Zusatztagesordnungspunkt 5: Abgeordneten Cern Özdemir, Kerstin Müller (Köln), weiteren Abgeordneten Wahl der Mitglieder für den Verwal- und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE tungsrat der Filmförderungsanstalt GRÜNEN eingebrachten Entwurfs ei- (Drucksache 13/3694) 7578B nes Gesetzes zur Änderung des Staats- angehörigkeitsrechts (Drucksache 13/ Tagesordnungspunkt 25: 423, 13/3472) 7554 C Fritz Rudolf Körper SPD 7554 D Überweisungen im vereinfachten Verfah- ren CDU/CSU . . 7556A, 7559A Cern Özdemir BÜNDNIS 90/DIE GRÜ a) Erste Beratung des vom Bundesrat ein- NEN 7557 A gebrachten Entwurfs eines Gesetzes Dr. Burkhard Hirsch F D P. 7558C zur Umstellung der Steinkohleverstro- mung ab 1996 (Drucksache 13/3105) . 7578C Cern Özdemir BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . 7559B, 7561B, 7564C, 7566A b) Erste Beratung des vom Bundesrat ein- Peter Altmaier CDU/CSU 7560 D gebrachten Entwurfs eines Gesetzes Cornelia Schmalz-Jacobsen F.D.P. . . . 7561 D zur Änderung des Rechts der be- Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 86. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. Februar 1996 III

schränkten persönlichen Dienstbarkei deutschen Einheit (Drucksache 13/ ten (Drucksache 13/3604) ...... 7578C 3625) 7579B c) Erste Beratung des von den Abgeordne- Tagesordnungspunkt 26: ten Dr. Klaus-Dieter Uelhoff, Michael von Schmude, weiterer Abgeordneter a) Zweite und dritte Beratung des von den und der Fraktion der CDU/CSU sowie Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. der Abgeordneten Ina Albowitz, Jürgen eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Koppelin und der Fraktion der F.D.P. Gesetzes zur Änderung des Asylverfah- eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes rensgesetzes (Drucksache 13/2577, 13/ über die Errichtung einer Otto-von- 3471) 7579C Bismarck-Stiftung (Drucksache 13/ 3639) 7578 D b) Zweite Beratung und Schlußabstim- mung des von der Bundesregierung d) Antrag des Abgeordneten Dr. Friedbert eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes Pflüger und der Fraktion der CDU/CSU zu dem Internationalen Kakao-Über- sowie der Abgeordneten Ulrich Irmer, einkommen von 1993 (Drucksache 13/ Dr. und der Frak- 2481, 13/3563) 7579D tion der F.D.P.: Den KSE-Vertrag ach- ten, die Rüstungskontrolle in Europa c) Beschlußempfehlung und Bericht des neuen Herausforderungen anpassen Finanzausschusses zu der Unterrich- (Drucksache 13/3711) 7578D tung durch die Bundesregierung: Vor- schlag für eine Entscheidung des Euro- - e) Antrag der Abgeordneten Manfred päischen Parlaments und des Rates Such, Cern Özdemir und der Fraktion über ein Aktionsprogramm für das ge- BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Erkenn- meinschaftliche Zollwesen („Zoll barkeit von Polizeibeamten durch Na- 2000") 7579D mensschilder oder Dienstnummern (Drucksache 13/2002) ...... 7579 A d) Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr zu der Unter- f) Antrag des Bundesministeriums der Fi- richtung durch die Bundesregierung: nanzen: Einwilligung gemäß § 64 Abs. 2 Vorschlag für eine Richtlinie des Rates der Bundeshaushaltsordnung zur Ver- zur Änderung der Richtlinie 91/439/ äußerung der ehemaligen Boehn-Ka- EWG über den Führerschein (Drucksa- serne in Hamburg-Rahlstedt (Drucksa- chen 13/2306 Nr. 2.49, 13/3556) . . . 7579D che 13/3615) 7579A e) Beschlußempfehlung und Bericht des Zusatztagesordnungspunkt 6: Finanzausschusses zu dem Antrag der Abgeordneten Wolfgang Bierstedt, Weitere Uberweisungen im vereinfachten Dr. Christa Luft und der Gruppe der Verfahren PDS: Wiedereinführung einer Investiti- onszulage für den kleinen und mittel- a) Erste Beratung des von der Bundesre- ständischen Einzelhandel (Drucksa- gierung eingebrachten Entwurfs eines chen 13/859, 13/3644) 7580A Gesetzes zur Regelung der Sicherheits- anforderungen an Produkte und zum f) Beschlußempfehlung und Bericht des Schutz der CE-Kennzeichnung (Pro- Ausschusses für Wirtschaft zu dem Ent- duktsicherheitsgesetz) (Drucksache 13/ schließungsantrag der Gruppe der PDS 3130) 7579A zu der Unterrichtung durch die Bun- desregierung: Jahreswirtschaftsbericht b) Erste Beratung des von der Abgeordne- 1995 der Bundesregierung (Drucksa- ten und der Fraktion chen 13/370, 13/420, 13/1804) . . . . 7580 A BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN einge- brachten Entwurfs eines Gesetzes zur g) 4. Beschlußempfehlung und Bericht des Aufhebung der fortgeltenden Rechts- Wahlprüfungsausschusses zu 101 ge- vorschriften des Berggesetzes der gen die Gültigkeit der Wahl zum Deutschen Demokratischen Republik 13. Deutschen Bundestag eingegan- (Drucksache 13/3489) ...... 7579 B genen Wahleinsprüchen (Drucksache 13/3532) ...... 7580 B c) Erste Beratung des von den Abgeordne- ten , Jelena Hoffmann h) Beschlußempfehlung des Rechtsaus- (Chemnitz), weiterer Abgeordneter und schusses: Übersicht 3 über die dem der Fraktion der SPD eingebrachten Deutschen Bundestag zugeleiteten Entwurfs eines Gesetzes zur Verein- Streitsachen vor dem Bundesverfas- heitlichung des Bergrechts nach der sungsgericht (Drucksache 13/3653) . . 7580B IV Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 86. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. Februar 1996 i-k) Beschlußempfehlungen des Petitions- Karlheinz Guttmacher F.D.P...... 7600 A ausschusses: Sammelübersichten 98, Christa Nickels BÜNDNIS 90/DIE GRÜ 99 und 100 zu Petitionen (Drucksa- NEN 7600D chen 13/3640, 13/3641, 13/3642) . . 7580B, C Dr. Uwe-Jens Heuer PDS 7601 B Zusatztagesordnungspunkt 7: Tagesordnungspunkt 10: Weitere abschließende Beratungen ohne Aussprache a) Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. Zweite Beratung und Schlußabstim- eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes mung des von der Bundesregierung zur Änderung des Krankenhausfinan- eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zierungsgesetzes (Drucksachen 13/ zu dem Übereinkommen vom 29. Juni 2745, 13/3722) ...... 7605 B 1994 über die Zusammenarbeit zum Schutz und zur verträglichen Nutzung b) Erste Beratung des von den Fraktionen der Donau (Donauschutzübereinkom- der CDU/CSU und F.D.P. eingebrachten men) (Drucksachen 13/1884, 13/3573) . 7580C Entwurfs eines Achten Gesetzes zur Änderung des Fünften Buches Sozial- gesetzbuch (Achtes SGB V-Änderungs- Tagesordnungspunkt 8: gesetz) (Mehrkostenregelung Amal- Zweite und dritte Beratung des Ent- gam) (Drucksache 13/3695) 7605 C wurfs eines Ersten Gesetzes zur Ände- Wolfgang Zöller CDU/CSU . . . 7605C, 7608 D rung des Asylbewerberleistungsgeset- zes und anderer Gesetze (Drucksachen Petra Ernstberger SPD 7607 A- 13/2746, 13/3475, 13/3720, 13/3728, Monika Knoche BÜNDNIS 90/DIE GRÜ 13/3721) 7586C NEN 7609A Ulf Fink CDU/CSU 7586 D Dr. Dieter Thomae F.D.P 7609D Hans-Eberhard Urbaniak SPD 7588A Klaus Kirchner SPD 7610B Andrea Fischer (Berlin) BÜNDNIS 90/DIE Petra Ernstberger SPD 7611A GRÜNEN 7589 B Monika Knoche BÜNDNIS 90/DIE GRÜ Ulf Fink CDU/CSU ...... 7590A NEN 7611B Cornelia Schmalz-Jacobsen F.D.P. . . 7590 C Dr. PDS 7611C Dr. Heidi Knake-Werner PDS 7591 C Waltraud Lehn SPD 7612B Wolfgang Lohmann (Lüdenscheid) Namentliche Abstimmungen . . . 7592C, 7595 B CDU/CSU 7613B

Ergebnisse 7592D, 7602 C Tagesordnungspunkt 11:

Tagesordnungspunkt 9: Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs ei- a) Beschlußempfehlung des Petitionsaus- nes Gesetzes zur Einbeziehung der schusses: Sammelübersicht 59 zu Peti- Mauer- und Grenzgrundstücke in das tionen (Nachteilsausgleich für erlittenes Vermögensgesetz (Drucksachen 13/ SED-Unrecht in der gesetzlichen Ren- 120, 13/3734, 13/3735) 7614 B tenversicherung bzw. Ausgleich in Dr. PDS (zur GO) . . 7614 D Form einer Entschädigungszahlung) (Drucksache 13/2274) 7595 C Hans-Joachim Hacker SPD . . . 7614D, 7630 D Dr. Dietrich Mahlo CDU/CSU . . 7617B, 7629C b) Beschlußempfehlung des Petitionsaus- schusses: Sammelübersicht 61 zu Peti- Hans-Joachim Hacker SPD . . 7618C, 7626 A tionen (Entschädigung für erlittenes Gerald Häfner BÜNDNIS 90/DIE GRÜ SED-Unrecht) (Drucksache 13/2381) . 7595C NEN 7619B, 7630B c) Beschlußempfehlung des Petitionsaus- Dr. Michael Luther CDU/CSU . . . 7620B, D schusses: Sammelübersicht 75 zu Peti- Reiner Krziskewitz CDU/CSU . . . 7621 B tionen (Rehabilitierung und Entschä- CDU/CSU 7622A digung der nach Beendigung des Zwei- ten Weltkrieges vornehmlich in sibiri- Detlef Kleinert (Hannover) F.D.P. . . . 7623 D sche Lager verschleppten Männer und Andrea Fischer (Berlin) BÜNDNIS 90/ Frauen) (Drucksache 13/2767) . . . 7595 C DIE GRÜNEN 7624 B CDU/CSU 7595 D Dr. Uwe-Jens Heuer PDS 7625 A Reinhold Hiller (Lübeck) SPD 7596D Dr. Lore Maria Peschel-Gutzeit, Senatorin Gerald Häfner BÜNDNIS 90/DIE GRÜ (Berlin) 7626C, 7631B NEN 7597 D Norbert Geis CDU/CSU 7629B Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 86. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. Februar 1996 V

Dr. Herta Däubler-Gmelin SPD 7629D Andrea Fischer (Berlin) BÜNDNIS 90/DIE Dr. Michael Luther CDU/CSU 7632B GRÜNEN 7649A Gerald Häfner BÜNDNIS 90/DIE GRÜ Dr. Gisela Babel F.D.P 7650 B NEN 7634 C Petra Bläss PDS 7651 C Dr. Edzard Schmidt-Jortzig, Bundesmini- Dr. Norbert Blüm, Bundesminister BMA 7652 C ster BMJ 7635 C Klaus-Jürgen Warnick PDS (Erklärung Tagesordnungspunkt 16: nach § 31 GO) 7637 C Erste Beratung des von der Bundesre- Tagesordnungspunkt 12: gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung der EG-Rah- Zweite und dritte Beratung des von den menrichtlinie Arbeitsschutz und weite- Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. rer Arbeitsschutz-Richtlinien (Druck- eingebrachten Entwurfs eines Zweiten sache 13/3540) 7654 B Gesetzes zur Änderung des Betäu- bungsmittelgesetzes (Drucksachen 13/ Tagesordnungspunkt 17: 3216, 13/3652) 7638 C Antrag der Abgeordneten Dr. Winfried Siegfried Hornung CDU/CSU . . . . 7638D Wolf, Dr. Dagmar Enkelmann und der Heidi Wright SPD ...... 7640 A Gruppe der PDS: Grundsicherung des Steffi Lemke BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 7641 D Öffentlichen Personennahverkehrs (Drucksache 13/3253) 7654 C Lisa Peters F.D.P. 7642 C - Dr. Winfried Wolf PDS 7654 C Ulla Jelpke PDS 7644 A Albert Schmidt (Hitzhofen) BÜNDNIS 90/ Dr. Sabine Bergmann-Pohl, Parl. Staatsse DIE GRÜNEN . 7655 C kretärin BMG 7644 C Nächste Sitzung 7656 C Tagesordnungspunkt 13:

Zweite und dritte Beratung des von der Anlage 1 Bundesregierung eingebrachten Ent- Liste der entschuldigten Abgeordneten . 7657 A wurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über die Errichtung eines Anlage 2 Umweltbundesamtes (Drucksachen 13/ 2687, 13/3358, 13/3366) 7644 D Koordination von Außen- und Entwick- lungspolitik; Einrichtung eines Referats Tagesordnungspunkt 14: für Katastrophenhilfe im BMZ MdlAnfr 4 - Drs 13/3666 Antrag der Abgeordneten Brunhilde Ir- Hans Wallow SPD ber, Susanne Kastner, weiterer Abge- SchrAntw PStSekr Klaus-Jürgen Hedrich ordneter und der Fraktion der SPD: För- BMZ 7657* B derung eines Modellprojekts für Um- welt und Verkehr im Tourismus (Drucksache 13/3554) 7645 B Anlage 3 Zu Protokoll gegebene Rede zu Tagesord- Tagesordnungspunkt 15: nungspunkt 12 (Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Betäubungs- Erste Beratung des von den Fraktionen mittelgesetzes) der CDU/CSU und F.D.P. eingebrachten Dr. Sabine Bergmann-Pohl, Parl. Staatsse Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Än- kretärin BMG 7657* D derung des Elften Buches Sozialgesetz- buch und anderer Gesetze (Pflegefach- kräfte) (Drucksache 13/3696) . . . 7645 C Anlage 4 Zu Protokoll gegebene Reden zu Tages- in Verbindung mit ordnungspunkt 13 (Entwurf eines Geset- zes zur Änderung des Gesetzes über die Zusatztagesordnungspunkt 8: Errichtung eines Umweltamtes) Wilma Glücklich CDU/CSU 7658* C Antrag der Fraktionen der CDU/CSU Eckart Kuhlwein SPD 7659* B und F.D.P.: Finanzierung der Investi- tionskosten der Pflegeeinrichtungen Birgit Homburger F D P. 7660* A (Drucksache 13/3699) 7645 C Steffi Lemke BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 7 660* C Johannes Singhammer CDU/CSU 7645 D Eva Bulling-Schröter PDS 7661* B SPD ...... 7647 A Walter Hirche, Parl. Staatssekretär BMU 7661* D VI Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 86. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. Februar 1996

Anlage 5 Dr. Peter Ramsauer CDU/CSU 7667* C Zu Protokoll gegebene Reden zu Tages- Konrad Gilges SPD 7668* C ordnungspunkt 14 (Antrag: Förderung eines Modellprojekts für Umwelt und Ver- Dr. Gisela Babel F.D.P 7669* B kehr im Tourismus) Annelie Buntenbach BÜNDNIS 90/DIE Brunhilde Irber SPD 7662* C GRÜNEN 7669* D Klaus Brähmig CDU/CSU 7664* B Manfred Müller (Berlin) PDS 7670* B Dr. F.D.P 7665* B Horst Günther, Parl. Staatssekretär BMA 7670* D Halo Saibold BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 7 665* B Dr. Dagmar Enkelmann PDS 7666* C Anlage 7 Dr. Heinrich L. Kolb, Parl. Staatssekretär Zu Protokoll gegebene Reden zu Tages- BMWi 7666* D ordnungspunkt 17 (Entwurf eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Elften Buches Anlage 6 Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze - Zu Protokoll gegebene Reden zu Tages- Pflegefachkräfte -) ordnungspunkt 16 (Entwurf eines Geset- Peter Letzgus CDU/CSU 7671* D zes zur Umsetzung der EG-Rahmenricht- Heide Mattischeck SPD 7672*' A linie Arbeitsschutz und weitere Arbeits- schutz-Richtlinien) Horst Friedrich F.D.P. 7673* A Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 86. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. Februar 1996 7479

86. Sitzung

Bonn, Donnerstag, den 8. Februar 1996

Beginn: 9.00 Uhr

Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Liebe Kolleginnen mand, der die Bilder der wartenden Angehörigen und Kollegen, die Sitzung ist eröffnet. und Freunde auf den deutschen Flughäfen gesehen hat, kann sich des Gefühls tiefen Mitleids entziehen. Darf ich Sie bitten, sich zu erheben. - Gestern erreichte uns die Nachricht, daß unser Kol- Wir appellieren auch aus diesem Anlaß an alle Ver- lege Dr. Ulrich Böhme wenige Tage vor Vollendung antwortlichen, äußerste Anstrengungen zu unterneh- seines 57. Lebensjahres verstorben ist. Geboren in men, die Vorschriften der internationalen Flugsicher- Chemnitz am 12. Februar 1939, studierte Ulrich heit strikt zu beachten. Böhme nach dem Abitur Germanistik, Geschichte, Wir gedenken der Opfer und nehmen Anteil an Philosophie und Pädagogik und schloß sein Studium dem Leid und der Trauer der von dem Unglück mit Staatsexamen und Promotion ab. Der Verstor- betroffenen Familien. bene engagierte sich früh in der Gewerkschaft und in der Evangelischen Kirche von Westfalen. Sie haben sich zum Gedenken erhoben; ich danke Seine politische Heimat fand er 1969 in der SPD. Ihnen. Seit 1987 gehörte Ulrich Böhme dem Deutschen Bun- Liebe Kolleginnen und Kollegen, bevor wir in die destag an, wo er den Wahlkreis Unna I vertrat. In sei- Tagesordnung eintreten, möchte ich von dieser Stelle nem Wahlkreis suchte Ulrich Böhme die Nähe zu den aus unserem Kollegen eine Bot- Problemen der Bergarbeiter und ihrer Familien, der schaft des Dankes, der Verbundenheit und der gro- vielen Zuliefererbetriebe und der Einzelhandelsge- ßen Anerkennung für sein Wirken in Mostar zukom- schäfte, die vom Bergbau abhängen. Er brachte diese men lassen. Erfahrung in seine Arbeit im Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend sowie im Petitionsaus- (Beifall im ganzen Hause) schuß ein, wo er sich vor allem für die Belange der Benachteiligten und sozial Schwächeren einsetzte. Hans Koschnick unterläßt trotz des nicht abreißen- Viel Zeit und Engagement hat er dem deutsch-ameri- den Hasses nichts, um Frieden in Mostar zu schaffen. kanischen Jugendaustausch gewidmet. Wir sind mit ihm verbunden und wissen, was er für den Frieden leistet. Wir verlieren mit Ulrich Böhme einen liebenswer- ten und aktiven Kollegen, der von seiner Person Bevor wir mit der Debatte beginnen, habe ich wenig Aufhebens machte und stets die Sache, um Anlaß, zunächst unserer Kollegin Gertrud Demp- die es ging, in den Vordergrund stellte. Seine Arbeit wolf, die am 3. Februar ihren 60. Geburtstag feierte, und sein Rat werden uns fehlen. und dem Kollegen Wolfgang Krause (Dessau), der Der Deutsche Bundestag gedenkt des verstorbe- seinen 60. Geburtstag am 4. Februar beging, nach- nen Kollegen mit Anteilnahme und Respekt. Unser träglich die herzlichsten Glückwünsche des Hauses aller Mitgefühl gilt seiner Familie. auszusprechen. Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und (Beifall im ganzen Hause) Kollegen, mit Trauer und Bestürzung haben wir die Sodann teile ich mit, daß der Abgeordnete Heinz Nachricht von dem Absturz eines Verkehrsflugzeugs Lanfermann am 7. Februar 1996 auf seine Mitglied- einer türkischen Fluggesellschaft in der Dominikani- schaft im Deutschen Bundestag verzichtet hat. schen Republik aufgenommen, bei dem von den 189 Passagieren und Besatzungsmitgliedern offenbar (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ niemand überlebt hat. Das Flugzeug, das sich mit DIE GRÜNEN]: Na, so was! Unglaublich!) meist deutschen Touristen auf dem Heimflug befand, stürzte aus bisher ungeklärter Ursache kurz nach Als sein Nachfolger hat der Abgeordnete Dr. Guido dem Start ins Meer. Unter den Opfern befinden sich Westerwelle mit Wirkung vom heutigen Tag die Mit auch zwei Abgeordnete des polnischen Sejm. Nie- gliedschaft im Deutschen Bundestag erworben. 7480 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 86. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. Februar 1996

Präsidentin Dr. Rita Süssmuth Herzlich willkommen; ich wünsche uns eine gute b) Erste Beratung des von der Abgeordneten Vera Zusammenarbeit. Lengsfeld und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU Aufhebung der fortgeltenden Rechtsvorschriften des Berggesetzes der Deutschen Demokratischen sowie bei Abgeordneten der SPD - Joseph Republik - Drucksache 13/3489 - Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- c) Erste Beratung des von den Abgeordneten Rolf NEN]: Endlich! Jetzt muß er beim Bundes- Schwanitz, Jelena Hoffmann (Chemnitz), Hans-Joa- kanzler aber einen artigen Diener machen!) chim Hacker, weiterer Abgeordneter und der Frakti- on der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes Aus dem Vermittlungsausschuß scheidet der Abge- zur Vereinheitlichung des Bergrechts nach der deut- ordnete Joseph Fischer (Frankfurt) als ordentliches schen Einheit - Drucksache 13/3625 - Mitglied aus. Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen 7. Weitere abschließende Beratungen ohne Aussprache schlägt als Nachfolgerin die Abgeordnete Kerstin (Ergänzung zu TOP 26) Müller (Köln) vor, die bisher stellvertretendes Mit- Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der glied war. Neues stellvertretendes Mitglied soll der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Übereinkommen vom 29. Juni 1994 über die Abgeordnete Oswald Metzger werden. Zusammenarbeit zum Schutz und zur verträglichen Nutzung der Donau (Donauschutzübereinkommen) - Sind Sie damit einverstanden? - Ich höre keinen Drucksachen 13/1884, 13/3573 - Widerspruch. Damit sind die Kollegin Kerstin Müller 8. Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU und (Köln) als ordentliches und der Kollege Oswald Metz- F.D.P.: Finanzierung der Investitionskosten der Pflege- ger als stellvertretendes Mitglied im Vermittlungs- einrichtungen - Drucksache 13/3699 - ausschuß bestimmt. Von der Frist für den Beginn der Beratung soll - Die Fraktion der F.D.P. teilt mit, daß der Bundesmi- soweit es bei einzelnen Punkten der Tagesordnung nister Dr. Edzard Schmidt-Jortzig als Mitglied sowohl erforderlich ist - abgewichen werden. - aus dem Gremium gemäß § 9 Abs. 1 des Gesetzes zur Außerdem mache ich auf eine nachträgliche sowie Beschränkung des Brief-, Post- und Fernmeldege- eine geänderte Ausschußüberweisung im Anhang heimnisses als auch aus dem Gremium nach § 41 des zur Zusatzpunktliste aufmerksam: Außenwirtschaftsgesetzes ausscheidet. Als Nachfol- Der in der 83. Sitzung des Deutschen Bundestages am ger für beide Gremien wird der Kollege Dr. Max 1. Februar 1996 überwiesene nachfolgende Gesetzent- Stadler vorgeschlagen. wurf soll nachträglich dem Auswärtigen Ausschuß, dem Innenausschuß und dem Verteidigungsausschuß zur Sind Sie damit einverstanden? - Ich höre keinen Mitberatung überwiesen werden: Widerspruch. Damit ist der Kollege Dr. Max Stadler Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Verkehrsvor- sowohl als Mitglied im Gremium gemäß § 9 Abs. 1 sorge (Verkehrsvorsorgegesetz - VerkVG) - Druck- des Gesetzes zur Beschränkung des Brief-, Post- und sache 13/3354 - Fernmeldegeheimnisses als auch als Mitglied im Überweisung: Gremium nach § 41 des Außenwirtschaftsgesetzes Ausschuß für Verkehr (federführend) bestimmt. Auswärtiger Ausschuß Innenausschuß Nach einer interfraktionellen Vereinbarung soll die Rechtsausschuß verbundene Tagesordnung erweitert werden. Die Verteidigungsausschuß Punkte sind in der Ihnen vorliegenden Zusatzpunkt Die in der 83. Sitzung des Deutschen Bundestages am 1. Februar 1996 erfolgte Überweisung nachfolgender liste aufgeführt: Entschließungsanträge soll wie folgt geändert werden: 1. Beratung des Antrags der Gruppe der PDS: Kein Einsatz Entschließungsantrag der Abgeordneten Steffi Lemke, der Bundeswehr in Ostslawonien - Drucksache 13/ Ulrike Höfken, Michaele Hustedt und der Fraktion 3693 - BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zur Großen Anfrage: Lage 2. Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion BÜNDNIS 90/ der Fischerei - Drucksache 13/3634 - DIE GRÜNEN gemäß Nummer 1 Buchstabe b Anlage 5 Überweisung: GO*) Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten 3. Abgabe einer Erklärung der Bundesregierung zum Jah- (federführend) reswirtschaftsbericht 1996 und zu dem Bericht der Bun- Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicher- desregierung Aktionsprogramm für Investitionen und heit Arbeitsplätze Entschließungsantrag der Abgeordneten Ilse Janz, Ernst 4. Beratung des Antrags der Abgeordneten Margareta Bahr, Christel Deichmann, weiterer Abgeordneter und Wolf (Frankfurt), Marieluise Beck (Bremen), Matthias der Fraktion der SPD zur Großen Anfrage: Lage der Berninger, weiterer Abgeordneter und der Fraktion Fischerei - Drucksache 13/3621 - BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Reformblockaden über- winden: Die ökologische, wirtschaftliche und soziale Überweisung: Erneuerung einleiten - Drucksache 13/3713 - Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten 5. Wahl der Mitglieder für den Verwaltungsrat der Film- Sind Sie mit den Vereinbarungen einverstanden? - förderungsanstalt - Drucksache 13/3694 - Das ist der Fall; dann verfahren wir so. 6. Weitere Überweisungen im vereinfachten Verfahren (Ergänzung zu TOP 25) Ich rufe die Tagesordnungspunkte 4 a bis 4 c sowie a) Erste Beratung des von der Bundesregierung einge- die Zusatzpunkte 3 und 4 auf: brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Regelung der Sicherheitsanforderungen an Produkte und zum 4a) Beratung der Unterrichtung durch die Bundes- Schutz der CE-Kennzeichnung (Produktsicherheits- regierung Jahreswirtschaftsbericht 1996 der gesetz-ProdSG) - Drucksache 13/3130 - Bundesregierung „Vorrang für Beschäfti- gung" *) In der 85. Sitzung am Mittwoch, 7. Februar 1996, bereits er- ledigt. - Drucksache 13/3601- Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 86. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. Februar 1996 7481

Präsidentin Dr. Rita Süssmuth Überweisungsvorschlag: Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind Ausschuß für Wirtschaft (federführend) für die gemeinsame Aussprache im Anschluß an die Finanzausschuß Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung Regierungserklärung vier Stunden vorgesehen. - Ich Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau sehe keinen Widerspruch; dann verfahren wir so. Ausschuß für Bildung, Wissenschaft, Forschung, Technolo- gie und Technikfolgenabschätzung Das Wort zur Abgabe einer Regierungserklärung Ausschuß für Fremdenverkehr und Tourismus hat der Bundesminister für Wi rtschaft, Dr. Günter Ausschuß für die Angelegenheiten der Europäischen Union Rexrodt. Haushaltsausschuß

b) Beratung der Unterrichtung durch die Bundes- Dr. Günter Rexrodt, Bundesminister für Wirtschaft: regierung Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Gemäß Aktionsprogramm für Investitionen und Ar- Stabilitäts- und Wachstumsgesetz legt die Bundesre- beitsplätze gierung den Jahreswirtschaftsbericht 1996 vor. Er kommt in schwieriger Zeit. Die heute bekanntgewor- - Drucksache 13/3629 — denen Zahlen zur Arbeitslosigkeit zeigen das beson- Überweisungsvorschlag: ders drastisch. Besorgniserregend ist dabei beson- Ausschuß für Wirtschaft (federführend) ders die Dynamik des Anstiegs. Bei den nicht berei- Finanzausschuß nigten Zahlen haben wir einen Zuwachs, der um Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung 80 000 über dem des Vorjahres liegt. Die Zahl von Haushaltsausschuß Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau insgesamt 4 Millionen Arbeitslosen ist deutlich über- schritten. c) Beratung der Unterrichtung durch die Bundes- regierung Die Lage am Arbeitsmarkt erfordert ungewöhnli- che Anstrengungen und ungewöhnliche Maßnah- Jahresgutachten 1995/96 des Sachverständi- men. Der Jahreswirtschaftsbericht und das Aktions- genrates zur Begutachtung der gesamtwirt- programm sollen dazu einen Beitrag leisten. Sie sol- schaftlichen Entwicklung len neue Beschäftigungschancen eröffnen und das Vertrauen in die Zukunftsfähigkeit unserer Gesell- - Drucksache 13/3016 — schaft stärken. Überweisungsvorschlag: Ausschuß für Wirtschaft (federführend) Die Kernbotschaften dabei sind: Finanzausschuß Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung Erstens. Wir werden zwar die derzeitige Wachs- Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend tumspause überwinden, das heißt wir werden noch Ausschuß für Gesundheit im Laufe des Jahres 1996 mehr Dynamik haben. Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau Ausschuß für Bildung, Wissenschaft, Forschung, Technolo- Aber, zweitens, Wachstum allein wird für einen gie und Technikfolgenabschätzung deutlichen Erfolg im Kampf gegen die Arbeitslosig- Ausschuß für Fremdenverkehr und Tourismus Haushaltsausschuß keit nicht ausreichen. ZP3 Abgabe einer Erklärung der Bundesregie- Wir brauchen Vorrang für Beschäftigung im politi- rung schen Handeln, auch in Bereichen, an die wir uns bisher nicht herangewagt haben. Wir brauchen Vor- zum Jahreswirtschaftsbericht 1996 und zu rang für Beschäftigung beim Verhalten der Tarifpart- dem Bericht der Bundesregierung Aktions- ner und der gesellschaftlichen Gruppen, Vorrang für programm für Investitionen und Arbeits- Beschäftigung als Leitlinie einer gemeinsamen Stra- plätze tegie, die wir im Bündnis für Arbeit und Zukunftssi- cherung umsetzen wollen. ZP4 Beratung des Antrags der Abgeordneten Mar- gareta Wolf (Frankfurt), Marieluise Beck (Bre- (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) men), Matthias Berninger, weiterer Abgeord- „Vorrang für Beschäftigung" ist daher auch der Titel neter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE des Jahreswirtschaftsberichts. GRÜNEN Meine Damen und Herren, die Gründe, die zur jet- Reformblockaden überwinden: Die ökologi- zigen Lage am Arbeitsmarkt geführt haben, sind klar sche, wirtschaftliche und soziale Erneuerung und ausführlich analysiert. Unsere Einschätzung einleiten deckt sich dabei im übrigen mit der des Sachverstän- - Drucksache 13/3713 — digenrates, dem ich an dieser Stelle für seine Arbeit danken möchte. Überweisungsvorschlag: Ausschuß für Wirtschaft (federführend) Eine Reihe von Faktoren hat die Beschäftigungs- Finanzausschuß lage belastet und belastet sie weiter, so zum Beispiel Ausschuß für Verkehr Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit die Aufwertung der D-Mark, die unerwartet hohen Ausschuß für Bildung, Wissenschaft, Forschung, Technolo- Lohnabschlüsse im vorigen Jahr und die deutliche gie und Technikfolgenabschätzung Abschwächung insbesondere im Baubereich, die wir auch in diesem Jahr beobachten können. Zum Jahreswirtschaftsbericht liegt je ein Entschlie- ßungsantrag der Fraktionen der SPD und des Bünd- Außerdem, meine Damen und Herren, haben wir nisses 90/Die Grünen sowie der Gruppe der PDS vor. außenwirtschaftliche Herausforderungen: die Glo- 7482 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 86. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. Februar 1996

Bundesminister Dr. Günter Rexrodt balisierung der Märkte, die Öffnung nach Osten, das Wir haben starre Arbeitszeiten, geringe Spielräume Auftreten neuer, leistungsfähiger Wettbewerber. Das für Lohnabschlüsse im Einzelfall und komplizierte alles ist nicht mehr nur die Beschreibung exotischer Regeln im Kündigungsschutz. Vorgänge. Das ist auch kein politisches Wortgeklin- gel. Das sind Entwicklungen, meine Damen und Her- (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ ren, die das Arbeitsleben eines jeden einzelnen errei- DIE GRÜNEN]: Das Leben ist hart, das chen. Leben ist schwierig, Rexrödtchen!)

Allein in den nächsten drei Jahrzehnten werden Wer wollte bestreiten - Herr Fischer, Sie etwa? -, daß weltweit zusätzlich 1,2 Milliarden Menschen um hierdurch Menschen, die Arbeit suchen, weniger Arbeitsplätze konkurrieren. Der Wettbewerbsdruck Chancen haben? Wer so etwas behauptet, hat keine auf Hochlohnstandorte, auf Deutschland, auf unsere Ahnung oder polemisiert, Unternehmen und Arbeitnehmer nimmt zu. Falsch wäre es, darauf mit Protektionismus zu rea- (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ gieren. Wir können diesem Druck nur standhalten, DIE GRÜNEN]: Im Gegensatz zu Ihnen!) wenn wir bei uns die vielfältigen Hemmnisse für Wachstum und Beschäftigung beseitigen. Wir kön- der schreit, ohne Argumente zu haben. Die Laut- nen auf der anderen Seite die Chancen der Globa- stärke von Zwischenrufen sagt nichts über deren lisierung nur wahrnehmen mit moderner Produktion Richtigkeit aus. und mit Verteilungssystemen, die unsere Unterneh- men nicht überfordern. (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Das sollten Sie aber druk- Meine Damen und Herren von der Opposition, Sie ken lassen! Goldene Worte des Vorsitzen- machen es sich zuweilen sehr einfach. den Rexrodt!) -

(Lachen des Abg. Joseph Fischer [Frank Unser Sozialsystem bietet Leistungen wie kein ande- furt] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) res in der Welt. Wer wollte bestreiten, daß wir auch Sie behaupten schlicht, die Koalition habe in bei den Sozialsystemen die Grenze der Finanzierbar- 13 Jahren versäumt - in den 13 Jahren, die wir regie- keit und die der Belastbarkeit der Unternehmen und ren -, die notwendigen Reformen anzugehen. Arbeitnehmer erreicht haben? (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE Ich kann Ihnen von der Opposition nur sagen: Wer GRÜNEN und der PDS) Tabus aufbaut, der riskiert, daß der Sozialstaat an Überlastung zerbricht. Wer die notwendigen Verän- Das ist eine simple Denkweise, ein simples Strickmu- derungen in unserer Gesellschaft kleinredet und mit ster. populistischen Argumenten diskreditiert, wer lieber Das ist vollkommen falsch. Richtig ist, daß Sie uns teure Wohltaten als unangenehme Wahrheiten ver- immer wieder Steine in den Weg gelegt haben, wenn kündet, der hat die Situation nicht verstanden. Die wir die notwendigen Reformen angehen wollten. aktuelle Diskussion über die Frühverrentung ist hier- für ein Beispiel. (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU - Lachen bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) DIE GRÜNEN]: Der Herr Kohl guckt schon ganz kritisch, wenn Sie hier weiter so über Sie wissen genau, daß eine Regierung Vollbeschäf- die Wohltaten reden!) tigung nicht garantieren kann und daß die Arbeitslo- sigkeit in unserem Lande ebenso viele Ursachen wie Meine Damen und Herren, der Sachverständigen- Verursacher hat. Die Bürger draußen wissen genau, rat, anerkannte internationale Institutionen wie die was sie von den Beiträgen der Opposition zur soge- OECD und der IWF und auch der Europäische Rat nannten modernen Wirtschaftspolitik halten sollen. sind mit uns der Meinung: Es ist ein in sich schlüssi- (Joseph Fischer [Frankfu rt] [BÜNDNIS 90/ ges Bündel von Maßnahmen für stabiles Geld und DIE GRÜNEN]: Deswegen wählen sie auch ausgeglichene öffentliche Haushalte, für niedrigere alle F.D.P.!) Steuern und Abgaben, für den Rückzug des Staates aus der Wirtschaft, für mehr Flexibilität auf dem Wer sich nur punktuell auf ein oder zwei Themen Arbeitsmarkt und auf den Güter- und Kapitalmärk- stürzt - Sie nennen immer die Photovoltaik und die ten erforderlich. Verlagerung der Sozialkosten auf den Steuerzahler -, der springt zu kurz. (Hans Büttner [Ingolstadt] [SPD]: Die Abschaffung dieses Wi rtschaftsministers!) (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) Wer wollte bestreiten, daß wir infolge weltwirt- Meine Damen und Herren, die Dinge müssen beim schaftlicher Umwälzungen und der deutschen Ein- Namen genannt werden. heit vor besonders schwierigen Aufgaben stehen? (Lachen und Beifall bei Abgeordneten der (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ- DIE GRÜNEN]: Ach, Rexrödtchen!) NEN) Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 86. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. Februar 1996 7483

Bundesminister Dr. Günter Rexrodt Es ist die Opposition, die in den meisten Bereichen Wir stehen dafür, und wir bleiben dabei: Die Wirt- vernünftige Ansätze für mehr Beschäftigung blok schafts- und Währungsunion muß unter Einhaltung kiert hat. der Konvergenzkriterien im Zeitrahmen verwirklicht werden, und wer dies als „Vernichtungsprogramm (Lachen bei Abgeordneten der SPD und des für Arbeitsplätze" bezeichnet, meine Damen und BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Herren, der macht sich schuldig am Verlust von Sie waren es doch, die die Unternehmensteuerre- Arbeitsplätzen in Deutschland. form zum 1. Januar 1996 verhindert haben. (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU - Ich kann nur sagen: Die SPD steckt mit ihrem grü- Hans Büttner [Ingolstadt] [SPD]: Wer regiert nen Wunschpartner in einem Dilemma denn seit 1982?) (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ Sie haben damit die Chance verspielt, den Investo- DIE GRÜNEN]: Aha!) ren in Deutschland ein Signal zu geben, und Sie haben die Chance verspielt, daß mehr Menschen in zwischen unbestreitbaren Notwendigkeiten, die Arbeit und Brot kommen. Das wäre ein Signal gewe- viele von Ihnen sehen und in kleinen Gruppen auch sen, das wir gebraucht hätten. Sie haben das auf dem zugeben und zugestehen, und ideologischen Zwän- Gewissen! gen, die aus taktischen, auch wahltaktischen Grün- den nicht über Bord geworfen werden können. (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) (Widerspruch bei der SPD und dem BÜND- Sie haben unsere Vorschläge für mehr Flexibilität NIS 90/DIE GRÜNEN) im Arbeitszeitrecht abgelehnt. Statt dessen - erin- - nern Sie sich daran - haben Sie Regelungen vorge- Sie sind Geisterfahrer, gemeinsam, und standortpoli- schlagen, die noch restriktiver sind als die der tische Geisterfahrer sind das letzte, was wir in dieser Arbeitszeitverordnung von 1938. Sie wollten das Situation brauchen. Überschreiten der regelmäßigen täglichen Arbeits- (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU - zeit nur zulassen, wenn eine ausdrückliche Verein- Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ barung der Tarifpartner vorliegt, und dann auch nur DIE GRÜNEN]: Sie sind ein Gespenst!) für zwei Stunden am Tag. Meine Damen und Herren von der Opposition, neh- (Zuruf von der SPD: Um die Überstunden men Sie sich ein Beispiel an den Gewerkschaften. abzubauen!) Die Gewerkschaften haben den Ernst der Lage Meine Damen und Herren, das sind die Maßnahmen erkannt, und sie spielen eine konstruktive Rolle. und das ist die Abwehrhaltung, die zukunftsorien- Mit dem Bündnis für Arbeit und Standortsicherung tierte Arbeitsplätze verhindern. verbessern wir gemeinsam unsere Chancen, die (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) Arbeitslosigkeit wirksam zu bekämpfen. Ein weiteres Beispiel: Schauen wir uns die Ener- (Zuruf von der SPD: Wie denn?) an. Diese haben Sie zweimal giekonsensgespräche Ich sehe in der Übereinkunft der Kanzlerrunde vom zum Scheitern gebracht. Dadurch haben Sie die Rah- 23. Januar einen wichtigen gesellschaftspolitischen menbedingungen für einen langfristig vernünftigen Schritt nach vorn. Das Ergebnis zeigt eindrucksvoll, Energiemix verschlechtert. Manchmal habe ich den daß Politik, Gewerkschaft und Wirtschaft gewillt Eindruck gehabt, Sie haben sie deshalb scheitern las- sind, in die gleiche Richtung zu gehen, und die sen, damit Sie den Herrn Schröder richtig ausbrem- Runde beim Bundeskanzler hat den Rahmen abge- sen können. Das sind die eigentlichen Hintergründe. steckt: bessere Investitionsbedingungen, flexible (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) Ausgestaltung der Arbeitswelt, neue Impulse für For- schung und Entwicklung und für die Förderung von Neue Blockaden schaffen Sie, indem Sie in unver- Bildung und Weiterbildung. Das ist eine Vereinba- antwortlicher Weise die Europäische Wirtschafts- rung, die die Gewerkschaften, die Wirtschaft und die und Währungsunion als Vernichtungsprogramm für Politik getroffen haben. deutsche Arbeitsplätze bezeichnen. Herr Spöri, der hier heute unter uns ist, ist der Wortführer bei sol- Wichtig ist, meine Damen und Herren, daß die chen Aussagen. Da wird die Europäische Wi rt Richtung beschrieben worden ist, in der wir uns -schafts- und Währungsunion im Wahlkampf benutzt, bewegen müssen; wichtig ist, daß mit dem Bündnis für Arbeit eine Plattform entstanden ist, auf die wir (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Mißbraucht!) aufbauen können und bei der es jetzt darauf an- entgegen einer Übereinkunft, die in diesem Parla- kommt, daß wir diese Plattform ment und zwischen den Parteien gemeinsam getrof- (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ fen worden war und die besagte, daß wir uns in DIE GRÜNEN]: Sie sind in Ihrer Rede platt bezug auf die europäische Thematik nicht gegensei- und ohne Form!) tig Vorwürfe machen und diese Dinge nicht in den Wahlkampf ziehen. und das, was dort Programm geworden ist, mit kon- kreten Maßnahmen ausfüllen. (Hans Büttner [Ingolstadt] [SPD]: Kommen Sie endlich zum Jahreswirtschaftsbericht!) (Beifall bei Abgeordneten der F.D.P.) 7484 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 86. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. Februar 1996

Bundesminister Dr. Günter Rexrodt Sie waren nicht dabei, meine Damen und Herren. Sie, Herr Lafontaine, haben letzte Woche angekün- Dieses Bündnis ist ganz wichtig für unser Land, und digt, Herrn Hintze eine Bibel zu schenken. Ich rate das ist das Entscheidende. Ihnen: Lesen Sie vorher nach, was dort über die (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) babylonische Sprachverwirrung und deren Folgen beschrieben ist. Die Bundesregierung übernimmt mit dem Aktions- programm ihren Teil der Verantwortung. Natürlich Meine Damen und Herren von der SPD, Sie haben schaffen wir nicht auf einen Schlag ausreichend weder eine klare Analyse noch haben Sie ein Kon- Beschäftigung und ausgeglichene Staatshaushalte; zept, noch haben Sie Vorschläge. Sie reden über natürlich können wir nicht aus dem Stand den Sozial- alles und nichts. Wirtschaftspolitisch sind Sie ein staat erneuern und gleichzeitig alle ökologischen Ausfall für dieses Land, meine Damen und Herren! Probleme lösen. (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) Das Aktionsprogramm ist aber - und so wird es auch draußen gesehen - ein entscheidender Schritt Im Gegensatz dazu redet die Bundesregierung in in die richtige Richtung. einer klaren und eindeutigen Sprache. Unser Akti- onsprogramm folgt einer ordnungspolitisch verläßli- Meine Damen und Herren, ich habe Verständnis chen Orientierung. Es ist ein Konzept, das an den zu dafür, wenn die Gewerkschaften nicht mit allem ein- hohen Arbeitskosten am Standort Deutschland verstanden sind, ansetzt, das mehr Anreize für neue Arbeitsplätze (Lachen bei der SPD) schafft, das die Wechselwirkungen zwischen Wirt- schafts-, Finanz- und Sozialpolitik berücksichtigt. Es zum Beispiel da, wo wir die Ausgabensteigerung bei ist ein Konzept, das für gemeinsames und umfassen- Kuren, beim Personal des öffentlichen Dienstes oder des Handeln und für mehr Arbeitsplätze steht. Jedes beim Arbeitslosengeld bremsen wollen. Ich habe der neuen Handlungsfelder, die dieses Aktionspro- jedenfalls mehr Verständnis für diese Sorgen als für gramm ausmachen, steht für diese Orientierung. die Einwürfe und Alternativen der Opposition, soweit diese überhaupt erkennbar sind. Ich komme zu einem ganz wichtigen Bereich: den Existenzgründungen und der Deregulierung. Herr Schröder träumt von Helmut Schmidts Inflati- onsrezepten der 70er Jahre, Herr Schwanhold und (Zurufe von der SPD: Schluß!) Frau Matthäus-Maier sagen das Gegenteil. Wir brauchen eine Kultur der Selbständigkeit in (Michael Glos [CDU/CSU]: Richtig!) Deutschland. Herr Lafontaine vermißt die Makroorientierung der (Ernst Schwanhold [SPD]: Der Selbständig- Politik, und Herr Mosdorf verkündet ein Mikropro- keit der F.D.P.? Oder was meinen Sie? - gramm. Weitere Zurufe von der SPD) (Ernst Hinsken [CDU/CSU]: So ist es!) - Je mehr Sie schreien, desto mehr Erfolg und Rück- Sein Vorschlag, mit steuerlichen Sondervergünsti- halt werden Sie im Mittelstand finden, meine Damen gungen ausländische Investoren nach Deutschland und Herren, um den Sie sich ja bemühen. zu locken, zeigt die Konfusion in den Reihen der (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) SPD, und dazu paßt dann auch das Sammelsurium des Zehn-Punkte-Plans der SPD, von dem auch noch Der Mittelstand weiß, daß er die Unterstützung der die Hälfte aus Appellen an die Tarifparteien besteht. Politik, und zwar von dieser Seite, hat. Das ist das Entscheidende und Wichtige. Meine Damen und Herren, Sie liegen auch falsch mit Ihrer Aufforderung, die Bundesbank für die (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ Beschäftigungspolitik in die Pflicht zu nehmen. Wer DIE GRÜNEN]: Vor allen Dingen beim ständig davon redet, die Bundesbank müsse die Zin- Ladenschluß! Fragen Sie die CDU/CSU!) sen senken, der zeigt, daß ihm die Unabhängigkeit dieser Institution nicht so wichtig ist. Alle Welt weiß, daß neue Arbeitsplätze im Mittel- stand durch Existenzgründer und innovative Unter- (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) nehmen entstehen. Wir werden den Unternehmen helfen, Kapitalgeber zu finden, die auch risikoreiche Wer die Stabilität der D-Mark und der europäischen Investitionen finanzieren wollen. Dafür schaffen wir Währung will, muß die Unabhängigkeit der Bundes- steuerliche Erleichterungen. Außerdem schaffen wir bank verteidigen, der darf nicht ständig darüber zinsgünstige Finanzierungsmöglichkeiten - wie- reden, was sie tun oder was sie lassen muß, und er derum für innovative Unternehmen, für wachsende darf nicht das große Vertrauen der Bürger und der Unternehmen mit Liquiditätsengpässen, für Investi- Wirtschaft in die Politik der Bundesbank untergra- tionen im Umweltschutz und in der Infrastruktur. ben. Falsch und hilflos ist schließlich auch die Idee von Wir werden Existenzgründungen in der schwieri- Ihnen, Herr Scharping, unsere Grenzen dichtmachen gen Anfangsphase von Steuern entlasten. Dabei wird zu wollen, um den deutschen Arbeitsmarkt zu entla- der Schwerpunkt beim verarbeitenden Gewerbe und sten. bei technologieorientierten Dienstleistungen liegen. (Zurufe von der SPD) Die Bundesregierung wird dazu, meine Damen und Herren, in Kürze die konkrete Ausgestaltung ange- - Das ist so. hen. Entweder schaffen wir eine auf drei Jahre Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 86. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. Februar 1996 7485

Bundesminister Dr. Günter Rexrodt begrenzte Befreiung von der Einkommen-, Körper- fassung renommierter Institute. Deshalb müssen wir schaft- und Gewerbesteuer oder wir verbessern die frühzeitig und aufgeschlossen an technologische Möglichkeiten von Steuerstundungen bei Investi- Veränderungen herangehen und nicht bremsen, tionsrücklagen. zurückhalten und verhindern, wie Sie das in den letz- ten Jahren gerade bei der Postreform getan haben. So mancher Arbeitsplatz entsteht erst gar nicht, weil bürokratische Fesseln und Eingriffe in den (Beifall bei Abgeordneten der F.D.P. und der freien Wettbewerb unternehmerische Betätigungen CDU/CSU - Rudolf Scharping [SPD]: Wie mit unnötigen Riegeln versehen. bitte?) (Beifall bei Abgeordneten der F.D.P. und der Wir vereinfachen Planungs- und Genehmigungs- CDU/CSU) verfahren durch neue und kreative Lösungen. Wir wissen doch alle, wie lange es gedauert hat, bis wir Ein Beispiel ist die Biotechnologie. In diesem endlich zu einer Lösung kamen, mit der wir leben Bereich haben wir heute in Deutschland 40 000 können. Das ist über Jahre hinweg verzögert wor- Arbeitsplätze. Es könnten mehr als 100 000 Arbeits- den. plätze sein, wenn die Weichen schon früher in Rich- tung auf die freie Entfaltungsmöglichkeit gestellt Wir haben bei den Planungs- und Genehmigungs- worden wären. verfahren die sogenannte Sonderbeschleunigung vorgeschlagen. Sie läßt dem Investor die Wahl zwi- (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) schen dem normalen Genehmigungsverfahren und Deutsche Chemieunternehmen beschäftigen in ihren dem schnelleren Verfahren der Erteilung einer Forschungsabteilungen in den USA Tausende von Genehmigung unter Vorbehalt. Es spricht schon Arbeitnehmern. Darunter sind nicht wenige Arbeits- Bände, wenn dieser Vorschlag aus den Reihen der plätze, die bei besseren Rahmenbedingungen in SPD und der Grünen mit der Behauptung abgelehnt Deutschland hätten entstehen können. Hier zeigt worden ist, deutsche Investoren könnten sich das sich konkret, was Technikfeindlichkeit für den Risiko der vorläufigen Genehmigung nicht leisten. Standort Deutschland bedeuten kann. Technikfeind- Ich rate Ihnen: Nehmen Sie die Ansichten der Län- lichkeit, die in Ihren politischen Zirkeln gepflegt und derwirtschaftsminister dazu zur Kenntnis! Diese sind in vielen Ländern und Kommunen Tag für Tag umge- auf diesem Gebiet weiter als Sie. setzt wird, meine Damen und Herren von der Oppo- Meine Damen und Herren, neue Arbeitsplätze sition, ist das, was dieses Deutschland im Hinblick werden in ausreichendem Umfang nur dann entste- auf die Arbeitsplätze so problematisch gemacht hat. hen, wenn wir die Arbeit rigoros von Steuern und (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) Abgaben entlasten. Wir haben keine Belehrungen darüber nötig, wie man Bürger und Unternehmen Mit dem Aktionsprogramm wollen wir auch an die- entlastet. Ich erinnere an die Situation vor der Wie- ser Stelle Blockaden aufbrechen und die Arbeitsbe- dervereinigung: Die Bundesregierung hatte damals dingungen in unserem Land wieder attraktiver einen ausgeglichenen Staatshaushalt, Rekordüber- machen. Entscheidende Schritte zu mehr Wettbe- schüsse in den Sozialversicherungen und einen Tief- werb werden wir bei der Post und Telekommunika- punkt bei der Steuerquote erreicht, verbunden mit tion sowie bei der Strom- und Gasversorgung ange- einem Plus von fast 3,5 Millionen Arbeitsplätzen. Das hen. waren in den 80er Jahren die Fakten. Die SPD hat in diesem Bereich lange dem Interven- (Zuruf von der SPD: Durch Arbeitszeitver- tionismus das Wort geredet. Sie warten stets so kürzung!) lange, bis sie sich den unabdingbaren Notwendig- keiten nicht länger entziehen können. Die Postre- Das kann niemand negieren. Das war der Erfolg form ist das beste Beispiel dafür, wie Sie über Jahre unserer Wirtschafts- und Finanzpolitik. hinweg dafür gesorgt haben, daß die Privatisierung verzögert wurde und wir in der Telekommunikation (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) nicht eine noch bessere Position weltweit einnehmen Wir werden an diese Erfolge anknüpfen und trotz konnten, als das heute der Fall ist, meine Damen und der gewaltigen Konsolidierungsaufgabe zum Herren. 1. Januar nächsten Jahres leistungs- und beschäfti- (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) gungsfeindliche Steuern abschaffen oder senken. Trotz des Störfeuers aus den Ländern werden wir Sie sind von der Angst geprägt. Das drückt sich in Mitte nächsten Jahres mit dem Abbau des Solidarzu- Ihrer Frage aus, ob denn nicht irgendwo kurzfristig schlages beginnen. Arbeitsplätze verlorengehen. Ich sage Ihnen: Schauen Sie sich einmal die Entwicklung im Mobil- (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne- funk an! Hier sind in den letzten Jahren über 20 000 ten der CDU/CSU - Lachen beim BÜND- neue Arbeitsplätze entstanden. Wir haben gute NIS 90/DIE GRÜNEN) Chancen, über die bestehenden 1,4 Millionen Dies entlastet nicht nur mittelständische Unterneh- Arbeitsplätze im Bereich der Informationstechnologie mer, sondern alle Bürger und stärkt den p rivaten hinaus noch einmal 1,5 Millionen Arbeitsplätze zu Verbrauch. Darüber reden Sie doch immer. schaffen, wenn die Bedingungen in Deutschland dafür hergestellt und verbessert werden. Das ist Leider sind sich manche nicht zu schade, aus eige- nicht allein unsere Auffassung. Das ist auch die Auf- nen, egoistischen Finanzinteressen heraus die klaren 7486 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 86. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. Februar 1996

Bundesminister Dr. Günter Rexrodt Vereinbarungen des Solidarpakts in Frage zu stel- wir den dramatischen Anstieg bei den Ausgaben bei- len. spielsweise für Kuren bremsen wollen? Drei Wochen Kur alle vier Jahre statt vier Wochen Kur alle drei (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne Jahre - das muß doch bei einem verantwortungsvol- ten der CDU/CSU) len Umgang mit den Mitteln der Beitragszahler mög- Sogar die Verteilungsdiskussion zwischen Ost und lich sein. Das muß doch eine Reform sein, hinter der West wird wieder geschürt. Die Bürger erkennen das man stehen kann und wogegen man nicht polemisie- mehr und mehr. ren kann. (Lachen beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Die vorhandenen Beschäftigungschancen in unse- Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ rem Land müssen besser genutzt werden. Deshalb DIE GRÜNEN]: Das müssen ausgerechnet wollen wir die Brücken von der Arbeitslosigkeit zum Sie sagen!) Arbeitsmarkt tragfähiger machen. Lassen Sie mich dazu zwei Beispiele nennen. Es reicht nicht aus, Wir sagen ganz klar - im Unterschied zu Ihnen, Arbeitslosen zur Qualifizierung betriebsferne Fortbil- Herr Fischer, haben wir, diese Koalition und diese dungskurse anzubieten. Häufig dürften Traineepro- Bundesregierung, keinen Nachholbedarf -: Die gramme mehr bringen, die die Arbeitslosen stufen- neuen Länder hatten unsere Unterstützung, und die weise in neue Arbeitsverhältnisse eingliedern. neuen Länder werden unsere Unterstützung behal- ten. Daran wird sich auch durch den Abbau des Soli- Ein zweites Stichwort ist die Zumutbarkeit von darzuschlages nichts ändern. Arbeitsplätzen. Die Arbeitsämter brauchen klare und anwendbare Kriterien dafür, welcher neue (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) Arbeitsplatz einem Arbeitslosen zugemutet werden Wer etwas anderes sagt, polemisiert. darf. Hier sollte man sich künftig an den realen- Beschäftigungsmöglichkeiten orientieren, das heißt (Lachen bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ am erzielbaren Einkommen. Das ist auch kein Abbau DIE GRÜNEN) des Sozialstaates, meine Damen und Herren! Das ist Wir wollen, daß das, was auf Grund der finanzpoliti- ein Weg dazu, Menschen aus der Arbeitslosigkeit in schen Verfassung unseres Landes von den Ländern Beschäftigung zu verhelfen. Diesen Weg werden wir nicht mehr in die neuen Länder transferiert werden gehen. muß, an diejenigen zurückgegeben wird, die die (Lebhafter Beifall bei der F.D.P. und der Steuern zahlen, an die Bürger im Osten und im CDU/CSU) Westen unseres Landes. Nicht mehr und nicht weni- ger wollen wir, meine Damen und Herren. Reformbedürftig sind auch die unüberschaubaren und deshalb kaum handhabbaren Regeln für den (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) Kündigungsschutz. Es ist für einen Unternehmer Der Abbau des Solidarzuschlags ist im übrigen der nicht zumutbar, daß er ein zweitägiges Rechtsstu- Einstieg in eine Politik konsequenter Steuersenkun- dium benötigt, um herauszufinden, ob er jemanden gen. Mit einer umfassenden Tarifreform werden wir aus personenbezogenen Gründen entlassen kann. zu Beginn der nächsten Legislaturperiode einen wei- Kein Wunder, wenn gerade kleine und mittlere teren großen Schritt in Richtung eines einfacheren Unternehmen bei solchen Regelungen davor zurück- und leistungsfreundlicheren Steuersystems gehen, schrecken, wieder Leute einzustellen. Ich halte es und wir werden das in dieser Legislaturperiode vor- auch für unzumutbar, daß bei den arbeitsrechtlichen bereiten. Schwellenwerten kein Unterschied zwischen Halb- tagskräften und Vollzeitarbeitnehmern gemacht Parallel zur steuerlichen Entlastung werden wir wird. Ein kleines Unternehmen mit 21 Halbtags- den steigenden Trend der gesetzlichen Sozialabga- kräften wird dadurch mit weit mehr arbeitsrechtli- ben stoppen und umkehren. Unser Ziel ist es, diese chen Vorschriften belastet als ein Unternehmen mit Abgaben bis zum Jahr 2000 wieder unter 40 Prozent 19 Vollzeitarbeitnehmern, von der Mitgliederzahl im zurückzuführen. Ich weiß, das ist ein ehrgeiziges Betriebsrat über die Unterrichtung der Mitarbeiter Ziel. Allerdings, die Umfinanzierung versicherungs- über die wirtschaftliche Lage bis hin zu Sozialplan- fremder Leistungen über höhere Steuern ist weit ansprüchen. Das werden wir mit einer anteiligen davon entfernt, ein Königsweg zu sein. Berücksichtigung von Teilzeitkräften ändern. (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ (Zurufe von der SPD) DIE GRÜNEN]: Deswegen erhöht ihr die Mehrwertsteuer!) - Ich weiß gar nicht, was es da von Ihrer Seite zu Der Weg zu niedrigeren Beitragssätzen muß schreien oder zu polemisieren gibt. Das sind Ziele zunächst über Einsparungen führen. Dort, wo die und Forderungen, die Sie alle Tage im Munde füh- Dinge ins Kraut geschossen sind, müssen wir han- ren. deln. (Ernst Schwanhold [SPD]: Wir sind alle Ein wichtiger Schritt in diese Richtung wird die schon eingeschlafen!) Reform der Frühverrentung sein. Weitere Schritte Wenn es dann so weit ist, dann schreien Sie dazwi- sind bei den Berufs- und Erwerbsunfähigkeitsrenten schen und tun so, als ob Sie das nicht wollen. notwendig. Ich frage Sie einmal allen Ernstes: Ist es denn wirklich ein Angriff auf den Sozialstaat, wenn (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 86. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. Februar 1996 7487

Bundesminister Dr. Günter Rexrodt Glaubwürdig muß man in der Politik sein und sollte ten, die sehr viel weiter differenziert sind als bei uns nicht polemisieren. Das ist es, worauf es ankommt. in Deutschland. Die Ergebnisse sind zunächst einmal beeindruckend: 40 Millionen neue Arbeitsplätze in (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. - den USA seit 1980 und eine deutlich niedrigere Lachen und Beifall bei der SPD und dem Langzeitarbeitslosigkeit als bei uns. BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Hans Büttner [Ingolstadt] [SPD]: Aber Zusätzliche Beschäftigungsmöglichkeiten sehen wesentlich höhere Kriminalität!) wir auch bei den familien- und haushaltsbezogenen Dienstleistungen. Die Nachfrage ist groß. Wir wol- - Herr Kollege, ich weiß sehr wohl: Viele dieser len, daß daraus reguläre Beschäftigungsverhältnisse Beschäftigungsverhältnisse werden sehr niedrig ent- in den Haushalten entstehen. Voraussetzung ist, daß lohnt und sind sozial nicht oder ganz gering abgesi- wir die steuerlichen Rahmenbedingungen dafür chert. Sie können so auf Deutschland nicht übertra- attraktiver machen und noch bestehende bürokrati- gen werden. Keiner will das. Gleichwohl können wir sche Hürden abbauen. daraus eine Lehre ziehen: Mehr Lohnflexibilität würde auch bei uns die Beschäftigung erhöhen, ohne (Hans Büttner [Ingolstadt] [SPD]: Wieso?) daß auf unserem Arbeitsmarkt gleich eine Gruppe Sie haben das bislang unter Hinweis auf das soge- der „working poor" , der armen Arbeitnehmer, ent- nannte Dienstmädchenprivileg disqualifiziert. Aber stehen müßte. späte Einsicht ist manchmal auch eine gute Einsicht. (Beifall bei Abgeordneten der F.D.P.) Bei unseren Anstrengungen für mehr Flexibilität Aus dem, was uns andere besser vormachen, müssen am Arbeitsmarkt sind wir auf die Tarifparteien ange- wir einzelne Elemente übernehmen. Das wird dem wiesen. Das Bündnis für Arbeit gibt dazu positive Arbeitsmarkt nur zugute kommen. - Ansätze. Gut ist es, daß die Tarifpartner Einstiegsta- rife für Langzeitarbeitslose ermöglichen wollen, daß (Beifall bei Abgeordneten der F.D.P. und der sie über kreative Lösungen, zum Beispiel über Über- CDU/CSU) stundenregelungen, nachdenken werden. Noch bes- Der Jahreswirtschaftsbericht und das Aktionspro- ser wäre es meiner Ansicht nach, wenn sie sich auf gramm der Bundesregierung sind ein Teil des konkrete Vereinbarungen und beschäftigungsorien- „Bündnisses für Arbeit". Sie sind ein Stück Ausfül- tierte vernünftige Lohnabschlüsse verständigen lung dieses Bündnisses für Arbeit. Wir haben uns ein könnten. ehrgeiziges Ziel gesetzt: Bis zur Jahrtausendwende (Beifall bei Abgeordneten der F.D.P. und der wollen wir die Arbeitslosigkeit in diesem Lande hal- CDU/CSU) bieren. Das ist ein schwieriges Unterfangen. Das Beispiel der USA zeigt: Die Lohnpolitik kann (Lachen bei Abgeordneten der SPD und des zum Entstehen neuer Arbeitsplätze einen ganz ent- BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) scheidenden Beitrag leisten. - Da gibt es nichts zu lachen, meine Damen und Her- (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ ren. Man muß sich ehrgeizige Ziele setzen, wenn DIE GRÜNEN]: Das ist ein sehr gutes Bei man die Situation in diesem Lande verbessern will, spiel! Wenn Sie dahin wollen, dann sagen und man muß alles ausschöpfen, was möglich ist, um Sie das mal laut!) diesem Ziele nahezukommen. - Ich sage Ihnen nicht, daß wir dieses Beispiel blind Wir wollen jetzt die Voraussetzungen dafür schaf- übernehmen sollten; davon bin ich weit entfernt. fen, daß unser Land den kommenden Herausforde- Hören Sie doch einmal zu; differenzieren Sie doch rungen erfolgreich begegnen und die Chancen welt- einmal, Polemisieren Sie nicht. Arbeiten Sie nicht mit weit aus künftigen Veränderungen, die wir alle Tage Schwarzweiß! spüren, nutzen kann. Wir müssen dabei in Europa Vorreiter sein. (Hans Büttner [Ingolstadt] [SPD]: Sie machen doch Schwarzweiß!) Die Europäische Wirtschafts- und Währungsunion muß unter Einhaltung der Konvergenzkriterien frist- Das sind die Klischees, in denen Sie denken, meine gemäß in die Realität umgesetzt werden. Ich sage Damen und Herren. Wir alle wissen aber, daß wir zur noch einmal: Wer hier mit billiger Polemik spielt, der Lösung der Arbeitsmarktprobleme keinen Königs- versündigt sich an den Arbeitnehmern in diesem weg haben, daß wir differenziert denken müssen und Land. alles an Vorschlägen und Möglichkeiten ausschöpfen (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) müssen, die uns sinnvoll erscheinen. Polemik und Geschrei bringen niemanden in Deutschland in Meine Damen und Herren, stabile öffentliche Finan- Arbeit und Brot, Herr Fischer; das muß Ihnen mit zen, stabile Systeme der sozialen Sicherung, stabiles Deutlichkeit gesagt werden. Geld und verläßliche Rahmenbedingungen, das sind die unerläßlichen Voraussetzungen dafür, (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) (Zuruf von der SPD: Aufhören!) Ich komme zu den USA zurück. Die Tarifpartner tra- gen dort traditionell und in besonders starkem Maße daß diese Union dauerhaft zur Stabilitäts- und der betrieblichen Leistungsfähigkeit Rechnung, mit Wachstumsgemeinschaft wird, daß von Europa produktivitätsorientierten Lohn- und Arbeitsentgel Impulse ausgehen. Dafür trägt Deutschland eine 7488 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 86. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. Februar 1996

Bundesminister Dr. Günter Rexrodt hohe Verantwortung, eine Verantwortung, aus der, und noch im Amt ist, ist ein weiterer Beweis dafür, wie ich meine, auch die Opposition nicht ausscheren daß Ihre Politik gescheitert ist. darf. Wir erwarten von den Ländern, daß sie ihre Eigeninteressen hinter diese übergeordneten Ziele (Lebhafter Beifall bei der SPD - Beifall bei zurückstellen. Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS) Der Jahreswirtschaftsbericht 1996 ist mehr als ein Bericht. Er ist ein Programm, ein Aktionsprogramm, Sie haben eine Spirale nach unten in Gang gesetzt, ein wichtiger Schritt, auf den neue Schritte folgen eine Spirale, die die Stärken dieses Landes immer müssen; er ist ein Auftrag. Die Menschen, insbeson- stärker beschädigt, die die Schwächen Ihrer Politik dere die Wirtschaft, haben auf dieses Signal gewar- immer offenkundiger macht und die nach Änderun- tet. Wir werden diesen Weg, den wir eingeschlagen gen förmlich schreit. haben, basierend auf dem Bündnis für Arbeit ent- schlossen weitergehen. 4,2 Millionen Menschen in Deutschland ohne Arbeit - und dann werden uns hier ein Jahreswirt- (Lebhafter Beifall bei der F.D.P. und der schaftsbericht, ein 50-Punkte-Programm und eine CDU/CSU) Rede geboten, so, als wäre nichts los und als reichte die Beschimpfung der Opposition zum Verdecken der Mängel einer Politik, die Ergebnisse verantwor- Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Es spricht jetzt der ten und Änderungen einleiten müßte, anstatt Oppo- Fraktionsvorsitzende der SPD, Kollege Rudolf Schar- sition und andere als Ausgleich für die eklatanten ping. Mängel Ihrer Politik zu beschimpfen.

(Lebhafter Beifall bei der SPD - Beifall bei Rudolf Scharping (SPD): Frau Präsidentin! Meine Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE sehr verehrten Damen und Herren! Nie zuvor wurde GRÜNEN und der PDS - Ina Albowitz ein Jahreswirtschaftsbericht an dem Tag diskutiert, [F.D.P.]: Pure Heuchelei!) an dem Deutschland 4,2 Millionen Arbeitslose regi- striert. Herr Bundeskanzler, ich wende mich direkt - Frau Albowitz, damit es im Protokoll steht: Wenn an Sie: Es hat keinen Sinn, sich mit dieser Rede des Sie das als „pure Heuchelei" bezeichnen, dann ist Wirtschaftsministers auseinanderzusetzen. das dermaßen eklatant für Ihre Art von Denken, daß ich es nur festhalten will, damit es im Protokoll steht; (Lebhafter Beifall bei der SPD - Beifall bei und dann ist es gut. Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS) (Beifall bei der SPD) Herr Bundeskanzler, das ist eine Aussprache in Wir sind in einer einmaligen Lage. Sie erfordert einer einmaligen Situation. Es ist keine normale einmalige Anstrengungen. Folglich rechtfertigt sie Debatte angesichts der Hiobsbotschaft und des auch den Ausbruch aus der Routine des normalen Fanals, das von dieser Zahl ausgeht. 4,2 Millionen Vorgehens. Menschen in Deutschland ohne Arbeit, das bedeutet, Sie sind - ich wiederhole es - durch Gesetz ver- daß zum Beispiel im gesamten Lande Sachsen, in dem sowieso schon viel zuviel Menschen arbeitslos pflichtet, die politischen Voraussetzungen zu schaf- fen. Das tun Sie nicht. Sie verletzen Ihre gesetzliche sind, nicht ein einziger Mensch mehr Arbeit hätte. Pflicht; Sie mißachten Ihre politischen Möglichkei- Das bedeutet, daß jeder Zehnte in Deutschland keine Arbeit hat. Das ist, Herr Bundeskanzler, der drama- ten; Sie tun nicht, was für Deutschland in dieser Situation notwendig wäre. tischste Beweis für das Scheitern Ihrer Politik. (Lebhafter Beifall bei der SPD - Beifall bei Das will ich mit einer zweiten Zahl belegen. Gestern wurde über die Nachrichtenagenturen auch Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE mitgeteilt, daß die Bonner Koalition durch GRÜNEN und der PDS) Kür- zungen beim Kurzarbeitergeld, bei ABM-Stellen, bei Sie sind durch Gesetz und anderes verpflichtet, für der Arbeitslosenversicherung und bei anderem außenwirtschaftliches Gleichgewicht, angemessenes erneut Geld einsparen wolle. Sie wolle dafür sorgen, Wirtschaftswachstum, Preisstabilität und Stabilität daß sich Arbeitslose selbst aktiv um Eingliederung der Beschäftigung die der Politik möglichen Voraus- bemühen, angebotene Eingliederungsmaßnahmen setzungen zu schaffen. Seit zwölf Jahren - länger nutzen, die Leistungen der Arbeitslosenunterstüt- noch - betreiben Sie eine Politik, die Deutschland zung davon abhängig gemacht werden usw. Man belastet, hört, diese Maßnahmen sollen insgesamt 20 Mil- liarden DM bis 25 Milliarden DM einsparen. Ich habe (Joachim Hörster [CDU/CSU]: Wo leben Sie von der Spirale nach unten gesprochen. Ich will jetzt denn?) noch einmal ganz deutlich sagen: Hören Sie endlich auf, die Opfer Ihrer Politik zu Schuldigen Ihrer Ver- - belastet mit den höchsten Steuern, belastet mit der säumnisse zu erklären. höchsten Verschuldung, belastet mit einer drama- tisch ansteigenden Arbeitslosigkeit. Herr Bundes- (Lebhafter Beifall bei der SPD - Beifall bei kanzler, Ihre Politik ist gescheitert. Daß ein Wirt- Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE schaftsminister wie Herr Rexrodt hier so reden kann GRÜNEN) Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 86. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. Februar 1996 7489

Rudolf Scharping Hören Sie endlich auf damit, dieses Land zu spalten! nicht, die sie treffen müßte, damit das Krebsübel Hören Sie auf damit, die soziale Erosion Deutsch- Arbeitslosigkeit bekämpft werden könnte. lands voranzutreiben! (Lebhafter Beifall bei der SPD - Beifall bei (Anhaltender lebhafter Beifall bei der SPD - Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS GRÜNEN und der PDS) SES 90/DIE GRÜNEN und der PDS - Herr Bundeskanzler, so wie die Täuschung der Widerspruch des Abg. Wolfgang Zöller [CDU/CSU]) Öffentlichkeit 1990, 1994 und jetzt wieder ein Be- standteil Ihrer Politik geworden ist, so sind auch die Es gab gestern noch eine dritte Nachricht. Die Arroganz und die Selbstherrlichkeit ein Bestandteil Bundesanstalt für Arbeit bestätigt, daß im Jahre 1995 Ihrer Politik geworden. 2 Milliarden Überstunden geleistet wurden. Wohl (Beifall bei der SPD) wahr: Da besteht eine Verantwortung der Tarifpart- ner, aber auch eine Verantwortung des Gesetzge- Sie haben es 1990 abgelehnt, gemeinsam mit allen bers. Beteiligten - mit der Opposition, mit den Ländern, mit den Gemeinden, mit der Bundesbank - die Fol- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) gen der Einheit Deutschlands in wirtschaftlicher und Sorgen Sie endlich dafür, daß die Menschen gleich- finanzieller Hinsicht zu erörtern, Maßnahmen zu mäßig eine Chance der Teilhabe an Arbeit und beschließen und gemeinsam zu tragen. Im Über- Wohlstand haben, anstatt sich hier mit billigen schwang, Sie könnten alles alleine tun, haben Sie Floskeln vor der eigenen Verantwortung zu drücken! den Eindruck erweckt, es ginge ohne besondere Anstrengung. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne - ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Die Folgen tragen wir noch heute. Heute weisen Sie erneut die Bereitschaft nach Zusammenarbeit Auch Sie haben Verantwortung dafür, daß minde- zurück. Glauben Sie im Ernst, Sie könnten am Ende stens 200 000, 500 000, 600 000 Menschen arbeiten ein Bündnis für Arbeit, eine Wende in der deutschen gehen könnten, wenn es einen Anreiz gäbe, diese Politik, die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit errei- Überstunden abzubauen. chen, wenn Sie nicht die Länder, die Gemeinden und auch die Bundesbank an den Tisch holen und dafür (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne sorgen, daß die Entscheidungen gemeinsam vorbe- ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) reitet, schnell getroffen und schnell umgesetzt wer- Wie lange soll das mit dieser Routine weitergehen? den? Statt dessen muten Sie den Betroffenen ein Gezerre zu, wie es jetzt beim Entsendegesetz - mit Wie lange, Herr Bundeskanzler, wollen Sie uns diese Floskeln noch bieten, wie lange dem Parlament Ihr einem halbwegs glücklichen Ausgang - stattgefun- Schweigen zumuten, wie lange die Rechte und den hat. Belange von Bürgerinnen und Bürgern mißachten, (Beifall bei der SPD - Dr. Wolfgang Schäu- wie lange uns immer neue Aufgüsse von Program- ble [CDU/CSU]: Wo kommt denn das men servieren, die wir seit 1982 kennen und die die Gezerre her? - Weiterer Zuruf von der bekannten Ergebnisse zeitigen? CDU/CSU: Wer hat denn da gezerrt?) (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Joseph Herr Bundeskanzler, wir haben Ihnen angeboten, Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ alle Maßnahmen zu ergreifen, um den Arbeitsmarkt NEN]) in Ordnung zu bringen. Wie lange wollen Sie die Bereitschaft der Gewerk- (Dr. Wolfgang Schäuble [CDU/CSU]: Sie schaften, Änderungen in Deutschland - auch blockieren doch alles!) schmerzliche Änderungen - mitzutragen, mißbrau- chen und wieder einen Katalog vorlegen, von dem Wir haben es Ihnen angeboten und bieten es Ihnen auch diejenigen, die Sie im Bündnis für Arbeit erneut an: alle Entscheidungen zu treffen, die es den zusammenführen sollen, behaupten, sagen und Tarifpartnern erleichtern, Überstunden abzubauen, urteilen: Das ist ein Rückfall in jenes alte Denken, alle Entscheidungen zu treffen, die dafür sorgen, daß das uns an die verhängnisvolle Schwelle von über die große Zahl der Frauen, die arbeiten, ohne sozial- 4 Millionen Arbeitslosen geführt hat? versichert zu sein, in gesicherte Teilzeitarbeitsplätze wechseln können, Wie lange wollen Sie die Bereitschaft der Länder (Beifall bei der SPD) zum Kompromiß und zur Kooperation mißbrauchen? alle Entscheidungen gemeinsam zu treffen, die sich (Lachen bei der CDU/CSU) gegen Schwarzarbeit und illegale Arbeit wenden, Wie lange wollen Sie die Gemeinden außen vor und gemeinsam nach einem Weg zu suchen, lassen? Wie lange wollen Sie Politik zu Lasten Drit- (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Sie wollen ter machen: beim Solidaritätszuschlag nach der doch nichts Gemeinsames!) Methode „Die Länder sollen es bezahlen! " , bei der Pflege nach der Methode „Die Gemeinden sollen es wie das Problem der Belastung der Sozialversiche- bezahlen! "? Nur die Bundesregierung stellt sich ihrer rungskassen - beispielsweise durch den Vorruhe- Verantwortung nicht und trifft die Entscheidungen stand - in den Griff zu bekommen ist. 7490 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 86. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. Feb ruar 1996

Rudolf Scharping Ich weise an dieser Stelle allerdings auf eines hin: Einkommen ihren Beitrag zum allgemeinen Wohl Wir werden nichts mitmachen, abzuverlangen? Wie lange soll das so weitergehen? (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Das wissen (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne- wir!) ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS) was dazu führt, daß ein Mensch, der 30, 35, 40 Jahre Das ist wirtschaftlich unvernünftig, und es ist unter Beiträge in die Rentenversicherung gezahlt hat, am dem Gesichtspunkt der sozialen Gerechtigkeit nicht Ende mit weniger als dem Existenzminimum, mit vertretbar. weniger als der Sozialhilfe nach Hause geht. Das aber droht dank der Vorschläge Ihrer Politik. Das Ich will einmal aus Ihrem eigenen Jahrbuch, aus machen wir nicht mit. dem Statistischen Jahrbuch der Bundesrepublik Deutschland, zitieren. (Beifall bei der SPD - Michael Glos [CDU/ CSU]: Das ist doch gar nicht wahr!) (Zuruf von der CDU/CSU: Aus dem 17. Jahrhundert sind diese Vorschläge!) Wir haben Ihnen angeboten und bieten es erneut - Wenn Sie das 17. Jahrhundert nennen, dann haben an, die Arbeitskosten zu senken und dafür zu sor- Sie lange nicht mehr mit Unternehmern gesprochen. gen, daß insbesondere in der beschäftigungsintensi- Die sagen: Die Unternehmen müssen von Kosten ent- ven, der mittelständischen Wirtschaft die Arbeitsko- lastet werden, und ein Teil der Finanzierung muß sten sinken. Wenn Sie hier die hohen Lohnnebenko- auch über die privaten Einkünfte der Unternehmer beklagen, dann beklagen Sie die Folgen Ihrer sten dargestellt werden. Das sagen die Unternehmer mitt- Politik, die Folgen Ihrer Feigheit, dem Steuerzahler lerweile selbst. Wenn es sich bei Ihnen noch nicht die Wahrheit zu sagen, die Folgen Ihres mangelnden herumgesprochen hat, ist das Ihr Problem. - Mutes, (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne DIE GRÜNEN) ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Die Zahl der Einkommensmillionäre ist von 1983 bei den Steuern das Erforderliche zu tun, anstatt den bis 1989 - neuere Zahlen gibt es bezeichnenderweise bequemen Weg über die Sozialversicherung zu nicht - von 10 000 auf 18 000 gestiegen. gehen. Es ist Ihre Verantwortung - ausschließlich (Zuruf von der CDU/CSU: Zählen Sie auch Ihre Verantwortung -, daß die gesetzlichen Lohnne- dazu?) benkosten so explodiert sind Deren Steuerlast ist auf 40 Prozent gesunken. Wir (Zuruf von der CDU/CSU: Quatsch!) haben jetzt den Zustand, daß ein Mensch mit einem normalen Arbeitseinkommen 48 Prozent Steu- und der Rationalisierungsdruck in den Bet rieben ern und Sozialabgaben bezahlt, während jemand mit dadurch entsprechend zugenommen hat. 10 Millionen DM im Jahr im Zweifel auf unter (Beifall bei der SPD) 30 Prozent Steuerleistung sinkt, wenn er überhaupt noch etwas bezahlt. Das sind die Zahlen, die Ihren Es ist - ich wiederhole das - eine schlichte Lüge, zu Statistiken zu entnehmen sind. Ich prangere sie hier behaupten, es läge an der Steuerbelastung der deshalb an, weil es ein verhängnisvoller Grundirrtum Unternehmen: Der Anteil der Körperschaftsteuern Ihrer Politik ist, anzunehmen, daß man die Wirtschaft ist 1995 auf 2,2 Prozent des Gesamtsteueraufkom- durch das Ruinieren des Sozialstaates voranbringen mens gesunken, kann. Nur wenn es gerecht zugeht, werden alle bereit sein, mitzuhelfen, damit die Arbeitslosigkeit (Dr. [F.D.P.]: Weil die bekämpft werden kann. Gewinne zurückgegangen sind!) (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ der Anteil der veranlagten Einkommenssteuer auf DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der 1,7 Prozent. PDS) Wir haben Ihnen mehrfach angeboten und bieten (Dr. Hermann Otto Solms [F.D.P.]: Weil die es Ihnen erneut an, die Bundesbank mit an den Tisch Gewinne zurückgegangen sind!) zu nehmen - bei Wahrung ihrer Unabhängigkeit, - Herr Solms, ich empfehle Ihnen doch einmal, sich sehr einverstanden; aber es sollte doch dafür gesorgt die Zahlen der Jahre 1994 und 1995 anzuschauen. werden, daß die Zinsen in Deutschland weiter sinken und daß eine langfristige abgestimmte Politik ge- (Peter Dreßen [SPD]: So ist es!) macht wird, die helfen kann, daß wir aus dieser Schere der sich ständig verändernden Währungsrela- Die Lohnsteuer dagegen macht mittlerweile einen tionen herauskommen. Es ist doch eine Wahrheit, Anteil von 35 Prozent aus. Wieviel wollen Sie den daß die Finanz- und Wirtschaftspolitik der letzten Arbeitnehmern aufbürden, wieviel der Nachfrage Jahre auch zu einer Überbewertung der D-Mark kappen, wieviel den Menschen mit normalen geführt hat mit der Folge, daß wir Arbeitsplätze Lebensmöglichkeiten in Deutschland eigentlich exportieren und Arbeitskräfte importieren, und mit zumuten, bevor Sie den traurigen Mut entwickeln, der Folge, daß wir heute diese hohe Arbeitslosigkeit den Menschen mit den besonders hohen privaten haben. Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 86. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. Februar 1996 7491

Rudolf Scharping Schließlich haben wir Ihnen angeboten, die Tarifpartner, die Bundesbank - an einen Tisch holen Risiko- und Leistungsbereitschaft zu fördern, zuzu- und daß angesichts der dramatischen Entwicklung packen, die Stärken unseres Landes zu entwickeln: auf dem Arbeitsmarkt jetzt diese kleinkarierten par- Meister-BAföG, Aufstiegsförderung, Risikokapital, teipolitischen Reden, wie sie der Bundeswirtschafts- Existenzgründung für Frauen, Hilfe im Osten minister gehalten hat, zurückstehen. Deutschlands. Es gibt viele solcher Möglichkeiten. Wenn ich mich in dieser Frage - wir haben es hier (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne- mit einer empörenden sozialen Entwicklung zu tun - ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN so heftig engagiere, dann auch deshalb, weil ich per- und der PDS - Lachen bei der CDU/CSU sönlich - Herr Bundeswirtschaftsminister, das ist der und der F.D.P. - Bundeskanzler Dr. Helmut einzige Punkt, den ich im Zusammenhang mit Ihrer Kohl: Das sagen Sie!) Rede anspreche -, manchmal zu meinem eigenen - Ja, natürlich. Das sage ich, weil ich sehr genau Schaden, immer dafür geworben habe, daß in den weiß, daß Sie einiges von dem, womit Sie sich Grundfesten der Entwicklung unseres Landes mög- schmücken, ohne die Bereitschaft der Opposition zur lichst Konsens besteht. Ich habe in der Außenpolitik Verantwortung überhaupt nicht erreicht hätten. immer dafür geworben. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) (Friedhelm Ost [CDU/CSU]: Das ist aber schon lange her!) Das sage ich sehr bewußt. Sie wissen es genausogut Ich habe es immer getan in Fragen, die mit der Wett- wie ich es weiß. Deshalb wiederhole ich den Appell bewerbsfähigkeit zu tun haben. Ich will jetzt die von der letzten Woche: Tun Sie endlich etwas! Ihre Geschichte der Postreform überhaupt nicht nach- langatmigen Programme haben Sie uns 13 Jahre zeichnen. Ich habe immer dafür geworben, daß das lang vorgelegt. Jetzt wollen wir, notfalls auch- auch in Fragen der rechtsstaatlichen Sicherheit gilt. gemeinsam - das erklären wir ausdrücklich -, die Karre aus dem Dreck holen, weil das Land es nicht (Zuruf von der CDU/CSU: Warum hat Ihnen verträgt, wenn auf Dauer 4 Millionen Menschen das denn geschadet?) arbeitslos sind: wirtschaftlich nicht, sozial nicht und - Das hat mir manchmal Kritik eingetragen, hier und finanziell nicht, weil es Ihre Politik nicht mehr aus- da den Vorwurf, man bereite heimlich die Große Koa- hält und weil es Änderungen geben muß. lition oder anderes vor. Ich bin nach wie vor davon (Anhaltender lebhafter Beifall bei der SPD - überzeugt: In den Grundfesten unserer Entwicklung Beifall bei Abgeordneten der PDS) muß es Konsens geben. (Zuruf von der CDU/CSU: Dann macht ein Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Das Wort hat der mal! - Weiterer Zuruf von der CDU/CSU: Kollege Michael Glos. Machen Sie erst einmal Konsens in der SPD, dann sehen wir weiter!) (Zurufe von der SPD: Oh!) Allerdings registriere ich eines. Von einer Grundfe- ste, der aus der Geschichte unseres Volkes im Grund- Michael Glos (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine gesetz gezogenen Konsequenz, wonach die Bundes- sehr verehrten Damen und Herren! Wer die Rede des republik Deutschland ein demokratischer und sozia- SPD-Fraktionsvorsitzenden hier gehört hat, der hat ler Rechtsstaat ist, von dieser Grundfeste der Verbin- gespürt: Der Mann leidet unter dem Trauma von dung wirtschaftlichen Fortschritts und allgemeinen Mannheim. Wohls, der Verbindung von Leistung und gegenseiti- ger Verantwortung, der Entfaltung von Freiheit und (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU der Bindung in Solidarität entfernen Sie sich immer und der F.D.P. - Lachen bei der SPD) mehr. Er hat versucht, im Bundestag das gleiche zu tun, (Zuruf von der CDU/CSU: Das ist unerhört, was Oskar in Mannheim getan hat, nämlich eine was Sie sagen! Unglaublich!) inhaltslose Rede voller Klassenkampfparolen zu hal- ten. Damit möchte er Erfolg erzielen. Diese Grundfeste beschädigen Sie immer mehr. Des- halb rufe ich Sie auf, dahin zurückzukommen, wo wir Ich kann Sie gut verstehen, Herr Scharping. hinmüssen. Bei allem Streit über Einzelfragen - dar- über können wir ja streiten, über das Ladenschlußge- (Widerspruch bei der SPD - Zuruf von der setz oder anderes; das ist am Ende nicht so bedeut- SPD: Sagen Sie mal was zur Arbeit!) sam - müssen wir zu dieser Grundkonstante deut- - Entschuldigung, ich sage im Gegensatz zu Herrn scher Politik zurückkehren und endlich wieder den Scharping, der keinen einzigen weiterführenden wirtschaftlichen Fortschritt und die soziale Gerech- Vorschlag gemacht hat, etwas zur Arbeit. tigkeit miteinander verbinden. Herr Bundeskanzler, wir leben in einer dramati- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) schen Situation mit einem ganz besonders schlim- Ich kann verstehen, warum er heute nervös ist. men Beweis der verhängnisvollen Ergebnisse Ihrer Frau Simonis hat über ihn gesagt: Politik. Wir erwarten, daß Sie aufhören, in diesen Fragen den kleinen Vorteil zu suchen, daß Sie alle Er rennt wie ein Hund in der Kegelbahn hin und Kräfte - den Bund, die Länder, die Gemeinden, die her ... 7492 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 86. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. Februar 1996

Michael Glos Das stand in der „Woche" vom 10. November 1995. USA gesagt. Die Arbeitslosenquote dort liegt bei Jetzt ist Frau Simonis hier. Das macht Sie natürlich 5,6 Prozent. Ich finde das vergleichsweise niedrig. ein Stück nervös. Strukturwandelbedingte Arbeitsplatzverluste do rt wurden durch das Entstehen neuer Arbeitsplätze Es ist ganz interessant, wer heute von der SPD ausgeglichen. Das muß unser Weg sein. Bank hier ist und wer nicht hier ist. Herrn Schröder hat man nicht auftreten lassen, wie heute nachzule- (Hans Büttner [Ingolstadt] [SPD]: Wollen Sie sen war. Herr Eichel ist nicht gekommen. Er muß sich diese Arbeitsplätze?) noch mit den Folgen seines teuren „Gefängnisbaus" beschäftigen. Man hat dort eine Schwimmhalle für - Herr Kollege, hören Sie erst einmal zu. Die Behaup- 19,5 Millionen DM gebaut. Das ist teurer als bei jeder tung, die gerade von Ihrer Seite immer wieder aufge- Schule. stellt worden ist, das seien nur Billiglohnarbeitsplätze mit minderwertigen Arbeiten, ist glatt falsch. Der (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) weitaus größte Teil sind gut bezahlte Arbeitsplätze für qualifizierte Arbeitnehmer. Herr Beck liegt offensichtlich auch nicht auf der Linie. Deswegen hat er heute nicht kommen dürfen. Richtig ist allerdings, daß der Reallohn in den USA Herr Scharping, ich gönne Ihnen, daß Sie heute ein- von 1980 bis 1992 um 8 Prozent gesunken ist. Bei mal von Ihrer Fraktion wieder gefeiert worden sind. einer solchen Debatte muß man auch einmal bittere Ich wünsche mir, daß das anhält. Aber ich wünsche Wahrheiten aussprechen. Mit dieser Lohnzurückhal- mir gleichzeitig, daß Sie wieder zu der Sachlichkeit tung wurde die Basis für die jetzt vorhandene Wi rt und Nüchternheit zurückkehren, für die Sie eigent- -schaftsstärke gelegt. lich bekannt waren. (Beifall bei Abgeordneten der F.D.P.) (Beifall Bei der CDU/CSU und der F.D.P. - - Lachen bei der SPD - [SPD]: Deswegen liegt der Schlüssel für den Wiederauf- Das glaubt Ihnen ja selbst Ihre eigene Frak schwung in allererster Linie bei den Tarifpartnern. tion nicht!) (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Ich habe geglaubt, Polemik käme erst später. Herr Das weitere Erfolgsrezept der Ame rikaner ist: Fle- Scharping hat sie eingeführt. xibilität auf dem Arbeitsmarkt, Kostenentlastung der (Lachen bei der SPD - Otto Schily [SPD]: Unternehmen und Orientierung an moderner, Was war denn das bisher? Sie haben schon zukunftsträchtiger Technologie. Um dies in Deutsch- zehn Minuten für Polemik verbraucht!) land zu erreichen, brauchen wir eine Gemeinschafts- leistung von Politik, Arbeitgebern und Gewerkschaf- Trotzdem möchte ich zu dem zurückkehren, was die ten. Wenn Sie sich daran beteiligen wollen, sind Sie Menschen in unserem Lande bewegt. dazu herzlich eingeladen, Herr Scharping. Das drängende Problem der Arbeitslosigkeit in Wir danken an dieser Stelle Bundeskanzler Helmut Deutschland lösen wir nicht mit Lamentieren, auch Kohl, daß er dazu bereits vor einem Jahr die Initiative nicht mit Schuldzuweisungen und vor allen Dingen ergriffen hat. nicht mit Reformverweigerung. Das ist bei der SPD noch immer der Fall. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. - Lachen bei der SPD) (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. - Hans Büttner [Ingolstadt] [SPD]: Sie sind Ich finde es großartig, daß der IG-Metall-Vorsitzende das schuld!) die vom Bundeskanzler ausgestreckte Hand ergriffen hat Kapital, technisches Wissen und qualifizierte Arbeitskräfte sind heute nahezu weltweit verfügbar. (Lachen bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/ Das ist ein gewaltiger Unterschied zu früher. Wir ste- DIE GRÜNEN und der PDS) hen in einem sich verschärfenden globalen Wettbe- werb der Produkte, der Standorte und der Arbeits- und daß man jetzt ein Bündnis für Arbeit vorschlägt. plätze. Früher waren Arbeitskräfte knapp; wir haben Wir ermutigen ausdrücklich, hier weiterzumachen. sie weltweit herbeigeholt. Heute sind Kapital, techni- Wir stehen vor gewaltigen Herausforderungen. Wir sches Wissen und Marktzugang knapp geworden. wollen sie nicht leugnen; wir wollen uns diesen Her- Arbeitskraft steht genügend zur Verfügung. Das ausforderungen stellen. Die Warenproduktion in alles sind neue Tatsachen, denen wir uns stellen Deutschland ist in den letzten Jahren leider kontinu- müssen. ierlich zurückgegangen. McKinsey erwartet einen Derzeit exportieren wir Arbeitsplätze aus Deutsch- Verlust von weiteren drei Millionen Arbeitsplätzen land in Gestalt von Produktionsverlagerungen nicht in der deutschen Industrie. nur in sogenannte Billiglohnländer - es hat keinen (Zuruf von der SPD: Das liegt an Ihrer Poli- Wert, hier die Löhne der Ukraine oder Tschechiens tik!) anzuführen -, sondern auch in die westeuropäischen Nachbarländer. Warum das so ist, hat der Vorstandsvorsitzende der Adam Opel AG folgendermaßen illustriert: Wenn wir aus diesem Dilemma herauswollen, müs- sen wir einen Blick über den Zaun werfen. Herr Rex- Wir bringen irgendwann ein völlig neues Modell rodt hat dankenswerterweise schon etwas über die heraus, das 25 Prozent weniger Montagezeit Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 86. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. Februar 1996 7493 Michael Glos braucht - das sind 25 Prozent weniger Beschäfti- Was besonders weh tut, ist die Tatsache, daß hoch- gung von einem Tag auf den anderen. qualifizierte Hochschulabsolventen mit glänzendem Abschluß immer häufiger keinen Arbeitsplatz in Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich Deutschland finden. Mit jedem deutschen Wissen- weiß, was das für die betroffenen Menschen und für schaftler, der ins Ausland abwandert, geht ein Stück ihre Familien heißt. Ich habe das als Abgeordneter in unserer wissenschaftlichen und technologischen meinem Wahlkreis in Schweinfurt über Jahre hinweg Basis und damit unserer Zukunftsfähigkeit verloren. erlebt. Die dann Betroffenen sind Opfer. Sie können Wir brauchen auch in Zukunft in Deutschland eine nichts für Fehlentscheidungen in der Vergangenheit. solide industrielle Basis. Dazu gehören auch die Sie müssen ausbaden, was in den letzten Jahren alles 2 Millionen Arbeitsplätze in der energieintensiven falsch gemacht worden ist. Sie müssen vor allen Din- Industrie. gen die Folgen der Technologiefeindlichkeit ausba- den. Sie müssen die Folgen dessen ausbaden, daß Jetzt spreche ich zu Ihnen, Herr Fischer. man alte Strukturen zementiert hat und daß wir alle insgesamt nicht flexibel genug gewesen sind. Das (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ muß die Lehre für die Zukunft sein. DIE GRÜNEN]: Das ist lieb!) Meine sehr verehrten Damen und Herren, wie In dem Papier der Grünen zur Ökosteuerreform ist gesagt: Wir brauchen neue Technologien. Aber wir die Rede von - ich zitiere - „Verliererbranchen und müssen vor allen Dingen auch das hohe deutsche Verliererregionen einer ökologisch-sozialen Steuer- Lohnniveau immer im Auge haben. Dieses hohe reform". Das ist eine entlarvende Sprache. Wir wer- deutsche Lohnniveau läßt sich nur halten, wenn wir den verhindern, daß es in Deutschland Verlierer- Spitzenprodukte herstellen, die in den Konkurrenz- branchen und Verliererregionen geben wird. ländern noch nicht oder überhaupt nicht hergestellt werden können. (Lachen beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ Dazu brauchen wir auch rasche Bau- und Betriebs- DIE GRÜNEN]: Siehe Steinkohle!) genehmigungen, nicht Bedenkenträger. Dazu müs- sen wir der Bürokratie Beine machen. Ich begrüße es, Wir werden uns überhaupt nicht damit abfinden, daß daß der Bundesfinanzminister für eine Milliarde DM 2 Millionen Arbeitnehmer und ihre Familien von den Stellen im Bundesdienst abbauen will. Ich bin über- Ökozynikern einfach abgeschrieben werden wie Alt- zeugt, daß wir mit weniger Beschäftigten im öffentli- anlagen. chen Dienst mehr leisten können, wenn hier entspre- chend entrümpelt wird. Wir brauchen keine beamte- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. - ten Bedenkenträger, sondern wir brauchen wieder Hans Klein [München] [CDU/CSU]: Und die mutige Entscheidungsträger. importieren Atomstrom aus Frankreich!) Die Produktlaufzeiten werden heute immer kürzer. Vielleicht sagt einmal Herr Lafontaine, was in sei- Wenn es in Deutschland einfach zu lange dauert, bis ner Partei eigentlich gilt. Herr Scharping hat es nicht eine bestimmte Anlage genehmigt ist, dann ist das gesagt. Gilt bei der Ökosteuer die ablehnende Hal- Produkt schon wieder vom Markt, bis die Anlage tung der Herren Beck - gilt die auch noch über die letztendlich genehmigt ist. Dann weicht man in Landtagswahl hinaus? -, Clement und Schröder - Nachbarländer aus. dem man ja heute seinen Auftritt verboten hat -, oder gilt Ihr blinder Ökoeifer, den Sie zumindest verbal Die Biotechnologie wird im Jahre 2000 nach seriö- bei Ihrer letzten Bundestagsrede an den Tag gelegt sen Schätzungen einen Marktumfang von haben? 150 Milliarden US-Dollar weltweit haben; denn die Hälfte der 30 wichtigsten Innovationen der nächsten Bei uns ist sehr klar, daß wir alles, was Arbeits- 25 Jahre wird nach Schätzungen von Experten plätze aus Deutschland vertreibt, bekämpfen und wesentlich von der Biotechnologie abhängen. daß wir alles tun, was Arbeitsplätze in Deutschland fördert. Es ist ein Skandal, daß die rot-grüne Landesregie- rung in Hessen diese wichtige Zukunftsoption behin- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) dert und sich den Kampf dagegen auf die Fahnen geschrieben hat. Ähnlich ist immer auch Ihr Kampf gegen eine moderne Verkehrsinfrastruktur. Bei jedem moder- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) nen Verkehrsprojekt, egal, ob zu Lande, zu Wasser oder in der Luft, blockiert rot-grün. Jüngstes Beispiel Meine sehr verehrten Damen und Herren, das ist der Flugplatz in Dortmund oder die A 44. Max-Planck-Institut in Köln mußte Freilandversuche nach Slowenien verlegen, weil in unserem Land ein (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ Klima entstanden ist, das nur Angst macht vor diesen DIE GRÜNEN]: Wo liegt die denn?) neuen Technologien, weil man die Freilandversuche nicht Tag und Nacht bewachen kann, damit die Es geht sogar so weit, daß man gegen von Bundestag Pflanzen nicht ausgerissen werden. Hören Sie doch und Bundesrat, also auch mit den Stimmen der SPD, endlich damit auf, den Leuten Angst zu machen vor genehmigte Verkehrsprojekte vor Ort zur Demon- neuen Entwicklungen. stration und zum Widerstand aufruft. Dies spüre ich derzeit beim Bau der A 71 in Franken besonders (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) deutlich. 7494 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 86. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. Februar 1996

Michael Glos Eine andere Frage. - Ich weiß nicht, warum man Dies zur Begründung für Lohnsteigerungen ist schon Frau Matthäus-Maier heute versteckt hat. Wenn sie deshalb falsch, weil ein großer Teil der Konsumnach- krank ist, nehme ich alles zurück. frage in Deutschland ohnehin letztendlich mit Importwaren befriedigt wird. (Zuruf von der SPD: Sie ist doch da!) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU - Ist sie da? Frau Matthäus-Maier, heute hat man Sie und der F.D.P.) aber weit nach hinten gesetzt. Ich kann die SPD gut verstehen. Je größer unsere Wettbewerbsfähigkeit ist, um so mehr Arbeitsplätze bleiben oder entstehen in unse- (Zurufe von der SPD) rem eigenen Land. Die 35-Stunden-Woche bei vol- - Moment mal, jetzt lassen Sie mich doch einmal ein lem Lohnausgleich hat im Ergebnis die Kosten paar Dinge fragen. Sie können das doch dann beant- erhöht, die Wettbewerbsfähigkeit vermindert und worten. damit Arbeitsplätze in Deutschland vernichtet. (Hans Klein [München] [CDU/CSU]: Herr (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. - Scharping hört gar nicht zu! Der unterhält Hans Büttner [Ingolstadt] [SPD]: Sie hat sich!) 3 Millionen Arbeitsplätze geschaffen!) Wer ist denn zum Beispiel ernst zu nehmen, wenn es Nach einer Umfrage des Instituts der deutschen um die moderne Luftfahrtindustrie geht? Herr Schrö- Wirtschaft hat die Mehrzahl der Länder mit hohem der, der den Eurofighter bauen will? Frau Matthäus- Wirtschaftswachstum die Arbeitszeiten verlängert Maier, die sich quasi das Lebensziel gesetzt hat, oder zumindest unverände rt gelassen. Ich habe diese moderne Innovation in Deutschland zu verhin- Ihnen vorhin das Beispiel USA gebracht. Die hohe dern? Sie können nicht gleichzeitig mit der linken Zahl - das wurde zu Recht beklagt - von 2 Milliarden Hand hü und mit der rechten Hand hott machen. So Überstunden, die im letzten Jahr in der deutschen läuft die Geschichte nicht. Diese Fragen müssen Sie Industrie geleistet worden sind, weist ebenfalls auf beantworten, wenn Sie glaubwürdig werden wollen. ein zusätzliches Arbeitsplatzpotential hin. Allerdings ist es unrealistisch, die Überstunden einfach in Voll- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) zeitarbeitsplätze umzurechnen. Ein Verbot von Über- stunden, wie es immer wieder gefordert wird, wäre Machen wir uns nichts vor: In einer modernen die falsche Lösung. Insbesondere auf Kleinbetriebe Gesellschaft muß jede Form der Arbeitsteilung vor hätte dies eine verheerende Wirkung. allen Dingen legal möglich sein und auch genutzt werden. Auf dem Markt der Schwarzarbeit geschieht (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) das ohnedies. Dienstleistungen in privaten Haushal- ten sind keine minderwertige Arbeit. Auch hier wäre Aber auch hier können Sie gerade durch Ihren Ein- es interessant zu wissen, was nun gilt: die neuen fluß, meine Damen und Herren von der SPD, den Sie Erkenntnisse von Herrn Beck oder die Herabwürdi- bei den Gewerkschaften bis in die Betriebsräte hin- gung dieser Beschäftigungsverhältnisse mit dem ein haben, viel dafür tun, daß man nicht so egoistisch Wort „Dienstmädchenprivileg", wie es durch Frau handelt. Es ist natürlich klar, daß man die Verdienst- Matthäus-Maier immer geschieht? möglichkeiten, die sich bieten, gerne selber wahr- nimmt und in der eigenen Kernbelegschaft läßt, statt Der Jahreswirtschaftsbericht weist zu Recht darauf neue Kolleginnen und Kollegen hinzuzunehmen. hin, daß durch flexiblere Löhne und Arbeitszeiten Das liegt nicht immer an den Unternehmern allein. zusätzliche Beschäftigungsmöglichkeiten, unterneh- Unser Aktionsprogramm, über das wir reden, mensbezogen und im sozialen Bereich, möglich erweitert die Möglichkeiten, befristete Arbeitsver- wären. Auch hier müssen die Tarifpartner die Wei- zuzulassen. Wir müssen auch hier die Rahmen- chen stellen. Investitionen am Standort Deutschland träge bedingungen von der Angebotsseite her verbessern. und die Schaffung neuer Arbeitsplätze setzen vor Wenn Betriebe wissen, daß sie vorübergehend allem voraus, daß die Kosten im Produktions- und beschäftigte Arbeitskräfte nur mit einem sehr hohen Dienstleistungsbereich auch inte rnational wieder Aufwand letztendlich wieder um- oder freisetzen auf ein konkurrenzfähiges Niveau reduziert werden. können, dann stellen die Bet riebe nicht entspre- Die Menschen in unserem Land haben dafür Ver- chend ein. ständnis. Nach einer Emnid-Umfrage von letzter (Ernst Schwanhold [SPD]: Sie wollen hire Woche sind 77 Prozent bereit, auf höhere Löhne zu and fire!) verzichten, wenn damit Arbeitsplätze gesichert und geschaffen werden können. Das Argument, Lohnzu- - Nein, wir wollen nicht hire und fire, sondern wir rückhaltung werde die Kaufkraft schwächen, ist wollen die bestehenden Instrumente ausbauen, und nicht stichhaltig. Überzogene Lohnsteigerungen wir wollen, daß es mehr legale und mehr legal bedeuten in erster Linie höhere Kosten für Unterneh- bezahlte Arbeitsplätze in Deutschland gibt. men und damit eine Verteuerung deutscher Produkte auf nationalen und internationalen Märkten. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- ordneten der F.D.P.) Herr Lafontaine, deswegen war Ihr Satz so töricht, Auch wenn Sie jetzt wahrscheinlich wieder anfan- den Sie auch hier gesagt haben: Autos kaufen keine gen, sehr unruhig zu werden, muß ich Ihnen sagen: Autos. Die Tarifpartner müssen sowohl bei der Frage der (Widerspruch bei der SPD) Lohnfortzahlung als auch bei der Berechnung von Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 86. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. Februar 1996 7495 Michael Glos Urlaub im Krankheitsfall neue Lösungen finden und Wir brauchen auch mehr selbständige Existenzen auch unpopuläre Entscheidungen treffen. Der Miß- in unserem Land. Der verbesserte Zugang von Exi- brauch der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall darf stenzgründern und mittelständischen Unternehmern nicht zum Tabuthema werden. zum Risikokapital ist ein wichtiges Anliegen dieses Aktionsprogramms. Bei den gesetzlichen sozialen Sicherungssystemen ist eine neue Abgrenzung zwischen Eigenverant- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU wortung und Solidarität unverzichtbar. Beiträge in und der F.D.P.) Höhe von über 40 Prozent bei Renten-, Kranken- und Ein Letztes: Wenn alle Bereiche - Bund, Länder Arbeitslosenversicherung sind unvertretbar. Helfen und Kommunen - so konsequent gespart und auch so Sie deswegen mit - dazu fordere ich Sie auf - die konsequent privatisiert hätten wie der Bund, dann Gesundheitsreform von zügig umzu- hätten wir auch hier bessere Rahmenbedingungen. setzen! (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU Wir müssen die Frühverrentung eindämmen und und der F.D.P.) Mißbräuche bei der Arbeitslosenversicherung ver- hindern, wenn wir die Arbeit in Deutschland wieder Es gibt derzeit 100 000 Betriebe in öffentlicher Regie, bezahlbar machen wollen. Wer eine zumutbare vor allem im Bereich Entsorgung, Planung oder Ver- Arbeit ablehnt, muß konsequenter als bisher mit kehr. Eine Privatisierungswelle könnte nicht nur Sanktionen belegt werden. eine nachhaltige Ausgabenreduzierung bei den Kommunen bewirken, sondern auch letztendlich Eine Verschleierung der Kostenursachen durch einen Unternehmensgründungsschub auslösen. eine Steuerfinanzierung der Sozialsysteme ist der fal- sche Weg. Zu hohe Kosten müssen dort bekämpft Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich habe werden, wo sie entstehen. Es war Herr Dreßler, der unlängst von einem kleinen Fuhrunternehmer einen bezeichnenderweise als erster eine höhere Mehr- Brief bekommen. Er schreibt mir, er habe noch einen wertsteuer ins Spiel gebracht hat. Bei dieser Gele- Bagger nebenbei gehabt; damit habe er für 30 000 genheit hat er auch die Ladenhüter Wertschöpfungs- DM im Jahr Gräben für Kommunen ausgebaggert. abgabe und Maschinensteuer wieder ausgegraben. Der Landkreis do rt hat dann einen neuen Bagger für All das ist nicht der richtige Weg, um mehr Arbeits- - was weiß ich - 250 000 DM gekauft und gleichzei- plätze in unserem Land zu schaffen. tig zwei Fahrer dafür angestellt, denn einer könnte ja krank sein oder Urlaub haben. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU Wenn wir „Kosteneinsparungen" im kommunalen und der F.D.P.) Bereich so praktizieren, ist es kein Wunder, daß man Wenn wir über Arbeitslosigkeit in unserem Land mit dem Geld hinten und vorne nicht mehr zu Rande reden, dann müssen wir uns auch die Bevölkerungs- kommt. Auch hier muß endlich einmal gespart wer- entwicklung anschauen. Seit 1990 haben wir aus den den! verschiedensten Gründen eine gewaltige Zuwande- (Beifall bei der CDU/CSU) rung in Deutschland. Ich bitte Sie, folgendes zu bedenken: Derzeit gibt es in Deutschland, was wir Am letzten Wochenende war der Weltwirtschafts- beklagen, mehr als 4 Millionen Arbeitslose, es gibt gipfel in Davos. Eines war tröstlich, meine sehr ver- eine halbe Million jüngerer Sozialhilfeempfänger, ehrten Damen und Herren: Die do rt Anwesenden und es gibt gleichzeitig eine Million Arbeitserlaub- haben darüber abgestimmt, wem man noch Lösungs- nisse für ausländische Arbeitnehmer, weil sich kompetenz in den drängenden Fragen bis ins Jahr angeblich kein Bewerber für die angebotene Stelle 2000 zutraut. Die USA und Deutschland waren an findet. Hier ist doch eine Fehlentwicklung vorhan- allererster Stelle. den. Dieser Fehlentwicklung müssen wir uns stellen. (Vorsitz : Vizepräsidentin Dr. Antje Voll- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) mer) Helfen wir mit unserem Aktionsprogramm, daß Auch die steuerlichen Rahmenbedingungen müs- sich dieses internationale Vertrauen, das es Gott sei sen weiter verbessert werden. Sie verstehen von der Dank noch gibt, auch in Zukunft bewahrheitet. Steuer so wenig wie von „brutto und netto". Das haben Sie, Herr Scharping, vorhin bewiesen. Daß Danke schön. das Einkommensteueraufkommen zurückgeht, hängt damit zusammen, daß immer mehr Arbeitnehmer in (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) die Veranlagung gehen und die Erstattungen an sie letztendlich nur in der Einkommensteuerstatistik Vizepräsidentin Dr. : Das Wort hat erscheinen. jetzt der Fraktionssprecher von Bündnis 90/Die Grü- nen, . (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Wir wollen die Abschaffung der Gewerbekapital- Joseph Fischer (Frankfurt) (BÜNDNIS 90/DIE steuer und der Vermögensteuer und die Senkung der GRÜNEN): Frau Präsidentin! Meine Damen und Her- Gewerbeertragsteuer und des Solidaritätszuschlags. ren! Herr Bundeskanzler, wir führen - Rudolf Schar- Das ist unser Konzept für bessere steuerliche Rah- ping hat zu Recht darauf hingewiesen - heute keine menbedingungen, für Arbeit in Deutschland. gewöhnliche Debatte, sondern wir führen diese 7496 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 86. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. Februar 1996

Joseph Fischer (Frankfurt) Debatte angesichts des höchsten Arbeitslosenstan- - wer trägt denn dafür die Verantwortung? - des in der Geschichte der Bundesrepublik Deutsch- land. und vielfältige bürokratische Hemmnisse Was wir bisher seitens der Regierung und der Koa- - wer trägt denn dafür die Verantwortung, meine lition gehört haben, bestätigt, daß Sie mit Ihrer Poli- Damen und Herren? - tik zwar die Verantwortung dafür tragen, daß wir die- engen den Spielraum für private Leistungen ein. sen historisch einmaligen Höchststand an Arbeitslo- sigkeit zu verzeichnen haben, daß Sie aber völlig Sie beeinträchtigen die Effizienz der Wirtschaft unfähig sein werden, wirklich eine andere Politik zu und wirken als Bremse für die gesamtwirtschaftli- betreiben, eine Wende herbeizuführen, damit die che Dynamik ... Überdies ist die Abgabenbela- Arbeitslosigkeit erfolgreich bekämpft werden kann. stung im Zusammenhang mit der Wiedervereini- gung beträchtlich gewachsen. Insgesamt können (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, die Arbeitnehmer inzwischen nur noch über rund bei der SPD und der PDS) die Hälfte dessen verfügen, was für sie bei ihren Was Sie heute hier gesagt haben, meine Damen Arbeitgebern als Kostenbelastung anfällt. und Herren, zeigt den Zustand dieser Koalition, zeigt Herr Bundeskanzler, wir werden Ihnen eines nicht den Zustand dieser Regierung, zeigt auch den durchgehen lassen: daß Sie hier verkünden: Wir sind Zustand der Politik, die Sie zu verantworten haben, die Regierung; schuld an diesen Zuständen ist aber Herr Bundeskanzler. die Opposition. - Sie tragen die Verantwortung für Wir haben Ihnen zu Beginn dieser Legislaturperi- diese Verhältnisse. ode gesagt: Die Koalitionsvereinbarung dokumen- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, tiert die Handlungsunfähigkeit, die Bewegungsunfä- bei der SPD und der PDS) higkeit, die Reformunfähigkeit dieser Regierung. - Wenn es noch eines Beweises bedurfte: Die jetzt vor- Sie werden hier nachher wieder ans Pult kommen liegenden traurigen Zahlen, meine Damen und Her- und erzählen, wie schön es in den 80er Jahren war, ren, sind der Beweis. daß in Deutschland die Armut noch nicht ausgebro- chen ist und ähnliches mehr. Das wird aber an der Es ist ja nicht so, daß dies nur die Opposition Situation nichts ändern, daß Sie die Verantwortung behauptet. Das spricht sich mittlerweile bis in die dafür tragen, daß wir mittlerweile hier im Lande die Reihen der Union herum. Wer gestern die „FAZ" zur höchste Steuerlast und die höchste Arbeitslosigkeit Hand genommen hat, meine Damen und Herren, der haben, daß wir in diesem Land eine Rentenkrise konnte Erstaunliches lesen. Do rt steht als Aufmacher haben und daß wir insgesamt einen Reformstau - da lacht der Herr Kohl; in Wirklichkeit tobt er natür- haben, den abzubauen Sie nicht in der Lage sind. lich innerlich, das ist völlig klar -: (Dr. Wolfgang Schäuble [CDU/CSU]: Hör (Lachen beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, auf! Ach was!) bei der SPD und der PDS) - Nicht „Ach was". Schauen Sie sich doch mal die Ostdeutsche CDU-Politiker kritisieren die ihrer Situation an! Welch ein Zynismus ist es denn, daß Ansicht nach „tatenlose" Bonner Regierung und diese Bundesregierung trotz dieser Arbeitslosenzah- wenden sich gegen Entwicklungen auch in der len und trotz dieser Probleme nichts anders zu tun eigenen Partei, die sie als selbstzufriedene Routi- hat, als im Zusammenhang mit dem Abbau des Soli- ne und Unbeweglichkeit bezeichnen. daritätszuschlags die Hauptaktion „Rettet die F.D.P." Meine Damen und Herren, dem können wir nur zu betreiben. zustimmen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, und bei der SPD sowie bei Abgeordneten bei der SPD und der PDS) der PDS - Dr. Wolfgang Schäuble [CDU/ CSU]: Mach einen Vorschlag! Er macht kei- Aber es reicht ja aus, nur den Jahreswirtschaftsbe- nen Vorschlag! Null Vorschlag!) richt zu lesen, den das Kabinett beschlossen hat. Darin geben Sie sich selbst ja die „besten" Noten, - Ich komme schon noch zu den konkreten Vorschlä- Herr Bundeskanzler. Da liest man zur Einschätzung gen. Im Moment schlage ich mich mit Ihnen herum. der wirtschaftlichen Situation in der Bundesrepublik (Dr. Hermann Otto Solms [F.D.P.]: Senkung Deutschland: des Spitzensteuersatzes auf 35 % - Vor- Nach wie vor bietet die Bundesrepublik Deutsch- schlag Fischer!) land für eine unternehmerische Betätigung in Die Not ist groß in der F.D.P. Das ist ja auch kein vielerlei Hinsicht gute Bedingungen. Sie ist aber Wunder bei dem, was Sie anzubieten haben, meine in Gefahr, im internationalen Standortwettbe- Damen und Herren. Ich finde es hochinteressant, daß werb Rangplätze unter den führenden Industrie- ich angesichts der Situation, daß wir im laufenden ländern einzubüßen. Die drückende Steuer- und Jahr ein Haushaltsdefizit von 20 Milliarden DM Abgabenlast, haben - man munkelt, in der Koalition habe der - wer hat die denn eingeführt? - Finanzminister von weiteren 10 Milliarden DM gesprochen -, am 17. Januar von Herrn Hauser, was die hohe Staatsquote den Solidaritätszuschlag betrifft, hier gehört habe: Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 86. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. Feb ruar 1996 7497

Joseph Fischer (Frankfurt) Es gibt keinen Spielraum für die Senkung des Solida- euch nach vier Jahren gemeinsamer Arbeit zuge- ritätszuschlages. neigt seid, sind Lady Di und Prinz Charles wirklich noch ein entflammtes Liebespaar. Wenn ich mir die Situation in den neuen Bundes- ländern anschaue, wenn ich die Ministerpräsidenten (Lachen und Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE aus den neuen Bundesländern höre, dann weist alles GRÜNEN, bei der SPD und der PDS) darauf hin: Es ist ein törichter Unfug, es ist eine Ent- solidarisierung mit dem Aufbau Ost, wenn der Soli- Das zur Perspektive von großen Koalitionen. Der Par- daritäszuschlag jetzt abgesenkt wird. teivorsitzende sollte sich das gut anschauen. Darauf liegt kein Segen, und deswegen sollte man das von (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN vornherein lassen. und bei der SPD - Dr. Wolfgang Gerhardt [F.D.P.]: Das ist doch völliger Quatsch!) (Lachen und Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD) Der einzige Grund, den es dafür gibt, ist, der F.D.P. ein Wahlgeschenk zu machen. Bisher dachte ich, Meine Damen und Herren, doch zurück zur Sache. Wahlgeschenke werden den Bürgerinnen und Bür- (Zurufe von der CDU/CSU: Büttenredner! - gern gemacht. Mittlerweile sind wir aber schon so Helau!) weit, daß Herr Gerhardt notbeatmet werden muß, damit er mit seiner Truppe noch über die Wahl- Der entscheidende Punkt ist: Was jetzt angesichts kampfhürden kommt. der dramatischen Lage notwendig wäre, zu tun, das machen Sie nicht. Sie werden einzig und allein (Lachen und Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE rieben durch die Rücksichtnahme auf die F.D.P. GRÜNEN, bei der SPD und der PDS) get und die politische Überlebensstrategie Ihrer Koali-- Herr Kollege Geißler und alle, die das soziale Gewis- tion. Das ist Ihre Handlungsmaxime! sen in der CDU und in der CSU - ich weiß, das sind nicht wenige - noch hochhalten, Sie müssen wissen, Was sind denn die Probleme des Standortes was Sie da notbeatmen. Deutschland, meine Damen und Herren? - Wir haben ein großes Modernisierungsdefizit; das wird Meine Damen und Herren, die F.D.P. hat jetzt ihr von niemandem hier bestritten. Dieses Modernisie- neues Grundsatzprogramm auf den Weg gebracht, rungsdefizit - ich habe es Ihnen in der letzten passend zur närrischen Kampagne und passend zum Debatte schon einmal gesagt, Herr Bundeskanzler - Einzug von Herrn Westerwelle in den Bundestag. kommt daher, daß Sie 1990 glaubten, bei der Herstel- lung der inneren Einheit den bequemen Weg gehen (Dr. Guido Westerwelle [F.D.P.]: Was Sie zu können. Sie haben die große Chance, die Dinge in sehr freut, ich weiß!) Deutschland grundsätzlich neu zu machen, vertan, Die F.D.P. verkündet darin dem erstaunten Volk, man ja, Sie haben sich damals auf eine Lüge zurückgezo- müsse sich von der Gefälligkeitsdemokratie verab- gen, auf die Steuerlüge, und genauso wird es jetzt schieden. - Ausgerechnet ihr verabschiedet euch von mit dem Solidaritätszuschlag. der Gefälligkeitsdemokratie, ausgerechnet ihr! Wer behauptet, der Solidaritätszuschlag werde (Lachen und Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE gesenkt, der beschwindelt, der belügt die Menschen, GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abge um einen Wahlerfolg für die F.D.P. zu bekommen. ordneten der PDS) (Beifall des Abg. Dr. Peter Struck [SPD]) Wenn ihr euch von den Gefälligkeiten gegenüber eurer Klientel verabschiedet, dann bleibt ja von euch Aber er wird nur zwei Möglichkeiten haben: Entwe- gar nichts mehr übrig; dann wä rt ihr ja völlig null der überzeugt er die Länder - ich sehe überhaupt und nichts. nicht, wie die zu überzeugen sind -, oder aber er wird nach dem Wahltag im März die Mehrwertsteuer (Lachen und Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE erhöhen. Und das ist eine krasse Steuerlüge, Herr GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abge Gerhardt, das wissen Sie auch. Ob Ihnen das am ordneten der PDS) Ende hilft oder nicht, spielt dann keine Rolle mehr. Es wäre ja zum Lachen, meine Damen und Herren, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, wenn die Absenkung des Solidaritätszuschlags nicht bei der SPD und der PDS) konkret auf dem Rücken der neuen Bundesländer ausgetragen würde. Wir haben dieses gewaltige Modernisierungsdefi- zit, wir haben diese hohe Steuerlast. Aber ich bin es (Brigitte Baumeister [CDU/CSU]: Das ist leid, meine Damen und Herren, hier immer nur über doch nicht wahr! Das ist doch Quatsch!) Steuersenkung zu reden. Wir haben nämlich auch Meine Damen und Herren, ich finde es schon eine Steuergerechtigkeitslücke, wir haben also ein erstaunlich: Da werden immer die Widersprüche in Steuergerechtigkeitsdefizit in diesem Lande. der Opposition zitiert. Aber wo ist denn heute eigent- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN lich der Herr Stoiber? Den Herrn Teufel sehe ich - sowie bei Abgeordneten der SPD) der hat Wahlkampf - ich sehe auch Herrn Spöri - und ich bin ja ein Fan von großen Koalitionen; ich gebe es Und wenn wir über Veränderungen sprechen, dann offen zu -: Als ich Sie vorhin da so nebeneinander sage ich Ihnen, Herr Bundeskanzler: Sie werden sitzen sah, dachte ich: Gegenüber euch, so wie ihr Änderungen, selbst solche, die weh tun, nicht hinbe- 7498 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 86. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. Februar 1996

Joseph Fischer (Frankfurt) kommen, wenn nicht gleichzeitig die soziale Gerech- den Mut, schon vor dem Wahltag nicht nur gegen- tigkeit, die soziale Symmet rie stimmt. über Journalisten Andeutungen zu machen, sondern hier offenzulegen, wo Sie wirklich Streichungsbedarf Die Frage der Steuergerechtigkeit wird in Ihrem sehen. Warum machen Sie das nicht einmal vor dem famosen 50-Punkte-Programm, das in Wirklichkeit Wahltag? - Es wäre doch hochinteressant, das einmal nichts anderes als ein Kostensenkungs- und Sozial- mitzubekommen. abbauprogramm ist, mit dem lapidaren Satz „Wird nach 1998 gelöst" behandelt, während umgekehrt an die Einkommen der Kleinen und an die sozialen Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Herr Fischer, Sicherungssysteme vorher schon herangegangen gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten wird. Damit werden Sie gegen die Wand laufen, Hirsch? - Bitte. damit werden Sie scheitern, denn hier wird es weder mit den Gewerkschaften noch mit der Opposition die Möglichkeit einer Kooperation geben. Sie werden Dr. Burkhard Hirsch (F.D.P.): Herr Kollege Fischer, damit aber auch keine Mehrheiten in diesem Lande ich wollte mich nur vergewissern, ob ich Sie wirklich mehr bekommen; da bin ich mir sicher. richtig verstanden habe: Haben Sie eben zum Aus- druck bringen wollen, daß die der Steinkohle zuge- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sagten Subventionen, sowie bei Abgeordneten der SPD) (Lachen bei Abgeordneten der SPD) Wir müssen also an die Frage der Steuergerechtig- keit ran, und das wissen Sie auch ganz genau, Sie daß die Subventionen für die Werften, daß die Sub- Gefälligkeitsdemokraten. ventionen für die deutsche Landwirtschaft allesamt Subventionen für Großverdiener sind? Habe ich Sie (Dr. Wolfgang Gerhardt [F.D.P.]: Wir haben da richtig verstanden? - doch einen neuen Vorschlag gemacht!) (Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl: Ja, das Aber das wollt ihr nicht; deswegen schreibt ihr: 1998. hat er gesagt!) Ihr wollt auch nicht an den Abbau von Steuersub- ventionen ran, wie ja überhaupt bei diesem famosen Joseph Fischer (Frankfurt) (BÜNDNIS 90/DIE Wirtschaftsminister, der ja nun wirklich ein Höhe- GRÜNEN): Herr Hirsch, Sie haben mich völlig richtig punkt in einer ganzen Serie bedeutender freidemo- verstanden, daß das nicht Subventionen für Großver- kratischer Wirtschaftsminister ist - Graf Lambsdorff, diener sind, sondern daß die Frage des Subventions- seitdem Sie damals zurückgetreten sind, hatten wir abbaus - Herr Möllemann wollte für den Fall, daß er einen Glanzpunkt nach dem anderen; man erinnert nicht durchgeführt wird, sogar zurücktreten - hier sich kaum noch, welche bedeutenden Köpfe das nicht mehr angesprochen wird, weil Sie genau wis- waren, und Rexrodt paßt wirklich dazu -, die Frage sen, daß die Steuergerechtigkeitsfrage dann sofort zu stellen ist: Was ist denn aus Ihrem Leib- und auf dem Tisch liegt. Die Klientel, die Sie beschützen Magenthema des Subventionsabbaus eigentlich wollen, hängt in der Tat nicht von Steinkohlesubven- geworden? Haben wir dazu in der Rede heute etwas tionen ab, hängt nicht von Landwirtschaftssubventio- gehört? - Nein. Eigentlich hätte er doch die Stein- nen ab - wobei die Dinge hier schon etwas anders kohle erwähnen müssen, nicht wahr. aussehen - und hängt nicht von Werftensubventio- nen ab, sondern die hängt davon ab, daß sie nominell Subventionsabbau erwähnen Sie deswegen nicht, hohe Spitzensteuersätze in diesem Lande umgehen meine Damen und Herren, weil Subventionsabbau kann. Das ist die Realität! natürlich direkt zu Ihrem „Klientelismus" führen würde. Subventionsabbau erwähnen Sie deswegen (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN nicht, weil dann natürlich die Frage von massiven sowie bei Abgeordneten der SPD - Zuruf Steuersubventionen für Hochverdiener und Höchst- von der CDU/CSU: Das war ein Eigentor! - verdiener in diesem Lande auf die Tagesordnung Weiterer Zuruf von der CDU/CSU: Reden käme. Sie doch mal zur Sache!) (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS - Das war überhaupt kein Eigentor! Was soll denn SES 90/DIE GRÜNEN und der SPD) daran ein Eigentor gewesen sein? Ich sage nochmals: Die Frage der Steuergerechtig- Aber, Herr Hirsch, da Sie das ansprechen, möchte keit ist für mich eine entscheidende Frage. Wenn Sie ich noch einen Punkt bringen: Eigentlich müßten Sie es mit dem Strukturwandel unseres Sozialsystems doch nach Vorlage Ihres Grundsatzprogrammes tief- ernst meinen, dann wird das nur gehen, wenn die traurig sein. Denn Fakt ist doch, daß Stahl wirtschaft- Lasten gerecht verteilt sind, wenn diejenigen, die lich und sozial gesiegt hat. Fakt ist doch, daß es, mehr schultern können, auch mehr tragen, wenn wenn dieses Grundsatzprogramm verabschiedet nicht dauernd bei denen unten abgeladen wird. wird - und das wissen Sie ganz genau -, mit dem liberalen Freisinn in der F.D.P., mit dem sozialen Meine Damen und Herren, man hört ja - Herr Wai- Liberalismus ein Ende hat, Herr Hirsch. gel hat das Journalisten gegenüber verkündet -, die wahre Schreckensliste solle erst nach den Wahlen (Widerspruch bei der F.D.P. - Dr. Wolfgang am 24. März vorgelegt werden. Ein Teil wurde vorhin Schäuble [CDU/CSU]: Es ist Zeit für die aber schon benannt. Herr Waigel, haben Sie doch Rotation!) Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 86. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. Februar 1996 7499

Joseph Fischer (Frankfurt) Dazu sollten Sie sich einmal äußern. Jürgen Koppelin (F.D.P.): Herr Kollege Fischer, da Sie gerade vom Transrapid sprechen: Sehe ich Sie (Dr. Guido Westerwelle [F.D.P.]: Haben Sie heute abend bei einer Veranstaltung in der hessi- es gelesen?) schen Landesvertretung, wo der Ministerpräsident - Oh, doch. Eichel, Chef einer rot-grünen Koalition, zusammen mit der Firma Thyssen Henschel den Transrapid vor- (Anhaltende Zurufe von der CDU/CSU und stellen wird? der F.D.P.) (Lachen und Beifall bei der F.D.P. und der - Ich weiß gar nicht, warum ihr euch darüber so auf- CDU/CSU) regt. Ich verstehe das nicht. Meine Damen und Herren, ein weiterer wichtiger Joseph Fischer (Frankfurt) (BÜNDNIS 90/DIE Defizitpunkt, wenn wir über die Zukunftsgestaltung GRÜNEN): Herr Koppelin, damit habe ich überhaupt dieses Landes sprechen, ist die Frage: Wie schaffen kein Problem. wir neue Arbeitsplätze? - Im wesentlichen wurde von dieser Bundesregierung nur auf die Gentechno- (Bundesminister Dr. Theodor Waigel: Wo logie hingewiesen. Der ganze Bereich des ökologi- haben Sie überhaupt ein Problem?) schen Umbaus kommt bei Ihnen überhaupt nicht vor. Sie mögen darüber lachen. Aber ich halte die Ent- Hier liegt eine Zukunftschance, die zu nutzen Sie scheidung von Herrn Eichel, wegen 300 möglichen nicht in der Lage sind. Arbeitsplätzen in seinem Wahlkreis in Kassel auf den Ein grundsätzlicher Umbau unseres Energiesy- Transrapid zu setzen, für falsch. Das habe ich damals stems, Herr Glos, schafft Arbeitsplätze und vernich- so gesagt, das sage ich auch heute. Die Zukunft liegt tet sie nicht. Wir führen diese Debatte doch schon bei der Rad-Schiene-Technik. Hier können wir in seit über zehn Jahren. Seit über zehn Jahren sagen beachtlicher Größenordnung Arbeitsplätze schaffen, Sie, mehr Umweltschutz gefährde den Standort während wir beim Transrapid nichts anderes bekom- Deutschland. Heute wissen wir: Der Bereich Umwelt- men als ein Milliardengrab. Das wissen Sie. Ihr Pro- schutz ist einer der dynamischsten Wachstums- blem ist doch, daß Sie den Ausgang aus diesem Pro- märkte für Arbeitsplätze und für die Umwelt und jekt nicht mehr finden, daß Sie nicht wissen: Wie nicht gegen Arbeitsplätze und gegen die Umwelt. kommen wir vom Transrapid runter? Sie wissen doch, daß es ein Milliardengrab wird. Wir setzen auf (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN die Deregulierung des Stromsystems. Hier hatten und bei der SPD) Sie, meine Damen und Herren von der Union, eine große Möglichkeit, Arbeitsplätze durch mehr Markt Damit wir dort weitermachen können, bedarf es zugunsten der Ökologie zu schaffen. Hier besteht die einer grundsätzlichen Verkehrswende. Hier, meine Möglichkeit, daß wir neue Märkte durch Energiespa- Damen und Herren, müßten Ihnen, den Technik- ren öffnen. Energiesparen ist High-Tech, dezentral freunden, doch die Ohren klingen. Nehmen Sie ein- eingesetzt, und bringt viele Arbeitsplätze, vor allem mal Ihre Transrapidbegeisterung. Was ist denn nach im Bereich des Gewerbes, im Bereich des Hand- der Anhörung im Deutschen Bundestag aus dem werks, im Bereich der mittleren und kleineren Unter- Transrapid geworden? Hier zeichnet sich ein drohen- nehmen. Wir wollen endlich zu einer Entflechtung des Milliardengrab ab. Das hat mit Technikfreund- der Strommonopole kommen, weil sie letztendlich lichkeit, mit Arbeitsplätzen nichts mehr zu tun. Wir Innovation und neue Arbeitsplätze im Strombereich fordern Sie auf: Beenden Sie dieses Milliardengrab verhindern. Hier Veränderungen herbeizuführen und investieren Sie die 16 Milliarden DM in den Aus- halte ich für einen ganz wichtigen Gesichtspunkt. bau der Bundesbahn im Fernbereich! Investieren Sie sie vor allen Dingen in die Nahverkehrssysteme! In- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN vestieren Sie sie in die Verlagerung des Güterver- sowie bei Abgeordneten der SPD) kehrs auf die Schiene! Darüber hinaus: Herr Bundeskanzler, Sie sagen, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Sie wollten neue Arbeitsplätze schaffen. Warum geht sowie bei Abgeordneten der SPD und der dann der letzte Photovoltaikhersteller von Deutsch- PDS) land in die USA? (Zuruf von der CDU/CSU: Das ist doch gar Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Herr Abgeord- nicht war! - Weitere Zurufe von der CDU/ neter Fischer, gestatten Sie eine Zwischenfrage des CSU) Abgeordneten Koppelin? - Nein, meine Damen und Herren, Sie reden davon, daß Sie neue Arbeitsplätze schaffen wollen. Gleich- Joseph Fischer (Frankfurt) (BÜNDNIS 90/DIE zeitig aber verlieren wir diese in immensen Größen- GRÜNEN): Nein, jetzt gestatte ich keine mehr. ordnungen, wie es die Arbeitslosenzahlen klar bele- (Zurufe von der CDU/CSU und der F.D.P.) gen. Aber weiter: Neben der ökologischen Steuerre- Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Es ist das freie form wird sich die Frage nach der Zukunft des Recht des Redners, eine Zwischenfrage zuzulassen Sozialstaates stellen. Bezüglich der Zukunft des oder nicht. - Jetzt wird sie doch gestattet. Bitte, Herr Sozialstaates fürchten wir Schlimmes. Wir sehen es Koppelin. bei der beabsichtigten Senkung des Solidarzu- 7500 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 86. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. Februar 1996

Joseph Fischer (Frankfurt) schlags, bei den Streichungen von Arbeitslosengeld mittelständischen Unternehmen Arbeitsplätze ver- und Arbeitslosenhilfe. Wir sehen es jetzt wieder bei nichtet und gefährdet. diesem angeblichen Kompromiß im Zusammenhang mit der Pflegeversicherung. Was Sie mit den sozialen (Zuruf von der CDU/CSU: So ist es!) Kürzungen wollen, ist, den sozialen Konsens in die- Sie haben eine Kampagne gegen Chlorchemie sem Lande Schritt für Schritt in Frage zu stellen. begonnen und damit Beschäftigung aus Deutschland Wenn Sie diesen aber in Frage stellen, werden Sie vertrieben. sehr viel mehr als nur den Zusammenhalt dieser Gesellschaft in Frage stellen. Sie, meine Damen und (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ Herren, werden die Zukunft dieses Landes insge- DIE GRÜNEN]: Und jetzt?) samt gefährden. Das tun Sie schon; das ist an Hand der Entwicklung am Arbeitsmarkt eindeutig zu Sie schlagen verkehrspolitische Kap riolen: Sie ver- sehen. Sie werden dies auch weiterhin tun. hindern einen Straßenbau, lassen dadurch zehn Dör- fer verstopfen und verhindern, daß Menschen zu Wenn die Wahl vorbei ist, dann wird die Horrorliste ihrer Beschäftigung gelangen bzw. Beschäftigung des Herrn Waigel vorgelegt werden. Erst dann wer- transportiert werden kann. den die Menschen begreifen, was es heißt, wenn die Entwicklung in diesem Lande weiter so anhält. Des- (Beifall bei der CDU/CSU) wegen, meine Damen und Herren: An einer ökologi- schen und sozialen Wende in diesem Land führt kein Sie treten hier auf, erzählen der F.D.P. etwas über Weg vorbei. ein gerechtes Steuersystem, fordern selbst einen Höchststeuersatz in Höhe von 35 Prozent - das haben (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Sie noch nicht einmal mit Herrn Trittin besprochen - sowie bei Abgeordneten der SPD) und machen der Öffentlichkeit glauben, daß Sie ein Steuerreformer seien. Und: Sie beschimpfen Minister Wieso soll - diese Frage müssen Sie mir beantworten - Rexrodt wegen mangelnden Subventionsabbaus. - ausgerechnet der Esel, der das Korn gefressen hat, in Ich weiß doch, welche Position die Grünen bei der Zukunft mehr als Mist produzieren? Wieso soll er die Werftenhilfe vertreten haben. Ich weiß doch, daß Sie Lage meistern können? Sie haben dies zu beantwor- die Kohle brauchen, wenn Sie die Kernkraftwerke ten. abschalten wollen. Deswegen führt kein Weg daran vorbei: Wenn die- (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) ses Land erneuert werden soll, dann wird dies nur über eine ökologische und soziale Wende, nur durch Die Unglaubwürdigkeit Ihres Konzepts darf der eine grundsätzliche Erneuerung unserer Energie- Öffentlichkeit nicht verborgen bleiben. Es darf kei- und Verkehrssysteme, durch eine ökologische Steu- nesfalls zugelassen werden, daß Sie bei der Bundes- erreform, die endlich angepackt werden muß, gehen. regierung Arbeitsplätze einfordern, in Ihrer prakti- schen Politik aber Arbeitsplätze in Deutschland ver- (Widerspruch bei der CDU/CSU) nichten bzw. aus Deutschland vertreiben und sich in die Büsche schlagen, wenn es ernst wird. Das muß Es wird nicht mit dem Bisherigen gehen, mit Busi- hier gesagt werden. ness as usual. (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der PDS) Die Bundesregierung hat dieses Aktionspro- gramm, das auch schmerzhafte Richtungsanzeigen vorgibt, nicht überall mit Vergnügen gemacht. Sie Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Das Wort hat hat es gemacht, weil sie zutiefst davon überzeugt ist, jetzt der Abgeordnete Gerhardt, der Vorsitzende der daß wir eine Trendumkehr im politischen Denken Freien Demokratischen Partei. und Handeln in Deutschland erreichen müssen, wenn wir 2 Millionen neue Arbeitsplätze schaffen wollen. Das ist der Kern des Programms. Dr. Wolfgang Gerhardt (F.D.P.): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ein Stück des Schlagab- (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) tausches von heute vormittag muß auf einen bestimmten Kern zurückgeführt werden: Herr Kol- Und dieser Kern ist richtig. Er enthält ganz verschie- lege Fischer, auch Sie haben Verantwortung für dene Komponenten, und die Opposition muß jetzt Beschäftigung in Deutschland. einmal sagen, ob diese Komponenten falsch oder richtig sind. (Michael Glos [CDU/CSU]: Sehr wahr!) Er enthält als erste Komponente, daß wir, wenn wir Sie können hier nicht die Opposition spielen, aber in uns in weltweitem Vergleich sehen, Steuern senken den Ländern Arbeitsplätze vernichten. Das wird der wollen. Die wollen wir nicht senken, um einem deutschen Öffentlichkeit vermittelt werden müssen. Unternehmer ein dickeres Portemonnaie zu verschaf- fen, sondern die wollen wir senken, damit Arbeitneh- (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) mer in Deutschland ihren Arbeitsplatz finden. Ich benenne dies konkret: Sie haben in Hessen (Lebhafter Beifall bei der F.D.P. und der eine Kampagne gegen PVC begonnen und in den CDU/CSU) Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 86. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. Februar 1996 7501

Dr. Wolfgang Gerhardt Wir wollen den Mittelstand bei der Gewerbesteuer Begleitung und sozialer Sicherheit zu finden. Die ist entlasten. Wenn es nach uns gegangen wäre, müßte aus den Fugen geraten. Alle unsere sozialen Siche- der Mittelstand schon seit dem 1. Januar dieses Jah- rungssysteme geraten heute in die Gefahr zum Ver- res Gewerbekapitalsteuer nicht mehr bezahlen. lust von Arbeitsplätzen beitragen. Sie gefährden damit die größte soziale Sicherheit, die jemand (Zurufe von der F.D.P.: Sehr richtig!) haben kann, nämlich das Beschäftigungsverhältnis. Und jetzt zum Mitschreiben: Das hätte 300 000 Wer hier nicht eine neue Balance sucht, wer hier Betriebe in Deutschland schon seit über vier Wochen sofort - wie die modernen Tabuwächter es tun - diffa- entlastet und die Arbeitsplätze in diesen 300 000 miert, wenn jemand über Lohnnebenkosten auch nur Betrieben besser gesichert, als sie heute gesichert redet, der wird seiner großen Verantwortung nicht sind. gerecht. Es gibt ein großes Diffamierungspotential gegen die Senkung von Lohnnebenkosten. Das wird (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) voll ausgespielt. Wenn die Opposition ein anderes Rezept hat, dann (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ soll sie es hier nennen. Wenn sie in diesem Jahr der DIE GRÜNEN]: Wieso denn? Wir sind doch Senkung der Gewerbekapitalsteuer nicht zustimmt, dafür!) dann sind wir gezwungen, sie absurderweise in den neuen Ländern einzuführen. Deshalb muß Herr Da gibt es Kompetenz für Diffamierung, aber keine Lafontaine, wann immer er heute spricht, hier sagen, Kompetenz für die Zukunft von Beschäftigung in ob er jetzt endlich mitmacht oder ob wir zu der absur- Deutschland. den Situation kommen, für 17 Millionen Deutsche in (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) den neuen Ländern die Erhaltung bzw. Schaffung von Arbeitsplätzen zu erschweren. Wir wollen das Ich sage das deshalb zu diesem Themenbereich. erleichtern. Das ist der Kern der Auseinanderset- Dieses Land wird immer die Kraft behalten müssen, zung. soziale Sicherung zu betreiben. Aber es muß immer wissen, daß die soziale Begleitung eines Problems (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) nicht seine Lösung sein kann. Wir sollten deshalb in Wir wollen in den Haushalten Ausgaben reduzie- ganz Deutschland nicht Menschen glauben machen, ren. Das macht keine Freude. Zwar hat man in die- daß wir, wenn wir ihnen im strukturellen Wandel hel- sem Land nach 1945 gewußt, daß erst Produktivität fen wollen, Produktion für Güter sichern können, für hergestellt werden muß, bevor es ans Verteilen geht. die es keinen Markt mehr gibt, daß wir Fabriken Aber inzwischen hat man vergessen, daß erst Pro- erhalten können, die Erzeugnisse produzieren, die duktivität erreicht werden muß, bevor verteilt wer- keine Märkte mehr haben und daß wir Beschäfti- den kann. Wir werden also schwierige Aufgaben vor gung dadurch sichern, daß wir sie staatlich aushal- uns haben. ten, ohne daß Produktivität zugrunde gelegt wird. Das ist nicht Ausdruck sozialer Kälte; das ist schlicht Wir können aber die Tarifvertragsparteien aus die Wahrheit. Wir würden die Menschen in Deutsch- ihrer Verantwortung nicht entlassen. Es gibt nicht land betrügen, wenn wir ihnen vorgaukeln würden - nur die Bundesregierung. Es gibt in einem freiheitli- wie es die PDS bei 17 Millionen Deutschen tut -, daß chen Rechtsstaat viele Akteure: Es gibt Tarifvertrags- Beschäftigung über staatliche Haushalte gesichert parteien, es gibt Produzenten und Verbraucher, es werden kann. Das ist nicht der Fall. Sie betrügen die gibt eine Medienlandschaft, und es gibt auch ganz Menschen und bringen sie in große Schwierigkeiten. private Bürger, die ihren Job machen, ihre Arbeit ver- richten. Die Bundesregierung regiert zwar, aber sie (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU - ist nicht allein an der Macht, und sie verfügt nicht Dr. Dagmar Enkelmann [PDS]: So ein über einen kleinen Knopf, den sie nur zu drücken Quatsch!) braucht, um 2 Millionen zusätzliche Beschäftigungs- Wenn wir über Arbeitnehmerpolitik in Deutsch- verhältnisse in Deutschland zu schaffen. land reden, dann frage ich mich, wer eigentlich die (Zuruf von der F.D.P.: So ist es!) sicherere Arbeitnehmerpolitik macht. Der SPD ist genauso wie der F.D.P. bekannt, daß Kapital weltweit Die Selbstabsolution, die sich in diesem Land viele mobil ist, erteilen, indem sie mit dem Finger auf den Bundes- kanzler und die Regierung zeigen, ist falsch. Für (Michael Glos [CDU/CSU]: So ist es!) Beschäftigung in Deutschland tragen viele Mitver- daß es sich dort ansiedeln wird und man do rt Investi- antwortung. Tarifverträge abzuschließen, Löhne über tionen tätigen wird, wo es günstige Bedingungen Gebühr zu erhöhen, eine 35-Stunden-Woche einzu- gibt. leiten, einen vollen Lohnausgleich zu wünschen und dann zu sagen, die Bundesregierung solle für (Jörg Tauss [SPD]: Kinderarbeit!) Beschäftigung sorgen - das möchte ich hier nicht durchgehen lassen. Auch da liegt ein Stück Verant- Deshalb frage ich zurück, ob sich nicht die Sozialde- wortung. mokratische Partei allmählich für eine Steuerpolitik entscheiden sollte, die Beschäftigung in Deutschland (Lebhafter Beifall bei der F.D.P. und der sichert, und ob sie nicht ihre Steuerpolitik korrigie- CDU/CSU) ren sollte, die Beschäftigung aus Deutschland ver- treibt. Die Kernfrage ist, ob es uns gelingt, eine neue Balance zwischen Beschäftigung und sozialer (Widerspruch bei Abgeordneten der SPD) 7502 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 86. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. Februar 1996

Dr. Wolfgang Gerhardt Denn immer noch brauchen wir Unternehmen, um gesetz, bei der Unternehmensteuerreform der 80er I die Beschäftigung zu sichern. Jahre kamen von der Opposition, nicht von uns. Wir hätten gern mehr an die Bürger zurückgegeben. (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne ten der CDU/CSU) (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne- ten der CDU/CSU) Wir befinden uns im übrigen mit unserer Steuer- politik in guter Gesellschaft. Der Sachverständigen- Die Lohnnebenkosten haben eine gewaltige Höhe rat hat komplett die Empfehlungen gegeben, die wir erreicht. Wir tragen zum Teil politische Verantwor- jetzt umsetzen. Wir bleiben auch nicht bei dem Pro- tung für diese Höhe; auch die Tarifpartner tragen blem der Gewerbesteuer stehen. Der Abbau des Verantwortung dafür. Solidarzuschlags, Herr Kollege Fischer, bedeutet keinen Rückzug aus der Solidarität; er geht auch Ich stelle einmal ganz einfache Fragen, weil diese nicht zu Lasten des Aufbaus in den neuen Ländern. Debatte auch übertragen wird und sie sich an die Er geht bei fairem Interessenausgleich auch nicht zu gesamte Gesellschaft richtet. Lasten der alten Länder. Das durch den Abbau des (Lachen bei Abgeordneten der SPD und des Solidaritätszuschlags zur Verfügung stehende Geld BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) geht bei fairer Verhaltensweise an den Steuerzahler in der Höhe zurück, wie es nicht mehr benötigt wird. - Nein, nein; Sie mißverstehen das jetzt; keine Vorur- Es handelt sich um eine faire und klare Verhaltens- teile. weise, die wir vorschlagen. Ist es denn wirklich eine Zumutung in einem Land, (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne das ein großes System sozialer Absicherung hat - ten der CDU/CSU) wenn man die Entwicklung in allen europäischen Nachbarländern beim Thema Lohnfortzahlung- Es ist nicht mehr als fair, von den Ländern zu erwar- betrachtet -, mindestens einmal darüber zu spre- ten, daß sie sich an die Absprachen erinnern, die chen, ob man über Bonus- und Malussysteme reden beim Solidarpakt getroffen worden sind. Der Bund ist kann, die die belohnen, die permanent da sind, und bereit, für seine Ebene die Rückgabe des von ihm ob man denen, die nicht immer da sind, sagt: Sie soll- nicht mehr benötigten Anteils vorzusehen. Ich ten solidarischer sein. Denn wer ehrlich ist, weiß, daß erwarte das auch von den Ländern. Um nichts mehr nicht jeder heftig krank ist, der fehlt. Ist es die Her- und nichts weniger geht es. Es greift hier niemand beiführung eines sozialen Härtefalls, wenn jemand den Ländern in die Tasche; es greift schon gar nie- eine vierwöchige Kur antritt und wir ihn bitten, viel- mand den Ländern in die Tasche, um etwas in die leicht fünf Tage seines Urlaubs zur Verfügung zu Bundestasche zu stecken. Wir sollten uns an die Ver- stellen, um eine solche Kur in dieser Gesellschaft zu abredungen halten, die wir gemeinsam getroffen ermöglichen? Ist das eine Zumutung? haben. Danach ist in der Mitte des nächsten Jahres der Zeitpunkt gekommen, 2 Prozentpunkte vom Soli- (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) daritätszuschlag an die deutschen Steuerzahler, von Ist es eine nicht vertretbare soziale Kälte in dieser Frankfurt an der Oder bis Krefeld und von Flensburg Gesellschaft, wenn man bei 42 arbeitsfreien Tagen bis Berchtesgaden, zurückzugeben. Darum handelt pro Jahr durch Urlaub und Feiertage den höchsten es sich bei diesem Thema. Freizeitbestandteil aller führenden Industrienationen (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne hat, egal, ob ein voller Tag für die Finanzierung der ten der CDU/CSU) Pflegeversicherung gebraucht wird oder nicht, diese Gesellschaft in Deutschland bittet, bereit zu sein, Wir wollen - das steht im Aktionsprogramm, und wenn die ältere Generation gepflegt werden muß, das zeigt, daß die Koalition in bezug auf eine wich- einen Tag mehr im Jahr zu arbeiten? Ist das eine tige Frage zusammenhält - ja auch in eine Tarifre- Überforderung? form weiter einsteigen. Die Rückführung des Soli- darzuschlages ist der Beginn einer Kursänderung in (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) der Steuerpolitik in Deutschland in Richtung auf eine Ist das soziale Kälte? Ist das die Demontage des Senkung von Steuern. Sozialstaates? (Beifall bei Abgeordneten der F.D.P.) Im Kern empfinden es die Menschen außerhalb Das ist richtig; das bestreitet auch niemand. Die des Parlaments als sehr gerecht, wenn wir diese Bei- Opposition soll sagen, ob sie zur Sicherung der träge einfordern, weil jeder jemanden kennt, der es Arbeitsplätze in Deutschland Steuersenkungen für sich zu Lasten der Solidargemeinschaft in diesem notwendig erachtet; sie soll die diesbezüglichen Grö- sozialen Netz bequem gemacht hat. Es gibt sehr ßenordnungen vorlegen, sie soll die Komponenten viele Leistungsbereite, die am Ende die Dummen nennen. Im anderen Fall soll sie sagen, daß sie das sind, wenn wir das nicht korrigieren. Das ist keine anders sieht. soziale Kälte; das ist ein Akt der Gerechtigkeit und der Solidarität. (Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [F.D.P.]: Sehr richtig!) (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) Jedenfalls wird es ihr nicht gelingen, den Eindruck Hier erwartet uns im Zuge des Aktionsprogramms zu erwecken, wir würden die Mehrwertsteuer erhö noch viel Arbeit und viele Auseinandersetzungen mit hen. Steuererhöhungsvorschläge beim Jahressteuer den Tarifvertragsparteien. Wir werden noch mit vie- Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 86. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. Februar 1996 7503

Dr. Wolfgang Gerhardt len Gruppen reden müssen. Ich kann nur den Appell gegenüber Neuem, Risikobereitschaft, Verantwor- an die Opposition richten: Seien Sie nicht die moder- tungsbereitschaft, Weitsicht statt Kleinkariertheit, vor nen Tabuwächter, seien Sie nicht die Modernisie- allem aber Bejahen dieses wirtschaftlichen Systems, rungsverweigerer unseres Standorts. das Arbeitslosigkeit offen zutage fördert, aber auch eminente Beschäftigungschancen bietet, wenn man (Katrin Fuchs [Verl] [SPD]: Sie wissen doch sie auf richtigem Wege nutzt. gar nicht, wovon Sie reden!) Es gibt offene Arbeitslosigkeit in einer Marktwirt- Sie wissen genausogut wie wir, daß wir Systeme schaft, aber auch Chancen zu ihrer Überwindung. Es umbauen müssen, daß wir schmerzhafte Eingriffe vor gibt Wegfall von Arbeitsplätzen und die Chance zu uns haben, daß wir uns verändern müssen und ein neuen. Eines aber gibt es nicht: Es gibt kein besseres Stück Wandel notwendig ist, um die Voraussetzun- Wirtschaftssystem, das nur im entferntesten die gen für die Zukunft zu schaffen. Mit Besitzstands- Sicherheit im sozialen Bereich gäbe wie unser wahrungsdenken, mit der Devise „Das haben wir System. Hinter dem Aktionsprogramm steht diese schon immer so gemacht" zu verfahren wird uns Auffassung und dieses Gedankengut. Wir begrüßen nicht weiterhelfen. es. hat Jedes andere europäische Nachbarland Die F.D.P. dankt dem Bundeswirtschaftsminister schmerzhafte Entscheidungen getroffen. Heute habe für seine Erarbeitung und dem Kabinett für das ich über holländische Debatten bei der Lohnfortzah- Zusammenwirken. lung im Krankheitsfall gelesen. Das würde hier über- haupt niemand vorschlagen, was dort diskutiert wer- (Lachen bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ den mußte. Das hat denen auch keinen Spaß DIE GRÜNEN) gemacht; aber sie haben gesehen, daß sie nicht anders entscheiden können, wenn sie sozialen Frie- Wir werden dieses Aktionsprogramm ganz klar und den, Beschäftigung und eine stabile Demokratie entschlossen Zug um Zug umsetzen. In gemeinsamer erhalten wollen. Arbeit innerhalb der Koalition werden wir diesem Programm zum Erfolg verhelfen, nicht wegen uns, (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) sondern wegen der Arbeitnehmer in Deutschland, Ich sage das deshalb, weil es um Arbeitsplätze die diesen Erfolg sehen wollen. geht und Arbeitsplätze in Deutschland auch notwen- (Anhaltender Beifall bei der F.D.P. und der dig sind, um nicht nur Beschäftigung zu haben. In CDU/CSU) keinem anderen Land ist nach zwei kollektiven Erfahrungen einer Hyperinflation und Arbeitslosig- keit die Angst um die Stabilität eines demokrati- Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Das Wort hat schen Systems so groß wie bei uns, wenn man jetzt jetzt der Abgeordnete Gregor Gysi. auf über vier Millionen Beschäftigungslose zugeht. (Hans Büttner [Ingolstadt] [SPD]: Die haben Dr. Gregor Gysi (PDS): Frau Präsidentin! Meine wir längst!) Damen und Herren! Herr Gerhardt, Sie haben zum Schluß Ihrer Rede dem Bundeswirtschaftsminister Die Kernfrage ist: Machen wir Einschnitte, bauen wir gedankt. Wer sich noch daran erinnert, wie Sie um, oder sehen wir tatenlos zu? gerade diesen Bundeswirtschaftsminister im Dezem- Die Bundesregierung hat sich zu unbequemen ber vergangenen Jahres abschießen wollten, weiß, Maßnahmen entschlossen. Das macht keine Freude; was er von der Glaubwürdigkeit einer solchen Aus- das schafft Widerstände. Die Richtung aber stimmt. sage zu halten hat. Das ist der ganz entscheidende Punkt beim Aktions- (Beifall bei der PDS) programm. Das ist das Wichtige. Diesen Glaubwürdigkeitscharakter hatte Ihre (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) gesamte Rede. Es geht uns deshalb um Beschäftigung in Deutsch- (Zuruf von der CDU/CSU: Tut sie auch!) land. Es geht uns um wirkliche Beseitigung von Arbeitslosigkeit. Sie haben zum Beispiel erklärt, daß die PDS die Menschen in den neuen Bundesländern täuscht, so, (Zuruf von der SPD: Seit 13 Jahren!) als ob die PDS regieren und Wahlversprechungen Es geht doch um Erleichterungen von Investitionen machen könnte. Wir haben immer gesagt, daß wir und nicht um Behinderung. Es geht um Erleichte- die Oppositionsrolle spielen werden - übrigens auch rung von Einstellungen und nicht um das Erschwe- in den Landtagen der neuen Bundesländer. Wir kön- ren. Es geht um das Verschieben von Hindernissen. nen diesbezüglich gar keine falschen Versprechun- Es geht um Beschleunigung von Investitionen. Es gen abgeben. Alle die, die die PDS gewählt haben, geht um Risikokapital für Existenzgründer. Es geht wußten, daß die PDS in Opposition geht. um schmerzhafte Entscheidungen, damit Lohnne- Falsche Versprechungen hat die Bundesregierung benkosten gesenkt werden. Ein Aktionsprogramm gemacht. Oder haben Sie etwa vergessen, was Sie reicht allein nicht aus. den Menschen in den neuen und in den alten Bun- Beschäftigungschancen in Deutschland setzen desländern im Jahre 1990 erklärt haben? Sie verspra- eine gesellschaftliche Haltung voraus: Offenheit chén „blühende Landschaften" und daß es keine 7504 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 86. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. Februar 1996

Dr. Gregor Gysi Steuererhöhungen geben wird. Nichts davon ist Rea- und ausschließlich diese. Auch nur für diese machen lität geworden. Sie hier Politik. (Beifall bei der PDS - Unruhe) (Beifall bei der PDS sowie bei Abgeordne- ten der SPD) Die Spezialität für falsche Versprechungen liegt wirklich bei Ihnen, nicht bei uns. Diese Politik betreiben Sie schon seit Jahren. Die Gewinne steigen in der Bundesrepublik Deutschland Wir beschäftigen uns heute mit dem Jahreswirt- seit Jahren; Sie behaupten immer etwas anderes. schaftsbericht und mit dem Problem der Massenar- Demgegenüber sind die Löhne real zurückgegangen beitslosigkeit. oder höchstens gleichgeblieben. Es gab seit Jahren gar keine Lohnsteigerungen mehr. Ist das Ergebnis Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Herr Abgeord- etwa ein Mehr an Arbeitsplätzen? In Wirklichkeit hat neter Gysi, warten Sie bitte einen Moment. - Ich Ihr Vorgehen nur zu weiterem Arbeitsplatzabbau bitte, den Gang da vorne frei zu machen. geführt. Wie sieht es bei den Steuern aus? 90 Prozent der Dr. Gregor Gysi (PDS): Frau Präsidentin, der Regie- Steuereinnahmen der Bundesrepublik Deutschland rungskoalition ist eigen, daß sie nicht zuhören kann. werden über die Einkommensteuer, die Lohnsteuer Deshalb kann sie auch nichts lernen. Da besteht ein und die indirekten Steuern wie die Mehrwertsteuer enger dialektischer Zusammenhang. erzielt. Das heißt, das bezahlen die Beschäftigten, die (Beifall bei der PDS sowie bei Abgeordne Arbeitslosen und andere in dieser Gesellschaft. Von ten der SPD - Widerspruch bei der CDU/ den Unternehmen kommen gerade noch 10 Prozent CSU und der F.D.P.) der Steuereinnahmen der Bundesrepublik Deutsch- land. - - Ich kann sehr gut zuhören, Herr Solms. Ich höre selbst der F.D.P. zu, so schwer es mir gelegentlich (Hans Michelbach [CDU/CSU]: Das stimmt fällt. doch überhaupt nicht!) Die Massenarbeitslosigkeit hat inzwischen einen Die großen Konzerne haben sich aus der Bezahlung gesellschaftszerstörerischen Charakter. Die offizielle der Bundesrepublik Deutschland restlos verabschie- Zahl der Arbeitslosen liegt bei über 4 Millionen. Real det. Diese 10 Prozent erbringt im wesentlichen der sind wir schon bei 8 Millionen, wenn man auch noch Mittelstand, die großen Konzerne schon längst nicht die prekären Arbeitsverhältnisse berücksichtigt - mehr. eine Zahl, die es in der Geschichte der Bundesrepu- (Beifall bei der PDS) blik Deutschland noch nie gegeben hat. Sie behaupten, Sie müßten die Sozialleistungen Sie, Herr Bundeskanzler, schmücken sich gerne kürzen, und das würde irgendwie Arbeit schaffen. mit Titeln wie das Monarchentum, zum Beispiel mit Mit der gleichen Begründung ist ja übrigens immer „Kanzler der Einheit". Sie müssen dann aber auch erklärt worden, daß der Solidaritätszuschlag gekürzt den Titel „Kanzler des größten Sozialabbaus und der oder gestrichen werden soll. höchsten Massenarbeitslosigkeit in der Geschichte der Bundesrepublik" akzeptieren, annehmen und Machen wir es doch einmal real: Wenn Sie, Herr daraus politische Schlußfolgerungen ziehen. Gerhardt, und ich durch Kürzung oder Streichung des Solidaritätszuschlags 100 DM oder 150 DM mehr (Beifall bei der PDS sowie bei Abgeordne im Monat haben - was passiert denn dann? Schaffen ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Sie oder ich einen Arbeitsplatz? Das ist doch blanker Was schlägt die Bundesregierung in einer solchen Unsinn, den Sie hier erzählen. Wir konsumieren Situation vor? Sie geht zunächst ein Bündnis für nicht einmal mehr, weil wir nämlich zu den Besser- Arbeit ein. Wenige Tage später macht sie daraus ein verdienenden gehören. Wir sparen höchstens mehr. Bündel gegen Arbeit. Wenn Sie der Sozialhilfeempfängerin 100 DM mehr geben würden, machte das Sinn: Die würde real (Beifall bei Abgeordneten der PDS) mehr konsumieren. Das heißt, dort können Sie die Kaufkraft stärken. Trennen Sie sich von Ihrer bisheri- Das kann man in dem 50-Punkte-Programm und in gen Klientel, und denken Sie wirklich einmal an die anderen Vorstellungen zweifellos nachlesen. sozial Schwachen in dieser Gesellschaft! Ich will mich mit Ihrer Argumentation durchaus (Beifall bei der PDS) auseinandersetzen. Sie sagen: Arbeit in Deutschland ist zu teuer; deshalb müßten Lohnnebenkosten und Sie schlagen immer Bürokratieabbau vor. Damit Löhne gesenkt werden. Sie sagen: Die Steuern für bin ich in hohem Maße einverstanden. Es gibt eine Unternehmen sind wie die für die Vermögenden und einzige Kritik an der DDR, die ich zurücknehmen Reichen zu hoch; deshalb müßten sie abgebaut wer- muß - alle anderen mußte ich, im Laufe zunehmen- den. Ich erinnere nur an den Vorschlag der F.D.P. zur der Erfahrung und Erkenntnisgewinnung, durchaus Streichung der Vermögensteuer. Sie können nun verschärfen -: Ich habe zu DDR-Zeiten immer nicht im Ernst erzählen, daß das eine Steuerstrei- behauptet, die DDR sei das bürokratischste Land der chung wäre, die die Sozialhilfeempfängerin oder den Welt. Da kannte ich aber die Bundesrepublik Lohnempfänger irgendwie entlastet. Diese Strei- Deutschland noch nicht. Sie war in dieser Hinsicht chung entlastet eine ganz bestimmte F.D.P.-Klientel eine harmlose Variante. Ich habe doch nicht geahnt, Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 86. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. Februar 1996 7505

Dr. Gregor Gysi daß man hier zwei Hochschulabschlüsse braucht, um Aus diesem Wirtschaftswunder haben Sie inzwi- in der Lage zu sein, einen Wohngeldantrag auszufül- schen ein Spekulationswunder gemacht. Das steht len. Wer zwingt Sie denn zu solch bürokratischen fest. Hemmnissen? (Beifall bei der PDS) (Beifall bei Abgeordneten der PDS) Ihre gesamte Steuerpolitik fördert doch gar nicht Das könnte man alles wesentlich einfacher, wesent- Wirtschaftstätigkeit, sie fördert Spekulation. lich unkomplizierter gestalten und damit übrigens auch sehr viel Geld sparen. Da Sie das mir nicht glauben, will ich einmal zitie- ren, was Wolfgang Mainz, der Vorsitzende des Bun- (Beifall bei Abgeordneten der PDS) desverbandes Junger Unternehmer, gesagt hat: Der eigentliche Grund für die strukturelle Arbeits- Wer sein Geld in Immobilien steckt, wird begün- losigkeit ist doch der, daß von immer weniger Men- stigt. Wer in junge Firmen investiert, geht leer schen in immer weniger Zeit immer mehr hergestellt aus. werden kann und auch hergestellt wird, das heißt die Produktivität zunimmt. Aber es gibt eben auch (Beifall bei der PDS) Bedarfsgrenzen. Selbst wenn der Traum der F.D.P. in Das ist die Realität in der Bundesrepublik Deutsch- Erfüllung ginge und alle Lohnabhängigen ehrenamt- land. lich tätig wären, überhaupt keinen Lohn mehr bezö- gen, würde das an dieser Tatsache überhaupt nichts Im vergangenen Jahr gab es beim An- und Ver- ändern: kauf von Derivaten, Aktien, Devisen etc. an Banken und Börsen Umsätze in Höhe von 6 Billionen DM - (Beifall bei Abgeordneten der PDS) alles steuerfrei! Wer hindert Sie denn daran, dort Die Zunahme der Produktivität hat ein solches Maß eine Abgabe festzulegen, um den öffentlichen erreicht, daß die Arbeit anders verteilt werden muß. Beschäftigungssektor zu finanzieren? - Niemand. Es gibt keinen anderen Weg, als die Arbeitszeit (Zuruf von der CDU/CSU: Wettbewerbsun- gerechter zu verteilen: Wir brauchen einen Abbau fähig!) der Überstunden und Arbeitszeitverkürzung. - Sie behaupten immer, die Löhne und die Lohnne- (Beifall bei der PDS) benkosten - darauf komme ich gleich noch - seien Damit die Nachfrage nicht zu stark nachläßt, muß schuld daran, daß die Betriebe abwandern. Selbst das zumindest für die Bezieher niedriger und mittle- der Bund Deutscher Industrie bestreitet das: Es ist rer Löhne mit einem vollen Lohnausgleich verbun- die Überbewertung der D - Mark und die mangelnde den sein. Binnennachfrage, die die Unternehmen dazu brin- gen, ins Ausland zu gehen, um an die Märkte heran- (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: So haben zukommen. Das hat mit den Löhnen nichts zu tun. Sie ein ganzes Land kaputtgemacht!) Das bestätigen Ihnen auch die Unternehmer in die- sem Lande, zumindest die, die wirklich noch etwas Zwei Milliarden Überstunden - das sind rein theo- retisch mehr als 800 000 Arbeitsplätze. Ein Arbeits- unternehmen. Das ist ja auch schon eine Rarität zeitgesetz könnte ganz schnell Abhilfe von diesem geworden. Übel schaffen. Aber nichts tun Sie in dieser Richtung. (Beifall bei der PDS) Wir brauchen eine Umbewertung der Arbeit, das Überhaupt: Sie diskutieren immer über Löhne auf heißt, wir müssen endlich auch Tätigkeiten im Repro- der unteren Ebene, Sie diskutieren über Kuren für duktionsprozeß finanziell anerkennen: die Erziehung Kranke, Sie diskutieren über die Lohnfortzahlung für und Betreuung von Kindern, die Pflege älterer Leute. Kranke. Das sind Ihre Themen. Wann diskutieren Sie All das ist doch Arbeit; sie wird nur nicht bezahlt. eigentlich einmal über die Spitzengehälter in dieser Deshalb fordern wir eine soziale Grundsicherung. Gesellschaft? Was leistet denn eigentlich dieses deut- (Beifall bei der PDS) sche Management? Es gibt Länder, in denen es wesentlich weniger verdient und in denen es wesent- Wir brauchen natürlich einen öffentlichen Beschäf- lich kreativer ist. Ich glaube, es ist heillos überbe- tigungssektor. Wenn Sie keine soziale Katastrophe zahlt und dadurch ziemlich lahm geworden in dieser provozieren wollen, können Sie den Staat nicht aus Gesellschaft. seiner sozialen und kulturellen Verantwortung ent- lassen. Durch die Schaffung eines öffentlichen (Beifall bei der PDS) Beschäftigungssektors könnte sehr viel Arbeit erle- Wer über Armut spricht, der muß auch über Reich- digt werden, die jetzt liegenbleibt: im ökologischen tum sprechen. Bereich, im sozialen Bereich, im kulturellen Bereich, im Bildungsbereich. Wir brauchen eine ökologische (Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl: Reden wir Umgestaltung. einmal über die PDS und die geheime Kasse, über die Millionen, die sie herausge- Wir brauchen sicherlich auch Wirtschaftsförde- schafft hat!) rung. Die Bundesrepublik hat behauptet, in den 50er Jahren hätte - darauf war sie immer so stolz - hier ein - Ach Gott Herr Bundeskanzler, wenn Ihre Geheim- Wirtschaftswunder stattgefunden. Ich kann das nicht dienste halbwegs funktionierten, würden Sie wissen, bewerten. Aber selbst wenn es so war, Herr Rexrodt: wie arm die PDS ist. Wenn sie Sie diesbezüglich auch 7506 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 86. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. Februar 1996

Dr. Gregor Gysi noch falsch informieren, dann schaffen Sie sie gleich dafür sorgen, daß künftig die Unternehmen ihre Bei- ab! Aber was haben Sie selbst mit dem eingezoge- träge in die Versicherungssysteme in Abhängigkeit nen Parteigeld gemacht? Nur Mist! Es ist nicht etwa vom Umsatz und Gewinn, aber nicht mehr von der sinnvoll verwendet worden zum Aufbau der neuen Zahl der Beschäftigten, nicht mehr von der Brutto- Bundesländer. Das wäre sozusagen noch verständ- lohnsumme zahlen müssen. Dann würden Sie wirk- lich und verträglich gewesen. lich etwas für die Unternehmen tun, die Arbeits- plätze sichern und schaffen, und gegen jene, die nur (Widerspruch bei der CDU/CSU) hohe Gewinne produzieren, ohne Arbeitsplätze oder Dann reden Sie immer von der Förderung des Mit- nur ganz wenige zu sichern und zu schaffen. Eine telstandes. Reden Sie doch einmal mit dem Mittel- solche Reform brauchen wir ganz dringend. stand. Das sind doch die einzigen, die hier noch Steu- (Beifall bei der PDS) ern bezahlen. Sie können doch heute ein Grundstück kaufen, und wenn Sie zwei Jahre warten und es mit Wenn Sie das Geld für eine soziale Grundsiche- einem Reingewinn von 3 Millionen DM oder rung und für einen öffentlichen Beschäftigungssek- 4 Millionen DM weiterverkaufen, dann zahlen Sie tor haben wollen und damit wirklich mehr Erwerbs- auf diesen Spekulationsgewinn keinen Pfennig Steu- tätigkeit in der Bundesrepublik Deutschland, dann ern. Fragen Sie einmal einen Einzelhändler, was er müßten Sie allerdings die Steuerhinterziehung an Steuern abführen muß, wenn er bloß 50 Sakkos bekämpfen. Wieso kein Wo rt dazu in Ihrer Rede, verkauft. Das ist die Realität in dieser Bundesrepu- Herr Rexrodt? Wieso kein Wort dazu in Ihrer Rede, blik Deutschland. Sie unterstützen gar nicht Wi rt Herr Gerhardt? Sie haben sich hier hingestellt und -schaftstätigkeit, Sie unterstützen Spekulationstätig- gesagt: Jeder kennt doch einen, der es sich in unse- keit. rem sozialen Netz bequem macht. Sie wollen doch damit nichts weiter als den Stachel löcken und die- (Beifall bei der PDS) sozial Schwachen auch noch gegeneinander aufbrin- Das Finanzkapital muß wesentlich anders gen und sagen: Da ist ein Kranker, der in Wirklich- besteuert werden, als das gegenwärtig der Fall ist. keit nur faul ist. Das ist Ihre Politik. Ich sage Ihnen: Investitionshilfen sind sinnvoll, aber (Beifall bei der PDS) nicht, wie Sie das vorhaben, nach dem Volumen der Investition; denn das bedeutet, daß Sie auch die Aber wo blieb denn Ihre Kritik an der milliardenfa- Investitionen fördern, die Arbeitsplätze vernichten. chen Steuerhinterziehung in dieser Gesellschaft? Das Sie müssen Investitionen fördern, die Arbeitsplätze kritisieren Sie nicht, weil die Steuerhinterzieher die sichern oder Arbeitsplätze schaffen. Das muß der eigentliche Klientel der F.D.P. sind. Das ist nämlich Maßstab von Investitionsförderung sein. die Realität. Das wissen Sie auch. (Beifall bei der PDS) (Beifall bei der PDS sowie bei Abgeordne- ten der SPD) Auch das lehnen Sie in Ihrer Regierungspolitik kon- sequent ab. Wissen Sie, was Frankreich mit einem ganz kon- servativen Präsidenten, mit einem Chirac an der Und dann brauchen wir eine Umverteilung auch Spitze, gemacht hat? Es hat jetzt einen Gesetzesvor- zwischen den Unternehmen, zumindest wenn es eine schlag gemacht - ich entnehme dies einer dpa-Mel- arbeitsplatzorientierte Politik sein soll. Ich komme dung -: hier auf einen alten Vorschlag zurück, und damit sind wir auch bei den Lohnnebenkosten. Heute ist es Der französische Fiskus soll künftig multinationa- doch so, daß jedes Unternehmen 50 Prozent in die len Konzernen und ihren Tochtergesellschaften Sozialversicherungssysteme einzahlt, entsprechend in Frankreich genauer auf die Finger sehen und der Zahl seiner Beschäftigten und der Bruttolohn versteckte Gewinntransfers unterbinden. Das summe. Die anderen 50 Prozent zahlen die Arbeit- Kabinett verabschiedete am Mittwoch in Pa ris nehmerinnen und Arbeitnehmer. Das ist ein Modell einen Gesetzentwurf, mit dem so Steuerausfälle aus der bismarckschen Zeit. Da machte das vielleicht verhindert werden sollen. Jährlich gehen Schät- auch noch Sinn, weil damals die Unternehmen groß zungen zufolge zweistellige Milliardenbeträge und stark waren, die viele Beschäftigte hatten und verloren. die eher klein und schwach, die weniger Beschäf- Das ist in Deutschland nicht anders, nur daß wir eine tigte hatten. Heute, in den Zeiten der modernen Regierung haben, die sich nie wagen würde, gegen Technologien, ist das ein absurdes System. Denn ich multinationale Konzerne Steuergesetze zu erlassen kann Ihnen im Bereich der Hochtechnologie ein und sie auch noch durchzusetzen. Das ist nämlich die Unternehmen zeigen mit 100 Beschäftigten und dop- Realität in unserer Gesellschaft. pelt so hohen Umsätzen wie ein anderes Unterneh- men, das arbeitsintensiv ist und 1 000 Beschäftigte (Beifall bei der PDS sowie bei Abgeordne- hat. Das erste muß nur für 100 Beschäftigte in die ten der SPD) Versicherungssysteme einzahlen, das andere aber für 1000, und zwar unabhängig davon, ob die Deshalb bitte ich Sie zum Schluß um eines: Hören Umsätze steigen oder zurückgehen. Das ist völlig Sie mit der Entsolidarisierung auf. Hören Sie auf, unflexibel. den Solidarzuschlag zu nutzen und diese komischen Bruttosummen beim Geldtransfer, um die Ostdeut- Lassen Sie uns etwas für Arbeitsplätze tun. Lassen schen und die Westdeutschen gegeneinander auszu- Sie uns ein Reformmodell angehen. Lassen Sie uns spielen. Hören Sie auf, die sozial Schwachen gegen- Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 86. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. Februar 1996 7507

Dr. Gregor Gysi einander zum Teil sogar aufzuhetzen. Hören Sie auf, weil man die gleiche Menge an Gütern, sogar immer Inländerinnen und Inländer und Ausländerinnen mehr Güter mit immer weniger Menschen herstellen und Ausländer gegeneinander auszuspielen. kann. Das ist das Problem. Es ist doch absurd, die Ursache für die gegenwärtige Beschäftigungssitua- Dazu, Herr Scharping, muß ich Ihnen eines sagen. tion, wie das heute morgen geschehen ist, bei der Es gibt einen schlimmen Satz von Ihnen. Ich hoffe, Bundesregierung zu suchen. Sie nehmen ihn zurück. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Herr Abgeord- neter, Ihre Redezeit ist vorbei. Es ist absurd, denn es ist in allen westlichen Indu- strieländern die gleiche Situation. Es ist auch die gleiche Situation in allen Bundesländern der Bundes- Dr. Gregor Gysi (PDS): Es ist der Satz: republik Deutschland, wo niemand will, daß dort die In einem Land, in dem es 4 Millionen Arbeitslose Ursachen für die gegenwärtige Beschäftigungssitua- gibt, macht es keinen Sinn, 800 000 Arbeitser- tion gesucht werden. laubnisse an Ausländer zu erteilen. Dann müßte Was die Bürger von uns erwarten, ist nicht eine man erst einmal deutsche Arbeitnehmer berück- polemische Auseinandersetzung, sondern eine Zu- sichtigen. sammenarbeit, ein Zusammenwirken, Nein, das ist ein schlimmer Satz, weil er an der ganz (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) falschen Stelle entsolidarisiert. (Beifall des Abg. Joseph Fischer [Frankfurt] ein Wahrnehmen der Verantwortung von Arbeitge- [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) bern und Arbeitnehmern, von Unternehmern, Betriebsräten und Belegschaften, die nämlich hervor- Das ist eigentlich Regierungspolitik. Das sollte nie ragend mitmachen. Die Banken sind gefordert, Risi- Oppositionspolitik werden. ken und Existenzgründungen zu finanzieren. (Beifall bei der PDS) (Michael Glos [CDU/CSU]: So ist es!)

Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Das Wort hat Bund, Länder und Gemeinden sind gefordert. Wis- jetzt der Herr Ministerpräsident des Landes Baden- senschaft und Forschung sind gefordert. Wir alle ste- Württemberg, Erwin Teufel. hen in der Verantwortung. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Ministerpräsident Erwin Teufel (Baden-Württem- berg): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Das erwarten die Bürger, das erwartet die Wirtschaft, Damen und Herren! Wer sich wirklich ernsthaft und und das tut die Bundesregierung mit dem Bündnis objektiv und nicht in polemischer Absicht, hier eine für Arbeit. Deswegen handelt in Wahrheit verantwor- Debatte zu gewinnen, dem Thema wirtschaftliche tungslos, wer ausschließlich eine polemische Ausein- Herausforderung und Beschäftigung nähert, der andersetzung sucht. kommt sehr schnell zu den wirklichen Ursachen. (Zuruf von der SPD: Kommen Sie doch ein- Erstens: eine Verschärfung des internationalen mal zur Sache!) Wettbewerbs. Viele sind in den letzten Jahren stär- ker geworden. Sie sind bescheidener geblieben. Meine Damen und Herren, das gemeinsame Ziel heißt: Vorrang für Investitionen, Vorrang für Arbeits- Zweitens: Globalisierung. Wir haben es auf allen plätze, Vorrang für wirtschaftliches Wachstum. Märkten der Welt, auch auf dem heimischen Markt Bundesrepublik Deutschland, mit den gleichen Wett- (Ernst Schwanhold [SPD]: Vorrang wovor?) bewerbern zu tun: ein Kapitalmarkt, ein Markt für Wissen und neue Technologien. Das von der Bundesregierung vorgelegte Aktions- programm trägt diesem Ziel Rechnung. Drittens, das ist das Entscheidende für die Beschäf- tigung -: Wir sind in einem revolutionären Struktur- (Widerspruch bei der SPD) wandel des sekundären Sektors, des produzierenden - Im Unterschied zu der Rede von Herrn Scharping Bereiches. habe ich im Programm der Bundesregierung 50 kon- Wir sind in einer Situation, fürchte ich, wie beim krete Punkte gefunden. Übergang von der Agrargesellschaft zur Industriege- sellschaft. Vor hundert Jahren sind in diesem Land (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. - noch 50 Prozent in der Landwirtschaft beschäftigt Widerspruch bei der SPD - Anke Fuchs gewesen. Heute sind es keine 3 Prozent. Nun kommt [Köln] [SPD]: Ladenhüter!) aber der entscheidende Satz: Diese 3 Prozent produ- Herrn Scharpings Rede gipfelte in dem Satz: Tun Sie zieren heute mehr als früher die 50 und 70 Prozent. etwas. Aber er hat nicht gesagt, was er tun will. (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Und preis- werter!) (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. - Zuruf von der CDU/CSU: Er weiß auch Wir sind heute in einer Situation, daß im produzie- nichts! - Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Sie renden Bereich zuhauf Arbeitsplätze verlorengehen, haben immer noch nicht zugehört!) 7508 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 86. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. Februar 1996

Ministerpräsident Erwin Teufel (Baden-Württemberg) Der wichtigste Satz des Aktionsprogramms für so daß wir ab übermorgen jene Förderung erreichen Investitionen und Arbeitsplätze ist der erste Satz: können, die Sie hier jetzt wollen?

Neue Arbeitsplätze entstehen zumeist in neu (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ gegründeten Unternehmen und im Mittelstand. DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS) (Zuruf von der CDU/CSU: Richtig!)

Das ist auch meine Erfahrung, wenn ich bei einer Ministerpräsident Erwin Teufel (Baden-Württem- Meisterlossprechungsfeier einer Handwerkskammer berg): Frau Kollegin, ich war sogar zu sehr viel mehr bin. Wenn eine solche Kammer unter tausend jungen bereit. Im Unterschied zu allen sozialdemokratisch Meisterinnen und Meistern eine Umfrage durch- geführten Länderregierungen war ich bereit, führt, sagen 70 Prozent, daß sie die Absicht haben, sich selbständig zu machen. Wenn ich eine solche (Zustimmung bei der CDU/CSU und der Umfrage bei Abgängern unserer Universitäten und F.D.P.) Hochschulen machen würde, käme dabei ein ver- nichtend geringer Prozentsatz heraus. schon im Dezember letzten Jahres im Bundesrat den Vorschlag der Bundesregierung zu akzeptieren und (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) nicht in den Vermittlungsausschuß zu gehen, damit diejenigen, die die Meisterprüfung in 1996 machen, Aber das liegt nicht an den Studenten, sondern Meister-BAföG bekommen. Das haben Sie verhin- daran, daß jemand, der die Meisterprüfung gemacht dert, nicht wir. hat, etwas von Selbständigkeit gehört hat: von Unter- nehmensführung, von Menschenführung, vom Steu- (Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU - Bei- errecht, vom Gewerberecht und von Ausbildung. fall bei der F.D.P. - Widerspruch bei der Das alles war Teil seiner Ausbildung. Von alledem SPD - Abg. Anke Fuchs [Köln] [SPD] mel- hört jemand, der an einer unserer Hochschulen stu- det sich zu einer weiteren Zwischenfrage) diert, nichts. - Sie sehen auch nach der zweiten Frage nicht besser (Zustimmung bei der CDU/CSU - Siegfried aus, Frau Kollegin. Hornung [CDU/CSU]: Leider!) (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU Deswegen müssen wir an dieser Stelle ansetzen und und der F.D.P. - Abg. Jörg Tauss [SPD] mel- müssen dafür sorgen, daß wir den jungen Leuten, det sich zu einer Zwischenfrage) deren höchstes Lebensideal noch nicht in der 35- Stunden-Woche und noch nicht darin besteht, daß sie Freitag mittag ihr Boot am Bodensee oder einen Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Herr Minister- Wintersportort im Montafon erreichen, helfen. Sie präsident, es gibt noch weitere Wünsche nach einer haben eine qualifizierte Ausbildung; aber sie haben Zwischenfrage. nicht das erforderliche Startkapital. Da müssen wir ansetzen! (Dr. Wolfgang Schäuble [CDU/CSU]: Nein! - Weitere Zurufe von der CDU/CSU: Nein, (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) nein!)

Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Herr Minister- Ministerpräsident Erwin Teufel (Baden-Württem- präsident, gestatten Sie eine Zwischenfrage der berg): Meine Damen und Herren, erstens: Ich halte Abgeordneten Anke Fuchs? es für richtig, daß die Bundesregierung stärker in die Existenzgründung einsteigt. Wir haben diese Politik in Baden-Württemberg seit Jahren bet rieben. Ministerpräsident Erwin Teufel (Baden-Württem- berg): Frau Präsidentin, ich kenne nicht die Gepflo- Zweitens: Risikokapital. Wir müssen Märkte für genheiten dieses Hauses. Wenn das Ganze nicht auf Risikokapital in unserem Land schaffen. Wir brau- meine Redezeit angerechnet wird, sehr gerne. chen eine Börse für Risikokapital, Beteiligungskapi- tal. Es muß derjenige steuerlich belohnt werden, der sein Geld nicht in Schiffsbeteiligungen und Flug- Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Bitte. zeugbeteiligungen steckt, sondern in mittelständi- sche Betriebe, die bereit sind, in Hochtechnologie zu investieren. Anke Fuchs (Köln) (SPD): Herr Ministerpräsident, sind Sie auf Grund Ihrer flammenden Rede für das (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Meister-BAföG bereit, auf die Bundesregierung ein- ordneten der F.D.P. - Zuruf von der SPD: zuwirken, damit das Ergebnis des Vermittlungsaus- Machen Sie es doch!) schusses in Sachen Meister-BAföG von ihr akzeptiert wird, Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Herr Minister- (Dr. Wolfgang Schäuble [CDU/CSU]: Das präsident, wollten Sie keine Zwischenfragen mehr verfassungswidrig ist!) zulassen? Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 86. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. Februar 1996 7509

Ministerpräsident Erwin Teufel (Baden-Württem- - Ich habe den Eindruck, Sie haben das 50-Punkte- berg): Nein. Aktionsprogramm der Bundesregierung noch gar nicht gelesen. (Zuruf von der SPD: Zur Sache!) (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ - Da vorher so wenig zur Sache gesagt worden ist, DIE GRÜNEN]: Doch!) würde ich gerne ein paar Sätze mehr zur Sache sagen. Da steht es nämlich drin. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) (Zustimmung bei der CDU/CSU und der F.D.P. - Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜND- Drittens: Investitionen begünstigen. Denn Investi- NIS 90/DIE GRÜNEN]: Nach 1998!) tionen bringen Arbeitsplätze. Die Wirtschaft in Deutschland braucht Luft zum Atmen, damit sie inve- Dazu hat der CDU-Bundestagsabgeordnete Uldall stieren und Arbeitsplätze schaffen kann. Deswegen ganz vernünftige Vorschläge gemacht, auf die ich liegt die Bundesregierung richtig, wenn sie die mich beziehen kann. Gewerbekapitalsteuer beseitigen will. Meine Damen und Herren von der SPD, Sie haben verhindert - das (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) ist vorher völlig zu Recht gesagt worden -, daß dieser Fünftens. Die Belastung für die Bürger muß redu- wichtige Abschnitt 1995 in das Jahressteuergesetz ziert werden. hineingekommen ist. Sonst wäre er bereits Gesetz. Die betriebliche Vermögensteuer muß weg, und die (Zuruf von der SPD: Sehr richtig!) Blockadehaltung der SPD im Bundesrat in diesen Fragen muß weg. Wir müssen die Steuerbelastung für die Bürger und die Wirtschaft senken. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) (Zuruf von der SPD: Dann macht das doch! Wir müssen allerdings auch an den Mittelstand - Weitere Zurufe von der SPD) und an das Handwerk denken. - Ich spreche jetzt gerade nicht von den Zwischenru- (Otto Schily [SPD]: Aber sehr spät!) fern, sondern von den Menschen, die Leistung brin- Das Handwerk hat sich in den Zeiten der Rezession, gen in Deutschland. Anfang der 90er Jahre, als der stabilste Wi rtschafts- (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU zweig erwiesen. und der F.D.P.) (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Wir dürfen nicht an den Punkt kommen, an dem Das Handwerk ist auch der Ausbilder der Nation. die Menschen sagen: Leistung lohnt sich nicht mehr Deswegen denken wir an Mittelstand und Hand- in diesem Land; investieren lohnt sich nicht mehr in werk, diesem Land. - Deshalb sind nicht neue Belastungen, sondern Entlastungen für Bürger und Wi rtschaft das (Zuruf von der SPD: Wir auch!) Gebot der Stunde und der kommenden Jahre. und deswegen muß auch eine mittelstandsfreundli- Wir müssen den Solidaritätszuschlag in Stufen sen- che Senkung der Gewerbeertragsteuer Teil unseres ken. Ich stehe voll und ganz hinter dem Vorschlag Programms sein. der Bundesregierung. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. - Lachen bei der SPD und beim BÜNDNIS 90/ Meine Damen und Herren, ich füge hinzu: Ich DIE GRÜNEN) wäre auch dafür, daß wir diejenigen mittelständi- schen Betriebe, die Gewinne im Bet rieb lassen, wie- Die Steuerbelastung der Bürger und der Wirtschaft der investieren und damit Arbeitsplätze schaffen, hat eine absolut kritische Grenze erreicht. anders besteuern, geringer besteuern als diejenigen Betriebe, die Gewinne entnehmen. (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Ist ja toll! Des Teufels (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU - Umfall!) Zuruf von der SPD: Machen Sie es doch ein- mal!) Warum, frage ich allerdings, decken Sie die posi- tive Botschaft mit einer Debatte über die Finanzie- - Meine Damen und Herren, ich erschrecke nicht, rung zu, die zumindest zur Unzeit geführt wird? Bis wenn Sie einem vernünftigen Vorschlag zustimmen. zum 1. Juli 1997 ist es noch weit. Legen wir doch im (Zustimmung bei der CDU/CSU) Herbst 1996 Zahlen auf den Tisch - Sie vom Bund, wir von den Ländern. Gleichen wir dann die Zahlen Viertens. Das Steuerrecht muß wesentlich verein- ab, wie das regelmäßig durch Abgleich der Dek- facht werden. kungsquote erfolgt: Hat sich etwas zugunsten der Länder verschoben, findet ein Ausgleich zugunsten (Zuruf von der SPD: Machen Sie es doch! - des Bundes statt. Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Warum tun Sie das denn (Dr. Wolfgang Schäuble [CDU/CSU]: Ja, so erst 1998 und nicht jetzt?) wünschen wir es!) 7510 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 86. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. Februar 1996

Ministerpräsident Erwin Teufel (Baden-Württemberg) Hat sich etwas zu Lasten der Länder verschoben, halb Heimfahrten mit diesem Dienstfahrzeug auf der haben sie einen Ausgleichsanspruch. So geht man Basis von 150 000 DM versteuern. doch unter vernünftigen Pa rtnern und unter erwach- senen Menschen miteinander um. (Brigitte Baumeister [CDU/CSU]: Absoluter Unsinn! - Weiterer Zuruf von der CDU/ (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) CSU: Wahnsinn!) Man beschimpft, bedroht und erpreßt sich doch nicht Das Schlimmste aber ist, daß diese gesetzliche gegenseitig, und das noch über die Medien. Glauben Neuregelung Arbeitsplätze kostet, nämlich in der Sie, daß so das Vertrauen in die Politik wächst? Automobilindustrie: ein Einbruch von heute schon Sechstens. Zwei Probleme müssen ganz kurzfristig zwei bis drei Milliarden DM - Zahlen von gestern -, gelöst werden, deren Regelungen ganz und gar tausend Arbeitsplätze sind gefährdet. Deswegen unsinnig aus dem Vermittlungsausschuß - und nicht melden sich nicht nur Vorstandsvorsitzende, sondern von der Bundesregierung - gekommen sind. Erstens es melden sich alle Betriebsratsvorsitzenden der nenne ich die gegenwärtige Reisekostenregelung, Automobilindustrie und der Zuliefererindustrie bei die seit vier Wochen gilt. Muß man die Leistungsträ- mir. ger wirklich wegen einer Randfrage so verärgern, (Zurufe von der CDU/CSU: Hört! Hört!) wie das gegenwärtig geschieht? Beseitigen Sie auf dem schnellsten Weg den Scha- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) den, den Sie im Vermittlungsausschuß ange richtet Wer Außendienst macht, hat es doch in der Regel haben! schwerer als der, der Innendienst macht. Kein Mitar- beiter macht gerne Kundenbesuche, wenn er aus der (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. - eigenen Tasche draufzahlen muß. Das ist mit der Widerspruch bei der SPD) neuen Reisekostenregelung der Fall: Bis zu zehn - Nein, nein, nicht mit dem Finger hier herüber zur Stunden unterwegs überhaupt nichts, von zehn bis Bundesregierung zeigen, sondern hier herüber zei- vierzehn Stunden 10 DM, bei mehr als vierzehn Stun- gen, zur Mehrheit der Länder! den 20 DM, miserable Sätze im Ausland - das ist, aus der Sicht Baden-Württembergs betrachtet, sehr viel (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) schlechter als im Nachbarland Schweiz und im Nach- barland Österreich. Die Neuordnung ist völlig welt- Siebtens. Neue Arbeitsplätze entstehen nur durch Deutsch- fremd. neue Produkte und neue Dienstleistungen. lands Wirtschaft leidet unter einem Mangel an neuen Was die Betriebe darüber zahlen, was die öffentli- Produkten. Wissenschaftsminister Rüttgers hat vor che Hand - sie hat höhere Sätze - darüber zahlt, muß zwei Wochen eine Studie vorgestellt, die den Rück- besteuert werden, und zwar mit einem ungeheuren stand der deutschen Wi rtschaft in Forschung und Verwaltungsaufwand. Allein das Landesamt für Entwicklung belegt. Besoldung in Baden-Württemberg meldet 60 Stellen an. Diese Geschichte muß also weg. ( [SPD]: Ergebnis von 13 Jahren! - Weitere Zurufe von der SPD) (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) - Jetzt hört es aber auf! Lesen Sie einmal das Wahl- Neuregelung durch Herbeiführung des alten Zustan- programm Ihrer Partei in Baden-Württemberg! Da des so schnell wie möglich: Eine Bundesratsinitiative steht kein Wort von Biotechnologie drin. Dann lesen Baden-Württembergs steht morgen im Bundesrat auf Sie einmal das Programm der Grünen. Da steht d rin, der Tagesordnung. daß Biotechnologie abgelehnt wird. Sie machen das (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) gleiche, was Sie beim Chip gemacht haben: Diskus- sionen unter der Überschrift „Jobkiller". Derweil lau- Das zweite ist die Dienstwagenregelung. Wenn fen die anderen, die Japaner und die Ame rikaner, man Neid und Ideologie wegläßt, findet man dafür davon, und wir fallen zurück. Das ist nämlich die überhaupt keine Begründung. Warten Sie einmal ab, Situation. bis jeder von Ihnen die Rechnung für die Heimfahr- ten vom Arbeitsplatz bis zur Wohnung bekommt. Da (Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU - Bei- kommen gut und gern 20 000 DM zusätzlich zu ver- fall bei der F.D.P.) steuerndes Einkommen heraus. Bemessungsgrund- Wir müssen uns mit aller Kraft auf diese Punkte lage ist der Listenpreis eines Fahrzeugs. Ist ein konzentrieren: Förderung der Forschung - wir haben Gebrauchtwagen durch mehrere Hände gegangen, Spitzenforschung in Deutschland, aber wir brauchen läßt sich der Listenpreis oft gar nicht mehr feststellen. zu lange, bis die Forschungsergebnisse in neue Pro- Der Kauf eines Gebrauchtwagens ist ohnehin unin- dukte und neue Produktionsverfahren umgesetzt teressant, weil Sie auch noch im vierten oder sech- sind -, sten Lebensjahr eines Autos auf der gleichen Basis den Neuwagenpreis versteuern. (Zuruf von der CDU/CSU: So ist es!) Das unsinnigste Beispiel nannte mir der Leiter der Technologietransfer, Umsetzung der Forschungser- Stadtwerke in Mannheim. Seine Monteure haben gebnisse, steuerliche Begünstigung der Forschung einen bestens ausgestatteten VW-Bus mit einem und Entwicklung in den Bet rieben, Wert von über 150 000 DM während des Bereit- schaftsdienstes bei sich zu Hause und müssen des- (Zuruf von der SPD: Machen Sie es doch!) Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 86. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. Februar 1996 7511 Ministerpräsident Erwin Teufel (Baden-Württemberg) Förderung von innovativen Unternehmen, auch wie man auf dem schnellsten Weg eine Stromsteuer durch die Banken, mit längerem Atem als nur in der einführen kann, um das wieder zu konterkarieren. ersten Phase der Existenzgründung. Das dritte Jahr ist das schwierigste Jahr; bei der Umsetzung etwa im (Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Ist auch richtig! pharmazeutischen oder biotechnologischen Bereich Sie haben nichts kapiert!) kann es acht oder neun Jahre dauern. Also muß man Jetzt haben wir in einer Se rie von Steuer- und Bei- mit langem Atem fördern. tragserhöhungen, auch kommunalen Gebührenerhö- (Jörg Tauss [SPD]: 13 Jahre!) hungen, zum erstenmal einen Lichtblick. Wir haben seit dem 1. Januar in Baden-Württemberg um Säen, investieren, neue Technologien bejahen und 8 Prozent niedrigere Strompreise für jeden Haushalt gestalten: Gefragt ist nicht mehr die Perfektionierung und um 12 bis 14 Prozent niedrigere Strompreise für vorhandener Produkte, sondern der Mut und die Risi- die Industrie. Jetzt möchte ich diesen Wettbewerbs- kobereitschaft, in technologisches Neuland vorzusto- vorteil halten und nicht mit neuen Wieselwörtern ßen. Das brauchen wir in Deutschland! (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) ordneten der F.D.P.) Achtens. Wir müssen überall Arbeitsplätze fördern, wie ökologische Steuerreform - denn Ökologie klingt überall, und nicht nur die Sätze für Beschäftigte im ja so gut - und Stromsparsteuer - damit verbindet Haushalt erhöhen. Wir müssen die Ideologie auf die- sich ja etwas Positives - neue Steuern erfinden, um sem Gebiet beseitigen, die Bürger zu belasten. (Zuruf von der CDU/CSU: Richtig!) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- - Stichwort: Dienstmädchenprivileg. ordneten der F.D.P.) (Zuruf von der CDU/CSU: So ist es!) Ich lasse mich auch bei den Hochschulen beim Wort nehmen. Zu Recht steht in diesem Programm, Ich sage: Jedem, der Beschäftigung schafft, müs- daß wir die Studienzeiten verkürzen müssen. Auch sen wir den Status des Arbeitgebers geben. Wer die Länder müssen sich in die Pflicht nehmen lassen. auch immer stundenweise Arbeitsplätze, Halbtags- Wir haben in Baden-Württemberg Berufsakademien, oder Ganztagsarbeitsplätze schafft, muß das selbst- an denen 12 000 junge Abiturientinnen und Abituri- verständlich steuerlich geltend machen können. enten studieren. Sie machen nach drei Jahren Exa- men. Mir graust bei dem Gedanken, diese 12 000 Neuntens. Wir müssen die 590-Mark-Jobs beibe- wären auch an den Universitäten. Sie würden erstens halten, die dreifache Zeit studieren, und sie hätten zweitens (Michael Glos [CDU/CSU]: Richtig!) wesentlich schlechtere berufliche Chancen. Wir brauchen sie in der Gastronomie und in der mit- (Zuruf von der CDU/CSU: So ist es!) telständischen Wirtschaft. Wir sind das fachhochschulreichste Land der Bun- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) desrepublik. Wer nach vier Jahren mit zwei Jahren Praxissemestern Examen macht, erleidet keinen Pra- Wir dürfen sie nicht aus ideologischen Gründen xisschock. Der Rektor der Universität Heidelberg - beseitigen. ich kann das öffentlich sagen, ohne daß ich Daten- schutzvorschriften verletze - hat kürzlich in einer (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge Pressekonferenz gesagt, er habe eine ganze Menge ordneten der F.D.P.) von Studenten, die im 25. Semester an seiner Univer- Zehntens. Die Wirtschaft erwartet vom Staat eine sität immatrikuliert seien. Er nannte einen Landtags- Entbürokratisierung und eine Beschleunigung und abgeordneten, der im 28. Semester an der Universität Vereinfachung von Genehmigungsverfahren. Die Heidelberg immatrikuliert ist. Bundesregierung liegt mit ihren Beschlüssen vom (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU) 11. Januar richtig, aber die Wi rtschaft sagt uns: Wenn es schon keine grundlegenden Verbesserungen gibt, Wenn Sie es genauer wissen wollen: Es war natürlich dann wenigstens auch keine Verschlechterungen. einer von den Grünen. Die Wirtschaft sagt uns auch: Wenn ihr schon die Steuern nicht senken könnt, dann macht wenigstens (Heiterkeit bei der CDU/CSU - Beifall bei keine neuen Steuererhöhungen. Abgeordneten der CDU/CSU und der F.D.P.) Jetzt habe ich als Ministerpräsident von Baden- Württemberg wirklich jahrelang darum gekämpft, Es geht um Praktika in allen Studiengängen und daß der Kohlepfennig abgeschafft wird. Verkürzung der Studienzeiten, (Zuruf von der F.D.P.: Dank der F.D.P.!) (Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Tun Sie es doch!) Wir haben in Baden-Württemberg eine Milliarde DM um Berufsorientierung schon während des Studiums, jedes Jahr bezahlt. Wir haben die höchsten Strom- um Verbesserung und Evaluierung der Qualität der preise in der Republik. Jetzt machen sich Leute auf Lehre, um die Vorbereitung auf selbständige Tätig- der linken Seite dieses Hauses darüber Gedanken, keit. 7512 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 86. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. Februar 1996

Ministerpräsident Erwin Teufel (Baden-Württemberg) Meine Damen und Herren, in dem Buch „Deutsche Ein Bündnis für Arbeit gibt es nur auf der Basis von Wahrheiten" steht der Satz: „Es ist nun mal noch Kompromissen, und deshalb muß auch die SPD her- keine Wirtschaft erfunden worden, die mehr vertei- aus aus ihrem Schützengraben des Neinsagens. Sie len kann, als sie produktiv erwirtschaftet." Dieser sollte sich ein Beispiel an den Gewerkschaften neh- Satz stammt von Oskar Lafontaine. Er ist trotzdem men und etwas dafür tun, ihrer Verantwortung richtig. gerecht zu werden. Die Gewerkschaften sind weiter als die SPD. (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU) (Lebhafter anhaltender Beifall bei der CDU/ Aber, meine Damen und Herren, ich habe den Ein- CSU - Anhaltender Beifall bei der F.D.P.) druck, weder die SPD noch die Grünen haben dies bisher in ihrer Gesamtheit beg riffen. (Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Das stimmt nicht, Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Das Wort hat Herr Ministerpräsident! Sie haben das nicht jetzt die Ministerpräsidentin das Landes Schleswig- verstanden!) Holstein, . - Ich habe in der Tat diesen Eindruck. Ich habe die (Beifall bei der SPD) Zitate zuhauf dabei. Sie haben heute keine einzige Klärung in den Fra- Ministerpräsidentin Heide Simonis (Schleswig gen herbeigeführt, in denen Sie auf dem Gebiet der Holstein): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Wirtschaftspolitik strittige Auffassungen haben, Damen und Herren! Alles bewegt sich, sagte der keine einzige Klärung! Papagei, als er in den Ventilator flog.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) (Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten - der SPD) Meine Damen und Herren, die Wahrheit ist, daß viele der Partner, die ich vorher angesprochen habe, Herr Teufel, Sie haben mich ein bißchen dazu begriffen haben, was die Stunde geschlagen hat, daß gebracht, zu glauben, ich wäre einer Sinnestäu- sie sich nicht mehr gegenseitig bekämpfen, sondern schung erlegen. Gehören Sie schon der Bundesregie- beim Kanzler zusammengekommen sind und sich rung an? vorgenommen haben, daß jeder seine Hausaufgaben macht und wir alle zusammenarbeiten, damit wir die (Zurufe von der CDU/CSU) Probleme unseres Landes lösen können. Sie haben diese Bundesregierung mit einem Eifer Denn es gibt keine wichtigere Aufgabe, als verteidigt, daß ich mich langsam fragen muß, was wir Arbeitsplätze zu schaffen und der jungen Generation in den Ministerpräsidentenkonferenzen eigentlich die gleichen Zukunftschancen zu vermitteln, wie sie miteinander besprechen. Aber Sie waren ja das letzte die Generation unserer Eltern unserer Generation Mal nicht da. vermittelt hat. Das sehe ich als wichtigste Aufgabe (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne- aller Entscheidungsträger in Wirtschaft, Gewerk- ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) schaften und Politik, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Wer hat denn das Meister - BAföG abgeschafft, wer denn? Die da, nicht wir. Bundesregierung, Arbeitgeber, Gewerkschaften - alle bewegen sich, nur die SPD steht still. (Zustimmung bei der SPD) (Zustimmung bei der CDU/CSU - Lachen Wenn es jetzt wieder eingeführt wird, ist es ungefähr bei der SPD) so, als wenn man etwas abschafft, es dann wieder einführt und sich dann auch noch dafür bewundern Die Bundesregierung hat gemeinsam mit den Tarif- läßt. partnern das Bündnis für Arbeit und zur Standort- sicherung auf den Weg gebracht. Mit dem Aktions- Wer hat denn die Schnapsidee gehabt, das Mei- programm für Investitionen und Arbeitsplätze hat ster-BAföG auf die Kommunen zu verlagern, statt es sie einen umfassenden Maßnahmenkatalog für mehr bei der Bundesanstalt für Arbeit zu belassen, der ein- Wachstum und Beschäftigung vorgelegt. zigen Einrichtung, die etwas davon versteht? Wo aber bleibt die SPD? Sie muß sich fragen las- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne- sen: Was ist eigentlich ihr Beitrag zur Sicherung des ten der PDS - Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Die Standortes Deutschland und zur Schaffung neuer da!) Arbeitsplätze? Was tut sie dafür? Wenn es der SPD wirklich darum geht, die Probleme in Angriff zu neh- Wer hat denn, lieber Herr Kollege Teufel, die gan- men, wenn es ihr wirklich darum geht, einen kon- zen Mittelstandsprogramme so heruntergefahren, struktiven Beitrag zu leisten, dann reicht es nicht län- daß ihr Volumen heute 18,9 Prozentpunkte unter ger aus, zu allem und jedem immer nur nein zu dem des Jahres 1980 liegt? Wer war denn das? Die sagen und sich ansonsten darauf zu beschränken, in da, nicht wir. der Bevölkerung unbegründete Ängste nicht zu zer- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne- streuen, sondern zu schüren. ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) und der PDS _- Zurufe von der CDU/CSU) Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 86. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. Februar 1996 7513

Ministerpräsidentin Heide Simonis (Schleswig-Holstein) Wer hat denn die Idee gehabt, die Reisekosten zu Ministerpräsidentin Heide Simonis (Schleswig- besteuern, Herr Teufel? Wer hatte denn die Idee? Die Holstein): Danke schön. da, nicht wir. Wenn Sie sagen, daß Sie für die Abschaffung des (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne Kohlepfennigs und für den Abbau von Subventio- ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN nen sind, würde ich Ihnen das sogar glauben, wenn und der PDS - Anhaltende Zurufe von der Sie nicht ausgerechnet in bezug auf die Autos, die in CDU/CSU - Glocke der Präsidentin) Ihrem Land produziert werden, in einer flammenden Und wer, Herr Teufel, unterschreibt denn Tarifver- Rede sagen, daß bei denen überhaupt nichts passie- träge? Doch nicht die Gewerkschaften alleine; es ren darf. unterschreiben doch die Unternehmer mit. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne- (Zurufe von der CDU/CSU: Die da! - Das ist ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) eine Büttenrede! - Weitere lebhafte Zurufe von der CDU/CSU) Auch dies ist übrigens eine Idee, an der, glaube ich, Ihr Finanzminister ebenfalls beteiligt war. Das ist das einzige, von dem Sie nichts verstehen, weil Sie noch nie Tarifverträge gemacht haben. Die Nun hat die F.D.P. nach dem Motto „Frechheit unterschreiben die Arbeitgeber! siegt" - ich wollte Sie eigentlich mit verteidigen, Herr Kollege Teufel - gesagt: Wer bei der Blut- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne transfusionsaktion für die F.D.P., nämlich bei der Sen- ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN kung des Solidarzuschlags, nicht mitmacht, der und der PDS - Unruhe bei der CDU/CSU) ist ein Strauchdieb. Gemeint waren damit die 16 Ministerpräsidenten der Länder. Herr Solms, Sie- Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Frau Minister- haben mit Ihrem Titel offensichtlich auch Ihre Manie- präsidentin, einen Moment! Erstens bitte ich um ren gleich mit abgelegt. Die Ministerpräsidenten der etwas mehr Ruhe, und zweitens bitte ich, das Mikro- Länder sind keine Strauchdiebe. phon etwas lauter zu stellen. Man muß die Rednerin wenigstens verstehen können. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne- ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN (Beifall bei Abgeordneten der SPD, des und der PDS) BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS - Otto Schily [SPD]: Sehr wahr! Das ist Gehen wir noch einmal zur Finanzierung der deut- hier schon des öfteren passiert!) schen Einheit zurück, die ja immerhin zwei Tage lang, am 13. und 14. März 1993, im Bundeskanzler- amt behandelt worden ist. Gemeinsam haben wir Ministerpräsidentin (Schleswig- Heide Simonis damals eine Schieflage der Länder bei der Finanzie- Holstein): Frau Präsidentin, ich bedanke mich für rung der Kosten der deutschen Einheit festgestellt. Ihre Hilfe. Ich bin das gewohnt: Im schleswig-holstei- Gemeinsam haben wir festgestellt, daß die Länder nischen Landtag sind die Männer genauso wie hier: deswegen einen höheren Anteil an der Umsatzsteuer laut und lärmend. bekommen sollen. Gemeinsam haben wir festge- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne stellt, daß der Bund nicht, wie gewünscht, 12 Mil- ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN liarden DM, sondern 28 Milliarden DM vom Solidari- und der PDS - Zurufe von der CDU/CSU - tätszuschlag bekommen soll. Gemeinsam haben wir Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ zugestimmt, daß der Bund 25 Milliarden DM durch DIE GRÜNEN], auf Abgeordnete der CDU/ Steuererhöhungen bekommen soll, von der Tabak- CSU zeigend, die sich stehend miteinander steuer bis zur Mineralölsteuer. Diese wurde übrigens unterhalten: Frau Präsidentin, was soll das mit dem Golfkrieg begründet, und dieser ist schon denn hier? So geht das doch nicht!) seit längerer Zeit zu Ende, wenn ich mich nicht täu- sche. Herr Teufel, wenn Sie hier gegen den Kohlepfen- nig sind - - Trotz dieser 52 Milliarden DM hat der Bundesfi- nanzminister zum Erblastentilgungsfonds 7,7 Milliar- (Lebhafte Zurufe von der CDU/CSU) den DM weniger gezahlt, als er hätte zahlen müssen; - Michael Glos, wenn du dich gerne unterhalten er hat bei den Treuhandrestaufgaben 9,1 Milliarden möchtest, kannst du das draußen tun. DM weniger bezahlt, als er hätte bezahlen müssen, und er hat bei den Nachfolgebanken der Staatsbank (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ der DDR 11,1 Milliarden DM abgezockt. Wenn Sie DIE GRÜNEN]: So geht das doch nicht! - Geld haben, Herr Waigel, können Sie den Solidari- Anke Fuchs Köln [SPD]: Unverschämt!) tätsbeitrag gerne senken, aber nicht auf Kosten der Länder, die mit dem Solidaritätszuschlag nichts zu Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Einen kleinen tun haben und ihn auch nicht bekommen haben; er Moment! Ich halte auch die Redezeit an, bis es hier ist vielmehr in Ihre Kasse geflossen. Sie können ihn wieder so ruhig ist, daß man die Rednerin verstehen auch allein wieder ausgeben. kann. (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE (Zustimmung bei der SPD) GRÜNEN und der PDS) 7514 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 86. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. Februar 1996

Ministerpräsidentin Heide Simonis (Schleswig-Holstein) Wenn der Wirtschaftsminister dasselbe Engage- sie 3 000 DM brutto verdienen, knapp 1 400 DM aus- ment, das er aufgebracht hat, um seinen eigenen gezahlt bekommen Arbeitsplatz zu verteidigen, als sein Parteivorsitzen- der ihm diesen wegnehmen wollte, gezeigt hätte, um (Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Sie haben in der letzten Zeit etwas für den Arbeitsmarkt zu tun, noch immer nicht kapiert, um was es geht!) hätten wir nie die größte Arbeitslosigkeit, wie wir sie und damit eine Familie mit zwei Kindern ernähren zur Zeit haben, müssen, eine Miete von 900 DM bezahlen müssen (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE und auch noch ihre gesenkten Pendlerpauschalen GRÜNEN und der PDS) tragen müssen, die ja gerade von Ihnen fast abge- schafft werden sollen. hätten wir nicht 4,6 Millionen Sozialhilfeempfänger. (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE Ich weiß nicht, wie die Wirklichkeit in Baden-Würt- GRÜNEN und der PDS) temberg aussieht. Bei uns pflegen Jugendliche nicht In dem Beitrag des Wirtschaftsministers heute mor- in Scharen zu rudern und zu segeln und sonstwohin gen ist nicht ein einziges Wort zum Überstundenpro- zu fahren, sondern sie arbeiten, sie studieren. Ich blem, nicht ein einziges Wort zur Teilzeitarbeit auch kenne jedenfalls wenig Jugendliche, die sich diesen für Beamte gefallen. Wer hindert uns denn daran, Luxus leisten können, den Sie beschrieben haben. das zu machen? - Der Innenminister. Das müssen die Kinder Ihrer Wähler sein. (Beifall der Abg. Anke Fuchs [Köln] [SPD]) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Es ist nicht ein einziges Wort zur Existenzgründung gesagt worden, nicht ein einziges Wort zu Risikoka-- Noch nie war die Staatsverschuldung größer, noch pital, nie waren die Steuern und Abgaben höher, noch nie war das Wirtschaftswachstum so gering. 2 000 Plei- (Lachen bei der CDU/CSU) ten Monat für Monat mit einem Schaden von 60 Milliarden DM im Jahr! Das ist die traurige Bilanz, nicht ein einziges Wort zu Innovationsprogrammen. die Sie zu verantworten haben, Herr Bundeskanzler. (Widerspruch bei der CDU/CSU) Sie müssen doch in der letzten Zeit ein bißchen mehr von der Öffentlichkeit mitbekommen haben als nur Man sollte, man könnte, wir würden gerne - Sie die Arbeit am Kochbuch Ihrer Frau. sind eine Konjunktivregierung. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne (Beifall bei Abgeordneten der SPD) ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN - Dr. Helmut Haussmann [F.D.P.]: Billig! Bil Es wird Zeit, daß Sie diese Sätze wirklich einmal in lig! - Anhaltende Zurufe von der CDU/ „Wir werden, wir machen, wir tun, wir werden uns CSU) anstrengen" ändern; dann wäre ich schon sehr dank- bar. Sie müssen doch mitbekommen haben, was sich da draußen abspielt und wie Menschen leben. Sie müs- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ sen doch mitbekommen haben, was es für Jugendli- DIE GRÜNEN) che bedeutet, wenn sie von der Schule direkt in die Sie können gut darüber spotten, daß wir soviel Arbeitslosigkeit geschickt werden. Wert auf die Solarenergie legen, die einzige Techno- (Peter Hintze [CDU/CSU]: Das war ein logie, die in der Zwischenzeit neben der Windener- Argument aus der Schublade!) gie marktgängig ist. Sie lassen sie ziehen, und dann kommen Sie mit vagen Ideen, was Sie statt dessen Sie müssen doch mitbekommen haben, was es machen wollen. bedeutet, wenn diese Jugendlichen ihre Sozialisation Der Transrapid, die neue Technologie, eine strah- irgendwo an den Straßenecken - an den Jugendsam- lende Zukunft, angemeldet am 11. August 1934 beim melstellen, wie wir sie heute nennen -, an den Bus- Reichspatentamt in Berlin, dort in den Schubladen haltehäuschen bekommen. liegengeblieben und plötzlich von Ihnen als die Ret- Dieses Land ist doch nicht von Marsmännchen tung für die Bundesrepublik Deutschland entdeckt, regiert worden. Es waren die CSU, die CDU und die mit einem Finanzierungsloch von über 10 Milliarden F.D.P., die für das verantwortlich sind, was sie heute DM - wenn der Presse zu glauben ist -, auf 10 Meter beklagen, nämlich die höchste Abgabenlast auf den hohen Stelzen. Dafür verzichtet das Land Mecklen- Portemonnaies der Menschen, die nur noch burg auf den Ausbau der ICE-Linien. Und der ein- 50 Prozent ihres Bruttoverdienstes netto ausgezahlt zige Beitrag der Schleswig-Holsteiner zu dieser bekommen. Und in dieser Situation gehen Sie hin „neuen" technologischen Erfindung ist, daß der und wollen auch noch die Vermögensteuer senken. Transrapid bei uns nicht anhält, daß wir die Zufahr- ten bezahlen dürfen, daß wir die Bevölkerung von (Zuruf von der PDS: Sogar abschaffen!) Schleswig-Holstein, Hamburg, Mecklenburg-Vor- pommern, Brandenburg und Berlin zweimal im Jahr - Ja, das geht bis zum Abschaffen. Das ist der blanke vom Greis bis zum Säugling in diesen Zug hineinja- Hohn denjenigen Menschen gegenüber, die, wenn gen müssen und daß wir unten stehen und, wenn er Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 86. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. Februar 1996 7515 Ministerpräsidentin Heide Simonis (Schleswig-Holstein) oben vorbeikommt, oh, oh, oh sagen dürfen. Das ist Blüm in Bonn sagen. Das ist sozusagen die Abbin- alles, was uns an technischem Fortschritt bleibt. dung seines Klageliedes. (Heiterkeit und Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS) Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Frau Minister- präsidentin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Dann behalten wir lieber die Solarenergie; denn Abgeordneten Blüm? damit kann man Arbeitsplätze schaffen. Dann neh- men wir lieber Windenergie; Ministerpräsidentin Heide Simonis (Schleswig (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Holstein): Aber sicher. DIE GRÜNEN) denn damit haben wir neue Arbeitsplätze geschaf- Dr. Norbert Blüm (CDU/CSU): Frau Kollegin Simo- fen, und damit haben wir Exportinitiativen unter- nis, - - nommen. Sie wollen eine moderne Bundesrepublik Deutsch- Ministerpräsidentin Heide Simonis (Schleswig- land. Und wenn wir uns als Ministerpräsidenten mit Holstein): Kollegen sind wir leider nicht. Ihrem Innenminister zusammensetzen, um eine Reform der öffentlichen Verwaltung auszuarbeiten, (Zurufe von der CDU/CSU: Oh!) kommt am Ende ein Programm heraus, das beispiels- weise Nordrhein-Westfalen im ersten Jahr Dr. Norbert Blüm (CDU/CSU): Entschuldigung. 280 Millionen DM Mehrkosten bringt. Wo ist denn da eigentlich die Reform? Das ist reine Klientelbedie- (Zurufe von der CDU/CSU: Sie da!) - nung, ohne daß irgend etwas in Richtung Flexibilität verändert wird. Wenn Flexibilität bei Ihnen nur darin Ministerpräsidentin Heide Simonis (Schleswig- besteht, die Ladenschlußzeit auszudehnen und dies Holstein): Macht nichts. noch nicht einmal in der eigenen Partei durchsetzen zu können, dann reicht das auch nicht zur Moderni- (Beifall bei Abgeordneten der SPD - Zuruf sierung und zum Fortgang in der Bundesrepublik von der CDU/CSU: Sind Gewerkschaftler Deutschland aus. keine Kollegen? - Weitere Zurufe von der CDU/CSU) (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der Sagen Sie „Frau Simonis". PDS) Sie haben ein Geschenk bekommen, wie es selten Dr. Norbert Blüm (CDU/CSU): Sie da, darf ich Sie einer Regierung gegeben worden ist. Die Gewerk- einmal fragen: Ist Ihnen der Unterschied zwischen schaften sind Ihnen entgegengekommen. Sie haben Vorruhestand, der die Sozialkassen keinen Pfennig nicht eine ausgestreckte Hand ergriffen. Die gekostet hat, und Sozialplänen, die auf Kosten der Gewerkschaften haben die Hand ausgestreckt. Sie Sozialkassen durchgeführt werden, bekannt? haben sie noch nicht in richtigem Maße ergriffen. (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE Ministerpräsidentin Heide Simonis (Schleswig- GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der Holstein): Ja, im Gegensatz zu Ihnen ist er mir PDS) bekannt. Deswegen beklage ich es auch nicht in der Öffentlichkeit. Vielmehr würde ich etwas tun, wenn Die Länder sind Ihnen entgegengekommen. Sie es mir nicht passen würde. haben ein breites Bündnis von Menschen, die bereit sind, Ihnen dabei zu helfen, das Unternehmen Bun- (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE desrepublik wieder flottzumachen - GRÜNEN und der PDS - Lachen bei der CDU/CSU - Dr. Norbert Blüm [CDU/CSU]: (Dr. Wolfgang Schäuble [CDU/CSU]: Wer Hoffnungslos!) hat Ihnen denn den Quatsch aufgeschrie ben?) Herr Bundesminister Blüm, Sie haben doch die Mehrheit auf der rechten Seite. Dann ändern Sie und das, angesichts der Tatsache, daß selbst in doch alles, was Ihnen nicht gefällt. Sie können es geraffter Darstellung eine ganze Seite der „FAZ" doch machen, wenn es Ihnen nicht paßt. Sie machen nicht ausreicht, um die Kürzungen, die Streichungen es doch nicht, weil Sie davor Schiß haben. Beschimp- und die höheren Beiträge, die Sie den Bürgerinnen fen Sie deswegen doch nicht die Opposition. Wir und Bürgern seit 1982 aufgebürdet haben und die in können doch nichts dafür. den Portemonnaies der Menschen Auswirkungen haben, darzustellen. (Guido Westerwelle [F.D.P.]: Und was ist mit den Ländern?) Wenn ich Herrn Minister Blüm zuhöre, warte ich im Zusammenhang mit dem Vorruhestand, den er - Ach, an was allem wir Länder schuld sind. Das ist beklagt, nur noch auf einen Satz - wer hat den Vor- doch wirklich komisch. Mir scheint, ich werfe immer ruhestand eigentlich eingeführt, wer nimmt ihn denn Opposition und Regierung durcheinander. Offen- eigentlich in Anspruch? Das sind doch die Großun- sichtlich scheint die Opposition zu regieren und die ternehmer -: Das müßte einmal jemand Norbert Regierung unter uns zu leiden. Umgekehrt wird ein 7516 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 86. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. Februar 1996

Ministerpräsidentin Heide Simonis (Schleswig-Holstein) Schuh daraus: Die Regierung regiert nicht und die boten, mit Ihnen über Hochschulen zu reden. Wir Opposition leidet darunter. haben angeboten, mit Ihnen über eine ökologische Steuerreform zu reden. Wir haben angeboten, mit (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE Ihnen über die Modernisierung der Verwaltung zu GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der reden. Wir haben Ihnen angeboten, darüber zu PDS) reden, ob nicht in privaten Haushalten Arbeitsplätze geschaffen werden können, die sozialversicherungs- Wann, Herr Bundeskanzler, werden Sie dagegen pflichtig sind und Frauen die Möglichkeit einer reden, daß der im Ausland Standort Bundesrepublik eigenständigen Sozialversicherung geben. so miesgemacht wird, daß es einen schon wundern würde, wenn einer hier investiert? Das Lied heißt (Beifall der Abg. Anke Fuchs [Köln] [SPD] - doch: Investieren Sie in der Bundesrepublik Deutsch- Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Das haben land, der Verlust ist gleich mit eingeschlossen. Wer Sie bisher verhindert!) soll denn so blöd sein und bei uns investieren? Reden Sie doch beispielsweise einmal mit Unter- Was Sie uns anbieten, ist Flickschusterei, ist ein nehmern in der Bundesrepublik, deren Manage- Offenbarungseid. In der Zwischenzeit sind nicht ein- mentkünste schon herhalten müssen, damit die Zei- mal Sie selber davon überzeugt, daß das, was Sie tung „Die Welt" damit Reklame machen kann. Lesen sagen, wahr ist. Sie müßten dies nur vor dem Sie „Die Welt", damit Sie zum Beispiel die Flops des 24. März 1996 sagen. Das tun Sie nicht. Das nenne neuen Vorstandsvorsitzenden von Daimler-Benz in ich Feigheit von Männern, die man durchaus ihrer vollen Schönheit mitbekommen. Wer hat denn gewohnt ist. die 6 Milliarden DM Minus gemacht? Das waren (Widerspruch bei der CDU/CSU) doch nicht die Arbeitnehmer, das waren die Arbeit- - geber, die so etwas zu verantworten haben. Es wäre viel mutiger, den Bürgerinnen und Bürgern (Beifall bei der SPD - Wolfgang Zöller vor der Wahl zu sagen, was Sie vorhaben, anstatt [CDU/CSU]: Das war ein gutes Beispiel! - anzukündigen, daß Sie es ihnen nach der Wahl Weitere Zurufe von der CDU/CSU) sagen werden. Für wie dumm halten Sie eigentlich den durchschnittlichen Wähler in der Bundesrepu- - Ja, das ist ein sehr gutes Beispiel: falsch eingekauft. blik Deutschland? Mercedes-Benz verkauft sich, aber Daimler-Benz hat zwei Unternehmen gekauft und sich über den Tisch (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE ziehen lassen: einmal von der holländischen Regie- GRÜNEN und der PDS) rung und einmal von der jungen Frau Dornier. Dazu gehört etwas. Das muß ich Ihnen allerdings sagen. Das Wort hat (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: jetzt der Abgeordnete Dietrich Austermann.

Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Frau Minister- (Dr. Wolfgang Schäuble [CDU/CSU]: Sag ja präsidentin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des nicht Kollegin!) Abgeordneten Glos?

Dietrich Austermann (CDU/CSU): Frau Präsiden- Ministerpräsidentin Heide Simonis (Schleswig tin! Meine Damen und Herren! Das war ein Kontrast- Holstein): Frau Präsidentin, ich kenne Herrn Glos so programm, sprich: Der Ministerpräsident von Baden- gut, daß ich weiß, was er fragen wird. Deswegen Württemberg macht hier ein konstruktives Angebot können wir uns das ersparen. zur Zusammenarbeit zwischen den Bundesländern und dem Bund, (Heiterkeit und Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Abgeordneten der PDS - Bundesminister ordneten der F.D.P. - Lachen bei der SPD, Dr. Theodor Waigel: Das hat er nicht ver dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der dient! - Zurufe von der CDU/CSU) PDS - Otto Schily [SPD]: Witzbold!) Ein anderes Mal, Herr Abgeordneter Glos. Wir kön- nen einmal eine Tasse Kaffee trinken, dann können das zeigt, daß sein Bundesland, unionsgeführt, zur Sie mir erklären, was Sie alles falsch gemacht haben. Zusammenarbeit bereit ist. Er orientiert sich an prak- tischen Vorschlägen und weist auf die Probleme hin, (Beifall bei Abgeordneten der SPD) die sich aus der mangelnden Zusammenarbeit der Mehrheit des Bundesrates mit der Regierung erge- Sie, meine sehr verehrten Damen und Herren, ben. haben von uns das Angebot bekommen, daß wir mit Ihnen darüber reden wollen, welche Opfer wir der (Lachen bei der SPD) Bevölkerung zumuten wollen und können, um Arbeitsplätze in unserem Land zu schaffen. Wir Dann kommt Frau Simonis mit lauter alten Hüten. haben angeboten, mit Ihnen über eine neue Techno- logie- und Industriepolitik zu reden. Wir haben ange- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 86. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. Februar 1996 7517

Dietrich Austermann Ich muß ganz klar sagen: Alte Hüte gehören in die Auch diese Gelegenheit hat sie heute nicht wahrge- Schublade. nommen. (Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten (Beifall bei der CDU/CSU) der CDU/CSU - Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das gilt für Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Herr Abgeord- diese Bundesregierung! - Anke Fuchs neter, ich bitte auch Sie, zur Sache zu sprechen. Wir [Köln] [SPD]: So große Schubladen gibt es haben ein Thema. gar nicht, wie Sie sie brauchen!) (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE Damit bin ich bei einem Stichwort. Ich habe nach- GRÜNEN und der PDS - Hans-Peter Rep- geschaut, wann Frau Simonis hier das letzte Mal nik [CDU/CSU]: Frau Simonis hat eine geredet hat. Das war im Jahre 1987 anläßlich der Wahlrede gehalten! - Siegf ried Hornung Haushaltsdebatte als Sprecherin der SPD. [CDU/CSU]: So eine Unverschämtheit! - Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Das ist (Dr. Wolfgang Schäuble [CDU/CSU]: Hört! unmöglich hier! - Kerstin Müller [Köln] Hört!) [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Frau Simonis Sie hat damals in übler Weise hat dazu gesprochen! - Weitere Zurufe von der CDU/CSU und der SPD - Bundes- (Eckart Kuhlwein [SPD]: Na! Na! Sie müs minister Dr. Theodor Waigel: Die Gedanken sen sagen, was übel ist!) sind frei! Weitermachen!) Minister Dr. Stoltenberg wegen der Kieler Affäre beschimpft. Ich hatte angenommen, sie komme Dietrich Austermann (CDU/CSU): Frau Präsiden-- heute aus einem einzigen Grund hierher. Ich dachte, tin, wenn Sie sagen, „auch zur Sache", dann gehe sie würde sich, nachdem sie sich neun Jahre lang ich davon aus, daß Sie meinen, die Frau Ministerprä- verweigert hat, neun Jahre lang nicht da war, neun sidentin habe hier nicht zur Sache geredet. Das ist in Jahre lang nicht mitgeredet und mit diskutiert hat, der Tat auch meine Meinung. für das, was sie damals gesagt hat, entschuldigen. Wir haben im Bundestag vor einigen Jahren schon (Beifall bei der CDU/CSU) einmal eine solche Debatte gehabt. Und wenn in der Haushaltsdebatte die damalige Abgeordnete Simonis Statt dessen hat sie in den letzten Jahren den dieses Thema aufgegriffen hat, um Landtagswahl- Untersuchungsausschuß des schleswig-holsteini- kampf zu machen, dann muß darauf heute hier erwi- schen Landestages unter Druck gesetzt. Sie hat ver- dert werden, wenn sie nicht bereit ist, das zurückzu- sucht, Zeugen zu beeinflussen. Sie hat versucht, die nehmen und zu sagen: Dies alles tut mir jetzt sehr Aufklärung zu behindern. leid, und wir werden das nicht wieder tun. (Dr. Wolfgang Schäuble [CDU/CSU]: Hört! (Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU) Hört! - Eckart Kuhlwein [SPD]: Das ist eine Wenn das aber der Grund nicht war, weshalb sie Lüge!) sich heute zu Wort gemeldet hat, dann hätte es ja Ich finde es unglaublich, nach neun Jahren hierher einen anderen Grund geben können, nämlich den, zu kommen und vor einer ganzen Landespartei und daß sie uns zeigen will, wo es langgeht, daß sie sagt: ihrem damaligen Vorsitzenden dann nicht das ent- Wir führen euch einmal vor, wie es im Bundesland scheidende Wort der Entschuldigung zu finden. Schleswig-Holstein läuft in der Frage Arbeitsmarkt, in der Frage Beschäftigung, in der Frage Staatsver- (Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. schuldung und vielen anderen Dingen. Das hätte Ina Albowitz [F.D.P.] - Widerspruch bei der nach dem Motto gehen können: Heide führt nicht SPD) nur alte Hüte. vor, sondern ihre Rezepte gegen Arbeitslosigkeit. Aber da kam wieder nichts. Auch zu Sie hätte weiter Gelegenheit gehabt, sich zu ent- dieser Frage kam hier heute nichts. schuldigen, und zwar in bezug auf den Wahlkampf der Jusos - der Pflichtmitglieder der SPD -, den sie in (Widerspruch bei der SPD) Lübeck betreiben. Die Jusos sind dazu übergegan- Es ist eine ganz traurige Bilanz, die Sie in Schles- gen, ihren Wahlkampf einzig und allein auf Frau wig-Holstein vorzuweisen haben, Frau Simonis, auch Simonis abzustellen. Börnsen und andere verstecken wenn es gelingt, mit Hilfe der Medien, flapsigen sich in Kiel und anderswo, auch die Landespartei. Reden und Mätzchen von dieser traurigen Bilanz Der Wahlkampf ist allein auf Frau Simonis abgestellt. abzulenken. (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ (Jörg Tauss (SPD): Sie machen Mätzchen!) DIE GRÜNEN]: Zur Sache!) Wie wollen Sie eigentlich den Menschen im Lande Wann kommt die Entschuldigung für das Pamphlet, erklären, weshalb Sie in acht Jahren SPD-Regierung das den Bundeskanzler und wieder eine ganze Partei in Schleswig-Holstein 10 Milliarden DM Schulden beleidigt? gemacht haben und damit viermal soviel wie die CDU in 37 Aufbaujahren davor? (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Zur Sache!) (Lachen bei der SPD) 7518 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 86. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. Februar 1996

Dietrich Austermann Wie wollen Sie eigentlich den Menschen plausibel Dann reden Sie von der Forschung. Die Universität machen, daß in Ihrem Bundesland der Staatshaushalt in Kiel, die größte des Landes, klagt über Regelungs- nach dem Saarland die niedrigste Investitionsquote wut, die sich auf den Lehr- und Forschungsbetrieb von allen Bundesländern aufweist? Wie wollen Sie lähmend auswirkt. Ich erwähne das einmal kurz: eigentlich den Menschen erklären, daß in allen SPD- Gleichstellungsgesetz, Mitbestimmungsgesetz, Frau- geführten Bundesländern die Arbeitslosigkeit in der enförderrichtlinien, Datenschutzgesetz, didaktische Tendenz immer nach oben gegangen ist, daß Sie Fachberichte, Gremiengerangel. Da soll noch einer auch in der Arbeitslosigkeit vor allen unionsgeführ- bereit sein, in Forschung zu investieren, und soll ein ten alten Bundesländern liegen? Student nach seinem Examen noch bereit sein zu sagen, ich mache mich selbständig, nachdem er (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ praktisch unter dem Einfluß dieser Orgie von neuen DIE GRÜNEN]: Wie in Baden-Württem Gesetzen, die Sie über das Land gebracht haben, nur berg!) Bürokratie gelernt hat. Seitdem Sie die Regierung führen - seit dem 19. Mai (Ernst Schwanhold [SPD]: Was haben Sie 1993 -, sind in Schleswig-Holstein 40 000 Arbeits- eigentlich gelernt? Sind Sie Kämmerer plätze verlorengegangen. gewesen?) Sie reden vom schlanken Staat - er ist notwendig, Wir brauchen ein neues gesellschaftliches Klima um die Wirtschaft wieder in Gang zu bringen -, betä- für Innovationen und technischen Fortschritt. Dies tigen sich als Beamtenjäger und bauen in Kiel die sagen seit 6. November letzten Jahres auch Frau fetteste Ministerialbürokratie auf, die es je gegeben Simonis und der SPD-Vorstand. Dann wettern Sie im hat: mit rotem Filz, mit neu geschaffenen Stellen für Fernsehen gegen den Transrapid. Und wenn Sie sich affärenerprobte Genossen. Das alles erinnert ein biß- dann darüber beklagen, daß er noch nicht einmal- chen an Kafkas „Schloß". Und hier stellen Sie sich einen Haltepunkt in Schleswig-Holstein hat, dann hin und sagen, Teilzeitarbeit müssen wir haben. frage ich: Wieso haben Sie das denn bisher nicht Wie sieht es mit Genehmigungsverfahren aus? beantragt? (Zuruf von der SPD: Wir sind hier im Bun (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) destag! Darüber wollen wir hier nichts Wieso sagen Sie denn dann nicht: Wir wollen bei- hören!) spielsweise in Büchen einen Haltepunkt haben? Es - Frau Kollegin, es geht beim Arbeitsmarkt darum, ist bisher noch nichts beantragt worden. wie wir als Staat mit der Investitionstätigkeit auch des Staates umgehen, wie wir mit der Verschuldung (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Oh, Austermann! Dann hat umgehen, um die Rahmenbedingungen zu schaffen, damit die Betriebe investieren können und das nicht er nicht einmal mehr eine halbe Stunde Zeitvorsprung!) der Staat wegnimmt. Wie lange dauern Genehmigungsverfahren? Dazu Sie haben ja noch nicht einmal zur Aufnahme in führe ich ein einziges Beispiel an. den Bundesverkehrswegeplan Anträge für den Neu- bau wichtiger Infrastrukturprojekte gestellt.

Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Herr Abgeord- (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ neter Austermann, gestatten Sie eine Zwischenfrage DIE GRÜNEN]: Sie sind wohl in eine Wind- des Abgeordneten Kubatschka? mühle gelaufen!) - Das ist der Unterschied zwischen Windmühle und Dietrich Austermann (CDU/CSU): Nein! Windbeutel, Herr Fischer. (Dr. Peter Struck [SPD]: Ja, aus lauter Angst (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU rumpöbeln, aber keine Zwischenfragen und der F.D.P. - Joseph Fischer [Frankfurt] zulassen!) [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich bitte Sie: ein Haltepunkt in Schleswig-Holstein!) - Sie glauben doch nicht, daß Ihre Zwischenfrage mich erschrecken kann. Ich sage: An ihren Taten sollt ihr sie erkennen. (Heiterkeit bei der CDU/CSU) Das nächste Thema ist: Wie sieht es denn mit der Steuerlast und mit der Bereitschaft zum Steuerabbau Bei der Frage Genehmigungsverfahren geht es um aus? Sie fordern in Ihrem Parteipapier vom die Investitionsbereitschaft, geht es darum, wie 6. November 1995 die Bereitschaft zum Steuerabbau. schnell eine Investition in die Tat umgesetzt werden In der Zeit der Regierung der SPD in Schleswig-Hol- kann. Sie haben - nehmen wir das als Beispiel - über stein haben Sie Steuern erfunden, die vorher gar kei- Solar- und Windenergie gesprochen. Wenn Sie heute ner gekannt hat: Müllmark, Wassergroschen, Wie- in Schleswig-Holstein eine Windmühle aufstellen sensteuer, Katastrophenschutzsteuer und die neue wollen, also ein umweltfreundliches Produkt, dann Getränkesteuer, müssen Sie zuvor 68 Seiten lange Landesrichtlinien über die Bereitstellung von Ausgleichsflächen lesen (Eckart Kuhlwein [SPD]: Die gab es in Stutt- - 68 Seiten! gart auch schon!) Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 86. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. Februar 1996 7519

Dietrich Austermann die Ihnen, Herr Kuhlwein, inzwischen eine Bürger- Es geht aber nicht nur um diese moderne Ver- initiative aus der Hand geschlagen hat. kehrsinfrastruktur. Es geht zum Beispiel um eine wichtige neue Autobahntrasse quer durch den Nor- (Eckart Kuhlwein [SPD]: Blödsinn!) den Deutschlands, die A 20 von Stettin über Rostock, Es ist eine regelrechte Orgie von neuen Steuern, Lübeck, die bei Glückstadt über die Elbe führen soll. Herr Kuhlwein, in Schleswig-Holstein, seit die SPD Sie wurde im Bundesverkehrswegeplan 1992 be- die Regierung übernommen hat. schlossen. In Mecklenburg-Vorpommern wird ge- baut. In Schleswig-Holstein wird die Vegetation be- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU obachtet. und der F.D.P.) (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU Sie fordern in Ihrem Papier vom November - ich und der F.D.P.) meine, damit wird deutlich, daß Worte und Taten weit auseinanderklaffen - Dann sagt der eine oder andere: Wir würden ja (Jörg Tauss [SPD]: Ja, bei Ihnen!) gerne, und wir täten ja, und wir hätten ja. Eine Anfrage der Grünen hat es an den Tag gebracht: Von eine Gewerbesteuerreform im Einvernehmen mit 1992 bis 1994 hat die Landesregierung von Schles- Wirtschaft und Ländern. Dann veranstalten Sie eine wig-Holstein 35 Millionen DM Straßenbaumittel Blockade im Bundesrat. zurückgegeben, weil sie nicht in der Lage war, sie auszugeben. Seit 1988 ist in Schleswig-Holstein Sie fordern mehr Ausgaben für Schles- Forschung. keine einzige Ortsumgehung neu gebaut worden. wig-Holstein ist, so leid es mir tut, das Land mit den Das muß man sich einmal vorstellen. Dann gehen die niedrigsten Forschungsausgaben aller Bundesländer. Kameraden her und sagen: Der Staat muß Rahmen- Sie kommen immer her und sagen: neues Geld, neue - bedingungen setzen, er muß etwas in bezug auf Investitionen. Zur Zeit wird in Kiel ein neues großes Infrastrukturmaßnahmen tun. Institut eingeweiht. Sie, Frau Simonis, waren als Festrednerin angekündigt; ich nehme an, das schlechte Gewissen hat dazu geführt, daß Sie dort Im November sagt der Vertreter Schleswig-Hol- nicht erschienen sind. Denn 75 Prozent der Mittel für steins im Bundesrat, als über ein Planungsbeschleu- dieses Forschungsinstitut GEOMAR zahlt der Bund. nigungsgesetz beraten wurde: „Die Landesregie- Damit ist ganz klar, wer Verantwortung für den rung von Schleswig-Holstein lehnt das ab, auch Arbeitsmarkt, für neue Investitionen, für mehr wenn es nur für die neuen Bundesländer gelten soll." Arbeitsplätze nicht nur in Schleswig-Holstein, son- Ein wenig hat dieses Gesetz Auswirkungen auch auf dern in ganz Deutschland trägt. die Randgebiete der alten Bundesrepublik; ich denke an die A 20 im Raum Lübeck. „Wenn es dann Ich will ein Beispiel anführen, bei dem man an beschlossen wird," sagt der Vertreter von Frau Simo- konkreten Punkten die Meinungsunterschiede nis im Bundesrat, „dann werden wir gleichwohl weit- erkennen kann. gehend alle Möglichkeiten der öffentlichen Beteili- gung ausschöpfen." Da kann ich nur sagen: Entwe- der wir wollen beschleunigte Verfahren, wir wollen Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Herr Abgeord- schneller Infrastrukturprojekte realisieren, oder wir neter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abge- machen es wie die SPD und verweigern uns. Ich ordneten Kuhlwein? halte dies für die falsche Position. (Zurufe von der CDU/CSU: Nein!) (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Dietrich Austermann (CDU/CSU): Nein. Günter Verheugen hat einmal gesagt - es ist noch (Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Feigling! - Eck gar nicht so lange her; die Älteren werden sich noch art Kuhlwein [SPD]: Er will die Verbreitung an den letzten Bundesgeschäftsführer erinnern -, das der Wahrheit verhindern!) größte Problem der SPD sei, daß sie keine Botschaft mehr habe. Darauf hat Frau Simonis geantwortet: - Sie können sich doch nachher zu Wort melden. Sie können eine Kurzintervention machen und den Bür- Das stimmt zum Teil. Ich glaube aber, die meisten gern erklären, daß Sie, Herr Kuhlwein, bei der letz- Wähler würden es akzeptieren, wenn wir ihnen ten Bundestagswahl 1994 gesagt haben: Die Ent- sagen, wir können keine einfachen Antworten scheidung bei dieser Bundestagswahl in meinem mehr auf komplizierte Fragen geben. Wir wissen Wahlkreis am Stadtrand von Hamburg ist auch eine sie ja zum Teil ja selber nicht. Deswegen streiten Entscheidung der Bürger für oder gegen den Trans- wir ja so. rapid; wenn wir gewinnen, kommt der Transrapid nicht. Sie haben die Wahl verloren, Herr Kuhlwein. Ich finde das jeden Tag bestätigt. Die SPD streitet um jedes wesentliche Thema. Dazu muß man sich ein- (Eckart Kuhlwein [SPD]: Da kannten wir das Gutachten des Bundesrechnungshofs mal die Aussagen von Herrn Spöri zur Währungs- union jetzt im Wahlkampf anhören. noch nicht!) Ich glaube, die Bürger haben genau gewußt, um was (Dr. Helmut Haussmann [F.D.P.]: Ja, das ist es sich handelt. eine Katastrophe! Unglaublich!) 7520 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 86. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. Februar 1996

Dietrich Austermann Herr Lafontaine hat das eine Zeitlang auch gesagt, Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Das Wort zu jetzt sagt er es wieder ein bißchen anders. einer Kurzintervention erhält der Abgeordnete Kop- pelin. (Dr. Wolfgang Gerhardt [F.D.P.]: Das wird sogar plakatiert!) Ja genau, das wird sogar plakatiert, und dann müs- Jürgen Koppelin (F.D.P.): Frau Ministerpräsidentin, sen danach die Köpfe auf den Plakaten gerichtet ich finde, daß Sie über die Sorgen und Nöte sowie werden. Man muß sich die Antworten der SPD auch die Probleme des Landes Schleswig-Holsteins hier zu anderen Fragen ansehen: schuldenfinanzierte hätten sprechen müssen und nicht so eine Rede hät- Konjunkturprogramme, überall unterschiedliche ten halten dürfen, wie Sie es getan haben. Positionen. Deshalb streiten Sie ja so. (Widerspruch bei der SPD) Ich kann nur sagen: Wenn der Bürger eine richtige - Warten Sie doch ab! Entscheidung im Hinblick auf schnelles Handeln der Politik will - einige Vorredner der Koalition haben Sie haben am 1. Februar 1996 bei einem Neujahrs- darauf hingewiesen -, dann müssen wir die Rahmen- empfang gesagt: „Schleswig-Holstein hat den Struk- bedingungen setzen. Die entscheidenden Maßnah- turwandel gut bewältigt. " Was geschieht eine Woche men aber müssen aus der Wirtschaft kommen. Es darauf? Zig Firmen schließen - ich kann sie Ihnen geht um schnelle Entscheidungen der Politik. Es darf alle aufzählen - oder bauen Arbeitsplätze ab, alles dann aber nicht ständig im Vermittlungsausschuß innerhalb einer Woche: Van Houten in Norderstedt gemauert, blockiert oder vertagt werden, wobei den baut 250 Arbeitsplätze ab; Beth Industriefilter in Bürgern gleichzeitig gesagt wird, daß die politischen Lübeck schließt, dadurch ein Verlust von Entscheidungen so lange dauern. Die Bürger den- 250 Arbeitsplätzen; Johnsen & Johnsen geht aus Kiel ken, daß Helmut Kohl eigentlich eine stabile Mehr- weg, dadurch ein Verlust von 272 Arbeitsplätzen; Vil-- heit im Bundestag besitzt - die hat er auch - und daß leroy & Boch in Lübeck streicht 160 Arbeitsplätze. daher alles seinen Gang nehmen müßte. Sie nehmen nicht zur Kenntnis, daß der Bundesrat mit seiner (Zuruf von der SPD: Frage!) Mehrheit wichtige, notwendige und richtige Wege - Das ist eine Kurzintervention, wenn Sie das einmal ständig verhindert. zur Kenntnis nehmen wollen. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Durch die Getränkesteuer fallen allein in der Stadt Kiel 150 Arbeitsplätze weg. Das ist Ihre Bilanz. Es Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Ihre Redezeit ist kann nicht die Rede davon sein, daß Sie Arbeits- zu Ende. plätze in Schleswig-Holstein geschaffen haben. Die Wahrheit ist - das haben Sie in Ihrem Jahreswirt- Dietrich Austermann (CDU/CSU): Deswegen kann schaftsbericht deutlich gemacht -, daß Sie 1995 ich Herrn Voscherau nur zustimmen, der gemutmaßt genau 150 Neuansiedlungen in Schleswig-Holstein hat, daß es in Schleswig-Holstein bei der Wahl keine haben. Das ist etwas Erfreuliches. Dagegen stehen Chance für eine absolute Mehrheit von Frau Simonis jedoch 800 Firmenzusammenbrüche in Schleswig- gebe. Holstein. Das ist die Bilanz Ihrer Regierung in Schles- wig-Holstein, verursacht durch die Belastungen die- ser Landesregierung, der Sie vorsitzen, Frau Mini- Herr Abgeord- Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: sterpräsidentin. neter, Ihre Redezeit ist überschritten. Bitte kommen Sie zum Schluß. (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Das wird (Hans-Peter Repnik [CDU/CSU]: Was hat immer schlimmer!) Herr Voscherau gesagt?) Reden Sie doch mal mit Herrn Spöri, der gerade wieder in den Saal gekommen ist. Der macht nämlich Dietrich Austermann (CDU/CSU): Herr Voscherau folgendes: Da muß eine Firma in Norderstedt mit hat gesagt, daß er nach dem Verlust der bisherigen 150 Arbeitsplätzen dichtmachen, Frau Ministerpräsi- absoluten Mehrheit der SPD eine rot-grüne Koalition dentin, weil der Herr Spöri mit öffentlichen Geldern, für wahrscheinlich halte. Er hat weiter gesagt, daß er, mit Steuergeldern, dafür sorgt, daß diese Firma nach wenn es zu einer rot-grünen Koalition komme, Initia- Baden-Württemberg geht. Ich kann Ihnen die ge- tiven für einen Volksentscheid zur Bildung eines ein- nauen Unterlagen darüber geben. Das ist die Politik. heitlichen Nordstaates ergreifen werde. Fragen Sie mal den SPD-Wirtschaftsminister aus Baden-Württemberg, ob er es in Ordnung findet, daß Meine Damen und Herren, der SPD-Bürgermeister Arbeitsplätze in Schleswig-Holstein mit Steuer- von Hamburg ist der Meinung: Eine rot-grüne Koali- geldern aus Baden-Württemberg kaputtgemacht tion und Frau Simonis an der Spitze schaden dem werden. Land. Wählen wir am 24. März eine stabile Mehrheit für eine Unionspolitik im Bundesrat, damit schnelle Sie sprechen vom Transrapid. Frau Ministerpräsi- Entscheidungen für viele Arbeitsplätze getroffen dentin, mein Eindruck ist: Die Bürger in Schleswig werden. Holstein interessieren sich zur Zeit nicht für das Herzlichen Dank. Thema „Wie komme ich am schnellsten von Ham- burg nach Berlin?", sondern sie interessieren sich (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) dafür „Wie komme ich überhaupt nach Hamburg?". Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 86. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. Februar 1996 7521

Horst Koppelin Sie, Frau Ministerpräsidentin, haben den Straßenbau Augenblick zuhören? - Gestatten Sie eine Zwischen- in Schleswig-Holstein nämlich jahrelang verhindert. frage des Kollegen Dr. Schäuble? (Beifall bei Abgeordneten der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Minister Dr. Dieter Spöri (Baden-Württemberg): Ja, gern. Warum nicht? Aber schnell, bitte. Zum Schluß noch etwas zum Solidarzuschlag, den Sie eben erwähnt haben. Ich wundere mich, daß Sie (CDU/CSU): Herr Minister gar nicht Herrn Eichel ansprechen. Der hat doch Dr. Wolfgang Schäuble Spöri, bevor Sie Legenden wahrheitswidrig weiter ständig in allen Interviews gefordert: 2,5 Prozent- nähren: Sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß punkte müssen runter. Warum sagen Sie dazu ich nichts anderes gesagt habe, als daß erstens die nichts? Entscheidung über die Europäische Währungsunion (Vorsitz : Vizepräsident Hans-Ulrich Klose) und darüber, wer zum 1. Januar 1999 teilnimmt, im Frühjahr 1998 getroffen wird und nicht früher, es Ich lese Ihnen nun aus der „Statistischen Kurzin- zweitens unser entschiedener Wunsch ist, daß die formation des Landes Schleswig-Holstein" vom Europäische Währungsunion mit den im Maast richt 2. Februar vor. Da heißt es unter anderem: Vertrag vereinbarten Kriterien zum 1. Januar 1999 ... erhöhten sich die Steuereinnahmen des Lan- zustande kommt und wir alle Bemühungen unter- des um 140 Millionen oder 1,4 Prozent, weil der nehmen, damit dies gelingt, und wir uns drittens, für dem Land zustehende Anteil an der Gemein- den Fall, daß es zu einem Konflikt zwischen Stabilität schaftssteuer um 6,3 Prozent höher ausfiel. und Zeitplan käme, nicht für eine. Aufweichung der Stabilitätskriterien entscheiden würden? Da sage ich Ihnen, Frau Ministerpräsidentin: Geben Sie dieses Geld den Bürgern zurück; die haben es (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge-- nämlich gezahlt. ordneten der F.D.P.) (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) Minister Dr. Dieter Spöri (Baden-Württemberg): Ich nehme zur Kenntnis, Herr Schäuble, daß Sie alle Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Das Wort hat Bemühungen unternehmen, um die Stabilitätskrite- jetzt der Minister Spöri, Baden-Württemberg. rien zu realisieren. Das tun nicht nur Sie, sondern auch andere in Europa. Es sieht aber nicht so aus, als (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Das ist der, ob Sie diese Kriterien realisieren könnten. der mit den Grünen gemeinsam Politik macht!) (Widerspruch bei der CDU/CSU - Dr. Hel- mut Haussmann [F.D.P.]: Zwei Jahre!) Minister Dr. Dieter Spöri (Baden-Württemberg): Sie haben sie im letzten Jahr nicht realisiert; Sie wer- Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und den die Kriterien auch in diesem Jahr durch Ihre Poli- Herren! Ich möchte zurückkehren zum Aktionspro- tik nicht realisieren. gramm, das der Herr Bundeswirtschaftsminister vor- gestellt hat, und zum Jahreswirtschaftsbericht. Deswegen machen Sie sich zu Recht Gedanken über den „Notfall", daß die Währungsunion verschoben (Dr. Helmut Haussmann [F.D.P.]: Sagen Sie wird. mal was zur Euro-Währung!) (Beifall bei Abgeordneten der SPD - - Zur Euro-Währung sage ich gleich etwas. Das läuft Dr. Helmut Haussmann [F.D.P.]: Vertrags- mir richtig rein, Herr Haussmann. Ich kann nur treue!) sagen: Lieber Herr Haussmann, schauen Sie mal in das „Wall Street Journal" von gestern. Da schreibt Meine Damen und Herren, zurück zum Jahreswirt- zum Beispiel der Herr Schäuble, CDU/CSU-Frak- schaftsbericht. Lieber Herr Rexrodt, schon die Ana- tionsvorsitzender, daß er zur Not die Währungsunion lyse, die dem Jahreswirtschaftsbericht zugrunde verschieben möchte. liegt, ist meiner Ansicht nach nicht die Realität. Wenn man die Wirtschaft im Bereich der Betriebe (Dr. Wolfgang Schäuble [CDU/CSU]: Das ist beobachtet, stellt man fest, daß die Aufträge in die- doch nicht wahr!) sem Land genau seit dem dritten Quartal 1995 total zusammenbrechen. - Originalton Schäuble. Willkommen im Club, Herr Schäuble. (Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Jawohl!) (Beifall bei Abgeordneten der SPD - Wider- Im Dezember letzten Jahres gab es im verarbeiten- spruch bei der CDU/CSU) den Gewerbe einen Auftragseinbruch um 12,5 Prozent. Das ist die Realität. Meine Damen und Herren, zum Jahreswirtschafts- bericht. Ich denke, ich bin schon weiter; ich war bei Ich weiß nicht, wie Sie dazu kommen, im Jahres- Herrn Rexrodt. wirtschaftsbericht ein Wachstum von 1 Prozent zu prognostizieren. Ich weiß nicht, wie Sie zu der Spe- (Widerspruch bei der CDU/CSU) kulation kommen, es handele sich nur um eine Wachstumsdelle. Ich weiß nicht, auf Grund welcher Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Herr Minister Argumente und Fakten Sie damit rechnen, daß es im Spöri, ich bitte um Nachsicht. Würden Sie einen zweiten Halbjahr zu einem Aufschwung kommt. Dies 7522 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 86. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. Februar 1996

Minister Dr. Dieter Spöri (Baden-Württemberg) alles ist für mich nicht durch Fakten untermauert, anders antworten, als Sie es tun. Natürlich ist es rich- stützt sich nicht auf praktische Politik. tig, daß die kleinen und mittleren Betriebe mit bis zu 200 Beschäftigten in derselben Zeit, 1987 bis 1994, (Beifall bei der SPD) noch Beschäftigung aufgebaut haben; die Zahl der Ein zweiter Punkt. Ich weiß nicht, ob Sie registriert Arbeitsplätze nahm dort um 1,5 Prozent zu. haben - angesichts dieses Jahreswirtschaftsberichts Deswegen: Es ist zwar richtig, daß Sie eine Mittel- glaube ich das nicht -, was in den Bet rieben vor sich standsoffensive fordern, auf neue Unternehmen set- geht. Es gibt eine Entindustrialisierungswelle wie zen wollen - so heißt es seit mehr als 13 Jahren Ihrer niemals zuvor in den letzten 40 Jahren in Deutsch- land. Regierungszeit -, aber wie verhält es sich mit der Risikokapitalfinanzierung? Ich habe schon vor (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne 10 Jahren von Graf Lambsdorff gehört, daß man die ten der PDS) Risikokapitalfinanzierung verbessern soll. Aber wir haben keine Rahmenbedingungen geschaffen, kein Das ist die Realität in der Bundesrepublik. Steuersystem wie in den USA, wo Risikoanlagen Deswegen können wir hier nicht - „business as wirklich steuerlich begünstigt werden, zugunsten usual" - so weiterdiskutieren, die alten Kataloge von jugendlicher Querdenker, jugendlicher „Spinner". Argumenten zitieren, die die Beamten immer wieder (Beifall bei der SPD) in die Standortberichte hineinschreiben. Ich kenne das alles noch. Ich war zwölf Jahre im Bundestag; ich Deswegen gibt es viel zuwenig Mobilität. habe Ihre Regierungszeit noch miterlebt. Das stand schon immer genauso drin, alles wird wieder vorge- In der Bundesrepublik gibt es natürlich eine ausge- legt, die Standortberichte von 1992, 1993 enthielten zeichnete Forschungsinfrastruktur. Warum klappt - immer die gleichen Parolen. Nichts von dem wurde der Technologietransfer trotzdem nicht? Weil die Risi- realisiert. kokapitalfinanzierung nicht besser ist, weil die Ban- ken nicht finanzieren, wenn es um neue Software- (Beifall bei der SPD sowie der Abg. und Biotechnikunternehmen geht. Das sind die Ursa- Dr. Christa Luft [PDS]) chen. Westdeutschland hat - darauf haben Sie keine Ant- (Beifall bei der SPD - Siegfried Hornung wort gefunden - seit 1992 mehr als 1,3 Millionen [CDU/CSU]: Nein, Herr Spöri, weil Sie das Industriearbeitsplätze verloren. Das ist die Realität. alles blockieren!) Jetzt haben Sie - entgegen der Prognose Ihres letz- Herr Minister Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: ten Jahreswirtschaftsberichts - plötzlich festgestellt, Spöri, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin daß die Konjunktur eingeknickt ist im dritten Quar- Hellwig? tal. Das war ja nicht geplant, aber kam nicht überra- schend. Minister Dr. Dieter Spöri (Baden-Württemberg): Wenn dies nicht auf die Redezeit angerechnet wird. (Zuruf von der SPD: Leider wahr!) Denn jedermann weiß, daß seit der Nachkriegszeit Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Es wird nicht jeder Konjunkturzyklus zunächst mit einer Zunahme angerechnet. - Bitte. des Exports anfängt - in den Jahren 1993/94 hatten wir zweistellige Zuwachsraten -, dann wächst der Investitionsgüterbereich, und dann muß der Konsum- (CDU/CSU): Herr Spöri, wie Dr. Renate Hellwig güterbereich nachziehen. Letzteres ist nicht passiert. erklären Sie sich, daß die Ministerpräsidentin Simo- Das war absehbar. nis die Zeitung liest, während Sie reden? (Lachen bei der SPD) Warum ist sie nicht gekommen? Weil die Men- schen in diesem Land nicht mehr konsumieren kön- nen, weil das Abgaben- und Steuerniveau zu hoch Minister Dr. Dieter Spöri (Baden-Württemberg): ist. Frau Kollegin Hellwig, ich möchte Sie schonen, indem ich auf diese Frage nicht antworte. Sie liegt (Beifall bei der SPD) unter Ihrem Niveau. Vorhin hat Herr Rexrodt gesagt, Sie hätten in den (Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl: Hat er 80er Jahren die Abgabenquote und die Steuerquote recht!) gesenkt. Die Realität ist, daß in Deutschland gegen- wärtig ein Durchschnittsverdiener bis zum 23. Juni Herr Rexrodt, Sie müßten, wenn es um Makroöko- nur für Steuer und Sozialversicherung arbeiten muß. nomie geht, einmal die Realität der Betriebe betrach- In Deutschland ist der Tax-free day der 23. Juni. Erst ten und sich nicht nur auf Sachverständigenrat-Gut- ab dem 23. Juni beginnt dieser Mensch für sich achten berufen. Es gibt eine Statistik, die besagt, daß selbst, für seine Privatausgaben zu arbeiten. Das hat in Industriebetrieben mit mehr als 10 000 Arbeitsplät- nichts mehr mit sozialer Marktwirtschaft, nichts mit zen zwischen 1987 und Ende 1994 48 Prozent der Leistungsanreizen in einer Marktwirtschaft zu tun. Industriearbeitsplätze abgebaut wurden. Das ist eine traurige Realität, die für ganz Westdeutschland (Beifall bei der SPD - Zurufe von der Regie- gilt. Auf diesen Zustand muß man politisch ganz rungsbank) Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 86. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. Februar 1996 7523 Minister Dr. Dieter Spöri (Baden-Württemberg) Wenn Sie sagen, Sie hätten die Abgabenquote Herren von der F.D.P., ich habe mich heute vormittag gesenkt, sage ich Ihnen: Als wir hier Ende der 70er gefragt, was eigentlich alles noch passieren muß, Jahre und Anfang der 80er Jahre unter der Zeit Hel- damit sich in diesem Hause so etwas wie eine mut Schmidts diskutiert haben, hatten wir in geringe Nachdenklichkeit - mehr verlangen wir gar Deutschland eine Steuer- und Abgabenquote von nicht - einstellt. Wir haben 4,2 Millionen Arbeitslose, 38 Prozent. Im Jahr 1995 lagen wir bei 48 Prozent. eine Staatsverschuldung von insgesamt 2,2 Billionen Wenn man die Arbeitgeberbeiträge zur Sozialversi- DM. Wir haben im Moment eine Belastung der Mit- cherung dazurechnet, dann kommt man auf weit bürgerinnen und Mitbürger von bis zu 50 Prozent über 50 Prozent. Streng ökonomisch, meine Damen ihres Einkommens. Sie stellen sich hier hin und las- und Herren, ist es schon das Überschreiten der sen nichts anderes ab als ein selbstverliebtes Wahl- Grenze von der Marktwirtschaft in ein staatswirt- kampfgeklingel. Ich muß Ihnen sagen, ich finde das schaftliches System hinein, wenn mehr als 50 Prozent zynisch. des Sozialprodukts über öffentliche Kassen verwen- det werden. Das ist die Realität. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD sowie bei Abgeordneten der Deswegen sage ich Ihnen zum Abschluß: Sie PDS) haben vorhin gesagt, Sie hätten Steuern und Abga- ben gesenkt. Nichts haben Sie gesenkt! Sie haben Herr Gerhardt, der im Moment leider nicht im die Steuer- und Abgabenquote auf ein einmaliges Hause ist, stellt sich als der Vorsitzende einer Frak- Niveau angehoben. Sie haben die deutsche Volks- tion oder einer Partei, die seit 27 Jahren in der Regie- wirtschaft in den letzten sechs Jahren 10 Prozent teu- rung ist, hin und sagt, sie seien die Partei der Moder- rer gemacht. Das ist die Wahrheit! nisierer. Was kann ich denn von einer Partei erwar- ten, die in so einer Situation, in der wir heute sind, (Beifall bei der SPD) die ich für dramatisch halte und von der Herr Stoiber sagt, sie gefährde den sozialen Frieden? Was soll ich Wir haben deswegen Millionen von Arbeitsplätzen von so einer Partei verlangen, die noch nicht einmal verloren, und unsere Konkurrenzfähigkeit sinkt. Das heute in der Lage ist, die Verantwortung für die Zeit, ist die Realität. Wir haben deswegen explodierende die sie in der Regierung ist, tatsächlich auch zu über- Sozialleistungen. Ohne Erfolg bei der Bekämpfung nehmen? der Arbeitslosigkeit werden wir diese Probleme nicht mehr in den Griff bekommen. Und Sie bekom- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, men diese Probleme gegenwärtig nicht in den Griff. bei der SPD sowie bei Abgeordneten der Die Arbeitslosigkeit steigt. Sie liegt faktisch nicht nur PDS) bei 4 Millionen, nein, sie liegt bei über 5 Millionen, wenn man die Leute hinzunimmt, die sich in arbeits- Noch etwas, verehrte Herren von der F.D.P. In der marktpolitischen Maßnahmen befinden. Deswegen jetzigen Situation von Gefälligkeitsdemokratie zu sage ich: Sie - auch Herr Kohl - haben hier im Bun- reden, ist genau ein Beitrag, der zu einer weiteren destag Bundeskanzler Schmidt Anfang der 80er Aufspaltung dieser Gesellschaft führen wird. Jahre angeklagt. Ich war als steuerpolitischer Spre- Das 50-Punkte-Programm, was heute hier vorliegt cher meiner Partei dabei. Sie haben gesagt, er solle und was der eigentliche Gegenstand der Debatte, zurücktreten, weil er Deutschland zu sehr verschul- zusammen mit dem Jahreswirtschaftsbericht, ist, hat det habe sicherlich viel mit Psychologie zu tun. Ich konzediere (Zuruf von der CDU/CSU: Für nichts und Herrn Bundeskanzler auch, daß Wi rtschaftspolitik wieder nichts!) viel mit Psychologie zu tun hat. Aber bei diesem Aktionsprogramm stellt sich - ich sage leider - bei und weil er sich an der Zukunft der Enkelgeneration der Lektüre bei keinem Punkt so etwas wie ein Aha- versündige. Sie haben inzwischen eine Schulden- Effekt ein. Es ist wieder einmal ein Aktionsprogramm summe aufgebaut, die dreimal so groß ist. Das ist die und ähnelt fatal dem Aktionsprogramm, was Sie vor Realität. zwei Jahren nach dem Solidarpakt aufgelegt haben. (Dr. Helmut Haussmann [F.D.P.]: Sie treiben Sie springen nicht nur zu kurz. Die Abstände zwi- es doch mit den Grünen höher!) schen Ihren Aktionsprogrammen werden nicht nur immer kürzer, sondern ich habe die Befürchtung, Sie Höchstes Steuerniveau, höchstes Arbeitslosen- haben den Ernst der Lage immer noch nicht begrif- niveau, höchstes Abgabenniveau, höchstes Schul- fen. denniveau. Das ist Ihre Bilanz. Sie nimmt in Bezug auf Steuerabbau oder Schuldenabbau niemand mehr Meine Herren, meine Damen, das begonnene ernst. Informationszeitalter erfordert von seinen Akteuren hohe Risikobereitschaft, Flexibilität und die Fähig- (Starker Beifall bei der SPD) keit, die Zeichen der Zeit tatsächlich zu erkennen. Lassen Sie sich an dieser Stelle doch vielleicht auch etwas von einem Professor sagen, dem Chef des Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Das Wort hat die Kollegin Margareta Wolf, Bündnis 90/Die Grünen. Management-Instituts in St. Gallen, Herrn Malik. Herr Malik sagt - das sollten Sie sich bitte in Ihr Lehr- buch schreiben -: Der Traum vom ewigen Aufwärts- Margareta Wolf (Frankfurt) (BÜNDNIS 90/DIE trend nach dem Motto „weiter so", dem immer noch GRÜNEN): Herr Präsident! Meine sehr verehrten viele anhängen, ist eine fixe Idee. Wir befinden uns Kolleginnen und Kollegen! Herr Austermann und die in einem Prozeß einer radikalen und in jeder Hinsicht 7524 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 86. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. Februar 1996

Margareta Wolf (Frankfurt) fundamentalen Transformation von Wirtschaft und der sein. Allein durch die Erschließung des Energie- Gesellschaft - hören Sie sich das ruhig einmal an -, sparmarktes können Sie bis zu 500 000 neue Arbeits- an dessen Ende nichts mehr so sein wird wie es plätze schaffen. Sie sind aufgefordert, endlich die heute ist. rechtlichen und auch die finanzpolitischen Rahmen- bedingungen zu schaffen, damit sie sich wirtschaft- Das kann doch nichts anderes heißen, als daß wir lich und beschäftigungsintensiv entfalten können. tatsächlich einen Innovationsschub in den Köpfen Dies alles sucht man vergebens in Ihrem Papier. Was der handelnden Personen brauchen. Wenn ich mir man findet, kennt man schon. Wozu das führt, weiß den Herrn Rexrodt von heute morgen noch einmal man auch schon. vergegenwärtige oder auch unseren Dinosaurier, Herrn Glos, habe ich dabei ernsthafte Bedenken. Eines ist, denke ich, unstrittig - Kollege Fischer hat Die Politik muß endlich die Rahmenbedingungen darauf hingewiesen -: In Deutschland gibt es heute für den längst überfälligen zukunftsorientierten und eine tiefgreifende Innovations - und Strukturkrise. In arbeitsplatzschaffenden ökologischen Strukturwan- Ihrem Papier lese ich aber nur, daß es eine Kosten- del setzen. Sie haben ein großes Vorhaben angekün- krise gibt. Die Gewerkschaften und wir konzedieren, digt. Sie haben gesagt, daß Sie bis zur Jahrhundert- daß es eine Kostenkrise gibt. Aber bitte konzedieren wende die Arbeitslosigkeit halbieren wollen. Ich doch auch Sie endlich einmal, daß es eine Struktur- hoffe, Sie sind sich über die Verantwortung, die Sie krise gibt. Diese Strukturkrise verursacht im übrigen damit auf sich geladen haben, tatsächlich im klaren. die Kostenkrise ganz erheblich. (Zuruf von der CDU/CSU) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Sie krakeelen immer dazwischen. Sie habe ich und bei der SPD sowie bei Abgeordneten noch nie reden hören. Das sollten Sie vielleicht drin- der PDS) gend nachholen. Wenn ich Ihr Aktionsprogramm und Ihren Jahres- Wir fordern Sie auf, Herr Waigel, das Einkommen- wirtschaftsbericht lese, ist mir absolut schleierhaft - steuerrecht endlich im Sinne von mehr Transparenz, damit stehe ich nicht alleine, das sagen auch die Vereinfachung und Verteilungsgerechtigkeit zu Wirtschaftsforschungsinstitute -, wie Sie die Halbie- reformieren. Hören Sie endlich mit dem Stückwerk rung der Arbeitslosigkeit tatsächlich erreichen wol- auf! Ihr Stückwerk führt tatsächlich zu einer Investi- len. tionszurückhaltung in diesem Lande. Das bestätigen Ihnen alle Wirtschaftsforschungsinstitute. Hören Sie Ich glaube und Herr Zwickel sagt dies auch immer, endlich auf damit! Stellen Sie endlich sicher, daß wir er hat das Bündnis für Arbeit angestrebt, weil er aus einen Einstieg in den Subventionsabbau bekommen! den Erfahrungen in den USA und in Großbritannien Unsere Vorschläge liegen seit einem Jahr auf dem gelernt hat. Aber wenn ich mir Herrn Rexrodt heute Tisch. Nichts ist geschehen. Aber was steht im Jah- morgen angehört habe, der mit strahlenden Äuglein reswirtschaftsbericht? Im Jahreswirtschaftsbericht in Richtung USA blickt und sagt, daß dort fortschritt- kündigen Sie an, daß Sie die im Jahressteuergesetz liche Wirtschaftspolitik gemacht würde, dann habe vorgesehene steuerliche Belastung der privaten Nut- ich tatsächlich ernsthafte Zweifel an dem von uns zung von Dienstwagen zurücknehmen wollen. Da gewünschten Bündnis, ob es nicht vielleicht doch zu hat die Lobby der Automobilindustrie offensichtlich einem großen Flop wird. mehr Einfluß auf Sie als die Wohlfahrtsverbände. Eine reine Angebotspolitik, wie Sie sie in Ihrem Programm vorschlagen, führt nicht zu dem gewollten Fangen Sie im Interesse des Mittelstandes und von Anstieg an Beschäftigung. Auch dieses können Sie Forschung und Entwicklung endlich an, Ihre Förder- tatsächlich in den USA und in Großbritannien beob- programme zu effektivieren, zusammenzufassen und achten. Hören Sie doch auf, die Arbeitszeitpolitik zielorientiert zu vergeben! Im Moment - das sagen ständig aus Ihren Strategien wegzublenden. Warum Ihnen die Mittelständler - fördern Sie die Fußlah- reden Sie nicht von Teilzeit? Frau Simonis hat es men, anstatt diejenigen, die zukunftsorientierte schon gesagt. Warum reden Sie nicht von Zeitkon- Arbeitsplätze schaffen können. ten? Warum reden Sie nicht von sabbaticals? Warum reden Sie nicht von Überstunden? Sie ignorieren geradezu die Arbeitszeitfrage. Bemerkenswert finde ich, Herr Minister, sehr ver- ehrter Herr Bundeskanzler, den Konkretisierungs- Wo bleiben Maßnahmen zur Erschließung neuer grad, den Sie in Sachen Risikokapital in Ihrem Beschäftigungsfelder, von denen Herr Rüttgers, der Papier vorlegen. Nach 14 Jahren - in jeder Koaliti- gerne und viel redet, immer spricht? In Ihrem Pro- onsvereinbarung steht: wir brauchen einen Risikoka- gramm finde ich nichts. Der anhaltende Struktur- pitalmarkt - fangen Sie mit zaghaften Schritten an. wandel läßt erwarten, daß die künftigen zusätzlichen Ich muß mich aber wundern, warum Sie trotz der Beschäftigungsmöglichkeiten im Dienstleistungsbe- immer weiter steigenden Zahl von Insolvenzen, reich liegen, daß sie bei der Zunahme der Dienstlei- gerade im Osten, die Risikokapital gebraucht hätten, stungen innerhalb der Industrie liegen, daß sie bei bis heute nicht in der Lage sind, so etwas wie einen umweltfreundlichen Mobilitätsleistungen sein wer- privaten Risikokapitalmarkt aufzubauen, wie es ihn den, im Stoffstrommanagement, im Management in den USA gibt. Es kann doch nicht sein, daß dieje- und in der Organisation, in der Ausbildung und nigen in der Bundesrepublik, die in Immobilien inve- Beratung. Dort werden die neuen Beschäftigungsfel- stieren, steuerlich entlastet werden, und diejenigen, Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 86. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. Februar 1996 7525 Margareta Wolf (Frankfurt) die in arbeitsplatzschaffende, junge Unternehmen nachfolgenden Generationen. Übernehmen auch Sie investieren, leer ausgehen. die endlich einmal. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der und bei der SPD) PDS) Anstatt sich, verehrter Herr Rexrodt, von dem vom Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Das Wort hat der Bundeskanzler in Rio gegebenen Versprechen auf Kollege Graf Lambsdorff, F.D.P. Senkung der CO2-Emissionen offensiv zu verab- schieden, sollten Sie den Einstieg in eine ökologi- sche Steuerreform wagen. Haben Sie doch endlich Dr. Otto Graf Lambsdorff (F.D.P.): Herr Präsident! einmal Mut! Die Wirtschaft braucht Impulse für den Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Es ist notwendigen Strukturwandel. Wir brauchen einen nicht ganz normal und gewöhnlich, daß der Bundes- Innovationsschub für neue Produktionszweige. Wir tag innerhalb von drei Sitzungswochen dreimal das brauchen zukunftsfähige Arbeitsplätze. gleiche Thema diskutiert. Das zeigt, daß es wirklich ernst ist. (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Steuerer höhung!) (Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Das haben wir beantragt!) - Daß Sie immer nur „Steuererhöhung" schreien! Sie sollten unsere Vorschläge wirklich einmal lesen. - Das ist ja alles in Ordnung, wer immer es beantragt hat. Es geht um einen ernsten Sachverhalt, der uns Der ökologische Strukturwandel führt zu neuen alle miteinander zu Recht beschäftigt. Er sollte des- Produktionszweigen, er stärkt vorhandene Branchen, wegen auch mit dem gebotenen Ernst diskutiert wer-- er stabilisiert Arbeitsplätze, und er wirkt in hohem den. Maße arbeitsplatzschaffend. Die Energiewende wird durch die Förderung der Kraft-Wärme-Kopplung Das Modell Deutschland, das in 40 Jahren Bundes- Konversionsmöglichkeiten für die Automobilindu- republik entwickelt worden ist, steht heute auf dem strie bieten. Prüfstand. Dieses Modell Deutschland ist Bestandteil des demokratischen Grundkonsenses. Das wird auch Im Mittelstand, den Sie immer so gerne vernach- im Ausland so gesehen. Die Frage ist, ob wir die lässigen, werden dadurch zusätzliche Arbeitsplätze Lösung dieses Problems im Konsens schaffen können geschaffen. Der Mittelstand war der stabile Wirt- oder ob wir es zum Konflikt kommen lassen. schaftsfaktor in den letzten Jahren. Sie sollten sich um ihn dringend kümmern. Nach der heutigen Debatte, aber auch nach der Debatte im Lande, bin ich, offen gestanden, nicht so In Ihrem Papier finden wir zu unserer großen Sorge ganz sicher. Ich bin immer noch zuversichtlich - an lediglich 1,5 Seiten zur Umweltpolitik. Der Rest, 110 der Börse pflegt man zu sagen, ich bin fest mit Seiten, enthält das Wort nicht einmal. Angst -, daß wir das schaffen können. Es ist hier von einem großen Investitionshemmnis, (Zuruf von der SPD: Wo ist Ihr Angebot?) nämlich den Genehmigungsverfahren, gesprochen worden. Meine Damen und Herren, Sie lassen keine Meine Damen und Herren, es bestreitet niemand, Minute aus, um zu sagen: Die Genehmigungsverfah- daß der soziale Friede, der zum Modell Deutschland ren sind so furchtbar lang. Sie haben 1993 hier ein gehört, ein Produktionsfaktor unseres Standortes ist. Investitionserleichterungsgesetz beschlossen, und Es bestreitet niemand, daß die Soziale Marktwirt- zwar gegen unseren Willen und gegen den Willen schaft die soziale Komponente unserer Wirtschafts- der rot-grünen Länder. Aber schauen Sie doch heute und Gesellschaftsordnung, die darin enthalten ist, einmal in das rot-grüne Land Hessen. In Hessen ist nicht übersehen darf. die Dauer von Genehmigungen am niedrigsten. Sie Aber die Frage lautet doch: Wie weit kann das bewegt sich zwischen zwei und fünf Monaten. Soziale in der Sozialen Marktwirtschaft gehen? Wo (Peter Hintze [CDU/CSU]: Da stellt keiner beginnen wir, die Marktwirtschaft durch soziale mehr einen Antrag!) Übertreibungen zu strangulieren? Das ist das Thema, das sich jetzt stellt, das sich eigentlich zum erstenmal Dies wurde erreicht, indem man mehr Transparenz in diesen 40 Jahren stellt, indem wir nichts Zusätzli- und mehr Dienstleistung im öffentlichen Dienst ein- ches mehr zu verteilen haben, sondern indem wir geführt und sich von der starren Bürokratie verab- denjenigen, denen wir etwas geben wollen, nur schiedet hat, die Sie seit Jahren immer stärker auf- dadurch etwas geben können, daß wir anderen blähen. etwas nehmen. Sonst gibt es keine Möglichkeiten mehr. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) Meine Damen und Herren, es geht langfristig um den ökonomischen Erfolg. Es geht um den Abbau Herr Ministerpräsident Lafontaine hatte gestern von starrer Bürokratie. Es geht uns um den Abbau laut Zeitungsbericht in der „Frankfurter Allgemeinen von rigiden Arbeitszeitordnungen. Es geht uns um Zeitung" bei der Friedrich-Ebert-Stiftung für die SPD die Förderung von Kreativität, Innovation und ein klares Bekenntnis zur Sozialen Marktwirtschaft Gemeinsinn. Wir haben eine Verantwortung für die formuliert. Gleichzeitig hat er sich zum demokrati- 7526 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 86. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. Februar 1996

Dr. Otto Graf Lambsdorff schen Sozialismus bekannt, und er hat mir eben schließlich dem liberalen Institut der Friedrich-Nau- gesagt, er meine auch beides zusammen - gut. mann-Stiftung entnehmen -, daß der Grad der Frei- heit einer Wirtschaft etwas mit dem Wachstum und Herr Müntefering, der Bundesgeschäftsführer der dem Beschäftigungsstand dieser Wi rtschaft zu tun SPD, hat dann dazugesagt: „Nehmen wir das, was hat. Oskar gerade gesagt hat, als Gesetz. " Das ist demo- kratischer Sozialismus! (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne- ten der CDU/CSU) (Heiterkeit und Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) Der Grad der Freiheit der Wi rtschaft in Deutschland führt dazu, daß wir inzwischen auf Rang 12 der west- Meine Damen und Herren, die Kollegen Lafon- lichen Industrieländer stehen, während Neuseeland taine, Scharping und auch Herr Fischer erinnern auf dem zweiten Platz und die Vereinigten Staaten gerne - ich verstehe das auch - an die Tatsache, daß auf dem vierten Platz stehen und die Beschäftigungs- diese Regierung 13 Jahre im Amt ist. Damit kann entsprechend deutlich besser aussieht. man seinen Frust, daß man so lange in der Opposi- situation dort Das wird nicht der einzige Grund sein; aber ohne tion sein muß, ein bißchen zum Ausdruck bringen. mehr Freiheit für die Wirtschaft wird es nicht gehen. Das erleichtert. Nur, Herr Scharping - auch Sie haben das heute Unsere Reaktion heute, die Reaktion der Bundesre- morgen getan -, übersehen Sie dabei doch nicht, daß gierung mit dem Aktionsprogramm, dem 50-Punkte- wir es in den Jahren bis 1990 - übrigens mit einer Plan des Bundeswirtschaftsministers und dem Jah- höchst erfolgreichen Wirtschafts- und Finanzpolitik; reswirtschaftsbericht, ist im Ansatz völlig richtig. Ich aber lassen wir den Streit darüber - mit einem völlig gebe gerne zu, daß man bei 50 Punkten auch über anderen Umfeld - ich will nicht sagen: mit einer zwei oder drei streiten kann. Das ist ja auch ein Dis- anderen Republik - als seit dem Jahre 1990 zu tun kussionsangebot. Aber führen Sie bitte keine end- hatten. lose Diskussion. Da haben manche Redner der Oppo- sition recht: Geredet haben wir genug. Jetzt müssen Was der Ministerpräsident Teufel heute über Glo- wir umsetzen, was die Regierung vorschlägt. balisierung und stärkeren Wettbewerb gesagt hat, brauche ich auch aus Zeitgründen nicht zu wiederho- Ihren Antrag zur Entschließung, geehrter Herr len. Es ist so. Scharping, hätten Sie besser bleibenlassen; denn er ist wirklich dürftig und zum Teil auch falsch. Hans-Dietrich Genscher hat damals formuliert: Schauen Sie sich doch einmal an, was Sie zu den Nichts wird mehr so sein, wie es einmal war. Frau Realzinsen schreiben. Diese bilden sich am Kapital- Wolf, er hat das schon fünf Jahre vor dem von Ihnen markt und nicht so, wie Sie sich das vorstellen. zitierten St. Galler Professor gesehen. Ich begrüße es - ich sage das für die F.D.P. -, daß Dies bezog sich nicht nur auf Außen- und Sicher- der Bundeswirtschaftsminister diese Vorschläge heitspolitik, sondern eben auch auf die Globalisie- heute als einen ersten Schritt bezeichnet hat, dem rung der Weltwirtschaft, die Globalisierung der weitere folgen werden und müssen. Arbeitsmärkte und die daraus folgenden Konsequen- zen. (Beifall bei Abgeordneten der F.D.P.) Wir haben uns heute eigentlich nur zu fragen: Rea- Ich weiß, daß viele gerade in Wahlkämpfen reden: gieren wir spät? Meine Antwort ist: ja. Reagieren wir Wir haben Arbeitsplätze geschaffen, ihr habt welche zu spät? Meine Antwort ist: Ich hoffe, nein. zerstört, wir schaffen neue Arbeitsplätze. Politiker schaffen aber überhaupt keine Arbeitsplätze, außer Es nutzt uns auch nicht viel, zu sagen, daß fast alle im öffentlichen Dienst, und da haben wir genug. westlichen Industrieländer im gleichen zeitlichen Kontext wie wir reagieren, wobei ich ausdrücklich (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) unterstreiche: fast alle westlichen Industrieländer. Was wir tun können und was wir zu tun haben, ist, Ich bin ganz erfreut darüber - das werden Sie verste- die Rahmenbedingungen dafür zu schaffen, daß in hen -, daß unsere hier sehr kontroverse Diskussion der Wirtschaft, in den Unternehmen, Arbeitsplätze über den Arbeitsmarkt der Vereinigten Staaten entstehen. Hier haben Sie, Herr Fischer, Ihre inzwischen weitergegangen ist und daß darüber Unschuld als grüne Partei längst verloren. Was Ihnen auch im Lande diskutiert wird. Das Thema ist heute in bezug auf Hessen vorzuhalten war, hat Wolfgang von vielen Rednern, auch von Herrn Scharping, ein- Gerhardt getan. Hinsichtlich Nordrhein-Westfalen geführt worden. nenne ich nur die Stichworte Garzweiler II und Aber wenn Ihnen das zu groß ist und Sie das Bei- Bayer mit den Arbeitsplätzen, die in der Chlorchemie spiel nicht mögen, dann sehen Sie sich einmal die verlorengehen. So einfach können Sie es sich nicht Wirtschaftsordnung und die Arbeitsmarkterfolge in mehr machen, daß Sie nur auf andere zeigen. Auch einem kleinen Lande, in Neuseeland, an, wo man mit Sie sind jetzt in der Verantwortung. Wenn ich aber mehr Freiheit für die Wirtschaft - übrigens eingelei- höre, wie Sie Verantwortung wahrnehmen - „300 tet durch die dortige Labour Party - erstaunliche Arbeitsplätze in Kassel sind mir Wurscht, die können Ergebnisse erzielt hat. weg" -, kann ich nur sagen: Jeder Arbeitsplatz in Deutschland ist we rtvoll. Da kann man nicht einfach In Beziehung zu diesen Ergebnissen steht aber 300 abbuchen und wegstreichen. auch die Tatsache - Sie können das einer neuen Untersuchung von elf weltweiten Instituten ein- (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 86. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. Februar 1996 7527

Dr. Otto Graf Lambsdorff Ministerpräsident Biedenkopf hat der „Süddeut- Ihre Tränen überhaupt nichts. Das sind Krokodilsträ- schen Zeitung" vor einiger Zeit ein Inte rview gege- nen zu Lasten der Arbeitnehmer. ben, das die Überschrift trug: „Uns geht nicht die Arbeit, uns gehen die Arbeitgeber aus". Herr Bie- (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU - denkopf, es gibt nur ganz wenige Punkte in diesem Zuruf des Abg. Jörg Tauss [SPD]) Interview, in denen ich nicht mit Ihnen überein- Es ist unerhört, wie Sie diese Debatte führen. stimme. Bei der Grundsicherung sind wir nicht einig, aber ansonsten sehr wohl. Wir müssen Ordnung schaffen. Es wird nicht ohne Einschnitte gehen. Wenn es um das liebe Geld geht, Woran liegt es, daß uns die Arbeitgeber ausgehen, hört die Gemütlichkeit auf. Ihr gesellschaftspoliti- daß sie nicht nach Deutschland kommen? - Das liegt sches Idealbild, Herr Fischer - als Herr Teufel die an den Arbeitskosten. Das hat zur Folge - ich kann Studenten mit den 25 Semestern erwähnte, mußte die Zahl nur wiederholen -, daß wir 18 Milliarden ich daran denken -, der unmittelbare Anschluß des DM ausländische Investitionen in Deutschland in Vorruhestands an das BAföG, ist in einer solchen einem Zeitraum hatten, in dem wir zugleich Gesellschaft und Lage nicht aufrechtzuerhalten und 196 Milliarden DM deutsche Investitionen im Aus- nicht durchzusetzen. land registrieren mußten. (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne- Das hat auch mit Steuergerechtigkeit zu tun. Herr ten der CDU/CSU) Spöri, Sie wollen die Steuergerechtigkeit mit einer Wenn es ums Geld geht, hört die Gemütlichkeit rot-grünen Koalition herstellen. Da bin ich einmal auf; wir wissen das. Der Bund streitet mit den Län- gespannt. dern um Geld, die Länder mit dem Bund, die Kom- (Dr. Helmut Haussmann [F.D.P.]: Das ist der munen mit den Ländern, die ARD mit dem ZDF und- Witz des Jahres!) die Pflegeversicherung mit den Krankenkassen. Das wird so weitergehen. Ihre Klagen kann ich hören. Ich kann sie auch verste- Hier bewahrheitet sich die uralte jüdische hen. Aber wie Sie das erreichen wollen, das müssen Geschäftsweisheit: Kasse macht sinnlich, und Dalles Sie uns einmal vormachen. macht schofel. In einer solchen Situation sind wir, (Minister Dr. Dieter Spöri [Baden-Württem aber wir müssen trotzdem zum Ausgangspunkt mei- berg]: Gern!) ner Bemerkungen zurückkehren: Wir müssen errei- chen, daß wir das Modell Deutschland einigermaßen - Nein, Sie werden uns das nicht vormachen, weil Sie unbeschädigt durch diese Situation bringen; denn es das Ziel nicht erreichen. ist eine der Grundlagen unseres Landes und unseres demokratischen Grundkonsenses. Wir müssen mit den Steuertarifen herunter. Die jetzigen haben eine abschreckende Wirkung auf Weil das so ist, bedanke ich mich ausdrücklich bei Investoren. Das heißt - der Kollege Uldall hat mit sei- den Ministerpräsidenten Teufel und Beck nem Vorschlag in der Tendenz völlig recht -, daß wir (Beifall des Abg. Siegfried Hornung [CDU/ dann die Bemessungsgrundlage verbreitern müssen. CSU]) Aber wenn ein Unternehmer, der hierherkommt und den Schrecken vor den Steuertarifen überwindet, für ihre Zusage, mit dem Thema Solidarzuschlag sieht, daß er für 1 DM Lohn 0,81 DM Lohnzusatzko- etwas anders umzugehen, als wir das in den letzten sten bezahlen muß, dann packt er sein Bündel und Tagen gehört haben. geht. (Beifall des Abg. Jürgen Koppelin [F.D.P.]) Übersehen Sie bitte nicht, daß es auch für interna- Die Steuerlasten müssen gesenkt werden, ein Ein- tionale Konzerne kaum möglich ist, hier zu investie- stieg ist notwendig. Dies ist der richtige Einstieg; wir ren und Führungskräfte aus dem Ausland hierher- müssen vernünftig darüber reden, wie er finanziert zubringen, die von uns steuerlich dera rtig abgelaust wird. Herr Ministerpräsident Teufel, Sie und Ihr Kol- werden, wie sie das zu Hause nicht gewohnt sind. lege Beck haben das vorgezeichnet. Das ist ein ähnliches Problem wie seinerzeit in der Westberliner Zwangssituation die Frage mit den (Beifall bei Abgeordneten der F.D.P.) Wohnungen für Führungskräfte. Ich kann das hier nur andeuten, weil die Zeit nicht reicht. Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Herr Kollege Lambsdorff, Sie müssen zum Schluß kommen. (Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Mir kommen die Tränen!) Dr. Otto Graf Lambsdorff (F.D.P.): Ich bin sofort fer- - Ob Ihnen die Tränen kommen oder nicht: Die tig, Herr Präsident. Arbeitsplätze kommen nicht, Frau Fuchs. Darüber sollten Ihnen die Tränen kommen. Wir haben in der Bundesrepublik Deutschland nach wie vor alle Chancen. Unser Standort ist in vie- Wer sein Personal nicht herbringen kann, wer len Punkten ein guter Standort, aber wir müssen seine Investitionen nicht durch eigene Leute überwa- auch dafür sorgen, daß er ein akzeptabler und ren- chen und kontrollieren kann, der kommt nicht hier- tabler Standort bleibt. Darin ist die Aufgabe der Bun- her, der geht nach Belgien oder England. Da nutzen desregierung zu sehen. Deswegen unterstützen wir 7528 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 86. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. Februar 1996

Dr. Otto Graf Lambsdorff das, was im Jahreswirtschaftsbericht vorgeschlagen - Wenn Sie die Regierung nicht mehr zur Politik ist. rechnen, kann ich Ihnen nicht helfen, Herr Kollege. (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) (Beifall bei der CDU/CSU) Wenn Sie eine Interpretation brauchen: Unter Poli- Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Das Wort hat der tik verstehe ich natürlich die Bundesregierung - sie Herr Bundeskanzler. in erster Linie -, aber es ist ja kein Zufall, daß hier auch Ministerpräsidenten gesprochen haben. Ich nenne die Bundesländer, ich nenne die Kommunen; Dr. Helmut Kohl, Bundeskanzler (von der CDU/ ich nenne eigentlich alle, denn jeder, der in dieser CSU sowie von Abgeordneten der F.D.P. mit Beifall Gesellschaft Verantwortung hat, soll in einer kriti- begrüßt): Herr Präsident! Meine sehr verehrten schen Situation seine Verantwortung tragen und sich Damen und Herren! Wir diskutieren heute den Jah- prüfen, was er tun kann. reswirtschaftsbericht und das Aktionsprogramm. Angesichts der dramatischen Entwicklungen auf Der Jahreswirtschaftsbericht und das Aktionspro- dem Arbeitsmarkt ist es ganz natürlich, daß diese gramm liegen jetzt vor. Es ist nicht Aufgabe meines Debatte mit großer Leidenschaft geführt wird. Debattenbeitrags, jedes der Details aufzuzählen, Ich denke aber, es ist wichtig, daß wir nach der (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ Debatte bei allen Gegensätzen fähig sind, über die DIE GRÜNEN]: Das wäre schon interes- sant!) Vorschläge, die wir als Bundesregierung im 50- Punkte-Programm und im Jahreswirtschaftsbericht zumal ich der Debatte entnommen habe, daß einige - gemacht haben und die andere machen werden - die ich denke vor allem auch an Sie, Herr Abgeordneter SPD-Opposition in den Ausschüssen, im Bundesrat Fischer - diese Materialien kaum oder jedenfalls nur- und bei anderer Gelegenheit -, vernünftig miteinan- in einer Weise gelesen haben, die zeigt, daß sie nicht der zu reden; denn die Frage der Arbeitslosen ist bereit waren, die Inhalte zur Kenntnis zu nehmen. eine Frage, die jeden bewegt. Wir sollten uns nicht gegenseitig unterstellen, daß der eine davon persön- Ich sage noch einmal: Es geht jetzt darum, die Vor- lich mehr, der andere aber weniger betroffen ist. schläge im Bundestag und in seinen Ausschüssen detalliert zu beraten. Es geht jetzt darum, daß wir mit (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge dem Bundesrat, sprich mit den Ländern - in doppel- ordneten der F.D.P.) ter Funktion, als Bundesrat wie auch als Länderkon- ferenz -, diese Gespräche führen. Graf Lambsdorff hat soeben einen für mich sehr wichtigen Satz gesagt: Es geht eigentlich darum, Herr Scharping, ich habe heute Ihre Behauptung nach den Entwicklungen in den Jahren seit 1950 - nicht verstanden; ich habe nicht verstanden, daß Sie das sind bald 50 Jahre -, nach Gründung der Bun- immer wieder die Bundesbank in die Diskussion desrepublik, die große Herausforderung durch die gebracht haben. Es ist doch ganz selbstverständlich: wirtschaftlichen Veränderungen in der Welt, in In alles, was wir besprechen, bis hin zur entscheiden- Europa und in Deutschland anzunehmen. den Kabinettssitzung, ist, wenn es um diese wichti- gen Grundlagen geht, auch die Bundesbank einbe- Ich nehme das Wort gern auf: Es geht um das zogen. Modell Deutschland, auf das stolz zu sein wir Grund haben. Ich sage bewußt „wir": die Politik genauso Natürlich führen wir Gespräche mit den kommu- wie die, die in der Wirtschaft mitarbeiten, die Indu- nalen Spitzenverbänden. Wenn Sie diese einmal strie im großen wie der Mittelständler und der Hand- befragen, werden Sie feststellen, daß keiner meiner werker, die Gewerkschaften und die Betriebsräte. Amtsvorgänger auch nur annähernd so viele Wir haben in diesen Jahrzehnten gestritten und Gesprächstermine mit den Vertretern der kommuna- gekämpft. Dabei hat sich ein Modell entwickelt, das len Selbstverwaltung immer wieder gesucht hat wie viele bei allen Schwächen für gut halten, viele sogar ich; denn das entspricht meiner Grundvorstellung - so weit gehe ich nicht - für vorbildlich. von unserer Verfassung. Wir haben es in dieser schwierigen Situation mit Meine Damen und Herren, es geht jetzt darum, der Frage zu tun, ob wir fähig sind, zu einem Bünd- daß wir dieses Programm schnell umsetzen. Ich kün- nis für Arbeit zu kommen. Das hat absoluten Vor- dige Ihnen für die Bundesregierung an: Wir werden rang. Wir haben daran gearbeitet. Wir hatten alles tun, um schnell zu Ergebnissen zu kommen. Ich Gespräche mit den Unternehmerverbänden und den lade Sie - auch wenn wir unterschiedlicher Meinung Repräsentanten der Gewerkschaften. Wir werden sein mögen - ein, dabei mitzumachen. diese Gespräche fortsetzen, und ich finde, das ist (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) eine gute Sache. Ich finde es ganz natürlich, daß Sie an einem sol- Aber klar muß auch sein - das ist ja hier von eini- chen Tag die Gelegenheit wahrnehmen, die Regie- gen ausgesprochen worden -, daß jeder - Politik, rung und den Regierungschef anzugreifen; aber Sie Gewerkschaften und Wirtschaft - dabei seine Ver- sollten wenigstens bei einigen Themen bei der Wahr- antwortung sehen muß. heit bleiben. (Hans Büttner [Ingolstadt] [SPD]: Aber auch Ich sage normalerweise nichts zu Ihren Äußerun- die Regierung!) gen, Herr Abgeordneter Fischer, weil wir uns gegen- Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 86. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. Februar 1996 7529

Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl seitig richtig einschätzen können, aber ich will hier rat, und ich denke, mit Unterstützung der SPD- doch zwei Punkte nennen. Sie sollten hier nicht Länder. öffentlich die Behauptung wiederholen, daß kein Subventionsabbau stattgefunden hat. Wir haben seit (Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten 1983 rund 50 Milliarden DM an Subventionen in die- der CDU/CSU und der F.D.P.) ser Bundesrepublik abgebaut. Das kann kein ande- Das hat der Mann acht Tage vor der Hessen-Wahl rer vergleichbarer Staat von sich behaupten. gesagt. (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ Damit die Kolleginnen und Kollegen von der F.D.P. DIE GRÜNEN]: Wo denn?) zusätzliche Zustimmung erfahren, will ich mehr von - Sie glauben doch selbst nicht, was Sie dazwischen- ihm zitieren. Er sagte am selben Tag: rufen. Ich bin mit der F.D.P. ganz einer Meinung, beim Solidarzuschlag möglichst sofort die erste Korrek- Das zweite, was ich gern aufnehmen will, ist, daß tur vorzunehmen. Sie in diesem Zusammenhang das Thema der Kohle subventionen angesprochen haben. (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Das sollte euch von der (Dr. Wolfgang Gerhardt [F.D.P.]: Das ist F.D.P. doch zu denken geben!) hochinteressant!) Meine Damen und Herren, dann kam Herr Spöri. Ich nehme diese Äußerung nur deswegen auf, weil Er hat sich natürlich eben in einer schwierigen Situa- dies eine Debatte ist, die im Fernsehen übertragen tion befunden. Eigentlich hätte er am liebsten wird, und ich will vor allem bei der Arbeitnehmer- gesagt, was auch Erwin Teufel gesagt hat. Aber er- schaft weder an der Saar noch an der Ruhr den Ein- konnte es nicht ganz sagen; denn er sah, da saß der druck entstehen lassen, wir als Bundesregierung Parteivorsitzende, dort saß der Fraktionsvorsitzende. würden von unserer Zusage abgehen. Daher hat er sich etwas sibyllinisch ausgedrückt. Aber jetzt, vor der Wahl in Baden-Württemberg, sagt (Abg. Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Sehr gut!) er natürlich: Unser Wort gilt! Wir plädieren dafür, den Solidaritätszuschlag ver- (Beifall bei der CDU/CSU - Joseph Fischer bindlich abzubauen; denn er hat das Faß zum [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Überlaufen gebracht. Wie lange?) (Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der F.D.P.) Unser Wort gilt bis zum Jahr 2000; und ich sage Ihnen jetzt schon voraus, daß wir nach dem Jahr Meine Damen und Herren, was soll das eigentlich? 2000 - und wenn es nach mir geht, werden wir recht- Sagen Sie doch nicht im Wahlkampf draußen etwas zeitig vor dem Jahr 2000 die Verhandlungen eröff- völlig anderes als hier. Wenn das so richtig ist - Sie nen - über einen wesentlichen Abbau der Kohleför- haben es sehr temperamentvoll hier vorgetragen, derung in der darauf folgenden Zeit zu sprechen Herr Staatsminister Spöri -, dann, finde ich, können haben. Sie hier doch sagen, was Sie denken. Sie sind doch Mitglied einer großen traditionsreichen freiheitlichen Ich bin dagegen, Menschen, die auf die Einhaltung Partei. eines gegebenen Wortes vertrauen, zu verunsichern. Das aber ist der eigentliche Sinn Ihrer Bemühungen; (Heiterkeit bei der CDU/CSU und der sonst gab es dafür ja keinen Grund. F.D.P.) (Beifall bei der CDU/CSU) Weil das so ist, finde ich, sollten Sie nachher ans Pult gehen und sagen: Ich bin ebenfalls dafür. Dann wird Es ist genug über den Solidaritätszuschlag gere- das Bild komplett. det worden. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. - (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ Dr. Wolfgang Gerhardt [F.D.P.]: Die Front ist DIE GRÜNEN]: Sagen Sie mal was zur jetzt etwas kaputtgegangen! - Zuruf von Mehrwertsteuererhöhung ! ) der SPD: Sagen Sie mal was zu den Arbeits- losen!) Aber erstaunlich ist für mich schon, welche Reden Sie hier führen. Eben war sogar Herr Spöri hier am Frau Ministerpräsidentin Simonis hat so gespro- Pult. Ich habe alle möglichen Vorwürfe gehört. Ich chen, wie ich es eigentlich erwartet hatte. Deswegen muß Ihnen schon sagen: Ich brauche hier nur etwas will ich auch nichts dazu sagen, bis auf eines: Daß aus diesem Jahr - natürlich hat das was mit Wahlter- Sie das Kochbuch meiner Frau hier in die Debatte minen zu tun - vorzulesen. Herr Eichel hat erklärt: einführen, ehrt mich zum Teil. Aber ich muß sagen: Ich lese dieses Kochbuch lieber, als daß ich Ihre Wenn über eine stufenweise Abschaffung des Reden höre. Solidaritätszuschlags geredet wird, dann ist meine Position klar: so schnell wie möglich von (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU unten her erleichtern. So gehe ich in den Bundes und der F.D.P.) 7530 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 86. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. Februar 1996 Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl Meine Damen und Herren, wenn ich die Runde hier Das ist kein Trost - damit das klar ist - für die heutige richtig einschätze, gibt es für diese Meinung hier im Situation, aber es geht nicht an, daß Sie in dieser Art Hause eine Vierfünftelmehrheit. und Weise mit der Wahrheit umgehen. Das sind die objektiven Tatsachen, die zur Kenntnis zu nehmen (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU ich Sie bitte. und der F.D.P. - Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Stimmt nicht! Diese Regierung kann (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) nicht zählen! - Zuruf der Abg. Anke Fuchs [Köln] [SPD]) Ohne die folgenden Jahre mit den Notwendigkei- ten vor allem auch - nicht ausschließlich, aber vor - Frau Fuchs, ich verstehe nicht, daß Sie jetzt dazwi- allem auch - mit Blick auf die deutsche Einheit - das schenrufen. Ich kann Ihnen gerne ein solches Koch- wissen Sie ebenso - betrüge die Staatsquote heute buch, sogar mit Widmung, geben. Ich glaube, das nicht über 50 Prozent, sondern 44 Prozent, und die wird in Ihrem Hausstand gute Wirkung haben. Steuer- und Abgabenquote betrüge nicht 44 Prozent, sondern 41 Prozent. Wir hätten auch früher mit der (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU Unternehmensteuerreform anfangen können. und der F.D.P.) (Zustimmung bei der CDU/CSU) Herr Scharping, es ist ja immer die gleiche Mär, die Sie verbreiten. Das haben Sie auch bei der letzten Aber unser Ziel ist und bleibt: Wir wollen die Bundestagswahl getan, allerdings mit nur mäßigem Staatsquote, wie wir jetzt in diesem Text dargelegt Erfolg. haben, auf 46 Prozent senken. Wir wollen die Steu- ern schrittweise senken; ich nenne das Jahressteuer- (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ gesetz 1996, die Unternehmensteuerreform, den DIE GRÜNEN]: Sagen Sie mal was zur Abbau des Solidaritätszuschlages - nach dem, was Mehrwertsteuererhöhung!) - ich hier höre, müßten wir dabei eigentlich zu einer - Ich weiß, daß Sie eine Mehrwertsteuererhöhung Mehrheit kommen -, den Tarif 2000, das heißt die haben wollen. Aber wir machen sie nicht. Trösten Sie Verbreiterung der Bemessungsgrundlage bei Sen- sich: Wir machen sie nicht. kung des Steuertarifs. (Joseph Fischer [Frankfu rt] [BÜNDNIS 90/ Mindestens genauso wichtig ist die Senkung der DIE GRÜNEN]: Ihr macht sie nicht? Ehren Sozialversicherungsbeiträge von heute rund wort? Ehrenwort?) 41 Prozent des Bruttoentgelts auf 40 Prozent. - Was haben Sie für Vorstellungen, wie wir hier mit- Das ist eine sehr, sehr ehrgeizige Vorgabe. Ich bin einander reden? Es mag ja sein, daß es bei den Grü- da ohne jede Illusion und sage hier klar: Das wird nen notwendig ist, sein Ehrenwort zu geben, weil Sie ungeheuer schwer sein, auch bezüglich der gegen- sich nicht trauen. Aber das ist nicht unsere Vorstel- seitigen Interessenkonflikte. lung vom Umgang miteinander. Aber ich bekenne mich natürlich ohne Wenn und (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU Aber zu diesen Notwendigkeiten der Erhöhung, weil und der F.D.P. - Joseph Fischer [Frankfu rt] ja in diesem Zeitabschnitt, den ich beschrieben habe, [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das kann ich eines der glücklichsten Ereignisse der deutschen mir gut vorstellen! - Ingrid Matthäus-Maier Geschichte stattfand, nämlich die deutsche Einheit. [SPD]: Aber Ihre Steuerlügen sind doch (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) bekannt!) Meine Damen und Herren, bei allem Ärger und Herr Scharping, Sie haben einmal behauptet, daß Verdruß: Ich bekenne mich nachdrücklich zu allen in den letzten 13 Jahren, wie Sie zu sagen pflegen, Notwendigkeiten einer Unterstützung der neuen die Steuern und Abgaben gestiegen sind. Ich will Länder. Ich habe klar gesagt, und das gilt auch: das noch einmal in Ihre Erinnerung rufen, weil es Wenn wir den Solidaritätszuschlag zurückfahren, falsch ist, was Sie sagen. Wir haben in den Jahren bis kann das nicht zum Nachteil der neuen Länder sein. zur deutschen Einheit, bis 1989, mit knapp 46 Prozent Wir denken gar nicht daran, eine solche Position auf- den niedrigsten Stand der Staatsquote seit 1974 zunehmen. erreicht. Das ist doch eine Tatsache. Ich finde, es ist einfach nicht in Ordnung und schon gar nicht fair (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) und nicht ehrlich, wenn Sie diese Tatsache bestrei- ten. Ich sagte, das zentrale Thema ist die Frage des Arbeitsmarktes. Für uns heißt Vorrang für Arbeits- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) plätze, daß dieses Prinzip als Leitschnur für alle - für Unternehmen, Tarifpartner und Politik - gelten muß. Wir haben die Steuer- und Abgabenquote 1990 mit gut 40 Prozent auf einen Stand gebracht wie vorher Wenn ich von der Politik spreche, meine ich natür- zuletzt 1973. Auch das ist die Wahrheit. lich zunächst die Bundesregierung. Wir werden ja in Wahr ist auch, daß wir in diesem Zeitraum sehr naher Zukunft, meine Damen und Herren, über Tarifverhandlungen im öffentlichen Dienst zu reden 3,2 Millionen neue Arbeitsplätze in der alten Bun- desrepublik geschaffen haben. haben, und deswegen sage ich mit Bedacht, daß die Gesamtlage auch Auswirkungen beim öffentlichen (Hans Büttner [Ingolstadt] [SPD]: Durch Dienst haben muß; denn ein sicherer Arbeitsplatz - Arbeitszeitverkürzung!) dies erkennen heute viel mehr Menschen als noch Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 86. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. Februar 1996 7531

Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl vor einigen Jahren - ist ein wichtiges Gut, und das wachsende Beteiligung von Frauen am Erwerbsle- muß auch bei Tarifverhandlungen bedacht werden. ben, gerade von Frauen aus der jüngeren Genera- tion. Die Zahl der Frauen, die erwerbstätig sein wol- Arbeitslosigkeit - das wissen wir - ist natürlich len, ist von 1983 bis heute um rund zwei Millionen nicht nur ein ökonomisches Problem. Sie betrifft die gestiegen. Deswegen, meine Damen und Herren, ist Lebensbereiche vieler Menschen, weit über vier Mil- es eigentlich ganz selbstverständlich, daß Instru- lionen, ihre ganz persönliche Situation, ihr persönli- mente wie Teilzeitarbeit, um aus einer familiären ches Glück, um es einmal so auszudrücken, vor allem Situation wieder an den Arbeitsplatz zurückkehren auch für eine Generation, die die 50 passiert hat und zu können, heute eine ganz andere Bedeutung für die folgenden Jahrzehnte vor einer sehr schwieri- haben. gen Entwicklung steht. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Ein sicherer Arbeitsplatz ist Grundlage für Wohl- ordneten der F.D.P.) stand, für Zufriedenheit, für Zuversicht und vor allem auch für eine Zukunftsperspektive. Dabei wissen wir natürlich, daß man sich in den Betrieben, und zwar auf beiden Seiten: bei Gewerk- (Beifall der Abg. Dorle Marx [SPD]) schaften wie auch bei Unternehmern, schwertut - Wir haben keinen Grund, uns gegenseitig vorzuhal- das gilt natürlich nicht nur für Frauen, sondern auch ten, daß darüber die einen mehr und die anderen für Männer -, Eingangs- oder Übergangslösungen weniger besorgt sind. mit Teilzeitarbeit zu suchen. Von diesem Pult aus habe ich das oft genug gesagt. (Dr. Wolfgang Gerhardt [F.D.P.]: Ja!) Wir, die Bundesregierung, sind nachdrücklich der Meine Damen und Herren, deswegen ist für mich Überzeugung, daß wir auch in Zukunft ausländische und für die Bundesregierung ganz klar, daß dieses Arbeitskräfte für die deutsche Wirtschaft brauchen. Thema die Nummer eins unter allen Themen ist. Anders ist dies gar nicht vorstellbar. Wir sind eben- (Joseph Fischer [Frankfu rt] [BÜNDNIS 90/ falls dafür, Frauen, die erwerbstätig sein wollen und DIE GRÜNEN]: Das erzählen Sie seit 1986 erwerbstätig bleiben wollen, die Chance dazu zu in Ihren Neujahrsansprachen! - Heiterkeit eröffnen bzw. zu erhalten. beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Die Gesamtlage hat sich in diesen Jahren in einer - Das ist es ja, Herr Abgeordneter Fischer: Sie sind enormen Weise verändert. Die Arbeitsmarktpro- weder lernfähig noch lernwillig. Ich habe Ihnen bleme in Deutschland sind heute von vielen Faktoren gerade die Zahlen für die Zeit bis 1989 vorgetragen. beeinflußt, die wir in dieser Form vor zehn Jahren nicht hatten. In der Debatte ist heute wieder - zuletzt (Joseph Fischer [Frankfu rt ] [BÜNDNIS 90/ vom Grafen Lambsdorff - der Vergleich mit den USA DIE GRÜNEN]: 4,2 Millionen Arbeitslose! gezogen worden. Ich bin dagegen, daß wir diesen Sagen Sie mal was zu Ihrer Verantwortung! Vergleich pauschal ablehnen. Die mentale, die psy- - Dr. Wolfgang Schäuble [CDU/CSU], an chologische und die soziale Situation der USA ist den Abg. Joseph Fischer [Frankfurt] natürlich völlig anders als die unsere. Es ist aber [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] gewandt: wahr, daß nicht alle neuen Jobs, die dort geschaffen Eine doppelte Nullnummer!) wurden, Billigjobs sind. Wir sollten uns das schon Bei der Diskussion über die Arbeitslosigkeit - das einmal anschauen. hat überhaupt nichts mit irgendeiner Form der ( [CDU/CSU]: Sehr richtig!) Beschönigung zu tun, sondern nur damit, das Pro- blem transparenter zu machen - muß auch einmal Genauso klar muß ich sagen, daß ich es nicht darauf hingewiesen werden, daß wir heute in West- akzeptiere, das amerikanische Modell auf die deut- deutschland, in der alten Bundesrepublik, zweiein- schen Verhältnisse zu übertragen; denn in den USA halb Millionen Arbeitsplätze mehr haben als 1983. herrscht unter vielen Gesichtspunkten eine andere Diese Zahl hat nur deshalb nicht zu einem Rückgang Situation. Das beginnt schon bei der Wortwahl. Wir der Arbeitslosigkeit geführt, weil in der alten Bun- sprechen zu Recht von sozialer Marktwirtschaft und desrepublik heute gut drei Millionen Menschen nicht nur von Marktwirtschaft. mehr einen Arbeitsplatz suchen als 1983. (Zuruf von der SPD: Und Großbritannien?) (Zuruf von der SPD: Ach so!) - Weil Sie den Zwischenruf machen, möchte ich Es gibt vor allem zwei Entwicklungen, die gesehen sagen: Ich habe niemals das Beispiel der Kollegin werden müssen. Das müssen wir bei unseren Überle- Thatcher für erstrebenswert für unser Land gehalten. gungen, was wir tun wollen, mit betrachten. Zum Das habe ich in öffentlichen Diskussionen oft ausge- einen ist die Welle der Zuwanderung aus dem Aus- drückt. land zu sehen. Allein in den fünf Jahren zwischen 1987 und 1992 kamen über vier Millionen Zuwande- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- rer in die Bundesrepublik Deutschland, von denen ordneten der F.D.P.) nach unseren Erfahrungen jeder zweite einen Arbeitsplatz sucht. Wir haben auch eine völlig andere Vorstellung von sozialer Verpflichtung. Wir sind, wenn ich meine Zum anderen - das begrüße ich auch - gehört dazu eigene Partei und viele andere in diesem Hause das veränderte Erwerbsverhalten, insbesondere die sehe, von der Sozialethik der evangelischen Kirche 7532 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 86. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. Februar 1996 Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl und den Sozialenzykliken geprägt. Das war immer reden. Das, was Sie hier entwickeln, ist schon eine unser Weg, und so werden wir auch bleiben. eigenartige Vorstellung.

Aber, meine Damen und Herren, man kann von (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU - den USA schon lernen, daß ein nachhaltiger Beschäf- Hans Büttner [Ingolstadt] [SPD]: Jugendar- tigungsaufbau durch Wirtschaftswachstum gelungen beitslosigkeit!) ist, durch Steuersenkungen, die expansive Impulse gaben, daß moderate Lohnentwicklungen über viele Ich will mich nachdrücklich zum deutschen System Jahre die Anstrengungen unterstützt haben. Wir der beruflichen Bildung, dem dualen System, beken- sehen - auch das gehört dazu, und das finden Sie nen, weil dies wieder diskutiert wird. Ich bin ganz auch alles in unserem 50-Punkte-Programm -, daß sicher, daß das, was wir in der Runde im Bungalow amerikanische Arbeitnehmer mehr Mobilität zeigen erreicht haben, nämlich die Zusage der Wirtschaft, müssen und flexibler sind. Das gilt dort im übrigen das Ausbildungsplatzangebot innerhalb von zwei auch für die Unternehmer. Jahren um 10 Prozent zu steigern, eine hervorra- gende Sache ist. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge ordneten der F.D.P.) (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Bei dem, was die Frau Ministerpräsidentin an Hier hat sich die Verantwortung gegenüber dem Bür- Anklagen gegenüber deutschen Unternehmern er- ger durchgesetzt. hoben hat, war ich etwas erstaunt. Die Unternehmer, die Sie hier kritisiert haben, lassen sich nicht unbe- Meine Damen und Herren, in diesem Zusammen- dingt der Bundesregierung und schon gar nicht der hang will ich noch darauf hinweisen - das ist in der Christlich-Demokratischen Union zurechnen. Wenn Debatte leider sehr stiefmütterlich behandelt wor-- ich es richtig gehört habe, ist doch in Ihrer Partei dis- den -, daß das Aktionsprogramm im Hinblick auf den kutiert worden, ob besagter Spitzenmann nicht in Wunsch junger Leute, sich selbständig zu machen, eine wichtige Wirtschaftsfunktion einer von Ihnen ganz wesentliche Vorschläge enthält. Das ist von sei- geführten Regierung passen würde. Sie sollten die ten der Opposition überhaupt nicht angesprochen Verbrennungsvorgänge nicht so beschleunigen. worden. Das ist aber doch ein Punkt, den Sie unter- stützen müßten. (Heiterkeit bei der CDU/CSU) Das ist eine der dramatischsten Notwendigkeiten Meine Damen und Herren, die Konsequenz heißt in der Bundesrepublik, doch: Wir müssen die Steuer- und Abgabenlast im Rahmen unserer Möglichkeiten zurückführen. Sie (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) bedeutet aber auch: Die erforderliche Konsolidie- rung der öffentliche Haushalte darf darunter nicht und zwar nicht nur wegen der Situation der jungen leiden. Das sind zwei sehr ehrgeizige Ziele. Dafür Menschen, die jetzt in den Beruf kommen, sondern müssen wir das Notwendige tun, wenn es sein muß, auch und nicht zuletzt - ich finde, das wird viel zuwe- auch mit Mut und Entscheidungsfähigkeit. nig beachtet - wegen der Situation derer, die aus mit- telständischen Betrieben ausscheiden. Wir wissen, Ich denke, die Gewerkschaften und die Wirtschaft daß im Zeitrahmen von heute bis zum Jahre 2005 haben dies erkannt. Immerhin haben wir in der Zwi- allen Schätzungen nach rund 700 000 mittelständi- schenzeit eine Gesprächsbasis - in vielen Punkten sche Betriebe, davon die Hälfte Handwerksbetriebe, werden wir uns nicht einigen; anderes ist konsensfä- aufgeben werden, weil sie keine Erben haben, die hig -, die nach meiner Überzeugung bemerkenswert das Unternehmen fortführen wollen. Damit verändert ist. Nach dem, was ich in Europa höre, ist dies auch sich die Struktur unserer Gesellschaft. Es geht also die Überzeugung anderer; viele beobachten das nicht nur darum, neue mittelständische Unterneh- sogar mit einem gewissen Neid. Deswegen glaube mungen zu schaffen, obwohl das dringlich ist. Es ich, daß wir eine gute Chance haben. geht vor allem darum, die vorhandenen zu erhalten.

Wenn wir über die Probleme unseres Arbeits- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) markts sprechen, müssen wir darauf hinweisen, daß wir auch in diesem Jahr etwas fertiggebracht haben, Deswegen werden wir alles tun, um auf diesem was viele von Ihnen in der Opposition bezweifelt Wege hilfreich zu sein. haben. Wir sind nämlich fähig, der jungen Genera- tion eine vernünftige Ausbildung zu verschaffen. Es Eine der Kolleginnen, die zuletzt gesprochen hat, ist doch kein Zufall, daß diese Generation der Bun- hat einen Gedanken geäußert, den ich nachdrücklich desrepublik Deutschland in der Europäischen Union unterstütze. Sie hat gesagt, daß wir bei dem, was wir weit weniger von Arbeitslosigkeit betroffen ist als im Bereich des Risikokapitals tun, nicht nur an den diejenige aller anderen Länder. Das soll auch so blei- Staat und die öffentliche Hand denken dürfen, ben. (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ (Hans Büttner [Ingolstadt] [SPD]: Vorruhe DIE GRÜNEN]: Was tut ihr denn dann?) stand!) sondern im Rahmen unserer Möglichkeiten auch - Ich weiß nicht, wie Sie auf den Gedanken kommen, dafür Sorge tragen müssen, daß im deutschen Ban bei dem Thema Ausbildung von Vorruhestand zu kensystem ein Umdenken eintritt und daß Risikoban- Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 86. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. Februar 1996 7533

Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl ken privater Art geschafft werden, wie es in den USA die wir auf den verschiedensten Ebenen in Bund, gang und gäbe ist. Ländern und Gemeinden, für soziale Sicherung aus- geben, dann ist es doch abwegig, zu sagen, daß hier (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. eine soziale Demontage stattfindet. Wenn wir die sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES Zukunft wirklich sichern und gewinnen wollen, dann 90/DIE GRÜNEN) muß es möglich sein, daß man, ohne gleich diffamiert Für mich ist völlig klar, daß wir die Erhaltung des zu werden, darüber spricht, was man tun kann, um Modells Deutschland, Graf Lambsdorff, erreichen Mißstände abzubauen, die offenkundig sind. werden, wenn wir nicht nur die Lage in Deutschland (Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU und betrachten, sondern auch die internationalen Verän- der F.D.P. - Dr. Uwe Küster [SPD]: Steuer- derungen zur Kenntnis nehmen, die Herausforde- hinterziehung!) rung, die sich aus den Weltmärkten ergibt, ob in Asien oder Mittel- und Osteuropa, und wenn wir vor Wenn ich nur die Debatte der letzten drei Jahre - allem auch zur Kenntnis nehmen, daß andere riesige ich könnte dabei viele von Ihnen zitieren - zu dem Anstrengungen unternehmen, um unsere Konkur- Thema Kuren betrachte - wahrlich nicht das zentrale renzfähigkeit zu erproben. Thema deutscher Sozialpolitik -, dann muß man sagen, es ist doch ziemlich abwegig, was sich hier In diesem Zusammenhang nenne ich ganz beson- entwickelt hat. Da gibt es ein Besitzstandsdenken, ders auch das Aufkommen neuer, regionaler Han- das mit der Notwendigkeit der Solidarität der delsblöcke wie in Amerika die NAFTA, in Asien die Gesellschaft überhaupt nicht in Einklang zu bringen ASEAN und Mercosur in Südamerika. Die Global- ist. Ich denke auch an andere Beispiele, die der Kol- isierung der Absatzmärkte ist in einem Ausmaß im lege Seehofer in diesen Tagen immer wieder vorge- Gange - der Ministerpräsident von Baden-Württem- tragen hat. Wir haben wir einfach Mißstände, über berg hat die Beispiele aus seinem Land genannt -, die man offen reden können muß, zumal die Bürger das niemand mehr verhindern kann und auch nie- im Land längst offen darüber reden, mand verhindern sollte. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) auch und nicht zuletzt gerade die Arbeitnehmer. Wir können nicht heute über Wirtschaftspolitik und Arbeitsmarkt in Deutschland reden und in der Deswegen haben wir auf der anderen Seite auch nächsten Woche hier eine Debatte über die Entwick- keinen Grund - das ist hier zu Recht gesagt worden -, lung der Dritten Welt führen. Das wäre ein Stück den Standort Deutschland schlechtzureden. Ich sehe Heuchelei, wenn wir nicht zur Kenntnis nähmen, daß mit großem Mißbehagen, daß der eine oder andere wir unseren Beitrag zu leisten haben mit all den Pro- durch die Gegend zieht, auch aus dem Unternehmer- blemen, die es für uns im Inneren des Landes bedeu- lager, und zum Teil von seinen eigenen Schwächen tet, daß diese Länder nicht nur Geld leihen, sondern ablenkt, indem er den Standort Deutschland verteu- auch in der Lage sind, Geld zu erwirtschaften, Pro- felt. Ich halte von einer solchen Art und Weise des dukte herzustellen. Umgangs überhaupt nichts. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Es hat keinen Sinn, zu jammern und zu klagen, Wir haben ganz unbestreitbare Stärken: die ausge- wenn man beispielsweise in einem Land, das ein wogene Wirtschaftsstruktur, die leistungsfähigen Schlüsselland der Entwicklung in Afrika wird, näm- kleinen und mittleren Unternehmen, die großen lich in Südafrika, sieht, wie deutsche Automobilfir- internationalen Unternehmen, also die Multis, die men mit Weltrang und Weltnamen dort erstklassige weltweit ihre Bedeutung haben und die Führungs- Produktionsstätten aufbauen und von dort aus den funktionen haben, was übrigens auch überall aner- Markt in Australien und Neuseeland beliefern. Wir kannt wird. müssen uns an den Gedanken gewöhnen, daß wir Wir haben ein ungewöhnlich hohes Ausbildungs- nicht nur für den freien Welthandel eintreten kön- niveau der Erwerbstätigen. In allen EG - Studien nen, in dem wir unsere Produkte anderen anbieten taucht die Feststellung auf, daß die Deutschen in und verkaufen, sondern daß endllich auch andere bezug auf ihre Berufsausbildung Spitze sind. Daß wir ihre Chance bekommen. Das ist eine der wichtigen einen enormen Nachholbedarf im Hinblick auf die Aufgaben einer weitblickenden deutschen Politik, Ausbildung des akademischen Nachwuchses haben, die den Begriff Solidarität nicht nur im Munde führt. daß wir die Frage stellen müssen, ob das alles so blei- (Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU und ben kann, wie es jetzt ist, das ist eine Frage - ich der F.D.P.) schiebe hier keine Verantwortung ab, da ich ja nicht sage, daß der Bund hier keine Verantwortung hätte -, Das, meine Damen und Herren, werden wir nur die wir mit Blick auf die gesamte Bundesrepublik fertigbringen, wenn wir uns nicht einigeln, nicht sehen müssen. defensiv sind und nicht nur den Status quo verteidi- gen. Beispiele dafür sind ja genannt worden. Dieses Haus hat dabei seinen geistigen Beitrag mit zu leisten, indem wir darauf drängen, die Ergebnisse Es geht doch in Tat und Wahrheit überhaupt nicht der Vorstellungen, die Herr Kollege Rüttgers in darum, den Sozialstaat und die soziale Dimension bezug auf die Zielsetzung bei den Universitäten vor- unserer Gesellschaft abzuschaffen. Wenn Sie die gelegt hat, umzusetzen. Das ist kein Eingriff in die Summe insgesamt nehmen, die Milliardenbeträge, Kulturhoheit, vielmehr ist es eine Notwendigkeit, 7534 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 86. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. Februar 1996

Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl wenn es in Deutschland darum geht umzudenken. hinaus in die neue Legislaturperiode hineinreichen. Es ist für mich nicht akzeptabel, daß junge deutsche Wir wollen die hohe Steuerbelastung schrittweise Akademiker im Schnitt drei oder vier Jahre älter sind senken. Wir werden jetzt mit den Ländern darüber als ihre Kollegen in der Eurpäischen Union. Es ist die notwendigen Gespräche führen. Aber ich finde, auch kein Ruhmesblatt für uns, daß es jetzt, knapp man darf nicht diffamiert werden, wenn man dem sechs Jahre nach der deutschen Einheit, immer noch Bürger das geben will, was dem Bürger zukommt, eine von Bundesland zu Bundesland unterschiedlich um ihn zur Leistung zu motivieren. lange Gymnasialschulzeit gibt, nämlich acht und neun Jahre. Ich kann nicht entdecken, daß das etwas Wir wollen zum dritten die hohen Lohnzusatzko- mit Föderalismus zu tun hat. Ich kann nur entdecken: sten angehen. Es ist bei unseren Gesprächen mit Es hat etwas mit Kurzsichtigkeit zu tun. Auch dies Wirtschaft und Gewerkschaften ein besonders ehr- gehört zu dem angesprochenen Bereich. geiziges Ziel, mit der Summe der Beitragssätze zur Sozialversicherung in den nächsten vier Jahren wie- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge der auf unter 40 Prozent zu kommen. Ich halte die ordneten der F.D.P) Erreichung dieses Ziels für möglich; es wird aber nur Meine Damen und Herren, wir haben eine gut aus- dann erreicht werden, wenn wir den Ernst der Lage gebaute öffentliche Infrastruktur. Es ist doch gar erkennen und die notwendigen Entscheidungen tref- keine Frage, daß das ein ganz enormer Vorteil ist. fen. Ich finde auch, daß wir noch viel mehr tun könn- Was in den neuen Ländern jetzt vorrangig ist, ist ja ten, um die Effizienz des sozialen Sicherungssystems der schnelle Ausbau der Infrastruktur, in einem zu verbessern und um zu sparen. Tempo, wie das wenige vorher für möglich gehalten Mit einem Wort: Es geht nicht um Abbau, sondern haben. In den neuen Ländern ist auch von den Ver- waltungen und Kommunen Hervorragendes geleistet um Sicherung der Grundlagen und der langfristigen Finanzierbarkeit des Sozialstaats. Hier sind alle auf-- worden. Ich sage das auch an die Adresse derer, die gefordert. Wir müssen forciert Arbeitsplätze in neuen immer herummaulen und sagen: Die bekommen Beschäftigungsfeldern erschließen und die bisheri- zuviel Geld. Ich wünsche mir in allen deutschen gen Blockaden beenden. Dazu gehört auch die Städten ein solches Tempo bei der Genehmigung von Projekten, wie ich das beispielsweise in Leipzig, Beschäftigung in privaten Haushalten. Frau Fuchs, Sie waren hierfür immer eine Vorkämpferin. Ich in Dresden oder anderswo in den neuen Ländern erlebt habe. Hier können wir sehr viel von den Ver- wünsche mir, daß Sie Ihre Fraktion so sehr überzeu- antwortlichen in den neuen Ländern lernen. gen, daß sie gläubig zustimmt. Dann sind wir ein Stück weiter. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. - Meine Damen und Herren, wir haben eine stabile Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Aber erst dann, Währung; wir haben eine Inflationsrate, die nach den wenn Sie die Geringfügigkeitsgrenze Lehrmeinungen, wie wir sie früher als Studenten auf abschaffen!) der Universität hörten, gar keine Inflation mehr ist. Diejenigen, die darüber nicht mehr reden, sollten Wir haben Chancen zur Beschäftigung im Pflege- sich daran erinnern, daß eine hohe Inflationsrate mit bereich. Wir haben neue Wachstumsfelder im Abstand das sozial Schlechteste ist, was man kleinen Bereich Multimedia und im Bereich der Biotechnolo- Einkommen antun kann. Gerade für die Rentner und gie. Viele dieser Maßnahmen, meine Damen und die Bezieher kleiner Einkommen ist eine niedrige Herren, werden jetzt Stück für Stück durchgesetzt. Inflationsrate wichtig. Ich lade Sie herzlich ein, dabei mitzumachen. Ich (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) füge hinzu - ohne in die Tarifhoheit hineinzureden, die ich respektiere -, daß natürlich auch die Tarifab- Mit einem Wort: Ich denke, wir haben gute Chancen, schlüsse im Jahre 1996 von entscheidender Bedeu- unsere Ziele - zugegebenermaßen: ehrgeizige Ziele - tung für das Klima, von dem ich gesprochen habe, zu erreichen. Das Aktionsprogramm enthält kon- sein werden. krete, auch steuerliche, Maßnahmen, um die Men- schen zu ermutigen, sich selbständig zu machen, (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Arbeitsplätze zu schaffen. Es ist wichtig, daß vor allem kleine und mittlere Unternehmen gegründet Ich möchte Sie einladen, in diesem Sinne die werden. Wir haben zwischen 1990 und 1994 im Mit- Debatte mitzuführen. Wenn Sie unsere Vorschläge telstand trotz der Rezessionsentwicklung die Schaf- kritisieren, dann lassen Sie uns darüber reden, ob Sie fung knapp einer Million neuer Arbeitsplätze in andere oder bessere Vorschläge haben. Wir werden Deutschland erfahren. Die Zahl der Beschäftigten in uns dann entscheiden müssen. Natürlich ist es so, den Großunternehmen ist in dieser Zeit um nahezu daß die Bundesregierung die Mehrheit hier in die- 600 000 abgebaut worden. Diese Zahlen sprechen sem Hause hat. Sie brauchen ja auch die Bundesre- doch für sich. Wenn es stimmt - ich habe keinen gierung für Ihre Angriffe. Es wäre ja eine schlimme Zweifel daran, daß es stimmt -, daß jeder Existenz- Entwicklung, wenn Sie diese Chance nicht mehr hät- gründer in der Regel vier weiteren Personen in ten; denn sonst käme Ihnen ja eine bestimmte Hoff- absehbarer Zeit Arbeit und Brot gibt, dann muß ich nung gänzlich abhanden. sagen: Das ist eine ganz wichtige Voraussetzung. Lassen Sie uns ungeachtet aller streitigen Diskus- Wir haben einen klaren Fahrplan in der Steuerpoli- sionen den Versuch unternehmen, die notwendigen tik; er soll über das Ende dieser Legislaturperiode Gespräche und die notwendigen Entscheidungen Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 86. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. Februar 1996 7535

Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl herbeizuführen. Wir in der Koalition und in der Bun- Das Entscheidende ist, daß Ihre Vorschläge, die Sie desregierung sind dazu bereit. vorgelegt haben, ungeeignet sind (Langanhaltender lebhafter Beifall bei der (Beifall bei Abgeordneten der SPD) CDU/CSU und der F.D.P.) und zu kurz greifen. Dies will ich hier nun Punkt für Punkt darlegen. Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Das Wort hat der Seit langer Zeit sind wir alle der Auffassung, daß Ministerpräsident des Saarlandes, Oskar Lafontaine. die viel zu hohen Lohnnebenkosten den Standort belasten. Das ist unstreitig. Aus diesem Grunde hat- ten Herr Kollege Biedenkopf und ich bereits bei der Ministerpräsident Oskar Lafontaine (Saarland) Standortdiskussion vor einigen Jahren vorgeschla- (von der SPD mit Beifall begrüßt): Herr Präsident! gen, dieses Thema anzugehen. Wir hatten einige Meine sehr geehrten Damen und Herren! Bei der Vorschläge gemacht. Die muß man nicht alle für rich- Erklärung des Herrn Bundeskanzlers habe ich mir tig halten. Aber es ist natürlich merkwürdig, Herr immer wieder die Frage gestellt, wie ein Arbeitsloser Bundeskanzler, und völlig unzureichend, wenn Sie sie aufnehmen wird, der jetzt vor dem Fernseher sitzt sagen „Wir wollen dieses wichtige Problem vielleicht und hören will, welche Perspektiven er in den näch- im Jahre 2000 in bescheidenem Umfang lösen", sten Jahren hat. Ich möchte vor diesem Hintergrund Ihr Angebot, Herr Bundeskanzler, durchaus aufgrei- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) fen und sagen: Den richtigen Ton haben Sie im Hin- wenn Sie aber nicht genau sagen, wie das jetzt blick auf die Zusammenarbeit zwischen den unter- geschehen kann, während es im Jahreswirtschafts- schiedlichen staatlichen Ebenen getroffen. Ihr ernst- bericht heißt: Die Rentenversicherungsbeiträge stei- gemeintes Angebot, zusammen mit dem Bundesrat gen, die Pflegeversicherungsbeiträge steigen, die- und den Gemeinden bestimmte Lösungen voranzu- Krankenversicherungsbeiträge steigen und, wenn es bringen, hören wir gerne. so weitergeht, auch die Beiträge zur Arbeitlosenver- Das hebt sich wohltuend von dem ab, was wir in sicherung. Das ist die unbef riedigende Situation. Sie der letzten Debatte gehört haben und noch heute geben an einer zentralen Stelle der deutschen Wirt- teilweise hören. Da heißt es, wenn unterschiedliche schaftspolitik keine Antwort. Auffassungen zur Sache bestehen: Die SPD stört nur (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ und verweigert sich. Wenn es in der gegenwärtigen DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der Situation nicht gelingt, zügig zu Entscheidungen zu PDS) kommen, die die Situation verbessern, dann versa- gen wir alle vor den Arbeitslosen. Dann ist es unin- Nun will ich Ihnen sagen, wie das gehen könnte. teressant, darauf hinzuweisen, wer da und dort ein- Bei der Rentenversicherung müssen wir natürlich die mal recht gehabt hat. Leistungen überprüfen. Ich habe angeboten, über den Vorruhestand zu einer einvernehmlichen (Beifall bei der SPD) Lösung zu kommen. Voraussetzung ist - da unter- streiche ich das, was Rudolf Scharping gesagt hat -, Insofern greife ich diesen geänderten Tonfall gern daß die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die auf und möchte jetzt natürlich zu dem sachlichen jahrzehntelang in die Versicherung gezahlt haben, Angebot kommen, das Sie gemacht haben; denn es Vertrauensschutz genießen; sonst ist mit uns keine ist klar, daß Deutschland heute darauf gewartet hat, Vereinbarung zu treffen. daß der Regierungschef in einer Situation, in der die Arbeitslosenrate ihren Höchststand erreicht hat, (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne- etwas dazu sagt, wie es weitergehen könnte, welche ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) konkreten Schritte wir nunmehr unternehmen müs- Wir haben immer wieder gesagt: Befreien Sie die sen, um die Situation zu verbessern. sozialen Versicherungssysteme von fremden Lasten! Herr Bundeskanzler, ich muß Ihnen sagen: An Sie können sicher darauf verweisen, Herr Kollege dem, was Sie hier allgemein vorgetragen haben, Blüm, daß da ab und zu auch der Bundesrat oder wer habe ich im Grunde genommen gar nichts zu kritisie- auch immer mitgemacht hat. Aber es ist eine Fehlent- ren. Es ist auch richtig, daß Sie beispielsweise - um wicklung. Wir beklagen so oft den Mißbrauch von das konkret anzusprechen - in den 80er Jahren die Sozialleistungen. Hier handelt es sich aber um einen Mißbrauch der Sozialkassen, den im Staatsquote gesenkt haben. Es ist auch richtig - um eklatanten das konkret anzusprechen; ich werde es aber noch wesentlichen die Politik zu verantworten hat und im detaillieren -, daß Sie in den 80er Jahren temporär wesentlichen die von Ihnen geführte Regierung, einen Zuwachs an Arbeitsplätzen zu verzeichnen Herr Bundeskanzler, weil Sie nach der Vereinigung hatten. Aber was hilft das den Arbeitslosen, die jetzt zu feige waren, Steuererhöhungen und Steuerfinan- vor dem Fernsehgerät sitzen und darauf warten: Was zierung vorzuschlagen. Alles in die Sozialkassen - sagt der Regierungschef zu der Frage, wie es weiter- das ist viel bequemer. gehen soll? (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN Wir sind bereit, nachdem schon die Länder und der und der PDS - Widerspruch bei der CDU/ Kollege Dreßler im Rahmen der Krankenversiche- CSU) rung Verhandlungen mit Ihnen geführt haben, wei- 7536 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 86. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. Februar 1996

Ministerpräsident Oskar Lafontaine (Saarland) tere Verhandlungen zu führen. Das muß aber fair den direkten Steuern und somit eines stärkeren zugehen. Wenn Sie hingehen, Herr Minister Seeho- Gewichts bei den indirekten Steuern." fer, und beispielsweise den Krankenhausbereich getrennt bearbeiten wollen, weil das, wie Sie sagen, (Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Aha!) nicht zustimmungspflichtig sei, dann fühlen sich die Herr Bundeskanzler, können Sie einmal die Länder gelinkt; das ist keine geeignete Vorgehens- Chance nutzen, hier zu sagen, was Sie eigentlich weise. meinen? Wollen Sie die Verbrauchsteuern auf der (Bundesminister Seehofer: Es pressiert!) Mehrwertsteuerseite erhöhen, oder wollen Sie ökolo- gische Mehrbelastungen? Letzteres wird ja in vielen Ich sage Ihnen als jemand, der viele Jahre lang Landesverbänden der CDU, etwa in Hessen, und Bürgermeister war und seit vielen Jahren Landes- sogar in der CSU diskutiert. Verehrter Herr Glos, politik macht, daß man das zusammen sehen muß lesen Sie einmal, was der Umweltkreis Ihrer Partei - die ambulanten Behandlungen, die Pharmaindu- aufgeschrieben hat. Auch der Kollege Repnik hat das strie und die Krankenhäuser - und nicht in einzelnen ja so schön ausgearbeitet, darf es aber nicht vorle- Punkten herummogeln darf, bei denen man vielleicht gen. Was wollen Sie eigentlich? gerade mit der F.D.P. zurechtkommt oder vielleicht Das macht den ersten Pfusch deutlich: Sie schrei- gerade mit einem Bundesland glaubt zurechtzukom- ben in Ihrem Jahreswirtschaftsbericht ganz klar, daß men. Ein Wurf ist das nicht. Sie einen stärkeren Akzent bei den Verbrauchsteu- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne ern setzen wollen, aber sagen den Menschen vor ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN Wahlen nicht, was Sie tun werden. Leisten Sie sich und der PDS) nicht wieder eine Steuerlüge! Ich finde das unerhört. Natürlich können wir auch im Rahmen Arbeitslo- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ - senversicherung darüber reden, wie wir zielgenauer DIE GRÜNEN) justieren. Nur, in unserem Staat muß Vertrauen Sie wissen ganz genau, daß es unehrlich ist, die erhalten bleiben. Es muß klar sein, daß wir unsere Maßnahmen auf das Jahr 2000 zu verschieben. Sie Reformen alle unter ein Motto stellen, das Motto, daß wissen ganz genau, daß ein Umorganisieren der die sozialen Leistungen dort gewährt werden, wo die sozialstaatlichen Leistungen allein nicht dazu führt, Menschen sie brauchen, wo sie bedürftig sind. Es daß die Beiträge zur Sozialversicherung auf unter muß dort umorganisiert und müssen neue Wege 40 Prozent sinken. Belügen Sie nicht die deutsche gegangen werden, wo sich bestimmte Leistungen als Bevölkerung! überflüssig erwiesen haben, weil die Menschen sie gar nicht mehr brauchen. Das Bedürftigkeitsprinzip, (Michael Glos [CDU/CSU]: Was wollen Sie das wir hier schon mal diskutiert haben, ist im denn?) Grunde genommen kein zu verachtendes Prinzip. Es - Meine Partei hat hier im Deutschen Bundestag ist ein Leitstrahl jeder Sozialpolitik, zumindest nach einen Gesetzentwurf vorgelegt mit dem Ziel, die meiner Auffassung. Sozialabgaben zu senken und dafür die ökologi- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne schen Verbrauchsteuern zu erhöhen. Sie haben das ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) abgelehnt, weil Sie das für falsch halten. Rufen Sie doch nicht „Was wollen Sie denn?" dazwischen! Zu einem ganz wesentlichen Thema. - Herr Bun- deskanzler, würden Sie mir bitte Ihr Ohr leihen! (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne- ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN - (Lachen bei der SPD) Zuruf des Abg. Michael Glos [CDU/CSU]) - Ich meinte das nicht polemisch, entschuldigen Sie - Sie müssen in der Sache Bescheid wissen, mein bitte. Herr. Angesichts der Tatsache, daß sich die gesetzlichen Fragen Sie sich das lieber selbst. Mit diesen gum- Lohnnebenkosten in den letzten 20 Jahren fast ver- miweichen Formulierungen - „Im Jahre 2000 werden doppelt haben, reicht es nicht, zu sagen: In diesem wir vielleicht, unter größerer Akzentuierung der indi- Jahr steigen überall die Beiträge, und im Jahre 2000 rekten Steuern, eine Lösung finden! " - kommen Sie werden wir vielleicht irgend etwas lösen. Das ist der nicht mehr über die Runden. Sie versündigen sich erste Fehler Ihres Angebotes: Sie müssen zügiger damit an den Arbeitslosen in diesem Land. und wirkungsvoller entscheiden. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne- Bei der Steuerpolitik mogeln Sie wieder - erwiese- ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN nermaßen. In Ihren Reihen und in unseren Reihen und des Abg. Rolf Kutzmutz [PDS]) sind eine Mehrwertsteuererhöhung - um Beiträge Nun zur Steuerpolitik. Herr Bundeskanzler, ich zur Sozialversicherung senken zu können - und die hätte mir gewünscht, daß Sie bei diesem leidigen Einführung von Ökosteuern diskutiert worden. Thema Solidaritätszuschlag Klarheit geschaffen hät- ten. Man muß etwas von der Sache verstehen, sonst Nun lese ich in Ihrem Jahreswirtschaftsbericht: begreift man die ganzen Spielchen nicht. „Das Steuersystem muß ... vereinfacht ... werden." Diesem Ziel dient „eine schrittweise Veränderung Es gibt zwei Aussagen: zum einen die des Herrn der Steuerstruktur in Richtung einer Entlastung bei Bundesfinanzministers - der die Maastricht-Kriterien Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 86. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. Februar 1996 7537 Ministerpräsident Oskar Lafontaine (Saarland) ständig einhält und dann ständig verfehlt -, der sagt, Wir nehmen also zur Kenntnis: Sie wollen viele es gehe nur, wenn die Länder mitmachen; zum ande- Steuern senken. Wer wollte das nicht? ren die der F.D.P., die sagt: Wir machen das, auch wenn die Länder nicht mitmachen. - Herr Bundes- (Zuruf von der CDU/CSU: Sie wollen es kanzler, es wäre doch an Ihnen gewesen, hier einmal nicht!) Klarheit zu schaffen. Oder soll es so weitergehen, Sie wollen den Solidaritätszuschlag demnächst, daß in der Steuerpolitik in diesem Lande immer nur 1997, abschaffen. Wir sind dafür, ihn sofort abzu- betrogen und gelogen wird? schaffen, auch die Gewerbekapitalsteuer und alle (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne Steuern überhaupt. Wir machen einen Wettlauf. ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN - (Heiterkeit bei der SPD) Michael Glos [CDU/CSU]: Wir sind hier nicht in Mannheim!) Wir wollen aber nun ein bißchen ernsthaft sein. Da nützt es überhaupt nichts, daß Sie vortragen, (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) was Herr Spöri einmal im Wahlkampf oder was Herr Wir wollen dann eben irgendwann einmal darüber Eichel gesagt hat. Sie haben auch mich zitiert; ich reden, wie das, was Sie hier an völlig Unpräzisem komme darauf gleich noch. Es wäre notwendig, sich und teilweise Unwahrhaftigem aufgeschrieben mit der Sache zu beschäftigen, klare Aussagen zu haben, konkretisiert werden kann. machen und Entscheidungen zu treffen. Allgemeine, wolkige Reden hatten wir in den letzten Jahren en (Beifall bei der SPD) masse. Soviel zur Steuerpolitik. (Zuruf von der SPD: Wohl wahr!) Ich habe Ihnen gesagt, daß wir für die ökologische- Damit komme ich zum Hit der F.D.P., der Gewerbe- Steuerreform werben. Wenn es hier eine freie kapitalsteuer. Wo ist der Herr Vorsitzende? - Viel- Abstimmung gäbe, Herr Kollege Glos, hätte sie eine leicht hat er etwas Wichtiges zu tun; ich will das gar Mehrheit. Das weiß ich aus vielen Gesprächen auch nicht mit einem polemischen Unterton sagen. - Auch mit Kolleginnen und Kollegen aus der CDU/CSU- hier sind Sie nicht wahrhaftig. Sie sind deshalb nicht Fraktion. wahrhaftig, weil Sie heute an keiner Stelle gesagt (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ haben, DIE GRÜNEN) (Dr. Hermann Otto Solms [F.D.P.]: Aber der Das hat einen Grund. Ich will versuchen, Ihnen ein Gesetzentwurf liegt doch vor!) Argument zu geben. Sie haben wieder einmal die daß es sich um eine aufkommensneutrale Finanzie- Biotechnik angesprochen und den weltweiten Markt rung handeln soll. Dagegen haben die Wirtschafts- mit 150 Milliarden Dollar angegeben. Das Ifo-Institut verbände gesagt, es ist keine aufkommensneutrale sagt: 100 Milliarden Dollar. Was Sie vielleicht einmal Finanzierung, sondern im Saldo eine stärkere Bela- zur Kenntnis nehmen sollten, ist - hören Sie einmal stung der Unternehmen, eine Unternehmensteuerer- zu -, daß der Umweltmarkt weltweit das Zehnfache höhung. ausmacht, nämlich 1 000 Milliarden Dollar, und daß wir gut beraten sind, eine hervorragende Entwick- Es ist ja ein Witz, daß die F.D.P. für Unternehmen- lung unseres Standortes, die Umwelttechnik, in der steuererhöhungen kämpft. Es ist ordnungspolitisch wir wirklich Exportweltmeister sind, weiter zu för- falsch, wenn Sie für Siemens oder die Deutsche Bank dern und zu einem arbeitsplatzschaffenden Export- die Gewerbekapitalsteuer abschaffen wollen, bei schlager zu machen. Hierin besteht ein gravierendes Verschlechterung der Abschreibungsbedingungen Defizit Ihrer Politik. für Handwerker um die Ecke. Das ist der Quatsch, den Sie machen! (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ PDS) DIE GRÜNEN) Sie haben, Herr Bundeskanzler, darauf hingewie- Und dann mogeln Sie wieder. Das ganze Ding ist sen, daß Sie - wer wollte etwas dagegen haben? - oft eine Mogelpackung. Sie sagen, das wäre vernünftig. mit den Gemeinden Gespräche führen. - Ich komme Sie wollen die Gewerbeertragsteuer mittelstands- jetzt zum vierten Punkt dessen, was wir dringend freundlich senken. Wer hätte etwas dagegen? ändern müssen. - Das ist auch in Ordnung. Ich will das gar nicht ironisch kommentieren. Nur, was ist (Dr. Otto Graf Lambsdorff [F.D.P.]: Sie bis denn das Ergebnis? her! - Zurufe von der CDU/CSU: Sie!) (Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Arbeitslosen- Das soll dann irgendwie über Mehrwertsteuerpunkte hilfe!) finanziert werden. Sie verschweigen wieder, wer denn das machen soll. Was ist denn das für eine Art Gehen Sie doch einmal in die Gemeinden und sehen und Weise? Das ist doch hinten und vorne unseriös, Sie sich an, wie sich dort die Defizite entwickeln. Wir so daß man es Ihnen um die Ohren schlagen müßte. haben hier eine gemeinsame Aufgabe, meine Damen Es ist in der Sache völlig unhaltbar. und Herren, die Gemeindefinanzen in Ordnung zu bringen. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) (Beifall bei Abgeordneten der SPD) 7538 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 86. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. Februar 1996

Ministerpräsident Oskar Lafontaine (Saarland) Sie reden in ganz allgemeiner Form davon. Dabei ist Nun komme ich zum schlanken Staat und zu der die Entwicklung dramatisch. Machen Sie Vor- Verwaltung. Wir haben den Entwurf jetzt im Bundes- schläge. Wir können Ihnen gar nicht ausweichen, rat liegen. Die entscheidenden Vorschläge werden weil wir mehr Gemeinden regieren. Wir hätten einen gar nicht gemacht. Zunächst einmal habe ich seit lan- solchen Druck von der Basis, eine Gemeindefinanz- gen Jahren immer wieder geworben, im Beamtenbe- reform zu machen! Warum erkennen Sie das Problem reich Teilzeitarbeitsplätze anzubieten. Das wird seit nicht? Beschweren Sie sich doch nicht über den langen Jahren blockiert. Rückgang der Investitionstätigkeit in Deutschland, (Abg. Dr. Otto Graf Lambsdorff [F.D.P.] mel- wenn die Gemeinden in Ost und West investitionsun- det sich zu einer Zwischenfrage) fähig gemacht worden sind. - Ich führe den Gedanken zu Ende, Graf Lambsdorff. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der Dann können Sie Ihre Frage stellen. PDS) Ich habe zum zweiten gesagt: Laßt uns über die Was nicht geht, ist, daß Sie Lasten der Arbeitslosig- Sitzbeförderung reden. Irgend jemand hat das Pro- blem der Eingangseingruppierung angesprochen. keit in die Gemeindekassen schieben. Das ist doch keine Reform des Sozialstaates. Das ist dieselbe Außerdem müssen wir über die Ungleichgewichtig- keit sprechen, die sich über Jahre entwickelt hat. Ich Methode wie zu sagen: Wir senken den Solidaritäts- zuschlag; das sollen die Länder bezahlen. Wir sen- habe gesagt: Vor allen Dingen laßt uns über die Frühverrentung und über die Abschläge, die dabei in ken die Gewerbeertragsteuer, die Mehrwertsteuer. nehmen sind, reden. Ich sage das auf jeder Wer es dann bezahlen wird, wissen wir nicht. Wir Kauf zu senken die Gewerbekapitalsteuer. Das soll der kleine Ministerpräsidentenkonferenz. Ihr Innenminister legt Handwerker bezahlen, zugunsten der ach so notlei- zu den drei Vorschlägen, die ich jetzt angesprochen habe, nichts vor. Er geht auf unsere Vorschläge nicht denden Großindustrie in Deutschland. ein. Das wäre für die Gemeinden noch viel wichtiger (Dr. Wolfgang Gerhardt [F.D.P.]: Sie haben als vielleicht für den Bund. es doch im letzten Jahr auch gemacht!) (Beifall bei der SPD) Ihre ganze Politik ist an dieser Stelle schlicht falsch, und sie ist sogar, wenn Sie zusammenfassen, daß Sie Graf Lambsdorff, Gewerbekapitalsteuer gegen Investitionsverschlech- Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: bitte sehr. terungen setzen, daß Sie Mehrwertsteuererhöhun- gen ernsthaft erwägen und daß Sie beispielsweise von den hohen Lohnnebenkosten nicht herunter- Dr. Otto Graf Lambsdorff (F.D.P.): Herr Minister- kommen, eklatant mittelstandsfeindlich und hand- präsident, darf ich Sie angesichts Ihres Wetterns werkerfeindlich. gegen die Senkung der Gewerbekapitalsteuer, die bisher Ihre Fraktion verhindert hat, darauf aufmerk- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ sam machen, daß sich der Zentralverband des Deut- DIE GRÜNEN) schen Handwerks ausdrücklich für die Senkung der Weil Sie in Ihren Papieren immer nur die Steuer- Gewerbekapitalsteuer ausgesprochen hat? politik des BDI nachbeten, haben Sie das jahrelang nicht erfaßt. Das, was Sie vorschlagen, wird der BDI Ministerpräsident Oskar Lafontaine (Saarland): in großem Umfange unterstützen. Aber die Hand- Graf Lambsdorff, Sie haben mit dieser Feststellung werksmeister und die Mittelständler wollen nicht in sogar recht. Da auch wir aufmerksam die Wirt- erster Linie die Gewerbekapitalsteuer abgeschafft schaftspresse studieren, wissen wir, daß Sie mit die- haben. Sie wollen, daß endlich die viel zu hohen sem Hinweis recht haben. Ich wettere allerdings Lohnnebenkosten gesenkt werden. Sie wollen natür- nicht gegen die Senkung der Gewerbekapitalsteuer. lich eine Gewerbeertragsteuersenkung, aber bitte So können Sie bei mir nicht landen. Das ist Winkel- schön auf eine solide finanzierte Art und Weise. Sie advokatentum. Ich wettere gegen die Verschlechte- haben hier nichts darüber gesagt. Wie soll man denn rung der Investitionsbedingungen für die große mit Ihnen ins Gespräch kommen, wenn Sie Ihr Kon- Mehrheit der Betriebe. Ein Handwerkerpräsident, zept überhaupt nicht darlegen? der das nicht kapiert, gehört abgewählt. Das ist (Dr. Hermann Otto Solms [F.D.P.]: Der meine Antwort darauf. Gesetzentwurf liegt seit einem Jahr auf dem (Beifall bei der SPD) Tisch!) Ich möchte noch den Kollegen Teufel ansprechen, - Herr Kollege, ich will es Ihnen noch einmal sagen. der Gott sei Dank noch hier ist. Das war wirklich eine Nun hören Sie zu. Sie hatten mich angesprochen. Ihr beeindruckende Vorstellung. F.D.P.-Konzept - das mögen Sie für richtig halten -, die Gewerbekapitalsteuer abzuschaffen und damit (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) für die Handwerker und viele Betriebe die Investiti- Ich höre vom Bundeskanzler nicht nur, daß er die onsbedingungen zu verschlechtern, ist ökonomisch Sozialversicherung im Jahr 2000 in Ordnung bringen nach unserer Auffassung falsch und eine Torheit. will, und alle Kronprinzen überlegen sich jetzt, was Deswegen werden wir das nicht mitmachen. So ein- sie zu tun haben. Sie haben auch den Steuertarif fach ist das. 2000 wieder angesprochen. Was ist denn das für eine (Beifall bei der SPD) Geschichte? Sind Sie nicht in der Lage, jetzt endlich Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 86. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. Februar 1996 7539 Ministerpräsident Oskar Lafontaine (Saarland) einmal einen ordentlichen Steuertarif vorzulegen? Jantz in den USA 4,1 Milliarden DM, so waren es Ich will auch sagen, warum das nicht möglich ist. Ich in der Bundesrepublik ganze 40 Millionen DM .. . habe das bei allen Steuerverhandlungen bemerkt. Mit Herrn Waigel geht das nicht. Er will die daraus (Zuruf von der SPD: Oh!) resultierenden unangenehmen Entscheidungen nicht mittragen. Das kann man akzeptieren, aber Deshalb hatte der Kollege Spöri recht, als er gesagt dann soll er es sagen. Schreiben Sie nicht solches hat: Sie reden zwar viel von Risikokapital, aber es ist Zeug in Ihr Papier. Sie wollen es doch überhaupt nichts gelaufen. Über Risikokapital steht auch wie- nicht. der etwas in Ihrem Papier, aber die Bilanz ist wirklich äußerst schwach. (Beifall bei der SPD) (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Dann kommt der nette baden-württembergische DIE GRÜNEN) Ministerpräsident und sagt etwas über Subventions- abbau. Dabei meint er immer nur die Kohle. Dann Nun komme ich zur Arbeitsmarktpolitik. Ich will plädiert er hier dafür, daß wir Steuersubventionen, Ihnen etwas zu Ihren Irrtümern der 80er Jahre, zu die wir gestrichen haben, wieder rückgängig Ihrem Kampf gegen die Arbeitszeitverkürzung, machen. Herr Kollege Teufel, Sie haben zwar Beifall sagen, den Sie hier teilweise angesprochen haben. erhalten, aber das ist wirklich schofel, was Sie hier Sie legen hier immer stolze Statistiken vor. Es sind in betrieben haben. einer Statistik zum Beispiel die Erwerbspersonen (Beifall bei Abgeordneten der SPD) sichtbar. Ich muß Sie darauf aufmerksam machen: Diese Statistik besagt nichts mehr. Das müssen Sie Meinen Sie denn, wenn Sie immer wieder sagen, die jetzt wirklich akzeptieren. Sie müssen wissen, was- Kohlesubventionen müßten auf Null gesetzt werden, im Lande los ist. Die Zahl der Erwerbstätigen sagt dann würden Sie viele tausend Arbeitsplätze schaf- nichts mehr über die wirkliche Situation in unserem fen? Lande aus. Warum? Wir müssen dazusagen, wieviel Teilzeitarbeitsplätze entstanden sind, und wir müs- (Ministerpräsident Erwin Teufel [Baden sen dazusagen, wieviel davon sozialversicherungs- Württemberg]: Darüber habe ich überhaupt pflichtig sind. Wir müssen auch dazusagen, wieviel nicht gesprochen!) davon Kündigungsschutz haben. Wir müssen wieder die soziale Lage der Menschen begreifen, und wir - Sie sprechen fast wöchentlich über den Abbau der dürfen uns nicht an Statistiken erfreuen, die im Kohlesubventionen. Das ist in allen Zeitungen nach- Grunde genommen keine präzise Auskunft geben. zulesen. Meinen Sie, Sie würden dann viele Arbeits- plätze schaffen? Sie schlagen dann vor, Zigtausende (Beifall bei der SPD) von Arbeitsplätzen zu beseitigen. Wer dieses eine vorschlägt, aber dann, wenn in seinem Land einmal Ich habe Ihnen schon ein paarmal gesagt, daß Sie Subventionsabbau erfolgt, hier so argumentiert wie mit Ihrem hausväterlichen Veto gegen Arbeitszeit- Sie, der ist total unglaubwürdig. verkürzungen völlig falsch lagen. Sie haben Ihre Meinung jetzt Gott sei Dank korrigiert. Sie sprechen (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne jetzt von Teilzeitarbeit. Wir sind ja bereit, Ihnen ein ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) anderes Wort einzuräumen. Aber es geht mir gar nicht um Sie, Herr Teufel. Es Sie reden von Überstundenabbau. Ist es nicht ein geht mir um Sie, meine Herren von der Regierungs- Skandal, wenn die Arbeitslosen in diesem Lande, bank. Herr Kollege Waigel und Herr Bundeskanzler, von denen ich rede, sehen: Millionen sind arbeitslos, ich will Ihnen etwas erzählen. Wir haben diese und es werden gleichzeitig 2 Milliarden registrierte lächerlichen 4 Milliarden DM, die wir an Steuersub- Überstunden geleistet? Ist das nicht ein Skandal ventionen eingespart haben, mit dem gegenseitigen unserer Gesellschaft? Versprechen abgebaut, daß keiner dem anderen die Schuld dafür zuschiebt und daß wir diese Entschei- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne- dung gemeinsam tragen. Nach dem, was Sie jetzt ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN hier veranstalten, sage ich Ihnen: Sie sind nicht ein- und der PDS) mal Kerle, die zu gemeinsamen Vereinbarungen ste- hen. Das ist die Schwäche Ihrer Regierung. Schämen Der DGB hat zu Recht darauf hingewiesen - auch Sie sich doch! Sie gehen ja in die Betriebe -, daß nicht alle Über- (Beifall bei der SPD) stunden registriert und bezahlt werden. Deshalb komme ich auf den Hinweis auf die Solidarität, der in Damit auch die Bemerkung des Kollegen Spöri einigen Ihrer Grundsatzpapiere aufgetaucht ist, zum Risikokapital und Ihre Erwiderung darauf rich- zurück. Ich weiß, daß Sie darüber diskutieren. Ich tig eingeordnet werden, zitiere ich die „Süddeutsche will mich darüber gar nicht mit Häme verbreiten. Sie Zeitung" vom 6. Februar 1996: müssen bei dem Ansatz der Gewerkschaftsbewe- gung das Solidarische erkennen. Hierbei geht es Noch sieht es aber duster aus in der Bundesrepu darum, durch Freizeitausgleich anderen die Möglich- blik Deutschland. Betrug das in junge Technolo keit zu geben, einen Erwerbsarbeitsplatz zu finden. giefirmen investierte Wagniskapital 1994 laut Das ist eine hervorragende Aufgabe unserer gesam- 7540 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 86. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. Februar 1996

Ministerpräsident Oskar Lafontaine (Saarland) ten Gesellschaft, die Sie nicht weiter blockieren oder Verteilung von Vermögen und Einkommen in dieser diskreditieren sollten. Republik. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne (Beifall bei der SPD und der PDS sowie bei ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Ich sage hier ganz klar: Wenn das Ganze auf tarif- vertraglichem Weg nicht geht, dann wäre es erfreu- Wenn hier die Redner der Koalition die Wichtigkeit lich, wenn auch Abgeordnete Ihrer Fraktion sagen: der Senkung der Vermögensteuer noch einmal Dann muß der Gesetzgeber etwas tun. Genau darauf beschwören - man faßt sich manchmal an den Kopf -: zielt die Initiative der SPD-Fraktion. Nun können Sie Graf Lambsdorff, vielleicht wissen Sie noch, daß wir sagen: Das ist zu weitgehend. Dann machen Sie doch gerade wegen des Arguments der Substanzsteuern einen Kompromiß, statt immer nur darüber zu reden vor einiger Zeit die Vermögensteuer durch die Über- und nicht zu einem Ergebnis im Interesse der nahme der Bilanzwerte erheblich zugunsten der Arbeitslosen zu kommen. Betriebe reformiert haben. Aber vielleicht ist das alles schon vergessen in diesem - -; na ja, ich will (Beifall bei der SPD sowie der Abg. mich mäßigen. Dr. Christa Luft [PDS]) Wenn ich dann sehe, verehrter Graf Lambsdorff, Es ist interessant, daß in Ihrem Bericht auch etwas daß Sie in Ihrem Paket zur Förderung von Wachstum, über die Lohnquote und die Entwicklung der Unter- Beschäftigung und sozialer Gerechtigkeit in diesem nehmereinkommen steht. Da immer wieder von Lande ernsthaft die Vermögensteuer abschaffen wol- Lohnzurückhaltung geredet wird, möchte ich Ihnen len, die Arbeitslosenbeiträge senken wollen, die zwei Voten zur Kenntnis bringen, die Sie vielleicht Arbeitslosenhilfe senken wollen, die Sozialhilfe kür- überraschen. Zum einen das Votum des Generaldi- zen wollen, und wenn ich dann noch in den Nach-- CBI: rektors des englischen Industriellenverbandes richten höre, daß jetzt die 100 DM für die alten Leute Es kann nicht in unserem Interesse liegen, daß gestrichen werden sollen, dann kommt mir das Kot- sich der Trend sinkender Löhne und Gehälter am zen. Ich muß das einmal so klar sagen. Volkseinkommen unbegrenzt fortsetzt. Zwar (Lebhafter Beifall bei der SPD - Beifall bei habe man oft ... „auf den Tisch gehauen". Doch der PDS sowie bei Abgeordneten des heute sehe man in einem erneuten Anstieg der BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Realeinkommen kaum noch Risiken. Deshalb, meine Damen und Herren: Wir hätten Der des berühmten japa- Präsident des Keidanren, gerne konkrete Vorschläge zur Senkung der gesetz- nischen Wirtschaftsdachverbandes, sagt, er kritisiere lichen Lohnnebenkosten gehört. Sie haben in Ihrem die Nullrundenforderung des Arbeitgeberverbandes, Paket gepfuscht. Wir wären darauf eingegangen. da sie die Binnennachfrage nicht stabilisiere. Wir hätten gerne konkrete Vorschläge etwa zum Zu den ungezählten Nullrundenforderungen, die Steuertarif 2000 gehört. Ein Problem, dessen Lösung ich von Ihnen bereits gehört habe, sage ich - ich will ich immer wieder angemahnt habe, ist der viel zu das durchaus ökonomisch formulieren; vielleicht hohe Eingangssteuertarif, der ein Anreiz zur erreicht man Sie ja damit -: Wenn Sie die Arbeitneh- Schwarzarbeit ist. Aber Sie sind zu feige, zu den mer schon nicht mehr am Zuwachs des Produktivver- bescheidenen Vereinbarungen zu stehen, die wir mögens beteiligen wollen - obwohl Sie in diese Rich- zum Steuersubventionsabbau getroffen haben. Sie tung wieder einige Absichtserklärungen abgegeben haben das hier gerade wieder gezeigt. haben; ich würde gerne darauf eingehen -, dann ver- weigern Sie ihnen nicht auch noch die Beteiligung (Beifall bei der SPD) am Zuwachs der Produktivität. Wir sind zusammen mit den Grünen und einigen (Beifall bei der SPD) aus Ihrer Fraktion - sogar einer ganz beachtlichen Anzahl - der Überzeugung, daß eine ökologische Dies ist nicht nur sozial unvertretbar; es ist auch öko- Steuerreform das Richtige wäre, um den großen nomisch schlicht falsch, wie Sie in vielen Lehrbü- Weltmarkt des Umweltschutzes für die deutsche chern der Nationalökonomie nachlesen können. Wirtschaft weiter in Anspruch zu nehmen. Wir haben im übrigen gerne gehört, Herr Bundes- Wir sind der Auffassung, daß die Gemeinden wie- kanzler, daß Sie hier gesagt haben, Sie wollten nicht der investitionsfähig gemacht werden müssen. Wir den Thatcherismus. Ich will auch gerne einräumen, bieten hier noch einmal konkrete Entscheidungen daß wir noch nicht soweit sind; denn der Thatcheris- an. mus war ja so erfolgreich nicht. Man muß ja nur das Urteil der internationalen Finanzmärkte sehen. Wir sind der Auffassung, daß das, was Ihr Innenmi- nister zur Entlastung der Verwaltungshaushalte in (Dr. Otto Graf Lambsdorff [F.D.P.]: Aber der Bund, Ländern und Gemeinden vorgeschlagen hat, wurde doch gestern wieder beschworen!) unzureichend ist, weil drei wesentliche Forderungen - Ja, man muß ja nur das Urteil der internationalen nicht berücksichtigt worden sind, nicht einmal die Finanzmärkte sehen. - Aber was Sie in den letzten zeitliche Befristung von Führungsaufgaben, weil Jahren an sozialem Abbau vorgeschlagen haben, man das mit Erprobung regeln will. Das ist zuwenig. übersteigt nach unserer Auffassung das Maß des Die Länder sind da informierter und haben die besse- Vertretbaren und Ausgewogenen angesichts der ren Vorschläge. Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 86. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. Februar 1996 7541

Ministerpräsident Oskar Lafontaine (Saarland) Ich wäre also gerne auf Ihr Angebot eingegangen, In der letzten Woche ist ja von mehr oder weniger Herr Bundeskanzler. Im Ton war das durchaus in sachkundigen Beobachtern sehr viel Kritisches Ordnung. Man hat Ihnen ja Betroffenheit angemerkt, gesagt worden. Ich frage mich, wie denn die Kri- daß in dieser Republik über 4 Millionen Menschen tik ausgefallen wäre, wenn wir uns auf nichts ver- arbeitslos gemeldet sind und noch viel mehr Arbeit ständigt hätten oder gar im Streit auseinanderge- suchen. Aber Ihr Angebot ist unzureichend und ist gangen wären. nicht geeignet, die Probleme zu lösen. Weiter hat er gesagt: (Anhaltender Beifall bei der SPD - Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Wir brauchen in diesem Land positive Signale der PDS) dafür, daß diejenigen, die an hervorragender Stelle Verantwortung für Wachstum und Arbeits- plätze tragen, sich auf gemeinsame Ziele verstän- Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Das Wort hat der digen. Kollege Dr. Wolfgang Schäuble, CDU/CSU. Das ist im Kanzlerbungalow geschehen, und das sollte man nicht stören, sondern das sollte man unter- Dr. Wolfgang Schäuble (CDU/CSU): Herr Präsi- stützen und fördern und ausnützen. dent! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich würde, Herr Ministerpräsident Lafontaine, gerne an (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) den Anfang Ihrer Rede anknüpfen, weil ich in der Tat Nun haben Sie gesagt, es lägen keine Konzepte glaube - wie der Bundeskanzler gesagt hat und wie vor, und deswegen könne man darauf auch nicht ein- Sie das am Anfang in der Tonart auch aufgenommen gehen. Dann haben Sie ein paar Punkte angespro- haben -, bei dem Stand der Arbeitslosigkeit von über chen, bei denen wir unterschiedlicher Meinung sind. 4 Millionen sollten wir bei allem Streit, bei aller Lei- Das kann man austragen; darüber kann man disku- denschaft, manchmal auch Freude am Streit, doch in tieren. Ich möchte gerne festhalten, daß Sie gesagt der Art, im Stil, in der Tonart und in der Sache nicht haben, Sie seien zum Zusammenwirken bereit: im den Eindruck erwecken, als ginge es uns um den Bundestag, soweit wir Grundgesetzänderungen Streit. Es geht uns darum, bessere Lösungen zu errei- bräuchten - Beteiligung der Kommunen an der chen, und dazu brauchen wir viel Gemeinsamkeit. Mehrwertsteuer -, und im Bundesrat. Aber Sie kön- Bei dem Wirtschaftstreffen in Davos am vergange- nen in der Steuerpolitik nicht sagen, das Konzept nen Wochenende, bei dem vieles diskutiert worden liege nicht auf dem Tisch. Das Konzept liegt seit ist, sind die Deutschen von allen Teilnehmern aus einem Jahr auf dem Tisch. Sie haben ihm bisher den anderen europäischen Ländern und aus Übersee nicht zugestimmt. darum beneidet worden, daß es der Regierung Ich würde gerne noch einmal für die Argumente gelingt, mit Wirtschaft und Gewerkschaften einen werben, warum die Abschaffung der Gewerbekapi- Dialog zustande zu bringen sowie gemeinsame Ziele talsteuer jetzt zwingend notwendig ist. Sie sollten im Kampf um die wirtschaftliche Belebung und im Ihre Position vielleicht insoweit überprüfen. Kampf gegen die Arbeitslosigkeit zu setzen. Deswe- gen sollten wir alles daransetzen, daß wir auf diesem (Dr. Wolfgang Gerhardt [F.D.P.]: Das wäre Weg weiter vorankommen. Dazu brauchen wir auch gut!) die Länder und Gemeinden. Es geht nicht nur darum, daß wir in den neuen Län- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) dern zum 1. Januar nächsten Jahres die Gewerbeka- pitalsteuer einführen müßten, was für den wirtschaft- Weil Sie davon gesprochen haben: Ist das nun ein lichen Aufbau in den neuen Bundesländern nun Angebot? Oder ist es so, wie wir gesagt haben: Die wirklich absurd wäre. SPD stört dabei? Debatten - gerade, wenn man sie jede Woche führt - kann man ja dazu nutzen, daß (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) man das eine oder andere klärt. Ich habe mich darauf Vor allen Dingen ist folgendes Argument zu nennen, bezogen, daß wir aus der Presseberichterstattung, Herr Ministerpräsident Lafontaine. Wir sprechen alle aber auch darüber hinaus den Eindruck haben, daß viel von Finanzmärkten, der Flüchtigkeit von Kapital, die Führung der SPD die Führung der Gewerkschaf- der Globalisierung von Märkten, davon, daß wir mit ten dafür kritisiert hat, daß sie mit der Regierung und jedem Standort in der Welt in unmittelbarer Konkur- der Wirtschaft in einen konstruktiven Dialog einge- renz stehen, daß die Entfernungen an Bedeutung treten ist. verloren haben und daß sich das Kapital seine Anla- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU gemöglichkeiten dort sucht, wo sie am günstigsten und der F.D.P.) sind. Wenn dies richtig ist - das werden Sie nicht bestreiten -, dann müssen wir fragen: Ist die Investi- Meine Bitte wäre, daß Sie das nicht fortsetzen. tion von Kapital in Deutschland teurer als anderswo? Durch die Gewerbekapitalsteuer - übrigens auch Ich will Ihnen gerne vorlesen, was der DGB-Vorsit- durch die betriebliche Vermögensteuer - ist sie in zende Schulte in der vergangenen Woche vor unse- Deutschland teurer als anderswo. Deswegen schadet rer Fraktion dazu gesagt hat. Auf die Frage ange- sprochen - am Tag zuvor hat es bei der Gründung die Gewerbekapitalsteuer den Investitionen und damit den Arbeitsplätzen in Deutschland. Deswegen des Gewerkschaftsrats offenbar ziemlichen Krach muß sie weg. gegeben; Sie waren, wie man lesen kann, vorher auch entsprechend nervös -, hat Herr Schulte gesagt: (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) 7542 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 86. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. Februar 1996

Dr. Wolfgang Schäuble Weil das Handwerk diesen Zusammenhang - Ich sage es Ihnen doch gerade, und ich habe es erkannt hat - natürlich ist die Gewerbeertragsteuer Ihnen schon ein paarmal gesagt. Herr Fischer, eine für das Handwerk wichtiger als die Gewerbekapital- Sekunde, ich bin gerade dabei zu begründen, steuer; deswegen haben wir auch gesagt, daß nicht warum. nur die Gewerbekapitalsteuer abgeschafft, sondern auch die Gewerbeertragsteuer gesenkt werden muß -, Wir haben im letzten Jahr bei der Verschlechte- daß ohne Investitionen und ohne indust rielle Produk- rung der wirtschaftlichen Lage und bei der Verschär- tion auch das Handwerk in Deutschland Not leidet, fung des Wettbewerbs um Investitionen und Arbeits- hat es sich wie die meisten anderen Wirtschaftsver- plätze in Europa innerhalb der Koa lition und der bände und übrigens auch einige der Ministerpräsi- Regierung darüber diskutiert und sind zu dem denten, zum Beispiel Herr Schröder, Ihr wirtschafts- Ergebnis gekommen, daß wir jetzt, weil der Standort politischer Sprecher, für die Abschaffung der Gewer- Deutschland nicht nur durch höhere Lohn- und Büro- bekapitalsteuer ausgesprochen. kratiekosten, sondern auch durch höhere Energieko- sten im europäischen Vergleich belastet ist, die Ener- Meine herzliche Bitte ist: Lassen Sie uns nicht giepreise nicht in einem nationalen Alleingang wei- mehr streiten! Ich argumentiere wirklich und lege ter verteuern dürfen. Das ist unser Argument. unsere Meinung dar. Wir müssen miteinander reden. Vielleicht warten wir die Landtagswahlen ab, weil (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- damit jeder andere Gedanken verbindet. Wenn wir ordneten der F.D.P. - Anke Fuchs [Köln] dann zusammensitzen und uns einigen müssen, [SPD]: Da ist Repnik anderer Meinung!) dann lassen Sie uns die Gewerbekapitalsteuer Wir würden sonst den Prozeß der Abwanderung abschaffen, weil wir mit ihr Investitionen verhindern! von Investitionen und Arbeitsplätzen, die überwie- gend in das westeuropäische Ausland abwandern, (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) - weiter verschärfen. Das tut weh, das sind schwierige Wir haben in den letzten drei Sitzungswochen Abwägungsprozesse. immer über dasselbe Thema diskutiert. Ich will Ihnen daher noch zu einem anderen Punkt meine Meinung Aber ich glaube, es ist richtig, wenn wir dabei blei- sagen: Sie haben das Thema Energiesteuer im ben, uns darauf zu konzentrieren, europaweit zu Zusammenhang mit Umschichtungen, sozialversi- einer Harmonisierung der Energiebesteuerung zu cherungsfremden Leistungen und direkten und indi- kommen und in einer europaweiten Initiative zu rekten Steuern angesprochen. Dabei sprechen Sie sparsamerem Energieverbrauch anzuregen. immer meinen Freund Hans-Peter Repnik an; Sie Deswegen - wenn ich das bei dieser Gelegenheit können aber auch mich ansprechen, denn wir sind sagen darf - tut es mir sehr leid, daß Sie sich gegen- genau derselben Meinung. über Ihrem baden-württembergischen Landesver- (Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Ja?) band nicht durchgesetzt haben. Ich finde es wirklich unverantwortlich, wenn jetzt Stimmung gegen die - Frau Fuchs, vielleicht tauschen wir wirklich einmal europäische Einigung gemacht wird. Was Sie an Pla- Argumente aus. Das ist sehr wichtig, und die Men- katen in Baden-Württemberg kleben, spricht auf die schen erwarten von uns, daß wir um die besseren billigsten Instinkte und Ressentiments an. Argumente ringen, aber dann auch gemeinsam han- deln. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der F.D.P.) (Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Ich war nur der Auffassung: Er ist weiter als Sie!) Das sollten Sie nicht machen. - Nein, wir sind derselben Meinung. Ich bleibe (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) dabei. Ich will Aussagen von Herrn Verheugen zitieren: Ich glaube, daß und Michel Glos der- Einen plumpen D-Mark-Nationalismus im Wahl- selben Meinung sind, daß wir langfristig, wie es im kampf der baden-württembergischen SPD hat der Jahreswirtschaftsbericht steht, das Verhältnis von stellvertretende Vorsitzende der SPD-Bundestags- direkten zu indirekten Steuern korrigieren müssen. fraktion, Günter Verheugen, kritisiert. Die Forde- 50 Prozent direkte zu 50 Prozent indirekte Steuern ist rung, die Europäische Währungsunion zu verschie- ein besseres Verhältnis als 60 Prozent zu 40 Prozent; ben, sei ein billiger Versuch, die Zustimmung der letzteres ist leistungs-, investitions- und arbeitsplatz- Wähler zu bekommen, sagte der Politiker während feindlich. einer Diskussion am Mittwoch im Eifelort Bitburg. - Meine Damen und Herren, hören Sie in diesem Fall (Beifall des Abg. Dr. Wolfgang Weng [Ger vielleicht einmal auf Herrn Verheugen. lingen] [F.D.P.]) Ich will begründen, warum es in diesem Zusam- Ich bleibe dabei, daß wir den Verbrauch von Ener- menhang so wichtig ist. Wir werden die notwendigen gie im Verhältnis zur Arbeit relativ stärker belasten und Arbeit von Kosten entlasten müssen. Ich bleibe Harmonisierungen bei den Lohnkosten - auch die Entsenderichtlinie ist nur eine Krücke, ein Über- dabei, ich habe das immer gesagt. gangsinstrument, besser wäre eine europaweite (Joseph Fischer [Frankfu rt] [BÜNDNIS 90/ Regelung -, im Umweltschutz und bei der Besteue- DIE GRÜNEN]: Warum macht ihr es denn rung des Energieverbrauchs nicht erreichen, wenn nicht?) wir an den getroffenen Vereinbarungen - der Maas- Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 86. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. Februar 1996 7543

Dr. Wolfgang Schäuble tricht-Vertrag ist eine getroffene Vereinbarung - ten gewesen zu sein, Herr Bundeskanzler; denn in nicht festhalten. dem Papier, das nach der Runde im Kanzlerbun- galow am 23. Januar veröffentlicht worden ist, haben Wer Verschiebung sagt, meint Aufkündigung des ja Bundesregierung und Spitzenrepräsentanten der Maastricht-Vertrags. Das ist der falsche Weg. Nein, Wirtschaftsverbände und der Gewerkschaft gemein- wir sollten darauf setzen, daß wir in der europäischen sam das Ziel definiert, bis zum Jahr 2000 den Sozial- Einigung weiter vorankommen, und wir sollten nicht versicherungsbeitrag unter 40 Prozent zu drücken. die Widerstände unserer Bevölkerung dagegen schü- ren, sondern wir sollten gemeinsam unbestreitbar (Vorsitz : Vizepräsidentin Dr. Antje Voll- noch vorhandene Verunsicherungen abbauen. Das mer) ist wichtiger als Wahlkampfinteressen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge Das muß durch Einsparungen und nicht durch ordneten der F.D.P.) Umschichtungen erreicht werden. Das kann auch durch Einsparungen erreicht werden, und das ist not- Ich will in diesem Zusammenhang den anderen wendig. Punkt auch ansprechen, nämlich das Thema der ver- sicherungsfremden Leistungen. Herr Lafontaine, Was den Vorruhestand angeht, so haben Sie ange- unsere Antwort ist eindeutig. Der Bundeskanzler hat boten, daß Sie da mitmachen. Vertrauensschutz für sie in dieser Debatte noch einmal gegeben. die, die schon im Vorruhestand sind. Darüber kann man reden; das ist auch unsere Position. Ich glaube, Die jetzige Staatsquote ist zu hoch, die jetzige darüber können wir uns einigen. Steuer- und Abgabenquote ist zu hoch. Die Gründe sind bekannt. Wir haben in den 80er Jahren die Zur Krankenhaus- und Krankenkassenreform, Staatsquote von über 50 Prozent auf unter 46 Prozent Herr Ministerpräsident Lafontaine, haben Sie gesagt,- gesenkt, und sie ist durch die historisch einmalige daß der ambulante Bereich nicht vom Krankenhaus- Situation nach der Wiedervereinigung, angesichts bereich abgetrennt werden soll. Dazu sage ich - trotz der Aufgabe, in kurzer Zeit die Folgen von 40 Jahren Ihrer großartigen Rede, Herr Ministerpräsident Teu- Teilung und Sozialismus zu überwinden, wieder auf fel, muß ich es einmal sagen -: Alle Ministerpräsiden- 50 Prozent gestiegen. Sie muß gesenkt werden. ten waren in den letzten zehn Jahren - da waren Sie Solange sie so hoch ist und solange der Widerstand noch gar nicht Ministerpräsident, deswegen trifft es gegen die zu hohen Steuern und Abgaben, ein- Sie nicht unmittelbar persönlich -, wenn es darum schließlich der Kommunalabgaben, da ist - alles ging, nicht nur im ambulanten Bereich der gesetzli- zusammen; der Bürger unterscheidet da nicht, da er chen Krankenkassen zu sparen, sondern auch im aus seinem Geldbeutel bezahlt -, sollten wir nicht Krankenhausbereich, gelegentlich ein wenig zöger- den Eindruck erwecken, wir würden über neue Steu- lich. Der CSU-Vorsitzende schmunzelt jetzt etwas; er ererhöhungen reden. Jede Umschichtung wird uns in ahnt gar nicht, wen ich meine. der Wahrnehmung der Bürger ohnehin zu einer Steu- ererhöhungsdebatte verkommen. Herr Lafontaine, im Krankenhausbereich ist der größte Nachholbedarf. Natürlich gibt es auch in meiner Fraktion viele Überlegungen zu sozialversicherungsfremden Lei- (Ministerpräsident Oskar Lafontaine [Saar- stungen, wobei man darüber streiten kann, was dar- land]: Ja, natürlich!) unter zu verstehen ist. Da rate ich ein wenig zu Zurückhaltung. Es muß schnell gehandelt werden. Meine Bitte ist: Nehmen Sie das nicht als den Versuch, Sie über den Die sozialen Institute sind in Wahrheit alle Instru- Tisch zu ziehen, sondern als Versuch, im Kranken- mente organisierter, institutionalisierter Solidarität, hausbereich nachzuholen, was seit den 80er Jahren was immer heißt, daß Stärkere für Schwächere eine wegen des Widerstandes der Länder nicht erreicht Leistung im Rahmen der Rentenversicherung, der worden ist. Krankenversicherung, der Arbeitslosenversicherung erbringen. Wenn es nur eine Versicherung des „just (Beifall bei der CDU/CSU) retour" wäre, was bedeutet, daß man seine Beiträge zurückbekommt, wäre es kein Solidarsystem. Deswe- Aber auch im ambulanten Bereich muß eingespart gen ist die Sache mit den versicherungsfremden Lei- werden. stungen komplizierter. (Zuruf des Ministerpräsidenten Oskar La- Aber selbst wenn, sage ich: Wir haben uns in der fontaine [Saarland]) Abwägung der Argumente zu der Überzeugung durchgerungen, daß es richtiger ist, jetzt nicht den - Ja, es müssen Betten abgebaut werden. Wissen Sie, Eindruck zu erwecken, wir würden in der Anstren- Herr Ministerpräsident Lafontaine, es ist für mein gung, zu Einsparungen zu kommen, nachlassen und Verständnis im zweiten Teil Ihrer Rede wieder ein den bequemeren Ausweg über Steuererhöhungen bißchen schwierig geworden. Natürlich bin ich bei suchen. Ihrem Angebot, über alles zu reden, in Versuchung (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) geraten, darauf einzugehen und Argumente auszu- tauschen. Aber wenn es darum geht, über Einspa- Das scheint ja offenbar auch die Meinung Ihrer rungen zu reden, verfallen Sie in eine Sprache, die Gesprächspartner aus Wirtschaft und Gewerkschaf- jeden Versuch der Konsolidierung in einer Weise dif- 7544 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 86. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. Februar 1996

Dr. Wolfgang Schäuble famiert, die ich wirklich nur demagogisch nennen sten Auswirkungen von Wachstum auf die Beschäfti- kann. gung, und die Länder mit höherer Arbeitszeit haben eine viel stärkere Auswirkung von Wachstum auf (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge Beschäftigung. Deswegen glauben wir, daß Arbeits- ordneten der F.D.P.) zeitverkürzungen der falsche Weg sind, um mehr Wenn wir die Staatsquote, die Steuer- und Abga- Arbeitsplätze zu schaffen. benquote senken wollen, wenn wir die Sozialversi- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- cherungsbeiträge senken wollen ordneten der F.D.P.) (Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Und die Arbeits losigkeit bekämpfen!) Ich sage es noch einmal - meine Kollegen Michael Glos, Erwin Teufel und Wolfgang Gerhardt haben in - dann müssen wir die Arbeitslosigkeit bekämpfen, der Debatte davon gesprochen -: Wenn wir bessere natürlich, davon rede ich -, dann müssen wir, um die Chancen haben wollen, die Arbeitslosigkeit zu Arbeitslosigkeit zu bekämpfen, eben auch die Kosten bekämpfen, bleibt Wirtschaftswachstum unverzicht- senken, und das geht nicht ohne Einsparungen. Des- bar. Wirtschaftswachstum - und damit mehr Arbeits- wegen darf man zum Beispiel die Sozialhilfereform plätze - erreichen wir aber nur, wenn wir an der nicht so diffamieren. Wir wollen bei der Sozialhilf ere Spitze des technischen Fortschritts bleiben. Wir wer- form niemandem etwas wegnehmen, sondern wir den nur in den Bereichen besonders anspruchsvoller wollen denjenigen, die mit einer geringer bezahlten technologischer Produktion und Produkte wettbe- Arbeit einen Teil hinzuverdienen, mit einer geringe- werbsfähig bleiben. Deswegen ist die Blockade tech- ren Verrechnung eine größere Möglichkeit geben. nologischer Erneuerung Gift für die Arbeitsplätze in unserem Land; sie sollte nicht fortgesetzt werden. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge ordneten der F.D.P.) (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) - Aber wir wollen denjenigen einen Abzug zumuten, Deswegen ist es so richtig, daß die Bundesregie- die eine angebotene Arbeit ablehnen, weil jeder, rung ein ganzes Bündel an Vorschlägen beschlossen wenn er arbeitet, mehr haben muß, als wenn er nicht hat - ich hoffe sehr, daß der Bundesrat sie nicht blok- arbeitet. kiert -, und zwar zur Verwaltungsvereinfachung und Wir müssen die Krankenkassenreform machen, zu schlankeren Genehmigungsverfahren. Wir wol- und wir müssen bei der Rente den Beitragsanstieg len den Investoren Genehmigungsverfahren zur Ver- begrenzen. Wir sollten übrigens aufhören, der älte- fügung stellen, mit denen sie selber für die Einhal- ren Generation einzureden, die Renten seien nicht tung der Vorschriften die Haftung übernehmen, so sicher. Diese sind überhaupt nicht von den Debatten daß sie sofort bauen können und hinterher erst betroffen, die wir führen. Die Renten aller derjeni- geprüft wird, ob die Vorschriften auch eingehalten gen, die in Rente sind, sind und bleiben sicher. Es sind, weil bei uns die Genehmigung öffentlicher wie geht lediglich darum, den Beitragsanstieg zu begren- privater Investitionen zu lange dauert. Das ist ein zen. schwerer Nachteil für den Standort Deutschland. Er muß geändert werden; die Vorschläge der Regierung (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge sind dazu geeignet. Der Bundesrat sollte zustimmen. ordneten der F.D.P.) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Ich verstehe wirklich nicht, warum Sie gegen die ordneten der F.D.P.) BAföG - Reform sind. Daß Studenten, wenn sie aus Mitteln der Steuerzahler eine akademische Ausbil- Ich habe davon gesprochen, daß wir unter allen dung finanziert bekommen haben, drei Jahre nach Umständen unsere Wettbewerbsfähigkeit behalten Abschluß dieser Ausbildung, wenn sie einen Arbeits- müssen. Daß heißt, wir müssen bei den Kosten, auch platz haben, der dieser Ausbildung entspricht, sie bei den Lohn- und Lohnzusatzkosten, bei den Ener- also damit zu den überdurchschnittlich Verdienen- giekosten, kurzertreten. Sonst werden wir nicht mehr den gehören, die Zinsen auf den Darlehensanteil Arbeitsplätze schaffen. ihrer Ausbildung übernehmen und wir diese Mittel Ich sage noch einmal: Alle Bemühungen um mehr nutzen, um mehr Hochschulen zu bauen, finde ich wirtschaftliches Wachstum in der Industrie alleine richtig, wenn es darum geht, in die Zukunft zu inve- werden uns die nötigen Arbeitsplätze nicht bringen. stieren. Ich würde Sie herzlich bitten, die Blockade Deswegen ist es so richtig, daß sich das Sofortpro- aufzugeben. gramm der Regierung für Wachstum und Beschäfti- (Beifall bei der CDU/CSU) gung auf die Förderung kleiner und mittlerer Unter- nehmen konzentriert, daß das Programm Möglich- Sie haben die Arbeitszeitverkürzung noch einmal keiten vorsieht, die Existenzgründung zu fördern, angesprochen und den Bundeskanzler kritisiert. Das aber auch kleine Betriebe in der ersten Phase nach dürfen Sie, aber wenn es zu Unrecht geschieht, muß der Gründung zu fördern. Es sieht Möglichkeiten man es widerlegen. Letzte Woche haben Sie Amerika vor, die Kapitalzuführung, Fremdkapital wie Eigen- als Beispiel genannt. Das haben Sie heute nicht kapital, für kleine und mittlere Unternehmen in der getan; das war auch gescheiter. Aber eines ist nicht Expansionsphase voranzubringen, den Kapitalmarkt zu übersehen, Herr Lafontaine: Wenn man Länder insgesamt beweglicher zu machen. vergleicht, die in einem Zehnjahreszeitraum das glei- che wirtschaftliche Wachstum hatten, hat Deutsch- Im übrigen, Herr Lafontaine, ist es nicht wahr, daß land mit der niedrigsten Jahresarbeitszeit die gering- nichts geschehen ist. Ich könnte Ihnen ein ganzes Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 86. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. Februar 1996 7545 Dr. Wolfgang Schäuble Bündel von Maßnahmen zur Verbesserung der auch in die Unumkehrbarkeit der wirtschaftlichen Attraktivität des Finanzdienstplatzes Deutschland Einigung Europas. nennen, die wir in den letzten Jahren in das Gesetz- gebungsverfahren eingebracht und durchgesetzt Deshalb sollten wir diesen Unfug, den Herr Spöri haben. Aber wir müssen auf dem Weg weiter voran- da in Baden-Württemberg macht, nun endlich lassen. schreiten. Wir müssen den tertiären Bereich, also den Das ist wirklich unter dem Niveau einer verantwor- Bereich von Dienstleistungen aller Art, viel stärker tungsvollen Debatte. für reguläre Arbeitsplätze erschließen, wenn wir (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. angesichts der Revolution in der Kommunikations- Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [F.D.P.]) technik eine Chance für Vollbeschäftigung in der Zukunft haben wollen. Wir sollten uns statt dessen auf die Frage konzentrie- ren, wie wir mit dem Problem der Beschäftigung fer- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) tigwerden, Wissen Sie, ich bin zur Zeit im Wahlkampf in Rhein- (Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Wie war das land-Pfalz. Ich wundere mich immer, wenn ich höre, noch mit dem Freizeitpark?) daß der dortige SPD-Ministerpräsident sagt, er sei dafür, private Haushalte als Arbeitgeber steuerlich ob wir bei den guten materiellen Möglichkeiten, die anzuerkennen. Ich habe nachgeschaut: Im Juni letz- wir in diesem Lande haben, den Menschen ange- ten Jahres ist unser Gesetz mit der Stimme dieses sichts dramatischer Veränderungen, die sich nicht Ministerpräsidenten im Bundesrat blockiert worden; nur durch die Wiedervereinigung in unserem Lande, Sie haben es abgelehnt. Aber wenn Sie jetzt auf dem sondern auch weltweit vollziehen, eine Perspektive Weg sind, hier eine vernünftige Regelung mitzutra- der Hoffnung lassen, daß sie nicht dauerhaft arbeits- gen, dann lassen Sie uns das endlich schnell machen. los sind. Das ist eine Frage, die nicht nur für die - Werfen wir uns doch hier gegenseitig nichts vor. Akzeptanz der Sozialen Marktwirtschaft eine wich- tige Bedeutung hat, sondern die auch für die innere (Ministerpräsident Oskar Lafontaine [Saar Stabilität unseres Landes relevant ist. land]: Das würde Versicherungspflicht vor aussetzen!) Deswegen finde ich, wir sollten uns, wenn wir den Jahreswirtschaftsbericht an dem Tag lesen, an dem - Gut, darüber können wir reden. Wenn es nicht eine bittere Zahl von Arbeitslosen durch die Bundes- mehr „Dienstmädchenprivileg" heißt, sondern eine anstalt in den Medien veröffentlicht werden mußte, vertiefte Sachdiskussion geführt wird, Herr Lafon- gemeinsam vornehmen: Wir tun alles, was in unserer taine, können wir schnell zu einem Ergebnis korn- Kraft steht, um bessere Ergebnisse im Kampf gegen men; denn wir haben zu viel Zeit verloren, Zeit, die Arbeitslosigkeit zu erzielen. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Die CDU/CSU-Fraktion ist dazu bereit. die wir gar nicht mehr haben. Wir sollten uns jetzt (Anhaltender Beifall bei der CDU/CSU - nicht gegenseitig dafür verantwortlich machen. Beifall bei der F.D.P.) Der Bundesrat hat in vielen Bereichen schon blok kiert. Auch wir in der Koalition brauchen manchmal Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Das Wort hat lange. Die Widerstände in der Öffentlichkeit, Herr jetzt der Abgeordnete Schreiner. Scharping, gegen jede Veränderung sind ungeheuer groß; Ottmar Schreiner (SPD): Frau Präsidentin! Liebe (Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Das stimmt nicht, Kolleginnen und Kollegen! Ich will ein paar Argu- wenn man es ordentlich erklärt!) mente des Kollegen Schäuble aufgreifen, der auf die unerträglich hohen Lohnnebenkosten hingewiesen denn die Gewöhnung an Besitzstände ist sehr stark. hat. Es gibt im übrigen niemanden in diesem Haus, - Aber nein, machen Sie es sich doch nicht so ein- der das Problem der Lohnnebenkosten mit Diffamie- fach; Sie wissen es selber. Ich achte ja sehr genau rungen belegt, wie heute morgen behauptet worden darauf. Ich kann Sie im übrigen gut verstehen. Ich ist. Das Problem der Lohnnebenkosten wird von würde es wahrscheinlich, wenn ich in der Opposition allen Fraktionen dieses Hauses gesehen, soweit ich wäre, genauso machen. die Lage übersehe. (Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Das werden Sie Der Ausgangspunkt der Probleme ist die völlig fal- bald sein!) sche Finanzierung der deutschen Einheit. Sie machen keinen einzigen konkreten Vorschlag, (Beifall bei Abgeordneten der SPD) wohlwissend, daß jeder, der konkrete Vorschläge macht, sofort in der Öffentlichkeit zerrissen wird. Es gibt seit Frühjahr 1991 eine extrem einseitige Deswegen: Lassen Sie uns doch ehrlich sein! Belastung der bundesdeutschen Bevölkerung. Wir finanzieren die Transferleistungen der deutschen Wir haben unsere Vorschläge gemacht, Wirtschaft Einheit nach wie vor in hohem Maße über die Sozial- und Gewerkschaften machen mit, Länder und versicherungsbeiträge. Dies ist bis zur Stunde nicht Gemeinden sind aufgefordert, in die gleiche Rich- korrigiert worden. Der Bundesverteidigungsminister tung zu gehen. Das alles - ich sage es noch einmal - Rühe hat vor drei Jahren bei einer parallelen Debatte wird nur zu einem guten Erfolg führen, wenn wir in öffentlich von einer Gerechtigkeitslücke in Deutsch- die europäische Einigung eingebunden bleiben, land gesprochen. Diese Gerechtigkeitslücke ist bis 7546 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 86. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. Februar 1996

Ottmar Schreiner zur Stunde auch nicht annähernd geschlossen wor- Anspruch genommen worden sind. Bei Arbeitszeit- den. Sie ist eher ausgeweitet worden. verkürzungen dürfen Sie übrigens nicht vergessen, daß diese mit einer höheren Arbeitsproduktivität ver- (Beifall bei der SPD) bunden sind. Deshalb ist es sehr wohl diskussionsfä- Das heißt, wenn man über Lohnnebenkosten redet, hig, bei Teilzeitarbeit nicht proportional geminderte Herr Kollege Schäuble, müssen Sie als erstes die Einkommen zu zahlen, sondern etwas höhere Ein- Bereitschaft signalisieren, die strukturell falsche kommen, wenn man die mit Teilzeitarbeit verbun- Finanzierung der deutschen Einheit in den nächsten dene höhere Arbeitsproduktivität einberechnet. Jahren auf andere Beine zu stellen. Das ist der erste Falsch ist die Bemerkung des Kollegen Schäuble, zwingende Punkt. der DGB habe gemeinsam mit der Bundesregierung (Beifall bei der SPD) die Rückführung der Sozialabgabenquote auf 40 Prozent bis zum Jahre 2000 vereinbart und gleich- Das, was Sie machen, ist nicht, ein Signal für eine zeitig vereinbart, daß die Rückführung über einen Korrektur der Finanzierung zu geben, sondern Sie entsprechenden Rückbau sozialer Leistungen erfol- verschärfen die Einseitigkeit der Finanzierung. Sie gen solle. Das ist ausdrücklich falsch. In einer Presse- verschärfen sie, indem Sie in dem 50-Punkte-Pro- erklärung des DGB vom 30. Januar 1996 heißt es: Die gramm etwa die Abschaffung der Vermögensteuer Gewerkschaften werden sich am Dialog mit der Bun- ankündigen. Meine Güte, wie soll denn ein Arbeit- desregierung über die vereinbarte Senkung der nehmer mit einem Einkommen von 2 000 DM, der gesetzlichen Lohnnebenkosten durch Rückführung nur noch knapp die Hälfte seines Bruttolohnes in der der Sozialabgabenquote auf 40 Prozent bis zum Lohntüte wiederfindet, angesichts der fortwähren- Jahre 2000 beteiligen mit dem Ziel, die einigungsbe- den Belastungen der letzten Jahre begreifen, daß in dingten Lasten aus Steuermitteln zu finanzieren. Sie der Hauptsache er die Finanzierungslast der deut- können also den DGB nicht für eine Rückführung schen Einheit trägt und die fehlende soziale Symme- des Gesamtbeitragssatzes unter 40 Prozent bis zum trie der Finanzierung in den nächsten Jahren weiter Jahre 2000 in Anspruch nehmen und gleichzeitig verschärft werden soll? Das ist überhaupt nicht nach- eine Finanzierung durch sozialen Abbau garantie- vollziehbar. ren. Dafür können Sie den DGB nicht in Anspruch (Beifall bei der SPD) nehmen. Ohne Signale in diese Richtung ist mir völlig uner- (Beifall bei der SPD) klärlich, wie Sie das Problem der Lohnnebenkosten in den Griff bekommen wollen. Vierter Punkt, zu dem ich einige wenige Bemer- kungen machen sollte: Meine feste Überzeugung ist, Zweiter Punkt: Wenn die Bundesregierung - und daß das große Problem der Massenarbeitslosigkeit das ist ihr gutes Recht - jedes Jahr festlegt, in wel- heute, zu Beginn des Jahres 1996, im wesentlichen chem Ausmaß deutschstämmige Aussiedler nach auch darauf zurückzuführen ist, daß die Bundesre- Deutschland kommen, dann müßte die Bundesregie- gierung das Problem der Massenarbeitslosigkeit in rung konsequenterweise auch die Finanzierungsla- den letzten Jahren - man kann fast sagen: seit sten regeln. Es geht aber nicht, auf der einen Seite anderthalb Jahrzehnten - nicht ernst genommen hat. die Kontingente zu bestimmen und auf der anderen Es gab in den 80er Jahren keine einzige Regierungs- Seite zum Beispiel die damit einhergehenden Ren- erklärung, in der das Problem der Massenarbeitslo- tenlasten nicht über den Bundeshaushalt abzuwik- sigkeit und der Versuch, Antworten und Lösungen keln, sondern über die Lohnnebenkosten, das heißt zu finden, um die Arbeitslosigkeit zu bekämpfen, über die gesetzliche Rentenversicherung. Auch hier auch nur Gegenstand solcher Erklärungen gewesen wäre ein dringender Korrekturbedarf erforderlich. wären. Wir haben ein Volumen von rund 11 Milliarden DM Fremdrenten pro Jahr. (Dr. Wolfgang Weng [Gerungen] [F.D.P.]: Das stimmt doch überhaupt nicht!) Dritter Punkt: Arbeitszeitverkürzung. Die Bundes- regierung hat die Arbeitszeitverkürzungen seit 1984 Die Arbeitslosigkeit in Deutschland erreichte nach immer wieder mit öffentlichen Diffamierungen zu meiner Kenntnis zum ersten Mal im Februar 1994 die begleiten versucht. 4-Millionen-Marke. Im Dezember 1993 kam das Weißbuch der EG-Kommission „Wachstum und (Anke Fuchs [Köln] [SPD]: „Dumm, absurd Beschäftigung" unter Federführung des damaligen und töricht! ") Präsidenten Jacques Delors heraus. Dieses Weiß- Herr Kollege Schäuble, Sie wissen sehr genau, daß buch, das auf europäischer Ebene für die nationalen wir ohne die Arbeitszeitverkürzungen seit 1984 eine Ebenen herausgegeben wurde und über 200 engbe- Arbeitslosenrate hätten, die um rund 1,2 Millionen schriebene Seiten mit Vorschlägen umfaßt, ist von Arbeitslose höher wäre, als sie es gegenwärtig ist. der Bundesregierung in keinem einzigen Punkt auf- gegriffen, geschweige denn ernsthaft diskutiert wor- (Beifall bei der SPD) den - Eine völlig andere Frage ist die notwendige (Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Das kann doch Arbeitszeitflexibilisierung. Hier gibt es seit 1992/93 nicht wahr sein!) Tarifverträge, in denen Bandbreiten von Arbeitszei- ten festgelegt worden sind, die erstaunlicherweise das immerhin in einer Phase, in der - wenige von den Arbeitgebern nicht in dem Maße in Wochen nach dem Erscheinen des Weißbuchs - im Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 86. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. Februar 1996 7547

Ottmar Schreiner Januar/Februar 1994 die 4-Millionen-Grenze bei der menregelungen gibt und wir, die Arbeitnehmer und Arbeitslosigkeit überschritten wurde. Arbeitnehmerinnen, unter die Räder des Binnen- markts kommen? - Das fördert Renationalisierungs- Die gegenwärtige Problemlage ist also nicht tendenzen und antieuropäische Bestrebungen. zuletzt darauf zurückzuführen, daß die Bundesregie- rung die Probleme jahrelang negiert, verdrängt und Die F.D.P. hat bis zum letzten dafür gekämpft, eine auf die leichte Schulter genommen hat. halbwegs angemessene Regelung in Deutschland zu verhindern, vorneweg Graf Lambsdorff mit dem Wir von seiten der SPD-Fraktion haben in den letz- Argument, das Verhindern der Entsenderichtlinie sei ten Jahren - das gilt zumindest für den arbeits- und der beste Beitrag zur Zerstörung der deutschen Tarif- sozialpolitischen Bereich, für den ich spreche, aber autonomie. Dies ist so nachzulesen in einer Juli-Aus- auch für den wirtschaftspolitischen Bereich, für den gabe des „Handelsblatts". der Herr Kollege Schwanhold spricht - dem Parla- ment eine Fülle von Gesetzesvorschlägen und Anträ- gen mit dem vorrangigen Bezug „Bekämpfung der Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Herr Abgeord- Arbeitslosigkeit" vorgelegt. Sie sind allesamt abge- neter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Grafen lehnt worden. Lambsdorff? (Zuruf des Abg. Dr. Otto Graf Lambsdorff [F.D.P.]) Ottmar Schreiner (SPD): Ich wollte sie gerade pro- vozieren. - Das können Sie nicht bestreiten, Herr Lambsdorff.

Ich will Ihnen das an einem der allerjüngsten Bei- Dr. Otto Graf Lambsdorff (F.D.P.): Verehrter Herr spiele verdeutlichen - der Kollege Schäuble hat eben Schreiner, zunächst einmal möchte ich Ihnen die darauf hingewiesen -: Wir haben einen umfäng- Fähigkeit attestieren, daß Ihnen das gelingt. Das ist lichen Antrag zur Absenkung der Lohnnebenkosten Ihnen aber schon immer gelungen. Sie haben mich und der gleichzeitigen Verteuerung der Energieko- allerdings auch schon einmal zu sich nach Hause ein- sten präsentiert. Wir haben vorgeschlagen, in mode- geladen; das war sehr freundlich. raten Schritten über einen Zeitraum von drei Jahren die Energiekosten zu erhöhen und in entsprechen- dem Maße die Lohnnebenkosten zu verringern. - Sie Ottmar Schreiner (SPD): Ich habe das in sehr ange- können uns nicht vorhalten, die SPD-Fraktion habe nehmer Erinnerung. in diesem Parlament keine Vorschläge zum Umbau bzw. zur alternativen Finanzierung von Sozialleistun- Dr. Otto Graf Lambsdorff (F.D.P.): Ich auch. Das ist gen gemacht. keine Frage. Wir haben nach dem Beispiel Dänemarks gehan- delt. Niemand kann sagen, daß der nationale Allein- Ottmar Schreiner (SPD): Ich habe immer zwischen gang Dänemarks, der hinsichtlich der Größenord- reaktionärer Politik und persönlicher Liebenswürdig- nungen nicht sehr weit von dem entfernt ist, was wir keit zu unterscheiden versucht. Das habe ich bis zur vorgeschlagen haben, den Industriestandort Däne- Stunde aufrechterhalten. mark in nennenswertem Maße gefährdet habe. (Heiterkeit bei der SPD - Dr. Peter Struck Wir haben eine Entsenderegelung vorgeschlagen. [SPD]: Sehr gut, Herr Kollege Schreiner!) Der Wirtschaftsminister hat heute morgen die Drei- stigkeit gehabt, zu sagen, die SPD wolle mit ihrem Entsendevorschlag die deutschen Grenzen für Aus- Dr. Otto Graf Lambsdorff (F.D.P.): Herr Schreiner, länder dichtmachen. ich darf Ihnen zunächst bestätigen, daß ich zwischen polemischer Attacke und persönlicher Liebenswür- (Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Unerhört!) digkeit zu unterscheiden weiß. Das ist an Dreistigkeit wirklich nicht mehr zu über- Zweitens darf ich Sie fragen, warum Sie den Bun- bieten; deswirtschaftsminister dafür kritisieren, daß er gesagt hat, dies sei ein (Beifall der Abg. Anke Fuchs [Köln] [SPD]) Gesetzentwurf gegen den Zustrom von ausländischen Arbeitnehmern. Man denn unser Gesetzentwurf hat zum Ziel, faire Wett- kann darüber diskutieren, ob das richtig oder falsch bewerbschancen in Deutschland herzustellen und zu ist, der Tatbestand aber stimmt doch. verhindern, daß weitere Hunderttausende von ein- heimischen Arbeitskräften von ihren Arbeitsplätzen Haben Sie zur Kenntnis genommen, daß sich der verdrängt werden, weil sie mit einem Stundenlohn jetzt im Vermittlungsausschuß geborene Entwurf kei- von 4 DM, 5 DM oder 8 DM nicht mehr konkurrieren neswegs auf ausländische Arbeitnehmer beschränkt, sondern daß nunmehr auch die Arbeit von meck- können. lenburg-vorpommerschen Schiffahrtsassistenten im (Beifall bei der SPD) Hamburger Hafen durch Entsendegesetz verboten wird? Wir wissen, daß insbesondere im Baubereich eine extrem antieuropäische Stimmung entstanden ist, (Dr. Peter Struck [SPD]: Na, na, Graf Lambs- weil die Leute sagen: Was nützt uns der europäische dorff! Das ist anders! Das erkläre ich Ihnen Binnenmarkt von 1992, wenn es keine sozialen Rah- heute nachmittag!) 7548 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 86. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. Februar 1996

Ottmar Schreiner (SPD): Graf Lambsdorff, ich habe sich einem die Frage, ob die do rt angegebenen Ziel- das Ergebnis des Vermittlungsausschusses sehr wohl punkte nicht genau in die falsche Richtung zielen. Je zur Kenntnis genommen. Der Wirtschaftsminister nachdem, welches Konstrukt ich neben die gegen- aber verwechselt Äpfel mit Birnen. Es geht uns nicht wärtigen Regelungen stelle, sehe ich die Gefahr, daß darum, die deutschen Grenzen gegenüber Auslän- es nur zu einem Verschiebebahnhof zwischen den dern dichtzumachen - so die Formulierung am heuti- Finanzierungsproblemen der gesetzlichen Renten- gen Vormittag -, sondern darum, für faire Wettbe- versicherung und den Finanzierungsproblemen der werbsbedingungen im Inland zu sorgen, Arbeitslosenversicherung kommt, bei gleichzeitig deutlich steigender Arbeitslosigkeit. Damit wäre (Beifall bei der SPD) überhaupt nichts gewonnen, sondern vieles zusätz- um zu verhindern, daß über Lohndumpingregelun- lich verloren, was mit dem Bündnis für Arbeit absolut gen Hunderttausende von einheimischen Arbeits- nichts zu tun hat. Selbst wenn Sie ein Konstrukt kräften ihren Arbeitsplatz verlieren. Das ist präzise anbieten, das tendenziell die zusätzliche Belastung die Entwicklung der letzten Jahre. Im übrigen gibt es der Bundesanstalt für Arbeit etwas geringer hielte als vergleichbare Regelungen seit geraumer Zeit in die Entlastung bei der gesetzlichen Rentenversiche- Frankreich, in Österreich, in Schweden und in den rung, so wäre dies bei einem deutlichen Aufwuchs Beneluxländern. Das sind alles Länder, in denen der Arbeitslosigkeit alles nichts wert. nicht überwiegend Sozialdemokraten regieren. Da gibt es sogar Liberale, die offenkundig wissen, mit Deshalb sind wir sehr gespannt, wann Sie mit kon- welchem Feuer sie spielen, wenn es nicht gelingt, kreten, auch im Parlament diskussionsfähigen Vor- dieser Probleme Herr zu werden. schlägen kommen werden. Ich nehme an, daß dies alsbald der Fall sein wird. Bislang glänzt das Arbeits- (Beifall bei der SPD) ministerium nur dadurch, daß alle Tage ein neuer Vorschlag kommt, gewissermaßen eine neue Sau Ich will einen weiteren Punkt nennen: die Finan- durchs Dorf getrieben wird. zierung der deutschen Einheit über die Lohnneben- kosten. Die F.D.P., Graf Lambsdorff, müßte uns ein- (Dr. Peter Struck [SPD]: Der Minister sitzt mal erklären, wieso die Finanzierung der deutschen da und sagt nichts!) Einheit im Kern über die Belastung von Leistungsein- kommen erfolgt und leistungsfreie Einkommen weit- Was wir also brauchen, sind parlamentsreife Überle- gehend außen vor bleiben. Sie belasten den Faktor gungen, sind diskussionsreife Überlegungen. Arbeit massiv, mit Lohnnebenkosten von rund 50 Milliarden DM; das sind 3,5 Beitragspunkte zur (Zuruf von der F.D.P.) Sozialversicherung. Wir hätten vergleichsweise - Ja, aber alle Ihre Vorschläge kennzeichnen sich geringe Probleme in der Finanzierungsstruktur der durch reaktionären Sozialabbau. Ich habe bisher sozialen Sicherungssysteme - zumindest in den nicht einen einzigen Vorschlag der F.D.P. gehört, der nächsten Jahren -, wenn es hier nicht zu der ord- die Leistungserbringer wirklich einmal schonen nungspolitisch schiefen Lösung gekommen wäre. würde, sondern Sie machen Sozialabbau, Sie bela- Dann hätten wir vergleichsweise kleinere Probleme, sten die Arbeitnehmereinkommen, Sie treiben die die lösbar wären. Aber die Probleme sind erst ent- Arbeitnehmer in eine Situation, in der sich nur noch standen, seitdem ab Frühjahr 1991 erhebliche Teile die Hälfte - das ist historischer Höchststand - der der einigungsbedingten Lasten über den Faktor Bruttoeinkommen in den Lohntüten wiederfindet. Arbeit und damit über Lohnnebenkosten abgewik- Das alles dank F.D.P.-Politik und dank der Koalition kelt werden. insgesamt. (Beifall bei der SPD) (Beifall bei der SPD - Dr. Wolfgang Weng Das ist nicht zu bestreiten. Das heißt, Sie belasten - [Gerlingen] [F.D.P.]: Da klatschen die noch!) entgegen allen liberalen Äußerungen - den Faktor Arbeit in sehr hohem Maße. - Ja, „da klatschen die noch" . Herr Weng, Sie und viele andere Kollegen aus der Koalition reden nur Sie sagen, Sie seien die Partei der Leistungsträger. noch über „Marktwirtschaft". Das Wo rt „Soziale Aber wo ist denn die Partei der Leistungsträger hin- Marktwirtschaft " ist von diesem Podium von Redner- gekommen, wenn Sie gerade die Leistungsträger innen und Rednern der Koalition kaum noch zu ver- über die Belastung des Faktors Arbeit massiv zur nehmen. Einer der wenigen, der noch die Stellung zu Kasse bitten, während leistungsfreie Einkommen halten versucht, aber auf verlorenem Posten kämpft, weitestgehend freigestellt werden? Sie wollen die ist der Kollege Geißler. Vermögensteuer ja auf Null bringen. Was hat das mit der Partei der Leistungsträger zu tun? Sie sind hier in Ich sage Ihnen: Die großen Lehren, die wir aus den einem sehr großen Widerspruch. Man kann eigent- Ereignissen des Jahres 1933 gezogen haben, waren lich nur noch vermuten, daß Sie Ihre Wählerklientel der Versuch, als Antwort auf staatliche Willkür und bei den großen Vermögensbeziehern, aber über- millionenfachen staatlichen Mord einen Rechtsstaat haupt nicht mehr bei den Leistungsträgern vermu- aufzubauen, es war aber auch der Versuch, die ten. soziale Bedingtheit einer Marktwirtschaft aus der Erkenntnis heraus zu formulieren, daß die sechs Mil- Ich will noch zum Thema Frühverrentung etwas lionen Arbeitslose des Jahres 1932 der soziale sagen: Wenn man sich die sozialpolitischen Teile der Anfang vom politischen Ende der Weimarer Repu- 50 Punkte des Aktionsprogramms ansieht, dann stellt blik waren. Wir haben heute, 1996, in Deutschland Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 86. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. Februar 1996 7549 Ottmar Schreiner nicht Weimar. Aber was die Höhe der Arbeitslosen- Wieviel weitere Millionen sollen denn nun noch quote anbelangt, sind wir dicht an Weimar dran. den Job verlieren, bis Ihnen etwas anderes einfällt als tiefe Einschnitte in das Sozialsystem und die For- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne derung nach mehr Flexibilität, vor allem von den ten der PDS) Arbeitnehmern? Das Soziale - Herr Schreiner hat es auch gerade gesagt - taucht bei Ihnen nur noch auf, wenn es um Kürzungen geht. Den Beg riff „Gemein- Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Das Wort hat sinn" sucht man bei Ihnen vergeblich. Ich habe die jetzt die Abgeordnete Dr. Christa Luft. Befürchtung, Sie werden eines Tages eine Änderung des Grundgesetzes beantragen, denn do rt kommt ja der Begriff „Gemeinwohl" glücklicherweise vor. Dr. Christa Luft (PDS): Frau Präsidentin! Liebe Kol- Was heißt das überhaupt, wenn Sie sagen, die leginnen und Kollegen! 1996 soll nun zum Jahr der Tarifpartner müßten flexibler werden? Ich muß Sie Beschäftigung werden - man höre und staune -: Dies das fragen, meine Damen und Herren von der Koali- ist nicht die Ankündigung einer gerade ins Amt tion und besonders von der Regierung. Sie scheinen gekommenen Regierung, die ja noch neue Vorsätze gar nicht zu wissen, wie die Lage beispielsweise in haben könnte, sondern dies ist die Ankündigung den neuen Bundesländern ist. Ein Drittel der ostdeut- einer Regierung, die seit fast eineinhalb Jahrzehnten schen Unternehmen zahlt bedauerlicherweise schon im Amte ist und der ausufernden Entschäftigung bis- seit Jahren keine Tariflöhne; her tatenlos zugesehen hat. bei sehr vielen Unter- nehmen wird in der Regel ein Lohn gezahlt, der ein (Dr. Otto Graf Lambsdorff [F.D.P.]: Und Ihre Drittel unter dem Ta rif liegt. In der Textilindustrie Trümmer wegräumen mußte!) und in der Druckindustrie sind es sogar 47 Prozent der Unternehmen, die Löhne unter Ta rif zahlen.- Wer soll ihr jetzt noch Glauben schenken, wer soll ihr Trotzdem gehen die Entlassungen weiter. Allein in jetzt noch vertrauen, da sie doch längst den Glauben der ostdeutschen Industrie sind 86 Prozent der an die Allmacht der Marktkräfte zum Politikersatz Maschinenbauunternehmen nicht im Arbeitgeber- gemacht hat? Die Koalitionsabgeordneten - es haben verband organisiert; in den alten Bundesländern sind hier ja nur Herren gesprochen - bemühen die neuen das leider auch schon 45 Prozent. Von den ostdeut- Herausforderungen, auf die man doch Rücksicht schen Neugründungen zahlt laut Unternehmermaga- nehmen müsse; sie sagen, man müsse dafür Ver- zin „Impulse" keine einzige Tariflohn. Dennoch meh- ständnis haben, daß wir vor neuen Problemen ste- ren sich die Insolvenzen. Für wie dumm halten Sie hen. Aber ich muß doch sagen: Die Globalisierung denn die Menschen in den neuen Bundesländern, der Märkte, die neue Konkurrenz aus Südostasien aber auch in den alten, und aus Osteuropa sind keine neuen Phänomene, (Beifall bei der PDS) die über Nacht entstanden sind. Vielmehr haben Sie nur nicht darauf reagiert. Auch die deutsche Einheit daß sie Lohnzurückhaltung, Lohnverzicht als Köder ist inzwischen fast sechs Jahre alt. Sie haben die Wei- für Beschäftigungssicherung akzeptieren würden? chen nicht richtig gestellt, und lange eignet sich die Was Sie hier an Vorschlägen für Eigenkapitalhilfe deutsche Einheit nicht mehr als Argument, mit dem für Existenzgründer und Kleinunternehmen unter- man Probleme kaschieren kann. breiten, wird ein Flop bleiben. Das sagt Ihnen jeder Banker unumwunden, solange Sie den § 18 des Kre- Panikartig ist uns nun ein Katalog von Maßnah- ditwesengesetzes nicht ändern. Davon ist aber in men vorgelegt worden, die teils verstaubt, teils Ihren Papieren keine Spur. Die Banken werden bei unglaublich, wie ich finde, und skandalös sind. Prä- der Bearbeitung der Kreditanträge von Existenzgrün- sentiert worden sind uns hier scharf formulierte Maß- dern und Kleinunternehmen also weiter restriktiv nahmen, soweit sie den Sozialabbau und die weitere handeln. Belastung der Kommunen betreffen, schwammig dort, wo es um Pflichten der Unternehmen, der Ban- Abgebaut werden müsse - so sagen Sie - die Über- ken und der Regierung geht. Zu den eigentlichen regulierung. So sehr ich zwar verstehe, daß ein Exi- Ursachen der Arbeitsmarktkatastrophe, der millio- stenzgründer, ein Kleinunternehmer oder ein Mittel- nenfachen Entwürdigung arbeitswilliger Menschen ständler unter der Regulierungslast leidet, so frage stoßen Sie in den Berichten, die Sie uns hier vorge- ich Sie aber: Wollen Sie denn etwa unter der Flagge legt haben, überhaupt nicht vor. Ich nenne nur den der Deregulierung die Spielräume für die großen, Marktdogmatismus - und das, obwohl die Staats- international verflochtenen Konzerne auch noch aus- quote eskaliert -; ich nenne die verfehlte Treuhand- weiten? Gegenüber den Großen ist es doch wohl an politik - sie muß man ebenso benennen, wie die von der Zeit, im Interesse der Beschäftigung endlich ein Herrn Schreiner gerade hervorgehobene falsche Mindestmaß an Regeldichte herbeizuführen. Gerade Finanzierung der deutschen Einheit - und die Unter- die großen Unternehmen sind es doch, die sich von ordnung der Politik unter die Kontrolle und Be- der Ausbildung von Schulabgängern so gut wie ver- herrschung durch die Finanzmärkte. Das letztere hat abschiedet haben. Gerade die Großen sind es, die im übrigen Bundesbankpräsident Tietmeyer vor Gewinne entnehmen, statt sie zu investieren und ein paar Tagen in Davos unumwunden ausgespro- damit im Inland Arbeitsplätze zu schaffen. Viele chen. Er hat gesagt: Die Politiker merken noch gar Großunternehmen nehmen ungeniert staatliche För- nicht, daß sie unter der Knute der Finanzmärkte dergelder in Anspruch. Wenn sie aber Ergebnisse arbeiten. beispielsweise in der Forschung erreicht haben, 7550 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 86. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. Februar 1996

Dr. Christa Luft dann materialisieren sie diese Ergebnisse im Aus- Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Zu einer Kurzin- land. Weshalb soll hier weiterer Deregulierungsbe- tervention erhält der Abgeordnete Graf Lambsdorff darf bestehen? Ich finde, hier gibt es überfälligen das Wort. Handlungsbedarf für Regierung und Parlament. (Beifall bei der PDS) Dr. Otto Graf Lambsdorff (F.D.P.): Vielen Dank, Was die Banken angeht, findet sich kein Wort bei Frau Präsidentin. - Frau Professor Luft hat auch die- Ihnen hinsichtlich der Begrenzung der überborden- ses Mal wieder das Lied von den 13 Jahren gesun- den Bankenbeteiligungen an florierenden Industrie- gen, in denen diese Regierung in der Verantwortung unternehmen. Wo wollen Sie da noch Risikokapital sei. Meine Damen und Herren, ich finde das schon mobilisieren? ziemlich unerhört, wenn dabei nicht erwähnt wird - von ihr wird es nicht erwähnt, sondern unterdrückt -, Bei allem Respekt vor Existenzgründungen, bei daß die letzten Jahre dieser Regierungskoalition und aller Liebe zu kleinen und mittelständischen Unter- dieser Regierungsarbeit unter anderem damit bela- nehmen: Im Osten fehlt es infolge der Privatisie- stet waren, die Trümmer wegzuräumen, die Sie mit rungspolitik der Treuhand im verarbeitenden Ihrer Wirtschaftspolitik und Ihrer wirtschaftlichen Gewerbe an Betriebsgrößen ab 500 Beschäftigten, Beratung veranstaltet haben. die dem Mittelstand erst einmal sozusagen ein Kor- sett anlegen könnten und innovativ und beschäfti- (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU - gungsintensiv sind. Wie wichtig gerade ein Mix an Widerspruch bei der PDS) Unternehmensgrößen ist, können Sie in der ostdeut- schen Landwirtschaft studieren. Dort gibt es eine Der zweite Punkt. Ich habe das schon beim letzten- ganze Skala verschiedener Unternehmensgrößen. mal gehört: Auch da hat Frau Luft es für richtig Dort sind auch Großbetriebe erhalten worden. Dies gehalten, uns an die Einhaltung des Grundgesetzes schlägt sich in einem hohen Beitrag der ostdeutschen zu erinnern. Landwirtschaft zur Bruttowertschöpfung der gesamt- (Zurufe von der PDS) deutschen Landwirtschaft nieder. Er beträgt nämlich 18 Prozent - man höre und staune. Herr Schalck-Golodkowski hat uns neulich an den Rechtsstaat erinnert. Langsam steht die Welt wirklich Im produzierenden Gewerbe hingegen liegt der auf dem Kopf. Anteil des ostdeutschen Beitrages an der gesamt- deutschen Bruttowertschöpfung bei ganzen (Widerspruch bei der PDS) 6 Prozent. Es muß Ihnen doch zu denken geben, so daß wir endlich an diesem Mix von Betriebsgrößen in Wenn Sie früher an das Grundgesetz der Bundesre- den neuen Bundesländern arbeiten müssen. Sonst publik Deutschland gedacht hätten, wäre in Deutsch- bleibt das Gerede über den Mittelstand und über die land manches besser gelaufen. Existenzgründungen einfach hohl. (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU Sie werden die jüngere und die mittlere, arbeits- sowie bei Abgeordneten des BÜNDNIS- willige Generation weiter an der Nase herumführen, SES 90/DIE GRÜNEN) wenn Sie nicht endlich eine gesellschaftliche Steue- rung des Strukturwandels der Wirtschaft zu einer Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Zur Antwort die nachhaltigen, umweltverträglichen, ressourcenspa- Abgeordnete Frau Luft. renden und arbeitsplatzschaffenden Entwicklung in Angriff nehmen. Das werden Sie mit Konsensgesprä- chen und mit Selbstverpflichtungen der Industrie Dr. Christa Luft (PDS): Danke schön, Frau Präsi- nicht erreichen. dentin. - Graf Lambsdorff, es tut mir leid: Ich habe zu denen, die die Trümmer geschaffen haben, wenn Sie Für den Übergang in eine zukunftsorientierte so wollen, nur bedingt gehört. Aber die, die sie werden neben den Dienstleistungsgesellschaft geschaffen haben, waren über 40 Jahre oder zumin- Sofortmaßnahmen 10- bis 15-Jahres-Programme dest über 20 Jahre hinweg Ihre ganz engen gebraucht. Sonst geht das mit dem Durchwursteln Gesprächspartner. und Aussitzen weiter. Zu Zeiten Ludwig Erhards - Sie werden sich daran ja gut erinnern können - wur- (Beifall bei der PDS) den solche langfristigen Programme auch nicht als Fremdkörper in der Sozialen Marktwirtschaft emp- Wenn Sie wollen, dann bringe ich Ihnen demnächst funden und verteufelt. Fotos mit, worauf zu sehen ist, daß Sie im Tête-à-tête mit all diesen Herren zusammengesessen haben. Unterstützen Sie endlich den schwedischen Vor- Wenn Sie sich schon zu dieser Bemerkung auf- schlag, der unterbreitet worden ist, nämlich ein schwingen, müssen Sie dies als Entgegnung vertra- eigenständiges Kapitel „Beschäftigungspolitik" in gen. den EU-Vertrag einzufügen. (Beifall bei der PDS) (Beifall bei der PDS - Dr. Gregor Gysi [PDS]: Wir haben das Grundgesetz seit fünf Auch das wäre ein Beitrag, den Deutschland für die Jahren mehr verteidigt als die Regierungs- europäische Einigung verbunden mit guten sozialen koalition, die es ständig aushebelt!) Bedingungen erbringen kann.

Danke. Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Das Wort hat (Beifall bei der PDS) jetzt der Abgeordnete Jürgen Türk. Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 86. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. Februar 1996 7551

Jürgen Türk (F.D.P.): Werte Frau Präsidentin! Liebe - es tut mir leid, daß Herr Eichel immer wieder dran Kolleginnen und Kollegen! Werte Frau Luft, ich ist - hat einmal ganz klar gesagt: Die F.D.P. hat recht; glaube, wenn wir dieses Bündnis weiter in dieser Art wir müssen aus dieser übergroßen Abgabenlast aus- und Weise zerreden, wird es wirklich eine Luftnum- steigen. Gut, das war vor der Wahl. Jetzt sagt er mer. Davon bin ich überzeugt. genau das Gegenteil. Ich weiß nicht, wo da die Glaubwürdigkeit ist. Es ist jedenfalls die schlichte (Widerspruch bei der PDS) Unwahrheit, daß dieses Vorgehen den Osten schä- Ich jedenfalls finde den Vorschlag Bündnis für digt, daß damit die Osthilfen gekürzt werden. Hören Arbeit der Gewerkschaft gut. Er war und ist richtig. wir also endlich auf, den Bürger damit zu verunsi- Er gibt uns eine Chance, endlich über längst überfäl- chern. Wir müssen wieder mehr mit den Menschen lige Maßnahmen zu sprechen, und zwar vorbedin- sprechen und nicht über ihre Köpfe hinweg. gungslos. Das haben wir uns vorher alle geschworen: Wir müssen das Fahrrad aber nicht immer wieder vorbedingungslos. Jetzt halten wir uns nicht daran. neu erfinden. Schauen wir uns zum Beispiel - Graf Ich glaube, dieses Bündnis ist für den Westen wichtig Lambsdorff hat das angedeutet - die Entwicklung und im Osten noch viel dringlicher. , von Neuseeland an. Leider spart das Bündnis für Arbeit den Osten bis- (Dr. Wilfried Penner [SPD]: Sehr weit weg!) her aus. Ich denke, daß diese Flächenbetriebsver- träge für den Osten - die sind nämlich das einzige, - Es ist sehr weit weg, aber trotzdem ganz aktuell. was bisher vorgeschlagen worden ist - nicht ganz ausreichen werden. Wir brauchen natürlich wirklich (Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Was lehrt uns betriebsnahe Vereinbarungen. das?) Auch laufen wir Gefahr - das hat die heutige - Wir könnten wieder Land sehen. Die haben gute Debatte einmal mehr bewiesen -, daß wieder alles Erfahrungen gemacht, und wir ignorieren das ein- zerredet wird, anstatt konstruktiv um den besten fach. Schauen wir uns doch einmal an, wie die das Weg und für mehr Beschäftigung zu streiten. Wir lau- gemacht haben. fen wirklich Gefahr, in diesem Punkt am Ziel vorbei- Dort hat es ein Beschäftigungsvertragsgesetz zulaufen. gegeben. Das hat Freiräume für Entwicklungen Ich denke, wir brauchen erst einmal eine neue geschaffen. Es wurde, ganz konkret, ein jährliches Streitkultur. Das heißt, wir müssen endlich beginnen, Wachstum um 5 Prozent erreicht. Die Arbeitslosen- uns im Interesse der Menschen wieder um die Sache quote sank in drei Jahren - das ist beachtlich - von zu streiten. Die heutige Debatte ist übertragen wor- 12 Prozent auf 6 Prozent. Ich denke schon, daß man den. Ich glaube nicht, daß aus diesem unkonstrukti- von dort lernen kann. Die verunsicherte Bevölkerung ven Streit so viel Hoffnung erwachsen ist. ist jetzt wieder optimistisch. Angesichts solcher Ergebnisse ist das erklärlich. Erreicht wurde dies Eigentlich waren wir uns einig, daß jeder Vor- durch flexible Arbeitszeiten und flexible Gehälter - schlag erst mal geprüft werden soll und wird. Aber in diesem Punkt bewegen wir uns ja schon ein Stück da wird das „Aktionsprogramm für Investitionen aufeinander zu - und Arbeitsplätze" zum Horrorkatalog abgestem- pelt, bevor man es überhaupt gelesen hat. Das ist, (Beifall bei Abgeordneten der F.D.P.) glaube ich, unser gemeinsames Problem: Wir hören sowie rigorose Kürzungen staatlicher Ausgaben und uns nicht mehr zu, sondern lesen uns nur noch die Steuern. Wo soll das Geld denn sonst herkommen? Leviten, egal, was der andere überhaupt gesagt hat. Das geschieht also aus Prinzip. Ich glaube, dieses Ich schlage vor, in den Ressorts von Bund, Ländern Prinzip ist überholt. Jedenfalls werden wir auf diese und Kommunen den Rasenmäher anzusetzen. Dann Art und Weise keine Arbeitsplätze schaffen. hört dieses Versteckspiel - jeder macht etwas hinter dem Rücken des anderen - auf. Die Ressorts müssen (Beifall bei der F.D.P. sowie des Abg. Reiner sich dann einen Kopf machen darüber, wie man viel- Krziskewitz [CDU/CSU]) leicht mit 5 Prozent weniger auskommt; denn die ver- Dann wundern wir uns, daß dieser allgemeine Frust bleibenden 95 Prozent sind ja auch noch ganz schön immer größer wird. So kommt man natürlich auf kei- viel. nen Fall zum Bündnis für Arbeit. Auch ich bin natürlich dafür, solche guten Erfah- Ein Beispiel: das sehr stark strapazierte Problem rungen nicht bedingungslos zu übernehmen. Aber der Gewerbekapitalsteuer. Herr Lafontaine hat es hören wir doch, was Herr Professor Kasper, Autor des heute gesagt: Er ist dafür, aber doch dagegen. Was Beitrages „Fahrt in die Vollbeschäftigung" der NZZ ist denn nun? Da werden immer wieder die Kommu- vom 21. Oktober 1995, schreibt. Laden wir ihn uns nen angeführt, die dann ohne Geld dastehen wür- einfach einmal ein und hören uns an, wie die Neu- den. Es gab dieses eineindeutige Angebot hinsicht- seeländer das gemacht haben - mein konkreter Vor- lich der Mehrwertsteuer. Das steht auch noch. Lassen schlag ist jedenfalls, auch darüber vorbehaltslos zu Sie uns doch wenigstens in diesem Zusammenhang reden -: konkret darüber sprechen, wie das ausgestaltet wer- Zeigt doch die neuseeländische Erfahrung den kann. zunehmend, daß ungehinderter Marktwettbe- Das gleiche passiert beim Solidaritätszuschlag. Es werb die weit bessere soziale Politik ist als das ist wirklich schlimm, wenn man das hört. Herr Eichel politische Umverteilen, jedenfalls für die aller- 7552 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 86. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. Februar 1996

Jürgen Türk meisten, freilich mit Ausnahme der politischen sicherlich einen ganz wichtigen Termin haben; nein, Umverteiler. er kommt herein -, so einfach darf man es sich nicht machen: Prognosen in die Welt zu setzen und dann So schließt Professor Kasper seinen Artikel in der NZZ. die Opposition zu beschimpfen. Wir sollten damit in den strukturschwächsten (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne- Regionen in der Bundesrepublik - ich bin wieder zu ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Hause - anfangen, in Ost und West; denn es gibt Ich will Ihnen sagen: Wenn Sie die Hoffnung auf nicht nur im Osten, sondern inzwischen auch im die private Nachfrage stützen - sie muß ja in der Westen diese strukturschwachen Regionen. Lassen zweiten Hälfte dieses Jahres wachsen -, so muß man Sie uns das ganz konkret in Modellregionen auspro- sich schon überlegen, ob man gerade jene Teile der bieren, da wir uns leider offensichtlich nicht darüber Bevölkerung, die 100 Prozent ihres Einkommens in verständigen können, es im Rahmen Gesamtdeutsch- den Konsum hineingeben müssen, stärker belastet lands zu versuchen. Lassen Sie uns anfangen, in und damit die Nachfrage schwächt oder ob man den Modellregionen Ost- und Westdeutschlands etwas Versuch unternimmt, jenen, die über ein größeres voranzubringen! Vermögen verfügen, eine Verantwortung für Konsum Vielen Dank. einerseits und für das Tragen von Belastungen ande- rerseits auferlegt. Wenn diese Gerechtigkeitslücke (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) nicht geschlossen wird, darf man den anderen Teil, den Sie übrigens fälschlicherweise als von den Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Das Wort hat Gewerkschaften schon als abgehakt ansehen, näm- jetzt der Abgeordnete Schwanhold. lich den Teil der Sozialkürzungen - dieses steht nicht in dem 8-Seiten-Papier, das im Bundeskanzleramt beschlossen worden ist, sondern dies ist sozusagen Ernst Schwanhold (SPD): Frau Präsidentin! Meine von Ihnen okkupiert und hineingeschrieben worden, sehr verehrten Damen und Herren! Führen wir uns und dieses wird Auseinandersetzungen bringen -, noch einmal vor Augen, welch unterschiedliche nicht zur zentralen Botschaft des Jahreswirtschafts- Debattenbeiträge die Redner der Koalition abgege- berichts machen, weil dies Ihre eigenen Prognoseda- ben haben. Der Bundeswirtschaftsminister, der ja ten in Frage stellt. eigentlich eine Regierungserklärung zum Jahreswirt- schaftsbericht abgeben wollte, hat diese nur miß- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ braucht, um die Opposition zu beschimpfen, DIE GRÜNEN) (Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Ja!) Dann muß man zu Herrn Schäuble noch zwei während Herr Schäuble - in Aufgabenteilung - am Worte sagen. Er hat ja heute, im Gegensatz zu seinen Rednerpult auf die Gemeinsamkeiten gepocht hat. früheren Reden, sehr versöhnliche Töne angeschla- gen. Vielleicht haben ihn die 4,2 Millionen Arbeitslo- (Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Heuchlerisch sen geschockt. Aber Einigungen zwischen dem Ver- war das!) fassungsorgan Bundesrat und der Bundesregierung können nicht nach dem Motto laufen: Wenn ihr nicht So kann die Aufgabenteilung nicht sein. das macht, was wir wollen, gibt es keine Einigung, (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ und ihr seid für die negativen Auswirkungen verant- DIE GRÜNEN) wortlich. Einigungen kommen vielmehr immer dadurch zustande, daß man einen Interessenaus- Der Bundeswirtschaftsminister trägt Verantwortung gleich herbeiführt. Damit haben Sie - siehe Meister- für die Jahreswirtschaftsberichte 1996 und 1995. BAföG - allzu lange gezögert. Sie haben das Entsen- Man darf ja wohl noch einmal in Erinnerung rufen, degesetz verwässert. Da hätte man mehr herausho- daß er die konjunkturpolitischen Daten schöngere- len und mehr Arbeit schaffen können. Sie haben det hat: 2,5 bis 3 Prozent Wachstum hat er uns ver- auch bei der Abschaffung der Gewerbekapitalsteuer sprochen; bei kümmerlichen 1,9 Prozent ist er am nicht den notwendigen Schritt getan, nämlich die Ende des Jahres 1995 gelandet. In den ersten Mona- Einkommenssicherung der Kommunen darzustellen. ten 1996 ist die Produktion tief in den Keller gegan- gen. Im Verhältnis zu den Jahren 1995 und 1994 ist Ich will auf zwei Punkte eingehen, die wohl zusätz- die Produktion, bezogen auf die jeweiligen Vorjah- liche Arbeitsplätze bringen können, nicht kurzfristig resmonate, zwischen 10 und 16 Prozent gesunken. und nicht mittelfristig, aber vielleicht doch über die mittlere Frist hinaus. Sie haben ja längst - auch auf Dann will er uns im Jahreswirtschaftsbericht, in Grund der prognostizierten Arbeitslosenzahlen - die der Prognose, deutlich machen, daß die Konjunktur Hoffnung aufgegeben, daß dieses Programm sofort sozusagen nur Luft holt, um in die nächste Auf- etwas bringen könnte. Denn Sie gehen ja von schwungphase hineinzukommen. Ich befürchte, 4 Millionen Arbeitslosen im Jahresdurchschnitt aus, meine sehr verehrten Damen und Herren, daß die mit steigender Tendenz. Wenn Sie die saisonberei- Konjunktur noch nicht entschieden hat, ob es wieder nigte Belebung des Sommers hineinrechnen, bekom- in eine Aufschwungphase hineingeht oder ob wir in men Sie das vielleicht gerade noch hin, ohne daß einem Gleitflug oder in einem Sturzflug in die näch- zusätzlich etwas geschieht. ste Rezession hineingehen. Und dies alles vor dem Hintergrund von 4,2 Millionen arbeitslosen Men- Ich will eine Vorbemerkung zu diesen beiden schen. Herr Bundeswirtschaftsminister - er wird Punkten, und zwar hinsichtlich der Technologien Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 86. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. Februar 1996 7553

Ernst Schwanhold machen. Angesichts von 4,2 Millionen Arbeitslosen Ich bleibe bei den Existenzgründungen. Auch hätte es, denke ich, dem Bundeskanzler gut ange- dazu haben wir Ihnen vor acht Monaten einen standen, in dieser Debatte sein unsägliches Wort vom Antrag vorgelegt. Er basierte auf einer Großen kollektiven Freizeitpark zurückzunehmen. Anfrage, in der wir zum Beispiel gefragt haben, ob es bei Existenzgründungen bürokratische Hemmnisse (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ gibt, wie es in Wachstumsphasen aussieht, ob es DIE GRÜNEN) Hemmnisse bei Genehmigungsverfahren gibt. Dies Aber selbst dazu hat er sich nicht durchringen kön- ist folgendermaßen beantwortet. Erstens. Man nen, sondern er hat nach wie vor den Hinweis darauf braucht nach dem Gewerberecht einen Antrag, wor- bestehen lassen, daß diejenigen, die auf die sozialen aufhin man einen Gewerbeschein erhält. Bürokrati- Netze angewiesen sind, weil sie aus dem Arbeitspro- sche Hemmnisse gebe es nicht. Zweitens sähen Sie zeß herausgedrängt worden sind, Verantwortung keinen Handlungsbedarf. Binnen acht Monaten hat dafür tragen, daß dieser Standort gefährdet ist. So sich nichts verändert, außer daß Sie das eine oder kann es nicht gehen, daß die Arbeitslosen, die Sozial- andere Gesetz verschärft haben. Nun auf einmal ein hilfeempfänger und die Kranken für die negativen plötzlicher Wandel. Warum eigentlich stellen Sie sich Dinge verantwortlich gemacht werden. Die wesentli- nicht hin, Graf Lambsdorff, und sagen: Wir unterstüt- che Verantwortung tragen Sie. zen den Antrag der Sozialdemokraten, um Existenz- gründungen zu beschleunigen und Existenzgrün- Nun zu den zwei Punkten. Graf Lambsdorff hat es dungen zu initiieren. Im Antrag stehen außerordent- auch wieder gesagt. Der Kanzler hat so getan, als ob lich viele vernünftige Dinge drin. Das hätten Sie übri- Risikokapital vom Himmel fiele. Wir haben Ihnen im gens bei der Eile, die eigentlich angebracht wäre, um Wirtschaftsausschuß und hier im Bundestag einen zusätzliche Arbeitsplätze zu bekommen, schon Antrag vorgelegt, um privates Risikokapital mög- längst haben können. lichst schnell anzureizen, und zwar mit der Möglich- keit zur steuerlichen Abschreibung, damit man daran Wenn wir über neue Technologien reden: Meine verdienen kann. Sie haben dies im Wirtschaftsaus- Vorredner haben schon gesagt, welche Arbeitsplätze schuß bisher völlig negiert. Sie haben sich noch nicht im Bereich des Umweltschutzes entstanden sind. In einmal dazu durchgerungen, einen Antrag vorzule- diesem Zusammenhang ist der Weg sehr gefährlich, gen. sich aus der Umweltschutzgesetzgebung zu verab- Sie haben bei den Haushaltsberatungen, als es um schieden und keine ökonomischen Signale zu setzen, das Eigenkapitalhilfeprogramm ging und wir einen damit Umweltverbesserungen weiter voranschreiten. Antrag von Ihnen übernommen haben, den Sie kurz Es ist geradezu töricht, zu sagen, wir wollten eine vor Beginn der Haushaltsberatungen im Wirtschafts- neue Steuer erfinden, die die Belastung erhöht. Nein, ausschuß zurückgezogen hatten, sogar gegen Ihren Sie haben das Modell nicht richtig gelesen. Wir eigenen Antrag gestimmt. Heute, vor dem Hinter- geben alles zurück und entlasten sogar die Unter- grund von 4,2 Millionen Arbeitslosen, verkünden Sie nehmer mit mehr als 10 Milliarden DM im Jahr. Dies das als einen großen Erfolg an Erkenntniszugewinn. ist im Grunde eine Verbrauchsteuer, die aber Umwelt- und Energieverbrauch belastet, um damit (Anke Fuchs [Köln] [SPD]: So ist die F.D.P.!) bei den Lohnnebenkosten Freiräume zu schaffen. Ich finde, es hat lange genug gedauert. Es hätte ein Das ist genau Ihr Ansatzpunkt. Ringen Sie sich end- bißchen früher kommen können. lich durch und tun Sie nicht so, als ob es eine Gemeinsamkeit gäbe. Das Repnik-Papier ist doch (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ eingestampft worden, weil Sie sich innerhalb der DIE GRÜNEN) Koalition nicht haben einigen können. Ich kann auch Wir machen mit beim Risikokapital. Dann sollten nicht erkennen, daß zwischenzeitlich darüber eine wir aber auch dafür sorgen, daß Banken ihre Bereit- Einigung erfolgt ist. schaft signalisieren, obwohl es nicht ihr ureigenstes Geschäft ist, einen Anteil daran zu leisten. Dies ist Bei den Investitionen, die wir benötigen, hat uns bisher nicht erkennbar. der Delors-Plan die transeuropäischen Netze als eine gemeinsame europäische Aufgabe auferlegt. Warum Ein zweites Beispiel. Es geht um Existenzgründun- eigentlich sind Sie so defensiv, die Ideen unserer gen. Der Kanzler spricht immer von einer Welle von europäischen Nachbarn, die gleiche Probleme haben Existenzgründungen und Unternehmenskultur. All und vielleicht den einen oder anderen intelligenteren dies wird wichtig sein. Manches davon ist Psycholo- Lösungsansatz haben, aufzugreifen? Wir haben das gie. Das ist völlig klar. Lassen Sie dann bitte das am Mittwoch im Wirtschaftsausschuß wieder erlebt, Schlechtreden des Standorts Bundesrepublik wo das Ringen der französischen Kollegen um trans- Deutschland im Ausland sein. Dieses sind nicht nur europäische Netze, um eine gemeinsame Initiative Unternehmer. Dieses sind auch Mitglieder der Regie- für mehr Arbeit in Europa von Ihrer Seite immer wie- rung, die meinen, aus dem Ausland die Opposition der abgelehnt worden ist und gar nicht darüber treffen zu können, weil sie irgend etwas verhindert nachgedacht worden ist, wo wir die Freiräume und dann den Standort schlechtredet. So kann dieses haben, um uns daran zu beteiligen. nicht gehen. Wer soll denn eigentlich bei uns inve- stieren, wenn sich der Wirtschaftsminister hinstellt und diesen Standort schlechtredet? (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN - Zuruf des Abg. Dr. Otto (Beifall bei der SPD) Graf Lambsdorff [F.D.P.]) 7554 Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 86. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. Februar 1996

Ernst Schwanhold - Entschuldigung, Sie haben noch nicht einmal das Überweisungsvorschlag: Geld, um den Abbau des Solidaritätszuschlages zu Innenausschuß (federführend) finanzieren, verehrter Graf Lambsdorff. Dazu haben Rechtsausschuß Sie sich dann vor dem Hintergrund des 24. März ver- Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend bal geeinigt. Sie kommen mit den Finanzierungen, die Sie gerne wollen, nicht über die Kante. Sie reden b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Cem nicht über die Mehrwertsteuer. Kommen Sie endlich Özdemir, Kerstin Müller (Köln) und der Frak- aus der Ecke heraus, und haben Sie den Mut, dies tion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN vor dem 24. März zu sagen. Mindestkriterien für eine Reform des Staats- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) angehörigkeitsrechts Frau Präsidentin, ich komme zu meinem letzten - Drucksache 13/3657 — Satz. Graf Lambsdorff, es gibt in den Papieren eine Überweisungsvorschlag: Fülle von Ansatzpunkten, die man gemeinsam auf- Innenausschuß (federführend) greifen kann. Sie müssen allerdings bereit sein, die Rechtsausschuß Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Frage der Gerechtigkeitslücke zu klären und ande- rerseits auch jene Vorschläge, die wir Ihnen lange c) Zweite und dritte Beratung des von den Abge- Zeit vorgelegt haben, vorurteilsfrei zu prüfen. Das ordneten Cem Özdemir, Kerstin Müller (Köln), Spiel, die Regierung ist für die guten Dinge verant- Volker Beck (Köln), weiteren Abgeordneten wortlich, und die Opposition ist an den negativen und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Dingen schuld, geht nicht weiter. Damit sind Sie am eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ende, weil Ihnen 4,2 Millionen Arbeitslose nicht Änderung des Staatsangehörigkeitsrechts mehr abnehmen, daß Sie überhaupt zu einem (StG) - Lösungsansatz fähig sind. - Drucksache 13/423 - (Beifall bei der SPD sowie von Abgeordne (Erste Beratung 18. Sitzung) ten von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS) Beschlußempfehlung und Be richt des Innen- ausschusses (4. Ausschuß)

Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Damit schließe - Drucksache 13/3472 - ich die Aussprache. Berichterstattung: Abgeordnete Meinrad Belle Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast auf den Drucksachen 13/3601, 13/3629, 13/3016 und Cem Özdemir 13/3713 an die in der Tagesordnung aufgeführten Cornelia Schmalz-Jacobsen Ausschüsse vorgeschlagen. Die Unterrichtung durch Ulla Jelpke die Bundesregierung zu einem Aktionsprogramm für Investitionen und Arbeitsplätze auf Drucksache 13/ Es liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion 3629 soll zusätzlich dem Ausschuß für Raumordnung, Bündnis 90/Die Grünen vor, über den wir im Bauwesen und Städtebau überwiesen werden. Sind Anschluß an die Debatte namentlich abstimmen wer- Sie damit einverstanden? - Dann sind die Überwei- den. sungen so beschlossen. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für Es ist beantragt worden, den Entschließungsantrag die Aussprache eine Stunde vorgesehen. - Ich sehe der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. 13/3714 zur federführenden Beratung an den Aus- Ich eröffne die Aussprache. Zunächst hat der schuß für Wirtschaft und zur Mitberatung an den Abgeordnete Fritz Rudolf Körper das Wort. Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsi- cherheit, an den Ausschuß für Verkehr und an den Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung zu überwei- Fritz Rudolf Körper (SPD): Frau Präsidentin! Meine sen. Damen und Herren! Die Diskussion über die Neure- gelung des Staatsangehörigkeitsrechtes tritt schon Der Entschließungsantrag der SPD auf Drucksache ziemlich lange auf der Stelle, eigentlich viel zu lange. 13/3724 und der Antrag der PDS auf Drucksache 13/ Spätestens seit der Wiedervereinigung Deutschlands 3736 sollen an dieselben Ausschüsse überwiesen am 3. Oktober 1990 ist die Notwendigkeit einer zeit- werden wie der Jahreswirtschaftsbericht. Sind Sie gemäßen Reform des deutschen Staatsangehörig- damit einverstanden? - Dann ist die Überweisung so keitsrechtes unbestritten. beschlossen. In über fünf Jahren deutsche Einheit haben es die Bundesregierung und die sie tragenden Koalitions- Ich rufe die Tagesordnungspunkte 5 a bis 5c auf: fraktionen nicht geschafft, ihrer Verantwortung zur Vorlage eines Gesetzentwurfes für eine umfassende a) Beratung des Antrags der Fraktion der SPD Novellierung nachzukommen. Trotz entsprechender Neuregelung des Staatsangehörigkeitsrechts Regierungserklärungen aus den Jahren 1990 und 1994 sowie wiederholter Verlautbarungen des Bun- - Drucksache 13/2833 - desinnenministers und der Koalitionsfraktionen hat Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 86. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. Februar 1996 7555

Fritz Rudolf Körper sich die Bundesregierung bis heute dieser bedeuten- Meine Damen und Herren, die von uns vorgeschla- den, für die integrative Entwicklung in Deutschland gene Neufassung des Staatsangehörigkeitsrechts maßgeblichen Aufgabe schlichtweg entzogen. Die wird die Arbeit der Verwaltung vereinfachen und ist Dauer der koalitionsinternen Auseinandersetzun- somit ein Beitrag zur Modernisierung unserer Ver- gen sowie die Unterschiedlichkeit der beiderseitigen waltung unter dem Aspekt der Effizienz und Effekti- Standpunkte lassen es nach meiner Meinung fast vität. Ermessensregelungen werden durch klare illusorisch erscheinen, daß es in absehbarer Zeit zu Rechtsansprüche ersetzt, überflüssige Einbürge- einer endgültigen inhaltlichen Einigung kommt. rungsverfahren werden abgeschafft. Am 9. Februar vergangenen Jahres haben wir hier Von erheblicher praktischer Auswirkung wird ins- intensiv unseren Antrag „Erleichterung der Einbür- besondere unsere Forderung nach einem gesetzli- gerung unter Hinnahme der doppelten Staatsange- chen Staatsangehörigkeitserwerb für Spätaussiedler hörigkeit" debattiert. Sie, lieber Herr Kollege Kan- sein. Mit einer gesetzlichen Überleitung von Status- ther und Frau Schmalz-Jacobsen, die ich zumindest deutschen in die deutsche Staatsangehörigkeit ent- gehört habe, haben uns versichert, sich in den zen- fällt die Notwendigkeit einer antragsgebundenen tralen Fragen auf die staatsangehörigkeitsrechtliche Individualeinbürgerung von Aussiedlern und Spät- Integration der auf Dauer in Deutschland lebenden aussiedlern. Der damit verbundene riesige Verwal- Ausländer zu verständigen. Geschehen ist bisher tungsaufwand ist überflüssig; denn die bei uns auf- nichts. genommenen Spätaussiedler haben sowieso einen (Zuruf von der SPD: Leider nicht!) Anspruch auf sofortige Einbürgerung. Das wäre ein Schritt zur Modernisierung der öffentlichen Verwal- Die SPD-Bundestagsfraktion fordert deshalb die tung, wie die SPD sie versteht. Bundesregierung auf, das Taktieren um die Staatsan- gehörigkeitsnovelle aufzugeben und endlich ihrer Mit der gesetzlichen Überleitung der Statuseigen-- Verantwortung durch Vorlage eines umfassenden schaft in die deutsche Staatsangehörigkeit werden Gesetzentwurfs gerecht zu werden. Hunderte, Tausende von Einbürgerungsverfahren entbehrlich, so daß die Einbürgerungsbehörden ent- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne lastet werden und die verbleibenden Einbürgerungs- ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) verfahren wesentlich zügiger als bisher abgewickelt Die Kernfrage einer Novelle, wer künftig zum deut- werden können. Ich begrüße ausdrücklich den unter schen Staatsvolk gehören soll, ist vom Parlament und der Federführung des Landes Schleswig-Holstein nicht in koalitionsinternen Zirkeln zu entscheiden. entstandenen Gesetzesentwurf dazu. Dieser Auffassung ist übrigens auch die Mehrheit der Bundesländer. Für einen mit unserem Antrag Gegen die vermehrte Hinnahme von Mehrstaatig- inhaltlich übereinstimmenden Entschließungsantrag keit werden immer wieder zwei Argumente vorge- hat sich der Bundesrat am 24. November 1995 ausge- bracht. Zum einen wird eingewandt, Doppelstaatler sprochen. hätten auch Rechte und Pflichten. Das trifft in der Praxis auch zu. Pflichten und Rechte sind nicht nur Unser Antrag, der Ihnen heute hier vorliegt, ent- naturgegeben, sondern können durch internationale hält alle Eckpunkte für ein neues, zeitgemäßes und Übereinkommen und Gesetze geregelt werden. So auf Integration ausgerichtetes Staatsangehörigkeits- gibt es zum Beispiel Absprachen innerhalb der recht. Das geltende Recht hat derzeit zur Folge, daß NATO, die die Fragen der Wehrpflicht regeln. große Teile der Wohnbevölkerung in Deutschland rechtlich, politisch und auch gesellschaftlich ausge- Als zweites Gegenargument gegen unsere Vor- grenzt sind und bleiben — rechtlich, weil sie dem Aus- schläge ist der Loyalitätsgesichtspunkt beliebt. Ich länderrecht unterstellt sind, politisch, weil politische teile nicht die Bedenken gegen Doppelstaatler aus Teilhaberechte fehlen, und gesellschaftlich, weil Gründen der Loyalität. Der oft zitierte Satz, man diese Benachteiligungen Unterschiede akzentuieren könne nicht gleichzeitig zwei Herren dienen, und Integration erschweren oder sogar verhindern. (Erwin Marschewski [CDU/CSU]: Sehr Hier will unser Antrag Abhilfe schaffen. Die SPD wahr!) will eine Politik der Eingliederung und nicht der Aus- grenzung. Wir wollen keine Randgruppen und läßt sich nicht auf heutige Verhältnisse anwenden. Außenseiter schaffen, sondern die auf Dauer einge- wanderten ausländischen Mitbürgerinnen und Mit- (Erwin Marschewski [CDU/CSU]: Weder bürger bei uns integrieren. zwei Herren noch zwei Frauen!) Die meisten der ausländischen Kinder sind in der Die Auffassung, Staatsloyalität gebiete zwingend nur Bundesrepublik Deutschland geboren. 1,5 Millionen eine Staatsangehörigkeit, stammt aus dem Ausländerinnen und Ausländer leben seit 20 und 19. Jahrhundert, in dem der Bürger als Untertan des mehr Jahren hier in der Bundesrepublik Deutsch- Staates gesehen wurde. In unserem heutigen moder- land, 3,5 Millionen über zehn Jahre. Ohne eine reali- nen Staatswesen hat sie keine Berechtigung mehr. stische Chance auf Einbürgerung wird es für die auf Dauer eingewanderte ausländische Wohnbevölke- (Beifall bei der SPD) rung keine rechtliche, politische und gesellschaftli- Im übrigen, lieber Kollege Marschewski, die Hun- che Gleichberechtigung geben. derte, Tausende von Doppelstaatlern in der Bundes- (Beifall bei der SPD) republik Deutschland zeigen uns täglich, wie unsin- 7556 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 86. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. Februar 1996

Fritz Rudolf Körper nig die Behauptung ist, sie seien keine loyalen Noch eines zu Ihnen, Kollegen von der SPD: Sie Staatsbürger. haben schon einmal versucht, die Koalition mit frag- würdigen Reformvorstellungen zum Staatsangehö- (Zuruf von der SPD: Richtig!) rigkeitsrecht zu befassen. Das war der Versuch, die Meine Damen und Herren, dem Gesichtspunkt der DDR-Staatsbürgerschaft - ich zitiere Herrn Lafon- Integration ist hier eine hohe Bedeutung beizumes- taine - zu „respektieren" . Das wäre auf eine fakti- sen. Politik der Integration bedeutet einerseits, sche Anerkennung hinausgelaufen, was die Wieder- Zuwanderern gleiche Chancen und Rechte zu garan- vereinigung sicherlich erheblich erschwert hätte. Wir tieren, andererseits aber auch, die Bereitschaft der haben uns diesem Druck damals nicht gebeugt, und Zuwanderer zu fördern, selber zum Beispiel durch wir werden das auch jetzt nicht tun. Sprachkenntnisse und kulturelle Offenheit gutnach- Das Ziel unserer Politik ist es, die barschaftliches Zusammenleben zu erleichtern. Integration der Ausländer hier in Deutschland zu verbessern. Für Sie setzt zudem eine Politik voraus, die Chancen uns ist Integration aber Voraussetzung der Einbür- einräumt und somit Angst und Abgrenzung entge- gerung, nicht umgekehrt. Integration heißt, daß Aus- genarbeitet. Wer Fundamentalismus und Fanatismus länder die Grundlagen und die Lebensart unserer nicht will, muß eine Politik der Integration wollen Gesellschaft akzeptieren müssen, kennenlernen und umsetzen. Deshalb bitte ich Sie, konstruktiv an müssen. Sie können dann auch zu Recht erwarten, unserem Antrag mitzuarbeiten. als Teil dieser Gesellschaft akzeptiert zu werden. Schönen Dank. Wir haben diese Politik der Integration konsequent (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ verfolgt. Wir haben 1991 ein neues Ausländerrecht geschaffen. Wir haben 1993 - dafür trage ich beson- DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS) ders Verantwortung - mit dem Asylkompromiß- beträchtliche Erleichterungen im Ausländerrecht durchgeführt. Sie wissen dies: Wir haben die Aufent- Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Es spricht jetzt haltsfristen verkürzt, wir haben die Gebühren der Abgeordnete Erwin Marschewski. gesenkt, und wir haben Einbürgerungsansprüche geschaffen, sogar einklagbare Ansprüche. Ich kenne Erwin Marschewski (CDU/CSU): Frau Präsidentin! kein Land auf der Erde, das solche Regelungen im Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Ausländerrecht besitzt, wie es in der Bundesrepublik Reform des Staatsangehörigkeitsrechtes ist ein wich- Deutschland der Fall ist. tiges Thema, aber nicht das wichtigste Thema deut- Für uns sprechen die Zahlen. Die Zahl der Einbür- scher Innenpolitik. gerungen ist beträchtlich gestiegen. 1992 hatten wir (Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast [SPD]: Aber 37 000 Einbürgerungen, 1994 rund 62 000, was eine von Ihnen seit Jahren versprochen!) Steigerung um fast 70 Prozent ausmacht. Diese Zah- len zeigen doch, daß die integrationswilligen Auslän- Daher war es notwendig, sich auch anderen Vorha- der unsere Maßnahmen akzeptieren. ben zuzuwenden, die für die Zukunft unseres Landes noch entscheidender sind. Ich denke an die Verbre- Trotz dieser Erfolge: Das Thema Staatsangehörig- chensbekämpfung, die Korruptionsbekämpfung und keitsrecht steht natürlich auf der Tagesordnung. Wir die Reform des öffentlichen Dienstes, wo wirklich werden mit Augenmaß und mit der gebotenen Ruhe wichtige Vorarbeiten, zum Teil bis zur Gesetzesreife, eine Lösung erarbeiten, die diesen aufgezeigten Weg geleistet worden sind. fortsetzt. Wahr ist aber auch: Das aus dem Jahre 1913 stam- (Abg. Cern Özdemir [BÜNDNIS 90/DIE mende Staatsangehörigkeitsrecht ist in vielen Teilen GRÜNEN] meldet sich zu einer Zwischen- veraltet und daher reformbedürftig. frage) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU - Ich will dies kurz darstellen. Danach lasse ich sowie bei der F.D.P.) selbstverständlich Ihre Zwischenfrage, die Sie wohl Wahr ist aber ebenso: Das Staatsangehörigkeitsrecht anstreben, zu. ist eine äußerst sensible Materie, denn sie regelt das Wir werden dies ausbauen. Wir werden erstens Grundverhältnis zwischen Bürger und Staat; sie den Grundcharakter der Einbürgerung ändern. Wir betrifft das Selbstverständnis unserer Bürger. Deswe- werden die Ermessensentscheidung durch eine gen muß die Reform äußerst behutsam angegangen Anspruchsentscheidung ersetzen. Wir werden zwei- werden. Zeitdruck und kurzatmiger Profilierungs- tens weitere Erleichterungen der Einbürgerung, wie drang sind daher schlechte Ratgeber. die Verkürzung der Fristen, durchsetzen. Meine Kollegen Damen und Herren von der SPD und den Grünen, ich sage darüber hinaus: Wer die- Eine gelungene Integration wird aber auch dabei ses Thema politisiert, wie Sie es tun, der schadet dem Voraussetzung der Einbürgerung bleiben. Das inneren Frieden in diesem Lande. bedeutet, daß Einbürgerungswillige ausreichend über deutsche Sprachkenntnisse verfügen müssen; (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU - denn ohne diese Sprachkenntnisse kann der Auslän- Widerspruch bei der SPD und beim BÜND der dieses Land weder verstehen noch selbst verstan- NIS 90/DIE GRÜNEN) den werden. Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 86. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. Februar 1996 7557

Erwin Marschewski Drittens. Wir wollen die Verlustgründe neu regeln. Aufklärung hineinschreiben werden. Ich glaube, wir Wer freiwillig eine fremde Staatsangehörigkeit unterstützen das in vollem Maße. erwirbt oder wiedererwirbt, der soll die deutsche Staatsangehörigkeit verlieren. Dazu gehört beispiels- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU - weise auch die Frage, ob Deutsche, die in dritter oder Zuruf von der SPD: Das klingt wie eine Dro- vierter Generation dauernd im Ausland leben, wei- hung! - Abg. Dr. Burkhard Hirsch [F.D.P.] terhin die deutsche Staatsangehörigkeit behalten meldet sich zu einer Zwischenfrage) können. Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Herr Kollege, Viertens. Zu behandeln sind offene Fragen zur gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten DDR-Staatsbürgerschaft. Das ist ein sehr wichtiger Hirsch? Punkt. Erwin Marschewski (CDU/CSU): Ich möchte jetzt fortfahren. - Ich will einen sehr wichtigen Punkt Herr Kollege, Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: besprechen, und zwar die Rechtsstellung der hier gestatten Sie jetzt die Zwischenfrage? geborenen Ausländer. Es geht gerade dabei darum, alle Argumente zu wägen und sich die notwendige Zeit zu nehmen. Erwin Marschewski (CDU/CSU): Bitte schön. Ja, sehr gern. (Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast [SPD]: Die haben Sie wirklich schon gehabt!) - Ach, Frau Kollegin, Sie kennen doch aus eigener (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Vie- Cern Özdemir Erfahrung in der SPD-Fraktion das Sprichwort: Wer- len Dank, Herr Kollege Marschewski. - Sie haben zu spät kommt, den bestraft das Leben. Eines werden vorhin von der Möglichkeit der Einbürgerung Sie auch noch kennenlernen: Wer zu früh kommt, gesprochen, Sie haben gesagt, daß sich die Auslän- der wird auch oft bestraft. Deswegen wollen wir eine der einbürgern lassen sollen. richtige, eine vernünftige Lösung finden. Ich möchte Sie fragen: Ihre Fraktion hat zusammen Um diese Lösung ringen wir, um diese Lösung rin- mit der Bundesregierung und mit Ihrer Mehrheit im gen Politiker und Wissenschaftler. Wir haben uns in Innenausschuß dagegen gestimmt, daß der Etat in der Koalitionsvereinbarung einem Modell angenä- Höhe von 100 000 DM, der Frau Schmalz-Jacobsen hert, das es zu diskutieren gilt. Ich meine die Einfüh- für Öffentlichkeitsarbeit zur Verfügung steht, erhöht rung der Kinderstaatszugehörigkeit. wird. Sind Sie nicht auch der Meinung, daß die Bun- desregierung im Sinne dessen, was Sie gerade Die Kinder sollen die Staatsangehörigkeit ihrer gesagt haben - darüber sind wir uns im ganzen Haus Eltern behalten und dazu die vorläufige deutsche einig -, eine breit angelegte Kampagne machen Staatszugehörigkeit bekommen. Ich weiß, auch die- könnte, die da heißt: „Herzlich willkommen in die- ser Vorschlag ist in der Diskussion, aber ich glaube, sem Land. Wir wollen, daß ihr euch einbürgern laßt. daß die Durchsetzung dieses Vorschlags mehr der Wir erklären euch, wie ihr euch einbürgern lassen Integration ausländischer Mitbürger und dem inne- könnt! "? ren Frieden dient, als mit ideologisch motivierten Schlagworten aufzuwarten, die letzten Endes die Es gibt eine Landesausländerbeauftragte, die Ihr Menschen nur auseinandertreiben. Parteibuch trägt, in Berlin, die so etwas mit sehr gro- Sie wissen: In der Diskussion sind verschiedene ßem Erfolg macht. Warum sieht sich die Bundesregie- Modelle: das Ruhens-Modell und die Schaffung rung nicht in der Lage, eine solche Einbürgerungs- eines echten oder unechten Jus soli. Gegen ein ech- kampagne in der Bundesrepublik Deutschland loszu- tes Jus soli - auch das ist Ihnen sicherlich bekannt - treten, mit der wir werben: „Diese Gesellschaft hat spricht unsere Rechtstradition. In einem Punkt sind sich verändert, wir wollen, daß ihr euch einbürgern wir völlig einer Meinung: Die Forderung nach einer laßt."? generellen Zulassung der doppelten. Staatsbürger- (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS schaft ist für uns nicht akzeptabel. SES 90/DIE GRÜNEN) Meine Damen und Herren von der SPD und den Grünen, diese Forderung wird von der überwiegen- den Mehrheit der Bevölkerung abgelehnt. Erwin Marschewski (CDU/CSU): Ich bedanke mich ganz herzlich für diese Frage. Wir tun das, Herr Kol- (Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast [SPD]: Das lege Özdemir. Wir werden noch intensiver daran stimmt nicht!) arbeiten, daß die Dinge, die wir im Ausländerrecht Treten Sie doch mit dieser Frage vor das deutsche geregelt und im Asylkompromiß vereinbart haben, Volk! Es wird Ihnen eben nicht zustimmen. zu den Menschen kommen. Wir unterstützen die Arbeit der Ausländerbeauftragten in besonderem Wir meinen, die doppelte Staatsangehörigkeit muß Maße. eine Ausnahme bleiben. Meine Damen und Herren, wir dürfen und müssen vom Einbürgerungswilligen Wir werden sogar ein Gesetz schaffen, in das wir erwarten, daß er sich ohne Wenn und Aber zu unse- die Befugnisse und Möglichkeiten einer intensiveren rem Staat bekennt. Jedes Volk, auch das deutsche, 7558 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 86. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. Februar 1996

Erwin Marschewski stellt eine Gemeinschaft dar, in die man eben nicht besitzen, letztlich aber Fremde hier in Deutschland nach Belieben eintreten und aus der man nicht nach bleiben. Belieben austreten kann. Das hat überhaupt nichts mit völkisch-nationalem Denken zu tun und auch Die generelle Zulassung der doppelten Staatsan- nicht mit den Vorstellungen - das habe ich neulich in gehörigkeit löst überhaupt keine Probleme. der Presse gelesen - von einem deutschen National- staat, was das auch immer - wir sind nicht in der Bis- Herzlichen Dank. marckzeit - 1995 bedeuten soll. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Im Gegenteil, gerade für eine demokratisch ver- ordneten der F.D.P.) faßte Gesellschaft ist das eindeutige Bekenntnis des mündigen Bürgers zu Staat und Nation Bedingung für ein dauerhaftes und friedliches Zusammenleben. Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Das Wort zu Zweitens. Die generelle Zulassung der doppelten einer Kurzintervention erteile ich dem Abgeordneten Staatsbürgerschaft birgt die Gefahr in sich, daß sich Hirsch. die betreffenden Ausländer der Integration verwei- gern könnten, weil sie ja ohnehin die deutsche Staatsangehörigkeit verliehen bekommen. Dr. Burkhard Hirsch (F.D.P.): Kolleginnen und Kol- Ich meine auch, meine Damen und Herren, es ist legen! Herr Kollege Marschewski, wir bemühen uns nicht von der Hand zu weisen, daß politische Kon- ja gemeinsam, auf vielen Gebieten zu einer europäi- flikte der Heimatländer in unser Land gelangen und schen Rechtsangleichung zu kommen. Nun gibt es das Zusammenleben beeinträchtigen können. eine Europäische Konvention zur Verhinderung von Mehrstaatigkeit. Das zweite Zusatzprotokoll zu die- Sie kennen die weiteren Probleme im Rechtsbe- ser Konvention ist 1993 in Kraft getreten, weil es von reich, im Eherecht, im Erbrecht. Ich meine, für eine Italien, Frankreich und den Niederlanden gezeichnet Anerkennung der doppelten Staatsangehörigkeit in worden ist. genereller Hinsicht besteht überhaupt kein prakti- sches Bedürfnis. In dieser Konvention wird den Mitgliedstaaten aus- drücklich nachgelassen, daß sie Angehörige der Ich will mich den Fällen widmen, die Sie dauernd zweiten Generation einbürgern, ohne zu verlangen, aufführen. Wenn es irgendwo willkürlich verweigert daß diese ihre bisherige Staatsangehörigkeit aufge- wird, daß jemand auf seine Staatsbürgerschaft ver- ben. Es wird ausdrücklich vorgesehen, daß Kinder, zichtet, dann gibt es schon im derzeitigen Recht die die aus gemischtstaatigen Ehen kommen - davon Möglichkeit, im Wege der doppelten Staatsbürger- gibt es Hunderttausende in der Bundesrepublik -, schaft Deutscher zu werden, falls etwas anderes selbstverständlich die Staatsangehörigkeit beider unzumutbar ist. Damit kann man schon die meisten Eltern bekommen können. Es ist ein weiteres Fälle in der Praxis regeln. Abkommen in Vorbereitung - darüber verhandelt Außerdem wissen Sie, daß die Türkei zum Glück - auch die Bundesrepublik -, in dem vorgesehen ist, so muß ich sagen - ihre Rechtsordnung liberalisiert daß niemand, der eine zusätzliche Staatsangehörig- hat. Es ist nicht mehr so wie früher, daß jemand, der keit annimmt, deswegen seine bisherige aufgeben unter Verlust seiner ursprünglichen Staatsangehörig- soll. keit Deutscher wurde, sein Erbrecht oder sein Grundstück in bäuerlicher Lage verlor. Das ist zum Kollege Professor Scholz sagt Ihnen wahrschein- Glück geregelt worden, auch dank der hervorragen- lich, daß die Bundesrepublik dieses Schlußprotokoll den Leistungen unserer Außenpolitik. nicht gezeichnet hat. Das ist richtig,

Ich erwarte auch, daß das Problem mit dem Iran (Dr. Rupert Scholz [CDU/CSU]: Das ist gelöst wird. Ich weiß jetzt schon, Frau Kollegin Sonn- wahr!) tag, daß der Iran beginnt, seine Entlassungspraxis zu liberalisieren. Das heißt, die praktischen Probleme stimmt sogar, aber es ist trotzdem in Kraft getreten, können bereits jetzt gelöst werden. weil mindestens zwei Staaten es gezeichnet haben. Unser Handeln, meine Damen und Herren, enthält mehr Weisheit als das hektische Flügelschlagen der Sie müssen sich doch die Frage gefallen lassen, Opposition. Die Koalitionsvereinbarung läßt uns Zeit warum wir ausgerechnet in dieser Frage von dem bis 1998 - und ich sage Ihnen: mit Sicherheit auch europäischen Gleichklang abweichen wollen, warum darüber hinaus, aber in diesem Punkt Zeit bis 1998 -, wir nicht nur der europäischen Entwicklung nicht eine Reform des Staatsangehörigkeitsrechts abzu- folgen, sondern geradezu schnurstracks ins schließen. 19. Jahrhundert zurückgehen wollen. Diese Frage müssen Sie beantworten. Wir stellen sie doch nicht Wir werden dieses Ziel genauso erreichen, wie wir nur im Interesse der einzubürgernden Ausländer - andere Vorhaben der deutschen Innenpolitik bear- um deren Einbürgerung zu erleichtern -, sondern beiten und die Probleme lösen werden. Ziel im auch im Interesse unseres eigenen Volkes, damit das Bereich der Staatsangehörigkeit bleibt es: Wir wollen Anwachsen einer Diaspora von Bürgern zweiter die Integration der hier lebenden Ausländer fördern. Klasse in unserem Lande verhindert wird. Es darf keine Menschen geben, meine Damen und Herren, die zwar die deutsche Staatsangehörigkeit (Zuruf von der SPD: Das ist der Punkt!) Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 86. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. Februar 1996 7559

Dr. Burkhard Hirsch Das ist die Verantwortung, der Sie sich stellen müs- einstmals für Liberalismus in diesem unserem Lande sen. stand.

(Beifall bei Abgeordneten der F.D.P. sowie (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜ sowie bei Abgeordneten der SPD - Zuruf NEN und der PDS - Otto Schily [SPD]: Sehr vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Stand! - gut war das!) Dr. Guido Westerwelle [F.D.P.]: Das ist aber eine alte Leier!) Möchten Sie Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Die Einbürgerung ist weiter zu erleichtern. Kin- antworten? - Bitte. der von Ausländern mit verfestigtem Aufenthalts- titel sollten die deutsche Staatsbürgerschaft auch Erwin Marschewski (CDU/CSU): Herr Kollege durch Geburt im Bundesgebiet (ius soli) erwer- Dr. Hirsch, ich bin Ihnen sehr dankbar für diese Fest- ben können. Doppelstaatsbürgerschaften sollten stellung. Zunächst einmal ist richtig, daß wir dieses verstärkt zugelassen werden. Abkommen nicht unterzeichnet haben. So weit aus einem Papier des Diakonischen Werkes Eine zweite Bewegung ist aber vielleicht noch der Evangelischen Kirche in Deutschland. wesentlicher: Sie wissen, daß in vielen Staaten die doppelte Staatsangehörigkeit verweigert wird. Ich Und für die Katholiken unter uns: denke an Schweden, ich denke an Polen, ich denke an Rußland, ich denke an die Tschechei, ich denke Insbesondere für Kinder, Jugendliche und zum Beispiel daran, daß restriktivste Einwande- Erwachsene, die hier geboren und aufgewachsen rungsbestimmungen in England Platz greifen, in sind oder seit vielen Jahren hier ihren Lebensmit-- Frankreich Platz greifen. telpunkt haben, sind Einbürgerungserleichterun- gen längst überfällig. Die Ergänzung des ius san- Ich sage noch einmal: Wir werden die Gedanken guinis durch das ius soli sowie die Hinnahme von dieses Abkommens aufnehmen. Das ist selbstver- Mehrstaatigkeit sind international bewäh rte ständlich. Dabei muß unser Ziel natürlich sein: Wir Lösungswege. wollen die Menschen hier integrieren. Das ist die erste Aufgabe. Nicht das formale Verschaffen einer doppelten Staatsangehörigkeit löst Probleme, son- dern die Integration der Bürger, der ausländischen Die Grundüberzeugung demokratischer Ge- Mitbürger, löst die Probleme in diesem Lande. meinwesen, daß es für Staat und Gesellschaft nicht gut ist, Menschen an ihrem ständigen (Beifall bei der CDU/CSU - Dr. Gregor Gysi Wohnsitz auf Dauer die Bürgerrechte vorzuent- [PDS]: Aber dann müßt ihr ihnen auch Bür halten, sollte den Gesetzgeber bei der anstehen- gerrechte geben! - Zuruf von der SPD: Ein den Novellierung des Einbürgerungsrechts lei- tiefer Riß geht durch die Koalition!) ten.

So weit das Votum des Arbeitskreises für Ausländer- Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Cem Özdemir. fragen des Zentralkomitees der deutschen Katholi- ken.

Cern Özdemir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Daran, daß die F.D.P. ihre Grundsätze ständig über Präsidentin! Meine Damen und Herren! Bord wirft, haben wir uns ja gewöhnt. Aber als säku- larisierter Moslem muß ich mich schon ein wenig dar- Das Staatsangehörigkeitsrecht der Bundesrepu- über wundern, daß Sie das Wo rt der beiden großen blik Deutschland muß grundlegend novelliert christlichen Konfessionen dieses unseres Landes werden. Der Grundsatz der Vermeidung doppel- offensichtlich nicht mehr besonders bewegt. ter Staatsangehörigkeit muß in den Fällen, in denen das Gesetz Rechtsansprüche auf Einbür- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN gerung einräumt, aufgegeben werden. Außer- sowie bei Abgeordneten der SPD) dem muß das Recht auf Erwerb der Staatsangehö- rigkeit für hier geborene Ausländer der zweiten Doch warum in die Ferne schweifen, wenn das und folgenden Generation verankert werden. Gute so naheliegt? Die Abgeordneten von Klaeden, Altmaier und Röttgen, allesamt Union, haben im ver- Dies ist nicht etwa aus dem Programm von Bündnis 90/ gangenen Oktober ihre „Grundsätze zur Reform des Die Grünen, SPD oder PDS abgeschrieben, Staatsangehörigkeitsrechts" präsentiert. Ich zitiere (Dr. Guido Westerwelle [F.D.P.]: Sondern wiederum: von der F.D.P.!) Ohne die soziale und rechtliche Integration der nein, es ist aus dem Programm Ihrer Partei, Herr auf Dauer in Deutschland lebenden Ausländer Hirsch, Ihrer Partei, Herr Westerwelle, es ist das Pro- droht eine nachhaltige Gefährdung des gesell- gramm der F.D.P. schaftlichen Friedens. Für diejenigen, die mit diesen drei Buchstaben (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ nichts mehr anfangen können: Es ist die Partei, die DIE GRÜNEN]: Sehr gut!) 7560 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 86. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. Februar 1996

Cem Özdemir Wir sehen CDU und CSU in einer besonderen Zur Abstimmung steht heute der von meiner Frak- Verantwortung, diese Herausforderung anzuneh- tion eingebrachte Antrag, der übrigens identisch ist men. mit den Vorstellungen der Ausländerbeauftragten dieser Regierung. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) (Otty Schily [SPD]: Ein bißchen mager!) Dabei kommt der Reform des Staatsangehörig- In diese Richtung gehen auch die Forderungen von keitsrechts eine wichtige Bedeutung zu. renommierten, der CDU angehörenden Rechtswis- senschaftlern, beispielsweise von Herrn Hailbronner An anderer Stelle heißt es über hier geborene Kinder und Herrn Oberndörfer. Letzterer forderte jüngst in nicht deutscher Herkunft: diesem Kontext unverblümt den - ich darf zitieren - „Abschied vom völkischen Zwang". Das geltende Staatsangehörigkeitsrecht macht diese Kinder zu Ausländern, grenzt sie dadurch Frau Schmalz-Jacobsen, Sie sind die Beauftragte von ihren Altersgenossen ab und erschwert so für die Belange der Ausländer in diesem Lande, nicht ihre Integration, statt sie zu erleichtern. Deshalb die Beauftragte für den Koalitionsfrieden in dieser muß ihre Rechtsstellung entscheidend verbessert Regierung. werden. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der PDS) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Die Nichtdeutschen sehen in Ihnen ihren Anwalt und Fürsprecher für ihre Belange in dieser Regierung. Ich Nichts davon haben Sie eingelöst, nichts davon möchte Sie auffordern, dieser Verantwortung auch haben Sie gemacht. Im Gegenteil: Für die Reduzie- heute gerecht zu werden. rung des Solidaritätsbeitrages ist die F.D.P. bereit, die Koalition platzen zu lassen. Wenn es allerdings um Des weiteren haben wir einen Entschließungsan- eine der elementarsten Fragen im Zusammenleben trag eingebracht mit dem soeben zitierten Abschnitt zwischen Menschen verschiedenster Herkunft in die- aus der Stellungnahme des Zentralkomitees der sem unserem Lande geht, dann tauchen Sie ab oder deutschen Katholiken. Es stünde uns gut an - und - so sollte ich vielleicht sagen - treten gar nicht mehr das möchte ich gerade als Moslem sagen -, mit unse- in Erscheinung. Wer die Interessen der Menschen rer aller Zustimmung ein Zeichen dafür zu setzen, dieses Landes ständig der Koalitionsräson und dem daß wir die Signale, die aus der Gesellschaft kom- permanenten Wahlkampf unterordnet, hat meines men, im Hohen Haus ernst nehmen. Erachtens jede liberale Glaubwürdigkeit verloren. Wir haben einen Antrag eingebracht, der Mindest- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN kriterien für eine Reform vorsieht und - wenn man sowie bei Abgeordneten der SPD und der den Verlautbarungen Glauben schenken darf - bis PDS - Dr. Guido Westerwelle [F.D.P.]: Sagen weit in die Reihen der Union hinein mehrheitsfähig Sie etwas zur Regierung oder zur F.D.P.?) ist. Dieser Antrag soll an die Ausschüsse überwiesen werden. - Ich komme jetzt zu dem Punkt, der uns mit Sicher- Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn ich es nicht heit alle interessieren dürfte. vermag, Sie zu überzeugen, überzeugt Sie vielleicht Seit Beginn dieser Legislaturperiode haben mehr Molière: als 1 Million Kinder irgendwo in diesem unserem Wir sind nicht nur verantwortlich für das, was wir Lande das Licht der Welt erblickt. Etwa 130 000 von tun, sondern auch für das, was wir nicht tun. ihnen gehören laut Reichs- und Staatsangehörig- keitsgesetz aus dem Jahre 1913 nicht zu den Bürgern In diesem Sinne danke ich Ihnen. dieser Republik, sondern sind Ausländer; denn ihre (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Eltern sind nicht in diesem unserem Lande geboren, der SPD und der PDS) ihre Vorfahren kommen nicht aus diesem unserem Lande. Diesen täglichen Wahnsinn sollten wir uns in Deutschland nicht mehr leisten. Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Zu einer Kurzin- tervention der Abgeordnete Peter Altmaier. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der Peter Altmaier (CDU/CSU): Lieber Kollege Özde- PDS) mir, es ist bekannt, daß wir in der Union über die Während dieser Debatte werden statistisch gese- Frage, wie die Reform auszugestalten ist, in dem hen sechs Kinder geboren, die nicht deutscher Her- einen oder anderen Punkt unterschiedlicher Mei- kunft sind. Ich finde, wir sollten Ayse, Janusz, Man- nung sind. sur, Kostas, José und Jacqueline zu Bürgerinnen und (Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Bürgern erster Klasse machen. Sie gehören zu uns, Ach nein!) sie gehören zu dieser Gesellschaft. Das gilt zum Beispiel für die Frage, ob die Kinder- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN staatszugehörigkeit das bringen kann, was mit ihrer sowie bei Abgeordneten der SPD und der Einführung bezweckt wird. Daß wir aber in der PDS) Union über diese Frage offen, kontrovers und enga- Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 86. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. Februar 1996 7561 Peter Altmaier giert diskutieren, ehrt die Union und spricht dafür, nämlich bei der Verkürzung der Fristen und bei hier daß wir diesem Thema die Bedeutung zuweisen, die geborenen Kindern. Unterschiede gab es bei der es verdient hat. Akzentuierung der doppelten Staatsbürgerschaft. Manche wollen sie etwas großzügiger gehandhabt (Beifall bei der CDU/CSU) wissen, manche wollen sie gar nicht. Wir lassen uns dabei nicht unter Zeitdruck setzen. Ich frage Sie: Warum sind Sie nicht in der Lage, Es geht um eine Reform, die wir bis zum Ende dieser diesem Hause einen Gesetzentwurf vorzulegen, in Legislaturperiode durchführen wollen. Da kann es dem die Punkte, bei denen wir offensichtlich einer auf zwei oder drei Monate nicht ankommen. Meinung sind, formuliert und klare Verkürzungen Ich sage ein Weiteres: Wir müssen aufpassen, daß der Rechtsfristen festgeschrieben werden? Warum wir das, was wir durch eine verbesserte rechtliche sagt man nicht, man begrüßt, daß diese Menschen Stellung an Integration erreichen wollen, nicht hier leben, daß sie sich dazu bekennen, dazuzugehö- dadurch entwerten, daß wir Ängste und Emotionen ren? Warum machen Sie dies nicht? schüren. Durch Ihr jahrelanges Festhalten am Kon- Ich möchte noch einen letzten Punkt ansprechen, zept der generellen doppelten Staatsangehörigkeit damit bezüglich der zum Nulltarif haben Sie die Lösung dieser Fragen doppelten Staatsangehörigkeit klarer wird, worüber man eigentlich spricht. Sie alle erschwert und nicht erleichtert. kennen das Beispiel der Frau Genç aus Solingen, die (Beifall bei der CDU/CSU) fünf ihrer Angehörigen durch einen Brandanschlag verloren hat. Nach diesem Brandanschlag hat sie Wenn nun auch Sie in dieser Frage Flexibilität signa- Deutschland nicht den Rücken gekehrt; sie ist in die- lisieren, dann begrüßen wir das nachdrücklich und ser Republik geblieben. Sie hat nach diesem Ereignis sagen: Die Einsicht kommt spät. Aber besser, sie ihr neues Haus wieder in Deutschland gebaut und kommt spät, als nie. die Staatsbürgerschaft unseres Landes angenom- Ein Letztes: Ich habe keinen Zweifel an der Integri- men. tät und der Ehrenhaftigkeit all derer, die quer durch Ich frage Sie: Kann man sich ein größeres Bekennt- alle Parteien, bei den Grünen, der SPD, der F.D.P. nis, eine größere Form der Loyalitätsbekundung zu und auch bei uns, für ein besseres Staatsangehörig- dieser Republik vorstellen, als daß sich eine Frau keitsrecht streiten. Ich habe allerdings erhebliche nach einer solchen Erfahrung zu dieser Heimat Zweifel an der Seriosität Ihres Antrages, weil er bekennt? Ich denke, es wäre ein Zeichen der Großzü- genau zu diesem Zeitpunkt kommt - wenige Wochen gigkeit, eine Geste der Humanität, den Menschen vor den Landtagswahlen -, weil er aus wahl- und der ersten Generation großzügig die doppelte Staats- parteitaktischen Motiven darauf angelegt ist, Unter- bürgerschaft zu geben. schiede zwischen den Koalitionsfraktionen herbeizu- reden. Deshalb sage ich Ihnen: Ihr Antrag bekommt (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, von uns die Antwort, die er verdient hat, nämlich ein bei der SPD und der PDS) klares und überzeugtes Nein. Danach werden wir gemeinsam für eine tragfähige und gute Lösung Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Das Wort hat arbeiten. jetzt die Ausländerbeauftragte der Bundesregierung, Vielen Dank. Frau Cornelia Schmalz-Jacobsen. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) (Cornelia Schmalz-Jacobsen [F.D.P.]: Als MdB!)

Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Zur Beantwor- - Als MdB. tung der Kollege Cem Özdemir. Cornelia Schmalz-Jacobsen (F.D.P.): Frau Präsi- Cern Özdemir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr dentin! Meine Kolleginnen und Kollegen! Ich ver- Kollege Altmaier! Meine Damen und Herren! Wir stehe, daß Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von haben in der Bundesrepublik Deutschland, wie Sie der Opposition, Druck machen und antreiben. Das ist alle wissen, 16 Bundesländer. Irgendwo ist immer sicher Ihre Aufgabe, als Opposition kann man das. In Wahlkampf. Wenn wir Rücksicht darauf nehmen, wo der Koalition muß man, egal welches Amt man Wahlkampf ist, und unsere Überlegungen zur bekleidet, verhandeln und noch einmal verhandeln Reform des Staatsangehörigkeitsrechtes weiterhin und überzeugen. Das ist mitunter mühsam. hintanstellen, dann werden wir in dieser Legislatur- (Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast [SPD]: Das periode wahrscheinlich kein neues Staatsangehörig- keitsrecht mehr bekommen. dauert reichlich lange!) Es gibt in diesem Hause eine klare (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Mehrheit für Änderungen im Staatsbürgerschaftsrecht. und bei der SPD) (Otto Schily [SPD]: Das müssen Sie mal arti- Ich möchte noch gerne auf einen zweiten Punkt kulieren!) eingehen. Wir haben gehört - Sie haben das noch einmal eindrücklich gesagt -, daß es Reformbedarf Es gibt übrigens auch in der Öffentlichkeit eine gibt; das wurde insgesamt eingeräumt. Es wurde breite Mehrheit für Änderungen, und zwar von „Pro auch gesagt, wo dieser Reformbedarf anzusiedeln ist, Asyl" über die Kirchen, über viele Vereinigungen 7562 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 86. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. Februar 1996

Cornelia Schmalz-Jacobsen und Verbände bis hin zur „Frankfurter Allgemeinen Nun weiß ich natürlich, daß wir das nicht gezeich- Zeitung". Es gibt eine klare Mehrheit innerhalb der net haben, aber ich weiß ebensogut, daß die deut- Bevölkerung; das haben Umfragen deutlich sche Seite daran mitarbeitet. Ich weiß ebenfalls, daß gemacht. sich die Bundesregierung hierzu eine Meinung wird bilden müssen. Wir sind natürlich das Land mit den Ich möchte hier nicht stehen, ohne mich auch zu meisten Zuwanderern, mit den meisten Ausländern. bedanken bei all denjenigen, die sich, quer durch die Darum haben wir ein besonders hohes Interesse an Fraktionen, bemüht haben, Brücken zu bauen. dieser neuen Konvention. Wenn wir dem Modell Frankreichs folgen würden, liebe Kolleginnen und (Beifall bei der F.D.P.) Kollegen, dann hätten wir mit einem Schlag unge- Mitunter sind ja die lauten Töne so geartet, daß sie fähr 1 Million Ausländer weniger. Denn daß so viele das überdecken. Aber es gibt die Brückenbauer, und bei uns leben, hängt damit zusammen, daß wir uns in ich danke ihnen. der Vergangenheit außerordentlich schwergetan haben mit Einbürgerungen. Die SPD hat einen neuen und, wie ich finde, sehr interessanten Antrag vorgelegt, (Beifall bei der F.D.P.) (Cern Özdemir [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ Es nützt nichts: Was man tabuisiert, das kann man NEN]: Den Sie ablehnen werden!) nicht gestalten. Ich glaube, in diesem Hause gibt es eine Mehrheit, die gestalten will. in dem zum erstenmal auch der Verlust von Staats- bürgerschaft deutlich gemacht wird. Herr Kollege (Beifall bei der F.D.P.) Özdemir, Sie wissen, daß der Entwurf, den Sie vorge- Das Beispiel der Niederlande ist sehr eindrucks- legt haben und den wir in den Ausschüssen beraten - haben - der übrigens nicht mein ehemaliger ist; das voll; ich habe das in meinem Bericht über die Lage sage ich ausdrücklich -, in einigen Punkten von der Ausländer in der Bundesrepublik angeführt. Do rt unseren Vorstellungen abweicht. Wir halten ihn für hat man 1991 die Möglichkeit der Doppelstaatsbür- zu weitgehend. gerschaft eingeräumt. Mit einem Schlag haben sich dort vor allem die Türken einbürgern lassen; sie sind Ich möchte noch einmal zu unseren Vorstellungen jetzt bei einer Quote von 8 Prozent. Im Vergleich etwas sagen. Wir sind ganz eindeutig für eine Ver- dazu liegt die Quote bei uns bei 0,63 Prozent. kürzung der Fristen. Wir sind der Meinung, daß die- jenigen, die sich seit acht Jahren rechtmäßig hier auf- (Wolfgang Zeitlmann [CDU/CSU]: Seit halten, einen Rechtsanspruch auf Einbürgerung wann machen wir denn eine Politik nach haben sollten. Quoten?) Ich bin der Meinung, daß Kinder, die hier geboren Laut einer Untersuchung, die 1994 unter Bürgern werden, in der zweiten Generation - eine Mehrheit der ehemaligen Gastarbeiteranwerbeländer durch- ist der Meinung, in der dritten Generation - automa- geführt wurde - hören Sie gut zu -, gibt es Interesse tisch die deutsche Staatsbürgerschaft haben sollten. an einer Einbürgerung bei weit über der Hälfte der Das ist neben dem Abstammungsprinzip ein kleines Befragten; ein besonders hohes Interesse bei den Türchen des Geburtsrechts. Türken und den Menschen aus dem ehemaligen Jugoslawien. Das ist ganz klar. EU-Bürger haben (Beifall bei der F.D.P.) nicht das gleiche Interesse daran. Heute spricht niemand mehr - jedenfalls mit Eines möchte ich ganz klar sagen, um diese merk- Sicherheit nicht bei uns - von einer generellen Dop- würdige Debatte um die Doppelstaatsbürgerschaft pelstaatsbürgerschaft, von flächendeckender Dop- vom Kopf auf die Füße zu stellen: Nicht die Doppel- pelstaatsbürgerschaft. staatsbürgerschaft ist der Kern der Sache, sondern (Otto Schily [SPD]: Richtig!) die erleichterte Einbürgerung; darum geht es, meine Damen und Herren. Aber es gibt Staatsrechtler wie Herrn Professor Hail- bronner, der deutlich gemacht hat, daß die rechts- (Beifall bei Abgeordneten der F.D.P. und der politischen Argumente gegen die Doppelstaatsbür- SPD - Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast [SPD]: gerschaft längst an Bedeutung verloren haben. Richtig; das stimmt! Das sagen wir auch!) Herr Kollege Hirsch hat schon auf das zweite Die Frage ist: Werden die richtigen Signale ausge- Zusatzprotokoll zum Europaratsabkommen zur Ver- sandt? Ich habe heute einen Zwischenruf gehört, der meidung von Mehrstaatlichkeit aus dem Jahre 1963 lautete: Die können sich doch einbürgern lassen. hingewiesen, das unsere drei Nachbarländer, an Aber ich frage einmal: Wird die Einbürgerung wirk- denen wir uns sonst eher orientieren als zum Beispiel lich gewünscht? Wollen wir alle wirklich, daß sie an Rußland und Polen, nämlich Frankreich, Italien dazugehören? Ich will Ihnen ein Beispiel nennen; ich und die Niederlande, gezeichnet haben. Im Moment habe in den letzten Tagen in zahlreichen Zeitungs- arbeitet eine Expertengruppe des Europarats an veröffentlichungen, als es um den Solidarzuschlag einer neuen europäischen Konvention zur Staatsan- ging, folgenden Satz gelesen, den einer offenbar vom gehörigkeit. Es geht hier im Kern um das Recht, bei anderen abgeschrieben hat: „Den Solidarzuschlag Einbürgerung die alte Staatsbürgerschaft beizube- zahlen deutsche Staatsbürger in West und Ost." Das halten. wurde geschrieben, um die Ostdeutschen zu beruhi- Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 86. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. Februar 1996 7563

Cornelia Schmalz-Jacobsen gen. Das stand sogar in der „Süddeutschen Zei- Was auch immer geschieht, tung". Das ist eine Gedankenlosigkeit erster Güte; nie dürft ihr so tief sinken, von dem Kakao, durch den man euch zieht, (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne auch noch zu trinken. ten der SPD) Vielen Dank. das ist eine Ohrfeige für weit über 2 Millionen aus- ländische Steuerzahler, die natürlich ebenfalls den (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne- Solidaritätszuschlag zahlen. ten der CDU/CSU)

(Otto Schily [SPD]: Sehr richtig!) Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Jetzt spricht die Abgeordnete Ulla Jelpke. Das eine ist die fremdenfeindliche Gewalt; das andere sind solche Ohrfeigen im Alltag, die ein Signal aussenden, das wir nicht brauchen können. Ulla Jelpke (PDS): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Frau Schmalz-Jacobsen, das Zitat war in Es ist natürlich eine Menge geschehen; der Kol- der Tat sehr zweideutig. Das könnte man auch auf lege Marschewski hat darauf hingewiesen. Aber Ihre Politik beziehen. bedauerlicherweise ist es weitgehend immer noch unbekannt. Da frage ich mich eben: Ist der Grund Wir werden heute dem Entschließungsantrag der dafür nicht vielleicht, daß einerseits das Recht, das Grünen zustimmen, weil wir es richtig finden, Druck wir geändert haben - ich meine die Rechtsansprüche auszuüben bezüglich der Staatsangehörigkeit und auf Einbürgerung -, und andererseits die Signale wie der erleichterten Einbürgerung sowie bezüglich der das eben genannte in einem Widerspruch zueinan- Einführung der doppelten Staatsbürgerschaft. - der stehen? Herr Marschewski, wenn Sie den Grünen vorwer- Ich bin natürlich außerstande, Informationskam- fen, daß sie mit diesem Druck den inneren Frieden gefährden, dann frage ich mich: Wie kann es ange- pagnen zu machen. Das können andere. Herr Kol- hen, daß die Regierungskoalition - wir diskutieren lege Özdemir, Sie haben meine Kollegin Barbara John angeführt, die dieses in der Tat in Berlin mit jetzt seit vier Jahren über die erleichterte Einbürge- Rückendeckung des Berliner Senats tun konnte. Das rung bzw. über die doppelte Staatsbürgerschaft - hat zur Folge, daß heute in Berlin jeder zehnte Türke immer dann, wenn es darum geht, Verschlechterun- gen für Ausländer und Ausländerinnen in diesem entweder bereits eingebürgert ist oder einen Antrag auf Erlangung der deutschen Staatsbürgerschaft Land durchzusetzen, sehr schnell handelt, wenn es aber um humanitäre Rechte oder um eine bessere gestellt hat. Das Werben für die Einbürgerung ist Rechtsstellung geht, sehr lange Zeit für Entscheidun- eben ein positives politisches Signal. gen benötigt? Ich nenne hier nur ein paar Beispiele: Der Satz, daß die rechtliche Gleichstellung durch Altfälle Asyl ist ebenso ein umstrittenes Thema wie Einbürgerung erfolgen soll - ihn hat das Zentralko- § 19 des Ausländergesetzes, wo es um das Aufent- mitee der deutschen Katholiken in einem umfängli- haltsrecht von Ehegatten geht. Dies alles sind Fra- chen Papier niedergelegt -, ist natürlich völlig rich- gen, die zur Zeit in der Koalition sehr umstritten sind tig: Die rechtliche Gleichstellung erfolgt durch die und wo die Koalition nicht vom Fleck kommt. Einbürgerung. Ich möchte gerne zu diesem Papier Herr Marschewski, Sie haben heute in Ihrer Rede etwas sagen, von dem ich wirklich jedes Wo rt unter- sehr deutlich gemacht, daß Sie von den Menschen, schreiben kann; ich habe es sehr gründlich gelesen. die hier eingebürgert werden, Deutschtum und ein Liebe Kolleginnen und Kollegen vom Bündnis 90/Die Bekenntnis zu diesem Staat abverlangen. Ich halte Grünen, Sie müssen sich schon fragen lassen, ob Sie, das für dubios; indem Sie hier einen Stein herauslösen und ihn benutzen, nicht eigentlich etwas tun, was eine (Erwin Marschewski [CDU/CSU]: Ich halte Zumutung für die Ausländer und auch eine Zumu- Marxismus-Leninismus und Mauerschüsse tung für die Kolleginnen und Kollegen in diesem für dubios!) Hause darstellt. denn meines Erachtens sollten diese Menschen wei- (Beifall bei Abgeordneten der F.D.P. und terhin, auch wenn sie eingebürgert sind, ihre Kultur des Abg. Erwin Marschewski [CDU/CSU) leben können. Wenn Sie uns in Bedrängnis bringen wollen, dann Die SPD hat einen Antrag vorgelegt. Unsere Kritik nicht mit so einem doch sehr vordergründigen Ent- dazu ist bekannt. Es handelt sich im wesentlichen schließungsantrag. Im übrigen bin ich der Meinung: um nichts Neues. Die SPD bleibt beim Abstam- Wir verabschieden viel zu viele Entschließungsan- mungsprinzip. Unserer Meinung nach sind die Fri- träge; aber das steht auf einem anderen Blatt. sten nach wie vor zu lang. Wir sind genauso der Mei- nung, daß Kinder, die hier geboren werden, automa- (Beifall bei der F.D.P.) tisch die deutsche Staatsbürgerschaft bekommen sollten und nicht, wie die CDU/CSU offenbar immer Den Gefallen, sich so an einem Nasenring vorführen noch plant, die Schnupperstaatsbürgerschaft. zu lassen, tun wir Ihnen nicht. Im übrigen möchte ich den Kolleginnen und Kolle- Auch ich will mit einem Zitat enden; es ist nicht gen von der SPD einen sehr defensiven Umgang in von Molière, sondern von Erich Kästner: diesen Dingen bescheinigen. Sie sollten deutlich 7564 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 86. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. Februar 1996

Ulla Jelpke machen, daß Druckausübung im Sinne des Antrags, Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Herr Özdemir, den die Grünen heute vorgelegt haben, richtig ist. möchten Sie das Wort zu einer Kurzintervention? - Bitte. Was den Antrag der Grünen angeht, der heute an die Ausschüsse überwiesen wird, möchte ich folgen- des sagen. Die Grünen hatten im Februar vergange- Cern Özdemir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau nen Jahres einen Entwurf vorgelegt, den wir inhalt- Kollegin Jelpke, ich finde, daß es zuviel der Ehre ist, lich unterstützt haben. Wie alle im Hause wissen, wenn Sie von den „Mindestkriterien des Abgeordne- handelte es sich dabei tatsächlich um einen Entwurf ten Özdemir" sprechen. Um einer eventuellen von Frau Schmalz-Jacobsen. Sie hatte nach dem Legendenbildung vorzubeugen: Wir haben uns nicht Brandanschlag in Solingen erkannt, daß eine erleich- etwa in irgendeiner Weise von unseren Vorstellun- terte Einbürgerung hier lebender Ausländerinnen gen verabschiedet, sondern wir haben einen Antrag und Ausländer zwar nicht vor Anschlägen schützt, vorgelegt, der Mindestkriterien definiert, das heißt die doppelte Staatsbürgerschaft aber immerhin ein das, was nach den Äußerungen in diesem Hause Fundament bilden würde, diese Menschen gleichbe- angeblich möglich sein müßte, wofür es auch nach rechtigt zu behandeln. Das wäre ein wichtiger Auskunft von Frau Schmalz-Jacobsen eine Mehrheit Schritt, um ausländerfeindliche Tendenzen in der gibt. deutschen Bevölkerung zurückzudrängen. Wir haben die unterschiedlichen Positionen im Begründungsteil referiert. Wir haben unsere Position Im Oktober letzten Jahres hat Kollege Özdemir der genannt, an der wir nach wie vor festhalten, weil wir SPD noch vollmundig vorgeworfen: „Sie betätigen sie für richtig erachten, wir haben die Position der sich als V-Leute von Innenminister Kanther." Einige SPD genannt, und wir haben die Positionen genannt, SPD-geführte Länder hatten nämlich angekündigt, die innerhalb der Regierung diskutiert werden. Diese hinsichtlich der Reformierung des Staatsangehörig- Klarstellung ist notwendig, um hier nicht irgendwel- keitsrechts bewußt auf einen eigenen SPD-Gesetz- che Legendenbildungen zu erzeugen. entwurf zu verzichten, um den Handlungsspielraum für Verhandlungen mit der Bundesregierung zu wah- (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- ren. SES 90/DIE GRÜNEN) Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, Sie haben sich mit den jetzt vorgelegten Mindestkri- Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Das Wort hat terien für eine Reform der Staatsangehörigkeit auf jetzt der Abgeordnete Wolfgang Zeitlmann. eine Bahn begeben, die meines Erachtens schnur- stracks in das Schlamassel der sozialdemokratischen Wolfgang Zeitlmann (CDU/CSU): Frau Präsiden- Verhandlungstaktik führt. Sie fordern als Mindestkri- tin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir terien ein ergänzendes Territorialprinzip. Der Rechts- reden über einen Antrag der SPD sowie einen anspruch auf Einbürgerung soll lediglich verbessert, Antrag und einen Gesetzentwurf des Bündnisses 90/ die doppelte Staatsbürgerschaft nur vermehrt hinge- Die Grünen. nommen und auf die Aufgabe der bisherigen Staats- angehörigkeit als Voraussetzung für die Annahme Wenn ich an den Redebeitrag der Kollegin Jelpke der deutschen Staatsangehörigkeit soll weitgehend denke, frage ich mich, ob ich in einer anderen Repu- verzichtet werden. blik lebe; denn sie spricht davon, in diesem Lande seien für Ausländer nur Verschlechterungen einge- Wir unterstützen Ihren Entschließungsantrag, in treten und von uns zu verantworten. Lassen Sie mich dem Sie, wie gesagt, mit den Forderungen Dritter - ein paar Zahlen nennen. Die Zahlen beweisen, daß hier: des Zentralkomitees der deutschen Katholiken - in diesem Land keine Verschlechterungen für Aus- versuchen, die Bundesregierung unter Druck zu set- länder eingetreten sind, sondern erhebliche Verbes- zen. Aber es ist etwas grundlegend anderes, sich als serungen, sonst gäbe es nicht diese steigenden Zah- Steigbügelhalter einer maroden Regierungskoalition len von einwandernden Ausländern: 1961 waren es anzudienen. 700 000, 1970 waren es 2,4 Millionen, 1980 waren es 4,4 Millionen, 1990 waren es 5,3 Millionen, und 1995 Sie verringern durch Mindestkriterien mutwillig waren es 7,2 Millionen Ausländer, die in die Bundes- die sowieso geringen Möglichkeiten, aus der Opposi- republik eingewandert sind. tion heraus den bestmöglichen Einfluß auf die Reform des Staatsangehörigkeitsrechts zu nehmen. (Zuruf der Abg. Ulla Jelpke [PDS]) Sie können in Ihrer Antragsbegründung zwar Kommen Sie mir nicht mit dem Argument, daß es behaupten, daß Sie nach wie vor zu den Inhalten des sich dabei nur um EU-Ausländer handele! Die Zahl Entwurfs der Ausländerbeauftragten stehen; aber der im Zeitraum von 1990 bis 1995 zu uns gekomme- machen Sie sich und der Öffentlichkeit bitte nichts nen EU-Bürger ist bis auf 100 000 ziemlich gleichge- vor: In Zukunft wird keiner mehr über den Entwurf blieben. von Frau Schmalz-Jacobsen reden, sondern über die Mindestkriterien des Kollegen Özdemir. Ich denke, Ich nenne Ihnen eine zweite Zahl, eine Prognose, was Sie hier vorgelegt haben, ist nicht gerade beson- die von dieser Regierung stammt. Sie mag richtig ders gut für die Politik der Grünen. oder falsch sein; bei Prognosen weiß man das nie. Sie ist aber zumindest Basis für manche Überlegungen (Beifall bei der PDS - Otto Schily [SPD]: Da im Rahmen des Wohnungsbaus. Sie wissen, was ich haben Sie ausnahmsweise recht!) meine: die Prognose des Bundesamts für Landes- Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 86. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. Februar 1996 7565

Wolfgang Zeitlmann kunde und Raumordnung. Sie erwartet bis zum Ausgrenzung und Nichteingliederung. Herr Mar- Jahre 2010 eine Zuwanderung von 8 Millionen Men- schewski hat die Eingliederungszahlen genannt - schen zu den heute hier befindlichen 7 Millionen sie sind, so glaube ich, sehr eindrucksvoll -: Eine Menschen aus dem Ausland. Steigerung von 70 Prozent ist deutlich. In einer solchen Diskussion - ich frage mich Die doppelte Staatsangehörigkeit soll nach meiner manchmal, ob Sie diese Zeichen draußen im Volke Meinung wirklich die Ausnahme sein. Es ist doch ein nicht wahrnehmen - ist der Umgang mit dem Aus- ganz normaler Vorgang, daß wir in diesem Hause for- länderrecht und auch mit dem Staatsangehörigkeits- dern: Wer eingebürgert werden will, soll integrierbar recht nicht so einfach mit Schlagworten und schon sein. Er soll die deutsche Sprache einigermaßen gar nicht mit solchen Anträgen, Herr Özdemir, anzu- beherrschen. Er soll in diesem Land vorankommen raten. können. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU - Ich sage Ihnen gleich, warum. Beifall des Abg. Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Die generelle doppelte Staatsangehörigkeit vermit- telt der Masse der Bevölkerung Ängste. Ich sage - Da können Sie, Herr Fischer, ruhig zynisch Beifall Ihnen auch: Wenn Sie in Ihrem Antrag formulieren: spenden, das ist mir völlig wurscht. „Deutschland ist ein Einwanderungsland" , dann ver- Ich bleibe dabei: Sie werden in diesem Volk keine mittelt auch dies Ängste. Zustimmung erhalten zu einem Entwurf, der auch die Leute einbürgern will, die straffällig geworden Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Herr Abgeord- sind, die die deutsche Sprache nicht beherrschen neter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abge- und die auf die öffentlichen Kassen losmarschieren. ordneten Irmer? Das kann keine vernünftige Grundlage sein. (Beifall bei der CDU/CSU) Wolfgang Zeitlmann (CDU/CSU): Nein, ich möchte gerne im Zusammenhang vortragen. Wenn Sie das zur Kenntnis nehmen, sind wir schon näher zusammen. (Bernd Reuter [SPD]: Warum machst du es dann nicht? - Joseph Fischer [Frankfurt] Auch ich will die einbürgern, die integrierbar sind. [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist auch Nur, es kann nicht richtig sein, wenn man den Ein- besser so! - Zuruf des Abg. Otto Schily druck erweckt, als sei die doppelte Staatsangehörig- [SPD]) keit für den, der zu uns kommt, das Eintrittsticket für die Einbürgerung, nach möglichst kurzer Zeit und - Ich habe gar nicht geschaut, wer eine Zwischen- ohne genaue Prüfung. frage stellen will, Herr Kollege. Herr Özdemir, in Ihrem Antrag fordern Sie, daß (Vorsitz : Vizepräsident Dr. Burkhard Asylberechtigte und Flüchtlinge nach fünf Jahren Hirsch) eingebürgert werden können - ohne Rücksicht dar- Meine Damen und Herren, nach unserer Auffas- auf, ob sie straffällig waren, ohne Rücksicht darauf, sung soll - dabei bleibe ich - das Tor für die doppelte ob sie integrierbar sind, ob sie zum Beispiel deutsch Staatsangehörigkeit nicht generell geöffnet werden. sprechen, ob sie zum Beispiel ihren Lebensunterhalt In diesem Punkte stimmen wir schon ziemlich weit bestreiten können oder ob sie die Hilfe der Solidarge- mit den Sozialdemokraten überein. Ich bin gerne meinschaft in Anspruch nehmen. Damit säen Sie bereit, Regelungen zuzustimmen, die das Interesse Unfrieden. an der Einbürgerung erhöhen, auch über Fristverkür- Meine Damen und Herren, wer in einem Entschlie- zungen zu reden. ßungsantrag niederlegt, daß der Rechtsanspruch auf (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU Einbürgerung an keine anderen Voraussetzungen sowie der Abg. Cornelia Schmalz-Jacobsen als nur die Frist gebunden sein soll, der muß dann [F.D.P.]) auch laut sagen, daß er die Menschen einbürgert, die in diesem Staat straffällig geworden sind. Ich ver- Aber in den Fragen der deutschen Staatsangehörig- misse die Logik, wenn Sie dies nicht laut sagen. Wer keit Kriterien wie Straffälligkeit, Beherrschen der so etwas forde rt, der schürt nur die Ängste der Men- deutschen Sprache und keine Inanspruchnahme der schen. Dies wollen wir ganz eindeutig nicht. Sozialhilfe anzuführen ist genauso legitim. (Beifall bei der CDU/CSU) Meine Damen und Herren, es ist interessant, daß Sie beim Thema der doppelten Staatsangehörigkeit Ich füge hinzu: Ich halte den Vorschlag der SPD zur Neuregelung des Staatsangehörigkeitsrechts in immer so vehement reagieren. Diese Regierung hat manchen Bereichen für unzureichend. Aber er in den vier Jahren dieser Legislaturperiode sicher kommt den Realitäten näher, er ist fairer und geht Wichtigeres und Bedeutenderes zu tun, als daß man nach meinem Dafürhalten von in weiten Teilen ihr schon nach einem Jahr und drei Monaten Vor- durchaus vernünftigen Ansätzen aus. würfe machen kann, wenn sie mit dem angekündig- ten Entwurf noch nicht übergekommen ist. Wir ver- Meine Damen und Herren, Sie dürfen aber nicht so handeln darüber und hoffen, daß wir ein Ergebnis tun, als sei die jetzige Situation das Ergebnis von vorlegen können. Aber für eine Jagd, wie Sie sie in 7566 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 86. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. Februar 1996

Wolfgang Zeitlmann diesem Hause heute veranstaltet haben, gibt es kei- den Sie nach Fristen definieren, aber keine weiteren nen Grund. Voraussetzungen. So schreiben Sie hier. Das heißt auf gut Deutsch: Sie nehmen den Straffälligen auf, (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Sie nehmen auch den auf, der kein Deutsch spricht. Dann müssen Sie bitte Ihre Drucksache ändern. - Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Herr Kollege Nicht mehr und nicht weniger habe ich Ihnen vorge- Zeitlmann, gestatten Sie eine Zwischenfrage des worfen. Abgeordneten Fuhrmann? (Beifall bei der CDU/CSU) (Zuruf von der SPD: Zum Glück ist er fer tig!) Frau Kollegin - Ja, dann ist es zu spät. Es tut mir leid. Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Dr. Sonntag-Wolgast, ich erteile Ihnen das Wo rt. Dann erteile ich der Abgeordneten Frau Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast das Wort. Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast (SPD): Danke. - Frau Kollegin Sonntag-Wolgast, entschuldigen Sie Herr Marschewski, sehen Sie, wie geduldig wir sind, bitte. Herr Özdemir wollte eine Kurzintervention daß wir keineswegs heftig mit den Flügeln schlagen, machen. Sind Sie damit einverstanden? sondern diese beiden Kurzinterventionen noch abge- wartet haben? Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast (SPD): Bitte. Liebe Kolleginnen und Kollegen, manche Jubiläen (Otto Schily [SPD]: Aber Herr Präsident, feiert man ja freudig, bei anderen würde man gerne drei Interventionen, das finde ich etwas darauf verzichten. So geht es uns bei unseren parla-- übertrieben!) mentarischen Vorstößen für Einbürgerungserleichte- rungen und für die wirklich dringend fällige Reform des Staatsangehörigkeitsrechts. Denn fast auf den Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: So ist das Leben. Tag genau vor einem Jahr stand ich hier auf diesem Platz und erläuterte unseren ersten Antrag zu diesem Thema in der damals noch ziemlich jungen Legisla- Cern Özdemir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ich turperiode. Nun war mir klar, daß ich der Koalition danke Ihnen, Frau Kollegin. damit das Leben schwer machen würde. Das wollen Nur ganz kurz, Herr Zeitlmann. Da Sie besonders wir ja auch. Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, auf die Bedingungen, auf die Kriterien abgehoben daß unsere Initiative einjährigen Geburtstag feiern haben, die wichtig sind für die Staatsbürgerschaft: würde, ohne daß sie bisher im Innenausschuß gründ- Ich habe gar kein Problem damit, daß wir uns über lich beraten worden ist, hätte ich mir in meinen Kriterien verständigen. Herr Geißler - ich habe es kühnsten Alpträumen nicht vorstellen können. mehrfach in Vorträgen gehört - hat zwei Kriterien Und wenn Sie von Zeitdruck reden: Wenn Sie das genannt, die wichtig sind, um die Staatsangehörig- Zeitdruck nennen, dann ist wohl das Tempo einer keit, das Zusammenleben in einem gemeinsamen Schnecke so etwas wie das Tempo eines Geparden. Staatswesen zu organisieren. Erstens ist dies die gemeinsame Amtssprache. Diese ist sinnigerweise (Beifall bei der SPD) Hochdeutsch in diesem Land, weil das die meisten von uns sprechen - nicht schreiben, das ist ein wich- Und da beseelt mich auch keine Schadenfreude tiger Unterschied. Zweitens sind dies gemeinsame mehr über die tiefgreifenden Meinungsunterschiede Werte und Normen, die uns alle verbinden. Diese zwischen Union und Liberalen, von denen wir eben sind im Grundgesetz und in den Grund- und Men- gerade wieder in Kurzdisputen eine Kostprobe schenrechten festgehalten. Auch sie - das ist eine bekommen haben. Nein, ich bin allmählich schlicht Selbstverständlichkeit - gelten für uns alle. Glauben und einfach wütend über die Blockadepolitik dieser Sie nicht, daß wir auf dieser Grundlage den Rest von Regierung in allen Fragen der Zuwanderungs- und völkischem Müll auf den Schrottplatz der Geschichte Flüchtlingspolitik. - also dahin, wo er hingehört - verdammen könnten? Dann hätten wir ein modernes europäisches Staats- (Beifall bei der SPD) angehörigkeitsrecht, das Deutschland gut zu Gesichte stehen würde. Denn die Unfähigkeit zu einer Reform, deren Not- wendigkeit allenthalben beteuert und beschworen (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ wird, schadet allmählich den Betroffenen, und sie DIE GRÜNEN) bremst auch die Bemühungen um ein gleichberech- tigtes Nebeneinander von Deutschen und Zuwande- rern. Stillstand und Starre und eine Auffassung von Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Herr Kollege Zeitlmann, Sie haben die Möglichkeit, zu antworten. Staatsbürgerschaft nach den Vorstellungen von anno dunnemals blamieren uns allmählich als Bundes- republik im Kreise fortschrittlicher europäischer Wolfgang Zeitlmann (CDU/CSU): Herr Kollege Staaten. Meine Damen und Herren, damit muß jetzt Özdemir, Sie haben auf meinen Hauptvorwurf nicht endlich Schluß sein. reagiert, daß Sie beim Rechtsanspruch auf Einbürge- rung nur einen verfestigten Aufenthalt verlangen, (Unruhe) Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 86. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. Februar 1996 7567

Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast Weil wir das wissen, haben wir Ihnen in unserem andere einen hohen symbolischen Wert, weil es Antrag sehr exakt beschrieben, wo es langgehen ihnen hilft, die Brücken zum Land ihrer Herkunft sta- soll. bil zu halten. Ich weiß leider, liebe Kolleginnen und Kollegen Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Frau Kollegin von der CDU/CSU, daß sie davor immer noch Sonntag-Wolgast, ich darf Sie einen Augenblick zurückschrecken wie die Schlittschuhläufer vor unterbrechen. etwas zu brüchigem Eis. Aber ich darf Ihnen noch Meine Damen und Herren Kollegen, ich möchte einmal ins Gedächtnis rufen, daß in den vergange- bitten, die Gespräche, die im Hintergrund geführt nen Jahren schon ein gehöriger Anteil an Einbürge- werden, nach Möglichkeit nach draußen zu verlegen rungen unter Duldung von Mehrstaatigkeit erfolgt und der Rednerin den Respekt zu erweisen, der ihr ist. Dramatische Loyalitätskonflikte habe ich deswe- gebührt. gen in diesem Land nicht erblicken können. Ich will auch daran erinnern: Zahlreiche Aussiedler haben (Zustimmung bei der SPD und bei der ihre bisherige Staatsangehörigkeit beibehalten, ohne F.D.P.) daß unsere Republik aus den Fugen gegangen wäre. Die sprachlichen Kenntnisse waren auch nicht immer Frau Sonntag-Wolgast! so, wie man es vielleicht bei der totalen Integration erwarten müßte. Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast (SPD): Danke schön. Meine Damen und Herren von den Bündnis-90- Ich komme zu wenigen wichtigen Einzelheiten Grünen: Ich verstehe, warum Sie in Ihrem kurzen unseres Antrages. Wir treten dafür ein, daß „Wohn- Papier, das Sie jetzt in dieser Woche unter dem Motto bevölkerung" und „Staatsvolk" weitgehend überein- „Mindestanforderungen für eine Reform" vorlegen, stimmen. Daraus folgt zwingend, daß wir mit dem derartig konziliant sind, daß Sie sich noch nicht ein- Abstammungsprinzip alleine nicht mehr auskom- mal auf die Mindestfrist zum Recht auf Einbürgerung men, sondern daß dies durch das sogenannte Territo- festlegen. Sie wollen also Entgegenkommen zeigen, rialprinzip ergänzt werden muß. Noch schlichter damit sich endlich etwas bewegt. Nur, liebe Kollegen ausgedrückt: Ob ein Mensch Deutscher werden darf, von Bündnis 90/Die Grünen, allzu vorsichtig sollte darüber entscheidet nicht mehr allein das Blut, das in man nun auch mit dieser Reform nicht sein. Ein biß- seinen Adern fließt. Spiegelbildlich wollen wir dann chen Präzision, Klarheit und Kante sollte gezeigt für Deutsche, die auf Dauer ins Ausland gehen, Ent- werden; denn bei dieser Koalition, die so schwerfäl- sprechendes gelten lassen. lig ist, muß man Druck machen, muß man drängen, Ein zweiter wichtiger Punkt: runter mit den Fristen sonst wird sich auf absehbare Zeit nichts bewegen. für einen Rechtsanspruch auf Einbürgerung! Vier Wir warten wahrhaftig lange genug. Jahrzehnte nach Anwerbung der ersten sogenannten (Beifall bei der SPD - Abg. Cem Özdemir Gastarbeiter ist es mir unbegreiflich, daß jemand, der [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] meldet sich zum Beispiel jahrelang in einer Duisburger Maschi- zu einer Zwischenfrage) nenbaufabrik gearbeitet hat, Betriebsrat war, meh- rere Töchter im Ruhrgebiet großgezogen hat, der wie - Herr Kollege Özdemir, Sie waren dreimal an der auch seine Nachbarn „dat" und „wat" sagt, daß die- Reihe. Ich glaube, wir haben ausreichend gehört, ser Mann etwa türkischer Herkunft 15 Jahre lang was Sie sagen wollen. warten muß, bis er die sogenannte Gnade der Ein- bürgerung hier bei uns erfahren kann. Das wollen Im Lager von Union und Liberalen findet doch in wir ändern. dieser Frage ein klägliches Versteckspiel statt. Machen wir uns doch dabei nichts vor! Ich bin davon (Beifall bei der SPD) überzeugt, daß unsere Forderungen eine Mehrheit in Wir sagen: Acht Jahre Aufenthalt reichen für einen diesem Parlament haben, wenn nur endlich einige Anspruch. Nach fünf Jahren soll die Möglichkeit hier tun dürfen, was sie immer nur meinen und nach Ermessen eröffnet werden. Kürzere Aufent- sagen, nämlich zu einer Reform mit Ja stimmen, die haltszeiten für Ehegatten Deutscher und für den sogar der Kollege Zeitlmann allmählich ganz gut fin- Minderjährigen der zweiten Ausländergeneration det. sehen wir ebenfalls vor. Da haben wir nun, um ein Beispiel zu nennen - Dritter Neuerungsvorschlag: Wenn Spätaussiedler einmal nicht die Kollegin Schmalz-Jacobsen oder mit der Aufnahme in Deutschland die Staatsangehö- den Kollegen Hirsch, das geschah oft genug -, einen rigkeit erwerben, spart das Kraft und Zeit für die Ver- frischgebackenen Justizminister, einen rechtspoliti- waltung. Mein Kollege Körper ist darauf bereits ein- schen Shooting-Star, den Herrn Schmidt-Jortzig. Ich gegangen. kenne ihn noch als Mitglied aus dem Innenausschuß und weiß, daß er unsere Positionen inhaltlich voll Viertens. Die doppelte Staatsangehörigkeit soll teilt. Nun finde ich, er könnte doch einmal aus den kein Hinderungsgrund für dieses alles sein. Ich wie- Startlöchern kommen, wo er immer nur kauert, aus- derhole, was wir mehrmals gesagt haben. Die dop- gestattet mit den neuen Würden eines Kabinettsmit- pelte Staatsangehörigkeit ist für uns kein Zaubermit- glieds, und könnte dafür sorgen, daß die Reform tel, keine Notwendigkeit und kein Zwang. Aber sie schnell zum Durchbruch kommt. hat für viele Einbürgerungswillige in unserem Land nun einmal materielle und rechtliche Vorteile, für (Beifall bei Abgeordneten der SPD) 7568 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 86. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. Februar 1996

Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast Die CDU/CSU-Mitglieder in der Regierung dürften und eine mecklenburgische Gemeinde gleich als dann auch ein kleines Geschenk an den maroden Brutstätte des Neonazismus fälschlicherweise ausge- Koalitionspartner machen, ihm einen kleinen macht wurde. Zwei Tage später kam ein Stimmungs- Triumph gönnen. Es wäre auf alle Fälle der Sache umschwung, als ein libanesischer Tatverdächtiger dienlicher als diese ziemlich mäßige Idee der Absen- festgenommen wurde. Man muß doch sagen dürfen: kung des Solidaritätszuschlages auf Kosten der Län- Es ist auch möglich, daß ein Ausländer so etwas der. Furchtbares angerichtet hat. Das muß möglich sein. (Beifall bei der SPD) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Wenn Ihnen schon die Opposition nicht genug ins Man muß sagen dürfen, ohne daß man des Vorwurfs Gewissen redet, dann doch hoffentlich das Diskus- der Diffamierung bezichtigt wird: Es gibt auch unter sionspapier mit der Forderung des Zentralkomitees den Ausländern Diebe und Dealer genau wie unter der deutschen Katholiken. Ich meine, es ist durchaus den Deutschen. Wir müssen endlich dazu kommen, zu begrüßen, kommt auch zur rechten Zeit, denn die daß wir uns unbequeme Wahrheiten gegenseitig ins Halsstarrigkeit der Bundesregierung verdient nun Gesicht sagen können. einmal eine harte Reaktion der Kirche. Deswegen war es überfällig. (Beifall bei der SPD und der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) (Beifall bei der SPD) Dafür ist die politische Teilhabe derer, die hier Liebe Kollegen und Kolleginnen, die grundle- schon lange leben und hier verwurzelt sind, unglaub- gende Neuregelung des Staatsangehörigkeitsrechts lich wichtig: für die Gleichberechtigung, für das Fun- ist für uns alle auch die Antwort auf die Frage, wie dament von Ehrlichkeit und auch kritischem ernst wir es wirklich mit der Integration meinen. Umgang miteinander. Denn es handelt sich dabei um einen Prozeß, an dem alle mitwirken sollen: die Deutschen und die Zuwan- Meine lieben Kollegen und Kolleginnen, ich derer, der Gesetzgeber und die gesamte Gesell- mache eine Schlußbemerkung. Ich schaue mir die schaft. Deswegen bedeutet Integration nicht mehr so traurige Story der seit Jahren versprochenen, bis etwas wie ein Gütesiegel am Ende eines Weges, der heute nicht geleisteten Reform des Staatsangehörig- mit dem totalen Verzicht auf die bisherige kulturelle keitsrechts an. Ich fühle mich an einen störrischen Identität verbunden sein muß. Diese Erleichterung Gaul erinnert, dem ein kleiner, abgemagerter Kut- ist vielmehr ein wichtiger Schritt, eine Stütze, um die scher im blaugelbem Mantel hin und wieder ein zag- Integration zu fördern. haftes „Hü" zuruft, bis sein großer, schwarzgewan- deter Kompagnon schnell wieder die Zügel anzieht. Wenn wir noch länger warten, dann verpassen wir Verlassen Sie sich darauf: Wir werden diesem bekla- eine wichtige Chance. Es muß uns doch allmählich genswerten Schauspiel nicht tatenlos zusehen. Wir alarmieren, daß gerade unter den jugendlichen Aus- werden Sie weiter drängen; denn der Gaul muß ländern der Drang zur Abkapselung eher steigt, also voran. Deswegen werden wir ihn auf Trab bringen. gerade bei der Generation, von der wir am ehesten annehmen würden, daß sie hier verwurzelt ist und Danke schön. mit der Integration keine Schwierigkeit hat. Die (Beifall bei der SPD) Absetzbewegung greift um sich, egal aus welchen Gründen. Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Damit schließe Wir müssen jetzt etwas tun, wir müssen Signale ich die Aussprache. setzen, ehe Abschottung oder auch fundamentalisti- sche Strömungen weiter um sich greifen. Meine verehrten Kollegen, wenn nicht mehr Ruhe eintritt, unterbreche ich die Sitzung. Das gilt auch für (Beifall des Abg. Otto Schily [SPD]) die Mitglieder der Bundesregierung und für die Kol- Denn was wir für das partnerschaftliche Zusammen- legen im hinteren Teil des Saales. leben von Deutschen und Nichtdeutschen tun, wird Interfraktionell wird die Überweisung der Vorla- letztlich auch über den sozialen und den inneren gen auf den Drucksachen 13/2833 und 13/3657 an Frieden in unserem Land mit entscheiden. die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse Ich plädiere deswegen für Normalität im Umgang vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Ich zwischen Deutschen und Nichtdeutschen. Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Dann sind die möchte endlich von einer Atmosphäre wegkommen, Überweisungen so beschlossen. in der sich viele bemüßigt fühlen, Ausländer entwe- Wir kommen zur Abstimmung über den Gesetzent- der zu hätscheln oder zu hänseln. Es muß doch etwas anderes geben, nämlich einen ganz normalen wurf der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen zur Änderung des Staatsangehörigkeitsrechts auf der Umgang miteinander, bei dem man die Stärken und Schwächen beider, Deutscher und Nichtdeutscher, Drucksache 13/423. Der Innenausschuß empfiehlt offen beim Namen nennen kann. auf Drucksache 13/3472, den Gesetzentwurf abzu- lehnen. (Beifall bei Abgeordneten der F.D.P.) Ich lasse über den Gesetzentwurf der Fraktion des Ich bin durch die schrecklichen Umstände der Bündnisses 90/Die Grünen auf Drucksache 13/423 Brandkatastrophe im Asylbewerberheim von Lübeck abstimmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzent- gezeichnet, als übereilte Schuldzuweisungen kamen wurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 86. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. Februar 1996 7569

Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Dann ist der Ich weise darauf hin, daß wir über die beiden Gesetzentwurf mit den Stimmen der Koalition gegen Beschlußempfehlungen anschließend namentlich die Stimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen abstimmen werden. Zur Annahme der Beschlußem- sowie Stimmen aus der SPD bei Stimmenthaltungen pfehlungen ist nach Art. 87 Abs. 3 des Grundgeset- im übrigen abgelehnt. zes jeweils die Zustimmung der Mehrheit der Mit- (Zuruf von der PDS) glieder des Bundestages erforderlich. - Die PDS hat sich in größten Teilen an der Abstim- Das Wort zur Berichterstattung wird gewünscht. mung nicht beteiligt. Ich erteile das Wort zunächst dem Kollegen Dr. Heribert Blens. Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung abgelehnt. Somit entfällt nach unserer Geschäftsord- nung die weitere Beratung. Dr. Heribert Blens (CDU/CSU): Herr Präsident! Wir kommen zur Abstimmung über den Entschlie- Meine Damen und Herren! Ich will Ihnen den ein- ßungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen stimmigen Beschluß des Vermittlungsausschusses auf Drucksache 13/3719. Die Fraktion Bündnis 90/ zum Entsendegesetz in den wesentlichen Punkten Die Grünen verlangt namentliche Abstimmung. kurz vortragen. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, Erstens. Es bleibt dabei, daß für Arbeitnehmer aus die vorgesehenen Plätze einzunehmen. - Sind die EG-Staaten, die von einem ausländischen Arbeitge- Urnen besetzt? - Ich eröffne die Abstimmung. ber zu Arbeiten in Deutschland eingestellt werden, Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das kein gesetzlicher Mindestlohn festgelegt wird. Statt seine Stimme noch nicht abgegeben hat? - Dann dessen gilt in Zukunft derjenige Mindestlohn, auf schließe ich die Abstimmung. den sich die Tarifvertragsparteien einigen, vorausge- setzt, daß ein entsprechender Tarifvertrag für allge- Ich bitte die Schriftführer, mit der Auszählung zu meinverbindlich erklärt wird. beginnen. Das Ergebnis der Abstimmung wird später bekanntgegeben. ) Zweitens. Der Geltungsbereich des Gesetzes soll Wir setzen die Beratung fo rt. - Darf ich Sie bitten, über den Baubereich hinaus geringfügig auch auf Platz zu nehmen, damit wir die Beratung fortsetzen Beschäftigte von Hafenschleppern ausgedehnt wer- können. den. Von dieser Ausweitung werden etwa 100 Arbeitsverhältnisse erfaßt. Im übrigen gibt es (Unruhe) keine Ausdehnung des Geltungsbereiches. - Wir müssen in der Beratung fortfahren, oder ich unterbreche die Sitzung. - Das gilt auch für den Die Geltungsdauer des Gesetzes wird von zwei Staatssekretär Waffenschmidt, für Frau Sonntag- Jahren - wie es der Bundestag beschlossen hat - auf Wolgast, für Herrn Häfner und für die Kollegen hier dreieinhalb Jahre ausgedehnt. Das entspricht den rechts an der Regierungsbank. - Herr Staatssekretär übereinstimmenden Forderungen der beiden Tarif- Waffenschmidt, wir warten auf Sie. Wir haben Zeit. vertragsparteien des Baugewerbes. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 6 und 7 auf: Die Kontrolle der Einhaltung des Gesetzes soll 6. Beratung der Beschlußempfehlung des Aus- nicht bei den Länderbehörden liegen, sondern bei schusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes der Bundesanstalt für Arbeit und den Hauptzolläm- (Vermittlungsausschuß) zu dem Gesetz zur tern. Zur Erleichterung werden durch das Gesetz Förderung der beruflichen Aufstiegsfortbil- Meldepflichten und die Kontrollrechte der entspre- dung chenden Behörden eingeführt. (Aufstiegsfortbildungsförderungsgesetz - Die Sanktionen bei Verstößen gegen das Gesetz AFBG) werden verschärft. Die im Bundestagsbeschluß vor- gesehenen Bußgelder werden erhöht. Neu einge- - Drucksachen 13/2490, 13/3023, 13/3070, führt wird der zeitweilige Ausschluß von der Ver- 13/3225, 13/3363, 13/3662 - gabe öffentlicher Aufträge bei schweren Verstößen Berichterstattung: gegen das Arbeitnehmer-Entsendegesetz. Abgeordneter Dr. Peter Struck Das sind die wesentlichen Regelungen, die Ihnen Beratung der Beschlußempfehlung des Aus- 7. der Ausschuß einstimmig vorschlägt. Ich will aber schusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes noch - auch in Übereinstimmung mit dem Ausschuß - (Vermittlungsausschuß) zu dem Gesetz über auf folgendes hinweisen und das hier öffentlich zwingende Arbeitsbedingungen bei grenz- erklären: Alle Beteiligten im Vermittlungsausschuß überschreitenden Dienstleistungen waren sich darüber einig, daß es jetzt Sache der (Arbeitnehmer-Entsendegesetz - AEntG) Tarifvertragsparteien des Baugewerbes und der Spit- - Drucksachen 13/2414, 13/2839, 13/3155, 13/ zenverbände der Wirtschaft ist, dafür zu sorgen, daß 3364, 13/3663 - die Tarifverträge mit der Festlegung eines Mindest- lohnes insbesondere für den Baubereich zustande Berichterstattung: kommen und daß sie anschließend von dem zustän- Abgeordneter Dr. Heribert Blens digen Ausschuß beim Bundesarbeitsminister für ver- bindlich erklärt werden. Die Alternative zu dieser * ) Seite 7575 Lösung, die im Gesetz festgelegt wird, wäre ein 7570 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 86. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. Februar 1996

Dr. Heribert Blens gesetzlicher Mindestlohn, den ernsthaft doch nie- CDU/CSU-Fraktion wird ablehnen. Ich gehe deshalb mand wollen kann. davon aus, daß das Gesetz heute scheitern wird. Bei der Festsetzung der Mindestlöhne - es ist ein Wir werden aber ein neues Gesetz einbringen - weiterer Wunsch des Vermittlungsausschusses, das das wissen Sie -, das die materiellen Verbesserun- hier ausdrücklich zu erwähnen - sollten die Tarifver- gen, die wir im Vermittlungsverfahren erarbeitet tragsparteien die besonderen wirtschafts- und haben, enthält und das, was die Ausführung des arbeitsmarktpolitischen Strukturen der neuen Bun- Gesetzes angeht, der Verfassung entspricht, nämlich desländer gebührend berücksichtigen, um der dem Art. 83, wonach die Länder verpflichtet sind, die Gefahr einer Verdrängung ostdeutscher Unterneh- Bundesgesetze auszuführen. men vom Markt auf Grund zwingender Mindest- löhne entgegenzuwirken. Ich bin sicher, daß mit einer kurzen Verzögerung durch dieses neue Gesetz das erreicht wird, was wir Meine Damen und Herren, ich empfehle Ihnen im alle erreichen wollen, nämlich das Meister-BAföG so Namen des Ausschusses die Annahme dieses ein- schnell wie möglich einzuführen. stimmig gefaßten Vermittlungsbeschlusses und bin sicher, daß er hier die erforderliche breite Mehrheit (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) finden wird. Genauso sicher bin ich, daß das zweite Gesetz, um Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Das Wort zu das es heute geht, nämlich das Meister-BAföG, die einer weiteren Erklärung erhält der Abgeordnete erforderliche Mehrheit nicht finden wird. Dafür bin Dr. Peter Struck. jedoch nicht ich der Berichterstatter, sondern das macht nachher der Kollege Struck. Ich will hier nur Dr. Peter Struck (SPD): Herr Präsident! Meine begründen, warum die CDU/CSU-Fraktion dem Ver- Damen und Herren! Es ist eine wahre Freude, heut- mittlungsausschußbeschluß zu diesem Gesetz nicht zutage dem Vermittlungsausschuß anzugehören, zustimmt. weil er immer sehr vernünftige Beschlüsse faßt. Das Wir waren uns im Vermittlungsausschuß einig, daß gilt vor allen Dingen für das Meister-BAföG. das Gesetz in einigen Punkten materiell verbessert (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ werden soll. Diese Einigkeit besteht fort, und wir DIE GRÜNEN]: Guck nicht so finster!) werden die materiellen Verbesserungen in das Gesetz aufnehmen, das heute erneut im Bundestag - Herr Kollege Fischer, rufen Sie ein bißchen lauter, eingebracht wird. ich habe es nicht verstanden. Es bestand aber unterschiedliche Meinung dar- (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ über, wer das Gesetz ausführen soll. Der Bundestag DIE GRÜNEN]: Guck nicht so finster, wenn hatte beschlossen, die Länder sollten das Gesetz aus- es eine Freude ist!) führen. Das entspricht der Regelung des Art. 83 des Grundgesetzes. Die Mehrheit des Vermittlungsaus- Das Meister-BAföG ist ein Paradefall für die Ver- schusses hat nun die Empfehlung ausgesprochen, nunft, die über Parteigrenzen hinweg geht. Es haben das Gesetz soll von der Bundesanstalt für Arbeit, also nämlich - man darf zwar aus dem Vermittlungsaus- von einer Bundesbehörde, ausgeführt werden. Der schuß nicht mitteilen, wer wie abgestimmt hat - für Bund soll dann der Bundesanstalt die Kosten aus der die Entscheidung des Vermittlungsausschusses, die Auszahlung des Meister-BAföG erstatten. Von diesen der Kollege Blens soeben dargestellt hat, nicht nur Kosten sollen wiederum 30 Prozent von den Ländern die Mitglieder der SPD-Bundestagsfraktion im Ver- übernommen werden. mittlungsausschuß, nicht nur das Mitglied der Frak- tion der Grünen im Vermittlungsausschuß, nicht nur Diese Regelung ist mit der klaren Festlegung des die von der SPD regierten Länder im Vermittlungs- Grundgesetzes unvereinbar; sie ist verfassungswid- ausschuß, sondern auch weit darüber hinausgehend rig. Wir haben im A rt. 104a Abs. 3 eine klare Rege- Länder im Vermittlungsausschuß dieser Entschei- lung der Verfassung darüber, daß dann, wenn einer dung zum Meister-BAföG zugestimmt. Bundesbehörde oder dem Bund selbst die Ausfüh- rung eines Leistungsgesetzes übertragen wird, der Daß Sie jetzt etwas anderes machen wollen, daß Bund auch die Kosten dieses Leistungsgesetzes Sie morgen per Gewalt einen neuen Gesetzentwurf allein zu tragen hat. auf die Reise bringen, auf die Tagesordnung setzen wollen, zeigt nur, meine Damen und Herren von der Art . 104 a läßt keine Möglichkeit, in einem solchen Koalition, daß Sie schlechte Verlierer sind, nichts Fall eine Mitbeteiligung der Länder an den Kosten anderes. einzuführen. Das Bundesverfassungsgericht hat wie- derholt, zuletzt in einer Entscheidung vom (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ 10. Dezember 1980, darauf hingewiesen, daß die DIE GRÜNEN) Regelung des Art. 104a einschließlich des Abs. 3 durch einfaches Gesetz oder auch durch Vereinba- Ich frage mich auch, ob der Kollege Rüttgers, der rung von Bund und Ländern nicht außer Kraft gesetzt wohl zum erstenmal in seinem Leben im Vermitt- werden kann. lungsausschuß eine vernichtende Niederlage mit Hilfe von CDU-regierten Ländern erlitten hat, heute Da diese Regelung verfassungswidrig ist, sehen den Mut hat, hier anwesend zu sein. Ich wundere wir uns nicht in der Lage, ihr zuzustimmen. Die mich sehr, daß er nicht da ist. Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 86. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. Februar 1996 7571

Dr. Peter Struck Herr Kollege Rüttgers, ich will Ihnen sagen - viel- Landtag wirkungsvoll für den Mittelstand gearbeitet leicht kann man ihm das übermitteln -: Was der Ver- hat. Er ist jetzt leider nicht mehr drin - aus meiner mittlungsausschuß mit Mehrheit zum Meister-BAföG Sicht ist es gut, daß die F.D.P. nicht mehr drin ist -, beschlossen hat, heißt, daß die bewährten Institutio- aber er kann ja vernünftige Vorschläge machen. nen der Bundesanstalt für Arbeit, die die Ausbil- dungsförderung für Meister bis zum Jahr 1993 durch- Was das Meister-BAföG angeht: Wenn das pas- geführt haben, die darin große Erfahrung haben, die siert, was Sie jetzt wollen - - das nicht mehr machen durften, weil Sie es aus (Dr. Wolfgang Schäuble [CDU/CSU]: Ich Finanzgründen gestrichen haben, dies jetzt weiter- kann auch vorlesen, was Ihr Ministerpräsi- machen dürfen und die Länder keine neuen Behör- dent über Sie gesagt hat!) den einzurichten brauchen. Das ist ein Thema für die Verschlankung des Staates. - Ich lese alles vor, was Sie wollen, Herr Schäuble; geben Sie es mir, dann lese ich es vor; trotzdem (Beifall bei der SPD) bleibe ich bei meiner Meinung. Herr Kollege Rüttgers und meine Damen und Her- ren von der Koalition, wenn Sie es mir gestatten, Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Herr Kollege Herr Kollege Schäuble - ich weiß nicht, ob es unver- Struck, damit wäre ich aber nicht einverstanden, weil schämt ist, aber manchmal bin ich auch für Unver- nach der Geschäftsordnung nur die Abgabe von schämtheiten bekannt -, Erklärungen zulässig ist. (Michael Glos [CDU/CSU]: Das ist wahr!) (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) verlese ich einen Brief, der an Sie gerichtet ist. Aber ich vermute einmal, daß er auch noch an andere Dr. Peter Struck (SPD): Es steht einem ja nicht zu,- gerichtet worden ist. Es ist ein Brief vom Niedersäch- den Präsidenten zu kritisieren. Ich rede als Berichter- sischen Handwerkstag. Ich darf ihn vollständig zitie- statter und gebe eine Erklärung für die Fraktion ab. ren: Es ist schon alles in Ordnung, was ich hier mache. Sehr geehrter Herr Fraktionsvorsitzender, am (Heiterkeit bei der SPD - Michael Glos 1. Februar hat der Vermittlungsausschuß von [CDU/CSU]: Es ist Karnevalszeit!) Bundestag und Bundesrat endlich eine Einigung bei der Ausgestaltung des sogenannten Meister Ich möchte nur zur Klarstellung noch etwas fest- BAföG erzielt. Wir meinen, daß das erreichte stellen: Wir sind uns einig - das ganze Haus hoffent- Ergebnis ein tragfähiger Kompromiß ist, der nun- lich -, daß wir eine Förderung für Handwerker wol- mehr schnellstens umgesetzt werden sollte. Ins- len, die die Meisterausbildung machen. Wir sind uns besondere vor dem Hintergrund, daß auf allen auch einig, daß das mit staatlicher Hilfe erfolgen soll. politischen Ebenen zur Zeit die Notwendigkeit Das ist der zweite Punkt. einer verstärkten Existenzgründungsförderung Wir sind uns nicht einig darüber, wer das verwal- beschworen und angekündigt wird, halten wir tungsmäßig abwickeln soll. ein weiteres Hinausschieben der Realisierung der Aufstiegsfortbildung für nicht hinnehmbar. (Zuruf von der CDU/CSU: Das ist eine Ver- Wir bitten Sie daher dringend, Herr Kollege fassungsfrage!) Schäuble, Der Rüttgers sagt, die Länder. Die Länder und wir - ich denke, das ist bei Ihnen auch angekommen -, sagen: diejenigen, die das bisher gemacht haben. Ich gebe gern zu, daß es verfassungsrechtlich etwas in den jetzt anstehenden Beratungen der Gre- schwierig ist, das hinzukriegen. Aber es ist hinzu- mien des Bundestages kriegen, wenn man will. - heute, hier, jetzt! - Sie sagen überall bei den Kreishandwerkerschaf- (Zurufe von der CDU/CSU: Morgen!) ten, Sie wollten so schnell wie möglich das Meister BAföG machen. Deshalb fordere ich Sie auf, diesem den Weg für das Meister-BAföG und seine rück- Vorschlag des Vermittlungsausschusses jetzt endlich wirkende Umsetzung ab 1. Januar 1996 endgül- zuzustimmen. tig freizumachen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne- Mit freundlichen Grüßen ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Niedersächsischer Handwerkstag Rehkopf, Präsident Noch ein kurzes Wo rt zum Entsendegesetz als Koch, Hauptgeschäftsführer. Erklärung meiner Fraktion zum Abstimmungsverhal- ten. Das Entsendegesetz, wie es Kollege Blens als Recht haben die Leute, meine Damen und Herren. Vorschlag des Vermittlungsausschusses vorgetragen (Beifall bei der SPD und beim BÜNDNIS 90/ hat, ist in der Tat ein Kompromiß. Das sind Entschei- DIE GRÜNEN) dungen des Vermittlungsausschusses immer. Wir als Sozialdemokraten hätten uns vorstellen können, daß Folgen Sie doch diesen Worten der Vernunft! Folgen der Kreis derjenigen, die von diesem Entsendegesetz Sie doch - das richte ich auch an die F.D.P.-Bundes- betroffen sind, größer gezogen wird, daß es nicht nur tagsfraktion - dem Rat Ihres ehemaligen Landtags- um Baugewerbe, Bauhauptgewerbe, Baunebenge- kollegen Kurt Rehkopf, der im Niedersächsischen werbe, den metallverarbeitenden Bereich im Baube- 7572 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 86. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. Februar 1996

Dr. Peter Struck reich und auch andere Bereiche geht, sondern um Jetzt hat der Vermittlungsausschuß einen Kompro- viele darüber hinausgehende Branchen, in denen miß zur Regelung des Meister-BAföG gefunden, genau dasselbe Problem besteht. Das hätten wir uns womit meiner Meinung nach alle Seiten leben kön- sehr gewünscht. nen. Sogar Ihre eigenen unionsregierten Länder haben dieser Vorlage zum Teil zugestimmt. Ich ver- Wir hätten uns übrigens auch gewünscht, meine stehe überhaupt nicht, warum dieser Vorschlag an Damen und Herren, daß wir nicht auf das Instrument Ihrer störrischen Haltung wieder scheitern soll. einer Allgemeinverbindlichkeitserklärung angewie- sen wären, sondern daß wir uns auf eine klar gesetz- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN liche Regelung hätten stützen können. Das war nicht sowie bei Abgeordneten der SPD) durchsetzbar. Ich bin gespannt, wie Sie das der Öffentlichkeit Ich sage aber für meine Fraktion hier eindeutig - plausibel machen wollen; denn gleichzeitig wollen Herr Blüm, Sie werden auf Wunsch des Vermitt- Sie am Freitag eine fast identische Vorlage über die lungsausschusses am Ende der Debatte dazu eine Koalitionsfraktionen in den Bundestag einbringen. Erklärung abgeben -: Die SPD-Bundestagsfraktion - Ich halte das für eine völlig unsinnige Verschleppung ich denke, auch der übrige Teil dieses Hauses - des Verfahrens. Damit verzögern Sie nämlich das erwartet, daß das Angebot des Deutschen Bundesta- Inkrafttreten des Gesetzes um mindestens drei ges, ein Entsendegesetz zu beschließen, um zu ver- Monate. hindern, daß ausländische Arbeitnehmer ausgebeu- Warum das alles? Weil man sich in diesem Hause tet werden und deutsche Arbeitnehmer gerade im und im Vermittlungsausschuß nicht darauf verständi- Baubereich arbeitslos bleiben, von den Tarifvertrags- gen konnte, wer die Anträge auf das Meister-BAföG parteien angenommen wird, daß Herr Murmann von bearbeiten soll. Meine Damen und Herren, ich kann seiner Meinung abrückt und dem Vorsitzenden des nur hoffen, daß die Diskussion um die Frage, wer die- Verbandes der Bauindustrie folgt, von dem wir eine Anträge bearbeiten soll, die Länder oder der Bund, entsprechende Erklärung haben. Dann, meine bei den Bürgern und den Betroffenen auf wenig Ver- Damen und Herren, ist ein guter Vorschlag gemacht ständnis stößt. worden. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Wenn das alles nicht kommt, prophezeie ich Ihnen, daß wir als SPD-Bundestagsfraktion eine erneute Das vom Grundgesetz vorgesehene Zusammen- gesetzgeberische Initiative ergreifen werden. spiel zwischen Bund und Ländern lebt vom Kompro- miß. Das setzt aber die Kompromißbereitschaft und Vielen Dank. die Kompromißfähigkeit aller Beteiligten voraus. Wir haben unsere weitergehenden Forderungen zurück- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne gestellt, wir wollen nämlich etwas ganz anderes: ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) einen solidarischen, einen beitragsfinanzierten Aus- bildungsfonds und nicht das Modell Rüttgers, das Modell eines verzinsten Darlehens. Dieses haben Das Wort zur Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: wir, wie gesagt, zurückgestellt. Bei Minister Rüttgers nächsten Erklärung bekommt die Abgeordnete Ker- fehlt es hingegen eindeutig an Kompromißbereit stin Müller. schaft. Ich sage einmal, worauf wir uns geeinigt haben: Kerstin Müller (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Wir haben uns verständigt, die Stundenzahl für Teil- NEN): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! zeitmaßnahmen von 500 auf 400 zu senken. Wir Auch ich möchte eine Erklärung zur Abstimmung haben uns geeinigt, die Kosten der Kinderbetreuung abgeben, warum meine Fraktion sowohl dem Vor- künftig nicht als familienfeindliches Darlehen, son- schlag zum Meister-BAföG als auch zum Entsende- dern als Zuschuß zu gewähren. Und die Länder? Die gesetz zustimmen wird. Länder sind dem Bund mit ihrem Angebot, 30 Prozent der Kosten zu übernehmen, weit entgegengekom- Sie, meine Damen und Herren von der Regierung, men. Und jetzt wollen Sie eine Zustimmung an der haben 1993 mit der Novellierung des AFG die beruf- Frage scheitern lassen, wer die Durchführung des liche Ausbildungsförderung gestrichen. Seitdem Gesetzes machen soll? Das, glaube ich, begreift drau- warten zahlreiche Menschen darauf, endlich ihre ßen niemand mehr. Weiterbildung antreten zu können, und zwar finan- ziell gesichert. Das sind Alten- und Krankenpfleger, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN aber auch Handwerker und Ingenieure. Sie alle sol- sowie bei Abgeordneten der SPD und der len endlich - da sind wir uns in diesem Hause einig - PDS) das gleiche Recht auf finanzielle Unterstützung ihrer Ausbildung und Weiterbildung erhalten wie Studen- Herr Blens hat gesagt - auch das ist im Vermitt- ten. lungsausschuß diskutiert worden -: Es sprechen ver- fassungsrechtliche Gründe gegen eine Ausführung Seit der Novellierung 1993 - Herr Struck hat es durch den Bund. Bis 1993 wurde das Meister-BAföG angesprochen - verlangen nicht nur wir, die Opposi- durch die Arbeitsämter des Bundes bearbeitet. Ich tion, sondern auch die Industrie- und Handelskam- frage Sie: Was spricht denn heute dagegen? Das mern, die Arbeitgeberverbände und der DGB uni- konnte im Vermittlungsausschuß nicht klargestellt sono, das Meister - BAföG endlich zu regeln. werden. Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 86. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. Februar 1996 7573 Kerstin Müller (Köln) Ich unterstütze daher nachträglich die Forderung, ist es schon atemberaubend, mit welcher Leichtfer- daß die Durchführung des Gesetzes auch künftig tigkeit hier ernsthafte verfassungsrechtliche Beden- durch die Bundesanstalt für Arbeit vorgenommen ken einfach weggewischt werden. wird; denn beim Bund gibt es die entsprechend aus- gebildeten Sachbearbeiter. Die Länder müssen diese (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ Behörden erst aufbauen. Ich finde, wenn man alleror- DIE GRÜNEN]: Oh!) ten vom schlanken Staat spricht, daß es ein Skandal Frau Müller spricht von einer störrischen Haltung, ist, wenn man von den Ländern fordert, Verwal- wenn man kein verfassungswidriges Gesetz machen tungsapparate zu schaffen, die der Bund bereits hat. will. Herr Struck hat gesagt, das hätte man irgendwie Wir werden einer solchen Verschwendung öffentli- regeln können. Meine Damen und Herren, ich zitiere cher Gelder nicht zustimmen. aus einer Entscheidung des Bundesverfassungsge- richtes: (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der Die in den Artikeln 104 bis 108 GG enthaltenen PDS) verfassungsrechtlichen Normen sind einer der tragenden Eckpfeiler der bundesstaatlichen Ord- nung des Grundgesetzes. Dabei kommt der strik- Einen letzten Punkt noch, zum Arbeltnehmer- Ent- sendegesetz: Wir haben im Vermittlungsausschuß ten Beachtung der finanzverfassungsrechtlichen aus einer wirkungslosen Regierungsvorlage - Herr Zuständigkeitsbereiche von Bund und Ländern Blüm weiß es selbst; es ist damals am Widerstand der eine überragende Bedeutung für die Stabilität F.D.P. gescheitert - ein Gesetz gemacht, das hoffent- der bundesstaatlichen Verfassung zu. lich das Schlimmste verhindern kann. Wir sind des- Ein letzter Satz aus der Entscheidung: halb auch bereit, als Bündnisgrüne diesen gefunde- - nen Kompromiß trotz Bedenken mitzutragen. Weder der Bund noch die Länder können über ihre im Grundgesetz festgelegten Kompetenzen Aber wir alle wissen: Das Gesetz steht und fällt mit verfügen. Kompetenzverschiebungen zwischen der Allgemeinverbindlichkeitserklärung des Tarif- Bund und Ländern wären auch nicht mit Zustim- vertrages. Am 12. Februar 1996 finden in Frankfurt mung der Beteiligten zulässig. Tarifverhandlungen in der Bauwirtschaft über die Meine Damen und Herren, angesichts dieser glas- Einführung eines Mindestlohnes statt. Wenn die klaren Rechtslage müssen Sie wissen: Wenn Sie das Arbeitgeber dort ihre Zustimmung zur Allgemeinver- Gesetz in der Form heute in Kraft setzen sollten, wie bindlichkeit verweigern, bleibt das Gesetz ein Phan- es aus dem Vermittlungsausschuß herausgekommen tom. ist, dann würde das Bundesverfassungsgericht dieses Gesetz als verfassungswidrig aufheben. Damit müß- Ich fordere daher im Namen meiner Fraktion den ten die von dem Gesetz Begünstigten noch länger Arbeitgeberverband auf: Er muß seine Blockadehal- darauf warten, daß die materiellen Regelungen end- tung verlassen. Er muß den Tarifvertrag für allge- lich in Kraft treten können. meinverbindlich erklären und der Versuchung widerstehen, die Gewerkschaft unter Druck zu set- Auch wir bedauern diese Verzögerung. Es lag aber zen und das Entsendegesetz zu mißbrauchen. Das nicht an uns, sondern daran, daß Sie unter Beiseite- soll nämlich gerade verhindern, daß ausländische fegen aller verfassungsrechtlichen Einwände, die Sie und inländische Arbeitnehmer gegeneinander aus- nicht wegdiskutieren können, Ihre Mehrheit einge- gespielt werden. Der Gesetzgeber hat hier das seine setzt haben. getan. Jetzt hängt beim Entsendegesetz alles von Wenn leider einige CDU-Ministerpräsidenten die- den Tarifvertragsparteien ab. sem Beispiel gefolgt sind, dann muß man natürlich die alte Erkenntnis wiederholen, die da lautet: Geld- Danke schön. gier vor Verfassungstreue! Darum ging es nämlich.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ sowie bei Abgeordneten der SPD und der DIE GRÜNEN]: Unglaublich! Das ist ja das PDS) Allerletzte! - Otto Schily [SPD]: Das ist doch wohl eine Unverschämtheit! Schöne Grüße an Stoiber! - Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Stoiber ist Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Das Wort zu nicht geldgierig, er ist verfassungstreu! - einer weiteren Erklärung bekommt der Abgeordnete Weitere Zurufe von der SPD und dem Ulrich Irmer. BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Es ging doch eindeutig um die Kosten. Ich bedaure außerordentlich, daß wir die materiellen Verbesse- Ulrich Irmer (F.D.P.): Vielen Dank, Herr Präsident. - Für mich, der ich jetzt die Position der Rechtsstaats- rungen nicht akzeptieren können, weil damit ein ver- partei F.D.P. vertrete, fassungswidriges Gesetz in die Welt gesetzt würde. Lassen Sie mich ganz kurz zum Entsendegesetz (Zurufe von der SPD: Oh! - Lachen des folgendes sagen: Dies ist rechtlich völlig in Ordnung; Abg. Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜND ich will nicht die alte ordnungspolitische Debatte NIS 90/DIE GRÜNEN]) wiederholen. Wir stimmen der Lösung des Vermitt- 7574 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 86. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. Februar 1996

Ulrich Irmer lungsausschusses mehrheitlich zu, obwohl wir - ich es doch schlußendlich nur noch um die Frage geht, wiederhole das - in großen Teilen ordnungspolitische wer mit der Durchführung dieses Gesetzes betraut Probleme sehen. Wir erkennen aber, daß man bei wird. Wir halten es für eine vernünftige Lösung, daß einer außerordentlichen Situation wie der Anpas- dies die Bundesanstalt und die Arbeitsämter tun sol- sung unserer Gesellschaft an die europäischen len, allein schon auf Grund der Kontinuität von Qua- Rechtsnormen unter Umständen auch außerordentli- lifikationswegen und auch, um eine weitere Bürokra- che Mittel anwenden muß, die beschränkt angewen- tisierung zu vermeiden. Wir werden deshalb dieser det werden, um eine Krisensituation im Baubereich Beschlußempfehlung zustimmen. sowohl für die Arbeitnehmer als auch für die mittel- ständischen Betriebe zu beheben. Nun aber zum Entsendegesetz. Ich muß schon sagen, Kollege Struck, Ihre Freude kann ich nicht so Ein ausgesprochener Schönheitsfehler ist die Aus- ganz teilen, denn ich finde, daß der Kompromiß des weitung auf den Bereich der Schlepper im Hambur- Vermittlungsausschusses weder Lohn- noch Sozial- ger Hafen. Ich möchte von dieser Stelle aus sagen: dumping in diesem Lande verhindern wird. Ganz im Die Arbeitnehmer dort brauchen sich nicht zu Gegenteil, die Befristung, auch wenn sie jetzt auf freuen; denn das, was jetzt in das Gesetz geschrie- 3,5 Jahre festgelegt worden ist statt vorher auf zwei ben wird, hilft ihnen keineswegs. Die Situation bei Jahre, ist völlig ungerechtfertigt. Wir brauchen ein ihnen ist nämlich eine ganz andere. Das Gesetz gilt Entsendegesetz, das unbef ristet ist, solange es keine für ausländische Firmen. Bei der Firma im Hambur- europaweite Regelung gibt. ger Hafen handelt es sich aber um eine deutsche Firma, wenn auch um eine Tochter eines niederländi- Auch nach dem Kompromiß fallen die Regelungen schen Unternehmens. Bei den betroffenen Arbeit- des jetzt vorliegenden Gesetzentwurfs hinter die For- nehmern handelt es sich zudem nicht um Ausländer derungen der EU-Kommission für eine EU-Richtlinie aus der Europäischen Union, sondern um arbeitslose zurück. So werden die Beschäftigten gegenüber der- Schiffer aus Rostock, aus Mecklenburg-Vorpom- geplanten EU-weiten Regelung erheblich schlechter mern. gestellt, jetzt leider auch mit dem Segen von Teilen Den Betroffenen jetzt vorzugaukeln, durch die der Opposition. Aufnahme dieses Punktes in das Entsendegesetz würde denen, die Schwierigkeiten haben, irgendwie Aber jetzt das Wichtigste. Immer noch unzurei- geholfen, ist reine Augenwischerei. Die Betroffenen chend ist der Geltungsbereich. Erst wollten Sie nur werden es früh genug merken. das Bauhauptgewerbe einbeziehen. Auf Druck der Sachverständigen kam das Baunebengewerbe hinzu. Man kann uns nicht, wie ich vorhin schon gesagt Jetzt dürfen die Montagearbeiter und Seefahrt- habe, zu einem verfassungswidrigen Verhalten zwin- schiffsassistenten noch mit ins Boot. Sehr gut! Aber gen. Zu teilweise unsinnigem Verhalten, wie in die- bitte erklären Sie mir doch einmal, warum Sie andere sem Fall, konnte man uns zwingen. Wir haben diese Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen, die entsandt Kröte geschluckt, damit die Regelungen jetzt in Kraft worden sind, zum Beispiel in der Gastronomie, nicht treten können. Die übrigen Veränderungen im Ver- vor fehlenden sozialen Absicherungen, mangelhaf- mittlungsausschuß sind für uns akzeptabel. tem Arbeitsschutz und Niedrigstlöhnen schützen Ich danke Ihnen. wollen! Dafür gibt es doch nun überhaupt keine Begründung. (Beifall bei der F.D.P.) Aber selbst auf dem Bau gilt das Prinzip „Gleicher Lohn für gleiche Arbeit am gleichen Ort" immer Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Ich wäre den Rednern dankbar, wenn sie bei ihren Ausführungen noch nicht. Die inländischen Kollegen werden regu- bedenken würden, daß wir uns nicht in einer Debatte lär nach Tarif entlohnt, die entsandten nach Mindest- befinden, sondern daß es sich um die Abgabe von entgelten, und das soll sich doch wohl an den unter- Erklärungen handelt. sten Lohngruppen orientieren. Wir werden sehen, was der Tarifvertrag erbringt. Wenn die ausländi- Das Wort zur nächsten Erklärung hat die Kollegin schen Kollegen für die gleiche Arbeit 2 DM weniger Dr. Heidi Knake-Werner. bekommen werden, dann ist das eben immer noch ungerecht. Dr. Heidi Knake-Werner (PDS): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich will für die PDS Unser Hauptkritikpunkt bleibt allerdings der Weg Er ist zum Ergebnis des Vermittlungsausschusses, an dem der Allgemeinverbindlichkeitserklärung. gegenüber der Ortsüblichkeit viel zu unverbindlich. wir unsinnigerweise nicht mitwirken können, Stel- Daß das so ist, zeigt die Reaktion der Bundesvereini- lung nehmen. gung der Arbeitgeber nachdrücklich. Sie schweigen Im Vermittlungsausschuß gab es zwei Probleme; sich aus, und wir werden sehen, wie sie sich im Tarif- das ist hier schon angesprochen worden. Zunächst ausschuß verhalten werden. Die Arbeitgeber müssen zum Meister-BAföG: Wir sind natürlich überhaupt schon aus dem eigenen Lager aufgefordert werden, nicht beglückt darüber, was im einzelnen herausge- ihre Blockadehaltung aufzugeben. Wenn aber die kommen ist. Wir hätten uns sehr viel Besseres vor- BDA im Tarifausschuß ihre Zustimmung zur Allge- stellen können. Wir haben aber überhaupt kein Ver- meinverbindlichkeitserklärung versagt, dann sind ständnis dafür, warum die Regierungskoalition die- alle Anstrengungen, die bisher zu diesem Gesetzent- sen Kompromiß noch zum Scheitern bringen will, wo wurf gemacht worden sind, für die Katz. Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 86. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. Februar 1996 7575

Dr. Heidi Knake-Werner Auch die F.D.P. scheint genau darauf zu setzen, Deshalb unsere eindringliche Aufforderung, von (c) daß die Arbeitgeber dieses Gesetz zu Fall bringen. den Mitteln der Allgemeinverbindlichkeit für neu Anders kann man Graf Lambsdorff im „Handels- vereinbarte Mindestlöhne Gebrauch zu machen. blatt" nicht verstehen, wenn er frohlockt, daß die Arbeitgeber dabei bleiben würden, die für ein Wirk- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) samwerden des Gesetzes erforderliche Allgemein- verbindlichkeitserklärung des Bauecklohnes zu ver- Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Ehe wir fort weigern. -fahren, gebe ich das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Die PDS fordert deshalb, daß die entsandten Abstimmung über den Entschließungsantrag der Arbeitnehmer nach den ortsüblichen Arbeitsbedin- Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache gungen beschäftigt werden, und sie hätte es gut 13/3719 bekannt. Abgegebene Stimmen: 624. Mit Ja gefunden, wenn der Vermittlungsausschuß sich auf haben gestimmt 306, mit Nein 316, Enthaltungen 2. diesen Kompromiß geeinigt hätte. Damit ist der Entschließungsantrag abgelehnt.

Eine deutliche Verbesserung - das geben wir (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ unumwunden zu - hat der Vermittlungsausschuß DIE GRÜNEN]: Oh, oh, oh, oh!) beschlossen, was die Kontroll- und Sanktionsmög- lichkeiten angeht. Wir sind schon der Meinung, daß Endgültiges Ergebnis Dagmar Freitag eine wirksame Kontrolle der Dreh- und Angelpunkt Anke Fuchs (Köln) bei der Durchsetzung des Gesetzes ist. Die Anmel- Abgegebene Stimmen: 622; Katrin Fuchs (Verl) dung beim Landesarbeitsamt, die Einbeziehung der davon Arne Fuhrmann Monika Ganseforth Zulieferfirma, die Verweigerung von öffentlicher ja: 305 Vergabe bei Verstößen gegen das Gesetz und Geld- Norbert Gansel nein: 315 bußen bis zu 100 000 DM - das alles macht schon Konrad Gilges enthalten: 2 Iris Gleicke deutlich, daß es sich hier nicht um eine Lappalie han- Günter Gloser delt, sondern daß es hier um ernsthafte Dinge geht, Dr. an die sich auch die Arbeitgeber zukünftig zu halten Ja Günter Graf (Friesoythe) haben. Angelika Graf (Rosenheim) Dieter Grasedieck Wir als PDS werden also der Beschlußempfehlung SPD Achim Großmann des Vermittlungsausschusses bei allen Bauchschmer- Karl Hermann Haack (Extertal) zen, die ich hier versucht habe, deutlich zu machen, Gerd Andres Hans-Joachim Hacker zustimmen. Hermann Bachmaier Klaus Hagemann Ernst Bahr Manfred Hampel Danke schön. Doris Barnett Christel Hanewinckel Klaus Barthel Alfred Hartenbach (Beifall bei der PDS) Ingrid Becker-Inglau Dr. Liesel Hartenstein Wolfgang Behrendt Klaus Hasenfratz Hans-Werner Bertl Dr. Ingomar Hauchler Friedhelm Julius Beucher Dieter Heistermann Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Nun erteile ich Reinhold Hemker das Wort zu einer Erklärung zum Entsendegesetz Arne Börnsen (Ritterhude) Roll Hempelmann dem Bundesminister für Arbeit, Dr. Norbert Blüm. Anni Brandt-Elsweier Dr. Barbara Hendricks Tilo Braune Monika Heubaum Dr. Eberhard Brecht Uwe Hiksch Edelgard Bulmahn Reinhold Hiller (Lübeck) Dr. Norbert Blüm, Bundesminister für Arbeit und Ursula Burchardt Stephan Hilsberg Sozialordnung: Herr Präsident! Meine Damen und Hans Martin Bury Gerd Höfer Herren! Zunächst zur Klarstellung, der guten Ord- Hans Büttner (Ingolstadt) Frank Hofmann (Volkach) Marion Caspers-Merk Ingrid Holzhüter nung halber: Mein Kollege Rüttgers ist zu dieser Wolf-Michael Catenhusen Erwin Horn Stunde in der Ministerpräsidentenkonferenz, bei der Peter Conradi Eike Hovermann das Thema Meister-BAföG behandelt wird. Dr. Herta Däubler-Gmelin Lothar Ibrügger Christel Deichmann Wolfgang Ilte Nun zur Erklärung. Die Bundesregierung möchte Barbara Imhof den Anlaß der Abstimmung über das Vermittlungser- Dr. Marliese Dobberthien Brunhilde Irber gebnis zum Entsendegesetz nutzen, eindringlich an Peter Dreßen Gabriele Iwersen Rudolf Dreßler Renate Jäger die Sozialpartner zu appellieren, von den Möglich- Jann-Peter Janssen keiten dieses Gesetzes zum Schutze vor Lohndum- Ludwig Eich Ilse Janz ping mit den bewährten Mitteln der Tarifautonomie Peter Enders Dr. Uwe Jens Gebrauch zu machen. Es ist im Interesse der Bauwirt- Volker Jung (Düsseldorf) schaft, der Arbeitgeber, der Arbeitnehmer, und es ist Petra Ernstberger Sabine Kaspereit im Interesse Europas, wenn sich die Sozialpartner Annette Faße Susanne Kastner auch in bezug auf diese Frage fähig zur Problemlö- Elke Ferner Ernst Kastning sung zeigen. Es ist im Interesse der Sozialpartner- Lothar Fischer (Homburg) Hans-Peter Kemper Gabriele Fograscher Klaus Kirschner schaft, wenn ein in Bedrängnis geratener Verband Iris Follak Marianne Klappert nicht im Stich gelassen wird. Norbert Formanski Siegrun Klemmer 7576 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 86. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. Februar 1996

Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch Hans-Ulrich Klose Dagmar Schmidt (Meschede) Matthias Berninger Nein Dr. Hans-Hinrich Knaape Wilhelm Schmidt (Salzgitter) Annelle Buntenbach Fritz Rudolf Körper Regina Schmidt-Zadel Amke Dietert-Scheuer Nicolette Kressl Heinz Schmitt (Berg) Franziska Eichstädt-Bohlig CDU/CSU Volker Kröning Dr. Emil Schnell Dr. Uschi Eid Thomas Krüger Walter Schöler Andrea Fischer (Berlin) Ulrich Adam Horst Kubatschka Ottmar Schreiner Joseph Fischer (Frankfurt) Peter Altmaier Eckart Kuhlwein Gisela Schröter Rita Grießhaber Konrad Kunick Dr. Mathias Schubert Gerald Häfner Jürgen Augustinowitz Christine Kurzhals rigitte Schulte (Hameln) B Antje Hermenau Dietrich Austermann Dr. Uwe Küster Reinhard Schultz Kristin Heyne Heinz-Günter Bargfrede Werner Labsch (Everswinkel) Ulrike Höfken Franz Peter Basten Brigitte Lange Volkmar Schultz (Köln) Michaele Hustedt Dr. Detlev von Larcher Dr. R. Werner Schuster Dr. Manuel Kiper Brigitte Baumeister Waltraud Lehn Dietmar Schütz (Oldenburg) Monika Knoche Dr. Sabine Bergmann-Pohl Dr. Angelica Schwall-Düren Klaus Lennartz Dr. Angelika Köster-Loßack Hans-Dirk Bierling Ernst Schwanhold Dr. Elke Leonhard Steffi Lemke Dr. Joseph-Theodor Blank Rolf Schwanitz Klaus Lohmann (Witten) Vera Lengsfeld Renate Blank Christa Lörcher Bodo Seidenthal Dr. Heribert Blens Lisa Seuster Dr. Helmut Lippelt Erika Lotz Oswald Metzger Peter Bleser Horst Sielaff Dr. Mari Dr. Kerstin Müller (Köln) a Böhmer Erika Simm Dieter Maaß (Herne) Winfried Nachtwei Johannes Singer Wolfgang Börnsen (Bönstrup) Winfried Mante Christa Nickels Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast Wolfgang Bosbach Dorle Marx Cern Özdemir Wieland Sorge Dr. Wolfgang Bötsch Ulrike Mascher Gerd Poppe Christoph Matschie Wolfgang Spanier Klaus Brähmig Simone Probst Ingrid Matthäus-Maier Dr. Dietrich Sperling Rudolf Braun (Auerbach) Dr. Jürgen Rochlitz Heide Mattischeck Jörg-Otto Spiller Halo Saibold Markus Meckel Antje-Marie Steen Christine Scheel Ulrike Mehl Georg Brunnhuber Irmingard Schewe-Gerigk Herbert Meißner Dr. Peter Struck Klaus Bühler (Bruchsal) Rezzo Schlauch Angelika Mertens Jörg Tauss Hartmut Büttner Albert Schmidt (Hitzhofen) Dr. Jürgen Meyer (Ulm) Dr. Bodo Teichmann (Schönebeck) Wolfgang Schmitt Ursula Mogg Jella Teuchner Dankward Buwitt (Langenfeld) Siegmar Mosdorf Dr. Gerald Thalheim (Emstek) Michael Müller (Düsseldorf) Ursula Schönberger Dietmar Thieser Jutta Müller (Völklingen) (Berlin) (Nordstrand) Franz Thönnes Christian Müller (Zittau) Rainder Steenblock Wolfgang Dehnel Uta Titze-Stecher Volker Neumann (Bramsche) Christian Sterzing Hubert Deittert Adelheid Tröscher Gerhard Neumann (Gotha) Manfred Such Gertrud Dempwolf Hans-Eberhard Urbaniak Dr. Edith Niehuis Dr. Antje Vollmer Albert Deß Siegfried Vergin Dr. Rolf Niese Ludger Volmer Renate Diemers Günter Verheugen Doris Odendahl Helmut Wilhelm (Amberg) Wilhelm Dietzel Ute Vogt (Pforzheim) Günter Oesinghaus Margareta Wolf (Frankfurt) Werner Dörflinger Hans Georg Wagner Leyla Onur Hansjürgen Doss Dr. Konstanze Wegner Manfred Opel Dr. Wolfgang Weiermann Maria Eichhorn Adolf Ostertag PDS Reinhard Weis (Stendal) Wolfgang Engelmann Kurt Palis Matthias Weisheit Rainer Eppelmann Albrecht Papenroth Wolfgang Bierstedt Gunter Weißgerber Heinz Dieter Eßmann Dr. Wilfried Penner Petra Bläss (Wiesloch) Dr. Martin Pfaff Eva Bulling-Schröter Jochen Welt Anke Eymer Georg Pfannenstein Heinrich Graf von Einsiedel Hildegard Wester Ilse Falk Dr. Eckhart Pick Dr. Ludwig Elm Lydia Westrich Dr. Dagmar Enkelmann Joachim Poß Inge Wettig-Danielmeier Dr. Ruth Fuchs Dr. Karl H. Fell Rudolf Purps Dr. Norbert Wieczorek Dr. Gregor Gysi Ulf Fink Karin Rehbock-Zureich Helmut Wieczorek (Duisburg) Dirk Fischer (Hamburg) Hanns-Peter Ha rtmann Margot von Renesse Heidemarie Wieczorek-Zeul Dr. Uwe-Jens Heuer (Hamburg) Renate Rennebach Dieter Wiefelspütz Herbert Frankenhauser Dr. Barbara Höll Otto Reschke Berthold Wittich Dr. Gerhard Friedrich Ulla Jelpke Bernd Reuter Dr. Wolfgang Wodarg Erich G. Fritz Gerhard Jüttemann Dr. Edelbert Richter Hanna Wolf (München) Hans-Joachim Fuchtel Dr. Heidi Knake-Werner Günter Rixe Heidi Wright Michaela Geiger Reinhold Robbe Uta Zapf Rolf Köhne Norbert Geis Gerhard Rübenkönig Dr. Christoph Zöpel Rolf Kutzmutz Dr. Heiner Geißler Dr. Hansjörg Schäfer Peter Zumkley Andrea Lederer Michael Glos Gudrun Schaich-Walch Dr. Christa Luft Wilma Glücklich Dieter Schanz Heidemarie Lüth Dr. Reinhard Göhner Rudolf Scharping BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN Dr. Günther Maleuda Peter Götz Bernd Scheelen Manfred Müller (Berlin) Dr. Wolfgang Götzer Dr. Gila Altmann (Aurich) Rosel Neuhäuser Joachim Gres Siegfried Scheffler Elisabeth Altmann Dr. Uwe-Jens Rössel Kurt-Dieter G rill Günter Schluckebier (Pommelsbrunn) Christina Schenk Wolfgang Gröbl Horst Schmidbauer Marieluise Beck (Bremen) Klaus-Jürgen Warnick Hermann Gröhe (Nürnberg) Volker Beck (Köln) Dr. Winfried Wolf Claus-Peter Grotz Ulla Schmidt (Aachen) Gerhard Zwerenz Manfred Grund Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 86. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. Feb ruar 1996 7577

Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch Horst Günther (Duisburg) Julius Louven Wolfgang Zeitlmann Carl-Detlev Freiherr von Sigrun Löwisch Dr.-Ing. Joachim Schmidt Wolfgang Zöller Hammerstein (Halsbrücke) Dr. Michael Luther Andreas Schmidt (Mülheim) (Großhennersdorf) Erich Maaß (Wilhelmshaven) Hans-Otto Schmiedeberg F.D.P. Dr. Dietrich Mahlo Hans Peter Schmitz Otto Hauser (Esslingen) Erwin Marschewski (Baesweiler) Ina Albowitz Hansgeorg Hauser Dr. Martin Mayer Michael von Schmude Dr. Gisela Babel (Rednitzhembach) (Siegertsbrunn) Birgit Schnieber-Jastram Hildebrecht Braun Klaus-Jürgen Hedrich Wolfgang Meckelburg Dr. Andreas Schockenhoff (Augsburg) Manfred Heise Rudolf Meinl Dr. Rupert Scholz Günther Bredehorn Dr. Renate Hellwig Dr. Michael Meister Reinhard Freiherr von Jörg van Essen Ernst Hinsken Rudolf Meyer (Winsen) Schorlemer Dr. Olaf Feldmann Peter Hintze Hans Michelbach Dr. Erika Schuchardt Gisela Frick Josef Hollerith Meinolf Michels Paul K. Friedhoff Dr. Karl-Heinz Hornhues Dr. Gerd Müller Dr. Horst Friedrich ed Hornung Elmar Müller (Kirchheim) (Schwäbisch Gmünd) Siegfri Joachim Hörster Engelbert Nelle Gerhard Schulz (Leipzig) Hans-Dietrich Genscher Hubert Hüppe (Bremen) Frederick Schulze Dr. Wolfgang Gerhardt Peter Jacoby Johannes Nitsch Diethard Schütze (Berlin) (Plauen) Susanne Jaffke Clemens Schwalbe Joachim Günther Georg Janovsky Dr. Rolf Olderog Dr. Christian Schwarz- Dr. Karlheinz Guttmacher Helmut Jawurek Friedhelm Ost Schilling Dr. Helmut Haussmann Dr. Dionys Jobst Eduard Oswald Horst Seehofer Ulrich Heinrich Dr.-Ing. Rainer Jork Norbert Otto (Erfurt) Wilfried Seibel Walter Hirche Michael Jung (Limburg) Dr. Gerhard Päselt Heinz-Georg Seiffert Dr. Burkhard Hirsch Ulrich Junghanns Hans-Wilhelm Pesch Birgit Homburger - Dr. Egon Jüttner Ulrich Petzold Johannes Selle Dr. Dr. Harald Kahl Bernd Siebert Ulrich Irmer Bartholomäus Kalb Angelika Pfeiffer Jürgen Sikora Detlef Kleinert (Hannover) Steffen Kampeter Dr. Gero Pfennig Johannes Singhammer Dr. Heinrich L. Kolb Dr.-Ing. Dietmar Kansy Dr. Friedbert Pflüger Bärbel Sothmann Jürgen Koppelin Irmgard Karwatzki Beatrix Philipp Margarete Späte Dr.-Ing. Karl-Hans Laermann Volker Kauder Dr. Winfried Pinger Carl-Dieter Spranger Dr. Otto Graf Lambsdorff Peter Keller Ronald Pofalla Wolfgang Steiger Sabine Leutheusser Eckart von Klaeden Dr. Hermann Pohler Erika Steinbach Schnarrenberger Dr. Bernd Klaußner Ruprecht Polenz Dr. Uwe Lühr Hans Klein (München) Marlies Pretzlaff Andreas Storm Jürgen W. Möllemann Ulrich Klinkert Dr. Max Straubinger Günther Friedrich Nolting Hans-Ulrich Köhler Dr. Bernd Protzner Matthäus Strebl Dr. (Hainspitz) Dieter Pützhofen Michael Stübgen Lisa Peters Manfred Kolbe Thomas Rachel Egon Susset Dr. Klaus Röhl Norbert Königshof en Hans Raidel Dr. Rita Süssmuth Helmut Schäfer (Mainz) Eva-Maria Kors Dr. Peter Ramsauer Michael Teiser Cornelia Schmalz-Jacobsen Hartmut Koschyk Rolf Rau Dr. Susanne Tiemann Dr. Edzard Schmidt-Jortzig Manfred Koslowski Helmut Rauber Dr. Klaus Töpfer Dr. Irmgard Schwaetzer Thomas Kossendey Peter Harald Rauen Gottfried Tröger Rudolf Kraus Otto Regenspurger Dr. Klaus-Dieter Uelhoff Dr. Hermann Otto Sohns Wolfgang Krause (Dessau) Christa Reichard (Dresden) Dr. Max Stadler Andreas Krautscheid Klaus Dieter Reichardt Dr. Horst Waffenschmidt Carl-Ludwig Thiele Arnulf Kriedner (Mannheim) Alois Graf von Waldburg-Zeil Dr. Dieter Thomae Heinz-Jürgen Kronberg Dr. Bertold Reinartz Kersten Wetzel Jürgen Türk Dr.-Ing. Paul Krüger Erika Reinhardt Hans-Otto Wilhelm (Mainz) Dr. Wolfgang Weng Reiner Krziskewitz Hans-Peter Repnik Gert Willner (Gerlingen) Dr. Hermann Kues Roland Richter Bernd Wilz Dr. Guido Westerwelle Werner Kuhn Roland Richwien Willy Wimmer (Neuss) Dr. Karl A. Lamers Dr. Norbert Rieder (Heidelberg) Dr. (München) Simon Wittmann Enthalten Klaus Riegert (Tännesberg) Dr. Franz Romer Dagmar Wöhrl Helmut Lamp Hannelore Rönsch Michael Wonneberger SPD Armin Laschet (Wiesbaden) Elke Wülfing Herbert Lattmann Heinrich-Wilhelm Ronsöhr Peter Kurt Würzbach Horst Schild Dr. Paul Laufs Dr. Klaus Rose Cornelia Yzer Otto Schily Karl-Josef Laumann Kurt J. Rossmanith Werner Lensing Adolf Roth (Gießen) Norbert Röttgen Wir kommen nun zur Abstimmung über die Vorla- Peter Letzgus Dr. Christian Ruck gen des Vermittlungsausschusses. Zuerst stimmen Editha Limbach Ortrun Schätzle wir über die Beschlußempfehlung des Vermittlungs- Walter Link (Diepholz) Dr. Wolfgang Schäuble ausschusses zum Aufstiegsfortbildungsförderungs- Eduard Lintner Hartmut Schauerte gesetz auf Drucksache 13/3662. Der Vermittlungs- Dr. Klaus W. Lippold Heinz Schemken ausschuß hat gemäß § 10 Abs. 3 Satz 1 seiner (Offenbach) Karl-Heinz Scherhag Geschäftsordnung beschlossen, daß im Deutschen Dr. Manfred Lischewski Gerhard Scheu Wolfgang Lohmann Norbert Schindler Bundestag über die Änderungen gemeinsam abzu- (Lüdenscheid) Ulrich Schmalz stimmen ist. 7578 Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 86. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. Februar 1996

Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch Ich weise noch einmal darauf hin, daß zur Wir kommen zur Abstimmung. Wer dem Wahlvor- Annahme der Beschlußempfehlung nach A rt. 87 schlag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD auf Abs. 3 des Grundgesetzes die Zustimmung der Drucksache 13/3694 zuzustimmen wünscht, den bitte Mehrheit der Mitglieder des Bundestages erforder- ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Stimment- lich ist. Es wird namentliche Abstimmung verlangt. haltungen? - Dann stelle ich fest, daß der Wahlvor- Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die schlag bei Stimmenthaltung der Gruppe der PDS vorgesehenen Plätze einzunehmen. - Sind die Urnen angenommen worden ist. Damit sind die Kollegen besetzt? - Dann eröffne ich die Abstimmung. Dr. Albert Probst, Ina Albowitz und Thomas Krüger als Mitglieder des Verwaltungsrates sowie Wolfgang Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das Börnsen (Bönstrup), und Gisela Schrö- seine Stimme nicht abgegeben hat? ter als Stellvertreter gewählt. Meine Kolleginnen und Kollegen, darf ich Sie einen Augenblick um Aufmerksamkeit bitten. Was Ich rufe die Tagesordnungspunkte 25 a bis f sowie Ihre Dispositionen angeht, möchte ich Ihnen sagen, die Zusatzpunkte 6a bis 6c auf: daß wir die nächste namentliche Abstimmung, die zum Entsendegesetz, unmittelbar anschließend ohne 25. Überweisungen im vereinfachten Verfahren eine weitere Erklärungsrunde durchführen. Ich emp- fehle Ihnen also, wenn Sie an der Abstimmung teil- a) Erste Beratung des vom Bundesrat einge- brachten Entwurfs eines nehmen wollen, im Raum zu bleiben. Gesetzes zur Um- stellung der Steinkohleverstromung ab Darf ich noch einmal fragen, ob ein Mitglied des 1996 Hauses anwesend ist, das seine Stimme nicht abge- geben hat. - Das ist nicht der Fall. Dann schließe ich - Drucksache 13/3105 — die Abstimmung. Überweisungsvorschlag: - Ausschuß für Wirtschaft (federführend) Das Ergebnis der Abstimmung wird Ihnen später Rechtsausschuß bekanntgegeben.*) Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicher- heit Wir stimmen jetzt über die Beschlußempfehlung Haushaltsausschuß mitberatend und gemäß § 96 GO des Vermittlungsausschusses zum Arbeitnehmer Entsendegesetz auf Drucksache 13/3663 ab. Auch b) Erste Beratung des vom Bundesrat einge- hier ist zur Annahme nach Art. 87 Abs. 3 des Grund- brachten Entwurfs eines Gesetzes zur An- gesetzes die Zustimmung der Mehrheit der Mitglie- derung des Rechts der beschränkten per- der des Bundestages erforderlich. Es ist wiederum sönlichen Dienstbarkeiten namentliche Abstimmung verlangt. Ich bitte die - Drucksache 13/3604 — Schriftführerinnen und Schriftführer, die vorgesehe- nen Plätze einzunehmen. - Ich eröffne die Abstim- Überweisungsvorschlag: mung. Rechtsausschuß Ist noch ein Mitglied anwesend, das seine Stimme c) Erste Beratung des von den Abgeordneten nicht abgegeben hat? - Dann schließe ich die Dr. Klaus-Dieter Uelhoff, Michael von Abstimmung. Schmude, Dr. Rolf Olderog, weiterer Abge- ordneter und der Fraktion der CDU/CSU Ich bitte die Schriftführer, mit der Auszählung zu sowie der Abgeordneten Ina Albowitz, Jür- beginnen. Das Ergebnis der Abstimmung wird Ihnen gen Koppelin und der Fraktion der F.D.P. später bekanntgegeben.** ) eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes Darf ich Sie bitten, Platz zu nehmen und Rücksicht über die Errichtung einer Otto-von-Bis- auf die Mitglieder des Hauses zu nehmen, die mit marck-Stiftung der Tagesordnung fortfahren wollen. Ich bitte Sie, - Drucksache 13/3639 — alle Gespräche nach außen zu verlegen. Das gilt auch für Herrn Schwarz-Schilling. Darf ich auch die Überweisungsvorschlag: Mitglieder der Bundesregierung bitten, sich dem Innenausschuß (federführend) Verfahren des Hauses anzuschließen. Das gilt auch Haushaltsausschuß für die Kollegen Genscher, Gerhardt und Hein rich. d) Beratung des Antrags der Abgeordneten Möchten Sie alle auf diese Weise ins Protokoll kom- Dr. Friedbert Pflüger und der Fraktion der men? CDU/CSU sowie der Abgeordneten Ul rich Irmer, Dr. Helmut Haussmann, Dr. Olaf Ich rufe den Zusatzpunkt 5 auf: Feldmann, Jörg van Essen und der Fraktion Wahl der Mitglieder für den Verwaltungsrat der F.D.P. der Filmförderungsanstalt Den KSE-Vertrag achten, die Rüstungskon- - Drucksache 13/3694 - trolle in Europa neuen Herausforderungen anpassen Eine Aussprache ist nicht vorgesehen. - Drucksache 13/3711 — Überweisungsvorschlag: *) Seite 3581 D Auswärtiger Ausschuß (federführend) **) Seite 3584 B Verteidigungsausschuß Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 86. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. Februar 1996 7579

Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch e) Beratung des Antrags der Abgeordneten Es handelt sich um Überweisungen im vereinfach- Manfred Such, Cern Özdemir und der Frak- ten Verfahren ohne Debatte. tion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen Erkennbarkeit von Polizeibeamten durch an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse Namensschilder oder Dienstnummern zu überweisen. Sind Sie damit einverstanden? - Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Dann sind die - Drucksache 13/2002 — Überweisungen so beschlossen. Überweis ungsvorschlag: Innenausschuß Ich rufe die Tagesordnungspunkte 26 a bis k und f) Beratung des Antrags des Bundesministeri- den Zusatzpunkt 7 auf: ums der Finanzen 26. Abschließende Beratungen ohne Aussprache Einwilligung gemäß § 64 Abs. 2 der Bun- a) Zweite und dritte Beratung des von den deshaushaltsordnung zur Veräußerung der Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. einge- ehemaligen Boehn-Kaserne in Hamburg- brachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes Rahlstedt zur Änderung des Asylverfahrensgesetzes - Drucksache 13/3615 — - Drucksache 13/2577 - Überweisungsvorschlag: Haushaltsausschuß (Erste Beratung 62. Sitzung) ZP6 Weitere Überweisungen im vereinfachten Beschlußempfehlung und Bericht des In- Verfahren nenausschusses (4. Ausschuß) (Ergänzung zu TOP 25) - Drucksache 13/3471 - a) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- Berichterstattung: zes zur Regelung der Sicherheitsanforde- Abgeordnete Erika Steinbach rungen an Produkte und zum Schutz der Jochen Welt CE-Kennzeichnung (Produktsicherheitsge- Dr. Max Stadler Cern Özdemir setz - ProdSG) Ulla Jelpke - Drucksache 13/3130 — b) Zweite Beratung und Schlußabstimmung Überweisungsvorschlag: des von der Bundesregierung eingebrach- Ausschuß für Wi rtschaft (federführend) ten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Inter- Rechtsausschuß Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung nationalen Kakao-Übereinkommen von Ausschuß für Gesundheit 1993 Ausschuß für Bildung, Wissenschaft, Forschung, Tech- nologie und Technikfolgenabschätzung - Drucksache 13/2481 - b) Erste Beratung des von der Abgeordneten (Erste Beratung 64. Sitzung) Vera Lengsfeld und der Fraktion BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Ent- Beschlußempfehlung und Bericht des Aus- wurfs eines Gesetzes zur Aufhebung der schusses für Ernährung, Landwirtschaft und fortgeltenden Rechtsvorschriften des Berg- Forsten (10. Ausschuß) gesetzes der Deutschen Demokratischen - Drucksache 13/3563 - Republik Berichterstattung: - Drucksache 13/3489 — Abgeordneter Reinhold Hemker Überweisungsvorschlag: Ausschuß für Wirtschaft (federführend) c) Beratung der Beschlußempfehlung und des Rechtsausschuß Berichts des Finanzausschusses (7. Aus- Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten schuß) zu der Unterrichtung durch die Bun- Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit desregierung c) Erste Beratung des von den Abgeordneten Vorschlag für eine Entscheidung des Euro- Rolf Schwanitz, Jelena Hoffmann (Chem- päischen Parlaments und des Rates über nitz), Hans-Joachim Hacker, weiterer Abge- ein Aktionsprogramm für das gemein- ordneter und der Fraktion der SPD ein- schaftliche Zollwesen („Zoll 2000") gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Vereinheitlichung des Bergrechts nach der - Drucksachen 13/1614 Nr. 2.15, 13/2939 - deutschen Einheit Berichterstattung: - Drucksache 13/3625 — Abgeordneter Heinz-Georg Seiffert Überweisungsvorschlag: d) Beratung der Beschlußempfehlung und des Ausschuß für Wirtschaft (federführend) Berichts des Ausschusses für Verkehr Rechtsausschuß Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten (15. Ausschuß) zu der Unterrichtung durch Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit die Bundesregierung 7580 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 86. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. Februar 1996

Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch Vorschlag für eine Richtlinie des Rates zur j) Beratung der Beschlußempfehlung des Peti- Änderung der Richtlinie 91/439/EWG über tionsausschusses (2. Ausschuß) den Führerschein Sammelübersicht 99 zu Petitionen - Drucksachen 13/2306 Nr. 2.49, 13/3556 - - Drucksache 13/3641 - Berichterstattung: k) Beratung der Beschlußempfehlung des Peti- Abgeordneter Michael Jung (Limburg) tionsausschusses (2. Ausschuß) e) Beratung der Beschlußempfehlung und des Sammelübersicht 100 zu Petitionen Berichts des Finanzausschusses (7. Aus- schuß) zu dem Antrag der Abgeordneten - Drucksache 13/3642 - Wolfgang Bierstedt, Dr. Christa Luft und der ZP7 Gruppe der PDS Weitere abschließende Beratungen ohne Aus- sprache Wiedereinführung einer Investitionszulage (Ergänzung zu TOP 26) für den kleinen und mittelständischen Ein- Zweite Beratung und Schlußabstimmung des zelhandel von der Bundesregierung eingebrachten Ent- - Drucksachen 13/859, 13/3644 - wurfs eines Gesetzes zu dem Übereinkommen vom 29. Juni 1994 über die Zusammenarbeit Berichterstattung: zum Schutz und zur verträglichen Nutzung Abgeordneter Dr. Uwe-Jens Rössel der Donau f) Beratung der Beschlußempfehlung und des (Donauschutzübereinkommen) Berichts des Ausschusses für Wirtschaft - Drucksache 13/1884 - (9. Ausschuß) zu dem Entschließungsantrag der Gruppe der PDS zu der Unterrichtung (Erste Beratung 58. Sitzung) durch die Bundesregierung Beschlußempfehlung und Be richt des Aus- Jahreswirtschaftsbericht 1995 der Bundes- schusses für Umwelt, Naturschutz und Reak- regierung torsicherheit (16. Ausschuß) - Drucksachen 13/370, 13/420, 13/1804 - - Drucksache 13/3573 - Berichterstattung: Berichterstattung: Abgeordneter Herbert Lattmann Abgeordnete Max Straubinger Horst Kubatschka g) Beratung der 4. Beschlußempfehlung und Michaele Hustedt des Berichts des Wahlprüfungsausschusses Günther Bredehorn zu 101 gegen die Gültigkeit der Wahl zum Es handelt sich um Beschlußfassungen zu Vorla- 13. Deutschen Bundestag eingegangenen gen, zu denen keine Aussprache vorgesehen ist. Wahleinsprüchen Zunächst geht es um Tagesordnungspunkt 26a. - Drucksache 13/3532 - Wir kommen zur Abstimmung über den von den Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. eingebrachten Berichterstattung: Entwurf zur Änderung des Asylverfahrensgesetzes, Abgeordnete Dr. Bertold Reinartz Drucksachen 13/2577 und 13/3471. Anni Brandt-Elsweier Gerald Häfner Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Jörg van Essen Ausschußfassung zustimmen wollen, um das Hand- zeichen. - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - h) Beratung der Beschlußempfehlung des Dann stelle ich fest, daß der Gesetzentwurf mit den Rechtsausschusses (6. Ausschuß) Stimmen des Hauses gegen die Stimmen der Gruppe der PDS in zweiter Beratung angenommen worden Übersicht 3 ist. über die dem Deutschen Bundestag zuge- leiteten Streitsachen vor dem Bundesver- Dann kommen wir zur fassungsgericht dritten Beratung - Drucksache 13/3653 - und Schlußabstimmung. Ich bitte diejenigen, die Berichterstattung: dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erhe- Abgeordneter Horst Eylmann ben. - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Dann stelle ich fest, daß der Gesetzentwurf gegen die Stim- i) Beratung der Beschlußempfehlung des Peti- men der Gruppe der PDS und gegen eine Stimme tionsausschusses (2. Ausschuß) aus der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen in dritter Beratung angenommen worden ist. Sammelübersicht 98 zu Petitionen Wir kommen zur Abstimmung über den von der - Drucksache 13/3640 - Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zu Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 86. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. Februar 1996 7581

Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch dem Internationalen Kakao-Übereinkommen, Druck- ausschusses stimmt, den bitte ich um das Handzei- sache 13/2481. chen. - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Dann stelle ich fest, daß die Beschlußempfehlung bei Der Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Stimmenthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grü- Forsten empfiehlt auf Drucksache 13/3563, den nen angenommen ist. Gesetzentwurf unverändert anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wol- Wir kommen zu den Beschlußempfehlungen des len, sich zu erheben. - Gegenprobe! - Stimmenthal- Petitionsausschusses, zunächst zu Sammelübersicht 98 tungen? - Dann stelle ich fest, daß der Gesetzentwurf auf Drucksache 13/3640. Wer für die Beschlußemp- bei Stimmenthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die fehlung stimmt, den bitte ich um das Handzeichen. Grünen, im übrigen mit den Stimmen des Hauses - Gegenstimmen? - Stimmenthaltungen? - Dann angenommen worden ist. stelle ich fest, daß die Beschlußempfehlung bei Stimmenthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grü- Dann kommen wir zu Tagesordnungspunkt 26c. nen und der Gruppe der PDS angenommen worden Wer für diese Beschlußempfehlung stimmt, den bitte ist. ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Stimment- haltungen? - Dann stelle ich fest, daß die Beschluß- Wir kommen zu Sammelübersicht 99 auf Drucksa- empfehlung bei Stimmenthaltung der Gruppe der che 13/3641. Wer für die Sammelübersicht stimmt, PDS angenommen worden ist. den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Dann stelle ich fest, daß die Wir kommen zur Beschlußempfehlung des Aus- Beschlußempfehlung mit derselben Stimmenmehr- schusses für Verkehr zu einem Richtlinienvorschlag heit angenommen worden ist. der Europäischen Union zur Änderung der Richtlinie über den Führerschein, Drucksache 13/3556. Wer der Wir kommen zu Sammelübersicht 100 auf Drucksa- Beschlußempfehlung zustimmt, den bitte ich um das che 13/3642. Wer dafür stimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? Handzeichen. - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Dann stelle ich fest, daß die Beschlußempfehlung - Dann stelle ich fest, daß die Beschlußempfehlung einstimmig angenommen worden ist. mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Fraktion der SPD bei Stimmenthaltungen aus der Wir kommen zur Beschlußempfehlung des Finanz- Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und der Gruppe der ausschusses zu dem Antrag der Gruppe der PDS zur PDS angenommen worden ist. Wiedereinführung einer Investitionszulage für den kleinen und mittelständischen Einzelhandel, Druck- Dann kommen wir zur Abstimmung über den von sache 13/3644. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf der PDS auf Drucksache 13/859 für erledigt zu erklä- über die Zusammenarbeit zum Schutz und zur ver- ren. Wer für die Beschlußempfehlung des Ausschus- träglichen Nutzung der Donau, Drucksache 13/1884. ses stimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Dann stelle ich Der Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reak- fest, daß die Beschlußempfehlung gegen die Stim- torsicherheit empfiehlt auf Drucksache 13/3573, den men der Gruppe der PDS angenommen worden ist. Gesetzentwurf unverändert anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wol- Wir kommen zur Beschlußempfehlung des Aus- len, sich zu erheben. - Die Gegenprobe! - Stimment- schusses für Wirtschaft zu dem Entschließungsantrag haltungen? - Ich stelle fest, daß der Gesetzentwurf der Gruppe der PDS zum Jahreswirtschaftsbericht einstimmig angenommen worden ist. 1995, Drucksache 13/1804. Der Ausschuß empfiehlt, den Entschließungsantrag auf Drucksache 13/420 Nun gebe ich das von den Schriftführerinnen und abzulehnen. Wer für die Beschlußempfehlung auf Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Ablehnung stimmt, den bitte ich um das Handzei- Abstimmung über die Empfehlung des Vermittlungs- chen. - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Dann ausschusses zum Aufstiegsfortbildungsförderungs- stelle ich fest, daß die Beschlußempfehlung mit den gesetz auf Drucksache 13/3662 bekannt. Abgege- Stimmen des Hauses bei Stimmenthaltung der Frak- bene Stimmen: 624. Mit Ja haben 309 gestimmt, mit tion Bündnis 90/Die Grünen und gegen die Stimmen Nein haben 315 gestimmt. Damit ist die Beschlußemp- der Gruppe der PDS angenommen worden ist. fehlung abgelehnt.

Wir kommen zur 4. Beschlußempfehlung des Wahl- Endgültiges Ergebnis Hermann Bachmaier prüfungsausschusses zu Wahleinsprüchen gegen die Ernst Bahr Gültigkeit der Wahl zum 13. Deutschen Bundestag Abgegebene Stimmen: 623; Doris Barnett auf Drucksache 13/3532. Wer für diese Beschlußemp- davon Klaus Barthel Ingrid Becker-Inglau fehlung stimmt, den bitte ich um das Handzeichen. ja: 308 - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Dann stelle Wolfgang Behrendt ich fest, daß die Beschlußempfehlung gegen die nein: 315 Hans-Werner Bertl Friedhelm Julius Beucher Stimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und Rudolf Bindig bei Stimmenthaltung der Gruppe der PDS angenom- Ja Arne Börnsen (Ritterhude) men worden ist. Anni Brandt-Elsweier Tilo Braune Wir kommen zur Beschlußempfehlung des Rechts- SPD Dr. Eberhard Brecht ausschusses zu Streitsachen vor dem Bundesverfas- Edelgard Bulmahn sungsgericht, Drucksache 13/3653. Das ist die Uber- Brigitte Adler Ursula Burchardt sicht 3. Wer für die Beschlußempfehlung des Rechts- Gerd Andres Hans Martin Bury 7582 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 86. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. Februar 1996

Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch Hans Büttner (Ingolstadt) Fritz Rudolf Körper Wilhelm Schmidt (Salzgitter) Annelie Buntenbach Marion Caspers-Merk Nicolette Kressl Regina Schmidt-Zadel Amke Dietert-Scheuer Wolf-Michael Catenhusen Volker Kröning Heinz Schmitt (Berg) Franziska Eichstädt-Bohlig Peter Conradi Thomas Krüger Dr. Emil Schnell Dr. Uschi Eid Dr. Herta Däubler-Gmelin Horst Kubatschka Walter Schöler Andrea Fischer (Berlin) Christel Deichmann Eckart Kuhlwein Ottmar Schreiner Joseph Fischer (Frankfurt) Karl Diller Konrad Kunick Gisela Schröter Rita Grießhaber Dr. Marliese Dobberthien Christine Kurzhals Dr. Mathias Schubert Gerald Häfner Peter Dreßen Dr. Uwe Küster Brigitte Schulte (Hameln) Antje Hermenau Rudolf Dreßler Werner Labsch Reinhard Schultz Kristin Heyne Freimut Duve Brigitte Langé (Everswinkel) Ulrike Höfken Ludwig Eich Detlev von Larcher Volkmar Schultz (Köln) Michaele Hustedt Peter Enders Waltraud Lehn Dr. R. Werner Schuster Dr. Manuel Kiper Gernot Erler Klaus Lennartz Dietmar Schütz (Oldenburg) Monika Knoche Petra Ernstberger Dr. Elke Leonhard Dr. Angelica Schwall-Düren Dr. Angelika Köster-Loßack Annette Faße Klaus Lohmann (Witten) Ernst Schwanhold Steffi Lemke Elke Ferner Christa Lörcher Rolf Schwanitz Vera Lengsfeld Lothar Fischer (Homburg) Erika Lotz Bodo Seidenthal Dr. Helmut Lippelt Gabriele Fograscher Dr. Christine Lucyga Lisa Seuster Oswald Metzger Iris Follak Dieter Maaß (Herne) Horst Sielaff Kerstin Müller (Köln) Norbert Formanski Winfried Mante Erika Simm Winfried Nachtwei Dagmar Freitag Dorle Marx Johannes Singer Christa Nickels Anke Fuchs (Köln) Ulrike Mascher Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast Cern Özdemir Katrin Fuchs (Verl) Christoph Matschie Wieland Sorge Gerd Poppe Arne Fuhrmann Ingrid Matthäus-Maier Wolfgang Spanier Simone Probst Monika Ganseforth Heide Mattischeck Dr. Dietrich Sperling Dr. Jürgen Rochlitz Norbert Gansel Markus Meckel Jörg-Otto Spiller Halo Saibold Konrad Gilges Ulrike Mehl Antje-Marie Steen Christine Scheel Iris Gleicke Herbert Meißner Ludwig Stiegler Irmingard Schewe-Gerigk Günter Gloser Angelika Mertens Dr. Peter Struck Rezzo Schlauch Dr. Peter Glotz Dr. Jürgen Meyer (Ulm) Jörg Tauss Albert Schmidt (Hitzhofen) Günter Graf (Friesoythe) Ursula Mogg Dr. Bodo Teichmann Wolfgang Schmitt Angelika Graf (Rosenheim) Siegmar Mosdorf Jella Teuchner (Langenfeld) Dieter Grasedieck Michael Müller (Düsseldorf) Dr. Gerald Thalheim Ursula Schönberger Achim Großmann Jutta Müller (Völklingen) Wolfgang Thierse Werner Schulz (Berlin) Karl Hermann Haack Christian Müller (Zittau) Dietmar Thieser Rainder Steenblock (Extertal) Volker Neumann (Bramsche) Franz Thönnes Marina Steindor Hans-Joachim Hacker Gerhard Neumann (Gotha) Uta Titze-Stecher Christian Sterzing Klaus Hagemann Dr. Edith Niehuis Adelheid Tröscher Manfred Such Manfred Hampel Dr. Rolf Niese Hans-Eberhard Urbaniak Dr. Antje Vollmer Christel Hanewinckel Doris Odendahl Siegfried Vergin Alfred Hartenbach Günter Oesinghaus Günter Verheugen Ludger Volmer Dr. Liesel Hartenstein Leyla Onur Ute Vogt (Pforzheim) Helmut Wilhelm (Amberg) Klaus Hasenfratz Manfred Opel Hans Georg Wagner Margareta Wolf (Frankfurt) Dr. Ingomar Hauchler Adolf Ostertag Dr. Konstanze Wegner Dieter Heistermann Kurt Palis Wolfgang Weiermann Reinhold Hemker Albrecht Papenroth Reinhard Weis (Stendal) PDS Rolf Hempelmann Dr. Willfried Penner Matthias Weisheit Dr. Barbara Hendricks Dr. Martin Pfaff Gunter Weißgerber Wolfgang Bierstedt Monika Heubaum Georg Pfannenstein Gert Weisskirchen (Wiesloch) Petra Bläss Uwe Hiksch Dr. Eckhart Pick Jochen Welt Eva Bulling-Schröter Reinhold Hiller (Lübeck) Joachim Poß Hildegard Wester Heinrich Graf von Einsiedel Stephan Hilsberg Rudolf Purps Lydia Westrich Dr. Ludwig Elm Gerd Höfer Karin Rehbock-Zureich Inge Wettig-Danielmeier Dr. Dagmar Enkelmann Frank Hofmann (Volkach) Margot von Renesse Dr. Norbert Wieczorek Dr. Ruth Fuchs Ingrid Holzhüter Renate Rennebach Helmut Wieczorek (Duisburg) Dr. Gregor Gysi Erwin Horn Otto Reschke Heidemarie Wieczorek-Zeul Hanns-Peter Ha rtmann Eike Hovermann Bernd Reuter Dieter Wiefelspütz Dr. Uwe-Jens Heuer Lothar Ibrügger Dr. Edelbert Richter Berthold Wittich Dr. Barbara Höll Wolfgang Ilte Günter Rixe Dr. Wolfgang Wodarg Dr. Willibald Jacob Barbara Imhof Reinhold Robbe Hanna Wolf (München) Ulla Jelpke Brunhilde Irber Gerhard Rübenkönig Heidi Wright Gerhard Jüttemann Renate Jäger Dr. Hansjörg Schäfer Uta Zapf Dr. Heidi Knake-Werner Jann-Peter Janssen Gudrun Schaich-Walch Dr. Christoph Zöpel Rolf Köhne Ilse Janz Dieter Schanz Peter Zumkley Rolf Kutzmutz Dr. Uwe Jens Rudolf Scharping Andrea Lederer Volker Jung (Düsseldorf) Bernd Scheelen Dr. Christa Luft Sabine Kaspereit Dr. Hermann Scheer BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN Heidemarie Lüth Susanne Kastner Siegfried Scheffler Dr. Günther Maleuda Ernst Kastning Horst Schild Gila Altmann (Aurich) Manfred Müller (Berlin) Hans-Peter Kemper Otto Schily Elisabeth Altmann Rosel Neuhäuser Klaus Kirschner Günter Schluckebier (Pommelsbrunn) Dr. Uwe-Jens Rössel Marianne Klappert Horst Schmidbauer Marieluise Beck (Bremen) Christina Schenk Siegrun Klemmer (Nürnberg) Volker Beck (Köln) Klaus-Jürgen Warnick Hans-Ulrich Klose Ulla Schmidt (Aachen) Angelika Beer Dr. Winfried Wolf Dr. Hans-Hinrich Knaape Dagmar Schmidt (Meschede) Matthias Berninger Gerhard Zwerenz Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 86. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. Februar 1996 7583

Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch Nein Carl-Detlev Freiherr von Julius Louven Dietmar Schlee Hammerstein Sigrun Löwisch Ulrich Schmalz Gottfried Haschke Heinrich Lummer Bernd Schmidbauer CDU/CSU (Großhennersdorf) Dr. Michael Luther Dr.-Ing. Joachim Schmidt Gerda Hasselfeldt Erich Maaß (Wilhelmshaven) (Halsbrücke) Ulrich Adam Otto Hauser (Esslingen) Dr. Dietrich Mahlo Andreas Schmidt (Mülheim) Peter Altmaier Hansgeorg Hauser Erwin Marschewski Hans-Otto Schmiedeberg Anneliese Augustin (Rednitzhembach) Dr. Martin Mayer Hans Peter Schmitz Jürgen Augustinowitz Klaus-Jürgen Hedrich (Siegertsbrunn) (Baesweiler) Dietrich Austermann Manfred Heise Wolfgang Meckelburg Michael von Schmude Heinz-Günter Bargfrede Dr. Renate Hellwig Rudolf Meinl Birgit Schnieber-Jastram Franz Peter Basten Ernst Hinsken Dr. Michael Meister Dr. Andreas Schockenhoff Dr. Wolf Bauer Peter Hintze Friedrich Merz Dr. Rupert Scholz Brigitte Baumeister Josef Holle rith Rudolf Meyer (Winsen) Reinhard Freiherr von Dr. Sabine Bergmann-Pohl Dr. Karl-Heinz Hornhues Hans Michelbach Schorlemer Hans-Dirk Bierling Siegfried Hornung Meinolf Michels Dr. Erika Schuchardt Dr. Joseph-Theodor Blank Joachim Hörster Dr. Gerd Müller Wolfgang Schulhoff Renate Blank Hubert Hüppe Elmar Müller (Kirchheim) Dr. Dieter Schulte Dr. Heribert Blens Peter Jacoby Engelbert Nelle (Schwäbisch Gmünd) Peter Bleser Susanne Jaffke Bernd Neumann (Bremen) Gerhard Schulz (Leipzig) Dr. Maria Böhmer Georg Janovsky Johannes Nitsch Frederick Schulze Jochen Borchert Helmut Jawurek Claudia Nolte Diethard Schütze (Berlin) Wolfgang Börnsen (Bönstrup) Dr. Dionys Jobst Dr. Rolf Olderog Clemens Schwalbe Wolfgang Bosbach Dr.-Ing. Rainer Jork Friedhelm Ost Dr. Christian Schwarz- Dr. Wolfgang Bötsch Michael Jung (Limburg) Eduard Oswald Schilling Klaus Brähmig Ulrich Junghanns Norbert Otto (Erfurt) Horst Seehofer Rudolf Braun (Auerbach) Dr. Egon Jüttner Dr. Gerhard Päselt Wilfried Seibel Paul Breuer Dr. Harald Kahl Hans-Wilhelm Pesch Heinz-Georg Seiffert Monika Brudlewsky Bartholomäus Kalb Ulrich Petzold Rudolf Seiters Georg Brunnhuber Steffen Kampeter Anton Pfeifer Johannes Selle Klaus Bühler (Bruchsal) Dr.-Ing. Dietmar Kansy Angelika Pfeiffer Bernd Siebert Hartmut Büttner Manfred Kanther Dr. Gero Pfennig Jürgen Sikora (Schönebeck) Irmgard Karwatzki Dr. Friedbert Pflüger Johannes Singhammer Dankward Buwitt Volker Kauder Beatrix Philipp Bärbel Sothmann Manfred Carstens (Emstek) Peter Keller Dr. Winfried Pinger Margarete Späte Peter Harry Carstensen Eckart von Klaeden Ronald Pofalla Wolfgang Steiger (Nordstrand) Dr. Bernd Klaußner Dr. Hermann Pohler Erika Steinbach Wolfgang Dehnel Hans Klein (München) Ruprecht Polenz Dr. Gerhard Stoltenberg Hubert Deittert Ulrich Klinkert Marlies Pretzlaff Andreas Storm Gertrud Dempwolf Hans-Ulrich Köhler Dr. Albert Probst Max Straubinger Albert Deß (Hainspitz) Dr. Bernd Protzner Matthäus Strebl Renate Diemers Manfred Kolbe Dieter Pützhofen Michael Stübgen Wilhelm Dietzel Norbert Königshofen Thomas Rachel Egon Susset Werner Dörflinger Eva-Maria Kors Hans Raidel Dr. Rita Süssmuth Hansjürgen Doss Hartmut Koschyk Dr. Peter Ramsauer Michael Teiser Dr. Alfred Dregger Manfred Koslowski Rolf Rau Dr. Susanne Tiemann Maria Eichhorn Thomas Kossendey Helmut Rauber Dr. Klaus Töpfer Wolfgang Engelmann Rudolf Kraus Peter Harald Rauen Gottfried Tröger Rainer Eppelmann Wolfgang Krause (Dessau) Otto Regenspurger Dr. Klaus-Dieter Uelhoff Heinz Dieter Eßmann Andreas Krautscheid Christa Reichard (Dresden) Gunnar Uldall Horst Eylmann Arnulf Kriedner Klaus Dieter Reichardt Dr. Horst Waffenschmidt Anke Eymer Heinz-Jürgen Kronberg (Mannheim) Alois Graf von Waldburg-Zeil Ilse Falk Dr.-Ing. Paul Krüger Dr. Bertold Reinartz Kersten Wetzel Jochen Feilcke Reiner Krziskewitz Erika Reinhardt Hans-Otto Wilhelm (Mainz) Dr. Karl H. Fell Dr. Hermann Kues Hans-Peter Repnik Gert Willner Ulf Fink Werner Kuhn Roland Richter Bernd Wilz Dirk Fischer (Hamburg) Dr. Karl A. Lamers Roland Richwien Willy Wimmer (Neuss) Klaus Francke (Hamburg) (Heidelberg) Dr. Norbert Rieder Matthias Wissmann Herbert Frankenhauser Karl Lamers Dr. Erich Riedl (München) Simon Wittmann Dr. Gerhard Friedrich Dr. Norbert Lammert Klaus Riegert (Tännesberg) Erich G. Fritz Helmut Lamp Franz Romer Dagmar Wöhrl Hans-Joachim Fuchtel Armin Laschet Hannelore Rönsch Michael Wonneberger Michaela Geiger Herbert Lattmann (Wiesbaden) Elke Wülfing Norbert Geis Dr. Paul Laufs Heinrich-Wilhelm Ronsöhr Peter Kurt Würzbach Dr. Heiner Geißler Karl-Josef Laumann Dr. Klaus Rose Cornelia Yzer Michael Glos Werner Lensing Kurt J. Rossmanith Wolfgang Zeitlmann Wilma Glücklich Christian Lenzer Adolf Roth (Gießen) Wolfgang Zöller Dr. Reinhard Göhner Peter Letzgus Norbert Röttgen Peter Götz Editha Limbach Dr. Christian Ruck Dr. Wolfgang Götzer Walter Link (Diepholz) Ortrun Schätzle F.D.P. Kurt-Dieter G rill Eduard Lintner Dr. Wolfgang Schäuble Wolfgang Gröbl Dr. Klaus W. Lippold Hartmut Schauerte Ina Albowitz Hermann Gröhe (Offenbach) Heinz Schemken Dr. Gisela Babel Claus-Peter Grotz Dr. Manfred Lischewski Karl-Heinz Scherhag Hildebrecht Braun Manfred Grund Wolfgang Lohmann Gerhard Scheu (Augsburg) Horst Günther (Duisburg) (Lüdenscheid) Norbert Schindler Günther Bredehorn 7584 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 86. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. Februar 1996

Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch Jörg van Essen Dr. Otto Graf Lambsdorff Claus-Peter Grotz Dr. Manfred Lischewski Dr. Olaf Feldmann Sabine Leutheusser- Manfred Grund Wolfgang Lohmann Gisela Frick Schnarrenberger Horst Günther (Duisburg) (Lüdenscheid) Paul K. Friedhoff Uwe Lühr Carl-Detlev Freiherr von Julius Louven Horst Fried rich Jürgen W. Möllemann Hammerstein Sigrun Löwisch Rainer Funke Günther Friedrich Nolting Gottfried Haschke Heinrich Lummer Hans-Dietrich Genscher Dr. Rainer Ortleb (Großhennersdorf) Dr. Michael Luther Dr. Wolfgang Gerhardt Lisa Peters Gerda Hasselfeldt Erich Maaß (Wilhelmshaven) Joachim Günther (Plauen) Dr. Klaus Röhl Otto Hauser (Esslingen) Dr. Dietrich Mahlo Dr. Karlheinz Guttmacher Hansgeorg Helmut Schäfer (Mainz) Hauser Erwin Marschewski Dr. Helmut Haussmann (Rednitzhembach) Dr. Martin Mayer Cornelia Schmalz-Jacobsen Ulrich Heinrich Klaus-Jürgen Hedrich (Siegertsbrunn) Dr. Edzard Schmidt-Jortzig Walter Hirche Manfred Heise Wolfgang Meckelburg Dr. Burkhard Hirsch Dr. Irmgard Schwaetzer Dr. Renate Hellwig Rudolf Meinl Birgit Homburger Dr. Hermann Otto Sohns Ernst Hinsken Dr. Michael Meister Dr. Werner Hoyer Dr. Max Stadler Peter Hintze Rudolf Meyer (Winsen) Ulrich Irmer Carl-Ludwig Thiele Josef Hollerith Hans Michelbach Detlef Kleinert (Hannover) Dr. Dieter Thomae Dr. Karl-Heinz Hornhues Meinolf Michels Dr. Heinrich L. Kolb Jürgen Türk Siegfried Hornung Dr. Gerd Müller Jürgen Koppelin Dr. Wolfgang Weng Joachim Hörster Elmar Müller (Kirchheim) Dr.-Ing. Karl-Hans Laermann (Gerlingen) Hubert Hüppe Engelbert Nelle Peter Jacoby Bernd Neumann (Bremen) Susanne Jaffke Johannes Nitsch Dann gebe ich das von den Schriftführerinnen und Georg Janovsky Claudia Nolte Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Helmut Jawurek Dr. Rolf Olderog Abstimmung über die Empfehlung des Vermittlungs- Dr. Dionys Jobst Friedhelm Ost ausschusses zum Arbeitnehmer-Entsendegesetz auf Dr.-Ing. Rainer Jork Eduard Oswald Drucksache 13/3663 bekannt. Abgegebene Stirn- Michael Jung (Limburg) Norbert Otto (Erfu rt) men: 614. Mit Ja haben 598 gestimmt, mit Nein 11, Ulrich Junghanns Dr. Gerhard Päselt 5 haben sich enthalten. Damit ist die Beschlußemp- Dr. Egon Jüttner Hans-Wilhelm Pesch Dr. Harald Kahl Ulrich Petzold fehlung angenommen. Bartholomäus Kalb Angelika Pfeiffer Steffen Kampeter Dr. Gero Pfennig Dr.-Ing. Dietmar Kansy Dr. Friedbert Pflüger Endgültiges Ergebnis Hartmut Büttner Manfred Kanther Beatrix Philipp (Schönebeck) Irmgard Karwatzki Dr. Winfried Pinger Abgegebene Stimmen: 613; Dankward Buwitt Volker Kauder Ronald Pofalla Manfred Carstens (Emstek) davon Peter Keller Dr. Hermann Pohler Peter Harry Carstensen Eckart von Klaeden Ruprecht Polenz ja: 597 (Nordstrand) Dr. Bernd Klaußner Marlies Pretzlaff nein: 11 Wolfgang Dehnel Hans Klein (München) Dr. Albert Probst Hubert Deittert enthalten: 5 Ulrich Klinkert Dieter Pützhofen Gertrud Dempwolf Hans-Ulrich Köhler Thomas Rachel Albert Deß (Hainspitz) Hans Raidel Ja Renate Diemers Manfred Kolbe Dr. Peter Ramsauer Wilhelm Dietzel Norbert Königshofen Rolf Rau Werner Dörflinger Eva-Maria Kors Helmut Rauber Dr. Alfred Dregger CDU/CSU Hartmut Koschyk Peter Harald Rauen Maria Eichhorn Manfred Koslowski Otto Regenspurger Wolfgang Engelmann Ulrich Adam Thomas Kossendey Christa Reichard (Dresden) Rainer Eppelmann Peter Altmaier Rudolf Kraus Klaus Dieter Reichardt Heinz Dieter Eßmann Anneliese Augustin Wolfgang Krause (Dessau) (Mannheim) Horst Eylmann Jürgen Augustinowitz Andreas Krautscheid Dr. Bertold Reinartz Anke Eymer Erika Reinhardt Dietrich Austermann Arnulf Kriedner Ilse Falk Heinz-Jürgen Kronberg Hans-Peter Repnik Heinz-Günter Bargfrede Jochen Feilcke Dr.-Ing. Paul Krüger Roland Richter Franz Peter Basten Dr. Karl H. Fell Reiner Krziskewitz Roland Richwien Brigitte Baumeister Ulf Fink Dr. Hermann Kues Dr. Norbert Rieder Dr. Sabine Bergmann-Pohl Dirk Fischer (Hamburg) Werner Kuhn Dr. Erich Riedl (München) Hans-Dirk Bierling Klaus Francke (Hamburg) Dr. Karl A. Lamers Klaus Riegert Dr. Joseph-Theodor Blank Herbert Frankenhauser (Heidelberg) Franz Romer Renate Blank Dr. Gerhard Fried rich Karl Lamers Hannelore Rönsch Dr. Heribert Blens Erich G. Fritz Dr. Norbert Lammert (Wiesbaden) Peter Bleser Hans-Joachim Fuchtel Helmut Lamp Heinrich-Wilhelm Ronsöhr Dr. Norbert Blüm Michaela Geiger Armin Laschet Dr. Klaus Rose Dr. Maria Böhmer Norbert Geis Herbert Lattmann Kurt J. Rossmanith Jochen Borchert Dr. Heiner Geißler Dr. Paul Laufs Adolf Roth (Gießen) Wolfgang Börnsen (Bönstrup) Michael Glos Karl-Josef Laumann Norbert Röttgen Wolfgang Bosbach Wilma Glücklich Werner Lensing Dr. Christian Ruck Dr. Wolfgang Bötsch Dr. Reinhard Göhner Christian Lenzer Ortrun Schätzle Klaus Brähmig Peter Götz Peter Letzgus Dr. Wolfgang Schäuble Rudolf Braun (Auerbach) Dr. Wolfgang Götzer Editha Limbach Hartmut Schauerte Paul Breuer Joachim Gres Walter Link (Diepholz) Heinz Schemken Monika Brudlewsky Kurt-Dieter Grill Eduard Lintner Karl-Heinz Scherhag Georg Brunnhuber Wolfgang Gröbl Dr. Klaus W. Lippold Gerhard Scheu Klaus Bühler (Bruchsal) Hermann Gröhe (Offenbach) Norbert Schindler Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 86. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. Februar 1996 7585

Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch Dietmar Schlee Hans-Werner Bertl Dr. Uwe Jens Rudolf Scharping Ulrich Schmalz Friedhelm Julius Beucher Volker Jung (Düsseldorf) Bernd Scheelen Bernd Schmidbauer Rudolf Bindig Sabine Kaspereit Dr. Hermann Scheer Dr.-Ing. Joachim Schmidt Arne Börnsen (Ritterhude) Susanne Kastner Siegfried Scheffler (Halsbrücke) Anni Brandt-Elsweier Ernst Kastning Horst Schild Andreas Schmidt (Mülheim) Tilo Braune Hans-Peter Kemper Otto Schily Hans-Otto Schmiedeberg Dr. Eberhard Brecht Klaus Kirschner Günter Schluckebier Michael von Schmude Edelgard Bulmahn Marianne Klappert Horst Schmidbauer Birgit Schnieber-Jastram Ursula Burchardt Siegrun Klemmer (Nürnberg) Dr. Andreas Schockenhoff Hans Martin Bury Hans-Ulrich Klose Ulla Schmidt (Aachen) Dr. Rupert Scholz Hans Büttner (Ingolstadt) Dr. Hans-Hinrich Knaape Dagmar Schmidt (Meschede) Reinhard Freiherr von Marion Caspers-Merk Fritz Rudolf Körper Wilhelm Schmidt (Salzgitter) Schorlemer Wolf-Michael Catenhusen Nicolette Kressl Regina Schmidt-Zadel Dr. Erika Schuchardt Peter Conradi Volker Kröning Heinz Schmitt (Berg) Wolfgang Schulhoff Dr. Herta Däubler-Gmelin Thomas Krüger Dr. Emil Schnell Dr. Dieter Schulte Christel Deichmann Horst Kubatschka Walter Schöler (Schwäbisch Gmünd) Karl Diller Eckart Kuhlwein Ottmar Schreiner Gerhard Schulz (Leipzig) Dr. Marliese Dobberthien Konrad Kunick Gisela Schröter Frederick Schulze Peter Dreßen Christine Kurzhals Dr. Mathias Schube rt Diethard Schütze (Berlin) Rudolf Dreßler Dr. Uwe Küster Brigitte Schulte (Hameln) Clemens Schwalbe Freimut Duve Werner Labsch Dr. Christian Schwarz Ludwig Eich Brigitte Lange Reinhard Schultz Schilling Peter Enders Detlev von Larcher (Everswinkel) Horst Seehofer Gernot Erler Waltraud Lehn Volkmar Schultz (Köln) Wilfried Seibel Petra Ernstberger Klaus Lennartz Dr. R. Werner Schuster Heinz-Georg Seiffert Annette Faße Dr. Elke Leonhard Dietmar Schütz (Oldenburg) Rudolf Seiters Elke Ferner Klaus Lohmann (Witten) Dr. Angelica Schwall-Düren - Johannes Selle Lothar Fischer (Homburg) Christa Lörcher Rolf Schwanitz Bernd Siebert Gabriele Fograscher Erika Lotz Bodo Seidenthal Jürgen Sikora Iris Follak Dr. Christine Lucyga Lisa Seuster Johannes Singhammer Norbert Formanski Dieter Maaß (Herne) Horst Sielaff Bärbel Sothmann Dagmar Freitag Winfried Mante Erika Simm Margarete Späte Anke Fuchs (Köln) Dorle Marx Johannes Singer Wolfgang Steiger Katrin Fuchs (Verl) Ulrike Mascher Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast Erika Steinbach Arne Fuhrmann Christoph Matschie Wieland Sorge Dr. Gerhard Stoltenberg Monika Ganseforth Ingrid Matthäus-Maier Wolfgang Spanier Andreas Storm Norbert Gansel Heide Mattischeck Dr. Dietrich Sperling Max Straubinger Konrad Gilges Markus Meckel Jörg-Otto Spiller Matthäus Strebl Iris Gleicke Ulrike Mehl Antje-Marie Steen Michael Stübgen Günter Gloser Herbert Meißner Ludwig Stiegler Egon Susset Dr. Peter Glotz Angelika Mertens Dr. Peter Struck Dr. Rita Süssmuth Günter Graf (Friesoythe) Dr. Jürgen Meyer (Ulm) Jörg Tauss Michael Teiser Angelika Graf (Rosenheim) Ursula Mogg Dr. Bodo Teichmann Dr. Susanne Tiemann Dieter Grasedieck Siegmar Mosdorf Jella Teuchner Dr. Klaus Töpfer Achim Großmann Michael Müller (Düsseldorf) Dr. Gerald Thalheim Gottfried Tröger Karl Hermann Haack Jutta Müller (Völklingen) Wolfgang Thierse Dr. Klaus-Dieter Uelhoff (Extertal) Christian Müller (Zittau) Dietmar Thieser Gunnar Uldall Hans-Joachim Hacker Volker Neumann (Bramsche) Franz Thönnes Dr. Horst Waffenschmidt Klaus Hagemann Gerhard Neumann (Gotha) Uta Titze-Stecher Alois Graf von Waldburg-Zeil Manfred Hampel Dr. Edith Niehuis Adelheid Tröscher Kersten Wetzel Christel Hanewinckel Dr. Rolf Niese Hans-Eberhard Urbaniak Hans-Otto Wilhelm (Mainz) Alfred Hartenbach Doris Odendahl Siegfried Vergin Gert Willner Dr. Liesel Hartenstein Günter Oesinghaus Günter Verheugen Bernd Wilz Klaus Hasenfratz Leyla Onur Ute Vogt (Pforzheim) Willy Wimmer (Neuss) Dr. Ingomar Hauchler Manfred Opel Hans Georg Wagner Matthias Wissmann Dieter Heistermann Adolf Ostertag Dr. Konstanze Wegner Simon Wittmann Reinhold Hemker Kurt Palis Wolfgang Weiermann (Tännesberg) Rolf Hempelmann Albrecht Papenroth Reinhard Weis (Stendal) Dagmar Wöhrl Dr. Barbara Hendricks Dr. Willfried Penner Gunter Weißgerber Michael Wonneberger Monika Heubaum Dr. Martin Pfaff Elke Wülfing Uwe Hiksch Georg Pfannenstein Gert Weisskirchen (Wiesloch) Peter Kurt Würzbach Reinhold Hiller (Lübeck) Dr. Eckha rt Pick Jochen Welt Cornelia Yzer Stephan Hilsberg Joachim Poß Hildegard Wester Wolfgang Zeitlmann Gerd Höfer Rudolf Purps Lydia Westrich Wolfgang Zöller Frank Hofmann (Volkach) Karin Rehbock-Zureich Inge Wettig-Danielmeier Ingrid Holzhüter Margot von Renesse Dr. Norbert Wieczorek Erwin Horn Renate Rennebach Helmut Wieczorek (Duisburg) SPD Eike Hovermann Otto Reschke Heidemarie Wieczorek-Zeul Lothar Ibrügger Bernd Reuter Dieter Wiefelspütz Brigitte Adler Wolfgang Ilte Dr. Edelhert Richter Berthold Wittich Gerd Andres Barbara Imhof Günter Rixe Dr. Wolfgang Wodarg Hermann Bachmaier Brunhilde Irber Reinhold Robbe Hanna Wolf (München) Ernst Bahr Gabriele Iwersen Gerhard Rübenkönig Heidi Wright Doris Barnett Renate Jäger Dr. Hansjörg Schäfer Uta Zapf Klaus Barthel Jann-Peter Janssen Gudrun Schaich-Walch Dr. Christoph Zöpel Ingrid Becker-Inglau Ilse Janz Dieter Schanz Peter Zumkley 7586 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 86. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. Februar 1996

Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN Dr. Hermann Otto Solms Nun kommen wir zu Tagesordnungspunkt 8: Dr. Max Stadler Gila Altmann (Aurich) Carl-Ludwig Thiele Zweite und Dritte Beratung des Entwurfs ei- Elisabeth Altmann Dr. Dieter Thomae nes Ersten Gesetzes zur Änderung des Asyl- (Pommelsbrunn) Jürgen Türk bewerberleistungsgesetzes und anderer Ge- Marieluise Beck (Bremen) Dr. Wolfgang Weng setze Angelika Beer (Gerlingen) Matthias Berninger - Drucksachen 13/2746, 13/3475 - Annelie Buntenbach Amke Dietert-Scheuer PDS (Erste Beratung 65. und 80. Sitzung) Franziska Eichstädt-Bohlig Andrea Fischer (Berlin) Wolfgang Bierstedt a) Beschlußempfehlung und Be richt des Aus- Joseph Fischer (Frankfurt) Petra Bläss schusses für Gesundheit (14. Ausschuß) Rita Grießhaber Eva Bulling-Schröter Gerald Häfner Heinrich Graf von Einsiedel - Drucksache 13/3720, 13/3728 - Kristin Heyne Dr. Ludwig Elm Berichterstattung: Ulrike Höfken Dr. Dagmar Enkelmann Abgeordneter Ulf Fink Michaele Hustedt Dr. Ruth Fuchs Dr. Manuel Kiper Dr. Gregor Gysi b) Bericht des Haushaltsausschusses (8. Aus Monika Knoche Hanns-Peter Ha rtmann schuß) gemäß § 96 der Geschäftsordnung Dr. Angelika Köster-Loßack Dr. Uwe-Jens Heuer Steffi Lemke Dr. Barbara Höll - Drucksache 13/3721 - Vera Lengsfeld Dr. Willibald Jacob Dr. Helmut Lippelt Gerhard Jüttemann Berichterstattung: Oswald Metzger Dr, Heidi Knake-Werner Abgeordnete Antje Hermenau Kerstin Müller (Köln) Rolf Köhne Roland Sauer (Stuttgart) - Winfried Nachtwei Rolf Kutzmutz Gerhard Rübenkönig Christa Nickels Andrea Lederer Cem Özdemir Dr. Christa Luft Dr. Wolfgang Weng (Gerlingen) Gerd Poppe Heidemarie Lüth Dazu liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion Simone Probst Dr. Günther Maleuda Bündnis 90/Die Grünen vor, über den wir nach der Dr. Jürgen Rochlitz Manfred Müller (Berlin) Halo Saibold Rosel Neuhäuser Aussprache namentlich abstimmen werden. Christine Scheel Dr. Uwe-Jens Rössel Außerdem liegt ein Änderungsantrag der Gruppe Irmingard Schewe-Gerigk Klaus-Jürgen Warnick Rezzo Schlauch Dr. Winfried Wolf der PDS vor. Die PDS beantragt, über diesen Ände- Albert Schmidt (Hitzhofen) rungsantrag namentlich abzustimmen. Nach unserer Wolfgang Schmitt Geschäftsordnung kann eine namentliche Abstim- (Langenfeld) Nein mung nur von einer Fraktion oder von mindestens Ursula Schönberger 34 Abgeordneten verlangt werden. Ob der Antrag Werner Schulz (Berlin) der PDS auf namentliche Abstimmung das erforderli- Rainder Steenblock CDU/CSU che Quorum erreicht, werde ich nach der Aussprache Marina Steindor Christian Sterzing Friedrich Merz feststellen. Manfred Such Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat ist für die Dr. Antje Vollmer Ludger Volmer F.D.P. Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich Helmut Wilhelm (Amberg) sehe keinen Widerspruch. Dann ist dies so beschlos- Margareta Wolf (Frankfurt) Dr. Gisela Babel sen. Hildebrecht Braun (Augsburg) Ich eröffne die Aussprache und gebe das Wort dem F.D.P. Günther Bredehorn Abgeordenten Ulf Fink. Gisela Frick Ina Albowitz Jürgen Koppelin (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine sehr Jörg van Essen Dr. Otto Graf Lambsdorff Ulf Fink Dr. Olaf Feldmann Sabine Leutheusser- verehrten Damen und Herren! Es sind jetzt mehr als Paul K. Friedhoff Schnarrenberger drei Monate her, seit wir den zur Debatte stehenden Horst Friedrich Uwe Lühr Gesetzentwurf in erster Lesung im Deutschen Bun- Rainer Funke Dr. Klaus Röhl destag beraten haben. Seitdem hat eine intensive Hans-Dietrich Genscher Cornelia Schmalz-Jacobsen Auseinandersetzung mit den Inhalten des Gesetzent- Dr. Wolfgang Gerhardt wurfes stattgefunden. In einer großen öffentlichen Joachim Günther (Plauen) Anhörung haben wir im November alle Betroffenen Dr. Karlheinz Guttmacher Enthalten Dr. Helmut Haussmann zu Wort kommen lassen. Wir haben die Argumente Ulrich Heinrich gewogen. Um es vorwegzunehmen: Trotz einiger kri- Walter Hirche F.D.P. tischer Stellungnahmen ist die Regierungskoalition Dr. Burkhard Hirsch zu der Überzeugung gekommen, daß der Gesetzent- Dr. Werner Hoyer Birgit Homburger wurf insgesamt tragfähig ist. Ulrich Irmer Dr. Heinrich L. Kolb Detlef Kleinert (Hannover) Dr. Irmgard Schwaetzer In Zukunft werden - mit Ausnahme der Kriegs- Dr.-Ing. Karl-Hans Laermann und Bürgerkriegsflüchtlinge - alle Asylbewerber Jürgen W. Möllemann und Ausländer, die sich nur vorübergehend in Günther Friedrich Nolting PDS Deutschland aufhalten, gleiche Leistungen erhalten. Dr. Rainer Ortleb Lisa Peters Ulla Jelpke Sie werden Sachleistungen erhalten. Diese Sachlei- Helmut Schäfer (Mainz) Christina Schenk stungen haben entgegen manchem, was vorgetragen Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 86. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. Februar 1996 7587

Ulf Fink wird, einen beachtlichen Umfang. Denn sie decken für sie entstehen. Die Voraussetzung dafür ist, daß den Bedarf an Nahrung, an Unterkunft, an Heizung, die Länder ihre Entlastungen an die Gemeinden wei- Kleidung, Gesundheits- und Körperpflege und den tergeben. Es muß endlich Schluß damit sein, daß wir Gebrauchsgütern des Haushaltes ab. Zur Sachlei- im Bund Gesetze verabschieden, die letztlich den stung kommt noch einmal ein monatlicher Geldbe- Gemeinden dienen sollen, und an den klebrigen trag von 80 DM für Erwachsene und von 40 DM für Händen der Länder die Mittel hängenbleiben und Kinder zur Deckung der persönlichen Bedürfnisse nicht an die Gemeinden weitergegeben werden. des täglichen Lebens hinzu. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Ich glaube, man kann mit Fug und Recht sagen: Durch die verschiedenen Steuergesetze und durch Menschen, die ihr Heimatland aus religiösen, politi- die Finanzausgleichsabkommen zwischen Bund und schen oder ethnischen Gründen verlassen mußten, Ländern ist die Steuerkraft der Länder in den vier können auch in Zukunft in der Bundesrepublik Jahren von 1992 bis 1995 - dafür liegen mir die Deutschland menschenwürdig leben. Daten vor - um 25 Prozent gestiegen. Die Zuweisun- Dies gilt auch für die gesundheitliche Versorgung, gen an die Gemeinden sind in diesem Zeitraum aber die in dem öffentlichen Hearing einen verhältnismä- lediglich um 8,7 Prozent gesteigert worden. Wären ßig breiten Raum eingenommen hat. Die Behaup- die Länder mit ihren Kommunen fair umgegangen, tung, daß diesen Menschen der solidarische Kran- dann hätten die Kommunen im Jahre 1995 sage und kenschutz entzogen würde, daß kranke Menschen in schreibe 7,2 Milliarden DM mehr im Stadtsäckel einem der reichsten Länder der Erde einfach fallen- gehabt. Das haben ihnen die Länder vorenthalten. gelassen würden, daß die Menschen nur mit Das ist ein Skandal. Schmerzmitteln vollgestopft und Ärzte Vollstrecker (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) einer falschen Politik würden, ist schlichtweg falsch. Auch bei der sind die eigent- (Beifall bei der CDU/CSU) Pflegeversicherung lich für die Gemeinden gedachten Entlastungen von Die Realität ist eine ganz andere. Der nun wirklich den Ländern nicht weitergegeben worden, von dem unverdächtige Verein für öffentliche und private Für- Skandal der bislang unterlassenen Investitionen der sorge, in dem die Kommunen und die Wohlfahrtsver- Länder für die stationären Pflegeeinrichtungen ganz bände Deutschlands vertreten sind, bescheinigt zu schweigen. knapp und sachlich, daß durch die §§ 4 und 6 des (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Asylbewerberleistungsgesetzes eine ausreichende medizinische Betreuung gewährleistet ist. Auch die Wir könnten uns miteinander viele Gespräche über Praktiker aus den Kommunen haben uns versichert, das Thema, wie viel Menschen denn nun von der daß für die Asylbewerber die notwendige medizini- Sozialhilfe frei werden, wenn wir den stationären Teil sche Versorgung auch in Zukunft erbracht werden der Pflege einführen, sparen, ebenso die Unkenrufe, kann. die dabei insbesondere von seiten der Opposition immer wieder zu hören gewesen sind, wenn die Län- Gewiß, Schönheitskorrekturen haben wir in der der endlich ihren Verpflichtungen zur Finanzierung Vergangenheit nicht finanziert und werden wir auch der Investitionskosten nachkämen; denn dann könn- in Zukunft nicht finanzieren. Aber die gesundheitli- ten die Pflegesätze in den Heimen um 500 bis 600 DM che Versorgung der Menschen, die zu uns kommen, pro Monat niedriger ausfallen. Da sollten Sie Ihren weil sie in ihrem Heimatland an Leib und Leben Einfluß geltend machen, aber nicht allgemein lamen- bedroht sind, stellen wir sicher. Dies ist ein selbstver- tieren. ständliches Gebot der Humanität. Wir nehmen dieses Gebot ernst. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Die Arbeitslosenhilfe - um auf den zweiten Teil Die Reihe der Beispiele ist lang, wo die Länder den des Gesetzentwurfes zu sprechen zu kommen - ist Gemeinden die notwendigen Mittel vorenthalten eine besondere staatliche Fürsorgeleistung für haben. Deshalb haben wir im Gesundheitsausschuß Arbeitnehmer. Deshalb kann es zukünftig nicht mehr auf Vorschlag der Koalitionsfraktionen einen Ent- hingenommen werden, daß auch solche Arbeitslose schließungsantrag vorbereitet und beschlossen, der Arbeitslosenhilfe in Anspruch nehmen, die vor der die Länder dringend auffordert, die Entlastungen Arbeitslosenmeldung nicht oder jedenfalls nur kurze durch das Asylbewerberleistungsgesetz auf Heller Zeit Arbeitnehmer waren. und Pfennig an die Kommunen weiterzugeben. Es ist richtig: Es werden einige von diesen künftig (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Sozialhilfeleistungen in Anspruch nehmen müssen. Es ist auch richtig, daß die Sozialhilfe von den Wir haben uns im Ausschuß - auch auf Anregung Gemeinden gezahlt wird. Deshalb werden die des Bundesbeauftragten für den Datenschutz - aus- Gemeinden durch diesen Teil des Gesetzespaketes führlich mit dém Thema Datenschutz beschäftigt. Ich zusätzlich belastet. Allerdings: Länder und Gemein- denke, wir haben Lösungen gefunden, die auch von den werden durch das Asylbewerberleistungsgesetz allen Beteiligten jetzt getragen werden können. insgesamt stärker entlastet, als sie durch diese Maß- Auch in dem Ausschußbericht sind ja entsprechende nahme belastet werden. Formulierungen noch einmal ausdrücklich enthalten, so daß ich denke, daß die Bedenken, die in Sachen Wir haben den Gemeinden das Versprechen gege- Datenschutz vorgetragen worden sind, nunmehr als ben, daß per saldo keine zusätzlichen Belastungen ausgeräumt gelten können. 7588 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 86. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. Februar 1996

Ulf Fink Ich meine, wer gerecht mit diesem Gesetzentwurf gen war nicht die Entlastung der strapazierten kom- umgeht, wer sich die Zusammenhänge genau an- munalen Haushalte, sondern, wie wir meinen - und schaut und wer nicht eine vordergründige Betrach- das ist schlimm genug -, Abschreckung und Miß- tungsweise an den Tag legt, der wird sich sehr wohl brauch. Deshalb sind im Vergleich zur Sozialhilfe in der Lage sehen können, diesem Gesetzentwurf geringere Leistungen vorgesehen. Sie wollen Sach- zuzustimmen, und ich fordere auch Sie von seiten leistungen, und das wird zu Lasten der betroffenen der Opposition auf, Ihre Zustimmung nicht zu ver- Menschen gehen. weigern. Die SPD erreichte in mühsamen, bis an die (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge Schmerzgrenze gehenden Verhandlungen, daß ordneten der F.D.P.) beschlossen wurde, die Leistungen bis zum Abschluß des Asylverfahrens, längstens aber für zwölf Monate, und ausschließlich für Asylbewerber abzusenken. Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Ich erteile dem Abgeordneten Hans Urbaniak das Wort. Sie wollen dies auf 36 Monate ausdehnen. Das leh- nen wir selbstverständlich ab.

Hans-Eberhard Urbaniak (SPD): Herr Präsident! (Beifall bei der SPD) Meine Damen und Herren! Mit der Änderung des Unsere Befürchtungen hinsichtlich der inhumanen Asylbewerberleistungsgesetzes versucht die Bundes- Auswirkungen von Sachleistungen wurden in der regierung ein skandalöses Kompensationsgeschäft: Absenkung der Kosten für Asylbewerber und Flücht- Anhörung zum Änderungsgesetz bestätigt. Die linge gegen neue Sozialhilfeausgaben für Arbeits- Wohlfahrtsorganisationen, die Kirchen, der Flücht- lingskommissar - sie alle haben das lose, denen die Bundesregierung die originäre Sachleistungs- prinzip abgelehnt. Schließlich sind die Wohlfahrtsor- Arbeitslosenhilfe streicht. - ganisationen ja unmittelbar in diesem Brennpunkt Das Schicksal von Menschen in Not wird so zur beschäftigt, und ihr Rat sollte in einer solchen Situa- Verhandlungsmasse gegenüber finanziell strapazier- tion von uns ernst genommen werden. Dies aber ten Gemeinden degradiert, und 40 000 Betroffene haben Sie verworfen; das ist kein guter Zug. werden hier wohl die Dinge negativ sehen, die Sie mit dem Gesetz verbinden. Wir lehnen diesen Ver- Eine planwirtschaftliche Vollversorgung mit schiebebahnhof zu Lasten der Gemeinden selbstver- Lebensmitteln, Kleidung, Hygienebedarf ist, wie wir ständlich ab. meinen, auch bei gutem Willen auf anständige Art und Weise nicht zu gewährleisten. Auch ist die (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Rolf Gewährung von Sachleistungen für die Kommunen Kutzmutz [PDS]) in der Regel viel teurer. Da dies noch nicht einmal von der Bundesregierung bestritten wird, gehen wir Die geplante Gesetzesänderung bedeutet nicht nur davon aus, daß die Kosten angesichts der von der eine Verschlechterung der ohnehin kargen Lebens- Bundesregierung gewollten Ausdehnung auf bedingungen der Asylsuchenden; sie erweitert auch 500 Millionen DM ansteigen werden, wozu noch ein- den Empfängerkreis auf alle geduldeten Ausländer mal 250 Millionen DM an Organisationskosten kom- nach § 55 des entsprechenden Gesetzes, also auch men. Dies bedeutet eine Ausweitung der Belastun- auf Kriegs- und Bürgerkriegsflüchtlinge mit Aus- gen der Gemeinden. nahme derer, für die ein bundeseinheitlicher Abschiebestopp erlassen wurde. Mindestens so gravierend wie das Problem der Sachleistungen ist, daß für den über zwölf Monate Damit werden Verhandlungsergebnisse im Rah- hinausgehenden Zeitraum die Krankenversorgung men des Asylkompromisses zum Asylbewerberlei- auf, wie es heißt, „akute Schmerzfälle" beschränkt stungsgesetz revidiert, die für die SPD-Fraktion wird. Meine Damen und Herren, ich kann mich trotz unverzichtbare Bedingungen waren und sind. Sie meiner nun schon sehr langen Zugehörigkeit zum verlassen damit den gemeinsamen Konsens, den wir Deutschen Bundestag nicht daran erinnern, daß wir damals gefunden haben, meine Damen und Herren. jemals in Fragen der Krankenversicherung, der Vor- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) sorge und Versorgung, der ärztlichen Pflichten und der Patientenverantwortung einen Begriff wie „akute Bis zu diesem Asylkompromiß galt die Sozialhilfe Schmerzzustände" als Tatbestand verwendet hätten. als einheitlicher Leistungsrahmen für die in unseren Dies ist inhuman; das kann man doch nicht machen! Grenzen wohnenden Deutschen und Ausländer. Län- der und Kommunen forderten wegen zunehmender (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne- finanzieller Lasten für die gesamtstaatliche Aufgabe ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN der Flüchtlingsbetreuung Entlastung durch den und der PDS) Bund. Wer von Ihnen könnte denn nicht sagen, wie schwierig die finanzielle Situation in unseren Städten Was nun die Kosten angeht, so erwarten wir von und Gemeinden ist? Hier bürden Sie ihnen noch der Bundesregierung endlich die Zustimmung zu mehr auf, meine Damen und Herren. unserem Antrag zur Altfallregelung. Die Ge richte würden entlastet, die Verfahrensdauer könnte ver- Die Bundesregierung lehnte damals wie heute kürzt und Kosten könnten gespart werden. Vor allem sowohl eine Übernahme der Ausgaben für Flücht- aber würden die Verfahren für die wartenden Men- linge wie auch eine Kostenbeteiligung ab. Ihr vorran- schen humaner werden. Das ist für uns das Wichtig- giges Argument für geringere gesetzliche Leistun- ste. Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 86. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. Februar 1996 7589

Hans-Eberhard Urbaniak Wenn es der Bundesregierung um die Entlastung haben, kann ich der SPD diesen Vorwurf nicht erspa- der Kommunen und Länder geht, so soll sie endlich ren: Wenn Sie sich jetzt vorwurfsvoll an die Koaliti- den bisher nicht umgesetzten Teil des Asylkompro- onsfraktionen wenden und sagen, sie würden den

misses regeln, der Kriegs - und Bürgerkriegsflücht- Asylkompromiß aufkündigen, kann ich nur sagen: linge betrifft, und die Anwendung des § 32a des Sie hätten damals nicht mitmachen dürfen; denn Sie Ausländergesetzes ermöglichen, der diesen Men- haben damit für das geteilte Existenzminimum die schen einen besonderen Aufenthaltsstatus zusichert. Tür geöffnet. Warum haben wir denn zusammen diesen Konsens erarbeitet, warum haben wir diese Übereinstimmung (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN gefunden? Nun müssen Sie doch das, zu dem Sie und bei der PDS) damals gestanden haben, auch praktisch umsetzen. Der Kollege Fink hat eben bagatellisierend gesagt, Was ist denn ein Konsens sonst wert? Also verlangen in der Anhörung, die wir dazu gemacht haben, habe wir hier eine Umsetzung und Anwendung von § 32a. es einige Einwände gegen diesen Gesetzentwurf Sie sollten dies nun endlich machen. gegeben. Das halte ich in der Tat für eine sehr euphe- (Beifall bei der SPD) mistische Darstellung des Verlaufs der Anhörung. Sie sollten wenigstens einen Teil der Kosten über- (Beifall bei der PDS) nehmen. Darauf warten die Länder und die Kommu- nen bis heute. Wenn Sie das Kostenargument und Dort ist für mein Verständnis die Kritik, die am Sach- die Verschieberei der entsprechenden Beträge hier leistungsprinzip grundsätzlich zu üben ist, ganz reklamieren, dann sagen wir: Diese Kostenrechnung deutlich geworden. Es handelt sich hierbei um eine ist unseriös. Das ist ein Verschiebebahnhof. Das ist Verletzung der Menschenwürde und der Freiheit, das Prinzip Ihrer Politik: nämlich selbst darüber zu entscheiden, wie man seine Verpflegung organisiert. Wir haben viel über (Beifall des Abg. Dieter Wiefelspütz [SPD]) die mangelnde Qualität der Sachleistungen gehört, hin- und herschieben und ständig die Leute durch- auch daß sie mit dazu beiträgt, daß in den Sammella- einanderbringen, keine solide Finanzierung und gern gesundheitliche Probleme entstehen. Wir haben keine Entlastung der Kommunen. Wir lehnen daher außerdem von Praktikern der Verwaltung gehört, den Gesetzentwurf ab. daß es außerordentlich unpraktikabel ist, diese Sach- leistungen zu verteilen, und daß das einen hohen Die Grünen haben einen Entschließungsantrag logistischen Aufwand erfordert. eingebracht. Auch wir stimmen natürlich Punkt 1, der Zurückziehung dieses Gesetzes, zu. Wir können (Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ aber die Punkte 2 und 3 nicht billigen und werden CSU]: Geld verteilen ist einfacher! Das ist diese Entschließung daher bei der namentlichen klar!) Abstimmung ablehnen. Besonders eindrücklich war der Bericht über die Schönen Dank. Folgen der eingeschränkten medizinischen Versor- gung. Herr Kollege Fink, es ist geradezu polemisch, (Beifall bei der SPD) daß Sie davon sprechen, daß wir hier selbstverständ- lich nicht die Schönheitskorrekturen von Flüchtlin- Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Ich erteile der gen bezahlen könnten. Abgeordneten Andrea Fischer das Wo rt . (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Andrea Fischer (Berlin) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Es geht hier darum, daß mit diesem Gesetz darüber NEN): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! entschieden wird, daß, wenn jemand eine Krankheit Wir reden hier nicht nur über Kosten, die zwischen schon länger gehabt hat, er nicht behandelt wird, es verschiedenen Kostenträgern hin- und hergeschoben sei denn, er hat akute Schmerzen. werden, sondern wir reden hier vor allen Dingen über die Lebensumstände von Menschen, die auf der (Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ Flucht vor Verfolgung zu uns gekommen sind und CSU]: Das stimmt doch gar nicht!) um Hilfe gebeten haben. Deswegen möchte ich hier noch einmal in aller Deutlichkeit sagen: Es ist Das zwingt die Ärzte in eine völlig absurde Abwä- geradezu unmoralisch, die Kürzungen bei den Mit- gung hinein, wenn sie darüber entscheiden müssen, teln für Flüchtlinge vorzunehmen, um damit Kür- ob eine Erkrankung chronisch ist und ob sie diese so zungen bei den Mitteln für Behinderte und für Bezie- oder anders behandeln müssen. Das heißt, sie müs- her von originärer Arbeitslosenhilfe zu kompensie- sen sich entscheiden, ob sie sich an die Regeln des ren. Asylbewerberleistungsgesetzes halten oder an ihren ärztlichen Eid. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der PDS sowie bei Abgeordneten (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN der SPD) sowie bei Abgeordneten der PDS) Das Existenzminimum ist unteilbar. Es ist eine Schande für unser Land, wenn wir Menschen, die bei Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Frau Kollegin uns leben, in gleichen Umständen nicht alle gleich Fischer, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abge- behandeln. Herr Urbaniak, nach dem, was Sie gesagt ordneten Fink? 7590 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 86. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. Februar 1996

Andrea Fischer (Berlin) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- len Ebenen werden. Ich will noch eines ganz deutlich NEN): Ja. sagen: Es geht hier nicht nur um die Flüchtlinge, son- dern es geht um uns alle. Wollen wir in einem Land Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Bitte. leben, in dem wir die Menschenrechte für unter- schiedliche Gruppen unterschiedlich bewe rten?

Ulf Fink (CDU/CSU): Frau Kollegin Fischer, wür- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN den Sie mir bestätigen, daß in diesem Gesetzentwurf sowie bei Abgeordneten der SPD und der hinsichtlich der medizinischen Betreuung nur zwei PDS - Uwe Lühr [F:D.P.]: Das ist unglaub- Änderungen gegenüber dem geltenden Gesetzeszu- lich! Das war unter Ihrem Niveau!) stand enthalten sind? Das betrifft zum einen die Frage der Vergütung der Ärzte, die geregelt wird. Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Ich erteile nun Zum zweiten ist sogar eine Verbesserung in § 6 ein- der Abgeordneten Co rnelia Schmalz-Jacobsen das geführt worden, indem die Worte „dürfen nur" durch Wort. die Worte „können insbesondere" ersetzt werden? Das ist eine Verbesserung zugunsten der Asylbe- werber. Sind Sie bereit einzuräumen, daß in diesem Cornelia Schmalz-Jacobsen (F.D.P.): Herr Präsi- Gesetzentwurf die Frage, die Sie soeben angespro- dent! Meine Damen und Herren! Wir diskutieren hier chen haben, überhaupt nicht neu geregelt ist, son- vor dem Hintergrund dessen, was heute vormittag dern bereits geltendes Recht darstellt? lang und breit in diesem Haus mit aller Ernsthaftig- keit ausgeführt wurde. Andrea Fischer (Berlin) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (Beifall bei Abgeordneten der F.D.P.) NEN): Das ist richtig. Aber der Kollege Urbaniak - führte ganz zutreffend in der Begründung der Ableh- Wir diskutieren vor dem Hintergrund von 4,2 Mil- nung unseres Entschließungsantrags aus: Wir haben lionen Arbeitslosen, vor dem Hintergrund von Spar- das Asylbewerberleistungsgesetz von vornherein zwängen in diesem Land, und ich muß Ihnen sagen: abgelehnt. Deswegen können wir auch nicht erken- Wir können uns doch nicht ganz den Gefühlen der nen, daß es mit dem vorliegenden Gesetzentwurf aufnehmenden Bevölkerung verschließen, dahin gehend verbessert wurde, daß unserer grund- (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne- sätzlichen Kritik an der eingeschränkten medizini- ten der CDU/CSU) schen Versorgung Rechnung getragen worden wäre. ganz unabhängig davon, ob jemand einen deutschen (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS Paß hat oder einen ausländischen. Ich sehe mich SES 90/DIE GRÜNEN und der PDS) nicht in der Lage, das vollkommen beiseite zu schie- Wie ich bereits sagte, ist mit dem vorliegenden ben. Gesetzentwurf nicht das grundsätzliche Übel besei- tigt worden. Das stellt die Frage an unsere eigenen Was Sie, Herr Kollege Urbaniak, gemacht haben, humanitären Maßstäbe: Dürfen wir diese so kraß halte ich für nicht in Ordnung. Sie tun hier so, als sei mißachten? die Absenkung von Leistungen vollkommen gegen die SPD beschlossen worden. Das ist doch einfach Wir haben gestern bei der Diskussion um die nicht wahr. Die Länder - und zwar in schöner Ein- Arbeitslosenhilfe im Ausschuß deutlich gemerkt, daß heit - wollten eine viel stärkere Absenkung auf einen die Einsparungen, die durch das Asylbewerberlei- viel größeren Personenkreis beziehen. Werfen Sie stungsgesetz eingeplant sind, als Besänftigung im nicht diese Nebelkerzen; das stimmt doch einfach Hinblick auf die Befürchtungen, daß die Arbeitslo- nicht. senhilfereform die Kommunen noch stärker treffen könnte, aufgeführt werden. (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne- ten der CDU/CSU) Wir haben von den Vertretern des Deutschen Städtetages bei der Anhörung sehr deutlich gehört, Ich will es Ihnen sagen: Es gibt eine grundsätzliche daß sie nicht erwarten, daß die Einsparungen, so es Unterscheidung zwischen Ausländern, die vorüber- sie überhaupt geben sollte, von den Ländern an die gehend in unserem Land sind - das geht bis zur Städte weitergegeben werden. Vor diesem Hinter- unbefristeten Aufenthaltserlaubnis -, und denjeni- grund ist es wohlfeil, noch einmal einen Entschlie- gen, deren Aufenthalt auf Dauer ausgerichtet ist. ßungsantrag vorzulegen, in dem die Länder dazu Dazu haben wir Veränderungen ins Gesetz gebracht. aufgefordert werden. Ich darf Sie daran erinnern, daß wir, die F.D.P.- Herr Kollege Fink, Sie haben gesagt: Der Skandal Fraktion, die Bürgerkriegsflüchtlinge, die sonst, liegt an den Ländern. Ich finde, der Skandal ist die- wenn es nach den Ländern gegangen wäre, vom ses Gesetz. Gesetz erfaßt worden wären, herausgenommen haben. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der (Beifall bei Abgeordneten der F.D.P.) PDS) Wir haben diejenigen herausgenommen, die mit Mich empört es, daß die Menschen- und Freiheits- einer Befugnis hier leben, und wir haben für eine rechte von Flüchtlingen hier zu einem Instrument im zeitliche Begrenzung gesorgt. Das müssen Sie doch Finanzschacher zwischen den verschiedenen födera- bitte zur Kenntnis nehmen. Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 86. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. Februar 1996 7591

Cornelia Schmalz-Jacobsen Ich bedauere ja zutiefst - ebenso wie meine Kolle- vor der Tür stehen, sind ganz andere. Das sind nicht ginnen und Kollegen -, daß der § 32a, der Flücht- diejenigen, die normale Geldleistungen bekommen. lingsstatus, in finanzieller Hinsicht nicht umgesetzt Ich wünschte mir, daß hier der Spielraum für die worden ist. Aber tun Sie doch bitte nicht so, als sei Gemeinden besser genutzt werden kann, und mögli- das alles an der Sturheit der Bundesregierung cherweise können Sie, Herr Minister, das dann auch gescheitert! Es war bedauernswerterweise auf bei- auf dem Verordnungswege schaffen. den Seiten keine Kompromißfähigkeit zu finden. Das ist zu Lasten der Flüchtlinge gegangen und nichts (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne- anderes. Tun Sie bitte nicht so, als könnten Sie hier ten der CDU/CSU) die Krokodilstränen vergießen, während die Länder, auch die von Ihnen regierten Länder, ganz anders Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Ich erteile nun handeln. das Wort der Abgeordneten Dr. Heidi Knake-Werner. (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne ten der CDU/CSU) Dr. Heidi Knake-Werner (PDS): Herr Präsident! Daß das alles nicht leichtfällt, daß das wirklich bit- Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die PDS lehnt den ter ist, wird doch niemand bestreiten, nicht auf Ihrer vorgelegten Gesetzentwurf ab. Seite und nicht auf unserer Seite des Hauses. Aber Erstens lehnen wir den Gesetzentwurf ab, weil es ich meine zu der Polemik, die zum Teil zu hören ist, sich hierbei um einen unwürdigen Finanzpoker han- die wir in Briefen auf den Tisch kriegen und die wir delt. Millionenposten werden zwischen Bund, Län- auch heute hier gehört haben, die behauptet, es dern und kommunalen Kassen verschoben; Kosten- gehe hier um eine Beschneidung der Freiheit und stellen stehen im Vordergrund - die gestrige Sitzung gar der Menschenrechte: Das kann man doch wohl im Ausschuß für Arbeit und Soziales steht dafür als- so nicht sagen. Beispiel. Betroffene Menschen spielen bei diesem Ich will Sie auch daran erinnern, daß wir immer kaltschnäuzigen Schacher überhaupt keine Rolle. noch deutlich bessere Leistungen haben als so man- Bezieher von Arbeitslosenhilfe und Schwerbehin- cher europäische Nachbar mit weit weniger Asylbe- derte werden gegen Flüchtlinge ausgespielt - ein werbern. Ich rede weiß Gott nicht dem Wettlauf der perfides Kompensationsgeschäft, das Sie den Kom- Schäbigkeit das Wort; aber Sie tun so, als senkten wir munen anbieten, um sie für die erhöhten Sozialhilfe- die Leistungen für Flüchtlinge auf das Niveau ihrer kosten bereiter zu machen. Herkunftsländer ab. Das hat niemand im Sinn. Aber (Beifall bei der PDS) im Konzert mit den anderen europäischen Ländern ist das ja, wie man so sagt, vertretbar. In diesem Gesetzentwurf, meine Damen und Her- ren, spiegelt sich beispielhaft Ihre politische Philoso- Ich möchte Sie auf die Verbesserung hinweisen, phie wider: Spalten, Entsolidarisieren, Abwälzen der die sehr vernünftig ist und zeigt, daß man sich auch Kosten auf die Schwächsten in diesem Land. Frau an der Praxis orientieren kann. Ich nenne den § 6, Schmalz-Jacobsen hat es gerade noch so schön der ja in seiner neuen Fassung durch eine Öffnungs- unterstrichen, als sie darauf hingewiesen hat, in wel- klausel Einzelfallregelungen ermöglicht. Das ist chem Zusammenhang wir die heutige Debatte füh- übrigens auch gerade für Kinder von Bedeutung. ren. Wir sollten an die Debatte heute morgen den- Hier wird daran Kritik geübt, daß mehrere ken. Gesetze, die auf den ersten Blick nichts miteinander zu tun haben, zusammengebunden werden. Meine Zweitens lehnen wir diesen Gesetzentwurf ab, weil Kolleginnen und Kollegen, wenn es bei uns läge, die wir nicht wollen, daß eine skandalöse Entwicklung, Kommunen direkt zu entlasten, bräuchten wir das die in der Verabschiedung des Asylbewerberlei- nicht zu tun. Aber es sind doch die Länder, die sich stungsgesetzes 1993 ihren Ausgang genommen hat - eines gewissen Systems von Behalten, um nicht zu damals leider mit den Stimmen der SPD -, ihre men- sagen: der Wegelagerei befleißigen. Darum mußten schenverachtende Fortsetzung erfährt. wir das ja wohl so regeln. Seit 1993 erhalten Asylantragsteller nur noch (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne 80 DM für ihren persönlichen Bedarf. Der Wert der ten der CDU/CSU) Bekleidungshilfe wurde um ein Vielfaches abge- senkt. Ärzte dürfen chronische Krankheiten, oft auch Ich möchte zum Schluß Ihren und meinen Blick die Folgen von Folter und Vergewaltigung, nicht noch einmal auf die Anhörung lenken. Da wurde mehr behandeln, manches ausgeräumt, auch was von einigen der Anzuhörenden dort gesagt wurde. In bezug auf die (Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ Sachleistungen scheint mir aber folgendes sehr deut- CSU]: Stimmt doch gar nicht! Dummes lich geworden zu sein. Meine Damen und Herren, Zeug!) wenn wir sparen wollen, dann muß man sagen, daß sondern nur noch akute Schmerzzustände. Meine Sachleistungen häufig teurer sind, nicht immer, aber drei Minuten Redezeit lassen es leider nicht zu, mich häufig. Sie sind unterschiedlich geregelt und sehr über den Zynismus des Kollegen Fink an dieser unterschiedlich in ihrer Qualität. Man sollte das fle- Stelle aufzuregen. xibler und menschenwürdiger regeln können. Das sage ich hier ganz deutlich. Eine Abschreckung kann (Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ es wohl nicht sein, denn die Leute, die mit dem Auto CSU]: Das müssen Sie gerade sagen!) 7592 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 86. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. Februar 1996

Dr. Heidi Knake-Werner Beklagt wird, daß unter der Herrschaft des Sachlei- Ich bitte zunächst diejenigen, die dem Antrag der stungsprinzips weder eine ausgewogene noch eine Gruppe der PDS auf namentliche Abstimmung den kulturellen Gewohnheiten angemessene Ernäh- zustimmen wollen, um das Handzeichen. rung stattfindet. Die Ausführungsvorschriften ermög- lichen 10 Quadratmeter Wohn- und Nutzfläche pro (Zurufe von der CDU/CSU: Oh! - Zuruf von Person. Die Liste ließe sich fortsetzen. der F.D.P.: Was ist denn das für eine Kombi- nation?) Die Regierungskoalition präsentiert nun die Aus- - Ich stelle fest, daß mehr als das erforderliche Quo- weitung der Leistungskürzungen, des Sachlei- rum von 34 dem Antrag auf namentliche Abstim- stungsvorrangs und der medizinischen Minimalver- mung zugestimmt haben. sorgung auf nunmehr 260 000 Menschen. Ihr Haupt- grund: Kostenersparnis. Aber nicht einmal Ihr Wir kommen zunächst zur Abstimmung über den Kostenargument stimmt. Bei der Anhörung haben Änderungsantrag der Gruppe der PDS auf Drucksa- Ihnen der Deutsche Städtetag und die Vertreterin der che 13/3727. Es wird namentlich abgestimmt. Ich Kommunen bereits vorgerechnet, daß das Sachlei- bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer an die stungsprinzip mehr Kosten hervorrufen wird, als Urnen zu gehen. - Sind die Urnen ordentlich besetzt? überhaupt Einsparungen eingeplant sind. Wer wirk- - Das ist der Fall. lich sparen will, muß die Sachleistungen abschaffen und die Flüchtlinge wieder in das Bundessozialhilfe- Dann eröffne ich die Abstimmung. gesetz einbeziehen. Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Ist noch jemand (Beifall bei der PDS) im Hause, der seine Stimme nicht abgegeben hat? - Was also ist Ihr eigentliches Motiv? Erstens, glaube Das ist nicht der Fall. Dann schließe ich die Abstim- ich, die Abschreckung der Betroffenen, die bei uns mung und bitte die Schriftführerinnen und Schrift-- um Aufnahme ersuchen, und zweitens - unter Hin- führer, mit der Auszählung zu beginnen. Da wir das weis darauf, wie Sie mit Asylbewerbern und Flücht Ergebnis für die weitere Beratung abwarten müssen, fingen umgehen - wollen Sie an deutschen Stamm- unterbreche ich so lange die Sitzung. - Liebe Kolle- tischen mehr Akzeptanz für Ihre unsoziale und in- ginnen und Kollegen, mir ist gesagt worden, das sei humane Politik erzielen. Leider - das sage ich auch schlecht zu verstehen gewesen. Ich wiederhole in aller Deutlichkeit - spielen dabei SPD-Minister in daher: Wir haben die Sitzung unterbrochen, da wir den Ländern eine unrühmliche Vorreiterrolle. erst das Ergebnis der Abstimmung abwarten müs- sen, bevor wir weitermachen. Dieses Gesetz ist überflüssig, dieses Gesetz ist (Unterbrechung von 18.35 bis 18.41 Uhr) inhuman, dieses Gesetz verletzt zentrale grundge- setzliche Garantien für eine Bevölkerungsgruppe, die auf dem Territorium der Bundesrepublik lebt. Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Ich eröffne die unterbrochene Sitzung. Deshalb kann es nur eine Konsequenz geben: Wer die Diskriminierung von Asylantragstellern und Ich gebe das von den Schriftführerinnen und Flüchtlingen beenden will, wer ihre Ausgrenzung in Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Wohnheimen und aus dem Alltag stoppen will, wer Abstimmung über den Änderungsantrag der Abge- die mit räumlicher und sozialer Ausgrenzung mittel- ordneten Dr. Ruth Fuchs, Dr. Heidi Knake-Werner bar offensichtlich gegebene Gefahr für Leib und und der Gruppe der PDS zu dem Entwurf eines Leben ausschließen will, der darf sich nicht auf die Ersten Gesetzes zur Änderung des Asylbewerberlei- Ablehnung dieses Gesetzentwurfs beschränken, der stungsgesetzes und anderer Gesetze bekannt. Abge- muß einem Antrag zustimmen, der zu dem Zustand gebene Stimmen: 617. Mit Ja haben gestimmt: 75. vor 1993 zurückkehrt. In diesem Sinne bitte ich Sie Mit Nein haben gestimmt: 539. Enthaltungen: 3. um Zustimmung zu unserem Entschließungsantrag. Der Änderungsantrag ist damit abgelehnt. Danke schön. (Beifall bei der PDS) Marieluise Beck (Bremen) Endgültiges Ergebnis Volker Beck (Köln) Angelika Beer Abgegebene Stimmen: 616; Ich schließe Matthias Berninger Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: davon Annelie Buntenbach damit die Aussprache. ja: 75 Amke Dietert-Scheuer Wir kommen zur Abstimmung über den von den Franziska Eichstädt-Bohlig nein: 538 Dr. Uschi Eid Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. eingebrachten enthalten: 3 Andrea Fischer (Berlin) Entwurf zur Änderung des Asylbewerberleistungs- Joseph Fischer (Frankfurt) gesetzes, Drucksachen 13/2746 und 13/3720 Nr. 1. Rita Grießhaber Ja Gerald Häfner Dazu liegt ein Änderungsantrag der Gruppe der Antje Hermenau PDS auf Drucksache 13/3727 vor, zu dem von der Kristin Heyne PDS namentliche Abstimmung beantragt wurde. Wir BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN Ulrike Höfken müssen zunächst feststellen, ob Sie für Ihren Antrag Michaele Hustedt Gila Altmann (Aurich) Dr. Manuel Kiper auf namentliche Abstimmung das erforderliche Quo- Elisabeth Altmann Monika Knoche rum von 34 Abgeordneten haben. (Pommelsbrunn) Dr. Angelika Köster-Loßack Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 86. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. Februar 1996 7593

Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer Steffi Lemke Hans-Dirk Bierling Siegfried Hornung Elmar Müller (Kirchheim) Vera Lengsfeld Dr. Joseph-Theodor Blank Joachim Hörster Engelbert Nelle Dr. Helmut Lippelt Renate Blank Hubert Hüppe Bernd Neumann (Bremen) Oswald Metzger Dr. Heribert Blens Peter Jacoby Johannes Nitsch Kerstin Müller (Köln) Peter Bleser Susanne Jaffke Claudia Nolte Winfried Nachtwei Dr. Maria Böhmer Georg Janovsky Dr. Rolf Olderog Christa Nickels Jochen Borchert Helmut Jawurek Friedhelm Ost Cem Özdemir Wolfgang Börnsen (Bönstrup) Dr. Dionys Jobst Eduard Oswald Simone Probst Wolfgang Bosbach Dr.-Ing. Rainer Jork Norbert Otto (Erfurt) Dr. Jürgen Rochlitz Dr. Wolfgang Bötsch Michael Jung (Limburg) Dr. Gerhard Päselt Halo Saibold Klaus Brähmig Dr. Egon Jüttner Hans-Wilhelm Pesch Christine Scheel Rudolf Braun (Auerbach) Dr. Harald Kahl Ulrich Petzold Irmingard Schewe-Gerigk Paul Breuer Bartholomäus Kalb Anton Pfeifer Rezzo Schlauch Monika Brudlewsky Steffen Kampeter Angelika Pfeiffer Albert Schmidt (Hitzhofen) Georg Brunnhuber Dr.-Ing. Dietmar Kansy Dr. Gero Pfennig Wolfgang Schmitt Klaus Bühler (Bruchsal) Manfred Kanther Dr. Friedbert Pflüger (Langenfeld) Hartmut Büttner Irmgard Karwatzki Beatrix Philipp Ursula Schönberger (Schönebeck) Volker Kauder Ronald Pofalla Werner Schulz (Berlin) Dankward Buwitt Peter Keller Dr. Hermann Pohler Rainder Steenblock Manfred Carstens (Emstek) Eckart von Klaeden Ruprecht Polenz Marina Steindor Peter Harry Carstensen Dr. Bernd Klaußner Marlies Pretzlaff Christian Sterzing (Nordstrand) Hans Klein (München) Dr. Albert Probst Manfred Such Wolfgang Dehnel Ulrich Klinkert Dr. Bernd Protzner Ludger Volmer Hubert Deittert Hans-Ulrich Köhler Dieter Pützhofen Helmut Wilhelm (Amberg) Gertrud Dempwolf (Hainspitz) Thomas Rachel Margareta Wolf (Frankfurt) Albert Deß Manfred Kolbe Hans Raidel Renate Diemers Norbert Königshofen Dr. Peter Ramsauer Wilhelm Dietzel Eva-Maria Kors Rolf Rau PDS Werner Dörflinger Hartmut Koschyk Helmut Rauber Hansjörgen Doss Manfred Koslowski Peter Harald Rauen Wolfgang Bierstedt Dr. Alfred Dregger Thomas Kossendey Otto Regenspurger Petra Bläss Maria Eichhorn Rudolf Kraus Christa Reichard (Dresden) Eva Bulling-Schröter Wolfgang Engelmann Wolfgang Krause (Dessau) Klaus Dieter Reichardt Heinrich Graf von Einsiedel Rainer Eppelmann Andreas Krautscheid (Mannheim) Dr. Ludwig Elm Heinz Dieter Eßmann Arnulf Kriedner Erika Reinhardt Dr. Dagmar Enkelmann Horst Eylmann Heinz-Jürgen Kronberg Hans-Peter Repnik Dr. Ruth Fuchs Anke Eymer Dr.-Ing. Paul Krüger Roland Richter Dr. Gregor Gysi Ilse Falk Reiner Krziskewitz Roland Richwien Hanns-Peter Hartmann Jochen Feilcke Dr. Hermann Kues Dr. Norbert Rieder Dr. Uwe-Jens Heuer Dr. Karl H. Fell Werner Kuhn Dr. Erich Riedl (München) Dr. Barbara Höll Ulf Fink Dr. Karl A. Lamers Klaus Riegert Dr. Willibald Jacob Dirk Fischer (Hamburg) (Heidelberg) Franz Romer Ulla Jelpke Klaus Francke (Hamburg) Karl Lamers Hannelore Rönsch Gerhard Jüttemann Herbert Frankenhauser Helmut Lamp (Wiesbaden) Dr. Heidi Knake-Werner Dr. Gerhard F riedrich Armin Laschet Heinrich-Wilhelm Ronsöhr Rolf Köhne Erich G. Fritz Herbert Lattmann Dr. Klaus Rose Rolf Kutzmutz Hans-Joachim Fuchtel Dr. Paul Laufs Kurt J. Rossmanith Andrea Lederer Michaela Geiger Karl-Josef Laumann Adolf Roth (Gießen) Dr. Christa Luft Norbert Geis Werner Lensing Norbert Röttgen Heidemarie Lüth Dr. Heiner Geißler Christian Lenzer Dr. Christian Ruck Dr. Günther Maleuda Michael Glos Peter Letzgus Ortrun Schätzle Manfred Müller (Berlin) Wilma Glücklich Editha Limbach Dr. Wolfgang Schäuble Rosel Neuhäuser Dr. Reinhard Göhner Walter Link (Diepholz) Hartmut Schauerte Dr. Uwe-Jens Rössel Peter Götz Eduard Lintner Heinz Schemken Christina Schenk Dr. Wolfgang Götzer Dr. Klaus W. Lippold Karl-Heinz Scherhag Steffen Tippach Joachim Gres (Offenbach) Gerhard Scheu Klaus-Jürgen Warnick Wolfgang Gröbl Dr. Manfred Lischewski Norbert Schindler Dr. Winfried Wolf Hermann Gröhe Wolfgang Lohmann Dietmar Schlee Gerhard Zwerenz Claus-Peter Grotz (Lüdenscheid) Ulrich Schmalz Manfred Grund Julius Louven Bernd Schmidbauer Horst Günther (Duisburg) Sigrun Löwisch Dr.-Ing. Joachim Schmidt Nein Carl-Detlev Freiherr von Heinrich Lummer (Halsbrücke) Hammerstein Dr. Michael Luther Andreas Schmidt (Mülheim) Gottfried Haschke Erich Maaß (Wilhelmshaven) Hans-Otto Schmiedeberg CDU/CSU (Großhennersdorf) Dr. Dietrich Mahlo Hans Peter Schmitz Gerda Hasselfeldt Erwin Marschewski (Baesweiler) Ulrich Adam Otto Hauser (Esslingen) Dr. Martin Mayer Michael von Schmude Peter Altmaier Hansgeorg Hauser (Siegertsbrunn) Birgit Schnieber-Jastram Anneliese Augustin (Rednitzhembach) Wolfgang Meckelburg Dr. Andreas Schockenhoff Jürgen Augustinowitz Klaus-Jürgen Hedrich Rudolf Meinl Dr. Rupert Scholz Dietrich Austermann Manfred Heise Dr. Michael Meister Reinhard Freiherr von Heinz-Günter Bargfrede Dr. Renate Hellwig Friedrich Merz Schorlemer Franz Peter Basten Ernst Hinsken Rudolf Meyer (Winsen) Dr. Erika Schuchardt Dr. Wolf Bauer Peter Hintze Hans Michelbach Wolfgang Schulhoff Brigitte Baumeister Josef Hollerith Meinolf Michels Dr. Dieter Schulte Dr. Sabine Bergmann-Pohl Dr. Karl-Heinz Hornhues Dr. Gerd Müller (Schwäbisch Gmünd) 7594 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 86. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. Februar 1996

Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer Gerhard Schulz (Leipzig) Dr. Marliese Dobberthien Brigitte Lange Reinhard Schultz Frederick Schulze Peter Dreßen Detlev von Larcher (Everswinkel) Diethard Schütze (Berlin) Rudolf Dreßler Waltraud Lehn Volkmar Schultz (Köln) Clemens Schwalbe Freimut Duve Klaus Lennartz Dr. R. Werner Schuster Dr. Christian Schwarz- Ludwig Eich Dr. Elke Leonhard Dietmar Schütz (Oldenburg) Schilling Peter Enders Klaus Lohmann (Witten) Dr. Angelica Schwall-Düren Horst Seehofer Petra Ernstberger Christa Lörcher Ernst Schwanhold Wilfried Seibel Annette Faße Erika Lotz Rolf Schwanitz Heinz-Georg Seiffert Elke Ferner Dr. Christine Lucyga Bodo Seidenthal Rudolf Seiters Lothar Fischer (Homburg) Dieter Maaß (Herne) Lisa Seuster Johannes Selle Gabriele Fograscher Winfried Mante Horst Sielaff Bernd Siebert Iris Follak Dorle Marx Erika Simm Jürgen Sikora Norbert Formanski Ulrike Mascher Johannes Singer Johannes Singhammer Dagmar Freitag Christoph Matschie Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast Bärbel Sothmann Anke Fuchs (Köln) Ingrid Matthäus-Maier Wieland Sorge Margarete Späte Katrin Fuchs (Verl) Heide Mattischeck Wolfgang Spanier Carl-Dieter Spranger Arne Fuhrmann Markus Meckel Dr. Dietrich Sperling Wolfgang Steiger Monika Ganseforth Ulrike Mehl Jörg-Otto Spiller Erika Steinbach Norbert Gansel Herbert Meißner Antje-Marie Steen Dr. Gerhard Stoltenberg Konrad Gilges Angelika Mertens Ludwig Stiegler Andreas Storm Iris Gleicke Dr. Jürgen Meyer (Ulm) Dr. Peter Struck Max Straubinger Günter Gloser Ursula Mogg Jörg Tauss Matthäus Strebl Dr. Peter Glotz Siegmar Mosdorf Dr. Bodo Teichmann Michael Stübgen Günter Graf (Friesoythe) Michael Müller (Düsseldorf) Jella Teuchner Egon Susset Angelika Graf (Rosenheim) Jutta Müller (Völklingen) Dr. Gerald Thalheim Michael Teiser Dieter Grasedieck Christian Müller (Zittau) Wolfgang Thierse Dr. Susanne Tiemann Achim Großmann Volker Neumann (Bramsche) Dietmar Thieser Dr. Klaus Töpfer Karl Hermann Haack Gerhard Neumann (Gotha) Franz Thönnes Gottfried Tröger (Extertal) Dr. Edith Niehuis Uta Titze-Stecher Dr. Klaus-Dieter Uelhoff Hans-Joachim Hacker Dr. Rolf Niese Adelheid Tröscher Gunnar Uldall Klaus Hagemann Doris Odendahl Hans-Eberhard Urbaniak Dr. Horst Waffenschmidt Manfred Hampel Günter Oesinghaus Siegfried Vergin Alois Graf von Waldburg-Zeil Christel Hanewinckel Leyla Onur Günter Verheugen Kersten Wetzel Alfred Hartenbach Manfred Opel Ute Vogt (Pforzheim) Hans-Otto Wilhelm (Mainz) Dr. Liesel Hartenstein Adolf Ostertag Hans Georg Wagner Gert Willner Klaus Hasenfratz Dr. Kurt Palis Konstanze Wegner Bernd Wilz Dr. Ingomar Hauchler Wolfgang Weiermann Albrecht Papenroth Willy Wimmer (Neuss) Dieter Heistermann Reinhard Weis (Stendal) Dr. Willfried Penner Matthias Wissmann Reinhold Hemker Matthias Weisheit Dr. Martin Pfaff Simon Wittmann Rolf Hempelmann Gunter Weißgerber Georg Pfannenstein (Tännesberg) Dr. Barbara Hendricks Gert Weisskirchen (Wiesloch) Dr. Eckhart Pick Dagmar Wöhrl Monika Heubaum Jochen Welt Joachim Poß Michael Wonneberger Uwe Hiksch Hildegard Wester Rudolf Purps Peter Kurt Würzbach Reinhold Hiller (Lübeck) Lydia Westrich Cornelia Yzer Stephan Hilsberg Karin Rehbock-Zureich Inge Wettig-Danielmeier Margot von Renesse Wolfgang Zeitlmann Gerd Höfer Dr. Norbert Wieczorek Renate Rennebach Wolfgang Zöller Frank Hofmann (Volkach) Helmut Wieczorek (Duisburg) Otto Ingrid Holzhüter Reschke Heidemarie Wieczorek-Zeul Erwin Horn Bernd Reuter Dieter Wiefelspütz SPD Eike Hovermann Dr. Edelbert Richter Berthold Wittich Lothar Ibrügger Günter Rixe Dr. Wolfgang Wodarg Brigitte Adler Wolfgang Ilte Reinhold Robbe Hanna Wolf (München) Gerd Andres Barbara Imhof Gerhard Rübenkönig Heidi Wright Hermann Bachmaier Brunhilde Irber Dr. Hansjörg Schäfer Uta Zapf Ernst Bahr Gabriele Iwersen Gudrun Schaich-Walch Dr. Christoph Zöpel Doris Barnett Renate Jäger Dieter Schanz Peter Zumkley Klaus Barthel Jann-Peter Janssen Rudolf Scharping Ingrid Becker-Inglau Ilse Janz Bernd Scheelen Wolfgang Behrendt Dr. Uwe Jens Dr. Hermann Scheer F.D.P. Hans-Werner Bertl Sabine Kaspereit Siegfried Scheffler Friedhelm Julius Beucher Susanne Kastner Horst Schild Ina Albowitz Rudolf Bindig Hans-Peter Kemper Otto Schily Dr. Gisela Babel Arne Börnsen (Ritterhude) Klaus Kirschner Günter Schluckebier Hildebrecht Braun Anni Brandt-Elsweier Marianne Klappert Horst Schmidbauer (Augsburg) Tilo Braune Siegrun Klemmer (Nürnberg) Günther Bredehorn Dr. Eberhard Brecht Dr. Hans-Hinrich Knaape Ulla Schmidt (Aachen) Jörg van Essen Edelgard Bulmahn Fritz Rudolf Körper Dagmar Schmidt (Meschede) Dr. Olaf Feldmann Ursula Burchardt Nicolette Kressl Wilhelm Schmidt (Salzgitter) Gisela Frick Hans Martin Bury Volker Kröning Regina Schmidt-Zadel Paul K. Friedhoff Hans Büttner (Ingolstadt) Thomas Krüger Heinz Schmitt (Berg) Horst Friedrich Marion Caspers-Merk Horst Kubatschka Dr. Emil Schnell Rainer Funke Wolf-Michael Catenhusen Eckart Kuhlwein Walter Schöler Hans-Dietrich Genscher Peter Conradi Konrad Kunick Ottmar Schreiner Dr. Wolfgang Gerhardt Dr. Herta Däubler-Gmelin Christine Kurzhals Gisela Schröter Joachim Günther (Plauen) Christel Deichmann Dr. Uwe Küster Dr. Mathias Schubert Dr. Karlheinz Guttmacher Karl Diller Werner Labsch Brigitte Schulte (Hameln) Dr. Helmut Haussmann Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 86. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. Februar 1996 7595

Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer Ulrich Heinrich Dr. Hermann Otto Sohns Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das Walter Hirche Dr. Max Stadler seine Stimme nicht abgegeben hat? - Das ist nicht Dr. Burkhard Hirsch Carl-Ludwig Thiele der Fall. Ich schließe die Abstimmung und bitte die Birgit Homburger Dr. Dieter Thomae Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszäh- Dr. Werner Hoyer Jürgen Türk Ulrich Irmer lung zu beginnen. Das Ergebnis der Abstimmung Dr. Wolfgang Weng Detlef Kleinert (Hannover) wird Ihnen später bekanntgegeben.*) (Gerlingen) Dr. Heinrich L. Kolb Wir setzen nun die Beratungen fort. - Allerdings Jürgen Koppelin Dr.-Ing. Karl-Hans Laermann erst dann, wenn die Gänge frei sind. Dr. Otto Graf Lambsdorff Enthalten Sabine Leutheusser Ich rufe die Tagesordnungspunkte 9 a bis 9 c auf: Schnarrenberger Uwe Lühr SPD a) Beratung der Beschlußempfehlung des Petiti- Jürgen W. Möllemann onsausschusses (2. Ausschuß) Günther Friedrich Nolting Gernot Erler Dr. Rainer Ortleb Sammelübersicht 59 zu Petitionen Lisa Peters (Nachteilsausgleich für erlittenes SED-Un- BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN Dr. Klaus Röhl recht in der gesetzlichen Rentenversicherung Cornelia Schmalz-Jacobsen Dr. Edzard Schmidt-Jortzig Gerd Poppe bzw. Ausgleich in Form einer Entschädigungs- Dr. Irmgard Schwaetzer Dr. Antje Vollmer zahlung) - Drucksache 13/2274 - Ich bitte nun diejenigen, die dem Gesetzentwurf in b) Beratung der Beschlußempfehlung des Petiti- der Ausschußfassung zustimmen wollen, um das onsausschusses (2. Ausschuß) Handzeichen. Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dage- - gen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit Sammelübersicht 61 zu Petitionen in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalitions- (Entschädigung für erlittenes SED-Unrecht) fraktionen gegen die Stimmen der Opposition ange- nommen. - Drucksache 13/2381 -

Wir kommen zur c) Beratung der Beschlußempfehlung des Petiti- onsausschusses (2. Ausschuß) dritten Beratung Sammelübersicht 75 zu Petitionen und Schlußabstimmung. Ich bitte diejenigen, die (Rehabilitierung und Entschädigung der nach dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erhe- Beendigung des Zweiten Weltkrieges vor- ben. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der nehmlich in sibirische Lager verschleppten Gesetzentwurf ist damit mit den Stimmen der Koaliti- Männer und Frauen) onsfraktionen gegen die Stimmen der Opposition und eine Stimme aus der F.D.P. angenommen wor- - Drucksache 13/2767 - den. Zu jeder Sammelübersicht liegt ein Änderungsan- trag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor. Unter Nr. 2 seiner Beschlußempfehlung auf Druck- sache 13/3720 empfiehlt der Ausschuß für Gesund- Die Fraktion der SPD hat je einen Änderungsan- heit, den inhaltsgleichen Gesetzentwurf der Bundes- trag zur Sammelübersicht 59 und 61 eingebracht. regierung auf Drucksache 13/3475 für erledigt zu Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat ist für die erklären. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? gemeinsame Aussprache eine halbe Stunde vorgese- - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußemp- hen, wobei die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen fehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen zehn Minuten erhalten soll. Sind Sie damit einver- bei Enthaltung der Opposition angenommen wor- standen? - Ich sehe keinen Widerspruch. Dann ist so den. beschlossen. Der Ausschuß für Gesundheit empfiehlt unter Nr. 3 Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat zunächst seiner Beschlußempfehlung die Annahme einer Ent- der Abgeordnete Wolfgang Dehnel. schließung. Wer stimmt für diese Beschlußempfeh- lung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Wolfgang Dehnel (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Beschlußempfehlung ist mit den Stimmen der Koaliti- Meine Damen und Herren Kollegen! Die SED-Dikta- onsfraktionen gegen die Stimmen der Opposition tur hat nicht nur Riesenschäden in Wirtschaft und angenommen worden. Umwelt hinterlassen, sondern auch tausendfaches Leid durch politische Verfolgung und Diskriminie- Wir kommen nun zur Abstimmung über den Ent- rung. Es wird noch viele Jahre dauern, um diese Hin- schließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grü- terlassenschaft aufzuarbeiten. Die Regierungskoali- nen auf Drucksache 13/3726. Die Fraktion Bündnis 90/ tion hat sich mit der Erarbeitung und Verabschie- Die Grünen verlangt namentliche Abstimmung. Ich dung des 1. und 2. SED-Unrechtsbereinigungsgeset- bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die zes zu der dringend notwendigen Entschädigung vorgesehenen Plätze einzunehmen. - Sind alle Urnen besetzt? - Das ist der Fall. Ich eröffne die Abstim- mung. *) Seite 7602 C 7596 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 86. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. Februar 1996 Wolfgang Dehnel von Opfern der SED-Diktatur bekannt. In keinem Der Verfolgte erhält also jeweils eine erhöhte ehemaligen Ostblockstaat ist bisher Gleiches oder Rente. Dem Anliegen der Petenten ist somit Rech- auch nur Ähnliches geschehen. nung getragen worden. Ich habe selbst in meinen Bürgersprechstunden vielen betroffenen Petenten Mit Geld allein kann man allerdings nicht alle hellen können, und sie zeigten sich auch sehr dank- Unterdrückungen materieller, körperlicher oder auch bar für diese Regelung. seelischer Art entschädigen. Freiheit, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit zähle ich nämlich auch zum Allerdings scheint auch uns die Antragsbearbei- Gewinnpotential der Deutschen in den neuen Bun- tung zu schleppend voranzugehen. Ich könnte hier desländern. zwei Beispiele nennen: In meinem Wahlkreis wohnt ein ehemaliger Lehrer der DDR, der nur deswegen, (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) weil er bei bestimmten Anlässen nicht Beifall Es war richtig, zunächst im 1. SED-Unrechtsberei- geklatscht hat, aus dem Schuldienst entfernt worden ist. Ein ähnlicher Fall: Ein Lehrer, der einer ehemali- nigungsgesetz die Haftentschädigung durchzuset- zen und dann im 2. SED-Unrechtsbereinigungsge- gen Blockpartei angehörte, nämlich der SPD - das setz nachweisbare berufliche Nachteile im Renten- steht so in einem Schreiben, das er bekommen hat -, recht auszugleichen. Darin waren wir uns bei ent- wurde aus dem Schuldienst entfernt, weil er aus die- sprechenden Petitionen auch parteiübergreifend, ser Blockpartei ausgetreten ist. - Diese Fälle sind also auch mit der SPD und dem Bündnis 90/Die Grü- jetzt innerhalb kurzer Zeit bearbeitet worden, und nen, einig. Um so unverständlicher sind mir jetzt die ich freue mich mit diesen Petenten. vorgebrachten Vorwürfe und Anträge von Bündnis 90/ Die Regierungskoalition - und damit die Aus- Die Grünen. Sie dürfen nicht vergessen: Entschei- schußgruppe Petitionen der CDU/CSU-Bundestags- dungen haben wir immer in der Abwägung von Ein- fraktion - bleibt bei ihren Stellungnahmen und zel- und Gesellschaftsinteresse unter Beachtung der Voten, wie wir sie auch schon während der Petitions- gesetzlichen und der Haushaltslage zu treffen. beratungen abgegeben haben. Mit dem 2. SED-Unrechtsbereinigungsgesetz ist Wir lehnen die Änderungsanträge von Bündnis 90/ die gesetzliche Grundlage für einen Ausgleich beruf- Die Grünen sowie den Antrag der SPD ab. Wir leh- licher Nachteile in der ehemaligen DDR geschaffen nen es normalerweise auch ab, in eine neue Sachde- worden. Art . 2 des 2. SED-Unrechtsbereinigungsge- batte über Petitionen einzusteigen; denn die Bera- setzes ist das Berufliche Rehabilitierungsgesetz. Die- tungen dazu sind schon im Petitionsausschuß erfolgt. ser Artikel regelt die Rehabilitierung und den sozia- len Ausgleich in den Beruf oder in die berufsbezo- Unsere Entscheidung gilt in gleicher Weise für die gene Ausbildung. Sammelübersicht 59 und die Sammelübersicht 61 zu Petitionen. Denn dort eröffnet das Strafrechtliche Schwerpunkt der Regelung ist der Ausgleich von Rehabilitierungsgesetz für die Hinterbliebenen rentenrechtlichen Nachteilen. Ausgeglichen werden Ansprüche auf Versorgungsleistungen nach dem dabei Nachteile, die durch politische Inhaftierung Bundesversorgungsgesetz. Bezüglich der Sammel- oder Gewahrsamnahme, Berufsverbot, Eingriffe in übersicht 75 empfehlen wir jedoch, diese dem Bun- die berufsbezogene Ausbildung oder andere Maß- desministerium der Justiz und dem Bundesinnenmi- nahmen der politischen Verfolgung, die mit einem nisterium als Mate rial zu überweisen sowie den gesellschaftlichen Abstieg im ursächlichen Zusam- Fraktionen zur Kenntnis zu geben. Wir bleiben auch menhang stehen, verursacht worden sind. Solche hier bei unserem Beschluß, den wir im Petitionsaus- Fälle gab es massenhaft in der ehemaligen DDR. schuß gefaßt haben. Denn uns liegen die schweren Schicksale der nach Sibirien und in andere Lager Nicht ausgeglichen wird beispielsweise aber die verschleppten Männer und Frauen sehr am Herzen. Nichtbeförderung aus politischen Gründen. Der Aus- gleich erfolgt in der gesetzlichen Rentenversiche- Die Bundesregierung muß entsprechend ihrer rung dadurch, daß Verfolgungszeiten, insbesondere finanziellen Möglichkeiten rechtliche Regelungen also Zeiten eines verfolgungsbedingten Verdienst- erarbeiten, um auch dieses erlittene Unrecht und ausfalles oder Minderverdienstes, in der gesetzlichen daraus entstandenes Leid zu mildern. In diesem Rentenversicherung als Pflichtbeitragszeiten ange- Sinne haben wir auch schon votiert. rechnet werden. Der Verfolgte wird für die Verfol- Liebe Kolleginnen und Kollegen, folgen Sie den gungszeit rentenrechtlich so gestellt wie der Durch- Beschlüssen des Ausschusses und lehnen Sie die schnitt der Versicherten mit vergleichbarer Qualifi- offensichtlichen Scheingefechte - sprich: Änderungs- kation. anträge - ab. Als Verfolgungszeiten gelten außerdem soge- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) nannte beitragsmindernde Zeiten, wenn nicht eine zumutbare Beitragszahlung zur freiwilligen Zusatz- rentenversicherung unterlassen wurde. Sie werden Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Das Wort hat dann mit einem Verdienst bewertet, der sich nach jetzt der Abgeordnete Reinhold Hiller. dem Durchschnitt der Beitragsleistung im gesamten Versicherungsleben mit Ausnahme der Verfolgungs- Reinhold Hiller (Lübeck) (SPD): Frau Präsidentin! zeit richtet. Die nach diesen Vorschriften ermittelte Meine sehr geehrten Damen und Herren! Viele Peti- Rente wird jeweils der auf Grund des tatsächlichen tionen zu einem bestimmten Themenkomplex zeigen Einkommens ermittelten Rente gegenübergestellt. der Bundesregierung und dem Parlament: Es exi- Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 86. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. Februar 1996 7597

Reinhold Hiller (Lübeck) stiert dringender Handlungsbedarf - so auch beim 4) Verfahrenserleichterungen für ehemalige poli- 2. SED-Unrechtsbereinigungsgesetz. tische Häftlinge bei der Antragsstellung nach dem Beruflichen Rehabilitierungsgesetz; (Beifall des Abg. Rolf Schwanitz [SPD] und der Abg. Christa Nickels [BÜNDNIS 90/DIE 5) Verbesserte Anerkennung gesundheitlicher GRÜNEN]) Haftschäden. Für die Bürgerinnen und Bürger, die dieser Dazu liegen uns Dutzende von Petitionen vor. Darun- Debatte folgen, wird es nun jedoch unübersichtlich: ter befindet sich auch ein Interessenverband stalini- Zur Abstimmung liegen Änderungsanträge vor. Bei stisch Verfolgter, der umfassende strafrechtliche den Sammelübersichten 59 und 61 stimmen wir Rehabilitierung und Entschädigung verlangt. unseren Anträgen zu, um diese Petitionen der Bun- Darüber hinaus gibt es viele Petitionen, in denen desregierung und den Fraktionen als Material zu ehemalige politische Häftlinge in der DDR unter- überweisen. Dies ist in zweierlei Hinsicht sachge- schiedliche Begehren äußern, zum Beispiel Kapital- recht. entschädigungen auch für Hinterbliebene oder Ent- Inzwischen liegt dem Bundestag ein Gesetzent- schädigungsleistungen für Petenten, die bereits vor wurf der Grünen vor. Ein weiterer der SPD wird dem- der Einheit in die Bundesrepublik übersiedelten. nächst folgen. Damit besteht die Möglichkeit, die Andere begehren die berufliche Rehabilitation. Begehren der Petenten im Gesetzgebungsverfahren mit zu berücksichtigen. Entscheidend dafür wird Alle Einzelfälle wurden im Petitionsausschuß jedoch sein, wie die Bundesregierung diese Petitio- geprüft und teilweise unterschiedlich bewertet. nen bearbeiten wird. Es wäre gut gewesen, wenn wir Dabei möchte ich sagen, daß die Schilderungen der in dieser Debatte, Herr Kollege Dehnel, erfahren hät- dramatischen persönlichen Schicksale unter die Haut ten, daß auch auf der Regierungsseite Handlungsbe-- gehen und in jedem Fall aussagekräftiger sind als darf konzediert wird. unsere Sprache in Resolutionen und Gesetzestexten. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und dem (Beifall der Abg. Christa Nickels [BÜND BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) NIS 90/DIE GRÜNEN]) Dies interessiert uns, aber in erster Linie die Betroffe- Ich glaube, daß alle Mitglieder des Petitionsaus- nen. schusses diese Gefühle teilen und auch den Wunsch haben, den Petenten zu helfen. Seit dem 1. und Bei der Abstimmung über den Änderungsantrag 2. SED-Unrechtsbereinigungsgesetz konnte vielen der Grünen werden wir uns enthalten, da die Menschen ein wenig Gerechtigkeit gegeben wer- Begründung zu viele Ungenauigkeiten enthält und den. Die jetzt vor dem Petitionsausschuß dokumen- zu unsystematisch ist. Er ist aber in der Tendenz rich- tierten Fälle zeigen jedoch eindeutig, daß wir mehr tig. Bei einer weiteren Beratung sehe ich durchaus tun müssen. Für die SPD-Fraktion erklärte in der die Möglichkeit der Verständigung. Debatte „Fünf Jahre deutsche Einheit" Hans-Joa- Dem Änderungsantrag der Grünen zu Sammel- chim Hacker: übersicht 75, 32 Petitionen zur Erwägung zu über- weisen, um in sibirische Lager verschleppte Männer Es sind erhebliche Mängel und Lücken in beiden und Frauen zu rehabilitieren und zu entschädigen, SED-Unrechtsbereinigungsgesetzen festzustel- können wir nur zustimmen. len. Die Eingaben haben uns drastisch vor Augen Dieser Bilanz hat sich der Petitionsausschuß in Ein- geführt, daß wir noch mehr Gerechtigkeit für die zelfällen durchaus angeschlossen, indem er der Bun- Opfer der SED-Herrschaft und des Stalinismus her- desregierung diverse Eingaben als Mate rial über- beiführen müssen. Die Zeit der großen Worte sollte wies. Auch die SPD-Fraktion hat im Bundestag einen nun in Taten münden. Dazu forde rn wir die Bundes- Antrag eingebracht, der folgende Forderungen ent- regierung und die Fraktionen auf. Bitte handeln Sie - hält: möglichst schnell. Auf jeden Fall wird es Gesetzent- würfe geben, bei denen Sie Farbe bekennen können. Die Bundesregierung wird aufgefordert, einen Gesetzentwurf zur Verbesserung der Rehabilitie- Herzlichen Dank. rung von DDR-Unrecht vorzulegen, der folgende (Beifall bei Abgeordneten der SPD und dem Punkte berücksichtigt: BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) 1) Erhöhung der Kapitalentschädigung im Straf- rechtlichen Rehabilitierungsgesetz auf minde- Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Das Wort hat stens 600 DM für alle ehemaligen politischen jetzt der Abgeordnete Gerald Häfner. Häftlinge;

2) Vererbbarkeit der Kapitalentschädigung an Gerald Häfner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Liebe erheblich mitbetroffene nächste Angehörige Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! sowie an Hinterbliebene von Hingerichteten; Unrecht ist immer empörend. Aber besonders empö- rend und verletzend ist staatliches Unrecht. Staatli- 3) Einführung einer moralischen Rehabilitierung ches Unrecht bedeutet auch, daß man sich nicht von Verwaltungsunrecht; dagegen wehren kann, weil all diejenigen, an die 7598 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 86. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. Februar 1996

Gerald Häfner man sich wenden könnte - die staatlichen Ämter und Ich möchte nun auf einige der wichtigsten zu spre- Behörden, die Polizei, ja sogar die Judikative, die chen kommen. Zunächst zu den Zivildeportierten: Gerichte, die doch eigentlich dazu da sind, den Bür- Sie haben ein wirklich schreckliches Schicksal und ger vor Unrecht zu schützen, seine Rechte zu schüt- nicht wiedergutzumachendes Unrecht erlitten, sie zen und, wo nötig, wiederherzustellen -, zu Bütteln hatten ihr Leben lang unter den Folgen zu leiden. Sie und Komplizen des massenhaft begangenen Un- alle, liebe Kollegen, die mit dem Problem vertraut rechts geworden sind. sind, wissen auch, daß sie in der DDR noch nicht ein- mal über ihr Schicksal sprechen durften. So ist das - nach dem noch viel schlimmeren Absturz von Recht und Menschlichkeit in die Barba- Ich kenne alle die Einwände, warum Entschädi- rei in der Zeit des Nationalsozialismus - über vier gungen für Zivildeportierte angeblich unmöglich Jahrzehnte eben auch in der DDR gewesen. Viele sind. Aber Sie wissen auch, daß das vorgeschobene Menschen sind oft zu tragischen Opfern dieses Einwände sind und daß es Lösungsmöglichkeiten Systems geworden. Oft waren das gerade die Besten, gibt. Welches Rechtsgebäude bricht denn zusam- nämlich diejenigen, die den Mut und die Kraft hat- men, wenn Sie, wie wir das in unserem Gesetzent- ten, sich zu widersetzen. Ich bin überzeugt, daß es wurf vorschlagen, die Entschädigung auf der Grund- unsere moralische und politische Pflicht ist, diesen lage des Gesetzes über die Heimkehrerstiftung Menschen nun - soweit es irgend geht - Gerechtig- - analog zum Strafrechtlichen Rehabilitierungsge- keit und Wiedergutmachung angedeihen zu lassen. setz - gewähren würden? (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Ich kann mich nicht damit abfinden, daß der Bun- sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und destag die Petition von 32 Verschleppten den Frak- der SPD) tionen lediglich zur Kenntnisnahme übergibt. Wir alle kennen die Probleme. Ich weiß, daß alle Fraktio- Ich weiß, daß sich Unrecht nicht ungeschehen nen längst zu diesem Thema Anhörungen durchge- machen und auch nicht aus der Welt schaffen läßt. führt haben und daß alle, die sich damit befaßt und Was geschehen ist, das bleibt, das wirkt nach. Die die zugehört haben, betroffen sind von dem harten Betroffenen müssen mit den Verletzungen und die Schicksal dieser Menschen. Es geht also nicht mehr Täter mit Schuld leben. Angesichts des massenhaften darum, daß wir etwas zur Kenntnis nehmen, sondern und massiven Unrechts, das in diesem Zusammen- es geht darum, daß wir endlich etwas tun. Wir wissen hang geschehen ist, sind auch die Möglichkeiten der genug, aber gehandelt wird zuwenig. Entschädigung und Wiedergutmachung seitens des Staates beschränkt. Gerade deshalb aber sollten wir (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN all das, was wir im Rahmen der Gesetze machen kön- sowie bei Abgeordneten der SPD ) nen, dringend tun. Sie wissen: Die Betroffenen sind alt und brauchen Der Deutsche Bundestag hat mit dem Ersten und Hilfe - sofort. Langwierige Prüfungen sollten wir in dem Zweiten SED-Unrechtsbereinigungsgesetz den diesem Fall nicht mehr durchführen; wir wissen, was Versuch gemacht, zu helfen und den Betroffenen dann passiert. Gerechtigkeit zukommen zu lassen. Ich denke, man Es gibt weiterhin eine Vielzahl von Petitionen, die muß diesen Versuch würdigen. Man muß aber das SED-Unrechtsbereinigungsgesetz unmittelbar genauso deutlich sagen, daß die beiden SED-Un- betreffen. Die Petenten verlangen zum Beispiel deut- rechtsbereinigungsgesetze eine sehr große Zahl an lich verbesserte Regelungen zur Rehabilitierung und Fehlern, Schwächen und blinden Flecken aufweisen Entschädigung für das erlittene SED-Unrecht. Wir und daß eine Änderung dringend notwendig ist. müssen uns immer wieder vor Augen halten, daß (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN viele Opfer von politischer Verfolgung, oft noch bis sowie bei Abgeordneten der SPD) heute, gegenüber denjenigen benachteiligt sind, die für ihre Verfolgung verantwortlich waren. Das gilt Da ist es mit kosmetischen Reparaturen bei weitem gerade im Bereich der sehr unvollkommen geregel- nicht getan. Nur eine Therapie, die an den Wurzeln ten beruflichen Rehabilitierung. ansetzt, das heißt, die die Schwächen im Gesetz erkennt und heilt, kann den Betroffenen noch helfen. Wer in der DDR auf Grund seiner politischen Hal- Die in großer Anzahl vorliegenden Petitionen kön- tung, auf Grund seiner Bereitschaft, offen zu wider- nen ein Anlaß dafür sein, deutlich zu machen, wo stehen, Widerspruch zu leisten, diskriminiert wurde, diese Änderungen ansetzen müssen und was wir in wer deshalb sein Abitur nicht machen oder nicht stu- diesem Zusammenhang tun können. dieren konnte, wer seinen Beruf nicht ergreifen oder ausüben konnte, der spürt die Folgen davon noch Der Petitionsausschuß ist ohnehin - ich glaube, heute. Diese Folgen wirken materiell, aber auch hin- seine Bedeutung wird in diesem Hause viel zuwenig sichtlich der Persönlichkeit und Biografie während wahrgenommen - eine Art Seismograph für ungelö- des ganzen Lebens. ste Probleme, und er ist auch zu einer Art Seismo- graph für schlechte Gesetze geworden. Hier haben Wir haben in unserem Antrag zur Beschlußemp- wir es mit zwar gutgemeinten, aber eben schlechten fehlung des Petitionsausschusses, den wir heute zur Gesetzen zu tun. Die Petitionen legen da genau die Abstimmung stellen, einige der besonders gravieren- Finger in die Wunde. den Defizite der geltenden Regelung deutlich gemacht und dazu Lösungsvorschläge erarbeitet. Die Es sind immer wieder die gleichen Schwächen und Betroffenen beklagen sich weiter völlig zu Recht Lücken, die von den Petitionen aufgezeigt werden. über die viel zu geringe Höhe der Kapitalentschädi- Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 86. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. Februar 1996 7599

Gerald Häfner gung von lediglich 300 bzw. 450 DM. Das empfinden gelegt, der Ihnen die Möglichkeit geben würde, end- sie - ich kann das nachvollziehen - als eine Verhöh- lich zu einer angemessenen Regelung zu kommen. nung, und zwar erst recht angesichts der Tatsache, daß die Kapitalentschädigung für im Westen zu (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Unrecht erlittene Haftzeiten deutlich höher liegt als Schließlich sollten wir endlich dieser Guillotine der die Kapitalentschädigung für diejenigen, die im drohenden Fristen abschaffen. Wir könnten ja so Osten zu Unrecht im Knast saßen. Ich glaube, ich weitermachen, daß wir die Fristen immer, wenn sie verrate niemandem ein Geheimnis, wenn ich deut- abzulaufen drohen, für ein oder zwei Jahre verlän- lich sage, daß Knast in Bautzen oder anderswo in der gern. Ich glaube aber, daß das nicht angemessen ist. DDR etwas weit Schlimmeres war als Strafvollzug in Gerade im Rentenbereich hat sich doch längst der Bundesrepublik Deutschland. gezeigt, daß viele der Betroffenen - ich kenne viele (Eduard Oswald [CDU/CSU]: Das ist wahr, und spreche mit ihnen - gar nicht auf die Idee kom- ja!) men, als 30-, 40- oder 50jährige einen Antrag im Hin- blick auf ihre spätere Rente zu stellen, sondern sie Es ist nicht zu begreifen und den Opfern nicht ver- werden dies dann machen, wenn sie das Rentenalter ständlich zu machen, daß sie, die viel mehr gelitten erreichen. Wenn sie dann aber hören: „Die F rist ist haben, hier mit einer geringeren Entschädigung abgelaufen; ihr bekommt nichts, obwohl ihr eigent- abgespeist werden als diejenigen, die im Westen lich berechtigt wäret", dann ist dies erneut kaltherzi- gesessen haben. ges und unnötiges Unrecht, das wir den Betroffenen antun. Ich meine, daß hier das Interesse der Verwal- Wir haben das schon bei der Beratung des Geset- tung, die Akten schnell vom Tisch zu bekommen, zes selbst angesprochen und das auch in unserem gegenüber dem Interesse der Betroffenen, daß ihnen Gesetzentwurf deutlich gemacht. Es liegt also alles Genugtuung und Gerechtigkeit widerfährt, zurück- auf dem Tisch des Hauses. Auch hier kann es also stehen muß. Lassen Sie also bitte die drohenden nicht darum gehen, irgend etwas zur bloßen Kennt- Fristen weg. nisnahme zu überweisen. Hier geht es darum, zu handeln, zu entscheiden und endlich das Notwen- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) dige zu tun. Ihnen allein ist bekannt - und das hängt mit der (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eben angeschnittenen Frage zusammen -, daß die sowie bei Abgeordneten der SPD) Zahl der Rehabilitierungsanträge nach dem Zweiten Ich möchte einen weiteren Punkt aufgreifen. Er SED-Unrechtsbereinigungsgesetz deutlich hinter betrifft die Anrechnung der Eingliederungshilfe auf den Erwartungen zurückgeblieben ist. Das hat die die Kapitalentschädigung. Sie wissen, daß das knau- Bundesregierung in ihrer Antwort auf meine Kleine serig ist und wirklich in überhaupt keiner Weise Anfrage einräumen müssen. Das zeigt, daß sich viele begründbar war. Diese Hilfen waren doch nie als Opfer eben erst nach Jahren dazu entschließen, Entschädigungen für Haftzeiten gedacht. Es waren überhaupt Anträge zu stellen. Auch die Erfahrungen vielmehr materielle Hilfen, um sich im Westen eine in anderen Ländern machen dies deutlich. Sie wis- neue Existenz aufbauen zu können. Wenn man diese sen, daß viele ihre Akten noch gar nicht einsehen Gelder jetzt auf die Kapitalentschädigung anrechnet konnten, weil die Aufarbeitung der Akten noch nicht und die um diese Beträge kürzt, dann wird den so weit gediehen ist. Das ist ein weiterer Grund, die Betroffenen erneut Unrecht zuteil. Hören Sie also drohenden Fristen zu beseitigen und den Menschen bitte damit auf, die Entschädigung für erlittenes die nötige Zeit zu gewähren. Unrecht als eine Art verlängerte Sozialhilfe anzuse- Lassen Sie mich eines zum Schluß noch sagen. Ich hen. Es geht um eine Bringschuld des Staates als bin wirklich empört darüber, wie sich die Täter dieses Ausgleich für erlittenes Unrecht. Regimes heute in öffentlichen Debatten, Zeitungsbe- Ein weiterer Punkt betrifft die Übertragbarkeit richten, Talkshows immer mehr zu Opfern stilisieren, und die Erblichkeit des Anspruchs auf Kapitalent- auf die Tränendrüsen drücken, während schädigung. Ich halte auch dies für dringend verbes- (Beifall bei der CDU/CSU) serungsbedürftig. Familienangehörige empfinden ihren Ausschluß von der Entschädigung oft als die wahren Opfer dabei ins Abseits geraten und ver- erneute Demütigung und als Mißachtung ihres gessen werden. Tragen wir bitte alle unseren Teil Schicksals. Ich teile die in Petitionen vertretene Auf- dazu bei, daß die Gewichte nicht weiter verschoben fassung, die übrigens von allen Verfolgtenverbänden werden, daß deutlich wird, wer Täter und wer Opfer geteilt wird, daß auch Hinterbliebene unter den Ver- war, und stellen wir uns, wenn es darum geht, was folgungsmaßnahmen sehr gelitten haben. Sie sollten wir als Deutscher Bundestag tun können, auch deut- deshalb, sofern sie mitbetroffen waren, einen eige- lich auf die Seite der Opfer! nen Anspruch auf Kapitalentschädigung erhalten. Ich danke Ihnen. Auch hier geht es nicht primär um Geld, sondern (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN um die Würde von Menschen, die in ihrem Leben sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und sehr viel durchgemacht haben. Ich denke, es kann der SPD) nicht angehen, daß der Petitionsausschuß die Akten einfach zuklappt, so wie dies vorgesehen ist. Hier muß wirklich etwas geschehen. Daher haben wir Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Es spricht jetzt einen Gesetzentwurf auf den Tisch des Hauses der Abgeordnete Dr. Karlheinz Guttmacher. 7600 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 86. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. Februar 1996

Dr. Karlheinz Guttmacher (F.D.P.): Frau Präsiden- eine Unterstützung von seiten der russischen Regie- tin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die rung erwarten können, erhalten sie wenigstens Hilfe

Entschädigung der Opfer des SED - Regimes liegt über die Heimkehrerstiftung und die Stiftung für auch meiner Fraktion sehr am Herzen. Aus diesem ehemalige politische Häftlinge. Bei Bedürftigkeit Grund haben wir in den vergangenen Jahren mit oder Vorliegen einer akuten Notlage erhalten allen Fraktionen dieses Hauses viel unternommen, Berechtigte bis zu 8 000 DM Unterstützung. Auch wir um den Mitbürgern, die in der DDR verfolgt wurden erkennen an, daß dies zuwenig ist. oder inhaftiert waren, mit Hilfe von Ausgleichszah- lungen zu helfen und sie für das erlittene Unrecht Meine Damen und Herren, es gibt sicherlich viele und Leid, wenn dies auf finanziellem Wege über- Menschen, denen wir auf diese Weise nicht gerecht haupt möglich ist, zu entschädigen. werden, weil sie zum Beispiel Haftzeiten nicht nach- weisen können. Ein solches Gesetz muß aber eine Besonders die berufliche Rehabilitierung ist ein nachweisbare Grundlage verlangen. Das Gesetz wichtiger Bestandteil dieser Entschädigungsmaß- kann auch nicht die Aufgabe haben, 40 Jahre SED nahmen. Sie ist in Art. 2 des Zweiten SED-Unrechts- Unrecht zu tilgen. Vielmehr soll es heute das Unrecht bereinigungsgesetzes als gesetzliche Grundlage für bestimmter Benachteiligungen, Repressionen und berufliche Benachteiligungen in der ehemaligen Haftzeiten ausgleichen. DDR festgelegt worden. Den Schwerpunkt dieser Regelungen bildet, wie dies schon gesagt worden ist, Es wird immer Menschen geben, die von diesen der Ausgleich von rentenrechtlichen Nachteilen, von gesetzlichen Regelungen nicht erfaßt werden, Nachteilen, die durch politische Inhaftierung, Beruf s- obwohl sie individuelles Unrecht erleiden mußten. verbot, Eingriffe in berufsbezogene Ausbildung oder andere Maßnahmen der politischen Verfolgung ent- standen sind. In diesen Fällen werden für die Zeit der Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Herr Abgeord-- Inhaftierung Durchschnittswerte errechnet, die zur neter, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Abgeord- Aufbesserung der Renten der Opfer beitragen. neten Nickels? Ebenso wird die strafrechtliche Rehabilitierung gefördert, die die Haftopfer des SED-Regimes ent- schädigt. Mitbürger, die nach ihrem Gefängnisauf- Dr. Karlheinz Guttmacher (F.D.P.): Bitte. enthalt in die Bundesrepublik übersiedelten, erhal- ten 300 DM Kapitalentschädigung pro Haftmonat. Diejenigen, die nach ihrer Entlassung weiterhin in Christa Nickels (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): der ehemaligen DDR wohnten und der DDR-Diktatur Herr Kollege, Sie haben gerade bemerkt, daß es wohl ausgesetzt waren, erhalten für jeden Haftmonat nicht angehen könne, daß man jetzt alles wiedergut- einen Betrag von 550 DM. Diese Regelung gilt aber mache, was vorher versäumt worden sei. Aber stim- nur für die Betroffenen, die bis zum Fall der Mauer men Sie mir denn nicht zu, daß gerade diejenigen, am 9. November 1989 ihren Wohnsitz in der DDR hat- die aus politischen Gründen mißhandelt worden sind ten. Verständlicherweise richten sich deswegen - wir alle kennen die Geschichten; das läßt keinen einige Bürger an den Petitionsausschuß, um gegen von uns kalt -, besondere Erwartungen nach der diese Stichtagsregelung Einspruch zu erheben. deutsch-deutschen Einheit hatten? Sie haben erwar- tet, dann, wenn die deutsche Einheit vollzogen wird, Auch für Hinterbliebene ehemaliger Opfer sieht ohne einen Hürdengang und ohne verschiedene das Strafrechtliche Rehabilitierungsgesetz verschie- Abstufungen in einem würdigen Verfahren rehabili- dene, individuell angelegte Entschädigungsmöglich- tiert zu werden und ein halbwegs auskömmliches keiten des Ersten SED-Unrechtsbereinigungsgeset- Leben zu haben. Ich glaube, daß man sich dieser zes vor. Mühe unterzieht, ist für das deutsch-deutsche Den Petitionsausschuß erreichen viele Eingaben, Zusammenwachsen wichtig. Auch Sie erleben das; die sich mit der umfassenden Rehabilitierung und auch Sie erhalten diese Briefe. Denn ansonsten zie- Entschädigung der Menschen beschäftigen, die zwi- hen sich die Leute ganz enttäuscht in sich zurück schen 1945 und 1949 in sibirische Lager verschleppt und sind dann wirklich verzweifelt und verstummt. wurden. Die Bürger, die damals in die Bundesrepu- blik zurückkehrten, erhielten Renten und Heilko- stenzuschüsse nach dem Kriegsgefangenenentschä- Dr. Karlheinz Guttmacher (F.D.P.): Frau Kollegin digungsgesetz. Nickels, das will ich natürlich anerkennen. Deswe- gen muß ich Ihnen sagen, daß es eine Leistung war, Anders die Menschen in der ehemaligen DDR. gleich nach der deutschen Einheit ein Erstes SED Dort erhielt niemand Unterstützung, da die von der Unrechtsbereinigungsgesetz und dann ein Zweites Sowjetunion begangenen Greueltaten von staatli- SED-Unrechtsbereinigungsgesetz auf den Weg cher Seite totgeschwiegen wurden. Hier handelt es gebracht zu haben. sich um eine Lücke in dem umfassenden System der Unterstützung. In dem am 1. Januar 1993 in Kraft (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) getretenen Kriegsfolgenbereinigungsgesetz wurde festgelegt, daß für außerhalb der Bundesrepublik Die Bemühungen sind doch da. Man kann doch begangene Unrechtstaten von der Bundesregierung erkennen, daß man diesen Menschen, die wirklich in keine Haftung übernommen wird. Da uns klar ist, der DDR-Diktatur gelitten haben, entgegenkommen daß diese Menschen auch in Zukunft wohl kaum will. Ich erkenne aber auch an, daß man möglicher- Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 86. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. Februar 1996 7601

Dr. Karlheinz Guttmacher weise nicht alles gleich so gefaßt hat, wie man es Es wird davon gesprochen, daß die Betreffenden vielleicht hätte fassen sollen. „seelisch, körperlich grauenvoll mißhandelt" wur- den. Das wird so gewesen sein. (Gerald Häfner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ NEN]: Dann tun wir das doch jetzt!) (Dr.-Ing. Dietmar Kansy [CDU/CSU]: Wir reden von SED-Unrecht! Das kennen Sie Aber ich muß Ihnen auch noch einmal sagen: Diese sehr gut, Herr Kollege!) Gesetze können nicht die 40 Jahre SED-Unrecht auf- arbeiten. Wenn wir alles damit erfassen wollten! - Sagen Sie, wollen Sie mich reden hören oder nicht? (Zustimmung bei Abgeordneten der CDU/ (Uwe Lühr [F.D.P.]: Nein!) CSU) Ich will Ihnen eines sagen: Sie alle haben immer den Ich frage Sie, Kollegin Nickels, aber auch, in wel- Satz von Rosa Luxemburg „Freiheit ist Freiheit der cher Form wir dies finanzieren wollten, da wir doch Andersdenkenden" zitiert, aber Sie haben diesen alle wissen, in welchem Rahmen wir uns hier bewe- Satz nie begriffen. gen. (Zuruf von der CDU/CSU: Und Sie schon gar nicht!) (Günther Friedrich Nolting [F.D.P.]: Das erzählt uns gleich die PDS! - Weitere Wenn man aber nur das sagt, nur von „Greuelta- Zurufe von der CDU/CSU) ten" spricht, so ist das eben nur die halbe Wahrheit, Meine Damen und Herren, es wird immer Men- (Zuruf von CDU/CSU: Wenn Sie das Wort schen geben, die von diesen gesetzlichen Regelun- „Wahrheit" in den Mund nehmen, ist das gen nicht erfaßt werden, obwohl sie individuelles verlogen! Das ist wirklich schmerzhaft!) - Unrecht erleiden mußten. Doch ich denke, daß wir mit dem Ersten und auch mit dem Zweiten SED falls nicht zugleich gesagt wird, daß es hier um die Unrechtsbereinigungsgesetz zur beruflichen und Endphase eines von Deutschland angezettelten ver- strafrechtlichen Rehabilitierung das SED-Unrecht in brecherischen Weltkrieges ging, der unsagbares Leid großem Maße aufgearbeitet haben. über die Sowjetunion gebracht hat, der dort 25 Millionen Menschen das Leben gekostet hat. Aus diesem Grund stimmt die F.D.P.-Fraktion der Überweisung der Petition 4-12-07-350 als Material Man darf auch nicht aus den Augen verlieren, daß und der anderen vorliegenden Petitionen zu. Sie die von deutschen Greueltaten betroffenen osteuro- stimmt gegen den Änderungsantrag von Bündnis 90/ päischen Bürger, gerade auch die, die in deutschen Die Grünen. Arbeits- und Konzentrationslagern waren, bisher ver- geblich auf eine Entschädigung warten. Meine Damen und Herren, ich danke Ihnen. Ich meine auch, daß es sich die Bundesregierung (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne hier entschieden zu einfach macht, wenn sie auf ihre ten der CDU/CSU) prekäre Haushaltslage verweist. (Wolfgang Dehnel [CDU/CSU]: Was hat die Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Das Wort hat DDR da gemacht? - In 40 Jahren nicht eine jetzt der Abgeordnete Uwe-Jens Heuer. Mark Entschädigung!) (Uwe Lühr [F.D.P.]: Ausgerechnet Heuer!) Im übrigen kann sie ja auch initiativ werden, um das Geld zu streichen, das für ehemalige Angehörige der Waffen-SS in Osteuropa bisher gezahlt wird. Dann Dr. Uwe-Jens Heuer (PDS): Frau Präsidentin! wäre das Anliegen der Petenten ja sofort zu lösen. Meine Damen und Herren! Den vorliegenden Beschlußempfehlungen des Petitionsausschusses (Zuruf von der CDU/CSU: Pharisäer!) stimme ich zu. Auch die beiden Anträge vom Bünd- Schließlich stimme ich natürlich der Bundesregie- nis 90/Die Grünen finden grundsätzlich meine rung zu, daß von Handlungen der Alliierten Betrof- Zustimmung. Wichtig scheint mir ein Meinungsaus- fene „schon aus völkerrechtlichen Gründen" nicht tausch über die im einzelnen aufgeworfenen Pro- durch deutsche Gerichte rehabilitiert werden kön- bleme. Ich möchte nur zu zwei Problemen etwas nen. Genau das habe ich auch einem Bürger aus sagen. Westdeutschland vor einigen Monaten geschrieben, der 1947 von einem amerikanischen Militärgericht Auch ich bin für eine umfassende und baldige Ent- wegen antimilitaristischer Aktivitäten verurteilt wor- schädigung der im Zusammenhang mit dem Ende den war. des Zweiten Weltkrieges aus den ehemaligen deut- schen Ostgebieten in die Sowjetunion transportierten (Dr.-Ing. Dietmar Kansy [CDU/CSU]: Hier Personen. Es gibt dafür bisher keine Entschädi- geht es um SED-Unrecht! Unverschämt- gungsregelung. In der Alt-BRD erfolgte eine Ent- heit!) schädigung; die entsprechenden DDR-Bürger sind leer ausgegangen. - Nein, hören Sie mal zu, das ist keine Unverschämt- heit, das ist die normale Lage. Entweder anerkennt (Uwe Lühr [F.D.P.]: Hättet ihr mal früher man, daß Deutschland damals Besatzungsgebiet war, etwas dafür getan!) oder man gewinnt jetzt nachträglich den Zweiten 7602 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 86. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. Februar 1996

Dr. Uwe-Jens Heuer Weltkrieg, meine Herren. Wollen Sie jetzt einen Drit- Endgültiges Ergebnis PDS ten Weltkrieg anfangen? Abgegebene Stimmen: 619; Wolfgang Bierstedt (Widerspruch bei der CDU/CSU) davon Petra Bläss Eva Bulling-Schröter ja: 78 Ein zweites Problem: Mit zahlreichen Petitionen Heinrich Graf von Einsiedel wird uns vor Augen geführt - und insofern stimme nein: 540 Dr. Ludwig Elm enthalten: 1 Dr. Dagmar Enkelmann ich auch dem entsprechenden Antrag von Bündnis Dr. Ruth Fuchs 90/Die Grünen zu -, daß eine ganze Reihe von Rege- Dr. Gregor Gysi lungen Ja Hanns-Peter Hartmann Dr. Uwe-Jens Heuer (Dr.-Ing. Dietmar Kansy [CDU/CSU]: Hier Dr. Barbara Höll geht es um SED-Unrecht!) SPD Dr. Willibald Jacob Ulla Jelpke für die Rehabilitierung und Entschädigung für Uwe Hiksch Gerhard Jüttemann Unrecht in der DDR verbessert werden müssen. Dr. Heidi Knake-Werner Rolf Köhne Nach wie vor halten wir es natürlich für falsch, daß Rolf Kutzmutz BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN entgegen dem Rehabilitierungsgesetz der DDR, das Andrea Lederer vom Maßstab der DDR-Verfassung ausging, mit dem Dr. Christa Luft Gila Altmann (Aurich) Heidemarie Lüth Strafrechtlichen Rehabilitierungsgesetz auch die Elisabeth Altmann Dr. Günther Maleuda Rehabilitierung und Entschädigung von Naziaktivi- (Pommelsbrunn) Manfred Müller (Berlin) sten, Spionen und Neonazis möglich wurde. Marieluise Beck (Bremen) Neuhäuser Rosel Volker Beck (Köln) Wir sind unbedingt für eine deutliche Erhöhung Dr. Uwe-Jens Rössel Angelika Beer Christina Schenk - der monatlichen Entschädigung. Auch eine morali- Matthias Berninger Steffen Tippach sche Rehabilitierung, wenn dies die Betroffenen Annelie Buntenbach Klaus-Jürgen Warnick denn wollen, halten wir für berechtigt. Im übrigen Amke Dietert-Scheuer Dr. Winfried Wolf warten natürlich auch noch Tausende in West- Franziska Eichstädt-Bohlig Gerhard Zwerenz deutschland auf Rehabilitierung und Entschädigung, Dr. Uschi Eid die in der Zeit des Kalten Krieges aus politischen Andrea Fischer (Berlin) Joseph Fischer (Frankfurt) Nein Gründen strafrechtlich verfolgt wurden. Rita Grießhaber Antje Hermenau Ich danke für die Aufmerksamkeit. Kristin Heyne CDU/CSU Ulrike Höfken (Beifall bei der PDS - Zuruf von der CDU/ Michaele Hustedt Ulrich Adam CSU: Ich glaube, der hat was an der Mur Dr. Manuel Kiper Peter Altmaier mel!) Monika Knoche Anneliese Augustin Dr. Angelika Köster-Loßack Jürgen Augustinowitz Steffi Lemke Dietrich Austermann Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Herr Abgeord- Vera Lengsfeld Heinz-Günter Bargfrede neter Heuer, ich glaube, daß ich für das ganze Haus Dr. Helmut Lippelt Franz Peter Basten Oswald Metzger Dr. Wolf Bauer sagen kann, daß niemand hier einen Dritten Welt- Brigitte Baumeister krieg anfangen will, und Sie sollten einen solchen Kerstin Müller (Köln) Winfried Nachtwei Dr. Sabine Bergmann-Pohl Unsinn auch nicht sagen. Christa Nickels Hans-Dirk Bierling Cem Özdemir Dr. Joseph-Theodor Blank (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, beim Gerd Poppe Renate Blank BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der Simone Probst Dr. Heribert Blens F.D.P.) Dr. Jürgen Rochlitz Peter Bleser Dr. Maria Böhmer Halo Saibold Jochen Borchert Ich schließe damit die Aussprache. Christine Scheel Wolfgang Börnsen (Bönstrup) Irmingard Schewe-Gerigk (Uwe Lühr [F.D.P.]: Seit 48 Jahren Mitglied Wolfgang Bosbach Rezzo Schlauch Dr. Wolfgang Bötsch der SED, und spricht hier zum SED Albert Schmidt (Hitzhofen) Klaus Brähmig Unrecht!) Wolfgang Schmitt Rudolf Braun (Auerbach) (Langenfeld) Paul Breuer Vor den Abstimmungen kommen wir zum Tages- Ursula Schönberger Monika Brudlewsky ordnungspunkt 8 zurück. Ich gebe Ihnen das von Werner Schulz (Berlin) Georg Brunnhuber den Schriftführern und Schriftführerinnen ermittelte Rainder Steenblock Klaus Bühler (Bruchsal) Marina Steindor Hartmut Büttner Ergebnis der namentlichen Abstimmung zum Christian Sterzing Entschließungsantrag der Abgeordneten Andrea (Schönebeck) Manfred Such Dankward Buwitt Fischer, Kerstin Müller, Amke Dietert-Scheuer, Chri- Dr. Antje Vollmer Manfred Carstens (Emstek) sta Nickels und weiterer Abgeordneter und der Frak- Ludger Volmer Peter Harry Carstensen tion des Bündnisses 90/Die Grünen zum Entwurf Helmut Wilhelm (Amberg) (Nordstrand) eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Asylbewer- Margareta Wolf (Frankfurt) Wolfgang Dehnel berleistungsgesetzes und anderer Gesetze bekannt. Hubert Deittert Abgegebene Stimmen: 619. Mit Ja haben gestimmt: Gertrud Dempwolf F.D.P. Albert Deß 78. Mit Nein haben gestimmt: 540. Enthaltungen: 1. Renate Diemers Der Entschließungsantrag ist damit abgelehnt. Dr. Burkhard Hirsch Wilhelm Dietzel Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 86. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. Februar 1996 7603

Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer Werner Dörflinger Norbert Königshofen Thomas Rachel Egon Susset Hansjürgen Doss Eva-Maria Kors Hans Raidel Michael Teiser Dr. Alfred Dregger Hartmut Koschyk Dr. Peter Ramsauer Dr. Susanne Tiemann Maria Eichhorn Manfred Koslowski Rolf Rau Dr. Klaus Töpfer Wolfgang Engelmann Thomas Kossendey Helmut Rauber Gottfried Tröger Rainer Eppelmann Rudolf Kraus Peter Harald Rauen Dr. Klaus-Dieter Uelhoff Heinz Dieter Eßmann Wolfgang Krause (Dessau) Otto Regenspurger Gunnar Uldall Horst Eylmann Andreas Krautscheid Christa Reichard (Dresden) Dr. Horst Waffenschmidt Anke Eymer Arnulf Kriedner Klaus Dieter Reichardt Alois Graf von Waldburg-Zeil Ilse Falk Heinz-Jürgen Kronberg (Mannheim) Kersten Wetzel Jochen Feilcke Dr.-Ing. Paul Krüger Erika Reinhardt Hans-Otto Wilhelm (Mainz) Dr. Karl H. Fell Reiner Krziskewitz Hans-Peter Repnik Gert Willner Ulf Fink Dr. Hermann Kues Roland Richter Bernd Wilz Dirk Fischer (Hamburg) Werner Kuhn Roland Richwien Willy Wimmer (Neuss) Klaus Francke (Hamburg) Dr. Karl A. Lamers Dr. Norbert Rieder Matthias Wissmann Herbert Frankenhauser (Heidelberg) Dr. Erich Riedl (München) Simon Wittmann Dr. Gerhard Friedrich Karl Lamers Klaus Riegert (Tännesberg) Erich G. Fritz Dr. Norbert Lammert Franz Romer Dagmar Wöhrl Hans-Joachim Fuchtel Helmut Lamp Hannelore Rönsch Michael Wonneberger Michaela Geiger Armin Laschet (Wiesbaden) Elke Wülfing Norbert Geis Herbert Lattmann Heinrich-Wilhelm Ronsöhr Peter Kurt Würzbach Dr. Heiner Geißler Dr. Paul Laufs Dr. Klaus Rose Cornelia Yzer Michael Glos Karl-Josef Laumann Kurt J. Rossmanith Wolfgang Zeitlmann Wilma Glücklich Werner Lensing Adolf Roth (Gießen) Wolfgang Zöller Dr. Reinhard Göhner Christian Lenzer Norbert Röttgen Peter Götz Peter Letzgus Dr. Christian Ruck Dr. Wolfgang Götzer Editha Limbach Ortrun Schätzle SPD Joachim Gres Walter Link (Diepholz) Dr. Wolfgang Schäuble Kurt-Dieter G rill Eduard Lintner Hartmut Schauerte Brigitte Adler Wolfgang Gröbl Dr. Klaus W. Lippold Heinz Schemken Gerd Andres Hermann Gröhe (Offenbach) Karl-Heinz Scherhag Hermann Bachmaier Claus-Peter Grotz Dr. Manfred Lischewski Gerhard Scheu Ernst Bahr Manfred Grund Wolfgang Lohmann Norbert Schindler Doris Barnett Horst Günther (Duisburg) (Lüdenscheid) Dietmar Schlee Klaus Barthel Carl-Detlev Freiherr von Julius Louven Ulrich Schmalz Ingrid Becker-Inglau Hammerstein Sigrun Löwisch Bernd Schmidbauer Wolfgang Behrendt Gottfried Haschke Heinrich Lummer Dr.-Ing. Joachim Schmidt Hans-Werner Bertl (Großhennersdorf) Dr. Michael Luther (Halsbrücke) Friedhelm Julius Beucher Gerda Hasselfeldt Erich Maaß (Wilhelmshaven) Andreas Schmidt (Mülheim) Rudolf Bindig Otto Hauser (Esslingen) Dr. Dietrich Mahlo Hans-Otto Schmiedeberg Arne Börnsen (Ritterhude) Hansgeorg Hauser Erwin Marschewski Hans Peter Schmitz Anni Brandt-Elsweier (Rednitzhembach) Dr. Martin Mayer (Baesweiler) Tilo Braune Klaus-Jürgen Hedrich (Siegertsbrunn) Michael von Schmude Dr. Eberhard Brecht Manfred Heise Wolfgang Meckelburg Birgit Schnieber-Jastram Edelgard Bulmahn Dr. Renate Hellwig Rudolf Meinl Dr. Andreas Schockenhoff Ursula Burchardt Ernst Hinsken Dr. Michael Meister Dr. Rupe rt Scholz Hans Martin Bury Peter Hintze Friedrich Merz Reinhard Freiherr von Hans Büttner (Ingolstadt) Josef Hollerith Rudolf Meyer (Winsen) Schorlemer Marion Caspers-Merk Dr. Karl-Heinz Hornhues Hans Michelbach Dr. Erika Schuchardt Wolf-Michael Catenhusen Siegfried Hornung Meinolf Michels Wolfgang Schulhoff Peter Conradi Joachim Hörster Dr. Gerd Müller Dr. Dieter Schulte Dr. Herta Däubler-Gmelin Hubert Hüppe Elmar Müller (Kirchheim) (Schwäbisch Gmünd) Christel Deichmann Peter Jacoby Engelbert Nelle Gerhard Schulz (Leipzig) Karl Diller Susanne Jaffke Bernd Neumann (Bremen) Frederick Schulze Dr. Marliese Dobberthien Georg Janovsky Johannes Nitsch Diethard Schütze (Berlin) Peter Dreßen Helmut Jawurek Claudia Nolte Clemens Schwalbe Rudolf Dreßler Dr. Dionys Jobst Dr. Rolf Olderog Dr. Christian Schwarz- Freimut Duve Dr.-Ing. Rainer Jork Friedhelm Ost Schilling Ludwig Eich Michael Jung (Limburg) Eduard Oswald Horst Seehofer Peter Enders Ulrich Junghanns Norbert Otto (Erfurt) Wilfried Seibel Gernot Erler Dr. Egon Jüttner Dr. Gerhard Päselt Heinz-Georg Seiffert Petra Ernstberger Dr. Harald Kahl Hans-Wilhelm Pesch Rudolf Seiters Annette Faße Bartholomäus Kalb Ulrich Petzold Johannes Selle Elke Ferner Steffen Kampeter Anton Pfeifer Bernd Siebert Lothar Fischer (Homburg) Dr.-Ing. Dietmar Kansy Angelika Pfeiffer Jürgen Sikora Gabriele Fograscher Manfred Kanther Dr. Gero Pfennig Johannes Singhammer Iris Follak Irmgard Karwatzki Dr. Friedbert Pflüger Bärbel Sothmann Norbert Formanski Volker Kauder Beatrix Philipp Margarete Späte Dagmar Freitag Peter Keller Dr. Winfried Pinger Carl-Dieter Spranger Anke Fuchs (Köln) Eckart von Klaeden Ronald Pofalla Wolfgang Steiger Katrin Fuchs (Verl) Dr. Bernd Klaußner Dr. Hermann Pohler Erika Steinbach Arne Fuhrmann Hans Klein (München) Ruprecht Polenz Dr. Gerhard Stoltenberg Monika Ganseforth Ulrich Klinkert Marlies Pretzlaff Andreas Storm Norbert Gansel Hans-Ulrich Köhler Dr. Albert Probst Max Straubinger Konrad Gilges (Hainspitz) Dr. Bernd Protzner Matthäus Strebl Iris Gleicke Manfred Kolbe Dieter Pützhofen Michael Stübgen Günter Gloser 7604 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 86. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. Februar 1996

Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer Günter Graf (Friesoythe) Jutta Müller (Völklingen) Dietmar Thieser Horst Friedrich Angelika Graf (Rosenheim) Christian Müller (Zittau) Franz Thönnes Rainer Funke Dieter Grasedieck Volker Neumann (Bramsche) Uta Titze-Stecher Hans-Dietrich Genscher Achim Großmann Gerhard Neumann (Gotha) Adelheid Tröscher Dr. Wolfgang Gerhardt Karl Hermann Haack Dr. Edith Niehuis Hans-Eberhard Urbaniak Joachim Günther (Plauen) (Extertal) Dr. Rolf Niese Siegfried Vergin Dr. Karlheinz Guttmacher Hans-Joachim Hacker Doris Odendahl Günter Verheugen Dr. Helmut Haussmann Klaus Hagemann Günter Oesinghaus Ute Vogt (Pforzheim) Ulrich Heinrich Manfred Hampel Leyla Onur Hans Georg Wagner Walter Hirche Christel Hanewinckel Manfred Opel Dr. Konstanze Wegner Birgit Homburger Alfred Hartenbach Adolf Ostertag Wolfgang Weiermann Dr. Werner Hoyer Dr. Liesel Hartenstein Kurt Palis Reinhard Weis (Stendal) Ulrich Irmer Klaus Hasenfratz Albrecht Papenroth Matthias Weisheit Detlef Kleinert (Hannover) Dr. Ingomar Hauchler Dr. Wilfried Penner Gunter Weißgerber Dr. Heinrich L. Kolb Dieter Heistermann Dr. Martin Pfaff Gert Weisskirchen (Wiesloch) Jürgen Koppelin Reinhold Hemker Georg Pfannenstein Jochen Welt Dr.-Ing. Karl-Hans Laermann Rolf Hempelmann Dr. Eckhart Pick Hildegard Wester Dr. Otto Graf Lambsdorff Dr. Barbara Hendricks Joachim Poß Lydia Westrich Sabine Leutheusser Monika Heubaum Rudolf Purps Inge Wettig-Danielmeier Schnarrenberger Reinhold Hiller (Lübeck) Karin Rehbock-Zureich Dr. Norbert Wieczorek Uwe Lühr Stephan Hilsberg Margot von Renesse Helmut Wieczorek (Duisburg) Jürgen W. Möllemann Gerd Höfer Renate Rennebach Heidemarie Wieczorek-Zeul Günther Friedrich Nolting Frank Hofmann (Volkach) Otto Reschke Dieter Wiefelspütz Dr. Rainer Ortleb Ingrid Holzhüter Bernd Reuter Berthold Wittich Lisa Peters Erwin Horn Günter Rixe Dr. Wolfgang Wodarg Dr. Klaus Röhl Eike Hovermann Reinhold Robbe Hanna Wolf (München) Cornelia Schmalz-Jacobsen Lothar Ibrügger Gerhard Rübenkönig Heidi Wright Dr. Edzard Schmidt-Jortzig - Wolfgang Ilte Dr. Hansjörg Schäfer Uta Zapf Dr. Irmgard Schwaetzer Barbara Imhof Gudrun Schaich-Walch Dr. Christoph Zöpel Dr. Hermann Otto Solms Brunhilde Irber Dieter Schanz Peter Zumkley Dr. Max Stadler Gabriele Iwersen Rudolf Scharping Carl-Ludwig Thiele Renate Jäger Bernd Scheelen Dr. Dieter Thomae Jann-Peter Janssen Dr. Hermann Scheer F.D.P. Jürgen Türk Ilse Janz Siegfried Scheffler Dr. Wolfgang Weng Dr. Uwe Jens Horst Schild Ina Albowitz (Gerlingen) Sabine Kaspereit Otto Schily Dr. Gisela Babel Susanne Kastner Günter Schluckebier Hildebrecht Braun Hans-Peter Kemper Horst Schmidbauer (Augsburg) Enthalten Klaus Kirschner (Nürnberg) Günther Bredehorn Marianne Klappert Ulla Schmidt (Aachen) Jörg van Essen Siegrun Klemmer Dagmar Schmidt (Meschede) Dr. Olaf Feldmann SPD Dr. Hans-Hinrich Knaape Wilhelm Schmidt (Salzgitter) Gisela Frick Fritz Rudolf Körper Regina Schmidt-Zadel Paul K. Friedhoff Dr. Edelbert Richter Nicolette Kressl Heinz Schmitt (Berg) Volker Kröning Dr. Emil Schnell Thomas Krüger Walter Schöler Nun kommen wir zu den Abstimmungen zu den Horst Kubatschka Ottmar Schreiner Tagesordnungspunkten 9 a bis 9 c - Beschlußempfeh- Eckart Kuhlwein Gisela Schröter lung des Petitionsausschusses auf Drucksache Konrad Kunick Dr. Mathias Schube rt 13/2274. Das ist die Sammelübersicht 59 zu Eingaben Christine Kurzhals Brigitte Schulte (Hameln) Dr. Uwe Küster Reinhard Schultz zum Nachteilsausgleich in der gesetzlichen Renten- Werner Labsch (Everswinkel) versicherung für erlittenes SED-Unrecht. Dazu lie- Brigitte Lange Volkmar Schultz (Köln) gen zwei Änderungsanträge vor. Detlev von Larcher Dr. R. Werner Schuster Waltraud Lehn Dietmar Schütz (Oldenburg) Wir stimmen über den Änderungsantrag der Frak- Klaus Lennartz Dr. Angelica Schwall-Düren tion des Bündnisses 90/Die Grünen auf Drucksache Dr. Elke Leonhard Ernst Schwanhold 13/3715 ab. Wer stimmt für den Änderungsantrag? - Klaus Lohmann (Witten) Rolf Schwanitz Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Änderungsan- Christa Lörcher Bodo Seidenthal trag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen Erika Lotz Lisa Seuster gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen und Dr. Christine Lucyga Horst Sielaff Dieter Maaß (Herne) Erika Simm PDS bei Enthaltung der SPD abgelehnt. Winfried Mante Johannes Singer Wir kommen zur Abstimmung über den Ände- Dorle Marx Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast Ulrike Mascher Wieland Sorge rungsantrag der SPD auf Drucksache 13/3754. Wer Christoph Matschie Wolfgang Spanier stimmt für den Änderungsantrag? - Gegenprobe! - Ingrid Matthäus-Maier Dr. Dietrich Sperling Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist mit den Heide Mattischeck Jörg-Otto Spiller Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stim- Markus Meckel Antje-Marie Steen men der Oppositionsfraktionen abgelehnt worden. Ulrike Mehl Ludwig Stiegler Herbert Meißner Dr. Peter Struck Wer stimmt für die Beschlußempfehlung in der Angelika Mertens Jörg Tauss Ausschußfassung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Dr. Jürgen Meyer (Ulm) Dr. Bodo Teichmann Die Beschlußempfehlung ist mit den Stimmen der Ursula Mogg Jella Teuchner Siegmar Mosdorf Dr. Gerald Thalheim Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Opposi- Michael Müller (Düsseldorf) Wolfgang Thierse tionsfraktionen angenommen worden. Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 86. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. Februar 1996 7605

Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer Wir kommen zur Beschlußempfehlung des Petiti- b) Erste Beratung des von den Fraktionen der onsausschusses auf Drucksache 13/2381. Das ist die CDU/CSU und F.D.P. eingebrachten Entwurfs Sammelübersicht 61 zu Eingaben zur Entschädigung eines Achten Gesetzes zur Änderung des für erlittenes SED-Unrecht. Dazu liegen wiederum Fünften Buches Sozialgesetzbuch (Achtes zwei Änderungsanträge vor. SGB V-Änderungsgesestz - 8. SGB V ÄndG) (Mehrkostenregelung Amalgam) Zunächst stimmen wir über den Änderungsantrag der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen auf - Drucksache 13/3695 - Drucksache 13/3716 ab. Wer stimmt für den Ände- überweisungsvorschlag: rungsantrag? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitions- Ausschuß für Gesundheit fraktionen gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Zum Krankenhausfinanzierungsgesetz liegt ein Grünen und PDS bei Enthaltung der SPD abgelehnt Entschließungsantrag der Fraktion des Bündnisses 90/ worden. Die Grünen vor. Wir stimmen nun über den Änderungsantrag der Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für Fraktion der SPD auf Drucksache 13/3755 ab. Wer die gemeinsame Aussprache eine halbe Stunde vor- stimmt für den Änderungsantrag? - Gegenprobe! - gesehen, wobei die Fraktion der SPD zusätzlich fünf Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist mit den Minuten erhalten soll. - Ich sehe keinen Wider- Stimmen der Koalitionsfraktionenspruch. Dann ist es gegen so beschlossen. die Stim- men der Oppositionsfraktionen abgelehnt worden. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat zunächst Wer stimmt für die Beschlußempfehlung in der der Abgeordnete Wolfgang Zöller. Ausschußfassung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist mit den Stimmen der (Vorsitz : Vizepräsident Dr. Burkhard Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Opposi- Hirsch) tionsfraktionen angenommen worden. Wir kommen nun zur Beschlußempfehlung des Wolfgang Zöller (CDU/CSU): Herr und Frau Präsi- Petitionsausschusses auf Drucksache 13/2767. Das ist dent! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Letzte die Sammelübersicht 75 zu Eingaben zur Rehabilitie- Woche haben wir im Plenum mit dem Gesetzentwurf rung und Entschädigung der nach Beendigung des zur Weiterentwicklung der Strukturreform in der Zweiten Weltkrieges verschleppten Männer und gesetzlichen Krankenversicherung den letzten Bau- Frauen. stein der Koalition zur dritten Stufe der Gesundheits- reform in erster Lesung beraten. Alle Redner der Dazu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion des Koalition haben dabei unmißverständlich zum Aus- Bündnisses 90/Die Grünen auf Drucksache 13/3717 druck gebracht, daß es ohne eine wirksame Kranken- vor. Wer stimmt für den Änderungsantrag? - Gegen- hausreform keine dritte Reformstufe im Gesund- probe! - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist heitswesen, auch nicht im ambulanten Versorgungs- mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die bereich, geben wird. Stimmen der Oppositionsfraktionen abgelehnt wor- den. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Wer stimmt für die Beschlußempfehlung in der Wesentliche Bestandteile des Gesamtpaketes zur Ausschußfassung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - dritten Stufe sind daher das Gesetz zur Stabilisierung Die Beschlußempfehlung ist mit den Stimmen der der Krankenhausausgaben 1996 und das Gesetz zur Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Opposi- Neuordnung der Krankenhausfinanzierung 1997. tionsfraktionen angenommen worden. Daneben haben die Koalition und die von ihr getragene Bundesregierung bereits im Oktober 1995 Ich rufe die Tagesordnungspunkte 10a und 10 b ein dreiteiliges Paket für den Krankenhausbereich auf: mit Sofortmaßnahmen für den Zeitpunkt ab dem 1. Januar 1996 eingebracht. Es handelt sich dabei a) Zweite und dritte Beratung des von den Frak- zum einen um die Aussetzung der Pflegepersonalre- tionen der CDU/CSU und F.D.P. einge- gelung und zum anderen um die Beseitigung von brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ände- Ausnahmetatbeständen im Pflegesatzrecht. Beide rung des Krankenhausfinanzierungsgesetzes Verordnungen, die zu Minderausgaben der gesetzli- - KHG chen Krankenversicherung von zirka 2 Milliarden DM führen würden, werden im Bundesrat von einer - Drucksache 13/2745 - Sitzung auf die nächste verschoben. (Erste Beratung 64. Sitzung) (Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: Unerhört!) . Beschlußempfehlung und Bericht des Aus- schusses für Gesundheit (14. Ausschuß) Hier ist für meine Begriffe wieder ein Lehrbeispiel - Drucksache 13/3722 - für doppelzüngiges Verhalten: auf der einen Seite öffentlichkeitswirksames Bejammern von Ausgaben- Berichterstattung: entwicklung, auf der anderen Seite das Nichthan- Abgeordnete Dr. Ruth Fuchs deln bzw. Blockieren aus rein taktischen Überlegun- 7606 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 86. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. Februar 1996

Wolfgang Zöller gen, obwohl man den Verordnungen inhaltlich weit- 2 Milliarden DM ergeben. Dieser Betrag schreckt gehend zustimmt. natürlich die Länder ab; auch deren Kassen sind leer. Dennoch werden wir im Vermittlungsausschuß einen (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) vertretbaren Kompromiß suchen müssen, der die Der dritte Teil ist das heute auf der Tagesordnung Krankenkassen und damit den Beitragszahler nicht stehende Gesetz, mit dem wir die langjährige Förder- überfordert. praxis der Länder auf eine sichere Rechtsgrundlage Mit dem heute eingebrachten Achten Gesetz zur stellen wollen. Der Gesetzentwurf sieht vor, daß die Änderung des Fünften Buches Sozialgesetzbuch ab Finanzierung der Instandhaltungsmaßnahmen setzt die Koalition ihre Se rie von SGB-V-Novellen dem Jahr 1999 über die Pflegesätze erfolgen soll. Die fort. Deren Vorteil besteht da rin, sich auf einen Sach- Anhörung im Gesundheitsausschuß hat eindeutig verhalt konzentrieren zu können und dabei jeder- ergeben, daß die Krankenkassen eine Übergangszeit mann unmißverständlich deutlich zu machen, wer in benötigen und daß zwischenzeitlich die Länder, auf Deutschland dafür und wer dagegen ist. drei Jahre begrenzt, die Förderung von Kranken- haus-Instandhaltungsmaßnahmen weiter finanzieren (Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Nur so geht es! sollen. - Klaus Kirschner [SPD]: Herr Seehofer ist wieder dagegen!) Diese Übergangsphase von 1996 bis 1998 ist drin- gend erforderlich, um die Abgrenzung der Investiti- Es gibt unabhängig von der dritten Stufe der onskosten von den pflegesatzfähigen Kosten grund- Gesundheitsreform Sachverhalte im Gesundheitsbe- legend neu gestalten zu können, reich, bei denen man der Öffentlichkeit einige grundsätzlich unterschiedliche Positionen zwischen (Horst Seehofer [CDU/CSU]: Richtig!) Koalition und Opposition exemplarisch deutlich und dies insbesondere vor dem - hoffentlich immer machen kann: Der heute zu behandelnde Sachver-- noch gemeinsamen - Ziel, die monistische Kranken- halt war bereits in der letzten Legislaturperiode hausfinanzierung schrittweise einzuführen. Die Koa- kaum beachteter Bestandteil des im Vermittlungs- lition ist nach wie vor für die Monistik, ausschuß gescheiterten GKV-Anpassungsgesetzes. Wir lösen heute hiermit einen bisher höchst unbefrie- (Beifall bei der F.D.P.) digenden Sachverhalt, der darin bestand, daß Men- auch wenn ich persönlich meine größten Zweifel an schen, die sich zum Beispiel für ein Keramik- oder deren Realisierung habe, da ich die Kompensations- Gold-Inlay entschieden haben, von den Krankenkas- bereitschaft der Länder zumindest zur Zeit nicht sen noch nicht einmal den Betrag erhielten, den die erkennen kann. vergleichbare preisgünstigste plastische Füllung gekostet hätte. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU sowie bei der F.D.P.) Die bisherige Regelung wurde von den Versicher- ten als ungerecht empfunden, zumal es beim wesent- Neben dem Stabilisierungsgesetz 1996, das abso- lich aufwendigeren Zahnersatz bereits eine Mehrko- lut prioritär zu behandeln war, soll auch dieses stenregelung gibt. Die Mehrkosten, die über das Gesetz schnell verabschiedet werden, um den Kran- Ausreichende, Zweckmäßige und Wirtschaftliche kenhäusern und den Krankenkassen endlich Klar- hinausgehen, die der einzelne durch seine Wahlmög- heit über die Finanzierung der Instandhaltungsmaß- lichkeit bei der Auswahl von Füllungsalternativen nahmen zu geben. Es ist allerdings - das bedaure ich verursacht, hat er selbstverständlich selbst zu tragen. sehr - zu befürchten, daß die Beteiligten zwar ab heute wissen, was die Mehrheit des Bundestages in Mit dieser Regelung beseitigen wir einen unbefrie- dieser Angelegenheit will, daß aber die Hängepartie digenden Zustand, weitergehen wird, da der Bundesrat am 1. März 1996 (Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid]) [CDU/ voraussichtlich den Vermittlungsausschuß anrufen CSU]: Unmöglichen Zustand!) wird. (Klaus Kirschner [SPD]: Ihr wißt alles vor sorgen für wesentlich mehr Gerechtigkeit und bela- her! Das Gesetz ist so schlecht!) sten die gesetzliche Krankenversicherung nicht mit zusätzlichen Kosten. Hierbei gilt es zu bedenken, daß bis zum Beschluß des Bundesverwaltungsgerichtes niemand Zweifel (Klaus Kirschner [SPD]: Ja, aber die Versi- an der Berechtigung der Finanzierung der sogenann- cherten!) ten Instandhaltungsinvestitionen im Krankenhaus Kurzum: Wir werden auf breite Zustimmung in der durch die Länder hatte. Diese Gerichtsentscheidung Bevölkerung und in der Fachöffentlichkeit stoßen. hat allerdings dazu geführt, daß sich die Länder - ich sage mit besonderer Freude: mit der löblichen Aus- Obwohl alle Fakten für unseren Vorschlag spre- nahme von Bayern - sofort aus der Finanzierung die- chen, bin ich sicher, daß die Damen und Herren der ser Instandhaltungsaufwendungen zurückgezogen Opposition aus rein ideologischen Gründen Anstoß haben. an dieser Vorschrift nehmen werden, da es sich ja um den Einstieg in den Ausstieg von irgend etwas han- Wenn man den Zahlen von Experten, die von deln könnte. einem Investitionsvolumen von 500 Millionen DM jährlich ausgehen, glauben darf, so hat sich mittler- (Klaus Kirschner [SPD]: Was heißt „An- weile ein Investitionsstau in Höhe von 1,5 bis stoß"? Wir lehnen das ab!) Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 86. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. Februar 1996 7607

Wolfgang Zöller Sollte es Ihnen gelingen, sich einmal von Ihren Bereich, zum Beispiel bei der prothetischen Versor- eigenen Urängsten zu befreien, dann könnten Sie gung, die ordnungspolitische Wende vollzogen hier im Interesse der Sache nur eines tun, nämlich würde, wie es ja in der Zeitschrift „Die Zahnarzt dem Gesetzentwurf der Koalition zustimmen. Woche" gemutmaßt wurde. Ich danke Ihnen. Frau Kollegin, (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Zöl- ler? Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Es spricht nun die Abgeordnete Petra Ernstberger. Petra Ernstberger (SPD): Nein. (Dr. Christian Ruck [CDU/CSU]: Ein schwe rer Gang!) (Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Das habe ich vermutet! - Waltraud Lehn [SPD]: Nicht noch mehr Redezeit in Anspruch nehmen, Petra Ernstberger (SPD): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Für die Zahnärzte fand im ver- wenn auch in verdeckter Weise!) gangenen Jahr die weihnachtliche Bescherung - Das macht nichts. schon vor dem Heiligen Abend statt, nämlich zu dem Zeitpunkt, als Bundesminister Seehofer die Eck- Die im von der Regierung eingebrachten Gesetz- punkte der Koalitionsregierung über die nächste entwurf vorgeschlagene Mehrkostenregelung bei Stufe der Gesundheitsreform und damit sein persön- zahnerhaltenden Maßnahmen stellt nämlich eine liches Weihnachtsgeschenk der Klientel unter den klare Erhöhung der Selbstbeteiligung bei den Versi- Tannenbaum legte. cherten und bei den Patienten dar. - (Horst Seehofer [CDU/CSU]: Auf Wunsch (Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Das stimmt der F.D.P.! - Heiterkeit bei der CDU/CSU überhaupt nicht!) und der F.D.P.) Die Vorstellungen von Herrn Minister Seehofer sind - Darauf kommen wir schon noch. dabei nicht neu, wurde doch schon - wie Herr Zöller Durch Kostenerstattung und Festzuschüsse bei vorhin gesagt hat - mit dem GKV-Anpassungsgesetz Zahnersatz auf der Basis des vorliegenden Vertrags- vom Deutschen Bundestag am 19. Mai 1994 verab- und Wahlleistungskonzepts der Kassenärztlichen schiedet, der Versuch gemacht, in der zahnmedizini- Bundesvereinigung sowie eine Mehrkostenregelung schen Versorgung das bewährte Sachleistungsprin- bei der Füllungstherapie soll nun auch die Zahnme- zip bei Inlays durch die Hintertür einfach auszuhe- dizin zu einem exemplarischen Reformbereich für beln. Liberalisierung und Deregulierung werden. (Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Das stimmt (Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Sehr gut!) doch gar nicht!) Die Claqueure waren auch gleich zur Stelle, näm- Die damalige Ablehnung durch den Bundesrat lich die Bundeszahnärztekammer, die Kassenzahn- stellte sicher, daß für das - durch die SPD im Gesund- ärztliche Bundesvereinigung und der Freie Verband heitsstrukturgesetz verhinderte - Konzept der der Zahnärzte. Sie begrüßten einhellig die Pläne der Grund- und Wahlleistungen die Türen auch weiter- Bundesregierung als einen Schritt in die richtige hin verschlossen blieben. Richtung. In diesem Falle aber veränderte der Zahn der Zeit (Klaus Kirschner [SPD]: Die Speerspitze des nicht die Intentionen der Regierungskoalition. Im Fortschritts! - Horst Seehofer [CDU/CSU]: Gegenteil, durch das vorliegende, mittlerweile achte Sind Sie anderer Meinung?) SGB V-Änderungsgesetz wird ein weiteres Mal die Ich frage Sie, Herr Minister Seehofer: Welcher Teu- Zielsetzung verfolgt, ein anderes Krankenversiche- fel hat Sie eigentlich geritten, hier einen Wortbruch rungssystem zu schaffen, in dem die solidarische zu begehen? Bei jeder geeigneten oder ungeeigne- Absicherung des medizinisch Notwendigen einfach ten Gelegenheit haben Sie immer wieder betont, daß aufgebrochen und beseitigt werden soll. mit Ihnen eine Erhöhung der Versichertenselbstbe- (Beifall bei der SPD) teiligung nicht zu machen sei. Die bisherige Regelung in der Prothetik besagt ja, (Zurufe von der SPD: Sehr wahr! - Beifall daß die gesetzliche Krankenversicherung nur bei des Abg. Horst Seehofer [CDU/CSU]) den den vertragszahnärztlichen Richtlinien entspre- Gegen alle Wünsche würden Sie mit aller Kraft chenden Zahnfüllungen die Kosten übernimmt. kämpfen, hielten Sie es doch für einen gesundheits- Wählt der Versicherte nun eine nicht zur vertrags- politisch falschen Ansatz, Defizite der Krankenversi- zahnärztlichen Versorgung gehörende Versorgungs- cherung auf dem Rücken der Kranken abzuladen. So form bei Füllungen, so wird der Betrag, den die ver- Ihre eigenen Worte. Und nun diese Kehrtwendung! gleichbare preisgünstigste plastische Füllung geko- stet hätte, nicht erstattet. Ich frage Sie, Herr Minister Seehofer, ob Sie wirk- lich Angst haben, bei Zahnärzten nicht ungestraft (Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Das ist doch ein davonzukommen, wenn nicht wenigstens in einem Fehler!) 7608 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 86. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. Februar 1996 Petra Ernstberger Der Gesetzentwurf der Regierungskoalition will Die Versicherten der gesetzlichen Krankenversi- nun analog der Mehrkostenregelung für Zahnersatz cherung werden zum wiederholten Male, hier bei der nach § 30 Abs. 4 SGB V eine Mehrkostenregelung prothetischen Versorgung, finanziell mehr belastet. auch bei zahnerhaltenden Maßnahmen schaffen. (Waltraud Lehn [SPD]: Pfui!) Dies bedeutet, daß der Versicherte von der Kranken- kasse den Kostenanteil, der bei einer Versorgung mit Aber was spielen ein paar hundert Millionen Mark plastischen Füllmaterialien gemäß den vertragszahn- schon für eine Rolle, wenn es darüber hinaus doch ärztlichen Kriterien aufzuwenden gewesen wäre, als gelingt, im Mehrkostenbereich dem ordnungspoliti- Sachleistung erhält. schen Einfluß der Krankenkassen und des Gesetzge- (Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ bers zu entkommen. CSU]: Genau!) Die Ziele und Vorstellungen der Zahnärzte sind Ein auf den ersten Blick einsichtiges und befriedi- hinlänglich bekannt, über Programme zu Vertrags- gendes Unterfangen! Fühlen wir der Regierung aber und Wahlleistungen den Einstieg - wenn ich Herrn auf den Zahn, dann stellen wir fest, daß es sich um Zöller zitieren darf - in den Ausstieg aus der GKV zu betreiben. Stand der Herr Minister bis dato noch auf eine absolute Mogelpackung handelt. der anderen Seite des Konzeptes und bezeichnete es (Beifall bei der SPD - Klaus Kirschner als „Abkassiermodell", hat sich hier anscheinend [SPD]: Der Zahn ist faul!) eine Form von Gehirnwäsche vollzogen; denn anders läßt sich der Sinneswandel nicht erklären, mit dem er Denn der Beibehaltung des Sachleistungsprinzips, nun das Vertrags- und Wahlleistungsmodell favori- wie in der Begründung des Gesetzentwurfes schein- siert. heilig argumentiert wird, dient die intendierte Ände- rung des § 28 Abs. 2 SGB V nicht. Vielmehr zielt Ihr Eines muß ich Ihnen, Herr Seehofer, aber ganz- Entwurf, Herr Seehofer, auf eine Aufgabe des Sach- deutlich sagen: Ein für die Zahnärzte maßgeschnei- leistungsprinzips, dertes und somit finanziell lukratives Regel- und Wahlleistungskonzept wird von der SPD mit allen (Klaus Kirschner [SPD]: Sehr wahr!) Mitteln bekämpft werden. wird doch durch die Erstattung der vertragszahnärzt- (Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Na! Na! - Jörg lichen Regelleistung aus der Sachleistung ein fester van Essen [F.D.P.]: Kommen Sie nur mal Zuschuß. Dies stellt einen Systembruch der gesetzli- zum Zahnarzt!) chen Krankenversicherung dar, wird doch hier ein tragendes Element, nämlich das Sachleistungsprin- Ihnen muß man ganz deutlich sagen, daß die Auf- zip, ausgehöhlt. teilung des Leistungskatalogs in ein Grund- oder ein Basiskonzept für uns nicht in Frage kommt. Den Weg (Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Zum Glück!) in eine Mehrklassenmedizin gehen wir nicht mit. Die Zeche zahlt dann in ganz gewohnter Manier der Diesen Zahn werden wir Ihnen auch noch ziehen. Regierung der Bürger als Versicherter und Patient, (Beifall bei der SPD - Klaus Kirschner vor allem die mit mittlerem und kleinem Einkommen. [SPD]: Der Zahn wird ohne Betäubung (Klaus Kirschner [SPD]: Seehofer, der Toten gezogen!) gräber des Sachleistungsprinzips!) Diesen Anschlag auf das System der gesetzlichen Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Zu einer Kurz- Krankenversicherung werden wir von der SPD zu intervention erteile ich dem Kollegen Zöller das Wort. verhindern wissen. (Beifall bei der SPD - Lachen bei der CDU/ Wolfgang Zöller (CDU/CSU): Nachdem Sie meine CSU) Frage vorhin nicht zugelassen haben, sehe ich mich zu dieser Kurzintervention gezwungen. In der Begründung des Gesetzentwurfs wird behauptet, daß durch die Neuregelung keine Mehr- Sie haben dem Minister Wortbruch unterstellt und aufwendungen zu erwarten seien. Auch das ist ein behauptet, mit dem eingebrachten Gesetz würden „fauler Zahn". So bedeutet zum einen nämlich die wir eine Mehrbelastung der Versicherten bewirken. Zahlung von Festzuschüssen unter dem Strich (Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Stimmt über- erhöhte Ausgaben für die Krankenkassen. Ferner haupt nicht!) kommen noch erhebliche Mehrkosten auf den Patienten selber zu, wird doch gemäß der analogen Gerade das Gegenteil ist der Fall: Für Füllungslei- Übertragung des § 30 SGB V auf § 28 SGB V im Zuge stungen, bei denen die Versicherten bisher keinen der beabsichtigten Mehrkostenregelung die Mehrko- Zuschuß bekamen, erhalten sie jetzt mindestens den stenberechnung auf der Grundlage der amtlichen Zuschuß der Amalgam- oder der Kunststoffüllung. Gebührenordnung GOZ vollzogen. Dies wiederum Das ist der wesentliche Unterschied. Wie das den eröffnet den Zahnärzten zusätzliche Liquidations- Versicherten mehr belasten soll, weiß ich nicht. Das möglichkeiten neben den kassenärztlichen Honora- ist eine Logik, die nur Sie verstehen können. ren im Rahmen der Gesamtvergütung. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. - (Klaus Kirschner [SPD]: Sehr wahr! Der Waltraud Lehn [SPD]: Schön reden hilft da Freie Verband läßt grüßen!) auch nicht!) Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 86. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. Februar 1996 7609

Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Frau Kollegin, Sollen sie den Mangel an gerechter Verteilung Sie haben die Möglichkeit zur Entgegnung. Bitte. bedarfsgerecht selbst verwalten? Es sind die Wir- kungszusammenhänge, die realpolitisch einge- Petra Ernstberger (SPD): Herr Zöller, Sie haben schätzt werden müssen, Die Kassen mit guten Versi- gesagt, für die Patienten trete eine Entlastung ein. cherten können die besten Häuser unter Vertrag Aber die Patienten tragen doch die Kosten in der nehmen. Ist das die Zukunftsperspektive? Was ist gesetzlichen Krankenversicherung, die für uns eine denn dann die Folge der Monistik und Konkurrenz solidarische Krankenversicherung ist, alle mit. Wenn der Kassen, die uns ins Haus steht? Die Gesundheits- jedesmal eine Zuzahlung dazukommt, muß das in strukturplanung ist eine allgemein öffentliche Auf- der Krankenkasse in der Gesamtheit mitgetragen gabe. Sie braucht auch in Zukunft eine feste werden. Das ist ja ein ständiger, ein fester Zuschuß, Adresse. der dazukommt. Ich möchte auf einen Aspekt eingehen, der in der ökonomischen Debatte immer vernachlässigt wird, Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Ich erteile nun den ich aber für sehr wichtig halte. Es ist der, daß der Abgeordneten Monika Knoche das Wort, Architektur Haltung ausdrückt. Räume sind mehr als nur funktional. Insofern ist es ein kulturelles, ein gesellschaftliches und ein ästhetisches Argument, Monika Knoche (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Zugege- das ich vertrete. Von einer Nostalgie der Funktions- benermaßen fällt es mir heute schwer, zwei Themen bauten möge uns diese Regierung bitte bewahren. miteinander zu verbinden: die Instandhaltung von (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Gebäuden und die Instandhaltung von Zähnen. Aber ich werde dazu kurz etwas sagen. Es war, ich behaupte, einzig die öffentliche Diskus- sion, die ein emanzipatorisches Denken in der Kran-- Ich möchte mich mit der Monistik beschäftigen, kenhausreformplanung, in der Bauweise eingeleitet die diesem Gesetzentwurf zugrunde liegt. Monistik hat. Ich nenne hier nur Rooming-in in Frauenklini- klingt ziemlich modern, doch sie ist in den 70er Jah- ken, Familienräume in Kinderkrebs- und Intensivsta- ren zu den Akten gelegt worden. tionen, die Abkehr von der Verwahrpsychiatrie, die (Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Na! Na!) sich in neuen therapeutischen Konzepten und Räu- men ausdrückte. Ich nenne Zukunftsanforderungen Damals war die Bausubstanz in bundesdeutschen wie Baubiologie, modellhafte Perinatologie usw. Krankenhäusern so marode, wie sie in den neuen Bundesländern nach der Wende war. All das sind Ergebnisse eines neuen gesundheits- politischen Verständnisses. Dieses wurde möglich, Ohne Länderfinanzierung sähe es trübe aus. Der weil das Bauen von Krankenhäusern eine öffentliche Staat tut auch in Zukunft gut daran, die politisch Aufgabe war. Nur so konnte ein Reformprozeß einge- fachliche Planung der stationären Versorgung sicher- leitet werden. So sind es für mich im wesentlichen zustellen und an der Steuerfinanzierung festzuhal- demokratiepolitische Gründe, wenn ich sage, daß ten. Zwar kann durch Monistik Haushaltssanierung Bauen eine öffentliche Aufgabe bleiben muß. betrieben werden, aber rechnen wird sich das nicht. Das weiß unter anderem auch Bayern - und auch Sie, Wenn wir dieses Niveau halten und keine Renais- Herr Minister -, das sich gegen die Monistik wendet; sance der 70er Jahre auf uns zukommen lassen denn diese Wiederverwendung ist aus gesundheits sehen wollen, dann ist diese Maßnahme, die wir vor- strukturpolitischen Gründen weder klug noch schlagen, in der Tat Bestandsschutz und Schutz vor zukunftsweisend. einem Krankenhausbaumarkt, auf dem Kranken- hauskonzerne und p rivate Bauträger agieren sowie Es liegt auf der Hand: Die Kassen würden wieder Leasingverfahren und ähnliches aus der Finanznot einmal mit Ausgaben belastet, die Ihr Primat, Herr der Kassen resultieren werden. Seehofer, das der Beitragsstabilität, unterlaufen würde. Der geschätzte Instandhaltungsaufwand ist Ich meine, es steht ein umfassenderes und ganz- ohne die neuen Länder schon auf 2 bis 3 Milliarden heitlicheres Verständnis von öffentlicher Gesund- DM aufgestaut. Wieder käme ein neuer Verschiebe- heitsstrukturplanung und Bauplanung zur Disposi- bahnhof hinzu. tion. So betrachtet ist die Länderfinanzierung eine moderne Position, auch wenn die Formulierung Schnell führt uns das in die Diskussion in Richtung unseres Antrages „Entfristung" reichlich bürokra- versicherungsfremde Leistungen seitens der Kassen. tisch klingen mag. Das Land soll zahlen, weil die Einnahmedeckelung bei den Kassen anhält. Die Frage ist: Welchen demo- Danke schön. kratiepolitischen Preis zahlt die öffentliche Hand? (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Selbst bei einer rein pflegesatzfinanzierten Bau- sowie bei Abgeordneten der SPD) form würden die Kassen am stärksten belastet, die die kränksten Versicherten haben. Die ärmsten Kas- sen werden die stationäre Versorgung am meisten Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Ich erteile das Wort dem Kollegen Dr. Dieter Thomae. brauchen und müssen dafür am meisten zahlen. Ungleichheit und Ungerechtigkeit werden zwangs- läufig verstärkt; auch hier keine Wettbewerbsgleich- Dr. Dieter Thomae (F.D.P.): Herr Präsident! Meine heit der Kassen. Damen und Herren! Die Bundesregierung sollte 7610 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 86. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. Februar 1996

Dr. Dieter Thomae eigentlich auf das Ergebnis sehr stolz sein, das sie rung ausgesprochen, dann frage ich Sie: Sagen Sie seit der Wiedervereinigung im Krankenhausbereich dieses auch im Namen des Bundesgesundheitsmini- in den neuen Bundesländern geschafft hat. sters? Denn dies ist mir nach einem Zitat der „Süd- deutschen Zeitung" und einer entsprechenden Mit- (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) teilung der CSU nicht klar. Dieses Ergebnis kann sich sehen lassen. Wir haben (Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [F.D.P.]: das mit nennenswerten Mitteln des Bundes und der Warum fragen Sie ihn nicht selbst?) alten Bundesländer geschafft. Ich bin froh, daß die Krankenhausversorgung dort erheblich verbessert wurde. Dr. Dieter Thomae (F.D.P.): Lieber Herr Kirschner, Sie wissen selber, Zeitungsberichten kann man nicht Dennoch, meine ich, müssen wir ein Problem der immer folgen. alten Bundesländer sehr ernsthaft anpacken; denn beim Thema Instandhaltung ziehen sich die Bundes- (Heiterkeit und Beifall bei der F.D.P. und länder zurück. Hier sind die Länder gefragt, auch die der CDU/CSU - Lachen bei der SPD) von der SPD und dem Bündnis 90/Die Grünen regier- Vielmehr vertraue ich der Zusage des Ministers und ten. Sie schlampen bei ihren Aufgaben. Hier sind sie der Koalition. Von daher sind wir sehr optimistisch. gefordert, Verantwortung zu übernehmen. (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU - (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) Lachen bei der SPD) Die Länder übernehmen in diesem Bereich keine Meine Damen und Herren, lassen Sie mich bitte Verantwortung. Sie haben mittlerweile 1,5 Milliarden zum letzten Thema kommen. DM nicht zur Finanzierung bereitgestellt. Das erken- nen wir heute in den Krankenhäusern der alten Bun- - desländer. Sehen Sie sich einmal in den Ländern um, Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Herr Kollege, die von SPD und Bündnis 90/Die Grünen regiert wer- gestatten Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten den. Hier sind die Katastrophen am größten. Knoche? (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) Dr. Dieter Thomae (F.D.P.): Ein paar Minuten noch, Von daher sehen wir uns politisch gezwungen, den Frau Knoche, dann können Sie Ihre Frage stellen. Ländern diese Aufgabe noch einmal klar und deut- lich zu machen und in einer Übergangsphase die Ich möchte das Thema Amalgam sehr ernsthaft Instandhaltung endlich zu realisieren; denn die ansprechen. In der Vergangenheit haben alle Frak- Zustände sind teilweise katastrophal. Das können tionen hier im Deutschen Bundestag auf die Proble- wir nicht einfach so laufen lassen. matik von Amalgam hingewiesen und immer wieder gesagt, daß hier eine Veränderung erfolgen muß, Die Länder möchten den Krankenkassen weitere weil es Unterlagen gibt, die belegen, daß Amalgam Belastungen zuführen. Alle haben heute morgen bei gewissen Personenkreisen gesundheitliche Schä- davon gesprochen, die Lohnzusatzkosten müssen den verursacht. gesenkt werden. Wenn das so ist, dann übernehmen Sie endlich Ihre Pflichten und erfüllen in diesem Diese Bedenken hat die Koalition aufgegriffen. Das Bereich die Aufgaben. Andernfalls müssen wir die halte ich auch für richtig. Die Bevölkerung muß wis- Beitragssätze erhöhen. Das, meine Damen und Her- sen, daß, wenn Amalgam zu gesundheitlichen Schä- ren - das wurde auch von Ihnen bestätigt -, kann den führt, im zahnärztlichen Bereich andere Rege- nicht politischer Wille sein. lungen angewendet werden können. (Beifall bei der F.D.P. - Abg. Klaus Kirsch (Vorsitz: Vizepräsident Hans-Ulrich Klose) ner [SPD] meldet sich zu einer Zwischen- Darum, so meine ich, ist es sinnvoll, daß wir die frage) Basisversorgung finanziell in eine höhere Versor- - Sofort. gungsstufe übernehmen. Auch Sie wollen doch wohl, daß der Patient, der kein Amalgam verträgt, Nächster Punkt: Natürlich wollen wir eine monisti- die Möglichkeit hat, eine andere Versorgung zu wäh- sche Finanzierung. Ich bin froh, daß die Koalition len, und den Grundbetrag mitnehmen kann. das heute morgen bestätigt hat. Ich bin froh, daß mein Kollege Zöller und der Minister Beifall gespen- (Beifall bei der F.D.P.) det haben. Aber das ist ein langer Weg, der eine Wie können Sie dagegen sein? Damit wären Sie Übergangsphase erforderlich macht. Dennoch sind gegen die Bürger und ihre Gesundheitsversorgung. wir uns auch mit der SPD einig: Wir wollen eine Das können Sie doch nicht wollen. monistische Finanzierung, aber auch eine Planungs- kompetenz. Dann müssen aber die Krankenkassen (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU - einbezogen werden. Zuruf von der SPD) Bitte schön, Herr Kirschner. - Ja, meine Dame, Amalgam wird mehr oder weniger nur von den Zahnärzten und nicht in der ambulanten ärztlichen Versorgung benutzt. Klaus Kirschner (SPD): Herr Kollege Dr. Thomae, wenn Sie sagen, die Bundesregierung bzw. die Koali- Wir werden diese Regelung treffen, da sie sinnvoll tion hat sich eindeutig für die monistische Finanzie- ist und der Bürger dies will. Ich sage Ihnen: Es gibt Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 86. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. Februar 1996 7611

Dr. Dieter Thomae eine Umfrage, bei der die deutsche Bevölkerung gung hat. Sind Sie in der Lage, mir zu sagen, in wel- gefragt wurde, ob sie bereit wäre, für eine höhere cher Höhe sich dieses Bundesland an der Finanzie- Versorgung selber die Mehrkosten zu übernehmen. rung beteiligt? Jetzt hören Sie von der SPD und dem Bündnis 90/Die Grünen mir bitte gut zu! 70 Prozent der deutschen Dr. Dieter Thomae (F.D.P.): Auf jeden Fall in einem Bevölkerung wären bereit, bei einem Verzicht auf erheblich höherem Maße als das Land Hessen. Das Amalgam eine höhere Versorgung zu wählen und kann ich Ihnen sagen. den Betrag für die Grundversorgung mitzunehmen. Meine Damen und Herren, was wollen Sie denn (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU - mehr? Lachen bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Herr Dr. Thomae, Meine Damen und Herren, wir wollen einen Ersatz gestatten Sie eine Zwischenfrage? - für Amalgam. Die gesetzliche Krankenkasse aber wird es, wenn wir die Beitragssätze nicht erhöhen, finanziell nicht schaffen, jedem Patienten im Rahmen (F.D.P.): Eben habe ich nein Dr. Dieter Thomae der gesetzlichen Krankenversicherung Goldinlays gesagt; dann muß ich jetzt ja sagen. anbieten zu können. Das sage ich ganz offiziell, Bitte schön, Frau Knoche. Ich bin fair. damit hier kein Irrtum entsteht. Herzlichen Dank. Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Ich hatte auf den Wunsch nach einer Zwischenfrage von Frau Ernst- (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) berger reagiert. Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Das Wort hat die (Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [F.D.P.]: Kollegin Dr. Ruth Fuchs, PDS. Eine Dame nach der anderen! - Heiterkeit)

Ich frage jetzt, Herr Dr. Thomae: Sind Sie bereit, eine Dr. Ruth Fuchs (PDS): Herr Präsident! Meine Frage zuzulassen? - Bitte schön, zuerst Sie, Frau Damen und Herren! Mit dem vorliegenden Gesetz- Ernstberger, dann Sie, Frau Knoche. entwurf zur Änderung des Krankenhausfinanzie- rungsgesetzes soll erreicht werden, daß auch in den kommenden Jahren ein definierter Teil der Instand- Petra Ernstberger (SPD): Herr Dr. Thomae, stim- men Sie mir zu, daß es bereits jetzt so ist, daß, wenn haltungskosten für Krankenhäuser wie bisher von eine medizinische Indikation vorliegt, die Kosten den Ländern zu tragen ist. Gegen eine solche Festle- einer keramischen Füllung von den Kassen über- gung wäre im Grunde nichts einzuwenden. Im nommen werden und damit die Möglichkeit für den Gegenteil, die seit 1993 aufgerissenen und nun Patienten gegeben ist, auf Amalgam zu verzichten? schon ins vierte Jahr gehenden Lücken in der Kran- kenhausinstandhaltung verlangen immer dringlicher nach einer Lösung. Dr. Dieter Thomae (F.D.P.): Das mag von manchen Kassen so gehandhabt werden. Wir befinden uns (Beifall bei der F.D.P.) hier aber in einem rechtsunsicheren Raum, den ich Wir halten es allerdings nicht für sachgerecht, daß beseitigen möchte. Ich möchte dem Bürger sagen: dies nur noch für eine Übergangszeit von drei Jahren Eine Alternative ist möglich. Dabei können Sie den vorgesehen wird. Danach soll bekanntlich die Grundbetrag mitnehmen. - Das ist mein Anliegen. Es gesamte Investitionsfinanzierung der Krankenhäuser geht mir darum, daß Amalgam durch ein anderes durch die Bundesländer aufgegeben und in ihrem Material ersetzt werden kann. Davon lasse ich mich vollen Umfang über die Pflegesätze den Kassen überhaupt nicht abbringen. übertragen werden. Die damit getroffene Grundsatz- (Beifall bei der F.D.P.) entscheidung für eine Rückkehr zur Monistik ist jedoch in erster Linie Teil jenes unseligen sozialpoliti- schen Verschiebebahnhofs, mit dem sich der Staat Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Herr Dr. Thomae, auf Kosten der Beitragszahler in der gesetzlichen gestatten Sie noch eine Zwischenfrage? - Bitte, Frau Krankenversicherung Schritt für Schritt aus seiner Kollegin. Verantwortung für ein funktionierendes Gesund- heitswesen herausnimmt. Hinzu kommt: Wenn der Monika Knoche (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sicherstellungsauftrag für die Krankenhausplanung Herr Kollege, wir werden noch eine Anhörung oder und -versorgung, das heißt für das Vorhalten eines einen wissenschaftlichen Streit dazu haben; das bedarfsgerechten Netzes stationärer Kapazitäten, bei kann man unterschiedlich bewerten. Sollte sich den Ländern bleiben soll, dann ist und bleibt es nur dabei herausstellen, daß Füllungsalternativen aus konsequent, sie auch nicht aus der damit verbunde- gesundheitlichen Gründen notwendig sind, dann nen finanziellen Verantwortung zu entlassen. muß es, so denke ich, eine ganz normale Regellei- (Beifall bei der PDS) stung sein, dieses andere Material zu finanzieren. Aus diesem Grunde können wir dem vorliegenden Meine Frage aber ist, weil Sie die Länder so stür- Gesetzentwurf nicht zustimmen. misch ins Gespräch gebracht haben: Es gibt noch ein Bundesland, wo die F.D.P. eine Regierungsbeteili- (Zuruf von der F.D.P.) 7612 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 86. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. Februar 1996

Dr. Ruth Fuchs - Das haben Sie doch erwartet! stolpern die Akteure einem ungewissen Ende entge- gen. Zur Amalgam-Mehrkostenregelung. Mit der damit vorgesehenen Zahlung des Preises einer normalen (Heiterkeit und Beifall bei der SPD) klassischen Füllung durch die Kassen unter Über- nahme der Mehrkosten durch den Versicherten bei Was wir jedoch brauchen, ist eine Bundesregie- individueller Wahl einer über die vertragsärztlichen rung, die zielstrebig nach vorn geht, die den Sach- Richtlinien hinausgehenden Leistung werden trotz verstand und die Ideen anderer mit einbezieht. Wir aller gegenteiligen Beteuerungen erstens das Sach- brauchen keinen Gesundheitsminister, der von leistungsprinzip der gesetzlichen Krankenversiche- Gesetzchen zu Gesetzchen hoppelt. Mit dem unsägli- rung erneut unterlaufen und zweitens die Versicher- chen Flickwerk von Einzelgesetzen, Herr Thomae, ist ten in einem weiteren Fall vorsorglich an das Funk- jedenfalls der Gesamtproblematik im Gesundheits- tionieren. von Regel- und Wahlleistungen gewöhnt. bereich nicht beizukommen. (Beifall bei der PDS) (Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Das macht die SPD so nervös!) Die übergreifende Botschaft lautet darüber hinaus in jedem Fall: Mit individueller Übernahme von Damit kann man allenfalls die eigene Klientel bedie- Mehrkosten soll man sich bessere medizinische Lei- nen. stungen erkaufen können. Damit wird der wichtigste Nachdem wir uns vor drei Wochen an dieser Stelle Grundsatz einer sozialen Krankenversicherung ver- mit dem Gesetzentwurf der Bundesregierung zur lassen, nach dem jedes Mitglied Anspruch auf eine ausreichende, zweckmäßige und wirtschaftliche Ver- Stabilisierung der Krankenhausausgaben 1996 beschäftigt haben, ist es heute Ihr Gesetzentwurf zur sorgung hat, die sich in erster Linie aus der jeweili- gen medizinischen Indikation ableitet und deren Änderung des Krankenhausfinanzierungsgesetzes.- Kosten die Versicherung dann auch in vollem Mit diesem Gesetzentwurf versuchen die Koalitions- Umfang übernimmt. fraktionen, das Problem, das mit dem Urteil des Bun- desverwaltungsgerichtes vom 21. Januar 1993 ent- Erneut bestätigt sich, was von Anfang an zu erken- standen ist, zu lösen. Ganz schön f ix, diese Bundesre- nen war: Die eigentliche Bedeutung jener Serie von gierung. Da braucht sie doch nur drei Jahre, wahr- Minigesetzen, mit denen Regierung und Koalition scheinlich zweidreiviertel zum Erkennen des Pro- gegenwärtig aufwarten, liegt da rin, daß mit ihnen blems und ein Vierteljahr, um eine unzulängliche das Ende der bisherigen solidarischen Krankenversi- Lösung vorzuschlagen. Nach diesem Urteil läßt die cherung in verschiedenen Teilbereichen schon ein- bestehende Rechtslage eine Finanzierung der mal vorweggenommen wird. Instandhaltungskosten bei den Krankenhäusern durch die Bundesländer nicht mehr zu. Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. (Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Bayern macht (Beifall bei der PDS) es aber! - Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Wie war das mit Johannes Rau?) Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Das Wort hat die Kollegin Waltraud Lehn. Drei Jahre - das sagte ich schon - hat die Bundes- regierung verstreichen lassen, bevor sie jetzt vor- schlägt, die Instandhaltungskosten für die nächsten Waltraud Lehn (SPD): Herr Präsident! Meine drei Jahre - schneller könnten Sie nicht arbeiten; Damen und Herren! Wenn ich Ihnen sage, daß die dafür habe ich Verständnis - weiter durch die Länder finanzielle Lage in der gesetzlichen Krankenversi- fördern zu lassen cherung alarmierend ist, dann ist das nichts Neues. (Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD - (Zuruf von der CDU/CSU: Sagen Sie es lie Klaus Kirschner [SPD]: Sehr wahr!) ber nicht!) und erst ab 1999 die Finanzierung über die Pflege- - Aber Sie sollten einfach mal abwarten. Nicht daß sätze zu übernehmen. man ansonsten mit Langsamkeit bei Ihnen zurück- haltend wäre, aber an der Stelle wäre es wirklich ein- Meine Damen und Herren, diesem Vorhaben mal sinnvoll zu warten. stimmt die SPD-Fraktion nicht zu. Wir haben bei den Nicht neu ist auch, daß die SPD schon lange auf Beratungen im Gesundheitsausschuß unterstrichen, diese bedrohliche Entwicklung hinweist. daß wir in einem Zeitraum von zehn Jahren den Übergang von der dualen zur monistischen Finan- (Zuruf von der SPD: Sehr wahr! - Zuruf von zierung der Krankenhäuser anstreben. In einer der F.D.P.: Das stimmt nicht!) Situation, in der dank Ihrer - nett und freundlich for- muliert - „Zurückhaltung" - vielleicht wäre das Wort Altbekannt ist unsere Forderung, endlich die Struk- „Schlamperei" hier ja durchaus nicht völlig fehl am turelemente des GSG umzusetzen. Immer wieder- Platze -, in einer Situation, in der die Fallpauschalen kehrend ist jedoch das Handeln der Bundesregie- nur 25 Prozent und die Sonderentgelte sogar nur rung. Nicht nur im Gesundheitsbereich sitzt sie die 5 Prozent des Leistungsgeschehens abdecken, ist aus Probleme aus. Ihr Handeln ist ähnlich überraschend unserer Sicht eine langfristige Umstellung auf eine wie die jährliche Wiederholung von „Dinner for one" monistische Finanzierung absolut notwendig. am Silvesterabend: Alles schwarz-weiß, nur wenige spielen mit, der Inhalt ändert sich nie, und am Ende (Klaus Kirschner [SPD]: Sehr wahr!) Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 86. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. Februar 1996 7613

Waltraud Lehn Nun kann das ohne jede Frage nicht auf einen Ich war dabei zu sagen, daß die Aufbringung der Schlag von heute auf morgen passieren; denn das erforderlichen Mittel - wir haben es ja ohne jede würde ja noch eine weitere Erhöhung der Beiträge. Frage mit einem erheblichen Stau im Bereich der für die Versicherten zur Folge haben, Instandsetzungen zu tun - nicht zu einer erneuten Gefährdung der Stabilität von Beitragssätzen führen (Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: So ist es! - dürfe, und habe Ihnen aufgezeigt, daß das, wenn Klaus Kirschner [SPD]: Sehr wahr!) man sich an den Ausgabenblöcken für 1992 orien- an der auch uns nichts liegt. tiert hätte, eine Grundlage gewesen wäre. Die Lan- desverbände der Krankenkassen und die Verbände In diesem Zusammenhang verweise ich auf unse- der Ersatzkassen beteiligen sich nach unserem Ent- ren Entwurf eines Gesundheitsstrukturkonsolidie- wurf an der Finanzierung der Instandhaltungsko- rungsgesetzes, das wir im Rahmen eines Gesamtre- sten der Krankenkassen entsprechend ihrem Anteil formpaketes anstelle Ihrer Einzelgesetzchen einge- der Versicherten. bracht haben. Dieser Entwurf sieht nun vor, daß die Instandhaltungskosten nach dem Krankenhaus- Die privaten Krankenversicherungen werden übri- finanzierungsgesetz für 1996 den Krankenkassen gens ebenfalls entsprechend an der Finanzierung übertragen werden. Die Höhe der hierfür erforderli- beteiligt. Gemeinsam mit dem jeweiligen Bundes- chen Mittel kann begrenzt werden, indem die von land bilden sie - das ist der Kernbereich unseres Vor- den Krankenkassen zur Verfügung zu stellenden schlages -, einen Investitionsfonds, der das Finanzie- Mittel auf der Höhe der Förderung der Länder im rungskernstück ist. Jahr 1992, zuzüglich der bisherigen Grundlohnstei- gerung, festgelegt werden. Nicht nur wir lehnen den vorliegenden Gesetzent- wurf der Bundesregierung zur Änderung des Kran- kenhausfinanzierungsgesetzes ab. In der Anhörung Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Frau Kollegin, des Gesundheitsausschusses am 6. Dezember 1995 gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Loh- haben sich Einzelpersonen, aber auch verschiedene mann? Verbände und Organisationen außerordentlich kri- tisch mit Ihrem Entwurf auseinandergesetzt und sich Waltraud Lehn (SPD): Ja, selbstverständlich. entsprechend geäußert. (Zuruf von der CDU/CSU: Aber nicht so Lassen Sie mich hieraus eine Aussage zitieren: schwer, Wolfgang! - Heiterkeit bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Wieder ein Realexperiment mit ungewissem Aus- gang, wie wir es im Gesundheitswesen ständig erleben. Planungssicherheit für die Krankenhäu- Wolfgang Lohmann (Lüdenscheid) (CDU/CSU): Frau Kollegin Lehn, Sie haben eben von Schlamperei ser, Vertrauen in Gesetze und Verordnungen, gesprochen, weil es nach Ihrer Auffassung zuwenig Arbeitsbedingungen und Qualität der Patienten- versorgung drohen wieder einmal auf der Strecke Fallpauschalen und Sonderentgelte gibt. Würden Sie zu bleiben. mir zustimmen, daß die Tatsache, daß im vergange- nen Jahr von 2 400 lediglich 72 Krankenhäuser in Zutreffender, Herr Seehofer, läßt sich Ihre Politik diesem Bereich - so will ich es einmal sagen - nicht mehr beschreiben. „üben" konnten, damit zusammenhängt, daß sich die Krankenkassen geweigert haben, die entspre- Wie schon bei unserer Debatte über den Gesetz- chenden Vereinbarungen zu treffen, weil es keine entwurf der Koalition zur Stabilisierung der Kranken- Übereinstimmung in bezug auf die Punktwerte hausausgaben vor drei Wochen wird auch heute wie- geben konnte? Nicht nur das, sie haben darüber hin- der deutlich, daß Sie nicht in der Lage sind, sich auf aus sogar die Ergebnisse der Schiedsstellen nicht ein Gesamtkonzept zu verständigen und daß Sie Ihre anerkannt und haben geklagt. Aus diesem Grund Beiträge, die Sie leisten könnten, um die drohende hat es die Fallpauschalen in dem gewünschten Kostenexplosion im Gesundheitswesen abzuwenden, Umfang nicht gegeben. Würden Sie mir darin zustim- wahrscheinlich wegen mangelnden Einigungsver- men? mögens der Koalitionsfraktionen untereinander nicht leisten. Waltraud Lehn (SPD): Nein; ich würde Ihnen aus- drücklich nicht zustimmen. Vielmehr möchte ich Der SPD-Entwurf eines Gesundheitsstrukturkonso- Ihnen darauf antworten, daß eine zügige Umsetzung lidierungskonzeptes sieht deshalb eine Verlänge- - dabei wären Vorgaben von der Regierungsseite rung der sektoralen Budgetierung der Krankenkas- bzw. des zuständigen Ministeriums erforderlich senausgaben um ein weiteres Jahr vor. Entsprechend gewesen - sehr hilfreich gewesen wäre. Statt dessen der Rechtsprechung werden die Instandhaltungsko- ist das Ganze ausgesessen worden; anders kann man sten nach dem Krankenhausfinanzierungsgesetz für das wirklich nicht formulieren. Ich denke, Sie hätten das Jahr 1996 den Krankenkassen übertragen. Der allen Anlaß, sich selbstkritisch mit diesem Thema Zeitraum von einem Jahr und die strukturellen noch einmal auseinanderzusetzen. Reformmaßnahmen des Gesundheitsstrukturgeset- zes müssen reichen, um die strukturellen Reform- (Lachen bei der CDU/CSU und der F.D.P. - maßnahmen des Gesundheitsstrukturgesetzes umzu- Beifall bei der SPD - Klaus Kirschner [SPD]: setzen und durch weitere Strukturreformen zu ergän- Sehr wahr!) zen. 7614 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 86. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. Februar 1996

Waltraud Lehn Mit dem inzwischen vorgelegten SPD-Entwurf a) Beschlußempfehlung und Bericht des Rechts- eines zweiten Gesundheitsstrukturgesetzes kann die ausschusses (6. Ausschuß) dringend erforderliche Fortschreibung dieser Refor- men erfolgen. Dazu haben wir Sie mehrfach aufgeru- - Drucksache 13/3734 - fen. Wir haben vernommen, daß Herr Seehofer Berichterstattung: zumindest im Gesundheitsausschuß mit der SPD Abgeordnete Norbert Geis sprechen darf. Hans-Joachim Hacker Vielen Dank. Dr. Michael Luther Gerald Häfner (Beifall bei der SPD) b) Bericht des Haushaltsausschusses (8. Aus- schuß) gemäß § 96 der Geschäftsordnung Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Ich schließe die Aussprache. - Drucksache 13/3735 - Wir kommen zur Abstimmung über den von den Berichterstattung: Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. eingebrachten Abgeordnete Gunter Weißgerber Entwurf zur Änderung des Krankenhausfinanzie- Manfred Kolbe rungsgesetzes, Drucksache 13/2745. Der Ausschuß Oswald Metzger für Gesundheit empfiehlt auf der Drucksache 13/ Dr. Wolfgang Weng (Gerlingen) 3722, den Gesetzentwurf unverändert anzunehmen. Dazu liegen Änderungsanträge der Fraktion der Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf SPD und der Gruppe der PDS vor. zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer Die Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. sowie die stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzent- Fraktion Bündnis 90/Die Grünen haben Entschlie- wurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen ßungsanträge eingebracht. der Koalitionsfraktionen gegen die Opposition ange- nommen. Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat ist für die Dritte Beratung Aussprache eine Stunde vorgesehen. - Dazu sehe ich keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. und Schlußabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erhe- Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort zur ben. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Geschäftsordnung der Kollegin Dr. Enkelmann. Gesetzentwurf ist mit der gleichen Mehrheit ange- nommen worden. Dr. Dagmar Enkelmann (PDS): Herr Präsident! Wir kommen zur Abstimmung über den Entschlie- Meine Damen und Herren! Ich ziehe den Ände- ßungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen rungsantrag der Gruppe der PDS auf Drucksache 13/ auf Drucksache 13/3729. Wer stimmt für diesen Ent- 3759 zurück. Unser Hauptanliegen war zunächst, schließungsantrag? - Die Gegenprobe! - Enthaltun- deutlich zu machen - wenn man schon einen Fonds gen? - Der Entschließungsantrag ist gegen die Stim- bildet -, wohin die Mittel gehen sollen. Wir haben men der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mit den unsere Vorschläge gemacht, zum Beispiel an welche Stimmen der Koalitionsfraktionen bei Stimmenthal- Personengruppen die Mittel gehen sollen. Das ist in tung der SPD-Fraktion und nicht ganz klarer Stimm- diesem Antrag nachzulesen. Wir werden zu einem abgabe der Gruppe der PDS abgelehnt. späteren Zeitpunkt einen gesonderten Antrag dazu einbringen. Ich denke, da können wir dann mitein- (Heiterkeit bei der CDU/CSU und der F.D.P. ander arbeiten. - Dr. Ruth Fuchs [PDS]: Herr Präsident, ich kann nichts dafür! Ich habe mich gerade Punkt 1 des Antrags ist in der Gruppe der PDS sehr hingesetzt!) umstritten. Man könnte Rückgabe verbunden mit Rückkauf als Kompromiß betrachten, sozusagen bes- - Es stünde mir nicht zu, das zu bewerten. Ich stelle ser als nichts. Aber dieser Kompromiß wird von der es bloß fest. Mehrheit der Gruppe nicht getragen. Deswegen zie- Der Ältestenrat schlägt die Überweisung des hen wir den Änderungsantrag zurück. Gesetzentwurfs der CDU/CSU und F.D.P. zur Ände- rung des Fünften Buches Sozialgesetzbuch an den Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Davon nimmt Ausschuß für Gesundheit vor. Gibt es dazu ander- das Haus Kenntnis. weitige Vorschläge? - Das ist nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich eröffne jetzt die Aussprache in der Sache. Das Wort hat der Herr Kollege Hans-Joachim Hacker, Ich rufe den Tagesordnungspunkt 11 auf: SPD-Fraktion. Zweite und dritte Beratung des vorn Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Hans-Joachim Hacker (SPD): Vielen Dank, Herr Einbeziehung der Mauer- und Grenzgrund- Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! stücke in das Vermögensgesetz Ein langer parlamentarischer Streit nähert sich dem Ende. Es geht um die Frage, wie der Deutsche Bun- - Drucksache 13/120 - destag und damit der Rechtsstaat Bundesrepublik (Erste Beratung 41. Sitzung) Deutschland mit Ansprüchen von Bürgerinnen und Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 86. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. Februar 1996 7615

Hans-Joachim Hacker Bürgern umgeht, die durch das DDR-Regime geschä- Fest steht jedenfalls, daß mit Ihrer Lösung des Pro- digt wurden. blems der Mauer- und Grenzgrundstücke, meine Damen und Herren von der Regierungskoalition, Wir alle haben es uns bei dieser über zwei Jahre gewollt oder nicht gewollt, DDR-Unrecht nachträg- andauernden Meinungsbildung sicherlich nicht lich legitimiert wird. leichtgemacht. Gern wäre ich auch im Namen mei- ner Fraktion Ihren Worten, Herr Geis, gefolgt: „Was (Zustimmung bei der SPD - Widerspruch lange währt ...". Das kann ich jedoch nicht; denn bei der CDU/CSU) der dazugehörende Halbsatz lautet: „... wird end- lich gut". Dieser Halbsatz trifft auf den Entwurf der Die Einmaligkeit dieser Enteignungsvorgänge - Koalition nicht zu. egal, ob ein DDR-übliches Entschädigungsentgelt gezahlt wurde - muß für den Gesetzgeber zwin- (Zuruf von der SPD: So ist es!) gende Veranlassung sein, das ehedem geraubte Eigentum den rechtmäßigen Eigentümern zurückzu- Sie, meine Damen und Herren von der Regierungs- geben, und zwar ohne Wenn und Aber. koalition, lösen sich heute von jahrelangen Zusagen und Versprechen gegenüber den betroffenen Bürge- (Beifall bei Abgeordneten der SPD - Zuruf rinnen und Bürgern, deren Eigentum vom DDR-Staat von der CDU/CSU) zur Errichtung von Mauer und Todesstreifen zwangs- weise weggenommen wurde. Sie lösen sich heute Genau darauf zielt der Gesetzentwurf des Bundesra- auch von verbindlichen Zusagen, die Sie noch vor tes ab, wenigen Wochen gegeben haben. Der von Ihnen (Norbert Geis [CDU/CSU]: Was machen wir vorgelegte Vorschlag ist nicht das Ergebnis abgewo- mit den anderen, Herr Hacker? - Detlef gener Überlegungen. Kleinert [Hannover] [F.D.P.]: Haben Sie (Beifall bei der SPD) denn das alles schon mit Herrn Stolpe besprochen?) Er wird den historischen Verpflichtungen nicht gerecht und schafft den Boden für neue Rechtsstrei- der im übrigen von allen politischen Parteien des tigkeiten durch Einführung eines neuen Stichtages Berliner Abgeordnetenhauses nachdrücklich befür- im Vermögensrecht. wortet wird. Mit der Neufassung dieses Gesetzent- wurfes entsprechend der von der Regierungskoali- (Norbert Geis [CDU/CSU]: Das haben wir tion vorgeschlagenen Rückkaufregelung wird die doch auch bei den Ausgesiedelten!) Bundesratsinitiative in ihrem Wesensinhalt ver- Worum geht es bei der Entscheidung über die fälscht. Mauer- und Grenzgrundstücke? Es geht um nicht Insofern ist alleine der Änderungsantrag meiner mehr, aber auch nicht weniger als um die Aufhebung Fraktion konsequent, der auf den Entwürfen des von teilungsbedingtem DDR-Unrecht an einer Bundesratsantrages fußt. Gruppe von Bürgerinnen und Bürgern, die zufällig Grundstücke besaß, die für die Errichtung der Berli- (Norbert Geis [CDU/CSU]: Aber Sie wollen ner Mauer und der Sperranlagen in und um Berlin auch abändern!) und an der innerdeutschen Grenze zwangsweise in Anspruch genommen wurden. Abgesehen von dem - Wir wollen genau den Antrag des Bundesrates allgemeinen Unrechtsgehalt, der von der Zielrich- unterstützen und die Rückgabe ohne Wenn und tung dieser Maßnahmen ausging, haben mehrere Aber realisieren. Gutachter Rechtsverstöße seitens der DDR-Organe (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Was dokumentiert. Insbesondere die Anwendung des machen Sie mit den 1,5 Millionen Hektar, Verteidigungsgesetzes der DDR war in Berlin wegen die auch enteignet worden sind?) des entmilitarisierten Status von Gesamtberlin völ- kerrechtswidrig. In dieser Hinsicht ist auch der Änderungsantrag von Bündnis 90/Die Grünen nicht ganz konsequent. Für mich ist nicht nachvollziehbar, daß die Koali- Wir können Ihnen, Herr Häfner, deswegen auch tion aus diesem eindeutigen und gravierenden Ver- nicht zustimmen. stoß gegen das Völkerrecht nicht zwingend die Not- wendigkeit ableitet, die Rückgabe der Mauer- und (Gerald Häfner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Grenzgrundstücke endlich zuzugestehen. NEN]: Ach, Herr Hacker, das ist doch kin- disch!) (Norbert Geis [CDU/CSU]: Völkerrechts- widrig war alles, was die DDR gemacht hat, Zu dem PDS-Antrag hatte ich mir einiges zurecht- Herr Hacker!) gelegt. Frau Enkelmann gibt mir nun leider nicht - Dann müssen Sie jetzt auch handeln, Herr Geis. Gelegenheit, diesen Antrag im Detail auseinanderzu- pflücken. Ich will nur soviel sagen: Es war, wie so oft, Es ist zu erwarten, daß sich mit dieser Auslegung ein populistischer Antrag. Dieser Antrag hätte erneut des Artikels 25 unseres Grundgesetzes aller Wahr- die Diskussion aufflammen lassen, ob denn hier scheinlichkeit nach das Bundesverfassungsgericht Opfer Opfer entschädigen sollen. Er war insofern auseinandersetzen wird; denn einige Betroffene wer- untauglich und steht in eklatantem Widerspruch zu den sich mit der Rückkaufregelung - wenn sie denn Erklärungen von Brandenburger Bundestagsabge- Gesetz werden sollte - nicht abfinden. ordneten gegenüber den Betroffenen, daß sich die 7616 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 86. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. Februar 1996

Hans-Joachim Hacker PDS für die Rückgabe der Mauergrundstücke einset- Ich kann nicht umhin, in dieser Debatte auch auf zen möchte. die zwielichtige Rolle der F.D.P. einzugehen. (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Die PDS (Siegfried Scheffler [SPD]: Wieder einmal!) will doch die Mauer wiederhaben!) Bis zuletzt sind die Zwangsenteigneten insbesondere Meine Damen und Herren, damit aus der heutigen durch F.D.P.-Politiker in ihren berechtigten Er- Debatte keine falschen Schlüsse gezogen werden, wartungen auf Rückgabe ohne Wenn und Aber sage ich auch: Das Thema Mauergrundstücke ist bestärkt worden. Die frühere Justizministerin Frau nicht geeignet, eine Diskussion um die Frage aufzu- Leutheusser-Schnarrenberger hat sich zur Rückgabe werfen, ob es sich hierbei um Maueropfer handelt. bekannt, und auch der heutige Justizminister, Herr Maueropfer - das sage ich ganz deutlich - sind ohne Schmidt-Jortzig, hat sich sowohl als Berichterstatter Zweifel die an der Mauer und auf dem Todesstreifen im Rechtsausschuß als auch als bereits designierter Getöteten und Verletzten. Ihnen und ihren Angehöri- Bundesjustizminister eindeutig im Sinne einer Rück- gen gilt unser Mitgefühl, ihnen sind wir in erster gabe erklärt. Linie verpflichtet. (Zuruf von der SPD: Hört! Hört! - Norbert (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Detlef Geis [CDU/CSU]: Er ist halt in der Koali- Kleinert [Hannover] [F.D.P.]) tion!) Die Bundesregierung hat es jedoch versäumt, eine Um so unverständlicher ist die Tatsache, daß der moralisch annehmbare Regelung für die Hinterblie- völlig unakzeptable Entwurf des Mauergrundstücks benen der Maueropfer vorzulegen. Wir Sozialdemo- gesetzes aus dem Hause des Justizministers kommt. kraten werden uns dieser Aufgabe in Verbindung Ich stelle die Frage: Welche Erkenntnisprozesse sind hier in den letzten Wochen abgelaufen, mit Vorschlägen zur Novellierung der Rehabilitie- - rungsgesetze stellen. Bei der Enteignung der Mauer- (Norbert Geis [CDU/CSU]: Die richtigen, und Zaungrundstücke geht es jedoch, um es deutlich Herr Hacker, die richtigen! Haben Sie vom zu unterstreichen, um Verwaltungsunrecht der DDR, Recht auf Entwicklung gehört?) das jetzt endlich beseitigt werden muß. nachdem schriftliche und mündliche Zusagen gege- Um einer weiteren Legendenbildung vorzubeu- ben worden sind? War es wieder einer der qualvollen gen: Selbstverständlich war die SPD für den Grund- und unbefriedigenden Kompromisse, die diese Koali- satz „Entschädigung vor Rückgabe". tion so oft getroffen hat? (Dr. Dietrich Mahlo [CDU/CSU]: Aber hier (Dr. Michael Luther [CDU/CSU]: Sie haben nicht, oder was?) sich des Denkens verschlossen!) Aber Sie, meine Damen und Herren von der Koali- Wenn dem so ist, haben Sie den Kompromiß auf dem tion, haben einen Zug in Bewegung gesetzt, in dem Rücken der Schwächsten getroffen. wir jetzt sitzen und aus dem wir nicht mehr heraus- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) kommen. Insofern ist Ihr Rückkaufvorschlag kenn- zeichnend für eine Politik ohne nachvollziehbare Meine Damen und Herren, die SPD wird dem Ko- Linienbestimmung. alitionsentwurf nicht zustimmen. Es sind vor allem historisch-moralische Gründe wie auch die im (Norbert Geis [CDU/CSU]: Sie haben nichts Gesetzentwurf angelegte Ungleichbehandlung von begriffen, Herr Hacker!) Gruppen durch direkte oder indirekte Eingriffe in Wenn wir heute die Frage nach der Vergleichbar- Vermögenswerte. Meine Kritik zielt jedoch auch auf keit der Restitutionsfälle stellen, so ist festzuhalten, Details ab, auf die ich wegen der begrenzten Zeit nur daß Vermögensverzichte während der DDR-Zeit aus ganz kurz eingehen kann. wirtschaftlichen Erwägungen zur Restitution führen, Erstens geht es um die Stichtagsregelung in § 2 wie zum Beispiel bei Mietshäusern, jedoch zwangs- Abs. 2 des Gesetzentwurfes. Sie bewirkt, daß Veräu- enteignete Mauer- und Grenzgrundstücke - auch auf ßerungen vor dem 15. Februar 1992 nicht mit Ent- ihnen standen teilweise Häuser, die gesprengt wur- schädigungen ausgeglichen werden sollen. Damit ist den, um freies Schußfeld für die DDR-Grenzpolizei der Rechtsstreit vorprogrammiert. Ich stelle an Sie zu schaffen - den rechtmäßigen Eigentümern ledig- die Frage: Wie wollen Sie denn heute die damaligen lich zum Rückkauf angeboten werden. Das ist eine Veräußerungen der Grundstücke im Bereich des nicht nachvollziehbare Ungleichbehandlung. Checkpoint Charly entscheiden? Dieser Rechtsstreit Die Entschädigungsbeträge zu DDR-Zeiten waren ist doch heute schon vorprogrammiert. staatlich reglementiert, abgekoppelt von marktwirt- (Norbert Geis [CDU/CSU]: Einmal abwar- schaftlichen Kriterien. ten!) (Dr. Dietrich Mahlo [CDU/CSU]: Es waren Zum zweiten stellt sich die Frage: Wie wollen Sie Trinkgelder!) denn mit dem Problem des Untergangs von Grund- stücksbelastungen umgehen? Die heutigen Verkehrswerte betragen ein Vielfaches. Der Geruch einer Bereicherung des Staates an der Zum dritten ist die Frage: Wie kommen Sie eigent- Gruppe der Betroffenen wird bei Ihrem Gesetzent- lich auf 25 Prozent Entschädigungsbetrag, wie kom- wurf bleiben. men Sie auf 25 Prozent des Verkehrswertes? Dies ist Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 86. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. Februar 1996 7617

Hans-Joachim Hacker doch ein ideales Sprungbrett für den Gang nach falls einem wichtigen Teil der Enteignungsopfer ein Karlsruhe. Stück Gerechtigkeit gewährt. Meine Damen und Herren, abschließend wegen (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. - der fortgeschrittenen Zeit nur eine ganz kurze Einlas- Margot von Renesse [SPD]: Ein Stück sung zu dem von Ihnen vorgelegten Entschließungs- Gerechtigkeit ist wie ein bißchen schwan- antrag. Sie haben immer gesagt, Sie wollten keine ger!) Totalrevision. Bei dieser Aussage haben Sie sogar die SPD auf Ihrer Seite. Wir wollen auch keine Totalrevi- Wie alle guten Kompromisse muß man auch diesen sion. nach zwei Seiten hin verteidigen. Die einen lehnen die Rückgabe des sogenannten Alteigentums mehr (Norbe rt Geis [CDU/CSU]: Aber Sie sind oder weniger ab, weil auch andere nichts zurückbe- doch auf dem besten Wege dazu!) kommen hätten und die Grundsätze des Bundesver- Wenn Sie aber jetzt mit einem Entschließungsantrag mögensgesetzes - durch die Rechtsprechung des die neuen Länder auffordern, ebenfalls Vorkaufsre- Bundesverwaltungsgerichts bekanntlich noch ver- gelungen zu verabschieden, die für ähnlich gela- schlimmbessert - nicht ausgehöhlt werden dürften. gerte Fälle wie die Mauergrundstücke und die Wir meinen, daß diese Grundstücke, die den Grenzgrundstücke zu Vorrangigkeiten führen, dann Berechtigten weggenommen wurden, um einen frage ich Sie: Wie wollen Sie dann das Tor zuhalten? Todesstreifen durch unser Land und eine Mauer Darauf, Herr Geis, können Sie heute keine Antwort durch unsere Hauptstadt zu ziehen, sehr wohl einen geben. Der Rechtsstreit in den nächsten Wochen Symbolgehalt besitzen, die sie von allen anderen wird meine Position unterstreichen. Formen von Bodenklau der DDR zu unterscheiden (Detlef Kleinert [Hannover] [F.D.P.]: Was vermögen. - nützt dann der Anfang Ihrer Rede? - Nor- Es gibt Milliarden von Menschen auf der Welt - bert Geis [CDU/CSU]: Bei Ihnen wäre es auch solche, die nicht wissen, wo Berlin liegt -, die doch noch schlimmer! Wenn Sie auf Null wissen, daß es in Berlin eine berüchtigte Mauer gab, zurückgehen, ist es doch noch schlimmer!) die die Einwohner gegen ihren Willen voneinander Meine Damen und Herren, wir können dem Koali- trennte und an der auf jeden Todesschüsse abgege- tionsentwurf nicht zustimmen, und wir fordern Sie ben wurden, der versuchte, diese Mauer zu überwin- auf, dem Änderungsantrag der SPD-Fraktion zuzu- den. stimmen. (Thomas Krüger [SPD]: Dann ziehen Sie (Beifall bei der SPD) gefälligst auch die Konsequenzen bei dieser Frage!) Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Das Wort hat der Nicht allen allerdings, die jetzt auf andere Opfer Kollege Dr. Mahlo, CDU/CSU-Fraktion. verweisen, glauben wir ihre Krokodilstränen. Nicht (Thomas Krüger [SPD]: Herr Mahlo, Sie wenige in Deutschland haben solche Enteignungen begeben sich gerade in einen Konflikt mit ganz in Ordnung gefunden, und denen paßt natür- Herrn Diepgen!) lich jetzt die Rückgabe der Mauergrundstücke nicht ins Konzept. Sie bestehen darauf, alle Enteigneten gleich schlecht zu behandeln. Ihnen sei gesagt, daß Dr. Dietrich Mahlo (CDU/CSU): Herr Präsident! wir im Eigentum bei aller Anerkennung seiner Meine Damen und Herren! Herr Zwischenredner, Sozialpflichtigkeit eines der wichtigsten Güter unse- man soll den Tag nicht vor dem Abend loben und die rer Rechts- und Werteordnung sehen. Das Vertrauen Rede auch nicht. - Herr Kollege Hacker, zu Ihnen in den staatlichen Eigentumsschutz und die Gewiß- komme ich noch am Ende. Ich hoffe, daß die Zeit aus- heit, Eigentum erwerben, behalten, vererben zu kön- reicht. nen, sind Grundlagen jeder freien Wirtschaft und Ich meine, daß die Behandlung der sogenannten Motive für Fleiß, Sparsamkeit, Investitionen, Inkauf- Alteigentümer durch Gesetzgebung und Rechtspre- nahme von Entbehrung. chung kein Ruhmesblatt der deutschen Vereinigung (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU darstellt. sowie des Abg. Detlef Kleinert [Hannover] (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU - [F.D.P.]) Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) In dem Sinne, in dem Dostojewski gesagt hat, daß Geld geprägte Freiheit sei, ist Eigentum ein Stück Um so größer ist meine Genugtuung, heute mit dem persönliche Freiheit. Gesetzentwurf der Koalition eine Kompromißlösung zu vertreten, (Margot von Renesse [SPD]: Und jetzt? Was folgt daraus?) (Siegfried Scheffler [SPD]: Das kann aber nicht sein!) Eine Gesellschaft, die dieses Gut je nach Interessen- lage zur Disposition stellt, beschädigt sich selbst. die sowohl der Idee des Eigentums als auch der wirt schaftlichen Lage unseres Landes nach der Überwin (Thomas Krüger [SPD]: Das machen Sie ja dung der DDR-Diktatur Rechnung trägt und jeden auch!) 7618 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 86. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. Februar 1996

Dr. Dietrich Mahlo Auf der anderen Seite stehen die, die die Grund- Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Herr Kollege stücke des Todesstreifens und der Mauer unbedingt Mahlo, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kolle- zu 100 Prozent, ohne jeden Abstrich, zurückverlan- gen Hacker? gen. (Margot von Renesse [SPD]: Das paßt doch Dr. Dietrich Mahlo (CDU/CSU): Bitte sehr, Herr dazu!) Präsident. Ich bin bereit, mir das anzuhören. - Verehrte Frau Zwischenruferin, es gibt außer Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Bitte. Schwarz und Weiß noch andere Dinge im Leben und in der Politik. Hans-Joachim Hacker (SPD): Lieber Herr Kollege (Zustimmung bei der CDU/CSU) Mahlo, ich entnehme Ihren Worten, daß Sie den Grundsatz der Restitution in Frage stellen, weil sich Ich nehme an, daß auch Sie davon ab und zu Kennt- dadurch erhebliche Teile der Gesellschaft durch die nis genommen haben. Genau darum handelt es sich wiedervereinigungsbedingten Zufallsgewinne berei- auch hier. chern. Diese andere Seite sagt, der Staat würde sich sonst (Zustimmung bei der SPD) am Bau der Mauer finanziell bereichern. Ja, sie redet von staatlicher Hehlerei. Am Ende einer geschichtli- Müßten Sie dann nicht zumindest das Vermögensge- chen Periode mit einem totalen Krieg und den zwei setz insgesamt in Frage stellen oder aber so konse- schlimmsten Diktaturen, die unser Land erlebt hat, quent sein, der kleinen Gruppe, die von den Enteig- stellt sie die Frage: War was? Ich frage dagegen: nungen auf dem Mauergrundstücksstreifen betroffen Kann wirklich jeder Geschädigte nach allem, was war, mindestens die gleichen Rechte einzuräumen- geschehen ist, Einzelfallgerechtigkeit einklagen und wie der großen Gruppe derer, die sich in großem verlangen, daß gerade seine Vermögensverhältnisse Maße durch die Wiedervereinigung bessergestellt in buchhalterischer Kontinuität unangetastet blei- haben? ben? (Norbert Geis [CDU/CSU]: Das ist doch Viel Sachvermögen ist ruiniert, auch auf diesen etwas ganz anderes, Herr Hacker! Sie wis- Grundstücken; das ist wahr. Aber es ist auch viel sen doch den Unterschied!) Sachvermögen auf diesen Grundstücken im Wert gestiegen, ohne daß der einzelne Berechtigte dazu Dr. Dietrich Mahlo (CDU/CSU): Herr Kollege Hak- viel beigetragen hätte. ker, wenn Sie mir zugehört haben, dann werden Sie doch verstanden haben: Ich bin ein Gegner von tota- (Hans-Joachim Hacker [SPD]: Das ist doch len Lösungen, weil ich nicht glaube, daß es in dieser bei allen Grundstücken der Fall!) Frage totale Lösungen, die Sie als konsequent Durch den Umstand, dem die Eigentümer von bezeichnen würden, gibt. Dazu könnte ich Ihnen noch einiges andere sagen. Mauergrundstücken die kaum noch erwartete Rück- gabe verdanken, nämlich durch die Wiedervereini- Wenn die Betroffenen von hundertprozentiger Her- gung, wurden der öffentlichen Hand schwer lastende ausgabe sprechen, kann ich das verstehen. Wenn der Kosten auferlegt. Soll es so sein, daß die Allgemein- Senat von Berlin das verlangt, kann ich es auch noch heit die Reparatur von Straßen, Schienen, Bausub- verstehen. stanz, Altenheimen, Krankenhäusern, Umwelt, die Herstellung der inneren Einheit, den sozialverträgli- (Zuruf von der PDS: Aha!) chen Umbau der Wirtschaft, die Errichtung einer Aber wenn Sie, meine Damen und Herren von der technischen und sozialen Infrastruktur, überhaupt Opposition, hier heute Hundertprozentlösungen mit die Erledigung der tausend materiellen Defizite der hehrer Berufung auf Grundsätzliches einfordern, DDR allein zu tragen hat, dann ist das wirklich nichts als purer Opportunismus und triefende Heuchelei. (Norbert Geis [CDU/CSU]: Und die Ent schädigung, Herr Kollege!) (Beifall bei der CDU/CSU) während einzelne ihre Vermögenswerte zu 100 Pro- Gestern noch wollten Sie den Enteignungsopfern zent zurückerhalten? der DDR gar nichts geben; heute ist alles außer 100 Prozent sittenwidrig. Wissen Sie, wie viele Ent- (Norbert Geis [CDU/CSU]: Genau!) eignete aus der DDR und den deutschen Ostgebieten Ihnen die Hände küssen würden, Oder ist es nicht vielleicht doch angemessen, wenn die, die durch die Wiedervereinigung einen unmittel- (Margot von Renesse [SPD]: Was ist denn baren Vermögensvorteil erlangen, sich überdurch- das? Das ist doch nicht zu fassen!) schnittlich an den Kosten der Wiedervereinigung beteiligen? wenn sie ihre Grundstücke für 25 Prozent des Zeit- wertes zurückkaufen könnten? Die Bündnisgrünen und die SPD haben es nun für (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) richtig gehalten, sich ebenfalls in die Front der 100prozentigen Rückerstattung ohne jede Einschrän- Ich denke an die steckengebliebenen Enteignun- kung einzureihen. gen, bei denen die Geschädigten in 20 Jahren und Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 86. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. Februar 1996 7619 Dr. Dietrich Mahlo mehr nie einen Bescheid, nie eine Mark erhielten Kaum ein Gesetzentwurf hat uns so lange beschäftigt und in deren Fällen das Bundesverwaltungsgericht wie dieser, angefangen schon in der 12. Legisla- jetzt erklärt, die Enteignungen seien gleichwohl als turperiode. Woche für Woche hat die Koalition die ordnungsgemäß anzusehen. Sache im Rechtsausschuß vertagen lassen, weil sie noch Beratungsbedarf angemeldet hat. Was heraus- Ich denke an 12 000 Familien, die in der Zeit zwi- gekommen ist, schen 1945 und 1949 in Nacht-und-Nebel-Aktionen von ihren Gütern und Höfen getrieben worden sind. (Norbert Geis [CDU/CSU]: Ist ein vernünfti- Manche von denen hatten auf dieser Scholle schon ger Kompromiß, Herr Häfner!) seit Jahrhunderten gesessen, manche von ihnen haben aktiv im Widerstand gegen Hitler gestanden. ist weitaus schlechter, als wir befürchten mußten. Sie bekommen nichts oder fast nichts von ihrem (Dr. Michael Luther [CDU/CSU]: Es ist ein Eigentum zurück, ganz zu schweigen von denen, die mehr verloren haben als nur Grund und Boden. Kompromiß!) Wollen Sie nun vor diese Gruppen hintreten, - Ja, das ist ein Kompromiß, sagen Sie. meine Damen und Herren von der Opposition, und Ich will hier grundsätzlich über die Sache reden, ihnen sagen, das mache nichts, daß sie nichts zurück- Herr Geis. Zu den Details hat Herr Hacker schon bekämen, sie dürften das nicht so eng sehen? - Das sehr viel gesagt. Die Mauer in Berlin war von Problem unserer Zeit sind die 25 Prozent, die den Anfang an Unrecht. Das ist Ihre Überzeugung immer Enteignungsopfern der Mauergrundstücke fehlen. gewesen, das war und ist genauso unsere Überzeu- Wollen Sie denen das sagen? gung. (Zuruf von der SPD: Wer malt denn jetzt (Zuruf von der CDU/CSU: Richtig! Das gilt schwarzweiß?) - für die ganze DDR!) - Meine verehrten Damen und Herren, ich stelle ja nur Fragen. - Das kann nicht Ihr Ernst sein. Alle Parteien in diesem Land haben das deutlich erklärt: Wir werden in der Politik nicht ohne Kompromisse auskommen; nirgends ist ein Kompromiß gerechtfer- (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Es geht um tigter als hier. alle Grundstücke, nicht nur die Mauer- grundstücke!) Vielen Dank. „Schandmal", „Dokument des Unrechts" usw. hieß (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge es damals. Ja, das gilt möglicherweise für die ganze ordneten der F.D.P. - Thomas Krüger [SPD]: DDR, das ist aber jetzt nicht mein Thema. Wir reden Was würde Diepgen dazu sagen?) hier von der Mauer in Berlin. (Norbert Geis [CDU/CSU]: Aber das andere Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Das Wort hat der Kollege Gerald Häfner, Bündnis 90/Die Grünen. können Sie nicht ausklammern!) Da sind die Menschen über Nacht aus ihren Häusern Gerald Häfner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wer- geworfen worden; zum Teil sind die Volkspolizisten ter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! sogar mit Gewehren gekommen. Die Menschen Als wir gestern im Ausschuß über diesen über Nacht mußten ihre Wohnungen und Häuser verlassen. Die zusammengeflickten Gesetzentwurf der Koalitions- wurden ihnen dann weggenommen; die Möbel fraktionen beraten haben, haben sich häufig Vopos unter den Nagel gerissen usw. So sind sie aus ihrem Eigentum vertrieben wor- (Zuruf von der CDU/CSU: Oh je! - Norbert den, ohne Gesetz. Das war von Anfang an rechtswid- Geis [CDU/CSU]: 14 Tage lang!) rig. da hat Herr Kollege Geis - Herr Geis, ich rede gerade (Norbert Geis [CDU/CSU]: Das war im Land mit Ihnen - seinen Beitrag mit den Worten eröffnet: überall so!) „Was lange währt, wird endlich." Weil Herr Geis gelegentlich doch ein feiner Kerl ist, Es gab dafür keine gesetzliche Grundlage. Das (Norbert Geis [CDU/CSU]: Danke!) Gesetz, das das geregelt hat, wurde für Berlin über- haupt erst ein Jahr später geschaffen. hat er den Satz nicht vollendet. Das Wort „gut" ist ihm sozusagen im Munde steckengeblieben; das hat (Dr. Dietrich Mahlo [CDU/CSU]: Das gab es sein rechtspolitischer Verstand ihm nicht durchgehen in der ganzen DDR nicht!) lassen. Aber „schlecht", wie er es eigentlich hätte Das ist nicht besonders rechtsstaatlich. sagen müssen, wollte er seinen eigenen Antrag nun auch nicht gerade nennen. Das hat Sie geehrt, Herr Und auch dann noch verstieß es gegen den Vier- Geis; ich sage das hier deutlich. mächtestatus für Berlin und war deshalb auch noch „Was lange währt, wird endlich schlecht" - so muß völkerrechtswidrig. Aber selbst wenn wir darüber es hier heißen. hinweggehen wollten, selbst wenn Sie das alles an- erkennen sollten, dann verlangt dennoch auch das (Norbert Geis [CDU/CSU]: Das habe ich heute geltende bundesdeutsche Recht, daß diese nicht gesagt, Herr Häfner!) Grundstücke zurückgegeben werden müssen; denn 7620 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 86. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. Februar 1996

Gerald Häfner wenn der Zweck für eine Enteignung wegfällt, muß davor immer gewarnt, wie Sie wissen. Sie haben es rückübertragen werden, so steht es im Gesetz. durchgesetzt. Nur, wenn Sie das schon durchsetzen, dann müssen Sie sich selber bitte auch daran halten. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie des Abg. Dr. Michael (Beifall bei der SPD - Norbe rt Geis [CDU/ Luther [CDU/CSU] - Dr. Michael Luther CSU]: Jetzt machen Sie genau das Gegen- [CDU/CSU]: Da bin ich sehr einverstanden, teil! Können Sie mir erklären, warum Sie aber dann sehr konsequent!) jetzt das Gegenteil machen? - Detlef Klei- ale!) So steht es - das wissen Sie genau - übrigens auch nert [Hannover] [F.D.P.]: Salto mo rt im DDR-Gesetz. Die Grenzordnung von 1982 ver- - Hören Sie doch bitte schön einen Moment zu, Herr langt in § 9 - ich zitiere wörtlich -: Kleinert und Herr Geis! Grundstücke, die nicht mehr für Maßnahmen Sie haben zweitens im Vermögensgesetz lediglich zum Schutz der Staatsgrenze benötigt werden, Regelungen für sogenanntes Teilungsunrecht getrof- sind an die Rechtsträger, Eigentümer oder sonsti- fen. Der klassische Fall: Wenn ein Bürger vertrieben ge Nutzer zu übertragen. wurde und der Staat sich das Eigentum dessen ange- Diese Voraussetzungen sind hier ja wohl erfüllt, oder eignet hat, der in den Westen ging, dann muß es ihm will jemand etwa eine neue Mauer bauen? zurückgegeben werden. Es wird ihm auch dann zurückgegeben, wenn die Rückgabe heute zu Lasten Warum geben wir dann die Grundstücke nicht Dritter geht. zurück, warum dann dieser Eiertanz? Wenn die Mauer Unrecht war - daß das so war, habe ich hier, (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Das ist glaube ich, eindeutig dargelegt -, dann waren auch doch nicht wahr!) die Enteignungen zum Zwecke des Mauerbaus Unrecht, und dann ist auch der Bund heute zu Das heißt, es wird zum Beispiel auch zu Lasten der Unrecht Eigentümer dieser Grundstücke. Er sollte Nutzer, die in dem Haus wohnen, zurückgegeben. daher sofort den Anspruch auf diese Grundstücke Hier aber ist der Bund derjenige, der sich die aufgeben und sie den rechtmäßigen Eigentümern Grundstücke unter den Nagel gerissen hat. Und just zurückgeben. der Bund will seine Grundstücke nicht zurückgeben. Das kann ich nun wirklich nicht begreifen. Die Argu- Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Herr Kollege mentation der Bundesregierung, es handele sich hier Häfner, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kolle- um fremdes, innerstaatliches Unrecht, für das die gen Luther? Bundesrepublik Deutschland nicht verantwortlich sei, ist nun wirklich skurril. Wenn der Staat sich das Eigentum unter den Nagel reißt, kann er nicht bei Gerald Häfner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ja, bitte schön. der Rückgabe an die Berechtigten, an die ursprüngli- chen Nutzer, plötzlich kneifen.

Dr. Michael Luther (CDU/CSU): Herr Häfner, habe (Margot von Renesse [SPD]: Gilt das auch ich Sie richtig verstanden, daß Sie dafür sind, daß für die Volkseigenen Betriebe? - Abg. alles, bei dem der Enteignungszweck weggefallen Dr. Michael Luther [CDU/CSU] meldet sich oder nie eingetreten ist, auf dem Gebiet der ehemali- zu einer Zwischenfrage) gen DDR den ehemaligen Eigentümern wieder zurückübertragen werden soll? - Herr Luther, bitte schön. - Entschuldigung, Herr Präsident. (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Jetzt muß er „ja" sagen! - Detlef Kleinert [Hannover] [F.D.P.]: Das ist doch die Frage an all diese Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Es ist nett, daß Eigentumsfreunde! - Margot von Renesse Sie meine Funktion mit übernehmen. - Herr Kollege [SPD]: Vorsicht, Falle!) Luther.

Gerald Häfner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ich Dr. Michael Luther (CDU/CSU): Sie fordern mich werde Ihnen ja gerne eine Antwort geben. auf, noch eine zweite Zwischenfrage zu stellen. Kann es sein, daß in den anderen Fällen - zu denen ich eigentlich eine Frage gestellt hatte, auf die Sie mir Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Jetzt hat der Kol- lege Häfner das Wort. immer noch keine Antwort gegeben haben - deswe- gen niemand auf die Idee kommt, Eigentum zurück- zuübertragen, weil im wesentlichen die Länder und Gerald Häfner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wir die Kommunen Eigentümer sind? sprechen hier über Grundstücke von besonderer politischer und rechtlicher Bedeutung, nämlich über diejenigen Grundstücke, die zum Zwecke des Mau- Gerald Häfner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr erbaus enteignet worden sind. Luther, ich glaube, ich habe Ihnen die Antwort deut- lich genug gegeben. Sie haben nach meiner Meinung im Gesetz zwei große Fehler gemacht. Der erste Fehler war der (Dr. Dietrich Mahlo [CDU/CSU]: Das glau- Grundsatz Rückgabe vor Entschädigung. Wir haben ben nur Sie!) Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 86. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. Februar 1996 7621

Gerald Häfner Sie stellen jetzt eine ganz generelle Frage mit der Unmenge von neuen Rechtsstreitigkeiten eine Tür Schrotflinte. Ich habe Ihnen gesagt, daß wir vor dem aufmachen? Vielleicht ist Ihnen das nicht so präsent, Grundsatz Rückgabe vor Entschädigung gewarnt weil diese Dinge für Sie nicht so spektakulär sind. haben, weil wir schließlich wußten, was das bedeu- Aber beim Bau einer NVA-Kaserne, eines Flugplat- tet. Sie erinnern sich daran, Sie haben das in der 11. zes, eines Schießplatzes, eines Gefängnisses oder und 12. Legislaturperiode ja mit vollzogen. einer Stasi-Anlage beispielsweise - man kann das Ganze fortführen - ist der Zweck, von dem Sie vorhin (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Sie wollten sprachen, die Enteignung, weggefallen. Es wurde das Eigentum behalten!) entschädigt. Sie haben aber diesen Grundsatz beschlossen. Nun Sehen Sie nicht die Gefahr, daß wir hier nicht zu wollen Sie, daß ich von hier aus fordere, die Länder einem Rechtsfrieden kommen werden? Ich befürchte und Kommunen hätten ihn anzuwenden. Aber da, - es ist egal, welches Gesetz wir annehmen -, wir wo der Bund betroffen ist und wo Sie selber die Ver- werden eine Situation bekommen, in der wir die antwortung tragen, wollen Sie ihn nicht anwenden. Dinge wie die Schalen von einer Zwiebel abnehmen. Das geht mir wirklich nicht in den Kopf. Eine Sache wird der anderen folgen. (Zuruf des Abg. Dr. Michael Luther [CDU/ (Simone Probst [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- CSU]) NEN]: Frage!) - Es gibt im übrigen, lieber Herr Luther, in meinen - Ich verstehe nicht, weshalb die Kollegin so schreit. Augen keine Grundstücke von vergleichbarer recht- Das hat jetzt wirklich nichts mit Parteipolitik zu tun. licher und politischer Brisanz wie die Mauergrund- stücke. Ich bin auch überhaupt nicht der Meinung - das ist ja immer wieder Ihr Thema -, daß wir dieses Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Jetzt müssen Sie Problem etwa dem des Bergbaus gleichsetzen kön- aber ein Fragezeichen setzen. nen. Enteignungen zum Zwecke des Bergbaus gab es auch im Westen, auch wenn das etwas anders als Reiner Krziskewitz (CDU/CSU): Ich würde gerne in der DDR ablief; das weiß ich wohl. Aber eine wissen, wie Ihre Meinung dazu ist. Mauer mitten durch die Stadt und zwischen zwei Staaten mit Minenfeld und Schießbefehl, das gab es nur in Berlin. Gerald Häfner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Lie- ber Herr Kollege, ich will Ihnen gerne eine Antwort Diese Enteignungen zum Zwecke des Mauerbaus darauf geben. Ich bin mir der Problematik sehr wohl waren also ganz besonderes Unrecht. bewußt. Sie haben die Beispiele, Kasernen und vieles andere mehr, angesprochen. Gerade weil wir uns der (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Die Mauer Problematik bewußt sind, haben wir hier einen ist viel später gebaut worden!) Gesetzentwurf vorgelegt bzw. unterstützt - es ist ja Und wenn sie Unrecht waren, dann kann der Bund - ursprünglich ein Gesetzentwurf des Landes Berlin, das ist das Thema heute - doch nicht den ursprüngli- eingebracht über den Bundesrat -, der sich hinsicht- chen Eigentümern sagen: Ihr könnt eure Grund- lich der Rückgabe auf die Mauergrundstücke, die stücke von uns zurückkaufen. Man kann doch nur Grundstücke zur Sicherung der Grenzanlagen in etwas verkaufen, was man rechtmäßig erworben hat. Berlin und Brandenburg, beschränkt. Sie kennen Wenn es aber dem Bund nicht rechtmäßig gehört, den Gesetzentwurf genausogut wie ich. dann kann er es doch nicht verkaufen und damit Ich habe den Eindruck, daß Sie mit Ihren ständi- noch ein Geschäft machen. Da werden Sie mir doch gen Fragen nach anderen Grundstücken, die zum wohl zustimmen müssen. Teil auch anders behandelt werden müssen, von dem eigentlichen Skandal ablenken wollen, daß Sie näm- Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Herr Kollege lich in diesem Bereich - ich rede nur von den Mauer- Luther, zunächst muß ich Sie darauf hinweisen: grundstücken; ich weiß, daß Sie viel lieber über Wenn Sie eine Frage stellen, müssen Sie bis zum anderes und sehr ungerne hierüber reden, aber ich Ende der Antwort stehenbleiben, auch wenn die Ant- rede nun eben mal von den Mauergrundstücken, wort Ihnen nicht gefällt. So sind die Regeln hier. und ich finde, das sollten auch Sie tun, wenn dies (Dr. Michael Luther [CDU/CSU]: Ich habe heute abend so auf der Tagesordnung steht - gedacht, die Antwort wäre beendet!) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Jetzt hat sich Herr Kollege Krziskewitz zu einer und bei der SPD) Zwischenfrage gemeldet. Gestatten Sie die Zwi- zu einer Rückgabe nicht bereit sind. Sie würden sich schenfrage? - lassen Sie mich das ruhig einmal ein bißchen juri- stisch sagen -, wenn Grundstücke unter das Sachen- Gerald Häfner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ja. recht fielen, der Hehlerei schuldig machen, weil Sie etwas verkaufen wollen, was Ihnen nicht gehört. Verkaufen kann man nur, was einem gehört. Reiner Krziskewitz (CDU/CSU): Herr Kollege, f in- den Sie nicht - unabhängig von einer parteipoliti- Aber wenn - und ich stelle fest: da hat mir noch schen Einstellung -, daß beide Gesetzesanträge, so keiner widersprochen - die Enteignungen zum wie sie vorliegen, die Gefahr heraufbeschwören, daß Zwecke des Mauerbaus Unrecht waren, dann kann wir hier nicht ein Kapitel beenden, sondern für eine man doch jetzt nicht den Eigentümern ihre eigenen 7622 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 86. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. Februar 1996

Gerald Häfner Grundstücke verkaufen, sondern man muß sie sofort In der Mauerfrage aber windet sich die Bundesre- und uneingeschränkt zurückgeben. - Ich hoffe, das gierung. Ich habe vorhin bereits gesagt: Alle haben hat Ihre Frage beantwortet. sie damals als „Schandmal" und „Dokument des Unrechts" bezeichnet. Plötzlich heißt es in der schriftlichen Gegenäußerung der Bundesregierung Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Geis, Herr Häfner? nur noch, es handele sich um Grundstücke mit „Symbolcharakter". Die Mauer stand für die zentrale ungelöste Frage der Nachkriegsordnung. Plötzlich Gerald Häfner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Bitte ziert man sich, zu sagen: Sie war von Anfang an schön. Unrecht. (Detlef Kleinert [Hannover] [F.D.P.]: Ach!) Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Bitte. - Doch, ich lese Ihnen das gern vor. Norbert Geis (CDU/CSU): Herr Kollege Häfner, Der Skandal dabei ist, daß man im Grunde nach- würden Sie mir darin zustimmen, daß Sie dann, träglich von einer Maßnahme profitieren möchte, die wenn Sie sagen, das Eigentum an der Mauer für den wir alle in gleicher Weise verabscheuungswürdig fin- Bund sei Unrecht, auch sagen müßten, daß für den den, indem man den Betroffenen jetzt anbietet: Ihr Bund und die Länder der Besitz von Grundstücken könnt eure Mauergrundstücke - die der Bund nie- draußen, auf denen Stasi-Häuser standen und auf mals rechtmäßig erworben hat und die ihm auch denen sonstige Unterjochungsinstitute, Gefängnisse nicht gehören dürften - jetzt verbilligt - wir geben usw., errichtet worden sind, eigentlich ebenfalls euch sogar Rabatt - von uns zurückkaufen. Das ist unrechtmäßig ist? Oder stimmen Sie mir in der meine Antwort, Herr Geis; das müssen Sie ertragen. grundlegenden Entscheidung zu, die wir im Vermö- - gensgesetz getroffen haben, wo wir sagen: Wir Lassen Sie mich noch eines zum Bundesjustizmi- geben dann zurück, wenn ohne Entschädigung ent- nister - denn er weilt gerade unter uns - sagen. eignet worden ist, und wir behalten grundsätzlich (Bundesminister Dr. Edzard Schmidt-Jort- dort, wo gegen Entschädigung enteignet worden ist? zig: Ich ergreife auch noch das Wo rt !) Sie wissen doch hoffentlich genausogut wie ich, daß bei den Mauergrundstücken gegen Entschädigung - Es ist meine große Hoffnung, daß Sie, Herr Bundes- enteignet worden ist und wir uns natürlich in der minister, in dieser Debatte noch klärend das Wo rt Abgrenzung dieser Grundstücke zu den anderen ergreifen; denn ich habe bereits, als Sie in Ihr Amt Grundstücken draußen im Land etwas schwertun. eingeführt wurden und hier Ihre erste Rede nach der Vereidigung gehalten haben, mit meinen Glückwün- schen an Sie die Hoffnung verbunden - Sie erinnern Gerald Häfner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Lie- ber Herr Kollege Geis, ich kann trotz Ihrer Ausführ- sich daran -, lichkeit den Unterschied Ihrer Frage zu der eben (Detlef Kleine rt [Hannover] [F.D.P.]: Ewig!) bereits durch den Kollegen gestellten Frage nicht erkennen. Ich will aber gerne auch noch eine Ant- daß nun wenigstens die Eigentümer der Mauer- wort geben. grundstücke aufatmen können, und zwar deswegen, weil ich mir damals schlechterdings noch nicht vor- (Detlef Kleinert [Hannover] [F.D.P.]: Nein, stellen konnte, daß der Bundesjustizminister der will nur über Mauergrundstücke spre Schmidt-Jortzig plötzlich anderer Meinung sein chen!) könnte, als Sie noch der Abgeordnete Schmidt-Jort- Sie wollen jetzt wieder die Debatte über die ungere- zig gelten Fragen im Vermögensgesetz haben. Die kön- (Bundesminister Dr. Edzard Schmidt-Jort- nen Sie gerne auch bekommen. Ich muß mich hier zig: Ist er gar nicht!) jetzt nur leider etwas beschränken, weil ich dann schon noch etwas zu den Mauergrundstücken sagen klipp und klar in allen Debatten hier vertreten hat. möchte. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Sie haben dagegen immer die Tendenz, alles mög- sowie bei Abgeordneten der SPD) liche draufzusatteln. Sie packen darunter Vergleich- Der Abgeordnete Schmidt-Jortzig hat nämlich, bares und Nichtvergleichbares. Das macht die Sache weil er rechtskundig ist, von Anfang an gesagt: Das schwieriger. war Unrecht, die Grundstücke müssen vollständig Der Kollege Luther - er hat sich vorhin als erster zurückgegeben werden, da gibt es überhaupt kein gemeldet - hätte darunter auch gern den Bergbau Vertun; dafür stehe ich. Er hat auf Nachfrage des Kol- und anderes gepackt. Da sind wir der Meinung, daß legen Krüger gesagt: Dafür stehe nicht nur ich, son- man das unterschiedlich behandeln muß. dern dafür steht meine gesamte Fraktion, dafür steht die F.D.P. im Deutschen Bundestag. So steht es im Lassen Sie uns deshalb jetzt bitte nicht - ich habe Protokoll. das schon einmal gesagt - mit der Schrotflinte im Nebel herumschießen, sondern lassen Sie uns jetzt (Bundesminister Dr. Edzard Schmidt-Jort- die Debatte zu dem führen, was hier seit vielen Jah- zig: So ist es! - Dr. Dietrich Mahlo [CDU/ ren auf der Tagesordnung steht, nämlich zur Frage CSU]: Ist Kompromißbereitschaft eine der Mauergrundstücke. Schande?) Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 86. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. Februar 1996 7623 Gerald Häfner Weil aber der unsägliche Antrag, über den wir fügung stehen. Die Bundesregierung hat mir bislang heute abstimmen müssen, den Absender „CDU/ darauf auch keine Antwort geben können. CSU- und F.D.P.-Fraktion" trägt, frage ich mich, ob die Liberalen - noch dazu kurz vor den anstehenden Das Problem ist nämlich folgendes: Im Gesetzent- Landtagswahlen, in denen es wirklich um ihre Exi- wurf steht auch noch: „Will der Bund ein Grundstück stenz geht und derentwegen sie erklärt haben, nun für eigene Zwecke verwenden oder an Dritte veräu- wollten sie eine Zeitlang nicht mehr umfallen, son- ßern, lehnt er den Erwerbsantrag ab." Damit wird es dern Standfestigkeit beweisen - in dieser rechtsstaat- noch schlimmer. Sie sagen den Betroffenen nicht nur: lich sehr wichtigen Frage wirklich umfallen wollen. Ihr könnt euer Eigentum, eure eigenen Grundstücke Deswegen freue ich mich auf Ihre Ausführungen. gerne von uns zurückkaufen. Sie sagen sogar: Wenn wir das Grundstück selber behalten oder verwerten, Ich werde übrigens nicht nur Ihre Ausführungen kriegt ihr es gar nicht, dann könnt ihr es noch nicht beachten, Herr Schmidt-Jortzig, Herr Kleinert und einmal zurückkaufen. Für diesen Fall sieht das die anderen, sondern ich werde auch Ihr Abstim- Gesetz dann eine Entschädigungsregelung vor, mungsverhalten aufmerksam beobachten. wobei der Betrag für Entschädigung von dem Geld der anderen Eigentümer genommen werden soll, die (Norbert Geis [CDU/CSU]: Warum ist Ihnen ja alle ihren Kaufpreis gegenüber dem Bund entrich- der Kompromiß so fremd?) ten mußten. - In dem Fall, Herr Geis, geht es nicht um Kompro- Das halte ich nicht nur für in hohem Maße unrecht- miß. mäßig, sondern das wirft bei mir auch die Frage auf, (Norbert Geis [CDU/CSU]: Um was sonst?) ob es am Ende für die „wahren Opfer" - wie Sie das im Ausschuß formuliert haben - überhaupt noch - Nein, man kann Kompromisse machen, jederzeit, Geld zu verteilen geben wird. aber doch nicht zwischen Recht und Willkür bzw. Unrecht. Es gibt keinen Kompromiß mit dem Verbre- Einem solchen Gesetz - das werden Sie verstehen - chen, Herr Geis. kann man nicht nur nicht zustimmen; ein solches Gesetz ist skandalös, in Paragraphen gegossenes (Norbert Geis [CDU/CSU]: Herr Häfner, das Unrecht. ist Ihre Meinung, was Willkür ist!) (Norbert Geis [CDU/CSU]: Ihr Verhalten ist Wenn der Mauerbau ein Verbrechen war, dann skandalös!) kann man hier keine Kompromisse schließen, dann Sie bereichern sich an den Opfern. Dieses Gesetz müssen die Grundstücke zurückgegeben werden; wird, wenn es hier Ihre Zustimmung findet, späte- das steht klipp und klar fest. stens vor dem Bundesverfassungsgericht scheitern. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Ich danke Ihnen. sowie bei Abgeordneten der SPD - Norbe rt Geis [CDU/CSU]: Dann gilt das für alle!) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD) Wir wollen jetzt also sehen, wie sich die Liberalen in dieser Abstimmung verhalten; denn mich interes- siert schon, inwieweit Bürgerrechte, Grundrechte Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Das Wort hat der und auch - um Ihnen damit eine Brücke zu bauen - Kollege Detlef Kleinert. der Schutz des Eigentums, also insgesamt die Indivi- dualrechtssphäre gegenüber dem Staat in dieser Par- Detlef Kleinert (Hannover) (F.D.P.): Herr Präsident! tei noch eine Rolle spielt. Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Es ist (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Dann schon eine große Freude, all den begeisterten Ver- machen Sie doch bitte keinen Unterschied fechtern des Privateigentums hier heute abend zuzu- zwischen Recht!) hören, die auf Ihrer Seite emporsprießen wie die Spargel nach dem Regen, wenn es sich um eine Aus- Lassen Sie mich noch ein letztes sagen: Sie haben wahl von Grundstücken handelt. im Gesetzentwurf einen Fonds vorgesehen - das ist Ihr ja immer etwas Schönes -, Sie wollen die Einnahmen Eigentumsbegriff ist hochspezialisiert. Wir haben von Herrn Häfner eben gehört: Nur über die aus diesem in meinen Augen widerrechtlichen Ver- kauf für die Förderung von wirtschaftlichen, sozialen Mauergrundstücke wird geredet. Über Leute, die bei und kulturellen Zwecken in den neuen Ländern aus- Nacht und Nebel von jahrhundertelang bewirtschaf- tetem Besitz vertrieben worden sind, die eingesperrt geben. Die PDS hört sofort schon das Geld klimpern und stellt einen Antrag, wie diese Einnahmen verteilt worden sind, damit sie die weiteren Maßnahmen werden sollen. nicht stören, die niemals etwas zurückbekommen haben und bei denen auch von 75 Prozent Entschädi- Dem könnte man gern zustimmen, wenn man gung nicht im geringsten die Rede sein kann, haben überzeugt wäre, daß es überhaupt nennenswerte wir von Ihnen nichts gehört. Einnahmen gibt. Ich bin da aber gar nicht so sicher. (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) Das ist auch der Grund, warum wir dem PDS-Antrag nicht zugestimmt hätten. Wir halten es nämlich für Wir wären ja so gern bereit, Ihnen zu folgen, wenn ziemlich unseriös, Gelder zu verteilen, solange nicht Sie, wie es eine vernünftige Politik erfordert, alle im Ansatz klar ist, welche Gelder überhaupt zur Ver- Dinge einigermaßen gleichmäßig betrachten und uns 7624 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 86. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. Februar 1996

Detlef Kleinert (Hannover) dann mit Ihren hehren Einsichten voranschreiten speziellen Unrechts darf man nicht nur auf einen würden. Aber das Gegenteil ist doch der Fall. Punkt, auf einen Ausschnitt schauen, sondern man muß auf alle schauen, die dieses Unrecht an unter- Das EALG ist von Sozialdemokraten und insbeson- schiedlichen Stellen zu erleiden hatten. Daher korn- dere von sozialdemokratisch regierten Bundeslän- men doch unsere Probleme bei der Bewältigung des dern, vor allem vom Lande Brandenburg, zerschos- Unrechts im Bereich der Mauergrundstücke. Deshalb sen worden. Mehrere Sachenrechtsbereinigungsge- ziehe ich Parallelen zu anderen Fällen von Enteig- setze sind von sozialdemokratischer Seite auf ein nung. Minimum zurückgeführt worden - zu Lasten der Eigentümer. Selbst dieses Unrecht hat dazu geführt, daß nach (Norbert Geis [CDU/CSU]: So ist es!) dem Recht der Bund Eigentümer dieser Grundstücke geworden ist, im Gegensatz zu den Vermutungen Nachdem wir jetzt mit Ihrer freundlichen Hilfe des Herrn Kollegen Häfner. Bei solchen Rechtsver- diese Situation haben, kommen Sie daher und fragen mutungen kann ich den Geschädigten nur empfeh- uns - zum Beispiel die Freien Demokraten, ich habe len, sich an Sie zu wenden und sich vertreten zu las- das sehr wohl gehört -, warum wir zurückweichen. sen. Diese Rechtsvermutungen werden keinen Ich will es Ihnen sagen: Weil wir uns bei denen ent- Bestand haben. schuldigen müssen, weil wir die um Vergebung bit- Ich sage also, Frau Kollegin, alle Fälle gehören mit ten müssen, die diese Grundstücke hatten, die sie in unsere Betrachtung, nicht weil wir das eine sich erarbeitet haben oder deren Eltern sie sich erar- Unrecht mit einem anderen erwidern wollen, son- beitet haben und die sie dann verloren haben, ohne dern weil wir bei der Bewältigung des Unrechts halb- daß wir sie ihnen jetzt vollständig und ohne eine wegs gleichmäßig verfahren wollen. Da liegt die Gegenleistung zurückgeben. Krux, da liegt das Problem, dem wir uns gegenüber- Aber wir entschuldigen uns doch nicht etwa bei gesehen haben, zustimmen zu sollen, daß Leute ihr- Ihnen, die Sie dazu beigetragen haben, dieses eigenes Grundstück zurückkaufen, und sei es auch unglaubliche Durcheinander, diese unglaubliche nur mit 25 Prozent des tatsächlichen Wertes. Damit Verletzung von Eigentum herbeizuführen. tun wir uns sehr schwer. Aber der Blick auf all die anderen, denen es viel schlechter geht, bestärkt uns Und noch toller sind ja die Freunde von der PDS. in unserem Vorgehen. Das ist ja das Allertollste. Sie sagen allen Ernstes im Rechtsausschuß, wir sollten uns für das Eigentum Daß sich diejenigen, die all die Schwierigkeiten in einsetzen. allen anderen Fragen der Bewältigung dieses Unrechts mitverursacht haben, in der SPD und bei (Zuruf von der SPD: Der Abgeordnete ver den Grünen und in der PDS, die das Ganze über- heddert sich!) haupt mit herbeigeführt haben, (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Herr Kollege Kleinert, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kolle- einen Einzelfall herausgreifen und denken, sie könn- gin Fischer? ten uns vorführen, das ist doch abwegig. Die Sache ist ganz einfach - das ist auch das, was Detlef Kleinert (Hannover) (F.D.P.): Ja, bitte. die Geschädigten schließlich verstehen -: Entweder wir schieben diese Sache noch einmal fünf Jahre, in dem verzweifelten Versuch, mit unterschiedlichsten Andrea Fischer (Berlin) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Herr Kollege Kleinert, Sie haben jetzt ver- politischen Kräften zu einer Einigung zu kommen, schiedene Sachverhalte angeführt. Könnten Sie sich und so lange bekommt niemand etwas, und so lange mir insoweit anschließen, als es nicht zuletzt auf bleibt ein ganz wichtiger Teil der neuen Bundes- Grund der in vielen Diskussionen erworbenen Sensi- hauptstadt wegen Unsicherheiten im Planungs- und bilität sehr leicht möglich ist, daß man sich ganz Eigentumsrecht unbebaut, oder wir sagen zähne- schnell auf Glatteis begibt, wenn man bei der Bewer- knirschend, daß 25 Prozent zugezahlt oder nachge- tung der Diktaturen, die in Deutschland hinter uns lassen werden. Aber es gibt jedenfalls mehr, als Sie liegen, zu vergleichen versucht? Würden Sie mir das einer Fülle von anderen Geschädigten je zuzubil- recht geben, daß es uns nicht viel weiter führt, wenn ligen bereit gewesen sind. Sie anderes Unrecht anführen, um damit zu rechtfer- (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) tigen, daß man dieses Unrecht jetzt hinnehmen müsse und ihm im nachhinein dadurch Geltung ver- Deshalb haben wir uns in dieser Frage entgegen schafft, daß man sagt: Ihr bekommt es nicht zurück, unseren - allerdings im Gegensatz zu Ihren Ansich- sondern ihr müßt es kaufen, was euch einmal wegge- ten ganz durchgängigen - Ansichten über Eigentum nommen wurde? schließlich entschlossen, nachzugeben, damit etwas Vernünftiges geschieht. Diejenigen, die es betrifft, (Walter Hirche [F.D.P.]: Herr Häfner hat werden es uns zum Schluß, obwohl sie lieber mehr doch die Diskussion begonnen!) gehabt hätten, danken. Wir sind froh, daß wir daran mitgewirkt haben, ein Detlef Kleine rt (Hannover) (F.D.P.): Ich bin vollkom- gehöriges Stück vernünftig weiterzukommen. men mit Ihnen einig, Frau Kollegin. Ich habe gar Danke schön. nichts gegen das, was Sie eben dargestellt haben. Nur bin ich der Meinung: Bei der Bewältigung dieses (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 86. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. Feb ruar 1996 7625

Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Das Wort hat der Es ist so, daß sie sicher dem Grundgesetz entge- Kollege Dr. Heuer, PDS. genstand, aber das Grundgesetz galt nicht in der DDR. Das müssen Sie mir einräumen. (Zuruf von der SPD: Das Völkerrecht wohl!) Dr. Uwe-Jens Heuer (PDS): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte gleich Herrn Kleinert Selbst wenn ein Völkerrechtsverstoß vorlag, führt das sagen: Ich habe das Ganze nicht herbeigeführt. nach überwiegender Meinung nicht zur Nichtigkeit der Verwaltungsakte. (Jochen Feilcke [CDU/CSU]: Billigend in Kauf genommen! - Siegfried Hornung (Zuruf von der SPD: Aber nicht zur Recht- [CDU/CSU]: Und weitergeführt! Übeltäter!) mäßigkeit!) Die Position von Blumenwitz und anderen - das Es geht heute um zwei eng miteinander zusam- halte ich für das eigentliche Problem - hat sehr viel menhängende Fragen, um Grund und Boden, und mehr Ansprüche zur Folge. Sie konnten am 6. zwar von sehr erheblichem Wert - die Schätzungen Februar in der „FAZ" lesen, daß neue Entscheidun- schwanken zwischen 2,7 und 1 Milliarde DM -, gen zwangsläufig folgen müssen. Dabei wird auf die einerseits und Grundfragen der Rechtspolitik ande- Enteignungen von 1945 bis 1949 Bezug genommen. rerseits. Ich möchte mich vor allem den Grundfragen Dort wurde bekanntlich nicht einmal entschädigt. der Rechtspolitik zuwenden. Im Einigungsvertrag hatten sich beide deutschen Die Frage ist: Gibt es einen Anspruch auf Rück- Staaten als Völkerrechtssubjekte geeinigt. Damit war gabe oder nicht? Ist das Vermögensgesetz anwend- endgültig die Diskriminierung eines der Partner als bar oder nicht? Waren die Enteignungen an der Unrechtsstaat ausgeschlossen. Entsprechend war - Mauer - ich rede nicht über andere Dinge an der auch der Einigungsvertrag entsprechend ausgestal- Mauer, sondern über die Enteignungen - unrecht tet, beispielsweise die Regelung des Art . 19 hinsicht- oder nicht? Herr Mahlo hat gesagt, so könnte man lich der Weitergeltung von Verwaltungsakten. Die das nicht sagen. Ich meine, man muß sich zu diesen Bundesregierung hat ihre Gründe, an der Position Fragen äußern. des Einigungsvertrages festzuhalten; wir haben die unseren. Die Bundesregierung hat immer wieder erklärt - und sie erklärt es auch jetzt - es habe sich nicht um Was nicht geht, ist, aus der juristischen Logik her- Akte individueller Verfolgung gehandelt. Die Enteig- auszuspringen und, wo es einem paßt oder der Druck nung geschah nach gesetzlicher Grundlage mit Ent- zu stark ist, sie durch Moral zu ersetzen. Das ist in schädigung in einer sicherlich geringen Höhe, wie meinen Augen das Problem der Position von SPD sie aber dem Wert von Immobilien in der DDR ent- und Bündnis 90/Die Grünen. sprach. Auch ein Stasi-General, hätte er denn dort Etwas ganz anderes dagegen ist die Bereitschaft, ein Grundstück besessen, wäre enteignet worden. vernünftige Lösungen für die Betroffenen zu finden, Damit gibt es - darauf hat Herr Krziskewitz ja hin- zu denen ich allerdings nicht die Immobiliengesell- gewiesen - keine überzeugenden Abgrenzungskrite- schaften zählen möchte. rien gegenüber anderen Gruppen von auf gesetzli- Der Entwurf der Koalitionsparteien ist ein Kompro- cher Grundlage in der DDR Enteigneten. Es gab kei- miß. Die Gruppe der PDS unterstützt, daß die ehema- nen Verstoß gegen geltendes Recht, keine Unverein- ligen Eigentümer von Mauergrundstücken und barkeit mit rechtsstaatlichen Grundsätzen und kei- deren Erben diese Grundstücke zu relativ günstigen nen Anspruch. Bedingungen kaufen können bzw. eine entspre- chende Geldleistung aus der Veräußerung erhalten. (Norbert Geis [CDU/CSU]: Rechtsstaatlich keit gab es doch gar nicht, Herr Heuer!) Dabei haben wir im einzelnen eine unterschiedli- che Sicht der Höhe des Kaufpreises. Auch wir wissen - Nein, aber soweit die Auffassung der Bundesregie- nicht ganz, wo die 25 Prozent hergeleitet werden. rung. Immerhin sind das alles deutlich günstigere Bedin- gungen, als nach dem Sachenrechtsänderungsge- Dabei spielen natürlich auch fiskalische Interessen setz. eine Rolle. Das ist hier mit Recht festgestellt worden. Die Gegenposition, die auf verständlichen Interessen Voraussetzung dafür ist allerdings, daß hier kein der Enteigneten beruht, bezieht sich in hohem Maße Tor geöffnet wird für eine schrittweise Rückgängig- auf den Charakter des Staates als Unrechtsstaat und machung aller Enteignungen in der sowjetischen auf Unrecht. Besatzungszone, in der DDR und möglicherweise sogar darüber hinaus. (Zuruf von der CDU/CSU: Aber Sie führen Deshalb kann die Mehrheit der Gruppe der PDS das weiter! Das ist noch schlimmer!) dem Änderungsantrag der SPD nicht zustimmen. Dietrich Blumenwitz weist in seinem Gutachten Die Bildung des Fonds nach § 3 im Koalitionsent- darauf hin - das ist Ihnen allen zugegangen -, daß wurf findet meine Zustimmung. Hier entsteht die die Mauer sinnfälliger Ausdruck des Unrechtsregi- Chance einer sozialverträglichen Lösung über den mes war und dem Wiedervereinigungsgebot des Einzelfall hinaus. Allerdings meinen wir, daß man Grundgesetzes entgegenstand. konkreter festlegen sollte, wer dort etwas erhält. Wir 7626 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 86. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. Februar 1996

Dr. Uwe-Jens Heuer sind der Meinung, man sollte auch diejenigen Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Das Wort hat berücksichtigen, deren Lebensmittelpunkt im Osten Frau Dr. Peschel-Gutzeit, Senatorin für Justiz, Berlin. gegenwärtig durch die radikale Veränderung der Verhältnisse bedroht ist. Senatorin Dr. Lore Maria Peschel-Gutzeit (Berlin): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sie Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Herr Kollege beschließen heute über die rechtliche Behandlung Heuer, gestatten Sie eine Zwischenfrage? von Grundstücken, die im Rahmen des Baus der Ber- liner Mauer und im Rahmen des Ausbaus des Todes- streifens quer durch Deutschland von den ehemali- Dr. Uwe-Jens Heuer (PDS): Aber bitte schön. gen Machthabern der DDR enteignet wurden. Es liegen Ihnen zwei Entwürfe vor. Einmal geht es Hans-Joachim Hacker (SPD): Sehr geehrter Herr um den von Berlin initiierten Bundesratsentwurf, der Kollege Professor Heuer! Sie haben eben begründet, eine Rückgabe der Mauer- und Grenzgrundstücke daß Sie dem Änderungsantrag der SPD-Bundestags- nach den Regeln des Vermögensgesetzes vorsieht. fraktion nicht beitreten können. Ich frage Sie: Wie bewerten Sie denn die Tatsache, daß durch Abgeord- Zum anderen gibt es den Koalitionsentwurf, der nete Ihrer Gruppe vor O rt , das heißt, in Berlin, in den zum Zwecke des Mauerbaus Enteigneten die Medien die Meinung vertreten wird, daß sich Ihre Möglichkeit einräumen soll, ihre eigenen Grund- Gruppe hier im Bundestag für die Rückgabe der stücke zu einem reduzierten Preis zurückzukaufen. Mauergrundstücke ohne Wenn und Aber einsetzen (Norbert Geis [CDU/CSU]: Es liegt nur ein wird? F.D.P.-Antrag und ein CDU/CSU-Antrag vor!) Dr. Uwe-Jens Heuer (PDS): Wie Sie vielleicht schon Vor mehr als einem Jahr habe ich in diesem Hohen bemerkt haben, unterscheidet sich unsere Gruppe Hause anläßlich der ersten Lesung des Bundesrats- von den Fraktionen auch dadurch, daß es unter- entwurfes gesprochen. Seither habe ich auf den Tag schiedliche, auch öffentlich geäußerte Ansichten gewartet, an dem es endlich zu einer gesetzlichen gibt, daß wir auch im Parlament unterschiedlich Regelung für die Mauer- und Grenzgrundstücke abstimmen. Der Fraktionszwang gilt für uns nicht kommt. Im Hinblick auf den jetzt von den Koalitions- in der Schärfe wie für Sie. Ich habe ausdrücklich fraktionen eingebrachten Änderungsentwurf sehe erklärt: Die Mehrheit der Gruppe vertritt diese Posi- ich aber der bevorstehenden Abstimmung eher tion. - Sind Sie damit zufrieden, lieber Herr Kollege beklommen entgegen. Hacker? Ich sollte vielleicht sagen: Ich spreche hier für das von einer Großen Koalition regierte Land Berlin. Die Hans-Joachim Hacker (SPD): Ja, ich bedanke Bedenken gegen den jetzt gefaßten Koalitionsantrag mich. werden von dem gesamten Berliner Senat getragen und sind in einem Beschluß des Senats vom Dr. Uwe-Jens Heuer (PDS): Bitte schön. 6. Februar dieses Jahres nochmals bekräftigt wor- den. Ich meine also, es sollte gesichert werden, daß die- ser Fonds auch denen zugute kommt, die im Osten (Dr. Herta Däubler-Gmelin [SPD]: Auch von heute Belastungen haben, die ebenfalls für sie sehr Diepgen!) schwer sind und die große Probleme haben, durch Ich spreche also hier in Vertretung des Regierenden die radikale Änderung der Verhältnisse, insbeson- Bürgermeisters für das Land Berlin. dere in bezug auf Grundstücke, auf Datschen und ähnliches. Bisher bin ich immer davon ausgegangen, daß auch die Koalitionsfraktionen weitgehend darin überein- Außerdem meinen wir, daß der Fonds dazu ver- stimmen, daß es ein unerträglicher Zustand ist, wenn wandt werden sollte, die längst fällige Erhöhung der sich der Gesamtstaat Bundesrepublik vorhalten las- Entschädigung für politisch Verfolgte in der DDR zu sen muß, er habe sich über die Brücke ehemaliger finanzieren. Wir meinen also, daß auch auf diesem Verteidigungsanlagen der DDR zu Lasten der frühe- Wege eine sozialverträgliche Lösung geschaffen wer- ren Eigentümer an den Mauer- und Grenzgrundstük- den kann. ken bereichert. Unser Hauptproblem besteht darin, daß eine Wei- (Norbert Geis [CDU/CSU]: Das tun wir doch terwirkung etwa in bezug auf verschiedene andere nicht!) Enteignungen, insbesondere auf die Rückgabe des früheren Großgrundbesitzes der volkseigenen Güter, Denn es ist uns allen klar, daß Mauer und Todesstrei- nicht stattfindet. Das würden wir für verhängnisvoll fen quer durch Deutschland keine Verteidigungsan- halten. Insofern begrüßen wir in diesem Punkt die lagen der DDR waren, sondern Machwerke, die Position der Bundesregierung. allein dem Zweck dienten, die eigenen Bürger einzu- sperren, und zwar notfalls unter Einsatz gezielter Danke schön. Todesschüsse. (Norbert Geis [CDU/CSU]: Jetzt haben Sie Insofern hatte ich in Kenntnis aller unterschiedli- sich widersprochen!) chen Meinungen innerhalb der die Bundesregierung Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 86. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. Februar 1996 7627

Senatorin Dr. Lore Maria Peschel-Gutzeit (Berlin) tragenden Parteien erwartet, daß diese zu einem fern, die ihre Grundstücke mit 25 Prozent zurückkau- Kompromiß finden, der zumindest ausschließt, daß fen müssen, bezahlen. sich der Bund an diesen Grundstücken schließlich (Norbert Geis [CDU/CSU]: Was für eine bereichert. Auffassung haben Sie vom Bund?) (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Die fiskalische Bereicherung ist unübersehbar. DIE GRÜNEN - Norbert Geis [CDU/CSU]: Das tun wir doch nicht!) (Norbert Geis [CDU/CSU]: Dann haben Sie den Gesetzestext nicht gelesen!) Um so größer war und ist meine Enttäuschung, als ich mir den Koalitionsantrag näher angesehen habe. Meine Damen und Herren, haben Sie sich durch Denn ein Ergebnis ist offenkundig: Ungeachtet aller die Regelung in § 4 vielleicht in die Irre leiten lassen? Nach § 4 soll ein Fonds zur Förderung von wirtschaft- früheren Beteuerungen hat das fiskalische Interesse lichen, sozialen und kulturellen Zwecken errichtet des Bundes an den Mauergrundstücken gesiegt. Wird der vorliegende Antrag Gesetz, dann hat sich werden. die Bundesregierung 25 Prozent des Wertes der (Jochen Feilcke [CDU/CSU]: Sie sollten Mauer- und Grenzgrundstücke gesichert. Besonders eine Zwischenfrage zulassen!) wenig kann akzeptiert werden, daß hier eine Rege- lung durchgesetzt werden soll, die es der Bundesre- Diesem Fonds sollen die Einnahmen aus der Veräu- gierung ermöglicht, sich nach eigenem Ermessen ßerung der Mauer- und Grenzgrundstücke zufließen. jedes beliebige Mauergrundstück auszusuchen, um (Jochen Feilcke [CDU/CSU]: Es ist kein fei- es sich dann von den übrigen Enteignungsopfern ner Stil, Frau Senatorin, keine Fragen zuzu- bezahlen zu lassen. lassen, wenn Sie so etwas am Stück sagen!) - - Ich finde es fabelhaft, wie lebhaft Sie plötzlich Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Frau Senatorin, geworden sind. gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Geis? Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Zwischenrufe sind erlaubt, jedoch keine Dauerzwischenrufe. Senatorin Dr. Lore Maria Peschel-Gutzeit (Berlin): Im Augenblick würde ich gerne weitersprechen. (Jochen Feilcke [CDU/CSU]: Das ist doch meine Sache, Herr Präsident!) Das ist nun wirklich keine Lösung, die dem berech- tigten Anliegen der Betroffenen gerecht wird. Bitte, Frau Kollegin.

Auch wenn einige in der Koalition den vom Bun- Senatorin Dr. Lore Maria Peschel-Gutzeit (Berlin): desrat beschlossenen Weg nicht mitgehen wollen, so Vielleicht sollten Sie erst einmal zuhören. Ich werde muß die Koalition doch eine Lösung finden, die das belegen. zumindest ausschließt, daß sich der Staat an den Mauergrundstücken bereichert. (Jochen Feilcke [CDU/CSU]: Das ist ja unerhört!) (Beifall bei Abgeordneten der SPD - Nor bert Geis [CDU/CSU]: Das tun wir doch Die Regelung, die Sie vorschlagen, ist in Wahrheit nicht!) eine Verschleierung des tatsächlich Gewollten.

Alles andere ist unanständig und wird dadurch, daß (Jochen Feilcke [CDU/CSU]: Das ist unpar- versucht wird, die Bereicherungsabsicht zu ver- lamentarisch!) schleiern, noch schlimmer. Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Gestatten Sie, Nach § 1 Abs. 3 des Koalitionsentwurfs kann der Frau Senatorin? - Herr Feilcke, es steht jedem Red- Bund nach freiem Ermessen Mauergrundstücke für ner frei, Zwischenfragen zuzulassen oder nicht. So eigene Zwecke verwenden steht es in unserer Geschäftsordnung, die Sie mit beschlossen haben. (Norbert Geis [CDU/CSU]: Eigene öffentli che Zwecke!) (Jochen Feilcke [CDU/CSU]: Sie soll aber nicht von Bereicherung sprechen!) oder sogar an Dritte veräußern. In diesen Fällen braucht er lediglich den Erwerbsantrag des enteigne- Die Rednerin hat gesagt, sie lasse keine Zwischenfra- ten Alteigentümers abzulehnen. Der Alteigentümer gen zu. Es gibt andere parlamentarische Möglichkei- erhält dann einen Anspruch auf Zahlung von ten, sich zu äußern. Sie können beispielsweise eine 75 Prozent des Verkehrswerts des Grundstücks. § 2 Kurzintervention machen. Bitte halten Sie sich an die Abs. 1 sieht nun vor, daß dieser Entschädigungsan- Geschäftsordnung, und diskutieren Sie mit mir nicht spruch in Höhe von 75 Prozent bei der Veräußerung darüber, wie ich sie auslege. von Mauer- und Grenzgrundstücken zu leisten ist. Bitte, Frau Senatorin. Das Ergebnis liegt auf der Hand: Der Bund sucht sich nach seinem Ermessen Filetgrundstücke aus Senatorin Dr. Lore Maria Peschel-Gutzeit (Berlin): und läßt sie sich von den anderen Enteignungsop- Ich danke Ihnen. 7628 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 86. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. Februar 1996 Senatorin Dr. Lore Maria Peschel-Gutzeit (Berlin) Die Fondsvorschrift dient allein dem Zweck, die CDU auf den Pfad der Tugend zu bringen. Ist dies fiskalische Begehrlichkeit des Bundes zu verdecken. der Pfad der Tugend? Ohne diese Vorschrift wäre der Entwurf zumindest ehrlicher. Er würde klipp und klar sagen, daß sich Ich zitiere aus einer Pressemitteilung der F.D.P. der Bund 25 Prozent des Wertes der Grundstücke vom Oktober letzten Jahres. Darin heißt es: sichern will. Die Bundestagsfraktion der F.D.P. ist nach wie vor Die Bundesregierung hat es nach § 4 des Entwurfs der Ansicht, daß es im Interesse der Glaubwür- völlig in der Hand, welche Mittel in den Fonds gelan- digkeit des Rechtsstaates nicht akzeptabel sei, gen; denn die Verkaufserlöse fließen schließlich nur daß die Bundesrepublik Grundstücke der ehema- dann in den Fonds, wenn die Bundesregierung sie ligen Verteidigungsanlagen der DDR ihrem Ver- nicht für den Erwerb von Grundstücken einsetzt, die mögen einverleibt und zu fiskalpolitischen Trans- sie entweder selbst benötigt oder aber an Dritte ver- aktionen mißbraucht. äußern will. Ich denke, wir sollten uns auch noch einem ande- (Dr. Herta Däubler-Gmelin [SPD]: Hört! ren Gedanken zuwenden. Bei der Beratung des Hört! Das ist unmöglich!) Zweiten SED-Unrechtsbereinigungsgesetzes ist das Problem der Mauergrundstücke, wie ich weiß, aus- Das Parlament ist dabei ausgeschaltet. Insofern ist führlich beraten worden. Dabei ist von allen Abge- es Augenwischerei, wenn eine Beteiligung des Haus- ordneten immer wieder betont worden, fiskalische haltsausschusses des Deutschen Bundestages bei der Erwägungen dürften bei der Regelung der Problema- Ausgabe der Fondsmittel vorgesehen ist; denn, wie tik der Mauer- und Grenzgrundstücke keine Rolle gesagt, bei dem eigentlich wesentlichen Punkt, näm- spielen. lich bei der Frage, welche Mittel überhaupt in den Fonds gelangen, hat das Parlament kein Wo rt mitzu- (Detlef Kleinert [Hannover] [F.D.P.]: Deshalb - reden. haben wir den Fonds!) (Gerald Häfner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ Wie aber kommen diese Abgeordneten dann zu NEN]): Richtig!) einer Regelung, die der Bundesrepublik Deutschland nunmehr 25 Prozent der Erlöse sichert? Selbst dann aber, wenn tatsächlich Geld in den Fonds gelangen sollte, bietet der Entwurf keine (Detlef Kleinert [Hannover] [F.D.P.]: In Gewähr dafür, daß die Fondsmittel nicht zur Förde- einem Fonds!) rung von solchen gemeinnützigen Zwecken ausge- Diese 25 Prozent, geben werden, die der Bund ohnehin bereits auf Grund bestehender rechtlicher Verpflichtungen lei- (Detlef Kleinert [Hannover] [F.D.P.]: Wenn sten müßte. Sie das Sagen hätten, hätten Sie 100 Prozent behalten!) (Norbert Geis [CDU/CSU]: Das ist nicht wahr! Sie haben gar nichts gelesen!) wieviel Millionen es auch sein mögen, wiegen auf keinen Fall den dauerhaften Schaden auf, der für das Ich frage insbesondere die Mitglieder der F.D.P., Ansehen unseres Rechtsstaates damit verbunden ist. die sich in der Vergangenheit immer für eine Rück- gabe der Mauer- und Grenzgrundstücke an die frü- (Beifall bei der SPD) heren Eigentümer eingesetzt haben; ich frage auch Deshalb bitte ich Sie eindringlich, dem vorliegen- diejenigen Abgeordneten von der CDU und CSU, die den Gesetzentwurf der Koalition nicht zuzustimmen. es in der Vergangenheit mit uns als unanständig und unerträglich angesehen haben, daß sich der Staat an Falls sich die Koalitionsabgeordneten nicht dazu den Mauergrundstücken bereichert: Ist der vorlie- entschließen können, heute dem Bundesratsentwurf gende Koalitionsentwurf wirklich das, was Sie zuzustimmen, den die SPD übernommen hat, bitte gewollt haben? Kann es für die Mauergrundstücke ich Sie eindringlich, über die Sache vor einer endgül- eine Lösung geben, die nur zu 75 Prozent gerecht, tigen Entscheidung noch einmal nachzudenken. aber zu 25 Prozent unanständig und unerträglich bleibt? Kann man die Glaubwürdigkeit des Rechts- Der Koalitionsentwurf bedarf - unabhängig von staates derart teilen? Oder haben Sie einfach überse- der rechtspolitisch verfehlten Ausgangslage - auch hen, daß Ihnen hier ein Entwurf vorgelegt wird, der in anderer Hinsicht noch einer reiflichen Überle- dem Bund 25 Prozent des Wertes der Mauer- und gung. Er ist nämlich unausgegoren und führt in Ein- Grenzgrundstücke ungeniert sichert? Ich frage den zelfällen zu wirklich absurden Ergebnissen. Ich Bundesminister der Justiz, der als Abgeordneter am denke zum Beispiel an die lastenfreie Überlassung, 1. Juni des letzten Jahres in diesem Hohen Hause die zwar dem Eigentümer zugute kommt, nicht aber gesagt hat, er unterstütze den Bundesratsentwurf, denen, die ihre dingliche Belastung, zum Beispiel wie und warum er sich auf einen solchen Kompromiß Hypotheken, verloren haben. Das alles ist ja sehr dif- einlassen kann. ferenziert im Vermögensgesetz geregelt, nicht aber in Ihrem Entwurf. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Über die Frist 15. Februar 1992 ist zu sagen: Wenn vor diesem Datum veräußert ist, soll es überhaupt Sie, Herr Bundesminister, haben damals verspro nichts geben. Darüber ist hier schon gesprochen wor- chen, die noch widerstrebenden Kollegen in der den. Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 86. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. Februar 1996 7629

Senatorin Dr. Lore Maria Peschel-Gutzeit (Berlin) Man kann hören, mit der vorgesehenen Rück- genannten Fonds einzahlen muß und nicht in die kaufsmöglichkeit könnten die Eigentümer doch eigene Tasche stecken darf. Über die Ausgaben des hochzufrieden sein. Es ist richtig, daß der Entwurf Fonds, Frau Senatorin, entscheidet dann der Haus- der Fraktionen, wie er nun mal angelegt ist, in eini- haltsausschuß, da dieser Fonds mit einem Sperrver- gen wenigen Teilen die Alteigentümer günstiger merk versehen ist. stellt, als wir es vorgeschlagen haben. (Detlef Kleine rt [Hannover] [F.D.P.]: Sehr Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Das Woche richtig!) einer weiteren Kurzintervention hat der Kolleg Dr. Mahlo, CDU/CSU. Aber das Hauptanliegen des Bundesrates war es nicht, als Interessenvertreter der Alteigentümer mög- lichst große finanzielle Vorteile herauszuschlagen. Dr. Dietrich Mahlo (CDU/CSU): Herr Präsident! Ich Das Interesse Berlins und der neuen Länder war und möchte die Behauptungen der Frau Senatorin, der ist ein politisches und ein historisches zugleich. Es Staat habe sich bereichert, und die darin mit enthal- geht bei der Rückgabe der Mauergrundstücke um tene Behauptung, daß dieser Staat, der bis an die nicht mehr und nicht weniger als um die Beseitigung Grenze seiner wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des Skandalons selbst, das die Mauer und das mit ihr den Versuch macht, die innere Einheit herzustellen, verbundene Grenzregime repräsentiert, nämlich die Geld, das er bekommt, zu fiskalpolitischen Transak- Einmauerung einer ganzen Gesellschaft. tionen mißbrauchen würde, als eine Verunglimpfung dieses Staates zurückweisen. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. - DIE GRÜNEN - Detlef Kleinert [Hannover] Senatorin Dr. Lore Maria Peschel-Gutzeit [F.D.P.]: Wie soll denn das gehen?) [Berlin]: Das war ein F.D.P.-Zitat!) Diese Ungeheuerlichkeit zwingt zu dem Schluß, die zum historischen Sinnbild gewordenen Grundstücke Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Frau Senatorin, aus allen Einerseits-Andererseits-Rechnungen her- ich mache Sie darauf aufmerksam: Sie haben immer auszunehmen und sie den ehemaligen Eigentümern das Recht, zu erwidern, wenn Sie möchten. Es liegen ohne Wenn und Aber zurückzugeben. Der nun mir aber noch eine Reihe von Wünschen zu Kurzin- gefundene Kompromiß ist keine Lösung, sondern terventionen vor. Diese können Sie sich auch erst eine neue Ungerechtigkeit und damit eine Zumu- noch anhören und dann vielleicht zusammenfassend tung zugleich. auf sie eingehen. Das ist nur ein Rat von mir. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ (Jochen Feilcke [CDU/CSU]: Die können DIE GRÜNEN) Sie richtig genießen!) Dann hat jetzt zu einer Kurzintervention das Wo rt Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Das Wort zu die Kollegin Däubler-Gmelin, SPD. einer Kurzintervention hat der Kollege Norbert Geis, CDU/CSU-Fraktion. Dr. Herta Däubler-Gmelin (SPD): Im Gegensatz zu den verehrten Kollegen, die sich gerade zu Wort Norbert Geis (CDU/CSU): Frau Senatorin! Ich gemeldet haben, insbesondere zu Ihnen, Kollege nehme nur zu Ihrer Behauptung Stellung, der Bund Mahlo, bin ich der Meinung, daß die Darstellung habe sich bereichert. Ich möchte Ihnen sagen, daß eines Sachverhalts, so wie er in Ihrem Gesetzentwurf Sie den Entwurf, so wie wir ihn vorgelegt haben, vorgesehen ist, niemals eine Verunglimpfung sein nicht richtig gelesen haben. Denn es steht in § 2 kann. Deswegen glaube ich nicht, daß Sie gut daran Abs. 1 im letzten Halbsatz: tun, der Senatorin, die hier die Auffassung des Berli- ... sofern der Bund sie nicht für eigene öffentli- ner Senats vertritt, einen derartigen Vorwurf zu che Zwecke verwenden oder im öffentlichen machen. Interesse an Dritte veräußern will. Es ist überhaupt nicht einzusehen, warum die Sie wissen ganz genau, was dies bedeutet, vor Regelung so gefaßt wurde, wie Sie sie vorgeschlagen allem, wenn Sie bedenken, daß der Bund einen haben. Es ist in der Tat nicht einzusehen, warum der Rückerwerbsantrag nur mit einem Bescheid zurück- Bund eine sehr große Variationsbreite an Möglich- weisen kann, der einer gerichtlichen Prüfung unter- keiten dahingehend haben soll, welches Grundstück worfen ist. Wenn sich das aber so verhält, dann darf er behalten will, welches er weitergibt und was er der Bund nur im öffentlichen Interesse handeln und mit dem Geld macht. Das sind die drei Vorwürfe und darf nicht im fiskalischen eigenen Interesse handeln. drei Bedenken, die wir in bezug auf die Abwick- Das wissen Sie. Deswegen verstehe ich Ihre Einlas- lungsregelungen Ihres Gesetzentwurfes andauernd sung insoweit nicht. erhoben haben. Es wäre Ihnen ein Leichtes gewesen und hätte dann auch die Möglichkeit eröffnet, ver- Auch Ihre in diesem Zusammenhang gemachte nünftig miteinander zu reden, wenn Sie erstens die Äußerung, der Bund würde den Erlös, die 25 Prozent Parlamente sehr viel stärker einbezogen hätten, des Verkehrswerts, in die eigene Tasche stecken, ist wenn Sie zweitens die betroffenen Regionen, insbe- falsch. In § 4 steht ausdrücklich, daß er die 25 Pro- sondere das Land Berlin, einbezogen hätten und zent, die er als Erlös aus der Veräußerung von wenn Sie drittens in bezug auf die Verwendung der Grundstücken erhält, in den in dem Gesetzentwurf vorgesehenen Mittel in den allgemeinen Rahmen, 7630 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 86. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. Februar 1996

Dr. Herta Däubler-Gmelin den Sie hier vorgegeben haben, klarere Richtlinien Dieses Geld gibt er natürlich wieder aus. Das ist ja einbezogen hätten. Das wäre besser gewesen und immer so, denn der Bund hortet schließlich keine hätte den Verdacht ausgeräumt, daß hier auf eine Goldbarren in einer Art Fort Knox. Vielmehr gibt er ganz merkwürdige Art und Weise einem Beispiel das Geld für Zwecke aus, die er sowieso erfüllen gefolgt werden soll, das die Engländer „quango" müßte, die nämlich großenteils gesetzlich vorgege- nennen. Das ist nämlich ein quasi-autonomes ben sind. Das heißt: Er stopft mit dem Geld dieser Gebilde, das irgendwo zur ng gehört, aber Alteigentümer seine Löcher. von niemandem demokratisch kontrolliert werden kann. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD - Dr. Herta Däubler-Gme- Sie sind einen ganz bedauerlichen Weg gegangen. lin [SPD]: Das ist der Punkt!) Meiner Ansicht nach hat die Senatorin völlig recht, wenn Sie Ihnen die Mahnung ins Stammbuch Das als rechtsstaatlich ausgeben zu wollen ist wirk- schreibt, dieses Verfahren nochmals zu überdenken. lich ein Skandal. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des (Detlef Kleinert [Hannover] [F.D.P.]: Man BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) muß den Balken im Wappen von Branden- burg sehen!)

Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Sie bringen mich Darüber hinaus möchte ich in meiner Kurzinter- jetzt etwas in Geschäftsordnungsschwierigkeiten, vention meiner Verwunderung darüber Ausdruck weil nach der Geschäftsordnung Kurzinterventionen geben, daß Sie sich hier zu einer Koalition zusam- zu Kurzinterventionen nicht zulässig sind. Es heißt ja mengefunden haben, die aus der Mehrheit der PDS in der Geschäftsordnung, daß als Replik auf einen auf der einen und der Mehrheit von Union und F.D.P. Redebeitrag eine Kurzintervention erfolgen kann auf der anderen Seite besteht. Ich honoriere - wir- und daß der Redner darauf noch einmal antworten werden das bei der Abstimmung feststellen -, daß es kann. Ich bitte darum, keine Kurzinterventionen zu auf beiden Seiten Abweichler gibt. Aber ich denke, Kurzinterventionen zu machen. Die Senatorin hat das Haus muß würdigen, daß sich PDS und Union bei das Recht zur Erwiderung, nicht irgendein Abgeord- dieser doch sehr bedeutenden Frage bei der Bewälti- neter. gung der jüngeren deutschen Geschichte gemein- sam in ein Boot setzen und unter dem Strich sagen: (Dr. Herta Däubler-Gmelin [SPD]: Ich habe So ein Unrecht war das mit dem Mauerbau eigentlich mich auf die Senatorin bezogen! - Heiter doch nicht. keit bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU) (Zuruf von der CDU/CSU: Unerhört!) - Es ist des weiteren die Regel, daß über solche Das ist halt Geschichte gewesen. Wir wollen jetzt ein- Punkte nicht mit dem Präsidenten diskutiert wird. Ich mal gucken, wie wir von dieser Geschichte profitie- hatte sehr stark den Eindruck, daß Sie auf eine Kurz- ren können. intervention erwidert hatten. Lassen wir die Diskus- Ich finde das skandalös und wollte das festgestellt sion! Diejenigen, die jetzt dran sind, mögen meine wissen. Worte bitte bedenken. (Zuruf von der F.D.P.: Sie haben keine Herr Kollege Häfner, Sie haben das Wort zu einer Ahnung!) Kurzintervention.

Das Wo zu (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: rt Gerald Häfner einer weiteren Kurzintervention hat der Kollege Hak- Meine Kurzintervention bezieht sich auf die Ausfüh- ker, SPD. rungen der ehemaligen Richterin und Senatorin des Landes Berlin, Frau Lore Maria Peschel-Gutzeit, zu der Frage, ob der Bund das, was er bei diesen Hans-Joachim Hacker (SPD): Frau Senatorin 25 Prozent einnimmt, sozusagen in seinen Säckel Peschel-Gutzeit, ich möchte noch einmal auf Ihre steckt und für eigene Zwecke benutzt oder ob das Ausführungen zu der Erlösauskehr eingehen und nicht der Fall ist. Man muß das Gesetz lesen, wenn möchte dazu beitragen, daß in diesem Haus keine man eine Antwort darauf geben möchte. Ich habe Legendenbildung erfolgt, und darauf verweisen, daß festgestellt, daß die Frau Senatorin der Rechtsausschuß in jeder Beratung die Erklärung von der Bundesregierung zu hören bekam, daß sich (Dr. Herta Däubler-Gmelin [SPD]: Völlig der Bund nicht an den Grundstücken, die für den recht hatte!) Bau der Mauer und des Todesstreifens verwendet das Gesetz gelesen und richtig interpretiert hat. wurden, bereichern wird. Denn zum einen kassiert der Bund diese 25 Prozent, (Zuruf von der CDU/CSU: So ist es! Aber die die Alteigentümer bezahlen müssen, zum ande- die Senatorin behauptet das!) ren kassiert er, indem er es sich dort, wo er selbst die Grundstücke verwerten möchte, erspart, ein anson- Deswegen bitte ich Sie, wenn Sie noch einmal das sten notwendiges Enteignungsverfahren durchzu- Wort ergreifen, auf die Regelung in § 2 Abs. 2 des führen, das wahrscheinlich höhere Kosten mit sich Entwurfes einzugehen, wonach der Bund nämlich in bringen würde. Er muß dann nur 75 Prozent zahlen. den Fällen, in denen er nicht an Dritte veräußert, son- Das heißt: Hier kassiert er auch. dern die Grundstücke zu eigenen, sicherlich öffentli- Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 86. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. Februar 1996 7631

Hans-Joachim Hacker chen Zwecken verwendet, lediglich 75 Prozent des mögen einverleibt und zu fiskalpolitischen Trans- Verkehrswertes auszukehren hat. Da stelle ich auch aktionen mißbraucht. die Frage in Richtung von Herrn Geis: Was ist mit (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- den 25 Prozent Differenz? Wer bekommt sie? Die SES 90/DIE GRÜNEN) gehen nämlich nicht in den Fonds ein, sondern blei- ben beim Bund. Ich möchte Sie bitten, Frau Senato- Ich weiß nicht, was man da aus dem Zusammenhang rin, insbesondere auf diese Problematik einzugehen, gerissen haben kann. wenn Sie noch einmal Stellung nehmen. (Detlef Kleinert [Hannover] [F.D.P.]: Deshalb findet das auch nicht statt! - Zuruf von der Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Ich lasse jetzt SPD: Normalerweise müßte der Bund solche noch eine Kurzintervention zu, nämlich die des Kolle- Grundstücke erwerben!) gen Dr. Heuer. - So ist es. Oder er müßte sie zurückgeben.

(PDS): Ich möchte nur zu einer Dr. Uwe-Jens Heuer Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Darf ich um ein Sache etwas sagen, die der Kollege Häfner eben bißchen mehr Ruhe bitten, Herr Kollege Kleinert. angeschnitten hat. Überwiegend hat jetzt die Senatorin aus Berlin das Wort. Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Nein, genau das, Herr Kollege Heuer, dürfen Sie nicht. Das habe ich Senatorin Dr. Lore Maria Peschel-Gutzeit (Berlin): nun hinreichend klargemacht. Sie können eine Kurz- Herr Abgeordneter Geis hat gemeint - so glaube ich intervention zu der Rede der Senatorin Peschel-Gut- mich zu erinnern -, es gebe keine Bereicherung des zeit machen. Wenn Sie das nicht tun wollen, setzen Bundes. Ich meine, ich habe sehr deutlich gemacht,- Sie sich wieder hin! daß sich der Bund natürlich bereichert und daß das (Zuruf von der CDU/CSU: Die Übeltäter auch gewollt ist. sollten ruhig bleiben! Sie sollten sich schä Ich komme zunächst zu den Grundstücken, die vor men!) dem 15. Februar 1992 veräußert worden sind. (Norbert Geis [CDU/CSU]: Es gibt keine!) Dr. Uwe-Jens Heuer (PDS): Ich merke das. Aber das haben alle nicht gemacht. In diesem Fall bekommt der Alteigentümer nämlich überhaupt nichts. Das heißt, der Bund behält diese Grundstücke, die natürlich genau so wertvoll sind Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Nein, es tut mir wie alle anderen, ohne einen Pfennig dafür zu zah- leid. len. Wenn das keine Bereicherung ist, dann weiß ich nicht, was eine Bereicherung ist. Frau Senatorin, Sie haben jetzt Gelegenheit, auf mehrere Kurzinterventionen zu antworten. Weil das (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ so ist, bekommen Sie von mir statt der üblichen drei DIE GRÜNEN - Norbert Geis [CDU/CSU]: Minuten sechs Minuten Redezeit. Bitte. Es gibt keine Veräußerung vor dem 15. Februar 1992! Dann kann er sich auch nicht bereichern!) Senatorin Dr. Lore Maria Peschel-Gutzeit (Berlin): Vielen Dank. Herr Präsident! Meine Damen und Her- Zweitens. Es ist gesagt worden - so ergibt es sich ren! Zunächst einmal möchte ich gern den Vorwurf aus dem Gesetzentwurf, den ich natürlich sehr genau der Nichtachtung dieses Hohen Hauses zurückwei- gelesen habe, Herr Abgeordneter Geis - - sen. Ich habe vorhin, als ich von fiskalpolitischen (Detlef Kleinert [Hannover] [F.D.P.]: Na!) Transaktionen sprach, mit denen die Bundesrepublik einen Mißbrauch betreibt, ein wörtliches Zitat der - Herr Abgeordneter Kleinert, Sie mögen das für sich F.D.P. benutzt. Ich habe das auch kenntlich gemacht. nicht so tun. Ich tue es. Ich lese so etwas sehr genau, bevor ich hier spreche. (Detlef Kleinert [Hannover] [F.D.P.]: Völlig aus dem Zusammenhang gerissen! - (Detlef Kleinert [Hannover] [F.D.P.]: Er ist ja Lachen bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE ziemlich kurz!) GRÜNEN und der PDS - Gerald Häfner - Das ist wohl richtig, daß er kurz ist. Aber selbst die- [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Weil bei ser Gesetzentwurf scheint so viele Tücken zu enthal- Ihnen der Zusammenhang verloren ist!) ten, daß Sie sie nicht entdeckt haben. - Überhaupt nicht. Der Zusammenhang, Herr Abge- Es heißt dort: ordneter Kleinert, lautet so - ich will es Ihnen gern sagen -: Will der Bund ein Grundstück für eigene öffentli- che Zwecke verwenden oder ... an Dritte veräu- Die Bundestagsfraktion der F.D.P. ist nach wie vor ßern, lehnt er den Erwerbsantrag ab. der Ansicht, daß es im Interesse der Glaubwür- digkeit des Rechtsstaats nicht akzeptabel sei, daß Ich habe gesagt: Er allein entscheidet also darüber, die Bundesrepublik Grundstücke der ehemali- ob er ein Grundstück an die Alteigentümer zurück- gen Verteidigungsanlagen der DDR ihrem Ver- gibt oder nicht. 7632 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 86. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. Februar 1996

Senatorin Dr. Lore Maria Peschel-Gutzeit (Berlin) Dann geht es weiter: Es gibt aber noch mehr Unrecht, das in der DDR passiert ist. Der Berechtigte hat in diesen Fällen einen Anspruch auf Zahlung von 75 v. H. des Verkehrs- (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Aller- wertes. dings!) Dann lese ich weiter in § 3: Es gibt auch „Enteignungen im öffentlichen Inter- esse". Dazu gehören sicherlich Enteignungen im Die Ausgaben nach Abs. 2 Satz 2 ... sind aus den Zusammenhang mit Straßenbau, Bergbau, Aufbau, Einnahmen aus der Veräußerung von Mauer- und Grenzgrundstücken zu leisten. (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Und die Enteignung der Landwirtschaft!) Ich habe gesagt: Die Alteigentümer, die zu 25 Prozent zurückkaufen müssen, zahlen also das Geld, mit dem aber auch Enteignungen im Zuge des Verteidigungs- der Bund die Entschädigung für die Leute zahlt, gesetzes. Damals wurde nach den in der DDR gelten- denen er die Grundstücke nicht zurückgibt, was er den Preisvorstellungen entschädigt. Zu diesen Preis- sonst nämlich selbst tun müßte. vorstellungen fanden im übrigen auch Privatver- käufe statt. Das darf man nicht vergessen. Der beson- (Zuruf von der CDU/CSU: Er behält doch dere Diskriminierungstatbestand war aus damaliger nichts! - Norbert Geis [CDU/CSU]: Soll er Sicht zumindest an der Entschädigungshöhe nicht zu das aus Steuergeldern zahlen?) erkennen. - Entschuldigung, ich habe den Eindruck, daß es Nun gibt es das Problem, daß die Grenzanlagen noch immer nicht verstanden ist. der DDR ebenfalls nach dem Verteidigungsgesetz enteignet wurden. Die Rechtsprechung hat in den (Detlef Kleinert [Hannover] [F.D.P.]: Das ist - wechselseitig!) letzten Jahren deutlich festgestellt: Diese Enteignun- gen sind nicht Gegenstand des Vermögensgesetzes - Wenn der Bund Grundstücke, die ihm nicht gehören, auch wenn wir es alle gerne gesehen hätten, daß das behalten will, dann muß er dafür wohl Entschädigun- Problem damit gelöst ist; dieser Gefallen ist uns nicht gen zahlen und kann nicht auf das Geld zurückgrei- getan worden, weil das eben im Gesetz nicht enthal- fen, das Alteigentümer dafür erst einmal hinlegen ten ist. Das bedeutet im Umkehrschluß, daß der Eini- müssen. gungsvertrag das dem Bundesvermögen zugeschla- gen hat. Ich danke Ihnen, Herr Präsident. (Gerald Häfner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ NEN]: Das ist eine Regelungslücke! - Hans- DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der Joachim Hacker [SPD]: Wir können das PDS) doch ändern!) - Richtig, wir wollen das ändern. Deswegen sind wir Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Das Wort hat heute hier. jetzt der Kollege Dr. Michael Luther, CDU/CSU Fraktion. Wir können natürlich einen neuen Restitutionstat- bestand einführen. In dieser Entscheidung sind wir vollkommen frei. Aber dann müssen wir natürlich Dr. Michael Luther (CDU/CSU): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Debatte ist ganz genau überlegen, was wir tun. Wenn das Ver- sehr interessant, und sie währt schon eine lange Zeit. mögensgesetz grundsätzlich alle Enteignungen aus- Sie ist Ausdruck dessen, was wir die letzten vier schließt, die gegen Entschädigungen erfolgt sind, Jahre gemacht haben: Wir haben uns mit dem stellt sich natürlich unweigerlich die Frage: Warum schwierigen Thema der Mauer- und Grenzstreifen- ausgerechnet nur an dieser Stelle, warum nicht auch an anderen, grundstücke beschäftigt - beschäftigen müssen, weil dieses Unrecht im Sozialismus, in der DDR entstan- (Zustimmung bei der CDU/CSU) den ist, und warum nicht zum Beispiel dort, wo der Enteig- (Zuruf von der CDU/CSU: Richtig!) nungszweck weggefallen ist oder wo der Enteig- nungszweck niemals eingetreten ist? uns hinterlassen wurde. Wir bemühen uns darum, dieses Unrecht zu beseitigen, zu mildern, dort wo es (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- geht. Das ist sehr schwierig. ordneten der F.D.P.) Gerade im Vermögensbereich wurde eine Menge Meine Damen und Herren, die Enteignungen zu gesetzlicher Regelungen geschaffen. Besonders zu DDR-Zeiten, ob „im öffentlichen Interesse" oder erwähnen ist natürlich das mit dem Einigungsvertrag wegen der Lage an einer Grenze, mit dem Beg riff übertragene Vermögensgesetz, das wir nach der „rechtsstaatlich" zu bezeichnen, wage ich an dieser deutschen Einheit mehrfach novelliert haben. Dieses Stelle nicht. Deswegen ist es auch kein Argument, zu Vermögensgesetz besagt ganz klar: Restituierbar ist sagen: Weil die Enteignung an der Mauer besonders das, was entschädigungslos enteignet wurde. unrechtmäßig war, müsse man das zurückgeben. (Hans-Joachim Hacker [SPD]: Trotz drohen Das nächste Problem: Wenn wir festlegen, daß wir der Überschuldung!) nur an dieser Stelle zurückgeben, stellt sich natürlich Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 86. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. Februar 1996 7633

Dr. Michael Luther die Frage: Warum geben wir nur dies, nicht aber Meine Damen und Herren, ich hatte es gesagt: Die jenes zurück? Den einen entschädigen wir zu Mauer- und Grenzstreifengrundstücke sind nach jet- 100 Prozent des Verkehrswertes, und der andere ziger Gesetzeslage Bundeseigentum. Sie gehören bleibt heute auf den zu DDR-Zeiten geleisteten mini- nicht Herrn Waigel persönlich - dieser Eindruck wird malen Entschädigungen sitzen. manchmal vermittelt -, sondern es ist Eigentum, das der Bund zugeordnet bekommen hat. Aber wir sind (Dr. Dietrich Mahlo [CDU/CSU]: Trinkgeld!) mit diesem Zustand nicht zufrieden. Wir haben von Anfang an gesagt: Diese Grundstücke sollen nicht in Dann ergibt sich eben das Problem der Wertschere. unserem Eigentum bleiben, ganz einfach weil diese Was diese Diskussion - wir haben sie im Zusammen- Grundstücke einen besonderen Symbolgehalt hat- hang mit dem Entschädigungs- und Ausgleichslei- ten. stungsgesetz ausführlich geführt - für Folgen hat, wage ich nicht zu prophezeien. (Detlef Kleinert [Hannover] [F.D.P.]): Sehr richtig!) Herr Hacker, ich habe an Ihrer Rede deutlich gemerkt - mir ist das leider auch in der Diskussion im Deswegen haben wir uns überlegt: Wie erreichen Ausschuß und im Berichterstattergespräch aufgef al- wir eine Lösung, die das Problem außerhalb des Ver- len -: Sie verschließen einfach Ihre Augen vor diesen mögensgesetzes regelt und den alten Eigentümern Tatsachen. Das finde ich bedauerlich. Sie sehen der trotzdem gerecht wird? Diese Lösung liegt heute auf Gefahr nicht ins Auge. Sie gehen das Risiko einer dem Tisch. Ich werbe für diese Lösung. Ich habe Totalrevision aller Vermögensverhältnisse, die sich in mich mit dieser Kompromißlösung lange beschäftigt. der DDR geändert haben, ein. Ich bin allen dankbar, die sich auf diese Lösung hin bewegt haben: Abgeordnete aus den neuen Län- (Detlef Kleinert [Hannover] [F.D.P.]: Das ist dern, die sehr wohl aus ihrer Heimatstadt berichten - doch der Punkt!) können, welche Fälle es da sonst noch gibt, und Abgeordnete gerade aus den alten Bundesländern. Ich will das nicht. Aus diesem Grunde habe ich mir vier Jahre lang intensiv Gedanken gemacht, wie wir (Joachim Gres [CDU/CSU]: Ein langer aus dieser Problematik herauskommen. Es wurde Weg!) überlegt, ob man die Mauer- und Grenzstreifen- - Herr Gres, Sie sehen mich an dieser Stelle an. Sie grundstücke so abgrenzen kann, daß sie sich von haben mir in Gesprächen immer wieder die Lage den anderen Enteignungsfällen unterscheiden, die derjenigen verdeutlicht, die die DDR nur von außen ich erwähnt habe. Naheliegender Gedanke ist natür- erlebt haben und die die Grenze und die Mauer lich der Symbolgehalt der Mauer. Die Mauer war anders als wir, die innerhalb dieser DDR gelebt Symbol der Teilung Deutschlands, und deswegen haben, als Symbol für die Teilung Deutschlands erle- müsse man diese Grundstücke zurückgeben. Aber ben konnten und die die Maueropfer in Fernsehbil- für was war sie Symbol? Für die Maueropfer? Die dern sehen konnten, was viele auf der anderen Seite Mauer war das Symbol für Teilung und Unfreiheit - nicht konnten. insbesondere für die, die an der Mauer umgekom- men sind - und für politische Verfolgung. Herr Häfner, an dieser Stelle erlaube ich mir noch eine Bemerkung. Sie haben vorhin bloß auf die Aber ob jemand sein Grundstück unter der Mauer Braunkohle abgestellt. Wenn Sie wollen, übergebe hatte oder 100 Meter daneben - auf dem dann eine ich Ihnen gerne einen Katalog, eine lange Liste von Kaserne erbaut wurde, in der die Grenzpolizisten Fällen innerhalb des Landes, die genauso schreien- ihre Unterkunft hatten -, ist Zufall. Deswegen ist es des Unrecht sind, die ich in Abgrenzung zu dem, was nicht zulässig, als Abgrenzungskriterium den Sym- Mauer- und Grenzstreifengrundstücke angeht, nicht bolgehalt der Mauer zu verwenden. Das geht einfach vertreten kann. nicht. Ich will bloß zwei Beispiele nennen. Das eine: die (Beifall des Abg. Detlef Kleinert [Hannover] Enteignungen im Zusammenhang mit der Wismut. [F.D.P.] - Siegfried Hornung [CDU/CSU]: So Wissen Sie, was die Wismut war? Wissen Sie, wer das ist es! - Gerald Häfner [BÜNDNIS 90/DIE war? Wissen Sie, wie das abgelaufen ist? Da gibt es GRÜNEN]: Sie haben das doch in Ihrem Grundstücke, die aus Sicherheitsgründen, damit Gesetzentwurf abgegrenzt! Das ist Schaum man nicht sieht, was dort geschieht, enteignet wur- schlägerei!) den. Auch diese können heute nicht zurückgegeben werden. An dieser Stelle sage ich aber ganz deutlich: Es gibt natürlich - das müssen wir alle akzeptieren - Es gibt andere Fälle. Ich will nicht mein Friseurbei- gerade im Zusammenhang mit der Errichtung der spiel bringen. Das habe ich oft genug getan. Ein Mauer im Jahre 1961 Exzeßfälle, bei denen Leute mit anderes Beispiel aus Dresden: Mit dem Verteidi- Polizeigewalt aus ihren Häusern vertrieben wurden, gungsgesetz wurde ein Grundstück gegen eine Ent- damit auf die Schnelle die Mauer gebaut werden schädigung von 8 000 Mark enteignet. Weil das konnte. Aber es gibt auch andere Fälle, wo der Haus, das darauf stand, bombengeschädigt war, Grundstückseigentümer ganz woanders gewohnt hat wurde es abgerissen - Abrißkosten: 15 000 Mark, und er das vielleicht zu dem Zeitpunkt so gar nicht Rest: minus 7 000 Mark; das hat der Staat großzügi- registriert hat. Diese Exzeßfälle gibt es im Verlauf der gerweise erlassen. Das war die entschädigungsbe- DDR-Geschichte an vielen Stellen. Die müssen aus haftete Enteignung. Die Eigentümerin bekommt das meiner Sicht dann genauso behandelt werden. Grundstück nicht zurück. Das Schlimmste ist die 7634 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 86. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. Februar 1996

Dr. Michael Luther Verwendung der Fläche: Sie wurde dafür verwendet, daß Sie die Länder auffordern und sagen: „Dann daß die Staatssicherheit und ihre Bediensteten dort macht es doch in diesen Fällen auch so", unseren mit ihren Autos parken konnten. Entschließungsantrag ablehnen. Meine Damen und Herren, das alles muß man im Zusammenhang betrachten, wenn man davon redet, Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Bitte, Herr Häf- jetzt einen neuen Restitutionstatbestand zu schaffen, ner. oder wenn man sich darum bemüht, eine Rgelung zu treffen, die all diese Probleme berücksichtigt und Gerald Häfner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr letztendlich für alle eine angemessene Lösung dar- Luther, ich möchte Ihnen eine kurze Zwischenfrage stellen kann. stellen, nachdem Sie mich jetzt mehrfach mit dem (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Hinweis darauf angesprochen haben, daß es noch andere Fallgestaltungen gibt. Ich möchte Sie deshalb Der Kaufpreis von 25 Prozent ist, glaube ich, ein folgendes fragen. Kompromiß bezüglich der Wertschere, damit es keine Öffnung zu einer Totalrevision gibt. Die Preis- Sind Sie nicht erstens mit mir der Ansicht, daß es minderung auf 25 Prozent rechtfertigt auch der politi- eine Schwäche des Vermögensgesetzes ist, daß es sche Symbolgehalt, der dahintersteht. ausschließlich auf teilungsbedingtes Unrecht abhebt und nicht das innerstaatliche Unrecht einbezieht? (Norbert Geis [CDU/CSU]: Die Entschädi gung muß nicht zurückgezahlt werden!) (Vorsitz : Vizepräsident Hans Klein) Sind Sie zweitens mit mir der Ansicht, daß die Ich denke, wir als der Bundestag können garantie- Mauer, über die wir jetzt reden, etwas von allem ren, daß die Mittel, die dann in den Fonds einfließen, anderen deutlich zu Unterscheidendes ist, auch des- nicht vorrangig für bundesstaatliche Aufgaben ver- - halb, weil die Mauer völkerrechtswidrig war, gegen wendet werden. Denn es gibt in dem Gesetz ein sehr den Viermächtestatus verstoßen hat und damit etwas starkes Instrument, mit dem wir das verhindern kön- ganz anderes ist als Braunkohleabbau, als die Wis- nen, nämlich die Haushaltssperre durch den Haus- mut, die ich sehr wohl kenne, oder auch als der haltsausschuß. Ich gehe davon aus, daß insbesondere Kasernenbau, der in der DDR auch stattgefunden Abgeordnete aus den neuen Ländern - denn das Ziel hat? dieses Fonds ist der Aufbau in den neuen Ländern - Berichterstattungen in den Fraktionen zu diesem Sind Sie drittens mit mir der Meinung, daß es ganz Haushaltstitel übernehmen werden und dann darauf und gar unzuträglich ist, wenn wir hier, wo wir ein achten werden, daß das, was von der Bundesregie- konkretes Problem lösen müssen, wegen der Unfä- rung, von den Koalitionsfraktionen zugesagt ist, letzt- higkeit in der Koalition - ich kann es nicht anders endlich - sicherlich auch in Ihrem Sinne - nicht für sagen -, die anderen Probleme einer Lösung zuzu- bundesstaatliche Aufgaben, sondern eben für beson- führen, auch an dieser Stelle keine vernünftige dere Aufgaben verwendet wird, die dann im Einzel- Lösung finden, keine rechtsstaatliche Lösung finden, fall behandelt werden müssen. sondern eine rechtswidrige, durch die sich der Bund am Unrecht bereichert? (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) (Norbert Geis [CDU/CSU]: Für Sie ist das Meine Damen und Herren, es ist viel Unrecht immer nicht vernünftig, was wir machen!) geschehen. Ich hatte es vorhin schon in der Zwi- schenfrage formuliert. Ich hoffe und wünsche mir, daß sich Länder und Kommunen, die oftmals im Dr. Michael Luther (CDU/CSU): Herr Häfner, las- Besitz solcher Grundstücke sind, wie ich sie vorhin sen Sie mich mit der Beantwortung der Fragen von beschrieben habe, in Einzelfällen, in Härtefällen hinten beginnen. Wir haben eine Lösung vorgelegt. auch darum bemühen, ein Stück Gerechtigkeit Das zeigt deutlich, daß wir uns erstens mit diesem wachsen zu lassen, und in Einzelfällen die Betroffe- Themenfeld auseinandergesetzt haben und daß wir nen durch begünstigte Preisgestaltung wieder zu zweitens eine tragfähige Lösung zustande gebracht ihrem alten Eigentum kommen lassen. haben. In diesem Zusammenhang wundert es mich schon Zu Ihrer zweiten Frage: Das Völkerrechtsargument sehr stark, Herr Hacker, welche Pirouetten Sie im ist nun hinlänglich diskutiert worden, und es ist auch Bundestag innerhalb von fünf Jahren gedreht haben. gerichtlich gewürdigt worden. (Norbert Geis [CDU/CSU]: Von den Gerich- Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Herr Kollege, ten abgelehnt worden!) gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Häf- Das trifft natürlich insbesondere auf die Enteignung ner? nach dem Verteidigungsgesetz zu, aber eben nur innerhalb von Berlin und ohne rechtliche Konse- Dr. Michael Luther (CDU/CSU): Noch einen Satz! - quenzen. Genau das ist ja das Problem. Genau das Vor fünf Jahren sind Sie gegen das Vermögensgesetz ist in den einschlägigen Urteilen dazu zum Ausdruck gewesen, und jetzt, wenn es darum geht, den gekommen. Wir hätten dann zumindest die Gerech- Gesamtkontext auf etwas anderes hin zu erweitern, tigkeitslücke zwischen Mauer innerhalb von Berlin gerade auf die Fälle, die vielleicht auch in Ihrer Hei- und Grenzstreifen entlang der ehemaligen Teilungs- matstadt zum Tragen kommen, wollen Sie, anstatt grenze zwischen der ehemaligen DDR und der Bun- Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 86. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. Februar 1996 7635

Dr. Michael Luther desrepublik Deutschland. Also das völkerrechtliche Vizepräsident Hans Klein: Ich erteile das Wort dem Argument ist richtig, aber es ist nicht sachdienlich. Bundesminister der Justiz, Professor Dr. Edzard Ich kann es nicht verwenden, man kann es nicht Schmidt-Jortzig. greifen. Zu Ihrer ersten Frage zum Vermögensgesetz: Das Dr. Edzard Schmidt-Jortzig, Bundesminister der ist natürlich eine sehr interessante Frage. Ich war Justiz: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! nach der Wahl vom 18. März 1990 in der letzten Volks- Die Behandlung der Grundstücke, die zum Zwecke kammer, habe als Abgeordneter den Einigungsver- des Baues der Berliner Mauer und zur Errichtung der trag mitgestaltet und kenne die Geschichte seither. Grenzsperranlagen zwischen der Bundesrepublik Ich muß ganz einfach sagen: Ich hätte mir mehr Zeit Deutschland und der DDR in Volkseigentum über- gewünscht - das war in der kurzen Spanne nicht mög- führt wurden, hat den Bundestag schon lange und lich -, um die Gesetze besser gestalten zu können, eingehend beschäftigt. Schon die Diskussionen um (Dr. Herta Däubler-Gmelin [SPD]: Und eine das Zweite SED-Unrechtsbereinigungsgesetz waren andere Vermögensregelung!) von der Frage bestimmt, ob die Enteignungen der sogenannten Mauergrundstücke individuelles aber diese Möglichkeit hat nicht bestanden; das wis- Unrecht darstellten, das einer Wiedergutmachung sen wir heute alle. - Wenn Sie noch einen Zuruf dazu durch Rückgabe bedarf, oder nicht. machen, fällt mir natürlich noch viel mehr ein. Wahr- scheinlich wäre eine noch viel vernünftigere Lösung Meine Damen und Herren, die fraglichen Grund- möglich gewesen, wenn Sie vernünftig daran mitge- stücke, die wegen ihrer Lage im ehemaligen Grenz- wirkt hätten. gebiet zum Zwecke der Errichtung und des Ausbaus von Sperranlagen an der ehemaligen innerdeutschen (Dr. Herta Däubler-Gmelin [SPD]: Wir Grenze, des Ringes um Berlin und der Sektoren- - schon! - Gegenruf des Abg. Uwe Lühr grenze quer durch Berlin verwendet wurden, gerie- [F.D.P.]: Sie nicht!) ten mit der Enteignung in sogenanntes Volkseigen- Wir haben versucht, gerade in den Jahren danach tum und wurden noch ausgangs der DDR - das ist ja das Vermögensgesetz so zu korrigieren, daß die auch ganz interessant, daß man das erwähnt - in Unebenheiten, die darin enthalten sind, ausgegli- staatliches Privateigentum umgewandelt. chen werden können. Jetzt sind wir an einem Punkt angelangt, an dem wir sagen: Das ist das, was uns Mit der Herstellung der deutschen Einheit sind sie der Einigungsvertrag aufgetragen hat - in Bundesverwaltungs- oder Finanzvermögen nach Art. 21 bzw. 22 des Einigungsvertrages gefallen und (Dr. Herta Däubler-Gmelin [SPD]: De Mai befinden sich somit in Eigentum der öffentlichen zière war ganz vernünftig, und ihr habt ihn Hand. umgedreht!) Meine Damen und Herren, nach der derzeitigen und nun gibt es noch mehr Ungerechtigkeiten. Rechtslage bestehen also bezüglich dieser Immobi- Deswegen mein Plädoyer für unsere Koalitionsvor- lien grundsätzlich keine Restitutionsansprüche. Das lage zu diesem 25 - Prozent - Rückgabemodell, mein muß man deutlich sehen, und das muß man immer Plädoyer, doch einmal etwas anderes zu tun, als im wieder allen Überlegungen, die man hinsichtlich der Vermögensgesetz steht - ich habe versucht, die Regelung dieses Problemkomplexes anstellt, Gefahren aufzuzeigen -, um letztendlich zu einer zugrunde legen. Ein Anspruch auf Rückgabe besteht vernünftigen Lösung zu kommen. Und ich halte das, nach geltender Rechtslage nicht. was wir als Kompromiß hier vorschlagen, für eine sehr vernünftige Lösung. (Norbert Geis [CDU/CSU]: So ist es, ja!) (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. - Diejenigen, die das einmal anders zu sehen versucht Abg. Hans-Joachim Hacker [SPD] meldet haben, haben ihre bittere Erfahrung mit der Recht- sich zu einer Zwischenfrage) sprechung gemacht. Sie wissen, daß das Bundesver- waltungsgericht dieses in verschiedenen Entschei- dungen so bestätigt hat. Vizepräsident Hans Klein: Ich kann keine Zwi- schenfrage mehr zulassen, weil der Redner bereits Deshalb, meine Damen und Herren, weil nach der ein gutes Stück über seine Redezeit hinaus war, als geltenden Rechtslage die Dinge eben so sind, wie sie er die andere Zwischenfrage beantwortet hat. sind, wird die Koalition jetzt tätig, um hier eine Ver- besserung zu erreichen. (Joachim Gres [CDU/CSU]: Aber er wäre bereit gewesen!) Das Vermögensgesetz paßt dabei nicht. Es erfaßt Herr Kollege, bitte sagen Sie einen Schlußsatz oder im Kern nur solche Enteignungen, die der politischen hören Sie gleich auf. Verfolgung dienten, also politische Strafmaßnahmen waren oder jedenfalls als solche anzusehen waren oder ansonsten diskriminierenden Charakter aufwie- Dr. Michael Luther (CDU/CSU): Ich möchte mich sen. bedanken und bitte um Zustimmung sowohl zum vorliegenden Gesetzesvorschlag als auch zu unserem Den Enteignungen zum Mauerbau fehlt zwar ein Entschließungsantrag. solch individuell diskriminierendes Moment im obigen Sinne. Aber ihnen haftet ein besonderer poli- Recht herzlichen Dank. tischer Unwertcharakter an. Was sie von anderen (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Enteignungen in der ehemaligen DDR unterscheidet, 7636 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 86. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. Februar 1996

Bundesminister Dr. Edzard Schmidt-Jortzig ist ihr Symbolcharakter, ihr Symbolgehalt für die Meine Damen und Herren, die nun gefundene deutsche Einheit. Meine Damen und Herren, die Lösung stellt natürlich kein Optimum dar. - Das Bundesregierung hat schon in ihrer Stellungnahme haben Kompromisse so an sich. Wer anderes verkün- zu dem Bundesratsentwurf davon gesprochen, daß den wollte, läge sicherlich falsch. - Aber diese dies es nahelegen könnte, die Mauergrundstücke Lösung ist das beste, was zum Zwecke der Wieder- anders als sonstiges Staatsareal aus DDR-Zeiten zu gutmachung für die Alteigentümer erreicht werden behandeln. konnte.

Nun komme ich auf das, was Sie, Herr Kollege Häf- Der Kompromiß besteht darin, daß die Alteigentü- ner, und Sie, Frau Kollegin Peschel-Gutzeit, ange- mer die Möglichkeit erhalten, ihre Grundstücke zu sprochen haben. Das verdient - ich bin dankbar, daß günstigen Konditionen, nämlich zu einem Viertel des man das hier kann - noch einmal einer Erwähnung. heutigen Verkehrswertes, zurückzuerwerben. Zu Meine eigene Position - und die Position meiner Par- 75 Prozent kann also das alte Eigentum wiederherge- tei, genau richtig wiedergegeben in dieser Presseer- stellt werden, zu 25 Prozent nicht. Hier bitte ich Sie, klärung - habe ich bereits am 1. Juni des vergange- einfach einmal alle moralische Empörung, die ja bei nen Jahres von dieser Stelle aus unmißverständlich etlichen ziemlich geheuchelt ist, beiseite zu lassen klargestellt: Dem Eigentumsgedanken ist Geltung zu und nüchtern zu erwägen, ob das ein Kompromiß ist, verschaffen. - Das Präsidium der F.D.P. hatte bereits der sich sehen lassen kann oder nicht. am 6. September 1993 beschlossen, eine politische Lösung mit dem Ziel einer Rückgabe der Grund- (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) stücke an ihre Alteigentümer zu suchen. Zu diesem Dieses Ergebnis 25:75 - weiß Gott nicht das Opti- Zeitpunkt waren übrigens ausgerechnet die Par- mum - ist angesichts der tatsächlichen Politik und teien, die sich hier und jetzt als Befürworter einer Problemumstände ein vertretbares, und so finde ich, unbedingten Restitution aufspielen, noch intensiv - ein gutes Ergebnis. Wer anderes behauptet, ist ent- damit beschäftigt, gegen den Grundsatz Rückgabe weder Traumtänzer, Ignorant oder Polemiker. statt Entschädigung zu polemisieren. (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU - Norbert Geis [CDU/CSU]: Das ist richtig!) Wenn man nämlich - auch das haben Sie, verehrte Frau Kollegin, richtig deutlich gemacht - berücksich- Es galt indessen - nun kommt die Differenz, Herr tigt, daß die Alteigentümer gleichzeitig von sämtli- Häfner -, tatsächlich eine Lösung zu finden, die chen Zahlungsverpflichtungen freigestellt werden, sowohl dem Eigentumsgedanken als auch der die die Restitutionsberechtigten nach dem Vermö- Befürchtung Rechnung trägt - Herr Kollege Luther gensgesetz treffen, also zum Beispiel von der Rück- hat das ja sehr eingehend und differenziert hier dar- zahlung von erhaltenen Entschädigungsleistungen, gelegt -, eine Rückgabe ohne Wenn und Aber, wie von Lastenausgleich und von der Hinterlegung von sie von Ihnen gefordert wird - und auch gefordert Ablösebeträgen für untergegangene dingliche werden kann, weil Sie es nicht realisieren müssen -, Rechte, so relativiert sich die Höhe des Rückerwerbs könnte politische Signalwirkung für die Schaffung preises weiter. Faktisch kann dadurch - diese Gefahr neuer Restitutionstatbestände entfalten. Es liegt muß man deutlich sehen; auch da bin ich Ihnen doch auf der Hand - dafür muß man nicht Jurist sein, dankbar, daß Sie das gesagt haben - vielleicht sogar sondern nur einen praktischen Blick für die Dinge eine günstigere Lösung zustande kommen als nach haben -, dem Bundesratsentwurf. Das muß man nüchtern sehen. (Dr. Herta Däubler-Gmelin [SPD]: „Nur"!) (Norbert Geis [CDU/CSU]: Das ist im Ein- daß andere Enteignungs- und Konfiskationsgeschä- zelfall ohne weiteres möglich!) digte aus der DDR eine ähnliche Behandlung einfor- dern, wenn hier keine hinreichende Separierung Es hilft überhaupt nicht, sich auf ein hohes Podest unseres Tatbestandes gelingt. von irgendwelchen Großartigkeiten zu begeben, wenn man sich nicht vorwerfen lassen will, daß man Es ist ja auch bekannt - darauf ist richtigerweise auf diese Art und Weise praktische Lösungen verhin- auch vom Kollegen Luther hingewiesen worden -, dert. daß insbesondere Abgeordnete aus den östlichen Bundesländern ihre Mitwirkung verweigern könn- (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) ten, wenn nicht irgendwelche Signale in Richtung der Fälle nach dem Berggesetz, nach dem Aufbauge- Ich weiß, daß diese Lösung nicht alle Alteigentü- setz, nach dem Verteidigungsgesetz der DDR erge- mer zufriedenstellen wird. Einige haben aber durch- hen. Die Sache ist also leider viel komplizierter, als es aus erkannt, daß ein Rückkauf jetzt auf jeden Fall hier von Verschiedenen dargestellt wurde. Es wird günstiger ist, als sonst überhaupt nichts in die Hand dieser schwierigen Lage eben nicht gerecht, wenn zu bekommen. In diesem Sinne haben mir jedenfalls man meint, mit politischem und moralischem Rigoris- viele Betroffene geschrieben. Ich will gerne einige mus die Dinge angehen zu müssen, dann aber völlig Dinge vorlesen, damit deutlich wird, daß jedenfalls scheitert und nicht in der Lage und bereit ist, zugun- der Redner, der jetzt hier zu dieser Sache spricht, in sten einer Lösung Kompromisse einzugehen. der Tat mit den Leuten spricht und gehört hat, was dort gewollt wird, und nicht nur aus der Theo rie her- (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) aus die Dinge behandelt. Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 86. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. Februar 1996 3637

Bundesminister Dr. Edzard Schmidt-Jortzig In einem Brief heißt es: Zu einer Erklärung zur Abstimmung erteile ich dem Kollegen Klaus-Jürgen Warnick das Wort. Ich bin der Meinung, daß es dem Verantwor- tungsbereich von Politikern unterliegt, die Betrof- fenen vor Schaden zu bewahren, indem sie Klaus-Jürgen Warnick (PDS): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich sehe mich wegen der - die Politiker nämlich - kontroversen Diskussion zu diesem heiklen Thema sich verpflichtet fühlen, das Machbare zu errei- auch innerhalb der Gruppe der PDS - Sie haben es chen und dies den Betroffenen bzw. deren Vor- auch an dem Zurückziehen unseres Änderungsantra- standsmitgliedern zu vermitteln. ges bemerkt - gezwungen, mein Abstimmungsver- halten hier zu erklären. Ein anderes Schreiben: Ich glaube, Herr Hacker, mit den „brandenburgi- Mir ist klar, daß dieser Gesetzesvorschlag keine schen Abgeordneten" haben Sie wahrscheinlich Ideallösung darstellt, und sicherlich ist es auch auch mich gemeint. Ich kann Ihnen hundertprozen- Ihnen nicht leichtgefallen, diesem Kompromiß- tig versichern: Ich bin froh darüber, daß ich nicht wie vorschlag zuzustimmen. Aber Demokratie heißt Herr Mahlo meine Meinung um drei Ecken verbie- eben auch die Abwägung vieler Interessen, um gen muß oder mich wie Herr Kleinert und Herr daraus die bestmögliche Lösung zu erarbeiten. Luther hier winden muß, um etwas zu beweisen, was ein Widerspruch in sich ist und sich gar nicht bewei- Ein anderer schreibt: sen läßt. Ich bin erleichtert darüber, daß sich nun endlich durch das vorgesehene Mauergesetz eine Lösung Vizepräsident Hans Klein: Herr Kollege, sind Sie dieser Problematik abzeichnet. sicher, daß Sie zur Abstimmung sprechen? Ein anderes Schreiben: (Heiterkeit bei der CDU/CSU, der SPD, Als Betroffene begrüßen wir den Kompromißvor- dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der schlag der Regierungskoalition und hoffen, daß F.D.P.) der Gesetzentwurf eine baldige positive Ent- scheidung erfährt. Klaus-Jürgen Warnick (PDS): Ja, ich denke schon. Die Betroffenen sind klüger, vernünftiger und (Wolf-Michael Catenhusen [SPD]: Ist das pragmatischer, als Sie es sind. Ich frage Sie, wer der schön heute abend! Ein souveränes Parla- Sache wirklich dient. ment!) (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) Ich werde deshalb den Koalitionsantrag und die Beschlußfassung des Rechtsausschusses ablehnen, Ein Letztes noch. (Detlef Kleinert [Hannover] [F.D.P.]: Eine Sensation!) Vizepräsident Hans Klein: Ich habe gerade einem Kollegen ein Zeichen gegeben, daß Ihre Redezeit zu weil ich die Heuchelei der Bundesregierung beim Ende ist und er deshalb keine Zwischenfrage mehr Thema offene Vermögensfragen auch in Zukunft mit stellen kann. ruhigem Gewissen brandmarken will. Ich hätte mir im Frühjahr 1990 eine andere Lösung Dr. Edzard Schmidt-Jortzig, Bundesminister der vorgestellt. Ich hätte mir vorgestellt, daß alle Grund- Justiz: Es tut mir leid, aber meine Redezeit ist zu stücke, die nicht genutzt werden bzw. deren Enteig- Ende. nungszweck entfallen ist, an die ehemaligen Eigen- (Lachen bei der SPD) tümer zurückgegeben werden. Ich bin der Meinung, daß dies auch auf die Mauergrundstücke zutrifft. Ich hätte gerne noch etwas zu dem Entschließungs- antrag sagen wollen. Aber Sie haben meine wichtig- Ich meine, daß alle Grundstücke, die von Ostdeut- sten Argumente gehört, liebe Frau Kollegin. Deswe- schen privat genutzt werden bzw. nicht an gesell- gen bin ich ziemlich sicher, daß Sie dem Gesetzent- schaftliche Nutzung gebunden sind, nicht hätten wurf zustimmen werden. zurückgegeben werden dürfen. Die Bundesregie- rung hat genau das Gegenteil getan. Ich mußte erle- Vielen Dank. ben, wie Grundstücke, die seit Jahrzehnten privat genutzt wurden, zu Millionen zurückgegeben wur- (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) den, verbunden mit menschlichem Leid für Millionen von Ostdeutschen. Vizepräsident Hans Klein: Nach dem Grundgesetz Bei den Mauergrundstücken, die man sofort hätte kann die Regierung - ebenso wie der Bundesrat - zurückgeben können, ist bis heute keine Rückgabe sozusagen jederzeit und solange sie will reden. Es erfolgt. Für mich ist die Zahlung von 25 Prozent gibt zwar interne Vereinbarungen; aber ich habe moralisches Unrecht. keine Ordnungsgewalt über die Mitglieder der Regierung. Also muß ich so über die Bande spielen, (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Reden Sie Herr Minister. Das kam mir gerade gelegen. doch nicht zur Moral, Sie sind Täter!) 7638 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 86. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. Februar 1996

Klaus-Jürgen Warnick Ich glaube auch nicht an einen weiteren Damm- Wir kommen zur bruch. Ich glaube nicht daran, daß man damit eine dritten Beratung Tür öffnet. Ich bin nicht so rechtsgläubig wie Sie. und Schlußabstimmung. Ich bitte diejenigen Kolle- (Dr. Dietrich Mahlo [CDU/CSU]: Sie sind ginnen und Kollegen, die dem Gesetzentwurf zustim- linksgläubig!) men wollen, sich zu erheben. - Gegenprobe! - Ent- Ich glaube, wenn es Ihnen politisch opportun haltungen? - Bei 1 Enthaltung aus der Gruppe der erscheint, dann finden Sie Argumente für oder gegen PDS, 1 Enthaltung aus der F.D.P.-Fraktion und Dammbrüche und für oder gegen das Öffnen einer 1 Gegenstimme aus der Unionsfraktion ist der Tür. Daran ändert dieser Gesetzentwurf überhaupt Gesetzentwurf mit den Stimmen der Koalition ange- nichts. nommen. Ich werde dem Antrag der SPD zustimmen, Wir kommen zur Abstimmung über den Entschlie- obwohl ich Schwierigkeiten mit seiner rechtlichen ßungsantrag der Fraktion der CDU/CSU und der Begründung habe. Ich bin aber der Meinung, daß Fraktion der F.D.P. auf Drucksache 13/3756. Wer das Ziel richtig ist, und ich hätte dieses Ziel auch so stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Gegen- formuliert. probe! - Enthaltungen? - Der Entschließungsantrag ist angenommen. Ich möchte zum Schluß erklären, daß wir in der PDS eine Abstimmung über diese Frage hatten. Wir kommen zur Abstimmung über den Entschlie- Eventuell war das, was mein Kollege Heuer gesagt ßungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, hat, etwas mißverständlich. Ein Drittel der Abgeord- Drucksache 13/3757. Wer stimmt für diesen Ent- neten der PDS hat sich meiner Meinung angeschlos- schließungsantrag? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - sen, zwei D rittel waren für Enthaltung und nicht für Der Entschließungsantrag ist abgelehnt. - Zustimmung zum vorliegenden Entwurf. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 12 auf: Ich danke Ihnen. Zweite und dritte Beratung des von den Frak- (Beifall bei Abgeordneten der PDS - Detlef tionen der CDU/CSU und F.D.P. eingebrach- Kleinert [Hannover] [F.D.P.]: Hat sich da ten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Än- jemand gewunden?) derung des Betäubungsmittelgesetzes (Zwei- tes BtMG-Änderungsgesetz - 2. BtMG-ÄndG) Vizepräsident Hans Klein: Wir kommen zur Einzel- - Drucksache 13/3216 - beratung und Abstimmung über den Gesetzentwurf (Erste Beratung 78. Sitzung) des Bundesrates zur Einbeziehung der Mauer- und Grenzgrundstücke in das Vermögensgesetz, Druck- Beschlußempfehlung und Be richt des Aus- sachen 13/120 und 13/3734. schusses für Gesundheit (14. Ausschuß) Es liegt ein Änderungsantrag der Fraktion der SPD - Drucksache 13/3652 - vor. Wir stimmen über den Änderungsantrag der Berichterstattung: Fraktion der SPD auf Drucksache 13/3758 ab. Wer Abgeordnete Gudrun Schaich-Walch stimmt für den Änderungsantrag der SPD? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich der Stimme? - Dazu liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion Bei einigen wenigen Enthaltungen in der Gruppe der Bündnis 90/Die Grünen vor. PDS und 1 Enthaltung in der Fraktion der F.D.P. ist der Änderungsantrag mit den Stimmen der Koalition Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. Ist das abgelehnt. Haus damit einverstanden? - Das ist offensichtlich Wir kommen zum Gesetzentwurf in der Ausschuß der Fall. Dann ist es so beschlossen. fassung. Die Fraktion der SPD hat Einzelabstimmung Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wo rt verlangt. dem Kollegen Siegfried Hornung. Ich rufe Art. 1 auf. Ich bitte diejenigen, die A rt . 1 in der Ausschußfassung zustimmen wollen, um das Siegfried Hornung (CDU/CSU): Herr Präsident! Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Meine Kolleginnen und Kollegen! Der von den Koali- Art. 1 ist in der Ausschußfassung angenommen. tionsfraktionen eingebrachte und nun vorliegende Ich rufe Art. 2 in der Ausschußfassung auf. Wer Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des zustimmen will, der gebe bitte das Handzeichen. - Betäubungsmittelgesetzes ist ein Teil der Wiederzu- Gegenprobe! - Enthaltungen? - Art. 2 ist angenom- lassung des Anbaus von THC-armen Hanfsorten. men. Die andere Voraussetzung ist der Entwurf einer Siebenten Verordnung zur Änderung des Betäu- Ich rufe Art . 3, Einleitung und Überschrift in der Ausschußfassung auf. Ich bitte diejenigen, die bungsmittelgesetzes, die Bundesgesundheitsminister Seehofer dem Bundesrat zur Zustimmung vorgelegt zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Gegen- hat. Danach sollen Hanfsorten, deren Gehalt an THC probe! - Enthaltungen? - A rt . 3, Einleitung und Ober- 0,3 Prozent nicht übersteigt, also Nutzhanf, für schrift sind angenommen. gewerbliche Zwecke aus dem Betäubungsmittelrecht Damit ist die zweite Beratung abgeschlossen. herausgenommen werden. Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 86. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. Februar 1996 7639

Siegfried Hornung Mit diesen Änderungen des Betäubungsmittel- Dies wird dadurch gewährleistet, daß jeder Anbau rechts wird der Einsatz der CDU/CSU für die Schaf- von Nutzhanf der Bundesanstalt für Landwirtschaft fung rechtlicher Rahmenbedingungen für den und Ernährung unter Angabe des Unternehmens der Anbau rauschmittelarmer Nutzhanfsorten erfolg- Landwirtschaft, der ausgesäten Hanfsorte - nur zerti- reich zum Abschluß gebracht. fiziertes Saatgut darf verwendet werden - und der genauen Lage der Anbaufläche bis spätestens Uns geht es darum, der Landwirtschaft eine wei- 15. Juni des Anbaujahres anzuzeigen ist. Auf der tere Anbaualternative zu eröffnen, die in anderen Grundlage dieser Angaben wird die Bundesanstalt Mitgliedstaaten der Europäischen Union bereits die angebauten Hanfbestände kontrollieren und die gegeben ist. Zum Beispiel wird in Frankreich, Spa- Einhaltung des THC-Gehaltes überprüfen. Verstöße nien und Großbritannien bereits seit geraumer Zeit gegen die Anzeigepflicht sollen als Ordnungswidrig- der Faserhanfanbau mit rauschmittelarmen Sorten keiten geahndet werden. Der unerlaubte Anbau von kommerziell betrieben und auf der Basis von EWG Hanf ist nach dem Betäubungsmittelgesetz weiterhin Verordnungen mit öffentlichen Mitteln gefördert. strafbar. Ich unterstreiche als praktischer Landwirt, daß es hier auch seitens des Berufsstandes keine Meine Damen und Herren, mit dem Anbau von Nachsicht geben wird. Nutzhanf wird eine alte heimische Kulturpflanze auf unsere Felder zurückkehren. Hanf ist hinsichtlich Mit der Anbauanzeige bei der Bundesanstalt für seiner Verwertungsmöglichkeiten sicherlich ein sehr Landwirtschaft und Ernährung kann zugleich die vielseitig verwendbarer Rohstofflieferant für Texti- Hanfbeihilfe von rund 1 510 DM je Hektar beantragt lien, Faserverbundstoffe, Dämmstoffe, Pflegemittel, werden. Wird Hanf auf stillgelegten Flächen ange- technische Öle und anderes. baut, gibt es anstelle der Beihilfe die regional gültige Flächenstillegungsprämie. Zudem hat Hanf als nachwachsender Rohstoff - nicht nur eine ökonomische, sondern auch eine öko- Mit den vorgesehenen Änderungen des Betäu- logische Bedeutung. Dies zeigt sich darin, daß bei bungsmittelrechts ermöglichen wir interessierten seinem Anbau praktisch keine Pflanzenschutzmittel Landwirten den Einstieg in den Anbau von rausch- benötigt werden und nur ein geringer Düngemittel- mittelarmen Hanfsorten, und zwar so rechtzeitig, daß einsatz erforderlich ist. dies mit der Frühjahrsbestellung 1996 noch erfolgen kann. Damit stellt die CDU/CSU erneut unter Beweis, Der nachhaltige Anbau von Faserhanf in Deutsch- daß sie konsequent zur Einführung nachwachsender land kann aber nur durch einen kaufkräftigen Rohstoffe steht - im Gegensatz zur Opposition, die Absatzmarkt gesichert werden. jetzt auf ein Pferd aufspringt, im übrigen aber bisher alles, was nachwachsende Rohstoffe betraf, als (Beifall des Abg. Heinz-Georg Seiffert Schnapsidee abgetan hat. [CDU/CSU])

Gleichwohl möchte ich aber vor übertriebenen Deshalb begrüße ich es, daß unser Bundeslandwirt- Hoffnungen und vor einer zu großen Euphorie hin- schaftsminister Jochen Borche rt eine Studie zu sichtlich seiner wirtschaftlichen Effizienz warnen. Anbau, Ernte und Verarbeitung sowie Verwendung Die Anbau- und Absatzerwartungen dürfen nicht von Hanf in Auftrag gegeben hat. Sie soll Entwick- überschätzt werden. Ich möchte in diesem Zusam- lungsmöglichkeiten des Hanfanbaus in Deutschland menhang auf die Erfahrungen mit der Wiedereinfüh- aufzeigen. Weitere absatzorientierte Schritte von sei- rung des Flachsanbaus hinweisen. Dort hat die Bun- ten der Produzenten und insbesondere der Nachfra- desregierung Geld investiert in die Entwicklung pra- ger, der Verbraucher, müssen folgen, damit sich aus xistauglicher Anbau- und Verarbeitungsverfahren. der nun geschaffenen Chance eine - hoffentlich - Erste Vermarktungsmöglichkeiten waren gegeben, ernstzunehmende Alternative für die Landwirtschaft aber die Nachfrage seitens der Wirtschaft und insbe- entwickelt. sondere der Verbraucher entwickelte sich leider nur (Dr. Klaus Rose [CDU/CSU]: Sehr gut!) zögerlich. Ein Leinenboom, wie wir ihn erwartet haben, hat auch nicht stattgefunden. Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich möchte noch einmal unterstreichen: In Deutschland Es dürfte also klar sein, daß der Nutzhanfanbau für ist der Hanfanbau von sich aus zurückgegangen. sich genommen nicht der Beitrag zur Lösung der 1982 waren es nur noch wenige Hektar, 28 Hektar in agrarpolitischen Fragen in Europa sein kann. Es muß ganz Deutschland. Auch in Europa haben wir derzeit aber - das möchte ich noch einmal betonen - jede mit knapp 10 000 Hektar - das ist etwas mehr, als Möglichkeit genutzt werden, die Produktpalette der eine normale Gemeinde an Fläche hat - verschwin- Landwirte und damit ihre wirtschaftliche Chancen zu dend wenig. erweitern. Also: Das, was von den Grünen und von anderen Trotz der Anbauzulassung von Nutzhanf bleibt hier inszeniert wird, nehmen wir gerne von der posi- Hanf eine Rauschmittelpflanze. Deswegen sind tiven Seite auf. Aber ich möchte noch einmal davor besondere Anbauregelungen und Kontrollen unver- warnen, darin die große und durchschlagende Kraft meidlich. Der vorliegende Gesetzentwurf soll sicher- für die Agrarpolitik, für die Landwirtschaft zu sehen. stellen, daß auch nach der Zulassung des Anbaus Recht herzlichen Dank. von Nutzhanf in Deutschland wirklich nur Nutzhanf, das heißt rauschmittelarmer Hanf, angebaut wird. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) 7640 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 86. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. Februar 1996

Vizepräsident Hans Klein: Das Wort hat die Kolle- dann junge Landwirte die Nutzpflanze neu ent- gin Heidi Wright. deckt. Akribisch haben sie die positiven Eigenschaf- ten und vielfältigen Verwendungsmöglichkeiten der Pflanze immer wieder dargelegt, Umweltschützer Heidi Wright (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! und Wissenschaftler, junge Unternehmer und letzt- Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Kollege Hor- endlich auch die Politik überzeugt. nurig war erst sehr optimistisch und hat dargestellt, was CDU/CSU und F.D.P. alles gemacht haben, um Es war die SPD, die im März 1995 - die Kollegin den Hanf wieder einzuführen. Zum Schluß hat er der Grünen wird von früheren Zeitabläufen noch alles in den Orkus geworfen, gewarnt und gesagt, berichten können - einen Antrag zur Legalisierung das sei aber alles nicht so toll. des Anbaus von rauschmittelarmem Hanf und Förde- rung von Hanf als nachwachsenden Rohstoff einge- Nicht die CDU/CSU und die F.D.P. sind vorange- bracht hat. Ein Jahr hat es gedauert, bis die Bundes- schritten, sondern die Oppositionsparteien. regierung dieser Aufforderung des SPD-Antrags nachgekommen ist und einen Gesetzentwurf vorge- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ legt hat. DIE GRÜNEN - Dr. Klaus Rose [CDU/CSU]: Was? Das kann man doch wohl nicht (Elke Ferner [SPD]: Die sind eben so lang- sagen!) sam!) - Das kann man sehr wohl sagen. Ich werde das auch Monatelange Verzögerungen bewirken, daß frühe- noch im einzelnen ausführen. Ich habe ja zehn Minu- stens im März 1996 der Bundesrat diesem Gesetzent- ten Redezeit. wurf zustimmen kann. Ein Landwirt, der doch wie jeder andere Unternehmer seine Investitions- und „Hanf in Sicht", verehrte Kolleginnen und Kolle- Produktionsentscheidungen rechtzeitig treffen muß, gen, so habe ich vor einigen Tagen eine Pressemittei- sieht wohl auch in diesem Jahr von einem Anbau ab; lung überschrieben, nachdem das, was lange währt, denn schlechte Erfahrungen hat er ja genug gesam- nun doch zumindest zu einem Anfang gebracht wird. melt, und auf den Scherben des Eiertanzes pflanzt es Ob es gut wird, bleibt noch abzuwarten und hängt sich schlecht. von verschiedenen Nachfolgeentscheidungen ab. Daß man in der Landwirtschaft auf die Freigabe Doch zuerst einmal ein kräftiges „Na endlich" und des Anbaus wartet und Hanf anbauen will, konnte eine Zustimmung zu der Vorlage der Bundesregie- ich in vielen Gesprächen mit Bauernverbänden und rung zur Änderung des BtMG. Danach ist davon aus- Landwirten erfahren. Doch wollen ist noch nicht kön- zugehen, daß die Wiederzulassung des Anbaus von nen. Denn - Herr Hornung hat es ausgeführt - zertif- Hanfsorten mit einem geringen Gehalt von Tetrahy- ziertes Saatgut ist eben nicht in ausreichender drocannabinol für die Landwirtschaft ab 1996 Menge vorhanden, so daß ich bereits das Landwirt- ansteht. schaftsministerium aufgefordert und um Nachzertifi- zierung ersucht habe. Ob die Beweglichkeit und Kurz zur Geschichte. Denn es geht hier nicht um Durchsetzungskraft der Regierung allerdings so weit irgendeine landwirtschaftliche Nutzpflanze. Es geht gehen, wage ich noch zu bezweifeln. Aber ich lasse um eine der ältesten Kulturpflanzen. Schon in frühe- mich gern eines Besseren belehren. ren Jahrhunderten war der Anbau von Cannabis mit Geldstrafen und Ordnungswidrigkeiten verbunden, (Beifall bei der SPD) allerdings mit einem kleinen Unterschied. „Na und?" könnte man meinen, dann bauen halt Während der Anbau von Cannabis in Deutschland erst einmal wenige den Hanf an und im nächsten in den letzten 14 Jahren verboten war, rigide geahn- Jahr mehr. Die Nutzpflanze hat endlich den Durch- det wurde und auch der jetzt vorliegende Entwurf bruch gepackt. Es ist alles nur noch eine Frage der der Bundesregierung dem Anbau bürokratische Zeit. Hemmnisse in den Weg stellt, sind in früheren Jahr- hunderten Geldstrafen auferlegt worden, wenn kein Doch genau die Zeit spielt auch bei dem nächsten Hanfanbau betrieben wurde. Das war allerdings im Hindernis eine wesentliche Rolle. Durch den Feldzug Jahre 1619, als das erste Marihuana-Gesetz in Nord- gegen Hanf sind wertvolle Informationen über den amerika erlassen wurde. George Washington, liebe Anbau des Nutzhanfes verlorengegangen, und die Kolleginnen und Kollegen, und Thomas Jefferson Technik zu seiner Verarbeitung ist nicht weiter ent- bauten auf ihren Plantagen Cannabis an. Benjamin wickelt worden. Franklin gründete eine der ersten Hanfpapierfabri- ken Nordamerikas. Wir werden das ja erleben. (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Damals hat Symptomatisch für das deutsche Dilemma der ver- es nicht so viele Aussteiger gegeben!) paßten Chancen - wir haben eine solche Situation ja nicht nur hier - ist die verpaßte Chance der Weiter- Nichts davon blieb übrig. 1981 wurde in der BRD entwicklung der Ernte- und Verarbeitungstechniken der Anbau von Cannabis jedweder Sortenart dem bei Hanf. Fatal zeigt das die Antwort des Parlamenta- BtMG unterstellt und verboten. Doch das war die rischen Staatssekretärs Wolfgang Gröbl auf meine eigentliche Renaissance des Hanf. Denn erst durch Frage, was die Bundesregierung gedenke, gegen das das Verbot haben Freaks die Kultpflanze und später bestehende Innovationsdefizit zu tun: Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 86. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. Februar 1996 7641

Heidi Wright Jeder geplant, jedes Hanffeld den LKAs zu melden ist, son- dern Gott sei Dank nur noch „auf Ersuchen" den - sagt Gröbl - Polizeibehörden. So macht diese Bundesregierung kann über unsere Grenzen schauen, wie es die Punkte für den schlanken Staat. Franzosen machen, wie es die Spanier machen .. . Vielleicht - ich komme zum Schluß - liegt die Träg- Es ist niemandem verwehrt, französischen oder heit jedoch auch daran, daß der Landwirtschaftsmini- spanischem Beispiel zu folgen. ster im Bereich der nachwachsenden Rohstoffe sehr Auf einmal werden die von CDU und F.D.P. ständig glücklos war und nie richtig in Schwung gekommen zitierten Schlagwörter wie internationaler Konkur- ist. Im Falle des Flachses haben wir von den Proble- renzdruck, Wirtschaftsstandort Deutschland und men gehört. technischer Fortschritt zu hohlen Phrasen. Erklären Sie denn auch den Vertretern der anderen Wi rt Die goldenen Rapsfelder - hören Sie einmal zu -, -schaftsbranchen, daß sie sich ruhig im Ausland die als Tiger im Tank landen sollten, die aber nur die umschauen können, um dort die Techniken abzu- Börsen der Veresterungsindustrie gefüllt hätten, har- kupfern? ren nach der Bauchlandung der 100 000-Tonnen- Kapazität-Veresterungsanlagen, zum Beispiel in mei- (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Wir emp nem Wahlkreis, noch der zukunftsträchtigen Überle- fehlen es Ihnen!) gung des fortschrittlichen Arbeitskreises der Regie- rung und auch des Landwirtschaftsministers. Zu weit hergeholt, denken Sie vielleicht? Nein, ich denke nicht. Ergebnisse aus einer von uns durchge- Deshalb mein Rat an die Regierung: Stehen Sie führten Umfrage zeigen eindeutig die Bereitschaft den neuen Innovationen in Sachen Hanf nicht im von Unternehmen, in Faseraufschlußtechnik für Hanf Wege. Geben Sie Hanf eine Chance. Steigen Sie - zu investieren und neue Verarbeitungskapazitäten aktiv in die Förderung ein. Geben Sie der Nutz- aufzubauen. Bemängelt werden allerdings die feh- pflanze Hanf nach Jahren der Intoleranz jetzt die lende staatliche Unterstützung und die Hemmnisse nötige Akzeptanz. bei der Gewährung von Risikokapital. Da wären wir wieder da, wo wir heute morgen waren. Oder, liebe (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE Kolleginnen und Kollegen, geht es hier nur um Land- GRÜNEN und der PDS) wirtschaft?

Gerade hier wären Anstrengungen notwendig; Vizepräsident Hans Klein: Das Wort hat die Kolle- denn gerade beim traditionellen, kleinstrukturierten, gin Steffi Lemke. dem sogenannten bäuerlichen Familienbetrieb ist die Lage alles andere als rosig, und durch sinkende Preise im Bereich der Nahrungsmittelerzeugung Steffi Lemke (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sehr herrscht teilweise rechte Not. Diesen Bet rieben und geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kol- der gesamten deutschen Landwirtschaft hat die Bun- legen! Eigentlich könnte man der Bundesregierung desregierung all die Jahre die nicht unbeträchtlichen zum Sprung über den eigenen Schatten gratulieren. EU-Fördermittel - 1 500 DM pro Hektar; das ist schon (Horst Fried rich [F.D.P.]: Dann tun Sie es etwas - vorenthalten. doch einmal! Springen Sie über Ihren (Beifall bei der SPD - Zuruf des Abg. Sieg Schatten!) fried Hornung [CDU/CSU]) Leider ist der Sprung dafür etwas kurz geraten, und - Das weiß ich wohl, Herr Hornung. Hanf kann die der Anlauf war bedauerlicherweise inakzeptabel Probleme der Landwirtschaft allein nicht lösen; dazu lang. gehört mehr. Dazu gehört nämlich ein umfängliches Konzept für die Verwendung und Aufbereitung von Die Chronologie unserer Bemühungen zur Wieder- nachwachsenden Rohstoffen. zulassung von Hanf ist lang. Ich möchte hier nicht alle unsere Aktivitäten aufzählen, möchte aber dar- Die Schätzungen zum Bedarf an Hanf haben Wis- auf hinweisen, daß es die damalige Bundestags- senschaftler und Besucher der Biofachmesse in gruppe Bündnis 90/Die Grünen war, die sich bereits Frankfurt beachtlich hoch prognostizie rt. Ich will, 1993 hier in diesem Hause dafür eingesetzt hat, daß daß die deutsche Landwirtschaft ein Stück von dem Hanf, die Jahrtausende alte Kulturpflanze, wieder Kuchen abbekommt, und zwar ein gehöriges Stück. nutzbar gemacht wird. In anderen EU-Ländern ist Warum tut sich also die Bundesregierung so schwer dies bereits seit vielen Jahren der Fall. mit der Legalisierung des Anbaus von Nutzhanf und winkt bei den Forschungsgeldern sofort ab? (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Könnten Sie auch den Hintergrund etwas erläutern?) Zunächst ist da noch immer die Verunglimpfung der Pflanze als potentielle Droge im Raum. Sie haben Damals wurde von seiten der Bundesregierung nur davon gesprochen. Es hat sich aber die Erkenntnis achselzuckend abgewunken. Auf massiven Druck durchgesetzt, daß zwar alles, was wie Hanf aussieht, von Landwirtinnen und Landwirten, Umweltverbän- Hanf ist: aber es kommt auf den kleinen Unterschied den, Hanfinitiativen, Bündnis 90/Die Grünen und an. Wohl ist der Pflanze der THC-Gehalt nicht anzu- inzwischen auch der SPD hat sich im Laufe des letz- sehen, trotzdem konnten sich die Regierungsfrak- ten Jahres endlich ein Sinneswandel eingestellt. Ich tionen durchringen, daß nicht, wie ursprünglich begrüße diesen Wandel. 7642 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 86. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. Februar 1996

Steffi Lemke Dennoch muß ich auf zwei gravierende Mängel im bare Antworten geben wird. Ich persönlich bezweifle vorliegenden Gesetzentwurf hinweisen: Die dies. ursprünglich vorgesehene generelle Information der Landeskriminalämter hätte eine Kriminalisierung (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der Hanfanbauer bedeutet. Ich bin froh, daß Sie bei der SPD und der PDS) wenigstens davon abgekommen sind. Aber auch die abgeschwächte Formulierung stellt eine Überregle- Vizepräsident Hans Klein: Frau Kollegin Lisa mentierung dar. Ferner ist die Einstufung einer ver- Peters, Sie haben das Wort. späteten oder unvollständigen Anmeldung des Hanf- anbaus beim BLE ordnungspolitisch übertrieben und (Gerd Andres [SPD]: Die erste niedersächsi- sachlich vollkommen unangemessen. sche Hanfanbauerin! - Gegenruf des Abg. Horst Friedrich [F.D.P.]: Einer muß der erste (Beifall der Abg. Ulla Jelpke [PDS]) sein!)

Eine Kopplung des Anzeigetermins an den Antrags- termin für die EU-Fördermittel hätte völlig ausge- Lisa Peters (F.D.P.): Herr Präsident! Meine sehr reicht. Wir bringen den Bäuerinnen und Bauern geehrten Herren und meine Damen! Liebe Kollegin- offensichtlich wesentlich mehr Vertrauen entgegen nen und Kollegen! Hanf, eine wiederentdeckte Nutz- als die Regierungsparteien. pflanze - so fing alles vor gut einem Jahr an. Ein Buch, 489 Seiten stark, warb für die Wiederentdek- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN kung dieser alten Kulturpflanze, einer Pflanze, die sowie bei Abgeordneten der SPD und der ständiger Begleiter des Menschen war, insbesondere PDS) der Landwirte. Sie hatte in den Jahren der Technisie- rung, der Einführung von Produkten, die auf Basis Sie müssen sich entscheiden, ob Sie den Hanfanbau chemischer Grundlagen hergestellt und sehr preis- wollen oder nicht. wert produziert und angeboten wurden, ihren Stel- lenwert verloren. In der Bundesrepublik ist zudem Sie hätten Ihre ordnungspolitische Regelungswut der Anbau von Hanf untersagt. Das ist hier schon statt dessen lieber produktiv umleiten und effektive gesagt worden. Das Betäubungsmittelgesetz steht Vorschläge und Maßnahmen zur Praxiseinführung der Kultur dieser Pflanze entgegen. des Hanfanbaus und der Hanfprodukte vorlegen sol- len. Diese fehlen nämlich bisher vollständig, zumin- Nun will ich doch etwas einfügen. Sie haben hier dest seitens der Bundesregierung. Wir werden uns die Aktivitäten beschrieben. Ich hatte genügend auf Grund der geschilderten Mängel bei der Abstim- Aktivitäten; sie sind über ein Jahr alt. Ich bin heute mung über Ihren Gesetzentwurf enthalten. froh, daß wir so weit sind.

Die im Bundesrat erneut vertagte Siebte Betäu- (Beifall bei der F.D.P.) bungsmittelrechts-Änderungsverordnung will nur Hanfsorten, die einen hohen Anteil an THC haben, EU-zertifiziertes Hanfsaatgut zum Anbau freigeben. könnten in der Rauschmittelproduktion Verwendung finden. Dies kann keiner ernsthaft wollen. Ich lehne (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Wollen Sie das jedenfalls ab. Wir wollen aber, daß auch in denn etwas anderes?) Deutschland, wie in anderen EU-Ländern schon län- Es ist bekannt, daß dieses auf dem Saatgutmarkt für ger möglich, wieder Nutzhanf angebaut werden 1996 nicht ausreichend zur Verfügung steht. Wir for- kann. Dazu muß das Betäubungsmittelgesetz geän- dern daher zumindest für das Anbaujahr 1996 die dert werden, und das soll mit diesem Gesetzentwurf Zulassung polnischer und ungarischer Hanfsorten. heute geschehen. In nur einem Jahr ist es gelungen, Ansonsten werden die deutschen Landwirtinnen und die Verantwortlichen davon zu überzeugen, daß Landwirte dieses Jahr noch vom Hanfanbau ausge- auch unseren Landwirten der Anbau gestattet wer- schlossen bleiben. Wenn der Bundesrat seine Ände- den muß. rungsverordnung allerdings noch lange verschleppt, An dieser Stelle - das passiert nicht so fürchterlich wird das so oder so passieren. oft - möchte ich mich ganz herzlich - bitte geben Sie Schließlich möchte ich darauf hinweisen, daß nach es weiter - bei Herrn Bundesgesundheitsminister der Zwangspause im deutschen Hanfanbau ein enor- Seehofer und auch bei Herrn Landwirtschaftsmini- mer Nachholbedarf in der Verarbeitung, Vermark- ster Borche rt bedanken. Es geht sonst wirklich nicht tung und auch in der Anbautechnik besteht. Um die- so schnell; es hat niemand damit gerechnet. Bedan- sen hausgemachten Standortnachteil abzubauen - ken möchte ich mich auch bei den Kolleginnen und heute früh ist viel über den Standort Deutschland dis- Kollegen aus dem Bundestag, und zwar aller Fraktio- kutiert worden -, den die Bundesregierung im Hanf- nen, die dazu beigetragen haben, daß wir heute so bereich zu verantworten hat, brauchen wir eine bun- weit sind. desweite finanzielle und inhaltliche Koordination. (Zuruf von der F.D.P.: So sind wir!) Nur dann können wir den Hanfanbau effektiv in den Markt einführen. Bedanken möchte ich mich aber ganz besonders auch bei meinen Freunden im Berufsstand, die das Wir sind gespannt, ob die von Herrn Borche rt in eisern auf allen Schienen nach vorn gebracht haben. Auftrag gegebene, 650 000 DM teure Studie noch in In diesen Dank will ich auch noch die Katholische diesem Jahrtausend praxisnahe und/oder umsetz- Landjugend einschließen. Sie war unheimlich mutig. Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 86. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. Februar 1996 7643

Lisa Peters Sie hat auf der Grünen Woche in Berlin im letzten Landwirte vom Anbau nicht abhalten. Ich denke, das Jahr diese Pflanze zum ersten Mal vorgestellt und ist zumutbar. sehr intensiv gearbeitet. Das hat mir viel Freude bereitet. Wir sind es seit einigen Jahren gewohnt, daß die EU den Bauern Bürokratie und Formalismus abver- (Beifall bei der F.D.P.) langt. Unsere Katasterauszüge müssen immerhin Ich bin der festen Überzeugung, daß der Hanfan schon jetzt auf vier Stellen hinter dem Komma richtig bau bei uns eine Zukunft haben wird. Dabei falle ich sein. Ich weiß, wovon ich spreche. Das sind alles Vor- nicht in Euphorie. Ich gestehe aber ein, daß ich mir schriften aus der EU. Ich gehe deshalb davon aus, ab und zu Träume leiste. Dabei will ich auch bleiben. daß bis zum 15. Juni - am Wochenende muß ich mich noch mit der Diesel-Sache befassen; sie ist nämlich (Beifall der Abg. Heidi Wright [SPD]) am Dienstag an der Reihe, ich muß mich beeilen - alles vorliegt und auch die Etiketten mitgeliefert wer- Der Hanf ist eine Pflanze, die keine hohen Ansprü- den. Wenn öffentliche Gelder als Beihilfe gezahlt che stellt, auf den meisten Böden wächst, ein guter und in Anspruch genommen werden - das ist beim Bodendecker ist und somit auch im Pflanzenschutz Hanfanbau so -, nimmt die Bürokratie verständli- einsetzbar ist. Die Produktpalette von Erzeugnissen, cherweise einen breiten Raum ein. die aus Hanf hergestellt werden, ist sehr umfang- reich. Sie reicht von Textilien über Farben, Reini- Ich freue mich jedenfalls, daß fast alle Hürden gungsmittel, Papier, Pappe bis zu Dämmplatten und genommen worden sind und die Voraussetzung zum Brems- und Kupplungsbelägen. Man kann noch sehr Anbau nun in Deutschland gegeben ist. Die Arbeit viel mehr daraus machen. fängt aber jetzt erst an. Landwirte können nicht nur Allerdings, meine Herren und meine Damen, der Erzeuger von Hanf sein; Landwirte müssen auch mit Anbau, der zur Ernte 1996 nun endlich auch den in die Verarbeitung dieses Rohstoffes einsteigen,- deutschen Bauern und Bäuerinnen gestattet werden damit diese alte Pflanze rentabel angebaut werden soll, ist die eine Seite, die Verwertung - auch das ist kann. Wir brauchen Unterstützung von Institutionen, angesprochen worden - des Rohstoffes Hanf über Kammern, Genossenschaften, vom Landhandel und den Handel und die Industrie die andere Seite. auch vom Gewerbe. Wir benötigen Feldversuche, die Beides ist aber nicht voneinander zu trennen. Hier Hilfe von Pflanzenzüchtern; wir brauchen begeiste- sind noch viel Innovation und Können erforderlich. rungsfähige Menschen, die sich für die optimale Ver- Hier wird sich sicherlich nichts übers Knie brechen arbeitung dieses nachwachsenden Rohstoffes einset- lassen; aber das Ganze erfordert Unterstützung und zen. auch finanzielle Begleitung. Das sage ich ganz (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne- ausdrücklich. ten der CDU/CSU und der Abg. Heidi (Beifall der Abg. Heidi Wright [SPD]) Wright [SPD] - Siegfried Ho rnung [CDU/ CSU]: Und vor allen Dingen das Produkt In diesem einen Jahr ist viel diskutiert worden. kaufen!) Kontakte zwischen Landwirten und Verarbeitung wurden hergestellt. Man hat nicht erwarten können, Unsere natürlichen Energieressourcen - ich bin daß die Änderung des Gesetzes so schnell erfolgen gleich mit meiner Rede fertig; eine Minute noch; ich würde. So war es nämlich. Doch ich denke, die habe meine Redezeit neulich einmal nicht ausge- Chance zum Anbau müssen wir auch deutschen Bau- nutzt; diese Minute müssen Sie mir geben - sind end- ern und Bäuerinnen einräumen. Der Bundestag war lich. Der Hanf kann nach meiner festen Überzeu- einfach gehalten, dieses Gesetz zu ändern. gung diese Lücke mit ausfüllen. Etwas Geduld In der Praxis wird man noch viele Hürden überwin- gehört dazu. Im Jahre 2000 müssen wir den Vor- sprung der anderen EU-Länder, die schon länger den müssen. Zur Aussaat 1996 steht zertifiziertes Hanf anbauen dürfen, eingeholt haben. Saatgut nur begrenzt zur Verfügung. Es muß nämlich EU-zugelassen sein. Bisher wurde das Saatgut weit- Ich persönlich freue mich auf Hanffelder. Die gehend in Frankreich erzeugt. Dort stimmen die kli- Pflanze ist 2,50 Meter hoch. Sie wird in unseren bun- matischen Verhältnisse. Angebot und Nachfrage desdeutschen Kulturlandschaften zwischen Bad bestimmen aber den Preis, und der Preis hat sich Bramstedt und Usedom, zwischen Pößneck in Thü- inzwischen verfünffacht. Sie müssen heute 500 DM ringen und Großhirschbach in Baden-Württemberg aufbringen, um einen Hektar Hanf ansäen zu kön- und Petersgroden in Friesland auf unseren Äckern nen. So hoch ist der Preis inzwischen gestiegen. zu sehen sein. Doch bis zur Ernte 1997 - davon bin ich überzeugt - werden die Landwirte, die den intensiven Hanfan Schönen Dank. bau als weiteres Standbein für ihren betrieblichen Erfolg betrachten, hart daran arbeiten, daß genü- (Beifall bei der F.D.P. und der SPD sowie bei gend Saatgut zur Verfügung steht und Produktions- Abgeordneten der CDU/CSU, des BÜND- und Verarbeitungsstätten zum Teil geschaffen wer- NISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS) den. Auch die Formalitäten, die durch die Pflicht zur Vizepräsident Hans Klein: Sie alle verstehen Anzeige bei der Bundesanstalt für Landwirtschaft sicher, daß man auch in dieser Funktion Lisa Peters und Ernährung erledigt werden müssen - das sehe nicht widerstehen kann. Aber man kann natürlich ich anders als meine Kollegin von der SPD -, werden nicht eine nicht ausgenutzte Redezeit aus irgendei- 7644 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 86. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. Februar 1996

Vizepräsident Hans Klein ner anderen Debatte dann bei Gelegenheit verwen- Wir plädieren grundsätzlich für eine Gleichbe- den. handlung aller weichen Drogen. Wenn wir dies tun, (Heiterkeit) nämlich die Drogenpolitik entkriminalisieren, dann können wir uns diesen Alptraum polizeilicher Kon- Aber Sie haben ja reden dürfen. trolle auch beim Anbau von Nutzhanf sparen. Aus Ich erteile das Wort der Kollegin Ulla Jelpke. den genannten Gründen können wir bei diesem Antrag nur mit Bauchschmerzen unsere Enthaltung verkünden. Ulla Jelpke (PDS): Herr Präsident! Meine Damen Danke. und Herren! Um den vorliegenden Gesetzentwurf angemessen bewe rten zu können, möchte ich (Beifall bei der PDS - Siegfried Hornung zunächst dessen Entstehungsgeschichte im mitbera- [CDU/CSU]: Das ist das wahre Gesicht!) tenden Ausschuß, im Innenausschuß, darstellen. Der Innenausschuß hat einstimmig - ich wiederhole: ein- Vizepräsident Hans Klein: Ich erteile der Parla- stimmig - einem Antrag der Grünen - er wurde hier mentarischen Staatssekretärin beim Bundesminister schon genannt - über die unbürokratische Wiederzu- für Gesundheit, Frau Dr. Sabine Bergmann-Pohl, das lassung des Anbaus von Nutzhanf zugestimmt. Ver- Wort. mutlich wurden die Mitglieder der Regierungsfrak- tionen im Innenausschuß nachfolgend zum Nachsit- Dr. Sabine Bergmann-Pohl, Parl. Staatssekretärin zen verdonnert. Jedenfalls legten nun CDU/CSU und beim Bundesminister für Gesundheit: Herr Präsident! F.D.P. einen offenkundig mit heißer Nadel gestrick- Meine Damen und Herren! Die Kameras sind abge- ten neuen Antrag vor. schaltet, und ich möchte den Leidensdruck nicht Hierbei handelte es sich um den Ausdruck ihrer erhöhen. Auf Wunsch eines einzelnen Herrn möchte ich meine Rede gern zu Protokoll geben.*) realitätsfernen Hasch-Paranoia. Der Anbau von THC-armem Cannabis sollte unter der Aufsicht der (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung erlaubt werden. Die Anzeigen des Anbaus sollten Vizepräsident Hans Klein: Damit keine Unklarheit aber anlaßunabhängig den zuständigen Landeskri- aufkommt: Der einzelne Herr war ich. minalämtern zugeleitet werden. Der Anbau von (Heiterkeit) Nutzhanf sollte so mit bürokratischen Hürden erschwert und einer intensiven polizeilichen Kon- Hiermit hole ich die Genehmigung des Hauses ein, troll- und Überwachungsmaschinerie unterworfen daß die Kollegin Bergmann-Pohl ihre Rede zu Proto- werden - eine, wie ich meine, groß angelegte und koll geben darf. - Die Genehmigung ist erteilt. sinnlose Beschäftigungsmaßnahme für die Polizei. Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Nunmehr wurde in den parlamentarischen Bera- Abstimmung über den von den Fraktionen der CDU/ tungen eine auf die Verhältnismäßigkeit der Mittel CSU und der F.D.P. eingebrachten Entwurf zur Ände- zielende Klarstellung erreicht. Nur auf Anfrage der rung des Betäubungsmittelgesetzes, Drucksachen Polizei und der Staatsanwaltschaft soll zukünftig die 13/3216 und 13/3652. Ich bitte die Kolleginnen und Weiterleitung der Anzeigen des Nutzhanfanbaus Kollegen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschuß- erfolgen, sofern dies als für die Verfolgung von Straf- fassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - taten erforderlich erachtet wird; wobei in der polizei- Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf lichen Praxis gern alles Mögliche und Unmögliche ist damit in zweiter Beratung angenommen. für erforderlich angesehen wird, wie wir wissen. Sie Dritte Beratung wollen nun gegebenenfalls den Hanfbäuerinnen und -bauern mit dem gesamten polizeilichen Instrumen- und Schlußabstimmung. Wer dem Gesetzentwurf tarium zu Leibe rücken: mit Telefonüberwachung, zustimmen will, möge sich erheben. - Gegenprobe! - Observation und vielleicht auch mit Polizeispitzeln. Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist angenom- men. (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Das sind doch die Methoden, die Sie angewandt Wir kommen zur Abstimmung über den Entschlie- haben!) ßungsantrag der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen, Drucksache 13/3709. Wer stimmt für diesen Diese Politik ist im Zusammenhang mit Hanfanbau Entschließungsantrag? - Gegenprobe! - Enthaltun- absolut absurd. gen? - Der Entschließungsantrag ist abgelehnt. Meine Damen und Herren, das Grundproblem bei dem Anbau von THC-armem Nutzhanf bleibt meines Ich rufe den Tagesordnungspunkt 13 auf: Erachtens aber nach wie vor bestehen, nämlich die 13. Zweite und dritte Beratung des von der Bun- Kriminalisierung von sogenannten weichen Drogen desregierung eingebrachten Entwurfs eines wie hier Cannabis. Diese einseitige Kriminalisierung Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über die von Cannabis steht in eklatantem Widerspruch zur Errichtung eines Umweltbundesamtes strafrechtlichen Bewertung des Alkoholkonsums - Drucksache 13/2687 - bzw. den Folgen von Alkoholabhängigkeit. (Erste Beratung 67. Sitzung) (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Sie will die Drogen!) *) Anlage 3 Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 86. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. Februar 1996 7645

Vizepräsident Hans Klein a) Beschlußempfehlung und Bericht des Aus- eingetroffen. Aber wenn ich die Geste der Parlamen- schusses für Umwelt, Naturschutz und Re- tarischen Geschäftsführerin richtig deute, wird diese aktorsicherheit (16. Ausschuß) vermutlich nachgereicht. Ich stelle dem Haus die Frage, ob es mit diesem Verfahren einverstanden ist? - Drucksache 13/3358 - - Das ist der Fall. Dann ist das so beschlossen. Berichterstattung: Der Ältestenrat schlägt Überweisung der Vorlage Abgeordnete Wilma Glücklich auf Drucksache 13/3554 an die in der Tagesordnung Eckart Kuhlwein Dr. Jürgen Rochlitz aufgeführten Ausschüsse vor. Besteht auch damit Dr. Rainer Ortleb Einverständnis? - Dies ist der Fall. Dann ist die Über- weisung so beschlossen. b) Bericht des Haushaltsausschusses (8. Aus schuß) gemäß § 96 der Geschäftsordnung Ich rufe Tagesordnungpunkt 15 und Zusatzpunkt 8 - Drucksache 13/3366 - auf: Berichterstattung: 15. Erste Beratung des von den Fraktionen der Abgeordnete Eckart Kuhlwein CDU/CSU und F.D.P. eingebrachten Entwurfs Arnulf Kriedner eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Elf- Kristin Heyne ten Buches Sozialgesetzbuch und anderer Ge- Dr. Wolfgang Weng (Gerlingen) setze (Erstes SGB XI-Änderungsgesetz - Die Kolleginnen und Kollegen der Fraktionen und 1. SGB XI ÄndG) der Gruppe, die zu diesem Punkt sprechen sollten, (Pflegefachkräfte) wollen ihre Beiträge zu Protokoll geben.*) Ist das - Haus damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann - Drucksache 13/3696 — ist das so beschlossen. Überweisungsvorschlag: Wir kommen zur Abstimmung über den von der Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung (federführend) Bundesregierung eingebrachten Entwurf zur Ände- Rechtsausschuß rung des Gesetzes über die Errichtung eines Bundes- Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuß für Gesundheit umweltamtes, Drucksache 13/2687. Der Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit emp- ZP8 Beratung des Antrags der Fraktionen der fiehlt auf Drucksache 13/3358, den Gesetzentwurf CDU/CSU und F.D.P. unverändert anzunehmen. Ich bitte diejenigen Kolle- ginnen und Kollegen, die dem Gesetzentwurf in der Finanzierung der Investitionskosten der Pfle- Ausschußfassung zustimmen wollen, um das Hand- geeinrichtungen zeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung einstim- - Drucksache 13/3699 - mig angenommen. Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat ist für die Dritte Beratung Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. Besteht damit Einverständnis? - Das ist der Fall. Dann ist es und Schlußabstimmung. Ich bitte diejenigen, die so beschlossen. zustimmen wollen, sich zu erheben. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist einstimmig Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wo rt angenommen. dem Kollegen Johannes Singhammer.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 14 auf: Johannes Singhammer (CDU/CSU): Herr Präsi- 14. Beratung des Antrags der Abgeordneten dent! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Brunhilde Irber, Susanne Kastner, Dr. Eberhard Einführung der Pflegeversicherung war mehr als Brecht, weiterer Abgeordneter und der Frakti- eine humane Geste oder ein soziales Feigenblatt. Sie on der SPD war tatkräftige, nachprüfbare Hilfe - schon jetzt - für mehr als 1 Million Menschen in Deutschland, ein Förderung eines Modellprojekts für Umwelt Vorhaben beispielloser Art, der praktizierten Mit- und Verkehr im Tourismus menschlichkeit in unserem Land, das seinesgleichen - Drucksache 13/3554 — sucht. Überweisungsvorschlag: Die seit Jahrzehnten immer wieder eingeforderte Ausschuß für Fremdenverkehr und Tourismus (federfüh- rend) fünfte Säule unseres Sozialversicherungssystems Ausschuß für Verkehr steht. Für diesen Neubau eines bisher nicht dage- Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit wesenen Hauses der sozialen Sicherheit sind vor Alle Kolleginnen und Kollegen haben ihre Reden Jahren die Fundamente gelegt worden. Das Erdge- zu Protokoll gegeben.**) Die Rede der Vertreterin schoß und das erste Stockwerk sind fertiggestellt. von Bündnis 90/Die Grünen ist noch nicht hier vorne Am zweiten Stockwerk, der zweiten Stufe, wird fest gearbeitet,

*) Anlage 4 (Dr. Gisela Babel [F.D.P.]: Das Dach ist auch **) Anlage 5 - schon drauf!) 7646 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 86. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. Februar 1996

Johannes Singhammer auch wenn die Innenkonfiguration, die Aufteilung Um Vertrauen zu bewahren, müssen zwei Grund- der Räume, immer wieder einer Anpassung bedarf; sätze eingehalten werden: Erstens. Die zweite Stufe denn eine Feinplanung für ein vergleichbares bei- der Pflegeversicherung darf nicht verschoben wer- spielhaftes Werk gibt es nicht. den. Eine Entscheidung für die Einführung muß jetzt getroffen werden, ohne Verzögerung. (Gerd Andres [SPD]: Ihr müßt nur auf die Tunnelbauer aufpassen, die das Ganze zum (Gerd Andres [SPD]: Das stimmt!) Einsturz bringen wollen!) Zweitens. Es kann nicht mehr für Leistungen aus- Vor zehn Monaten ist die erste Stufe der Pflege- gegeben werden, als an Beiträgen eingenommen versicherung in Kraft getreten. Viele werden sich wird. noch an die damalige Kampagne der Verunsiche- rung erinnern. Sie ist kaputtgeredet worden. Wie hie- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) ßen die Schlagzeilen damals? „Start ins Pflege- chaos", „Jahrhundertskandal", „Antragsstau - Die Pflegeversicherung darf nicht über ihre Verhält- nisse leben. 500 000 Anträge unbearbeitet", „Milliardendefizite im ersten Jahr", „drei weitere Feiertage müssen zur Was bedeutet das im einzelnen? Wer pflegebedürf- Kompensation abgeschafft werden". tig ist und in einem Heim untergebracht ist, erwartet, Heute, zehn Monate später, am 8. Februar 1996, daß eine Pflegeversicherung, die diesen Namen auch hören Sie darüber kein Wo rt mehr. 1 844 000 Begut- verdient, die Behandlungspflege und die soziale achtungen des Medizinischen Dienstes wurden Betreuung mit umfaßt. Das hat nichts mit Vollkasko- durchgeführt, alle Anträge auf Leistungen der Pfle- mentalität zu tun, sondern ist eine berechtigte Erwar- geversicherungen zur häuslichen Pflege sind abgear- tung. beitet, 1 300 000 Pflegebedürftige erhalten Leistun- Ich danke allen Beteiligten, insbesondere Herrn gen aus der Pflegeversicherung, 700 000 Pflegebe- Bundesminister Blüm, dürftige erhalten an Stelle der bisherigen 400 DM von den Krankenkassen jetzt 800 DM usw., usw. Ich (Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Ja!) werde Ihnen jetzt keine weiteren Zahlen auflisten. daß dies jetzt möglich war, daß eine Lösung erreicht Wie lange haben die Pflegebedürftigen und auch werden konnte. ihre Angehörigen auf diese Entlastung gewartet? Jetzt erhalten immerhin auch 2 Millionen Angehö- (Beifall bei der CDU/CSU) rige eine Entlastung; auch sie sind unmittelbar Soll die Eingliederungshilfe bei Behindertenein- betroffen. richtungen mit eingeschlossen sein? Selbstverständ- (Dr. Gisela Babel [F.D.P.]: Richtig!) lich ja, möchte man sagen. Kein gerecht Denkender, der nicht wünschte, daß Menschen mit einem Handi- Wie lange haben die Frauen auf die Anrechnung cap - vor allem, wenn es schwerer A rt ist - nicht mit in der Rentenversicherung gewartet? Jetzt erhalten eingeschlossen sind. Nur, wir wissen alle: Dies ist vor auch sie eine Anrechnung. allem auch eine Finanzfrage. Zur Zeit kann niemand Dies war und dies ist eine gewaltige, erfolgreiche sagen, woher die zu erwartenden zusätzlichen Auf- administrative Anstrengung, eine bewundernswerte wendungen in Höhe von 2 Milliarden DM kommen Leistung, eine Bürgerinitiative des guten Willens. Ich sollen. Ehrliche Politik heißt deshalb: kein Hinaus- danke allen, die an dieser Umsetzung der ersten Pfle- schieben von Entscheidungen; die Wahrheit sagen, gestufe mitgewirkt haben - den Medizinischen Dien- auch wenn sie schmerzlich ist. sten, den Verwaltungskräften, den Pflegekassen, den (Gerd Andres [SPD]: Sehr gut! - Dr. Gisela Pflegediensten -, für ihren unermüdlichen Einsatz, Babel [F.D.P.]: Bravo!) für diese - auch die Bibel darf in diesem Hohen Haus zitiert werden - praktizierte Nächstenliebe. Das finanzielle Fundament der Pflegeversicherung kann nicht gefährdet werden. Jetzt geht es um die Einführung der zweiten Stufe der Pflegeversicherung. Kein Sachkundiger meint, (Beifall bei Abgeordneten der F.D.P. - Gerd dies sei ein leichtes Unterfangen. Wieder hört man Andres [SPD]: Nur von der F.D.P.!) Stimmen, die sagen: Offenbarungseid droht, Sprung ins finanzpolitische Nirwana, nur eine Verschiebung Welche Möglichkeiten einer finanziellen Besser- der zweiten Stufe brächte noch Rettung. stellung gibt es? Die Investitionskosten für die Ein- richtungen der Pflege sollen durch die Bundesländer Wer so spricht, muß wissen, daß wir mit der Hoff- bezuschußt werden. Das ist entscheidend notwendig. nung von Menschen spielen, die im Regelfall ohne- Die Bundesländer müssen ihre Zusagen einhalten. hin ein schweres Handicap zu tragen haben. Meine sehr verehrten Damen und Herren von der Geschätzt 410 000 Menschen können in dieser zwei- Opposition, Sie haben in vielen Bundesländern die ten Stufe berücksichtigt werden. Darunter sind viele Möglichkeit, darauf einzuwirken ältere Mitbürger, die stationär in Heimen oder Pfle- geeinrichtungen untergebracht sind. Sie kennen den (Karl-Josef Laumann [CDU/CSU]: Noch!) Zeitplan alle. Die Menschen draußen wissen auch, - noch! -, wenn Ihnen daran gelegen ist. daß schwierigste Entscheidungen bevorstehen: Wel- che Gruppen sollen vollständig versichert sein, wel- Wenn Sie ernst meinen, was Sie sagen - „Taten che Leistungen sollen die Regelungen umfassen? statt Worte sind gefragt" -, stimmen Sie unseren Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 86. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. Februar 1996 7647

Johannes Singhammer Anträgen zu im Interesse derjenigen, die Hilfe brau- sehbaren finanziellen Risiken der Pflegeversiche- chen. rung in Wahrheit sind. Ich danke Ihnen. Deswegen ist meine erste Forderung an den Bun- desarbeitsminister, öffentlich deutlich zu erklären, (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) wie die finanzielle Lage der Pflegeversicherung zum gegenwärtigen Zeitpunkt, nach Einführung der Vizepräsident Hans Klein: Das Wort hat der Abge- ersten Stufe der ambulanten Versorgung ist und wo ordnete Gerd Andres. in welchen Größenordnungen mittelfristig mit Finanzrisiken zu rechnen ist. Denn nur dann können ja die Änderungsvorschläge, die hier eingereicht (SPD): Herr Präsident! Meine sehr Gerd Andres worden sind, vernünftig bewe rtet und beurteilt wer- verehrten Damen und Herren! Jede Politik beginnt den. Ansonsten muß man das glauben, was mit damit, zu sagen, was ist. Wer nicht bereit ist, Fakten, öffentlichem Getöse irgendwo dargestellt wird. Hintergründe und Zusammenhänge in einem öffent- lichen Diskurs zu organisieren, dem wird es auf Zweiter Punkt. Die öffentliche Auseinanderset- Dauer auch nicht gelingen, politische Mehrheiten zu zung zwischen Bundesgesundheitsminister Horst gewinnen und für wichtige gesellschaftspolitische Seehofer, den ich auf den hinteren Rängen begrüßen Ziele zu überzeugen. darf, und Bundesarbeitsminister Blüm mutete ja über weite Strecken schon wie ein öffentlicher Offenba- Wer die Debatte um die Pflegeversicherung in den rungseid an. Ich will sagen, womit hier gehandelt letzten Wochen und Monaten verfolgt hat, der mußte wurde. Der Bundesarbeitsminister schätzt die Kosten oft einen gegenteiligen Eindruck haben. Da wurde der sogenannten Behandlungspflege auf 800 Mil- jongliert, getäuscht, da wurde getrickst, lionen DM. Der Bundesgesundheitsminister erklärt - (Günther Friedrich Nolting [F.D.P.]: Na! Na! öffentlich - das kann man in vielen Ticker- und Zei- - Zuruf von der CDU/CSU: Von wem?) tungsmeldungen nachlesen -, die Kosten lägen bei 2,7 Milliarden DM, mit steigender Tendenz. Die und da wird öffentlich über eine wichtige Sache für Krankenkassen handeln 3 bis 4 Milliarden DM. Hunderttausende von Menschen in unserem Land Meine ganz schlichte Frage ist: Wie sind denn die geredet, da wird mit Ängsten gespielt. Kosten real und in Wahrheit kalkulierbar? (Dr. Gisela Babel [F.D.P.]: Wer macht das (Zuruf des Abg. Wolfgang Zöller [CDU/ denn?) CSU]) Deswegen, denke ich, gehört als allererstes zu dieser - Ja, ja. Hören Sie doch auf! Diskussion des Ersten Gesetzes zur Änderung des SGB XI eine ganz wichtige Sache. Man hört, daß die realistischen Kosten bei 1 Milliarde DM bis 1,1 Milliarden DM liegen. Nach Der Bundesarbeitsminister bzw. sein Staatssekre- meinen Informationen liegen die Kalkulationen und tär Karl Jung hat noch vor Wochen erklärt, die Pfle- Schätzungen sowohl der Länder als auch des Bun- geversicherung verfüge über ein Finanzpolster von desarbeitsministers relativ in der gleichen Größen- 6 Milliarden DM. ordnung. (Karl-Josef Laumann [CDU/CSU]: Das ist Die spannende Frage ist, warum dieses öffentliche wahr!) Getöse inszeniert wurde und die Behandlungspflege In diesen Tagen kann man in den Zeitungen lesen, im ersten Vorentwurf faktisch den Betroffenen selbst daß der Bundesarbeitsminister dem Bundesgesund- zugeschoben wurde und nun im zweiten Entwurf der heitsminister gegenüber mitgeteilt habe, in der Pfle- Pflegeversicherung zugeordnet wird. Ich denke, es geversicherung sehe es ganz eng aus, es gebe finan- wird im Hearing, in der öffentlichen Diskussion und zielle Engpässe. auch in der Fachdiskussion im Ausschuß spannend sein, abzuklopfen, wie hier eigentlich die realen Hin- (Dr. Gisela Babel [F.D.P.]: Das mußte er ihm tergründe sind und welche Auswirkungen welcher doch sagen! Das ist doch klar!) Vorschlag hat. In der Begründung des Gesetzentwurfes, den Sie Ich sage Ihnen ganz offen: Für meine Begriffe und vorlegen, kann man als Problemstellung folgendes von der Systematik her gehört die Behandlungs- lesen: pflege in den Bereich der Krankenversicherung. ... Klarstellungen von Regelungsinhalten einzel- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ ner Vorschriften zur Pflegeversicherung mit dem DIE GRÜNEN) Ziel, die Pflegeversicherung vor finanziellen Jeder, der sich heute die Fakten ansieht, weiß: Wenn Mehrbelastungen zu schützen, die mit dem ein Arzt in eine Einrichtung geht und die Behand- engen, gesetzlich vorgegebenen Finanzrahmen lungspflege macht, dann werden die Kosten bei der der Pflegeversicherung unvereinbar sind. Krankenversicherung abgerechnet. Und den freund- Meine sehr verehrten Damen und Herren, mit die- lich lächelnden Bundesgesundheitsminister kann sem Gesetzentwurf bringt die Koalition 32 Einzel- man nur daran erinnern, daß dies auch die einmütige änderungen des Pflegeversicherungsgesetzes in Position der Länder war und daß schon im vergange- 7 Artikeln auf den Weg, ohne daß irgendwo einmal nen Jahr der Versuch unternommen worden ist, mit deutlich und im Zusammenhang erklärt wird, wie die entsprechenden Änderungen des SGB V eine solche finanzielle Situation und die abschätzbaren, voraus Position entsprechend zu verankern. 7648 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 86. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. Februar 1996

Gerd Andres Meine sehr verehrten Damen und Herren, der Teil der Menschen doch wieder bei der Sozialhilfe dritte Punkt: Ein großes Problem, mit dem wir es zu landet, das muß man sich sehr genau anschauen. Das tun haben, ist die Abgrenzung zwischen Leistungen hängt nämlich sehr davon ab, wie es sich entwickeln nach dem Bundessozialhilfegesetz und denen der wird. Ich bin sehr dafür, daß darüber ganz handfest Pflegeversicherung insbesondere im Bereich der und ganz offen geredet wird. Behinderten. Da wird nun in diesem Gesetzentwurf der Vorschlag gemacht, das Problem so zu lösen, daß, Ich möchte dem Bundesarbeitsminister eines wie in § 71 formuliert wird, alle sagen: Die zweite Stufe der Pflegeversicherung muß im Sommer kommen. Einrichtungen, in denen die medizinische Vorsor- ge oder Rehabilitation, die berufliche oder soziale (Beifall bei der SPD) Eingliederung, die schulische Ausbildung oder die Erziehung Kranker oder Behinderter im Vor- Ich gehöre nicht zu denen, die wie Herr Dr. Thomae dergrund des Zweckes der Einrichtung ste- oder Frau Dr. Babel Ihnen jetzt in dieser öffentlichen hen, ... Auseinandersetzung mit hämischen Kommentaren sozusagen noch einmal hinterhertreten und sagen: von den Leistungen nach dem Elften Buch Sozialge- Das sollte man doch alles aussetzen, und das tun wir setzbuch ausgeschlossen werden. jetzt. Ich will ganz offen sagen: Bei der Schaffung der Aber ich bin fest davon überzeugt, Herr Bundesar- Pflegeversicherung war kein Mensch davon ausge- beitsminister, daß wir nur dann eine Chance haben, gangen, daß diese Einrichtungen als faktisch aner- das öffentlich zu bestehen und auch öffentlich durch- kannte Pflegeeinrichtungen über die Pflegeversiche- zusetzen, wenn in der jetzigen Phase über die Pflege- rung abgewickelt werden. Aber es ergibt sich doch versicherung, über die Leistungsansprüche, über die eine Reihe von Problemen, nach denen man einmal Kosten und über die möglichen Belastungen, die sich fragen muß. daraus ergeben, ein öffentlicher und offener Diskurs geführt wird. Wenn das nicht getan wird und man Man muß die Frage stellen, ob sich diejenigen, die den Versuch unternimmt, sich im politischen Bereich diesen Gesetzentwurf gemacht haben, über folgen- jetzt sozusagen durchzumogeln, dann tut man weder den Tatbestand klargeworden sind, den man schon der Pflegeversicherung noch den betroffenen Men- beispielsweise in einem sehr fundierten Artikel in schen irgendeinen Gefallen. der „Süddeutschen Zeitung" nachlesen konnte: Die Eltern eines geistig behinderten Kindes, die dieses Denn auch das ist klar: Jeder, der politisch verant- Kind zu Hause versorgen, können Pflegeleistungen wortlich handelt, muß zum Schluß sagen, wie alles nach dem Pflegeversicherungsgesetz beantragen bezahlt wird. und bekommen sie, wenn der Medizinische Dienst das entsprechend begutachtet. Aber das gleiche (Dr. Gisela Babel [F.D.P.]: So ist es! Das behinderte Kind, das in einer vollstationären Einrich- stimmt!) tung untergebracht wird, wird von den Leistungen der Pflegeversicherung ausgeschlossen. Ob eine sol- Daß es kaum jemanden gibt, der vor dem Hinter- che Regelung unter Gleichhehandlungsgesichts- grund der Lohnnebenkostendebatte usw. jetzt bereit punkten und im Hinblick auf Art. 3 des Grundgeset- wäre, eine neue Debatte über die Beiträge zur Pfle- zes verfassungsrechtlich Bestand haben kann, diese geversicherung loszutreten, ist dabei auch völlig klar. Frage will ich hier nur einmal aufwerfen. Lassen Sie mich eine letzte Bemerkung zu dem Sie haben eine ganze Reihe weiterer Positionen in wunderbaren Antrag, den Sie hier einbringen, diesem Gesetz formuliert, mit denen der Gesetzgeber machen. Regelungsbereiche eingrenzt, teilweise auch präzi- (Dr. Gisela Babel [F.D.P.]: Herr Andres, dem siert, beispielsweise beim Auslandsaufenthalt. Aber müssen Sie zustimmen!) wenn ich mir anschaue, wie Sie jetzt die Urlaubs- pflege definieren, wie Sie die Qualitätspflege definie- Hören Sie zu! - Das ist eine Mogelpackung. Mir ist ren, wie Sie § 44 formulieren, wo es uni die soziale schon klar, daß die Länder im Vermittlungsausschuß Absicherung der Pflegepersonen geht, dann interes- zugesagt haben, einen Teil der Summe, die bei der siert mich in diesem Zusammenhang auch, wie sich Sozialhilfe eingespart wird, für Investitionen zur Ver- die Rentenversicherungsbeiträge bisher finanziell fügung zu stellen. Ich gehöre zu denjenigen, die auswirken und ob es notwendig ist, in diesem auch gegenüber den A-Ländern sagen: Diese Bereich Eingrenzungen vorzunehmen. Zusage müßt ihr einhalten. Ich weiß sehr wohl und sage auch ganz offen - (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der dem Bundesarbeitsminister und allen hier im Hause -, F.D.P.) daß wir über einzelne Positionen gesprochen haben. Aber so, wie Sie die Dinge jetzt zu diesem Gesetzent- Auch mein Vorredner, der Kollege Singhammer, hat wurf verknüpft haben und wie Sie die Abgrenzung gesagt: Sie müssen ihren Anteil formulieren. Der zwischen dem BSHG und der Behandlungspflege kleine Trick in dem Antrag, den Sie vorlegen, ist geregelt haben, stellen sich doch ganz viele Fragen, aber, daß Sie vorschlagen, daß die Länder faktisch auf die ich hier keine einfache Antwort geben kann. die ganzen Investitionen übernehmen müssen. Ob beispielsweise die Zuordnung der Behandlungs- Davon ist überhaupt keine Rede gewesen. Deswe- pflege zur Pflegeversicherung dazu führt, daß ein gen ist das eine Mogelpackung. Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 86. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. Februar 1996 7649

Vizepräsident Hans Klein: Herr Kollege, Ihre Rede- Heimen leben, haben Krankenversicherungsbeiträge zeit! gezahlt. Warum also werden sie von deren Leistun- gen ausgeschlossen? Gerd Andres (SPD): Ich sage voraus: Wir werden diesem Antrag genau deswegen nicht zustimmen. Es handelt sich hier offensichtlich um einen Deal. Ich wage die Prophezeiung, daß auch dieses Gesetz Der Gesundheitsminister schützt seine Krankenkas- wie manche andere Dinge, die jetzt verhandelt wer- sen. Dafür läßt er zu, daß die Sozialhilfe ein weiteres den, zum Schluß im Vermittlungsausschuß landet. Mal gebeutelt wird; denn zu nichts anderem wird die im Gesetzentwurf vorgesehene Regelung führen, (Karl-Josef Laumann [CDU/CSU]: Und ganz daß Behinderte, die in teil- oder vollstationären Ein- zum Schluß stimmen wir ab!) richtungen leben, gänzlich von den Leistungen der Pflegeversicherung ausgeschlossen werden. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD) Ich weiß auch: Eine Abgrenzung zwischen der Pflegeversicherung und der Eingliederungshilfe war wirklich dringend notwendig. Vizepräsident Hans Klein: Frau Kollegin Andrea Fischer, Sie haben das Wort. (Karl-Josef Laumann [CDU/CSU]: So ist es!)

Andrea Fischer (Berlin) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Trotzdem muß ich darauf hinweisen, daß die Rege- NEN): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es lung, wie sie jetzt vorgeschlagen wird, eine ganz pro- gibt wohl kaum ein sozialpolitisches Problem, zu blematische Implikation hat. Hier werden Menschen dem uns die Koalition in den letzten Wochen nicht mit Behinderungen kategorisch von einem allgemei- jeweils ein mehr oder minder öffentliches Spektakel nen Leistungsgesetz ausgeschlossen. über ihren Krach vorgeführt hätte. (Karl-Josef Laumann [CDU/CSU]: Das ist (Walter Hirche [F.D.P.]: Der offene Diskurs nicht wahr!) war das!) Der politische Erfolg besteht dann jeweils darin, daß Ich möchte darauf hinweisen, daß auch viele Behin- sich die Koalitionsfraktionen endlich geeinigt haben. derte als Erwerbstätige Beiträge in die Pflegekassen Damit übertünchen sie dann die Dürftigkeit des zahlen, von deren Leistungen sie dann aber wie- Kompromisses. derum ausgeschlossen werden. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - (Petra Bläss [PDS]: Genauso ist es!) Widerspruch bei der CDU/CSU) Trotz der Bestimmung in § 14 des Pflegeversiche- Wir haben es hier, wie schon so oft, mit einem Ver- rungsgesetzes, wonach Menschen mit Behinderun- teilungsproblem zu tun. Es geht um die Verteilung der Kosten von sozialen Leistungen auf verschiedene gen ausdrücklich in den Geltungsbereich des Geset- zes aufgenommen werden, wird hiermit noch einmal Träger. Das Beste, was sich über die uns vorgelegten Vorschläge sagen läßt, ist, daß jetzt wenigstens über- der wahre Charakter der Pflegeversicherung deut- haupt eine Abgrenzung vorgenommen wird. lich: Es handelt sich um ein Gesetz für pflegebedürf- tige alte Menschen. Es ist am Wirkungsvollsten für (Karl-Josef Laumann [CDU/CSU]: So ist diejenigen von ihnen, die zu Hause leben und von das!) ihren Angehörigen gepflegt werden.

Bei aller Kritik, die ich an den Vorschlägen im einzel- (Karl-Josef Laumann [CDU/CSU]: Frau nen habe, hoffe ich, daß damit wenigstens dem Fischer, vergessen Sie die häusliche beklagenswerten Zustand abgeholfen wird, daß der Pflege?) Verteilungsstreit auf dem Rücken der Pflegebedürfti- gen ausgetragen wird. - Das habe ich doch gerade gesagt. Wenn Sie mir (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - zugehört hätten, hätten Sie gehört, daß ich gesagt Karl-Josef Laumann [CDU/CSU]: Sehen Sie, habe, dafür sei es wirkungsvoll. so sind wir!) (Karl-Josef Laumann [CDU/CSU]: Das Die große Inszenierung der letzten Tage betraf die wollte ich nur noch einmal festgehalten Finanzierung der Behandlungspflege. Da hat sich haben!) der Gesundheitsminister, der gerade auf den hin- teren Bänken still seinen Erfolg genießt, durchge- Der Vorschlag im Gesetzentwurf der Behinderten- setzt. Aber wenn man es genau nimmt, ist damit der verbände, die Kosten im Verhältnis von 20 zu 80 auf- Pflegeversicherung eine versicherungsfremde Lei- zuteilen, habe ich deswegen für eine sachgerechte stung aufgedrückt worden, da ja eigentlich definiert Alternative gehalten, um die Ansprüche der Behin- ist, daß in der Pflegeversicherung nur die Grund- derten an die Pflegeversicherung anzuerkennen, die pflege zu gewährleisten und zu finanzieren ist. Es dann aber auch einen weiteren Aspekt berücksich- handelt sich hierbei also um typische Leistungen der tigt. Denn über die grundsätzliche Kritik hinaus muß Krankenversicherung, die von ihr auch bei Pflegebe- darauf hingewiesen werden, daß diese Regelung zu dürftigen, die ambulant betreut werden, übernom- Lasten der Länder geht. Sie werden durch die Pflege- men werden müßten. Auch die Menschen, die in versicherung nicht in dem versprochenen Maß entla- 7650 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 86. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. Februar 1996

Andrea Fischer (Berlin) stet, sondern müssen über die Eingliederungshilfe gelt und verkauft bzw. verteilt. Damals hätten wir die Kosten für die Pflegesätze vollständig tragen. bestimmte Härten gleich mit regeln sollen. (Karl-Josef Laumann [CDU/CSU]: Sie inve Jetzt, im nachhinein, unter Zeitdruck, sozusagen im stieren!) Reparaturbetrieb, ist das sehr viel schwieriger. Vor diesem Hintergrund, Herr Kollege Laumann, ist Ich kann den beteiligten Ministern den Vorwurf es - freundlich gesagt - ziemlich keß, hier noch einen nicht ersparen, hier leichtfertig mit dem Prinzip Hoff- Antrag vorzulegen, der die Länder zu einer drasti- nung gearbeitet zu haben: Alles werde sich schon schen Erhöhung der Pflegeinvestitionen auffordert. klären, bis die zweite Stufe komme. Erst haben Sie die Entlastungseffekte durch die Pfle- geversicherung reduziert, und dann wollen Sie sie So ist es für die Behinderten in stationären Einrich- noch einmal zur Kasse bitten. tungen der Eingliederungshilfe bitter, zu begreifen, daß für sie die Leistungen der Pflegeversicherung Mittlerweile sind in die Haushalte sehr vieler Bun- nicht vorgesehen sind und auch nicht waren. Es wäre desländer Gelder für die Pflegeinvestitionen einge- allemal besser gewesen, eine solche klarstellende stellt worden. Das sollte man jetzt noch einmal prü- Regelung von vornherein in dem Gesetz zu veran- fen; das hat sich nämlich gegenüber dem Stand zum kern. Nun müssen wir durch die Pflegeversicherung Zeitpunkt der Antwort auf die Kleine Anfrage der geweckte, vielleicht auch geschürte Erwartungen Koalitionsfraktionen geändert. Deswegen finde ich, enttäuschen. Wir müssen dies tun, weil die Beiträge daß der Bund im Moment noch nicht so laut tönen zur Pflegeversicherung als Bestandteil der Lohnne- sollte. benkosten nicht weiter steigen dürfen. Ich bin Ihnen, Abschließend noch zu einem letzten Punkt. Mit der Herr Andres, für die klare Aussage in diesem Punkte Entscheidung, die Leistungen für Behinderte voll- dankbar. Es besteht also Einvernehmen darüber, daß- ständig der Eingliederungshilfe zu überantworten, wir diesen Kostenrahmen nicht ausdehnen dürfen. hat die Koalition die Entwicklung bekräftigt, daß die (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne- Eingliederungshilfe das wesentliche Instrument für ten der CDU/CSU) die Finanzierung von Leistungen für Behinderte ist. Es ist deswegen längst überfällig, daß die Eingliede- Selbstverständlich erhalten die Behinderten, die rungshilfe von einem eigenständigen Leistungsrecht ambulant und teilstationär betreut werden, den häus- für Behinderte abgelöst wird, das systematisch auf lichen Pflegebedarf der Leistungen der Pflegeversi- deren Bedarf zugeschnitten wird. Und das muß dann cherung. Es macht mir jetzt sozialpolitisch nicht aus Bundesmitteln finanziert werden. soviel Kopfschmerzen, Frau Fischer, daß wir das in (Dr. Gisela Babel [F.D.P.]: Natürlich, diese der Familie anders und vielleicht sogar besser als in Quelle ist unerschöpflich!) stationären Bereichen regeln, vorausgesetzt, daß es die Solidargemeinschaft leistet. - Sie haben das bislang alles den Kommunen auf ge- drückt. Auch das, was Sie uns heute hier vorlegen, Die Behandlungspflege wollen wir nach monate- ist wieder nichts anderes. Es geht nicht, daß Sie das langem Streit zwischen den Ministern Blüm und See- weiter in diese Richtung verschieben. hofer nun so regeln, daß die Pflegeversicherung die Kosten für die medizinische Behandlungspflege in (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Pflegeheimen übernimmt, allerdings nur, soweit der und der PDS) Höchstbetrag von 2 800 DM von der Grundpflege nicht bereits aufgezehrt ist. Das heißt aber in sehr vielen Fällen - wir werden es sicherlich in den Aus- Vizepräsident Hans Klein: Frau Kollegin Dr. Gisela Babel, Sie haben das Wort. schußberatungen noch näher erfahren - oder sogar in den meisten Fällen, daß der Betrag von 2 800 DM überstiegen wird und es dann doch bei dem Finan- Dr. Gisela Babel (F.D.P.): Herr Präsident! Meine zier Selbstzahler oder Sozialhilfeträger bleiben wird. Damen und Herren! Wir beraten heute ein zweites Gesetz zur Änderung des Pflegeversicherungsgeset- Soweit ich weiß, werden in den östlichen Bundes- zes, obwohl die zweite Stufe der Pflegeversicherung ländern die Behandlungspflege und die Pflegeversi- noch gar nicht in Kraft getreten ist. Wir haben alle cherungsleistungen zusammen den Kostenrahmen Hände voll zu tun, um den Damm zu halten, den wir von 2 800 DM nicht übersteigen, so daß es da zur Zeit mit dem Beitragsdeckel von 1,7 Prozentpunkten eine bessere Lösung gibt. errichtet haben. Alle Probleme, die wir jetzt mit die- sen Änderungen zu lösen versuchen, haben mit die- Wir müssen damit natürlich das Ergebnis reali- sem Grundproblem, sich in diesem Finanzrahmen zu stisch ins Auge fassen, daß weniger Empfänger einer Sozialhilfe herausgelöst bewegen, zu tun. Durchschnittsrente aus der werden können, als wir es ursprünglich vielleicht Pflegeleistungen für Behinderte in Einrichtungen gehofft oder angenommen haben, und daß auch die der Eingliederungshilfe, die Behandlungspflege in Einsparungen bei den Sozialhilfeträgern geringer Pflegeheimen und die soziale Betreuung, das sind ausfallen werden. Dieses Ergebnis hat die F.D.P. durchweg heikle Punkte. Es wäre wesentlich einfa- immer schon vorausgesagt. Aber Sie wissen ja, wie cher gewesen, diese Fragen bereits im Gesetzge- beliebt seinerzeit die Kassandra war. Wir haben bungsverfahren zur Pflegeversicherung im Jahre jedenfalls immer vor den Illusionen gewarnt, die man 1994 zu regeln. Aber da haben wir ja Wohltaten gere- sich hier vielleicht gemacht hat. Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 86. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. Februar 1996 7651

Dr. Gisela Babel Nach den Vorstellungen der beteiligten Minister Petra Bläss (PDS): Herr Präsident! Liebe Kollegin- soll im Jahre 1999 geprüft werden, welcher Anteil nen und Kollegen! In diesen Gesetzentwurf sind alle der in einer Größenordnung von 3 Milliarden DM wesentlichen Änderungsanträge vom November erwarteten Einsparungen bei der gesetzlichen Kran- 1995, die seinerzeit nach intensivem Protest der kenversicherung durch die Umwidmung fehlbelegter Wohlfahrts- und Betroffenenverbände zurückgezo- Krankenhausbetten für die Finanzierung der gen worden sind, eingeflossen. Diese sind mit den Behandlungspflege eingesetzt werden kann. Die notwendigen Festlegungen zur Inkraftsetzung der F.D.P. hat dies abgelehnt, weil wir hier keine neuen zweiten Stufe gekoppelt. Insofern bestätigt sich die Erwartungen wecken sollten. Die Einsparungen in damalige Befürchtung, daß besagte Novellierungs- der Krankenversicherung sind schon mehrfach poli- vorschläge keinesfalls vom Tisch sind. tisch als Sanierungsmaßnahmen für künftige Bela- Daß Neuregelungen bzw. Klarstellungen des Pfle- stungen verkauft worden. Da können wir nicht geversicherungsgesetzes notwendig sind, bezweifelt sagen, irgendwann würden in einem herrlichen, paradiesischen Zustand Mittel übrig sein, damit wohl niemand. Doch daß in dem von der Bundesre- andere Wünsche damit erfüllt werden könnten. Wir gierung vorgelegten Änderungsgesetz weder die eindeutigen Ergebnisse der Anhörung zur Pflegever- sind da sehr skeptisch. Wenn das Wunder eintreten sicherung vom 20. September 1995 noch die Vor- sollte, Herr Seehofer, dann wären wir wieder an Ihrer Seite und würden das natürlich auch mitmachen. schläge des Alternativentwurfs der Behindertenver- bände aufgegriffen wurden, wirft ein bezeichnendes Die Kosten für die soziale Betreuung soll auch die Licht auf die politische Zielrichtung. Pflegeversicherung im Rahmen ihrer Höchstbeiträge (Beifall bei der PDS) übernehmen. Diese Lösung ist im Sinne der F.D.P.; denn sie schont die Versicherungskasse. Die wichtigsten Regelungen des Gesetzentwurfes der Koalition bewirken eine Leistungseingrenzung- Meine Damen und Herren, ich möchte noch ein und sind den Vorschlägen der Verbände direkt ent- Problem anreißen, nämlich die Kompensation. Die gegengesetzt. In vielen Fällen wird bewußt eine Ver- Kompensation ist für die F.D.P. unverzichtbar; es muß schärfung der Situation in Kauf genommen. ausgeglichen werden. Wir hoffen, daß es in dem grö- ßeren Zusammenhang der Einsparungen - Stichwort Unsere Kritik gilt vor allem folgenden konzeptio- Jahreswirtschaftsbericht und die Reformen, die wir nellen Grundlinien: erstens der faktischen Ausgren- auf den Weg bringen - zu einer solchen Einsparung zung der überwiegenden Mehrheit der behinderten auch konkret nachweisbar kommen wird. Menschen von den Leistungen der Pflegeversiche- rung, zweitens der faktischen Rücknahme wichtiger, (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne mit der Wende möglich gewordener Verbesserungen ten der CDU/CSU) in der Behindertenarbeit in den neuen Bundeslän- dern und drittens der beängstigenden Ausweitung Mein letztes Wort: Investitionskosten der Länder sind neu einzufordern. Herr Andres, das war nun das der Weisungskompetenzen des Bundesministeriums einzige an Ihrer Rede, was mehr als windig war, für Arbeit und Sozialordnung. Daß es weder zu den wenn Sie sagen, wir hätten nicht alle Investitionsko- angekündigten finanziellen Entlastungen der Pflege- sten versprochen. Machen Sie einen kleinen Ände- kasse noch der Länder und Kommunen kommen rungsantrag und sagen Sie: Überwiegend sollen wird, hat die Kollegin Fischer bereits hervorgehoben. auch nach unserer Ansicht die Investitionskosten von Das im November 1995 gefällte harte Urteil des den Ländern, und zwar aller, SPD- wie CDU- bzw. Deutschen Vereins trifft auch auf den vorgelegten CSU-regierter, übernommen werden. Dann wären Gesetzentwurf zu: wir schon wieder im selben Boot. Es ist doch wichtig, daß von diesem Bundestag ein Signal ausgeht und Mit den überwiegend einengenden Änderungs- die Länder an ihre Verpflichtungen erinnert werden, vorschlägen zum Gesetzentwurf zur Änderung ihren Beitrag zu leisten. des Pflegeversicherungsgesetzes würde die ganz überwiegende Mehrheit der Behinderten fak- (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) tisch von den Leistungen der Pflegeversicherung ausgeschlossen. Vizepräsident Hans Klein: Frau Kollegin, Ihre Das widerspricht eindeutig der Ergänzung des A rt. 3 Redezeit ist überschritten. des Grundgesetzes: Niemand darf wegen seiner Behinderung Dr. Gisela Babel (F.D.P.): Darüber sollten wir uns benachteiligt werden. auch durchaus einig sein. Dieser Ausschluß erfolgt unter anderem mit der Damit ende ich, Herr Präsident. Beschränkung des Begriffes einer Pflegefachkraft auf die Berufe der Krankenpflege, Kinderkranken- Ich bedanke mich. pflege und Altenpflege. Aus unserer Sicht ist es not- (Heiterkeit und Beifall bei der F.D.P. und wendig, daß die in den Behinderteneinrichtungen der CDU/CSU) tätigen sonder- und heilpädagogisch ausgebildeten Berufsgruppen in den Begriff einer Pflegefachkraft einbezogen werden. Alle Gespräche, die wir in Ein- Vizepräsident Hans Klein: Frau Kollegin Petra richtungen geführt haben, bestätigen, daß die vorge- Bläss, Sie haben das Wort. sehene Beschränkung der Pflegefachkraft nicht zu 7652 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 86. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. Februar 1996

Petra Bläss einer Lösung, sondern zu einer Verschärfung der Pro- Dr. Norbert Blüm, Bundesminister für Arbeit und bleme bei der Abgrenzung der Leistungen der Pfle- Sozialordnung: Herr Präsident! Meine Damen und geversicherung und der Eingliederungshilfe nach Herren! Sie können abends um halb zwölf, morgens dem BSHG führt. um sechs und zu jeder anderen Tages- und Nachtzeit versuchen, die Pflegeversicherung madig zu Auch die Warnung vor einer Zerstörung der histo- machen. Das können Sie versuchen. Die 1,2 Mil- risch gewachsenen Struktur der Behindertenhilfe hat lionen Mitbürger, die zum ersten Mal eine handfeste nicht an Aktualität eingebüßt. Leistung von der Pflegeversicherung erhalten, wer- (Unruhe) den sich von Ihrem Madigmachen überhaupt nicht anstecken lassen.

Vizepräsident Hans Klein: Frau Kollegin, ich wollte (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Ihnen nur ein bißchen mehr Aufmerksamkeit auf sei- ordneten der F.D.P.) ten der Fachleute verschaffen. Da können Sie viel herumkritisieren, diese Men- (Beifall bei der PDS) schen werden wissen, welche Verbesserungen ihrer Lebenslage die vielgescholtene, kritisierte, madig Bitte fahren Sie fort. gemachte Pflegeversicherung bringt. Die Pflegenden - meistens sind es Frauen -, die zum ersten Mal für ihren Einsatz eine Rentenversicherung bekommen, Petra Bläss (PDS): Wir sind ja fast unter uns. werden das auch zu schätzen wissen. Es ist abzusehen, daß die Sozialhilfeträger auf die Darüber, daß eine neue Versicherung mit Anlauf- geplante Ausgrenzung behinderter Menschen aus schwierigkeiten verbunden ist, kann sich nur jemand dem Leistungsbezug der Pflegeversicherung reagie- wundern, der die Geschichte der Sozialversicherung ren werden. So ist davon auszugehen, daß die Sozial- nicht kennt. Soll ich Ihnen einmal die Geschichte der hilfeträger die Hilfebescheide zu Lasten von älteren Krankenversicherung erzählen? Soll ich Ihnen erzäh- geistig behinderten Menschen sowie mehrfach len, wie die angefangen hat? behinderten Menschen von der pädagogisch orien- tierten Eingliederungshilfe auf die reine Hilfe zur (Andrea Fischer [Berlin] [BÜNDNIS 90/DIE Pflege umstellen werden. Die Träger der Einrichtun- GRÜNEN]: Nein, reden Sie über das ak- gen würden dann gezwungen, für diese aus den tuelle Thema!) Wohnheimgruppen ausgegliederten Menschen Pfle- geabteilungen aufzubauen, die über die Pflegeversi- Soll ich Ihnen einmal die Geschichte der Renten- und cherung zu finanzieren wären. Arbeitslosenversicherung erzählen?

In § 13 soll nun im Zusammenhang mit der Pflege- (Andrea Fischer [Berlin] [BÜNDNIS 90/DIE versicherung der Nachrang des BSHG aufgehoben GRÜNEN]: Für einen Geschichtskurs sitzen werden. Es ist beispielsweise unverständlich, daß wir hier nicht so spät! - Zuruf der Abg. damit pflegebedürftige geistig behinderte Men- Dr. Gisela Babel [F.D.P.]) schen, die in Wohnheimen leben, keine Leistungen der Pflegeversicherung erhalten, obwohl sie als - Frau Babel, darauf komme ich auch noch. Beschäftigte von Werkstätten für Behinderte Sozial- versicherungsbeiträge für die Pflegeversicherung Es gibt drei große Erfolge, hören Sie gut zu. entrichten. (Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/ Die „Mainzer Allgemeine Zeitung" hat es gestern DIE GRÜNEN]: Bitte nicht alle drei!) auf den Punkt gebracht: - Ja, das verändert möglicherweise Ihr Weltbild. Wenn der Gesetzentwurf der CDU/CSU am Don- nerstag dem Bundestag zur ersten Lesung so wie Erstens. Die Anträge auf stationäre Unterbrin- geplant vorgelegt wird, bedeutet dies eine Mehr- gung gehen zurück. Gibt es eigentlich einen größe- belastung der Pflegeversicherung, womöglich ren Erfolg, weniger Geld für die pflegerische Betreuung, unter Umständen also einen höheren Eigenanteil (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) der Betroffenen. als daß die Menschen, solange sie wollen und kön- Ich denke, das wollten wir als Gesetzgeber verhin- nen, zuhause bleiben können? dern. Zweitens. Es gibt neue Arbeitsplätze, allein 3 000 Ich danke. private Pflegedienste geben Arbeitsplätze. Das ist das größte Beschäftigungsprogramm, das es über- (Beifall bei der PDS und dem BÜNDNIS 90/ haupt gibt. DIE GRÜNEN) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Vizepräsident Hans Klein: Ich erteile dem Bundes- Drittens. Herr Kollege Andres, im März werden wir minister für Arbeit und Sozialordnung, Dr. Norbert die Zahlen genau wissen, wie groß die Rücklage ist. Blüm, das Wort. Wir werden eine kräftige Rücklage haben, das ist Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 86. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. Februar 1996 7653

Bundesminister Dr. Norbert Blüm jetzt schon sicher. Trotzdem muß man das Geld So ganz aus der Luft gegriffen ist es allein deshalb zusammenhalten; nicht, denn wenn im Krankenhaus Betten abgebaut werden können, dann deshalb, weil die Fehlbele- (Karl-Josef Laumann [CDU/CSU]: So ist das gung beseitigt wird, die sich daraus ergibt, daß im bei CDU-Leuten!) Krankenhaus viele Pflegebedürftige liegen, die eigentlich nicht ins Krankenhaus gehören. denn eine Sozialversicherung braucht Sicherheit, die kann nicht mit dem letzten Pfennig arbeiten. Da wir jetzt aber eine Pflegeversicherung haben, Liebe Frau Babel, Sie haben gesagt, wir haben zu gibt es gute Gründe, diese Fehlbelegungen abzu- große Hoffnungen gemacht. In aller Freundschaft: bauen. Ich gestehe, daß das bisher relativ schwer Meine Hoffnungen waren mit der Realität in größerer möglich war. Wohin sollte denn der Krankenhausarzt Übereinstimmung als die Befürchtungen des Grafen die Pflegebedürftige oder den Pflegebedürftigen ent- Lambsdorff, der am 1. April des vergangenen Jahres lassen, wenn sie zu Hause keine Hilfe hatten oder vorausgesagt hat, daß die Pflegeversicherung ein wenn es keine stationäre Versorgung gab? Jetzt läßt Drei-Milliarden-DM-Defizit haben würde. Diese sich das Programm des Abbaus von Fehlbelegungen Befürchtungen sind meilenweit von der Realität ent- auch sozialpolitisch leichter vertreten. fernt. Zum dritten Punkt, den Investitionskosten. Wir Ihr und mein Freund Möllemann war noch besser. sind ja ganz bescheiden. 9,6 Milliarden DM spart die Er hat vier Monate vor Inkrafttreten der zweiten Sozialhilfe durch die Pflegeversicherung, auch wenn Stufe schon ein Ein-Milliarden-Defizit angekündigt. Sie es bestreiten und meinen, es sind noch weniger. Wir wollten, abgestimmt mit Bund, Ländern und Wir bleiben dabei: Wir haben eine ordentliche Gemeinden, 3,6 Milliarden DM. Rücklage, es gibt überhaupt keinen Grund - da stimme ich mit Ihnen überein -, diese zu Leistungs- Und, lieber Herr Andres, vielleicht kümmern Sie verbesserungen zu nutzen; denn wir brauchen Rück- sich um die A-Länder - es sind ja vorerst noch mehr - lagen, weil wir unter dem Kiel Wasser brauchen, wir und wir uns um die B-Länder: Die haben im Jahr wollen das Schiff nicht auf Grund laufen lassen. 1995 für die Investitionen 340 Millionen DM zur Ver- fügung gestellt; im Jahr 1996 stehen in den Haus- Jetzt die Klarstellungen: Erstens. Kein Heimbe- haltsplänen 416 Millionen DM. Rechne ich bei den wohner braucht sich Sorgen zu machen, daß er, weil 3,6 Milliarden DM alte und neue Länder auseinan- er vielleicht im Sinne der Pflegeversicherung nicht der, hätten Sie 2,3 Milliarden DM zur Verfügung stel- pflegebedürftig ist, das Heim verlassen muß. len müssen. Sie haben gerade einmal 340 Millionen! Von dem, was Sie verlangen, sind Sie meilenweit Zweitens. Es ist auch eine Klarstellung, daß wir die entfernt. Eingliederungshilfe nicht bezahlen. Das ist richtig. Eingliederungshilfe und Pflege sind zwei verschie- Deshalb - das ist doch im Sinne der Pflegebedürfti- dene Sachen, wobei wiederum klar ist, daß damit gen -, laßt uns doch zusammen hier vom Bundestag nicht alle Behinderten von Leistungen der Pflegever- aus an die Länder appellieren, daß sie ihre Investiti- sicherung ausgeschlossen werden. Wenn jemand onskosten bezahlen. Wenn sie hier über die Behand- geistig oder körperlich pflegebedürftig ist, und zu lungspflege jammern, so ist das geradezu ein Klacks Hause bleibt, erhält er als Behinderter teilstationär demgegenüber, was an Investitionskosten für die eine Hilfe. Pflegebedürftigen gespart werden kann. Das ist viel, viel mehr Geld. Sie werden durch nicht gezahlte (Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/ Investitionskosten dreimal mehr Pflegebedürftige in DIE GRÜNEN]: Das wissen wir doch alles!) die Sozialhilfe überführen als durch die Behand- lungspflege. - Ja gut, das muß man trotzdem einmal sagen. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Darüber, was die Behandlungspflege anbelangt, kann man streiten. Darüber haben wir uns gestritten. Über Behandlungspflege kann man streiten, da Zu Hause wird sie bezahlt, im Pflegeheim nicht. gibt es gute Gründe. Es ist ein Kompromiß, den wir gefunden haben; aber es geht ja um die Menschen. Die Zahlen zwischen dem Gesundheits- und dem Arbeitsministerium sind überhaupt nicht strittig. Die Ich möchte heute abend keine dogmatische Behandlungspflege insgesamt, wenn man die Pflege Debatte führen. Laßt uns doch zusammen über die in Alten- und Behindertenheimen dazuzählt, beträgt 600 bis 800 DM, um die die Pflegesätze durch nicht- 2,7 bis 3 Milliarden DM. Wenn man aber nur diejeni- gezahlte Investitionskosten höher kommen, streiten! gen in den Pflegeheimen sieht - das ist die Zahl des Arbeitsministers - dann sind es 800 Millionen DM. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Diese Zahlendiskrepanz löst sich leicht auf. Und, liebe Leute, die zweite Stufe muß kommen, Richtig ist - darauf bestehe ich auch -: Wenn Bet- sie wird kommen; denn ohne zweite Stufe wäre es tenabbau im Krankenhaus durchgesetzt wird - dafür eine amputierte Pflegeversicherung. Die stationäre wünsche ich meinem Kollegen Seehofer alles Gute -, und die ambulante Form hängen doch zusammen. Es dann werden wir 1999 wieder darüber reden, wie die gibt tausend Übergänge zwischen ambulant und sta- Behandlungspflege in der Pflegeversicherung statio- tionär; das Leben hat tausend Fälle, wo nicht eindeu- näre Teilbehandlung wird. tig ist, ob es ambulant oder stationär ist. 7654 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 86. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. Februar 1996

Vizepräsident Hans Klein: Kollege, die Zeit! Ich rufe Tagesordnungspunkt 17 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Norbert Blüm, Bundesminister für Arbeit und Dr. Winfried Wolf, Dr. Dagmar Enkelmann, Sozialordnung: Wir wollen doch gerade den Zwi- Dr. Gregor Gysi und der Gruppe der PDS schenraum ausbauen; es geht um teilstationäre Pflege, Tagespflege, Kurzzeitpflege. Wenn Sie das Grundsicherung des Öffentlichen Personen- trennen, wird an dieser Grenze ein ständiger Zustän- nahverkehrs (ÖPNV) digkeitskrieg stattfinden, und zwar auf dem Rücken - Drucksache 13/3253 - der Pflegebedürftigen. Überweisungsvorschlag: Der Pflegezug fährt, er humpelt manchmal, er Ausschuß für Verkehr (federführend) stockt manchmal, der Wagen ist nicht immer schön, Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit aber er steht auf dem richtigen Gleis. Deshalb wird Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau er auch seinen Hauptbahnhof erreichen, so wahr ich Ausschuß für Fremdenverkehr und Tourismus Norbert Blüm heiße. Die Kolleginnen und Kollegen von CDU/CSU, (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) F.D.P. und SPD wollen ihre Manuskripte zu Protokoll geben.') Die Bundesregierung verzichtet auf ihren Vizepräsident Hans Klein: Alle haben in diesem Beitrag. Tagesordnungspunkt ihre Redezeit gewaltig überzo- (Zuruf von der PDS: Das ist aber traurig!) gen - wie sich das gehört: der Bundesminister an der Spitze, der Oppositionsredner als zweiter, und dann Bündnis 90/Die Grünen und PDS wollen sprechen. hat sich das gestaffelt. Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Abge- - Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird ordneten Dr. Winfried Wolf das Wort. Überweisung der Vorlage auf Drucksache 13/3696 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse Dr. Winfried Wolf (PDS): Sehr geehrter Herr Präsi- vorgeschlagen. Gibt es dazu anderweitige Vor- dent! Werte Damen und Herren! Vorab Dank und schläge? - Dies ist nicht der Fall. Dann ist die Über- Entschuldigung in Richtung der wenigen Kollegin- weisung so beschlossen. nen und Kollegen und Stenographinnen und Steno- graphen, die hierbleiben müssen. Es ist keine Dick- Wir stimmen über den Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und der F.D.P. zur Finanzierung der Inve- köpfigkeit meinerseits, wenn ich darauf bestand, zu stitionskosten der Pflegeeinrichtungen auf Drucksa- diesem Tagesordnungspunkt zu sprechen. Es ist der che 13/3699 ab. Wer stimmt für diesen Antrag? - Wer einzige Tagesordnungspunkt in der Woche, den wir akzeptiert bekommen. Wenn dieser, wie fast immer stimmt dagegen? - Wer enthält sich der Stimme? - Der Antrag ist angenommen. bei unseren Punkten, auf die Nacht von Donnerstag auf Freitag gelegt wird, liegt das nicht an uns, son- dern entspricht einem undemokratischen Kleingeist. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 16 auf: Zur Sache: Wir haben einen Antrag vorgelegt, der Erste Beratung des von der Bundesregierung in ein Bundesgesetz zur Grundsicherung des öffentli- eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur chen Personennahverkehrs münden soll. Mit ihm sol- Umsetzung der EG-Rahmenrichtlinie Arbeits- len die Rahmenbedingungen für die ÖPNV-Landes- schutz und weiterer Arbeitsschutz-Richtlinien gesetze festgelegt und damit die bereits bestehenden - Drucksache 13/3540 - ÖPNV-Gesetze gegebenenfalls korrigiert werden. Überweisungsvorschlag: Wie das, so wird nach mir der Kollege von den Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung (federführend) Grünen fragen, der Bund hat doch bereits die Ver- Ausschuß für Wirtschaft Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend antwortung für die Regionalisierung abgegeben? Ausschuß für Gesundheit Die Antwort lautet: Regionalisierung kann gut und schön sein. Sie darf jedoch nicht so umgesetzt wer- Die Kolleginnen und Kollegen, die in dieser den, daß sich der Bund aus der Verantwortung Debatte sprechen sollten, haben allesamt ihre Rede- schleicht und Möglichkeiten eröffnet, den ÖPNV manuskripte zu Protokoll gegeben.*) erheblich abzubauen. Genau dies ist erfolgt, was Ist das Haus damit einverstanden? durch die vorliegenden Länder-ÖPNV-Gesetze belegbar ist. Just hier haken wir ein. (Zurufe: Ja!) Es kann ja wohl nicht wahr sein, daß die meisten - Dann ist das so beschlossen. vorliegenden ÖPNV-Landesgesetze den öffentlichen Der Ältestenrat schlägt die Überweisung des Personennahverkehr zur freiwilligen Aufgabe erklä- Gesetzentwurfs auf Drucksache 13/3540 an die in ren. So heißt es explizit im Text des Freistaats Sach- der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vor. - sen, § 3: „ÖPNV ist ... eine freiwillige Aufgabe der Anderweitige Vorschläge werden offensichtlich Landkreise und kreisfreien Städte." Das heißt, dem- nicht gemacht. Dann ist die Überweisung so nächst wird es statt „Freistaat Sachsen" „ÖPNV beschlossen. freier Staat" heißen.

*) Anlage 6 *) Anlage 7 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 86. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. Februar 1996 7655

Dr. Winfried Wolf Es kann ja wohl nicht sein, daß im baden-württem- Gesetz: „Kein einziger Paragraph" dieser ÖPNV bergischen ÖPNV-Gesetz sich in den 13 Paragra- Gesetze „sichert all die hehren Ziele ab". phen 25mal das Wörtchen „soll" findet und weitere 5mal vage Formulierungen wie „ist anzustreben" . In Die „Ökologischen Briefe", die in ihrer jüngsten meinem politikwissenschaftlichen Studium im glei- Ausgabe unseren Antrag positiv präsentieren, schrei- chen Bundesland wurde mir eingebleut, daß Gesetze ben hierzu unter anderem: möglichst verbindlich zu sein hätten. Doch in Baden- Der PDS-Antrag bietet durchaus O riginelles: In Württemberg haben sie ein ÖPNV-Sollte-sein-Gesetz Städten über 100 000 Einwohnern ist eine Stra- verabschiedet. ßenbahn vorzusehen. Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie uns eine Weitere „Ökologische Briefe": kleine Tour d'horizon von Deutschlands „wildem Wie bereits in einer kleineren Stadt eine moderne Südwesten", Baden-Württemberg, nach Deutsch- Straßenbahn betrieben werden kann, hat einer lands „mittlerem Osten" , Sachsen-Anhalt, machen, der Initiatoren des PDS-Antrags ... bereits am also auf ÖPNV-Gesetzesebene die Koalitionsmodelle Beispiel der Stadt Marburg zu zeigen versucht. „schwarz-rosa" mit „rosa-grün bei rot geduldet" ver- gleichen. Diesem Vergleich werde ich unsere hier Danke schön. vorgelegten Vorschläge für eine ÖPNV-Grundsiche- rung zuordnen. (Beifall bei der PDS)

Dabei erweist sich das ÖPNV-Gesetz in Stuttgart Vizepräsident Hans Klein: Das Wort hat der Kol- als weitgehend typisch für die meisten ÖPNV lege Albert Schmidt. Gesetze der Länder; das Magdeburger Gesetz findet viele positive Parallelen im hessischen ÖPNV - Gesetz. Albert Schmidt (Hitzhofen) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kol- Stichwort 1: Grundcharakter von ÖPNV. Im Süd- leginnen und Kollegen! Ich möchte deshalb noch zur westen heißt es hierzu in § 5: ÖPNV ist eine freiwil- Sache wenigstens zwei bis drei Minuten sprechen, lige Aufgabe. Im „mittleren Osten" wurde in § 1 fest- weil ich erstens sonst ein Redemanuskript zu Proto- gelegt: ÖPNV ist verbindliche „Aufgabe der Daseins- koll geben müßte, das ich gar nicht habe, und weil vorsorge". Ähnlich fordern wir im Antrag ÖPNV als ich es zweitens - gestatten Sie mir, das in aller „unverzichtbaren Bestandteil sozialer Daseinsvor- Freundlichkeit zu sagen - gelinde gesagt ein bißchen

sorge" . unkollegial finde, wenn Abgeordnete von der Gruppe der PDS auf Plätze der Tagesordnung Stichwort 2: Verkehrsvermeidung und nichtmoto- irgendwann zu einer Mondscheinstunde um Mitter- risierter Verkehr. Hier spare ich Redezeit, weil nacht plaziert werden und sich dann noch die Kolle- hierzu in Stuttgart eine komplette Fehlanzeige vor- ginnen und Kollegen der anderen Fraktionen in liegt. In Magdeburg wurde beides im ÖPNV-Gesetz überwiegender Zahl davor drücken, dazu zu spre- aufgegriffen, in den §§ 1 und 6. Wir gehen noch wei- chen. Ich finde, das ist einfach kein guter Stil. ter und erklären Verkehrsvermeidung und optimale Verlagerung von Verkehr auf die klassischen Ver- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) kehrsträger Füße und Pedale als Priorität. Vorbemerkung beendet, zur Sache. Viele Forde- rungen, die der Kollege Winfried Wolf hier vorgetra- Stichwort 3: Vorrang des ÖPNV vor dem Pkw-Ver- kehr. Im Südwesten ist dieser Vorrang nur per Sollbe- gen hat, sind in der materiellen Substanz mir schon stimmung enthalten, wobei dies noch eingeschränkt deshalb so vertraut und bekannt - ich finde sie auch wird durch den Verweis auf den Vorrang der Wirt- richtig und unterstützenswert -, weil ich sie natürlich schaftlichkeit und Sparsamkeit. aus alten grünen Verkehrswendeprogrammen sehr gut kenne. Aber, das Problem, lieber Kollege Wolf, In Sachsen-Anhalt wird verpflichtend gefordert, bei Ihrem Antrag ist: Er richtet sich an die falsche den ÖPNV zur „attraktiven Alternative zum motori- Adresse. sierten Individualverkehr zu entwickeln" - ähnlich in (Zuruf von der CDU/CSU: Das muß man unserem Antrag. sich mal überlegen: „lieber Kollege" ! ) Stichwort 4: Umfang, Erschließung, Quantität und - Jetzt beruhigen Sie sich doch zu später Stunde! Es Qualität der Bedienung. In Stuttgart Fehlanzeige ist nicht gut für den Adrenalinspiegel. Sie haben es oder Leerformeln als „Soll-Bestimmungen"; in Mag- gleich überstanden. deburg gibt es hier einige weitergehende Festlegun- gen, vor allem hinsichtlich der erforderlichen Nah- Viele Forderungen, habe ich gesagt, sind berech- verkehrspläne und des Schienenpersonennahver- tigt, aber an die falsche Adresse gerichtet. Wir haben kehrs. das Regionalisierungsgesetz in Kraft gesetzt. Seit fünf Wochen läuft diese Regionalisierung. Wir soll- Summa summarum. Wir haben im Bundestag ten nicht nur die Erfahrungen bis zu einer Revision gerade jetzt und nach Vorliegen der ÖPNV-Gesetze abwarten, sondern wir sollten auch begrüßen, daß allen Grund, Verantwortung in diesem Bereich wahr- die Zuständigkeit auf Länderebene ist. Das war nicht zunehmen. Es gilt, die Notbremse zu ziehen. Oder, in zuletzt durch rot-grüne Regierungen mit angestoßen, den Worten des hier selten zitierten „Nordkuriers" die das ganz bewußt gewollt haben, weil es eben kei- zum mecklenburgisch-vorpommerschen ÖPNV nen Sinn macht, Standards auf Bundesebene sozusa- 7656 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 86. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. Februar 1996

Albert Schmidt (Hitzhofen) gen schematisch festzulegen und für alle Regionen ist kein Grund, jetzt plötzlich wieder den Bund dafür dieser Republik vorzuschreiben. zuständig zu erklären. Ein Oberzentrum in Bayern ist etwas anderes als in Deshalb zum Abschluß: Lassen Sie uns nicht in Niedersachsen. Auch eine Straßenbahn grundsätz- eine alte Bundeszuständigkeit zurückstreben! Wir lich bei jeder Stadt von über 100 000 Einwohnern wollen keine VEB Kraftfahrt oder ÖPNV in Deutsch- kann zum Beispiel in Salzgitter ein Monstrum wer- land, sondern wir wollen die Regionalisierung. Wir den; denn Salzgitter ist eine 100-Dörfer-Stadt. Da wollen, daß die Debatte in den Regionen stattfindet, müßte ein ganz anderes Konzept her. daß dort um die Standards gerungen wird. Dann soll- Wir begrüßen im Grundsatz nach wie vor - es ist ten wir im Ausschuß die Diskussion darüber in aller für uns ein richtiger Reformschritt der Bahnreform Ruhe führen. gewesen und ist es auch noch, zumindest solange sich nicht das Gegenteil erwiesen hat -, daß die (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Regionen zuständig und daß erstmals mit dem Instru- und bei der PDS) ment der Nahverkehrspläne verbindliche Planungs- vorlagen gefordert sind. Vizepräsident Hans Klein: Ich schließe die Aus- Nun kann man natürlich mit gewissem Recht sprache. sagen: Die Festlegung als freiwillige Aufgabe in den Länder-ÖPNV-Gesetzen ist der Sache nicht ange- Der Ältestenrat schlägt die Überweisung der Vor- messen. Das sehen wir ganz genauso. lage auf Drucksache 13/3253 an die in der Tagesord- Allerdings muß man das im Zusammenhang sehen nung aufgeführten Ausschüsse vor. Besteht damit mit dem Satz: ÖPNV ist Teil der öffentlichen Einverständnis? - Dies ist der Fall. Dann sind die Daseinsvorsorge. Damit habe ich wieder einen ganz Überweisungen so beschlossen. anderen Verbindlichkeitsgrad. Wenn uns in den ein- zelnen Ländern einzelne Gesetze und Maßnahmen Wir sind damit am Schluß unserer heutigen Tages- zuwenig sind, dann müssen wir die Diskussion auf ordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deut- der Länderebene führen und müssen dort in den Par- schen Bundestages auf Freitag, 9. Februar 1996, lamenten Veränderungen einbringen. Daß die PDS 9.00 Uhr ein. das jetzt in Baden-Württemberg nicht kann, weil sie Die Sitzung ist geschlossen. dort nicht vertreten ist, (Dr. Dagmar Enkelmann [PDS]: Doch!) (Schluß der Sitzung: 23.56 Uhr) Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 86. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. Februar 1996 7657'

Anlagen zum Stenographischen Bericht

Anlage 1 politik, und was versteht die Bundesregierung in diesem Zusam- menhang unter der „zentralen Koordinationsfunktion" des Aus- wärtigen Amtes, welches dieses nach den Worten des Bundes- Liste der entschuldigten Abgeordneten ministers des Auswärtigen im Verhältnis von Außen- und Ent- wicklungspolitik in Zukunft übernehmen soll? entschuldigt bis Abgeordnete(r) An welchen konkreten Punkten der deutschen Entwicklungs- einschließlich politik will die Bundesregierung entsprechend öffentlichen An- kündigungen des Bundesministers des Auswärtigen für „mehr Antretter, Robert SPD 8. 2. 96 * Effizienz und bessere Verzahnung" („Frankfurter Rundschau" vom 23. Januar 1996) sorgen, und wie begründet die Bundesre- Belle, Meinrad CDU/CSU 8. 2. 96 gierung in diesem Zusammenhang den Umstand, daß nach dem Auswärtigen Amt nun auch das Bundesministerium für wirt- Berger, Hans SPD 8. 2. 96 schaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung ein Referat für Katastrophenhilfe eingerichtet hat? Böttcher, Maritta PDS 8. 2. 96 Dr. Höll, Barbara PDS 8. 2. 96 Zu Frage 4: Hörsken, Heinz-Adolf CDU/CSU 8. 2. 96 Die Entwicklungspolitik ist ein wichtiger Bestand- Kohn, Roland F.D.P. 8. 2. 96 teil der auswärtigen Beziehungen. Auswärtiges Amt und BMZ sind selbständige Ressorts, die auf der Kronberg, Heinz-Jürgen CDU/CSU 8. 2. 96 Grundlage der Geschäftsordnung der Bundesregie- Leidinger, Robert SPD 8. 2. 96 rung sowie des einschlägigen Organisationserlasses des Bundeskanzlers vom 23. Dezember 1964 eng und Neumann (Berlin), Kurt SPD 8. 2. 96 vertrauensvoll zusammenwirken und sich abstim- Dr. Paziorek, Peter CDU/CSU 8. 2. 96 men. Sauer (Stuttgart), Roland CDU/CSU 8. 2. 96 So findet eine regelmäßige Abstimmung etwa bei Schloten, Dieter SPD 8. 2. 96 ' der jährlichen Rahmenplanung über die länderbezo- genen FZ-/TZ-Quoten und bei Einzelmaßnahmen Schmidt (Fürth), Christian CDU/CSU 8. 2. 96 statt. Die Zusammenarbeit zwischen dem Auswärti- Schoppe, Waltraud BÜNDNIS 8. 2. 96 gen Amt und dem BMZ verläuft reibungslos. 90/DIE GRÜNEN Zu Frage 5: Schumann, Ilse SPD 8. 2. 96 Auswärtiges Amt, BMZ und andere Ressorts wir- Sebastian, Wilhelm-Josef CDU/CSU 8. 2. 96 ken im Sinne einer globalen Strukturpolitik zusam- men, um den neuen globalen Herausforderungen zu Dr. Skarpelis-Sperk, SPD 8. 2. 96 begegnen. Die einzelnen Elemente dieser Gesamt- Sigrid politik müssen möglichst eng verzahnt und aufein- Dr. Frhr. von Stetten, CDU/CSU 8. 2. 96 ander abgestimmt werden, um widerspruchsfrei zu Wolfgang sein und größtmögliche Wirkung zu erzielen. Terborg, Margitta SPD 8. 2. 96 Das Referat Not- und Flüchtlingshilfe im BMZ Tippach, Steffen PDS 8. 2. 96 besteht seit vielen Jahren. Entwicklungspolitische Nothilfemaßnahmen unterscheiden sich in ihrem Vogt (Duren), Wolfgang CDU/CSU 8. 2. 96 Charakter von den Soforthilfemaßnahmen, die das Vosen, Josef SPD 8. 2. 96 Auswärtige Amt im Rahmen der Humanitären Hilfe leistet. Die einzelnen Hilfsmaßnahmen in diesen Wallow, Hans SPD 8. 2. 96 Bereichen werden im Koordinationsausschuß Huma- Wohlleben, Verena SPD 8. 2. 96 nitäre Hilfe unter der Federführung des Auswärtigen Amtes abgestimmt. Zierer, Benno CDU/CSU 8. 2. 96 '

* für die Teilnahme an Sitzungen der Westeuropäischen Union

Anlage 3

Zu Protokoll gegebene Rede Anlage 2 zu Tagesordnungspunkt 12 (Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Änderung Antwort des Betäubungsmittelgesetzes) des Parl. Staatssekretärs Klaus-Jürgen Hedrich auf die Fragen des Abgeordneten Hans Wallow (SPD) Dr. Sabine Bergmann - Pohl, Parl. Staatssekretärin (Drucksache 13/3666 Fragen 4 und 5): beim Bundesminister für Gesundheit: Sie wissen, daß der Hanfanbau 1982 in der Bundesrepublik Deutsch- Betrachtet die Bundesregierung die Entwicklungspolitik ent- sprechend jüngsten Äußerungen des Bundesministers des Aus- land verboten worden ist, weil zum einen bei den da- wärtigen nunmehr als untergeordneten Bestandteil der Außen- mals verfügbaren Pflanzen ein Mißbrauch nicht aus- 7658* Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 86. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. Februar 1996 geschlossen werden konnte und zum anderen die tet wird. Damit wird das Risiko der Entdeckung für Landwirte kaum noch Interesse am Anbau von Hanf eventuelle illegale Hanfanbauer deutlich erhöht. hatten. Inzwischen hat sich die Situation geändert: Neue Hanfsorten, die nicht mehr als Rauschmittel ge- Darüber hinaus wollen wir auch, daß der Anbau nutzt werden können, und eine ökologische und öko- von Hanf nur solchen landwirtschaftlichen Betrieben nomische Neubewertung der Nutzpflanze Hanf ma- gestattet wird, die eine bestimmte Mindestgröße chen eine Neuregelung notwendig. Das sagen uns erreichen. Damit soll der Anbau von Nutzhanf auf nicht nur die Experten. Das zeigen uns auch die Er- wirtschaftlich sinnvolle Betriebsgrößen beschränkt fahrungen in anderen europäischen Ländern, in de- bleiben und eine wirksame Kontrolle des Anbaus nen seit vielen Jahren Nutzhanf angebaut wird. ermöglicht werden. Sie sehen, die Bundesregierung kommt ihrer Sorg- Die Bundesregierung will deshalb den kontrollier- faltspflicht nach. Wir haben weitreichende Kontroll- ten Anbau von Nutzhanf wieder zulassen. Wir wol- möglichkeiten vorgesehen, um den Mißbrauch der len, daß Landwirte in Deutschland das Marktpoten- Nutzpflanze Hanf zu verhindern. Ich hoffe deshalb tial für die Hanfpflanze und ihre vielfältigen Verwen- auf Ihre Zustimmung zu diesem Gesetz, mit dem der dungsmöglichkeiten zur industriellen Nutzung und Nutzhanf eine neue Chance erhalten soll. möglicherweise sogar zur Energiegewinnung er- schließen können. Wir wollen diese Möglichkeiten nutzen, weil das Hauptargument für ein umfassen- des Verbot des Hanfanbaus, nämlich der hohe Gehalt von THC (Tetrahydrocannabinol), weggefal- Anlage 4 len ist.

Nun hat es in den letzten Tagen immer wieder Zu Protokoll gegebene Reden - Meldungen gegeben, wonach überhaupt nicht zu Tagesordnungspunkt 13 genug Saatgut für diesen Hanfanbau zur Verfügung (Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes steht. Solche Meldungen sind falsch. Wir haben von über die Errichtung eines Umweltbundesamtes) dem französischen Hauptlieferanten die Mitteilung erhalten, daß noch 600 Tonnen von einer Überschuß Wilma Glücklich (CDU/CSU): Die Verlagerung produktion zur Verfügung stehen. Deshalb gibt es des Umweltbundesamtes von Berlin nach Dessau nach unserer Auffassung auch keinen Grund, zusätz- schmerzt mich nicht weniger als die Verlagerung liche Nutzhanfsorten für die Aussaat in Deutschland sehr viel älterer Reichs- und heutiger Bundesinstitu- zuzulassen. tionen, die seit dem vergangenen Jahrhundert mit Berlin verbunden sind. Der Ihnen vorliegende Gesetzentwurf setzt das um, was der Sachverständigenausschuß für Betäu- Die Gründung des UBA 1974 stand in engem bungsmittel in einem einstimmigen Votum beschlos- Zusammenhang mit dem 1971 abgeschlossenen Vier- sen hat. Dieser Entwurf entspricht auch einer Ent- Mächte-Abkommen. Vor dessen Inkrafttreten 1972 schließung des Bundesrates vom 13. Oktober 1995. hatte bereits eine Reihe anderer Bundesbehörden ihren Sitz in Berlin. Zwischen den Vertragspartnern Selbstverständlich werden wir alles dafür tun, um bestand keine Einigkeit darüber, ob die Errichtung Mißbrauch zu verhindern. Deswegen ist eine wirk- einer neuen Bundesbehörde durch das Abkommen same Kontrolle des Anbaus von THC-armem Nutz- gedeckt war oder ob diese sich nur auf die Entwick- hanf notwendig. Wir halten es deshalb für erforder- lung bereits bestehender Einrichtungen bezog. Die lich, daß der Anbau von Nutzhanf der Bundesanstalt Errichtung des UBA war für die westliche Seite inso- für Landwirtschaft und Ernährung gegenüber ange- fern ein politischer Test der Tragfähigkeit des zeigt werden muß. Ein Verstoß gegen diese Anzeige- Abkommens. pflicht ist eine Ordnungswidrigkeit, die mit einer Proteste der Sowjetunion und der DDR erfolgten. Geldbuße geahndet werden kann. Angehörigen des UBA wurde vorübergehend die Diese Anzeigen sind im übrigen auch gleichzeitig Durchreise auf den Transitstrecken verboten. Bis zur Bestandteil der Anträge zur Gewährung der EU-Flä- Vereinigung wurde in Berlin keine weitere Bundes- chenbeihilfen, für deren Bearbeitung die Bundesan- behörde errichtet. stalt ohnehin zuständig ist. Der Gesetzentwurf sieht Insofern hat das UBA eine besondere Bedeutung deshalb vor, daß die Bundesanstalt für Landwirt- für Berlin. Die Standortwahl ist Dokument des schaft und Ernährung auch als zuständige Behörde Lebens- und Freiheitswillens der Stadt Berlin. Die zur Überwachung des Hanfanbaus eingesetzt wird. Aufgaben der Behörde selbst sind ein Dokument des Es ist ihre Aufgabe, die Kontrolle der Aussaat, der aufkeimenden Umweltschutzgedankens Anfang der Anbauflächen, der angebauten Sorten und der Ernte 70er Jahre. Wir geben das UBA nicht gerne her. zu übernehmen. Das schließt auch die Verpflichtung ein, Pflanzenproben zu ziehen, um den THC-Gehalt Das UBA unterhält heute ein zweites Dienstge- zu überprüfen. bäude in der Mauerstraße 52 im Bezirk Berlin-Mitte, in der sich jetzt auch die zentralen Einrichtungen zur Das Gemeinschaftsrecht sieht vor, daß mindestens Information der Bevölkerung in Umweltfragen befin- 5 Prozent der angebauten Hanfflächen auf diese den. Durch seine zentrale Lage inmitten der ökologi- Weise kontrolliert werden. Wir wollen, daß dieser schen Problembereiche wurde das UBA rasch Kontrollumfang auf mindestens 20 Prozent ausgewei- Anlaufstelle für zahlreiche Besucher und Informati- Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 86. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. Februar 1996 7659* onspool für Anfragen sowohl aus den kommunalen Die von der Bundestagspräsidentin daraufhin ein- Verwaltungen als auch aus den Industriebetrieben. gerichtete Unabhängige Föderalismus-Kommission aus Vertretern des Bundestages und der Länderre- Schwierigkeiten sind keineswegs immer ausge- gierungen stand vor der schwierigen Aufgabe, Bun- blieben. Dennoch ist es gelungen, Berlin zu einem desinstitutionen nicht etwa neu zu schaffen, sondern geradezu idealen Standort des Amtes zu machen — Vorschläge für die Verlagerung von Standorten zu trotz damaliger Kommunikationsprobleme über die machen, die über Jahrzehnte gewachsen waren. lange Entfernung, die in den siebziger Jahren natur- Dabei war der Föderalismus-Kommission durchaus gemäß noch groß waren. Vor allem die Einbettung klar, daß dies nicht ohne soziale und möglicherweise des Amtes in die Berliner Wissenschaftslandschaft auch fachliche Probleme abgehen würde. Es sollten war sicher ein Glücksfall. Einrichtungen von politischer und wirtschaftlicher Die Mitarbeiter, die das neue Amt aufbauten, hat- Bedeutung sein. Der 1992 abgestimmte Katalog der ten nicht nur Mut zu einem fachlichen Abenteuer, Verlagerungen von Bundesinstitutionen in die neuen sondern begaben sich auch in eine Stadt, die zwar Länder enthält z. B. Oberste Bundesgerichte, Teile nicht mehr gefährdet war, aber doch nur ein mit vie- der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte, die len Mißlichkeiten verbundenes Insulanerdasein bot. Verwaltungen von Berufsgenossenschaften, das Bun- desamt für Seeschiffahrt und Hydrographie, einen Ich habe Verständnis dafür, daß die Emotionen im Teil des Deutschen Patentamtes, einen Teil einer Bio- Amt nun, wo die Mitarbeiter die Hauptstadt verlas- logischen Bundesanstalt und eben auch das Umwelt- sen sollen, während diese gerade ihre Funktionen bundesamt. Daß Berlin mehrere Einrichtungen abge- erhält, besonders stark sind. Natürlich schmerzt die ben sollte, hängt mit dem zu erwartenden Zuwachs Entscheidung ganz Berlin. durch Bundestag und Bundesregierung in der deut- Das UBA zieht um nach Dessau. Dies ist Bestand- schen Bundeshauptstadt zusammen. Daß das teil der am 27. Mai 1992 veröffentlichten, mit Zwei- Umweltbundesamt nach Sachsen-Anhalt gehen drittelmehrheit beschlossenen Empfehlung der sollte, hat die Föderalismus-Kommission beschlos- unabhängigen Föderalismuskommission. Der Umzug sen. Daß unter mehreren Bewerbungen Dessau den gehört zur ausgeglichenen Verteilung von Bundesbe- Zuschlag erhielt, hat die Bundesregierung mit der hörden unter besonderer Berücksichtigung der damaligen Landesregierung von Sachsen-Anhalt neuen Länder im Zuge der deutschen Einheit. ausgehandelt. Der Umzug des Umweltbundesamtes wird notwen- Soweit zur Vorgeschichte des heute zur Verab- dig und unvermeidbar im Gesamtzusammenhang schiedung vorliegenden Gesetzentwurfs. Der Bun- aller Beschlüsse über die Verlagerung der Haupt- destag ist im Wort. Wenn wir jetzt darüber debattie- stadtfunktionen nach Berlin. ren, kann es nicht mehr um das Ob, sondern nur noch um das Wie des Standortwechsels gehen. Meine Fraktion und die der F.D.P. tragen die Ent- Angesichts der besonderen Probleme, die die Verla- scheidung der Unabhängigen Föderalismus-Kom- gerung eines Amtes mit sich bringt, das gleichzeitig mission mit. von dem wissenschaftlichen Engagement seiner Mit- Jetzt kommt es auf eine gute Zusammenarbeit des arbeiter und Mitarbeiterinnen lebt, ist ein hohes Maß Landes Sachsen-Anhalt, der Stadt Dessau und des an Behutsamkeit angesagt. Das bet rifft sowohl die Arbeitsstabes für die Verlagerung des Umweltbun- Behandlung des Personals, als auch die wissen- desamtes an. Wir werden ein Auge darauf werfen. schaftliche Vernetzung mit anderen Institutionen am Diese konstruktive Zusammenarbeit muß sich bei jetzigen Standort Berlin. dem schwierigen Prozeß der Verlagerung im Inter- Die Bundesregierung hat im Ausschuß zugesagt, esse der Sozialverträglichkeit und der Erhaltung der alles dafür zu tun, daß das Umweltbundesamt auch Funktionsfähigkeit des Umweltbundesamtes bewäh- an seinem neuen Standort voll arbeitsfähig bleibt. ren. Dabei scheint es mir wichtig zu sein, die Begründung Das Umweltbundesamt hat in Berlin große Leistun- im Gesetzentwurf der Bundesregierung in Erinne- gen erbracht. Die dynamische Entwicklung der rung zu rufen: Danach kann der eigentliche Umzug Umweltschutzpolitik in den siebziger Jahren wäre erst erfolgen, wenn die Voraussetzungen dafür sicher ohne das UBA nicht möglich gewesen. geschaffen sind, wenn nämlich die zur Herstellung Genauso sicher bin ich, daß das Amt vom Einsatzwil- der Arbeitsfähigkeit benötigten Neubauten und/oder len seiner Mitarbeiter her seine guten Leistungen in Altbauten fertiggestellt sind, wenn ausreichender Sachsen-Anhalt fortsetzen wird. Wohnraum für die vom Umzug Betroffenen vorhan- den ist, wenn dienst- und wohnungsrechtliche und personalwirtschaftliche Maßnahmen für die Mitar- Eckart Kuhlwein (SPD): Der Deutsche Bundestag beiter und Mitarbeiterinnen getroffen sind. Wir hat heute über eine Änderung des Gesetzes über die erwarten von der Bundesregierung, daß sie bei der Errichtung eines Umweltbundesamtes zu entschei- Umzugsplanung beide Seiten sorgfältig beachtet: die den, mit der der Sitz des Amtes von Berlin nach Des- berechtigten sozialen Interessen der Mitarbeiter und sau verlegt werden soll. Die Entscheidung dafür geht Mitarbeiterinnen und die Kontinuität der wissen- zurück auf den Hauptstadt-Beschluß des Bundesta- schaftlichen Arbeit. ges vom 20. Juni 1991, in dem u. a, das Ziel festge- legt wurde, zur Stärkung des Föderalismus zu einer Die Leistungsfähigkeit des Amtes als wissenschaft- gerechteren Verteilung von Institutionen des Bundes liche Oberbehörde muß vor und während des in Deutschland zu kommen. Umzugs erhalten und nach dem Umzug dauerhaft 7660* Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 86. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. Februar 1996

sichergestellt werden. Dazu gehört auch die Suche Bei den Beratungen im Umweltausschuß sind nach Wegen, wie die Vorteile der Berliner Wissen- Bedenken laut geworden, durch den Umzug verliere schaftslandschaft für die wissenschaftliche Qualität das Amt qualifizierte wissenschaftliche Mitarbeiter der Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen gesichert wer- und damit seine Kompetenz. Ich halte diese Sorge für den können. Die modernen Telekommunikations- unberechtigt. Sicher wird es eine Fluktuation geben techniken werden dafür nicht ganz ausreichen. und damit auch vielleicht Brüche in der fachlichen Arbeit. Aber jede Veränderung bringt auch Chancen Vielleicht ist es am Ende hilfreich, daß das Umwelt- mit sich. Neue Mitarbeiter können auch neue Ideen, bundesamt mit dem Institut für Wasser-, Boden- und neue Ansätze und neue Schwerpunkte einbringen. Lufthygiene „noch einen Koffer in Berlin" behält. Für eine wissenschaftliche Institution kann das Vielleicht läßt sich do rt auch eine in die Berliner befruchtend sein. Vermutlich wird sich der Anteil der Szene integrierte Anlaufstelle für die übrigen Abtei- Mitarbeiter aus Sachsen-Anhalt und anderen neuen lungen schaffen. Ländern im Umweltbundesamt durch diese Verlage- Die Bundesumweltministerin möchte ich bitten, rung erhöhen. Ich halte diese Entwicklung für wün- dieses Amt, das für eine weitsichtige deutsche schenswert und nicht etwa für einen Nachteil. Umweltpolitik unentbehrlich ist, weder zu gängeln Darüber hinaus gilt das Argument der personellen noch zu vernachlässigen. Der Erfolg ihrer eigenen Fluktuation für alle von der Umzugsentscheidung Umweltpolitik hängt wesentlich davon ab, welche betroffenen Behörden und Ministerien. Dies haben Anstöße aus dem Umweltbundesamt kommen und die unabhängige Föderalismuskommission und der wie ihre Gesetze do rt vorbereitet werden. Andere Deutsche Bundestag bei ihren Entscheidungen Länder beneiden uns um diese hochqualifizierte Ein- gewußt und berücksichtigt. Es ist müßig, jetzt im richtung. Es liegt an Ihnen, Frau Merkel, und am nachhinein als Bedenkenträger darauf hinzuweisen. Bundestag, ob man das auch nach dem Umzug nach Dessau noch sagen kann. Die F.D.P. stimmt dem Gesetzentwurf zu.

Birgit Homburger (F.D.P.): Mit der Änderung des Steffi Lemke (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Bünd- Gesetzes über die Errichtung eines Umweltbundes- nis 90/Die Grünen begrüßt den vorliegenden Gesetz- amtes wird ein Beschluß der Unabhängigen Födera- entwurf mit dem nun endlich die rechtliche Grund- lismuskommission vollzogen. Es war der überein- lage für die Umsetzung der Beschlüsse der Föderalis- stimmende politische Wille, in Folge der Vereinigung muskommission geschaffen wird. Wir unterstützen für eine ausgeglichene Verteilung von Bundesbehör- die Vorschläge der Unabhängigen Föderalismuskom- den unter besonderer Berücksichtigung der neuen mission, weil mit der Verlagerung von Bundesinstitu- Länder zu sorgen. In diesem Zusammenhang wurde tionen in die neuen Bundesländer das föderalistische beschlossen, das Umweltbundesamt nach Sachsen- Prinzip im neuen Deutschland mehr Akzeptanz er- Anhalt zu verlagern. Die konkrete Standortentschei- hält und damit ein Beitrag zum Zusammenwachsen dung wurde durch einen Arbeitsstab unter Vorsitz der beiden deutschen Staaten geleistet werden kann. des Bundesumweltministeriums und unter Beteili- gung von Vertretern des Umweltbundesamtes, des Ich sehe zwar auch die Gefahr, daß der Umzug des Landes Berlin und des Landes Sachsen-Anhalt sowie UBA zum Ausschalten kritischer Stimmen im der Personalvertretungen erarbeitet. Umweltschutzbereich instrumentalisiert werden könnte. Einen - erfreulicherweise mißglückten - Ver- Diese Entscheidung vollziehen wir jetzt, und ich such der Postenschieberei haben wir in diesem halte dies für richtig. Natürlich gibt es bei jeder der Bereich ja bereits hinter uns. Es liegen aber mögli- vielen Dienstsitzverlagerungen, die mit dem Umzug cherweise noch mehr Füchse auf der Lauer. Wir wer- Bonn/Berlin und mit der Neuverteilung von Bun- den deshalb den Umzug des UBA auch weiterhin mit desbehörden verbunden sind, Gewinner und Ver- größter Aufmerksamkeit verfolgen. Wir fordern die lierer. Aber im Sinne einer wirklichen und sichtba- Bundesregierung auf, das UBA nicht in den Voll- ren Integration der neuen Länder soll dies nicht die zugsbereich abzuschieben, sondern Freiräume für Umstrukturierung verhindern. Mit dem geplanten eine sachliche Auseinandersetzung im Umweltbe- dienstrechtlichen Begleitgesetz werden den betrof- reich auch innerhalb des Ministeriums zu schaffen. fenen Mitarbeitern die angemessenen Hilfen gege- ben. Wenn ich in der Öffentlichkeit jedoch Äußerungen aus dem UBA wie „Die verantwortlichen Politiker Die Argumentation, das Umweltbundesamt müßte haben sich das zwischen einem Glas Bier am Abend deshalb nach Sachsen-Anhalt, weil do rt Umweltpro- und dem Sektfrühstück am Morgen überlegt, näm- bleme in besonderer Massierung zu lösen seien, lich überhaupt nicht" zur Kenntnis nehmen muß, halte ich allerdings nicht für stichhaltig. Die Umzugs- dann scheint bei Teilen des Personals das Interesse entscheidung ist sicher nach anderen, politischen an einer sachlichen Diskussion nicht allzu groß zu Kriterien gefällt worden. Das Umweltbundesamt ist sein. Der Personalratschef geht ja sogar noch einen nämlich keine Bundesvollzugsbehörde im Umwelt- Schritt weiter: „Ich bin ja bereits von West- nach Ost- schutz, es ist eine wissenschaftliche Behörde, die ihre berlin umgezogen, habe also den Abstieg aufs Ostni- Arbeit mehr oder weniger unabhängig vom Standort veau schon hinter mir." Da hören für mich der Spaß ausführen kann. Praktisches Anschauungsmaterial und das Verständnis auf. Der Umzug wird mit solcher über die Altlasten aus DDR-Zeiten hat das UBA auch Art Mauerbildung hoffentlich aufräumen. Ich von Berlin aus ohne weiteres im benachbarten Land erwarte von den Beschäftigten und darunter vor Brandenburg. allem von den Beamten einen Bruchteil der Flexibili- Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 86. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. Februar 1996 7661* tät, wie sie Zehntausende von Menschen in den und ihren Familien sowie des eigentlichen Zwecks neuen Ländern in den vergangenen Jahren abver- zu gehen. Außer dem Bekenntnis zu Dessau scheint langt wurde. nicht viel klar zu sein: weder die Gebäude für das Amt noch der Zugriff auf Labortechnik, nicht die Aber vielleicht schaffen wir es, den Frust der Mit- Wohnungsfrage noch die Arbeitsplätze für die Part arbeiterinnen und Mitarbeiter produktiv umzusetzen rtnerinnen der umziehenden Mitarbeiter-ner und Pa - z. B. in bessere Zuganbindungen nach Dessau oder und Mitarbeiterinnen des UBA - ich hoffe, es sind eine kreativere Kulturszene vor Ort. Ich freue mich wenigstens ein paar Frauen dabei. jedenfalls auf das Engagement der Neu-Dessauer für eine bessere Wohn- und Lebensqualität. Mit der Ver- Angesichts einer mit 14 Millionen DM mehr als lagerung des UBA in die Korrespondenzregion Des- 12prozentigen Etatkürzung des Umweltbundesamtes sau-Wittenberg-Bitterfeld der EXPO 2000 könnten in diesem Jahr scheinen die 180 Millionen DM durchaus umweltpolitisch wichtige und richtige Umzugskosten wohl auch etwas absurd. Der Perso- Akzente gesetzt werden. Der unverstellte Blick in nalrat des UBA geht übrigens, einschließlich der diese Krisenregion könnte die Arbeit des UBA jeden- Kosten für Wohnungsbeihilfen, von knapp falls eher befruchten als behindern. Und mit der fehl- 500 Millionen DM aus. enden Wissenschaftslandschaft in der Region zu Weiterhin ist das Argument der schlechten Erreich- argumentieren mutet in den Zeiten von Internet und barkeit dieser auch von Umweltverbänden gern Online-Diensten reichlich anachronistisch an - auch genutzten Einrichtung angesichts der geplanten Ein- da könnte die Verlagerung wohl eher positive stellung der Interregioverbindung nach Berlin nicht Impulse als Hemmnisse entwickeln. vom Tisch zu wischen; aber das kann ja geändert Die Bundesregierung ist nun gefordert, den werden. Umzugsbeschluß zügig umzusetzen. Dazu sind vor Ich glaube, wir sind am Ende auch nicht allein in allem ausreichend Planungsmittel in den Bundes- folgender Vermutung: Einigen scheint es wohl nicht haushalt einzustellen und die Mitarbeiter und Mitar- ganz unlieb, das glücklicherweise gelegentlich mit beiterinnen in die Umzugsplanungen einzubeziehen. dem Hause Merkel im Zoff gelegene Umweltbundes- Lassen Sie uns für ein leistungsfähiges Umwelt- amt etwas ins Abseits zu schicken. bundesamt sorgen, damit auch die nächste Bundes- regierung noch auf diesen Sachverstand bauen Walter Hirche, Parl. Staatssekretär bei der Bundes- kann. ministerin für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsi- cherheit: Der Ihnen heute vorliegende Gesetzent- wurf der Bundesregierung hat allein den Zweck, Eva Bulling-Schröter (PDS): Dem Umzug des Um- weltbundesamtes nach Dessau werden wir zustim- jetzt die notwendige gesetzliche Folgerung aus einer men. Dies fällt der Gruppe der PDS nicht leicht, denn Entscheidung zu ziehen, die längst getroffen worden die Gründe, die dafür sprechen, können unserer An- ist. Die Frage der Verlagerung ist deshalb faktisch sicht nach kaum die Bedenken - vor allem über die längst entschieden, weil mit einer anderen Entschei- Art und Weise der Verlagerung - entkräften. dung notwendigerweise das Gesamtpaket von Maß- nahmen aufgebrochen und in Frage gestellt würde, Ohne Zweifel benötigen die neuen Bundesländer das die Unabhängige Föderalismuskommission be- als die größte geschlossene Krisenregion innerhalb reits am 27. Mai 1992 in Winterscheid empfohlen hat. der Europäischen Union unter anderem das Wieder- Hierauf weist die Ausschußdrucksache unter dem entstehen einer weitgehend zerschlagenen For- Stichwort „Alternativen" deutlich hin. schungslandschaft. So verfügt beispielsweise allein der Siemens-Konzern über ein größeres Entwick- Wie bei anderen von den Verlagerungsbeschlüs- lungs- und Forschungspotential als die gesamte sen der Unabhängigen Förderalismuskommission Industrie Ostdeutschlands. betroffenen Behörden auch sind in der Folge in einem Arbeitsstab unter Beteiligung des abgeben- Die neuen Bundesländer produzieren lediglich den und des aufnehmenden Landes, nämlich Berlin 8,6 Prozent des Bruttoinlandproduktes bei 20 Prozent und Sachsen-Anhalt, sowie der Personalvertretun- Wohnbevölkerung der Bundesrepublik. Dabei ist die gen die erforderlichen Prüfungen wegen des Stand- ökologisch arg gebeutetelte Region Dessau/Wolfen/ orts vorgenommen und Dessau als neuer Standort Bitterfeld zusätzlich von einem überdurchschnittli- empfohlen worden. Der Bundesrat hat in seiner Sit- chen Arbeitsplatzabbau betroffen. Ein Impuls im zung am 13. Oktober 1995 einstimmig beschlossen, Dienstleistungsbereich wäre hier also nur wün- keine Einwendungen gegen den Gesetzentwurf der schenswert. Bundesregierung zu erheben. Die Verknüpfung der Tätigkeit des Umweltbun- Bei der Verlagerung nach Desssau geht es um das desamtes mit der des traditionsreichen Dessauer große umfassende Ziel, bei der Herstellung der inne- Bauhauses - ich denke da unter anderem an das Pro- ren Einheit auch dem Gedanken einer unter födera- jekt industrielles Gartenreich - könnte darüber hin- len Aspekten gerechten Verteilung von Bundesbe- aus Modellcharakter für die Verbindung von hörden in den Ländern Rechnung zu tragen. Umweltforschung, Industrie, Altlastensanierung und Im Bundesrat ist von den Vertretern des Saarlands Naturschutz haben. und Bremens, mit der Zielrichtung einer künftigen Die Vision droht in ihrer Großzügigkeit allerdings Berücksichtigung auch ihrer Länder bei der Festle- in wesentlichen Teilen auf Kosten der Beschäftigten gung von Standorten für Bundesbehörden, auf ein 7662* Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 86. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. Februar 1996

Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 1992 zum dungen auch über Haushaltsmittel anstehen, bitte bundesstaatlichen Finanzausgleich hingewiesen ich auch um Ihre Unterstützung, damit nicht bei aller worden. Danach gehören solche Standortentschei- Sparsamkeit die Realisierung der Verlagerungsent- dungen zu den Mitteln, die geeignet sind, zur Besei- scheidung letztlich durch Einbußen der Effektivität tigung extremer Haushaltsnotlagen in den Ländern belastet wird. beizutragen. Ich meine, daß es bei den Verlagerun- gen in die neuen Länder über diesen rein wirtschaft- Mindestens genauso wesentlich wie die Funktions- lichen Aspekt hinaus noch um ideelle Zwecke geht, fähigkeit des Amtes als solche ist es, daß die Verlage- nämlich um das Zusammenwachsen dieses föderativ rung sozial verträglich geschieht, denn die Kontinui- verfaßten Staates und seiner Institutionen. Gegenar- tät der Aufgabenwahrnehmung des Umweltbundes- gumente, die auf die fachlichen Erfordernisse des amtes setzt die Bereitschaft und das Engagement der Umweltbundesamtes, insbesondere auf die Einbin- hochqualifizierten Mitarbeiter des Amtes voraus. dung in die Berliner Wissenschaftslandschaft, hin- Auch hier rechne ich auf Ihre Unterstützung. weisen, verstehe ich als Vertreter des für den Umweltschutz zuständigen Ministeriums gut. Ich halte diese Argumente jedoch für zu kurz gegriffen, und zwar nicht nur aus übergreifenden innen- und gesellschaftspolitischen Gründen. Auch der Umwelt- Anlage 5 schutz in diesem Lande kann nur gewinnen, wenn bestehende Gräben überwunden werden. Zu Protokoll gegebene Reden zu Tagesordnungspunkt 14 Und was die Herauslösung aus dem wissenschaftli- (Antrag: Förderung eines Modellprojekts chen Umfeld Berlins angeht: Selbstverständlich müs- für Umwelt und Verkehr im Tourismus) sen die modernen Möglichkeiten der Informationsge- sellschaft genutzt werden. Im übrigen scheinen mir die Befürchtungen auch wegen der Verkehrsverbin- Brunhilde Irber (SPD): Da viele Menschen im di- dungen und Fahrzeiten nach Berlin und wegen der rekten Umfeld ihrer Städte keine ausreichenden Er- verschiedenen Institutionen in Sachsen und Sach- holungsmöglichkeiten vorfinden, suchen sie Ruhe, sen-Anhalt - Universität Leipzig mit Umweitfor- Natur und gesunde Umwelt in den ausgewiesenen schungszentrum, Technische Universität Magde- Erholungsgebieten. Der Freizeitverkehr macht heute burg, Universität Halle/Wittenberg - letztlich nicht etwa 50 Prozent des gesamten Verkehrsaufkommens berechtigt. Und ein übriges: Das Umweltbundesamt aus. Freizeitmobilität bedeutet aber in unserer Ge- ist zwar entsprechend der Aufgabenverteilung nach sellschaft hauptsächlich Autoverkehr. Das Bedürfnis dem Grundgesetz zwischen Bund und Ländern nur der Menschen nach Ruhe und Erholung wird so zu- in sehr wenigen Bereichen Vollzugsbehörde. Den- nehmend zur Belastung für die Umwelt. noch erscheint es mir für das Amt wie für dieses Land von hohem Nutzen zu sein, daß es jetzt in einer Besonders ökologisch sensible Erholungsgebiete Region angesiedelt wird, in der der Raubbau an der müssen heute die Grenzen der Besucherzahlen Umwelt, aber auch die Chancen zur Besserung und erkennen. Vielerorts wird versucht, den Besucheran- der Nutzen des Umweltschutzes für den Arbeits- drang über den Preis zu regulieren, wie zum Beispiel markt so deutlich sind. Ich nenne in erster Linie die in den Schweizer Skigebieten. Damit wird Erholung Langfristaufgabe der Braunkohlesanierung. Hier ist in den attraktivsten Gegenden für viele Menschen zu manches begonnen, aber noch sehr viel zu tun, und einem unerschwinglichen Gut. Dies kann nicht der die Sanierungsaufgabe bietet zunehmend Arbeits- richtige Weg sein! plätze. Vielmehr muß der berechtigte Wunsch des Urlau- Ich habe vor einigen Tagen besonders darauf hin- bers nach individueller Bewegungsfreiheit in Ein- gewiesen: Wir haben jetzt etwa 700 000 Beschäftigte klang gebracht werden mit dem Schutz der Umwelt. im Umweltschutz, und man kann mit guten Gründen Auch wenn es nicht besonders schön klingt - die annehmen, daß bis zur Jahrtausendwende noch wei- hierfür notwendige Maßnahme heißt im Fachjargon tere 400 000 Arbeitsplätze hinzukommen. „Besucherlenkung".

Für das Bundesumweltministerium ist es aber, Hinter diesem häßlichen Wort verbirgt sich nicht gerade weil ich die aus übergeordneten Gründen die Absicht, dem Besucher möglichst viele Vorschrif- getroffene Verlagerungsentscheidung nachdrücklich ten zu machen. Statt dessen sollen ihm Alternativen bejahe, unabdingbar, daß die Leistungsfähigkeit des geboten werden, die attraktiv sind und zur umwelt- Umweltbundesamtes voll erhalten wird und daß in freundlichen Urlaubsgestaltung locken und leiten der Übergangszeit unvermeidbar auftretende sollen - mit dem Ziel, daß die Ferienregionen ohne Schwierigkeiten durch geeignete Maßnahmen so- Beschränkung der absoluten Besucherzahlen aus- weit wie möglich gemindert und gemildert werden. kommen und trotzdem ihre Umwelt schonen und erhalten können. Dazu gehören die Funktionalität, das heißt vor allem ein Dienstgebäude in entsprechend günstiger Dabei spielen Busse und Bahnen - also der öffentli- Lage in Dessau, ausreichende Verkehrsanbindungen che Personennahverkehr - eine entscheidende Rolle. und ein Kommunikationsverbund mit dem Ministe- Sicher ist es unrealistisch, den völligen Verzicht auf rium, aber auch mit den Partnern in Forschung und das Auto zu predigen. Aber mit entsprechend attrak- Wissenschaft. Wenn hier die erforderlichen Entschei- tiven Angeboten kann das Umsteigen auf umwelt- Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 86. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. Februar 1996 7663' verträgliche Verkehrsmittel ermöglicht und erleich- Besucher und ein touristischer Umsatz von 70 Mil- tert werden. lionen DM allein im letzten Jahr belegen die Bedeu- tung des Nationalparks als Wi rtschaftsfaktor für Wir Sozialdemokraten setzen uns deshalb für soge- diese Region. Dies hat Ostbayern mit vielen anderen nannte integrierte Gesamtverkehrskonzepte für die Erholungsgebieten gemeinsam: Früher war die Fremdenverkehrsregionen ein, die auf folgenden Region als strukturschwach vernachlässigt und fast Eckpunkten aufbauen: vergessen. Heute bilden ihre unberührten Land- Erstens. Damit die Besucher vom Auto auf die schaften, die reiche Natur und Tradition, ihre öffentlichen Verkehrsmittel umsteigen, müssen Ursprünglichkeit, Abgeschiedenheit und Stille die ihnen schon für die Anreise günstige Fernverbindun- Grundlage für den Weg aus der wirtschaftlichen gen angeboten werden. Rückständigkeit - die Grundlage für den Tourismus. Zweitens. Mit abgestimmten Bus- und Bahnverbin- Aber noch ein Zweites hat der Bayerische Wald mit dungen gelangen sie dann von den Knotenbahn- vielen anderen Erholungsgebieten gemeinsam: die höfen weiter in die Ferienorte. stetig zunehmende Blechlawine des Autoverkehrs. War der Individualverkehr lange Jahre die Voraus- Drittens. Damit sich die Urlauber auch vor Ort frei setzung für das Aufblühen der abgelegenen Frem- bewegen können, müssen genügend öffentliche Ver- denverkehrsgebiete, wird er heute zu ihrem Fluch: kehrsverbindungen zwischen den Ferienorten und Das „Grundkapital" der Regionen - Ruhe, saubere den beliebten Ausflugszielen bestehen. Ein solcher Luft und unverbaute Landschaften - ist mehr und Shuttle-Verkehr ermöglicht es auch - zumindest in mehr in Gefahr. der Hauptsaison -, die Zufahrtsstraßen für den Indivi- dualverkehr zu sperren. Die großen Nationalparks in Mit der Erweiterung des Nationalparks wird eine den USA haben damit beispielsweise gute Erfahrun- neue Verkehrsplanung für die Region notwendig, gen gemacht. Eine Netzkarte für die gesamte Region und hier bietet sich eine gute Chance, das Konzept in Verbindung mit verbilligten Eintrittsgeldern kann eines umweltverträglichen Tourismusverkehrs, wie die Attraktivität einer solchen Lösung noch erhöhen. ich es gerade beschrieben habe, zu verwirklichen. Dies ist um so notwendiger, als das Gebiet auch Viertens. Für die Tagesausflügler aus der näheren durch den enorm gestiegenen Verkehr seit der Öff- Umgebung müssen Park-and-Ride-Parkplätze und nung der Grenzen nach Tschechien stark belastet ein Pendelverkehr eingerichtet werden. wird - eine Belastung, die die Grundlagen des Tou- Eine günstige Gestaltung der Preise, besonders rismus zunehmend bedroht. Wer möchte schon in auch für Familien, dichte und abgestimmte Fahrzei- einer Region Urlaub machen, in der sich Lkw an Lkw ten, auch am Wochenende, sowie ein verbesserter und Pkw an Pkw durch die Orte schlängelt, in der Service und Komfort können hier ihr übriges tun, um die Zufahrtsstraßen zu den touristischen Attraktio- die Schwellen zur Benutzung dieser Verkehrsmittel nen verstopft sind wie Großstädte zur Rushhour? zu senken. Die Erfahrungen zeigen, daß attraktive Viele Orte im Bayerischen Wald bangen schon heute Angebote von den Urlaubern durchaus angenom- um ihre Prädikate als „Luftkur-" oder „Erholungs- men werden. Urlaub und Freizeit können so auch zu orte", und eine weitere Zuspitzung der Situation ist einem Lern- und Experimentierfeld werden. Erfah- zu befürchten, wenn die Wirtschaftsbeziehungen zu rungen, die der Reisende im Urlaub macht, können den östlichen Nachbarn enger werden. Anregungen für den Alltag sein. Deshalb darf bei der Verkehrsplanung für den Um Erfahrungen mit solchen Konzepten zu sam- erweiterten Nationalpark nicht allein auf den Aus- meln, die die Interessen des Tourismus und des bau des Straßennetzes gesetzt werden. Dies hieße, Umweltschutzes wirksam vereinen, regen wir an, die Zukunft des Tourismus in dieser Region aufs daß die Bundesregierung ein Modellprojekt schaffen Spiel zu setzen! oder sich an einem solchen beteiligen soll. Mit einem solchen Modell einer umfassend angelegten Ver- Da es sich beim Nationalpark Bayerischer Wald um kehrsplanung lassen sich Daten und Richtwerte einen schützenswerten Naturraum von nationaler ermitteln, die sich auf andere Natur- und Ferienge- Bedeutung handelt, muß die Bundesregierung bei biete in Deutschland übertragen und für weitere dieser Aufgabe mit anpacken. umweltverträgliche Planungen nutzen lassen. Der Zeitpunkt für ein solches Modellprojekt ist Der Nationalpark Bayerischer Wald stellt in vieler jetzt besonders günstig: Die Regionalisierung des Hinsicht einen idealen Versuchsraum für ein solches öffentlichen Personennahverkehrs bietet die Chance, Modellprojekt dar. Es ist ein Natur- und Erholungs- Versäumnisse und Fehlentwicklungen im Schienen- raum von nationaler und übernationaler Bedeutung. nahverkehr auszugleichen. Und das gestiegene Wenn der Nationalpark in diesem Jahr wie geplant Umweltbewußtsein in der Bevölkerung bietet eine um 10 000 ha erweitert wird, stellt er - zusammen mit gute Voraussetzung für eine breite Akzeptanz. dem angrenzenden tschechischen Nationalpark Am Beispiel des Nationalparks Bayerischer Wald Sumava - das größte zusammenhängende Waldge- läßt sich für eine ganze Region ein umweltfreundli- biet in Mitteleuropa unter Schutz. cher Tourismusverkehr verwirklichen - etwas, was es Seit der Nationalpark Bayerischer Wald vor bisher nur auf Ortsebene gibt. Dies ist ein Umstand, 25 Jahren aus der Taufe gehoben wurde, hat sich die der sich in der Werbung für das ost-bayerische Frem- Region zu einer der wichtigsten Fremdenverkehrsge- denverkehrsgebiet und auch für die deutsche Aus- biete Deutschlands entwickelt. Rund 1,5 Millionen landswerbung gut verkaufen läßt. 7664* Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 86. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. Februar 1996

Zwingend notwendig wird die Beteiligung des druckt gewesen, der den Nationalparkgedanken Bundes, da die neuen Bus- und Bahnverbindungen, nicht nur in Deutschland, sondern auch in Europa die mit der Erweiterung des Nationalparks einherge- stets weiterentwickelt hat. Ich unterstütze ausdrück- hen müssen, nicht wie bisher als Sackgassen ins lich das Anliegen der Erweiterung der Fläche des Grenzgebiet führen und do rt enden dürfen. Eine Nationalparkes von rund 13 000 auf 23 000 Hektar sinnvolle touristische Verkehrsplanung im Rahmen auch aus tourismuspolitischer Sicht. Gleichzeitig dieses Modellprojekts setzt eine enge Zusammenar- hoffe ich, daß auch die Kollegen von der SPD diesem beit und Abstimmung mit unserem Nachbarn, der Anliegen der Bayerischen Staatsregierung Rechnung Tschechischen Republik, voraus. tragen werden. Ein durchgehender Schienenverkehr nach Tsche- Nationalparke und andere Großschutzgebiete sind chien, über Pilsen nach Prag, wird schon lange gefor- längst zu Wirtschaftsfaktoren für diese struktur- dert. Obwohl der Schienengrenzübergang Bayerisch schwachen Räume geworden. Eine Zahl soll dies ver- Eisenstein/Zelezna Ruda 1991 von Bundeskanzler deutlichen: Allein im Jahr 1994 haben zirka 9 Millio- Kohl persönlich wiedereröffnet wurde, ist es bis nen Menschen die fünf Nationalparke der neuen heute nicht zu einem durchgehenden Zugverkehr Bundesländer besucht. Allerdings wird weder in der gekommen. Hier ist eindeutig die Zuständigkeit des Deutschlandwerbung noch im Ausland diesem Bundes berührt: Grenzübergreifender Naturschutz Imagefaktor Rechnung getragen. Aber genau hier und grenzüberschreitender Tourismusverkehr ma- liegt die Chance, auch Steuerungs- und Lenkungs- chen ein wirksames Engagement der Bundesregie- maßnahmen von Besuchern umzusetzen. rung notwendig. Aus diesem Grund habe ich 1993 für die Sächsi- Herr Wittmann, ich erinnere Sie an Ihre eigenen sche Schweiz das erste Tourismusleitbild initiiert, Worte: Sie haben am 1. Juni letzten Jahres an dieser welches für eine deutsche Ferienregion unter der Stelle gefordert, auf solche Maßnahmen zu dringen, Moderation der Münchner Firma FUTOUR im März die tatsächlich in die Förderzuständigkeit des Bun- 1995 erstellt wurde und, in der zweiten Stufe durch des fallen: nämlich die Förderung von Modellprojek- den Tourismusverband Sächsische Schweiz weiter- ten und die grenzüberschreitende Zusammenarbeit. entwickelt, im März 1996 auf der ITB in Berlin vorge- stellt werden wird. Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, ich fordere Sie auf, sich dieser Initiative Ein wichtiger Punkt sind dabei die Verkehrslen- anzuschließen und unserem Antrag zuzustimmen. kungs- und Beruhigungsmaßnahmen für die ganze Ich meine insbesondere auch die Damen und Herren Nationalparkregion. Ich bin sicher, es wird uns gelin- der Koalition: Lassen Sie Ihren eigenen Worten von gen, für die Region der Sächsischen Schweiz auch einer Verbindung von Tourismus und Umweltschutz ein Verkehrsleitbild zu entwickeln, und dies nicht Taten folgen. nur für die Ablage. Meine Empfehlung kann daher nur sein, selbiges auch für den Bayerischen Wald zu Bei allen kritischen Bewertungen, ob die Bundes- initiieren. regierung eine Kompetenz hat, ein solches Modell- projekt mitzutragen, bleibt festzustellen: Wenn die Lassen Sie mich dazu noch einige Zahlen nennen: Bundesregierung ein Gesamtkonzept für die umwelt- Der Bayerische Wald zieht jährlich etwa 1,5 Millionen gerechte großflächige Verkehrserschließung von Besucher in seinen Bann. Allein in der Sächsischen Fremdenverkehrsregionen haben will, dann kann sie Schweiz sind im vergangenen Jahr etwa 1,8 Mil- natürlich ein solches Projekt fördern. Es ist lediglich lionen Übernachtungen gezählt worden, dazu kom- eine Frage des politischen Willens! men noch einmal zirka 15 Millionen Tagesausflügler aus dem Großraum Dresden. Vordringlich ist bei die- Klaus Brähmig (CDU/CSU): Bei der heutigen De- sen Zahlen eine enge Zusammenarbeit mit allen Ver- batte, die auf den ersten Blick etwas Reizvolles an kehrsträgern zu berücksichtigen. Ich nenne in die- sich hat, nämlich die Förderung eines Modellprojek- sem Zusammenhang nur die Nationalparkverwal- tes für Umwelt und Verkehr im Tourismus, sehe ich tung, den Landkreis, die Politik, den regionalen Tou- nicht so recht die Zuständigkeit des Bundes für den rismusverband, die Deutsche Bahn AG sowie öffent- vorliegenden Antrag der SPD auf Drucksache 13/ liche und private Verkehrsträger. 3554 gegeben. Dem Anliegen der SPD in dem uns vorliegenden Der Nationalpark Bayerischer Wald, der seit Antrag können wir durchaus zustimmen, nur geht 25 Jahren besteht, ist der älteste Nationalpark von der Weg zum Ziel leider am Thema vorbei. Ich wün- nunmehr elf in Deutschland. Er ist gleichzeitig seit sche mir, daß wir nicht einfach aus durchsichtigen 1991 auch Partner des Nationalparks Sächsische parteitaktischen Gründen - Stichwort Kommunal- Schweiz, der zufälligerweise auch das Zentrum mei- wahlkampf in Bayern - den Bayerischen Wald als nes Bundestagswahlkreises ist. Der Nationalpark Förderprojekt heraussuchen, sondern statt dessen Sächsische Schweiz wurde am 27. April 1991 als eine Synopse aller elf deutschen Nationalparke erster Nationalpark der neuen Bundesländer durch anfertigen lassen. Dies müßte nach vorher zu bestim- unseren Ministerpräsidenten Professor Biedenkopf menden Kriterien geschehen. Ich nenne nur Ver- feierlich eingeweiht. kehrsintensität des Nah- und Fernverkehrs, des ruhenden und fließenden Verkehrs, die Tagesbesu- Mehrfach habe ich in den letzten Jahren den Baye- cher, Investitionen und die Fremdenverkehrsintensi- rischen Wald besucht. Ich bin jedesmal von dem gro- tät. Erst dann sollte ein Projekt ausgewählt werden, ßen Engagement des Leiters Dr. Bibelriether beein- bei dem pilotartig eine Umsetzung gemeinsam mit Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 86. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. Feb ruar 1996 7665 dem zuständigen Bundesland erfolgen sollte. Auch Die von Ihnen angemahnten Fernbahnverbindun- könnte ein fraktionsübergreifender Gesprächskreis gen nach München und Berlin sind Sache der priva- mit denjenigen Kolleginnen und Kollegen gegründet tisierten Deutschen Bahn. Sowohl die regionalen werden, die einen Nationalpark in ihrem Wahlkreis Verkehrsverbindungen als auch die Nationalpark- haben. entwicklung sind Ländersache: Es ist Sache des Frei- staates Baye rn, und es ist eine Angelegenheit der Ich bin der festen Überzeugung, gerade die Ent- betroffenen Kommunen. Seit der Regionalisierung wicklung und Situation im Bayerischen Wald wird des DB-Nahverkehrs hat der Bund nichts mehr mit bei einem Vergleich mit den im SPD-Antrag genann- den von ihnen vorgeschlagenen Maßnahmen zu tun. ten Punkten sehr gut abschneiden, zumal die mei- Die SPD hat doch selbst der Bahnreform zugestimmt, sten genannten Eckpunkte von der Bayerischen und damit der Regionalisierung des ÖPNV. Dafür Staatsregierung längst aufgegriffen worden sind. So erhielten Länder und Kommunen auch die notwendi- gibt es von Landesseite längst Verkehrskonzepte, die gen finanziellen Mittel. Bahnstrecken wie Zwiesel- bereits als Pilotprojekte laufen. Stellvertretend nenne Grafenau, Jandelsbrunn-Haidmühle oder Gottes- ich den seit 1992 laufenden Praxisversuch auf der für zell-Viechtach sind wahrhaft keine Bundessache. den Individualverkehr gesperrten Strecke von Fin- sterau nach Bucina in der Tschechischen Republik Wir begrüßen grenzüberschreitende Kooperation mit einem Elektrobussystem, der auf große Resonanz zur Entwicklung von Fremdenverkehr und Umwelt- gestoßen ist. Zusätzlich besteht die Möglichkeit, ein schutz. Aber das macht die Sache nicht zu einer neues Förderprojekt des Bundesumweltministeriums Bundesangelegenheit. Regionale Kooperation über für den modellhaften Einsatz von gasbetriebenen Grenzen hinweg ist auch ohne Mitwirkung des Bun- Fahrzeugen in dieser sensiblen Region einzusetzen. des möglich. Lassen Sie mich zum Abschluß noch einen Satz Wir begrüßen die Erweiterung des Nationalparkes- sagen: Ich glaube nicht, daß die Bayerische Staatsre- Bayerischer Wald durch die dafür allein zuständige gierung und die bayerischen Kommunalpolitiker in Bayerische Staatsregierung. Der Nationalpark hat in irgendeiner Weise einen Nachhilfeunterricht auf die- den vergangenen Jahren zu einer signifikanten Stei- sem Gebiet aus Bonn benötigen. Nein, ganz im gerung des Tourismus in der Urlaubsregion Bayeri- Gegenteil: Bayern ist in der Entwicklung seiner bei- scher Wald geführt. Während in den vergangenen den Nationalparke modellhaft, sicherlich in seiner zwanzig Jahren die Neigung zurückging, Urlaub in Qualität weiter ausbaubar, aber, ich denke, nicht Deutschland zu verbringen, hat der Tourismus in den unbedingt mit einem neuen Bundesprojekt, wie Sie Bayerischen Wald deutlich zugenommen. Aber: Bei das von SPD-Seite fordern. aller Freude über den Schub, den der Nationalpark Bayerischer Wald für die Entwicklung des Tourismus gebracht hat, dürfen wir nicht vergessen: Vordringli- Dr. Olaf Feldmann (F.D.P.): Der Verkehr ist der che Aufgabe des Nationalparks ist nicht die touristi- Knackpunkt aller Bemühungen um einen umweltver- sche Attraktivität. Vielmehr geht es um den Erhalt träglichen Tourismus. Aber ohne Mobilität gibt es von Natur und Landschaft. keinen Tourismus. Über die Hälfte des Individualver- Nach dem Naturschutzgesetz sind Nationalparks kehrs ist freizeitbedingt. Umweltverträgliches Mobi- nur für die Allgemeinheit zugänglich, so weit es der litätsmanagement ist daher immer wichtiger. Wir Schutzzweck erlaubt. Die Intention des Antrages, zu müssen verhindern, daß Tourismus das zerstört, was einer ökologisch verträglichen Regulierung der Besu- die Touristen suchen: Eine intakte Natur, Ruhe und cherströme zu kommen, ist begrüßenswert. Aber ihre Erholung. Attacken gegen die freie Marktwirtschaft reiten wir Es gibt in Deutschland gute Ansätze und Projekte nicht mit. Es geht doch gerade darum, die bewährten zur Verkehrsreduzierung in Fremdenverkehrsregio- Elemente der Marktwirtschaft zur Entwicklung eines nen - vom autofreien Oberstdorf bis hin zum umweltgerechten Tourismus einzusetzen. Wir müs- beschränkten Zugang auf den Belchen im Süd- sen zu einer ökologisch orientierten Marktwirtschaft schwarzwald. Gerade beim Belchen zeigt sich, welch auch im Bereich des Fremdenverkehrs kommen. erfreuliche Ergebnisse eine flexible Verkehrslen- Der Antrag der SPD läuft letztlich auf eine Ver- kung haben kann: Die Attraktivität des Ausflugszie- kehrserschließung des Bayerischen Waldes auf Bun- les Belchen konnte im gleichen Maße gesteigert wer- deskosten hinaus. Das ist ein Stück aus dem bayeri- den, wie die Umweltbelastung durch den Autover- schen Kommunalwahlkampf. Die F.D.P. steht Ihrem kehr zurückging. Das alles ist im wesentlichen in Antrag ablehnend gegenüber. Wir stimmen der regionaler Verantwortung, auf kommunaler oder Überweisung in den Ausschuß zu, obwohl er eigent- Kreisebene organisiert und finanziert worden. lich in den Bayerischen Landtag gehört. Dorthin gehört auch Ihr Antrag: auf die kommu- nale, regionale und Landesebene. Auch unter dem Halo Saibold (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Der Mäntelchen des Modellversuchs ist dies keine Bun- heute vorliegende Antrag zur Förderung eines Mo- desangelegenheit. Dies ist ein rein regionales Vorha- dellprojekts für Umwelt und Verkehr im Tourismus ben. Sonst könnte ich genauso gut einen Antrag ein- wird von meiner Fraktion ausdrücklich begrüßt. Dies bringen, in dem ein Modellversuch für den ange hat nichts damit zu tun, daß ich aus dieser Region dachten Nationalpark Nordschwarzwald gefordert komme, sondern damit, daß es sich hier um ein sehr wird. Ihr Antrag ist eine Attacke auf die Bundes- lohnendes und gleichzeitig beispielhaftes Projekt kasse. handelt. Es entspricht den Interessen sowohl der 7666* Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 86. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. Februar 1996

Tourismuswirtschaft als auch der einheimischen Be- fraktionellen Antrag zu verabschieden. Damit ist völkerung und dient gleichzeitig der Umweltverbes- dann auch die beste Gewähr gegeben, daß zum Bei- serung. spiel der Nationalpark Sächsische Schweiz, der ja ebenfalls um den tschechischen Teil erweitert wer- Erstens. Die gewünschten Besucherinnen und den soll, vielleicht als erster von den Erfahrungen Besucher könnten in Zukunft bequem anreisen und dieses Modellprojekts profitiert. ihren Aufenthalt ohne eigenes Auto abwechslungs- reich gestalten, das heißt ohne große Lärm- und Abgasprobleme zu verursachen. Dagmar Enkelmann (PDS): „Der Deutschen lieb- stes Kind" ist inzwischen überwiegend in der Freizeit Zweitens. Die Bevölkerung sowie die gesamte unterwegs - vom notwendigen Übel für berufsbe- Wirtschaft profitieren ebenfalls vom verbesserten dingte Mobilität wird es immer mehr auch als Hobby Verkehrsangebot. unentbehrlich. Auf einen Kilometer Arbeitsweg kom- Drittens. Die gesamten Verkehrsprobleme werden men mittlerweile zwei Kilometer Fahrten ins Blaue, weit über die ganze Nationalpark-Region positiv zu Verwandtenbesuchen, sportlichen und kulturellen beeinflußt bis hin zur Stadt Passau, die auf Grund Aktivitäten. Schlimmer noch: - Gerade bei Jugendli- ihrer speziellen Lage im Verkehr erstickt. chen wächst eine Art von Rastlosigkeit, wächst die Angst, irgend etwas zu verpassen, Sie werden get rie- Viertens. All die bekannten ökologischen Pro- ben von Erlebnishunger der immer weiter weg ge- bleme - von der Klimaproblematik bis zum Waldster- stillt werden müßte. „Hauptsache raus und weg" - so ben - würden um ein Quentchen verringert. Dieser beschreiben viele Jugendliche den Drang in die Effekt würde sich bei vermehrter Nachahmung Ferne. beachtlich erhöhen. In der Bundesrepublik werden fast 80 Prozent der Darüber hinaus trägt die Verwirklichung dieses Urlaubsreisen mit dem PKW oder dem Wohnmobil Antrags zur Verbesserung der politischen Atmo- unternommen. Für Freizeit und Urlaub sucht man sphäre zwischen Tschechien und der Bundesrepublik kaum noch die nähere Umgebung auf. Angesichts bei. Gerade hier ist jeder Baustein zu einer besseren von drohender Klimakatastrophe, wachsendem Ver- Beziehung wünschenswert. Ich bin sicher, daß dieses kehrsaufkommen und Horrorszenen auf Autobahnen Projekt auch von der tschechischen Seite sehr zu Ferienbeginn und -ende sollte an das alte Wort begrüßt wird. Es würde nämlich gleichzeitig eine erinnert werden: Warum in die Ferne schweifen, sieh Verbesserung der dortigen noch bis zur Grenze vor- das Gute liegt so nah! Dem entspricht der vorlie- handenen Schienenstrecken ermöglichen. gende Antrag der SPD. Außerdem gibt es noch eine gute Möglichkeit zur Wichtig ist allerdings, sicherzustellen, daß das Völkerverständigung beizutragen, und zwar, wenn geforderte Modellprojekt nicht an den Schreibti- der Bahnhof in Bayerisch-Eisenstein, der durch den schen der Bundesregierung, sondern gemeinsam mit bisherigen Grenzverlauf zweigeteilt war, mit einbe- der Region entwickelt wird. Denkbar wäre auch, ein zogen würde. Der Verein „Nationalpark-Region Modellprojekt grenzüberschreitend zu fordern. So Donau-Moldau" hat ein Konzept erarbeitet, wonach existieren auf tschechischer Seite Vorstellungen, die gerade dieses Bahnhofsgebäude zu einem Informati- Touristen mit der do rt gut ausgebauten Bahn in die ons- und Reisezentrum umgestaltet werden soll. Nationalparkregion zu bringen. An attraktiven Rou- Dadurch würde die ganze Region zusätzlich gewin- ten, wie etwa entlang der Moldau, sollen spezielle nen und einen interessanten Treffpunkt erhalten. Da Touristen-Züge „Bahnwanderungen" von Station zu die Bundesbahn in letzter Zeit davon spricht, die Station ermöglichen. Ähnliche Angebote von deut- Bahnhöfe zu „Erlebnis-Service-Center" auszubauen, scher Seite könnten möglicherweise dann zu attrakti- sollte sie mit einbezogen werden, um zu zeigen, was ven Alternativen auch zu jugendlichem Autowahn sie kann und daß sie in der Lage ist, zukunftsorien- werden. tiert auch in der Fläche an der Ostgrenze zu handeln. Ein Modellprojekt, wie hier vorgeschlagen, ist Dr. Heinrich L. Kolb, Parl. Staatssekretär beim Bun- längst überfällig. Gerade die Tatsache, daß es sich desminister für Wirtschaft: Der Antrag enthält zwei- beim Nationalpark Bayerischer Wald um den ältesten felsohne wichtige Anliegen, die für den Bayerischen und besten deutschen Nationalpark handelt, der auf Wald von großer Bedeutung sind. Er richtet sich mei- Grund seiner Grenzlage sehr unter der jahrelangen nes Erachtens aber an die falsche Adresse, da die schlechten Erschließung durch öffentlichen Verkehr angesprochenen Probleme vorrangig von der Region gelitten hat, prädestiniert ihn für dieses Projekt. Die gelöst werden müssen. einzigartige Chance, durch das anschließende Natio- nalparkgebiet „Sumava" das größte zusammenhän- Auf Bundesebene ein Modellprojekt für den Baye- gende Waldgebiet Europas ökologisch sinnvoll mit- rischen Wald zu entwickeln halte ich nicht für mög- tels eines flächendeckenden Verkehrsnetzes auszu- lich. Das Bundesverkehrsministerium hat zwischen gestalten, muß genutzt werden. 1993 und 1995 mehrere Projekte gefördert, mit denen tourismus- und umweltbezogene Verkehrskonzep- Sicher melden sich auch viele andere Bewerberre- tionen entwickelt wurden. Ich nenne das für den gionen, aber wir sollten mit gutem Beispiel vorange- Nationalpark Vorpommersche Boddenlandschaft hen und Kooperation statt Konkurrenz bevorzugen. oder die Region im Landkreis Miesbach, Tegernsee, Ich hoffe sehr, daß die begonnene gute Zusammenar- Schliersee, Spitzingsee, Skigebiet Sudelfeld. Zum beit im Ausschuß dazu führen wird, hier einen inter- grenzüberschreitenden Verkehr wurde das Projekt Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 86. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. Februar 1996 7667

„Grenzüberschreitender öffentlicher Personennah- Anlage 6 verkehr unter den Bedingungen der Regionalisie- rung" vergeben. Abgesehen davon, daß ein neues Zu Protokoll gegebene Reden Projekt Zeit und Geld kosten würde, sollten vorlie- zu Tagesordnungspunkt 16 gende Erkenntnisse und Erfahrungen aus den (Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung bereits durchgeführten Projekten genutzt werden. der EG-Rahmenrichtlinie Arbeitsschutz Das hat auch den Vorteil, daß schneller Ansatz- und weitere Arbeitsschutz-Richtlinien) punkte für Lösungen zur Verfügung stehen als bei einem neuen Projekt. Dr. Peter Ramsauer (CDU/CSU): Der nunmehr vor- Bezüglich der angesprochenen Erweiterung des liegende Entwurf eines Arbeitsschutzgesetzes unter- Nationalparks Bayerischer Wald und den damit ver- scheidet sich erheblich von seinem aufgeblasenen bundenen Verkehrsproblemen sind die Bayerische Vorgänger, den wir vor zwei Jahren totverhandelt Staatsregierung sowie die beteiligten Landkreise, und im parlamentarischen Grab der Diskontinuität Kommunen und Fremdenverkehrsverbände vor Ort versenkt haben. Er ist jetzt wesentlich schlanker, gefordert. übersichtlicher, von vieler Last befreit und ent- schlackt. Vor allem handelt es sich jetzt eher um eine Mit der Regionalisierung des Schienenpersonen- wirkliche 1 : 1-Umsetzung der europäischen Rahmen- nahverkehrs ab 1. Januar 1996 im Zuge der Bahnre- richtlinie. Im einzelnen werden wir dies noch einmal form wurden gerade den Beteiligten vor Ort die Kom- durchprüfen. Der Entwurf ist nunmehr gut verhand- petenzen und die finanziellen Mittel für die Lösung lungsfähig, und deshalb sollten wir uns nun auch an der regionalen Verkehrsprobleme gegeben. die zügige Umsetzung der europäischen Richtlinie machen. Dies allerdings vollkommen ohne Zeit- Die Länder sind nun für den gesamten öffentlichen druck, um nicht zu sachfremden Lösungen zu kom- Personennahverkehr auf Schiene und Straße zustän- men. Das ständige Drohen mit einem europäischen dig. Sie haben jetzt die Möglichkeit, den gesamten Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland ÖPNV neu zu regeln und aufeinander abzustimmen. beeindruckt mich dabei überhaupt nicht. Trotz dieses Das Angebot wird dadurch wi rtschaftlicher, lei- grundsätzlich positiven Anfangsbefundes muß noch stungsfähiger und bedarfsnäher. Nach dem Gesetz über einiges genau geredet werden. Dazu gehört für zur Regionalisierung des öffentlichen Personennah- mich folgendes: verkehrs erhalten die Länder dafür eine zweckge- bundene und dynamisierte Finanzausstattung, näm- Erstens. Wir müssen uns noch einmal genauestens lich 1996 8,7 Milliarden DM und 1997 12 Milliarden die Dokumentationspflichten ansehen, denen die DM. Darüber hinaus stehen den Ländern Mittel des Arbeitgeber unterworfen werden. Wenn wir in der Bundes nach dem Gemeindeverkehrsfinanzierungs- allgemeinen Diskussion um die Entlastung der Wi rt gesetz zur Verfügung. Die Länder können diese Mit- -schaft und der Arbeitsplätze von Deregulierung und tel zum Ausgleich von Betriebskostendefiziten oder Entbürokratisierung reden, dürfen wir nicht das auch für Investitionen einsetzen. Gegenteil tun und wieder neue bürokratische Bela- stungen in Form überzogener Dokumentationspflich- Nach der Strukturreform entscheidet die Deutsche ten auferlegen. Bahn AG in eigener Verantwortung über ihr Ange- bot. Mit ihrem Tourismuskonzept ist sie bemüht, Zweitens. Gerade in diesem, aber auch in anderen mehr touristischen Verkehr auf die Schiene zu verla- Zusammenhängen im Entwurfstext müssen wir ein- gern. Die Bundesregierung begrüßt diese Anstren- deutige Regelungen im Interesse kleiner und mittle- gungen unter ökonomischen und ökologischen rer Unternehmen treffen. Dies besonders im Hinblick Gesichtspunkten. Die Bundesregierung würde es darauf, daß wir es Existenzgründern erleichtern wol- auch begrüßen, wenn die Länder, Regionen und len, ihre Betriebe aufzubauen. Die Grenze von Kommunen das Angebot der DB AG zur Zusammen- 10 Arbeitnehmern erscheint mir in diesem Zusam- arbeit bei der Vermarktung der Urlaubsgebiete noch menhang noch etwas zu niedrig gegriffen. stärker nutzen würden. In Österreich und in der Schweiz hat das Angebot vergleichsweise stärkere Drittens. Ein besonderer Dorn im Auge sind mir Resonanz als in Deutschland gefunden. Die Pa rtner immer noch die zu umfangreichen Verordnungser- in der Region, die die Probleme vor Ort viel besser mächtigungen. Meines Erachtens würde die Ermäch- kennen als der Bund, müssen verhandeln, damit für tigung im § 19 des Entwurfs vollkommen ausreichen, die Region ein bedarfsgerechtes Angebot entwickelt denn damit können Rechtsakte der Europäischen wird. Gemeinschaft in nationales Recht umgesetzt werden. Am § 18 schreckt mich, daß es sich hier um eine all- Die Bundesregierung kann im Rahmen ihrer Mög- gemeine Ermächtigungsvorschrift für das BMA han- lichkeiten und Zuständigkeiten die Bemühungen der delt, die durch das Wo rt „insbesondere" noch belie- regional Verantwortlichen um umweltverträgliche big ausgeweitet werden kann. Als Beispiel möchte und sachgerechte Verkehrskonzepte nur unterstüt- ich nur die Ziffer 5 herausgreifen, die dazu ermäch- zen. Ich bin überzeugt, daß die DB AG bei ausrei- tigt, besondere zusätzliche Ausschüsse vorzuschrei- chender Nachfrage bereit sein wird, ihr Fernver- ben. Als ob es in unseren Unternehmen nicht ohne- kehrsangebot in den Bayerischen Wald anzupassen. hin schon genügend Vorschriften für Einrichtungen Aber ich wiederhole, hierüber hat die Bahn in eige- gäbe, die mit der Produktion nichts oder kaum mehr ner Verantwortung zu entscheiden. etwas zu tun haben. 7668* Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 86. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. Feb ruar 1996

Viertens. Sehr sorgfältig müssen wir uns auch noch gen Ablauf des nun anstehenden parlamentarischen einmal die Durchführungsbestimmungen ansehen, Verfahrens zu gewährleisten. die einen erheblichen Bürokratismus offenbaren, der zwischen BMA, dem Bundesinnenministerium, einer (SPD): Es ist schon ein Trauerspiel, „Zentralstelle für Arbeitsschutz" beim BMI und Konrad Gilges, was die Bundesregierung und die sie tragenden Par- schließlich einer „Bundesausführungsbehörde für teien CDU/CSU und F.D.P. mit dem Unfall- und Ar- Unfallversicherung" usw. besteht. Gemäß unseren beitsschutz veranstalten. Der Gesundheitsschutz ba- hehren Grundsätzen der Verwaltungsvereinfachung siert bis in die Gegenwart auf der Gewerbeordnung müssen wir hier nochmals eine sehr strenge Meßlatte aus dem Jahr 1869. Sie waren nicht in der Lage, in anbringen. Finanzminister Waigel hat erst gestern den 13 Jahren ihrer Regierungszeit eine Unfall- und angekündigt, in den nächsten 10 Jahren 7 000 Bun- Arbeitsschutzgesetzgebung vorzulegen, die den mo- desbedienstete zusätzlich zur jährlichen 1prozenti- dernen Erfordernissen entspricht. Wenn Sie in die gen Reduzierung abzubauen. Der jetzige Entwurf uns vorgelegte Unfallstatistik hineinsehen, werden scheint dazu nicht geeignet. Sie leicht erkennen, daß nach wie vor zu viele Men- Fünftens. Ein besonderes Ärgernis sind nach wie schen am Arbeitsplatz zu Tode kommen bzw. vor die vollkommen ungenauen Kostenschätzungen schwere Verletzungen mit dauerhaften Schäden in in der Begründung des Gesetzentwurfs. Folgende Kauf nehmen müssen, weil es keinen ausreichenden Formulierungen sind beispielsweise gänzlich inak- Unfallschutz am Arbeitsplatz gibt. zeptabel: „Der Aufwand, der bei Bund, Ländern und Aber nicht nur der Unfallschutz hat große Mängel, Gemeinden ... entsteht, läßt sich nicht schätzen", sondern auch der Schutz vor arbeitsbedingten oder: „Der Aufwand, der den Ländern nach dem Erkrankungen. Immer noch zu viele Menschen kom- Vollzug des Gesetzes entsteht, läßt sich auch nicht men mit Arbeitsstoffen in Berührung, die sie dauer- konkret darstellen", oder: „Eine nennenswerte - haft schädigen. Und angesichts der dramatischen zusätzliche Kostenbelastung für die Wirtschaft ist Massenarbeitslosigkeit werden immer mehr Arbeit- nicht zu erwarten", oder: „Im Verhältnis zu den nehmer aus Angst um ihren Arbeitsplatz nicht auf Gesamtkosten werden die privaten Unternehmen Gesundheitsgefährdungen hinweisen und schwere nur in geringem Umfang belastet." Diesen Kostenne- Verletzungen in Kauf nehmen. bel habe ich bereits vor zwei Jahren kritisiert, und ich kritisiere ihn nach wie vor. Nach wie vor wird Die konkreten Zahlen aus dem Unfallverhütungs- sozusagen die Katze im Sack gekauft, denn die bericht Arbeit von 1993 geben ein erschreckendes Kosten können nicht geschätzt werden bzw. es steht Bild ab: Danach gab es über 2 Millionen angezeigte lediglich fest, daß sich die Kosten erhöhen. Ich halte Unfälle im Zusammenhang mit Arbeit, über 1 300 es in diesem Parlament mit dem Grundsatz, daß ich tödliche Unfälle am Arbeitsplatz, über 108 000 Anzei- keinem Gesetz zustimme, welches für öffentliche gen auf Verdacht einer Berufskrankheit und über Kassen oder private Unternehmen zu Kostenmehrun- 18 000 anerkannte Fälle von Berufskrankheiten. gen führt bzw. zu neuen Aufgaben bei der öffentli- chen Hand und damit zu Personalaufblähungen. Die Europäische Union forde rt die Bundesregie- Dies ist exakt das Gegenteil unserer erklärten Politik. rung gemäß ihrer 1989 beschlossenen Richtlinie Insofern schaut zwischen vielen Zeilen des Gesetz- schon seit längerem auf, ein Gesetz zur Sicherung entwurfs der gute alte Parkinson heraus. Ich bleibe des Arbeitsschutzes zu erlassen. Der Bundesregie- dabei: Das Gesetz darf zu keinen Personal- und rung wurde für die Umsetzung dieser Richtlinie eine Kostenaufblähungen führen, weder bei der öffentli- Zeitspanne bis 1992 gesetzt. Diese Zeitspanne ist chen noch bei der privaten Hand. mittlerweile schon weit überschritten. Deswegen haben viele Organisationen, u. a. der DGB, den Euro- Sechstens. Eine wesentliche Bedingung für eine päischen Gerichtshof aufgefordert, die Bundesregie- Verabschiedung des Gesetzes ist für mich neben all rung zu verklagen. Zeitweilig waren wegen Verstö- dem die Vorlage aller Entwürfe für die Verordnun- ßen gegen die EG-Vereinbarungen acht Verfahren gen, mit denen die europäischen Einzelrichtlinien auf europäischer Ebene gegen die Bundesrepublik zur Rahmenrichtlinie in deutsches Recht umgesetzt anhängig. Die Bundesregierung ist nur mit Not der werden sollen. Die Erfahrungen aus der Zeit von vor Klage vor dem Europäischen Gerichtshof wegen zwei Jahren machen mich hier äußerst mißtrauisch. ihres Nichtstuns entgangen. Nach Ansicht des EU Die vollkommen praxisfremden Regelungen, die hier Sozialkommissars Flynn befand sich die Bundesrepu- etwa in der Baustellenrichtlinie, der Bildschirmricht- blik bei der Umsetzung der Arbeitsschutzrichtlinien linie oder der berühmten Lastenhandhabungsverord- in der allerletzten Reihe der Mitgliedstaaten. Die nung gestanden haben, wirken immer noch nach. Bundesrepublik war und ist ein „Entwicklungsland Was in den Verordnungen stehen soll, möchte ich als des Arbeitsschutzes". Gesetzgeber vorher wissen, da ich nach Erlaß eines Gesetzes mit entsprechender Verordnungsermächti- Nun legen Sie uns das Gesetz zur Umsetzung der gung keinen Einfluß mehr auf eine solche Verord- EG-Rahmenrichtlinie „Arbeitsschutz" vor. Dieses nung habe. Der eventuelle Unfug in einer solchen Gesetz ist ohne Zweifel das minimale an gesetzgebe- Verordnung wird aber uns Politikern von den Betrof- rischer Aktivität, was man von der Bundesregierung fenen zum Vorwurf gemacht. erwarten kann. Es gilt in diesem Zusammenhang daran zu erinnern, daß eine grundlegende Gesetzes Diese Anmerkungen sollen nicht als Fundamental- reform zum Arbeitsschutz, die im Einigungsvertrag kritik gewertet werden. lch möchte damit lediglich als Aufgabe des gesamtdeutschen Gesetzgebers for- aufzeigen, wo der Schuh noch drückt, um einen zügi- muliert wurde, in der 12. Legislaturperiode an der Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 86. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. Februar 1996 7669'

F.D.P. gescheitert ist. Herr Blüm war nicht in der Richtlinie vorgelegt hat. Die Beurteilungs- und Doku- Lage, sich gegen die Klientelinteressen der F.D.P. mentationspflichten des Arbeitgebers sind auf ein durchzusetzen. In der 13. Legislaturperiode haben angemessenes Maß zurückgeführt worden. Für Sie dann ein Stückwerk aus dem Reformvorhaben kleine Betriebe, die weniger als zehn Arbeitnehmer der 12. Periode vorgelegt, das Unfallversicherungs- beschäftigen, ist ein hohes Maß an Flexibilität einordnungsgesetz. Nun also ein zweiter Teil, die gewährleistet. Sie werden von Dokumentations- und Umsetzung der EG-Richtlinie. Der Arbeitsschutz Archivierungspflichten nur dann betroffen sein, wird in der Bundesrepublik unverände rt im Stück- wenn die Arbeit in diesen Unternehmen besonders werk umgesetzt - zum Schaden der Arbeitnehmer, gefährlich ist. Unterschiedliche Arbeitsschutzpflich- was, wie ein EG-Dokument feststellt, dazu führt, daß ten, die sich am Gefährdungspotential eines Betrie- „Arbeitsunfälle noch immer erhebliche Verluste in bes ausrichten, sind Ausfluß des Subsidiaritätsge- menschlicher und wirtschaftlicher Hinsicht" verursa- dankens, der dem deutschen Arbeitsschutzrecht seit chen. Auch der Bundesrat hat heftige K ritik an dieser jeher zugrunde liegt. Auf die Einsetzung neuer büro- neuesten Vorlage der Bundesregierung geübt und kratischer Arbeitsschutzgremien in den Betrieben sie mit einem überwältigenden Votum von 16 :0 Stim- wird verzichtet. Auch der Umfang des Gesetzentwur- men für völlig unzureichend erklärt. Ein zentraler fes ist erfreulich. Er ist gegenüber seinem Vorgänger Kritikpunkt ist, daß „die Anwendung des vorliegen- wenigstens um die Hälfte geschrumpft. den Gesetzentwurfes auch zukünftig unterschiedli- ches Recht in den alten und neuen Bundesländern Ich möchte an dieser Stelle kein Mißverständnis zur Folge" hätte. Dem habe ich nichts hinzuzufügen. aufkommen lassen. Es geht der F.D.P. nicht darum, den Arbeitsschutz soweit wie möglich zu reduzieren. Der Deutsche Gewerkschaftsbund hat uns gebe- Ich bin aber davon überzeugt, daß der neue Entwurf ten, sich mit dieser Mini-Reform der EG-Rahmen dem Arbeitsschutz zugunsten der Arbeitnehmer richtlinie positiv auseinanderzusetzen. Aus einem mehr nutzt als das Arbeitsschutzrahmengesetz aus- Schreiben der Stellvertretenden DGB-Vorsitzenden der zurückliegenden Wahlperiode. Dem Arbeitgeber Ursula Engelen-Kefer an die hessische Arbeitsmini- werden nämlich keine unerfüllbaren Auflagen mehr sterin Stolterfoht vom 7. Februar 1996 geht eindeutig gemacht, die er in der Folge sowieso nicht erfüllt. Der hervor, daß die Umsetzung des EG-Arbeitsschutz Entwurf ist vielmehr in weiten Teilen praxisorientiert rechts für den DGB von oberster arbeitsschutzpoliti- und weist dem Arbeitgeber einen richtigen Weg zu scher Priorität ist. Wir werden dies im laufenden Ver- einem effizienteren Arbeitsschutz. Und darum geht fahren im Ausschuß berücksichtigen. es der F.D.P. Wir wollen im Bereich des Arbeitsschut- zes nicht mehr, sondern vor allem bessere Regeln. Wir wollen nicht den Arbeitsschutz auf dem Papier Dr. Gisela Babel (F.D.P.) Das heute hier zu behan- delnde Arbeitsschutzgesetz ist aus liberaler Sicht ein immer weiter reglementieren und perfektionieren, gelungenes Beispiel für erfolgreiche Deregulierung - sondern seine Umsetzung in der Praxis fördern und verstärken. Expertenanhörungen haben eindeutig gemessen jedenfalls an dem Vorentwurf aus der zu- belegt: Das Arbeitsschutzniveau in Deutschland ist rückliegenden Wahlperiode. im europäischen Vergleich sehr hoch - überboten Zur Erinnerung: Ende der 80er Jahre verabschie- wohl nur von einigen skandinavischen Ländern. dete die EU-Kommission eine Rahmenrichtlinie zum Woran es vielfach fehlt, ist die konkrete Umsetzung Arbeitsschutz, eine Richtlinie übrigens, die in vor Ort am Arbeitsplatz. Hier müssen wir mehr tun. Umfang und Inhalt dem Grundsatz der Subsidiarität Auch wenn über einzelne Punkte noch zu reden sein nach heutigen Maßstäben nicht standhält. Vielmehr wird, leistet der vorliegende Gesetzentwurf hierzu verdeutlicht sie exemplarisch die Regulierungswut einen brauchbaren Beitrag. der Europäischen Kommission zum Ende der 80er Jahre. Annelie Buntenbach (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- In der zurückliegenden Wahlperiode hatte die NEN): Das europäische Arbeitsschutzrecht bietet uns Bundesregierung den Entwurf eines Arbeitsschutz- die Chance, unser bundesdeutsches Recht im Inter- rahmengesetzes zur Umsetzung dieser Richtlinie vor- esse von zeitgemäßem und umfassendem Arbeits- gelegt, einen Gesetzentwurf, der große wie kleine schutz und Gesundheitsförderung im Betrieb neu zu Unternehmen vor nahezu unlösbare Probleme systematisieren. Diese Chance dürfen wir nicht ver- gestellt hätte. Sie erwartete bei Verabschiedung die- spielen. ses Gesetzentwurfes eine Bürokratisierung der Arbeitsabläufe, kaum erfüllbare Beurteilungs-, Dem wird der Gesetzentwurf, meine Damen und Dokumentations- und Archivierungspflichten sowie Herren von den Regierungsfraktionen, den Sie uns neue Arbeitsschutzgremien in den Betrieben. Auf heute vorlegen, überhaupt nicht gerecht. Er ist - im Initiative der F.D.P. wurde dieser Gesetzentwurf nach wahrsten Sinne des Wortes - ausgesprochen dürr. langen und schwierigen Verhandlungen gestoppt. Er Mit der Gestaltung eines zeitgemäßen Arbeitsschut- hätte den Arbeitsschutz nicht verbessert, sondern zes hat das nichts zu tun, Sie entledigen sich damit allenfalls bürokratisiert - zum Schaden der Unter- der lästigen Pflicht, die EG-Rahmenrichtlinie endlich nehmen, ohne Nutzen für die Arbeitnehmer. in nationales Recht umzusetzen, und das nicht ein- mal vollständig. Der Arbeitsschutz in der Bundesre- Ich sehe daher mit Freude und auch etwas Genug- publik Deutschland bleibt damit weiterhin unsyste- tuung, daß die Bundesregierung uns jetzt einen matisch und zerrupft - ein Teil im Sozialgesetzbuch VII, wesentlich vereinfachten, verschlankten und entbü- ein Teil hier, und dann bleiben eine Reihe übler, ana- rokratisierten Gesetzentwurf zur Umsetzung der EU chronistischer Vorschriften weiter in Geltung. In der 7670* Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 86. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. Februar 1996

Gewerbeordnung von 1869 zum Beispiel steht, daß Peinlich ist es, daß ein Land wie die Bundesrepu- der Arbeitgeber Leben und Gesundheit der Arbeit- blik, das ganz Europa mit den Maastrichter Konver- nehmer nur so weit zu schützen braucht, „wie es die genzkriterien vor sich hertreibt, in der Finanzpolitik Natur des Bet riebes gestattet". An dieser Unver- den Musterschüler spielt, da, wo es um die Men- schämtheit, die die Gesundheit des Menschen den schen geht, nicht einmal seine Hausaufgaben macht. Interessen des Bet riebes glatt unterordnet, wollen Sie Oder wie soll man es werten, daß die Bundesregie- nichts ändern. rung beinhart am Stichtag der Währungsunion fest- hält, aber bei der Umsetzung des europäischen In der vorigen Legislaturperiode waren Sie mit Arbeitsschutzes erst durch die Einleitung eines dem Entwurf zum Arbeitsschutzrahmengesetz schon Vertragsverletzungsverfahrens gezwungen werden einmal weiter. Aber dieser Gesetzentwurf der Koali- konnte, die maßgebliche EU-Richtlinie umzusetzen? tion ist 1994 an den Querelen und Lobbyisten des Und das auch noch mit einer Verspätung von mehr Manchester-Liberalismus in der Koalition geschei- als drei Jahren. Daß mit dieser Saumseligkeit auch tert, und jetzt verweigern Sie der Arbeitsschutzpoli- wieder einmal der Einigungsvertrag verletzt wurde, tik die dringend nötige konstruktive Gestaltung, weil ist schon beinahe Nebensache. Sie sich nicht noch einmal blamieren wollen. Aber dieses Koalitionshickhack geht auf Kosten der Entscheidender ist der zweite Punkt, daß Ihr Ent- Beschäftigten, die das Recht auf den Schutz ihrer wurf nämlich die abstrakteste und dürftigste Form Gesundheit haben. Hier ist politische Gestaltung aufweist, die die EU-Richtlinie gerade noch zuläßt, längst überfällig, auch der deutsche Einigungsver- wobei sich in zahllosen Beispielen zeigen läßt, daß trag verpflichtet uns in Art. 30 zu einer „zeitgemäßen Sie nicht einmal der Richtlinie voll gerecht werden. Gestaltung des öffentlich-rechtlichen Arbeitsschut- zes". Andere Kolleginnen und Kollegen haben bereits darauf hingewiesen, daß die Chance vertan wurde, Wo ist in Ihrem Entwurf ein ganzheitliches ein umfassendes Arbeitsschutzgesetzbuch vorzule- Gesundheitsverständnis zu finden, wo die praktische gen. Ein Gesetzbuch, das den Geist der EU-Richtlinie Umsetzung des Präventionsgedankens? Wo sind die erst Wirklichkeit werden läßt, indem es die Präven- Beteiligungsrechte für die Beschäftigten, die Demo- tion genauer regelt und die Arbeitgeber nicht nur zur kratisierung in den Betrieben, ohne die ein effektiver Abwehr von Gefahren verpflichtet, sondern zur För- und zeitgemäßer Arbeitsschutz überhaupt nicht derung der Gesundheit am Arbeitsplatz. denkbar ist? Nur, wenn die Beschäftigten von Anfang beteiligt werden, wenn sie die Chance Hier begrüßen wir auch ausdrücklich den Geset- haben, sich an der Veränderung krank machender zesantrag des Landes Hessen. Denn während der Arbeitsbedingungen selbst zu beteiligen, kann sich Entwurf der Bundesregierung bei der Formulierung in den Betrieben etwas bewegen. Gesundheitszirkel, der „Allgemeinen Grundsätze" nicht mehr als wie es sie inzwischen in einer Reihe von Betrieben Gefahrenabwehr im Sinne hat, geht es im hessischen gibt - auf Initiative des Betriebsrats oder auch in Entwurf sehr viel präziser um gesundheitsgerechte Kooperation mit Krankenkassen -, sind ausgezeich- Gestaltung. Wer aber wie im Entwurf der Bundesre- nete Ansätze, die Sie mit Ihrem Entwurf komplett gierung nur von der möglichst geringen Einzelfallge- ignorieren. fährdung ausgeht, der wird den komplexen Anforde- rungen des heutigen Arbeitslebens nicht gerecht. Immer wieder thematisieren Sie, meine Damen und Herren von der Regierungskoalition, die Kranken- Wie weit die Regierung von einem Verständnis von stände in den Betrieben, aber im Kopf haben Sie nur, Arbeitsschutz entfernt ist, das den Menschen in den daß Sie den Kranken die Lohnfortzahlung kürzen wol- Mittelpunkt stellt, zeigt auf beschämende Weise ihre len. Hier, wo wirklich mit Prävention, Gesund- Antragsbegründung. Da heißt es doch an erster heitsförderung, Arbeitsschutz effektiv etwas gegen Stelle: „Ein wirksamer betrieblicher Arbeitsschutz ist Krankheit durch Arbeit unternommen werden kann ein Beitrag zur Sicherung des Wirtschaftsstandortes und muß, verweigern Sie sich. Wir wissen alle, daß der Deutschland." Dann folgt eine ökonomische Begrün- Streß auf der Arbeit für diejenigen, die noch Arbeit dung nach der anderen - bis hin zu der Feststellung, haben, in den letzten Jahren immens zugenommen daß Arbeitsschutz Fehltage vermindert und die hat und daß die Angst, den Arbeitsplatz zu verlieren, Sozialversicherung entlastet. Aber nirgendwo taucht die Beschäftigten dazu treibt, auch Arbeitsbedingun- das Wohl der arbeitenden Menschen auf, um die es gen in Kauf zu nehmen, die ihrer Gesundheit Schaden in diesem Gesetz eigentlich gehen soll. zufügen. Gerade jetzt ist deshalb eine vernünftige Gestaltung von Arbeitsschutz dringend nötig. Im Gegensatz zum Grundgesetz scheint die vielzi- tierte „Sicherung des Wirtschaftsstandortes Deutsch- land" für diese Bundesregierung inzwischen in allen Manfred Müller (Berlin) (PDS): Unabhängig davon, - wirklich in allen - Fragen zum Staatsziel Nummer 1 daß der vorliegende Entwurf gegenüber dem jetzi- geworden zu sein. gen Rechts- beziehungsweise Unrechtszustand ein Fortschritt ist, lassen sich zu ihm eigentlich nur drei Dinge sagen: Horst Günther, Parl. Staatssekretär beim Bundes- minister für Arbeit und Sozialordnung: Unsere Ar- Erstens. Das Gesetzgebungsverfahren ist peinlich. beitswelt verändert sich immer schneller und mit ihr Zweitens. Der Inhalt des Entwurfs ist dürftig. auch der Arbeitsschutz. Diesen Wandel hat unser Ar- beitsschutzrecht in den letzten hundert Jahren er- Drittens. Die Begründung ist beschämend. folgreich gemeistert. Deutschland verfügt über eine Deutscher Bundestag* - 13. Wahlperiode - 86. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. Februar 1996 7671 hohe Technologieakzeptanz und ein international an- finden. Aber das Ziel ist klar: Alle Arbeitgeber und erkannt hohes Arbeitsschutzniveau. alle Beschäftigten sollen zu einer effektiven Präven- tion beitragen. Damit schaffen wir nicht nur mehr Deutschland verfügt aber auch über eine Vor- Gerechtigkeit im Arbeitsschutz, sondern auch eine schriftenvielfalt im Arbeitsschutzrecht, die vielen Grundlage, um die Fülle von Einzelvorschriften Betrieben zunehmend Schwierigkeiten bereitet. systematisch zu durchforsten und auf ihre Notwen- Neue Techniken gingen immer mit neuen, speziellen digkeit zu überprüfen. Schutzvorschriften einher. Doch wir brauchen grund- legende Verhaltensvorschriften, die für alle Arbeitge- Wir sollten unserer europarechtlichen Verpflich- ber und Beschäftigten gelten und sie veranlassen, tung zur Umsetzung der Arbeitsschutzrichtlinien den Arbeitsschutz künftig verstärkt selbst zu gestal- gerne nachkommen, denn die europäischen Vorga- ten. ben entsprechen menschlicher und wirtschaftlicher Vernunft. Eine effektive Prävention erspart den Genau diese Philosophie liegt der europäischen Beschäftigten und ihren Familien Leid, erspart den Rahmenrichtlinie und ihren Einzelrichtlinien zu spe- Betrieben Kosten für Fehltage und Produktionsaus- ziellen Sachgebieten zugrunde. Wir haben uns auf fälle und der Sozialversicherung Ausgleichsleistun- europäischer Ebene sehr für diese Richtlinie einge- gen in Milliardenhöhe. Wer an sinnvollen Arbeits- setzt. Auch um unsere Betriebe durch europaweit schutzmaßnahmen sparen will, der spa rt am falschen geltende Mindestvorschriften vor Wettbewerbs- Ende. nachteilen zu schützen. Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf wird die Rahmenrichtlinie nun in deutsches Recht umgesetzt. Er setzt außerdem noch eine Richtlinie zum Arbeits- schutz von Leiharbeitnehmern um und enthält dar- Anlage 7 über hinaus eine Ermächtigung an die Bundesregie- rung, durch Verordnungen weitere Arbeitsschutz- Zu Protokoll gegebene Reden richtlinien umzusetzen. zu Tagesordnungspunkt 17 (Entwurf eines Ersten Gesetzes zur Änderung Der Entwurf hat die Form eines Artikelgesetzes. des Elften Buches Sozialgesetzbuch und anderer Bestehende Spezialgesetze zum Arbeitsschutz blei- Gesetze [Pflegefachkräfte]) ben erhalten und werden nur, soweit europarechtlich erforderlich, in den Art. 2 bis 4 angepaßt. Art. 1 ent- hält ein neues Arbeitsschutzgesetz. Es kodifiziert ein- Peter Letzgus (CDU/CSU): Mit dem vorliegenden heitlich für alle Tätigkeitsbereiche diejenigen Rege- Antrag auf Drucksache 13/3253 soll erreicht werden, lungen der Rahmenrichtlinie, die bei uns bisher nicht daß der Bundestag die Bundesregierung auffordert, oder nur ansatzweise für spezielle Gefahren oder einen Gesetzentwurf zur Grundsicherung des ÖPNV Wirtschaftsbereiche geregelt sind. Erstmals werden vorzulegen. Dieser Antrag ist - aus rechtlichen Grün- alle Beschäftigten in der Privatwirtschaft, in der den - abzulehnen. Die Gestaltung des ÖPNV ein- Landwirtschaft, bei den freien Berufen oder Kirchen, schließlich der Frage von Qualitätsanforderungen im öffentlichen Dienst, inklusive der Beamten, im und Mindeststandards ist allein Aufgabe länder- Arbeitsschutz gleichbehandelt. rechtlicher Regelungen. Mit dem Übergang der Ver- antwortung auch für den Schienenpersonennahver- Neu ist auch die Verankerung von Grundpflichten kehr vom Bund auf die Länder ab 1. Januar 1996 be- im betrieblichen Arbeitsschutz und ein moderner steht für den Bund auch im Schienenbereich keine Arbeitsschutzbegriff. Er umfaßt die Verhütung von inhaltliche Regelungskompetenz mehr. Der ÖPNV Arbeitsunfällen und von arbeitsbedingten Gesund- insgesamt ist von den Ländern zur regeln. heitsgefahren und schließt Maßnahmen zur men- schengerechten Gestaltung der Arbeit mit ein. Das auf Wunsch der Länder zustandegekommene Regionalisierungsgesetz beschreibt lediglich den Das neue Arbeitsschutzgesetz übernimmt die Rahmen der Länderregelungen und präzisiert die Bestimmungen der Rahmenrichtlinie inhaltsgleich, Finanzleistungen des Bundes an die Länder. Nach lediglich angepaßt an die deutsche Rechtssystematik dem Regionalisierungsgesetz erhalten die Länder und Rechtssprache. Die Vorschriften sind allgemein eine durch Gesetz gesicherte, für den ÖPNV zweck- und flexibel gehalten, differenzieren häufig nach Art gebundene und dynamisierte Finanzausstattung: der Tätigkeit und der Zahl der Beschäftigten, büro- 1996 8,7 Milliarden DM, ab 1997 jährlich mindestens kratische Reglementierungen werden vermieden, 12 Milliarden DM. Dieser Betrag wird ab 1998 weiter den Bedürfnissen kleiner Unternehmen wird Rech- spürbar ansteigen. Im Regionalisierungsgesetz ist nung getragen. festgelegt, daß diese finanziellen Mittel „insbeson- Standardbeurteilungen für typische Gefährdungs- dere" für den Schienenpersonennahverkehr zu ver- situationen sind ebenso zulässig wie eine mehrere wenden sind, woraus abzuleiten ist, daß auch andere Arbeitsplätze oder Tätigkeiten zusammenfassende ÖPNV-Verwendungszwecke zulässig und denkbar Dokumentation. sind. Insgesamt läßt der Entwurf den Arbeitgebern Der Bund hat bei der konkreten Gestaltung des einen breiten Spielraum, dem konkreten betriebli- ÖPNV nicht mehr mitzureden. Alle Länder - mit Aus- chen Gefährdungspotential angepaßte, wirksame nahme Hamburgs -, haben inzwischen die notwendi- und kostengünstige Arbeitsschutzmaßnahmen zu gen gesetzlichen Regelungen erlassen. Adressaten 7672* Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 86. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. Februar 1996 der Wünsche der PDS können damit nur die Länder- Wenn nun auch das eine oder andere zum Beispiel parlamente sein. an dem ÖPNV-Gesetz der Bayerischen Staatsregie- rung mißfällt, die zu niedrige ÖPNV-Zuweisungen Wir lehnen daher den vorliegenden Antrag ab. an die Kommunen, so ist das eine politische Entschei- dung. Und die kann man nur verändern, wenn man politische Mehrheiten verändert, zum Beispiel in (SPD): Es gibt nur zwei Mög- Heide Mattischeck Bayern. lichkeiten: Entweder haben die Kollegen der PDS den Sinn des Regionalisierungsgesetzes von 1993 In diesem Zusammenhang ist es dringend notwen- nicht verstanden oder der vorliegende Antrag ist ein dig, deutlich darauf hinzuweisen, wo es wirklich Schaufensterantrag. Es mag ja sein, daß die PDS das kneift. Durch die unerträglichen Lasten, die diese Regionalisierungsgesetz und das, was damit gewollt Bundesregierung insbesondere den Kommunen seit ist, ablehnt. Das ist ihr gutes Recht. Jahren aufbürdet, wird der finanzielle Spielraum immer enger. Und wenn wir uns wieder und wieder Im Rahmen der Bahnreform ist das Regionalisie- von der Bundesregierung anhören müssen, daß diese rungsgesetz 1993 beschlossen worden - mit großer Schuldensituation selbst herbeigeführt, die Schulden Mehrheit. In § 1 heißt es: hausgemacht seien, so ist das der „blanke" Hohn. Die Sicherstellung einer ausreichenden Bedie- Die Kosten für die Bürgerkriegsflüchtlinge, die wach- nung der Bevölkerung mit Verkehrsleistungen senden Sozialleistungen wegen Arbeitslosigkeit, der im ÖPNV ist eine Aufgabe der Daseinsfürsorge. Solidarbeitrag für die neuen Länder, alles selbstver- schuldet und hausgemacht? Und weiter: Ein Beispiel für die Taschenspielertricks der Bun- Die Stellen, die diese Aufgabe wahrnehmen, desregierung haben wir gestern im Verkehrsaus- werden durch Landesrecht bestimmt. schuß erlebt: Als langjährige Kommunalpolitikerin habe ich mir Die Bundesregierung behauptet im Entwurf eines immer gewünscht, daß Entscheidungen darüber, ob Ersten Gesetzes zur Änderung des Asylbewerberlei- eine Schienenstrecke stillgelegt wird oder nicht, von stungsgesetzes und anderer Gesetze, die Länder den politisch Verantwortlichen gefällt werden kann, seien zur Übernahme der bislang vom Bund geleiste- vom Bahnvorstand in Frankfurt oder in Bonn vom ten Kostenerstattung für die Beförderung von Verkehrsminister. Diesen Wunsch, der nicht nur mei- Schwerbehinderten im ÖPNV aufgrund des Gesetzes ner, sondern der der überwiegenden Anzahl von zur Neuordnung des Eisenbahnwesens verpflichtet, Kommunalpolitikern und Verantwortlichen von Ver- da sie damit die Verantwortung für den ÖPNV über- kehrsverbünden war, ist mit dem Regionalisierungs- nommen hätten und zur Finanzierung dieser Aufga- gesetz, das seit dem 1. Januar 1996 gültig ist, ent- ben finanzielle Zuweisungen aus dem Mineralölsteu- sprochen worden. eraufkommen erhielten. Diese Darstellung wird von uns mit Nachdruck Damit sind zugegebenermaßen nicht alle Probleme zurückgewiesen. Tatsächlich sind die im Zuge der des ÖPNV und des Schienenpersonennahverkehrs Bahnreform vereinbarten Länderanteile am Mineral- gelöst. Die Bewährungsprobe muß noch bestanden ölsteueraufkommen ausschließlich zum Ausgleich werden, und zwar von den Ländern und von den von Lasten vereinbart worden, die bislang beim Bun- Kommunen. Durch hartnäckige Verhandlungsfüh- desverkehrsministerium lagen. rung der Länder unter Federführung unseres Mini- sterpräsidenten Hans Eichel ist es gelungen, nicht Verhandlungsgegenstand bei der Bahnreform unerhebliche Beträge für diese Zwecke aus dem waren daher auch ausschließlich Kosten, die in den Mineralölsteueraufkommen des Bundes zur Verfü- Haushalt des Bundesministeriums für Verkehr, nicht gung zu stellen: 1996 8,7 Milliarden DM, ab 1997 in den Haushalt des Bundesministeriums für Arbeit 12 Milliarden DM. In 1996 stehen zusätzlich letztma- und Sozialordnung fallen. Die Bundesregierung lig 6,28 Milliarden DM GFVG-Mittel zur Verfügung, begründet die Zusammenbindung verschiedener Re- die ab 1997 bedauerlicherweise wieder auf das gelungsbereiche, wie Leistungen für Asylbewerber Niveau von 1992 zurückfallen: auf 3,28 Milliarden und Kostenerstattung für die Beförderung von DM. Das ist für die kommunalen Gebietskörperschaf- Schwerbehinderten im ÖPNV, ausdrücklich mit dem ten und die Verkehrsunternehmen ein Verlust an Pla- Kostenausgleich für Länder und Kommunen. Ent- nungssicherheit und ein Verlust der beim GFVG scheidend für die Zusammenfügung sei, daß auf erforderlichen Komplementärmittel der Länder. diese Weise auf Länder und Kommunen keine Mehr- Andererseits: Diese Mittel gehen dem ÖPNV nicht kosten zukämen. Unbeschadet von Fragwürdigkei- verloren: Sie stehen ohne Einschränkung für den ten hinsichtlich der vorgelegten quantitativen Anga- regionalisierten ÖPNV zur Verfügung. Für 1997 und ben räumt die Bundesregierung auf diese Weise 2001 sind jeweils Revisionsklauseln eingebaut. selbst ein, daß eine Kompensation der Länder für Kostenübernahmen der Schwerbehindertenbeförde- Die Länder haben in ihrer überwiegenden Mehr- rungen im ÖPNV mit dem im Zuge der Bahnreform heit ÖPNV-Gesetze verabschiedet. In diesen werden vereinbarten Mineralölsteueranteil nicht verbunden all die Dinge geregelt, die Sie vom Bund geregelt war. Sie widerspricht sich damit selbst. haben wollen. Wir sind ganz entschieden dagegen: weniger Zentralismus, mehr Verlagerung von Ver- Die Städte und Gemeinden werden durch immer antwortung nach unten, mehr Bürgernähe. mehr ihnen auferlegte Aufgaben belastet. Dafür wer- Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 86. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. Februar 1996 7673* den sie jedoch nicht mit entsprechenden Mitteln aus- Die Erfüllung der Aufgaben im Bereich des Schie- gestattet, sondern im Gegenteil, man droht ihnen nenpersonennahverkehrs ist bis zum 31. Dezember auch noch mit der Abschaffung der Gewerbesteuer, 1995 Sache des Bundes (Art. 143a GG) und liegt ohne einen entsprechenden Ausgleich anzubieten. daher mit Beginn dieses Jahres wie vorher bereits Eine ordentliche Gemeindefinanzreform, eine sach- der sonstige ÖPNV in der Verantwortung der Länder. gerechte Verteilung von Pflichten und finanziellen Lasten zwischen Bund, Ländern und Kommunen, das Den Ländern steht ab 1. Januar 1996 für den wäre so notwendig. Aber von dieser Regierung ist öffentlichen Personennahverkehr ein Betrag aus dem nichts mehr zu erwarten. Steueraufkommen des Bundes zu (Art. 106a GG). Allein in diesem und dem nächsten Jahr sind dies Noch einmal zum Schluß: Wir wollen, daß ÖPNV mehr als 20 Milliarden DM. so nahe wie möglich beim Fahrgast verantwortlich geregelt werden muß und daß ausreichend Mittel zur Die Sicherstellung einer ausreichenden Bedingung Verfügung stehen. Damit kann man dem ÖPNV hel- der Bevölkerung mit Verkehrsleistungen im ÖPNV fen, nicht mit Schaufensteranträgen wie diesem. ist eine Aufgabe der Daseinsvorsorge. Die Stellen, die diese Aufgaben wahrnehmen, werden durch Horst Friedrich (F.D.P.): Es ist das verbriefte Recht Landesrecht bestimmt (§ 1 Regionalisierungsgesetz). der Abgeordneten, Gruppen oder Fraktionen, An- träge im Deutschen Bundestag einzubringen. Diese Die legislative Grundlage des ÖPNV ist ebenso können durchaus sinnvollen Inhalts sein, wichtige In- eindeutig wie sinnvoll. Nur dort, wo auf demographi- itiativen anstoßen oder nachvollziehbare politische sche, regionale, topographische und infrastrukturelle Willenserklärungen äußern. Leider ist dies nicht im- Besonderheiten direkt und flexibel reagiert werden mer der Fall, wie das Beispiel des PDS-Antrages zur kann, kann der ÖPNV die Rolle einnehmen, die ihm „Grundsicherung des öffentlichen Personennahver- gebührt. Es ist gerade nicht die Aufgabe des Bundes, kehrs " verdeutlicht. Die bestehende Gesetzeslage in zentralistischer Manier detaillierte Rahmenbedin- bewußt ignorierend soll mit bizarren Vorschlägen gungen für diese subsidiäre Aufgabe der Länder und und Relikten aus der sozialistischen Mottenkiste wie Kommunen zu setzen. Räten, Plänen und Zwangsangeboten der Bund zu ei- Die einzelnen Vorschläge des vorliegenden ner Art Großer Bruder des ÖPNV vor Ort gemacht Antrags sind es kaum wert, ernsthaft diskutiert zu werden. werden. Eine Überweisung in den federführenden Zur Erinnerung: Der 12. Deutsche Bundestag hat Ausschuß für Verkehr ist angesichts der Aussicht, im Interesse einer größeren Effizienz des ÖPNV im sich dort erneut damit zu befassen, zwar bedauerlich, Rahmen der Bahnreform folgendes beschlossen: aber wohl nicht zu vermeiden.