10. Bundesversammlung Bundesrepublik Deutschland
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10. BUNDESVERSAMMLUNG DER BUNDESREPUBLIK DEUTSCHLAND BERLIN, MONTAG, DEN 23. MAI 1994 10. Bundesversammlung — Berlin, Montag, den 23. Mai 1994 Inhalt Eröffnung durch Präsidentin Dr. Rita Süssmuth 3 A Konstituierung der Bundesversammlung . 5 B Zur Geschäftsordnung Dr. Rolf Schlierer (Republikaner) 5 B Erster Wahlgang 6 C Ergebnis des ersten Wahlgangs 7 A Zweiter Wahlgang 7 C Ergebnis des zweiten Wahlgangs 7 C Dritter Wahlgang 8 A Ergebnis des dritten Wahlgangs 8 B Annahme der Wahl durch Dr. Roman Herzog 8 B Ansprache von Dr. Roman Herzog 8 B Schlußworte der Präsidentin Dr. Rita Süssmuth 9 C Liste der Mitglieder der Bundesversammlung, die an der Wahl teilgenommen haben . 10 A Liste der entschuldigten Mitglieder der Bundesversammlung 16 B 10. Bundesversammlung — Berlin, Montag, den 23. Mai 1994 10. Bundesversammlung der Bundesrepublik Deutschland Berlin, Montag, den 23. Mai 1994 Stenographischer Bericht Von dieser Stelle aus möchte ich unserem Bundes- präsidenten, Richard von Weizsäcker, und seiner Frau Beginn: 11.00 Uhr Marianne von Weizsäcker unsere herzlichsten Grüße in den Berliner Amtssitz übermitteln Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Meine sehr geehr- (Beifall) ten Damen und Herren! Ich eröffne die 10. Bundesver- sammlung zur Wahl des siebten Präsidenten der Bun- und ihnen danken für ihren hohen Einsatz, für die von desrepublik Deutschland und heiße Sie alle herzlich uns allen hochgeachtete Arbeit für unser Land. willkommen. (Beifall) Ich begrüße die Mitglieder der Bundesversamm- Heute sind wir hier zusammengekommen, um zum lung, unter ihnen Bundeskanzler Helmut Kohl, ersten Mal nach der Vereinigung Deutschlands den Bundespräsidenten aller Deutschen zu wählen. Das (Beifall) ist ein Ereignis, das uns besonders bewegt. die Mitglieder der Bundesregierung, die Ministerprä- Pfingsten und Verfassungstag — welch geeignete- sidenten, Minister und Senatoren der Bundesländer. ren Tag könnte es für die Wahl unseres Bundespräsi- Lassen Sie mich aus den Reihen der Parlamentarier denten geben? Das ist ein Tag der Demokratie. In die- zwei Mitglieder besonders ansprechen: Josef Felder, sem Reichstagsgebäude, das in diesem Jahr 100 Jahre den einzigen ehemaligen Reichstagsabgeordneten, alt wird, wird zum ersten Mal in unserer parlamentari- schen Geschichte der Bundespräsident aller Deut- (Beifall) schen im ungeteilten Berlin und geeinten Deutsch- land gewählt. und Richard Stücklen, als einziger seit 1949 bei allen (Beifall) Bundesversammlungen dabei. Die Feinde und Gegner der Weimarer Republik (Beifall) wollten, daß dieses Haus nie wieder ein Haus der De- mokratie sein sollte. Sie haben alles Parlamentarische Ein herzliches Willkommen gilt auch den Mitglie- verhöhnt, geschmäht und vernichtet. Und genau an dern des Bundestages und der 16 Landtage sowie den diesem Ort nehmen wir Parlamentarier aus Bund und Einzelpersönlichkeiten aus dem politischen, kulturel- Ländern gemeinsam mit weiteren Bürgerinnen und len, sportlichen und gesellschaftlichen Leben. Bürgern aus der Mitte unseres Volkes diese Wahl vor. Mit ganz besonderer Freude begrüße ich alle Mit- Der Parlamentarische Rat hatte sich nach intensiver glieder aus den neuen Bundesländern, unter ihnen Debatte für eine betont parlamentarische Ausrich- viele, die aktiv dazu beigetragen haben, daß wir tung des Wahlverfahrens, für die Wahl des Bundes- heute den Präsidenten im vereinten Deutschland präsidenten durch die Bundesversammlung, ent- wählen können. schieden. (Beifall) Nach 1949 haben Parlament und Regierung die Den Botschaftern und Angehörigen ausländischer Wahl des Bundespräsidenten viermal in Berlin durch- Missionen danke ich für ihr Kommen. Wir freuen uns, gesetzt, um sich zu dieser Stadt und zur Einheit daß Sie an diesem Ereignis hohes Interesse haben. Deutschlands zu bekennen, zuletzt 1969. Danach war es politisch nicht mehr durchsetzbar. Die Bundesver- Mein Willkommen gilt den zahlreichen Gästen, die sammlung durfte nach dem Viermächteabkommen unserer Einladung gefolgt sind, und ich schließe all nicht mehr in Berlin zusammentreten. Inzwischen hat jene ein, die diese Wahl an den Rundfunk- und Fern- sich viel verändert. Heute sind die Gegner von damals sehgeräten verfolgen. längst auf dem Weg zur Partnerschaft. Wir sind ver- 10. Bundesversammlung — Berlin, Montag, den 23. Mai 1994 Präsidentin Dr. Rita Süssmuth eint, friedlich, mit der Zustimmung aller unserer als Auftrag verpflichtend in unsere Hände gelegt wur- Nachbarn. de! Wäre uns am 23. Mai 1989 bei der damaligen Wahl Es sind nicht anonyme Mächte, sondern Menschen, des Bundespräsidenten in Bonn gesagt worden, den die Geschichte machen, festgefahrene Zustände ver- nächsten Bundespräsidenten wählen wir im Reichs- ändern, neue Realitäten formen. Nichts geschieht von tagsgebäude im freien und geeinten Berlin, wer von selbst, nach vorgegebenen Eigengesetzlichkeiten, uns hätte das geglaubt? sondern durch bewußtes oder spontanes Tun, durch Mut und Tatkraft, Vertrauen zur Zukunft, durch Ent- Aber noch im selben Jahr, unweit von diesem Ort, schlossenheit, den Geist der Erneuerung durchzuhal- fiel am Abend des 9. November 1989 die Mauer, Jahr- ten, auch in schwierigen Tagen. zehnte Inbegriff von Trennung und Leid. An dieser Stelle, vor und in diesem Haus durften wir in der Die Wiedervereinigung haben wir vielen zu verdan- Nacht vom 2. auf den 3. Oktober 1990 die deutsche ken. Dazu bedurfte es neuen Denkens, ungewöhnlich Einheit feiern. Ein Traum hat sich erfüllt. mutiger und zukunftsbezogener Entscheidungen. Ohne Politiker wie Michail Gorbatschow, George Und heute, am 23. Mai 1994, erleben wir hier die Bush, Helmut Kohl und ihre politischen Mitstreiter erste gesamtdeutsche Wahl des Bundespräsidenten, könnten wir uns heute hier nicht versammeln. an der unsere Bürgerinnen und Bürger engagiert An- teil nehmen. Das Amt des Bundespräsidenten bedeu- (Beifall) tet ihnen sehr viel. Sie verbinden mit ihm hohe Erwar- tungen, weil es — wie unser Bundespräsident in die- Politische Einheit ist noch nicht Einigkeit im Innern. sen Tagen selbst noch einmal gesagt hat — ein unab- Das erfordert weitere Anstrengungen und viel Ge- hängiges, ein überparteiliches, aber keineswegs ein duld. Leider sind wir modernen Menschen großen unpolitisches Amt ist. Aufgaben gegenüber oftmals viel zu hastig. Wir bil- den uns ein, morgens einen Apfelbaum zu pflanzen Im heutigen Wahlvorgang drückt sich auch unser lohne sich nur, wenn wir abends bereits die ersten Äp- Staats- und Demokratieverständnis aus. Wir sind jetzt fel ernten können. Diese Ungeduld müssen wir in uns wieder e i n Volk, das gemeinsam seinen Präsidenten bekämpfen. Sonst werden wir nach und nach unfähig und ersten Bürger bzw. erste Bürgerin des Staates für die zeitaufwendigen notwendigen großen Pro- wählt. jekte und müssen unsere Hast mit Rückschritt bezah- Keiner kann sich in unserem Land für dieses Amt len. selbst vorschlagen. Stellvertretend für das ganze Volk Wir sollten auch bedenken, daß die innere Einheit vergibt die Bundesversammlung dieses Amt an eine Deutschlands zuallererst etwas Menschliches ist, Frau oder einen Mann. Darin liegt die demokratische dann erst etwas Nationales. Sie muß sich zuerst im Legitimation. einzelnen, im Persönlichen ereignen, von ihm ausge- Alle Bundespräsidenten haben dieses Amt auf ihre hen, muß sich in Offenheit und Zuwendung, in Ach- ganz persönliche, unverwechselbare Art nach innen tung und Beachtung des anderen, in menschlicher und nach außen wahrgenommen. Wir wollten uns Wärme ausdrücken. stets mit unseren Präsidenten identifizieren, wünsch- Wir wissen aber auch, daß nur der menschlich und ten uns gleichzeitig, daß sie Maßstäbe setzen und somit auch frei leben kann, der sich vor Gewalttätig- Orientierung geben. keit anderer nicht fürchten muß und der selbst jede Der Präsident oder die Präsidentin soll einer von Neigung zur Gewalt aus sich verbannt und nicht uns sein und doch zugleich herausgehoben, ein wach- wegschaut, wenn andere Gewalt anwenden. samer und kritischer Präsident, der dazu beiträgt, un- (Beifall) sere Vision vom einigen und glücklichen Deutschland in einem größer gewordenen und geeinten Europa Polizei und Justiz allein reichen für die wehrhafte mehr und mehr zu verwirklichen. Diese Aufgabe ist in Demokratie nicht aus. Unverzichtbar sind wache und den letzten Jahren nicht einfacher geworden, aber aktive Demokraten. Mit Intoleranz und Gewalttätig- auch nicht weniger lohnend. keit, mit Menschenverachtung kann nur zerstört, nichts aufgebaut werden. Wir haben gegenwärtig häufig ein zu großes Auge für das noch nicht Erreichte und oftmals einen zu klei- Innere Einheit kann nicht wachsen, wo Menschlich- nen Blick für das Außergewöhnliche, das bereits im keit verletzt wird, wo sich Gewalttätigkeit ausbreitet, Einigungsprozeß geleistet wurde. In diesem schwieri- gleich gegen wen: Ausländer, Behinderte, Alte oder gen Prozeß des Zusammenwachsens schwanken wir Obdachlose. Dort, wo Brutalität und Unmenschlich- bisweilen heftig zwischen Selbstvertrauen und keit wüten, kann unser Deutschland nicht sein. Selbstzweifeln, zwischen Zuversicht und Kleinmut. (Beifall) Sind wir uns eigentlich bewußt, was seit 1989 in In dieser Demokratie ist kein Platz für Gewalt und Deutschland erreicht und geschaffen wurde? Empfin- Gewalttäter. Es ist Platz für konstruktive K ritik und den wir noch die menschliche Nähe und Dankbarkeit, Kreativität. Es ist Platz für Mitarbeit und Zivilcourage. wie wir sie in Berlin und überall in Deutschland im November und Dezember 1989 erlebt haben? Ma- Wir brauchen freie und verantwortungsbewußte chen wir uns doch gerade an einem Tag wie heute Menschen,