12. Jahrgang Auflage 7 000 Stück November 1990 MEDIZIN UND IDEOLOGIE Informationsblatt der Europäischen Ärzteaktion

Dresden - 20. bis 23.9.1990

Inhaltsverzeichnis

Vorträge vom Kongreß in Dresden 2 Empfängnisregelung in christlicher Verantwortung Dr. Werner Neuer 20 Editorial Dr. Alfred Häußler 3 Bundesverfassungsgericht Kongreß-Bericht Dr. Alfred Häußler 6 in der Verantwortung Alexander Papsthart 22 Dokumentation Predigt zum Kongreß Bischof Dr. Reinelt 12 Urteil - Bayerisches Oberstes Landesgericht 23 Kongreß-Resolution 13 Aufklärung Eine Mädchenklasse 32 Predigt aus Münster Pfr. Karl Schlosser 15 Kommentare 35 Zum Geburtstag von Professor Rötzer Dr. Alfred Häußler 18 Medien 54 MEDIZIN & IDEOLOGIE NOVEMBER 90 Editorial

Die Reevangelisierung und Rechristianisierung Deutschlands und Europas als Erbe, Auftrag und Aufgabe

In meinem alten und traditionsreichen humanistischen Wende, was hat zu diesem historisch mit nichts Ver- Gymnasium war es eine weit zurückreichende Über- gangenem zu vergleichenden Prozeß der Perestrojka, lieferung, daß die Abiturientenklassen ihren Jahres- der Umgestaltung geführt? Erinnern wir uns daran: ausflug nach Thüringen machten. Nicht weil Thürin- Vor 150 Jahren gab Wilhelm Liebknecht, der Vater von gen als das „Grüne Herz Deutschlands" galt, sondern Karl Liebknecht, ein enger Vertrauter von Karl Marx, weil man es als den geistig-kulturellen Mittelpunkt mit dem er jahrelang in London zusammenlebte, die Deutschlands betrachtete. Man besuchte Weimar, die Parole aus: „Das Christentum ist das Gespenst der Wartburg, Jena und Gotha und, wenn die finanziellen Vergangenheit, der Sozialismus die Forderung der Mittel in der damals geldknappen und viel ärmeren Gegenwart" (1). Es ist noch nicht lange her, da war auf Zeit ausreichten, auch und Dresden. Keine an- dem Höhepunkt der Studentenrevolten an den euro- dere Region in Deutschland besaß diese geschichtli- päischen Universitäten, vornehmlich von der Masse che und kulturelle Ausstrahlung wie eben der thürin- der Soziologiestudenten, ähnliches zu hören. Warum gisch-sächsische Raum. Und so sehr man berechtigt die überraschende Wende? ist, die stille Revolution in der früheren DDR auch we- gen ihrer Friedlichkeit als ein Wunder zu bezeichnen, Die wirtschaftlich-gesellschaftlichen mit der man noch im Sommer 1989 nicht im gering- sten rechnen durfte, so wenig ist es heute erstaunlich, Ursachen für die Wende daß diese historische Wende gerade in Sachsen und P. Basilius Streithofen O.P. vom Institut für Gesell- Thüringen ihren Anfang nahm und die Stadt Leipzig schaftswissenschaften in Walberberg schreibt über mit ihrer Nikolaikirche zu einem Fanal für alle anderen die Gründe des Zusammenbruches des Sozialismus Städte in der DDR wurde. Sachsen ist nämlich nicht in der Zeitschrift „Die neue Ordnung" vom Juni 1990 nur mit das dicht besiedeiste Land im ganzen deut- im Leitartikel: „Privateigentum und Markt-Barrieren schen Sprachraum mit über 325 Menschen auf den gegen Tyrannei und Armut. Es gibt zwei Feinde der Quadratkilometer, es besitzt auch eine lebendige, rüh- Menschen: Tyrannei und Armut. Der real existierende rige, bienenfleißige, intelligente, erfindungsreiche und Sozialismus brachte den Völkern Osteuropas beides. geschäftstüchtige Bevölkerung. Nicht umsonst sagt Sinn der freien und sozialen Marktwirtschaft ist die Be- man: „die Sachsen sind helle". Und es ist auch von da- freiung des Menschen von Diktatur und Armut. Die her gesehen eigentlich sehr wohl ersichtlich, daß Leip- wichtigsten Instrumente sind dabei das Privateigen- zig die bedeutendste Handelsstadt Deutschlands mit tum und der Markt. Die wirtschaftliche Versorgung der dem größten Bahnhof Europas und Dresden die erste Bürger mit lebenswichtigen Gütern ist praktisch im Kunststadt Deutschlands war, die sich mit Florenz, gesamten Moskauer Machtbereich zusammengebro- Prag, Wien, Paris und anderen Metropolen messen chen. Mangelhaft war sie immer schon. Trotz dieser konnte. Die Sachsen sind stolz auf ihre Revolution und schlechten Erfahrungen wirkt in den Köpfen der DDR- sie sprechen nicht ganz zu Unrecht von der „Helden- Bürger die kommunistisch-sozialistische Propaganda stadt Leipzig". fort. Sie lehnen das Privateigentum und den Markt ab. Große Unkenntnis verbunden mit Mißtrauen beherr- Die Gründe der Revolution schen auch das Denken der jetzt Regierenden in der DDR, finden sich bei zahlreichen Künstlern und Theo- Wer wollte daran zweifeln, daß wir das Glück und die logen. Vierzig Jahre lang vergiftete die SED die Herzen Freude haben, in einer historisch außergewöhnlichen und Hirne unserer Landsleute mit wirtschafts- und so- Zeit zu leben. Die Jahre 1989 und 1990 werden einmal zialpolitischen Fehlinformationen. Die Marktwirtschaft in allen Geschichtsbüchern besonders hervorgeho- wurde als „Kapitalismus" verleumdet, das Privatei- ben sein. Denn in nur wenigen Monaten hat sich wie gentum an Grund, Boden und Produktionsmittel als durch ein Wunder und entgegen allen voraussehbaren Ursache für eine ungerechte Güterverteilung darge- Erwartungen die politische, die wirtschaftliche und die stellt, der Markt verdammt, „Privateigentum" und gesellschaftliche Situation in ganz Osteuropa von „Markt" wurden als Darwinismus diffamiert: das Über- Grund auf geändert. Der Sozialismus ist tot! Er hat sich leben der Stärkeren und die Vernichtung der Schwa- durch eine nicht mehr zu überbietende Mißwirtschaft chen. Das ist falsch. selbst besiegt. In der Dynamik dieser Entwicklung fie- Welchen Sinn hat das Privateigentum? Alle irdischen len in die Mauer und an den Grenzen der DDR Güter haben allen Menschen zu dienen. Die Men- der Stacheldraht. Was sich am 9. November 1989 schen dürfen Güter in Besitz nehmen, bearbeiten und durch die friedliche und unblutige Revolution abzu- gebrauchen. Bedingung ist aber immer, daß alle Men- zeichnen begann, vollzog sich am 1. Juli 1990 durch schen leben können. Die Frage nach der Berechtigung die Einführung der D-Mark in der DDR endgültig: Die und Notwendigkeit von Privateigentum ist nur zu be- de facto-Wiedervereinigung Deutschlands. Das Va- antworten, wenn man von der „conditio humana", der terland aller Deutschen ist wieder ein vereinigter Staat Befindlichkeit des Menschen, ausgeht. Thomas von in einem sich vereinigenden Europa. Der wirtschaftli- Aquin plädierte schon im Hochmittelalter aus drei chen Einigung folgte zwangsläufig auch die politische Gründen für das Privateigentum: 1. die Menschen und damit die de jure-Vereinigung in der Nach vom 2. seien fleißiger, gingen mit den Gütern sparsamer um; auf den 3. Oktober 1990. 2. es gebe klar umgrenzte Verantwortungsbereiche; 3. Was hat zu dieser in der Geschichte einmaligen das Privateigentum diene stärker dem Frieden. Diese

MEDIZIN & IDEOLOGIE NOVEMBER 90 Gründe haben auch heute noch ihr Gewicht. Die tiefe Religiosität der slawischen Das Recht auf Privateigentum ist weder absolut noch abstrakt. Es beruht auf dem praktischen Urteil, daß die Völker schöpferische Kraft einer freiheitlichen Marktwirt- Wer Rußland und Polen kennt, der weiß um die tiefe in- schaft, die auf Privateigentum gründet, jedem ande- nere Frömmigkeit und Gläubigkeit des russischen und ren Wirtschaftssystem überlegen ist. Es rechtfertigt polnischen Volkes, aber auch der übrigen slawischen sich aus der klugen Nutzung, die aus dem Eigentum Völker, besonders auch der Slowaken, der Slowenen eine größere Produktivität hervorbringt. und der Kroaten. Kaum eine Wohnung, und wenn es Der Markt ist eine Einrichtung, die das gesellschaftli- auch die armseligste Behausung ist, in der nicht ganze che Wesen des Menschen widerspiegelt. Der Mensch Wände mit Heiligenbildern, mit Ikonen und Gebets- ist keine Maschine. Der Markt achtet die Freiheit jedes texten behangen sind. Trotz Verfolgung und Verbot, Beteiligten. Durch seinen sozialen Mechanismus ver- trotz Schließung der Kirchen lebte im Untergrund der bindet er alles mit allem, denn er lehrt alle Wirtschaf- christliche Glaube unversehrt in den Familien weiter. tenden, auf die Bedürfnisse und Wünsche anderer zu Es bestand vielfach eine Katakombenkirche, aber sie achten. Kein Unternehmer kann auf dem Markt Erfolg lebte und sie pflanzte sich weiter. Wer je ein russi- haben, wenn er nicht auf andere Rücksicht nimmt, auf sches Osterfest erlebt hat, der weiß um die tiefe Ver- Verbraucher, Lieferanten und Konkurrenten. wurzelung des christlichen Glaubens in der slawi- Der Markt ist nicht die „Unsichtbare Hand", die sofort schen Seele. Was den Deutschen Weihnachten be- alles zum Guten und Rechten lenkt. Der Markt ist deutet, das ist den Russen Ostern, das Fest aller Fe- Chance, ein offener Platz. Er gibt Gewissens- und ste, das größte Fest der Russen mit dem Jubelruf Handlungsfreiheit. Was wir aus dem Markt machen, „KRESTOS wos kres" (Christus ist auferstanden) in liegt an uns. Die Planwirtschaft schränkt die Freiheit stundenlangen Gottesdiensten mit inbrünstig-brau- radikal ein; der Markt bewahrt uns die Freiheit. Der senden Gesängen und mit dem Glanz der Ikonen im Markt belohnt Leistung und bestraft den Faulen. Aber Kerzenlicht. Der nicht ausrottbare, tief in der slawi- er ist kein Dschungel, nicht moral- oder religionsfeind- schen Seele verwurzelte Glaube führte zur Wende in lich. Rußland, zu den unblutigen Revolutionen in allen Völ- Der freie Markt gleicht einem Ideal, vor dessen Forde- kern Osteuropas. Die kommunistische Partei und ihre rungen die Menschen, auch die Unternehmer versa- Funktionäre verloren das Volk, die Funktionäre waren gen. Einen absolut freien Markt gibt es nicht. In Wirk- gezwungen zu „Glasnost und Perestrojka", um nicht lichkeitwerden alle Märkte reguliert, von vielen Zwän- den Boden unter den Füßen ganz zu verlieren. Mit Dik- gen eingegrenzt und sind unvollkommen. Entschei- tatur und militärischer Gewalt war nichts mehr erreich- dend ist, daß der Markt offen ist für neue Teilnehmer, bar. Darum wohl duldete die Führung Sowjet-Ruß- daß er dynamisch und flexibel ist. Er muß Innovatoren lands die Wende im eigenen Land und in allen Staaten einladen, die unerfüllten Wünsche und unbefriedigten des Warschauer Paktes. Bedürfnisse der Menschen zu ergründen und zu erfül- len. Die freie und soziale Marktwirtschaft hat den uralten Die unblutige Revolution in der DDR Gegensatz zwischen Eigeninteresse und Gemeinwohl Wie im gesamten Ostblock ging auch der Umsturz in stark verringert. Die Erzeugung von Gütern und der DDR von den Friedensgebeten in den Kirchen aus, Dienstleistungen, die allen Menschen ein besseres besonders von der Nikolaikirche in Leipzig und von Leben ermöglichen, dienen nicht nur dem Eigeninter- der Gethsemanikirche in Ostberlin. Auch hier waren es esse, sondern auch dem Gemeinwohl. Es liegt im Ei- Christen, die gegen die Diktatur und für Freiheit auf die geninteresse der Unternehmer, dafür zu sorgen, daß Straßen gingen. Daß die schwerstbewaffnete Rote Ar- die Armen und Bedürftigen bessere Lebensbedingun- mee in der DDR passiv blieb und ohne Eingreifen dem gen bekommen. Umsturz zusah, ist das eigentliche Wunder der friedli- Das Privateigentum und der Markt schränken die chen Revolution im Osten Deutschlands. staatliche Macht ein und sind die stärksten Barrieren gegen Tyrannei und Armut." Die notwendigen Konsequenzen aus Soweit P. Basilius Streithofen in seinem Leitartikel in der Zeitschrift „Die neue Ordnung" vom Juni 1990. dem Umsturz in der DDR Wenn also vor 150 Jahren Wilhelm Liebknecht, der Vater von Karl Liebknecht, als enger Vertrauter von Karl Marx, die Parole ausgab: „Das Christentum ist ein Der Aufbruch des Glaubens im Osten Gespenst der Vergangenheit, der Sozialismus die For- derung der Gegenwart" (1), so können und müssen wir Die Analyse von P. Streithofen ist, nur vordergründig heute diesen Satz umdrehen und sagen: „Der Sozia- betrachtet, sicher richtig. Doch die Revolutionen im lismus ist ein Gespenst der Vergangenheit, christliche Osten sind damit allein nicht erklärt. Sie sind bildlich Lebensordnung die Forderung der Gegenwart an uns gesprochen Medaillen mit zwei Seiten, einer Vorder- Menschen" (1). seite und einer Rückseite oder, noch besser gesagt, einer vordergründigen und einer hintergründigen Seite. Denn die tiefsten Hintergründe und damit die ei- Die Situation in der DDR gentliche Ursache der Revolutionen im Osten war der Trotz des Zusammenbruches des Sozialismus im ge- Glaubensaufbruch in der Sowjetunion seit den 70er samten Ostblock ist die Forderung nach einer christli- Jahren, als unter Nikita Chruschtschow die letzte chen Lebensordnung in der früheren DDR nur bei we- grausame Verfolgungswelle über das ganze Land hin- nigen Menschen zu vermitteln. Die 12 Jahre national- wegfegte. Aus den Leiden der Verfolgten und aus den sozialistische und die über 40jährige kommunistische Gebeten so vieler Millionen Menschen in der ganzen Diktatur haben ihre Spuren hinterlassen. So veröffent- Welt für eine Wende in Rußland erwuchs das unerwar- lichte jetzt erst die Zeitschrift „Die politische Meinung" tete Wunder einer Abkehr vieler Menschen vom orga- aus einer Umfrage des Institutes für Demoskopie Al- nisiertem und unter Zwang verordnetem und aufge- iensbach auf die Frage „Wie wichtig ist Gott in Ihrem zwungenem Atheismus. Dies war die eigentliche Leben?" folgende Antworten: In der Bundesrepublik Wende und der Beginn einer neuen Zeit. antworteten zehn Prozent der Befragten „Völlig un-

MEDIZIN & IDEOLOGIE NOVEMBER 90 wichtig", aber 42 Prozent in der bisherigen DDR. Drei- schen Regime auf wunderbare Weise alle Menschen ßig Prozent der Befragten im anderen Teil Deutsch- untereinander befreundet sein werden, und das wird lands gaben an, sie seien aus der Kirche ausgetreten, man um so eher glauben, solange man alle Mißbräu- und 36 Prozent, sie seien nie Mitglied einer Konfession che des gegenwärtigen politischen Systems auf das gewesen (2). Insgesamt haben also zwei Drittel der Privateigentum zurückführt. Aber der wahre Grund 16,6 Millionen DDR-Bewohner keine Bindung an eine dieser Übel ist nicht das Fehlen einer kommunisti- Kirche. Nach Angaben der Kirchen gehören noch 36 schen Ordnung, sondern die Bosheit der menschli- Prozent der ostdeutschen Bevölkerung zu einer der chen Natur". beiden großen Konfessionen: fünf Millionen sind Genau darauf kommt es an: „Die Bosheit der mensch- evangelisch, eine Million katholisch. Doch auch unter lichen Natur" zu heilen oder wenigstens zu bessern. diesen sind noch viele, die von den „guten" Seiten des Dazu bedarf es der Reevangelisierung und der Rechri- Sozialismus reden und diesen als „urchristlich" be- stianisierung. Eben dies war die Intention des Kon- zeichnen. Die Masse der nach dem Krieg Geborenen gresses der WORLD FEDERATION OF DOCTORS und in der DDR Aufgewachsenen sind nicht getauft. WHO RESPECT HUMAN LIFE, der vom 20. Septem- Die Verhältnisse auf dem Gebiet der religiösen Bin- ber bis zum 23. September 1990 im Kulturpalast in dung und Überzeugung sind in der früheren DDR Dresden stattfand. wahrscheinlich am schlechtesten unter allen Ost- blockstaaten, unvergleichlich schlechter als in Polen Alfred Häußler oder auch in Rußland. In Rußland sind 40% der Men- schen getauft, in Polen wahrscheinlich über 90%. Da- Literaturangabe: gegen dürften unter den 16,6 Millionen ehemaligen (1) aus „Trumpf der Wahrheit von Meinrad v. Ow in der DT vom 13.1.90. DDR-Bewohnern 10 Millionen Ungetaufte leben. (2) Diese Zahlen sind alarmierend und erschreckend. Die Idea Allensbach-Umfrage zum Glauben in Deutschland. DDR war ein atheistisch geprägter Staat mit einer christlichen Minderheit und ist ein Missionsland. Es ist daher nicht verwunderlich, daß in der DDR wie im gesamten Ostblock die Fristenlösung in der Abtrei- bungsgesetzgebung besteht. Die Abtreibung ist über- all im Ostblock zur Methode der Geburtenregelung geworden, auf jede Geburt kommt auch eine Abtrei- bung. Es gibt Frauen, die fünf und sieben Abtreibun- gen hinter sich haben. Weitere Unterschiede in der ehemaligen DDR zur Bundesrepublik sind die noch häufigeren Ehescheidungen. In der BRD wird bis jetzt noch von vier Ehen eine geschieden, in der DDR waren es von drei Ehen eine. Die Berufstätigkeit der Frauen Internationaler Ärztekongreß in Dresden und Mütter war in der DDR weit mehr verbreitet als im Eid des Hippokrates und Grenzsitua- Westen. Sie ist die Regel. Daher der flächendeckende Ausbau der Kindergärten und der Tageskinderheime tionen im Leben in der DDR, um möglichst viele Frauen in die ohnehin Dresden (DNN/LSC). Ihrer Verantwortung für eine unrentable industrielle Produktion stecken zu können, Neuorientierung in Ost und West wollen die rund 800 aber auch um die Kinder vom frühesten Alter an ideo- Teilnehmer eines internationalen Ärztekongresses, logisch im Sinne des Marxismus zu beeinflussen und der gestern in Dresden begann, nachkommen. Die zu erziehen und sie dem Elternhaus und seinem Ein- Veranstaltung wurde von der seit 1974 bestehenden fluß zu entziehen. WORLD FEDERATION OF DOCTORS WHO RE- SPECT HUMAN LIFE, der mehr als 350.000 Mediziner Das Erbe der friedlichen Revolution aus 60 Ländern angehören, gemeinsam mit weiteren Lebensrechtsorganisationen vorbereitet. Zum zwei- als Auftrag und Aufgabe ten Mal nach Jugoslawien findet ein derartiges Treffen Mit der Einführung der D-Mark und der sozialen in einem osteuropäischen Land statt. Marktwirtschaft allein ist der bisherigen DDR und ihren Ein Ziel des Kongresses benannte die Bundesvorsit- Menschen nicht geholfen. Mehr noch als wirtschaftli- zende der Christdemokraten für das Leben, Johanna che und finanzielle Hilfe bedürfen die Menschen der Gräfin von Westfalen, gegenüber ADN. Er soll einen Reevangelisierung und der Rechristianisierung. Dies Beitrag zur Aufrechterhaltung der Standesethik von dürfte die schwerste, aber wichtigste Aufgabe nach Ärzten im Sinne des hippokratischen Eides leisten. Die der friedlichen Novemberrevolution von 1989 sein, darin seit 2.400 Jahren verankerte Achtung des Le- aber auch der Auftrag an uns alle im Westen Europas bens von der Empfängnis bis zum Tode sei für sie von den Menschen im Osten, die diese Revolution ge- nicht primär eine Frage des Christentums, sondern ein wagt haben. Als Erben der Revolution im Osten liegt humanitäres Problem. es an uns, diesen Auftrag zu erfüllen. Sozialismus und Unter dem Motto „Für Lebensrecht und Zukunft Euro- Kommunismus sind tot. Unsere Aufgabe ist es, den pas - Ein neues Menschen- und Weltbild als Funda- Völkern des Ostens nicht den Hedonismus des We- ment eines gemeinsamen europäischen Hauses" ste- stens, sondern statt dessen, diesen bei uns selbst ab- hen bevorzugt Probleme auf der Tagesordnung, die legend, die christliche Lebensordnung der „Civitas für Mediziner Grenzsituationen bedeuten. Das betrifft dei" (Augustinus) an Stelle der „Civitas terrena aut dia- den in der Bundesrepublik gültigen Paragraphen 218 boli" (Augustinus) zu bringen. mit politischer, philosophischer, psychologischer und Denn schon Aristoteles wußte bereits im vorchristli- physikalischer Untersetzung ebenso wie Fragen zur chen Griechenland, warum kommunistische Gesell- Euthanasie. schaftsordnungen scheitern werden. Er meinte in sei- Während des Treffens werden heute Ärzte und Politi- nem Buch über Politik: „Eine derartige Gesetzgebung ker aus der DDR und der Bundesrepublik auf einer ge- hat einen künstlichen Anschein von Wohlwollen und meinsamen Kundgebung zum Kongreßthema Stel- Güte. Eine Versammlung wird sie mit Entzücken be- lung nehmen. grüßen in der Annahme, daß unter einem kommunisti- DRESDNER Neueste Nachrichten, 22.9.90

MEDIZIN & IDEOLOGIE NOVEMBER 90 Es war so kurze Zeit nach der friedlichen Revolution in im deutschen Sprachraum. Es liegt am weitesten nach der früheren DDR ein zwar gewagtes, wie sich aber er- Osten reichend und grenzt an Polen und an die Tsche- wiesen hat, ein umso erfolgreicheres Unternehmen, choslowakei und hat als früheres „Elb-Florenz" und zu dem Dr. med. Siegfried Ernst sen., der Vorsit- als führende Kunst- und Kulturstadt internationales zende der Europäischen Ärzteaktion in den deutsch- Ansehen und eine Ausstrahlung weit über die Grenzen sprachigen Ländern und Vizepräsident der World Fe- Sachsens in alle Welt. Dresden ist aber auch nach der deration of Doctors Who Respect Human Life nach Zerstörung in den letzten Wochen des 2. Weltkrieges Dresden eingeladen hatte. Und es gehörte Mut und ein heute noch sichtbares Zeichen dafür, was Men- ein ausgeprägtes Sendungsbewußtsein dazu, ganz schen einander zufügen können an Zerstörung ihres aus eigener Initiative heraus unmittelbar nach der Lebensraumes und an Vernichtung unschuldigen Währungsumstellung in der bisherigen DDR mit all menschlichen Lebens. Denn keine andere Stadt hatte den vordringlichen Sorgen der Menschen um ihre Zu- im Zweiten Weltkrieg so viele Opfer an Menschenle- kunft in einer zusammenbrechenden sozialistischen ben zu beklagen, wie eben Dresden, als noch im Fe- Planwirtschaft den Kongreß für Lebensrecht und Zu- bruar 1945 in einer einzigen Nacht 300.000 Menschen kunft Europas zu planen und durchzuführen. Doch - die gleiche Zahl wie in Hiroshima beim ersten Atom- wie schon so oft in seinem Leben sah auch jetzt wie- bombenabwurf - einem militärisch nicht notwendigen der Dr. Ernst viele negative Entwicklungen gegen den Luftangriff zum Opfer fielen. Ganz Dresden war in die- Schutz und den Erhalt menschlichen Lebens frühzei- ser Nacht von Menschen überfüllt, die auf der Flucht tig voraus. Man denke nur an die auf seine Initiative vor der vorrückenden Sowjetarmee dort Zuflucht schon im Juni 1964 veröffentlichte Ulmer Denkschrift suchten. Es waren überwiegend Frauen mit Kindern „Ärzteprotest gegen die Propagierung der Antibaby- und alte, nicht mehr kriegsdienstfähige Männer. pille", deren Voraussagen und deren Befürchtungen Und wenn die Dresdener heute sagen: „Dresden sich voll und ganz bestätigt haben, oder an seinen viel wurde zweimal zerstört, das erstemal durch den Luft- beachteten Artikel „blind für den entscheidenden angriff im Februar 1945, der die Stadt in Schutt und Punkt" in der „Deutschen Tagespost" vom 29. August Asche legte, und dann zum zweitenmal durch den so- 1984, der internationales Aufsehen erregte und dann zialistischen ,Wiederaufbau' mit seinen Einheitsblök- in vielen anderen Zeitungen nachgedruckt wurde. ken", so ist die Frage zu stellen: Wird nicht unser Land Dr. Ernst wußte um die wenig hoffnungsvolle Lage in ein drittesmal zerstört durch eine Gesetzgebung, die der früheren DDR nicht nur in wirtschaftlicher, sondern es den Menschen unseres Volkes erlaubt, ihre Kinder vor allem auch in religiös-sittlicher Hinsicht. Zwölf und damit die Zukunft und Überlebensfähigkeit eben Jahre nationalsozialistische und über vierzig Jahre dieses Volkes und ganz Europas zu vernichten? Die kommunistischer Diktatur mit seinem das ganze Land Trümmer von Dresden mit den vom Feuer schwarz und jeden Menschen überwachenden Spitzelsystem verbrannten Ruinen eines einst barocken Stadtzen- erstickten in vielen Menschen den Glauben an Gott trums mahnen: Es darf keine Gesetze geben, die oder verbogen das Rückgrat vieler Menschen vor der menschliches Leben wie eine Ware dem Menschen Allmacht des sozialistischen Staates, der vom Kinder- zur freien Verfügung überlassen! Der Schutz mensch- garten bis in die Hochschulen, in Presse, Rundfunk lichen Lebens ist vom ersten Augenblick der Befruch- und Fernsehen den Atheismus propagieren ließ. Und tung an bis zum natürlichen Tod strafrechtlich zu die Gefahr, daß die von einer kommunistischen Regie- schützen. Sonst bleiben alle schönen Reden von der rung in der früheren DDR ohne Befragung des Volkes „Bewahrung der Schöpfung" leere Phrasen. einfach diktierte Fristenlösung vom 9. März 1972 mit So war die herausgehobene Stellung des Menschen in Freigabe der Tötung vorgeburtlichen menschlichen der Schöpfung, seine damit verbundene besondere Lebens in den ersten drei Monaten auch im Westen Würde und die daraus resultierende absolute Notwen- Deutschlands als „Errungenschaft" eingeführt werden digkeit der Unantastbarkeit menschlichen Lebens könnte, zwang zum Handeln in aller Öffentlichkeit und vom Augenblick der Zeugung bis zum natürlichen Tod in größerem Rahmen. das Generalthema des gesamten Kongresses. Daß Zu diesem Vorhaben erschien die Stadt Dresden als dieser so erfolgreich verlief, ist ganz besonders der ehemalige Landeshauptstadt des Landes Sachsen tatkräftigen Unterstützung vieler Lebensrechtsorgani- besonders geeignet, besitzt sie doch alle Vorausset- sationen zu verdanken, die in erheblichem Maße zum zungen, einen größeren Kongreß durchzuführen. Erfolg des Kongresses beitrugen und denen ganz be- Denn Sachsen ist das am dichtesten besiedelte Land sonderer Dank gebührt. Es waren dies die Lebens-

6 MEDIZIN & IDEOLOGIE NOVEMBER 90 rechtsorganisation der früheren DDR KALEB, die Ak- werden. Dem widersprach Dr. Ernst mit Entschieden- tion Leben, Abtsteinach, die Christdemokraten für das heit und verwies auf die normative Kraft des Strafge- Leben (CDL) und viele andere in- und ausländische setzes, das man auf dem Gebiet der Straßenverkehrs- Lebensrechtsorganisationen, die alle in der Wandel- ordnung, der Drogenkriminalität und anderen die so- halle des Kulturpalastes ihre Stände mit reichem Bü- ziale Ordnung störenden Tatbeständen mit Erfolg an- cherangebot aufgestellt hatten. wende. Es sei daher nicht einzusehen, daß diese Er- fahrung ausgerechnet auf dem Feld der praenatalen Kindestötung keine Gültigkeit haben sollten. Der Kongreßverlauf Dr. Siegfried Hummel, Gynäkologe am Diakonissen- Bereits am Vorabend des Kongresses gab Frau Inge krankenhaus Dresden und Vorsitzender der CDL im Brück in der Kreuzkirche von Dresden ein Konzert, zu Lande Sachsen, sprach dann über die Folgen der Ab- dem sich die mittlerweile zahlreich eingetroffenen treibungsgesetzgebung in der früheren DDR und Kongreßteilnehmer, aber auch viele Dresdner Bürger konnte dazu mitteilen, daß sich die Fristenlösung in einfanden. Die ausdrucksstarken Lieder von Inge der DDR nicht bewährt hat. Die Abtreibungszahlen Brück, begleitet von einer hervorragenden Pianistin, gingen sofort mit der Einführung der Fristenlösung waren die beste Einstimmung auf die Themen des sprunghaft in die Höhe. Es entwickelte sich eine Ab- Kongresses, wozu auch die historische Bedeutung treibungsmentalität, die es früher nicht gab und die mit der Kreuzkirche mit ihrer besonderen Atmosphäre Einführung der Fristenlösung erst geschaffen wurde. beitrug. War doch gerade die Kreuzkirche in Dresden Dr. Hummel forderte die Aufnahme des vollen Lebens- einer der Ausgangspunkte der friedlichen Revolution schutzes der ungeborenen Kinder in die neue sächsi- in der früheren DDR und damit ein Ort geschichtlichen sche Verfassung und zusätzlich die Zahlung von Kin- Ausmaßes für den Umsturz im gesamten Ostblock. dergeld nicht erst nach der Geburt, sondern schon Auch der gemeinsame Gottesdienst am Morgen des von dem Zeitpunkt an, zu dem eine bestehende 21. September mit dem Landesbischof von Sachsen Schwangerschaft ärztlich festgestellt werden konnte, Dr. Johannes Hempel und dem Diözesanbischof von eine Forderung, die bei der öffentlichen Kundgebung Dresden-Meißen, Dr. Joachim Reinelt, vereinte alle auf dem Platz vor dem Kulturpalast am Samstag Kongreßteilnehmer nochmals in der Kreuzkirche zu Nachmittag auch vom SKH Dr. Otto von Habsburg be- Besinnung und gemeinsamem Gebet. Beide Bischöfe sonders nachdrücklich erhoben wurde. verteidigten das Lebensrecht jedes Menschen in allen Der hessische Landtagsabgeordnete Roland Rösler Phasen seines Lebens und verlangten vom Staat, den zitierte Paul Ehrlich (1854 - 1915), Nobelpreisträger, Schutz jedweden menschlichen Lebens gesetzlich zu Entdecker von Salvarsan und Begründer der neuzeitli- verankern. chen Chemotherapie, der schon zu seiner Zeit drama- Unmittelbar nach dem Gottesdienst in der Kreuzkir- tische Veränderungen in der Fortpflanzung der che konnte im großen Saal des Kulturpalastes Dres- Menschheit durch Geburtenkontrolle forderte. Paul den der Kongreß mit ca. 1.000 Teilnehmern eröffnet Ehrlich forderte die Familienplanung als „Regulierung werden. Dr. Gunning und Dr. Ernst begrüßten die des Weltsystems". Roland Rößler wies darauf hin, daß Teilnehmer aus Ost- und Westdeutschland sowie die „Pro Familia" in der früheren DDR bereits über 200 Be- vielen Gäste aus insgesamt 16 Ländern. Dr. Ernst hieß ratungszentren habe. Paul Ehrlich forderte die Fami- dabei den anwesenden Bischof von Dresden-Meißen, lienplanung als „Regulierung des Weltsystems". Dr. Joachim Reinelt, sowie den Altbischof von Pass- Heute fordert „Pro Familia" Sexualökologie, das heißt au, Dr. Antonius Hoffmann, willkommen, der beson- Umweltschutz durch Bevölkerungsreduzierung mit ders deswegen zum Kongreß eingeladen wurde, da er Kontrazeption und Abtreibung. Wir sind heute so weit, den schweren Luftangriff auf Dresden im Februar daß man im Namen der Ökologie die Tötung ungebo- 1945 selbst erlebt hatte und Zeuge dieses grauenvol- rener Kinder fordert, da diese zu einer Umweltbela- len Massensterbens wurde, es aber selbst glücklicher- stung beitragen. Für Tiere wie Robben und Kröten gilt weise überleben durfte. dies selbstverständlich nicht. Dr. Karel Gunning aus Rotterdam, der Präsident des Der Vorsitzende Richter am Oberlandesgericht Bam- Weltverbandes, bat bei den Teilnehmern des Kon- berg, Alexander Papsthard, bezog sich auf den gresses um Verzeihung dafür, daß er als Holländer im Grundgesetzartikel „Jeder hat das Recht auf Leben Krieg sich gefreut habe, wenn amerikanische und bri- und körperliche Unversehrtheit". Nach dem Bundes- tische Luftflotten nach Deutschland geflogen seien. verfassungsgericht stehe das Lebensrecht des Em- Heute schäme er sich über diese seine damalige Ein- bryos über dem Selbstbestimmungsrecht der Frau. stellung. Er wies aber auch darauf hin, daß der deut- Zu den Ausführungen von Prof. Biedenkopf meinte sche Arzt Christoph Wilhelm Hufeland (1762 -1836), der Richter am Oberlandesgericht, das Strafrecht der auch Goethe, Schiller, Herder und Wieland behan- wirke sittenbildend, es sei eine ultima ratio, wenn Be- delt hat, sagte: „Der Arzt werde zum gefährlichsten wußtseinsänderung nicht zum Ziele führe, und aus Mann im Staate, wenn er sich dazu hergebe, vorge- diesem Grund unverzichtbar zur Aufrechterhaltung ei- burtliches menschliches Leben zu töten." In seinem ner sozialen Ordnung in der Gesellschaft. Der Redner Vortrag über utilitäre Ethik und inhärente Ethik warnte forderte dazu auf, Veänderungen der Sprache nicht er vor den Konsequenzen der utilitären Ethik, die nicht mitzumachen. Denn schon Lenin habe gesagt, daß die Sittlichkeit zum Maßstab ärztlichen Handelns Denken verändert werden kann durch Veränderung macht, sondern allein den subjektiven Nutzen für den der Sprache. Statt der verharmlosenden Bezeichnung Einzelnen. So werde der Patient nicht zum „Mittel- „Abtreibung" oder „Unterbrechung" oder „Abbruch punkt des Weltalls, um den sich für den Arzt alles zu der Schwangerschaft" sei es bei der Zerstückelung drehen habe." noch nicht geborener Kinder angebracht, von praena- Prof. Dr. , der Kandidat für das Mini- taler Kindestötung zu reden. Der Jurist griff dann die sterpräsidentenamt in Sachsen, hielt eine kurze Rede, Dehnbarkeit des Begriffes „soziale Notlage" an. Dabei in der er lediglich die Notwendigkeit einer Gesin- werde der subjektiven Beurteilung jeglicher Spielraum nungs- und Bewußtseinsänderung in der Bevölkerung gelassen. Doch gebe es keinerlei Rechtfertigungs- als hilfreich zur Reduzierung der hohen Abtreibungs- gründe für die Tötung ungeborenen menschlichen Le- zahlen forderte und die Meinung vertrat, daß Strafge- bens. Nun gebe es durch den Einigungsvertrag ab 3. setze nur dann eine Wirkung hätten, wenn sie auch Oktober 1990 zweierlei Recht in Deutschland. So et- von einer breiten Mehrheit der Bevölkerung akzeptiert was habe es bisher in der gesamten Rechtsge-

MEDIZIN & IDEOLOGIE NOVEMBER 90 schichte noch nie gegeben. Wir haben gesetzlich ver- sprächen", in denen die Contrazeption mit allen Mit- ankert die Möglichkeit der Manipulation des Men- teln und die uneingeschränkte Abtreibung in allen be- schen durch den Menschen. Es sei daher ein neues setzten Ostgebieten für notwendig erklärte, indem er Gesetz zum Schutze praenatalen Lebens notwendig sagte: „Er werde jeden zusammenschießen, der sich und dieses werde ein Prüfstein für die Rechtsstaat- dieser Notwendigkeit widersetzt". Die Rednerin lichkeit im wiedervereinigten Deutschland sein. konnte zeigen, daß die sexuelle Revolution sich auf Nach einem nochmaligen einfühlsamen und die psy- den Theorien des Marxismus aufbaut und nannte Jür- chische Last einer Frau nach der Tötung ihres Kindes gen Habermas, der die „Triebbefriedigung zur höch- interpretierendem Gesangsvortrag von Frau Inge sten Tugend" erklärte. Daher die Forderung nach Brück sprach Johanna Gräfin von Westfalen, die „Recht auf Abtreibung" und Ablehnung des „Gebär- Bundesvorsitzende der Christdemokraten für das Le- zwanges". Besonders bedrückend empfand es die ben innerhalb der CDU (CDL). Die Rednerin ging auf Rednerin, daß mit dem Einigungsvertrag seit dem 3. das eigentliche Ziel der neomarxistischen emanzipa- Oktober 1990 jede deutsche Frau das „Recht" habe, torischen Bewegung ein, das darin bestehe, die Fami- in den ersten drei Monaten auf dem Gebiet der bisheri- lie zu verändern, um dadurch die Gesellschaft zu ver- gen DDR ihr Kind töten zu lassen. So werde die prae- ändern. Diesem Ziel sollte die sexuelle Revolution mit natale Kindestötung zum Mittel der Familienplanung der völligen Schrankenlosigkeit in der Befriedigung (Prof. Wille). Am Ende ihres Vortrages zitierte Gräfin von Triebbedürfnissen dienen. Daher die Ideologie der von Westphalen sozialistische deutsche Politiker, als Befreiung von allen Bindungen. Es kommt wie Sören sie bei der parlamentarischen Diskussion um den Eini- Kierkegaard (1813 - 1855) es nennt: zum „Schisma gungsvertrag den erzielten Kompromiß zum § 218 „als von Liebe und Ehe". Die Emanzipation der Frau be- Durchbruch auf dem Weg zur Fristenregelung und als deute nichts anderes als ihre Freisetzung von der Durchbruch zum Weg der Selbstbestimmung der Frau „bürgerlichen Ideologie der Mutterschaft". Die Frank- bezeichneten." Betroffen zeigte sich die Rednerin furter Schule - eine sozialphilosophische Richtung, vom Sprecher der sozialdemokratischen Fraktion, der gegründet von Max Horkheimer und Th. W. Adorno, zum Kompromiß im Einigungsvertrag zum § 218 mit Marcuse in den USA und mit ihrem jüngsten Ver- meinte: „Das Ganze wäre von der sozialdemokrati- treter - Habermas - versucht, durch revolutionäre Um- schen Partei so durchgedrückt worden im Respekt gestaltung der Gesellschaft einen freiheitlichen Sozia- vor der in 40 Jahren entstandenen Kultur in der DDR". lismus im gesamten Westen zu etablieren. Der Einfluß Gräfin von Westphalen sagte dazu: „Massenabtrei- auf die revolutionäre Studentenbewegung von 1968 bungen gehören ebenso wenig zur Kultur eines Volkes ist unverkennbar, aber in ganz besonderem Maße auf wie das Zwangslager, Folterungen und der Schießbe- die Auslösung der sexuellen Revolution. Mit der Re- fehl an der Mauer". gierungsübernahme von Willy Brand - und er sagte Einer der Höhepunkte des Kongresses war ohne dies gleich in seiner Regierungserklärung - wurden Zweifel der Vortrag von Dr. Karl Philbert aus Mün- viele Ziele des emanzipatorischen Neomarxismus ver- chen, der als Naturwissenschaftler, als Astronom, als wirklicht: Einführung des Schulsexualkundeunterrich- Kernphysiker und dazu noch als Priester durch seine tes, Liberalisierung der Ehegesetzgebung mit Erleich- Ausführungen überzeugte, als er sagte, daß es heute terung der Ehescheidung, Freigabe von Pornogra- im Gegensatz zu der Zeit der Aufklärung leicht sei, als phie, Streichung aller Gesetze gegen Homosexualität, Naturwissenschaftler ein gläubiger Christ zu sein. Die gegen vor- und außereheliches Zusammenleben, So- moderne Physik mache nicht frei vom Glauben, son- domie und schließlich die Erleichterung der Abtrei- dern führe zu ihm hin, sie sei eine Hilfe zum Glauben an bung durch Streichung bzw. Reform des bisherigen § Gott. Denn „die Schöpfung ist ein Abbild des Schöp- 218 im Sinne einer praktischen Freigabe. Gräfin von fers". Deshalb sei der Materialismus im Kern schon Westphalen zitierte Adolf Hitler in seinen „Tischge- geschlagen. Er möchte darum das Wort „Evolution"

8 MEDIZIN & IDEOLOGIE NOVEMBER 90 nicht mehr in den Mund nehmen, sagte der Redner, bungsfreigabe habe das Bewußtsein der Menschen sondern von „höherführender Schöpfung Gottes" verändert und nicht umgekehrt. Daher sei es falsch, sprechen. Dr. Philbert wies nach, daß die Aussagen jetzt zuerst eine Bewußtseinsänderung zu verlangen, der Bibel mit den Ergebnissen der modernen Natur- bevor man an der Gesetzgebung zu einer Änderung wissenschaften übereinstimmten. Aus diesem Grund bereit sei. P. Maier forderte eine Theo-Anthropologie, warnte er vor der Gefahr einer diesseitigen Pseudo- denn Gott sei der Garant des Menschen. geistigkeit und führte aus, daß Gott dem Menschen Der erste, wichtigste und durch den Besuch von 83 Maßstäbe gesetzt habe über Gut und Böse und gut Ländern dieser Erde auch weitest gereiste Pro-Life- könne nur sein, was der Wille Gottes ist. Daher gelte Kämpfer ist Professor Dr. Paul Marx OSB, Soziologe es, menschliches Leben zu achten und sich zu fragen, und Präsident der HUMAN LIFE INTERNATIONAL in ob unser Leben so viel mehr wert sei, als das von de- Washington. Er habe zwar einen gefährlichen Namen, nen, deren Leben wir glauben töten zu dürfen. heiße aber Paul und nicht Karl und sei mit Karl Marx In seinem hochwissenschaftlichen Vortrag „Evolution auch nicht verwandt. Prof. Marx bezeichnete die Ab- und Schöpfung in naturwissenschaftlicher Sicht" treibung als den größten Krieg aller Zeiten, der von sagte Prof. Dr. Bruno Vollmert, Molekularchemiker Rockefeiler über die ganze Welt ausgedehnt wurde. In an der Universität Karlsruhe, daß Darwins Lehre seit den USA haben man 2 Millionen Abtreibungen jähr- ihrer Verkündigung in der Mitte des letzten Jahrhun- lich. Auch wer die Pille nehme, treibe ab, und wer die derts umstritten sei. So sei Darwins Lehre von der Se- Spirale gebrauche, treibe ebenfalls ab. Es sei richtig, lektion und Mutation nicht haltbar. Das Entstehen wenn Alexander Solschenizyn sage, der Westen habe neuer Arten setze das Entstehen neuer Gene voraus. seinen Lebenswillen verloren. Dadurch sei es dem Is- Man sehe es einer Genkette, dem Genkettenmolekül lam möglich, sein Ziel, Europa zu erobern, zu errei- DNS nicht an, von welchem Lebewesen sie stamme. chen. Was ihm durch Kriege nicht gelungen sei, werde So sieht die DNS-Kette eines Virus, einer Pflanze, ei- ihm nun leicht möglich durch seinen Kinderreichtum nes Tieres und die des Menschen gleich aus. Diese und den Geburtenschwund im Westen. Denn „keine Uniformität sei jedoch nur makroskopisch vorhanden. Nation ist so arm, wie die, die ihre Kindertötet", zitierte Das Leben sei vor 500 Millionen Jahren durch Verän- P. Marx Mutter Teresa. Darum sei eine geistige und derungen an den Genketten der DNS entstanden. moralische Erneuerung notwendig. Denn wenn es Der den vielen Kongreßteilnehmern schon mehrfach Gott nicht gibt, gibt es nichts, was schlecht wäre. Wir bekannte Professor der physikalischen Chemie und sollten nie aufgeben, denn wir haben die Wahrheit und berühmte Atomforscher Prof. Dr. Max Thürkauf aus Gott ist bei uns. Basel sprach dann über „Die Endzeit des Marxismus". Dr. med. Anatolj Korjagin, Zürich, der lange Zeit in Der Materialismus, auf dem der Marxismus basiert, sei Rußland im Gefängnis festgehalten wurde, berichtete keine Wissenschaft, sondern eine Ideologie. Sein jetzt von den rückständigen Verhältnissen in der Gesund- in der ganzen Welt sich abzeichnender Zusammen- heitsversorgung des russischen Volkes und von der bruch ziehe eine neue Gefahr nach sich: New age! Alle Verpflichtung der russischen Ärzte, im Sinne des So- esoterischen Strömungen seien eine weit größere Ge- wjet-Staates zu arbeiten. Die Medizin werde als Mittel fahr für das Christentum als der Marxismus je gewe- des Strafvollzuges in den Gefängnissen mißbraucht sen sei, da dort christliche Werte wie z. B. die Liebe und Ärzte werden gezwungen, sich an Folterungen zu verwendet werde und die Menschen viel leichter einer beteiligen. Es werden auch medizinische Versuche an Täuschung obliegen werden. Menschen durchgeführt. Dr. Korjagin forderte die Be- Am Samstag morgen eröffnete der Alttestamentier endigung des Monopols des Staates über die Ärzte Prof. Hans Lubsczyk, Erfurt, die Reihe der Vorträge und die Medizin. und berichtete von seinen Briefen an Bundeskanzler Welche Gefahren mit AIDS auf die Menschheit zukom- Kohl und an den russischen Präsidenten Gorbat- men, wußte Prof. Dr. Roland Süßmuth, Mikrobiologe schow. Das Recht auf Leben gehöre von Anfang an an der Universität Stuttgart-Hohenheim, aufzuzeigen. zur Geschichte des Volkes Israel und ziehe sich wie Diese Seuche sei eine Frucht der sexuellen Neuorien- ein roter Faden durch die gesamte Heilige Schrift hin- tierung. Sie nehme parallel zur Abnahme der Geburten durch. zu, sodaß der Zusammenhang zwischen sexueller Re- Prof. Heribert Berger, der Direktor der Universitäts- volution nach Einführung der Pille mit der Verbreitung kinderklinik Innsbruck, begeisterte mit seiner lieben dieser tödlichen Erkrankung offensichtlich sei. Prof. Art und seinem österreichischen Charme seine Zuhö- Süßmuth forderte als einzig wirksames Heilmittel die rer mit der praxisnahen Behandlung seines Themas Beachtung der kirchlichen Sexualmoral und der „Probleme der Geschlechtserziehung". Zur Abtrei- christlichen Tradition. bung sagte Prof. Berger, daß es schizophren sei, auf Am Samstag Nachmittag fand dann eine öffentliche der einen Seite sehr viel Geld zur Behandlung kranker Kundgebung vor dem Kulturpalast statt, bei dem Dr. Kinder auszugeben und Kinder, die ein gesundes Le- Albert Prinz von Sachsen, Frau Köhler aus Weimar, ben vor sich hätten, zu töten und dies mit der Begrün- Mutter von 6 Kindern und Vorsitzende von KALEB, dung sozialer Notlage. Zur praenatalen Diagnostik Prof. Dr. Hans Filbinger, der ehemalige Ministerprä- meinte er, daß sie nur das eine Ziel hätten, möglicher- sident von Baden-Württemberg, Frau Julia Schätzte weise kranke Kinder zu töten. Das sei aber das Glei- von der CDL Baden-Württemberg, Dr. med. Furch, che, was auch in der nationalsozialistischen Zeit mit Chefarzt der Gynäkologie im Kreiskrankenhaus Bad vielen kranken Kindern geschehen sei. Nauheim und Vizepräsident der Landesärztekammer P. Otto Maier SAC, Vorsitzender der Bewegung für Hessen, der als Flüchtling aus Schlesien den schreck- das Leben, Abtsteinach, zitierte Platon, der sagte „De- lichen Luftangriff auf Dresden miterlebt hat, und Pater mokratie ist verderbbar". Dies sei in der Abtreibungs- Werenfried von Straaten, Holland, den Schutz des gesetzgebung mit der praktischen Freigabe des § 218 Lebensrechtes ungeborener Kinder forderten und in der Bundesrepublik Deutschland und an der Fri- sich zu den Aussagen des Kongresses bekannten. Als stenregelung in der bisherigen DDR deutlich erkenn- letzter Redner sprach SKH Dr. Otto von Habsburg, bar, durch die die „erlaubte" Abtreibung zum letzten der die Forderung erhob, daß für jedes Kind vor dem Verhütungsmittel wurde, wenn alle Kontrazeptiva ver- 18. Lebensjahr die Eltern zusätzliche Stimmrechte bei sagen. So sei keine Kultur der Liebe, sondern die des allen Wahlen bekommen. Das würde mehr als alles Egoismus entstanden, durch die das Christentum sich andere zur Aufwertung der Familie, der Eltern und der selbst austrockne. Die Gesetzgebung der Abtrei- Kinder beitragen und zu einer kinder- und familien-

MEDIZIN & IDEOLOGIE NOVEMBER 90 9 freundlichen Gesetzgebung führen. deswegen ein liberaler Atheist gewesen, der andere Viele Kongreßteilnehmer besuchten am Samstag die ein tief gläubiger Christ, der nach einer versehentli- Vesper in der Kreuzkirche mit dem berühmten Kreuz- chen Unterlassung einer Anweisung an eine Kranken- chor und am frühen Sonntagmorgen die Gottesdien- schwester vor Schuldgefühlen eine ganze Nacht im ste, wobei in der Hofkirche P. Otto Maier eine ein- Gebet verbrachte. Auch heute kommt es gerade dar- dringliche Predigt zum Schutze des ungeborenen Kin- auf an, im ärztlichen Beruf Recht und Unrecht zu er- des hielt. kennen, dem Leben zu dienen und nicht der vorsätzli- Das Sonntagvormittags-Programm eröffnete Prof. chen Tötung ungeborener Kinder, unheilbarer Kranker Dr. Lothar Bossle, Soziologe an der Universität und nutzloser Alten. Würzburg, der viele Jahre hindurch Zielscheibe von Walter Ramm, Vorsitzender der Aktion Leben Abt- Studentendemonstrationen linksorientierter Studen- steinach, behandelte die „Familienplanung in der Bun- ten war. Er beklagte sich über den Verlust des Ur- desrepublik". Es war erschreckend, was Herr Ramm sprungs der Europäischen Kultur, nämlich des christli- an verhängnisvollen Entwicklungen in unserer Gesell- chen Glaubens, den man im vergangenen Jahrhun- schaft zu berichten wußte und dies mit Werbematerial dert eleminierte und nur noch Wissenschaft und Tech- aus dem Familienministerium, der Industrie und von nik gelten ließ. Das habe der Vermaßung der Gesell- „Pro Familia" belegen konnte. Die Emanzipation von schaft Vorschub geleistet. Prof. Bossle zitierte Karl Gott sei das geplante Ziel aller Manipulation am Men- Popper, der gesagt habe: „Jede Ideologie, die auf die- schen mit dem Ziel einer Gesellschaftsveränderung. ser Erde den Himmel verspreche, erzeugt nichts an- deres als die Hölle auf Erden". Darum habe der Sozia- Dr. Bruno Hügel, Biologe an der Universität Eichstätt, lismus einen Strukturkollaps erlitten. Er sei, wie Ranke sprach über die moderne Fortpflanzungstechnik, die vom alten Rom sagte, nicht untergegangen, sondern von der Tierzucht übernommen worden sei und den habe schlicht aufgehört. Das Zitat von Werner Ber- Menschen zu einem machbaren Wesen degradiert gengrün: „Der liebe Gott hat die Religion für die Dum- habe. Sie sei ein Angriff auf die Menschenwürde, denn men und für die Gescheiten geschaffen und für das nur 7,6 % der Fälle seien bei der künstlichen Befruch- Mittelmaß die Aufklärung", fand großen Beifall des Au- tung erfolgreich. Auf 125 verbrauchte Embryonen ditoriums. Während bei Marx an allem die Gesell- komme nur eine Geburt. Außerdem gebe es eine er- schaft schuld sei, seien bei Freud an allem die Eltern höhte Mißbildungsrate, die schließlich zur Auslese schuld. Die anwesenden Ärzte fühlten sich besonders vorgeburtlicher Menschen führe. Die durch künstliche angesprochen durch den Vergleich zweier der be- Befruchtung entstandenen Mehrlingsschwanger- kanntesten Ärzte des letzten Jahrhunderts an der schaften beseitige man, indem man die Mehrlinge se- Charite in Berlin, nämlich von Rudolf Virchow und von lektiv tötet. Der selektive Fetocid gehöre zur künstli- Bernhard von Langenbeck, der eine der berühmte Pa- chen Befruchtung und führe zur Inhumanisierung der thologe, der andere ein ebenso bekannter Chirurg, Medizin. Dann versuche man heute die transspezifi- von denen Carl Ludwig Schleich in seinem Buch „Be- sche Gravidität, indem man Schimpansenfrauen men- sonnte Vergangenheit" schrieb: Der eine habe „nie schenliche befruchtete Eizellen austragen zu lassen eine Seele bei seinen Sektionen" gefunden und sei versuche. Außerdem übertrage man heute menschli-

10 MEDIZIN & IDEOLOGIE NOVEMBER 90 che Gene auf Tiere und man müsse damit rechnen, Schutze der Kinder und des menschlichen Lebens. daß man auch am menschlichen Genom experimen- Frau Dr. med. Peggy Norris, die Vorsitzende der Bri- tiere. Dr. Hügel forderte die Humanisierung der Medi- tischen Sektion unseres Weltverbandes sprach über zin und Biologie und die Achtung vor der menschli- „Euthanasie und Experimente an Embryonen in Groß- chen Person, ganz besonders in ihrem allerersten An- britannien. Sie ist alte Mitkämpferin von Dr. Ernst und fang. Dafür sei das apostolische Schreiben „Donum zeigte dies auch in engagierten Ausführungen. vitae" eine Richtschnur für die ethische Basis. Einen wichtigen und für den konkreten Lebensvollzug Peter Pioch sprach über das sogenannte „Biogeneti- der Menschen informativen Vortrag hielt Chefarzt Dr. sche Grundgesetz" von Ernst Häckel, zitierte den An- med. Rudolf Ehmann von der gynäkologischen Ab- fang des Johannesevangeliums, daß das schöpferi- teilung des Kantonspitales Stans in der Schweiz. sche Wort Gottes der Beginn jeden menschlichen Le- Seine Mitteilungen über die negativen Auswirkungen bens ist und eben kein tierisches als Übergangssta- aller künstlichen Koritrazeptiva waren so zahlreich dium zu seiner Entwicklung benötige. Das Schlimme und so schwerwiegend, daß sie hier gar nicht alle auf- sei, daß Häckel sich zwar geirrt habe, daß man jedoch geführt werden können. Dr. Ehmann konnte aber aus bis heute diesen Irrtum nicht zugebe. Die vielen Bilder ihnen die Schlußfolgerung ziehen: Ethisch und auch vorgeburtlichen Lebens beeindruckten den äußerst medizinisch ist nur die natürliche Empfängnisregelung informativen Vortrag von Peter Pioch. Der Redner for- vertretbar. derte dazu auf, den Irrtum Häckels überwinden zu hel- Dr. Ernst entschuldigte sich am Ende des Kongresses fen. dafür, wenn bei dem Kongreß bei der Kürze der Vorbe- Der Vizepräsident der hessischen Ärztekammer, Dr. reitungszeit Pannen aufgetreten seien. Doch diese med. Wolfgang Furch, Chefarzt einer gynäkologi- dürften so gering gewesen sein, daß sie den positiven schen Klinik in Bad Nauheim, einer der profiliertesten Verlauf des Kongresses und seine Aussagen nicht be- Kämpfer gegen praenatales Töten von Kindern vor al- einträchtigen konnten. Dr. Ernst berichtete dann über lem auch beim Deutschen Ärztetag sagte, daß 90 % die Führung seines Lebens durch Gott, die ihn im Hor- der Abtreibungen mit einer „Notlage" begründet wer- chen auf Gottes Stimme, auf seine Eingebungen und den. Prof. Isensee, Staatsrechtler der Universität seinen Willen immer den rechten Weg gewiesen habe. Bonn, sage über die praenatale Tötungsgesetzge- Es sei die Oxford-Bewegung gewesen, durch die er bung: „Der Staat tötet". Leider seien 70 % der Ärzte auf diesen seinen Lebensweg gewiesen wurde. bereit, diese Tötungen durchzuführen. Die Anerken- Als konkrete Ergebnisse des Kongresses wurde ein nung des „Rechtspositivismus" sei der größte Fehler Brief an die Mitglieder des Deutschen Bundestages der Ärzte gewesen, der sage, was der demokratisch und der abgefaßt und abgesandt mit gewählte Gesetzgeber bestimme, sei zu beachten. der Bitte, sowohl die Fristenregelung der DDR wie Der Staat sei aber nicht die Quelle allen Rechts, über auch die Indikationslösung der BRD zu beseitigen ihm stehe das Naturrecht. Dieses Naturrecht stehe durch ein Gesetz, daß das Recht auf Leben jedes höher und über jedem Wechsel der Zeiten. Wir seien Menschen von der Zeugung bis zum natürlichen Tod dabei, die Artikel 1 und 2 unserer Verfassung nicht gewährleistet und die Würde des Menschen schützt. mehr zu beachten und zu eleminieren. Das Sichabfin- Außerdem wurde ein Entwurf für ein gemeinsames den der Ärzteschaft mit der Abtreibungsgesetzge- Europäisches Gesetz zum Lebensschutz von den bung lasse nichts Gutes befürchten. Abtreibungen Kongreßteilnehmern verabschiedet. An die Bundes- wegen falschen Geschlechtes und die Reduktion ärztekammer, den Deutschen Ärztetag, an alle überzähliger Embryonen zeigten an, wie sich die Ärz- Landesärztekammern wurde eine Protestresolution teschaft ans Töten gewöhnt. dagegen abgefaßt, daß die Einigung Deutschlands mit Die Psychotherapeutin Frau Dr. med. Furch sagte der Koppelung der Anerkennung der Fristenregelung aus ihrem großen Erfahrungsschatz. Es gebe Frauen, in der DDR erkauft wurde, sodaß für die Einheit die Abtreibung als emanzipatorisches Recht bezeich- Deutschlands viele Tausende Kinder mehr als bisher nen. 50 % der Frauen werden von dem Partner ge- schon sterben müssen. zwungen, das zu erwartende Kind zu töten. Frau Dr. Der gute und gelungene Verlauf des Kongresses ist Furch teilt die Frauen ein in reife, liebes- und schuldfä- vielen engagierten Mitstreitern in der Lebensrechts- hige Frauen, die besonders unter Abtreibungen lei- bewegung zu verdanken: Dr. Ernst sen. als dem Initia- den. Es gibt keine psychotherapeutische Möglichkeit, tor des Kongresses, Dr. Ernst jun. als Organisator in Schuld zu heilen. Das gehe nur durch die verzeihende Dresden mit Dr. Hummel aus Dresden, Herrn Peter Liebe Gottes. Die unreifen Frauen neigen zu Such- Pioch vom Büro der Europäischen Ärzteaktion in Ulm, und Drogenmißbrauch. Diese unreifen Frauen seien Frau Dorothee Ehrhardt aus Radolfzell und nicht zu- nicht liebesfähig und wer dies nicht sei, sei auch nicht letzt, trotz Abwesenheit im Hintergrund mitwirkend, schuldfähig und umgekehrt. Doch immer erst die Er- Frau Maria Lorenz aus Ulm. Allen Vertretern und Mitar- kenntnis der Schuld führe zur Heilung und zur Über- beitern der verschiedenen Lebensrechtsbewegungen windung der Schuld durch einfühlsame Seelsorge. sei für ihre Unterstützung und Teilnahme am Kongreß Schuld gehöre daher nicht in psychotherapeutische besonders gedankt, unter ihnen vor allem Herrn Behandlung, sondern in seelsorgerliche Betreuung. Rechtsanwalt Leo Lennartz, Euskirchen, von den Der Physiker Prof. Dr. Schneider von der Universität Christdemokraten für das Leben, der mit Humor, rhei- Heidelberg griff die Theorie des Darwinismus an. Das nischer Leichtigkeit und großer Eloquenz als Modera- Leben sei nicht zufällig entstanden und habe sich tor gekonnt den Kongreßverlauf steuerte. nicht durch Selektion und Mutation weiterentwickelt. Wenn von dem Kongreß Zuversicht und Hoffnung für Der Darwinismus ist nicht beweisbar. An vielen Bei- die Zukunft ausging, so ist dies auch daran zu erken- spielen aus der Zoologie bewies Prof. Schneider, daß nen gewesen, daß bei der Kundgebung vor dem Kul- die Theorie der Evolution nicht haltbar ist. Er bekannte turpalast in Dresden ein kleiner vierjähriger Junge vor sich zum Kreatinismus und damit zur Schöpfungs- vielen Erwachsenen Transparentträgern stolz ein ei- lehre. Deswegen sei es besser, statt vom Homo sa- genes Plakat in die Höhe hielt mit der Aufschrift: piens vom Homo pecator zu reden. „Hurra, ich lebe, Paul Martin!" Professor Girard Memeteau, von der Universität Poitiers, Rechtsmediziner und Vertreter des Weltbun- Alfred Häußler des der Freunde der Kinder (AMADE), forderte inter- M&l- Redaktion: Alle Vorträge sind auf Kassette und nationale, von allen Staaten respektierte Gesetze zum gedruckt erhältlich. Siehe Seite 2.

MEDIZIN »IDEOLOGIE NOVEMBER90 11 Ja zum ungeborenen Leben Predigt zum ökumenischen Eröffnungsgottesdienst Dr. Joachim Reinelt, Bischof von Dresden-Meißen

Psalm 71 neswegs durch demokratische Meinungsbildung zu- Herr, ich suche Zuflucht bei dir, laß mich doch niemals scheitern. stande gekommen ist, sondern wie die anderen Ge- Reiß mich heraus und rette mich in deiner Gerechtigkeit. setze der 40jährigen DDR-Herrschaft durch Partei- Wende dein Ohr mir zu und hilf mir. Willkür zum Gesetz wurde. Gegenteilige öffentliche Sei mir ein sicherer Hort, zu dem ich allezeit kommen darf. Verlautbarungen an den Kirchtüren unserer Gemein- Du hast mir versprochen zu helfen, denn du bist mein Fels und meine Burg. Mein Gott, rette mich aus der Hand des Frevlers, den wurden durch massive polizeiliche Maßnahmen aus der Hand des Bedrückers und Schurken. gegen die verantwortlichen Pfarrer verfolgt. Gegen die Herr, mein Gott, du bist ja meine Zuversicht, Fristenregelung gerichtete Eingaben an die Regierung meine Hoffnung von Jugend auf. wurden nicht einmal beantwortet. Ärzte und Kranken- Vom Mutterleib an stütze ich mich auf dich. Vom Mutterleib an bist du mein Beschützer. schwestern, die ihre Mitwirkung an der Abtreibung Dir gilt mein Lobpreis allezeit. verweigerten, wurden von den Krankenhäusern ver- wiesen. Liebe Schwestern und Brüder, Wer das alles als Errungenschaft bezeichnet, hat ver- mutlich die Konsequenzen dieser Aussagen nicht be- "Vom Mutterleib an stütze ich mich auf dich. griffen. Wir setzen uns dafür ein, daß die demokrati- Vom Mutterschoß an bist du mein Beschützer". sche Auseinandersetzung in dieser Problematik sach- Dieser Psalm, durch viele Jahrhunderte hindurch ge- gerecht und unvoreingenommen erst einmal begon- betet, spricht mit Selbstverständlichkeit das aus, was nen wird. Dabei ist ganz sicher davon auszugehen, ein gesunder gläubiger Mensch empfindet: Noch be- daß die Selbstbestimmung eines Menschen dort auf- vor ich geboren worden bin, hat der liebende Gott hört, wo das Leben eines anderen Menschen auf dem seine Hand über mir ausgebreitet. Er hat mich gewollt Spiel steht. in seiner unermeßlichen Liebe von Anfang an, vom er- Wir wollen aber das Leben des Kindes nicht gegen die sten Augenblick der Befruchtung an. Frauen schützen, zumal wir davon ausgehen können, Die Sensibilität für die Unantastbarkeit des menschli- daß der natürliche mütterliche Instinkt zum Leben chen Lebens wird glücklicherweise in unseren Tagen steht. Die Propagandisten der Fristenregelung be- weit über die Grenzen der Kirchen hinaus neu entwik- haupten, daß die Freiheit der Frau nur durch die Fri- kelt. Aber zu unserem größten Bedauern wird eine stenregelung gewährleistet sei. Gerade das scheint Phase des menschlichen Seins willkürlich ausgenom- uns eine absolut falsche Einschätzung zu sein, weil die men. Fristenregelung den Männern geradezu das Hand- Viele nehmen sich heraus, über menschliches Leben werkszeug liefert, die schwangere Frau unter Druck zu in den ersten Entwicklungsmonaten im Mutterleib ver- setzen. Nun liegt es ja nur noch an ihr, wie der Kampf fügen zu können, wie über eine Sache. Das ist umso ausgeht, behaupten die Männer. erschütternder, je klarer die Wissenschaft aussagt, Wer einmal miterlebt hat, in welche Einsamkeit eine so daß im Unterschied zu früheren Auffassungen der bedrängte Frau gezwungen wird, kann wahrhaftig Mensch vom Augenblick der Befruchtung an bereits in nicht mehr von Freiheit der Frau in diesem Zusam- seinem ganzen Menschsein umfassend angelegt ist. menhang sprechen. Wir wollen als Christen alles tun, Wir bekennen deswegen, daß für uns Leben im Mut- damit jede Mutter innerlich frei und mit Freude ihr Kind terleib nicht erst zum Menschen wird, sondern nach bejahen kann. Wir wollen aber auch die Väter gewin- unserer Überzeugung existiert der Mensch von An- nen, ebenso bereit zu sein, Lasten auf sich zu nehmen, fang an. Er wird also nicht erst im Mutterleib zum Men- um einem Menschenkind ein glückliches Leben zu er- schen, sondern er ist Mensch vom ersten Tag der Be- möglichen. fruchtung an. Wir fordern die Ärzte auf, sich auf ihr Berufsethos zu Wem es schwer fällt, diese Aussage zu akzeptieren, besinnen: Leben zu retten, zu erhalten statt zu zerstö- hat dennoch immer noch kein Recht, gegen menschli- ren. Wir verlangen vom Staat und allen Verantwortli- ches Leben vorzugehen, denn die Beweislast für die chen in der Gesellschaft, dem werdenden menschli- gegenteilige Meinung liegt auf seiner Seite. Der chen Leben Hilfe und Rechtsschutz zu gewähren, da- Rechtsschutz für das Leben des einzelnen gilt immer mit nicht weiterhin wehrloses Leben verantwortungs- uneingeschränkt. Auch materialistische und liberali- los vernichtet wird. stische Grundhaltungen erlauben keinerlei Verkür- Wir bedanken uns ausdrücklich bei allen Menschen zung dieses Grundrechts menschlichen Lebens. guten Willens, bei Ärzten, Krankenschwestern, Juri- Dieses Rechtsschutzprinzip muß notwendigerweise sten, Politikern, Christen und NichtChristen, die mit al- flankiert sein von einer umfassenden Hilfestellung der len ihren Kräften für den Schutz des menschlichen Le- Gesellschaft für die werdende Mutter. Es ist bekannt, bens eintreten. daß die meisten Frauen auch bereit wären, eine uner- Die Menschen haben sich oft in der Geschichte zu wünschte Schwangerschaft auszutragen, wenn von spät gefragt: wie konnten wir zu diesem Unrecht Seiten des Ehemannes und der Angehörigen, sowie schweigen. Ich glaube, daß eine Zeit kommen wird, in der Mitarbeiter in den Betrieben eine grundsätzlich der künftige Generationen nicht begreifen werden, positive Haltung zum Kind vertreten würde. Stattdes- weshalb in unseren Tagen unschuldiges menschli- sen lastet auf vielen schwangeren Frauen ein oft mas- ches Leben massenhaft vernichtet worden ist. siver Druck, der zur Verzweiflungstat der Abtreibung Aus unserem Glauben an die Schöpferliebe eines güti- führt. Die nahezu völlige Freistellung der Entschei- gen Gottes können wir bei aller Barmherzigkeit zu den dung der werdenden Mutter im Zuge der DDR-Fri- Betroffenen hier nicht schweigen. Wenn Gott unser stenregelung erleichtert die Verantwortungslosigkeit, Beschützer vom Mutterschoß an ist, dann müssen die von vielen Müttern danach mit bitteren psychi- auch wir es für andere sein. schen Krisen bezahlt werden muß. O Gott, vom Mutterleib an stütze ich mich auf dich. Es sei hier daran erinnert, daß die von manchen als Amen. DDR-Errungenschaft gepriesene Fristenregelung kei- Kreuzkirche zu Dresden 21.9.1990

12 MEDIZIN & IDEOLOGIE NOVEMBER 90 Resolution und sozialen „Hilfen" ist dabei ein übler semantischer Betrug zur Verdummung der Bevölkerung, weil effek- tiven „Schutz" nur Strafgesetze, Polizei und Gerichte Dresden, 24.9.1990 geben können, aber nicht das Sozialamt oder eine An den Präsidenten der Bundesärztekammer und des kirchliche Beratungsstelle. Deutschen Ärztetags, Herr Dr. med. Karsten Vilmar, Wie dazuhin eine „Verbesserung der Beratung" ohne sowie an die Präsidenten der Landesärtzekammern Verbesserung des gesetzlichen Schutzes aussehen und die Delegierten des Deutschen Ärztetags soll, ist der offensichtlich unbegrenzten Phantasie der Politiker überlassen. In Wirklichkeit ist auch dieses Bundesärztekammer Versprechen nur eine Beruhigungspille. Haedenkampstr. 4 Denn in über zwei Jahren Praktizierung der Fristenlö- 5000 Köln sung wird sie auch bei uns zum Gewohnheitsrecht, das dann kein Politiker mehr beseitigen will. Betr.: Resolution anläßlich des Internationalen Kon- Wenn SPD, FDP und die Volkskammer aber ihre Zu- gresses der WORLD FEDERATION OF DOC- stimmung zur Wiedervereinigung Deutschlands ab- TORS WHO RESPECT HUMAN LIFE und der hängig machten von der Preisgabe des Lebensrech- ihr angeschlossenen „Europäischen Ärzteak- tes der ungeborenen deutschen Kinder, so ist dies ein tion in den deutschsprachigen Ländern" im ungeheuerlicher Skandal, bei dem die Wiedervereini- Kulturpalast in Dresden. gung mit dem Tod von tausenden von deutschen Kin- dern erkauft wird. Sehr geehrter Herr Präsident des Deutschen Ärztetags, Es ist schizophren, wenn man auf der einen Seite sich sehr geehrte Kammerpräsidenten, vom Kommunismus befreien will und andererseits sehr geehrte Delegierte des Deutschen Ärztetags, dem neuen Gesamtdeutschland das zentralste Stück sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, der kommunistischen Ideologie in Form des Abtrei- bungsgesetzes aufzwingen will. Denn die These Sta- anläßlich des Internationalen Kongresses der WORLD lins, daß der Mensch nur ein Stück „denkende Mate- FEDERATION OF DOCTORS WHO RESPECT HU- rie" sei (das man dann nach Belieben liquidieren und MAN LIFE mit über tausend Teilnehmern aus 18 Natio- manipulieren kann), ist einer der Kernsätze des dialek- nen übermitteln wir Ihnen den schärfsten Protest zur tischen und historischen Materialismus. Er wird den Weiterleitung an die Bundesregierung gegen die Menschen mit der Abtreibung als „Wirklichkeit" be- grundgesetz-, rechts- und standeswidrige Aufhebung wußt gemacht und eingeprägt. Und entsprechend des Lebensrechtes der ungeborenen Kinder für an- dem materialistischen Menschenbild gibt es dann we- geblich über zwei Jahre durch die Regierungen der der die vom Grundgesetz geforderte „Verantwortung Bundesrepublik und der DDR und ihre Parlamente. vor Gott", noch ein von daher abgeleitetes Recht auf Die Straffreiheit von Frauen und Medizinern, die im unverletzliche Menschenwürde oder ein Recht auf Le- östlichen Teil Gesamtdeutschlands nun ohne jede In- ben und Unversehrtheit. dikation und Beratung ungeborene Kinder töten dür- Es war die Methode Adolf Hitlers, Volksabstimmun- fen, und dies dann noch durch die Krankenkassen gen zu machen, bei denen immer ein wichtiges natio- zum Teil über die Kassenärztlichen Vereinigungen nales Anliegen aller Deutschen zusammengekoppelt „honoriert" bekommen, ist die de-facto-Einführung wurde mit der Durchsetzung ideologischer Rechts- der verfassungswidrigen Fristenlösung auch für die brüche, und die Wähler nur Ja oder Nein zum Gesamt- Frauen in der Bundesrepublik. Angesichts der voraus- paket sagen durften. Das „Nein" bedeutete dann im- sichtlichen Zusammensetzung eines kommenden ge- mer auch die Ablehnung des nationalen Zieles, zu der samtdeutschen Parlamentes glaubt doch niemand an sich nur die wenigsten Deutschen entschließen konn- ein „verbessertes" Gesetz gegenüber den verfas- ten. So erpresste er sich jeweils über 90% Ja-Stim- sungswidrigen derzeitigen Gesetzen in der Bundesre- men. Soll nun ein derartiger Betrug nach dem Vorbild publik und der ehem. DDR, die auf die eine oder an- Hitlers erneut am Anfang des neuen Deutschland ste- dere Art die Tötung ungeborener Kinder freigeben. hen? Wenn die Bundesregierung jetzt schon erklärt, daß es Und kapituliert die Deutsche Ärzteschaft kampflos, sich bei diesem „besseren Gesetz" nicht um einen obwohl dadurch ihre geistigen und moralischen verbesserten Strafrechtsschutz für das Lebensrecht Grundlagen zerstört werden und es keineswegs zu der Ungeborenen handelt, sondern lediglich um „Ver- der dringend nötigen Befreiung deutscher Ärzte von besserung der Beratung" und der materiellen „Hilfen", der kommunistischen Diktatur kommt, sondern zu der so ist für jeden Kenner der Lage klar, daß es in Wirk- Fortsetzung des Mißbrauchs der Ärzteschaft zum Tö- lichkeit keinen besseren „Schutz" geben wird. Die ten? ständige Gleichsetzung von gesetzlichem „Schutz" Die Ärztekammern und Kassenärztlichen Vereinigun-

MEDIZIN & IDEOLOGIE NOVEMBER 90 13 gen geben aber durch diese Kapitulation vor der Mas- Dr. med. Siegfried Hummel, Dresden senliquidation ungeborener Kinder durch Ärzte die Landesvorsitzender der CDL Sachsen ethischen Fundamente unserer gemeinsamen Beruf- sordnung und das Berufsziel des ausschließlichen Dr. med. univ. Siegfried-Kraft Ernst, Nürnberg Dienstes am Leben auf. Auf diesem gemeinsamen Treasurer der WFODWRHL Fundament aber gründet sich allein der Anspruch der Dr. med. Hartwig Holzgartner, München „Körperschaften Öffentlichen Rechtes" auf Zwangs- Delegierter des Deutschen Ärztetages und mitgliedschaft aller Ärzte. Zwischen den dem Leben Vorsitzender des gesundheitspolitischen Ausschus- verpflichteten, hippokratischen Ärzten und medizini- ses der CSU schen Tötern ist aber eine „Kollegenschaft" undenk- bar und nicht erzwingbar. Professor Dr. med. Adam, München Eine Ärztekammer, die in ihren Reihen das indika- Delegierter des Deutschen Ärztetages tionslose Töten toleriert, wird zur „Körperschaft Öf- Dr. med. Karl Lang, Reichertshofen fentlichen Unrechts". Wir fordern deshalb die Standesvertretungen der Dr. med. E. Th. Mayer, München Deutschen Ärzteschaft auf, mit allen zur Verfügung stvtr. Delegierter des Deutschen Ärztetages stehenden Mitteln gegen diesen Bruch des Grundge- Mitglied der Bayerischen Landesärztekammer setzes und die de-facto-Aufhebung der Standesord- Dr. med. Josef Gradl, München nung, wie sie in dem Einigungsvertrag mit der „zeit- Delegierter des Bayerischen Ärztetages weiligen" Einführung der Fristenlösung begangen wurden, Front zu machen. Die geistig moralischen M + l- Redaktion: Die Kolleginnen und Kollegen, die Fundamente unseres Berufes sind wichtiger als Ho- diese Resolution unterstützen wollen, bitten wir, sich norarfragen. Wenn man aber schon bereit ist, notfalls bei uns zu melden. Wir schicken dann den Brief für für Honorare zu streiken, müßte man bei einem auch eine Unterschrift zu. gegen die Ärzteschaft gerichteten Verfassungsbruch und der Aufhebung der Fundamente der Berufsord- nung das Widerstandsrecht des Artikels 20 GG in An- Grußadresse nach Dresden spruch nehmen und um der Zukunft des ganzen Vol- kes willen die Ärzteschaft zum Widerstand aufrufen! Den in Dresden zum Kongreß der WORLD FEDERA- Nachdem das Bayerische Oberste Landesgericht in TION OF DOCTORS WHO RESPECT HUMAN LIFE seinem Urteil vom 26.4.1990 die Tötung von ungebo- versammelten Ärzten übermittelt der Heilige Vater renen Kindern aus sozialer, eugenischer, medizini- herzliche Grüße. Mögen die Beratungen zum Thema scher und kriminologischer Indikation als lediglich für Lebensrecht und Zukunft Europas einen Beitrag „straffrei" aber „rechtswidrig" bezeichnet hat (mit leisten zu dem wichtigen Anliegen der Förderung des Ausnahme der vitalen Indikation), haben die Kassen- Bewußtseins für Würde und Achtung des menschli- ärztlichen Vereinigungen die Pflicht für diese Tötun- chen Lebens. Dazu erbittet Seine Heiligkeit von Her- gen keine Honorare mehr auszuzahlen. Die Ärztekam- zen Gottes Segen. mern haben dies notfalls den Kassenärztlichen Ver- Kardinal Casaroli einigungen zu untersagen. Sie haben außerdem die Verpflichtung, Mediziner, die solche rechts- und stan- deswidrigen Abtreibungen durchführen, zur Rechen- Menschliches Leben schützen schaft zu ziehen und disziplinarisch zu bestrafen. Katholiken verlassen Demokraten wegen Abtrei- Es ist uns unverständlich, daß die Ärztekammern die bungs-Standpunkt diesbezüglichen Anträge beim Deutschen Ärztetag in NEW YORK (KNA). Ein katholischer Publizist und ein Würzburg (Nr. V/78, V/79 und V/82) und diesen klaren Weihbischof haben ihre Mitgliedschaft in der Demo- rechtlichen Sachverhalt offenbar nicht zur Kenntnis kratischen Partei der Vereinigten Staaten aufgekün- genommen haben. Die ärztlichen Standesorgane digt, weil sie die Haltung der Demokraten zur Legali- schweigen sogar selbst zu der jetzt erhobenen Forde- sierung der Abtreibung nicht mehr mittragen wollen. rung, nach dem 3. Oktober 1990 auch die Fristenlö- Wie die in New York erscheinende Zeitschrift „The Ca- sungsabtreibungen, die in der ehemaligen DDR vor- tholic Journalist" in ihrer August-Ausgabe berichtet, genommen werden, durch die Krankenkassen zu be- hat der Chefredakteur der Zeitung „Catholic New zahlen. York", Gerald Costello, nach 38 Jahren Zugehörigkeit Wir protestieren gegen dieses Schweigen der Beruf- in der Partei in einem Kommentar seinen Austritt er- sorganisationen und können es nicht länger hinneh- klärt. men, da wir darin einen ausgesprochenen Verstoß ge- Er begründete seinen Schritt damit, daß in ihr kein gen das Genfer Gelöbnis von 1948 und gegen die Platz mehr sei für Menschen, die glaubten, daß Standesordnung und Standesehre der Deutschen menschliches Leben im Mutterleib auch vor der Ge- Ärzteschaft erblicken! burt existiere und nicht getötet werden dürfe. Er Wir bitten Sie deshalb, diesen Protest an die Bundes- schreibt: „Die Partei ist entschlossen, ihre Politik der regierung weiterzuleiten und ihn massiv zu unterstüt- Abtreibung-auf-Anfrage beizubehalten. Sie behandelt zen! jedes Mitglied, das von dieser Meinung abweicht, mit Mit kollegialer Hochachtung! Geringschätzung." Costello sagte, er habe die Demo- Europäische Ärzteaktion in den deutschsprachigen kraten seit seiner Jugend für die Partei gehalten, die Ländern. auf der Seite der Familien, der Schwachen und der Ar- Dr. med. Siegfried Ernst, Ulm beitnehmer stehe. 1. Vorsitzender Für ihn sei es unerträglich, daß diese Partei eine un- nachgiebige Kampagne gegen die schwächsten aller Dr. med. Georg Götz, Augsburg menschlichen Wesen führe. Wenige Wochen vor Co- stvtr. Vorsitzender stello hatte der New Yorker Weihbischof Austin Vaug- Dr. med. Alfred Häussler, Neckarsulm ham seinen Austritt aus der Demokratischen Partei öf- stvtr. Vorsitzender fentlich angekündigt und dies ebenfalls mit deren für ihn untragbaren Haltung in der Abtreibungsdebatte begründet. Deutsche Tagespost, 11.8.90

14 MEDIZIN & IDEOLOGIE NOVEMBER 90 Liebe Schwestern und Brüder, Grundgesetz der BRD In der gegenwärtigen DDR ist innerhalb der ersten drei Recht und Gerechtigkeit sind ein zentrales biblisches Monate einer Schwangerschaft eine Abtreibung - Anliegen. Dabei geht es nicht um abstrakte Normen, ohne Indikation - nicht nur straffrei, sondern sogar er- auch nicht um harmlose Gedankenspielereien, son- laubt. dern nach biblischem Denken immer um ein sehr kon- In der Bundesrepublik hingegen ist die Tötung eines kretes Verhalten in Entsprechung zu Gottes Recht und Menschen, auch eines noch ungeborenen, grund- Gerechtigkeit. Ein ernstes Thema: Geht es dabei doch sätzlich und in jedem Falle rechtswidrig, und zum letztlich um Heil oder Unheil, Leben oder Tod. Im Schutz des ungeborenen Menschen stellt Paragraph Evangelium wird dieses Thema in den Mittelpunkt der 218 des Strafgesetzbuches einen Schwangerschafts- Verkündigung Jesu vom Reich Gottes gerückt. abbruch folgerichtig unter Strafe. Recht und Gerechtigkeit ist nun auch das uns von der Durch die Reform des Paragraphen 218 ist hier inzwi- Monatslosung September 1990 vorgegebene und schen eine Regelung getroffen worden, wonach eine aufgegebene Thema. Abtreibung in jedem Falle nach wie vor zwar eine Ein Thema von brennender Aktualität! Rechtswidrigkeit darstellt, der Staat jedoch in beson- deren Fällen - nach vorhergehender Beratung und Freude über den Staatsvertrag? Feststellung einer Indikation - auf die Bestrafung der Vorgestern haben sich nach langen und z. T. erbittert Rechtswidrigkeit verzichtet. geführten Auseinandersetzungen die Vertreter von (Von „legalen" Abtreibungen zu sprechen - inzwi- CDU/CSU, SPD und FDP auf einen Staatsvertrag ge- schen gang und gebe - ist demnach nicht im Sinne einigt, der den Beitritt der DDR zum Geltungsbereich unserer Rechtsordnung, sondern ein Indiz dafür, wie des Grundgesetzes und damit die Vereinigung der die Reform des Paragraphen 218 zu einer - z. T. beab- DDR mit der BRD zu einem einheitlichen Staat im ein- sichtigten - Bewußtseinsänderung beigetragen hat, zelnen durch Vereinbarungen regelt. nämlich einem bedenklichen Schwinden des Un- Über dieses „Dokument von höchster historischer rechtsbewußtseins und der Ehrfurcht vor dem Le- Tragweite" (Bundeskanzler Kohl) sollen sich nun alle ben.) freuen. Dies sei „ein Tag der Freude und der Zuver- sicht für alle Deutschen" (Innenminister Schäuble). Regelungen im Staatsvertrag verfassungswidrig Der Vertrag sei „eine große Hoffnung für die Bürger", Eine generelle Fristenlösung ist vom Bundesverfas- in „konstruktivem Geist" gestaltet biete er nun „Si- sungsgericht 1975 in einem umfassenden Grundsatz- cherheit und Klarheit über die vielen Fragen, die sich urteil als verfassungswidrig verworfen worden. beim Vollzug der Einheit stellen" (Ministerpräsident de Mithin kann es gar keinem Zweifel unterliegen - und Maiziere). ich bin überzeugt davon, daß die Politiker dies auch Ich muß bekennen, daß angesichts der getroffenen ganz genau wissen -, daß die jetzt im Staatsvertrag Vereinbarungen bei mir wie bei vielen anderen Bür- getroffene Vereinbarung, die im vereinten Deutsch- gern unseres Landes keine ungetrübte Freude auf- land praktisch die Fristenlösung erlaubt - und zwar kommen kann. Dabei habe ich nie zu den Miesma- für das Gebiet der heutigen DDR wie letztlich auch für chern der deutschen Einheit gehört. Aber was hier ver- die Frauen aus der Bundesrepublik (die ja künftig „drü- einbart worden ist, ist kein Grund zur Freude. Denn ben" ohne weiteres innerhalb der ersten 3 Monate ab- hier ist das Grundrecht des schwächsten Gliedes treiben lasset) können!), nicht mit dem Grundgesetz unserer Gesellschaft auf Leben, nämlich das des un- im Einklang steht, sondern es in eklatanter Weise geborenen Menschen im Mutterleib, mit Füßen ge- verletzt. treten worden! Und darauf soll nun unsere staatliche Einheit gegrün- Anschlag auf die Verfassung det werden!? Anders soll sie angeblich nicht zu haben In der Tatsache, daß dies den Politikern offenkundig gewesen sein, weil anders eine Zustimmung der SPD bewußt ist, sie aber dennoch einen solchen Staats- und der FDP zu einem Einigungsvertrag nicht zustan- vertrag vereinbart haben, sehe ich eine alarmierende degekommen wäre? Mißachtung unserer verfassungsmäßigen Ordnung Das liegt nun jedenfalls für alle klar zutage: - ausgerechnet durch diejenigen, zu deren Pflichten Das ist der Preis, der verlangt - und schließlich gezahlt gerade der Schutz, die Achtung und Wahrung dieser wurde. - In meinen Augen ist dies daher ein Tag der Verfassung gehören. - Und wenn ich nun noch höre, Schande! daß man sich darauf verständigt habe, diese Rege- Zu diesen Vereinbarungen im Staatsvertrag gehört lung zwei Jahre (einige forderten sogar 5 Jahre!) bei- nun also vor allem - und dies war denn auch das be- zubehalten, ohne bis dahin deren Verfassungsmäßig- herrschende Thema der letzten Wochen und Ver- keit durch das Verfassungsgericht überprüfen zu las- handlungstage - das Zugeständnis, das gegenwärtige sen, komme ich nicht umhin, dies für ein „Komplott" Abtreibungsrecht der DDR auf dem Gebiet der heuti- zu halten. gen DDR mindestens für zwei weitere Jahre, u.U. also Denn als was sonst ist es zu bezeichnen, wenn unsere auch noch länger, in Kraft zu lassen. Politiker Vereinbarungen treffen, die objektiv verfas- sungswidrig sind, und dabei - damit niemand ihre Das bisherige Abtreibungsrecht der DDR und der Kreise stört - gleichzeitig verabreden, die Verfas- Schutz des ungeborenen Lebens nach dem sungsmäßigkeit dieser Vereinbarungen nicht überprü-

MEDIZIN & IDEOLOGIE NOVEMBER 90 15 fen zu lassen?! Man hört ja jetzt schon Drohungen ei- zu übernehmen, die das Menschenrecht bekanntlich ner Politikerin, man möge nur nicht versuchen, diese auch in anderer Hinsicht mit Füßen trat (Stasi, Mauer Vereinbarung doch noch nachträglich - durch den und Stacheldraht mit Schießbefehl ...)? Darin sollte Gang zum Verfassungsgericht - „auszutricksen". sich unser Staat von dem Unrechtsstaat Ulbrichts und Wer hat denn eigentlich eine solche Überprüfung zu Honeckers vielmehr deutlich unterscheiden und sich fürchten? insofern auch entschieden dagegen verwahren, die Doch nur diejenigen, die damit zu rechnen haben, daß sogenannten sozialistischen „Errungenschaften" der ihre Vereinbarungen für verfassungswidrig und damit DDR wie die Abtreibungsregelung noch weiter zu ver- unwirksam erklärt werden. Sollte es aber nicht die hei- längern oder gar „durch die Hintertür" auf das ge- lige Pflicht und das ehrliche Bestreben eines jeden Po- samte vereinigte Deutschland zu übertragen. litikers sein, das Grundgesetz zu achten, zu schützen Zu der beklagenswerten Entwicklung beigetragen hat und zu wahren? Und müßte nicht die gesetzgebende die furchtbare Sprachverwirrung, die gerade in dieser Gewalt vor allem selbst daran interessiert sein, daß Sache von interessierter Seite schon seit langem be- ihre Gesetzgebung verfassungskonform ist? Müßte wußt gestiftet worden ist: sie nicht dankbar dafür sein, daß sie darauf aufmerk- So sprechen manche immer noch verharmlosend von sam gemacht wird, wenn sie etwa gegen die Verfas- „Schwangerschafts-unterbrechung" (als wäre da- sung verstoßen sollte? nach etwa noch eine Fortsetzung der Schwanger- Aber hier soll doch wohl das Verfassungsgericht ge- schaft möglich), - wo es sich doch in Wahrheit um die rade deshalb nicht angerufen werden, weil man eben endgültige Beendigung der Schwangerschaft und schon weiß, daß diese Bestimmungen nicht im Ein- damit die Tötung eines ungeborenen Kindes handelt, klang mit dem Grundgesetz stehen! Also vereinbart das nach unserer Verfassung dasselbe Lebensrecht man, zwei Jahre lang nicht zu klagen, um den Verfas- hat wie der geborene Mensch. sungsbruch nicht als solchen feststellen zu lassen. Wenn dies aber zutrifft, dann handelt es sich hier um Abtreibung reine „Frauenfrage"? nicht weniger als um einen Anschlag auf unsere ver- Die ganze Frage des Schutzes des ungeborenen Le- fassungsmäßige Ordnung, und - sofern dies gemein- bens wird zu der „Frauenfrage" erklärt. (Man sollte die sam mit den genannten Absprachen vereinbart wor- Frauen - aber bitte auch die große schweigende Mehr- den ist - geradezu um ein verabredetes Komplott ge- heit der Frauen! - doch einmal fragen, ob das wirklich gen unsere Verfassung! die Frage ist, die ihnen vor allem anderen auf den Nä- geln brennt. Und ob die Frauen in der DDR mehrheit- Das Grundrecht des Menschen auf Leben auch lich nicht ganz andere Sorgen haben, die unsere Politi- durch Verfassungsänderung nicht antastbar ker ernstzunehmen und endlich einmal tatkräftig auf- Woher nehmen die Politiker das Recht, das verfas- zugreifen hätten, denen sie nicht annähernd so viel sungsmäßig garantierte Grundrecht auf Leben zur Zeit und Kraft widmen wie der Frage der Abtreibung?!) Disposition zu stellen? - Die Verfassung selbst verbie- Den betroffenen Frauen reden die Meinungsmacher tet wohlweislich und ausdrücklich (man wußte damals ein, das „Recht" auf Abtreibung sei eines ihrer funda- noch, aus welch unseligen Zeiten wir kamen!), ein mentalen Frauenrechte und Ausdruck ihrer Emanzi- Grundrecht in seinem Wesensgehalt anzutasten. pation, ihrer Selbstbestimmung und Selbstverwirkli- Eine Verfassungsänderung, zu der es einer Zweidrit- chung. Da habe ihnen keiner, auch nicht der Staat - telmehrheit bedürfe, kommt in diesem Falle also über- und vor allem kein Mann, dreinzureden. Das sei aus- haupt nicht in Betracht, da es sich um ein unaufgebba- schließlich ihre Angelegenheit. Wer da anders denke res Grundrecht handelt. und handle, stelle sich gegen „die" Frauen. „Jeder hat Recht auf Leben und körperliche Unver- Eine Frau war es freilich, deren Leserbrief an diesem sehrtheit." Dieses Grundrecht kann auch ein großer Wochenende veröffentlicht wurde, die in dem Zusam- „Kompromiß" und „Konsens" quer durchs Parlament menhang auf einen schlichten Sachverhalt hinwies, nicht aufheben. Gott sei Dank!, kann man da nur sa- der in der Öffentlichkeit Diskussion so gut wie gar gen angesichts der erklärten Bereitschaft, dieses keine Rolle mehr spielt, nämlich unseren Umgang mit Recht zur Disposition zu stellen! der Fähigkeit, ein Kind zu zeugen und zu empfangen Ich stehe mit meinen Bedenken zum Glück nicht allein bzw. eine ungewollte Schwangerschaft von vorne- da. Ähnlich ist auch schon von vielen anderen, na- herein zu verhindern: „Keine Generation vorher hat je mentlich fachkundigen Juristen, in aller Deutlichkeit so viele Möglichkeiten gehabt, eine Schwangerschaft geurteilt worden. zu verhüten, keine war so aufgeklärt wie diese, und In Wahrnehmung meines Amtes werde ich meiner- keine trieb und treibt so bedenkenlos ab." seits diese Predigt an maßgebliche Stellen weiterlei- Gehört es zum Wesen der Frau und Mutter - millionen- ten. Sie sollen sich eines Tages nicht damit herausre- fach praktiziert -, ihre Kinder zu schützen, zu hegen den können, sie hätten nicht gewußt, was sie da tun... und zu pflegen und sie erforderlichenfalls „wie eine Löwin" zu verteidigen, wird ihr nun eingeredet, darin Kompromiß um jeden Preis? würde sie sich selbst verwirklichen, wenn sie sich das Daß Kompromisse in der Politik unumgänglich sind, Recht herausnehme, ihr eigenes Kind dem Tode ist zu akzeptieren. Nur in der Frage des fundamenta- preiszugeben... len Menschenrechts auf Leben kann es in einem Rechtsstaat keine Kompromisse geben. Da gibt es Erklärung der beiden großen Kirchen doch nichts abzumarkten! Da kann doch nur klar Daher begrüße ich die dieser Tage veröffentlichte ge- Farbe bekannt werden. meinsame Erklärung des Ratsvorsitzenden der Evan- Den Einigungskompromiß um den Preis derzeitwei- gelischen Kirche in Deutschland und des Vorsitzen- sen Aussetzung des Grundrechts auf Leben halte ich den der katholischen Deutschen Bischofskonferenz daher für unannehmbar. „Zur Frage nach dem Schutz des ungeborenen Le- Gibt es denn in der gegenwärtigen Politik eigentlich bens im Prozeß der Vereinigung der beiden deutschen gar keine unantastbaren Prinzipien mehr? Steht Staaten". denn letztlich alles zur Disposition, wenn der Kompro- Darin äußert der West-Berliner Bischof Martin Kruse miß dies erheischt? und der Mainzer Bischof Karl Lehmann massive Be- Ich dachte, die DDR wollte unserer Verfassungsord- denken gegen die in der DDR geltende Regelung. nung beitreten. Was nötigt uns, dabei das menschen- Darin komme nicht mehr zum Ausdruck, daß jede Tö- rechtsmißachtende Gesetz einer atheistischen DDR tung menschlichen Lebens den Grundsätzen einer

16 MEDIZIN & IDEOLOGIE NOVEMBER 90 menschenwürdigen Rechtsordnung widerspreche. schen Willen! - Anwalt der Entrechteten, der Schwa- Die DDR-Regelung sei mit den „fundamentalen chen, Stummen, Wehr- und Hilflosen, der von Tö- Überzeugungen des christlichen Glaubens und der tung Bedrohten zu sein. Kirchen" unvereinbar, stellen die Kirchen fest und Wer wollte leugnen, daß zu diesen heute in allererster verweisen zudem auf den Widerspruch zum Grund- Linie die Kinder im Mutterleibe gehören?! Sie können gesetz und zur Entscheidung des Bundesverfas- nicht schreien und sich nicht wehren, wenn ihr Grund- sungsgerichts zur Fristenregelung. „Damit maßt sich recht auf Leben angetastet wird. Sie sind völlig auf un- der Staat die Übertragung eines Rechtes an, das gar seren Schutz und unsere Hilfe angewiesen, darauf, nicht besteht und auch nicht bestehen kann." Nach daß wir uns für sie und ihr Recht einsetzen. Sie sind Darstellung der beiden Bischöfe wäre es „verhängnis- „die Hauptbetroffenen", nicht, wie in der Diskussion voll", wenn die Aufgaben und Möglichkeiten der immer wieder behauptet wird, die Mütter. Bei ihnen Rechtsordnung zum Schutz des ungeborenen Lebens geht es unwiderruflich um Sein oder Nichtsein, Leben vernachlässigt würden. Dabei sei zu beachten, daß es oder Tod! sich beim Recht auf Leben um ein „fundamentales Ist es nicht entsetzlich, daß inzwischen ausgerech- Menschenrecht" handele. Deshalb sei es Aufgabe der net der Mutterleib zu der lebensgefährlichsten Be- Rechtsordnung, für den Schutz des geborenen wie hausung des Menschen geworden ist?! Statistisch des ungeborenen Lebens zu sorgen. Dies müsse mit betrachtet überlebt in unserem Land jeder Dritte diese Zivil- und Sozialrecht, aber eben auch mit dem Mittel bedrohlichste Phase seines Lebens nicht, - weil Men- des Strafrechts erfolgen (nach „Unsere Kirche" Nr. 36/ schen sich das Recht anmaßen, ein von Gott ge- 1990 v. 2.9.90/-epd-). schenktes Leben eigenmächtig zu vernichten. Wo So sehr ich diese klare Stellungnahme begrüße, so doch schon von dieser Phase gilt, was der 139. Psalm sehr beklage ich die mangelnde Bereitschaft vieler staundend so bekennt: „Es war Dir mein Gebein nicht Kirchenvertreter (zumal auf evangelischer Seite!), verborgen, als ich im Verborgenen gemacht wurde, diese Erkenntnisse auch in der Öffentlichkeit offensiv als ich gebildet wurde unten in der Erde. Deine Augen zu vertreten. - Wo bleibt übrigens bei dieser Diskus- sahen mich, als ich noch nicht bereitet war,..." sion die Stimme des von vielen so verehrten und als moralische Autorität über die Parteigrenzen hinweg „Wahnsinn!" - „Wahnsinn!" hoch geachteten Bundespräsidenten von Weizsäk- Wir haben noch die bewegenden Bilder vor Augen, ker? Wäre es nicht seine Aufgabe, ein klärendes Wort wie die Menschen sich nach der Öffnung der Mauer in zu sprechen, nachdem die maßgebenden Politiker den Armen lagen. „Wahnsinn", „Wahnsinn" waren da- hier mit der Verfassung umgehen, als stünden sie über bei die am häufigsten gebrauchten Ausdrücke für das dem Gesetz, und als wäre es ihr Privateigentum, über von ihnen Erlebte. - Soll nun der Prozeß der staatli- das sie frei verfügen könnten?! - Stattdessen chen Vereinigung mit einem „Wahnsinn" anderer Art, „Schweigen im Walde". der offiziellen Hinnahme eines angeblichen „Abtrei- Es fehlt weithin an Mut zur Wahrheit, an tapferem Ein- bungsrechts", vollendet werden? Soll die gewaltfreie treten für Recht und Gerechtigkeit zur Rettung des Revolution, auf die unsere Mitbürger aus der DDR mit Menschen. Recht stolz sein können, nun doch am Ende mit der lautlosen, staatlich sanktionierten Gewalt gegen hun- ... oder muß sich die Kirche da heraushalten? derttausende unschuldige und wehrlose Kinder im Nun höre ich den allzu billigen Einwand, die Kirche Mutterleib zum Ziel kommen? - „Wahnsinn": Recht solle sich gefälligst aus der Politik heraushalten. So, und Gerechtigkeit geraten aus den Fugen! Und alle wie der Pfarrer in seiner Verkündigung vom Himmel machen mit. - Oder doch nicht alle? predigen soll, um die Erde den Politikern zu überlas- Ich appelliere - im Namen Gottes und des Menschen- sen. - Aber ich frage umgekehrt: Sollten die Politiker rechts - an die verantwortlichen Parlamentarier, den das Monopol für sich beanspruchen dürfen, in solch Staatsvertrag in dieser Form nicht zu ratifizieren. Er schwerwiegenden Grundfragen unseres Rechtsstaa- bedeutet einen ungeheuerlichen Anschlag auf das tes und seiner Werteordnung allein und unwiderspro- Grundrecht des Menschen. Er darf so nicht verab- chen meinungsbildend zu wirken? schiedet werden. Menschliches und göttliches Recht Mit Recht wird der Kirche im Dritten Reich vorgewor- stehen dem entgegen. fen, sie habe zu schwerem Unrecht vielfach geschwie- Wir sind dabei, den Embryonenschutz gesetzlich zu gen oder doch nicht tapfer genug widersprochen und verankern; - beim Kind im Mutterleib wird der gesetzli- widerstanden. Bis auf einige rühmliche Ausnahmen che Schutz preisgegeben. Wirfordern schärfere Straf- war das wohl tatsächlich so. - Dieselben, die das be- bestimmungen gegen Umweltsünden; - in der Abtrei- klagen, machen der Kirche heute aber einen Vorwurf, bungsfrage wird argumentiert, man dürfe nicht mit wenn sie angesichts von Unrecht in unserer Zeit ihre dem Strafrecht drohen, das sei wirkungslos. Stimme erhebt. Und in der Tat: Während die Diskussion weitgehend Ich persönlich weiß mich jedenfalls als ein berufener bestimmt war von der Frage, ob sich eine bundesre- Diener des Wortes Gottes und gemäß meinem Ordi- publikanische Frau strafbar mache, wenn sie in der nationsgelübde verpflichtet, dafür Sorge zu tragen, früheren DDR abtreiben ließe, ist schon seit Jahren, daß die Gebote Gottes auch im öffentlichen Leben be- soviel ich weiß, keine einzige Frau wegen eines Ver- achtet werden, - und wehe, wenn ich hier schwiege! stoßes gegen Paragraph 218 StGB strafrechtlich be- Ein solches Wächteramt hat gute biblische Tradition. langt worden, - und das trotz öffentlicher Selbstbe- Man denke nur etwa an das Wirken der Propheten, die zichtigung unserer Schickeria. sich durchaus „politisch" und sehr direkt zu Wort mel- Ist diese Strafrechtsbestimmung also ohnehin schon deten, wo und von wem auch immer das Recht mit Fü- längst zu einem „Papiertiger" verkommen, der längst ßen getreten wurde! nicht mehr beißt, so geht es bei der Diskussion um Kirche hat für andere da zu sein, hat Dietrich Bon- eine eventuelle „Bestrafung" von Frauen um eine hoeffer, einer der tapferen Bekenner und Märtyrer in praktisch rein fiktive Frage ohne jeden Realitätswert. der Zeit der Hitler-Diktatur, zu Recht gesagt. Es geht in Aber es scheint sich gut zu machen, sich schützend dieser Frage ja nicht um irgendwelche selbstsüchti- vor „die Frauen" zu stellen, denen mit Bestrafung „ge- gen . Interessen der Kirche, nicht um kirchliche droht" wird, - auch wenn man selbst nur zu gut weiß, „Macht" oder Bevormundung des mündigen Bürgers. daß der Staat Frauen, die abtreiben lassen, tatsäch- Sondern Kirche hat - um Gottes und um des Men- lich eh nicht bestraft. -

MEDIZIN & IDEOLOGIE NOVEMBER 90 17 Liebe Gemeinde, ich habe hier aus aktuellem Anlaß vor allem rechtliche Aspekte angesprochen, - ausge- hend von dem Monatsspruch für September. Natür- lich weiß ich als einer, der sich seit vielen Jahren inten- siv in dieser Sache engagiert hat, um die Vielschichtig- keit der Problematik, die man unmöglich in einer Pre- digt ausführlich darstellen kann. Das kann anderer- seits aber auch nicht zum Vorwand genommen wer- den, dieses brisante Thema als solches überhaupt nicht in einer Predigt anzusprechen. Diese Predigt liegt schriftlich vor und kann von Ihnen angefordert werden. Ich biete ein Gespräch hierüber an und stelle mich gerne zur Diskussion. Zu einem sol- chen Gespräch lade ich ins Gemeindehaus ein am Mittwoch dieser Woche um 20 Uhr. „Gerechtigkeit erhöht ein Volk, aber die Sünde ist der Leute Verderben", sagt die Bibel. Auf einem vereinten Deutschland, das die Entrech- tung seiner allerschwächsten Glieder und Gewalt ge- gen die wehrlosesten menschlichen Wesen mit seiner Geburtsurkunde besiegelt, wird kein Segen ruhen! Davor bewahre uns der heilige Gott, daß wir das wun- derbare, kostbare Gnadengeschenk der Vereinigung unseres so lange und so schmerzlich geteilten Landes mit dieser schweren Hypothek belasten! Gott erleuchte unser Volk und seine Politiker durch seinen Geist, damit wir brüderlich und schwesterlich nach „Einigkeit und Recht und Freiheit" streben, damit das Recht „ströme wie Wasser und die Gerechtigkeit wie ein hie versiegender Bach" - und unser deutsches Vaterland „im Glanze dieses Glückes" blühen möge. Amen. M&l- Redaktion: Pfarrer Karl Schlosser ist das 10. Wenn ein Buch in relativ kurzer Zeit allein im deut- Kind seiner Eltern. Seine Mutter wurde fast 90 Jahre schen Sprachraum über 20 Auflagen erreicht, und alt und betonte, daß auch dieses Kind ein Wunsch- dann davon auch noch Übersetzungen in andere kind gewesen sei. Sprachen erfolgen, dann handelt es sich bei einem solchen Buch ganz gewiß um einen Bestseller. Best- Die Monatslosung vom Oktober 1990 lautete: „Irret seller wird ein Buch aber immer nur dann, wenn sein euch nicht! Gott läßt sich nicht spotten. Galater 6,7 Inhalt aktuell, das heißt zeitgemäß und im augenblick- lichen Interesse liegend ist, vor allem aber, wenn es sich in seinem Inhalt als unumstößlich richtig erweist und dazu noch auf eine Marktlücke stößt. Das alles trifft auf das Buch „Natürliche Empfängnisregelung" von Dr. Rötzer zu. In diesem Buch spiegelt sich das Lebenswerk von Dr. Rötzer wider, welches der Erforschung der menschli- chen Fruchtbarkeit, aber auch der unfruchtbaren Zeit im Cyclus der Frau gilt. Wenn Augustinus (354-430), Abtreibung: Bayerische Kirche kriti- der größte christliche Platoniker, der Begründer einer siert Übergangsregelung ersten und großartigen christlichen Anthropologie und Bischof Hanselmann spricht von unerträglichem damit als bedeutendster Lehrer des Abendlandes die Kompromiß christliche Ehelehre theologisch formulierte, zu der sich seit dem 13. Jahrhundert auch die gesamt Ostkir- München (idea) - Scharfe Kritik an der im Einigungs- che bekennt, und die bis zu der denkwürdigen Konfe- vertrag vorgesehenen Übergangsregelung zum renz der anglikanischen Bischöfe in Lambeth im Jahre Schwangerschaftsabbruch hat der Bischof der Evan- 1930 Allgemeingut aller christlichen Bekenntnisse gelisch-Lutherischen Kirche in Bayern, Johannes war, so ist das Buch von Dr. Rötzer ganz der medizi- Hanselmann (München), geübt. Der Vertrag, der noch nisch-praktischen Realisierung dieser Lehre gewid- vom Deutschen und der DDR-Volkskam- met. Seit Augustinus ist es alte kirchliche Lehre, daß mer mit Zwei-Drittel-Mehrheit verabschiedet werden die Ehe unter Christen mehr ist als nur ein Bund zwi- muß, sieht vor, daß in den kommenden beiden Jahren schen zwei Menschen. Denn Gott ist der Dritte im in Westdeutschland die Indikationsregelung und im Bunde. Die Ehe ist ein Dreibund mit Gott. Darum ist Gebiet der jetzigen DDR die Fristenregelung weiter- jede Kontrazeption mit nicht von der Natur vorgege- gelten soll. Westdeutsche Frauen, die dort eine Abtrei- benen Möglichkeiten ein Ausschluß Gottes aus die- bung vornehmen lassen, bleiben straffrei. Hansel- sem Bund, der die Ehe nach der Schöpfungsordnung mann äußerte sich in einem Interview des Bayerischen und damit nach dem Willen Gottes ist und sein soll. Fernsehens „sehr enttäuscht" darüber, daß die Politik Trotz den neuerdings vorgetragenen, sehr gewunde- Positionen der beiden großen Kirchen zur Abtreibung nen Bibelexegesen hielt man bis zur Konferenz von im Einigungsvertrag aufgegeben habe. Der Bischof: Lambeth im Jahre 1930 quer durch alle christlichen „Ich halte eine Einigung auf Kosten des ungeborenen Konfessionen an der einheitlichen Meinung fest, daß Lebens für einen unerträglichen Kompromiß.",, künstliche Empfängnisregelung nicht dem Geist und 10.9.90 den Aussagen der Bibel entspricht, vor allem nicht de-

18 MEDIZIN & IDEOLOGIE NOVEMBER 90 nen des Alten Testamentes, aber auch nicht denen burg und hielt zahlreiche Gastvorlesungen an anderen des Neuen Testamentes, welches allerdings den Ver- Universitäten. Dies alles aber wäre nicht möglich ge- zicht auf die Ehe unter der einzig möglichen Aus- wesen, hätte Dr. Rötzer nicht größte persönliche Op- nahme, nämlich zur totalen Verfügbarkeit für Gott, fer auf sich genommen. So verzichtete er um dieser noch eine Stufe höher stellte als die Ehe. Außereheli- seiner Lebensaufgabe willen auf die Ausübung des che Beziehungen und Homosexualität galten im alten ärztlichen Berufes, er wurde Amtsarzt im staatlichen wie im neuen Testament als verabscheuungswürdi- Gesundheitsdienst und gab auch diese Tätigkeit früh- ges Verhalten beziehungsweise als Sünde wider die zeitig durch vorzeitige Pensionierung auf, um sich Natur. Die Ehe hatte eine doppelte Zweckbestim- ganz auf seine von ihm als Lebensaufgabe erkannte mung: Die Liebe zweier gegengeschlechtlichen Per- Erforschung und Lehre der sympto-thermalen Emp- sonen zueinander in unauflöslicher ehelicher Gemein- fängnisregelung konzentrieren zu können. schaft und die Erfüllung des Planes Gottes in der Fort- In jahrelanger Erforschung menschlicher Fruchtbar- pflanzung und der Weitergabe des Lebens. keit hat sich Dr. Rötzer ein Wissen angeeignet, das auf Als 1960 die von Pincus in Boston entwickelte „Pille", diesem Gebiet wohl niemand auf der Welt besitzt. ein Kombinationspräparat von Oestrogen und Gesta- Durch ihn ist die symptothermale Methode der natürli- gen, zur Empfängnisregelung weltweit in Produktion chen Empfängnisregelung wissenschaftlich so aus- und Vertrieb kam, war vorauszusehen, daß sich im gereift und allgemein anerkannt, daß sie in allen neue- Verhalten der Menschen eine fast revolutionäre Ent- ren Gynäkologielehrbüchern Aufnahme fand. Sie ist wicklung anbahnte. Der erste, der diese Gefahr er- wirklich zu einer Alternative von Pille und Spirale ge- kannte, war der Vorsitzende der Europäischen Ärzte- worden, die auf Grund ihrer Nebenwirkungen und ih- aktionen in den deutschsprachigen Ländern Dr. Sieg- rer das Eheleben und auch die gesamte Gesellschaft fried Ernst in Ulm a. D., der schon im Juni 1964 öffent- oft zersetzenden Folgen nicht mehr verantwortet wer- lich vor einer Propagierung der sogenannten Anti- den können. Die Verdienste von Dr. Rötzer um Ehe babypille warnte. Die Voraussagen, die in der von ihm und Familie als Grundlage jeder sozialen Ordnung in konzipierten Ulmer Denkschrift „Ärzteprotest gegen Staat und Gesellschaft sind so groß, daß Dr. Rötzer die Propagierung der Antibabypille" vorgetragen wur- längst den Professorentitel verdient hätte. Der Repu- den, haben sich durch die von der Pille ausgelöste blik Österreich würde es zur Ehre gereichen, einen Entwicklung in den letzten 30 Jahren weltweit nicht solch verdienten und weltweit bekannten Mann ent- nur bestätigt, sie wurden sogar noch um ein vielfaches sprechend zu ehren. übertroffen, denn in der gesamten Welt stiegen seit- Kirchlicherseits hat man erfreulicherweise das Le- dem zusätzlich zu allen eingetretenen negativen Fol- benswerk von Dr. Rötzer zu würdigen verstanden, in- gen der Pille auch noch die Abtreibungen auf früher dem man ihm zu seinem 70. Geburtstag eine der ungeahnte Höhen an und überall wurden frühere Ge- höchsten Auszeichnungen der katholischen Kirche setze zum Schutze der Ungeborenen gelockert und verliehen hat: die Auszeichnung zum „Komturritter sogar ganz annulliert. des Ordens des Hl. Gregors des Großen". Zu dieser Im Kampf gegen die durch Pille, Spirale und Abtrei- Auszeichnung und zu seinem 70. Geburtstag gratulie- bung bedingte Kulturrevolution des Hedonismus, bei ren Dr. Rötzer die Mitglieder der Europäischen Ärzte- dem die Lustgewinnung zum Prinzip des Handelns er- aktion in den deutschsprachigen Ländern und wün- hoben wurde, und deshalb die Versexualisierung das schen ihm und seiher Familie Gottes Segen für noch gesellschaftliche Erscheinungsbild der letzten 25 viele Jahre in Gesundheit, Schaffenskraft und fortdau- Jahre in der gesamten westlichen Welt prägte, was ernden Erfolgen in der Arbeit für die natürliche Emp- sich auch darin zeigte, daß schon Kleinkinder zur fängnisregelung und ihre Verbreitung unter möglichst Masturbation animiert wurden, war der entschlossene vielen Menschen in der gesamten Welt. Widerstand gegen die moralische Selbstauflösung der Gesellschaft gefordert. Neben dem charismati- Alfred Häußler schen Dr. Siegfried Ernst und dem unermüdlich for- schenden Wissenschaftler Prof. Blechschmidt sah es Dr. Rötzer als seine Lebensaufgabe und als seine auf ihn persönlich zugeschnittene Verpflichtung an, eine Alternative zur ungehemmten sexuellen Betätigung und unkontrollierten Triebbefriedigung vieler Men- Trauerarbeit schen zu erarbeiten, die der moralisch-sittlichen Ge- sundung und der Erhaltung einer sozialen Ordnung Mein Kind, ich hab' dich abgetrieben, der Gesellschaft verpflichtet ist und nicht ihrer Zerset- mir war kein and'rer Weg geblieben. zung und gar ihrer Zerstörung dient und vor allem im In meinem Leib warst du geborgen - Einklang mit der traditionellen christlichen Ehelehre wo bist du jetzt? Ich mach' mir Sorgen. steht. Die Verbindung war erst da, Diese Aufgabe hat Dr. Rötzer vorbildlich mit letztem als sie abgerissen war. persönlichem Einsatz, aber auch mit seinem gewin- Ich spürte dich erst hinterher, nenden österreichischen Charme voll und ganz aus- seitdem drückt mein Gewissen sehr. gefüllt. Seit seinem 31. Lebensjahr beschäftigte er Nachts höre ich dich nach mir rufen, sich zielstrebig mit den Möglichkeiten einer verant- fühl' deine kleine Seele suchen. wortbaren Regelung der Empfängnis und wurde so Du hast mich innerlich zerrissen, zum Begründer der sympto-thermalen Methode der mein Kind, ich werd' dich stets vermissen. natürlichen Empfängnisregelung. Auf unzähligen Ehe- Die Zweifel werden immer bleiben, vorbereitungskursen, auf Vortragsreisen in ganz Eu- war es mein Recht, dich abzutreiben? ropa und auch Amerika, auf wissenschaftlichen Kon- Ich werde niemals Antwort finden, gressen und in der Leitung des Institutes für natürliche solang ich leb' dich nie ergründen. Empfängnisregelung in Biberach an der Riß, das 1986 Denn du hast was, was ich nicht hab' - gegründet wurde und seitdem seinen Namen trägt. und was, das weiß ich erst im Grab. Schließlich war Dr. Rötzer mit seiner hervorragenden Acht Wochen hab' ich dich besessen. rhetorischen Begabung Lehrbeauftragter für Pastoral- Nun bist du fort - doch nicht vergessen. medizin an den Universitäten Innsbruck und Regens- Aus: „Wär' ich ein Blatt im Wind ..." von Jutta Lorenz

MEDIZIN & IDEOLOGIE NOVEMBER 90 19 Empfängnisregelung in christlicher Verantwortung Werner Neuer

Im Februar dieses Jahres wurde die katholische Kir- ihrer heidnischen Umgebung nicht nur durch die Ver- che auf der Vollversammlung des Lutherischen Welt- urteilung der Abtreibung unterschieden, sondern auch bundes in Curitiba (Brasilien) wieder einmal heftig we- durch die Verneinung der schon in der Antike erstaun- gen ihrer Haltung zur Empfängnisregelung kritisiert: lich weit entwickelten Verhütungstechniken. Diese Die Vizepräsidentin der Sozialistischen Internationa- Haltung wurde auch von den Reformatoren festgehal- len, Frau Brundtland, bezeichnete vor den Delegierten ten. Noch 1927 hat der Deutsche Evangelische Kir- die vom katholischen Lehramt nach wie vor festgehal- chenausschuß künstliche Verhütung als unsittlich ver- tene Ablehnung künstlicher Verhütung angesichts der worfen, und namhafte evangelische Theologen wie wachsenden Weltbevölkerung als eine „gefährliche Adolf Schlatter, Paul Althaus und Karl Heim haben Botschaft". sich nachdrücklich gegen die auch unter Christen um Diese Kritik ist nicht neu, wird sie doch in den säkula- sich greifende Verhütungspraxis gewandt. Die Ableh- ren Medien seit Jahrzehnten bis zum Überdruß immer nung künstlicher Verhütung als „katholisch" einzustu- wieder vorgebracht. Neu ist allenfalls, daß diesmal die fen, ist also sachlich falsch und dient nur dazu, eine Attacke auf die katholische Kirche in einer ausgespro- ernsthafte Prüfung der Problematik zu verhindern. chen massiven Form auf der Vollversammlung der Natürlich ist das nahezu 2000 Jahre einhellige Zeugnis meisten lutherischen Kirchen laut wurde. der Christenheit gegen Empfängnisverhütung für sich Sicherlich durfte Frau Brundtland bei ihrer Kritik mit genommen noch kein Beweis, solange sich nicht auch dem Beifall fast aller säkularen Zeitgenossen, ja sogar biblische Gründe dafür anführen lassen. Man wird mit der Zustimmung der meisten evangelischen (und das Zeugnis der Väter aber schon deshalb ernstneh- katholischen!) Christen rechnen. Denn der Gedanke, men müssen, weil diese sich in ihrer Haltung aus- daß die Welt übervölkert und Empfängnisverhütung drücklich auf die Bibel berufen haben. Untersucht daher das Gebot der Stunde sei, ist geradezu zum man die biblische Sicht der Fruchtbarkeit und des Kin- Dogma unserer Zeit geworden. des, der Ehe und der Sexualität, der Leiblichkeit und Dennoch steht die Kritik Frau Brundtlands auf denkbar der Schöpfung, dann läßt sich in der Tat zeigen, daß schwachen Füßen: Abgesehen davon, daß der Begriff Geisteshaltung und Praxis der Verhütung nicht mit „Überbevölkerung" theologisch höchst problema- dem biblischen Zeugnis vereinbar sind. Wir müssen tisch ist (weil er Gott die Erschaffung zu vieler Men- uns hier freilich auf einige wenige Hinweise beschrän- schen unterstellt und einem Teil der jetzt lebenden ken: Menschheit nachträglich die Existenzberechtigung Die Bibel sieht in der menschlichen Fruchtbarkeit abspricht), so ist auch die damit verbundene Vorstel- eine Segensgabe des Schöpfers, die unsere vorbe- lung einer bald nicht mehr ernährbaren Weltbevölke- haltlose Bejahung verlangt und auf die Entfaltung rung von Fachleuten (Colin Clark, Jacqueline Kasun, durch den Menschen zielt: „Und Gott segnete sie uns Julian Simon u. a.) längst widerlegt. Die Erde ist nicht sprach zu ihnen: Seid fruchtbar und mehret euch!" (1. „überfüllt", sondern noch erstaunlich leer: Die Mo 1,28) Im Gegensatz zur heute verbreiteten Verhü- menschlichen Siedlungen machen zur Zeit nicht ein- tungsmentalität ist die Fruchtbarkeit für die Bibel nir- mal 1 % der Landfläche aus. Nach zahlreichen wissen- gendwo etwas Bedrohliches, sondern stets eine schaftlichen Untersuchungen könnte die Erde ein Viel- Schöpfungsgabe , die es zu achten und zu bejahen faches der derzeit lebenden Menschen ernähren und gilt, weil Gott durch sie den Menschen würdigt, an der ihnen ein ökonomisch wie ökologisch menschenwür- göttlichen Erschaffung neuen Lebens mitzuwirken. diges Leben ermöglichen. Aus der Gabe der Fruchtbarkeit erfolgt in den ersten Doch selbst wenn man die (bislang völlig unbewie- Kapiteln der Bibel gleich dreimal der Auftrag, diese sene) Meinung teilt, daß die Weltbevölkerung nicht Gabe auch zu entfalten (1. Mo 1,28; 9,1+7). Die bibli- mehr wachsen dürfe, so wäre dies kein Einwand ge- sche Bewertung der Fruchtbarkeit als kostbare Se- gen die katholische Haltung. Denn entgegen einem gensgabe des Schöpfers ist für das gesamte Alte und weitverbreiteten Mißverständnis hat sich die katholi- Neue Testament bestimmend (vgl. 1. Mo 15,5; 5. Mo sche Kirche nicht gegen Empfängnisregelung über- 7,13f; Jer 23,3; Hes 36,11; 1. Tim 2,15; 5,10+14 u.a.) haupt, sondern nur gegen künstliche Verhütung aus- und steht in schneidendem Gegensatz zur Empfäng- gesprochen. Eine natürliche Geburtenregelung dage- nisverhütung: Das Wesen der künstlichen Verhütung gen wird von ihr nicht nur bejaht, sondern sogar aus- besteht gerade darin, daß sie die menschliche Frucht- drücklich begrüßt. Aber widerspricht diese Position barkeit verneint, indem sie diese (durch mechanische nicht der evangelischen Freiheit? Muß eine evangeli- oder chemische) Mittel ausschaltet oder (im Falle der sche, allein der Bibel verpflichtete Ethik die Methode Sterilisation) zerstört. Weil künstliche Verhütung in je- der Geburtenregelung nicht der Gewissensentschei- dem Falle ein Akt der Unfruchbarmachung und damit dung der Ehepaare überlassen? ein Angriff auf die von Gott geschenkte Fruchtbarkeit Auch hier muß zunächst ein Mißverständnis korrigiert ist, läßt sie sich vom biblischen Zeugnis her nicht werden. Es hat sich eingebürgert, die Verneinung rechtfertigen. künstlicher Verhütung, wie sie Papst Paul VI. 1968 in Die durch und durch positive Bewertung der Frucht- seiner Enzyklika „Humanae Vitae" bekräftigt hat, als barkeit steht in engem Zusammenhang mit der bibli- katholische Sonderlehre einzustufen. Eine theolo- schen Hochschätzung des Kindes: Kinder werden in giegeschichtliche Untersuchung dieser Frage aber der Heiligen Schrift als „Geschenk" und „Gabe des zeigt, daß die vermeintlich „katholische" Position von Herrn" (Ps 127,3), ja sogar als Vorbild für die Christus- der frühen Christenheit an vertreten wurde und bis gläubigen (Mt 18,3) gewürdigt. Sie gelten nicht nur als zum Anfang unseres Jahrhunderts Gemeingut aller kostbare Schöpfungsgabe, sondern darüber hinaus Konfessionen war: Die frühe Christenheit hat sich von sogar als Gnadengabe Gottes an den Menschen, in

20 MEDIZIN & IDEOLOGIE NOVEMBER 90 der uns Jesus selber begegnet (Mt 18,5). Von daher ist 31,16; 1. Sam 1,21-28). Wenn es in 1. Petr. 3,7 heißt, es nur konsequent, daß die Bibel auch Kinderreich- daß die Ehemänner „vernünftig" und rücksichtsvoll tum vorbehaltlos begrüßt und sogar als besonderen mit ihrem Ehefrauen zusammenleben sollen, dann Segen Gottes ansieht (Ps 128, 1.3; Hi 43,12f; 1 Mo beinhaltet dies, daß auch die Frage der Zahl und Ab- 24,60). Es liegt auf der Hand, daß sich diese Sicht des stände der Schwangerschaften in die liebende Ver- Kindes nicht mit Empfängnisverhütung verträgt: Was antwortung der Ehegatten gestellt ist. Das Fruchtbar- durch gewaltsame manipulative Maßnahmen verhin- keitsgebot in 1. Mo 1,28 wäre sicherlich mißverstan- dert werden soll, kann nicht gleichzeitig vorbehaltslos den, wenn man daraus die Pflicht zur biologisch mög- als Schöpfungs- oder gar Gnadengabe Gottes gewür- lichen Höchstzahl an Kindern ableiten würde. Solange digt werden. die natürliche Empfängnisregelung nicht von egoisti- Künstliche Verhütung ist in biblischer Sicht nicht nur schen Motiven, sondern von liebender Vernunft gelei- ein Angriff auf die Gabe der Fruchtbarkeit und des Kin- tet ist, bietet sie sich daher für christliche Ehepaare als des, sondern letztlich sogar ein Angriff auf Gott als echte Alternative zur künstlichen Verhütung an. den Geber dieser Gaben. Denn indem sie die (an den Es ist leider noch immer viel zu wenig bekannt, daß die fruchtbaren Tagen bestehende) Hinordnung der Se- beiden heute entwickelten Methoden der natürlichen xualität auf die Entstehung neuen Lebens zerstört, Empfängnisregelung (die symptothermale Methode schaltet sie Gott selbst aus: Der Schöpfer wird durch nach Rötzer und die Ovulationsmethode nach Billings) menschliche Manipulation daran gehindert, den sexu- hinsichtlich ihrer Sicherheit durchaus mit der Pille ellen Akt in den Dienst seines Erschaffungshandelns konkurrieren können. Sie beruhen auf der leicht erlern- zu nehmen. Die Sexualität wird somit von Gott gelöst baren Beobachtung jener Symptome (Zervixschleim, und seiner Verfügung entzogen. Mittelschmerz, erhöhte Temperatur u. a.), welche nur Empfängnisverhütung ist nicht zuletzt auch ein An- an den fruchtbaren Tagen der Frau auftreten und so griff auf Gottes Schöpfung: Sie vermag die schöp- eine sichere Abgrenzung der unfruchtbaren und fungsmäßige Beschaffenheit des menschlichen Lei- fruchtbaren Zeit ermöglichen. Beide Methoden sind bes und der menschlichen Sexualität nicht zu respek- weltweit durch zahllose Paare erprobt worden und tieren, indem sie die von Gott geschaffene Verknüp- empfehlen sich nicht nur als medizinisch ebenso si- fung von Liebesakt und Fortpflanzung gewaltsam zer- chere, sondern vor allem als ethische Alternative zu stört. Für diese Verknüpfung aber gilt ebenso wie für den künstlichen Verhütungstechniken: die Zusammenfügung von Mann und Frau in der Ehe: 1. Sie sind kostenlos und absolut unschädlich. „Was Gott zusammengefügt hat, das soll der Mensch 2. Sie vertiefen die eheliche Liebe, indem sie beide nicht scheiden!" (Mt 19,6) Partner zur gegenseitigen Rücksichtnahme nöti- Der schöpfungsfeindliche Charakter künstlicher Ver- gen. hütung zeigt sich nicht zuletzt daran, daß alle künstli- 3. Sie eignen sich bei Ehepaaren mit geringer Frucht- chen Verhütungstechniken körperliche oder seeli- barkeit auch dazu, eine Empfängnis zu begünsti- sche Schäden zur Folge haben. Dies gilt besonders gen. für Pille und Spirale, die (was leider noch immer viel zu Langjährige Erfahrungen mit Ehepaaren, die natürli- wenig bekannt ist) darüberhinaus auch eine frühab- che Empfängnisregelung praktizieren, haben gezeigt, treibende Wirkung besitzen: Wie jüngst von dem daß sich diese Form der Geburtenregelung sehr posi- Schweizer Chefarzt und Gynäkologen Dr. Ehmann er- tiv auf Harmonie und Stabilität der Ehen auswirkt und neut nachgewiesen wurde, hindert (im Falle einer nie sogar das geistliche Leben der Ehepartner zu befruch- ganz auszuschließenden Befruchtung) sowohl die ten vermag. Christen, die ihre Ehe in der Hingabe an Spirale als auch die Pille das bereits befruchtete Ei an Gott, in der Liebe zum Partner und in Übereinstim- der Einnistung in die Gebärmutter und geben es damit mung mit der Schöpfung leben wollen, sollten daher dem Tod preis! Dieser Umschlag der Verhinderung nicht zögern, auf künstliche Verhütung ganz zu ver- des Kindes in seine Vernichtung ist ein erschrecken- zichten. der Beleg für den agressiven, gewaltsamen und schöpfungsfeindlichen Charakter künstlicher Verhü- tung. All dies zeigt, daß die zu Unrecht als „katholisch" de- klarierte Ablehnung künstlicher Verhütung biblisch wohlbegründet ist und daher auf für eine der Schrift verpflichtete evangelische Ethik gelten sollte. Werner Neuer ist evangelischer Pfarrer und Doktor der Damit ist freilich nicht jede Form von Empfängnisrege- Theologie. Er hat eine preisgekrönte Dissertation über lung verworfen: Eine schöpfungsgemäße, die Gabe die Grundlagen christlicher Ethik verfaßt und ist zur der Fruchtbarkeit respektierende und für Gott und Zeit wissenschaftlicher Assistent bei Prof. Dr. Peter sein Schöpferhandeln offen bleibende Gestalt der Ge- Beyerhaus am INSTITUT FÜR MISSIONSWISSEN- burtenregelung steht in keinem Widerspruch zum bi- SCHAFTEN UND ÖKUMENISCHE THEOLOGIE (Uni- blischen Zeugnis, solange ernsthafte, vor Gott verant- versität Tübingen). Durch sein Buch Mann und Frau wortbare Gründe vorliegen. Eine Inanspruchnahme in christlicher Sicht (Gießen/Basel, 4. Auflage 1988, der heute angebotenen natürlichen Methoden der s. Seite 54) das unter dem Titel MAN AND WOMAN IN Empfängnisregelung unterliegt daher keinerlei grund- CRISTIAN PERSPEKTIVE (London/Sydney/Auck- sätzlichen Bedenken. Denn diese Methoden greifen - land/Toronto 1990) inzwischen auch in englischer anders als die künstliche Verhütung - nicht die Frucht- Sprache erschienen ist, wurde er über den deutschen barkeit an, sondern respektieren die von Gott festge- Sprachraum hinaus bekannt. Dr. Neuer ist Vater von legten fruchtbaren bzw. unfruchtbaren Zeiten und da- sechs Kindern. mit den Schöpferwillen Gottes! Im übrigen hat es Die Grundgedanken des hier abgedruckten Beitrages schon in alttestamentlicherZeit es eine natürliche Ge- hat Dr. Neuer in seinem Aufsatz DIE ENZYKLIKA HU- burtenregelung gegeben: Die Zeiten der Enthaltsam- MANAE VITAE IM LICHT VON BIBEL UND TRADI- keit, zu denen die Iraeliten durch das mosaische Ge- TION ausführlich begründet und mit wissenschaftli- setz verpflichtet waren (vgl. 3. Mo 12,2; 15, 19f), tru- chen Belegen untermauert. Er ist als idea-Dokumen- gen ebenso zur Verminderung der Geburten bei wie tation unter dem Titel Chemischer Krieg gegen Kin- die langen empfängnishemmenden Stillzeiten der der? erschienen und kann bei uns bestellt werden (s. Mütter, die bis zu drei Jahre andauerten (vgl. 2. Chron. Seite 54).

MEDIZIN & IDEOLOGIE NOVEMBER 90 21 Bundesverfassungsgericht in der Verantwortung Alexander Papsthart

Richter des Bundesverfassungsgerichts, zu Hütern Rechtsstaat bezeichnet werden muß. Gemeint sind der Verfassung bestellt, werden vor dem Gericht der jene von fixiertem Scharfsinn zeugenden Judizien, in Geschichte die seit 1975 auf weit über eine Million an- denen selbst die Geburt eines gesunden Kindes zur gewachsene Zahl von pränatalen Kindstötungen in Schadensersatzpflicht des Arztes gegenüber den Er- der Bundesrepublik Deutschland mitzuverantworten zeugern führen kann, wenn er entweder die Indikation haben. des Schwangerschaftsabbruchs nicht festgestellt Zwar hat das oberste staatliche Gericht in seinem Ur- oder die von den Eltern gewünschte Abtötung nicht teil vom 25.2.1975-1 Bv1 - 6/74 -1)die richtigen Sätze erfolgreich vorgenommen hat.5' ausgesprochen, daß auch „der Nasciturus ein selb- Den vorläufig letzten Schritt in dieser Richtung stellt ständiges menschliches Wesen" sei und „daß der der Beschluß des Bundesverfassungsgerichts vom Mensch in der Schöpfungsordnung einen eigenen 18.10.1989 dar6), mit dem die 1. Kammer des Ersten selbständigen Wert besitzt, der die unbedingte Ach- Senats die Verfassungsbeschwerde eines Unterneh- tung vor dem Leben jedes einzelnen Menschen, auch mers gegen die Verpflichtung zur Lohnfortzahlung an dem scheinbar sozial ,wertlosen' unabdingbar fordert eine Arbeitnehmerin nach vorangegangenem und der es daher ausschließt, solches Leben ohne Schwangerschaftsabbruch aufgrund einer Notlagen- rechtfertigenden Grund zu vernichten."2) indikation nicht zur Entscheidung angenommen hat. Diese Entscheidung, mit der seinerzeit die vom Ge- In der Begründung wird erneut der Kernfrage ausge- setzgeber verabschiedete „Fristenlösung" zur Reform wichen, ob die Indikationen des § 218 a StGB als des § 218 StGB für nichtig erklärt worden war, enthält Rechtfertigungsgründe oder nur als Schuldausschlie- aber zugleich ein verfehltes obiter dictum, durch das ßungsgründe zu werten sind. Dies geschieht mit der der Weg zu der heute angewandten „Indikationslö- vordergründigen Behauptung, es sei in einer komple- sung" geebnet wurde. xen Rechtsordnung „keineswegs ungewöhnlich, daß Darin lag zunächst eine Überschreitung richterlicher Rechtsbegriffe - wie hier der Begriff ,rechtswidrig' - in Kompetenz, weil sich die verfassungsrechtliche verschiedenen Rechtsgebieten unterschiedliche Be- Streitentscheidung allein auf die Abwägung zu be- deutung haben." Es kann indessen für eine rechtliche schränken hatte, ob die damals von der Legislative Beurteilung nicht darauf ankommen, ob etwas „ge- beschlossene Neufassung der §§ 218 ff StGB3» mit wöhnlich" oder „ungewöhnlich" ist - die „Rechtsge- dem Grundgesetz vereinbar war oder nicht. Statt die wöhnlichkeiten" in den Diktaturen des 20. Jahrhun- rechtspolitischen Konsequenzen aus der Feststellung derts zeigen zur Genüge die Unbrauchbarkeit dieses der Verfassungswidrigkeit erneut der kontroversen Maßstabs -, sondern allein darauf, ob aus einem Ver- parlamentarischen Debatte zu überlassen, glaubte halten, das objektiv gegen die Normen der Rechtsord- der damals erkennende Senat vermutlich, die Vertre- nung verstößt, zugleich rechtlich durchsetzbare An- ter des Reformwillens beschwichtigen zu müssen und sprüche abgeleitet werden können. Es geht mithin Umrisse einer denkbaren gesetzlichen Regelung auf- nicht um differenzierende Akzentuirungen des Be- zeigen zu sollen, für die sich in Bundestag und Bun- griffs der Rechtswidrigkeit, wie sie in den verschiede- desrat bis dahin keine Mehrheit gefunden hatte. Durch nen Teilgebieten der Rechtsordnung selbstverständ- diese den Rahmen der Normenkontrolle überschrei- lich nötig sind, sondern darum, daß Recht und Un- tende Beratung des Gesetzgebers wurde eine noch- recht in einem Staat nicht identisch sein kann. Nach malige gründliche Erörterung der zentralen Frage wie vor gilt ein Satz, den ein nicht an Metaphysik orien- nach der Rechtfertigung von Tötungshandlungen an tierter, sondern als Bahnbrecher der soziologischen ungeborenem menschlichen Leben in den für die Wil- Methode geltender Staatsrechtslehrer, Hermann Hel- lensbildung des Staatsvolkes repräsentativen Orga- ler, bereits 1934 aufgestellt hat: „Ohne Scheidung von nen verhindert. Die Autorität des Gerichts, die auch Recht und Unrecht ist keine Rechtfertigung des Staa- diesen nur beiläufigen, nicht zu den tragenden Grün- tes möglich"7). den des Urteils gehörenden Sätzen beigemessen Die rational eindeutig zu gewinnende Klärung des Un- wurde, bewirkte, daß eine an dieser vermeintlich bin- rechtsgehalts der pränatalen Kindstötung hat der de- denden Richtlinie orientierte Reform der §§ 218 ff. mokratische Rechtsstaat bisher nicht zustandege- StGB in einem Schnellverfahren verabschiedet und bracht. 4 diese Lösung » in der Folgezeit auch keiner verfas- Obwohl die nunmehr von der Bayerischen Staatsre- sungsgerichtlichen Überprüfung mehr zugeführt gierung erhobene Normenkontrollklage nicht den wurde. Kern dieses elementaren Rechtsproblems zum Ge- Dieser Mangel wiegt umso schwerer, als das Bundes- genstand hat, wird das Bundesverfassungsgericht verfassungsgericht in jener rechtspolitischen Exkur- noch einmal Gelegenheit zur Klarstellung haben. sion nur vage Kriterien aufgestellt und insbesondere die Frage der rechtlichen Bewertung von pränatalen Kindstötungen bei Vorliegen der vermeintlichen Indi- kation ausgeklammert hat. Anmerkungen: Damit aber wurde eine Abtreibungspraxis legalisiert - 1) NJW75, S. 573 ff. nicht legitimiert -, der seither kaum weniger Men- 2) a.a.O. S. 575 schenleben zum Opfer gefallen sein dürften, als sie bei 3) Fünftes Gesetz zur Reform des Strafrechts v. 18.6.1975 (BGBI. I Aufrechterhaltung der Fristenlösung zu beklagen ge- 1297) wesen wären. 4)15. Strafrechtsänderungsgesetz vom 18.5.1976 (BGBI. 11213) 5) Der unzulänglichen Argumentation des höchsten Vgl. BGH in NJW80,1450; 81,2003; 84, 2625; 85, 671; 85,2752 6)BVerfGinNJW90,241 deutschen Gerichts ist darüber hinaus eine zivilisti- 7) Hermann Heller, Staatslehre, Leiden 1934, S. 218 sche Nebenlinie entsprungen, die trotz gewisser Fol- gerichtigkeit innerhalb privatrechtlichen Anspruchs- Alexander Papsthart ist Vorsitzender Richter am Oberlandes- denkens als Rechtsperversion im demokratischen gericht Bamberg

22 MEDIZIN & IDEOLOGIE NOVEMBER 90 bensgefährten angetretenen Reise wurde sie schwan- Dokumentation ger. Beide reagierten mit Angst und Entsetzen. Die An- geklagte sah ihre Zukunft - Studium - verbaut. Der Er- zeuger lehnte das Kind ab. Die Angeklagte, die von ih- rer Familie keinerlei Unterstützung erwarten konnte, da noch vier Geschwister finanziell von den Eltern ab- hängig waren und zum Teil noch bei diesen wohnten, entschloß sie sich zum Abbruch der Schwanger- schaft. Sie ging zu einer anerkannten Beratungsstelle, dem staatlichen Gesundheitsamt Aichach, und ließ sich dort im Juni 1982 über die zur Verfügung stehen- den öffentlichen und privaten Hilfen für Schwangere, Mütter und Kinder beraten. Außerdem suchte sie ei- nen Arzt auf, der sie über ärztlich bedeutsamen Ge- sichtspunkte eines Schwangerschaftsabbruches be- riet und am 7.6.1982 eine „Bescheinigung zum geneh- migten Schwangerschaftsabbruch nach § 218 StGB" ausstellte. Kurz vor dem bereits mit der Klinik verein- barten Abbruchtermin entschied sich die Angeklagte jedoch für das Kind, das dann am 1. Februar 1983 ge- Bayerisches Oberstes Landesgericht boren wurde. Die Absicht, ein Studium aufzunehmen, gab sie nunmehr auf. Die Lebensgemeinschaft mit Im Namen des Volkes dem Erzeuger war seit der Geburt des Kindes sehr be- lastet, beide fühlten sich durch die Situation überfor- URTEIL dert. Der damals 27jährige Vater, der als Werkzeug- macher 1.700,- DM netto monatlich verdiente, war al- kohol- und nikotinabhängig und hatte Sprechschwie- rigkeiten, die ihm den sozialen Kontakt erschwerten. Er war mit seinen eigenen Problemen beschäftigt und Der 3. Strafsenat des Bayerischen Obersten Landes- nicht bereit und in der Lage, sich für Partnerin und gerichts hat in dem Strafverfahren gegen (...) Kind einzusetzen. Er leistete zwar finanziellen Unter- wegen Abbruch der Schwangerschaft halt für das Kind und kam für die Kosten der gemein- aufgrund der Hauptverhandlung in der öffentlichen samen Wohnung auf, jedoch mußte die Angeklagte ih- Sitzung vom 26. April 1990, an der teilgenommen ha- ren eigenen Lebensunterhalt selbst bestreiten. Ihr war ben zwei Monate nach Ablauf der Mutterschutzfrist und 1. als Richter der Vorsitzende Richter am Bayerischen des Erziehungsurlaubes von ihrem Arbeitgeber ge- Obersten Landesgericht, sowie die Richter am kündigt worden. Sie entschloß sich nun, zur Unter- Bayerischen Obersten Landesgericht und haltssicherung einen Naturkostladen in Aichach zu 2. als Beamter der Staatsanwaltschaft eröffnen, obwohl sie hierzu nicht die geringste Vorbil- 3. als Verteidiger dung hatte. Maßgebend für den Entschluß war die 4. als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle Tatsache, daß sie bei dieser Tätigkeit ihr Kind neben- bei betreuen konnte. Zur Finanzierung nahm sie im für Recht erkannt: Juni/Juli 1984 bei der Stadtsparkasse Aichach einen I. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Kredit über 7.500,— DM bei 7%-iger Verzinsung und Urteil des Landgerichts Memmingen vom 6. De- einen weiteren Kredit über 10.000,-- DM bei 5%-iger zember 1988 samt den ihm zugrunde liegenden Verzinsung auf. Die Kredite waren rückzahlbar in 15 Feststellungen aufgehoben. Halbjahresraten von je 470,— DM bzw. 10 Halbjahres- II. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Ent- raten zu je 1.000,--DM.... scheidung an eine andere Strafkammer des Land- Der Betrieb des am 2.7.1984 eröffneten Naturkostla- gerichts Memmingen zurückverwiesen. dens erwies sich zunächst noch als Verlustgeschäft. Das Soll auf dem Girokonto der Angeklagten bei der Gründe: Sparkasse Aichach, von dem die fälligen Tilgungsra- ten automatisch abgebucht wurden, wurde auch un- I. ter Berücksichtigung der auflaufenden Zinsen immer höher, obwohl die Angeklagte, die alle anfallenden Ar- 1. Das Amtsgericht Memmingen verurteilte die Ange- beiten - Wareneinkauf beim Großhändler, Verkauf, klagte am 14.4.1988 wegen Abbruchs der Schwan- Kalkulation, Buchhaltung, Reinigung etc. - allein erle- gerschaft zur Geldstrafe von 30 Tagessätzen zu je 30 digte, auch abends und am Wochenende arbeitete. In DM. dieser Situation wurde sie Ende des Jahres 1984 - von Auf die Berufung der Angeklagten hob das Landge- ihrem Lebensgefährten - erneut schwanger. Die An- richt Memmingen am 6.12.1988 das Urteil des Amts- geklagte fühlte sich durch die körperliche Belastung, gerichts auf und sprach die Angeklagte frei. Die Beru- die der Betrieb des Ladens durch sie allein ohne fung der Staatsanwaltschaft verwarf es. fremde Hilfe mit sich brachte, durch die gleichzeitig 2. Das Landgericht traf im wesentlichen folgende notwendige Betreuung ihres Kleinkindes, für das sie Feststellungen: ebenfalls keine Hilfe hatte, durch die persönliche Si- „Im Jahre 1981 machte die Angeklagte das Abitur und tuation ihres Lebensgefährten, der eher selbst der Un- wollte Heilpädagogik studieren. Vor Aufnahme des terstützung bedurfte, als daß er eine solche hätte lei- Studiums wollte die Angeklagte, die in ihrem bisheri- sten können, durch die Verluste, die der Laden mit gen Leben noch nie einen Urlaub gemacht hatte, sich sich brachte, am Ende ihrer Kräfte. Sie war verzweifelt, einen Wunschtraum erfüllen und nach Mexiko fahren. weil sie sich angesichts der neuen Schwangerschaft Das Geld verdiente sie sich als Werkstudentin bei der in einer ausweglosen Situation sah. Mit fremder Hilfe Firma (...) und als Korrektorin bei einer Zeitung. Wäh- konnte sie nicht rechnen. Eine Angestellte konnte sie rend der im Frühjahr 1982 zusammen mit ihrem Le- sich nicht leisten. Finanzielle und sonstige Hilfe konnte

MEDIZIN & IDEOLOGIE NOVEMBER 90 23 sie weder von ihren Eltern noch von ihren Geschwi- nicht ausgereicht, um etwa eine Angestellte bezahlen stern erwarten. Die Eltern waren mit der Landwirt- zu können. Erst recht nicht hätte der 3-fache Sozialhil- schaft ausgelastet. Die Geschwister befanden sich fesatz ausgereicht, um im Falle der Aufgabe des La- zum Teil in Ausbildung und hatten zum Teil eigene Fa- dens neben der Deckung des Lebensbedarfs Kredite milien, teils mit Kleinkindern und waren ebenfalls nicht in Höhe von insgesamt 50.000,-- DM zurückzuzahlen. in der Lage, der Angeklagten zu helfen. Sonstige Ver- Im übrigen sah die Angeklagte auch keinerlei Möglich- wandte oder Bekannte, die bereit gewesen wären, das keiten, etwa innerhalb der nächsten drei Jahre wirt- Kind etwa in Pflege aufzunehmen, waren nicht vor- schaftlich wieder auf eigenen Füßen stehen zu kön- handen. Ein Heim oder eine Kinderkrippe in Aichach nen. Sie rechnete in objektiv nachvollziehbarer Weise oder Umgebung, wo die Angeklagte das Kind etwa damit, letztlich für immer auf öffentliche Hilfe angewie- tagsüber hätte unterbringen können, gab es nicht. sen zu sein. Unter diesen Umständen war der Hilfsbe- Eine womögliche auswärtige Heimunterbringung oder weisantrag gemäß § 244 Abs. 3 StPO als für die Ent- gar eine Freigabe zur Adoption - die Angeklagte erwog scheidung ohne Bedeutung abzulehnen." auch diese Alternativen - lehnte sie im Hinblick auf ihre Erfahrungen mit mangelnder elterlichen Zuwendung 3. Die Staatsanwaltschaft legte gegen das Urteil des ab. Ihr war klar, daß sie im Falle ihrer Niederkunft auch Landgerichts Revision ein, mit der sie die Verletzung die nunmehr neugegründete Existenz, nämlich ihren des formellen und des materiellen Rechts rügt. Laden, von dem sie hoffte, ihn in die Gewinnzone brin- gen zu können, würde aufgeben müssen. Ihr war au- ßerdem klar, daß sie auch bei Inanspruchnahme der II. ihr bekannten öffentlichen und privaten Hilfen niemals Das Rechtsmittel ist zulässig und in der Sache auch in der Lage sein würde, die aufgenommenen Schul- begründet. den von ca. 50.000,— DM zurückzuzahlen, diese viel- Die Revision dringt schon mit der Verfahrensrüge mehr im Gegenteil angesichts der Zinsbelastung im- durch, deckt darüber hinaus aber auch mehrere sach- mer weiter wachsen würden und daß möglicherweise liche Mängel auf. auch die Existenz ihrer Eltern, von denen noch vier Ge- schwister finanziell abhängig waren, gefährdet sein 1. Die erhobenen Aufklärungsrügen sind unzulässig, würde. Ihr Lebensgefährte lehnte auch dieses zweite weil die Verletzung des § 244 Abs. 2 StPO nicht Kind völlig ab. schlüssig durch Tatsachenbehauptungen belegt ist (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO). Unter diesen Umständen entschloß sich die Ange- klagte zum Abbruch der Schwangerschaft. Sie suchte 2. Die zulässig erhobene Rüge der Verletzung des § den Zeugen Dr. (...) auf, mit dem sie ein ausführliches 244 Abs. 3 StPO beanstandet zu Recht einen Verfah- Gespräch über ihre persönlichen Verhältnisse und die rensfehler des Gerichts. möglichen Alternativen zum Abbruch führte. Herr Dr. a) Die Ablehnung des angebotenen Zeugenbeweises (...) kam zum Ergebnis, daß ein Fall einer sozialen Indi- mit der Begründung, die unter Beweis gestellte Tatsa- kation im Sinne des § 218 a StGB vorliege. Daraufhin che sei für die Entscheidung ohne Bedeutung, ist feh- ließ die Angeklagte am 19.11.1984 von ihm die Lei- lerhaft. Die Bedeutungslosigkeit einer unter Beweis besfrucht abtreiben. Sie war der festen Überzeugung, gestellten Tatsache kann nur durch Anführen der Um- daß eine Indikationslage auch tatsächlich vorliege und stände dargetan werden, aufgrund derer das Gelingen daß sie nicht nochmals zu einer Beratungsstelle und des Beweises keinen Einfluß auf die richterliche Über- einem anderen Arzt müsse, da sie bei ihrer ersten zeugung auszuüben vermag (BGH NStZ 1983, 210/ Schwangerschaft ausführlich über die staatlichen und 211; LR/Gollwitzer StPO 24. Aufl. § 244 Rn. 222). Die öffentlichen Hilfen und über die Risiken eines Ab- vom Landgericht zur Stützung der Bedeutungslosig- bruchs beraten worden war." keit angeführten Erwägungen zeigen eine nicht ge- rechtfertigte Einengung der Bedeutung der Beweis- Das Landgericht sprach die Angeklagte frei, „da der tatsache. Das Urteil würdigt die unter Beweis gestellte Schwangerschaftsabbruch angezeigt war, um von ihr Tatsache nicht ausreichend im Zusammenhang mit die Gefahr einer schweren, auf andere zumutbare den sonstigen Fallumständen. Es argumentiert (S. 17) Weise nicht behebbaren Notlage abzuwenden". zum einen, der dreifache Sozialhilfesatz für die Dauer Innerhalb der rechtlichen Würdigung führt das Gericht von drei Jahren hätte nicht ausgereicht, eine Ange- u. a. aus: stellte zu bezahlen, weil die Angeklagte davon „ange- „Adoption oder Heimunterbringung als grundsätzli- sichts der erwirtschafteten Verluste zunächst ihren ei- che Alternative zum Schwangerschaftsabbruch genen Lebensunterhalt hätte bestreiten müssen". Völ- würde im übrigen auch im Widerspruch zu Artikel 6 lig ohne Erörterung bleiben hier die Einkünfte, die die GG stehen, wonach Ehe und Familie unter dem be- Angeklagte aus ihrem Laden, aus Unterhaltsleistun- sonderen Schutz der staatlichen Ordnung stehen. gen des Kindsvaters oder aus sonstigen öffentlichen Auch die Gemeinschaft des nichtehelichen Kindes mit Mitteln hätte erlangen können. Zum andern meint das seiner Mutter gilt als Familie, wenn auch eine von Berufungsgericht pauschalierend, der dreifache So- vornherein unselbständige (Maunz-Dürig, GG, Rand- zialhilfesatz hätte nicht genügt, neben der Deckung ziffer 16 zu Artikel 6). des Lebensbedarfs Kredite in Höhe von 50.000 DM Es kann von einer Schwangeren nicht verlangt wer- zurückzuzahlen. Das Landgericht zieht diese den, die für sie gegebene Notlage dadurch zu beseiti- Schlüsse, ohne die konkreten wirtschaftlichen Um- gen, daß sie eine vom Grundgesetz geschützte stände im einzelnen, insbesondere auch die Möglich- Rechtsposition (Art. 6, Abs. 3 GG) auf Dauer aufgibt." keit einer Veräußerung des Geschäfts, festzustellen. Die Ablehnung eines Hilfsbeweisantrags der Staats- So ist nicht erwogen, ob oder inwieweit die mit Hilfe anwaltschaft begründet das Urteil: der Kredite vorgenommene Investitionen bei Ge- „Es ist für die Entscheidung ohne Bedeutung, ob die schäftsaufgabe verloren gewesen wären. Angeklagte, wie in einem Hilfsbeweisantrag unter Be- Die Ablehnung des Beweisantrags ist danach deshalb weis gestellt, Anspruch auf den 3-fachen Sozialhilfe- fehlerhaft, weil das Landgericht die unter Beweis ge- satz auf die Dauer von bis zu 3 Jahren gehabt hätte. stellte Tatsache nur isoliert und außerhalb einer not- Auch der 3-fache Sozialhilfesatz, von dem sie ange- wendigen Gesamtwürdigung ihrer Bedeutung im Zu- sichts der erwirtschafteten Verluste zunächst ihren ei- sammenwirken mit anderen Umständen bewertet hat. genen Lebensunterhalt hätte bestreiten müssen, hätte b) Das Urteil beruht auch auf diesem Verfahrensver-

24 MEDIZIN & IDEOLOGIE NOVEMBER 90 stoß. Hätte das Berufungsgericht die unter Beweis ge- Tröndle § 218 a Rn. 26). Die gerichtliche Überprüfung stellte Tatsache im Gesamtgefüge der für die wirt- dieser tatsächlichen Voraussetzungen wird nicht da- schaftliche Situation der Angeklagten maßgeblichen durch ausgeschlossen, daß der Gesetzestext Indika- Umstände gewertet und vor diesem Hintergrund auf tionen „nach ärztlicher Erkenntnis" verlangt. Insoweit ihre Tragweite gewürdigt, ist nicht auszuschließen, stellt der Gesetzgeber zwar auf die Beurteilung des daß das Landgericht in der Beurteilung der objektiven Arztes und auf seine Erkenntnismöglichkeiten über Notlage der Angeklagten unter Heranziehung der Be- die objektiven Umstände einer Indikation ab, beseitigt weiserhebung zu einem anderen Ergebnis gekommen aber nicht deren gerichtliche Überprüfbarkeit. Ge- wäre. richtliche Nachprüfung insoweit auszuschließen oder Die Kausalität des Verfahrensfehlers fehlt auch nicht sie auf die „Vertretbarkeit" ärztlicher Entscheidung zu deshalb, weil das Landgericht möglicherweise ohne beschränken (so BGHZ 95,199, 206 f; einschränkend den Verstoß gegen Verfahrensrecht gleichfalls zu ei- Schönke/Schröder/Eser StGB 23. Aufl. § 218 a Rn. 16; nem Freispruch gelangt wäre. Das Urteil stützt näm- ablehnend dagegen Lackner § 218 a Anm. 2 c bb; lich den Freispruch zugleich auf mehrere Hilfserwä- Kluth NJW1986,2348), verwehrt die Überlegung, daß gungen, unter anderem auch darauf, die Angeklagte der Gesetzgeber die Entscheidung über eine Straffrei- habe zumindest in unvermeidbarem Irrtum die tat- heit nicht gerichtlicher Überprüfung entziehen konnte. sächlichen Voraussetzungen für eine Indikation der Wenn der Gesetzgeber den Umfang des dem Staat allgemeinen Notlage nach § 218 a Abs. 2 Nr. 3 StGB obliegenden und auch mit Strafsanktion durchzuset- für gegeben erachtet. Wie bei Prüfung des Urteils auf zenden Lebensschutzes für bestimmte Konfliktlagen Sachmängel noch dargelegt wird, sind die Ausführun- in § 218 a StGB durch Gewährung von Straffreiheit ge- gen des Landgerichts insoweit nicht fehlerfrei. lockert hat, so stellt sich die Entscheidung hierüber im Das Beruhen des Urteils auf einem Verfahrensfehler Einzelfall als Ausübung staatlicher Macht dar. Die prüft das Revisionsgericht aufgrund eigener sachlich- Normanwendung, also die Entscheidung über die rechtlicher Würdigung der Urteilsfeststellungen. Die Nichtstrafbarkeit eines grundsätzlich strafbedrohten Kausalität des Verfahrensverstoßes entfällt nicht da- Handelns, an Ärzte ohne gerichtliche Kontrolle zu ver- durch, daß das Tatgericht das zunächst gefundene geben, würde die verfassungsrechtliche Bindung Ergebnis zusätzlich durch verfahrensrechtlich ein- staatlicher Machtausübung an Recht und Gesetz (Art. wandfreie, aber sachlich-rechtlich fehlerhafte Erwä- 20 Abs. 3 GG) unterlaufen. Der Rechtsstaatlichkeits- gungen absichert. grundsatz zwingt dazu, die Einzelfallentscheidung über die Rücknahme strafrechtlichen Lebensschutzes 3. Das Urteil des Landgerichts leidet darüber hinaus gerichtlicher Nachprüfung zu unterstellen. insofern an einem durchgreifenden Sachmangel, als Die zur Indikation der allgemeinen Notlage getroffe- die Feststellungen den Freispruch der Angeklagten nen Feststellungen sind deshalb zu bemängeln, weil nicht zu tragen vermögen. das Landgericht ausreichende konkrete Daten hierzu Zurecht hat das Landgericht einen Strafausschlie- nicht mitteilt. Die im Berufungsurteil festgestellten ßungsgrund nach § 218 Abs. 3 Satz 2 StGB nicht an- Umstände belegen eine wirtschaftlich schwierige Si- genommen, weil die Angeklagte sich nicht hat vor- tuation der Angeklagten schon vor der Schwanger- schriftsmäßig beraten lassen. Die Voraussetzungen schaft. Nach den Urteilsfeststellungen (BU S. 5) wurde einer Nichtstrafbarkeit nach § 218 a Abs. 1 i.V.m. Abs. das Soll auf dem Girokonto der Angeklagten bei der 2 Nr. 3 StGB sind nicht ausreichend dargetan. Sparkasse Aichach seit Eröffnung des Naturkostla- a) Ob die gesetzliche Fassung der Indikation der allge- dens am 2.7.1984 „immer höher", obwohl die Ange- meinen Notlage oder weitere Bestimmungen aus der klagte auch abends und am Wochenende arbeitete. Gesetzgebung zur Reform des Abtreibungsrechts Sie stand danach in einer konstanten Verlustentwick- verfassungsrechtlichen Ansprüchen genügen (s. lung schon vor Eintritt der Schwangerschaft. Sie hatte hierzu Lackner StGB 18. Aufl. §218aAnm. 1 a bb, 6; lediglich die Hoffnung, den Laden in der Zukunft ein- vgl. auch Deutscher Richterbund in DRiZ 1975,397 f.; mal in die Gewinnzone zu bringen. Das Landgericht SK/Rudolphi 3. Aufl. BT Vor § 218 Rn. 19; Dreher/ hätte anhand der wirtschaftlichen Alternativen - unter Tröndle StGB 44. Aufl. § 218 Rn. 8 c), kann der Senat anderem insbesondere einer Aufgabe des Geschäfts - dahingestellt sein lassen. prüfen müssen, ob gerade die Schwangerschaft die Zum einen ließe die Verfassungswidrigkeit des § 218 a Gefahr einer schwerwiegenden Notlage begründete Abs. 2 Nr. 3 StGB - wie auch der nach § 32 BVerfGG oder eine bereits bestehende entscheidend ver- ergangene Beschluß des Bundesverfassungsgerichts schärfte und diese Notlage nur durch den Abbruch vom 25.2.1975 (BGBL 1975 S. 625) zeigt - die Straf- abgewendet werden konnte. Mangelhaft ist bei den barkeit des Abbruchs der Schwangerschaft gemäß § diesbezüglichen Erwägungen des Landgerichts auch, 218 Abs. 1 StGB nicht entfallen. Zum anderen kann daß es die für solche Fälle vorgesehenen wirtschaftli- das Urteil auch unter der Voraussetzung, § 218 a Abs. chen Einrichtungen lediglich dahin beschreibt, der An- 2 Nr. 3 StGB begründe eine verfassungsrechtlich zu- geklagten sei klar gewesen, „daß sie auch bei Inan- lässige Einschränkung der in § 218 Abs. 1 StGB fest- spruchnahme der ihr bekannten öffentlichen und pri- gelegten Strafbarkeit, aus mehreren Gründen einer re- vaten Hilfen niemals in der Lage sein würde, die aufge- visionsrechtlichen Nachprüfung nicht standhalten. nommenen Schulden von 50.000 DM zurückzuzah- b) Das Berufungsurteil legt die Voraussetzungen des § len". Jegliche konkrete Feststellungen über öffentli- 218 a Abs. 2 Nr. 3 StGB nicht fehlerfrei dar. Das Land- che Hilfsmöglichkeiten fehlen. Der vom Landgericht gericht stützt seine Auffassung, eine schwerwiegende aus der pauschalen Behauptung der Angeklagten Notlage im Sinn des § 218 a Abs. 2 Nr. 3 Buchst, a übernommene subjektive Schluß auf eine Notlage ist StGB habe vorgelegen, im wesentlichen auf die von wegen unzureichender Tatsachenfeststellungen revi- der Angeklagten vorgetragenen persönlichen und sionsrechtlich nicht überprüfbar. wirtschaftlichen Lebensumstände. Bereits in BayObLGSt 1978, 41/43 f ist ausgeführt, 4. Ein sachlich-rechtlicher Mangel liegt auch insoweit daß die Notlage so schwer wiegen muß, daß sie die vor, als das Landgericht (BU S. 15) annimmt, der An- Schwangere unter Berücksichtigung ihrer gesamten geklagten eine Adoption zuzumuten, widerspreche persönlichen und sozialen Verhältnisse in etwa glei- Art. 6 GG. chem Maße in Bedrängnis bringt wie in den drei übri- a) § 218 a Abs. 2 Nr. 3 Buchst, b StGB stellt als weite- gen Indikationsfällen des § 218 a StGB (Dreher/ res Erfordernis für eine Strafbefreiung die negative

MEDIZIN & IDEOLOGIE NOVEMBER 90 25 Voraussetzung auf, die Gefahr dürfe nicht auf eine an- ihre Zumutbarkeit abzufragenden Alternativen sind ei- dere, der Schwangeren zumutbare Weise abwendbar nerseits Abtötung der Leibesfrucht, andererseits Auf- sein. Ob der Schwangeren die Möglichkeit, das Kind wachsen des Kindes bei nicht genetisch Verwandten, nach der Geburt durch Dritte adoptieren zu lassen, zu- sondern lediglich sozialen Eltern oder in einem Heim. gemutet werden kann, ist im Rahmen einer Gesamt- Außer der bereits angesprochenen verfassungsrecht- würdigung der individuellen konkreten Situation lichen Fehlbewertung zeigt das Landgericht keine (Schönke/Schröder/Eser § 218 a Rn. 50, 50 a) festzu- Gründe auf, die es rechtfertigen, der generellen Dis- stellen. kreditierung bloßer sozialer Elternschaft zu folgen. Die b) Wenn das Landgericht dazu einige - aber keines- Voraussetzungen der Strafbefreiung nach § 218 a wegs ausreichende - Feststellungen trifft, so ist hier- Abs. 2 Nr. 3 StGB sind nur dann rechtsfehlerfrei fest- bei nicht auszuschließen, daß es zur generellen Unzu- gestellt, wenn die Möglichkeit einer Adoption auf- mutbarkeit der Adoption aufgrund eines verfassungs- grund umfassender Prüfung aller Umstände des Ein- rechtlichen Wertungsfehlers gelangt ist. zelfalls als zumutbarer Ausweg gegenüber einem Abwegig ist es, die Strafbefreiung des Schwanger- Schwangerschaftsabbruch ausgeschlossen werden schaftsabbruchs mit der Überlegung zu begründen, kann (Dreher/Tröndle § 218 a Rn. 28). eine Verweisung auf die Adoptionsmöglichkeit wider- spreche dem Elternrecht oder dem Recht auf eigene 5. Das Urteil leidet des weiteren an einem durchgrei- Familie nach Art. 6 Abs. 1 und 2 GG. Der Fehlschluß fenden sachlichen Mangel insoweit, als es der Ange- des Landgerichts ergibt sich schon aus der Erwä- klagten in einer Hilfsbegründung für den Fall, daß ob- gung, daß der insoweit in Anspruch genommene ver- jektiv doch keine Notlage im Sinn des § 218 a Abs. 2 fassungsrechtliche Schutz durch die Abtötung der Nr. 3 StGB vorliegen sollte, zugute hält, sie habe sich Leibesfrucht noch entscheidender unterlaufen würde in einem unvermeidbaren Irrtum befunden. als durch Weggabe des Kindes zur Adoption, es sei a) Der vom Landgericht unterstellte Irrtum bezöge denn, man wollte Art. 6 GG als Eröffnung eines freien sich zunächst nicht auf Umstände, die einen Schwan- Verfügungsrechts der Eltern über ihre Kinder mißver- gerschaftsabbruch rechtfertigen und damit Vorsatz stehen. und Strafbarkeit entfallen ließen (vgl. BGHSt 2, 234/ c) Wenn einzelne Stimmen in der Literatur die gene- 236; 31,264/287). Die in § 218 a Abs. 2 Nr. 3 StGB ge- relle Verweisung auf die Adoptionsmöglichkeit als Al- regelte Indikation der allgemeinen Notlage begründet ternative zum Schwangerschaftsabbruch ablehnen nämlich entgegen der Annahme des Landgerichts kei- (LK/Jähnke StGB 10. Aufl. Vor § 218 Rn. 33 und § 218 nen Rechtfertigungsgrund, sondern einen Schuldaus- a Rn. 76 mit Literaturhinweisen), so wird das keines- schließungsgrund. Insoweit hält der Senat nicht mehr wegs mit verfassungsrechtlichen Erwägungen be- an seiner früher geäußerten, allerdings nicht näher be- gründet. Vielmehr wird argumentiert, der Gesetzgeber gründeten, Auffassung (BayObLGSt 1978,41/43) fest. lasse durch die in Kenntnis der Adoptionsmöglichkeit aa) Der Gesetzgeber charakterisiert die strafrechtli- getroffene Regelung erkennen, Adoption oder Heim- che Wirkung der Indikationen in § 218 a Abs. 1 StGB unterbringung seien als generelle konfliktlösende lediglich mit „nicht nach § 218 strafbar". Das Straf- Möglichkeiten auszuschließen, da andernfalls die recht verwendet in der Gesetzessprache für Um- Notlagenindikation „leerlaufen" würde (Schönke/ stände, die einer Tatbestandsverwirklichung die Schröder/Eser aaO). Einer solchen Argumentation ist Rechtswidrigkeit nehmen und die Tat rechtfertigen entgegenzusetzen, daß die Neufassung des Adop- sollen, die Formulierung „handelt nicht rechtswidrig" tionsrechts - Adoptionsgesetz vom 2.7.1976 (BGBI. (§ 32 Abs. 1, § 34 Satz 1 StGB). Der in § 218 a Abs. 1 1749), Adoptionsvermittlungsgesetz vom 2.7.1976 StGB gewählte Wortlaut entspricht dem eines Straf- (BGBI. 1762) - zum Ziel hat, Kindern das Aufwachsen ausschließungsgrunds, wie er z. B. in §§ 173 Abs. 3, in harmonischen und lebenstüchtigen Familien zu er- 258 Abs. 6 StGB geregelt ist. Auch für Schuldaus- möglichen (Bundestagsdrucksache 7/3061 S. 1 und schließungsgründe verwendet das Gesetz eine ähnli- 7/5087 S. 1). Dieses Ziel sichert auch § 5 AdVermiG, che Fassung (§ 33 StGB). Inhaltlich können dem Be- wenn es anderen als staatlichen oder staatlich aner- griff der Nichtstrafbarkeit im Sinne eines Oberbegriffs kannten Adoptionsvermittlungsstellen verwehrt, als rechtliche Möglichkeiten Rechtfertigungs-, Schwangere zur Adoption zu bewegen. In Berück- Schuldausschließungs- und Strafausschließungs- sichtigung der gesetzgeberischen Bewertung der gründe untergeordnet werden (vgl. LK/Hirsch Vor § 32 Adoption ist aus der gesetzlichen Regelung einer all- Rn. 213). Der Rückzug auf einen solchen Oberbegriff gemeinen Notlagenindikation weder die generelle drängt zu der Annahme, der Gesetzgeber habe sich Unzumutbarkeit der Weggabe des Kindes nach seiner jedenfalls nicht für alle Indikationsfälle auf einen Geburt zu entnehmen, noch aber zu begründen, die Rechtfertigungsgrund festlegen wollen. Nach der Schwangere müsse generell die Adoption dem Ab- strafrechtlichen Terminologie ist deshalb die nähere bruch vorziehen. Vielmehr erfordert die auf Zumutbar- Rechtsnatur der Indikationen offengelassen (Dreher/ keit abstellende gesetzliche Fassung des § 218 a Abs. TröndleVor§218Rn. 8 a). 2 Nr. 3 Buchst, b StGB, einerseits aber auch das ver- bb) Die Entstehungsgeschichte des § 218 a StGB läßt fassungsrechtlich geschützte - gegenüber dem gleichfalls nicht die Folgerung zu, der Gesetzgeber Selbstbestimmungsrecht der Schwangeren vorran- habe für alle Indikationsfälle einen Rechtfertigungs- gige (BVerfGE 39,1 LS 3) - Lebensrecht des Kindes als grund schaffen wollen. Auszuschließen ist, dem Ge- maßgebliche Grundlagen bei der Entscheidung dar- setzgeber sei die strafrechtliche Terminologie zur über abzuwägen, ob die Notlage durch die Weggabe Kennzeichnung von Rechtfertigungsgründen nicht des Kindes nach der Geburt im Wege der Adoption geläufig gewesen. Die Materialien (vgl. insbesondere abgewendet werden kann. Verhandlungen des Deutschen Bundestags 1976 II 13877 ff.; Bericht des Deutschen Bundestags 1976 7/ Die Ausführungen des Landgerichts lassen die erfor- 4696 S. 7) lassen erkennen, daß die Begriffe Straffrei- derliche Gesamtwürdigung insofern vermissen, als heit und Rechtfertigungsgrund in Kenntnis und Ver- das Urteil ausschließlich auf die subjektive Bewertung ständnis strafrechtlicher Terminologie im Gesetzge- von Heimunterbringung und Adoption durch die An- bungsverfahren Eingang gefunden hatten. Die Wort- geklagte abstellt. Im Vordergrund der notwendigen ei- wahl im Gesetzestext schließt trotzdem an die Formu- genen Abwägung hat jedoch auch das Lebensrecht lierung des Bundesverfassungsgerichts in der Ent- des Kindes zu stehen. Die zu beurteilenden und auf scheidung vom 25.2.1975 über die Fristenlösung des

26 MEDIZIN & IDEOLOGIE NOVEMBER 90 5. Strafrechtsreformgesetzes (StrRG) vom 18.6.1974 recht des Schwangerschaftsabbruchs sich in allen (BVerfGE 39, 1 f.) an. Die Anpassung des in § 218 a Konfliktsfällen, insbesondere dem der allgemeinen Abs. 1 StGB gewählten Textes an diese Entscheidung Notlage, zu einem Recht auf Abtötung der Leibes- folgt ersichtlich dem Bestreben, den vom Bundesver- frucht wandelte. fassungsgericht für eine Reform des Abtreibungs- cc) Auch eine strafrechtssystematische Gewichtung strafrechts vorgezeichneten verfassungsrechtlichen der Voraussetzung für die hier allein interessierende Rahmen einerseits nicht zu überschreiten, anderer- Indikation der allgemeinen Notlage führt nicht zur An- seits ihn zugunsten einer Straffreiheit des Schwanger- nahme eines Rechtfertigungsgrunds. schaftsabbruchs voll auszuschöpfen (vgl. Verhand- § 218 a Abs. 1, Abs. 2 Nr. 3 StGB ist schon nach der lungen des Deutschen Bundestags 1976 7/13885 und Normgestaltung wenig tauglich, die Funktion eines 13894). Rechtfertigungsgrundes zu erfüllen, nämlich Recht Das Bundesverfassungsgericht beantwortet in sei- oder Unrecht einer Handlung - hier des Schwanger- nem Urteil insbesondere die Frage, wann der Gesetz- schaftsabbruchs - objektiv festzulegen. Ein Rechtfer- geber bei dem ihm verfassungsrechtlich gebotenen tigungsgrund nimmt der Tatbestandsverwirklichung Schutz des sich im Mutterleib entwickelnden Lebens die Rechtswidrigkeit mit der Folge, daß das grund- und bei der ihm grundgesetzlich gebotenen Mißbilli- sätzlich beschriebene Handlungsunrecht (hier § 218 gung des Schwangerschaftsabbruchs auf das Mittel Abs. 1 StGB) objektiv für Täter und Teilnehmer nicht des Straf rechts verzichten darf, ohne sich näher mit mehr gegeben ist (Dreher/Tröndle Vor § 32 Rn. 2). dem Gestaltungsraum auseinanderzusetzen, der vom Wenn wegen des weitreichenden Strafausschlie- Gesetzgeber im Rahmen der Verfassung einfach- ßungsgrundes in § 218 Abs. 3 Satz 2 StGB für die rechtlich auszufüllen ist. Dem Gesetzgeber bleibe es Schwangere die in § 218 a StGB geregelte Nichtstraf- überlassen, außerhalb des zwingend einer Strafbe- barkeit, die auf Indikationen abstellt, vornehmlich für wehrung zu unterstellenden Verhaltens gesetzliche den Arzt Bedeutung hat, so ist die Anwendbarkeit des Regelung zu treffen. Dabei ist die Vorstellung des § 218 a StGB auf alle an einem Schwangerschaftsab- Bundesverfassungsgerichts von Bedeutung, die bruch mitwirkenden Personen doch unstreitig grundgesetzlich gebotene rechtliche Mißbilligung des (Schönke/Schröder/Eser § 218 a Rn. 63). Die Voraus- Schwangerschaftsabbruchs könne außerhalb der setzungen der Nichtstrafbarkeit legt § 218 a Abs. 1, Strafdrohung auch auf andere Weise zum Ausdruck Abs. 2 Nr. 3 StGB neben den formalen Anforderungen kommen. Im Instrumentarium des Gesetzgebers der Einwilligung der Schwangeren und der Durchfüh- stelle die Strafnorm gewissermaßen die ultima ratio rung des Abbruchs durch einen Arzt auf zwei Ebenen dar. Diese Auffassung läßt eine Einordnung der Abtrei- fest: Zum einen muß eine schwerwiegende Notlage bungshandlungen in nur zwei Kategorien von „straf- gegeben sein. Zum anderen bedarf es der diesbezüg- bar" oder „gerechtfertigt" nicht zu. Sie schließt Fälle lichen „ärztlichen Erkenntnis". Letzteres bedeutet, eines gerechtfertigten Schwangerschaftsabbruchs daß zu den sachlichen Voraussetzungen der Indika- zwar nicht aus, stellt jedoch erkennbar auf eine Abstu- tion auch noch die entsprechende ärztliche Bewer- fung im Bereich der grundsätzlich als Unrecht zu tung hinzutreten muß. kennzeichnenden Fälle in der Weise ab, daß es neben Die maßgeblichen tatsächlichen Daten für die Notlage strafwürdigen auch solche Fälle geben kann, in denen sind in der Regel persönlicher, sozialer oder wirt- Straffreiheit zu gewähren dem Gesetzgeber nicht ver- schaftlicher Art und von ihrer Erhebungsfähigkeit in wehrt ist, obwohl zu mißbilligendes Unrecht vorliegt. erster Linie der Schwangeren zugänglich. Die Ent- Wenn sich der Gesetzgeber bei Fassung des § 218 a scheidung des Arztes, dem weder ein Ermittlungs- Abs. 1 StGB sprachlich dem Bundesverfassungsge- recht noch nach seiner Ausbildung eine zureichende richt angeschlossen hat, dann ist damit auch für die kontrollierende Bewertungsfähigkeit zur Seite stehen, Gleichsetzung von „nicht strafbar" mit „nicht rechts- kann deshalb nur auf den physisch-psychischen Zu- widrig" der Weg verschlossen. Andernfalls würde dem stand und auf den glaubhaften Sachvortrag der Lebensrecht des Ungeborenen stets ein dieses ver- Schwangeren abheben. Umgekehrt hat die Schwan- nichtendes stärkeres Recht gegenübergestellt. Ferner gere keine Kriterien, mit der sie die so gewonnene entfiele im einfachrechtlichen Normensystem die er- „ärztliche Erkenntnis" nachprüfen könnte. Damit stel- forderliche Unrechtskennzeichnung des Schwanger- len sich die für die Nichtstrafbarkeit vorausgesetzten schaftsabbruchs, die das Bundesverfassungsgericht gesetzlichen Merkmale - der Notlage einerseits, der gerade auch im Fall von echten Konfliktsfällen aus- ärztlichen Indikationserkenntnis andererseits - als Be- drücklich verlangt, wenn es ausführt (BVerfGE 39, 1/ dingungen dar, die von der subjektiven Darstellung 50): „Auch in diesen Fällen darf der Staat sich nicht da- und Bewertung der jeweiligen Gegenseite abhängig mit begnügen, bloß zu prüfen und ggf. zu bescheini- sind. gen, daß die gesetzlichen Voraussetzungen für einen Die Regelung der Indikation der allgemeinen Notlage straffreien Schwangerschaftsabbruch vorliegen. Viel- verschärft die Abhängigkeit von subjektiven Elemen- mehr wird auch hier von ihm erwartet, daß er Beratung ten des jeweils anderen Beteiligten darüber hinaus und Hilfe anbietet mit dem Ziel, die Schwangere an die noch dadurch, daß eine nähere gesetzliche Definition grundsätzliche Pflicht zur Achtung des Lebensrechts der „Notlage" fehlt. Die gesetzliche Formulierung lie- des Ungeborenen zu mahnen, sie zur Fortsetzung der fert mit dem Begriff „schwerwiegend" lediglich eine Schwangerschaft zu ermutigen und sie - vor allem in graduelle, aber nicht eine inhaltliche Beschreibung. Fällen sozialer Not - durch praktische Hilfsmaßnah- Nichts anderes gilt für die in § 218 a Abs. 2 Nr. 3 Buch- men zu unterstützen." Das Vorliegen echter Konflikts- staben a und b StGB angefügten Zumutbarkeitskrite- fälle, das der Staat zum Anlaß nehmen darf, den rien. Schwangerschaftsabbruch „aus dem Strafrechts- Die wechselseitige Verschränkung der für den Täter schutz" herauszunehmen, beseitigt also gerade nicht mangels eigener Überprüfungsmöglichkeit hinzuneh- die Schutzverpflichtung des Staates gegenüber dem menden Darstellung und Bewertung eines weiteren ungeborenen Leben. Es gibt keine überzeugenden Beteiligten schafft keine geeignete Grundlage, Recht- Gründe dafür, das 15. Strafrechtsänderungsgesetz mäßigkeit oder Rechtswidrigkeit des Schwanger- (StrÄG) trotz der Anpassung seiner Formulierung an schaftsabbruchs objektiv festzulegen. Vielmehr be- das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zu Lasten schreibt § 218 a Abs. 1, Abs. 2 Nr. 3 StGB subjektive des verfassungsrechtlich geschützten Rechtsguts Le- Entlastungsmöglichkeiten. Bei Fehldarstellung des ben so zu interpretieren, daß das grundsätzliche Un- weiteren Beteiligten regelt sich die Strafbarkeit über §

MEDIZIN & IDEOLOGIE NOVEMBER 90 27 28 Abs. 2 StGB. oder durch sozialrechtliche Verpflichtungen den Auch weitere Kriterien eines Rechtfertigungsgrundes Schwangerschaftsabbruch im Indikationsfall der all- sind nicht erkennbar. § 218 a Abs. 1, Abs. 2 Nr. 3 StGB gemeinen Notlage selbst fördern darf, erscheint ver- ist ein Vorrang eines Rechtsguts der Schwangeren fassungsrechtlich fragwürdig (vgl. Isensee NJW1986, (Freiheit, Selbstbestimmungsrecht, Gesundheit) ge- 1645/1650), bedarf hier aber keiner Entscheidung. genüber dem verfassungsrechtlich höchstrangigen § 218 a Abs. 2 Nr. 3 StGB stellt in doppelter Weise auf Rechtsgut Leben nicht zu entnehmen. Zumutbarkeit ab. Die Formulierung schließt deutlich Zwar ist dieser Bestimmung wie auch § 218 Abs. 3 an den Schuldausschließungsgrund des entschuldi- Satz 2 StGB das Anliegen des Gesetzgebers zu ent- genden Notstands in § 35 StGB an. Nach herrschen- nehmen, die Gesundheit der abbruchbereiten der Meinung (RGSt 66, 398; kritisch allerdings Schwangeren vor Schädigung durch Nichtärzte zu Schönke/Schröder/Lenckner Vorbemerkung vor §§ schützen. Daß allein schon diese Schutzrichtung zu- 32 ff StGB Rn. 110) ist der Gedanke der Unzumutbar- gunsten der Schwangeren den Abbruch im Indika- keit Grundprinzip der innerhalb der Schuldausschlie- tionsfall wegen der Beteiligung eines Arztes rechtferti- ßungsgründe anzusiedelnden Entschuldigungs- gen soll, ist in § 218 a Abs. 1, Abs. 2 Nr. 3 StGB nicht gründe. Die Rechtsordnung der Bundesrepublik kennt zum Ausdruck gebracht. kein gesetzliches oder durch Rechtsprechung gebil- Die Rechtsordnung der Bundesrepublik kennzeichnet detes Beispiel, bei dem die Vernichtung eines Rechts- Unrecht zwar nicht ausschließlich, aber doch vielfach guts von höchstem Verfassungsrang dadurch ge- durch das Strafrecht. Die rechtliche Mißbilligung eines rechtfertigt würde, daß die Existenz dieses Rechts- Verhaltens drückt das Strafgesetz selbst dort aus, wo guts für einen anderen nicht zumutbar erscheint. Wie es durch Anerkennung von Schuld- oder Strafaus- ohne Hinzutreten ganz besonderer Umstände die schließungsgründen eine Sanktion zurücknimmt. Bei Unzumutbarkeit eines noch nicht geborenen Lebens, der strafrechtssystematischen Untersuchung hat das in der von Eltern zu verantwortenden Sphäre ent- deshalb der Gedanke außer Betracht zu bleiben, dem standen ist, dessen Tötung nicht nur straflos zulassen, Arzt sei eine Mitwirkung an einer straflosen, aber doch sondern darüber hinaus zu einem Recht erheben rechtswidrigen Tötung nicht zuzumuten (so aber unter sollte, ist nicht einzusehen. Auch die Kriterien, die die anderen LK/Jähnke Vor § 218 Rn. 22; Maurach/Schrö- moderne Lehre zur Begründung und Begrenzung von der/Maiwald Strafrecht BT Teilband 1 § 6 Rn. 15). Ab- Entschuldigungsgründen eingeführt hat, nämlich Un- gesehen davon, daß der Gesetzgeber einer solchen rechtsminderung mit zusätzlicher Schuldminderung Unzumutbarkeit in Art. 2 Abs. 1 des 5. StrRG durch (vgl. LK/Hirsch vor § 32 Rn. 183), sind durch die Fas- Einräumung eines Weigerungsrechts ausdrücklich sung der allgemeinen Notlagenindikation in § 213 a Rechnung trägt, kann eine solche Überlegung eine Abs. 2 Nr. 3 StGB abgedeckt. gebotene rechtliche Mißbilligung einer Tötungshand- dd) Der strafrechtlichen Regelung, die die verfas- lung nicht in ihr Gegenteil verkehren. Sollen bei Zuge- sungsrechtlich gebotene grundsätzliche Unrechts- ständnis der Straffreiheit einer rechtlich mißbilligten kennzeichnung in § 218 Abs. 1 StGB verdeutlicht, Handlung gleichwohl bestimmte Schutzzwecke - wie werden auch nicht durch das 5. Strafrechtsergän- hier die gesundheitlichen Belange der Schwangeren - zungsgesetz Rechtfertigungsgründe entgegenge- gewahrt werden, so bedarf es zu deren Sicherung ei- stellt. Die sozialversicherungsrechtlichen Regelungen gener rechtlicher Regelungen. der §§ 200 f und 200 g RVO knüpfen den Leistungsan- Auf solche hat der Gesetzgeber bislang verzichtet. spruch der Schwangeren gegen die Krankenversiche- Daß die Rechtsprechung die Regelungslücken nicht rung an den „nicht rechtswidrigen Abbruch der befriedigend oder gar folgerichtig zu schließen ver- Schwangerschaft durch einen Arzt" an. Sie enthalten mag, belegen die Entscheidungen von Zivil-, Arbeits- selbst keinerlei Tatbestandsbeschreibung für einen und Sozialgerichten, die § 218 a Abs. 1 StGB auf die Rechtfertigungsgrund. Daraus ist zu schließen, daß pragmatische Rechtsfolge eines Rechtfertigungs- der Leistungsanspruch nur besteht, wenn nach ande- grundes umzudeuten versuchen. Entgegen der ren Rechtsvorschriften der Schwangerschaftsab- Rechtsprechung des 6. Zivilsenats des Bundesge- bruch „nicht rechtswidrig" ist. Wie oben dargestellt, ist richtshofs (BGHZ 86, 240/245; FamRZ 1985, 1008; die in § 218 a Abs. 1 und 3 Nr. 3 StGB enthaltene Re- BGHZ 95, 199) ist der Senat der Auffassung, daß die gelung für den Schluß auf eine Rechtfertigung nicht Einräumung bloßer Straffreiheit in § 218 a Abs. 1, Abs. ausreichend, zumal der Gesetzgeber in genauer 2 Nr. 3 StGB bei Fehlen eines allgemeinen Rechtferti- Kenntnis des § 200 f RVO (vgl. BT-Drucks. 7/376 S. 5 gungsgrundes die Rechts- und Gesetzeswidrigkeit und 7/1753 S. 2) gerade den Terminus „nicht rechts- des Schwangerschaftsabbruchs nicht berührt. widrig" vermieden hat. Ebenso erscheint der vom Bundesarbeitsgericht (NZA Der Senat sieht sich in seiner Auffassung, der Gesetz- 1989, 713) benützte Begriff „erlaubt" für straffrei i. S. geber habe die Indikationen. nicht insgesamt als des § 218 a Abs. 1 StGB nicht tauglich, die Unrechts- Rechtfertigungsgründe formulieren wollen, bestärkt kennzeichnung und damit die Rechtswidrigkeit des durch den Entstehungszusammenhang der straf- Schwangerschaftsabbruchs aus allgemeiner Notlage rechtlichen und der sozialrechtlichen Bestimmungen zugunsten eines Lohnfortzahlungsanspruchs der zum Schwangerschaftsabbruch. Wie Tröndle in Jura Schwangeren zu überwinden. Erst recht sieht sich der 1987 S. 70 ausführlich dokumentiert, war die Fassung Senat gehindert, die durch die angeführte Rechtspre- des § 200 f RVO in den Beratungen des Strafrechtsre- chung angesichts fehlender gesetzlicher Regelungen formergänzungsgesetzes (StREG) zunächst insbe- in Kauf genommenen Widersprüche und Systemwi- sondere insoweit stufenweise umstritten, als der An- drigkeiten auch für das Strafrecht zu übernehmen. knüpfungstatbestand für Versicherungsleistungen Fehlende gesetzliche Bestimmungen zur zivil- und so- anfangs auf die Fälle medizinischer Indikation, dann zialrechtlichten Rechtslage bei bloßer Nichtstrafbar- auf Fälle einer „anerkannten" Indikation und schließ- keit der Beteiligten können nicht dazu führen, die ver- lich auf den „nicht rechtswidrigen" Schwanger- fassungsrechtlich gebotene Unrechtskennzeichnung schaftsabbruch bezogen werden sollte. Im Zeitpunkt des Schwangerschaftsabbruchs zu verkürzen. des Inkrafttretens des StREG vom 20.12.1974 am Ob und inwieweit allerdings der Staat über die Ermög- 28.8.1975 gab es aufgrund der Entscheidung des lichung zivilrechtlich legitimierter Mitwirkung des Arz- Bundesverfassungsgerichts vom 25.2.1975 (BGBI tes und einer Finanzierung etwa durch solidarische In- 1975 S. 625) für die Notlagenindikation nicht einmal teressengruppen hinaus durch eigene Leistungen einen Strafausschließungsgrund, sondern lediglich

28 MEDIZIN & IDEOLOGIE NOVEMBER 90 eine Strafbefreiungsmöglichkeit im Wege des Abse- Eser § 218 a Rn. 6 mit zahlreichen Literaturhinweisen) hens von Strafe. Wenn der Gesetzgeber später dann oder auf die Einheitlichkeit der Rechtsordnung (LK/ die Indikation der allgemeinen Notlage in § 218 a Abs. Jähnke Vor § 218 Rn. 23) ab. Schlußfolgerungen auf 2 Nr. 3 StGB ausformulierte, sich aber in § 218 a Abs. den Begriff „nicht strafbar" in § 218 a Abs. 1 StGB zie- 1 StGB für alle Indikationen bewußt darauf beschränkt hen die Vertreter der Rechtfertigungsthese allesamt hat, den Schwangerschaftsabbruch lediglich für aus dem Bemühen, insbesondere die Vorschriften im „nicht nach § 218 strafbar" zu erklären, liegt in dieser Strafrechtsreformergänzungsgesetz, nämlich die §§ Fassung ein eindeutiger Verzicht, die Indikationen ge- 200 e bis 200 g RVO, in eine pragmatische rechtliche nerell im Sinne eines Rechtfertigungsgrundes zu re- Harmonie zu bringen. Die im Vordergrund stehende geln (Tröndle aaO S. 71). Bewertung betrifft - wie bereits ober unter cc) darge- ee) Die unterschiedliche dogmatische Begründung legt - nicht die strafrechtliche Natur der Indikationen, des Rechtscharakters von Entschuldigungsgründen sondern die aus zivil- und sozialrechtlichen Prämissen führt letztlich nicht zu einer sauberen Abgrenzung von abgeleiteten Konsequenzen. Weil der Arzt bei einem Schuldausschließungsgründen einerseits und Straf- „straffreien" Schwangerschaftsabbruch doch ver- ausschließungsgründen andererseits. Die Grenzzie- pflichtet sei, die Leibesfrucht lege artis zu töten, könne hung nimmt der Gesetzgeber nach gradueller Abstu- ihm Rechtmäßigkeit seines Handelns ebensowenig fung der Unzumutbarkeit bzw. der Unrechts- und wie eine nicht durch § 134 BGB gestörte Honorarfor- Schuldminderung rechtspolitisch vor. Eine solche derung vorenthalten werden. Entscheidung für die einzelnen Indikationen, hier vor- Auch die Praxis überspielt im Interesse der Wahrung nehmlich der der allgemeinen Notlage, ist dem Geset- einer einheitlichen Rechtsordnung die vom Gesetzge- zestext nicht sicher zu entnehmen. Da bei Vorliegen ber belassene Problemlage im Sinne einer pragmati- der tatsächlichen Voraussetzungen der Indikation schen Harmonisierung. Sozialbehörden, Beihilfestel- Strafbarkeit in jedem Fall entfällt, wird die Grenzzie- len des Öffentlichen Dienstes und Versicherungen un- hung strafrechtlich nur dort von Bedeutung, wo der terscheiden weithin nicht zwischen „straffrei" und Täter diese Voraussetzungen irrtümlich angenommen „nicht rechtswidrig" und verschieben dabei die ge- hat. Da in solchen Fällen bei Annahme eines bloßen setzliche Unrechtskennzeichnung des Schwanger- Strafausschließungsgrundes die Strafbarkeit auf- schaftsabbruchs im Falle der allgemeinen Notlagenin- rechterhalten bliebe, bei Unterstellung eines Schuld- dikation zu Lasten des Lebensschutzes des Ungebo- ausschließungsgrundes Handeln in unvermeidbarem renen. Das Bundessozialgericht (NJW 1985, 2215/ Irrtum zur Straflosigkeit führte, ist angesichts der offe- 2216) glaubt, wie das Bundesarbeitsgericht (NZA nen Gesetzeslage von der dem Täter günstigeren 1989, 713 gegen AG Iserlohn NJW 1987, 1509), es rechtlichen Bewertung auszugehen. Die Regelung in § dahinstehen lassen zu können, ob die Indikation des § 218 a Abs. 2 Nr. 3 StGB beschreibt sonach die Vor- 218 a Abs. 2 Nr. 3 StGB Rechtfertigungs- oder aussetzungen eines Schuldausschließungsgrunds Schuldausschließungsgrund sei. Das Bundesverfas- (Dreher/Tröndle Vor § 218 Rn. 8 und 9 mit Literaturhin- sungsgericht hält diese Auffassung für methodisch weisen auf die zunehmende Zahl der Gegner der vertretbar und in sich widerspruchsfrei (JR 1990,102/ Rechtfertigungsthese). Eine Rechtfertigung für die 103; dazu kritisch Kluth JR 1990,104/105; Otto NStZ Schwangere oder für den Arzt kann sich demzufolge 1990,178). bei der derzeit gegebenen Gesetzeslage nur aus den Der Gedanke der Einheit der Rechtsordnung legiti- allgemeinen Rechtfertigungsgründen (z. B. § 34 StGB miert den Richter jedoch nicht, dem Schutz des Le- oder rechtfertigende Pflichtenkollision) ergeben. bens dienende gesetzliche Bestimmungen entgegen ff) Liegen im Einzelfall nicht Rechtfertigungsgründe ihrem Wortlaut in eine nach seiner Auffassung wider- nach allgemeinen Grundsätzen vor, läßt die vom Ge- spruchsfreie Übereinstimmung zu bringen. Die Wah- setzgeber getroffene Regelung bei der Bewertung der rung einer einheitlichen Rechtsordnung ist vielmehr Indikation der allgemeinen Notlage als Schuldaus- primär Aufgabe des Gesetzgebers. Nach Auffassung schließungsgrund die in § 218 Abs. 1 StGB zum Au- des Senats ist es ausschließlich diesem vorbehalten, druck gebrachte Rechtswidrigkeit grundsätzlich un- bei der grundsätzlichen Unrechtskennzeichnung des berührt. Die damit verbundene Folge jedenfalls für die Schwangerschaftsabbruchs in Übereinstimmung mit Fälle der Notlagenindikation ist zunächst, daß § 200 f der Verfassung ein sozialrechtliches Konzept für die RVO keine Anknüpfung zur Auslösung sozialversiche- Wahrung gesundheitlicher Belange auch der gemäß § rungsrechtlicher Leistungstatbestände zu schaffen 218 a StGB straffrei abbrechenden Frau und für den vermag (vgl. hierzu Isensee NJW1986,1645 ff; Philipp lege artis handelnden Arzt zu finden, wobei eine diffe- Jura 1987,86 ff; Tröndle Jura 1987,66 ff). Ebenso fehlt renzierende rechtliche Bewertung der Beteiligten auf- entgegen der Auffassung des BAG (NZA 1989, 713) grund unterschiedlichen Handlungsansatzes nicht eine rechtliche Voraussetzung für den Lohnfortzah- ausgeschlossen erscheint. lungsanspruch nach § 1 Abs. 2 Lohnfortzahlungsge- Die zeitliche Abfolge des gesetzgeberischen Verfah- setz. Des weiteren ist der auf die Abbruchhandlung rens belegt, wie oben dargestellt, daß der Gesetzge- bezogene Arztvertrag nach § 134 BGB nichtig, eine ber gerade nicht bereit war, an den im StREG verwen- Nothilfe zugunsten des Ungeborenen durch jeder- deten Begriff „nicht rechtswidrig" anzuknüpfen. Mit mann möglich und das Lebensrecht des ungeborenen der Wahl des für das Bundesverfassungsgericht im Kindes notfalls mit Hilfe eines nach § 1912 Abs. 1 Satz Vordergrund stehenden Begriffs der „Straffreiheit" hat 1 BGB zu bestellenden Pflegers durchsetzbar. der Gesetzgeber, offensichtlich in der Besorgnis er- gg) Der Senat übersieht gerade angesichts der darge- neuter Verfassungswidrigkeit, die ihm grundsätzlich legten Rechtsfolgen nicht, daß alle Indikationen des § mögliche nahtlose Anpassung an das StREG aus- 218 a StGB in strafrechtlichen Lehrbüchern und Kom- drücklich nicht gewählt. Die dadurch fehlende Ent- mentaren noch überwiegend als Rechtfertigungs- sprechung der Regelungen in StGB und RVO stellt gründe verstanden werden (Schönke/Schröder/Eser sich aber als gesetzgeberischer Wille dar. §218aRn.5f;LK/JähnkeVor§218Rn.22;SK/Rudol- Liegt der Formulierung des § 218 a Abs. 2 StGB, wie phi § 218 a Rn. 1; Wessels Strafrecht BT 10. Aufl. § 4 oben ausgeführt, die gesetzgeberische Absicht zu- IV; Lackner mit sehr kritischer Würdigung § 218 a grunde, die Grenzen zur Verfassungswidrigkeit nicht - Anm. 1). wie beim 5. StrRG vom 18.6.1974-durch Normierung Die vorherrschende Begründung dieser These stellt eines Rechtfertigungsgrundes für alle Indikationsfälle auf die Systematik des Gesetzes (Schönke/Schröder/ zu überschreiten, so besteht weder die Notwendigkeit

MEDIZIN & IDEOLOGIE NOVEMBER 90 29 noch ein einsichtiger Grund dafür, durch Richterrecht sich bei Bewertung des §218 a Abs. 1 StGB auf die zi- das vermutete verfassungsrechtliche Risiko zu Lasten vilrechtliche Frage, ob ein Vertrag mit dem Arzt über des geschützten Rechtsguts Leben zu übernehmen. einen Schwangerschaftsabbruch rechtswirksam zu- Die Interpretation des Begriffs „nicht strafbar" als stande kommen konnte oder ob der Arzt seine ver- „nicht rechtswidrig" entgegen dem dokumentierten traglichen Verpflichtungen - etwa durch Unterlassen Willen des Gesetzgebers stellt keine Auslegung, nach eines erfolgreichen Schwangerschaftsabbruchs - ver- dem Gesamtzusammenhang der Normentstehung letzt hat. Die Ausführungen des Bundesgerichtshofs auch nicht bloße Normergänzung, sondern Normset- in BGHZ 86, 240/245 sind darüber hinaus insoweit zung dar. Bewegt sich diese vom Gesetzeswortlaut nicht eindeutig, als der 6. Zivilsenat einerseits erklärt, weg hin zu einer Einschränkung eines verfassungs- „zu einem näheren Eingehen auf diesen dogmati- rechtlich geschützten Rechtsguts, genauer sogar auf schen Streit keinen Anlaß" zu sehen, andererseits eine Umkehr des Rechts auf Leben des Ungeborenen dann aber doch „mit der ganz herrschenden Meinung in ein Recht anderer, dieses Leben zu vernichten, so dafürhält, daß ein nach §§ 218 ff StGB strafloser überschreitet der Richter die ihm verfassungsrechtlich Schwangerschaftsabbruch jedenfalls nicht rechtswi- zugewiesenen Schranken (vgl. BVerfG DVBI 1985, drig ist". Den Darlegungen ist nicht klar zu entnehmen, 1006/1015; Kissel NJW 1982, 1777). Es ist nicht Auf- ob der 6. Zivilsenat seine Entscheidung auch auf die gabe des Richters, seinerseits zu einer Harmonisie- vorgenommene Einstufung der Indikation als Recht- rung des vom Gesetzgeber zu verantwortenden wi- fertigungsgrund stützt. Doch erläutert der 6. Zivilsenat dersprüchlichen und teilweise offenen Rechtszu- in der Entscheidung vom 27.11.1984 (FamRZ 1985, stands beizutragen. 779/780) seinen Rechtsstandpunkt unter Bekräfti- Im übrigen erkennen auch die Vertreter der Rechtferti- gung der früheren Entscheidungen (BGHZ 86, 240; gungsthese deren Fragwürdigkeit jedenfalls bei der 89, 95) dahin, „für die Frage, ob der Schwanger- Indikation der allgemeinen Notlage an (vgl. Schönke/ schaftsabbruch Gegenstand eines von der Rechts- Schröder/Eser § 218 a Rn. 42), gestehen zu, daß auch ordnung gebilligten Vertrags zwischen einer Frau und bei Zugrundelegung einer rechtfertigenden Wirkung dem den Eingriff vornehmenden Arzt sein kann", Widersprüche der Rechtsordnung nicht vermieden komme es nicht darauf an, „ob die in § 218 a StGB be- werden können (Gropp GA 1988,1/3), oder gelangen zeichneten sog. Indikationen für einen Schwanger- im Verhältnis des § 218 a StGB zu den §§ 218 b, 219 schaftsabbruch Rechtfertigungsgründe sind, oder ob StGB zu einer „partiellen Rechtswidrigkeit" der Ab- nur die Voraussetzungen für eine Straffreiheit in be- bruchhandlung (LK/Jähnke § 218 a Rn. 4). sonderen Fällen geregelt sind." Der 6. Zivilsenat sähe hh) Eine die Vorlagepflicht gemäß § 121 Abs. 2 GVG auch jetzt keine Notwendigkeit, auf diese dogmati- auslösende Abweichung von der Meinung eines an- schen Streitfragen einzugehen. Damit erklärt der 6. Zi- deren Oberlandesgerichts oder des Bundesgerichts- vilsenat die Frage des Rechtscharakters der Indika- hofs hinsichtlich der rechtlichen Bewertung der Indi- tion, in Übereinstimmung mit dem Bundesarbeitsge- kation der allgemeinen Notlage kann der Senat nicht richt (NZA1989, 713/714), als nicht entscheidungser- feststellen. heblich. Diese Beurteilung stuft die Äußerung in BGHZ In der strafgerichtlichen Rechtsprechung sind - soweit 86, 240/245, die Indikation der allgemeinen Notlage ersichtlich - Entscheidungen der Obergerichte zu § sei ein Rechtfertigungsgrund, zu einem obiter dictum 218 a StGB noch nicht ergangen (vgl. Dreher/Tröndle ab. Die daraus folgende Unzulässigkeit der Vorlage Vor § 218 Rn. 8 c). Die Entscheidungen des 6. Zivilse- gemäß § 121 Abs. 2 GVG wird auch nicht dadurch be- nats des Bundesgerichtshofs zu Fragen des § 218 a rührt, daß der Senat die Folgerichtigkeit weder der zi- StGB erlauben, soweit sie mit der Auffassung des Se- vilrechtlichen Schlußfolgerungen des Bundesge- nats nicht in Einklang zu stehen scheinen, eine Vor- richtshofs zur Rechtswirksamkeit des Arztvertrags lage jedoch nicht. noch derer des Bundesarbeitsgerichts auf die Lohn- Der Senat teilt zum einen nicht die Auffassung in fortzahlungspflicht einzusehen vermag. Der Senat BGHZ 95, 199/206, die Worte in § 218 a Abs. 2 StGB sieht sich andererseits aber doch in seiner Rechtsauf- „nach ärztlicher Erkenntnis" übertrügen dem Arzt „die fassung, § 218 a Abs. 1, Abs. 2 Nr. 3 StGB enthalte je- letzte, eigenverantwortliche Entscheidung" über den denfalls keinen selbständigen Rechtfertigungsgrund, Schwangerschaftsabbruch, die richterliche Prüfung dadurch bestärkt, daß auch die oberen Bundesge- sei darauf eingegrenzt, ob die Indikationsstellung richte der Zivil-, Arbeits- und Sozialgerichtsbarkeit „vertretbar erscheint oder nicht" (noch weitgehender sich der Rechtfertigungsthese nicht rückhaltlos haben für die „medizinisch-soziale" Indikation OLG Düssel- anschließen können. dorf NJW 1987,2306). Aus der Begründung des Bun- b) Da das Landgericht tatsächlich Feststellungen für desgerichtshofs (insbesondere aaO 204) ist aber zu das Vorliegen von allgemeinen Rechtfertigungsgrün- ersehen, daß der 6. Zivilsenat seine Erörterungen auf den nicht getroffen hat, käme bei dem vom Beru- die Nachprüfbarkeit durch Zivilgerichte bezieht, diese fungsurteil hilfsweise unterstellten Irrtum der Ange- also von der der Strafgerichte abhebt. Ein Unterschied klagten über die Voraussetzungen der Indikation der der jeweiligen Prüfungspflicht ist auch einsichtig, weil allgemeinen Notlage nur ein solcher über die einen sich im Zivilrechtsstreit die Tatsachenprüfung nur im Schuldausschließungsgrund tragenden Tatsachen in Umfang des Parteivorgangs bewegt und das Ergebnis Betracht. auch von Behauptungs- und Beweislastregeln ab- Auch insoweit sind die hilfsweise zugrunde gelegten hängt (kritisch dazu Stürner FamRZ 1985, 753/756 f). materiellrechtlichen Erwägungen des Landgerichts Der Senat verkennt zum anderen nicht, daß seine Ein- nicht bedenkenfrei. Seine Annahme, der Irrtum der ordnung der Indikation der allgemeinen Notlage als Angeklagten sei jedenfalls nicht vermeidbar gewesen, Schuldausschließungsgrund im Widerspruch zu der in ist rechtsfehlerhaft. Auf die Unvermeidbarkeit des Irr- BGHZ 86, 240/245 geäußerten Auffassung des 6. Zi- tums könnte sich die Angeklagte nämlich schon des- vilsenats des Bundesgerichtshofs steht. Gleichwohl halb nicht berufen, weil die ihr gesetzlich zugemutete erscheint eine Vorlage der Sache an den Bundesge- Beratung (§218 Abs. 3 Satz 2 StGB) einen solchen Irr- richtshof nach § 121 Abs. 2 GVG auch insoweit nicht tum möglicherweise gerade hätten vermeiden helfen. zulässig. Wer in Fehlannahme der tatsächlichen Voraussetzun- Die Rechtsauffassung des 6. Zivilsenats, die in den gen der allgemeinen Notlagenindikation einen weiteren Entscheidungen (FamRZ 1985, 779; 1008; Schwangerschaftsabbruch vornehmen läßt, ohne BGHZ 95, 199) nicht zurückgenommen wird, bezieht sich zuvor durch eine Schwangerschaftsberatungs-

30 MEDIZIN & IDEOLOGIE NOVEMBER 90 stelle oder durch einen anderen als den abbrechen- den Arzt beraten zu lassen, handelt grundsätzlich nicht in unvermeidbarem Irrtum. Die Annahme des Landgerichts, die Angeklagte habe im Hinblick auf eine anläßlich ihrer ersten Schwangerschaft im Früh- jahr 1982 wahrgenommenen Beratung „zu Recht da- von ausgehen" können, „daß sich an den staatlichen oder öffentlichen Hilfen ... nicht etwas wesentliches geändert hatte", verkennt, daß die Beratung fallbezo- gen ist und daß sie sich stets auf die gerade im Einzel- fall möglichen und sehr unterschiedlichen Hilfen be- ziehen soll. Schon die vom Landgericht festgestellten Tatsachen zu den Schwangerschaften 1982 und 1984 Herbstgedanken 1990 lassen ganz deutlich unterschiedliche Ausgangslagen erkennen. Gegenüber der ersten Schwangerschaft hatten sich die Lebensumstände der Angeklagten ins- besondere durch ihr inzwischen geborenes erstes Kind und durch die eingegangenen wirtschaftlichen Verpflichtungen ganz erheblich verändert, so daß Die Blätter im Herbstwinde fliegen, auch die in Frage kommenden Hilfsmöglichkeiten an- am Boden wirbelt das Laub, derer Art gewesen wären. geknickt am Wegrande liegen vergilbende Gräser im Staub. III. Wegen der aufgezeigten Mängel ist das Urteil des Landgerichts Memmingen samt den ihm zugrunde lie- Die Träume sie sinken zur Erden genden Feststellungen gemäß § 353 Abs. 1 und 2 StPO aufzuheben. Die Sache ist an eine andere Straf- und all unser Wollen zerbricht kammer des Landgerichts Memmingen nach § 354 Im ewigen Sterben und Werden Abs. 2 StPO zu neuer Verhandlung und Entscheidung erlosch uns manch liebes Gesicht. - auch über die Kosten des Revisionsverfahrens - zu- rückzuverweisen. Unterschrift Unterschrift Unterschrift Wir fühlen des Todes Kälte, sie schaudert durch unser Gebein verschleiert im nebligen Felde steht trauernd die Weide allein.

Leitsatz Die Händen werden uns müde StPO § 337 und unsre Gedanken sind schwer, StGB § 218 a Abs. 1, Abs. 2 Nr. 3 wenn die irdische Kerze verglühte 1. Die Kausalität eines Verfahrensverstoßes entfällt und ihr Flackern uns leuchtet nicht mehr. nicht dadurch, daß das Tatgericht sein Ergebnis zu- sätzlich durch verfahrensrechtlich unbedenkliche, aber sachlichrechtlich fehlerhafte Hilfserwägungen Sind sie nun erloschen, entschwunden, absichert. versunken ins Nichts tief hinein, 2. Die in § 218 a Abs. 1, Abs. 2 Nr. 3 StGB geregelte In- dikation der allgemeinen Notlage begründet keinen die uns doch für immer verbunden Rechtfertigungsgrund, sondern einen Schuldaus- der Liebe unsterbliches Sein? - schließungsgrund. Eine Rechtfertigung für die Schwangere oder den abbrechenden Arzt kann sich insoweit nur aus den allgemeinen Rechtfertigungs- Ein Engel öffnet die Schranke gründen ergeben. 3. Die Voraussetzungen der Strafbefreiung des § 218 zu Christi verheissener Welt, a Abs. 1, Abs. 2 Nr. 3 StGB sind nur dann rechtsfehler- wenn ein Mensch, der Gottes Gedanke, frei festgestellt, wenn die Möglichkeit einer Adoption in die ewigen Arme IHM fällt! aufgrund umfassender Prüfung aller Umstände des Einzelfalls als zumutbarer Ausweg gegenüber einem Schwangerschaftsabbruch ausgeschlossen werden kann. Siegfried Ernst 4. Wer in der Fehlannahme der tatsächlichen Voraus- setzungen der allgemeinen Notlagenindikation einen Schwangerschaftsabbruch vornehmen läßt, ohne sich zuvor durch eine Schwangerschaftsberatungs- stelle oder durch einen anderen als den abbrechen- den Arzt beraten zu lassen, handelt grundsätzlich nicht in unvermeidbarem Irrtum. BayObLG, 3. Strafsenat, Urteil vom 26.4.1990, RReg.3St78/89

MEDIZIN & IDEOLOGIE NOVEMBER 90 31 Aufklärung M & I - Redaktion: An dieser Stelle möchten wir uns einmal bei Allen bedanken, die sich in besonderer Weise die Aufklärung und Verbreitung der vorgeburtlichen Entwicklung des Menschen und seiner Tötung durch Abtrei- bung verdient gemacht haben. Wir bekommen immer wieder Arbeiten von Lehrern und Schülern zugeschickt,die uns erfreuen und hoffnungsvoll in die Zukunft blicken lassen. Wenn wir auch nicht alles veröffentlichen können möchten wir doch dazu ermutigen, in dieser wichtigen Auseinandersetzung nicht nachzulassen. Jeder darf sich als Mosaikstein sehen, der mit anderen zusammen schließlich ein vollständiges Bild ergibt. Stellvertretend für die vie- len Einsendungen möchten wir nachfolgend die Stellungnahmen der Schülerinnen im Alter von 15 bis 17 Jahre ei- ner evangelischen Mädchenrealschule nach der Vorführung eines Filmes zum Thema Abtreibung vorstellen:

Christina (16 Jahre): Ohne Namen: Ich habe den Film gut gefunden, denn so wird man mit Ich fand die Aufzeichnungen ganz gut, besonders der Abtreibung vertraut gemacht, man erkennt die daß sie die Zahlen angegeben haben, wieviel Abtrei- Folgen und die Gefahren eines Schwangerschaftsab- bungen im Jahr vorliegen. Es war schockierend und bruches. Zuerst fand ich den Film ziemlich „brutal", unvorstellbar, daß alle ein Recht darauf haben abzu- denn man erlebt ja alles „life" mit, aber später habe ich treiben, daß alle Fälle in die Paragraphen passen. mir dann Gedanken darüber gemacht und hielt es für gut und richtig. Denn Abtreibung wird immer mehr oder weniger „verschleiert", man weiß nicht genau, Katrin (15 Jahre): was in der Frau passiert, wie das Kind getötet wird. Ich finde den Film ein bißchen grausam, aber es ist Solch ein Film verfestigt den Entschluß, nie abtreiben wichtig, daß wir und auch alle anderen Menschen über zu lassen, denn meine Meinung steht fest. Jeder hat Abtreibung aufgeklärt werden. Viele Frauen ließen ab- das Recht zu leben, wir haben es, also dürfen wir es treiben, ohne zu wissen, was das eigentlich bedeutet. anderen nicht verwehren. Und überhaupt hat keiner Deshalb, finde ich, ist es sehr wichtig, daß dieser Film ein Recht zu töten (5. Gebot). der uns ja ziemlich genau über die Grausamkeit der Abtreibung informiert, oft gezeigt wird. Dieser Film Kerstin (17 Jahre): sorgt dafür, daß kaum noch jemand abtreiben läßt wenn er diese erschreckenden Bilder gesehen hat. Ich fand den Film ehrlich gesagt schon etwas grau- sam. Doch es ist die Realität. Keiner von uns hätte sich wahrscheinlich eine Abtreibung so fürchterlich vorge- Beate (17 Jahre): stellt, denn man hat zwar schon öfters davon gehört, Ich finde diesen Film zwar sehr brutal, aber ich finde es aber sich nie Gedanken darüber gemacht, was hierbei sehr wichtig, daß solche Filme gezeigt werden. Zur wirklich passiert. Deshalb fand ich den Film, trotz der Abschreckung und zur Aufklärung. Denn viele Men- genauen und manchmal schauderhaften Darstellung schen wissen gar nicht, worum es sich bei Abtreibung doch sehr gut und ich finde, er sollte öfters und mehre- dreht. Ich würde diesen Film in allen Schulen zeigen. ren Personen zur Abschreckung gezeigt werden, da- Aber nur den älteren Jahrgangsstufen, für jüngere ist mit diese nicht einmal mehr an Abtreibung denken. er wahrscheinlich zu brutal.

Bianca (15 Jahre): Michaela (15 Jahre): Ich finde, der Film war richtig brutal. Aber ich finde, die Mich hat der Film sehr beeindruckt, aber auch er- Leute sollten sehen, wie so etwas aussieht, denn die schreckt. Es wurde Zeit, daß einmal ein solcher Film meisten Frauen, die abtreiben lassen, wissen vorher gedreht wurde, denn die meisten Menschen wissen gar nicht, was sie erwartet. Es wundert mich nicht, daß wirklich nicht, was bei einer Abtreibung so vor sich so viele Ärzte keine Abtreibungen mehr vornehmen, geht. Ich finde es traurig, mit welcher Kälte dieser Arzt denn wie sollen sie das vor ihrem Gewissen verant- das Baby abgetrieben hat. Deshalb finde ich, daß viel worten, wenn sie täglich so viele kleine Kinder „um- mehr Aufklärung über Abtreibung gemacht werden bringen". Es sollte noch viel mehr Informationsmate- sollte, und dieser Film hat uns dem Ziel ein großes rial über Frauen, die schon mal abgetrieben haben, Stück näher gebracht. herausgebracht werden. Denn es zeigt sich, daß fast alle Frauen in dieser Situation schwere psychische Schäden haben. Tanja (15 Jahre): Ich finde den Film sehr aufklärend und nützlich, be- Bettina (17 Jahre): sonders die Erklärung dazu von Dr. N.. Auch wenn es etwas „brutal" und erschreckend ist, ist es doch sehr Der Film war sehr eindrucksvoll und ich würde es abschreckend. Diesen Film finde ich sehr gut, denn empfehlen, ihn in allen Schulen zu zeigen. Denn ich die meisten Frauen, die abtreiben lassen, wissen gar finde es sehr schrecklich, wieviele Abtreibungen über- nicht, was dabei vor sich geht, mit welchen Komplika- haupt durchgeführt werden und vor allem auf welche tionen es verbunden ist und wie das Kind dabei leidet. Weise. Da kommen Kinder mit 7 Monaten auf die Welt und überleben und eine andere Frau läßt im 7. Monat abtreiben. Also ich fand es sehr erschütternd auch von Kerstin (15 Jahre): dieser Klinik in den USA, wo nur Abtreibungen vorge- Warum haben Sie den Film nicht früher herausgege- nommen wurden. Ich finde doch, Ärzte sind da, um ben? Ich fand den Film, die Zusammenstellung echt Leben zu erhalten und nicht, um es zu vernichten. gut, es war so schrecklich wahrheitsgetreu und zum

32 MEDIZIN & IDEOLOGIE NOVEMBER 90 Weinen. Ich wußte gar nicht, daß bei Abtreibung so et- geht" ihr das Abtreiben. Der Film ist zwar schrecklich, was geschieht und so wird es bei den werdenden Müt- aber heute muß man die Menschheit abschrecken, um tern auch gewesen sein, die abtrieben, oder? Könnten solche Fehler nicht begehen zu lassen. Ich meine, Sie den Film nicht einmal im Fernsehen bringen, damit wenn die Mutter in Lebensgefahr ist, dann kann man ihn alle sehen. Denn viele wissen ja auch überhaupt sich eine Abtreibung überlegen, aber sonst sehe ich nichts über Abtreibung. Sie haben den Film wirklich keine Ausrede, ein Kind abzutreiben. Lieber gibt man gut gestaltet und erschreckend wahrheitsgetreu. das Kind später zur Adoption frei. Viele Leute wollen ein Kind adoptieren, weil sie selbst keine Kinder be- kommen können. Diese Frauen wünschen sich nichts Christina (16 Jahre): sehnlicher als ein Kind. Für diese ist Abtreibung so- Ich finde den Film sehr direkt. Aber trotzdem sollte er wieso tabu. gezeigt werden. Es sollten auch Erwachsene den Film sehen. Wenn er zum Beispiel im Fernsehen gezeigt Katja (16 Jahre): würde, könnten ihn viele andere Menschen auch se- hen. Dann würden vielleicht nicht so viele Kinder sinn- Es ist grausam, daß jedes 2. Kind in der Bundesrepu- los ermordet werden. Außerdem sollte er in allen hö- blik abgetrieben wird. Schon die Ärzte wollen Abtrei- heren Klassen der Schulen gezeigt werden. Ich finde bungen nicht mehr durchführen, denn sie haben Men- es gut, daß in dem Film nichts verharmlost wurde. schen auf dem Gewissen, weil sie pro Abtreibung ein Kind töten. Es ist auch erschütternd, daß Kinder noch in der Spätabtreibung abgetrieben werden. Jedes Marina (17 Jahre): Kind hat ein Recht auf Leben, doch in diesem Fall bei Ich fand den Film sehr gut, da man erfuhr, wie viele Ab- der Abtreibung ist es wehrlos. Nur die Mutter oder der treibungen ein einziger Arzt skrupellos durchführte. Arzt kann bestimmen, ob das Kind zur Welt kommen Die gezeigte Abtreibung war zwar sehr erschütternd, soll oder nicht. aber gerade deshalb sollte man dieses in allen Schu- len zeigen. Antje (16 Jahre): Mich hat der Film sehr beeindruckt, da er eine Ab- Ohne Namen: scheu vor der Abtreibung vermittelt. Meiner Meinung nach ist der Film gut, obwohl er sehr Er ist zwar an manchen Stellen sehr grausam geschil- brutal ist. Er vermittelt ein Wissen, welches die mei- dert, aber dadurch wird einem die Realität klar, denn sten Leute nur sehr oberflächlich haben. Abtreibung nie zuvor habe ich eine vollständige Abtreibung gese- ist Mord, das wurde im Film sehr deutlich dargestellt. hen. In den anderen Filmen wurde nur ein Teil von ei- Wahrscheinlich ist eine Frau, die weiß, wie grausam ner Abtreibung gezeigt. Durch die Beispielpersonen, bei der Abtreibung ein Kind getötet wird, kaum mehr in welche eine Abtreibung hinter sich hatten, wirkt der der Lage, ihr Kind durch diesen Eingriff umzubringen. ganze Film realistisch.

Manuela (16 Jahre): Jutta (17 Jahre): Ich glaube, viele Abtreibungen könnten verhindert Der Film hat mich sehr beeindruckt. Auch wurde es werden, wenn mehr solche Aufklärungsfilme gezeigt sehr gut erklärt. Es war interessant zuzuhören und die werden würden. Für zart besaitete Menschen mag er Instrumente zu sehen, weil man sich sonst überhaupt zwar etwas grausam wirken, aber ich fand ihn infor- nichts darunter vorstellen kann. mativ. Vielleicht könnte man noch mehr auf Deutsch- Die schlimmste Stelle in dem Film war die Abtreibung land eingehen. Sich vorzustellen, daß man selbst selber. Wenn man sieht, wie sich das Kind dagegen durch einen dummen Zufall auch so ein Baby gewe- wehrt und ankämpft. sen sein könnte, daß nach heutigen Regelungen ab- getrieben werden kann, macht mir Angst. Es drängt Christa (15 Jahre): sich mir die Frage auf, haben wir überhaupt ein Recht, Menschen zu töten, z. B. nur weil sie vielleicht behin- Ich finde es erschreckend, wieviel abgetrieben wird dert auf die Welt kommen? Nein! Hat das nicht fatale und daß es in den USA praktisch unbegrenzt möglich Ähnlichkeit mit dem 3. Reich? ist. Ich bin Christ, und es war für mich bereits vorher klar, daß ich nicht abtreiben werde, aber ich wußte nicht, Tanja (16 Jahre): daß eine Abtreibung so brutal durchgeführt wird. Mich Der Film war sehr eindrucksvoll. Endlich geht jemand hat der Film sehr beschäftigt und in meiner Entschei- dieser Problematik, über die man sonst nicht reden dung gegen Abtreibung bestärkt. will, von der man auch nicht viel weiß, auf den Grund. Machen Sie weiter mit der Information und Aufklärung Es waren viele grausame Stellen, oft hab ich die Augen über und gegen Abtreibung! geschlossen, aber ich glaube diese Grausamkeit ist nötig, um zu erkennen, daß Abtreibung Mord ist und Regina (15 Jahre): welche Folgen eine Abtreibung mit sich bringt. Ich finde, der Film sollte in allen Schulen gezeigt werden. Ich fand den Film sehr gut, denn er zeigte die wahre Denn gerade junge Mädchen lassen schnell abtrei- Realität. Ich kann mir gut vorstellen, daß einige ben. Vielleicht sagen dann auch deren Freunde nicht Frauen, wenn sie diesen grausamen Film gesehen ha- so schnell: „Laß abtreiben!" ben, bestimmt nicht abtreiben lassen. Ich finde, dieser Film sollte einmal im Fernsehen gezeigt werden und nicht nur auf Schulen, es geht uns ja alle an! Ich fand Ines (17 Jahre): auch noch sehr gut, daß zwei junge Frauen, die schon Ich finde es gut, daß diese Ärzte keine Abtreibung abgetrieben haben, einiges darüber erzählten, wie es mehr vornehmen. Jeder Frau, die abtreiben will, sollte ihnen jetzt danach geht. man solch einen Film zeigen. Ich glaube, dabei „ver-

MEDIZIN & IDEOLOGIE NOVEMBER 90 33 Karin (16 Jahre): Wenn ein Mensch echter Not, echten Entscheidungs- Der Film ist hart. Er spricht die Gefühle der Menschen prozessen ausgesetzt ist, kann es nicht darum gehen, an, besonders der Schluß. Es ist gut, daß den Frauen daß wir diesen Menschen Wind und Wetter aussetzen nicht alle Schuld gegeben wird, sondern auch den und gleichzeitig den Entscheidungsprozeß mit Druck Ärzten. Auch, daß von den Problemen berichtet wird, zu beeinflussen suchen. die Frauen nach der Abtreibung haben. Ich habe das Mädchen jedenfalls auf seinem schwe- Man hätte auch darüber berichten können, warum ren Weg begleitet, was zum Schluß bedeutete, daß sie viele Frauen abtreiben, nicht alle, weil sie kein Kind ha- ihr Kind austragen konnte. Das ganze Thema Para- ben wollen. graph 218 steht und fällt mit der Nächstenliebe, steht und fällt mit der vorhandenen oder nicht vorhandenen Gemeinschaft, in der wir leben. 13.6.90 Marion (15 Jahre): Michael Brenner, Heidelberg Ich fand den Film gut, denn ich wußte noch nicht, wel- M & I - Redaktion: Was wäre passiert, hätte diese che grausamen Methoden bei der Abtreibung ange- „Ärztin" nicht vom Gesetzgeber die Erlaubnis gehabt, wandt werden. dem jungen Mädchen die Tötung ihres Kindes anzu- Und was ich wirklich toll fand in diesem Film war, daß tragen? Sie hätte vielleicht ein ernsthaftes Gespräch eine Abtreibung richtig gezeigt wurde. Ich finde, wenn mit den Eltern oder nach einer anderen Alternative ge- so etwas im Fernsehen gezeigt würde, viele Frauen sucht, so wie es einem Arzt immer gut ansteht, zu hel- wären durch diesen Film abgeschreckt. fen, zu heilen und nicht zu töten - auch nicht zum Tö- ten zu überweisen. Ohne Namen: Ich finde, so ein Film sollte erst ab einer bestimmten Altersgrenze gezeigt werden, ab 16 z. B., da es sehr erschreckende Bilder sind. Ich fände es gut, wenn mehr Mütter gefragt worden wären. Vor allem hätten mich besonders die Erfahrungen junger Frauen und Mädchen interessiert. Denn mit diesem Thema be- schäftigen sich doch viele Mädchen.

Heike (17 Jahre): Der Film ist zwar erschütternd, aber es ist trotzdem gut, daß es so etwas gibt zum Anschauen, wie schrecklich Ärzte sich fühlen und die Mütter. Man kann sich das nicht vorstellen, wie das ist, wenn man nur davon hört. Dieser Film hat mich nur noch mehr darin bestärkt, daß ich mein Baby, wenn ich eines bekomme, nicht abtreiben lasse. Zum Beispiel

Streit um Fristenlösung Es kam in diesen Tagen ein 15jähriges Mädchen zu mir und erklärte mit hängendem Kopf, daß sie schwanger sei. Die behandelnde Ärztin, so sagte mir das Mädchen, habe mit Rücksicht auf ihr Alter gleich zu einem Schwangerschaftsabbruch geraten und ihr eine entsprechende Adresse in die Hand gedrückt. Der nähere Bekanntenkreis des Mädchens war eben- falls der Meinung, daß in ihrem Falle eine Abtreibung angebracht sei. Das Mädchen fühlte sich durch diese vielen gleichlautenden Ratschläge völlig in die Enge getrieben und erklärte mir, daß sie einen Selbstmord ins Auge fasse. Irgendwann schaute mich das Mädchen an und fragte, was ich denn raten würde. Ich fragte hingegen das Mädchen, was sie denn tun wolle. Sie sagte, sie wolle das Kind behalten, wisse sich aber langsam kei- nen Rat mehr, finde sich nicht mehr zurecht, da sie kein Mensch in ihrem Vorhaben, das Kind zur Welt zu bringen, unterstütze. „Wenn ich nicht in der Lage bin, das Kind großzuziehen, dann kann ich es doch immer noch Pflegeeltern oder Adoptiveltern übergeben", sagte sie. Abtreibung kam für das Mädchen eigentlich nicht in Frage, und doch hatten es ihre Bekannten zu- wege gebracht, daß sie in ihrem Entschluß wankend wurde.

34 MEDIZIN & IDEOLOGIE NOVEMBER 90 republik. Der Staat von Adenauer, Heuss, Schuma- Kommentare cher, Strauß und so vieler anderer soll abgetrieben werden. Werden die bürgerlichen Elemente in der Volksfront SPD dem Druck der Lafontaine-Linken standhalten und wird die CDU das Manöver rechtzeitig durch- Jürgen Liminski schauen? Und das heißt: Wird sie sich entschieden In Deutschland formiert sich eine neue Volksfront. Sie der Abtreibungsfront entgegenstellen? besteht aus der Arbeitsgemeinschaft sozialdemokra- ••• Deutsche Tagespost, 22.5.90 tischer Frauen, den Grünen, den Resten der DKP, den FDP-Frauen im Bundestag, dem Deutschen Ärztin- nenbund sowie autonomen Frauengruppen und ähnli- chem aus dieser Ecke. Am 16. Juni soll diese Front Töten als Errungenschaft aufmarschieren. Dann soll in Bonn für die Abschaffung Ulrich Reitz des Paragraphen 218 des Strafgesetzbuches und für Die west-östliche Abtreibungsdebatte bekommt die Übernahme der Fristenlösung der DDR demon- ziemlich absurde Züge. Als gebe es nichts Wichtige- striert werden. res beim Wiederaufbau des sozialistisch zerstörten Die Ton- und Wortwahl im Vorfeld der Mobilmachung Landes, der erbärmlichen Löhne, der verwüsteten entspricht noch dem taktischen Prinzip: Getrennt Umwelt zu erörtern, wird eine sozialistische „Errun- marschieren, vereint zuschlagen. Die SPD-Frauen re- genschaft" immer wieder hervorgehoben: das den zum Beispiel von selbstbestimmter Schwanger- „Recht" auf Tötung. „Ich möchte unser Gesetz in den schaft und gefallen damit auch manchen Bundestags- Einheitsstaat hinüberretten", verkündete DDR-Fami- Kolleginnen auf den Bänken der Christdemokraten. lienministerin Christa Schmidt (CDU). Die hiesige Selbstbestimmung, das zieht. Andere wiederum re- FDP-Generalsekretärin Cornelia Schmalz-Jacobsen den platt wie ehedem von ihrem Bauch, der ihnen meldet ihrerseits den Ruf nach einer gesamtdeut- weggenommen werden könne. Mit einer Prise Betrof- schen Fristenregelung an, vom künftigen gesamt- fenheit und einem Quentchen fraulicher Solidarität soll deutschen Parlament zu beschließen, denn wenn es das Stimmung machen, bei Alt und Jung, bei Gebilde- bei der Fristenlösung dort und der Indikationslösung ten und weniger Gebildeten, eigentlich bei allen, die hier bliebe, bekämen wir „einen Abtreibungstouris- vom Leben und der Mark profitieren wollen. mus von West nach Ost, schlimmer, als wir ihn jetzt Diese Stimmung könnte sogar weiter tragen. Es geht schon von Süd nach Nord haben." dieser Volksfront nicht nur um den Paragraphen 218 Als Profilierungsthema für eine zunehmend themen- oder die Fristenlösung. Wer in diesen Reihen mitmar- arme FDP mag das verständlich sein. Offen bleibt frei- schiert, für den dürften Gesetze auf diesem Gebiet oh- lich, wer denn in die hygienisch und auch sonst höchst nehin keine persönliche Geltung besitzen. Wer heute unzulänglichen Kliniken der DDR fahren will. Außer- abtreiben will, der findet immer einen Arzt, der den Be- dem aber - und das ist für den Rechtsstaat Bundesre- ratungszettel unterschreibt und eine Klinik oder Am- publik Deutschland die bitterste Überlegung - fragen bulanz, die das Kind tötet. Nein, dieser Volksfront geht selbst Familienpolitiker der Ostberliner Allianz-Frak- es um mehr. Sie will eine andere Republik. tion hinter vorgehaltener Hand, wo in der Praxis der Die Fristenlösung ist mit diesem Grundgesetz nicht zu Unterschied zwischen Fristenlösung drüben und Indi- vereinbaren. Auch ein gesamtdeutsches Parlament kationslösung hüben bestehe. könnte sie nicht erzwingen. Denn die Zwei-Drittel- In der DDR werden jährlich 80.000 Abtreibungen vor- Mehrheit, die dafür wahrscheinlich sogar zustande genommen; da dort die Abtreibung bis zum dritten käme, kann zwar das Grundgesetz ändern. Nach Arti- Schwangerschaftsmonat erlaubt ist, gibt es praktisch kel 79, Absatz drei jedoch sind davon ausdrücklich die keine Dunkelziffer. In der Bundesrepublik werden jähr- Artikel eins und zwanzig ausgenommen. Das Bundes- lich etwas mehr als 80.000 Abtreibungen gemeldet, verfassungsgericht hat sich aber in seinem Urteil ge- die Gesamtzahl der Abtreibungen wird aber mit jähr- gen die Fristenlösung aus dem Jahre 1975 auf den Ar- lich etwa 300.000 angenommen. Von der Einwohner- tikel eins berufen, der feststellt: „Die Würde des Men- zahl her ist das relativ dasselbe wie die Zahl der Abtrei- schen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen bungen nach altem SED-Recht. ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt." Die soge- Allerdings: In ihrem Bekenntnis zu Artikel 23 Grundge- nannte Fristenlösung ist mit diesem Staat also in Zu- setz als dem Weg zur Wiedervereinigung hat die Re- kunft nicht zu machen. Umgekehrt kann man aber in- gierung de Maiziere das Grundgesetz als Grundlage dessen die Stimmung für die Fristenlösung als Instru- einer gesamtdeutschen Verfassung anerkannt. Die in ment benutzen, um das Grundgesetz neu zu gestal- der DDR praktizierte Fristenlösung wäre deshalb in ten. dem Moment hinfällig, in dem der andere Teil Hier könnte die gesamte SPD in den Sog der Volks- Deutschlands dem Geltungsbereich des Grundgeset- front geraten. Kanzlerkandidat Lafontaine will de facto zes beitritt: Sie ist nicht verfassungskonform. Der Ge- die maroden Staatsbetriebe in der DDR retten, also danke, ein gesamtdeutsches Parlament möge das das Experiment der Planwirtschaft zunächst in einem Gesetz ändern, kann also nur zu einer neuerlichen Teil Deutschlands weiterführen. Die stellvertretende Prüfung der Praxis durch das Bundesverfassungsge- SPD-Fraktionsvorsitzende Däubler-Gmelin nennt das richt führen, die keineswegs mit einer Billigung der Fri- Ziel ohne Umschweife: Ein zweiter Staatsvertrag, in stenlösung enden dürfte. Denn der 1974 festgelegte dem vereinbart werden solle, „wie wir zu gemeinsa- Grundsatz „Leben von Anfang an" ist unumstößlich. mer Verfassung und Volksabstimmung" kommen Manche empfehlen eine „Übergangslösung", als ob können. Mit anderen Worten: Die Wirtschafts-, Wäh- das Abtreiben ein technisches Problem sei wie die rungs- und Sozialunion soll zunächst nach dem Artikel Umstellung einer Fabrik auf neue Produktionsanla- 23 (Beitritt) erfolgen, die staatliche Einheit aber dann gen: dies Jahr darfst du noch dein Kind beseitigen, nach dem Artikel 146, der eine neue Verfassung und nächstes Jahr geht es schon nicht mehr. Ein „Über- Volksabstimmung darüber vorsieht. Diese neue Ver- gangsgesetz" aber könnte allenfalls dem Ziel dienen, fassung würde nach den Vorstellungen der sich for- die Schwangerschaftsberatung drüben zu verstärken, mierenden Volksfront das sogenannte Recht auf und zwar mit der Pflicht zur Beratung zugunsten des selbstbestimmte Schwangerschaft enthalten und Lebens. Da SPD und FDP einen Beratungsnotstand einiges mehr. Das ist die Fristenlösung für die Bundes- für die jetzige DDR anerkennen (freilich in der Kombi-

MEDIZIN& IDEOLOGIE NOVEMBER 90 35 nation Beratung plus Fristenlösung), sollte ein partei- die Parole. Das wirft eine sehr grundsätzliche Frage übergreifender Konsens insofern möglich sein. auf: Was ist das - ein mündiger Bürger? Einer, der sein Vom Erkenntnisstand, daß das Leben mit der Verbin- Leben allein nach eigenem Gutdünken einrichet nach dung von Ei- und Samenzelle beginnt, ist man drüben der Devise: „Erlaubt ist, was gefällt"? Einer, der da- allerdings weit entfernt. Dort ist nicht einmal von Ab- nach handelt, was ihm den größtmöglichen Vorteil er- treibung, sondern von „Interruption" die Rede, als bringt? Einer, der sich nach der Mehrheit richtet? wäre diese Tötungshandlung tatsächlich nur eine Für mich hat sich bei dem vielen Begleiten von jungen „Unterbrechung" - wessen? Eines lästigen Zustands Menschen bei ihrer geistig-seelischen Entfaltung in von Unwohlbefindlichkeit? Der Sprachgebrauch ver- meiner psychotherapeutischen Praxis ein Kriterium rät den Stellenwert des menschlichen Lebens in ei- für echte Mündigkeit als gültig erwiesen. Die Einsicht nem Staat, der Abtreibung als Teil von Empfängnis- in die eigene Unvollkommenheit, ja Verführbarkeit, die verhütung ansah. Erkenntnis, angesichts des Anpralls schwerer Kon- Aufklärung ist nötig, auch darüber, daß die Diskussion fliktsituationen keineswegs immer Herr im eigenen über den Wert des menschlichen Lebens zwar vom ju- Seelenhaus zu sein, Bewußtsein darüber, daß wir trotz ristischen Aspekt nicht losgelöst, aber auch nicht auf theoretisch klarer Standpunkte aus plötzlicher ihn verengt werden darf: Mit „Kindeswohl" ist auch die Schwäche anders handeln, als wir es selbst ge- Praxis, Zweijährige morgens um sechs in Horten ab- wünscht hätten; und das heißt, daß wir Menschen (die zuliefern, kaum zu vereinbaren. Familienpolitiker der Petrus-Geschichte macht das archetypisch deutlich) Ost-CDU berichten davon, daß viele Mütter, zumin- allesamt potentielle Versager sind. dest in den ersten Lebensjahren ihrer Kinder, gerne zu Aus dieser mündigen Einsicht in die Grenzen unserer Hause blieben, könnten sie es sich leisten. Die west- Selbstbestimmbarkeit ist einst die Idee des Staates deutsche Praxis, Erziehungsgeld mit einer Rückkehr- geboren worden und hat - nicht erst seit Plato - grund- garantie zum Arbeitsplatz zu verbinden, sehen sie als sätzlich darüber entschieden, ob Gesellschaften Kul- vorbildlich an. DDR-Psychologen vermerken zudem tur entwickelten oder nicht. Der Staat und seine Ge- bei der „ersten Generation von Hortkindern", die mitt- setze sind Schutzzäune des Menschen vor sich lerweile selber Eltern geworden seien, ein eher neuro- selbst. Freilich kann auch der Staat mißbräuchlich tisches Verhältnis zu ihrer Umwelt und auch zu den ei- entarten, und deshalb bedarf er gewiß innen- und au- genen Kindern. ßenpolitischer Kontrollorgane; aber wer ihn abschaf- Die „sozialistische Errungenschaft" des Hortkinder- fen will, beschwört nicht das Paradies, sondern anar- wesens, die nicht der Emanzipation, sondern der chistisches Tohuwabohu. Nutzbarmachung der Frau im Arbeitsprozeß diente Bei der Abtreibungsdiskussion wird die hypertrophe (und für viele Familien der einzige Ausweg aus sozialer Fehlvorstellung über die Allmacht unserer individuel- Not war), erfordert noch gründliche Untersuchung. len Entscheidungsfähigkeit zum Guten besonders Notabene: Die Fristenlösung wurde erst 1972, auch deutlich. Zur Disposition wird gestellt, ob ein Mensch, angesichts des Verfalls der Wirtschaft, eingeführt. der acht Wochen nach der Zeugung bereits ein schla- In manchen Köpfen hierzulande spukt noch die Vor- gendes Herz und ein arbeitendes Nervensystem hat, stellung herum, die Vereinbarkeit von Familie und Be- unter Schmerzen, ohne Betäubung, sterbend zerstük- ruf durch eine gänzlich „freie" Abtreibungspraxis si- kelt, verätzt und ausgeschabt werden darf. Jedes Ge- cherstellen zu können. Vom Selbstbestimmungsrecht wissen, das diesen Tatbestand nicht verleugnet, weiß: der Frauen ist die Rede. Welcher Frauen - sind nicht 50 Es darf nicht! Einem hilflosen Artgenossen - dazu auf Prozent der Abgetriebenen weiblichen Geschlechts? diese Weise(!) - das Leben zu nehmen, verbietet den Gemeint ist offenbar nur das Recht derjenigen, die de- Ärzten der Hippokratische Eid und uns Schwächlin- monstrieren und sich artikulieren können. Das aller- gen das fünfte Gebot seit mehr als zweitausend Jah- dings ist nicht der Sinn des Artikels 1 Grundgesetz ren, ebenso wie das Gesetz des Staates dieses unser „Die Würde des Menschen ist unantastbar", dessen Rechtsbewußtsein unterstreicht. Der mündige Geltungsbereich demnächst durch den Artikel 23 er- Mensch, der sich seines Wankelmuts angesichts von weitert werden soll. Und die Nervosität vieler Abtrei- notvollen Versuchssituationen bewußt ist, kann des- bungsbefürworter erklärt sich wohl aus dem Eindruck, halb selbst die Strafandrohung als eine Hilfe zu daß die Stimmung allmählich umschlägt - auch und schwerer, aber ethisch richtiger Entscheidung verste- gerade bei „den" Frauen. Die Welt, 6.6.90 hen. Ja, eigentlich wäre bei dieser Frage hier eher ein ge- genteiliger Trend angebracht; denn wir brauchten Auf zu neuen Ufern! mehr Staat, um endlich Mütter in Not durch ein Mut- Christa Meves tergehalt, eine Mutterrente und beamtete Familienhel- Nun ist das „Tatortprinzip" im Vereinigungsvertrag ferinnen so zu stützen, daß es nicht mehr so häufig festgeschrieben, das heißt für jede Frau, die auf dem den traurigen Schwangerschaftskonflikt gibt. ehemaligen Gebiet der DDR ein Kind abtreiben läßt, Die Utopie von der schaumgeborenen Gesellschaft gilt die dort seit 1972 geltende Fristenregelung. Da- aus dem Geist der Autonomie hat doch endgültig ab- nach ist Abtreibung bis zur zwölften Woche nach der gewirtschaftet. Zu neuen Ufern einer bescheideneren Zeugung bedingungslos erlaubt. Mit der feministi- realistischen Selbsteinschätzung vorzustoßen, ist das schen Argumentation: Was hat der Staat in eine sol- Gebot der Stunde. Münchner Merkur, 13.9.90 che Frauenangelegenheit hineinzuregieren - wird un- serem bereits ausgehöhlten Paragraphen 218 noch ein Stück Brüchigkeit mehr hinzugefügt. Paradoxer- Fristenlösung als Fundament der weise möchten wir hier im Westen auf diese Weise - Deutschen Einheit ausgerechnet von den brutalen Staatsdiktatoren des Ostens(!) - ein Stück weiterer Frauenfreiheit erbe. Je- Die schlimmsten Befürchtungen wacher Christen be- denfalls haben die Sprecher verschiedener Parteien ginnen sich zu bewahrheiten: Die historisch einzigar- unseres Parlaments bereits frohlockt, nach der nun tige Chance der deutschen Vereinigung, die Gott in ausgehandelten zweijährigen Übergangsregelung die seiner unbegreiflichen Güte unserem Volk gewährt Nichteinmischung des Gesetzgebers à la DDR-Fri- hat, wird in geradezu unheimlicher Weise zur Durch- stenregelung anzustreben. setzung antigöttlicher Ziele mißbraucht. Infolge des Weniger Staat für den mündigen Bürger, heißt damit erneuten jämmerlichen Versagens christdemokrati-

36 MEDIZIN & IDEOLOGIE NOVEMBER 90 scher Politiker wurde nicht nur auf dem Territorium der springen, da er durch einen Sturz vor der Abfahrt am DDR die dort geltende menschenverachtende Fri- Kommen plötzlich verhindert worden war. Ich wies stenregelung für den Zeitraum von zwei Jahren beibe- dann darauf hin, daß die Erpressung der Fristenlösung halten, sondern sie wurde sogar dank des „Tatortprin- mit der deutschen Einheit ein Skandal sei (obwohl zips" indirekt auf ganz Deutschland ausgedehnt: Nun- doch der bundesdeutsche § 218 StGB lediglich formal mehr steht es jeder deutschen Frau frei, in den ersten restriktiver ist, während die Übernahme der Fristenlö- drei Monaten ihrer Schwangerschaft ihr Kind ohne sung ein direkter Bruch des Grundgesetzes ist) und vorherige Beratung und Indikationsausstellung auf sagte, daß man offensichtlich ein Volk mit einer 51 % deutschem Boden töten zu lassen! Für die SPD ist die- Demokratie ebenso zerstören kann, wie mit einer Dik- ses Tötungsrecht von so zentraler Bedeutung, daß sie tatur, und daß die Zehn Gebote nicht mehr der Maß- davon sogar die Zustimmung zum Einigungsvertrag stab für unsere zwischenmenschlichen Beziehungen abhängig gemacht hat. Die CDU dagegen hat den da- seien, sondern das Negativbild von Hitler (z. B. weil durch noch weiter verminderten Rechtsschutz für das Hitler die Abtreibung bei deutschen Frauen unter ungeborene Kind dem Moloch der nationalen Einheit strenge Strafe stellte, muß man sie heute erlauben! geopfert. Die deutsche Einheit wird nun ausdrücklich usw.). auf dem Zugeständnis der verbrecherischen Fristen- Der zur Eröffnung des Kongresses zu unserer Freude tötung aufgebaut. Und man muß befürchten, daß bis erschienene designierte Ministerpräsident von Sach- in zwei Jahren die nun eingeführte indirekte gesamt- sen, Prof. Kurt Biedenkopf, bestritt dann in seiner Be- deutsche Fristenlösung zur direkten, vom Bundestag grüßungsansprache den Sachverhalt der Erpressung beschlossenen Fristen(end)lösung wird. und verteidigte die Übernahme der Fristenlösung für Unter solchen Begleitumständen ist die an sich begrü- angeblich zwei Jahre im Einigungsvertrag. Zu meinem ßenswerte Vereinigung der beiden deutschen Staaten Bedauern war ich dann gezwungen, ihm seine Be- eher ein Anlaß zur Trauer als zur Freude. Die Propa- hauptung zu widerlegen, daß das Gesetz keinen Wert gandisten eines „Rechtes" der Frau auf Tötung ihres habe, sondern man lediglich durch ethische und reli- Kindes sind wieder einmal ihren menschenvernich- giöse Beeinflussung das Bewußtsein ändern müsse. tenden Prinzipien treu geblieben und haben gesiegt. Ich selbst hatte auf einigen Landesparteitagen oder Die Mehrheit der christdemokratischen Parlamenta- auf dem Bundesparteitag der CDU in Mainz immer rier hat wieder einmal die Heiligkeit des fünften Gebo- wieder betont, daß das Schlagwort von Herrn Dr. tes mit Füßen getreten und dem politischen Kalkül un- Geißler und Frau Süßmuth „Helfen statt Strafen" eine terworfen. Und wieder einmal werden die unschuldi- völlig falsche Alternative sei, weil man zum „Schutz" gen, wehrlosen, nach Gottes Bild erschaffenen Klei- des ungeborenen Kindes zunächst einmal das Straf- nen die mörderischen Folgen tragen müssen. Die mit gesetz benötigt und die „Hilfe" durch Sozialamt und der Einigung rechtskräftig werdende Fristentötung kirchliche Beratungsstelle kein „Schutz" ist, auch überschattet als dunkle Wolke allen Glanz der Feier- wenn sie als Hilfe notwendig ist (siehe Protokoll des lichkeiten zur Wiedervereinigung. Bundesparteitages von Mainz 1987). Es zeigt sich, Es ist finsterer geworden in Deutschland. Dennoch daß die Verantwortlichen entweder geistig nicht in der darf die Gemeinde Jesu nicht resignieren! Die beken- Lage sind, um solche logischen Gedankengänge nenden Christen werden in Zukunft noch weit deutli- nachzuvollziehen, oder daß sie von vorneherein ent- cher und opferbereiter als bisher für die Wiederher- schlossen sind, gar nicht zuzuhören und mit allen stellung des Rechtsschutzes für die ungeborenen Kin- Tricks und Manipulationen wider besseren Wissens der eintreten müssen. Sie werden weit konsequenter gegen alle Logik und Rationalität versuchen, solche als bisher alle Parteien und Politiker vor allem daran zu Parolen der linken Abtreiberkamarilla auch bei der messen haben, wie sie zum unantastbaren Lebens- CDU durchzusetzen. Letzteres aber ist Sabotage an recht der Ungeborenen stehen. Und sie werden künf- der Zukunft unseres Volkes und deshalb ausgespro- tig allen politischen Kräften konsequent die Unterstüt- chen kriminell. zung verweigern müssen, die an den gesetzlichen Genau so die öffentlichen Lügen von Dr. Geißler und Rahmenbedingungen des gegenwärtigen Kindermor- Frau Süßmuth, die mit rein aus der Luft gegriffenen des festhalten oder diese noch weiter zu liberalisieren Behauptungen das Parteivolk und die Öffentlichkeit ir- suchen. reführten, daß die Zahl der Abtreibungen vor der sog. Als Christen wissen wir freilich, daß die geradezu apo- „Reform" des § 218 StGB wesentlich höher gewesen kalyptische Situation in unserem Land auf politischem sei, als nachher. Auch hier wurden unsere eindeutigen Wege zwar verbessert, aber nicht grundlegend über- Nachweise vom Gegenteil einfach nicht zur Kenntnis wunden werden kann. Nur eine Umkehr der Herzen, genommen, sodaß ich leider gezwungen bin, eben- eine geistgewirkte Erneuerung kann eine tiefgreifende falls Böswilligkeit und damit persönliche Befangenheit Wende bewirken. Diese Einsicht treibt uns in das Ge- als Grund für die Verbreitung dieser Lügen anzuneh- bet: Wir haben zu beten und zu arbeiten für eine Er- men. weckung in unserem Land. Wir haben mit den Waffen Um die Wahrheit nicht bekannt werden zu lassen, des Geistes zu kämpfen für eine Umkehr unseres Vol- durfte dann auf dem CDU Bundesparteitag in Wiesba- kes zu Gott und seinen Geboten. Wir haben alle noch den, wo man 10 Stunden über die Abtreibung disku- vorhandenen Möglichkeiten zu nutzen und zu wirken, tierte, kein einziger Arzt und erst recht kein internatio- „solange es Tag ist; es kommt die Nacht, da niemand naler Fachmann zu der Frage sprechen. wirken kann." (Joh 9,4) Obwohl ich stellvertretender Delegierter des Kreises Ulm war und ein Delegierter des Bezirks Südwürttem- Werner Neuer berg aus dem Kreis Ulm vorzeitig weg mußte und ich deshalb seine Delegiertenkarte erhielt, durfte ich CDU - Wohin? selbst nicht sprechen. Auch mein Antrag im Namen Beim Internationalen Kongreß der WORLD FEDERA- von 250.000 Ärzten der WORLD FEDERATION OF TION OF DOCTORS WHO RESPECT HUMAN LIFE in DOCTORS WHO RESPECT HUMAN LIFE als ihr Vize- Dresden mußte ich leider im letzten Augenblick für un- präsident zu dem Thema reden zu dürfen, wurde vom seren Freund Dr. Ernst Theodor Mayer aus München, Parteitagspräsidium abgelehnt. der den ersten Vortrag über das Thema „Leben vom Es war offensichtlich, daß man von der CDU Spitze an Töten? Steht die verfaßte Ärzteschaft vor dem Ausein- abwärts eine geradezu panische Angst hatte, daß das anderbrechen?" halten sollte, ohne Vorbereitung ein- Parteivolk evtl. den Gang zum Bundesverfassungsge-

MEDIZIN & IDEOLOGIE NOVEMBER 90 37 richt gegen den derzeitigen verfassungswidrigen § ste „Entwicklung" unmöglich wird? 218 und die Krankenkassenfinanzierung der Abtrei- Oder sind nicht jene Parteien, die diesen Holocaust bungen beschließen könnte. befürworten oder als „christliche Demokraten" dabei Als nun Professor Biedenkopf mit denselben Behaup- mithelfen, indem sie die Wahrheit unterdrücken und tungen von der Unwirksamkeit der Strafgesetze ver- dem Unrecht den Weg dadurch ebnen, schlimmer als suchte, die Anerkennung der Fristenlösung zu vertei- solch eine „Diktatur"? digen, blieb mir leider nichts anderes übrig, als ihm zu Wir wünschen jedenfalls dem neugewählten Minister- widersprechen - obwohl er unser Gast war - und ihn präsidenten von Sachsen, Professor Biedenkopf, der als alten CDU Politiker auf den oben erwähnten Sach- sicher - was den wirtschaftlichen Wiederaufbau die- verhalt hinzuweisen, daß man beim Parteitag in Wies- ses Landes angeht - der beste Mann ist, alles Gute. baden 10 Stunden diskutierte, ohne fachmännisches Ob er sich allerdings darüber schon im Klaren ist, daß Information überhaupt zuzulassen. die jetzt erfolgende Privatisierung der Ärztlichen Pra- Er konnte natürlich auch meiner Feststellung nichts xen und Polikliniken eine weitere erhebliche Zunahme mehr entgegensetzen, daß das Strafgesetz in einer der Abtreibungen in der ehemaligen DDR mit sich pluralistischen Gesellschaft die einzige gemeinsame bringen wird, die dann auch jede echte wirtschaftliche Verhaltensnorm ist, während die 10 Gebote als kirchli- Erholung in Frage stellt, wäre ein weiteres Gespräch che Privatangelegenheit einer parlamentarischen wert. Minderheit behandelt werden. Ich machte ihn darauf Denn bisher mußten die Ärzte in der DDR als Staats- aufmerksam, daß man durch die Beseitigung der Ver- angestellte die Abtreibungen vielfach äußerst wider- botstafeln und Strafen im Straßenverkehr nicht weni- willig durchführen und wurden deshalb auch nicht ger, sondern ein Vielfaches an Verkehrsunfällen besser bezahlt. Nun aber wird die Abtreibung zu einer schaffen würde, und daß dabei ethische Ermahnun- lukrativen Angelegenheit und einer Möglichkeit, die gen allein nicht helfen. Ja, daß im Falle der Abtreibung Schulden bei der Praxisgründung schneller loszuwer- es reine „Augenwischerei" sei, allein mit ethischen Ap- den. Und da die moralische Hemmschwelle gegen die pellen eine Bewußtseinsänderung zu erreichen, so- Abtreibung bei den allermeisten durch den Staat ge- lange der Staat die Abtreibung nicht nur durch Gesetz brochen worden war, wird der große finanzielle Anreiz für erlaubt erkläre, sondern das Töten sogar noch mit dazu eine enorme Zunahme der Abtreibungen hervor- Krankenkassengeldern finanziere. rufen und zu einer wahrhaft tödlichen Situation führen. Daraufhin wurde er leider wütend und verließ den Ob man dem allein mit moralischen Appellen beikom- Saal. Man kann aber den Sachverhalt nicht abstreiten, men kann, erscheint uns mehr als fraglich. Aber wir daß bei den Verhandlungen um den Einigungsvertrag lassen uns überraschen. die SPD, die FDP und die Grünen zusammen mit einer Volkskammermehrheit die CDU und die Bundesregie- Sollte es stimmen, was ich 1978 als 106. Psalm auf eu- rung erpressten, so daß sie letzten Endes zu einer ge- ropäisch am Ende schrieb?: setzlichen Regelung ihre Zustimmung gab, die grund- gesetzwidrig ist und einigen tausend ungeborenen Doch als die Menschen wiederum vergaßen Kindern zusätzlich das Leben kosten wird. Die Erklä- die eig'ne Schuld und das vergang'ne Leid, rung, daß man in den nächsten beiden Jahren ein als sie im Hochmut frevelnd Dich verlassen, „besseres Gesetz" schaffen wolle, als es sowohl das im Rausch von Geld- und Machbesessenheit, Gesetz der Bundesrepublik, als das der DDR sei, ist da wurde Dein Gesetz beseitigt und verachtet auch nichts weiter als eine fromme Absichtserklärung; von den Regierungen, die sie gewählt, da man gleichzeitig gesetzlich festlegte, daß die Fri- die ungeborenen Kinder wurden hingeschlachtet, stenlösung weiter bestehen solle, wenn es nicht gelin- dem Moloch Sex Altar und Bild erstellt! gen würde, den Konsens über ein solches „besseres O Gott, das Blut der ungeborenen Seelen Gesetz" zustande zu bringen. hat Dein Europa fürchterlich befleckt, Angesichts der Tatsache, daß diejenigen, die die Bun- der stumme Schrei Millionen kleiner Kehlen desregierung jetzt erpressten, weiterhin entschlossen Dein Schöpferherz zu heißem Zorn erweckt! sind, keine „besseren Gesetze" zum Schutz der unge- Zum Greuel werden Dir solche Nationen, borenen Kinder zuzulassen, sondern den gesetzlichen die sich der «Großen Hure» geben hin. Schutz völlig abzuschaffen, wird eine solche Ab- Ins Unheil stürzt die Welt, der die Dämonen, sichtserklärung der CDU zum Volksbetrug. des «Abgrunds Tier», verwirren Herz und Sinn. Ob dieser „Einigungsvertrag" den Segen Gottes hat, Schon aus dem Dunkel kommen Hass und Morden, oder für die Verantwortlichen zum Fluch wird, möchte es wankt der Staat, der seine Kinder frißt, ich nicht entscheiden. Meine eigene Erfahrung läßt und - weil er selbst zum Terrorist geworden - mich allerdings das Letztere annehmen. Natürlich gegen des Satans Terror machtlos ist. zeigt der Vorfall erneut die scheinbare Hoffnungslo- S.Ernst sigkeit der Situation. Denn, wenn es nicht mehr mög- lich ist, daß selbst in einer sich „christlich" nennenden Partei in einer der zentralsten Lebensfragen unseres Volkes die Wahrheit und das Recht auf Leben durch- Familienpolitik im Abseits gesetzt werden können, ist die Demokratie am Ende. Völlig überraschend stimmte das Europäische Parla- Denn die Unterdrückung der Wahrheit, einerlei, ob ment in der letzten März-Sitzung mit hoher Mehrheit durch einen einzelnen Diktator oder durch eine Parla- für den Antrag einer kommunistischen Niederländerin, mentsmehrheit, ist immer Diktatur. Man braucht sich die Mitglied der Grünen ist, daß die Abtreibung in der dann nicht zu wundern, wenn immer mehr Menschen EG unbegrenzt zu legalisieren sei. Die hohe Zustim- auch bei uns fragen: Ist das Apartheidsystem des frü- mungsquote muß besonders enttäuschen und ver- heren Präsidenten Südafrikas, Peter William Botha, in schweigt, daß die Christdemokratische Fraktion nach dem die Abtreibung auch an schwarzen ungeborenen ihrem Protest zu dieser unter Dringlichkeiten in die Ab- Kindern bestraft wurde, wirklich schlimmer als jenes stimmung über freie Dienstleistungsverkehre in Eu- Apartheidsystem, in dem bei jährlich 500.000 ungebo- ropa gemogelte Resolution aus dem Saale zog. Sie renen Kindern die radikalste und brutalste Form der ließ durch ihre EVP-Sprecher, u. a. Dr. Otto von Habs- „getrennten Entwicklung" (Apartheid) in Form der Ab- burg, erklären, daß ein Parlament, das keine ausge- treibung durchgeführt wird, bei der auch die minimal- dehnte familien-politische Debatte seit Jahren zu-

38 MEDIZIN & IDEOLOGIE NOVEMBER 90 Stande bringt, nun ganz besonders mit einer solchen, nicht zu beunruhigen. Beide haben die absolute Frei- aus dem Stegreif geborenen Abstimmung das Recht heit, jede beliebige Zahl zu melden und der Inspektor der ungeborenen Kinder vergesse, die sich in Sachen ist deshalb nicht in der Lage, die wirkliche Zahl der Ab- Schwangerschaftsabbruch nicht wehren können. Das treibungen festzustellen. Vielleicht fehlt ihm aber auch ungeborene Kind verfüge über kein Stimmrecht und die Motivation, dies zu tun. könne damit abgetrieben werden. Am 5.12.1984 schrieb der Vorsitzende der General- Der eigentlich in der letzten Parlamentssitzung schon staatsanwalt in einem Brief an den Justizminister, daß abgelehnte Entschließungsantrag Van Dijk wurde vom das Abtreibungsgesetz nach vielen Jahren des Strei- amtierenden Parlamentspräsidenten noch einmal auf tes durch eine ganz knappe Mehrheit des Parlamen- die Tagesordnung gesetzt. Er behauptet, daß nach tes angenommen wurde und als Kompromiß ver- Urteilen irischer Richter die Information über Abtrei- schieden interpretierbar sei. „Die CDA (Christdemo- bungsmöglichkeiten in anderen EG-Ländern be- kraten) meinen, daß Abtreibung nur dann erlaubt sei, schränkt würden, und daß die zurückgegangene Zahl ,wenn die Notlage der Frau diese unvermeidlich der Schwangerschaftsunterbrechungen in Ländern macht' (§ 5, Abs. 1) und die WD (Liberalen) sagt, daß wie den Niederlanden und der Bundesrepublik ledig- dieser Paragraph nicht mehr enthällt, als eine Instruk- lich auf geringere Informationen und Möglichkeiten tionsnorm und daß die Beratung zwischen dem be- dazu zurückzuführen seien. handelnden Arzt und der Frau entscheidend sei, vor- Die Resolution bestätigt erneut die seit Jahren im Par- ausgesetzt, daß einige Verfahrensvorschriften beach- lament besonders von den Sozialistinnen vorge- tet worden sind." Und weiter heißt es: „Der Volksge- brachte Mißachtung der familien-politischen Situation sundheitsinspektor nimmt Einsicht in das Protokoll bis zur Verweigerung ihrer Zustimmung für familien- des behandelnden Arztes, aus dem hervorgehen muß, politische Maßnahmen, wie Erziehungsgeld, Unter- ob der Arzt aufgrund objektiver Kriterien der Lage der stützung von Familienmitgliedern, die Kinder erzie- Frau nach § 5 des Gesetzes entscheiden konnte (§ 28 hen. Beschluß Schwangerschaftsabbruch). Sollte der In- Ein erfolgreich von einer Gaullistin bearbeiteter und spektor feststellen, daß von einer Notlage im Sinne schon im Ausschuß abgestimmter Familienbericht des Gesetzes keine Rede sein kann, so kann er nur wurde in der letzten Legislaturperiode im Parlament in zum medizinischen Disziplinarverfahren übergehen." den Ausschuß zurück verwiesen und dort von Soziali- Um einer neuen unendlichen Diskussion vorzubeu- sten still beerdigt. gen, rät der Generalstaatsanwalt dem Minister, die Als Berichterstatterin des Europäischen Parlamentes Richtlinien für das Fahndungs-, Verfolgungs- und und des Frauen-Ausschusses für den ,Schutz des Strafzumessungsvorgehen bekannt zu machen. werdenden Lebens' liegt mir sehr daran, daß die Auf- Dieser Brief zeigt überzeugender als jedes von PRO weichung des Familienbegriffes zugunsten von irgend LIFE-Seite produzierte Dokument, wie wenig Verfol- welchen Paaren zur Kenntnis genommen wird, so wie gungsmöglichkeiten, aber auch wie wenig Interesse zuletzt in einigen Berichten gefordert wurde, daß hete- an Ermittlungen bei Abtreibungen, es in Holland gibt. rologe Befruchtung möglichst von jeder Art von Paa- Seit das Gesetz angenommen wurde, ist noch kein ren verlangt werden könnte. Fall einer Verfolgung wegen Abtreibung gemeldet Die EVP-Fraktion verfolgt aufmerksam die ethischen worden. Probleme der Berichte zur Genmanipulation (Rothley- Schließlich muß man auch zur Kenntnis nehmen, daß Casini) und auch bezüglich einer prädikativen Medi- die sogenannte Mestruationsregelung, ein in Holland zin, die die Möglichkeiten zur Euthanasie und Eugene- viel praktiziertes Verfahren, nicht als Abtreibung be- tik eröffnet. Sie hat eine besondere Arbeitsgruppe zu trachtet und deshalb nicht als solche gemeldet wird. familien-politischen Fragen und ethischen Problemen Da die wirkliche Zahl der Abtreibungen in Holland völ- schon in der letzten Legislaturperiode gebildet, der es lig unbekannt und von Nichtabtreibem unfeststellbar besonders am Herzen lag, Grundaussagen zum Be- ist, ist es unwissenschaftlich, aufgrund der von Abtrei- ginn des Lebens, nämlich ab der Verschmelzung von bern gemeldeten Zahlen ein politisches Resümee dar- Eizelle und Samen, im Parlament durchzusetzen. aus zu entwickeln. Dr. med. K. F. Gunning Zur Zeit versucht die Interfraktionelle Arbeitsgruppe Präsident der WORLD FEDERATION OF DOCTORS Familie, die ich vor Jahren mitbegründete, erneut ei- WHO RESPECT HUMAN LIFE nen Familienbericht über die Situation der Familien in Europa in das Parlament einzubringen, und es ist zu Redaktion: S. dazu auch „Politik mit falschen Zahlen" hoffen, daß sich vielleicht dann die liberalen und kon- in DIE NEUE ÄRZTLICHE vom 6.6.86 v. Rainer Klawki. servativen Kräfte mit ihrer christlichen Weltanschau- ung besser durchsetzen können. „Liberal" und die Andersdenkenden Ursula Braun-Moser MdEP Bad Vilbel Nea. Bonn Die Frage, ob in dem geeinten Deutschland der Para- graph 218 oder die in der DDR gebilligte Fristenlösung Gerücht über die Abtreibungszahlen gelten soll, hat zu heftigen Diskussionen geführt. Daß diese manchen nachdenklich stimmen, zeigt die in Holland Trendwende bei der CDU-Ost, die mittlerweile den Oft werden Abtreibungszahlen für Holland genannt, Schutz des ungeborenen Lebens verstärkt sehen will. die aussagen sollen, daß ein liberales Gesetz die Zahl Daß die geführten Debatten manchem offenbar auch der Abtreibungen verringerte. Dabei wird verschwie- unbequem sind, wird in FDP-Kreisen deutlich. gen, daß zwar jedes Krankenhaus verpflichtet ist, je- Ende dieses Monats erscheint in einem Krefelder Ver- den Monat die Zahl der Abtreibungen zu melden; da lag eine Streitschrift, die eigentlich für die Zeitschrift jedoch die Meldungen anonym sind, ist es völlig un- „Liberal" der FDP-nahen Friedrich-Naumann-Stiftung möglich, die wirkliche Zahl zu ermitteln. Ein Kranken- gedacht war. Aber dort wollte man sie nicht drucken. haus hat ein Interesse daran, daß man nicht zu viel Ab- Hinter dieser Entscheidung steht der „Liberal"-Her- treibungen meldet, weil sonst der Volksgesundheits- ausgeber und FDP-Fraktionschef Wolfgang Misch- inspektor argwöhnisch werden könnte. Ein Abtrei- nick persönlich. Der Autor, das FDP-Mitglied Profes- bungshaus hat ein Interesse daran, daß die nationale sor Rudolf Schöttler, erfuhr als Begründung unter an- Abtreibungszahl nicht zu hoch ist, um die Gesellschaft derem: „Moralisierende, konservative Position, illibe-

MEDIZIN& IDEOLOGIE NOVEMBER 90 39 ral, widerspricht der Beschlußlage der Partei." Menschenrechte verträgt sich aber nicht mit der hun- Das Thema ist freilich unbequem. Schüttler zieht eine derttausendfachen vorgeburtlichen Kindestötung. Verbindungslinie zwischen den Themen Abtreibung Die Unverfügbarkeit über menschliches Leben gilt eben- und Sterbehilfe und äußert die große Sorge, daß die li- so unabdingbar für alle Menschen nach der Geburt, sei- berale Partei sich von ihren ursprünglichen Positionen en sie behindert, krank oder alt. Bioethiker operieren; des Menschenrechts auf Leben und Unversehrtheit neuerdings mit einem selektiven Personenbegriff, der immer weiter entferne. dieses absolute Lebensrecht relativiert. Die Brücke zur Im Vorwort heißt es beispielsweise: „Für die FDP über- Abtreibung ist also gegeben: Maßt sich der Mensch fällig ist ein in sich konsistentes, konsequent liberales überhaupt an, über anderes menschliches Leben zu ver- Lebensschutzprogramm, das die Unteilbarkeit der fügen, lassen sich leicht Gründe für Weiterungen finden, Menschenrechte vor und nach der Geburt, von Behin- Der Autor, Prof. Dr. Rudolf Schöttler, von 1985 bis 1989 derten, Kranken und Alten wahrt. Man mag sich über stellvertretender Vorsitzender der FDP-Kommission „Li- die Verbindung dieser Fragen empören: Wenn der beralismus und Kirche", ist Mitbegründer und Sprecher Mensch in bestimmten Fällen über das Leben eines des Liberalen Gesprächskreises Lebensrecht ungebore- anderen verfügen darf, lassen sich schnell Gründe fin- ner Kinder. In seiner zum Teil provozierenden Streit- den für weitere Fälle." schrift entwickelt er Thesen, die man bei einem FDP- Daß auch führende FDP-Politiker heute offen für eine Mitglied zunächst nicht vermutet. Schöttlers Gedanken- Übernahme der vom Bundesverfassungsgericht als führung richtet sich jedoch streng nach den liberalen grundgesetzwidrig bezeichneten Fristenlösung für ein Prinzipien Freiheit, Verantwortung, Vernunft und Recht, vereinigtes Deutschland eintreten, rückt Schüttler in Damit appelliert er an das liberale Gewissen der FDP. die Nähe der Gefahr, daß „das liberale Prinzip des Anstatt sich opportunistisch auf die Seite der Stärkeren Rechts auf den eigenen Tod als Hebel benutzt wird, zu stellen, müsse sie Anwalt der schwächsten Minder- um die Gesellschaft von der ökonomischen Last der heiten sein. Ein konsequent liberales, in sich konsisten- sozial Unbrauchbaren zu befreien." tes Lebensschutzprogramm der FDP sei überfällig. Schüttler gehört zu den Sprechern in dem von FDP- Mitgliedern gegründeten „Liberalen Gesprächskreis Redaktion: Die lesenswerte Schrift Menschenrechte Lebensrecht ungeborener Kinder". Der Inhalt seiner, für jeden oder „Sterbehilfe" von Anfang bis zum die Diskussion bewußt zuspitzenden, Streitschrift ba- Ende von Prof. Dr. Rudolf Schöttler kann bei uns be- siert auf einem Referat, das er kürzlich auf einer Ta- stellt werden. Siehe Seite 55. gung zum Thema Sterbehilfe gehalten hat. In der Zeit- schrift „Liberal", die kein direktes Parteiorgan ist, son- dern sich auch als Diskussionsforum im liberalen poli- tischen Raum versteht, hoffte er, eine Plattform für KONFERENZ BEKENNENDER GEMEINSCHAFTEN seine Thesen zu finden. IN DEN EVANGELISCHEN KIRCHEN An der für ihn nach ursprünglicher Zusage überra- DEUTSCHLANDS D-2350 Neumünster, 15.7.90 schenden Zurückweisung des Manuskripts durch die An der Schwale 8 Zeitschrift befremdet Schöttler, wie er ergänzend be- richtet, vor allem die Tatsache, daß die Friedrich-Nau- Herrn Herrn mann-Stiftung noch im November 1989 einen Son- Bundeskanzler Ministerpräsident derdruck mit drei Reden und einem Aufsatz des da- Dr. Lothar de Maiziere maligen (inzwischen unter dem Druck der Ereignisse Bundeskanzleramt Am Treptower Park 31 zurückgetretenen) Vorsitzenden der LDPD in der DDR, Manfred Gerlach, verschickt hat. Seinerzeit hatte 5300 Bonn 1 DDR-1193 Berlin Mischnick in einem persönlichen Anschreiben die Lektüre der Beiträge empfohlen: Gerlach habe sich Sehr geehrter Herr Bundeskanzler! schon „früh und deutlich für einen stärkeren und at- Sehr geehrter Herr Ministerpräsident! traktiveren Sozialismus, für dessen Erneuerung und Mit großer Sorge verfolgen wir die politische Diskus- demokratische Ausgestaltung ausgesprochen". sion um die Abtreibungsgesetzgebung in einem künf- DIE WELT, 7.7.90 tigen Gesamtdeutschland. In den letzten Wochen Vorstellung der Broschüre mehren sich die Forderungen, in einem vereinten Deutschland die Fristenregelung oder gar die völlige Abschaffung des § 218 durchzusetzen. Damit würde Rudolf Schöttler das in unserer bundesdeutschen Verfassung veran- kerte Grundrecht auf Leben, das ohnehin bereits hun- Menschenrechte für jeden oder derttausendfach jährlich mißachtet wird, für die er- sten drei bzw. für alle vorgeburtlichen Lebensmo- „Sterbehilfe" von Anfang bis zum Ende? nate gänzlich beseitigt. Da wir schon die gegenwär- tig in der Bundesrepublik Deutschland bestehende — Eine liberale Antwort — rechtliche Regelung der Abtreibung für völlig ungenü- gend halten, um das Leben vor der Geburt zu schüt- zen, sehen wir in jeder weiteren Aufweichung eine un- erträgliche Verschlimmerung der Situation. Im Zuge der Wiedervereinigung hat die Debatte über die Schon jetzt müssen im gegenwärtig zweigeteilten Abtreibung — die „Sterbehilfe" am Anfang des mensch- Deutschland Jahr für Jahr schätzungsweise 500.000 lichen Lebens — eine neue Dimension erreicht. Ausge- ungeborene Kinder den unzureichenden Rechts- rechnet mit „liberaler" Begründung will man in Form der schutz vor der Geburt mit dem Leben bezahlen. Das Fristenlösung die Befreiung von 16 Millionen Deutschen Blut dieser vielfach mit grausamen Methoden hin- aus dem Sozialismus mit einem weiter verminderten gemordeten Kinder schreit zu Gott und klagt unser Rechtsschutz für die schwächste Minderheit verbinden. deutsches Volk an (1. Mo 4,10). Eine völlige Freigabe So hinterlassen auch Menschenrechtsforderungen, vor- der Abtreibung in den ersten drei oder gar neun Le- nehmlich für ferne Länder, einen faden Beigeschmack, bensmonaten nach der Empfängnis würde die Verant- wenn dieselben Verfechter bei uns Abtreibung als eman- wortung der Regierung und die Schuld unseres Volkes zipatorisches „Recht" postulieren. Die Unteilbarkeit der ins Unermeßliche wachsen lassen.

40 MEDIZIN & IDEOLOGIE NOVEMBER 90 Gott hat unserem Volk in den letzten Monaten durch Von einer tiefgreifenden christlichen Erweckung die Beseitigung der SED-Diktatur eine politische keine Spur , religiöse Sekten hingegen machen ihre Wende zum Guten geschenkt, welche die Erwartun- Geschäfte und der Islam triumphiert. Wenn ein politi- gen selbst kühnster Optimisten übertroffen hat. Die scher Gigant, in diesem Fall die größte Militärmacht lang ersehnte Chance einer Vereinigung der bisher ge- der Welt, taumelt, wächst politisch das Unberechen- trennten Teile unseres Vaterlandes ist nun in greifbare bare. Daß wir davon unbetroffen bleiben würden, ist Nähe gerückt. Umso dringlicher wird die Frage für die absurd. Wo ein dreiviertel Jahrhundert der Totalitaris- Regierungen beider Teile Deutschlands: Auf wel- mus waltete, ist freiheitliches und verantwortliches chem geistig-ethischen Fundament soll das ver- Leben erstickt. Ideologisch ausgezehrte und aus- einte Deutschland gebaut werden? Wir sind der tie- gebrannte Menschen sind wie ein leeres Haus, in fen Überzeugung, daß ein vereinigtes Deutschland das die gerade erst ausgetriebenen Dämonen wie- nur dann auf eine menschenwürdige und unter dem der zurückkehren wollen. Diese könnten sich sehr Segen Gottes stehende Zukunft hoffen kann, wenn bald auch in unsere freiheitliche Gesellschaft hinein- die Gebote Gottes, des Schöpfers, wieder als ver- fressen. Recht, Einigkeit und Freiheit haben bei uns bindlicher Maßstab der Rechtsordnung anerkannt nur ein schwaches Fundament, sind ohne bibli- werden. Denn wo sich das menschliche Recht von sche Rechts- und Lebensordnung nicht zu halten. Gottes Gebot löst, verliert es seine innere Legitimation Nun gibt es zwar religiöse Aufwallungen hier und und wird zum Unrecht. Ein Staat, der das Lebensrecht da, aber wo bleibt die christliche Erweckung, die der Ungeborenen nicht mehr mit allen verfügbaren auch eine Gott gegenüber zu verantwortende politi- Mitteln zu schützen bereit ist, wird zum Unrechtsstaat sche Stabilität schaffen würde? Das dritte Jahrtau- und zieht unweigerlich Gottes Gericht auf sich. Das send erschreckt mit dem Zusammenbruch eines tota- gewiß begrüßenswerte Ziel der Vereinigung beider litären Systems eine freiheitliche Welt, die in der Abge- deutscher Staaten würde für unser Volk zum Verhäng- schlafftheit der Drogenkultur, dem Konsumegoismus, nis, wenn es erkauft würde durch eine weitere Ver- der Aussteigementalität, der antichristlichen Kultur- schlechterung der Abtreibungssituation. und Moralrevolution und realitätsferner Blumenkin- Wir bitten Sie daher mit allem Nachdruck: Lassen Sie dermentalität dahinvegetiert. Deutschstämmige, die nicht zu, daß in einem vereinigten Deutschland die als Christen in osteuropäischen Ländern überlebten Fristenlösung oder gar die Abschaffung des straf- und zu uns zurückkamen, entsetzen sich über den rechtlichen Schutzes des ungeborenen Lebens geistlichen und moralischen Zerfall in unserem Lande. durchgesetzt wird! Tun Sie alles in Ihrer Macht Ste- Zum Anfang des dritten Jahrtausends muß den Chri- hende, um dem Grundrecht auf Leben von der sten das Christuswort »Wachet und abermals sage ich Empfängnis an wieder Geltung zu verschaffen und euch wachet« ganz nahe sein, wie auch die Mahnung Abtreibung grundsätzlich zu verbieten! des Propheten Jeremia, der zu seiner Zeit jene warnte, die da leichtgläubig sagten: »Friede, Friede und ist Wir grüßen Sie in Respekt und mit der Versicherung, doch nicht Friede«. Sie auch in Zukunft mit unserem Gebet bei Ihrer schweren Aufgabe zu unterstützen! Was wird in der Kirche anders werden? Propst em. Dr. Karl Hauschildt Die Kirchensteuern sind ins Gerede gekommen. Sol- (Vorsitzender der Konferenz) len sie in der DDR, in der nur noch eine Minderheit der Viola Scholler Kirche angehört, eingeführt oder sollen sie bei einer (Vorsitzende der Sammlung Wiedervereinigung hier abgeschafft, nicht mehr vom Bekennender Evangelischer Frauen) Staat eingezogen werden? Die evangelische Kirche in der DDR hat jahrzehntelang von der evangelischen Professor Dr. Peter Beyerhaus Kirche in der Bundesrepublik gelebt. Abschaffung des (Präsident des Theologischen Konvents) bisherigen Systems würde bei der immer noch fort- P.S.: Wir erlauben uns, dieses Schreiben 10 Tage schreitenden Christentumsverfremdung in Ost und nach dessen Absendung ggfs. mit Ihrer Antwort der West den Bankrott herkömmlicher volkskirchlicher Presse zu übergeben. Strukturen bedeuten. Die traditionellen Restbindun- gen an die Kirche durch Taufe, Trauung und Bestat- tung werden schwächer und schwächer. Wer aber Das dritte Jahrtausend hat schon nun meint, durch die Abschaffung der Kirchen- steuern würde eine geistlich-kraftprotzende Frei- begonnen willigkeitskirche erblühen, täuscht sich gewaltig. Georg Huntemann Die Kirchen in der DDR sind dafür das beste Beispiel. Der 9. November 1989, die friedliche Revolution in der Eine neue Gestalt der Kirche kommt nicht durch eine DDR, markierte das Ende eines Lebensstils, wie wir andere Art und Weise der Organisation, sondern ihn ein halbes Jahrhundert gewohnt waren. Der Zu- durch den Aufbruch geistlicher Kraft. Die Gemeinde sammenbruch des realen Sozialismus im Osten hat Christi wird in kommenden Jahrzehnten wie Gold schlagartig eine neue Situation geschaffen. Optimi- durch Feuer geläutert werden. Das großkirchliche sten frohlocken: Nun werden geistige und wirtschaftli- religiöse Versorgungssystem wird schon sehr bald che Freiheit im »gemeinsamen europäischen Haus« nicht mehr gefragt sein, da werden auch die scham- anbrechen. Kriege wird es nicht mehr geben, Schwer- losesten Anbiederungsversuche, wie Trauformulare ter werden zu Pflugscharen, Wohlstand für alle, Glück für Homophile, nichts mehr ändern. Wer Anpassung und Friede auf Erden! - Die Realitäten - im Lichte der sät, wird Verachtung und das Gericht Gottes ern- Bibel gesehen - deuten aber in eine andere Richtung: ten. Daß die Gemeinde Christi bis zur Wiederkunft ih- Der Zusammenbruch des Kommunismus ist nicht der res Herrn am Ende der Geschichte bestehen wird, ist Tod der Dämonen. Auf das Kernland des Kommunis- uns verheißen - auch wenn diese Gestalt der Kirche mus, auf die UDSSR, fallen nun die ganz anderen vergehen wird (Bonhoeffer). Christliche Gemeinde Schatten eines aggressiven Nihilismus: Die Gesell- der Zukunft sammelt Gläubige, die durch diese gottlos schaft wird destabilisiert und chaotisiert, die Verbre- werdende Welt zutiefst verwundet sind, die aber wi- chen organisieren sich, neue politische Radikalismen derstehen bis auf's Blut, die im klaren Vertrauen auf brechen auf. Die Gesellschaft taumelt zwischen da- die auferweckende Kraft ihres Heilandes überwinden hinbrütender Dumpfheit und bösartiger Aggression. werden. Wir brauchen solche Gemeinden, nur sie wer-

MEDIZIN& IDEOLOGIE NOVEMBER 90 41 den überleben - nicht der kirchliche Apparat unserer Wolfgang Kuhn Tage, in dem jeder dritte Pfarrer kein Gemeindepfarrer ist. Den lebendigen Gemeinden gehört die Zukunft - Zwischen Tier und Engel nicht den Debattier- oder religiösen Unterhaltungs- Die Zerstörung des Menschenbildes durch die Biolo- clubs. Solche Gemeinden sind echte Gemeinschaft gie. Mit einem Vorwort von Prof. Dr. Max Thürkauf. der Bewährten, der Gerechtfertigten, die auch in die- 199 Seiten, 27 Abbildungen. ser Welt jene Gerechtigkeit Gottes bezeugen, ohne die sie nicht weiterleben können. Ist der Mensch tatsächlich nur ein „wenig verbesserter Affe", wie ein prominenter amerikanischer Biologe be- Dr. Dr. Georg Huntemann ist Pastor und Professor für Ethik und hauptet, oder gar ein „fehlentwickeltes Säugetier", Fundamentaltheologie an der FETA in Basel. wie ein bekannter Zoologe während einer Fernseh- sendung meinte? Gebührt ihm also im Reiche des Le- BUCHVORSTELLUNGEN bendigen keine Sonderstellung als „Krone der Schöp- Karl Simpfendörfer fung", weil er lediglich eine „Wegwerf-Überlebensma- schine" ist, wie der Soziobiologe R. Dawkins behaup- Verlust der Liebe tet, nur eine wertlose „Verpackung" seiner allein wert- Mit Simone de Beauvoir in die Abtreibungsgesell- vollen Erbsubstanz? Dann erübrigten sich Hemmun- gen, ihn nach Belieben zu manipulieren, seine Gene zu schaft. verändern, ihn durch „Klonen" wie Zuchttiere zu ver- Die vorliegende Untersuchung befaßt sich mit der vielfältigen und von Kühen als „Leasing-Müttern" aus- Frage der Massenabtreibung und damit mit dem größ- tragen und gebären zu lassen. Geklonte Menschen ten ethischen Problem der Gegenwart. Zu diesem könnten als Organspender wie „lebende Ersatzteilla- Thema ist in den letzten Jahrzehnten manches Buch ger" auf einem Markt für Menschenfleisch (Lederberg) erschienen. Nur wenige Veröffentlichungen weisen genutzt werden. Abtreibung stellte, da es sich ja dabei freilich jenes erfreulich hohe Maß an ethischer Klarheit angeblich um die Tötung von „noch nicht richtigen auf, das die vorliegende Studie kennzeichnet. Wer Menschenwesen" handelt, kein moralisches Problem diese Untersuchung liest, bekommt einen umfassen- mehr dar, und die Zellgewebe von im Mutterleib getö- den Einblick in die grausame Wirklichkeit der Abtrei- teten Kindern ergäben wertvolles „Material" für die bungsgesellschaft und wird vor die Herausforderung kosmetische Industrie und medizinische Experi- gestellt, sich der Mentalität und Praxis dieser lebens- mente. Doch schon allein biologisch betrachtet er- feindlichen Gesellschaft entgegenzustellen und für weist sich der Mensch als das von Anbeginn an (E. eine Gesellschaftsordnung einzutreten, die das Blechschmidt) andere, als das besondere Geschöpf menschliche Leben von der Empfängnis bis zum na- (A. Portmann). Gerade das spezifisch Humane ist türlichen Tod achtet und mit allen zur Verfügung ste- eben nicht aus irgendwelchen tierhaften Vorstufen ab henden Mitteln schützt. leitbar. Tiere können nachahmen und unterschiedli- Abgesehen von der ethischen Wegweisung und der che Kommunikationsformen ausbilden - aber allein beachtlichen Informationsbreite zur Abtreibungsfrei- der Mensch besitzt, als das einzige Lebewesen mit gabe, die das Buch für den Leser bereithält, liegt seine Geschichte (Portmann), echte Tradition und Sprache besondere Bedeutung darin, daß es die geistige Ver- als Manifestation seines Geistes. Selbst in seinen vor- wurzelung der Abtreibungsgesellschaft in der vom at- wiegend instinktiven Reaktionen ist die Menschenna- heistischen Philosophen Sartre inspirierten Existen- tur unverkennbar, so wie das Tier, auch wenn es Ein- zialphilosophie Simone de Beauvoirs offenlegt, die sicht zeigt, stets im rein Vitalen verhaftet bleibt. Voll durch ihr Buch «Das andere Geschlecht» zur ideologi- ends seine Religion, seine „Rück-Bindung" an nicht- schen Wegbereiterin der gegenwärtigen feministi- materielle Mächte und Kräfte, die sich in ihren Anfän- schen Bewegung wurde. Die Untersuchung macht ei- gen bis in die Zeit des Pekingmenschen zurückverfol- nerseits den pseudowissenschaftlichen, realitätsfer- gen läßt und bereits beim Neandertaler durch eindeu- nen und zutiefst lebensfeindlichen Charakter der von tige Fundumstände auf monotheistische Vorstellun- Beauvoir vertretenen Weltanschauung deutlich und gen hindeutet, reißt eine unüberbrückbare Kluft zum zeigt andererseits auf, in welch erschreckendem Tier hin auf. Der Mensch, nicht Tier - nicht Engel, wie Maße der neuere Feminismus als Ideologie der Inhu- es der große Pascal formulierte, erweist sich auch hier manität und Lebensvernichtung begriffen werden als das einmalige, das besondere Geschöpf der Mitte. muß. Angesichts der allzu häufig verharmlosenden Christiana Verlag, Stein a. Rhein und wohlwollenden Betrachtung des gegenwärtigen Feminismus macht das Buch zu Recht darauf auf- Wolfgang Kuhn, geb. 1928, Dr. rer. nat. und Professor merksam, daß diese ideologische Strömung ganz im für Biologie und Didaktik der Biologie an der Universi- Sinne ihrer geistigen Mutter Simone de Beauvoir mit tät Saarbrücken; sein besonderes Interesse galt erbarmungsloser, geradezu nihilistischer Rücksichts- schon immer den Grenzfragen zwischen Biologie und losigkeit das «Recht» auf Abtreibung propagiert und Philosophie bzw. Theologie. daher in hohem Maße für den gegenwärtigen Kinder- Mit diesem Buch „Zwischen Tier und Engel" ist ihm ein mord verantwortlich zu machen ist. Simpfendörfers großer Wurf gelungen. S. Seite 55. Buch entlarvt den Feminismus als menschenverach- tende und zutiefst verbrecherische Ideologie, die - so- lange sie das Lebensrecht des ungeborenen Kindes Georg Huntemann zur Disposition stellt - den entschlossenen Wider- stand all derer verlangt, denen die Menschenwürde »Vom Überlebenskampf des Christen- und ein (die Gebote Gottes respektierendes) humanes tums in Deutschland« Ethos am Herzen liegt. So lautet der Titel eines soeben erschienenen Bu- Es wäre sehr zu wünschen, daß diese Untersuchung ches von Georg Huntemann. In diesem Buch geht es in einer Zeit nie dagewesener «Gesetzlosigkeit» (2. diesmal um eine Art Übersicht über die Herausforde- Thess. 2,3) möglichst vielen Lesern zum Erkennen der rungen, von denen Christen heute überfallen werden. «Zeichen der Zeit» und zur Klarheit und Eindeutigkeit In sieben Kapiteln mit jeweils mehreren, klar abge- im ethischen Urteil verhilft! Dr. theol. Werner Neuer grenzten Abschnitten, werden die großen Themen Christiana-Verlag, Stein a. Rhein, s. Seite 55. behandelt, die uns heute unter die Haut gehen. Aus-

42 MEDIZIN & IDEOLOGIE NOVEMBER 90 Steigementalität und Resignation, der Biofetischis- rer Mitglieder an der Lebensrechts-Demonstration in mus der Ökosozialisten, die Illusion von der Machbar- Bonn teilgenommen." keit des Glücks auf Erden, die allen Glauben überflüs- Wer am bundesweiten Aufbau christlicher Studenten- sig machen will, die emotionale Revolution und die gruppen interessiert ist oder bestehende christliche Frage, ob Aids die Rache Gottes für eine lustverfal- Studentengruppen eine Zusammenarbeit wünschen, lene Zivilisation sei, die Selbstzerstörung des Chri- hier die Kontaktadresse: CHRISTLICHE STUDEN- stentums als religiöses Unterhaltungs- und politi- TENLISTE c/o Andreas Indetzki, Venloer Str. 295, sches Propagandainstitut, die ideologische Selbst- 5000 Köln 30. täuschung und die politische Verantwortung des Chri- sten, Zukunftspanik und Zukunftsträumerei und das Zukunftsverständnis der Bibel. - Das alles macht na- türlich ein Andachtsbuch, aber auch keine Klage- Zum Beispiel mauer. Angesichts einer gleichsam antichristlichen Zeitwende wird biblische Antwort gegeben. Es geht um Antwort auf die Frage: Was heißt Rückkehr zur An die Dresden, 27.9.90 Kernaussage und zum Kernerlebnis der christlichen Europäische Ärzteaktion Botschaft? Was heißt Nachfolge Christi heute? Was Postfach 1123 heißt Jünger sein in dieser Zeit? Was heißt »weniger 7900 Ulm Institution, mehr Gemeinschaft«? Es geht um Bonho- effers Aufruf: »Es muß ein erster Schritt getan werden, Sehr geehrte Herren! damit Glaube nicht billiger Selbstbetrug, billige Gnade werde«. Dieses Buch will zum Kern christlicher Exi- Vom 20. bis 23. September d. J. hatte ich das große stenz vordringen, es bringt eine praktisch unverzicht- Glück, am internationalen Ärzte-Kongreß in Dresden bare Übersicht über die großen Zerreißthemen und teilnehmen zu können. Für mich - als Krankenschwe- Zerreißproben unserer Zeit - unverzichtbar für jeden, ster auf einer gynäkologischen Station - war das nicht der als mündiger Christ in dieser Welt Rede und Ant- von vornherein selbstverständlich, um so dankbarer wort stehen will. Denn die geistige und geistliche Ver- bin ich dafür. Für mich, die ich - in der DDR lebend - nebelung (biblisch: Verwirrung) in dieser Zeit führt zu nichts anderes kennengelernt habe, als ideologische einer Orientierungslosigkeit, die auch Christenmen- Enge und ein, in dieser Weise verzerrte Wissenschaft, schen hilflos machen kann. Nur durch den bewußt war es wie eine Offenbarung, diese Weite des Geistes aufgenommenen Konflikt (»Kämpfe den guten Kampf erleben zu dürfen, die der Kongreß atmete. Besonders des Glaubens«) können wir Klarheit und Wahrheit auch die Tatsache, daß Naturwissenschaft und christ- empfangen. Eben jene Wahrheit, die uns frei macht. - liches Weltbild miteinander kooperieren, daß darin Ein allgemeinverständliches, elementares zur Sache aber auch die mitgehen können, die sich nicht zum kommendes Buch (Sachbuch): »Vom Überlebens- christlichen Glauben bekennen, hat mir viel gegeben. kampf des Christentums in Deutschland«. Dazu gehört vor allem auch die Betonung der ethi- schen Werte für unsere heutige Welt. Sie glauben Professor Georg Huntemann ist Doktor der Theologie nicht, wie wir hier nach solch geistig-geistlicher Nah- und Doktor der Philosophie. Er lehrt Fundamental- rung hungern. theologie und Ethik an der Freien Evangelisch-Theo- Nochmals Ihnen und allen, die an dem guten Gelingen logischen Akademie (FETA) in Basel. des Kongresses mitgeholfen haben, ein großes Dan- Das Buch und eine Liste mit weiteren Veröffentlichun- keschön und Gott vergelt's gen kann bestellt werden beim Schriftenvertrieb Hella Ihre Schwester M. Romana Huntemann, Barlachweg 21,2800 Bremen. Berlin, 30.9.1990 Christliche Studenten Sehr geehrter Herr Dr. Ernst, M & I - Redaktion: Die CHRISTLICHE STUDENTEN- nach einer anstrengenden Woche gibt der Sonntag LISTE, Köln, teilt uns mit: mir Gelegenheit, mich zu dem Kongreß in Dresden zu äußern. „Die Christliche Studentenliste (CSL) ist eine politi- Gleich zu Beginn möchte ich Ihnen und allen Mitarbei- sche Hochschulgruppe, die im April 1988 von einigen tern und Mitarbeiterinnen ganz herzlich für die Durch- Studentinnen und Studenten an der Universität Köln führung dieses Kongresses danken. Sie haben großen gegründet wurde. Inzwischen haben wir 19 Mitglieder Mut, aber auch Weitblick bewiesen, gerade jetzt die und Fördermitglieder. Die CSL ist parteiunabhängig Fragen um den Schutz des ungeborenen menschli- und überkonfessionell. Wir planen die Ausdehnung chen Lebens und die Schutzbedürftigkeit des Men- auf weitere Universitäten und Hochschulen im Bun- schen schlechthin in die Öffentlichkeit zu tragen. Als desgebiet. Unser Anliegen ist es, auf der Basis christ- Zeichen meiner Verbundenheit habe ich meine Bei- lich-biblischer Ethik und eines christlichen Menschen- trittserklärung beigefügt. bildes verantwortungsbewußte Studentenschaftsar- In meinem Kollegium gab es ein paar böse Stimmen, beit und Hochschulpolitik zu betreiben und den Stu- die sich darüber wunderten, was ein Lehrer auf einem denten durch eigene Publikationen zu ethischen, Ärztekongreß zu tun habe. Die enge Blickrichtung theologischen und politischen Themen eine Orientie- scheint mir typisch für diesen Verein. rungshilfe im Wirrwarr der Ideologien zu geben. Meine Antwort lautete: „Wenn es sich bei dem Ärzte- In den vergangenen beiden Jahren haben wir auch kongreß, der sich dem Schutz des menschlichen Le- mit Erfolg an den Kölner Hochschulwahlen teilge- bens in allen seinen Phasen beschäftigt, nicht um eine nommen und dabei Sitze in Fakultätsvertretungen echte Fortbildung handelt, dann sollten wir unseren erhalten. Daß wir als Hochschulgruppe, die an christ- katholischen Laden - ich bin Lehrer an einer kath. lich-biblischer Ethik ausgerichtet ist, vielen Anfein- Realschule - dichtmachen." dungen und Diffamierungen ausgesetzt sind, wird Sie Was mir besonders am Verlauf des Kongresses gefal- sicherlich nicht überraschen. Eines unserer Hauptan- len hat, das war einmal die ungeheure Spannbreite der liegen ist auch der Einsatz für das Recht des ungebo- Beiträge, vor allem jedoch das tiefe Glaubenszeugnis. renen Lebens. So hat am 16.6. auch eine Anzahl unse- Unter Theologen wäre nie diese Einheit erlebbar ge-

MEDIZIN& IDEOLOGIE NOVEMBER 90 43 wesen. Da bekommt man manchmal eher ein Magen- unsere Arbeit in den vergangenen Jahren sehr behin geschwür oder Herz-Rhythmus-Störungen. dert. Jegliche Tätigkeit im staatlichen Raum wurde Auf der Rückfahrt saßen mir zwei Medizinstudentin- uns verboten. 1989 hielt ich cirka 50 Vorträge in Städ- nen aus Ost-Berlin gegenüber, die ebenfalls den Kon- ten und Gemeinden Thüringens. Oft waren Hunderte greß besucht hatten. von Menschen anwesend aber auch Beamte der Unser Gespräch zu den Themen der Veranstaltung Staatssicherheit. und darüber hinaus zu den Problemen der deutschen Unsere Post wurde kontrolliert, oft nicht befördert. An Einheit war so wertvoll, daß ich ganz stolz heimge- Sie schrieb ich auch. Material kam nicht durch den Zoll kehrt bin, und zwar mit dem Vorsatz, möglichst viele etc. Nun ist alles leichter geworden. Ihnen danke ich Kontakte mit solchen Menschen zu suchen. sehr für die wunderbaren Hefte und Broschüren ... Wenn die deutsche Einheit nur unter dem Gesichts- Ihre dankbare G. K. 26.2.90J punkt des Geldes gesehen wird und wir nicht in der Lage sind, sie in einem herzlichen Miteinander zu ge- stalten, dann sind wir dieses himmlischen Geschen- Sehr geehrter Herr Dr. Ernst! kes unwürdig. Alles Gute und Gottes Segen wünscht Ihnen Ihr G. P. Mit großem Interesse verfolgen meine Frau und ich die Diskussionen und Ihre Leserbriefe in der Südwest- presse, die sich auf die Abtreibung beziehen. Dabei Europäische Ärzteaktion kommt immer mal wieder die Sprache auf eine Po- Postfach 1123 diumsdiskussion, die vor ca. 15 Jahren stattfand, bei der Sie damals schon den Begriff „geistige Umwelt- 7900 Ulm Sch., 27.9.90 verschmutzung" gebrauchten, als noch kaum jemand das Wort „Umweltverschmutzung" gebrauchte. Sehr geehrter Herr Dr. und Kollege Ernst, Ich war seinerzeit - bezüglich Abtreibung - ganz ande- es ist mir ein inneres Bedürfnis, Ihnen zu schreiben rer Meinung als Sie und habe bei dieser Diskussion und Ihnen mitzuteilen, daß ich als Kongreßteilnehme- auf's heftigste widersprochen. Heute möchte ich Ih- rin von Dresden in der Zeit vom 20. - 22.9.90 überaus nen mitteilen, daß sich meine Meinung grundsätzlich glücklich bin, dieses Ereignis miterlebt zu haben. Ich geändert hat und ich froh bin, daß es unter uns Men- danke Ihnen für die Organisation dieser Bildungstage! schen gibt, die so mutig sind gegen viele Widerstände Unbeschreiblich froh bin ich, daß ich als katholische und Feinde immer wieder für das Leben und die „gei- Ärztin in Mecklenburg (schon 27 Jahre lang) so reich in stige Reinheit" einzutreten. den Dresdener Tagen mit Hinweisen, Gedanken, Fak- Mit freundlichen Grüßen, Ihr N.N. L, 19.6.85 ten und Anregungen beschenkt wurde. Noch nie habe ich einen internationalen Ärztekongreß besuchen kön- nen und schon gar nicht einen solchen, der vom Geist Säuglinge mit geringem Gewicht kön- eines Schöpfergottes beseelt war! nen überleben Für mich waren diese Tage Urlaub, Kraftgebung für Kommendes. Auch in einem bald geeinten Deutsch- TÜBINGEN (dpa). Die Überlebenschancen von zu früh land bleibt mein Wirkungsspektrum in Diaspora. Als geborenen Kindern mit sehr geringem Gewicht haben Allgemeinmedizinerin sehe ich ja mehr denn je Ängste, nach Angaben des Direktors der Tübinger Frauenkli- Sorgen, aber auch Freuden in unserem menschlichen nik, Prof. Hirsch, deutlich zugenommen. In Tübingen Zusammenleben. So werden mir die Vorträge so nam- habe sogar ein Kind mit 495 Gramm überlebt, sagte er hafter Wissenschaftler, die ich in Dresden hören zum hundertjährigen Bestehen der Frauenklinik. konnte, immer wieder Anregung sein, intensiver auf Hirsch sprach sich für die Einrichtung einer Leitstelle das Wesen der Menschen einzugehen. für Zentren der Perinatologie aus. Die Perinatologie erforscht vor allem die Lebensgefährdung von Mutter - Vertrau auf den Herrn und tu das Gute und Kind vor, während und nach der Geburt. Die Be- bleib wohnen im Land und bewahre Treue! treuung von Risikoschwangerschaften könne damit Freu dich innig am Herrn! deutlich verbessert werden. Tübingen müsse monat- Dann gibt er dir, was dein Herz begehrt. lich im Schnitt fünf bis zehn Risikoschwangere wegen Befiehl dem Herrn deinen Weg und vertrau ihm; Kapazitätsauslastung abweisen und mühsam nach er wird es fügen. Ps. 37,3-5 freien Betten in Perinatologiezentren im weiten Um- Das war mein Motiv, das soll es bleiben. kreis suchen. Deutsche Tagespost, 6.10.90 Für weitere Informationen von der Europäischen Ärz- teaktion wäre ich sehr dankbar. Grüß Gott! In Dankbarkeit M. M. In dieser Woche werden im Westen Deutschlands 5.770 und im Osten 4.420 Kinder im Mutterleib getö- tet. Seit Jahresanfang sind es in der Bundesrepublik Sehr geehrte Damen und Herren! 138.420 und in der DDR 112.080. - Jahrelang wurde diese idea-Statistik in der DDR angezweifelt. Jetzt er- Von ganzem Herzen möchte ich Ihnen im Namen aller klärte die Volkskammerabgeordnete Monika Brud- Mitarbeiter danken für die Zusendungen der wichtigen lewsky (CDU): Die offizielle DDR-Statistik, nach der es Prospekte und Materialien. Sie wissen sicher, daß es „nur" 80.000 Abtreibungen pro Jahr geben soll, sei in der DDR keinerlei Prospekte, Informationen oder völlig falsch. Tatsächlich komme auf eine Geburt eine Aufklärungsschriften zum wirklichen Zustand der Kin- Abtreibung. So auch seit 1988 die idea-Statistik. der, oder der Schmerzempfindlichkeit des Kindes gibt. Das Gesetz hier bei uns wie in allen sozialisti- schen Ländern als historische Errungenschaft für die Frau. Es ist ein altes Kampfziel des Marxismus und wir Handwerker Erich haben mit der SU die höchsten Abtreibungsziffern. Am Telefon wird schon über Leben oder Tod eines „Die Effizienz des Marxismus: Honecker mußte 17 Mil- Kindes entschieden. lionen Menschen unterdrücken, um so leben zu kön- Allein in Weimar werden pro Woche 40 Abtreibungen nen wie ein westdeutscher Handwerker, der 17 Leute vorgenommen. Aus diesen Gründen heraus wurde beschäftigt." (Johannes Groß im FAZ-Magazin)

44 MEDIZIN & IDEOLOGIE NOVEMBER 90 graphen 218 aus. Rolf Behrend kritisierte die Familien- Pressespiegel ministerin in der DDR, Christa Schmidt, die sich für die Fristenregelung ausgesprochen hatte. Damit gebe die CDU-Politikerin weder die Meinung der Partei noch Bislang falsche Statistik: In der DDR die Mehrheit der CDU-Volkskammerabgeordneten kommt auf jede Geburt eine Abtreibung wieder. Mit der Übernahme der DDR-Regelung falle Kundgebung von Abtreibungsgegnern in Bonn das vereinigte Deutschland „moralisch in die Un- wurde massiv gestört. 20.000 Menschen demon- menschlichkeit". Ähnlich argumentierte das Mitglied strierten für bzw. gegen den Paragraphen 218 des Ausschusses für Familie und Frauen in der Volks- kammer, . Nach ihren Worten sind Bonn (idea) - Von Störungen begleitet fanden erst- die Auswirkungen der Fristenregelung katastrophal. In mals gesamtdeutsche Demonstrationen für bzw. ge- der DDR werde wesentlich häufiger abgetrieben als in gen den Paragraphen 218 statt. Aus allen Teilen der Bundesrepublik. Die offizielle Statistik mit 80.000 Deutschlands kamen zu den gleichzeitig durchgeführ- Abtreibungen pro Jahr stimme nicht. Tatsächlich ten Kundgebungen rund 20.000 Menschen am 16. komme auf jede der jährlich rund 200.000 Geburten Juni nach Bonn. Etwa 8.000 bis 9.000 beteiligten sich eine Abtreibung. nach Polizeiangaben an der Demonstration, die sich für die Abschaffung des Paragraphen 218 und damit Grüne Politikerin gegen ihre eigene Partei: Für für die straffreie Abtreibung aussprach. Zu der Veran- Paragraph 218 staltung hatten die Grünen, die Jungsozialisten, die Aufsehen erregte auf der Veranstaltung die Bundes- Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Frauen, tagsabgeordnete der Grünen, Dora Flinner(Bonn). Sie die DKP, DGB-Gruppen, Pro Familia, der Bund der plädierte im Gegensatz zur Linie ihrer Partei für die Atheisten und einzelne Theologen aufgerufen. Die Beibehaltung des Paragraphen 218. Der Schutz des SPD-Politikerin Monika Ganseforth (Bonn) verlangte, ungeborenen Lebens dürfe in der Bundesrepublik daß der Paragraph 218 „ein für allemal gestrichen wer- nicht gemindert werden. Auch die Sprecherin des „Li- den" müsse: „Auch wir Frauen wollen lustvoll und beralen Gesprächskreises Lebensrecht ungeborener angstfrei mit unserer Sexualität umgehen." Die Bun- Kinder", Elsbeth Voigt (Düsseldorf), wandte sich da- destagsabgeordnete der Grünen, Verena Krieger gegen, daß mit der Wiedervereinigung - wie aus ihrer (Bonn), forderte, nach der Wiedervereinigung zumin- Parteispitze gefordert - die Fristenlösung übernom- dest die in der DDR praktizierte Fristenlösung in der men werden soll. Nach Worten des Vorsitzenden der Bundesrepublik zuzulassen. Sie ermöglicht die bedin- freikirchlichen Lebensrechtsbewegung Pro Vita, des gungslose Abtreibung in den ersten drei Monaten ei- baptistischen Chefarztes und Gynäkologen Wolfgang nes Kindes. Als einziger Mann trat bei der Kundge- Furch (Bad Nauheim), haben Frauen „oft lebenslang bung auf dem Bonner Münsterplatz der Memminger unter den quälenden seelischen Folgen" einer Abtrei- Mediziner Host Theissen ans Mikrophon, der 1989 bung zu leiden. Vergessen werde auch die Tatsache, wegen illegaler Abtreibungen verurteilt worden war. Er daß bei der Abtreibung ein vollständiger Mensch „mit kritisierte insbesondere die ablehnende Haltung der Herz, Händen und Füßen auf schmerzhafte Weise ge- katholischen Kirche. tötet" werde. Folge eines Irrtums: Das Münster sollte gestürmt M + I - Redaktion: In der Presse und im Fernsehen werden gab es widersprüchliche Angaben zu der Zahl der de- Zu einem Zwischenfall kam es, als die Glocken des monstrierenden Lebensrechtler. Der Zugleiter der Po- Münsters läuteten. Da Demonstranten davon ausgin- lizei nannte der Presse die Zahl 3.000, ohne daß er den gen, es handele sich um eine gezielte Provokation der Gesamtumfang des kilometerlangen Zuges gekannt katholischen Kirche, wollten sie das Hauptportal der hat. Der Einsatzleiter schätzte: 15.000. Kirche stürmen, was starke Polizeikräfte verhinderten. Bei dem Geläut handelte es sich um den Beginn einer kirchlichen Trauung. Ein Teil dieser Demonstranten DDR: Abtreibungsgegner kritisieren hatte zuvor zusammen mit einer Gruppe sogenannter Familienministerin Schmidt autonomer Frauen und Männer versucht, die Gegen- „Entsetzt" über Festhalten der Politikerin an der demonstration „Leben und leben lassen - Solidarität Fristenregelung mit Schwangeren" zu verhindern. Nur durch Polizei- einsatz konnten Übergriffe der Störer vermieden wer- Weimar (idea) - Kritik an DDR-Familienministerin den. Zu der zeitweise durch starken Lärm behinderten Christa Schmidt (CDU) hat die landesweite Anti-Ab- Kundgebung kamen nach Angaben des Veranstalters, treibungsbewegung KALEB (Kooperative Arbeit Le- der Aktion „Lebensrecht für alle" (ALfA), 10.000 bis ben Ehrfürchtig Bewahren) geübt. Die Politikerin hat 15.000 Menschen. Die Angaben der Polizei schwank- sich wiederholt für eine Übernahme der in der DDR ten zwischen 3.000 und 15.000. Mitinitiatoren waren geltenden Fristenregelung in einem vereinten zahlreiche katholische Verbände, die Erzdiözese Pa- Deutschland ausgesprochen. Danach können Frauen derborn, die freikirchliche Lebensrechtsinitiative Pro bis zum dritten Schwangerschaftsmonat ihr Kind ab- Vita, die Christdemokraten für das Leben (CDL), der treiben lassen. In einem Offenen Brief äußert sich die Liberale Gesprächskreis Lebensrecht - Initiative in der stellvertretende KALEB-Vorsitzende Gisela Köhler FDP, die Parteien ÖDP und Christliche Liga sowie die (Weimar) „entsetzt" über die Haltung der Ministerin. Lebensrechtsinitiative in der DDR, KALEB. Auch die Die Abtreibungsgegnerin kritisiert vor allem, daß nach Deutsche Evangelische Allianz hatte zur Teilnahme dem DDR-Recht das Kind bis zum dritten Monat völlig aufgerufen. Die Ansprachen standen im Zeichen der ungeschützt sei. In der Bundesrepublik würden die Forderung, bei einer Wiedervereinigung die Fristenlö- Schwangeren zumindest beraten und über Hilfsmög- sung als gesamtdeutsches Abtreibungsrecht einzu- lichkeiten informiert. In der DDR habe es bisher keine führen. Aufklärung und keine Literatur zum Thema Abtreibung gegeben: „So etwas sind wir von der Regierung der Volkskammerabgeordnete kritisieren Familienmi- SED gewohnt, aber doch nicht von einer freigewählten nisterin: Nicht repräsentativ christlich-demokratischen Regierung." Eine Regie- Dagegen wandten sich zwei CDU-Abgeordnete der rung, die so offensichtlich Gottes Gebote mit Füßen DDR-Volkskammer. Sie sprachen sich für den Para- trete, werde keinen Bestand haben. Frau Köhler

MEDIZIN & IDEOLOGIE NOVEMBER 90 schreibt weiter: „Gott selbst wird das Massentöten lienpolitische Maßnahmen, die Kindern, Vätern und seiner Schöpfung beenden wie er die Massenvernich- Müttern in schwierigen Lebenslagen Zukunftsper- tung der Juden unter der Nazi-Herrschaft und die spektiven eröffneten. SED-Regierung beendete." Die KALEB-Repräsentan- tin weist ferner auf die großen seelischen Leiden von Aus sozialen Gründen darf nicht abgetrieben Frauen nach einer Abtreibung hin. Sie sei ein Akt der werden Gewalt und zutiefst frauenfeindlich. Nach Angaben Gegen eine Fristenlösung hat sich wie die katholische von KALEB wurden seit Einführung der Fristenrege- Kirche auch die Dachorganisation der rund 1,3 Millio- lung 1972 in der DDR 1,5 Millionen Kinder im Mutter- nen theologisch konservativen Protestanten in beiden leib getötet. Teilen Deutschlands, die Evangelische Allianz, ausge- sprochen. Nach Ansicht des Generalsekretärs der Al- Bonner Justizministerium: Keine Übernahme der lianz in der DDR, Pastor Manfred Kern (Berlin), bietet Fristenregelung der deutsche Einigungsprozeß eine gute Chance für Unterdessen verlautete aus dem Bonner Justizmini- ein neues Gesetz zum besseren Schutz der Ungebo- sterium, daß eine Übernahme der DDR-Fristenrege- renen. Der Vorsitzende der westdeutschen Allianz, lung nicht in Frage komme, da sie das Bundesverfas- Diakonieleiter Fritz Laubach (Hamburg), sprach sich sungsgericht 1975 abgelehnt habe. Weiter hieß es, die für eine Verschärfung des Paragraphen 218 aus, mit rechtspolitischen Gespräche mit der DDR-Regierung dem Ziel Abtreibungen aus sozialen Gründen ganz zu seien noch nicht so weit fortgeschritten, um die Ein- verbieten. Laubach: „Es kann niemals einen Grund zelheiten einer Übergangslösung festzulegen. Solche geben, ein Kind zu töten - schon gar nicht im mittler- Fragen müßten in einem „zweiten Staatsvertrag" ge- weile reichsten Land der Welt, der Bundesrepublik." In regelt werden. 31.5.90 der DDR mit einer Bevölkerung von 16,6 Millionen be- trägt die jährliche Zahl der Abtreibungen nach unter- schiedlichen Schätzungen zwischen 90.000 und Abtreibung: Welches Gesetz soll in 200.000, die der Lebendgeborenen 225.000. In der einem vereinten Deutschland gelten? Bundesrepublik mit rund 60 Millionen Einwohnern Katholiken und Evangelikaie sagen Nein zur Fri- werden jährlich bis zu 300.000 Kinder abgetrieben stenlösung. Evangelische Kirche hat sich noch und 677.000 lebend geboren. 17.5.90 keine Meinung gebildet Hannover/Bonn/Berlin (idea) - Die Diskussion Meisner: Fristenregelung kein Preis um die gesetzliche Regelung der Schwangerschafts- abbrüche in einem vereinten Deutschland beschäftigt der Einheit auch die Kirchen. Doch ist bei ihnen die Meinungsbil- BONN (KNA). Gegen eine Vereinigung der beiden dung über die Frage, ob die in der DDR geltende Fri- deutschen Staaten hat sich Kardinal Joachim Meisner stenregelung oder der westdeutsche Paragraph 218 von Köln für den Fall ausgesprochen, daß dafür eine StGB mit seinem Indikationssystem künftig gelten Übernahme der in der DDR geltenden Fristenregelung soll, unterschiedlich weit gediehen. Die (katholische) hingenommen werden müßte. Er würde auf die Einheit Deutsche Bischofskonferenz ist - so ihr Sprecher, Ru- verzichten, wenn dafür ungeborene Kinder sterben dolf Hammerschmidt (Bonn) gegenüber idea - völlig müßten, sagte der Kardinal am Dienstag in Bonn. Als klar in ihrer Ablehnung jeder Fristenlösung. Jeder Ver- Gebot der Stunde für die Bischöfe in der DDR be- such, den Rechtsschutz des ungeborenen Lebens zeichnete es der Kardinal, jetzt in dieser Frage „die noch weiter zu vermindern, treffe auf den Widerstand Trommel zu rühren". Die katholische Kirche sei die der katholischen Bischöfe, und zwar in beiden Teilen einzige Institution, die kompromißlos für den Schutz Deutschlands. Daß der Paragraph 218 weitergelte, sei des ungeborenen Lebens eintrete, sagte Meisner. eine Mindestforderung. In seiner Praktizierung Deutsche Tagespost, 31.5.90 komme er bisweilen einer Fristenlösung sehr nahe. Hammerschmidt hob hervor, daß die westdeutsche Regelung die Abtreibung im Grundsatz unter Strafe Abtreibung: Evangelischer Verband stelle, während die DDR-Fristenlösung sie in den er- fordert neue Gesetze sten drei Schwangerschaftsmonaten grundsätzlich freigebe. „Bedingte Erlaubnis zur Tötung" nicht hinnehmbar Kassel (idea) - Neue gesetzliche Initiativen zum Keine Gespräche über Abtreibung mit evangeli- Schutz Ungeborener hat eine innerhalb der EKD tätige schen Kirchen in der DDR Jugendorganisation gefordert. Der Deutsche Verband Demgegenüber hat in der EKD der Meinungsbil- der Jugendbünde für Entschiedenes Christentum (EC) dungsprozeß über die aktuelle Diskussion um die Ab- hält die gegenwärtige Indikationsregelung gemäß Pa- treibungsgesetze noch gar nicht eingesetzt, so ihr ragraph 218 für unzureichend. Danach sind Schwan- Pressesprecher, Oberkirchenrat Peter Kollmar (Han- gerschaftsabbrüche unter bestimmten Voraussetzun- nover). Auch mit dem Bund der evangelischen Kirchen gen straffrei. „Wir können als Christen diese bedingte in der DDR, mit dem die EKD eine Vereinigung an- Erlaubnis zur Tötung ungeborenen Lebens nicht hin- strebt, habe es zu diesem Thema noch keine Gesprä- nehmen", heißt es in einer Erklärung des Jugendver- che gegeben. Zur Erläuterung der grundsätzlichen bandes, der rund 40.000 evangelikale Christen reprä- Haltung der EKD verwies Kollmar auf die Ende No- sentiert. Kein Mensch habe die Befugnis, einem ande- vember gemeinsam mit der katholischen Bischofs- ren - auch nicht einem ungeborenen Kind - „die Frei- konferenz herausgegebenen Erklärung „Gott ist ein heit des Leben-Dürfens zu beschneiden, zu verletzen Freund des Lebens". Darin verträten die Kirchen den oder gar zu nehmen". Der Verband mit Sitz in Kassel Standpunkt, daß Schwangerschaftsabbrüche grund- verweist in diesem Zusammenhang auf das „Grund- sätzlich vermieden werden sollten. In einer Verschär- gesetz Gottes", die Zehn Gebote, in denen es heiße fung des Strafrechts - also des Paragraphen 218 - „Du sollst nicht töten". Der Jugendverband lehnt Ab- sehe die EKD aber kein geeignetes Mittel gegen die treibungen aus sozialen Gründen und aufgrund von Abtreibung. Vielmehr setze sie auf eine Bewußtseins- möglichen Behinderungen des Kindes generell ab. In veränderung, nicht nur bei Frauen, sondern auch bei der Erklärung, die an Bundes- und Landtagsabgeord- Männern. Außerdem gehörten dazu soziale und fami- nete verschickt werden soll, wird auch auf die psychi-

46 MEDIZIN & IDEOLOGIE NOVEMBER 90 schen Auswirkungen einer Abtreibung bei den Betrof- er auf dem DSU-Parteitag in Leipzig das seit 1972 in fenen hingewiesen. Viele Frauen würden mit ihrer Si- der DDR geltende Gesetz über die Legalisierung des tuation nicht fertig und trügen seelische Schäden da- Schwangerschaftsabbruchs bis zur 12. Woche ver- von. Darüber werde in den Medien jedoch kaum be- stoße gegen die Würde und die Gesundheit der richtet. Unterzeichnet ist die Erklärung vom Vorsitzen- Frauen. Ebeling kritisierte, daß immer mehr Schwan- den des Deutschen EC-Verbandes, Studiendirektor gere von ihren Partnern und Familien zur Abtreibung Erich Kimm (Schauenburg bei Kassel), und dem theo- verleitet würden. Die geltenden Gesetze erlaubten es logischen Leiter, Bundespfarrer Christoffer Pfeiffer den Männern, „sich aus der Verantwortung zu steh- (Kassel). 21.6.90 len". Politisches Ziel müsse es sein, die Bedingungen für die Vereinbarkeit von Beruf, Familie und Mutter- schaft zu verbessern. 2.7.90 Niedrige Geburtenrate: Sterben die westlichen Völker aus? In der Bundesrepublik im Schnitt nur 1,3 Kinder pro Abtreibung: Größter christlicher Ju- Familie gendverband gegen Fristenregelung Senden (idea) - Die Völker der westlichen Industrie- CVJM-Generalsekretär Parzany spricht von „Weg- nationen werden angesichts der niedrigen Geburten- mach-Gesellschaft" rate langfristig aussterben. Dies prognostizierte der Kassel (idea) - Gegen eine Übernahme der in der Präsident der gegen Abtreibung und Euthanasie en- DDR geltenden Fristenregelung in einem vereinten gagierten Organisation HUMAN LIFE INTERNATIO- Deutschland hat sich der mit 240.000 Mitgliedern NAL, der Soziologe Prof. Paul Marx (USA), bei den größte christliche Jugendverband in Deutschland ge- „Sendener Lebensrechtstagen" auf Schloß Senden wandt: der CVJM. In der DDR sind Abtreibungen bis bei Münster. Nach seinen Angaben liegt die Kinder- zum dritten Schwangerschafsmonat erlaubt, während zahl pro Familie in den meisten europäischen Staaten sie in der Bundesrepublik gemäß der Indikationsrege- wie auch in den USA und Kanada unter 2,8. Diese Zahl lung nur unter bestimmten Voraussetzungen straffrei ist laut Marx jedoch nötig, um den Bevölkerungsstand sind. Der Generalsekretär des CVJM-Gesamtverban- zu halten. In der Bundesrepublik betrage die durch- des, Pfarrer Ulrich Parzany (Kassel), plädiert dafür, schnittliche Kinderzahl je Familie sogar nur 1,3. Der auch in Zukunft am Abtreibungs-Strafrecht festzuhal- Soziologe deutete die niedrige Geburtenrate dahinge- ten. Dadurch könne die „entsetzliche Not der massen- hend, daß der Westen seinen Lebenswillen verloren haften Abtreibungen" zwar nicht behoben werden. Es habe. Nach seiner Schätzung wären Europa und sei aber eine Tatsache, daß das Strafrecht das Un- Nordamerika innerhalb von 30 Jahren ausgestorben, rechtsbewußtsein in der Gesellschaft mitpräge, wenn man um sie einen Zaun ziehen würde und kein schreibt Parzany im Informationsblatt seines Verban- Mensch mehr hineinkäme. An der Tagung in Senden des. Er betont zugleich die Notwendigkeit, die Hilfen nahmen Repräsentanten von christlichen Lebens- für Mütter, Kinder und Familien zu verbessern. Par- rechtsgruppen aus beiden Teilen Deutschlands, Bel- zany: „Aber ich bin skeptisch, ob das die Zahl der Ab- gien, Frankreich, Italien, den Niederlanden und den treibungen wesentlich beeinflussen würde." Er ruft die USA teil. Christen dazu auf, sich zum Anwalt der ungeborenen Befürworterinnen der Abtreibung „töten Frauen" Kinder zu machen: „Wir müssen die Stimme zum In einem Offenen Brief an „alle verantwortlichen Politi- Schutz des ungeborenen Lebens in einer Wegmach- ker und Bürger unseres Landes" forderten die Teilneh- Gesellschaft erheben." 2.7.90 mer des Treffens zur Beendigung des „Massentötens" ungeborener Kinder auf. Anhängerinnen der Grünen, Feministinnen und Sozialistinnen, die sich für das Verschärftes Abtreibungsgesetz für Recht der Frau einsetzten, selbst über das Lebens- geeintes Deutschland gefordert recht ihres Kindes entscheiden zu können, „töten da- Bekenntnisbewegung: Soziale Indikation unver- mit Frauen", hieß es. Das Vorstandsmitglied der Le- einbar mit Rechtsstaat bensrechtsbewegung „KALEB" (Kooperative Arbeit Herford (idea) - Gegen die gesetzlichen Regelungen Leben Ehrfürchtig Bewahren), Pfarrer Gunter Geipel der Abtreibung sowohl in der Bundesrepublik wie in (Seelitz), berichtete über die Situation in der DDR. Dort der DDR hat sich der westfälische Arbeitskreis der Be- herrschte Unwissen über Fragen der Geburtenrege- kenntnisbewegung „Kein anderes Evangelium" aus- lung und das „fürchterliche Geschehen der Kindestö- gesprochen. Eine verschärfte Abtreibungsregelung tung" im Mutterleib. Der Vorsitzende der Initiative für das geeinte Deutschland, die über die jetzige west- „Entschieden für das Leben", Hans Gerhard Noll (Sie- deutsche Indikationsregelung und die liberale Fristen- gen), forderte dazu auf, die politische Wahlentschei- lösung der DDR hinausgeht, fordert Gerhard Becker dung auch davon abhängig zu machen, wie sich die (Herford) im Informationsblatt des Arbeitskreises. Dies jeweiligen Parteien für den Schutz ungeborener Kin- müsse in einem zweiten Staatsvertrag zum Ausdruck der einsetzten. 18.6.90 kommen. Eine Indikation, die das Töten ungeborener Kinder aus sozialen Beweggründen nicht unter Strafe stelle, sei unvereinbar mit dem Anspruch der Bundes- Abtreibungsdebatte: DDR-Minister republik, ein Rechtsstaat zu sein. Becker verwies da- gegen Fristenregelung bei auf die „Verantwortung vor Gott", die als morali- Ebeling: Legalisierung der Abtreibung verstößt sche Grundlage in der Präambel des Grundgesetzes gegen die Würde der Frau verankert sei. Der „Mord" an menschlichem Leben ver- Leipzig (idea) - Gegen die Übernahme der in der letze diese Grundlage. Becker mahnt: „Wenn wir als DDR geltenden Fristenlösung für die Abtreibung in ei- Volk nicht umdenken und weiterhin ungeborene Kinder nem vereinten Deutschland hat sich DDR-Entwick- in Massen morden, ist das Strafgericht Gottes nicht lungshilfeminister Hans-Wilhelm Ebeling ausgespro- abzuwenden." An die Christen appelliert er, die betrof- chen. Der evangelische Pfarrer und Gründer der Deut- fenen Frauen tatkräftig und seelsorgerlich zu unterstüt- schen Sozialen Union (DSU) trat am 2. Juli überra- zen und den Staat „an seine Verpflichtung zu erinnern, schend aus seiner Partei aus. Zwei Tage zuvor sagte in der Verantwortung vor Gott zu handeln". 2.7.90

MEDIZIN & IDEOLOGIE NOVEMBER 90 47 Oberlandesgericht: „Pro Familia" be- mungslose Mord an einem ungeborenen Kind. Das Urteil über die SPD ist schon lange gesprochen. Mit- rät zum Teil rechtswidrig schuldig aber sind ohne Zweifel auch alle Wähler die- Beratungsstellen hatten nicht immer über Hilfsan- ser Partei. Der Schwarze Brief, 17.5.90 gebote informiert Stuttgart (idea) - Das Oberlandesgericht Stuttgart hat jetzt bei der Beratungsorganisation Pro Familia Bundestagspräsidentin soll zurück- eine teilweise rechtswidrige Beratungspraxis festge- treten stellt. Nach Ansicht des Gerichts haben die Pro-Fami- lia-Stellen in Reutlingen und Tübingen Schwangere in M + I - Redaktion: In einem Telegramm hat Erzbi- Konfliktsituationen nicht immer über die ihnen zuste- schof Dyba den CDU-Vorsitzenden Dr. Helmut Kohl henden Hilfen informiert. Eine unvollständige Bera- aufgefordert, von der Bundestagspräsidentin den tung widerspricht nach geltendem Recht im Paragra- Rücktritt zu verlangen. Die von Frau Süssmuth vorge- phen 218 StGB festgelegten Vorbedingungen, die für schlagene Fristenlösung mit Beratung und die Strei- einen straffreien Schwangerschaftsabbruch notwen- chung des § 218 sei ein „heimtückischer Versuch, un- dig sind. Nach der Entscheidung des Gerichts muß ter Mißbrauch des christlichen Etiketts der Union und künftig niemand, der Pro-Familia-Mitarbeitern zumin- ihres menschenfreundlichen Wortschatzes die in der dest gelegentlich eine rechtswidrige Beratung unter- DDR geltende, noch aus der Ulbricht-Ära stammende stellt, diese Aussage widerrufen. Auslöser des Fristenlösung per Beratung in der Bundesrepublik ein- Rechtsstreites war eine Anzeige des Vereins „Christen zuführen". Frau Süssmuths Modell sei ein „Verrat an für das Leben Tübingen" in einer Lokalzeitung. Darin der christlichen Lehre von Schöpfung und Leben, am wurde an Schwangere unter anderem die Frage ge- christlichen Wähler und an der christlichen Partei". Ihr richtet: „Ist Ihnen passiert, daß Sie bei Pro Familia Vorschlag laufe dem Grundgesetz und dem Urteil des nichts von Hilfen erfuhren, auf die Sie und Ihr Kind ein Bundesverfassungsgerichtes „völlig zuwider". Recht haben?" Die Beratungsorganisation erhob dar- 29.7.90 aufhin eine Unterlassungsklage, da die Anzeige den Eindruck erwecke, sie berate rechtswidrig. Diese Klage wies das Tübinger Landgericht im Februar ab. Pro Familia machte danach ein Berufungsverfahren davon abhängig, ob ihrem Gesuch nach Prozeßko- stenhilfe stattgegeben würde. Das Oberlandesgericht Vogel agitiert gegen die Abtreibungs- lehnte diesen Antrag jetzt ab, da die Berufung keine Regelung hinreichende Aussicht auf Erfolg habe. Damit ist das Landgerichtsurteil rechtskräftig. In ihrer Begründung BONN (dpa). Einen „Aufstand der Frauen" gegen das stützten sich die Richter insbesondere auf ein Ehepaar von den Bonner Koalitionsparteien vereinbarte ge- aus Bad Urach, dem ein Pro-Familia-Mitarbeiter einen spaltene Abtreibungsrecht im vereinten Deutschland Beratungsschein ausstellte, ohne ein Hilfsangebot zu erhofft der SPD-Partei- und Fraktionsvorsitzende Vo- erwähnen. Das Gericht wies ferner darauf hin, daß Pro gel. Dies sei eine „Regelung aus dem Tollhaus". Die Familia in einem Faltblatt einen Gegensatz zwischen Frauen sollten sich darauf besinnen, daß sie die Mehr- ihren Beratungszielen und den Richtlinien des Landes heit der Bevölkerung stellten und es nicht länger hin- über die Konfliktberatung für Schwangere feststelle. nehmen, daß „sechs Männer im Kanzleramt" über ihre Nach Ansicht des Gerichts ist die von den „Christen Interessen hinweggingen. Als „gottsjämmerlich" be- für das Leben" aufgegebene Annonce nicht zu bean- zeichnete Vogel die Rolle des FDP-Vorsitzenden Graf standen. Eine schonendere Form der Darstellung sei Lambsdorff, der entgegen vielfacher Beschlüsse und kaum vorstellbar. 31.5.90 Bekundungen wieder der Unionsforderung nachge- geben habe. Deutsche Tagespost, 25.8.90 M&l- Redaktion: Wir halten eine umfangreiche Do- kumentation zu diesem Prozeß zur Bestellung bereit. S. Seite 54.

„Nein zu Fristenregelung" SPD für „Abtreibungspille" UR. Bonn Die SPD hat sich für die in Frankreich hergestellte Ab- In einem wichtigen Punkt, dem Schutz des ungebore- treibungspille „RU 486" ausgesprochen. In einer Gro- nen Lebens, hat sich die CDU in der DDR offensicht- ßen Anfrage, die am 14. Mai in Bonn veröffentlicht lich von der Koalitionsvereinbarung mit der SPD ver- wurde, erklärte die SPD-Bundestagsfraktion, Frauen abschiedet. Im familienpolitischen Ausschuß der hätten einen „Anspruch" darauf, daß die Tötung von Volkskammer wurde jetzt zwar der Antrag abgelehnt, ungeborenen Kindern nach den „risikoärmsten, scho- die in der DDR geltende Fristenregelung als „Beitrag, nendsten und für sie verträglichsten Methoden" den Rechtsstandpunkt der DDR auf dem Gebiet der durchgeführt würden, die überdies den „neuesten Familien- und Frauenpolitik in den Vereinigungspro- medizinischen Erkenntnissen" zu entsprechen hätten. zeß einzubringen", doch stimmten sechs der sieben Die Tötung durch Medikamente, wie sie in Frankreich CDU-Vertreter gegen die Mehrheit aus SPD, PDS, Li- mit den Präparaten „Mifepriston" oder „RU 486" beralen und Bündnis 90. In der kommenden Woche durchgeführt würden, stellten die von der SPD ge- wird die Volkskammer das Thema diskutieren. Nach wünschte „risikoärmste und zugleich schonendste Informationen der WELT hat DDR-Familienministerin Methode dar", betonte , stellvertr. Christa Schmidt ihr Ziel, die Fristenregelung in die Ein- Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion. Medika- heit „hinüberzuretten", revidiert. Sie halte, wie verlau- mente dieser Art sind in der BR Deutschland noch ver- tete, die Fristenregelung unter Hinweis auf das ab- boten. An kaum einer Stelle wird die Perversion schlägige Urteil des Bundesverfassungsgerichts für menschlichen Denkens deutlicher als bei diesen Äu- „nicht mehr diskussionsfähig". Die DDR arbeitet jetzt ßerungen der SPD - aus dem Mund einer Frau! Die an einer Verbesserung des Schwangerschafts-Bera- „schonendste" Methode für die Frau und der erbar- tungsangebots. Welt, 5.7.90

48 MEDIZIN & IDEOLOGIE NOVEMBER 90 Hungerstreik in Ost-Berlin Carstens für Anti-Abtreibungs-Aktion M +I - Redaktion: Am 25.7.90 traten 12 Lebensrecht- Künstler für das Leben ler aus der DDR und der BRD aus Protest gegen die Wettbewerb „Plakate für das Leben" Fristenlösung in der DDR und den von der Bundes- (idea) Alt-Bundespräsident Karl Carstens unterstützt tagspräsidentin Rita Süssmuth vorgeschlagenen eine Künstler-Aktion gegen die Abtreibung. Er be- „Dritten Weg" für Gesamt-Deutschland in einen Hun- grüßte bei einem Treffen mit Repräsentanten der gerstreik. Sie demonstrierten damit 3 Tage lang vor christlichen Lebensrechtsbewegung „Pro Conscien- dem Gesundheitsministerium und 2 Tage vor der tia" in Bonn einen von ihr jetzt ausgeschriebenen Volkskammer gegen die geplante Schwächung der Künstlerwettbewerb unter dem Motto „Plakate für das Position des ungeborenen Kindes. Die Medien glänz- Leben". Ziel des mit 6.000 DM dotierten Wettbewer- ten durch Ignoranz. Die Christdemokraten für das Le- bes ist es, „auf den absoluten Wert jedes Menschen - ben (CDL), der Liberale Gesprächskreis Lebensrecht, von seiner Zeugung an - und auf Gottes lebensschüt- die Ökologisch Demokratische Partei, die Deutsche zende Gebote" hinzuweisen. Carstens sagte, die Evangelische Allianz, das Erzbistum Paderborn und Kunst diene bei dem Wettbewerb der Ausbreitung der Präsident des Bundesarbeitsgericht, Prof. Otto ethischer Werte. Auf diese Weise könnten viele Men- Rudol Kissel (Kassel), schickten den Lebensrechtlern schen zum Nachdenken angeregt werden. Die Pla- Grußbotschaften. kate sollen auf einer gesamtdeutschen Wanderaus- Die Hoffnung auf ein Gespräch mit DDR-Ministerprä- stellung präsentiert werden. Ferner ist vorgesehen, sie sident Lothar de Maiziere und/oder der Volkskammer- später in einer von „Pro Conscientia" geplanten natio- präsidentin Sabine Bergmann-Pohl wurde nicht er- nalen Informations- und Mahnstätte zugunsten des füllt. In einem Brief an Bundeskanzler Helmut Kohl for- ungeborenen Kindes auszustellen. Für Schüler ist ein derten die Hungerstreikenden, auf keinen Fall die Fri- eigener Wettbewerb ausgeschrieben, bei dem 50 Bü- stenlösung in einem vereinigten Deutschland zu über- cher zu gewinnen sind. Der Vereinigung „Pro Con- nehmen. Auch eine unterschiedliche rechtliche Rege- scientia" gehören rund 50 Politiker, Wissenschaftler lung für die Übergangszeit sei nicht vertretbar. und Theologen an. Vorsitzender ist der Physikprofes- 29.7.90 sor Hermann Schneider (Heidelberg). Informationen: Pro Conscientia e.V., Rainweg 1/1, Abtreibung in der DDR offenbar auf 6900 Heidelberg, Tel.: 0 62 21 / 80 30 10. Krankenschein 20.9.90 Bonn (dpa) - Für Abtreibungen, die Frauen aus dem Bundesgebiet nach der deutschen Vereinigung auf Selbstmord per Knopfdruck DDR-Gebiet vornehmen lassen, werden die gesetzli- ws. Holly chen Krankenkassen voraussichtlich zahlen. Im zu- Seit vergangenen Freitag werden am Oakland ständigen Bundesarbeitsministerium wurde die Auf- Country Michigan Gerichtshof in Detroit (US-Bun- fassung vertreten, daß nicht rechtswidrige Schwan- desstaat Michigan) Ermittlungen über die Sterbe- gerschaftsabbrüche Kassenleistung seien. Bei den hilfe geführt, die der US-Arzt Jack Kevorkian einer großen Kassenverbänden herrschte gegen Wochen- 54jährigen unheilbar kranken Frau durch eine von ende noch Unklarheit, doch wurde die Meinung ver- ihm erfundene Selbstmordmaschine leistete. treten, daß die Kosten erstattet werden sollen. Ein Sprecher des AOK-Verbandes wies zusätzlich darauf Die Hausfrau Janet Adkins wußte seit einem Jahr, daß hin, daß mindestens bis zur Vereinigung am 3. Okto- sie an der Gehirnkrankheit Alzheimer litt, die langsam ber noch nicht gezahlt werde. zu Gedächtnisschwund und völliger Hilflosigkeit führt. Süddeutsche Zeitung, 1./2.9.90 In einer Notiz, die sie kurz vor ihrem Tode verfaßte, schrieb sie: „Ich habe mich entschlossen, mir das Le- ben zu nehmen. Diese Entscheidung habe ich im Voll- Gynäkologie/Gravidität besitz meiner geistigen Kräfte getroffen. Ich habe Alz- 40 Prozent bereuen den Abbruch der heimer und will nicht, daß meine Familie und ich die Höllenqualen dieser Krankheit ertragen müssen." Schwangerschaft Durch Zeitungsberichte erfuhr sie von Dr. Kevorkian, Würzburg (frk). Ein Jahr nach einem Schwanger- der eine Selbstmordmaschine erfunden hatte, und schaftsabbruch möchten 40 Prozent der Frauen nahm Kontakt zu ihm auf. diesen Eingriff am liebsten wieder rückgängig ma- Da Dr. Kevorkian weder in Krankenhäusern, Altenhei- chen. Demgegenüber würden nur 18 Prozent der men noch Beerdigungsanstalten die Erlaubnis bekam, Frauen, die ihr Kind zur Adoption freigegeben ha- seine Maschine aufzustellen, installierte er sie schließ- ben, dies wieder ungeschehen machen, wenn sie lich in seinem 22 Jahre alten verrosteten VW-Bus und könnten. fuhr damit in einen öffentlichen Park, 80 Kilometer au- Diese Ergebnisse einer Studie hat Dr. Marion Poens- ßerhalb von Detroit. Dort traf Kevorkian in der vergan- gen von der Würzburger Universitätsklinik jetzt veröf- genen Woche die Todeskandidatin, die von seiner fentlicht. In der Forschungsarbeit war die Situation der Schwester Flora Holzheimer von ihrem Wohnsitz in Frauen nach einem Abbruch mit der nach einer Adop- Portland/Oregon, wo Hilfe zum Selbstmord strafbar tionsfreigabe verglichen worden. Es konnten 47 ist, dorthin gebracht worden war. Dies sagte Frau Frauen mit Abbruch und 34 Frauen, die ihre Kinder zur Holzheimer vor Gericht aus. Adoption freigegeben hatten, nachbeobachtet wer- Die Selbstmordmaschine besteht aus einer batterie- den. Die Studie hat ferner ergeben, daß bei Frauen mit getriebenen Injektionsspritze und drei verschiedenen Schwangerschaftsabbruch deutlich mehr psychoso- Tropflösungen. Der Arzt schloß eine Kanüle an die matische Beschwerden auftraten als bei Frauen, die Armvene der Frau an und ließ zunächst eine wirkungs- das Kind nach der Geburt zur Adoption freigeben. lose Salzlösung in ihren Blutkreislauf strömen. Die 57,4 Prozent der Frauen mit Abbruch fühlten sich Kranke drückte dann selbst einen Knopf, woraufhin mehr als ein Jahr danach ganz gesund. Von den die Salzlösungszufuhr unterbrochen wurde. Statt des- Frauen nach Freigabe zur Adoption waren es 85 Pro- sen tropfte nun ein schweres Betäubungsmittel, Thio- zent. Ärzte Zeitung, 22.8.90 pental, in die Blutbahn - die Kranke wurde bewußtlos.

MEDIZIN & IDEOLOGIE NOVEMBER 90 49 Eine Minute später spritzte die Maschine selbsttätig Für Schutz und Recht des mensch- eine tödliche Dosis der Substanz Kaliumchlorid in den lichen Lebens Körper, die zum Herzstillstand führte. Internationaler Ärztekongreß zur Standesethik Nachdem der Herzmonitor den Herzstillstand der Frau anzeigte, stellte Kevorkian die Maschine ab und be- begann nachrichtigte die Polizei. Der Ehemann hatte derweil in Dresden (ADN). Unter dem Motto „Für Lebensrecht einem Hotel in der Nähe gewartet. und Zukunft Europas - Ein neues Menschen- und „Sie starb friedlich", berichtete der 62jährige Medizi- Weltbild als Fundament eines gemeinsamen europäi- ner Jack Kevorkian. „Nach 25 Sekunden war sie be- schen Hauses" hat gestern in Dresden ein internatio- wußtlos, nach sechs Minuten tot." naler Ärztekongreß begonnen. Auf der Tagesordnung Dr. Kevorkian erklärte, er habe nichts Ungesetzliches der Beratungen, an denen rund 800 Teilnehmer aus getan. Nicht er, sondern die Patientin habe den Knopf, Ost und West teilnehmen, stehen bevorzugt Pro- der die tödliche Dosis auslöste, gedrückt. Er wolle sich bleme, die für Mediziner Grenzsituationen bedeuten. jeder Anklage stellen. Der im Ruhestand befindliche Das betrifft den in der Bundesrepublik gültigen Para- Pathologe, der in der Stadt Holly (US-Bundesstaat Mi- graphen 218 mit politischer, philosophischer, psycho- chigan) lebt, ist ein Befürworter der ärztlichen Sterbe- logischer Untersetzung wie auch Fragen zur Euthana- hilfe. sie. Nach den Worten der Bundesvorsitzenden der Mit seiner Erfindung will er den amerikanischen Ärzte- Christdemokraten für das Leben, Johanna Gräfin von stand „aufrütteln", wie er sagt. Er verlangt zudem die Westfalen, soll der Kongreß einen Beitrag zur Auf- Bildung einer Kommission, die Richtlinien für den Ge- rechterhaltung der Standesethik von Ärzten im Sinne brauch seiner Erfindung ausarbeiten soll. des hypokratischen Eides leisten. Der Staat Michigan erwägt indessen, ob Mordanklage Während des Treffens werden Ärzte und Politiker aus gegen Jack Kevorkian erhoben werden soll. Die Er- der DDR und der Bundesrepublik heute auf einer ge- mittlungen dauern noch an. Denn in Michigan ist pas- meinsamen Kundgebung zum Kongreßthema Stel- sive ärztliche Hilfe zum Freitod nicht strafbar. lung nehmen. Bereits am Donnerstag hatten sich Bis geklärt ist, ob Dr. Kevorkian gegen die Gesetze Dresdner Frauen mit Plakaten, Flugblättern und Un- verstoßen hat oder nicht, hat die Richterin Alice Gilbert terschriftenlisten gegen die Übernahme des bundes- aus Detroit eine vorläufige Verfügung erlassen, die deutschen Paragraphen 218 ausgesprochen. Sie nah- den weiteren Gebrauch der Maschine verbietet. men die vom Runden Tisch der Frauen in der Stadt ini- WamS, 10.6.1990 tiierte Reaktion auf den Ärztekongreß zum Anlaß, um auf die kontroverse Diskussion zum Schwanger- M & I - Redaktion: Frage eines deutschen Reporters schaftsabbruch aufmerksam zu machen. an Dr. Kevorkian: „Stört es Sie, daß man Sie Dr. Fran- Der Kongreß wurde von der seit 1974 bestehenden kenstein nennt?" Dr. Kevorkian auf deutsch: „Nein, es WORLD FEDERATION OF DOCTORS WHO RE- ist für mich ein Kompliment." SPECT HUMAN LIFE, der mehr als 350.000 Mediziner Damit hat die Hackethal'sche Tötungsschau auch in aus 60 Ländern angehören, gemeinsam mit weiteren Amerika sein Beispiel gefunden. Lebensrechtsorganisationen vorbereitet. Sächsische Zeitung, 22.9.90

Ärzte-Kongreß in Dresden: Scharfe Kritik an Fri- Württemberg: Diakonie warnt vor stenregelung Wiederaufleben der Euthanasie Für eine neue Ehrfurcht vor dem Leben Heute werden behinderte Kinder im Mutterleib getötet Mediziner fordern europäische Gesetze zum Schutz des Lebens Kernen/Reutlingen (idea) - 50 Jahre nach dem Euthanasieprogramm der Nationalsozialisten, das zur (idea) Mit einem Appell an die Regierungen Europas, Ermordung von über 10.000 Behinderten allein im den Schutz des menschlichen Lebens - von der Emp- Südwesten Deutschlands führte, haben diakonische fängnis bis zum Tod - gesetzlich sicherzustellen, ist in Einrichtungen in Württemberg vor einem erneuten Dresden ein viertägiger internationaler Kongreß unter Aufkommen dieses Denkens gewarnt. Beim Jahres- dem Motto „Für Lebensrecht und Zukunft Europas" zu fest der Anstalt Stetten (Kernen im Remstal) am 24. Ende gegangen. An der Konferenz nahmen über 1.000 Juni sprach der Leiter dieser Diakonie-Einrichtung, Mediziner, Wissenschaftler und Repräsentanten von auf der im Herbst 1940 über 320 behinderte Bewohner Lebensrechtsgruppen aus 16 Ländern teil, darunter nach Grafeneck auf der Schwäbischen Alb abtrans- zahlreiche aus Osteuropa. Veranstalter der Konferenz portiert worden waren, Peter Schlaich, von einem war der seit 1974 bestehende „Weltverband der Ärzte, „Klima, das die Tötung behinderter Ungeborener zur die das menschliche Leben achten". Ihm gehören ausschließlichen Privatangelegenheit der Mütter die- nach eigenen Angaben mehr als 300.000 Mediziner in ser Kinder machen will". Die moralische Rechtferti- über 60 Ländern an. Der Verband wendet sich vor al- gung werde darin gesehen, daß die Belastung der Fa- lem gegen Abtreibung und Euthanasie. Die Veranstal- milien durch ein behindertes Kind eine unzumutbare ter des Kongresses vertraten die Ansicht, daß ange- Benachteiligung" bedeute, sagte Schlaich. Er kriti- sichts des Zusammenwachsens in Europa eine ge- sierte, daß die Gentechnik und die vorgeburtliche Dia- meinsame europäische Gesetzgebung zum Schutz gnostik zu einer Zunahme von Abtreibungen geführt des Lebens geschaffen werden müsse. Dazu wurde hätten. Dahinter stehe ein Verständnis, das das auf dem Kongreß vom französischen Molekularbiolo- Menschsein von einem Höchstmaß an Lebensglück gen Prof. Jerome Lejeune (Paris) ein Entwurf für ein und einem Mindestmaß an Leiden, Krankheit und Be- europäisches Lebensschutzgesetz vorgelegt. Er sieht hinderung abhängig mache. In der Anstalt Stetten unter anderem ein Verbot von Schwangerschaftsab- werden heute über 1.100 geistig und mehrfachbehin- brüchen vor. Auch Manipulationen am menschlichen derte Menschen betreut. Vorsitzender des Verwal- Erbgut sind danach weitgehend unzulässig. Mit Nach- tungsrates ist der frühere Präsident des Diakonischen druck wandte sich der Ärzte-Verband gegen eine Fri- Werks der EKD, Theodor Schober (Loßburg). 25.6.90 stenregelung bei der Abtreibung, wie sie derzeit im

MEDIZIN & IDEOLOGIE NOVEMBER 90 Gebiet der DDR gilt und nach dem deutschen Eini- Alptraum" und der gefährlichste Mensch im Staat. gungsvertrag bis zu zwei Jahre lang fortbestehen soll. Furch ist Sprecher der freikirchlichen Initiative „Pro Die Teilnehmer des Kongresses äußerten sich in Vita". Mitveranstalter der Konferenz waren unter an- gleichlautenden Schreiben an die Abgeordneten des deren neben KALEB die unionsinterne Initiative Deutschen Bundestages und der DDR-Volkskammer „Christdemokraten für das Leben" (CDL). 27.9.90 „verbittert" über diese Regelung, die auch Frauen aus der Bundesrepublik ermöglicht, auf DDR-Gebiet ab- treiben zu lassen. Die Parlamentarier werden gebeten, ihre Stimme für eine neue Ehrfurcht vor dem Leben zu erheben. Sie sollten sich für den gesetzlich gesicher- Bundestagsabgeordnete sagen NEIN ten Schutz des Lebensrechtes ungeborener Kinder zum Einigungsvertrag und für wirksame Hilfe zugunsten von Frauen und Fa- Politiker von Union und Grünen führen Glaubens- milien einsetzen. Abschließend heißt es: „Lassen Sie und Gewissensgründe an uns gemeinsam um ein europäisches Haus ringen, in dem als höchstes Gut das Recht auf Leben und Würde Bonn (idea) - Der Parlamentarische Staatssekretär im des Menschen gilt - unabhängig von der Phase seines Bundesfinanzministerium (CDU) Seins." begrüßte zwar die deutsche Vereinigung, er müsse aber wegen des Weiterbestehens der Fristenregelung Biedenkopf-Rede stieß auf Kritik in der DDR gegen den Vertrag stimmen: „Mein Glaube Auf Widerspruch der Kongreßteilnehmer stieß die sagt mir, daß der Schöpfer allen Lebens Gott ist und Rede des CDU-Spitzenkandidaten für die Landtags- daß Selbstbestimmung und Selbstverwirklichung wahl in Sachsen, Prof. Kurt Biedenkopf. Er vertrat die nicht Vorrang vor von Gott gewolltem menschlichen Ansicht, daß ein grundlegender Bewußtseinswandel Leben haben oder auch nur gleichwertig wäre - zu kei- zugunsten des ungeborenen Lebens nicht mit dem ner Zeit, an keinem Ort." Der katholische Politiker be- Strafrecht zu erreichen sei. Eine Bewußtseinsände- tonte, daß es sich bei der Übergangsregelung, die für rung werde aber nur gelingen, wenn die Beachtung maximal zwei Jahre in den örtlichen Bundesländern ethischer und religiöser Normen wiederbelebt werde. die Fristen- und auf dem Gebiet der bisherigen Bun- Demgegenüber vertrat der Präsident der Europäi- desrepublik die Indikationslösung bestehen läßt, um schen Ärzteaktion, Siegfried Ernst (Ulm), die Überzeu- eine „Quasi-Fristenregelung" handele. Gesetzen oder gung, daß das Strafgesetz eine große bewußtseinsbil- Verträgen, die dieser Regelung einen rechtlichen Rah- dende Wirkung habe. Der Mediziner - selbst CDU-Mit- men gäben, werde er „weder heute noch irgendwann" glied - bezeichnete es als Augenwischerei, eine Be- zustimmen. wußtseinsänderung zu erwarten, solange Abtreibun- Gegen den Einigungsvertrag stimmten auch die Uni- gen durch die Krankenkassen finanziert würden. onsabgeordneten Alfons Müller, Stefan Höpfinger Vereinigung: DDR bringt Fristenlösung ein - der und Peter Keller. In einer gemeinsamen Erklärung Westen Pornographie begründeten sie ihre Entscheidung damit, daß der Nach Ernsts Angaben ist die Zahl der Abtreibungen Vertrag ein „gespaltenes Lebensrecht" bestehen seit der Liberalisierung des Paragraphen 218 StGB lasse. Auch die in Aussicht gestellte Neuregelung Mitte der siebziger Jahre stark gestiegen. So habe es lasse die Sorge aufkommen, daß das Verfügungs- im Jahre 1971 73.000 illegale Abtreibungen gegeben. recht über das ungeborene Leben allein der werden- Heute werden laut Ernst in der Bundesrepublik jährlich den Mutter überantwortet werden solle. Dies sei eine über 300.000 Ungeborene straffrei abgetrieben. Im „verbrämte Fristenregelung". Sie verstößt nach einem Blick auf die deutsche Einigung meinte der Mediziner Urteil des Bundesverfassungsgerichts gegen das vor der Presse, jede Seite bringe das Schlechteste ein, Grundgesetz. Der CDU-Abgeordnte Herbert Werner was sie habe: die DDR die Fristenregelung und die enthielt sich der Stimme. Er sagte, er könne dem Ver- Bundesrepublik die Pornographie. Ihr Verbot sei eines trag aus Gewissensgründen und „Gehorsam gegen- der wenigen guten Gesetze in der DDR gewesen. Auf über unserer Verfassung" nicht zustimmen: „Für mich einer Kundgebung während des Kongresses forder- ist jede Abtreibung ein Todesurteil über einen ungebo- ten Politiker einen besseren Rechtsschutz für das un- renen Menschen, der nicht in der Lage ist, sein Le- geborene Leben in Deutschland. Der Europa-Parla- bensrecht zu verteidigen." 24.9.90 mentarier Otto von Habsburg (CSU) sagte, das „Er- morden" ungeborener Kinder dürfe nicht hingenom- men werden. Der Schoß der Mutter sei zum gefähr- lichsten Ort geworden. Dort werde am meisten umge- Kontroverse um Abtreibungsregelung bracht. Die Bundestagsabgeordnete der Grünen, im Hessischen Landtag Dora Flinner, rief dazu auf, das Bewußtsein für die Un- rechtmäßigkeit von Abtreibungen zu schärfen. Der Fünf Abgeordnete distanzieren sich von ihren stellvertretende DDR-Kultusminister Volker Abend Fraktionen (CDU) betonte, daß der Lebensschutz ein wesentli- Wiesbaden (idea) - Abgeordnete des hessischen ches Grundrecht sei, das nicht durch andere Rechte Landtages haben sich in einer Debatte um die Abtrei- eingeschränkt werden dürfe. Laut Abend werden ge- bung von ihren Fraktionen distanziert. Die Koalitions- genwärtig eine Vielzahl von Beratungsstellen für fraktionen CDU und FDP hatten in einem gemeinsa- Schwangere in Konflikten auf dem Gebiet der DDR men Antrag die im deutschen Einigungsvertrag veran- eingerichtet. Der Politiker ist auch Vorstandsmitglied kerte Übergangsregelung, die die DDR-Fristenrege- der DDR-weiten christlichen Lebensrechtsbewegung lung bis zu zwei Jahre lang weiter gelten läßt, als „ver- KALEB. tretbar" bezeichnet. Diese Auffassung stieß auf Kritik innerhalb der CDU-Fraktion. In einer gemeinsamen Tötender Arzt ein „apokalyptischer Alptraum" Erklärung betonten die Abgeordneten Josef Weber, Der Vizepräsident der hessischen Landesärztekam- Winfried Rippert, Roland Rösler und Arnold mer, der Gynäkologe Wolfgang Furch (Bad Nauheim), Spruck, das Recht auf Leben müsse auch den Schutz appellierte an die Mediziner, ihre Verpflichtung zur Er- Ungeborener umfassen. Mit einer positiven Erklärung haltung des Lebens im Blick auf die Abtreibung ernst- zur Übergangsregelung würde die verfassungswi- zunehmen. Der tötende Arzt sei ein „apokalyptischer drige Fristenregelung praktisch hingenommen.

MEDIZIN & IDEOLOGIE NOVEMBER 90 51 Sozialdemokrat Hilfenhaus: Als Christ gegen die Hormonherstellerbrief Fristenlösung Gegen seine eigene Fraktion sprach sich der Sozial- demokrat Rudi Hilfenhaus (Fulda) aus. Er könne nicht An die einen gemeinsamen Antrag von SPD und Grünen un- Information für Verbraucher terstützen, in dem eine hessische Bundesratsinitiative Zeitschriftenverlagsgesellschaft für eine gesamtdeutsche Fristenregelung bei gleich- z. H. Herrn Redakteur Müller zeitigem Rechtsanspruch Schwangerer auf Beratung Halirschgasse 16 und ein Ausbau der Sozialleistungen gefordert wird. 1170 Wien Als Christ fühle er sich dem Leben verpflichtet, sagte Hilfenhaus. 24.9.90 Sehr geehrter Herr Müller, bezugnehmend auf den Brief von Herrn Hans Grün, den wir als Kopie beilegen, möchten wir folgendes feststellen: Ebenso wie alle anderen östrogen- und gestagenhalti- gen Kontrazeptiva verhindert auch die „leichte Pille" die notwendigen physiologischen Voraussetzungen, Gesetzentwurf mangelhaft die für eine Einnistung der Eizelle in die Uterus- Embryonenschutz schleimhaut notwendig sind. Ihre kontrazeptive Wir- MAINZ. Als einen „mißglückten Versuch" zum Schutz kung besteht daher nicht nur in der Verhinderung des menschlichen Lebens hat der katholische Mainzer Eisprunges und der Hemmung der Spermienaszen- Moraltheologe Johannes Reiter den Bonner Regie- sion sondern auch in der Unterdrückung eines norma- rungsentwurf für ein Embryonenschutzgesetz zurück- len zyklischen Aufbaues der Gebärmutterschleim- gewiesen. Angesichts dieses Entwurfes und nach haut. dem Gefeilsche um die Regelung des Schwanger- Für weitere Anfragen stehen wir jederzeit gerne zur schaftsabbruchs im Einigungsvertrag könne man sich Verfügung und verbleiben für heute des Eindrucks nicht erwehren, daß die Politik begon- mit freundlichen Grüßen SCHERING WIEN G.m.b.H., nen habe, den Grundwert der Ehrfurcht vor dem i. A. Dr. Hartmann Tzt. Haidenthaller menschlichen Leben aufzugeben, sagte Reiter. Er rief dazu auf, das Embryonenschutzgesetz nicht mehr in dieser Legislaturperiode „durchzupeitschen", son- Kritik an „Reagenzglas-Zeugung" dern in der nächsten ehrlich und erneut zu beraten. Ärzte warnen vor kommerziellen Interessen - Hohe Der Moraltheologe bemängelte, der Gesetzentwurf Rate an Frühgeburten lasse die künstliche Übertragung des Samens eines Auf wachsende kommerzielle Interessen bei der „Rea- Mannes auf eine Frau zu, die nicht mit diesem Mann genzglas-Zeugung" haben Mediziner bei der 19. Fort- verheiratet sei, und berücksichtige damit nicht die bildungstagung der deutschen Gesellschaft für psy- Konflikte, die dadurch für Kinder und Familie hervor- chosomatische Geburtshilfe hingewiesen. Es gebe gerufen würden. Auch gebe es kein Konservierungs- eine „unheilvolle Allianz zwischen Ärzten, die alles ma- verbot für befruchtete Eizellen, Embryonen und Sper- chen, und Patientinnen, die um jeden Preis ein Kind mien. Menschen könnten also „generationenversetzt" wollen", erklärte Professor Manfred Stauber von der geboren werden. Kirchenzeitung Köln, 12.10.90 Universitäts-Frauenklinik in München. Paare, die sich mit dem Gedanken tragen, eine soge- nannte In-Vitro-Fertilisation (IVF) vorzunehmen, müß- ten vorher auch seelisch beraten werden. Der Wunsch nach einem Kind stehe häufig „für eigene unerfüllte Wünsche, zum Beispiel Schutz vor innerer Leere oder Schering hält an „Femovan"-Pille fest depressiven Gefühlen", und solches sollte behutsam BERLIN (AP). Trotz der Berichte über schädliche Ne- besprochen werden, bevor eine künstliche Befruch- benwirkungen will der Berliner Pharmakonzern Sche- tung vorgenommen wird. Eine wachsende Zahl von ring an seiner Anti-Baby-Pille „Femovan" festhalten. Ärzten, so Stauber, rate aber aus kommerziellen Grün- Ein Unternehmenssprecher teilte am Mittwoch auf An- den prinzipiell zu dieser Behandlung. Der Mediziner frage in Berlin mit, es gebe keinen Grund für eine Än- kritisierte in diesem Zusammenhang auch Kollegen, derung der bisherigen Beurteilung des vor drei Jahren „die sich als sogenannte Überväter mit den IVF-Kin- in der Bundesrepublik eingeführten Hormonpräpa- dern fotografieren lassen und sich damit exhibitionie- rats. Unter dem Eindruck eines kritischen Berichts in ren". So positiv die Methode der In-Vitro-Fertilisation der Fernsehsendung „Monitor" vom Dienstag abend für manche Paare sei, dürfe man aber nicht verschwei- fiel der Kurs der Schering-Aktie an der Frankfurter gen, „daß für eine andere Gruppe von Patientinnen Börse um 20,20 DM auf 790. Das Magazin berichtete neue Pathologien geschaffen werden". Dazu gehörten von 320 Fällen, in denen Frauen, die regelmäßig „Fe- eine dreimal so hohe Rate an Bauchhöhlenschwan- movan" einnehmen, über Beschwerden klagten, dar- gerschaften, eine doppelte Abort- und Frühgeburten- unter zumeist Herz- und Kreislaufstörungen. Der Fir- rate, eine verdreifachte Rate an Kaiserschnitten und mensprecher sagte dazu, es gebe viele Ursachen für eine erhöhte Zahl von Mehrlingsgeburten. Die Be- Verengungen der Herzkranzgefäße. Der Anteil der handlung werde zudem als sehr streßhaft erlebt, und Fälle, in denen bei Einnahme des empfängnisverhü- „eine große Zahl psychischer Probleme bei beiden tenden Mittels solche Nebenwirkungen aufgetreten Partnern" sei zu beobachten. Die Indikation zu IVF seien, liege bei lediglich 0,015 Prozent. Der weltweite müsse deshalb streng und unter Berücksichtigung Umsatz mit „Femovan", einem Kombinationspräparat psychosomatischer Aspekte gestellt werden. Bei ei- aus zwei Hormonen, belief sich im vergangenen Jahr ner Umfrage unter Mitgliedern der deutschen Gesell- auf 93 Millionen DM. Für 1990 erwartet Schering eine schaft für psychosomatische Geburtshilfe und Gynä- weitere Steigerung - mit Ausnahme der Bundesrepu- kologie hätten sich 95 Prozent für standesrechtliche blik, wo der Verkauf voraussichtlich zurückgehen und juristische Grenzen in der modernen Reproduk- wird. Stuttgarter Zeitung, 7.6.90 tionsmedizin ausgesprochen.

52 MEDIZIN & IDEOLOGIE NOVEMBER 90 Der Direktor der Universitäts-Frauenklinik München, vermittelt auch Adoptionen. Bischof Gracidas hat eine Professor Günther Kindermann, erklärte, daß das zweite Klinikmitarbeiterin verwarnt, jedoch noch nicht Wort „Verzicht" in der Medizin wieder Einkehr halten exkommuniziert. müsse. Gegenwärtig sei es so, daß sich das An- Die Exkommunikation in Corpus Christi, einer über- spruchsdenken vieler Menschen mit den Möglichkei- wiegend spanisch geprägten und katholischen Stadt, ten der High-Tech-Medizin treffe und Ergebnisse pro- ist der jüngste Hinweis, daß die US-amerikanischen duziere, die zweifelhaft seien. Bischöfe mit zunehmender Härte gegen Gläubige vor- Münchner Merkur, 3./4.2.90 gehen wollen, wenn sie gegen das kirchliche Abtrei- bungsverbot verstoßen. Im Juni drohte New Yorks Kardinal John O'Connor römisch-katholischen Politi- kern mit der Exkommunikation, falls sie sich für die Ausland Beibehaltung des [egalen Schwangerschaftsab- bruchs einsetzen sollten. In einigen Diözesen sind Po- Solidarnosc für Abtreibungsverbot litiker, die für die Beibehaltung stimmen, nicht mehr als Redner willkommen. Weihbischof Austin Vaugham WARSCHAU. Die unabhängige polnische Gewerk- sagte kürzlich, daß der New Yorker Gouverneur Mario schaft Solidarnosc hat sich auf ihrem landesweiten Cuomo wegen seiner Befürwortung der Beibehaltung Kongreß in Danzig gegen jegliche Legalisierung von gute Chancen habe, in die Hölle zu kommen. Schwangerschaftsabbrüchen ausgesprochen, mel- evangelische information 7/90 dete die polnische Nachrichtenagentur PAP. In der Resolution, die mit 248 zu 71 Stimmen verabschiedet wurde, heißt es, „ein juristischer Schutz des menschli- Schweden - das am stärksten ver- chen Lebens ab dem Moment der Empfängnis" müsse garantiert werden. In Polen lassen pro Jahr weltlichte Land Europas etwa eine Million Frauen einen Schwangerschaftsab- Religiöse Einstellung: Ich glaube, aber ich weiß bruch vornehmen. Ein Grund: Mittel zur Empfängnis- nicht an was ! verhütung waren bisher kaum erhältlich. afp Stockholm/Uppsala (idea) - Das am stärksten Deutsches Ärzteblatt, 17.5.90 verweltlichte Land Europas ist Schweden. Dies haben nach Angaben der lutherischen Staatskirche in Stock- holm religionssoziologische Untersuchungen erge- Arzt warnt vor Zunahme von Abtrei- ben. Zwar sind 95 Prozent der 8,3 Millionen Schweden bungen in Rumänien Mitglied der Staatskirche. Doch nur neun Prozent der Bevölkerung bezeichnen sich als „gläubige" Christen. BUKAREST (KNA). In Rumänien hat die Zahl der regi- 26 Prozent bestehen ausdrücklich darauf, daß sie strierten Abtreibungen seit dem Sturz des Diktator Ni- keine Christen sind. Die meisten Bürger - 63 Prozent - colae Ceaucescu deutlich zugenommen. Dies berich- beschreiben sich als „Christen eigener Art". Dies hat tete in der Bukarester Tageszeitung für Rumänien- die Soziologin Eva Hamberg vom Theologischen Insti- deutsche, „Neuer Weg", der Arzt Sorin Puia, der Vor- tut der Universität Uppsala festgestellt. Nach ihren sitzende einer „Gesellschaft für Verhütung und sexu- Angaben herrscht unter den Schweden große Verwir- elle Aufklärung" ist. Seit der Aufhebung des unter Ce- rung auf religiösem Gebiet. Dies zeige sich beispiels- aucescu geltenden strengen Abtreibungsverbots weise, wenn man nachfrage, was denn unter einem gebe es immer mehr Frauen in Rumänien, die sich für Christsein „eigener Art" zu verstehen sei. An Jesus einen chirurgischen Eingriff zum Schwangerschafts- Christus glaubten nur zwei Prozent der Menschen mit abbruch entschieden. Viele Frauen hätten im letzten dieser Einstellung. Hingegen glaubten die meisten an Halbjahr in den Kliniken drei- oder viermal abgetrie- ein nicht näher zu definierendes „höheres Wesen", ben. Puia beklagte, daß die Bevölkerung bei den im einige aber auch an gar nichts. Von einer generellen ganzen Land veranstalteten Aufklärungsseminaren oder weitverbreiteten Religiosität könne man nicht re- kaum Interesse zeige. Das Angebot der rumänischen den. Die religiöse Überzeugung der meisten Schwe- Regierung, Verhütungsmittel kostenlos in den Kliniken den läßt sich - so Frau Hamberg - mit einem Satz zu- und Apotheken zu bekommen, werde weder von sammenfassen: „Ich glaube an etwas, aber ich weiß Frauen noch von Männern wahrgenommen. nicht an was." 18.6.90 Deutsche Tagespost, 14.8.90

Abtreibungen. Die Quote der Abtreibungen in Eng- USA: Exkommunikation wegen Ab- land und Wales hat einen neuen Höchststand erreicht. treibung 1988 sind nach den neuesten, von der Regierung in Bischof verhängt Sanktionen gegen Klinikleiterin London vorgelegten Angaben rund 20 Prozent der 850.000 Schwangerschaften abgebrochen worden, Washington. Exkommuniziert hat der römisch-katho- während es 1969 nur sieben Prozent waren. In Groß- lische Bischof von Corpus Christi (Texas) die 32jährige britannien sind Abtreibungen seit 1967 legalisiert. Rachel Vargas, weil sie eine Frauenklinik leitet, in der Kirchenzeitung Köln, 12.10.90 Schwangerschaftsabbrüche vorgenommen werden. „Ihre Beteiligung an Abtreibungen ist eine Sünde ge- gen Gott und die Menschheit und gegen die Gesetze der Kirche", heißt es in Bischof Rene Gracidas Exkom- Das Letzte munikationsbrief, der Anfang Juli bekannt wurde. Be- „Wenn die Deutschen Europa von neuem aus dem reits 1986 hatte der Bischof von Rhode Island die Di- Gleichgewicht bringen, auf die eine oder andere rektorin einer Einrichtung exkommuniziert, die Weise, dann darf man nicht mehr zur Teilung Deutsch- Schwangerschaftsabbrüche vornehmen läßt. lands Zuflucht nehmen, sondern muß dieses Land Vargas sagte gegenüber der Presse, sie wolle weiter- ganz einfach von der Karte ausradieren. Der Osten hin die katholische Messe besuchen. Sie sei über- und der Westen verfügen über die notwendige fortge- zeugt, daß sie wegen ihrer Haltung zur Abtreibungs- schrittene Technologie, um dieses Urteil auszufüh- frage „nicht in die Hölle" komme. Ihre Klinik nimmt ren." Lech Walesa, Friedensnobelpreisträger jährlich über 2.000 Abtreibungen vor. Die Einrichtung Quelle: Le Monde, 6.4.90

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