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Plenarprotokoll 12/208

Deutscher- Bundesta g

Stenographischer Bericht

208. Sitzung

Bonn, Donnerstag, den 3. Februar 1994

Inhalt:

Nachruf auf den Abgeordneten Hans d) Beratung des Antrags der Abgeordne- H. Gattermann 17921 A ten Dr. , Dr. Ilja Seifert und der Gruppe der PDS/Linke Liste: Begrüßung des Präsidenten der National- Reform der Deutschen Bundespost versammlung der Republik Kuba, Dr. Ri- (Drucksache 12/6635) cardo Alarcón de Ozuesada, mit seiner Elmar Müller (Kirchheim) CDU/CSU . . 17922C Delegation 17921 C Hans Gottfried Bernrath SPD . 17923D, 17935D Verzicht des Abgeordneten Dr. Bertram Jürgen Timm F.D.P. 17927B, 17936 B Wieczorek (Auerbach) auf die Mitglied- schaft im Deutschen 17921 D Dr. Gregor Gysi PDS/Linke Liste . . . . 17929B Elmar Müller (Kirchheim) CDU/CSU . 17930C Eintritt der Abgeordneten Dr. und Detlef Parr in den Deutschen Dr. Wolfgang Bötsch, Bundesminister Bundestag 17921 D BMPT 17931C Arne Börnsen (Ritterhude) SPD 17933 C Erweiterung und Abwicklung der Tages ordnung 17921 D Dr. Otto Lambsdorff F.D.P. 17935B, 17938A Hans-Eberhard Urbaniak SPD 17936 C Absetzung des Punktes 6a von der Tages ordnung 17995 C Dr. Bernd Protzner CDU/CSU 17936D Peter Paterna SPD 17939 C Tagesordnungspunkt 5: , Parl. Staatssekretär BMJ 17941C a) Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU, SPD und F.D.P. einge- CDU/CSU 17942 C brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Dr. Ilja Seifert PDS/Linke Liste . . . 17943B Änderung des Grundgesetzes (Druck- sache 12/6717) Dr. Ulrich Briefs fraktionslos 17944A b) Erste Beratung des von den Fraktionen Dr. Paul Laufs, Parl. Staatssekretär BMPT 17945A der CDU/CSU, SPD und F.D.P. ein- gebrachten Entwurfs eines Gesetzes Tagesordnungspunkt 6: zur Neuordnung des Postwesens und Aktionsprogramm für mehr Wachstum und der Telekommunikation (Drucksache Beschäftigung 12/6718) a) Erste Beratung des von den Fraktionen c) Erste Beratung des vom Bundesrat ein- der CDU/CSU und F.D.P. eingebrach- gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur ten Entwurfs eines Beschäftigungs- Änderung des Postverfassungsgesetzes förderungsgesetzes 1994 (Drucksache (Drucksache 12/4329) 12/6719) II Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 208. Sitzung. , Donnerstag, den 3. Februar 1994 b) Erste Beratung des von den Fraktionen Günter Rexrodt, Bundesminister BMWi 17963D der CDU/CSU und F.D.P. eingebrachten Konrad Gilges SPD 17964D, 17966B, 17975D, Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung 17982B des Haushaltsgrundsätzegesetzes und der Bundeshaushaltsordnung (Druck- Ernst Hinsken CDU/CSU 17967 B sache 12/6720) Hans-Eberhard Urbaniak SPD 17969B - c) Erste Beratung des von den Fraktionen Dr. CDU/CSU 17970 A der CDU/CSU und F.D.P. eingebrachten Albert Pfuhl SPD 17970 B Entwurfs eines Gesetzes für kleine Aktiengesellschaften und zur Deregu- Ernst Hinsken CDU/CSU . . 17970C, 17978 D lierung des Aktienrechts (Drucksache Dr. Kurt Faltlhauser CDU/CSU . . . . 17972 C 12/6721) Dr. F.D.P. 17973 C d) Erste Beratung des von den Fraktionen Dr. Norbert Blüm, Bundesminister BMA 17974 C der CDU/CSU und F.D.P. eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Bereini- Konrad Gilges SPD 17977 A gung des Umwandlungsrechts (Druck- Dr. Gisela Babel F.D.P. 17977 C sache 12/6699) Hans-Joachim Fuchtel CDU/CSU . . . 17979 C e) Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. eingebrachten Petra Bläss PDS/Linke Liste 17981 A Entwurfs eines Gesetzes zur Aufhebung Rainer Funke, Parl. Staatssekretär BMJ 17981 D des Rabattgesetzes und der Verordnung Elke Wülfing CDU/CSU 17983 C zur Durchführung des Rabattgesetzes (Rabattgesetzaufhebungsgesetz) Ursula Schmidt () SPD 17985A (Drucksache 12/6722) Dr. Ulrich Briefs fraktionslos 17986 D f) Erste Beratung des von den Fraktionen Joachim Gres CDU/CSU 17987 D der CDU/CSU und F.D.P. eingebrachten Dr. Nils Diederich () SPD 17989C, 17995B Entwurfs eines Gesetzes zur Aufhebung der Zugabeverordnung (Drucksache Jürgen Türk F.D.P. 17991 A 12/6723) Dr. Rudolf Karl Krause (Bonese) fraktions los 17991 B in Verbindung mit F D P 17991 D Zusatztagesordnungspunkt 4: CDU/CSU 17992 C Erste Beratung des vom Bundesrat ein- Robert Antretter SPD 17993 B gebrachten Entwurfs eines ... Gesetzes Ursula Schmidt (Aachen) SPD 17994 C zur Änderung des Arbeitsförderungs- gesetzes (Drucksache 12/6481) Tagesordnungspunkt 18: Überweisungen im vereinfachten Verfah- in Verbindung mit ren Zusatztagesordnungspunkt 5: a) Erste Beratung des von der Bundesre- gierung eingebrachten Entwurfs eines Beratung des Antrags der Abgeordne- Gesetzes über den Wertpapierhandel ten Pe tra Bläss und der Gruppe der und zur Änderung börsenrechtlicher PDS/Linke Liste: Änderung des § 249 h und wertpapierrechtlicher Vorschriften des Arbeitsförderungsgesetzes (Druck- (Zweites Finanzmarktförderungsge- sache 12/6572) setz) (Drucksache 12/6679) Dr. Wolfgang Schäuble CDU/CSU . . . 17946C b) Erste Beratung des von der Bundesre- Siegmar Mosdorf SPD 17950B, 17955C, 17964 C gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom Dr. Uwe Jens SPD 17951 C 18. März 1993 zur Änderung des Zusatz- Dr. F.D.P. 17953 A abkommens zum NATO-Truppenstatut und zu weiteren Übereinkünften Dieter-Julius Cronenberg (Arnsberg) (Drucksache 12/6477) FDP 17953C, 17962 B c) Erste Beratung des von der Bundesre- Dr. Otto Graf Lambsdorff F.D.P. 17954D, 17969 C gierung eingebrachten Entwurfs eines Ernst Schwanhold SPD . . . 17955B, 17968 D Gesetzes zur Reform des Markenrechts und zur Umsetzung der Ersten Richtlinie Dr. Peter Struck SPD 17958B 89/104/EWG des Rates vom 21. Dezem- ber 1988 zur Angleichung der Rechts- Dr. Gregor Gysi PDS/Linke Liste . . . 17959A vorschriften der Mitgliedstaaten über (Berlin) BÜNDNIS 90/ die Marken (Markenrechtsreformge- DIE GRÜNEN 17961A setz) (Drucksache 12/6581) Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 208. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. Februar 1994 III d) Erste Beratung des vom Bundesrat ein- e) Zweite Beratung und Schlußabstim- gebrachten Entwurfs eines ... Gesetzes mung des von der Bundesregierung ein- zur Änderung des Bundeswahlgesetzes gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu (Drucksache 12/6586) dem Abkommen vom 14. Juli 1992 zwi- schen der Bundesrepublik Deutschland e) Antrag des Bundesministeriums für und dem Königreich Schweden zur Ver- Wirtschaft: Rechnungslegung fiber das - meidung der Doppelbesteuerung bei Sondervermögen des Bundes „Aus- den Steuern vom Einkommen und vom gleichsfonds zur Sicherung des Stein- Vermögen sowie bei den Erbschaft- kohleneinsatzes" — Wirtschaftsjahr und Schenkungsteuern und zur Lei- 1992 — (Drucksache 12/6533) . . . . 17995 C stung gegenseitigen Beistands bei den

Steuern (Deutsch - schwedisches Steuer- Tagesordnungspunkt 12: abkommen) (Drucksachen 12/5838, Antrag der Abgeordneten Freimut 12/6651, 12/6652) Duve, Hans Gottfried Bernrath, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: f) Zweite und dritte Beratung des von der Erhalt der Buchpreisbindung (Druck- Bundesregierung eingebrachten Ent- sache 12/3388) 17996A wurfs eines Ersten Gesetzes zur Ände Zusatztagesordnungspunkt 6 b: rung des Gesetzes über die Nichtanpas- sung von Amtsgehalt und Ortszuschlag Weitere Überweisung im vereinfachten der Mitglieder der Bundesregierung Verfahren und der Parlamentarischen Staats- Antrag der Abgeordneten Dr. Hans de sekretäre in den Jahren 1992 und With, Hermann Bachmaier, weiterer 1993 (Drucksachen 12/5830, 12/6600, Abgeordneter und der Fraktion der 12/6657) SPD: Bekämpfung des Insider-Handels (Drucksache an deutschen Börsen g) Zweite Beratung und Schlußabstim- 12/5437) ...... 17996A mung des von der Bundesregierung ein- gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu Tagesordnungspunkt 19: dem Zusatzprotokoll Nr. 2 vom 13. No- a) Zweite Beratung und Schlußabstim- vember 1992 zu den Protokollen vom mung des von der Bundesregierung ein- 20. Dezember 1961 fiber die Errichtung gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu der Internationalen Kommissionen zum dem Zusatzabkommen vom 22. Dezem- Schutz der Mosel und der Saar gegen ber 1992 zum Abkommen vom 20. Ok- Verunreinigung und dem ergänzenden tober 1982 zwischen der Bundesrepu- Protokoll vom 22. März 1990 zu die- blik Deutschland und der Schweize- sen beiden Protokollen (Drucksachen rischen Eidgenossenschaft fiber Ar- 12/5446, 12/6617) beitslosenversicherung (Drucksachen 12/6536, 12/6634, 12/6645) h) Zweite und dritte Beratung des von b) Zweite und dritte Beratung des von der der Bundesregierung eingebrachten Bundesregierung eingebrachten Ent- Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung wurfs eines Ersten Gesetzes zur Ände des Verschollenheitsgesetzes (Drucksa- rung des Tierzuchtgesetzes (Drucksa- chen 12/5832, 12/6656) chen 12/5741, 12/6660) c) Zweite und dritte Beratung des von i) Zweite Beratung und Schlußabstim- der Bundesregierung eingebrachten mung des von der Bundesregierung ein- Entwurfs eines Gesetzes zur zeitli- gebrachten Entwurfs eines Gesetzes chen Begrenzung der Nachhaftung von betreffend das Zusatzprotokoll vom Gesellschaftern (Nachhaftungsbegren- 6. September 1989 zu dem Übereinkom- zungsgesetz) (Drucksachen 12/1868, men vom 4. September 1958 fiber den 12/6569) internationalen Austausch von Aus- künften in Personenstandsangelegen- d) Zweite Beratung und Schlußabstim- heiten (Drucksachen 12/2657, 12/6668) mung des von der Bundesregierung ein- gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu j) Beschlußempfehlung und Be richt des dem Abkommen vom 20. April 1993 Ausschusses für Bildung und Wissen- zwischen der Bundesrepublik Deutsch- schaft zu der Unterrichtung durch die land und dem Königreich Norwegen Bundesregierung über den Transport von Gas durch eine Rohrleitung vom norwegischen Fest- Arbeitsunterlage der Kommission landsockel und von anderen Gebieten Leitlinien für die Gemeinschaftsaktion in die Bundesrepublik Deutschland im Bereich allgemeine und berufliche (Europipe-Abkommen) (Drucksachen Bildung (Drucksachen 12/5358 Nr. 31, 12/5840, 12/6583) 12/6437) IV Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 208. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. Februar 1994 k) Beschlußempfehlung und Bericht des Erlaß einer Verordnung zur Wärmenut- Ausschusses für Umwelt, Naturschutz zung und Reaktorsicherheit zu dem Antrag MdlAnfr 12 der Abgeordneten Ulrike Mehl, Michael Monika Ganseforth SPD Müller (Düsseldorf), weiterer Abgeord- neter und der Fraktion der SPD: Natur- Antw StSekr Clemens Stroetmann BMU 18000A schutz auf Bundeswehrliegenschaften ZusFr Monika Ganseforth SPD 18000B (Drucksachen 12/3769, 12/6576) Vertrag der Bundesbaudirektion mit der 1) Beschlußempfehlung und Be richt des privaten Firma ABE über die Bauüberwa- Ausschusses für Umwelt, Naturschutz chung des Schürmann-Baus und Reaktorsicherheit zu der Unterrich- tung durch die Bundesregierung: Vor- MdlAnfr 15, 16 schlag für eine Richtlinie des Rates über Gabriele Iwersen SPD Abfalldeponien (Drucksachen 12/1072 Antw BMin Dr. Nr. 24, 12/6577) BMBau 18000D, 18002 B m) Beschlußempfehlung des Haushaltsaus- ZusFr Gabriele Iwersen SPD 18002 C schusses zu der Unterrichtung durch ZusFr Peter Conradi SPD . . . 18001A, 18003 B die Bundesregierung: Überplanmäßige ZusFr Otto Reschke SPD . . . 18001B, 18002D Ausgaben bei Kapitel 1112 Titel 681 11 ZusFr Dr. Walter Hitschler F.D.P. 18001C, 18002D — Eingliederungshilfe für Aussiedler — ZusFr Walter Schöler SPD 18001 D (Drucksachen 12/5907, 12/6593) ZusFr F.D.P. 18001 D n) Beschlußempfehlung des Haushaltsaus- ZusFr Iris Gleicke SPD 18002 A schusses zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung: Überplanmäßige Erlaß eines Baustopps für den gesamten Ausgaben bei Kapitel 1112 Titel Schürmann-Bau durch das Bundesministe- 681 05 rium für Raumordnung, Bauwesen und — Altersübergangsgeld für Empfänger Städtebau; Konsequenzen für die mit der in dem in Artikel 3 des Einigungsvertra- Bauleitung beauftragte private Firma ABE ges genannten Gebiet — (Drucksachen hinsichtlich der Abnahme nicht erbrachter 12/6268, 12/6594) Bauleistungen o) Beschlußempfehlung des Haushaltsaus- MdlAnfr 17, 18 schusses zu der Unterrichtung durch Iris Gleicke SPD die Bundesregierung: Überplanmäßige Antw BMin Dr. Irmgard Schwaetzer Ausgaben bei Kapitel 1112 Titel BMBau 18003C, 18005 C 681 04 ZusFr Iris Gleicke SPD 18003 D — Vorruhestandsgeld für Empfänger in ZusFr Peter Conradi SPD . . . 18004A, 18005D dem in Artikel 3 des Einigungsvertra- ges genannten Gebiet — (Drucksachen ZusFr Gabriele Iwersen SPD 18004 A 12/6417, 12/6595) ZusFr Otto Reschke SPD . . . 18004C, 18005 D p) Beschlußempfehlung des Haushaltsaus- ZusFr Achim Großmann SPD 18004 D schusses zu der Unterrichtung durch ZusFr Dr. Walter Hitschler F.D.P. . . . 18005B die Bundesregierung: Überplanmäßige Ausgabe bei Kapitel 14 23 Titel 681 23 ZusFr Walter Schöler SPD 18005 B — Sonderleistungen, Mietbeihilfe und Gespräch der Bundesministerin für Raum- Wirtschaftsbeihilfe — (Drucksachen ordnung, Bauwesen und Städtebau mit der 12/6369, 12/6596) Präsidentin der Bundesbaudirektion am q) Beschlußempfehlung und Bericht des 11. Januar 1994 betr. Hochwasserschäden Ausschusses für Wirtschaft zu der Ver- am Schürmann-Bau und Weggang der Prä- ordnung der Bundesregierung: Aufheb- sidentin der BBD bare Einhundertzweiundzwanzigste MdlAnfr 19, 20 Verordnung zur Änderung der Einfuhr- Peter Conradi SPD liste Antw BMin Dr. Irmgard Schwaetzer — Anlage zum Außenwirtschaftsge- BMBau 18006B, 18007 A setz — (Drucksachen 12/5935, 12/ ZusFr Peter Conradi SPD . . 6642) 17996B 18006B, 18007 B ZusFr Otto Reschke SPD . . 18006D, 18007 C Tagesordnungspunkt 2 (Fortsetzung): Mit der Projektsteuerung für den Schür- Fragestunde mann-Bau beauftragte Firmen — Drucksache 12/6691 vom 28. Januar MdlAnfr 21, 22 1994 — Otto Reschke SPD Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 208. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. Februar 1994 V

Antw BMin Dr. Irmgard Schwaetzer g) Antrag der Abgeordneten Dr. R. Werner BMBau 18007 D, 18008 D Schuster, Dr. Uwe Holtz, weiterer Abge- ZusFr Otto Reschke SPD 18008B, D ordneter und der Fraktion der SPD: Stär- kung der kommunalen Nord-Süd- ZusFr Peter Conradi SPD . . . 18007D, 18009B Arbeit — Förderung der Lokalen ZusFr Achim Großmann SPD 18008 C Agenda 21 — Umsetzung der Charta - von Berlin (Drucksache 12/6263) ZusFr Dr. Walter Hitschler F.D.P. . . . 18009 C h) Große Anfrage der Abgeordneten Bautagebuch zum Schürmann-Bau zur Klä- Dr. , Dr. rung der Vollständigkeit der Hochwasser- und der Gruppe der PDS/Linke Liste: schutzmaßnahmen Neunter Bericht zur Entwicklungspoli- MdlAnfr 23 tik der Bundesregierung (Drucksachen Achim Großmann SPD 12/4871, 12/5451) Antw BMin Dr. Irmgard Schwaetzer BMBau 18009 D in Verbindung mit ZusFr Achim Großmann SPD 18010A ZusFr Otto Reschke SPD 18010C Zusatztagesordnungspunkt 7: ZusFr Dr. Walter Hitschler F.D.P. . . . 18010D Beschlußempfehlung und Be richt des Ausschusses für wirtschaftliche Zusam- ZusFr Dieter Maaß (Herne) SPD 18011A menarbeit zu dem Antrag der Abgeord- ZusFr Peter Conradi SPD 18011B neten Dr. R. We rner Schuster, Dr. Ingo- mar Hauchler, weiterer Abgeordneter Tagesordnungspunkt 7: und der Fraktion der SPD: Europäische (Druck- Entwicklungshilfedebatte Entwicklungszusammenarbeit sachen 12/3647, 12/6707) a) Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P.: Aufbau und Stärkung kom- Dr. Winfried Pinger CDU/CSU , . . . . 18012 C munaler Selbstverwaltungsstrukturen in Entwicklungsländern zur Förderung Ingrid Becker-Inglau SPD 18014 A von regionaler und lokaler Selbsthilfe (Drucksache 12/6727) Ingrid Walz F D P 18015B b) Antrag der Fraktionen der CDU/CSU Dr. Ursula Fischer PDS/Linke Liste . . 18017C und F.D.P.: Gestaltung der Europäi- schen Entwicklungszusammenarbeit Konrad Weiß (Berlin) BÜNDNIS 90/ (Drucksache 12/6726) DIE GRÜNEN 18019A c) Antrag des Abgeordneten Konrad Weiß Carl-Dieter Spranger, Bundesminister (Berlin) und der Gruppe BÜNDNIS 90/ BMZ 18020B DIE GRÜNEN: Reform der Weltbank (Drucksache 12/6168) Dr. Ingomar Hauchler SPD 18022A d) Beschlußempfehlung und Be richt des Klaus-Jürgen Hedrich CDU/CSU . . . 18024 C Ausschusses für wirtschaftliche Zusam- menarbeit zu der Unterrichtung durch Helmut Schäfer, Staatsminister AA . . 18026B die Bundesregierung: Neunter Bericht zur Entwicklungspolitik der Bun- Dr. Christian Ruck CDU/CSU 18027B desregierung (Drucksachen 12/4096, 12/6659) Dr. Ingomar Hauchler SPD 18027 D e) Beschlußempfehlung und Be richt des Dr. R. Werner Schuster SPD 18029B Ausschusses für wirtschaftliche Zusam- menarbeit zu dem Antrag der Abgeord- neten Dr. R. Werner Schuster, Rudolf Tagesordnungspunkt 8: Bindig, weiterer Abgeordneter und der Zweite und dritte Beratung des von der Fraktion der SPD: Repatriierung und Bundesregierung eingebrachten Ent- Reintegration von Flüchtlingen (Druck- wurfs eines Dritten Gesetzes zur Ände sachen 12/4662, 12/6148) rung des Landwirtschaftsanpassungs- f) Beschlußempfehlung und Be richt des gesetzes (Drucksachen 12/5896, 12/ Ausschusses für Wahlprüfung, Immuni- 6713) tät und Geschäftsordnung zu dem (Großhennersdorf) Antrag der Abgeordneten Dr. R. We rner CDU/CSU 18031B Schuster, Brigitte Schulte (Hameln), weiterer Abgeordneter und der Fraktion Dr. Gerald Thalheim SPD 18032 C der SPD: Gesetzesvorlagen (Drucksa- chen 12/4350, 12/6326) Günther Bredehorn F D P 18034 A VI Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 208. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. Februar 1994

Tagesordnungspunkt 9: Tagesordnungspunkt 13: a) Bericht des Ausschusses für Wahlprü- Bericht des Ausschusses für Arbeit und fung, Immunität und Geschäftsordnung Sozialordnung gemäß § 62 Abs. 2 der zu den Verfahren nach § 44 b Abgeord- Geschäftsordnung zu dem von der Frak- netengesetz (AbgG) tion der SPD eingebrachten Entwurf (Überprüfung auf Tätigkeit oder politi- eines Gesetzes zur Beibehaltung der sche Verantwortung für das Ministerium Mitbestimmung beim Austausch von für Staatssicherheit/Amt für Nationale Anteilen und der Einbringung von Sicherheit der ehemaligen Deutschen Unternehmensteilen, die Gesellschaften Demokratischen Republik) (Drucksache verschiedener Mitgliedstaaten der Eu- 12/4613) ropäischen Gemeinschaften betreffen (Mitbestimmungs-Beibehaltungsge- b) Bericht des Ausschusses für Wahlprü- setz) (Drucksachen 12/4532, 12/6714) fung, Immunität und Geschäftsordnung zu den Verfahren nach § 44 b Abgeord- Heribert Scharrenbroich CDU/CSU . . . 18043 D netengesetz (AbgG) Hans-Eberhard Urbaniak SPD 18044 B (Überprüfung auf Tätigkeit oder politi- sche Verantwortung für das Ministerium Dr. Gisela Babel F.D.P. 18045B für Staatssicherheit/Amt für Nationale Sicherheit der ehemaligen Deutschen Tagesordnungspunkt 14: Demokratischen Republik) (Drucksache a) Erste Beratung des vom Bundesrat ein- 12/5976) gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur c) Bericht des Ausschusses für Wahlprü- Änderung des Betäubungsmittelgeset- fung, Immunität und Geschäftsordnung zes (Drucksache 12/5673) zu den Verfahren nach § 44 b Abgeord- b) Große Anfrage der Abgeordneten Jo- netengesetz (AbgG) hannes Singer, Gudrun Schaich-Walch, (Überprüfung auf Tätigkeit oder politi- Dr. Ulrich Böhme (Unna), weiterer sche Verantwortung für das Ministerium Abgeordneter und der Fraktion der SPD: für Staatssicherheit/Amt für Nationale Umsetzung des Rauschgiftbekämp- Sicherheit der ehemaligen Deutschen fungsplanes (Drucksachen 12/2803, Demokratischen Republik) (Drucksache 12/3956) 12/6655) Johannes Singer SPD 18046B Joachim Hörster CDU/CSU 18035 C Werner Ringkamp CDU/CSU 18047 D Dieter Wiefelspütz SPD 18037 B Karl Hermann Haack (Extertal) SPD . . 18049C Torsten Wolfgramm (Göttingen) F.D.P. 18038 C Tagesordnungspunkt 15: Andrea Lederer PDS/Linke Liste . . . 18039A Antrag der Abgeordneten Petra Bläss Ingrid Köppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 18040A und der Gruppe der PDS/Linke Liste: Änderung des § 116 des Arbeitsförde- rungsgesetzes (Drucksache 12/6674) . 18050 C Tagesordnungspunkt 19r: Beschlußempfehlung des Ausschusses Tagesordnungspunkt 16: für Wahlprüfung, Immunität und Ge- schäftsordnung: Antrag auf Genehmi- Antrag des Abgeordneten Konrad Weiß gung zur Durchführung eines Strafver- (Berlin) und der Gruppe BÜNDNIS 90/ fahrens (Drucksache 12/6646) DIE GRÜNEN: Anpassung der Arbeits- erlaubnis bei laufenden Arbeitsverhält- Dr. Gregor Gysi PDS/Linke Liste 18040D, 18043 A nissen (Drucksache 12/6325) 18050 C

Dieter Wiefelspütz SPD 18041 D Nächste Sitzung 18050 D

Tagesordnungspunkt 10: Anlage 1 Beschlußempfehlung des Petitions- ausschusses: Sammelübersicht 122 Liste der entschuldigten Abgeordneten . 18051* A zu Petitionen (Bundessozialhilfegesetz) (Drucksache 12/5803) 18043 B Anlage 2 Tagesordnungspunkt 11: Zu Protokoll gegebene Reden zu Tagesord- Beschlußempfehlung des Petitionsaus- nungspunkt 10 (Sammelübersicht 122 zu schusses: Sammelübersicht 135 zu Peti- Petitionen) (Bundessozialhilfegesetz) tionen (Fördermittel für Ausbildungsbe- Franz Romer CDU/CSU 18051* C darf in der Altenpflege) (Drucksache 12/6391) 18043B Hans Büttner (Ingolstadt) SPD ...... 18052* D Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 208. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. Februar 1994 VII

Dr. Eva Pohl F.D.P. 18053* C Anlage 7 Konrad Weiß (Berlin) BÜNDNIS 90/ Vor- und Nachteile der Städte Wittenberg DIE GRÜNEN 18054* A und Dessau als Standort des Umweltbun- desamtes

MdlAnfr 7, 8 — Drs 12/6691 — Anlage 3 Siegrun Klemmer SPD Zu Protokoll gegebene Reden zu Tagesord- SchrAntw StSekr Clemens Stroetmann nungspunkt 15 (Antrag: Änderung des BMU 18071* C § 116 des Arbeitsförderungsgesetzes) Dr. Gregor Gysi PDS/Linke Liste . . . 18054* D Anlage 8 Adolf Ostertag SPD 18055* D Streit zwischen Umweltbundesamt und Dr. Eva Pohl F.D.P. 18056* C Wissenschaft (Prof. Staudt) über die Höhe der künftigen Entsorgungskosten; An- Heinz-Adolf Hörsken CDU/CSU 18057* A wachsen der Deponie- und Verbrennungs- kosten im Vergleich zu den Kosten der Werkstoffsammlung durch das Duale Sy- stem Deutschland (DSD) Anlage 4

MdlAnfr 9, 10 — Drs 12/6691 — Zu Protokoll gegebene Reden zu Tagesord- Klaus Harries CDU/CSU nungspunkt 11 (Sammelübersicht 135 zu Petitionen) (Fördermittel für Ausbildungs- SchrAntw StSekr Clemens Stroetmann bedarf in der Altenpflege) BMU 18072* A Lisa Seuster SPD 18059* A

Renate Diemers CDU/CSU 18060* A Anlage 9 Dr. PDS/Linke Liste 18061* B Genehmigung und Einbau der primärseiti- gen Druckentlastung zur Verhinderung Birgit Homburger F D P 18061* D eines Hochdruck-Kernschmelzens in den Kernkraftwerken Stade, Biblis und Unter- weser Anlage 5 MdlAnfr 11 — Drs 12/6691 — Zu Protokoll gegebene Reden zu Tagesord- Horst Kubatschka SPD nungspunkt 14 (a — Gesetzentwurf zur SchrAntw StSekr Clemens Stroetmann Änderung des Betäubungsmittelgesetzes, BMU 18072* C b — Große Anfrage: Umsetzung des Rauschgiftbekämpfungsplanes)

Dr. Paul Hoffacker CDU/CSU 18062* C Anlage 10 Dr. Margret Funke-Schmitt-Rink F.D.P. 18063* D Verhinderung des Exports nichtzugelasse- ner Pflanzenschutzmittel und Biozid-Pro- Eduard Lintner, Parl. Staatssekretär BMI 18065* B dukte in Drittländer

Horst Seehofer, Bundesminister BMG . . 18066* A MdlAnfr 13, 14 — Drs 12/6691 — Susanne Kastner SPD

SchrAntw StSekr Clemens Stroetmann Anlage 6 BMU 18072* D Zu Protokoll gegebene Reden zu Tagesord- nungspunkt 16 (Antrag: Anpassung der Arbeitserlaubnis bei laufenden Arbeitsver- Anlage 11 hältnissen) Nichtvorliegen von Teilgenehmigungen Konrad Weiß (Berlin) BÜNDNIS 90/ zur Verhinderung der Hochwasserkata- DIE GRÜNEN 18068* D strophe am Schürmann-Bau

Karl-Josef Laumann CDU/CSU 18069* C MdlAnfr 24 — Drs 12/6691 — Achim Großmann SPD SPD 18070* A SchrAntw BMin Dr. Irmgard Schwaetzer Cornelia Schmalz-Jacobsen F D P 18071* A BMBau 18073* D VIII Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 208. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. Februar 1994

Anlage 12 Anlage 18 Reaktion der Bundesbaudirektion und des Aufklärung der Bevölkerung über die im Bundesbauministeriums auf das im Dezem- Zuge des „großen Lauschangriffs" geplan- ber 1993 erwartete Hochwasser im Zusam- ten Abhörmaßnahmen im Kampf gegen das menhang mit dem Schürmann-Bau organisierte Verbrechen

MdlAnfr 25, 26 — Drs 12/6691 — MdlAnfr 35, 36 — Drs 12/6691 — Norbert Formanski SPD Dr. (München) CDU/CSU SchrAntw BMin Dr. Irmgard Schwaetzer SchrAntw PStSekr Eduard Lintner BMI . 18076* A BMBau 18074* A

Anlage 19 Anlage 13 Forderungen der iranischen Botschaft für Entfernung des Hinweises des Bundes- Schäden am Botschaftsgebäude aufgrund nachrichtendienstes aus den Prozeßakten einer Demonstration von Exil-Iranern im des Berliner Mykonos-Verfahrens April 1992; Maßnahmen zur Begrenzung von Schäden an Botschaftsgebäuden MdlAnfr 27, 28 — Drs 12/6691 — SPD MdlAnfr 37, 38 — Drs 12/6691 — SchrAntw StMin BK 18074* B Herbert Werner (Ulm) CDU/CSU SchrAntw PStSekr Eduard Lintner BMI . 18076* B Anlage 14 Verwendungszweck der Zielkontrollkarten Anlage 20 des ehemaligen Ministeriums für Staats- sicherheit der DDR im Bundeskanzleramt Änderung des Embryonenschutzgesetzes hinsichtlich der künstlichen Befruchtung

MdlAnfr 29 — Drs 12/6691 — nach der Menopause Norbert Gansel SPD MdlAnfr 39 — Drs 12/6691 — SchrAntw StMin Bernd Schmidbauer BK 18074* D Hubert Hüppe CDU/CSU SchrAntw PStSekr Rainer Funke BMJ . . 18076* D Anlage 15 Boykott Serbiens Anlage 21 MdlAnfr 30 — Drs 12/6691 — Auswirkungen der EG-Distanzverkaufs- Claus Jager CDU/CSU Richtlinie auf die Touristikbranche SchrAntw StMin Ursula Seiler-Albring MdlAnfr 40 — Drs 12/6691 — AA 18075* A Simon Wittmann (Tännesberg) CDU/CSU SchrAntw PStSekr Rainer Funke BMJ . . 18077* A Anlage 16 Abschiedsfeierlichkeiten für die russischen Streitkräfte in den neuen Bundesländern Anlage 22 und für die Alliierten Streitkräfte in Berlin Rahmenkonvention zur Verpflichtung der

MdlAnfr 31, 32 — Drs 12/6691 — Mitglieder des Europarates hinsichtlich des SPD Minderheitenschutz es

SchrAntw StMin Ursula Seiler-Albring MdlAnfr 41 — Drs 12/6691 — AA 18075* B Robert Antretter SPD SchrAntw PStSekr Rainer Funke BMJ . . 18077* C Anlage 17 Einsatz elektronischer Abhörmittel beim Anlage 23 Kampf gegen das organisierte Verbrechen in den USA; Information der Bürger über Abzug der Kirchensteuer von konfessions- die Ziele der Lauschoperationen losen Arbeitslosen; Verbleib der Gelder

MdlAnfr 33, 34 — Drs 12/6691 — MdlAnfr 49 — Drs 12/6691 — Georg Gallus F.D.P. Monika Ganseforth SPD SchrAntw PStSekr Eduard Lintner BMI . 18075* C SchrAntw PStSekr Rudolf Kraus BMA . . 18078* A Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 208. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. Februar 1994 IX

Anlage 24 Anlage 30 Beitragssätze zur geplanten Pflegeversi- Beibehaltung des Grenzwertes für Pestizide cherung in der EG-Trinkwasserrichtlinie und der EG-Pestizidzulassungsrichtlinie bei Umset- MdlAnfr 50, 51 — Drs 12/6691 — zung der EG-Grundwasserrichtlinie in Ingrid Walz F.D.P. - deutsches Recht SchrAntw PStSekr Rudolf Kraus BMA . . 18078* B MdlAnfr 63 — Drs 12/6691 — Benno Zierer CDU/CSU Anlage 25 SchrAntw PStSekr'in Dr. Sabine Berg- Zahl und Tätigkeit der Mitarbeiter des Bun- mann-Pohl BMG 18081* B deswehr-Bataillons „Operative Informa- tion" (früher psychologische Verteidigung) in Somalia Anlage 31 MdlAnfr 52, 53 — Drs 12/6691 — Ingrid Köppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Erweiterung des Vorsorgeuntersuchungs- katalogs der Krankenkassen um die Fest- SchrAntw PStSekr'in Michaela Geiger stellung einer evtl. Gonorrhoe bei Schwan- BMVg 18079* A geren und den Schwerhörigkeitstest bei Neugeborenen

Anlage 26 MdlAnfr 64, 65 — Drs 12/6691 — Jährliche Einsparung bei Verzicht auf die Antje - Marie Steen SPD Einberufung von 20 000 Wehrpflichtigen SchrAntw PStSekr'in Dr. Sabine Berg-

MdlAnfr 54 — Drs 12/6691 — mann-Pohl BMG 18081* C Dr. F.D.P. SchrAntw PStSekr'in Michaela Geiger BMVg 18079* C Anlage 32 Qualifizierte Prüfung der Alternativpläne zum Ausbau der Donau zwischen Straubing Anlage 27 und Vilshofen Privatisierung der Heimbetriebsgesell- schaft mbH der Bundeswehr MdlAnfr 66 — Drs 12/6691 — Horst Kubatschka SPD MdlAnfr 55, 56 — Drs 12/6691 — Dr. Wolfgang Weng (Gerlingen) F.D.P. SchrAntw StSekr Dr. Wilhelm Knittel SchrAntw PStSekr'in Michaela Geiger BMV 18081* D BMVg 18080* A

Anlage 33 Anlage 28 Verschärfung der Bestimmung für den Neue Zielprogrammierungen der mit Nu Gefahrguttransport auf Schiffen und der klearsprengköpfen bestückten Interkonti Haftungsbestimmungen im Zusammen- nentalraketen in den USA und in Rußland hang mit dem jüngsten Giftskandal an der MdlAnfr 57 — Drs 12/6691 — Nordseeküste SPD MdlAnfr 67, 68 — Drs 12/6691 — SchrAntw PStSekr'in Michaela Geiger Dietmar Schatz SPD BMVg 18080* B SchrAntw StSekr Dr. Wilhelm Knittel BMV 18082* B Anlage 29 Folgen aus der Einrichtung einer europäi- schen Rüstungsagentur für das Bundesamt Anlage 34 für Beschaffung; Ergebnisse der Bundes- marine bei der Durchsetzung des Embargos Ausschluß von Risiken beim Schiffstrans- gegen Rest-Jugoslawien port gefährlicher Chemikalien

MdlAnfr 58, 59 — Drs 12/6691 — MdlAnfr 69 — Drs 12/6691 — Hans Wallow SPD Otto Schily SPD SchrAntw PStSekr'in Michaela Geiger SchrAntw StSekr Dr. Wilhelm Knittel BMVg 18080* C BMV 18082* D X Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 208. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. Februar 1994

Anlage 35 Anlage 36 Erhaltung des Bundesbahn-Ausbesse- Erneute Ausschreibung der Stahlbau- rungswerks in Weiden nach der Bahnre- arbeiten für die zweite Kanalbrücke in form; berufliche Situation der Bundesbahn- Kiel bediensteten nach der Bahnreform MdlAnfr 72 — Drs 12/6691 — MdlAnfr 70, 71 — Drs 12/6691 — Norbert Gansel SPD SPD

SchrAntw StSekr Dr. Wilhelm Knittel SchrAntw StSekr Dr. Wilhelm Knittel BMV 18083* B BMV 18083* D Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 208. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. Februar 1994 17921

208. Sitzung

Bonn, den 3. Februar 1994

Beginn: 9.00 Uhr

Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Liebe Kolleginnen Hermann Gattermann und wird ihm ein ehrendes und Kollegen, ich darf Sie bitten, sich von den Plätzen Andenken bewahren. zu erheben, um unseres Kollegen Gattermann zu Sie haben sich zu Ehren des Verstorbenen von Ihren gedenken. Plätzen erhoben; ich danke Ihnen. (Die Abgeordneten erheben sich) Liebe Kolleginnen und Kollegen, bevor wir in die Tagesordnung eintreten, möchte ich auf der Ehrentri- Plötzlich und unerwartet verstarb am 27. Januar büne den Präsidenten der Nationalversammlung der 1994 unser Kollege Hans Hermann Gattermann. Republik Kuba, Herrn Dr. Alarcón de O zuesada, mit Er wurde am 24. Dezember 1931 in Dortmund seiner Delegation begrüßen. geboren. Nach dem Besuch des Max-Planck-Gymna- (Beifall) siums in seiner Heimatstadt studierte er in Marburg und Berlin Rechts- und Staatswissenschaften. Nach Wir haben gestern abend Gelegenheit gehabt, uns dem zweiten juristischen Staatsexamen ließ er sich als auszutauschen. Gerade nach dem Ende des Kommu- Rechtsanwalt und Notar in Dortmund nieder. nismus in Europa ist dieser Austausch, denke ich, um so wichtiger. Ich wünsche der Delegation gute Im Jahre 1967 schloß er sich der F.D.P. an, für die er Gespräche an den verschiedenen Orten in Deutsch- als Mitglied des Rates der Stadt Dortmund kommunal- land, vor allen Dingen heute beim Deutschen Bundes- politisch tätig war. In seiner Partei bekleidete er die tag. Ämter des Schatzmeisters des Landesverbandes Nordrhein-Westfalen und des stellvertretenden Vor- Lassen Sie mich zu den amtlichen Mitteilungen sitzenden des Kreisverbandes Dortmund. kommen. Der Kollege Dr. hat am 31. Ja- 1976 wurde Hans Hermann Gattermann in den nuar 1994 auf seine Mitgliedschaft im Deutschen Deutschen Bundestag gewählt. Der Schwerpunkt sei- Bundestag verzichtet. Als seine Nachfolgerin hat die ner Arbeit im Parlament lag auf dem Gebiet der Abgeordnete Dr. Christa Schmidt am 1. Februar 1994 Finanz- und Steuerpolitik, aber auch — nicht zu die Mitgliedschaft im Deutschen Bundestag erwor- vergessen — auf dem Gebiet der Wohnungspolitik. ben. Zunächst als Vorsitzender des wirtschafts- und finanz- politischen Arbeitskreises seiner Fraktion und ab Mai Für den verstorbenen Kollegen Hans H. Gatter- 1983 als Vorsitzender des Finanzausschusses des mann hat der Abgeordnete Detlef Parr ebenfalls am Deutschen Bundestages hat er die Finanz- und Steu- 1. Februar 1994 die Mitgliedschaft im Deutschen erpolitik in Deutschl and an herausragender Stelle Bundestag erworben. durch hohe fachliche Kompetenz mitgeprägt. Er war Ich begrüße die Kollegin Dr. Christa Schmidt, die ein souveräner Vorsitzender des Finanzausschusses, dem Deutschen Bundestag bereits in der 11. Wahlpe- souverän und gelassen zugleich, intelligent und riode für kurze Zeit angehörte, und den neuen Kolle- bescheiden. H ans Hermann Gattermann war von gen Detlef Parr sehr herzlich und wünsche gute allen Fraktionen und Gruppen im Deutschen Bundes- Zusammenarbeit. tag, aber auch von den Verbänden anerkannt. In die Zeit seines Ausschußvorsitzes fielen große Vorhaben, Interfraktionell ist vereinbart worden, die verbun- z. B. die Steuerreform und die finanzpolitisch relevan- dene Tagesordnung zu erweitern. Die Punkte sind ten Maßnahmen zur Verwirklichung der Einheit in der Ihnen vorliegenden Zusatzpunktliste aufge- Deutschlands. führt: 4. Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs Er ist zu früh von uns gegangen. Wir alle sind eines ... Gesetzes zur Änderung des Arbeitsförderungsge- betroffen über seinen plötzlichen Tod. Ich spreche vor setzes — Drucksache 12/6481 — allem seiner Frau und seinen Angehörigen namens 5. Beratung des Antrags der Abgeordneten Petra Bläss und der des ganzen Hauses unsere Anteilnahme aus. Der Gruppe der PDS/Linke Liste: Ä nderung des § 249h des Deutsche Bundestag betrauert den Tod von Hans Arbeitsförderungsgesetzes — Drucksache 12/6572 — 17922 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 208. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. Februar 1994

Präsidentin Dr. Rita Süssmuth 6. Weitere Überweisungen im vereinfachten Verfahren (Ergän- Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für zung zu TOP 18) die gemeinsame Aussprache zwei Stunden vorgese- a) Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU, SPD hen. — Auch dazu sehe ich keinen Widerspruch. und F.D.P.: Friedliche Lösung des Kurdenproblems in der Türkei — Drucksache 12/6728 — Dann eröffne ich die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Müller. b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Hans de With, Hermann Bachmaier, , weiterer Abgeord- neter und der Fraktion der SPD: Bekämpfung des Insider- Handels an deutschen Börsen — Drucksache 12/5437 — Elmar Müller (Kirchheim) (CDU/CSU): Frau Präsi- 7. Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des dentin! Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen! Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit (22. Aus- Daß wir erst heute, nach mehr als anderthalb Jahren schuß) zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. R. Werner Schuster, Dr. Ingomar Hauchler, , weiterer Verhandlungen und Vorverhandlungen über einen Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Europäische Ent- gemeinsamen Entwurf zur Postreform II, die Einbrin- wicklungszusammenarbeit — Drucksachen 12/3647, gung erleben können, liegt eindeutig an den Verzö- 12/6707 — gerungen durch die SPD. Von der Frist für den Beginn der Beratung soll, (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU — soweit es bei einzelnen Punkten der Tagesordnung Ingrid Matthäus-Maier [SPD): Jetzt geht es erforderlich ist, abgewichen werden. schon wieder los!) Des weiteren ist vereinbart worden, Tagesord- Es ist für die parlamentarische Demokratie wahrlich nungspunkt 12 — Erhalt der Buchpreisbindung — kein Ruhmesblatt, wenn wir bis zum Dienstagabend ohne Aussprache an die Ausschüsse zu überweisen. das öffentliche Schauspiel erleben mußten, wie eine Außerdem soll Tagesordnungspunkt 19r — Aufhe- Gewerkschaft in eine Fraktion hineinregiert und sich, bung einer Immunität — nach Tagesordnungspunkt 9 wie wir lesen konnten, sogar anmaßt, Abgeordnete aufgerufen werden. Die Punkte ohne Aussprache unter Druck zu setzen. werden vor der Fragestunde aufgerufen. — Sind Sie damit einverstanden? — Dazu höre ich (Zuruf von der CDU/CSU: Hört! Hört! keinen Widerspruch. Dann können wir so verfah- Peter Paterna [SPD]: Guck mal nach rechts, wie der Funke grinst!) ren. Die Deutsche Postgewerkschaft ist das Negativbei- Ich rufe Tagesordnungspunkt 5 auf: spiel für gnadenlose Interessenvertretung auf Kosten der Allgemeinheit. a) Erste Beratung des von den Fraktionen der (Beifall bei Abgeordneten der F.D.P.) CDU/CSU, SPD und F.D.P. eingebrachten Ent- wurfs eines Gesetzes zur Änderung des Grund- Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion ist in alle Ge- gesetzes spräche der letzten Monate von Anfang an mit prag- matischen Vorstellungen und mit Sinn für das Mach- — Drucksache 12/6717 — bare gegangen. Die Eckpunktepapiere vom Dezem- Überweisungvorschlag: ber 1992 und vom Juni 1993 beinhalten bereits nahezu Rechtsausschuß (federführend) alle die Lösungen, die wir schließlich auch im Ver- Ausschuß für Post und Telekommunikation handlungswege erreichen konnten. In der Verhand- b) Erste Beratung des von den Fraktionen der lungskommission war von Anfang an unstrittig, daß im CDU/CSU, SPD und F.D.P. eingebrachten Ent- Hinblick auf das zukünftig zu erwartende wirtschaft- wurfs eines Gesetzes zur Neuordnung des liche Umfeld der drei Postunternehmen eine Postre- Postwesens und der Telekommunikation form II unumgänglich ist. Kein vernünftiger Mensch in Deutschland hat das anders gesehen. Ich danke des- — Drucksache 12/6718 — halb ausdrücklich dem Deutschen Postverband, der Überweisungsvorschlag: Christlichen Gewerkschaft Post, dem Verband Deut- Ausschuß für Post und Telekommunikation (federführend) scher Post-Ingenieure und anderen Organisationen Rechtsausschuß der Arbeitnehmerseite der Postunternehmen, die c) Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrach- diese Verhandlungen im Gegensatz zur Postgewerk- ten Entwurfs eines Gesetzes zur änderung des schaft nicht mit einer Vogel-Strauß-Politik, sondern Postverfassungsgesetzes mit konstruktiven und zukunftsorientierten Anmer- — Drucksache 12/4329 — kungen uns gegenüber begleitet haben. Überweisungsvorschlag: (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ausschuß für Post und Telekommunikation (federführend) Denn oberstes Ziel unserer Verhandlungen war, eine Rechtsausschuß Reform in Verantwortung gegenüber den Postunter- d) Beratung des Antrags der Abgeordneten nehmen und den rund 700 000 Mitarbeitern zu ent- Dr. Gregor Gysi, Dr. Ilja Seifert, Bernd Henn werfen. und der Gruppe der PDS/Linke Liste Die Post braucht eine gute Ausgangsposition für ein Reform der Deutschen Bundespost Bestehen im zukünftig liberalisierten Markt. Wir — Drucksache 12/6635 — müssen so viele Arbeitsplätze wie möglich sichern und neue hinzugewinnen, und zwar durch aktives H an Überweisungsvorschlag: -deln und nicht durch schicksalsergebenes Abwarten. Ausschuß für Post und Telekommunikation (federführend) Ausschuß für Wirtschaft Die Postreform I, die vor vier Jahren in Kraft getreten Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung ist, hat uns wesentliche Freiräume zur Einleitung vor Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 208. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. Februar 1994 17923

Elmar Müller (Kirchheim) allem der organisatorischen Umwandlung in Aktien- Verkrampfungen lösen und sich pragmatisch den gesellschaften gegeben. Aufgaben der Zukunft stellen. Ich respektiere und Die jetzige Reform ist eine konsequente schrittweise nehme ausdrücklich zur Kenntnis, daß sich eine ganz Entwicklung weg von der Behörde Deutsche Bundes- klare Mehrheit der SPD, und zwar wohl auch durch post hin zu leistungsfähigen, am Markt orientierten die sachliche Auseinandersetzung am vergangenen und wettbewerbsfähigen Unternehmen. Allerdings ist Dienstag, für die Präzisierung und die Einbringung das zu ändernde Gesetzeswerk außerordentlich- der Gesetze ausgesprochen hat. Dies ist vor allem umfangreich, mehrere hundert Gesetze sind zu — ich sage das in aller Klarheit — der Kompetenz und berücksichtigen, und das Bild vom Zwerg, der den der Beharrlichkeit des Kollegen Bernrath zu verdan- Walfisch grillen will, ist aus der Sicht des einzelnen ken. Abgeordneten hier durchaus angebracht. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. sowie des Abg. Peter Paterna [SPD]) Auch die Dimension der Umwandlung ist in Deutschland, ja in Europa einmalig. Betroffen sind Die Gewerkspositionen, noch immer getragen von rund 700 000 Beschäftigte. Volkswirtschaftlich spre- einer Minderheit innerhalb der SPD, erwiesen sich chen wir von Unternehmen mit einem jährlichen immer deutlicher als fernab von jeder Realität. Sie Umsatz von zusammen rund 90 Milliarden DM und ignorieren schlicht die bereits heute zunehmende weiteren 80 Milliarden DM Bilanzsumme bei der Liberalisierung auf dem europäischen Markt und Postbank. Eine solche Privatisierung hat es meines halten die Augen verschlossen vor den technischen Erachtens noch nie gegeben. Entwicklungen, die nicht nur den Randbereich, son- dern heute bereits die Kerne der Monopole aushöhlen. Meine Damen und Herren, diese Postreform stellt Die Vorschläge der Gewerkschaft zeigen deren Angst die Weichen in die Zukunft. Ordnungspolitisch ist das vor der Zukunft, sie greifen zu kurz, und sie sind zur Auslaufen der Gesetze zum 31. Dezember 1997 aus- Herstellung der Wettbewerbsfähigkeit der Unterneh- reichend, da dies ein noch überschaubarer Zeitraum men völlig ungeeignet. ist und damit auch dem Beschluß des Ministerrats der Europäischen Union Rechnung getragen wird, nach Ich wiederhole an dieser Stelle noch einmal: Wir, dem die Monopole im Telefondienst zur gleichen Zeit der Deutsche Bundestag, sind nicht dazu da, die auslaufen sollen. Längerfristige gesetzliche Terminie- Pfründe der Deutschen Postgewerkschaft auf Dauer rungen, etwa bis zur Jahrtausendwende, hätten zwar zu sichern. Wenn die S trategie der Gewerkschaft und den Charme einer politischen Wettervorhersage, aber damit auch die Strategie des Vorsitzenden des Post- keinerlei ordnungspolitische Konsequenz. Zum einen ausschusses, des ansonsten sehr löblich arbeitenden gibt es darüber noch keine verbindliche Regelung der Herrn Kollegen Paterna, letztendlich aufgegangen Europäischen Union, zum anderen wird die techni- wäre, dann wäre damit dem Personal und den drei sche Entwicklung nach meiner festen Überzeugung Unternehmen ein Bärendienst erwiesen worden. alle derartigen politisch motivierten Festlegungen (Beifall des Abg. Dr. Wolfgang Weng [Gerlin überholen und ad absurdum führen. gen] [F.D.P.]) Die Befristung der Monopole muß im europäischen Ich hoffe, Herr Kollege Paterna, daß Sie im Zuge der Gleichklang erfolgen. Dies ist, glaube ich, auch unter Ausschußberatungen Ihre Meinung dazu gründlich Abwägung aller Gesichtspunkte der einzig richtige ändern. und gangbare Weg. Wir werden hier auf eine zügige Meine Damen und Herren, mit der Einbringung der Entwicklung hinwirken, aber wir wollen nicht einsei- Gesetze zur Postreform II sind wir auf dem richtigen tig unseren Kommunikationsmarkt für andere öffnen, Weg, die Postunternehmen in einen zukunftsorien- auf deren Märkte wir selbst nicht gelangen können. tierten und voll erfolgversprechenden Wettbewerb zu Die Grundgesetzänderung ist die Voraussetzung führen. Die Liberalisierung des Marktes kann schritt- für eine gemeinsame politische Lösung. Ich sage ganz weise erfolgen. Der Wirtschaftsstandort Deutschland offen: Wir haben so manches an Formulierungen wird gestärkt. Die Infrastruktur und damit die Ange- zugelassen, weil wir für diese Reform keinen Schön- bote an Dienstleistungen für die Bevölkerung — ob im heitspreis gewinnen wollten, sondern weil wir mit Bereich der technischen Kommunikation, ob im pragmatischen Lösungen eine Zweidrittelmehrheit im Bereich der Post- und Frachtdienste oder der Post- Bundestag und im Bundesrat herbeizuführen ha- bankdienstleistungen — bleiben zum Wohle unserer ben. Bevölkerung selbstverständlich und gesetzlich veran- kert gesichert. Leider konnte sich die SPD bis heute aus der Umklammerung der Postgewerkschaft nicht völlig Wenn diese Reform scheitern würde, dann dürfte lösen. Ich erwarte, daß wenigstens heute in der uns ein vorsätzliches oder fahrlässiges Verschulden öffentlichen Aussprache ein klares Wort gegenüber vorgeworfen werden. Herrn van Haaren zu hören ist. Danke schön. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Gesetze werden nicht von Gewerkschaftsfunktionä- ren, sondern von frei gewählten unabhängigen Abge- Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Als nächster spricht ordneten gemacht. jetzt der Kollege Hans Gottfried Bernrath. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Meine Damen und Herren, wenn es um die Zukunft Hans Gottfried Bemrath (SPD): Frau Präsidentin! geht, dann muß die SPD jetzt schlicht ideologische Verehrte Kolleginnen! Sehr geehrte Kollegen! Die 17924 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 208. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. Februar 1994

Hans Gottfried Bernrath SPD hält die Postreform II mit der Privatisierung der Die SPD hat auch ein Interesse an einer engen Unternehmen der Post für unumgänglich. Dies nicht Zusammenarbeit mit der Deutschen Postgewerk- zuletzt, weil die Postreform I ihrer dilettantischen schaft gehabt. Wir haben darin auch eine wichtige Anlage und vor allen Dingen auch ihrer dilettanti- — und Sie werden später erst erkennen, wie wich- schen Durchführung wegen kläglich gescheitert ist. tige — Voraussetzung für ein Gelingen dieser Reform gesehen. Jedenfalls haben wir einen regelmäßigen (Beifall bei der SPD) Austausch mit der Postgewerkschaft für fruchtbarer Die dafür Verantwortlichen sitzen heute leider nicht gehalten als Ihre Frühstücke mit den Bankenvorstän- hier. Sie wissen, aus welchen Gründen sie sich ver- den, was einer rein einseitigen, lobbyistisch orientier- drücken. ten Politik entsprach. (Beifall bei der SPD — Zuruf des Abg. Elmar Die Privatisierung ist eine, wenn nicht die einzige, Zukunftschance für Telekom, Postdienst und Post- Müller [Kirchheim] [CDU/CSU]) bank und damit auch für ihre Mitarbeiter. Sie schafft — Herr Müller, Sie brauchen heute bloß in die Presse die Voraussetzungen für mehr Wettbewerbsfähigkeit zu sehen, dann finden Sie dort alle Mängel aufgeführt. auch international und für eine stärkere Kapitalkraft Dort können Sie nachlesen, wie stark wir auch in dem der Unternehmen. schrittweisen Vorgehen unterstützt werden, damit diese Reform jetzt solide angelegt wird und wirklich Sie beendet die immer ungleicher werdende Aus- zum Gelingen führt. einandersetzung mit den ständig stärker werdenden Wettbewerbern. Die gegen Mitte bis Ende des Jahr- (Dr. Willfried Penner [SPD]: Herr Müller ist zehnts aus der Europäischen Union zu erwartenden noch nicht soweit! Es ist noch zu früh!) verbindlichen Liberalisierungsentscheidungen, z. B. Es soll nicht wild reguliert werden — ich komme zunächst der Wegfall des Telefonmonopols, werden darauf zurück —, denn damit wird eine konzeptionelle nur von Unternehmen bewältigt werden können, die Eingliederung in die europäische Entwicklung un- eine in Europa kompatible, synchronisierbare Rechts- möglich gemacht. form haben. Für uns waren folgende Gesichtspunkte besonders Die daraus resultierende Steigerung der Leistungs- wichtig: die zunehmende Dynamik des Kommunika- kraft der Unternehmen wird namentlich Verbrau- tionsmarktes, die wachsende Internationalisierung in chern und Kunden zugute kommen. Aber auch die diesem Sektor, die Sicherung einer modernen flä- Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Unternehmen chendeckenden Infrastruktur in der Telekommunika- der Post — um die 700 000 — werden mit dem tion, bei der Post, aber auch bei der Postbank, die Neuanfang günstigere Perspektiven als zuvor haben, Schaffung klarer regulatorischer Rahmenbedingun- zumal ihre erworbenen Rechtspositionen unangeta- gen für die nationalen Märkte, nicht zuletzt in der Zeit stet bleiben und durch die Reform wirtschaftlich eher bis 1998 als Vorstufe für die Liberalisierung. solider und vor allen Dingen auch langfristiger abge- deckt sein werden. Ich stimme dem zu, was ich heute morgen in einer Zeitung gelesen habe, nämlich daß gerade die Regu- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) lierung weitsichtig angelegt sei, aber schrittweise aufgebaut werden muß, damit es nicht zu insularen Das sieht auch die SPD so, und das sieht auch die Entwicklungen kommt, die wir nachher nicht mehr Deutsche Postgewerkschaft so. Denn beide, vor allen verknüpfen können. Dingen auch die Postgewerkschaft, haben in den Verhandlungen nicht Angst vor der Zukunft gezeigt, Diese Gesichtspunkte spiegeln auch die Bedeutung sondern sie haben sich besorgt gezeigt über die der Postreform II für die Unternehmen der Post wider, soziale Willkür der großen Unternehmen, die wir die einen hohen Eigenkapitalbedarf haben, weil sie gerade in diesen Monaten erleben: rigorose Nutzung zunehmend investieren müssen, beispielsweise im der Krise für Entlassungen, für Freisetzungen, für Telekommunikationssektor, vor allem aber auch, weil Sozialabbau usw. Das ist wahrlich kein Motiv für ein sie zusätzlichen Investitionsbedarf in den neuen Län- Mitwirken an dieser Reform. dern haben und weil sie — vor allen Dingen Telekom und Postdienste — derzeit massiv unterkapitalisiert Weil die Situation so ist, wie ich eben gesagt habe, sind und daher auch hohen Fremdkapitalbedarf stimmt die SPD-Bundestagsfraktion der Einbringung haben. dieses Gesetzespakets auch unter ihrem Namen zu. Wir haben es gefördert, nicht verzögert, Herr Kollege Dieser Kapitalbedarf kann ohne immense Belastun- Müller. Die Verzögerung lag insbesondere in Ihrer gen öffentlicher Haushalte unter den heutigen Bedin- stets schlechten Vorbereitung begründet, gungen nicht und künftig nur in der Rechtsform einer Aktiengesellschaft, also unter Mobilisierung privaten (Beifall bei der SPD — Widerspruch bei der in- und ausländischen Kapitals, gedeckt werden. CDU/CSU) Insofern mußten wir — das sage ich ausdrücklich — zwangsläufig auf die Durchsetzung unseres Reform- in einer mangelhaften Konzeption — das können Sie modells, das eher öffentlich-rechtlich angelegt ist, heute noch einmal in Zeitungen lesen, die Ihnen verzichten. Während der langen Beratungsphase hat- nahestehen — und in der Notwendigkeit, unsererseits ten sich die Voraussetzungen völlig verändert. stets zur Konkretisierung beizutragen, weil bei Ihnen das alles ein wenig offen vor sich ging, so unter der Die Rechtsform der Aktiengesellschaft ist aber auch Überschrift „Wenn wir's machen, wird's schon Voraussetzung für verstärkte internationale Aktivitä- was." ten sowie für das Eingehen s trategischer Allianzen. Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 208. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. Februar 1994 17925

Hans Gottfried Bernrath Sie macht die Existenzsicherung einer flächendek- Wichtig ist auch, daß wir bei der Mitbestimmung kenden Postbank nur als Vollbank in privater Rechts- eine Verständigung erzielt haben. Wir konnten zwar form aussichtsreicher. Sie stärkt die Wettbewerbsfä- unsere Forderung der uneingeschränkten Mitbestim- higkeit durch flexiblere personalrechtliche und perso- mung nicht durchsetzen. Sie haben aber zugestimmt, nalwirtschaftliche Möglichkeiten. daß wir im Rahmen des Mitbestimmungsgesetzes von 1976 die Wahrnehmung des Zweitstimmrechts so Schließlich soll auf diese Weise der gleiche Zugang regeln, daß der Aufsichtsratsvorsitzende das Zweit- zu gleichen Leistungen bei gleichen Preisen ermög- stimmrecht erst nach dem Versuch ausübt, über die licht werden. Das erfordert eine hochleistungsfähige Ausschüsse eine Einigung in strittigen Fragen herbei- Angebotsstruktur. Diese umfaßt die Anwendung von zuführen. Das ist das sogenannte Krupp-Modell, das einschließlich sozialer Er- Regulierungsgrundsätzen es seit Jahren im Ruhrgebiet gibt, aber noch nicht zur gänzungen. Dazu gehört vor allen Dingen, daß die Anwendung gekommen ist. Schon die Tatsache, daß für alle Wettbewerber Infrastrukturverpflichtungen es eine solche Vorschrift gibt, hat dazu beigetragen, gelten müssen, die der einheitlichen Bedienung aller daß sich die verschiedenen Bänke im Aufsichtsrat Regionen, Stadt und Land, sowie aller Branchen immer haben einigen können. dienen. Die Pensionslasten werden wie bisher von den In diesem Zusammenhang soll die Bundesregie- Unternehmen ge tragen. Der Börsenerlös soll aber rung, meinen wir, schon im Vorfeld der angestrebten überwiegend für die Stärkung der Finanzkraft und die Umwandlung der Unternehmen darauf hinwirken, Bildung von Rückstellungen, auch Rückstellungen daß die jetzt vorhandenen Dienstleistungsstruktu- zur Minderung der Risiken aus den Pensionslasten, ren in internationale Angebotsverbände einbezogen verwendet werden. Das ist übrigens auch eine Form werden. Damit soll insbesondere der dauernde Ver- günstiger Finanzierung der Unternehmen, weil die such, Lücken in den derzeitigen Nutzungsregelungen Rückstellungen nach der Bilanz ausgewiesen werden zum Nachteil der Telekom und der Postdienste zu und günstiger als Darlehen, also als Fremdkapital, umgehen, begrenzt werden. sind, während es sehr schwer sein wird, den Börsener- Die Kernelemente der vorliegenden Gesetzent- lös unmittelbar in die Eigenkapitalbasis der Unterneh- würfe kennzeichnen sich in folgenden Positionen: men einzuführen. Umwandlung in Aktiengesellschaften, Infrastruktur- Die Rechte des Personals werden gesichert. Wer im sicherung, Errichtung einer Holding als Anstalt des Beamtenstatus verbleiben will, kann das. Wer langfri- öffentlichen Rechts, einer Holding Deutsche Bundes- stig beurlaubt werden will, wird zur Wahrnehmung post sowie Kapitalmehrheit beim Bund für Postdienst einer Tätigkeit bei den Unternehmen beurlaubt. Das und Telekom für mindestens fünf Jahre. Über letzteres liegt dann im dienstlichen Interesse. Damit werden die werden wir uns noch unterhalten müssen. Wir wün- Versorgungsansprüche fixiert. schen eine unbefristete Kapitalmehrheit oder eine Die bisherigen Arbeitsverträge und Tarifverträge Kapitalmehrheit, deren Aufgabe von der Zustimmung gelten weiter. Sie müssen auch weitergelten, bis sie des Bundesrates abhängig gemacht wird. durch neue Tarifverträge, die zwischen den Tarifpart- Das Personal verbleibt wie bisher bei den Unter- nern verhandelt werden, abgelöst werden können. nehmen. Wir überlegen mit den Vertretern des Perso- Auch das ist eine Maßnahme der Vertrauensbildung, nals noch, wie wir den öffentlich-rechtlichen Bedin- die Sie nicht geringschätzen sollten. Davon gehen wir gungen, die sich aus dem Status der Beamten erge- jedenfalls aus, und wir werden das im Ausschuß noch ben, besser gerecht werden können. Die Aufgaben einmal klarstellen. der Holding, also der Bundesanstalt für Post und Alle personalrechtlichen und personalfachlichen Telekommunikation, sollen sich wirksam beziehen Entscheidungen liegen — jedenfalls soweit es um die auf die Wahrnehmung der Eigentümerfunktionen für Dienstherrenbefugnis geht — bei den Unternehmen. den Bund, den Verlustausgleich aus Dividenden Ich wiederhole: Wir haben sichergestellt, daß das zugunsten der Post-Aktiengesellschaft und auf die Betriebsverfassungsgesetz mit nur wenigen Sonder- Verwendung der Veräußerungserlöse aus den Bun- regelungen für Beamte einheitlich auf das gesamte desanteilen an den Aktiengesellschaften. Außerdem Personal der künftigen Unternehmen angewendet soll sie Zuständigkeiten gegenüber den Unternehmen wird. in der Koordinierung, im Abschluß von Manteltarif- verträgen und bei den sozialen Aufgaben haben. Wir haben alle Möglichkeiten zur Statussicherung und zur Altersversorgung der beurlaubten Beamten Ich betone ausdrücklich — auch darüber werden wir genutzt. Die beschlossene Vorruhestandsregelung noch einmal sprechen müssen —: Wir erkennen natür- wird uns bei den personalwirtschaftlichen Problemen lich die Bedingungen, die sich aus Art. 9 unserer helfen. Alle Sozialeinrichtungen der Post werden Verfassung und aus den aktienrechtlichen Regelun- ohne erneute Bedarfsprüfung weitergeführt werden gen ergeben. können. Im Überleitungsgesetz wird auch geregelt — das Damit werden über die Postreform II nicht nur die halten wir für wesentlich —, daß der Postdienst an der sozialen Bedingungen und die Interessen der Mitar- Postbank einen Anteil von mindestens 12,5 % hält, der beiter berücksichtigt, sondern auf diese Weise wird Bund einen solchen von 12,5 % plus einer Aktie, und auch die Motivation der Mitarbeiter und dadurch die zwar für einen Zeitraum von vier Jahren. Damit haben Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen verbessert, sie zusammen in dieser Zeit die Sperrminorität. Der wodurch in erheblichem Umfang Arbeitsplätze gesi- Postdienst darf nach dieser Regelung bis zu 87,4 % der chert werden. Darum schafft die Postreform II eine Aktien der Postbank erwerben. finanzielle Stabilität der Unternehmen, sie verbessert 17926 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 208. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. Februar 1994

Hans Gottfried Bernrath die Umsatz- und Ergebnischancen im Wettbewerb, sie Verbesserung der Eigenkapitalgrundlage an, auf sichert Arbeitsplätze, und sie öffnet den Unternehmen welche Weise auch immer wir das machen werden. die internationalen Märkte. Wir wollen, daß uns das von Ihnen nicht nur als Zusage zugestanden wird, sozusagen genehmigt wird, wie Sie Nicht zuletzt werden über ein Regulierungsgesetz eben gesagt haben, Herr Mü auch die öffentlichen Interessen wirksam gesichert. ller. Sie hätten ja man Ich sage hier noch einmal: Das ist so angelegt, daß -ches zugelassen, sagen Sie. Sie haben uns aber weitsichtig reguliert werden kann: zunächst die Regu- eingeladen mitzumachen, und Sie mußten froh sein, lierung innerhalb des BMPT, der Aufbau einer Instanz daß wir mitgemacht haben. Sonst säßen Sie jetzt auf mit einer weitestgehenden funktionalen Selbständig- dem Scherbenhaufen Postreform I. keit, die Beteiligung der Bundesländer über einen (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Regulierungsrat, der sich paritätisch aus Bundestag und Bundesrat zusammensetzt. Bei allen Entschei- Ich würde bei der Wortwahl denen gegenüber freund- licher sein, die Sie jetzt zum Ziel tragen. dungen wirkt dieser Regulierungsrat, der Initiativ- und Beschlußrechte hat, mit. ( [CDU/CSU]: Er hat Sie Ich sage hier ausdrücklich: Uns wäre lieber, wir aber gelobt!) würden darauf verzichten, die Einrichtung für die — Herr Schulhoff, als Düsseldorfer und Nachbar, Regulierung im Ministerium aufzubauen. Aber das ist halten Sie sich zurück! eine Lieblingsidee des Postministers. Die Beamten Wir wollen, daß eine verbindliche Zusage entweder haben ihn davon überzeugt, daß ihre Existenz lebens- über das Artikelgesetz oder in vergleichbarer Qualität notwendig ist. Wir sehen das völlig anders, zumal sich beschlossen wird. während der Beratungen gezeigt hat, mit welchem Dilettantismus dort beraten worden ist und mit wel- Die Rahmenbedingungen für eine institutionelle cher Zögerlichkeit die notwendigen Entscheidungen Zusammenarbeit zwischen Postdienst und Postbank vorbereitet wurden. Auf ein solches Ministerium wer- sind zu verbessern, Graf Lambsdorff, und zwar nicht, den wir weitgehend verzichten können. indem wir Risiken aus der Post auf die Postbank verlagern. Da stimme ich Ihnen völlig zu; Sie haben (Beifall bei der SPD) das einmal so ausgedrückt. Das kann natürlich nicht Unser Vorsitzender hat ja schon angekündigt, daß gehen. Die Post muß die Chance, jetzt ohne die nach dem zu erwartenden Wahlsieg der Sozialdemo- Fesseln, die sie bisher hatte, in den Wettbewerb gehen kraten das Ende für das Postministerium gekommen zu können, nutzen können. Aber in der Bedienung der sein wird. Fläche ist, auch was die Wirtschaftlichkeit angeht, (Zurufe von der CDU/CSU) eine Zusammenarbeit mit den Postdiensten eine wich- tige Voraussetzung. — Ihre Unruhe verstehe ich. Aber nutzen Sie die letzten Monate noch zur Zusammenarbeit mit uns. Zu den Rechten der Beschäftigten, insbesondere zu Dann machen Sie wenigstens zum Schluß noch einen den tarifvertraglichen Regelungen, habe ich eben guten Eindruck. schon das Notwendige gesagt. Die Schutzwirkung aus den bestehenden Tarifverträgen darf nicht aufgelöst (Heiterkeit und Beifall bei der SPD) werden. Die Versorgungsansprüche müssen nicht nur Wir machen aber auch darauf aufmerksam, verehrte über die Nutzung der Börsenerlöse gesichert, sondern Damen und Herren, daß die Einbringung von unserer auch institutionell, also über eine gesetzliche Garan tie Seite konditioniert wird und die Schlußabstimmung des Bundes, ausdrücklich noch einmal auch in Rich- vom Ergebnis der Beratungen im Ausschuß abhängig tung Unternehmen erklärt werden. gemacht wird. Ich will die Stichworte nennen — Sie Eine zügige Nachversicherung bei Statuswechsel kennen die Positionen; sie wurden eben schon ange- ist notwendig — auch von uns gefordert —, nicht erst deutet —: Wir fordern die verfassungsrechtlich abge- Nachversicherung bei Eintritt des Versorgungsfalles. sicherte Mehrheit des Bundes bei den Unternehmen, Die Bundesanstalt für Versicherung braucht dieses und zwar unbefristet, oder bei Aufgabe der Beteili- Geld — wir haben es auf bis zu 500 Millionen DM gung die Zustimmung des Bundesrates, also ein jährlich limitiert —, wenn es so viele Übernahmen aus zustimmungspflichtiges Gesetz. Wir wollen den Infra- dem Beamtenverhältnis in das Tarifverhältnis gibt. strukturauftrag noch stärker sichern und einen flä- chendeckenden Zugang bei vergleichbaren Preisen Wir regen an, Herr Minister, daß Sie schon während gewährleisten. Hinsichtlich der rechtlichen Ausge- der Beratungen im Postausschuß Verhandlungen mit staltung in diesem Zusammenhang wollen wir diffe- der Deutschen Postgewerkschaft zur Erarbeitung der renzierte Lösungen mit Blick auf die Gelbe Post und Einzelregelungen für die Personalüberleitung, also in die Telekom. „Differenzierte Lösungen" heißt: Wir dem Rahmen, den wir vorgegeben haben, führen. Und werden bei der Telekom sehr schnell handeln müssen, ich sage noch einmal ausdrücklich — die Redezeit wir können uns aber sehr wohl überlegen, wann wir läuft ab —: Die Manteltarifzuständigkeiten müssen was bei der Gelben Post tun, weil sie beispielsweise gestärkt werden, die Unternehmen müssen sich zu die Voraussetzungen für eine Börseneinführung in einer Tarifgemeinschaft zusammenschließen. absehbarer Zeit noch nicht haben wird. Die Dienstherrenbefugnis muß bei den Unterneh- Die Sicherung der Verkaufserlöse zur Stärkung der men liegen, die Dienstherreneigenschaft wollen wir Finanzkraft der Unternehmen ist ganz wesentlich; ich an die Holding geben. habe es angedeutet. Wir streben eine Minderung der Es darf keinen Vorgriff auf die Deregulierungsent- Lasten aus den Pensionsverpflichtungen und die scheidungen der Europäischen Union geben. Hin- Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 208. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. Februar 1994 17927

Hans Gottfried Bernrath sichtlich beantragter, eingeleiteter und für 1994 längst verlassen haben. Es gibt eben nicht mehr nur geplanter Regulierungsentscheidungen haben wir den Brief, den Telegrafen oder das Telefon. eine Verabredung darüber ge troffen, was noch durch- geführt wird und was nicht oder was nach den Die internationalen Verknüpfungen in der Tele- vereinbarten Regulierungsschritten getan werden kommunikation lassen Monopole von Staatsbetrieben kann. Das wird sinnvoll und auch im beiderseitigen nicht mehr zu. Der Wettbewerbsdruck ist viel zu groß. Einvernehmen geschehen. Das gilt vor allen Dingen Der Wettbewerb aber ist hochnotwendig, wollen wir auch für die Infopost; denn Sie wollen ja lebenskräf- unserer Verantwortung, flächendeckend ein preis- tige, wettbewerbskräftige Unternehmen und nicht wertes und leistungsfähiges Informations- und Kom- vorher demontierte Unternehmen haben. Darum auch munikationssystem anzubieten, gerecht werden. präziser gefaßte Regulierungsziele mit sozialer Kom- Leider war es nicht möglich, die für unseren Wirt- ponente. Zur Regulierungsinstanz habe ich eben das schaftsstandort Deutschland nötigen Entscheidungen Notwendige gesagt. so durchzusetzen, daß für potentielle deutsche Unter- Meine Damen und Herren, die mit der Mate rie nehmen klar erkennbar wird, wann, wo und wieviel vertrauten Kolleginnen und Kollegen werden feststel- Finanzmittel sie in einer von allen Seiten anerkannten len, daß unsere Konditionen keineswegs unüberwind- Wachstumsbranche zu investieren haben, wenn es liche Hürden für einen Konsens sein werden, wohl sich lohnt. So werden wir eben nicht die Postreform II, aber Voraussetzungen für einen sinnvollen Übergang sondern die Postreform Stufe I b verabschieden kön- aus der jetzt sehr verkrusteten Organisationsform der nen. Unternehmen hin zu einer dann dem Wettbewerb geöffneten Unternehmensstruktur. (Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [F.D.P.]: Schade!) Eine befriedigende Lösung der oben angedeuteten Punkte in den Ausschußberatungen ist für eine Das umfangreiche Gesetzesvorhaben, das die Ver- abschließende Zustimmung der SPD ebenso unerläß- handler der Fraktionen politisch vorbereitet haben, lich wie die einvernehmliche Formulierung der in der bringt mit der Grundgesetzänderung die Vorausset- interfraktionellen Verhandlungskommission noch zung für die Schaffung von Aktiengesellschaften aus nicht beratenen Art. 8 bis 14. Das müssen wir noch unseren drei Postunternehmen nach dem deutschen machen. Und ich erinnere daran, daß der Begrün- Aktienrecht. Damit ist viel verbunden; insbesondere dungstext — ich will mich dazu nicht auslassen — ist damit auch die Frage der Mitbestimmungsrechte ausgetauscht werden muß. der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter verbunden. Das Ich habe die sichere Erwartung, daß es klappt, vor wiederum ist die Grundvoraussetzung für die Einwer- allen Dingen dann, wenn wir bei den Beratungen im bung von privatem Kapital an den Börsen, das für die Ausschuß auf Mehrheitsentscheidungen verzichten, Unternehmen so wichtig ist wie die Luft zum also mit dem Ziel der Einigung verhandeln. Das haben Atmen. wir ja vor. Ich hoffe darum auf sachbezogene, inten- Wir alle, unser Parlament und die Bundesländer, sive und straffe Beratungen. stehen in der Verantwortung, diesen Weg konsequent Ich betone noch einmal: Die SPD-Fraktion stimmt und ohne weitere Einschränkungen frei zu machen; aus den eben angedeuteten Gründen der Einbringung das sind wir vor allen Dingen auch den Beschäftigten zu. in den Postunternehmen schuldig. Danke schön. Herr Kollege Bernrath, wenn Sie gleich zu Beginn (Beifall bei der SPD) der Debatte nach dem, was wir politisch vereinbart haben, Fußangeln auslegen und letztendlich in Frage stellen — das ist der letzte Punkt Ihrer Pressemittei- Als nächster spricht Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: lung, die Sie veröffentlicht haben —, ob die Zustim- der Kollege Jürgen Timm. mung zu diesem Vorhaben von Ihnen überhaupt erlangbar ist, dann geben Sie die Regel auf, die wir Jürgen Timm (F.D.P.): Frau Präsidentin! Meine sehr uns selbst gegeben haben, nämlich innerhalb der verehrten Damen und Herren! Für die Staatsunter- Beratungen keine Änderungen mehr an den politi- nehmen der Deutschen Bundespost hat sich die Welt schen Grundsätzen, für die wir uns eingesetzt haben, verändert. vorzunehmen. (Hans-Eberhard Urbaniak [SPD]: Für die (Hans Gottfried Bernrath [SPD]: Es gibt nur F.D.P. auch!) einen Grundsatz: Das ist die Umwandlung in Die Hochtechnologie in der Kommunikation hat in Aktiengesellschaften!) den letzten Jahrzehnten Riesensprünge getan, sie hat Es geht z. B. darum, ob der Postdienst bei der im wahrsten Sinne des Wortes alle Grenzen Postbank 87,4 % erwerben darf; das wäre genau gesprengt. Jetzt müssen auch die Fesseln fallen. kontraproduktiv und entspräche überhaupt nicht den Andere Staaten in Europa und der Welt haben ihre politischen Voraussetzungen. Die zweimal 12,5 % der Maßnahmen schon lange vor uns eingeleitet und Aktien sind das Minimum, aber auch das Maximum, zielstrebig umgesetzt. Nur in Deutschland sind die um diese beiden Gesellschaften in vernünftiger Form Postunternehmen noch Behörden, obwohl die meisten unternehmerisch tätig werden zu lassen. Aufgaben gar nicht unter irgendein Monopol fallen müßten, weil sie den Rahmen einer früher einmal (Hans Gottfried Bernrath [SPD]: Warum heißt durch das Grundgesetz zu schützenden Infrastruktur es denn „mindestens"?) 17928 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 208. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. Februar 1994

Jürgen Timm — Ich habe ja gesagt: Das ist das Minimum, aber auch Es muß auch damit aufgeräumt werden, daß wir in das Maximum dessen, was man für vernünftig arbei- der europäischen Entwicklung nur darauf vertrauen tende Unternehmen zulassen kann. können, wann in der EU bestimmte Entscheidungen über die Aufgabe von Monopolen getroffen werden. (Peter Paterna [SPD]: Merkwürdige Mini Wir waren uns doch darüber einig, daß die Liberali- -maxmethode!) sierung der Unternehmensaufgaben und der Märkte — Das war der Kompromiß. Wenn Sie den nicht mehr in Europa unaufhaltsam ist. aufrechterhalten wollen, dann stellen Sie alles wieder in Frage. Die zeitliche Fixierung von Monopolabbau war abgestimmt mit der Notwendigkeit und der Möglich- Nur moderne, leistungsfähige Unternehmensstruk- keit der Unternehmen Post und Telekom, sich wettbe- turen können die Arbeitsplätze sichern und neue werbsfähig zu machen. Wir haben uns die Fristen von Chancen eröffnen. Die Unternehmen müssen die Jahren ja nicht aus den Fingern gesogen, sondern wir Chancen erhalten, durch kreatives Handeln auch haben genau darüber nachgedacht, was der richtige Normen zu setzen. Der große Dienstleistungsmarkt Zeitpunkt sein kann. steht ihnen dazu dann offen. Ich habe überhaupt keine Befürchtungen, daß unsere Unternehmen Gefahr lau- Es muß also klar bleiben, daß es nach wie vor unser fen könnten, im Wettbewerb unterzugehen. Die gemeinsamer politischer Wille ist, den deutschen Umstrukturierungen müssen nur konsequent durch- Unternehmen rechtzeitig und konsequent den Weg in geführt werden. Ich habe auch keine Befürchtungen, den Wettbewerb freizuschaufeln. In dieser Zeit — ge- daß die Beschäftigten keine Motivation aufbringen rade jetzt — sind die europäischen Wettbewerber könnten, die neuen Unternehmen leistungsfähig zu nämlich bereits tätig und dabei, ihre Chancen zu erhalten und zu verbessern. Denn wann wird schon nutzen und sich zu etablieren. Das kann nur zum die Gelegenheit geboten, eine so große Sache von Nachteil unserer Unternehmen gereichen. Jedenfalls Anbeginn an mitzugestalten? müssen Telekom und Post schnell in die Lage versetzt werden, sich ihren Anteil am internationalen Kommu- Es muß auch mit der falschen Darstellung aufge- nikationskuchen zu sichern. Ein Moratorium, ein räumt werden, es gebe in den Fraktionen unterschied- Stillhalten bei der Liberalisierung darf es nicht geben. liche Auffassungen über eine ordentliche und gerecht Das schützt unsere Unternehmen nicht, das ist kon- gelöste insonderheit Übernahme der Beschäftigten, traproduktiv. der vielen Beamten, in die neuen Unternehmen. Das (Beifall bei der F.D.P.) Gegenteil ist doch der Fall. Hier zu guten und verträg- lichen Lösungen zu kommen war von Anbeginn an Ein ganz wichtiger Punkt ist zweifellos die Frage der eine wichtige Sache. Nur die Käseglockenpolitik Rechte der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bei der einiger Strategen der Postgewerkschaft hätte Übernahme in die neuen Unternehmen. Auch hier schlimme Folgen für die Unternehmen und die gilt: Es gab und gibt keinen Dissens bei der Lösung der Beschäftigten, wollte man ihr nachgeben. Wir waren aufkommenden Fragen. Ich sehe das so, daß wir es nicht, die zugelassen haben, daß in unseren Frak- überzeugende Lösungen erarbeitet haben. Natürlich tionen die Funktionäre der Postgewerkschaft Sitz und bedeutet die Umwandlung der Postunternehmen ein Stimme bekommen haben. So kann das nicht funktio- Ausscheiden aus dem öffentlichen Dienstrecht. Aber nieren. das war nicht der Grund für die Entscheidung für (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne- Aktiengesellschaften. Der lag in den wirtschaftspoliti- ten der CDU/CSU) schen und arbeitsplatzpolitischen Notwendigkeiten. Das haben Sie auch selber gesagt. Ich bin auch dagegen, Herr Kollege Bernrath, daß Sie die Mitarbeit der Beamten in unseren Verhand- Deutschland kann sich nicht erlauben, den gängi- lungsrunden beinahe zum Anlaß für Beschimpfungen gen internationalen Unternehmensstrukturen kein dieser Mitarbeit genommen haben. vergleichbares System gegenüberzustellen. Es ist in der Frage der Infrastruktursicherung und der dazu (Hans Gottfried Bernrath [SPD]: Dazu habe hoheitlichen Aufgabe des Bundes von Wichtigkeit, ich allen Grund!) daß wir uns mit den Bundesländern verständigen. Im Sie haben auch Ihnen vernünftig zugearbeitet. Wir politischen Geschäft ist es nun einmal so, daß jeder auf haben nicht mit allen möglichen Leuten gefrühstückt; seine Weise das meiste dazu einfordert. wir haben meistens nur zusammen gefrühstückt und Ich denke, daß auch die Bundesländer nicht wollen haben dabei beraten und die Texte, die uns vorgelegt können, daß sich bei der hohen Bundesverantwor- wurden, überprüft, ob sie haltbar und richtig sind. Daß tung, wie sie im Grundgesetz steht, die Mitwirkung chen oder in den wir dann zu einer Einigung in m an des Bundes nur auf den Zahlmeister reduziert. Des- meisten Punkten gekommen sind, spricht doch halb ist es auf der einen Seite wichtig, daß die eigentlich nur dafür, Bundesländer über den zu schaffenden Regulie- (Hans Gottfried Bernrath [SPD]: Wer sich rungsrat ihre Rechte wahrnehmen können. Auf der verteidigt, klagt sich an !) anderen Seite muß es aber bei der Bundeskompetenz in der Gesetzgebung und auch bei der Entscheidungs- daß die Beamten gute Arbeit geleistet haben. freiheit über das eigene Kapital bleiben. Es wird keine (Martin Göttsching [CDU/CSU]: Herr Be rn „Post deutscher Länder" geben, sonst wäre das ried -rath hat doch mitgegessen! — Hans Gottf Reformwerk gerade im Hinblick auf die Infrastruktur- Bernrath [SPD]: Ich bin immer etwas zu spät sicherheit falsch angelegt. Die muß in einer H and gekommen, aber es reichte!) bleiben. Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 208. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. Februar 1994 17929

Jürgen Timm Nutzer und Kunden unserer Postunternehmen wer- bereits im vorauseilenden Gehorsam vier Jahre früher den letztendlich den Vorteil der neuen Unterneh- und dann noch falsch zu reagieren. Eine Liberalisie- mensstrukturen durch Verbesserung der Dienstlei- rung z. B. ab 1998 — meinetwegen auch früher — stung und durch günstigere Tarifgestaltungen haben. wäre möglich auch ohne Privatisierung — das muß Das ist ein wichtiges Ziel, auch wenn es erst endgültig einmal deutlich betont werden — dieser bundeseige- durch den vorläufig noch blockierten Wettbewerb nen Postunternehmen. - erreicht werden kann. Die Privatisierung hat nämlich folgende negative Es ist ja nicht nur wegen der Postreform bekannt, Konsequenzen. Zunächst einmal wird der Staat daß uns in der Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik geschwächt. Durch die Privatisierung von Telekom von der SPD Welten trennen. Je schneller der Wett- z. B. verliert er eine wichtige Einnahmequelle. Diese bewerb aber kommt und seine Kräfte freisetzt, um so Lücke muß irgendwie ausgeglichen werden. besser ist es für die Unternehmen und alle Beteiligten, insbesondere für die Schaffung von Arbeitsplätzen. (Dr. Willfried Penner [SPD]: Die werden jetzt mehrwertsteuerpflichtig!) Mit einem weiteren Märchen muß ebenfalls noch aufgeräumt werden; es betrifft die erste Stufe der Die Rezepte der Bundesregierung sind bekannt, Postreform. Sie ist nicht mißlungen. Sie war notwen- nämlich höhere Neuverschuldung und Abbau sozialer dig und konnte den Grundstein für die zweite, eigent- Leistungen. lich als letzte angesehene Reformstufe legen. Daß sie (Dr. Kurt Faltlhauser [CDU/CSU]: Jetzt bei der Umsetzung mitten in die Wiedervereinigung kommt er zur Marktwirtschaft! Ich freue hineinplatzte, kann man niemandem zum Vorwurf mich!) machen. Aber daß bei der jetzt eingeleiteten nächsten Stufe — ich sage I b — zu kurz gesprungen wird, hätte — Das waren bisher immer bundeseigene Unterneh- vermieden werden können. Damit steht eine weitere, men. Sie haben damit in der Bundesrepublik Deutsch- abschließende Stufe der Reform schon vor der Tür. land ganz gut gelebt. Tun Sie doch nicht so, als ob ich etwas vorschlagen würde, was es in der Bundesrepu- Die F.D.P.-Fraktion hat den Fortgang des Reform- blik nicht gab. vorhabens zu keiner Zeit blockiert. Allseits einsichtige Forderungen an eine Reform sollten auch in ihr (Hans Gottfried Bernrath [SPD]: Herr Gysi, enthalten sein. Wenn denn nun auch nicht alles der Bund verliert, nicht der Staat!) durchsetzbar war, werden wir uns dem Fortgang der Sozialabbau aber verstärkt die soziale Ungerechtig- parlamentarischen Beratungen natürlich nicht ver- keit, führt zu immer mehr Armut, reduziert die Nach- schließen. Der gefundene politische Konsens aber frage und damit den Umsatz in Handel und im darf nicht aufgekündigt werden. Die Beratungen Dienstleistungsbereich bis hin zu Produktionsunter- müssen zügig zum Abschluß gebracht werden, damit nehmen und hat dann auch Arbeitsplatzabbau zur die in den Gesetzen enthaltenen Kräfte umgehend Konsequenz. freigesetzt werden können. (Dr. Willfried Penner [SPD]: Körperschaft Vielen Dank. steuer!) (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) Zweitens verstärkt der Staat seine Abhängigkeit von der Privatwirtschaft. Schon heute ist er nicht mehr Als nächster spricht Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: in der Lage, z. B. die Steuerzahlungspflicht großer der Abgeordnete Dr. Gregor Gysi. Konzerne durchzusetzen. Damit der Staat aber seine ordnungspolitische Verantwortung auch und gerade Dr. Gregor Gysi (PDS/Linke Liste): Frau Präsident! im sozialen und im Steuerbereich wahrnehmen kann, Meine Damen und Herren! Der Kollege Timm hat braucht er Eigentum; nicht nur als Einnahmequelle, darauf hingewiesen, daß die Gewerkschaften in sei- sondern damit auch das Verhältnis zur Privatwirt- ner Fraktion weder Stimme noch Sitz, noch Einfluß schaft in gegenseitiger Abhängigkeit besteht. haben. Das ist wahr. Das merkt m an auch an der Politik. Aber ich finde, Sie sollten sich dessen nicht Wenn Sie die Bahn, die Post, die , die auch noch rühmen. Autobahnen, die staatlichen Immobilien privatisieren und die Kommunen zwingen, ihr Eigentum ebenfalls Die Fraktion der Regierungskoalition und die SPD zu privatisieren, dann bleibt dem Staat fast nichts. haben gemeinsam ein Gesetzespaket zur Postreform II Seine Gesetze werden zur Makulatur. Wahlen verlie- eingebracht. Diese Reform, die im Ke rn die Privatisie- ren an Bedeutung. Denn die Möglichkeiten von Par- rung der drei bestehenden Postunternehmen durch lament und Regierung zur Regulierung werden immer die Bildung von Aktiengesellschaften vorsieht, findet eingeschränkter. Die Folge wird wachsende Demo- unsere Ablehnung. Der Bundespostminister hat ver- kratieverdrossenheit sein. Zum Ausgleich müßten Sie sprochen, daß durch diese Reform den Kunden noch den Menschen wenigstens gestatten, die Leitung der günstigere Preise angeboten werden. Ich habe da Konzerne zu wählen. Aber soviel ich weiß, ist das nicht meine Zweifel und glaube, daß die Aussage auch vorgesehen. falsch ist und daß es darum gar nicht geht. Es handelt sich nämlich um einen weiteren Meilen- (Dr. Willfried Penner [SPD]: Das ist nun auch stein in der konservativ-liberalen Deregulierungspo- widerlegt!) litik, und zwar im europäischen Maßstab. Bis 1998 Künftig werden Investitionen wie im Telekombe- sollen nach Absicht der Europäischen Union die reich in den neuen Bundesländern ausgeschlossen staatlichen Postmonopole fallen. Niemand zwingt sein. Hier haben Sie ausnahmsweise tatsächlich viel allerdings die Regierungskoalition und die SPD dazu, zur Ausgleichung von Defiziten aus DDR-Zeiten 17930 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 208. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. Februar 1994

Dr. Gregor Gysi getan. Denn 60 Milliarden DM wurden in diesem kehr zur Erreichung von Postämtern wird zuneh- Bereich investiert. Es wird nie ein p rivates Unterneh- men. men geben, das in dieser Größenordnung investieren In mehreren größeren Städten soll nach Pressebe- kann und investieren will. richten die Zahl der Telefonzellen verringert werden. (Hans Gottfried Bernrath [SPD]: In so kurzer Von einer flächendeckenden Versorgung und Infra- - Zeit, da haben Sie recht!) struktur kann dann keine Rede mehr sein. Es versteht sich fast von selbst, daß diese radikalen Kürzungen An die Stelle des staatlichen Monopols wird gar von Einrichtungen der Post mittelfristig auch zu Ent- nicht wirklich mehr Wettbewerb treten. Nach einer lassungen bei der Post führen und damit die Massen- kurzen Phase wird an die Stelle des staatlichen arbeitslosigkeit verschärfen werden. Monopols privates Monopol treten. Das wissen Sie auch. Das bedeutet, daß Sie im Grunde genommen Herr Dr. Gysi, nur die Gewinne privatisiert haben. Darauf läuft das Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Ganze hinaus. Die internationalen Konzerne werden Müller? sich untereinander abstimmen, wie schon heute die Zusammenarbeit der deutschen Telekom mit der französischen Telecom für die osteuropäischen Dr. Gregor Gysi (PDS/Linke Liste): Ja. Märkte beweist. Es geht auch nicht darum, mehr Verbraucher- Elmar Müller (Kirchheim) (CDU/CSU): Kollege freundlichkeit zu schaffen. Ich glaube eher, sie wird Gysi, wollen Sie zur Kenntnis nehmen, daß die Hal- abgebaut werden. Auch Preissenkungen werden bierung, vor allem die Spartenorganisation der Post- nicht die Folge sein, sondern Preissteigerungen. ämter, ausschließlich den Verwaltungsteil, in keiner Weise aber den Publikumsverkehr betrifft und inso- Die drei Postunternehmen könnten im Interesse fern kein Bürger davon betroffen ist? einer Liberalisierung als öffentlich-rechtliche Anstal- ten organisiert werden. Statt dessen sollen sie als (Widerspruch bei der PDS/Linke Liste — Aktiengesellschaften lediglich unter dem Dach einer Zuruf von der CDU/CSU: Das versteht er ja öffentlich-rechtlichen Holding firmieren. Die Privati- sowieso nicht!) sierung sieht nur eine befristete, keine dauerhafte Mehrheitsbeteiligung des Bundes an den künftigen Dr. Gregor Gysi (PDS/Linke Liste): Darf ich Sie Aktiengesellschaften vor. Immerhin haben Sie von darauf hinweisen, daß jetzt schon Postämter geschlos- der SPD das mit unterschrieben. Es ist so in den sen werden, die durchaus den Kundendienst gegen- Bundestag eingebracht worden. Wie wollen Sie die über Bürgerinnen und Bürgern betreffen, und zwar in staatliche Infrastrukturverpflichtung des Bundes nicht geringer Zahl. eigentlich einlösen, wenn Sie jegliche staatliche Ein- (Beifall bei der PDS/Linke Liste) flußnahme Schritt für Schritt abgeben? Können Sie mir einmal erklären, wie Sie mit einem Im übrigen soll die für den Privatisierungsübergang Privatunternehmen eine Poststelle in einem Dorf vorgesehene „Bundesanstalt für Post und Telekom- ernsthaft aufrechterhalten wollen, die sich nie und munikation" im wesentlichen nur Beratungsfunktion nimmer rechnet? Die Wege für die Bürgerinnen und ausüben dürfen. Bürger werden immer länger werden. Das steht fest, Der Bundeskanzler hat es besonders eilig, wenn er und das ist das Entscheidende. Wenn Sie die Verwal- schon jetzt dem Quelle-Konze rn im voraus eine Lizenz tung reduzieren, hat das irgendwann auch Auswir- für die Info-Post zusichert. Gerade die knallharten kungen auf die Postschalter und die entsprechenden Marktwirtschaftler werden erläutern können, was das Dienste. Das ist zumindest meine Auffassung. bedeutet und zu welchen Konsequenzen das Ganze (Jürgen Timm [F.D.P.]: Genau in dem Fall ist führt. das private System besser als das öffentli che!) (Elmar Müller [Kirchheim] [CDU/CSU]: Zu Preissenkungen!) Lassen Sie mich noch ein Beispiel nennen. Eine alleinstehende ältere Frau in einem Dorf möchte einen Nun wollen wir uns einmal mit den Dienstleistun- Telefonanschluß haben. Es würde für ein p rivates gen beschäftigen. Unternehmen — ebenso auch für ein staatliches — eine Menge Kosten verursachen, ihr diese Telefonlei- (Dr. Otto Graf Lambsdorff [F.D.P.]: Dann mal tung zu legen. Ihr geht es in erster Linie darum, daß sie los!) Angst hat, nicht rechtzeitig den Arzt anrufen zu Geplant ist beispielsweise die Neuaufteilung des können, wenn es ihr einmal nicht gut geht. Sie führt Postdienstes nach Brief, Fracht und Vertrieb, d. h. in vielleicht 25, 26 Gespräche im Jahr. Dieser Anschluß Bereiche, wo man Gewinne abschöpfen kann, und in rentiert sich nie. Wenn man das privatwirtschaftlich solche, wo man mehr verliert. Danach soll es aufgeteilt organisiert, ist klar, daß diese Frau irgendwann ein- werden. Dem Staat bleiben wie immer die Verluste. mal ausgeschlossen wird oder solche Tarife festgelegt werden, daß es für Menschen mit geringen Einkünften Das Postdienstkonzept sieht eine Halbierung der unbezahlbar wird. Zahl der 384 bestehenden Postämter auf 164 Sparten- niederlassungen vor. Die Folgen für ältere Menschen (Widerspruch bei der CDU/CSU) oder für Menschen mit Behinderungen sind ebenso Wenn Sie hier die Tür einen Spalt aufmachen, wird sie verheerend wie die ökologischen. Denn der Privatver- natürlich irgendwann ganz aufgemacht. Sie bremsen Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode -- 208. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. Februar 1994 17931

Dr. Gregor Gysi das doch nicht mehr; das wissen Sie selbst aus eigener Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Als nächster spricht Erfahrung. Bundesminister Dr. Wolfgang Bötsch. Schließlich ist diese Postreform auch mit einem erheblichen Abbau der sozialen, tariflichen und Dr. Wolfgang Bötsch, Bundesminister für Post und demokratischen Rechte und von Arbeitsplätzen über- Telekommunikation: Frau Präsidentin! Meine sehr haupt verbunden. Beamtete Beschäftigte ohne die- verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Gysi, als vollen Koalitions- und Gewerkschaftsrechte unterlie- multifunktionale parlamentarische Mehrzweckwaffe gen den privaten Aktionärsinteressen; soziale Be- Ihrer Gruppe standsgarantien fehlen oder werden abgebaut; die (Heiterkeit bei der CDU/CSU) betriebliche Mitbestimmung wird eingeschränkt, und es fehlen einheitliche soziale und tarifrechtliche Stan- hätten Sie besser die Finger von der Postreform dards für die Beschäftigten in allen drei Aktiengesell- gelassen und dies vielleicht denen überlassen, die sich schaften. Neue Beschäftigte erhalten keinen Beam- wirklich seit vielen, vielen Monaten mit dieser Frage tenstatus, d. h., bei gleicher Tätigkeit wird es einen intensiv beschäftigt haben. anderen rechtlichen und sozialen Status geben, was (Dr. [PDS/Linke Liste]: immer problematisch ist. So ein Multitalent hat die Regierung eben nicht!) Bis zu 100 000 Stellen sollen in den kommenden Aber es hat sich gezeigt, daß Sie eben nicht der Jahren bei den Postdiensten abgebaut werden. Ich Postminister sind, sondern ich, und das ist gut so. habe gerade von jugendlichen Postgewerkschaftern ein Schreiben erhalten, in dem sie darauf hinweisen, (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU — daß von den 3 554 Kommunikationselektronikern bei Dr . Wilfried Penner [SPD]: Aber von Gebüh der Telekom in diesem Jahr nur 150 übernommen renfrage versteht er doch was! — Weitere werden sollen. Über 3 000 gut ausgebildete junge Zurufe) Menschen sollen in die Arbeitslosigkeit geschickt — Der Postminister soll abgeschafft werden? Ich stelle werden. Und die Bundesregierung stellt sich hier hin fest, daß Herr Scharping im Bund sechs Ministerien und preist ihr mit der SPD verabredetes Privatisie- abschaffen will, und in Rheinland-Pfalz hat er zwei rungskonzept an! Das ist der Beitrag beim Kampf zusätzliche installiert. gegen Massenarbeitslosigkeit? (Zurufe von der CDU/CSU: So ist es! — Hört, Wir lehnen diese Postreform ab. Wir befürchten hört!) einen Abbau der Zahl der bei den drei Postunterneh- Das ist das, was er so vorhat. men Beschäftigten, einen Abbau ihrer sozialen Rechte (Zustimmung bei der CDU/CSU — Jürgen und der Mitbestimmung, eine enorme Schwächung Timm [F.D.P.]: Und der Bund soll es bezah der Postgewerkschaft, einen drastischen Abbau der len!) flächendeckenden infrastrukturellen Leistungen für die Bürgerinnen und Bürger. Wir befürchten, daß die Aber ob ein Ministerium bestehenbleibt oder nicht, Menschen mit geringem bzw. niedrigem Einkommen entscheidet natürlich nicht der jeweilige Amtsinha- als Kleinkunden mittels höherer Tarife die Niedrigta- ber, sondern das wird an anderer Stelle entschieden, rife der Großkunden mitfinanzieren müssen, wie es in und dem sehen wir ganz gelassen entgegen. Großbritannien und in den USA bereits geschieht. Das (Hans Gottfried Bernrath [SPD]: Herr Bötsch, kann man sich dort genau ansehen. Die jüngsten es ist Ihre Aufgabe, integrierend zu wir Pläne der Telekom, die Telefongebühren zu erhöhen, ken!) weisen in diese Richtung. — Das Mikrofon ist nicht eingeschaltet, Kollege Be rn (Dr. Willfried Penner [SPD]: Aha, Wolfgang, -rath, Sie brauchen es also nicht in die Hand zu ein Kollege von Dir! — Heiterkeit) nehmen; das nützt nämlich nichts. Für den Bundespostminister ist es jedenfalls ein Lassen Sie mich als letztes sagen, daß wir durchaus besonderer Tag, wenn nach intensiven Verhandlun- für eine Verbesserung der Dienstleistungen sind. Ich gen und Diskussionen Gesetzentwürfe für eine Post- habe schon darauf hingewiesen: Liberalisierung ist reform II im Deutschen Bundestag in erster Lesung auch möglich ohne Privatisierung. Dazu bedarf es behandelt werden. aber nicht dieser Radikalkur bei den Postdiensten. Ich will jetzt das versuchen, was ich in den Verhand- Post und Telekommunikation sollten durch eine oder lungen auch immer getan habe, nämlich mich dann, meinetwegen auch mehrere Anstalten des öffentli- wenn der Streit am größten war, zu bemühen, ihn chen Rechts geführt werden. Dabei gilt es, erworbene wieder etwas zu dämpfen und auch vielleicht den Versorgungsansprüche der Beschäftigten und die einen oder anderen Ausgleich mit herbeizuführen. paritätische Mitbestimmung der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zu sichern; denn eine Postreform Vielleicht werden wir das in den kommenden sollte nur für die und nicht gegen die sozialen, Monaten auch beim Frühstück machen müssen, materiellen und demokratischen Interessen der wobei ich ankündige, daß das etwas weniger sein Beschäftigten und unter Nutzung ihres Sachverstands wird, weil der Bundesfinanzminister im Rahmen der sowie zum Vorteil der Bürgerinnen und Bürger, die letzten Sparaktion auch mir — wie allen anderen auf die Dienstleistungen der Post angewiesen sind, Ministerien auch — Mittel im Haushalt gestrichen hat. erfolgen. Nur, meine Damen und Herren, ich möchte nicht, daß beim Publikum der falsche Eindruck entsteht, als (Beifall bei der PDS/Linke Liste) würde man bei uns nur frühstücken und nicht arbei- 17932 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 208. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. Februar 1994

Bundesminister Dr. Wolfgang Bötsch ten. Das ist natürlich die berühmte Frage: Darf man mißverständlich sein könnte. Wir werden hier keinen beim Arbeiten essen? Jeder wird dann sagen: Nein! Wettbewerb haben wie z. B. zwischen zwei Automo- Aber wenn man fragt: Darf man beim Essen arbeiten? bilfirmen oder etwa zwischen zwei Lebensmittelket- wird jeder sagen: Selbstverständlich, weil das Zeit ten oder Lebensmittelhändlern, sondern es wird hier spart. Und so haben wir es auch gehalten. einen regulierten Wettbewerb — ich nehme das Wort in den Mund — geben, nämlich dort, wo der Wettbe- Meine Damen und Herren Kollegen, der Bereich werb allein möglicherweise die Infrastruktur nicht der Telekommunikation zeichnet sich durch eine sichern kann. Dann ist durch Auflagen bei Lizenzie- hohe wirtschaftliche Dynamik aus und gehört zu den rungen dieser Wettbewerb zu sichern. am schnellsten wachsenden Märkten überhaupt. In den letzten 20 Jahren hat sich die ordnungspolitische (Hans Gottf ried Bernrath [SPD]: Das gefällt und organisatorische Landschaft in diesem Bereich Herrn Lambsdorff nicht!) weltweit grundlegend geändert. Durch die fortschrei- — Nein, das ist übereinstimmende Auffassung. tende internationale Öffnung der nationalen Tele- kommunikationsmärkte richten die zunehmend pri- (Hans Gottfried Bernrath [SPD]: Aber er vatrechtlich organisierten Konkurrenten der Deut- schüttelt den Kopf!) schen Bundespost Telekom ihre Strategien immer Ich glaube, darüber gab es auch keine Meinungsver- mehr auf globale Märkte aus. Das ist nicht zu überse- schiedenheiten. hen. Meine Damen und Herren, wenn man für ein (Dr. Gregor Gysi [PDS/Linke Liste]: Das kann Gesetzeswerk wie diese Postreform eine Zweidrittel- doch die Telekom auch!) mehrheit benötigt, dann muß man auch Kompromisse eingehen. Kompromisse muß man schon eingehen, Deshalb wollen wir den Art. 87 des Grundgesetzes wenn man innerhalb einer Koalition ein Gesetzeswerk ändern, um die Telekom auch in die Lage zu verset- verabschieden will. Aber wenn man eine Zweidrittel- zen, international im Wettbewerb zu bestehen, ohne mehrheit anstrebt, denn ist die Sache natürlich noch sich von anderen Wettbewerbern immer wieder die wesentlich „sportlicher" als die Verhandlungen, die Frage gefallen lassen zu müssen, ob denn das nach innerhalb einer Koalition zu führen sind. Deshalb gibt unserem Grundgesetz überhaupt möglich ist. es Kompromisse — z. B. bei der Frage der Holding, die Einschneidende Konsequenzen ergaben sich auch vor allem Zuständigkeiten im sozialen Bereich erhal- für die Telekom mit der deutschen Wiedervereini- ten wird. gung. Die 60 Milliarden DM Investitionen, die getätigt „Bürokratisch und verwässert" hat heute ein Kom- wurden oder noch getätigt werden, sind erwähnt mentator seinen Kommentar über das, was wir ausge- worden. Die Eigenkapitalquote ist auch durch diese arbeitet haben, überschrieben. Der Jou rnalist hat das Investitionen inzwischen auf ca. 20 % gesunken, mit dem verglichen, was Anfang Dezember 1992 als obwohl im Postverfassungsgesetz 33 % vorgesehen Eckpunkte auf dem Tisch gelegen hat. sind. Das heißt, daß durch die Umwandlung der Telekom in eine Aktiengesellschaft und den damit (Zuruf von der F.D.P.: Recht hat er!) möglichen Gang an die Börse — wir streben das Jahr — Ja, gut. Der Mann hat nur zwei kleinere Dinge 1996 an — das Finanzierungsproblem am besten zu übersehen, nämlich erstens, daß damals allgemeine lösen sein wird. Eckpunkte, nicht aber Gesetzesformulierungen vorla- Auch das Unternehmen Postdienst steht in vielen gen, und zweitens, daß dem damaligen Papier weder Bereichen in einem harten Wettbewerb. Für die Post- die F.D.P. noch die SPD zugestimmt hatte. Das ist der bank ist die Umwandlung in eine Aktiengesellschaft Unterschied zu dem, was wir heute haben. Heute ebenfalls eine entscheidende Voraussetzung, wenn haben wir ein Gesetzespaket eingebracht! man im härter werdenden Wettbewerb die Zukunft (Beifall bei der CDU/CSU) sichern will. Sie kennen die Prozesse, die im Augen- blick ruhen, weil man abwarten wollte, wie das mit der Meine Damen und Herren, ich möchte noch etwas Postreform II weitergeht. Aber das ist ein Zeichen, daß — weil das verschiedentlich angesprochen wurde — hier Handlungsbedarf besteht; deshalb Umwandlung zu den personellen Regelungen sagen, Die Arbeits- in eine Aktiengesellschaft, und wenn ich die heutigen teilung wird von der Koalition nicht akzeptiert, die da Reden analysiere, gibt es darüber wohl auch keine etwa lautet: Die Koalition ist für das Geschäftsergeb- Zweifel mehr. nis der Unternehmen und für den Wettbewerb zustän- dig, die SPD für die Kunden und die Postgewerkschaft In Zukunft werden also die im Bereich von Post und für das Personal. Nein, wir fühlen uns für alle drei Telekommunikation fälligen Handlungen als private Säulen dieser Veranstaltungen zuständig. Tätigkeiten, und zwar von den bisherigen Postunter- nehmen und Wettbewerbern, angeboten werden. (Beifall bei der CDU/CSU — Dr. Uwe Küster [SPD]: Das merkt man aber nicht!) Die Bundesregierung stellt als hoheitliche Aufgabe — Das merkt man sehr wohl. Deshalb wissen wir dann sicher, daß eine angemessene und ausreichende — das kommt auch in den Gesetzesvorhaben zum Dienstleistung flächendeckend angeboten wird. „Wie Ausdruck —, daß es hier nicht um irgendwelche Dinge wollen Sie das sichern?" — diese Frage ist gestellt geht, die nun theoretisch auf dem Papier zu lösen sind, worden. Wir wollen das sichern durch Auflagen im sondern daß es wirklich um fast 700 000 Beschäftigte Sinne der Regulierung. und auch deren Familienangehörige geht. Aber wir Auch dazu vielleicht ein Wort, weil das für manche können mit gutem Gewissen vor die Beschäftigten natürlich, die sich nicht täglich damit beschäftigen, treten, wenn wir das vorzeigen, was wir hier gelöst Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 208. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. Februar 1994 17933

Bundesminister Dr. Wolfgang Bötsch haben. Das sollten auch diejenigen, die hier immer rungsgrund ist, als Vorsitzender des Ausschusses noch Fundamentalkritik oder Fundamentalopposition ordentlich, fair und so, wie ich das von Ihnen als üben wollen, wirklich einsehen. Sie sollten das wirk- selbstverständlich erwarte, zu wirken und die Arbei- lich einmal in einer ruhigen Stunde durchlesen. ten im Ausschuß mit voranzubringen. Zu dem, was zu den ordnungspolitischen Fragen Ich bedanke mich. gesagt wurde, hat der Kollege Timm schon einige (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Ausführungen gemacht. Ich möchte mich dem anschließen. Es gibt da in der Sache keine Meinungs- verschiedenheiten in der Koalition. Ich glaube aber Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Als nächster spricht — und ich stehe hinter dem Kompromiß —: Wir haben der Kollege Arne Börnsen. im Kompromiß jetzt auch hier eine vernünftige Rege- lung gefunden. Ich möchte mich bei allen, die daran beteiligt waren, sehr herzlich bedanken. Es ist insge- Arne Börnsen (Ritterhude) (SPD): Frau Präsidentin! samt ein sachgerechter Kompromiß. Meine Damen und Herren! Bei der bisherigen Debatte kam zum Ausdruck, daß Differenzen wohl in erster (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Linie zwischen der F.D.P. und uns zu sehen sind. Ich ordneten der F.D.P.) möchte auf zwei dieser Punkte eingehen und dabei Es ist eine gute und weitreichende Grundlage für die auch einige Klarstellungen vornehmen. anstehenden Ausschußberatungen. Ich will ganz deutlich sagen, meine Damen und Ich möchte mich bei allen Mitgliedern der Verhand- Herren: Wir wollen keinen dauerhaften Schutzzaun lungskommission wirklich bedanken. Da ich die um Post und Telekom, aber es braucht eine gewisse Kommission ja ein Jahr lang begleiten konnte, weiß Zeit, um die volle Wettbewerbsfähigkeit dieser Unter- ich, wieviel Arbeit investiert werden mußte. Ich nehmen, insbesondere der Telekom, herzustellen, bedanke mich bei allen, die dabei waren. Aber, (Jürgen Timm [F.D.P.]: Die haben wir ja Kollege Bernrath, ich habe Sie ja heute fast nicht gesichert!) wiedererkannt: Ich bedanke mich ausdrücklich auch — wie es vereinbart wurde, aber bei Ihnen, Herr bei den Damen und Herren Mitarbeitern in meinem Timm, kam zum Ausdruck, daß Sie nicht uneinge- Hause und in den anderen Ministerien; denn es war ja schränkt bereit sind, sich auf diesen Termin des nicht so ganz einfach, immer wieder sich ändernde 1. Januar 1998 innerlich einzustellen. politische Vereinbarungen dann in Gesetzestexte umzusetzen und dies mit den anderen Ministerien (Jürgen Timm [F.D.P.]: Wir schon!) abzustimmen. Da darf man wirklich diejenigen, die da Ich sage Ihnen, daß eine vorzeitige und unabge- wahnsinnige Arbeit geleistet haben, nicht beschimp- stimmte Aufgabe des Monopols seitens der Bundes- fen, sondern sie haben unseren D ank verdient. republik innerhalb der Europäischen Union, wie Sie sie in der letzten Woche gefordert haben, den Indu- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. — Hans Gottfried Bernrath [SPD]: Sie haben striestandort Deutschland schwächen würde, uns geleimt! Das ist eine große Sauerei (Dr. Otto Graf Lambsdorff [F.D.P.]: Im gewesen!) Gegenteil!) — Nein, Kollege Bernrath, wenn jemand Gegenstand weil den externen Anbietern einseitige Vorteile zuge- Ihrer Erregung ist, dann kann nur ich es sein, schoben werden — zu Lasten der deutschen Tele- kom. (Hans Gottfried Bernrath [SPD]: Sie haben um geleimt, sonst nichts!) (Dr. Otto Graf Lambsdorff [F.D.P.]: Sie haben keine Ahnung! — Hans Gottfried Bernrath denn ich glaube, es ist nicht gut, wenn wir uns hier im [SPD]: Aber sicher ist das so! Natürlich!) Parlament mit den Mitarbeitern auseinandersetzen. Wir sollen uns politisch mit dem auseinandersetzen, — Ich weiß nicht, ob Sie, Herr Graf Lambsdorff, wenn der hier die politische Verantwortung hat. Sie sagen, daß ich keine Ahnung habe, nicht andere Interessen im Auge haben als die der Telekom. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. — (Beifall bei der SPD) Hans Gottfried Bernrath [SPD]: Sie waren uns gegenüber illoyal!) Darüber muß dann auch einmal deutlich gesprochen werden. — Herr Bernrath, auch wenn Sie sich jetzt erregen, (Zuruf von der SPD: Sehr wahr!) bedanke ich mich bei Ihnen für die Mühe, die Sie sich gerade persönlich gemacht haben und mit der Sie zum Meine Damen und Herren, es wäre unsererseits Ergebnis dieses Kompromisses beigetragen haben. zudem unsinnig, krampfhaft an den Monopolen fest- zuhalten, denn wer will verkennen, daß sich die (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und Telekommunikationsbranche zum Megamarkt der der SPD — Hans Gottfried Bernrath [SPD]: Zukunft entwickelt, seitdem die Staaten Europas Die werden Sie genauso im Stich lassen!) beschlossen haben, die Monopole aufzuheben. Inso- Meine Bitte an alle, die jetzt im Ausschuß wichtige fern werden wir uns dem beim besten Willen auch Arbeit zu leisten haben, ist, daß sie diese Arbeit zügig nicht verweigern, ganz im Gegenteil; aber wir wollen durchführen. Ich weiß, Herr Kollege Paterna, daß Sie es abgestimmt fördern. als Vorsitzender des Postausschusses dem Ergebnis Es ist eindeutig, daß die Telekommunikation eine skeptisch gegenüberstehen. Ich kenne Sie aber gut Schlüsseltechnologie der Zukunft sein wird, und genug, um zu wissen, daß das für Sie kein Hinde- deswegen wollen wir auch den Wettbewerb, denn nur 17934 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 208. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. Februar 1994

Arne Börnsen (Ritterhude) mit dem Wettbewerb wird es möglich sein, die der finanziellen Situation, den Infrastrukturauftrag Arbeitsplatzpotentiale mit Hilfe dieser Schlüsseltech- erfüllen zu können; denn dieser muß auch bezahlt nologie zu öffnen und auszuschöpfen. Der Wettbe- werden können. Um keine Mißverständnisse aufkom- werb schon im Mobilfunk hat in den letzten zwei men zu lassen: Infrastrukturauftrag und Regulierung Jahren bewiesen, daß die Nachfrage mit dem Wettbe- gelten auch für die gelbe Post, also Festlegung eines werb eine geradezu boomende Tendenz annimmt und politisch fixierten Rahmens, in dem sich Wettbewer- die Markterschließung unerwartet schnell verläuft. ber, versehen mit Rechten und Pflichten, die über Wenn wir die Entwicklung im D-Netz mit der Situation Lizenzen verbindlich auferlegt werden, bewegen im C-Netz über nahezu zehn Jahre vergleichen, dann können. zeigt sich hier wirklich ein Schwarz-Weiß-Vergleich, In der Öffentlichkeit wird oftmals die Befürchtung ein Schwarz-Weiß-Bild. geäußert, mit der Privatisierung werde sich die Post Der Wettbewerb zwingt zu Kostenreduzierungen aus der Fläche zurückziehen. Unser Ziel ist das und damit zu Effizienzsteigerungen; die Innovations- Erreichen des genauen Gegenteils. Wir wollen die fähigkeit der Unternehmen wird permanent gefor- Sicherung der Flächenpräsenz durch Ausbau der dert, damit diese am Markt präsent bleiben. Damit Geschäftstätigkeiten von Post und Postbank. wird systembedingt die Wettbewerbsfähigkeit durch Die Regelung im Gesetzentwurf — 25 % plus eine Wettbewerb gestärkt, und das wollen wir. Aktie der Postbank sollen von der Post und dem Bund gehalten werden — erscheint manchem zu gering. Sie Es gäbe auch genügend Beispiele aus den Unter- übersehen dabei — auch Sie, Herr Timm, und ich bitte, nehmen der Post und der Telekommunikation, die daraufhin noch einmal den Text durchzulesen —, daß diese These belegen. Ich will nur auf den von „Hoch- festgeschrieben ist, daß es sich um Mindestbeteiligun- technologien" geprägten Vorgang der Einzahlung auf gen handelt. ein Postsparbuch hinweisen, um deutlich zu machen, daß hier noch ein langer Weg notwendig ist und auf (Jürgen Timm [F.D.P.]: Das habe ich nicht diesem Weg auch bestimmte Schutzmechanismen bestritten!) greifen müssen. Weitere Beispiele will ich mir aller- Unser Ziel, das der SPD, ist es, durch die Meinungs- dings schenken, meine Damen und Herren, weil ich bildung im Ausschuß und auch in der Diskussion mit die Börsenfähigkeit der Unternehmen nicht gefähr- den Unternehmen der Post und Postbank Wege zu den will. finden und Wege zu weisen, die eine Stabilisierung der Flächenpräsenz ermöglichen. Dieses Ziel kann (Jürgen Timm [F.D.P.]: Aber vier Jahre müs- wie folgt erreicht werden: Die Finanzdienstleistungen sen dann reichen!) der Postbank müssen auf ein auf das größte Schalter- — Vier Jahre bis Ende 1997 werden reichen, Herr netz Deutschlands orientiertes Angebot konzentriert Timm, wenn die anderen Länder genau diesen Weg in werden und damit der Nachfragesituation breiter der Europäischen Gemeinschaft auch so beschließen. Bevölkerungsschichten entsprechen. Dafür ist die Darüber sind wir uns einig. Rechtsstellung der Vollbank notwendig, auch wenn nicht alle Elemente ausgeschöpft werden müssen. Mit (Jürgen Timm [F.D.P.]: Wir müssen schneller einer solchen Ausweitung der Geschäftstätigkeiten sein!) könnten die Anteile der Postbankdienste an dem Lassen Sie uns aber bitte über einen Punkt hier noch Gesamtangebot der Postämter von heute um die 35 % diskutieren, den Sie auch angesprochen haben, Herr auf weit über 50 % ausgedehnt und damit die Timm, nämlich die Situation zwischen Post und Post- Geschäftsbasis für die Postämter verbreitert und so bank. Ich möchte einleitend kurz auf die Post einge- auch deren Existenz gesichert werden. hen. Zur Sicherung des Verbundes der Post mit der Postbank wird eine Mehrheitsbeteiligung der Post Es wird manchmal davon gesprochen, daß es — ich angestrebt — wir streben diese an, Herr Timm —, und zitiere — „ein Ding aus dem Tollhaus" sei, daß wir es wird eine Schaltergesellschaft gegründet. Aber auch den Postdienst privatisieren wollen, also eine Minderheitsanteile der Postbank können an Koopera- private Rechtsform für den Postdienst finden wollen. tionspartner veräußert werden, die das notwendige Dieser Standpunkt, so sage ich ganz eindeutig, ist Know-how für zusätzliche Dienstleistungen einbrin- falsch; denn es wird verkannt, daß sich auch der gen können: Finanzdienstleistungen, Bausparkassen- Postdienst in einem hart umkämpften Wettbewerb dienstleistungen, Versicherungsdienstleistungen. befindet — Beispiel Fracht: 20 % Marktanteil — und daß es nur in einem Teilbereich, nämlich beim B rief, Das alles bedeutet, daß wir dem Unternehmen Post ein Monopol gibt, und auch da wird sich das über den und Postbank die unternehmerische Verantwortung Ablauf der Jahre sicherlich ändern. überlassen wollen, oberhalb dieser Grenze von 25,1 % tätig zu werden. Wir wollen sie in den Möglichkeiten, Die gelbe Post befindet sich also durchaus nicht die dann gegeben sind, nicht einschränken; sie sollen unter der Glaskuppel staatlich geschützter Tätigkei- sie unternehmerisch nutzen. Insofern ist eine Minder- ten und deswegen in überhaupt keiner anderen heitsbeteiligung durchaus vernünftig; aber eine opti- Situation als die Telekom, auch wenn der internatio- male Situation für die Post und Postbank kann erst nale Aspekt bei der gelben Post etwas anders ist. Diese daraus gebildet, erarbeitet werden. Diese Verantwor- Wirklichkeit muß man erkennen. Wer sich Scheinwel- tung werden wir den Unternehmen nicht nehmen. Wir ten aufbaut, wird scheitern oder am Gängelband werden ihnen aber Unterstützung dabei zukommen öffentlicher Dauersubventionen enden. Würde man lassen, weil es ein politisches Ziel sein muß, die diese Entwicklung provozieren, wäre die Post nicht in Präsenz der Post mit der Postbank in der Fläche zu Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 208. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. Februar 1994 17935

Arne Börnsen (Ritterhude) sichern. Dies ist nur zu erreichen, wenn wir dieses keine Ahnung von diesem Geschäft; alle anderen Instrument intelligent und kreativ nutzen. wissen, daß in den privatisierten Unternehmen die Meine Damen und Herren, wie soll aber, wenn wir Preise sehr viel umkämpfter sind und damit die Profit- für den Bürger die Dienstleistung in der Fläche sichern und Gewinnerwartungen der Unternehmen zurück- wollen, dieses Ziel eigentlich ohne Bildung von Kapi- gehen. talgesellschaften erreicht werden können? Das ist (Hans Gottfried Bernrath [SPD]: Und Sie denn auch eine Antwort auf die Frage: Warum eigent-- fühlen sich nicht befangen?) lich auch bei der Post Kapitalgesellschaften, Aktien- Wettbewerb brauchen wir, und zwar — darum gesellschaften? Austausch von Kapitalanteilen, Mehr- werde ich mich nachher zur Sache äußern, Herr heitsbeteiligung der Post und somit einheitliche Füh- Börnsen — anderen Wettbewerb als den, den Sie sich rung der 50 000 Mitarbeiter in den Schalterämtern, unter dem Begriff Wettbewerb vorstellen. Wir brau- Kooperation mit potentiellen Partnern, um die spezi- chen Wettbewerb, offene Märkte für bessere Versor- fische Situation der Postbank als einen Vorteil zu gung der Verbraucher, für eine bessere Infrastruktur nutzen, das alles ist nur in der Rechtsform der Aktien- und damit für den Standort Deutschland sowie im gesellschaft sinnvoll und flexibel umzusetzen. Deswe- Sinne einer besseren Versorgung für die Benutzer der gen ist es auch gerechtfertigt, dort diesen Weg zu Telekom-Einrichtungen. Interessenvertreter von Te- gehen. lekom oder sonst jemandem sollte hier niemand Ich sagte es schon und wiederhole es: 12,5 % Anteile sein. der Post und des Bundes an der Postbank sind in Ich danke noch einmal dafür, daß Sie die Freund- unseren Augen keine endgültige und auch keine lichkeit hatten, mir die Gelegenheit zu dieser Kurzin- optimale Lösung. Aber sie ermöglicht es den Unter- tervention zu geben. nehmen, im Einvernehmen mit politisch gewollten Zielen aktiv zu werden und eine tatsächlich optimale (Dr. R. Werner Schuster [SPD]: In unserer Lösung zu schaffen. Wir werden diese Entwicklung Gemeindeordnung gibt es den § 25: Befan einleiten — ich hoffe, mit Ihrer aller Unterstützung im genheit! Es wäre gut für unsere Kultur, wenn Postausschuß — und damit beweisen, daß die Postre- wir hier im Bundestag auch so etwas hätten! form und ein privatisiertes Unternehmen Postdienste — Beifall bei der SPD und der PDS/Linke im Interesse der Bürger gerade auch des ländlichen Liste) Raums liegen. — Dies hat mit Befangenheit überhaupt nichts zu tun. Ich danke Ihnen. Die Regeln des Bundestages sind klar. An diese Regeln halte ich mich, und an diese Regeln halten sich (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der F.D.P.) andere — — (Unruhe — Hans Gottfried Bernrath [SPD]: Frau Präsidentin, noch eine Inte rvention!) Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Das Wort zu einer Kurzintervention erhält Dr. Graf Lambsdorff. Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Ich darf um Ruhe Dr. Otto Graf Lambsdorff (F.D.P.): Vielen Dank, bitten! Es ist doch ein wichtiger Punkt, finde ich, daß Frau Präsidentin. — Der Herr Kollege Börnsen hatte der Kollege Lambsdorff eine Stellungnahme abgeben die Freundlichkeit — natürlich auch wieder nur so kann. angedeuteterweise —, mir Gelegenheit zu dieser Kurzintervention zu geben. Ich hatte schon darauf gewartet. Es geht ja subkutan in Bonn schon längst Dr. Otto Graf Lambsdorff (F.D.P.): Haben Sie um. Das sind Diskussionsmethoden! Dem Herrn Be rn eigentlich Herrn van Haaren aufgefordert, sich an rief schreiben-rath habe ich wenigstens noch einen B Befangenheitsregeln zu halten? können, weil ich hörte, er recherchiere. (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU — Also, meine Damen und Herren: Es braucht nie- Peter Paterna [SPD]: Das ist ein toller Ver- mand zu recherchieren. Im Handbuch des Deutschen gleich! Unglaublich! Verluderte Sitten sind Bundestages steht, daß ich Mitglied des European das! — Weitere Zurufe) Advisory Committee von NTT bin — das ist praktisch die japanische Telekom — und daß ich Aufsichtsrats- vorsitzender von ALCATEL bin; das ist eine zu 100 % Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Ebenfalls zur Kurz- französische Gesellschaft mit 30 000 Arbeitnehmern intervention Herr Bernrath. in Deutschland, davon 3 000 in den neuen Bundeslän- dern, die — wie Siemens, E ricson und AT & T — Lieferant ist. Hans Gottfried Bemrath (SPD): Frau Präsidentin! Herr Börnsen hat nun gemeint, ich verträte ja nicht Meine Damen und Herren! Ich möchte nur zwei kurze die Interessen der Telekom. Das ist in der Tat richtig. Bemerkungen machen, einmal zu Ihrer Inte rvention, Sind wir hier Interessenvertreter der Telekom? — Ich Graf Lambsdorff. Ich möchte ausdrücklich sagen: vertrete doch nicht die Interessen irgendwelcher Natürlich können Sie diese Funktionen wahrnehmen, Unternehmen! Ich vertrete als Wirtschaftspolitiker die und Sie haben sie auch ordnungsgemäß angemeldet. Interessen des Marktes und des Wettbewerbs. Ich will Aber es gibt doch keinen Zweifel daran, daß Sie sich Wettbewerb. Ich will offene Märkte. Wer glaubt, befangen erkennen müssen, wenn Sie so ausdrücklich meine Damen und Herren, daß die Lieferfirmen bei zu Problemen der Marktöffnung, der Liberalisierung privatisierten Unternehmen Vorteile erzielten, der hat unter Einbringung jetzt wichtiger staatlicher Unter- 17936 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 208. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. Februar 1994

Hans Gottfried Bernrath nehmen Stellung nehmen und damit deren Wettbe- haupt keinen Vorwurf machen, denn in diesem Punkt werbsfähigkeit schon von vornherein belasten. vertritt er vollständig neutrale Interessen. (Dr. Otto Graf Lambsdorff [F.D.P.]: Im (Lachen bei der SPD — Dr. Dagmar Enkel Gegenteil! — Jürgen Timm [F.D.P.]: Das mann [PDS/Linke Liste]: Das war klar! — Gegenteil ist der Fall!) Dr. Ulrich Briefs [fraktionslos]: Sie vertreten Ich wäre dankbar, wenn Sie das bedenken würden,- das große Geld, Herr Timm!) insbesondere dann, wenn Sie glauben, unsere Zusam- menarbeit mit den Vertretern von 700 000 Mitarbei- Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Jetzt folgt noch eine tern sei etwas Unanständiges Kurzintervention von Herrn Urbaniak. Dann beende ich die Kurzinterventionen. Die Standpunkte sind (Dr. Otto Graf Lambsdorff [F.D.P.]: Habe ich ausgetauscht. nicht behauptet!) und schränke uns in unserer Handlungsfähigkeit ein. (SPD): Frau Präsidentin! Das finde ich nicht in Ordnung. Hans-Eberhard Urbaniak Meine Damen und Herren! Für mich ist besonders (Zustimmung bei der SPD) wichtig, daß Kollege Bernrath auch die Fragen der Ich muß ausdrücklich noch einmal auf folgendes Sozialverpflichtung und vor allen Dingen der Mitbe- hinweisen, auch für die kommenden Beratungen stimmung erörtert hat. Hier wird davon ausgegangen, — ich sage das an die F.D.P. gerichtet —: Wenn Sie daß wir an Mitbestimmung leider nicht das durchset- Ihre einseitige Interessenvertretung innerhalb dieses zen konnten, was wir gern gehabt hätten. Auf jeden wichtigen Projekts „Liberalisierung unter gleichen Fall aber soll in den Beratungen ein Modell gewählt Chancen im Wettbewerb" nicht aufgeben und wenn werden, das uns in dieser Frage ein wichtiges Stück Sie nicht daran mitwirken, diesen Unternehmen, die nach vorn bringt. Daher möchte ich mich bei Herrn jetzt 100 Jahre in Staatshand waren und hervorra- Bernrath, der sich bei der Mitbestimmungsfrage und gende Leistungen erbracht haben — siehe neue bei diesem Mitbestimmungsmodell sehr große Mühe Lander! —, nun auch eine Chance zu geben, in den gemacht hat, herzlich bedanken. Wettbewerb zu kommen, sondern sie von vornherein (Beifall bei der SPD) demontieren oder durch Aufgabe wichtiger Ge- schäftsfelder einschränken, dann wird es kein gutes Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: In der Rednerab- Ergebnis geben. folge hat jetzt der Kollege Dr. Bernd Protzner das Nehmen Sie ernst: Wir entscheiden erst nach Wort. Abschluß der Beratungen und nicht heute. (Beifall bei der SPD) Dr. Bernd Protzner (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Situation von soeben hatten wir bei den insgesamt dreijährigen Beratungen Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Eine weitere Kurzin- zur Gesetzgebung wiederholt. Ich bitte darum, daß tervention des Kollegen Timm. wir das Erreichte nicht zerreden. Wir haben sehr viel erreicht. Lassen Sie mich das unter dem Stichwort Innovation noch einmal akzentuieren. Jürgen Timm (F.D.P.): Herr Kollege Bernrath, nun Nur mit neuen Techniken, neuen Produkten und reden Sie hier niemandem ein, daß ausschließlich Sie neuen Märkten läßt sich wirtschaftliche Aufwärtsent- der Vertreter von 700 000 Beschäftigten sind. Wir wicklung dauerhaft voranbringen. Wir als Politiker haben in diesem Bereich genauso unsere Vertretun- verlangen immer öfter, immer dringlicher und immer gen, wie Sie sie sich auch zuordnen. nötiger Innovationen. Solche Innovation ist insbeson- (Hans Gottfried Bernrath [SPD]: Sie kriegen dere bei der Basis unseres Lebens und Wirtschaftens nicht einmal einen Ortsverein zusammen!) in der Bundesrepublik Deutschland, bei der Infra- struktur, notwendig. Die technischen Standortvoraus- Das zweite ist: Es gab zwischen uns überhaupt setzungen für erfolgreiches Leben und Wirtschaften keinen Dissens darin, daß es ein großes Problem ist, waren immer eine Stärke der Bundesrepublik in 700 000 Beschäftigte neue Unternehmensstruktu- Deutschland. Nur ist die Entwicklung alles andere als zu überführen. Warum produzieren Sie dann jetzt ren stehengeblieben. Gerade bei den Wegen des Waren- einen Gegensatz, der zwischen uns effektiv nicht austauschs und der Nachrichtentechnik vollziehen vorhanden war? sich dynamische Entwicklungen. Deutschland muß (Widerspruch bei der SPD und der PDS/ heute nicht nur mithalten, Deutschland muß hier Linke Liste — Hans Gottfried Bernrath [SPD]: Rückstände wieder aufholen und durch Innovation Was haben Sie denn heute morgen neue Vorsprünge herausarbeiten. gesagt?) Wir Politiker neigen dazu, an andere Forderungen Das dritte ist: Die Unternehmen, die zukünftig zu stellen. Dies gilt auch für die Forderung nach potentielle Wettbewerber oder heute Zulieferer für Innovation. Glaubwürdiger für mich ist es, wenn wir die Telekom sind, werden durch die Privatisierung der selbst mit gutem Beispiel auf dem ureigensten Feld deutschen Postunternehmen keinen Vorteil haben, der Politik, der Gesetzgebung, vorangehen. Das weil sie als Lieferanten für die Telekom auf dem Markt Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes in Art. 87, heute bessergestellt sind, als sie in Zukunft gestellt Post und Telekommunikation, und das begleitende sein werden, wenn der Wettbewerb da ist. Das wollen Postneuordnungsgesetz sind eine solche Innovation wir. Daraus können Sie Graf Lambsdorff auch über- der Politik. Ich freue mich für die CSU, der ich Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 208. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. Februar 1994 17937

Dr. Bernd Protzner angehöre, daß es ein CSU-Bundesminister ist, der dies — ich hätte dies gern auch dem Kollegen Lambsdorff mit vorangebracht hat. gesagt — (Beifall bei der CDU/CSU — Peter Paterna (Zuruf von der SPD: Da ist er doch!) [SPD]: Das letzte bayerische Aufgebot!) — Entschuldigung! —, und dies entspricht genau den

Ich kann nur an die SPD appellieren, lieber Kollege Forderungen, die die Ludwig - Erhard - Stiftung in Paterna: Es genügt nicht, große Kongresse durchzu- ihrem ersten ordnungspolitischen Bericht 1994, den führen und große Interviews zu geben und in Talk- wir dieser Tage zugestellt bekommen haben, heraus- Shows aufzutreten und Innovationen zu fordern, aber gestellt hat, nämlich Dominanz des Privateigentums dann, wenn man kurz davorsteht, hier zu kneifen. Wer und der privaten Organisation von Waren und Dienst- zu spät kommt, den bestraft das Leben. leistungen produzierenden Unternehmen, Gewerbe- und Vertragsfreiheit mit Haftung, grundsätzlich freie (Dr. Uwe Küster [SPD]: Wer so spricht, den Preisbildung, effektiven Wettbewerb, offene bestraft das Leben!) Märkte. Die Infrastruktur im Post - und Fernmeldewesen Die Gesetze schaffen das. Sie schaffen das, aber wird auf neuartige Weise geregelt. Dabei wird der nicht schlagartig, lieber Kollege Lambsdorff, sondern Begriff „Infrastruktur" erstmals — das ist die erste in einem Übergang, der aber sehr kurz ist. Sie schaffen Neuerung — in Gesetzesdeutsch übertragen, und viele freie Märkte, sie schaffen wenige lizenzierte zwar als „flächendeckende, angemessene und ausrei- Märkte und noch weniger Monopole, die aufrechter- chende Dienstleistungen". halten werden, aber lediglich im Übergang. Die Wir haben eine zweite Neuerung: nämlich die, daß Richtung — das ist das Entscheidende — ist eindeutig. die Infrastruktur nicht mehr vom Staat und von der Das Ziel ist für alle Beteiligten klar, für die Unterneh- Staatsverwaltung erbracht wird. Die „flächendecken- men und für die anderen am Markt Beteiligten manch- den, angemessenen und ausreichenden Dienstlei- mal viel klarer als für uns im Deutschen Bundestag. stungen" werden durch private Tätigkeiten er- Es besteht kein Zweifel: Die Kunden, sowohl die bracht. Bürger als auch die Wirtschaft, sind nicht für die Netze Wir haben eine dritte Neuerung: Diese privaten der Unternehmen im Bereich der Post und der Tele- Tätigkeiten werden nicht nur durch die bisherigen kommunikation da, sondern es ist umgekehrt: Die Unternehmen wahrgenommen, die aus dem Sonder- Netze der Post und der Telekommunikation sind für vermögen Deutsche Bundespost hervorgegangen die Kunden da. Dazu brauchen wir Wettbewerb auch sind, sondern ausdrücklich auch durch Wettbewer- zwischen den Netzen, damit wir kunden- und bürger- ber. freundlich werden. Die Unternehmen sollten es sich jetzt nicht leichtmachen und nicht versuchen, sich Die vierte Neuerung ist die, daß wir für die Finan- durch gesetzliche Regelungen hier ein Stück Wettbe- zierung der Infrastruktur nicht etwa Steuern erhöhen werb vom Leib zu halten. Der Markt und die Markt- und neue Steuern erfinden, daß wir auch nicht neue entwicklung werden sie einholen und überholen, wie Abgaben einführen und auch nicht etwa in die Staats- es schon in der Vergangenheit der Fall war. verschuldung ausweichen, sondern daß wir das privat finanzieren, daß die Unternehmen das finanzieren. — Die Politik hat mit ihrer Innovation der Gesetzge- Lieber Kollege Börnsen, wir brauchen hier keine bung eine Vorleistung erbracht. Jetzt sind die Unter- Prozentrechnung zu betreiben. Die Lage des Staates nehmen und die Unternehmer gefordert, innovativ zu zeigt ganz deutlich, daß wir bei Privatgesellschaften werden: für eine zukunftsträchtige Infrastruktur, für Privatkapital von anderer Stelle brauchen, daß der Datenautobahnen, für interaktive Netze, für mehr Staat dieses Kapital nicht hat. Informationsfreiheit durch Vielfalt bei Radio- und Fernsehkanälen, für neue Chancen auch für kleinere Die fünfte Neuerung ist: Der Bund setzt in diesem Zeitungen und Zeitschriften im Postpressevertrieb, für Wirtschaftsbereich auf Ordnungspolitik, auf die Ord- neue Formen des Einkaufens, für eine bessere Info- nung des Marktes und auf die Überwachung der Post, für neue Wirtschaftlichkeit, für eine bessere Marktordnung und der Ordnung dieses Marktes. Er Ökonomie und Ökologie bei der Energieversorgung bringt hier das Gemeinwohl ein. Er macht nicht mehr, von Privathaushalten, für neue Formen der Arbeit wie aber auch nicht weniger. Telearbeit und anderes mehr. In diesem Sinne müssen wir uns auch bewußt sein, Logistik und Kommunikation sind Wachstums- daß wir mit unserem Postgesetz ein Stück weiter branchen, werden die Automobilwirtschaft in ihrer gekommen sind als beim Eisenbahngesetz, bei der Bedeutung für das Bruttosozialprodukt einholen und Eisenbahnreform, die wir ja erst vor kurzem hier überholen. 10 % sind prognostiziert, ein Markt von verabschiedet haben. Dort heißt es: Mit dem Gesetz 30G Milliarden DM, der von Unternehmern, von über die Finanzierung der Schienenwege von Eisen- Arbeitgebern erschlossen werden muß, damit neue bahnen übernimmt der Bund eine Infrastrukturfinan- Arbeitsplätze entstehen, auch als Ausgleich für weg- zierungsverpflichtung für die Schienenwege seiner fallende Arbeitsplätze durch notwendige Rationalisie- Eisenbahnen, die nach einem Bedarfsplan ausgebaut rungen. werden. — Das haben wir hier nicht. Wir haben hier Die Erfahrungen in anderen Staaten zeigen, daß einen wesentlichen Schritt getan. Wir sind zur Privat- finanzierung der Infrastruktur gekommen. erst durch Wettbewerb die Post zur Bürgerpost wird. Nicht durch den Anspruch, sondern durch die Wirk- Das ist eine entscheidende Fortentwicklung seit lichkeit wird dieses hohe Ziel der Bürgerpost einge- Beginn der Sozialen Marktwirtschaft im Jahre 1949 löst. Daher stimmt die CSU für das Gesetzgebungsver- 17938 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 208. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. Februar 1994

Dr. Bernd Protzner fahren. Die Unionsfraktion wünscht einen möglichst haben, Herr Börnsen, was in diesem Gesetz steht. Das raschen Abschluß. ist Wettbewerb mit Verhütungsmitteln. Vielen Dank. (Peter Paterna [SPD]: Gib Aids keine (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Chance!) Ich sage es noch einmal: Die F.D.P. stimmt dieser Wischiwaschi-Postreform zwar zähneknirschend zu, Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Als nächster spricht weil wir die Zweidrittelmehrheit für die Verfassungs- der Kollege Dr. Graf Lambsdorff. änderung brauchen, weil das Gesetz im Bereich der Organisationsreform wirkliche Verbesserungen bringt und weil es der Telekom endlich den Zugang Dr. Otto Graf Lambsdorff (F.D.P.): Frau Präsidentin! zum Kapitalmarkt eröffnet. All die Wunschvorstellun- Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Ich gen, die wir hier von Ihnen gehört haben, sind doch bedanke mich, Herr Protzner, in meiner Eigenschaft von Ihnen jahrelang behindert worden, weil die Tele- als Mitglied der Ludwig-Erhard-Stiftung, daß Sie auf kom in der jetzigen Rechtsform nicht an den Kapital- unsere ordnungspolitischen Veröffentlichungen auf- markt gehen kann. merksam gemacht haben. Ob allerdings darin der Satz bzw. die Gleichung vorkommt, Ordnungspolitik sei Wir stimmen allerdings nur zähneknirschend zu, Ordnung des Marktes, wie Sie soeben verkündet habe ich gesagt. Ich kann gar nicht so viel S and in den haben, darüber könnten wir vielleicht noch einmal Mund nehmen, wie meine Zähne bei der Veranstal- gemeinsam nachdenken. tung knirschen sollten, weil die Aufgabenreform Im übrigen möchte ich der CSU ausdrücklich (Peter Paterna [SPD]: Prothese!) bescheinigen, daß sie auf dem Gebiet, das wir heute behandeln, Fortschritte gemacht hat. Bei der Postre- — die habe ich glücklicherweise nicht im Mund notwendig, die Prothese — die Öffnung zu mehr form I gehörten Sie zusammen mit der Postgewerk- schaft zu den Hauptblockierern. Insofern gibt es einen Wettbewerb im Netzbereich nicht fest terminiert, Fortschritt. sondern immer weiter hinausgeschoben wird. Das, meine Damen und Herren, ist der Kernpunkt der Aber, Herr Bernrath und Herr Börnsen: Man wird ja Auseinandersetzung. wohl noch darstellen dürfen — und das ist das Ziel dessen, was ich hier heute zu tun beabsichtige; das Wir wollen ein Recht auf Marktzugang für jeder- wird Sie nicht erfreuen, ich weiß das —, was wir, die mann. Wir wollen Wettbewerb — und ich sage das Liberalen, tun würden und was wir für richtig hielten, ausdrücklich so — als die Peitsche für mehr Leistung, wenn wir nicht auf Zweidrittelmehrheiten angewie- für technischen Fortschritt, für bessere Telekommuni- sen wären. kationsinfrastruktur in Deutschland, für niedrige Gebühren für die Benutzer und vor allem für mehr und (Peter Paterna [SPD]: Sie marschieren direkt für höherwertige Arbeitsplätze. auf die absolute Mehrheit zu!) — Also, von der absoluten Mehrheit sind Sie so weit (Beifall bei der F.D.P.) entfernt wie andere auch, und außerdem sind Mei- Und Sie, meine Damen und Herren, haben Angst nungsumfragen noch keine Wahlergebnisse. Freuen vor Wettbewerb. Sie haben Angst vor der Deutschen Sie sich nicht zu früh, die Rechnung wird am Abend Postgewerkschaft und opfern dafür die Chancen des des Wahltages gemacht! Standortes Deutschland. Sie opfern Arbeitsplätze, (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne- technischen Fortschritt und Wachstumsmöglichkei- ten der CDU/CSU — Zuruf von der CDU/ ten. Die Telekommunikationsmärkte der Welt werden CSU: Wir haben uns auch schon ein paar mal jetzt verteilt, und SPD und Postgewerkschaft blockie- gefreut!) ren die Beteiligung deutscher privater Unterneh- men. Meine Damen und Herren, wir werden sagen, was wir wollen. Und ich sage gleich hinzu: Diesen Gesetz- (Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [F.D.P.]: entwurf haben wir mit eingebracht, weil ein anderes Erschreckend!) Ergebnis in den Verhandlungen nicht zu erzielen war. Moderne Infrastruktur im Bereich der Telekom- Die Kollegen Timm und Funke haben sich engagiert munikation ist ein wesentlicher Faktor für die Qualität und redlich bemüht, ein besseres Ergebnis zu erzie- des Industriestandortes Deutschland. SPD und Deut- muß mit dem leben, was man bekom- len. Aber man sche Postgewerkschaft blockieren eine vielfältige men kann. Struktur in Deutschland, vor allem in Ostdeutsch- Wir hoffen, daß uns dieser Gesetzentwurf einen land. Schritt weiterbringt. Ich sage, „wir hoffen", Herr Bernrath, weil der Beschluß Ihrer Fraktion mit so viel Würden wir das Auslaufen der Monopole im Gesetz Vorbehalten versehen ist wie der Schwur des berüch- zeitlich festschreiben — Herr Bernrath, das hatten wir tigten Meineidbauern. vor, aber Sie wollen es nicht einmal mehr in der Begründung haben —, dann würden morgen Investi- Man muß diesen Beschluß plakatieren, überall tionen in Milliardenhöhe und — damit verbunden — verbreiten, um zu demonstrieren, daß all das Gerede die Schaffung von Arbeitsplätzen ermöglicht. Es kann der SPD vom modernen Deutschland, von technischer doch niemand investieren, der nicht sicher den Zeit- Innovation, von besserer Infrastruktur und von mehr punkt des Auslaufens der Monopole kennt. Wettbewerb wirklich leeres Geschwätz ist. Das ist nicht mehr Wettbewerb, was Sie hier vorgeschlagen (Beifall bei der F.D.P.) Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 208. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. Februar 1994 17939

Dr. Otto Graf Lambsdorff Aber SPD und Postgewerkschaft blockieren Investi- Wir setzen aber auf die Kraft des Wettbewerbs tionen, und sie blockieren Arbeitsplätze. außerhalb der Monopole. Sehen Sie sich doch einmal an , welch atemberaubende Teilnehmerentwicklung Wir brauchen in der Tat — das englische Beispiel der Mobilfunk vom B-Netz bis zum D-Netz in beweist es, Herr Protzner — die Freigabe der Mono- Deutschland genommen hat. Wenigstens das können pole früher als unsere europäischen Wettbewerber, Ihre Fraktions- und Gewerkschaftsbeschlüsse nicht weil unser Hochlohnland technischen Vorsprung - benötigt. verhindern. (Beifall bei der F.D.P.) Sie wollen, Herr Bernrath — das haben Sie wörtlich Es kommen immer mehr dazu, und das ist richtig. gesagt —, die Liberalisierung unter gleichen Chan- cen. SPD und Postgewerkschaft wollen den Regulie- Herr Scharping redet von der Priorität für Arbeits- rungsgleichschritt in der Europäischen Union. plätze. Sie ruinieren sie! Herr Lafontaine redet von Fortschritt und Innovation. Beides bremsen Sie aus! (H s Gottfried Bernrath [SPD]: Richtig!) an Herr Schröder gibt sich wirtschaftsfreundlich. Er tut Das heißt, Sie wollen Deutschl and an die Entwicklung alles, um der Wirtschaft unnötige Fesseln aufzuerle- in Portugal und Griechenland binden. gen. Das ist die Wahrheit bei dieser Postreform. (Hans Gottfried Bernrath [SPD]: Nein!) Mit der SPD und der Deutschen Gewerkschaft zurück zu Thurn und Taxis? — Wir wollen das nicht, Das ist die Wahrheit. und wir werden versuchen, Sie daran zu hindern. (Hans Gottfried Bernrath [SPD]: Nein, lesen Vielen Dank. Sie nach!) (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne Sonst müßten Sie offen sein und sagen: Wir sollten ten der CDU/CSU) sehen, daß wir einen Vorsprung vor den anderen haben. (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) Als nächster spricht Wir sind ein Hochlohnland. Wir brauchen eine bessere Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: der Kollege Peter Paterna. Infrastruktur als andere. Wir müssen auf dieser Infra- struktur die hohen Löhne erwirtschaften, die wir alle den Arbeitnehmern gönnen wollen. Das verhindern Sie. Sie ruinieren Arbeitsplätze, und Sie ruinieren die Infrastruktur. Peter Paterna (SPD): Frau Präsidentin! Meine Damen und Henen! Ich habe mir vorgenommen, (Hans Gottfried Bernrath [SPD]: Lesen den heute ausschließlich in meiner Eigenschaft als Vorsit- Beschluß des Ministerrates! Dann werden zender des Ausschusses für Post und Telekommuni- Sie sehen, daß Portugal und andere auf fünf kation zu reden, der mit dieser ersten Lesung als Jahre später gesetzt sind als die hochindu- federführender Ausschuß eine Herkules-Aufgabe strialisierten Länder!) aufgebürdet bekommt. Meinen parteilichen Stand- — Der Beschluß des Ministerrates existiert noch gar punkt setze ich als hinreichend bekannt voraus. nicht. Außerdem wissen Sie ganz genau: Er gilt nur für Ich will nur eine Abweichung von meinen guten den Sprachendienst, für die Sprachübertragung. Das Vorsätzen machen, Herr Graf Lambsdorff. Ich lese ist nur ein unwesentlicher Teil. Die Datenübertragung Ihnen einmal aus dem Protokoll vom 20. Januar vor. und die Freigabe der Netzmonopole, das ist der Da sagte Herr Solms, durch die Blockade der Postre- entscheidende Punkt. form II gefährde die SPD die Investitionen der Tele- kom in den neuen Bundesländern bis zum Jahr 1998 in (Hans Gottfried Bernrath [SPD]: Das Pro- Höhe von 60 Milliarden DM. — Das ist natürlich barer gramm läuft doch schon!) Unsinn und in etwa das Niveau des Sachverstandes, — Sie tun alles, um es zu behindern. der in der F.D.P.-Fraktion versammelt ist. Eine moderne Industrie- und Dienstleistungsgesell- (Beifall bei der SPD) schaft braucht im Bereich Telekommunikation Viel- Herr Funke, der eine besondere Nähe zu Privatban- falt, Qualität und Preisgünstigkeit der Versorgung. ken und deswegen wahrscheinlich auch für die Post- Alles das blockieren Sie, um die Pfründen der Postge- bank besonderes Interesse hat, wird wahrscheinlich werkschaftsfunktionäre zu verteidigen. wissen, daß in einem Gutachten des Bankhauses Herr Gysi, die Probleme bei Infrastruktur kann man Warburg vorgerechnet wird, daß ein vorzeitiges Auf- lösen. Wo es ein Monopol gibt, braucht man natürlich geben der Telefondienstmonopole zu einer niedrigen eine regulierende Aufsicht; da braucht man Lizenzen Eigenkapitalquote und das Gegenteil zu einer hohen unter Auflage. Damit kann man die Infrastruktur und führt. Also, tun Sie doch nicht so, als hätten Sie hier die die Versorgung in der Fläche sicherstellen. Weisheit gepachtet! Wir setzen wenig Hoffnung auf notwendige Verbes- Unsere Aufgabe im Ausschuß ist schon von den serungen des heutigen Entwurfs. Das sage ich vor Größenordnungen her einmalig. Es hat in Deutsch- allen Dingen nach der heutigen Debatte und nach land nie ein Unternehmen gegeben, das mit einem Ihrem Beschluß, Herr Bernrath, in der Fraktion. Ich Wert von über 100 Milliarden DM und 700 000 weiß, wie mühsam es war, ihn dort überhaupt durch- Beschäftigten von einem auf den anderen Tag priva- zusetzen; das ist mir bekannt. tisiert werden sollte, und es wird nie mehr einen 17940 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 208. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. Februar 1994

Peter Paterna Vorgang in solcher Größenordnung geben, vermut- nur ein Bruchteil der bis zum Jahr 2000 benötigten lich weltweit nicht. Investitionsmittel ist und daß sich herausstellen Das Vorhaben ist auch insofern einmalig, als noch könnte, daß der mit Eigenmitteln finanzierte Teil nie 325 000 Beamte und noch mehr öffentlich bedien- teurer wird als die Fremdmittelfinanzierung in der stete Tarifkräfte Aktiengesellschaften zugewiesen öffentlich-rechtlichen Unternehmensverfassung. Wir werden sollten. Dienstherrenbefugnis für einen AG- sollten also die Eigenkapitalquote nicht zum Fetisch Vorstand gegenüber Beamten für privatwirtschaftli- erheben, Der Umwandlungsakt und die Folgen kön- che Tätigkeiten ist eigentlich ein Widerspruch in sich, nen auch aus anderen Gründen so teuer werden, daß gerade für diejenigen, die jahrzehntelang politisch die die Finanzchefs der Unternehmen, die heute die hergebrachten Grundsätze des deutschen Berufsbe- Aktiengesellschaft so sehnlich herbeiwünschen, dem amtentums wie eine Monstranz besonders hochgehal- heutigen Zustand noch nachtrauern könnten. Wir ten haben und jetzt glauben, besonders bedenkenlos müssen deshalb auch auf diesem Sektor mit äußerster zu Werke gehen zu können. Sorgfalt vorgehen, wenn wir nicht irreparable Schä- den riskieren wollen. Dieses Vorhaben mag angesichts unserer gemein- samen politischen Unfähigkeit, ein modernes, ein- Die wichtigste Aufgabe wird sein, einen verläßli- heitliches öffentliches Dienstrecht zu schaffen, unver- chen Rahmen dafür zu schaffen, daß der Staat die ihm meidlich sein. Ich erinnere aber daran, daß der ehe- weiter zugeschriebene Infrastrukturverpflichtung er- malige Postminister Schwarz-Schilling intern zu- füllen kann. Angesichts der extremen Kostenunter- nächst eine Änderung des Art. 33 GG haben wollte schiede bei der Versorgung von Ballungsräumen und und Art. 87 GG erst ins Visier geriet, nachdem ihm der Großkunden einerseits und von ländlichen Räumen, damalige Innenminister Schäuble dies verweigert Mittelständlern und Privatkunden andererseits ist es hatte. Schwarz-Schilling selbst war also der Auffas- illusionär, zu glauben, der freie Wettbewerb werde sung, daß eine bereichsspezifische Reform des öffent- schon Sozialverträgliches und Raumordnungverträg- lichen Dienstrechts uns diese Art Postreform hätte liches richten. Der volkswirtschaftliche und gesell- ersparen können. Er ist damit keineswegs an der SPD, schaftspolitische Wert wirtschaftspolitischer Ord- sondern an den eigenen Ideologien und an dem nungsvorstellungen kann eben nicht am Vergleich reformunwilligen Teil der Beamtenlobby gescheitert. der Bilanzen unserer deutschen Telekom mit denen Das ist für manche unbequem, aber das ist die reine von NTT, ATT oder British Telecom gemessen wer- Wahrheit. den. Wir alle sind uns doch darin einig, daß wir bei uns Da wir bei den Postunternehmen — aus nicht im weder japanische noch amerikanische noch englische einzelnen zu erläuternden Gründen — nicht nach dem Verhältnisse als gesamtgesellschaftliches Ergebnis für die Bundesbahn und die Reichsbahn entwickelten haben wollen. Wenn das so ist, muß man sich aber Modell verfahren können, betreten wir jedenfalls auch vor kurzschlüssigen sektoralen Vergleichen und Neuland voller verfassungsrechtlicher und einfach- Nachahmungseffekten hüten. gesetzlicher Risiken. Und da es bei einem Rechts- Unsere dezentralen Strukturen, unsere stark mittel- formwechsel vor nicht abdingbaren Individualrechten ständisch orientierte Wirtschaft, unser im internatio- und Kollektivrechten nur so wimmelt, müssen wir als nalen Vergleich immer noch beispielhafter sozialer Gesetzgeber mit äußerster Sorgfalt vorgehen, weil Frieden sind nicht mit Gold aufzuwiegen und kaum dies sonst ein übersehbares Feld für Musterprozesse zurückzuholen, wenn sie einmal verloren sind. Nach wäre, die die Unternehmen stärker fesseln könnten als meiner Überzeugung sind sie zu einem wesentlichen der jetzt lautstark beklagte Zustand. Es gehört viel Teil unserem Verständnis von einem relativ ausgewo- Mut dazu, davon überzeugt zu sein, daß dieses Kunst- genen Verhältnis zwischen marktwirtschaftlichen stück innerhalb so kurzer Zeit gelingt. Strukturen und staatlicher Verantwortung für Infra- Auch vor anderen Illusionen muß ich pflichtgemäß struktur und sozialpflichtigen Rahmenbedingungen warnen. Ich halte es für naiv, zu glauben, daß mit zu verdanken. Wir dürfen auch als Fachpolitiker diesem Paket ein Befreiungsschlag aus der Schulden- diesen Gesamtzusammenhang nicht bet riebsblind und Finanzierungsklemme gelingt. Da ist nicht nur übersehen, sondern müssen noch einmal mit großer die Bürde von ca. 100 Milliarden DM Pensionsver- Sorgfalt prüfen, ob die von uns gesetzgeberisch pflichtungen, mit denen die Unternehmen in das bereitgestellten Instrumente mit größtmöglicher angesagte Windhundrennen geschickt werden sollen Wahrscheinlichkeit gewährleisten, daß wir die über- und die der Bund als ehemaliger Dienstherr wegen geordneten Zielsetzungen politischen H andelns er- nicht gebildeter Pensionsrückstellungen den Aktien- reichen. gesellschaften als Erblast vermacht. Da sind auch die Wir haben alle einen Fehler gemacht, indem wir die bereits über 100 Milliarden DM Schulden — mit Postreform viel zu telekomzentriert diskutiert haben. weiter rasch wachsender Tendenz — allein bei der Wir waren alle zu sehr darauf fixiert, für alle Nachfol- Telekom, die zu einem wesentlichen Teil deshalb so geunternehmen der DBP die gleiche Rechtsform fin- erschreckend hoch sind, weil der Bund die DBP- den zu wollen. Wenn ich mir jetzt die Zuständigkeiten Unternehmen — im Gegensatz zu allen anderen der Holding — mit wahrscheinlich nicht mehr wesent- Politikfeldern beim Aufbau Ost — alleingelassen hat lich erweiterbaren Kompetenzen — ansehe, neige ich und genau zu dem Zeitpunkt, zu dem diese Investitio- zu der Beurteilung, daß es besser gewesen wäre, jetzt nen beginnen könnten, rentierlich zu werden, die aus der Telekom eine AG und aus Postdienst und Voraussetzungen dafür schafft, daß möglicherweise Postbank bis auf weiteres Anstalten des öffentlichen andere das bestellte Feld abernten. Rechts zu machen. Aber um hier noch umzusteuern, Ich muß auch darauf verweisen, daß der erhoffte reicht die Zeit in dieser Legislaturperiode nicht mehr Börsenerlös von geschätzten 20 bis 30 Milliarden DM aus. Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 208. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. Februar 1994 17941

Peter Paterna Ich verstehe und bedaure die Enttäuschung der Peter Paterna (SPD): Darum möchte ich — hoffent- DPG, die am entschiedensten und mit größtem Kraft- lich im Namen aller Anwesenden — bitten. einsatz für ihre Positionen gefochten hat. Die Enttäu- Vielen Dank. schung richtet sich natürlich gegen die SPD; von der Koalition haben die ohnehin nichts erwartet. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der PDS/Linke Liste) (Dr. Otto Graf Lambsdorff [F.D.P.]: Das fehlt auch noch!) Ich appelliere jetzt aber an alle, die im Vorfeld Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Als nächster spricht unvermeidlicher Kompromisse üblichen Maximalpo- der Parlamentarische Staatssekretär Rainer Funke. sitionen zu verlassen und ab sofort die Konsensorien- tierung anzustreben. (Dr. Otto Graf Lambsdorff [F.D.P.]: Gilt das Rainer Funke, Parl. Staatssekretär bei der Bundes- für alle?) ministerin der Justiz: Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Nach den vielen postpolitischen und Gegen den erklärten Widerstand der organisierten wirtschaftspolitischen Ausführungen möchte ich ei- Arbeitnehmerschaft, lieber Graf Lambsdorff, sind so nige Worte zu den notwendigen Grundgesetzände- tiefgreifende Strukturveränderungen nicht mit Erfolg rungen sagen, die auch schon angesprochen worden durchzusetzen. Jeder vernünftige Privatunternehmer sind. wäre von vornherein mit dieser Erkenntnis in die Verhandlungen gegangen. Die Bundesregierung und Nach 45 Jahren Grundgesetz haben sich die wirt- auch die F.D.P. werden es endlich begreifen müs- schaftlichen Rahmenbedingungen, unter denen Bahn sen. und Post zu arbeiten haben, national und — was viel wichtiger ist — international grundlegend geändert. Die Koalition sollte ab sofort aber auch jedem Die überkommenen Strukturen der Deutschen Bun- Versuch widerstehen, die SPD spalten zu wollen. despost können nicht mehr Maßstab für deren wirt- ed Bernrath und ich mögen und schätzen Hans Gottfri schaftliches H andeln sein. Demgemäß müssen die uns viel zu sehr, als daß wir uns von irgend jemandem grundgesetzlichen Bestimmungen, die die Basis für gegeneinander aufhetzen lassen. die Tätigkeit der Deutschen Bundespost darstellen, (Hans Gottfried Bernrath [SPD]: Richtig!) geändert werden. Recht muß sich ja auch an den Die Koalition möge die von uns gemeinsam für geänderten wirtschaftlichen und sozialen Verhältnis- notwendig gehaltenen Forderungen im SPD- sen orientieren. Beschluß sehr ernst nehmen. Jedem Politprofi, für den Die aus dem Sondervermögen Deutsche Bundes- Sie sich ja halten, müßte klar sein, was ich Postminister post hervorgehenden Unternehmen müssen aus dem Bötsch schon bei seinem Amtsantritt unter vier Augen strengen Korsett staatlicher Verwaltung gelöst wer- gesagt habe: Im Juni, so kurz vor der Bundestagswahl, den, das bislang das Grundgesetz in Art. 87 vor- kann es eine verfassungsändernde Mehrheit mit der schreibt. Koalition nur bei einer sehr breiten Akzeptanz inner- Die Grundgesetzänderung macht folgendes deut- halb der SPD geben. lich: (Zuruf von der CDU/CSU: Keine Drohungen Erstens. Dienstleistungen im Bereich des Postwe- hier!) sens und der Telekommunikation werden zukünftig Meine Damen und Herren, ich komme zum Schluß. als private Tätigkeiten angeboten. Dieses Angebot Wir haben uns im Ausschußsekretariat schon zu einer wird durch die Nachfolgeunternehmen der Deutschen Zeit, als noch niemand vorherzusagen wagte, ob diese Bundespost und durch Wettbewerber erbracht. So der Debatte hier heute überhaupt stattfinden wird, so weit Vorschlag aller Fraktionen. vorbereitet, daß wir die Einladungen zu der öffentli- Zweitens. Der Staat sorgt dafür, daß flächendek- chen Anhörung morgen abschicken können. Sie kend angemessene und ausreichende Dienstleistun- mögen daraus ersehen, daß ich, obwohl ich einer der gen angeboten werden. Damit wird eine Staatsauf- größten Skeptiker gegenüber dem jetzt eingebrach- gabe zur Sicherstellung der notwendigen Infrastruk- ten Gesetzespaket bin, pflichtgemäß, Herr Minister, anerkannt. Darüber gab es auch in der Verhand- und mit äußerster Kraft meinen Teil dazu beitragen tur lungskommission keinen Streit. werde, um der vor uns liegenden Arbeit zum Erfolg zu verhelfen. Der zu wünschende Erfolg wird sich aber Drittens. Der Staat erfüllt seine Infrastrukturauf- nur einstellen, wenn die vielen, die hier im Hohen gabe aber nicht etwa dadurch, daß er die betroffenen Hause und in den Ministerien mittun müssen, ver- Dienstleistungen selbst erbringt; vielmehr beschränkt meintliche taktische Vorteile in den parallel zu füh- sich die Staatsaufgabe auf die Regulierung — darauf renden Wahlkämpfen zurückstellen und sich den hat der Minister besonders aufmerksam gemacht —, langfristigen Zielen verpflichtet fühlen und wenn die nämlich durch hoheitliche Maßnahmen sicherzustel- vielen Personen und Organisationen, auf deren exter- len, daß das notwendige Angebot erbracht wird. nen Sachverstand wir angewiesen sind, uns jenseits Viertens. Auch nach der Privatisierung der Bundes- liebgewordener Ideologien und noch so verständli- post wird es ein besonderes Verhältnis zwischen dem cher Eigeninteressen so objektiv und sachlich fundiert Bund und seinem ehemaligen Sondervermögen wie möglich beraten. geben. Fünftens. Schließlich brauchen wir eine einwand- Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Herr Paterna, Ihre freie verfassungsrechtliche Grundlage für die Über- Redezeit ist reichlich abgelaufen. gangszeit bis zum Abschluß der Privatisierung. 17942 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 208. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. Februar 1994

Pari. Staatssekretär Rainer Funke Der Ihnen vorliegende Entwurf für eine Grundge- die F.D.P. sehr herzlich dafür bedanken, daß es auch setzänderung trägt diesen Anforderungen im Grund- vom Stil her eine gute Diskussion gewesen ist. Ich satz Rechnung. Allerdings möchte ich darauf hinwei- hoffe, daß wir diesen guten Stil auch in den Beratun- sen, daß für eine Übergangszeit — entgegen Art. 87 f gen in den Ausschüssen fortsetzen können und daß Abs. 1 Satz 3 GG — die Monopole aufrechterhalten wir dann im Juni im Bundesgesetzblatt ein gutes bleiben. Hier muß noch eine vernünftige Übergangs-- Gesetz wiederfinden. regelung geschaffen werden, weil sich die Bestim- Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. mungen insoweit etwas widersprechen. (Peter Paterna [SPD]: Donnernder Applaus Mit der Änderung des Grundgesetzes wird der Weg bei der F.D.P.! — Beifall bei der F.D.P. sowie freigemacht für eine Organisationsreform der Post bei Abgeordneten der CDU/CSU — Heiter und der Telekommunikation. Die sogenannte Postre- keit im ganzen Hause — Peter Paterna [SPD]: form I, die hier mehrfach angesprochen worden ist und Sie haben den Einsatz verpaßt!) die inzwischen als Torso gesehen wird oder nur als Eingangsregelung für eine Postreform II gesehen werden kann, muß fortentwickelt werden. Vizepräsident Hans Klein: Das ist kooperativer Par- lamentarismus. — Das Wort hat der Kollege Erwin Die Schuldigen dafür, lieber Herr Kollege Bernrath, Marschewski. daß wir damals in der Postreform nicht weitergegan- gen sind, sitzen nicht alle hier im Raum. Einige, die (Peter Paterna [SPD]: Das ist ein echter Mehr hier angesprochen worden sind, waren außerhalb des fachsprengkopf!) Raumes, lieber Herr Kollege Peter Pate rna, nämlich der vielfach angesprochene Vorsitzende der Postge- Erwin Marschewski (CDU/CSU): Herr Präsident! werkschaft; denn der hat es durch seine Intervention Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich glaube, verstanden, die Postreform I zumindest zu verwäs- Herr Kollege Paterna, Sie haben nicht nur als Aus- sern. schußvorsitzender zu uns gesprochen, sondern viel- (Martin Göttsching [CDU/CSU]: Sehr rich mehr als Vertreter der 30 sozialdemokratischen Abge- -tig!) ordneten, die nein gesagt haben zur Postreform und damit nein zu einer guten Zukunft der Post, so meine Auf dem Wege der Organisationsprivatisierung ich, und damit nein zu einer guten Zukunft der sind auch vernünftige Kompromisse geschlossen wor- Bediensteten der Deutschen Bundespost. den. Ich will mich hier als Innenpolitiker der beruflichen, (V o r sitz : Vizepräsident Hans Klein) persönlichen und familiären Zukunft der bei den Die Postbank kann jetzt unverzüglich in eine Aktien- Unternehmen der Post beschäftigten Mitarbeiter gesellschaft umgewandelt werden. Sie kann ihre — der Beamten, Angestellten und Arbeiter — wid- Anteile — bis auf 12,5 %, die der Bund hält, und men. Wir sind uns einig: Diese Reform kann nur 12,5 %, die die Postdienst AG hält — an Interessenten gelingen, wenn wir unsere gesamten Anstrengungen veräußern, entweder an der Börse oder an geeignete darauf richten, für die betroffenen Bediensteten Kooperationspartner. Dadurch kann die Postbank AG erträgliche Regelungen zu schaffen. Denn dies, meine wirtschaftlich arbeiten. Sie wird ein vollwertiges ich, meine Damen und Herren, ist unsere verantwort- Bankinstitut, hat eine vernünftige wirtschaftliche liche politische Verpflichtung. Es ist doch eine Binsen- Basis und sichert dadurch auch Arbeitsplätze. weisheit, daß die Mitarbeiter das Herzstück jedes Unternehmens sind. Die Telekom AG und die Postdienste bleiben zwar noch fünf Jahre im Mehrheitsbesitz des Bundes; die Aus diesem Grund ist es unser erstes Ziel, die Telekom AG wird aber bereits 1996 wesentliche vorhandenen Arbeitsplätze zu erhalten und zu Anteile an der Börse veräußern und damit den Weg sichern. Die Gegner der Postreform — wie Sie, Herr zur Privatisierung frei machen. Kollege Paterna — werfen uns vor, die Postreform führe zu einer Gefährdung von Arbeitsplätzen und zur Dadurch bekommen Postdienst, Telekom und Post- Verschlechterung von Arbeitsbedingungen. Dies ist bank die große Chance, sich über den Kapitalmarkt zu falsch, meine Damen und Herren. Wer so argumen- refinanzieren. Eine andere Möglichkeit der Refinan- tiert, verkennt die Wirklichkeit. Die Unternehmen der zierung besteht für diese Unternehmen nicht, wenig- Deutschen Bundespost sind in ihrer bisherigen Form stens nicht bei der gegebenen Finanzlage des Bundes. auf Dauer nicht wettbewerbsfähig. Was wir wollen, ist Soweit wird auch durch diese Refinanzierung für die eben, die Arbeitsplätze auf Dauer zu gewährleisten neuen Aktiengesellschaften sichergestellt, daß die und diese Arbeitsplätze für die Mitarbeiter attraktiver Arbeitsplätze bei den Postunternehmen gesichert zu gestalten. bleiben. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Ich glaube auch, daß zusätzliche Investitionen und Meine Damen und Herren, wir müssen und wollen Innovationen in diesen Unternehmen getätigt wer- auch den Rechtsstatus der Beamten sichern. Ich den. Dieses sichert wiederum die Arbeitsplätze. meine, die vorliegenden Gesetzentwürfe treffen Meine Damen und Herren, die Beratungen, die über hierzu die erforderlichen Regelungen. Die in Aktien- ein Jahr zwischen den Parteien stattgefunden haben gesellschaften umgewandelten Unternehmen der und sehr intensiv gewesen sind — manchmal freund- Bundespost werden ermächtigt, die Rechte und Pflich- schaftlich, manchmal nicht so freundschaftlich —, ten des Dienstherrn Bund gegenüber den bei ihnen haben im Ergebnis doch zu einem vernünftigen, beschäftigten Beamten wahrzunehmen. Diese Belei- tragbaren Ergebnis geführt. Ich möchte mich auch für hung — so nennen wir dies — wird durch eine Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 208. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. Februar 1994 17943

Erwin Marschewski Änderung des Grundgesetzes verfassungsrechtlich telbar kraft Gesetzes im Wege der Gesamtrechtsnach- abgesichert. Die Aktiengesellschaften üben also die folge. Auf diese Weise ist ein lückenloser Bestands- Dienstherrenbefugnis gegenüber allen bei ihnen schutz der Arbeitsverhältnisse und damit ein Maxi- beschäftigten Beamten sowie allen Ruheständlern mum an dauerhafter, sozialer Sicherheit gewährlei- aus. Die Beschäftigung bei den Aktiengesellschaften stet. — ich will es hier noch einmal ausdrücklich sagen — ändert also nichts am Status der Beamten als unmit- Meine Damen und Herren, die Unternehmen der telbare Bundesbeamte. Der Vorstand der Aktienge- Bundespost werden auch Rationalisierungsmaßnah- sellschaft nimmt vielmehr lediglich die Befugnisse men durchführen müssen, um wettbewerbsfähig zu einer obersten Dienstbehörde wahr. Im einzelnen bleiben. Damit dies nicht zu Lasten der Arbeitnehmer gilt: geht, haben wir bereits mit der Bahnreform auch eine Erstens. Die Laufbahnzugehörigkeit, die Besoldung für die Postunternehmen geltende Vorruhestandsre- und die den Beamten verliehene Amtsbezeichnung gelung beschlossen. Ich begrüße diese Regelung bleiben erhalten. ausdrücklich. Danach können Beamte des einfachen und mittleren Dienstes vom 55. Lebensjahr an und Zweitens. Es gelten grundsätzlich die allgemeinen Beamte des gehobenen Dienstes ab dem 60. Lebens- beamtenrechtlichen Regelungen fort. Sonderregelun- jahr auf Antrag in den vorzeitigen Ruhestand versetzt gen, das wissen Sie, werden nur ausnahmsweise, z. B. werden — natürlich nur dann, wenn sie nicht bei im Laufbahnrecht, im Besoldungsrecht und in der einem anderen Postunternehmen beschäftigt werden Mitbestimmung, getroffen. können oder wenn aus allgemeinen beamtenrechtli- Meine Damen und Herren, ich darf mich hier beim chen Grundsätzen eine Unzumutbarkeitsregelung Bundesminister Bötsch ganz herzlich bedanken. Für einsetzt. Auch dies ist eine vernünftige Regelung uns — ich habe dies gesagt — stehen die Arbeitneh- neben der Mitbestimmungsregelung, um wirklich den mer im Vordergrund. Herr Minister Bötsch hat sich Beschäftigten soweit wie möglich nicht nur entgegen- auch dafür eingesetzt, daß die Mitbestimmung als zukommen, sondern — ich sage dies noch einmal — wesentlicher Bestandteil der Unternehmenspolitik, um die Arbeitsplätze für die 700 000 Postbediensteten der Unternehmensverfassung anzusehen ist. Dafür, auf Dauer zu erhalten, was wir wollen. Herr Bundesminister, ganz herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU) Ich komme zum Schluß, vielleicht auch zum Schluß dieser Debatte. Die jahrhundertealte Geschichte der Meine Damen und Herren, die Postreform II sichert Post, vom mittelalterlichen Botendienst bis zur Chip- nicht nur den Status quo der Beamten. Sie ermöglicht revolution der Moderne, zeigt schlagartig das Ausmaß darüber hinaus den Beamten dauernd oder im Rah- der Veränderungen, die sich in diesem Zeitraum für men einer Bewerbung auf Zeit als Angestellte in den die Lebensbedingungen der Menschen ergeben Aktiengesellschaften tätig zu werden. haben. Sie zeigen zudem, daß sich eine Institution und die in ihr tätigen Menschen diesen Veränderungen Vizepräsident Hans Klein: Herr Kollege Mar- nicht entziehen können. Aber es ist Aufgabe einer den schewski, der Kollege Dr. Seifert würde gerne eine Menschen dienenden Politik, dem einzelnen und der Zwischenfrage stellen. Gesellschaft die Vorteile des technischen und ökono- mischen Fortschrittes zugänglich zu machen und die Erwin Marschewski (CDU/CSU): Bitte schön. Ich damit verbundenen negativen Auswirkungen erträg- habe es nicht gesehen. lich zu gestalten. Das haben wir mit der Postreform II gemacht. Herr Kollege Paterna, wer die dienst- und Dr. Ilja Seifert (PDS/Linke Liste): Herr Kollege arbeitsrechtlichen Teile dieser Reform gerecht bewer- Marschewski, wenn Sie schon so vehement für die tet — Herr Kollege Bernrath, Sie werden da Zeuge Mitbestimmung der Arbeitnehmerinnen und Arbeit- sein —, der wird zugeben, daß es uns in den Jahren der nehmer und überhaupt der Angestellten und Beamten Verhandlungen gelungen ist, die Unternehmen der dort eintreten, warum sind Sie dann nicht dafür, ein Bundespost zu modernisieren, ohne die berechtigten Modell der paritätischen Mitbestimmung als Pflicht Interessen der hiervon be troffenen Bediensteten zu für die neuen Aktiengesellschaften einzuführen, beeinträchtigen. Ich denke, das ist uns in den vielen wenn Sie sie schon unbedingt wollen. Jahren hervorragend gelungen. Ich glaube, die Bediensteten der Bundespost brauchen keine Be- Erwin Marschewski (CDU/CSU): Herr Kollege, man fürchtungen zu haben. kann gern über die Form der Mitbestimmung reden. Dennoch: Ich verstehe die Ungewißheiten vieler Ich sage Ihnen, diese Mitbestimmungsform, die wir Mitarbeiter. Wir alle haben viele Diskussionen und eingeführt haben nach dem Mitbestimmungsgesetz Gespräche mit ihnen geführt. Wir verstehen deren von 1976, gewährleistet für uns in ausreichendem Ungewißheiten. Das ist klar. Aber gerade für sie, Maße eine vernünftige Mitbestimmung aller Arbeit- gerade für die Mitarbeiter der Bundespost, wollen wir nehmer, und das wollen wir letzten Endes. die Arbeitsplätze erhalten. Deswegen wollen wir die Meine Damen und Herren, zu einem weiteren zweite Postreform erfolgreich durchsetzen. Bereich: Ich komme zu den von der Postreform II betroffenen Tarifarbeitnehmern. Die Aktiengesell- Zum Schluß bleibt mir, mich bei allen Damen und schaften treten im Zeitpunkt des Übergangs für die Herren — auch meiner Fraktion —, die in den Kom- Rechte und Pflichten der mit den Unternehmern missionen über Jahre hinweg gearbeitet haben, herz- geschlossenen Arbeitsverhältnisse ein. Auch hier lich zu bedanken. Herr Bundesminister Bötsch, auch erfolgt der Übergang der Arbeitsverhältnisse unmit- aus dem Parlament: Sie haben in dieser Kommission 17944 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 208. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. Februar 1994

Erwin Marschewski als Vorsitzender Hervorragendes geleistet. Ich be- Privatisierung wird insbesondere die Durchsetzung danke mich. von Datenschutzmaßnahmen und Datenschutzrech- (Beifall bei der CDU/CSU) ten erschweren. Diejenigen, denen eine verantwor- tungsvolle Medien- und Kommunikationslandschaft am Herzen liegt, müssen befürchten, daß sich frag- Vizepräsident Hans Klein: Ich erteile dem Kollegen würdige Kommunikationssysteme und Kommunika- Dr. Ulrich Briefs das Wo rt. tionsangebote auftun, z. B. die Sex-Lines, die gegen die Würde der Frauen in dieser Gesellschaft versto- Dr. Ulrich Briefs (fraktionslos): Herr Präsident! ßen. Meine Damen und Herren! Mit der Poststrukturre- Das Motto auch dieser sogenannten Reform ist: form II wird die Bundespost mit minimalen Einschrän- Hauptsache, die Mark rollt, und Hauptsache, sie rollt kungen voll privatisiert. Eine bewährte öffentliche in die richtigen Taschen. Wen kümmert da schon der Einrichtung, die im Gegensatz zu anderen Wirt- Schutz von Heranwachsenden, der Schutz der Würde schaftsbereichen und anderen Wirtschaftsunterneh- von Frauen und Mädchen beispielsweise! Die Erfah- men nicht durch Managementfehler oder Korrup- rungen mit der Privatisierung der Rundfunklandschaft tionsskandale ins Gerede gekommen ist, wird dem und der Ausbreitung von Sex- und Sensationssendun- marktwirtschaftlichen Dogma geopfert. Als ich übri- gen müßten da eigentlich auch sehr zu denken gens die Vollprivatisierung in der vorigen Legislatur- geben. periode bei der Debatte über die Poststrukturreform I Kommunikationsdienstleistungen sind nun ande- voraussagte, wurde diese Absicht heftig bestritten. rerseits — das ist zuzugestehen — zweifellos ein Insofern ist das, was der Kollege Funke hier ausführte, wichtiger ökonomischer Faktor, dessen Bedeutung so etwas wie Geschichtsklitterung. Ich glaube, das auch noch wachsen wird. Allerdings sind die Progno- war von Anfang an ganz anders. sen der sechziger und siebziger Jahre, daß die Unter- Nun kommt also die Privatisierung. Die Folgen nehmen im Zeichen der Entwicklung zur sogenannten werden die Beschäftigten beim größten deutschen Informationsgesellschaft hin heute 5 % oder 10 % ihrer Unternehmen spüren. Die Folgen werden die Postbe- Kosten für Informations- und Kommunikationstechni- nutzer und Telekomkunden insbesondere auf dem ken aufbringen müßten, bisher bei weitem nicht flachen Land zu spüren bekommen. Die Beschäftigten eingetroffen. sehen sich einem beispiellosen, langfristig geplanten In der Schlußfolgerung wird diese Poststrukturre- Stellenabbau gegenüber, und das bei bereits 7 Millio- form II außer bei bestimmten Dienstleistungen, die ich nen fehlenden Arbeitsplätzen und absolut nicht vor- soeben angesprochen habe — wie den Sex-Lines handenen Ersatzbeschäftigungsmöglichkeiten in z. B. —, kaum mit Kostensenkungen für die Wirtschaft Deutschland insgesamt. Herr Müller, darauf müssen zu irgendwelchen größeren Expansionseffekten füh- Sie Antworten geben. Wo sollen die hunderttausend ren. Herr Marschewski, das ist der Grundtatbestand, Menschen und die vielen, die noch davon abhängen, und vor diesem Hintergrund ist es doch ein bißchen hin? Gesundbeterei, was Sie hier eben gemacht haben. Die weiterhin Beschäftigten haben neuen Rationa- Da sowohl die Herstellung als auch die Anwendung lisierungsdruck, noch mehr Hierarchie und mehr der I-und-K-Techniken in der Regel — das geht gar marktwirtschaftlich verbrämte Fremdbestimmung zu nicht anders — hoch kapitalintensiv sind, werden erwarten, eben dem Gesetz entsprechend, daß der auch nur wenige zusätzliche Arbeitsplätze entstehen. wirtschaftlich Stärkere in solchen Unternehmen zu Vermutlich — das belegen z. B. britische Erfahrun- bestimmen und der wirtschaftlich Schwächere zu gen — werden insgesamt durch die Rationalisierung gehorchen hat. Ein Gutteil gewachsener Arbeits- und in den vollprivatisierten Postunternehmen sogar mehr Betriebskultur, insbesondere die traditionelle Zuver- Arbeitsplätze abgebaut als irgendwo anders geschaf- lässigkeit von Post und Telekom, gehen mit dem fen. Verschwinden der Bundespost womöglich dahin. Die Poststrukturreform II ist insgesamt, wie eigent- Die Kleinkunden allgemein, z. B. Rentner, Sozial- lich — das muß man leider sagen — jede größere hilfeempfänger, Arbeitslose und durchschnittliche Maßnahme dieser Bundesregierung, fehlangelegt, — was immer das ist — Arbeitnehmerhaushalte, und kontraproduktiv, verfehlt, unsozial gegenüber Be- vor allem die Kleinkunden auf dem Lande müssen sich schäftigten und gegenüber den Bürgern und Bürge- darauf einrichten, daß sie erstens nicht mehr voll mit rinnen. den lebensnotwendigen Telekommunikations- und Postdienstleistungen versorgt werden. Sie müssen sich zweitens darauf einrichten, daß sie wie bei den Vizepräsident Hans Klein: Herr Kollege Briefs, Ihre Stromtarifen, falls sie überhaupt versorgt werden, ein Zeit! Vielfaches mehr zahlen müssen als die Großkunden, die Firmen, die Konzerne. (fraktionslos): Ich komme zum Diejenigen, denen ein Schutz der persönlichen Dr. Ulrich Briefs Freiheitsrechte und des Rechts auf informationelle letzten Satz, Herr Präsident.

Selbstbestimmung — das ist heute gar nicht zum Die Post wird in die falsche Richtung reformiert. In Ausdruck gekommen — am Herzen liegt, müssen ein oder zwei Jahrzehnten werden wir wahrscheinlich damit rechnen, daß in der Zukunft die Transparenz sehen, wie verhängnisvoll insgesamt die mit der der Kommunikationstechnik geringer und die Kon- Poststrukturreform I eingeleitete und mit dieser Post- trolle und Manipulation des Kommunikationsverhal- strukturreform II heute konsequent vollendete Politik tens der Bürger und Bürgerinnen größer werden. Die ist. Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 208. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. Februar 1994 17945

Dr. Ulrich Briefs Herr Präsident, ich danke Ihnen. ausreichende und angemessene Infrastruktur sicher- (Beifall der Abg. Dr. Dagmar Enkelmann gestellt werden kann. [PDS/Linke Liste]) Die Verhandlungen zur Postneuordnung zwischen der CDU/CSU, der F.D.P. und der SPD haben sich sehr lange hingezogen. Ihnen allen, meine Damen und Vizepräsident Hans Klein: Ich erteile das Wort dem Herren, ist die Dringlichkeit der Postreform II Parlamentarischen Staatssekretär beim Bundesmini- bekannt. Sie ist nur bei einer zügigen Verabschiedung ster für Post und Telekommunikation, Dr. Paul noch in dieser Wahlperiode zu verwirklichen. Lieber Laufs. Herr Kollege Bernrath, wir können unsere mühsam gefundenen Kompromißlinien nicht wieder in Frage stellen und die Gespräche noch einmal von vorn Dr. Paul Laufs, Parl. Staatssekretär beim Bundesmi- nister für Post und Telekommunikation: Herr Präsi- beginnen. dent! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Zum Meine Damen und Herren, uns allen ist klar, daß die Schluß dieser Debatte möchte ich allen von unserem Liberalisierung der Märkte europa- und weltweit mit großen Reformvorhaben betroffenen Menschen Mut Macht auf uns zukommt. Mit dieser Postreform schaf- machen; zuerst den Mitarbeiterinnen und Mitarbei- fen wir die Voraussetzungen dafür, daß die Postunter- tern der drei Postunternehmen, ohne deren motivier- nehmen und die deutsche Volkswirtschaft den rasan- tes und engagiertes Mitwirken unser Werk nicht ten Entwicklungen auf den Märkten der Post und gelingen kann. Für sie wird eine Zeit enormer, aber Telekommunikation gewachsen sein werden. Brin- auch faszinierender Herausforderungen beginnen. gen wir diese Reform zu einem guten Ende! — Ich Dann möchte ich bei den vielen Bedenken und bedanke mich. Vorbehalten, die von allen Seiten vorgetragen wer- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) den, allen Optimismus und Mut empfehlen, die hier im Deutschen Bundestag, im Bundesrat und in den befaß- ten Ministerien eine gewaltige Gesetzgebung in kur- zer Frist zum Abschluß bringen wollen. Vizepräsident Hans Klein: Ich schließe die Ausspra- Uns bewegt ein tiefes Gefühl der Verantwortung che. Der Ältestenrat schlägt Überweisung der Vorla- für die betroffenen Menschen und ihre berufliche gen auf den Drucksachen 12/6717, 12/6718, 12/4329 Zukunft, für die Unternehmen der Deutschen Bundes- und 12/6635 an die in der Tagesordnung aufgeführten post und für die deutsche Volkswirtschaft. Hier ist Ausschüsse vor. Besteht damit Einverständnis? — Dies keiner, der fahrlässig oder leichtsinnig mit den ist offensichtlich der Fall. Dann sind die Überweisun- Zukunftschancen der uns anvertrauten Menschen gen so beschlossen. und Werte umgeht. Was wir tun, kommt aus der festen Überzeugung, uns den Anforderungen der Zeit ent- Ich rufe die Tagesordnungspunkte 6a bis 6 f sowie schlossen stellen zu müssen. die Zusatzpunkte 4 und 5 auf: Meine Damen und Herren, die Märkte der Post und 6. Aktionsprogramm für mehr Wachstum und der Telekommunikation orientieren sich nicht mehr Beschäftigung an nationalen Grenzen, sondern entwickeln sich dar- über hinweg. Sie dehnen sich weltweit aus. Es sind a) Erste Beratung des von den Fraktionen der Wachstumsmärkte, die durch neue Techniken, neue CDU/CSU und F.D.P. eingebrachten Ent- Anwendungen und das Zusammenwachsen von wurfs eines Beschäftigungsförderungsge- Computer- und Kommunikationstechnik gekenn- setzes 1994 zeichnet sind. Hier hat sich im internationalen Wett- — Drucksache 12/6719 — bewerb eine Dynamik entfaltet, die in diesem Ausmaß Überweisungsvorschlag: bei der Postreform von 1989 nicht voraussehbar war. Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung (federführend) Vor wenigen Jahren noch war nicht abzusehen, in Rechtsausschuß welch kurzer Zeit sich erneuter Handlungsbedarf Ausschuß für Wirtschaft Ausschuß für Frauen und Jugend ergeben würde. Haushaltsausschuß Für die heutige und die zukünftige Informationsge- Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten sellschaft ist eine preisgünstige und leistungsfähige Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau Post- und Telekommunikationsinfrastruktur ein äu- b) Erste Beratung des von den Fraktionen der ßerst bedeutender Parameter im internationalen CDU/CSU und F.D.P. eingebrachten Ent- Standortwettbewerb. Viele Indikatoren belegen, daß wurfs eines Gesetzes zur Änderung des Deutschland auf dem Gebiet der Post und Telekom- Haushaltsgrundsätzegesetzes und der Bun- munikation den Anschluß an mode rne Entwicklungen deshaushaltsordnung zu verlieren beginnt. — Drucksache 12/6720 — Mit der Postreform II müssen nun unverzüglich die Überweisungsvorschlag: ordnungspolitischen Rahmenbedingungen für lei- Haushaltsausschuß (federführend) stungsfähige Post- und Telekommunikationsunter- Rechtsausschuß nehmen bereitgestellt werden, die sich in einem Ausschuß für Wirtschaft wettbewerblichen Umfeld, das schon heute besteht, Innenausschuß mit gutem Erfolg behaupten können. Es müssen auch Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau die Rechtsgrundlagen dafür geschaffen werden, daß c) Erste Beratung des von den Fraktionen der durch staatliche Regulierung eine flächendeckend CDU/CSU und F.D.P. eingebrachten Ent- 17946 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 208. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. Februar 1994

Vizepräsident Hans Klein wurfs eines Gesetzes für kleine Aktienge- Dr. Wolfgang Schäuble (CDU/CSU): Herr Präsident! sellschaften und zur Deregulierung des Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Bun- Aktienrechts desrepublik Deutschland ist auf dem Weg aus der — Drucksache 12/6721 — wirtschaftlichen Rezession. Überweisungsvorschlag: (Dr. Peter Struck [SPD]: Das wünscht ihr Rechtsausschuß (federführend) - euch!) Ausschuß für Wirtschaft Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung Man mag über die Intensität des Aufschwungs noch streiten, aber daß es grundsätzlich aufwärts geht, wird d) Erste Beratung des von den Fraktionen der in der Wirtschaft wie bei allen wirtschaftswissen- CDU/CSU und F.D.P. eingebrachten Ent- schaftlichen Instituten im In- und Ausland nicht wurfs eines Gesetzes zur Bereinigung des bestritten. Darüber herrscht Übereinstimmung, und Umwandlungsrechts (UmwBerG) auch die Opposition sollte nicht die Wirk lichkeit — Drucksache 12/6699 — bestreiten, bloß weil sie möglicherweise eine schlech- Überweisungsvorschlag: tere Wirklichkeit wünscht. Rechtsausschuß (federführend) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge Ausschuß für Wirtschaft ordneten der F.D.P.) Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung Damit zeigt sich auch, daß unsere gegen viel Kritik e) Erste Beratung des von den Fraktionen der und Widerstände durchgesetzte Wirtschafts- und CDU/CSU und F.D.P. eingebrachten Ent- Finanzpolitik positive Wirkungen zeigt. Wir haben mit wurfs eines Gesetzes zur Aufhebung des dieser Politik die Grundlagen für die Zukunftssiche- Rabattgesetzes und der Verordnung zur rung des Standorts Deutschland gelegt, und wir Durchführung des Rabattgesetzes (Rabatt- haben die dreifachen Belastungen mit der Überwin- gesetzaufhebungsgesetz — Rabatt dung der Altlasten aus 40 Jahren Teilung und totali- GAufhG) tärem Sozialismus in einem Teil Deutschlands, aus der — Drucksache 12/6722 — Strukturkrise unserer alten Bundesrepublik Deutsch- Überweisungsvorschlag: land und aus der schleppenden weltwirtschaftlichen Ausschuß für Wirtschaft (federführend) Konjunktur insgesamt gut bewältigt. Rechtsausschuß Finanzausschuß Ich will doch daran erinnern, daß unsere konse- quente Spar- und Konsolidierungspolitik dazu f) Erste Beratung des von den Fraktionen der geführt hat, daß wir heute in den langfristigen Zinsen CDU/CSU und F.D.P. eingebrachten Ent- nahe am niedersten Niveau in der Geschichte der wurfs eines Gesetzes zur Aufhebung der Bundesrepublik Deutschland sind, was eine ganz Zugabeverordnung wichtige Voraussetzung dafür ist, daß die Investitions- — Drucksache 12/6723 — neigung wieder steigt. Überweisungsvorschlag: (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. — Rechtsausschuß (federführend) Detlev von Larcher [SPD]: Was haben Sie Ausschuß für Wirtschaft denn konsolidiert?) Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung Wir haben mit dem Standortsicherungsgesetz gegen ZP4 Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrach- Ihren erbitterten Widerstand die steuerlichen Rah- ten Entwurfs eines ... Gesetzes zur Änderung menbedingungen für Investitionen in Deutschland des Arbeitsförderungsgesetzes verbessert, — Drucksache 12/6481 — (Dr. Uwe Jens [SPD]: Das stimmt doch Überweisungsvorschlag: nicht!) Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung (federführend) Ausschuß für Frauen und Jugend und wir haben die Unternehmensbesteuerung insge- Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit samt um elf Punkte in einem Zeitraum von fünf Jahren gesenkt. Die Ertragssteuern für Unternehmen sind ZP5 Beratung des Antrags der Abgeordneten Pe tra heute auf dem niedrigsten Stand seit Bestehen der Bläss und der Gruppe der PDS/Linke Liste Bundesrepublik Deutschland. Änderung des § 249h des Arbeitsförderungs- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. — gesetzes Detlev von Larcher [SPD]: Wo bleiben die — Drucksache 12/6572 — Investitionen? — Zuruf des Abg. Dr. Uwe Jens [SPD]) Überweisungsvorschlag: Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung (federführend) Wir haben mit unserer Politik der Deregulierung Ausschuß für Frauen und Jugend und Privatisierung Freiräume für mehr wirtschaftli- che Dynamik und private Initiative geschaffen. Ich Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für nenne die Bahnreform — jetzt endlich —, die Postre- die gemeinsame Aussprache drei Stunden vorgese- form, die jetzt auf den Weg gebracht wird, das hen. — Dagegen erhebt sich kein Widerspruch. Darm Planungsvereinfachungsgesetz und das Investitions- ist das so beschlossen. erleichterungs- und Wohnbaulandgesetz. Zu den mei- Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Kolle- sten haben Sie, meine Damen und Herren, außer mehr gen Dr. Wolfgang Schäuble das Wo rt. oder weniger unqualifizierten Zwischenrufen und Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 208. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. Februar 1994 17947

Dr. Wolfgang Schäuble einer gewissen Verweigerungs- und Blockadehaltung Wenn man sich Ihre Äußerungen zur Wirtschafts- im Bundesrat wenig beigesteuert. und Finanzpolitik, mit denen Sie draußen im Lande mit wohlklingenden, aber ziemlich unverbindlichen (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. — Erklärungen herumlaufen, einmal genauer anschaut, Detlev von Larcher [SPD]: Da weiß man dann ist das ja schon bemerkenswert. Sie haben nicht wenigstens, wer die Rekordarbeitslosigkeit einen einzigen ernst zu nehmenden Sparvorschlag als zu verantworten hat!) Alternative zur Konsolidierungspolitik der Koalition — Sie sind in der Kontinuität Ihrer unqualifizie rten eingebracht. Zwischenrufe. Das ist wahr. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. — (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Ina Albowitz [F.D.P.]: Das kann man wohl Wir haben konsequent auf die Modernisierung sagen!) unserer Volkswirtschaft gesetzt und die Novellierung Sie haben ausdrücklich Sparmaßnahmen auf bessere des Gentechnikgesetzes gegen anhaltenden Wider- Zeiten bzw. auf den Zeitraum nach der Wahl ver- stand der SPD tagt. (Detlev von Larcher [SPD]: Das stimmt!) (Detlev von Larcher [SPD]: Das ist nicht wahr! in Bundestag und Bundesrat doch durchgesetzt bis zur — Ina Albowitz [F.D.P.]: 2010!) Verhinderung des Ausstiegs aus der Kernenergie, und Sie beklagen die hohe Verschuldung und die hohen wir haben — vor allem der Bundeskanzler ganz Steuern. Gleichzeitig haben Sie mit Ihren Parteitags- persönlich mit seinem Einsatz — zum Erfolg der beschlüssen zusätzliche Ausgaben in zweistelliger Uruguay-Runde beigetragen und damit einen wichti- Milliardenhöhe gefordert. gen Beitrag zur Liberalisierung des Welthandels ( [CDU/CSU]: Genau so ist geleistet. Auch dieses trägt zur Verbesserung der es!) wirtschaftlichen Lage bei. Ihr Parteivorsitzender bringt es ja in dieser Woche (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. — fertig, in ein und demselben Zeitungsinterview Zuruf von der SPD: Reine Legendenbil- zunächst zu sagen, es werde jeder bei ihm auf Granit dung!) beißen — ich weiß gar nicht, ob er weiß, was Granit — Herrschaften noch einmal, können Sie mich einmal ist —, zwei Sätze an einem Stück reden lassen? (Heiterkeit bei der CDU/CSU und der (Helmut Wieczorek [Duisburg] [SPD]: Ob- F.D.P.) wohl es bei Ihnen schwerfällt!) der mit Steuererhöhungen kommt, und im nächsten — Ja, gut, aber wenn Sie einmal, Herr Kollege, Ihre Satz zu sagen, daß natürlich die Besserverdienenden Zwischenrufe ertragen müßten, dann können Sie sich deutlich höher belastet werden sollen. Also, der hat vorstellen, daß das, was Sie aushalten müssen, im sich an seinem eigenen Granit die Zähne offenbar Vergleich zu dem, was ich aushalten muß, noch relativ ausgebrochen. Wenn wir nach Ihren Alternativen einfach und relativ harmlos ist. fragen, dann erinnert mich das an die Bemühungen, einen Pudding an die Wand zu nageln. (Beifall und Heiterkeit bei der CDU/CSU und der F.D.P. — Detlev von Larcher [SPD]: Jetzt (Werner Schulz [Berlin] [BÜNDNIS 90/DIE sollten Sie aber schon einmal etwas zur GRÜNEN]: Das hat Engels schon gesagt!) Arbeitslosigkeit sagen!) — Das bleibt aber richtig. Sagen Sie mal konkret, was — Ich sage Ihnen gleich, Sie werden demnächst noch Sie wollen. mehr Gelegenheit zu Zwischenrufen haben. Schonen Herr Scharping ist generell gegen Steuererhöhun- Sie Ihre Stimmbänder noch ein bißchen. gen, spricht von „auf Granit beißen", und im nächsten Ich sage: Diese Politik setzen wir mit dem Aktions- Satz fordert er Steuererhöhungen für Besserverdie- programm für Wachstum und Beschäftigung konse- nende. Das ist doch keine verantwortliche Politik. quent fort. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) (Helmut Wieczorek [Duisburg] [SPD]: Ich Die Verringerung der Lohnnebenkosten zu fordern, werde verrückt!) dreieinhalb Beitragspunkte von der Bundesanstalt für Der Vorwurf, es handele sich um ein kurzatmiges oder Arbeit auf den Bundeshaushalt zu übertragen — das kurzfristiges Programm, trifft nicht, wenn man sieht, sind 40 Milliarden DM —, ohne einen einzigen Dek- daß wir in der Kontinuität unserer Bemühungen sind, kungsvorschlag zu machen, und gleichzeitig die zu die wir in dem vergangenen Jahr Schritt um Schritt hohe Neuverschuldung zu beklagen und Steuererhö- — ich habe nur einige der Schwerpunkte aufge- hungen abzulehnen, das ist doch in sich nicht schlüs- zählt — durchgesetzt haben. Jetzt machen wir das, sig, das ist doch eine Politik ohne jede Perspektive und was wir kurzfristig zusätzlich an konkreten Maßnah- ohne jede Alternative. men auf den Weg gebracht haben und erschließen (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. — zugleich eine weitere Perspektive, um mittel- und Zurufe von der SPD) langfristig die Weichen für mehr Wachstum, mehr Nein, wir müssen dabei bleiben: Die zu hoch gewor- Arbeitsplätze und mehr Beschäftigung zu stellen. Dies dene alles geschieht ohne Alternativen durch die SPD. Staatsquote muß gesenkt werden. Wir haben mit 52 % Staatsquote im Herbst 1982 angefangen, und wir (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) haben diese Staatsquote durch eine konsequente 17948 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 208. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. Februar 1994

Dr. Wolfgang Schäuble Politik im Laufe der 80er Jahre auf annähernd 46 % Wir legen ein zinsverbilligtes Kreditprogramm zur zurückgeführt. Sie ist uns im Gefolge der Wiederver- Förderung risikoreicher innovativer Unternehmens- einigung wegen der Lasten von Teilung und Sozialis- gründungen und zur Förderung von Forschung und mus, Entwicklung und der Innovation für ausgewählte Förderbereiche auf. (Lachen bei der SPD — Dr. Uwe Jens [SPD]: - Falsche Politik!) Wir verbessern die Möglichkeiten, daß Arbeitslose aus der Arbeitslosigkeit in die Gründung selbständi- die wir jetzt bewältigen müssen — ich weiß gar nicht, ger Unternehmen gehen. Wir verbessern die Möglich- was es darüber zu lachen gibt —, wieder auf 52 % keiten kleiner Kapitalgesellschaften für den Zugang hochgesprungen. Sie ist damit so hoch, wie sie am zum Kapitalmarkt durch die Schaffung der Rechtsform Ende Ihrer Regierungszeit ohne Wiedervereinigung der kleinen Aktiengesellschaft. gewesen ist, und wir werden sie in den 90er Jahren wieder zurückführen. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Wir schaffen durch Privatisierung und durch die Schaffung von Freiräumen — dazu gehört auch das Natürlich ist eine Politik, die mittelfristig die Per- Rabattgesetz — mehr Raum für unternehmerische spektiven für Wachstum und Beschäftigung verbes- Initiative und damit für die Stärkung der Marktkräfte, sert, nicht ohne Widerstände durchzusetzen. Wir müs- und dies alles läßt sich nicht anders als in dem sen in Besitzstände eingreifen, und wir haben bei Bestreben zusammenfassen, durch mehr Freiräume jeder Veränderung natürlich auch Bedenken in vielen für dynamische Wachstumskräfte mehr Wachstum zu Bevölkerungsgruppen — auch in unseren eigenen schaffen und damit die Voraussetzungen für mehr Reihen -- ernst zu nehmen. Ich erinnere nur an die Arbeitsplätze und mehr Beschäftigung in unserem Diskussion um das Rabattgesetz. Das fällt ja keinem Land zu verbessern. leicht. Der zweite Bereich, auf den sich unsere Bemühun- Aber wenn wir nicht die Kraft aufbringen, uns auch gen in diesem Aktionsprogramm konzentrieren, gegen Widerstände durchzusetzen, sind wir zu Ver- (Zuruf von der SPD: Aktionismuspro änderungen nicht in der Lage, und wenn wir zu gramm ! ) Veränderungen nicht in der Lage wären, dann wür- den wir den wirtschaftlichen Herausforderungen ist, daß wir Arbeitsplatzsuchende und Arbeitsplätze, nicht gerecht werden, und dann würden wir die für die Arbeitskräfte gesucht werden, schneller und Chancen für mehr Arbeitsplätze und für mehr effizienter miteinander in Verbindung bringen müs- Beschäftigung in unserem Lande nicht verbessern sen. können. (Gerd Andres [SPD]: So ein Quatsch!) (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. — Deswegen müssen die Vermittlungsbemühungen Konrad Gilges [SPD]: Welchen Widerstand verstärkt und intensiviert und effizienter werden. brechen Sie denn in Ihrer eigenen Klientel? Sie brechen doch nur den Widerstand der (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. — Armen!) Gerd Andres [SPD]: Sie haben doch keine Ahnung davon!) — Ja, wer nicht zur Unbequemlichkeit und zu Verän- derungen die Kraft hat, ist zur Gestaltung der Zukunft — Sie können ja im einzelnen gleich dazu Stellung nicht in der Lage, und die Sozialdemokraten sind dazu nehmen. nicht in der Lage. (Gerd Andres [SPD]: Machen wir auch!) (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. — Wir schlagen vor, die Möglichkeiten für die Emp- Konrad Gilges [SPD ] : Den Widerstand der fänger von Arbeitslosenhilfe, durch Gemeinschaftsar- Reichen in Ihrer Klientel, den brechen Sie beiten auf freiwilliger Basis in Beschäftigung zu kom- nicht! — Zuruf von der CDU/CSU: So ein men, zu verbessern. Wir schlagen vor, daß verstärkt Unsinn!) Möglichkeiten geschaffen werden, daß Arbeitslose in — Das ist wahr; darauf ist auch noch einzugehen, aber Teilzeitarbeit kommen. Wir schlagen für die Bezieher lassen Sie mich Ihnen zunächst in aller Kürze doch die von Arbeitslosenhilfe vor, durch pauschalierte Zu- Schwerpunkte, um die es bei unserem Aktionspro- schüsse die Möglichkeiten für Saisonarbeit deutlich gramm, das wir heute konkretisieren und umsetzen, zu verbessern. Wir schlagen für gemeinnützige Unter- darlegen. nehmen vor, durch Arbeitsleihverhältnisse nach dem (Glocke des Präsidenten) niederländischen START-Modell zusätzliche Mög- lichkeiten für Arbeitsplatzsuchende zu schaffen und Es geht in erster Linie darum, daß wir die Wachs- so das Angebot mit der Arbeitsplatzsuche in Überein- tumskräfte stärken. Wir brauchen dazu eine Existenz- stimmung zu bringen. Wir schlagen auch vor, neben gründungs- und Innovationsoffensive, und wir füh- der Bundesanstalt für Arbeit auch private Vermittler ren dazu ein Eigenkapitalhilfeprogramm zur Förde- in die Bemühungen um Arbeitsvermittlung einzu- rung selbständiger Existenzen wieder ein, auch in den schalten und das Monopol der Bundesanstalt für alten Bundesländern. Arbeit insoweit aufzuweichen. Alles dies geht in ein und dieselbe Richtung, (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. — Zurufe von der SPD) (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 208. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. Februar 1994 17949

Dr. Wolfgang Schäuble nämlich durch mehr Vermittlung die Chancen von gen soll das Beschäftigungsförderungsgesetz verlän- Menschen, einen Arbeitsplatz zu finden, zu verbes- gert werden. sern. Ich glaube, in einer Zeit, in der wir eben nicht nur (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. — über hohe Arbeitslosigkeit klagen, sondern in der wir Konrad Gilges [SPD]: Reine Spekulation! — in allen Teilen unseres vereinten Deutschland von Süd Detlev von Larcher [SPD]: Zurück zum Tage bis Nord und von Ost bis West in der Bauwirtschaft, in löhner!) der Landwirtschaft, im gastronomischen Gewerbe- und in anderen Bereichen für viele Arbeitsplätze Das alles läßt sich letztlich in dem Satz zusammenfas- überhaupt keine Arbeitskräfte — jedenfalls keine sen, daß es doch wohl besser ist, daß die Menschen deutschen — finden, müssen die Vermittlungsbemü- vorübergehend — notfalls auch befristet oder saisonal hungen verbessert werden, wenn wir nicht nur lamen- oder in Teilzeitarbeit — beschäftigt sind, als daß sie tieren, sondern wirklich handeln wollen. dauernd arbeitslos sind. Sie verteidigen den Besitz- stand der dauernden Arbeitslosigkeit. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. — Zurufe von der SPD) Wenn wir insoweit die Schnittstellen unseres sozia- len Systems überprüfen, dann hat das überhaupt Der dritte Bereich, auf den wir unsere Bemühungen nichts mit Sozialabbau zu tun. Wenn wir sagen kurzfristig konzentrieren, meine Damen und Herren, „Jemand, der teilzeitbeschäftigt ist oder der saisonal hat letztlich mit der Einsicht zu tun, daß wir bei allem beschäftigt ist, muß netto mehr haben als derjenige, wirtschaftlichen Wachstum im industriellen Bereich der arbeitslos ist, weil sonst die Motivation für Arbeit allein in absehbarer Zeit nicht hinreichend Arbeits- und Eigenverantwortung Schaden nimmt", dann ist plätze haben werden, um für alle Menschen, die das doch nicht Sozialabbau, sondern dann ist das das Beschäftigung suchen, Arbeitsplätze zu finden. Es Bemühen, den Menschen eine Chance für Beschäfti- hilft ja gar nichts, man kann sich darüber nicht gung und dafür zu verschaffen, daß sie durch eigene hinwegtäuschen. Deswegen müssen wir den tertiären Arbeit ihr persönliches Einkommen verbessern. Das Sektor als Arbeitsplatzbereich stärken, d. h. Handel, ist sozial gerecht und nicht Sozialabbau. Handwerk, Dienstleistungen, auch private Haushalte. Darauf konzentrieren sich unsere Maßnahmen im (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. — dritten Bereich. Deswegen wollen wir die Möglichkei- Zurufe von der SPD) ten, Schwarzarbeit zu bekämpfen, wesentlich effekti- Die Sozialdemokraten wollen statt dessen immer ver gestalten. Es macht ja keinen Sinn, daß ein immer nur den Mangel verwalten. Das ist das einzige, was größerer Teil unserer wirtschaftlichen Aktivitäten in Ihnen einfällt. Schwarzarbeit und Schattenwirtschaft abgleitet, was ja im übrigen auch unter dem Gesichtspunkt sozialer (Lachen bei der SPD) Gerechtigkeit nicht hinnehmbar ist. Deswegen schla- — Ja sicher! — Ich finde übrigens etwas ganz bemer- gen wir vor, die Möglichkeiten steuerlicher Abset- kenswert. Wenn ich richtig gelesen habe, hat ja Ihr zung bei regulär sozialversicherten Arbeitskräften in Vorsitzender, Herr Scharping, ein Beratergremium. — privaten Haushalten stärker zu verbessern. Es ist doch Beratung kann er gar nicht genug haben bei den ein Unfug, daß wir am Ende dieses Jahrhunderts die unqualifizierten Vorschlägen, die er macht; insofern Arbeitsteiligkeit unserer Gesellschaft zurückentwik- ist das richtig. — Er hat ja auch Herrn Schiller in sein keln, in dem private Haushalte immer weniger für Beratungsgremium einbezogen. Angesichts dessen, eine Nachfrage nach regulären Arbeitskräften in was Herr Schiller in seinem neuesten Buch den Frage kommen als in früheren Zeiten und in dem eine Sozialdemokraten ins Stammbuch schreibt, finde ich: der größten Wachstumsbranchen z. B. die Heimwer- Herr Scharping selbst sollte wenigstens das schriftli- kerbedarfsmärkte sind, was ja auch nicht für die che Werk seines Beraters lesen. Arbeitsteiligkeit unserer Gesellschaft spricht. Wirt- schaftliches Wachstum ist in der Geschichte immer (Konrad Gilges [SPD]: Das ist Polemik unter durch Leistungsaustausch, durch Arbeitsteilung ent- Ihrem Niveau, Herr Schäuble!) standen. Deswegen wollen wir diesen Bereich stär- — Das hat ja Herr Schiller geschrieben. Ich kann Ihnen ken. lange daraus vorlesen. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) (Detlev von Larcher [SPD]: Er hat kein Wir wissen im übrigen, meine Damen und Herren, Niveau mehr, der Herr Schäuble! — Weitere daß im industriellen Bereich und noch stärker im Zurufe von der SPD) tertiären Bereich in der Zukunft wahrscheinlich zum Herr Schiller schreibt in seinem Buch: Wir brauchen Teil nur sehr viel kurzfristiger Arbeitsplätze angebo- viel mehr Wachstumspolitik und viel weniger Vertei- ten werden können, weil wir in einer Welt leben, in der lungspolitik. — Da hat er recht, und da meint er Sie, sich die technischen Bedingungen so ungeheuer die SPD; schnell wandeln, in der die Innovationsgeschwindig- keit zunimmt und in der sich auch die weltwirtschaft- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) lichen Wettbewerbsbedingungen so rasch verändern. denn Sie können immer nur den Mangel verwalten Deswegen ist es eben richtig, auch für kurzfristigere und verteilen. Beschäftigungsverhältnisse bessere Rahmenbedin- (Zurufe von der SPD) gungen zu schaffen. Deswegen ist die Verlängerung — Wer? des Beschäftigungsförderungsgesetzes wiederum eine Maßnahme, die die Chance sichert, daß mehr (Gerd Andres [SPD]: Sie haben keine Vertei Menschen Arbeit und Beschäftigung finden. Deswe- lungspolitik gemacht die letzten Jahre!) 17950 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode -- 208. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. Februar 1994

Dr. Wolfgang Schäuble — Nein. Ihnen fällt ja nichts anderes ein. fristig die Gewinner sein werden, daß er die Kritik an (Zurufe von der SPD) der Währungsunion für unberechtigt hält Sie haben immer noch nicht beg riffen — — (Zurufe: Aha!) (Zuruf von der SPD: Das ist doch Zynismus, und daß im übrigen nur der schnelle Weg zur Herstel- was sich hier abspielt! — Weitere Zurufe von lung der deutschen Einheit geblieben ist, die Sie mit der SPD) - Ihrem Kanzlerkandidaten Lafontaine abgelehnt ha- — Herrschaften noch mal! Herr Präsident, jetzt ben. machen wir mal eine kleine Pause, damit die sich (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) wieder ausschreien können. Was Ihre zweite Frage — — (Helmut Wieczorek [Duisburg] [SPD]: Was sind Sie denn so dünnhäutig? — Weiterer (Unruhe) Zuruf von der SPD: So mimosenhaft müssen — Jetzt müssen Sie mir die Gelegenheit geben zu Sie nicht sein!) antworten. Wenn Sie mich fragen, haben Sie — Ich bin ganz ruhig. Im Gegensatz zu Ihnen bin ich Anspruch auf Antwort. Deshalb will ich jetzt Ihre ganz ruhig. zweite Frage beantworten. (Hans-Eberhard Urbaniak [SPD]: Sie sind ein (Zuruf von der SPD) Demontierer! — Glocke des Präsidenten) — Jetzt hindern Sie mich doch nicht, Ihrem Kollegen Ich will Ihnen mal folgendes erklären: Es ist schon zu antworten! mühsam. Wenn man nicht einen Satz reden kann, (Detlev von Larcher [SPD]: Sie sollten wirk ohne daß einem aus dem „großen" Haufen von lich antworten!) mindestens zehn sozialdemokratischen Abgeordne- ten ständig dazwischengerufen wird, ist es schon — Also: Sie haben mich danach gefragt, ob ich Schi ller einigermaßen mühsam. Es wird im übrigen dem gelesen habe. Nun lese ich Ihnen von Schiller vor, und Anliegen, für Millionen Menschen in Deutschland jetzt ist es auch wieder nicht recht. Dann stellen Sie mehr Arbeitsplätze zu suchen, überhaupt nicht mir doch nicht die Frage! gerecht, wie Sie sich hier verhalten. Zu Ihrer zweiten Frage. Ich bin jemand, der nicht so (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. — sehr daran glaubt, daß m an dann, wenn man Wachs- Zuruf von der SPD: Wenn Sie austeilen, tumskräfte stärkt und die Dynamik des wirtschaftli- müssen Sie auch einstecken können!) chen Leistungsaustauschs verbessert, genau quantifi- zieren kann, wieviel das bringt, weil ich von der Planbarkeit dynamischer Entwicklungen in markt- Herr Kollege Schäuble, Vizepräsident Hans Klein: wirtschaftlichen Prozessen nicht so überzeugt bin wie der Abgeordnete Mosdorf möchte gern eine Zwi- zu viele Ihrer Fraktionskolleginnen und -kollegen. schenfrage stellen. (Zurufe von der SPD) Dr. Wolfgang Schäuble (CDU/CSU): Bitte sehr. Das bietet mir Gelegenheit, einmal in aller Ruhe darauf hinzuweisen, daß die Vorstellung — die letzt- lich hinter allen Arbeitszeitmodellen und ähnlichen Siegmar Mosdorf (SPD): Herr Schäuble, ich möchte Überlegungen steckt —, wir hätten eine bestimmte Sie erstens fragen, ob Sie in dem Buch von Karl Menge Arbeit in Deutschland, die wir, wenn nicht alle Schiller, das Sie ja mit Aufmerksamkeit gelesen beschäftigt werden können, nur gerechter verteilen haben, auch die vielen Passagen der kritischen müßten, mit Verlaub für falsch halte. Ich glaube, daß Anmerkungen zu der Art und Weise, in der Sie die im marktwirtschaftlichen Prozeß die Menge von Vereinigung betrieben haben, nachgelesen haben. Gütern und Dienstleistungen, die produziert und (Ina Albowitz [F.D.P.]: Die haben es immer nachgefragt werden, nicht eine im vorhinein festste- noch nicht kapiert! Unglaublich!) hende Größe und definiert ist — das war sie in der Zweitens. Können Sie mir mal die Frage beantwor- sozialistischen Planungswirtschaft, und deswegen ten, wie hoch Sie ungefähr den Erfolg des Programms war es damit auch nichts —, sondern daß sie das der 30 Punkte, die Herr Rexrodt ausgearbeitet hat, auf Ergebnis von Angebot und Nachfrage ist. Das gilt dem Arbeitsmarkt quantifizieren? Herr Rexrodt hat ja auch für die Menge Arbeit und für die Menge von dieser Tage — ich glaube, gestern — von 200 000 Arbeitsplätzen, die nachgefragt und angeboten wer- neuen Arbeitsplätzen gesprochen. Können Sie mir den. Da ist es — weil das etwas mit Preisen und Kosten bestätigen, daß Sie auch davon ausgehen, daß dieses zu tun hat — eben so: Je teurer wir Arbeit machen, um Programm der 30 Punkte 200 000 Arbeitsplätze so weniger Arbeitsplätze werden wir am Ende haben. bringt? Wer die Kosten der Arbeitsstunde verteuert, wird (Dr. [F.D.P.]: Viel mehr! nicht mehr Arbeitsplätze, sondern weniger haben. Deswegen halten wir dies für den falschen Weg. — Ina Albowitz [F.D.P.]: Mehr!) (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Dr. Wolfgang Schäuble (CDU/CSU): Herr Kollege, In diesem Zusammenhang wollte ich Sie bitten, was Ihre erste Frage anbetrifft, so will ich daran noch etwas zu bedenken. In der Diskussion über erinnern, daß Herr Schiller in diesem Buch schreibt, Besserverdienende wird oft Neid geschürt. Mit Bes- daß für ihn auch heute noch die deutsche Einheit eine serverdienenden sind ja immer die anderen gemeint. großartige Chance ist, daß wir alle mittel- und lang- Mit jeder Diskussion über Technologie werden letzt- Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 208. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. Februar 1994 17951

Dr. Wolfgang Schäuble lieh die Ängste, die viele Menschen verständlicher- Dr. Uwe Jens (SPD): Herr Präsident! Meine sehr weise haben, angesprochen. Dies ist übrigens eine verehrten Damen und Herren! Ich habe mir die Rede rot - grüne Basis. Der Appell an Neid und Ängstlichkeit des Kollegen Schäuble sehr genau angehört. ist wahrscheinlich die tragende Grundlage für rot- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) grüne Bündnisse. Aber wer Neid und Ängste schürt und gleichzeitig bei allem immer nach dem Staat ruft, Ich möchte sagen: Es ist schon ein bißchen eigenartig, der fördert nicht Leistungsbereitschaft und Eigenver-- wenn Herr Schäuble von Konsolidierung spricht. antwortung, sondern er nährt bei den Menschen die Wenn wir in einem Jahr 67 Milliarden DM Neuver- Illusion, daß in erster Linie nicht sie selbst für ihr schuldung betreiben und er von Konsolidierung Schicksal verantwortlich seien, sondern daß andere spricht, dann habe ich dafür überhaupt kein Verständ- verantwortlich seien. Deswegen sind das ständige nis. Rufen nach dem Staat und die ständige Verteilungs- (Beifall bei der SPD — Zurufe von der CDU/ politik ein Weg in die Illusion und die Demotivation CSU) der Menschen. Wir sollten die Menschen motivieren und nicht demotivieren. Da Sie ja ständig Maßnahmen der Sozialdemokraten anmahnen, darf ich Sie daran erinnern: Wir haben (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Vorschläge auf den Tisch gelegt, die darauf hinaus- Wer immer jeden sozialen und politischen Besitzstand laufen, die Steuersubventionen um 14 Milliarden DM tabuisiert und sich gegen jede Veränderung wehrt, zu kürzen. der kann Zukunft nicht gewinnen. (Ina Albowitz [F.D.P.]: Wo denn?) (Dr. Gregor Gysi [PDS/Linke Liste]: Gehen Sie doch einmal an die Vermögenden heran! Greifen Sie diese Vorschläge endlich auf, dann haben Das machen Sie doch nie!) Sie auch eine bessere Finanzsituation! — Herr Gysi, es ist in Ordnung, daß Sie Ihren (Beifall bei der SPD) sozialistischen Genossen beitreten. Ein bißchen Soli- Ich finde es schon schlimm, wenn hier, wie von darität ist durchaus in Ordnung. Das respektiere Herrn Schäuble, solche eklatanten Fehler vorgetra- ich. gen werden, wonach das Standortsicherungsgesetz (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) von dieser Koalition gemacht worden sei. Wir haben dafür gesorgt, daß die Abschreibungserleichtungen Wenn wir Leistung weiter bestrafen, demotivieren beibehalten wurden. Wir haben auf diese Art und wir und werden nicht mehr Wachstum und mehr Weise dafür gesorgt, daß investierte Gewinne besser Arbeitsplätze haben, sondern das Gegenteil wird gestellt werden. Das ist unser Drängen gewesen. Das eintreten. Das ist nicht mehr soziale Gerechtigkeit, kann seitens des Vorsitzenden der Fraktion der CDU/ sondern das Gegenteil von sozialer Gerechtigkeit. CSU einfach nicht unter den Teppich gekehrt werden. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Das geht beim besten Willen nicht. ordneten der F.D.P. — Detlev von Larcher (Gerd Andres [SPD]: Das macht er doch [SPD]: Sie regieren doch schon über immer so!) 12 Jahre!) In einer Zeit, in der die Dynamik der technologi- Herr Kollege Schäuble, Sie haben viel geredet. Sie schen Veränderungen so ungeheuer groß ist und in haben wirklich viel geredet, gar keine Frage. der der weltweite Wettbewerb in einem so rasanten (Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Gut hat er gere Tempo zu Veränderungen in den wirtschaftlichen det!) Strukturen führt, brauchen wir mehr Mut zur Innova- tion und mehr Mut zu Veränderungen und weniger Aber Sie haben aus meiner Sicht nichts Konkretes Besitzstandstabuisierung und Besitzstandsdenken. dazu gesagt, wie Sie z. B. mit den 4 Millionen Men- Wir haben in einer solchen Zeit überhaupt keinen schen fertig werden wollen, die bei den Arbeitsämtern Grund zur Miesmacherei und Larmoyanz. Wer als arbeitslos registriert sind, und mit den 6 Millionen zukunftsgerichtet h andelt, darf nicht immer nur Äng- Menschen in diesem Lande, die einen Arbeitsplatz ste schüren und den Menschen Mut und Selbstver- suchen und keinen finden. trauen nehmen. Deswegen sage ich: Wir haben zur (Ina Albowitz [F.D.P.]: Haben Sie nicht zuge Larmoyanz weder Grund noch Recht. Zukunftsgerich- hört?) tetes Handeln ist unsere Pflicht. Danach h andelt die Koalition. Ich bitte Sie, wenn Sie schon keine Alterna- Das fehlte aus meiner Sicht bei Ihnen völlig. Hinzu tiven haben, sehr: Helfen Sie wenigstens mit, daß kommen die tagtäglichen Horrormeldungen von gro unser Programm im Bundestag und im Bundesrat ßen Unternehmen, daß wieder Tausende, Zehntau- zügig verabschiedet werden kann. sende auf die Straße gesetzt werden. Um dieses Problem sollten Sie sich primär einmal kümmern. Herzlichen D ank. (Beifall bei der SPD) (Anhaltender Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Seit fast zehn Jahren versucht die Bundesregierung, die Vorschläge, die heute auf dem Tisch liegen, „Aktionsprogramm" genannt, zu realisieren. Mal kam dieser Vorschlag zum Tragen, und dann mal hat jener Vizepräsident Hans Klein: Ich erteile dem Kollegen Vorschlag das Licht der Welt erblickt. Aber für mehr Professor Dr. Uwe Jens das Wort. Wachstum und Beschäftigung sorgen Sie auf diese Art 17952 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 208. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. Februar 1994

Dr. Uwe Jens und Weise aus meiner Sicht nun beim besten Willen das die entscheidenden Mo tive, damit es dort bergauf nicht. ging. (Zurufe von der CDU/CSU) (Dr. Otto Graf Lambsdorff [F.D.P.]: Lieber Offenbar gilt bei Ihnen schon das Karnevalsmotto: Freund!) Wenn einem das Wasser bis zum Halse steht, dann In Japan wollen Regierung und Wirtschaft mit - darf man den Kopf nicht hängen lassen. — Der massiven Konjunkturprogrammen die Rezession Bundesregierung steht das Wasser in der Tat bis zum überwinden. Halse. Das beweist aus meiner Sicht dieses Programm. Allein der Name ist reiner Etikettenschwindel. Aber woher sollte denn in Deutschland der Auf- schwung kommen? Die Löhne und damit der p rivate (Zuruf von der F.D.P.: Davon verstehen Sie Konsum werden eher sinken und die Staatsausgaben aber nichts!) stagnieren. Aus Panik über die Inkompetenz dieses Wirtschaftsministers flüchtet sich die Koalition in Durch die vorgeschlagenen Maßnahmen wird kein Aktionismus. Aber diese Politik rettet die Koalition einziger neuer Arbeitsplatz geschaffen. Das beste nicht mehr. Beschäftigungsprogramm, das wir heutzutage aufle- gen könnten, wäre aus meiner Sicht der Abgang Nach Einschätzung der Ludwig - Erhard - Stiftung dieser Bundesregierung. ersetzen, so hieß es jüngst, kurzfristiger Aktionismus, fehlgeleitete Subventionen und ein Übermaß an (Beifall bei der SPD) Regulierung immer mehr die notwendigen stringen- ten ordnungspolitischen Entscheidungen. Der Vorsit- Auch das laute Gerede der Regierung über den zende der Stiftung, der ehemalige Staatssekretär Otto angeblichen Wirtschaftsaufschwung ist nichts ande- Schlecht, fügte in seinem soeben vorgelegten Be richt res als das Pfeifen im Walde, um sozusagen die eigene hinzu, Wachstum und Beschäftigungsdynamik müß- Angst zu übertönen. ten wieder Vorrang vor Einkommenssteigerung und (Zuruf von der F.D.P.: Sagen Sie einmal Umverteilung haben. Er mag zwar den Beg riff „Be- etwas Inhaltliches!) schäftigungspakt" nicht, aber er fordert genauso wie wir Sozialdemokraten einen neuen Konsens aller Es mag ja sein, daß in der zweiten Hälfte dieses gesellschaftlichen Gruppen. Jahres das Bruttosozialprodukt um 0,5 % steigt. Ansteigen wird auf alle Fälle die Zahl der Arbeitslo- Genau dies würde die Politik der Sozialdemokraten sen um weitere 500 000 auf weit mehr als 4 Millionen von der Politik dieser Regierung unterscheiden. Wir registrierte Arbeitslose. Das ist das Ergebnis einer würden sowohl im Stahlbereich als auch zwischen den verfehlten Wirtschaftspolitik dieser Regierung. Trägern der Wirtschaftspoli tik einen regelmäßigen und substantiell vorbereiteten Dialog pflegen, meine (Beifall bei der SPD — Friedhelm Ost [CDU/ Damen und Herren. CSU]: Quatschkopp!) (Zuruf von der CDU/CSU: Was wollten Sie Die Industrieproduktion ist jedenfalls Ende 1993 um uns denn nun wirklich mitteilen?) 2,9 % niedriger als im Vorjahr gewesen. Das haben wir Ich wiederhole noch einmal meinen Vorwurf, daß gerade gestern vom Wirtschaftsministerium erfah- die Politik der Regierung wirklich nichts als Ideologie ren. ist. Wie in den Vereinigten Staaten besteht bei uns viel (Beifall bei Abgeordneten der SPD — Wider stärker die Gefahr, daß es kurzfristig bergauf und spruch bei der CDU/CSU und der F.D.P.) dann wieder bergab geht. So etwas nennt man Wasch- brett-Konjunktur. Mit Sicherheit wird die Konjunktur Die Politik dieses Wirtschaftsministers ist nur dahindümpeln, keine rechte Fahrt bekommen, wenn bestimmten Interessengruppen verpflichtet und kei- nicht zusätzlich etwas geschieht. Und von dieser nesfalls der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung. Ich Regierung, meine Damen und Herren, ist das wirklich will das begründen.

nicht zu erwarten. Erstens. Sie reden von Deregulierung — wir ja manchmal auch —, weil das vor allem zur Zeit (Dr. Otto Graf Lambsdorff [F.D.P.]: Was natürlich en vogue ist. Ihnen geht es jedoch aus- denn? Was soll geschehen?) schließlich um Deregulierung auf dem Arbeitsmarkt. — Ich komme gleich darauf, Herr Lambsdorff. Sie bekämpfen damit nicht die Arbeitslosigkeit, Sie bekämpfen die Gewerkschaften. Die Deregulierung (Dr. Otto Graf Lambsdorff [F.D.P.]: Bitte, Herr im Handwerk — wir haben selbst daran mitgewirkt — Professor!) ist nur mit gebremstem Schaum betrieben worden. Die notwendige Deregulierung bei Banken und Ver- In den Vereinigten Staaten ist der Konjunkturauf- sicherungen — Graf Lambsdorff ist dagegen, das weiß schwung durch aktive Wirtschaftspoli tik von Präsi- ich sehr genau —, die wir ständig fordern, wird von dent Clinton in Gang gekommen, dieser Regierung völlig vernachlässigt. (Dr. Otto Graf Lambsdorff [F.D.P.]: Womit (Zuruf des Abg. Dieter-Julius Cronenberg denn?) [Arnsberg] [F.D.P.]) durch deutliche Zinssenkungen, durch eine kräftige Wann greifen Sie wohl die Vorschläge der Deregu- Förderung des Wohnungsbaus. — Natürlich waren lierungskommission in bezug auf die Wirtschaftsbera- Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 208. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. Februar 1994 17953

Dr. Uwe Jens tung oder die Rechtsanwälte auf? Ich prophezeie Lande reicher werden; die Löhne müssen herunter, Ihnen, das wird nicht passieren, denn hierbei handelt und die sozialen Hilfen werden gekürzt; daneben es sich genau um die Klientel der F.D.P. werden die Steuern für die Reichsten im Lande weiter gesenkt. Diese Politik ist reine Ideologie. Sie muß Vizepräsident Hans Klein: Herr Kollege Jens, möglichst schnell ein Ende haben. gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Graf (Beifall bei der SPD — Zurufe von der CDU/ Lambsdorff? CSU und der F.D.P.) Wir Sozialdemokraten sind nach wie vor der Auffas- Dr. Uwe Jens (SPD): Ja. sung, daß der Staat wichtige wirtschaftspolitische Aufgaben hat. Vor allem muß er Rahmenbedingun- Dr. Otto Graf Lambsdorff (F.D.P.): Jetzt geht das gen schaffen und die Grundsätze der Wirtschaftspoli- Mikrophon, meine Damen und Herren. Ich gestehe tik konsequent einhalten. gerne zu, ich bin in technischen Fragen nicht so beschlagen, Herr Wieczorek, wie Sie. Vizepräsident Hans Klein: Herr Kollege Jens, der Herr Kollege Jens, darf ich Sie fragen, wie Sie zu der Kollege Cronenberg würde gerne eine Zwischenfrage Behauptung kommen, daß ich etwas gegen Deregu- stellen. lierung im Bereich von Banken und Versicherungen habe, und darf ich Sie weiter fragen, ob Ihnen viel- leicht bekannt ist, wer nun seit Jahren an der Vorfront Dieter-Julius Cronenberg (Arnsberg) (F.D.P.): Herr Professor Jens, ich möchte wissen, wie Sie Ihre letzte der Diskussion in puncto Macht der B anken steht und Äußerung zu den Steuern und die Äußerungen, die wer immer darauf hingewirkt hat, daß im Versiche- Sie sonst immer tun, nämlich daß eine Senkung der rungswesen die Liberalisierung — und ich werde das Unternehmensteuern auch aus Ihrer individuellen in Zukunft im Finanzausschuß weiter tun — so weit Sicht eine vernünftige und notwendige Maßnahme ist, getrieben wird, wie es irgend geht, und zwar über die miteinander in Einklang bringen wollen. EG-Richtlinien hinaus. (Beifall bei Abgeordneten der F.D.P.) Dr. Uwe Jens (SPD): Ich habe eben schon die Tatsache verteidigt, daß wir die Abschreibungser- Dr. Uwe Jens (SPD): Wir haben, Graf Lambsdorff, leichterung im Standortsicherungsgesetz verbessert falls Sie das nicht wissen sollten, einen ausführlichen haben. Das bedeutet eine Senkung der Unterneh- Antrag vorgelegt. Er sieht eine Bekämpfung der mensteuern, wenn die Gewinne investiert werden. Macht der Banken und der Versicherungen vor. Von Ihnen habe ich in einem Punkt, wenn es um die Ich habe kein Verständnis dafür, daß möglicher- Begrenzung der Anteile der Banken an Nichtbanken weise der Spitzensteuersatz für ausgeschüttete geht, Unterstützung erfahren. In allen anderen Punk- Gewinne weiter gesenkt wird. Genau das plant diese ten hat die F.D.P. dagegengehalten, und natürlich Koalition, und genau das wäre eine Begünstigung des auch die CDU/CSU. Das ist das Ergebnis eines Anhör- Konsums der Unternehmer. Das können wir ange- verfahrens, das wir gerade jüngst durchgeführt sichts der verheerenden Situation der Finanzen, wie haben. Sie sie uns hinterlassen werden, wirklich nicht wol- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) len. (Beifall bei der SPD) Zweitens. Meine Damen und Herren, Sie wollen z. B. die Beseitigung des Rabattgesetzes, der Zugabe- Rahmengesetze brauchen wir, Grundsätze müssen verordnung, möglichst die Aufhebung des Laden- wir beachten, aber auch das wird leider bei Ihnen schlußgesetzes. Alle drei Gesetze sind natürlich auch nicht getan. Dazu gehören aus meiner Sicht vor allem Schutzgesetze für kleine und mittlere Unternehmen. Grundsätze des Verbraucherschutzes und der Um- Hier gehen Sie kräftig ran. weltpolitik, die man auch in Krisensituationen nicht in Frage stellen darf. Die früher praktizierte Zusammen- Aber warum tun Sie eigentlich nichts gegen die arbeit zwischen Wirtschaft und Staat war auf keinen steigende Konzentration im Handel? Warum greifen Fall grundsätzlich falsch. Grundsätzlich falsch ist es Sie unsere bekannten Vorschläge zur Bekämpfung jedoch, den Staat zur Bedeutungslosigkeit verkom- der Konzentrationsentwicklung nicht endlich auf? Ich men zu lassen. will Ihnen das sagen: Genau dies paßt nicht in Ihre vorherrschende Ideologie. Die Großunternehmen Der Kollege Möllemann hat zweifellos recht, wenn werden geschützt und die Kleinen werden ge- er jüngst festgestellt hat: Der Staat muß sich vom schröpft. Bremser endlich zum Impulsgeber verwandeln. Ich füge drittens hinzu, um meine These zu unter- (Zuruf von der CDU/CSU: Das macht er mauern: Sie werfen den Sozialdemokraten gerne vor, doch!) wir würden uns mehr um Verteilung kümmern als um Welche Impulse wären aber vordringlich? Es gibt die Entstehung des gesamtwirtschaftlichen Kuchens. heute mindestens zwei grundlegende unterschiedli- Das ist Quatsch! Das ist völliger Quatsch. che Strategien, mit denen wir unsere Probleme, die Aber was machen Sie? In dem Aktionsprogramm wir heute haben, lösen können. Die Regierung geht es fast ausschließlich um die Verteilungsfrage. betreibt eine angebotsorientierte Deflationspolitik: Zunächst geht es um die Neuverteilung der sowieso Die Löhne müssen herunter, und die sozialen Leistun- knappen Arbeitsplätze. Daneben geht es Ihnen um gen werden reduziert. Das ist nicht unser Weg. die Verteilung der Einkommen, und zwar nach dem Wir Sozialdemokraten setzen auf Investitionen, Motto: Wir sorgen dafür, daß die Reichen in diesem Innovationen und Produktivitätssteigerungen. Auf 17954 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 208. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. Februar 1994

Dr. Uwe Jens diesem Wege können Löhne, soziale Leistungen und Erstens: die schwerwiegenden Fehler, begangen ökologische Errungenschaften erhalten werden. Nur mit der wirtschaftspolitischen Handhabung der deut- so sind neue, rentable Arbeitsplätze auf Dauer zu schen Vereinigung. Zu der Vereinigung habe ich aus schaffen. voller Überzeugung ja gesagt. Aber die wirtschaftspo- (Beifall bei der SPD) litische Handhabung der Vereinigung war wirk lich keine Heldentat. Noch heute werden die Konsumaus- Dazu gehört unseres Erachtens — ich wiederhole gaben in den neuen Bundesländern über Neuver- das; Sie mahnen ja immer Maßnahmen an — eine schuldung in den alten finanziert — eine wirk liche mit fol- sorgfältig vorbereitete Innovationsoffensive Todsünde, wie ich meine. genden Maßnahmen: Eine zweite Todsünde ist die exorbitante Steige- Erstens. Verstärkte Hilfe für die Gründung techno- rung der deutschen Staatsverschuldung insgesamt. logieorientierter Unternehmen. Ein Kapitalhilfepro- Selbst in wirtschaftlich guten Zeiten haben Sie die gramm haben Sie auf unser Drängen wieder einge- Neuverschuldung nach oben getrieben. Damit wurde führt, aber die verstärkte Hilfe für technologieorien- dieser Staat in wirtschaftspolitischen Dingen gera- tierte Unternehmen fehlt noch. Wir werden weiter dezu handlungsunfähig gemacht. drängen, und das kommt auch noch. (Widerspruch bei der CDU/CSU) Zweitens. Schließung der Technologielücke im — Regen Sie sich doch nicht auf! Schauen Sie sich Mittelstand, z. B. durch Wiedereinführung von Lohn- vielleicht einmal die Daten an, und dann regen Sie kostenzuschüssen für Forschung und Entwicklung. sich auf! Selbst 1988 und 1989, als die Konjunktur Auch das wäre übrigens eine Maßnahme, um junge wirklich gut lief, ist die Neuverschuldung, die zusätz- Ingenieure, junge Chemiker und Physiker wieder in liche Verschuldung noch gestiegen. Das können Sie Brot und Arbeit zu bringen. doch nicht leugnen. Drittens. Verbesserte Qualifizierung der Arbeit- Die dritte Todsünde ist die von Ihnen betriebene nehmer. Verschärfung der sozialen Probleme in unserem Viertens. Schaffung neuer Formen von Risikokapi- Lande. Nicht Konfrontation mit den Schwächeren in tal. Die Banken haben auf diesem Felde doch völlig unserer Gesellschaft wäre angesagt, sondern Kon- versagt. sensbemühung und Kooperation. Viertens. Es ist eine gewaltige Fehleinschätzung, Fünftens. Ein technologieorientiertes Frühwarnsy- fast ausschließlich die Gewerkschaften und die Tarif- stem, wozu auch die Gründung eines Technologie- vertragspolitik für Ihre Fehler verantwortlich zu und Zukunftsrates gehören würde. machen. Sie haben es versäumt, Finanzpolitik, Geld- Ich mache einen weiteren Vorschlag: Überfällig politik und Tarifvertragspolitik zusammenzuführen. wäre aus meiner Sicht ein Zuschußprogramm zum Das wird sich auf Dauer in diesem L ande bitter Ausbau der Kraft-Wärme-Koppelung, wie wir es rächen. seinerzeit hatten und wie Sie es abgeschafft haben. (Beifall bei der SPD) Dies wäre volkswirtschaftlich durchaus sinnvoll sowie Fünftens. Schließlich machen Sie, wie dieses Pro- ein entscheidender Beitrag zur Energieeinsparung gramm beweist, das wir heute diskutieren, in Aktio- und zur Schaffung von Arbeitsplätzen, z. B. im Stahl- nismus. Torschlußpanik macht sich bei Ihnen breit. bereich und im Tiefbau. Das sogenannte Aktionsprogramm ist ein reines Aber ich weiß, die Regierung pfeift wirklich auf dem Ablenkungsmanöver und löst keine wirklichen Pro- letzten Loch. Was wir brauchen, ist keine angebots- bleme in unserem Lande. Es beweist nur, daß diese orientierte De flationspolitik, wir brauchen vielmehr Regierungskoalition nach fast zwölf Jahren nahezu dringend eine angebotsorientierte Expansionspoli- handlungsunfähig geworden ist. tik, eine Politik zur Förderung eines nachhaltigen Herzlichen Dank. Wirtschaftswachstums, meine Damen und Herren. (Beifall bei der SPD) Es ist doch kein Zufall, daß Deutschland bei der Überwindung der weltweiten Rezession mittlerweile zum Schlußlicht geworden ist. Die noch immer viel zu Vizepräsident Hans Klein: Ich erteile das Wort dem hohen Zinsen und die deflatorische Wirtschaftspolitik Kollegen Dr. Otto Graf Lambsdorff. bremsen nicht nur die Entwicklung in unserem Lande, sondern die weltwirtschaftliche Entwicklung insge- Dr. (F.D.P.): Herr Präsident! samt. Otto Graf Lambsdorff Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Es ist Im internationalen Vergleich sind wir sowohl bei gelegentlich schon merkwürdig, was man sich von der der Arbeitslosigkeit als auch vor allem bei der Preis- SPD an Widersprüchen anhören muß. Der Kollege entwicklung tief nach unten gerutscht. Dies ist schlicht Struck und ich haben neulich im Wasserwerk mitein- und einfach das Resultat der wirtschaftspolitischen ander diskutiert. Dabei hat er sich sehr in die Brust Sünden dieser Regierung. Das ist die Konsequenz des geworfen und gesagt, er habe hier noch nie Sozialab- Versagens der Regierung Kohl/Rexrodt, meine bau zugestimmt. Ich habe ihm das bestätigt. Daß dann Damen und Herren. anschließend im Bundesrat und im Vermittlungsaus- schuß die SPD die sogenannten sozialen Schweine- (Widerspruch bei der CDU/CSU) reien mitgemacht und keineswegs wie eine W and Ich muß dieser Regierung mindestens fünf Todsün- gestanden hat, hat er dann anständigerweise auch den in der Wirtschaftspolitik vorwerfen. bestätigt. Da waren wir uns wieder einig. Nur, so kann Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 208. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. Februar 1994 17955

Dr. Otto Graf Lambsdorff man mit den Bürgern nicht umgehen, daß man ihnen weil sie dorthin verscheucht worden ist, und daß die immer nur die halben Wahrheiten erzählt. Unternehmen darüber nachdenken, ob sie bei weite- Von Herrn Lafontaine, meine Damen und Herren, ren Hindernissen, die ihnen hier in den Weg gelegt lese ich im „Handelsblatt": Es darf nicht länger sein, werden, nun auch ihre Produktion ins Ausland verle- daß deutsche Gentechnologie nach Amerika abwan- gen. Wir sind genau auf diesem Wege, und zwar dern muß, weil den Unternehmen hier eine Hürde wegen Ihrer Bedenken. nach der anderen in den Weg gelegt wird. — Ja, wer (Beifall bei Abgeordneten der F.D.P.) zum Teufel hat ihnen denn diese Hürden in den Weg gelegt, wenn es nicht die Sozialdemokraten waren, Vizepräsident Hans Klein: Auch der Kollege Mos- die sich überhaupt jeder Anwendung von Technik dorf möchte gerne eine Frage stellen. entgegenstellen! (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU — (F.D.P.): Herr Präsident, Konrad Gilges [SPD]: Sie waren doch an der Dr. Otto Graf Lambsdorff wenn mir das alles nicht auf die Redezeit angerechnet Regierung!) wird, — Hier in diesem Hause hat die SPD-Fraktion dem Bonn/Berlin-Gesetz, dem Umzugsgesetz, zuge- stimmt; Frau Matthäus-Maier hat gleichzeitig „nie" Vizepräsident Hans Klein: Wird es nicht. verkündet, und Herr Scharping hat am selben Tag „schon 1996" gesagt. Einer widerspricht dem ande- Dr. Otto Graf Lambsdorff (F.D.P.): — will ich dem ren, und Sie versuchen, das der Öffentlichkeit zu Kollegen Mosdorf ganz besonders gerne antworten. verkaufen. Bitte schön.

Vizepräsident Hans Klein: Herr Kollege Graf Siegmar Mosdorf (SPD): Das ist eine besondere Lambsdorff, Herr Kollege Schwanhold möchte eine Ehre. Verehrter Herr Lambsdorff, wollen Sie mir Frage stellen. erstens bestätigen, daß das Gentechnikgesetz 1990 von Ihrer Mehrheit verabschiedet worden ist? Dr. Otto Graf Lambsdorff (F.D.P.): Verzeihung, Herr Wollen Sie mir zweitens bestätigen, daß wir hier im Präsident, ich will das eben zu Ende bringen. Deutschen Bundestag nach mühseligen Prozessen Der Kollege Jens erzählte eben etwas über die — Sie brauchen nur einmal Ihre Forschungs- und Bankenmacht und die wackere Haltung der SPD dazu. Technologiepolitiker zu fragen — in der Frage der Ich bin mit Ihrem Kollegen Wieczorek in dieser Frage Novellierung des Gentechnikgesetzes zu einem Kon- sehr viel mehr einig als Sie. Wo aber haben Sie sens gekommen sind? eigentlich die Auseinandersetzung mit der Westdeut- (Zuruf von der SPD) schen Landesbank in Düsseldorf, diesem sozialdemo- kratischen Impe rium im Kreditwesen, bezüglich — Ich frage, ob er bestätigen möchte, daß wir diesen deren Finanzierung gelassen? Konsens gefunden haben und daß dieser, Herr Lambs- dorff, von der chemischen Industrie begrüßt wurde. (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) Die dritte Frage an Sie: Ist es eigentlich richtig, daß Aber ich muß dem Kollegen Jens auch bescheini- wir bei der Frage der Bio- und Gentechnologie und gen, daß er ein mutiger Mann ist. Er hat gesagt, er den Novellierungen, die wir jetzt erreicht haben, die habe die freudig begrüßt. Wer in deutsche Einheit Debatte auf eine sachliche Ebene gehoben haben und seiner Partei und Fraktion eine Minderheitenposition uns damit die ideologische Diskussion, die Sie jetzt einnimmt, den muß man für seinen Mut immer loben, rückwärtsgewandt führen, sparen können? meine Damen und Herren. (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU — (F.D.P.): Ich will Ihnen Dr. Nils Diederich [Berlin] [SPD]: Unglaubli- Dr. Otto Graf Lambsdorff gerne bestätigen, daß es zum Schluß Übereinstim- che Unwahrheiten, die Sie da sagen!) mung gegeben hat. Es wurden aber sehr viele Ein- wände nach meiner Auffassung in bedenklicher Vizepräsident Hans Klein: Herr Kollege Schwan- Weise berücksichtigt. Das gilt sowohl für das erste hold, bitte. Gentechnikgesetz wie für die Novelle, weil die Folge- rungen vorauszusehen waren. Ernst Schwanhold (SPD): Herr Kollege Lambsdorff, ich möchte gerne die Frage stellen, ob Sie mit einer Was die Ideologie anbelangt: Ich hätte es nicht Zahl belegen können, daß Arbeitsplätze aus dem aufgegriffen, wenn nicht Herr Lafontaine dreist gentechnischen, produzierenden Bereich wirklich in behauptet hätte, es sei die Bundesregierung gewesen, die USA abgewandert sind. Es muß endlich einmal mit die auf diesem Gebiet die Hindernisse in den Weg dem Ammenmärchen aufgeräumt werden, daß gen- gestellt habe. Das war in der Tat nicht der Fall. technische Produktionsarbeitsplätze aus der Bundes- (Konrad Gilges [SPD]: Aber das ist doch Ihr republik abgewandert seien. Ich würde gerne von Gesetz!) Ihnen Zahlen hören. Herr Mosdorf, ich will bei dieser Gelegenheit — es betrifft zwar nicht mehr Ihre Frage, ich möchte es aber, Dr. Otto Graf Lambsdorff (F.D.P.): Meine Damen wenn der Präsident erlaubt, in die Beantwortung und Herren, jeder, der sich nur in etwa damit beschäf- einbringen — Ihren Hinweis auf und das tigt hat, weiß, daß die Genforschung heute nicht mehr Thema „ökonomische Wiedervereinigung — zu in Deutschland stattfindet, sondern in Massachusetts, schnelle Wiedervereinigung" aufgreifen. 17956 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 208. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. Februar 1994

Dr. Otto Graf Lambsdorff Sie waren zu dieser Zeit noch nicht hier. Wir haben Das Aktionsprogramm kann keinen sofort meßba- damals darüber diskutiert, ob m an einen graduellen ren Effekt auf das Wachstum im nächsten Monat Übergang des wirtschaftlichen Zusammenwachsens haben. Eine Volkswirtschaft ist doch kein Wasser- der „beiden deutschen Staaten" anstreben oder die hahn, den man auf- und zudrehen kann. Es entfacht sofortige Eingliederung vorziehen sollte. Ich habe eben kein Strohfeuer wie sozialdemokratische Nach- damals zur Diskussion gestellt, ob das Langsamere,- frageprogramme, die man ja bei Ihnen wieder heraus- wirtschaftlich, ökonomisch gesehen, nicht vernünfti- hören konnte, Herr Jens. ger sei, und habe wütenden Widerspruch von Frau Aber es ist richtig, daß es das Vertrauen von Matthäus-Maier erfahren, der politisch richtig war; Investoren und Konsumenten stärkt, das Vertrauen in das will ich ausdrücklich bestätigen. Sie hat gesagt: eine solide, wachstums- und beschäftigungsfreundli- Das kann nicht gehen. Damit hatte sie, wenn m an die che Politik der Koalition. Und damit legt es zum Wünsche unserer Landsleute ansah, völlig recht. Es jetzigen Zeitpunkt die feste Grundlage für einen konnte nicht anders gehen. nachhaltigen Aufschwungprozeß. Diese Kritik, die heute von Karl Schiller geübt wird Ich sage „zum jetzigen Zeitpunkt" deshalb, Herr und die Sie zitiert haben, ist ökonomisch nach wie vor Jens, weil wir inzwischen doch sehen, daß wir aus der richtig, politisch aber abwegig. Da ginge das gar Talsohle — wenn auch langsam — wieder herauskom- nicht. men. Die Erwartungen des Bundeswirtschaftsmini- Herr Präsident, meine Damen und Herren, wir sters und der Bundesregierung — wir werden das im bringen heute die ersten Gesetze zur Umsetzung des Jahreswirtschaftsbericht diskutieren — hinsichtlich Aktionsprogramms für mehr Wachstum und Beschäf- der Projektion für das Jahr 1994 erscheinen mir tigung auf den Weg. Es sind Gesetzesvorhaben, die realistisch. Auch ich habe die Projektion des Sachver- die F.D.P.-Fraktion mit vollem Herzen unterstützt. Die ständigenrates vor einigen Monaten für zutreffend setzen auf den schlanken Staat, zwingen die Länder, gehalten. Es sieht heute besser aus. die Privatisierung öffentlicher Aufgaben als Alterna- Und nun sollten wir eines nicht tun. Wir sollten das tive ernst zu nehmen; sie setzen auf mehr Flexibilität nicht tun, was in der Wirtschaft unter dem Stichwort für den Arbeitsmarkt, verbessern den Wettbewerb Konjunkturpsychologie immer wieder vorkommt. zum Wohl des Verbrauchers, unterstützen die Lei- Wenn wir uns auf der Höhe des Booms befinden, dann stungsfähigkeit des Mittelstands, erhöhen die unter- bleibt die Stimmung zu lange positiv, als es eigentlich nehmerische Freiheit, bauen Überregulierungen ab, noch gerechtfertigt ist, und wenn es wieder nach oben und sie brechen Verkrustung und Besitzstandsdenken geht aus der Talsohle, dann bleibt die Stimmung zu auf. Das ist in Ordnung. Mit den mittelstandspoliti- lange mies, als es eigentlich gerechtfertigt ist. Das ist schen Maßnahmen ist dies ein rundes Programm. Es vor dem Hintergrund der Erfahrungen der Menschen setzt Rahmenbedingungen, um mehr wettbewerbsfä- in den Unternehmen verständlich, es ist immer so hige Arbeitsplätze in Deutschland zu schaffen. gewesen. Aber wir hier, meine Damen und Herren, Und, Herr Jens, der Hinweis auf die USA, was die sollten doch diesen pessimistischen Trend in dieser Zinspolitik anlangt, war sicher falsch. Das hat nicht Lage nicht noch verstärken; aber das tun Sie mit Ihrer Herr Clinton gemacht, sondern die Federal Reserve Haltung und dem, wie Sie das hier ausgedrückt unter Alan Greenspan. Sie wissen, daß es eine Diskus- haben. sion gibt, die kurzfristigen Zinsen vielleicht wieder (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) anzuheben. Das Programm hat inhaltlich große Zustimmung Was die japanischen Nachrichten von heute morgen erfahren. Die Kritik richtet sich gegen Einzelpunkte. über ein riesiges Konjunkturprogramm anlangt, frage Frau Babel wird nachher zum Thema p rivate Arbeits- ich: Wollen Sie bei uns die Einkommensteuer senken vermittlung etwas sagen. in dem Ausmaß, wie es die .Japaner tun? Wollen Sie uns das empfehlen? Außerdem, sehen Sie sich den Nur eines will ich dazu bemerken: Die Bundesan- weiterhin von japanischen Staatshaushalt an, der eben nicht solche stalt wird bei ihrer Vermittlertätigkeit rivate Vermittler Defizite hatte wie der unsere. den Beitragszahlern finanziert. P müssen Gebühren erwirtschaften. Wer in einem sol- (Dr. Uwe Jens [SPD]: Wir sind doch pleite, chen Wettbewerb mit weitaus besseren Startchancen, Graf Lambsdorff! Wir können doch nichts nämlich die Bundesanstalt, nicht konkurrieren kann, machen!) der taugt ohnehin nicht sehr viel. — Wir sind es nicht, ich komme nachher noch auf die Die Abschaffung des Rabattgesetzes ist seit langem Staatsverschuldung zu sprechen. — Dieses japanische überfällig, meine Damen und Herren. Auch hierzu Beispiel ist ökonomisch bei uns nicht anwendbar, und — einfach aus Zeitgründen — nur eine kurze Bemer es ist auch nicht finanzierbar. kung. In Österreich ist ein Rabattgesetz 1992 aufge- hoben worden. Ich habe weder etwas von einem Unser Aktionsprogramm ist bewußt auf kurzfristig Weltuntergang des österreichischen Einzelhandels realisierbare Maßnahmen konzipiert. Es ist das Kon- noch etwas von Legionen betrogener Verbraucher zept der Koalition für diese Legislaturperiode. Die Projekte der mittelfristig orientierten Wirt schaftspoli- gehört. tik der Koalition sind im Bericht zur Zukunftssiche- „Überregulierung, überflüssige Zentralisierung rung von Bundeswirtschaftsminister Rexrodt festge- und bürokratische Erstarrung müssen abgebaut wer- halten. Hier sollten die Wirtschaftsexperten der SPD den. " Das ist kein Zitat aus dem F.D.P.-Wahlpro- nachschlagen, wenn sie gute Ideen suchen. Seit gramm, das schrieb vor kurzem im September haben sie den Bericht. „Handelsblatt". Aber wo steht die SPD insgesamt? Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 208. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. Februar 1994 17957

Dr. Otto Graf Lambsdorff Wer mehr liest als die schönen Überschriften Ihrer als es Herr Scharping in diesem Inte rview in der Programme und Pläne, der bleibt ziemlich ratlos „Bild"-Zeitung getan hat. zurück. (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) Ich zitiere Herrn Scharping in der „Bild"-Zeitung vom 31. Januar — Herr Schäuble hat das ja auch schon Und der behauptet, auf Karl Schiller und Helmut zitiert —: - Schmidt zu hören? — Auf Karl Marx hört er. Bei mir wird jeder auf Granit beißen, der mit Dasselbe zweideutige Spiel gibt es bei der Mineral- zusätzlichen Ausgabenwünschen oder Steuerer- ölsteuer. Herr Scharping lehnt ihre Erhöhung katego- höhungen kommt. risch ab, um im gleichen Atemzug — alles im selben Interview — höhere Energiesteuern zu verlangen. „Da bin ich knüppelhart", hat er noch hinzugefügt. Seine Genossen fordern sowieso offen die Mineralöl- Im letzten Jahr haben Scharping und Lafontaine steuererhöhung. gefordert, eine Ergänzungsabgabe einzuführen, Grundsteuer, Vermögensteuer, Erbschaftsteuer für Wer so redet wie die SPD, verstrickt sich nicht nur in Immobilienbesitz über die Erhöhung der Einheits- Widersprüche; das ginge ja noch. Sie verunsichern die werte kräftig zu erhöhen, die Erbschaftsteuer generell Leistungsfähigen. Sie irritieren den Mittelstand. Sie massiv zu verstärken, den Höchstsatz der Einkom- belasten den Investor. Sie vertreiben Sparvermögen mensteuer über 53 % hinaus zu erhöhen und eine und Kapital ins Ausland. Sie schaden der Konjunktur Arbeitsmarktabgabe einzuführen. Da bin ich knüp- und der Beschäftigung. pelhart gegen Steuererhöhungen. Die Großzügigkeit der SPD-Wirtschaftspolitik Daß Scharping weiterhin zu dem Vorhaben der nimmt mit dem Näherrücken des Wahltermins zu. Es stärkeren steuerlichen Belastung des Vermögens, des werden versprochen — ich muß jetzt aus Zeitgründen Grundbesitzes und der Erbschaft steht, das zeigt er im sehr schnell lesen, denn die Liste ist so lang —: mehr gleichen „Bild"-Zeitung-Interview: Mittel für Forschung und Technologie, Kostenüber- nahme durch den Staat bei Teilzeitarbeit, Förderung Leistungslose Einkommen müßten deshalb stär- von Energieeinsparung, befristete Investitionszula- ker als bislang herangezogen werden. gen, zinsverbilligte Kreditprogramme, Technologie- Was will Herr Scharping? Plant er den Totalangriff auf und Markteinführungsförderung, usw. Ich kann es gar Sparvermögen? nicht alles vorlesen; ich nenne nur als weitere Bei- spiele noch die umfassende Sanierung ehemaliger (Widerspruch bei der SPD) ostdeutscher Unternehmen bei Aufgabe des Ziels der Will er mitkassieren, wenn der Arbeiter von seinen Privatisierung, ein Zukunftsinvestitionsprogramm Eltern das Häuschen oder die Eigentumswohnung „Ökologische Modernisierung statt Arbeitslosigkeit" erbt? Was sind eigentlich „leistungslose Einkom- und die Unterstützung des 30-Milliarden-Nachfra- men"? Was sind eigentlich „leistungslose Vermö- geprogramms von EG-Präsident Delors. gen"? Sind es Zinsen auf Sparkonten, Zinsen auf Bundesanleihen, Zinsen auf rheinland-pfälzische Herr Jens fügte heute noch hinzu: Zuschuß für oder saarländische Staatsschulden? Sind das lei- Kraft-Wärme-Kopplung. Es fällt der SPD sicherlich stungslose Einkommen? noch mehr ein, was sie schon gefordert hat und was sie noch fordern könnte. Meine Damen und Herren, ich warne unsere Mit- bürger: Ihr, die Mitbürger, wollt, daß Zinsen auf euer (Ina Albowitz [F.D.P.]: Mit Sicherheit!) erspartes Geld steuerfrei bleiben. Die meisten Men- Man kann das gar nicht alles finden. Hier wird jedem schen sagen: Ich habe mein Geld gespart, jetzt SPD-Wähler seine Förderung versprochen. bekomme ich Zinsen darauf. Warum soll ich dafür noch Steuern zahlen? Das ist die Grundtendenz der (Konrad Gilges [SPD]: Uns fällt noch etwas Menschen. Sie müssen Steuern zahlen, das ist richtig. ein, Ihnen fällt nichts mehr ein!) Scharping und Lafontaine wollen die Steuern auf Sparzinsen erhöhen, und sie wollen damit auch eure Es ist gut, meine Damen und Herren, daß Herr Altersvorsorge gefährden. Scharping gleichzeitig als Hauptaufgabe der zukünf- tigen Regierung die Beschränkung der Staatsausga- Noch schlimmer: Eltern legen sich krumm, sie ben auf das absolut Notwendige verlangt. Aber mit sparen für ihre Kinder. Was die Kinder erben, ist der SPD schafft er das nicht — wie „leistungslos" erworbenes Vermögen. Das kassiert seinerzeit. die SPD für die Finanzierung der Staatsschulden. (Widerspruch bei der SPD) Wie die Konsolidierung konkret aussehen soll ange- sichts der versprochenen Wohltaten für das Volk, das Meine Damen und Herren, tiefer kann man nicht sagt keiner aus der SPD. Wie weit will man eigentlich mehr in die Kiste sozialistischer Marterwerkzeuge Vermögen- und Erbschaftsteuer erhöhen? Das, was greifen. Das ist die Ausplünderung unserer Steuer- die SPD will, paßt nicht zusammen. Die Quadratur des zahler und unserer Sparer; das ist dummes Zeug. Kreises ist noch keinem gelungen, erst recht der SPD (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) nicht; die hat schon Mühe, runde Sachen zustande zu bringen. Tiefer kann man sein Unwissen über die Zusammen hänge von Sparen, Kapitalbildung, Investitionen und (Heiterkeit bei der F.D.P. und der CDU/ Arbeitsplätze überhaupt nicht mehr demonst rieren, CSU) 17958 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 208. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. Februar 1994

Dr. Otto Graf Lambsdorff Meine Damen und Herren, diese Koalition hat beginnend von 1969 bis 1982, auch unter Ihrer Betei- gezeigt, daß sie den öffentlichen Haushalt konsolidie- ligung als Wirtschaftsminister, vorgelegt wurde, ren kann, und zwar ganz im Gegensatz zu Ihnen. immer gegen Ihre Stimme im Kabinett beschlossen (Widerspruch bei der SPD) worden ist? Wir haben nach 1982 diesen Beweis angetreten. Wir (Konrad Gilges [SPD]: Dafür hatte er den Mut haben gespart, wir haben die Steuern gesenkt. nicht! Er hing am Amt! — Weitere Zurufe von der SPD) (Detlev von Larcher [SPD]: Schuldenregie- rung!) Bitte geben Sie doch erst Zehn Jahre Wachstum und über 3 Millionen neue Vizepräsident Hans Klein: einmal dem Redner eine Chance zu antworten, bevor Arbeitsplätze waren die Erfolge. Wir hatten die Sie die Antworten mit einem Kommentar bedenken. Höchstbeschäftigtenzahl, die es in der Bundesrepu- blik Deutschland je gegeben hat. (F.D.P.): Vielen Dank, (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne- Dr. Otto Graf Lambsdorff Herr Präsident. Ich höre aus dem Zwischenruf mit ten der CDU/CSU) Vergnüglichkeit, wie sehr ich an diesem oder an Dagegen hat die SPD nie den Beweis für ihre Fähig- anderen Ämtern hänge. Damit ist es nicht so weit her, keit und ihre Bereitschaft zur Konsolidierung ange- aber das entnehmen Sie Ihrer eigenen Phantasie und treten — außer in Parteitagsreden und im Programm. Ihren eigenen Wunschvorstellungen, Herr Gilges. Bisher haben Sie nur das Gegenteil demonst riert. Damit bringen Sie mich nicht in Verlegenheit. Bis 1982 hat die SPD so l ange Ausgaben und Herr Kollege Struck, natürlich war das so. Ihre Frage Steuern erhöht, bis die F.D.P. diesem Spiel ein Ende ist sicherlich richtig gestellt. Nur, als der Punkt gemacht hat. Die SPD hat die Staatsverschuldung gekommen war, als Helmut Schmidt vor Ihrer Fraktion damals hochgetrieben, und zwar ohne deutsche Ein- sagte: Ihr wollt mehr ausgeben, ihr wollt noch mehr heit. Schulden machen, ich will konsolidieren und beides (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) zusammen geht nicht, da war auch auf Ihrer Seite das Womit wir uns hier in den Konsequenzen beschäfti- Signal gesetzt, das wir aufgenommen haben, um gen, ist die Finanzierung der deutschen Einheit. Das dieser weiteren Wi rtschaft ein Ende zu machen. ist die beste Investition, die die Bundesrepublik Irgendwann war der Punkt erreicht. Unsere Zusam- Deutschland jemals machen konnte. Aber Sie haben menarbeit zu Beginn beruhte auf ganz anderen Über- das alles veranstaltet ohne die Einheit, die viele von legungen. Sie wissen, daß sie getragen war von der Ihnen ja gar nicht wollten. Ostpolitik und von der Entspannungspolitik, daß es in der Wirtschaftspoli tik immer schwierig war. Aber als (Detlev von Larcher [SPD]: Wer war denn Sie es zum Schluß in der Wirtschaftspolitik so weit ( damals Wirtschaftsminister?) getrieben haben, daß die Verschuldung des Staates — Deswegen habe ich es zu Ende gebracht. Jawohl. und die Verunsicherung der Verbraucher zu gefähr- Mit Ihnen. Genau deswegen, weil ich Wirtschaftsmi- lich wurden, haben wir kehrtgemacht und haben dann nister war und mit Ihrer Politik um die Wirtschaft der mit der CDU/CSU in den 80er Jahren eine Wirt- Bundesrepublik Deutschland fürchten mußte. Deswe- schafts-, Haushalts- und Finanzpolitik gemacht, die gen war Schluß. heute noch als vorbildlich gelten kann. (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) Meine Damen und Herren, die jetzt vorgelegten Ich sage hier noch einmal, meine Damen und Ideen und Programme der SPD zeigen, daß sie nichts Herren, Herr Struck, was in der Zwischenzeit an dazugelernt hat. Sie setzen weiter auf Neid statt auf Staatsverschuldung entstanden ist. Vielleicht können Leistung. Sie sind und bleiben eine Umverteilungs- Sie sich einmal die Zahlen ansehen. Die Summe der und Steuerpartei. Transfers — Sie sind in der Technik noch besser als Ich sehe, daß sich der verehrte Kollege Struck ich, Sie haben die Lampe anbekommen, und Sie erhebt. Das gibt mir noch ein bißchen mehr Zeit. können auch gleichzeitig telefonieren, während ich antworte; hervorragend! — in die frühere DDR, in die fünf neuen Bundesländer, die wir leisten, ist ungefähr Vizepräsident Hans Klein: Graf Lambsdorff, sind Sie so hoch wie die gesamte öffentliche Nettoneuver- bereit, die Zwischenfrage des Dr. Peter Struck zu schuldung der öffentlichen Hände in Deutschl and beantworten? insgesamt. Das ist kein schlechtes Ergebnis. Daß Sie uns die Einheit hier vorhalten wollen, unterstelle ich Dr. Otto Graf Lambsdorff (F.D.P.): Mit dem aller- nicht einmal Ihnen; nein, das tun Sie nicht. größten Vergnügen. Meine Damen und Herren, die einzige Lösung, die Ihnen einfällt, ist die Neuauflage der Konzertierten Dr. Peter Struck (SPD): Graf Lambsdorff, habe ich Aktion. Das ist auch etwas Feines. Dazu möchte ich Sie richtig verstanden, daß Sie den SPD-geführten Karl Schiller aus dem „Spiegel" zu Beginn dieses Bundesregierungen bis 1982 vorgeworfen haben, sie Jahres zitieren — der ist ja schon zu Wort gekom- hätten eine riesige Staatsverschuldung und derglei- men —: chen produziert, und daß das der Grund für Sie In den Worten von Adam Smith müßte man im gewesen sei, 1982 aus der Regierung herauszugehen? Ergebnis die hehre Klausurversammlung als eine Darf ich Sie weiter fragen, ob beispielsweise jeder „Verschwörung" gegen die Steuerzahler und die Haushaltsentwurf, der von einer Bundesregierung, Sparer, also gegen das Publikum bezeichnen. Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 208. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. Februar 1994 17959

Dr. Otto Graf Lambsdorff Recht hat er. Die Wirtschaftspolitiker der SPD könnten Das ist doch direkter und unmittelbarer Sozialabbau. noch viel von Karl Schiller lernen. Deswegen haben Wissen Sie, wie hoch die durchschnittliche Vergütung Sie recht, Herr Mosdorf, wenn Sie hier sein Buch für Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen im Osten zitieren. Das ist wirklich gut. Deutschlands ist? Wenn Sie die auf 80 % reduzieren, Die Wirtschaftspolitik dieser Koalition, beschrieben stürzen Sie die Betroffenen schon in Armut nach den für die kurzfristigen Maßnahmen im Aktionspro- EG-Richtlinien. Da damit die Arbeitslosenunterstüt- gramm, beschrieben im Jahreswirtschaftsbericht 1994 zung reduziert wird, wenn die AB-Maßnahme aus- und beschrieben für die mittelfristig notwendigen läuft, bedeutet das, die Armut in diesem Zusammen- Maßnahmen im Zukunftsbericht des Bundeswirt- hang noch wesentlich zu vertiefen. Es ist mir völlig schaftsministers, findet die Zustimmung der F.D.P. unklar, wie man eine solche Tatsache leugnen Jetzt, meine Damen und Herren, wollen wir von der kann. Koalition alle Kraft daransetzen, daß das auch wirklich Die Kürzungen erzeugen nicht nur Armut, sondern umgesetzt wird, daß wir diese Politik auch wirklich in sie vergrößern auch die Abstände zu Lohneinkom- Gesetze und in Handlungen, nicht nur in Programme men. Das wiederum ist die Basis für die Forderung umsetzen, damit durch das Land gehen und deutlich nach weiteren künftigen Lohnreduzierungen. Im machen, daß die Alternativen, die Sozialdemokraten übrigen hat es auch noch negative wirtschaftliche und GRÜNE zu bieten haben, die Wirtschaftspolitik Folgen. Ich weise nochmals darauf hin: Wenn Sie den und die Wirtschaft der Bundesrepublik Deutschland sozial Schwachen in diesem Land Geld wegnehmen, nicht aus ihren Schwierigkeiten, die unleugbar vor- konsumieren diese real weniger. Das führt zu Umsatz- handen sind, herausbringen, sondern daß sie uns verlusten bei Handel und Dienstleistungen und zum tiefer in die Schwierigkeiten hineinbringen würden. Produktionsrückgang und damit zum Abbau von Vielen Dank. Arbeitsplätzen. Wenn Sie den Vermögenden in die- (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) sem Lande etwas wegnehmen, sparen diese höch- stens weniger. Das führt zu einer veränderten Zins- und Kreditpolitik und damit zur Wirtschaftsbele- Vizepräsident Hans Klein: Das Wort hat der Kollege bung. Dr. Gregor Gysi. Die Bundesregierung will außerdem das Arbeits- vermittlungsmonopol der Bundesanstalt für Arbeit beseitigen. Auch damit wird alles mögliche geschaf- (PDS/Linke Liste): Herr Präsident! Dr. Gregor Gysi fen, bloß kein einziger neuer Arbeitsplatz, abgesehen Meine Damen und Herren! Noch nie ist eine Maß- davon, daß die Bundesanstalt dieses Monopol nie nahme dieser Bundesregierung in der Öffentlichkeit besaß, da rund zwei Drittel der Vermittlungen neuer so verrissen worden wie ihr sogenanntes Aktionspro- Einstellungen über Annoncen und direkte Kontakt- gramm für mehr Wachstum und Beschäftigung. aufnahmen erfolgen. Die Privatisierung der Arbeits- (Carl-Detlev von Hammerstein vermittlung folgt einer bestimmten Logik und [CDU/CSU]: Hat Ihnen das Herr Reuter auf- Methode zur Zerstörung und Beseitigung der sozial- geschrieben?) staatlichen Systeme, und das immer nach dem glei- Auch die der Bundesregierung nahestehenden Me- chen Muster. Privat vermittelt werden nur die, deren dien ließen kein gutes Haar an diesem Sammelsurium Vermittlung auch tatsächlich erfolgt. Denn nur das von Gesetzesvorlagen. — Ich kann Ihnen nur sagen, sichert den Verdienst des privaten Arbeitsmaklers. Es daß ein Gespräch mit Herrn Reuter immer lohnt. werden also meist jüngere, qualifizierte, auch zu Insofern empfehle ich Ihnen, es nachzuholen, wenn niedrigeren Einkommen bereite Erwerbsarbeitslose Sie es bisher noch nicht geführt haben. Ein Gespräch vermittelt. Frauen, Migranten, weniger Qualifizierte bedeutet allerdings keine Standpunktgleichheit. oder Menschen mit Behinderungen werden mit der In früheren Zeiten hätte die Bundesregierung unter Bundesanstalt für Arbeit vorliebnehmen müssen. Die einem Wachstums- und Beschäftigungsprogramm Deregulierung der Arbeitsvermittlung führt nicht nur eine Steigerung der investiven Ausgaben des Staates zu einem Zweiklassensystem. Sie bewirkt auch eine und aktive arbeitsmarktpolitische Maßnahmen ver- vollständige Entsolidarisierung. Gerade die Men- standen, um der konjunkturellen Krise und der hohen schen, die auf Grund ihres Alters, ihrer geringeren Massenarbeitslosigkeit entgegenzuwirken. Heute Qualifikation usw. größere Probleme haben, eine versucht die Bundesregierung nur noch schlecht neue Arbeit zu finden, die besonders auf die gesell- kaschiert den Schein zu wahren. In Wirklichkeit geht schaftliche Solidarität angewiesen wären, erfahren sie es ihr jedoch um weitere Einschnitte in den Sozial- nicht. staat, um Privatisierung und Deregulierung, um eine Schließlich bewirkt die Privatisierung auch eine weitere Umverteilung von unten nach oben. Mit ihrem Umverteilung von Ressourcen. Rentabel wird die Gesetzespaket wird nicht ein einziger neuer Arbeits- private Arbeitsvermittlung, weil sie sich nicht um platz geschaffen werden. Im Gegenteil: Es werden Gleichheitsgrundsätze und Solidarität zu kümmern sogar Arbeitsplätze abgebaut werden. braucht, sondern eine Auslese trifft, welche Arbeits- Herr Schäuble, Sie haben hier bestritten, daß es kräfte sie vermittelt und welche nicht. Das, was sich Maßnahmen des Sozialabbaus gibt. Ich frage Sie: privat nicht rentiert, wird dem Staat, der Gesellschaft Können Sie die Reduzierung der Entgelte für Arbeits- überlassen. beschaffungsmaßnahmen um 20 % ernsthaft anders Ich sage Ihnen eines: Nach diesem Schema funktio- nennen als Sozialabbau? nieren alle Ihre sogenannten Reformen, seien es die (Dr. Otto Graf Lambsdorff [F.D.P.]: Ja!) Rentenpläne, die Gesundheitsreform, die Postreform, 17960 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 208. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. Februar 1994

Dr. Gregor Gysi die Bahnreform. Was hier noch schlimmer ist als in den zusätzliche Einnahme des Staates von 120 Milliarden anderen Bereichen: Sie organisieren das Geschäft, DM auf einen Schlag bewirken. den Kommerz mit der Arbeitslosigkeit. Das gesamte Steuersystem setzt falsche Signale. Sie (Beifall bei der PDS/Linke Liste) befördern Finanzkapital und bestrafen Produktivka- Es ist ganz klar, was beim privaten Arbeitsmakler pital. Sie können heute einem Unternehmer, der ablaufen wird. Er hat zehn Ingenieure und ein Arbeits- 10 Millionen DM besitzt, gar nicht wirklich raten, das platzangebot für einen Ingenieur. Dann fragt er die zu investieren. Er fährt viel günstiger, wenn er es auf einzelnen ab, was sie zusätzlich an ihn zu zahlen die Bank trägt. Das muß gedreht werden. bereit sind, wenn der Arbeitsplatz durch ihn an die Es gibt noch eine andere Frage. Denn es gibt hoch eine oder andere Person vermittelt wird. Es ist ein kapitalintensive Firmen und Branchen mit wenig ungeheures Geschäft, das Sie damit eröffnen, aber Beschäftigten und arbeitsintensive Branchen mit nicht Abbau von Massenarbeitslosigkeit. hohen Beschäftigungsanteilen. Ein kapitalintensives (Beifall bei der PDS/Linke Liste) Unternehmen mit 100 Millionen DM Umsatz und zehn Und Sie tun so, als ob diese ganze Politik, diese Beschäftigten führt eben nur Lohnsteuern und Sozial- marktradikale Politik ohne Alternative wäre. Sie qua- abgaben für diese zehn Beschäftigten ab. Ein Unter- lifizieren staatliche Konjunktur-, Beschäftigungs- und nehmen gleicher Umsatzgröße mit der zehnfachen Anzahl an Beschäftigten zahlt ungefähr das Zehnfa- Arbeitsmarktprogramme als verstaubte Rezepte ver- che an Lohnsteuern und Sozialabgaben. Unser Steu- gangener Jahre ab. Dabei sind Ihre Rezepturen noch viel älteren Ursprungs. Sie entspringen den Zeiten des ersystem begünstigt, ja fördert die kapitalintensiven Unternehmen und diskriminiert jene, die relativ viele Manchester - Kapitalismus, der noch keine sozialstaat- Menschen beschäftigen. Das heißt, bestimmte Unter- lichen Systeme kannte. Sie entspringen der Notver- ordnungspolitik der Regierung Brüning, die im nehmen müssen steuerlich stärker, andere weniger in Anspruch genommen werden. Grunde genommen zusätzliches Öl in die damalige schwere Rezession goß, indem sie durch Kürzung von Wir können z. B. über eine Art Maschinensteuer Einkommen und Sozialleistungen die Binnennach- nachdenken, die die Anreize zum Beschäftigungsab- frage strangulierte. Genau das macht die Bundesre- bau beseitigt und statt dessen auch arbeitsintensive gierung jetzt auch. Bereiche fördert. Warum verlangen Sie nicht vom Im übrigen finde ich es hochinteressant, daß sowohl Bundeskanzler, vom Bundesfinanzminister, von den Großbritannien als auch die USA inzwischen die Ära Spitzenmanagern in der Wirtschaft und von mir eine Thatcher bzw. Reagan längst überwunden haben und Ergänzungsabgabe? Warum hat die Bundesregierung das als eine fehlerhafte Politik zur Wirtschaftsbele- nichtinvestierende Unternehmen aus der Solidarge- bung einordnen, daß aber wir jetzt anfangen, in der meinschaft entlassen, statt ihnen eine Investitionshil- Bundesrepublik Deutschland genau diese Politik feabgabe abzufordern? Was ist mit den Bezieherinnen nachzuvollziehen. und Beziehern höherer Einkommen, den Besserver- dienenden Beamten und Selbständigen? (Zuruf von der SPD: Wir nicht!) — Ja, wir nicht, das ist richtig, aber die Bundesregie- Sie, Herr Schäuble, haben hier erklärt, wir dürften Besitzstände rung und die Mehrheit in diesem Hause. nicht halten, wir müßten Besitzstände auch einmal angreifen. Aber Sie greifen doch nur die (Zuruf von der SPD: Die Noch-Mehrheit!) Besitzstände der sozial Schwachen in dieser Gesell- Und es gibt eben politische Alternativen zu dieser schaft an und schonen die Besitzstände der Vermö- Regierung und ihrer verheerenden Politik. genden und der Reichen! Und dann machen Sie einen üblen Trick, indem Sie die Steuern für Vermögende Ich will Ihnen einmal ein konkretes Beispiel nen- und Reiche immer mit Steuern für Unternehmen nen. Es ist nicht erforderlich, daß die Armen immer gleichsetzen. Das ist aber ein großer Unterschied. ärmer und die Reichen immer reicher werden. Nicht Warum führen Sie z. B. nicht eine progressive Vermö- nur daß die bundesdeutschen Unternehmen über gensteuer ein? Warum gibt es nicht die Abgabe für 700 Milliarden DM frei vagabundierendes Kapital auf Besserverdienende? Warum haben Sie den Spitzen- ihren Konten verfügen — richtig in Mode gekommen steuersatz der Einkommensteuer gesenkt? sind inzwischen die sogenannten Derivate, also die pure Spekulation mit Aktien, Devisen und Options- Das alles hat mit Wirtschaftstätigkeit und mit der scheinen. Die Deutsche Bundesbank errechnete im Schaffung von Arbeitsplätzen überhaupt nichts zu vergangenen Jahr im Derivategeschäft ein Volumen tun, Es ist nur Förderung von Finanzkapital. Es ist nur von 6 Billionen DM, d. h. von 6 000 Milliarden DM, nur Förderung von Vermögenden. Sie spalten die Gesell- im Bereich dieser Bundesrepublik. schaft immer tiefer in immer mehr Arme und immer weniger, aber dafür um so reichere Reiche. Und das Es könnten beispielsweise diese 700 Milliarden frei halte ich für die eigentliche Katastrophe. vagabundierendes Kapital, die nicht investiert wer- den, sondern sich durch Verzinsung vermehren, Wir brauchen eine andere Politik bei 4 Millionen besteuert werden. Jeder Unternehmer, jeder Hand- Menschen ohne Arbeit, und in diesem Jahr werden es werksbetrieb muß Umsatzsteuern entrichten; warum möglicherweise 6 Millionen sein. Wir brauchen eine eigentlich diese Kapitaleigner nicht? Warum sind Sie Politik der Arbeitszeitverkürzung, der Teilsubventio- nicht bereit, eine Umsatzsteuer für die Derivatespe- nierung von Löhnen in bestimmten Bereichen bei kulanten einzuführen? Bei 6 000 Milliarden DM Arbeitszeitverkürzung, den Abbau der Zahl zulässi- würde allein eine Umsatzsteuer von nur 2 % eine ger Überstunden, eine gerechtere, wirtschaftsför- Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode - 208. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. Februar 1994 17961

Dr. Gregor Gysi dernde und arbeitsplatzschaffende Steuerpolitik, ja Ich kann es mir ja leicht machen, denn auch in der die Umstellung dieser Steuerpolitik. Wirtschaft spürt man langsam die Kompetenzlosigkeit Nein, diese Bundesrepublik hat nicht zuwenig dieser Koalitionsregierung, Geld, es wird nur grob ungerecht verteilt. Daran muß (Zuruf von der CDU/CSU: Sie sind ein unrei sich etwas ändern, wenn m an Massenarbeitslosigkeit fer Kollege!) beseitigen will. spürt man, daß die Wirtschaftsparteien abgewirtschaf- (Beifall bei der PDS/Linke Liste) tet haben. Wer dafür wirklich noch einen Beweis braucht, der muß sich nur noch dieses lachhafte Aktionsprogramm Vizepräsident Hans Klein: Das Wort hat der Abge- für Wachstum und Beschäftigung vornehmen. Es ist ordnete Werner Schulz. das letzte Aufgebot einer gescheiterten Regierung; es ist der Abgesang einer Regierung, die von allen Seiten nur noch schlechte Noten bekommt; und es ist der Werner Schulz (Berlin) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- schwächste Beitrag aus der Regierungsserie „Wort- NEN): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die schöpfung statt Wertschöpfung". Unsicherheit im Adenauerhaus und das Wahlbarome- ter im Thomas-Dehler-Haus müssen schon sehr tief (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, sein, wenn sich der Fraktionsvorsitzende der CDU/ bei der PDS/Linke Liste sowie bei Abgeord CSU und Graf Lambsdorff für ein derart dürftiges neten der SPD) Placeboprogramm hier so ins Zeug legen. Bisher wurden ja immerhin noch Mogelpackungen (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, angeboten. Jetzt zeigen Sie nur noch die leere T rick- bei der SPD und der PDS/Linke Liste) kiste. Mit einem, Herr Schäuble — wenn Sie einmal Das ganze Aktionsprogramm — und es fällt mir zuhören wollten —, sollten Sie wirklich aufhören: wirklich schwer, es ernst zu nehmen — ist ein Sam- wenn Ihnen nichts mehr einfällt, sich jedesmal an melsurium aus hilfloser und planloser Deregulierung diese geschwellte Einheitsbrust zu klopfen. Das kön- am Arbeitsmarkt, hier ein bißchen Rabatt, da ein nen und wollen die Leute nicht mehr hören, das zieht bißchen Zugabe, mehr ist nicht drin. Aber jetzt haben heute nicht mehr! wir es zumindest schriftlich: Larifari heißt das Pro- gramm aus dem Hause Rexrodt! (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der PDS/Linke Liste sowie bei Abgeord- Die Wahrheit ist: Diese Regierung hat nicht die neten der SPD) mindeste Ahnung, was sie tun könnte, um Wachstum und Beschäftigung zu stimulieren. Die Wahrheit ist: Wenn man unter dem vielsagenden Titel „Allianz für Diese Regierung steht mit leeren Händen da, sie hat Deutschland" angetreten ist, dieser riesengroßen das wenige nasse Pulver verschossen. Das Geld ist deutschen Versicherungsgesellschaft, dann sollte ausgegeben, die konzeptionelle Kraft ist eingetrock- man sich zumindest seinen eigenen Schadensfällen net, die Fähigkeit, sich zu einigen, ist passé. Diese stellen, Mut und Courage aufbringen und nicht alles Regierung überzeugt niemanden mehr. Sie hat nichts auf das schwere DDR-Erbe abschieben. Das ist eine mehr im Griff. Sie schaut hilflos und tatenlos zu, wo die wirklich billige Nummer, die Sie jedesmal hier abzie- Arbeitslosigkeit immer weitere Kreise zieht. Sie inter- hen. Das kann man nicht mehr hören! pretiert alle Zeichen als Vorboten eines alsbaldigen (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Aufschwungs, und sie inszeniert zur Unterhaltung bei der PDS/Linke Liste sowie bei Abgeord- und Beruhigung des Publikums die Rituale bestenfalls neten der SPD — Zuruf von der CDU/CSU: erfolgloser Pseudopolitik. Unerträglicher Schwätzer! — Dieter-Julius Mit so kleinen hausgemachten Problemen wie der Cronenberg [Arnsberg] [F.D.P.]: Und was ist Struktur- und Transformationskrise der deutschen mit den Leistungen für die neuen Bundeslän- Wirtschaft gibt sich unser großer Kanzler gar nicht erst der?) ab. Sein historischer Ehrgeiz läßt ihn auf die Welt - und — Ach, hören Sie doch auf! Sie wissen doch ganz Europapolitik schauen. In Davos auf dem Wirtschafts- genau, wovon ich rede. Ich rede von der ständigen forum verkündet er ein Vier-Punkte-Programm für die Beweihräucherung und von dem Unvermögen, die Gesundung der europäischen Wirtschaft. M an muß innere Einheit zu gestalten. sich das einmal vorstellen: Ein Kanzler, der zu Hause (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, nicht einen Punkt mehr macht, verkündet ein Vier- bei der PDS/Linke Liste sowie bei Abgeord- Punkte-Programm für Europa! neten der SPD) - Das ist nur noch Zweckoptimismus. Wenn die eine Sie haben einen reifen Apfel in den Schoß bekommen, Seite der Wirtschaftspolitik aus Zweckoptimismus haben ihn verfaulen lassen, und Sie sind nicht in der und die andere aus Psychologie besteht, dann ist es Lage, daraus etwas zu machen. Das ist die Situation. wirklich schlimm um diese Regierung bestellt. Das spüren Sie doch instinktiv. Es geht nach unten mit Schauen wir uns die einzelnen Punkte ihres dieser Koalition, und deswegen legen Sie sich hier so Aktionsprogramms an, das, abgesehen von der Selbst- ins Zeug. beschäftigung, weder Wachstum noch Beschäftigung (Widerspruch bei der CDU/CSU und der fördert! F.D.P. — Detlev von Larcher [SPD]: Leider Lachnummer 1: Die Aufhebung des Rabattgesetzes. hat er recht!) Der Zusammenhang von Rabatt und Standort — titelt 17962 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 208. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. Februar 1994

Werner Schulz (Berlin) zumindest das „Handelsblatt" — bleibt ein F.D.P.- Werner Schulz (Berlin) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Geheimnis. Groß- und Einzelhandel werten die NEN): Die Frage ist natürlich, wer diese Vermittlung Abschaffung des Rabattgesetzes als mittelstands- bezahlen soll. feindlich. Ich bin gespannt, wie dieses Gesetz durch (Zuruf des Abg. Hans-Joachim Fuchtel die Reihen der CDU-Mittelständler befördert wird. [CDU/CSU] — Ina Albowitz [F.D.P.]: Wer Das ist sicherlich noch ein spannender Prozeß. zahlt sie denn heute?) (Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Das werden wir Natürlich, wenn Sie jetzt anbieten, daß der Arbeitssu- schon richtig regeln!) chende das nicht bezahlt, dann werden es die Betriebe Aber vielleicht verbirgt sich hinter dieser Maß- bezahlen. nahme die Revolution im inneren Gefüge der Bundes- (Dieter-Julius Cronenberg [Arnsberg] republik, von der Jürgen Möllemann spricht. Man [F.D.P.]: Nicht anbieten, das steht in der weiß ja heutzutage bei der F.D.P. nicht mehr ganz Vorlage!) genau, woran man ist oder womit man zu rechnen — Diese Vorlage ist ja noch nicht bestätigt. Dann hat. werden es die Betriebe bezahlen, und dann wissen wir (Ina Albowitz [F.D.P.]: Das weiß man bei im Grunde genommen, worauf das hinausläuft. Dann Ihnen allerdings auch nicht!) werden aus Bereichen Arbeitskräfte abgezogen, die Aber die Dauerlachnummer, die sich durch dieses man dort eigentlich bräuchte. Es wird im Grunde Programm zieht, sind diese fast vergessenen Laden- genommen der momentan funktionierende Mittel- hüter der 80er Jahre — z. B. das Beschäftigungsförde- standsbetrieb sogar noch geschwächt, indem man rungsgesetz, das Regelungen wieder einführt, die erst bessere Arbeitsangebote an Leute vermittelt, die vor wenigen Jahren abgeschafft wurden, so etwa die momentan Arbeit haben. Förderung der Aufnahme einer selbständigen Tätig- (Hans-Joachim Fuchtel [CDU/CSU]: Nichts keit von Arbeitslosen. Dieses Instrument gab es dagegen!) bereits und ist dann wieder fallengelassen worden; Auch das ist eine riesengroße Gefahr, die hier also eine Regierung, die sich hier als Musterknabe für besteht. Kontinuität und Verläßlichkeit präsentiert. (Ina Albowitz [F.D.P.]: Ich denke, ihr seid Nicht nachzuvollziehen ist z. B. die überhastete gegen Zentralismus!) Abschaffung des Vermittlungsmonopols der Bundes- Sie müßten mir vielleicht eher erklären, Herr Cro- anstalt für Arbeit. Erst vor kurzem wurde ein großflä- nenberg, wie denn durch solch eine Vermittlung mehr chiger Modellversuch angekündigt. Der sollte von Arbeitsplätze geschaffen werden. Das würde mich April 1994 bis März 1996 laufen. Jetzt kennt diese interessieren. Regierung bereits das Ergebnis, so daß sie in die praktische Einführung übergehen kann. Aber wie (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN heißt es bei Schiller — diesmal F riedrich Schiller; Sie und bei der SPD) zitieren ja auch so gerne Schiller, Herr Schäuble — hier mit einer leichten Kommaverschiebung: Der Vizepräsident Hans Klein: Gestatten Sie eine brave Mann denkt an sich, selbst zuletzt. Also für Zusatzfrage des Kollegen Cronenberg? Arbeitssuchende wird es in Zukunft nicht einfacher werden, einen Platz zu bekommen, sondern teurer. Werner Schulz (Berlin) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Aber dafür wird zumindest das Maklergewerbe NEN): Ja. bedient und werden die Überlebensprobleme der F.D.P. ein wenig gedämpft. Das scheint mir der ganze Dieter-Julius Cronenberg (Arnsberg) (F.D.P.): Ich Sinn dieser Aufhebung zu sein. muß die Erklärung in die Frageform bringen. Es fehlt (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ihnen wahrscheinlich — so vermute ich; Sie können das ja bestätigen — die Erfahrung, daß man den Arbeitsplatz frei wählen kann und daß die Arbeitsäm Vizepräsident Hans Klein: Gestatten Sie eine Zwi- ter bedauerlicherweise schenfrage des Kollegen Cronenberg. (Zurufe von der SPD) nicht den größten Teil der Arbeitsplätze vermitteln Werner Schulz (Berlin) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (Detlev von Larcher [SPD]: 4 Millionen wäh NEN): Ja. len ihren Arbeitsplatz selber! — Ina Albowitz [F.D.P.]: Na klar!) - und sehr häufig die Vermittlung eben z. B. durch Dieter-Julius Cronenberg (Arnsberg) (F.D.P.): Herr Anzeigen erfolgt, so daß es für die Betriebe eine Abgeordneter, wie ist es mit Ihrem Begriff von Ehr- erhebliche Entlastung bedeuten kann, Herr Abgeord- lichkeit vereinbar, wenn Sie die These hier aufstellen, neter Schulz, wenn sie sich solcher privater Vermitt- der Arbeitnehmer müßte für die Vermittlung durch lungstätigkeiten bedienen können. Ich meine, ich einen privaten Vermittler irgend etwas bezahlen, es nehme Ihnen das nicht übel, weil die Erfahrung über würde teurer, wie Sie sagen? Ich möchte wissen, wie die freie Arbeitsplatzwahl und die Vermittlung von Sie dies mit Ihrer Ehrlichkeit vereinbaren, denn genau Arbeitsplätzen Ihnen vielleicht nicht so bekannt ist. das Gegenteil steht natürlich im Gesetz, wie Sie Aber wenn Sie mir bestätigen würden, daß durch eine wissen. private Arbeitsvermittlung der Betrieb ent- und nicht (Zurufe von der PDS/Linke Liste) belastet werden könnte, dann würden Sie dadurch Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 208. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. Februar 1994 17963

Dieter-Julius Cronenberg (Arnsberg) unter Beweis stellen, daß Sie sich mit der Gesetzes- Ich will auf Grund der fortgeschrittenen Redezeit vorlage ernsthaft beschäftigt haben. nur einen Aspekt noch herausgreifen, weil er im Grunde genommen auch im Standortbericht von Herrn Rexrodt vorkommt. Das ist ein Faktor, auf den wir viel stärker reagieren sollten und den Sie leider Werner Schulz (Berlin) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- überhaupt nicht bedienen, denn nicht der Faktor NEN): Herr Cronenberg, ich habe natürlich eine Arbeit ist knapp, sondern der Faktor Rohstoffe, der Vorstellung davon, daß Arbeitsplätze frei wählbar Faktor Ressourcen. sind. Wir werden in diesem Hause in einigen Monaten Wir sind uns vielleicht zumindest in dieser Richtung erleben, wie hier Arbeitsplätze neu verteilt werden, einig, daß man die Arbeitskosten entlasten sollte, die wenn Sie das meinen. Das hält mich zumindest hier Arbeitskosten entlasten muß. Insofern frage ich mich, noch wach und aufmerksam. wann endlich die ökologische Steuerreform kommt, (Beifall bei der PDS/Linke Liste) warm endlich die Ökosteuer kommt, um den Rationa- lisierungsdruck in den Betrieben umzulenken, damit Auf der anderen Seite, wenn Sie ansprechen, daß wir nicht mehr Arbeitskräfte einsparen, sondern end- über Annoncen heutzutage diese Arbeitsplätze ver- lich Energie einsparen, damit wir endlich den inge- mittelt werden und das unzureichend: Darüber kann nieurtechnischen Sachverstand in die Richtung len- man ja seriös reden, und dafür haben wir ja diese ken, wo heutzutage Verbesserungen und Innova- Feldversuche, die normalerweise von Ap ril 1994 bis tionsdruck ausgelöst werden sollten. Denn wir werden März 1996 laufen sollten. Aber wir haben nicht ein das erleben: Die Betriebe kommen aus der Rezes- Vermittlungsproblem, sondern wir haben ein Arbeits- sionsphase heraus, werden rationalisiert haben, aber verteilungsproblem, die Arbeitslosigkeit wird gestiegen sein. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Daran ändert sich nichts, auch nicht, wenn Sie hier bei der SPD und der PDS/Linke Liste — anbieten — das finde ich wirklich den allergrößten Dieter-Julius Cronenberg [Arnsberg] Lacher —, daß Sie die Arbeitslosen nun demnächst in [F.D.P.]: Ein Arbeitsplatzproblem!) Ernteeinsätze vermitteln wollen. Das erinnert mich so wenn überhaupt, und wir haben das Problem, daß es an DDR-Zeiten, als die Funktionäre und Parteigenos- an regulären Arbeitsplätzen fehlt. Dazu hat ja Ihre sen zum Rote-Rüben-Verziehen ins Feld geschickt Politik beigetragen. Sie haben in 25jähriger Kontinui- wurden, tät — Sie haben ja im Grunde genommen die Nullserie (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN der Wirtschaftsminister in Reihenfolge gestellt — und bei der SPD) dafür gesorgt, daß wir dieses Wirtschaftsproblem aber mich tröstet halt, daß demnächst die Koalitionäre haben. Von Ihrer Seite solch ein Frage — ich weiß bald zur Kohlernte ausschwärmen müssen, nicht, die würde ich Ihnen gern noch schriftlich beantworten, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der PDS/Linke Liste) (Ina Albowitz [F.D.P.]: Das finde ich wirklich und ich glaube, das wird diesmal eine Mißernte unglaublich, Herr Kollege!) werden. weil man Bände darüber schreiben könnte, welche (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Versäumnisse, welche Fehler, welche Mängel, wel- bei der SPD und der PDS/Linke Liste) ches Mißmanagement von einer ordoliberalen Wirt- schaftspolitik in den letzten Jahren vorliegen. Vizepräsident Hans Klein: Ich erteile das Wort dem (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Bundesminister für Wirtschaft, Günter Rexrodt. und bei der SPD — Zuruf von der F.D.P.: Zurück zu Herrn Mittag!) (Zuruf von der SPD: Muß das sein?) — Aber natürlich, Sie können es bloß nicht vertragen, daß irgendwann auch einmal die Abrechnung für Ihre Dr. Günter Rexrodt, Bundesminister für Wirtschaft: Versäumnisse, für Ihre miserable Politik kommt, die Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist Sie auf dieser Strecke geleistet haben. gerade zwei Wochen her, daß wir hier das Aktions- programm der Bundesregierung für Wachstum und (Ina Albowitz [F.D.P.]: Genauso miserabel Beschäftigung vorgestellt haben, und heute steht der wie eure; deshalb seid ihr das letzte Mal nicht Fahrplan für seine kurzfristige Umsetzung. beigetreten! Das war der Punkt!) Wir handeln, und andere schreien, das sei hekti- — Nein, ich sage Ihnen: Diese Angst vor Rot-Grün scher Aktionismus. Und das schreien die anderen, — und das hat ja Herr Schäuble eigentlich auch nachdem sie über Wochen und Monate beklagt hat- gesagt — mobilisiert natürlich Neid; das kann ich mir ten, daß diese Bundesregierung nicht zur Umsetzung schon vorstellen. Aber das ist mehr der Neid, der aus dessen in der Lage sei, was sie in ihrem Standortbe- Ihrer programmatischen Bedürftigkeit entspringt. richt und an anderer Stelle vorgeschlagen hat. Nun (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN setzen wir um, und nun wird das als Aktionismus sowie bei Abgeordneten der SPD) abgetan. Was ist das für eine Ehrlichkeit? Was ist das für eine geistige Konsistenz? Dieser Neid wird damit mobilisiert. (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU — (Hens Joachim Fuchtel [CDU/CSU]: Da müß- Zuruf von der SPD: Was ist das für eine ten Sie ja hochgradig neidisch sein!) Leistung der Bundesregierung?) 17964 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 208. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. Februar 1994

Bundesminister Dr. Günter Rexrodt Herr Schulz, wissen Sie, ich habe ja nie Ihre Dr. Günter Rexrodt, Bundesminister für Wirtschaft: politischen Positionen geteilt, aber ich habe Ihnen Ja, mit großem Vergnügen. immer abgenommen, daß Sie aus innerer Glaubwür- digkeit argumentieren. Was Sie aber heute und eben Siegmar Mosdorf (SPD): Herr Rexrodt, ich möchte geboten haben — auf niedrigem Niveau, „Larifari", noch einmal auf die Frage zurückkommen, wie Sie die Allgemeinplätze hier vorzutragen, bar jeder Kenntnis Erfolgsaussichten Ihres umfangreichen Programms ökonomischer Zusammenhänge, quantifizieren. Herr Schäuble hat es ja vorhin, wie ich finde, redlich abgelehnt, es in irgendeiner Form zu (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne- quantifizieren. Bleiben Sie dabei, daß diese 30 Punkte ten der CDU/CSU — Lachen beim BÜND- 200 000 neue Arbeitsplätze bringen, und kann man NIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD) die dann von den 450 000, die in diesem Jahr verlo- bar jeder Kenntnis der Wirkungsweise von ökonomi- rengehen, abziehen? schen Instrumenten — das ist schon ein starkes Stück. Dr. Günter Rexrodt, Bundesminister für Wirtschaft: Also, wissen Sie, ich habe zunächst nie gesagt, daß es (Zuruf von der SPD: Das sagt dieser Mini- auf Grund dieses Programmes 200 000 Arbeitsplätze ster!) mehr gibt. Wie wollen Sie das quantifizieren? Das Da stellt sich Herr Schulz hin und sagt: Wir haben habe ich nirgendwo gesagt. Das müssen Sie mir mal ein Arbeitsverteilungsproblem. Meine Damen und zeigen, wo ich das gesagt habe. Herren, was in dieser Republik reichlich vorhanden (Siegmar Mosdorf [SPD]: Ich zeige Ihnen die ist, im Osten und im Westen, Agenturmeldung!) (Dieter-Julius Cronenberg [Arnsberg] — Das ist eine falsche Agenturmeldung. Nehmen Sie [F.D.P.]: Das ist Arbeit!) es mir ausnahmsweise einmal ab, wenigstens das! Das das ist Arbeit. Wir haben jede Menge Arbeit. Die habe ich nie gesagt. Ich würde mich auch hüten, so Arbeit ist zu teuer geworden, etwas zu sagen. Das ist nämlich ein Programm, das auf Verbesserung der Bedingungen setzt, das mehr Inve- (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne- stitionstätigkeit anregen soll, das den Mittelstand ten der CDU/CSU) fördert, das durch Deregulierung bessere Bedingun- und deshalb wird sie nicht mehr abgerufen. Das ist gen in dieser Republik herbeiführt, und innerhalb nicht ein Arbeitsverteilungsproblem, wie das Herr dessen werden zusätzliche Arbeitsplätze geschaffen. Lafontaine und Sie, Herr Professor Jens, immer dar- Dies seriös zu quantifizieren ist kein Mensch in dieser stellen: Wir haben die Arbeit X oder Y, und nun teilen Welt in der Lage; aber es werden viele sein. wir sie auf mehr Köpfe neu auf, und damit lösen wir das Problem. Keine Ahnung von ökonomischen Vizepräsident Hans Klein: Herr Minister, sind Sie Zusammenhängen, meine Damen und Herren! bereit, eine Zwischenfrage des Kollegen Gilges zu beantworten? (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) Das sind die Fakten. Dr. Günter Rexrodt, Bundesminister für Wirtschaft: Unser Aktionsprogramm ist ein wichtiger Schritt, Wenn Sie mir das nicht auf meine Redezeit anrech- um der gegenwärtigen Situation am Arbeitsmarkt nen. — ich komme gleich darauf, Herr Gysi — gerecht zu Vizepräsident Hans Klein: Selbstverständlich werden. Wir wissen sehr wohl und sind auch ehrlich, nicht. daß sich die Situation in 1994 verschärfen wird. (Ernst Schwanhold [SPD]: Das müssen Sie Konrad Gilges (SPD): Herr Bundeswirtschaftsmini- betonen, Herr Rexrodt, daß Sie ehrlich ster, in der ersten Debatte hier in diesem Haus zu sind!) diesem Aktionsprogramm vor 14 Tagen hat Ihr Frak- tionsvorsitzender, Herr Solms, ausweislich des Proto- — Das sind wir immer. — Sie stellen sich hin und kolls gesagt, mit diesem Aktionsprogramm würden in sagen: Die Regierung beschönigt bei den gesamtwirt- den nächsten Jahren drei Millionen zusätzliche schaftlichen Daten, Herr Kollege Professor! Wissen Arbeitsplätze geschaffen. Ich gehe ja davon aus, daß Sie, wenn wir uns hinstellen und sagen: Das Sozial- diese „nächsten Jahre" irgendwann eintreten; u. a. in produkt wächst um 1 oder 1,5 %, dann verstehen das diesem Jahr treten die ein. Halten Sie diese Aussage die wenigsten Menschen. Wir sagen aber ganz ehr- denn für falsch oder absurd oder für aus der Luft lich, obwohl es eine bittere Wahrheit ist: Die Zahl der gegriffen? Arbeitslosen wird in diesem Jahr um 400 000 bis 450 000 wachsen. Ist das Beschönigung? Und wir Dr. Günter Rexrodt, Bundesminister für Wirtschaft: legen die Programme und die Maßnahmen vor und Ich sage Ihnen noch einmal, daß dieses Programm setzen sie um, um diese Arbeitslosigkeit zurückzufüh- — auf seine Einzelheiten wird einzugehen sein — ren. Sie haben keine Alte rnative und sprechen von dazu beiträgt, daß die Bedingungen für Investitionen Aktionismus, und das rettet uns dann in dieser Bun- verbessert werden, daß damit die Wettbewerbsfähig- desrepublik! keit unserer Wirtschaft verbessert wird, und dies führt dazu, daß vorhandene Arbeitsplätze gesichert und zusätzliche in großer Zahl geschaffen werden können. Vizepräsident Hans Klein: Herr Bundesminister, Wenn irgendwer eine Zahl nennt, dann wird er diese gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Mos- Zahl zu beweisen haben. Wer sie aber widerlegen dorf? will, wird dies auch tun müssen, und das können Sie Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 208. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. Februar 1994 17965

Bundesminister Dr. Günter Rexrodt genausowenig. Das ist ein Programm, das zum Teil Das setzt auf Neid und bewirkt, daß durch Nivellie- sensationellen Inhalt hat. rung in diesem Land noch weniger Anreize bestehen- bleiben bzw. geschaffen werden, (Lachen bei der SPD) (Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Sehr richtig!) — Sensationellen Inhalt hat! Sie wollen es nur nicht (V o r sitz : Vizepräsident Helmuth Becker) wahrhaben, weil Sie keine Alternativen bieten. Das ist es doch. Da stellt sich der Kollege Jens hin und trägt durch eigene Initiative etwas zu gestalten und zusätz- hier Maßnahmen und Vorschläge vor, die sich anhö- liche Arbeitsplätze zu schaffen. Das können nicht die ren wie eine schlecht formulierte Nacherzählung des Rezepte sein. Wir setzen auf die Förderung des Jahreswirtschaftsberichts oder des Standortberichts. Mittelstands und der Leistungsträger. Das sind nun die „Alternativen", lieber Kollege Jens. Sie konzentrieren sich immer mehr auf persönliche (Beifall bei der CDU/CSU — Detlev von Polemik, im Grunde Ihrer Wesensart fremd. Larcher [SPD]: Im Wahljahr!) — Das haben wir nicht nur im Wahljahr vor. Das haben (Konrad Gilges [SPD]: Das hat er doch wirk- wir immer gemacht. lich nicht getan!) (Zuruf von der SPD: Fragen Sie die Mittel Das macht er nur deshalb, daß er überhaupt wahrge- ständler selber!) nommen wird. Lieber Herr Jens, Sie werden ja zuwe- Darauf setzen wir, ausgewogen und ausgeglichen für nig wahrgenommen; aber das liegt daran, daß Sie nichts vorzuweisen haben an Alternativen und an alle Gruppierungen in unserem Land. Aber die Lei- Vorschlägen. Da hilft persönliche Polemik überhaupt stungsträger zu dämpfen, das ist nicht unser Ziel. Das nichts; das ist der Punkt. führt zu dem, was Sie am Ende der Zeit, in der Sie hier Verantwortung getragen haben, gezeigt haben. (Konrad Gilges [SPD]: Das hat er nun wirk- (Zuruf von der SPD: Fragen Sie mal die lich nicht gemacht, Herr Kollege! — Detlev Mittelständler selber, was die Ihnen erzäh von Larcher [SPD]: Lesen Sie mal die heuti- len!) gen Protokolle nach!) Wir setzen zweitens auf eine Entlastungsperspek- Wir konzentrieren uns in diesem Programm auf vier tive für Unternehmen und p rivate Haushalte durch wichtige Felder: erstens die Stärkung des Mittel- eine konsequente Haushaltskonsolidierung. Wir set- stands, zweitens ein klares steuerpolitisches Konzept zen darauf, indem wir noch in diesem Jahr ein und die Fortsetzung der Konsolidierungspolitik, drit- steuerpolitisches Konzept vorlegen werden, das dar- tens wirksame Maßnahmen am Arbeitsmarkt und auf zielt, Entlastungen vorzunehmen, um die Investi- viertens Deregulierung. Es sind nicht nur Vorschläge, tionstätigkeit zu fördern, das aber auch lin unteren sondern — ich sage es noch einmal — wir setzen dies Bereich, beim Existenzminimum, Erleichterungen auch um. bringt, das eine Steuervereinfachung vorsieht und das vor allen Dingen eine konsequente Veränderung und Zunächst zum Mittelstand. Die überwiegende Verbesserung der Unternehmenssteuern herbei Mehrzahl der Arbeitsplätze wird in mittelständischen führt. Unternehmen geschaffen. Deshalb werden durch vier konkrete Maßnahmen, finanziell gut dotiert, Anreize Das sind unsere Antworten. Sie sind zeitgerecht. dafür geschaffen, daß m an zusätzlich in die Selbstän- Wir setzen drittens auf arbeitsmarktpolitische digkeit im Mittelstand geht. Darüber hinaus werden Instrumente. Diese bezeichne ich als zum Teil sensa- Forschung, Entwicklung und Innovation in kleinen tionell. Ich will jetzt aus zeitlichen Gründen nicht alle und mittleren Unternehmen gefördert, und auch Maßnahmen ansprechen. Ich will aber einen Punkt Umlaufvermögen kann aus verbilligten Krediten aufgreifen, der von Ihnen immer wieder in Frage gefördert werden. Wir machen Innovationspolitik, gestellt wird: die Tatsache, daß wir das sogenannte Sie fordern Innovationspolitik; das ist der große Unter- Vermittlungsmonopol der Bundesanstalt für Arbeit schied zwischen uns. aufheben. Sie sagen: Dann bleiben bei der Bundesan- stalt die Fußkranken, und die leicht Vermittelbaren (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU — gehen zu den Privaten. Da werden dann auch noch Zurufe von der SPD) Gebühren bezahlt, und es wird auch noch abgewor- ben. Was den Mittelstand bet rifft, so haben Sie einige wenige Punkte und Positionen, die von dem abwei- - Ich sage Ihnen: Das fundamental Neue und das chen, was wir vorschlagen. Das betrifft z. B. die Gute und Bessere an dieser Aufhebung wird darin Besteuerung dessen, was Sie „leistungsloses Einkom- bestehen, daß Arbeitsvermittlungseinrichtungen zu men" nennen. Das trifft einen Großteil derjenigen, die den Arbeitnehmern oder den Arbeitslosen kommen, dieses Land durch Leistung voranbringen. Was Sie in die Nähe, individualisiert, in kleineren Einheiten. darunter subsumieren, ist: Sie wollen die Besserver- Die Menschen, die dort arbeiten, werden den Arbeits- dienenden höher besteuern, und das sind ebenfalls suchenden in der unmittelbaren Nachbarschaft ken- die Leistungsträger. nen. Sie werden die Unternehmen, für die sie arbei- ten, und deren Bedürfnisse kennen, und sie werden in (Dieter-Julius Cronenberg [Arnsberg] kleinen Einheiten das zusammenführen, was zusam- [F.D.P.]: Höher, höher! Es ist genug!) menführbar ist. 17966 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 208. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. Februar 1994

Bundesminister Dr. Günter Rexrodt Das ist etwas anderes als eine riesige Bundesanstalt tung immer schlechter geht als mit einer p rivaten, für Arbeit. Ich will die Bundesanstalt und auch die müßten Sie eigentlich gelernt haben. Menschen dort gar nicht kritisieren. Sensationell ist das, was wir machen, im übrigen (Ina Albowitz [F.D.P.]: Das haben sie auch auch in bezug auf die Einführung von Gemeinschafts- nicht verdient!) arbeiten, die wir als Angebot zur Verfügung stellen. Ich will die großen Einheiten kritisieren. Die großen Wir wollen darauf hinaus, daß Menschen, die der Einheiten bringen es nicht. Arbeitswelt auf Grund langer Arbeitslosigkeit mögli- (Zuruf des Abg. Konrad Gilges [SPD] — cherweise entfremdet sind, den Kontakt zur Arbeits- Gegenruf der Abg. Ina Albowitz [F.D.P.]: welt wiederbekommen und den Kontakt wiederher- Noch ein paar Landesarbeitsämter und noch stellen können. ein paar, die es nicht bringen!) Wir wollen die Arbeitnehmerüberlassung vereinfa- Wenn Sie eine Arbeitsvermittlung um die Ecke haben, chen. Wir wollen in anderen Bereichen, beim Beschäf- dann wird dieser Arbeitsmarkt ganz anders bedient tigungsförderungsgesetz und anderem mehr, Erleich- werden können als bisher. terungen dahin gehend schaffen, daß diejenigen, die Das wollen Sie nicht sehen, und deshalb polemisie- schwer vermittelbar sind, eine Chance haben und ren Sie dagegen. Große Einheiten, staatliche Kon- nicht im staatlichen Bereich untergehen. trolle, Lenkung von oben — das ist die Denkweise, die bei Ihnen immer das Beherrschende war. Meine Damen und Herren, dann sagen wir noch: (Dr. Nils Diederich [Berlin] [SPD]: Siehe Mer- Deregulierung und Privatisierung. Da stellt sich der cedes-Benz!) verehrte Kollege Professor Jens hin und sagt, wir hätten das, was wir in der Deregulierungskommission beschlossen haben, nicht umgesetzt. Herr Kollege Vizepräsident Helmuth Becken Herr Minister, Jens, wir haben die Vorschläge, die dort gemacht gestatten Sie noch eine Zwischenfrage? worden sind, allemal umgesetzt. Ich will Ihnen aus Zeitgründen nicht alles vorlesen, was wir in die Dr. Günter Rexrodt, Bundesminister für Wirtschaft: Gesetzgebung gebracht haben. Sehen Sie sich das an! Eine gestatte ich noch und dann keine mehr. Alles das, was Wettbewerb, Werbemöglichkeiten, Flexibilität und anderes angeht, liegt den zuständigen Vizepräsident Helmuth Becker: Herr Kollege Gil- Ausschüssen des Bundestages vor und wird umge- ges. setzt. Ist es etwa nichts, daß wir das Investitionserleichte- Konrad Gilges (SPD): Herr Bundesminister, die rungs- und Wohnbaulandgesetz, die Planungsverfah- Sozialdemokraten fordern schon seit mehreren Jahren rensvereinfachung, das Standortsicherungsgesetz, die Dezentralisierung der Bundesanstalt, die eine die Regelungen zur kleinen Aktiengesellschaft, das reine Bundesbehörde ist, und die Verlagerung von Umwandlungsgesetz gemacht haben? Jetzt gehen wir Kompetenzen auf die Landesarbeitsämter und die an das Aufbrechen der Monopole und Demarkationen örtlichen Arbeitsämter. Ich werde nachher in meinem im Energiebereich heran. Wir machen die Bahnre- Beitrag etwas zur Situation im Verwaltungsausschuß form. Wir sind die Postreform mit Ihnen gemeinsam eines Arbeitsamtes sagen, in dem ich Mitglied bin. zumindest ein Stück angegangen. Die Bundesregierung regiert über die Selbstverwal- tung hinaus in einem Maß in die Bundesanstalt hinein, Ist das nichts, ist das Gerede? Das ist konkretes das von Arbeitgebern und Arbeitnehmern beklagt Handeln im Sinne der Deregulierung. wird, daß es schon nicht mehr anzuhören ist. Sind Sie nicht der Meinung, daß es Zeit wird, daß die Bundes- (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU — anstalt dezentralisiert wird, aus der Gewalt der Bun- Dr. Uwe Jens [SPD]: Das bringt doch keine desregierung herauskommt und den Arbeitgebern Arbeitsplätze!) und Arbeitnehmern, die die Beiträge für die Bundes- — Das schafft Arbeitsplätze. Dieser Zwischenruf zeigt anstalt bezahlen, überantwortet wird? genau, daß Sie überhaupt nicht wissen, worauf es (Beifall bei Abgeordneten der SPD) ankommt.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU — Dr. Günter Rexrodt, Bundesminister für Wirtschaft: Herr Kollege, wir machen eben keine halben Detlev von Larcher [SPD]: Die Menschen Sachen. sehen das Ergebnis Ihrer Politik!) (Dr. Nils Diederich [Berlin] [SPD]: Nein, Sie Wie Mehltau legt sich nämlich die Überregulierung schütten gleich das Kind mit dem Bade über die Menschen und die Firmen. Sie haben über- aus!) haupt keine Ahnung, was in diesem Land gefragt ist. Wir regionalisieren nicht ein bißchen und machen ein Gehen Sie in den Mittelstand, gehen Sie zu den Pflaster drauf, sondern wir gehen das Problem reali- Menschen, zu den kleinen Einzelhändlern, den klei- stisch an und schaffen private Konkurrenz. Da ent- nen Handwerkern oder Unternehmern, wie sehr sie steht etwas, was nicht in Ihre Denkweise paßt, daß sich über Behördenpost und darüber, welche Aufla- Menschen zueinanderkommen, die einander kennen gen sie zu erfüllen haben, beklagen! Darauf kommt es und sich darauf einstellen, daß sie etwas gemeinsam an. Den Leuten vergehen nämlich der Mut und die lösen wollen. Daß das mit einer staatlichen Einrich- Kraft, unternehmerisch tätig zu sein. Aber Regulieren Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 208. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. Februar 1994 17967

Bundesminister Dr. Günter Rexrodt und Bürokratie liegen in der Tradition Ihrer Denk- d. h. daß es vor allem die Grundlage dafür ist, den weise. Wirtschaftsstandort Bundesrepublik Deutschland (Detlev von Larcher [SPD]: Was hat das mit wieder zu festigen und ihn mit mehr Bedeutung der Post zu tun?) auszustatten, als das leider Gottes momentan der Fall ist. — Wenn Sie fragen, was das mit der Post zu tun hat, so (Beifall bei der CDU/CSU) haben Sie noch längst nicht beg riffen, was mit der Post los ist. Ich unterstütze deshalb, auch für meine Fraktion mitsprechend, dieses Papier nachhaltig. Die besten (Detlev von Larcher [SPD]: Nein! Was das Papiere sind aber Schall und Rauch, wenn ihnen nicht damit zu tun hat!) alsbald Taten folgen. Damit greife ich das auf, was Die Post arbeitet in einem Bereich der wenigen Herr Dr. Schäuble und andere meiner Vorredner Basistechnologien. Da haben Sie nun unter Mühen gesagt haben. der Privatisierung im organisatorischen, im rechtli- chen Bereich zugestimmt. Das ist ein wichtiger Schritt. Wie bei uns gibt es weltweit keine Rezepte zur Aber daß es darauf ankommt, Arbeitsplätze zu durchgreifenden Reduzierung der Arbeitslosigkeit, sichern, indem man Wettbewerb schafft, indem man wie das „Handelsblatt" zum jüngsten Weltwirt- die Monopole aufhebt, indem man dafür sorgt, daß schaftsforum in Davos feststellte. Ich verstehe dieses Private in diesem Bereich investieren und einen Aktionsprogramm für mehr Wachstum und Beschäfti- technologischen Schub freisetzen, wie wir ihn bei D1 gung als Verdeutlichung einer systematisch angeleg- und D2 hatten, das haben Sie nie beg riffen. ten Politik dahin gehend, erkannte Defizite des Wirt- schaftsstandorts Deutschland Stück für Stück abzu- (Detlev von Larcher [SPD]: Meine Frage war bauen. eine ganz andere!) (Beifall bei der CDU/CSU) Vielmehr haben Sie die Postgewerkschaft im Ohr, die sich hinstellt und erklärt: 700 000 Menschen wird Was wir brauchen, ist vor allem Glaubwürdigkeit in Unrecht getan, wenn wir sie kritisieren und das, was der Politik, damit Investoren und Verbraucher neues sie bisher geleistet haben, nicht würdigen. Vertrauen schöpfen können. (Dr. Gregor Gysi [PDS/Linke Liste]: Aber, Vielen scheint noch nicht klar zu sein, was die Herr Minister, bei Kali haben Sie mir erklärt, Stunde geschlagen hat. Umpolungen sind dringend daß Sie unbedingt ein Monopol brauchen!) notwendig. Lassen Sie mich dazu ein Beispiel bringen: Es ist meiner Meinung nach ein Skandal — das Wir würdigen es ja, aber andere Methoden sind viel versteht in dieser Situation in der Bundesrepublik besser. Das beweisen D1 und D2. Deutschland fast niemand mehr —, daß polnische Sie haben noch nicht beg riffen, um was es eigentlich Saisonarbeiter die Kohlernte in Schleswig-Holstein geht. Sie denken in traditionellen Linien, in Konjunk- retten müssen, weil diese Arbeit für deutsche Arbeits- turprogrammen, in Investitionsmaßnahmen, in staatli- lose zu anstrengend ist und man sich dabei schmutzig cher Regulierung, in Ordnungsrecht und anderem machen kann. mehr. Mit Ordnungsrecht werden Sie es nicht schaf- fen, sondern wir werden in diesem Lande nur etwas (Detlev von Larcher [SPD]: Das ist doch gar verändern können — darauf setzen wir —, indem wir nicht der Punkt! Sie reden an der Sache die Kräfte, die bei den Menschen vorhanden sind, vorbei!) freisetzen, indem wir ihnen Mut und Entfaltungspiel- — Ich kann das belegen. Das ist in einer Zeitschrift räume geben. abgehandelt worden. Ich bin gern bereit, Ihnen das (Ina Albowitz [F.D.P.]: Sehr gut!) zuzuleiten. — Dabei handelt es sich nicht etwa um Das ist eine Denkweise, die Sie noch lernen müssen. ältere Mitbürger; viel mehr sind fast 60 % der Bezieher Ich wünsche Ihnen dabei viel Erfolg. von Arbeitslosenhilfe jünger als 42 Jahre. (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) In den meisten Köpfen scheint angekommen zu sein, was unser Land jetzt braucht, nämlich den Willen zur Veränderung, um sicher in die Zukunft zu Vizepräsident Helmuth Becker: Das Wort hat jetzt gehen. unser Kollege E rnst Hinsken. (Beifall des Abg. [CDU/CSU]) Unbestritten war 1993 das Jahr der tiefsten Rezes- Ernst Hinsken (CDU/CSU): Herr Präsident! Werte sion in Deutschland seit dem Zweiten Weltkrieg. Die Kolleginnen und Kollegen! Was die Opposition bisher gesamtwirtschaftliche Produktion ging in West- geboten hat, ist weniger als wenig. deutschland um fast 2 % zurück. Gleichzeitig nahmen (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Arbeitslosigkeit und Staatsverschuldung besorgniser- So möchte ich die Ausführungen, die Sie bisher regend zu. Darüber hinaus mußten wir im vergange- gemacht haben, überschreiben. Ich hatte mir gedacht, nen Jahr zur Kenntnis nehmen, daß m anche Erwar- daß Sie heute in der Lage sind, ein Alternativpro- tungen hinsichtlich eines raschen und sich selbst gramm zu diesem 30-Punkte-Programm zu entwik- tragenden wirtschaftlichen Aufschwungs in den keln; aber ich habe umsonst gehofft. neuen Bundesländern enttäuscht wurden. Ich meine, gerade unserem Fraktionsvorsitzenden Zur Wirklichkeit der Bundesrepublik Deutschl and Dr. Schäuble ist es heute wieder gelungen nahezu- im Jahre 1993 gehörte z. B. aber auch, daß praktisch bringen, was dieses 30-Punkte-Programm beinhaltet, alle Reiseunternehmen ausgebucht waren und die 17968 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 208. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. Februar 1994

Ernst Hinsken Deutschen mehr als je zuvor für ihren Urlaub im Aufgabe des Staates muß es aber sein, die erf order Ausland ausgaben, nämlich 61 Milliarden DM, und lichen Rahmenbedingungen für die Gründung von daß wir hier nach wie vor Weltmeister sind. Existenzen zu verbessern und die Investitions- und Innovationsfreude zu stärken. Für mich ist klar, meine Es ist angebracht, unseren Beitrag dazu zu leisten, lieben Kolleginnen und Kollegen: Wir brauchen eine daß wieder mehr Zufriedenheit einkehrt; denn es steht Existenzgründungswelle wie in den 50er Jahren, doch unbestritten fest, daß es uns trotz aller Schwie- wenn wir die Strukturprobleme unserer Wirtschaft rigkeiten so gut geht, daß wir von allen umliegenden überwinden wollen. Nationen beneidet werden. (Beifall bei der CDU/CSU) (Konrad Gilges [SPD]: Was sagt ein Arbeits- Ich begrüße daher ausdrücklich, daß mit dem loser zu solch einem dummen Spruch?) Aktionsprogramm die Wiedereinführung des Eigen- Übrigens: Nach dem erfolgreichen GATT-Abschluß kapitalhilfeprogramms in den alten Ländern be- und den historisch niedrigen Kapitalmarktzinsen schlossen wurde. Wir haben früher schon einmal beste haben sich die Rahmenbedingungen für die Wirt- Erfahrungen damit gemacht. Es ist erwiesen, daß mit schaft gebessert. Zudem bringt das Standortsiche- jeder Neugründung im Durchschnitt fünf Arbeits- rungsgesetz den Unternehmen 1994 durch die Absen- plätze neugeschaffen werden. kung der Steuersätze auch in einer extrem schwieri- (Albert Pfuhl [SPD]: Warum habt ihr es dann gen finanzpolitischen Lage eine gewisse steuerliche abgeschafft?) Entlastung. In der Tarifpolitik ist ein Korrekturprozeß — Kollege Pfuhl, es wäre gut, wenn die SPD-regierten im Gange. Das sind positive Signale. Länder hier ein Eigenkapitalhilfeprogramm aufgelegt Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, hätten. Das haben sie aber nicht getan; es ist auch hier haben — das hat sich nachhaltig auch heute ge- nur bei Worten geblieben. zeigt — den Beweis erbracht, keine Alternative zu (Beifall bei Abgeordneten der F.D.P.) haben und statt dessen weiterhin konzeptionslos zu opponieren, zu lamentieren, zu boykottieren, Ängste Vizepräsident Helmuth Becker: Herr Kollege Hins- zu schüren und auf Verunsicherung zu setzen. Mehr ken, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen ist in Ihren Aussagen nicht enthalten. Schwanhold? (Beifall bei der CDU/CSU) Diesen Ihren Aussagen setzen wir unsere S trategie Ernst Hinsken (CDU/CSU): Gerne, ja. einer Politik der Zukunftssicherung entgegen. Ein Teil davon ist unser 30-Punkte-Programm. Vorrang Vizepräsident Helmuth Becker: Bitte. hat für uns die Konsolidierung des Staatshaushalts und eine Rückführung der Staatsquote bis zum Jahr Ernst Schwanhold (SPD): Herr Kollege Hinsken, 2000 auf das Niveau vor der deutschen Wiederverei- könnten Sie mir dann heute bitte erklären, warum Sie nigung. Die Stabilität der D-Mark ist unabdingbare vor weniger als vier Monaten im Wirtschaftsausschuß Voraussetzung zur Sicherung des Vertrauens und genau unsere Forderung nach Auflegung eines einer dauerhaften Wettbewerbsfähigkeit. Eigenkapitalhilfeprogramms abgelehnt haben mit der Die meisten neuen Arbeitsplätze entstehen im Mit- Begründung, daß dieses nicht hilfreich sei, daß dafür telstand. Deshalb sind für mich von besonderer nicht die Mittel zur Verfügung stünden und daß das Bedeutung die vielseitigen Maßnahmen zur Förde- nicht nötig sei? rung dieses großen Wirtschaftszweiges, der zu Recht als „Motor der Wirtschaft" bezeichnet wird und von Ernst Hinsken (CDU/CSU): Kollege Schwanhold, dem vor kurzem ein amerikanischer Wirtschaftsjour- das trifft so, wie Sie das sagen, nicht zu. Es wurde nalist gesagt hat, daß er, der Mittelstand, die deutsche durchaus auch in unseren Reihen die Meinung vertre- Wirtschaft rette. ten, daß sich dieses Eigenkapitalhilfeprogramm in der (Michael Glos [CDU/CSU]: Das war ein klu- Vergangenheit bestens bewährt hat, daß es in den ger Jou rnalist!) neuen Bundesländern viele neue Arbeitsplätze bringt und deshalb auch bei uns in den alten Bundesländern Unser Wissen um die Bedeutung und der Stolz über aufgelegt werden soll. Das hatte zur Folge, daß die das internationale Ansehen unseres Mittelstands dür- Bundesregierung sich diese Meinungsäußerung zu fen jedoch nicht den Blick darauf verstellen, daß die eigen gemacht hat und jetzt dieses Eigenkapitalhil- Zahl der mittelständischen Unternehmen von etwa- feprogramm erneut auflegt. 9 Millionen in den 50er Jahren auf heute ca. 3,4 Mil- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) lionen zurückgegangen ist. Die Gründe hierfür sind vielfältig und keineswegs allein vom Staat und der Meine Damen und Herren, auch das zinsverbilligte Politik zu verantworten. Fehlende Risikobereitschaft, Kreditprogramm der KfW zur Förderung risikoreicher eine A-13-Mentalität und als Folge einer verfehlten innovativer Unternehmensgründungen sowie zur För- Bildungspolitik der 70er Jahre die Verakademisie- derung von Forschung, Entwicklung und Innovation rung unserer Gesellschaft spielen hier eine nicht zu wird hierzu einen wesentlichen Beitrag leisten. Zur unterschätzende Rolle. Verbesserung der Förderung der Aufnahme einer selbständigen Tätigkeit von Arbeitslosen wird die (Beifall des Abg. Dr. Rudolf Karl Krause Zahlung eines Überbrückungsgeldes für die Dauer [Bonese] [fraktionslos]) von sechs Monaten beitragen. Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 208. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. Februar 1994 17969

Ernst Hinsken Es gäbe hier noch viel dazu zu sagen, meine triebsverfassungsgesetz hat, denn Sie stellen, wenn Redezeit ist aber begrenzt. Deshalb muß ich mich auf Sie das durchbringen, die kleine Aktiengesellschaft das Wesentliche beschränken. bis 500 Beschäftigte mitbestimmungsfrei. Das heißt, die Arbeitnehmer werden mit ihrem Sachverstand Vizepräsident Helmuth Becker: Herr Hinsken, Ihre nicht mehr in die Aufsichtsräte entsandt werden Redezeit ist abgelaufen. können. Was das mit neuen Arbeitsplätzen zu tun hat, begreift keiner. Ich sehe hier im wesentlichen, Kollege Lambsdorff, einen Anschlag auf die Mitbestim- Ernst Hinsken (CDU/CSU): Das stimmt nicht ganz, mung. Herr Präsident. Ich sage Ihnen hier: Wenn Sie das nicht regeln, können Sie von mir nicht erwarten, daß ich dem Bitte nur noch einen Vizepräsident Helmuth Becker: großen Werk, das heute morgen debattiert worden ist, Satz. zustimme, um die Zweidrittelmehrheit für die Postre- form zu sichern. Die Mitbestimmung der Arbeitneh- Ernst Hinsken (CDU/CSU): Lassen Sie mich zum mer hat auch bei der Gründung der kleinen Aktien- Schluß feststellen: Es gilt auch in dieser Situation, gesellschaften zu gelten. erneut die Kombination von Demokratie und Markt- wirtschaft herauszustellen, die nämlich Wohlstand (Beifall bei der SPD) bedeutet. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsident Helmuth Becker: Meine Damen und Demokratie bedeutet Freiheit, Freiheit im wirtschaft- Herren, zu einer weiteren Zwischenbemerkung hat lichen Sinne bedeutet Marktwirtschaft, Marktwirt- unser Kollege Graf Lambsdorff das Wort. schaft garantiert Wohlstand. (Konrad Gilges [SPD]: Was ist denn mit der Sozialen Marktwirtschaft? Das Soziale hat er Dr. Otto Graf Lambsdorff (F.D.P.): Verehrter Herr vergessen!) Kollege Urbaniak, wir haben ja schon früher mit den Das ist die logische Kette, aus der man kein Glied Hochöfen und dem Stahl erlebt, daß Sie so gerne herausbrechen kann, ohne das ganze System zum Koppelgeschäfte machen und Dinge zusammenbrin- Einsturz zu bringen. gen, die wahrlich nichts miteinander zu tun haben. Wenn wir unseren Wohlstand halten wollen, dann Den Hinweis auf die Postreform im Zusammenhang müssen wir konsequent auf Wachstum setzen und mit der kleinen Aktiengesellschaft können Sie blei- nicht auf Verzicht von Wachstum. Die Ablehnung des benlassen. Niemand hat die Absicht, aus Telekom technischen Fortschritts, ja sogar seine Behinderung eine kleine Aktiengesellschaft zu machen. Das wird und Verzögerung durch ausbleibende Unterstützung, wohl auch nicht gut gelingen. Was das soll, weiß ich heißt nicht, wie mancher glaubt, Stillstand auf hohem wirklich nicht. Niveau, sondern sie heißt Rückschritt mit dramatisch Im übrigen ist es völlig logisch, die kleine Aktien- steigender Dynamik. Das sollten vor allen Dingen Sie gesellschaft bis zu 500 Mitarbeitern ebenso mitbe- von der Sozialdemokratie sich besonders ins Stamm- stimmungsfrei zu stellen, wie das heute bei der GmbH buch schreiben. der Fall ist. Es geht doch bei der kleinen Aktiengese ll (Detlev von Larcher [SPD]: Wer regiert an den jetzt in der Rechtsform der-schaft darum, daß m denn?) GmbH geführten Familienbetrieben die Vorberei- tung auf eine börsennotierte große Aktiengesellschaft Sie sollten unserem Aktionsprogramm folgen und es ermöglicht, damit sie später an die Börse gehen und unterstützen, damit uns der Aufbruch gelingt und wir Eigenkapital beschaffen können. Es wird niemand möglichst bald aus dieser Rezessionsphase, in der sich schlechter als vorher behandelt. Es geht hier nicht um unsere Republik befindet, herauskommen. Aber das irgendeine Verkürzung der Mitbestimmung; das ist müssen Sie mit besseren Argumenten tun, als das überhaupt nicht die Frage. heute der Fall war. Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. Ein Problem taucht auf, Herr Urbaniak: Es müssen nämlich Aktiengesellschaften, die schon heute beste- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) hen und weniger als 500 Arbeitnehmer haben, mitbe- stimmungsfrei werden, um eine gleichmäßige Be- Vizepräsident Helmuth Becker: Meine Damen und handlung mit der neuen Rechtsform der kleinen Herren, das Wort zu einer Zwischenbemerkung Aktiengesellschaft zu erzielen. Um dies zu erreichen, gemäß § 27 der Geschäftsordnung hat unser Kollege sieht der Gesetzentwurf eine lange Übergangsfrist Hans Urbaniak. vor. Wenn Sie die kleine Aktiengesellschaft ablehnen, Hans-Eberhard Urbaniak (SPD): Herr Präsident! dann werden Sie es den mittelständischen Unterneh- Meine Damen und Herren! Wirtschaftsminister Rex- men weiterhin schwermachen, sich des Kapitalmarkts rodt hat auf die kleine Aktiengesellschaft und Kollege zu bedienen. Den aber brauchen sie, um sich zu Lambsdorff hat auf die unternehmerischen Freiheiten, modernisieren und um Arbeitsplätze zu schaffen. Das die mit diesem Aktionsprogramm verbunden seien, ist der Punkt. Hier geht es überhaupt nicht um hingewiesen. Sie haben aber nicht erläutert, welche Beschränkung und Einschränkung von Mitbestim- Konsequenzen die kleine Aktiengesellschaft für die mung. Mitbestimmung der Arbeitnehmer nach dem Be- (Beifall bei der F.D.P.) 17970 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 208. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. Februar 1994

Vizepräsident Helmuth Becker: Zu einer weiteren des Mittelstands von Ihnen als einem im Beruf des Zwischenbemerkung hat das Wort unser Kollege Einzelhändlers Tätigen nichts zum Rabattgesetz Faltlhauser. gehört. Mir liegt eine Meldung vom 31. Januar 1994 vor, in der Sie erklären: Dr. Kurt Faltlhauser (CDU/CSU): Herr Präsident! Die von Rexrodt gewollte vollständige Abschaf- Meine Damen und Herren! Die Intervention von fung des Rabattgesetzes wird mit der CSU nicht Herrn Urbaniak gibt mir die Gelegenheit, eine Reihe zu machen sein. Sie fördert den weiteren Konzen- von Mißverständnissen, die ich auch aus unseren trationsprozeß im Einzelhandel und ist daher Reihen hierzu schon gehört habe, ähnlich wie Sie sie mittelstandsfeindlich. Dem Verbraucher bringt vorgetragen haben, klarzustellen. die Abschaffung des Rabattgesetzes ebenfalls Zunächst schließe ich mich dem an, was der Kollege nichts. Es ist zu befürchten, daß statt Preisklarheit Lambsdorff als das eigentliche Ziel der kleinen und -wahrheit künftig Zustände wie in orientali- Aktiengesellschaft beschrieben hat. schen Basaren an der Tagesordnung sein werden. Welche Fälle können denn eintreten? Die Masse der Auf jeden Fall muß verhindert werden, daß der Fälle, für die die kleine Aktiengesellschaft angelegt Preiskrieg zukünftig von großen Handelsketten bereits über die Ankündigung von Rabattgewäh- ist, betreffen die GmbH, die zahlenmäßig in den vergangenen zwei Jahrzehnten unglaublich zuge- rung entfesselt wird. Die CSU wird hierzu schon nommen hat, die Gesellschaft mit beschränkter Haf- sehr bald eigene Vorschläge vorlegen. tung, ohne Möglichkeit des Zugangs zum Kapital- Zu diesem Thema haben Sie heute nichts gesagt. Ist markt. Diese GmbHs sollen sich umwandeln in kleine aus einem Paulus ein Saulus geworden? Aktiengesellschaften. Da es bei einer GmbH, wie jedermann weiß — Sie Vizepräsident Helmuth Becker: Herr Kollege Pfuhl, sicherlich auch —, keine entsprechende Unterneh- wenn Sie eine Zwischenfrage zulassen, können wir mensmitbestimmung gibt, kann es hier auch keinen das vielleicht klären. Abbau von Mitbestimmung geben. Das heißt, für die Masse der Fälle bleibt die Situation der Mitbestim- Albert Pfuhl (SPD): Bitte. mung völlig gleich. Dann gibt es den zweiten Fall, die Neugründungen. Vizepräsident Helmuth Becker: Herr Kollege Hins- Hier gibt es auch keinen Abbau. ken. Dann gibt es drittens den Fall der Reduzierung, daß (CDU/CSU): Herr Kollege Pfuhl, der von den etwa 3 000 Aktiengesellschaften vielleicht Ernst Hinsken eine in die Form der kleinen Aktiengesellschaft Ernst Hinsken wird nicht vom Paulus zum Saulus, sondern er bleibt Ernst Hinsken. Er bleibt auch bei schlüpft. Sie müssen sich die Zahlen ein bißchen genauer ansehen. Es gibt knapp 3 000 Aktiengesell- seiner Aussage. schaften, davon ungefähr 1 000 mit weniger als (Beifall bei der CDU/CSU) 500 Mitarbeitern. Ich hoffe, daß die Zahl, die ich Wir werden in der Gesetzesberatung sehr wohl nachgefragt habe, richtig ist. Von diesen 1 000 sind danach trachten und darauf achten, daß sich diese die Masse Familienunternehmen, Holdinggesell- Rabattgesetzänderung nicht zum Nachteil des Mittel- schaften, Tendenzbetriebe oder Tochtergesellschaf- stands auswirkt. ten im Konzern, so daß Sie die Mitbestimmung bei Wenn Sie die Vorlage genau lesen, dann können Sie maximal 200 bis 300 Gesellschaften als gefährdet feststellen, daß die Aufhebung des Rabattgesetzes ansehen können. Hier müßte man wiederum Einzel- nicht unter allen Umständen sofort umzusetzen ist, prüfungen anstellen. sondern daß das Gesetzesvorhaben auf den Weg Das heißt, daß sich das Problem von der Quantität gebracht und darüber diskutiert werden muß. Das hat her, die Sie genannt haben, wirklich drastisch redu- mich veranlaßt, diesem Aktionsprogramm zuzustim- ziert. Dafür haben wir dann noch eine Übergangsre- men. Ich bin der Meinung: Hier wird nicht Politik über gelung von fünf Jahren geschaffen. Mehr kann man die Köpfe der Menschen hinweg gemacht, vielmehr wirklich nicht machen. Wer hier noch polemisiert, werden ihre Gefühle und Argumente berücksich- sieht den ganzen Sachverhalt nicht klar genug und tigt. will hier nur Stimmung machen, was wirklich nicht (Dr. Uwe Jens [SPDJ: Frage?) gerechtfertigt ist. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Vizepräsident Helmuth Becker: Herr Kollege Hins- ken, das war keine Frage. Sie müssen jetzt z. B. Vizepräsident Helmuth Becker: Meine Damen und fragen, ob er das beg riffen hat. Herren, das Wort erhält jetzt unser Kollege Albert (Heiterkeit) Pfuhl. Ernst Hinsken (CDU/CSU): Deshalb frage ich den Albert Pfuhl (SPD): Herr Präsident! Meine Damen Kollegen Pfuhl, ob er das zur Kenntnis nimmt und und Herren! Ich bin leider auf Grund der Kürze der mich bei diesbezüglichem Unterfangen zu unterstüt- Zeit, die dem Kollegen Hinsken zur Verfügung stand, zen bereit ist. nicht in der Lage gewesen, eine Frage an ihn zu stellen. Aber vielleicht hört er jetzt einmal zu, was ich Albert Pfuhl (SPD): Herr Kollege Hinsken, ich werde ihn fragen möchte. Verehrter Herr Kollege Hinsken, das nicht nur zur Kenntnis nehmen, sondern Sie an das ich habe in Ihrer fulminanten Rede zu den Problemen erinnern, was Sie heute erklärt haben, wenn wir im Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 208. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. Februar 1994 17971

Albert Pfuhl Ausschuß in die Debatte gehen. Das, was Sie hier ex Meine Damen und Herren, was die allgemeinen cathedra nicht gesagt haben, können Sie ja dann dort wirtschaftspolitischen Auswirkungen im Hinblick auf groß verkünden. Wachstum, Wettbewerb und Standort anbelangt, so bleibt es der ökonomischen Sachkompetenz dieses Meine Damen und Herren, m an muß sich im Bundeswirtschaftsministers vorbehalten, hier die kau- Grunde einmal auf der Zunge zergehen lassen, daß salen Zusammenhänge zu entdecken. Dem Bundes- die Bundesregierung und auch die Koalition unter wirtschaftsminister sollte bekannt sein, daß gerade im dem Motto „Aktionsprogramm für mehr Wachstum Einzelhandel ein ganz besonders intensiver Preis- und Beschäftigung" das Rabattgesetz und auch die wettbewerb herrscht. Dies hat nicht zuletzt dazu Zugabeverordnung abschaffen wollen. Allen Ernstes geführt, daß die Gewinne im Einzelhandel durch die behaupten sie, die Abschaffung des Rabattgesetzes Bank auf 2 % vom Umsatz gefallen sind. Alle Fach- würde die Wachstumskräfte in der Wirtschaft und den leute sind sich darüber einig, daß dieser intensive Wettbewerb stärken. Damit nicht genug: Der Wirt- Wettbewerb auch in den nächsten Jahren bestehen- schaftsstandort der Bundesrepublik werde dadurch bleiben wird, sich sogar noch verschärft. für die Zukunft sicherer gemacht. (Dr. Otto Graf Lambsdorff [F.D.P.]: Nicht im Diese Begründung im Gesetzentwurf wäre sicher- ganzen Einzelhandel! Im Lebensmittelein lich ein Lacherfolg auf allen Kabarettbühnen, uns zelhandel!) scheint es im Augenblick aber viel zu ernst zu sein, um darüber zu lachen. Mit der Streichung dieser im Um in diesem Wettbewerb bestehen zu können, großen und ganzen bewährten Vorschrift werden vor sind bereits heute die Möglichkeiten zur Steigerung allem den Verbrauchern und den kleinen und mittle- der Wirtschaftlichkeit im Handel konsequent genutzt ren Einzelhändlern, so wie es Herr Kollege Hinsken in worden; das kann niemand bestreiten. Insofern ist es seiner Presseerklärung gesagt hat, Nachteile entste- für mich völlig unsinnig, davon auszugehen, daß die hen. Aufhebung des Rabattgesetzes zu einer — ich zitiere — „Effizienzsteigerung im Einzelhandel" füh- Die Bundesregierung und die Regierungskoalition ren würde. Höhere Rabatte müßten bei gleichem behaupten, daß es einen europäischen Handlungsbe- Preisniveau zwangsläufig zu Lasten der Rendite darf zur Streichung dieses Gesetzes gebe. Dieses ist gehen, es sei denn, der Rabatt wird bereits im vorhin- nicht der Fall. Nach einer Entscheidung des Europäi- ein in die Preise hineingerechnet. Es ist also rätselhaft, schen Gerichtshofs vom 24. November 1993 verstoßen welchen wettbewerbspolitischen oder effizienzstei- nationale Bestimmungen, die Verkaufsmodalitäten gernden Beitrag eine Abschaffung des Rabattgesetzes regeln, nicht gegen den EWG-Vertrag. Insofern ist der leisten soll. europarechtliche Zwang zur Zeit ein reiner Vorwand. Was später von Europa kommt, ist eine ganz andere Völlig unklar ist mir auch, wie der Bundeswirt- Frage. schaftsminister zu der Auffassung gelangt, die Abschaffung dieses Gesetzes würde die Wachstums- (Dr. Otto Graf Lambsdorff [F.D.P.]: Es war kräfte in der Wirtschaft stärken. Tatsache ist, daß die doch vorher ein anderes Urteil da!) Probleme vor allem des Handels zu einem großen Teil — Aber dies ist das letzte Urteil. Sie wissen, Herr in der von der Bundesregierung zu verantwortenden Kollege Graf Lambsdorff, bei der Rechtsprechung ist sinkenden Kaufkraft weiter Teile der Bevölkerung immer das letzte Urteil entscheidend. liegen. Die von der Regierung beschworene Stärkung der Wachstumskräfte im Einzelhandel setzt voraus, (Dr. Otto Graf Lambsdorff [F.D.P.]: Wir halten daß die Kunden auch mehr einkaufen können. Dazu uns an das vernünftige Urteil!) brauchen sie normalerweise mehr Geld. Wie dies auf Grund der geschilderten Umstände laufen so ll, ist mir — Ja, aber was das Reichsgericht vor 100 Jahren ein Rätsel. beschlossen hat, muß heute nicht mehr vernünftig sein. Und im übrigen: Glauben Sie, daß Sie einen einzi- gen zusätzlichen Arbeitsplatz durch die Abschaffung (Dr. Otto Graf Lambsdorff [F.D.P.]: So l ange dieses Rabattgesetzes schaffen? Ich möchte wissen, ist es auch nicht her!) wo. Die Bundesregierung wäre gut beraten, wenn sie — Gut, aber wir wollen uns darüber hier nicht streiten. unsere Vorschläge zur Stärkung der Massenkaufkraft Vielleicht kommen Sie einmal in den Wirtschaftsaus- und zur Belebung der wirtschaftlichen Entwicklung schuß. Dann werden wir Gelegenheit haben, dies zu annehmen und umsetzen würde. tun. Man sieht Sie dort sowieso sehr selten. Meine Damen und Herren, mit der Streichung der erwähnten Gesetze drängt sich natürlich auch der (Dr. Otto Graf Lambsdorff [F.D.P.]: Das ist - wahr! Ich bin auch nur stellvertretendes Eindruck auf, daß die Regierung von ihrer eigenen Mitglied!) Tatenlosigkeit im Bereich von Politik, Wirtschaft und Struktur ablenken will. Veränderungen, sagte der — Stellvertretende Mitglieder haben volles Rede- Kollege Schäuble, will er. Aber Veränderungen sollte recht. Bei der Eloquenz, die Sie an den Tag legen, sind man nicht um der Veränderungen willen vornehmen, Sie dort ein vermißter Gast. sondern nur dann, wenn sie vernünftig sind. Blinder Aktionismus schadet. (Dr. Otto Graf Lambsdorff [F.D.P.]: Danke! — Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Wirtschaftlicher Vor allem verschweigen Sie — oder Sie täuschen Sachverstand ist gefragt! Den hat er! Das sich darüber hinweg —, daß die Abschaffung des kann man ihm nicht absprechen!) Rabattgesetzes und der Zugabeverordnung zu deutli- 17972 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 208. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. Februar 1994

Albert Pfuhl chen Nachteilen für Verbraucher und mittelständi- Vizepräsident Helmuth Becker: Bitte, Kollege Faltl- sche Unternehmen führen wird. hauser. (Dr. Otto Graf Lambsdorff [F.D.P.]: Aber die Verbraucherverbände sagen etwas ganz Dr. Kurt Faltlhauser (CDU/CSU): Herr Kollege, anderes!) können Sie sich nicht vorstellen, daß die Problematik der Mondpreise, wie Sie sie bezeichnen, durch die — Ein Teil der Verbraucherverbände, nicht alle. ersten Paragraphen des UWG, und zwar ohne Ände- (Dr. Otto Graf Lambsdorff [F.D.P.]: Aha!) rung dieses Gesetzes, ohnehin bereits regelbar ist? Im übrigen ist mir gestern in der „Süddeutschen Zeitung" ein Artikel, der sich auf die Frage der Albert Pfuhl (SPD): Wissen Sie, Herr Kollege, wenn Zugabeverordnung bezieht, aufgefallen: „Freiflüge Sie dieses Rabattgesetz abschaffen, ist dies ja auch ein für Leichenbestatter". Verschickt ein Leichenbestat- teilweises Unterlaufen des UWG. ter die sterblichen Überreste von mehr als 30 Men- (Dr. Otto Graf Lambsdorff [F.D.P.]: Warum schen mit der Fluggesellschaft United States Air, hat denn?) er das Anrecht auf einen Gratisflug innerhalb Nord- — Doch. Aus diesem Grunde müssen wir uns darüber amerikas. Vielleicht ist dies zu makaber, als daß man unterhalten, ob wir nicht auch hier Änderungen darüber lästern sollte. Ich finde nur, hier zeigt sich, wie herbeiführen müssen. weit die Abschaffung der Zugabeverordnung gehen kann, wenn wir dies recht besehen. (Dr. Kurt Faltlhauser [CDU/CSU]: Ich würde gern nachfragen!) (Dr. Otto Graf Lambsdorff [F.D.P.]: Und was ist mit den Freiflügen der Lufthansa?) Vizepräsident Helmuth Becker: Gestatten Sie noch — Herr Kollege, selbst darüber läßt sich reden. Sie eine Zusatzfrage des Kollegen Faltlhauser? wissen ja, daß wir so anständig sind, unsere Anteile, die wir erwerben, an den Bundestag zurückzugeben, Albert Pfuhl (SPD): Bitte schön. weil es nicht unser Geld ist. (Dr. Otto Graf Lambsdorff [F.D.P.]: Dort liegt Dr. Kurt Faltlhauser (CDU/CSU): Das ist keine das Problem!) rhetorische Frage, sondern eine Frage, die ich stelle, weil ich lernen möchte. Ich würde ganz gerne wissen, Preiswahrheit und Preisklarheit, wichtige Voraus- setzungen für eine vergleichende Kaufentscheidung wie Sie es begründen, daß durch den Wegfall des der Verbraucher, bleiben bei der Abschaffung dieses Rabattgesetzes das UWG unterlaufen wird. Das ist Gesetzes auf der Strecke. Es liegt auf der Hand, da eine ganz überraschende und für mich sensationelle Einzelhandelsunternehmen auf Grund ihrer erwähn- Behauptung, die sicherlich von Ihnen präzise darge- ten geringen Umsatzrenditen ihre Preise erhöhen legt werden kann. müssen, um die Voraussetzungen für einen Rabattrah- men zu schaffen. Diese Gefahr ist jedenfalls nicht von Albert Pfuhl (SPD): Weil Sie nicht bereit waren, als der Hand zu weisen. Das Ergebnis wären Phantasie- wir uns über die Änderung des UWG unterhalten preise, die allenfalls Verhandlungspreise wären, aber haben, unseren Forderungen zu folgen, nämlich viel jede Verbindlichkeit verloren hätten. Wozu brauchen striktere Maßnahmen einzuführen. Das UWG wird in wir dann noch die Preisangabenverordnung? Dann der Frage der Grenze, wo der unlautere Wettbewerb können wir die auch abschaffen. Das wäre dann anfängt und wo er aufhört, durch die Abschaffung des konsequent. Rabattgesetzes, die Sie durchführen wollen, noch fließender. (Dr. Kurt Faltlhauser [CDU/CSU]: Das wäre nicht konsequent!) Meine Damen und Herren, die Frage, die ich mir gestellt habe, lautet: Was geschieht im steuerrechtli- Im Ergebnis würde der Verbraucher mit mehr oder chen Bereich? Es gibt schon heute den betrieblichen minder dubiosen Rabatten zum Kauf animiert, nach- Personalrabatt, der heißt: Bis 2 400 DM im Jahr kann dem vorher die Preise drastisch erhöht wurden. Indi- ein Bediensteter von seiner Firma einen Rabatt viduelle Preisvergleiche wären für die Verbraucher bekommen. Wie wird sich dieses aber bei höheren erheblich erschwert. Rabatten, bei Jahresrabatten auswirken, die große Im übrigen klagt heute schon das Statistische Bun- Firmen, die Großanbieter sind, dann ihren Kunden desamt darüber, daß es in Zukunft keine realen Preise gewähren? Auch diese Frage ist bisher von Ihrer Seite zur Aufstellung einer Statistik mehr geben wird, weil nicht gelöst worden. die Mondpreise, die angegeben werden, ja dann Letztlich wird der Verbraucher schwer herausfin- durch die Rabattgewährung — je nachdem, wie hoch den können, ob er bei seinen Verhandlungen mit der Rabatt ist — unterlaufen werden können, sich die verschiedenen Einzelhändlern tatsächlich auch den Statistik aber nur auf diese Mondpreise beziehen niedrigsten Preis erzielt hat. Die Gefahr, daß er zum kann. Schluß draufzahlt, ist nicht gering. Benachteiligt wer- den auf alle Fälle diejenigen Verbraucher, die nicht zu den sogenannten Cleveren im Lande gehören, die Vizepräsident Helmuth Becker: Gestatten Sie noch also nicht über die notwendige Erfahrung und das eine Zwischenfrage des Kollegen Faltlhauser? erforderliche Verhandlungsgeschick verfügen. Zu befürchten ist also eine deutliche Ungleichbehand- lung der Verbraucher, die aus sozialer Sicht bedenk- Albert Pfuhl (SPD): Bitte schön. lich ist. Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 208. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. Februar 1994 17973

Albert Pfuhl Es mag im Urlaub im Maghreb oder in Südamerika Vizepräsident Helmuth Becker: Meine Damen und oder anderswo nett sein, mit dem Händler zu feil- Herren, jetzt hat unsere Frau Kollegin Dr. Gisela Babel schen; aber unserer Mentalität hier in Mitteleuropa das Wort. entspricht dieses nicht so ganz.

(Dr. Otto Graf Lambsdorff [F.D.P.]: Und beim Dr. Gisela Babel (F.D.P.): Herr Präsident! Meine Autokauf?) Damen und Herren! Die Gesetze, die wir heute — Aber Verehrtester, ich bekomme wie Sie sowieso einbringen, gehen zurück auf den Beschluß der Koali- 12 %, weil wir Bundestagsabgeordnete sind. Da brau- tion zu einem Beschäftigungsprogramm. che ich nicht mehr zu feilschen. Wir Liberalen haben hier schon oft über Deregulie- Die Abschaffung des Rabattgesetzes und der Zuga- rung, Entbürokratisierung und einen Erhalt des Lohn- beverordnung benachteiligt nicht nur Verbraucher, abstandsgebotes gesprochen. Vielleicht kommen un- sie gefährdet auch die Existenz vieler kleiner Unter- sere Vorschläge ein bißchen spät; aber immerhin sind nehmer. Finanzstarke Großunternehmen können auf sie jetzt aufgegriffen worden. Was vielleicht noch Grund ihrer Mischkalkulation und ihrer günstigen schwerer wiegt: Sie sind innerhalb von zwei Wochen Einkaufskonditionen höhere Rabattmöglichkeiten an- vom BMA — dem ich in dieser Frage ein ausdrückli- bieten und gegebenenfalls auch gewähren, und zwar ches Kompliment geben möchte; nicht alle Häuser höher als kleine und mittlere Einzelhändler. haben so rasch gearbeitet — mit den nötigen gesetz- lichen Vorlagen eingebracht worden. Für die großen Kaufhäuser ist es ein leichtes, in ihrem totalen Warenangebot einen Jahresrabatt zu (Beifall bei der CDU/CSU — Ernst Hinsken gewähren, den ein Facheinzelhändler, der nur Schuhe [CDU/CSU]: Der Blüm ist gut!) oder nur Textilien, nur Möbel oder nur Lebensmittel Wir haben in den ersten zwei, drei Stunden eine verkauft, gar nicht bieten kann. Dadurch entsteht der Generaldebatte gehabt und wenden uns jetzt einigen Nachteil für den kleinen Mann, der hier sein Geschäft Detailproblemen zu. Lassen Sie mich drei Punkte betreibt. herausgreifen. Das ist auch der Grund, warum alle — Einzelhan- Die F.D.P. hat seit Jahren gefordert, daß die Ent- delsverband, Groß- und Außenhandelsverband sowie gelte in arbeitsmarktpolitisch geförderten Arbeits- alle Zeitschriften, die sich damit beschäftigen — verhältnissen gegenüber den Tariflöhnen abgesenkt dieses Rabattgesetz ablehnen. Wenn dann einige werden müssen. Wir haben jahrelang gehört, daß das Verbraucher — Verbandsvertreter, wie Graf Lambs- nicht geht: Eingriff in die Tarifautonomie , das wäre dorff sagte — meinen, es sei günstig, dann bezieht sich verfassungswidrig. Jetzt, mit einmal ist das Ei des das vielleicht auf die, die dort handeln können; auf die Columbus gefunden. Wir senken die Förderung von Masse der Verbraucher, vor allem auf die älteren Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen. Wir haben eine Menschen, kommt es dabei nicht an. neue Bemessungsgrundlage. Bezuschußt werden in Zukunft nur noch 80 % des Entgeltes, was üblicher- Ich darf daran erinnern, daß 1970 0,1 % der Unter- weise die tariflich geregelte Arbeit wert ist. nehmen im Lebensmitteleinzelhandel rund 29 % des Erst jetzt ist also das Gefüge stimmig: Wir zahlen Umsatzes in diesem Bereich tätigten. 1988 vereinigten 100 % Lohn für Arbeit im ersten Arbeitsmarkt, wir diese 0,1 % der Unternehmen bereits knapp 60 % des zahlen 80 % Entgelt für staatlich geförderte Arbeit, Umsatzes auf sich. Die Bundesregierung sieht dieser und wir zahlen 60 bis 65 % für den Bezug von Konzentrationsentwicklung tatenlos zu. Das wissen Arbeitslosengeld. wir auf Grund der letzten Elefantenhochzeit, die demnächst stattfindet. Soweit also ein so klarer Auftrag an das Bundesmi- nisterium für Arbeit und Sozialordnung erteilt ist, Statt wirksame kartellrechtliche Maßnahmen ge- sprüht es vor Energie und Tatendrang. Bei den Mitar- gen die Konzentration in der Wirtschaft vorzusehen, beitern, mit denen wir in dieser Frage sehr kooperativ wird hier etwas getan, was sich gegen den Verbrau- zusammengearbeitet haben, möchte ich mich für die cher, gegen den kleinen Mittelstand, gegen die außerordentliche Belastung fast entschuldigen und Lebensmittel-, gegen die einzelnen Facheinzelhänd- mich für den Einsatz bedanken. Ich denke, es ist ein ler richtet und im Grunde eine Mogelpackung ist, die Beweis, daß wir hier sehr gut zusammen gehandelt man den Leuten nicht verkaufen sollte. haben. (Beifall bei der SPD) Steinig war der Weg zur Zulassung privater Ich möchte Sie bitten, sich in der Diskussion in den Arbeitsvermittlung. Hier wurden uns Liberalen von Ausschüssen wirklich mit diesen Fragen zu beschäfti- allen Seiten immer wieder die Bedenken entgegen gen und dafür Sorge zu tragen, daß nicht größerer gehalten, es gehe nicht. Merkwürdigerweise haben Schaden entsteht, sondern daß wir dem, was der wir hier einen Kampfgenossen im EuGH gefunden, Kollege Hinsken in seiner Presseerklärung gesagt hat, der gesagt hat, daß die Aufrechterhaltung des Ver- folgen und hier genau prüfen, inwieweit es zum mittlungsmonopols für Führungskräfte mit dem EG- Wohle des Ganzen in diesem Staate ist. Recht nicht vereinbar ist. Dies ist ein Lob in Richtung Europa. Nicht immer sind es die Superbürokraten, Herzlichen D ank. manchmal bewähren sie sich auch als Deregulierer. (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Ernst Dann hatten wir durchgesetzt, daß wir einen Hinsken [CDU/CSU] — Ernst Hinsken Modellversuch, befristet auf zwei Jahre, in drei [CDU/CSU]: Für den letzten Satz klatsche Modellregionen machen. Dieser Vorschlag ist jetzt ich!) schon wieder überholt, weil wir diesen Modellversuch 17974 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 208. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. Februar 1994

Dr. Gisela Babel zugunsten einer gesetzlichen Regelung lassen, die Meine Damen und Herren, an diesen drei Beispie- eine allgemeine Arbeitsvermittlung vorsieht. len sehe ich, daß wir im Arbeitsförderungsgesetz die Voraussetzungen zu mehr Flexibilität und mehr Ich darf wiederholen, was ich damals in meiner Handlungsspielraum, im Grunde zu einem sparsame- ersten Rede gesagt habe. Es geht nicht darum, daß wir ren und sinnvolleren Einsatz der Finanzmittel glauben, mit privater Arbeitsvermittlung würden wir geschaffen haben. Ich gehe davon aus, daß wir an den automatisch mehr Arbeitsplätze schaffen. Das wäre Erfolgen, die diese Schritte nach sich ziehen werden, Unsinn. Es geht aber auch nicht darum, daß sich die sehen können, wie wichtig das ist. Wir hätten es Leute fürchten müssen, wenn sie jetzt auf einmal vielleicht schon ein bißchen früher machen können. privat arbeitsvermittelt würden. Im Gegenteil: Nur etwa ein Drittel der Arbeitslosen finden ihren neuen Ich bedanke mich. Arbeitsplatz über das Arbeitsamt, zwei Drittel suchen (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) sich ihn mehr oder weniger mühsam selbst. Im Grunde ist es doch sinnvoll, daß wir für diese zwei Drittel ein zusätzliches Dienstleistungsangebot haben, womit Vizepräsident Helmuth Becker: Ich erteile jetzt dem die Vermittlungsdauer vielleicht sogar verkürzt wer- Herrn Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung, den kann. Das heißt, der Arbeitssuchende findet unserem Kollegen Dr. Norbert Blüm, das Wort. schneller einen Arbeitsplatz. Ich kann mir überhaupt nicht vorstellen, was m an gegen eine solche Verbes- serung des Dienstleistungsangebotes einwenden Dr. Norbert Blüm, Bundesminister für Arbeit und mag. Sozialordnung: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Lücke auf dem Arbeitsmarkt zwischen Bezahlt wird es — das darf ich noch einmal dem Angebot und Nachfrage weist fast 4 Millionen Kollegen vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sagen, der Arbeitslose auf. Ich denke, es ist niemand im Saal, der den Entwurf vielleicht nicht ganz durchgelesen hat — sich damit begnügt, parteipolitisch Schwarzer Peter zu spielen. Das wäre für die Arbeitslosen ein trauriges Spiel. (Hans-Joachim Fuchtel [CDU/CSU]: Der ist Insofern sollten wir unsere Anstrengungen mehr schon längst nicht mehr da!) darauf richten, wie wir es gemeinsam schaffen, vom Arbeitgeber und nicht vom Arbeitnehmer. Inso- Arbeitslosigkeit zu beseitigen. Ich denke allerdings, fern ist dieser Weg für ein bestimmtes Fachpublikum es sind zwei Verwechslungen im Spiel. Die eine zielt meiner Ansicht nach eine Hilfe. darauf ab, als könnte das der Staat, als wäre der Staat der Arbeitsplatzbeschaffer. Das ist er nicht. Es sind die Letzter Punkt: die Ausdehnung der Sonder-ABM in Unternehmen. Die zweite Verwechslung meint, im Form des § 249h, den wir für den Osten geschaffen staatlichen Bereich sei hauptsächlich die Arbeits- haben, auf den Westen. Wir müssen uns jetzt an einen marktpolitik gefordert. Das ist sie nicht. Es ist die neuen Paragraphen gewöhnen, § 242 s. Insbesondere Wirtschafts- und Finanzpolitik. den Ländern und Kommunen geben wir mit diesem Was die Arbeitsmarktpolitik leisten kann, ist immer Weg ein Instrument in die Hand, um Arbeitslosigkeit nur Brücken bauen. Aber die schönste Brücke nutzt zu lindern und Beschäftigung zu sichern. Die Finan- nichts, wenn sie kein Ufer erreicht. Insofern darf man zierung wird im wesentlichen von der Bundesanstalt die Arbeitsmarktpolitik nicht überfordern. Sie hat in für Arbeit übernommen. Den Ländern und Kommu- den zurückliegenden Jahren mehr geleistet, als sie nen obliegt eigentlich die Kofinanzierung, die verhält- eigentlich schultern kann. nismäßig gering ist. Es gäbe in den neuen Bundesländern ohne Arbeits- Aber auch hier, haben wir mit der Neuregelung marktpolitik 2 Millionen mehr Arbeitslose. Deshalb an dafür gesorgt, daß wir nicht über eine 80%ige Förde- alle ordnungspolitischen Feinschmecker die Frage: rung des Entgeltes kommen, und zwar dergestalt, daß Was nützt die schönste Ordnungspolitik, wenn Men- wir sagen: Wenn der Träger so viel Geld hat, daß er schen keine Arbeit haben? M an braucht zunächst darauf aufstockt, daß er mehr zahlen möchte, wird sich immer Rettungsaktionen. Arbeitsmarktpolitik bedeu- der Zuschuß entsprechend verringern. Das heißt, der tet Rettungsaktion. Freilich darf man sich nicht auf Träger kann natürlich seinen Zuschuß bis zu 100 % Rettung spezialisieren. Es geht darum, Rettung über- aufstocken, und die Bundesanstalt muß dann weniger flüssig zu machen, neue Arbeitsplätze zu schaffen. zahlen. Damit haben wir die Rahmenbedingungen Das Wichtigste dabei sind Innovationen. Die west- geschaffen, daß die staatliche Förderung den abge- deutsche Wirtschaft hat einen Teil der Innovationen senkten Beitrag nicht übersteigt. verpennt. Ich bitte die Länder dringend, uns jetzt nicht zu (Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Leider wahr!) erzählen, sie hätten kein Geld. Wenn die Länder Sie hat sich auf ihren Erfolgen ausgeruht. Das ist im dieses Angebot nicht nutzen, bedeutet das im Klar- übrigen, Herr Kollege Hinsken, im p rivaten Leben so text, daß sie ihrer Verantwortung ausweichen und wie im öffentlichen: Erfolge können leicht in einen nicht alles unternehmen, um Beschäftigung für Dämmerzustand hinüberführen. Man ruht sich auf Arbeitslose anzubieten. Vor allem werden sich die den Erfolgen aus. Wir haben Produktinnovationen sozialdemokratisch geführten Länder an ihre eigenen verschlafen. In vielen Bereichen haben wir unsere Sprüche erinnern müssen. Die Statistik wird die Spitzenstellung verloren. Das hat mit Lohnnebenko- Beschäftigungszahlen gemäß dem neugeschaffenen sten nichts zu tun. Freilich sind die zu hoch. Aber § 242s AFG demnächst ausweisen. reduzieren wir nicht die ganze Arbeitsmarktproble- Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 208. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. Februar 1994 17975

Bundesminister Dr. Norbert Blüm matik auf die Kostenfrage. Das ist eine wichtige, aber Nur eine Viertelmillion Arbeitslose suchen Teilzeit- keineswegs die einzige Frage. arbeit. Es gibt Untersuchungen, wonach zweieinhalb Millionen Vollerwerbstätige auf Teilzeit umsteigen (Dr. Uwe Jens [SPD]: Das tut der Rexrodt wollen. Wie borniert ist eigentlich eine Gesellschaft, aber!) die die einen, dank veralteter Arbeitsorganisation, zur Zur Produktinnovation muß der Staat allerdings die Vollerwerbstätigkeit zwingt, obwohl sie eigentlich Flankierung liefern. Daß der Transrapid seit Jahren Teilzeitarbeit machen wollen, und die anderen in der im Emsland als Modelleisenbahn fährt, hat etwas mit Arbeitslosigkeit läßt? Wir können Arbeitszeitwünsche der politischen Ängstlichkeit zu tun, diese neue, nicht miteinander kombinieren. zukunftweisende Technologie auch gegen Wider- Wir sind fähig, Raketen zum Mond zu schießen, stände durchzusetzen. Glaubt jemand, wir könnten Menschen zum Mond zu transportieren, aber wir sind eine solche Spitzentechnologie auf der Welt verkau- unfähig, eine intelligente Arbeitszeitform, die die fen, wenn wir sie selber nicht anwenden? Wünsche der Arbeitnehmer mit den wirtschaftlichen (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Notwendigkeiten kombiniert, zu finden. Das ist keine ordneten der F.D.P.) Paragraphensache, das ist eine Sache des Mutes, der Kreativität der Beteiligten. Das wäre so ähnlich, als wollte ein Autoverkäufer seinem Kunden ein Auto per Fahrrad anbieten. So (Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Und der Ko wird er es nicht absetzen. Insofern muß die Politik sten!) Innovationen mutig begleiten. - Und der Kosten, wobei Teilzeitarbeit unter Produk- Zu den Innovationen rechne ich auch Verfahrens- tivitätsgesichtspunkten sogar attraktiv ist. Dabei ver- innovationen. Der Vorsprung der japanischen vor stehe ich unter Teilzeittätigkeit keineswegs nur die unserer Volkswirtschaft wird auf 40 % geschätzt. Tagesteilung, sondern ganz intelligente Arbeitszeit- Davon sind nur ein Drittel Lohnkosten. Ich will das formen. Lohnkostenproblem damit nicht verharmlosen. Ich Warum sollen Sechzigjährige dieselbe Arbeitszeit wehre mich nur dagegen, die ganze Vorsprungsfrage haben wie Zwanzigjährige? Warum sollen Bauarbei- darauf zu reduzieren, als sei sie ausschließlich eine ter im Winter, wenn es kalt ist und sie sich die Knochen Kostenfrage. blau frieren, dieselbe Wochenarbeitszeit wie im Som- mer haben? Wie borniert ist die Gesellschaft, wenn sie (Abg. Konrad Gilges [SPD] meldet sich zu sich auf das Haupt dieses veralteten Denkens immer einer Zwischenfrage) noch die Pickelhaube des 19. Jahrhunderts setzt? — Lassen Sie mich den Gedanken noch zu Ende Bitte schön. führen. Er ist so interessant. Für die Entwicklung eines Autos braucht die japa- nische Automobilindustrie 1,2 Millionen Entwick- Vizepräsident Helmuth Becker: Herr Kollege Gil- lungsstunden weniger als die deutsche. ges, bitte. (Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Das sind drei Jahre!) Konrad Gilges (SPD): Herr Kollege Blüm, wir sind ja Bevor wir die Pfeife gestopft haben, hat man sie in in dem, was Sie jetzt ausgeführt haben, überwiegend Japan schon geraucht. einer Meinung. Wenn VW 32 Arbeitsstunden braucht, während der (Hans-Joachim Fuchtel [CDU/CSU]: Das hat japanische Produzent nur 16 benötigt, hat das auch aber lange gedauert!) nichts mit Lohnkosten zu tun, sondern wir sind in alten — Überwiegend einer Meinung. — Natürlich haben Erfolgsgewohnheiten eingeschlafen. die Unternehmer in den letzten zehn Jahren geschla- Wir können uns wechselseitig austauschen, Wirt- fen und sich selbst in die Innovationskrise manövriert. schaft und Politik. Wir müssen besser werden, aber die Ich will nicht wiederholen, was Herr Blüm gesagt Wirtschaft muß auch besser werden. hat. (Dr. Uwe Jens [SPD]: Sehr richtig!) Deswegen ist meine Frage an Sie: Wie reimen Sie sich zusammen, daß der Kollege Pinger, Ich finde, auch die Arbeitszeitorganisation geht fast nach militärischem Muster vor sich, alles „im Gleich- (Hans-Joachim Fuchtel [CDU/CSU]: Guter schritt marsch". Wir sind ein Entwicklungsland in Mann!) Sachen Teilzeitarbeit. Hätten wir nur die Teilzeitbe- Abgeordneter der CDU im Kölner Rechtsrheinischen, schäftigungsquote von Holland — das ist bekanntlich - aus umweltpolitischen und sonstigen Gründen dage- nicht sehr weit entfernt —, dann hätten wir dadurch gen ist, daß der ICE-Anschluß an den Kölner Flugha- 2 Millionen mehr Menschen in Beschäftigung. Das fen zustande kommt? Durch den ICE-Anschluß und scheitert nicht an Paragraphen, sondern am Mumm den Ausbau des Kölner Flughafens würden allein in derjenigen, die sonntags über Flexibilisierung reden der Region Köln 5 000 zusätzliche, überwiegend ein- und werktags eingeschlafen sind. Das ist das eigent- fache Arbeitsplätze entstehen. Wie erklären Sie, daß liche Problem. in Ihrer Fraktion alles das, was Sie hier sagen und worin wir übereinstimmen, nicht aufgenommen wird? (Beifall bei der CDU/CSU) Warum sagen die Kollegen vor Ort aus opportunisti- Man redet leicht über Sachen, die man nicht durch- schen Erwägungen das Gegenteil von dem, was Sie führt. hier wollen? 17976 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 208. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. Februar 1994

Dr. Norbert Blüm, Bundesminister für Arbeit und Das führt zu Arbeitsplatzgewinnen. Im letzten Jahr Sozialordnung: Lieber Herr Kollege Gilges, mir langt — das sind jetzt nicht Zahlen des BMA — bekamen meine Redezeit nicht, jene Abgeordneten aus Ihrer durch diese zusätzliche Beschäftigung 30 000 Arbeit- Fraktion aufzuzählen, die die Gentechnologie, die nehmer einen Arbeitsplatz. Sie können sagen, das sei Biotechnologie nicht wollen und den Transrapid ver- wenig. Das ist aber 30 000mal statt Arbeitslosigkeit hindert haben. Bringt es uns eigentlich weiter, wenn Arbeit. Schon allein deshalb hat sich das Gesetz wir eine Schuldliste zusammenstellen? Sie sollten bewährt. einmal — damit wir eine Stufe höher sind — bei der Was die §§ 249h und 242s AFG anbelangt: Ich freue nordrhein-westfälischen Landesregierung in bezug mich über das Lob meiner verehrten Kollegin Babel auf den Transrapid die Ängstlichkeit davor beseiti- für dieses wegweisende Arbeitsmarktinstrument. In gen, wirklich Planungsverfahren durchzuführen. der Tat finde ich es sehr kreativ. Wenn wir schon Geld (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) ausgeben, dann geben wir es besser für Arbeit aus als für Arbeitslosigkeit. Wenn ein Arbeitsloser in einem Wenn Sie das gemacht haben — das ist eine schöne Bereich eingestellt wird, wo er dem normalen Arbeits- Arbeitsteilung —, dann reden Sie mit Rau und ich mit markt keine Konkurrenz macht, dann zahlen wir dem Pinger. Dann hat jeder etwas zu tun. Träger das Arbeitslosengeld. AZO: Das neue Arbeitszeitgesetz wird manches, Nun sollen all diejenigen, die pausenlos ihre Adres- was aus dem Jahre 1938 stammt, einer modernen sen nach Bonn richten und sagen, was Bonn alles Industriegesellschaft anpassen. 1938 hat der Staat besser machen könne, das Geld in ihren Ländern — Hitler war am Ruder — die Arbeitszeiten geregelt. nehmen und solche Maßnahmen organisieren. Das Es gab keine freien Gewerkschaften. Darüber sind wir gilt auch für die großen Unternehmen, die heute teure doch Gott sei Dank hinweg. Wir müssen uns doch schämen, daß diese alte nazistische Arbeitszeitord- — jedem zu gönnende — Sozialpläne verabschieden. Noch besser als Sozialpläne wäre, wenigstens einen nung ihr Gründungsjahr über 50 Jahre überdauert hat. Darin ist der Arbeitsminister „Reichstreuhänder Teil des Geldes zu nehmen und Arbeit zu schaffen, der Arbeit", die Arbeitnehmer sind „Gefolgschaft". meinetwegen mit Hilfe des § 249h. Schon die Begriffe zeigen, wie veraltet diese Arbeits- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und zeitordnung ist. Wir beseitigen sie. 23 Gesetze und der F.D.P.) Verordnungen werden überflüssig. Andere reden Was die Schwarzarbeit anbelangt, so müssen wir ihr über die Beseitigung von Bürokratie. Wir tun es. schon wegen des Schutzes der Solidaritätskassen (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) gemeinsam entgegentreten. Ich bin der Meinung, daß Im übrigen bin ich mir ganz sicher, daß auch die der Kampf nicht nur den Schwarzarbeitern gelten Arbeitsplätze nicht bei den großen Firmen, bei den sollte, sondern auch den Schwarzunternehmern; denn Giganten liegen. Die Konzerne brauchen sich, was zum Schwarzarbeiten gehören immer zwei. Deshalb Bürokratie und was Hierarchien anbelangt, nicht werden wir nicht nur das Subunternehmen kontrollie- hinter dem Staat zu verstecken. Den Schnellen gehört ren, sondern auch den Hauptauftraggeber. Der Heh- die Zukunft. ler ist so schlimm wie der Stehler! (Zustimmung des Abg. Konrad Gilges (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) [SPD]) Wer erwischt wird, der scheidet aus der öffentlichen Die Schnellen fressen die Langsamen; die Kleinen Vergabe aus. Ich glaube nämlich, daß die ganze besiegen die Großen. Bußgelder-Olympiade überhaupt nichts bewirkt, da das dann unter Unkosten abgebucht wird. (Zuruf von der CDU/CSU: Das hoffen sie!) Noch ein Wort zu den Saisonarbeitnehmern in der Das gilt auch für die Politik. Landwirtschaft: Was macht stört, ist — wie soll ich es Was die Mitbestimmung anbelangt, so sind wir ein nennen? — eine gewisse Schizophrenie oder Lebens- Spitzenland, und ich hoffe, daß wir es auch bleiben. lüge. Morgens höre ich auf Versammlungen: „Kein Ich glaube, wir haben eines vernachlässigt: die Mit- Zuzug von Ausländern! Anwerbestopp, bravo!" — bestimmung vor Ort, am Arbeitsplatz. Dieses Potential Nachmittags höre ich: „Aber Arbeiten in der Land- haben wir zuwenig ausgenutzt, wirtschaft sind für einen deutschen Arbeitslosen unzumutbar! " (Zustimmung bei der CDU/CSU) Wie löst das Leben diese Lebenslüge? Es löst sie obwohl hier ein Potential von Kreativität, aus Erfah- durch illegale Beschäftigung. Ich bin gegen diese rung gewonnen, schlummert. Lebenslüge. Ich finde, für einen jungen, gesunden Ich will noch zu den arbeitsmarktpolitischen Maß- Arbeitslosen — und über 60 % sind unter 42 Jahre — nahmen sprechen, und zwar zu den befristeten ist es wirklich nicht unzumutbar, auch in der L and- Arbeitsverträgen. Das ist vor fünf Jahren schon ein- wirtschaft zu helfen. Welche Ausländerverachtung mal umkämpft gewesen. Mein Motto gilt auch heute steckt doch im Grunde darin, zu sagen: Der Pole, der noch: Befristet arbeiten ist immer noch besser als darf in den Weinbau, aber für einen Deutschen sind unbefristet arbeitslos. Es hat sich ja gezeigt, daß diese die Arbeitsplätze im Weinbau unzumutbar. — Merken befristeten Arbeitsverhältnisse zu 50 % in Dauerar- Sie nicht, daß da eine geheime Ausländerverachtung beitsverhältnisse überführt wurden. im Spiel ist? Merken Sie nicht, daß Sie hier eine Zweiklassengesellschaft schaffen? (Hans-Joachim Fuchtel [CDU/CSU]: Hört! Hört!) (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Deutscher Bundestag — 12. 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Bundesminister Dr. Norbert Blüm Merken Sie eigentlich nicht, welche Verachtung darin Vizepräsident Helmuth Becker: Herr Kollege Gil- liegt? Und in der Tat finde ich, daß auch hier arbeiten ges, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin besser als nicht arbeiten ist. Freilich gilt das nur für Dr. Babel? die, denen man das zumuten kann. Einem Kranken können Sie das nicht zumuten. Aber ich meine, wir Konrad Gilges (SPD): Ja. sollten schon auch den Arbeitswillen derjenigen testen, die arbeitslos sind. Vizepräsident Helmuth Becker: Bitte, Frau Kolle- Damit es keinen Zweifel gibt: Ich werde nie behaup- gin. ten, 4 Millionen Arbeitslose müßten unter den Gene- ralverdacht gestellt werden, sie wollten nicht arbei- Dr. Gisela Babel (F.D.P.): Herr Gilges, Sie haben ten. Aber daß es solche auch gibt, das wird niemand recht, daß es eine Folge von liberalen Wirtschaftsmi- bezweifeln. Denen müssen wir schon Beine machen, nistern in verschiedenen politischen Konstellationen und zwar der Arbeitslosen wegen. Sonst werden gegeben hat, aber geben Sie zu: Man hat leider nicht diejenigen, die unter Arbeitslosigkeit leiden, mit immer diesen Ratschlägen der Wirtschaftsminister der denjenigen verwechselt, die die Solidarkassen aus- Liberalen das Ohr geschenkt, nutzen. Das kann nicht im Sinne der Solidarität (Zurufe von der SPD) sein. und die Rezepte, die wir jetzt durchsetzen, sind in Ich kehre zum Ausgangspunkt zurück: Die Debatte jeder Regierung mühsam gewesen. Man hätte sie gewinnt noch mehr Drive, wenn sie ein Wettbewerb vielleicht immer früher hören müssen. ist, wie wir den Arbeitslosen helfen können, und nicht (Dr. Nils Diederich [Berlin] [SPD]: Mangeln eine Olympiade wechselseitiger Vorwürfe. der Durchsetzungswillen! Das ist Ihr Pro (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) blem, nicht unseres!) Zweiter Punkt: Wir haben in keiner Rede bis jetzt Vizepräsident Helmuth Becker: Meine Damen und gesagt, daß Sie für 4 Millionen Arbeitslose verantwort- Herren, ich erteile jetzt das Wort unserem Kollegen lich sind, sondern wir haben Sie nur gefragt, welche Konrad Gilges. Rezepte Sie haben. Da haben wir festgestellt: Die (Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Jetzt habe ich Rezepte der Sozialdemokraten taugen nichts. Das mich so auf den Kollegen Fuchtel gefreut!) mußte hier doch einmal deutlich gesagt werden. (Beifall bei Abgeordneten der F.D.P. und der CDU/CSU) Konrad Gilges (SPD): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Das hat nichts damit zu tun. Sie werden diese Sache Kollegen! Ich wundere mich etwas über die Reden nicht kurieren können. Das ist der Punkt. — insbesondere des Herrn Lambsdorff und des Herrn (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) Rexrodt und auch des Herrn Schäuble —, die den Eindruck erwecken, als wären für die wirtschaftliche Konrad Gilges (SPD): Was wir kurieren können, Krise, in der wir heute mit 4 Millionen Arbeitslosen Frau Babel, das werden wir sehen. Die Differenz, die und allem Drum und Dran stecken, wir Sozialdemo- Sie jetzt dargestellt haben, daß Sie untereinander über kraten, d. h. die Opposition, verantwortlich. die Wirtschaftspolitik seit 12 Jahren Krach haben, das (Zurufe von der CDU/CSU: Natürlich! — Das ist eine interessante Feststellung. Aber das ändert liegt ja auf der Hand! — Ernst Hinsken nichts an der Verantwortung. Auch wenn Sie Krach [CDU/CSU]: Sicher!) untereinander haben und sich nicht einigen können über irgendwelche Maßnahmen, bleiben Sie trotzdem Wir können festhalten, daß wir seit 22 Jahren einen als Gesamtregierung mit dem Wirtschaftsminister liberalen Wirtschaftsminister haben Rexrodt verantwortlich. (Zuruf von der SPD: Ja!) (Beifall bei der SPD — Zuruf von der CDU/ und daß seit 12 Jahren diese Regierungskoalition die CSU: Das stimmt doch gar nicht!) Macht in diesem Lande ausübt. Deshalb müssen Sie Ich will etwas zu dem sogenannten „Mitbestim- sich der Verantwortung für diese Krise, für 4 Millio- mungsabbaugesetz" sagen, das Sie Gesetz für kleine nen Arbeitslose, dem Volk gegenüber auch stellen. Aktiengesellschaften nennen. Es bleibt dabei, Herr (Beifall bei der SPD) Blüm: Seit Adenauers Zeiten ist dies das erste Gesetz Sie dürfen hier nicht den Eindruck erwecken, als einer Bundesregierung, welches einen tiefen Ein- wenn wir für die Misere, die heute in unserem Land schnitt in unsere Mitbestimmung vornimmt. Es wer- mit einer Innovationskrise und mit allem Drum und- den 1 000 Betriebe, Aktiengesellschaften, in Zukunft Dran herrscht, was Herr Blüm richtigerweise alles unter Umständen keine Mitbestimmung mehr haben. dargestellt hat, verantwortlich wären. Stellen Sie sich Deshalb sind alle Ihre hehren Beteuerungen in den der Verantwortung! Dafür kriegen Sie Ihr Geld als letzten Jahren, Sie würden mit allen Mitteln die Abgeordnete, und die Regierung kriegt auch ihr Geld Mitbestimmung verteidigen, insbesondere die Beteu- dafür. Diese Art und Weise, hier so mit der Opposition erungen der Kollegen der CDU/CSU, schlicht und umzugehen, Frau Babel, finde ich schlicht und einfach einfach eine Lüge gewesen. schoflig — schoflig gegenüber dem Wähler und auch (Erich G. Fritz [CDU/CSU]: Na!) gegenüber der Opposition. Sie sind beim ersten Ansturm eingeknickt. Es wird (Beifall bei der SPD — Zurufe von der CDU/ einen Abbau von Mitbestimmung in diesem Land CSU) geben. 17978 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 208. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. Februar 1994

Konrad Gilges Ich will zum zweiten etwas zu der Frage des Rexrodt das hier in Frage gestellt hat. Das, was der Gesetzes zur gewinnbringenden Privatisierung der Fraktionsvorsitzende gesagt hat, hat er sehr zurück- Arbeitsvermittlung sagen. Sie nennen das Beschäfti- haltend kommentiert. Er hat im Grunde genommen gungsförderungsprogramm. Aber es geht ja darum, gesagt: Ich glaube, daß der Fraktionsvorsitzende da wie man bei der Arbeitsvermittlung Gewinne machen auf einem falschen Weg ist. kann. Der Kern des Gesetzes ist ja die Aufhebung des (Dr. Gisela Babel [F.D.P.]: Das hat er über Alleinvermittlungsanspruches der Bundesanstalt. Es haupt nicht gesagt! — Dr. Uwe Jens [SPD]: gibt eine Masse von Kritik. Ich will sie nur nennen. Der Das ist die F.D.P. insgesamt!) Präsident der Bundesanstalt für Arbeit Jagoda hat diesem Gesetz eine deutliche Absage erteilt: Es ändert — Das hat er nicht wortwörtlich gesagt, aber er hat das überhaupt nichts; die Privatisierung der Arbeitsver- so zum Ausdruck gebracht. Er hat es so zum Ausdruck mittlung schafft keinen Arbeitsplatz mehr. gebracht, Frau Babel! (Dr. Gisela Babel [F.D.P.]: Was Sie da verste Der DGB hat schlicht und einfach gesagt: Hier wird hen! — Detlev von Larcher [SPD]: Die Frau die Ware Arbeitskraft durch Private verhökert. Das Babel hat da nicht zugehört!) Handwerk sagt schlicht und einfach: Das werden in Zukunft Kopfjäger sein. Herr Schäuble hat nach unserer Alte rnative gefragt. Ich kann auf Grund der Zeit unsere Alternative nicht Ich will es damit bewenden lassen. Das heißt: Es gibt darstellen. auch aus sehr seriösen Kreisen — auch aus Kreisen, (Lachen bei der CDU/CSU) die Ihnen politisch nahestehen — heftige Kritik an der Privatisierung der Arbeitsvermittlung. Es wird auch Ich will sie aber nennen. kein Arbeitsplatz mehr geschaffen. (Zurufe von der CDU/CSU: Sie haben keine! — Außer Sprüchen nichts gewesen!) Ich will auch einmal die Frage stellen, weshalb Sie dieses Chaos, das vorhanden ist, nun anrichten. Ich Wir haben ein ASFG vorgelegt, ein Programm, bin Mitglied des Verwaltungsausschusses im Arbeits- (Zuruf von der CDU/CSU: Ein Steuererhö amt Köln. In der Novembersitzung hat der Direktor hungsprogramm!) mitgeteilt, es gäbe demnächst einen Modellversuch ein Gesetz für eine aktive Arbeitsmarktpolitik über die private Arbeitsvermittlung — nicht für Köln, sondern für andere Regionen. Dann hat er in der (Dr. Gisela Babel [F.D.P.]: Ja, jeder hat einen Dezembersitzung mitgeteilt, es gäbe einen Modell- Rechtsanspruch auf Arbeit!) versuch auch für Köln. In der Januarsitzung hat der mit Finanzierungsvorschlägen, Frau Babel, wobei wir Direktor dann mitgeteilt, es gäbe keinen Modellver- eindeutig klargestellt haben, daß mit diesem Gesetz such, es gäbe jetzt ein Flächenangebot. auch mehr Arbeitsplätze in dieser Republik geschaf- fen werden. Dann haben die Arbeitgebervertreter und die Arbeitnehmervertreter natürlich mit dem Kopf ge- Sie werden an der Auseinandersetzung über unse- schüttelt und haben gesagt: Was ist eigentlich los in ren Gesetzesvorschlag nicht vorbeikommen. Sie wer- dieser Republik? Haben diese Bundesregierung und den daran nicht vorbeikommen, weil die Öffentlich- der Gesetzgeber eigentlich nichts anderes zu tun, als keit unseren Gesetzesvorschlag positiv kommentiert dieses Arbeitsvermittlungsinstitut durch ständig neue hat, in jeglicher Hinsicht, weil überall und immer zum Vorschläge lahmzulegen? Warum haben Sie jetzt Ausdruck gebracht wird: Das ist eine mögliche Alter- eigentlich nicht den Modellversuch gemacht? Warum native, mit der mehr Arbeitsplätze geschaffen wer- wird der Modellversuch wieder zurückgenommen? den. Ich meine, darüber hätte man ja diskutieren kön- (Dr. Gisela Babel [F.D.P.]: Ein Rechtsan nen, auch wenn wir das differenzierter und anders spruch auf eine AB-Maßnahme — Herr Gil sehen; aber man hätte darüber diskutieren können. ges, ich bitte Sie!) (Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Da waren Sie doch dagegen!) Vizepräsident Helmuth Becker: Herr Kollege Gil- ges, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Sie gehen vom Modellversuch ab — hin zum Flä- Hinsken? — Bitte, Kollege Hinsken. chenangebot; Sie entmotivieren auch die Mitarbeiter in der Arbeitsverwaltung. Das heißt, das, was Sie machen, ist kontraproduktiv. Es wird kein Arbeits- Ernst Hinsken (CDU/CSU): Herr Kollege Gilges, ist platz mehr geschaffen, sondern im Gegenteil: Es wird das das Alternativprogramm? Oder halten Sie es für durch das ständige Chaos und durch das ständige- seriös, wenn Ihr sozialpolitischer Sprecher Rudolf Wanken in dieser Frage nur alles behindert. Dreßler vor wenigen Tagen in einem dpa-Interview (Hans-Joachim Fuchtel [CDU/CSU]: Absolu- sagte, nach einem Wahlsieg bei den Bundestags- ter Schwachsinn, was Sie da erzählen!) wahlen will eine SPD-geführte Bundesregierung die Zahl der registrierten Arbeitslosen innerhalb nur — Herr Kollege Fuchtel, Herr Solms hat ja hier gesagt, einer Legislaturperiode halbieren, es werden durch diese Gesetzgebung 2 bis 3 Millionen Arbeitsplätze geschaffen. Er bleibt den Beweis noch (Dr. Gisela Babel [F.D.P.]: Das wären 2 Mil schuldig, ob nun tatsächlich mehr Arbeitsplätze-lionen!) geschaffen werden. Es wird von allen bezweifelt, und und wenn er dann fortfährt, den Lohn dafür müßte der ich habe auch zur Kenntnis genommen, daß Herr Staat bezahlen? Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 208. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. Februar 1994 17979

Ernst Hinsken Er führte weiter aus: tig formuliert hat, ein politisches Aktionsprogramm zu Finanziert werden kann dieses Konzept nach den Wahlen ohne ökonomischen, ohne arbeitsmarkt- Angaben weitgehend über die dann eingesparte politischen Wert. Ich hoffe, daß diese Regierung über Arbeitslosenhilfe. diese Wahl hinaus keinen Bestand mehr haben wird. Ist das seriös? Ist das das Alternativprogramm, oder wie bewerten Sie diese Aussage? (Beifall bei der SPD — Dr. Nils Diederich [Berlin] [SPD]: Dafür werden wir sorgen!)

(SPD): Herr Hinsken, ich halte das für Konrad Gilges Vizepräsident Helmuth Becker: Meine Damen und weitaus seriöser als das, was Herr Solms hier in der Herren, jetzt hat das Wort unser Kollege Joachim letzten Debatte mit den 2 bis 3 Millionen gesagt Fuchtel. hat. Wir werden dafür, für diese Aussage, auch die politische Verantwortung übernehmen. Wir werden Hans-Joachim Fuchtel (CDU/CSU): Herr Präsident! in den nächsten vier Jahren, sollten wir die Regierung Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte stellen, wovon ich ausgehe, zunächst etwas zu den Prognosen und der Prognose- (Widerspruch bei der CDU/CSU) fähigkeit der SPD sagen. Wenn man diese Prognosen — und ich verfolge die Aussagen des Herrn Kollegen die Zahl der Arbeitslosen halbieren. Sie können uns Jens im Deutschen Bundestag bereits seit 1987 — mit dann in vier Jahren daran messen. Sie versprechen dem gebührenden Abstand auf die Trefferquote hin das jetzt schon seit zwölf Jahren. untersuch t, könnte man fast den Eindruck haben, die Als Sie die Regierung von Helmut Schmidt über- Orakel der Antike seien in ihren Voraussagen präzi- nommen haben, gab es 250 000 Arbeitslose. Die Zahl ser. Sie haben hier schon so viele Dinge vorausgesagt, ist in zwölf Jahren auf 4 Millionen angewachsen. daß man sagen muß: Diese Prognosen können wir wegstecken, weil sie in aller Regel nicht eingetreten (Zurufe von der CDU/CSU: 2 Millionen sind. waren es! — Und die Wiedervereinigung hatten wir auch!) (Zuruf von der CDU/CSU: Sehr richtig!) Ich möchte auch noch etwas zu den Vorschlägen Das ist Ihre seriöse Politik: Von 250 000 Arbeitslosen sagen, die hier heute gekommen sind. Eigentlich habe bei Helmut Schmidt auf — — ich gedacht, Sie wollten sich jetzt aufmachen auf den (Widerspruch bei der CDU/CSU — Dr. Gisela Weg in die Regierungsverantwortung. Da müßte man Babel [F.D.P.]: 2 Millionen waren das!) von Ihnen eigentlich erwarten, daß Sie ganz konkrete — Selbst wenn ich mich jetzt versprochen habe, hat Vorschläge vorlegen. Wenn ich das aber in die Fuß- sich die Zahl verdoppelt, und wir werden sie halbie- ballersprache übersetzen darf, muß ich sagen, das ren. waren nicht mal Lattenkitzler. (Zurufe von der CDU/CSU: Die Wiederverei- (Heiterkeit bei der CDU/CSU — Zuruf von nigung hatten wir inzwischen auch! Haben der SPD: Was?) Sie das auch schon mitbekommen? — Sie — Sie schauen mich so ungläubig an. Wenn Sie nicht haben eine Null vergessen!) einmal wissen, was ein Lattenkitzler ist, wie wollen Sie — Aber Herr Kollege, aber Herr Kollege! dann Tore schießen? Das muß ich Sie hier fragen, meine Damen und Herren. (Glocke des Präsidenten) (Beifall bei der CDU/CSU) Das ist seriöser als Ihre Politik der letzten 12 Jahre, Herr Hinsken. Sie haben hier wieder nur Instrumentarien vorge- führt, die von uns zum Teil schon längst aufgegriffen (Dr. Gisela Babel [F.D.P.]: Mit einer Nu ll wurden, wie dargestellt wurde, oder die so abwegig gehen die locker um! — Zuruf von der sind, daß sie uns nicht weiterführen; aber konstruktiv CDU/CSU: 2,5 Millionen, nicht 250 000!) war das doch wirklich nicht. — Ja, ja, ich weiß, daß wir uns immer geirrt haben. (Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Aber Eigentore (Zuruf von der CDU/CSU: Da muß man ja haben sie geschossen!) Schmerzensgeld kriegen!) Ich möchte hier gegen eines antreten, nämlich Nur, Ihre Zahlen sind ja dokumentiert, Herr Kollege. dagegen, daß man dieses neue Programm oft unter- Die 4 Millionen sind dokumentiert; da geht kein Weg schätzt. Dieses Programm macht eine ganz wichtige dran vorbei. Aussage. Diese Aussage heißt: Wir, die Koalition, setzen auf den ersten Arbeitsmarkt, (Zuruf von der CDU/CSU: Über die Zahlen habt ihr euch schon immer geirrt!) (Beifall bei der CDU/CSU) Wir werden den Arbeitslosen, wir werden der Wirt- nicht auf Spielereien auf dem zweiten Arbeitsmarkt; schaft helfen — im Gegensatz zu dem, was Sie in den (Detlev von Larcher [SPD]: Das Ergebnis letzten zwölf Jahren zustande gebracht haben. sehen wir!) (Beifall bei der SPD) dies können nach unserer Auffassung nur vorüberge- Ich komme damit zum Ende und will sagen: Dies ist, hende Maßnahmen sein, wie mein Kollege Oskar Lafontaine vollkommen rich- (Weitere Zurufe von der SPD) 17980 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 208. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. Februar 1994

Hans-Joachim Fuchtel deren Perspektive immer auf den ersten Arbeitsmarkt wahrzunehmen, warum ist es dann eigentlich so gerichtet sein muß. schrecklich, wenn wir die Überlastung durch Verlage- rung auf diejenigen abbauen, die diese Aufgabe ohne (Konrad Gilges [SPD]: Das konntet ihr doch staatliche Unterstützung wahrnehmen wollen? — Dies 12 Jahre lang machen!) kann doch wirklich nur im Interesse aller Beteiligten Ich möchte dies auch begründen. und vor allem auch im Interesse des arbeitsuchenden (Konrad Gilges [SPD]: 12 Jahre seid ihr am Menschen sein. Wirken!) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und Je größer nämlich der sogenannte zweite Arbeits- der F.D.P.) markt wird, um so größer wird auch der Aufwand, den Meine Damen und Herren, für den Arbeitslosen ist es der Staat und die Beitragszahler leisten müssen, um völlig zweitrangig, ob die Bundesanstalt für Arbeit die die dann dort Beschäftigten auch zu bezahlen. Diese Vermittlung vornimmt oder ob er von jemand ande- erhöhten Lasten, die von den Arbeitsverhältnissen des rem vermittelt wird. Er hat nur ein Interesse: möglichst ersten Arbeitsmarktes getragen werden müssen, wer- schnell und bald vermittelt zu werden. den dann die Unternehmen durch weitere Rationali- sierung ausgleichen — das wird die Folge sein —, und (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) das ist kontraproduktiv und ist nicht das, was wir errei- brauchen, nämlich Beschäftigung auf dem ersten Das wollen wir durch eine höhere Effektivität chen, und Effektivität wird wohl am besten durch Arbeitsmarkt. Wettbewerb erreicht. Wir haben das Vertrauen in die (Beifall bei der CDU/CSU) Struktur der Arbeitsverwaltung, daß sie sich auch in Deswegen ist unser Programm vollständig richtig diesem Wettbewerb behaupten kann; denn sie verfügt angelegt und gibt die richtige Weichenstellung. über das höchste Maß an Know-how, über Kontakte, die andere erst aufbauen müssen. Sie wird sicherlich Ich möchte hier auch ein Zweites unterstreichen. auch beflügelt werden, wenn sie beweisen kann, was eines Arbeitslosigkeit in Zeiten des Strukturwandels sie zu leisten vermag. bisher nicht gekannten Ausmaßes ist natürlich etwas anderes als Arbeitslosigkeit bei Vollbeschäftigung. Es Ich möchte Ihnen zum Abschluß ein von mir recher- kann heutzutage jeden völlig unverschuldet treffen, chiertes Beispiel geben: Ein junger Stahlschweißer und nicht jeder kann — selbst bei großer Anstren- muß zur Bundeswehr. Trotz Arbeitslosigkeit vor Ort gung — sofort den richtigen Arbeitsplatz finden. Wir wird kein Ersatz gefunden. Der Be trieb leitet ein Politiker müssen dies erkennen. Wir müssen auch die Unabkömmlichkeitsverfahren ein — mit allen büro- Probleme des einzelnen sehen und damit umzugehen kratischen Maßnahmen. Um dem Betrieb zu helfen, wissen. Das heißt, daß wir auch fähig sein müssen, für schreibe ich an andere Arbeitsämter. Ich schreibe also den einzelnen Betroffenen das Maximale zu tun. Das an die Arbeitsämter der Bezirke, von denen ich im wiederum heißt, daß wir innovationsfähig sein müs- Fernsehen immer höre, daß dort eine besonders große sen. Arbeitslosigkeit besteht, also an Recklinghausen, an n und einige andere mehr. Erfolg Deswegen möchte ich hier das Beispiel des Vermitt- ri Rostock, an Schwe lungsmonopols der Bundesanstalt für Arbeit heraus- gleich null! greifen. — Hier wurde bisher nur von den vermeintli- In solchen Fällen hätte der gewerbliche Arbeitsver- chen Nachteilen gesprochen. Bis vor kurzem kannte mittler vielleicht doch jemanden gefunden, weil er ich die Diskussion etwas anders. Da war jedes Jahr in seinen Broterwerb davon bestreitet, daß er nicht nur den Haushaltsberatungen die Frage: Wie viele neue versucht, sondern auch erreicht. Stellen können wir bei der Bundesanstalt für Arbeit schaffen? — Jedes Jahr kritische Diskussionen dar- (Beifall des Abg. Joachim Gres [CDU/ über! CSU]) Nun, meine Damen und Herren, müssen wir einfach Anders gesagt: Wenn der eine jammert, daß er es nicht feststellen: Wir haben 24 Milliarden DM Defizit bei erreicht, und der andere das Ziel erreicht, ist der, der der Bundesanstalt für Arbeit. das Ziel erreicht, eben der Bessere. (Konrad Gilges [SPD]: Aber doch nicht (Beifall bei der CDU/CSU) wegen der dort Beschäftigten!) Deswegen denke ich, daß an diesem Beispiel auch Dann müssen wir uns fragen: Wie können wir errei- deutlich wird, daß man durch solche Veränderungen chen, daß die Aufgaben, die bisher offensichtlich zu auch andere Veränderungen im Sekundärbereich kurz gekommen sind, künftig effektiver und besser auslösen kann, daß man hierdurch auch Bürokratie wahrgenommen werden? — Dies ist die Denkauf- abbauen kann. Beispielsweise hätte m an nicht die gabe, die wir uns stellen müssen. Dafür müssen wir ganze Mühle des Unabkömmlichkeitsverfahrens in entsprechende Maßnahmen ergreifen. Schwung bringen müssen, wenn man ein solches (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. — Instrument zusätzlich hätte einschalten können. Konrad Gilges [SPD]: Das liegt an der hohen Unser Ziel ist es natürlich auch, mit solchen Maß- Arbeitslosenzahl! Deshalb haben wir das nahmen weitere Effekte zu erreichen. Ich bin mir Defizit! Das hat doch mit den Beschäftigten sicher, daß dadurch für den Arbeitsmarkt sehr Kon- nichts zu tun!) struktives und Positives geleistet wird und vor allem Da frage ich Sie doch mit allem E rnst: Wenn wir kein für die Arbeitslosen eine zusätzliche Möglichkeit Geld haben, um dieses Maß an zu vielen Aufgaben geschaffen wird, die sie dringend brauchen. Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 208. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. Februar 1994 17981

Hans-Joachim Fuchtel Vielen Dank. scheuen sich eben nicht, diese Notlage der Menschen (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. — auszunutzen. Konrad Gilges [SPD]: Das Schlimme, Herr Aber nicht nur die schlechte Bezahlung ärgert mich Fuchtel, ist, daß Sie daran glauben, was Sie an diesem Beschäftigungsförderungsprojekt. Es war sagen! — Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Eine von vornherein auch so angelegt, daß Frauen benach- ausgezeichnete Rede! — Zuruf von der CDU/ teiligt werden. Nur mühsam konnte im Bundesrat CSU: Herr Gilges, glauben Sie an das, was durchgesetzt werden, daß auch Projekte des sozialen Sie sagen? — Konrad Gilges [SPD]: Ja!) Bereichs in die Förderung aufgenommen wurden. Dennoch sind die Frauen in den Maßnahmen nach § 249h AFG stark unterrepräsentiert. Etwa ein Drittel Vizepräsident Helmuth Becker: Das Wort hat jetzt der bis September 1993 angelaufenen Maßnahmen unsere Frau Kollegin Petra Bläss. wurde von ihnen in Anspruch genommen. Gerade aus diesem Grund haben wir trotz unserer Petra Bläss (PDS/Linke Liste): Herr Präsident! prinzipiellen Kritik an diesem Paragraphen einen Meine Damen und Herren! Zu den jetzt eingebrach- Änderungsantrag eingebracht. Im Interesse von ten Gesetzesvorschlägen zur Förderung von mehr Frauen fordern wir, die Trägerschaft für Maßnahmen Beschäftigung gehört auch die Erweiterung des nach § 249h AFG, die bisher auf kirchliche Organisa- umstrittenen § 249h AFG. Nachdem die ostdeutschen tionen und Wohlfahrtsverbände, wie sie im Bundesso- Länder knapp ein Jahr Zeit hatten, mit dieser neuen zialhilfegesetz aufgeführt sind, beschränkt war, aus- Regelung des Arbeitsförderungsgesetzes ihre Erfah- zuweiten. Die bisherige Praxis ist nach Erfahrungen rungen zu machen, soll § 249h nun auch auf die von Frauenprojekten unflexibel und unpraktikabel, wirtschafts- und strukturschwachen Regionen in weil andere Träger von der Förderung ganz ausge- Westdeutschland angewendet werden. Ich habe von schlossen oder gezwungen sind, unter das Dach eines Beginn an kein Hehl daraus gemacht, daß ich dieser Wohlfahrtsverbandes zu schlüpfen. Dies ist für auto- Maßnahme trotz des zu begrüßenden Ansatzes, Arbeit nome Projekte, so die Erfahrung vieler Frauenpro- statt Arbeitslosigkeit zu finanzieren, skeptisch gegen- jekte in Berlin, kaum zumutbar und schränkt ihre überstehe. Die im Ausschuß für Arbeit und Sozialord- Chancen ein, ihre Arbeit unabhängig und selbstbe- nung vorgetragenen Zwischenberichte aus den Län- stimmt zu organisieren. Denn in der Regel müssen sie dern haben meine Zweifel keineswegs ausräumen bei ihrem Eintritt die Statuten des jeweiligen Verban- können, so daß ich auch bei der jetzt geplanten des auch für die eigene Arbeitsweise akzeptieren, was räumlichen Ausdehnung mißtrauisch bin. faktisch die Aufgabe der Autonomie bedeutet. Sie Mein Hauptproblem mit § 249 h AFG ist die Arbeits- fühlen sich von dieser Situation besonders betroffen, zeitregelung von 80 %. Sie scheint ja auch — so weil sie ihre Arbeitskonzepte trotz erfolgreicher Praxis jedenfalls meine Informationen — der Grund dafür zu zum Zwecke der Förderung meist auch noch durch sein, daß private Arbeitgeber von diesem Projekt abgehobene männerdominierte Führungsgremien kaum Gebrauch machen, obwohl genau dies der der Wohlfahrtsverbände beurteilen lassen müssen. ursprüngliche Sinn des § 249h AFG war. Anders als In unserem Antrag schlagen wir deshalb vor, daß die Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen sollte § 249 h fachliche Prüfungen auf der Grundlage von Förder- AFG strikt auf den ersten Arbeitsmarkt orientieren richtlinien vorgenommen werden können. Wir halten und dafür auch Arbeitgeber motivieren, indem sie es für sinnvoll, daß aus Mitteln nach § 249h AFG auch zunächst über einen Zeitraum von drei Jahren autonome und selbstorganisierte gesellschaftliche Zuschüsse des Bundes in Höhe des Arbeitslosengel- Arbeit ermöglicht wird. des oder der Arbeitslosenhilfe bekommen können. Offensichtlich ist aber der arbeitsorganisatorische und Vizepräsident Helmuth Becker: Meine Damen und bürokratische Aufwand so unattraktiv, daß die Arbeit- Herren, jetzt hat der Parlamentarische Staatssekretär geber lieber gleich auf Lohnkostenzuschüsse verzich- beim Bundesminister der Justiz, unser Kollege Rainer ten. Die Folge dieser Entwicklung ist, daß die Länder Funke, das Wort. fast vollständig in die Komplementärfinanzierung ein- gestiegen sind und damit ihre Haushalte in dreistelli- ger Millionenhöhe belasten. Hinzu kommt, daß die Rainer Funke, Parl. Staatssekretär bei der Bundes- Projekte, die sie bezuschussen, in der Regel nur für die ministerin der Justiz: Herr Präsident! Meine Damen vorgesehene Dauer von drei Jahren laufen und nicht und Herren! In dem Aktionsprogramm der Bundesre- in Dauerarbeitsplätze überführt werden können. gierung finden sich auch drei wichtige Gesetzge- Meine Kritik am § 249h AFG basiert aber vor allem bungsvorhaben aus dem Zuständigkeitsbereich des auf der Tatsache, daß er mit diskriminierenden Justizministeriums. Restriktionen eingeführt wurde: Mii der unfreiwilli- Das Bundeskabinett hat nach mehrjähriger, intensi- gen Reduzierung der Arbeitszeit auf 80 % ist eben ver Vorbereitung durch das Bundesjustizministerium auch eine Entlohnung von nur 80 % verbunden. Dies Ende Januar den Regierungsentwurf eines Gesetzes ist eine Einkommenshöhe, die vielleicht zur Zeit der zur Bereinigung des Umwandlungsrechts beschlos- Beschäftigung noch hinkommen mag, aber spätestens sen. Die Bundesregierung und die Koalitionsfraktio- mit Eintritt der Arbeitslosigkeit für die allermeisten nen, die den Entwurf parallel dazu eingebracht ein Absinken auf die Armutsgrenze bedeutet. Ich weiß haben, sind sich einig in ihrem Ziel, dieses umfangrei- natürlich, daß trotz dieser Bedingungen massenhaft che Reformwerk noch in dieser Legislaturperiode in Menschen in Ostdeutschland lieber eine solche Arbeit geltendes Recht umzusetzen. Der Wirtschaft soll damit akzeptieren, statt auf der Straße zu stehen. Und Sie ein umfassendes Gesetz zur Umstrukturierung von 17982 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode -- 208. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. Februar 1994

Parl. Staatssekretär Rainer Funke Unternehmen an die Hand gegeben werden. Kurz will er eben nicht. Das ist einer der Gründe dafür, daß zusammengefaßt heißt das, daß die Umwandlungstat- es in Deutschland die Rechtsform der Aktiengesell- bestände, die jetzt in verschiedenen Gesetzen — ge- schaft insbesondere bei kleinen Familiengesellschaf- nau: in sechs Gesetzen — verstreut sind, zusammen- ten nur in wenigen Fällen gibt. gefaßt werden sollen und daß weitere Umwandlungs- Herr Kollege Gilges, es ist ja in der Tat so: Unsere tatbestände zum Wohl der Wirtschaft gefunden wer- Unternehmen, insbesondere die im mittelständischen den sollen. Bereich, sind unterkapitalisiert, und zwar nicht nur Die Wirtschaft ist auf den raschen Abschluß dieser national, sondern auch international gesehen. Wenn wichtigen Reform, die vom Umfang und von der man will, daß sich diese Unternehmen an der Börse Bedeutung her im wirtschaftsrechtlichen Bereich in oder durch Aufnahme neuer Aktionäre refinanzieren den vergangenen Jahren nur in der Insolvenzrechts- und damit ihr Eigenkapital stärken, dann müssen wir reform Vergleichbares hat, dringend angewiesen. sie in die Rechtsform der Aktiengesellschaft sozusa- Gerade deswegen appelliere ich an Sie alle, dieses gen entlassen; denn die GmbH — das wissen Sie Reformwerk möglichst schnell über die Bühne zu sicherlich aus Ihrer eigenen beruflichen Erfahrung — bringen. ist für Kapitalerhöhungen, für eine flexible Reaktion (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) am Arbeitsmarkt überhaupt nicht geeignet. Dafür ist die GmbH nicht geschaffen. Ich bin froh darüber, daß wir neben der Reform des Umwandlungsrechts heute auch über den Entwurf Vizepräsident Helmuth Becker: Gestatten Sie noch eines Gesetzes für kleine Aktiengesellschaften und eine Zusatzfrage des Kollegen Gilges? zur Deregulierung des Aktienrechts beraten; denn wir müssen nicht nur den Wechsel von einer Rechts- Rainer Funke, Parl. Staatssekretär bei der Bundes- form in eine andere erleichtern, sondern wir müssen ministerin der Justiz: Selbstverständlich. auch dafür Sorge tragen, daß jedem Unternehmer eine auf seine spezifischen Bedürfnisse möglichst (SPD): Herr Kollege, warum formu- optimal zugeschnittene Gesellschaftsform zur Verfü- Konrad Gilges lieren Sie — — gung steht. Bei der kleinen Aktiengesellschaft geht es darum, daß wir den Mittelstand von der Rechtsform (Zuruf von der CDU/CSU: „Herr Staatssekre der Aktiengesellschaft nicht länger faktisch ausschlie- tär" ! ) ßen. Es gibt in Deutschland mehr als 500 000 Gesell- schaften in der Rechtsform der GmbH, aber nur ca. Rainer Funke, Parl. Staatssekretär bei der Bundes- 3 000 Aktiengesellschaften. ministerin der Justiz: Nein, ich bin auch „Kollege". (Weiterer Zuruf von der CDU/CSU: Also Vizepräsident Helmuth Becker: Herr Staatssekretär, „Herr Kollege Staatssekretär " ! ) gestatten Sie eine Zwischenfrage? — Bitte, Herr Kollege Gilges. Konrad Gildes (SPD): „Herr Kollege Staatssekretär" bin ich nicht. Also entweder „Kollege" oder „Herr Konrad Gilges (SPD): Herr Staatssekretär, es ist ja Staatssekretär", eines von beiden. überhaupt nichts dagegen einzuwenden, daß die Nochmals zur Sache: Warum schränken Sie die Möglichkeit besteht, von der Rechtsform der GmbH in Aufhebung der Mitbestimmung nicht auf die Unter- die Rechtsform der Aktiengesellschaft überzuwech- nehmer ein, die von einer GmbH zu einer Aktienge- seln, um auf dem Markt Kapital flüssig zu machen. sellschaft überwechseln, was sie ja jetzt machen, statt Dagegen ist überhaupt nichts einzuwenden. Weshalb zusätzlich — in die Richtung geht unsere Kritik — muß deswegen aber für Aktiengesellschaften mit vorzusehen, daß Aktiengesellschaften, die jetzt Mit- weniger als 500 Beschäftigten — wobei ich im übrigen bestimmung haben, mit unter 500 Beschäftigten nach nicht erkennen kann, weshalb das an der Zahl der Ihrem Gesetz — ohne Not und eigentlich ohne Zusam- Beschäftigten festgemacht wird — die Mitbestim- menhang mit dem tieferen Sinn dieses Gesetzes — aus mung aufgehoben werden, die davon total unabhän- der Mitbestimmung herausfallen können? Es leuchtet gig ist, die mit der Umwandlungsfrage nichts zu tun mir noch ein, daß Sie das eingrenzen und sagen: Wenn hat? jemand, der eine GmbH hat, zu einer Aktiengesell- schaft überwechselt, da kann man sagen, der soll jetzt Rainer Funke, Parl. Staatssekretär bei der Bundes- keine Mitbestimmung nach dem 52er Gesetz haben. ministerin der Justiz: Herr Kollege, Sie hätten etwas Aber weshalb die, die nach dem 52er Gesetz die geduldiger sein sollen. Ich wäre zu diesem wichtigen Mitbestimmung schon haben, jetzt aus der Mitbestim- Punkt natürlich gekommen. Aber ich will das Ihretwe- mung herausfallen, das kann ich nicht einsehen. gen gern vorziehen. - Es handelt sich hierbei ja nicht um eine Beseitigung Rainer Funke, Parl. Staatssekretär bei der Bundes- von Mitbestimmung; vielmehr ist es so, daß bei der ministerin der Justiz: Herr Kollege, Sie haben zu Recht Rechtsform der GmbH eben keine Unternehmensmit- die Formulierung gewählt: „aus der Mitbestimmung bestimmung besteht. Warum soll durch die Umwand- herausfallen können". Das ist das erste. lung einer GmbH in eine Aktiengesellschaft plötzlich Das zweite ist: Ich glaube nicht, daß es Sinn macht die Mitbestimmung eingeführt werden, zumal — ich — auf Dauer wenigstens, wir haben ja eine Über- will das ganz offen ansprechen — der Unternehmer, gangsfrist von fünf Jahren vorgesehen, wie Sie wis- der bis dahin in der Rechtsform der GmbH gearbeitet sen —, auf Dauer kleine Aktiengesellschaften zu hat, „befürchtet", daß dann, wenn er umwandelt, haben, bei denen es Mitbestimmung gibt, bei denen Dritte in seinem Unternehmen mitbestimmen? Das ganz andere Formerfordernisse gelten. Ich finde, wir Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 208. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. Februar 1994 17983

Parl. Staatssekretär Rainer Funke haben in Deutschland schon reichlich unterschiedli- Wegen der gefestigten Rechtsprechung zu den auch che Gesellschaftsformen. Wir brauchen nicht noch für die Zugabepraxis einschlägigen §§ 1 und 3 UWG kleine Aktiengesellschaften mit Mitbestimmung und — ich füge hinzu: § 4 UWG sieht eine Strafvorschrift ohne Mitbestimmung. Ich glaube, wir müssen hier vor — ist damit zu rechnen, daß die Unternehmen mit einheitlich, auch aus Wettbewerbsgründen, vorge- den sich ergebenden wettbewerblichen Freiräumen hen. Denn es ist überhaupt nicht zu bezweifeln, daß so umgehen werden, daß die allgemeinen Schranken die Mitbestimmung, was z. B. die Kapitalbeschaffung des Rechts gegen den unlauteren Wettbewerb einge- angeht, eher ein Negativum ist. Deswegen sollen die halten werden. Gesellschaften, die schon Aktiengesellschaften sind, Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. nicht gegenüber den neuen kleinen Aktiengesell- schaften benachteiligt werden. Also, wir müssen (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) schon die gleiche Wettbewerbssituation haben. Vizepräsident Helmuth Becker: Meine Damen und Meine Damen und Herren, die Umwandlung in Herren, eine kurze Information zum weiteren Verlauf: Aktiengesellschaften bedeutet aber auch noch etwas Wir haben Wortmeldungen zu diesem Tagesord- anderes. Dem deutschen Mittelstand steht in den nungspunkt für noch etwa 45 Minuten. Danach gibt es nächsten Jahren ein gewaltiger Generationswechsel eine Reihe von Abstimmungen, so daß wir frühestens bevor. Bis Ende dieses Jahrzehnts steht in etwa 15.45 Uhr mit der Fragestunde beginnen können. 700 000 Unternehmen eine Nachfolgeregelung an. Gerade wenn die Anteilseigner nicht mehr oder nur Ich erteile jetzt das Wort der Frau Kollegin Elke noch teilweise unternehmerisch engagiert bleiben Wülfing. wollen und auch qualifiziert sind, kann die Aktienge- sellschaft eine sinnvolle Rechtsformalternative sein. Elke Wülfing (CDU/CSU): Sehr geehrter Herr Präsi- Sie ermöglicht es dem bisherigen Unternehmensinha- dent! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Debatte ber, sich sozusagen auf Raten oder in dem von ihm hat gezeigt, daß die SPD ein schlechtes Gedächtnis hat gewünschten Umfang aus dem Unternehmen zurück- und daß sie auch mit Zahlen nicht umgehen kann. zuziehen. Man bleibt dann vielleicht noch mit 5 oder 10 oder 15 % beteiligt. Dem vorzeitigen Verlust der (Beifall bei der CDU/CSU) Selbständigkeit des Unternehmens kann damit früh- Deswegen, denke ich, brauchen wir vielleicht einmal zeitig entgegengewirkt werden. einen kleinen Rückblick. Nach dem Zweiten Weltkrieg Diese Vorteile der Aktiengesellschaft werden vom Mittelstand aber nur dann angenommen, wenn die (Lachen bei der SPD — Zurufe von der SPD: Belastungsunterschiede — darauf habe ich in bezug Das ist aber sehr weit zurück bei einer auf die Mitbestimmung schon hingewiesen — im aktuellen Debatte! — Weimarer Republik! — Verhältnis zu den anderen Rechtsformen abgebaut Erster Weltkrieg!) werden. Aus diesem Grund sieht der Entwurf mehrere wurde mit dem System der Sozialen Marktwirtschaft Deregulierungsmöglichkeiten vor. So wollen wir z. B. von ein ausgewogenes Wirtschaftssy- die Einpersonengründung ermöglichen, die wir auch stem geschaffen, das die freie Marktwirtschaft mit der im GmbH-Recht bereits haben, die Gestaltungsfrei- sozialen Komponente verknüpfte. Wir haben damit heit der Aktionäre durch eine größere Satzungsauto- die Grundlage für den wirtschaftlichen Aufschwung nomie stärken und die Formvorschriften bei der Ein- und für das Wirtschaftswunder gelegt. berufung und Protokollierung von Hauptversamm- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) lungen für kleine Aktiengesellschaften lockern. In den 70er Jahren — jetzt hören Sie gut zu, da Der Mittelstand wird uns all dies mit einer verstärk- waren Sie nämlich dran — kam es im Zusammenhang ten Inanspruchnahme der Aktiengesellschaften dan- mit der Ölpreiskrise zu einer weltwirtschaftlich ken. Eine Verlängerung unseres im internationalen schwierigen Situation. Davon wurde selbstverständ- Vergleich doch sehr kurzen Börsenzettels würde wie- lich auch die Bundesrepublik betroffen. Durch zu derum die Attraktivität des deutschen Kapitalmarkts hohe Ansprüche der öffentlichen Hand und durch das und des Finanzstandortes erhöhen. Dies zeigt, daß Mißverständnis der damaligen SPD-Bundesregie- sich der Gesetzentwurf zugleich nahtlos in die Zielset- rung, Marktwirtschaft sei um so sozialer, je umfang- zung des 2. Finanzmarktförderungsgesetzes einfügt, reicher die soziale Umverteilung sei, wurden die dessen Entwurf die Bundesregierung vor wenigen deutschen Unternehmen starken Belastungen ausge- Monaten vorgelegt hat. setzt. Brandts ehemaliges Motto — „die Belastbarkeit der Wirtschaft prüfen" — wurde in die Tat umgesetzt. Lassen Sie mich ein Letztes sagen: Bestandteil des - Ein hohes staatliches Haushaltsdefizit und steigende Aktionsprogramms ist außerdem die Aufhebung der Arbeitslosenzahlen — Herr Gilges, 2 Millionen und Zugabeverordnung. Dieses Gesetz von 1932 verbietet nicht 200 000 Arbeitslose, wie Sie behauptet haben — der Wirtschaft, beim Warenabsatz sogenannte Zuga- waren die Folge. ben, d. h. unentgeltliche Waren oder Dienstleistun- (Abg. Konrad Gilges [SPD] meldet sich zu gen, zu gewähren. Die Aufhebung der Zugabeverord- einer Zwischenfrage) nung, die natürlich im engen Zusammenhang mit dem Rabattgesetz steht, wird nach meiner Einschätzung — Nein, ich möchte im Zusammenhang referieren; nicht zur — teilweise befürchteten — Verwilderung sonst wird es hier auch nicht beg riffen. der Wettbewerbssitten oder zu einer Täuschung der (Konrad Gilges [SPD]: Ich habe mich verspro Verbraucher führen. chen!) 17984 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 208. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. Februar 1994

Elke Wülfing Deswegen wurden nach dem Regierungswechsel versicherungssystemen überhaupt noch finanzierbar 1982 rigorose Sparmaßnahmen eingeleitet, und es sind. wurde nach erfolgter Konsolidierung ein Steuersen- (Dr. Rudolf Karl Krause [Bonese] [fraktions kungsprogramm eingeführt, das sowohl die kleinen los]: Sehr richtig!) Einkommen wie auch die Unternehmen entlastete. Dies schuf die Basis für wi rtschaftlichen Aufschwung. Der erbitterte Widerstand vieler gesellschaftlicher Jetzt bitte wieder zuhören: Nach einer Zeit hoher Gruppen bei Einsparungsmaßnahmen in den Versi- Arbeitslosigkeit ist die Zahl der Arbeitsplätze von cherungssystemen demonstriert, daß dies kein leich- Mitte 1985 bis Mitte 1992 um 3,2 Millionen per saldo ter Weg war, kein leichter Weg ist und daß dieser Weg gestiegen, und das war unter unserer Regierung, nicht auch in Zukunft nicht einfach sein wird. unter Ihrer. Aber — Herr Blüm hat es vorhin schon gesagt — (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. — selbstverständlich sind nicht nur die Löhne und Lohn- Detlev von Larcher [SPD]: Und die Arbeitslo- nebenkosten ein Kostenfaktor. Zu hohe Energieko- sigkeit? Wie hoch ist die jetzt?) sten, zu hohe Steuerbelastung, zu hohe Umwelt- schutzkosten und vor allen Dingen komplizierte und 1990 setzte bei den traditionellen Industriestaaten langwierige Genehmigungsverfahren belasten die eine Wachstumsschwäche ein. deutsche Wirtschaft ganz erheblich. (Detlev von Larcher [SPD]: Wie hoch ist jetzt (Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Wie wahr!) die Arbeitslosigkeit?) In allen diesen Bereichen haben wir Gesetze vorge- —Ihnen fällt nichts anderes ein, als dumme Zwischen- legt, die leider von den Ländern zum Teil konterka- rufe zu machen. — Deutschland geriet allerdings erst riert werden, z. B. von der SPD-Landesregierung in Mitte 1992 in schwieriges Fahrwasser, weil die deut- Nordrhein-Westfalen, die das Investitionserleichte- sche Vereinigung zu Beginn der 90er Jahre der rungsgesetz dadurch in sein Gegenteil verkehrt, daß deutschen Wirtschaft einen Extraboom bescherte. Im sie jedem gewerblichen oder p rivaten Bauherrn über gleichen Zeitraum haben die übrigen Industriestaa- die Änderung des Landschaftsgesetzes zusätzliche ten, die schon voll von der Rezession erfaßt waren, Naturausgleichsmaßnahmen aufbrummt und damit staatliche Ausgabenkürzungen und in den Unterneh- zu erheblichem zusätzlichem Verwaltungsaufwand men Rationalisierungsinvestitionen machen können, und zu horrenden Grundstückspreissteigerungen bei- und zwar zwei Jahre früher als wir, und haben sich trägt. — Da brauchen Sie nicht abzuwinken. Das ist damit selbstverständlich Wettbewerbsvorsprünge tatsächlich so und wird von uns in Nordrhein-Westfa- und auch Produktivitätsvorsprünge verschafft. len sehr beklagt. Hinzu kommt selbstverständlich, daß sich in aller Das Standortsicherungsgesetz, meine Damen und Welt neue Industriestaaten gebildet haben. Durch die Herren, das die gewerblichen Einkünfte seit dem Öffnung der Grenzen haben wir Billiglohnländer 1. Januar 1994 niedriger besteuert als die p rivaten inzwischen vor der Tür. Die Kostenfaktoren, die die Einkünfte, ist ein Schritt in die richtige Richtung und deutsche Wirtschaft belasten, spielen in diesen Län- sollte durch eine weitere Unternehmensteuerreform dern eine absolut untergeordnete Rolle. ergänzt werden, sobald die Finanzlage dies zuläßt. Diese Situation läßt Produkte aus deutscher Herstel- (Zuruf von der SPD) lung zu teuer werden und zwingt unsere Unterneh- men zu Arbeitsplatzabbau. Eigentlich hätten wir dies — Herr Waigel weiß das. schon vor zweieinhalb Jahren gehabt, wenn wir den Meine sehr geehrten Damen und Herren, die struk- Einigungsboom nicht gehabt hätten. Die Tarifpar- turelle Krise und die Konjunkturflaute haben zu teien, und zwar beide Partner, haben in diesen Jahren steigenden Arbeitslosenzahlen geführt. Die Wirt- auf Grund guter Auftragslage und ausgelasteter schaft beginnt zwar, sich langsam zu erholen Kapazitäten noch hohe Lohnabschlüsse getätigt. Das ist zwar verständlich, aber es war leider auch kurz- (Widerspruch bei der SPD) sichtig. Denn die Tarifpartner hätten wissen müssen, — haben Sie es noch immer nicht beg riffen? Dann daß es sich hierbei um einen kurzfristigen, steuerfi- haben Sie nicht zugehört —, und Arbeitsplätze entste- nanzierten Nachfrageboom handelte. hen auch heutzutage neu. Aber per saldo wird dies Inzwischen hat man tatsächlich begriffen, daß eine nicht sofort zum Abbau von Arbeitslosenzahlen füh- maßvolle Lohnpolitik in heutiger Zeit notwendig ist, ren. wie der Abschluß im Chemiebereich zeigt. Zahlreiche Daher ist es jetzt um so wichtiger, die paradoxe andere Beispiele, etwa VW mit Arbeitszeitverkürzung- Situation zu überwinden, daß 3,6 Millionen Arbeits- ohne Lohnausgleich und der Textilmaschinenherstel- lose beim Arbeitsamt gemeldet sind, obwohl organi- 1er Schlafhorst mit Arbeitszeitverlängerung ohne sierte und nicht organisierte Arbeit zuhauf vorhanden Lohnausgleich, beweisen, daß bei drohendem Ar- ist. Das heißt: Wir brauchen mehr Arbeitgeber, die beitsplatzverlust vor Ort für das Unternehmen diese Arbeit organisieren; dazu tragen wir mit unseren adäquate Lösungen gefunden werden. Gesetzentwürfen bei. Das heißt aber auch: Wir brau- Auch die vom Arbeitgeber und vom Arbeitnehmer chen bessere Instrumentarien, um die Arbeitslosen zu tragenden Lohnnebenkosten machen menschliche auf die Arbeitsplätze zu vermitteln, die schon organi- Arbeit zu teuer. Wir müssen uns daher fragen, welche siert sind. Es muß Schluß damit sein, daß wir zwar Leistungen auf Dauer — auch vor dem Hintergrund Arbeit in Fülle haben, kein Deutscher aber bereit ist, der demographischen Entwicklung — aus den Sozial sie zu tun, beispielsweise in der Landwirtschaft. Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 208. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. Februar 1994 17985

Elke Wülfing Ich kann dazu ein Zitat von Herrn Boenisch bringen, Beschäftigungsförderungsgesetz auch Frauen geför- das er in der „Welt am Sonntag" im Jahre 1992 dert werden können. gebracht hat. Dort sagt er: (Beifall bei der SPD) Wir in Deutschland lassen kämpfen, wir lassen ja auch fegen. Die Türken an den Besen, die Amis Ich habe in dem ganzen Gesetz vergeblich nach ans Gewehr! Formulierungen gesucht, die lauten: Frauen m ü s s en Dieses wollen wir endlich abschaffen. entsprechend ihrem Arbeitsmarktanteil bei arbeits- marktpolitischen Maßnahmen berücksichtigt werden. Vielen Dank. — Ich habe vergeblich nach Programmen oder Anrei- (Beifall bei der CDU/CSU — Detlev von zen auch für Unternehmen gesucht, Erwerbsarbeits- Larcher [SPD]: Das ist ja unglaublich, wie Sie plätze für Frauen zu schaffen. Ich muß Ihnen sagen, die deutschen Arbeiter beleidigen! — Wei- meine Damen und Herren: Ich halte eine Politik, die tere Zurufe von der SPD) die ungleichen Chancen der Geschlechter auf dem Arbeitsmarkt nicht ausgleicht, für zutiefst undemo- kratisch. Ich halte dies für eine Verschwendung Vizepräsident Helmuth Becker Meine Damen und gesellschaftlicher Ressourcen. Herren, ich erteile jetzt unserer Frau Kollegin das Wort. (Beifall bei der SPD) Ich will noch einmal darauf aufmerksam machen: Eine Politik, die eine mangelnde Nutzung des Zwischenrufe sind natürlich gestattet, aber keine Beschäftigungs- und Qualifikationspotentials der Störungen. weiblichen Bevölkerung zuläßt, muß in absehbarer Zeit auch damit rechnen, daß Frauen dies nicht mehr Ursula Schmidt (Aachen) (SPD): Herr Präsident! so hinnehmen werden. Auch die Frage der Politikver- Meine Damen und Herren! Vielleicht nehmen die drossenheit unter Frauen hat etwas damit zu tun, was Zwischenrufe zu, weil viele das Gefühl haben, Frau Regierung und Politik für die Interessen der Frauen zu Kollegin, daß sie hier nicht mehr als Schüler oder tun bereit sind. Schülerinnen sind, sondern als Mitglied des Deut- Eines ist klar, Frauen wollen heute vermehrt beides: schen Parlamentes und so auch gerne angesprochen Sie wollen Beruf und Familie und sich nicht immer werden möchten. zwischen Beruf oder Familie entscheiden müssen. (Beifall bei der SPD) Mit dem vorgelegten Beschäftigungsförderungsge- (Beifall bei der SPD) setz ist die Bundesregierung wieder eirural über jeden Sie wollen beides, und sie wollen es mit den Männern Verdacht erhaben, etwas Wirksames zur Bekämpfung teilen. Es ist Aufgabe einer Regierung und auch der Arbeitslosigkeit von Frauen tun zu wollen. Leider Aufgabe von Politik, zu sagen: Wir wollen Arbeits- zeigt auch die heutige Debatte, die immerhin schon plätze schaffen. Da, wo der erste Arbeitsmarkt sie mehr als drei Stunden dauert, daß die Tatsache, daß nicht hergibt, wollen wir — vorübergehend, als Frauen überproportional von Arbeitslosigkeit betrof- Brücke — mit einem Beschäftigungsprogramm öffent- fen sind, daß die Frauen in Ostdeutschland zwei lich geförderte Arbeitsplätze schaffen. Und es ist, Drittel der Arbeitslosen stellen und daß die Arbeitslo- verdammt noch mal, auch Aufgabe einer solchen senquote der Frauen doppelt so hoch ist wie die der Regierung, darüber nachzudenken, wie man dann Männer, hier viel zuwenig ins Bewußtsein gerückt diesem Anspruch gerecht wird und auch Arbeits- wird. Bisher ist noch kein Wort darüber gesagt wor- plätze für Frauen schafft. Da reicht es nicht aus, nur den. über Deregulierung und Abbau von sozialen Rechten (Beifall bei der SPD) zu reden und praktisch immer weiter über Abbau von Es ist offenbar so, daß diese Koalition den Anspruch Löhnen nachzudenken, sondern da muß darüber der weiblichen Bevölkerung auf Sicherung ihrer eige- nachgedacht werden, wie existenzsichernde Arbeits- nen Existenz durch Erwerbsarbeit in Zeiten der Krise plätze geschaffen werden können. für nicht zeitgemäß hält. Immerhin kann sie sich dabei Und da bin ich bereit. mit Ihnen darüber nachzu- auf „Prognos" stützen, die sagen: Frauen sind die stille denken. Da können wir ein paar Punkte dieses Pro- Reservearmee und werden auf dem Arbeitsmarkt so gramms gern einmal ansprechen. schnell nicht gebraucht. Dagegen jedoch sprechen die Zahlen: Ende 1993 Ich nehme einmal den Einsatz von Erntehelferinnen suchten im gesamten Bundesgebiet 2 390 112 Frauen oder Erntehelfern. Ich gehöre zu denen, die auch einen Arbeitsplatz. Das sind nur geringfügig weniger draußen immer die Auffassung vertreten, daß jeder als Männer; bei denen waren es 2 435 578. Wenn man Mensch, der gesund ist und arbeiten kann, nicht nur das sieht und weiß — Sie wissen das genauso gut wie das Recht, sondern auch die Pflicht haben muß, seine ich —, daß Frauen unter den gegenwärtigen Bedin- eigene Existenz zu sichern. gungen größere Probleme haben, einen Arbeitsplatz (Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie bei zu finden, daß Frauen größere Schwierigkeiten der CDU/CSU) haben, entsprechend ihrer Qualifikation eingesetzt zu werden, und daß Frauen dann auch noch unterhalb Aber ich bin auch der Auffassung, daß wir dann ihrer Qualifikation mit weniger Lohn eingesetzt wer- verpflichtet sind, existenzsichernde Arbeitsplätze den, dann müßten diese Tatsachen eigentlich Anlaß anzubieten. genug sein, darüber nachzudenken, wie mit einem (Beifall bei der SPD) 17986 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 208. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. Februar 1994

Ursula Schmidt (Aachen) Da, wo der freie Markt das nicht kann, muß der Staat Ich habe ein weiteres Problem, das sich im Osten eingreifen. gezeigt hat, daß wirklich dafür gesorgt wird, daß mit Jetzt kommen wir mal zu den Erntehelferinnen und festgeschrieben und mit gefördert wird, daß Frauen Erntehelfern. Es spricht überhaupt nichts dagegen, gleichberechtigt auch zukunftsträchtige Arbeits- wenn wir Arbeitsplätze haben und Arbeitskräfte brau- plätze, die zweifelsohne im Umweltbereich liegen, chen, zu sagen: Menschen, die Arbeitslosenhilfe erhalten, und nicht in Bereichen gefördert werden, wo beziehen, sollen vorrangig auf solche Arbeitsplätze sie anschließend wieder arbeitslos werden. Das war vermittelt werden. Ich halte es für einen Hohn, wenn im Osten oft so und ist auch heute noch so, weil die hier gesagt wird — leider ist Arbeitsminister Blüm Frauen genau in den Arbeitsfeldern ausgebildet wur- nicht mehr da —, daß die Kritik an der Art und Weise, den, wo es schon genügend Arbeitslose gab, die darin wie das passiert, latente Ausländerfeindlichkeit oder ausgebildet waren. Rassismus sei. Ich glaube, wir müssen hier über die Als dritten Punkt möchte ich noch kurz die Teilzeit- Bedingungen nachdenken. Unabhängig davon, daß arbeit ansprechen. Ich bin keine Gegnerin von mehr dieser Vorschlag in der Realität nicht zu Arbeitsplät- Teilzeitarbeit. Ich würde auch eine Teilzeitarbeitsof- zen führt, weil das so kurzfristig tageweise nicht fensive begrüßen, weil ich glaube, daß man den planbar ist, gehört es, finde ich, zur Würde eines Wunsch von Männern und Frauen, ihre individuelle Menschen, daß diejenigen, die hier genannt werden, Arbeitszeit zu gestalten, wahrnehmen muß und daß die unqualifizierten Langzeitarbeitslosen, nicht mit man damit zu einer Verteilung von Arbeit kommt. 25 Mark Tagelöhnergeld abgegolten werden. Es ist aber völlig fehlgeleitet, wenn Sie Ihre Teilzeit- (Zurufe von der CDU/CSU: Zusätzlich!) arbeitsoffensive auf die Frage reduzieren: Wie sichern wir denn die Arbeitslosigkeit nach der Teilzeitarbeit — „Zusätzlich", es wird als „Belohnung" dazugege- ab? Dabei ist der Mißbrauch von vornherein mitgege- ben, statt zu sagen: Wir sorgen dafür, daß sie für diese ben. Ich sehe schon die Schlagzeilen und anschlie- Zeit abgesicherte Arbeitsverhältnisse — und wenn es ßend die Frage des Mißbrauchs und die Diskussionen, nur für zwei Monate ist — zu existenzsichernden die wir hier haben, anstatt zu sagen: Wenn wir eine Bedingungen bekommen. Offensive starten, dann werden wir auch Möglichkei- Ich kann Ihnen sagen: Ich bin Lehrerin an einer ten schaffen, damit Teilzeitarbeit attraktiv ist. Dazu Schule für Lernbehinderte und Erziehungsschwierige gehören gesetzliche Bestimmungen, die besagen, daß gewesen. Ich weiß, wie man mit Menschen, die die, die freiwillig auf Teilzeitarbeit gehen, Optionen Schwierigkeiten haben, in der Ausbildung umgeht. auf eine Rückkehr zur Vollzeitarbeit im Betrieb Und ich weiß auch, daß die Plätze, die vorgehalten haben. Dazu gehört, daß Menschen, die Teilzeitarbeit werden, die niedrig qualifiziert und niedrig bezahlt machen, keine Benachteiligung beim beruflichen sind, vorrangig wieder an Frauen vermittelt werden. Aufstieg haben, daß sie an Qualifizierungsmaßnah- Und ich habe etwas dagegen, daß die Aufteilung in men teilhaben können. dieser Gesellschaft so passiert. Wenn man das so sieht, würde auch mehr Teilzeit- (Beifall bei der SPD) arbeit für Männer und für Frauen mit dazu beitragen, daß Männer und Frauen Beruf und Familie in dieser Das zweite, worauf ich eingehen muß, be trifft Gesellschaft vereinbaren können und daß wir im Jahr § 249h Arbeitsförderungsgesetz. Die Kollegin Bläss der Familie nicht nur beschäftigungspolitisch, son- hat schon einiges dazu gesagt. Wenn die Regierung dern auch in diese Richtung einen Schritt weiterge- diese Instrumente aus dem Osten übernimmt und hen. sagt, wir probieren es jetzt im Westen, dann bin ich dafür, zu überprüfen, wo denn die Schwierigkeiten im (Vorsitz: Vizepräsident Dieter-Julius Cro nenberg) Osten lagen, warum die Mittel nicht ausgeschöpft wurden und wie wir diese Schwierigkeiten beseitigen Es hätte — da Frau Babel die Wirtschaftsminister der können, wenn wir die Instrumente auf den Westen F.D.P. so gelobt hat — einem liberalen Wirtschaftsmi- übertragen. nister vielleicht angestanden, als einer in die Geschichte einzugehen, der auch etwas für die Die Problematik war ja nicht nur, die Anträge zu Gleichstellung der Geschlechter getan und nicht nur stellen, sondern jeder hier im Saal weiß, daß es auch das Rabattgesetz verändert hat. daran gelegen hat, daß weder die Länder noch die Kommunen noch die Träger in der Lage waren, die (Beifall bei der SPD und der PDS/Linke Komplementärmittel zu bezahlen. Da reicht es nicht Liste) aus, wenn der Kollege Fuchtel — ich glaube, er war es — sich hier hinstellt und sagt: Da sollen die Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Ich erteile sozialdemokratischen Länder jetzt mal sehen, wie sie- nunmehr dem Abgeordneten Dr. Ul rich Briefs das die Komplementärmittel bezahlen. — Die Bundesre- Wort. gierung muß gemeinsam mit den Ländern — ich bin gar nicht für die einseitige Zuweisung der Finanzie- Dr. Ulrich Briefs (fraktionslos): Herr Präsident! rung — überlegen, wie wir die Finanzierung der Meine Damen und Herren! In diesem Land fehlen Komplementärmittel sicherstellen und auch die Frage 7 Millionen Arbeitsplätze. In diesem Haus ist heute der Antragstellung entbürokratisieren können. morgen mit der Poststrukturreform II ein Prozeß ein- Eine andere Frage ist, darüber nachzudenken, ob geleitet worden, der mindestens weitere 100 000 die ganz festgeschriebenen Projektfelder wirklich als Arbeitsplätze kostet. Brücke zu zukunftsträchtigen Arbeitsplätzen dienen Die tiefste Wirtschaftsk rise in der Nachkriegszeit oder ob wir nicht auch da erweitern müssen. wird von der Wirtschaft genutzt, um die Beschäftigung Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 208. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. Februar 1994 17987

Dr. Ulrich Briefs weiter drastisch zu reduzieren. Selbst bislang gehät- antwortlich, es ist nicht nur Wahnsinn, es hat schelte Experten, mittlere und obere leitende Ange- Methode. Es soll nach den Vorstellungen dieser Bun- stellte müssen jetzt, was ihre Arbeitsplätze betrifft, in desregierung nunmehr — nach dem Wegfall des großer Zahl dran glauben. Systemgegensatzes — mit großen Teilen des Sozialsy- Hochmoderne kapitalintensive Produktionsanla- stems aufgeräumt werden, dem „Sozialklimbim", wie gen stehen still. Wir haben riesige, nicht ausgelastete es in den Vorstandsetagen der Wirtschaft inzwischen Kapazitäten und eine viel zu geringe Nachfrage. Die nicht mehr nur hinter vorgehaltener Hand heißt. Auslastung weiter Bereiche der Kapazitäten ist auf Ich fürchte, das Ziel dieser Bundesregierung ist einen historischen Tiefststand gesunken. Die Fixko- tatsächlich eine andere Republik, eine andere Gesell- sten der teuren modernen Anlagen, vor allem die schaft, ohne die unerläßlichen Elemente des Sozial- Kosten der Unterauslastung und die Kostenremanen staats, mit geschwächten, ausgehebelten Gewerk- zen, erdrücken förmlich die Bet riebe. Und was macht schaften, mit Beschäftigten, die in ihrer Angst um den diese Bundesregierung? Zieht sie etwa öffentliche Arbeitsplatz und das Einkommen kuschen und die für Aufträge vor? Legt sie öffentliche nachfragestimulie- die Profiteure und die Wohlhabenden in dieser Gesell- rende Programme vor? Nein, nichts dergleichen. schaft wieder Verfügungsmasse werden. Das scheint so die Vorstellung zu sein: Es muß wieder ein richtiges Es ist wirklich sehr verblüffend und geradezu Oben und entsprechend ein richtiges Unten mit dem beängstigend, daß es nicht einen Hauch von Vorstel- entsprechenden Zugriff der da oben auf die da unten lung gibt, wie man mit einfachen konjunkturpoliti- in der Gesellschaft geben. Ich glaube, das sind die schen Maßnahmen in dieser Situation in jedem Fall ansetzen muß. Grundabsichten dieser Bundesregierung und dieser Koalition. Statt kurzfristig wirksame beschäftigungssichernde Auch und gerade deshalb muß der Politik dieser und beschäftigungsschaffende Maßnahmen — wie Bundesregierung ein Ende gesetzt werden. Die Wahl- Ausweitung und Vorziehen öffentlicher Aufträge — runden dieses Jahres geben dazu Gelegenheit. Das beispielsweise mit ökologischer Modernisierungswir- muß man immer wieder betonen und unterstreichen. kung zu ergreifen, fummelt die Bundesregierung Wer aber allerdings als Arbeitsloser, als Rentner, als weiter an den Rahmenbedingungen des Wirtschaf- Sozialhilfeempfänger, als BAföG-Empfänger nicht zur tens herum, mit weiterer Liberalisierung, weiterer Wahl geht oder für politische Kräfte stimmt, die Deregulierung, weiterer Privatisierung und ähnli- bestenfalls eine Rand- oder Splitterfunktion ausfüllen chem. Das wirkt aber — wenn es überhaupt in die können, vergibt eine ganz wichtige Chance, eine richtige Richtung wirkt — bestenfalls mittelfristig, Chance, die wahrscheinlich nicht noch einmal vor- zumeist jedoch erst langfristig. Da muß sich doch der kommen wird. Eindruck aufdrängen, daß diese Bundesregierung nicht die Behebung der Wirtschaftsk rise und die Herr Präsident, ich danke Ihnen. Beseitigung der Massenarbeitslosigkeit im Auge hat, (Beifall bei der PDS/Linke Liste sowie bei sondern daß sie die Misere in den Betrieben nutzt, um Abgeordneten der SPD) ihre marktradikale Ordnungspolitik voranzupeit- schen. Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Das Wort In der: gleiche Kerbe schlagen doch Maßnahmen der hat nunmehr der Abgeordnete Joachim Gres. Arbeitszeitverlängerung, des Sozialabbaus, der Kür- zung von Sozialleistungen für Arbeitslose, die im Rentensystem angelegte reale Absenkung der Ren- Joachim Gres (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine ten, die geplanten BAföG-Absenkungen. Die Stabili- sehr geehrten Damen und Herren! In das Programm sierung und die Erhöhung der Massenkaufkraft sind der Koalition für mehr Wachstum und Beschäftigung sicherlich kein Patentrezept. Es wäre falsch, irgend- sind aus gutem Grunde zur Stärkung des sogenannten wie in diese Richtung zu denken. Sie löst insbesondere ersten Arbeitsmarktes auch die Gesetzgebungsvorha- nicht die Strukturprobleme und die durchaus gegebe- ben zur Schaffung der kleinen Aktiengesellschaft und nen partiellen Innovationsprobleme in dieser Wirt- zum Umwandlungsbereinigungsgesetz eingebettet schaft. Aber sie ist doch in dieser Situation ein worden. Beide Vorhaben finden ihre Begründung in unerläßliches Element, um aus der Talsohle wirklich der notwendigen Anpassung der deutschen Wirt- herauszukommen. schaft an das sich rasch ändernde ökonomische Und was haben die Vertreter dieser Koalition Umfeld. Flexibilität und Flexibilisierung sind keine eigentlich dagegen, daß mit gezielten staatlichen und dürfen keine wohlfeilen Schlagworte für Sonn- konjunkturstimulierenden Programmen zugleich tagsreden sein, sondern sind ganz praktische H and- ökologisch und sozial sinnvolle und überfällige Ent- lungsnotwendigkeiten für Unternehmen und Be- wicklungen in Gang gesetzt werden? Für Arbeit und . triebe. Arbeitsplätze zu sorgen und gleichzeitig die notwen- (Beifall bei der CDU/CSU) dige, ökologische Modernisierung voranzutreiben — Die erforderlichen Rahmenbedingungen zu schaf- was ist das für eine Herausforderung? Ist das nicht eine fen, meine Damen und Herren, damit sich die deut- ganz große Herausforderung auch für diese Bundes- schen Unternehmen in diesem neuen Umfeld behaup- regierung? Genau daran geht jedoch diese Bundesre- ten können, sich diesen neuen Herausforderungen gierung konsequent vorbei. Das planlose, schon fast stellen können, und zwar auch in ihren Rechtsformen, panikgetriebene Gewurstel dieser Bundesregierung in ihren Unternehmensgrößen und in ihren Eigenka- ist vor dem Hintergrund der bereits angesprochenen pitalbeschaffungsmöglichkeiten, ist ein Gebot der 7 Millionen fehlenden Arbeitsplätze nicht nur unver- Stunde. 17988 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 208. Sitzung. Bonn, Donnerstag. den 3. Februar 1994

Joachim Gres Lassen Sie mich zunächst zur kleinen Aktiengesell- Mitarbeiter beschäftigt, was überraschend häufig schaft einige Worte zur Begründung sagen. Kleine der Fall ist. Ich komme darauf nachher noch zu- und mittlere Unternehmen in der Rechtsform der rück. GmbH prägen weithin das Bild der deutschen Unter- nehmenslandschaft. Gerade wachstumsstarke und (Konrad Gilges [SPD]: Das kann man auch dynamische Unternehmen geraten in dieser Rechts- umgedreht machen! Schaffen wir für die form aber häufig und schnell an die Grenze ihrer GmbH die Mitbestimmung!) finanziellen Möglichkeiten. Zusätzliche Eigenmittel Diese grundsätzliche Differenzierung beruht auf der Gesellschafter stehen oftmals nicht zur Verfü- der Überlegung in den 50er Jahren, daß die Aktien- gung. Die Fremdfinanzierung über übliche Bankkre- gesellschaft grundsätzlich die Rechtsform für die gro- dite mit ihren bekannten Besicherungsnotwendigkei- ßen Publikumsgesellschaften sei, während die GmbH ten führt gerade in schwierigen Zeiten bei manchen die adäquate Rechtsform für kleine und mittlere Unternehmen schnell zu krisenhaften Liquiditäts- Unternehmen sei. Diese Fehleinschätzung der 50er problemen. Jahre müssen wir jetzt korrigieren. Dabei sollten wir diese Diskussion — ich bitte Sie sehr herzlich darum — Im europäischen Vergleich zeigt sich, daß deutsche unemotional, leidenschaftslos und unter Berücksichti- Unternehmen im Schnitt deutlich unterkapitalisiert gung der tatsächlichen Fakten führen. sind. Im Ausland ist die Eigenkapitalausstattung u. a. auch deswegen besser, weil sich viel mehr Unterneh- In Deutschland gibt es zur Zeit ca. 500 000 Unter- men ihr Kapital an der Börse beschaffen. In England nehmen in der Rechtsform der GmbH oder GmbH & sind z. B. 2 400 Unternehmen, in Japan 2 800 und in Co. KG und nur 3 000 Aktiengesellschaften. Wie ich den USA 7 000 Unternehmen an der Börse notiert. In schon sagte, sind von diesen Aktiengesellschaften nur Deutschland sind es gerade einmal 664. 664 börsennotiert. Die überwiegende Zahl der Aktien- gesellschaften sind kleine Gesellschaften mit weniger (Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Hört! Hört!) als 100 Mitarbeitern. Über 600 Aktiengesellschaften sind mehr oder weniger Holdinggesellschaften mit Es ist daher hohe Zeit, gerade den deutschen keinem oder zwei bis vier Beschäftigten. Unberück- mittelständischen Unternehmen mit dem Gesetz, sichtigt müssen ferner die Aktiengesellschaften blei- das wir heute vorlegen, im ersten Schritt generell ben, die als Familiengesellschaften schon jetzt nicht den Weg zur Aktiengesellschaft zu erleichtern und mitbestimmt sind, und schließlich die Aktiengesell- damit später als zweiten Schritt den Weg zur erleich- schaften, die Tendenzbetriebe darstellen und eben- terten Eigenkapitalbeschaffung durch die Börse zu falls nicht mitbestimmt sind. Schließlich müssen die ermöglichen. Aktiengesellschaften abgezogen werden, die im Kon- zernverbund sind und über die jeweiligen Konzern- (Beifall bei der CDU/CSU) obergesellschaften in jedem Fall mitbestimmungs- pflichtig bleiben. Meine Damen und Herren, für diesen ersten Schritt Im Ergebnis wirkt sich daher die von uns vorge- mittelgroßer Unternehmen aus der Rechtsform der schlagene Regelung mitbestimmungsrechtlich ent- GmbH oder der GmbH & Co. KG in die Rechtsform der weder gar nicht oder nur in ganz geringem Umfang Aktiengesellschaft sieht der Gesetzentwurf verschie- aus. dene Maßnahmen vor, die vor allem auf der Stufe nicht börsennotierter Aktiengesellschaften zum Tra- (Konrad Gilges [SPD]: Dann brauchen wir sie gen kommen sollen. Dazu zählen — ich will nicht alles nicht zu machen! Wenn sie sich nicht aus erwähnen, weil die Zeit dazu fehlt — erleichterte wirkt, gibt es keinen Sinn!) Gründungsvorschriften, Ausschluß der zwingenden Insbesondere bleibt die Mitbestimmung nach dem Einzelverbriefung von Aktien, Erleichterung der Ein- Mitbestimmungsgesetz — also für alle Unternehmen stellung von Teilen des Jahresüberschusses in die mit mehr als 2 000 Arbeitnehmern — gänzlich unbe- Rücklage, Erleichterungen bei den Formvorschriften rührt. Das gleiche gilt für die drittelparitätische Mit- bei Hauptversammlungen der Gesellschaft, Wegfall bestimmung nach dem Betriebsverfassungsgesetz des Zwangs der notariellen Protokollierung, Er- von 1952 für alle Unternehmen mit mehr als 500 Ar- leichterung der Kapitalerhöhung aus genehmig- beitnehmern. Auch für diese Betriebe ändert sich tem Kapital, allerdings nur bei börsennotierten nichts. Gesellschaften. Für Unternehmen in der Rechtsform der GmbH, die In diesem Zusammenhang haben wir heute schon weniger als 500 Arbeitnehmer haben und in die die Frage der Mitbestimmung ausdiskutiert. Ich will in- Rechtsform der AG umwechseln, verändert sich diesem Kontext einiges ausführen. gegenüber dem alten Mitbestimmungsstatus eben- falls nichts. Ob es sinnvoll ist, für Aktiengesellschaften Der notwendige Schritt ist die Beseitigung der mit weniger als 500 Arbeitnehmern die jetzige Mitbe- mitbestimmungsrechtlichen Ungleichbehandlung der stimmungsform nach dem Betriebsverfassungsgesetz GmbH gegenüber der AG. Während die GmbH bis zu von 1952 zu perpetuieren, werden wir in den Aus- einer Beschäftigtenzahl von 500 Mitarbeitern nicht schußberatungen noch eingehend zu erörtern ha- der Mitbestimmung nach dem Betriebsverfassungs- ben. Der Gesetzentwurf sieht - wie ich meine, gesetz 1952 unterliegt, unterliegt die Aktienge- aus guten Gründen — vor, diese Regelung mit einer sellschaft qua Rechtsform der drittelparitätischen Übergangsfrist von fünf Jahren auslaufen zu las- Mitbestimmung, auch wenn sie nur drei oder vier sen. Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 208. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. Februar 1994 17989

Joachim Gres Es hindert im übrigen niemand eine bestehende Die betriebliche Mitbestimmung wird nach dem Aktiengesellschaft daran, einen Aufsichtsrat in drittel- Vorbild des Spaltungsgesetzes 1991 dadurch gesi- paritätischer Zusammensetzung fakultativ weiterhin chert, daß dem Betriebsrat ein Übergangsmandat bestehen zu lassen, obwohl das Gesetz von uns zugesprochen wird, so daß ein problemloser Über- geändert wird. gang von dem alten Bet riebsrat zu dem neu zu wählenden Betriebsrat sichergestellt ist. Für die ein- Ich will abschließend auf das Problem hinweisen, zelnen Arbeitnehmer ist durch § 613a BGB die Fort- daß eine Perpetuierung jetzt bestehender Mitbestim- geltung von Tarifvertragsregelungen und individuel- mungsregelungen für Aktiengesellschaften mit weni- len Arbeitsvertragsbedingungen gesichert, gleichgül- ger als 500 Mitarbeitern zu einem Nebeneinander tig, ob es sich um die Verschmelzung oder die Spal- von Stichtagsaktiengesellschaften führen würde. Ich tung von Unternehmen handelt. glaube nicht, daß das für die Unternehmenskultur in unserem Lande besonders sinnvoll wäre. Meine Damen und Herren, ich bitte Sie, mit uns gemeinsam beide Gesetze zügig zu beraten, rasch (Zuruf von der SPD: Wenn das alles keine abzuschließen und damit einen wichtigen Schritt zur Funktion hat, wozu muß es dann sein?) Sicherung und Stabilisierung von Arbeitsplätzen in Insgesamt führt die vorgeschlagene Einführung der Deutschland zu leisten. sogenannten kleinen Aktiengesellschaft kurz- und Ich danke Ihnen. mittelfristig zur besseren Eigenkapitalbildung bei (Beifall bei der CDU/CSU und bei Abgeord mittleren Unternehmen und damit zur Stabilisierung neten der F.D.P.) vorhandener und Schaffung neuer Arbeitsplätze. Die Erreichung dieses Ziels werden wir mit Nachdruck Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Professor betreiben. Ich lade die Opposition ein, sich an den Nils Diederich hat nunmehr das Wort. Einzelberatungen konstruktiv zu beteiligen.

(Beifall bei der CDU/CSU) Dr. Nils Diederich (Berlin) (SPD): Herr Präsident! Meine Damen und Herren, ähnliche Überlegungen Meine Damen und Herren! Für uns Sozialdemokraten bestimmen auch das Ihnen vorliegende umfangreiche gehört zur Verbesserung der Lebensverhältnisse die und jede Gesetzespaket mit der Überschrift „Umwandlungsbe- Schaffung von Arbeitsplätzen Erleichterung Ich meine, darüber reinigungsgesetz". Auch hier gilt es, mit Hilfe von für unternehmerische Aktivitäten. flexiblen und deregulierten Rahmenbedingungen der gibt es in diesem Haus Konsens. Außerdem geht es Wirtschaft die Anpassung, die Umstrukturierung und — auch das ist richtig erkannt — um den sparsamen Reorganisation im Rahmen des sich verändernden Umgang mit öffentlichen Mitteln. ökonomischen Umfeldes zu erleichtern, damit Unter- Wir als Sozialdemokraten wollen einen modernen, nehmen und Be triebsteile erhalten und letztlich einen leistungsfähigen Staat, der sich auf seine Arbeitsplätze gesichert werden. eigentlichen Aufgaben konzentriert. Überregulie- rung, überflüssige Zentralisierung und bürokratische Die Dicke des Gesetzespakets sollte uns nicht Erstarrung müssen abgebaut werden. abschrecken, auch dieses Gesetz zügig anzugehen Für uns Sozialdemokraten haben aber Effizienz und und rasch zu verabschieden. Die Deregulierung mit- kostengünstiges Angebot von Dienstleistungen ein- tels Zusammenfassung der gerade im Umwandlungs- deutig Vorrang vor der Frage, wer diese Dienstlei- bereich zahllosen zersplitterten Gesetzesvorschriften stungen erbringt. Ob dies nun ausschließlich staatli- und mittels Kodifizierung der durch Richterrecht che Institutionen leisten müssen und können oder ob geschaffenen Rechtslage ist dringend notwendig. diese Aufgaben Unternehmen der Wirtschaft übertra- Ich will auf die Einzelheiten dieses Gesetzes, das im gen werden, ob andere gesellschaftliche Initiativen übrigen zwischen Rechtswissenschaft und beteiligten und Gruppen oder neue Formen der Leistungserbrin- Wirtschaftskreisen ganz unstreitig ist und nachdrück- gung gefunden werden — das ist eine Aufgabe lich begrüßt wird, hier nicht weiter eingehen, weil mir regelmäßiger Prüfung. die Zeit fehlt. Aber auch hier noch ein Wort zu der Wir haben zu fragen: Gibt es Hemmnisse, die die mitbestimmungsrechtlichen Problematik. Durchsetzung dieser Grundsätze behindern? Die Mitbestimmungsrechtliche Konsequenzen erge- Koalition möchte mit der Vorlage eines Änderungsan- ben sich aus diesem Gesetz unmittelbar nicht Die sich trags das Haushaltsgrundsätzegesetz ändern. Ein im Wege der Verschmelzung oder Spaltung bilden- Blick in das Haushaltsgrundsätzegesetz zeigt folgen- den Unternehmen behalten oder bekommen den des. Bereits jetzt ist im Haushaltsrecht der Grundsatz Mitbestimmungsstatus, der der jeweiligen Rechtsform der Wirtschaftlichkeit und der Sparsamkeit verankert bzw. der jeweils sich ergebenden Anzahl von Arbeit-- und ist die Auflage erteilt, für geeignete Maßnahmen nehmern entspricht. Wenn daher durch eine Ver- von erheblicher finanzieller Bedeutung Kosten - Nut- schmelzung zwischen Unternehmen die relevante zen - Untersuchungen anzustellen. Das steht übrigens Größe von 500 Mitarbeitern oder 2 000 Mitarbeitern seit 1969 in dem Haushaltsgrundsätzegesetz. überschritten wird, kommt es zu den bekannten Ich stelle fest: Es ist alles in klassischer Kürze Mitbestimmungskonsequenzen nach dem Betriebs- beschrieben, was notwendig ist, um auch die Frage zu verfassungsgesetz 1952 oder dem Mitbestimmungs- prüfen, wie politischer Wille umgesetzt werden kann. gesetz. Umgekehrt gilt das gleiche bei absinkender Auch die Privatisierung ist ein Weg, allerdings nur e i n Arbeitnehmerzahl oder bei einem Rechtsformwech- Weg, um wirtschaftlicher und sparsamer zu verfahren. sel. Auch dies entspricht bereits der heutigen Rechts- Der Weg führt eben genau über die Kosten-Nutzen- lage. Erwägungen zu diesem Punkt. Es ist also alles da, es ist 17990 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 208. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. Februar 1994

Dr. Nils Diederich (Berlin) alles im Gesetz beschrieben, die Koalition hätte han- geht der Koalition darum, durch Auslagerung öffent- deln können. licher Aufgaben auch Schattenhaushalte und die Höhe der Staatsverschuldung zu verschleiern. Sie möchten nun mit der Änderung des Haushalts- grundsätzegesetzes eine verbindliche Prüfungs- Private Infrastrukturfinanzierung mit hoher Ge- pflicht und sogenannte Interessenbekundungsver- winnsicherheit wird letztlich dazu beitragen, daß die fahren einführen, was auch immer das sein mag. Dies Politik der Koalition die öffentlichen Haushalte nicht kann ja nur bedeuten, daß im Hinblick auf jede durchgehend weniger, sondern längerfristig sogar staatliche Maßnahme sozusagen von Amts wegen und höher belastet und die Aufgabenerfüllung teurer fortlaufend der Versuch unternommen werden muß, werden läßt. Wir Sozialdemokraten sind für einen sie möglichst schnell an Private loszuwerden, ohne im solchen Weg nicht zu gewinnen. Zusammenhang einer kommunalen oder einer Län- Was Sie jetzt tun wollen, ist, nachdem Sie die derpolitik Erwägungen anzustellen, ob die Aufgaben- Bundeshaushaltsordnung genau in der Richtung, wie erfüllung aus politischen oder gesellschaftlichen ich das beschrieben habe, geändert haben, Ihre Priva- Gründen oder aus anderen Erwägungen nicht doch tisierungsideologie auch den Ländern und Kommu- besser in kommunaler oder staatlicher H and bleiben nen aufzudrücken. Das zeigt wieder deutlich die sollte. deformierte Vorstellung, die die jetzige Koalition und auch die Bundesregierung vom kooperativen Födera- Gerade kommunale Dienstleistungen sind im ganz lismus haben. Durchsetzung von Ideologien auf besonderen Maße an der Daseinsvorsorge und am Kosten der Länder und Kommunen lehnen wir aus- Bürger orientiert. Die Kommunen müssen also die drücklich ab. Ich hoffe, daß hier auch im Bundesrat Möglichkeit haben, in ihrem politischen Entschei- deutliche Worte gesprochen werden. dungsprozeß zu erwägen, ob sie privatisieren wollen oder nicht. Es gilt, wirtschaftliche Vorteile, wenn sie Wir Sozialdemokraten betonen die Eigenstaatlich- überhaupt gegeben sind, gegen die politische, soziale keit und damit auch die politische Eigenverantwor- und kulturelle Bedeutung der jeweiligen Aufgabe tung und die politische Gestaltungsaufgabe in den abzuwägen. Das betriebswirtschaft liche Kalkül der Ländern und in den Gemeinden. privaten Wirtschaft zum alleinigen Maßstab der Auf- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) gabenerfüllung zu machen, wie das in Ihrer Vorlage Ich erwähne hier ganz ausdrücklich den Herrn vorgesehen ist, bedeutet die Vernichtung eines wich- Oberbürgermeister Grandke, Offenbach, der ja tigen Ecksteins und eines Stabilitätsgaranten unserer gezeigt hat, wie man mit energischer Politik die sozialstaatlichen Ordnung. Sanierung einer Gemeinde — auch durch Auslage- Privatisierung kann im Einzelfall eine Chance zu rung und Privatisierung — ohne Vernichtung von mehr Wirtschaftlichkeit sein, aber eine gesetzlich Dienstleistungsqualität für den Bürger in Ang riff neh- normierte Privatisierungspflicht, die übrigens in Form men kann. Die Kommunen sind sich in ihrer politi- und Inhalt völlig ungeklärt ist, wird nur neue kom- schen Verantwortung für kostengünstiges Handeln plexe Bürokratismen heraufbeschwören, die Verwal- durchaus bewußt. Das zeigt dieses Beispiel. Sie nut- tungsapparate mit Prüfaufgaben aufblähen und Ent- zen eben genau auch diese Aufgabenstellung der scheidungen eher verschleppen als die Reform för- Kosten-Nutzen-Erwägung und des sparsamen Vorge- dern. hens, um hier neue Wege zu finden. Die Vorschriften, wie Sie sie hier in das Haushalts- Es gibt die Leitlinien des Deutschen Städtetages zur grundsätzegesetz einführen wollen, haben also gera- Privatisierung, die in Form und Inhalt von Sachkom- dezu zwangsneurotischen Charakter. Sie enthüllen, petenz und Verantwortungsbewußtsein getragen daß nicht mehr rational abgewogen werden soll, sind. Wir lehnen daher, meine Damen und Herren, sondern daß die kommunale Ebene gezwungen wer- ausdrücklich ab, den Irrweg der Koalition zu beschrei- den soll, die Privatisierungsideologie der Koalition ten, der die Pflicht zur Suche nach ausschließlich umzusetzen. privatwirtschaftlichen Lösungen zum Selbstzweck machen möchte. Das ist etwas, was gerade das Gleich- Wir Sozialdemokraten haben die Privatisierungsbe- gewicht kommunaler Politik in Zukunft ganz erheb- mühungen gerade innerhalb der Bundesregierung lich behindern und stören wird. Wir wehren uns mit Aufmerksamkeit verfolgt und stehen ihnen auch dagegen entschieden. nicht in jedem Falle negativ gegenüber. Ich stelle aber (Beifall bei der SPD) fest, daß es der Mehrheit in diesem Hause im wesent- lichen nicht auf rationale Überlegungen ankommt, Es fragt sich im übrigen auch, ob das, was Sie mit der sondern auf zwei politisch schwergewichtige Punkte: Gesetzesänderung bezwecken, nicht ein Rohrkrepie- Aufgaben, die mit Gewinnerwartungen verbunden rer wird. Es werden im wesentlichen die großen sind, sollen privatisiert werden, verlustreiche Aufga- Unternehmungen, die großen flächendeckenden ben verbleiben beim Staat. Konzerne und wirtschaftlichen Kräfte sein, die die Vielzahl der sogenannten Interessenbekundungsver- Diese Politik wird letztlich sowohl für den Staat als fahren, die uns ins Haus stehen, bestreiten können; auch für den Bürger im Ergebnis nicht billiger, son- denn dazu brauchen sie extra Personal. Das ist so wie dern kostenträchtiger. Ob etwa p rivate Bereederung mit der Einwerbung öffentlicher Förderer. des Fischereiforschungsschiffes — wir haben uns im Haushaltsausschuß darüber unterhalten — oder über- eilte Zerkrümelung attraktiver Märkte im Bereich der Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Herr Kol- gelben Post oder auch der Bahn, Bahnbusbetriebe — lege Diederich, sind Sie bereit, eine Zwischenfrage zu die Beispiele zeigen, wohin die Reise gehen soll. Es beantworten? Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 208. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. Februar 1994 17991

Dr. Nils Diederich (Berlin) (SPD): Aber gern. Sie sind jetzt die Bevölkerung, Sie sind die Arbeits- losen, und ich soll organisieren, daß Sie morgen für Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Der Abge- 25 DM am Tag zusätzlich für drei Wochen auf dem ordnete Türk hatte darum gebeten. Acker arbeiten. Erstens. Welche Arbeitsschuhe haben Sie? — Da Dr. Nils Diederich (Berlin) (SPD): Aber gern. kaufen Sie sich neue von 25 DM zusätzlich. Arbeiten Sie mal acht Stunden hintereinander mit neuen, Jürgen Türk (F.D.P.): Herr Kollege Professor Diede- hohen Arbeitsschuhen! Mit Halbschuhen geht es rich, sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß Ihre nicht. Brandenburger Kollegen, Ihre Brandenburger Genos- Zweitens. Was setzen Sie denn auf den Kopf, wenn sen, da schon ein Stück weiter sind? Wir haben es regnet? — Sie müssen eine Kopfbedeckung haben, nämlich als erste in den Ländern in der brandenbur- die beim Bücken — und Sie müssen sich ja die ganze gischen Haushaltsordnung dieses Privatisierungsge- Zeit bücken — nicht herunterfällt. Also kaufen Sie sich bot drin. Wir sind eigentlich ganz gut mit den Bran- von 25 DM am Tag zusätzlich auch noch ein Kopftuch. denburger Genossen zurechtgekommen. Welche Joppe tragen Sie, wenn es regnet? (Zuruf von der F.D.P.: Bravo! —Joachim Gres Wir in der früheren DDR kennen solche Arbeitsein- [CDU/CSU]: Erstaunlich für Brandenburg! — sätze. Nach zwei Stunden haben Sie einen Muskelka- Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU — ter, nach vier Stunden haben Sie Blasen an den Zurufe von der SPD) Händen. Wie wollen sie drei Wochen hintereinander mit blutigen Händen arbeiten, die arbeitslosen Haus- Dr. Nils Diederich (Berlin) (SPD): Das zeigt nur, daß frauen? — Sie werden mir ja zustimmen, Herr Kol- hier ein Bundesland ganz autonom seinen eigenen lege. Weg gefunden hat. Ich möchte, daß auch in Zukunft (Dr. Nils Diederich [Berlin] [SPD]: Reichsar- die Länder die Möglichkeit haben, diese Option zu beitsdienst!) wählen, ohne daß ihnen das von oben aufgedrückt wird. Was Sie jetzt hier machen wollen, ist, daß Sie sozusagen ein Allheilmittel, das Sie glauben, erkannt Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Herr Ab- zu haben, allen Ländern verabreichen wollen. So geordneter, sind Sie bereit, eine Zwischenfrage von kann es nicht gehen. Herrn Gallus zu beantworten? (Beifall bei der SPD) Ich weiß nicht, ob wir in den Ausschußberatungen Dr. Rudolf Ka rl Krause (Bonese) (fraktionslos): Ja, Ihren Vorschlag noch einmal so verändern können, von Herrn Gallus gerne; der hätte diese Rede auch daß er erträglich wird. Das werden wir prüfen. Wir halten können. lehnen ihn in der jetzt vorliegenden Form ab, weil er (Heiterkeit bei der SPD) ideologisch belastet und darüber hinaus bürokratie- vermehrend, zeitverzehrend und kostentreibend ist. Georg Gallus (F.D.P.): Herr Kollege, wenn Sie so gut Arbeitsplätze werden dadurch übrigens auch nicht wissen, wie schwierig und hart die Landarbeit teil- geschaffen, und darum geht es ja im Moment. weise noch ist, möchten Sie dann wenigstens zuge- Im übrigen — eine letzte Bemerkung —: Am 21. De- ben, wenn Sie sie niemandem zumuten wollen, daß es zember 1993, also drei Tage vor dem vergangenen noch viele deutsche Bauern gibt, denen gar nichts Weihnachtsfest, ist Ihre Änderung der Bundeshaus- anderes übrigbleibt, als diese Arbeit dann selbstver- haltsordnung, die ja im gleichen Sinne lief, im Bun- ständlich zu machen? desgesetzblatt veröffentlicht worden. Ich bitte alle Damen und Herren, einmal die entsprechende Vor- Dr. Rudolf Karl Krause (Bonese) (fraktionslos): lage heute zur Kenntnis zu nehmen. Da ändern Sie Arbeit adelt, und in diesem Sinne ist meine Familie nämlich schon eine Vorschrift, die erst vor 41 Tagen sehr adlig geblieben. Wir haben immer unsere Neben- verkündet worden ist. Das gehört wirklich ins Guin- wirtschaft gehabt, wir haben kilometerweise Straßen- ness-Buch der Rekorde, und zwar unter das Kapitel gräben gemäht, ein Bein oben, ein Bein unten, wie so „Schlamperei, Hektik und Aktionismus, aber keine ein Hanghuhn, aber sagen Sie das doch einmal einer politische Durchsetzung und keine Gestaltung". arbeitslosen Hausfrau! (Beifall bei der SPD) Es geht ja weiter. Der Pole ist arbeiten gewöhnt, unsere DDR-LPG-Bauern auch, aber um die geht es ja Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Ich erteile gar nicht. Es geht hier um nicht vermittelbare Haus- nunmehr dem Abgeordneten Dr. Rudolf Krause (Bo- frauen — frauenfreundlich! — und auch um Män- nese) das Wort. ner. 25 DM am Tag zusätzlich — Sie kriegen Durst. Dr. Rudolf Karl Krause (Bonese) (fraktionslos): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nun habe ich (Heiterkeit bei der SPD) mir so eine schöne Rede vorbereitet, aber ich muß Sie saufen Bier oder Wasser oder sonstwas. Was kostet trotzdem etwas ganz anderes sagen. das? — Sie müssen dauernd hinter den Baum. Wo steht Diejenigen, die das Aktionsprogramm geschrieben denn eine Toilette? haben, sind lebensfremde Beamte, und ich habe das Denken Sie doch daran, ich sage: Sie sollen arbei- Gefühl, daß so mancher wirklichkeitsfremde Politiker ten, und ich soll es organisieren. Dieses Programm ist das kritiklos übernommen hat. zum Lachen. Es wird einfach nicht gehen. 17992 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 208. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. Februar 1994

Dr. Rudolf Karl Krause (Bonese) Ich habe mir einiges aufgeschrieben: Fitneß. Wollen Enden pulsiert, will eine andere Republik. Und dann Sie sich etwa vorher erst einmal acht Wochen fit schreibt er: Aber es bleibt ja den ewig Unzufriedenen machen? Nach anderthalb Stunden bekommen Sie überlassen, die Republik fluchtartig zu verlassen. den Buckel nicht mehr gerade oder nicht mehr Keiner von ihnen wird gehalten werden. krumm. Der Bauer nimmt doch einen Knüppel und Was für ein Unterschied zwischen dem lebensfrem- jagt Sie davon! den Aktionsprogramm und den noch wirklichkeits- Sie sollen dann arbeiten für 25 DM am Tag zusätz- fremderen, aber zynischen Ausdrücken eines Vorsit- lich. Nach vier oder acht Wochen geht das, aber doch zenden der Mittelstandsvereinigung einer Partei, in nicht in den ersten drei Wochen. Ich weiß, was der ich sehr, sehr viele Freunde habe und behalten körperliche Arbeit ist, und ich weiß auch, was sonna- werde, die das nicht verdient haben! bends los war, wenn die Kinder am Freitag von der Ich danke für die Aufmerksamkeit. Schule kamen. Für wen ist dieses Programm gemacht? Ich sage Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Der Abge- noch einmal: wirklichkeitsfremd, lebensfremd. ordnete Volker Kauder hat nunmehr das Wort. Zum Durst kommt die Frage: Wo Mittag essen? — Ein paar Stullen? Wenn in der DDR so etwas organi- siert war, dann mußte die LPG Mittagstisch machen, Volker Kauder (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine und das ging: 2,40 Mark für das Mittagessen. Was Damen und Herren! Die Regierungskoalition setzt bezahlen Sie jetzt für ein Mittagessen, und das für heute konkrete Maßnahmen um, um das Aktionspro- 25 DM zusätzlich? Der Bauernhof ist doch nicht neben gramm für mehr Wachstum und Beschäftigung Wirk- dem Marktplatz oder dem Hauptbahnhof. lichkeit werden zu lassen. Wir wollen Arbeitsplätze erhalten und neue schaffen. Wir wollen Güter und Sie fahren also mit dem Auto hin. Da müssen Sie keine Arbeitsplätze exportieren. Klamotten haben, um sich umzuziehen. Dann wollen (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Sie verschwitzt in gute Klamotten, oder wollen Sie mit Ihren Dreckklamotten ins Auto steigen? — Lebens- Wir wissen, daß wir eine tiefgreifende Wirtschafts-, fremd! Struktur- und Kostenkrise haben. Daß die Ursachen dieser Krise nicht bei der Bundesregierung liegen, Ich kann nicht jemanden aus der Stadt herausneh- weiß die SPD; aber sie führt sich heute so auf, als ob die men und ihn sechs Wochen in Feldarbeit schicken. Bundesregierung für diese Wirtschafts-, Struktur- und Man kann sich hier wirklich nur blamieren. Kostenkrise verantwortlich wäre. Es gibt ein Papier Ich wollte eigentlich etwas über die Lebensfremd- der Arbeitsgruppe Arbeit und Sozialordnung der SPD heit des Vorsitzenden der Mittelstandsvereinigung mit der Überschrift „Sozialpolitik als Standortfaktor"; Bregger sagen. Ich muß mich da sehr kurz fassen. Er es beginnt mit der Feststellung: „Die Wirtschafts- und hat in der Zeitung geschrieben — wen es interessiert, Arbeitsmarktkrise in Deutschland ist überwiegend für den habe ich es —, daß Folge der weltweiten Rezession." 90 % der ostdeutschen Mitbürger ein bankrottes (Zurufe von der CDU/CSU: Hört! Hört!) Land relativ schnell sanieren. Also nicht die Bundesregierung, sondern weltweite Wo arbeiten 90 % der ostdeutschen Mitbürger? — In Rezession ist dafür verantwortlich. Wer so falsche Mitteldeutschland jedenfalls nicht. Analysen hier abgibt, der kann auch keine richtigen Rezepte bringen. Es sind da noch einige harte Dinger drin. Da steht drin: (Beifall bei der CDU/CSU) Den ewig Unzufriedenen bleibt es ja überlassen, Wenn Sie also wissen, woher die Krise wirklich die Republik fluchtartig zu verlassen. Keiner von kommt, und dies in Papieren schreiben, dann hilft es ihnen wird gehalten werden. wenig, wenn wir hier in Schuldzuweisungen verfal- len, Das schrieb in den „Sonntagsnachrichten" — ich (Konrad Gilges [SPD]: Sie sind unschuldig!) habe sie mit — der Vorsitzende der Mittelstandsverei- nigung der CDU/CSU. Wir DDR-Bürger haben noch wenn wir möglicherweise darin übereinstimmen, Herr im Ohr, daß das einmal ein Harry Tisch beim Besuch Kollege Gilges, daß es keine Patentrezepte gibt, hier im Westen sagte. Das ist aber noch schlimmer als sondern daß wir umfassende Strategien brauchen. Harry Tisch. Ich zitiere es noch einmal: Ich habe heute aufmerksam über drei Stunden Millionen Arbeitslose, die bezweifeln, dieser Debatte zugehört und mir vor allem sehr aufmerksam die Redner der SPD angehört. Ich habe — so wörtlich — keinen einzigen akzeptablen und wirksamen Ansatz daß es ihnen an allen Ecken und Enden der bei Ihnen heute gefunden. pulsierenden Wirtschaft im Osten blühend (Beifall bei der CDU/CSU) ergeht, wollen eine andere Republik. Sie haben auf die entscheidenden Fragen keine Wenn ein Berufspolitiker schreibt, jemand will eine Antwort. Ich würde Ihnen dringend empfehlen — und andere Republik, so kenne ich das aus Verfassungs- das macht den Unterschied aus, ob m an in der schutzberichten: Wer eine andere Republik will, ist Verantwortung oder in der Opposition ist —, daß Sie ein Verfassungsfeind, und der wird sowieso entlassen einmal eine kleine Nachhilfestunde beim SPD-Wirt- in diesem Lande. Aber Bregger schreibt, wer bezwei- schaftsminister Spöri in Baden-Württemberg neh- felt, daß die Wirtschaft im Osten an allen Ecken und men. Sie haben heute morgen angefangen zu lachen, Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 208. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. Februar 1994 17993

Volker Kauder als unser Fraktionsvorsitz ender Wolfgang Schäuble von seinen Aussagen richtig. Aber ein Teil mag ja völlig richtig gesagt hat, daß wir in einer Wirtschafts- richtig sein, und den habe ich zitiert. krise sind, daß es aber erste Zeichen einer Besserung (Beifall bei der CDU/CSU — Lachen bei der gibt. Da haben Sie gelacht. Und was sagt Dieter Spöri SPD — Zuruf von der SPD: Da wird die in der Wirtschaftsdebatte des Landtags von Baden- Unredlichkeit sichtbar!) Württemberg gestern? Er sagt — was richtig ist —, daß man den Menschen die Wahrheit sagen muß und Dieser Teil ist derjenige, der klipp und klar sagt, daß ihnen nicht jede Hoffnung nehmen darf. Er sagt: Das wir Antriebskräfte haben und Antriebskräfte brau- Ende der Talsohle ist erreicht. Ich füge hinzu: Jetzt chen. kommt es darauf an, diese leisen Aufschwungs- und Ich komme aber auf eine Frage zurück, die mir von Antriebskräfte zu stärken und sie nicht noch totzure- keinem SPD-Mann beantwortet wird, auf die auch die den, wie Sie es heute gemacht haben. SPD-Wirtschaftsminister keine Antwort geben. (Beifall bei der CDU/CSU — Konrad Gilges Mit verantwortlich für diese Situation, die wir in [SPD]: Für Baden-Württemberg stimmt das, diesem Land haben, ist die tarifliche Lohnpolitik, die weil Spöri dort Wirtschaftsminister ist!) sich in der Vergangenheit nur um die Beschäftigten, aber nicht um die gekümmert hat. Herr Kollege Gilges, auch das, was Sie gesagt haben, Arbeitslosen trägt nicht entscheidend dazu bei, die Situation zu (Peter Conradi [SPD]: Lauter, lauter!) verbessern. Es läuft nach dem Motto — auch bei Ihnen und bei den Die in unserem Beschäftigungsprogramm enthalte- Gewerkschaften —: Wir sorgen für diejenigen, die im nen arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen können die System drin sind, und die Arbeitslosen überlassen wir notwendige gesamtwirtschaftliche Offensive fördern der Politik. — Dieses Spiel machen wir auf Dauer nicht und flankieren. Sie können den Menschen Mut mehr mit. machen, daß sich nun etwas nach vorne bewegt. (Beifall bei der CDU/CSU — Dr. Nils Diede Genau dies wollen wir. Sie können aber — das ist rich [Berlin] [SPD]: Was schreien Sie eigent mehrfach von Rednerinnen und Rednern unserer lich so, Herr Kollege!) Fraktion heute gesagt worden — Wi rtschaftspolitik, — Ich weiß ja, daß es weh tut, aber es ist die Wahrheit, die auch durch die Tarifpartner gemacht werden muß, und Sie haben das mit zu verantworten. natürlich nicht ersetzen. Bei uns in Deutschland sind Lohn und Leistung aus dem Gleichgewicht geraten. Heute müssen wir schmerzlich erkennen, wie sich überzogene Haustarife — hier nenne ich das Unter- (Konrad Gilges [SPD]: Für Sie!) nehmen Volkswagen — negativ nicht nur für das Dies ist ein ganz entscheidender Faktor dafür, daß wir Unternehmen, sondern auch für die gesamte Region hier Schwierigkeiten haben. auswirken. Die Facharbeiter in meinem Wahlkreis bekommen bei weitem nicht den Lohn, den ein Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Herr Ab- Facharbeiter bei VW bekommt. Wenn VW-Arbeiter geordneter Kauder, sind Sie bereit, eine Zwischen- den Lohn bekämen, den Facharbeiter in meiner frage zuzulassen? Region bekommen, könnte ein Golf nahezu 1 000 DM billiger werden, und dann wäre er noch konkurrenz- fähiger gegenüber der ausländischen Produktion. Volker Kauder (CDU/CSU): Bitte. (Ein Abgeordneter der SPD meldet sich zu einer Zwischenfrage) Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Bitte schön. Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Herr Ab- geordneter Kauder, entschuldigen Sie. — Sie gestat- Robert Antretter (SPD): Herr Kollege Kauder, Sie ten nicht. Okay. sind ja Generalsekretär der CDU Baden-Württem- berg, also von einem der beiden Koalitionspartner dort, und haben hier zu Recht, wenn auch verkürzt, Volker Kauder (CDU/CSU): Die Tarifpolitik muß den gestrigen Redebeitrag des stellvertretenden also nachhaltig korrigiert werden, und die Lohnpolitik Ministerpräsidenten Spöri zitiert. Sind Sie bereit, auch muß insgesamt flexibel und differenziert gestaltet den Teil seiner Rede zur Kenntnis zu nehmen, in dem werden. Ein ermutigendes Beispiel — dies hat die er gesagt hat, daß ein Lichtstreif am Horizont durch Kollegin Wülfing deutlich gesagt — sind die eine verbesserte Außenwirtschaft sichtbar werde, Abschlüsse im Chemiebereich. aber daß auch dem Land Baden-Württemberg noch (Dr. Nils Diederich [Berlin] [SPD]: Herr Prä - lange Zeit Probleme in der Binnenkonjunktur entste- sident, warum schreit der so?) hen würden, die deshalb so schlecht sei, weil die Bonner Bundesregierung so dramatisch schlimme Wir wollen Arbeitsplätze in unserem Land schaffen — dies haben wir heute deutlich gemacht —, und wir Steuer- und Sozialgesetze verabschiedet habe? wollen sie in unserem Land auch erhalten. Dazu dient (Konrad Gilges [SPD]: Das hört sich schon dieses Programm wie kein anderes. Es soll schnell anders an!) Ergebnisse bringen und soll unsere Politik schnell umsetzen. Volker Kauder (CDU/CSU): Herr Kollege, allein Eine Existenzgründeroffensive brauchen wir. Ei- dadurch, daß ein SPD-Mitglied in die baden-württem- genkapitalhilfe wird neu aufgelegt, und wir schaffen bergische Landesregierung eintritt, wird nicht alles ein Überbrückungsgeld, mit dem Arbeitslose besser 17994 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 208. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. Februar 1994

Volker Kauder in die Selbständigkeit hineinwachsen können, indem obwohl sie in den Solidarpaktverhandlungen ihren ihnen für ein halbes Jahr das Arbeitslosengeld weiter- Anteil bereits bekommen haben. So kann m an Politik gezahlt wird. In Amerika erzielt man damit großartige nicht machen. Erfolge. Bei uns kommen zuwenig Arbeitslose in die (Beifall bei der CDU/CSU) Selbständigkeit hinein. Hier wird, meinen wir, ein Die Länder haben das Geld. Sie können es tun. gutes Programm geboten. Ein zweites Versäumnis will ich Ihnen nennen. Sie Diese Programme — das zeigt die Entwicklung in können sich nicht ständig hier hinstellen und darüber den neuen Bundesländern — greifen auch dort. Leider jammern, daß wir zuwenig Kindergartenplätze ist der Kollege Schulz vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- haben. Es ist das Land Nordrhein-Westfalen, das am NEN nicht mehr da. Was er gesagt hat, kann ich nur als wenigsten Kindergartenplätze hat, nämlich nur für einen unglaublichen Skandal bezeichnen. Er hat 60 % der Kinder. In Baden-Württemberg haben wir wörtlich gesagt, mit den neuen Bundesländern, mit nahezu 90 %. Machen Sie Ihre Aufgaben einmal dort, der ehemaligen DDR sei uns ein reifer Apfel in den wo Sie in den Ländern politische Verantwortung Schoß gefallen, „den wir haben verfaulen lassen". tragen, und jammern Sie hier nicht immer nur (Michaela Geiger [CDU/CSU]: Ein starkes herum! Stück!) (Beifall bei der CDU/CSU) Was hat denn der Mann für Kenntnisse, für Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Sind Sie Geschichtskenntnisse? — Wir haben ein Land über- bereit, eine Zwischenfrage der Abgeordneten Frau nommen, in das wir jedes Jahr 150 Milliarden DM Schmidt zu beantworten? Transferleistungen bringen müssen, damit die Men- schen neue Hoffnung und Zukunft haben. Dies machen wir gern, aber dann lassen wir uns in diesem Volker Kauder (CDU/CSU): Bitte. Hause nicht solche Sätze sagen. Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Bitte sehr, (Beifall bei der CDU/CSU — Zuruf von der Frau Abgeordnete. CDU/CSU: Pfui!) Ein Teil unserer Probleme hängt natürlich auch mit Ursula Schmidt (Aachen) (SPD): Herr Kollege, sind dem Aufbau der neuen Bundesländer zusammen. Ihnen auch die Zahlen der CDU-regierten Länder im Auch dies schreiben Sie in Ihrem Papier von der SPD, Osten bekannt, die sich gleichfalls nicht in die Lage in dem Sie sagen, daß diese Rezession, diese Wirt- versetzt sahen, die Komplementärmittel zu bezahlen? schaftskrise, auch durch die Probleme der neuen Wenn nicht, kann ich sie Ihnen später gern zur Bundesländer überlagert wird. Verfügung stellen. Frau Schmidt, Sie haben gesagt, es sei kein Wort zu Zweitens. Wissen Sie, daß wir bei der Kindergarten- Teilzeitarbeit und vor allem auch zum Thema Frauen versorgung in Nordrhein-Westfalen — dies ergibt gesagt worden. — Wir wissen, daß vor allem Frauen sich, wenn wir Nordrhein-Westfalen mit Baden-Würt- nach Teilzeitarbeitsplätzen schauen. Deswegen ist für temberg vergleichen — ein Angebot mit ganztägiger uns die Förderung von Teilzeitarbeit ein ganz wichti- Kinderbetreuung und familienfreundlichen Öff- ger Punkt. Hätten wir auf diesem Gebiet einen pro- nungszeiten haben, während in Baden-Württemberg zentualen Anteil wie in Holland — Norbert Blüm hat in der Regel noch immer Vormittags- und Nachmit- es gesagt —, hätten wir mehrere hunderttausend tagsgruppen eingerichtet sind, so daß sich von daher Arbeitsplätze mehr und entsprechend Arbeitslose oft eine höhere Versorgung ergibt, und daß Nord- weniger. Die Wirtschaft — das wissen wir — und auch rhein-Westfalen auch das Land mit einer höheren der öffentliche Dienst tun sich hier außerordentlich Kinderzahl ist, das viele Kindergartenplätze geschaf- schwer, die notwendigen Spielräume zu schaffen. fen hat, daß aber dort die Versorgungsquote dennoch Deshalb appellieren wir an die Tarifpartner, hier sinkt, weil erhebliche Zugänge in dieses L and zu mutig voranzugehen. Ich hoffe auch, daß die Tarifver- verzeichnen waren? Wenn schon Schwierigkeiten handlungen der kommenden Wochen hier einen Bei- angesprochen werden, dann bitte ich Sie, ganz genau trag leisten. Politisch flankieren wir dies dadurch, daß zu differenzieren, wo die einzelnen Schwierigkeiten Vollzeitbeschäftigten der Wechsel in die Teilzeitar- liegen. beit erleichtert wird, indem sie bis zu drei Jahren eine Bestandsschutzgarantie für die Leistungen der Volker Kauder (CDU/CSU): Es ist eine Tatsache, Arbeitslosenversicherung erhalten. Frau Kollegin Schmidt, daß es die SPD-regierten Bundesländer, allen voran Nordrhein-Westfalen, sind, Frau Schmidt, Sie haben gesagt, daß das Programm die eine Initiative im Bundesrat starten wollen, daß die nach § 249h AFG, das wir nun auch bei uns in den Kindergartenplatzgarantie ab 1996 nicht eingeführt tige alten Bundesländern einführen, nach dem wich wird. Dies tun die SPD-regierten Bundesländer und Arbeiten im Jugend-, Sozial- und Umweltbereich nicht das von der CDU mitregierte Bundesland durchgeführt werden können, deswegen nicht umge- Baden-Württemberg. Das ist erst mal ein Fakt, den ihre Komplemen- setzt werden kann, weil die Länder man sehen muß. tärmittel nicht erbringen. Der Bund hat seinen Beitrag zur Finanzierung erbracht. In den Solidarpaktver- (Beifall des Abg. Hans-Joachim Fuchtel handlungen hat der Bund den Ländern die notwendi- [CDU/CSU]) gen Mittel zur Verfügung gestellt. Es geht nicht, daß Zweitens. Es ist nach wie vor so, daß wir als Bund jetzt vor allem SPD-regierte Länder immer kommen Prioritäten setzen müssen. Arbeitsplätze zu schaffen und sagen, der Bund soll ihnen einen Anteil bringen, und Arbeitsplätze zu erhalten ist in der heutigen Zeit Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 208. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. Februar 1994 17995

Volker Kauder die wichtigste Aufgabe. Dann müssen die Bundeslän- 12/6481 und 12/6572 an die in der Tagesordnung I der ihr Geld auch dafür einsetzen. Der Bund kann aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. weitere Komplementärmittel nicht mehr aufbringen, denn neben der Schaffung und der Förderung von Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? — Das ist Arbeitsplätzen müssen wir auch unseren Haushalt in offensichtlich nicht der Fall. Dann kann ich das als Ordnung halten. Dies ist ein weiterer wichtiger Punkt beschlossen feststellen. zur Schaffung von Arbeitsplätzen in der Indust rie. Es Interfraktionell ist vereinbart worden, den Zusatz- hilft also nichts. Wir machen dieses Programm. Es ist punkt 6a — Antrag der Fraktionen der CDU/CSU, ein gutes Programm. Die Länder müssen ihren Anteil SPD und F.D.P. „Friedliche Lösung des Kundenpro- dafür einsetzen. Ich appelliere an die Länderregierun- blems in der Türkei", Drucksache 12/6728 — von der gen, dies auch zu tun. Tagesordnung abzusetzen. Wenn wir das tun wollen, (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- dann brauche ich Ihre Zustimmung. Ist diese Zustim- ordneten der F.D.P. — Ursula Schmidt [Aa- mung vorhanden? — Das ist offensichtlich der Fall. chen] [SPD]: Was hat das mit der Frage zu Damit ist der Zusatzpunkt 6a von der Tagesordnung tun?) abgesetzt. Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir Ich muß jetzt um ein bißchen Geduld bitten, weil haben heute ein kurzfristig wirkendes Programm in noch etliche Abstimmungen anstehen. den Deutschen Bundestag eingebracht. Wir sind bei der einen oder anderen Frage auch darauf angewie- sen, daß SPD-regierte Bundesländer im Bundesrat Ich rufe die Tagesordnungspunkte 18 und 12 sowie mitmachen. Ich appelliere an Sie, daß wir alle diese Zusatzpunkt 6 b auf: Gesetzentwürfe in den Ausschüssen schnell beraten, damit sie wirklich Gesetz werden können, damit sie 18. Überweisungen im vereinfachten Verfahren nicht auf dem Papier bleiben, sondern damit die a) Erste Beratung des von der Bundesregie- Menschen, die Arbeitsplätze suchen, und die, die in rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- Sorge sind, daß ihre Arbeitsplätze wegbrechen, dadurch eine Perspektive erhalten. zes über den Wertpapierhandel und zur Änderung börsenrechtlicher und wertpa- Wir sind in einer schwierigen Zeit, aber wir haben pierrechtlicher Vorschriften die richtigen Maßnahmen ergriffen, um die Probleme (Zweites Finanzmarktförderungsgesetz) anzupacken. Wir werden die Arbeitslosigkeit nicht auf Null bringen, aber mit Ihren Rezepten, die Sie — — Drucksache 12/6679 haben, immer nur das Vorhandene umzuverteilen, wird die Arbeitslosigkeit größer, und die Menschen Überweisungsvorschlag: werden weniger Perspektiven haben. Finanzausschuß (federführend) Rechtsausschuß (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Ausschuß für Wirtschaft ordneten der F.D.P.) Haushaltsausschuß mitberatend und gemäß § 96 GO b) Erste Beratung des von der Bundesregie- Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Ich erteile rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- nunmehr zu einer Kurzintervention Herrn Professor zes zu dem Abkommen vom 18. März 1993 Dr. Diederich das Wort. zur Änderung des Zusatzabkommens zum NATO-Truppenstatut und zu weiteren Dr. Nils Diederich (Berlin) (SPD): Meine Damen und Übereinkünften Herren! Anläßlich des Beitrags des Kollegen Kauder möchte ich darauf aufmerksam machen, daß die — Drucksache 12/6477 — Übertragungsanlage in diesem Saal nunmehr ein- überweisungsvorschlag: wandfrei funktioniert. Wenn m an so laut spricht — ich Auswärtiger Ausschuß (federführend) will nicht sagen: brüllt — wie der Kollege Kauder, Rechtsausschuß dann bekommen die Zuhörer nur Ohrenschmerzen. Verteidigungsausschuß Man kann gar nicht zuhören. Sie können also nieman- Haushaltsausschuß gemäß § 96 GO Innenausschuß den überzeugen. Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung (Beifall des Abg. Peter Conradi [SPD] — c) Dr. Walter Franz Altherr [CDU/CSU]: Das Erste Beratung des von der Bundesregie- war ein fulminanter Beitrag! — Weitere rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- Zurufe von der CDU/CSU) zes zur Reform des Markenrechts und zur Umsetzung der Ersten Richtlinie 89/104/EWG des Rates vom 21. Dezember Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Ich werde 1988 zur Angleichung der Rechtsvorschrif- nun keine Geschäftsordnungsüberlegungen anstellen ten der Mitgliedstaaten über die Marken dahin gehend, ob das ein Beitrag zur Sache war oder nicht, Herr Professor. In letzterem Fall hätte ich Ihnen (Markenrechtsreformgesetz) das Wort entziehen müssen. Aber Ihr Redebeitrag war — — Drucksache 12/6581 ja erfreulich kurz. Wir kommen nunmehr zur Abstimmung. Interfrak- Überweisungsvorschlag: tionell wird die Überweisung der Gesetzentwürfe auf Rechtsausschuß (federführend) Finanzausschuß den Drucksachen 12/6719 bis 12/6722, 12/6699, Haushaltsausschuß gemäß § 96 GO 17996 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 208. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. Februar 1994

Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg d) Erste Beratung des vom Bundesrat einge- aa) Beschlußempfehlung und Bericht des brachten Entwurfs eines ... Gesetzes zur Ausschusses für Arbeit und Sozialord- Änderung des Bundeswahlgesetzes nung (11. Ausschuß) — Drucksache 12/6586 — — Drucksache 12/6634 — Überweisungsvorschlag: Berichterstattung: Innenausschuß (federführend) Abgeordneter Hans-Joachim Fuchtel Ausschuß für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung bb) Bericht des Haushaltsausschusses e) Beratung des Antrags des Bundesministe- (8. Ausschuß) gemäß § 96 der Ge- riums für Wirtschaft schäftsordnung Rechnungslegung über das Sondervermö- — Drucksache 12/6645 — gen des Bundes „Ausgleichsfonds zur Berichterstattung: Sicherung des Steinkohleneinsatzes" Abgeordnete — Wirtschaftsjahr 1992 — Adolf Roth (Gießen)

— Drucksache 12/6533 — Ina Albowitz Überweisungsvorschlag: b) Zweite und dritte Beratung des von der Haushaltsausschuß (federführend) Bundesregierung eingebrachten Entwurfs Ausschuß für Wirtschaft eines Ersten Gesetzes zur Änderung des 12. Beratung des Antrags der Abgeordneten Frei- Tierzuchtgesetzes mut Duve, Hans Gottfried Bernrath, Dr. Ul rich — Drucksache 12/5741 — Böhme (Unna), weiterer Abgeordneter und der (Erste Beratung 182. Sitzung) Fraktion der SPD Beschlußempfehlung und Bericht des Aus- Erhalt der Buchpreisbindung schusses für Ernährung, Landwirtschaft und — Drucksache 12/3388 — Forsten (10. Ausschuß) Überweisungsvorschlag: — Drucksache 12/6660 — Ausschuß für Wirtschaft (federführend) Innenausschuß Berichterstattung: Ausschuß für Bildung und Wissenschaft Abgeordneter Jan Oostergetelo EG-Ausschuß c) Zweite und dritte Beratung des von der ZP6 b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Bundesregierung eingebrachten Entwurfs Dr. Hans de With, Hermann Bachmaier, eines Gesetzes zur zeitlichen Begrenzung Angelika Barbe, weiterer Abgeordneter der Nachhaftung von Gesellschaftern und der Fraktion der SPD (Nachhaftungsbegrenzungsgesetz — Bekämpfung des Insider-Handels an deut- NachhBG) schen Börsen — Drucksache 12/1868 — — Drucksache 12/5437 — (Erste Beratung 73. Sitzung) Überweisungsvorschlag: Beschlußempfehlung und Bericht des Finanzausschuß (federführend) Rechtsausschusses (6. Ausschuß) Rechtsausschuß Ausschuß für Wirtschaft — Drucksache 12/6569 — Es handelt sich um Überweisungen im vereinfach- Berichterstattung: ten Verfahren ohne Debatte. Abgeordnete Dr. Wolfgang Freiherr von Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen Stetten an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse Ludwig Stiegler zu überweisen. Ist das Haus damit einverstanden? — d) Zweite Beratung und Schlußabstimmung Das ist offensichtlich der Fall. Dann ist die Überwei- des von der Bundesregierung eingebrach- sung so beschlossen. ten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 20. April 1993 zwischen Ich rufe den Tagesordnungspunkt 19a bis 19 q der Bundesrepublik Deutschland und dem auf: Königreich Norwegen über den Transport Abschließende Beratungen ohne Aussprache von Gas durch eine Rohrleitung vom nor- wegischen Festlandsockel und von an- a) Zweite Beratung und Schlußabstimmung deren Gebieten in die Bundesrepublik des von der Bundesregierung eingebrach- Deutschland (Europipe-Abkommen) ten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Zusatz- — Drucksache 12/5840 — abkommen vom 22. Dezember 1992 zum Abkommen vom 20. Oktober 1982 zwi- (Erste Beratung 194. Sitzung) schen der Bundesrepublik Deutschland Beschlußempfehlung und Be richt des Aus- und der Schweizerischen Eidgenossen- schusses für Wirtschaft (9. Ausschuß) schaft über Arbeitslosenversicherung — Drucksache 12/6583 — — Drucksache 12/6536 — Berichterstattung: (Erste Beratung 202. Sitzung) Abgeordneter Klaus Beckm ann Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 208. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. Februar 1994 17997

Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg e) Zweite Beratung und Schlußabstimmung ergänzenden Protokoll vom 22. März 1990 des von der Bundesregierung eingebrach- zu diesen beiden Protokollen ten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Ab- — Drucksache 12/5446 — kommen vom 14. Juli 1992 zwischen der (Erste Beratung 182. Sitzung) Bundesrepublik Deutschland und dem Kö- nigreich Schweden zur Vermeidung der Beschlußempfehlung und Be richt des Aus- Doppelbesteuerung bei den Steuern vom schusses für Umwelt, Naturschutz und Einkommen und vom Vermögen sowie bei Reaktorsicherheit (17. Ausschuß) den Erbschaft- und Schenkungsteuern und — Drucksache 12/6617 — zur Leistung gegenseitigen Beistands bei Berichterstattung: den Steuern Abgeordnete Wolfgang Ehlers

(Deutsch - schwedisches Steuerabkommen) Jutta Müller (Völklingen) Susanne Kastner — Drucksache 12/5838 — Josef Grünbeck (Erste Beratung 185. Sitzung) h) Zweite und dritte Beratung des von der aa) Beschlußempfehlung und Bericht des Bundesregierung eingebrachten Entwurfs Finanzausschusses (7. Ausschuß) eines Gesetzes zur Änderung des Verschol- — Drucksache 12/6651 — lenheitsgesetzes Berichterstattung: — Drucksache 12/5832 — Abgeordneter Günter Klein (Bremen) (Erste Beratung 185. Sitzung) bb) Bericht des Haushaltsausschusses Beschlußempfehlung und Bericht des (8. Ausschuß) gemäß § 96 der Ge- Rechtsausschusses (6. Ausschuß) schäftsordnung — Drucksache 12/6656 — — Drucksache 12/6652 — Berichterstattung: Berichterstattung: Abgeordnete Klaus-Heiner Lehne Abgeordnete Dieter Pützhofen Margot von Renesse Dr. Wolfgang Weng (Gerlingen) i) Zweite Beratung und Schlußabstimmung Helmut Wieczorek (Duisburg) des von der Bundesregierung eingebrach- ten Entwurfs eines Gesetzes betreffend das f) Zweite und dritte Beratung des von der Zusatzprotokoll vom 6. September 1989 zu Bundesregierung eingebrachten Entwurfs dem Übereinkommen vom 4. September eines Ersten Gesetzes zur Änderung des 1958 über den internationalen Austausch Gesetzes über die Nichtanpassung von von Auskünften in Personenstandsangele- Amtsgehalt und Ortszuschlag der Mitglie- genheiten der der Bundesregierung und der Parla- mentarischen Staatssekretäre in den Jah- — Drucksache 12/2657 — ren 1992 und 1993 (Erste Beratung 97. Sitzung) — Drucksache 12/5830 — Beschlußempfehlung und Bericht des In- (Erste Beratung 185. Sitzung) nenausschusses (4. Ausschuß) — Drucksache 12/6668 - aa) Beschlußempfehlung und Bericht des Innenausschusses (4. Ausschuß) Berichterstattung: Abgeordnete — Drucksache 12/6600 — Günter Graf Berichterstattung: Dr. Abgeordnete j) Beratung der Beschlußempfehlung und des Fritz Rudolf Körper Berichts des Ausschusses für Bildung und Heinz-Dieter Hackel Wissenschaft (21. Ausschuß) zu der Unter- bb) Bericht des Haushaltsausschusses richtung durch die Bundesregierung (8. Ausschuß) gemäß § 96 der Ge- Arbeitsunterlage der Kommission schäftsordnung Leitlinien für die Gemeinschaftsaktion im — Drucksache 12/6657 — Bereich allgemeine und berufliche Bil- Berichterstattung: dung Abgeordnete — Drucksachen 12/5358 Nr. 31, 12/6437 — Ina Albowitz Berichterstattung: Rudolf Purps Abgeordnete Dr. Egon Jüttner g) Zweite Beratung und Schlußabstimmung Dr. Peter Eckardt des von der Bundesregierung eingebrach- Dr. Margret Funke-Schmitt-Rink ten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Zusatz- k) Beratung der Beschlußempfehlung und protokoll Nr. 2 vom 13. November 1992 zu des Berichts des Ausschusses für Umwelt, den Protokollen vom 20. Dezember 1961 Naturschutz und Reaktorsicherheit über die Errichtung der Internationalen (17. Ausschuß) zu dem Antrag der Abgeord- Kommissionen zum Schutz der Mosel und neten. Ulrike Mehl, Michael Müller (Düssel- der Saar gegen Verunreinigung und dem dorf), , weiterer Abgeordne- 17998 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 208. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. Februar 1994

Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg ter und der Fraktion der SPD p) Beratung der Beschlußempfehlung des Naturschutz auf Bundeswehrliegenschaf- Haushaltsausschusses (8. Ausschuß) zu der ten Unterrichtung durch die Bundesregierung Überplanmäßige Ausgabe bei Kapitel 14 23 — Drucksachen 12/3769, 12/6576 — Titel 681 23 Berichterstattung: Sonderleistungen, Mietbeihilfe und Abgeordnete Dr. Norbert Rieder — Wirtschaftsbeihilfe — Ulrike Mehl Birgit Homburger — Drucksachen 12/6369, 12/6596 — 1) Beratung der Beschlußempfehlung und Berichterstattung: des Berichts des Ausschusses für Umwelt, Abgeordnete Adolf Roth (Gießen) Naturschutz und Reaktorsicherheit Dr. Wolfgang Weng (Gerlingen) (17. Ausschuß) zu der Unterrichtung durch Helmut Wieczorek (Duisburg) die Bundesregierung Vorschlag für eine Richtlinie des Rates über q) Beratung der Beschlußempfehlung und des Abfalldeponien Berichts des Ausschusses für Wirtschaft — Drucksachen 12/1072 Nr. 24, 12/6577 — (9. Ausschuß) zu der Verordnung der Bun- Berichterstattung: desregierung Abgeordnete Dr. Gerhard F riedrich Aufhebbare Einhundertzweiundzwanzig- Dr. Liesel Hartenstein ste Verordnung zur Änderung der Einfuhr- Birgit Homburger liste m) Beratung der Beschlußempfehlung des — Anlage zum Außenwirtschaftsgesetz — Haushaltsausschusses (8. Ausschuß) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung — Drucksachen 12/5935, 12/6642 — Überplanmäßige Ausgaben bei Kapitel Berichterstattung: 11 12 Titel 681 11 Abgeordneter Peter Kittelmann — Eingliederungshilfe für Aussiedler — Es handelt sich um die Beschlußfassung zu Vorla- Drucksachen 12/5907, 12/6593 — — gen, zu denen keine Aussprache vorgesehen ist. Berichterstattung: Abgeordnete Helmut Wieczorek Wir kommen zur Abstimmung über den Tagesord- (Duisburg) nungspunkt 19 a. Der Ausschuß für Arbeit und Sozial- Adolf Roth (Gießen) ordnung empfiehlt auf Drucksache 12/6634, den Ina Albowitz Gesetzentwurf unverändert anzunehmen. Ich bitte n) Beratung der Beschlußempfehlung des diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wol- Haushaltsausschusses (8. Ausschuß) zu der len, sich zu erheben. — Wer dagegen stimmt, der Unterrichtung durch die Bundesregierung möge sich ebenfalls erheben. — Enthaltungen? — Das Überplanmäßige Ausgaben bei Kapitel ist einstimmig angenommen. 11 12 Titel 681 05 — Altersübergangsgeld für Empfänger in Wir kommen zur Abstimmung über den Tagesord- dem in Artikel 3 des Einigungsvertrages nungspunkt 19b. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetz- genannten Gebiet — entwurf in der Ausschußfassung zuzustimmen wün- schen, um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? Drucksachen 12/6268, — 12/6594 — — Enthaltungen? — Damit ist der Gesetzentwurf bei Berichterstattung: Stimmenthaltung des Kollegen Weiß in zweiter Bera- Abgeordnete Helmut Wieczorek tung angenommen. (Duisburg) Adolf Roth (Gießen) Wir kommen zur Ina Albowitz o) Beratung der Beschlußempfehlung des dritten Beratung. Haushaltsausschusses (8. Ausschuß) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustim Überplanmäßige Ausgaben bei Kapitel men wollen, sich zu erheben. — Wer stimmt dagegen? - 11 12 Titel 681 04 — Enthaltungen? — Damit ist der Gesetzentwurf bei den gleichen Mehrheitsverhältnissen wie in der zwei- — Vorruhestandsgeld für Empfänger in ten Beratung in dritter Beratung angenommen. dem in Artikel 3 des Einigungsvertrages genannten Gebiet — Wir kommen zur Abstimmung über den Tagesord- Drucksachen 12/6417, — 12/6595 — nungspunkt 19c. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetz- Berichterstattung: entwurf in der Ausschußfassung zuzustimmen wün- Abgeordnete Helmut Wieczorek schen, um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? (Duisburg) — Enthaltungen? — Damit ist der Gesetzentwurf bei Adolf Roth (Gießen) Enthaltung des Abgeordneten Weiß in zweiter Bera- Ina Albowitz tung angenommen. Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 208. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. Februar 1994 17999

Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg Wir kommen nunmehr zur Enthaltung des Abgeordneten Weiß einstimmig ange- nommen. dritten Beratung. Wir kommen zum Tagesordnungspunkt 19j. Wer Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf insge- stimmt für die Beschlußempfehlung des Ausschusses samt zuzustimmen wünschen, sich zu erheben. — Wer für Bildung und Wissenschaft auf Drucksache ist dagegen? — Enthaltungen? — Bei den gleichen 12/6437? — Dagegen? — Enthaltungen? — Dann kann Mehrheitsverhältnissen wie in der zweiten Beratung ich feststellen, daß die Beschlußempfehlung einstim- ist der Gesetzentwurf in dritter Beratung angenom- mig angenommen ist. men. Wir kommen zum Tagesordnungspunkt 19k. Wer Wir kommen nunmehr zu Tagesordnungs- stimmt für die Beschlußempfehlung des Ausschusses punkt 19 d. Der Ausschuß für Wirtschaft empfiehlt auf für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit auf Drucksache 12/6583, den Gesetzentwurf unverändert Drucksache 12/6576? — Dagegen? — Enthaltungen? anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzent- — Einstimmig angenommen. wurf zustimmen wollen, sich zu erheben. — Wer Wir kommen zum Tagesordnungspunkt 191, Be- stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Dann kann ich schlußempfehlung des Ausschusses für Umwelt, feststellen, daß es einstimmig angenommen worden Naturschutz und Reaktorsicherheit zum Richtlinien- ist. vorschlag der EU über Abfalldeponien. Sie liegt Ihnen Wir kommen zum Tagesordnungspunkt 19e. Der auf Drucksache 12/6577 vor. Wer stimmt für diese Finanzausschuß empfiehlt auf Drucksache 12/6651, Beschlußempfehlung? — Wer stimmt dagegen? — den Gesetzentwurf unverändert auszunehmen. Dieje- Enthaltungen? — Sie ist einstimmig angenommen. nigen, die dem Gesetzentwurf zuzustimmen wün- Tagesordnungspunkt 19m bis p, Beschlußempfeh- schen, bitte ich, sich zu erheben. — Wer stimmt lungen des Haushaltsausschusses zu überplanmäßi- dagegen? — Enthaltungen? — Einstimmig angenom- gen Ausgaben im Haushaltsjahr 1993. Sie liegen men. Ihnen auf den Drucksachen 12/6593 bis 12/6596 vor. Wenn Sie damit einverstanden sind, lasse ich über die Wir kommen zum Tagesordnungspunkt 19f. Der vier Beschlußempfehlungen des Haushaltsausschus- Innenausschuß empfiehlt auf Drucksache 12/6600, ses gemeinsam abstimmen. — Das Haus ist damit den Gesetzentwurf unverändert anzunehmen. Ich einverstanden. Dann kann ich so verfahren. Wer bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen stimmt für die Beschlußempfehlungen des Haushalts- wollen, um das Handzeichen. —Wer stimmt dagegen? ausschusses? — Wer stimmt dagegen? — Enthaltun- — Enthaltungen? — Dann darf ich feststellen, daß das gen? — Bei Enthaltung des Abgeordneten Weiß sind in der zweiten Lesung einstimmig angenommen wor- die Beschlußempfehlungen angenommen. den ist und es sich lohnt, sich zur Tagesordnungspunkt 19 q, Beschlußempfehlung dritten Lesung des Ausschusses für Wirtschaft zur Änderung der Einfuhrliste. Dazu liegen Ihnen die Drucksachen vom Platz zu erheben. Ich bitte so zu verfahren. — 12/5935 und 12/6642 vor. Wer stimmt für die Be- Damit ist dieser Gesetzentwurf in der dritten Lesung schlußempfehlung? — Wer stimmt dagegen? — Ent- einstimmig angenommen worden. haltungen? — Bei Enthaltung des Abgeordneten Weiß Wir kommen nunmehr zum Tagesordnungs- ist sie einstimmig angenommen. punkt 19g. Der Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit empfiehlt auf Drucksache 12/6617, den Gesetzentwurf unverändert anzuneh- Wir kommen nunmehr zu dem langersehnten men. Wer dem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, Tagesordnungspunkt 2: sich zu erheben. — Wer stimmt dagegen? — Enthal- Fragestunde tungen? — Bei Enthaltung des Abgeordneten Weiß — Drucksache 12/6691 — einstimmig angenommen. Ich rufe zunächst den Geschäftsbereich des Bundes- Tagesordnungspunkt 19h. Ich bitte diejenigen, die ministers für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicher- dem Gesetzentwurf in der Ausschußfassung zuzu- heit auf. stimmen wünschen, um das Handzeichen. — Wer Die Abgeordnete Siegrun Klemmer hat für die stimmt dagegen? — Enthaltungen? — In zweiter Fragen 7 und 8, Klaus Harries für die Fragen 9 und 10, Lesung einstimmig angenommen. Horst Kubatschka für die Frage 11 und die Abgeord- Wir kommen zur nete Susanne Kastner für die Fragen 13 und 14 um schriftliche Beantwortung gebeten. Die Antworten dritten Lesung. werden als Anlagen abgedruckt. Ich bitte, sich zu erheben, wer dem Gesetzentwurf als Ich rufe dann die Frage 12 der Abgeordneten Ganzes zuzustimmen wünscht. — Dagegen? — Ent- Monika Ganseforth auf: haltungen? — Dann kann ich feststellen, daß das Wie ist der Stand der Wärmenutzungsverordnung, deren Gesetz einstimmig angenommen worden ist. Umsetzung ein hohes CO2-Minderungspotential weitgehend betriebswirtschaftlich lohnend bewegen könnte, über die, ent- Wir kommen zum Tagesordnungspunkt 19i. Der sprechend der Antwort auf meine Frage 50 in Drucksache Innenausschuß empfiehlt auf Drucksache 12/6668, 12/3656 (vgl. Stenographischer Be richt der 120. Sitzung des den Gesetzentwurf unverändert anzunehmen. Ich Deutschen Bundestages, S. 10249), zum damaligen Zeitpunkt Verhandlungen innerhalb der Bundesregierung liefen, deren bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zuzustimmen Verabschiedung im Kabinett Bundesminister für Umwelt, Natur- wünschen, sich zu erheben. — Enthaltungen? — Bei schutz und Reaktorsicherheit, Dr. Klaus Töpfer, vor dem Aus- 18000 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 208. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. Februar 1994

Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg Schuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit am — wenn auch aus der Sicht des Umweltministers 12. Mai 1993 für 1993 angekündigt hatte, deren Vorlage in dieser schon lange — erst seit diesem Zeitpunkt besteht. Legislaturperiode im Bericht der Bundesregierung vom 3. Sep- tember 1993 zur Zukunftssicherung des Standortes Deutschland Zudem will ich gerne bestätigen, daß auch wir uns — Drucksache 12/5620 — zugesagt wird, was in der Antwort auf wünschten, in dieser schwierigen Frage bald ein Frage 47 in Drucksache 12/5904 (vgl. Stenographischer Bericht brauchbares Ergebnis vorlegen zu können. Wenn ich der 182. Sitzung des Deutschen Bundestages, S. 15816f.) bestä- tigt wird, oder ist die Vermutung berechtigt, daß diese im wüßte, auf welcher Kompromißlinie sich die Häuser Bundes-Immissionsschutzgesetz von 1985 aufgegebene Pflicht am Ende verständigen würden, wäre ich heute ein zur Verabschiedung einer Rechtsverordnung zur Wärmenut- gutes Stück weiter. Aber so kann ich den zweiten Teil zung, die seit 1991 im Entwurf vorliegt, wegen der Widerstände Ihrer Frage, wieviel Reduktionspotential nachher tat- innerhalb der Bundesregierung in Ankündigungen stecken- bleibt? sächlich mit der Wärmenutzungsverordnung gegrif- Die Beantwortung übernimmt der Staatssekretär fen werden kann, vor Abschluß der Erörterungen Clemens Stroetmann. innerhalb der Bundesregierung leider nicht beant- worten. Ich hoffe, daß wir der Sache folgen können; denn es ist eine ungewöhnlich lange und — gestatten Sie mir Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Eine wei- die Bemerkung — für mich schwer verständliche tere Zusatzfrage, bitte schön, Frau Abgeordnete Gan- Frage. Hoffentlich ist die Antwort verständlich. seforth. Herr Staatssekretär. Monika Ganseforth (SPD): Teilen Sie die Ansicht, Clemens Stroetmann, Staatssekretär im Bundesmi daß die Wärmenutzungsverordnung, wenn sie denn nisterium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsi- käme, für die Betriebe, die sie anwenden, nützlich cherheit: Herr Präsident! Frau Abgeordnete! Die Bera- wäre, wie es, soviel ich weiß, eine Studie ergeben hat, tungen über den Entwurf der Wärmenutzungsverord- die im Auftrag des Bundesumweltamtes vergeben nung sind innerhalb der Bundesregierung noch nicht worden ist, daß die Betriebe diese Verordnung sogar abgeschlossen. Insoweit ist der Sachstand unverän- von selber umsetzen, weil das so wirtschaftlich ist? dert. Also würden Sie bestätigen, daß es nicht darum geht, Schwierigkeiten bereitet vor allem der Anwen- die Industrie zu zwingen, irgend etwas Unangeneh- dungsbereich der Verordnung. Dabei geht es zuerst mes zu machen, sondern darum, wirtschaft liches um die Frage, ob die Verordnung Regelungen zur Energiesparpotential auszuschöpfen? optimalen Energienutzung in einer genehmigungsbe- dürftigen Anlage selbst enthalten soll oder ob die Clemens Stroetmann, Staatssekretär: Frau Abge- Verordnung auf die Nutzung von Abwärme in ande- ordnete, wir haben über das Umweltbundesamt in der ren Anlagen des Be treibers oder bei Dritten Tat eine energetische Analyse in sechs Industriebe- beschränkt werden sollte. trieben vornehmen lassen. Diese Untersuchungen Die beteiligten Häuser bemühen sich intensiv, die ergaben in allen Betrieben bislang ungenutzte wirt- noch offenen Probleme zu lösen. Ihre Vermutung, daß schaftliche Potentiale zur Reduzierung der CO2-Emis- die Verordnung wegen der Widerstände innerhalb sionen. Die Gründe dafür lagen vor allen Dingen in der Bundesregierung in Ankündigungen steckenblei- Informationsdefiziten. Wenn der Entwurf der Wärme- ben könnte, entbehrt auch weiterhin einer Grund- nutzungsverordnung in den untersuchten Betrieben lage. angewendet worden wäre, wäre die Wirtschaftlich- keit der Maßnahmen einschließlich der CO2-Reduk- tion voll gegeben. Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Eine Zu- satzfrage. Bitte sehr, Frau Abgeordnete Ganseforth. Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Meine Damen und Herren, weitere Zusatzfragen liegen nicht (SPD): Die Länge der Frage Monika Ganseforth vor. Herr Staatssekretär, ich bedanke mich bei zeigt, wie groß das Problem ist, mit dem wir uns da Ihnen. herumschlagen. Den Auftrag haben Sie seit 1985. Seit 1991 liegt der Entwurf vor. Sie sagen, noch in dieser Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers Legislaturperiode sei damit zu rechnen, daß die Wär- für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau auf. Hier menutzungsverordnung kommt. steht uns die Bundesministerin Dr. Irmgard Schwaet- zer zur Verfügung. Stimmen die Befürchtungen, die man in der Presse lesen kann, die auch ich teile, daß das enorme Ich rufe zunächst die Frage 15 der Abgeordneten CO2-Sparpotential, das der mir bekannte Entwurf Frau Gabriele Iwersen auf: bringen würde, im Rahmen der Abstimmungen, über Sind die Verträge zur Beauftragung der Firma ABE mit der die Sie sprechen, reduziert werden soll, eventuell- örtlichen Bauüberwachung von der Bundesbaudirektion „in eigener Verantwortung" (vgl. Stenographischer Be richt der sogar bis auf die Hälfte? Oder ist damit zu rechnen, 202. Sitzung des Deutschen Bundestages, S. 17465 ff.) abge- daß das Gesetz in der vorliegenden Form verabschie- schlossen oder vom Bundesministerium für Raumordnung, Bau- det wird? wesen und Städtebau geprüft und genehmigt worden? Frau Ministerin, Sie haben das Wort. Clemens Stroetmann, Staatssekretär: Frau Abge- ordnete, zunächst möchte ich darauf aufmerksam Dr. Irmgard Schwaetzer, Bundesministerin für machen, daß erst mit der Novelle des Bundes-Immis- Raumordnung, Bauwesen und Städtebau: Frau Kolle- sionsschutzgesetzes im Jahre 1990 die Wärmenut- gin, wie ich schon in der Fragestunde am 13. Januar zungspflicht auf die Wärmeabgabe an Dritte ausge- 1994 ausgeführt habe, schließt die Bundesbaudirek- dehnt wurde, so daß mindestens ein Teil des Problems tion Verträge mit freiberuflich Tätigen in eigener Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 208. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. Februar 1994 18001

Bundesministerin Dr. Irmgard Schwaetzer Verantwortung ab. Sie orientiert sich dabei an den einmal deutlich unterstrichen, daß diese Verträge vom Bundesbauministerium erarbeiteten Musterver- üblich sind. trägen. In Einzelfällen wird die Auswahl von freibe- Ich habe darüber hinaus ausgeführt, daß wir dies für ruflich Tätigen mit dem Bundesministerium für Raum- die Baumaßnahmen, die jetzt vor allen Dingen in ordnung, Bauwesen und Städtebau erörtert. In diesem Berlin anstehen, für unzureichend halten. Wir haben Fall ist das Bundesministerium für Raumordnung, bereits im vergangenen Jahr mit allen Beteiligten Bauwesen und Städtebau über die beabsichtigte Gespräche darüber geführt und auch schriftliche Beauftragung der Arbeitsgemeinschaft ABE infor- Zusagen dafür bekommen, daß wir in Zukunft bei miert worden. Eine förmliche Billigung war von der solchen Bausummen neben der Berufshaftpflicht eine Bundesbaudirektion weder beantragt, noch war sie Exzedentenversicherung verlangen werden, um si- notwendig. cherzustellen, daß die unter Umständen in diesem Fall auftretenden Probleme in Zukunft nicht mehr auftre- Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Zu einer ten können. Zusatzfrage Herr Abgeordneter Conradi. Dann hat Peter Conradi (SPD): Frau Ministerin, ist anläßlich Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: der Abgeordnete Hitschler das Wort. des Vertragsabschlusses auch geprüft worden, ob das private Büro ABE, das die Bauleitung übernommen hat, im Hinblick auf den Umfang der Baumaßnahme Dr. Walter Hitschler (F.D.P.): Frau Ministerin, kön- ausreichend berufshaftpflichtversichert war? nen Sie ihrerseits bestätigen, daß der Bundesrech- nungshof bei Abschluß solcher Verträge seinerseits in Dr. Irmgard Schwaetzer, Bundesministerin: Im der Vergangenheit immer großen Wert darauf gelegt Zusammenhang mit dem Vertragsabschluß der ABE, hat, daß die Haftungssumme begrenzt wird, weil die die Bauleitung übernommen hat, ist eine Haf- ansonsten bei höheren Risiken natürlich auch das zu tungssumme in Höhe von 300 000 DM Sachschaden zahlende Honorar an die Firmen außerordentlich und 1 Million DM Personenschaden festgelegt wor- stiege? den. Dies entsprach den damals üblichen Konditionen in den Verträgen mit freiberuflich Tätigen. Der Ver- Dr. Irmgard Schwaetzer, Bundesministerin: Exakt trag ist am 20. Oktober 1989 abgeschlossen worden. so hat das der Vertreter des Bundesrechnungshofes gestern in der Haushaltsausschußsitzung ausge- Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Der Abge- führt. ordnete Reschke hat eine Zusatzfrage zu Frage 15. Ich bitte Sie, darauf zu achten — das ist nämlich auch für Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Bitte mich sehr schwierig —, daß Sie nicht Zusatzfragen schön, Herr Schöler. stellen, die bei den späteren Fragen ohnehin beant- wortet werden. Walter Schöler (SPD): Frau Ministerin, ist Ihnen bekannt, daß im Bereich des allgemeinen Wohnungs- Otto Reschke (SPD): Wir bemühen uns sehr, Herr baus, z. B. bei einem einfachen Sechsfamilienhaus, für Präsident. eine Bausumme von 1,5 Millionen DM bis 2 Millionen Meine Frage stelle ich in Ergänzung zu der Zusatz- DM weit höhere Haftungsverträge von der Bauwirt- frage des Kollegen Conradi. Wir haben gehört, schaft bzw. von den üblichen Auftraggebern und 790 Millionen DM waren nicht versichert. Sie haben in Baugesellschaften abgeschlossen werden, als Sie es der letzten Fragestunde, Frau Ministerin, darauf hin- jetzt für den Schürmann-Bau in Rede bringen? gewiesen, daß Sie die Verträge weder geprüft noch eingesehen haben, die abgeschlossen worden sind, Dr. Irmgard Schwaetzer, Bundesministerin: Herr Ihr Amtsvorgänger auch nicht, auch nicht das Mini- Kollege, erstens, wenn Sie sagen „Sie", dann können sterium, und haben darauf hingewiesen, daß diese Sie nur die Bundesbaudirektion meinen; denn sie hat Verträge nach Richtlinien des Bundesbauministeri- diese Verträge abgeschlossen. ums abgeschlossen worden sind. Beinhalten die Richt- (Peter Conradi [SPD]: Das ist Ihre Richtli linien des Bundesbauministeriums diese geringen nie!) Summen, also 1: 3 000, bei einer so großen anstehen- den Bausumme? Zweitens, in diesem speziellen Fall geht es um Verträge mit freiberuflich Tätigen. Darauf bezieht sich Dr. Irmgard Schwaetzer, Bundesministerin: Erstens, diese Diskussion. Herr Reschke, möchte ich Sie bitten, noch einmal (Abg. Dr. Walter Hitschler [F.D.P.] meldet nachzulesen, was ich in der letzten Fragestunde exakt - sich zu einer weiteren Zusatzfrage) gesagt habe. Denn Ihre Fragestellung gibt meine Antwort nur unzureichend wieder. Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Herr Kol- Zweitens habe ich in der Tat ausgeführt — aber das lege Hitschler, ich kann keine Zusatzfrage von Ihnen kennen Sie als Baufachmann selber sehr genau —, mehr zulassen, aber eine der Frau Kollegin Albo- daß diese Verträge nach Musterverträgen, die in der witz. RBBau formuliert worden sind, abgeschlossen wur- den. Darüber hinaus — davon haben Ihnen Ihre Ina Albowitz (F.D.P.): Frau Ministerin, würden Sie Kollegen sicher auch berichtet — hat der Bundesrech- bestätigen, daß nach Auskunft des Bundesrechnungs- nungshof gestern im Haushaltsausschuß, unterstützt hofs von gestern diese Verträge, von denen wir hier vom Vertreter des Bundesfinanzministeriums, noch reden, 1989 abgeschlossen worden sind, also vor der 18002 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 208. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. Februar 1994

Ina Albowitz Zeit, als Sie die Leitung dieses Hauses übernommen Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Bitte haben? schön. (Peter Conradi [SPD]: Hat sie schon gesagt!) Gabriele Iwersen (SPD): Frau Ministe rin, Sie haben in der Öffentlichkeit so ein klein wenig den Eindruck — Entschuldigung, Herr Conradi, ich war in einer erweckt, als ob sich die Präsidentin der Bundesbaudi- Sitzung. Ich möchte es gern noch einmal hören. rektion vor Ankunft der Flut vom perfekten Hochwas- Offensichtlich haben Sie das eben nicht verstanden. serschutz dieser Baustelle hätte überzeugen müssen. Halten Sie das für eine Aufgabe der technischen Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Frau Ab- Aufsichtsinstanz? geordnete, stellen Sie eine Frage an die Ministerin. Führen Sie aber keinen Dialog mit dem Abgeordneten Dr. Irmgard Schwaetzer, Bundesministerin: Ich Conradi! weiß nicht, aus welchen Medien oder Gesprächen Sie (Ina Albowitz [F.D.P.]: Entschuldigung, Herr Ihre Eindrücke beziehen. Ich habe in der Öffentlich- Präsident!) keit einen solchen Eindruck nie erweckt. Wir kommen aber im Laufe dieser Fragestunde noch darauf zu sprechen, daß die Bundesbaudirektion mit den Ver- Dr. Irmgard Schwaetzer, Bundesministerin: Frau Kollegin, ich kann es gerne noch einmal bestätigen. Es antwortlichen über den Hochwasserschutz diskutiert gibt Aussagen, die man offensichtlich nicht oft genug hat. wiederholen kann, wie wir im weiteren Verlauf dieser Ihre Fragestunde noch sehen werden. Wir werden noch Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: zweite Zusatzfrage, bitte schön. auf viele Dinge zu sprechen kommen, die exakt so bereits in der Fragestunde am 13. Januar gesagt Gabriele Iwersen (SPD): Frau Ministerin, Sie wer- worden sind. den doch aber zugeben, daß Sie der Öffentlichkeit weismachen wollten, daß die Präsidentin der Bundes- Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Frau Ab- baudirektion auf Grund ihres Versagens bei diesem geordnete Gleicke. Hochwasserfall den Stuhl geräumt hat. Da müssen Sie doch wohl irgendwo in dem Gespräch Vorwürfe Iris Gleicke (SPD): Frau Ministerin, mich würde konstruiert haben. interessieren, ob die Richtlinien Ihres Ministeriums in bezug auf die Verträge, die abgeschlossen werden, Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Ich nehme auf Grund des Vorfalls beim Schürmann-Bau nun an, Frau Abgeordnete, daß Sie auch auf einen ordent- verändert werden. lichen Stil Wert legen und im Protokoll dieses „weis- machen" vielleicht ein wenig umformulieren. Dr. Irmgard Schwaetzer, Bundesministerin: Frau Kollegin, ich führe gerne noch einmal aus, daß wir Dr. Irmgard Schwaetzer, Bundesministerin: Also, bereits im Sommer des vergangenen Janes vor allen Herr Präsident, das ist halt der Umgangsstil, den die Dingen in bezug auf die Großbaumaßnahmen in Opposition so pflegt. Berlin darangegangen sind, mit allen Beteiligten zu Ich kann Sie bitten, Frau Kollegin, das Protokoll der klären, daß der Bund in Zukunft zur Berufshaftpflicht Sitzung vom 13. Januar noch einmal nachzulesen. Da eine sogenannte Exzedentenversicherung verlangen finden Sie exakt formuliert und exakt dargestellt, was wird. Wir haben nicht auf diesen Fall gewartet — er ist in der Pressekonferenz gesagt worden ist. Insofern uns dabei auch nicht in den Sinn gekommen —, trifft die Unterstellung, die Sie hier formuliert haben, sondern aus eigener Verantwortung gehandelt. nicht zu. Zusatz- Nunmehr Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: frage des Abgeordneten Hitschler. liegen zur Frage 15 keine Zusatzfragen mehr vor. Frau Ministerin, wir kommen dann zur Beantwor- Dr. Walter Hitschler (F.D.P.): Frau Bundesministe- tung der Frage 16 der Abgeordneten Frau Iwersen: rin, können Sie die Gerüchte bestätigen bzw. sind Wie grenzt die Bundesbaudirektion ihre Aufgaben als „tech- diese Gerüchte auch zu Ihren Ohren gedrungen, daß nische Aufsichtsinstanz" (vgl. Stenographischer Bericht der die Fragen der Opposition, die heute hier gestellt 202. Sitzung des Deutschen Bundestages, S. 17465 ff.) gegen- über den Aufgaben der örtlichen Bauleitung (Objektüberwa- werden, von der Präsidentin der Bundesbaudirektion chung nach § 15 HOAI Leistungsphase 8) ab? vorformuliert wurden? (Lachen bei der SPD) Dr. Irmgard Schwaetzer, Bundesministerin: Frau Kollegin, der Bundesbaudirektion obliegt, wie ich Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Ich lasse auch schon in der Fragestunde am 13. Januar 1994 die Frage nicht zu, weil sie in keinem sachlichen ausgeführt habe, in jedem, auch im vorliegenden Zusammenhang zur Frage 16 steht. Falle die geschäftliche und technische Oberleitung. Herr Abgeordneter Reschke. Die behördeninterne Organisation der Bundesbaudi- rektion, auf die Sie mit Ihrer Frage möglicherweise Otto Reschke (SPD): Herr Präsident, wir bedanken abheben, hat für das Verhältnis zu den Auftragneh- uns. Ich will mit Ihrer Genehmigung den Architekten mern, das sogenannte Außenverhältnis, keine Bedeu- zitieren, um die Frage stellen zu können. Er tung. schreibt: Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 208. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. Februar 1994 18003

Otto Reschke Weit größerer Schaden kommt hinzu durch ein arbeiten, das Abpumpen des Wassers in den Untergeschossen, nicht abgestimmtes Krisenmanagement. die Fortsetzung der Bauarbeiten an den unbeschädigten Bautei- len nicht möglich sind? Frau Ministerin, Sie haben in der letzten Sitzung in der Fragestunde gesagt, daß Aufträge nach § 15 HOAI Dr. Irmgard Schwaetzer, Bundesministerin: Frau an die ABE vergeben worden sind, und Sie haben Abgeordnete, das trifft nicht zu. Das Bundesministe- dann gesagt, neuerdings müssen noch weitere Auf- rium für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau hat träge vergeben werden. Welche Rolle und welche keinen generellen Baustopp erlassen. Aufgaben hatte die Projekt- oder Steuerungsgruppe Die Bundesbaudirektion hat am 3. Januar 1994 die oder technische Aufsichtsinstanz Diederichs & Part- bauausführenden Firmen aufgefordert, die Bauarbei- ner, Wuppertal, und wann wurde der Auftrag verge- ten auf der Baustelle bis Ende Februar 1994 zu ben? Was tut sie zur Zeit mit ihrem Vertrag, den sie von unterbrechen, um zusätzliche finanzielle Belastungen der Bundesbaudirektion hat? zu vermeiden, wie es auch der Haushaltsausschuß in seiner Sitzung am 12. Januar 1994 verlangt hat. Dr. Irmgard Schwaetzer, Bundesministerin: Die Projektsteuerungsgruppe Diederichs & Partner nimmt Das Bundesministerium für Raumordnung, Bauwe- die Termin- und Kostenkontrolle wahr. Das ist ein Teil sen und Städtebau hat die Bundesbaudirektion inzwi- der Leistungsbeschreibung nach § 15 der HOAI. Der schen angewiesen, diese Unterbrechung bis Ende Vertrag ist am 2. Juli 1987 abgeschlossen worden. März 1994 zu verlängern (Peter Conradi [SPD]: Unglaublich!) Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Herr Ab- sowie grundsätzlich auch die anderen Bau- sowie die geordneter Reschke — und das meine ich jetzt noch Planungsleistungen zu unterbrechen. einmal sehr ernst an alle Beteiligten —: Ich war nicht Von dieser Unterbrechung sind Leistungen ausge- intelligent genug, zu begreifen, wo der Sachzusam- nommen, die zur Sicherung der Baustelle — u. a. menhang zur Frage 16 liegt. Sie können mich später Aufräumarbeiten — sowie zur Planung und Durchfüh- darüber aufklären. rung der Maßnahmen erforderlich sind, die vor einer (Otto Reschke [SPD]: Das will ich gerne tun, Entscheidungsfindung erfolgen müssen, also z. B. die Herr Präsident!) Vorbereitung und Durchführung des Lenzens mit — Später, nicht jetzt. Ich bitte nur, sehr darauf zu gleichzeitiger Absenkung des Gebäudes in seine achten, daß die vorbereiteten Fragen den jeweiligen ursprüngliche Lage sowie die Bauplanung, Kostenbe- Fragen auch zugeordnet werden. rechnung und Terminplanung für eine eventuelle Abgeordneter Conradi. Sanierung der Hochwasserschäden.

Peter Conradi (SPD): Frau Ministerin, durch die Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Eine Zu- Verwendung des Begriffs „technische Aufsichtsin- satzfrage, bitte sehr, Frau Abgeordnete Gleicke. stanz", den Sie in der letzten Fragestunde eingeführt haben, ist der Eindruck entstanden, als wäre die Iris Gleicke (SPD): Frau Ministerin, mich interes- Bundesbaudirektion an der örtlichen Bauüberwa- siert, wann sie die Anordnung auf ein Beweissiche- chung beteiligt. Der Rechnungshof hat dagegen fest- rungsverfahren erteilt haben und auf Grund welcher gestellt, daß die Bundesbaudirektion ausschließlich Informationen. Bauherrenfunktion hatte und daß sich der Beg riff „technische Aufsichtsinstanz" auf die bauaufsichtli- Dr. Irmgard Schwaetzer, Bundesministerin: Die chen Zuständigkeiten der Bundesbaudirektion im Anordnung, ein Beweissicherungsverfahren einzulei- Rahmen der Bauordnung Nordrhein-Westfalens be- ten, habe ich am 6. Januar erteilt, nachdem ich zieht, also mit der örtlichen Bauleitung überhaupt erfahren habe, daß ein Teil des vorgesehenen Hoch- nichts zu tun hat. wasserschutzes nicht fertiggestellt war. Können Sie hier bestätigen, daß der Beg riff „tech- nische Aufsichtsinstanz" nicht in die Zuständigkeit Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Eine wei- des mit der Bauleitung beauftragten Büros hinein- tere Zusatzfrage, bitte sehr, Frau Abgeordnete greift? Gleicke.

Dr. Irmgard Schwaetzer, Bundesministerin: Herr Iris Gleicke (SPD): Gibt es Informationen oder haben Abgeordneter Conradi, die inte rne Organisation der Sie überschlägliche Berechnungen, wieviel dieser Bundesbaudirektion ist Ihnen bekannt. Ich kann nur Stillstand, der von vornherein vereinbart war bzw. noch einmal unterstreichen: Die Aufgabe der Bundes- jetzt durch das Beweissicherungsverfahren auf der baudirektion ist in diesem Fall die technische und die Baustelle eingetreten ist, kostet? geschäftliche Oberleitung. Auf nichts anderes habe ich mich in meinen Antworten am 13. Januar bezo- Dr. Irmgard Schwaetzer, Bundesministerin: Das von gen. Ihrem Kollegen eben schon angeführte Büro Diede- richs & Partner, das für die Termin- und Kostenkon- Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Ich rufe trolle zuständig ist, hat die Stillstandskosten für den die Frage 17 der Abgeordneten Frau I ris Gleicke ersten Monat auf die Höhe von überschläglich 7,6 Mil- auf: lionen DM beziffert. Trifft es zu, daß das Bundesministerium für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau einen Baustopp für den gesamten Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Herr Ab- Schürmann-Bau erlassen hat mit der Folge, daß Aufräumungs- geordneter Conradi bitte sehr. 18004 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 208. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. Februar 1994

Peter Conradi (SPD): Angesichts der Tatsache, Frau in seiner Verfügung ausdrücklich darauf hingewie- Ministerin, daß neue Jahrhunderthochwasser nicht sen, daß die Zeit dazu drängt. erst in 100 Jahren, sondern schon nächste Woche (Dr. Burkhard Hirsch [F.D.P.]: Das wäre eine kommen können, ist es schwer verständlich, daß ein schöne Aufgabe für Christo!) unzureichender Hochwasserschutz in der Zwischen- zeit nicht längst in Arbeit ist, d. h. daß Ihr Ministerium Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Herr Ab- nicht die notwendigen Maßnahmen eingeleitet hat, geordneter Reschke. um das Bauwerk vor einem neuen Hochwasser zu schützen. Was sagen Sie dazu? Otto Reschke (SPD): Herr Präsident, in dem Zusam- menhang stelle ich die Frage: Frau Ministerin, Sie Dr. Irmgard Schwaetzer, Bundesministerin: Herr haben angekündigt, sich am 6. Januar für ein Beweis Kollege Conradi, Ihre Forderung, daß wir den Hoch- sicherungsverfahren entschieden zu haben. Am wasserschutz hätten fertigstellen sollen, könnte die 11. Januar, so konnte ich nachlesen, haben Sie es Vermutung zulassen, daß wir Beweise vernichten öffentlich angekündigt. Am 14. Januar haben Sie es sollten. geschrieben, so wie Sie es mir mitgeteilt haben. Auf Ich habe Ihnen oder vielleicht Ihrem Kollegen auf Grund einer Nachrichtenmeldung stelle ich fest, daß entsprechende Fragen bereits in der Fragestunde am der Eingang beim Landgericht Bonn am 17. Januar 13. Januar geantwortet, daß selbstverständlich war. Ich weiß aber, daß eine Rohbaufirma, die geprüft werden muß, wie die Baustelle für das Früh- beschuldigt worden ist, schon am 12. Januar 1994 ein jahrshochwasser gesichert werden kann. In dieser Beweissicherungsverfahren beim L andgericht bean- Woche sind konkrete Diskussionen dazu geführt wor- tragt hat. Gegen wen richtet sich das Beweissiche- den, wie die Vorbereitungen auf die Frühjahrs- rungsverfahren? Richtet sich dieses etwa gegen das schmelze genau getroffen werden sollen. Bauministerium, weil schon relativ früh Schuldige in der Öffentlichkeit genannt worden sind? Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Frau Ab- geordnete Iwersen. Dr. Irmgard Schwaetzer, Bundesministerin: Herr Kollege, erstens möchte ich Sie darauf aufmerksam machen, daß es für einen Minister nicht möglich ist, (SPD): Frau Ministerin, haben Sie Gabriele Iwersen alles selbst zu tun. Daher ist das Beweissicherungsver- sicherstellen lassen, daß ein ausreichender Witte- fahren von der Bundesbaudirektion beantragt wor- rungsschutz bei den aufgehenden Bauwerken, die schon vorhanden sind, durchgeführt wird, damit nicht den. noch weitere Schäden eintreten? Zweitens. Das Beweissicherungsverfahren richtet sich in seinem ersten Antrag gegen 19 am Bau beteiligte Firmen und Firmengruppen. Das gibt einen Dr. Irmgard Schwaetzer, Bundesministerin: Frau Kollegin, ich habe im Moment einige Schwierigkei- deutlichen Hinweis darauf, was in der Vorbereitung ten, zu begreifen, was Sie mit Bedrohungsschutz dieses Beweissicherungsverfahrens alles zu prüfen meinen. Vielleicht können Sie das noch etwas erläu- war, um entsprechende Fragen zu formulieren. tern. Ich habe in der Fragestunde am 13. Januar 1994 ebenfalls ausgeführt, daß ein solches Beweissiche- (Peter Conradi [SPD]: Witterungsschutz!) rungsverfahren natürlich substantiiert vorgebracht — Vielleicht habe ich das akustisch nicht verstanden. werden muß, d. h. daß sehr präzise Fragen formuliert Sie wissen ja, wie fabelhaft die Akustik hier ist. werden müssen. Deswegen ist ein gewisser Vorlauf notwendig. Entscheidend ist, daß der Beschluß des Gabriele Iwersen (SPD): Ich weiß, sie ist „hervorra- Gerichts ergangen ist und die Sachverständigen gend". Darum konnte m an Sie am Anfang, als Sie mit benannt sind, so daß die Beweisaufnahme bereits Ihren Antworten begonnen haben, leider auch nicht erfolgen kann. verstehen. (Abg. Otto Reschke [SPD] meldet sich zu (Bundesministerin Dr. Irmgard Schwaetzer: einer weiteren Zwischenfrage) Das sind diese fabelhaften Mikrof one!) Ich habe gefragt, ob die Baustelle ausreichend wetter- Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Es tut mir fest gemacht worden ist. leid, Herr Abgeordneter Reschke. Ihr Fragerecht ist verbraucht. Dr. Irmgard Schwaetzer, Bundesministerin: Frau Der Abgeordnete Großmann ist der nächste, der Kollegin, ich halte es für selbstverständlich. daß bis fragen möchte. Ich erteile ihm das Wort. zum Tätigwerden der Sachverständigen auf der Bau-- stelle dort keine größeren Veränderungen vorgenom- Achim Großmann (SPD): Frau Ministerin, wie hoch men werden. Sie bergen immer die Gefahr in sich, daß sind die Schäden, die dadurch entstehen, daß seit Beweise vernichtet werden können. Deswegen haben Wochen aggressives Rheinwasser in den Unterge- wir so großen Wert darauf gelegt, daß das Beweissi- schossen steht? cherungsverfahren nicht nur zügig eingeleitet wird, sondern auch darauf, daß die Verfügung des Gerichts Dr. Irmgard Schwaetzer, Bundesministerin: Herr über die Einsetzung der Sachverständigen möglichst Kollege, die Art und Weise, wie die Opposition ihre rasch erfolgt. Das ist inzwischen geschehen. Nun muß eigene Argumentation verändert, finde ich schon sehr die Aufnahme der Schäden an der Baustelle zur beeindruckend. Ich möchte auch Sie noch einmal Beweissicherung zügig vorangehen. Das Gericht hat darauf aufmerksam machen, daß ich ebenfalls Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 208. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. Februar 1994 18005

Bundesministerin Dr. Irmgard Schwaetzer — wenn ich es richtig im Kopf habe, unter Unmutsbe- ken und Teilen beteiligt gewesen sind, nicht an zeugungen aus Ihrer Fraktion — ausgeführt habe, daß der Schlitzwand. Bis zum Montag — ich glaube, es rasches Handeln an der Baustelle erforderlich ist, weil war der 17.; uns unsere Schadensminderungspflicht natürlich auf- (Peter Conradi [SPD]: Der 24.!) erlegt, möglichst schnell die Vorbereitungen dafür zu nein, der 17., Herr Kollege — war der Informations- schaffen, daß gelenzt werden kann. Dies haben wir stand aus unserem Büro für Kosten- und Terminkon- unverzüglich getan. Ich habe bereits darauf hingewie- trolle, daß die Gewährleistungsfrist für die Schlitz- sen, daß Erörterungen über konkrete Terminpläne wand bereits abgelaufen sei, auch für die Teile der und technische Pläne in dieser Woche erfolgt sind. Schlitzwand, die nachgebessert worden sind. Insofern ergab sich nach diesem Wissensstand keinerlei Mög- Ich wäre Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: lichkeit, ein Beweissicherungsverfahren einzuleiten. Ihnen dankbar, wenn Sie die Frage noch einmal Erst die Information darüber, daß es offensichtlich durchlesen würden. Sie wäre an anderer Stelle besser Abrechnungsprobleme in bezug auf die Schlitzwand anzubringen gewesen. gab, eröffnete die Möglichkeit, auch in diesem Punkt Frau Abgeordnete Gleicke hat das Wort zu einer ein Beweissicherungsverfahren einzuleiten. Das ist Zusatzfrage. unverzüglich geschehen.

Iris Gleicke (SPD): Sie haben davon gesprochen, Frau Ministerin, daß das Beweissicherungsverfahren Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Wir kom- gegen 19 Firmen eingeleitet ist. Entspricht es der men nunmehr zur Beantwortung der Frage 18 der Tatsache, daß eine der beschuldigten Rohbaufirmen Abgeordneten Frau Iris Gleicke. ebenfalls ein Beweissicherungsverfahren angestrengt Welche Konsequenzen hat das Bundesministerium für Raum- hat? Gegen wen richtet sich dieses Beweissicherungs- ordnung, Bauwesen und Städtebau gegenüber der mit der Bauleitung beauftragten privaten Firma ABE wegen der bauli- verfahren? chen Abnahme einer tatsächlich nicht erbrachten Bauleistung gezogen? Dr. Irmgard Schwaetzer, Bundesministerin: Meine Information ist in der Tat, daß es ein Beweissiche- rungsverfahren gegen den Auftraggeber gibt. Dr. Irmgard Schwaetzer, Bundesministerin: Frau Kollegin, das Bundesministerium für Raumordnung, (Peter Conradi [SPD]: Aha!) Bauwesen und Städtebau hat beim Landge richt Bonn Das ist in solchen Fällen das ganz Normale und am 14. Januar ein selbständiges Beweisverfahren Übliche. gegen die mit der Bauleitung beauftragte Arbeitsge- meinschaft ABE sowie andere an der Baumaßnahme Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Jetzt hat Beteiligte beantragt. der Abgeordnete Hitschler das Wort. Zusatz- (F.D.P.): Frau Ministe rin, beab- Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Dr. Walter Hitschler frage? — Herr Abgeordneter Conradi. sichtigen Sie, das Abpumpen aus dem Gebäude und zwischen Schlitzwand und Gebäude ohne vorherige ausdrückliche Zulassung der im gerichtlichen Be- Peter Conradi (SPD): Trifft es zu, Frau Ministerin, weissicherungsverfahren tätigen Sachverständigen daß der Chef der Bauverwaltung, der Leiter der zu veranlassen? Abteilung Bau, Ihnen vorgeschlagen hat, mit der weiteren Projektsteuerung eine Firma zu beauftragen, Dr. Irmgard Schwaetzer, Bundesministerin: Nein, die an der Herstellung der Schlitzwände beteiligt Herr Kollege, es ist ganz selbstverständlich, daß alles war? das, was an Arbeiten an der Baustelle auszuführen ist, ausschließlich in Abstimmung mit den vom Gericht Dr. Irmgard Schwaetzer, Bundesministerin: Herr beauftragten Sachverständigen durchgeführt wird. Kollege, vor der Beauftragung einer Firma mit der Vorbereitung der weiteren Arbeiten, die zur Scha- Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Herr Ab- densminderung und Sicherung der Baustelle notwen- geordneter Schöler. dig sind, sind eine Fülle von Gesprächen mit unter- schiedlichen Firmen, Firmengruppen und Ingenieur- Walter Schöler (SPD): Frau Ministerin, ich frage Sie, büros geführt worden. Darunter befand sich auch die ob das Beweissicherungsverfahren von Anfang an die Firma, über die, auf welchen Kanälen auch immer, in von der Firma Philipp Holzmann erstellten Schlitz- der Öffentlichkeit bereits berichtet worden war. wände umfaßt hat. Abgeschlossen worden ist ein solcher Vertrag mit der Firma Obermeyer, München. Dr. Irmgard Schwaetzer, Bundesministerin: Nein, Herr Kollege, das Beweissicherungsverfahren gegen (Dr. Walter Franz Altherr [CDU/CSU]: Eine die Teilnehmer der Arbeitsgemeinschaft, die die gute Firma!) Schlitzwand erstellt hat, ist erst später angefügt wor- den. Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Zusatz- (Peter Conradi [SPD]: Erstaunlich!) frage des Abgeordneten Reschke. Die Begründung dafür ist sehr einfach. Wir hatten ausgeführt, daß sich die Fragen, die zu formulieren Otto Reschke (SPD): Frau Ministerin, das steht ein sind, auf die Firmen bezogen, die an anderen Gewer- Stückchen im Gegensatz zu einer Äußerung, die Sie in 18006 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 208. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. Februar 1994

Otto Reschke der Nachrichtensendung „RTL aktuell" am 21. Januar Ich frage Sie jetzt erneut: Wann ist das Protokoll 1994 getätigt haben. gemacht, und von wem ist es unterzeichnet wor- (Dr. Walter Hitschler [F.D.P.]: Vielleicht sind den? Sie einer Falschinformation aufgesessen!) Dort haben Sie gesagt — ich gebe es jetzt frei Dr. Irmgard Schwaetzer, Bundesministerin: Herr wieder —: Nach anfänglichen Verhandlungen, nach- Kollege, eine zweiteilige Antwort: Erstens, es gibt dem bekannt wurde, daß die Firma an der Erstellung einseitige und zweiseitige Protokolle. Ich habe nie der äußeren Pfahlgründungen beteiligt war, sind die behauptet, daß dieses ein solches sei, dem sie zuge- Verhandlungen mit dieser Firma abgebrochen wor- stimmt hat. den. (Peter Conradi [SPD]: In Personalangelegen heiten zweiseitige!) Dr. Irmgard Schwaetzer, Bundesministerin: Herr Sie können es auch als Gesprächsnotiz oder als Kollege, darin war wieder eine Unterstellung, die Ergebnisaufzeichnung bezeichnen. absolut unzutreffend ist, nämlich die Aussage, warum (Peter Conradi [SPD]: Sie haben von „Proto die Verhandlungen abgebrochen wurden. Wir haben koll" gesprochen, nicht wir!) mit dieser Firma keine Gespräche mehr geführt, Welcher Begri nachdem bekanntgeworden ist, daß es Abrechnungs- ff dafür gewählt wird, Herr Kollege, ist ja wohl wirklich von völlig untergeordneter Bedeu- probleme mit der Schlitzwand gegeben hat. tung. (Peter Conradi [SPD]: Also doch!) (Beifall bei Abgeordneten der F.D.P. — Daneben und auch im weiteren Verlauf haben wir mit Widerspruch bei der SPD) einer ganzen Reihe anderer Firmen, Firmengruppen und Ingenieurbüros Gespräche geführt. Darüber hinaus wird die Präsidentin der Bundes- baudirektion kaum bestreiten, daß sie mich gebeten hat, noch nicht mitzuteilen, daß sie beabsichtigt, an Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Weitere die Universität Darmstadt zu gehen. Das wird sie wohl Zusatzfragen werden zu Frage 18 nicht gestellt. Ich nicht bestreiten. rufe die Frage 19 des Abgeordneten Peter Conradi (Brigitte Schulte [Hameln] [SPD]: Warum auf: haben Sie es dann gesagt? — Ina Albowitz Wer hat am Gespräch der Bundesministerin für Raumordnung, [F.D.P.]: Das hat sie nicht gesagt!) Bauwesen und Städtebau mit der Präsidentin der Bundesbaudi- rektion (BBD) am 11. Januar 1994 teilgenommen, und wann ist Ich habe es doch nicht gesagt. das von der Bundesministerin für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau in der Fragestunde am 13. Januar 1994 (vgl. Steno- graphischer Bericht der 202. Sitzung des Deutschen Bundesta- Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Eine Zu- ges, S. 17465 ff.) erwähnte Protokoll angefertigt und unterzeich- satzfrage des Abgeordneten Reschke. net worden? Otto Reschke (SPD): Frau Ministerin, Sie haben mir Dr. Irmgard Schwaetzer, Bundesministerin: Herr am 17. Januar in einem Schreiben mitgeteilt, daß Sie Kollege, haben Sie bitte Verständnis dafür, daß ich ein Protokoll erstellt haben, und Protokollbestandteil über das hinaus, was ich in der Fragestunde am sei auch dieses Personalgespräch, von dem wir lau- 13. Januar 1994 zum Ergebnis des Gesprächs ausge- fend reden und worüber wir informiert werden müs- führt habe, in der Öffentlichkeit keine Auskunft geben sen. kann. Dies ist generell nicht üblich. (Ina Albowitz [F.D.P.]: Nein!) Ich frage Sie deshalb allen Ernstes: Ist dieses Proto- Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Eine Zu- koll mit Frau Jakubeit abgestimmt worden? Das satzfrage des Herrn Abgeordneten Conradi. würde ich gern dezidiert wissen; sonst gehe ich jetzt mal den Schritt, Frau Jakubeit anzuschreiben, um Peter Conradi (SPD): Frau Ministerin, Sie haben uns informiert zu sein. War dieses Gespräch mit Frau in der Fragestunde am 13. Januar geantwortet: „Ich Jakubeit ein Personalgespräch, ein Gespräch über habe sie — die Präsidentin der Baudirektion — ihre Entbindung von bestimmten Aufgaben? Oder war gefragt, was ich mit dieser Mitteilung machen solle. es ein Gespräch zur Erörterung von Sachfragen im Daraufhin hat sie gesagt, das sei selbstverständlich auf Zusammenhang mit — ich sage immer noch — der der Pressekonferenz auch mitzuteilen. " Weiter haben Hochwasserkatastrophe? Sie gesagt: „Darüber gibt es selbstverständlich ein Protokoll. " - Dr. Irmgard Schwaetzer, Bundesministerin: Herr Daß Sie uns das Protokoll nicht vorlegen, ist ver- Kollege, es ist absolut unüblich, über Gespräche mit ständlich, weil es eine interne Sache ist. Aber ich frage Mitarbeitern in der Öffentlichkeit Auskunft zu Sie: Wann ist das Protokoll erstellt worden, nachdem geben. die Präsidentin — sie müßte ja auch mit dem Klam- (Beifall bei der F.D.P. — Peter Conradi [SPD]: merbeutel gepudert sein, wenn sie Ihnen empfohlen Das hätten Sie sich am 13. Januar mal über hätte, im Zusammenhang mit dem Hochwasserscha- legen müssen! Am 13. Januar haben Sie den ihr Weggehen zur Universität Darmstadt genau das getan! Unmöglich! Am 13. Januar bekanntzugeben — bestreitet, ein Protokoll unter- hier! — Weitere Zurufe von der SPD — zeichnet zu haben? Und sie bestreitet auch diese Dr. Walter Franz Altherr [CDU/CSU]: Seien Äußerung. Sie doch nicht so erregt!) Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 208. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. Februar 1994 18007

Bundesministerin Dr. Irmgard Schwaetzer Da Sie den Eindruck erwecken, daß Sie von anderer Dr. Irmgard Schwaetzer, Bundesministerin: Herr Seite aus deren Sicht sehr detailliert darüber infor- Kollege, ich empfehle Ihnen, Ihre eigenen Fragen in miert worden sind, möchte ich mich trotzdem im der Fragestunde vom 13. Januar nachzulesen Interesse der Vertraulichkeit von Personalgesprächen (Peter Conradi [SPD]: Die habe ich hier!) in der öffentlichen Verwaltung enthalten, hier weitere und meine Antworten darauf. Aussagen zu machen. (Beifall bei Abgeordneten der F.D.P.) (Beifall bei der F.D.P. und bei Abgeordneten der CDU/CSU — Dr. Burkhard Hirsch Das, was Sie heute fragen, haben Sie auch damals exakt so gefragt. Es ist dem nichts mehr hinzuzufügen. [F.D.P.]: Das sind Fragen, die eines Sozialde- mokraten unwürdig sind!) Das Gespräch hat so stattgefunden. Frau Jakubeit hat ihre Zustimmung erteilt, daß ich die Tatsache ihres Weggangs zum 1. Oktober in der Öffentlichkeit Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Ich darf bekanntgeben kann. Sie hat mich darum gebeten, feststellen, daß es keine weitere Zusatzfrage zu nicht bekanntzugeben, wohin sie geht. So ist das. Frage 19 gibt. Ich rufe die Frage 20 des Abgeordneten (Peter Conradi [SPD]: Das bestreitet sie!) Peter Conradi auf: Wie ist die Äußerung der Bundesministerin für Raumordnung, Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Herr Ab- Bauwesen und Städtebau in der Fragestunde des Deutschen geordneter Reschke. Bundestages vom 13. Januar 1994 (vgl. Stenographischer Be richt der 202. Sitzung des Deutschen Bundestages, S. 17465 ff.) „Ich (SPD): Frau Ministerin, ich lese Ihnen kann niemand vorwerfen, aus zeitlichen Zusammenhängen Otto Reschke irgendwelche Schlußfolgerungen zu ziehen, die ich nicht einen Vermerk Ihres Abteilungsleiters B vom 17. Ja- gemacht habe" angesichts der Tatsache zu verstehen, daß die nuar vor, und zwar unter „Auftrag": Bundesministerin für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau in ihrer Pressekonferenz und das Bundesministerium für Raum- Frau Ministerin hat die Präsidentin der Bundes- ordnung, Bauwesen und Städtebau selbst in seiner Ergänzung baudirektion am 30. 01. 1994 von der Verantwor- zur Pressemitteilung 1/94 den Zusammenhang zwischen den tung für die obige Baumaßnahme mit sofortiger Hochwasserschäden am Schürmann-Bau und dem Weggang der Wirkung entbunden. Präsidentin der BBD hergestellt hat? Meine Frage ist: Haben Sie dieses Vorhaben in der Pressekonferenz am 11. Januar und in der Frage- Dr. Irmgard Schwaetzer, Bundesministerin: Herr stunde am 13. Januar bewußt verschwiegen, um den Kollege, ein solcher Zusammenhang ist nicht herge- Eindruck, von dem Sie sagen, daß „ihn andere gewon- stellt worden. Im übrigen verweise ich auf meine nen hätten", entstehen zu lassen? Ausführungen in der Fragestunde am 13. Januar 1994. Meine Äußerung bedarf keiner Interpretation. Dr. Irmgard Schwaetzer, Bundesministerin: Herr (Dr. Walter Franz Altherr [CDU/CSU]: Bei Kollege, Ihre Frage ordnet sich nahtlos in alles das ein, der SPD nichts Neues sozusagen!) was ich bereits am 13. Januar ausgeführt habe. Da ist überhaupt nichts Neues. Das einzige, was neu ist, ist, daß sich offensichtlich, von wem auch immer, Mitar- Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Zusatz- beiterin oder Mitarbeiter, interne Vermerke in der frage des Abgeordneten Conradi. Öffentlichkeit wiederfinden. Dieses Maß an Illoyalität finde ich schon bemerkenswert. (Peter Conradi [SPD]: Bemerkenswert finde Peter Conradi (SPD): Nach dem Wortlaut des Mit- ich den Unterschied zwischen diesen Auf schnitts Ihrer Pressekonferenz haben Sie, Frau Mini- zeichnungen und dem, was Sie hier sterin, unter „Konsequenzen der Hochwasseraffäre" sagen!) angekündigt, Frau Barbara Jakubeit werde wegge- hen. Ich frage Sie: Wer hat die Ergänzung zur Presse- Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Herr Ab- mitteilung 1/94, die genau dies sagt — „Die Präsiden- geordneter Reschke, Sie dürfen stehenbleiben, denn tin der Bundesbaudirektion, Barbara Jakubeit, legt als nächstes kommt Ihre Frage 21, die die Ministerin ihre Aufgaben nieder" —, angeordnet? beantworten will: Auf welche Gesellschaft des privaten Rechts wurde die Bundesministerin: Herr Bauangelegenheit „Schürmann-Bau" übertragen, und wann Dr. Irmgard Schwaetzer, wurde das (gemäß § 3 Abs. 4 des Gesetzes über die Bundesbau- Kollege, im Zweifelsfalle bin für Presseerklärungen verwaltung) erforderliche Einvernehmen hergestellt? ich zuständig. Ich sehe darin auch überhaupt kein Problem. Dr. Irmgard Schwaetzer, Bundesministerin: Herr - Kollege, eine Übertragung der Bauangelegenheit „Schürmann-Bau" auf eine Gesellschaft des privaten (SPD): Sie haben eben gesagt, Frau Peter Conradi Rechts hat in Anbetracht der geltenden Rechtslage Ministerin, es sei nicht üblich, aus Personalgesprä- nicht stattgefunden und war nie beabsichtigt. chen öffentlich zu berichten. Das haben Sie bei der letzten Frage hier wörtlich gesagt. Sie selbst haben Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Eine Zu- unmittelbar nach diesem Gespräch auf einer Presse- satzfrage? — Herr Abgeordneter Reschke, Sie nicht, konferenz den Zusammenhang mit der Hochwasser- dann Herr Abgeordneter Conradi, bitte. katastrophe hergestellt und eine Pressemitteilung nachgeschoben. Wie soll ich denn das verstehen? Peter Conradi (SPD): Haben Sie einmal mit dem (Zurufe von der F.D.P.) Architekten Schürmann, dessen Name ja in der gan- 18008 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 208 Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. Februar 1994

Peter Conradi zen Bundesrepublik durch diese Sache ins Gespräch Bundesbaudirektion und dem Bauministerium bereits gekommen ist, über die weitere Abwicklung dieses im Sommer 1992 — als es darum ging sicherzustellen, Baus, insbesondere über die Projektsteuerung, und der uns allen bekannten Personalknappheit des Sach- auch darüber gesprochen, wie m an eine Schadens- gebiets für den Schürmann-Bau durch interne Orga- minderung vornehmen kann und was weiter gesche- nisationsmaßnahmen entgegenzuwirken — disku- hen soll? tiert worden ist, nämlich einen Projektsteuerer mit (Zuruf des Abg. Dr. Burkhard Hirsch Bauherrenfunktionen zu beauftragen. [F.D.P.]) Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Abgeord- Dr. Irmgard Schwaetzer, Bundesministerin: Herr neter Großmann. Kollege, der Zwischenruf des Kollegen Hirsch macht das schon deutlich, und Sie kennen auch die Antwort Achim Großmann (SPD): Frau Ministerin, wenn, wie darauf, die bereits gestern gegeben worden ist: Sie in der vorletzten Antwort gesagt haben, ein Teil (Peter Conradi [SPD]: Ich habe nicht Herrn der Bauleitung — wie m an sie auch nennt; „Rohbau- Hirsch gefragt!) leitung" oder wie auch immer — bei der Bundesbau- Krisenmanagement — und die Einschaltung dieser direktion verbleibt, wie habe ich es dann denn zu Ingenieurfirma gehört zum Krisenmanagement — verstehen, daß bei den Begehungen der Baustelle im wird sicherlich nicht mit denjenigen abgestimmt, Anschluß an das Hochwasser der zuständige Abtei- gegen die ein Beweissicherungsverfahren eingeleitet lungsleiter der Bundesbaudirektion ausgeschaltet ist. wurde (Ina Albowitz [F.D.P.]: Was?) (Zurufe von der CDU/CSU: Sehr richtig! Vielleicht hat Herr Conradi mit ihm gespro- und alle Maßnahmen nur noch von Herrn Staatssekre- chen! — Peter Conradi [SPD]: Sie hätten doch tär Loewenich geführt werden? in den zwei Monaten einmal mit ihm reden können! Mit der Firma Philipp Holzmann Dr. Irmgard Schwaetzer, Bundesministerin: Herr wird verhandelt, mit dem Architekten nicht! Kollege, der Beg riff, den Sie verwendet haben, ist im Sehr erstaunlich! Mit Siemens haben Sie Dienstrecht absolut unüblich. Es ist richtig, daß ich auch immer gekungelt!) Herrn Staatssekretär von Loewenich beauftragt habe, alle notwendigen Maßnahmen zu koordinieren, zu Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Abgeord- überwachen und dafür zu sorgen, daß sie zeitgerecht neter Reschke. und zügig getroffen werden.

Otto Reschke (SPD): Frau Ministerin, ich würde Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Herr Ab- gern wissen, wer gemäß § 3 des Gesetzes über die geordneter Conradi, ich muß Sie darauf aufmerksam Bundesbauverwaltung zur Zeit Bauherr dieses Ge- machen, daß das eine Meldung für die Frage 22 ist; bäudes ist, wer als Bauherr gemäß § 3 Abs. 4 des denn das Recht für Frage 21 hatten Sie verwirkt. Gesetzes über die Bundesbauverwaltung die Verant- Wir kommen nun zur Beantwortung der Frage 22 wortung dafür trägt, wenn bestimmte Bauleistungen, des Abgeordneten Reschke: die in der Obhut der Bundesbaudirektion liegen, Trifft es zu, daß die Bundesministerin für Raumordnung, dieser entzogen und privat vergeben werden, und wer Bauwesen und Städtebau mit der weiteren Projektsteuerung für das Einverständnis des Verfassungsorgans, wie das den Schürmann-Bau eine Baufirma beauftragt hat, die die Gesetz es fordert, herbeiführt. Schlitzwände und die Wasserhaltung für diesen Bau errichtet hat, und daß diese trotz eines Hinweises der Bundesbaudirektion auf die Folgen der Beauftragung einer möglicherweise an den Dr. Irmgard Schwaetzer, Bundesministerin: Herr Schadensursachen beteiligten Firma für die gerichtliche Beweis- Kollege, Sie kennen das Gesetz über die Bundesbau- ermittlung geschehen ist? verwaltung, und Sie wissen, daß die technische und geschäftliche Oberleitung nach diesem Gesetz Dr. Irmgard Schwaetzer, Bundesministerin: Herr zwangsläufig — das ist die Rechtslage — bei der Kollege: Nein. Bundesbaudirektion verbleibt. (Heiterkeit bei der F.D.P.) (Peter Conradi [SPD]: Was können Sie denn da eigentlich wegnehmen?) Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Zusatz- frage, Herr Abgeordneter Reschke. Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Einen Moment! Der Abgeordnete Reschke hat noch eine Zusatzfrage. Wenn er die nutzen will, dann müssen Otto Reschke (SPD): Ich zitiere noch einmal aus wir ihn erst einmal berücksichtigen. — Danke diesem Vermerk vom 17. J anuar: Auf Vorschlag von schön. Abteilungsleiter B erklärte sich Frau Ministerin damit einverstanden, am 14. Januar 1994 mit der Philipp Otto Reschke (SPD): Selbstverständlich habe ich Holzmann AG in entsprechende Verhandlungen ein- noch eine Frage frei. Deshalb frage ich: Was haben Sie zutreten, da Gefahr im Verzuge war. der Bundesbaudirektion dann weggenommen, Frau Meine Frage daraufhin, Frau Ministerin: Haben Sie Ministerin, und vergeben? angewiesen, mit der Firma Holzmann zu verhandeln, oder haben Sie selbst mit der Firma verhandelt, und Dr. Irmgard Schwaetzer, Bundesministerin: Herr welche Verhandlungen wurden anläßlich der Baustel- Kollege, wir haben weitergeführt, was zwischen der lenbesichtigung mit Staatssekretär Günther geführt? Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 208. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. Februar 1994 18009

Dr. Irmgard Schwaetzer, Bundesministerin: Herr (Dr. Burkhard Hirsch [F.D.P.]: In München Kollege, ich kann nur noch einmal wiederholen, was gibt es noch den Rechtsanwalt Schily; viel ich soeben schon gesagt habe: Es sind mit vielen leicht wäre der Ihnen recht! — Peter Conradi Firmen Gespräche geführt worden. Beauftragt wor- [SPD]: Es gibt ein Rechtsanwaltsbüro in den ist die Firma Obermeyer, München. Bonn, das das bisher gemacht hat, und die (Zuruf von der SPD: Haben Sie, oder haben Frage war, warum es nicht mehr beauftragt Sie nicht? — Ina Albowitz [F.D.P.]: Das war wird!) überhaupt nicht die Frage!) Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Nun hat der Abgeordnete Hitschler die Möglichkeit, eine Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Herr Ab- Zusatzfrage zu stellen. geordneter Reschke, Sie haben die Möglichkeit zu fragen. Dr. Walter Hitschler (F.D.P.): Frau Ministe rin, nach- dem der Kollege Reschke eben erstaunlicherweise Otto Reschke (SPD): Frau Ministerin, ist es wahr, seine Quelle bekanntgegeben hat — er hat nämlich daß der von Ihnen beauftragte Staatssekretär Loewe- aus einem Vermerk eines Sachgebietsleiters der Bun- nich in naher Zukunft das Bauministerium verlassen desbaudirektion zitiert, frage ich, ob das ein einseiti- wird? ges oder ein zweiseitiges Protokoll war und ob Ihnen (Ina Albowitz [F.D.P.]: Er geht in Pension! — dieser Vermerk des Sachgebietsleiters, in dem Sie ja Weitere Zurufe von der F.D.P. — Ina Albo- zitiert werden und in dem eine Zustimmung von Ihnen witz [F.D.P.]: Herr Reschke, wollten Sie signalisiert wird, bekanntgeworden ist oder ob das nur dahin? Angebote werden entgegengenom- ein interner Vermerk der Bundesbaudirektion war, der men!) nur der Opposition, aber nicht Ihnen zugegangen ist. Bundesministerin: Herr Den Zu- Dr. Irmgard Schwaetzer, Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Kollege, dieser Vermerk aus dem Sachgebiet der sammenhang mit der Frage 22 kann ich wirklich nicht Bundesbaudirektion liegt mir selbstverständlich jetzt erkennen, Herr Abgeordneter Reschke. auch vor, nicht nur der Opposition, aber es befinden (Dr. Walter Franz Altherr [CDU/CSU]: Die sich auch interne Vermerke der Bundesbaudirektion Frage ist nicht zulässig!) im Umlauf, die offensichtlich nicht für das Bauministe- rium bestimmt waren. Dr. Irmgard Schwaetzer, Bundesministerin: Außer- (Konrad Gilges [SPD]: Ein schöner Laden! dem wird der Kollege von Loewenich bis zu seinem Woran liegt das wohl? — Dr. Walter Hitschler Ausscheiden natürlich mit voller Kraft im Bauministe- [F.D.P.]: An den Aktivisten Ihrer Partei im rium arbeiten. Das ist doch wohl klar. Bauministerium! — Abg. Otto Reschke [SPD] meldet sich zu einer Zusatzfrage — Otto Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Herr Ab- Reschke [SPD]: Eine Frage haben Sie nicht geordneter Conradi hat jetzt die Möglichkeit, eine zugelassen!) Zusatzfrage zu stellen. Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Auf so ein Peter Conradi (SPD): Aus welchem Grund, Frau Geschäft kann ich mich nicht einlassen, Herr Reschke. Ministerin, ist die Wahrung der Rechtspositionen des Suchen Sie sich eine Möglichkeit bei der Frage 23 des Bundes im Zusammenhang mit der Projektsteuerung Abgeordneten Großmann: und mit der Beweissicherung nicht dem bisher damit Wer ist mit der Führung bzw. Auswertung des Bautagebuches beauftragten Bonner Rechtsanwaltsbüro, sondern zum Schürmann-Bau befaßt, und wann hat das Bundesministe- rium für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau das Bautage- einer Münchener Anwaltskanzlei übertragen wor- buch angefordert, um die Vollständigkeit der Hochwasser- den, und ist geprüft worden, ob im Zusammenhang schutzmaßnahmen in der seinerzeitigen Bauphase zu prüfen mit dieser Anwaltskanzlei Mandantenverpachtungen und um den Sachstand in die Maßnahmen zur Gefahrenabwehr zu befürchten sind? miteinzubeziehen? (Zuruf von der F.D.P.: Unglaublich! — Dr. Dr. Irmgard Schwaetzer, Bundesministerin: Die Burkhard Hirsch [F.D.P.]: Warum wird denn Arbeitsgemeinschaft AWE ist mit der Objektüberwa- der Architekt und nicht Herr Conradi beauf- chung beauftragt. Zur ihren Aufgaben gehört unter tragt? — Heiterkeit bei der F.D.P.) anderem, das Bautagebuch zu führen. Die bauausführenden Firmen und die mit der Dr. Irmgard Schwaetzer, Bundesministerin: Herr - Objektüberwachung beauftragte Arbeitsgemein- Conradi ist ja an allen Entscheidungen, die den schaft AWE sind für die Vollständigkeit der Bauaus- Schürmann-Bau be treffen, in der Vergangenheit führung zuständig. Die Bundesbaudirektion kontrol- wesentlich intensiver beteiligt gewesen, als ich das liert in Stichproben. gewesen bin, weil ich einfache Abgeordnete war. Es ist nicht Aufgabe des Bundesministeriums für (Peter Conradi [SPD]: Deswegen weiß ich Raumordnung, Bauwesen und Städtebau, den Prüfun- auch, wovon ich rede, im Unterschied zu gen im einzelnen nachzugehen. Das Bundesministe- Ihnen!) rium für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau hat Herr Kollege, wir haben ein ausgewiesenes Rechts- das Bautagebuch zur Verwendung bei rechtlichen anwaltsbüro mit der juristischen Beratung des Baumi- Auseinandersetzungen nach dem Schadensereignis nisteriums beauftragt. eingezogen. 18010 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 208. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. Februar 1994

Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Zusatz- Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Herr Ab- frage? — Bitte schön, Herr Abgeordneter Groß- geordneter Großmann, wollen Sie noch eine Zusatz- mann. frage stellen? (Ursula Seiler-Albring [F.D.P.]: Da kriegt er Achim Großmann (SPD): Wer hat denn im Bundes- einen roten Kopf!) bauministerium mit welchem zeitlichen Engagement in der Vergangenheit dafür gesorgt, daß m an weiß, Achim Großmann (SPD): Ich bin im Moment über- wie es um den Schürmann-Bau steht? Das heißt, wer fordert, Z und B Namen zuzuordnen. Von daher ist es trägt verantwortlich beim BMBau dafür Sorge, daß die doch nicht schlimm, wenn man — — Kommunikation und das Management stimmen? Dr. Irmgard Schwaetzer, Bundesministerin: Ich will Dr. Irmgard Schwaetzer, Bundesministerin: Herr gerne noch ein wenig spezifischer werden: Die Abtei- Kollege, es finden im Bundesbauministerium jeden lung Z ist die Zentralabteilung. Dort werden u. a. die Montag Besprechungen mit der Bundesbaudirektion innere Verwaltung, aber auch die Dienstaufsicht über alle anstehenden Probleme statt. Dieses halte ich genauso wie die Personalangelegenheiten und der für völlig selbstverständlich. Haushalt behandelt. „B" ist die Abkürzung für die Abteilung Bauwesen. Darüber hinaus sind eine ganze Reihe von Mitarbei- tern kontinuierlich mit Fragen beschäftigt, die den Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Nun ist Schürmann-Bau betreffen. Für einzelne Probleme der Abgeordnete Reschke berechtigt, eine Frage zu können Fachfragen auftreten, und das ist die übliche stellen. Wahrnehmung der Fachaufsicht und der Dienstauf- sicht. Otto Reschke (SPD): Herr Präsident, gestatten Sie mir die Bemerkung, daß ich eben gelernt habe, daß Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Weitere Fragen zugelassen werden, aber nicht zur Beantwor- Zusatzfrage, bitte schön. tung zugelassene Fragen bedeuten Fragenverbrauch. So habe ich Sie vorhin verstanden. Es gibt ja auch Achim Großmann (SPD): Sicherlich ist es schwierig, Nachhilfestunden, denen ich unterliege. von dem parlamentarischen Recht der Fragestunde Zweiter Punkt. Frau Ministerin, ich frage Sie: Ist Gebrauch zu machen, wenn Fragen laufend nicht Ihnen Ihr Schreiben vom 26. Januar — ich habe die richtig oder überhaupt nicht beantwortet werden. Durchschrift davon — und ein Schreiben ALB vom (Ina Albowitz [F.D.P.]: Wenn dumme Fragen 17. Januar 1994 bekannt? Dann wäre es sicherlich gestellt werden, ist das auch schwierig!) interessant, den Kollegen Hitschler aufzuklären, daß dies keine Unterlage der Bundesbaudirektion ist. Und Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Ich bitte ist dieses Schreiben — ich zitiere — vom 26. Januar Sie, sich auf die Frage zu konzentrieren. Wir haben — da geht es um die Frage Dienstaufsicht Schürmann- das bis jetzt ganz ordentlich über die Runden Bau — mit dem Vermerk ALB vom 17. Januar 1994 gebracht, und jetzt wollen wir uns den Knatsch am Grund gewesen, den Abteilungsleiter B abzulösen Ende ersparen. und dem Staatssekretär insgesamt die Fach- und Dienstaufsicht für alle Fragen Schürmann-Bau zu unterstellen? Achim Großmann (SPD): Ich denke, daß man zulas- sen muß, daß ein Abgeordneter darüber Klage führt, Bundesministerin: Herr daß hier Fragen permanent nicht beantwortet wer- Dr. Irmgard Schwaetzer, Kollege, es ist mir nicht ganz klar ersichtlich, wieso Sie den. zu Ihrer Frage kommen. Ein Staatssekretär löst keinen (Lebhafter Widerspruch bei der F.D.P. — Abteilungsleiter ab, sondern es ist hier wegen der Zuruf von der F.D.P.: Da spricht der Psycho- internen Organisationsabläufe klargemacht worden, loge!) daß der Staatssekretär von Loewenich alle Fragen des Frage an Sie, Frau Ministerin: Wer ist im Leitungs- Schürmann-Baus — auch mit dem Ziel, jederzeit und bereich zuständig für den Schürmann-Bau? Ich habe schnellstmöglich handlungs- und aktionsfähig zu nicht gefragt, wer alles im Bauministerium arbeitet, sein — wahrnimmt. sondern wer dafür Verantwortung trägt. Im übrigen, Herr Kollege, haben Sie eben selber aus einem internen Vermerk — das haben Sie wenigstens Dr. Irmgard Schwaetzer, Bundesministerin: Herr gesagt — der Bundesbaudirektion zitiert. Kollege, als erstes möchte ich Sie fragen— dies ist eine (Brigitte Schulte [Hameln] [SPD]: Nein, hat er rhetorische Frage, weil ich Ihnen natürlich keine nicht, er hat eine Frage gestellt!) Frage stellen kann; aber vielleicht macht das einmal deutlich, in welcher Richtung die Opposition diese Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Herr Ab- Fragestunde zu gestalten versucht —, ob Sie am geordneter Reschke, lesen Sie bitte die Frage 23 noch 2. Januar 1994 eine Dreiviertelstunde oder eine einmal durch! Stunde und fünf Minuten zu Mittag gegessen haben— Jetzt kommt der Abgeordnete Hitschler. weil Sie eben danach gefragt haben: Wie lange? Zweitens. Die Dienstaufsicht wird in der Abtei- Dr. Walter Hitschler (F.D.P.): Nachdem die Opposi- lung Z wahrgenommen, die Fachaufsicht in der Abtei- tion gegenwärtig etwas überfordert zu sein scheint, lung B. Sie kennen die Herren, die diesen Abteilungen stelle ich die Frage, Frau Minister, wie viele Personen vorstehen. denn insgesamt in der Bundesbaudirektion mit der Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 208. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. Februar 1994 18011

Dr. Walter Hitschler Aufgabe der Überwachung des Schürmann-Baus Staatssekretär hier die Verantwortung übernommen beschäftigt waren, und hat dieser Personalbestand hat, warum haben Sie dann am 26. Januar schriftlich auch den Richtlinien entsprochen, die für die Bemes- Herrn Staatssekretär von Loewenich beauftragt, bis sung der Tätigkeiten da zu Grunde zu legen sind? auf weiteres persönlich die Fach- und Dienstaufsicht über die Bundesbaudirektion zu übernehmen, die bisher dem Abteilungsleiter Bau oblag? Dr. Irmgard Schwaetzer, Bundesministerin: Herr Kollege Hitschler, der Personalbestand des Sachge- bietes, das für den Schürmann-Bau zuständig war, betrug im Jahre 1992 14 Mitarbeiter, zu Beginn des Dr. Irmgard Schwaetzer, Bundesministerin: Herr Jahres 1993 16 Mitarbeiter. Zum Ende des Jahres war Kollege, mit der Anordnung habe ich die Fach- und der Stellenbestand — u. a. durch die Tatsache, daß Dienstaufsicht zusammengeführt. zusätzliche Stellen bewilligt worden waren — von 16 (Peter Conradi [SPD]: Da muß doch wohl ein auf 24,5 angewachsen. Das lag deutlich über der Zahl, Anlaß gewesen sein! Einfach so?) die mit dem 1989 eingeführten Personalbemessungs- verfahren für dieses Sachgebiet vorgesehen war. — Der Anlaß ist die Tatsache des Schürmann-Baus. Durch interne Umschichtung der BBD — was uns die (Peter Conradi [SPD]: Sehr überzeugend!) Leitung der BBD im Januar 1994 mitgeteilt hat — sind aus diesem Sachgebiet drei Stellen nach Berlin abge- zogen worden. Die übriggebliebenen 21,4 Stellen sind besetzt, und damit ist das Sachgebiet voll besetzt. Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Meine Damen und Herren, damit sind wir am Ende der Fragestunde. Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Auch Ih- Ich nehme an, Frau Ministerin, daß die Frage 24 nen empfehle ich, sich die Ursprungsfrage noch ein- schriftlich beantwortet wird, weil sie jetzt nicht mehr mal durchzulesen. — Herr Abgeordneter Maaß. aufgerufen wird, (Bundesministerin Irmgard Schwaetzer: Dieter Maaß (Herne) (SPD): Frau Ministerin, Sie Aber selbstverständlich, gern!) haben eben dargestellt, daß Beamte Ihres Hauses und und die Fragen 25 und 26 auf Wunsch des Abgeord- die Bauleitung in der Vergangenheit zu Besprechun- neten Norbert Formanski ebenfalls schriftlich beant- gen zusammengekommen sind. Nun ist ja das Hoch- wortet werden. Die Antworten werden als Anlagen wasser vor dem 23. Dezember ständig gestiegen, und abgedruckt. das hat man bei den Besprechungen ja wohl auch festgestellt. Haben die Beamten Ihres Hauses Ihnen Frau Ministerin, ich möchte Ihnen für die Beantwor- einmal gesagt, was sie dann unternommen haben? tung der Fragen danken. (Beifall bei der F.D.P. — Zurufe von der SPD) Dr. Irmgard Schwaetzer, Bundesministerin: Herr Kollege, Sie nehmen jetzt die Fragen des Kollegen Formanski ein wenig vorweg, die schriftlich beant- wortet werden, weil der Kollege nicht da ist. Ich will Ich rufe Tagesordnungspunkt 7 und Zusatzpunkt 7 Ihnen das aber gern sagen. auf: (Vorsitz: Vizepräsidentin ) 7. Entwicklungshilfedebatte Die Fertigstellung des Hochwasserschutzes war a) Beratung des Antrags der Fraktionen der nach den Verträgen Aufgabe der auftragnehmenden CDU/CSU und F.D.P. Firmen. Aufbau und Stärkung kommunaler Selbst- (Zuruf von der SPD: Gab es ein Datum?) verwaltungsstrukturen in Entwicklungs- Die Bundesbaudirektion hat in ihrer Verantwortung ländern zur Förderung von regionaler und auf der Baustelle mit den Firmen Besprechungen über lokaler Selbsthilfe den Hochwasserschutz durchgeführt. In einer dieser — Drucksache 12/6727 — Besprechungen sind auch Schwachstellen aufgelistet Überweisungsvorschlag: worden. Unter diesen Schwachstellen findet sich der Ausschuß für wirtschaft liche Zusammenarbeit nicht ausgeführte Hochwasserschutz nicht. Insofern (federführend) mußten alle Hochwasserschutzmaßnahmen, die noch Auswärtiger Ausschuß eingeleitet worden sind, fehlgehen, weil einfach diese Innenausschuß entscheidende Stelle nicht bekannt war, der Bundes- b) Beratung des Antrags der Fraktionen der baudirektion auch nicht vorher bekanntgeworden ist, CDU/CSU und F.D.P. weil die Firmen das nicht mitgeteilt haben. Gestaltung der Europäischen Entwick- lungszusammenarbeit Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Zusatz- — Drucksache 12/6726 — frage des Abgeordneten Conradi. Überweisungsvorschlag: Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit (federführend) Peter Conradi (SPD): Wenn es ein ganz selbstver- Auswärtiger Ausschuß ständlicher Vorgang war, Frau Ministerin, daß der EG-Ausschuß 18012 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 208. Sitzung. Borm, Donnerstag, den 3. Februar 1994

Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg c) Beratung des Antrags des Abgeordneten h) Beratung der Großen Anfrage der Abgeord- Konrad Weiß (Berlin) und der Gruppe neten Dr. Ursula Fischer, Dr. Hans Modrow, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Dr. Gregor Gysi und der Gruppe der PDS/ Reform der Weltbank Linke Liste Neunter Bericht zur Entwicklungspolitik — Drucksache 12/6168 — der Bundesregierung Überweisungsvorschlag: — Drucksachen 12/4871, 12/5451 — Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit (federführend) ZP7 Beratung der Beschlußempfehlung und des Auswärtiger Ausschuß Berichts des Ausschusses für wirtschaftliche Finanzausschuß Zusammenarbeit (22. Ausschuß) zu dem Antrag Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit der Abgeordneten Dr. R. Werner Schuster, Dr. Ingomar Hauchler, Brigitte Adler, weiterer d) Beratung der Beschlußempfehlung und des Abgeordneter und der Fraktion der SPD Berichts des Ausschusses für wirtschaftliche Europäische Entwicklungszusammenarbeit Zusammenarbeit (22. Ausschuß) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung — Drucksachen 12/3647, 12/6707 — Berichterstattung: Neunter Bericht zur Entwicklungspolitik Abgeordnete Klaus Jürgen Hedrich der Bundesregierung Dr. R. Werner Schuster — Drucksachen 12/4096, 12/6659 — Burkhard Zurheide Berichterstattung: Zum Bericht zur Entwicklungspolitik der Bundesre- Abgeordnete Dr. Ingomar Hauchler gierung liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion Dr. Winfried Pinger der SPD auf Drucksache 12/6734 vor. Ingrid Walz Interfraktionell ist eine gemeinsame Aussprache e) Beratung der Beschlußempfehlung und des von eineinhalb Stunden Dauer vereinbart worden. Ist Berichts des Ausschusses für wirtschaftliche das Haus damit einverstanden? — Das ist offensicht- Zusammenarbeit (22. Ausschuß) zu dem lich der Fall. Dann darf ich das als beschlossen Antrag der Abgeordneten Dr. R. We rner feststellen und dem Abgeordneten Professor Pinger Schuster, , Peter W. Reuschen- das Wort erteilen. bach, weiterer Abgeordneter und der Frak- tion der SPD Dr. Winfried Pinger (CDU/CSU): Herr Präsident! Repatriierung und Reintegration von Meine Damen und Herren! Die finanziellen Mittel für Flüchtlingen die Entwicklungspolitik werden noch knapper. 145 Millionen DM müssen zusätzlich eingespart wer- — Drucksachen 12/4662, 12/6148 — den. Berichterstattung: (Brigitte Schulte [Hameln] [SPD]: Das ist Abgeordnete Dr. R. Werner Schuster ganz schlimm!) Alois Graf von Waldburg-Zeil Ingrid Walz Das zwingt uns, die vorhandenen Mittel noch wirksa- mer einzusetzen. Konzentration lautet das Gebot der Stunde, Konzentration auf die eigentlichen Zielgrup- f) Beratung der Beschlußempfehlung und des pen, die Armen, auf diejenigen Länder und diejenigen Berichts des Ausschusses für Wahlprüfung, Sektoren, in denen die höchste Effizienz zu erzielen Immunität und Geschäftsordnung (1. Aus- ist. schuß) zu dem Antrag der Abgeordneten Heute ist uns bewußt, daß Menschen und Länder Dr. R. Werner Schuster, B rigitte Schulte nicht von außen entwickelt werden können. Es kommt (Hameln), Brigitte Adler, weiterer Abgeord- auf die Mobilisierung der eigenen Kräfte der Men- neter und der Fraktion der SPD schen und der Staaten an. Daß dies möglich ist, Gesetzesvorlagen beweist nicht zuletzt das bekannte Beispiel der Gra- — Drucksachen 12/4350, 12/6326 — meen-Bank in Bangladesh. Für die Übertragung die- ses Modells in andere Länder werden jetzt 180 Millio- Berichterstattung: nen DM gesucht. Damit sollen 7 Millionen arme Abgeordneter Johannes Singer Familien mit insgesamt 35 Millionen Familienmitglie- g) Beratung des Antrags der Abgeordneten dern gefördert werden. Das sind ganze 5 DM pro Dr. R. Werner Schuster, Dr. Uwe Holtz, Person. Brigitte Adler, weiterer Abgeordneter und Nun möchte ich hochrechnen: Hochgerechnet der Fraktion der SPD könnten daher mit 5 Milliarden DM Entwicklungshilfe Stärkung der kommunalen Nord-Süd- 1 Milliarde arme und ärmste Menschen unterstützt Arbeit — Förderung der Lokalen werden. Konzentration der Mittel auf bestimmte Agenda 21 — Umsetzung der Charta von Länder bedeutet, daß wir uns in Zukunft schwer- Berlin punktmäßig auf diejenigen Länder beschränken müs- sen, die ihre politischen und wirtschaftlichen Rahmen- — Drucksache 12/6263 — bedingungen zugunsten der Privatinitiative und der Überweisungsvorschlag: Eigenverantwortung der Menschen grundlegend Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit verbessern. Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 208. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. Februar 1994 18013

Dr. Winfried Pinger Sektorale Konzentration der Mittel verlangt zu- vielmehr müssen umgekehrt sie und ihre Selbsthilfe- nächst einmal, konsequent die Förderung der ent- und Selbstverwaltungsorganisationen Träger der Pro- wicklungshemmenden Staatswirtschaft einzustellen, jekte sein, und wir müssen uns mit unserer Hilfe daran nämlich die Förderung von erstens staatlichen Indu- beteiligen. Diese Art der Partizipation ist dann auch strieunternehmen, zweitens Staatsbanken als natio- das eigentliche Kriterium einer selbsthilfeorientierten nale Entwicklungsbanken, drittens Berufsbildung Armutsbekämpfung. allein über staatliche Gewerbeschulen, viertens staat- (Beifall bei der CDU/CSU) lichen Dienstleistungsorganisationen mit Monopol- charakter z. B. in der Vermarktung von Produkten Es war ein ganz bedeutender und, wie ich meine, oder in der Belieferung der Landwirtschaft. ein mutiger Schritt der Bundesregierung und insbe- sondere von Minister Spranger, die Armutsbekämp- Ich will durchaus feststellen — es ist notwendig und fung — neben Bildung und Umwelt — zum Schwer- richtig, das hier zu sagen —, daß auf diesem Gebiet punkt der Entwicklungspolitik zu machen. eine Reduktion stattgefunden hat. Aber wir müssen nun auch die letzten Konsequenzen ziehen. Gewaltige Anstrengungen zur Umsteuerung sind bereits unternommen worden und werden täglich Statt dessen gilt es, die private Wirtschaft zu för- durchgeführt. Ich meine, daß wir uns auf diese inhalt- dern, jedoch nicht mehr nach dem früheren verfehlten lichen Probleme der Umorientierung der Entwick- Konzept einer Industrialisierung von oben und von lungspolitik konzentrieren sollten. Initiativen, die außen. Statt des Exports von Industrieunternehmen diesem Ziel nicht dienen, können deshalb unsere aus den Industrieländern in die Entwicklungsländer Unterstützung nicht finden. muß vor allem das Wachstum der Wirtschaft im Lande Dazu gehört für mich auch das von der SPD vorge- selbst von unten gefördert werden. Der Nährboden für legte Ich vermag keine wirtschaftliches Wachstum und Arbeitsplätze sind die Entwicklungshilfegesetz. Inhalte zu erkennen, die uns in der Konkretisierung Tausenden von Klein- und Kleinstunternehmen, die der neuen Entwicklungsstrategie weiterführen und es in allen Entwicklungsländern im formellen und die die neuen Ziele besser beschreiben als das, was insbesondere im informellen Sektor gibt. Dies beginnt an konkreten Anträgen hier beraten bzw. in dieser Legis- mit der Förderung von Selbständigkeit der Armen laturperiode vom Deutschen Bundestag bereits verab- und Ärmsten durch Zugang zum Kredit für investive schiedet worden ist. Zwecke, ein Förderansatz, der sich in Millionen von Fällen bewährt hat. Gleiches gilt für den Antrag der SPD zur Flücht- lingsproblematik, der heute zur Entscheidung an- Diese Art der Armutsbekämpfung ist nicht Gegen- steht. Er enthält Feststellungen und Forderungen, satz, sondern Teil der Förderung p rivater unterneh- denen wir fast alle zustimmen können. Tatsache ist merischer Initiativen, wie sie der Deutsche Bundestag allerdings, daß wir genau dieselben Fragen und im vergangenen Jahr in Form eines Antrags der Antworten bereits im letzten Jahr hier im Bundestag Koalition beschlossen hat. Entscheidend für mehr diskutiert und im selben Sinne entschieden haben. Wirksamkeit ist eine Gesamtorientierung der Ent- wicklungszusammenarbeit am Subsidiaritätsprinzip, (Dr. R. Werner Schuster [SPD]: Mit null Kon und zwar in den Entwicklungsländern und auch in sequenzen! Ohne Folgen!) den Geberländern. Damit setzen wir in erster Linie auf Die Bundesregierung — ich will das gern hinzufü- die Menschen und ihre Selbsthilfe- und Selbstverwal- gen — ist bereits seit einigen Jahren dabei, die tungsorganisationen und erst in zweiter Linie auf den Konzepte, die wir schon vorher hier beraten und Staat. Damit setzen wir auch innerhalb der staatlichen entschieden haben, umzusetzen. Organisation primär auf die kleinere Einheit in den Gemeinden, in den Städten, in den Regionen und in Meine Damen und Herren von der SPD, wenn Sie in den Provinzen, bevor der Gesamtstaat, der National- der Öffentlichkeit gute Noten bekommen wollen, so staat, in die Förderung einbezogen wird. ist dies legitim. Sie müssen dabei jedoch den alten Grundsatz aus der Schule beachten: Wer abschreibt, (Beifall bei der CDU/CSU) bekommt keine guten Noten. Wer Anträge, die bereits vorher entschieden worden sind, hier ins Parlament Betrachten wir unser entwicklungspolitisches In- bringt, kann nicht erwarten, daß diese Anträge mit der strumentarium und die herkömmliche Planung und Mehrheit der Koalition hier beschlossen werden. Steuerung von Projekten, so müssen wir zugeben, daß diese immer noch zu sehr von überkommenen (Brigitte Schulte [Hameln] [SPD]: Sie werden Mustern der Entwicklungspolitik geprägt sind. Bei ja nicht mehr lange entscheiden!) näherem Hinsehen werden sie immer noch zu sehr Meine Damen und Herren, inzwischen engagieren bestimmt von Fremdhilfe statt von Hilfe bei Eigenan- - sich die Bundesländer, jedenfalls die meisten Bundes- strengungen und bei Selbsthilfe. Nicht das am grünen länder, in der Entwicklungspolitik. Das ist gut so. Es Tisch in Deutschland nach einem perfektionierten gibt mehr als 600 Gemeinden in der Bundesrepublik, Zopp-System geplante Entwicklungsprojekt ist das die selbst Projekte der Entwicklungszusammenarbeit Leitbild der neuen Entwicklungspolitik, sondern die durchführen. In Zukunft sollten wir diese Gemeinden, zielgerichtete Hilfe bei echten Selbsthilfeanstrengun- Städte und Kreise, die sich zugunsten der Menschen in gen. der Dritten Welt engagieren, nicht den Enttäuschun- Es gilt nicht, die Menschen an unseren Maßnahmen gen von Versuch und Irrtum überlassen. Daher sollte zu beteiligen; geprüft werden, ob es sinnvoll ist, eine Beratungs- und Clearingstelle bei den kommunalen Spitzenverbän- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) den einzurichten. Eine solche Stelle sollte dann auf 18014 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 208. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. Februar 1994

Dr. Winfried Pinger Dauer auch von den Spitzenverbänden finanziert bisher der Entwicklungspolitik auf Bundes- und Lan- werden. Wenn es jedoch notwendig sein sollte, durch desebene möglich war. eine Anschubfinanzierung den Start zu ermöglichen, (Beifall bei der SPD und der PDS/Linke so darf es daran nicht scheitern. Hier kann mit relativ Liste) geringen Mitteln eine sehr große Wirkung erzielt werden. Nichtregierungsorganisationen, Länder, Städte und Auch dies ist ein Beispiel dafür, welche Kräfte Gemeinden können durch gezielte Aktivitäten das sowohl in den Entwicklungsländern als auch in der leisten, was die etablierte Außen- und Entwicklungs- Bundesrepublik zu mobilisieren sind, und zwar mit politik versäumt hat. Kommunale Entwicklungspoli- mehr Effizienz und mit weniger finanziellen Mitteln. tik sollte sowohl die praktische Zusammenarbeit mit Mit den Beschlüssen, die wir heute zur europäischen den Kommunen, den Nichtregierungsorganisationen Entwicklungszusammenarbeit und zum Aufbau kom- und der Privatwirtschaft in den Entwicklungsländern munaler Institutionen und Selbstverwaltungsorgani- als auch die politische Bewußtseinsarbeit in der Bun- sationen in den Entwicklungsländern fassen, werden desrepublik selbst umfassen. Denn so wird das politi- wir diesem wichtigen Ziel ein gutes Stück näherkom- sche Engagement der Bürger vor allem auch für men. globale Fragen geschärft, und sie werden dadurch auch hautnah berührt. Ich bedanke mich. Die bereits bestehenden vielfältigen Aktivitäten der (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) kommunalen Gebietskörperschaften und Nichtregie- rungsorganisationen im Bereich der Umwelt- und Vizepräsidentin Renate Schmidt: Nun hat die Kolle- Entwicklungszusammenarbeit reichen von klassi- gin Ingrid Becker-Inglau das Wo rt. schen Städtepartnerschaften, direkten Projektunter- stützungen in den Kommunen der Entwicklungslän der über die Unterstützung von Nichtregierungsorga- Ingrid Becker-Inglau (SPD): Frau Präsidentin! Liebe nisationen bis hin zur Förderung des Verwaltungsauf- Kollegen und Kolleginnen! Meine sehr geehrten baus. Damen und Herren! Mit dem Ende des Ost-West- Konflikts und dem Beginn des deutschen Einigungs- Kommunale Entwicklungsaktivitäten können bei prozesses wurde und wird unsere Entwicklungspoli tik der hiesigen Bevölkerung das Bewußtsein für die vor neue Herausforderungen gestellt. Nun gilt es, frei Notwendigkeit einer globalen umwelt- und entwick- von alten ideologischen Zwängen die Ziele und lungsverträglichen Entwicklung fördern. Stichworte Inhalte der zukünftigen entwicklungspolitischen Ar- wie Migration und Fluchtursachenbekämpfung brau- beit fortlaufend neu zu definieren. chen wir hier nicht weiter zu erläutern. Eine Ebene, die bisher in der offiziellen Entwick- Die SPD begrüßt und unterstützt diese Aktivitäten lungszusammenarbeit ein Mauerblümchendasein ge- nicht nur, sondern nimmt seit Jahren sogar aktiv vor führt hat, ist die kommunale Ebene. Die bisherige Ort an solchen Entwicklungen teil. Die Kommunen entwicklungspolitische Zusammenarbeit konzen- leisten schon einige wichtige Beiträge bei der Umset- trierte sich auf die Verwirklichung des Grundsatzes zung der Ergebnisse sowohl der Rio-Konferenz für einer Hilfe zur Selbsthilfe; bösartig könnte m an sagen: Umwelt und Entwicklung aus dem Jahre 1992 wie zur Selbstüberlassung. Ich will das aber hier nicht auch der Internationalen Nord-Süd-Konferenz über sagen, weil ich den Hinweis bekommen habe, ich lokale Initiativen für eine nachhaltige Entwicklung im sollte heute lieb sein. Oktober 1992. Die Erfahrungen der letzten Jahre haben gezeigt, Als Erfolg ist sicher das hohe Interesse an solchen daß notwendigerweise die gesellschaftlichen, religiö- Veranstaltungen zu we rten, wenn an solchen Konfe- sen, soziokulturellen und regionalen Gegebenheiten renzen immerhin bereits Vertreter aus über 50 Län- der Entwicklungsländer stärker als bisher berücksich- dern teilnehmen. tigt werden müssen. Para llel müssen also Hilfen zum Nun zu unserem SPD-Antrag „Stärkung der kom- Aufbau von Selbstverwaltungsstrukturen gewährlei- stet sein, um eine dauerhafte und nachhaltige Ent- munalen Nord-Süd-Arbeit — Förderung der Lokalen wicklung zu erreichen. Ich glaube, das Beispiel Soma- Agenda 21 — Umsetzung der Charta von Berlin". lia könnte hier ausführlich diskutiert werden. Es ist Hier fordern wir die Bundesregierung auf, diese neue eines der Beispiele, an dem m an zeigen kann, daß entwicklungspolitische Kraft angemessen ideell, vor Nachhaltigkeit und Dauerhaftigkeit nicht gewährlei- allem aber finanziell zu unterstützen. stet sind, wenn so etwas nicht vorhanden ist. (Dr. R. Werner Schuster [SPD]: Nicht nur (Zuruf von der SPD: Das wollen die heute - schöne Worte!) nicht mehr wahrhaben!) — Nicht nur Worte. Der direkte und dezentrale kommunale Brücken- Über ein Entwicklungshilfegesetz, wie es die SPD- schlag zwischen Norden, Süden und Osten sollte ein Fraktion gerade erst in dieses Hohe Haus eingebracht wichtiges, sinnvolles und auszubauendes Instrument hat, können die Förderung und Unterstützung sowohl der zukünftigen Entwicklungszusammenarbeit sein. der kommunalen Entwicklungszusammenarbeit wie Zur Erreichung einer gerechten Weltwirtschaft und auch der zunehmend sich entwickelnden Dreiecksko- gerechter Sozialstrukturen kann eine lokal verankerte operation zwischen Nord-, Süd- und Ostkommunen Nord-Süd-Ost-Politik — das Wort ist länger gewor- und Nichtregierungsorganisationen im Umwelt- und den — wertvolle Beiträge leisten. Sie kann basisnäher, Entwicklungsbereich als staatliche Aufgabe festge- flexibler und problemadäquater reagieren, als dies legt werden. Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 208. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. Februar 1994 18015

Ingrid Becker-Inglau Ich kann darüber aus meiner eigenen Kommune Ansatz beginnen als meine Vorrednerin und mein berichten, wo es Rechtsunsicherheiten gab und man Vorredner, nämlich mit unserem eigenen Selbstver- nicht wußte, ob man überhaupt das Geld für ein ständnis. solches Projekt aus einem kommunalen Haushalt nehmen durfte. Ich denke, hier käme Rechtssicherheit Was Entwicklungspolitikerinnen und Entwick- den Kommunen gut zupaß. lungspolitiker von anderen Sektoren der Politik unter- scheidet, ist die Lust, sich hingebungsvoll mit den (Beifall bei der SPD und der PDS/Linke Problemen dieser Welt zu beschäftigen und für alle Liste) Sorgen dieser Welt verantwortlich zu sein. Wir tun Bereits in der 1992 in Rio beschlossenen Agenda 21 dies zugegebenermaßen kreativ, und wir tun dies vor wurde festgestellt, daß es für eine große Anzahl der dem Hintergrund unserer politischen Überzeugun- angesprochenen Probleme auf lokaler Ebene Lö- gen. sungsansätze gibt. Die Teilnahme und die Mitarbeit der Kommunalverwaltungen können bei der Erfül- Dabei ist unser Bemühen sicherlich von unserem lung dieser Ziele bestimmende Faktoren sein. Des- täglichen Sein als deutsche Parlamentarier bestimmt. halb fordert der Maßnahmenkatalog zur Lösung der Doch unser Bewußtsein wird von der Welt geprägt. globalen Umwelt- und Entwicklungsprobleme in der Damit ist im Grunde genommen das ständig wäh- Agenda 21 erstens die Förderung der Entwicklung rende Dilemma der Entwicklungspolitik beschrieben von Konzepten auf kommunaler Ebene und zweitens und auf den Nenner gebracht: Entwicklungspolitik ist den Aufbau und die Stärkung von kommunalen globale Politik, die wir aus lokaler Sicht und mit Selbstverwaltungen zur Verbesserung der lokalen lokalen Instrumenten zu gestalten versuchen. Bewußt Infrastruktur. oder unbewußt transportieren wir nämlich unsere eigenen abendländischen Vorstellungen von Staat, Es ist erfreulich, daß sich die Koalitionsfraktionen Gesellschaft und Wirtschaft über unsere Hilfe in die mit dem in der technischen Entwicklungszusammen- Welt. arbeit bisher kaum beachteten Problemkreis der kom- munalen Selbstverwaltung in den Entwicklungslän- Wir fühlen uns im guten Sinne zuständig und dern auseinandergesetzt haben. Der vorliegende meinen, über unsere Programme, ja sogar über ein CDU/CSU- und F.D.P.-Antrag „Aufbau und Stärkung Entwicklungsgesetz die Geschicke vieler Menschen, kommunaler Selbstverwaltungsstrukturen in Ent- vieler Länder beeinflussen zu können. Wir erwarten wicklungsländern zur Förderung von regionaler und prompten Vollzug unserer Ratschläge und sind ent- lokaler Selbsthilfe" ist ein Schritt in die richtige täuscht, wenn Erfolge ausbleiben und wenig Dank- Richtung. Denn der Antrag stellt fest, daß das bisher barkeit für unser Geld zu spüren ist. verfolgte Konzept einer Hilfe zur Selbsthilfe ohne Partizipation auf lokaler Ebene in den Entwicklungs- Diese Situation, meine Damen und Herren, löst immer wieder Zweifel über den richtigen Weg und ländern nicht dauerhaft und funktionsfähig sein Selbstzweifel über die richtige Einstellung bei den konnte. Entwicklungspolitikern aus. Die Zweifel werden (Beifall bei der SPD und der PDS/Linke genährt durch das Phänomen: Gesellschaften, Kultu- Liste) ren und Wirtschaften in Ost und Süd werden ganz Wir werden dies sicher in den Ausschußberatungen unterschiedlich von der Begegnung mit unseren Wer- eingehend diskutieren. Aber eines darf nicht passie- ten und unserer Zivilisation berührt. ren, nämlich daß der Bund diesen Umdenkungspro- Modernisierungs- und Entwicklungsprozesse ver- zeß dazu nutzt, zu versuchen, bisher nicht geleistete laufen ganz offensichtlich nach Kriterien, die wir in Aufgaben nun den Bundesländern, den Kommunen der bisherigen Entwicklungszusammenarbeit nicht und den kommunalen Spitzenverbänden aufzubür- den, hinlänglich beachtet oder in ihrer Unterschiedlichkeit noch nicht erkannt haben. Wie sonst ließen sich die (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Entwicklungsdiskrepanzen zwischen Asien, Latein- insbesondere vor dem Hintergrund der angespannten amerika und Afrika erklären? Lage auf der kommunalen Ebene. Dies muß meines Wir müssen zur Kenntnis nehmen, meine Damen Erachtens sichergestellt werden. und Herren: Die Ausfuhr- und Einfuhrvolumen der Wenn die kommunale Entwicklungspolitik zum Entwicklungsländer sind im Durchschnitt der letzten Erfolg werden soll, dann muß der Bund die finanzielle sechs Jahre relativ schneller gestiegen als die der Verantwortung übernehmen. Nur so ist die Parallelität Industrieländer. Unsere eigene Wirtschaftskrise legt von Hilfe zur Selbsthilfe und der Aufbau von infra- Zeugnis davon ab und belegt, daß es Entwicklung strukturellen Rahmenbedingungen gewährleistet. weltweit gegeben hat. Allerdings ist zu vermuten, die Vielen Dank. Entwicklungspolitik hat nicht so viel Anteil daran, wie (Beifall bei der SPD und der PDS/Linke Liste wir uns einreden. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Über die regionalen Entwicklungsunterschiede gibt es inzwischen genügend Untersuchungen. Diese Vizepräsidentin Renate Schmidt: Nun hat unsere belegen, daß es die inte rnen Rahmenbedingungen Kollegin Ingrid Walz das Wort. sind, also von den Entwicklungsländern selbst veran- laßte konsequente Stabilisierungsmaßnahmen und strukturelle Reformen, die wirtschaftliches Wachstum Ingrid Walz (F.D.P.): Frau Präsidentin! Meine möglich machen. Davon ist das asiatische Wirtschafts- Damen! Meine Herren! Ich will mit einem anderen wunder geprägt. 18016 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 208. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. Februar 1994

Ingrid Walz In der asiatischen Region, in der die meisten Men- Meine Damen und Herren, heute steht der Neunte schen leben, ist 1994 mit einem wirtschaftlichen Entwicklungspolitische Bericht für die Jahre 1989 bis Wachstum — meine Damen und Herren, hören Sie gut 1991 zur Diskussion. Inzwischen sind gut zwei Jahre zu — von über 7 % zu rechnen, wobei China den vergangen, in denen sich nach dem Fall nicht nur anderen Staaten vorauseilt. Das wirtschaftliche unserer Mauer, sondern vieler Mauern weltweit Wachstum in Lateinamerika wird 4 % betragen, wäh- Änderungen ergeben haben. Das zerstörte Puzzle rend Afrika und Europa sowie der Mittlere Osten sich beginnt sich wieder zusammenzusetzen. Es bestimmt mit höchst bescheidenen Zuwachsraten begnügen das Maß und die Art unserer Außenbeziehungen. müssen. Eine neue Ost - und Südpolitik nimmt Konturen an, Aus diesen Zahlen, aus dieser unterschiedlichen die nicht mehr geprägt ist vom Ost-West-Konflikt Entwicklung ließen sich eigentlich Lehrsätze ableiten, — Gott sei es gelobt — und nicht geprägt sein darf von die da lauten könnten: Wo besser gewirtschaftet, einem neuen Nord-Süd-Konflikt. härter gearbeitet, mehr gespart und gelernt wird, ist (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne Entwicklung möglich, die auch Armut verringert. Dies ten der CDU/CSU) genau, meine Damen und Herren, hat die Weltbank in ihrer Analyse des wirtschaftlichen Emporkömmlings Unsere neuen Außenbeziehungen müssen partner- Asien festgestellt. schaftlich und verantwortungsbewußt sein. Für spät- kolonialen Intellektualismus ist kein Platz mehr. Doch was sind die Gründe für geglückte Moderni- sierung und damit positive Entwicklung? Wir sollten Der Be richt ist bereits von diesen Grundsätzen diesen Gründen mehr Aufmerksamkeit schenken, geprägt, er kann jedoch die in den letzten zwei Jahren denn daran könnten sich auch die Instrumente der vollzogenen Neuorientierungen der Entwicklungszu- Entwicklungszusammenarbeit orientieren. Für Asien sammenarbeit nicht aufzeigen. Diese Phase, die ich gilt — ich zitiere die Weltbankanalyse ganz kurz —: als erste Generation einer neuen Entwicklungspolitik bezeichnen möchte, ist geprägt durch die Philosophie Erstens. Die internen Rahmenbedingungen müssen von Herrn Minister Spranger, seinen immer wirkungs- stimmen. Dazu gehören niedrige Inflation, konserva- voller werdenden Kriterien, tive Haushaltspolitik, hohe Spar- und Investitionsquo- ten, gute Schulen sowie eine stetige H and beim (Klaus-Jürgen Hedrich [CDU/CSU]: Das war Aufbau des gesetzlichen Rahmens. aber ein tolles Lob!) Zweitens. Der starke und in Ostasien zuweilen aber auch den entwicklungspolitischen Zielsetzungen autoritäre Staat legitimiert sich dort mit einer „fla- des Deutschen Bundestags, an denen die Fraktionen chen" Einkommensverteilung das heißt, das Wachs- der CDU/CSU und F.D.P. entscheidenden Anteil tum muß Tantiemen für alle Bürger abwerfen. Aber haben. dahinter steht auch die kulturelle Identität der Men- Was im Neunten Entwicklungspolitischen Be richt schen. Ich denke, eine eindeutige kulturelle Zugehö- noch nicht sichtbar wird, steht im Memor andum der rigkeit bedeutet Kulturfähigkeit, Selbstbewußtsein Bundesregierung zur DAC-Jahresprüfung 1992/93 und damit Selbstverantwortung. und wird heute durch die Beschlußempfehlung der Erst in diesem Lichte werden Entwicklungsprozesse Koalitionsfraktionen deutlich gemacht. Damit wird dieser erklärlich und gewinnt die Entwicklung auch eine die zweite Generation der Entwicklungspolitik andere Bedeutung. Davon ausgenommen sind auch Koalition beschrieben, die geprägt ist von einer Neu- gestaltung unserer Außenbeziehungen, einer neuen wir nicht. Ost- und Südpolitik, in der die Entwicklungspolitik als Jetzt komme ich zu uns. Bei uns laufen Prozesse ab, Teil einer auf Friedens-, Stabilitäts- und Zukunftssi- die wir als Strukturanpassung in unseren Partnerlän- cherung gerichteten Politik der Bundesregierung eine dern im Osten und im Süden begleiten. Die Struktur- ganz zentrale Rolle spielen wird, von einer noch anpassungsprogramme der Weltbank und des IWF stärker an den Eigenanstrengungen der Partnerlän- haben sehr viel Ähnlichkeit mit dem Inhalt unserer der, den Prinzipien von Partizipation, Subsidiarität Standortsicherungsgesetze. Auch uns würde von Zeit und Privatinitiative ausgerichteten Entwicklungszu- zu Zeit ein entwicklungspolitischer Be richt ganz gut sammenarbeit und durch einen Beitrag der Entwick- tun, in dem beschrieben wird, was sich weltweit tut, lungspolitik zur Verbesserung der internationalen wie sich die Republik darstellt und was daraus zu Zusammenarbeit beim globalen Umweltschutz. folgern ist. Die Mühe würde sich sicherlich lohnen, Meine Damen und Herren, im Rahmen der Entwick- und der Gewinn wäre der Blick auf die eine Welt, auf lungspolitik nimmt die Bevölkerungsproblematik Interdependenzen und Verflochtenheiten. einen immer gewichtigeren Rang ein; denn ohne Ein solcher Blick würde uns befreien vom Anspruch,- Reduzierung des Bevölkerungswachstums ist die Geber zu sein, und uns die weltpolitische Realität vor Tragfähigkeit dieser Welt in Frage gestellt. Augen halten, nämlich: Auch wir sind Nehmer gewor- (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne den. Wir brauchen heute den Zugang vor allem zu den ten der CDU/CSU) asiatischen Märkten, um überleben zu können. Diese Märkte werden von Menschen geprägt, die durch Dabei ist der Zusammenhang zwischen Bevölke- ihren Fleiß, ihr privatwirtschaftliches Engagement, rungszahl, Ressourcennutzung bzw. -übernutzung, durch Innovation und Sparsamkeit die Entwicklung Umweltzerstörung und Armut zu beachten. Vielen bestimmt haben. Das sollte uns demütiger machen Ländern kann nur geholfen werden, wenn es eine und uns lehren, Entwicklungen in einem anderen Hilfe bei der Bewältigung des Bevölkerungsproblems Licht zu sehen. ist. Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 208. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. Februar 1994 18017

Ingrid Walz Der Überwindung interner Hemmnisse bei der Vizepräsidentin Renate Schmidt: Das war ein Satz Familienplanung kommt die größte Bedeutung zu. mit vielen Kommata. Dies belegen eindeutig die Trends in verschiedenen Nun hat die Frau Kollegin Dr. Ursula Fischer das Ländern, die durch eine gezielte Bevölkerungspolitik Wort. die Zahl der Geburten in Einklang mit ihrem wirt- schaftlichen Wachstum bringen konnten. Externe Hilfe ist in den Ländern nötig, wo die Dr. Ursula Fischer (PDS/Linke Liste): Frau Präsiden- finanziellen Ressourcen nicht vorhanden sind. Die tin! Meine Damen und Herren! Bei der Beantwortung Beachtung der Rolle der Frau — wir können dies nur der Großen Anfrage der PDS/Linke Liste zum Neun- immer wieder betonen — ist dabei unerläßlich. Ihre ten Entwicklungspolitischen Bericht ist sich die Bun- rechtlichen, wirtschaftlichen und Bildungsdefizite desregierung treu geblieben und hat die meisten werden durch die hohe Zahl der Geburten verdeut- Fragen in arroganter Weise abgeschmettert. licht und sind die Ursache für die wirtschaftlichen In dieser Debatte möchte ich nur einige Aspekte der Defizite ihrer Länder. Moderne, mit traditionellen Entwicklungspolitik aufgreifen, die uns veranlaßten, Elementen verknüpfte soziale Sicherungssysteme im Mai 1993 die Bundesregierung zu befragen. könnten den unheilvollen Zusammenhang zwischen Ungeachtet einiger kritischer Momente stellt der der Kinderzahl und der häufig daraus resultierenden Neunte Be richt in erster Linie eine geschönte Bilanz Armut auflösen. In einem Antrag haben die Koali- bisheriger Aktivitäten dar. Derartige Berichte kenne tionsfraktionen auf diesen Zusammenhang hingewie- ich viel zu genau. sen und Initiativen gefordert. Die PDS/Linke Liste will keineswegs die Leistungen Mit dem Bundestagsbeschluß vom 23. Juni 1993 geringschätzen, die Entwicklungspolitikerinnen und zum Koalitionsantrag „Entfaltung der privaten unter- Entwicklungspolitiker, die NGOs vor Ort erbracht nehmerischen Initiative" haben wir in die richtige haben und weiterhin erbringen. Im Gegenteil: Wir Richtung gewiesen, weil wir meinen, daß Entwick- möchten alle ehrlichen und uneigennützigen Bemü- lung durch Marktwirtschaft den Menschen das nötige hungen der Entwicklungspolitik unterstützen und Maß an Freiheit und Wohlstand sichert. ihre Fortsetzung vor allem im Interesse der L ander des (Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [F.D.P.]: Südens anmahnen. Sehr richtig!) Nachdrücklich möchte ich auch der Feststellung im Kommunismus und Zentralverwaltungswirtschaft ha- Bericht zustimmen, ben die Menschen behindert und sie um ihre Zukunft daß nur eine weltweite Entwicklungs- und Ver- gebracht. Wie richtig dieser Ansatz ist, zeigen die antwortungsgemeinschaft in der Lage sein wird, sichtbaren Folgen in Asien, aber auch die aufkeimen- diese Herausforderungen den Hoffnungen in den Transformationsländern, sei es in der ehemaligen UdSSR oder auch in Af rika. — gemeint sind Armut, Umweltzerstörung, Schulden- last und anderes mehr — In einem weiteren wichtigen Antrag, der sich gegenwärtig in der parlamentarischen Beratung auch zu bewältigen. befindet, haben wir die Unterstützung der Entwick- Warum aber sind wir von einer solchen weltweiten lungsländer beim Aufbau dezentraler, demokrati- Gemeinschaft Welten entfernt? Weil sich die Politiker scher Entscheidungs- und Verwaltungsstrukturen vor der einflußreichsten Länder dieser Erde um vieles dem Hintergrund vorhandener soziokultureller Tradi- kümmern, nur nicht um eine wirklich globale Verant- tionen und Strukturen aufgenommen. wortungsgemeinschaft. Der Elite dieses Landes geht es um den Wirtschafts- und Wohlstandsort Deutsch- land und nicht um die sozialen Belange der Menschen Vizepräsidentin Renate Schmidt: Frau Kollegin hierzulande sowie die Lösung globaler Probleme. Walz, die Zeit. Aus dieser Perspektive macht es wenig Sinn, die Entwicklungspolitik und die Entwicklungshilfe des Ingrid Walz (F.D.P.): Noch einen Satz, dann bin ich Nordens losgelöst von der Gesamtpolitik und den fertig. weltwirtschaftlichen Zwängen zu betrachten; denn sie überlagern, dominieren und ersticken letztlich selbst Konkret heißt dies: Wir müssen sensibler und acht- ehrlich gemeinte Entwicklungshilfe. Denn ich frage samer als bisher die Demokratisierungsbemühungen Sie: Ist die derzeitige Weltwirtschaftsordnung etwa und die Wege in die Marktwirtschaft vor diesem sozial gerecht? Ist sie entwicklungsorientiert auch für Hintergrund begleiten. Das Stichwort dafür lautet die Länder des Südens, damit sie wenigstens die „Zurück zu den Wurzeln". Im traditionellen, aber Grundbedürfnisse der Menschen bef riedigen kön- auch im modernen Sinne kann nicht das Westminster- nen? Ist sie etwa ökologisch orientiert? Wenn Sie, Modell in Afrika für demokratische Verhältnisse sor- meine Damen und Herren, ideologiefrei und parteipo- gen, sondern die Weiterentwicklung der sogenannten litisch unabhängig urteilen, müßten Sie diese Fragen afrikanischen Basis- oder Palaverdemokratie in Form sicher mit nein beantworten. lokaler, kommunaler Selbstverwaltung. Auch dazu haben wir einen Antrag eingebracht, von dem wir In diesem Zusammenhang sei daran erinnert, daß hoffen, daß er die Entwicklungspolitik wesentlich nicht zu Unrecht die Entwicklungspolitik des Ostens beeinflussen wird. und des Westens in der Zeit des Kalten Krieges als ideologiebehaftet kritisiert wurde. Es ist ja kein Ich danke Ihnen. Geheimnis, daß die Entwicklungspolitik der DDR, ihre (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) Beziehungen zu Ländern der Dritten Welt in erster 18018 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 208. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. Februar 1994

Dr. Ursula Fischer Linie dem strategischen Ziel untergeordnet waren, übrigens auch sehr viele Pfarrer bei uns in der das weltweite Kräfteverhältnis sozusagen epochege- Partei. mäß zugunsten des Sozialismus zu verändern. Der Handel wird nicht erst heute als die beste Entwick- Versuch, Entwicklungsländer von außen auf soziali- lungshilfe angepriesen. Über den Welthandel werden stische Orientierungen festzulegen, ist aus einleuch- bekanntlich Leistungen realisiert, die in Industrie, tenden Gründen gescheitert. Landwirtschaft und Dienstleistungsbereichen er- Ich möchte aus diesen negativen Erfahrungen her- bracht werden. aus nachdrücklich warnen: Auch Bestrebungen Entwicklungsländer als die ökonomisch Schwäche- marktwirtschaftlicher Bevormundung und politischer ren exportieren vor allem Rohstoffe und importieren in Einmischung, selbst über die Entwicklungspolitik, erster Linie Fertigerzeugnisse. Sie waren bisher die werden ebenso scheitern wie seinerzeit die entwick- eindeutig Benachteiligten der Welthandelsordnung. lungspolitischen Versuche des Sozialismus. Ein Allein durch den ständigen Verfall der Rohstoffpreise marktwirtschaftlicher Umbruch westeuropäischen haben sie ungeheure Einbußen hinnehmen müssen. Musters kann weder im Osten noch im Süden erzwun- Weltbank und IWF weisen die jährlichen Verluste, die gen werden. Und ich sehe die echten Tendenzen in den Entwicklungsländern allein durch Handelsbe- anderer Hinsicht noch nicht. schränkungen der Industrieländer zugefügt werden, Verbal wird das selbst von Entwicklungspolitikern als doppelt so hoch aus wie die Beträge, die die der Koalitionsparteien anerkannt. Die Bundesregie- Entwicklungsländer an öffentlicher Entwicklungs- rung sieht jedoch in der Entwicklungspolitik eine hilfe im gleichen Zeitraum erhalten. politische Dimension, deren — ich zitiere Minister Es war bisher leider nicht möglich, die Dokumente Spranger — „vordringlicher Ansatzpunkt die Umf or- der am 15. Dezember 1993 abgeschlossenen GATT mung von politischen und gesellschaftlichen Syste- auszuwerten. Große Zweifel sind- Verhandlungen men" ist. jedoch schon heute angebracht, ob und inwiefern die Uruguay-Runde auch für die Entwicklungsländer Im Entwicklungspolitischen Be richt wird die Ar- erfolgreich sein wird. Es ist doch bezeichnend, daß der als vorrangiges Ziel der Entwick- mutsbekämpfung Wirtschaftsminister in seinem Begleitschreiben am lungspolitik der Bundesregierung deklariert. Sie muß 7. Januar 1994 an die Vorsitzenden verschiedener an den Ursachen ansetzen, — so der Bericht — Ausschüsse des Bundestages hervorhebt, daß die strukturbildend wirken, indem sie auf die Verbesse- erzielten Übereinkünfte „mittelfristig eine erhebliche rung der nationalen und internationalen Rahmenbe- Verbesserung des Marktzugangs und damit der dingungen abstellt. Solange aber die Bundesregie- Absatzchancen für unsere Wirtschaft bedeuten". rung selbst an den Hauptursachen für die Weltarmut vorbeiredet, werden leider weder ihre Entwicklungs- Ich möchte noch einige Worte zur Verschuldungs- politik roch entwicklungspolitische Bildungsarbeit problematik sagen. Die weltwirtschaftlichen Ursa- wirksam greifen können. chen der Schuldenkrise werden von der Bundesregie- rung nach wie vor negiert. Ihre Schuldenstrategie Meine Damen und Herren, die Richtlinien des läuft faktisch nicht auf eine Lösung dieser K rise, Ökumenischen Rates der Kirchen für das Teilen vom sondern auf eine zeitliche Streckung der Zahlungs- August 1992 orientieren sich auf ein völlig neues verpflichtungen der Länder hinaus, die sich als zah- Wertesystem, das auf Gerechtigkeit, Frieden und lungsunfähig erweisen. Eine solche Schuldenstrate- Bewahrung der Schöpfung beruht. Die Unterzeichner gie dürfte kaum in der Lage sein, eine grundlegende — ich zitiere aus dem Studiendokument des Ökume- Befreiung der Verschuldeten von der Schuldenlast zu nischen Rates „Der christliche Glaube und die heutige erreichen. Weltwirtschaft", Seite 58 — Meine Damen und Herren, die Beschlußempfeh verpflichten sich, sich im Kampf um Gerechtig- lung des AwZ zum Neunten Entwicklungspolitischen keit und Menschenwürde mit den Armen und Bericht enthält zahlreiche Feststellungen, mit denen Unterdrückten und deren Organisationen zu soli- wir übereinstimmen. Dennoch werden wir der Emp- darisieren und den Auftrag Gottes dadurch zu fehlung nicht zustimmen; ich möchte Ihnen erklären, erfüllen, daß sie auf allen Ebenen die Ursachen warum. und Strukturen der Ungerechtigkeit aufdecken, Erstens. Es wird der Eindruck erweckt, als ob die verurteilen und bekämpfen, die zur Ausbeutung Bundesregierung Armutsbekämpfung, Umweltschutz der Reichtümer und der Menschen der Dritten und Bildung bereits zu Schwerpunkten ihrer Entwick- Welt führt und Armut sowie die Zerstörung der lungszusammenarbeit gemacht hätte. Das kann ich Schöpfung zur Folge haben. Gleichzeitig muß auf nicht sehen. Ich sehe nur verbale Erklärungen. Wenn eine neue wirtschaftliche und politische Ordnung- man sich die entsprechenden Haushaltspläne ansieht, hingearbeitet werden. wird man zu einer anderen Meinung kommen. Wahrscheinlich geht aber eher ein Kamel durch ein Schwerpunkte, die die Entwicklungspolitik zu einer Nadelöhr, als daß sich die christlich-konservative Gesamtpolitik machen, sehe ich auch nicht. Bundesregierung mit ihrer Entwicklungspolitik an Zweitens. Bei der künftigen Gestaltung der Nord- diesem kirchlichen Dokument orientiert. Süd-Beziehungen vermissen wir den ausdrücklichen (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Hinweis darauf, daß grundlegende Veränderungen auch in den Industrieländern notwendig sind, um eine Allerdings: Die Bundesregierung wäre gut beraten, gleichberechtigte Nord-Süd-Partnerschaft zu ermög- sich dieses Dokument näher anzusehen. Wir haben lichen. Kommunale Entwicklungszusammenarbeit Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 208. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. Februar 1994 18019

Dr. Ursula Fischer auch in diesem Zusammenhang muß großgeschrieben punkte, nämlich pressure to lend und die Genehmi- werden. gungspraxis der Bank, bleiben nach wie vor aus. Jüngstes Beispiel ist die Mitfinanzierung des achten Vizepräsidentin Renate Schmidt: Frau Kollegin Fünfjahresplans der indischen Regierung für den Fischer, Sie sind am Ende Ihrer Redezeit angelangt. Energiesektor. Innerhalb dieses Projektes wi ll die Weltbank insbesondere die National Thermal Power Dr. Ursula Fischer (PDS/Linke Liste): Ein Satz Corporation, die staatliche Kohlekraftwerksgesell- noch. schaft, unterstützen. Die Kernkraftwerkskapazität soll Dem Entschließungsantrag der SPD zum Entwick- bis 1997 um 26 000 Megawatt erhöht werden, der lungspolitischen Bericht können wir zustimmen — ob- Kohleverbrauch soll sich bis zum Jahre 2005 auf wohl wir in einigen Punkten nicht übereinstimmen —, 400 Millionen t verdoppeln. weil er sich sehr wohltuend von Allgemeinplätzen Der Exekutivrat hat dafür einen Kredit von 400 Mil- abhebt. lionen Dollar bewilligt, wobei sich die Bundesrepublik (Beifall bei der PDS/Linke Liste sowie des erfreulicherweise enthalten hat. Zwei weitere Kredite Abg. Rudolf Bindig [SPD]) im gleichen Umfang wurden für die nächsten drei bis vier Jahre angekündigt. Die Mittel für Rehabilitie- Vizepräsidentin Renate Schmidt: Nun hat der Kol- rungsmaßnahmen für die umgesiedelte Bevölkerung lege Konrad Weiß das Wort. und die belastete Umwelt sind jedoch in dem neu bewilligten Projekt äußerst bescheiden. Konrad Weiß (Berlin) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das Beispiel legt einmal mehr den Verdacht nahe, Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe daß die Bank zwar Meister in der Erarbeitung sach- Kollegin Fischer, man kann es mit dem Klauen oder kundiger policy papers ist, diese Papiere aber selten den Anleihen bei anderen Theo rien auch übertreiben. mehr als Absichtserklärungen sind. So will die B ank Ich denke, Sie sollten sich lieber, statt bei christlichen einen deutlicheren Schwerpunkt auf die Reduktion Aussagen Anleihen zu nehmen, auf die Väter des von Subventionen im Energiebereich legen und ange- Marxismus/Leninismus berufen; denn das haben Sie sichts der globalen Treibhausproblematik ihre Inve- zu DDR-Zeiten auch getan. stitionen für die Verbesserung der Energieeffizienz (Beifall bei der CDU/CSU — erhöhen. Zwar wurde im Exekutivdirektorium der [CDU/CSU]: Aber sie hat erkannt, daß das Weltbank eine selektivere Kreditvergabepraxis dis- untergegangen ist!) kutiert und geschlußfolgert, daß die Weltbank — ich — Ja. zitiere — Die Gruppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat einen keine Energieprojekte mehr finanzieren wird, Antrag vorgelegt, in dem wir eine umfassende Reform wenn schlecht ausgerüstete und hochgradig der Weltbank vorschlagen. Im Be richt „Die Weltbank- umweltverschmutzende öffentliche Energieun- gruppe im Geschäftsjahr 1993" des deutschen Exeku- ternehmen und die Regierungen unwillig sind, tivdirektors heißt es: jene grundlegenden Strukturreformen durchzu- Das abgelaufene Fiskaljahr war für die Weltbank führen, die die Geschäftspraktiken deutlich ver- ungewöhnlich ergiebig in ihrer Entwicklung bessern könnten. nach „außen" und nach „innen". Die Papiere haben allerdings keinen bindenden Cha- Zweifellos war das Jahr 1993 ein erfolgreiches Jahr für rakter. die Weltbank. Es fragt sich nur, für wen die 23,7 Mil- Angesichts der Diskrepanz zwischen Anspruch und liarden US-Dollar Zusagevolumen von Nutzen wa- Wirklichkeit der Weltbankpolitik fällt es schwer, dem ren? Optimismus der Bundesregierung zu folgen und auf Nichtregierungsorganisationen jedenfalls beschei- die Fähigkeit der B ank zur beträchtlichen Selbstre- nigen der Weltbank, daß sie seit Jahrzehnten ohne form zu vertrauen. Rücksicht auf die Menschenrechtssituation in den kreditnehmenden Ländern schweren sozialen und Auf meine Anfrage bezüglich der Umsiedlungspo- ökologischen Schaden anrichtet und das Armutsbe- litik der Weltbank antwortet die Bundesregierung, kämpfung nennt. Die NGOs befinden sich mit ihrer daß der für April 1994 angekündigte Endbericht der Kritik in guter Gesellschaft. Denn auch der interne Umweltabteilung über die bisherige Durchführung Bericht des ehemaligen Vizepräsidenten der Welt- der Umsiedlungspolitik abgewartet werden solle. Wie bank, Willi Wapenhans, hat bei mehr als einem Drittel oft muß sich die Weltbank eigentlich noch ihre Unfä- der 1991 abgeschlossenen Projekte schwere Mängel higkeit in internen Studien bestätigen, bis Konse- bei der Vorbereitung und Ausführung festgestellt. quenzen gezogen werden, die über die Erstellung weiterer Papiere hinausgehen? Die katastrophalen ökologischen und sozialen Aus- wirkungen vieler Weltbankprojekte sind in den ver- Die bisherigen internen Studien zur Umsiedlung gangenen Jahren eingehend dokumentiert worden. waren vernichtend genug; die erste lag schon 1983 Das bekannteste Negativbeispiel ist sicher der Nar- vor. Die jüngste, im Juni 1993 fertiggestellte Studie mada-Staudamm in Indien. Die Liste der Projekte, bei stellt wiederum fest, daß die seit 1980 bestehende denen beträchtliche ökologische und soziale Fehlent- Umsiedlungsrichtlinie der Weltbank häufig nicht zur wicklungen aufgetreten sind, ist länger. Zwar werden Anwendung kommt und für manche Projekte über- Konsequenzen aus dem Wapenhans-Bericht gezogen, haupt keine Daten über die wirtschaftliche Situation aber wirksame Maßnahmen gegen die Hauptkritik- der Betroffenen erhoben wurden. 18020 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 208. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. Februar 1994

Konrad Weiß (Berlin) Auf meine Frage, wie die Weltbank nach Kenntnis Entwicklungspolitik richten, sind nicht mehr diesel- der Bundesregierung sicherstellen will, daß die Kre- ben wie vor der welthistorischen Wende von 1989 und ditnehmer ihren Verpflichtungen bei Umsiedlungs- 1990. maßnahmen nachkommen, antwortete die Bundesre- Zu den traditionellen Entwicklungsländern sind gierung, daß u. a. jede Projektvereinbarung Sank- nach dem Zusammenbruch des ehemals kommunisti- tionsmechanismen für den Fall enthalte, daß der schen Machtblocks neue Entwicklungsländer in Zen- Kreditnehmer seine Verpflichtung nicht erfülle. Nun tralasien und Staaten mit entwicklungsländertypi- frage ich mich, wie die Weltbank das bewerkstel ligen schen Strukturen in Osteuropa hinzugekommen. will, da sie nach eigener Aussage nicht oder nur Zugleich treten uns in Asien, aber auch in Teilen unzureichend über die Daten verfügt, die das Auslö- Lateinamerikas Länder gegenüber, die dabei sind, sen von Sanktionen überhaupt erst möglich machen das Armutsproblem in den Griff zu bekommen, und würden. sich auf wirtschaftlichem Gebiet mit großer Ge- Ganz offensichtlich vernachlässigt die Bundesre- schwindigkeit in moderne Industriestaaten wan- gierung also ihre Pflicht, die Arbeit der Weltbank deln. wirkungsvoll zu kontrollieren und einen verantwor- tungsvollen Umgang mit dem Geld deutscher Steuer- Die internationalen Beziehungen lassen sich heute zahler zu gewährleisten. Gerade angesichts der ange- nicht mehr an den Achsen Ost und West, Nord und spannten Haushaltslage müßte die Bundesregierung Süd ausrichten, sondern verlangen eine gemeinsame doch an einer effizienten Verwendung ihrer Mittel Politik zur Lösung der globalen Aufgaben der Frie- interessiert sein. Immerhin ist sie die drittgrößte Geld- denssicherung, des Schutzes der Umwelt und der geberin innerhalb der Bank. Eindämmung der weltweiten Wanderungsbewegun- gen. Der Entwicklungspolitik kommt deshalb heute Die bisherigen Reformschritte der Bank reichen mehr denn je eine friedens- und ordnungspolitische nicht aus, um zu gewährleisten, daß die Weltbankak- Dimension zu. Entwicklungszusammenarbeit ist un- tivitäten den Anforderungen einer nachhaltigen Ent- sere konstruktive Antwort auf weltweite Tendenzen wicklung gerecht werden. Die Reformen im Bereich der Auflösung und Zersplitterung politischer und und Beschwerdekommission sind Informationspolitik gesellschaftlicher Strukturen. Sie eröffnet den be- nur halbherzig. Um Rechenschaftspflicht und Trans- drängten und notleidenden Menschen Perspektiven parenz gegenüber den Mitgliedstaaten und der von für eine bessere Zukunft. den Projekten betroffenen Bevölkerung zu gewährlei- sten, ist es entscheidend, daß die grundlegenden Mit ihrer entwicklungspolitischen Konzeption hat Projektdokumente vor der Abstimmung im Exekutiv- die Bundesregierung frühzeitig und umfassend auf direktorium veröffentlicht werden. Die Berufungs- diese neue Ausgangslage reagiert. Im Neunten Ent- kommission z. B. hat lediglich eine Alibifunktion, wicklungspolitischen Bericht ist ausführlich darge- wenn den Exekutivdirektoren das Recht eingeräumt legt, wo wir die neuen Akzente setzen. Wir haben der wird, die Prüfung eines Projektes zu untersagen, und deutschen Entwicklungszusammenarbeit ein eigenes wenn die Empfehlung der Berufungskommission politisches Profil gegeben. Denn Entwicklungspolitik nicht bindend wird. folgt nicht nur humanitären Erwägungen. Sie liegt Die bisherigen Erfahrungen sprechen für sich: auch im deutschen Interesse und macht unsere eigene Sechs Monate nach Vorliegen des Morse-Berichtes Zukunft sicherer. und gegen 42 % der Stimmen im Exekutivdirekto- Gleichzeitig haben wir die Verantwortlichkeiten rium, die Bundesrepublik eingeschlossen, hat die klar angesprochen. Entwicklungszusammenarbeit Weltbank dennoch Kredite für das Narmada-Projekt kann nur dann ihre volle Wirksamkeit entfalten, wenn vergeben. sie ernsthafte Anstrengungen der Entwicklungslän- BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN haben daher einen der ergänzt. Antrag zur Reform der Weltbank eingebracht, dessen Vorschläge weit über die bisher diskutierten hinaus- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge gehen und dessen Verwirklichung dazu beitragen ordneten der F.D.P.) würde, daß die von Deutschland der Weltbank zur Deshalb binden wir Art und Ausrichtung unserer Verfügung gestellten Mittel entwicklungspolitisch Leistungen an die Herstellung entwicklungsfördern- sinnvoll und haushaltspolitisch verantwortlich ver- der Rahmenbedingungen und unterstützen unsere wendet werden könnten. Partner bei Reformen. Ich danke Ihnen. Entwicklungspolitik ist Teil der deutschen Außen- (Beifall der Abg. Ingrid Walz [F.D.P.]) beziehungen. Eine neue weltpolitische Ausgangslage - erlaubt es jedoch, sie zunehmend nach ihren eigenen Vizepräsidentin Renate Schmidt: Nun spricht als und fachspezifischen Kriterien auszurichten. Wir nächster Herr Bundesminister Carl-Dieter Spranger. haben Schluß gemacht mit der traditionellen Entwick- lungspolitik der 60er und 70er Jahre, die Entwicklung durch die Überweisung finanzieller Mittel und die Carl-Dieter Spranger, Bundesminister für wirt- Übertragung von Industrieländermodellen erreichen schaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung: Frau zu wollen. Präsidentin! Meine Damen und Herren! Das weltpoli- tische Umfeld der Entwicklungspolitik hat sich seit Die deutsche Entwicklungszusammenarbeit stellt Beginn der 90er Jahre grundlegend gewandelt. Die sich heute der Aufgabe der Transformationshilfe. Mit Rahmenbedingungen und Aufgaben, aber auch die den Mitteln der Finanziellen und Technischen Zusam- Möglichkeiten und die Erwartungen, die sich an die menarbeit, aber auch der gesellschaftspolitischen Bil- Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 208. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. Februar 1994 18021

Bundesminister Carl-Dieter Spranger dung unterstützen wir die Strukturanpassung insbe- cher vorzutragen. Wir wollen mehr Transparenz, eine sondere auch im Osten. Marktwirtschaft und Demo- Straffung der Arbeitsabläufe in der Europäischen kratie sollen in das spezifische kulturelle Umfeld Kommission und einen länderspezifischen Ansatz dieser Länder eingepaßt werden. durchsetzen, der ein höheres Maß an Komplementa- rität zwischen der Entwicklungszusammenarbeit der (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Europäischen Union und der Mitgliedstaaten gewähr- Die Entwicklungspolitik in der zwölften Legislatur- leistet. periode mußte sich jedoch auf Veränderungen nicht (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) nur in der Welt, sondern auch bei uns in Europa und im eigenen Land einstellen. Die Stabilisierung unserer In unserer bilateralen Entwicklungszusammenar- Nachbarstaaten im Osten ist für Europa und Deutsch- beit haben wir durch eine bessere Feinabstimmung land zur herausragenden Aufgabe geworden. von finanzieller und technischer Hilfe bereits wichtige Schritte in Richtung auf mehr Wirksamkeit gemacht. Gleichzeitig belastet die Bewältigung der schlim- Die heutigen Prüfverfahren bieten die Gewähr für men Hinterlassenschaft des Sozialismus in den neuen eine optimale Einpassung der Projekte in ihr soziokul- Bundesländern unsere Finanz- und Wirtschaftskraft turelles und ökologisches Umfeld. Mit unseren Län- aufs äußerste. Es ist immer wieder verblüffend, mit der- und Regionalkonzepten, der Konzentration auf welcher Unverfrorenheit ausgerechnet Vertreter von Schwerpunktsektoren und auf Schwerpunktländer SED/PDS nach altbekanntem kommunistischem haben wir das Rüstzeug, urn die Wirksamkeit der Weltbild die Entwicklungspolitik der Bundesregie- deutschen Entwicklungszusammenarbeit weiter zu rung kritisieren. verbessern. (Dr. Ursula Fischer [PDS/Linke Liste]: Bei- fall!) Wir müssen auch die Entwicklungspo litik in Deutschland noch breiter verankern. Das partner- Denn die an sich wünschbare Ausweitung des Ent- schaftliche Zusammenwirken mit öffentlichen Kör- wicklungshaushaltes ist gerade deswegen, weil wir perschaften wie Ländern und Gemeinden sowie pri- die Erblasten der SED/PDS abzutragen haben, derzeit vaten Nichtregierungsorganisationen ist der richtige nicht zu verwirklichen. Weg dazu. Einer eigenen Entwicklungspolitik der (Beifall bei der CDU/CSU und dem BÜND- Gemeinden bedarf es dazu allerdings nicht. NIS 90/DIE GRÜNEN — Zuruf von der SPD: Wenn es so einfach wäre!) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Mit der Konsolidierung der Bundesfinanzen schaf- Dies ist nach dem Grundgesetz auch gar nicht mög- fen wir jedoch die Voraussetzungen für die gestei- lich. gerte Leistungsfähigkeit Deutschlands in der Zukunft. (Hans-Günther Toetemeyer [SPD]: Wer will Dies liegt auch im Interesse der Entwicklungspolitik, das, Herr Minister? Kein Mensch!) die ihren Teil gesamtstaatlicher Verantwortung mit- trägt. Die absolute Höhe des Entwicklungshaushalts Die entwicklungspolitische Konzeption des Bundes, kann nicht Kriterium für den Erfolg und die Wirksam- die immer stärker auf die Begleitung von Umgestal- keit unserer Entwicklungszusammenarbeit sein. Der tungsprozessen abstellt, bietet allerdings eine Fülle Erfolg wird vielmehr durch die effiziente Verwendung von Möglichkeiten für die Nutzung von Erfahrungen der Mittel sichergestellt. aus der Praxis gelebter kommunaler Demokratie. Ich (Dr. Ingomar Hauchler [SPD]: Wie in denke hier insbesondere an Projekte zur Stärkung der Deutschland, was?) kommunalen Verwaltungsstrukturen und der Dezen- tralisierung. — Herr Kollege Hauchler, es verwundert mich schon, daß Sie die ersten sieben Minuten völlig ruhig waren. (Zurufe von der SPD: Das ist gut! — Überein Aber als ich mir erlaubt habe, die Kollegin Fischer zu stimmung! ) kritisieren, sind Sie plötzlich mobil geworden. Ich würde mich doch nicht so identifizieren und diese Effiziente Entwicklungszusammenarbeit, die etwas Kritik sozusagen persönlich nehmen. Ich habe ja nicht bewirken soll, wird nicht mit dem finanziellen Füll- Sie, sondern die anderen gemeint. horn gemacht, sondern ist eine Frage des richtigen Konzepts, effizienter Instrumente und der partner- (Rudolf Bindig [SPD]: Mit Kanonen auf Spat- schaftlichen Zusammenarbeit in unserem Land und zen schießen!) mit den Entwicklungsländern. Bei der multilateralen Entwicklungszusammenar- beit wirken wir darauf hin, durch verbesserte Kontroll- - (Dr. R. Werner Schuster [SPD]: Das fordern und Evaluierungsmechanismen die Projektqualität zu wir seit mehr als zwei Jahren!) steigern. Der Bericht des ehemaligen deutschen Welt- bankvizepräsidenten Wapenhans, nach dessen Emp- Dies sind die Grundsätze, die die Entwicklungspolitik fehlungen inzwischen nicht nur die Arbeit der Welt- der Bundesregierung prägen und die ihr national wie bank, sondern auch die anderer multilateraler Geber international hohe Anerkennung verschafft haben. reorganisiert wird, hat hier Maßstäbe gesetzt. In den Anträgen der Koalition, die heute hier zur Die deutsche Ratspräsidentschaft in der Europäi- Debatte stehen, wird die entwicklungspolitische Linie schen Union wird uns in diesem Jahr die Möglichkeit der Bundesregierung bestätigt. Ich danke Ihnen für geben, unsere Vorschläge zur Verbesserung der euro- Ihre Zustimmung und für Ihre Unterstützung; ich päischen Entwicklungszusammenarbeit noch dringli- danke Ihnen auch für neue Anregungen und schließe 18022 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 208. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. Februar 1994

Bundesminister Carl-Dieter Spranger darin ebenfalls diejenigen Kollegen aus den Reihen rung in diesen Fragen. Das beklagen wir immer der Opposition ein, wieder hier in diesem Hause. Das fällt auch inte rna- (Zuruf von der SPD: Die Kolleginnen tional auf und beschädigt die Glaubwürdigkeit der nicht?) deutschen Entwicklungspolitik. die sich mit uns um eine breite gesellschaftliche (Horst Sielaff [SPD]: Sehr richtig!) Trägerschaft für die Entwicklungspoli tik bemühen. (Beifall bei der CDU/CSU) Ich nenne Ihnen ein Beispiel. Sie sind immer noch der Meinung, daß deutsche Unternehmen Waffen in Lassen Sie uns darin gemeinsam fortfahren, ohne Entwicklungsländer liefern können. Gleichzeitig sind jedoch den realis tischen Blick für das unter den Sie dafür, daß deutsche Soldaten Kriege und Bürger- gegebenen Umständen Machbare zu verlieren! kriege in Entwicklungsländern bekämpfen. Also: (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Deutsche Soldaten kämpfen gegen deutsche Waffen in Entwicklungsländern, und deutsche Entwicklungs- helfer heilen die Wunden. So geht es nicht! Vizepräsidentin Renate Schmidt: Nun spricht der Kollege Professor Dr. Ingomar Hauchler. (Beifall bei der SPD und der PDS/Linke Liste) Dr. Ingomar Hauchler (SPD): Frau Präsidentin! Dies trägt nicht zur Glaubwürdigkeit unserer Ent- Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zum einen wicklungspolitik bei. möchte ich mich heute auf den Entwicklungspoliti- schen Bericht beziehen, der im vergangenen Jahr (Zurufe von der CDU/CSU: So einen Quatsch vorgelegt wurde. Leider debattieren wir erst heute habe ich selten gehört! — So ein Unfug! — über diesen Bericht, der den Zeitraum 1989 bis 1991 Frau Präsidentin, da gehe ich lieber woan umfaßt. Gestatten Sie mir deshalb, daß ich nicht nur ders hin! — Horst Sielaff [SPD]: Das hören Sie auf den Bericht eingehe, sondern zum anderen auch nicht gern, das ist klar!) zur Gesamtpolitik der Bundesregierung im Bereich der Entwicklungspolitik spreche. Zweitens. Die Bundesregierung setzt ihren finanzi- ellen Kahlschlag in der Entwicklungszusammenarbeit Lassen Sie mich mit einem D ank beginnen! Wer fort. Der Bundesminister hat heute leider überhaupt diesen Beri cht aufmerksam liest, weiß, daß er ein nicht zu der Frage Stellung genommen, wie sich denn Dokument vor sich hat, das tatsächlich in breiter und die deutschen Mittel für Entwicklungspolitik in den sehr guter Form eine Dokumentation der Probleme vergangenen Jahren entwickelt haben. der Entwicklungspolitik darstellt. Herzlichen Dank dafür also den Beamten und den Fachleuten, auch Meine Damen und Herren, sie haben sich rückläufig Ihnen, Herr Minister. Ich glaube schon, daß dieser entwickelt, und wir haben jetzt wieder — aktuell — Bericht vor allem auf dem Gebiet der Darstellung der die Notwendigkeit, den Entwicklungsetat herunter- Probleme und der Ziele der Entwicklungspoli tik zukürzen. Wir sind inzwischen bei 0,33 % des Brutto- unsere Zustimmung finden kann. Also D ank und sozialprodukts angelangt. Wir starteten mit einem Zustimmung dafür! Hoch von 0,48 % Anfang der 80er Jahre, und Sie Sie werden sich aber natürlich nicht wundern, wenn haben das systematisch auf 0,33 % heruntergebracht. die Opposition hier im Hause dann doch vor allem auf Inzwischen beträgt der Entwicklungshaushalt nur die Differenzen abhebt, die wir in wich tigen politi- noch 1,7 % des Bundeshaushalts. schen Fragen haben. Wir haben deshalb einen eige- Also: Während der Bundeshaushalt insgesamt in nen Entschließungsantrag vorgelegt. Ich will einige den vergangenen Jahren mit be trächtlichen Quoten Punkte daraus nehmen und sie akzentuieren. angestiegen ist, sind wir immer weiter zurückgegan- Erstens. Die Bundesrepublik hat im wesentlichen gen, richtige Kriterien formuliert und auch richtige Schwerpunkte gesetzt, hält sich aber nicht daran. (Zuruf von der CDU/CSU: Sie wissen auch, (Beifall bei der SPD und der PDS/Linke warum das so ist!) Liste) was den Anteil der Entwicklungspoli tik angeht. Die Kriterien Menschenrechte, Demokratie, good governance, Abrüstung, Umwelt usw., also die Forde- Wenn Sie dann, Herr Minister Spranger, von den rung an Entwicklungsländer, selbst ihren Staat, ihre Wohltaten der deutschen Entwicklungspolitik in der Wirtschaft in Ordnung zu halten, teilen wir selbstver- Welt sprechen, so ist das unglaubwürdig; denn m an ständlich, und wir sind auch der Meinung, daß gerade- kann nicht sagen, es komme gar nicht soviel auf das die Schwerpunkte Bildung, Umwelt, Förderung von Geld in der Entwicklungspoli tik an, wenn man selbst Frauen, Kampf gegen die Armut, vor allem aber im eigenen Land weiß, daß man riesige Transferbe- Bekämpfung des schlimmen Bevölkerungswachs- träge braucht, um ein Land wie die ehemalige DDR, tums richtig sind. Hier sind wir in einem Boot. wie die neuen Bundesländer, zu transformieren und in eine westliche Marktwirtschaft einzubinden. Nun ist es aber tatsächlich so, daß das a lles, was hier an Kriterien und Schwerpunkten auch im Be richt Es wirkt dann schon sehr eigenartig, wenn m an die genannt ist und was Sie, Herr Minister, immer so stark ganze Schuld den Entwicklungsländern zuweist, betonen, in der deutschen Entwicklungspolitik eben wenn man sagt: Ihr müßt alles zuerst machen, und nicht umgesetzt wird. Es gibt eine Art Populismus des dann kommen wir, und Geld ist gar nicht die Haupt- Ministers und keinen Durchsetzungswillen der Regie- frage, sondern entscheidend ist die Qualität der Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 208. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. Februar 1994 18023

Dr. Ingomar Hauchler Dinge. Ich finde, diese Argumentation ist scheinhei- aber das ist eher eine Zusammenarbeit im bilateralen lig. Bereich. (Beifall bei der SPD und der PDS/Linke (Zuruf von der CDU/CSU: Was ist denn daran Liste) schlimm?) Wir haben inzwischen einen Bundeshaushalt, was Wir sind noch nicht so weit, daß wir wirkliche Initia- die Entwicklungspolitik betrifft, von 8,2 Milliarden tiven der Bundesregierung ' sehen, was eine echte DM. Meine Damen und Herren, das ist viel Geld. europäische Zusammenarbeit auf diesem Gebiet (Zuruf von der CDU/CSU: Eben!) betrifft Aber bedenken Sie, daß ein x-fach Mehrfaches — — Wir würden also bedauern, wenn es zu einer Renatio- nalisierung der Entwicklungszusammenarbeit kom- (Dr. Walter Franz Altherr [CDU/CSU]: Ein men würde. Wir erkennen Tendenzen in dieser Rich- x-fach Mehrfaches? Können Sie das mathe- tung. matisch einmal fassen?) Anderseits beklagen wir, daß wir im Widerspruch — Ja, ein x-fach Mehrfaches, weil ich es nicht genau dazu eine Art blinde Gefolgschaft der Bundesregie- weiß, weil es eine Dunkelziffer ist. Aber man weiß, daß rung zu allem, was in den globalen Finanzinstitutio- dies ein Bruchteil dessen ist, was jährlich durch nen, beim IWF oder bei der Weltbank, getan wird, Steuerhinterziehungen dem Staat verlorengeht. Da erleben; eine Art blindes Vertrauen in die Weisheit tun Sie nichts! der Bürokraten in schwarzen und blauen Nadelstrei- (Beifall bei der SPD und der PDS/Linke Liste fen in New York ist einfach vorhanden, und irgendwie — Zuruf von der CDU/CSU: Was für ein nehmen Sie nicht zur Kenntnis, daß dort in den Gefasel!) vergangenen Jahren schwerste Fehler gemacht wor- den sind, daß riesige Mittel für den falschen Zweck Da tun Sie überhaupt nichts. Für Somalia werden ausgegeben werden, ja daß riesige Mittel ausgegeben 400 Millionen DM so schnell einmal ausgegeben, aber worden sind, die sogar entwicklungshemmend waren. für Entwicklungspolitik, für Wiederaufbau, für Vor- Das müssen Sie einmal thematisieren. Sie müßten sich beugung und für Prävention werden für so ein Land an Initiativen beteiligen, wie sie hier von den GRÜ- vielleicht einmal 30 oder 40 Millionen DM im Jahr NEN beispielsweise zur Reform der Weltbank und des ausgegeben. IWF vorgetragen worden sind. (Widerspruch bei der CDU/CSU) (Zuruf von der F.D.P.: Das werden wir tun!) Meine Damen und Herren, das ist kurzsichtig. Es beschädigt Vertrauen, wenn so die Akzente gesetzt Ich möchte zitieren, was eine große — noch einiger- werden. maßen große — Tageszeitung am Montag zu diesem Thema geschrieben hat. Herr Brüggemann, „Die Drittens. Wir registrieren insgesamt in der Entwick- Welt", hat gesagt: lungspolitik der Bundesregierung eine Art Renationa- lisierung der Entwicklungshilfe, und wir bedauern Der Internationale Währungsfonds hat bei der das. Erarbeitung eines Hilfspakets für die Nachfolge- staaten der Sowjetunion keine eindrucksvolle (Dr. Walter Franz Altherr [CDU/CSU]: Wer Rolle gespielt. Er hat die politische Dimension hat Ihnen denn das aufgeschrieben?) und Dynamik der Probleme nie richtig einzu- Es ist die Rede von einer wachsenden globalen schätzen gewußt. Verantwortung der Deutschen. Der Bundeskanzler Das hätte ich von Ihnen auch gern einmal gehört. betont das immer wieder. Das wird beschworen, aber real, wenn Sie sich die Zahlen ansehen, wird weniger Er sagt weiter: ausgegeben — beispielsweise für deutsche Beiträge zum Bevölkerungsfonds der Vereinten Nationen. Man Es gibt nur wenig Grund zu der Annahme, daß der tritt auf die Bremse beim globalen Umweltfonds der IWF intellektuell und personell einer solch gro- Weltbank, der in Rio erst beschlossen worden ist, und ßen Aufgabe gewachsen sein könnte. man tritt auch auf die Bremse bei UNDP in New Hört, hört, ein Zitat eines Journalisten von der „Welt", York. der wirklich nicht verdächtig ist, uns nach dem Munde Was die europäische Entwicklungszusammenar- zu reden. belt angeht: In Maastricht wurde gerade beschlossen, Wir sagen das seit Jahren. Wir Deutschen müssen daß Entwicklungspolitik eine wichtige Gemein- mit unseren großen Beiträgen zu diesen Finanzinsti- schaftsaufgabe ist. Aber Realität ist, daß sich hier tutionen dafür sorgen, daß hier eine stärkere Kontrolle nichts Wesentliches nach vorne bewegt, daß die ausgeübt wird und daß die Politik dort nach unseren Handelspolitik der EG, die Entwicklungspolitik, die Zielsetzungen gestaltet wird. Wirtschaftspolitik der EG nicht abgestimmt sind. Ich weiß aus einem kürzlichen Gespräch mit Ihrem Kolle- (Beifall bei der SPD) gen, mit dem Entwicklungsminister aus Holland, daß Der vierte Gesichtspunkt: Wir registrieren immer er beispielsweise sagt: Staatssekretär Repnik spielt wieder, daß wir selbst, wir im Norden, unfähig sind, eine gute Rolle in der Zusammenarbeit, wirkliche Reformen einzuleiten, vor allem die Refor- (Dr. Walter Franz Altherr [CDU/CSU]: Da men, die wir selbst mit in Rio de Janeiro beschlossen hören Sie es doch!) I haben, daß wir aber sehr schnell dabei sind, den Osten 18024 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 208. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. Februar 1994

Dr. Ingomar Hauchler und den Süden mit Strukturanpassungsauflagen zu Das wünschen wir, aber nicht einseitige Begünsti- überfordern. gung, sondern konstruktive Beziehungen zwischen Staat und Unternehmen auf diesem Feld. Wir brau- (Zustimmung bei der SPD) chen dringend die NGOs, brauchen aber auch drin- Wir sind der Meinung, daß Strukturanpassungen gend privates Kapital und die Kompetenz p rivater sein müssen, aber wir denken, auch im Norden und Unternehmen in den Entwicklungsländern. Damit vor allem im Norden. Wir haben bessere Vorausset- sind wir einverstanden. Aber nur in diesem Sinne zungen dazu. sollten wir eigene Interessen vertreten. (Zuruf von der CDU/CSU: Also doch!) Herzlichen Dank. Wir denken, es muß politisch machbar sein, was wir (Beifall bei der SPD und der PDS/Linke empfehlen, sonst provozieren wir Revolution oder Liste) Schirinowskis. Wir sind der Meinung, Strukturanpas- sungen müssen sozial und ökologisch verträglich Vizepräsidentin Renate Schmidt: Nun spricht der geschehen. Kollege Klaus-Jürgen Hedrich. (Beifall bei der SPD) Hören Sie also auf, immer große Forderungen in Klaus-Jürgen Hedrich (CDU/CSU): Frau Präsiden- arroganter Weise an arme Länder zu richten, ohne den tin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wer Beweis anzutreten, daß Sie selbst ökologisch, sozial, den Kollegen Ingomar Hauchler im Ausschuß erlebt, politisch, ökonomisch nach vorn gehen. weiß, wie konstruktiv und sachlich er dort vorträgt, (Dieter Schanz (SPD): Entwicklungspolitik und immer, wenn er ein Mikrofon vor sich hat, beginnt zu Hause!) insbesondere das am Rostrum dieses Plenums, dann hat er eine gewisse zweite Person; aber auch das Schließlich noch ein fünfter Gesichtspunkt, der mir nehmen wir natürlich zur Kenntnis. doch relativ wichtig ist. Die Bundesregierung hat schwere Fehler in der Zusammenarbeit mit Osteu- (Zuruf von der SPD: So sind wir doch alle!) ropa und mit Ländern der ehemaligen GUS began- Ich will nur auf folgenden Tatbestand hinweisen, gen. Ein Bericht des Bundesrechungshofes weist dies und das halte ich für durchaus legitim. Ich glaube aus. nicht, daß wir hier auseinander wären, wenn ich Ihnen Es sind hier offenbar Steuergelder durch Ressort- hier ganz konkret folgendes sagte: Die Ministerpräsi- egoismus und Profilierungssucht einzelner Ministe- denten von zwei Ländern, die Wirtschaftsminister rien, aber auch durch Inkompetenz, durch die man- mehrerer Länder, die sozialdemokratisch geführt wer- gelnde Fähigkeit, die Beratung an konkrete histori- den, werden bei Abgeordneten — so auch bei Mitglie- sche Entwicklungslagen anzupassen, verschwendet dern unseres Ausschusses — vorstellig, um dabei worden. Wir bedauern das sehr, und wir fordern, daß behilflich zu sein, Geschäfte auch großer Konzerne in dies im Parlament aufgeklärt wird. Ländern der sogenannten Dritten Welt anzubahnen und zu unterstützen. Dies dann als Förderung von (Zustimmung bei der SPD) Konzerninteressen zu diffamieren, ist schlicht und Lassen Sie mich letzen Endes noch einen sechsten ergreifend dummes Zeug; anders kann man es nicht Gesichtspunkt beitragen. Ich denke, die Entwick- formulieren. lungspolitik, wie die Bundesregierung sie be treibt, ist (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. — nicht im wohlverstandenen Eigeninteresse auch unse- Zurufe von der SPD) res Landes. Wir meinen, Eigeninteressen neben Soli- Meine sehr verehrten Damen und Herren, mit den darität in der Entwicklungspolitik sind nicht illegitim. Maastrichter Verträgen ist ja ein neues Kapitel in der Sie sind legitim; ich unterstütze Sie da. europäischen entwicklungspolitischen Zusammen- Die Frage ist nur: Was sind denn die wohlverstan- arbeit eingeleitet worden. Wir sollten aber natürlich denen Eigeninteressen? Wir sind nicht der Meinung, nicht verschweigen, daß eine Fülle von Problemen daß es in wohlverstandenem Eigeninteresse ist, vor geblieben ist. Ich nenne als erstes die Abstimmungen allem den Weg einseitiger Begünstigung einzelner zwischen den Politikbereichen in der Europäischen Konzerne durch Entwicklungspolitik zu betreiben, Union und mit nationalen Politiken, zusammengefaßt unter dem sogenannten Kohärenzgebot oder -prinzip. (Beifall bei der SPD und der PDS/Linke Es ist schon durchaus kontraproduktiv, wenn die EU Liste) ihre einzelnen Politikbereiche und die Politiken der sondern in unserem Interesse ist es, die schrecklichen nationalen Staaten nicht untereinander abstimmt, globalen Folgen abzuwehren, die aus Bevölkerungs-- sondern sogar Maßnahmen eingeleitet werden, die wachstum, Armut und Umweltzerstörung herauskom- sich gegenseitig aufheben. Ich nenne z. B. — Sie men. Das ist das eigentliche Interesse dieses Landes, kennen alle den berühmt-berüchtigten Fall — die und dieses Interesse darf nicht durch kurzfristige Rindfleischexporte nach Westafrika. Es ist wirklich private Geschäftsbegünstigungen konterkariert wer- dem deutschen und europäischen Steuerzahler nicht den. klarzumachen, daß wir im Laufe von Jahren 50 oder Andererseits haben wir überhaupt nichts dagegen, 60 Millionen DM an Unterstützung zum Aufbau von wenn Entwicklungspolitik auch eine ökonomische landwirtschaftlicher Nutztierhaltung in Westafrika Komponente hat. Deshalb meinen wir, wir müssen hin geben zu einer konstruktiven Beziehung zwischen Unter- (Horst Sielaff [SPD]: Aber die Bundesregie nehmen und Staat auch in der Entwicklungspolitik. rung hat das mit unterstützt!) Deutscher Bundestag - 12. Wahlperiode - 208. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. Februar 1994 18025

Klaus-Jürgen Hedrich — ich kritisiere hier auch die Bundesregierung — jekte nach Möglichkeit dem Parteiengezänk zu ent- ziehen. (Zuruf von der SPD: Er hat ja recht!) (Beifall bei der CDU/CSU) und gleichzeitig mit hohen Subventionen den Export Die Durchführung solcher Maßnahmen durch die EU in diese Länder unterstützen und damit die heimi- kann deshalb nur nützlich sein. schen Märkte zerstören; das kann nicht in unserem Ein völlig anderes Thema, das aber, glaube ich, in Interesse sein. diesen Zusammenhang hineingehört, ist die Mitwir- (Beifall bei der SPD) kung des Parlaments. Viele internationale Vereinba- rungen mit erheblichen finanziellen Auswirkungen Deshalb führt uns das zu der gesamten Problematik für den bundesdeutschen Haushalt wurden von der des Verhältnisses von multilateraler und bilateraler Bundesregierung mehr oder weniger ohne vorherige Zusammenarbeit. Generell halten wir es für richtig, Konsultation des Deutschen Bundestages abgeschlos- daß der Anteil der multilateralen Hilfe am Haushalt sen. Als Beispiel nenne ich Lomé IV. Für das nächste des BMZ, der jetzt fast 35 % ausmacht, schrittweise Finanzprotokoll, bei dem es ebenfalls wieder um zurückgeführt wird. Hier stimmen wir übrigens mit Milliardenbeträge geht, schließt sich die CDU/CSU- dem Haushaltsausschuß völlig überein, der diesen Bundestagsfraktion der Beschlußfassung des Haus- Beschluß — auch mit der Zustimmung der Kollegen haltsausschusses an. Dieser Beschluß fordert die Bun- von der SPD — gefaßt hat. desregierung auf, den Finanzrahmen bei internatio- nalen Verträgen vor der Aufnahme eigentlicher Ver- Herr Minister, wir begrüßen deshalb die Aussage handlungen mit dem deutschen Parlament abzustim- der Bundesregierung, daß sie auch ihre Einsparauf- men. lage von 145 Millionen DM vorrangig aus der multi- lateralen Zusammenarbeit nehmen will. Unsere For- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und derung ist: Gehen Sie hier bis an die Grenze des der F.D.P.) Machbaren. Wenn man sich nämlich anguckt, wie Dabei muß der Umfang unserer Beiträge nicht dem zögerlich die anderen europäischen Staaten das Geld Maßstab internationaler Wohlgefälligkeit, sondern einzahlen, muß Deutschland, wenn es knapp bei der deutschen Leistungsfähigkeit entsprechen. Kasse ist, in diesem Zusammenhang nicht immer der Vorreiter sein. (Dr. Uwe Holtz [SPD]: Und den Notwendig keiten!) Gleichzeitig plädieren wir für eine Konzentration der europäischen Entwicklungspolitik auf die Zusam- — Und den Notwendigkeiten; auch das. — Der menarbeit mit anderen Staatengruppen, auf die Kata- entscheidende Punkt — Kollege Holtz, da sind wir, strophen- und Nahrungsmittelhilfe sowie auf den glaube ich, nicht auseinander — ist eigentlich der: Wir globalen Umweltschutz. Ich nenne in diesem Zusam- wollen rechtzeitig darüber informiert werden und menhang auch ein Problem, das wir im Ausschuß beteiligt sein — um wieviel Milliarden geht es? wofür immer wieder diskutieren: Viele Projekte der europäi- ist das? wie sind die Notwendigkeiten? —, so daß wir schen Entwicklungspolitik sind nicht originär. Sie zum Schluß nicht nur noch ja und amen sagen können, könnten ebensogut auf nationaler Ebene abgewickelt weil wir die Bundesregierung dann, wenn der Vertrag werden. erst einmal unterzeichnet ist, nicht im Regen stehen- (Zuruf von der SPD: Richtig!) lassen können. Deshalb: Es geht hier um eine stärkere Mitsprache. Besonders ärgerlich ist es, wenn sich sowohl die (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und nationalen europäischen Staaten als auch die EU im der SPD) gleichen Aufgabenfeld tummeln. Beispiel: Demobili- sierung der Contras und der Soldaten in El Salvador. Wir begrüßen übrigens ausdrücklich, daß jetzt für Die europäische Ebene ist tätig. Die Deutschen sind die weiteren Verhandlungen mit den AKP - Staaten die tätig. Andere Europäer sind tätig. Die Amerikaner Demokratieklausel aufgenommen worden ist. Des- sind tätig. Dies alles ist kontraproduktiv, und die halb, Kollege Hauchler, kann ich Ihre Kritik teilen und Abstimmungsprozesse lassen zu wünschen übrig. muß sie trotzdem zumindest zum Teil zurückweisen. Ich glaube nicht, daß wir besonders gut beraten (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und waren, was das Hin und Her mit Rotchina anbetrifft. der SPD) Vielleicht sind wir aber selbstkritisch genug, folgen- des zu beherzigen: Bevor wir hehre Grundsätze fassen Es geht hier nicht um eine einseitige Schelte multi- und die moralischen Maßstäbe ganz hoch hängen, lateraler Zusammenarbeit. Es gibt durchaus Projekte, - sollte vielleicht auch der Bundestag zurückhaltend bei denen die europäische Ebene sinnvoll ist. Ein sein und sich darüber im klaren sein: Es könnte ja sein, Beispiel im gleichen Land, in El Salvador: das Polizei- daß er nach einem Jahr oder nach zwei Jahren an hilfeprojekt. Für den Aufbau eines demokratischen seinen eigenen Maßstäben gemessen wird. Rechtsstaats ist eine an Verfassungsgrundsätzen (Beifall des Abg. Dr. R. Werner Schuster orientierte und nicht korrupte Polizei unverzichtbar. [SPD]) Da wir im Falle Guatemala eine heftige innenpoliti- sche Diskussion hatten — der jetzige Minister weiß Also: Etwas mehr Zurückhaltung vielleicht auch die- aus früherer Tätigkeit ein Lied davon zu singen —, wo ses Gremiums — und nicht nur Kritik an der Bundes- es ebenfalls um den Aufbau einer demokratisch legi- regierung — wäre möglicherweise durchaus ange- timierten Polizei geht, ist es vernünftig, solche Pro- messen. 18026 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 208. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. Februar 1994

Klaus-Jürgen Hedrich Nichtsdestotrotz besteht doch kein Streit in diesem Welche Schlüsse haben wir daraus zu ziehen? Das Gremium, glaube ich, wenn wir festhalten: Wenn eine Beispiel der erfolgreichen reformwilligen Entwick- Regierung nicht nur darauf achtet, daß die marktwirt- lungsländer muß uns selbst ermutigen, mit unserer schaftlichen, die privatwirtschaftlichen Rahmenbe- Hilfe dort, wo sie weiter dringend gebraucht wird, dingungen stimmen, daß Investitionsschutzabkom- fortzufahren. Nach unserem Gesamtvolumen liegen men gegeben sind, sondern auch wirklich darauf wir hinter den USA, Japan und Frankreich auf Platz 4 achtet „Handelt es sich um eine Regierung, die sich der Geberliste. Das ist respektabel und sollte trotz nicht vorrangig selbst bereichert? Handelt es sich um unserer unbestreitbaren großen inneren Belastung eine Regierung, die die Bevölkerung an den Entschei- auch so bleiben. Wenn wir eine Wirtschafts- und dungsprozessen teilnehmen läßt?", dann sollte man Kulturnation von Weltrang bleiben wollen, müssen dies auch in einen Vertrag — wie jetzt das nächste wir den Blick über Europa hinaus richten. Die politi- Finanzprotokoll mit den AKP-Staaten — hineinschrei- sche und wirtschaftliche Zusammenarbeit mit den ben. Dann ist das ein Maßstab, glaube ich, an dem sich Entwicklungsländern bleibt dabei ein ganz notwendi- die Bundesregierung, aber auch der Deutsche Bun- ges Element unserer zugleich wert- wie natürlich auch destag sowie dann auch die Europäische Union insge- interessenorientierten Politik. samt messen lassen müssen. Angesichts knapper Haushaltsmittel sind dabei (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- jedoch der Wille zur Selbsthilfe, zur Selbstverantwor- ordneten der F.D.P.) tung, zur Marktwirtschaft und zum Schutz der Men- Meine sehr verehrten Damen und Herren, es gibt im schenrechte auf der Seite der Entwicklungsländer Rahmen der europäischen Entwicklungspolitik in der unabdingbarer denn je. Die 48. UNO-Generalver- Tat noch eine Menge zu tun. Ich glaube, in der Tat, daß sammlung hat erneut gezeigt: Das posi tive neue wir sehr nachhaltig darauf achten müssen, daß die Denken setzt sich auch dort mehr und mehr durch. Politikbereiche abgestimmt werden. Es ist durchaus Aber, meine Damen und Herren, wir müssen die richtig, wenn gesagt wird, die Öffnung unserer Kräfte bündeln. Abstimmung und Kooperation mit Märkte und eine solide Handelspolitik können den anderen Gebern müssen verstärkt werden. Wir brau- Entwicklungsländern möglicherweise mehr helfen als chen mehr entwicklungspolitische Kohärenz in den die Entsendung teuer bezahlter Experten. Hier müs- einzelnen Politikbereichen. sen wir auch selbst in unserem eigenen Bundestag ringen. Hier stoßen sich, wenn man die Vorlagen der (Dr. R. Werner Schuster [SPD]: Jawohl!) einzelnen Ausschüsse sieht, durchaus viele Interessen Das Stichwort Bananenimport und — der Kollege hat im Raum. Es wird dann darauf ankommen, daß wir in gerade darauf hingewiesen — die mehrfach subven- der Lage sind, die Interessen nicht nur unseres eige- tionierten Rindfleischexporte nach Westafrika illu- nen Landes, sondern auch unsere eigenen Interessen strieren, was ich meine. mit den Interessen der Völker der Dritten Welt abzu- (Dr. Uwe Holtz [SPD]: Was tun Sie denn?) stimmen. Hier nehmen wir mit der Linken doppelt, was wir mit Herzlichen Dank. der Rechten geben. Das ist sowohl gegenüber den (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. Empfängerländern als auch gegenüber unseren Steu- sowie bei Abgeordneten der SPD) erzahlern unverantwo rtlich. (Beifall bei Abgeordneten der F.D.P. und der Vizepräsidentin Renate Schmidt: Nun hat Herr CDU/CSU — Dr. Ingomar Hauchler [SPD]: Staatsminister Schäfer das Wort. Was tun Sie dagegen?) In diesem Zusammenhang, Herr Kollege Holtz, darf Helmut Schäfer, Staatsminister im Auswärtigen ich auf den Antrag der SPD-Fraktion Drucksache Amt: Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! 12/4350 vom 12. Februar 1993 hinweisen. Darin wird Deutsche Außen- und Entwicklungspolitik muß ein gefordert, das Vorblatt bei Gesetzesvorhaben durch kohärentes Ganzes bilden. Sie steht immer wieder vor „Mögliche Auswirkungen auf Entwicklungsländer" der Aufgabe, neue Entwicklungen dynamisch aufzu- zu ergänzen. nehmen und sie umzusetzen. Nur so kann sie Erfolg (Zuruf von der SPD: Richtig!) haben. Ich halte dies für einen sehr guten Ansatz. Ich finde, Längst hat im Kreis der Entwicklungsländer ein wir sollten darüber nachdenken, daß wir das dann Prozeß der Differenzierung begonnen, der zu den auch, bitte schön, umsetzen. weltpolitisch ganz bedeutenden Veränderungen un- serer Zeit gehört. (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Klaus - Jürgen Hedrich [CDU/CSU] — Dr. R. Werner (Beifall bei Abgeordneten der F.D.P.) Schuster [SPD]: Deswegen lehnen Sie ihn Der Begriff „Dritte Welt" wird immer fragwürdiger. leider ab!) Erfolgreichen Volkswirtschaften in Asien und Latein- amerika steht die trotz aller Entwicklungsbemühun- — Ich habe jetzt nicht den ganzen Antrag gemeint, gen zunehmende Verarmung vieler afrikanischer sondern diesen speziellen Satz, den ich für besonders Staaten, vor allem südlich der Sahara, gegenüber. gut halte. Ausländische Direktinvestitionen gingen 1993 zu fast Ich kenne die kritische Haltung der Entwicklungs- 60 % in den pazifischen Raum, zu 30 % nach Latein- politiker in diesem Haus gegenüber der Brüsseler amerika und nur noch zu 7 % in das Afrika südlich der Entwicklungshilfe. Ich teile sie auch. Natürlich ist Sahara. vieles reformbedürftig. Aber wir wollen schließlich Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 208. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. Februar 1994 18027

Staatsminister Helmut Schäfer eine gemeinsame europäische Politik auch und oder dem Minister vorwerfen, er versuche, bei der gerade im Nord-Süd-Verhältnis. Das Prinzip der Sub- GEF, also bei der Globalen Umweltfazilität, ein biß- sidiarität muß in beide Richtungen, also von oben chen auf die Bremse zu drücken, ist insofern schein- nach unten und auch von unten nach oben Wirksam- heilig, als an der Existenz dieses Riesenprogramms, an keit entfalten können. Hier werden wir in Zukunft von dem wir mit Hunderten von Millionen, die im Haus- Fall zu Fall die im deutschen, im europäischen und im halt eingestellt sind, teilnehmen, eigentlich wir Interesse der Entwicklungsländer effizienteste Lö- „schuld" waren. Wir haben dieses Ding zusammen sung zu wählen haben. mit den Franzosen durchgedrückt. Das hätten Sie Auch hinsichtlich der Vereinten Nationen und der vielleicht auch sagen können. internationalen Finanzinstitutionen sollten wir das (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. — Kind nicht mit dem Bade ausschütten. Schon von der Dr. Ingomar Hauchler [SPD]: Die Gelder Dimension und von dem Gesichtspunkt der Lastentei- fließen doch nicht!) lung her brauchen wir die multilaterale Zusammen- — Natürlich fließen die! arbeit. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) (Dr. Ingomar Hauchler [SPD]: Nein! — Wei- terer Zuruf von der SPD: Ein Rinnsal!) Die deutsche Industrie kommt dabei gar nicht so Ich kenne doch zum Teil schon die Projekte. schlecht weg. Bei multilateralen Ausschreibungen liegt der Lieferanteil deutscher Unternehmer — stets (Erneuter Zuruf des Abg. Dr. Ingomar und zum Teil erheblich — Hauchler [SPD]) (Dr. Ingomar Hauchler [SPD]: So ist es!) — Alles dauert seine Zeit, vor allem bei 300 Millionen DM. — Auf der anderen Seite werfen Sie der Bundes- über dem jeweiligen deutschen Kapitalanteil, und regierung und z. B. auch der Weltbank vor, daß sie zwar bei der Weltbank z. B. in einem Verhältnis von Millionen durchdrückten. Ich bin dafür, daß m an 11,4:5,3. gerade bei der Globalen Umweltfazilität sehr vorsich- Im Hinblick auf das Verhältnis bilaterale/multilate- tig evaluien und plant. Es braucht eben ein paar Jahre, rale Entwicklungshilfe sollten wir natürlich immer bis die Projekte stehen. auch die Wünsche der Entwicklungsländer im Auge (Zuruf von der CDU/CSU: So ist es!) behalten. Frau Präsidentin, ich glaube, der Kollege Hauchler Meine Damen und Herren, vor allem müssen wir für möchte eine Zwischenfrage stellen. eine stärkere Kohärenz der entwicklungsrelevanten Politikfelder eintreten. Auf diese Weise erhalten wir eine Entwicklungspolitik, die die Wirkungen der Vizepräsidentin Renate Schmidt: Sie gestatten diese Zwischenfrage offensichtlich. Entwicklungshilfe verstärkt und diese nicht konterka- riert. Den Nutzen davon werden Industrie- und Ent- wicklungsländer gemeinsam haben. Dr. Christian Ruck (CDU/CSU): Ja. (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU Wunderbar. sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Renate Schmidt:

Dr. Ingomar Hauchler (SPD): Herr Kollege, geben Vizepräsidentin Renate Schmidt: Nun spricht der Sie mir darin recht, daß das Zustandekommen des Kollege Dr. Christian Ruck. neuen Fonds, der in Rio beschlossen wurde, nicht an mangelnden neuen Projekten, sondern vor allem daran hängt, daß sich die Industrieländer über die Dr. Christian Ruck (CDU/CSU): Frau Präsidentin! gegenseitige Lastenverteilung noch nicht einig Meine Damen und Herren! Entwicklungspolitiker sind? müssen zwei Tugenden haben, erstens einen uner- schütterlichen Glauben in die Menschheit — trotz Dr. Christian Ruck (CDU/CSU): In dem einen Fall Burundi, Haiti und Angola — und zweitens den festen gebe ich Ihnen recht. Aber Sie müssen natürlich Willen, aus Fehlern zu lernen. sehen, an welchen Industrieländern das hängt. Das Ich halte es deshalb für außerordentlich sympa- hängt nicht an den Deutschen. Es liegt z. B. an unseren thisch und anerkennenswert, daß sich das Bemühen, europäischen Nachbarn oder Übernachbarn, und es aus Fehlern zu lernen, wie ein ständiges Motto durch liegt zum Teil auch an den Japanern. An den Deut- die deutsche Entwicklungspolitik zieht — auch der schen liegt es jedenfalls nicht. Wir sind bereit, über vorliegende Entwicklungsbericht ist eine selbstkriti- unsere IDA-Quote hinauszugehen — ich hoffe, daß sche Auseinandersetzung mit dem eigenen Tun —, wir das auch tun werden —, wenn andere sagen: ausgehend von der politischen Spitze über die Beam- Okay, dann erfüllen wir auch. ten und die Entwicklungsexperten vor Ort bis hin zu Meine Damen und Herren, auch das Motto „Aus dem gesamten Ausschuß für wirtschaftliche Zusam- Fehlern lernen" hat, glaube ich, das inte rnational menarbeit, die Opposition eingeschlossen. anerkannte Renommee der deutschen Entwicklungs- Das gilt manchmal allerdings nur partiell. Herr politik begründet. Das ist um so wichtiger in einer Zeit, Professor Hauchler, Sie haben nämlich in Ihrem — wie in der die Probleme der Entwicklungsländer immer immer mit Verve vorgetragenen — Statement meiner drängender werden, immer stärker auf uns über- Ansicht nach zum Teil schon ein bißchen scheinheilig schwappen und in der — umgekehrt — die Spar- argumentiert und außerdem das eine oder andere zwänge der öffentlichen Hand auch an unserem durcheinandergebracht. Daß Sie ausgerechnet uns Entwicklungsetat nicht spurlos vorübergegangen 18028 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 208. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. Februar 1994

Dr. Christian Ruck sind. Da haben Sie recht, Professor Hauchler. Nur, ich Staates auch das Leben der Dorfgemeinschaften halte es für ein bißchen scheinheilig, wenn Sie sagen, lähmt wir strichen den Entwicklungshaushalt zusammen, (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU — obgleich Sie, wenn Sie ehrlich sind, zugeben müssen Zuruf des Abg. Dr. Uwe Holtz [SPD]) — zumindest heimlich —, daß die SPD, wäre sie denn - dran, die SPD-Finanzfachleute, überhaupt nicht daran — ich kann jetzt nicht mehr darauf eingehen, weil mir denken würden, auch nur annähernd —jetzt, sofort — die Redezeit davonläuft, Herr Kollege — und wie sehr auf die 0,7, 0,5 oder 0,4 % zu gehen. durch diese Lähmung auch unsere Entwicklungspro jekte leiden. (Widerspruch bei der SPD) Hilfe zur Selbsthilfe heißt darum vor allem auch —Ja, aber dazu komme ich später. Wir haben auch ein Hilfe zur Selbstverwaltung und Selbstorganisation Zeitziel angegeben. Auf das möchte ich dann noch kleinerer Lebenseinheiten. Mit unserem Antrag for- eingehen. dern wir die Bundesregierung auf, ihre Anstrengun- gen in diesem Punkt zu verstärken, und zwar vor allem (Dr. Ingomar Hauchler [SPD]: Wir haben in drei Schwerpunktbereichen: gefordert: schrittweise erhöhen, nicht absen ken!) Zum einen als Querschnittsaufgabe der Projektar- beit. Projekte sind ja sehr oft ein sehr eleganter — Wir erhöhen schrittweise: ein Schritt zurück, zwei Katalysator, um sozusagen ganz nebenbei, durch die Schritte nach vorn. Sie müssen es nur abwarten! Hintertür, auch gemeindliche Selbstverwaltung anzu- (Heiterkeit) regen und aufzubauen. In der nächsten Legislaturperiode werden Sie die Zum zweiten dürfen wir gerade jetzt wichtige ersten Früchte unserer Bemühungen sehen. Verbündete im vorpolitischen Raum nicht hängenlas- sen: Die Kirchen und unsere Stiftungen — alle Stiftun- (Beifall bei der CDU/CSU) gen — leisten unschätzbare Dienste für die Selbstor- ganisation unserer Zielgruppen. Hier würden wir mit Meine Damen und Herren, auch die heutige Debatte einer Kürzung unserer finanziellen Zuwendungen an sollten wir zu Vorschlägen konkreter Art nutzen, um aus Gutem noch Besseres zu machen. der falschen Stelle sparen. Ausdrücklich würdigen möchte ich die zahllosen Lassen Sie mich in der verbleibenden Redezeit noch Entwicklungspartnerschaften deutscher Kommunen, auf zwei Punkte besonders eingehen. Ich glaube, ein vieler Verbände und Privatpersonen. Hier sind natür- großer Fortschritt der Entwicklungspolitik gerade lich zumeist Amateure am Werk, aber mit viel herzli- unter Minister Spranger ist es, die Demokratie als chem Engagement, wenngleich auch mit wenig Geld. wichtige Rahmenbedingung in der Dritten Welt viel Doch gerade dies provoziert die Partnergemeinden stärker zu thematisieren. Unsere Hoffnung aber, mit und Verbände in den Entwicklungsländern dazu, sich der Einführung von Mehrparteiensystemen in den selbst stärker auf die Hinterbeine zu stellen. Wir Entwicklungslände rn hätten wir diese Rahmenbedin- unsererseits müssen alles tun, um solche Partnerschaf- gung erreicht, hat getrogen. In allzu vielen Fällen ist ten zu unterstützen. Ich weiß aus eigener Anschauung die Demokratie im Egoismus und Parteiengezänk erst aus meiner Zeit in der Jungen Union, wie wohltuend einmal an der Spitze hängengeblieben und hat die es ist, wenn auch unsere Botschaften und unsere Entwicklungsträger, die wir eigentlich ansprechen Entwicklungsprofis kommunale und private Kleinst- wollten, nämlich die breite Bevölkerung und die projekte ein bißchen mit Rat und Tat unterstützen. Menschen in den Städten und Dörfern, erst gar nicht erreicht. In manchen Fällen mußte das Mehrparteien- Wir alle wissen auch, wie wertvoll der interkommu- system sogar dafür herhalten, korrupte Unrechts- nale Transfer von Know-how z. B. gerade im Abfall- strukturen durch den Anstrich von Legitimität zu und Umweltbereich für Anregungen in der Dritten zementieren. Welt ist. Der vorliegende Antrag der Koalition zur Stärkung (Zuruf von der CDU/CSU: Sehr richtig!) der kommunalen Selbstverwaltung will Demokratie Schließlich und vor allem müssen wir den Polit- und Partizipation von unten, nämlich von der Basis, dialog verstärken. Was wir von unseren Verhand- unterstützen. Nachhaltige Entwicklung kommt nicht lungspartnern einfordern müssen, ist nichts anderes allein von Großprojekten und nicht allein von verord- als eine Staatsreform vom Kopf zu den Gliedern. Diese neten Mehrparteiensystemen, sondern vor allem auch muß nicht nur auf einem sicheren Rechtsfundament durch die Vielzahl der kleinen Einzelschritte der stehen, sie bedingt auch eine Steuerreform. Denn einfachen Menschen in ihrer vertrauten Umgebung, ohne eigene finanzielle Mittel ist eine kommunale in ihrer Großfamilie, in ihren Gemeinden und Dör- Selbstverwaltung sinnlos. fern . (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. — Ich bin zutiefst davon überzeugt, daß viele Länder, Zuruf von der SPD: Das gilt auch in Deutsch- gerade auch in Afrika, mit ihren willkürlichen Gren- land! — Lachen des Abg. Dr. R. Werner zen und ihrem demokratischen oder undemokrati- Schuster [SPD]) schen Zentralismus aus dem Scheitern nicht heraus- kommen werden. Kollege Schuster, bei unserer In- — Kollege Schuster, da müssen Sie nicht lachen; da spektionsreise nach Tansania im letzten Jahr haben können Sie bei Ihren eigenen Ländern anfangen. wir wieder einmal erfahren müssen, wie sehr die Lassen Sie mich schnell noch auf einen zweiten zentralistische und bürokratische Knebelung eines wesentlichen Entwicklungsbereich eingehen, der Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 208. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. Februar 1994 18029

Dr. Christian Ruck verbesserungsbedürftig ist: Das ist die internationale Öffentlichkeit kaum eine Rolle, warum nimmt sie bei Entwicklungspolitik, an der wir mit viel Geld beteiligt uns im Bundestag Platz 18 ein? Zweitens: Warum sind. Zu Recht beklagen wir hier fehlende Koordina- wissen Entwicklungspolitiker das Richtige, beschrei- tion und Kohärenz. Zu Recht kämpfen wir auch ben es auch in vielen Artikeln und tun häufig das darum, daß sich unsere Schwerpunktsetzung, von der Verkehrte? wir alle überzeugt sind, international durchsetzt. Ent- Nach drei Jahren Zugehörigkeit zu diesem wunder- sprechende Reformvorschläge zum UNO-System ha- schönen Plenum hier erlaube ich mir folgende vorläu- ben wir im letzten Jahr verabschiedet. Zum Bereich der Europäischen Union hat der Kollege Hedrich fige Antwort. Zunächst zu der Frage, warum Entwick- lungspolitik keine große Rolle spielt: Uns Entwick- gesagt, was Sache ist. lungspolitikern im Ausschuß sind die Milligramm- Die erfolgreichste und einflußreichste Entwick- unterschiede wichtiger als die Tonnenunterschiede lungsinstitution ist jedoch die Weltbank. 50 Jahre gegenüber unseren Kollegen von der Außenpolitik, nach ihrer Gründung kann die Weltbank sicher auf von der Wirtschaftspolitik, von der Finanzpolitik, von beeindruckende Leistungen zurückblicken, aber bei- der Landwirtschaftspolitik und dergleichen. Damit leibe nicht — das ist schon angeschnitten worden — verspielen wir eine große Chance, Herr Pinger, von auf eine ungetrübte Bilanz. Ich glaube schon, daß die unseren Gesprächspartnern als Entwicklungs- Weltbank immer wieder bewiesen hat, daß sie zu politiker ernst genommen zu werden. eigenen Kurskorrekturen sehr wohl fähig ist. Eine solche erscheint gegenwärtig auch durchaus gebo- Zur zweiten Frage: Warum erkennen wir das Rich- ten. tige, schreiben das Richtige und tun doch häufig das Falsche? — Mein Eindruck ist: Weil sich die Koalition, Der Wapenhans-Bericht dokumentiert, daß die die Parlamentarier auf der Regierungsseite, in falsch Bank immer mehr Projekte in den S and setzt. Groß- verstandener Loyalität zuallererst mit der Regierung projekte mit teilweise schlimmen sozialen und ökolo- gischen Folgen bringen die Einrichtung in Mißkredit. solidarisiert, statt die Parlamentskontrolle zu über- Die Klagen häufen sich, daß die Weltbank ihre eige- nehmen. Das war übrigens bei uns vor 1982 nicht nen, als vorbildlich geltenden Durchführungsrichtli- anders als bei Ihnen. Damit erreichen wir, meine Damen und Herren, daß die Exekutive viele Dinge nien nicht einhält. Die deutsche Politik kann daran kein Interesse haben, konterkariert diese Entwick- von uns wahrnimmt und trotzdem wie eine Karawane weiterzieht. lung doch teilweise die Bemühungen der eigenen Entwicklungshilfe. Ein bißchen, Herr Pinger, leidet unter dieser falsch Aber: Forderungen nach mehr Demokratie, Kon- verstandenen Loyalität auch die Wahrhaftigkeit. Sie trolle, Transparenz und Mitsprache der nationalen haben heute in dem Entschließungsantrag zum Ent- Parlamente wie Nichtregierungsorganisationen dür- wicklungspolitischen Be richt formuliert: fen nicht dazu führen, daß die Weltbank zu Boden Die Sachverständigenanhörung vom 11. Dezem- reformiert wird. Es handelt sich ja um eine Bank, die ber 1991 zum Thema „Strategien ..." hat fast sich auch auf dem internationalen Kapitalmarkt refi- durchgängig die neue Entwicklungspolitik der nanziert und hochgradig von p rivaten Geldmitteln Bundesregierung, die Strategie der Armutsbe- abhängig ist. Es gilt, glaube ich, auch hier, einen kämpfung durch einen selbsthilfebezogenen För- vernünftigen Kompromiß zu finden und diesen dann, deransatz, bestätigt. z. B. über eine aggressivere deutsche Personalpolitik bei internationalen Einrichtungen, durchzusetz en. Erstens, Herr Pinger, war das nicht so. Das heurige Jubiläumsjahr ist ein guter Grund, dieses (Zurufe von der CDU/CSU: Doch, doch!) Thema im Parlament gründlicher zu diskutieren. Wir werden dazu selber entsprechende Beiträge einbrin- Wir alle waren dabei, Sie müssen nur nachlesen. Und gen. zweitens, meine Damen und Herren — ich erinnere Wenn wir in den genannten Bereichen mit Beharr- Sie an Ihre Fundamentalkritik, Frau Walz, gestern und lichkeit ein Stück vorankommen, tragen wir damit heute wieder — so ohne Regelungsbedarf und Neu- auch zu einer weiteren Steigerung der Effizienz bedarf ist die deutsche Entwicklungspolitik ja wohl internationaler Entwicklungspolitik bei. Dann sind nicht, daß man sie nicht vom Grundsatz her in Frage wir, Kollege Hauchler, bestens gerüstet für die Zeit stellen müßte. Und das haben Sie beide heute hier möglichst bald nach dem Jahre 2000, wenn wir von getan. Ich meine, Sie vernachlässigen damit Ihre unserem Bruttosozialprodukt, wie versprochen, 0,7 % primäre parlamentarische Aufgabe und lassen das für die großen globalen Aufgaben dieser einen Welt Schulterklopfen wichtiger sein als die Frage, ob das zur Verfügung stellen können. was wir wollen, auch geschieht. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Diese Thesen möchte ich an ein paar Beispielen aus heutigen Vorlagen illustrieren. Das erste Beispiel betrifft das Gesetzesvorblatt. Alle von uns plädieren Nun spricht der Vizepräsidentin Renate Schmidt: für Kohärenz. Das Thema Rindfleischexport wurde Kollege Dr. Werner Schuster. heute schon genannt. Wir bedauern, daß das BMZ häufig als Reparaturministerium auftreten muß für die Dr. R. Werner Schuster (SPD): Frau Präsidentin! Dinge, die andere Ministerien falsch machen. Wir Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Ein greifen einen Vorschlag von auf und Außenbeobachter der deutschen entwicklungspoliti- sagen, wir wünschen in Zukunft Entwicklungsver- schen Szene stellt sich mindestens zwei Fragen. träglichkeit bei allen Gesetzen. Sie finden das zwar Erstens: Warum spielt Entwicklungspolitik in der auch sympathisch, lehnen es dann aber ab. Oder 18030 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode -- 208. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. Februar 1994

Dr. R. Werner Schuster sollte die Einäugigkeit, die Sie, Frau Walz, Herr Pinger als Zustimmung in der Sache, oder man vermittelt den und auch Herr Minister Spranger, heute in Ihren Eindruck, als ob die Bundestagswahl an der Diskus- Beiträgen offenbart haben, wider Erwarten Ihre sion über die Entwicklungspolitik entschieden würde. grundsätzliche Politikstrategie sein? Das kann ich mir Meine Damen und Herren, das kann nicht sein. aber nicht vorstellen. Wir haben heute zwei Anträge — einen von Ihnen Oder es gab die Bitte, die Solidarität mit der einen und einen von uns — zum Thema kommunale Part- Welt in die Präambel aufzunehmen. Es hätte uns nerschaft vorliegen. Beide sind konsensfähig. Ich bin Deutschen gut angestanden, dies zu tun und über den gespannt, ob wir es schaffen, über unsere Schatten zu Tellerrand hinaus diesen globalen Zusammenhang springen und einmal etwas gemeinsam zu beschlie- darzustellen. ßen. Zweites Beispiel: Repatriierung, Flüchtlingsstrate- Meine Damen und Herren, zum Schluß: Wenn wir gien. Wir sind uns einig, man muß etwas tun. Die es wirklich ernst meinen mit den Sorgen unserer Flüchtlingsströme nehmen zu, es gibt zuwenig Geld. schwarzen Freunde im Süden, dann müssen wenig- Wir haben gute Ansätze. Wir werden vom UNHCR, stens die Entwicklungspolitiker den Mut haben, vom BMZ gelobt, und auch im AwZ heißt es auch von Dinge gemeinsam zu beschließen. Deswegen meine Ihrer Seite: Im Prinzip nicht schlecht, aber dann wird herzliche Bitte an Sie: Springen Sie heute über Ihren es wegen fehlender Mittel abgelehnt. Auf der anderen Schatten! Folgen Sie dem Vorschlag von Herrn Mini- Seite ist offensichtlich geplant, der RENAMO mal ster Schäfer und stimmen Sie unseren Anträgen zu, eben für 1 Million DM einen Radiosender zu schen- oder enthalten Sie sich wenigstens der Stimme! Denn ken. auch für Entwicklungspolitiker gilt: An unseren Taten werden wir gemessen, nicht an unseren Worten. Drittes Beispiel: europäische Entwicklungspolitik. Sie, Herr Hedrich, haben deutlich gemacht, wo wir Danke schön. übereinstimmen. Wir Sozialdemokraten haben im (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ November 1992, vor über einem Jahr, einen Antrag DIE GRÜNEN) eingebracht. Den haben Sie ein Jahr schmoren lassen, dann haben sie uns vertröstet auf ein Non-paper, und dann kam das Non-paper. Sie haben erst unseren Vizepräsidentin Renate Schmidt: Weitere Wortmel- Antrag abgelehnt — trotz eines vehementen Plädo- dungen liegen mir nicht vor. Damit schließe ich die yers von Ihnen, Herr Repnik, und von Ihnen, Herr Aussprache. Holtz, wofür ich mich bedanke —, dann aber kam wie Der Ältestenrat schlägt die Überweisung der Vorla- Phönix aus der Asche Ihr eigener Antrag, in dem die gen auf den Drucksachen 12/6727, 12/6726 und meisten Dinge konsensfähig sind. Aber Sie haben 12/6168 und 12/6263 an die in der Tagesordnung nicht versucht, mit uns gemeinsam einen Antrag zu aufgeführten Ausschüsse vor. Sind Sie damit einver- formulieren, der von beiden Seiten getragen werden standen? — Dies ist der Fall. Dann sind die Überwei- kann. Ich bedaure das ganz außerordentlich; denn sungen so beschlossen. viele Ihrer Passagen sind zum Teil wörtlich aus unserem Antrag übernommen. Ich bedanke mich Wir kommen zu den Abstimmungen, und zwar zu dafür. Aber das Verfahren verhindert wiederum, Herr dem Tagesordnungspunkt 7 d. Dabei handelt es sich Hedrich, daß wir gemeinsam abstimmen. Das ist das um die Beschlußempfehlung des Ausschusses für zentrale Defizit bei uns. wirtschaftliche Zusammenarbeit zum Neunten Be- richt zur Entwicklungspolitik der Bundesregierung Unbestritten unterscheiden wir uns in ein paar auf den Drucksachen 12/4096 und 12/6659. Wer wichtigen Punkten Ihres Antrages. Darüber hätte man stimmt für diese Beschlußempfehlung? — Gegenstim- kontrovers abstimmen müssen, z. B. über die Notwen- men? — Stimmenthaltungen? — Damit ist diese digkeit der Strukturanpassung bei uns. Da muß ich Beschlußempfehlung mit den Stimmen der Koalitions- leider sagen: Ein Repnik macht noch keinen Sommer. fraktionen angenommen. Die Strukturanpassung steht zwar in allen Ihren Programmen, aber die Strukturanpassung im Norden Wir kommen nun zur Abstimmung über den Ent- wird von Ihnen nicht beschlossen. schließungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksa- che 12/6734. Wer stimmt für diesen Entschließungs- Über das Kohärenzgebot wurde hier ebenfalls dis- antrag? — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Damit ist kutiert. dieser Entschließungsantrag abgelehnt. (Ingrid Walz [F.D.P.]: Ich frage, welcher Wir kommen nun zum Tagesordnungspunkt 7 e. Art !) Dabei handelt es sich um die Beschlußempfehlung des — Darüber muß man miteinander diskutieren. Aber Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit zu nur einen Vortrag darüber zu halten, daß sich der dem Antrag der Fraktion der SPD zur Repatriierung Süden ändern muß, Frau Kollegin Walz, das ist sicher und Reintegration von Flüchtlingen auf der Drucksa- zuwenig. che 12/4662. Der Ausschuß empfiehlt auf Drucksache 12/6148, den Antrag abzulehnen. Wer stimmt für (Beifall bei der SPD — Ingrid Walz [F.D.P.]: diese Beschlußempfehlung? — Gegenprobe! — Herr Dr. Schuster, dann haben Sie nicht Stimmenthaltungen? — Damit ist diese Beschlußemp- zugehört!) fehlung so angenommen. Denken Sie an das Beispiel der Nachhaltigkeitsdis- Wir kommen nun zu Tagesordnungspunkt 7 f und kussion gestern im Ausschuß. Man hat manchmal den stimmen ab über die Beschlußempfehlung des Aus- Eindruck, daß persönliche Eitelkeiten wichtiger sind schusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäfts- Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 208. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. Februar 1994 18031

Vizepräsidentin Renate Schmidt ordnung zu dem Antrag der Fraktion der SPD zur In den neuen Ländern ist eine leistungsfähige, Ergänzung der Vorblätter bei Gesetzesvorlagen auf marktorientierte und umweltgerechte Landwirtschaft Drucksache 12/4350. Der Ausschuß empfiehlt auf im Aufbau, die sich in bäuerlich orientierten Einzelun- Drucksache 12/6326, den Antrag abzulehnen. Wer ternehmen, Personengesellschaften, eingetragenen stimmt für diese Beschlußempfehlung? — Gegen- Genossenschaften und Kapitalgesellschaften organi- - probe! — Stimmenthaltungen? — Damit ist diese siert. Dieser Anpassungsprozeß in Richtung einer Beschlußempfehlung angenommen. unternehmerischen Landwirtschaft ist in den rund Nun kommen wir zu Zusatzpunkt 7 und stimmen drei Jahren seit der Wiedervereinigung zügig voran- über die Beschlußempfehlung des Ausschusses für geschritten. wirtschaftliche Zusammenarbeit zu dem Antrag der Die wirtschaftliche Lage der Mehrzahl der landwirt- Fraktion der SPD zur Europäischen Entwicklungszu- schaftlichen Unternehmen hat sich verbessert. Die sammenarbeit auf Drucksache 12/3647 ab. Der Aus- umfangreichen finanziellen Hilfen der Bundesregie- schuß empfiehlt auf Drucksache 12/6707, den Antrag rung — seit 1990 wurden mehr als 15,8 Milliarden DM abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlußempfeh- für die Agrarwirtschaft in den neuen Ländern bereit- lung? — Gegenstimmen? — Stimmenthaltungen? — gestellt — Damit ist auch diese Beschlußempfehlung angenom- men. (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Eine an- sehnliche Summe!) Ich rufe nun Tagesordnungspunkt 8 auf — — (Joachim Hörster [CDU/CSU]: Die Buchsta und die bisherigen Fortschritte bei der Altschuldenre- ben g und h von 7, die Überweisungen!) gelung und bei der langfristigen Verpachtung der Treuhandflächen tragen zur Konsolidierung der - Überwiesen haben wir ganz am Anfang, lieber Agrarwirtschaft in den neuen Ländern bei. Kollege. Ich habe Sie sogar intensiv angeschaut und Sie gefragt, ob Sie damit einverstanden sind. Sie Gestatten Sie mir bitte, an dieser Stelle als Landwirt haben es durch heftiges Nicken kundgetan. aus einem der neuen Bundesländer Dank für diese finanziellen Mittel auszusprechen, vor allen Dingen Dank an diejenigen, die diese Mittel bereitgestellt Wir kommen jetzt also zu Tagesordnungspunkt 8: haben, Zweite und dritte Beratung des von der Bun- desregierung eingebrachten Entwurfs eines (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Die Bun- Dritten Gesetzes zur Änderung des Landwirt- desregierung!) schaftsanpassungsgesetzes besonders an die Steuerzahler in den alten Bundes- — Drucksache 12/5896 — ländern, die diese Mittel aufgebracht haben! (Erste Beratung 185. Sitzung) (Zuruf von der SPD: Das ist richtig!) Beschlußempfehlung und Bericht des Aus- Zwar hat sich das Tempo der Umstrukturierung schusses für Ernährung, Landwirtschaft und verringert, der Prozeß als solcher ist aber noch lange Forsten (10. Ausschuß) nicht abgeschlossen. — Drucksache 12/6713 — In den agrarpolitischen Diskussionen zeigt sich ein Berichterstatter: zunehmendes Interesse an der Gestaltung der agrar- Abgeordneter Karl-Heinz Schröter politischen Rahmenbedingungen; denn die Reform Dazu ist nach einer Vereinbarung im Ältestenrat der gemeinsamen Agrarpolitik und die GA TT eine Aussprache von einer halben Stunde vorgese- -Beschlüsse stellen auch die Agrarwirtschaft in den hen. Gibt es dazu Widerspruch? - Nein, auch diesmal neuen Ländern vor neue Herausforderungen. Der nicht. Dann ist das so beschlossen. Bundesregierung ist es doch noch gelungen, weitere Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Regelungen — insbesondere die Aufstockung der dem Kollegen Gottfried Haschke das Wort. Grundflächen — im Interesse der neuen Länder durchzusetzen.

Gottfried Haschke (Großhennersdorf) (CDU/CSU): (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Eine her- Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und vorragende Leistung!) Herren! Das in den neuen Ländern geltende Land- — Jawohl. — Damit sind wichtige Voraussetzungen wirtschaftsanpassungsgesetz wurde noch von der für die Landwirte in unseren neuen Ländern gegeben, ersten frei gewählten der ehemaligen im härter werdenden Wettbewerb sowohl im nationa- DDR im Jahre 1990 vornehmlich zur Umstrukturie- len wie auch im internationalen Bereich erfolgreich zu rung der landwirtschaftlichen Produktionsgenossen- bestehen. schaften beschlossen. Es ist vom Deutschen Bundes- tag im Jahre 1991 umfassend novelliert worden und Bei allem darf nicht übersehen werden, daß sich der soll mit dem Entwurf eines Dritten Gesetzes zur Umstrukturierungsprozeß in den neuen Ländern par- Änderung des Landwirtschaftsanpassungsgesetzes allel zu einer Vermögensrückverteilung ungeheuren weiter präzisiert und den Erfordernissen der Praxis Ausmaßes zu vollziehen hat. Einschließlich der angepaßt werden. Ansprüche von Erben ehemaliger LPG-Mitglieder war das genossenschaftliche Vermögen in rund 4 500 Der Gesetzentwurf gibt mir Veranlassung, zunächst Betrieben neu zu bewerten und für rund 1,5 Millionen einige grundsätzliche Bemerkungen zum Stand der Anspruchsberechtigte zu ordnen. Umstrukturierung in den neuen Bundesländern zu machen. (Vorsitz : Vizepräsident H ans Klein) 18032 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 208. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. Februar 1994

Gottfried Haschke (Großhennersdorf) Das Landwirtschaftsanpassungsgesetz bietet hier stockt worden. In diesen Fällen beginnt die fünfjäh- eine praktikable Regelung für eine ordnungsgemäße rige Verjährungsfrist erst mit der Unterbreitung des Vermögensauseinandersetzung. In den meisten Fäl- neuen Barabfindungsangebotes. len ist die Vermögensauseinandersetzung den Rege- Unter Berücksichtigung all dieser möglichen Fall- lungen und dem Geist des Gesetzes entsprechend konstellationen erscheint die jetzt geregelte fünfjäh-- abgelaufen mit der Folge, daß der soziale Friede in rige Verjährungsfrist ausreichend, um eine Gefähr- den Dörfern wiederhergestellt und ein gutnachbar- dung der Durchsetzbarkeit der genannten Ansprüche schaftliches Zusammenleben nach all diesen revolu- auszuschließen. tionären Ereignissen wieder möglich ist. Eine längere Frist, insbesondere die 30jährige Ver- (Horst Sielaff [SPD]: Da hören wir ande jährungsfrist nach § 195 BGB, wäre sicherlich zu lang res!) und wurde den notwendigen Umstrukturierungspro- Leider haben die Umwandlung und die Umstruktu- zeß in der Landwirtschaft der neuen Länder unange- rierung der Landwirtschaftlichen Produktionsgenos- messen beeinträchtigen. senschaften teilweise aber auch zu erheblichen Ich bitte das Hohe Haus, dem vorliegenden Gesetz- Schwierigkeiten zwischen den jeweiligen Unterneh- entwurf zuzustimmen. men und ihren ehemaligen Mitgliedern geführt. Die (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Rechte ausgeschiedener Mitglieder wurden teilweise beschnitten, und bilanzrechtliche Spielräume wurden zu Lasten der Anspruchsberechtigten überschritten. Vizepräsident Hans Klein: Ich erteile dem Kollegen Dies führte zu einer Flut von Rechtsstreitigkeiten. Dr. Gerald Thalheim das Wort. Ziel des Gesetzgebers muß es daher vor allem sein, die Voraussetzungen dafür zu schaffen, daß möglichst Dr. Gerald Thalheim (SPD): Sehr geehrter Herr schnell wieder klare Rechtsverhältnisse zwischen den Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Betroffenen bestehen. Der vorliegende Gesetzentwurf zur Änderung des Landwirtschaftsanpassungsgesetzes stellt eine ver- Das vorliegende Änderungsgesetz beseitigt noch nünftige und notwendige Nachbesserung des L and- verfahrensrechtliche Unklarhei- einige bestehende wirtschaftsanpassungsgesetzes dar. Es ist sachlich ten im Anwendungsbereich des Landwirtschaftsan- angezeigt, eine Verjährungsfrist von fünf Jahren für passungsgesetzes und hier vor allem im Rahmen der Ansprüche aus dem LAG einzuführen und Klarheit Vermögensauseinandersetzung. bezüglich des Rechtsweges bei Klagen zu schaffen. Zum einen wird nunmehr ausdrücklich festgelegt, Ich möchte auf Grund der Übereinstimmung in der welche Verfahren den Landwirtschaftsgerichten zu- Bewertung deshalb auch auf diese Punkte nicht weiter gewiesen sind und welche Verfahrensvorschriften eingehen. Anwendung finden. Vor allem wird das Oberlandes- Leider ist die Gelegenheit der Novellierung des gericht als zweite Tatsacheninstanz zwischen dem Landwirtschaftsanpassungsgesetzes nicht genutzt Landwirtschaftsgericht und dem Bundesgerichtshof worden, für weitere zwei Jahre den weiteren Rechts- eingeführt. formwechsel von Nachfolgebetrieben ehemaliger Zum anderen werden durch die Einführung einer LPGs zu erleichtern, wie das ein entsprechender ausdrücklichen Verjährungsregelung Rechtsunsi- Antrag der SPD-Fraktion im Ernährungsausschuß cherheiten vermieden, innerhalb welcher F rist vorsah. Die Ablehnung dieses Antrages ist mir aus bestimmte Ansprüche, die sich gegen die LPGen und zwei Gründen unverständlich. deren Rechtsnachfolger richten, verjähren. Die Ver- Erstens. Alle Fachleute sind sich einig, daß der jährungsfrist beträgt nun fünf Jahre; sie beginnt mit Strukturwandel in der ostdeutschen Landwirtschaft dem Schluß des Kalenderjahres, in dem der Anspruch weitergeht, d. h. daß sich die in der ersten Umstruk- entstanden ist. turierungsphase entstandenen Be triebe zur Erlan- Es sind zahlreiche Rechtsstreitigkeiten bei Gerich- gung der Wettbewerbsfähigkeit weiter umwandeln, ten anhängig, in denen Ansprüche ausgeschiedener zum Teil verkleinern. Dieser Prozeß ist in der Regel LPG-Mitglieder geltend gemacht werden; in diesen mit einer Verminderung der Zahl der Gesellschafter Fällen wurde durch die gerichtliche Geltendmachung bei entsprechender Erweiterung der Haftung bis hin die Verjährung unterbrochen mit der Folge, daß die zur Herausbildung von Personengesellschaften und bis dahin verstrichene Zeit nicht berücksichtigt wird. selbständig wirtschaftenden Bet rieben verbunden. Das gleiche gilt in den Fällen, in denen zwar auf Ich hatte bis jetzt immer den Eindruck gewonnen, Grund von Vertröstungen noch immer keine Mark daß das auch das Ziel der Agrarpolitik der Bundesre- Rückzahlung geflossen ist, aber die Ansprüche der gierung ist, zumal wichtige agrarpolitische Regelun- ehemaligen Mitglieder durch die Verantwortlichen gen, z. B. Verpachtungsrichtlinie, Förderung, Steuer- der Unternehmen anerkannt worden sind. recht usw. einzeln wirtschaftende Be triebe bevorteilt. Vielfach sind den ausgeschiedenen Mitgliedern nur Vor diesem Hintergrund ist es mir unverständlich, daß unzureichende Barabfindungsangebote nach § 36 auf der einen Seite eine solche Entwicklung offen- des Landwirtschaftsanpassungsgesetzes unterbreitet sichtlich politisch gewollt ist, auf der anderen Seite worden. Hier sind die Barabfindungsangebote häufig aber — die Ablehnung unseres Antrages zeigt das — erst auf Grund des Widerstandes der ausgeschiede- nicht flankiert wurde. nen Mitglieder oder nach erfolgter Prüfung der Bilan- Zweitens. Es ist weiter festzustellen, daß fast zeit- zen der Unternehmen in Einklang mit den bilanz- gleich mit der Ablehnung unseres Antrages die Bun- rechtlichen Regeln gebracht und erheblich aufge- desjustizministerin einen Gesetzentwurf zur Reform Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 208. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. Februar 1994 18033

Dr. Gerald Thalheim des Umwandlungsrechtes vorgelegt hat, der genau — Kollege Hornung, Sie haben recht. Aber wenn Sie das gleiche Ziel verfolgt: eine Erleichterung im genau Bescheid wüßten, dann wäre Ihnen bekannt, Rechtsformwechsel von Kapitalgesellschaften. daß sowohl die Entschuldung als auch die Rangrück- trittsvereinbarung nach § 44 Abs. 6 des Landwirt- (Horst Sielaff [SPD]: Die Bundesregierung schaftsanpassungsgesetzes nicht zu einer Erhöhung sollte einmal zuhören!) - der Eigenkapitalquote führt. Wenn das schon für Kapitalgesellschaften der alten (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Das habe Bundesrepublik als politisch opportun betrachtet wird, muß es dann nicht für die unter viel komplizier- ich auch nicht behauptet!) teren Bedingungen entstandenen Rechtsnachfolger Was Sie hier sagen, trifft also nicht zu. ehemaliger LPGs gelten? Für mich ist das ein erneuter Beweis für die Konfusion in der Bundesregierung. Gleichzeitig lastet auf den Rechtsnachfolgern der ehemaligen LPGs eine Schuldenlast, denen in vielen Offensichtlich wußte hier wieder einmal die rechte Hand nicht, was die linke tat. Ich möchte Sie deshalb Fällen keinerlei Deckung gegenübersteht. Damit stellt selbst die Rangrücktrittsvereinbarung eine Son- von dieser Stelle auffordern, zumindest den Versuch dersteuer für die Bet riebe dar. Erst im vergangenen zu unternehmen, die von uns geforderten Erleichte- Monat mußte die Bundesregierung auf eine Nach- rungen in das Gesetz über das Umwandlungsrecht frage von mir einräumen, daß sich gegenwärtig 655 einzubauen. ehemalige LPGs in Gesamtvollstreckung bzw. Liqui- (Beifall bei der SPD) dation befinden und diese Betriebe mit 2,6 Milliarden Meine Damen und Herren, die hier von meinem DM Altschulden belastet sind. Die Vermutung liegt Kollegen Haschke vorgetragene Bewertung des sicher nahe, daß es vor allem die Altschulden waren, Landwirtschaftsanpassungsgesetzes kann ich aus die die Betriebe zur Aufgabe zwangen. meiner Erfahrung nicht teilen. Nach meiner Auffas- sung gehört dieses Gesetz zu den wohl am meisten Die Folgen sind katastrophal: Mit der Liquidation ging in der Regel ein Abbau der Tierbestände und in kritisierten Gesetzen in den neuen Ländern. Das hat viele Gründe. Vor allem ist zu erwähnen, daß die deren Folge ein Abbau der Arbeitsplätze einher — mit hochgesteckten Erwartungen an das Gesetz nicht der weiteren Folge, daß die Inventareinbringer ihre erfüllt wurden. Besonders die von der Zwangskollek- Ansprüche nicht geltend machen konnten und sich damit um ihre eingebrachten Beiträge geprellt fühlen. tivierung Betroffenen hatten sich eine Wiedergutma- chung erhofft, die von dem Landwirtschaftsanpas- Hinzu kommt, daß die Altschuldenprobleme durch sungsgesetz nur zum Teil erfüllt wurde. die Verweigerung einer Rückabwicklung der Vermö- gensbewegungen zwischen Tier- und Pflanzenpro- (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Was hatten duktion zusätzlich verschärft wurden. Das alles ist von Sie sich denn erhofft?) den Betroffenen kaum nachzuvollziehen, vor allem vor dem Hintergrund, daß die Bundesregierung die Von Anfang an, Herr Kollege Ho rnung, hat die Hoffnung geweckt hatte, daß es zu einem Ausgleich SPD-Bundestagsfraktion darauf aufmerksam ge- für nichtrückzahlbare Inventarbeiträge kommt. macht, daß das Gesetz mehrere schwerwiegende Konstruktionsfehler hat, die leider trotz entsprechen- Kollege Haschke, Sie kennen das: Als Sie noch der Änderungsanträge nicht abgestellt wurden. So ist Staatssekretär waren, sind Sie durch das L and mit dein im Gesetz ein Zielkonflikt hinsichtlich der Kapitalzu- Versprechen gezogen, daß hier eine Regelung gefun- ordnung angelegt. Jeder Geschäftsführer einer Kapi- den wird. Doch nicht nur dieses Versprechen haben talgesellschaft muß, wenn m an es so will, kraft Amtes Sie gebrochen: auch die Zusage, daß es zu einem darum bemüht sein, möglichst viel Kapital im Betrieb Ausgleich für die Waldinventarbeiträge kommt. zu halten und es zu mehren. Im Gegensatz dazu haben sich die Anspruchsberechtigten erhofft, möglichst viel (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Das war Kapital von der LPG bzw. ihrem Rechtsnachfolger doch jetzt ein Unsinn!) zurückzuerhalten. — Nein, das ist so, Kollege Hornung. (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Das ist aber (Horst Sielaff [SPD]: Das weiß der Ho rnung sehr moderat gewesen!) doch gar nicht! — Siegfried Hornung [CDU/ Seitens der Bundesregierung hat es nicht einmal CSU]: Als ob der Haschke das zu verspre- den Versuch gegeben, diesen Zielkonflikt zu ent- chen hat!) schärfen, obwohl sie beispielsweise durch unsere - Aber Herr Kollege Hornung, erinnern wir uns an die Kleine Anfrage zu den Vermögensauseinanderset- Entscheidung über den Einzelplan 10: Meines Wis- zungen darauf aufmerksam gemacht wurde. Im sens hat Kollege Haschke den Einzelplan 10 genau Gegenteil: Dieser Konflikt wurde noch verschärft, weil aus dem Grunde abgelehnt, weil seine Zusagen sich keine Regelung der Altschuldenproblematik erfolgte. nicht im Einzelplan wiederfanden. Damit wurden die Inventareinbringer voll für die Altschulden aus DDR-Zeit in Haftung genommen, Am härtesten hat es die sogenannten Kreispacht d. h. in Betrieben mit einer sehr hohen Altschulden- betriebe getroffen, die zwar Inventar in die LPGs belastung war im extremsten Fall nicht einmal soviel einbringen mußten, aber nie Mitglieder geworden Eigenkapital vorhanden, um die Inventarbeiträge sind. Diese Personengruppe ist bei der Formulierung zurückzuerstatten. des Landwirtschaftsanpassungsgesetzes mit Hinweis auf das Entschädigungsgesetz bewußt ausgeklam- (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Mit Stun mert worden. Nach heutiger Rechtslage ist für diese dung und Besserungsschein!) Gruppe keinerlei Regelung geplant. 18034 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 208. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. Februar 1994

Dr. Gerald Thalheim Ich möchte deshalb die Bundesregierung auffor- Menschen finden, die sich engagieren, die do rt ihren dern, zu prüfen, ob im Rahmen des Zweiten SED- unternehmerischen Spielraum erfolgreich nutzen. Unrechtsbereinigungsgesetzes eine Lösung für die (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne- Härtefälle bei den Kreispachtgeschädigten ge troffen ten der CDU/CSU) werden kann. Ich bedanke mich. Mit der Novelle, deren Beschlußfassung heute im Deutschen Bundestag ansteht, flankieren wir diesen (Beifall bei der SPD) Prozeß gesetzgeberisch in zwei Bereichen: Mit der Verlängerung der Verjährungsfrist auf fünf Jahre bei Vizepräsident Hans Klein: Das Wort hat der Kollege Abfindungsansprüchen von ehemaligen LPG-Mit- Günther Bredehorn. gliedern und Wiedereinrichtern gegenüber LPG- Nachfolgeunternehmen wird deren Position gestärkt. Ferner werden das Verfahren, die Zuständigkeit und Günther Bredehorn (F.D.P.): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zu Beginn dieser Legisla- der Instanzenzug bei Streitigkeiten aus dem Land- turperiode lag die agrarpolitische Aufgabe ,,Umstruk- wirtschaftsanpassungsgesetz klarer geregelt. turierung der Landwirtschaft in Ostdeutschland" als Der Agrarbericht 1994, von dem wir gestern wäh- ein riesiges Problem vor uns. Die Unsicherheit dar- rend der Regierungsbefragung einen ersten Eindruck über, was aus diesen zentralistisch-sozialistisch erhalten haben, zeigt in den neuen Ländern durchaus geprägten Strukturen wohl entsteht, war bei uns ordentliche Einkommensergebnisse, und zwar im sicher groß. Gegensatz zu den alten Ländern mit positivem Trend, Andererseits war mir und auch der F.D.P.-Fraktion wie der Bundeslandwirtschaftsminister gestern hier sehr rasch klar, daß eine vernünftige Umstrukturie- erklärt hat. rung auch eine Riesenchance zum Neubeginn und die (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: So ist es! Entwicklung hin zu einer wettbewerbsfähigen L and- Erheblich besser!) wirtschaft in den neuen Bundesländern war. in der Landwirtschaft zwi- (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Und das ist Die Produktivitätslücke heute schon sichtbar!) schen den neuen und den alten Bundesländern ist inzwischen nahezu geschlossen. Von Vorteil waren Auf Grund der großflächigen Agrarstruktur war das dabei die größeren Betriebseinheiten, die einen eigentlich zu erwarten. In den neuen Bundesländern kostengünstigen Maschinen- und Materialeinsatz war am ehesten und am schnellsten — wir sehen das j a ermöglichen. Hinzu kommt der rasche und sicherlich im Augenblick schon — der Anschluß an europäische schwierige und auch schmerzhafte Anpassungspro- Binnenmarktstrukturen und Binnenmarktstandards zeß — ich meine, das ist eigentlich einmalig — bei den zu erreichen. Arbeitskräften. Das ist ohne Zweifel auch mit mensch- Deshalb war es notwendig, am Beginn dieser Legis- lichen Schicksalen verbunden. laturperiode die Weichen richtig zu stellen. Dies als zufrie- haben wir zunächst in der Koalitionsvereinbarung Daß die Einkommen der Arbeitskräfte denstellend zu bezeichnen sind, geht natürlich auch mit der nicht ganz unumstrittenen Festlegung auf die hohen Transferzahlungen zurück. erreicht, daß die strukturelle Entwicklung der Land- wirtschaft in den neuen Bundesländern in jeglicher (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: So ist es! Rechtsform möglich sein sollte. Das war nicht unum- 70%!) stritten. Das hat Kollege Haschke ja schon angesprochen. Dieser Grundsatz der Rechtsform in Vielfalt und Diese waren und sind richtig. Aber auch für sie muß Chancengleichheit zwischen den Betriebsformen der Grundsatz gelten, daß öffentliche Hilfen Hilfen zur wurde dann umgehend mit der Novellierung des Selbsthilfe sein sollen. Sie müssen zu gegebener Zeit Landwirtschaftsanpassungsgesetzes — heute ist es ja auf den Prüfstand. schon eine weitere Novellierung; die damalige war noch in der Volkskammer verabschiedet worden — Außerdem gilt es, sie nach einheitlichen, die Wett- umgesetzt. Das war nämlich die zweite entscheidende bewerbsfähigkeit stärkenden Kriterien im gesamten Weichenstellung. Deutschland zu vergeben. Es kann doch nicht wahr Förderober- Daß diese agrarpolitischen Grundsatzentscheidun- sein, daß wir in den alten Bundesländern gen richtig waren, zeigt das Bild bislang entstandener grenzen haben, die es in den neuen Bundesländern Unternehmensstrukturen in den neuen Ländern. Sie vernünftigerweise und richtigerweise nicht gibt. sind vielfältig und lassen Spielraum für Standort- und (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Bis zum marktgerechte Entscheidungen. Vor allem zeigt das heutigen Tag!) Bild, daß es ausreichend Spielraum für betriebsindivi- duelle Unternehmerentscheidungen gibt, die derzeit Dieser Aufgabe müssen wir uns in der nächsten Legislaturperiode stellen. Dazu sind Kreativität, neue und künftig von besonderer Bedeutung sind. Ideen, Mut und Durchsetzungsvermögen erforderlich. Dieses Konzept erweist sich gegenüber ideologie- Die F.D.P. wird aktiv daran mitarbeiten. behafteten Leitbildern als überlegen. Im Osten Deutschlands entwickelt sich eine im internationalen (Horst Sielaff [SPD]: Aber nicht die CDU/ Vergleich wettbewerbsfähige Landwirtschaft. Diese CSU!) Entwicklung vollzieht sich nicht nur deshalb, weil wir Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit. politisch die Weichen richtig gestellt haben, sondern sehr wesentlich entscheidend auch deshalb, weil sich (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 208. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. Februar 1994 18035

Vizepräsident Hans Klein: Ich schließe die Ausspra- Joachim Hörster (CDU/CSU): Herr Präsident! che. Wir kommen zur Einzelberatung und Abstim- Meine Damen und Herren! Nach eingehenden Dis- mung über den von der Bundesregierung eingebrach- kussionen und Vorberatungen in den Fraktionen und ten Entwurf zur Änderung des Landwirtschaftsanpas- insbesondere im Ausschuß für Wahlprüfung, Immuni- sungsgesetzes, Drucksachen 12/5896 und 12/6713. tät und Geschäftsordnung hatte der Bundestag am Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der 5. Dezember 1991 durch Einfügung des § 44b in das Ausschußfassung zustimmen wollen, um das Hand- Abgeordnetengesetz die Möglichkeit für eine Über- zeichen. — Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich prüfung der Mitglieder des Bundestages auf Tätigkeit der Stimme? — Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter oder politische Verantwortung für das Ministerium für Beratung angenommen. Staatssicherheit in einem geordneten Verfahren ermöglicht. Dritte Beratung Im Regelfall ist eine Überprüfung auf Antrag eines und Schlußabstimmung: Ich bitte die Kolleginnen und Mitgliedes des Bundestages, also eine freiwillige Kollegen, die dem Gesetzentwurf zuzustimmen Überprüfung, vorgesehen; in Ausnahmefällen kann gedenken, sich von den Plätzen zu erheben. — eine Überprüfung auf Grund eines Beschlusses des Gegenstimmen? — Wer enthält sich der Stimme? — Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Ge- Der Gesetzentwurf ist angenommen. schäftsordnung vorgenommen werden. Nach den gleichfalls vom Deutschen Bundestag Ich rufe die Tagesordnungspunkte 9 a bis 9 c auf: beschlossenen Richtlinien in § 44 b Abs. 4 Abgeordne- a) Beratung des Berichts des Ausschusses für tengesetz hat der für das Überprüfungsverfahren Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsord- zuständige Ausschuß seine Entscheidungen mit einer nung (1. Ausschuß) zu den Verfahren nach Mehrheit von zwei Dritteln seiner Mitglieder zu tref- § 44 b Abgeordnetengesetz (AbgG) fen. Gerade diese Regelung hat von vornherein dazu beigetragen, eine politische Beeinflussung der Über- (Überprüfung auf Tätigkeit oder politische Ver- antwortung für das Ministerium für Staatssi- prüfungsvorgänge unter parteilichen Gesichtspunk- cherheit/Amt für Nationale Sicherheit der ehe- ten auszuschließen. maligen Deutschen Demokratischen Repu- Darüber hinaus haben sich die Mitglieder des blik) Geschäftsordnungsausschusses einvernehmlich auf — Drucksache 12/4613 — einen internen Verfahrensablauf verständigt, der zu einer konsequenten Gleichbehandlung a ller Über- Berichterstattung: prüfungsvorgänge geführt hat. Abgeordneter Dieter Wiefelspütz Ich schicke dies voraus, weil schon bei der Diskus- b) Beratung des Berichts des Ausschusses für sion um die Einführung des § 44 b in das Abgeordne- Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsord- tengesetz deutlich geworden ist, wie unterschiedlich nung (1. Ausschuß) zu den Verfahren nach eine solche Überprüfung begründet bewertet werden § 44 b Abgeordnetengesetz (AbgG) kann. (Überprüfung auf Tätigkeit oder politische Ver- Für viele Kolleginnen und Kollegen war es von antwortung für das Ministerium für Staatssi- vornherein mit dem Selbstverständnis des Verfas- cherheit/Amt für Nationale Sicherheit der ehe- sungsorgans Bundestag nicht in Einklang zu bringen, maligen Deutschen Demokratischen Repu- daß dessen Mitglieder eine allgemeine Vermutung, blik) sie könnten eventuell für die Staatssicherheit gearbei- — Drucksache 12/5976 — tet oder für deren Tun politische Verantwortung Berichterstattung: getragen haben, durch eine Überprüfung für sich Abgeordneter Dieter Wiefelspütz widerlegen müssen. Daher hat von vornherein eine c) Beratung des Berichts des Ausschusses für größere Anzahl von Kolleginnen und Kollegen erklärt, Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsord- daß sie sich an einem solchen Überprüfungsverfahren nung (1. Ausschuß) zu den Verfahren nach nach ihrem Verfassungs- und Rechtsstaatsverständnis § 44 b Abgeordnetengesetz (AbgG) nicht beteiligen würden. (Überprüfung auf Tätigkeit oder politische Ver- Andererseits gab es das aus ihrer Lage heraus antwortung für das Ministerium für Staatssi- begründete Interesse vor allem der Kolleginnen und cherheit/Amt für Nationale Sicherheit der ehe- Kollegen aus den jungen Bundesländern, sich in maligen Deutschen Demokratischen Repu- einem geordneten Verfahren überprüfen zu lassen, blik) damit sie sich mit dessen Ergebnis gegen immer wieder mögliche Vorwürfe, Verdächtigungen, üble — Drucksache 12/6655 — Nachreden und anderes mehr zur Wehr setzen kön- Berichterstattung: nen oder um solche Vorwürfe schon frühzeitig auf Abgeordneter Dieter Wiefelspütz Grund der Veröffentlichung des Überprüfungsergeb- Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat ist für die nisses ausschließen zu können. gemeinsame Aussprache eine halbe Stunde vorgese- Der öffentliche Druck, der insoweit auf unseren hen, wobei die Gruppen jeweils fünf Minuten erhalten Kolleginnen und Kollegen gelastet hat, war immens. sollen. Erhebt sich dagegen Widerspruch? — Das ist Ich bin davon überzeugt, daß, wenn wir dieses Über- nicht der Fall. Dann ist das so beschlossen. prüfungsverfahren nicht hätten, dieser Druck heute Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Kolle- noch größer, j a kaum auszuhalten wäre, wenn man zur gen Joachim Hörster das Wort. Kenntnis nimmt, was der Bundesbeauftragte für die 18036 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 208. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. Februar 1994

Joachim Hörster Unterlagen des ehemaligen Staatssicherheitsdienstes Selbstbestimmung sowie Rechtsstaatlichkeit ausge- in den letzten Tagen berichtet hat. Danach sollen ca. richtetes Volk zu vertreten. 190 000 Menschen in der ehemaligen DDR als inoffi- (Zuruf von der CDU/CSU: So ist es!) zielle Mitarbeiter für die gearbeitet haben. Auf etwa 85 Bewohner der ehemaligen DDR kam somit ein Der Umstand, daß die Gruppe PDS/Linke Liste aktiver Stasispitzel. Darunter soll kein Abgeordneter ihren Gruppenmitgliedern Dr. Modrow und Dr. Seifert sein? So würde die Frage lauten, wenn wir dieses nicht empfiehlt, die notwendigen Konsequenzen aus Überprüfungsverfahren nicht hätten. diesen Feststellungen zu ziehen, macht deutlich, daß man in den eigenen Reihen den Selbstreinigungspro- 338 Mitglieder des Bundestages haben sich bisher zeß gar nicht will, der notwendig wäre, wenn m an freiwillig überprüfen lassen. Wenn Sie die Namen tatsächlich einen demokratischen, und d. h. freiheitli- dieser Kolleginnen und Kollegen nicht alle in den chen und rechtsstaatlichen Sozialismus — wenn es vorgelegten Berichten finden, so liegt dies daran, daß dies denn überhaupt gäbe — proklamieren wi ll. nur diejenigen als überprüft do rt aufgeführt werden, die dies so gewünscht haben. Es ist zu dürftig, meine sehr verehrten Damen und Herren, die Stasi nur als das Schild und Schwert der Aus den Berichten ergibt sich, daß wir bei zwei SED und ihres Staates zu definieren. Die Stasi ist das Mitgliedern des Hauses eine Überprüfung von Amts „gelbe Elend von Bautzen", das Zerstören von wegen eingeleitet haben, die mit der Feststellung menschlichen Schicksalen und Familien bis hin zur endeten, daß in einem Fall eine Mitarbeit für den Zwangsadoption — ist für die Menschen, die diese Staatssicherheitsdienst und im anderen Fall politische Folgen erlitten haben, noch immer das Grauen Verantwortung für den Staatssicherheitsdienst als gegeben anzusehen sind. Diese Feststellungen blei- schlechthin. ben insoweit ohne Konsequenzen, als weder das Die Bespitzelung nach innen, die Unterdrückung Mandat noch die Mandatsausübung davon konkret der eigenen Bevölkerung, das professionelle Denun- betroffen sind. zieren als Mittel zum Machterhalt. das war die Spe- Ungeachtet dessen ist es mir jedoch völlig unver- zialität dieses nach innen gerichteten Unterdrük- ständlich, daß Herr Dr. Modrow und Herr Dr. Seifert kungsapparates — ein wahrlich perfides Instrument. und die Gruppe PDS/Linke Liste aus diesen Feststel- Wie schwer der Umgang mit diesen Fragen ist, zeigt lungen keine Konsequenzen ziehen. auch ein Blick auf die Entwicklungen in anderen In Sachsen beschäftigt sich z. B. ein (Clemens Schwalbe [CDU/CSU]: Sehr un Bundesländern. Untersuchungsausschuß mit der persönlichen Eig- -verständlich!) nung der Angehörigen des öffentlichen Dienstes. Der Wer politische Verantwortung für die Tätigkeit des Stellenwert der Problematik wird dadurch verdeut- MfS getragen hat — so wie Dr. Modrow —, oder wer licht, daß die sächsische Verfassung in A rt. 119 aus Überzeugung und freiwillig — wie es Dr. Seifert bestimmt, daß für den öffentlichen Dienst ungeeignet eingeräumt hat — für das MfS gearbeitet hat, muß sich ist, wer für das frühere MfS bzw. das Amt für Nationale der besonderen Verantwortung für sein Tun stellen. Sicherheit der DDR tätig war und dessen Tätigkeit Ich erlaube mir zu zitieren, was der Kollege Wiefels- deshalb untragbar erscheint. pütz am 5. Dezember 1991 hierzu im Bundestag (Zuruf von der CDU/CSU: Das ist konse- gesagt hat: quent!) Mitarbeit für die Stasi oder gar politische Verant- Ein Beschluß des Landtags von Brandenburg vom wortung für die Stasi läßt sich grundsätzlich nicht 13. Dezember 1990, beantragt von den Fraktionen der mit einer Mitgliedschaft im Deutschen Bundestag SPD, der F.D.P. und des BÜNDNISSES 90, lautet: vereinbaren. Wer das eigene Volk bespitzelt und unterdrückt hat, wer es hintergangen, verraten Wer sich nachweislich zur Informationstätigkeit und betrogen hat, oder wer all dies zu verantwor- verpflichtet hat und/oder Bezahlung, Orden oder ten hatte, gehört nicht in den Bundestag, auch sonstige Vorteile erhalten hat, gilt als Mitarbei- wenn ihm das Mandat nicht entzogen werden ter. kann. (Zustimmung bei der CDU/CSU) So der Kollege Wiefelspütz. Er hat recht. Aus einer solchen erwiesenen Tätigkeit folgt nach dem Beschluß des Landtages, daß (Beifall bei der CDU/CSU) die Vertrauenspersonen bzw. der Ministerpräsi- Es reicht nicht aus zu erklären, man sehe heute dent die dringliche Empfehlung zur sofortigen vieles kritischer, auch selbstkritischer — so Dr. Sei- Niederlegung des Mandats bzw. des Regierungs- fert — oder sich darauf zu berufen, m an sei nur formal amtes gegenüber dem betroffenen Abgeordneten zuständig gewesen — so Dr. Modrow —, eine Einfluß- bzw. Mitglied der Landesregierung ausspre- nahme auf Einzelfälle, die unmittelbar ursächlich für chen. persönliches Leid oder Schaden hätte sein können, Wie hätten wir — so habe ich mich gefragt — im (Zuruf von der CDU/CSU: Ich sehe nichts! Ich GO-Ausschuß des Bundestages auf der Grundlage weiß nichts!) dieses Beschlusses den Fall entschieden, der derzeitig habe sich jedoch nicht ergeben. Beide haben um die im Untersuchungsausschuß des Landes Brandenburg Aufgabenstellung des MfS gewußt. Beide haben die- behandelt wird? Ich meine den Fall des ehemaligen sem Spitzelsystem aus Überzeugung gedient. Beide Oberkonsistorialrats , von dem zumin- sind nicht geeignet, ein auf freie Entfaltung und dest erwiesen ist, daß er von der Stasi für seine Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 208. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. Februar 1994 18037

Joachim Hörster Tätigkeit eine wertvolle Bibel und einen wertvo llen die DDR, sozusagen auf den Punkt gebracht. Ich will historischen Atlas erhalten hat. ganz deutlich sagen — und da hat sich meine Meinung auch nicht geändert —: Ich halte das MfS für ein (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Ist das nicht gefährliches, menschenverachtendes Repressionsor- der besagte Ministerpräsident?) gan, eine umfassende Einrichtung zur Bespitzelung Vergleicht man die Bewertungen aller der Gremien, des eigenen Volkes, eine im Grunde verbrecherische die sich mit solchen früheren Beziehungen zur Stasi Organisation, und wer dafür verantwortlich tätig ge- befassen, dann stellt sich die Frage, ob das, was wir wesen ist, auf welche Weise auch immer, der muß sich tun, gerecht ist. Ich denke, manches, was derzeit nicht unbedingt strafbar gemacht haben — das kommt bewertet wird, muß noch einmal einer neuen Bewer- ja immer auf den Einzelfall an —, aber er hat sich, tung unterzogen werden. denke ich, für Funktionen in unserer Gesellschaft Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich habe disqualifiziert, bei denen es auf besondere Weise auf beim Studium vieler Akten erneut erfahren, welche Glaubwürdigkeit und Vertrauenswürdigkeit an Vorzüge es für den einzelnen Menschen hat, wenn er -kommt, trotz mancher Mängel, die eine Demokratie haben (Zustimmung bei der CDU/CSU) kann, in einem freiheitlich-demokratischen System lebt. Daher möchte ich diese Debatte auch zum Anlaß wie das beispielsweise bei unserer Tätigkeit der Fall nehmen, deutlich darauf hinzuweisen, daß die wie- ist. dererlangte deutsche Einheit zugleich auch die Erlan- gung der Freiheit für die Menschen in der ehemali- Wir haben nach langen Debatten — Herr Hörster gen DDR war, die Beseitigung eines unmenschlichen hat zu Recht darauf hingewiesen — uns hier im Spitzelsystems zur Folge hatte und das Willkürsystem, Deutschen Bundestag Regeln geschaffen, wie wir das sich im „Gelben Elend" von Bautzen ausdrückte, damit umgehen, wie wir uns selber überprüfen, und ich will noch einmal hervorheben, daß bei uns das endgültig beseitigte. Prinzip der Freiwilligkeit Maßstab und wesentlich Es wird allerhöchste Zeit, daß wir neben den mate- war. Wir wollen uns selber freiwillig dieser Kontrolle riellen Aspekten der deutschen Einheit diese elemen- unterziehen, jedenfalls im Regelfall. Die Fälle der tare moralische Qualität der friedlichen Revolution fehlenden Freiwilligkeit waren die Ausnahme und und der deutschen Einheit hervorheben. sollten es sein. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Wir haben uns zweitens die Selbstbeschränkung Die Überprüfungsverfahren nach § 44 b des Abge- zum Ziel gesetzt. Wir wollten nicht Gericht, nicht ordnetengesetzes werden fortgeführt, warm immer Untersuchungsausschuß sein, sondern wir wollten eine Kollegin oder ein Kollege einen entsprechenden eigentlich ausschließlich zusammenarbeiten mit dem Antrag stellt und wann immer begründeter Anlaß Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssi- besteht, ein solches Verfahren durch Beschluß des cherheitsdienstes der ehemaligen DDR. Ich glaube, Geschäftsordnungsausschusses auf Grund tatsächli- daß sich diese Beschränkung auf einige wichtige cher Anhaltspunkte einzuleiten. Grundprinzipien bewährt hat. Die Zusammenarbeit Ich möchte mich bei den Kolleginnen und Kollegen mit dem Bundesbeauftragten und seinen Mitarbeitern im Geschäftsordnungsausschuß — stellvertretend darf war vorzüglich. Dafür danke ich ausdrücklich. Ebenso ich Herrn Wiefelspütz und Herrn Richter nennen — für darf ich an dieser Stelle für die kooperative Zusam- die gute und an der gemeinsamen demokratischen menarbeit im Ausschuß danken. Ich beziehe darin alle Grundüberzeugung orientierte Zusammenarbeit be- Kolleginnen und Kollegen ein, auch die beamteten danken. Ich wünsche mir, daß die Arbeit des Ge- und angestellten Mitarbeiter dieses Ausschusses; de- schäftsordnungsausschusses bei der Erfüllung dieser nen gebührt ebenfalls Dank. nicht einfachen Aufgabe der Demokratie einen guten Dienst leistet. Das Prinzip der Freiwilligkeit hat dazu geführt, liebe (Beifall bei der CDU/CSU, der F.D.P. und der Kolleginnen und Kollegen, daß viele Kolleginnen und SPD) Kollegen — nicht alle — einen Antrag auf Überprü- fung gestellt haben, etwa die Hälfte. Es ist ebenso klar, daß es den einen oder anderen gegeben hat, der auch Vizepräsident Hans Klein: Herr Kollege Dieter Wie- das Mandat niedergelegt hat. Da wir nur diejenigen felspütz, Sie haben das Wort. überprüfen, die noch Mitglieder des Bundestages sind, wird es in dem einen oder anderen Fall, weil dann die Akten zugemacht worden sind, gar nicht Dieter Wiefelspütz (SPD): Herr Präsident! Liebe nachweisbar sein, welches Motiv wirklich ausschlag- Kolleginnen und Kollegen! Ich weiß nicht, wie es gebend war. Aber wir haben uns gesagt, die Selbst- Ihnen geht; ich stelle mir gelegentlich die Frage, was reinigung ist das Entscheidende. Ich glaube, daß da die DDR denn eigentlich gewesen ist. Ich glaube nicht, und dort dann die entscheidenden Gespräche zwi- daß es darauf eine abschließende Antwort gibt, aber schen Freunden und den betroffenen Abgeordneten man fragt sich: Was ist charakteristisch für diesen mit dem Ergebnis geführt worden sind, daß dann das Staat gewesen, der letztendlich vom eigenen Volke Mandat niedergelegt worden ist. Ich halte das für den abgewählt worden ist? richtigen Weg. Die Landtage einiger Bundesländer Ohne Anspruch auf Vollständigkeit glaube ich, daß sind andere Wege gegangen. Es steht mir nicht zu, das Ministerium für Staatssicherheit auf unfreiwillige selbstgerecht darüber zu urteilen. Wir sind den Weg Weise, auf ganz besondere Weise charakteristisch für der Freiwilligkeit gegangen. Ich glaube, das hat sich diesen Staat gewesen ist. Das MfS, die Stasi — das war bewährt. 18038 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 208. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. Februar 1994

Dieter Wiefelspütz Ich will darauf hinweisen, daß ein Abgeordneter Tapferkeit. Man sollte hier hervorheben, denke ich, dem Druck der öffentlichen Auseinandersetzung daß dies viele Menschen getan haben und sich nicht nicht standgehalten hat. Er hat seinem Leben selbst einfach haben an die Wand spielen lassen. Das ein Ende gesetzt. Er hat Selbstmord beg angen, der verdient, glaube ich, Erwähnung und große Anerken- Kollege Riege. Das bezieht sich auf einen Vorgang, nung. der vor der jetzigen Überprüfung nach dem § 44 b Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. läuft. Ich darf allerdings daran erinnern, weil das, (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der denke ich, ein tragischer Fall ist, der hier jedenfalls F.D.P.) nicht unerwähnt bleiben sollte. Ich will auch darauf hinweisen, daß diese Kraft zur Vizepräsident Hans Klein: Ich erteile das Wort dem Selbstreinigung nicht in allen Fällen funktioniert hat. Kollegen Torsten Wolf gramm. Das haben wir gewußt, daß dies möglich ist, und es ist sicherlich auch richtig, daß es hier noch einmal er- Torsten Wolfgramm (Göttingen) (F.D.P.): Herr Prä- wähnt worden ist; der Kollege Hörster hat das hervor- sident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! gehoben. Das ist ein nicht unwichtiger Teil der Aufarbeitung der Ich glaube, daß wir, insgesamt gesehen, den richti- gemeinsamen jüngeren Vergangenheit. Diese ge- gen Weg gewählt haben. Mein Respekt gilt nicht nur meinsame jüngere Vergangenheit der ehemaligen denjenigen, die sich auf eigenen Antrag haben über- DDR und der Bundesrepublik fand ja ohnehin nur auf prüfen lassen. Das Prinzip der Freiwilligkeit verlangt, einem schmalen Grat statt. Es ist schade, daß das nun daß wir ebenso den Respekt denjenigen gegenüber einer der Punkte ist, bei denen wir hier ganz augen- erweisen, die aus gut überlegten Gründen diesen scheinlich eine Art Gemeinsamkeit haben — sie ist Antrag nicht gestellt haben. Jedenfalls darf daraus ausgegangen von der DDR, aber sie hat ja leider weit kein Schluß gezogen werden. Es handelt sich um eine in die Bundesrepublik hinein gewirkt —, und das alles autonome Entscheidung der frei gewählten Abgeord- hat die Freude an dieser Arbeit nicht vergrößert. neten des Deutschen Bundestages. Dies gilt es zu Es war überhaupt wenig Freude in dieser Arbeit zu respektieren. Es kann der eine oder andere die finden. Aber ich erinnere mich, daß Wehner einmal Möglichkeit nutzen, auch noch zum gegenwärtigen gesagt hat: Wir sind nicht auf der Welt, damit wir es Zeitpunkt oder später einen Antrag zu stellen. Das bequem haben. — Ich nehme an, er hat schon gewußt kommt in Einzelfällen immer wieder aufs neue vor. — unabhängig von der aktuellen Diskussion —, wor- Der § 44 b des Abgeordnetengesetzes gilt nicht nur für auf sich das auch im parlamentarischen, politischen diese Legislaturperiode, sondern auch für die künfti- Bereich bezieht. gen Legislaturperioden. Ich hoffe allerdings sehr, daß uns diese Fragen in Zukunft weniger beschäftigen Die Arbeit ist sorgfältig und ordentlich vonstatten werden, weil im Vorfeld von Wahlen die Parteien gegangen. Sie ist auch mit der nötigen Diskretion und selber dafür sorgen, daß sich nur solche Kandidaten mit der Sensibilität geführt worden, die man dazu und Kandidatinnen zur Wahl stellen, die das Ver- braucht. Es ist bedauerlich, daß — wie es leider geschehen ist — der Vorwurf erhoben worden ist, wir trauen der Wählerinnen und Wähler auch wirk lich verdienen und jedenfalls keine Belastungen im ließen es zu, daß Verdächtigungen in der Öffentlich- Zusammenhang mit Stasi-Verstrickungen aufwei- keit bekanntgemacht würden. Dann, meine ich, sollte sen. man auch Roß und Reiter deutlich nennen. Von denen, die eine solche Vermutung ausstreuen, wäre schon Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie mich zumindest ein Wort der Klärung angemessen gewe- zum Schluß kommen. Es ist keineswegs eine beson- sen. Aber das wird mit Sicherheit nicht geschehen; wir ders erfreuliche Tätigkeit, der wir uns unterzogen kennen das. haben. In den Akten war vieles zu lesen, manches Mein Kollege Manfred Richter hat in seinem Beitrag auch nur zu erahnen. Ich wi ll auf eines noch einmal vom 13. Juni 1991 bereits darauf hingewiesen, daß bei hinweisen: Ich persönlich war sehr erstaunt darüber, der Behandlung dieses Themas besonders zwei in welchem Umfang die Stasi versucht hat, Menschen Gesichtspunkte Beachtung finden müssen — sie der DDR — von denen man ja damals nicht annehmen haben auch Beachtung gefunden —, daß bis zum konnte, daß sie später einmal Abgeordnete im verein- Abschluß des Verfahrens die Unschuldsvermutung ten Deutschl and sein würden — anzuwerben. Ich war gelten muß und daß es nach Abschluß des Verfahrens ebenso erstaunt darüber, auf wie vielfältige Weise es auch ein berechtigtes Interesse der Öffentlichkeit an Menschen, die heute Mitglieder dieses Hauses sind, diesem Vorgang gibt. gelungen ist, sich diesen Versuchungen, den Ver- strickungen zu entziehen. Die Betroffenen sind zu jedem Zeitpunkt über den Stand des Verfahrens informiert worden und haben (Zuruf von der CDU/CSU: Sehr richtig! nach Akteneinsicht und Anhörung auch Gelegenheit Genauso ist es!) zur Stellungnahme erhalten. Manchmal, liebe Kolleginnen und Kollegen, hat ein Ich will für die F.D.P.-Fraktion nicht anstehen, dem einfaches Nein genügt, um sich diesen Verstrickun- Bundesbeauftragten und seinen Mitarbeitern, den gen zu entziehen. Mitarbeitern des Ausschußsekretariats, die ebenfalls Ich sage das hier als Bürger Westdeutschlands ohne viel Mühe und wenig Freude an der Arbeit gehabt Selbstgerechtigkeit — das sollten wir auch unterlas- haben müssen, für ihre Arbeit und Mithilfe herzlich zu sen, denke ich —; es ist schon sehr eigentümlich, wenn danken. man sich damit auseinandersetzt, wie es möglich war, (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne- sich der Stasi zu entziehen: mit Klugheit, mit List, mit ten der CDU/CSU und bei der SPD) Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 208. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. Februar 1994 18039

Vizepräsident Hans Klein: Das Wort hat die Kollegin Abgeordneter der rechtsextremistischen DVU offen- Andrea Lederer. kundig für den Verfassungsschutz tätig war. (Joachim Hörster [CDU/CSU]: Das ist wohl etwas gänzlich anderes, selbst wenn es so Andrea Lederer (PDS/Linke Liste): Herr Präsident! wäre! Ein ungeheuerlicher Vergleich!) Meine Damen und Herren! Ich möchte den Aussagen Wenn man mit dem Anspruch, daß die Parlamente dieser Berichte noch einige Fakten hinzufügen. Es ist ihre Unabhängigkeit wahren müssen, gerade auch schon erwähnt worden, daß 338 Abgeordnete dieses diese Überprüfungen im Hinblick auf einen ehemali- freiwilliger Über- Bundestages von der Möglichkeit gen Geheimdienst durchführt, dann muß man eigent- Gebrauch gemacht und entsprechende prüfung lich logischerweise sagen, daß eine Überprüfung ganz Anträge gestellt haben. Das heißt, rund die Hälfte hat generell zur Frage geheimdienstlicher Tätigkeit mög- diese Möglichkeit wahrgenommen. Es ist bei den lich sein muß. Ich kann dem Kollegen von der SPD, bisherigen Beiträgen aber unerwähnt geblieben Horst Isola, nur zustimmen. Er hat gesagt: Wenn ein — das habe ich, ehrlich gesagt, auch nicht anders Kandidat für den Verfassungsschutz tätig ist, dann ist erwartet —, daß nicht einmal die Zahl von 338 Abge- das ein Skandal, das greift in die Unabhängigkeit des ordneten zutrifft, Parlaments ein, dann können wir nicht mehr arbei- (Martin Göttsching [CDU/CSU]: Es geht ten. auch nicht um die, es geht um zwei!) (Joachim Hörster [CDU/CSU]: Das ist un- — vielleicht hören Sie jetzt auch einmal in Ruhe zu, so glaublich! Das ist ungeheuerlich!) wie das gerade eben der Fa ll war —, denn die Ich möchte noch auf die besondere Überprüfung Abgeordneten der PDS/Linke Liste haben sich noch des Kollegen Dr. Modrow eingehen. Ich glaube, daß vor Inkrafttreten dieses Gesetzes alle auf eigenen gerade Sie, Herr Hörster, den Sachverhalt ungeheuer Antrag durch die Gauck-Behörde überprüfen lassen. verkürzt und auch ein Stück weit verdreht haben. Wir haben die Ergebnisse öffentlich bekanntgemacht. Kollege Modrow hat sich nämlich auf eigenen Antrag Kollege Wiefelspütz hat bereits daran erinnert, daß hin von der Präsidentin, die vor dem Inkrafttreten des sich in Angst vor der Atmosphäre im Zusammenhang Gesetzes dafür zuständig war, überprüfen lassen. Die mit dieser Überprüfung der Kollege Riege das Leben Präsidentin hat das Ergebnis in einer Drucksache genommen hat. Es ging — Sie erwähnten einen öffentlich bekanntgemacht. Festgestellt wurde Vorgang vor Inkrafttreten des Gesetzes; ich nehme an, — vielleicht hören Sie zu, Herr Kollege Hörster! — Sie meinen den Überprüfungsvorgang —, was die natürlich, daß er als 1. Sekretär der SED-Bezirkslei- Frage der Zusammenarbeit anbelangt, konkret um tung Dresden Mitverantwortung an den Maßnahmen einen Vorgang, der 30 Jahre zurücklag und in der des staatlichen Unterdrückungssystems trägt. Aber Bewertung wirklich mehr als bedeutungslos anzuse- festgestellt wurde auch, daß er um Schadensbegren- hen ist. zung und Ausgleich bemüht war und gegen ihn ( [CDU/CSU]: Es war die systemtypische Methoden der Überwachung ange- Atmosphäre der eigenen Gruppe!) wandt wurden. Leider hat der Ausschuß es für nötig befunden, auf eigenen Beschluß hin noch einmal eine Mein Bemühen, auch nur in einem kleinen Absatz Überprüfung durchzuführen, obgleich keine weiter- in dem allgemeinen Be richt auf die frühzeitige Über- gehenden Anhaltspunkte dafür vorhanden waren. Im prüfung der Abgeordneten der PDS/Linke Liste hin- Ergebnis konnte auch nichts Neues festgestellt wer- zuweisen, deren Ergebnisse allesamt dem Ausschuß den — es war auch nicht anders zu erwarten —, zugeleitet wurden, blieb erfolglos. Der Ausschuß abgesehen davon, daß der Kollege Modrow nun mehr verweigerte dies mit dem Hinweis darauf, daß nicht als bereit ist, öffentlich in jedem Untersuchungsaus- er, sondern wir diese Überprüfungen beantragt hät- schuß, in öffentlichen Veranstaltungen zu seiner Ver- ten. antwortung Stellung zu nehmen, diese auch öffentlich Herr Kollege Hörster, wenn Sie behaupten — er zu bekennen und tatsächlich einen Beitrag zu einer telefoniert gerade —, wir würden eine Auseinander- differenzierten, kritischen, aber auch nicht pauschal setzung scheuen, dann erinnere ich Sie einfach an die verurteilenden Sicht auf die Geschichte der DDR zu Kollegin , die ihr Mandat niedergelegt leisten. hat. Ich kann Ihnen garantieren, daß die Auseinander- Zum Schluß möchte ich noch eine Bemerkung setzung darüber bei uns in der Gruppe, die Entschei- machen zu der sogenannten Aktion weiße Weste, mit dung für sie, die Entscheidung für uns ein äußerst der ja, von den großen Parteien offenkundig komplizierter Vorgang war. Auch ihre gesamte Bio- gewünscht, eine generelle Überprüfung von Kandi- graphie macht die Kompliziertheit dieses ganzen datinnen und Kandidaten im Hinblick auf die vielen Themas mehr als deutlich. Es ist nicht so einfach, wie anstehenden Wahlen ermöglicht werden soll. dies Herr Hörster mit der Einteilung in bös und gut und dem Hinweis auf eine glatte Biographie darzustellen versucht hat. Vizepräsident Hans Klein: Frau Kollegin, Ihre Rede- zeit ist abgelaufen. Ich möchte in Kenntnis des Wortlauts des § 44 b des Abgeordnetengesetz es zudem darauf hinweisen, daß es nach wie vor keine Möglichkeit gibt, eine Überprü- Andrea Lederer (PDS/Linke Liste): Zwei Sätze. — fung, meinetwegen auch freiwillig, im Hinblick auf Ich will einfach darauf hinweisen, daß von so einem die Tätigkeit für einen anderen Geheimdienst durch- Vorgehen meines Erachtens das passive Wahlrecht führen zu lassen. Es hat erst jüngst ein Beispiel in der massiv tangiert ist. Selbst wenn es sich um einen Bremer Bürgerschaft gegeben, daß ein ehemaliger freiwilligen Vorgang handelt, möchte ich von Ihnen, 18040 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 208. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. Februar 1994

Andrea Lederer meine Damen und Herren, eigentlich hören, welche Im Westen Deutschlands wurde die Stasi-Thematik Auswirkungen die Weigerung eines ostdeutschen überwiegend als Ostproblem angesehen, und West- Kollegen oder einer ostdeutschen Kollegin hat, sich im politiker verlangten primär von der ostdeutschen Hinblick auf seine bzw. ihre Aufstellung als Kandidat Bevölkerung, die DDR-Vergangenheit kritisch aufzu- bzw. Kandidatin überprüfen zu lassen. arbeiten. Bis heute aber hat keine der westdeutschen- Parteien ihre Verstrickungen mit den ostdeutschen Vizepräsident Hans Klein: Bitte, Frau Kollegin! Machthabern öffentlich gemacht, und keine der west- deutschen Parteien hat die Stasi-Spitzel in den eige- nen Reihen öffentlich benannt. Andrea Lederer (PDS/Linke Liste): Wir sind der Meinung, ein tatsächlicher Beitrag zu einer differen- Die Parteien und Fraktionen diskutieren dieses zierten Aufarbeitung kann nicht eine Verpflichtung Problem lieber hinter verschlossenen Türen wie z. B. zur Überprüfung bedeuten, sondern es muß bedeuten, in der Parlamentarischen Kontrollkommission, oder daß erstens keine Reduzierung auf das MfS erfolgt, sie schicken sich neuerdings auch an, die Stasi sondern daß die politische Biographie in einer vertrau- Problematik zu partei- und wahltaktischen Zwecken ensvollen — — zu mißbrauchen. (Das Rednermikrophon wird abgeschaltet — Lassen Sie mich abschließend daran erinnern, daß Beifall bei der PDS/Linke Liste) jede Partei in diesem Jahr noch die Möglichkeit hat, ihr Verhalten bezüglich etwaiger Mitglieder mit Stasi Vizepräsident Hans Klein: Frau Lederer, Sie können Belastung zu korrigieren. Wir denken, daß eine Über- jetzt nicht weiter debattieren, wenn ich Sie ermahnt prüfung aller Kandidaten, im Osten und auch im habe. Wir haben hier ein Regelwerk. Ich war großzü- Westen des Landes, vor den Wahlen unbedingt not- gig, Frau Lederer, habe Ihnen noch ein gutes Stück wendig ist. Wir könnten uns damit in Zukunft solche dazugegeben. Dann habe ich Sie aufgefordert und Debatten im Bundestag ersparen. dann noch einmal. Sie haben aber nicht aufgehört zu (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN — reden. Bitte, machen Sie das nicht wieder! Zuruf von der CDU/CSU: Wer hat denn da (Zuruf von der CDU/CSU: Recht nur für sich jetzt geklatscht?) selbst — das wissen wir doch schon lange!) Das Wort hat die Kollegin Ingrid Köppe. Vizepräsident Hans Klein: Ich schließe die Ausspra- che. Ingrid Köppe (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sie erinnern Ich rufe den Tagesordnungspunkt 19r auf: sich vielleicht noch daran, daß es unsere Gruppe war, Beratung der Beschlußempfehlung des Aus- die als erste, und zwar bereits im Mai 1991, einen schusses für Wahlprüfung, Immunität und Antrag auf Überprüfung der Bundestagsabgeordne- Geschäftsordnung (1. Ausschuß) ten auf MfS-Kontakte eingebracht hat. Das liegt vor auf Bundestagsdrucksache 12/586. Antrag auf Genehmigung zur Durchführung eines Strafverfahrens Wir hatten bereits damals die Erfahrung gemacht, daß auch nach 1989 die Politik und die Parlamente — Drucksache 12/6646 — offenbar beliebte Tätigkeitsfelder für Stasi - Spitzel Berichterstattung: sind. In der letzten Volkskammer der DDR war die Abgeordneter Johannes Singer Stasi mit 14 %, in den ostdeutschen Landtagen mit Das Wort zur Abgabe einer Erklärung hat Dr. Gre- etwa 10 % aller Abgeordneten vertreten. Der letzte gor Gysi. Regierungschef der DDR wurde später als „IM Cerny" bekannt. Dr. Gregor Gysi (PDS/Linke Liste): Herr Präsident! Trotz aller dieser Erkenntnisse tat sich der Bundes- Meine Damen und Herren! Es geht ja bekanntlich um tag äußerst schwer, einer Überprüfung der Abgeord- den Abgeordneten Hans Modrow. Ich habe auch neten auf frühere Stasi-Mitarbeit zuzustimmen. Unse- gehört, was bei dem Tagesordnungspunkt zuvor zu rer Forderung nach einer generellen Überprüfung ihm gesagt wurde. Ich habe damit meine ernsthaften wollte die Mehrheit des Bundestages nicht folgen. Probleme, weil z. B. Herr Hörster darauf hinwies, daß Unser Antrag wurde abgelehnt. Statt dessen verstän- seiner Meinung nach Hans Modrow eigentlich gar digten sich im Dezember 1991 CDU/CSU, F.D.P., SPD nicht in diesem Parlament sein dürfte. Das wird sehr auf einer freiwillige Überprüfung. Die jetzt — ich moralisch begründet. möchte sagen: jetzt erst, nämlich ein halbes Jahr vor dem Ende der Legislaturperiode — vorliegenden (Zustimmung bei Abgeordneten der CDU/ Überprüfungsberichte sind unter diesem Aspekt für CSU) uns völlig unzureichend. — Moment! Ich würde dann schon gerne von Ihnen Wir müssen feststellen, daß sich die Hälfte der Widersprüche geklärt wissen. Abgeordneten des Bundestages nicht hat überprüfen Ich sehe ja Ihr Verhalten zu den führenden Politi- lassen, zu einer solchen Überprüfung nicht bereit war. kern in den osteuropäischen Staaten. Jeder weiß, daß Das allein, denken wir, zeigt schon, daß die Überprü- Helmut und Boris Duzfreunde sind. Jeder weiß, daß fungsaktion objektiv keine effektive, sondern ledig- Herr Schewardnadse als demokratischer Reformer lich eine symbolische Handlung war. Eine wirkliche gefeiert wird. Ich habe schon die Frage, warum Sie Auseinandersetzung mit dieser Problematik hat im Menschen mit weniger politischer Verantwortung in Bundestag nicht stattgefunden. der Vergangenheit, als die beiden sie hatten, nicht die Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 208. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. Februar 1994 18041

Dr. Gregor Gysi geringste Chance lassen, auch nur eine ähnliche ausschüsse aus berechtigten rechtlichen Gründen das Behandlung zu erfahren. nicht machen. Das alles ist hier passiert. (Joachim Hörster [CDU/CSU]: Die sitzen Beim Landtag Sachsen war das völlig anders. Es ist nicht im Bundestag! Es geht um unser Volk, ihm ein Beweisthema übermittelt worden. Er hat kein anderes!) ausgesagt. - (Joachim Hörster [CDU/CSU]: Da war der — Ja, sie sind sogar Staatsoberhäupter. Wissen Sie, Aufsatz noch nicht geschrieben, Herr was der Unterschied ist? Die einen haben noch Macht. Gysi!) Und so benehmen Sie sich ihnen gegenüber. Moral beginnt bei Ihnen frühestens dann, wenn auch Macht- Er ist nicht darauf hingewiesen worden, daß er einen losigkeit beginnt. Das halte ich für doppelzüngig und Rechtsbeistand zuziehen kann. Und er hat zu dem auch für ein bißchen heuchlerisch. Das ist mein Beweisthema absolut die Wahrheit ausgesagt. Problem. Während der Ausschußsitzung hat ein Abgeordne- ter eindeutig ein Nebenthema erörtert, hat ihn dort in (Clemens Schwalbe [CDU/CSU]: Über Dop einen Widerspruch verwickelt. Er hatte eine Unter- pelzüngigkeit sollten Sie nicht reden, Herr lage, aus der sich dieser Widerspruch ergab, und hätte Gysi!) die Chance gehabt, ihn sofort zu klären, wenn man Das zweite ist: Seit geraumer Zeit werden immer normale rechtsstaatliche Methoden angewandt hätte, wieder neue Maßnahmen gegen Hans Modrow indem man einfach diese Unterlage vorgelegt und durchgeführt in der Hoffnung, ihn endlich mal von der gesagt hätte: Herr Zeuge, hier ist ein Widerspruch zu politischen Bühne zu verdrängen. Wir haben eben ein dieser Unterlage. Könnten Sie mir diesen Wider- Beispiel gehört: Die Bundestagspräsidentin überprüft spruch erklären? — Das ist das mindeste, was ein Hans Modrow. Und der Ausschuß, in der völligen Gericht und auch ein Staatsanwalt tun muß. Hoffnung, doch noch mehr zu finden, ihm irgendwie Er hat extra nichts gesagt, um diesen Widerspruch mehr anlasten zu können, wiederholt das Ganze festzumachen. Dann ist Hans Modrow sofort ohne jede einfach noch einmal. Möglichkeit zur Korrektur vereidigt worden, und eine Stunde später war die Anzeige unterwegs. Das nenne Wir kannten den ersten Prozeß, der in Dresden mit der Tätigkeit eines Untersuchungsaus- dem Ergebnis stattgefunden hat, daß das Gericht ich Mißbrauch schusses, um hier einem Abgeordneten eine Falle zu gesagt hat, sein Verhalten war nicht strafwürdig. Wir stellen, um einen politischen Prozeß gegen ihn zu haben es jetzt mit einem zweiten Prozeß zu tun, und führen, um ihn von der politischen Bühne zu vertrei- um den geht es hier und heute. ben. Das würde auch für jeden anderen Abgeordneten Lassen Sie mich dazu etwas ganz Grundsätzliches gelten. Befreien Sie sich doch einmal ideologisch, und sagen. Ich habe natürlich überhaupt meine Bedenken schauen Sie einmal auf den Umstand, der dort passiert beim Immunitätsrecht, weil ich dagegen bin, daß ist. Das ist das Entscheidende. Menschen gegenüber der Justiz privilegiert werden. Nie würde etwas Ähnliches bei einem Untersu- Auf der anderen Seite haben wir aber nun mal das chungsausschuß des Bundestages gestattet werden. Recht, und ich kenne bisher keinen Antrag, es abzu- Wenn Sie in diesem Falle die Immunität aufheben, schaffen. dann sagen Sie damit den Ausschüssen der Landtage: Was ist also die Aufgabe? Die Aufgabe ist, den Mißbraucht diese Ausschüsse, soviel ihr wollt, baut Mißbrauch zu verhindern, politische Justiz zu verhin- den Leuten Fallen auf, legt nichts vor und organisiert dern und eine Schlüssigkeitsprüfung vorzunehmen. auf diese Art und Weise die politische Vergiftungs- atmosphäre. Wenn Sie sich ein bißchen mit dem Fall beschäftigt (Konrad Weiß [Berlin] [BÜNDNIS 90/DIE haben, dann ist eines ganz deutlich geworden — und GRÜNEN]: Das ist schlimmste Demagogie, da müßten Sie Bedenken haben auch auf Grund der Gregor Gysi! Sie sollten sich schämen!) Erfahrungen, die der Bundestag selbst damit hat —: daß der Untersuchungsausschuß des Landtages Sach- Es ist ungeheuerlich, was dort in dem Landtag gesche- sen in einer Art und Weise mit dem Abgeordneten hen ist. Sie sollten das nicht legitimieren. Modrow umgegangen ist, daß er selbst Mitverantwor- (Beifall bei der PDS/Linke Liste) tung für das jetzige Ermittlungsverfahren trägt.

(Widerspruch bei der CDU/CSU — Joachim Vizepräsident Hans Klein: Das Wort hat der Vorsit- Hörster [CDU/CSU]: Das gehört zur Begrün zende des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität detheit, Herr Rechtsanwalt! Das haben wir und Geschäftsordnung, unser Kollege Wiefelspütz. genau geprüft!)

— Nein, hören Sie mal zu. Dieter Wiefelspütz (SPD): Herr Präsident! Liebe Hans Modrow ist auch vor dem Untersuchungsaus- Kolleginnen und Kollegen! Vielleicht trägt diese schuß des Bundestages hier gehört worden. Er hat dort Debatte dazu bei, daß wir einige Dinge klären kön- ausgesagt. Er ist ordnungsgemäß belehrt worden. Er nen, wenn wir bereit sind, einander zuzuhören. hatte einen Rechtsbeistand. Er bekam das Protokoll zu Ich will ganz sachlich darauf hinweisen, daß die lesen. Er konnte noch Ergänzungen und Korrekturen Staatsanwaltschaft Dresden im Juli 1992 den Immuni- vornehmen. Er ist noch mal besonders belehrt worden, tätsausschuß davon in Kenntnis gesetzt hat, daß gegen falls es zu einer Vereidigung käme, zu der es dann unseren Kollegen Hans Modrow wegen des Verdach- nicht gekommen ist, weil Bundestagsuntersuchungs tes der Ableistung eines Meineides ermittelt werde. 18042 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 208. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. Februar 1994

Dieter Wiefelspütz Nach etwa anderthalb Jahren, unter dem Datum Gysi; denn wir sind als Immunitätsausschuß kein 15. November 1993, hat uns die Staatsanwaltschaft Obergericht, nicht die Vorgesetzten der Justiz des Dresden mitgeteilt, daß die Ermittlungen abgeschlos- Freistaates Sachsen. Vielmehr hat der Kollege H ans sen seien und daß man nunmehr gewillt sei, wegen Modrow die Möglichkeit, vor dem zuständigen desselben Deliktes Anklage zu erheben. Es werde Gericht in Dresden darzulegen, was Sache ist, und er beantragt, die Genehmigung zur Aufhebung der hat dort auch die große Chance, freigesprochen zu Immunität zu erteilen. werden. Ich sage das, ohne auch nur den Anspruch zu Der Immunitätsausschuß hat sich zweimal sehr erheben, mich da einmischen zu wollen. Nur vor eindringlich mit dieser Frage auseinandergesetzt. Wir diesem Gericht kann Schuld oder Unschuld von Herrn haben dann mit ganz großer Mehrheit bei einer Modrow festgestellt werden. Ich habe nicht den gering- Gegenstimme dem Plenum empfohlen, die Immunität sten Anhaltspunkt — niemand bei uns im Immunitäts- aufzuheben. Ich halte diese Empfehlung nicht nur für ausschuß hat einen Anhaltspunkt dafür —, daß die sich instrumentalisieren läßt. richtig, sondern für zwingend richtig, Herr Kollege sächsische Justiz Gysi. (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der (Beifall bei SPD, der CDU/CSU, der F.D.P. F.D.P. und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN) und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ich will das noch einmal kurz für den Immunitäts- Ich halte es auch für eine Unterstellung, dies zu ausschuß begründen. Wir führen hier keine Debatte behaupten. Denn selbst wenn der Untersuchungsaus- von verschiedenen Fraktionen, sondern die Kollegen schuß des Landtages einen Fehler gemacht haben haben mich beauftragt, das für den gesamten Immu- sollte, können Sie doch daraus nicht den Schluß nitätsausschuß — bei abweichender Meinung von ziehen, daß die sächsische Justiz nicht verfassungs- Frau Kollegin Lederer — hier vorzutragen. Ich will treu ist. Ihnen das kurz erläutern. Deswegen, denke ich, sollten wir in aller Gelassen- Die Immunität — da gibt es bei Ihnen einen erheb- heit heute, weil es sachlich geboten ist, die Immunität lichen Denkfehler, Herr Kollege Gysi — ist kein des Kollegen Hans Modrow aufheben und dann das Privileg eines Abgeordneten. Wenn das so wäre, wäre rechtsstaatliche Verfahren in Dresden abwarten. Ich ich sofort dafür, es abzuschaffen. Vielmehr schützt die sage einmal ohne Häme und ohne Besserwisserei: Der s Modrow, von dem mich politisch sehr Immunität die Funktionsfähigkeit des frei gewählten Kollege Han Deutschen Bundestages. Nur darum geht es. viel trennt, bei dem ich aber äußersten Wert darauf lege, daß er hier korrekt behandelt wird wie jeder (Martin Göttsching [CDU/CSU]: Das versteht andere Kollege, hat in dem ersten größeren Verfahren der ja nicht!) durchaus auch aus seiner Sicht mit der sächsischen Die Aufhebung der Immunität ist keineswegs mit Justiz erstaunliche Erfahrungen gemacht in einem der Vorverurteilung eines Abgeordneten, dessen Prozeß, den sie von der PDS auch als einen politischen Immunität aufgehoben wird, gleichzusetzen. Schauprozeß denunziert haben. Und was ist dabei herausgekommen? Wie ich glaube, ohne wiederum (Beifall bei der F.D.P.) für mich in Anspruch zu nehmen, es besser zu wissen, Es gilt selbstverständlich — das sage ich hier in a ller ein kluges Urteil. Wenn ich richtig informiert bin, ist Deutlichkeit -- auch für den Kollegen Hans Modrow das Verfahren noch nicht rechtskräftig abgeschlossen. die Unschuldsvermutung. In dem Gerichtsverfahren Aber ich denke, wir haben allen Grund, wirklich in Dresden wird zu klären sein, ob der Anklagevor- Vertrauen auch in die junge rechtsstaatliche Justiz des wurf zu Recht erfolgt ist oder nicht. Freistaates Sachsen zu haben. Wir sollten in a ller Ruhe abwarten, was dort zuwege gebracht wird. Ich räume ein: Man kann in diesem Falle sehr leicht der Versuchung unterliegen, in die Sache einzustei- (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der gen, was der Untersuchungsausschuß des Landtages F.D.P. und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- in Dresden gemacht hat. NEN) Das Untersuchungsausschußrecht ist ein außeror- Ich sage noch einmal: Ich halte es für vermessen, zu dentlich kompliziertes Recht. Ich sage das ohne Über- glauben, daß dort manipuliert wird. Ich sage Ihnen heblichkeit und ohne Herablassung gegenüber einem ganz deutlich: Wenn der Immunitätsausschuß unbe- jungen Parlament. Wir haben gute Gründe, warum schadet der Person des Abgeordneten den Eindruck wir Zeugen vor einem Untersuchungsausschuß nicht gewinnt, daß die Justiz manipuliert, dann allerdings vereidigen. Das tun wir seit Jahren nicht. schließen sich die Demokraten sofort zusammen, dann ist der Teufel los bei uns, und dann packen wir zu. Es ist auch richtig, daß dann, wenn jemand vor Dann wird dafür Sorge getragen, daß die Rechte einem Untersuchungsausschuß dieses Bundestages dieses Parlaments gewahrt bleiben. Das gilt für jedes eine Aussage gemacht hat, ein Wortprotokoll geführt Mitglied dieses Hauses, das gilt auch für H ans wird, dies dem Zeugen zugeleitet wird und er uns Modrow. nach einigen Wochen mitteilen kann, ob er das so stehenläßt oder ob er etwas ändern möchte. Erst dann Herzlichen D ank für Ihre Aufmerksamkeit. stellt sich die Frage, ob eine Beeidigung erforderlich (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der ist. In der Regel wird davon nicht Gebrauch gemacht, F.D.P. und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN seit Jahren nicht mehr. — Dr. Gregor Gysi [PDS/Linke Liste]: Darf Ich sage noch einmal: Die Versuchung ist sehr groß, ich eine Kurzintervention machen, und zwar da einzusteigen. Genau dies dürfen wir nicht, Kollege um eine Sache richtigzustellen?) Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 208. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. Februar 1994 18043

Vizepräsident Hans Klein: Bitte. Protokoll zu geben*). Besteht auch hier das Einver- ständis des Hauses? — Das ist offensichtlich der Fa ll. Dann ist das so beschlossen. Dr. Gregor Gysi (PDS/Linke Liste): Ich wollte nur sagen, daß wir nie das Urteil, sondern immer nur den Wir stimmen dann ab, und zwar zunächst über den Prozeß kritisiert haben und daß es hier bei der Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksa- Schlüssigkeitsprüfung auch darum ging, daß selbst che 12/6730. Wer stimmt für diesen Änderungsantrag? der Staatsanwalt den Ausschußvorsitzenden gefragt — Wer stimmt dagegen? — Wer enthält sich der hat — ich zitiere das wörtlich —: Stimme? — Der Änderungsantrag ist abgelehnt. Könnte es so sein, daß Mitglieder des Untersu- Wer stimmt für die Beschlußempfehlung des Peti- chungsausschusses mit dem Ergebnis der Ver- tionsausschusses auf Drucksache 12/6391? — Gegen- nehmungen unzufrieden waren, weil letztlich probe! — Enthaltungen? — Die Beschlußempfehlung über die zentrale Frage der Isolierungslager und ist angenommen. die diesbezügliche Verantwortung des Zeugen Modrow nichts Relevantes herauskam und des- Ich rufe Tagesordnungspunkt 13 auf: wegen dann wenigstens eine Anzeige wegen Beratung des Berichts des Ausschusses für Meineids erfolgen sollte? Arbeit und Sozialordnung (11. Ausschuß) Erfordert das nicht eine Schlüssigkeitsprüfung, wenn gemäß § 62 Abs. 2 der Geschäftsordnung zu selbst die Staatsanwaltschaft einen solchen Verdacht dem von der Fraktion der SPD eingebrachten äußert? Entwurf eines Gesetzes zur Beibehaltung der (Zurufe von der CDU/CSU) Mitbestimmung beim Austausch von Anteilen und der Einbringung von Unternehmensteilen, die Gesellschaften verschiedener Mitgliedstaa- Vizepräsident Hans Klein: Wir kommen zur Abstim- ten der Europäischen Gemeinschaften betref- mung. Wer stimmt für die Beschlußempfehlung des fen Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Ge- schäftsordnung auf Drucksache 12/6646? — Wer (Mitbestimmungs-Beibehaltungsgesetz — MitbestBeiG) stimmt dagegen? — Wer enthält sich der Stimme? — Die Beschlußempfehlung ist angenommen. — Drucksachen 12/4532, 12/6714 — Berichterstattung: Abgeordneter Günther Heyenn Ich rufe den Tagesordnungspunkt 10 auf: Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat ist für die Beratung der Beschlußempfehlung des Petiti- Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. — Dage- tionsausschusses (2. Ausschuß) gen erhebt sich kein Widerspruch. Dann ist das so Sammelübersicht 122 zu Peti tionen beschlossen. (Bundessozialhilfegesetz) Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Kolle- — Drucksache 12/5803 — gen Heribert Scharrenbroich das Wort. Die zu diesem Tagesordnungspunkt vorgesehenen Redner wünschen ihre Beiträge zu Protokoll zu Heribert Scharrenbroich (CDU/CSU): Herr Präsi- geben.*) Ist das Haus damit einverstanden? — Das ist dent! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Nur der Fall. ganz wenige Sätze zum Vorgang, der jetzt zur Bera- Wir kommen zur Abstimmung, und zwar zunächst tung ansteht: Am 8. November 1991 hat der Bundes- über den Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf tag beschlossen, daß wir bezüglich der innerstaatli- Drucksache 12/6729. Wer stimmt für diesen Ände- chen Umsetzung der Richtlinie zur Beibehaltung der rungsantrag? — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Mitbestimmung beim Austausch von Anteilen und der Der Änderungsantrag ist abgelehnt. Einbringung von Unternehmensteilen einmütig der Wer stimmt für die Beschlußempfehlung des Peti- Auffassung sind, daß das Steueränderungsgesetz tionsausschusses auf Drucksache 12/5803? — Gegen- nicht zu einer Schmälerung der Mitbestimmungs- probe! — Enthaltungen? — Die Beschlußempfehlung rechte von Arbeitnehmern führen darf und daß ent- ist angenommen. sprechende flankierende Regelungen in das inner- staatliche Mitbestimmungsrecht aufgenommen wer- den sollten. Ich rufe Tagesordnungspunkt 11 auf: Dem folgend haben die Koalitionsfraktionen am Beratung der Beschlußempfehlung des Peti- 24. September 1992 einen Gesetzentwurf einge- tionsausschusses (2. Ausschuß) bracht, der diesem einmütigen Wunsch des Plenums Sammelübersicht 135 zu Petitionen voll entspricht. Nachdem es innerhalb der Koalitions- (Fördermittel für Ausbildungsbedarf in der fraktionen — das möchte ich durchaus zugeben — Altenpflege) unterschiedliche Auffassungen über das Vorgehen gab und die Beratungen im Ausschuß nicht fortgesetzt — Drucksache 12/6391 — worden sind, hat die SPD zum 30. Juni 1993 einen Dazu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion der Gesetzentwurf eingebracht, der textlich dem Antrag SPD vor. Auch hierzu wünschen die vorgesehenen der Koalitionsfraktionen gleich ist, wodurch bestätigt Redner der Fraktionen und Gruppen ihre Beiträge zu ist, daß dieser Antrag sehr gut war.

*) Anlage 2 *) Anlage 5 18044 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 208. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. Februar 1994

Heribert Scharrenbroich Nun drängt die SPD auf Beratung ihres Gesetzent- Arbeitnehmer und der Gewerkschaften einhergehen wurfs; das ist verständlich. Ich möchte aber aus dem würde. Bericht des Ausschußvorsitzenden zitieren — das ist Wir haben im Ausschuß immer wieder aufgefordert: der Grund, warum wir meinen, daß diese Debatte Warum wollt ihr eigentlich euren eigenen Entwurf heute nicht notwendig ist —: nicht beraten, nicht erörtern, damit wir diese Sache Es besteht seitens der Fraktionen der CDU/CSU erledigen? Denn die Zielsetzung ist doch klar: keine und der F.D.P. die Absicht, die Vorlagen zusam- Aushöhlung der Mitbestimmung. men mit den übrigen Gesetzgebungsvorhaben Aber es ist immer wieder darauf verwiesen worden der Koalition zum Thema „Mitbestimmung" zu — obwohl, ich meine, die Materie relativ einfach, beraten. übersehbar und in der Zielsetzung klar ist —: Wir Es ist also überhaupt nicht in Zweifel zu ziehen, daß haben noch Beratungsbedarf. Im Ausschuß gab es dem einmütigen Beschluß des Deutschen Bundesta- immer wieder die kurze, aber heftige Debatte, so daß ges gefolgt werden soll. Deswegen möchte ich, bevor wir den Eindruck bekamen, man wollte dies ver- der Redner der SPD spricht, hier noch einmal klar schleppen. Und der Kollege Scharrenbroich kann sagen: Für uns ist selbstverständlich, daß der einmü- mich in dieser Frage gar nicht beruhigen, wenn er tige Beschluß des Deutschen Bundestages eingehal- meint: Wir stehen zu dem, was wir gemeinschaftlich ten wird und es nicht zu einem Abbau von Mitbestim- verabschiedet haben. mung kommt. Mitbestimmung auszuhöhlen ist eine schlimme Herr Präsident, meine liebe Kolleginnen und Kolle- Sache; denn wir haben seit 1951, 1952, 1956, 1972 und gen, ich möchte trotzdem eine kritische Anmerkung 1976 immer wieder Schritte zur konkreten Gestaltung machen. Ich glaube, es geht nicht an, daß der Deut- der Mitbestimmung in den Unternehmensbereichen sche Bundestag 1991 einmütig einen Beschluß faßt, getan mit sehr unterschiedlichen Konsequenzen. daß dann ein Gesetzentwurf eingebracht wird und daß sich hinterher, nachdem dieser Gesetzentwurf einge- Sie, Herr Kollege Scharrenbroich, haben ja darauf bracht worden ist, einige Ministerien darüber streiten, hingewiesen, daß in dieser Frage die 500er-Beleg- ob dieser so verabschiedet werden kann oder ob es schaftsgrenze eine Rolle spielt. Sie sagten, Sie hätten Veränderungen oder irgend etwas anderes geben soll. sich mit der F.D.P. darauf geeinigt, und wir wollten Ich finde auch, daß es die Exekutive zu respektieren den Entwurf so, wie wir ihn eingebracht haben, über hat, wenn der Deutsche Bundestag einmütig seinen die Bühne bringen. Wir werden dazu natürlich Ände- Willen bekundet hat. Ich möchte hoffen, daß das ein rungsanträge stellen; denn die Beratung hat noch gar einmaliger Vorfall ist. nicht begonnen. Das ist im Kontext auch mit der kleinen Aktiengesellschaft zu sehen, wo man die (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. Mitbestimmung ebenfalls auszuhöhlen gedenkt. Ich sowie bei Abgeordneten der SPD) halte dies nicht für einen verantwortbaren Vorgang. Darum sage ich, meine Damen und Herren: Wir Vizepräsident Hans Klein: Herr Kollege Hans Urba- haben den Eindruck, daß weiterhin verschleppt wer- niak, Sie haben das Wort. den soll. Dieses können wir uns aber nicht erlauben; denn in dem Spannungsfeld Betrieb und Unterneh- men, in dem Spannungsfeld der Auseinandersetzung Hans-Eberhard Urbaniak (SPD): Herr Präsident! über die Geschäftspolitik, über das, was man das Meine Damen und Herren! Ich habe in diesem Hause operative Feld nennt, muß doch über die Aufsichtsräte noch nicht erlebt, daß eine Entschließung, in der wir der Sachverstand der Belegschaftsmitglieder mit ein- uns gemeinsam vorgenommen haben, eine Sache zu gebracht werden. Denn diese Belegschaftsmitglieder regeln, dadurch beschleunigt oder wieder aktualisiert identifizieren sich oftmals völlig mit dem Unterneh- werden mußte, daß man von § 62 Abs. 2 der Geschäfts- men und kämpfen mehr als die Aktionäre um seinen ordnung Gebrauch machen mußte, weil man in die- Bestand. Wir erleben das in unserer Unternehmens- sem Falle den Eindruck hat, daß die Koalitionsfraktio- und Betriebsgeschichte immer wieder. Die aktuellen nen das Mitbestimmungs - Beibehaltungsgesetz über- Daten treffen uns eigentlich jeden Tag, an denen von haupt nicht verabschieden wollten und somit insbe- Betriebsschließungen, Ausdünnungen und allen sondere bei einer Partei, der F.D.P., wohl seit vielen möglichen negativen Dingen, die die Arbeitslosigkeit Jahren die Überlegung besteht, die Mitbestimmung nach oben treiben, die Rede ist. weiter auszuhöhlen. Darum sage ich hier: Wenn wir uns ganz entschie- Dies widerspricht der Entscheidung, die wir seiner- den für die Sicherung, aber auch für die Ausweitung zeit, und zwar im Jahre 1991, hier getroffen haben, der Mitbestimmung einsetzen, ist dies ein wichtiger und die Richtlinie des Rates der EG ist bereits am Vorgang auch für die Sicherung des Betriebs - und 23. Juli 1990 erfolgt. Also haben wir jetzt über Jahre Unternehmensfriedens; denn wenn dieser gestört und Zeit gehabt, diese Sache endgültig zu regeln; denn die breitflächig durcheinandergebracht würde, hätten Entschließung des Deutschen Bundestages bezieht wir alle Konsequenzen zu tragen. sich darauf, daß durch EG-Recht — Harmonisierung wird ja so etwas genannt — die Mitbestimmung in der Die Sozialpartnerschaft, die man in unserem Lande Bundesrepublik Deutschland auf keinen Fall ausge- nun gefunden hat, darf nicht nur dem Wort nach höhlt werden darf. Dem haben die Fraktionen hier gelten, sondern muß sich konkret, laufend in den zugestimmt, und es wäre ja auch eine schlimme Betrieben und in den Unternehmungen vollziehen. Sache, wenn mit der Umsetzung der Richtlinie der EG Darum drängen wir Sie und bitten Sie — denn Sie eine Schmälerung von Mitbestimmungsrechten der haben die Mehrheit —, daß Sie sich jetzt anschicken, Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 208. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. Februar 1994 18045

Hans-Eberhard Urbaniak die Beratung auch im Ausschuß zuzulassen, damit wir Art der Umsetzung dieses Beschlussess des Deutschen diese Angelegenheit endgültig erledigen können. Bundestages war seinerzeit noch nicht klar. Ich weiß nicht, welche Möglichkeiten Unternehmen Im September 1992 haben die Fraktionen von in der Europäischen Union schon genutzt haben, um CDU/CSU und F.D.P. dann den Entwurf eines Mitbe- von dem labilen Zustand, den wir gegenwärtig haben, stimmungs-Beibehaltungsgesetzes vorgelegt. Dieser Gebrauch zu machen — das wird noch zu untersuchen sieht im Einklang mit der Fusionsrichtlinie die Versa- sein —, um Bereiche in der Bundesrepublik mitbe- gung steuerlicher Vergünstigungen für grenzüber- stimmungsfrei zu machen, weil sie Belegschaftsmit- schreitende Vorgänge vor, wenn hierdurch Mitbe- gliederübertragungen oder -spaltungen vorgenom- stimmungsrechte geschmälert werden. men haben. Das wird man noch untersuchen müssen. Dann müssen aber Sie die Verantwortung dafür Es ist kein Geheimnis, daß sich die F.D.P. mit diesem tragen; denn Sie haben die Entschließung, die den Gesetzentwurf schwergetan hat. Ich vermag nicht so Arbeitnehmern und den Gewerkschaften Mut ma- ganz zu akzeptieren, Herr Kollege Scharrenbroich, chen sollte, real und konkret nicht umgesetzt. Das ist daß das nur die Exekutive war. Wir wollen ruhig Roß ein schwerer Fehler, den ich Ihnen, meine Damen und und Reiter nennen. Es war die F.D.P. Sie sah die Herren, hier auf jeden Fall vorwerfen muß. Gefahr, daß m anches Unternehmen den Mitbestim- Wir haben uns auch bei der Mitbestimmung im mungsregelungen künftig unterfällt. Das konnte sich Rahmen der Postreform auseinandergesetzt und eine zu fünf Personen zusammenschrumpfen, obwohl die wichtige Kondition in die Gespräche eingebracht. Größe des Betriebes dieses an und für sich nicht Denn wir werden do rt eine Mitbestimmungsregelung rechtfertigt. Im Grunde wird das Mitbestimmungs- bekommen, die sich aus einem Modell Krupp-Hoesch recht auf Unternehmen ausgeweitet, die sonst näm- ableiten wird; so lautet auf jeden Fall der Beschluß der lich nicht diesen Regelungen unterfallen würden. SPD-Bundestagsfraktion. Dies ist heute auch hier Das Mitbestimmungs-Beibehaltungsgesetz ist in betont worden. das deutsche Mitbestimmungssystem nur schwer ein- Darum bitten wir als Sozialdemokraten Sie, meine zuordnen. Aber, auch wenn wir uns mit dem Gesetz sehr verehrten Damen und Herren von der Koalition, schwertun, tragen wir es mit. Die Liberalen haben das daß Sie jetzt diesen Punkt, der heute hier in Rede steht, Mitbestimmungs-Beibehaltungsgesetz aber immer in im Ausschuß auf die Tagesordnung setzen lassen, einem größeren Zusammenhang gesehen. Auch das damit wir das Mitbestimmungs-Beibehaltungsgesetz Gesetz für die kleine Aktiengesellschaft und das endgültig verabschieden können. Schließlich wollen Gesetz zur Bereinigung des Umwandlungsrechtes wir ja auch, daß in der Europäischen Union andere enthalten mitbestimmungsrelevante Vorschriften. Bereiche — auch der Ministerrat, auch das Europäi- Unsere Absicht war, diese Gesetze, mit denen sich sche Parlament — die Überlegung der deutschen auch die Koalition laut ihrer Koalitionsabsprache Mitbestimmung aufgreifen und weiter voranbrin- beschäftigen wollte, im Zusammenhang mit parla- gen. mentarischen Gremien zu beraten. Wir sind in guten und schlechten Zeiten damit auf Es ist kein Geheimnis, daß es innerhalb der Koali- jeden Fall am besten gefahren, und wir wollen die tion nicht ganz einfach war, zu abgestimmten Vorla- Sozialpartnerschaft und die vernünftige Zusammen- gen eines Gesetzes für die kleine Aktiengesellschaft arbeit in den Betrieben und in den Unternehmungen und für das Umwandlungsgesetz zu gelangen. Dieses selbstverständlich aufrechterhalten. Das ist auch ein hat die Beratungen des Mitbestimmungs-Beibehal- ganz wichtiger Grundsatz für das Zusammenleben in tungsgesetzes ohne Zweifel erheblich verzögert. Die unserer Gesellschaft. Verzögerung hat sogar dazu geführt, daß die SPD die (Beifall bei der SPD) gute Idee hatte, denselben Gesetzesentwurf hier wort- gleich einzubringen. Vizepräsident Hans Klein: Frau Kollegin Dr. Gisela (Gerd Andres [SPD]: Das war doch ge- Babel, Sie haben das Wort. schickt!) Ich habe immer wieder gesagt, daß die Opposition (F.D.P.): Herr Präsident! Meine Dr. Gisela Babel eigentlich doch der Koalition zu Dank verpflichtet ist, Damen und Herren! Ich will dem Kollegen von der daß sie ihr die Gelegenheit gibt, so große Ang riffe zu Opposition vorweg durchaus zugestehen, daß die führen. Diese Dankbarkeit habe ich noch nicht gehört, Behandlung, die dieses Thema erfahren hat, von dem aber ich nehme auf Grund Ihrer fröhlichen Stimmung Üblichen abweicht und daß ich auch verstehen kann, an, daß Sie doch dankbar sind. wenn man jetzt vehement das einfordert, was einstim- mig im Deutschen Bundestag beschlossen worden ist. (Gerd Andres [SPD]: Kein geschickter Lassen Sie mich vielleicht einige Bemerkungen zu Schachzug, Frau Dr. Babel!) dem Hintergrund machen. — Ja, er war hinreißend. Das Mitbestimmungs - Beibehaltungsgesetz be- schäftigt uns in der Tat schon eine ganze Weile. Aus Jetzt liegen aber diese Gesetzentwürfe vor, die für Anlaß der innerstaatlichen Umsetzung der EG- uns diesen politischen Zusammenhang, um den es uns Fusionsrichtlinie aus dem Jahre 1990 sind wir hier im geht, durchaus deutlich machen. Ich möchte den Bundestag vor zweieinhalb Jahren einmütig zu der Kollegen der Opposition schon ankündigen, daß die Auffassung gelangt, daß europaweite Fusionen und Koalition entschlossen ist, diese Gesetze und damit Spaltungen nicht zu einer Verkürzung der bundes- auch das beschlossene Mitbestimmungs-Beibehal- deutschen Mitbestimmungsrechte führen dürfen. Die tungsgesetz in den Ausschüssen einer zügigen Bera- 18046 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 208. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. Februar 1994

Dr. Gisela Babel tung zuzuführen. Damit sind wir am Ende vielleicht heitliche Aufklärung, das Bundeskriminalamt, das alle zufriedener als heute. Bundesministerium für Bildung und Wissenschaft, die Ich bedanke mich. Deutsche Hauptstelle gegen die Suchtgefahren, die Landesstellen mit ähnlicher Aufgabe und zahlreiche (Beifall bei der F.D.P.) in der Suchthilfe arbeitenden Verbände wie der - Fachverband Drogen und Rauschgift, die uns durch Vizepräsident Hans Klein: Ich schließe die Ausspra- aus hilfreiche Hinweise und Anregungen gehen. Aber che. es passiert immer wieder, daß der eine von der Arbeit des anderen nichts weiß, daß alles unkoordiniert läuft. Ich rufe Tagesordnungspunkt 14 auf: Vor allen Dingen — das ist unsere Hauptkritik — fehlen durchgehende Evaluationen. Die jeweiligen a) Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrach- Programme werden nicht auf ihre Wirksamkeit abge- ten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des klopft. Das gilt auch für die massenmedialen Kampag- Betäubungsmittelgesetzes nen der Bundesregierung, insbesondere für die Kam- — Drucksache 12/5673 — pagne „Keine Macht den Drogen", die jährlich 6 Mil- b) Beratung der Großen Anfrage der Abgeordne- lionen DM verschlingt, ohne daß ihre Wirksamkeit ten Johannes Singer, Gudrun Schaich-Walch, nachgewiesen ist. Prävention muß alle psychoaktiven Dr. Ulrich Böhme (Unna), weiterer Abgeordne- Substanzen einbeziehen. Nichtraucherkampagnen ter und der Fraktion der SPD Umsetzung des bei Kindern und Jugendlichen dürfen vor allen Din- Rauschgiftbekämpfungsplanes gen nicht durch die Tabakwerbung konterkariert werden. — Drucksachen 12/2803, 12/3956 — Überweisungsvorschlag: Die Unwirksamkeit der gegenwärtigen Präven- Ausschuß für Gesundheit (federführend) tionsmaßnahmen kann an der zahlenmäßigen Ent- Innenausschuß wicklung des Drogenmißbrauchs abgelesen werden. Rechtsausschuß Die Zahl der polizeilich erfaßten Erstkonsumenten Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat ist für die harter Drogen stieg 1992 auf 13 212 im Vergleich zu gemeinsame Aussprache eine Stunde vorgesehen. 11 685 im Jahre 1991. Für das gerade abgelaufene Dagegen erhebt sich kein Widerspruch. Dann ist das vergangene Jahr meldet der Bundesinnenminister in so beschlossen. der Rauschgiftbilanz der ersten drei Quartale eine Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Kolle- weitere erhebliche Steigerung des Mißbrauchs, insbe- gen Johannes Singer das Wort. sondere von Kokain und Amphetaminen. Die Zahl der Abhängigen von illegalen Drogen wird vom Bundes- kriminalamt auf etwa 120 000, von nichtamtlichen Johannes Singer (SPD) (vom Abg. Dieter Wiefels- Stellen auf 200 000 geschätzt. Die Hälfte der Personen pütz [SPD] mit Beifall begrüßt): Herr Präsident! Meine dürfte polytoxikoman sein. Der Grundsatz „Hilfe statt Damen und Herren! Vor knapp vier Jahren hat die Strafe" findet leider immer noch nur ausnahmsweise Bundesregierung den Nationalen Rauschgiftbe- Anwendung. kämpfungsplan verabschiedet. Bereits am 12. Juni 1992 hatten wir in einer detaillierten Großen Anfrage (Zuruf von der SPD: Bravo!) nach der Umsetzung dieses Planes gefragt. Seit Dezember 1992 liegt die Antwort der Bundesregie- Wir haben festgestellt, daß bei Süchtigen die rung vor, über die wir heute zu debattieren haben. Anwendung des Strafrechts völlig versagt. Ein Süch- afrecht nicht abschrecken. Wir sind der Auffassung, daß die Antwort der tiger läßt sich durch das S tr Im Gegenteil: Das Strafrecht wirkt für die Persönlich- Bundesregierung ihr Scheitern in allen zentralen keit des Kranken verheerend, verhindert einen sinn- drogenpolitischen Fragen dokumentiert. vollen Dialog und beschleunigt die soziale und ge- (Beifall bei der SPD) sundheitliche Verelendung. Weil Sucht Krankheit ist, Die Prävention ist in Deutschland im Hinblick auf muß für diese Menschen die Gesundheitspolitik Vor- ihre wissenschaftlichen, inhaltlichen und organisato- rang vor dem S trafrecht bekommen. Darum ist eine rischen Grundlagen unterentwickelt. Es gibt Wissens- Änderung des Betäubungsmittelgesetzes dringend lücken, die zur Verbesserung der präventiven Maß- geboten, die eine weitere Entkriminalisierung der nahmen geschlossen werden müssen. Es fehlen Drogensüchtigen ermöglicht. Kenntnisse über Motive, Entwicklung und Verlauf des Mißbrauchverhaltens, über den Zusammenhang von (Beifall bei der SPD — Wolfgang Lohmann Erziehungsstil und Suchtentwicklung. Die suchtbah- [Lüdenscheid] [CDU/CSU]: Aber die Krank- nenden Faktoren in der Biographie der Erkrankten, in heit erhält! — Gerd Andres [SPD]: Wie sieht ihrem sozialen Umfeld und in der Gesellschaft sind das bei den Rauchern aus?) aus medizinischer, psychologischer und soziologi- Wir müssen feststellen, daß die Angebote nach wie scher Sicht weitgehend ungeklärt. Darüber hinaus vor nicht ausreichen. Hochinteressant ist, daß der fehlen Untersuchungen, die auf solchen Erkenntnis- ewige Vorwurf, der hier im Deutschen Bundestag von sen aufbauen. Wegen dieser Wissenslücken bleibt die den Koalitionsfraktionen erhoben worden ist, wonach Entwicklung von Programmen für die breitenwirk- die Länder, die sich einer engagierten Substitutions- same Umsetzung von präventiven Maßnahmen im behandlung durch Methadon widmen, das nur tun, Kindes- und Jugendalter unzureichend. um Therapieplätze einzusparen, eindrucksvoll wider- Trotz dieser Defizite bemühen sich diesbezüglich legt wird. Gerade Länder wie Nordrhein-Westfalen zahlreiche Stellen wie die Bundeszentrale für gesund stellen mehr Therapieplätze zur Verfügung als an- Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 208. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. Februar 1994 18047

Johannes Singer dere. Dafür ist ihnen zu danken; dafür sind sie nicht zu wirklich das große Geld machen, ungeschoren las- kritisieren. sen. (Beifall bei der SPD) Daß ich ein bißchen von Abhängigkeit, von Sucht- mitteln verstehe, werden Sie an meinem Raucherhu- Mit diesen Forderungen nähern wir uns dem nie- sten erkennen. Auch mit anderen legalen Suchtmit- derländischen Modell fast vollständig an, einem teln habe ich durchaus meine Erfahrung. Modell, das zumindest mehr Erfolge vorweisen kann als wir. Auch können wir auf entsprechende Erfolge in Daß die Therapieplätze nicht ausreichen und daß Australien und Großbritannien verweisen, denen sich hier von der Bundesregierung durch Modellpro- die Drogenpolitiker in diesem Lande, auch die von der gramme mehr getan werden muß, steht außer Zwei- konservativen Seite, sicherlich einmal nähern soll- fel. ten. (Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Die Länder, Um es zu wiederholen: Es dürfte allgemeine nicht der Bund!) Erkenntnis sein, daß die abschreckende Wirkung des Ich bitte aber zu berücksichtigen, daß wir über die Strafrechts beim Suchtkranken völlig versagt, dort weltweit anerkannte Methadonbehandlung hinaus kontraproduktiv wirkt. In dieser Hinsicht muß es völlig dem Vorschlag des Bundesrates, initiiert durch das beseitigt werden. Erhalten bleiben muß es natürlich, Bundesland Hamburg, folgen sollten, in s treng ärzt- um gegen die Händler und die Großkriminellen lich kontrollierten Einzelfällen Substitutionen auch vorzugehen und denen das Handwerk zu legen. mit harten Drogen wie Heroin vorzunehmen — wie es Gerade in dem Bereich der organisierten Krimina- in acht Schweizer Großstädten geschieht —, um lität hat die Koalition total versagt. Sie hat uns nach zumindest in Feldversuchen Erfahrungen zu sam- jahrelangen Verzögerungen ein Geldwäschegesetz meln. Das hat mit Freigabe oder Legalisierung nichts vorgelegt, das ganz erhebliche Lücken aufweist und zu tun. Das wird auch in Aus tralien, in England und in immer noch nachgebessert werden muß. der Schweiz, wie ich eben gesagt habe, praktiziert, Wir werden Ihnen die entsprechenden Anträge -ohne daß irgend jemand diese Länder als freigabe präsentieren. Wir werden Sie dazu zwingen, zu ähn- oder legalisierungsverdächtig diffamieren würde. lichen Verfahren zu kommen wie die sonst bei jeder Wir Sozialdemokraten haben uns gegen Freigabe Gelegenheit von Ihnen zitierten Amerikaner. Genau und Legalisierung immer gewehrt. die Vorschriften, die in Amerika zur Bekämpfung der Großkriminalität praktiziert werden, werden wir von (Beifall bei der SPD) Ihnen verlangen. Dann werden wir sehen, ob Sie mit Ich zitiere an dieser Stelle den Beschluß unseres Ihren Reden nur Schauanträge verfolgen und der Bevölkerung in unserem Land nur etwas vormachen Bundesparteitages in Wiesbaden vom November des vergangenen Jahres: oder ob Sie ernsthaft in die Bekämpfung der organi- sierten Drogenkriminalität einsteigen. In diesem Zusammenhang muß auch die Rolle Deswegen folgen Sie unseren Forderungen, s treng des Strafrechts neu überdacht werden: Wir treten zu trennen: das S trafrecht für die Großverbrecher und dafür ein, den illegalen Drogenhandel wirksam die Entlastung und Befreiung des Konsumenten, zu bekämpfen und Dealer und organisierte Dro- sowie die Verteilung der knappen Ressourcen im genkriminalität schwerpunktmäßig zu verfol- Lande in eine vernünftige Richtung zu lenken. gen Herzlichen Dank. — das könnte man nicht, wenn man für Freigabe oder (Beifall bei der SPD — Clemens Schwalbe Legalisierung einträte —, [CDU/CSU]: Jetzt gehen wir eine rauchen!) den Besitz von Cannabis und Cannabisprodukten in kleinen Mengen zum Eigenverbrauch dage- Vizepräsident Hans Klein: Herr Kollege Dr. Elmer, gen nicht mehr zu bestrafen ich habe nichts dagegen, daß Sie hier Ihre Unterschrif- — wie das in der Praxis der meisten Bundesländer ten sammeln gehen, aber tun Sie das wenigstens so, schon vorkommt und nur noch der entsprechenden daß es den Ablauf auch optisch nicht so sehr stört. gesetzlichen Grundlage bedarf —, Ich erteile dem Kollegen Werner Ringkamp das Wort. bei Besitz von harten Drogen in kleinen Mengen zum Eigenverbrauch in Zukunft vom Legalitäts- auf das Opportunitätsprinzip überzugehen .. . Werner Ringkamp (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In der üblichen arbeitneh- — d. h. all diese Bereiche strafbar zu lassen, aber den merfreundlichen Haltung meiner Fraktion haben die Strafverfolgungsbehörden die Entscheidung zu über- meisten Redner meiner Fraktion beschlossen, ihre lassen, wo sie einschreiten und ob sie ihre sehr Rede zu Protokoll zu geben. Aber damit auch unsere knappen Ressourcen zur Bekämpfung der internatio- Argumente wenigstens verbal hier zum Tragen kom- nalen Kartelle der Drogenhändler, der Geldwäscher men — — und all derjenigen, die sich an der Not und an dem Elend junger Menschen eine goldene Nase verdie- (Gerd Andres [SPD]: Das liegt daran, daß sie nen, einsetzen oder ob sie hinter jedem kleinen nichts zu sagen haben! — Johannes Singer Junkie, Fixer oder Kiffer herlaufen und damit Arbeits- [SPD]: Faul seid ihr!) kraft von Polizei und Justiz vergeuden, die Kräfte in — So kann man Arbeitnehmerfreundlichkeit auch die völlig falsche Richtung lenken und diejenigen, die interpretieren! 18048 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 208. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. Februar 1994

Werner Ringkamp Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nach- (Heiterkeit — Gerd Andres [SPD]: Außerdem dem wir gelernt haben, mit der Laus Nikotin und der müßten bei Kohl nur Zwischenrufe kommen! Wanze Alkohol im Fell unserer Gesellschaft zu leben, — Hans-Eberhard Urbaniak [SPD]: Das hat sollen wir jetzt zu angeblich wissenschaftlichen er nicht begriffen!) Zwecken auch noch dem Floh illegale Droge Gast- recht in unserem Pelz gewähren. Werner Ringkamp (CDU/CSU): Wenn hier einer (Beifall bei der CDU/CSU) seine dritte Rede im Plenum hält, dann ist er noch nicht So schlägt es zumindest ein Gesetzentwurf des Bun- so schlagfertig wie jemand, der seit 25 Jahren im desrates vor, den wir heute in erster Lesung bera- Plenum sitzt. Das ist doch wohl normal. ten. Ich komme zurück zu den Erfahrungen in Schwe- Der Zeitpunkt dieser Beratung könnte kaum besser den, die Sie sicherlich kennen: zwei Jahre legale gewählt sein. Die FAZ vom 26. Januar berichtet über Freigabe von Drogen, exakt Verdoppelung der von ein vergleichbares Schweizer Experiment, wo Heroin Heroin und Kokain Abhängigen in Schweden. als Medizin eingesetzt werden soll. Das Bundesge- (Johannes Singer [SPD]: Wir haben uns sundheitsamt hat allerdings ähnliche Versuche bisher dagegen ausgesprochen!) — Frankfurt und Hamburg seien erwähnt — erfolg- reich zurückgewiesen. Ich glaube, hier ist es an der Das Experiment ist ruck, zuck gestoppt worden. Zeit, diesem Amt, das in den letzten Wochen in die Eine wie auch immer geartete Lockerung illegaler Schlagzeilen geraten ist, einmal Dankeschön zu Drogen erleichtert in jedem Fall die Zugänglichkeit. sagen, daß da Mitarbeiter arbeiten, die noch wirklich Der Staat verzichtet in diesem Falle nämlich darauf, ihre Pflicht tun. grundsätzlich eine Mißbilligung auszusprechen. Da- mit geschieht zweierlei, meine Damen und Herren: (Beifall bei der CDU/CSU) Damit entfällt eine wichtige Information für Täter und Meine Damen und Herren, jede Gesellschaft hat Benutzer. Das Unwerturteil des Staates über Drogen eine Drogenszene. Das ist gar keine Frage. Wir ist aber auch für die gesamte Gesellschaft wichtig. Der werden die Drogen trotz aller Gesetze und Verord- Staat stellt mit seinem Urteil gewissermaßen Richtli- nungen nicht abschaffen. Unsere bundesrepublikani- nien, Regeln auf, an die man sich, bitte schön, zu sche Drogenszene umfaßt 2,5 Millionen behandlungs- halten hat. Wenn jemand diese Regeln nicht einhält, bedürftige Alkoholiker, 800 000 zum Teil durch Ärzte dann weiß er, daß er ein hohes Risiko eingeht, und initiierte Medikamentenabhängige und 120 000 Men- zwar doppelter Art: einmal, indem er etwas für unwert schen, deren Leben von illegalen Drogen bestimmt Gehaltenes tut oder gebraucht, zum zweiten aber wird. auch, indem er dem Risiko der Strafandrohung unter- Allein dieser Vergleich der Zahlen müßte meiner liegt. Ansicht nach jedem auch nur halbwegs Einsichtigen Natürlich wissen wir, meine Damen und Herren, zeigen, daß Suchtmittel um so häufiger mißbraucht daß nicht nur beim Schach und beim Mühlespiel werden, je leichter sie zugänglich sind. gelegentlich Regeln übertreten werden. Das kann (Beifall bei der CDU/CSU) aber für uns kein Grund sein, keine Regeln aufzustel- len. Sie wissen genausogut wie wir, daß die Schätzun- Das wird auch aus dem Bericht des Drogenbeauf- gen von 40 bis 140 Milliarden DM Steuerbetrug pro tragten ganz deutlich, in dem — wie Sie auch schon Jahr ausgehen; aber kein Politiker der Welt kommt sagten — eine Zunahme von mehr als 25 % der doch auf die Idee, Steuergesetze abzuschaffen. Das Erstkonsumenten bei Kokain wegen der leichteren Abschaffen von Gesetzen kann doch wohl nicht die Zugänglichkeit konstatiert wird. Regel sein. Im Gegenteil. Je größer die Versuchung (Bundesminister : Ein guter wird, Werte in Frage zu stellen und Regeln zu brechen, Mann!) desto sorgfältiger muß der Staat durch Vorsorge und — Das ist nie bestritten worden. durch Druckmittel dafür sorgen, daß sich alle in einem vertretbaren Rahmen halten. Auch die Erfahrungen in Schweden, wo ja zwei Jahre lang — das wissen Sie hoffentlich auch — — (Beifall bei der CDU/CSU) Genau das ist die Haltung, die aus der Antwort der Bundesregierung auf die Anfrage der SPD hervor- Vizepräsident Hans Klein: Verzeihung, Herr Kol- geht, wenn Sie sie einmal auf ihren letzten Grund hin lege, ich muß nur den Herrn Bundesminister darauf abklopfen. hinweisen, daß von der Regierungsbank üblicher- Natürlich gebe ich zu: Regeln und Verbote sind kein weise keine Zwischenrufe gemacht werden. Selbstzweck. Allem staatlichen Handeln, meine Damen und Herren, liegt ein bestimmtes Menschen- bild zugrunde: zur Freiheit geboren, auf den Mitmen- Werner Ringkamp (CDU/CSU): Aber wenn sie den schen verwiesen. Wenn es einem Staat mit diesem Redner stützen, Herr Präsident! freiheitlichen Menschenbild und mit der Selbstbe- stimmung seiner Würde ernst ist, dann muß er ein Unwerturteil über Drogen fällen. Wegen des hohen Vizepräsident Hans Klein: Ich kann natürlich nicht Suchtpotentials bedeutet der Konsum solcher Stoffe nach Opportunität vorgehen. D ann dürfte ich ja einem eine — ich nenne es einmal so — Entmenschlichung CSU-Kollegen überhaupt kein böses Wort mehr seiner selbst. Der Drogensüchtige wird abhängig vom geben. Stoff. Er ist nicht mehr Herr seiner selbst. Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 208. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. Februar 1994 18049

Werner Ringkamp Wir dürfen nicht zulassen, daß beim Drogenabhän- Das Einverständnis besteht. Dann ist das so beschlos- gigen der Verlust dieser Selbstbestimmung durch sen. staatliches Dealertum anhält oder gar unnötig verlän- (Johannes Singer [SPD]: Werfen Sie uns vor, gert wird. daß wir hier reden?) (Beifall bei der CDU/CSU) Ich rufe als nächsten Redner den Kollegen Karl - Herausholen müssen wir sie aus ihrem Dahinvegetie- Hermann Haack auf. ren und aus ihrer Knechtschaft und zur freien Selbst- (Johannes Singer [SPD]: So ernst nehmt ihr entfaltung führen. ein solches Thema!) Es ist zynisch — so schreibt die Deutsche Haupt- stelle gegen die Suchtgefahren — Drogenabhängige unter dem Vorzeichen der gesellschaftlichen Akzep- Karl Hermann Haack (Extertal) (SPD): Herr Präsi- tanz ihrer Suchtstoffe nur noch zu betreuen, sie in dent! Meine Damen und Herren! Der Kollege Ring- ihrem Elend zu verwalten, anstatt Auswege aufzuzei- kamp hat in seinem Diskussionsbeitrag einen zentra- gen und Hilfen vorzuhalten und damit Leiden zu len Punkt der derzeitigen Drogendiskussion einge- lindern. führt, nämlich die Frage: Legalisierung oder Freigabe von Drogen unter kontrollierten Bedingungen oder (Beifall bei der CDU/CSU — Johannes Sin nicht kontrollierten Bedingungen. Das alles steht ja in ger [SPD]: Richtig! Ihr macht doch gar einem Zusammenhang mit der Beantwortung der nichts!) Großen Anfrage der SPD-Bundestagsfraktion, die vor- Aber wenn Sie nach dem Bundesratsantrag Heroin auf liegt und die wir heute debattieren. Krankenschein verabreichen wollen, halten Sie die Zur Frage der Legalisierung oder der Freigabe von Leute im Elend und helfen ihnen nicht. Drogen möchte ich mich äußern, weil ich denke, daß es da einige Ungereimtheiten gibt, die auch der (Beifall bei der CDU/CSU — Johannes Sin öffentlichen Erörterung bedürfen. ger [SPD]: l'un Sie das doch! 90 % aller Drogensüchtigen bleiben unversorgt!) Ich will daran erinnern, was wir alles im „Spiegel" haben lesen können: daß der Stuttgarter Polizeiprä- Der Gesetzentwurf des Bundesrates beinhaltet nicht sident Dr. Haas, Mitglied der CDU, gefordert hat, die nur einen ersten Schritt auf dem Weg zur Kapitulation Legalisierung von Drogen voranzutreiben, weil unter vor der Drogenmafia. Er unterstellt sogar, daß staatli- dem Aspekt der Zunahme von Kriminalität aus seiner che Stellen diesen ersten Schritt tun sollen. Aber wenn polizeilichen Sicht in der Beschaffung von Drogen ein es um Menschen geht, meine Damen und Herren, sind wesentliches Übel der ganzen Drogenszene liegt. Er zunächst Menschen gefragt. Dann bitte ich Sie sehr begründet das mit der landläufigen Theorie, daß die herzlich: Gehen Sie einmal heraus in die Szene. partielle Freigabe von Drogen zu einer Entkriminali- Fragen Sie ehemalige Abhängige, wie wir es denn sierung dieses Marktes führen wird, und hängt sich an machen sollen. Dann werden Sie eindeutig unisono die Debatte an, die Freigabe von leichten, von sanften hören: Gebt nicht nach! Bleibt hart! Weicht keinen Drogen wie Cannabis, Marihuana und Haschisch Zentimeter zurück! würde zu einer Spaltung der Drogenmärkte führen (Karl Hermann Haack [Extertal] [SPD]: Bleibt und einen wesentlichen Beitrag zur Entkriminalisie- sauber!) rung leisten. Eine ähnliche Einschätzung — Sie haben die Bun- Stecht keinen Deich an! Denn der Bundesrat will mit seinem Gesetzentwurf einem Kind, das in den Brun- desratsinitiative erwähnt, Sie meinen sicherlich Ham- nen gefallen ist, im Grunde eine wärmende Decke burg mit der medizinisch indizierten Freigabe von nachwerfen. Wir wollen das Kind möglichst schnell Heroin, eine ähnliche Initiative ist vom Land Hessen aus dem Brunnen herausholen und Zäune aufrichten, angekündigt — zeigt, daß auch in dem anderen gesellschaftlichen Lager unserer Republik darüber damit künftig keine Kinder mehr hineinfallen. nachgedacht wird. Ich denke, daß man jetzt in der (Beifall bei der CDU/CSU — Abg. Johannes Debatte vor der Frage steht — die Öffentlichkeit Singer [SPD] meldet sich zu einer Zwischen erwartet darauf Antwort —: Wie gehen wir mit dieser frage) Frage um? Es gibt zwei Strategien. Die eine S trategie heißt, im Superwahljahr 1994 diese ganze Debatte zu instru- mentalisieren und zu sagen: Diejenigen, die sich Vizepräsident Hans Klein: Herr Kollege Singer, die ernsthaft bemühen, sich an dieser Diskussion zu Tatsache, daß jetzt gleich der Kollege Haack und beteiligen, sind Menschen, die den Drogenkonsum anschließend noch der Kollege Meyer die einzigen fördern — das haben Sie hier in Ihrem Debattenbei- Redner in dieser Debatte sein werden, bringt die trag getan, Herr Kollege Ringkamp —, und damit im Argumente Ihrer Seite, was das Akustistische anlangt, Grunde ein politisches Ziel zu verfolgen, nämlich sowieso stärker zum Tragen. Denn alle anderen wün- diejenigen zu diffamieren, die eine differenzierte schen, zu Protokoll zu geben. *) Ich habe dafür das Betrachtung der Drogenszene auf Grund von wissen- Einverständnis des Hauses einzuholen. schaftlichen Untersuchungen verlangen. (Zuruf von der F.D.P.: Könnte das die SPD (Beifall bei der SPD — Gerd Andres [SPD]: nicht auch tun?) Leider wahr!) Es gibt eine andere Strategie, die sich an der *) Anlage 4 Betroffenheit von Drogenabhängigen, an der Be trof- 18050 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 208. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. Februar 1994

Karl Hermann Haack (Extertal) fenheit von Lebenspartnern von Drogenabhängigen, Ich rufe den Tagesordnungspunkt 15 auf: an der Betroffenheit von Eltern orientiert. Es gibt Beratung des Antrags der Abgeordneten Pe tra Initiativen von Eltern Drogenabhängiger, die sagen: Bläss und der Gruppe der PDS/Linke Liste Wir möchten von der Politik endlich einmal eine Strategie genannt bekommen, die auf der Grundlage Änderung des § 116 des Arbeitsförderungs- sicherer Forschungsergebnisse zu sagen ermöglicht: gesetzes Wir gehen hier einen Schritt weiter. — Drucksache 12/6674 — Das, was Sie machen, gerät zum Nachteil der Überweisungsvorschlag: Betroffenen. Ich sage schlicht und einfach: Der Cari- Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung (federführend) tasverband, ein guter katholischer Wohlfahrtsver- Rechtsausschuß band mit großer sozialer Erfahrung, der der CDU Ausschuß für Wirtschaft vielleicht nähersteht als der SPD, hat 1989 vier Thesen Die Kollegen, die zu diesem Tagesordnungspunkt zur Drogenpolitik formuliert. Er hat zur Legalisie- als Redner vorgesehen waren, wünschen ihre Manu- rungsdiskussion gesagt, man müssen das prüfen, man skripte zu Protokoll zu geben.*) Ist das Haus damit müsse die Substitutionstherapie mit Methadon mo- einverstanden? — Das ist der Fall. dellhaft machen. Wenn seine vier Punkte Maßstab für Dann darf ich nur noch mitteilen, daß interfraktio- den Erfolg des Nationalen Rauschgiftbekämpfungs- nell die Überweisung der Vorlage auf Drucksache planes sind, dann hat das, was die Regierung gewollt 12/6674 an die in der Tagesordnung aufgeführten hat, zu einem negativen Ergebnis geführt. Denn die Ausschüsse vorgeschlagen wird. Besteht auch damit Bundesregierung setzt offensichtlich auf weitere re- Einverständnis? — Das ist der Fall. Dann ist die pressive Drogenbekämpfung, tut sich schwer mit der Überweisung so beschlossen. Ausweitung von Substitutionsprogrammen, z. B. Me- thadon, stellt keine ausreichenden finanziellen Mittel Ich rufe den Tagesordnungspunkt 16 auf: zur Verfügung, um erprobte S trategien zur Prävention Beratung des Antrags des Abgeordneten Kon- finanziell abzustützen, und leistet keinen Beitrag zur rad Weiß (Berlin) und der Gruppe BÜND- Entkriminalisierung. NIS 90/DIE GRÜNEN Den Streit führen wir heute um die Forschungs- Anpassung der Arbeitserlaubnis bei laufenden situation. Ich wiederhole, was die SPD schon immer Arbeitsverhältnissen eingefordert hat: Diese Bundesregierung ist aufgefor- dert, die Forschung zum Drogenkonsum sowohl auf — Drucksache 12/6325 — präventiver, rehabilitativer und toxikologischer als Überweisungsvorschlag: auch naturwissenschaftlich-medizinischer Ebene zu Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung (federführend) fördern. Das ist in der Vergangenheit nicht gesche- Innenausschuß hen. Wenn wir einen gesellschaftlichen Konsens in Auch hier sollen die Reden zu Protokoll gegeben dieser Frage erreichen wollen, ist die Voraussetzung, werden. **) Stimmt das Haus dem zu? — daß diese Arbeit geleistet wird. Statt dessen wird das Das ist der Fall; dann ist das so beschlossen. Geld verplempert. Der Ältestenrat schlägt Überweisung der Vorlage Danke schön. auf Drucksache 12/6325 an die in der Tagesordnung (Beifall bei der SPD — Zuruf von der CDU/ aufgeführten Ausschüsse vor. Besteht damit Einver- CSU: Das war es ja nicht einmal we rt, daß ständnis? — Die Überweisung ist so beschlossen. man es zu Protokoll gibt!) Wir sind damit am Schluß unserer heutigen Tages- ordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bun- Vizepräsident Hans Klein: Ich schließe die Ausspra- destages auf morgen, Freitag, den 4. Februar 1994, che. 9 Uhr ein. Der Ältestenrat schlägt die Überweisung des Die Sitzung ist geschlossen. Gesetzentwurfs auf Drucksache 12/5673 an die in der (Schluß der Sitzung: 20.56 Uhr) Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vor. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? — Das ist nicht der *) Anlage 3 Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. **) Anlage 6 Deutscher Bundestag - 12. Wahlperiode - 208. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. Februar 1994 18051*

Anlagen zum Stenographischen Bericht

Anlage 1 entschuldigt bis Abgeordnete(r) einschließlich Liste der entschuldigten Abgeordneten Walter (Cochem), Ralf SPD 3. 2. 94 entschuldigt bis Abgeordnete(r) Welt, Jochen SPD 3. 2. 94 einschließlich Wohlrabe, Jürgen CDU/CSU 3. 2. 94 Belle, Meinrad CDU/CSU 3. 2. 94 Zapf, Uta SPD 3. 2. 94 Berger, Hans SPD 3. 2. 94 Borchert, Jochen CDU/CSU 3. 2. 94 * für die Teilnahme an Sitzungen der Westeuropäischen Union Clemens, Joachim CDU/CSU 3. 2. 94 Dempwolf, Gertrud CDU/CSU 3. 2. 94 Duve, Freimut SPD 3. 2. 94 Ehrbar, Udo CDU/CSU 3. 2. 94 Anlage 2 Eimer (Fürth), Norbert F.D.P. 3. 2. 94 Zu Protokoll gegebene Reden Engelmann, Wolfgang CDU/CSU 3. 2. 94 zu Tagesordnungspunkt 10 Gries, Ekkehard F.D.P. 3. 2. 94 (Sammelübersicht 122 zu Petitionen) Dr. Guttmacher, F.D.P. 3. 2. 94 (Bundessozialhilfegesetz) Karlheinz Henn, Bernd PDS/LL 3. 2. 94 Franz Romer (CDU/CSU): Der Ausgangspunkt für Ibrügger, Lothar SPD 3. 2. 94 die Sammelübersicht 135 zu Petitionen war die Jung (Limburg), Michael CDU/CSU 3. 2. 94 Befürchtung von Altenpflegeschulen, daß durch die Kiechle, Ignaz CDU/CSU 3. 2. 94 Einsparungen die gesamte Struktur dieses Ausbil- dungsbereichs auseinanderbrechen würde. Diese Kittelmann, Peter CDU/CSU 3. 2. 94 * Angst beruhte wiederum auf einer Fehlinterpretation Kolbe, Manfred CDU/CSU 3. 2. 94 durch einige Arbeitsämter. Diese hatten die Absicht Koschnick, Hans SPD 3. 2. 94 der Bundesanstalt für Arbeit mißverstanden, nur die- Marten, Günter CDU/CSU 3. 2. 94 jenigen Weiterbildungsmaßnahmen zu fördern, die Dr. Matterne, Dietmar SPD 3. 2. 94 ordnungsgemäß durchgeführt werden und deren Teil- Meißner, Herbert SPD 3. 2. 94 nehmer höchstwahrscheinlich wieder ins Arbeitsle- ben integriert werden. Dr. Menzel, Bruno F.D.P. 3. 2. 94 Mischnick, Wolfgang F.D.P. 3. 2. 94 Manche Arbeitsämter hatten dies als vollständige Molnar, Thomas CDU/CSU 3. 2. 94 Einstellung der Fördermaßnahmen ausgelegt. Daß dies von den Petenten für bedrohlich gehalten wurde, Dr. Müller, Günther CDU/CSU 3. 2. 94 * ist verständlich. Dieses Mißverständnis ist jedoch Müller (Zittau), Christian SPD 3. 2. 94 mittlerweile ausgeräumt worden. Nelle, Engelbert CDU/CSU 3. 2. 94 Die Mittel für die Fortbildung und Umschulung Neumann (Bremen), CDU/CSU 3. 2. 94 werden aber angesichts leerer Kassen nur noch gezielt Bernd dort eingesetzt, wo sie den Teilnehmern auch wirk lich Dr. Ortleb, Rainer F.D.P. 3. 2. 94 große Chancen auf dem Arbeitsmarkt bieten. Und Parr, Detlef F.D.P. 3. 2. 94 dies ist ja genau bei den Altenpflegern der Fall. Daher Philipp, Ingeborg PDS/LL 3. 2. 94 kann in bezug auf die Petition getrost Entwa rnung Rawe, Wilhelm CDU/CSU 3. 2. 94 gegeben werden. So weit, so gut. Reddemann, Gerhard CDU/CSU 3. 2. 94 * Allerdings läßt mich wie immer, wenn von der SPD Dr. Riedl (München), CDU/CSU 3. 2. 94 ein Änderungsantrag zu einer Sammelübersicht Peti- Erich tionen eingebracht wird, auch hier ein Gefühl nicht Roitzsch (Quickborn), CDU/CSU 3. 2. 94 los: daß die Opposition nämlich wieder Katastrophen- Ingrid stimmung erzeugen will. Sie wollen die Gelegenheit Sauer (Salzgitter), CDU/CSU 3. 2. 94 nutzen, um im Bundestag die Moritat von der ach so Helmut unsozialen Regierung Kohl anzustimmen. Meine Damen und Herren von der SPD, daß m an auch als Dr. Schnell, Emil SPD 3. 2. 94 Politiker als Bänkelsänger Erfolg haben kann, hat Dr. Schwarz-Schilling, CDU/CSU 3. 2. 94 nicht nur der zuständige Minister als Ordensträger in Christian Aachen bewiesen. Aber es ist meines Erachtens Dr. Soell, Hartmut SPD 3. 2. 94 * unverantwortlich, in der Politik Schauermärchen - ob Stachowa, Angela PDS/LL 3. 2. 94 gesungen oder nicht - zu verbreiten. Dr. von Teichman, F.D.P. 3. 2. 94 Sie unterhalten den Bürger damit nicht; sie verstel- Cornelia len ihm den Blick auf die Tatsachen. Und die lauten: Dr. Voigt (Northeim), CDU/CSU 3. 2. 94 Bei den Weiterbildungsmaßnahmen mußte gekürzt Hans-Peter werden. 1,4 Millionen Teilnehmer waren auf Dauer Dr. Waffenschmidt, Horst CDU/CSU 3. 2. 94 nicht zu verkraften. 18052* Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 208. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. Februar 1994

Die Haushaltslage machte es notwendig, die vor- Aber aus der vorliegenden Sammelpetition läßt sich handenen Mittel auf die notwendige Förderung zu noch ein weiterer grundsätzlicher Unterschied zwi- konzentrieren. Die zweckmäßige Förderung gilt schen Ihnen und uns herleiten: Sie stellen fest, daß daher nur noch für die Übergangsfälle. sich im Bereich der Altenpflege eine Trägerstruktur herausgebildet habe, die fast ausschließlich auf dem Wir fördern in diesem Jahr wieder ca. 600 000 Maß- AFG beruht. Diese sei durch Kürzungen gefährdet. Es nahmen der beruflichen Weiterbildung. Dafür stehen stimmt tatsächlich, daß gerade die Altenpflegeschu- mit dem Unterhaltsgeld insgesamt über 14 Milliarden len stark von den Fördermaßnahmen für Fort- und DM zur Verfügung. Weiterbildung abhängen. Aber abgesehen davon, Wir konzentrieren uns dabei aber auf die notwen- daß die Kürzungen die Altenpflege nicht gefährden, digen Maßnahmen, die denen gezielt helfen, die hinterfragen Sie schon gar nicht mehr, ob eine derar- arbeitslos oder von Arbeitslosigkeit bedroht sind. Bei tige Abhängigkeit noch als gesund zu bezeichnen diesen Maßnahmen wird es verglichen mit 1993 ist. wieder einen Anstieg der Teilnehmerzahlen geben. Man muß sich doch wirklich fragen, ob es denn Und wir konzentrieren uns bei der Förderung auf „normal" sein kann, daß weit über 60 % eines Ausbil- Maßnahmen, die den Teilnehmern wirk liche Chan- dungsjahrgangs in der Altenpflege Zweitausbildun- cen auf dem Arbeitsmarkt eröffnen. gen sind, die mit Beitragsmitteln der Bundesanstalt für Arbeit gefördert werden. Kurzfristig läßt sich dies Das alles sollte auch Ihnen nicht verborgen geblie- wohl nicht ändern: Wir brauchen die Altenpfleger und ben sein, meine Damen und Herren Antragsteller von Altenpflegerinnen heute mehr denn je, und wir wer- der Opposition. Vielleicht können Sie sich ja in den auch die Zweitausbildung weiter fördern. Aber Zukunft zur Information die Kristallkugel der Frau mittel- und langfristig sollte dies ein Ansatz zum Vizepräsidentin leihen. Allerdings hätte auch schon Umdenken in der Bildungspolitik sein. Denn offen- ein Blick in den Haushaltsplan des BMA gezeigt, daß sichtlich ist die Attraktivität des Altenpflegeberufs für in diesem Bereich nicht von finanzieller Auszehrung Schulabgänger nicht groß genug, um ihn zum Erstbe- gesprochen — oder gesungen — werden kann. ruf zu machen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, statt einer Moritat Hier sind die Länder gefragt: Nur wenn die Förde- wäre hier eher ein Loblied angesagt: Trotz des Spar- rungslücken geschlossen werden und die Ausbildung zwanges haben wir es geschafft, die notwendigen zum Altenpfleger an Anziehungskraft gewinnt, kann Maßnahmen beizubehalten. Wir haben es allerdings eine gesunde Ausbildungs- und Berufsstruktur in nicht mehr vermocht, weiterhin für Hundertausende diesem gesellschaftlich immer wichtiger werdenden von Maßnahmen, die nicht dem Zweck des Erwerbs Bereich geschaffen werden. oder der Sicherung des Arbeitsplatzes dienten, zu zahlen. Dies wäre auch nicht mehr zu verantworten Meine Damen und Herren, angesichts leerer Kassen gewesen. Und der Hauptzweck finanzieller Förde- müssen auch in der beruflichen Weiterbildung die rung nach dem AFG heißt hier nun einmal: Hilfe zur Maßnahmen Vorrang haben, die den Menschen hel- Wiedereingliederung ins Arbeitsleben. Dies erklärt fen, Arbeit zu bekommen oder zu behalten. Haupt- auch die Beschränkung auf Maßnahmen, die wirkli- merkmal für die Förderwürdigkeit ist die Erfolgs- chen Erfolg versprechen. chance. Darauf werden wir auch weiterhin unsere Mittel konzentrieren. Dies ist im Interesse der Betrof- Wenn also der Markt für eine Ausbildungssparte fenen, aber auch der Beitragszahler. Wir lehnen daher deutlich gesättigt ist, müssen die Arbeitsämter mit den Änderungsantrag der SPD ab. Ich danke Ihnen. neuen Fördermaßnahmen warten. Denn es ist ein Gebot der Ehrlichkeit den Beitragszahlern gegen- über, nur notwendige Maßnahmen zu fördern. Und es Hans Büttner (Ingolstadt) (SPD): Der Vorsitzende ist ein Gebot der Fairneß den Lehrgangsteilnehmern der Schulleiterkonferenz der staatlich anerkannten gegenüber, sie nicht in die Arbeitslosigkeit fehlzuqua- Lehranstalten für Altenpflege in Hessen hatte am lifizieren. 3. August 1993 in einem Schreiben, das schon einem Hilferuf gleichkommt, an die Fraktionen des Deut- Schließlich ist es angesichts leerer Haushaltskassen schen Bundestages appelliert, nicht länger die Mittel ein Gebot der Vernunft, Maßnahmen bei der Förde- des AFG für Umschulung und Weiterbildung zu rung zu bevorzugen, die tatsächlich auch höhere kürzen, weil dadurch die Altenpflegeausbildung in Chancen zum Wiedereinstieg ins Berufsleben bieten. Hessen weitgehend zusammenbrechen werde. Ich Förderung um des Förderns willen ist nicht mehr zitiere aus dem Schreiben: möglich. Dies bedeutet konkret das Aus für die Altenpfle- Hier scheint mir der grundsätzliche Unterschied geausbildung in Hessen. Circa 60 % der Ausbil- zwischen Ihnen von der Opposition und uns zu liegen: dungsteilnehmerinnen und -teilnehmer an hessi- Sie sehen in der ständigen Erhöhung der AFG-Mittel schen Altenpflegeschulen sind sogenannte „Um- bei gleichzeitiger Ausweitung der Fortbildungs- und schülerInnen" . Bei der Reduzierung bzw. dem Umschulungsmaßnahmen das Allheilmittel. Aber es Wegfall der Förderung nach dem AFG wird die kann doch irgend etwas nicht ganz in Ordnung sein, Anzahl der Auszubildenden drastisch sinken. Die wenn Gelder — und hier vor allem Beitragsgelder der geringe Zahl an vom Land geförderten Erstauszu- Bundesanstalt für Arbeit — für Maßnahmen herange- bildenen wird diese Lücke nicht schließen kön- zogen werden, die das gewünschte Ziel nicht errei- nen ... Das Ergebnis wird kurz bis mittelfristig chen. Dies ist nicht redlich, meine Damen und Her- sein: ren. Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 208. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. Februar 1994 18053*

1. Die Ausbildungsstätten werden zusammenbre- Parlamentsmehrheit, die nur, um eine Chaosregie- chen, d. h. schließen müssen. rung zu decken, auch den Pflegebereich personell zerstört. Deshalb dürfte es eigentlich kein anderes 2. Es wird in den nächsten Jahren keine Alten- Votum geben, als eine Berücksichtigung dieser Ein- pflegeausbildung mehr geben und auf dem gabe zu beschließen, um damit die Regierung zum Arbeitsmarkt auch kein Fachpersonal für die Umdenken zu bewegen. Ich habe auf Grund der Pflege alter Menschen mehr zu haben sein. Debatten der letzten Stunden allerdings geringe Hoff- Dieser Hilferuf, der schließlich dem Petitionsausschuß nung, daß dazu die Koalition überhaupt noch in der zugeleitet wurde, müßte eigentlich die einmütige Lage ist. Ich setze deshalb mehr auf das Votum der Unterstützung aller Abgeordneten dieses Hauses Wähler im Herbst diesen Jahres, damit wieder Ver- erhalten, die Land auf Land ab die Notwendigkeit der nunft in dieses Parlament über eine Regierungsmehr- Qualifikation von Arbeitnehmern forde rn und beson- heit für meine Partei einkehrt. ders auf die notwendige gesellschaftliche Aufgabe der Altenpflege hinweisen. Was sind eigentlich die Dr. Eva Pohl (F.D.P.): In der uns vorliegenden Sam- Krokodilstränen über die noch nicht eingeführte Pfle- melübersicht 135 zu Petitionen sowie in dem damit geversicherung wert, wenn m an gleichzeitig durch zusammenhängenden Änderungsantrag der SPD, drastische Mittelkürzung verhindert, daß überhaupt über die wir hier diskutieren, geht es um den arbeits- genügend Pflegepersonal vorhanden ist? marktpolitisch relevanten Bereich der Förderung der Die Koalitionsabgeordneten im Petitionsausschuß beruflichen Bildung. haben sich auch in dieser Frage koalitionsfromm Im Mittelpunkt dieser kontrovers im Petitionsaus- verhalten, anstatt glaubhaft das umzusetzen, was man schuß beratenen Petition steht die Befürchtung des außerhalb des Parlaments verkündet: Durch die Pfle- Petenten, daß infolge gekürzter Fördermittel nicht alle geversicherung entstünden 170 000 neue Arbeits- geplanten Maßnahmen zur Ausbildung von Alten- plätze im Pflegebereich. Wie soll das, so frage ich, pflegern und Altenpflegerinnen in Hessen für 1993, möglich sein, wenn man gleichzeitig die dafür not- 1994 durchgeführt werden könnten. Dies führe, so der wendigen Ausbildungskapazitäten zerstört? Petent weiter, zu einer „Vernichtung von Ausbil- Genau dies ist der zweite Effekt der permanenten dungsplätzen " und zu einem „Zusammenbruch und Kürzungsmaßnahmen in diesem Bereich. Über 60 % einer Zerschlagung der Ausbildungsstrukturen" in der Ausbildungskapazitäten werden dadurch zerstört, jenem Bundesland. pikanterweise viele privat organisierte Ausbildungs- Abgesehen von dieser schlimmen Wortwahl wie stätten. Da reden die Schwadroneure der Koalition „Vernichtung, Zusammenbruch und Zerschlagung" heute vormittag davon, wie sie durch Privatisierung in Zusammenhang mit der Förderung von Weiterbil- angeblich Arbeitsplätze schaffen wollen, und machen dungsmaßnahmen, bestreite ich energisch die hier durch die unsinnige Mittelkürzung auch p rivate Ein- skizzierte Befürchtung, daß nämlich der Altenpflege- richtungen wieder kaputt. Das ist keine plan- oder ausbildung in Hessen in den nächsten Jahren das sinnvolle Politik, das ist Politik by Chaos eines ausge- Ende drohe. laugten konservativen Regierungsverschnitts, der von müden und feigen Koalitionsabgeordneten durchge- Gerade in Zeiten wirtschaftlicher Rezession und schleppt wird. Denn wer behauptet, die bisher statt- struktureller Umbrüche ist die Förderung der berufli- gefundenen Kürzungen hätten keine nachteiligen chen Weiterbildung ein wichtiges arbeitsmarktpoliti- Auswirkungen, kann entweder nicht rechnen oder er sches Instrument, um auf ein drohendes weiteres glaubt immer noch, man könne die Zahl von 4 Millio- Anwachsen der Arbeitslosigkeit aktiv zu reagieren. nen Arbeitslosen mit Nichtstun oder Strafaktionen Dies war und ist Bestandteil der Arbeits- und Sozial- verringern und Pflegekräfte bräuchten alleine guten politik unserer Bundesregierung, und dies war und ist Willen, aber keine Fachkenntnis. Bestandteil der Politik auch der F.D.P. Alle Schönrednerei kann nicht verschleiern, daß die Nach Auskunft des Bundesarbeitsministeriums ste- Kürzungsmaßnahmen dazu geführt haben, daß im hen aus diesem Grunde für das Jahr 1994 finanzielle Januar 1994 nur noch 340,9 Millionen DM für Fortbil- Mittel in Höhe von rund 15 Milliarden DM für die dung und Umschulung zur Verfügung stehen; im Förderung der beruflichen Weiterbildung zur Verfü- Januar 1993 waren es noch 608,8 Millionen DM. Wer gung. Damit wird die Bundesanstalt für Arbeit auch in angesichts dieser Zahlen noch behauptet, er könne diesem Jahr in der Lage sein, in erforderlichem mit der Hälfte der Mittel die gleiche Zahl aus Ausbil- Umfang Neueintritte in berufliche Fortbildungs- und dung bzw. Umschulung finanzieren, der hat entweder Umschulungsmaßnahmen zu fördern. keine Kenntnis über die Struktur und Möglichkeit Allerdings — und das muß ehrlicherweise auch sowohl der Bildungsträger wie auch der Teilnehmer gesagt werden — werden wir nicht jedem Arbeitslo- oder er meint immer noch, die Bürger würden solche sen oder durch Arbeitslosigkeit bedrohten Arbeitneh- Rechenkunststücke nicht durchschauen. mer ein entsprechendes Umschulungsprogramm an Wer eine solche Zerstörung der Ausbildungskapa- -bieten können. Ein solches gigantisches Programm zitäten auch und gerade im Altenpflegebereich, um wäre weder arbeitsmarktpolitisch vertretbar noch finanziell realisierbar. den es hier im besonderen geht, bewußt in Kauf nimmt, indem er die Mittelkürzung auch noch schön- Erinnern wir uns doch des großen finanziellen redet, der muß sich vorhalten lassen, daß er es mit der Einsatzes der letzten Jahre: über 1,4 Millionen Arbeit- Aufgabe, das Pflegeproblem zu lösen, nicht sonderlich nehmer sind 1991 und 1992 neu in berufliche Weiter- ernst nimmt. Unser Volk hat anderes verdient als eine bildungsmaßnahmen eingetreten. 18054* Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 208. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. Februar 1994

Auf einen Aspekt bei der Förderung von Weiterbil- Zusammengerechnet für 1994 macht dies ein Ein- dungsmaßnahmen muß allerdings entschiedener als sparungspotential von fast 1,4 Milliarden DM aus. Der früher geachtet werden: Die Förderung muß sich Verweis der Bundesregierung auf die 1994 zur Verfü- konsequenterweise auf solche beruflichen Weiterbil- gung stehenden Mittel in Höhe von 14,5 Milliarden dungsmaßnahmen konzentrieren, die mit hoher DM verschweigt somit, daß 1993 noch fast 2 Milliar-- Wahrscheinlichkeit zur Wiedereingliederung der den DM mehr vorhanden waren. Selbst ein Verweis Teilnehmer in den Arbeitsmarkt führen, wie es ja auch auf die Verringerung der Überhangfinanzierung schon der Präsident der Bundesanstalt für Arbeit im gegenüber dem Vorjahr kann nicht überzeugen, da letzten Jahr gefordert hat. Gerade das traf und trifft im die effektiven Einsparungen auf Kosten der Betroffe- übrigen auf den hier zu behandelnden Bereich der nen und Maßnahmenträger gehen. Altenpflege zu, in dem nach wie vor günstige Beschäf- Auch für den Altenpflegerberuf ergeben sich somit tigungsmöglichkeiten bestehen. gravierende materielle Verschlechterungen, und dies Vor diesem Hintergrund kann ich nur zu dem angesichts eines stetig wachsenden Personalbedarfs. Schluß kommen, daß auch in diesem Jahr unsere für Die Sorge der Konferenz der Schulleiter der staatlich Weiterbildung gebundenen Finanzmittel bei richti- anerkannten Lehranstalten um den Bestand der gem Einsatz — und das ist hier der springende Altenpflege in Hessen ist deshalb mehr als berech- Punkt — auch für die Aufrechterhaltung der Alten- tigt. pflegeausbildung in Hessen ausreichen sollten. Angesichts dessen ist eine finanzielle Absicherung Die F.D.P. schließt sich somit dem Votum des von beruflichen Weiterbildungsmaßnahmen der Bun- Petitionsausschusses an, das Petitionsverfahren abzu- desanstalt dringend gefordert. Die im Dezember 1993 schließen. eingebrachte hessische Bundesratsinitiative für ein Altenpflegegesetz weist hier einen richtigen Weg. Nicht Einsparung und Abwertung, wie dies die Bun- Konrad Weiß (Berlin) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): desregierung be treibt, sondern eine bundesweite Mit der 10. Novelle des Arbeitsförderungsgesetzes Absicherung und Aufwertung des Altenpflegerberufs wurde dem Bundesarbeitsminister die Möglichkeit ist geboten. Lassen Sie die alten Menschen nicht im gegeben, den Haushalt der Bundesanstalt für Arbeit Stich. auch gegen das Votum des Verwaltungsrates der Bundesanstalt zu bestimmen. Das war ein weiterer Wir wollen, daß die vorliegende Pe tition der Bun- Baustein dafür, daß die Sozialpolitik dieser Bundesre- desregierung zur Berücksichtigung überwiesen wird, gierung zur unsozialen und rigiden Fiskalpolitik und stimmen daher dem Änderungsantrag der SPD mutiert ist. zu. Selbst vor der Vernichtung von Aus- und Weiterbil- dungsplätzen in der Altenpflege schreckt die Bundes- regierung nicht mehr zurück. Daß für die Pflege alter Menschen Personal, ja mehr Personal als bisher nötig Anlage 3 ist, wird noch niemand bestreiten können. Aber was tut die Bundesregierung? Sie streicht die ohnehin Zu Protokoll gegebene Reden knappen Mittel in diesem Bereich drastisch zusam- zu Tagesordnungspunkt 15 men. Zu welchen katastrophalen Folgen dies führen (Antrag: Änderung des § 116 wird, macht die vorliegende Pe tition, nein, der Hilfe- des Arbeitsförderungsgesetzes) ruf der hessischen Schulleiterkonferenz für Alten- pflege deutlich. Dr. Gregor Gysi (PDS/Linke Liste): Die Abgeordne- tengruppe der PDS/Linke Liste will mit dem zur Ich kann den hessischen Schulleitern nur zustim- Diskussion stehenden Antrag dazu beitragen, daß die men, wenn sie schreiben, daß „die Vernichtung von Bundesanstalt für Arbeit so schnell wie möglich wie- Ausbildungsplätzen in der Altenpflege im Zusam- der eine wirklich neutrale Rolle in Arbeitskämpfen menhang mit der geplanten Pflegeversicherung blan- einnehmen kann. ker Widersinn ist". Die Altenpflegeausbildung ist in ihrer heutigen Struktur im wesentlichen auf die För- Wir wollen die Gesetzesänderung vom 15. Mai 1986 dermaßnahmen aus dem AFG angewiesen. Die Aus- rückgängig machen und an Arbeitskämpfen nicht kunft der Bundesregierung, auch 1994 stünden aus- beteiligten Arbeitnehmern wieder ein Recht auf reichend Fördermittel zur Verfügung, ist schlichtweg Arbeitslosengeld einräumen, wenn die sonstigen Vor- falsch. aussetzungen dafür vorliegen. Tatsächlich wurden die Mittel für Fortbildungs- und Die Aktualität unseres Anliegens ergibt sich aus den Umschulungsmaßnahmen zusammengestrichen. gegenwärtigen Tarifauseinandersetzungen, insbe- Während der 1993er Haushalt dafür noch 9,57 Milli- sondere in der Metall- und Elektroindustrie. Dort wird arden DM vorsah, sind für 1994 fast 250 Millionen DM deutlich, daß die Stellung der Gewerkschaften in weniger veranschlagt. Noch deutlichere Einsparun- unserer Gesellschaft im letzten Jahrzehnt massiv gen ergeben sich beim Unterhaltsgeld, das um 6,35 geschwächt wurde. auf 5,19 Milliarden DM reduziert wurde. Die Kann Entscheidend war erstens die Politik der Deregulie- Förderungsbestimmung des AFG und die Absenkung rung von Arbeitsschutzrechten seit 1982; ich erinnere der Unterhaltsgeldsätze durch das SKWPG bedingen insbesondere an das sogenannte Beschäftigungsför- also allein beim Unterhaltsgeld 1,16 Milliarden DM derungsgesetz vom 1. Mai 1985, das Zeitarbeitsver- weniger. hältnis zu einer Massenerscheinung gemacht hat. Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 208. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. Februar 1994 18055*

Zweitens: die anhaltende Massenarbeitslosigkeit in 1990 und 1991, als der Profit aus dem Anschluß der der Bundesrepublik Deutschland sowie die politische DDR gezogen werden konnte. Veruntreuung der Industriebasis in der ehemaligen Erstens liegt der Anteil der Arbeitnehmer am Volks- DDR und die dadurch in Gesamtdeutschland auf etwa einkommen heute niedriger als 1960, insbesondere 5 Millionen angewachsene Massenarbeitslosigkeit. wenn man die Anteilverschiebungen zwischen Selb- - Drittens: die Parteinahme der Bundesregierung für ständigen und Arbeitnehmern mit berücksichtigt. die Arbeitgeber in den Tarifauseinandersetzungen, Zweitens sind wir von Vollbeschäftigung so weit und zwar seit 1984 eben nicht mehr nur verbal, entfernt wie nie zuvor in der Nachkriegszeit, ja, wir sondern ganz praktisch durch den „Franke-Erlaß" nähern uns Weimarer Verhältnissen in deren letztem vom 18. Mai 1984, der ohne die politische Rückendek- Stadium, und gerade weil sich die Koordinaten im kung aus dem Hause Blüm nicht zustande gekommen gesellschaftlichen Kräfteparallelogramm zu Lasten wäre. der sozial orientierten Kräfte verschoben haben, wird Was beim „Franke-Erlaß" noch durch die Sozialge- von konservativ-liberaler Seite das Vollbeschäfti- richte korrigiert werden konnte, haben Kohl, Blüm gungsziel wegdiskutiert und als nicht mehr erreichbar u. a. dann auf die mit unserem heutigen Antrag bezeichnet. Teile der Wissenschaft und Publizistik angegriffene gesetzliche Ebene gestellt. sekundieren dieser Position, in dem sie das „Ende der Arbeitsgesellschaft" postulieren. Heute ist es so, daß sich die Arbeitgeber gar nicht mehr um eine vorsorgliche Lagerhaltung bei sich Ganz praktisch wären diese Folgen wiederum in der abzeichnenden Arbeitskämpfen kümmern, daß sich aktuellen Tarifauseinandersetzung bei Meta ll: Seit die Arbeitgeber nicht um eine ausreichende Diversi- September 1993 signalisiert die IG Metall, daß es ihr fizierung der Zuliefererstrukturen bemühen, daß also vorrangig um Beschäftigungssicherung in der laufen- die Arbeitgeber die öffentlich beklagten Fernwirkun- den Tarifauseinandersetzung geht. Die Arbeitgeber gen eines Arbeitskampfes regelrecht selbst herbeifüh- aber setzen sich aufs hohe Roß und fordern ein ren. tarifpolitisches Rückwärts in das 19. Jahrhundert. 100 000 Arbeitnehmer können so bewußt in eine Dem Angriff der Arbeitgeber auf Urlaub und kalte Aussperrung hineingetrieben werden — wie es Urlaubsgeld und ihr Schweigen zu Beschäftigungssi- 1984 der Fall war —, und sie können damit wegen der cherungspakten entsprechen die politischen Vor- Versagung von Arbeitslosengeld faktisch zu Geiseln schläge der Herren Schäuble, Solms, Rexrodt & Co. eines Arbeitskampfes werden, der irgendwo anders in Wer allen Ernstes die Schaffung von hunderttausen- der gleichen Branche stattfindet und an dem sie sonst den Dienstmädchenjobs als Beschäftigungsoffensive nicht beteiligt sind. ausgeben will, der befindet sich geistig schon wieder oder immer noch im 19. Jahrhundert. Tatsache ist, diese Regelung des § 116 AFG vom Mai '86 zielt auf solche Gewerkschaften von der Hier wird aber auch deutlich, daß die Offensive der Struktur der IG Metall, die als häufiger Vorreiter von Arbeitgeber und die Haltung der Regierungsparteien Tarifforderungen in der alten Bundesrepublik beson- im Kern über das normale Tarifgeschäft hinausgehen. dere Angriffspunkte der Arbeitgeberverbände und Es geht um gesellschaftspolitische Weichenstellun- ihrer politischen Helfershelfer war und ist. gen, es geht um eine Republik, in der starke Gewerk- schaften keinen Platz haben sollen. Die IG Metall soll in bundesweite Branchenab- schlüsse hineingetrieben werden, mit bundesweiten Wir sehen unseren Antrag als einen Baustein, um Streiks und Aussperrungen. Jeder kann sich ausrech- einer solchen Entwicklung Widerstand entgegenzu- nen, was das finanziell bedeutet, wenn die Arbeitge- setzen. ber durch heiße und kalte Aussperrung die Zahl der am Arbeitskampf beteiligten Arbeitnehmer hochtrei- Adolf Ostertag (SPD): Die Änderung des § 116 AFG ben können. Wenn nur 1 Million Arbeitnehmer für im Mai 1986 hat zu schweren sozialen Auseinander- drei Wochen im Ausstand wären, müßte die be troffene setzungen geführt. Sie hat schließlich die sogenannte Gewerkschaft rund 1,5 Milliarden DM für Unterstüt- „Waffengleichheit" in Tarifauseinandersetzungen zungsleistungen aufbringen. Daß dies in die Kampf- zwischen Arbeitgebern und Gewerkschaften zugun- unfähigkeit führen muß, liegt auf der Hand. sten der Arbeitgeber erheblich verschoben. Der noch Deshalb müssen wir den alten Zustand im Arbeits- amtierende Arbeitsminister und diese Regierungsko förderungsgesetz wieder herstellen, wir dürfen es alition ließen sich zum H andlanger der Arbeitgeber nicht bei der Verschiebung der Machtstrukturen machen. zugunsten der Arbeitgeberverbände belassen. Der seitdem gültige § 116 AFG knebelt die Gewerk- Es gibt sicherlich weitere Faktoren für die Schwä- schaften in Tarifauseinandersetzungen. Die Aussper- chung der Gewerkschaften, z. B. der Strukturwandel rung ist zu der Waffe geworden, die sich die Arbeit- der Wirtschaft und die wachsende internationale Ver- geber schon 1899 wünschten: „Bevor wir nicht sieg- flechtung des Kapitals, aber die entscheidenden poli- reich eine große Kraftprobe angestellt haben, werden tisch beeinflußbaren Faktoren sind bereits benannt. wir nicht zur Ruhe und zum Frieden gelangen; eine solche Kraftprobe muß angestellt werden. Es muß Die Folgen dieser für die Gewerkschaften negati- dahin kommen, daß wir die Arbeiter in großen Bezir- ven Entwicklung sind schon seit einigen Jahren ken, wenn nicht in ganz Deutschland, aussperren erkennbar, wenn auch in Westdeutschland zeitweise können, damit es mit den ungerechtfertigten Anforde- verdeckt durch konjunkturelle Sonderentwicklungen rungen ein Ende nimmt." 18056* Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 208. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. Februar 1994

Seit 1986 können sie sich diese Wünsche erfüllen Es ist ein Gebot des sozialstaatlichen Anstands, daß und mit dem Knüppel einer bundesweiten Aussper- die Sicherung der Tarifautonomie und die Neutralität rung jeden Streik massiv beeinflussen. der Bundesanstalt für Arbeit bei Arbeitskämpfen per Gesetz wiederhergestellt werden müssen. Dies haben Mit dem seither geltenden § 116 AFG ist kalt wir Sozialdemokraten nach 1986 immer wieder gefor-- ausgesperrten Arbeitnehmern der Anspruch auf Kurz- dert und machen es auch zum Bestandteil unseres arbeitergeld genommen. Konkret bedeutet dies: Die Arbeits- und Strukturförderungsgesetzes. hiervon betroffenen Arbeitnehmerinnen und Arbeit- nehmer gehen bei einer solchen Aussperrung leer aus, Die sozialdemokratisch geführte Bundesregierung weil eine finanzielle Unterstützung durch die wird nach der Wahl'94 in einem „sozialpolitischen Gewerkschaften zu deren Ruin führen würde. Damit Sofortprogramm für die ersten 100 Tage" den § 116 werden große Gruppen von Beschäftigten potentiell AFG entsprechend ändern und damit die Chancen- zu Geiseln einer Tarifauseinandersetzung, auf die sie gleichheit wiederherstellen. Diese Korrektor gehört keinen direkten Einfluß nehmen können. zu einer glaubwürdigen sozialdemokratischen Poli- tik. „Waffengleichheit" heißt, den wahren Sachverhalt zu vernebeln: Die Beschäftigten werden durch das Dr. Eva Pohl (F.D.P.): Die von der PDS in ihrem hier Übergewicht der Arbeitgeber in Arbeitskämpfen ent vorgelegten Antrag vorgeschlagene Änderung des solidarisiert, die gewerkschaftlichen Streikkassen § 116 Arbeitsförderungsgesetz entspricht der Fassung durch die kalte Aussperrung geplündert und die des Arbeitsförderungsgesetzes vor seiner Änderung Kampfkraft geschwächt. durch die Bundesregierung im Jahre 1986. Dieser Schlag gegen die Arbeitnehmerinnen und Bevor ich zu einer Wertung des Antrages der PDS Arbeitnehmer und ihre Gewerkschaften war nur ein komme, ist es sicher noch einmal vonnöten, kurz die Stück einer langfristig angelegten Gesamtstrategie Hintergründe jenes „Gesetzes zur Sicherung der der unsozialen Politik dieser Regierung. Schon damals Neutralität der Bundesanstalt für Arbeit bei Arbeits- zeigte sich, wessen Interessen diese Bundesregierung kämpfen" vom 15. Mai 1986 zu skizzieren. vertritt. Zu Beginn der 80er Jahre hatten die Unternehmen, Immer mehr Beschäftigte sollen im Rahmen der um ihre Betriebskosten zu senken, ihre Lagerhaltung Deregulierung in ungesicherte, untertariflich be- drastisch reduziert. zahlte Arbeitsverhältnisse gepreßt werden. Die Gewerkschaften hatten dies in ihrer Streiktak- Uns will man weismachen, daß dadurch Arbeits- tik — der sogenannten Minimax-Strategie — berück- plätze erhalten oder neu geschaffen werden sollen. sichtigt. Doch die Arbeitslosigkeit steigt von Monat zu Monat Diese Taktik zielte darauf ab, ausgewählte Zuliefer- trotz Einschränkungen von Arbeitnehmerrechten. Die betriebe zu bestreiken. konjunkturelle und strukturelle Krise dient als Vor- Dies führte konsequenterweise dazu, daß Drittbe- wand, um Arbeitnehmerrechte zu durchlöchern und triebe, also mittelbar Betroffene, in den Arbeitskampf massiv in die Tarifautonomie einzugreifen. Die sozial- einbezogen werden mußten. staatlichen Regelungen sind doch nicht Ursache der ökonomischen Krise, sondern Garant für das Funktio- An einem 1986 vielfach zitierten Beispiel wird diese nieren unseres Wirtschaftssystems. Taktik deutlich: so hätten 7 500 Streikende in ausge- suchten Autozuliefererunternehmen 1,5 Millionen Wir Sozialdemokraten haben gegen die politisch Arbeitnehmer in der Automobil- und Zulieferindustrie durchgepaukte Schwächung der Gewerkschaften die Möglichkeit zu arbeiten nehmen können. protestiert und die Änderung des § 116 AFG als verfassungswidrig angeprangert. Den Damen und Das hätte natürlich enorme Auswirkungen auf die Herren von den Regierungsparteien war damals die Finanzierung des Gesamtstreiks gehabt: die Streik- vernichtende Kritik eines Mannes aus ihren eigenen kasse der Gewerkschaft wäre nämlich nur für die Reihen besonders lästig: ließ keinen wenigen Zulieferbetriebe aufgekommen. Zweifel daran, daß die Änderung des § 116 AFG „in Für alle anderen aber hätte die Bundesanstalt für schwerwiegender Art die Rechte der Arbeitnehmer Arbeit sorgen müssen. beeinträchtigt" . Von einer Neutralität der Bundesanstalt für Arbeit Die SPD-Bundestagsfraktion und mehrere sozialde- bei einem Streik — also genau das, was letztendlich mokratisch regierte Bundesländer haben unmittelbar die PDS hier groteskerweise durch ihren Antrag nach Abschluß der Novellierung des § 116 AFG Klage fordert — wäre nicht mehr die Rede gewesen. vor dem Bundesverfassungsgericht erhoben. Anstatt Arbeit in diesen Antrag zu verwenden, Es ist ärgerlich, daß immer noch keine Entschei- hätten die Damen und Herren von der PDS vielleicht dung vorliegt, weil unter Umständen hunderttaus- einmal nachlesen sollen, was in den Debatten im ende unbeteiligte Arbeitnehmerinnen und Arbeitneh- Februar und März 1986 hier im Bundestag dazu mer mit ihren Familien auf ihre Sparpfennige und auf gesagt wurde und wie die Entwicklung nach Ände- Sozialhilfe angewiesen wären. Durch mögliche rung des § 116 bis heute ausgesehen hat. Angriffs-Aussperrungen und vorgetäuschte Produk- Dieses Gesetz, so wetterten damals Abgeordnete tionsengpässe können die Arbeitgeber den Arbeits- von SPD und GRÜNEN, würde zu einem Abbau von kampf jederzeit und durch wenige Maßnahmen uner- Bürgerrechten, zu Sozialabbau und zu einer Störung träglich eskalieren lassen. des sozialen Friedens führen. Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 208. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. Februar 1994 18057*

Nichts davon wurde wahr. sten zu verschieben. Die Mittel der Beitragszahler nach dem Arbeitsförderungsgesetz sind weder als Aber dank der mutigen Vorgehensweise von F.D.P. Streikgelder der Gewerkschaften noch als Aussper- und CDU/CSU — trotz aller Verleumdungen und rungssubventionen der Arbeitgeber gedacht und dür- bitteren Vorwürfe auch von Gewerkschaftsseite — fen als solche auch nicht mißbraucht werden. wurde die aus Beitragsmitteln finanzierte Kasse der - Bundesanstalt für Arbeit nicht zur Streikersatzkasse. Selten ist ein Gesetzentwurf so intensiv vorbereitet und diskutiert worden, wie dies mit diesem Gesetz Nun begründet die PDS ihren Antrag mit der durch Anfang 1986 der Fall war: diese Novellierung hervorgerufenen, wie es heißt, „Unterlegenheit der abhängig Beschäftigten" und Seine Entstehungsgeschichte umfaßt einen Zeit- „einer generellen Entwertung des Streikrechts". raum von nahezu zwei Jahren. Rechtsgutachten wur- den eingeholt, Gespräche mit den Tarifpartnern Wenn die Damen und Herren von der PDS, die ja geführt, Verbände und Wissenschaftler haben sich in zum großen Teil ehemalige SED-Genossen waren, einer volle drei Tage andauernden Anhörung bis zu diese Forderungen vor sechs oder sieben Jahren in der den feinsten Verästelungen der Problematik geäu- DDR erhoben hätten, um auf die faktische Rechtlosig- ßert, Verfassungsfragen wurden hin und wieder keit der Arbeitnehmer in der DDR gerade hinsichtlich zurückgewälzt, die Fachliteratur zu einem einzigen von Streikmöglichkeiten hinzuweisen, dann wäre Paragraphen des Arbeitsförderungsgesetzes füllt ihnen Beifall sicher gewesen. inzwischen Bände. So aber ist der Antrag lediglich ein weiterer offen- Und wir sind alle klüger geworden durch diese kundiger Versucht sich mit opportunistischen Aktio- Diskussion: Wir wissen heute, daß der Gesetzgeber nen als Anwalt von Arbeitnehmern aufzuspielen. den Mut und die Kraft haben muß, die wesentlichen Nein, gerade der Teil des Arbeitsförderungsgeset- Grundsätze der Entscheidung, wann die Bundesan- zes, der sich mit dem Neutralitätsgrundsatz bei stalt für Arbeit Leistungen während laufender Arbeitskämpfen befaßt — also der § 116 —, mußte im Arbeitskämpfe erbringen darf und wann nicht, ohne Jahre 1986 zum Wohle aller gegen die Partikularinter- ihre Neutralitätspflicht zu verletzen, selbst treffen essen einer Gruppe geändert werden. muß. Daran hat sich auch 1994 nichts geändert. Es ist rechtlich problematisch und politisch illusio- när zu glauben, daß die Selbstverwaltung der Bundes- anstalt für Arbeit heute noch der richtige Ort wäre, Heinz-Adolf Hörsken (CD U/CSU): Arbeitskämpfe — so hart ihre Auswirkungen für die be troffenen Arbeit- diese Fragen der konkreten rechtlichen Umsetzung nehmer und Arbeitgeber auch sein mögen, und so von Vorgaben unseres Grundgesetzes einvernehm- gern wir es auch sehen mögen, wenn Tarifverhand- lich zu lösen, ohne daß im Endeffekt die „öffentliche lungen ohne Arbeitskämpfe zum Abschluß gebracht Bank" zum Ersatzgesetzgeber hochstilisiert würde. werden — sind lebendiger Ausdruck einer freiheitli- Die Damen und Herren von der PDS machen es sich chen Gesellschaft, einer Gesellschaft, die es den — wie so oft — sehr einfach, wenn sie lapidar und ohne Arbeitsvertragspartnern zutraut und ermöglicht, Kon- die Sachdiskussion der vergangenen Jahre auch nur flikte um die Arbeitsbedingungen ohne staatliche in Ansätzen aufzuarbeiten den Gesetzeswortlaut von Bevormundung auszutragen und zu lösen. 1969 wieder einführen wollen, einen Gesetzeswort- In einer staatlichen Befehlswirtschaft gibt es keine laut, der — wie uns die Vergangenheit gezeigt hat — Freiheit der Tarifpartner, Arbeitsbedingungen eigen- nicht dazu führt, daß Klarheit über Inhalt und Grenzen verantwortlich auszuhandeln und zu vereinbaren. staatlicher Neutralitätspflicht herrscht, sondern jeden Arbeitskampf von neuem mit Unsicherheiten bela- Da ist es schon ein Witz, wenn sich ausgerechnet die stet. Befürworter des Staatsmonopolismus, die Nachfolger jener, die den Arbeitnehmern jahrzehntelang das Wir haben die Neuregelung nicht aus Spaß an der Recht und die Fähigkeit abgesprochen haben, Löhne Auseinandersetzung getroffen, sondern weil die und Gehälter selbst zu erstreiten, als Wächter der Rechtslage — die Sie wieder einführen möchten — zu Arbeitskampfparität profilieren wollen. unerträglichen Unsicherheiten geführt hatte: jeder Arbeitskampf eine Zitterpartie um die Ansprüche auf Ich versichere Ihnen: Ihre Sorge ist unbegründet! Kurzarbeiter- oder Arbeitslosengeld. Der freiheitliche Staat Bundesrepublik Deutschland hat sich Zeit seines Bestehens aus Arbeitskämpfen Problematisch ist nicht, daß die Unparteilichkeit der herausgehalten, und er wird dies auch weiter tun! Bundesanstalt für Arbeit bei Arbeitskämpfen verletzt wäre, „wenn deren Leistungen den Arbeitskampf Das Gesetz zur Sicherung der Neutralität der Bun- beeinflussen" würden. desanstalt für Arbeit bei Arbeitskämpfen, mit dem wir den § 116 des Arbeitsförderungsgesetzes klarstellend Problematisch ist, wann dies der Fall ist. und im Sinne einer größtmöglichen Rechtssicherheit Der geltende § 116 des Arbeitsförderungsgesetzes überarbeitet haben, ist Ausdruck dieser Grundhal- beantwortet diese Fragen in aller Klarheit: tung. Erstens. Er legt unmißverständlich fest, daß Arbeit- Es sichert die Neutralität des Staates und damit den nehmer, die mittelbar vom Arbeitskampf betroffen Unparteilichkeitsanspruch des Grundgesetzes, weil sind, aber einem anderen Fachbereich angehören, es gewährleistet, daß sich weder Arbeitgeber noch immer Kurzarbeitergeld, Arbeitslosengeld oder Ar- Arbeitnehmer der Bundesanstalt für Arbeit bedienen beitslosenhilfe erhalten. Wenn der öffentliche Dienst können, um die Arbeitskampfgewichte zu ihren Gun streikt und die Stromversorgung lahmlegt, geht dies 18058* Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 208. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. Februar 1994 nicht zu Lasten des Lohnersatzanspruches des Metal- Fortschritt der Neuregelung — können Gewerkschaf- lers im Automobilbetrieb. ten und Arbeitgeber unmittelbar beim Bundessozial- gericht klagen: eine entscheidende Beschleunigung Zweitens. Mittelbar vom Arbeitskampf be troffene des Rechtsweges. Arbeitnehmer innerhalb des fachlichen und räumli- - chen Geltungsbereichs des umkämpften Tarifvertra- Siebtens. Arbeitgeber können einen Arbeitskampf ges erhalten — wie schon vor der Neuregelung — in einem anderen Tarifgebiet nicht zum Vorwand keine Leistungen. Das ist folgerichtig. Wenn in der nehmen, die Arbeit einzustellen, um dadurch Druck Metallindustrie in Nordbaden um die Tarifbedingun- auf die Arbeitnehmer auszuüben. Die Arbeitgeber gen gestritten wird, sitzen alle Metaller in diesem müssen — unter Kontrolle der Betriebsvertretung — Tarifgebiet in einem Boot, egal ob sie im Streik- oder nachweisen, daß ein Arbeitsausfall tatsächlich die Aussperrungsbetrieb oder in einem anderen Betrieb Folge des Arbeitskampfes ist. Die „kalte" Aus- beschäftigt sind. sperrung, die in der Begründung des PDS-Antra- ges angesprochen wird, wird damit gerade verhin- Drittens. Auch die mittelbar vom Arbeitskampf dert. betroffenen Arbeitnehmer außerhalb des räumlichen, aber innerhalb des fachlichen Geltungsbereichs des Achtens. Zahlt der Arbeitgeber gleichwohl den umkämpften Tarifvertrages erhalten im allgemeinen Lohn nicht — wozu er verpflichtet ist —, tritt die Arbeitslosengeld oder Kurzarbeitergeld. Bundesanstalt in Vorleistung, damit der Arbeitneh- mer gesichert bleibt. Nicht jeder Arbeitskampf in einem der räumlichen Tarifbezirke einer Tarifbranche führt — wie hier Die Öffentlichkeit wird sich selbst ein Bild davon wieder suggeriert wird — zum Ruhen der Leistungen machen, welche Regelung der zugegeben schwieri- der Bundesanstalt für Arbeit gen und komplexen Materie besser gerecht wird. Ich bin mir sicher: Der Entwurf der PDS nach dem Motto Die Fälle, in denen nicht gezahlt wird, sind vielmehr „zurück in die Rechtsunsicherheit" wird keine Mehr- eng eingegrenzt. heit finden.

Nur im Falle des „Stellvertreter-Arbeitskampfes" Da hilft den Antragstellern auch der von mir sehr — und dies stellt die geltende Regelung des § 116 AFG geschätzte E rnst Benda nicht weiter. Es ist sein gutes sicher —, d. h. nur wenn der Arbeitskampf stellvertre- Recht, als anerkannter Rechtswissenschaftler gut- tend auch für die Änderungen der Arbeitsbedingun- achtlich Rechtspositionen darzulegen. In der Sache gen der mittelbar be troffenen Arbeitnehmer geführt sind wir nicht einer Meinung. Ich erinnere an das wird und diese Arbeitslosen deshalb als beteiligt Gutachten, das die nicht minder anerkannten Profes- anzusehen sind, ruht der Leistungsanspruch. soren Dr. Ossenbühl und Dr. Richardi dem Bundesmi- nister der Justiz und dem Bundesminister für Arbeit Das Gesetz regelt im einzelnen, wann ein solcher und Sozialordnung im August 1986 erstattet haben „Stellvertreter-Arbeitskampf" vorliegt, nämlich nur und dessen Lektüre ich Ihnen empfehle: Die Gutach- wenn der letzte Beschäftigungsbetrieb des Arbeitneh- ter kommen zu dem Ergebnis, daß die Übereinstim- mers dem fachlichen Geltungsbereich des umkämpf- mung des § 116 des Arbeitsförderungsgesetzes mit ten Tarifvertrages zuzuordnen ist, im Tarifbezirk des dem Grundgesetz schlechterdings nicht zu bezweifeln mittelbar betroffenen Arbeitnehmers eine Tarifforde- ist. rung erhoben worden ist, diese erhobene Forderung nicht nur irgendeiner, sondern einer Hauptforderung Allzu durchsichtig ist die Verknüpfung, die hier des Arbeitskampfes nach Art und Umfang gleich ist, zwischen der leider hohen Zahl der Arbeitslosen des das Arbeitskampfergebnis aller Voraussicht nach in Jahres 1994 und der ,Änderung des § 116 1986 dem Tarifbezirk des mittelbar be troffenen Arbeitneh- hergestellt werden soll. Das kann so nicht stehenblei- mers im wesentlichen übernommen wird und die ben! Arbeitsbedingungen, die mit der Forderung erstrebt Wir wollen festhalten: Die hohe Arbeitslosigkeit in werden, bei ihrer Verwirklichung für den Arbeitneh- den neuen Bundesländern und zum Teil in den alten mer persönlich in Betracht kommen. Bundesländern hat nichts mit der Arbeitskampffähig- Der Leistungsanspruch ruht also nur, wenn der keit der Arbeitgeber- und Arbeitnehmerverbände zu mittelbar be troffene Arbeitnehmer am Arbeitskampf- tun! Sie ist u. a. die Folge des katastrophalen Han- ergebnis auch partizipiert. delns und Wirtschaftens der SED-Diktatur, deren Auswirkungen wir nun mit hohem Aufwand und Viertens. Im Gesetz ist ausdrücklich festgelegt, schmerzlichen Belastungen der Bürger in Ost und warm eine Forderung als erhoben gilt. West beseitigen müssen.

Fünftens. Die Entscheidung, ob ein Stellvertreter Niemand wird ernstlich behaupten können, daß die Arbeitskampf vorliegt, trifft seit der Neuregelung Ergebnisse der Tarifverhandlungen seit der Neurege- nicht mehr der Präsident der Bundesanstalt für Arbeit, lung der Neutralität der Bundesanstalt für Arbeit im sondern der Neutralitätsausschuß, dem neben dem Jahre 1986 oder gar die Einführung einer Tarifland- Präsidenten Vertreter der Gewerkschaften und der schaft in den neuen Bundesländern einseitig zu Lasten Arbeitgeber angehören. der Arbeitnehmer gegangen wären. Das Märchen von der Einschränkung der Streikfähigkeit der Gewerk- Sechstens. Gegen die Entscheidung des Neutrali- schaften ist von der Wirklichkeit als das bestätigt tätsausschusses — auch das ist ein gravierender worden, was es ist: reine Propag anda! Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 208. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. Februar 1994 18059*

Anlage 4 Dazu käme noch ein 20prozentiger Eigenanteil bei Arznei- und Behandlungskosten. Die wesentlich Zu Protokoll gegebene Reden höhere finanzielle Belastung, die der Petent jetzt zu zu Tagesordnungspunkt 11 tragen hat, wirkt dagegen wie eine Bestrafung dafür, (Sammelübersicht 135 zu Petitionen) daß er nicht jene Lebensform gewählt hat, wie sie von - (Fördermittel für Ausbildungsbedarf unserer Regierung gewünscht wird. in der Altenpflege) Wir, die SPD-Fraktion, unterstützen den Petenten in seiner Forderung nach einer neuen rechtlichen Rege- Lisa Seuster (SPD): Obwohl sie sich als Lebensform lung. längst etabliert haben, sind nichteheliche Lebensge- meinschaften gesetzgeberisch praktisch ausgegrenzt. Die Koalitionsfraktionen haben dies im Petitonsaus- Die Folge dieser ungeklärten rechtlichen Situation schuß abgelehnt. Daher bringen wir heute den vorlie- sind zahlreiche Gerichtsverfahren. Die einzige Mög genden Änderungsantrag ein, der die Bundesregie- lichkeit für die betroffenen Paare besteht darin, von rung auffordert, das Anliegen des Petenten zu berück- Einzelfall zu Einzelfall mühsam ihre rechtliche Situa- sichtigen. tion klären zu lassen — ein Bemühen, das den Wie diese Neuregelungen gestaltet werden sollte, speziellen Problemen der Be troffenen oft genug nicht ob durch eine Änderung im Rahmen der gesetzlichen in angemessener Weise Abhilfe schafft. Krankenversicherung oder durch eine innerhalb der So erging es beispielsweise auch einem Petenten, Sozialhilfe, müßte noch geprüft werden. der seit Mai 1990 mit einer Partnerin zusammenlebt, Wenn sich Menschen auf Dauer zusammenschlie- die aufgrund einer chronischen Erkrankung ständig ßen, um sich wechselseitig in allen Lebenslagen zu behandlungsbedürftig ist. Bis zu diesem Zeitpunkt helfen, wenn sie miteinander die angenehmen, aber erhielt die Frau entsprechend dem Bundessozialhilfe auch die schwierigen Seiten des Lebens verbringen gesetz (BSHG) Hilfe zum Lebensunterhalt. Als sich wollen, darf man ihnen von gesetzgeberischer Seite das Paar dann entschloß, zusammenzuleben, erkun- aus nicht noch Steine in den Weg legen. Gerade das ist digte es sich vorher auf dem Sozialamt danach, ob die aber zur Zeit bei nichtehelichen Lebensgemeinschaf- Frau auch künftig Krankenhilfe nach dem BSHG ten noch gang und gäbe. gewährt bekommen würde. Dem Petenten zufolge wurde diese Anfrage bejaht. Wer, wie im Fall des Petenten, Verpflichtungen auferlegt bekommt, muß genausogut die Möglichkeit Gut zwei Jahre lang, bis September 1992 wurde die erhalten, seine Partnerin oder seinen Partner in etwa Krankenhilfe dann auch gewährt. Als die Zahlungen so abzusichern, wie es im Rahmen einer Ehe möglich ab diesem Zeitpunkt dann mit Hinweis auf die ent- ist. sprechenden Paragraphen im BSHG ausblieben, legte das Paar im März 1992 schließlich bei verschiedenen Selbstverständlich ist uns klar, daß nichteheliche Instanzen Widerspruch ein, bis heute allerdings ohne Lebensgemeinschaften entsprechend dem A rt. 6 des Erfolg. Grundgesetzes rechtlich nicht besser gestellt werden Der Petent hat sich in dieser Situation an den dürfen als Ehepaare. Das ist auch nicht unsere Petitionsausschuß gewandt, da er fürchtet, wirtschaft- Absicht, aber wir sind auch nicht bereit hinzunehmen, lich vernichtet zu werden, wenn sein Einkommen daß sie schlechter gestellt werden. weiterhin bei der Finanzierung der Krankenhilfe sei- Die eheähnliche Lebensgemeinschaft ist längst ner Partnerin angerechnet wird. „eine typische Erscheinung des sozialen Lebens". So Das Nettoeinkommen des Petenten beträgt 2 564 hat es das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil Mark. Davon zahlt er 548 Mark zur Krankenhilfe über den Schutz dieser Lebensform im November seiner Partnerin hinzu. Das sind, meine Damen und 1992 ausdrücklich formuliert. Dieser Tatsache muß Herren, immerhin rund 22 % des Einkommens, das nach Meinung unserer Fraktion endlich auch in der dem Petenten und seiner Lebensgefährtin monatlich Gesetzgebung Rechnung ge tragen werden. netto zur Verfügung steht. Das heißt, nichtehelichen Lebensgemeinschaften Es kann nicht angehen, daß dieses Paar, wie zahl- muß endlich bisher fehlender rechtlicher Schutz zuge- reiche andere Be troffene auch, bei der Berechnung sprochen werden, zumal die mangelnde juristische der Sozialhilfe wie ein Ehepaar behandelt wird, bei Absicherung auch hier wie in vielen anderen Lebens- der Krankenversicherung aber den günstigeren Tarif bereichen typischerweise zu Lasten des Schwächeren für Verheiratete nicht beanspruchen darf. geht. Auch der Weg, sich über eine p rivate Versicherung Entgegen den gängigen Vorurteilen gehören solche abzusichern, ist ihnen versperrt, da diese Versiche- Benachteiligungen von Anfang an zu dieser Lebens- rungen chronisch Kranke gar nicht oder nur zu einem form. Auch auf juristischer Seite wird — und das zu immens hohen Beitragssatz aufnehmen. Recht — kritisiert, daß Vorurteile wie: Lebensgefähr- Wäre es möglich, daß der Petent seine Partne rin ten seien im Sozialrecht besser gestellt als Eheleute, entsprechend den Bedingungen, wie sie für Ehe- etwa bei ihren Ansprüchen auf Sozialhilfe, Arbeitslo- frauen bei seiner Versicherung, der Krankenversiche- senhilfe oder Wohngeld, nicht der Realität entspre- rung für Bundesbahnbeamte, gelten, mitversichern chen. könnte, müßte er einen Betragssatz von lediglich Immer dann nämlich, wenn Regelungen sich 53 Mark aufbringen — eine Summe, die in Anbetracht zugunsten der Partner freier Lebensgemeinschaften des Nettoeinkommens des Petenten durchaus akzep- auswirken können, werden ihre Ansprüche auf das tabel wäre. Niveau vergleichbarer verheirateter Paare zurückge- 18060* Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 208. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. Februar 1994 schraubt. Das ist sowohl was die rechtlichen Regelun- Lebenslagen zählt, beantragen, dann würde diesem gen anbetrifft, aber auch im Hinblick auf deren Antrag nur dann stattgegeben werden können, wenn Umsetzung die gängige Praxis. sowohl der Ehefrau als auch dem mit ihr in häuslicher Gemeinschaft lebenden Ehemann die Aufbringung Bevor einige von Ihnen diese Vorgehensweise als der Mittel aus Einkommen oder Vermögen nach gerechtfertigt kommentieren werden, möchte ich gesetzlichen Maßstäben nicht zugemutet werden noch einmal betonen, daß der Schutz der Familie, so wie er im Grundgesetz verankert ist, nicht bedeuten kann. kann, daß andere Lebensformen stark benachteiligt In diesem Zusammenhang stellt sich zwangsläufig werden. die Frage: Können, sollen oder dürfen in einer solchen Situation verheiratete zusammenlebende Ehegatten Die soziale Verpflichtung, wie sie im Falle der und die in einer eheähnlichen Gemeinschaft Zusam- Petition von beiden Partnern tagtäglich eingegangen menlebenden unterschiedlich behandelt werden? wird, muß anerkannt und unterstützt werden. Gemäß Art. 6 unseres Grundgesetzes stehen Ehe Das gilt gerade in einer Lebensgemeinschaft, in der, und Familie unter dem besonderen Schutz der staat- wie im vorliegenden Fall, ein Partner ständig behand- lichen Ordnung. Dieser verfassungsrechtlich gebo- lungsbedürftig ist. Die Fürsorgepflicht und zusätzliche tene Schutz verbietet eine Privilegierung, d. h. Bevor- Belastung, die daraus entsteht, darf nicht zu einer zugung nichtehelicher Lebensgemeinschaften ge- zusätzlichen Benachteiligung für eine Lebensgemein- genüber Eheleuten. schaft werden. Folgerichtig heißt es in § 122 BSHG: „Personen, die Der vorliegende Antrag gibt den Kolleginnen und Kollegen von der Regierungsfraktion die Gelegen- in eheähnlicher Gemeinschaft leben, dürfen hinsicht- lich der Voraussetzungen sowie des Umfanges der heit, endlich vernünftige Regelungen im Sinne der Sozialhilfe nicht besser gestellt werden als Ehegat- Betroffenen zu beschließen. ten. " (CDU/CSU): Bei der zur Entschei- Das bedeutet, diese Vorschrift gilt sowohl für die dung stehenden Petition wendet sich der Petent gegen Hilfe zum Lebensunterhalt als auch für die Hilfe in die Regelung von § 122 Bundessozialhilfegesetz, nach besonderen Lebenslagen. Partner von nichtehelichen der eheähnliche Gemeinschaften im Rahmen der Lebensgemeinschaften müssen sich demnach in Sozialhilfe nicht besser gestellt werden dürfen als bezug auf die Einkommens- und Vermögensanrech- Ehegatten. nung im Sozialhilferecht so behandeln lassen wie Ehepaare. Konkret geht es darum, daß der Petent für seine mit ihm in häuslicher Gemeinschaft lebende nichteheli- Damit werden eheähnliche Lebensgemeinschaften che Lebensgefährtin zur Zahlung von einkommens- nicht der Ehe gleichgestellt. Es gilt jedoch der Grund- abhängiger Krankenhilfe herangezogen wird. satz: Sozialhilfe ist die letzte Masche der sozialen Sicherung. Sie ist grundsätzlich nachrangig und kann Der Petent fordert eine gesetzliche Regelung, nach nur dann in Anspruch genommen werden, wenn im der künftig eine Inanspruchnahme von in eheähnli- Einzelfall jede Selbsthilfe außer Betracht kommt und cher Gemeinschaft Lebenden für die Krankenhilfe der wenn keine Hilfe von Unterhaltsverpflichteten oder ständig behandlungsbedürftigen Partnerin bzw. des Gleichgestellten zu erwarten ist bzw. wenn diese Hilfe Partners ausgeschlossen sein soll. Die jetzige Rechts- nicht zugemutet werden kann. lage sei für die zahlungspflichtige Person wirtschaft- lich nicht zumutbar. Die Bestimmungen von § 122 BSHG, daß sich nichteheliche Lebensgemeinschaften im Rahmen der Dazu stelle ich fest: Sozialhilfe wie Ehegatten behandeln lassen müssen, Erstens. Die Durchführung des Bundessozialhilfege- ist kein Verstoß gegen das Grundgesetz, sondern setzes und die Entscheidung im Einzelfall obliegt der bekräftigt das darin garantierte Schutzgebot der Eigenverantwortlichkeit der Länder bzw. der Kommu- Ehe. nalbehörden. Deshalb werde ich mich zu den in der Auf keinen Fall kann § 122 BSHG die Funktion Petition angesprochenen Zahlungsmodalitäten nicht zugeschoben werden, sich aus anderen gesetzlichen äußern. Bestimmungen ergebende Benachteiligungen für Zweitens. Entscheidungserheblich für die Beurteilung eheähnliche Lebensgemeinschaften auszugleichen. des Petitionsbegehrens durch den Deutschen Bundes- Die Zielsetzung des § 122 BSHG ist darauf tag ist jedoch die rechtliche Wertung. beschränkt, zu verhindern, daß Personen in nichtehe- Diese muß von der prinzipiellen Erkenntnis ausge- lichen Lebensgemeinschaften günstiger behandelt hen, daß nichteheliche Lebensgemeinschaften keine werden als Eheleute. Damit ist nicht zum Ausdruck Vorteile gegenüber Ehepaaren haben dürfen. gebracht, daß solche Gemeinschaften Ehepaaren gleichgestellt sind oder daß eine Schlechterstellung Diese Feststellung entspricht dem Schutzgebot von gegenüber Ehepaaren untersagt ist. Ehe und Familie, wie es Art. 6 unseres Grundgesetzes fordert. Nach meinem Verständnis entspricht es dem verfas- sungsrechtlichen Schutz der Ehe, daß diese Lebens- Ich frage mich, ob diejenigen, die der Zielsetzung form gesetzliche Vorteile genießt. der Petition zustimmen, sich klar darüber sind, daß sie damit Ehepaare kraß benachteiligen. Denn wäre der Ich weiß, daß das vielen in der SPD-Bundestagsfrak- Petent verheiratet und würde seine Ehefrau Kranken- tion ein Dorn im Auge ist. Deshalb wundert es mich hilfe nach § 37 BSHG, die zur Hilfe in besonderen überhaupt nicht, daß die SPD in ihrem Änderungsan- Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 208. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. Februar 1994 18061* trag ihre eigentliche Vorstellung von Ehe und Fami lie der Krankenbehandlungskosten zu verstricken oder deutlich macht: die gerade für die kranke Frau seelisch und moralisch wichtige Gemeinschaft zu beenden. Danach soll jede Lebensform, in der sich mehrere Personen auf unbestimmte Zeit wirtschaftlich zusam- Die hier eindeutig ersichtliche Benachteiligung mentun, Ehepaaren gleichgestellt werden, z. B. in der einer auf der einen Seite auch sozial erwünschten Familienversicherung zur Krankenversicherung. Als Lebensgemeinschaft ist meines Erachtens die Folge nächster Schritt käme dann wahrscheinlich, diesen eines antiquierten Familienverständnisses und eines Personenkreis in die Hinterbliebenenversorgung ein- Sozialrechts, in dem Versicherungsmöglichkeiten für zubeziehen. jeden — egal in welcher frei gewählten Form des Zusammenlebens er leben möchte — ausgeschlossen Mir sind die Anstrengungen, die die Vertreter der und in dem entwürdigende Bedürftigkeitsprüfungen SPD in der Gemeinsamen Verfassungskommission zugelassen werden. zur Änderung von Art. 6 Grundgesetz unternom- men haben, bekannt. Sie haben sich damit in der Deshalb fordert die PDS/Linke Liste in ihrem Gemeinsamen Verfassungskommission nicht durch- — morgen zur Debatte stehenden — Entwurf für eine gesetzt. neue Verfassung der Bundesrepublik Deutschland, daß „Familie, andere Lebensgemeinschaften und Sie werden sich damit auch im Deutschen Bundes- Lebensformen ... Schutz und Achtung durch den tag nicht durchsetzen — auch dann nicht, wenn sie Staat (genießen)" sollen. Hierbei ist der gesicherte versuchen, wie sie es mit dem vorliegenden Ände- rechtliche Rahmen, den die Gesetzgebung, ausge- rungsantrag probieren, diese Veränderung scheib- hend vom Bürgerlichen Gesetzbuch, der Ehe zuer- chenweise herbeizuführen. kennt, für uns Maßstab. Das Bundesverfassungsgericht hat 1972 zu A rt. 6 Weiterhin setzen wir uns für eine soziale Grund- Abs. 1 Grundgesetz ausgeführt, daß es sich hier um ein sicherung mit einem Versicherungsschutz für alle ein, mehrdimensionales Grundrecht handelt: Ins titutions- wodurch derartige Verwerfungen im. Sozialsystem garantie, Verbürgung eines Menschenrechts und eine vermieden werden. werteentscheidende Grundsatznorm. Vorerst unterstützen wir im Interesse des Petenten Deshalb sage ich, wer das Ehe- und Familienver- und seiner Partnerin so wie im Interesse vieler ähnlich ständnis durch Veränderung von Rechtsnorm um- gelagerter Fälle den Änderungsantrag der SPD, der krempelt, verläßt diese werteentscheidende Grund- Bundesregierung das Anliegen als gesetzgeberischen satznorm und verändert damit Staat und Gesell- Handlungsbedarf zumindest „zur Erwägung zu über- schaft. weisen" . Das werden wir — wie gesagt, auch scheibchen- weise — nicht zulassen, deshalb lehnen wir den Änderungsantrag der SPD-Fraktion nachdrücklich Birgit Homburger (F.D.P.): Bei der heute abend auf ab. der Tagesordnung stehenden Peti tion handelt es sich um einen sehr komplexen Sachverhalt. Es geht darum, daß der Petent sich gegen die Regelungen des Dr. Ruth Fuchs (PDS/Linke Liste): Die mehrheitlich Bundessozialhilfegesetzes wendet, nach denen bei getroffene Empfehlung des Ausschusses, das hier der Gewährung von Krankenhilfe das Einkommen benannte Petitionsverfahren abzuschließen, kann des nichtehelichen Lebenspartners angerechnet auch ich nicht teilen; ebenfalls die Begründung des wird. Votums nicht, welches da heißt — ich zitiere —, „daß eine Lebensgemeinschaft gegenüber einer Ehe nicht Der Petent lebt seit dem 1. Mai 1990 in nichteheli- privilegiert werden dürfe". cher Lebensgemeinschaft mit einer Frau zusammen, die zuvor Hilfe zum Lebensunterhalt und Kranken- Beim besten Willen kann ich — bezogen auf den hilfe nach dem Bundessozialhilfegesetz erhielt. Die Inhalt der Peti tion — kein Privileg erkennen, sondern Tatsache der nichtehelichen Lebensgemeinschaft einzig und allein eine Forderung nach Gleichstellung führte dazu, daß der Petent fortan für die Krankenhilfe bzw. Gleichbehandlung. seiner nichtehelichen Lebenspartnerin aufkommen Worum geht es: Ein berufstätiger Mann lebt mit mußte. Dabei wurde vom zuständigen Oberkreisdi- einer häufig kranken Frau zusammen. Sie erhielt rektor das anrechenbare Einkommen des Petenten auf bisher problemlos die für sie notwendigen Kranken- 2 564,23 DM festgestellt und damit ein Betrag von scheine von der Sozialhilfe. Jetzt wird ihr diese 548,85 DM als angemessener Beitrag der Beteiligung Krankenkostenbegleichung versagt, we il laut BSHG des Petenten an der Krankenhilfe der Lebenspartne- das Einkommen des Lebenspartners hinzugezogen rin festgesetzt. Dabei wies die zuständige Stelle dar- werden muß. Hier ist die Gleichstellung für gesetzlich auf hin, daß in der Vergangenheit die entstandenen geregelte Verpflichtungen gegeben. Kosten unter diesem Betrag lagen. Aus rechtlicher Sicht ist dieser Bescheid nicht zu beanstanden, denn Aber: Im Gegensatz zum Ehepartner wird dem Krankenhilfe nach § 37 BSHG ist gemäß § 28 BSHG Partner einer Lebensgemeinschaft die Mitversiche- nur zu leisten, wenn dem Hilfesuchenden und seinem rung der Lebensgefährtin über seine Krankenversi- nicht getrennt lebenden Ehegatten die Aufbringung cherung mangels eines Trauscheins verweigert. Das der Mittel aus dem Einkommen und dem Vermögen ist eindeutig eine Benachteiligung, und als Alterna- nicht zugemutet werden kann. Außerdem bestimmt tive bleibt, entweder sich in Schulden zur Bezahlung § 122 Satz 1 BSHG, daß Personen, die in eheähnlicher 18062* Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 208. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. Februar 1994

Gemeinschaft leben, hinsichtlich der Voraussetzung Anlage 5 sowie des Umfangs der Sozialhilfe nicht besser gestellt werden dürfen als Ehegatten. Diese Vorschrift gilt Zu Protokoll gegebene Reden sowohl für die Hilfe zum Lebensunterhalt, als auch für zu Tagesordnungspunkt 14 die Hilfe in besonderen Lebenslagen, wozu die Kran- (a — Gesetzentwurf zur Änderung kenhilfe zählt. Insoweit ist diese Entscheidung nicht des Betäubungsmittelgesetzes, zu beanstanden. b — Große Anfrage: Umsetzung des Rauschgiftbekämpfungsplanes) Die Schwierigkeit des Falls liegt darin, daß der Petent beanstandet, seine nichteheliche Lebenspart- nerin bei der Krankenversicherung nicht mitversi- Dr. Paul Hoffacker (CDU/CSU): Erstens. Der heute chern zu können, und daß sie darüber hinaus auch die abend in erster Lesung eingebrachte Gesetzentwurf Anforderungen für eine freiwillige Versicherung in des Bundesrates kommt den durch das Grundgesetz der gesetzlichen Krankenversicherung nicht erfüllt. aufgegebenen Schutzpflichten des Staates nicht nach. Ersteres führt zwar dazu, daß in diesem Fa ll nicht- Er ist daher grundsätzlich abzulehnen! eheliche Partner zur Unterstützung des jeweils Das Menschenbild des Grundgesetzes ist das eines anderen Partners herangezogen werden können, eigenverantwortlichen und selbstbestimmten Men- aber keine Möglichkeiten haben, die Vergünstigun- schen. Damit sind Sucht und Abhängigkeit nicht zu gen, wie sie Ehegatten offenstehen, für sich zu be an vereinbaren. Der Staat hat die Pflicht, Menschen vor -spruchen. dem Konsum von Drogen gleich welcher A rt zu Hier stellt sich meines Erachtens die grundsätzliche schützen und sie vor Abhängigkeit zu bewahren. Frage nach der Behandlung nichtehelicher Lebensge- Zweitens. Anlaß zur Entwarnung ist nicht gegeben. meinschaften. Meine Meinung ist, daß das Schutz- Nach den vorläufigen Zahlen für die Rauschgiftbilanz würdige an einer Partnerschaft einerseits ist, daß 1993 ist die Anzahl der Erstkonsumenten von Kokain Partner sich gegenseitig Lebenshilfe geben und damit und Amphetamin um 26 % bzw. 11,8 % gegenüber der einzelne bei Schwierigkeiten nicht auf die Hilfe 1992 gestiegen. der Allgemeinheit angewiesen ist. Zweitens sind Dieser Trend ist besorgniserregend. Es zeigt sich, — und das scheint mir der wich tigere Grund zu sein — daß die Gefahr, die von sogenannten Einstiegsdrogen das Schutzwürdige an ehelichen und nichtehelichen ausgeht, von immer mehr Menschen unterschätzt Lebensgemeinschaften vor allem die Kinder. Insofern wird. Diese Gefahr dürfen wir nicht auch noch durch sieht die F.D.P. weiteren Regelungsbedarf bei der die Freigabe von Heroin verharmlosen. Gleichbehandlung von Kindern aus ehelichen und nichtehelichen Lebensgemeinschaften. Ich sehe aller- Dieser Trend wird auch nicht durch den — zu dings nicht, warum nichteheliche Lebensgemein- begrüßenden — Rückgang der Zahl der Drogentoten schaften in allen Punkten der Ehe gleichgestellt wer- um 22 % in den ersten drei Quartalen des Jahres 1993 den sollten. im Verhältnis zu 1992 widerlegt. Denn die Aussage- kraft dieser traurigen Bilanz ist im Detail zu überprü- Die Schlußfolgerung, die ich aus den grundsätzli- fen, wie beispielsweise die These belegt, daß der chen Überlegungen ziehe, ist, daß die Änderung des Rückgang der Drogentoten in '93 im Verhältnis zu '92 Bundessozialhilfegesetzes hier nicht weiterhilft, da nur auf einer Änderung der Erhebungsmethoden in eine Heranziehung des jeweiligen Partners zur Unter- einigen Bundesländern beruhe. stützung des jeweils anderen Lebenspartners durch- aus angemessen und gerechtfertigt ist. Auch eine Drittens. Oberstes Ziel unserer Präventions- und Möglichkeit, daß nichteheliche Partner in der Kran- Drogenpolitik ist und bleibt die Drogenfreiheit. Dieses kenversicherung des jeweils anderen mitversichert Ziel ist durch ein differenziertes Bündel von präventi- werden können, ist nicht gerechtfertigt. Vielmehr muß ven und kurativen Maßnahmen, aber auch und nicht es bei einer Reform der Krankenversicherungen zuletzt durch general- und individualpräventive Maß- darum gehen, daß niemand mehr ohne Beitragslei- nahmen des Strafrechts zu erreichen. Prävention von stung mitversichert werden kann, sondern jeder Ver- einzelnen und von Risikogruppen durch Aufklärung sicherte auch einen entsprechenden Beitrag zur Soli- und Abschreckung sind Aufgabe jeder realitätsbezo- darversicherung leistet. Insofern ist die vorgeschla- genen Drogenpolitik. gene Änderung des Bundessozialhilfegesetzes aus Unser Ziel, nämlich die Freiheit von Drogen, wird unserer Sicht nicht wünschenswert. Was das Problem durch die Freigabe von Heroin konterkariert! Durch der freiwilligen Versicherung angeht, so wird dies ab eine — wenn auch kontrollierte — Versorgung mit dem Jahre 1996 dadurch gelöst sein, daß Sozialhil- Heroin wird kein Abhängiger von seiner Sucht befreit; feempfänger dann grundsätzlich Pflichtversicherte in es wird lediglich die Abhängigkeit verlängert, schlim- der gesetzlichen Krankenversicherung sein werden, mer noch, gesteigert: Nach amtsärztlichen Untersu- so daß die entsprechenden Voraussetzungen, die chungen werden wegen der Gewöhnungseffekte an im Anschluß für eine freiwillige Versicherung er- die Droge ständige Mengenanpassungen vonnöten reicht werden müssen, normalerweise erfüllt sein sein. Der Weg endet also in jedem Fall letal: Eine werden. Freigabe von Heroin käme damit einer Kapitulation Als Schlußfolgerung bleibt, daß die F.D.P.-Bundes- vor unserem eigentlichen Ziel gleich, Drogenabhän- tagsfraktion die vorgeschlagenen Lösungswege und gigen die Rückkehr in ein drogenfreies Leben zu die entsprechende Änderung des Bundessozialhilfe- ermöglichen. gesetzes ablehnt, wir wohl aber eine Notwendigkeit Viertens. Wir können uns unserer gesellschaftspoli- sehen, über die Fragen der Behandlung von nichtehe- tischen Verantwortung nicht dadurch entziehen, daß lichen und ehelichen Lebensgemeinschaften weiter wir quasi als „Drogen-Dealer" eine zusätzliche He- nachzudenken. Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 208. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. Februar 1994 18063*

roinquelle anbieten. Vielmehr müssen wir unseren tanz gegenüber harten Drogen steigt — nach dem Fürsorgepflichten dadurch nachkommen, daß wir Motto: Was selbst der Staat vertreibt, kann doch nicht geeignete Hilfsprogramme schaffen, um den Abhän- schädlich sein —, ist viel zu schwerwiegend, als daß gigen die Reintegration in die soziale Gemeinschaft wir uns auf ein Versuchsmodell einlassen dürften. und in das Arbeitsleben zu ermöglichen. Und gerade Neuntens. Wir müssen das Problem der Drogenab- - hier sind die Bundesländer gefragt. Warum gelingt es hängigkeit vielmehr von einer anderen Seite ange- ihnen denn nicht, die Zahl der Therapieplätze deut- hen, indem wir an dem Ziel eines drogenfreien Lebens lich zu erhöhen? Ist die Freigabe der Drogen, das festhalten und die Abhängigen in ihrem Wunsch nach Öffnen der Schleuse, das einzige, was ihnen noch Drogenfreiheit unterstützen und ihnen Perspektiven einfällt, um der Problematik der Drogenabhängigkeit schaffen. Aufklärung und Repression sind die Kern- Herr zu werden? elemente einer an diesem Ziel orientierten realitäts- Fünftens. Studien haben ergeben, daß 90 % aller bezogenen Drogenpolitik. Drogenabhängigen letztendlich ein drogenfreies Le- Dringend erforderlich ist aber auch die Schaffung ben anstreben. Ein Modell, das eine Freigabe von weiterer Entzugs-, Therapie- und Nachsorgeplätze. Heroin vorsieht, hätte für diese Gruppe, die noch eine 30 bis 40 % derjenigen, die eine Therapie beginnen, Alternative zu Drogen sieht, fatale Folgen: Jeder weiß, schließen sie auch erfolgreich ab, und diese Quote daß ein Entzug von sogenannten harten Drogen einen müssen wir erhöhen. Dazu gehört auch, für Suchtge- sehr starken Willen erfordert und mit körperlichen fährdete und Süchtige Zufluchtsorte wie Selbsthilfe- Schmerzen verbunden ist. Eröffnet man den Drogen- gruppen, Krisenzentren und Familienwohnheime zur abhängigen nun einen bequemeren Weg zu dem Verfügung zu stellen, in denen sie psychologisch Suchtmittel Heroin, so würde dies die Bereitschaft zur betreut werden und in denen sie Möglichkeiten zu Therapie innerhalb dieser Gruppe auf unverantwort- Gesprächen, medizinischer Hilfe oder zur einfachen liche Weise gefährden. Das Risiko, daß durch die körperlichen Pflege haben. Daß dieser Weg der Freigabe von Heroin auch nur ein einziger Abhängi- grundsätzlich erfolgversprechende ist, zeigt sich am ger den Willen zum Ausstieg endgültig aufgibt, da ihm Beispiel Großraum Nürnberg. Do rt ist nach vorläufi- ja eine Versorgung mit der Droge gewährleistet wird, gen Zahlen für 1993 dank verbesserter Entzugs- und ist gesellschaftspolitisch nicht zu vertreten. Therapiemöglichkeiten ein deutlicher Rückgang der Sechstens. Eine kontrollierte Abgabe von Heroin Zahl der Drogentoten um 55 % festzustellen. könnte also allenfalls für die Drogenabhängigen dis- Zehntens. Die Freigabe von Heroin ist zur Errei- kutiert werden, die nicht mehr zu integrieren sind, für chung unseres Ziels auch nicht erforderlich und somit die der Weg über einen Entzug zurück in die Gesell- schädlich! Jeder, der der Freigabe von harten Drogen schaft endgültig verschlossen ist. Die 90 % der Abhän- das Wort redet, macht sich daher nicht zuletzt auch an gigen, die — so die Meinungsumfragen — ein drogen- denjenigen schuldig, die — aus welchen Gründen freies Leben anstreben, kommen für eine Freigabe auch immer — süchtig geworden sind und aus dem von Heroin keinesfalls in Betracht. Teufelskreis der Drogensucht entfliehen wollen. Damit geht aber auch das Argument, eine staatliche Er macht sich aber auch — und das ist noch viel Versorgung mit Heroin könne zur Austrocknung der schlimmer — ohne Not an denjenigen schuldig, die illegalen Drogenmärkte führen, völlig fehl: Kontrol- — noch nicht — nach Drogen gegriffen haben. Denn lierte Heroinabgabe käme — auch nach dem vorlie- denen wird mit derartigen Experimenten die Harmlo- genden Entwurf des Bundesrates — nur für eine kleine sigkeit der Sucht vorgegaukelt. Gerade wegen unse- Gruppe von Abhängigen in Betracht, so daß die rer Kinder, um die es hierbei im Ke rn geht, kann es für Auswirkungen auf den Drogenmarkt geringfügig die CDU/CSU-Fraktion eine Zustimmung zu diesem wären. Organisierte Drogenkriminalität würde sich Entwurf des Bundesrates nicht gegeben. zudem sofort auf die nicht von dem Modell erfaßte Gruppe konzentrieren. Dr. Margret Funke-Schmitt-Rink (F.D.P.): Parteipo- Siebtens. Gleiches gilt auch für das Argument, litische Dogmen nützen wenig, um Kranken zu helfen, kontrollierte Heroinabgabe könne die Beschaffungs- und Süchtige sind Kranke. Wie helfen wir diesen und Begleitkriminalität verhindern. Zum einen wäre Kranken? Konsens war bisher in der bundesdeutschen der nicht vom Modell erfaßte Personenkreis - und Drogenpolitik, Drogenabhängige zu rehabilitieren damit der überwiegende Teil aller Abhängigen — und drogengefährdete, meist junge Menschen, vor auch weiterhin auf Beschaffungskriminalität ange- dem Einstieg in den Drogenkonsum zu schützen. wiesen. Zum anderen braucht ja auch der vom Modell Rehabilitierung meint Wiedereingliederung in die erfaßte Personenkreis Geld, um den allgemeinen Gesellschaft. Nun zeigen aber die letzten Jahre, daß es Lebensunterhalt zu gewährleisten. Wenn aber ein Drogenabhängige gibt, die nicht rehabilitierbar zu Heroinabhängiger alle vier bis sechs Stunden — sei es sein scheinen. Was machen wir mit diesen Menschen? auch unter ärztlicher Aufsicht — eine Injektion Lassen wir sie an Straßenecken und auf Bahnhöfen braucht, macht doch schon allein diese Tatsache eine vegetieren, bis sie sich den letzten „Schuß" setzen? Resozialisierung und einen geregelten Arbeitseinsatz Genau um dieses Problem, nämlich um die Situation unmöglich. Insgesamt wären also die Auswirkungen der total verelendeten „Altfixer", geht es bei dem auf die Beschaffungs- und Begleitkriminalität gering. Antrag des Bundesrates. Das Ziel dieses Gesetzent- Achtens. Das Modell einer Freigabe von Heroi n wurfs ist, neue Erkenntnisse zur Verbesserung der schließlich ist auch deshalb abzulehnen, weil es zur Behandlungsmöglichkeiten für die Drogenabhängi- Verharmlosung dieser körpergefährdenden Droge gen zu gewinnen und in einem neuen Paragraphen beiträgt. Die Gefahr, daß die gesellschaftliche Akzep eine wissenschaftliche Forschung zu Behandlungs- 18064' Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 208. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. Februar 1994 zwecken zuzulassen. Dies meint in erster Linie rung würde Abhängigen helfen — weniger Krimina- Modellversuche zur Heroinabgabe. Die Zielrichtung lisierungsrisiko und Beschaffungskriminalität —, aber ist auf jeden Fall unterstützenswert und würde auch eine zunehmende Gefährdung von Jugendlichen auf- den Forderungen des Nationalen Drogenrates und des grund der Verfügbarkeit der Drogen nach sich ziehen. Nationalen Rauschgiftbekämpfungsplanes nicht Ein weiterer wichtiger Grund ist, daß sich durch die- grundsätzlich widersprechen. Legalisierung das Suchtverhalten der Abhängigen nicht ändern würde. Auch die F.D.P. bejaht die Möglichkeit, Heroin an eine sorgfältig ausgewählte Klientel unter strenger Damit komme ich zum Tagesordnungspunkt „Bera- ärztlicher Kontrolle unter Aufsicht durch das Bundes- tung der Großen Anfrage zum Nationalen Rauschgift- gesundheitsamt, unterstützt durch ein unabhängiges bekämpfungsplan", der alle bereits angesprochenen wissenschaftliches Expertenteam, befristet abzuge- Punkte tangiert. Die Daten über die Umsetzung des ben. Die Liberalen bedauern außerordentlich, daß der Rauschgiftbekämpfungsplanes, die in der Antwort der Antrag der Stadt Frankfurt am Main, einen auf fünf Bundesregierung auf die Große Anfrage erhalten Jahre angelegten wissenschaftlich fundierten Modell- sind, stammen vom Dezember 1992. Bedauerlich ist, versuch zur Versorgung von 100 Frankfu rter daß es keine aktuelleren Daten gibt; ansonsten ist der schwerstgeschädigten „Altfixem" mit Heroin zu Bericht der Bundesregierung informativ und ehrlich. genehmigen, gerade durch das Bundesgesundheits- Aus ihm wird deutlich, daß Sucht nicht in erster Linie amt abgelehnt wurde. Diese Versuche wären notwen- mit den Mitteln des Strafrechts geheilt werden kann, dig gewesen, damit in den nächsten zwei Jahren sondern daß Süchtige individuelle Hilfsangebote Ergebnisse für die Suchtforschung vorliegen. Auch brauchen. Schätzungsweise 80 000 bis 100 000 Men- der Nationale Drogenrat hat in seinem Be richt im schen konsumieren in der Bundesrepublik harte Dro- Dezember 1993 beklagt, daß die nationale und inter- gen. In der Bundesrepublik Deutschland gibt es etwa nationale Datenlage im Drogenbereich unbefriedi- 2,5 Millionen Alkoholabhängige — ca. 40 000 Alko- gend und eine Intensivierung der Forschung unerläß- holtote — und eine vermutete Zahl von 800 000 lich sei. Medikamentenabhängigen. Etwa ein Drittel der Bevölkerung ist nikotinabhängig. Die Mehrfachab- Problematisch erscheint der F.D.P. im Gesetzent- hängigkeit ist für Süchtige normal. Das Problem ist wurf des Bundesrats, daß das Bundesgesundheitsamt nicht der Stoff, sondern die Sucht. Die F.D.P. geht von (BGA) die Aufsicht verlieren soll. An die Stelle des einem Suchtbegriff aus, der Sucht in seiner ganzen BGA tritt — so der Entwurf — die oberste Gesund- Komplexität umfaßt, da Suchtentwicklung auf vielfäl- heitsbehörde eines Landes, die die Aufsicht über tige Ursachen zurückzuführen ist. Sucht ist eine Modellversuche zur Heroinabgabe haben soll. Die Krankheit, die im Betäubungsmittelgesetz hand- F.D.P. wird den Gesetzentwurf ablehnen, weil das lungsleitend festgeschrieben werden sollte. BGA nach unserer Auffassung die entscheidende Instanz bleiben muß. Trotz dieser Kritik sehe ich hier Eine liberale Drogenpolitik in Deutschland müßte einen neuen Weg in der Drogenpolitik. Denn: Geste- folgende Eckwerte haben: hen wir uns ehrlich ein, daß die bisherige offizielle, Erstens. Förderung der Grundlagenforschung über eher starre Drogenpolitik die wirklichen Probleme Voraussetzungen und Auswirkungen von Suchtver- schlecht gelöst hat. Wir müssen uns alle — angesichts halten und Langzeitbegleitforschung von Suchtkar- internationaler Erfahrungen — zu einer mehr „akzep- rieren. tierenden" Drogenpolitik durchringen. Zweitens. Zielgruppenspezifische, kontinuierliche Beispiel Liverpool: Die Drogenabgabe — keine und flächendeckende Prävention ab dem Kindesalter. Modellversuche, sondern bereits Regelsystem in der Ziel der Prävention muß sein, Kinder und Jugendliche Krankenbehandlung — wird seit einigen Jahren mit anzuleiten, „Nein" zu Suchtmitteln zu sagen. Wir großen Erfolgen praktiziert. Die Mortalität ist gering, müssen viel mehr in Prävention als bisher —1993 rund der Gesundheitszustand der Süchtigen hat sich wäh- 22,3 Millionen — investieren. Denn es sind unsere rend des Programms verbessert, und die Zahl der Kinder, denen wir helfen müssen. AIDS-Kranken ist für eine Großstadt erstaunlich gering. Die Liverpooler Polizei ist heute der größte Drittens. Differenzierte und qualifizierte stationäre Verfechter der Drogenabgabe. Die Kriminalität ist in und ambulante Entgiftungs-, Entwöhnungs- und Ent- diesen Gebieten deutlich zurückgegangen. Auch die zugstherapieplätze sowie Nachsorgeplätze. Einrich- offene Drogenszene ist weitgehend verschwunden, tung landesweiter Zentralstellen für die Vermittlung und damit ist die Gefahrenzone für potentielle Neu- von freien Therapieplätzen — wie in NRW — nach einsteiger eingedämmt. Es existiert kein Schwarz- dem Dortmunder Modell „Therapie sofort". Durch markt mehr, da es aufgrund der Drogenabgabe auf einen Forschungsparagraphen im BTMG sollte die Rezept keinen Grund gibt, die abgegebenen Drogen Erprobung neuer Therapiekonzepte ermöglicht wer- gegen „bessere" zu tauschen. Das Liverpooler Bei- den. spiel ist natürlich nicht übertragbar, denn wir reden Viertens. Substitution als Hilfe zum Ausstieg, gere- hier nur von Modellversuchen, nicht von einer Regel- gelt vom zuständigen Arzt, begleitet mit psychosozia- abgabe. len Betreuungsangeboten sowohl für die Abhängigen Um es noch einmal deutlich zu sagen: Wir Liberale als auch für ihr soziales Umfeld. Substitution muß lehnen eine generelle Freigabe von weichen wie kurzfristig zur Verfügung gestellt werden können und harten Drogen ab. Es gibt international keine zum Instrument in einem differenzierten Gesamtkon- Erkenntnisse darüber, daß eine Legalisierung die zept der Drogenhilfe gehören. Auch als Überbrük- bestehenden Probleme lösen würde. Eine Legalisie kungshilfe für einen Therapieplatz sollte sie nach Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 208. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. Februar 1994 18065*

sorgfältiger Prüfung eingesetzt werden. Nach dem genkonsumenten selbst dienende Regelung erst Vorliegen der Ergebnisse aus den laufenden Metha- dann, wenn der Be troffene schon mit „harten" Drogen don-Modellversuchen einiger Bundesländer sind Umgang pflegt. Dann ist es aber meist schon zu spät. auch Ausweitungen von Substitutionsprogrammen Die Korrektur ist dann jedenfalls ungleich schwieriger denkbar. und aufwendiger. Deshalb findet man viele mit dem - Fünftens. Bestimmung der Kostenträger vor der Problem vertraute Eltern und Betroffene, die selbst Methadon- bzw. Entzugs- und Nachsorgebehand- entschieden gegen die Rücknahme der Strafbarkeit lung. Die Schaffung anderer Therapieangebote darf sind. zugunsten von preisgünstigeren Methadonprogram- Was die Hypothese vom Rückgang der Beschaf- men nicht vernachlässigt werden. Bürokratische fungskriminalität angeht, so gibt es dafür in den bis Hemmnisse zwischen den verschiedenen Kostenträ- jetzt unternommenen Versuchen keinen Beweis aus gern von Entwöhnungs-, Therapie-, Nachsorge- und der Praxis. Dies entspricht auch der objektiv gegebe- Substitutionsprogrammen müssen abgebaut wer- nen Sachlage. Tatsache ist nämlich: Die Abhängigkeit den. von Heroin diktiert den Tagesablauf eines Süchtigen. Sechstens. Aufstellung eines Bund-Länder-Thera- Sie läßt dem Opfer keinen Raum für ein auch nur den pie-Plans und regelmäßige Kontrolle. Bund und Län- allgemeinen Lebensunterhalt sicherndes regelmäßi- der sollten die Anzahl der Therapieplätze in jedem ges Arbeitsverhältnis. Im Gegenteil, wegen der Not- Bundesland festlegen. wendigkeit, sich alle vier bis sechs Stunden eine Dosis zu spritzen, müssen Heroinsüchtige fast wie stationäre Ich persönlich bin der Meinung, daß zur Finanzie- Patienten in der Nähe der Abgabestelle bleiben, wenn rung der Kosten des Bund-Länder-Therapie-Plans ein das System überhaupt funktionieren soll. Dazwischen Betrag vorgesehen werden soll, der einem Prozent der stehen sie unter dem Einfluß der Droge. Einnahmen aus der Branntweinsteuer und aus der Schaumwein- und Tabaksteuer (Einnahmen etwa Zudem fehlen alle organisatorischen Voraussetzun- 30 Milliarden DM) entspricht. Die auf diese Weise zur gen für eine derartige Suchtversorgungsstrategie für Verfügung stehenden Mittel, nämlich 300 Millionen, die — nach einer u. a. von Frankfurt und Hamburg sollten für Prävention und Therapie verwendet wer- geforderten Versuchsphase — wohl Tausende, gemäß den. den vorgeschlagenen Kriterien als nicht mehr thera- pierbar einzustufenden Süchtigen. Fazit: Drogenpolitik muß offensiv-präventive und therapeutische Schwerpunkte setzen und sich lösen Häufig wird auch so getan, als sei die Kampagne zur von einer reinen Defensiv-S trategie. Ihre Maßnahmen Legalisierung des Umgangs mit Drogen mittlerweile müssen sich gegen das Drogenproblem und nicht zu einer Art internationaler Bewegung geworden. gegen die Drogenabhängigen richten. Dabei ist genau das Gegenteil richtig. So war es bei der Sondersitzung der Generalversammlung der Ver- einten Nationen im September letzten Jahres in New Eduard Lintner, Parl. Staatssekretär beim Bundes- York zum Thema „Drogenmißbrauch" für mich minister des Innern: Die Forderung nach Legalisie- besonders eindrucksvoll, wie einmütig sich praktisch rung des Umgangs mit „weichen" Drogen und nach alle Redner gegen jede Legalisierung des Drogenkon- partieller „Entpönalisierung" des Besitzes von „har- sums ausgesprochen haben. Sogar der niederländi- ten" Drogen, bei jeweils kleinen Mengen zum soge- sche Vertreter hat nachdrücklich darauf hingewiesen, nannten „Eigengebrauch" wird immer wieder damit auch sein Land habe mittlerweile die Suchtstoffkon- begründet, es sei falsch, z. B. junge Leute schon vention von 1988 ratifiziert. Damit wolle er verdeutli- deswegen zu kriminalisieren. Außerdem könne so chen, auch die Niederlande dächten nicht an eine wirksam zum Rückgang der Beschaffungskriminalität „Legalisierung". beigetragen werden. Die Polizei sei dann in der Lage, sich auf die eigentlich interessanten Dealer zu kon- Der neue amerikanische „Drogenzar" Lee Brown zentrieren. Dazu einige Anmerkungen: fand besonders deutliche Worte. Er wies darauf hin, daß nach Auffassung seines Präsidenten die Legalisie- Schon heute kann von einer „Kriminalisierung" von rung von Drogen der Anfang der Selbstaufgabe der Ersttätern bei kleinen Mengen und zum Eigenge- Gesellschaft und des Staates sei. brauch überhaupt keine Rede sein. Ich wage die Behauptung, daß in einem solchen Fall des Umgangs Bei meinem kürzlichen Besuch in Washington war mit „weichen" Drogen in den letzten Jahren in es für mich besonders beeindruckend, daß gerade Deutschland kein einziges Mal gegen einen jugendli- jene Gesprächspartner, die persönlich und beruflich chen Täter eine Kriminalstrafe verhängt worden ist. besonders viel Erfahrung mit dem fast unkontrollier- Meist dürfte das Verfahren eingestellt worden sein. ten Drogengeschehen in amerikanischen Großstädten Die Forderung nach Entkriminalisierung ist daher haben, strikt gegen jede Legalisierung sind. Dabei eigentlich schon erfüllt. Andererseits gibt aber die wird zur Begründung auf die Erfahrungen mit Situa- „Strafbarkeit" der Polizei die Chance, schon in einem tionen wie in New York verwiesen. Dort sind Drogen sehr frühen Stadium möglicherweise beginnender zum Billigstpreis praktisch allgegenwärtig. Suchtmittel-Abhängigkeit einzuschreiten und z. B. Ob Lee Brown, vormals Polizeichef von New York, den Eltern den entscheidenden Hinweis auf den oder der neue FBI-Direktor Louis Freeh, früher als verhängnisvollen Umgang ihrer Kinder zu liefern. Richter und Bundesstaatsanwalt ebenfalls in New Wird der Polizei aber wie im Falle der Legalisierung York tätig, oder der Kongreßabgeordnete Rangel aus überhaupt die Befugnis zum Einschreiten genommen, Harlem, zu dessen Alltag noch heute Probleme von gibt es diese im wohlverstandenen Sinne dem Dro jung und alt mit Drogen gehören — alle befürchten sie 18066* Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 208. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. Februar 1994 eine drastische Zunahme des Konsums, erwarten alle ratifiziert hat, garantieren weltweit das gleiche keinen wesentlichen Rückgang der Beschaffungskri- Verfolgungsniveau und die internationale Zusam- minalität, aber einen deutlichen Anstieg der Folge- menarbeit. kriminalität. Dieser Gesichtspunkt wird im übrigen Wer für einen Verzicht auf diese Elemente der von den Befürwortern einer Gesetzesänderung hier in Drogenpolitik plädiert, ist bereit, ein unkalkulierbares der Bundesrepublik immer zu sehr vernachlässigt. Risiko für die Ausbreitung von Drogen und die Ver- Dabei sind Straftaten unter der Wirkung von Drogen kürzung des Weges in die Abhängigkeit einzuge- bei uns — ca. 20 bis 25 % aller Auffälligkeiten im hen. Fahrverhalten! — offenbar sehr viel zahlreicher als allgemein angenommen, bzw. oft von besonders Zwar erlaubt die nationale und internationale exzessiver Gewalt gekennzeichnet. Datenlage im Drogenbereich nur grobe Vergleiche. Aber alle verfügbaren Daten weisen aus, daß die Jemand, der sich — wie die Bundesregierung — in Bundesrepublik gegenüber anderen Ländern beim der Drogenpolitik auch immer der Wirkung von Maß- Konsum illegaler Drogen und bei den Todesfällen nahmen auf Nichtsüchtige bewußt sein muß und der eine vergleichbar günstige Situation aufweist. weiß, daß die Folgen einer falschen Entscheidung auf diesem Gebiet praktisch irreversibel sind, kann Nichts spricht für die Übernahme von Konzepten, grundlegende Umsteuerungen nicht auf der Basis die in anderen Ländern zu eher schlechteren Ergeb- unbegründeter Hoffnungen in Be tracht ziehen. Bis- nissen geführt haben. Nichts spricht für die Durchfüh- lang gibt es zum Ziel, von der Sucht freizukommen, rung sozialer Experimente ohne Netz und sicheren keine verantwortbare Alternative. Dieser Erkenntnis Boden auf Kosten der Be troffenen. wird die Drogenpolitik der Bundesregierung auch Zu diesem Ergebnis ist auch der Nationale Drogen- weiterhin folgen. rat gekommen, der in seinem Votum vom 16. Dezem- ber 1993 festgestellt hat, daß sich Aussagen über die Horst Seehofer, Bundesminister für Gesundheit: ursächliche Beziehung zwischen der durchgeführten Oberstes Ziel der Drogenpolitik der Bundesregierung Drogenpolitik und der Drogensituation in einem L and bleibt es, für ein Leben ohne Drogen und Suchtmittel aus der Literatur nicht schlüssig belegen lassen. In einzutreten. Dies gilt in ganz besonderem Maße für dem Votum wird daraus der Schluß gezogen: junge Menschen, die vor dem Einstieg in den Sucht- mittelkonsum bestmöglich zu schützen sind. Eine Übertragung von drogenpolitischen Kon- zepten anderer Länder auf Deutschland ist des- Dabei geht die Bundesregierung von den Zielen halb nicht gerechtfertigt. Die bisherigen Erkennt- aus, die im Nationalen Rauschgiftbekämpfungsplan nisse aus dem internationalen Bereich, die wis- einvernehmlich mit den Ländern, Gemeinden, Ver- senschaftlich schlecht abgesichert sind, sprechen bänden und allen maßgeblichen gesellschaftlichen dafür, daß die bundesdeutsche Drogenpolitik Gruppen festgelegt wurden. Dies bedeutet für die eigenständig weiterentwickelt und evaluiert Prävention: totale Abstinenz von illegalen Drogen; wird. selbstkontrollierter Umgang mit „legalen" Suchtmit- teln wie z. B. Alkohol und Tabakerzeugnissen mit Drogenpolitik ist Hilfe für die Be troffenen. Die dem Ziel weitgehender Abstinenz; bestimmungsge- Drogenpolitik der Bundesregierung ist dies in beson- mäßer Gebrauch von Medikamenten. derem Maße. Im Rahmen seiner verfassungsrechtli- chen Möglichkeiten hat der Bund das Beratungs- und Der Präventionsarbeit liegt somit ein breiter Sucht- Behandlungsangebot für Gefährdete und Abhängige begriff zugrunde, der illegale und legale Suchtmittel sowie deren Angehörige ausgebaut und differen- umfaßt. ziert. Legalisierung und Entkriminalisierung sind Irr- Die Bundesregierung appelliert nachdrücklich an wege. Die Bundesregierung lehnt es in Übereinstim- Länder, Kommunen und die Kostenträger, diese mung mit dem Nationalen Drogenrat ab, die Strafvor- Angebote entsprechend dem Bedarf in gemeinsamer schriften des Betäubungsmittelgesetzes auf be- Planung abzustimmen und flächendeckend auszu- stimmte illegale Drogenarten zu begrenzen und z. B. bauen, damit Drogenabhängigen schnell und mög- den Besitz von Haschisch nur noch als Ordnungswid- lichst unbürokratisch geholfen werden kann. rigkeit einzustufen oder gar freizugeben. Die z. T. unverhältnismäßig langen Wartezeiten für Eine Streichung bzw. ein „Aufweichen" der gesetz- einen Entgiftungs- oder Therapieplatz entmutigen lichen Verbote wäre gerade für die Prävention und die therapiewillige Drogenabhängige. Die überwiegende Verhütung des Drogenmißbrauchs bei jungen Men- Mehrheit der Abhängigen will ihren Drogenkonsum schen das falsche Signal. Diese Verbote sind zugleich aufgeben und ein drogenfreies Leben führen. Warnzeichen und dienen der Gefahrenabwehr. Sie unterstützen die Aufklärung und Vorbeugung durch In einer Befragung von Abhängigen durch die Eltern, Erzieher und andere Multiplikatoren in der Mitarbeiter in der Drogenhilfe hatten nur 10 % eine Jugendarbeit wirkungsvo ll. ablehnende Einstellung zur Abstinenz. Fast 90 hatten eine Vielzahl von Maßnahmen unternommen, Die Strafvorschriften helfen bei der Bekämpfung um abstinent zu werden; 30 % warteten zum Zeit- des Drogenangebotes. Sie ermöglichen es den Straf- punkt der Befragung auf einen qualifizierten Entzugs- verfolgungsbehörden, konsequent und hart gegen platz und weitere 30 % auf einen Therapieplatz. den illegalen Drogenhandel und -schmuggel vorzu- gehen. Die internationalen Übereinkommen gegen Diese Initiative und Bereitschaft des Abhängigen den illegalen Verkehr mit Drogen, die Deutschland muß genutzt und darf nicht durch fehlende Therapie- Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 208. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. Februar 1994 18067* plätze oder langwierige Auseinandersetzungen über psycho-sozialer Begleitung. Alles andere lehnt die die Kosten aufs Spiel gesetzt werden. Bundesregierung ab, weil es nicht dem eigentlichen Ziel — dem Loskommen von der Sucht — dient. Deshalb sollten sich die Länder auf den Ausbau der Therapieplätze konzentrieren, statt mit immer neuen Deshalb lehnt die Bundesregierung auch den Ersatzdrogen-Diskussionen aufzuwarten. Es wäre für Gesetzentwurf des Bundesrates vom 18. Juni 1993 zur die Glaubwürdigkeit der Politik ein schlechtes Zei- Änderung des Betäubungsmittelgesetzes ab. Er sieht chen, wenn hinter diesen Diskussionen die Überle- vor, daß das Bundesgesundheitsamt künftig eine gung stecken würde: Ein differenziertes Therapiean- Ausnahmegenehmigung für Forschungsvorhaben mit gebot muß u. a. von den Ländern getragen werden, nichtverkehrsfähigen oder nichtverschreibungsfähi- Ersatzdrogen aber zahlt die Krankenversicherung! — gen Betäubungsmitteln, insbesondere Heroin, nicht Meine Damen und Herren, die Bundesregierung wird mehr auf Grund eigenen fachlich-wissenschaftlichen dies nicht zulassen. Ermessens erteilen kann, sondern eine Genehmigung erteilen muß, wenn ein Land das Vorliegen bestimm- Die Bundesregierung richtet ihre Politik darauf aus, ter Voraussetzungen geltend macht. Drogenabhängige von ihrer Sucht zu befreien und ihnen ein Leben ohne Drogen zu ermöglichen. Gleich- Diese Änderung zielt darauf ab, daß solche Betäu- wohl geht sie davon aus, daß für einige Drogenabhän- bungsmittel, insbesondere Heroin, künftig unter gige dieses Ziel nur sehr langfristig und für eine kleine staatlicher Aufsicht und Kontrolle durch Ärzte an Teilgruppe vielleicht sogar niemals zu erreichen ist. Drogenabhängige oder im Rahmen einer Schmerzthe- Deshalb befürwortet sie auch Teil- und Hilfsziele auf rapie verabreicht werden dürfen. dem Weg in die Drogenfreiheit. Wer die kontrollierte Freigabe von Heroin fordert, Deshalb ist der Ausbau von niedrigschwelligen begibt sich auf einen gefährlichen Irrweg mit unkal- Angeboten als Überlebenshilfen für Abhängige geför- kulierbarem Ende. Expe rimente auf Kosten der dert worden. Deshalb sind auch Einrichtungen zur Betroffenen lehnt die Bundesregierung ab. bedingungslosen Entgiftung aufgebaut worden. Die Bundesregierung steht zu ihrer Verantwortung. Methadontherapie braucht therapeutisches Um- Und deshalb sagt sie ein klares „Nein" zu allen feld. Deshalb ist auch durch Änderungen des Betäu- Experimenten, Sucht mit Suchtmitteln zu bekämpfen. bungsmittelgesetzes und der Betäubungsmittel-Ver- Wir müssen vielmehr Suchtkranken jede Hilfe geben, schreibungsverordnung die Substitution mit Metha- sich aus dem Teufelskreis der Abhängigkeit zu don erleichtert worden. Substitution kann in begrün- befreien, und wir müssen der Vorbeugung und Ver- deten Einzelfällen zur Schadensbegrenzung beitra- hütung höchste Priorität einräumen, denn dies ist die gen und einen Schritt zum Ausstieg aus der Drogen- wirkungsvollste Strategie zur Reduzierung der Nach- szene darstellen. frage nach Drogen. Von entscheidender Bedeutung neben der Verab- Sucht kann nicht durch Suchtmittel geheilt werden. reichung des Medikamentes ist aber die psychoso- Die Gesetzesinitiative des Bundesrates widersp richt ziale Begleitung, die leider bisher völlig unzureichend völlig den bereits erwähnten Zielen der Drogenpolitik geleistet wird. der Bundesregierung, nämlich Drogenabhängige von Aus dem Abschlußbericht des Bundesmodellpro- ihrer Sucht zu befreien und Drogengefährdete, meist gramms zur niedrigschwelligen Drogenarbeit wird junge Menschen, vor dem Einstieg in den Drogenkon- deutlich, daß die Zahl der Substitutionsmaßnahmen sum bestmöglich zu schützen. die vorhandenen personellen Kapazitäten in den Im übrigen kann die Initiative weder die Situation Drogenhilfeeinrichtungen weit übersteigt. Der Bedarf der Schmerzpatienten noch die der Drogenabhängi- nach psychosozialer Unterstützung bei substituierten gen verbessern. Klienten konnte von dem vorhandenen Drogenhilfe- Für die Schmerztherapie steht heute bereits ein system nicht gedeckt werden. breites Spektrum von hochwirksamen und erprobten Deshalb suchten die Klienten Hilfe in den Einrich- Betäubungsmitteln zur Verfügung. Es kommt jetzt nur tungen des Modellprogramms, obwohl dieses von darauf an, daß insbesondere die niedergelassenen seiner ursprünglichen Konzeption her solche Hilfen Ärzte ihren Wissensstand über die moderne medika- nicht vorsah. mentöse Schmerzbekämpfung auf dem neuesten Eine Methadonvergabe ist deshalb mit einem Stand halten und die gesetzlichen Verschreibungs- Angebot an psychosozialen Betreuungsmaßnahmen möglichkeiten zugunsten dieser Patienten ausschöp- zu verbinden, für das Kommunen, Länder und eventl. fen. Kostenträger aufkommen müssen. Und auch für Drogenabhängige ist durch die ver- Die Methadonsubstitution ist keineswegs der „Kö- suchsweise Verabreichung von Heroin keine Verbes- nigsweg" zur Lösung des Drogenproblems, sondern in serung der Behandlungsmöglichkeiten zu erwarten. medizinisch und gesundheitspolitisch besonders be- Heroin ist ja kein Substitutionsmittel wie z. B. Me- gründeten Ausnahmefällen ein Instrument neben vie- thadon. Während Methadon bei fachgerechter An- len anderen. Die Methadonsubstitution ist eine Über- wendung kaum eine euphorisierende Wirkung hat gangshilfe; sie darf nicht als ein auf Dauer angelegtes und im Laufe einer ärztlichen Behandlung auf eine Therapiekonzept mißbraucht werden. Methadonsub- „Erhaltungsdosis" eingestellt und sogar herunterdo- stitution hat vor allem ihre Berechtigung bei AIDS- siert werden kann, verschafft Heroin dem Abhängi- Kranken und Schwangeren, in begrenztem Umfang gen den ersehnten „Kick" und tendiert zur unkontrol- und unter strenger ärztlicher Kontrolle mit intensiver lierbaren Toleranz- und Dosissteigerung. 18068' Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 208. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. Februar 1994

Heroin muß in der Regel alle 4 bis 6 Stunden So hat sich der Nationale Drogenrat insbesondere intravenös verabreicht werden. Damit ist es für den dafür ausgesprochen, daß die möglichen Instrumente Abhängigen — anders als bei der nur alle 24 Stunden zur Umsetzung des Prinzips „Hilfe vor Bestrafung" auf erforderlichen oralen Methadonvergabe — fast der Basis des geltenden Rechts bundesweit in gleicher unmöglich, die für die soziale Integration unverzicht- Weise und in vollem Umfang ausgeschöpft werden. baren mitmenschlichen Kontakte aufzubauen sowie Hier stehen die Länder in der Pflicht. regelmäßig geeignete Ausbildungs- oder Arbeitsstät- Weiter hat der Nationale Drogenrat angeregt, bei ten aufzusuchen. der Umsetzung des Prinzips „Hilfe vor Bestrafung" Heroin, auch wenn es vom Arzt verabreicht wird, nicht ausschließlich auf das Kriterium der „geringen verhindert somit im Ergebnis — anders als Metha- Menge" abzustellen, sondern alle individuellen don — jede wirksame Hilfe für den Abhängigen: Er Umstände des Einzelfalls zu würdigen. bleibt abhängig, er bleibt isoliert, und er ist meist nicht Dies muß insbesondere dann gelten, wenn es sich in Arbeit und Wohnung vermittelbar. z. B. um einen nicht der Drogenszene zuzuordnenden Damit bestehen auch die negativen Folgen der Zufallstäter handelt. Die Zukunftsperspektive junger Abhängigkeit wie Beikonsum anderer Drogen, Menschen darf nicht wegen einer Dummheit verbaut Beschaffungskriminalität und die Gefahr der tödli- werden. Dies ist keine Aufweichung der Grundsätze chen Überdosierung weitgehend fort. der Drogenpolitik, sondern Hilfe und mehr Gerechtig- keit im Einzelfall. Therapie statt Suchtmittel: Schließlich ist zu befürchten, daß die staatliche Vergabe harter Drogen Gegen die Suchtprobleme gibt es keine Patentre- insgesamt zu einem weiteren Anstieg der Zahl der zepte. Abhängigkeit ist eine Krankheit, die schwer zu Süchtigen führen wird. Alle Süchtigen werden versu- behandeln ist. Es gibt aber Erfolgschancen. Bei einem chen, Heroin zu bekommen, statt den schweren Weg Vergleich mit anderen Ländern erweist sich die Bun- einer Drogenentzugstherapie zu gehen. Und viele desrepublik als ein Land mit hoher Lösungskompe- Neueinsteiger werden die Suchtgefahren von Heroin tenz. künftig unterschätzen, wenn der Gesetzgeber die Der Nationale Drogenrat hat die Bundesregierung ärztliche Verabreichung von Heroin an Abhängige in seiner Sitzung am 16. Dezember 1993 deshalb darin zuläßt. Nicht zuletzt wird die Präventionsarbeit gegen bestärkt, ihren Weg in der Drogenpolitik fortzusetzen illegale Drogen ihre Glaubwürdigkeit verlieren. und weiterzuentwickeln. Und genau dies werden wir Die Vergabe von Heroin ist daher mit der erhebli- tun. chen Gefahr verbunden, daß die Zahl der Heroinkran- ken nicht geringer, sondern größer wird. Auch die Güterabwägung der Interessen der Gesellschaft gegen die des Schwerstabhängigen zwingt dazu, den Abhängigen auf den Weg der Anlage 6 Therapie zu verweisen und die bloße Bef riedigung seiner Sucht mit Heroin auf Kosten und Gefahr der Zu Protokoll gegebene Reden Allgemeinheit abzulehnen. zu Tagesordnungspunkt 16 (Antrag: Anpassung Die Diskussion der letzten Monate hat deutlich der Arbeitserlaubnis gezeigt, daß sich die „Freigabe-Spirale" immer bei laufenden Arbeitsverhältnissen) schneller dreht: Vor anderthalb Jahren hat man noch über Methadon diskutiert, jetzt ist man schon bei der Freigabe von Heroin, wenn auch unter dem Deck- Konrad Weiß (Berlin) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): mantel von Forschung und Erprobung. Und z. T. wird Ich möchte Ihnen an einem mir bekannten Fall das ja heute schon öffentlich ein individuelles „Recht auf Anliegen unseres Antrages erläutern: Ein junger Rausch" proklamiert. Mann aus der Türkei hält sich seit einigen Jahren in der Bundesrepublik Deutschland auf. Vor dem Ver- Aber die daraus zwangsläufig entstehenden Fol- waltungsgericht werden derzeit die Details seines geprobleme soll dann die Gemeinschaft tragen. Das Verfolgungsschicksals und damit seine Asylberechti- wird die Bundesregierung nicht zulassen! gung geklärt. Vermutlich wird er als Asylberechtigter anerkannt werden, jedenfalls ist auf Grund drohender Hilfe vor Bestrafung: Das Betäubungsmittelgesetz Verfolgung eine Abschiebung nicht möglich. enthält — seit 1992 noch verbesserte — spezielle Regelungen, damit möglichst viele straffällige Dro- Dieser junge Mann arbeitet seit drei Jahren in einer genabhängige statt Strafvollzug den Weg zur Thera- Fabrik als Produktionshelfer. Er zahlt Steuern, Sozial- pie wählen können. versicherungsbeiträge und kann seinen Lebensunter- halt ohne staatliche Hilfe sicherstellen. Seine allge- Darüber hinaus bestehen die Möglichkeiten der meine Arbeitserlaubnis war von Anfang an auf das Einstellung von Strafverfahren, des Absehens von konkrete Arbeitsverhältnis beschränkt und zeitlich Strafe und der Aussetzung von Strafen zur Bewährung befristet, wurde jedoch zunächst vom Arbeitsamt mit präventiven oder therapeu tischen Auflagen. mehrmals problemlos verlängert. Auf Grundlage In Übereinstimmung mit dem Nationalen Drogenrat eines neuen Erlasses der Bundesanstalt für Arbeit vom werde ich mich dafür einsetzen, daß diese Elemente 5. März 1993 wurde dann jedoch die Verlängerung zu einem wirksamen Instrument der „Hilfe vor Bestra- der Arbeitserlaubnis verweigert und der Firma ein fung" ausgebaut werden. deutscher Arbeitsuchender nachgewiesen. Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode - 208. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. Februar 1994 18069*

Die Firma kündigte notgedrungen ihrem türkischen BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN setzt sich, auch wenn Mitarbeiter und stellte den zugewiesenen arbeitslo- von der Abteilung Agitation und Propaganda der PDS sen Deutschen ein. Der junge Türke erwirkte unter verleumderisch etwas anderes behauptet wird, für die Hinweis auf die fehlende Einzelfallprüfung eine einst- völlige Gleichberechtigung und Gleichbehandlung weilige Anordnung vor dem Sozialgericht dahin von Ausländern in Deutschland ein. Wir wollen, daß gehend, daß die Arbeitserlaubnis zu verlängern sei. alle Menschen, die sich rechtmäßig für längere Zeit im Die Firma beschäftigte ihn weiter und mußte den Bundesgebiet aufhalten, hier unabhängig von ihrer Neueingestellten entlassen. Nach Auslaufen der auf Nationalität und ihrem speziellen Aufenthaltsstatus drei Monate befristeten allgemeinen Arbeitserlaubnis arbeiten dürfen. Dem dient der vorliegende Antrag. wiederholte sich das Procedere. Wie es beim nächsten Kurzfristig aber muß zumindest zu der früheren Praxis Auslaufen der Arbeitserlaubnis weitergeht, ist noch der Arbeitsämter zurückgekehrt werden, daß bei offen. bestehenden Arbeitsverhältnissen die Arbeitserlaub- nis im Regelfall verlängert wird. Bei dieser bürokratischen Posse, die leider kein Einzelfall ist, gibt es nur Verlierer: Der junge Mann muß ständig den Verlust eines verhältnismäßig gesi- Karl-Josef Laumann (CDU/CSU): Die Bundesan- cherten Arbeitsplatzes fürchten. Zudem ist er durch stalt für Arbeit hat im März 1993 ihre örtlichen die Kosten der Kündigungsschutzverfahren belastet. Arbeitsämter angewiesen, vorrangig deutsche und Die beiden vorübergehend eingestellten Ersatzkräfte gleichgestellte Ausländer, z. B. Bürger der Europäi- wurden in ihrer Hoffnung auf einen Arbeitsplatz schen Union, bzw. langjährig bei uns lebende auslän- getrogen und erneut in die Arbeitslosigkeit abge- dische Mitbürger, zu vermitteln. Dies ist geschehen, drängt. Der Arbeitgeber ist mit bürokratischem Auf- weil sich der Arbeitsmarkt leider deutlich verschlech- wand und den Kosten für Ersatzeinstellungen und tert hat. Ich halte die Vorgehensweise der Arbeitsver- Anlernen belastet. Das Arbeitsamt muß die Kosten für waltung für völlig angemessen, zunächst an unsere die gerichtlichen Verfahren zahlen. Landsleute zu denken, bevor ausländische Arbeits- kräfte in Arbeit vermittelt werden. Tatsächlich produziert werden Existenzangst für die Betroffenen und Ausländerfeindlichkeit. Durch die- Hiergegen wendet sich der hier zur Debatte ste- sen unwürdigen bürokratischen Aufwand fallen Un- hende Antrag der Gruppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- sicherheit, Kosten und Aufwand für alle Beteiligten NEN. Der Antrag läuft darauf hinaus, die Rechtsstel- an. lung bevorrechtigter deutscher Arbeitsuchender und der ihnen gleichgestellten Ausländer auf dem Arbeits- Mit dem Erlaß vom 5. März werden Ausländer und markt zugunsten von Ausländern, die die Mindestan- Ausländerinnen bewußt in die Arbeitslosigkeit abge- forderungen für den freien Zugang zum deutschen drängt. Die Arbeitserlaubnisverordnung wird bewußt Arbeitsmarkt noch nicht erfüllen (5 Jahre Beschäfti- als Instrument zur Steuerung des Arbeitsmarktes gung oder 6 Jahre Aufenthalt) zu verschlechtern. Eine benutzt. Der Erlaß gibt dies auch offen zu. Oder wie solche Maßnahme wäre angesichts der kritischen sonst soll man die Formulierung, daß angesichts der Situation auf dem Arbeitsmarkt nicht zu verantwor- hohen Arbeitslosigkeit und der sich abzeichnenden ten. Die Forderung nach genereller Verlängerung weiteren Verschlechterung der Arbeitsmarktlage die einer nur befristet erteilten Arbeitserlaubnis ohne hohe Zahl von Arbeitserlaubnissen nicht weiter hin- Rücksicht darauf, daß bevorrechtigte und fachlich genommen werden kann, verstehen? geeignete Arbeitsuchende auf den Arbeitsplatz durch das Arbeitsamt vermittelt werden, wäre außerdem mit Insoweit steht der Erlaß in der Tradition, die sich dem gesetzlich festgelegten Beschäftigungsvorrang auch schon im Umgang mit den sogenannten Gastar- des § 19 AFG nicht zu vereinbaren. Die weitere beitern in den siebziger Jahren zeigte: Ausländische Forderung, die der Erteilung der allgemeinen Arbeits- Arbeitskräfte werden ins Land gelassen, wenn Bedarf erlaubnis vorgeschaltete Mindestprüfzeit von 4 Wo- besteht. In einer Flaute oder Wirtschaftskrise sollen sie chen zu verkürzen, würde die Vermittlungsaussichten dann gefälligst möglichst schnell wieder verschwin- bevorrechtigter inländischer Arbeitnehmer und damit den. In einer weitgehend über Beschäftigung definier- die Aussicht auf Wiedereingliederung von Arbeitslo- ten Gesellschaft wird den ausländischen Beschäftig- sen in den Arbeitsprozeß verschlechtern. Die gefor- ten die Existenzgrundlage entzogen. Und welcher derten Vergünstigungen würden im übrigen— anders Arbeitgeber stellt bei den angehäuften Barrikaden als dies in der Begründung des Antrages behauptet schon freiwillig ausländische Arbeitskräfte ein — wird — in erster Linie Ausländern zugute kommen, zumal in Zeiten der Massenarbeitslosigkeit auch die sich erst kurze Zeit in Deutschland aufhalten. Deutsche und sogenannte bevorzugte Ausländer, d. h. Längerfristig in Deutschl and lebende Ausländer sind in der Regel EG-Bürgerinnen und -Bürger, selbst die Deutschen beim Zugang zum Arbeitsmarkt bereits gesundheitsschädlichsten und schlechtestbezahlten aufgrund des geltenden Rechts gleichgestellt. Arbeiten annehmen. Gegen die geforderten Erleichterungen für die Er- Sozialpolitische Verantwortung gegenüber Flücht- teilung und Verlängerung von allgemeinen Arbeitser- lingen, Einwanderern und ausländischen Arbeiterin- laubnissen sprechen deshalb sowohl rechtliche als nen und Arbeitern zählt offenbar nicht. Mit dem Erlaß auch arbeitsmarktpolitische Überlegungen. Wir soll- wird Ausländerfeindlichkeit bewußt geschürt. Indem ten in der augenblicklichen Situation alles unterlas- die Bundesregierung auf dem Arbeitsmarkt ein Mehr- sen, was die Bundesrepublik Deutschl and bei dem klassensystem eingeführt und legitimiert hat, trägt sie ohnehin bestehenden Wanderungsdruck für poten- zur Ausgrenzung und Diskriminierung von Auslän- tielle Zuwanderer noch attraktiver macht und damit dern unmittelbar bei. den Arbeitsmarkt zusätzlich belastet. 18070* Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 208. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. Februar 1994

Gerd Andres (SPD): Der Antrag des Abgeordneten stig vermittelt werden kann. Besonders dramatisch Konrad Weiß und der Gruppe BÜNDNIS 90/DIE wirkt sich dies bei der Verlängerung der allgemeinen GRÜNEN, den wir in erster Lesung beraten, ist sehr Arbeitserlaubnis aus. Kein Wunder, daß be troffene berechtigt. Der Tatbestand, der im Antragstext und in Arbeitnehmer, aber auch Arbeitgeber gegen die der Begründung geschildert wird, stimmt. Für viele bürokratische Handhabung des Prüfungsantrages- Ausländer hat sich seit dem 5. März 1993 die Welt sehr Sturm laufen. verändert. Mit diesem Datum hat die Bundesanstalt für Arbeit mit ihrem Erlaß „zur Durchführung der Der Redakteur der Wirtschaftswoche, Harald Schu- Arbeitsmarktprüfung vor Erteilung der allgemeinen macher, beschreibt die Situation in einem Artikel wie Arbeitserlaubnis an ausländische Arbeitnehmer" folgt: zwar keine neue Rechtslage geschaffen, aber eine „Dieser blöde Erlaß aus Bonn", wie ihn Bäuerin vierwöchige Prüfpflicht eingeführt, die sich insbeson- Warband nennt, soll eigentlich verhindern, daß dere bei bestehenden Arbeitserlaubnissen für viele Ausländer Deutschen die Arbeitsplätze wegneh- Betroffene als tragisch erweist. men. Statt dessen beweist er in der Praxis einmal Die Bestimmungen des Arbeitsförderungsgesetzes mehr, was renommierte Wirtschaftswissenschaft- sehen schon seit vielen Jahren in § 19 vor, daß vor ler seit langem behaupten: Den Deutschen ent- Erteilung einer allgemeinen Arbeitserlaubnis geprüft steht kein Schaden durch die hier tätigen Auslän- werden muß, ob Deutsche, Staatsangehörige eines der. Das Institut der deutschen Wirtschaft in Köln Mitgliedstaates der EG, ausländische Arbeitnehmer etwa findet „für die These, Ausländer blockierten mit einer besonderen Arbeitserlaubnis und Ausländer Arbeitsplätze und trügen zu einer Verschärfung mit Aufenthaltsberechtigung für den entsprechenden der Arbeitslosigkeit bei, keine Belege". Arbeitsplatz zur Verfügung stehen. Das Arbeitser- laubnisrecht kennt somit schon lange eine Zulas- Damit ist der Ke rn des Problems beschrieben. Der sungshierarchie, die allerdings jetzt durch bürokrati- Erlaß folgt der Ideologie, Ausländer blockierten Ar- sche Bestimmungen weiter verschärft wird und für beitsplätze und trügen zu einer Verschärfung der viele betroffene Menschen tragische Auswirkungen Arbeitslosigkeit bei. Daß diese Ideologie aufs schärf- zeigt. ste zurückgewiesen werden muß, versteht sich von Als Vorsitzender der Arbeitsgruppe „Ausländische selbst. Umfangreich und nachdrücklich kann nachge- Arbeitnehmer" bzw. „Migrationspolitik" der SPD- wiesen werden, daß Ausländer Konsumnachfrage und Bundestagsfraktion erreichten mich vielfältige damit zusätzliche Produktion, Sozialbeiträge und Schreiben, in denen nach dem März 1993 folgender Steuern in weit größerem Umfang erwirtschaften, als Tenor immer wiederkehrte: sie selbst an „Kosten" verursachen. Sie sichern somit Beschäftigung und Wohlstand. Das RWI kommt zu „Es sei sehr typisch, daß Politiker einerseits große dem schlichten Schluß: die Zuwanderer haben per Worte gegen Fremdenfeindlichkeit und für eine Saldo die Arbeitslosigkeit in Westdeutschland ver- gemeinsame Zukunft mit in der Bundesrepublik mindert. Deutschland lebenden Zuwanderern zu Protokoll geben, andererseits aber ein Recht und Verwal- Leider können wir dem Antrag von Konrad Weiß tungshandeln praktiziert wird, mit dem ein Qua- und der Gruppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN nur in litätsunterschied zwischen Menschen 1., 2. und seiner Intention folgen, nicht in den Schritten, die als möglicherweise 3. Klasse geschaffen wird." Lösung vorgeschlagen werden. Unserer Auffassung Absender waren meist unterschiedliche Arbeitge- nach muß der § 19 AFG geändert werden. ber wie Ärzte, Rechtsanwälte, Freiberufler ganz allge- mein sowie kleine selbständige Handwerksmeister, So wie der Erlaß jetzt wirkt, wirkt er nicht nur Landwirte mit in der Regel bis zu zehn Beschäftig- ausländerfeindlich und führt zu einer Bürokratisie- ten. rung von Entscheidungen, sondern er sorgt tatsächlich dafür, daß in Hunderten von Fällen bestehende Ar- Dies waren Arbeitgeber, die ihre Erfahrungen beitsverhältnisse bedroht und gefährdet sind, ohne machten mit der neuen Erlaßpraxis. Immer wurde daß dem Anspruch, anderen Arbeitslosen zu helfen, ihnen pauschal — sozusagen im Rundumschlag — damit entsprochen werden kann. durch die Arbeitsverwaltung mitgeteilt, daß sich die Zahl der allgemeinen Arbeitserlaubnisse auf knapp Wir werden diesen Antrag an die Ausschüsse zur eine Million belaufen würde. Diese Entwicklung sei Beratung überweisen. Dabei werden wir ihnen rei- angesichts der hohen Arbeitslosigkeit und der sich henweise praktische Fälle präsentieren, die sich abzeichnenden weiteren Verschlechterung der Ar- sowohl für die betroffenen Arbeitnehmer als auch für beitsmarktlage und im Hinblick auf die geforderte die Arbeitgeber verheerend ausgewirkt haben. Wir Bekämpfung des Leistungsmißbrauchs so nicht mehr werden ihnen gleichzeitig eine entsprechende Ände- hinzunehmen, und nur durch eine konsequente Prü- rung des Art. 19 AFG präsentieren, der die Arbeitser- fung sei die vorrangige Einstellung von Arbeitskräften laubnispraxis nach den bisherigen Bestimmungen des deutscher oder EG-Nationalität zu erreichen Ausländerrechtes berücksichtigt und dennoch die Seit dieser Zeit prüfen die Arbeitsämter bei Neuan- Arbeitserlaubnispraxis verändert. Was dringend be- trägen und Verlängerungen einer allgemeinen Ar- seitigt werden muß, ist die absichtlich eingefügte beitserlaubnis stur vier bis sechs Wochen, ob es für die mindestens vierwöchige, praktisch aber längere Prü- in Frage kommenden Stellen nicht etwa doch noch fungspflicht, die extrem ausländerfeindlich und dis- einen bevorrechtigten Arbeitnehmer — auch aus kriminierend ist. Dazu reicht eine geänderte Erlaßfas- berufsübergreifenden Beschäftigungsfeldern oder sung, die auch durch die Selbstverwaltungsorgane, Nachbararbeitsämtern — gibt, der kurz oder mittelfri durch die Bundesanstalt für Arbeit geschehen kann. Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 208. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. Februar 1994 18071*

Cornelia Schmalz-Jacobsen (F.D.P.): Der Antrag Auch der Vorschlag, die Dauer der Prüffrist einmal des Kollegen Konrad Weiß und der Gruppe BÜND- kritisch unter die Lupe zu nehmen und sie der Pra xis NIS 90/DIE GRÜNEN beleuchtet eine Sachlage, die anzupassen, ist vernünftig. Die Arbeitsämter wissen viele Ausländer in unserem Land erheblich beunru- doch hoffentlich ganz genau, in welchen Arbeitsberei- higt. Zum Teil ist diese Beunruhigung allerdings nicht chen ohnehin nur sehr schwer jemand zu finden ist, so auf die Gesetzeslage zurückzuführen, sondern auf daß man da auch kürzer prüfen kann. Mehr Flexibili- mißverständliche Darstellungen in den Medien und in tät wäre auch hier nur sinnvoll und nützlich. einigen Behörden. Ich stoße immer wieder auf eine Das Ziel, mehr Arbeitslose in Arbeit zu bringen, ist falsche Anwendung des Erlasses, und das ist sehr richtig und wichtig und hat hohe Priorität, das bestrei- ärgerlich. Es ist gut, dies im Deutschen Bundestag tet auch niemand. Aber die Mittel, mit denen m an — wenn auch in aller Kürze — darstellen zu kön- dieses Ziel erreichen will oder es vorgeblich erreichen nen. will, das ist eine andere Sache. Durch den Erlaß vom 5. März letzten Jahres hat sich für mehr als 90 Prozent der ausländischen Arbeitneh- Eines möchte ich jedenfalls nicht, und darum sage ich es hier auch ganz deutlich: A mer überhaupt nichts geändert. Unbetroffen bleiben lles was das Vorurteil nämlich nicht nur alle Bürger der Europäischen Union, verstärkt, Ausländer nähmen den Deutschen die sondern auch alle Ausländer, die über eine Aufent- Arbeitsplätze weg, ist ungut und führt in die falsche haltsberechtigung verfügen, den sichersten Aufent- Richtung. Und daß dies ein Vorurteil ist, haben sowohl haltsstatus, den man erlangen kann. Übrigens: Viele, Arbeitgeber- wie Arbeitnehmerorganisationen immer wieder bestätigt. die längst ein Anrecht darauf hätten, beantragen ihn aus Unwissenheit nicht, und häufig gibt es irgend- wann ein böses Erwachen — aber das ist ein anderes Thema. Anlage 7 Nicht betroffen sind darüber hinaus alle Ausländer, die im Besitz einer besonderen Arbeitserlaubnis sind, Antwort und das sind grundsätzlich alle nichtdeutschen des Staatssekretärs Clemens Stroetmann auf die Fra- Arbeitnehmer, die seit mindestens 5 Jahren in der gen der Abgeordneten Siegrun Klemmer (SPD) Bundesrepublik erwerbstätig sind. Unbetroffen sind (Drucksache 12/6691 Fragen 7 und 8): natürlich ausländische Familienangehörige von Deut- Welche- Bedeutung mißt die Bundesregierung Wissenschafts schen sowie anerkannte Asylbewerber. Zu diesem und Forschungskapazitäten als Standortkriterien für das Kreis der Nichtbetroffenen gehören auch alle diejeni- Umweltbundesamt (UBA) bei, und teilt die Bundesregierung die gen Ausländer, die seit 6 Jahren hier leben und eine Auffassung, daß bei der Verlagerung des Umweltbundesamtes Aufenthaltserlaubnis oder Aufenthaltsbefugnis besit- der Universitätsstandort Wittenberg wegen seiner Nähe zum zen. Raum Halle/ im Hinblick auf die fachliche Arbeit des Umweltbundesamtes wesentlich günstiger zu beurteilen ist als Es besteht Anlaß hier zu betonen, daß türkische der Standort Dessau? Arbeitnehmer zwar nicht den gleichen Schutz genie- Aus welchen Gründen sieht die Bundesregierung die mögli- ßen wie Bürger der Europäischen Union, aber doch che Verlagerung des Umweltbundesamtes nach Dessau als einen besseren als alle anderen Ausländer, und zwar sozialverträglich abgesichert an bzw. den Standort Dessau als sozialverträglicher als Wittenberg, und inwieweit ist die Proble- aufgrund des Assoziationsratsbeschlusses. Daher ist matik des Arbeitsplatzangebotes in Dessau für die Familienan- die Zahl von 300 000 Be troffenen, die im vorliegenden gehörigen von UBA-Mitarbeitern beachtet worden? Antrag genannt wird, meiner Erkenntnis nach nicht richtig. Tatsächlich sind es wohl knapp 160 000 Aus- Zu Frage 7: länderinnen und Ausländer, die über eine „allge- meine Arbeitserlaubnis" verfügen. Die Bundesregierung sieht Wissenschafts- und For- schungskapazitäten in Fachrichtungen, die für die Nun muß man fairerweise den Erlaß der Bundesan- Aufgabenwahrnehmung des Umweltbundesamtes stalt im Zusammenhang sehen mit der gewachsenen von Bedeutung sind, als ein wichtiges Kriterium Arbeitslosigkeit in unserem Land. Und ich halte es für neben anderen bei der Bewertung von Standorten für sehr wohl gerechtfertigt, einem bestimmten Perso- das Umweltbundesamt an. Sie teilt daher die vom nenkreis eine Arbeitserlaubnis nur befristet und nur Arbeitsstab „Verlagerung des Umweltbundesamtes für ein bestimmtes Arbeitsverhältnis zu geben. Das ist nach Sachsen-Anhalt" vorgenommene Bewertung, im übrigen international gängige Praxis. die den Standort Wittenberg im Hinblick auf dieses Nach fast einem Jahr Erfahrung mit diesem Erlaß Kriterium günstiger einschätzt als den Standort zeigen sich aber doch einige Schwächen des Erlasses. Dessau. In beiden Städten sind allerdings kaum nen- Und hier macht der Antrag durchaus konstruktive -nenswerte umweltschutzrelevante Wissenschafts Vorschläge. Wenn zum Beispiel ein Arbeitnehmer seit und Forschungskapazitäten vorhanden. einem Jahr bei ein und demselben Arbeitgeber Hinzuweisen ist u. a. auf die Otto-von-Guericke- beschäftigt ist und das Arbeitsverhältnis verlängert Universität in Magdeburg, die Universität Ha e/ werden soll, dann dient die zwangsweise Unterbre- ll Wittenberg mit ihrem naturwissenschaftlichen chung weder dem Arbeitnehmer noch dem Arbeitge- Schwerpunkt in Halle sowie Leipzig mit Universität ber, noch den Arbeitslosen. Wenn vor einem Jahr kein und Umweltforschungszentrum. bevorrechtigter Arbeitnehmer zu finden war, dann ist die Wahrscheinlichkeit doch sehr groß, daß auch jetzt keiner da ist. Mit anderen Worten: diese Regelung Zu Frage 8: schafft nur Verdruß bei allen Beteiligten und einen Der Arbeitsstab „Verlagerung des Umweltbundes- Haufen Bürokratie. amtes nach Sachsen-Anhalt" weist schon in seiner 18072* Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 208. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. Februar 1994

Stellungnahme darauf hin, daß wesentliche Voraus- entsorgungspflichtigen Körperschaften zu entsorgen setzungen für die Sozialverträglichkeit der Verlage- den Restabfälle verringern sich damit entsprechend. rung an beiden untersuchten Standorten derzeit noch Allerdings bedeutet dies keine totale Kostenentla- nicht geschaffen sind. stung für den Bürger; dieser muß die Kosten für die Dies gilt grundsätzlich auch für das Arbeitsplatzan- Erfassung und Verwertung von Wertstoffen verursa-- gebot. Der Arbeitsstab hat aber bei dieser Sachlage chergerecht abhängig von seinem Konsumverhalten den Standort Dessau im Hinblick auf die Entwick- über den Produktpreis bezahlen. lungsmöglichkeiten günstiger bewertet als den Die Gesamtkosten für eine stoffliche Verwertung Standort Wittenberg. Ausschlaggebend dafür sind von z. B. Verpackungen können höher sein als bei neben der Größe der Stadt (ca. 100 000 Einwohner einer Entsorgung über Müllverbrennung und Depo- gegenüber mehr als 50 000 Einwohnern in Witten- nie. Diese Mehrkosten können allerdings durch die berg) vor allem die Einschätzung ihres Entwicklungs- Schaffung neuer Verwertungsverfahren spezifisch potentials aufgrund der landesplanerischen Auswei- gegenüber dem heutigen St and gesenkt werden. sung der Stadt Dessau als Oberzentrum sowie der zahlreichen Behörden und Ge richte am Standort.

Anlage 9

Anlage 8 Antwort Antwort des Staatssekretärs Clemens Stroetmann auf die Frage des Abgeordneten Horst Kubatschka (SPD) des Staatssekretärs Clemens Stroetmann auf die Fra- (Drucksache 12/6691 Frage 11): gen des Abgeordneten Klaus Harries (CDU/CSU) Wann ist der Betrieb der gezielten primärseitigen Druckentla- (Drucksache 12/6691 Fragen 9 und 10): stung (pD) als Notfallmaßnahme zur Verhinderung eines Hoch- Sieht sich die Bundesregierung in der Lage, in den S treit druck-Kernschmelzens in den Kernkraftwerken Stade, Biblis A, zwischen Umweltbundesamt und Wissenschaft (Prof. Staudt) Biblis B und Unterweser genehmigt und zu welchem Zeitpunkt über die Höhe der künftigen Entsorgungskosten klärend einzu- eingebaut worden? greifen? Erwartet die Bundesregierung ein Anwachsen der Deponie- Die Genehmigungen für diese Umrüstung erfolgten und Verbrennungskosten tendenziell im Durchschnitt der Bun- beim Kernkraftwerk Stade am 13. März 1991, bei desrepublik Deutschland, dagegen ein Absinken der Kosten der Unterweser am 8. August 1991, bei Biblis, Block A, am Wertstoffsammlung durch das Duale System Deutschland (DSD)? 15. Mai 1990 und bei Biblis, Block B, am 22. Januar 1991. Diese Maßnahmen wurden noch im Jahr der Genehmigung realisiert und stehen seitdem betriebs- Zu Frage 9: bereit zur Verfügung. Ja. Eine Klärung der geäußerten gegensätzlichen Die Genehmigung zum Betrieb dieser Einrichtun- Positionen muß auf der Grundlage der Langfassung gen im hypothetischen Fall eines auslegungsüber- des von Prof. Staudt verfaßten Gutachtens erfolgen. schreitenden Ereignisses liegt noch nicht vor. Diese Die Stellungnahme des Umweltbundesamtes vom Prozeduren werden in den Notfallhandübchern fest- 23. Dezember 1993 basierte auf der Kenntnis lediglich gelegt, die von den jeweils zuständigen atomrechtli- der Kurzfassung der Studie, sie steht unter dem chen Landesbehörden und den von ihnen hinzugezo- Vorbehalt einer vertieften Untersuchung der Langfas- genen Sachverständigen geprüft werden. Diese Prü- sung des Gutachtens. Das Umweltbundesamt ist der- fungen sind noch nicht abgeschlossen. zeit mit der Prüfung des ausführlichen Textes befaßt.

Zu Frage 10: Anlage 10 Ein Anwachsen der Deponie- und Verbrennungs- Antwort kosten ist in den nächsten Jahren in denjenigen Regionen zu erwarten, wo Deponien und Behand- des Staatssekretärs Clemens Stroetmann auf die Fra- lungsanlagen sowie weitere Maßnahmen zur Schad- gen der Abgeordneten Susanne Kastner (SPD) stoffsammlung und Abfallverwertung noch nicht dem (Drucksache 12/6691 Fragen 13 und 14): in der TA Siedlungsabfall festgelegten umweltfreund- Wie beurteilt die Bundesregierung die Gefahren, die durch lichen Stand der Technik entsprechen oder solche den Export nicht zugelassener Pflanzenschutzmittel und Biozid- Anlagen/Verfahren noch neu geschaffen werden Produkte für Umwelt, Anwender und Verbraucher entstehen, müssen. und wie kann der Export von in der Bundesrepublik Deutschland und in der Europäischen Union nicht zugelassenen Pflanzen- Höhere Kosten für die thermische Behandlung von schutzmitteln und Biozid-Produkten in Drittländer nach jetziger Abfällen werden teilweise kompensiert durch die Rechtslage kontrolliert bzw. bei Gefahr für Mensch und Umwelt verboten werden? damit deutlich zurrückgehenden Mengen der abzula- gernden Rückstände; der Deponiebedarf wird ge- Wie sollte Produktion, Transport und Export von chemischen Schädlingsbekämpfungs- und -behandlungsmitteln in Europa senkt. gesetzlich geregelt werden, um Unfälle, Mißbrauch als Kampf- Eine weitere Kostendämpfung bei den Abfallge- mittel oder Ausfuhr zum Zweck der Entsorgung wirksam zu verhindern, und welche Initiativen wird die Bundesregierung bühren ist durch steigende Erfassung von Wertstoffen unternehmen, um die dazu notwendigen nationalen und euro- z. B. über Duale Systeme zu erwarten; die von den päischen Rechtsvorschriften zu erreichen? Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 208. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. Februar 1994 18073*

Zu Frage 13: einer noch ausstehenden EG-weiten Regelung für Die Bundesregierung nimmt mögliche Gefahren Schädlingsbekämpfungsmittel außerhalb des land- ernst, die durch den Export nicht zugelassener Pflan- wirtschaftlichen Bereiches. zenschutzmittel in Drittländern entstehen können. Im Zur Frage der Sicherheit beim Transport, insbeson- § 23 des Pflanzenschutzgesetzes, das den Export von dere auf See, gilt heute, daß alle Verpackungen zum Pflanzenschutzmitteln regelt, wird ausdrücklich auf Transport gefährlicher Güter mit Seeschiffen einer den Verhaltenscodex für das Inverkehrbringen und Bauartprüfung mit anschließender Zulassung durch die Anwendung von Pflanzenschutz- und Schädlings- die zuständige Behörde unterzogen werden. Bei der bekämpfungsmitteln der FAO Bezug genommen. Die- Bauartprüfung werden Anforderungen gestellt, die ser Codex ist in der Europäischen Union durch die von den Vereinten Nationen entwickelt worden sind Verordnung (EWG) 2455/92 des Rates vom 23. Juli und u. a. Fall-, Dichtheits- und Stapeldruckprüfungen 1992 betreffend die Ausfuhr und Einfuhr bestimmter beinhalten sowie bei bestimmten Werkstoffen eine gefährlicher Chemikalien umgesetzt worden. Mit die- Prüfung ihrer Verträglichkeit gegenüber den Füllgü- ser Verordnung wird EG-weit der Export von Pflan- tern. Vergleichbare Anforderungen existieren für zenschutzmitteln im Drittländer, soweit im Anhang I Tankcontainer zum Transport gefährlicher Güter. und II aufgeführt, erfaßt und kontrolliert. Den Drittlän- UN-geprüfte Verpackungen und Großpackimttel dern werden Anwendungsmöglichkeiten und mögli- dürfen grundsätzlich in Container verladen werden. che Gefahren vor dem Ankauf mitgeteilt. Mit dem § 23 Die Container unterliegen hierbei den Anforderungen des Pflanzenschutzgesetzes sind weitere Anforderun- des Internationalen Übereinkommens über sichere gen an die Ausfuhr von Pflanzenschutzmitteln, die in Container. Deutschland hergestellt werden, festgelegt. Im Rahmen der Verordnung (EWG) Nr. 2455/92 Aktuelle Vorfälle, wie derzeit der Containerverlust können Exporte von Chemikalien, die in der Europäi- des MS Sherbro, werden zum Anlaß genommen, schen Union verboten oder streng beschränkt sind fallbezogen prüfen zu lassen, ob sich Erkenntnisse oder die dem sogenannten PIC-Verfahren (= p rior ergeben, die zu anderen Anforderungen führen. Der informed consent) der Vereinten Nationen unterlie- für diese Fragen zuständige Bundesminister für Ver- gen, kontrolliert werden. Fin Verstoß gegen diese kehr wird hierzu durch die technischen Ausschüsse EG-Verordnung wird in Deutschland mit hohen Geld- „Stoff/Verpackungen" und „Tank/Technik" bera- bußen (bis zu 100 000,— DM) geahndet. ten. Für die von ihnen genannten Biozid-Produkte gibt Die vorstehend genannten Anforderungen an Ver- es derzeit weder ein nationales noch EG-weites Zulas- packungen gelten für alle internationalen europäi- sungsverfahren. Das primär zu lösende Problem ist schen Gefahrguttransportvorschriften im Straßen-, hier daher, im Rahmen eines gesetzlich zu verankern- Eisenbahn- und Binnenschiffverkehr. den Zulassungsverfahrens hinreichendes Datenmate- Wenn die genannten Mittel (Pflanzenschutzmittel/ rial zu erhalten, um eine Bewertung der Risiken für Biozide) durch Ablauf des Verfallsdatums etc. vor dem Umwelt und Gesundheit, die von diesen Mitteln Export zu Abfall werden, wird die nach geltendem ausgehen können, durchführen zu können. Die Bun- Recht erforderliche Genehmigung nach § 13 AbfG für desregierung begrüßt und unterstützt daher den im Verbringungen in Entwicklungsländer und Staaten Juli 1993 vorgelegten Vorschlag der EG-Kommission Mittel- und Osteuropas nach Kenntnis der Bundesre- für eine Richtlinie des Rates über das Inverkehrbrin- gierung durch die zuständigen Landesbehörden nicht gen von Biozid-Produkten. Es ist im Rahmen der erteilt. Ab Anwendbarkeit der neuen EG-Abfallver- Verhandlungen zu diesem Richtlinienvorschlag zu bringungsverordnung (259/93/EWG) zum 6. Mai 1994 prüfen, ob und inwieweit die für den Export von und ergänzt durch das zur Zeit in der parlamentari- Pflanzenschutzmitteln vorgesehenen Bestimmungen schen Beratung befindliche Ausführungsgesetz zum auch für Biozide heranzuziehen sind. Basler Übereinkommen wird ein umfassendes Rege- Bei neuen Stoffen, die erstmals seit dem 1. Januar lungspaket einschließlich der Normierung von Wie- 1990 hergestellt und nur außerhalb der Europäischen dereinfuhrpflichten bei illegalen und gescheiterten Gemeinschaften in den Verkehr gebracht werden und Verbringungen sowie eines Straftatbestandes für ille- zu denen auch Wirkstoffe für die genannten Biozid- gale Verbringung zu einer weiteren Effektivierung Produkte zählen können, hat die Bundesregierung des Vollzuges durch die Länder in diesem Bereich bereits 1990 mit Einführung des § 16b in das Chemi- beitragen. kaliengesetz durch die 1. Novelle zu diesem Gesetz dafür gesorgt, daß der Anmeldestelle nach dem Che- mikaliengesetz auch für diese Exportstoffe Prüfnach- weise über gefährliche Eigenschaften mitzuteilen sind. Die wesentlichen Sicherheitsdaten sind den Anlage 11 Behörden von Drittstaaten, in die ein Export stattfin- Antwort den soll, auf Anfrage mitzuteilen. der Ministerin Dr. Irmgard Schwaetzer auf die Frage Zu Frage 14: des Abgeordneten Achim Großmann (SPD) (Drucksa- che 12/6691 Frage 24): Die Sicherheit „während der Produktion" hängt neben der Anlagensicherheit und der Arbeitsplatzsi- Welche Teilgenehmigungen lagen nicht vor, deren Umset- zung wesentlichen Einfluß gehabt hätten, die Hochwasser- cherheit wesentlich von der Kenntnis der Stoffe und katastrophe am Schürmann-Bau zu verhindern, und wer hat Zubereitungen ab. Insoweit verweise ich auf meine eventuelle Unterlassungen in diesem Bereich zu verantwor- Ausführungen zu § 16b ChemG und zur Schaffung ten? 18074* Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 208. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. Februar 1994

Bei der Ausführung der bisher erbrachten Baulei- Das Bundeskanzleramt hat keinen Hinweis aus den stungen lagen nach Auskunft der Bundesbaudirektion Prozeßakten entfernen lassen, sondern es hat durch alle behördlichen Genehmigungen vor. eine Sperrerklärung nach § 96 Strafprozeßordnung bewirkt, daß ein Schreiben des BND, aus dem Rück- schlüsse auf nachrichtendienstliche Quellen hätten- gezogen werden können, nicht Eingang in die Prozeß akten gefunden hat. Anlage 12 Antwort Der BND hatte dem Generalbundesanwalt am 6. Oktober 1992 ein Schreiben zugeleitet, dessen der Ministerin Dr. Irmgard Schwaetzer auf die Fragen Inhalt wesentlich zur Festnahme der Angeklagten des Abgeordneten Norbert Formanski (SPD) (Druck- Amin und Rhayel beigetragen hat. Dieses Schreiben sache 12/6691 Fragen 25 und 26): war zu den Akten genommen worden. Da das Schrei- Wann haben die Bundesbaudirektion (BBD) und das Bundes- ben in einzelnen Passagen Rückschlüsse auf nachrich- ministerium für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau tendienstliche Quellen zuließ, die bei einer Offenle- (BMBau) zum ersten Mal eine Lagebesprechung aufgrund der zu gung gefährdet worden wären, hat das Bundeskanz- erwartenden Hochwasserflutwelle durchgeführt, und wie viele Lagebesprechungen sind bis zum 23. Dezember 1993 noch leramt am 4. Dezember 1992 gemäß § 96 StPO erklärt, geführt worden? daß das Schreiben vom 6. Oktober 1992 nicht zur Ist das Lagezentrum des Bundesministeriums des Innern für Vorlage im Ermittlungsverfahren freigegeben werden Katastrophenfälle benachrichtigt worden über die Situation am kann. Das Schreiben vom 6. Oktober 1992 ist darauf- Schürmann-Bau im Dezember 1993, und sind vom BMBau hin aus den Ermittlungsakten entnommen und durch geeignete Institutionen zur Katastrophenbewältigung einge- schaltet worden? ein neues Schreiben des Bundesnachrichtendienstes vom 5. Dezember 1992 ersetzt worden. Dieses unter- scheidet sich von dem Ursprungsschreiben lediglich Zu Frage 25: durch das Fehlen solcher Angaben, die zu einer Die Bundesbaudirektion hat vom 18. bis zum 23. De- Identifizierung und damit zu einer Gefährdung der zember 1993 aufgrund der zu erwartenden Hochwas- Quellen führen könnten. Die Sperrerklärung vom serflutwelle regelmäßig Besprechungen durchge- 4. Dezember 1992 und das Schreiben vom 5. Dezem- führt. ber 1992 befinden sich bei den Prozeßakten und liegen dem erkennenden Gericht vor. Die in den Besprechungen festgelegten Maßnah- men zum, Hochwasserschutz mußten wirkungslos Der Generalbundesanwalt hat erklärt, daß die bleiben, da die bauausführenden Firmen und die mit gesperrten Angaben keine Informationen enthalten, der Objektüberwachung beauftragte Arbeitsgemein- die für die Aufklärung des „Mykonos-Attentats" schaft ABE die Bundesbaudirektion nicht darüber erforderlich sind. informiert haben, daß der Hochwasserschutz teilweise noch nicht fertiggestellt ist und damit eine bedeu- tende Schwachstelle hat.

Zu Frage 26: Das Lagezentrum beim Bundesministerium des Innern war selbstverständlich über die Hochwassersi- tuation am Rhein und seinen Nebenflüssen unterrich- Anlage 14 tet, soweit die Öffentlichkeit be treffende allgemeine Antwort oder großräumige Maßnahmen zu treffen waren. Über Schäden an einzelnen Gebäuden war das Lagezen- des Staatsministers Bernd Schmidbauer auf die Frage trum nicht zu unterrichten. Die Bundesbaudirektion des Abgeordneten Norbert Gansel (SPD) (Drucksache hat vielmehr — richtigerweise — in der Nacht vom 12/6691 Frage 29): 22./23. Dezember 1993 unmittelbar die Polizei und Feuerwehr informiert. Bis zu welchem Zeitpunkt haben sich im Bundeskanzleramt Kopien von Zielkontrollkarten des ehemaligen Ministeriums für Staatssicherheit der DDR befunden, und welcher Verwendung sind diese Karten zugeführt worden?

Anlage 13 Im Bundeskanzleramt haben sich bis jetzt keine Antwort Kopien von Zielkontrollkarten des ehemaligen MfS des Staatsministers Bernd Schmidbauer auf die Fra- befunden. gen des Abgeordneten Christoph Matschie (SPD) Soweit sich Kopien von Zielkontrollkarten im Besitz (Drucksache 12/6691 Fragen 27 und 28): der Dienste befunden haben, sind diese — nach Welche Gründe haben das Bundeskanzleramt veranlaßt, den Auswertung im jeweiligen Zuständigkeitsrahmen — Hinweis des Bundesnachrichtendienstes, der zur Aufklärung vor Inkrafttreten des Stasi-Unterlagen-Gesetzes ver- des Berliner Mykonos-Attentats führte, aus den Prozeßakten entfernen zu lassen? nichtet bzw. nach Inkrafttreten dieses Gesetzes ent- sprechend seinen Vorschriften behandelt worden. Sind in dem Hinweis des Bundesnachrichtendienstes Informa- tionen enthalten, die zu einer vorbehaltlosen Aufklärung des Über das nähere Verfahren ist die Parlamentarische Mykonos-Attentats notwendig sind? Kontrollkommission unterrichtet worden. Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 208. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. Februar 1994 18075*

Anlage 15 Anlage 17 Antwort Antwort der Staatsministerin Ursula Seiler-Albring auf die des Parl. Staatssekretärs Eduard Lintner auf die Fra- Frage des Abgeordneten Claus Jäger (CDU/CSU) gen des Abgeordneten Georg Gallus (F.D.P.) (Druck- (Drucksache 12/6691 Frage 30): sache 12/6691 Fragen 33 und 34): Erwägt die Bundesregierung zusammen mit ihren europäi- schen Verbündeten angesichts der jüngsten brutalen Verbre- Kann die Bundesregierung Auskunft darüber erteilen, inwie- chen serbischer Tschetniks gegen die bosnische Zivilbevölke- weit durch den Einsatz elektronischer Abhörmittel beim Kampf rung nunmehr einen vollständigen Boykott Serbiens zu Lande gegen das Organisierte Verbrechen in den USA Erfolge erzielt und in der Luft — ausgenommen dringend benötigter Medika- worden sind? mente —, und welche Maßnahmen wären dafür erforderlich? Kann die Bundesregierung bestätigen, daß bei der Diskussion um den sog. „Großen Lauschangriff" fälschlicherweise und Die in Bosnien-Herzegowina begangenen Verbre- wahrheitswidrig der Eindruck erweckt wird, als ginge es dabei chen gegen die Zivilbevölkerung werden von der um einen „Angriff" auf Wohnungen unbescholtener Bürger, als Bundesregierung und unseren Partnern schärfstens vielmehr um eine wirkungsvolle Maßnahme beim Kampf gegen verurteilt. Die bereits vorherrschenden Sanktions- das Organisierte Verbrechen? maßnahmen der VN beinhalten ein umfassendes Wirtschaftsembargo gegen Serbien/Montenegro. Zu Frage 33: Seine konsequente Umsetzung hat entscheidend zur dortigen katastrophalen Wirtschaftslage beigetragen. Nach Erkenntnissen des Bundeskriminalamtes Eine nochmalige Verschärfung der Sanktionen im wurden in den USA 1991 aufgrund von 802 durchge- Sinne einer Schließung aller Grenzen („Totalisolie- führten Abhörmaßnahmen 2 364 Personen festge- rung") würde in erster Linie die nicht-serbischen nommen und 605 Personen verurteilt. nationalen Gemeinschaften und Minderheiten tref- fen, vor allem die Albaner im Kosovo, die Ungarn in Bei den Abhörmaßnahmen handelte es sich zum der Vojvodina und die Moslems in Sandjak. Sie alle überwiegenden Teil um Telefonüberwachungen. sind besonders stark darauf angewiesen, daß ihre Eine gesonderte Statistik für Erfolge mit elektroni- Verbindungen zum Ausland nicht völlig unterbrochen schen Abhörmitteln ist nicht verfügbar. werden. Abhörmaßnahmen werden nicht nur zur Aufklä- Zudem würden weitere „Isolierungsmaßnahmen" rung der Organisierten Kriminalität eingesetzt. Die die Nachbarstaaten Serbien/Montenegros, die bereits angegebenen Zahlen umfassen auch Festnahmen und jetzt unter gravierenden Einbußen zu leiden haben, Verurteilungen wegen Straftaten, die nicht der Orga- zusätzlich belasten. nisierten Kriminalität zuzurechnen sind. In den USA besteht außerdem die Möglichkeit des Anlage 16 sog „consensual monitoring". Darunter sind die Fälle zu verstehen, in denen eine Partei mit dem Abhören Antwort einverstanden ist und daher Abhörmaßnahmen ohne der Staatsministerin Ursula Seiler-Albring auf die das Vorliegen weiterer Voraussetzungen zulässig Fragen des Abgeordneten Gernot Erler (SPD) (Druck- sind. Über die Häufigkeit der Anwendung dieser sache 12/6691 Fragen 31 und 32): Methode werden keine Statistiken geführt . Die ame- Welche Vorstellungen hat die Bundesregierung zur Gestal- rikanische Drogenbehörde geht von 40 000 bis 45 000 tung der Abschiedsfeierlichkeiten anläßlich des Abzugs der Abhörmaßnahmen im Rahmen des „consensual moni- Westgruppe der russischen Streitkräfte aus den neuen Bundes- toring" in den Jahren 1991 und 1992 aus. ländern entwickelt? In welcher Weise wird die Bundesregierung die Abschieds- Die Zuständigen amerikanischen Stellen betonen, feierlichkeiten für die Alliierten Streitkräfte in Berlin durchfüh- daß die Erfolge im Kampf gegen das Organisierte ren? Verbrechen, insbesondere den Rauschgifthandel, ohne die Möglichkeiten zum Einsatz elektronischer Die Bundesregierung mißt der Verabschiedung der Abhörmittel nicht denkbar seien. Westgruppe der Russischen Streitkräfte (WGT) anläß- lich ihres Abzugs aus Deutschland ebenso wie der Verabschiedung der Alliierten Streitkräfte anläßlich Zu Frage 34: ihres Abzugs aus Berlin eine besondere Bedeutung bei. Bei der Diskussion über den Einsatz elektronischer Der Abzug dieser Truppen, der in Übereinstim- Wohnraumüberwachungsmittel im Rahmen der Ver- mung mit den im Zwei Plus Vier-Vertrag ge troffenen folgung schwerster Straftaten wird die Frage einer Vereinbarungen erfolgt, markiert das Ende der Nach- möglichen Beeinträchtigung Unbeteiligter unberech- kriegsgeschichte Deutschlands und zugleich die tigterweise in den Vordergrund gerückt. historischen Veränderungen in Europa. Es tritt demgegenüber in den Hintergrund, daß Der Bundeskanzler beabsichtigt, an den zentralen elektronische Wohnraumüberwachungsmaßnahmen Feiern zur Verabschiedung der jeweiligen Truppen die Möglichkeit eröffnen sollen, in die Kernbereiche persönlich teilzunehmen. Über Einzelheiten sind die der Organisierten Kriminalität vorzudringen, was bei Überlegungen und Gespräche auf diplomatischer der von den kriminellen Banden praktizierten Ebene noch nicht abgeschlossen. Die Bundesregie- Abschottung nach außen mit den herkömmlichen rung wird die Ausschüsse des Parlaments so frühzeitig Mitteln der Strafverfolgung in der Regel nicht möglich wie möglich unterrichten. ist. 18076* Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 208. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. Februar 1994

Anlage 18 Botschaft in Bonn erfolgte nicht aus einer Demonstra- tion heraus, sondern in der Weise, daß ca. 15 Personen Antwort überraschend und überfallartig gewaltsam auf das des Parl. Staatssekretärs Eduard Lintner auf die Fra- Botschaftsgelände und in das Botschaftsgebäude ein- gen des Abgeordneten Dr. Erich Riedl (München) drangen. (CDU/CSU) (Drucksache 12/6691 Fragen 35 und 36): Die kurz nach ihrer Information an der Botschaft eingetroffene Bonner Polizei konnte erst mit zeitlicher Ist die Bundesregierung mit mir der Auffassung, daß der Begriff „Großer Lauschangriff" nicht konkret das wiedergibt, Verzögerung die Botschaft betreten, da die Besetzer was durch eine rechtlich gesicherte Abhörmaßnahme gegen schwere Gegenstände auf die Straße warfen. Ein Schwerstkriminalität im Interesse unserer Bevölkerung und der sofortiges Betreten des Gebäudes wäre nur unter inneren Sicherheit dringend geboten ist, und daß dieses Wort erheblicher Gefährdung der Polizeikräfte möglich insbesondere Assoziationen etwa derart wecken kann, als ob sich der Staat mit „kriegerischen" Mitteln als ungebetener gewesen. Der Einsatz stand — entsprechend der „Lauscher an der Wand" gebärden möchte? Zuständigkeiten in der Bundesrepublik — ausschließ- Ist die Bundesregierung bereit, diesen meines Erachtens lich unter Leitung der Landespolizei. irreführenden Beg riff „Großer Lauschangriff" gegenüber der Öffentlichkeit gründlich aufzuklären und die Bevölkerung ins- Es trifft zu, daß bei der Verwüstung der Botschaft besondere auf den wahren Gehalt von Abhörmaßnahmen durch iranische Oppositionelle Schäden in Höhe von gegenüber Gewalttätern, Kriminellen und Terroristen hinzuwei- ca. 4 Millionen DM entstanden und diese mittlerweile sen? von der Bundesregierung als „ex gratia Zahlung" gegenüber der iranischen Regierung erstattet worden Zu Frage 35: sind. Ex gratia-Zahlungen entsprechen internationa- Der in der Frage genannte Begriff ist irreführend. Er ler Übung nach allgemeinen Völkerrechtsregeln, ist in der Tat geeignet, unpassende Assoziationen zu besitzen jedoch keine Grundlage in völkervertragli- wecken. chen Regelungen. Das Auswärtige Amt hat sich im Es geht darum, im Rahmen eines rechtsstaatlichen konkreten Fall — wie allgemein üblich — lediglich per Verfahrens in Fällen bestimmter, schwerer Straftaten, Note von der iranischen Botschaft die Anerkennung die v. a. dem Bereich der Organisierten Kriminalität der Gegenseitigkeit zusichern lassen, d. h. eine ent- zuzurechnen sind, elektronische Wohnraumüberwa- sprechende deutsche Forderung im Iran würde eben- chungsmaßnahmen zu ermöglichen, wenn andere falls erfüllt. Ermittlungsinstrumente versagt haben. Zu Frage 38: Zu Frage 36: Der Begriff wird von der Bundesregierung nicht Da im Vorfeld des Überfalls auf die iranische verwandt. Der Bundesminister des Innern hat zuletzt Botschaft in Bonn am 5. Ap ril 1992 bei den zuständi- in einer Pressemitteilung vom 3. Januar 1994 auf den gen Sicherheitsbehörden keine konkreten Gefähr- wahren Gehalt des Abhörens von Gangsterwohnun- dungserkenntnisse vorlagen und die Aktion an der gen hingewiesen und ist bereit, dies auch in Zukunft Botschaft überraschend und überfallartig durchge- zu tun. führt wurde, bestanden keine Anhaltspunkte zur Durchführung zusätzlicher polizeilicher Schutzmaß- nahmen, insbesondere einer weitläufigen Absper- rung des gesamten Botschaftsgebäudes. Anlage 19 Die Bundesregierung wird sich gemeinsam mit dem Antwort Land Nordrhein-Westfalen und den übrigen betroffe- des Parl. Staatssekretärs Eduard Lintner auf die Fra- nen Ländern darum bemühen, daß die zuständigen gen des Abgeordneten Herbert Werner (Ulm) (CDU/ Sicherheitsbehörden rechtzeitig Informationen über CSU) (Drucksache 12/6691 Fragen 37 und 38): beabsichtigte Übergriffe auf ausländische Missionen Trifft es zu, daß im Verlaufe der im April 1992 vor der und Einrichtungen gewinnen, um dadurch gezielte iranischen Botschaft stattgefundenen, der Bonner Polizei recht- Schutzmaßnahmen für konkret gefährdete Objekte zu zeitig bekanntgewordenen Demons tration aufgrund der soge- nannten Deeskalations-Taktik des Bonner Polizeipräsidenten ermöglichen. Sie wird — wie bereits mehrfach die Botschaft von Exil-Iranern verwüstet worden ist und nun- erfolgt — auch in Zukunft insbesondere die Verpflich- mehr die Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch den tung der Bundesrepublik aus den Wiener Überein- Bundesminister des Auswärtigen, Forderungen der Botschaft in kommen über diplomatische und konsularische Höhe von 4 Mio. DM begleichen muß? Beziehungen und die außenpolitischen Konsequen- Teilt die Bundesregierung die Meinung, daß bei einer recht- zen unzureichender Schutzmaßnahmen an die zeitigen und weitläufigen Absperrung der Botschaft dieser Schaden hätte vermieden werden können, und was gedenkt die zuständigen Länderinnenminister herantragen. Bundesregierung gemeinsam mit dem Land Nordrhein-Westfa- len zu tun, um das Ausmaß von Schäden an Botschaftsgebäuden infolge von gewalttätigen Demons trationen in Zukunft so gering wie möglich zu halten?

Zu Frage 37: Anlage 20 Am 5. April 1992 erfolgten — wie in anderen Antwort europäischen Staaten — auch in der Bundesrepublik Deutschland mehrere gewalttätige Übergriffe irani- des Parl. Staatssekretärs Rainer Funke auf die Frage scher Oppositioneller auf iranische Einrichtungen, des Abgeordneten Hubert Hüppe (CDU/CSU) u. a. auf die Botschaft in Bonn. Der Überfall auf die (Drucksache 12/6691 Frage 39): Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 208. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. Februar 1994 18077*

Sieht sich die Bundesregierung im Hinblick auf die Möglich- 2. Auswirkungen auf die Tourismusbranche keit, daß sich eine Frau in jungen Jahren eine Eizelle entnehmen und mittels Kryokonservierung erst nach der Menopause wieder Nach dem geänderten Richtlinienvorschlag, den die übertragen läßt, veranlaßt, das Embryonenschutzgesetz zu EG-Kommission im Oktober letzten Jahres vorgelegt ändern? hat, sollen die Vorschriften der Distanzgeschäfte- Richtlinie — vom Widerrufsrecht des Artikels 12 - Die Bundesregierung vermag ein Bedürfnis für die abgesehen — auch für die Dienstleistungen mit Reser- von Ihnen angesprochene Ergänzung des Embryo- vierungen gelten. Damit würden insbesondere auch nenschutzgesetzes nicht zu sehen. Anhaltspunkte die Pauschalreisen von der Distanzgeschäfte-Richtli- dafür, daß sich junge Frauen einem operativen Ein- nie erfaßt, obwohl der Verbraucherschutz insoweit griff unterziehen werden, um sich die Möglichkeit bereits umfassend durch die Pauschalreise-Richtlinie einer Jahrzehnte später erfolgenden extrakorporalen (90/314/EWG) geregelt ist. Befruchtung offenzuhalten, sind ebensowenig er- Das führt zu Überschneidungen hinsichtlich der sichtlich wie Hinweise darauf, daß sich Ärzte zu einer vor- und nachvertraglichen Informationspflichten. derartigen Maßnahme bereitfinden würden. Schon mit Rücksicht auf den Ultima-ratio-Gedanken des Außerdem kollidiert das Vorauszahlungsverbot des Strafrechts ist dies zunächst als eine Frage des ärztli- Artikels 8 der Distanzgeschäfte-Richtlinie mit der chen Standesrechts anzusehen. Pauschalreise-Richtlinie. Denn die Pauschalreise- Richtlinie erkennt ausdrücklich an, daß der Veranstal- ter Vorauszahlungen verlangen kann. Vor diesem Hintergrund hat Deutschland — vorbe- haltlich seiner insgesamt ablehnenden Haltung — Anlage 21 bereits mehrfach in den zuständigen Gremien des Rates gefordert, die Dienstleistungen mit Reservie- Antwort rungen entsprechend der ursprünglichen Fassung des des Parl. Staatssekretärs Rainer Funke auf die Frage Vorschlags insgesamt von der Distanzgeschäfte- des Abgeordneten Simon Wittmann (Tännesberg) Richtlinie auszunehmen. Auch bei den weiteren Bera- (CDU/CSU) (Drucksache 12/6691 Frage 40): tungen des Richtlinienvorschlages werden wir diese Position mit Nachdruck vertreten. Wird die Bundesregierung trotz des Subsidiaritätsgebotes in den Maastricht-Vertragen der EG-Distanzverkaufs-Richtlinie zustimmen, und welche Auswirkungen hat diese EG-Richtlinie auf die Touristikbranche?

Anlage 22 1. Haltung der Bundesregierung — Subsidiaritäts- prinzip Antwort Die Bundesregierung lehnt den vorliegenden Vor- schlag der EG-Kommission für eine Distanzgeschäfte des Parl. Staatssekretärs Rainer Funke auf die Frage Richtlinie ab. Einer der Gründe dafür ist das in der des Abgeordneten Robert Antretter (SPD) (Drucksa- Frage angesprochene Prinzip der Subsidiarität. che 12/6691 Frage 41) : Inwieweit läßt sich die Bundesregierung bei der Ausarbeitung Wir sehen weder im Hinblick auf die Verwirkli- einer Rahmenkonvention, die den Mitgliedstaaten des Europa- chung des Binnenmarktes noch aus Gründen des rates bestimmte Verpflichtungen hinsichtlich des Minderheiten- Verbraucherschutzes ein Bedürfnis für die Distanzge- schutzes auferlegt, von einem gruppenbezogenen Ansatz lei- schäfte-Richtlinie: ten? Nach dem EWG-Schuldvertragsübereinkommen von Rom gilt bei grenzüberschreitenden Fernabsatz- Der Schutz von Minderheiten ist Teil des allgemei- geschäften grundsätzlich das Recht des Verbrauchers. nen Schutzes der Menschenrechte. Mit den Men- Dieses Recht kann er nach dem Gerichtsstands- und schenrechten sollen grundsätzlich die Rechte von Vollstreckungsübereinkommen von Brüssel in a ller einzelnen geschützt werden. Dementsprechend tritt die Bundesregierung in Übereinstimmung mit der Regel an seinem Wohnsitzgerichtsstand einklagen und ein Urteil in dem anderen Mitgliedstaat vollstrek- Parlamentarischen Versammlung des Europarates ken lassen. Insbesondere ist nicht ersichtlich, warum und mit dem Deutschen Bundestag für ein Zusatzpro- der Schutz der Distanzgeschäfte-Richtlinie sogar für tokoll zur Europäischen Menschenrechtskonvention solche Verträge gelten soll, die über herkömmliche ein. Die Entscheidung des Wiener Gipfels der Staats- Kommunikationsmittel wie B rief und Telefon abge- und Regierungschefs des Europarates im Oktober schlossen werden. 1993 für eine Rahmenkonvention eröffnet einen grö- ßeren Spielraum. Es besteht die Möglichkeit, Modelle Seitens der EU sollten allenfalls Empfehlungen für bilaterale oder multilaterale Übereinkünfte zu gegeben werden, wie dies die Kommission mit ihrer schaffen. Die Rahmenkonvention kann Vorschläge für Empfehlung über die Verhaltenscodices zum Ver- die nationale Gesetzgebung machen. Sie kann bin- braucherschutz bei Vertragsabschlüssen im Fernab- dende Staatenverpflichtungen oder unmittelbare satz (92/295/EWG) auch bereits getan hat. Rechte für einzelne oder Gruppen enthalten. Um diese Haltung zu bekräftigen, ist der Vorschlag Auf welches Ergebnis sich die Mitgliedstaaten des für eine Distanzgeschäfte-Richtlinie auch in die soge- Europarats in diesem Zusammenhang einigen wer- nannte „Deutsche Subsidiaritätsliste" vom 22. Juli den, ist derzeit noch völlig offen. Der Wiener Gipfel 1993 aufgenommen worden. hat den Auftrag gegeben, in erster Linie Grundsätze 18078* Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 208. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. Februar 1994 aufzustellen, zu deren Einhaltung sich die Staaten Leistungen gekürzt zu werden; eine Änderung der verpflichten, um den Schutz nationaler Minderheiten Rahmendaten der Pflegeversicherung ist nicht erf or- sicherzustellen. Die Bundesregierung setzt sich dafür derlich. ein, außerdem Individualrechte zu schaffen. Solche Individualrechte können von Angehörigen einer Den Berechnungen zur Pflegeversicherung liegen nationalen Minderheit als Teil der Gruppe geltend die wirtschaftlichen Daten und Annahmen vom Mai gemacht werden. 1993 zugrunde, in denen auch die Wirtschaftsent- wicklung nach damaligem Erkenntnisstand berück- sichtigt ist. Im Gesetzentwurf zur Pflegeversicherung ist der Anlage 23 Grundsatz einer einnahmenorientierten Ausgaben- Antwort politik festgeschrieben. Nach § 26 des Entwurfs wird die Höhe der Leistungen im Rahmen des geltenden des Parl. Staatssekretärs Rudolf Kraus auf die Frage Beitragssatzes und der sich daraus ergebenden Ein- der Abgeordneten Monika Ganseforth (SPD) (Druck- nahmen-Entwicklung angepaßt. Das geschieht durch sache 12/6691 Frage 49): Rechtsverordnung und nicht automatisch, so daß Was geschieht mit der Kirchensteuer, die Arbeitslosen abge- der Einnahme-Entwicklung der Pflegeversicherung zogen wird, auch wenn sie keiner christlichen Kirche angehören, und hält die Bundesregierung das für hinnehmbar? Rechnung ge tragen wird. Gemeinhin werden die Auswirkungen einer rezes- Die Berücksichtigung der Kirchensteuer bei der siven Wirtschaftsentwicklung auf die Finanzen der Berechnung der Höhe der Lohnersatzleistungen nach Pflegeversicherung allerdings überschätzt. So verän- dem Arbeitsförderungsgesetz hat in der letzten Zeit dert z. B. ein Wechsel von Beschäftigung in Arbeitslo- durch eine nicht immer sachliche Darstellung in den sigkeit nicht die Anzahl der Beitragszahler, da Bei- Medien zu Mißverständnissen geführt. träge auch aus Lohnersatzleistungen gezahlt werden. Richtig ist: Die Lohnersatzleistungen nach dem Auf die Finanzen der Pflegeversicherung wirkt in Arbeitsförderungsgesetz sind steuerfrei, Steuern wer- diesem Fall nur die geringere Beitragsbezugsgröße. den deshalb weder einbehalten noch an Kirchen oder Darüber hinaus ist zu beachten, daß geringe Lohnan- Finanzverwaltung abgeführt. hebungen oder Lohn-Nullrunden — gerade auch im Der in den Bundesländern geltende niedrigste Kir- öffentlichen Dienst — zu einer erheblich gedämpften chensteuer-Hebesatz fließt lediglich als Rechenfaktor Kostenentwicklung der Pflegeversicherung beitra- in die Ermittlung der Leistungssätze der Lohnersatz- gen, da die stationären Pflegekosten zu 70 bis 80 % aus leistungen ein, die durch Rechtsverordnung des Bun- Lohnkosten bestehen. desministeriums für Arbeit und Sozialordnung ein- Eine verhaltene Wirtschaftsentwicklung führt daher heitlich für das gesamte Bundesgebiet bestimmt wer- nicht, wie in Ihrer zweiten Frage unterstellt, zu über- den. proportional steigenden Pflegekosten, sondern zu Zu den weiteren Einzelheiten habe ich mich in der einer entsprechenden Dämpfung der Kostenentwick- Fragestunde bereits am 21. April 1992 zu den Fragen lung. der Frau Abgeordneten Angelika Barbe ausführlich geäußert (Drucksache 12/2467 S. 12). Ich gestatte mir Darüber hinaus wird nach Inkrafttreten der Pflege- auf die damaligen Ausführungen zu verweisen. versicherung durch die Einführung des Wirtschaft- lichkeitsgebotes, durch Wirtschaftlichkeitsprüfungen und durch die Vereinbarung der Pflegesätze zwischen den Leistungserbringern und den Pflegekassen, die Anlage 24 unter dem Gebot der Beitragssatzstabilität stehen, ein überproportionaler Anstieg der Pflegekosten vermie- Antwort den. des Parl. Staatssekretärs Rudolf Kraus auf die Fragen der Abgeordneten Ingrid Walz (F.D.P.) (Drucksache Die Bundesregierung geht auch nicht von einem 12/6691 Fragen 50 und 51): überproportionalen Anstieg der Zahl der Pflegebe- dürftigen aus. Hält die Bundesregierung angesichts der gesamtwirtschaftli- chen Lage der Bundesrepublik Deutschland, die durch stei- gende Arbeitslosenzahlen, Betriebsschließungen, absehbare Wir streben mit der Einführung der Pflegeversiche- Nullrunden in den Tarifabschlüssen und Arbeitszeitverkürzun- rung eine Verbesserung der Rehabilita tion Pflegebe- gen mit Lohnverzicht gekennzeichnet ist, die Berechnung der dürftiger und von Pflegebedürftigkeit Bedrohter aus. Beitragssätze zur geplanten Pflegeversicherung noch für reali- Der Medizinische Dienst der Krankenkassen hat die stisch bzw. für überhaupt kalkulierbar? Aufgabe, bei der Begutachtung der Pflegebedürftigen Inwieweit berücksichtigt die Bundesregierung vor diesem auch Möglichkeiten der Rehabilitation zu prüfen und Hintergrund die Wahrscheinlichkeit überproportional steigen- der Pflegekosten und eine überproportional wachsende Zahl ggf. die erforderlichen Maßnahmen zu empfehlen. von Pflegebedürftigen bei der Berechnung der Beitragssätze zur Darüber hinaus wird die aktivierende Pflege aus- geplanten Pflegeversicherung? drücklich Teil der Leistungen der Pflegeversicherung, so daß auch dadurch Verschlimmerungen vermieden Aufgrund der derzeitigen wirtschaftlichen Situa tion und wo möglich Besserungen der Fähigkeiten der und ihren Auswirkungen auf Beschäftigung, Entgelte Pflegebedürftigen erreicht werden können. Dies wird und Arbeitslosigkeit brauchen weder die Beitrags- den Anstieg der Zahl der Pflegebedürftigen brem- sätze zur Pflegeversicherung angehoben noch die sen. Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode —208. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. Februar 1994 18079*

Die angesprochene Zunahme der Zahl Pflegebe- hergestellte Programm dient der Be treuung der eige- dürftiger ist entsprechend der abgestimmten Bevölke- nen Soldaten. Gesendet werden allgemeine Informa- rungsvorausschätzung in den Berechnungen im tionen, Grüße und Musikwünsche aus der Heimat. Gesetzentwurf berücksichtigt. Wie in der finanziellen Begründung zum Gesetzentwurf erläutert, führt die Die Sendungen werden von den Soldaten gerne demographisch bedingte Zunahme der Pflegebedürf- gehört. tigen langfristig nur zu einem moderaten Anstieg des Beitragssatzes.

Anlage 25 Anlage 26 Antwort Antwort der Parl. Staatssekretärin Michaela Geiger auf die der Parl. Staatssekretärin Michaela Geiger auf die Fragen der Abgeordneten Ingrid Köppe (BÜND- Frage des Abgeordneten Dr. Olaf Feldmann (F.D.P.) NIS 90/DIE GRÜNEN) (Drucksache 12/6691 Fra- (Drucksache 12/6691 Frage 54): gen 52 und 53): Wieviel wird die Bundesregierung pro Jahr einsparen, wenn Für welchen Zeitraum befanden sich wie viele Mitarbeiter des auf die Einberufung von 20 000 Wehrpflichtigen verzichtet wird, Bundeswehr-Bataillons „Operative Informa tion" (ehemals: Psy- und wie hoch sind die Kosten für einen Wehrpflichtigen pro Tag chologische Verteidigung PSV) in Somalia anläßlich der dorti- gemäß Kostenrichtlinie? gen VN-Aktion? Welche Tätigkeiten haben diese Bediensteten in welchen Teilen Somalias gegenüber der dortigen Bevölkerung oder im Die Bundesregierung beabsichtigt nicht, auf 20 000 Hinblick auf die dort eingesetzten Truppen im einzelnen ver- Wehrpflichtige zu verzichten. Eine derartige Minder- richtet? einberufung ist weder geplant noch in der Organisa- tions- und Stationierungsstruktur der Bundeswehr Zu Frage 52: realisierbar. In BELET UEN befindet sich ein Fernmelde-Zug Um die vom Haushalt vorgegebenen Einsparungen des Fernmeldebataillons 950, Andernach, im Einsatz. zu bewältigen, sind Eingriffe in den Betrieb und bei Die Personalstärke war stufenweise der jeweiligen Investitionen unvermeidlich. Leitlinie ist dabei, daß Auftragslage angepaßt. Sie umfaßte 3 Soldaten in der die militärische Leistungsfähigkeit der Streitkräfte Vorbereitungsphase, 20 Soldaten in der Zeit von Mitte möglichst wenig beeinträchtigt wird. August bis Anfang Dezember 1993. Im Rahmen des Kontingentwechsels im Dezember 1993 wurde die Unter anderem wird auch die Geldansatzstärke für Anzahl auf derzeit 14 Soldaten verringert. Vom 10. Fe- Soldaten auf Zeit, Grundwehrdienstleistende und bruar 1994 bis zum Abschluß des Einsatzes des Zivilpersonal zeitlich befristet abgesenkt werden Deutschen Unterstützungsverbandes werden noch müssen. Angestrebt wird die Größenordnung von 5 Soldaten verbleiben. Bis zum Abschluß der Rückver- etwa 400 Zeit- und Berufssoldaten und etwa 1 500 legung nach Deutschland werden insgesamt 34 Sol- Grundwehrdienstleistenden. Ferner können durch daten in SOMALIA gewesen sein. die Reduzierung von Wehrübungsplätzen Ausgaben gespart werden. Zu Frage 53: Es wird erwartet, daß die genannten Personalein- Die Soldaten des Fernmeldezugs für Operative sparungen zusammen mit den innerhalb der Quartale Informationen mit Lautsprechern, Handzetteln, Pla- und über das Jahr ohnehin vorhandenen Schwankun- katen sowie einer Wochenzeitung die somalische gen im Dezember 1994 zu einer vorübergehenden Bevölkerung über Auftrag, Absicht und Maßnahmen Tagesdienstsstärke zwischen 345 000 und 350 000 des deutschen VN-Kontingents im Rahmen der huma- führen kann, um dann wieder anzusteigen. nitären Hilfsaktionen. Diese mit dem Presse- und Informationszentrum vor Ort abgestimmte Informa- Gemäß der Kostenrichtlinie be tragen die Personal- tionsarbeit wird in BELET UEN sowie in einem kosten für einen Wehrpflichtigen im Jahr durch- Umkreis von ca. 70 km um die Stadt durchgeführt. schnittlich 21 544 DM. Für wehrpflichtige Sanitätsof- fiziere liegt dieser Be trag höher, nämlich bei 64 469 Diese Maßnahmen tragen erheblich zum guten DM. Hieraus läßt sich der Tagessatz errechnen: er Verhältnis zwischen dem deutschen Unterstützungs- beträgt 59,02 DM für den Wehrpflichtigen und 176,63 verband und der Bevölkerung im Umkreis von BELET DM für den wehrpflichtigen Sanitätsoffizier. Die UEN bei. genannten Personalkosten umfassen nur die perso- Des weiteren haben die Soldaten somalische nenbezogenen Kosten, wie zum Beispiel Wehrsold, Redakteure des Inte rnational Medical Corps (IMC) an Familienheimfahrten, Verpflegung. Sie umfassen Druckmaschinen ausgebildet und sie bei der Heraus- nicht die ohnehin anfallenden und nicht einsparbaren gabe einer Gesundheitszeitung für die Region unter- Betriebskosten, wie zum Beispiel für Unterkunft. stützt. Eine Einsparung durch Mindereinberufung von Darüber hinaus betreiben die Soldaten des Fern- Wehrpflichtigen kann nur in dem Maße realisiert meldebataillons 950 im Lagerbereich einen Rund- werden, in dem die Lebens- und Betriebsfähigkeit der funksender mit geringer Reichweite. Das von ihnen Truppenteile nicht beeinträchtigt wird. 18080* Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 208. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. Februar 1994

Anlage 27 Ist der Bundesregierung bekannt, auf welche Ziele die mit Nuklearsprengköpfen bestückten Interkontinentalraketen der Antwort USA und Rußlands programmiert sind, nachdem die bisherigen Zielprogrammierungen aufgrund einer Vereinbarung zwischen der Parl. Staatssekretärin Michaela Geiger auf die Präsident Clinton und Präsident Jelzin gelöscht worden sind? Fragen des Abgeordneten Dr. Wolfgang Weng (Ger- - lingen) (F.D.P.) (Drucksache 12/6691 Fragen 55 Die Regierung der Vereinigten Staaten hat die und 56): Bundesregierung im Vorfeld der Bekanntgabe der Warum hat die Bundesregierung den am 25. November 1992 amerikanisch-russischen Initiative über die beidersei- gefaßten Beschluß zur Privatisierung der Heimbetriebsgesell- schaft mbH der Bundeswehr trotz des begleitenden Votums des tige Änderung der Zielprogrammierung bei den stra- Verteidigungsausschusses des Deutschen Bundestages bisher tegischen Raketensystemen unterrichtet. nicht vollzogen? Die Vereinigten Staaten haben im Zusammenhang Ist die Bundesregierung in der Lage, einen verbindlichen mit der Vereinbarung erklärt, daß beide Seiten ihre Zeitplan für die von der Koalition gewünschte Privatisierung der Heimbetriebsgesellschaft mbH der Bundeswehr vorzulegen? Flugkörper mit Koordinaten in den entlegensten Bereichen der Ozeane programmieren werden. Das Zu Frage 55: dient der Minimierung von Schäden im Falle eines äußerst unwahrscheinlichen versehentlichen Starts. Der Deutsche Bundestag hat die Bundesregierung am 25. November 1993 aufgefordert, die Heimbe- Die Clinton/Jelzin-Vereinbarung hat die Stärkung triebsgesellschaft mbH unter Beachtung der Kernfor- der strategischen Stabilität und die Stützung der derungen eines flächendeckenden Angebotes und Vertrauensbildung zum Ziel und dient in erster Linie günstiger Preise zu privatisieren. In Ausführung des der Sicherheit sowie der Klimaverbesserung zwischen Beschlusses wurde zunächst mit dem einzigen Inter- den beiden großen Nuklearmächten. essenten, einer Delegation des Bundesverbandes der Heimbetriebsleiter und Kantinenpächter e. V., über die Übernahme sowie deren vertragliche Ausgestal- tung verhandelt. Im September 1993, als die Verhand- Anlage 29 lungen fast abgeschlossen waren, meldete sich als Antwort weiterer Interessent das Bundeswehr-Selbsthilfewerk GmbH des Deutschen Bundeswehr-Verbandes, un- der Parl. Staatssekretärin Michaela Geiger auf die terstützt von der Bundesvereinigung der Offizier- und Fragen des Abgeordneten Hans Wallow (SPD) Unteroffizierheimgesellschaften. Mit diesem neuen (Drucksache 12/6691 Fragen 58 und 59): Interessenten wurde gleichfalls verhandelt. Es ist erst Welche Folgen in personeller und organisatorischer Hinsicht jetzt ein Sachstand erreicht, der es ermöglicht, eine ergeben sich aus der Einrichtung einer europäischen Rüstungs- Entscheidung zu treffen, mit wem die abschließenden agentur für das Bundesamt für Wehrtechnik und Beschaffung Verhandlungen geführt werden sollen. Der Gesamt- (BWB) in Koblenz? vertrauenspersonenausschuß beim BMVg hat sich Welche konkreten Ergebnisse hat die Bundesmarine bei ihrer Aufgabe im Rahmen der NATO, das Embargo gegen Rest gegen eine Privatisierung der Heimbetriebsgesell- Jugoslawien durchzusetzen, bisher erzielt? schaft ausgesprochen, da er nachteilige Auswirkun- gen auf das Angebot und die Preise befürchtet. Zu Frage 58: Zu Frage 56: Anläßlich des europäischen Gipfeltreffens von Maastricht am 10./11. Dezember 1991 beschlossen die Erst nach der Entscheidung, an welchen Interessen- Staats- und Regierungschefs der Westeuropäischen ten die Anteile der Heimbetriebsgesellschaft veräu- Union (WEU) u. a. den Vorschlag zu prüfen, die ßert werden sollen, können mit ihm die abschließen- europäische Rüstungszusammenarbeit durch Schaf- den Vertragsverhandlungen geführt werden. Wegen fung einer europäischen Rüstungsagentur zu verstär- des Verkaufs von Bundeseigentum muß dabei der ken. Bundesminister der Finanzen, wegen der Zustim- mung zur Preisbindung für das Grundsortiment unter Seit März 1992 untersucht eine Arbeitsgruppe der kartellrechtlichen Gesichtspunkten der Bundesmini- 13 in der Western European Armament Group zusam- ster für Wirtschaft sowie das Bundeskartellamt betei- mengeschlossenen Staaten die Realisierungsmöglich- ligt werden. keiten. Teil dieser Untersuchungen ist die Prüfung, welche nationalen Bereiche auf die Agentur übertra- Einen verbindlichen Zeitplan zum Abschluß der Privatisierung kann die Bundesregierung zur Zeit gen werden könnten. wegen der noch offenen Probleme und der Abhängig- Nach dem gegenwärtigen Verhandlungsstand ist keiten von Beteiligten die nicht ihrem Weisungsrecht die Neigung der beteiligten Länder eher gering, in unterliegen, nicht vorlegen. nennenswertem Umfang Aufgaben und Kompeten- zen an eine Europäische Rüstungsagentur abzuge- ben. Entscheidungen des WEU-Rates hierzu können frühestens im Spätherbst dieses Jahres erwartet wer- Anlage 28 den. Antwort Eine Übertragung von nationalen deutschen Berei- chen würde unter Umständen zum Wegfall der ent- der Parl. Staatssekretärin Michaela Geiger auf die sprechenden Aufgabenbereiche im Bundesamt für Frage des Abgeordneten Otto Schily (SPD) (Drucksa- Wehrtechnik und Beschaffung führen. Personelle und che 12/6691 Frage 57): organisatorische Auswirkungen können erst dann Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 208. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. Februar 1994 18081* konkret beurteilt werden, wenn feststeht, daß eine weiteren Verhandlungen mit allen zu Gebote stehen- solche Agentur eingerichtet wird und ihre Aufgaben- den Mitteln für die Erhaltung des hohen Schutz- bereiche hinreichend definiert sind. niveaus für Trinkwasser einsetzen.

Zu Frage 59: Das Bundeskabinett hat am 19. November 1992 beschlossen, daß das deutsche Schiff auch künftig im Anlage 31 Rahmen seines bisherigen Auftrags im NATO-Ver- Antwort band der Adria präsent bleibt. Eine Teilnahme an Zwangsmaßnahmen (Stop and Search) kommt nicht in der Parl. Staatsskretärin Dr. Sabine Bergmann-Pohl

Betracht. auf die Fragen der Abgeordneten Antje - Marie Steen (SPD) (Drucksache 12/6691 Fragen 64 und 65): Entsprechend diesem Beschluß hat sich die Bundes- marine seit Beginn der Embargo-Operation am Hält es die Bundesregierung für empfehlenswert, zur Dia- gnose einer evtl. Gonorrhoe anstelle der für die Neugeborenen 16. Juli 1992 ausschließlich auf die Überwachung der schmerzhaften Gabe von Silbernitrat in die Augen, einen Adria in internationalen Gewässern beschränkt. Zur Abstrich bei der Schwangeren einige Tage vor der Entbindung Zeit sind ständig zwei Schiffe in Fregatten-/Zerstörer- vorzunehmen, und könnte diese Maßnahme als Vorsorgemaß- größe präsent, die in das multinationale Gesamtkon- nahme bei Schwangerschaften von den Krankenkassen finan- zept der NATO und der WEU eingebunden sind. Mit ziert werden? Stand vom 28. Januar 1994 konnten die an dem Ist der Bundesregierung bekannt, daß Schwerhörigkeit bei multinationalen Verband beteiligten Schiffe folgende Kindern direkt nach der Geburt festzustellen ist, und ist die Bundesregierung bereit, diesen Test in den Vorsorgekatalog für Ergebnisse erzielen: Kinder als präventive Maßnahme mitaufzunehmen? — 25 275 Schiffe wurden in See abgefragt, — 1 916 Schiffe wurden in See durchsucht, Zu Frage 64: — 476 Schiffe wurden zur Untersuchung in italie- Auf Veranlassung des BMG hat das Bundesgesund- nische Häfen umgeleitet. heitsamt die Frage geprüft, ob der medizinischen Wissenschaft neue Erkenntnisse oder neue Behand- Statistische Angaben zu den Leistungen der Schiffe lungsmethoden vorliegen, die wirksamer oder un- einzelner Nationen liegen nicht vor. schädlicher sind als die „Credé'sche Prophylaxe" . Die beim Bundesgesundheitsamt dazu gebildete Exper- tenkommission hat 1993 die Empfehlung ausgespro- chen, die 1 %ige Silbernitratlösung so lange für die Credé'sche Prophylaxe zu verwenden, bis ein anderes Schleimhaut-Antiseptikum mit der gleichen Wirk- Anlage 30 samkeit zur Verfügung steht. Antwort der Parl. Staatssekretärin Dr. Sabine Bergmann-Pohl Zu Frage 65: auf die Frage des Abgeordneten Benno Zierer (CDU/ Die Bundesregierung fördert seit Jahren Vorhaben, CSU) (Drucksache 12/6691 Frage 63): die das Ziel verfolgen, die Möglichkeiten der Früh- Mit welchen Maßnahmen setzt sich die Bundesregierung für erkennung von Hörstörungen zu verbessern. Beispiel- die Beibehaltung des strengen Grenzwertes für Pestizide in der haft nenne ich die Vorhaben „Selektives Screening 1989 in deutsches Recht umgesetzten EG-Trinkwasserrichtlinie zur Frühdiagnostik angeborener und erworbener 80/778/EWG ein, und wie wird die Bundesregierung dafür Sorge tragen, daß die strengen Grenzwerte der EG-Trinkwasser- Hörstörungen bei Risikokindern im 1. Lebensjahr" richtlinie in Anhang VI der EG-Pestizidzulassungs-Richtlinie sowie „Evaluation der Früherfassung von Seh- und 91/414/EWG erhalten bleiben und bei der Umsetzung der Hörstörungen für Kinder" . EG-Grundwasserrichtlinie 80/68/EWG in deutsches Recht fest- geschrieben werden? Nach Kenntnis der Bundesregierung sind die bis- lang entwickelten Methoden für ein allgemeines Die geltenden Grenzwerte für Pflanzenschutzmittel Screening auf Hörschäden bei allen Neugeborenen sind in der EG-Trinkwasser-Richtlinie 80/778/EWG noch nicht geeignet. Bei Verdacht auf Schwerhörig- und in der Trinkwasser-Verordnung vom 5. Dezember keit z. B. bei bestimmten Risikogruppen stehen Unter- 1990 verbindlich festgelegt. Die Kommission der suchungsverfahren zur Verfügung, die eine Schwer- Europäischen Union hat im Rahmen einer Initiative hörigkeit bereits in den ersten Lebenswochen sicher zur Novellierung der EG-Trinkwasser-Richtlinie bis- erfassen. her keinerlei Absicht erkennen lassen, die geltenden Werte zu verändern. Gleiches g ilt für die von der Kommission in Aussicht genommene Novellierung der EG-Grundwasser-Richtlinie. Bei den derzeit laufenden Beratungen über die Anlage 32 Zulassung von Pflanzenschutzmitteln nach An- Antwort hang VI der EG-Pflanzenschutzmittel-Richtlinie be- müht sich die Bundesregierung mit Nachdruck, eine des Staatssekretärs Dr. Wilhelm Knittel auf die Frage Abstimmung mit den Zielen des Gewässer- und Trink- des Abgeordneten Horst Kubatschka (SPD) (Drucksa- wasserschutzes zu erreichen. Sie wird sich bei den che 12/6691 Frage 66): 18082* Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 208. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. Februar 1994

Hält die Bundesregierung eine qualifizierte Prüfung der daß das Inkrafttreten der EU-Melderichtlinie auf den Alternativpläne des Wiener Wasserbauexperten Prof. Ogris zum frühestmöglichen Zeitpunkt vorgezogen wird. Ausbau der Donau zwischen Straubing und Vilshofen für mög- lich angesichts der Tatsache, daß sich die mit der Überprüfung Die Initiativen der Bundesregierung zur Weiterent- beauftragten Vertreter der Rhein-Main-Donau AG als auch der wicklung der Sicherheitsanforderungen für den Bundesanstalt für Wasserbau bereits seit längerer Zeit auf die völlige Ablehnung der "Ogris-Methode" festgelegt haben? Transport gefährlicher Güter mit Seeschiffen richten- sich an die Internationale Seeschiffahrts-Organisation Eine vorurteilsfreie und qualifizierte Prüfung der in London. Sie betreffen die international völkerrecht- Alternativpläne des Wiener Wasserbauexperten lich verbindliche Einführung des Internationalen Prof. Ogris zum Ausbau der Donau zwischen Strau- Code für die Beförderung gefährlicher Güter mit bing und Vilshofen sieht die Bundesregierung Seeschiffen sowie der Vorschriften für die Sicherung dadurch gewährleistet, daß entsprechend der zwi- von Containern mit gefährlicher Ladung. schen dem Bundesverkehrsminister und der Bayeri- — gemeinsame international abgestimmte Kontroll- schen Staatsregierung ge troffenen Absprache sowohl aktionen auf Einhaltung der vorhandenen interna- Prof. Orgis selbst als auch die Bundesanstalt für tionalen Gefahrgutvorschriften im Internationalen Wasserbau, Karlsruhe, mit dieser Prüfung beauftragt Code für die Beförderung gefährlicher Güter mit werden sollen. Seeschiffen, Darüber hinaus soll ein dritter, bisher nicht am — eine Änderung der Stauvorschriften für Container Verfahren beteiligter Experte hinzugezogen werden. mit verpackten Pestiziden von weniger großer Die Rhein-Main-Donau AG ist lediglich mit der admi- Gefährlichkeit (Verpackungsgruppe III) mit dem nistrativen Abwicklung der durchzuführenden Unter- Ziel, für diese Stoffe künftig nur noch die Stauung suchungen beauftragt. „Unter Deck" zuzulassen, Die genannte Absprache sieht ausdrücklich auch — eine Initiative zur Einführung spezifischer Schu- eine Einschaltung der Bundesanstalt für Wasserbau lungsanforderungen für Schiffsoffiziere, damit vor. Neben der im In- und Ausland anerkannten diese noch besser als bisher über die Gefährlich- Qualifikation der Bundesanstalt für Wasserbau gebie- keit der Ladung, die einzuhaltenden Sicherheits- tet auch schon die Ehrlichkeit und Fairneß gegenüber vorschriften und die eintretenden Folgen bei einer Einrichtung, der selbst Prof. Ogris im Sympo- Nichtbeachtung informiert sind. sium vom Juli 1993 eine ausgezeichnete fachliche Arbeit bescheinigt hat, deren Beteiligung. Zu Frage 68: Die Verkehrsminister von Belgien, Deutschland, Frankreich, den Niederlanden und dem Vereinigten Anlage 33 Königreich haben bei ihrem Treffen am 26. Januar 1994 ihre Entschlossenheit bekräftigt, auf die Fertig- Antwort stellung eines Internationalen Übereinkommens über des Staatssekretärs Dr. Wilhelm Knittel auf die Fragen die zivilrechtliche Haftung für Schäden beim Tr ans- des Abgeordneten Dietmar Schütz (SPD) (Drucksache port von Gefahrgut auf See bis zum Jahre 1996 zu 12/6691 Fragen 67 und 68): drängen. Sie haben weiter erklärt, daß bei einem Welche Initiativen wird die Bundesregierung ergreifen, um Scheitern dieser Bemühungen als Dringlichkeitsmaß- nach dem jüngsten Giftskandal vor der Nordseeküste die Über- nahme die Einrichtung eines regionalen Entschädi- gangsfrist für die EU-Melderichtlinie für den Gefahrguttransport gungsfonds ins Auge gefaßt werden müsse. zu verkürzen, und welche weiteren Initiativen auf europäischer Ebene wird die Bundesregierung ergreifen, um die Sicherheits- Der durch das französische Containerschiff anforderungen für die Verpackung, Verladung und Verschif- „Shebro" ausgelöste Schadensfall verdeutlicht, daß fung von Gefahrgütern zu verschärfen? eine befriedigende Lösung der Haftungs- und Ent- Welche Konsequenzen wird die Bundesregierung aus dem schädigungsfrage nicht durch nationale Gesetzge- Giftskandal hinsichtlich einer Verschärfung der Haftungsbe- bung, sondern nur durch internationale Regelungen stimmungen für Hersteller, Händler und Transporteure von Gefahrgütern ziehen? gewährleistet werden kann. Zur Fortsetzung ihrer Bemühungen und Initiativen auf internationaler Ebene sieht die Bundesregierung daher keine Alter- Zu Frage 67: native. Insbesondere muß bezweifelt werden, ob eine In Artikel 14 der EU-Melderichtlinie 93/75/EWG Verschärfung des nationalen Produkthaftrechts oder vom 13. September 1993 ist vorgesehen, daß die eine verschärfte Händlerhaftung Abhilfe und Sicher- Mitgliedstaaten der Europäischen Union die erforder- heit gegen derartige Unfälle bieten kann. lichen nationalen Umsetzungsvorschriften bis zum 13. September 1994 zu erlassen haben, die dann ein Jahr später am 13. September 1995 in Kraft treten sollen. Gemäß Artikel 13 der Richtlinie sind für die Anlage 34 2. Phase ein umfassenderes europäisches Schiffs Meldesystem in den Seegebieten der Mitgliedstaaten Antwort der Gemeinschaft sowie elektronische Systeme des des Staatssekretärs Dr. Wilhelm Knittel auf die Frage Datenaustauschs zwischen Schiffen und landseitigen des Abgeordneten Otto Schily (SPD) (Drucksache Einrichtungen vorgesehen. Bei der ersten Beratung 12/6691 Frage 69): des Vorschlages der EU-Kommission zur 2. Phase in Welche Maßnahmen wird die Bundesregierung ergreifen, um der Gruppe Verkehr des Rates am 9./10. Februar 1994 künftig Risiken beim Schiffstransport gefährlicher Chemikalien in Brüssel wird die deutsche Delegation vorschlagen, auszuschließen? Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 208. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. Februar 1994 18083*

Die Bundesregierung hatte im Januar 1993 eine Zu Frage 70: interministerielle Arbeitsgruppe unter Federführung In Fragen der Planung der Personal- und Werkska- des BMV eingesetzt, die nach den jüngsten Tanker- pazitäten entscheidet der Vorstand der Deutschen unfällen Maßnahmen zur Verbesserung der Schiffs- Bahn Aktiengesellschaft entsprechend dem unter- sicherheit und zum Schutz der Meeresumwelt sowie nehmerischen Bedarf, für dessen Beurteilung der diesbezügliche Initiativen bei der Europäischen Vorstand nur den Aufsichtsorganen des Unterneh- Gemeinschaft und der Internationalen Seeschiffahrts- mens gegenüber verantwortlich ist. Dies betrifft auch Organisation aufzeigen sollte. Bei der Überprüfung die Ausbesserungswerkstätte Weiden. Der Bundesmi- des Sicherheitssystems für den Schiffsverkehr mit nister für Verkehr hat nach geltendem Aktienrecht gefährlichen Gütern, dazu zählen Öl- und Gastank- keine Möglichkeit der Einflußnahme. schiffe und auch Schiffe, die andere schädliche Sub- stanzen als Massengut befördern, hat die Arbeits- Zu Frage 71: gruppe Schwachstellen insbesondere beim Betrieb der Schiffe, der Ausbildung ihrer Besatzungen und Aufgrund des neu in das Grundgesetz eingefügten der Einhaltung bestehender Vorschriften aufgezeigt. Artikels 143 a sind die Bundesbahnbeamten durch das Zur Lösung dieser Problempunkte enthält der Schluß- Eisenbahnneuordnungsgesetz „unter Wahrung ihrer bericht der Arbeitsgruppe Vorschläge für internatio- Rechtsstellung und der Verantwortung des Diensther- nale Aktivitäten sowie zusätzliche nationale Maßnah- ren" der privatrechtlich organisierten Deutsche Bahn men. Dieser Bericht liegt als Bundesratsdrucksache Aktiengesellschaft zur Dienstleistung zugewiesen Nr. 874/93 vom 2. Dezember 1993 vor. worden. Nach dem Containerverlust des französischen Für die Sicherung des beruflichen Fortkommens Schiffes Shebro haben sich die Verkehrsminister von sieht Art. 1 § 12 des Eisenbahnneuordnungsgesetzes Belgien, Deutschland, Frankreich, den Niederlanden daher die Zulässigkeit der Überschreitung der im und dem Vereinigten Königreich kurzfristig am 26. Ja- Bundesbesoldungsgesetz festgelegten Stellenober- nuar 1994 in Paris getroffen, um über weitere Maß- grenzen für Beförderungsämter nach Maßgabe sach- nahmen zur Erhöhung der Sicherheit zu beraten. gerechter Bewertung vor, soweit dies zur Vermeidung von Verschlechterungen der Beförderungsverhält- Die wesentlichen Ergebnisse sind: nisse infolge laufender Verringerung des Personalbe- — die kürzlich erlassenen EU-Vorschriften über eine standes beim Bundeseisenbahnvermögen erforder- international verbindliche Meldepflicht für See- lich ist. schiffe mit gefährlichen Gütern gegenüber den Es ist davon auszugehen, daß der vom Präsidenten Verkehrssicherungsdiensten der Küstenstaaten des Bundeseisenbahnvermögens aufzustellende Stel- zum frühestmöglichen Zeitpunkt umzusetzen; lenplan gemäß Art. 1 § 16 Abs. 3 Eisenbahnneuord- — die deutsche Initiative in der Internationalen See- nungsgesetz vom Bundesministerium für Verkehr im schiffahrts-Organisation für ein Verfahren zur Einvernehmen mit dem Bundesministerium der Annahme international verbindlicher Routenfüh- Finanzen genehmigt werden wird. rung für Tanker und Gefahrgutschiffe in bestimm- ten Seegebieten zu unterstützen; — eine gemeinsame Initiative in der Internationalen Anlage 36 Seeschiffahrts-Organisation über die künftige Antwort Stauung von Containern mit Pestiziden unter Deck; des Staatssekretärs Dr. Wilhelm Knittel auf die Frage des Abgeordneten Norbert Gansel — (SPD) (Drucksache eine engere regionale Zusammenarbeit der fünf 12/6691 Frage 72): Staaten bei der Schiffssicherheit und im maritimen Umweltschutz, insbesondere bei den Schiffskon- Trifft es zu, daß der Stahlbau für die zweite Kanalbrücke in Kiel wegen unzuverlässiger Arbeiten nunmehr nicht in Südafrika, trollen; die Ergebnisse dieser Kontrollen sollen sondern in Belgien hergestellt werden soll, und ist die Bundes- veröffentlicht werden. regierung bereit, im Rahmen einer neuen Ausschreibung, den zuverlässigen und erfahrenen Unternehmen am Ort die Mög- lichkeit zu geben, ein neues Angebot für den Brückenbau zu unterbreiten?

Anlage 35 Die Bundesregierung bestätigt den Wechsel der Fertigungsstätte des Subunternehmers von Südafrika Antwort nach Belgien für die Stahlbaufertigung der Straßen- des Staatssekretärs Dr. Wilhelm Knittel auf die Fragen hochbrücke Kiel-Holtenau. Der deutsche Hauptauf- des Abgeordneten Ludwig Stiegler (SPD) (Druck- tragnehmer hat diesen Wechsel nach Auswertung sache 12/6691 Fragen 70 und 71): verschiedener Qualitätsmängel der Stahlbauferti- gung bei zwei der insgesamt 29 Brückenabschnitte Was geschieht nach der Bahnreform mit der Ausbesserungs- werkstätte (AwSt) Weiden, und wird die Bundesregierung dafür beantragt. Der Auftraggeber (Bund) hat diesem eintreten, daß die AwSt geschlossen als Aktionseinheit erhalten Antrag nach fachlicher Prüfung grundsätzlich zuge- bleibt? stimmt. Wie wird das berufliche Fortkommen der Bundesbeamten In Anbetracht der eigenverantwortlichen Konse- nach der Privatisierung gesichert, und wird die Bundesregierung den von der Bundeseisenbahnverwaltung vorgeschlagenen quenz des Hauptauftragnehmers im Sinne der Quali- Stellenplan, der auch Beförderungsstellen ausbringt, genehmi- tätssicherung ist eine neue Ausschreibung der Stahl- gen? bauleistung vertraglich nicht möglich.