Dr. Burkhard Hirsch Bundestagsvizepräsident A.D. Im Gespräch Mit Dr

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Dr. Burkhard Hirsch Bundestagsvizepräsident A.D. Im Gespräch Mit Dr BR-ONLINE | Das Online-Angebot des Bayerischen Rundfunks http://www.br-online.de/alpha/forum/vor0505/20050531.shtml Sendung vom 31.05.2005, 20.15 Uhr Dr. Burkhard Hirsch Bundestagsvizepräsident a.D. im Gespräch mit Dr. Jörg Lösel Lösel: Meine Damen und Herren, herzlich willkommen zum alpha-forum. Zu Gast ist bei uns heute Dr. Burkhard Hirsch. Dr. Hirsch gilt als liberales Urgestein der FDP. Er war Innenminister in Nordrhein-Westfalen, Landesvorsitzender der FDP und stellvertretender Ministerpräsident in Nordrhein-Westfalen und er war langjähriges Mitglied im Deutschen Bundestag für die FDP. Er war im Bundesvorstand seiner Partei und von 1994 bis 1998 Bundestagsvizepräsident. Herr Dr. Hirsch, Sie sind in der Zeit des Nationalsozialismus und in der Zeit des Zweiten Weltkrieges aufgewachsen, wie haben Sie diese Zeit erlebt und wie hat Sie diese Zeit geprägt? Hirsch: Es ist sehr schwer, das in wenigen Worten darzustellen. Man hatte ja damals keine anderen Informationsmöglichkeiten als diejenigen – Fernsehen hat es damals noch nicht gegeben, es gab damals nur den Rundfunk und die Zeitungen –, die erlaubt waren. Viele Einzelheiten, die mich dann lange Zeit beschäftigt haben, habe ich erst nach dem Ende des Krieges erfahren. Wir wussten allerdings davor schon, dass es eine zweite Wirklichkeit gibt: Man sprach von Konzentrationslagern, aber man nannte Sie "Konzertlager". Und ich kann mich natürlich auch daran erinnern, dass da plötzlich Menschen mit einem gelben Stern auf der Brust auftauchten und dass diese Menschen dann auf einmal komplett verschwunden waren. Es gab niemanden, der einem erklärt hätte, was da passiert war, es gab niemanden, der einem erklärt hätte, was Kommunismus ist, was Sozialdemokraten sind, was "Rotfront" heißt usw. Man merkte, dass es Dinge gab, über die nicht gesprochen werden durfte und über die man auch tatsächlich nicht sprach. Das hat mich noch lange beschäftigt. Erst nach 1945 habe ich dann die ersten zuverlässigen Informationen bekommen über Massenerschießungen im Osten, über die Wirklichkeit in den Konzentrationslagern. Ich habe mich dann als Student hingesetzt und die ganzen Akten der Nürnberger Prozesse gelesen, um zu verstehen, was eigentlich passiert war. Man fühlte solche Scham und Verachtung angesichts dieser "Größen" des Dritten Reiches. Ich habe mich auch lange mit der Frage beschäftigt, wie die Erwachsenen damals eigentlich mit all dem umgegangen sind. 1945 war ich selbst ja erst 15 Jahre alt. Man hatte uns noch beigebracht, wie man einen russischen Panzer vom Typ "T 34" knackt, wo man auf diesen Panzer aufspringen und die Haftladung anbringen muss. Gott sei Dank kamen dann aber zu uns nicht die Russen, sondern die Amerikaner mit anderen Panzern, sodass wir unsere Kenntnisse nicht mehr anwenden mussten. Es entstand eben nach 1945 eine völlig andere Welt. Man verstand manches, was einem früher nicht so deutlich gewesen war: Mir fielen wirklich Schuppen von den Augen. Ich lebte damals ja in Halle. Wir haben dann gesehen, wie dort ein Regime aufgebaut worden ist, das doch auch wieder Ähnlichkeiten mit dem hatte, dem wir gerade entkommen waren. Das hat mich natürlich dazu bewegt zu sagen, dass man das so nicht hinnehmen könne. Lösel: Das war also im Grunde genommen auch ein Stück weit Motivation für Sie, um politisch tätig zu werden. Sie sind 1948 noch in der sowjetischen Besatzungszone der LDP, der Liberal-Demokratischen Partei Deutschlands, beigetreten. Aber bereits 1949 verließen Sie die SBZ, die sowjetische Besatzungszone, und sind nach Westdeutschland geflohen. Hirsch: Ja, ich bin dort in die LDP gegangen. Wir hatten einen Lehrer, der zur LDP gehörte: Wir sind damals in Versammlungen gegangen und haben uns mit Kommunisten herumgeprügelt und haben Plakate geklebt oder abgerissen usw. Wir haben also all das gemacht, was damals halt so üblich gewesen ist. Das war alles viel härter als das, was man dann später im Westen sah und erlebte. Ich trat also im Juli 1948 in die LDP ein: Ich hatte gerade mein Abitur gemacht und meine Eltern waren bereits in Westdeutschland. Ich selbst wollte jedoch in Halle bleiben, denn ich wollte dort studieren. Ich habe dann als Chemiehilfswerker in Leuna gearbeitet. Die LDP war durchspitzelt, was wir jedoch nicht wussten. Ich wurde jedenfalls gewarnt, dass die Russen anfingen, sich nach mir zu erkundigen. Ich hatte im Werk in Leuna natürlich das Maul aufgerissen – wie man das halt so macht. Ich floh dann zunächst einmal nach Berlin und wollte von dort in den Westen. Dazu fehlte mir jedoch das Geld. Die Beamten fragten mich, ob ich denn belegen könnte, dass die Russen mich verhaften wollten. Ich antwortete ihnen: "Ich habe ja an alles Mögliche gedacht, aber nicht daran, mir das von denen auch noch bescheinigen zu lassen!" Ich bin dann unter ziemlich schwierigen Umständen nachts durch den Harz gewandert, den ich ziemlich gut kannte, und kam so nach Westdeutschland. Dort bin ich dann in die FDP eingetreten. Lösel: Sie wurden 1959 Landesvorsitzender der Jungdemokraten in Nordrhein-Westfalen. Sie sind also ziemlich schnurstracks auf eine Politikerkarriere losgegangen. Was wollten Sie bewirken? Hirsch: Ich bin eigentlich nicht schnurstracks auf eine politische Karriere losgegangen, sondern ich habe zunächst einmal angefangen, Medizin zu studieren. Dies habe ich aber nach einiger Zeit wieder aufgegeben und angefangen in Marburg Jura zu studieren. Ich habe mich natürlich auch mit der Frage herumgeschlagen, was ich denn eigentlich mal werden möchte. Die Alternative lautete dann immer: entweder Amtsrichter in Niebüll oder Justizminister. Da ich in der FDP war und es einen einfach nicht mehr loslässt, wenn man sich einmal mit der Politik befasst hat, ging ich also als Referendar nach Düsseldorf. Dort wurde ich als Jungdemokrat auch recht bald in die Ratsfraktion der FDP der Stadt Düsseldorf gewählt. Ich saß dann fast zehn Jahre im Rat der Stadt Düsseldorf. Das war eine Tätigkeit, die mich im Vergleich mit vielem, was ich dann später alles gemacht habe, noch am meisten befriedigt hat. Denn man hielt dort im Rat nicht nur Reden, sondern man konnte bestimmte Anliegen verfolgen oder sogar durchsetzen. Ich habe die Kommunalpolitik immer als eine Arbeit für diejenigen Menschen empfunden, die nicht nach Belieben ihren Wohnsitz verändern, die nicht nach Belieben wegziehen können, weil sie dort in dieser Stadt leben und arbeiten, weil sie ihre Kinder dort zur Schule schicken und schlicht die normalen Lebensverhältnisse funktionieren müssen. Das hat mich sehr beschäftigt und ich habe diese Jahre im Stadtrat von Düsseldorf wirklich als sehr, sehr befriedigend empfunden. Ich war zu dieser Zeit Anwalt in Düsseldorf und habe als Anwalt auch in der Industrie in Düsseldorf gearbeitet. Und dann erst ergab sich eines Tages für mich die Möglichkeit in den Bundestag zu gehen. Dies ist mir im zweiten Anlauf auch tatsächlich gelungen, wobei ich aber zunächst einmal meine Tätigkeit in der Stahlindustrie fortgesetzt habe. Erst zwei, drei Jahre später kam dann im Jahr 1975 die Frage auf mich zu, ob ich Innenminister in Nordrhein-Westfalen werden wollte. Das war der eigentlich entscheidende Moment, in dem ich mich fragen musste: "Gibst du jetzt deine normale berufliche Tätigkeit weitgehend auf und betreibst du die Politik hauptamtlich bzw. beruflich? Oder machst du das nicht?" Das war die eigentliche Entscheidung! Damals habe ich mir erst nach langem Hin und Her, nach wirklich langem Hin und Her, gesagt: "Wenn einem angeboten wird, Innenminister in einem so großen Bundesland zu werden, dann kann man das eigentlich nicht ablehnen, dann muss man das machen!" Lösel: Das war also ein langer Entwicklungsprozess, der Sie zum Politiker hat werden lassen. Einige Jahre davor, also 1967/68, hatte es ja in Deutschland die Studentenbewegung gegeben. Da spielte die Selbstverwirklichung des Individuums eine große Rolle, man ging gegen die Notstandsgesetze vor usw. Die FDP war damals im Bundestag ja in der Opposition. Hat Sie die Gedankenwelt der damaligen Studentenbewegung ebenfalls beeinflusst, also die Gedankenwelt von Adorno, Marcuse und der Frankfurter Schule? Hirsch: Ich hatte in Marburg ja noch Abendroth und Grabowsky gehört, war aber nicht so sehr überzeugt davon. In den Jahren 1967 und 1968 saß ich in Düsseldorf im Rat der Stadt. Ich sagte mir damals: "Wenn du in diesem Land etwas erreichen und verändern willst, dann geht der Weg nur über die Institutionen! Der Weg kann also nicht sein, öffentlich Krawall zu schlagen. Stattdessen musst du versuchen, über die Institutionen Einfluss zu gewinnen!" Uns hat die Notstandsgesetzgebung natürlich auch außerordentlich beschäftigt, und auch die Unbeweglichkeit, die Reformunfähigkeit des politischen Systems damals, sodass man merkte, dass es so nicht weitergehen könne. Das war schon bewegend, aber an der Studentenbewegung habe ich mich deswegen nicht beteiligt, weil ich mir eben gesagt hatte: "Tu das, was du im Rat machen kannst und versuche über die FDP zu erreichen, was du verwirklichen willst!" Das mündete etwas später ja auch in die Vorarbeiten zum Freiburger Programm der FDP, an dem ich mitgearbeitet habe. Lösel: Diese Vorarbeiten und das spätere Freiburger Programm waren ja auch ein ganz wichtiger Neuansatz der FDP im Hinblick auf die Entwicklung der sozialliberalen Koalition. Daran haben Sie sehr stark mitgearbeitet: Was hat man sich damals als Ziele gesetzt bei dieser Arbeit? Hirsch: Maihofer und Karl Hermann Flach – vorher noch Wolfgang Döring und auch Thomas Dehler, der mich außerordentlich beeindruckt und beeinflusst hat – haben das vorangetrieben. Maihofer
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