Brocken Um Die Ohren“ Geflogen Seien
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DEUTSCHLAND Nie mit allen Stimmen Stimmenverhältnisse J.H.DARCHINGER J.H.DARCHINGER bei Kanzlerwahlen SVEN SIMON seit 1969 Willy Brandt Helmut Schmidt Helmut Kohl Jahr 1969 1972 1974 1976 1980 1982 1983 1987 1991 1994 Zahl der Koalitionsabgeordneten 254 271 271 253 271 279 278 269 398 341 notwendige Ja-Stimmen 249 249 249 249 249 249 250 249 332 337 erreichte Ja-Stimmen 251 269 267 250 266 256 271 253 378 ? te. Es gebe da einige, denen der Fortbe- probieren, legte er sich in kleiner Kanz- klarer Kurs hat sich durchgesetzt“. Jetzt stand der bürgerlich-liberalen Koalition leramtsrunde fest. Vermutlich bekommt will er seiner Partei „den Weg weisen“. nicht sonderlich am Herzen liege. Die er dann in Rudolf Scharping einen Mit- Der Optimismus des Chefs macht vie- wollten ihr Heil entweder in einer Am- bewerber (siehe SPIEGEL-Gespräch le Parteifreunde betreten. Hat der pelkoalition oder aber in der Opposition Seite 24). Falls es wiederum nicht Oberliberale nicht gerade erst die FDP suchen. klappt, will Kohl einen dritten Anlauf in eine der schlimmsten Krisen ihrer Ge- Es ging um Jürgen W. Möllemann, unternehmen, bei dem die Mehrheit der schichte geführt? „Ein paar abgehobene dessen Anhänger Jürgen Koppelin, den abgegebenen Stimmen ausreicht. Leute“, fürchtet die Partei-Vizin Irm- linksliberalen Burkhard Hirsch, aber Vom Gegenkandidaten Scharping gard Schwaetzer, „wissen wohl nicht, auch um Wohnungsbauministerin Irm- läßt sich der Amtsinhaber nicht schrek- was los ist.“ gard Schwaetzer oder den Kurzzeit-Bil- ken. Der habe ja verbindlich erklärt, so Was los ist, zeigen die nüchternen dungsminister Karl-Hans Laermann – Kohl, er lasse sich mit den Stimmen der Analysen der Parteistrategen im Bonner wie würden die auf den Verlust ihrer PDS nicht zum Kanzler wählen. Thomas-Dehler-Haus: Das Ergebnis Ministerämter reagieren? Auch Bundespräsident Roman Her- der Bundestagswahl ist für die Liberalen Für den Ernst der Lage sprechen vor zog hat bereits über Eventualitäten ein Debakel. Mehr als die Hälfte der allem die sanften Töne, die aus der CSU nachgedacht. Einen mit absoluter Mehr- FDP-Wähler machte ihr Kreuz bei den erschallen. Michael Glos, der Bonner heit im Bundestag gewählten Kanzler Liberalen nur, um Helmut Kohl an der Landesgruppenvorsitzende, bat seine muß er ernennen. Bei einem mit relati- Macht zu halten. Das liberale Potential, Abgeordneten um Nachsicht mit den Li- ver Mehrheit gekürten Kanzler aber heißt die Botschaft, bringt die Partei beralen. Die Freidemokraten hätten stellt es das Grundgesetz in das Ermes- nicht mehr über die Fünf-Prozent-Hür- sich doch auch als „vernünftige Partner“ sen des Bundespräsidenten, den Kanz- de. erwiesen. Selbst Justizministerin Sabine ler zu ernennen oder den Bundestag Die Wahlen fürs Europaparlament, Leutheusser-Schnarrenberger wird von aufzulösen. für neun Landtage und die Kommunen der Bayern-Garde plötzlich gnädig be- Für Neuwahlen würde er sich dann in Nordrhein-Westfalen haben ebenfalls handelt. entscheiden, orakelte Herzog vor Ver- nichts als Niederlagen beschert: Überall Nach dem bisherigen Stand der Dinge trauten, „wenn ich das Gefühl habe, das wurden die Liberalen abgewählt. muß nur Schwaetzer ihr Amt aufgeben; Volk hat sich verwählt“. Y Von 978 Ratsmandaten hat die FDP sie dürfte Vizepräsidentin des Bundes- in Nordrhein-Westfalen 664 verloren. tags werden. Es sei „parteischädigend“, Weitere Wahlen verheißen ähnliche Er- schimpfte sie, wie sie demontiert werde. FDP Der FDP-Fraktionsvorsitzende Her- mann Otto Solms hatte öffentlich gefor- dert, Bau-, Bildungs- und Forschungs- ministerium zusammenzulegen. Brocken um Selbst CSU-Chef Theo Waigel übt Großmut. Er gedenkt sogar, Kinkel wie bisher die Vizekanzlerschaft zu überlas- die Ohren sen. Was bringe es schon, erläuterte er den weißblauen Kameraden, am Kabi- Die Liberalen haben sich auf die nettstisch mal die Glocke schwingen zu Suche nach einem neuen Profil ge- dürfen, wenn Kohl am Wolfgangsee weile? Die Würde sei überdies „entwer- macht – rechts von der CDU. tet, seit Möllemann Vizekanzler war“. Da hat Waigel recht. laus Kinkel fühlt sich richtig gut. Im Umgang der Matadore miteinan- Seit Wochen hat der FDP-Vorsit- der zeigt sich, immerhin, die harmoni- Kzende erstmals wieder acht Stun- sierende Kraft der dünnen Mehrheit. den geschlafen und ausgiebig gejoggt. Überdies hat Kohl auch schon den „In aller Bescheidenheit“ rechnet er schlimmsten Fall bei der Kanzlerwahl sich „in erster Linie“ den 6,9-Prozent- bedacht. Wenn er beim ersten Versuch Erfolg bei den Bundestagswahlen zu. Er B. BOSTELMANN / ARGUM die absolute Mehrheit nicht schaffen sei „die Figur, die für die FDP am mei- Ministerin Leutheusser-Schnarrenberger sollte, werde er es eben ein zweites Mal sten eingefahren hat“, sagt er, „mein Als „Heilige Johanna“ verspottet 22 DER SPIEGEL 43/1994 . gebnisse. In Berlin, wo im nächsten worden sind“, müsse sich die FDP hard Hirsch sogar „die Verantwortung“ Jahr gewählt wird, herrscht Resignati- rechts von der Union einen neuen Platz (Walter Hitschler) für die desolate Lage on. suchen. der Partei zugeschoben: Mit ihrem Ge- In der von 79 auf 47 Mitglieder ge- Nach dem rechtsgewirkten Pro- rede von Bürgerrechten hätten sie die schrumpften Bonner Fraktion hat die gramm, das er vor Jahren schon unter Wähler verschreckt. Selbstzerfleischung begonnen, streiten dem Titel „Bürger zur Freiheit!“ vorge- Das Thema Lauschangriff – einziger die verwirrten Liberalen um den künfti- legt hat, soll der Staat in allen Bereichen bedeutender Fall, in dem die FDP Kohl gen Kurs. Da wird von Austritt, Rück- „auf das unbedingt Notwendige“ zu- widerstand – solle endlich abgeräumt zug oder gar Rücktritt geredet. Manch rückgedrängt werden. Vor allem die werden, forderten die einen. Cornelia einer denkt daran, seinen Denkzettel Rolle des Sozialstaats soll, laut Fliszar, Schmalz-Jacobsen möge ihr Amt bei der Kanzlerwahl abzugeben. radikal verändert werden: Rückzug auf als Ausländerbeauftragte niederlegen, Während sich Kinkel im Erfolg der ganzen Linie. „Alle staatlichen Sozi- wünschten andere: Das sei kein Aus- sonnt, beginnt die Basis bereits mit sei- alsicherungssysteme“ will er „durch pri- hängeschild für die Partei. ner Demontage. „Der Fisch beginnt vate ersetzen“, die Wirtschaft „von allen Justizministerin Sabine Leutheusser- vom Kopf her zu stinken“, so Andreas staatlichen Zwängen“ befreien – schiere Schnarrenberger, wichtigste verbliebene Reichel, Generalsekretär des Kinkel- Tagträumerei. „Es geht in diese Rich- Aktive der Linksliberalen, die bislang feindlichen Düsseldorfer Landesverban- tung“, glaubt indes Fliszar, „wie weit ist schon „bis zur Schmerzgrenze“ (so ein des. eine andere Frage.“ Mitarbeiter) zu Kompromissen genötigt Harald Cronauer, der Vorsitzende im Es gibt nur wenige, die in der FDP wurde, bereitet sich auf neue Zumutun- Saarland, will einen „neuen Vorsitzen- solche abenteuerlichen Erneuerer brem- gen vor. Sie ist, wenn’s zu schlimm wird, den aufbauen“. Die jungen Saar-Libe- sen können. Linksliberale Position ver- zum Rücktritt entschlossen. ralen fordern den Kopf des Chefs. Die „völlige Profillosigkeit und mangelnde Durchsetzungsfähigkeit“ habe der Par- tei beinahe das Aus in Bonn beschert. Im Osten sind die Liberalen so schwach geworden, daß sie kaum mehr die Kraft für starke Worte finden. Eini- ge Landesverbände, wie Sachsen-An- halt, stehen kurz vor der Pleite. Von 130 000 Mitgliedern, die 1990 registriert waren, sind noch etwa 30 000 übrigge- blieben. Der Landesvorsitzende von Mecklen- burg-Vorpommern, Klaus Gollert, fürchtet, wenn Kinkel bei den Koaliti- onsverhandlungen keine Stärke zeige, „geht die FDP gleich unter“. Am nachhaltigsten poltert – trotz des eigenen Debakels in NRW – Kinkels notorischer Widersacher Jürgen Mölle- mann. Kinkel drohte intern, daß seine Geduld mit dem Herrn „am Ende ist“. Düster sprach der ehemalige Chef des Bundesnachrichtendienstes gar von Enthüllungen. Auch öffentlich ließ der Parteivorsitzende wissen, Möllemann R. JANKE / ARGUS könne sich seine Ambitionen auf einen Kontrahenten Möllemann, Kinkel: „Den Blick frei machen“ Posten im Kabinett abschminken. Letzten Freitag zog Möllemann seine treten fast nur noch die Wortführer von Der Fall der aufrechten Justizministe- Bewerbung um ein Ministeramt zurück. gestern. rin, von ihren Gegnern als „Heilige Jo- Aber nun erst recht: Krieg gegen Kin- Schon am letzten Wochenende trafen hanna“ verspottet, erledigt sich aber kel. Möllemann will „den Blick frei ma- sich Anhänger dieser Linie wie Ex-In- möglicherweise auf andere Art. Die Li- chen“ für die „Ursachen“ des liberalen nenminister Gerhart Baum, um ihre beralen diskutieren, ob sie nicht das Ju- Niedergangs. Chancen auszuloten. „Ein rigoroses or- stizministerium gegen das Innenressort Der Chef sei schuld, daß „uns die doliberales Konzept rechts von der Uni- eintauschen könnten. Brocken um die Ohren“ geflogen seien. on“, so Baum, „hat keine Basis und Viele West-Liberale hatten nach der Die Verantwortung für den Wahlkampf führt in die Selbstisolierung.“ Einheit erwartet, die sozialistisch aufge- trage schließlich nicht „der Pförtner des Nett gesagt. Doch Geister wie Fliszar wachsenen Ost-Liberalen aus den Unternehmens“, erklärt er sarkastisch. finden Anhänger. In der Bonner Frakti- Blockparteien LDPD und NDPD wür- Und er sagt voraus: „Der Tag der Kanz- on meinen viele, drei linke Parteien sei- den dem sozialen Flügel der Partei neue lerwahl könnte spannend werden.“ en genug. Die FDP sei „Wirtschaftspar- Kraft geben. Doch das war ein Irrtum. Während sich die beiden Wortführer tei“, erklärte Christoph Schnittler, Als