„Bundeslöschtage“? Und Medien Einen Skandal Inszenierten Günter Buchstab

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„Bundeslöschtage“? Und Medien Einen Skandal Inszenierten Günter Buchstab 448_65_72_Buchstab 23.02.2007 8:11 Uhr Seite 65 Wie Kanzleramt „Bundeslöschtage“? und Medien einen Skandal inszenierten Günter Buchstab Ende 1999 überschlugen sich die Spenden- die Kohl-Regierung im Zusammenhang und Affärenvorwürfe gegen die CDU. Die stehen, genauer mit der Privatisierung Spendenaffäre der CDU, die sich nach der der Leuna-Werke, die vom französischen verlorenen Bundestagswahl 1998 in ei- Konzern Elf Aquitaine übernommen nem demoskopischen Aufwind befunden worden waren, sowie mit Lieferungen hatte, platzte in eine politische Situation von Panzern nach Saudi-Arabien, von hinein, in der das Ansehen der neuen Airbus-Flugzeugen an kanadische und rot-grünen Bundesregierung auf einem thailändische Fluggesellschaften und von Tiefpunkt angelangt war. Vor allem die zwölf Hubschraubern der Firma Messer- SPD befand sich nach dem Amtsantritt schmidt-Bölkow-Blohm GmbH an die Gerhard Schröders auf rasanter Talfahrt: kanadische Küstenwache. Am 2. Dezem- Bei den Landtagswahlen in Hessen und ber 1999 setzte der Deutsche Bundestag im Saarland verlor sie ihre Regierungs- mit Zustimmung der Union einen Unter- mehrheit; massive Einbrüche waren bei suchungsausschuss ein, um diesen gra- weiteren Landtags- und Kommunalwah- vierenden Vorwurf im Parlament zu len sowie bei den Europawahlen zu ver- untersuchen. Dieser Untersuchungsauf- zeichnen; nachhaltig erschüttert wurde trag wurde auf das Finanzgebaren der sie durch den Rücktritt Oskar Lafontaines CDU ausgedehnt. als Bundesfinanzminister und SPD-Vor- sitzender; die Ankündigung Schröders, Industriepolitik für den Osten die Arbeitslosigkeit werde binnen Kur- Völlig außer Acht gelassen wurde bei al- zem um die Hälfte reduziert, erfüllte sich ledem, dass die westdeutsche Großindus- nicht. So waren nur noch neunzehn Pro- trie (BASF, Bayer, Hoechst und VEBA) zent der Bundesbürger im Oktober 1999 überhaupt kein Interesse gezeigt hatte, mit der Schröder-Regierung zufrieden. sich für den Erhalt der drei großen Sanie- Kam in diesem Abwärtstrend die Spen- rungsfälle der ehemaligen DDR, Leuna, denaffäre der CDU für den Kanzler als un- Buna und Bitterfeld, einzusetzen. Helmut erwartetes Geschenk nicht gerade recht, Kohl hatte sich aber bemüht, in enger Ko- um seinem sinkenden Ansehen zu begeg- operation mit der IG Chemie, Papier, Ke- nen und von den zahlreichen Tiefpunkten ramik und ihrem Vorsitzenden Hermann und Wahlniederlagen des Jahres abzulen- Rappe (SPD) diese industriellen Kerne zu ken? erhalten – trotz der Probleme im Kabinett, In der Öffentlichkeit wurde der Ver- insbesondere mit dem Koalitionspartner dacht geschürt, die nicht deklarierten FDP. Nur mit kräftiger Unterstützung Spenden und Schwarzgeldkassen des von François Mitterrand und mit dem früheren Schatzmeisters der CDU, Wal- Druck, den der französische Staatspräsi- ther Leisler Kiep, und von Helmut Kohl dent auf das Staatsunternehmen Elf Aqui- könnten mit Schmiergeldzahlungen an taine ausgeübt hatte, war es gelungen, Nr. 448 · März 2007 Seite 65 448_65_72_Buchstab 23.02.2007 8:11 Uhr Seite 66 Günter Buchstab den französischen Konzern für ein Enga- rigen Erkenntnisse, dass die Aktenfüh- gement zu gewinnen. Warum bei dieser rung in der Tat nicht stringent war. Insbe- Sachlage der Verdacht aufkam, dass Elf sondere wurde bemängelt, dass einige Aquitaine deutsche Parteien oder das Aktenordner mit Originalen zum Thema Kanzleramt mit Schmiergeldern besto- Leuna/Minol unauffindbar waren. Eine chen haben sollte, hätte eigentlich jeder, Suche danach war schon im Jahr 1997/98 der sich mit der Problematik vertraut ge- erfolglos geblieben, obwohl die frag- macht hätte, ins Reich der Fantasie ver- lichen Akten 1994 in der zwölften Le- weisen müssen. gislaturperiode dem Treuhand-Untersu- chungsausschuss vorgelegen hatten. Im Aktenführung und EDV-Probleme Bericht wurde allerdings die Hoffnung Bereits Ende September 1999 hatte der ausgesprochen, durch Sicherungsbänder Spiegel berichtet, die dem Untersuchungs- eines 1997 aus dem Dienst genommenen ausschuss „DDR-Vermögen“ in der drei- Computersystems fehlende Dateien aus zehnten Wahlperiode vorgelegten Akten den Jahren 1985 bis 1996 rekonstruieren zum Privatisierungskomplex Leuna/Mi- zu können. nol seien unvollständig gewesen. Im Bis 1997 war im Kanzleramt ein pro- Kanzleramt erteilte Staatssekretär Frank- prietäres EDV-System eingesetzt, das nur Walter Steinmeier (SPD) daraufhin den über eine geringe Speicherkapazität ver- Auftrag, nach den im Amt vorhandenen fügte, sodass regelmäßig etwa alle drei Akten zum Komplex Leuna zu forschen. Monate zentrale Löschungen durch das Dabei ergab sich, dass verschiedene Ak- IT-Referat stattfinden mussten. Außer- ten nur in Kopie vorlagen, die Aufschrif- dem waren die Anwender gehalten, nicht ten mehrerer Bände nicht mit dem jewei- mehr benötigte Dateien und Dokumente ligen Inhalt übereinstimmten und einige selbst zu löschen. Zwar verfügte ein mo- Originalakten unauffindbar waren. Auch dernisiertes EDV-System über größere konnte nicht mehr festgestellt werden, Speicherkapazitäten, doch war im Som- welche Akten dem Untersuchungsaus- mer 1998 absehbar, dass auch diese bald schuss des Bundestages „DDR-Vermö- erschöpft sein würden, sodass das IT-Re- gen“ der dreizehnten Wahlperiode tat- ferat im September – unabhängig vom sächlich vorgelegen hatten. Ausgang der Bundestagswahlen am 27. Aufgrund dieses Ergebnisses erteilte September 1998 – eine zentrale Löschung am 13. Oktober 1999 Steinmeier die Wei- vorbereitete. Tatsächlich kam es am 30. sung, den fraglichen Aktenbestand im September, am 6. Oktober und 22. Okto- Bundeskanzleramt zu überprüfen, und ber 1998 zu einer Bereinigung der Spei- setzte dafür am 19. November 1999 eine cher, wobei der Chef des Bundeskanzler- Arbeitsgruppe ein. Noch vor der Einset- amtes, Fritz Bohl, bei einer Dienstbespre- zung des Untersuchungsausschusses im chung am Abend des 29. September Wert Deutschen Bundestag wurde dieser Prüf- auf die Feststellung gelegt hatte, durch auftrag mit Weisung vom 30. November eine Löschung von Dateien dürfte die 1999 und Schreiben vom 21. Januar 2000 Arbeitsfähigkeit des Amtes nicht beein- auf die Aktenbestände zu den Themen trächtigt werden. Von dieser Aktion be- Panzerfahrzeuge/Saudi-Arabien, Airbus- kam die Presse Wind und berichtete zwi- Flugzeuge/Kanada und Thailand so- schen dem 4. und 6. Oktober über eine wie MBB-Hubschrauber/Kanada ausge- drohende umfassende Datenlöschung im dehnt. Bundeskanzleramt. Im Verlauf der Affäre Das Untersuchungsergebnis, das am 1. wurde später dafür der Begriff „Bundes- Februar 2000 vorlag, bestätigte die bishe- löschtage“ geprägt. Seite 66 Nr. 448 · März 2007 448_65_72_Buchstab 23.02.2007 8:11 Uhr Seite 67 „Bundeslöschtage“? Abschließend wurde in dem Bericht Steinmeier unterstanden habe. Unab- der Arbeitsgruppe angeregt, „die zu- hängig agierte Hirsch also nicht, obwohl ständigen Beamtinnen und Beamten kon- er stets diesen Eindruck zu erwecken kret zu befragen“ und disziplinarische suchte. Vorermittlungen einzuleiten, da „ein hin- reichender Verdacht auf Dienstvergehen „Regierungskriminalität“ entweder durch Entfernung von Akten- und „Aktenverrat“ stücken oder durch die bewusst unvoll- Nachdem der Kanzleramtschef am 18. Fe- ständige Dokumentation wichtiger Ent- bruar 2000 vor dem Parteispenden-Unter- scheidungsprozesse (Verstoß gegen § 24 suchungsausschuss sowohl Aktenfüh- GGO [Gemeinsame Geschäftsordnung rung wie Datenlöschung als „ungeheuer- der Bundesministerien] I)“ bestehe. Ein lich“ bezeichnet hatte, trat der eigentliche derartiges Verfahren nach § 26 BDO Untersuchungsauftrag mit dem Ziel, die (Bundesdisziplinarordnung) setzte zu- Umstände der Leuna-Privatisierung auf- nächst die Ernennung eines Ermittlungs- zuklären, in der öffentlichen Wahrneh- führers voraus, der förmliche Beweise zu mung mehr und mehr in den Hinter- erheben und – gegebenenfalls – rich- grund. Auch der SPD-Obmann im Aus- terliche Ermittlungshandlungen zu ver- schuss, Frank Hofmann, nannte den Ak- anlassen hätte. Eine „geeignete Persön- tenschwund einen „unerträglichen Vor- lichkeit“ solle mit disziplinarischen Vor- gang“. Die Aktenführung im Kanzleramt ermittlungen gegen unbekannt betraut war damit in einen unmittelbaren Zu- werden. sammenhang mit der CDU-Spendenaf- färe gerückt. In den Brennpunkt der ver- „Ermittlungsführer“ Hirsch öffentlichten Meinung rückte nun der frü- Schon am 3. Februar 2000 berief Kanz- here Kanzleramtsminister Friedrich Bohl. leramtschef Steinmeier den früheren In- Bereits in einem ersten Gespräch mit nenminister von Nordrhein-Westfalen, Hirsch am 25. Februar 2000 wie auch in Burkhard Hirsch, zum Ermittlungsführer. verschiedenen Interviews wies der ehe- Hirsch nahm seine Arbeit am 8. Februar malige Chef des Kanzleramtes alle der- 2000 auf. Mit der Ernennung des ehe- artigen Vorhaltungen energisch zurück maligen Vizepräsidenten des Deutschen und verwahrte sich gegen den Vorwurf, Bundestages, der der FDP angehört, sollte systematische Löschungen von Amtsak- wohl der Argwohn zerstreut werden, die ten veranlasst zu haben. Sein unmittelba- Bestandsaufnahme könne parteipoliti- rer Amtsnachfolger Bodo Hombach habe schen Interessen der Leitung des Kanzler- seinerzeit das Aktenvorlagesystem im amtes dienstbar gemacht werden. Be- Bundeskanzleramt sogar öffentlich ge- kannt war allerdings, dass Hirsch ge- lobt. Im Übrigen habe die Löschung von genüber Helmut Kohl und seiner Regie- Computerdateien im Einklang mit der rung keineswegs wohlgesonnen war. Ob- Hausanordnung gestanden. Zur weiteren wohl Hirsch immer wieder seine Un- Klärung des Sachverhaltes bot er in einem abhängigkeit
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