Plenarprotokoll 13/201

Deutscher

Stenographischer Bericht

201. Sitzung

Bonn, Freitag, den 31. Oktober 1997

Inhalt:

Erweiterung der Tagesordnung ..... 18165 A lungsgesetz) (Drucksachen 13/8293, 13/ 8875) 18182 D Tagesordnungspunkt 17: b) Beschlußempfehlung und Bericht des a) Zweite und dritte Beratung des von den Haushaltsausschusses zu dem Antrag Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. der Abgeordneten Oswald Metzger, eingebrachten Entwurfs eines Geset- Antje Hermenau, weiterer Abgeordne- zes zur Finanzierung eines zusätz- ter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE lichen Bundeszuschusses zur gesetz- GRÜNEN: Für eine umfassende Haus- lichen Rentenversicherung (Drucksa- halts- und Finanzreform: Transparenz, chen 13/8704, 13/8869, 13/8873) . . . 18165 B Wirtschaftlichkeit und parlamentari- sche Kontrolle (Drucksachen 13/8472, b) Zweite und dritte Beratung des von der 13/8876) 18183 A Fraktion der SPD eingebrachten Ent- CDU/CSU 18183 B, 18195 C wurfs eines Ersten Gesetzes zur Entla- - Uta Titze-Stecher SPD stung der Versicherten und der Unter- 18188 B nehmen von Lohnzusatzkosten (Druck- Oswald Metzger BÜNDNIS 90/DIE GRÜ sachen 13/8042, 13/8863, 13/8874) . 18165 B NEN 18190 C Andreas Storm CDU/CSU 18165 D Dr. Wolfgang Weng (Gerlingen) F.D.P. . 18191 D Rudolf Dreßler SPD 18167 D Dr. PDS 18193 B Andreas Storm CDU/CSU . . 18171B, 18172 A Irmgard Karwatzki, Parl. Staatssekretärin BMF (Berlin) BÜNDNIS 90/DIE 18194 C GRÜNEN 18172 D SPD 18195 A Dr. F.D.P 18174 B Karl Diller SPD 18195 D Dr. Barbara Höll PDS 18175 C Zusatztagesordnungspunkt 8: Dr. Norbert Blüm, Bundesminister BMA 18176 C Zweite und dritte Beratung des von der Peter Rauen CDU/CSU 18178 B Bundesregierung eingebrachten Ent- Namentliche Abstimmungen . . 18180A, 18182 C wurfs eines Gesetzes über die Er- Ergebnisse 18180B, 18186 A richtung eines Bundesamtes für Bau- wesen und Raumordnung sowie zur Tagesordnungspunkt 18: Änderung besoldungsrechtlicher Vor- schriften (Drucksachen 13/8447, 13/ 8882, 13/8887) 18196 D a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Ent- wurfs eines Gesetzes zur Fortentwick- Tagesordnungspunkt 20: lung des Haushaltsrechts von Bund und a) Erste Beratung des von den Abgeordne- Ländern (Haushaltsrechts-Fortentwick ten Dr. Uwe-Jens Heuer, Dr. Gregor II Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 201. Sitzung. Bonn, Freitag, den 31. Oktober 1997

Gysi und der Gruppe der PDS einge- Hans Martin Bury SPD 18207 A brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Wolfgang Schmitt (Langenfeld) BÜND Änderung des Artikels 38 des Grund- NIS 90/DIE GRÜNEN 18208 A gesetzes (Drucksache 13/3519) . . . . 18197 B F D P. 18208 D b) Erste Beratung des von den Abgeordne- Hansgeorg Hauser, Parl. Staatssekretär ten Dr. Uwe-Jens Heuer, Dr. Gregor BMF 18209 D Gysi und der Gruppe der PDS einge- Dr. Uwe-Jens Rössel PDS 18210 D brachten Entwurfs eines Dreizehnten Wolgang Steiger CDU/CSU 18211 D Gesetzes zur Änderung des Bundes- wahlgesetzes (Drucksache 13/3520) . 18197 B Bernd Scheelen SPD 18212 D c) Erste Beratung des von den Abgeordne- Nächste Sitzung 18213 D ten Dr. Uwe-Jens Heuer, Dr. und der Gruppe der PDS einge- brachten Entwurfs eines Vierzehnten Anlage 1 Gesetzes zur Änderung des Bundes- Liste der entschuldigten Abgeordneten . 18214* A wahlgesetzes (Drucksache 13/3523) . 18197 C d) Erste Beratung des von den Abgeordne- Anlage 2 ten Dr. Uwe-Jens Heuer, Dr. Gregor Nachträglich zu Protoll gegebene Rede zu Gysi und der Gruppe der PDS einge- Tagesordnungspunkt 13 (200. Sitzung am brachten Entwurfs eines Vierten Geset- 30. Oktober 1997) (Große Anfrage: Rück- zes zur Änderung des Europawahlge- stände von Tierarzneimitteln in Lebens- setzes (Drucksache 13/3521) 18197 C mitteln) Dr. Gregor Gysi PDS 18197 D, 18204 C Editha Limbach CDU/CSU 18214* D Michael Teiser CDU/CSU 18199 A Dieter Wiefelspütz SPD 18200 B Anlage 3 Dr. Gregor Gysi PDS 18201 B Zu Protokoll gegebene Reden zu Tages- Gerald Häfner BÜNDNIS 90/DIE GRÜ ordnungspunkt 18 (a - Haushaltsrecht- NEN 18202 A Fortentwicklungsgesetz, b - Antrag; Für Dieter Wiefelspütz SPD 18202 D eine umfassende Haushalts- und Finanz- reform; Transparenz, Wi rtschaftlichkeit Detlef Kleinert (Hannover) F.D.P. . . . 18203 C und parlamentarische Kontrolle) Zusatztagesordnungspunkt 7: Irmgard Karwatzki, Parl. Staatssekretärin BMF 18215* B Aktuelle Stunde betr. Haltung der Bun- Karl Diller SPD 18216* D desregierung zu den Turbulenzen an den internationalen Finanzmärkten . 18204 D - Dr. Gregor Gysi PDS 18205 A Anlage 4 Friedhelm Ost CDU/CSU 18206 A Amtliche Mitteilungen 18218* A Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 201. Sitzung. Bonn, Freitag, den 31. Oktober 1997 18165

201. Sitzung

Bonn, Freitag, den 31. Oktober 1997

Beginn: 9.00 Uhr

Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Die Sitzung ist aa) Beschlußempfehlung und Bericht des Aus- eröffnet. schusses für Arbeit und Sozialordnung (11. Ausschuß) Interfraktionell ist vereinbart worden, die heutige Tagesordnung um die zweite und dritte Beratung - Drucksache 13/8863 - des Entwurfs eines Gesetzes über die Errichtung ei- Berichterstattung: nes Bundesamtes für Bauwesen und Raumordnung zu erweitern. Der Zusatzpunkt soll nach der abschlie- Abgeordneter Andreas Storm ßenden Beratung des Haushaltsrechts-Fortentwick- lungsgesetzes ohne Aussprache behandelt werden. bb) Bericht des Haushaltsausschusses (8. Aus- schuß) gemäß § 96 der Geschäftsordnung Sind Sie damit einverstanden? - Ich sehe und höre - Drucksache 13/8874 - keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Berichterstattung: Ich rufe die Tagesordnungspunkte 17 a und 17 b auf: Abgeordnete Hans-Joachim Fuchtel Antje Hermenau a) Zweite und dritte Beratung des von den Frak- tionen der CDU/CSU und F.D.P. eingebrach- Karl Diller ten Entwurfs eines Gesetzes zur Finanzierung eines zusätzlichen Bundeszuschusses zur ge- Es liegt ein Änderungsantrag der Fraktion der SPD setzlichen Rentenversicherung vor. - Drucksache 13/8704 - Ich weise darauf hin, daß wir im Anschluß an die (Erste Beratung 198. Sitzung) Aussprache über den Änderungsantrag und den Ge- aa) Beschlußempfehlung und Bericht des setzentwurf der Koalitionsfraktionen namentlich ab- Finanzausschusses (7. Ausschuß) stimmen werden. - Drucksache 13/8869 - Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für Berichterstattung: die Aussprache eine Stunde vorgesehen. - Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Dann ist auch das so Abgeordnete Detlev von Larcher beschlossen. Peter Rauen Ich eröffne die Aussprache und gebe dem Abge- bb) Bericht des Haushaltsausschusses (8. Aus- ordneten Andreas Storm das Wo rt. schuß) gemäß § 96 der Geschäftsordnung - Drucksache 13/8873 - Andreas Storm (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine Berichterstattung: Damen und Herren! Bereits zum zweitenmal in die- Abgeordnete Peter Jacoby sem Monat ist der Deutsche Bundestag aufgerufen, Dr. Wolfgang Weng (Gerlingen) eine wichtige Weichenstellung für die Zukunft der Karl Diller gesetzlichen Rentenversicherung vorzunehmen. Oswald Metzger (Andrea Fischer [Berlin] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich glaube, ich spinne!) b) Zweite und dritte Beratung des von der Frak- tion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Er- Heute geht es darum, die Finanzierungslasten zwi- sten Gesetzes zur Entlastung der Versicherten schen den Beitragszahlern und den Steuerzahlern und der Unternehmen von Lohnzusatzkosten gerechter aufzuteilen. - Drucksache 13/8042 - (Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Das (Erste Beratung 184. Sitzung) glaubt doch schon keiner mehr!) 18166 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 201. Sitzung. Bonn, Freitag, den 31. Oktober 1997

Andreas Storm Nun ist es keineswegs so, daß aus dem Steuertopf ten, die Höherbewertung der Berufsausbildung oder bisher nichts an die Rentenkasse fließen würde. Im Leistungen nach dem Fremdrentengesetz. Gegenteil: Nach dem Rentenreformgesetz 1992 wer- Wenn man sich diese Liste einmal genauer an- den bereits 20 Prozent der voraussichtlichen Ausga- schaut, dann kommt man leicht zu folgendem Ergeb- ben über den Bundeszuschuß abgedeckt. Mit dem nis: Ein großer Teil dieser Leistungen sollte nicht al- heutigen Gesetz zur Finanzierung eines zusätzlichen leine von der Gemeinschaft der Beitragszahler finan- sollen im Jahre 1999 13,3 Milliar- Bundeszuschusses ziert werden, weil hier eine gesamtstaatliche Auf- den DM und im Jahre 2000 16,3 Milliarden DM zu- gabe vorliegt. Ein anderer Teil dieser Leistungen sätzlich an die Rentenversicherungsträger überwie- stellt allerdings ein Element des Solidarausgleiches sen werden. In den Folgejahren wird dieser zusätzli- innerhalb der Versichertengemeinschaft dar. che Bundeszuschuß mit den Veränderungsraten der Steuern vom Umsatz fortgeschrieben. (Zuruf von der CDU/CSU: Sehr wahr!) Zur Gegenfinanzierung dieser Maßnahme soll der Gerade dieser Solidarausgleich unterscheidet ja eine allgemeine Umsatzsteuersatz um einen Prozent- Sozialversicherung von der p rivaten Lebensversiche- punkt, also von 15 auf 16 Prozent, erhöht werden. rung; denn dort wird nur die Gegenleistung für die Dadurch wird es möglich, daß der Beitragssatz für vorher gezahlten Beiträge erbracht. In der Sozialver- die Rentenversicherung dauerhaft um rund einen sicherung haben wir auch Elemente des sozialen Beitragssatzpunkt niedriger als sonst erforderlich Ausgleiches. festgesetzt werden kann. Aus diesem guten Grunde hat es der Gesetzgeber Nun sollte man meinen, diese Maßnahmen finden bisher vermieden, für jeden einzelnen dieser Posten die ungeteilte Zustimmung des ganzen Hauses; denn zu entscheiden, ob hier eine Steuerfinanzierung oder schließlich hat gerade die SPD in den vergangenen eher eine Beitragsfinanzierung sinnvoll wäre. Würde Monaten immer wieder gefordert, den Bundeszu- man nämlich so verfahren, Herr Dreßler, dann wäre schuß für die Rentenversicherung anzuheben, um die Entwicklung der Rentenfinanzen überhaupt nicht die Beitragszahler zu entlasten. mehr kalkulierbar. In einem Jahr würde erneut ein Streit darüber entstehen, wie hoch denn nun der (Rudolf Dreßler [SPD]: Genau das haben wir Bundeszuschuß ausfallen müßte. Der Druck wäre eben nicht gefordert!) dann sehr stark, diese Leistungen erheblich zu redu- Aber wer glaubt, daß diesen Worten nunmehr auch zieren oder sogar ganz abzuschaffen. Dann könnte Taten folgen, der sieht sich schwer getäuscht. man die Rentenversicherung gleich privatisieren. (Beifall bei der CDU/CSU) Aus diesem Grunde haben wir bei der Rentenre- form 1992 festgelegt, daß ein pauschaler Bundeszu- Der erste Akt dieses Politdramas zu Lasten der schuß in Höhe von 20 Prozent der Ausgaben einen Rentenversicherten sieht wie folgt aus: angemessenen Finanzierungsbeitrag der Steuerzah- (Zuruf von der SPD: Das Drama sitzt woan ler sicherstellen soll. Mit dem heutigen Gesetzent- ders!) wurf der Koalitionsfraktionen wird dieser Bundeszu- schuß mittelfristig so erhöht, daß künftig fast jede Da erklärt Rudolf Dreßler im Sommer, zwar wolle vierte Rentenmark aus dem Steuertopf finanziert auch die SPD die Beitragszahler in der Rentenversi- wird. Damit hat die Rentenversicherung eine langfri-- cherung um einen Beitragssatzpunkt entlasten, und stig verläßliche Finanzierungsbasis. Der Einstieg in dies könne durchaus durch eine Mehrwertsteuerer- eine Einzelfallabrechung wäre der Anfang vom Ende höhung erfolgen, aber diese Mittel sollten nicht pau- des Solidarausgleichs in der Rentenversicherung. schal der Rentenversicherung überwiesen werden (Beifall bei der CDU/CSU) (Zuruf von der SPD: So ist es!) Noch wichtiger als dieses ist aber ein zweites Ar- - Sie nicken -, sondern nach Abgeltung ausgewähl- gument gegen die von Ihnen, Herr Dreßler, vorge- ter sogenannter versicherungsfremder Leistungen. schlagene Einzelfinanzierung versicherungsfremder Leistungen aus dem Bundeshaushalt. Sie haben (Rudolf Dreßler [SPD]: Bravo!) nämlich vorgeschlagen, insbesondere Leistungen Dieser Vorschlag, Herr Dreßler, hat aber selbst bei nach dem Fremdrentengesetz und Leistungen im Zu- den Rentenversicherungsträgern nur Kopfschütteln sammenhang mit dem Übergangsrecht für Renten ausgelöst, und das aus gutem Grund; nach den Vorschriften des Beitrittsgebietes aus Steu- ermitteln zu finanzieren. (Beifall bei der CDU/CSU - Zuruf von der CDU/CSU: So war es! - Zuruf von der SPD: (Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Kom So ein Quatsch!) men Sie doch mal zur Sache, zu Ihrem Gesetzentwurf!) denn die Rentenversicherungsträger - ich erläutere es Ihnen gleich - weisen für das Jahr 1995 rund Diese Leistungen sind aber in den nächsten Jahr- 100 Milliarden DM an Leistungen aus, denen keine zehnten naheliegenderweise rückläufig. vorherigen Beitragszahlungen gegengerechnet wer- (Rudolf Dreßler [SPD]: Nein, bis 2015 ändert den können. Darunter fallen ganz unterschiedliche sich nichts, junger Freund!) Positionen, wie etwa die Altersrenten vor dem 65. Le- bensjahr, Ersatzzeiten als Folge des zweiten Welt- Wären wir Ihren ursprünglichen Plänen gefolgt, so krieges, Anrechnungszeiten, Kindererziehungszei hätte das zu folgendem bizarren Ergebnis geführt: Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 201. Sitzung. Bonn, Freitag, den 31. Oktober 1997 18167

Andreas Storm Die Mehreinnahmen aus der Erhöhung der Mehr- sprünglichen Haushaltsansätzen deutlich ausgewei- wertsteuer wären langfristig zu einem immer kleine- tet hat. ren Teil an die Rentenversicherungsträger geflossen, (Hans Büttner [Ingolstadt] [SPD]: Mußte! und das restliche Mehraufkommen aus dieser hö- Nicht freiwillig!) heren Steuerbelastung wäre den Finanzministern des Bundes und der Länder zugute gekommen, was In diesem Jahr belaufen sich die Finanzierungsko- im Interesse der Rentenversicherten eine wenig er- sten der Arbeitslosigkeit beim Bund und bei der Bun- freuliche Vorstellung wäre. desanstalt für Arbeit auf insgesamt etwa 142 Milliar- den DM. Davon fließen knapp 50 Milliarden DM aus Ein Stück weit lernfähig sind Sie ja doch. allgemeinen Haushaltsmitteln, also überwiegend aus dem Steuertopf. Damit wird ein gutes Drittel der Ko- (Lachen bei der SPD) sten der Arbeitslosigkeit auf der Bundesebene von den Steuerzahlern finanziert. Denn Sie haben in dem jetzt geänderten Gesetzent- wurf diese entscheidende Schwachstelle korrigiert, Allein die Ausweitung des Bundeszuschusses zur Arbeitslosenversicherung entlastet die Beitragszah- (Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Lächer ler potentiell um 11 Milliarden DM bzw. 0,8 Beitrags- lich! ) satzpunkte. Eine weitere Aufstockung des Bundes- zuschusses an die Bundesanstalt für Arbeit über das indem Sie nun sagen, daß Sie das gesamte Aufkom- bereits jetzt vorgesehene Maß hinaus ist völlig über- men aus der Umsatzsteuererhöhung vollständig den zogen. Rentenversicherungsträgern zugute kommen lassen wollen und im gleichen Ausmaß die Beitragszahler Meine Damen und Herren, es ist in der Tat eine entlasten wollen. Damit haben Sie sich im Bereich wichtige Aufgabe für die deutsche Sozial- und Fi- der gesetzlichen Rentenversicherung in der Sache nanzpolitik, die Spirale aus steigenden Sozialbeiträ- faktisch vollständig an unsere Positionen angenä- gen und steigender Arbeitslosigkeit zu durchbre- hert, chen.

(Zuruf von der SPD: Genauer lesen wäre (Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: besser!) Machen Sie es doch mal!) Mit der heutigen Entscheidung, die Beitragszahler so daß Ihnen eine Zustimmung zum Entwurf der Ko- über eine moderate Umfinanzierungsstrategie dauer- alitionsfraktionen eigentlich leichtfallen sollte. haft zu entlasten, (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. - (Zuruf von der SPD: Wo ist denn die Stra Lachen bei der SPD) tegie?)

Statt dessen haben Sie im Spätsommer eine neue können wir hierzu einen wichtigen Beitrag leisten. Hürde errichtet. Diese sieht wie folgt aus: Sie sagen, Wer sich hier verweigert, der trägt alleine die Verant- Sie stimmen dieser Entlastung der Beitragszahler in wortung dafür, daß die Rentenversicherten dauerhaft der Rentenversicherung nur dann zu, wenn zugleich höhere Beiträge zahlen müssen. - auch der Beitragssatz in der Arbeitslosenversiche- (Widerspruch bei der SPD) rung um einen weiteren Punkt gesenkt wird und da- für unter anderem die Mineralölsteuer um minde- Deswegen, meine Damen und Herren von der Op- stens 10 Pfennig erhöht wird. position: Geben Sie sich endlich einen Ruck! Stim- men Sie mit uns für eine gerechtere Lastenverteilung Nun ist es in der Tat so, daß die Beitragsbasis in zwischen den Beitragszahlern und den Steuerzahlern der gesetzlichen Sozialversicherung auf Grund der in der gesetzlichen Rentenversicherung! Stimmen dramatisch gestiegenen Arbeitslosenzahl in den ver- Sie unserem Gesetzentwurf zu! gangenen Monaten immer schmaler wird. Wenn in (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge der gesetzlichen Rentenversicherung der Beitrags- ordneten der F.D.P. - Wilhelm Schmidt satz für das kommende Jahr jetzt von 20,3 auf 21 Pro- [Salzgitter] [SPD]: Das war sehr viel Wind, zent erhöht werden muß und auch in der gesetzli- Herr Storm! - Weiterer Zuruf von der SPD: chen Krankenversicherung in den neuen Bundeslän- Nebelwerfer!) dern die Beitragseinnahmen weggebrochen sind,

(Hans Büttner [Ingolstadt] [SPD]: Auf Grund Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Nun spricht Ihrer Gesundheitspolitik!) der Abgeordnete Rudolf Dreßler. so ist dies die Folge der dramatischen Beschäfti- Herr Präsident! Meine sehr gungsentwicklung. Rudolf Dreßler (SPD): verehrten Damen und Herren! Die heute anstehende Aber eines müßte doch auch Ihnen aufgefallen Debatte zur zweiten und dritten Lesung des Gesetz- sein: Ausgerechnet in der Arbeitslosenversicherung entwurfes zur Finanzierung eines zusätzlichen Bun- sind die Beiträge seit Jahren konstant. deszuschusses zur gesetzlichen Rentenversicherung sowie zum SPD-Gesetzentwurf zur Senkung der Dies ist nur möglich, weil der Bund seinen Zuschuß Lohnnebenkosten knüpft direkt an die Aussprachen im Zuge der Defizithaftung gegenüber den ur an, die anläßlich des zweiten Vermittlungsverfahrens 18168 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 201. Sitzung. Bonn, Freitag, den 31. Oktober 1997 Rudolf Dreßler und anläßlich der Verabschiedung des sogenannten zwei gleichgerichtete Vorschläge. Herr Blüm, das ist Rentenreformgesetzes 1999 der Koalition in diesem noch nicht einmal die halbe Wahrheit, und Sie wissen Hause geführt wurden. wie ich, die halbe Wahrheit ist bekanntlich auch ge- Der heute zur Verabschiedung anstehende Koali- schwindelt. In Wirklichkeit handelt es sich nämlich um zwei völlig unterschiedliche Vorschläge. Herr tionsentwurf steht - das ist wichtig festzuhalten - in Blüm will umfinanzieren, damit man den Leuten bes- direktem Zusammenhang zur bereits verabschiede- ser an die Rente gehen kann. Die SPD wi ten Rentengesetzgebung der Regierung Kohl. Zuge- ll umfinan- zieren, damit man den Leuten nicht an die Rente ge- spitzt formuliert: Wir beraten heute über den Finan- hen muß. Das ist der Unterschied. zierungsteil dieses ungerechten Rentengesetzes. (Beifall bei der SPD - Widerspruch bei der (Beifall bei Abgeordneten der SPD) CDU/CSU und der F.D.P.) CDU/CSU und F.D.P. möchten gerne darüber hin- Auf gut deutsch: Die Koalition will umfinanzieren, wegschummeln, aber es steht fest: Ohne das heutige damit sie kürzen kann; die SPD will umfinanzieren, Gesetz macht das Kohische und Blümsche Rentenge- um Kürzungen zu vermeiden. setz keinen Sinn, meine Damen und Herren. (Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion hat und F.D.P.) vor wenigen Tagen hier im Hause gegen dieses Ren- tengesetz gestimmt. So sieht die Wahrheit aus, auch wenn Sie über Ihre eigenen Kürzungsvorschläge lachen, Herr Weng. (Zuruf von der CDU/CSU: Das war ein Feh ler!) (Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [F.D.P.]: Über Ihr Geschwätz lache ich!) Wir haben erklärt und erklären noch einmal: Wir wol- len keine Kürzung des Rentenniveaus von 70 auf Die Vorschläge von CDU/CSU und F.D.P. einerseits 64 Prozent, und SPD andererseits sind also nicht nur nicht gleich- gerichtet, sondern sie verfolgen gegensätzliche Ziele (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne und Absichten. Deshalb sage ich den Vertretern der ten der PDS) Koalition: Sie können von mir aus noch 23 Versuche weil dadurch ein Großteil der Rentnerinnen und starten, die SPD im Wege der Finanzierung in die Rentner nahe an die Sozialhilfeschwelle gerät oder mittelbare Mitverantwortung für Ihre unsoziale Ren- sogar unter die Sozialhilfeschwelle fällt. Wir wollen tenpolitik zu zwingen; Sie werden scheitern. Diese keine rentenpolitische Strafexpedition gegen Rentenpolitik verantworten Sie ganz allein; dafür Schwerbehinderte. steht die Sozialdemokratische Partei nicht zur Verfü- gung. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN (Beifall bei der SPD) und der PDS) Damit auch das klar ist: Die Koalition muß diese Und nicht zuletzt, meine Damen und Herren: Wir Politik nicht nur alleine verantworten; CDU/CSU und wollen keine Privatisierung des Risikos der Erwerbs- F.D.P. könnten sie auch alleine durchsetzen, wenn sie unfähigkeit. es im inneren Machtgefüge denn nun wirklich woll-- ten oder könnten, und zwar einschließlich des Umfi- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne nanzierungsgesetzes. Eine Zustimmung der SPD ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN dazu ist nicht erforderlich, auch keine Zustimmung und der PDS) der sozialdemokratisch regierten Länder im Bundes- Wir wollen das alles nicht, weil es der Rentenversi- rat. Setzen Sie als Umfinanzierungsinstrument die cherung nicht wirklich hilft, vor allem aber, weil es Mineralölsteuer ein, und Sie sind alle Sorgen hin- zutiefst ungerecht ist. Zu alledem ist es überflüssig, sichtlich der Zustimmung im Bundesrat los. Diese Ko- um die Rentenkassen wirksam zu stabilisieren. Und alition möchte gerne vergessen machen, daß sie die weil wir das alles nicht wollen, werden wir den Mehrheit für ihre unsozialen Rentenpläne zwar hat, Finanzierungsteil dieser Operation - und nichts an- daß sie sie aber nicht mobilisieren kann, weil sie in deres ist der heute zur Beratung anstehende Gesetz- sich selbst zerstritten ist und weil CSU und F.D.P. im entwurf - ablehnen. Gegensatz zur CDU keine Mineralölsteueranhebung wollen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne ten der PDS) (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Zum drittenmal versucht die Bundesregierung Herr Blüm, wenn Ihre Koalition auf Grund ihrer nun, die SPD indirekt oder sogar direkt in die Mitver- Zerstrittenheit über die Finanzierung der eigenen Rentenpolitik nicht in der Lage ist, die Mehrheit, die antwortung für ihre unsoziale Rentenpolitik zu neh- men. Recht trickreich legt der Bundessozialminister sie hat, wirksam werden zu lassen, dann ist das allein dazu die argumentative Leimrute aus: Die Koalition Ihr Problem; das kann und wird die SPD nicht lösen. wolle in der Rentenpolitik umfinanzieren, und die Wer nicht mehr regieren kann, Herr Blüm, der muß SPD wolle in der Rentenpolitik umfinanzieren; da es auch verantworten und kann nicht statt dessen die Opposition vorschicken. könne man doch wenigstens dieses Stück des Weges gemeinsam gehen. So sagt Herr Blüm. Er erweckt Im übrigen ist jetzt die Rede von der angeblichen damit den Eindruck, als handle es sich hierbei um staatspolitischen Pflicht der SPD, an dieser Operation Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 201. Sitzung. Bonn, Freitag, den 31. Oktober 1997 18169

Rudolf Dreßler mitzuwirken. Das klang aber alles schon einmal ganz aber genau dies als Begründung für diese Erhöhung anders. Bereits im Februar 1996, also vor eineinhalb angibt. Jahren, habe ich der Koalition von diesem Pult aus für meine Fraktion angesichts der Problemlagen in (Beifall bei der SPD) der gesetzlichen Rentenversicherung angeboten, die Herr Blüm, schämen Sie sich nicht, vor 14 Tagen Rentenfinanzen gemeinsam zu stabilisieren. Die Füh- unsere Vorschläge hier zu diskreditieren rungsgremien meiner Partei haben dieses Angebot mehrfach wiederholt. Sie, Herr Blüm, der Bundes- (Zurufe von der SPD: Pfui!) kanzler und andere Vertreter der CDU/CSU und und gestern dies dem staunenden Publikum als Be- F.D.P. haben dieses Angebot unisono, zusammen mit gründung für die Erhöhung bekanntzugeben? Wie anderen Führungspersonen beider Parteien außer- tief ist eigentlich diese Regierung in ihrer Argumen- halb dieses Parlaments, zurückgewiesen, und zwar tation gesunken! nach dem Motto: Wir brauchen die SPD nicht. In nachträglicher Bewe rtung macht Ihre Haltung aus Solange diese Koalition nicht begreift, meine Da- heutiger Sicht sogar einen Sinn. Denn Herr Blüm men und Herren, daß unsere Sozialversicherung vor wußte schon damals, daß er für eine Gesetzesopera- allem ein Einnahmeproblem hat - - tion in Sachen rentenpolitischer Grobheiten, die er ja (Lachen bei der F.D.P. - Dr. Gisela Babel in Wahrheit von Anfang an, also schon 1996, im [F.D.P.]: Es ist nicht zu fassen!) Auge hatte, nie und nimmer die Zustimmung der SPD erhalten würde. - Frau Dr. Babel, ich hoffe, Sie haben realisie rt, daß Sie gerade Ihren eigenen Sozialminister ausgelacht Nun erläutert der Sozialminister seit geraumer Zeit haben, denn er hat das gestern vor der Presse genau und in beredten Worten, durch die Umfinanzierung, so formuliert. die er mit einer im Gesetzentwurf der Koalition vor- gesehenen einprozentigen Erhöhung der Mehrwert- (Beifall bei der SPD und der PDS - Zuruf steuer möglich machen will, könnten die Beitrags- von der SPD: Unerhört!) sätze in der Rentenversicherung gesenkt werden. Theoretisch hat er ja recht, und gesenkt werden Es ist ja schön, daß Sie sich hier im Deutschen Bun- müßten sie auch. Das Trauerspiel ist nur: Dem steht destag in aller Öffentlichkeit über Herrn Blüm lächer- lich machen, aber von einer Dame, die diesen Herrn die Wirtschafts - und Sozialpolitik seiner eigenen Koalitionsregierung entgegen; denn diese hat die politisch trägt, hätte ich doch etwas mehr Respekt er- Finanzprobleme in der Rentenversicherung wie auch wartet, meine Damen und Herren. in allen anderen Zweigen der Sozialversicherung erst (Heiterkeit und Beifall bei der SPD sowie heraufbeschworen. bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne DIE GRÜNEN und der PDS - Dr. Wolfgang ten der PDS) Weng [Gerlingen] [F.D.P.]: Das war ein völ ig anderer Bezug! Sie verfälschen!) Wer nämlich eine Wirtschaftspolitik betreibt, die ein Umfinanzieren, meine Damen und Herren, reicht stetiges Anwachsen der Arbeitslosigkeit - ich drücke mich dabei sehr höflich aus - in Kauf nimmt, nicht, um die sich ständig verringernde Einnahmeba- der bewirkt, daß immer weniger Menschen in die sis der Sozialkassen zu stabilisieren. Statt dessen--l Sozialversicherung einzahlen. Wer auf eine Arbeits- muß Schluß gemacht werden mit der von CDU/CSU marktpolitik fast gänzlich verzichtet, und F.D.P. wohlwollend geduldeten anhaltenden Flucht aus der Sozialversicherungspflichtigkeit von (Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [F.D.P.]: Arbeitsverhältnissen. Das sagt der Blockierer!) Deshalb sage ich noch einmal: Schluß mit der So- wer statt Arbeit Arbeitslosigkeit finanziert, auch der zialversicherungsfreiheit von geringfügiger Beschäf- bewirkt Mindereinnahmen in der Sozialversiche- tigung, Schluß mit der Scheinselbständigkeit, Schluß rung. mit der Versicherungsfreiheit von Selbständigen, (Zustimmung bei Abgeordneten der SPD) Schluß mit dieser sozialversicherungsrechtlichen Trittbrettfahrerei! Das, was einige dabei sparen, müs- Ich halte es schon für eine große Po rtion Chuzpe, sen nämlich alle anderen - Unternehmen und Versi- wenn dieser Bundessozialminister vor 14 Tagen in cherte - bezahlen. diesem Parlament hämisch über unsere Position - wir müssen die Atomisierung des Arbeitsmarktes been- (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Gerhard den, wir müssen die geringfügigen Beschäftigungen Zwerenz [PDS]) sozialversicherungspflichtig machen, wir müssen die Wir brauchen nicht nur eine Umfinanzierung, wie Scheinselbständigkeit die Regierung behauptet; wir brauchen auch eine (Zuruf von der SPD: Und die Schwarzar breitere Einnahmebasis, eine gerechtere Finanzie- beit!) rung der sozialen Systeme. Wer wie die Sozialversi- cherung vor allem ein strukturelles Einnahmepro- wieder in die Rentenversicherung zurückoperieren - blem hat, der muß es auch auf der Einnahmeseite lö- herfällt, uns vorwirft, uns fiele nichts anderes ein - sen. Man kann dem stetigen Verfall der Einnahme- wörtliches Zitat! -, um an anderer Leute Geld zu basis von Versicherungssystemen, auch der Renten- kommen, gestern bei der Bekanntgabe der Erhöhung versicherung, nicht durch ständiges Zusammenstrei- des Beitrages zur Rentenversicherung auf 21 Prozent chen der Leistungsausgaben hinterherkürzen. Das 18170 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 201. Sitzung. Bonn, Freitag, den 31. Oktober 1997

Rudolf Dreßler ist ein irrsinniges Hase-und-Igel-Spiel, weil der Hase Ich glaube diesem Arbeitsminister keine Zahl Leistungskürzung jedesmal aufs neue feststellen mehr. Er hat sie alle getürkt, nichts an ihnen stimmt. wird, daß der Igel Einnahmeausfall schon da ist. Es ist schlimm, daß man das bei einem Mitglied der Bundesregierung feststellen muß. Daß die F.D.P. genau das erreichen will, weil sie unser System zertrümmern wi ll, das weiß ich. Die nunmehr absehbare Entwicklung zeigt: Es hilft der Rentenversicherung nichts, nur umzufinanzieren; (Detlev von Larcher [SPD]: So ist das!) es hilft nichts, nur die Leistungsniveaus zu senken. Es kommt aber darauf an, daß Herr Blüm und die Selbst beides gemeinsam hilft nicht, weil es die Ursa- CDU/CSU das endlich begreifen und ihre Rentenpo- chen für die Finanzprobleme nicht beseitigt. litik ändern, meine Damen und Herren. Wir brauchen statt dessen eine Kombination aus (Beifall bei der SPD) Umfinanzierung und Verbreiterung der Einnahme- basis, so wie die SPD-Rentenkonzeption und unser Ich erinnere noch einmal daran: Herr Blüm wollte Gesetzesantrag zur Senkung der Lohnnebenkosten mit der Umfinanzierung die Beitragssätze in der Ren- das vorsehen. tenversicherung senken, und zwar um einen Prozent- punkt von derzeit 20,3 auf 19,3 Prozent. Jeder und Wenn der Bundessozialminister und die CDU/ jede in diesem Hause weiß mittlerweile, daß es an- CSU-F.D.P-Koalition heute feststellen müssen, daß ders kommen wird. Die Beitragszahler erwartet zum der Beitragssatz zur Rentenversicherung entgegen Ihren früheren lautstarken Versprechungen im zwei- 1. Januar nächsten Jahres statt einer Beitragssen- kung, die die Regierung noch im Sommer dieses Jah- ten Jahr hintereinander abermals kräftig angehoben res gegen unsere Warnung angekündigt hatte, eine werden muß, dann ist das das Eingeständnis einer gescheiterten Rentenpolitik. Nun im nachhinein Beitragssatzerhöhung. durch ein Umfinanzierungsgesetz, so wie es heute Als ich im August dieses Jahres darauf hingewie- vorliegt, sozialdemokratische Mitverantwortung ein- sen habe, der Beitragssatz zur Rentenversicherung bauen zu wollen, das wird nicht verfangen. Für die- werde am 1. Januar 1998 auf 21 Prozent angehoben sen rentenpolitischen Trümmerhaufen sind diejeni- werden müssen, ist die versammelte Koalition öffent- gen verantwortlich, die seit 15 Jahren regieren: Herr lich über mich hergefallen, hat mich der Panikmache Kohl, Herr Blüm und die Fraktionen von CDU/CSU geziehen. Herr Blüm selbst hat mich einen Hiobsbot- und F.D.P. schafter genannt. (Beifall bei der SPD) (Karl-Josef Laumann [CDU/CSU]: Das war Meine sehr verehrten Damen und Herren, die auch richtig so! -'Lachen bei der SPD) CDU/CSU-F.D.P.-Bundesregierung und die sie tra- Und wenig später hieß es bei Herrn Blüm, bei der genden Koalitionsparteien sagen heute morgen im- CDU/CSU und bei der F.D.P., statt derzeit 20,3 Pro- mer noch: Senkung der Beiträge! - Sie sind noch zent könnten es auch 20,6 werden, dann robbte man nicht einmal fähig, willens und in der Lage, das, was sich auf 20,8 Prozent, immer mit dem Zusatz von sich wirklich auf der Grundlage dieses Gesetzent- Herrn Blüm: „Die Dreßlersche Behauptung von wurfes der Regierungsfraktionen abspielt, hier einzu- 21 Prozent - niemals, alles Lug und Trug!", bis er ge- gestehen, nämlich daß Sie gar keine Beitragssatzsen- stern endlich auch bei 21 Prozent gelandet ist. kung mehr durchführen wollen oder können, son- dern daß Sie heute morgen uns nur noch dazu ani- Wochen und Monate hat der Sozialminister mit al- mieren wollen, ein Gesetz zu beschließen, welches len Tricks zu verhindern versucht, daß die Wahrheit eine Beitragssatzerhöhung verhindert. Von Lohnne- ans Licht kommt. Er hat sogar den Schätzerkreis, der benkostensenkung ist bei dieser Koalition überhaupt die fachlichen Grundlagen für die jährliche Beitrags- nicht mehr die Rede. satzanpassung errechnen muß, sicherheitshalber kurzerhand ausgeladen. (Joachim Hörster [CDU/CSU]: Das stimmt doch gar nicht!) ( [SPD]: Wir erinnern uns!) - Ich bitte Sie, Herr Hörster, da Sie in der Rententhe- Dabei hat Herr Blüm seit dem vergangenen Som- matik so tief nicht drin sind, doch wenigstens einmal mer genau gewußt, was kommen wird. Er wußte wie zuzuhören, damit Sie sich statt Abendbrot einmal Ge- ich, daß wir bei 21 Prozent landen werden. Seit ge- danken machen können. stern ist klar, daß es tatsächlich 21 Prozent werden. (Weitere Zurufe des Abg. Joachim Hörster Meine Damen und Herren, ich will nicht indiskret [CDU/CSU]) sein und die ersten Reihen der Koalition fragen, ob sie auch wußten, was Herr Blüm wußte. Aber eines Herr Hörster, eine Erhöhung des Beitrags um ist klar: Wer so mit der Wahrheit umgeht, wer t rickst, 0,7 Prozent, also von 20,3 auf 21 Prozent, ist genau verbiegt, umdeutet oder sich in Halbwahrheiten das, was wir befürchtet, vorausgesagt und wegen der flüchtet, untergräbt nicht nur seine eigene Vertrau- politischen Beitragsfestsetzung der letzten beiden rt haben. Da bleiben noch 0,3 Pro- enswürdigkeit, er untergräbt auch das Vertrauen der Jahre prognostizie Menschen in die Institution Rentenversicherung, das zent übrig. Genau die will Herr Blüm nehmen, um die nicht finanzierten Kindererziehungszeiten, die er doch eigentlich schon von Amts wegen hüten und die Kassen wieder zusätzlich belasten werden, über pflegen sollte. diesen Weg zu finanzieren. Das haben wir a lles (Beifall bei der SPD) durchschaut. Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 201. Sitzung. Bonn, Freitag, den 31. Oktober 1997 18171

Rudolf Dreßler Herr Blüm, treten Sie mit uns ein für eine Beitrags- um 5.45 Uhr die SPD-Position, die wir seit Jahren ver- senkungspolitik. treten, erneut bekräftigen.

(Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne ten der PDS) Deshalb möchte ich noch einmal betonen: Wir stehen heute wirklich am letzten Tag einer solchen Möglich- Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Herr Kollege keit. Ich muß Ihnen sagen, Herr Schäuble - Sie ha- Dreßler, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abge- ben sich in den letzten Wochen sehr intensiv um ordneten Storm? diese Problematik gekümmert -: Wir können heute noch gemeinsam diese Beitragssatzsteigerung ver- hindern. Wir können das noch gemeinsam heute Rudolf Dreßler (SPD): Bitte schön. morgen tun. Die Zeit dazu ist noch vorhanden. Wenn wir nämlich den in Wahrheit ja auch von Ihnen ak- Andreas Storm (CDU/CSU): Herr Kollege Dreßler, zeptierten Gesetzentwurf der SPD heute beschließen, Ihre Behauptung, daß sich Abgeordnete ihre Reden dann haben wir nicht nur die Beitragserhöhung ver- schreiben ließen, liegt, so glaube ich, auch unter Ih- mieden, sondern haben unser aller Versprechen, die rem Niveau. Beiträge darüber hinaus zu senken, erfüllt. Wir hät- (Beifall bei der CDU/CSU - Lachen bei der ten das Prozent Steigerung vermieden und zusätzlich SPD - Joseph Fischer [Frankfu rt] [BÜND einen Beitragspunkt in der Sozialversicherung ge- NIS 90/DIE GRÜNEN]: Wo leben Sie denn?) senkt, hätten also eine Entlastung von 15 Milliarden in diesem Bereich erzielt, wovon Arbeiter und Ange- Aber zu meiner Frage, Kollege Dreßler: Trifft es zu, stellte sowie Unternehmen jeweils die Hälfte erhal- daß Sie Ihre ursprüngliche Konzeption, den Bundes- ten. Dann bräuchten Sie nicht in sechs Wochen vor zuschuß ausschließlich im Ausmaß der Erstattung be- die Bevölkerung zu treten und ihr zu sagen: Es tut stimmter versicherungsfremder Leistungen in der uns leid, die Senkung des Solidaritätszuschlages ha- Rentenversicherung zu erhöhen, auf Grund der Pro- ben wir über die Erhöhung der Rentenbeiträge wie- teste der Rentenversicherungsträger so geändert ha- der kassieren müssen. Es steht also auch für Sie ben, daß Sie in Ihrem Gesetzentwurf nun wie die Ko- heute morgen eine Menge auf dem Spiel. alition sagen: Der Bundeszuschuß wird so erhöht, daß er jedes Jahr im Ausmaß des Aufkommens eines Damit wir uns darüber klarwerden, wie das mit Mehrwertsteuersatzpunktes ansteigt? vorgefertigten Redemanuskripten so ist, Herr Storm, möchte ich Ihnen sagen: Ihre Fachkenntnis ist zu groß, als daß ich Ihnen heute morgen unterstelle, Sie Rudolf Dreßler (SPD): Herr Kollege Storm, ich sage Ihnen noch einmal ganz langsam zum Mitschreiben: hätten sich das selbst aufgeschrieben. Dies trifft ausdrücklich nicht zu. Der Gesetzentwurf (Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD) der SPD beziffert dezidiert drei sozialversicherungs- fremde Leistungen - die Stichwörter sind: Fremdren- Sie haben hier soeben behauptet, und zwar einfach tengesetz, Auffüllbeträge und SED-Unrechtsbereini- so, daß die Rentenversicherungsträger die Heraus- gungsgesetz - und sagt dann: Das darüber hinausge- nahme sozialversicherungsfremder Leistungen als hende Einnahmevolumen wird für weitere sozialver-- SPD-Position protestierend mit Nein beantwortet hät- sicherungsfremde Leistungen verwandt. Das heißt, ten. wir wollen diese sozialversicherungsfremden Bei- träge aus dem System heraushaben, damit das Sy- Wie der Zufall es so will, kommt mir gerade eine stem nicht weiter diskreditiert wird. Herr Storm, Sie Meldung von heute morgen, 5.45 Uhr, auf den Tisch, wollen sie im System lassen. Das ist ein substantieller nach der die Rentenversicherungsträger die Bundes- Unterschied in unserer politischen Auffassung. regierung warnen - ich zitiere -: (Beifall bei der SPD) Der Bevölkerung sei nicht zu vermitteln, daß das Was die Manuskripte betrifft - mit Verlaub, Herr Rentenniveau reduziert werde, aber die dringend Storm -: Diese Behauptung liegt nicht unter meiner erforderliche Umfinanzierung beitragsfremder Würde. Denn Sie und ich wissen, daß hier eine Rentenleistungen nicht erfolge, sagte der Ge- Menge von anderen für Abgeordnete geschrieben schäftsführer des Verbandes Deutscher wird. Ich habe - denn ich habe Sie als Kenner der Rentenversicherungsträger ... Materie sogar schätzen gelernt - bezweifelt, daß die Passage Ihrer Rede, in der Sie das fälschlicherweise (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne zitiert haben, von Ihnen formuliert worden ist. Inso- ten der PDS) weit habe ich Ihnen damit sogar noch einen Gefallen getan. Mein sehr verehrter Herr Storm, ich weiß ja, daß es unter den Rentenversicherungsträgern auch eine (Beifall bei der SPD - Ul rich Heinrich Menge CDU-Mitglieder gibt. Aber Sie sollten sich [F.D.P.]: Großzügig!) Ihre Manuskripte nicht von denen schreiben lassen. Sollten Sie allerdings jetzt sagen, daß diese falsche Denn der Verband der Rentenversicherungsträger Passage von Ihnen selbst formuliert worden ist, dann und die Bundesversicherungsanstalt sind als Institu- machen Sie mich, Herr Storm, traurig. tionen neutral. Sie verstehen offensichtlich mehr da- von als Sie und Ihre Fraktion, wenn sie heute morgen (Lachen bei der SPD) 18172 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 201. Sitzung. Bonn, Freitag, den 31. Oktober 1997

Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Herr Kollege Bundestagsfraktion richtig ist. Davon bin ich zutiefst Dreßler, die Arbeitsweise der einzelnen Mitglieder überzeugt. dieses Hauses sollten wir ihnen selbst überlassen. (Gerd Andres [SPD]: Richtig!) Herr Kollege Storm möchte noch eine Zwischen- frage stellen. Wir wissen ja nicht nur aus Veröffentlichungen, daß die Koalition sich in dieser Frage auf Grund der Machtbalance - das will ich gar nicht kritisieren - Rudolf Dreßler (SPD): Bitte. selbst blockiert. (Karl-Josef Laumann [CDU/CSU]: Du Ich möchte zum Schluß Ihnen, Herr Dr. Schäuble brauchst nichts zu fragen; der hat sowieso und Herr Glos, eine Erfahrung mitteilen, die ich vor keine Ahnung!) drei Jahren in meiner Partei selbst gemacht habe. Das möchte ich Ihnen heute morgen sagen dürfen. Es Andreas Storm (CDU/CSU): Herr Kollege Dreßler, geht mir dabei nicht um die innere Struktur Ihrer Par- stimmen Sie mit mir darin überein, daß erstens die tei, es geht mir um dieses Rentensystem und um die Erhöhung des Bundeszuschusses im Ausmaß des Sozialversicherungssystematik. Um eine Volkspartei Aufkommens eines Mehrwertsteuersatzpunktes das sein zu können, Herr Dr. Schäuble - das wissen Sie gleiche Finanzvolumen einbringt wie das, was im Ko- so gut wie ich -, muß man Bedingungen erfüllen. alitionsentwurf vorgesehen ist, Wenn man diese Bedingungen nicht erfüllt, hat das unglaubliche Turbulenzen zur Konsequenz und rich- (Bundesminister Dr. Norbe rt Blüm: Sehr tet für das Gemeinwohl in unserer Demokratie gro- richtig!) ßen Schaden an. Deshalb, Herr Dr. Schäuble, gestat- und daß zweitens auch dann, wenn - wie Sie sagen - ten Sie mir ein offenes Wo rt : Es kann nicht länger so ein Teil der Erstattungen zum Beispiel für die Zah- sein, daß 95 Prozent dieses Hauses in der Bewe rtung lung von Fremdrenten verwandt wird, die Fremdren- eines Sachverhaltes einig sind und wegen 5 Prozent, ten genauso wie im Koalitionsentwurf nach wie vor die das alles nicht schert - Ihr Koalitionspartner, die von den Rentenversicherungsträgern ausgezahlt F.D.P. -, werden, daß im Ergebnis also der faktische Unter- (Joachim Poß [SPD]: 6,9 Prozent!) schied zwischen den beiden Gesetzentwürfen dies- bezüglich bei Null liegt? ein weiterer Fortschritt auf diesem Sektor verhindert wird. Ich bitte die Abgeordneten der CDU/CSU in ih- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) rem Selbstverständnis als Volkspartei, darüber heute morgen einmal nachzudenken. Rudolf Dreßler (SPD): Meine Damen und Herren, es ist so, daß wir in der Bewe rtung dieses Sachverhal- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne tes offensichtlich nicht zusammenkommen. ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS) (Dr. [F.D.P.]: Sie wollen nicht! - [CDU/CSU]: Sie können nicht!) Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Ich gebe das Wort der Abgeordneten Andrea Fischer. - Denn, Herr Storm, wenn ich versicherungsfremde Leistungen aus dem System herausnehme und sie (Berlin) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- administrativ bei einer Bürokratie belasse, dann än- Andrea Fischer NEN): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! dert das nichts an dem Sachverhalt, daß diese Lei- Herr Kollege Storm, Sie haben gerade - fast schon stungen nicht mehr der Rentenversicherung als Sy- mit einem Tremolo in der Stimme - gesagt, wir hätten stem und damit den Beitragszahlern direkt oder indi- es hier mit einer wichtigen Weichenstellung zu tun. rekt aufgelastet werden. Mit Verlaub, wenn ich heute morgen am Zeitungski- (Beifall bei der SPD) osk, an dem ich meine Zeitungen hole, sehe, daß der neue Beitragssatz von 21 Prozent immerhin von allen Sie können der Bevölkerung - Sie können sich Mühe Zeitungen für we rt befunden wird, als Aufmacher geben, sosehr Sie wollen - nicht plausibel machen, genommen zu werden, kann ich mich des Eindruckes daß eine staatliche Hoheitsaufgabe einem Versiche- nicht erwehren, daß wir hier statt über strategische rungssystem übertragen wird, das Unternehmen, Ar- und kluge Weichenstellungen über nichts anderes beiter und Angestellte zu finanzieren haben, aber als über Schadenbegrenzung reden. 20 Prozent der erwerbstätigen Bevölkerung - das be- trifft auch Sie und mich - aus der Finanzierung völlig Sie haben diese Situation überhaupt erst herbeige- herausläßt. Hier geht es um Ordnungspolitik und um führt; nun versuchen Sie zu einem viel zu späten Gerechtigkeit. Zeitpunkt und dann auch noch mit einem in meinen Augen untauglichen Mittel, das Allerschlimmste zu (Beifall bei der SPD - Julius Louven [CDU/ verhindern. Daß sich die Diskussion nun an der kon- CSU]: Das haben Sie doch zum größten Teil kreten Höhe von 21 Prozent festmacht, hat zwar auch mitbeschlossen!) einen symbolischen Gehalt, ist aber für die weitere Schlußbemerkung: Ich bin zutiefst davon über- Zukunft der gesetzlichen Rentenversicherung abso- zeugt, daß die große Mehrheit der CDU/CSU - übri- lut wichtig. Es gibt so etwas wie politische Schmerz- gens auch der Bundessozialminister - genau weiß, grenzen; die haben Sie mit Ihrer Politik erreicht. Daß daß die Argumentation der sozialdemokratischen wir jetzt bei 21 Prozent gelandet sind, ist kein Natur- Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 201. Sitzung. Bonn, Freitag, den 31. Oktober 1997 18173

Andrea Fischer (Berlin) ereignis, sondern hat mit Ihrer Politik zu tun. Sie ha- - Mit Verlaub, Sie sind jetzt seit 15 Jahren an der Re- ben den Zug in die falsche Richtung geschickt, und gierung. Sie, die an diesem Punkt nichts anderes als nun fährt er direkt auf das Stoppsignal zu. phantasielose und kraftlose Schadensbegrenzung machen, sagen jetzt: Die anderen sind schuld. Am Anfang stand - das wissen wir alle - die Finan- zierung der Rentenüberleitung durch die Rentenver- (Hans Michelbach [CDU/CSU]: Wer blok sicherung. Sie können mir gerne sagen: Damals ging kiert die Steuerreform?) es nicht anders, und wir konnten nicht anders. - Aber das daraus resultierende Problem bei den Lohn- Das ist doch absurd. nebenkosten wird nun schon seit Jahr und Tag disku- tiert, und Sie haben es bislang nicht korrigiert. Also (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN können Sie sich jetzt hier nicht hinstellen und sagen: und bei der SPD) Sind wir nicht klasse, daß wir jetzt etwas in Sachen Ein weiterer Grund für diese fatalen 21 Prozent - Mehrwertsteuer unternehmen! neben der falschen Finanzierung - ist die Flucht aus (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) der Sozialversicherung. Ich würde gerne eine kleine Anmerkung zu der (Hans Michelbach [CDU/CSU]: Ja, warum Kontroverse zwischen dem Kollegen Dreßler und kommt die? Die Steuerentlastung fehlt!) dem Kollegen Storm über die Herausnahme sozial- versicherungsfremder Leistungen machen. Schon Darüber diskutieren wir seit Tagen. Jetzt bricht bei die Definition versicherungsfremder Leistungen ist Ihnen ein hektischer Aktionismus aus. Sie können schwierig und nicht völlig eindeutig, weil wir es mit sich am Ende ja doch nicht einigen; wir wissen es einer Sozialversicherung zu tun haben. doch schon. Sie erzählen jetzt herum, was Sie mit dem Problem machen wollen. (Hans Michelbach [CDU/CSU]: Richtig!) Lassen Sie uns doch einmal über dieses Problem Außerdem kann es nicht darum gehen, sie gemäß nachdenken, unabhängig davon, ob Sie noch eine dem Wortsinne herauszunehmen, so daß sie nicht Regelung finden werden oder nicht. Das glaube ich, mehr von der Rentenversicherung bezahlt werden ehrlich gesagt, nicht. Jede Regelung hat ja, wie wir müssen. Es gibt Umverteilungselemente in der Ren- alle wissen, auch ihre Tücken. Es gibt aber auch eine tenversicherung, politische Begründung dafür, warum die Leute die Sozialversicherung verlassen. Dies hat auch etwas (Karl-Josef Laumann [CDU/CSU]: Die Frau mit den 21 Prozent und dem Beitrags - Leistungs - Ver- hat mehr verstanden als Herr Dreßler!) hältnis zu tun, also mit der Tatsache, daß die Men- zu denen wir uns politisch bekennen sollten. schen dieses Verhältnis nicht mehr hinnehmen, daß sie es für ein schlechtes Angebot halten. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) (Hans Michelbach [CDU/CSU]: Machen Sie doch! Machen Sie doch bei der Reform mit! Wir streiten hier um die Frage, wie wir diese Leistun- - Ulrich Heinrich [F.D.P.]: Nein, immer nein! - gen finanzieren und ob es klug ist, sie ausschließlich - Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [F.D.P.]: über die Sozialversicherungsbeiträge zu finanzieren. Nein sagen reicht nicht!)

(Andreas Storm [CDU/CSU]: Frau Fischer Warum hat das Beitrags-Leistungs-Verhältnis eine hat es verstanden!) solche Bedeutung bekommen? Warum denken dar- über so viele Leute nach? Das hat auch etwas mit ei- Uns allen, die wir die Sozialversicherungen auch für nem Verlust des Vertrauens in die politische Steue- die Zukunft sichern wollen, wird der jetzige Beitrags- rung der gesetzlichen Rentenversicherung zu tun. satz von 21 Prozent bei allen weiteren politischen Vor diesem Hintergrund wird die Frage „Kann ich Vorhaben und Reformen wie Blei auf den Füßen lie- das nicht besser privat machen?" bedeutsam. Ob- gen. wohl auch ich finde, daß in den letzten Jahren in der (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Art, wie die Sozialversicherungen behandelt wurden, sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und einiges schiefgelaufen ist, appelliere ich an alle, sich der F.D.P.) klarzumachen, daß die Überlegung, nicht in die So- zialversicherung zu gehen, zutiefst egoistisch ist und - Ja, aber da können Sie doch hier jetzt nicht Mat- die anderen trifft. schen. Die 21 Prozent haben wir doch nicht zu ver- antworten. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS der SPD) SES 90/DIE GRÜNEN und der SPD - Wider spruch bei Abgeordneten der CDU/CSU Der einzelne hat dadurch natürlich zunächst einen und der F.D.P. - Dr. Gisela Babel [F.D.P.]: Vorteil, der allerdings darin besteht, daß man sagt: Auch, auch! - Joseph Fischer [Frankfu rt] Sollen doch die anderen Idioten die Renten für meine [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist doch Eltern und Großeltern zahlen. Demgegenüber sage ein Witz! - Detlev von Larcher [SPD]: Unge ich: Das geht nicht. Auch wenn die Bundesregierung heuerlich!) noch soviel falsch macht - die Sozialversicherungen 18174 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 201. Sitzung. Bonn, Freitag, den 31. Oktober 1997

Andrea Fischer (Berlin) leben davon, daß wir alle mitmachen und uns an ihr beschließt der Deutsche Bundestag heute ein Gesetz beteiligen, daß alle gemeinsam die Lasten schultern. zur Finanzierung eines zusätzlichen Bundeszuschus- ses zur gesetzlichen Rentenversicherung, also die Er- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN höhung der Mehrwertsteuer um einen Punkt. Mit sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und diesem Steuergeld soll die Senkung der Rentenversi- der SPD) cherungsbeiträge bewirkt werden, und zwar schnell. Es ist unbestritten, daß wir diesen Teufelskreis durchbrechen müssen. Es liegt ja ein Vorschlag auf Die übrige Rentenreform ist vor zwei Wochen be- dem Tisch. Im Gegensatz zu Ihrem Vorschlag ist er schlossen worden: mit Sparmaßnahmen, die - wie im Vermittlungsausschuß schon lang und breit disku- wir alle wissen - langsam wirken und erst langsam tiert worden. Kollege Storm, wenn wir in diesen Vor- entlasten. Der Grund liegt im verfassungsgeschütz- schlag Elemente eingebaut haben, die sich auch in ten Vertrauen. Man kann nicht von jetzt auf gleich in Ihrem Entwurf finden, dann sagen Sie in überhebli- rentenbegründende oder rentenerhöhende Tatbe- cher Weise: Na, sehen Sie einmal; Sie sind ja lernfä- stände eingreifen. hig. - Ich betone: Dabei handelt es sich um einen Kompromiß. Das heißt, wir haben uns bewegt. Nur, In der Zwischenzeit steigt der Beitragssatz zur Sie bewegen sich nicht mehr. Rentenversicherung aber noch an. Gestern - ein schwarzer Donnerstag für die Rentenversicherung - (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN mußte der Bundesarbeitsminister eingestehen, daß sowie bei Abgeordneten der SPD) wir einen Versicherungsbeitrag von 21 Prozent brau- Wir waren doch vor Wochen schon viel weiter. Ich chen, um die Renten bezahlen zu können. Ich sage brauche Ihnen angesichts der Debatten der letzten offen: Dies ist ein Schock. Wochen um das bündnisgrüne Wahlprogramm nicht zu erläutern, daß der Vorschlag in bezug auf die Mi- (Lachen bei der SPD - Wilhelm Schmidt neralölsteuer, der sich im Kompromißpapier findet, [Salzgitter] [SPD]: Den Eindruck erwecken nicht von den Bündnisgrünen ist. Ich brauche Ihnen Sie nun aber wirklich nicht!) auch gar nicht zu erklären, daß wir von der Mehr- wertsteuererhöhung nicht viel halten. Beide Punkte Die Koalition sollte - so hatten wir es verabredet - sind aber in diesem Kompromißvorschlag enthalten, Maßnahmen ergreifen, um die Kosten zu senken. Wir weil wir der Überzeugung gewesen sind: Wir müssen haben diese Maßnahmen auch ergriffen - bei lautem uns bewegen. Sie bewegen sich nicht. Das hat natür- Wehgeschrei der Opposition, die sofort ankündigte, lich auch mit Ihren internen Widersprüchen zu tun. daß sie diese Sparmaßnahmen bei gewonnener Wahl Der Vorschlag des Kollegen Schäuble, auf den wir nicht akzeptieren würde. uns zubewegt haben, hat das Mißfallen der CSU ge- funden. Die F.D.P. brauchte unbedingt die Senkung (Joachim Poß [SPD]: Richtig!) des Soli - Zuschlags. Darin liegt der eigentliche Grund, warum eine Bewegung von Ihnen auf uns zu Auch das muß ich sagen: Wir stellen fest, daß das nicht gelungen ist. Ergebnis dieser Maßnahmen nicht unseren Erwar- tungen entspricht. Zwei Gründe will ich für diese (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Entwicklung anführen. Der erste und wichtigste sowie bei Abgeordneten der SPD) Grund ist sicherlich die Arbeitslosigkeit. Sie steigt kontinuierlich und führt damit zu Einnahmeausfällen Jetzt sollen wir angeblich wieder die Verweigerer in der Rentenversicherung. sein. Ich glaube, so wollen Sie das unbedingt haben. Sie haben ein Problem damit, daß Ihre Leistungsbi- Ein zweiter Belastungsfaktor ist die Frühverren- lanz im nächsten Jahr - wenn wir alle vor die Wähle- tung, die noch immer anhält. Gerade deswegen, weil rinnen und Wähler treten - nicht gut genug ist, weil diese Schleuse erst so spät und so langsam geschlos- Sie nicht weit genug gekommen sind. Deswegen ent- sen wurde - auch im vergangenen und in diesem falten Sie jetzt eine hektische Bet riebsamkeit mit Jahr -, werden über 200 000 Versicherte früher aus Pressemeldungen. Daneben möchten Sie gern die dem Arbeitsleben ausscheiden und länger Rente be- Opposition als Blockierer und Verweigerer darstel- ziehen. len. Dabei machen wir nicht mit. Wir haben uns sehr weit auf Sie zubewegt. Wir haben sehr viele Punkte Wir müssen diese Tatbestände zur Kenntnis neh- mitgetragen, die uns einiges kosten, weil auch wir men. Es liegt am Vertrauensschutz, den wir hier alle schließlich eine politische Identität haben. Sie haben bejahen. Die Folge ist, daß die finanzielle Belastung sich nicht bewegt, und deswegen fällt der Blockade- langsamer absinkt. Die zusätzlichen steuerfinanzier- vorwurf auf Sie zurück. ten Gelder sollen nur den Anstieg der Beitragssätze (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN bremsen. und bei der SPD) Es ist schon sehr seltsam: Die SPD hat immer ge- sagt - es gab auch den Vorwurf, wir hätten die Wie- Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Ich gebe das dervereinigung falsch finanziert -, wir sollten die not- Wort der Abgeordneten Dr. Gisela Babel. wendigen Mittel für die Rentenversicherung aus dem Haushalt nehmen, also durch Steuererhöhungen fi- Dr. Gisela Babel (F.D.P.): Herr Präsident! Meine nanzieren. Sie haben also vorgeschlagen, die Steuern Damen und Herren! In zweiter und dritter Lesung zu erhöhen. Jetzt baut die Koalition einen Ihren Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 201. Sitzung. Bonn, Freitag, den 31. Oktober 1997 18175

Dr. Gisela Babel Wünschen entsprechenden Baustein in die Reform berverbände - das ist für Sie jetzt nicht unbedingt ein; eine gute Adresse -, aber auch die Deutsche Ange- stellten-Gewerkschaft haben gestern gemeinsam an (Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: In die Bundestag und Bundesrat appelliert, die von uns ge- falsche Reform!) wollte Umfinanzierung mitzutragen. Ich zitiere: „Ziel der steuerfinanzierte Anteil an der Rentenversiche- muß es sein, eine Entlastung der gesetzlichen Ren- rung steigt. Meine Damen und Herren, was der Öf- tenversicherung im Umfang von einem Beitrags- fentlichkeit noch immer nicht hinlänglich bekannt punkt zu erreichen." - So gestern BDA und DAG in ist: Er beträgt schon heute 67 Milliarden DM im Jahr. ihrer gemeinsamen Erklärung. 20 Prozent aller Renteneinnahmen kommen aus Ich habe kein Wort dazu gehört, wie Sie eigentlich Steuermitteln. Das soll nun noch mal um 15 Milliar- rechtfertigen wollen, sich hier abermals zu entziehen. den DM aufgestockt werden. Aber jetzt sträubt sich Ich gehe auch davon aus, daß die Entscheidung, die die Opposition, Sie für Ihre Fraktion hier ankündigen, im Bundesrat (Lachen bei Abgeordneten der SPD) nicht durchgehalten werden kann. Dafür ist die Lage zu ernst. Wir von der F.D.P. stimmen dem Gesetz zu. und zwar nicht, weil sie Steuererhöhungen ablehnt - das macht eigentlich nur die F.D.P.; die Steuererhö- Ich bedanke mich. hung macht uns hier auch zu schaffen -, (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU - (Joseph Fischer [Frankfu rt] [BÜNDNIS 90/ Gerd Andres [SPD]: Das war eine Schock DIE GRÜNEN]: Aber! Aber!) rede! Die Dame ist noch geschockt!) sondern weil sie - und das ist völlig unverständlich - die Sparbeschlüsse ablehnt. Die Kosten der Renten- Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Ich gebe der versicherung möchte sie allein durch mehr Steuer- Abgeordneten Dr. Barbara Höll das Wo rt . gelder dämpfen. (PDS): Herr Präsident! Meine Da- Herr Dreßler, es gab in der Vergangenheit genü- Dr. Barbara Höll men und Herren! Was uns eben geboten wurde, ist gend Beispiele, die belegen, daß Sie sich sehr lange schon fast kabarettreif. Zeit gegen bestimmte Entscheidungen der Koalition gewehrt haben. Dazu gab es eindringliche Reden an (Beifall bei der PDS) Ihre eigene Fraktion - die waren gar nicht an uns ge- richtet -, in denen gewarnt wurde, hier bloß nicht Man ist über etwas geschockt, was man schon weiß. nachzugeben. Da haben Sie schon mehrere Blessu- Dann wird aber noch versucht, dies glaubwürdig her- ren erlitten. überzubringen. Ich bin ganz sicher, daß Sie letztlich nicht darum Der heute vorliegende Gesetzentwurf ist nur herumkommen, zu den Sparmaßnahmen in der Ren- eine Fortsetzung Ihrer chaotischen Haushalts - und tenversicherung ja zu sagen - ganz egal, ob das mit Finanzpolitik. Mit einer Hand schmeißen Sie das oder ohne Regierungsverantwortung ist. Im Moment Geld zum Fenster hinaus: Gestern wurde im Haus- tun Sie allerdings so, als ob Sie für alle Zeiten Ihre haltsausschuß beschlossen, den Eurofighter zu pro- duzieren; Milliarden, gebunden für Jahrzehnte, wer- Oppositionsrolle beibehalten wollten, weil Sie nie die - Verantwortung übernehmen wollen, das durchzuhal- den rausgeschmissen. ten, was Sie hier verteufeln. (Beifall bei der PDS) (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne Der Bau des Transrapids soll in 14 Tagen beschlossen ten der CDU/CSU) werden. Der Soli-Zuschlag wird gesenkt; dies wirkt Meine Damen und Herren, die Koalition verzichtet sich auf die höheren Gehaltsgruppen natürlich we- nun also - wir nehmen das zur Kenntnis - auf Ihre sentlich stärker aus als auf die niedrigen. Mitwirkung bei den Sparbeschlüssen. Mit der anderen Hand versuchen Sie zusammen- (Rudolf Dreßler [SPD]: Kürzungsbe zukratzen und zusammenzuhalten, was geht. Herr schlüsse!) Waigel mußte gestern die zweite Haushaltssperre - beginnend mit dem heutigen Tag - für dieses Jahr - Nein. Wir wollen nur Ihre Zustimmung zur Mehr- verkünden. Hierin ordnet sich auch Ihr Gesetzent- wertsteuererhöhung. Jetzt hören wir, daß Sie die wurf ein. nicht mittragen. Sagen Sie an dieser Stelle doch mal - davon war in Ihrer Rede auch nichts enthalten -, Vor 14 Tagen haben Sie mit Ihrer Mehrheit be- welche Reformen Sie in der Rentenversicherung ei- schlossen, die lebensstandardsichernde Funktion gentlich wollen. der Renten aufzugeben, denn das, was dem zu- grunde liegt, nämlich daß Männer und Frauen (Anhaltende Zurufe von der SPD) 45 Jahre lang arbeiten, erfüllt in diesem Land heute kaum noch jemand. Er bzw. sie kann dies nicht, auf Es kann doch wohl nicht wahr sein, daß Sie Reformen Grund Ihrer Arbeitsmarktpolitik. nur durch Mehrbelastung des Steuer- und Beitrags- zahlers erreichen wollen. (Beifall bei der PDS) Im Bundesrat ist die SPD gefordert. Bitte bedenken Sie wollen die Löcher in Ihrer Rentenkasse kurzfri- Sie: Die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitge- stig durch eine Erhöhung der Mehrwertsteuer stop- 18176 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 201. Sitzung. Bonn, Freitag, den 31. Oktober 1997

Dr. Barbara Höll fen. Dies wird uns nun als eine moderate Umfinan- sen. Das ist das Hauptproblem, um dessen Lösung zierungspolitik verkauft und eingeordnet in die Dis- Sie sich drücken, kussion zur Senkung der Lohnnebenkosten. Herr Hundt ist, wie heute überall in der Presse zu lesen ist, (Beifall bei Abgeordneten der PDS) völlig entgeistert darüber, daß die Beiträge zur Ren- indem Sie wieder nur über die indirekten Steuern tenversicherung ab Januar 1998 auf 21 Prozent - und diskutieren. damit natürlich die Lohnnebenkosten - steigen müs- sen. Es geht gerade in den kleinen und mittelständi- schen Betrieben darum, den Faktor Arbeit nicht wei- Das Problem ist aber nicht die Höhe der Zuschuß ter zu belasten. Vielmehr müssen die Beiträge zur So- eistungen des Bundes an die Rentenversicherungs- zialversicherung daran geknüpft sein, welchen Um- träger. Es geht um zwei Dinge: Es geht darum, daß satz und welche Gewinne die Unternehmen haben, Sie mit der Erhöhung der indirekten Steuern die so- so daß Betriebe mit wenigen Beschäftigten, aber mit genannte Entlastung wieder den Bürgerinnen und sehr hohen Umsätzen und einer sehr hohen We rt Bürgern, den Arbeitnehmerinnen und Arbeitneh- -schöpfung entsprechend in die Versicherungskassen mern aufbürden. Damit bürden Sie sie gleichzeitig einzahlen und so die kleineren Bet riebe mit einem vielen Menschen auf, die nichts von einer Entlastung hohen Anteil an Arbeitskräften tatsächlich entlasten. haben: den Rentnerinnen und Rentnern, den Kin- dern. Jede Brille muß bezahlt werden. Jedes Medika- Dies wäre keine Mogelpackung, sondern würde ment wird durch die Mehrwertsteuererhöhung stär- gewährleisten, daß da, wo Alterssicherung drauf- ker belastet. Denen ist nicht geholfen, wenn Sie sa- steht, auch Alterssicherung drin ist. gen: Für sie gilt weiterhin der ermäßigte Mehrwert- Ich danke Ihnen. steuersatz. (Beifall bei der PDS) Es geht ferner um die Frage des Bundeszuschus- ses. Sie werden dieses Problem erst dann wirklich lö- sen können - hier muß ich Herrn Dreßler widerspre- Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Ich gebe dem chen -, wenn Sie sich neuen Finanzierungsquellen Bundesminister für Arbeit, Dr. Norbert Blüm, das zuwenden. Denn die SPD macht mit ihrem Vorschlag Wort . letztendlich genau das gleiche wie die Koalition: Auch Sie wollen nur die indirekten Steuern erhöhen. Dr. Norbert Blüm, Bundesminister für Arbeit und Das ist jedoch keine Antwort zur Lösung der Pro- Sozialordnung: Herr Präsident! Meine Damen und bleme. Herren! Wenn es eines Beweises für die Notwendig- keit der Rentenreform bedurft hätte, dann ist es ein (Beifall bei der PDS) Rentenversicherungsbeitrag in Höhe von 21 Prozent. Es geht darum, wirklich etwas zu ändern. Dies (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) kann nur - dazu liegen Vorschläge der PDS auf dem Tisch - durch eine tiefgreifende Reform der Renten Wenn es eines Beweises für die Dringlichkeit der geschehen. Dies muß man mit Ruhe und Augenmaß Umfinanzierung bedurft hätte, dann sind es diese machen und ordentlich diskutieren. 21 Prozent. -l- Ich nenne hierzu erstens eine Anhebung der Bei- Die SPD verweigert eine Reform, die entlastet. Die tragsbemessungsgrenze. Wir kennen die Zahlen und SPD verweigert die Umfinanzierung und beklagt an- wissen, daß diejenigen Menschen, die tatsächlich schließend zu hohe Beiträge. mehr verdienen, nicht entsprechend ihrem Einkom- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) men in die Rentenkassen einzahlen müssen. Der Gesetzentwurf der SPD zur Rentenversicherung Ich nenne zweitens die Ausweitung der Versiche- besteht aus zwei Teilen - das ist ganz einfach -: mehr rungspflicht für jede und jeden, das heißt, auch für Einnahmen und mehr Ausgaben. Selbständige, auch für Beamte, für Abgeordnete, für Staatssekretäre sowie Ministerinnen und Minister. Mehr Einnahmen: Sie wollen Geld vom Bund: von Diese Beitragspflicht muß dann konsequenterweise der Bundesanstalt für Arbeit für die Absicherung der natürlich so weit gehen, daß auch jeder Ehepartner Arbeitsmarktrisiken und der Erwerbsunfähigkeit, und jede Ehepartnerin die Beiträge in die Rentenver- von der Unfallversicherung für die krankheitsbe- sicherung zahlt, wenn der andere Ehepartner oder dingte Arbeitsunfähigkeit, von den Arbeitgebern für die andere Ehepartnerin nicht berufstätig ist und eine Umlage für die Frühverrentung. keine Kinder erzieht oder Pflegeleistungen erbringt. „Wir wollen mehr Geld" - das ist die Botschaft von Aber das ist natürlich mit dem Ziel verbunden, daß Dreßler und SPD. Anschließend beschwert sich die ein eigenständiger Anspruch erworben wurde, der SPD über zu hohe Beiträge. der Arbeitsleistung entspricht, die im Haushalt er- bracht wurde. Mehr Ausgaben: Sie wollen Einschränkungen zu- rücknehmen: Anhebung der Altersgrenze, Rente Ich nenne drittens die Bindung der Arbeitgeber- nach Mindesteinkommen verlängern. beiträge an die Wertschöpfung der Unternehmen anstatt an die Lohnsumme. Dann erst können wir das Mehr Einnahmen und mehr Ausgaben - das ist al- Problem der tatsächlichen Entlastung der Arbeit lö les, was der SPD zur Rentenversicherung einfällt. Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 201. Sitzung. Bonn, Freitag, den 31. Oktober 1997 18177

Bundesminister Dr. Norbert Blüm Wir werden die Rentenreform durchsetzen. Es tut zierung und die Beitragssenkung wollen. Wir bieten mir leid, daß es nicht im Konsens geschehen konnte. es Ihnen an. Wenn Sie nein sagen, müssen Sie das er- Wir waren offen für den Konsens. Aber ein Konsens, stens vor den Rentnern verantworten, denn auch die der nur mit mehr Ausgaben und mehr Einnahmen Rentner wären von der Beitragserhöhung betroffen - zustande kommt, ist kein Konsens, weil er keine Lö- das ist das Wesen der Nettolohnrente; die Rentener- sung bringt. höhung wäre dann niedriger -, Sie müssen es zwei- tens vor den Jungen verantworten, und Sie müssen Sie haben keine Antwort auf die demographischen es drittens vor den Arbeitslosen verantworten. Des- Veränderungen. Sie beginnen in Ihrem Denken am halb sollten wir nicht lange darum herumreden: Ja 1. Januar 2016. Dann wollen Sie darauf antworten. oder nein, sind Sie für Beitragssenkung jetzt, oder re- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) den Sie lange darum herum, um Wahlkampf zu ma- chen? Letzteres ist die Quintessenz der ganzen De- Das machen Sie der Öffentlichkeit klar: Sie verwei- batte. gern die Umstrukturierung, Sie verweigern die Ren- tenreform. Zweimal nein, das ist zweimal zuviel. (Beifall bei der CDU/CSU)

Zur Umfinanzierung: Sie ist ganz einfach. Wir Im übrigen muß durch die Umfinanzierung auch schlagen 1 Prozent für die Rentenversicherung vor, eine Fahrtrichtung verändert werden. Nicht das So- Sie schlagen 1 Prozent für die Rentenversicherung zialbudget hat sich verändert, sondern unter dem und 1 Prozent für die Bundesanstalt für Arbeit vor. Dach des Sozialbudgets ist die Beitragsbelastung Heute steht nur die Rentenversicherung zur Diskus- größer geworden. Hätten wir noch das Verhältnis sion. Heute steht nicht die Bundesanstalt für Arbeit von 1975, hätten wir heute 88 Milliarden DM weniger zur Diskussion. über Beiträge zu finanzieren. Der große Schub dieser Was ist das für eine Logik? Weil Sie nicht 2 Prozent Verschiebung ist bis 1983 erfolgt. Ich sage das, um bekommen, verzichten Sie auch auf das eine Prozent. Legenden zu beseitigen. Wir müssen diese Fahrtrich- Weil Sie nicht alles bekommen, sagen Sie: Wir wollen tung umkehren, und zwar von der Belastung der Ar- lieber nichts! Meine Damen und Herren, man riecht beit hin zur Belastung des Verbrauchs, ohne die es zehn Meter gegen den Wind: Es ist Wahlkampf! Lohnbezogenheit der Rente aufzugeben. Wahlkampf, Wahlkampf - und sonst nichts. Die Ren- Wir brauchen also erstens eine Entlastung durch tenversicherung wird von der SPD im Stich gelassen. Reform. Sie verweigern sie. Wir werden sie durchset- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) zen. Zweitens brauchen wir eine Entlastung durch Umfinanzierung. Dazu brauchen wir Sie, und dazu Die Umfinanzierung ist die am schnellsten wir- müssen Sie jetzt klar Farbe bekennen, statt lange kende Entlastung. Reformen brauchen immer einen darum herumzureden. Drittens brauchen wir Neu- Zeitvorlauf. Jetzt müssen die Beiträge gesenkt wer- einstellungen. Die stärkste Beitragsentlastung heißt den. Deshalb brauchen wir die Umfinanzierung jetzt. mehr Beitragszahler. Auch dazu brauchen wir eine Alle Ihre kunstvollen Reden - pauschale Erstattung Kostensenkung. - sind etwas für Insider. An der Debatte kann auch Um 6,4 Milliarden DM verringerte Beitragseinnah- ich noch teilnehmen. men müssen ja ihre Gründe haben. Das sind schon Rentenversicherungsträger, Arbeitgeber und Ge- fast die 0,4 Prozent, um die die Beiträge stärker stei-- werkschaften ziehen eine pauschale Erhöhung der gen. Da gibt mir eine Zahl zu denken: die Entwick- Erstattung vor, weil die Rentenversicherung bei der lung der Beschäftigtenzahl und der Arbeitslosenzahl Erstattung ganz pragmatisch ein schlechtes Geschäft zwischen 1996 und 1997. Um 50 000 ist die Zahl der macht. Die Fremdleistungen nehmen nämlich ab. Re- Beschäftigten stärker zurückgegangen, als die Zahl den Sie nicht so lange darum herum! Es ist nichts an- der Arbeitslosen gestiegen ist. Darüber muß man deres als eine kindliche Rechthaberei, um das Unter- doch einmal nachdenken. Es ist doch relativ unwahr- nehmen Rentenreform kaputtzumachen. scheinlich, daß sich diejenigen, die entlassen wur- den, zu Hause hingesetzt und gar nicht arbeitslos ge- (Beifall bei der CDU/CSU) meldet haben. Da liegt doch die Vermutung nahe, Was Sie da alles von Schätzungen erzählen! Die daß hier auch eine Massenauswanderung aus Soli- Zahlen sind nicht die Zahlen des Norbe rt Blüm, das darpflichten stattgefunden hat. Dem muß ein Riegel sind die jeweiligen Zahlen der Rentenversicherungs- vorgeschoben werden, aber nicht durch perfekte Re- träger. gelungen. Es muß immer Ausnahmen geben. So per- fekt ist das nicht, und der Haushalt ist nicht mein Ein Weiteres: Mit Knappschaft und allem fließen Thema. 86 Milliarden DM aus der Steuerkasse an die Renten- versicherung; mit den Erstattungen sind es noch Diejenigen, die reguläre Arbeitsplätze in Teilzeitar- 10 Milliarden DM mehr. Behaupten Sie hier nicht beitsplätze unterhalb der Versicherungspflicht um- ständig, die Rentenversicherung würde vom Bund im wandeln, lassen Beitragszahler zurück, die mehr zah- Stich gelassen. Nie ist mehr Bundeszuschuß gezahlt len müssen. Das ist auch eine Wettbewerbsverzer- worden. Auch Sie waren 1989 für die pauschale Er- rung und gegenüber den Arbeitgebern ungerecht höhung. und unzumutbar, die mit Pflichtbeiträgen die Solidar- kassen stützen. Aber ich fürchte, das alles ist Rentenchinesisch. Heute müssen Sie klar erklären, ob Sie die Umfinan (Beifall bei der CDU/CSU) 18178 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 201. Sitzung. Bonn, Freitag, den 31. Oktober 1997

Bundesminister Dr. Norbert Blüm Ich bleibe dabei: Heute ist nicht der Tag, an dem die nicht die zu hohen Lohnzusatzkosten als ursäch- lange Geschichten besprochen werden. Am heutigen lich für die Probleme auf dem Arbeitsmarkt nennt. Tag besteht die Chance, daß ein Ruck durch das Land geht und jeder seine Hausaufgaben macht: Wir, Im Januar 1996 haben Regierung, Gewerkschaften der Staat und die Politik, sparen. Es geht auch in der und Unternehmerverbände das Ziel der Halbierung Rentenversicherung nicht ohne Sparen. Zweitens der Arbeitslosigkeit unter der Voraussetzung formu- geht es um Umfinanzierung, drittens um das Stoppen liert, daß die Staatsquote von über 50 Prozent wieder der Massenauswanderung, viertens um eine ver- auf unter 46 Prozent zurückgeführt wird und die Bei- nünftige Tarifpolitik der Tarifpartner und schließlich träge für die sozialen Sicherungssysteme durch um Neueinstellungen. Einstellungen sind die beste strukturelle Reformen unter 40 Prozent gehalten wer- Beitragsentlastung. den. Die Staatsquote ist seither leicht zurückgegan- gen, zumindest nicht gestiegen. Deshalb haben wir heute den Beweis zu erbringen, ob wir jetzt zwölf Monate Wahlkampf machen wollen Anders sieht es jedoch bei den Beiträgen aus. Sie oder ob Sie Ihre Pflicht erfüllen. Sie haben doch sel- sind für Renten-, Kranken-, Arbeitslosen- und Pflege- ber eine Beitragssenkung für die Rentenversiche- versicherung von 39,7 Prozent im Dezember 1995 auf rung in Höhe von 1 Prozent vorgeschlagen. Sie ha- zur Zeit 42 Prozent gestiegen. Gestern hat Minister ben sogar selber die Mehrwertsteuer vorgeschlagen. Blüm angekündigt, daß im nächsten Jahr der Beitrag Nur, weil Sie die 2 Prozent nicht bekommen, wollen zur Rentenversicherung auf 21 Prozent steigt; dann Sie auch das eine Prozent nicht. Sie lassen die Ren- sind es insgesamt 42,7 Prozent. tenversicherung, die Beitragszahler, die Jungen und Diese Beitragssteigerungen in nur zwei Jahren be- die Alten im Stich, und das haben Sie zu verantwor- deuten, daß Arbeitgeber und Arbeitnehmer je zur ten. Hälfte zirka 48 Milliarden DM jährlich dafür aufbrin- Deshalb mein letzter Appell, wenn es heute nicht gen müssen. Die Arbeit wird für die Unternehmen geht, dann im Bundesrat die Chance zu ergreifen, immer teurer, und die Arbeitnehmer haben netto im- auch gegenüber der Öffentlichkeit zu verdeutlichen, mer weniger in der Tasche. Vor diesem Hintergrund daß wir zu gemeinsamem Handeln fähig sind. sind für mich die Bekenntnisse der SPD, die Lohnzu- satzkosten senken zu wollen, schon lange nicht mehr (Lachen bei der SPD) glaubwürdig. Jetzt müssen Kräfte gebündelt werden, jetzt ist (Joachim Poß [SPD]: Der Kanzler heißt Kohl nicht die Zeit der Rechthaberei. Deshalb plädiere ich und wird nicht von der SPD gestellt!) dafür: Springen Sie über den Schatten! Hören Sie auf Sie haben alle strukturellen Reformen, die wir in mit all diesen Filigranargumentationen! Ja oder nein den letzten Jahren erfolgreich durchgeführt haben, zur Umfinanzierung - das ist die Frage, über die Sie abgelehnt. Das gilt für das Beschäftigungsförde- heute entscheiden müssen. Wir sind für ja. rungsgesetz, für das Arbeitsförderungs-Reformge- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge setz, für das Entgeltfortzahlungsgesetz genauso wie ordneten der F.D.P. - Gerd Andres [SPD]: für die Gesundheitsreformen bis hin zur Rentenre- Der Mann steht mit dem Rücken zur Wand! form und zu dem Finanzierungsanteil, über den wir Gestern stand er noch vor dem Abgrund; heute debattieren, vom Scheitern der Steuerreform heute ist er einen Schritt weiter!) ganz zu schweigen. - Für die Arbeitsplätze in Deutschland halte ich Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Ich gebe das diese Verweigerungshaltung für unverantwo rtlich. Wort dem Abgeordneten Peter Rauen. Wir haben zur Zeit eine dramatische Entwicklung, die niemand mehr übersehen darf. Zwischen Okto- ber 1995 und Mai 1997, also in nur 19 Monaten, sind Peter Rauen (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine fast exakt 1,1 Millionen sozialversicherungspflichtige sehr verehrten Damen und Herren! Der jährliche Arbeitsplätze in Deutschland verlorengegangen. Das Bundeszuschuß zur Rentenversicherung soll um sind heute 3,84 Prozent weniger Beitragszahler als zirka 16 Milliarden DM erhöht werden. Um diesen noch im Oktober 1995. Betrag sollen die Beitragszahler entlastet werden. Das entspricht knapp einem Beitragspunkt. Ohne die strukturellen Reformen bei den sozialen Sicherungssystemen, die offenbar gegriffen haben, Damit der Zuschuß finanziert werden kann, soll die wären allein auf Grund des Rückgangs der Zahl der Mehrwertsteuer um einen Prozentpunkt erhöht wer- Beitragszahler die Beiträge noch mehr als ohnehin den. Dazu brauchen wir die Zustimmung der SPD, schon geschehen gestiegen. dazu brauchen wir die Zustimmung des Bundesrates. (Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Meine Damen und Herren, da die Beitragssenkung Daran seid ihr doch schuld!) zur Rentenversicherung unmittelbar zu einer Redu- zierung der gesetzlichen Lohnzusatzkosten führt, Völlig neu in der Nachkriegsgeschichte ist jedoch kann man in Verantwortung für die Arbeitsplätze in die Tatsache, daß der Rückgang bei den ordentlichen Deutschland diesem Gesetz nur zustimmen. Beschäftigungsverhältnissen um 415 000 Menschen höher ist, als im gleichen Zeitraum die Arbeitslosen- Ich kenne schon lange kein ernst zu nehmendes zahl zugenommen hat. Das hat es vorher so nie gege- Institut und auch keine Partei in Deutschland mehr, ben. Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 201. Sitzung. Bonn, Freitag, den 31. Oktober 1997 18179

Bundesminister Dr. Norbert Blüm Diese Erkenntnis ist für mich der Beweis dafür, daß Lohnzusatzkosten von 107 Prozent um 25 Prozent auf sich die Menschen massiv gegen die zu hohen Abga- 82 Prozent zu senken, weil die Tarifpartner bezahlte ben und Steuern zur Wehr setzen und Ausweichkon- Nichtarbeit erheblich reduziert haben und die Mög- struktionen suchen und finden. Wenn wir bei den lichkeit schufen, 150 Stunden jährlich zu flexibilisie- viel zu hohen Lohnzusatzkosten nicht stramm um- ren - zum Ausgleich von Schlechtwettertagen und kehren, werden wir die Wende auf dem Arbeitsmarkt ähnlichen Ausfällen. An diesem Beispiel erkennt nicht schaffen. Im Gegenteil: Wir werden noch mehr man, welch große Verantwortung auch den Tarifpart- Arbeitsplätze ins Ausland, in die Schattenwirtschaft nern bei der Frage der Lohnzusatzkosten zukommt. und in die 610-Mark-Jobs vertreiben. Allerdings - auch dies muß klar gesagt werden -: An letzterem kann man sehr praktisch deutlich ma- Eine Senkung der Beiträge führt zu höherem Netto- chen, wohin wir mit den zu hohen Steuern und Ab- einkommen der Arbeitnehmer, steigert damit das gaben gekommen sind. Zirka 70 Prozent der Beschäf- Realeinkommen und bietet den Tarifpartnern die tigten in Nebenjobs hätten, wenn diese steuer- und Chance, moderate Lohnabschlüsse zu tätigen. Der sozialversicherungspflichtig gemacht würden, die umgekehrte Fall träte ein, wenn die Beiträge weiter Steuerklasse V bzw. die Steuerklasse VI. Bei der stiegen. Das wäre für unsere inte rnationale Wettbe- Steuerklasse V muß der Arbeitgeber 1454 DM auf- werbssituation verheerend. wenden, damit der Arbeitnehmer so wie jetzt 610 DM Um mehr Arbeitsplätze in Deutschland zu errei- netto bekommt, bei der Steuerklasse VI gar 1585 chen, gibt es in Wahrheit keine Alternative zu struk- DM. Nach der jetzigen Regelung muß er 786 DM auf- turellen Reformen bei den sozialen Sicherungssyste- wenden, damit 610 DM dabei herauskommen. men mit dem Ziel, die Beiträge deutlich zu senken. Meine Damen und Herren, den doppelten Auf- Diese Reformen wurden und werden jedoch ohne wand für denselben Lohn? Ich glaube, die Schatten- Ausnahme von der Opposition mit allen Mitteln be- wirtschaft läßt grüßen. Die Spanne zwischen Brutto- kämpft und zu verhindern versucht. arbeitskosten und Nettoeinkommen ist einfach zu (Beifall des Abg. Hans Michelbach [CDU/ groß. Ein Handwerker, der einen Stundenlohn von CSU]) zirka 25 DM erhält, bekommt als Junggeselle davon zirka 16 DM und als Verheirateter zirka 18 DM netto Sie reden zwar davon. In Wahrheit aber verhindern ausgezahlt. Für eine Arbeitsstunde in der Kfz-Werk- Sie den gesetzlichen und tariflichen Abbau von statt zahlt er etwa 80 bis 90 DM. Er muß also fünf bis Lohnzusatzkosten. Sie wollen umfinanzieren und sechs Stunden arbeiten, um von seinem Nettolohn nicht reformieren. Sie wollen mehr und nicht weniger eine einzige Arbeitsstunde kaufen zu können. Das ist Staat. Aber genau dies ist Gift für die Arbeitsplätze in weltweit einmalig. Deutschland. Die Arbeitskosten sind zu hoch, und die Arbeitneh- Ich kann Sie nur herzlich bitten, diesem Gesetzent- mer verdienen, daran gemessen, netto zuwenig. Wir wurf heute zuzustimmen, damit der Zuwachs an haben in Deutschland genügend Arbeit, aber nicht Lohnzusatzkosten endlich gestoppt werden kann. mehr genügend Arbeit zu bezahlbaren Preisen. Schönen Dank. Wir haben heute im Bundestag und später im Bun- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge desrat die Chance, diese Entwicklung zumindest zu - ordneten der F.D.P.) stoppen. Die Sozialversicherungsbeiträge müssen herunter durch strukturelle Reformen, durch Konsoli- dierung über die Ausgaben bei den sozialen Siche- Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Ich schließe rungssystemen oder im Ausnahmefall - so wie hier - die Aussprache. durch Umfinanzierung mittels Steuern. Die letzte (Unruhe) Möglichkeit ist aber nur begrenzt einsetzbar, weil das Verschieben zwischen Beitrags- und Steuerlast Meine Kolleginnen und Kollegen, ich kann die letztlich keine Senkung der Staatsquote bringt. Wiedersehensfreude ja verstehen. Trotzdem brauche ich einen Augenblick Ihre Aufmerksamkeit für eine Es ist jedoch völlig falsch, Sozialversicherungsbei- Mitteilung, die der eine oder andere von Ihnen viel- träge allein mit Lohnzusatzkosten, wie es leider häu- leicht mit einem gewissen Bedauern aufnehmen fig geschieht, gleichzusetzen. Lohnzusatzkosten wer- wird. den ausschließlich durch zwei Faktoren bestimmt. Er- ster Faktor sind die Beiträge der Arbeitgeber in die Wir haben jetzt zwei namentliche Abstimmungen sozialen Sicherungssysteme. Diese Beiträge sind hinter uns zu bringen. Wir müssen die Sitzung nach überwiegend gesetzlich bestimmt. Zweiter Faktor der ersten namentlichen Abstimmung unterbrechen, sind die Soziallöhne, also der Anspruch des Arbeit- weil wir, um in die zweite Abstimmung eintreten zu nehmers auf bezahlte Nichtarbeit im Verhältnis zur können, erst auszählen müssen. Ich bitte Sie also, wirklich geleisteten Arbeit. Dieser Teil ist überwie- daran zu denken, daß nach der ersten nament lichen gend tariflich bestimmt. Weil die Unternehmerbei- Abstimmung und einer Unterbrechung der Sitzung träge in die Sozialkassen auch auf die Soziallöhne zu eine zweite namentliche Abstimmung folgt. entrichten sind, müssen beide Faktoren multipliziert werden. Wir kommen zur Abstimmung über den von den Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. eingebrachten Durch die letzten Tarifabschlüsse zum Beispiel im Gesetzentwurf zur Finanzierung eines zusätzlichen Baugewerbe wurde die Möglichkeit geschaffen, Bundeszuschusses zur gesetzlichen Rentenversiche- 18180 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 201. Sitzung. Bonn, Freitag, den 31. Oktober 1997

Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch rung. Das ist die Drucksache 13/8704. Der Finanz- Frank Hofmann (Volkach) Bernd Scheelen ausschuß empfiehlt auf Drucksache 13/8869, den Ge- Ingrid Holzhüter Siegfried Scheffler setzentwurf unverände rt anzunehmen. Erwin Horn Lothar Ibrügger Dieter Schloten Es liegt ein Änderungsantrag der Fraktion der SPD Barbara Imhof Günter Schluckebier auf Drucksache 13/8870 vor, über den wir zuerst ab- Brunhilde Irber Horst Schmidbauer stimmen. Die Fraktion der SPD verlangt namentliche Gabriele Iwersen (Nürnberg) Abstimmung. Renate Jäger (Aachen) Jann-Peter Janssen (Meschede) Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, Dr. Uwe Jens Wilhelm Schmidt (Salzgitter) die vorgesehenen Plätze einzunehmen.- Ich eröffne Volker Jung (Düsseldorf) Regina Schmidt-Zadel die Abstimmung. - Sabine Kaspereit Heinz Schmitt (Berg) Susanne Kastner Dr. Emil Schnell Ist ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine Ernst Kastning Walter Schöler Stimme noch nicht abgegeben hat und abstimmen Hans-Peter Kemper Klaus Kirschner will Gisela Schröter ? - Dann schließe ich die Abstimmung. Ich bitte Hans-Ulrich Klose die Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Dr. Mathias Schube rt Dr. Hans-Hinrich Knaape Schuhmann Richard Bis zum Vorliegen des Ergebnisses der nament lichen (Delitzsch) Abstimmung unterbreche ich die Sitzung. Fritz Rudolf Körper Brigitte Schulte (Hameln) Nicolette Kressl (Unterbrechung von 10.22 bis 10.32 Uhr) Volkmar Schultz (Köln) Volker Kröning Ilse Schumann Thomas Krüger Dr. R. Werner Schuster Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Die unterbro- Horst Kubatschka Dietmar Schütz (Oldenburg) chene Sitzung ist wieder eröffnet. Eckart Kuhlwein Dr. Angelica Schwall-Düren Helga Kühn-Mengel Ernst Schwanhold Ich gebe das von den Schriftführerinnen und Konrad Kunick Bodo Seidenthal Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Werner Labsch Lisa Seuster Brigitte Lange Abstimmung bekannt. Abgegebene Stimmen: 589. Erika Simm Detlev von Larcher Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk Mit Ja haben gestimmt: 249. Mit Nein haben ge- Waltraud Lehn stimmt: 340. Der Änderungsantrag ist damit abge- Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast Robert Leidinger Wieland Sorge lehnt. Dr. Elke Leonhard Wolfgang Spanier Klaus Lohmann (Witten) Dr. Dietrich Sperling Christa Lörcher Jörg-Otto Spiller Dr. Endgültiges Ergebnis Peter Dreßen Antje-Marie Steen Dieter Maaß (He rne) Rudolf Dreßler Ulrike Mascher Abgegebene Stimmen: 591; Dr. Peter Struck davon: Ludwig Eich Joachim Tappe Ingrid Matthäus-Maier ja: 251 Peter Enders Jörg Tauss Heide Mattischeck Dr. Bodo Teichmann nein: 340 Ulrike Mehl Petra Ernstberger Margitta Terborg Herbert Meißner Annette Faße Jella Teuchner Elke Ferner Dr. Gerald Thalheim Ja Lothar Fischer (Homburg) Dr. Jürgen Meyer (Ulm) Franz Thönnes Ursula Mogg Uta Titze-Stecher Iris Follak Siegmar Mosdorf Adelheid Tröscher SPD Norbert Formanski Michael Müller (Düsseldorf) Hans-Eberhard Urbaniak Jutta Müller (Völklingen) Bri Siegfried Vergin gitte Adler (Köln) Christian Müller (Zittau) Günter Verheugen Gerd Andres Katrin Fuchs (Verl) Volker Neumann (Bramsche) (Pforzheim) Robert Antretter Arne Fuhrmann Gerhard Neumann (Gotha) Hermann Bachmaier Monika Ganseforth Dr. Rolf Niese Karsten D. Voigt (Frankfurt) Konrad Gilges Doris Odendahl Hans Georg Wagner Iris Gleicke Günter Oesinghaus Hans Wallow Günter Gloser Leyla Onur Dr. Konstanze Wegner Hans-Werner Bertl Uwe Göllner Manfred Opel Wolfgang Weiermann Friedhelm Julius Beucher Günter Graf (Friesoythe) Adolf Ostertag Reinhard Weis (Stendal) Angelika Graf (Rosenheim) Kurt Palis Matthias Weisheit Arne Börnsen (Ritterhude) Dieter Grasedieck Albrecht Papenroth (Wiesloch) Anni Brandt-Elsweier Achim Großmann Dr. Willfried Penner Jochen Welt Tilo Braune Karl Hermann Haack Dr. Hildegard Wester Dr. (Extertal) Georg Pfannenstein Lydia Westrich Hans-Joachim Hacker Dr. Eckhart Pick Inge Wettig-Danielmeier Ursula Burchardt Klaus Hagemann Joachim Poß Dr. Norbert Wieczorek Dr. Michael Bürsch Manfred Hampel Rudolf Purps Heidemarie Wieczorek-Zeul Hans Martin Bury Alfred Hartenbach Karin Rehbock-Zureich Dieter Wiefelspütz Hans Büttner (Ingolstadt) Dr. Liesel Hartenstein Bernd Reuter Berthold Wittich Marion Caspers-Merk Klaus Hasenfratz Dr. Edelbert Richter Dr. Wolf-Michael Catenhusen Reinhold Hemker Günter Rixe Verena Wohlleben Peter Conradi Dr. Barbara Hendricks Reinhold Robbe Hanna Wolf (München) Dr. Herta Däubler-Gmelin Monika Heubaum Gerhard Rübenkönig Heidi Wright Christel Deichmann Uwe Hiksch Dr. Hansjörg Schäfer Karl Diller Reinhold Hiller (Lübeck) Gudrun Schaich-Walch Dr. Christoph Zöpel Dr. Marliese Dobberthien Gerd Höfer Peter Zumkley Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 201. Sitzung. Bonn, Freitag, den 31. Oktober 1997 18181

Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN Rudolf Braun (Auerbach) Dr.-Ing. Dietmar Kansy Dr. Hermann Pohler Gila Altmann (Aurich) Irmgard Karwatzki (Bremen) Klaus Bühler (Bruchsal) Marlies Pretzlaff (Köln) Hartmut Büttner Peter Keller Dr. Bernd Protzner (Schönebeck) Dr. Bernd Klaußner Dieter Pützhofen Ulrich Klinkert Annelie Buntenbach (Emstek) Dr. Hans Raidel Amke Dietert-Scheuer Hans-Ulrich Köhler Dr. Franziska Eichstädt-Bohlig (Nordstrand) (Hainspitz) Rolf Rau Dr. Uschi Eid Manfred Kolbe Helmut Rauber Andrea Fischer (Berlin) Norbert Königshof en Peter Rauen Joseph Fischer (Frankfurt) Eva-Maria Kors Otto Regenspurger Rita Grießhaber Albert Deß Hartmut Koschyk Christa Reichard (Dresden) Antje Hermenau Manfred Koslowski Klaus Dieter Reichardt Ulrike Höfken Thomas Kossendey (Mannheim) Michaele Hustedt Werner Dörflinger Rudolf Kraus Dr. Bertold Reinartz Dr. Manuel Kiper Hansjürgen Doss Wolfgang Krause (Dessau) Erika Reinhardt Monika Knoche Dr. Andreas Krautscheid Hans-Peter Repnik Maria Eichhorn Dr.-Ing. Paul Krüger Roland Richter Dr. Helmut Lippelt Dr. Hermann Kues Roland Richwien Oswald Metzger Dr. Norbert Rieder Heinz Dieter Eßmann Dr. Karl A. Lamers Dr. (München) Christa Nickels (Heidelberg) Klaus Riegert Egbert Nitsch (Rendsburg) Dr. Cem Özdemir Dr. Franz Romer Gerd Poppe Hannelore Rönsch Simone Probst (Wiesbaden) Halo Saibold Dirk Fischer (Hamburg) Herbert Lattmann Heinrich-Wilhelm Ronsöhr Christine Scheel (Unna) Dr. Paul Laufs Dr. Klaus Rose Irmingard Schewe-Gerigk (Hamburg) Karl-Josef Laumann Kurt J. Rossmanith Albert Schmidt (Hitzhofen) Dr. Gerhard Friedrich Werner Lensing Adolf Roth (Gießen) Wolfgang Schmitt Erich G. Fritz Norbert Röttgen (Langenfeld) Hans-Joachim Fuchtel Peter Letzgus Dr. Christian Ruck Ursula Schönberger Editha Limbach Volker Rühe (Berlin) Dr. Heiner Geißler Walter Link (Diepholz) Dr. Jürgen Rüttgers Christian Sterzing Eduard Lintner Roland Sauer (Stuttga rt) Manfred Such Wilma Glücklich Dr. Klaus W. Lippold Ortrun Schätzle Dr. Dr. Reinhard Göhner (Offenbach) Dr. Wolfgang Schäuble Ludger Volmer Peter Götz Dr. Manfred Lischewski Hartmut Schauerte Helmut Wilhelm (Amberg) Dr. Wolfgang Götzer Wolfgang Lohmann Heinz Schemken Joachim Gres (Lüdenscheid) Karl-Heinz Scherhag Kurt-Dieter G rill Julius Louven Gerhard Scheu Fraktionslos Wolfgang Gröbl Sigrun Löwisch Norbert Schindler Hermann Gröhe Dietmar Schlee Kurt Neumann (Berlin) Claus-Peter Grotz Dr. Michael Luther Ulrich Schmalz Erich Maaß (Wilhelmshaven) Christian Schmidt (Fürth) Horst Günther (Duisburg) Dr. Dietrich Mahlo Dr. -Ing. Joachim Schmidt Nein (Halsbrücke) (Großhennersdorf) Günter Marten Andreas Schmidt (Mülheim) Otto Hauser (Esslingen) Wolfgang Meckelburg Hans-Otto Schmiedeberg CDU/CSU Hansgeorg Hauser Rudolf Meinl Hans Peter Schmitz (Rednitzhembach) Dr. (Baesweiler) Klaus-Jürgen Hedrich Dr. Michael von Schmude Birgit Schnieber-Jastram Manfred Heise Rudolf Meyer (Winsen) Dr. Jürgen Augustinowitz Detlef Helling Hans Michelbach Dr. Dietrich Austermann Dr. Renate Hellwig Meinolf Michels Dr. Erika Schuchardt Heinz-Günter Bargfrede Ernst Hinsken Dr. Gerd Müller Elmar Müller (Kirchheim) Dr. Josef Hollerith Engelbert Nelle (Schwäbisch Gmünd) Siegfried Hornung (Bremen) Gerhard Schulz (Leipzig) Dr. Sabine Bergmann-Pohl Joachim Hörster Johannes Nitsch Frederick Schulze Hans-Dirk Bierling Hubert Hüppe (Sangerhausen) Dr. Joseph-Theodor Blank Peter Jacoby Dr. Rolf Olderog Diethard Schütze (Berlin) Susanne Jaffke Friedhelm Ost Clemens Schwalbe Dr. Georg Janovsky Dr. Christian Schwarz- Helmut Jawurek Norbert Otto (Erfurt) Schilling Dr. Norbert Blüm Dr. Dionys Jobst Dr. Gerhard Päselt Wilhelm Josef Sebastian Dr.-Ing. Rainer Jork Dr. Peter Paziorek Dr. Maria Böhmer Michael Jung (Limburg) Hans-Wilhelm Pesch Marion Seib Ulrich Petzold Wilfried Seibel Wolfgang Börnsen (Bönstrup) Dr. Egon Jüttner Heinz-Georg Seiffert Dr. Harald Kahl Angelika Pfeiffer Dr. Wolfgang Bötsch Bartholomäus Kalb Klaus Brähmig Steffen Kampeter Dr. Winfried Pinger Jürgen Sikora 18182 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 201. Sitzung. Bonn, Freitag, den 31. Oktober 1997

Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch Dr. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zu- Margarete Späte Detlef Kleinert (Hannover) stimmen wollen, um das Handzeichen. - Gegen- Carl-Dieter Spranger Roland Kohn probe! - Stimmenthaltungen? - Ich stelle fest, daß Wolfgang Steiger Dr. Heinrich L. Kolb Jürgen Koppelin der Gesetzentwurf in zweiter Lesung mit den Stim- Dr. Wolfgang Freiherr von Dr.-Ing. Karl-Hans Laermann men der Koalition gegen die Stimmen des Hauses im Stetten Dr. übrigen angenommen worden ist. Dr. Sabine Leutheusser Andreas Storm Schnarrenberger Wir treten in die Uwe Lühr Matthäus Strebl Jürgen W. Möllemann dritte Beratung Michael Stübgen Günther Friedrich Nolting Egon Susset Lisa Peters Michael Teiser Dr. Klaus Röhl ein und kommen zur Schlußabstimmung. Die Frak- Dr. Susanne Tiemann Helmut Schäfer (Mainz) tionen der CDU/CSU und der F.D.P. verlangen na- Dr. Klaus Töpfer Cornelia Schmalz-Jacobsen mentliche Abstimmung. Ich bitte die Schriftführerin- Gottfried Tröger Dr. Edzard Schmidt-Jortzig nen und Schriftführer, die vorgesehenen Plätze ein- Dr. Klaus-Dieter Uelhoff Dr. Irmgard Schwaetzer zunehmen.- Darf ich fragen, ob die Urnen besetzt Dr. sind? Wolfgang Vogt (Düren) Dr. Dr. Horst Waffenschmidt Dr. Dieter Thomae Dr. Theodor Waigel Jürgen Türk (Zurufe: Ja!) Dr. Jürgen Warnke Dr. Wolfgang Weng Kersten Wetzel (Gerlingen) Ich mache noch einmal darauf aufmerksam, daß Hans-Otto Wilhelm (Mainz) Dr. über den Gesetzentwurf abgestimmt wird. Bernd Wilz Ich eröffne die Abstimmung. - Willy Wimmer (Neuss) PDS Dr. Wolfgang Bierstedt Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das Dagmar Wöhrl Petra Bläss seine Stimme abgeben möchte? Ich frage noch ein- Michael Wonneberger Maritta Böttcher mal, ob ein Mitglied des Hauses anwesend ist, das Elke Wülfing Eva Bulling-Schröter seine Stimme noch abgeben möchte. - Dann schließe Peter Kurt Würzbach Heinrich Graf von Einsiedel ich die Abstimmung. Dr. Ludwig Elm Benno Zierer Dr. Wolfgang Zöller Andrea Gysi Ich bitte die Schriftführer, mit der Auszählung zu Dr. Gregor Gysi beginnen. Das Ergebnis der Abstimmung wird später Hanns-Peter Hartmann bekanntgegeben.*) Wir setzen die Beratungen fo rt . F.D.P. Dr. Uwe-Jens Heuer Dr. Barbara Höll Es folgen jetzt einige einfache Abstimmungen. Ina Albowitz Dr. Willibald Jacob Dr. Gisela Babel Wir kommen zur Abstimmung über den Gesetzent- Hildebrecht Braun Gerhard Jüttemann (Augsburg) Dr. Heidi Knake-Werner wurf der Fraktion der SPD zur Entlastung der Versi- Günther Bredehorn Rolf Köhne cherten und der Unternehmen von Lohnzusatzkosten Jörg van Essen Rolf Kutzmutz auf Drucksache 13/8042. Der Ausschuß für Arbeit- Dr. Christa Luft und Sozialordnung empfiehlt auf Drucksache 13/ Rainer Funke Heidemarie Lüth 8863, den Gesetzentwurf abzulehnen. Hans-Dietrich Genscher Dr. Günther Maleuda Dr. Manfred Müller (Berlin) Ich lasse über den Gesetzentwurf der Fraktion der Dr. Rosel Neuhäuser Dr. Dr. Uwe-Jens Rössel SPD auf Drucksache 13/8042 abstimmen. Ich bitte Ulrich Heinrich Christina Schenk diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wol- Walter Hirche Steffen Tippach len, um das Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Dr. Burkhard Hirsch Klaus-Jürgen Warnick Stimmenthaltungen? - Dann stelle ich fest, daß der Dr. Dr. Winfried Wolf Gesetzentwurf mit den Stimmen der Koalition und Ulrich Irmer der Gruppe der PDS gegen die Stimmen der Fraktion Entschuldigt wegen Übernahme einer Verpflichtung im Rah- der SPD bei Stimmenthaltung der Fraktion men ihrer Mitgliedschaft in den Parlamentarischen Versamm- Bündnis 90/Die Grünen abgelehnt worden ist. lungen des Europarates und der WEU, der NAV, der OSZE oder der IPU Das war die zweite Beratung. Damit entfällt nach Abgeordnete(r) der Geschäftsordnung die weitere Beratung. Behrendt, Wolfgang SPD Siebert, Bernd CDU/CSU

Nun rufe ich die Tagesordnungpunkte 18a und 18b auf: Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Ge- setzentwurf selbst, und zwar in zweiter Lesung. Es a) Zweite und dritte Beratung des von der Bun- gibt jetzt keine namentliche Abstimmung. Ich darf desregierung eingebrachten Entwurfs eines Sie bitten, Platz zu nehmen, weil wir in zweiter Le- sung mit Handzeichen abstimmen und weil ich Klar- heit über die Mehrheitsverhältnisse haben möchte. - *) Seite 18186A Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 201. Sitzung. Bonn, Freitag, den 31. Oktober 1997 18183

Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch Gesetzes zur Fortentwicklung des Haushalts- Die internationalen Erfahrungen zeigen: Die rechts von Bund und Ländern grundlegende Reform des Haushalts- und Rech- nungswesens ist eine notwendige, wenn auch nicht (Haushaltsrechts-Fortentwicklungsgesetz) die einzige Bedingung für eine erfolgreiche Verwal- - Drucksache 13/8293 - tungsreform. (Erste Beratung 187. Sitzung) Der Gesetzentwurf der Bundesregierung, den wir Beschlußempfehlung und Bericht des Haus- heute abschließend beraten, will eine verstärkte Fle- haltsausschusses (8. Ausschuß) xibilisierung des Haushaltsgrundsätzegesetzes, also - Drucksache 13/8875 - des gemeinsamen Gesetzes von Bund und Ländern - es gilt gleichermaßen - und der Bundeshaushaltsord- Berichterstattung: nung, die nur für den Bund gilt, sowie bei der Aus- Abgeordnete Diet rich Austermann führung der Haushalte von Bund und Ländern. Dazu Dr. Wolfgang Weng (Gerlingen) tragen ein weiter rechtlicher Rahmen für die Zulas- Karl Diller sung sogenannter Deckungsfähigkeit, das heißt eine Oswald Metzger Lockerung des Bezugs auf einen speziellen Ausgabe- titel im Haushalt, die erweiterte Übertragbarkeit von b) Beratung der Beschlußempfehlung und des Haushaltsmitteln, also eine Änderung des Prinzips Berichts des Haushaltsausschusses (8. Aus- der Jährlichkeit, sowie eine Lockerung des Gesamt- schuß) zu dem Antrag der Abgeordneten Os- deckungsgrundsatzes bei. wald Metzger, Antje Hermenau, Kristin Heyne, weiterer Abgeordneter und der Frak- Gegen derartige Regelungen gab es bis vor kur- tion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zem eine vielfältige Kritik. Der hessische Finanzmi- nister hat lange gezögert und dieses Zögern dann da- Für eine umfassende Haushalts- und Finanz- mit begründet, man wolle es besonders solide ma- reform: Transparenz, Wirtschaftlichkeit und chen. parlamentarische Kontrolle - Drucksachen 13/8472, 13/8876 - (Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [F.D.P.]: Vielleicht hat er das nicht durchblickt!) Berichterstattung: Abgeordnete Diet rich Austermann - Das ist nach den Erfahrungen, die wir mit ihm im Dr. Wolfgang Weng (Gerlingen) steuerlichen Bereich haben, anzunehmen. Karl Diller Dann stellte er sich an die Spitze der Bewegung Oswald Metzger mit der Aussage: Das traditionelle kameralistische Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für Haushaltsrecht ist nicht mehr wettbewerbsfähig. die Aussprache eine Stunde vorgesehen. - Ich sehe Dies geschah zu einem Zeitpunkt, als die Reform im und höre keinen Widerspruch. Dann ist das so be- Bund weit fortgeschritten war. schlossen. Das Haushaltsrecht des Bundes und der Länder Ich eröffne die Aussprache und gebe das Wo rt dem wurde in der Reform von 1969, also vor fast 30 Jah-- Abgeordneten Dietrich Austermann. ren, zu Zeiten der Großen Koalition grundlegend neu gestaltet. Kern war die Abkehr des öffentlichen Dietrich Austermann (CDU/CSU): Herr Präsident! Haushaltsrechts von einer rein fiskalischen Betrach- Meine Damen und Herren! Wir unterhalten uns tungsweise auf eine gesamtwirtschaftliche Ausrich- heute über das Haushaltsrechts-Fortentwicklungsge- tung. Das angestrebte Ziel - das kann man heute sa- setz, ein kompliziertes Thema mit einer komplizier- gen - wurde erreicht. Die Reform war wichtig, und ten Überschrift. Trotzdem, glaube ich, steckt in dem sie war erfolgreich, auch wenn sie inzwischen etwas Thema mehr, auch an Reformwirkung, als manch ei- Staub angesetzt hat. Ziele, Verfahren und Instru ner sich verspricht. Es geht immerhin um die Frage, mente der öffentlichen Verwaltung einschließlich des ob es uns gelingt, mit weniger Geld öffentliche Auf- Haushaltsrechts müssen immer wieder überprüft gaben besser zu erledigen. Das ist eine komplizierte werden mit dem Ziel, die Leistungsfähigkeit der öf- Materie. fentlichen Verwaltung zu erhöhen. Wenn wir uns allerdings umsehen, stellen wir fest: Wie das erreicht werden kann, wurde in vielen Es gibt eine Reihe von Erfahrungen mit Verwal- Modellvorhaben untersucht, zum Beispiel hinsicht- tungsreformen im Ausland, die eindrucksvoll bele- lich der Ausdehnung der sachlichen und zeitlichen gen, daß der Schlüssel zu erfolgreichem Vorgehen im Verfügbarkeit von Haushaltsmitteln. Durch diese Er- öffentlichen Haushalts- und Rechnungswesen liegt. leichterung sollten die Bewirtschafter, also die Mitar- So wurde, international viel beachtet, bereits Mitte beiter im öffentlichen Dienst, die Möglichkeit be- der 80er Jahre in Holland eine Veränderung bei der kommen, den Einsatz der Geldmittel zu optimieren. kommunalen Rechnungslegung vorgenommen und Die bisherigen Erfahrungen der Modellversuche der den Kommumen ein kaufmännisches Rechnungswe- letzten zweieinhalb Jahre waren positiv. Das führte sen verordnet. Dies war quasi die Geburtsstunde ei- dazu, daß auch die Ministerpräsidenten vor kurzem ner kunden- und bürgerfreundlichen Verwaltung, einen entsprechenden Beschluß gefaßt haben, nach- die seither gleichzeitig in der Lage war, erhebliche dem beim Bund mit der Novellierung des Haushalts- Haushaltsmittel einzusparen. grundsätzegesetzes frühzeitig begonnen wurde. 18184 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 201. Sitzung. Bonn, Freitag, den 31. Oktober 1997

Dietrich Austermann Ein weiterer Schritt war sicher die Kommission den gleichzeitig die Motivation und das Eigeninter- „Schlanker Staat". Diese Kommission hat festge- esse der einzelnen Bereiche der Verwaltung ver- stellt, es müsse Aufgabe der modernen Haushaltspo- stärkt. litik sein, zu prüfen, welche Möglichkeiten bestehen, durch höhere Flexibilität Einsparungen und größere (Beifall des Abg. Dr. Wolfgang Weng [Ger Wirtschaftlichkeit zu erzielen sowie stärkeres Kosten- lingen] [F.D.P.]) bewußtsein zu schaffen. In diesem Zusammenhang möchte ich eine Anre- (Gert Willner [CDU/CSU]: Das war eine gung unseres Kollegen Hollerith im Haushaltsaus- gute Kommission!) schuß erwähnen, der sich für den Bereich der Hoch- schulen und wissenschaftlichen Einrichtungen für - Genau. Es war vom Ziel und von der Aussage her eine weitergehende Selbstbewirtschaftung der Mittel eine gute Kommission, Herr Kollege Willner. Es geht ausgesprochen hat. Dies kann bereits heute nach ei- jetzt für uns darum, dies auch in praktische Politik ner Kann-Regelung geschehen. Wir haben diese Re- und Gesetze umzusetzen. gelung gleichwohl nicht aufgegriffen, weil sie vor al- Es darf dabei allerdings nicht außer Betracht gelas- lem in den Praxisbereich der Länder gehört und wir sen werden, daß das parlamentarische Bewilligungs- das Gesetz nicht so gestalten wollen, daß die Länder recht über manchem anderen Recht rangiert und daß Gelegenheit haben, zu behaupten: Ihr habt in unse- die Transparenz der öffentlichen Finanzwirtschaft ren Bereich hineingewirtschaftet. Deswegen lehnen nicht gefährdet werden darf. wir das Ganze ab. - Wir wollen ihnen nicht die Mög- lichkeit geben, Probleme zu sehen, wo eigentlich (Beifall des Abg. Dr. Wolfgang Weng [Ger keine sind. Hier ist die Verantwortung der Länder ge- lingen] [F.D.P.]) fragt. Auch die Rechnungshöfe von Bund und Ländern ha- Kostentransparenz für öffentliche Dienstleistungen ben sich dafür ausgesprochen, eine notwendige schärft das Bewußtsein für wirtschaftliches Handeln. Überprüfung und Fortentwicklung des Haushalts- Deshalb soll eine Kosten- und Leistungsrechnung rechts zu betreiben. eingeführt werden. Sie dient der Kalkulation von Ge- Das vorliegende Gesetz, über das wir nun abschlie- bühren und Entgelten, unterstützt die Ermittlung be- ßend beraten, geht von folgenden grundsätzlichen darfsgerechter Haushaltsansätze bei der Planung Überlegungen aus. Ein zentraler Punkt ist größere und fördert eine wirtschaftliche Haushaltsführung. Flexibilität. Das heißt eine begrenzte Lockerung des Auch sie ist eine wesentliche Grundlage für die Kon- trolle in der Verwaltung. Grundsatzes der Jährlichkeit. Jeder weiß inzwi- schen, was unter dem Begriff „Dezemberfieber" zu Meine Damen und Herren, ich sage es noch ein- verstehen ist, nämlich daß sich kurz vor Ende des mal: Dies alles soll geschehen, ohne daß das parla- Jahres in der Verwaltung eine gewisse Ausgabenwut mentarische Budgetrecht - das höchste Recht von breitmacht. Da noch Mittel vorhanden sind und da uns allen, des Parlaments - ausgehebelt wird. Jede für den Fall, daß sie nicht ausgegeben werden, die Änderung des Haushaltsrechts muß dem Parlament Gefahr besteht, im nächsten Jahr schlechter bedient die umfassende alleinige Entscheidungs- und Fest- zu werden, werden gelegentlich Dinge angeschafft, stellungskompetenz für den Haushaltsplan belassen. die nicht unbedingt erforderlich sind. - (Beifall des Abg. Gert Willner [CDU/CSU]) Die Regelung, die wir jetzt einführen, nämlich eine gewisse Abkehr von der Jährlichkeit, bedeutet, daß Weiterhin bestimmen wir den eigentlichen Rahmen die Mittel künftig nur dort ausgegeben werden, wo des politischen Geschehens. sie am sinnvollsten und wirtschaftlichsten eingesetzt Ich sage es noch einmal: flexiblere Anwendung werden. Mit der überjährigen Verfügbarkeit nicht in des Jährlichkeitsprinzips; Ausweitung der Dek- Anspruch genommener Haushaltsmittel kann der kungsmöglichkeiten; Verpflichtungsermächtigungen Ausgabendruck zum Ende des Haushaltsjahres be- sollen dort entfallen, wo Verpflichtungen aus laufen- seitigt werden. den Ausgabenansätzen übertragen werden; Locke- Verfehlt wäre allerdings eine völlige Aufgabe der rung des Gesamtdeckungsgrundsatzes; Einführung Jährlichkeit, da öffentliche Haushalte und gesamt- von Kosten- und Leistungsrechnung; Wirtschaftlich- wirtschaftliche Entwicklung in einer sozialen Markt- keitsuntersuchung und Regelung von elektronischen wirtschaft in einer Wechselbeziehung stehen. Etwa Kassenanordnungen. In diesen sieben Punkten wol- die Hälfte des Bruttosozialproduktes ist dem öffentli- len wir das geltende Haushaltsrecht verbessern. chen Sektor zuzuordnen. Die finanzpolitischen Eck- Im Rahmen dieses Gesetzentwurfs wird die externe werte sind von entscheidender Bedeutung für die Finanzkontrolle des Bundes neu gestaltet, es werden Wirtschafts- und Finanzmärkte. Die Festlegung der geschaffen, die dem Bundesrech- Eckwerte, zum Beispiel die Steigerungsrate der Prüfungsämter nungshof nachgeordnet sind und seiner Dienst- und Haushalte oder die Feststellung der Defizite, setzt Jährlichkeit voraus. Fachaufsicht unterliegen. Der Bundesrechnungshof kann ihnen Prüfungsaufgaben übertragen. Die Vor- Meine Damen und Herren, die moderne Haus- prüfung bei den Behörden der unmittelbaren Bun- haltswirtschaft bedeutet eine stärkere Eigenverant- desverwaltung entfällt damit. Das heißt, die Verwal- wortung der Bewirtschafter, also der Mitarbeiter. Sie tung wird kleiner und effektiver. Dadurch wird es sollen mehr Handlungsspielraum erhalten. Entschei- möglich sein, Prüfungen effizienter zu gestalten, so dungen sollen dezentralisiert werden. Dadurch wer daß losgelöst von einer Einzelentscheidung in der Deutscher Bundestag - 13. Wahlpe riode - 201. Sitzung. Bonn, Freitag, den 31. Oktober 1997 18185

Dietrich Austermann Verwaltung grundsätzliche und strukturelle wie so oft - keine klare gesetzliche Alternative ge- Schwachstellen erkannt und behoben werden. Hier- nannt. durch kann auch der derzeitige Personalbestand ver- (Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [F.D.P.]: ringert werden. Ein Warenhauskatalog! - Antje Hermenau (Beifall des Abg. Dr. Wolfgang Weng [Ger [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Warten Sie lingen] [F.D.P.]) es ab!) Sobald Erfahrungen mit dem Gesetz vorliegen, kann Es war ein Katalog, der sich oft selbst widersprochen entschieden werden, welche weiteren Änderungen hat: Dem Hinweis, die Verwaltung sei exekutivlastig, vorgenommen werden müssen. und unser Gesetzentwurf sei ineffizient, wurde ein ganzer Katalog von Maßnahmen gegenübergestellt, Ich habe darauf hingewiesen: Das vorgesehene Re- die allein, wenn man die Begriffe verwendet, deut- formvorhaben wird zur Zeit noch unterschätzt, wenn lich machen, daß es den Grünen offensichtlich nicht auch nicht von allen Fachleuten. Wir haben im Haus- um mehr Eigenverantwortung geht. Wenn es do rt haltsausschuß eine ausführliche Anhörung zu diesem heißt, es werde verbesserte Haushaltskontrolle, ver- Komplex durchgeführt, die die Tendenz der Vorlage besserte Subventionskontrolle, umfassende Finanz- bestätigt hat. Sachverständige und Vertreter der kontrolle, Überwachung durch den Rechnungshof, Kommunen und kommunalen Spitzenverbände wie Verzahnung der EU-Kontrollinstanzen und Neuord- wissenschaftliche Rechtsgutachter haben eingehend nung des staatlichen Rechnungswesens gefordert, Stellung genommen. Dabei ist erkennbar geworden, dann wird doch ganz klar: Man möchte mehr Einfluß daß der Gesetzentwurf einen mittleren Weg zwi- nehmen. Der scheinbare Wille, die Verwaltung fle- schen der notwendigen Flexibilisierung auf der ei- xibler zu machen, tritt hinter das Streben zurück, in nen Seite und der parlamentarischen Verantwor- jede Phase der Verwaltung hineinzuregieren und sie tung und Kontrolle auf der anderen Seite geht. zu parlamentarisieren. (Uta Titze-Stecher [SPD]: Einen schmalen (Antje Hermenau [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ Weg! - Gert Willner [CDU/CSU]: Ein NEN]: Quatsch!) schmaler Weg muß kein schlechter Weg sein!) Das ist, liebe Kollegin Hermenau, genau der falsche Weg. Wer jedes Detail kennt, läßt es oft an der gro- - Einen sicher schmalen Weg. Dabei muß man klar ßen Linie sowie an wichtigen und vor allen Dingen sehen, daß, wie es der Kollege Willner richtig sagt, richtigen Entscheidungen fehlen. Das kann man, ein schmaler Weg durchaus der richtige Weg sein glaube ich, generell für die Grünen sagen. kann. Dies wurde von den Gutachtern mehrheitlich bestätigt. (Antje Hermenau [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ NEN]: Unglaublich!) Mit der Schaffung zusätzlicher Steuerungsele- mente sollen künftig Entscheidungen soweit wie Die Bundesregierung hat im Bundeshaushalt 1995 möglich auch im Verwaltungsbereich im Wege des ein Modellvorhaben zur Erprobung flexibler Instru- Wettbewerbs getroffen werden. Die effektivste Mög- mente eingeführt, das positiv verlaufen ist. Wir wol- lichkeit ist es natürlich, bestimmte Bereiche ganz len das Ganze jetzt übertragen. Rund 26 Milliarden auszugliedern und diese zu privatisieren. Das ist un- DM oder 6 Prozent der Gesamthaushalte können mit- sere Politik. Sie muß in vielen Ländern - nicht nur der Wirkung flexibilisiert werden, daß wir Haushalts- wegen des Drucks auf die öffentlichen Kassen - wei- mittel sparen: im nächsten Jahr 350 Millionen DM, tergeführt werden. Auch die Gemeinden sind aufge- mit steigender Tendenz. fordert, beherzt zu privatisieren und dieses nachzu- ahmen. Lassen Sie mich mit zwei Bemerkungen schließen. Die erste ist diese: Ich habe gesagt, die Reform ist Ein weiteres Instrument ist die Einführung von etwa 30 Jahre alt. Wir haben eine Verwaltungsraupe. Kennziffern, mit denen gleicha rtige Leistungen ver- Sie wird vielleicht nicht gerade zu einem Schmetter- schiedener Verwaltungen miteinander verglichen ling, aber ich hoffe, daß die Regelungen künftig dazu werden. Zur Zeit ist es ja so, daß Verwaltungsleistun- führen, daß mit weniger Geld öffentliche Aufgaben gen in vielen tausend Gemeinden und Städten in besser erledigt werden können. Deutschland mit durchaus unterschiedlichem wirt- schaftlichen Erfolg angeboten werden und einer un- (Beifall des Abg. Dr. Wolfgang Weng [Ger terschiedlichen wirtschaftlichen Meßlatte unterlie- lingen] [F.D.P.] - Wilhelm Schmidt [Salzgit gen. Wir wollen Vergleichbarkeit herstellen, um auch ter] [SPD]: Der einzige, der das gut findet, die eine oder andere Verwaltung dazu zu bringen, ist Herr Weng!) ein unwirtschaftliches und für den Steuerzahler viel- Die letzte Bemerkung: Wir haben mit diesem Ge- leicht zu aufwendiges Verfahren zu beenden. setz ein weiteres Gesetz verbunden, das eine Klar- Erfreulicherweise ist die Reform des Haushalts- stellung im Zusammenhang mit der Umwandlung rechts ein Bereich, in dem sich der Streit zwischen der Staatsbank der DDR in zwei andere Banken er- Regierungsparteien und Opposition in Grenzen hält. reichen soll. Ich darf Sie bitten, beiden Gesetzen zu- Auch die SPD hat das Konzept als überzeugend be- zustimmen. zeichnet, allerdings weitergehende Regelungen ge- Herzlichen Dank. fordert. Die Grünen waren etwas rigoroser, sie haben ein eigenes Papier vorgelegt, aber in dem Papier - (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) 18186 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 201. Sitzung. Bonn, Freitag, den 31. Oktober 1997

Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Ehe ich der Irmgard Karwatzki Ruprecht Polenz nächsten Rednerin das Wo rt erteile, komme ich auf Volker Kauder Marlies Pretzlaff den Tagesordnungspunkt 17a zurück. Ich gebe das Peter Keller Dr. Bernd Protzner von den Schriftführern und Schriftführerinnen ermit- Dr. Bernd Klaußner Dieter Pützhofen Ulrich Klinkert Thomas Rachel telte Ergebnis der namentlichen Abstimmung über Dr. Helmut Kohl Hans Raidel den Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU Hans-Ulrich Köhler Dr. Peter Ramsauer und der F.D.P. zur Finanzierung eines zusätzlichen (Hainspitz) Rolf Rau Bundeszuschusses zur gesetzlichen Rentenversiche- Manfred Kolbe Helmut Rauber rung - das sind die Drucksachen 13/8704 und 13/ Norbert Königshofen Peter Rauen 8869- bekannt. Abgegebene Stimmen: 593. Mit Ja Eva-Maria Kors Otto Regenspurger Hartmut Koschyk haben gestimmt 311, mit Nein haben gestimmt Christa Reichard (Dresden) Manfred Koslowski Klaus Dieter Reichardt 281 Abgeordnete; es gab eine Enthaltung. Der Ge- Thomas Kossendey (Mannheim) setzentwurf ist damit angenommen. Rudolf Kraus Dr. Bertold Reinartz Wolfgang Krause (Dessau) Erika Reinhardt Andreas Krautscheid Hans-Peter Repnik Dr.-Ing. Paul Krüger Roland Richter Endgültiges Ergebnis Wolfgang Engelmann Dr. Hermann Kues Roland Richwien Rainer Eppelmann Werner Kuhn Dr. Norbert Rieder Abgegebene Stimmen: 592; Heinz Dieter Eßmann Dr. Karl A. Lamers Dr. Erich Riedl (München) davon: Horst Eylmann (Heidelberg) Klaus Riegert ja: 311 Anke Eymer Karl Lamers Dr. Heinz Riesenhuber Ilse Falk nein: 280 Dr. Norbert Lammert Franz Romer Jochen Feilcke Helmut Lamp Hannelore Rönsch enthalten: 1 Ulf Fink Armin Laschet (Wiesbaden) Dirk Fischer (Hamburg) Herbert Lattmann Heinrich-Wilhelm Ronsöhr Leni Fischer (Unna) Dr. Paul Laufs Dr. Klaus Rose Ja Klaus Francke (Hamburg) Karl-Josef Laumann Kurt J. Rossmanith Dr. Gerhard F riedrich Werner Lensing Adolf Roth (Gießen) Erich G. Fritz Christian Lenzer Norbert Röttgen CDU/CSU Hans-Joachim Fuchtel Peter Letzgus Dr. Christian Ruck Norbert Geis Editha Limbach Volker Rühe Ulrich Adam Dr. Heiner Geißler Walter Link (Diepholz) Dr. Jürgen Rüttgers Peter Altmaier Michael Glos Eduard Lintner Roland Sauer (Stuttgart) Anneliese Augustin Wilma Glücklich Dr. Klaus W. Lippold Ortrun Schätzle Jürgen Augustinowitz Dr. Reinhard Göhner (Offenbach) Dr. Wolfgang Schäuble Dietrich Austermann Peter Götz Dr. Manfred Lischewski Hartmut Schauerte Heinz-Günter Bargfrede Dr. Wolfgang Götzer Wolfgang Lohmann Heinz Schemken Franz Peter Basten Joachim Gres (Lüdenscheid) Karl-Heinz Scherhag Brigitte Baumeister Kurt-Dieter G rill Julius Louven Gerhard Scheu Meinrad Belle Wolfgang Gröbl Sigrun Löwisch Norbert Schindler Dr. Sabine Bergmann-Pohl Hermann Gröhe Heinrich Lummer Dietmar Schlee Hans-Dirk Bierling Claus-Peter Grotz Dr. Michael Luther Ulrich Schmalz Dr. Joseph-Theodor Blank Manfred Grund Erich Maaß (Wilhelmshaven) Christian Schmidt (Fürth) Renate Blank Horst Günther (Duisburg) Dr. Dietrich Mahlo Dr. -Ing. Joachim Schmidt - Dr. Heribert Blens Gottfried Haschke Erwin Marschewski (Halsbrücke) Peter Bleser (Großhennersdorf) Günter Marten Andreas Schmidt (Mülheim) Dr. Norbert Blüm Otto Hauser (Esslingen) Wolfgang Meckelburg Hans-Otto Schmiedeberg Friedrich Bohl Hansgeorg Hauser Rudolf Meinl Hans Peter Schmitz Dr. Maria Böhmer (Rednitzhembach) Dr. Michael Meister (Baesweiler) Jochen Borchert Klaus-Jürgen Hedrich Dr. Angela Merkel Michael von Schmude Wolfgang Börnsen (Bönstrup) Helmut Heiderich Friedrich Merz Birgit Schnieber-Jastram Wolfgang Bosbach Manfred Heise Rudolf Meyer (Winsen) Dr. Andreas Schockenhoff Dr. Wolfgang Bötsch Detlef Helling Hans Michelbach Dr. Rupert Scholz Klaus Brähmig Dr. Renate Hellwig Meinolf Michels Dr. Erika Schuchardt Rudolf Braun (Auerbach) Ernst Hinsken Dr. Gerd Müller Wolfgang Schulhoff Paul Breuer Peter Hintze Elmar Müller (Kirchheim) Dr. Dieter Schulte Georg Brunnhuber Josef Hollerith Engelbert Nelle (Schwäbisch Gmünd) Klaus Bühler (Bruchsal) Siegfried Hornung Bernd Neumann (Bremen) Gerhard Schulz (Leipzig) Hartmut Büttner Joachim Hörster Johannes Nitsch Frederick Schulze (Schönebeck) Hubert Hüppe Claudia Nolte (Sangerhausen) Dankward Buwitt Peter Jacoby Dr. Rolf Olderog Diethard Schütze (Berlin) Manfred Carstens (Emstek) Susanne Jaffke Friedhelm Ost Clemens Schwalbe Peter Harry Carstensen Georg Janovsky Eduard Oswald Dr. Christian Schwarz (Nordstrand) Helmut Jawurek Norbert Otto (Erfu rt) Schilling Wolfgang Dehnel Dr. Dionys Jobst Dr. Gerhard Päselt Wilhelm Josef Sebastian Hubert Deittert Dr.-Ing. Rainer Jork Dr. Peter Paziorek Horst Seehofer Gertrud Dempwolf Michael Jung (Limburg) Hans-Wilhelm Pesch Marion Seib Albert Deß Ulrich Junghanns Ulrich Petzold Wilfried Seibel Renate Diemers Dr. Egon Jüttner Anton Pfeifer Heinz-Georg Seiffert Wilhelm Dietzel Dr. Harald Kahl Angelika Pfeiffer Rudolf Seiters Werner Dörflinger Bartholomäus Kalb Beatrix Philipp Johannes Selle Hansjürgen Doss Steffen Kampeter Dr. Winfried Pinger Jürgen Sikora Dr. Alfred Dregger Dr. -Ing. Dietmar Kansy Ronald Pofalla Johannes Singhammer Maria Eichhorn Manfred Kanther Dr. Hermann Pohler Margarete Späte Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 201. Sitzung. Bonn, Freitag, den 31. Oktober 1997 18187

Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch Carl-Dieter Spranger Dr. Dieter Thomae Reinhold Hiller (Lübeck) Bernd Scheelen Wolfgang Steiger Jürgen Türk Gerd Höfer Siegfried Scheffler Erika Steinbach Dr. Wolfgang Weng Frank Hofmann (Volkach) Otto Schily Dr. Wolfgang Freiherr vo: (Gerlingen) Ingrid Holzhüter Dieter Schloten Stetten Dr. Guido Westerwelle Erwin Horn Günter Schluckebier Dr. Gerhard Stoltenberg Lothar Ibrügger Horst Schmidbauer Andreas Storm Barbara Imhof (Nürnberg) Max Straubinger Nein Brunhilde Irber Ulla Schmidt (Aachen) Matthäus Strebl Gabriele Iwersen Dagmar Schmidt (Meschede) Michael Stübgen Renate Jäger Wilhelm Schmidt (Salzgitter) Egon Susset SPD Jann-Peter Janssen Regina Schmidt-Zadel Michael Teiser Volker Jung (Düsseldorf) Heinz Schmitt (Berg) Dr. Susanne Tiemann Sabine Kaspereit Dr. Emil Schnell Dr. Klaus Töpfer Gerd Andres Susanne Kastner Walter Schöler Gottfried Tröger Robert Antretter Ernst Kastning Ottmar Schreiner Dr. Klaus-Dieter Uelhoff Hermann Bachmaier Hans-Peter Kemper Gisela Schröter Ernst Bahr Gunnar Uldall Klaus Kirschner Dr. Mathias Schubert Doris Barnett Hans-Ulrich Klose Wolfgang Vogt (Düren) Schuhmann Richard Klaus Barthel Dr. Hans-Hinrich Knaape Dr. Horst Waffenschmidt (Delitzsch) Dr. Theodor Waigel Hans-Werner Bertl Walter Kolbow Brigitte Schulte (Hameln) Dr. Jürgen Warnke Friedhelm Julius Beucher Fritz Rudolf Körper Volkmar Schultz (Köln) Kersten Wetzel Rudolf Bindig Nicolette Kressl Ilse Schumann Hans-Otto Wilhelm (Mainz) Arne Börnsen (Ritterhude) Volker Kröning Dr. R. Werner Schuster Gert Willner Anni Brandt-Elsweier Thomas Krüger Dietmar Schütz (Oldenburg) Bernd Wilz Tilo Braune Horst Kubatschka Willy Wimmer (Neuss) Dr. Eberhard Brecht Eckart Kuhlwein Dr. Angelica Schwall-Düren Matthias Wissmann Edelgard Bulmahn Helga Kühn-Mengel Ernst Schwanhold Dr. Fritz Wittmann Ursula Burchardt Konrad Kunick Bodo Seidenthal Dagmar Wöhrl Dr. Michael Bürsch Werner Labsch Lisa Seuster Michael Wonneberger Hans Martin Bury Brigitte Lange Erika Simm Elke Wülfing Hans Büttner (Ingolstadt) Detlev von Larcher Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk Peter Kurt Würzbach Marion Caspers-Merk Waltraud Lehn Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast Cornelia Yzer Wolf-Michael Catenhusen Robert Leidinger Wieland Sorge Benno Zierer Peter Conradi Dr. Elke Leonhard Wolfgang Spanier Wolfgang Zöller Dr. Herta Däubler-Gmelin Klaus Lohmann (Witten) Dr. Dietrich Sperling Christel Deichmann Christa Lörcher Jörg-Otto Spiller Karl Diller Dr. Christine Lucyga Antje-Marie Steen F.D.P. Dr. Marliese Dobberthien Dieter Maaß (Herne) Ludwig Stiegler Peter Dreßen Ulrike Mascher Dr. Peter Struck Ina Albowitz Rudolf Dreßler Christoph Matschie Joachim Tappe Dr. Gisela Babel Freimut Duve Ingrid Matthäus-Maier Jörg Tauss Hildebrecht Braun Ludwig Eich Heide Mattischeck Dr. Bodo Teichmann (Augsburg) Peter Enders Ulrike Mehl Margitta Terborg Günther Bredehorn Gernot Erler Herbert Meißner Jella Teuchner Jörg van Essen Petra Ernstberger Angelika Mertens Dr. Gerald Thalheim Horst Friedrich Annette Faße Dr. Jürgen Meyer (Ulm) Franz Thönnes - Rainer Funke Elke Ferner Ursula Mogg Uta Titze-Stecher Hans-Dietrich Genscher Lothar Fischer (Homburg) Siegmar Mosdorf Adelheid Tröscher Dr. Wolfgang Gerhardt Gabriele Fograscher Michael Müller (Düsseldorf) Hans-Eberhard Urbaniak Dr. Karlheinz Guttmacher Iris Follak Jutta Müller (Völklingen) Siegfried Vergin Dr. Helmut Haussmann Norbert Formanski Christian Müller (Zittau) Günter Verheugen Ulrich Heinrich Dagmar Freitag Volker Neumann (Bramsche) Ute Vogt (Pforzheim) Walter Hirche Anke Fuchs (Köln) Gerhard Neumann (Gotha) Karsten D. Voigt (Frankfurt) Dr. Burkhard Hirsch Katrin Fuchs (Verl) Dr. Rolf Niese Hans Georg Wagner Dr. Werner Hoyer Arne Fuhrmann Doris Odendahl Hans Wallow Ulrich Irmer Monika Ganseforth Günter Oesinghaus Dr. Konstanze Wegner Dr. Klaus Kinkel Konrad Gilges Leyla Onur Wolfgang Weiermann Detlef Kleinert (Hannover) Iris Gleicke Manfred Opel Reinhard Weis (Stendal) Roland Kohn Günter Gloser Adolf Ostertag Matthias Weisheit Dr. Heinrich L. Kolb Uwe Göllner Kurt Palis (Wiesloch) Jürgen Koppelin Günter Graf (Friesoythe) Albrecht Papenroth Gert Weisskirchen Dr.-Ing. Karl-Hans Laermann Angelika Graf (Rosenheim) Dr. Willfried Penner Jochen Welt Dr. Otto Graf Lambsdorff Dieter Grasedieck Dr. Martin Pfaff Hildegard Wester Sabine Leutheusser Achim Großmann Georg Pfannenstein Lydia Westrich Schnarrenberger Karl Hermann Haack Dr. Eckhart Pick Inge Wettig-Danielmeier Uwe Lühr (Extertal) Joachim Poß Dr. Norbert Wieczorek Jürgen W. Möllemann Hans-Joachim Hacker Rudolf Purps Heidemarie Wieczorek-Zeul Günther Friedrich Nolting Klaus Hagemann Karin Rehbock-Zureich Dieter Wiefelspütz Lisa Peters Manfred Hampel Bernd Reuter Berthold Wittich Dr. Klaus Röhl Alfred Hartenbach Dr. Edelbert Richter Dr. Wolfgang Wodarg Helmut Schäfer (Mainz) Dr. Liesel Hartenstein Günter Rixe Verena Wohlleben Cornelia Schmalz-Jacobsen Klaus Hasenfratz Reinhold Robbe Hanna Wolf (München) Dr. Edzard Schmidt-Jortzig Reinhold Hemker Gerhard Rübenkönig Heidi Wright Dr. Irmgard Schwaetzer Dr. Barbara Hendricks Dr. Hansjörg Schäfer Uta Zapf Dr. Hermann Otto Sohns Monika Heubaum Gudrun Schaich-Walch Dr. Christoph Zöpel Dr. Max Stadler Uwe Hiksch Rudolf Scharping Peter Zumkley 18188 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 201. Sitzung. Bonn, Freitag, den 31. Oktober 1997

Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN PDS tüm - durchgeführt. Dabei haben alle Sachverstän- digen natürlich die Notwendigkeit einer Überprü- Gila Altmann (Aurich) Wolfgang Bierstedt fung des Haushaltsrechts mit dem Ziel, einen Bei- Marieluise Beck (Bremen) Petra Bläss Maritta Böttcher trag für eine effektivere und leistungsfähigere Ver- Volker Beck (Köln) waltung zu erbringen, betont. Allerdings solle da- Angelika Beer Eva Bulling-Schröter Matthias Berninger Heinrich Graf von Einsiedel mit keine Beeinträchtigung des parlamentarischen Annelie Buntenbach Dr. Ludwig Elm Budgetrechts verbunden sein, und die Vergleichbar- Amke Dietert-Scheuer Dr. Dagmar Enkelmann keit öffentlicher Haushalte solle gewahrt bleiben. Franziska Eichstädt-Bohlig Andrea Gysi Auch diese Punkte sind vom Vorredner bereits ge- Dr. Gregor Gysi Dr. Uschi Eid nannt worden. Hanns-Peter Ha rtmann Andrea Fischer (Berlin) Dr. Uwe-Jens Heuer Joseph Fischer (Frankfurt) Dr. Barbara Höll Ferner sagten die Sachverständigen, konkrete In- Rita Grießhaber Dr. Willibald Jacob formations-, Rechnungslegungs- und Steuerungsin- Antje Hermenau Ulla Jelpke strumente beim Haushaltsvollzug seien dabei ebenso Ulrike Höfken Gerhard Jüttemann zu entwickeln wie die im Gesetzentwurf angebote- Michaele Hustedt Dr. Heidi Knake-Werner nen Instrumente der Flexibilisierung der öffentlichen Dr. Manuel Kiper Rolf Köhne Haushaltswirtschaft. Auf diesen Komplex wird der Monika Knoche Rolf Kutzmutz Steffi Lemke Dr. Christa Luft Kollege Diller im Anschluß genauer und im Detail Dr. Helmut Lippelt Heidemarie Lüth eingehen. Oswald Metzger Dr. Günther Maleuda Kerstin Müller (Köln) Manfred Müller (Berlin) Ich will mich im Zusammenhang mit der Diskus- Winfried Nachtwei Rosel Neuhäuser sion des Gesetzentwurfs auf den Art. 2 - „Änderung Christa Nickels Dr. Uwe-Jens Rössel der Bundeshaushaltsordnung" - und dort auf die Egbert Nitsch (Rendsburg) Christina Schenk Nr. 16, die sich mit dem § 100 der Bundeshaushalts- Cem Özdemir Steffen Tippach Klaus-Jürgen Warnick ordnung, den Prüfungsämtern, befaßt - es handelt Gerd Poppe sich also um den Komplex der externen Finanzkon- Simone Probst Dr. Winfried Wolf Halo Saibold Gerhard Zwerenz trolle - beschränken. Christine Scheel Irmingard Schewe-Gerigk In der Bundesrepublik Deutschland haben sich Fraktionslos Albert Schmidt (Hitzhofen) zwei unterschiedliche Formen der externen Finanz- Wolfgang Schmitt Kurt Neumann (Berlin) kontrolle herausgebildet, die zweistufige und die (Langenfeld) einstufige. Beim Bund und bei einigen Ländern wird Ursula Schönberger die Arbeit der Rechnungshöfe durch Vorprüfungs- Werner Schulz (Berlin) Enthalten stellen vorbereitet und unterstützt. Diese sind fach- Christian Sterzing lich und dienstrechtlich jedoch den Behörden zuge- Manfred Such ordnet, bei denen sie eingerichtet sind. Das ist die Dr. Antje Vollmer SPD Ludger Volmer zweistufige Finanzkontrolle. In elf Bundesländern Helmut Wilhelm (Amberg) Dr. Uwe Jens aber nehmen die Rechnungshöfe die Prüfungen be- reits alleine vor oder übertragen sie ihnen nachge- Entschuldigt wegen Übernahme einer Verpflichtung im Rah- ordneten Prüfungsämtern. Diese Form der Finanz- men ihrer Mitgliedschaft in den Parlamentarischen Versamm- kontrolle nennen wir einstufig. Mit den unterschied-- lungen des Europarates und der WEU, der NAV, der OSZE lichen Formen der externen Finanzkontrolle haben oder der IPU sich in der Vergangenheit bereits verschiedentlich Abgeordnete(r) parlamentarische Gremien befaßt. Sie haben auch Behrendt, Wolfgang SPD Siebert, Bernd CDU/CSU versucht, durch bestimmte Maßnahmen die Pro- bleme in den Griff zu bekommen. Langer Rede kur- zer Sinn: Die Ergebnisse sind mager. Deswegen soll Nun gebe ich das Wort der Abgeordneten Uta jetzt mit der Neuordnung der externen Finanzkon- Titze-Stecher. trolle alles anders werden.

An Stelle der bisher vorhandenen Vorprüfungsstel- Uta Titze - Stecher (SPD): Herr Präsident! Liebe Kol- len bei Bundesinstitutionen, bei Ländern und bei leginnen und Kollegen! Ich habe gerade zum Herrn kommunalen Gebietskörperschaften sollen jetzt dem Präsidenten bemerkt: Das Thema ist so trocken, es Bundesrechnungshof nachgeordnete Prüfungsämter hat den Charme eines Karnickels. Sie werden verste- eingerichtet werden, die seiner Dienst- und Fachauf- hen: Angesichts der Bedeutung des Gesetzentwur- sicht unterliegen. Das finden wir in Ordnung, und fes, der ja gravierende Auswirkungen auf die Finanz- wir begrüßen, daß aus der zweistufigen eine einstu- wirtschaft von Bund, Ländern und Kommunen hat, fige Finanzkontrolle wird. ist es schon gerechtfertigt, sich damit seriös ausein- anderzusetzen. (Vorsitz : Vizepräsident Hans-Ulrich Klose) Wie der Kollege Austermann eben sagte, hat der Haushaltsausschuß des Deutschen Bundestages am Insbesondere soll damit die Möglichkeit eröffnet wer- 24. September eine öffentliche Anhörung zum Ent- den, erstens den Prüfungsstoff nach einheitlichen wurf eines Gesetzes zur Fortentwicklung des Haus- Standards und rationell zu bewältigen, zweitens die haltsrechts von Bund und Ländern - kurz: Haushalts- Qualifikation des Personals zu verbessern und drit- rechts-Fortentwicklungsgesetz; so heißt das Unge tens effizientere Prüfungsmethoden anzuwenden. Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 201. Sitzung. Bonn, Freitag, den 31. Oktober 1997 18189

Uta Titze-Stecher Wir meinen, daß dadurch auch insgesamt eine wirk- Querschnitts- und Organisationsprüfungen verstärkt samere Budgetkontrolle geschaffen wird und das ermöglicht. Parlament umfassender informiert werden kann. Mit der Neuordnung werden die bisher in der un- Das sind Forderungen, die auch bei der öffentli- mittelbaren Bundesverwaltung einschließlich Son- chen Sachverständigenanhörung erhoben worden dervermögen vorhandenen 75 Vorprüfungsstellen sind, die eindringlich angemahnt wurden. aufgelöst und der für die bisherigen Aufgaben zur Verfügung stehende Stellenbestand von 1500 Stellen Ein Teil der Länder hat diesen Weg bereits mit Er- um 600 auf 900 vermindert. folg und durchweg positiven Ergebnissen beschrit- ten. Deswegen sprechen acht Gründe für die Einfüh- Für die Steuerung der Prüfungsämter durch den rung der einstufigen Finanzkontrolle. BRH sowie für die bislang von den Vorprüfungsstel- len der Länder und Kommunen wahrgenommenen Erstens. Die organisatorische Zuordnung der Prü- Aufgaben ist allerdings eine Personalkapazität in der fungsämter zum Bundesrechnungshof verstärkt die Größenordnung von 150 Stellen vorgesehen, so daß Unabhängigkeit dieser Kontrolle. die Neuordnung zu einer Nettoeinsparung von zirka 450 Stellen führen wird. Zweitens. Die verwaltungsinterne Kontrolle und werden eindeutig abge- die externe Finanzkontrolle Bei den Beratungen hat sich der Haushaltsaus- grenzt. schuß des Deutschen Bundestages dafür ausge- Drittens. Der Bundesrechnungshof kann das Perso- sprochen, daß die Stellen in den Prüfungsämtern nal seinen spezifischen Anforderungen entsprechend grundsätzlich mit Personal der Vorprüfungsstellen selbst einstellen. der unmittelbaren Bundesverwaltung besetzt wer- den sollen. Nur dann, wenn der Personalbedarf für Viertens. Die Unterstellung der Prüfer unter die die Prüfungsbereiche, die bisher von den Ländern Dienstaufsicht des BRH schafft die notwendige Di- und Kommunen vorgeprüft worden sind, nicht aus stanz zu den zu prüfenden Einrichtungen, stärkt die der unmittelbaren Bundesverwaltung gedeckt wer- kritische Haltung und vermeidet Interessenkonflikte, den kann, können Planstellen mit Bediensteten aus die in der Vergangenheit ab und an vorgekommen den Vorprüfungsstellen der Kommunen, Gebiets- sind. körperschaften und Länder in der Größenord- nung bis zu den genannten 150 Stellen besetzt Fünftens. Die Zusammenfassung der vielfach zu werden. kleinen Arbeitseinheiten bei den Vorprüfungsstellen zu leistungsfähigeren Organisationseinheiten in den (Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [F.D.P.]: Prüfungsämtern ermöglicht, ressortübergreif end, Darauf werden wir achten!) fachlich spezialisiert und wirtschaftlich - worauf wir als Haushälter immer Wert legen - zu prüfen. - Da hättest du als Kollege eigentlich klatschen müs- sen. Sechstens. Der hohe personelle Aufwand bei Steuerung und Koordinierung der Vorprüfungstätig- (Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [F.D.P.]: keit sowohl bei den Vorprüfungsstellen selbst als Das habe ich hiermit getan!) auch beim Bundesrechnungshof, hervorgerufen durch die Verteilung auf Vorprüfungsstellen, auf eine - Bei mir nicht. Vielzahl von Behörden, wird verringert. Das Stich- wort „schlanker Staat" wurde auch vom Vorredner (Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [F.D.P.]: genannt. Der Zuruf war als Beifall gemeint!) Siebtens. Effizienz und Effektivität der Prüfungen Nach unserer Kenntnis hat der größte Teil der Be- werden verbessert. Eine vom Bundesrechnungshof werber aus den Vorprüfungsstellen der unmittelba- selbst durchgeführte Analyse der Aufgabenwahr- ren Bundesverwaltung bereits eine Übernahmezu- nehmung der Vorprüfungsstellen, und zwar nur in sage erhalten. Bei der Festlegung der Standorte der der unmittelbaren Bundesverwaltung einschließlich neuen Prüfungsämter wird aus wirtschaftlichen Sondervermögen, hat nämlich gezeigt, daß in einem Gründen auf geeignete Liegenschaften des Bundes erheblichen Umfang einzelfallbezogene, vorwiegend zurückgegriffen, was wir natürlich begrüßen. belegabhängige Prüfungen unter förmlichen und rechnerischen Gesichtspunkten durchgeführt wer- Bei gründlicher Durchsicht der Vorlage zur Neu- den. Dazu kann ich nur sagen: Da stehen Aufwand ordnung der externen Finanzkontrolle bleiben ein und Ergebnis wirklich nicht in einem angemessenen paar offene Fragen, die ich hier jetzt stellen werde Verhältnis, das auch das Bundesverfassungsgericht und die in der Bereinigungssitzung Mitte November bei Verwaltungsaufgaben verlangt. hoffentlich beantwortet werden können.

Achtens. Durch die Flexibilität der Aufgabenzu- Erstens. Die Neuordnung ist in den von der Bun- weisungen, durch die Verteilung der Leitungs- und desregierung vorgelegten Entwurf des Bundeshaus- Steueraufgaben innerhalb der externen Finanzkon- halts 1998 noch nicht eingearbeitet. Es ist nicht ganz trolle und durch die gezieltere Aus- und Fortbildung klar, wie viele Stellen welcher Wertigkeit auf Grund werden Wirtschaftlichkeitsuntersuchungen, deren der Auflösung der Vorprüfungsstellen in welchen Ausmaß immer mehr zunimmt, insbesondere aber Einzelplänen wann entfallen sollen. Nun weiß der In- 18190 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 201. Sitzung. Bonn, Freitag, den 31. Oktober 1997 Uta Titze-Stecher sider, daß in der Bereinigungssitzung insbesondere Oswald Metzger (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): die Personalfragen gelöst werden. Ich erhoffe mir Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Dieses dort Antworten auf meine Fragen. dröge Thema ist eines, das die Wirklichkeit unseres Gemeinwesens viel stärker bestimmt, als es der Auf- Zweitens. Gemäß Anlage 8 der Vorlage soll die merksamkeit hier im Plenum und der Aufmerksam- Neuordnung der Finanzkontrolle eine Einsparung keit weit darüber hinaus entspricht. bei den Personalkosten von 42 Millionen DM erbrin- gen. Im Entwurf des Bundeshaushaltes sind hinge- Wir haben ein Instrumentarium der staatlichen gen in dem neuen Kapitel 20 03 - die genannten Prü- Buchhaltung, das aus dem 19. Jahrhundert stammt fungsämter des Bundes - globale Mehrausgaben von und dessen gesamtwirtschaftliche Betrachtungs- 15 Millionen DM ausgewiesen. weise auf der Wirtschaftspolitik der 60er Jahre ba- siert, weil mit der Finanzreform des Jahres 1969 die Drittens. Das Bundesministerium der Finanzen be- gesamtwirtschaftliche Ausrichtung Teil der staatli- absichtigt, von den eingesparten 450 Stellen den Res- chen Buchhaltung wurde. sorts 180 Stellen für den Aufbau interner Control- ling-Einrichtungen zur Unterstützung der Leitungs- Wir brauchen aber Instrumente, die Begriffe wie funktion zur Verfügung zu stellen. So weit, so gut. Wirtschaftlichkeit, Kosten- und Leistungsrechnung, Die Frage ist, wie dieser geplante Aufgaben- und Darstellung der Vermögensverschiebungen der Personalzuwachs begründet wird. staatlichen Ebenen auch in die Zukunft hinein kor- rekt abbilden. All diese Anforderungen erfüllt der Viertens. Unklar ist in Anlage 8, ob in den Ein- Regierungsentwurf nicht. sparungsbetrag von 42 Millionen DM die Kosten für die 180 genannten Stellen bereits eingerechnet Die Koalition und die Regierung haben einen lan- sind. gen Anlauf genommen - und sich dann mit einem marginalen Trippelschrittchen bewegt. Sie kriechen Fünftens. Unklar ist auch, wieso in Anlage 8 von förmlich im Schneckentempo der Entwicklung nach, Gesamtpersonalkosten nach der Neuordnung von die bei den Kommunen in Deutschland bereits sehr 101 Millionen DM die Rede ist, auf der letzten Seite viel stärker zu wirtschaftlichkeitsorientierten Model- der Vorlage allerdings von Personalkosten in Höhe len und Konzepten geführt hat. von 119 Millionen DM. Dieser Widerspruch müßte aufgelöst werden. Eines muß man klar sagen: In Zeiten knapper Kas- sen muß der Staat auch seine technischen Instrumen- Sechstens. Es findet sich keine Aussage dazu, wel- tarien modifizieren, damit jede öffentliche Mark auch che Übergangszeit die Umorganisation benötigt und tatsächlich sinnvoll ausgegeben wird und trotzdem welche Kosten damit verbunden sind. die parlamentarische Kontrolle gewährleistet ist.

(Jörg Tauss [SPD]: Das wissen die selbst Die Entmachtung der Parlamente zeigt sich ganz nicht!) deutlich daran - diese Erfahrung macht die Koalition, wenn sie an die laufende Haushaltslochdiskussion - Wir müssen dies aber zumindest ungefähr wissen, und die entsprechenden Debatten der letzten Jahre damit wir der Sache zustimmen können. denkt -, daß oft selbst die Koalitionshaushälter inner-- halb von wenigen Tagen im Schweinsgalopp Haus- Siebtens. Ob die in Anlage 5 dargestellte Aufbau- haltsentwürfe der Regierung nachbessern müssen, organisation und Personalausstattung der neuen Prü- weil das Berichtswesen, mit dem das Parlament über fungsämter aufgabengerecht ist, entzieht sich meiner die Einnahmen- und Ausgabenentwicklung des Beurteilungsmöglichkeit. Dazu müßte der Bundes- Staates auf dem laufenden gehalten wird, nicht mehr rechnungshof Ausführungen machen. funktioniert. Sie werden an diese Aussage spätestens in der Bereinigungssitzung am 12. und 13. November Eine letzte Bemerkung: Die Neuorganisation der 1997 denken, wenn - ein bzw. zwei Tage nach der externen Finanzkontrolle soll laut Gesetzentwurf der Steuerschätzung - wieder einmal ein Bundeshaus- Bundesregierung nach Abschluß der Umstrukturie- halt in ganz erheblichem Volumen verändert wird. rung Einsparungen für den Bundeshaushalt in Höhe von rund 35 Millionen DM pro Jahr und für die (Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [F.D.P.]: Haushalte von Ländern und Kommunen von rund Verdirb uns doch nicht das Wochenende!) 20 Millionen DM pro Jahr erbringen. Bei solchen Aussichten muß ein Haushälter ja sagen, vorausge- Die Fraktion der Grünen hat - nur um unter Beweis setzt, die Rahmenbedingungen stimmen. Weil sie in zu stellen, wie ein globalerer Ansatz in der Grund- diesem Fall stimmen und in Ordnung sind, stimmt orientierung aussieht - einen Antrag eingebracht, die SPD diesem Punkt des Haushaltsrechts-Fortent- der dem Problem deshalb Rechnung trägt, weil wir wicklungsgesetzes zu. sagen: Ohne eine Bund-Länder-Kommission, ohne eine große Finanzreform wie in den 60er Jahren wird (Beifall bei der SPD und der F.D.P.) alles, was jetzt versucht wird, ohne eine Veränderung von Grundsätzen nur eine kleine Marginalie sein.

Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Das Wort hat der (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS Kollege Metzger, Bündnis 90/Die Grünen. SES 90/DIE GRÜNEN und der SPD) Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 201. Sitzung. Bonn, Freitag, den 31. Oktober 1997 18191

Oswald Metzger Um ein paar Details zu nennen: Die Kosten- und die zeitnah Wirtschaftlichkeitsanalysen erstellt, um Leistungsrechnung, die im Regierungsentwurf steht, tatsächlich gegenzuchecken, was uns die Regierung ist mit einer Kann-Bestimmung und einer zusätzli- mit ihrem Kostenansatz in ihren Gesetzentwürfen chen Einschränkung versehen. „In geeigneten Berei- vorlegt. chen" soll eine Kosten- und Leistungsrechnung ein- geführt werden. Alles in allem muß man deutlich feststellen, daß auch das, was der Bundesfinanzminster gestern aus Ohne die vorherige Einführung einer Kosten- und anderen Gründen mit seiner Haushaltssperre verfügt Leistungsrechnung wird bei überjähriger Buchung hat, unter Beweis stellt, daß unser Haushaltsrecht so von Ausgaben überhaupt nicht erkennbar, ob damit intransparent und ineffizient ist, daß der Minister Lasten nur in die Zukunft verschoben werden oder zwei Monate vor Ablauf eines Jahres in Zeiten, in de- ob Wirtschaftlichkeit tatsächlich zu Einsparungen im nen versucht wurde, die Haushalte über die Jahre laufenden Haushaltsjahr führt, und zwar zu einer hinweg abzuschmelzen, glaubt, noch 1 Milliarde DM nachhaltigen Einsparung auch über den Tageshori- aus den Ausgabeansätzen im sächlichen Verwal- zont hinaus. tungsbereich herausbringen zu können. Deshalb sagen wir Grünen in unserem Konzept: Das zeigt natürlich, daß das Dezemberfieber zwar Ohne eine Kosten- und Leistungsrechnung quer häufig überschätzt wird, daß es trotzdem in der Ver- durch alle Haushaltsbereiche, die zu doppelter kauf- waltung faktisch grassiert. Um das alles abzustellen männischer Buchführung führt - weg von der Kame- und einen Entwurf vorzulegen, der tatsächlich lang- ralistik -, werden wir genau diese Transparenz und fristig einen effizienten Mittelverbrauch im öffentli- Voraussetzung nicht hinbekommen. Dazu gehört na- chen Bereich sicherstellt, sind wir der Auffassung, türlich auch, daß man Kennziffern für die Leistungs- daß dieser Schritt ein zu geringer ist, als daß er die fähigkeit von bestimmten Verwaltungsbereichen ent- Zustimmung unserer Fraktion findet. Denn er führt wickelt, um die Vergleichbarkeit von „Produkten", im Ergebnis nur dazu, daß die Verwaltung Freiräume die die öffentliche Verwaltung herstellt, zu ermögli- bekommt und die parlamentarische Kontrolle unter chen. den Tisch fällt. Dieser Gesetzentwurf ist nur dem Diktat der knappen Kassen geschuldet, weil Waigel Dann kann man Rankinglisten erstellen, auf denen eine Hauskollekte in den Ressorts in Höhe von sage man sieht, daß eine Leistungsabteilung im Finanzmi- nisterium vielleicht effizienter arbeitet als eine im In- und schreibe 350 Millionen DM - 350 Millionen DM; man verspricht sich gern, weil im Finanzbereich mei- nenministerium. Auch das ist eine Anreizwirkung für stens nur von Milliarden die Rede ist - einsammeln die Beschäftigten im öffentlichen Sektor. wollte. Wenn man vom schlanken Staat spricht, dann hat immer die Vorstellung im Hinterkopf zu sein, daß die Wenn das Einsparen von 350 Millionen DM die öffentliche Hand ihre Leistungen mit möglichst ge- ganze Effizienzrendite dieser Operation ist, dann ringem Einsatz möglichst wirksam erbringt. Das zeigt das, wie kläglich der Versuch war, den die Re- nenne ich Wirtschaftlichkeit. Dazu gehört aber auch, gierung hier gestartet hat. daß das Parlament - hier reden wir für das Parlament Vielen Dank. und nicht für die Exekutive - Kontrollbefugnisse er- hält, die über das hinausgehen, was das heutige (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Haushaltsrecht auszeichnet. sowie bei Abgeordneten der SPD und der PDS) Wir brauchen also ein Berichtswesen, das den Ab- geordneten aus dem Haushaltsbereich, aber auch dem Parlament insgesamt zeitnahe Berichte über die Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Das Wort hat der Steuerung der einzelnen Haushaltsbereiche zuflie- Kollege Dr. Weng, F.D.P. ßen läßt, so daß man auf Grund des parlamentari- schen Kontrollrechts sofort reagieren kann, wenn Entwicklungen aus dem Ruder laufen. Dr. Wolfgang Weng (Gerlingen) (F.D.P.): Herr Prä- sident! Meine Damen und Herren! Es ist ein interes- (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS santes Phänomen, daß die SPD-Fraktion dem Gesetz- SES 90/DIE GRÜNEN und der SPD) entwurf zustimmt, aber zugleich dem Kritiker ap- plaudiert. Dazu muß man sich auch der Datenverarbeitung zeitgemäß bedienen. Ich könnte mir idealtypisch vor- (Uta Titze-Stecher [SPD]: Der externen stellen, daß künftig online die Berichte, die aus den Finanzkontrolle, Herr Kollege!) einzelnen Resso rts des BMF zusammenlaufen, von den Abgeordneten in ihren Büros abrufbar sind und Aber darüber muß die SPD selbst nachdenken. die politische Kontrolle dadurch anders ausgeübt wird als heutzutage. Dezemberfieber, schlampiger Umgang mit den Steuergeldern, Verantwortungslosigkeit, Nachlässig- Genauso muß dem Rechnungshof als natürlichem keit - das sind die Schlagworte, mit denen die han- Partner des Parlaments durch die Haushaltsrechtsän- delnde Politik immer wieder konfrontiert wird. Die derung eine wesentlich stärkere Ro lle zukommen, Kritik betrifft eigentlich die Verwaltungen, die Prügel damit wir Parlamentarier den Rechnungshof nicht bekommen aber die Parlamentarier. Deswegen ist es nur - wie heute noch überwiegend - als Kontrolleur naheliegend, daß diese immer wieder über die Ge- im Nachgang begreifen, sondern auch als Institution, setze nachdenken und Veränderungen vorschlagen. 18192 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 201. Sitzung. Bonn, Freitag, den 31. Oktober 1997

Dr. Wolfgang Weng (Gerlingen) Der Bürger, meine Damen und Herren, hat das Ge- wenn beide in gleicher Weise notwendig sind, aber fühl der Ohnmacht, und der jährliche Bericht des für beide das Geld nicht gereicht hätte. Auch hierbei Rechnungshofs ebenso wie das immerwährende Kla- wird die Verantwortung der handelnden Verwaltung gen des Bundes der Steuerzahler bestärken ihn in deutlich größer. Dies soll ein Ansporn sein. dem Gefühl, daß das Ausgabeverhalten der öffentli- chen Hand besser funktionieren müsse. Kontrolle bleibt nötig. Aber während jetzt vielfach die Bundesbehörden mit eigener Vorprüfung und Die Bundesrepublik ist ein Land, in dem vieles hausinterner Revision arbeiten und der Rechnungs- sehr detailliert geregelt und in Grundsätze, in Ge- hof nur die Gesamtprüfung vornimmt, wird künftig setze, in Ordnungen gegossen ist. diese Prüfung aus einem Guß durch den Rechnungs- (Geit Willner [CDU/CSU]: Das kann man hof und die ihm nachgeordneten Prüfungsämter er- wohl sagen!) folgen. Reformen sind nicht immer leicht. Die F.D.P., die ja (Uta Titze-Stecher [SPD]: Das ist eine gute eine Partei ist, die Reformen immer will, hat über Ver- Sache!) besserungen in dem genannten Bereich ausführlich Dies bringt hohe Verantwortung für den Rech- diskutiert. Noch in der vergangenen Woche hat un- nungshof, meine Damen und Herren. Das ist gewollt. sere Fraktionsvorsitzendenkonferenz einmütig Ver- Aber damit er nicht, wozu Behörden ja neigen - auch änderungen, Verbesserungen und die Modernisie- der Rechnungshof ist vielleicht nicht ganz frei da- rung des Haushaltsrechts gewünscht. von -, eine Eigendynamik der Personalaufblähung (Dr. Peter Struck [SPD]: Das muß aber ein entwickelt, haben wir als Haushaltsausschuß Perso- kleiner Kreis gewesen sein, Ihre Fraktions nalmenge und -struktur Grenzen gesetzt. Auf Antrag vorsitzendenkonferenz! Mehr als drei sind der Koalition von CDU/CSU und F.D.P. haben wir be- das wohl nicht gewesen!) schlossen, daß der Rechnungshof das erforderliche Personal durch Umsetzung aus den Ministe rien auf- So ist es erfreulich, daß die Bundesregierung - bauen muß und in der Bundesverwaltung die über- übrigens auch in der Folge erfolgreicher Modellvor- zähligen Stellen gestrichen werden. Die Kollegin haben, Herr Kollege Struck - einen Gesetzentwurf Titze-Stecher hat hier die Zahlen ja im einzelnen ge- vorgelegt hat, der Verbesserungen der gewünschten nannt. Die hiermit verbundenen Einsparungen an Art herbeiführen soll. Das Ziel: mehr Verantwortung Personal sind natürlich ein wünschenswerter Neben- an die Verwaltung, mehr direkte Verantwortung an effekt. diejenigen, die das Steuergeld direkt ausgeben, und bessere Revision durch Konzentration der Finanz- Wir vertrauen dem Rechnungshof, der in seiner kontrolle beim Rechnungshof. Eigenschaft als Beauftragter für die Wirtschaftlich- keit der Verwaltung hier nun selbst mit gutem Bei- (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) spiel vorangehen kann. Sicherlich wird er sich nicht Nur wer die jetzigen Regeln kennt, kann nachvoll- den Vorwurf einhandeln wollen, eine aufgeblähte ziehen, was die künftigen Regeln verbessern sollen. Behörde zu sein. Das Jährlichkeitsprinzip der öffentlichen Haushalte Meine Damen und Herren, die F.D.P.-Fraktion und auch der übliche Ablauf der parlamentarischen sieht durchaus, daß die Veränderungen auch Risiken Beratung haben immer dazu geführt, daß gegen Jah- - einschließen, und zwar in erster Linie Risiken für die resende nicht verbrauchtes Geld mit vollen Händen Rechte des Parlaments bzw. die Mitwirkungsmög- ausgegeben wurde. Erstens fiel es sonst an die öf- lichkeit der einzelnen Parlamentarier. Ich will aber fentliche Kasse zurück - es hieß dann immer, der Fi- hierzu in der Abwägung feststellen: nanzminister bekomme es wieder; in Wirklichkeit wurde es eingespart -, zweitens bestand aber die Ge- Erstens. Das Recht, den Haushalt zu gestalten, fahr, daß man im kommenden Jahr weniger Geld er- bleibt bei den Parlamenten. Über die A rt der Ausge- hielt, weil man ja gezeigt hatte, daß man mit weniger staltung kann der Haushaltsgesetzgeber auch zu- Geld auskommen konnte. Kaufmännisch gesehen ist künftig entscheiden. solches Verhalten der Behörden Unsinn. Aber warum sollte eine Behörde kaufmännisch denken? Zweitens. Der Abgeordnete, der sich intensiv mit einer Angelegenheit befaßt - im Vorfeld der Haus- Meine Damen und Herren, dies soll sich ändern. haltsentscheidungen ebenso wie beim laufenden Künftig werden größere Spielräume eingeräumt, Haushaltsvollzug -, wird auch weiterhin intensiv mit- künftig wird es interne Rückstellungen für größere wirken können. Das heißt, Fleiß und Engagement Ausgaben des Folgejahres geben können. Dies wird machen sich auch zukünftig durch politische Erfolge die direkt handelnden Personen sehr viel stärker in bezahlt. die Verantwortung nehmen - ein gutes Ziel. (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) Die öffentlichen Haushalte sind sehr detaillie rt auf- gegliedert. Das hat zweifelsfrei Vorteile für den Drittens. Für das Parlament wird der Gesamtüber- Haushaltsgesetzgeber, engt aber die handelnden blick schwieriger, weil natürlich die seitherige sehr Ausgabenstellen stark ein. Künftig sollen in viel grö- detaillierte Haushaltsgestaltung eine schnelle Uber- ßerem Maße als seither globale Geldbeträge für eine sicht über Abläufe und neue Pläne gibt. Das wird so Gesamtaufgabenstellung zur Verfügung stehen, so nicht mehr möglich sein, aber einen Tod muß man daß, wenn sich zum Beispiel eine Maßnahme verzö- sterben. Wer durch effektive Verwaltung Geld spa- gert, dafür eine andere vorgezogen werden kann, ren will, muß auch die nötigen Spielräume an die Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 201. Sitzung. Bonn, Freitag, den 31. Oktober 1997 18193

Dr. Wolfgang Weng (Gerlingen) Verwaltung geben und darf nicht jedes Detail regle- daß solche Dinge, wie sie sich allein am gestrigen mentieren wollen. Tag ereignet haben - ich meine die vielen haushalts- relevanten Hiobsbotschaften -, für eine Fortentwick- Wir wollen und werden die Möglichkeiten des bes- lung des Haushaltsrechtes und für das Ergebnis, das seren Umgangs mit Geld auch dazu nutzen, mit we- man damit erzielen will, tödlich sind. niger Geld das gleiche zu erreichen; Einspareffekte sind ja eingebaut. In den Bereichen, in denen mit (Beifall bei der PDS sowie bei Abgeordne den neuen Möglichkeiten schon ab dem kommenden ten der SPD) Jahr gearbeitet wird, müssen die Behörden mit weni- ger Geld auskommen, um das gleiche Ziel zu errei- Ich erinnere daran: Wir haben gestern zur gleichen chen, und damit ihre Effektivität beweisen. Zeit drei schlimme Botschaften vernommen: Daß wir Wert darauf legen, daß die Gelder für die not- Der Bundesfinanzminister verhängt zum zweiten wendigen Investitionen und Sachausgaben nicht für al in diesem Jahr eine Haushaltssperre. Daraus Personal aufgewendet werden, versteht sich fast von werden Ausgabenkürzungen resultieren, auf die das selbst. Ich will aber gerade auf diesen Aspekt auch aus Parlament keinerlei Einfluß mehr hat. der Sicht der F.D.P.-Fraktion ausdrücklich hinweisen. Zeitgleich erklärt der Bundesarbeitsminister die Meine Damen und Herren, der Appell an die Bür- Anhebung der Rentenbeiträge von 20,3 auf 21 Pro- ger, zukunftsgerichtet und flexibler zu sein, gilt na- zent, was ja nicht nur eine weitere Belastung der Be- türlich auch für die politisch Handelnden. Künftige schäftigten und der Unternehmen bedeutet, sondern Generationen von Parlamentariern werden den öf- auch einen weiteren notwendigen Zuschuß aus dem fentlichen Haushalt verändert gestalten können. Ich Bundeshaushalt an die Rentenkassen zur Folge ha- bin sicher, daß insbesondere liberale Politiker auch ben wird. Auch das ist ein Automatismus, auf den die unter den neuen Voraussetzungen ihre Chancen nut- Parlamentarier keinerlei Einfluß mehr haben. zen werden. Zur selben Zeit aber stimmt eine Mehrheit im Haus- Deshalb stimmt die F.D.P.-Fraktion dem Gesetzent- haltsausschuß dem 23 Milliarden DM schweren Euro- wurf auch in zweiter und dritter Beratung zu. fighter - Beschaffungsprogramm der Regierung zu, Vielen Dank. (Eckart Kuhlwein [SPD]: Teurer!) (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) das für 17 Jahre im voraus den Bundeshaushalt bela- stet.

Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Das Wort hat die (Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [F.D.P.]: Kollegin Professor Christa Luft, PDS. Sie werden noch einmal froh darum sein!) Auch das entzieht sich der weiteren parlamentari- Dr. Christa Luft (PDS): Herr Präsident! Verehrte schen Debatte. Man muß denken, man sei im fal- Kolleginnen und Kollegen! Jawohl, das Thema, das schen Film. wir hier debattieren, ist außerordentlich spröde und (Beifall bei der PDS sowie des Abg. Ecka rt enthält sehr viel Haushaltschinesisch, aber ich Kuhlwein [SPD] - Dr. Wolfgang Weng [Ger --m denke, denjenigen, die uns heute morgen zuhören, lingen] [F.D.P.]: Das ist bei Ihnen nicht aus sollten wir folgendes sagen: Es geht um höchst sensi- geschlossen!) ble politische Dinge. Am 11. November steht die nächste Steuerschät- (Uta Titze-Stecher [SPD]: So ist es!) zung an. Wir werden mit neuerlichen Katastrophen- Es geht erstens darum, daß effizienter mit öffentli- meldungen zu tun haben. Als Mitglied des Haus- chen Geldern, mit Steuergeldern umgegangen wird. haltsausschusses kann ich nur sagen: Die außer- Wenn der Bundesrechnungshof in seinem kürzlich ordentlich intensive Arbeit und auch die enorme ex- vorgelegten Jahresgutachten wiederum davon tensive Arbeit, die dort geleistet werden muß und ge- spricht, daß von Bundesministerien, Sozialversiche- leistet wird, wird vielfach zunichte gemacht, wenn rungen und Behörden im vergangenen Jahr Steuer- solche Hiobsbotschaften uns täglich ins Haus stehen. gelder in Milliardenhöhe verschwendet worden sind, (Beifall bei der PDS sowie bei Abgeordne dann muß selbstverständlich die Alarmglocke läuten. ten der SPD) Es geht zweitens darum, daß die Kontrollmöglich- Vor diesem Hintergrund müssen wir die Fortent- keiten, die Kontrollverantwortung der Legislative wicklung des Haushaltsrechts debattieren. Sie stim- gegenüber der Exekutive nicht nur gesichert bleiben, men mir doch sicherlich, meine Damen und Herren sondern ausgebaut werden. Das setzt ein hohes Maß von der Koalition, zu: Haushaltsrechtlich können Sie an Transparenz der öffentlichen Haushalte voraus; soviel gar nicht hereinholen, wie Sie wirtschafts- und das setzt aber selbstverständlich auch ein hohes Maß finanzpolitisch laufend in den Sand setzen! an Stabilität in der Haushaltsführung voraus. Auf die- sen Aspekt möchte ich ausdrücklich aufmerksam ma- (Beifall bei der PDS sowie bei Abgeordne chen; er ist in dieser Debatte noch nicht angeklungen. ten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Wenn wir über das jetzt in Rede stehende Thema der haushaltsrechtlichen Fortentwicklung debattie- Damit keine Mißverständnisse entstehen: Eine Fo rt ren, dann dürfen wir doch nicht außer acht lassen, entwicklung des Haushaltsrechts ist notwendig, um 18194 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 201. Sitzung. Bonn, Freitag, den 31. Oktober 1997

Dr. Christa Luft den effizientesten Umgang mit den Geldern, die den Es gibt einen Bundesrechnungshofbericht mit kriti- Bürgern in Form von Steuergeldern genommen wer- schen Anmerkungen zur Eurofighter-Beschaffung. den, zu gewährleisten. Es gibt kritische Anmerkungen zum Bau der Bundes- tags-Kita in Berlin. Es gab kritische Anmerkungen Die Bundesregierung greift - das muß man sagen - zum Verkauf der DDR-Banken. Allein eine Neuorga- mit ihrem Gesetzentwurf einige Punkte notwendiger nisation der externen Finanzkontrolle des Bundes - Veränderungen auf. Ich nenne Flexibilisierung, Glo- so notwendig sie denn auch ist - reicht natürlich balisierung, Überjährigkeit, gegenseitige Deckungs- nicht aus. Es kommt auf eine andere Einstellung zu fähigkeit. Im Prinzip ist das schon die richtige Rich- den Prüfergebnissen an. Das, meine ich, muß in die- tung. Aber Voraussetzung ist - das ist eine Anforde- ser Debatte betont werden. rung an die Parlamentarier selbst, also an die Legisla- tive -, daß gegenüber den Resso rts und den Verwal- Danke. tungszweigen die Handlungsziele, die erreicht wer- den müssen, genau definiert werden. (Beifall bei der PDS sowie bei Abgeordne ten der SPD) Voraussetzung ist aber auch eine voll etablierte, funktionierende Kosten - Leistungs - Rechnung. Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Das Wort hat die (Uta Titze-Stecher [SPD]: Das ist der Schwach Parlamentarische Staatssekretärin Irmgard Kar- punkt!) watzki. Da sind Sie außerordentlich zögerlich. Nur dieses Verfahren aber ermöglicht den Parlamentariern, die Irmgard Karwatzki, Parl. Staatssekretärin beim finanzwirtschaftlichen und ökonomischen Folgen der Bundesminister der Finanzen: Liebe Kolleginnen Mittelverwendung genauestens zu kontrollieren. Die und Kollegen! Über den Charme des Gesetzes haben angestrebte Effektivierung des Haushaltshandelns die Kollegen Titze-Stecher und Diet rich Austermann der Ressorts darf nicht zu Lasten der parlamentari- ihre Ausführungen gemacht. Ich schließe mich die- schen Handlungsspielräume gehen. Genau aber sen Aussagen vollinhaltlich an. diese Gefahr sehe ich, auch bei dem Entwurf, den Sie hier vorgelegt haben. (Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [F.D.P.]: Und meinen nicht?) Wir sind uns einig darin, daß die eigentliche Ursa- che für den permanenten Haushaltsnotstand nicht - Doch, deinen auch. das Haushaltsrecht ist, wenngleich es, wie gesagt, verändert werden muß, sondern darin liegt, daß so (Heiterkeit) viele Millionen Menschen nicht die Chance haben, Dennoch: Das Gesetz ist sehr wichtig. Steuerzahlerin und Steuerzahler zu werden, weil ih- nen der Zugang zum Arbeitsmarkt verwehrt ist. Ich bedanke mich für die Bereitschaft des Hauses auf allen Seiten, das Modell zur Fortentwicklung des (Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Manche Haushaltsrechtes von Bund und Ländern jetzt auf nutzen die Chance auch nicht!) eine breite Basis zu stellen. Danken möchte ich be- Ursachen liegen ebenfalls in den noch immer vor- sonders den Kolleginnen und Kollegen des Haus- handenen Steuerschlupflöchern, in der nicht erfolg- haltsausschusses, die bereit waren, auch der Ände-- ten Besteuerung spekulativer Aktiengewinne. Man rung des Staatsbankgesetzes zuzustimmen. könnte diese Palette fortsetzen. Das alles könnte vor Ich bitte Sie, meine Damen und Herren hier im Ple- der Bundestagswahl in Angriff genommen werden. num, ebenfalls um Ihre Zustimmung. Sie brauchen nicht auf eine große Steuerreform nach der nächsten Bundestagswahl zu warten, wenn Sie (Karl Diller [SPD]: Management by chaos!) es denn politisch als Problem erkennen würden. Ich sage gerne zu, Frau Kollegin Titze-Stecher, die Lassen Sie mich aber auch sagen, daß es mich zu- Fragen, die Sie heute gestellt haben, bis zur Bereini- tiefst befremdet, wie distanziert und häufig sogar ab- gungssitzung zu beantworten, was mir dann hoffent- wiegelnd mit den zumeist sehr kritischen Berichten lich auch in Ihrem Sinne zufriedenstellend gelingen des Bundesrechnungshofs umgegangen wird, von wird. seiten der Regierung und auch von seiten der Koali- tionsabgeordneten. Im übrigen, liebe Kolleginnen und Kollegen, haben insbesondere die ersten drei, vier Redner das Gesetz (Beifall bei der PDS sowie des Abg. Eckart so klar vorgestellt, daß ich mich jetzt nur noch in Wie- Kuhlwein [SPD] - Dr. Wolfgang Weng [Ger derholungen ergehen könnte. Das will ich nicht tun. lingen] [F.D.P.]: Das stimmt doch überhaupt Ich werde daher, wenn Sie damit einverstanden sind, nicht!) meine Rede zu Protokoll geben.*) Wir können uns die in der Regel sehr aufwendigen Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. Arbeiten dieses Kontrollorgans sparen, wenn mit den Ergebnissen nicht sorgfältiger umgegangen wird. Ich (Beifall bei der CDU/CSU, der F.D.P. und nenne Ihnen Beispiele aus der jüngsten Zeit, die ich der SPD - Dr. Peter Struck [SPD]: Sehr gut! überschauen kann. Jetzt haben Sie bei uns wirklich etwas gut!) (Eckart Kuhlwein [SPD]: Herr Rühe gestern zum Beispiel!) *) Anlage 3 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 201. Sitzung. Bonn, Freitag, den 31. Oktober 1997 18195

Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Ich gehe davon Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Ich gehe davon aus, daß das Haus damit einverstanden ist. aus, daß das Haus auch in diesem Fall damit einver- standen ist, daß die Rede zu Protokoll gegeben wird. (Dr. Peter Struck [SPD]: Sehr einverstan - Ich höre keinen Widerspruch. Dann wird so verfah- den!) ren. - Schön. Jetzt hat das Wo rt der Kollege Dietrich Auster- Dann hat jetzt das Wo rt der Kollege Karl Di ller, mann, CDU/CSU. SPD. (Dr. Peter Struck [SPD]: Was ist denn jetzt los? Sie haben doch schon mal gesprochen! Karl Diller (SPD): Herr Präsident! Meine Damen - Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Stimmt und Herren! Es ist in der Tat so: Das beste Haus- ihr jetzt zu? - Uta Titze-Stecher [SPD]: Wir haltsrecht nutzt nichts, wenn die handelnde Regie- enthalten uns!) rung von der Planaufstellung bis zum Haushalts- vollzug am letzten Tag ständig management by chaos - Wir können es nicht davon abhängig machen, Herr macht. Kollege Austermann, ob Sie nun reden oder nicht. Sie müssen schon ans Pult treten. (Beifall bei der SPD) (Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [F.D.P.]: Er Das beste Haushaltsrecht nutzt nichts, wenn sich hätte Unterbrechung beantragen müssen, die handelnde Regierung über das Recht hinweg- Herr Präsident! - Ecka rt Kuhlwein [SPD]: Er setzt mußte filibustern, damit seine Truppen an Land kommen!) (Beifall bei der SPD - Dr. Peter Struck [SPD]: Leider wahr!) Dietrich Austermann (CDU/CSU): Herr Präsident! und entgegen den Protesten dieses Recht weiterhin Meine Damen und Herren! Ich habe mich deshalb biegt, so daß der SPD-Fraktion in wichtigen Fragen noch einmal zu Wort gemeldet, weil ich davon ausge- des Haushaltsrechts nichts anderes blieb, als im Som- gangen bin, daß der Kollege Diller auch diese De- mer dieses Jahres den Beschluß zu fassen, den Gang batte, bei der es thematisch nicht vorgegeben ist, zu nach Karlsruhe anzutreten und in Karlsruhe wichtige einer Philippika gegen die Arbeit des Finanzmini- Bereiche des Haushaltsrechts einer verfassungs- sters und der Bundesregierung nutzen würde. Er hat rechtlichen Überprüfung unterziehen zu lassen. das getan, indem er gesagt hat, die Regierung habe (Beifall bei der SPD - Dr. Wolfgang Weng sich über das Gesetz hinweggesetzt. Das steht ein [Gerlingen] [F.D.P.]: Auch da werdet ihr ver bißchen in Widerspruch zu dem, was er an anderer lieren!) Stelle gesagt hat. Auf der einen Seite sagt er, das Ge- setz müsse geändert werden. Auf der anderen Seite Deshalb muß das Haushaltsrecht geändert werden; sagt er, die Regierung halte das Gesetz nicht ein. es muß modernisiert werden. Der Vorschlag der Re- gierung geht uns nicht weit genug. Wer unsere Argu- Die SPD hat angekündigt, sie werde das Verwal- mente dazu im einzelnen nachlesen wi ll, den bitte tungshandeln der Regierung, das Finanzgebaren in ich, das im Protokoll des Deutschen Bundestages Karlsruhe überprüfen lassen. - nachzulesen.*) Ich möchte mich nämlich dem Bei- spiel meiner Vorrednerin anschließen. Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Diller? Zuvor aber möchte ich noch eine Anmerkung ma- chen. In der Drucksache 13/8875 heißt es auf der Seite 3 unter „D. Kosten": Dietrich Austermann (CDU/CSU): Ja, bitte. Durch die Neuorganisation der externen Finanz- kontrolle ergeben sich nach Abschluß der Um- Karl Diller (SPD): Herr Kollege Austermann, da Ihr strukturierung Einsparungen für den Bundes- Redebeitrag offensichtlich nur dem einzigen Zweck haushalt von rd. 35 Mio. DM/Jahr dient, Zeit zu schinden, damit noch genügend Kolle- ginnen und Kollegen Ihrer Fraktionen zusammen- - das ist korrekt; aber dann heißt es: kommen, versichere ich Ihnen: Wir werden uns bei der Abstimmung der Stimme enthalten. Sie können und für die Haushalte der Länder und Gemein- Ihre Rede beenden. Wir können zur Abstimmung den von rd. 20 Mrd. DM/Jahr. kommen. (Eckart Kuhlwein [SPD]: Oh!) (Heiterkeit bei der SPD und dem BÜND NIS 90/DIE GRÜNEN) Das ist allzuviel Optimismus. Das muß korrigiert wer- den, Herr Präsident. Es muß 20 Mio. heißen. Dietrich Austermann (CDU/CSU): Ich gehe davon Vielen Dank. aus, Herr Kollege Diller, daß die SPD sowohl vor der Bundestagswahl, also zum gegenwärtigen Zeitpunkt, (Beifall bei der SPD sowie der Abg. wie auch nach der Bundestagswahl nicht alleine wird Dr. Christa Luft [PDS]) sagen können, was in Deutschland zu geschehen habe, da sie nicht die Mehrheit hat. Wenn Sie also für s) Anlage 3 Ihre Fraktion erklären, sie wolle sich der Stimme ent- 18196 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 201. Sitzung. Bonn, Freitag, den 31. Oktober 1997

Dietrich Austermann halten, mag es gleichwohl so sein, daß andere de- Mehreinnahmen erzielen. Statt dessen gab es sowohl struktive Kräfte die Gelegenheit wahrnehmen, eine im Bundesrat wie auch im Bundestag selbst und im vorübergehende Minderheit zu ihrem Vorteil zu nut- Haushaltsausschuß alle möglichen Versuche, die zen. Mehrheit an der vernünftigen Arbeit im Interesse des Landes zu behindern. (Lachen bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN - Eckart Kuhlwein [SPD]: (Jörg Tauss [SPD]: Oje, oje!) Jetzt ist aber Schluß! Hol doch mal fünf rein bei euch! Dann ist alles klar!) Dies mußte hier deutlich gesagt werden. Nachdem das gesagt ist, darf ich mich noch einmal mit der Bitte Ich will den Punkt noch einmal aufnehmen, auch an Sie wenden, dem von der Regierung vorgelegten im Hinblick auf die anwesenden Zuhörer. Sie haben Gesetzentwurf zuzustimmen, der zwei Bereiche ent- der Bundesregierung vorgeworfen, daß sie gesetzli- hält: Im ersten Teil wird das Staatsbankgesetz neu che Regelungen in der Praxis nicht einhalte und daß geregelt, und mit dem zweiten Teil wird mehr Flexi- Sie wegen des Haushaltsgebarens gezwungen seien, bilität in der öffentlichen Verwaltung sichergestellt. das Bundesverfassungsgericht anzurufen. Ich kann dazu nur feststellen: Es gibt bereits konkrete Ent- Herzlichen Dank. scheidungen von Verfassungsgerichten, wer wann (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) wo die Haushaltskriterien verletzt hat.

Eine solche Entscheidung gibt es bezogen auf das Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Ich schließe die Land Niedersachsen. Für das letzte Haushaltsjahr ist Aussprache. Herrn Schröder bestätigt worden, daß er die Verfas- sung nicht eingehalten hat. Das Land ist praktisch Wir kommen zur Abstimmung über den von der pleite. Eine solche Entscheidung gibt es auch bezo- Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur gen auf das Saarland, das Land, in dem Herr Lafon- Fortentwicklung des Haushaltsrechts von Bund und taine regiert und in dem nicht nur der Rechnungshof Ländern; das sind die Drucksachen 13/8293 und 13/ gesagt hat, die Regierung verhalte sich verfassungs- 8875. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in widrig. Eine solche Entscheidung gibt es ebenfalls der Ausschußfassung zustimmen wollen, um das für das Land Schleswig-Holstein, regiert von Frau Si- Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der monis, wo der Rechnungshof eindeutig gesagt hat, Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den was dort mit der Verscherbelung von Staatsvermö- Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stim- gen passiere, sei rechtlich nicht in Ordnung. Wer also men von Bündnis 90/Die Grünen und der Gruppe im finanzpolitischen Glashaus sitzt, sollte nicht sa- der PDS bei Stimmenthaltung der SPD angenom- gen, hier regiere das Chaos. men. Der zweite Punkt. Es geht darum, ob wir jetzt eine Wir kommen zur Haushaltssperre verhängen sollten oder nicht. Nun dritten Beratung kann doch derjenige, der schon vor einem halben Jahr gesagt hat, er wisse ganz genau, welche Haus- und Schlußabstimmung. Ich bitte diejenigen, die haltssituation und welche neuen Löcher sich zu wel- dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erhe- chem Zeitpunkt ergeben würden, jetzt nicht die rich- ben. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der tige, vernünftige, im Gesetz vorgesehene Entschei- Gesetzentwurf ist damit bei gleichen Mehrheitsver- dung des Bundesfinanzministers, nämlich eine hältnissen wie zuvor angenommen. Sperre nach § 41 BHO zu verhängen, kritisieren. Es handelt sich hier, lieber Kollege Diller, nicht um den Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses zu letzten Strohhalm. Wer verantwortlich handelt, unter- dem Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zu stützt den Finanzminister und sorgt damit dafür, daß einer umfassenden Haushalts- und Finanzreform, die Entscheidungen getroffen werden, die möglichst Drucksache 13/8876. Der Ausschuß empfiehlt auf einen sparsamen Umgang mit den Haushaltsmitteln Drucksache 13/8472, den Antrag abzulehnen. Wer gewährleisten und die sicherstellen, daß wir die stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegen- Maastricht-Kriterien erfüllen. Dies haben wir ange- probe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung strebt; dies ist unser Ziel. Ich denke, daß wir durch ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Haushaltssperre die entsprechenden Mittel auch die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen und der bei der praktischen Haushaltsdurchführung einspa- Gruppe der PDS bei Stimmenthaltung der SPD ange- ren werden. nommen.

(Eckart Kuhlwein [SPD]: Jetzt kannst du Ich rufe den Zusatzpunkt 8 auf: aufhören! - Jörg Tauss [SPD]: Jetzt sind alle da!) Zweite und dritte Beratung des von der Bun- desregierung eingebrachten Entwurfs eines Der letzte Punkt, den ich ansprechen möchte, ist: Gesetzes über die Errichtung eines Bundes- Wer dieses Haushaltsgebaren kritisiert, sollte bitte amtes für Bauwesen und Raumordnung sowie der Öffentlichkeit auch deutlich machen, wo denn zur Änderung besoldungsrechtlicher Vor- seine Alternativen sind. Ich habe in dieser Debatte schriften bisher nicht gehört, daß Sie vorgeschlagen hätten, an der und der Stelle solle diese oder jene Ausgabe ge- - Drucksache 13/8447 - kürzt werden und an der und der Stelle könnten wir (Erste Beratung 192. Sitzung) Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 201. Sitzung. Bonn, Freitag, den 31. Oktober 1997 18197

Vizepräsident Hans-Ulrich Klose a) Beschlußempfehlung und Bericht des Aus- c) Erste Beratung des von den Abgeordneten schusses für Raumordnung, Bauwesen und Dr. Uwe-Jens Heuer, Dr. Gregor Gysi und Städtebau (18. Ausschuß) der Gruppe der PDS eingebrachten Ent- - Drucksache 13/8882 - wurfs eines Vierzehnten Gesetzes zur Än- derung des Bundeswahlgesetzes Berichterstattung: - Drucksache 13/3523 - Abgeordnete Hans-Wilhelm Pesch Überweisungsvorschlag: Walter Schöler Innenausschuß (federführend) Ausschuß für Wahlprüfung, Immunität und Geschäfts- b) Bericht des Haushaltsausschusses (8. Aus ordnung Rechtsausschuß schuß) gemäß § 96 der Geschäftsordnung Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend - Drucksache 13/8887 - Berichterstattung: d) Erste Beratung des von den Abgeordneten Dr. Uwe-Jens Heuer, Dr. Gregor Gysi und Abgeordnete Dieter Pützhofen der Gruppe der PDS eingebrachten Ent- Jürgen Koppelin wurfs eines Vierten Gesetzes zur Ände- Dr. Rolf Niese rung des Europawahlgesetzes Oswald Metzger - Drucksache 13/3521 - Eine Aussprache ist nicht vorgesehen. Überweisungsvorschlag: Wir kommen damit zur Abstimmung. Ich bitte die- Innenausschuß (federführend) jenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschußfas- Ausschuß für Wahlprüfung, Immunität und Geschäfts- ordnung sung zustimmen wollen - Drucksachen 13/8447 und Rechtsausschuß 13/8882 -, um das Handzeichen. - Wer stimmt dage- Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend gen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für SPD-Fraktion bei Stimmenthaltung von Bündnis 90/ die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen, wo- Die Grünen und PDS in zweiter Beratung angenom- bei die Gruppe der PDS fünf Minuten erhalten soll. - men. Widerspruch höre ich nicht. Dann ist es so beschlos- sen. Wir kommen zur Ich eröffne die Aussprache. Das Wo rt hat der Kol- dritten Beratung lege Gregor Gysi. und Schlußabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erhe- Dr. Gregor Gysi (PDS): Herr Präsident! Meine Da- ben. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der men und Herren! In allen Parteien, nicht nur in der Gesetzentwurf ist bei gleichen Mehrheitsverhältnis- PDS, wird über Politikverdrossenheit und zum Teil sen wie zuvor angenommen. auch über Demokratieverdrossenheit in unserer Ge- sellschaft geklagt. Das ist tatsächlich ein Problem. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 20a bis 20 d auf: Ich denke, daß es deshalb auch Aufgabe der Politik- sein muß, sich selber interessanter zu machen. Dazu a) Erste Beratung des von den Abgeordneten gehört die Erweiterung des Wahlrechts. Das heißt, Dr. Uwe-Jens Heuer, Dr. Gregor Gysi und wir sollten die Fragen erörtern, wie man die Bundes- der Gruppe der PDS eingebrachten Ent- tagswahlen und auch die Wahlen zum Europäischen wurfs eines Gesetzes zur Änderung des Parlament attraktiver gestalten kann, wie mehr Artikels 38 des Grundgesetzes Bürgerinnen und Bürger in die politische Auseinan- - Drucksache- 13/3519 dersetzung einbezogen werden können und wie mehr unmittelbare Demokratie durch das Wahlrecht Überweisungsvorschlag: entstehen kann. Rechtsausschuß (federführend) Ausschuß für Wahlprüfung, Immunität und Geschäfts- Wir haben Ihnen nun vorgeschlagen, A rt. 38 des ordnung Grundgesetzes zu ändern, und zwar durch Auf- Innenausschuß Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend nahme zweier neuer Gesichtspunkte. Erstens wollen wir, daß Jugendliche ab Vollendung des 16. Lebens- b) Erste Beratung des von den Abgeordneten jahres die Möglichkeit haben, den Bundestag und Dr. Uwe-Jens Heuer, Dr. Gregor Gysi und auch das Europäische Parlament zu wählen, das der Gruppe der PDS eingebrachten Ent- heißt ein aktives Wahlrecht bekommen. wurfs eines Dreizehnten Gesetzes zur Än- derung des Bundeswahlgesetzes Ich möchte jetzt eigentlich nicht auf die wissen- schaftlichen Gutachten eingehen, die es dazu gibt - Drucksache 13/3520- und die nachweisen, daß heute Jugendliche mit 16 Überweisungsvorschlag: und 17 Jahren eine politische Reife haben, wie sie Innenausschuß (federführend) 18jährige vor 30 oder 40 Jahren hatten. Es hat einen Ausschuß für Wahlprüfung, Immunität und Geschäfts- Entwicklungsschub gegeben, so daß es gerechtfer- ordnung Rechtsausschuß tigt ist, den 16- und 13jährigen das Wahlrecht einzu- Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend räumen. 18198 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 201. Sitzung. Bonn, Freitag, den 31. Oktober 1997

Dr. Gregor Gysi Vielmehr möchte ich umgekehrt die Frage stellen: den anderen Fragen, deren Änderung wir ebenfalls Gehört das Wahlrecht nicht zu den Kategorien, die noch vorgeschlagen haben, entscheiden können. Ich man Grundrechte nennen könnte? Wenn das so ist, will diese Änderungsvorschläge kurz benennen. dann braucht doch derjenige, der sich entscheidet, jemandem das Wahlrecht zu entziehen, dafür beson- Wir haben uns im letzten Jahr mit der Frage der ders gute Gründe, und nicht umgekehrt derjenige, Überhangmandate herumschlagen müssen. Wir ha- der meint, daß Menschen dieses Wahlrecht haben ben Vorschläge dazu gemacht, wie man Überhang- sollten. Das heißt, wenn Sie den 16- und 17jährigen mandate vermeiden kann, nämlich erstens dadurch, kein Wahlrecht einräumen wollen, dann müßten Sie daß man die Abweichung zwischen Wahlkreisen in dafür sehr gute Gründe nennen, dann müßte nicht der Bevölkerungszahl auf 25 Prozent nach oben und umgekehrt ich lange begründen, weshalb 16- und unten reduziert - dadurch wäre die Möglichkeit für 13jährige ein Wahlrecht bekommen sollten. Überhangmandate deutlich begrenzt -, und zweitens dadurch, daß wir Kompensationen zwischen den Auf jeden Fall würden Jugendliche dadurch auch Landeslisten einer Partei vorschlagen, so daß es zu für Abgeordnete zu einer interessanten Gruppe. Das Überhangmandaten gar nicht kommen kann. ist nicht zu vernachlässigen; denn die Folge dessen Bitte vergessen Sie nicht, daß das Bundesverfas- wäre, daß wir uns dann über Ausbildungsplätze und sungsgericht in der Frage der Überhangmandate andere Dinge konstruktiver unterhielten. eine Vier-zu-vier-Entscheidung getroffen hat. Das (Beifall bei der PDS) heißt, es wäre durchaus denkbar, daß bei der Neu- wahl einer Richterin oder eines Richters ein Fünf-zu- Zweitens schlagen wir vor, daß Bürgerinnen und drei-Verhältnis in der Frage entstünde, ob Überhang- Bürger, die keine deutschen Staatsangehörigen sind, mandate grundgesetzwidrig sind oder nicht. Stellen die aber legal fünf Jahre und länger ihren ständigen Sie sich einmal vor, Sie nähmen jetzt keine Gesetzes- Wohnsitz in der Bundesrepublik Deutschland haben, änderung vor und es gäbe eine neue Zusammenset- ein aktives und passives Wahlrecht bekommen. Das zung des Senats. Nach der nächsten Wahl würde betrifft die Frage der Integration von Mitbürgerinnen eine Grundgesetzwidrigkeit festgestellt, und dann und Mitbürgern; das betrifft die Frage, ob man das müßten wir sehr vieles wiederholen und würden bei Wahlrecht am Lebensmittelpunkt oder mehr am Blut, der Bevölkerung, glaube ich, einen ausgesprochen an einer formalen oder einer faktischen Zugehörig- schlechten Ruf bekommen, weil wir vorher die Mög- keit zu einer Staatsbürgerschaft orientiert. Ich denke, lichkeit zu einer Gesetzesänderung hatten und sie der Lebensmittelpunkt muß entscheidend sein. nicht genutzt haben. Wir haben gestern erlebt, wie schwierig es ist, in Ich denke also, hier ist unbedingt eine Änderung den Fragen der Staatsangehörigkeit in diesem Hause angebracht, zumal sich die Bürgerinnen und Bürger Klarheit herzustellen. Daher wäre es ein logischer darauf verlassen müssen, daß die Zweitstimmen, so Schritt, daß wir jenen, die zwar nicht die deutsche wie es auf jedem Wahlschein steht, letztlich entschei- Staatsangehörigkeit haben, die aber fünf Jahre und dend für die Zusammensetzung des Bundestages länger legal bei uns leben und ihren Lebensmittel- sind. punkt hier haben, politische Rechte einräumen, da- mit sie von anderen endgültig als gleichwe rtig gese- Wir haben ferner vorgeschlagen - aus Zeitgründen hen und anerkannt werden. Das wäre in wichtiger kann ich nicht weiter darauf eingehen -, die Fünf- Schritt zur Beseitigung von Ausländerfeindlichkeit prozenthürde zu streichen. Wir sind immer noch der und Rassismus in unserer Gesellschaft. Meinung, daß das eine Fehlkonstruktion und der Versuch der Parteien im Bundestag ist, sich gegen- (Beifall bei der PDS) über anderen Parteien, die draußen sind, abzuschot- Übrigens finde ich auch das Umgekehrte im ten. Ich kann die Vergleiche mit der Weimarer Repu- Grunde genommen skandalös. Heute kann ein Deut- blik nicht akzeptieren. Wir haben eine demokrati- scher, der seit 25 Jahren in Chile lebt, drei Monate sche Grundstruktur. Daher brauchen wir die Fünf- vor der Bundestagswahl hier einreisen und seinen prozenthürde nicht, um die Wiederholung der Ver- Wohnsitz begründen; dann wählt er den Kanzler, mit hältnisse in der Weimarer Republik zu verhindern. dem ich mich die ganze Zeit herumzanken muß, und Hinzu kommt: Andere Länder haben keine Fünfpro- dampft danach wieder nach Chile ab. Ich finde, der- zenthürde; ihre Demokratie ist trotzdem nie gefähr- jenige soll dann sein Wahlrecht in Chile ausüben, det gewesen. nämlich dort, wo er seinen Lebensmittelpunkt hat. Auch in meiner Partei wird manchmal das Argu- Das wäre angebrachter. ment vorgetragen, dann könnten aber auch rechtsge- richtete Parteien in den Bundestag einziehen. (Dieter Wiefelspütz [SPD]: Wie oft kommt das denn vor, Herr Gysi?) Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Herr Kollege - Das weiß ich nicht; aber einmal wäre mir schon zu Gysi! viel.

Ich will nur darauf hinweisen, daß ich glaube, daß Dr. Gregor Gysi (PDS): Noch zwei Sätze. das ein wichtiger Integrationsakt wäre. Dazu will ich nur sagen: Probleme löst man nicht Wir haben diese Dinge in unserem Gesetzentwurf dadurch, daß man sie nicht sichtbar macht, sondern zur Änderung des Bundeswahlgesetzes gesondert dadurch, daß man sie an der Wurzel packt. Das ist vorgeschlagen, so daß Sie darüber unabhängig von das Entscheidende. Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 201. Sitzung. Bonn, Freitag, den 31. Oktober 1997 18199

Dr. Gregor Gysi Letztlich haben wir vorgeschlagen - das halte ich Liberale aus den neuen deutschen Bundesländern für ganz wichtig, um Fortschritte in bezug auf die De- sitzen. Insofern halte ich das für anmaßend. mokratie zu erzielen -, daß die Bürgerinnen und Bür- (Detlef Kleine rt [Hannover] [F.D.P.]: Mein ger künftig auch die Möglichkeit haben müssen, auf Nachbar ist do rt einmal direkt gewählt wor den Landeslisten der Parteien selber eine Auswahl zu treffen, so daß nicht die Parteien alleine über die den! - Abg. Dr. Gregor Gysi meldet sich zu Reihenfolge bestimmen, sondern die Wählerinnen einer Zwischenfrage.) und Wähler mitbestimmen können. Dann würden - Angesichts der Kürze der mir zur Verfügung ste- Abgeordnete nämlich nicht nur darum kämpfen, ei- henden Zeit und da wir auch irgendwann zum nen entsprechenden Listenplatz durch die Partei zu Schluß kommen wollen, bitte ich, auf Zwischenfra- bekommen, sondern dann müßten sie zugleich bei gen zu verzichten. den Wählerinnen und Wählern darum kämpfen, daß sie auf den Listen auch noch angekreuzt werden. Ich will eine kurze Anmerkung zum Ausländer- wahlrecht machen. Das Bundesverfassungsgericht (Beifall bei der PDS) hat am 31. Oktober 1990 nochmals deutlich festge- stellt: Das Wahlrecht, durch dessen Ausübung das Volk Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Das Wort hat der in erster Linie die ihm zukommende Staatsgewalt Kollege Michael Teiser, CDU/CSU. ausübt, setzt nach der Konzeption des Grundge- setzes die Eigenschaft als Deutscher voraus. Michael Teiser (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine Und zu Art. 20 Abs. 2 Satz 1 hat es festgestellt: Damen und Herren! Herr Kollege Gysi, Ihr Beispiel Das Staatsvolk der Bundesrepublik Deutschland von demjenigen, der aus Chile kommt und drei Mo- ist Träger und Subjekt der Staatsgewalt. Das nate vor der Wahl hier seinen Wohnsitz nimmt, um Staatsvolk wird gebildet aus den Deutschen und dann diesen Kanzler zu wählen, kann ich sehr gut denen, die nach Art. 116 Abs. 1 gleichgestellt nachvollziehen; denn es ist wichtig, daß dieser Kanz- sind. ler wiedergewählt wird. Dafür lohnt es sich auch, daß man extra aus Chile anreist und hier drei Monate sei- Das heißt, die Ausweitung des Wahlrechts auf Aus- nen Wohnsitz nimmt. länder würde die Grundsätze der Verfassung berüh- ren und gegen Art. 79 Abs. 3 des Grundgesetzes ver- (Beifall des Abg. Uwe Lühr [F.D.P.] - Lachen stoßen. Sie kennen den Grundsatz der Unabänder- bei der PDS) lichkeit. Ich brauche Ihnen das nicht vorzutragen. Ich wäre, da wir die Gesetzentwürfe, die Sie einge- Wir halten das Wahlrecht für Ausländer auch aus bracht haben, an den Innen- und den Rechtsaus- verfassungspolitischen Gründen auf Grund Ihrer Ar- schuß überweisen, gern bereit, meine Rede zu Proto- gumente nicht für geboten, weil wir nicht sehen, daß koll zu geben. Dazu muß man allerdings eine ausge- dieses Wahlrecht ein Mittel zur Integration wäre. Wir fertigte Rede haben. Insofern ist mir diese Möglich- glauben im Gegenteil, daß es dieser Integration eher keit verwehrt, und ich will versuchen, in aller Kürze entgegenstehen würde. Wenn nämlich jemand das auf unsere Argumente einzugehen, die wir Ihnen Wahlrecht hätte, hätte es für ihn gar keinen Sinn- dann im Innen- und im Rechtsausschuß natürlich mehr, weiter nach der Erlangung der deutschen entgegenhalten werden. Staatsangehörigkeit zu streben. Daher werden wir auch diesen Antrag ablehnen. Sie haben eine Änderung des Grundgesetzes be- Das Wahlalter wollen Sie auf 16 Jahre herabset- antragt. Sie haben das gerade vorgestellt. Sie wollen zen. Sie haben die Mündigkeit und die Weitsicht 16- das Wahlalter auf 16 Jahre herabsetzen. Sie wollen und 17 jähriger beschrieben. Ich darf daran erinnern, das Ausländerwahlrecht einführen. Sie wollen das im daß Jugendliche unter 18 Jahren in der Regel selb- Bundeswahlgesetz und im Europawahlgesetz nieder- ständige p rivate Verpflichtungen und Geschäfte schreiben. kaum eingehen können, daß sie nur begrenzt für Das erste, was mir aufgefallen ist, ist Ihre Formulie- Schäden haftbar sind. rung, in der es um die Fünfprozentklausel geht. Do rt (Dr. Gregor Gysi [PDS]: Aber strafrechtlich Sie: schreiben verantwortlich sind sie!) Die zur Wahl des 14. Deutschen Bundestages er- Wir haben erst vor kurzem eine Diskussion dar- neut vorgesehene Fünfprozentklausel ... er- über geführt, die, unabhängig davon, wer welche schwert eine Vertretung der Interessen der Ost- Position einnahm, zu folgendem Ergebnis geführt deutschen im politischen Prozeß auf Bundes- hat: Bis zur Vollendung des 14. Lebensjahres sind ebene. die Menschen völlig unwissend; sie wissen nicht ein- mal, was Straftaten sind, und sie werden deswegen Da dies eine Regelung ist, die Sie interessie rt, nicht bestraft. Zwei Jahre später haben dieselben schließe ich daraus, daß Sie sich für die alleinige Ver- Menschen nach Ihrer Auffassung dann die Reife, im tretung der ostdeutschen Interessen in diesem Bun- Prinzip die Geschicke dieses Staates durch ihre destag halten. Das weise ich zurück. Hier sitzen So- Stimme mitzulenken. Was die Geschäftsfähigkeit, zialdemokraten aus den neuen Bundesländern, hier die Strafmündigkeit usw. betrifft, wollen Sie wahr- sitzen Christdemokraten, hier werden künftig auch scheinlich alle Einschränkungen beibehalten. Inso- 18200 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 201. Sitzung. Bonn, Freitag, den 31. Oktober 1997

Michael Teiser fern ist das in sich nicht schlüssig. Wir werden das Das schließt nicht aus, daß wir in verschiedenen Be- ebenfalls zurückweisen. reichen durchaus offen sein sollten für Weiterent- wicklungen. Zur Fünfprozentklausel gibt es den Reformbericht des Bundestages, Drucksache 13/7950. Ich könnte Unsere Position ist: Wir stehen grundsätzlich zu Ihnen das jetzt zitieren. Do rt ist sehr deutlich und unserem Wahlrecht, aber es gibt durchaus zwei, drei ausführlich dargestellt worden, warum diese Fünf- Punkte, wo sich Nachdenken lohnt und wo auch prozentklausel sowohl politisch sinnvoll als auch ver- Weiterentwicklungen nötig sind. Ich will freimütig fassungsrechtlich geboten ist. sagen: Das, was hier von der PDS vorgeschlagen wird, verdient eine sorgfältige Debatte in den Fach- Das gleiche trifft auch auf Ihre Einlassung zum Eu- beratungen. In einigen Punkten sind wir dezidiert ropawahlrecht zu. gegen Ihre Vorschläge; bei anderen lohnt sich eine Diskussion; da sind wir noch nicht am Ende. In weite- Zu den Überhangmandaten will ich Ihnen unsere ren Punkten finden wir sogar Positionen, die auch Meinung auch deutlich machen. Es interessie rt uns unsere eigenen sind. nicht, welche Auffassung das Bundesverfassungsge- richt in einer künftigen anderen Zusammensetzung Ich will das ganz kurz durchgehen. Die SPD hat möglicherweise vertreten könnte. Das kann so oder auf ihrem Jugendparteitag einen Beschluß erwirkt, so sein. Das Bundesverfassungsgericht in seiner jetzi- der das Wahlrecht für 16jährige beinhaltet. Ich will gen Zusammensetzung hat in seinem jüngsten Urteil freimütig sagen: Das ist in der SPD nicht unumstrit- zumindest die Verfassungsmäßigkeit ausgleichsloser ten, aber wir haben hierfür eine Mehrheitsentschei- Überhangmandate bestätigt. Es hat auch bestätigt, dung. Das ist auch in der SPD-Bundestagsfraktion daß die jetzige Anzahl verfassungsrechtlich zulässig nicht unumstritten. Wir sollten das aber sehr sachver- ist. Sie wissen natürlich auch, daß wir durch die Neu- ständig beraten. Wir werden in diesem Punkt aufge- zuschnitte der Wahlkreise dazu kommen werden, die schlossen sein und das Ergebnis unserer Beratungen Zahl der Überhangmandate erheblich zu reduzieren, mittragen. so daß das von Ihnen vorgebrachte Argument im Prinzip ad absurdum geführt wird. Ich bin aber der Auffassung, wir sollten einmal in Ruhe überlegen, ob die Rechte und Pflichten von Meine Damen und Herren, um es abzukürzen und 16jährigen auch wirklich stimmig sind. Das sollte meine Redezeit nicht auszuschöpfen: Wir werden man sich einmal im Gesamtzusammenhang an- uns mit Ihren Kollegen im Innenausschuß bzw. im schauen. Ich habe ein bißchen die Sorge, daß wir Rechtsausschuß weiter über Ihre Gesetzentwürfe un- Kindheit und Jugend, gesamtgesellschaftlich gese- terhalten. hen, immer enger zusammendrücken. Die Frage ist, ob man einen jungen Menschen unter Umständen Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit. nicht auch überfordert. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Wenn wir, Herr Gysi, das mit jungen Leuten disku- tieren - wie Sie das getan haben und wie auch ich es Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Das Wort hat der regelmäßig tue -, stelle ich eigentümlicherweise im- Kollege Wiefelspütz, SPD. mer wieder fest: Bei 16-, 17jährigen gibt es eine deutliche Mehrheit gegen das Wahlrecht für 16jäh-- rige. Ich sage das einmal so als Nachricht. Es über- Dieter Wiefelspütz (SPD): Herr Präsident! Liebe rascht mich immer wieder, daß sie es selber nicht Kolleginnen und Kollegen! Wir bekommen ja häufi- wollen. Trotzdem glaube ich, daß wir uns dem öffnen ger Besuch von Parlamentariern aus dem Ausland, sollten, weil es vielleicht doch eine Chance sein zum Teil von weither. Mit unseren Gästen reden wir könnte, junge Menschen stärker einzubinden. Wir auch häufiger über das Wahlrecht. Insbesondere sollten diese Frage noch einmal ernsthaft und verant- wenn Vertreter aus sogenannten jungen Demokra- wortlich miteinander diskutieren und darum ringen, tien zu uns kommen, unterhalten wir uns sehr häufig ob das ein richtiger und geeigneter Weg ist. über Probleme des Wahlrechts, weil man fragt: Wie macht ihr das in Deutschland? Ob den Ausländern schon bei fünfjähriger Anwe- senheit oder erst bei sechs-, sieben- oder achtjähriger Herr Gysi, ich stelle bei meinen Gesprächen immer Anwesenheit in Deutschland das Wahlrecht zugebil- wieder fest, daß unser Wahlrecht in Deutschland sehr ligt werden sollte, darüber kann man reden. Mi- hoch eingeschätzt wird. Unser Wahlrecht ist fast ein - nisterpräsident hat hier schon einmal auch wenn der Ausdruck vielleicht nicht ganz prä- in einem anderen Zusammenhang deutlich gemacht, zise ist - Exportartikel geworden. Viele junge Demo- daß es keinen vernünftigen Grund gibt, Menschen, kratien interessieren sich für unser Wahlrecht, weil die lange Zeit hier sind, das Wahlrecht vorzuenthal- sie der Auffassung sind, daß das Wahlrecht in der ten. Bundesrepublik Deutschland zumindest einen wich- tigen Beitrag zu einer stabilen demokratischen Kultur Auf der kommunalen und auf der Landesebene geleistet hat, die auch bestimmte Belastungen ausge- wird das zum Teil schon gemacht. Wir sollten im Rah- halten hat, aushält und hoffentlich auch in Zukunft men einer Verfassungsänderung darüber reden, ob aushalten wird. man es für Ausländer auch auf der Ebene der Bun- destags- und der Europawahlen machen kann. In (Beifall bei der SPD sowie des Abgeordne dieser Frage sind wir aufgeschlossen. Wir sollten das ten Detlef Kleine rt [Hannover] [F.D.P.]) sorgfältig miteinander besprechen. Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 201. Sitzung. Bonn, Freitag, den 31. Oktober 1997 18201

Dieter Wiefelspütz Die Fünfprozentklausel wollen wir beibehalten. Meine Frage ist: Wäre es nicht eine Belebung von Herr Gysi, ich bin der Auffassung, daß im Wahlrecht Demokratie und auch der Auseinandersetzung im Kontinuität eine große Rolle spielt. Was nicht passie- Rahmen der Bundestagswahlen, wenn ich auf der ei- ren darf: Wir sollten uns nicht interessengeleitet das nen Seite darum kämpfen muß, daß meine Partei Wahlrecht maßgeschneidert zurechtlegen. Das gilt mich auf die Liste setzt, und auf der anderen Seite für alle. Das gilt für große Parteien, aber auch kleine darum kämpfen muß, daß die Wählerinnen und Wäh- Parteien sollten aufpassen, daß sie jetzt nicht Vor- ler meinen Namen auf der Liste auch ankreuzen, da- schläge machen, die eindeutig die Interessen des Ur- mit ich tatsächlich in das Parlament einziehe? Könnte hebers erkennbar machen. das nicht zu einer wirklichen Belebung der Demo- kratie führen, wie die Erfahrungen in Bayern zum (Widerspruch bei der PDS) Beispiel beweisen? - Das gilt für alle Beteiligten. Ich sage es sehr deut- lich. Dieter Wiefelspütz (SPD): Herr Gysi, lassen Sie uns doch vereinbaren, daß wir uns die Erfahrungen von Die Fünfprozentklausel hat sich in der Bundesre- Bayern und auch von Baden-Württemberg hier im publik Deutschland bewährt. Wir werden sie nicht Bundestag noch einmal schildern lassen und ernst- ändern wollen. Dafür wird es in diesem Hause keine haft würdigen, um auf diese Weise eine Entschei- Mehrheit geben. Es ist ja auch weniger ein rechtli- dungsgrundlage zu haben. Meine Einschätzung ist ches - das haben wir kürzlich noch einmal vom Bun- die: Wir werden bei unserem - wie ich glaube: be- desverfassungsgericht bestätigt bekommen - als währten - System bleiben. Es spricht eher nichts da- eher ein verfassungspolitisches Problem. Wir werden gegen, einmal darüber zu sprechen, ob die von Ihnen hier mit großer Mehrheit sagen: Wir wollen weiterhin genannte Änderung für Bundestagswahlen Sinn ma- die Fünfprozentklausel haben. chen könnte. Ich bezweifle das eher. Aber Ihr Vor- Ich glaube auch nicht, daß es eine Mehrheit für schlag liegt auf dem Tisch. Wir werden darüber spre- Präferenzstimmen bei der Wahl von Landeslisten chen wollen und auch müssen. geben wird. Auf der Landesebene haben wir ver- Ein wichtiger Punkt ist die Kompensation von gleichbare Systeme in Baden-Württemberg und in Überhangmandaten. Da ist die Position der SPD ja Bayern, die sehr interessant sind. Wir sollten aber un- bekannt. Wir sind nicht gegen Überhangmandate, ser bewährtes Bundestagswahlsystem nicht verän- sondern dagegen, daß Überhangmandate eine oder dern. Man könnte es verändern; aber ich glaube einige Parteien gegenüber anderen bevo rteilen. Ich nicht, daß es uns entscheidend weiterbringt. Hier halte das verfassungspolitisch nicht für überzeugend. sind Stabilität und Kontinuität ein großer We rt . Des- halb sollten wir das bisherige System beihalten. An die Adresse der Koalition gewandt meine ich: Ein Ergebnis von 4 : 4 bei Entscheidungen des Bun- desverfassungsgerichtes ist zwar auch ein Ergebnis; Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Herr Kollege Wiefelspütz, gestatten Sie eine Zwischenfrage des aber es stiftet nicht den Rechtsfrieden bzw. die Über- Kollegen Gysi? zeugungskraft, die eine Regelung fände, die man hier mit großer Mehrheit im Bundestag beschließen würde. Dieter Wiefelspütz (SPD): Bitte schön. (Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Sehr gut!) Dr. Gregor Gysi (PDS): Kollege Wiefelspütz, wir Wir wollen, daß Überhangmandate kompensiert haben gerade die Erfahrungen aus Bayern ausgewer- werden. Dafür gibt es verschiedene Möglichkeiten. tet und festgestellt, daß dieses System wirklich zu ei- Ich will mich hier gar nicht festlegen. Das wäre ein ner Belebung bei Wahlen geführt hat. Ich erinnere an Diskussionspunkt, eine Verhandlungssache. Im Mo- das berühmte Beispiel: Frau Hamm-Brücher stand ur- ment jedenfalls führt die bisherige Regelung der sprünglich auf der Landesliste ganz unten und hat Überhangmandate - dadurch, daß sie nicht kompen- durch die Wählerinnen und Wähler einen vorderen siert werden - zu der Möglichkeit von Verzerrungen. Listenplatz erhalten. Das war für sie Anlaß, ihre poli- Ich habe in der Tat ein wenig Sorge, daß wir 1998 ein tische Rolle in dieser Gesellschaft wahrzunehmen. Bundestagswahlergebnis erzielen, das uns erneut zu Was mich interessie rt , ist: Wir haben doch das Pro- Diskussionen veranlaßt, die wirklich problematisch blem - und zwar in allen Parteien, das gilt für die sein könnten, weil das Ergebnis dieser Bundestags- PDS genauso wie für die anderen -, daß man vier wahl möglicherweise nicht anerkannt wird - nicht im Jahre lang gezwungen ist, darum zu ringen, vom ei- rechtlichen Sinne, sondern von Teilen der Bevölke- genen Landesverband möglichst einen günstigeren rung nicht anerkannt wird. Das sind dann Legitimati- Listenplatz als bei der vorangegangenen Wahl zu be- onsprobleme, um es einmal etwas hochtrabend aus- kommen, so daß also in Wirklichkeit die eigene Partei zudrücken. Das sollte sich eine entwickelte Demo- über meine Chancen entscheidet. Denn in etwa kratie nicht leisten. Damit könnte sehr viel Schaden kennt man ja die zu erreichenden Prozentzahlen bei angerichtet werden. Wahlen. Wir werden also Ihren Antrag sehr nachdrücklich nutzen, um uns dafür einzusetzen, eine vernünftige Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Sie wollen fra- Regelung für die Kompensation von Überhangman- gen! daten zu finden. Wir sollten - das möchte ich abschließend sagen - Dr. Gregor Gysi (PDS): Herr Präsident, ich akzep- die Vorschläge der PDS sorgfältig prüfen. Einige Po- tiere das. sitionen scheinen mir sehr vernünftig zu sein; andere 18202 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 201. Sitzung. Bonn, Freitag, den 31. Oktober 1997

Dieter Wiefelspütz wiederum lehnen wir ab; bei einer dritten Kategorie eine Überhangregierung. In der nächsten Legislatur- wird man miteinander Erfahrungen austauschen und periode wollen wir so etwas nicht mehr haben. Ich schauen müssen, wie man damit umzugehen hat. gehe aber davon aus, daß die Deutschen seiner läh- Insgesamt gesehen - das sage ich noch einmal - lei- menden Herrschaft so überdrüssig sind, daß sie sie stet unser Wahlrecht einen Beitrag zu einer stabilen auch mit dem Instrumentarium der Überhangman- und entwickelten demokratischen Kultur in Deutsch- date nicht mehr verlängern, sondern Kohl abwählen land. Das schließt aber nicht aus, daß wir den einen werden. oder anderen Punkt nicht noch weiter entwickeln Aber es ist ein untragbarer Zustand in einer De- könnten. mokratie, daß ein Wahlergebnis durch Überhang- Herzlichen Dank. mandate verfälscht, ja sogar auf den Kopf gestellt werden kann. Wir könnten im nächsten Bundestag - (Beifall bei der SPD und der PDS sowie des jedenfalls besteht diese Möglichkeit - auf diese Abg. Detlef Kleinert [Hannover] [F.D.P.]) Weise andere Mehrheitsverhältnisse bekommen, als von den Wählerinnen und Wählern mehrheitlich ge- Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Das Wort hat der wollt, wenn wir das prozentuale Stimmenergebnis Kollege Gerald Häfner, Bündnis 90/Die Grünen. zugrunde legen. Das ist ein untragbarer Zustand. In diesem Punkt stimmen wir Ihren - das heißt: unseren Gerald Häfner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr - Forderungen also ganz und gar zu. Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die PDS Auch die Forderung, das Wahlalter auf 16 Jahre ist auf den Geschmack gekommen. Mich freut das. abzusenken, entspricht einer alten Forde rung der Ihre Partei hat jetzt schon einige Male an demokrati- Grünen. schen Wahlen teilgenommen. Sie genießen das; das gebührt Ihnen auch. Jetzt denken Sie schon darüber Der Vorschlag zum Kumulieren und Panaschieren nach, wie man das Wahlverfahren verbessern kann. mit dem Hinweis auf das bayerische Wahlrecht ist in halts-, passagenweise sogar wortgleich mit dem Ge- (Gerhard Zwerenz [PDS]: Manche von uns setzentwurf, den ich in der 11. Legislaturpe riode für haben schon teilgenommen, da waren Sie die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen eingebracht noch gar nicht dabei!) habe. - Das weiß ich, Herr Zwerenz. Aber regen Sie sich (Dr. Gregor Gysi [PDS]: In der 12. waren wir nicht so auf, wir begrüßen Ihre Vorschläge ja; sie ge- es!) hen fast alle in Richtung auf mehr Demokratie und Das freut mich, Herr Gysi. - Ich verhehle nicht, daß mehr Beteiligung. Das halten wir für sinnvoll, und - ich es für erheblich demokratischer halte, wenn die deshalb unterstützen wir sie. Bürgerinnen und Bürger nicht nur eine starr vorge- Allerdings - Sie werden mir nachsehen, daß ich gebene Liste ankreuzen, auf der die künftige perso- darauf hinweise - gibt es in Ihren Vorschlägen nicht nelle Zusammensetzung des Parlaments von den Par- viel Neues. Es ist nicht ein Vorschlag dabei, den ich teien schon weitgehend entschieden ist, sondern die nicht schon kenne - und das meine ich in diesem Fall Bürgerinnen und Bürger auch innerhalb der Listen ganz persönlich. Fast alle Vorschläge und Entwürfe, die Möglichkeit der Auswahl beispielsweise von die Sie hier eingebracht haben, sind bereits von der Kandidaten haben, die sie unterstützen wollen, die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen eingebracht wor- aber von der Partei auf einen unteren Listenplatz ge-- den. Sie stammen, Herr Gysi - übrigens einschließ- setzt wurden. lich der beiden Beispiele, die Sie eben gebracht ha- ben, nämlich Chile und Frau Hamm-Brücher -, aus Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Herr Kollege meiner Feder. Deswegen habe ich mir schon über- Häfner, gestatten Sie eine Zwischenfrage? legt, ob wir nicht eine Zweitverwertungsgebühr für Fälle des Recyclings grüner Gesetzentwürfe durch Gerald Häfner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): die PDS beanspruchen sollten. Grundsätzlich immer und von Herrn Wiefelspütz be- (Ulrich Heinrich [F.D.P.]: Wissen Sie nicht, sonders gerne. daß Abschreiben in der Politik erlaubt ist?) Dieter Wiefelspütz (SPD): Ich überlege mir, was ich - Abschreiben ist erlaubt. Aber man muß es doch Ihnen nach der Sitzung dazu sage, Herr Häfner. nicht so offensichtlich machen, wie die das tun. (Zurufe von der PDS) Gerald Häfner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ist Ih- nen so schnell nichts eingefallen? So kenne ich Sie - Ich habe nur vier Minuten Redezeit. Erlauben Sie gar nicht. mir deshalb noch ein paar Bemerkungen zur Sache. Ihr erster Antrag entspricht praktisch vollständig Dieter Wiefelspütz (SPD): Ich möchte beim parla- dem von mir eingebrachten Gesetzentwurf von mentarischen Anstand bleiben und Sie nicht öffent- Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 13/5575 aus lich beleidigen. dem vergangenen Jahr. Hier geht es darum, einen Ausgleich für Überhangmandate zu schaffen. Wir Gerald Häfner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das haben in diesem Parlament darüber lange und aus- vermeiden wir beide regelmäßig. führlich gestritten. Ich habe damals darauf hingewie- sen: Helmut Kohl ist schon jetzt - im Hinblick auf Dieter Wiefelspütz (SPD): Herr Häfner, ich wollte seine Arbeit - nur ein Überhangkanzler und führt von Ihnen als Bayer gerne einmal hören, wie Sie Ihre Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 201. Sitzung. Bonn, Freitag, den 31. Oktober 1997 18203

Dieter Wiefelspütz Erfahrungen in Bayern beurteilen. Wir haben bei muß. Ich meine, daß wir auf allen Ebenen - das heißt: Bundestagswahlen seit 45 Jahren ein Wahlrecht auch auf der Bundesebene - die Möglichkeit von ohne diese Besonderheiten. Würden Sie uns ange- Volksinitiativen, Volksbegehren und Volksentschei- sichts Ihrer einige Jahrzehnte umfassenden Erfah- den brauchen. rungen in Bayern wirklich entsprechende Änderun- gen empfehlen? (Beifall bei der PDS) Ich meine weiter, daß wir auch eine Verstärkung der Gerald Häfner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Bürgerbeteiligung bei Planungsverfahren brauchen. Wenn Sie, Herr Wiefelspütz - was ich vermute - in Ih- Und ich meine, daß wir Verbandsklagerechte und ren Hintergedanken bestimmte unerfreuliche Ver- Akteneinsichtsrechte brauchen. Das heißt, das Pro- hältnisse der bayerischen Politik beklagen, so gramm für mehr Demokratie in diesem Land geht möchte ich Ihnen entgegnen, daß diese nach meiner über Ihre durchaus begrüßenswerten Anträge weit Überzeugung nicht am Wahlrecht liegen. Ich bin der hinaus. Meinung, daß es für die Bürgerinnen und Bürger tat- sächlich ein erhebliches Mehr an Demokratie bringt, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN wenn sie auf den Listen auswählen können. Der und bei der PDS) Charme dieser Regelung besteht im übrigen auch darin - das mag vielen Parteipolitikern, auch meinen Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Das Wort hat der Kollegen, nicht gefallen; das räume ich offen ein -, Kollege Kleinert, F.D.P. daß man nicht nur auf einer Liste, sondern auch zwi- schen den Listen auswählen kann. Das heißt, es ist Detlef Kleine rt (Hannover) (F.D.P.): Herr Präsident! beispielsweise durchaus möglich, die Grünen zu Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! An wählen und dabei trotzdem noch einen Kandidaten sich möchte ja jede hier anwesende Partei in diesem oder eine Kandidatin der SPD anzukreuzen, weil Hause möglichst zahlreich vertreten sein. Bei einer man die betreffende Person gut findet und sie eben- feststehenden Zahl von Mandaten stößt sich aber falls unterstützen möchte. dieser Wunsch etwas mit dem Streben nach Harmo- Die Wählerinnen und Wähler in Bayern haben das nie und Kollegialität. Man muß dann doch sehen, wie sehr gut verstanden und machen davon regen und man die Wähler dazu bekommt, daß sie das eigene bewußten Gebrauch. Bedürfnis nach möglichst vielen Mandaten beför- dern. Dessenungeachtet werden nach sorgfältiger Über die sonstigen Verhältnisse in Bayern werde Betrachtung der Lage immer wieder Versuche unter- ich wahrscheinlich mit Ihnen gemeinsam dasselbe nommen, durch eine Änderung des Wahlrechts in Klagelied anstimmen. Aber, wie gesagt, ich glaube, die eine oder andere Richtung mehr Unterstützung daß die in manchem rückständigen politischen Zu- für die eigene Partei zu gewinnen. Diejenigen, die stände in Bayern ihre Ursache nicht im Wahlrecht fin- diese Versuche machen, laufen ein großes Risiko, den, sondern daß diese in anderen Umständen be- weil das Ende häufig ganz anders aussieht, als man gründet sind, die jetzt in diesem Zusammenhang am Anfang erhoffte. Alle diese Versuche sind also in keine Rolle spielen. bezug auf das Ziel, durch Wahlrechtsänderungen die Ich kann also die bayerische Regelung zum Kumulie- Situation der jeweils eigenen „Abteilung" zu verbes- ren und Panaschieren - darum ging es ja bei Ihrer sern, zu relativieren. Das möchte ich vorab sagen. Frage - durchaus auch aus meinen eigenen Erfah- Ein Zweites vorab: Es ist schön, von Herrn Gysi zu rungen zur Nachahmung empfehlen. Wir praktizie- hören, daß wir nun solche demokratischen Grund- ren dieses Wahlverfahren in Bayern übrigens nicht strukturen haben, daß wir vor diesem Hintergrund nur bei Landtagswahlen, sondern auch bei Kommu- eine Reihe von Dingen, die die Verfassungsmütter nalwahlen. Das hat sich durchaus bewährt. und Verfassungsväter im Hinblick auf Erfahrungen Solange Wahlen die einzige Möglichkeit darstel- aus Weimar im Auge hatten, gar nicht mehr berück- len, wie die Bürgerinnen und Bürger in diesem Staat sichtigen müßten. An dieser Stelle, Herr Kollege die Staatsgewalt auf Bundesebene ausüben können Gysi, fällt mir ein, daß ich als Student im Radio eine - im Grundgesetz heißt es ja schließlich: „Alle Staats- Bundestagsdebatte gehört habe, in der Herr Renner gewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in rief: „Das ist undemokratisch, Herr Bundeskanzler!" Wahlen und Abstimmungen... ausgeübt." -, ist es Er bezog sich dabei auf irgend etwas - ich weiß nicht wichtig, daß diese Wahlen als einzige Möglichkeit mehr, was -, was Herr Adenauer ausgeführt hatte. der Mitbestimmung so demokratisch wie möglich Herr Adenauer hat daraufhin Herrn Renner mit dem sind, daß nicht die Ergebnisse verzerrt werden kön- Hinweis beschieden - das habe ich sehr lebhaft in Er- nen, daß sie allen denselben Einfluß ermöglichen innerung -: „Ach, Sie alter Demokrat. " Das ist mir und daß sie für alle durchschaubar sind. Und es ist gerade wieder eingefallen. wichtig, daß diese elementaren Spielregeln der De- (Heiterkeit bei der F.D.P., der CDU/CSU mokratie möglichst auch von allen politischen Par- und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) teien im Konsens beschlossen werden. Davon abgesehen: Ich möchte mit dem anfangen, Ich halte die Vorschläge, die von der PDS vorgelegt was ich nicht für richtig halte. Ich halte es nicht für worden sind, für begrüßenswert und für unterstüt- richtig, das Wahlalter 18 Jahre einzuführen. zenswert. Ich meine allerdings, daß man dabei nicht stehenbleiben sollte. Ich bin mit Nachdruck der Mei- (Ulrich Heinrich [F.D.P.]: 16 Jahre! - Gerald nung, daß die Beteiligung der Bürgerinnen und Bür- Häfner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ger über die Teilnahme an Wahlen hinausgehen Wahlalter 18 Jahre haben wir schon!) 18204 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 201. Sitzung. Bonn, Freitag, den 31. Oktober 1997

Detlef Kleine rt (Hannover)

- Entschuldigung, Wahlalter 16 Jahre. - Ich freue Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Das muß aber mich wie bei so vielen anderen Dingen, daß ich bei kurz sein! Herrn Wiefelspütz hier auch Zweifel habe anklingen (Heiterkeit im ganzen Hause) hören. Der entscheidende Hinweis ist doch wohl der: Was Detlef Kleinert (Hannover) (F.D.P.): Ich bedanke sagen politisch interessie rte Jugendliche im Gemein- mich sehr, Herr Präsident. - Als Student durfte ich in schaftskundeunterricht? Was sagen sie zu der Frage, Bayern wählen. Wir haben schon damals Stimmzettel ob sie dieses Wahlalter wollen oder nicht? Die Ant- in gewaltigen Zeitungsformaten bekommen. Ich erin- worten sind negativ. Leider sind auch eine Reihe an- nere mich lebhaft an meine Wahlentscheidung - ich derer Antworten auf einfache Wissensfragen negativ. bin nämlich nur bis Bezold und Bungartz gekommen. Das ermutigt nicht, zu glauben, eine Herabsetzung Herzlichen Dank. des Wahlalters sei der Entwicklung unserer Demo- kratie förderlich. Das aber gehört zu den Punkten, (Heiterkeit im ganzen Hause - Beifall bei die man immer mal wieder gründlich betrachten der F.D.P. und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜ sollte. Darum stehe ich wie die Vorredner nicht an, NEN) zu sagen, daß wir für Ihre Vorschläge dankbar sind, weil man über alles von Zeit zu Zeit mal wieder nach- Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Das Wort zu ei- denken muß. ner Kurzintervention hat der Kollege Dr. Gysi. Die Frage der Überhangmandate wird meiner An- (PDS): Herr Präsident! Meine Da- sicht nach mathematisch erheblich verkannt. Überle- Dr. Gregor Gysi men und Herren! Ich wollte zunächst nur etwas rich- gen Sie mal, welche Differenzen in der Gewichtung tigstellen, was Sie gesagt haben, Herr Häfner. Sie ha- von Wählerstimmen dadurch entstehen, daß die ben gesagt, wir hätten in unserem Gesetzentwurf Ih- Wahlkreise ungleich geschnitten sind. Die Abwei- ren Vorschlag zur Ausschaltung von Überhangman- chungen bei der Gewichtung der einzelnen Wähler- daten wörtlich übernommen. Das muß umgekehrt stimmen addieren sich allein durch den Zuschnitt der gewesen sein; denn unser Gesetzentwurf ist von Ja- Wahlkreise, und zwar ungeachtet aller immer wie- nuar 1996, Ihrer ist wesentlich später gekommen. derkehrender Reformbemühungen, zu größeren Dif- Deshalb möchte ich darum bitten, das zu korrigieren. ferenzen, als sie sich etwa bei den Überhangmanda- ten ergeben. Mit solchen gewissen Ungleichgewich- (Beifall bei der PDS) ten wird man wohl leben müssen. Sie, Herr Kleinert, haben uns unterstellt, daß die Daß Sie sich über die 5 Prozent Gedanken machen, Wahlrechtsänderungsvorschläge, die wir unterbrei- das kann ich sehr gut verstehen. ten, im Interesse der PDS seien. Ich glaube, wenn Sie sich die Vorschläge genau ansehen, werden Sie fest- (Joseph Fischer [Frankfu rt] [BÜNDNIS 90/ stellen, daß die meisten dieser Vorschläge nichts mit DIE GRÜNEN]: Das ist wahr! - Zurufe von dem Eigeninteresse der Partei zu tun haben. Es gibt der PDS) nicht einmal Hinweise darauf, daß 16- bis 17 jährige überdurchschnittlich häufig PDS wählen würden. Ich verstehe das als Mitglied der Freien Demokrati- Hier geht es vielmehr um Grundsatzfragen der De- schen Partei sehr gut. Wir machen uns da immer mal mokratie, nicht um die Interessen einer Partei. wieder unsere Gedanken; sonst wären wir auch ganz - schön blind. (Beifall bei der PDS)

(Heiterkeit im ganzen Hause) Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Keine Erwide- Wir ziehen aber einen anderen Schluß als Sie. Wir rung? - Dann schließe ich die Aussprache. versuchen, hoffnungsfroh zu kämpfen und über die Interfraktionell wird Überweisung der Gesetzent- Fünfprozenthürde hinwegzukommen, einen Erfolg würfe auf den Drucksachen 13/3519, 13/3520, 13/ zu erzielen, ohne am Wahlrecht herumzunörgeln und 3523 und 13/3521 an die in der Tagesordnung aufge- herumzubasteln. führten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es ander- weitige Vorschläge? - Das ist nicht der Fall. Dann ist (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) die Überweisung so beschlossen. Das ist eine Frage der Grundeinstellung zu einem solchen Problem. Die Grünen machen im Moment so Ich rufe den Zusatzpunkt 7 auf: entspannt heitere Gesichter, weil sie wähnen, sie Aktuelle Stunde seien dem Problem entronnen. Aber das haben wir schon anders gesehen; das könnte auch wieder an- auf Verlangen der Gruppe der PDS ders kommen. Haltung der Bundesregierung zu den Turbu (Joseph Fischer [Frankfu rt] [BÜNDNIS 90/ lenzen an den internationalen Finanzmärkten DIE GRÜNEN]: Wir gucken so entspannt, Ich eröffne die Aussprache. Das Wo rt hat der Ab- weil wir in der Hinsicht ruhig sind! Wir wis geordnete Gysi, PDS. sen, wie es ist!) (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ - Ja, ich habe das schon verstanden. In der momenta- DIE GRÜNEN]: Wo ist die Bundesregie nen Lage ist das richtig. rung, Herr Präsident?) Zum Schluß noch ein Wo rt zum Panaschieren. - Es steht Ihnen frei, sie herbeizurufen. Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 201. Sitzung. Bonn, Freitag, den 31. Oktober 1997 18205

Dr. Gregor Gysi (PDS): Wollen Sie das machen, und die Spekulationsfrist abschaffen. Wir müssen Herr Kollege Fischer? Dann warte ich auf Ihren Ruf. - Spekulationsgewinne wesentlich höher besteuern. Jetzt ist der Staatssekretär da. Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir ha- (Beifall bei der PDS) ben diese Aktuelle Stunde nicht deshalb beantragt, weil uns das Schicksal von Großaktionären und an- Es kann nicht dabei bleiben, daß der Spekulant der- deren Börsenspekulanten besonders am Herzen liegt jenige ist, der in dieser Gesellschaft am günstigsten - damit hat sicher auch niemand gerechnet -, son- gestellt ist. Das Steuerrecht ist im Augenblick aber so dern weil wir auf Fehlentwicklungen hinweisen wol- ausgelegt. Sie haben eine Situation geschaffen, in len, von denen wir überzeugt sind, daß sie dringend der in erster Linie Geld mit Geld und nicht mehr der Korrektur bedürfen. Geld mit Produktion verdient wird. An diesen Turbulenzen an den Börsen wird eines Eines Tages kommt es zu einem Börsenkrach, nicht deutlich: Es gibt keinen Zusammenhang mehr zwi- zu so einem, über den man lachen kann, bei dem schen der Wirtschaftsentwicklung und der Entwick- man gar nicht richtig versteht, welcher Auslöser wie lung der Finanzmärkte. Die Börsen reagieren völlig zu was geführt hat, sondern zu einem, der vergleich- unabhängig von der konkreten wirtschaftlichen bar - vielleicht sogar noch sehr viel schlimmer - ist Situation in den betreffenden Ländern. Auf den mit dem Schwarzen Freitag des Jahres 1929. Sie alle Finanzmärkten hat wirklich eine ungeheure Globa- kennen die Auswirkungen. lisierung stattgefunden. Hier gibt es ein Problem. Das Problem ist, daß die Ich frage Sie: Wenn es eine solche Situation gäbe, Bundesregierung 1985 alle Instrumente zur Regulie- welche Instrumente hätte die Bundesregierung heute rung von Kapitaltransfers - auch zur Regulierung auf noch, um darauf Einfluß zu nehmen? Außer dem be- dem Aktienmarkt und damit auf dem Finanzmarkt - rühmten nächtlichen Telefongespräch von Theo Wai- beseitigt hat. Nachdem sie diese Instrumente besei- gel hätten Sie praktisch überhaupt keine Instrumente tigt hat, erklärt sie jetzt immer, daß sie leider nichts mehr. Deswegen müssen wir Politik wieder möglich machen könne. In solchen Situationen bleibt Bundes- machen und zurückgewinnen. finanzminister Waigel als einziges Instrument das Te- lefongespräch. Dies führt er nachts, und dadurch än- (Beifall bei der PDS) dert sich natürlich auch nichts. Wir stehen hier vor der grundsätzlichen Frage: Soll Spekulationssteuern - sie mögen nicht Ihren Inter- sich wirklich das Konzept der F.D.P. durchsetzen, daß essen entsprechen, sie entsprechen vor allem nicht Politik immer schwieriger bis unmöglich wird, das den Interessen der F.D.P. - wären dringend erforder- heißt, daß sich die Politik vollständig den Wirtschafts- lich, die Spekulationsfrist gehört abgeschafft. Herr interessen unterordnen muß? Sollten wir nicht lieber Schmidt, darf ich Sie daran erinnern, daß schon ein- wenigstens über Instrumente nachdenken, wie man mal ein CDU-Parteitag beschlossen hat, diese Frist auf solche Märkte Einfluß nehmen kann? Denn letzt- abzuschaffen, um Spekulationsgewinne schneller lich hat dies alles Auswirkungen bis hin zu den Ar- und uneingeschränkter besteuern zu können? Wie- beitsplätzen. Deswegen sind hier Instrumente von der scheitert ein solches Vorhaben an der F.D.P. Es entscheidender Bedeutung, die Politik möglich ma- lohnt sich wirklich, darüber nachzudenken. - chen. (Beifall bei der PDS) (Beifall bei der PDS) Wenn wir über den Euro sprechen, kommen wir Noch ein letzter Hinweis: Wir erleben in letzter wieder in eine ganz ähnliche Situation, in der eben- Zeit zunehmend, daß Bürgerinnen und Bürgern gera- falls die Instrumente fehlen werden, um auf Finanz- ten wird, ihre kleinen Sparguthaben in Aktien anzu- märkte Einfluß nehmen zu können. Sie wissen sicher legen. Das passiert nicht nur durch bestimmte Schau- noch, daß ein einzelner Spekulant das europäische spieler in bestimmten Werbesendungen - dafür mag Währungssystem zu Fall gebracht hat. Nun muß sich die Politik nicht unmittelbar verantwortlich sein -, die Politik fragen, ob man so etwas noch einmal zu sondern das passiert auch durch die Bundesregie- lassen will oder ob man nicht eher Instrumente rung und dieses Haus. braucht, um auf Finanzmärkte wirklich Einfluß neh- men zu können. Sie haben diese Instrumente besei- Ich finde, dieses Beispiel zeigt, daß man Bürgerin- tigt und tragen deshalb die Verantwortung dafür. Wir nen und Bürger davor warnen muß, ihre kleinen müssen uns jetzt gemeinsam darüber Gedanken ma- Sparguthaben in Aktien anzulegen. Sie können ganz chen, wie man diese politischen Instrumente zurück- schnell verlorengehen. Deshalb ist dies sicher nicht bekommt. die richtige Orientierung, die von der Politik ausgeht. Wir stehen hier in der Verantwortung; denn viele ver- (Beifall bei der PDS) lassen sich auf die Informationen durch bestimmte Ich möchte eine zweite Bemerkung machen: Wenn Medien und die Politik. die Spekulation solche Blüten treibt, wenn sie zum Teil völlig unabhängig von wirtschaftlichen Entwick- Das gilt auch für die Vorstellung, daß man Lohner- lungen stattfindet - die Börse in Hongkong hat auch höhungen vielleicht dadurch ersetzen könne, daß Auswirkungen auf Leipzig, unabhängig davon, wel- man Arbeitnehmern und Arbeitnehmerinnen kleine che Entwicklung es gerade in Leipzig gibt -, müssen Aktienpakete überreicht. Wenn die dann an Wert wir wirklich neu über unser Steuerrecht nachdenken verlieren, war es nichts mit der Lohnerhöhung; statt 18206 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 201. Sitzung. Bonn, Freitag, den 31. Oktober 1997

Dr. Gregor Gysi dessen gibt es nur Verluste. Deshalb sollte man von - das ist der Index für die deutschen Standardaktien solchen Vorstellungen lieber Abschied nehmen. - seit Anfang des Jahres um 55 Prozent gestiegen ist. (Beifall bei der PDS - Joseph Fischer (Lachen bei der PDS) [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: - Ich erkläre Ihnen das; Sie haben das wahrschein- Warum spekuliert die PDS? Warum speku lich nicht begriffen. liert der PDS-Schatzmeister?) Der DAX ist um 55 Prozent gestiegen, und jetzt hat Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Das Wort hat der er sich um 15 bis 20 Prozent abgeschwächt. Das ist Kollege Friedhelm Ost, CDU/CSU. eine Normalisierung, die gesund ist. Das ist in Ord- nung. Friedhelm Ost (CDU/CSU): Sehr geehrter Herr Ich sage Ihnen: Alle Ihre Warnungen sind unnötig. Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Also Auch die Kleinaktionäre in Deutschland haben sich Gysi als Soros-Nachfolger: Das kann sich keiner vor- ganz vernünftig und ruhig verhalten. Es gab keinen stellen, aber er hat es hier versucht. Mich hat es sehr Run aus den Aktien, keinen Crash. Es normalisiert gewundert, Herr Gysi, wie Sie über Märkte reden. sich auf ein vernünftiges, normales Maß, und am Sie haben nämlich überhaupt noch nicht begriffen, Ende spielen die fundamentalen Daten eine große was Märkte sind. Ich verstehe aber Ihre große Sorge. Rolle. Ich könnte mir vorstellen, daß Sie Ihr obskures Partei- vermögen in Red Chips in Hongkong angelegt haben (Joseph Fischer [Frankfu rt] [BÜNDNIS 90/ und jetzt wegen einiger Marktkorrekturen bangen. DIE GRÜNEN]: Auf die Fundis kommt es an im Kapitalismus!) (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU) Ich sage Ihnen: Die Bundesbank und die Bundes- An den internationalen Aktienmärkten haben sich regierung haben sich hervorragend verhalten. Sie in nervösem Verlauf in den letzten Tagen einige Kor- haben kein nervöses und unsinniges Gerede in die rekturen ergeben. Welt gesetzt, wie Sie es uns gerade erzählt haben. Sie haben statt dessen auf die fundamentalen Daten (Wolfgang Schmitt [Langenfeld] [BÜND und Fakten in Deutschland, aber auch in Amerika NIS 90/DIE GRÜNEN]: So kann man es verwiesen. auch nennen!) Ich gebe zu: Diese Entwicklungen an den interna- Die Kurse sind Achterbahn gefahren. Heute haben tionalen Aktienmärkten spiegeln die Globalisierung Sie bei den Kursen überall Pluswerte, gestern gab es und Internationalisierung der Wirtschaft und der Fi- wieder überwiegend ein Minus. Damit muß man sich nanzströme wider. Das ist schon richtig. Aber Sie beschäftigen. Ich denke, die Märkte reagieren bes- können doch nicht sagen: Wenn in Hongkong eine ser, als es jede Regierung tun könnte. Grippe ausbricht, haben wir hier sofort eine Lungen- (Zuruf von der PDS: Quatsch!) entzündung und die Welt geht unter. Wenn hier das Jahr 1929 beschworen wird: 1987 war der Einbruch - Natürlich. Sie haben es doch versucht. Es gab keine am Aktienmarkt viel stärker als 1929. Lesen Sie es Märkte. Sie haben am Ende die Lektion lernen müs- nach! sen, was es heißt, den Markt fast 50 Jahre lang außer Kraft zu setzen. Die Firma Honecker und Genossen (Zuruf von der CDU/CSU: Da war die PDS - ist in den betrügerischen Konkurs gerannt. noch nicht im Bundestag!) (Zurufe von der PDS) Die Welt ist heil geblieben. Sie haben an Hand der Entwicklungen in den letzten zehn Jahren gesehen, - Ohne Märkte, natürlich! Sie haben doch daran mit- daß es sich auch für den Kleinaktionär lohnt, sein gewirkt. Sie haben keinen Sinn für Märkte und des- Geld in Aktien anzulegen. Aktienkapital ist Risiko- wegen auch nicht für Börsen. Man merkt das auch an kapital; das ist schon richtig. Aber letztendlich orien- Ihrer Fragestellung. tieren sich die Aktienkurse an der Entwicklung der Natürlich neigen Börsen zu Übertreibungen. Nicht einzelnen Gesellschaft, an der Entwicklung der fun- die Finanzmärkte generell, sondern die Aktien- damentalen Daten. märkte haben übertrieben reagie rt. Da gab es große Die Haltung der Bundesregierung, nach der Sie Ausschläge nach unten. Aber die anderen Finanz- fragen, kann ich nur loben. Sie hat auf die fundamen- märkte haben überhaupt nicht reagie rt. Die Devisen- talen Daten in Deutschland hingewiesen. Wir befin- märkte zum Beispiel haben sich relativ ruhig verhal- den uns in einer guten Wachstumsphase. Wir haben ten. Betrachten Sie doch das Verhältnis der D-Mark großen Erfolg in der Außenwirtschaft; der Expo rt zu den Währungen unserer wichtigsten Handelspart- steigt um 10 bis 12 Prozent. ner. Betrachten Sie auch die Märkte für festverzinsli- che Wertpapiere und die Geldmärkte. Sie müssen (Zuruf von der SPD: Die Arbeitslosigkeit auch einmal den Finanzteil einer Zeitung lesen und auch!) nicht nur Ihre Blättchen, in denen wenig darüber - Erst einmal gilt es doch, die Wirtschaft in Schwung steht. zu bringen. Wenn Sie nicht weiterhin a lles bremsten (Zurufe von der PDS) - die große Steuerreform, die Rentenreform -, dann wäre die Entwicklung noch positiver. - Sie können doch nicht von der großen Weltwirt- schaftskrise, vom Börsencrash reden, wenn der DAX (Beifall des Abg. Ulrich Heinrich [F.D.P.]) Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 201. Sitzung. Bonn, Freitag, den 31. Oktober 1997 18207

Friedhelm Ost Die Politik, die Sie betreiben, ist eindeutig eine den realen ökonomischen und finanzpolitischen Pro- Politik gegen Arbeitslose, gegen den Mittelstand und blemen in Südostasien und von Währungsspekulatio- auch gegen Investitionen. nen gegen den Hongkong-Dollar eingeleitet. (Widerspruch bei der SPD) Herr Kollege Gysi, wenn Sie hier mit Blick auf das - Natürlich, Sie bremsen alles aus. Das haben wir in Europäische Währungssystem Instrumente zu einer den letzten Tagen mehrfach erlebt. Stabilisierung fordern, dann heißt die Antwort mei- nes Erachtens Euro, (Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Reden Sie doch am Freitag um 12.30 Uhr nicht so (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ einen Quatsch! - Glocke des Präsidenten) DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der F.D.P. - Joseph Fischer Die Stabilität der D-Mark zeigt das Vertrauen der [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: nationalen und der internationalen Anleger in unsere Sehr gut! Gregor, das war ein Eigentor!) Wirtschaft und auch in die Politik, wie sie die Bun- desregierung immer wieder dargelegt hat. weil Sie mit einem größeren Währungsblock gegen Herzlichen Dank. internationale Devisenspekulation weniger anfällig sind. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Erfreulich an der Debatte über den Zustand der Börse in den letzten Tagen ist, daß sie in fast allen Ich erlaube mir Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Medien und nicht nur dort, sondern auch an den die Bemerkung: Auch wenn wir über Börsen reden, Stammtischen stattfand. Das Thema Aktie ist in den muß es im Deutschen Bundestag nicht so laut wie an letzten Jahren zu einem Volksthema geworden - ein der Börse zugehen. Erfolg, den der Finanzplatz insbesondere dem Bör- Das Wort hat jetzt der Kollege Bury. sengang der Deutschen Telekom AG zu verdanken hat. Rund 400 000 neue Aktionäre konnten für die T- Hans Martin Bury (SPD): Herr Präsident! Meine Aktie gewonnen werden. Auch sie mußten in den Damen und Herren! Einige Leute haben in dieser letzten Monaten erfahren, daß die Börse keine Ein- Woche viel Geld an der Börse verloren. Die meisten bahnstraße ist. Menschen aber haben wegen dieser Bundesregie- Die Börse ist der Markt für Risikokapital. Hier tref- rung seit Jahren weniger Geld in der Börse. fen kapitalsuchende Unternehmen und risikofreu- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne dige Anleger zusammen. Die einen suchen Kapital- ten der PDS - Widerspruch bei der CDU/ geber, die ihr Wachstum finanzieren; die anderen - CSU) vom rationalen Investor über den kühl kalkulieren- - Wissen Sie, wie man es nennt, wenn den Renditejäger bis zum Zocker, den es auch gibt - umhergeht? - Wandelschuldverschreibung. wollen sich mit den mageren Zinsen für Sparanlagen oder Anleihen nicht zufriedengeben, und sie setzen (Heiterkeit und Beifall bei der SPD) darauf, daß die Kehrseite von Risiko Chance heißt. Liebe Kolleginnen und Kollegen, Achterbahnfahrt Langfristig fahren die Aktionäre mit dieser Hal- - an den internationalen Börsen: Ausgelöst von der tung nicht schlecht. Die Aktienanlage schlägt in je- Währungs- und Börsenkrise in Südostasien, kam es dem langfristigen Vergleich alternative, konservati- weltweit zu Kurseinbrüchen an den Aktienmärkten. vere Anlageformen wie Renten, Edelmetalle, Immo- Vom „Black Monday II" an der Wall Street war be- bilien oder Lebensversicherungen. reits die Rede, und an diesem Dienstag erlebte der deutsche Aktienmarkt mit einem Minus von 7 Prozent In den letzten Tagen schwanken die Kurse an der einen dunkelgrauen Tag. Den „Schwarzen Montag" Wall Street und an der Frankfu rter Börse zwischen 1987 habe ich selbst in der Wertpapierabteilung einer Berg- und Talfahrt. Die hohe Volatilität mag manche Bank erlebt. Damals war die öffentliche Aufmerk- Betrachter erschrecken. Bei den Kursrückschlägen samkeit geringer, aber die Kursverluste waren we- handelt es sich jedoch um Buchverluste. Es werden sentlich größer. Vor zehn Jahren hat es Monate ge- keine realen Werte zerstört. dauert, bis sich die Börsen vom Crash erholt hatten. Gezeigt haben die internationalen Börsenturbulen- Diesmal hat sich die Stimmung bereits nach wenigen zen allerdings, wie eng die Verflechtungen der Tagen gebessert. Die Börsen in Westeuropa und den Volkswirtschaften sind. Insofern ist es für die Real- USA scheinen sich stabilisiert zu haben, im übrigen wirtschaft gefährlich, sich so einseitig auf den Expo rt auf einem Niveau, von dem zu Beginn dieses Jahres zu stützen und die Binnenkonjunktur sträflich zu ver- nur Optimisten ausgehen konnten. nachlässigen, wie es diese Bundesregierung seit Jah- (Rainer Funke [F.D.P.]: Richtig!) ren tut. Was ist passiert? Nach jahrelang steigenden, in (Beifall bei der SPD und beim BÜNDNIS 90/ den letzten Monaten sogar haussierenden Kursen DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der kam es zu der von nicht wenigen Experten als über- PDS) fällig bezeichneten Korrektur. Über die Gründe die- ser Korrektur an den internationalen Aktienmärkten Dies erhöht die Anfälligkeit für exte rne Einflüsse. ist in den letzten Tagen viel diskutiert worden. Viel Deshalb brauchen wir neben einer international ab- Psychologie, aber auch handfeste Gründe stecken gestimmten Wirtschafts- und Finanzpolitik dringend dahinter. Schließlich wurde der Kursrückgang von eine Stärkung der Binnenkonjunktur. Diese Regie- 18208 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 201. Sitzung. Bonn, Freitag, den 31. Oktober 1997 Hans Martin Bury rung wird das nicht mehr schaffen - deshalb: Orde rn der Tagesordnung. Von einer soliden Finanz-, Wäh- Sie Verkaufsoptionen auf Kohl und Calls auf SPD. rungs- und Börsenpolitik kann keine Rede sein. (Beifall bei der SPD und beim BÜNDNIS 90/ Man muß dem Internationalen Währungsfonds an DIE GRÜNEN) dieser Stelle sehr dankbar sein, daß er seine Unter- stützungsleistungen an klare Bedingungen geknüpft Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Das Wort hat hat. Wir hegen die Hoffnung - übrigens im Sinne der Kollege Wolfgang Schmitt, Bündnis 90/Die Grünen. mit uns verbündeten Nichtregierungsorganisationen Thailands, wo ich in der letzten Woche war und mit Wolfgang Schmitt (Langenfeld) (BÜNDNIS 90/DIE denen wir uns sozusagen gegenseitig beglück- GRÜNEN): Herr Präsident! Meine Damen und Her- wünscht haben, daß dies passiert ist -, daß die Indu- ren! Lieber Kollege Gysi! Ich hätte eigentlich von Ih- striestaaten an dieser Stelle ha rt bleiben. nen eine etwas freudigere Rede erwartet. Sie haben Sie haben darauf hingewiesen, daß die Krise auch hier gefordert, daß Spekulationsgewinne stärker be- dazu führen kann, daß einige ehrgeizige Projekte, steuert werden sollen. Wenn Sie aufmerksam das angefangen beim Rüstungssektor und aufgehört bei verfolgt hätten, was in dieser Woche passiert ist, wahnsinnigen Staudammprojekten, jetzt endlich zu- dann hätten Sie eigentlich feststellen müssen, daß rückgestellt werden und daß die Regierung auch das, was die Spekulanten in dieser Woche verloren durch das Volk auf der Straße in Bangkok gezwun- haben, durch jede noch so starke Besteuerung im In- gen wird, endlich eine Politik zu verfolgen, die nicht land nicht hätte hereingeholt werden können. nur zum Nutzen der wenigen Reichen in diesem Ein Beispiel: Es heißt, Bill Gates habe in dieser Wo- Land ist, sondern breiteren Bevölkerungsschichten che allein 3 Milliarden US-Dollar verloren. Da hätte zugute kommt. selbst die optimale Umsetzung von PDS-Steuerpolitik (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN nicht ausgereicht, solche Verluste herbeizuführen. und bei der SPD) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Die „Zeit" hat in dieser Woche getitelt, „Die Krise und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten ist gut" . Ich will noch einmal darauf hinweisen, daß der SPD) die Krise in der Tat gut ist, solange der Internationale Ich finde, Kollege Gysi - auch bei aller Kritik an Währungsfonds seine Stützungsmaßnahmen nicht den Ausschweifungen des internationalen Finanzsy- dazu benutzt, die risikobehafteten Ausleihungen stems und der Aktienmärkte -, diese Woche hat ge- westlicher Banken beispielsweise in dieser Region zeigt, daß Märkte funktionieren können, und auch abzusichern. die vergangenen Monate haben dies gezeigt, denn Ich hoffe, es wird nicht das passieren, was nach der der Auslöser für diese Börsenturbulenzen war ja die Mexikokrise in US-amerikanischen Zeitungen nach- Krise in Südostasien. Sie wollen mir nicht erzählen, zulesen war. Dort war nämlich vielfach die Behaup- daß das, was sich in Thailand ereignet hat, abgeho- tung zu lesen, die gesamte Rettungsoperation für den ben von den realwirtschaftlichen Vorgängen in Süd- mexikanischen Peso hätte im Grunde genommen ostasien geschah. nicht den Mexikanern genutzt, sondern sehr risiko- Wenn Sie aufmerksam die Presse verfolgten, dann freudigen US-amerikanischen Anlegern. hätten Sie merken können, daß die einschlägige Wirtschaftspresse schon seit zwei Jahren darauf hin- Ich hoffe, wir kommen zu Regulierungsmechanis- men, Kollege Wolf, die dazu führen, daß die Bevölke- gewiesen hat, daß in Südostasien die Fundamental- rung der betroffenen Länder nicht die Zeche zu be- daten absolut nicht mit der Art und Weise überein- zahlen hat, sondern diejenigen, die leichtfertig wei- stimmen, wie dort beispielsweise Wechselkurspolitik betrieben wurde. terhin Geld in diese Ökonomien gepumpt haben, ohne die entsprechenden Fundamentaldaten zu be- Hätten Sie die Zeitung gelesen, dann hätten Sie rücksichtigen. festgestellt, daß Thailand, daß Indonesien, daß die Philippinen mit hohen Leistungsbilanzdefiziten zu Meine Damen und Herren, ich glaube, das kämpfen haben, daß ein Spekulationsboom am Im- Schimpfen auf die Spekulanten ist hier vollkommen mobiliensektor stattgefunden hat, daß es eine man- fehl am Platze. Sie überbringen nur die schlechten gelnde Bankenaufsicht und ein schwaches politi- Nachrichten, während dieser Krise doch eine sches System in diesen Ländern gegeben hat, daß schlechte Politik zugrunde liegt. Ich hoffe, daß sich in die Bindung an den Dollarkurs in dem Moment nicht den betroffenen Ländern die politischen Verhältnisse aufrechtzuerhalten war, als die Konjunkturen in Süd- im Interesse der dortigen Bevölkerung nachhaltig än- ostasien asynchron zu der der Vereinigten Staaten dern werden. abliefen, und daß es in diesen Ländern - das ist auch Ich danke Ihnen. bedeutsam für die Wettbewerbsfähigkeit dieser Re- gion - einen Mangel an qualifizierten Fachkräften (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN gibt. und bei der SPD) Wir stellen fest, daß in dieser Region ein eklatantes Politikversagen stattgefunden hat. Es findet nach wie Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Herr Kollege vor seine Fortsetzung, und ich sage Ihnen auch klar, Funke, Sie haben das Wort. was die Ursache dafür ist: Sie besteht in der Kumpa- nei zwischen superreichen, einflußreichen Familien Rainer Funke (F.D.P.): Herr Präsident! Meine Da- in diesen Ländern und der Politik. Korruption ist an men und Herren! Zwei Dinge haben mich ganz be- Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 201. Sitzung. Bonn, Freitag, den 31. Oktober 1997 18209

Rainer Funke sonders gefreut: zum einen, daß sich die Partei der sung ihrer Konzernbilanzen an internationale Stan- Sozialisten dards erlaubt. Es gehört ferner die Stückaktie dazu, die in Amerika selbstverständlich ist und die wir mit (Zuruf von der PDS: PDS heißt das!) dem Euro einführen werden. jetzt immerhin um die Aktionäre kümmert und sich Die Rahmenbedingungen, die unsere deutschen darüber Gedanken macht, wie die Gewinne, die an- Anleger an der Börse vorfinden, sind also in Ord- geblich vorhanden sind, nung. Deswegen hat es auch keine überspitzten Re- (Zuruf von der PDS: Zu wahren!) aktionen gegeben. - zu wahren und zu versteuern sind. Aber Sie haben (Joseph Fischer [Frankfu rt] [BÜNDNIS 90/ sich überhaupt keine Gedanken darüber gemacht, DIE GRÜNEN]: Also!) was passiert, wenn auch einmal Verluste entstehen. - Entschuldigen Sie, Herr Fischer. Sie können ja Werden diese dann aus der Kasse von Herrn Waigel rechnen: Am Ende des letzten Jahres, am 30. Dezem- sozusagen sozialisiert? Das kann ja wohl nicht richtig ber, war der DAX bei 2 800. Heute ist er bei 3 750. sein. Zu einer Börse gehört nun einmal, daß man Ge- Das sind präterpropter 27 Prozent Gewinn. Darüber winne und Verluste hinzunehmen hat. Deswegen ha- kann man sich als Aktionär doch nur freuen. ben wir das Steuerrecht entsprechend ausgestaltet. (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ Zum anderen habe ich mich darüber gefreut, daß DIE GRÜNEN]: Und was war am Dienstag wir im Grunde genommen keine besänftigenden dieser Woche?) Worte beispielsweise der Bundesregierung benöti- gen, keine Appelle an die Bevölkerung zur Beson- Da würde ich zusammen mit Herrn Gysi dann eher nenheit. Die p rivaten Aktionäre in unserem Land darüber nachdenken, wie das zu versteuern ist, an- sind trotz gelegentlich anderslautender Äußerungen statt sich hier aufzuregen. keine Spekulanten, sondern sind durchaus reife An- (Beifall bei Abgeordneten der PDS) leger geworden. Ich bin optimistisch. Im Grunde genommen gibt es (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ nämlich keine Alternative zur Aktie. Deswegen wird DIE GRÜNEN]: Na ja, den einen oder ande es auch in Deutschland stabile Verhältnisse geben. ren Spekulanten gibt es aber auch!) Vielen Dank. - Das gehört zur Börse dazu, Herr Fischer. Ich ver- mute einmal, daß Ihnen ein bißchen Spekulantentum (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) durchaus liegen würde und Sie durchaus bereit wä- ren, an der Börse das eine oder andere Mal etwas zu Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Das Wort hat der wagen; davon lebt die Börse im übrigen. Sie stellen Parlamentarische Staatssekretär Hansgeorg Hauser. damit den Unternehmen Kapital zur Verfügung. Dar- über sollten wir uns freuen und dies nicht noch belä- Hansgeorg Hauser, Parl. Staatssekretär beim Bun- cheln. desminister der Finanzen: Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir haben eine Die deutschen Aktionäre achten stärker als bisher Aktuelle Stunde. Deswegen sollte man auch mit ak- auf fundamentale Unternehmensdaten, auf die tuellen Daten beginnen. Nach einer Erholung an den- Wachstumsaussichten, die stabile Zinsentwicklung asiatischen Märkten eröffnete der DAX heute mor- und die solide Währungspolitik in unserem Lande. gen - wie man börsenfachmännisch so schön sagt - Natürlich ist uns auch wieder einmal vor Augen ge- behauptet. Er lag mit 3 750 Punkten immer noch fast führt worden, in welchem Maße die Finanzmärkte 900 Punkte über dem Niveau von Beginn des Jahres bereits internationalisiert sind, wie groß die Medien- 1997, rund 1 490 Punkte über dem Stand von Ende vernetzung dieser Welt ist und wie Angst oder Eu- 1995 und rund 2 200 Punkte über dem Stand von phorie an den Börsen im Takt der Zeitzonen rund um Ende 1992. den Erdball gehen. Es ist heute selbstverständlich, daß sich unsere Börsenhändler morgens zunächst die (Zuruf von der CDU/CSU: Dazu hat es von Entwicklungen an der japanischen Börse und an der der PDS nie eine Aktuelle Stunde gege Börse in Hongkong und abends, bevor sie nach ben!) Hause gehen, die letzten Daten von Wall Street anse- Ich denke, hier von einer Krise zu sprechen wäre hen. Auch daraus wird deutlich, wie schnell - sozusa- völlig verfehlt. Alle seriösen Marktbeobachter sind gen in Sekundenschnelle - die Börsen reagieren kön- sich in ihrer Einschätzung einig, daß es sich um eine nen. Wir leben nicht mehr auf einer Insel, sondern Korrektur vorangegangener Höhenflüge handelt. Die alles ist in der ganzen Welt in der Tat vernetzt. volatile Kursentwicklung der letzten Tage ist vor dem Unsere Wirtschaft benötigt in dieser Situation Rah- Hintergrund des weltweit starken Anstiegs in diesem menbedingungen, wie sie sie von unserem Parlament Jahr zu sehen. Es ist eine Binsenweisheit, daß die und auch von der Bundesregierung bekommen hat. Märkte immer wieder Konsolidierungsphasen einle- Hier möchten wir erwähnen, daß die Koalition ent- gen. Diese können bei hohem Niveau natürlich ab- scheidende Schritte zur Stärkung unseres Finanz- rupter und ausgeprägter ausfallen. platzes unternommen hat. Hierzu gehören das Dritte (Zuruf des Abg. Joseph Fischer [Frankfu rt] Finanzmarktförderungsgesetz, das in der Beratung [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) ist, und das Kapitalaufnahmeerleichterungsgesetz - es wird im Rechtsausschuß beraten -, das den inter- Wie der US-Notenbankpräsident am Mittwoch vor national operierenden Großunternehmen die Anpas dem US-Kongreß ausführte - hören Sie gut zu, Herr 18210 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 201. Sitzung. Bonn, Freitag, den 31. Oktober 1997

Parl. Staatssekretär Hansgeorg Hauser Fischer -, ist gut denkbar, daß wir in wenigen Jahren Bei der Beurteilung der augenblicklichen Entwick- diese Episode als ein heilsames Ereignis im Hinblick lung an den Aktienmärkten muß immer wieder un- auf die volkswirtschaftlichen Implikationen ansehen. terstrichen werden, daß die wi rtschaftlichen Funda- mentaldaten in den USA, in Europa und in Deutsch- Die jüngsten volatilen Kursbewegungen in den land sehr solide sind. Vor diesem Hintergrund geht wichtigen Industrieländern betreffen auch nur die die Bundesregierung auch von einer Fortsetzung der Aktienmärkte. Das ist auch schon richtig gesagt wor- günstigen Konjunkturentwicklung in Deutschland den. Die übrigen Wertpapiermärkte in diesen Län- aus. dern sind ruhig und freundlich. Der Wechselkurs der D-Mark gegenüber dem Dollar ist stabil. Im Europäi- Ich möchte dazu einige Fakten nennen: Die Kapi- schen Währungssystem gibt es keine Anzeichen von talmarktzinsen bewegen sich auf einem sehr niedri- Spannungen. gen Niveau. Es gibt keine Inflationstendenzen. Das Preisniveau ist praktisch stabil. Vermögenseffekte Auslöser dieser Kurskorrekturen an den Aktien- aus der Kursentwicklung dürften für die Konsumaus- märkten war die Währungsentwicklung in Südost- gaben von relativ geringer Bedeutung sein; das wa- asien. Herr Schmitt hat es sehr richtig gesagt: In die- ren auch die Erfahrungen des Jahres 1987. Auf der sen Ländern besteht ein erheblicher wirtschaftspoliti- Wechselkursseite bestehen keine Risiken für die scher Korrekturbedarf. Das rasche Wachstum in die- Konjunktur; der Dollar ist angemessen bewe rtet. sen Ländern in den vergangenen Jahren hat zwar Südostasiatische Länder haben für die deutschen Ex- den wirtschaftlichen Wohlstand erhöht. Zugleich ha- porteure im Vergleich zu Europa und anderen Regio- ben sich aber auch Probleme aufgestaut, die jetzt nen keine so große Bedeutung. Was wir ansonsten rasch gelöst werden müssen. beklagen, nämlich daß wir unsere Geschäfte do rt erst noch intensivieren müssen, führt in diesem Zusam- Dazu gehören insbesondere die Reform der Fi- menhang zu beruhigenderen Entwicklungen. nanzsysteme durch den Aufbau effizienter Aufsichts- Die deutschen pri strukturen, eine angemessene Wechselkurspolitik vaten Anleger haben besonnen reagiert und eine Verringerung der Leistungsbilanzdefizite. . Wie die Kursentwicklung über einen länge- ren Zeitraum zeigt, war die Aktie längerfristig eine Die Regierungen haben diese Reformen in enger Zu- gute Investition. Sie hat sich auch in Deutschland als sammenarbeit mit den internationalen Finanzie- rungsinstituten, insbesondere dem IWF und der ein Instrument für eine langfristige Anlage bewährt. Weltbank, in Angriff genommen. Das und das unver- Das kann man insbesondere für die ehemaligen Bun- ändert gute Wachstumspotential in den Ländern desunternehmen sehr deutlich sagen. Auch im Be- Südostasiens werden zur Beruhigung beitragen. reich der Telekom und im Bereich der Lufthansa lohnt es sich, langfristige Anlagen zu bedenken und Stärkere Bewegungen an den internationalen Fi- nicht auf kurzfristige Spekulationen zu setzen. nanzmärkten machen uns immer wieder deutlich, Lassen Sie mich abschließend kurz den Anlagetip daß der enorme technische Fortschritt im Computer- von Herrn Bury kommentieren. Herr Bury, Pessimi- wesen, die weltweite Öffnung der Märkte, die freie sten, Bedenkenträger, die vor allem warnen und Konvertibilität der Währungen und die zunehmende Angst haben, und Reformgegner, die keine Verände- Integration sogenannter Schwellenländer in die rungen wollen, setzen auf die SPD. Das ist richtig. Weltwirtschaft zu einem sehr starken Anstieg bei den Optimisten, die in unserem Land Veränderungen er- - grenzüberschreitenden Kapitalbewegungen geführt reichen wollen, damit der Wohlstand und auch das hat. Ein großer Teil dieser Kapitalbewegungen dient soziale Gefüge in diesem Land erhalten werden kön- der Finanzierung des Welthandels und der Um- nen, schichtung von Kapital in die Sektoren und Regionen mit den besten Rentabilitätsaussichten. Aber natür- (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ lich kann man die spekulativen Bewegungen nicht DIE GRÜNEN]: Die setzen auf die PDS!) ausklammern. die setzen auf die Regierung Kohl und auf diese Ko- alition. Neu ist auch, daß diese kurz- und langfristigen Ka- pitalbewegungen in unserem Informationszeitalter (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. - sehr viel schneller und wirkungsvoller als früher eine Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ schlechte Wirtschaftspolitik bestrafen, aber auch DIE GRÜNEN]: Junk Bond! Müllaktien, eine gute Politik durch die Bereitstellung von Kapital kann man da nur sagen!) belohnen. Diese Tatsachen werden weltweit aner- kannt. Auf der Jahrestagung des Internationalen Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Das Wort hat der Währungsfonds in Hongkong, die kürzlich stattge- Kollege Dr. Rössel, PDS. funden hat, bestand jedenfalls großes Einvernehmen zwischen Industrie- und Entwicklungsländern, die Dr. Uwe-Jens Rössel (PDS): Herr Präsident! Lieber Liberalisierung des internationalen Kapitalverkehrs Kollege Ost, ich möchte Ihnen eindeutig sagen: Die fortzuführen. PDS liest nicht nur irgendwelche Blättchen - welche meinen Sie denn? -, sondern sie liest regelmäßig Deutschland hat in den vergangenen Jahrzehnten auch „Wall Street Journal" und „Financial Times". aus offenen Finanzierungsmärkten und aus dem Zu- Wir kommen darauf noch zurück. strom ausländischen Kapitals großen Nutzen gezo- gen, insbesondere auch, als es um die Wiedervereini- (Joseph Fischer [Frankfu rt] [BÜNDNIS 90/ gung und die Finanzierung der Folgekosten des So- DIE GRÜNEN]: Die Zeitschriften des Mas zialismus ging. senfeindes!) Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 201. Sitzung. Bonn, Freitag, den 31. Oktober 1997 18211

Dr. Uwe-Jens Rössel Zur Ausgangslage. Die Bundesregierung - den und die in der Konzeption der Bundesregierung nicht Eindruck haben wir heute gewonnen - versucht of- annähernd erfaßt sind. fenbar noch immer, den Ernst der Lage herunterzu- Ein zweites Problem: Die Banken gewinnen immer, spielen. So spricht der Bundeswirtschaftsminister in auch wenn die Kurse fallen. Das ist für uns im Bun- einem Statement von „technischen Bereinigungen" , destag ein Thema. Wir brauchen ein völlig neues die sich derzeitig auf den internationalen Finanz- Herangehen an die Besteuerung der Bankgewinne. märkten abspielen sollen. Das dürfte sich als eine glatte Fehleinschätzung erweisen. Warum? Die der- (Beifall bei der PDS) zeitigen Kursturbulenzen an den internationalen Fi- nanzmärkten mögen vielleicht auch spekulativ be- Es sind doch nicht mehr nur die Aktienkursgewinne gründet sein. Sie haben aber - das ist das eigentliche zu besteuern. Wir benötigen ebenfalls ein völlig Problem - ganz tiefe Hintergründe. Es handelt sich neues Vorgehen bei der Besteuerung von Gewinnen um schwere Strukturkrisen in Ostasien, die in Thai- aus Termingeschäften. Auf Grund ihres Differenz- land und auf den Philippinen ihren Ausgang genom- charakters werden Termingeschäfte fast überhaupt men haben, die jetzt aber auch in Lateinamerika vor- nicht besteuert. Hier liegen doch immense Reserven handen sind, Strukturkrisen, die begründet sind in für die Sanierung der öffentlichen Haushalte. anhaltend hohen Auslandsschulden, in gravierenden Ein letztes Thema: Die Bundesregierung stimmt in Handels- und Leistungsbilanzdefiziten der betreffen- den Chor derer ein, die sagen: „Setzt auf p rivate Al- den Länder und teilweise in einer Bindung der jewei- tersvorsorge!" , wohl wissend, daß die gesetzliche ligen Landeswährung an den US-Dollar, wo man so- Rentenversicherung immer mehr ins Schlittern gerät; zusagen Äpfel an Birnen anbindet - bei Strukturen in darüber haben wir heute morgen ausführlich debat- den betreffenden Ländern, die nie und nimmer auch tiert. Mit dieser Orientierung will sie den Anlegerin- nur annähernd mit den amerikanischen Wirtschafts- nen und Anlegern eine gewisse Sicherheit geben. verhältnissen vergleichbar sind. Diese Sicherheit mag in der Vergangenheit durch die Es gibt weltweit große Sorge, daß, ausgehend von Analysen bestätigt worden sein. Es gibt aber keine der Krise in Asien, jetzt eine globale Finanz- und Gewähr, daß sich die Aktienentwicklung so fortsetzt, Wirtschaftskrise auch den lateinamerikanischen wie sie in der Vergangenheit war. Raum ergreift und daß es damit zu einer Wiederauf- Ich erinnere daran, daß der japanische Aktienin- lage der Mexiko-Krise von 1994/95 mit ähnlichen Er- dex Nikkei 225 im Jahre 1990 bei rund 40 000 Punk- scheinungen und Auswirkungen kommt. Eine Folge ten lag. Heute liegt er nur noch bei 16 000 Punkten. war damals: Der US-Dollar fiel innerhalb von einem Das heißt: Das Aktienbarometer ist um 60 Prozent ge- halben Jahr von 1,75 DM auf 1,36 DM. fallen. Die Anleger beispielsweise, die auf Pensions- (Rainer Funke [F.D.P.]: Und wo ist er jetzt?) fonds in japanischen Aktien gesetzt hatten, haben damit fast 60 Prozent ihrer Einsätze verloren. Wir wollen nicht hoffen, daß a ll das wieder eintritt. Herr Ost, das ist die Wahrheit. Sie können es gern Die Politik ist gefragt; Herr Gysi hat das gesagt. widerlegen. Ihnen fehlen dazu aber die Fakten. Diese Krisen, die sich zum Teil in den Aktienkursbe- wegungen widerspiegeln, haben nämlich immense (Beifall bei der PDS) Auswirkungen auf die bundesdeutsche sowie auf die Weltwirtschaft überhaupt. Ich komme auf die wich- tigste zu sprechen: Die falsche Orientierung der Bun- Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Und Ihnen, Herr desregierung, alle Karten auf den Expo rt zu setzen, Kollege, die Zeit. drückt sich bereits in den Arbeitslosenzahlen aus. Sie (Heiterkeit) sind drastisch angestiegen. Diese falsche Orientie- rung wird aber jetzt durch die Finanz- und Wäh- rungskrise wahrscheinlich weitere bittere Pillen er- Dr. Uwe-Jens Rössel (PDS): Das ist sehr gut formu- halten. liert. Vielen Dank. Ich habe gerade etwas im „Wall Street Journal" Die Bundesregierung ist gefordert, diese Entwick- von heute gelesen, was ich hier zitieren möchte: In lung sehr ernst zu nehmen, nicht im Interesse der Europa und in Japan können die Börsen Schwierig- Großkapitalanlegerinnen und -anleger, sondern im keiten auslösen. Aber in Westeuropa, besonders in Interesse von Millionen von Menschen, die die nega- Deutschland und Frankreich, werden erhebliche Ex- tiven Wirkungen dieser Turbulenzen durch die Ar- portverluste eintreten. Als Zeichen für Europas Ver- beitsmarktkonjunktur und anderes mehr zu spüren wundbarkeit mag der schwedisch-schweizerische bekommen. Konzern ABB gelten, mit Fabriken auch in Mann- Ich danke für die Aufmerksamkeit. heim und in Hennigsdorf. ABB plant jetzt, vor allem wegen der Krise in Asien, einen Abbau von 10000 (Beifall bei der PDS) Arbeitsplätzen. - Das ist leider kein Einzelbeispiel. Herr Funke und Herr Hauser, Sie können mir doch Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Das Wort hat der nicht erzählen, daß das Dinge sind, die nur mit tech- Kollege Wolfgang Steiger, CDU/CSU. nischen Bereinigungen zu tun haben. Es sind hand- feste wirtschafts- und arbeitsmarktpolitische Auswir- kungen, die auf uns zukommen Wolfgang Steiger (CDU/CSU): Hen Präsident! Ver- ehrte Kolleginnen und Kollegen! Lieber Herr Dr. Rös- (Beifall bei der PDS) sel, eines haben wir in diesen Tagen lernen müssen: 18212 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 201. Sitzung. Bonn, Freitag, den 31. Oktober 1997

Wolfgang Steiger Die Kommunisten haben in Hongkong kaum das Sa- Herr Dr. Rössel, ich will Ihnen vielleicht noch einen gen, schon kracht die Börse runter. Punkt mitgeben: Die Volatilität der Börsen wird noch einige Zeit anhalten. Es ist auch ein gewisses Rück (Heiterkeit bei der CDU/CSU und der F.D.P. schlagpotential zu befürchten, vor allen Dingen ist es - Lachen bei der PDS sowie bei Abgeordne nicht auszuschließen. Danach - davon bin ich fest ten der SPD) überzeugt - werden sich die guten konjunkturellen Deshalb sollten wir alle uns darum bemühen, daß Fundamentaldaten - der heutige Stand des DAX ist dieser Zustand nicht auch noch dieses Land ergreift. ein erster Hinweis darauf - wieder durchsetzen. Sie haben eben darüber gesprochen, daß wir uns Bei einer objektiven Situationsbetrachtung können die Fakten ansehen sollen. wir das, was schon mehrfach gesagt worden ist, gar nicht oft genug festhalten: daß nämlich die Panikver- (Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Nach diesem käufe der Kleinanleger ausgeblieben sind. Ganz im Motto ist Kohl an allem Schuld!) Gegenteil, nicht zuletzt durch die Erfahrungen, die Dazu sollten wir wirklich einmal übergehen. man in den letzten Tagen machen konnte, und nicht zuletzt durch die politischen Rahmenbedingungen Die Turbulenzen, denen die amerikanischen und haben die Kleinanleger in der Tat eine erstaunliche auch die europäischen Wertpapiermärkte ausgesetzt Börsenreife bewiesen. Ich bin fest davon überzeugt, waren, sind in keiner Weise mit dem Börsencrash von daß sie diese Gelassenheit auch dann bewahren wer- 1987 vergleichbar. Dies betrifft sowohl das Ausmaß den, wenn in den kommenden Tagen noch weitere als auch die Ursachen. So verzeichnete der Dow-Jo- Kursschwankungen kommen sollten. nes-Index am vergangenen Montag mit einem Rück- gang von 551 Punkten den historisch größten Kurs- Umgekehrt war sogar zu beobachten, daß eine verlust. Gemessen am Kursniveau aber war er dies ganze Reihe von Privatanlegern die niedrigen Kurse bei weitem nicht. Mit mehr als 22 Prozent war der dieser Tage dazu genutzt hat, um an der Börse einzu- Kurseinbruch von 1987 wesentlich stärker als der am steigen, wohl wissend, daß dies keine Einbahnstraße vergangenen Montag. ist und ein Auf und Ab nicht ausgeschlossen werden kann. Es ist so: Im langfristigen Vergleich - Herr Entscheidend für die Unterschiede beider Ereig- Dr. Rössel, Sie mögen vielleicht in diesen Tagen an- nisse sind Anlaß bzw. Ursachen der Kursrückgänge. dere Erfahrungen gemacht haben - zeigt sich, daß 1987 waren binnenwirtschaftliche Fehlentwicklun- die Aktie die Geldanlage mit der besten Rendite für gen in den USA wie wi rtschaftliche Überhitzungser- jeden ist, der für sein Alter Vorsorge leisten will. scheinungen und in deren Folge Zinsanhebungen bei einem völlig überbewerteten Aktienmarkt die Ur- In Zukunft wird es unser aller große politische Auf- sache. Verstärkt wurde dieser Einbruch noch durch gabe sein, die Aktie stärker als bisher zu unterstüt- den von Computern gesteuerten Handel institutio- zen und auch volkswirtschaftlich zu nutzen. Sie ist neller Anleger. der Schlüssel zu mehr Risikokapital in Deutschland. Sie ist der Schlüssel zu einer Verbesserung der priva- Ausschlaggebend aber, Herr Dr. Rössel, für die ten und der bet rieblichen Altersvorsorge. Sie hilft jüngsten Turbulenzen war der Verlust des Vertrauens weiter bei einer Fortentwicklung des gut funktionie- in die Wirtschaftspolitik der südostasiatischen renden Finanzplatzes Deutschland. Schwellenländer. Das dortige Wachstum basierte auf Danke. geliehenem Vertrauen. Diesem Vertrauen wurden - die Verantwortlichen nicht gerecht. In der Tat: Kenn- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) zeichnend waren zum einen krisenhafte Zuspitzun- gen im Immobilienmarkt vieler Länder, zum anderen Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Das Wort hat der ein dramatischer Verlust - das ist schon gesagt wor- Kollege Bernd Scheelen. den - der Wettbewerbsfähigkeit durch die Anbin- dung der Währungen, insbesondere des Hongkong Dollars, an den US-Dollar. So gerieten zunächst die Bernd Scheelen (SPD): Herr Präsident! Meine Da- Währungsmärkte unter Druck und in deren Folge die men und Herren! In der Analyse der Entwicklung Aktienmärkte. Die Börse in Hongkong ist um 33 Pro- der letzten Tage sind wir uns, glaube ich, einig, wenn zent eingebrochen. es darum geht, festzuhalten, daß die Korruption in manchen Staaten Südostasiens einen großen Teil In Europa und in den USA dürften sich diese Fi- Schuld trägt an dieser Entwicklung. nanzmarktturbulenzen allerdings nur unwesentlich Aber, Herr Staatssekretär Hauser, die Frage sei auf die wirtschaftliche Entwicklung auswirken. Es doch einmal erlaubt: Was hat denn die Bundesregie- bestehen kaum konjunkturelle Zusammenhänge mit rung getan, das zu verhindern? Ich darf einmal daran der Situation in Südostasien. Hinzu kommt die solide erinnern, daß die Zahlung von Bestechungsgeldern Grundverfassung beider Wirtschaftsräume, sowohl immer noch steuerlich abzugsfähig ist. Sie haben An- des europäischen als auch des amerikanischen Wi rt träge, mit denen wir das ändern wollten, bisher im- -schaftsraums. Die Turbulenzen haben überhaupt mer abgelehnt. Es wäre ein erster Schritt, mit diesen keine Liquiditätsprobleme verursacht. Die entstande- Verhältnissen aufzuräumen. nen Buchverluste halten sich in diesen Räumen in der Tat in Grenzen. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Ich will das, was der Parlamentarische Staatssekre- DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der tär Hauser eben gesagt hat, noch einmal verdeutli- PDS) chen: Der DAX liegt zur Zeit um mehr als 25 Prozent Wenn ich die Reden der Kollegen der Koalition über dem Niveau zu Jahresanfang 1997. Revue passieren lasse, dann habe ich die vielen Be- Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 201. Sitzung. Bonn, Freitag, den 31. Oktober 1997 18213

Bernd Scheelen schwichtigungsformeln im Ohr. Das ist zwar in der hansa-Aktien gelaufen sind, muß ich feststellen, daß derzeitigen Situation psychologisch sicherlich richtig, sie den Kleinanlegern suggeriert haben, daß das eine aber sie gehen mir teilweise doch etwas zu weit. absolut sichere Anlage mit garantiert hohen Zuge- Wenn ich Sie richtig verstanden habe, Herr Hauser, winnraten sei. Sie haben verschwiegen, daß die sagen Sie, im Grunde sei gar nichts gewesen. Wenn Börse eben auch Risiken birgt. man Berichte in den Zeitungen und den anderen Me- dien in den letzten Tagen verfolgt hat, weiß man, daß Viele Kleinanleger stehen im Moment vor der Si- das Wort „Krise" das meistgebrauchte Wort gewesen tuation, feststellen zu müssen, daß sich die Telekom ist. Also, irgend etwas muß da wohl passiert sein. Aktie kurz oberhalb des Ausgabekurses bewegt - Wenn Sie sagen, der Dollar sei stabil, darf ich fra- (Rainer Funke [F.D.P.]: 4 Mark!) gen, ob es Stabilität ist, wenn der Dollarkurs inner- - nein, nein, schauen Sie einmal genau hin, das ist halb von Stunden um 3 Pfennig steigt oder sinkt. So deutlich weniger! - und daß es sich angesichts der ganz stabil scheinen mir die Verhältnisse im Moment Kurssprünge, die wir hatten - der Kurs stand einmal nicht zu sein. Wir müssen uns darum bemühen, sie fast 50 Prozent höher als der heutige Kurs -, oft um wieder zu stabilisieren. Darüber sind wir uns sicher- nur auf dem Papier vorhandene Daten handelt. lich einig. (Friedrich Merz [CDU/CSU]: Was will uns Ich darf Ihnen ein Zitat aus der neuesten Ausgabe der Dichter damit sagen? - Wolfgang Stei der „Zeit" verlesen: er [CDU/CSU]: Einsteigen oder ausstei Viele Abläufe im Wirtschaftsleben, vor allem im gen?) Finanzbereich, verstehen wir nicht bis ins letzte. - Wir steigen in SPD-Aktien ein, das haben Sie vor- Das ist eine Äußerung der Bank für Internationalen hin gehört. Die Bürger werden am 27. September Zahlungsausgleich. Wenn die Fachleute, die die in- nächsten Jahres schon richtig entscheiden und de- ternationalen Geldströme kontrollieren sollen, ein nen ihre Stimme geben, die eben nicht auf die Hau- solches Eingeständnis machen, ist die Frage, ob es ser-Papiere, sondern auf die SPD-Papiere setzen. nicht doch einen gewissen Handlungsbedarf auch (Wolfgang Steiger [CDU/CSU]: Option auf seitens nationaler Regierungen gibt. Baisse!) Ökonomisch - darüber sind wir uns, glaube ich, Das wird für Sie am 27. September ein sehr schwar- auch alle einig - wird man das, was an den Börsen zer Sonntag werden! passiert ist, als notwendige Korrektur des überhitzten Aktienmarktes ansehen müssen. Aber ich glaube, (Beifall bei der SPD - F riedrich Merz [CDU/ die Situation zeigt dreierlei: CSU]: Schwarze Sonntage sind uns lieb!) Zum einen - das ist schon erwähnt worden; ich wi ll Zum Schluß wollte ich, weil meine Redezeit abgelau- es aber trotzdem noch einmal sagen, weil es einfach fen ist, darauf hinweisen, daß die Kleinanleger - das eine Tatsache ist - ist es so, daß sich die Finanz- ist auch mehrfach gesagt worden - sehr besonnen märkte von der realen Wi rtschaftsentwicklung völlig reagiert haben. Das ist auch gut so. Trotzdem steht abgehoben haben. Ich glaube, es ist viel wichtiger, die Regierung unter Handlungszwang. Sie sollten die Politik in der Bundesrepublik dahin gehend zu gerade im Hinblick auf die Auswirkungen dieser gestalten, sich weniger um Shareholder-value zu Krise auf Ihren Haushalt im nächsten Jahr gut über---g kümmern als um Arbeitsplätze und Investitionen. legen, was Sie tun; denn dieses Schönreden und die Behauptung, es habe keinerlei Auswirkungen auf (Beifall bei der SPD) das Wachstum des nächsten Jahres, halte ich für ver- Da macht es auch überhaupt keinen Sinn, wenn früht, halte ich auch für psychologisch nicht richtig. die Bundesregierung beispielsweise die Vorschläge Ein guter Hausvater sollte auf schwierige Situationen zur Senkung der Lohnnebenkosten, die wir als SPD- vorbereitet sein. Fraktion hier eingebracht haben, einfach ablehnt Machen Sie Ihre Arbeit, und wenn Sie sie nicht und damit Chancen für mehr Beschäftigung und machen, machen wir sie ab 27. September nächsten mehr Wachstum im nächsten Jahr ausschlägt. Jahres für Sie. (Beifall der Abg. Ing rid Matthäus-Maier Vielen Dank. [SPD]) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des Denn die Frage ist doch: Wer baut noch Fabriken, BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) wer investiert noch in Maschinen, in Dienstleistungs- betriebe, ins Handwerk, wenn es sich mehr lohnt, Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Die Aktuelle Monopoly zu spielen - was man aus dem Kindergar- Stunde ist beendet. ten kennt; aber dies findet real an den Börsen statt -, als Geld in sinnvolle Dinge zu investieren, die Ar- Damit sind wir auch am Schluß unserer Tagesord- beitsplätze schaffen? nung. Es hat sich immer gezeigt, daß das Setzen auf die Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bun- schnelle Mark oft ein böses Erwachen nach sich destages auf Mittwoch, den 12. November 1997, zieht. Es ist die Frage, ob die Regierung nicht auch in 13 Uhr ein. gewisser Weise diese Mentalität gestützt hat. Wenn Die Sitzung ist geschlossen. ich an die aufwendigen Werbekampagnen denke, die zur Einführung der Telekom-Aktien und der Luft (Schluß der Sitzung: 13.10 Uhr) 18214* Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 201. Sitzung. Bonn, Freitag, den 31. Oktober 1997

Anlagen zum Stenographischen Bericht

Anlage 1 entschuldigt bis Abgeordnete(r) einschließlich Liste der entschuldigten Abgeordneten Singer, Johannes SPD 31. 10. 97 entschuldigt bis Abgeordnete(r) einschließlich Thiele, Carl-Ludwig F.D.P. 31. 10. 97 Thierse, Wolfgang SPD 31. 10. 97 Becker-Inglau, Ingrid SPD 31. 10. 97 Vosen, Josef SPD 31. 10. 97 Behrendt, Wolfgang SPD 31. 10. 97 * Graf von Waldburg-Zeil, CDU/CSU 31. 10. 97 Blunck, Lilo SPD 31. 10. 97 Alois Dr. Feldmann, Olaf F.D.P. 31. 10. 97 Dr. Warnke, Jürgen CDU/CSU 31. 10. 97 Frankenhauser, Herbert CDU/CSU 31. 10. 97 Weißgerber, Gunter SPD 31. 10. 97 Frick, Gisela F.D.P. 31. 10. 97 Zeitlmann, Wolfgang CDU/CSU 31. 10. 97 Friedhoff, Paul K. F.D.P. 31. 10. 97 Dr. Fuchs, Ruth PDS 31. 10. 97 *) für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Ver- Geiger, Michaela CDU/CSU 31. 10. 97 sammlung des Europarates Günther (Plauen), F.D.P. 31. 10. 97 Joachim Hanewinckel, Christel SPD 31. 10. 97 Entschuldigt wegen Übernahme einer Verpflichtung Heistermann, Dieter SPD 31. 10. 97 im Rahmen ihrer Mitgliedschaft in den Parlamen- Hempelmann, Rolf SPD 31. 10. 97 tarischen Versammlungen des Europarates und der Heyne, Kristin BÜNDNIS 31. 10. 97 WEU, der NAV, der OSZE oder der IPU 90/DIE GRÜNEN Abgeordnete(r) Homburger, Birgit F.D.P. 31. 10. 97 Behrendt, Wolfgang SPD Dr. Hornhues, Karl-Heinz CDU/CSU 31. 10. 97 Hornung, Siegfried CDU/CSU Hovermann, Eike SPD 31. 10. 97 Dr. Scheer, Hermann SPD Siebert, Bernd CDU/CSU von Klaeden, Eckart CDU/CSU 31. 10. 97 Klemmer, Siegrun SPD 31. 10. 97 Dr. Küster, Uwe SPD 31. 10. 97 Kurzhals, Christine SPD 31. 10. 97 Anlage 2 Lengsfeld, Vera CDU/CSU 31. 10. 97 Lotz, Erika SPD 31. 10. 97 Nachträglich zu Protokoll gegebene Rede zu Tagesordnungspunkt 13 SPD 31. 10. 97 Mante, Winfried (200. Sitzung am 30. Oktober 1997, Seite 18143 A) Marx, Dorle SPD 31. 10. 97 (Große Anfrage: Rückstände Dr. Mayer CDU/CSU 31. 10. 97 von Tierarzneimitteln in Lebensmitteln) (Siegertsbrunn), Martin Dr. Ortleb, Rainer F.D.P. 31. 10. 97 Editha Limbach (CDU/CSU): Zunächst möchte ich der Bundesregierung für die ausführliche Antwort Dr. Probst, Albe rt CDU/CSU 31. 10. 97 zur Großen Anfrage „Rückstände von Tierarzneimit- Reschke, Otto SPD 31. 10. 97 teln in Lebensmitteln" herzlich danken. Diese Ant- Dr. Rexrodt, Günter F.D.P. 31. 10. 97 worten bilden nämlich eine gute Grundlage für die Rupprecht, Marlene SPD 31. 10. 97 Beratungen, die zu diesem Thema im Gesundheits- ausschuß des Bundestags noch stattfinden werden. Dr. Scheer, Hermann SPD 31. 10. 97 * Wir haben außerdem mit großem Interesse die Ver- Schild, Horst SPD 31. 10. 97 handlungen auf dem Symposium der Weltgesund- Schmidbauer, Bernd CDU/CSU 31. 10. 97 heitsorganisation (WHO) verfolgt, das kürzlich zu diesem Thema auf Anregung der Regierung in Berlin Schoppe, Waltraud BÜNDNIS 31. 10. 97 stattfand. Den Bericht über diese Tagung werden wir 90/DIE ebenfalls im Gesundheitsausschuß sorgfältig analy- GRÜNEN sieren. Schultz (Everswinkel), SPD 31. 10. 97 Reinhard Gerade weil das angesprochene Thema geeignet ist, die Menschen zu verunsichern und zu ängstigen, Schwanitz, Rolf SPD 31. 10. 97 ist eine sehr sorgfältige und den vorsorgenden ge- Sielaff, Horst SPD 31. 10. 97 sundheitlichen Verbraucherschutz beachtende Dis- Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 201. Sitzung. Bonn, Freitag, den 31. Oktober 1997 18215* kussion ebenso notwendig wie jede Vermeidung von tung muß erhöht werden, wenn Deutschland im in- unsinniger Panikmache. ternationalen Wettbewerb bestehen wi ll. Ein fortent- wickeltes Haushaltsrecht ist dafür ein entscheiden- So muß festgehalten werden - und das ist unter der Baustein. Fachleuten, aber auch im Gesundheitsausschuß weitgehend unstrittig -, daß in der Tierhaltung zu 3. Erfolgreiche Modellvorhaben. Wir haben das therapeutischen Zwecken auch der Einsatz von be- seit 1995 in der Bundesverwaltung durch Modellvor- stimmten Antibiotika als Tierarzneimittel durchaus haben erprobt. Übereinstimmendes Element ist, An sinnvoll sein kann, zumal auch Tierarzneimittel zu- reize für einen effizienten Mitteleinsatz zu schaffen. gelassen sein müssen und den arzneirechtlichen Die Ergebnisse sind bisher positiv. Vorschriften unterliegen. Vor der Zulassung werden Tierarzneimittel, wie alle Arzneimittel, auf Qualität, 4. Umsetzung der Ergebnisse. Der Gesetzentwurf Wirksamkeit und Unbedenklichkeit geprüft. Auch schafft die Rahmenbedingungen für die Umsetzung nach der Zulassung wird weiter beobachtet, seit 1995 in der Breite. In der öffentlichen Anhörung im Haus- ist die Einrichtung von Pharmakovigilanzsystemen in haltsausschuß wurde die Richtigkeit unseres Weges allen Ländern der Europäischen Union Pflicht. bestätigt.

Etwas weniger einfach ist die Antwort auf die 5. Eckpunkte des Gesetzentwurfs. Wesentliche Frage, ob bestimmte Antibiotika wegen ihrer Bedeu- Eckpunkte sind: Die Flexibilität der Haushaltswirt- tung in der Humanmedizin und möglicher Verstär- schaft wird durch eine Erweiterung der Deckungsfä- kung der weltweit zu beobachtenden Entwicklung higkeit erhöht. Das Jährlichkeitsprinzip wird durch der Resistenzsituation gegenüber Antibiotika zu- eine Erweiterung der Übertragbarkeit zielgerechter rückgedrängt oder gar in der Tiermedizin ganz aus- angewandt. Der Grundsatz der Gesamtdeckung wird geschlossen werden müssen. Und wie verhält es sich gelockert, um verstärkte Anreize zur Erzielung von mit der Anwendung von antimikrobiellen Stoffen in Mehreinnahmen zu schaffen. Die Kosten- und Lei- der Tierhaltung z. B. als Futterzusatzstoff? Auch die- stungsrechnung wird im Haushaltsgrundsätzegesetz sen Fragen werden wir im Gesundheitsausschuß un- und in der Bundeshaushaltsordnung verankert. sere Aufmerksamkeit widmen. Ich gehe davon aus, Schließlich ist eine Verpflichtung zu Wirtschaftlich- daß wir in vielen Punkten hier keinen parteipoliti- keitsuntersuchungen bei allen finanzwirksamen schen Streit führen müssen, sondern gemeinsam zu Maßnahmen vorgesehen. guten Ergebnissen kommen können. Diese guten Er- gebnisse werden aber in vielen Fällen nur wirksam 6. Sicherung des parlamentarischen Budgetrechts. werden, wenn wir auch inte rnational, vor allem auf Es gibt aber auch Stimmen aus dem parlamentari- EU-Ebene zu gemeinsamen Regelungen finden; dies schen Bereich, die fürchten, das parlamentarische müssen wir in unsere Überlegungen einbeziehen. So Budgetrecht könnte durch die angestrebte Flexibili- ist nach unserer Auffassung z. B. die Einführung ei- sierung des Haushaltsrechts beeinträchtigt werden. nes Resistenz-Monitorings für Arzneimittel, wie es Ich meine, der Gesetzentwurf trägt diesen berechtig- bereits in der Bundesrepublik existiert, auch auf ten Sorgen Rechnung; denn mit dem Gesetzentwurf europäischer Ebene mit Nachdruck anzustreben. gehen wir einen mittleren Weg zwischen notwendi- ger Flexibilisierung und parlamentarischer Verant- wortung und Kontrolle der Regierung. -

Durch die Verankerung der Kosten- und Leistungs- Anlage 3 rechnung und die Pflicht zur Durchführung von Wi rt -schaftlichkeitsuntersuchungen werden die Möglich- Zu Protokoll gegebene Reden keiten für eine ergebnisorientierte parlamentarische zu Tagesordnungspunkt 18 Budgetkontrolle gestärkt. Zusätzlich organisieren wir (a - Haushaltsrecht-Fortentwicklungsgesetz, die externe Finanzkontrolle neu. Künftig werden die b - Antrag: Für eine umfassende Haushalts- neuen Prüfungsämter unter der Leitung des Bun- und Finanzreform: Transparenz, Wirtschaftlichkeit desrechnungshofes verstärkt die Wi rtschaftlichkeit und parlamentarische Kontrolle) prüfen. Das neue Haushaltsgrundsätzegesetz ist ein Ange- Irmgard Karwatzki, Parl. Staatssekretärin beim bot für mehr Flexibilität an die Haushaltsgesetzgeber Bundesminister der Finanzen: in Bund und Ländern. Es kommt darauf an, was 1. Schlanker Staat. Eine Herausforderung unserer Bund und Länder daraus machen. Zeit ist die Verschlankung des Staates. Eine Staats- quote im Bereich von 50 Prozent läßt den Bürgern 7. Praktische Konsequenzen. Deshalb haben wir wenig Raum zur Entfaltung. Wir stehen vor der Auf- die Modellvorhaben im Bundesbereich eingehend gabe, hier eine Trendwende einzuleiten. bewertet und im Bundeshaushalt 1998 mit der Um- setzung begonnen. Die Verwaltungsausgaben sind 2. Haushaltsrecht auf dem Prüfstand. Wir haben in der Regel die Bereiche, die durch regelmäßig an- dabei auch das Haushaltsrecht auf den Prüfstand ge- fallende Ausgaben des Staatsverbrauchs geprägt stellt und mit dem vorliegenden Gesetzentwurf Kon- sind. Dort setzen wir mit der Reform des Haushalts- sequenzen aus den Ergebnissen der Prüfung gezo- rechts an. Es handelt sich hierbei um Ausgaben des gen. Der Gesetzentwurf geht von folgenden Überle- Bundeshaushalts in Höhe von 27 Milliarden DM; do rt gungen aus: Die Effizienz der öffentlichen Verwal sehen wir den Handlungsbedarf für den Bund. 18216* Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 201. Sitzung. Bonn, Freitag, den 31. Oktober 1997

Bisher ist kennzeichnend eine detail lierte Festle- chen, müssen wir eine Kosten- und Leistungsrech- gung aller Ausgaben. Bei einem Haushaltsvolumen nung einführen und daraus Kennzahlen als Lei- von fast 500 Milliarden DM werden zum Teil Ausga- stungsvorgabe ableiten. Wir sind sicher, daß damit ben für wenige tausend Mark verbindlich geregelt. das Prinzip des eigenverantwortlich handelnden Be- Das Messen einer Behörde an ihren Ergebnissen ge- diensteten gestärkt wird. Wir haben deshalb im rät hierbei teilweise aus dem Blick. Das wollen wir Haushaltsgrundsätzegesetz (HGrG) vorgeschrieben, ändern. Zukünftig werden wir verstärkt eine ergeb- daß in geeigneten Bereichen eine Kosten- und Lei- nisorientierte Steuerung schaffen. stungsrechnung eingeführt werden soll; für den Bun- desbereich verlangen wir dies in der Bundeshaus- Im politisch und zahlenmäßig wichtigen Bereich haltsordnung sogar zwingend. der Programmausgaben, wie zum Beispiel Woh- nungsbau, Straßenbau, Verteidigung und Landwirt- 10. Änderung Staatsbankgesetz (DKB). Das Gesetz schaft und dem gesetzlich geregelten Sozialbereich zur Fortentwicklung des Haushaltsrechts wurde ak- werden die Ausgabenzwecke weiterhin die Einzel- tuell ergänzt um eine rechtstechnische Klarstellung entscheidung und damit der Prioritätensetzung im Zusammenhang mit der seinerzeitigen Umstruk- durch das Parlament unterliegen. Ein Volumen von turierung des Bankwesens der DDR auf ein zweistu- mehreren Milliarden DM bei einer Reihe von Pro- figes Bankensystem entsprechend den Vorgaben des grammtiteln verdeutlicht, daß hier die Grenze der Einigungsvertrages. Damit soll eine kürzlich aufge- vertretbaren Flexibilität erreicht ist. Wenn wir unsere tretene Rechtsunsicherheit im Interesse von Schuld- Aufgabe als Parlamentarier ernst nehmen, müssen nern und Gläubigern beseitigt und die Inhaberschaft wir diese Entscheidungen weiterhin selbst treffen. von Forderungen eindeutig festgestellt werden. 8. Budgetierung. Lassen Sie mich zum Abschluß 11. Resümee. Lassen Sie mich zum Haushaltsrecht auf weitergehende Vorstellungen eingehen, die mit selbst noch einmal herausstellen: Wir gehen einen „Budgetierung" und „kaufmännische Buchführung" Mittelweg zwischen den sehr weitgehenden Flexibi- gekennzeichnet werden können. In der bisherigen lisierungsforderungen und dem Interesse des Parla- politischen Diskussion wird immer wieder hervorge- ments, sein Budgetrecht nicht zu beeinträchtigen. hoben, die Vorschläge seien doch viel moderner und Die vorgeschlagene Lösung läßt Bund und Ländern effizienter als der vorliegende Entwurf. Vor solchen den erforderlichen Gestaltungsspielraum für die Instrumenten kann ich aber gerade vor dem Hinter- Reform des Haushaltsrechts. Ich bitte Sie daher, grund des Budgetrechts des Parlaments nur drin- dem Haushaltsrechts-Fortentwicklungsgesetz zuzu- gend warnen. stimmen. Eine dezentrale Verantwortung ist schon nach gel- tendem Haushaltsrecht zulässig. Im Bundesbereich Karl Diller (SPD): Die Regierung hat sich bei dem liegt die Mittelbewirtschaftung bei den jewei ligen vorliegenden Gesetzentwurf auf wenige punktuelle Dienststellen, zum großen Teil dezentral unter der Änderungen des Haushaltsrechts beschränkt. Sie ist Verantwortung der Beauftragten für den Haushalt, offensichtlich nicht in der Lage, die notwendige um- eine weitgehende dienststelleninterne Delegation ist fassende Modernisierung des Haushaltsrechts in An- möglich. Die vorgesehenen Erleichterungen bei der griff zu nehmen. Übertragbarkeit und der Deckungsfähigkeit lassen Erstens. Zum Sparargument: Die Regierung hat die erforderliche Flexibilität der Bewi rtschaftung zu. die Flexibilisierungsregelungen damit begründet, sie Überflüssig wäre es auch, wenn es nur darum geht, würden zu Einsparungen führen, und hat im Haus- eine kaufmännische Buchführung ergänzend zum haltsentwurf 1998 eine sogenannte Effizienzrendite geltenden System zuzulassen. von 350 Millionen DM eingesetzt. Seitens der Sach- Im Rahmen der kaufmännischen Buchführung hat verständigen, insbesondere aus dem Kommunalbe- jedes Unternehmen neben der Aufwands- und Er- reich - der in der Reform des Haushaltswesens schon tragsrechnung eine Einnahmen- und Ausgabenrech- viel weiter ist und fundierte Erfahrungen hat -, ist in nung. Darauf kann kein Unternehmen verzichten. der Anhörung klargestellt worden, Einsparungen Die Verwaltung, die vom Budgetrecht des Parlaments seien nicht zu erwarten. Auch Innenminister Kanther abhängt, kann dies erst recht nicht. Deshalb ist im hat diese Auffassung tendenziell vertreten. Meine Grundgesetz zwingend vorgesehen, daß der Haus- Vermutung, die Effizienzrendite sei größenordnungs- halt nach Einnahmen und Ausgaben aufzustellen ist mäßig nichts anderes als die ohnehin anfallenden und daß auf dieser Grundlage Rechnung zu legen ist. Minderausgaben, hat das Finanzministerium nicht entkräften können. Soll die Doppik, also die doppelte Buchführung aber an die Stelle der Einnahme-Ausgabe-Rechnung Die Sachverständigen betonten, den flexibilisier- treten, kann der so finanzierte Teil der öffentlichen ten Ausgabenbereich dürfe man keinesfalls nach- Hand sehr schnell zur „Black box" für das Parlament träglich mit einer Haushaltssperre belegen, da sonst werden. Denn dann bleibt offen, wie die laufende der Handlungsspielraum wieder beseitigt und so Kontrolle des haushaltsrechtlichen Ermächtigungs- Verläßlichkeit und Glaubwürdigkeit der Flexibilisie- rahmens während des Haushaltsjahres sichergestellt rung untergraben würden. Dieses Steuerungsinstru- werden soll. ment des Bundesfinanzministers wird also beein- trächtigt. Für einen Finanzminister, der erst gestern 9. Kosten-/Leistungsrechnung. Mit der Einführung nach einem Ausgabenstopp als letztem Strohhalm einer kaufmännischen Buchführung alleine ist es zur Rettung seiner desaströsen Finanzsituation grei- nicht getan. Um eine Kostentransparenz zu errei- fen mußte, sicher eine bittere Erkenntnis. Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 201. Sitzung. Bonn, Freitag, den 31. Oktober 1997 18217*

Zweitens. Zum Motivationsargument: Richtig ist - Ferner forde rten wir in Übereinstimmung mit dem und das begrüßen wir ausdrücklich - , daß eine mo- Bundesrat, in einer Kann-Regelung die Buchführung derne Haushaltswirtschaft zu einer stärkeren Eigen- nach den Grundsätzen ordnungsgemäßer Buchfüh- verantwortung der Bewirtschafter führen muß. Durch rung und Bilanzierung des Handelsgesetzbuches zu größeren Handlungsspielraum kann die Eigenver- ermöglichen. Die doppelte kaufmännische Buchfüh- antwortung des einzelnen gestärkt werden. Die Mo- rung erlaubt den lückenlosen Ausweis der aktuellen dellversuche zeigen, daß die Flexibilisierung sinn- Vermögenswerte, der Verbindlichkeiten und der For- volle Änderungen bei Ausgabeentscheidungen er- derungen aufgrund einer kontinuierlichen Ergebnis- möglicht und so die Effizienz der eingesetzten Mittel rechnung, so daß eine zuverlässige Beurteilung der situationsangepaßt steigert. Finanzlage und des Werteverzehrs möglich wird. Dies ist insbesondere wichtig für den Einsatz in wirt- Drittens. Zum Budgetrecht des Parlaments: Hand schaftsnahen Verwaltungsbereichen wie z. B. Hafen- lungsspielraum läßt sich in der Regel nur auf Kosten betrieben, Forstämtern oder Katasterverwaltungen. anderer gewinnen. Werden deshalb die vorgesehe- Dabei ist zweifellos wichtig, parallel dazu die Rechts- nen Flexibilisierungen das Budgetrecht des Parla- legung einschließlich Haushaltsrechnung nach ka- ments einschränken? Niemand kann ernsthaft be- meralen Gesichtspunkten zu gewährleisten, um die streiten, daß dies in der Tendenz so ist: Die Frage ist Aufstellung bundeseinheitlicher Finanzstatistiken zu nur, ob die Einschränkung noch akzeptabel ist oder ermöglichen. eine kritische Größe überschreitet. Ein Urteil dazu ist sicher erst nach einigen Erfahrungen mit den Flexibi- Die Bundesregierung sperrt sich gegen diese echte lisierungsregelungen möglich. Festzustellen ist, daß Modernisierung des Haushaltsrechts, die Koalition das Gesetz kein angemessenes zusätzliches Instru- hat unsere entsprechenden Änderungsvorschläge im mentarium enthält, um die größeren Gestaltungs- Haushaltsausschuß abgelehnt. Ihre Argumente über- möglichkeiten der Exekutive im Vollzug kontrollie- zeugen dabei nicht - zumal sich in der öffentlichen rend begleiten und notfalls eingreifen zu können. Anhörung etliche der Sachverständigen entschieden für diese weitergehende Modernisierung ausgespro- Zweifellos ist der einzelne Berichterstatter stärker chen haben und nicht einer sich dagegen gewandt gefordert. Er muß entscheiden, ob überhaupt, wo hat. Um es zu betonen: Es handelt sich um Kann und in welchem Umfang im Verwaltungsbereich sei- Bestimmungen, die Möglichkeiten erschließen, die nes Einzeletats die Flexibilisierungsregelungen an- einige Länder unbedingt nutzen wollen. Wieso will gewandt werden können. ihnen die Bundesregierung dies verwehren? Stimmt der Berichterstatter der Flexibilisierung für seinen Etat zu, ist er gefordert, den Vollzug zu beob- Fünftens. Zum Reformbedarf im Haushaltsrecht: achten und, falls nötig, zu korrigieren. Es bleibt ab- Das Haushaltsrecht bedarf nicht nur mit Blick auf zuwarten, ob die Ressorts ihre jeweiligen Absichten Flexibilisierung und Budgetierung der Modernisie- zeitnah offenlegen. Es empfiehlt sich, ein System re- rung, auch andere Bereiche sind dringend überarbei- gelmäßiger Berichterstattergespräche zu institutiona- tungsbedürftig. Ich erinnere an die überfällige Neu- lisieren. Für die Kolleginnen und Kollegen in den regelung zu den Restkreditermächtigungen. Zum Landtagen, die das Berichterstattersystem gar nicht Haushaltsgesetz 1997 hatten wir Änderungsvor- kennen, bedeutet diese Neuordnung, daß sie erst ein schläge dazu unterbreitet, die der Neigung des Fi- - solches System einrichten müssen, um eine effiziente nanzministers, sich über Beschlüsse des Parlaments Begleitung überhaupt zu ermöglichen. hinwegzusetzen, Einhalt gebieten sollten. Die Koali- tion hat die Vorschläge damals abgelehnt. Wir haben Viertens. Zum Modernisierungsumfang: Alle Sach- das Problem dem Bundesverfassungsgericht zur Be- verständigen waren der Auffassung, es handle sich urteilung vorgelegt, und auch der Bundesrechnungs- bei dem vorgelegten Gesetz lediglich um geringfü- hof hat in seinem jüngsten Bericht eine Regelungsän- gige Änderungen im Haushaltsrecht, eine echte Mo- derung hinsichtlich der Restkreditermächtigungen dernisierung sei dies nicht. Diese Bewe rtung teilt die gefordert. Diese Koalition ist leider unfähig - entge- SPD-Fraktion. gen öffentlichen Äußerungen der F.D.P. -, hier das Richtige zu tun. Wie der Bundesrat haben wir gefordert, eine grundlegende Neuorientierung hin zur Budgetierung Ich erinnere ferner an die von uns ebenfalls dem als Kann-Bestimmung gesetzlich abzusichern. Wir Bundesverfassungsgericht zur Überprüfung vorge- wollen ein modernes Haushaltsrecht, das denjenigen, legte Regelung für überplanmäßige Ausgaben. Es die dies wollen, die Einführung der Budgetierung kann nicht mit dem Budgetrecht des Parlaments ver- erlaubt. Wir wollen eine leistungsbezogene Plan- einbar sein, wenn es bei milliardenschweren Mehr- aufstellung und -bewirtschaftung ermöglichen. Als ausgaben nur deshalb keines Nachtragshaushalts Endstufe soll eine leistungsbezogene Mittelzuteilung bedarf, weil sie auf Rechtsverpflichtungen beruhen. möglich sein, die anstelle der bisherigen ausgabe- Immerhin beruhen 90 v. H. aller Ausgaben auf orientierten Steuerung eine zielbezogene Steuerung Rechtsverpflichtungen. Es kann nicht angehen, daß vorsieht. Um das Budgetrecht der Parlamente dabei das Parlament nur in dem Restbereich der Ausgaben zu sichern, sind geeignete Informations- und Steue- gefragt werden muß. Im Klartext: Es ist absurd, daß rungsinstrumente zu entwickeln, z. B. eine regelmä- bei einer 20-Millionen-DM-Mehrausgabe bei einem ßige Berichtspflicht auf der Grundlage eines betriebs- Titel in diesem Restbereich ein Nachtragshaushalt wirtschaftlich orientierten Control ling-Verfahrens mit vorgelegt werden muß, bei einer tausendmal größe- Informationen aus der Kosten- und Leistungsrech- ren Mehrausgabe in dem anderen Bereich aber nung. nicht. 18218* Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 201. Sitzung. Bonn, Freitag, den 31. Oktober 1997

Ein weiterer Punkt ist die vom Bundesverfassungs- über die Förderung und den gegenseitigen Schutz von gericht in dem Urteil von 1989 zu Art . 115 GG gefor- Kapitalanlagen derte sachgerechte Abgrenzung der Investitionsaus- - Gesetz zu dem Vertrag vom 11. August 1993 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Paraguay gaben. Auch in diesem Punkt hat die Bundesregie- über die Förderung und den gegenseitigen Schutz von Ka- rung sich bislang der entsprechenden Änderung des pitalanlagen Haushaltsrechts entzogen. Es kann doch nicht sach- - Gesetz zu dem Abkommen vom 29. September 1995 zwi- gerecht sein, wenn z. B. jetzt fällige Zahlungen auf schen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Grund von notleidend gewordenen Ausfuhrgaran- Simbabwe über die Förderung und den gegenseitigen tien nach geltendem Haushaltsrecht als Investitionen Schutz von Kapitalanlagen eingestuft werden. Die jetzigen Zahlungen stellen - Gesetz zu dem Vertrag vom 28. Oktober 1993 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Slowenien mit Sicherheit keine Investitionen, d. h. keine Meh- über die Förderung und den gegenseitigen Schutz von Ka- rung des Kapitalstocks unserer Volkswirtschaft dar, pitalanlagen werden aber gleichwohl nach dem Haushaltsrecht - Gesetz zu dem Vertrag vom 11. September 1995 zwischen als Investitionen eingestuft. Das ist doch widersinnig. der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Süd- afrika über die gegenseitige Förderung und den Schutz Ich fasse zusammen: Der Gesetzentwurf enthält von Kapitalanlagen nur halbherzige Ansätze und erfüllt bei weitem nicht - Gesetz zu dem Vertrag vom 28. April 1993 zwischen der den Reformbedarf im haushaltsrechtlichen Bereich. Bundesrepublik Deutschland und der Republik Usbekistan Angesichts der nicht weit genug gehenden Moderni- über die Förderung und den gegenseitigen Schutz von Ka- sierung des Haushaltsrechts sowie der Untätigkeit pitalanlagen - Gesetz zu dem Vertrag vom 3. April 1993 zwischen der der Regierung und der Koalition hinsichtlich des Än- Bundesrepublik Deutschland und der Sozialistischen Repu- derungsbedarfs in anderen Bereichen des Haushalts- blik Vietnam über die Förderung und den gegenseitigen rechts enthält sich die Fraktion der SPD bei der Ab- Schutz von Kapitalanlagen stimmung zum Haushaltsrechts-Fortentwicklungsge- - Gesetz zu dem Abkommen vom 31. Januar 1996 zwischen setz der Stimme. der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung Hongkongs zur Förderung und zum gegenseiti- gen Schutz von Kapitalanlagen Der Vorsitzende des folgenden Ausschusses hat mitgeteilt, daß der Ausschuß gemäß § 80 Abs. 3 Satz 2 Anlage 4 der Geschäftsordnung von einer Berichterstattung zu den nachstehenden Vorlagen absieht: Amtliche Mitteilungen Innenausschuß Der Bundesrat hat in seiner 717. Sitzung am - Unterrichtung durch die Bundesregierung 17. Oktober 1997 beschlossen, den nachstehenden Bericht der Bundesregierung an den Deutschen Bundestag ge- mäß § 5 Abs. 3 Bundesstatistikgesetz (BStatG) für die Jahre Gesetzen zuzustimmen bzw. einen Antrag gemäß Ar- 1995 und 1996 tikel 77 Abs. 2 Grundgesetz nicht zu stellen: - Drucksachen 13/7390, 13/7700 Nr. 1.2 - - Gesetz zur Förderung der ganzjährigen Beschäftigung im Baugewerbe Die Vorsitzenden der folgenden Ausschüsse haben - Drittes Gesetz zur Änderung statistischer Rechtsvorschriften mitgeteilt, daß der Ausschuß die nachstehenden EU- (3. Statistikbereinigungsgesetz - 3. StatBerG) Vorlagen bzw. Unterrichtungen durch das Europäi- - Gesetz zur Abschaffung der gesetzlichen Amtspflegschaft sche Parlament zur Kenntnis genommen oder von und Neuordnung des Rechts der Beistandschaft (Beistand- einer Beratung abgesehen hat. schaftsgesetz) Auswärtiger Ausschuß - Gesetz zur Reform des Kindschaftsrechts (Kindschafts- rechtsreformgesetz - KindRG) Drucksache 13/7867 Nr. 1.8 - Gesetz zu dem Vertrag vom 2. Dezember 1994 zwischen der Innenausschuß Bundesrepublik Deutschland und Barbados über die Förde- Drucksache 13/7959 Nr. 1.2 rung und den gegenseitigen Schutz von Kapitalanlagen Drucksache 13/8106 Nr. 1.2 - Gesetz zu dem Vertrag vom 13. September 1994 zwischen Drucksache 13/8106 Nr. 2.22 der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Costa Rica über die Förderung und den gegenseitigen Schutz von Ausschuß für Wirtschaft Kapitalanlagen Drucksache 13/7959 Nr. 2.1 - Gesetz zu dem Vertrag vom 24. Februar 1995 zwischen der Drucksache 13/7959 Nr. 2.3 Bundesrepublik Deutschland und der Republik Ghana über Drucksache 13/8269 Nr. 1.4 die Förderung und den gegenseitigen Schutz von Kapital- Drucksache 13/8269 Nr. 1.6 anlagen Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit - Gesetz zu dem Vertrag vom 21. März 1995 zwischen der Drucksache 13/7959 Nr. 1.6 Bundesrepublik Deutschland und der Republik Honduras Drucksache 13/8106 Nr. 2.28 über die Förderung und den gegenseitigen Schutz von Ka- Drucksache 13/8508 Nr. 2.32 pitalanlagen - Gesetz zu dem Vertrag vom 28. Februar 1994 zwischen der Ausschuß für Post und Telekommunikation Bundesrepublik Deutschland und der Republik Moldau Drucksache 13/8106 Nr. 2.20