Plenarprotokoll 12/165

Deutscher

Stenographischer Bericht

165. Sitzung

Bonn, Mittwoch, den 23. Juni 1993

Inhalt:

Glückwünsche zum Geburtstag des Abge- 2. zu dem Entschließungsantrag der ordneten Dr. (München) . 14135A Fraktion der SPD zu der Unterrich- tung durch die Bundesregierung Erweiterung der Tagesordnung 14135A Agrarbericht 1992 Agrar- und ernährungspolitischer Be- Absetzung des Punktes 2c von der Tages- richt der Bundesregierung (Drucksa- ordnung 14135B chen 12/2727, 12/2728, 12/2038, 12/2039, 12/3745) Nachträgliche Überweisungen von Geset- , Bundesminister BML 14136B, zesentwürfen und eines Antrages an Aus-- 14165B schüsse 14135B Horst Sielaff SPD 14138A Bartholomäus Kalb CDU/CSU 14141 A, Begrüßung des Vorsitzenden des Präsi- 14162B diums der albanischen Volksversammlung und seiner Delegation 14153 D Ernst Kastning SPD . . . . 14141B, 14146C Egon Susset CDU/CSU . . . . 14142A, 14152B Begrüßung von Teilnehmern der Jahres- Jan Oostergetelo SPD 14142C versammlung der Atlantic Association of Horst Sielaff SPD 14144A, 14165 D Young Political Leaders 14165 B Günther Bredehorn F D P 14145D Begrüßung einer Delegation des tunesi Dr. Walter Hitschler F.D.P. ...... 14147 A schen Nationalparlamentes 14167 A Dr. Fritz Schumann (Kroppenstedt) PDS/ Linke Liste 14148 C Tagesordnungspunkt 1: F D P 14149A a) Beratung der Unterrichtung durch die Ulrich Heinrich F D P 14150D Bundesregierung: Agrarbericht 1993 Ingrid Matthäus-Maier SPD 14151 D (Drucksachen 12/4257, 12/4258) Meinolf Michels CDU/CSU 14152 C b) Beratung der Beschlußempfehlung und Rudolf Müller (Schweinfurt) SPD . . . 14154A, des Berichts des Ausschusses für Ernäh- 14157A rung, Landwirtschaft und Forsten Bartholomäus Kalb CDU/CSU 14156B 1. zu dem Entschließungsantrag der Ulrich Heinrich F.D.P. . . . . 14157C, 14160D Abgeordneten Meinolf Michels, Ri- Dr. Rudolf Karl Krause (Bonese) fraktions- chard Bayha, , los 14169D weiterer Abgeordneter und der Frak- Jan Oostergetelo SPD 14160C tion der CDU/CSU sowie der Abge- Albert DeB CDU/CSU 14161A ordneten Günther Bredehorn, Jo- hann Paintner, Lisa Peters, weiterer Dr. Gerald Thalheim SPD 14162 A Abgeordneter und der Fraktion der Hinrich Kuessner SPD 14162 C F.D.P. CDU/CSU 14164A II Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 165. Sitzung. , Mittwoch, den 23. Juni 1993

Tagesordnungspunkt 2: rung des Gesetzes über die Entschädi- Abrüstungsdebatte gung für Opfer von Gewalttaten (Druck- sachen 12/4889, 12/4991) a) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschus- Zweite und dritte Beratung des von der ses zu dem Antrag der Abgeordneten Fraktion der SPD eingebrachten Ent-- Günter Verheugen, Katrin Fuchs (Verl), wurfs eines Gesetzes zur Änderung des Robert Antretter, weiterer Abgeordne- Opferentschädigungsgesetzes (Druck- ter und der Fraktion der SPD: Nichtver- sache 12/4611) breitung von Kernwaffen (Drucksachen Zweite und dritte Beratung des von den 12/3099, 12/5116) Abgeordneten Vera Wollenberger, b) Beratung der Beschlußempfehlung und Dr. Klaus-Dieter Feige, Ing rid Köppe, des Berichts des Auswärtigen Ausschus- weiteren Abgeordneten und der Gruppe ses zu dem Antrag der Abgeordneten BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN einge- Katrin Fuchs (Verl), Robert Antretter, brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Helmut Becker (Nienberge), weiterer Änderung des Opferentschädigungs- Abgeordneter und der Fraktion der SPD: rechts (Drucksache 12/4348) Sofortige Einstellung aller Atom- Zweite und dritte Beratung des von der waffentests (Drucksachen 12/2845, Abgeordneten und der 12/5115) Gruppe der PDS/Linke Liste einge- brachten Entwurfs eines Gesetzes zur in Verbindung mit Änderung des Opferentschädigungsge- setzes (Drucksachen 12/4297, 12/5182, Zusatztagesordnungspunkt 1: 12/5183, 12/5184, 12/5185, 12/5186) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschus- Dr. Alexander Warrikoff CDU/CSU . . 14184 D ses zu dem Antrag der Fraktion der SPD: Ulrike Mascher SPD 14185 C Beseitigung der französischen HADES- Atomraketen (Drucksachen 12/1212, Cornelia Schmalz-Jacobsen F.D P 14186D 12/5210) Ulla Jelpke PDS/Linke Liste 14187 C in Verbindung mit Vera Wollenberger BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 14188B Zusatztagesordnungspunkt 2: Dr. Norbert Blüm, Bundesminister BMA 14189A Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschus- Tagesordnungspunkt 16: ses zu dem Antrag der Fraktion der SPD: Überweisungen im vereinfachten Verf ah- Abrüstung taktischer Atomwaffen ren (Drucksachen 12/1213, 12/5212) a) Erste Beratung des vom Bundesrat ein- in Verbindung mit gebrachten Entwurfs eines . Straf- rechtsänderungsgesetzes — §§ 44, 69b Zusatztagesordnungspunkt 3: StGB (Drucksache 12/5053) Beratung der Beschlußempfehlung und b) Erste Beratung des von der Bundesre- des Berichts des Auswärtigen Ausschus- gierung eingebrachten Entwurfs eines ses zu dem Antrag der Abgeordneten Gesetzes zu dem Abkommen vom Andrea Lederer, Dr. und 29. Juli 1992 zwischen der Bundesrepu- der Gruppe der PDS/Linke Liste: Initia- blik Deutschland und der Republik tive zur nuklearen Abrüstung (Drucksa- Polen über den Autobahnzusammen- chen 12/1443, 12/5213) schluß und den Bau von Grenzabferti- Peter Kurt Würzbach CDU/CSU 14167 A gungsanlagen für den neuen Grenz- übergang im Raum Görlitz und Zgor- Katrin Fuchs (Verl) SPD 14170A zelec (Drucksache 12/5090) Dr. F.D.P. 14174 C c) Erste Beratung des von der Bundesre- Andrea Lederer PDS/Linke Liste . . . 14176A gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom Vera Wollenberger BÜNDNIS 90/DIE 30. September 1992 zwischen der Bun- GRÜNEN 14177D desrepublik Deutschland und der Repu- Dr. Friedbert Pflüger CDU/CSU 14179 C blik Bolivien zur Vermeidung der Dop- Helmut Schäfer, Staatsminister AA . . 14182B pelbesteuerung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Ver- Tagesordnungspunkt 3: mögen (Drucksache 12/5192) Zweite und dritte Beratung des von der d) Erste Beratung des von der Bundesre- Bundesregierung eingebrachten Ent gierung eingebrachten Entwurfs eines wurfs eines Zweiten Gesetzes zur Ände Gesetzes zu dem Abkommen vom Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 165. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23. Juni 1993 III

25. Januar 1993 zwischen der Bundesre- vom 23. Oktober 1991 über Kambo- publik Deutschland und der Republik dscha (Drucksachen 12/4469, 12/5118) Costa Rica zur Vermeidung der Dop- b) Zweite Beratung und Schlußabstim- pelbesteuerung auf dem Gebiet der mung des von der Bundesregierung ein- Steuern vom Einkommen und vom Ver- gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu mögen (Drucksache 12/5193) der Konstitution und der Konvention e) Erste Beratung des von der Bundesre- der Internationalen Fernmeldeunion gierung eingebrachten Entwurfs eines vom 30. Juni 1989 (Drucksachen Gesetzes zu dem Abkommen vom 12/4134, 12/5122) 23. Februar 1993 zwischen der Bundes- republik Deutschland und den Verei- c) Beratung der Beschlußempfehlung und nigten Mexikanischen Staaten zur Ver- des Berichts des Ausschusses für Post meidung der Doppelbesteuerung auf und Telekommunikation zu der Unter- richtung durch die Bundesregierung: dem Gebiet der Steuern vom Einkom- men und vom Vermögen (Drucksache Grünbuch über die Entwicklung des (Druck- 12/5194) Binnenmarktes für Postdienste sachen 12/3317 Nr. 2.6, 12/3328, f) Erste Beratung des von der Bundesre- 12/5123) gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Protokoll vom 21. De- d) Beratung der Beschlußempfehlung und zember 1992 zu dem Abkommen vom des Berichts des Ausschusses für Arbeit 11. August 1971 zwischen der Bundes- und Sozialordnung zu dem Antrag der republik Deutschland und der Schwei- Fraktion der SPD: Ausländerbeauf- zerischen Eidgenossenschaft zur Ver- tragte (Drucksachen 12/1357, 12/4366) meidung der Doppelbesteuerung auf e) Beratung der Beschlußempfehlung und dem Gebiete der Steuern vom Einkom- des Berichts des Auswärtigen Ausschus- men und vom Vermögen (Drucksache ses zu dem Antrag der Fraktion der SPD: 12/5195) Diplomatische Beziehungen der Bun- g) Erste Beratung des vom Bundesrat ein- desrepublik Deutschland mit den neuen gebrachten Entwurfs eines Gesetzes Staaten in Ost- und Südosteuropa zur Änderung des Tierschutzgesetzes (Drucksachen 12/2233, 12/5117) (Drucksache 12/4869) f) Beratung der Beschlußempfehlung und h) Beratung der Unterrichtung durch die des Berichts des Ausschusses für Wirt- Bundesregierung: Tierschutzbericht schaft zu der Verordnung der Bundes- 1993 regierung: Aufhebbare Vierundacht- zigste Verordnung zur Änderung der „Bericht über den Stand der Entwick- Ausfuhrliste — Anlage AL zur Außen- lung des Tierschutzes" (Drucksache wirtschaftsverordnung (Drucksachen 12/4242) 12/4746, 12/5159) i) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung: Bericht der Bundes- g) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirt- regierung zur Stärkung der gesetzge- schaft zu der Verordnung der Bundesre- berischen Befugnisse des Europäischen gierung: Parlaments (Drucksache 12/4733) Aufhebbare Siebenundzwan- zigste Verordnung zur Änderung der Außenwirtschaftsverordnung (Druck- in Verbindung mit sachen 12/4745, 12/5160)

Zusatztagesordnungspunkt 4: h) Beratung der Beschlußempfehlung und weitere Überweisung im vereinfachten des Berichts des Ausschusses für Wirt- Verfahren (Ergänzung TOP 16) schaft zu der Verordnung der Bundesre- gierung: Aufhebbare Einhundertein- j) Erste Beratung des von den Fraktionen undzwanzigste Verordnung zur Ände- der CDU/CSU, SPD und F.D.P. einge- rung der Einfuhrliste (Drucksachen brachten Entwurfs eines Zweiten Geset- 12/4677, 12/5161) zes zur Änderung des Europawahlge- setzes (Drucksache 12/5230) 14189 D i) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschus- ses zu dem Antrag der Abgeordneten Abschließende Beratungen ohne Aus- Dr. Klaus Kübler, Siegfried Vergin, sprache Dr. Egon Jüttner und weiterer Abgeord- a) Zweite Beratung und Schlußabstim- neter: Beendigung der Nutzung des mung des von der Bundesregierung ein- Standortübungsplatzes Viernheimer/ gebrachten Entwurfs eines Gesetzes Lampertheimer (Sandhofer/Käfertaler) über den Beitritt der Bundesrepublik Wald in Hessen/Baden-Württemberg Deutschland zu den Übereinkommen (Drucksachen 12/3227, 12/5119) IV Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 165. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23. Juni 1993 j) Beratung der Beschlußempfehlung des ZusFr (Berlin) BÜNDNIS 90/ Petitionsausschusses: Sammelüber DIE GRÜNEN 14197C, 14200B sicht 107 zu Petitionen (Drucksache ZusFr Manfred Hampel SPD 14197D, 14200A 12/5149) ZusFr SPD . . . k) Beratung der Beschlußempfehlung des 14198A, 14200B Petitionsausschusses: Sammelüber ZusFr Hinrich Kuessner SPD 14198B sicht 108 zu Petitionen (Drucksache ZusFr Dr. Nils Diederich (Berlin) SPD . 14198C 12/5150) 14190D ZusFr Renate Rennebach SPD 14198C Tagesordnungspunkt 4: Fragestunde Beurteilung des Beitrags der Bundeswehr zum sogenannten airdropping über Ostbos- — Drucksache 12/5188 vom 18. Juni nien 1993 — MdlAnfr 1 Diffamierung Taiwans durch die „Ein-- Jürgen Augustinowitz CDU/CSU China-Politik" Antw PStSekr'in Michaela Geiger BMVg 14200 C MdlAnfr 22 Ortwin Lowack fraktionslos ZusFr Jürgen Augustinowitz CDU/CSU . 14200 D Antw StM'in Ursula Seiler-Albring AA . 14193A Erlaß der Sommersmogverordnung zur ZusFr Ortwin Lowack fraktionslos . . . . 14193A Ermöglichung der Sperrung stark ozonbe- ZusFr Wolfgang Lüder F.D.P. 14193 C lasteter Regionen für den Autoverkehr ZusFr Dr. Klaus Kübler SPD 14193 D MdlAnfr 2, 3 Joachim Tappe SPD Ausladung des Dalai Lama aus dem offiziel- Antw PStSekr Dr. len Programm der UN-Weltmenschen- BMU 14201B, 14202B rechtskonferenz in Wien auf Inte rvention und Druck Chinas ZusFr Joachim Tappe SPD . 14201C, 14202 B MdlAnfr 23 ZusFr Marion Caspers-Merk SPD . . . . 14201 D Dr. Klaus Kübler SPD ZusFr Michael Müller (Düsseldorf) SPD , 14202A Antw StM'in Ursula Seiler-Albring AA . 14193D ZusFr Dr. Klaus Kübler SPD 14194A Wettbewerbssituation der deutschen fein- keramischen Industrie gegenüber Wettbe- ZusFr Otto Schily SPD 14194B werbern aus den ehemaligen Staatshan- ZusFr Ortwin Lowack fraktionslos . . . 14194 C delsländern Mittel- und Osteuropas ZusFr Dr. Karl-Heinz Klejdzinski SPD . 14194D MdlAnfr 9 ZusFr Wolfgang Lüder F.D.P. 14194 D SPD ZusFr Horst Kubatschka SPD 14195A Antw PStSekr Dr. Heinrich L. Kolb BMWi 14202 D Anerkennung der Eroberungs- und Vertrei- ZusFr Ludwig Stiegler SPD 14203 B bungspolitik der Kroaten und Serben mit ZusFr Hans Büttner (Ingolstadt) SPD . 14203 C der Aufteilung Bosnien-Herzegowinas zu ZusFr Dr. Karl-Heinz Klejdzinski SPD . 14203D Lasten des moslemischen Bevölkerungs- teils ZusFr (Nürnberg) SPD 14204 A MdlAnfr 24 Zusatztagesordnungspunkt 5: Dr. SPD Aktuelle Stunde be tr. Haltung der Bun- Antw StM'in Ursula Seiler-Albring AA . 14195 B desregierung zu den Fehlentwicklun- ZusFr Dr. Eberhard Brecht SPD 14195 C gen bei der Verpackungsverordnung: ZusFr Ortwin Lowack fraktionslos . . . 14195D Duales System Deutschland Marion Caspers-Merk SPD 14204 B Verkauf der Deutschen Seereederei an die Hamburger Rahe/Schües-Gruppe ange- Ulrich Klinkert CDU/CSU 14205 B sichts der Zweifel an der Bonität des Inve- Dr. F.D.P. 14206B stors Petra Bläss PDS/Linke Liste 14207 C MdlAnfr 30, 31 Dr. SPD Dr. Klaus-Dieter Feige BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 14208A Antw PStSekr Dr. Joachim Grünewald BMF 14196B, 14198D Dr. Bertram Wieczorek, Parl. Staatssekretär BMU 14209B ZusFr Dr. Christine Lucyga SPD 14196D, 14199A Michael Müller (Düsseldorf) SPD . . . 14211B ZusFr Dr. Karl-Heinz Klejdzinski SPD . . 14197A, 14199D Dr. Wolfgang von Geldern CDU/CSU . 14212C ZusFr Iris Gleicke SPD . . . . 14197B, 14199C Birgit Homburger F D P 14213 C

Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 165. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23. Juni 1993 V

Susanne Kastner SPD 14214 C d) Beratung des Antrags der Abgeordne- ten Andreas Schmidt (Mühlheim), Elke Wülfing CDU/CSU 14215 C Dr. Winfried Pinger, Jürgen Augustino- Dr. Liesel Hartenstein SPD 14216 C witz, weiterer Abgeordneter und der Steffen Kampeter CDU/CSU 14217 C Fraktion der CDU/CSU sowie der Abge- Dr. Gerhard F riedrich CDU/CSU . . . 14218D ordneten Ingrid Walz, Ulrich Irmer, Dr. , weiterer Abgeordneter Tagesordnungspunkt 5: und der Fraktion der F.D.P.: Entwick- Zweite und dritte Beratung des Entwurfs lung und Aufbau von sozialen Siche- eines Gesetzes zur Vereinheitlichung rungssystemen in den Entwicklungs- der Kündigungsfristen von Arbeitern ländern (Drucksache 12/4553) und Angestellten (Kündigungsfristen- e) Beratung des Antrags der Abgeordne- gesetz) (Drucksachen 12/4902, 12/5081, ten Dr. R. Werner Schuster, Rudolf Bin- 12/5191) dig, Peter W. Reuschenbach, weiterer Zweite und dritte Beratung des von der Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Fraktion der SPD eingebrachten Ent- Repatriierung und Reintegration von wurfs eines Gesetzes zur Vereinheitli- Flüchtlingen (Drucksache 12/4662) chung der Kündigungsfristen von Ar- Beratung des Antrags der Abgeordne- beitern und Angestellten (Zweites Ar- f) ten Dr. R. Werner Schuster, B rigitte beitsrechtsbereinigungsgesetz) (Druck- gitte Adler, weite- sachen 12/4907, 12/5228) Schulte (Hameln), Bri rer Abgeordneter und der Fraktion der Karl Josef Laumann CDU/CSU 14220 B SPD: Gesetzesvorlagen (Drucksache Günther Heyenn SPD 14221 C 12/4350) Paul K. Friedhoff F D P. 14223 A in Verbindung mit Petra Bläss PDS/Linke Liste 14223 D Christina Schenk BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Zusatztagesordnungspunkt 6: NEN 14224B Beratung des Antrags der Abgeordne- Horst Günther, Parl. Staatssektretär BMA 14225 A ten Verena Wohlleben, Hanna Wolf, Hans Büttner (Ingolstadt) SPD 14225D , weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Förderung Tagesordnungspunkt 6: von Frauen in Entwicklungsländern Entwicklungspolitische Debatte (Drucksache 12/5229) a) Beratung der Beschlußempfehlung und Dr. Winfried Pinger CDU/CSU 14227 D des Berichts des Ausschusses für wirt- 14229 C schaftliche Zusammenarbeit zu dem Dr. Ingomar Hauchler SPD Antrag der Abgeordneten Dr. Winfried Ingrid Walz F D P 14233 A Pinger, Klaus-Jürgen Hedrich, Dr. Karl- 14235 B Heinz Hornhues, weiterer Abgeordne- Dr. PDS/Linke Liste . . ter und der Fraktion der CDU/CSU Konrad Weiß (Berlin) BÜNDNIS 90/DIE sowie der Abgeordneten Ulrich Irmer, GRÜNEN 14237 A Günther Bredehorn, Jörg van Essen, weiterer Abgeordneter und der Fraktion Joachim Graf von Schönburg-Glauchau 14237 B der F.D.P.: Entfaltung der privaten CDU/CSU unternehmerischen Initiative in der Dr. Winfried Pinger CDU/CSU 14239A, 14243A „Dritten Welt" (Drucksachen 12/1356, Carl-Dieter Spranger, Bundesminister 12/4098) BMZ 14239B b) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für wirt- Dr. Ingomar Hauchler SPD 14239 D schaftliche Zusammenarbeit zu der Un- Verena Wohlleben SPD 14242B terrichtung durch das Europäische Par- lament: Entschließung zur Strukturan- Ulrich Schmalz CDU/CSU 14244 B passung in den Entwicklungsländern Dr. Michaela Blunk (Lübeck) F.D.P. . . 14246B (Drucksachen 12/2786, 12/4618) Dr. Ulrich Briefs fraktionslos 14247 B c) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für wirt- Andreas Schmidt (Mühlheim) CDU/CSU 14248 D schaftliche Zusammenarbeit zu dem Dr. R. Werner Schuster SPD 14250B Antrag der Gruppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Unterzeichnung und Ratifi- Alois Graf von Waldburg-Zeil CDU/ zierung des Übereinkommens 169 über CSU 14251 C eingeborene und in Stämmen lebende Joachim Graf von Schönburg-Glauchau Völker in unabhängigen Ländern der CDU/CSU 14252 A Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) (Drucksachen 12/3824, 12/4786) Erika Reinhardt CDU/CSU 14252 C VI Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 165. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23. Juni 1993

Tagesordnungspunkt 7: geordneter und der Fraktion der SPD: Für einen verfassungsgemäßen und a) Zweite Beratung und Schlußabstim- sozial gerechten Familienlastenaus- mung des von der Bundesregierung ein- gleich (Drucksache 12/4128) gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Rahmenübereinkommen der b) Beratung des Antrags der Abgeordne- Vereinten Nationen vom 12. Juni 1992 ten Michael Habermann, Ing rid Becker- über Klimaänderungen (Drucksachen Inglau, Hans Gottf ried Bernrath, weite- 12/4489, 12/5093, 12/5107) rer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Bericht über die Höhe des Exi- b) Zweite Beratung und Schlußabstim- stenzminimums von Kindern und Fami- mung des von der Bundesregierung ein- lien (Drucksache 12/4653) gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Übereinkommen vom 5. Juni 1992 c) Beratung des Antrags der Abgeordne- über die biologische Vielfalt (Druck- ten Michael Habermann, Christel Hane- sachen 12/4473, 12/5112) - winckel, , weiterer Ab- geordneter und der Fraktion der SPD: c) Beratung der Beschlußempfehlung und Für einen gerechten Lastenausgleich des Berichts des Ausschusses für Um- zwischen Bund und Ländern zur Siche- welt, Naturschutz und Reaktorsicherheit rung des Anspruchs unserer Kinder auf zu dem Antrag der Abgeordneten einen Kindergartenplatz ab 1996 Dr. Klaus Kübler, Monika Ganseforth, (Drucksache 12/4127) Dr. Liesel Hartenstein, weiterer Abge- ordneter und der Fraktion der SPD: Michael Habermann SPD 14267B Follow-Up der UNCED-Konferenz Um- Herbert Werner (Ulm) CDU/CSU . . . 14269 C welt und Entwicklung (Drucksachen 12/3739, 12/5092) Margot von Renesse SPD 14270B (Fürth) F.D.P. . . . . . 14271 A d) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Um- Dr. Barbara Höll PDS/Linke Liste . . . 14272 D welt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Wilfried Seibel CDU/CSU 14274 A zu dem Entschließungsantrag der Ab- geordneten Monika Ganseforth, Dr. Lie- Christina Schenk BÜNDNIS 90/DIE GRÜ sel Hartensein, Dr. Klaus Kübler, weite- NEN 14275A rer Abgeordneter und der Fraktion der Norbert Eimer (Fürth) F.D.P. SPD zur Großen Anfrage der Abgeord- . . . . 14275C neten Monika Ganseforth, Dr. Liesel Dr. Gisela Babel F.D.P. 14275D Hartenstein, Dr. Klaus Kübler, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Hannelore Rönsch, Bundesministerin BMFuS 14276D Umsetzung der Empfehlung der En- quete-Kommission „Vorsorge zum Dr. Barbara Höll PDS/Linke Liste . . 14277 D Schutz der Erdatmosphäre" durch Hildegard Wester SPD die Bundesregierung (Drucksachen 14279A 12/4527, 12/5094) Dr. Sissy Geiger (Darmstadt) CDU/CSU 14280D Trudi Schmidt (Spiesen) CDU/CSU . . 14254 D Tagesordnungspunkt 9: Monika Ganseforth SPD 14256A Erste Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Ge- Marita Sehn F.D.P. 14258A setzes zur Beibehaltung der Mitbestim- Dr. Klaus-Dieter Feige BÜNDNIS 90/DIE mung beim Austausch von Anteilen und GRÜNEN 14260A der Einbringung von Unternehmenstei- len, die Gesellschaften verschiedener Dr. Bertram Wieczorek, Parl. Staatssekretär Mitgliedstaaten der Europäischen Ge- BMU 14261 A meinschaften betreffen: (Mitbestim-

mungs - Beibehaltungsgesetz) (Druck- Ulrike Mehl SPD 14262 C sache 12/4532) Klaus Harri es CDU/CSU 14263 D Hans-Eberhard Urbaniak SPD 14282B Dr. Klaus Kübler SPD 14264 C Heribert Scharrenbroich CDU/CSU . . 14283D, Dr. Klaus W. Lippold (Offenbach) CDU/ 14285D CSU 14265C Hans Büttner (Ingolstadt) SPD 14284 D Dr. Gisela Babel F.D.P. 14285 A Tagesordnungspunkt 8: a) Beratung des Antrags der Abgeordne- Tagesordnungspunkt 10: ten Michael Habermann, Christel Hane- a) Erste Beratung des von der Bundesre- winckel, Angelika Barbe, weiterer Ab- gierung eingebrachten Entwurfs eines Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 165. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23. Juni 1993 VII

Zweiten Gesetzes zur Bereinigung Anlage 4 von SED-Unrecht (Zweites SED-Un- Beeinträchtigung des Verlagswesens und rechtsbereinigungsgesetz) (Drucksache der Nutzung von Büchern durch die Einfüh- 12/4994) rung neuer Posttarife für Büchersendun- b) Beratung des Antrags der Abgeordne- gen ten Dr. und der MdlAnfr 4, 5 — Drs 12/5188 — Gruppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Klaus Harries CDU/CSU Rehabilitierung und Entschädigung der Verfolgten des Stalinismus und des SchrAntw PStSekr Dr. Paul Laufs BMPT . 14294* B DDR-Regimes (III): Verbesserung der Situation von Opfern Anlage 5 beruflicher Verfolgung und Verwal- Zwischenergebnisse über den auf Rügen tungsunrecht im Zweiten SED-Un- laufenden Test von Elektrofahrzeugen rechtsbereinigungsgesetz (Drucksache 12/5219) 14286A MdlAnfr 6 — Drs 12/5188 — Korst Kubatschka SPD Nächste Sitzung 14286 C SchrAntw PStSekr BMFT 14294' D Berichtigung 14286

Anlage 6 Vorschlag des Wissenschaftlichen Beirates Anlage 1 der Bundesregierung Globale Umweltver- änderungen (WBGU) im Jahresgutachten Liste der entschuldigten Abgeordneten . 14287* A 1993 auf Erhöhung der Entwicklungshilfe auf 1 % BSP bei Neudefinition der Zugehö- rigkeit zu Entwicklungsländern (Osteuropa Anlage 2 einbezogen) MdlAnfr 7 — Drs 12/5188 — Zu Protokoll gegebene Rede zu Tagesord- Dr. Klaus Kübler SPD nungspunkt 10 der 161. Sitzung vom 27. Mai 1993 (Einbeziehung der deutschen SchrAntw PStSekr Hans-Peter Repnik Heimatvertriebenen, Aussiedler und der in BMZ 14295* B Ostmittel-, Ost- und Südosteuropa leben- den deutschen Minderheiten in die Politik Anlage 7 der Verständigung und guten Nachbar- schaft der Bundesrepublik Deutschl and Forderung der Sowjetunion auf Unumkehr- gegenüber ihren östlichen und südöstlichen barkeit der Enteignungen in der DDR zwi- Nachbarn) schen 1945 und 1949 in dem Entwurf einer völkerrechtlichen Regelung vom August Ulrich Irmer F.D.P. 14287* C 1990 MdlAnfr 8 — Drs 12/5188 — Ortwin Lowack fraktionslos Anlage 3 SchrAntw PStSekr BMJ . . 14295* D Zu Protokoll gegebene Reden zu Tages- ordnungspunkt 10 (a — Zweites SED- Anlage 8 Unrechtsbereinigungsgesetz, b — Antrag: Abschaffung der Werkvertragsregelungen Rehabilitierung und Entschädigung der für ausländische Baufirmen angesichts der Verfolgten des Stalinismus und des DDR- Wettbewerbsverzerrungen zulasten der Regimes (III): Verbesserung der Situation deutschen Bauwirtschaft von Opfern beruflicher Verfolgung und Verwaltungsunrecht im Zweiten SED- MdlAnfr 10, 11 — Drs 12/5188 — Unrechtsbereinigungsgesetz) Dr. Jürgen Meyer (Ulm) SPD Dr. Michael Luther CDU/CSU 14289* A SchrAntw PStSekr Horst Günther BMA . 14296* C Hans-Joachim Hacker SPD 14290* B Anlage 9 Jörg van Essen F.D.P. 14291* C Kündigung und Änderung der Werkver- Dr. Uwe-Jens Heuer PDS/Linke Liste . 14292* C tragsabkommen Dr. Wolfgang Ullmann BÜNDNIS 90/DIE MdlAnfr 12 — Drs 12/5188 — GRÜNEN 14293' C Ludwig Stiegler SPD Rainer Funke, Parl. Staatssekretär BMJ 14293* D SchrAntw PStSekr Horst Günther BMA . 14296* D VIII Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 165. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23. Juni 1993

Anlage 10 Anlage 15 Auswirkungen der EG-Richtlinie zur Ar- Rüge des bayerischen Rechnungshofs an beitszeit auf die Sonntagsarbeit im produ- den zu hohen Kosten und der fehlenden zierenden Gewerbe anderer EG-Staaten, Nutzen-Kosten-Untersuchung für den ge- z. B. die Textilindustrie; Durchsetzung und planten Ausbau der Donau zwischen Strau- Kontrolle der Einhaltung dieser Richtlinie bing und Vilshofen

— MdlAnfr 13, 14 — Drs 12/5188 — MdlAnfr 21 — Drs 12/5188 SPD Karl - Josef Laumann CDU/CSU Horst Kubatschka

SchrAntw PStSekr Horst Günther BMA . 14297* A SchrAntw PStSekr BMV 14300* A

Anlage 11 Anlage 16 Gesetzliche Regelung des Arbeitnehmer- Tätigkeit der antiislamischen und antitürki- Datenschutzes; Einhaltung der daten- schen Vereinigung „Christliche Mitte" mit schutzrechtlichen Bestimmungen bei der Postfachadresse in Lippstadt Fortbildung und Umschulung von Arbeits- losen MdlAnfr 25, 26 — Drs 12/5188 — SPD MdlAnfr 15, 16 — Drs 12/5188 — Adolf Ostertag SPD SchrAntw PStSekr Eduard Lintner BMI . 14300* B

SchrAntw PStSekr Horst Günther BMA . 14297* D Anlage 17 Erfüllung der Verpflichtung zur Unterhal- Anlage 12 tung ihrer Bereitschaftspolizei durch die Arbeitsüberlastung der Rentenversiche- Bundesländer im Hinblick auf die innere rungsträger in den neuen Bundesländern; Sicherheit Einstellung der Abschlagszahlungen seit MdlAnfr 27 — Drs 12/5188 — dem 1. April 1993 Jürgen Augustinowitz CDU/CSU

MdlAnfr 17 — Drs 12/5188 — SchrAntw PStSekr Eduard Lintner BMI . 14300* C SPD

SchrAntw PStSekr Horst Günther BMA . 14298* D Anlage 18 Einsatz geeigneter Arbeitsloser zur Beseiti- gung des Engpasses bei den Kataster- und Anlage 13 Grundbuchämtern sowie bei den Vermes- Konsequenzen aus den EG-Ministerratsta- sungsbüros in den neuen Bundesländern; gungen und der Anhörung des Verkehrs- Einnahmeausfall der Treuhandanstalt ausschusses zum Thema "Tankerun- durch die verzögerte Bearbeitung von fälle ... " für die Verbesserung der Schiffs- Grundstücks-Kaufverträgen sicherheit MdlAnfr 28, 29 — Drs 12/5188 — (München) CDU/CSU MdlAnfr 18, 19 — Drs 12/5188 — Dr. Erich Riedl Dr. SPD SchrAntw PStSekr Dr. Joachim Grünewald SchrAntw PStSekr Manfred Carstens BMF 14301* B BMV 14299* A

Anlage 19 Anlage 14 Privatisierung des Betriebs „Mein Haus" in Werder bei Neuruppin (Fertighäuser/ Aufnahme des Weiterbaus der B 14 von Mehrzweckgebäude); Beteiligung des Lan- Wirmenden nach Backnang in den laufen- des Brandenburg an den Sanierungsko- den Fünfjahresplan sten

MdlAnfr 20 — Drs 12/5188 — MdlAnfr 32, 33 — Drs 12/5188 — Robert Antretter SPD Rosemarie Priebus CDU/CSU

SchrAntw PStSekr Manfred Carstens SchrAntw PStSekr Dr. Joachim Grünewald BMV 14299* D BMF 14301* D Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 165. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23. Juni 1993 IX

Anlage 20 MdlAnfr 36, 37 — Drs 12/5188 — Umsetzung und Kontrolle der EG-Agrar- Gudrun Weyel SPD reform in den einzelnen EG-Staaten SchrAntw PStSekr Dr. Helmut Scholz BML 14302* D MdlAnfr 34, 35 — Drs 12/5188 — CDU/CSU SchrAntw PStSekr Dr. Helmut Scholz BML 14302* B Anlage 22 Verbraucherunschädliche Bekämpfung der Salmonellenseuche bei Geflügel mit dem Anlage 21 Impfstoff Zoosaloral H

Novellierung des Pflanzenschutzgesetzes MdlAnfr 38, 39 — Drs 12/5188 — zur Erleichterung der Zulassung selektiv Dr. Karl - Heinz Klejdzinski SPD wirkender Pflanzenschutzmittel für Spezi- alkulturen im Rahmen der europäischen SchrAntw PStSekr Dr. Helmut Scholz Harmonisierung BML 14303* C

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165. Sitzung

Bonn, den 23. Juni 1993

Beginn: 9.00 Uhr

Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Guten Morgen, lie- Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU, SPD, F.D.P. und be Kolleginnen und Kollegen! Die Sitzung ist eröff- der Gruppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN über besondere Maß- gaben für die Anwendung des Parteiengesetzes — Drucksache net. 12/5134 — Zunächst möchte ich ganz herzlich dem Kollegen Überweisungsvorschlag: Dr. Erich Riedl zum 60. Geburtstag gratulieren und Innenausschuß (federführend) ihm von hier aus die besten Glückwünsche ausspre- Ausschuß für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung chen. Haushaltsausschuß gem. § 96 GO Der in der 163. Sitzung des Deutschen Bundestages am 17. Juni 1993 (Zurufe von der CDU/CSU und der SPD: Der überwiesene nachfolgende Gesetzentwurf soll nachträglich dem Aus- ist nicht da! — Abwesend!) schuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit zur Mitberatung — Er ist wohl nicht im Raum. überwiesen werden: Interfraktionell ist vereinbart worden, die verbun- Gesetzentwurf der Abgeordneten Egon Susset, Meinolf Michels, , weiterer Abgeordneter und der Fraktion der dene Tagesordnung zu erweitern. Die Punkte sind in CDU/CSU sowie der Abgeordneten Günther Bredehorn, Ul rich der Ihnen vorliegenden Zusatzpunktliste aufgeführt: Heinrich, Johann Paintner, weiterer Abgeordneter und der 1. Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Fraktion der F.D.P. zur Reform des Weinrechts — Drucksache Auswärtigen Ausschusses (3. Ausschuß) zu dem Antrag der 12/5138 — Fraktion der SPD: Beseitigung der französischen HADES- Überweisungsvorschlag: Atomraketen — Drucksachen 12/1212, 12/5210 — Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten (federfüh- Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des rend) Auswärtigen Ausschusses (3. Ausschuß) zu dem Antrag der Ausschuß für Gesundheit Fraktion der SPD: Abrüstung taktischer Atomwaffen Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit — Drucksachen 12/1213, 12/5212 — Haushaltsausschuß Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Der in der 163. Sitzung des Deutschen Bundestags am 17. Juni 1993 Auswärtigen Ausschusses (3. Ausschuß) zu dem Antrag der überwiesene nachfolgende Antrag soll nachträglich auch dem Haus- Abgeordneten Andrea Lederer, Dr. Hans Modrow und der haltsausschuß zur Mitberatung überwiesen werden: Gruppe der PDS/Linke Liste: Initiative zur nuklearen Abrü- Antrag der Abgeordneten Josef Holle rith, Arnulf Kriedner, stung — Drucksachen 12/1443, 12/5213 Ulrich Petzold, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der —weitere Überweisung im vereinfachten Verfahren (Ergän- CDU/CSU sowie der Abgeordneten Paul K. Friedhoff, Jürgen zung TOP 16) Türk, Werner Zywietz und der Fraktion der F.D.P. j) Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU, SPD und F.D.P. eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Altlasten des SED - Unrechtsregimes — Drucksache 12/5146 — Gesetzes zur Änderung des Europawahlgesetzes Überweisungsvorschlag: — Drucksache 12/5230 — Ausschuß für Treuhandanstalt (federführend) Aktuelle Stunde: Haltung der Bundesregierung zu den Ausschuß für Wirtschaft Fehlentwicklungen bei der Verpackungsverordnung: Dua- Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau les System Deutschland Haushaltsausschuß 2. Beratung des Antrags der Abgeordneten Verena Wohlleben, Hanna Wolf, Brigitte Adler, weiterer Abgeordneter und der Sind Sie damit einverstanden? — Ich sehe und höre Fraktion der SPD: Förderung von Frauen in Entwicklungs- keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.

ländern — Drucksache 12/5229 — Ich rufe Punkt 1a und b der Tagesordnung auf: Von der Frist für den Beginn der Beratung soll — a) Beratung der Unterrichtung durch die Bundes- soweit es bei den einzelnen Punkten der Tagesord- regierung nung erforderlich ist — abgewichen werden. Darüber hinaus ist interfraktionell vereinbart wor- Agrarbericht 1993 den, den Tagesordnungspunkt 2c abzusetzen. — Drucksachen 12/4257, 12/4258 — Außerdem mache ich auf die nachträglichen Über- Überweisungsvorschlag: weisungen im Anhang zur Zusatzpunktliste aufmerk- Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten (feder- führend) sam: Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung Der in der 163. Sitzung des Deutschen Bundestages am 17. Juni 1993 Ausschuß für Frauen und Jugend dem Haushaltsausschuß zur Mitberatung überwiesene nachfolgende Ausschuß für Gesundheit Gesetzentwurf soll nachträglich dem Haushaltsausschuß nur gem. § 96 Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit GO überwiesen werden: Haushaltsausschuß 14136 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 165. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23. Juni 1993

Präsidentin Dr. Rita Süssmuth b) Beratung der Beschlußempfehlung und des Meine Damen und Herren, in wenigen Tagen läuft Berichts des Ausschusses für Ernährung, Land- die erste Stufe der Agrarreform an. Wir werden darauf wirtschaft und Forsten (10. Ausschuß) achten, daß die Reform in allen Mitgliedstaaten gleichgewichtig umgesetzt wird und daß die ange- 1. zu dem Entschließungsantrag der Abgeord- strebten Ziele der Marktentlastung sowie der Einkom- neten Meinolf Michels, Richard Bayha, mensentwicklung erreicht werden. Dietrich Austermann, weiterer Abgeordne- ter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Günther Bredehorn, (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Das ist der Johann Paintner, Lisa Peters, weiterer wichtigste Punkt!) Abgeordneter und der Frak tion der F.D.P. Und wir wollen, daß die Reform vereinfacht wird. Ich 2. zu dem Entschließungsantrag der Fraktion habe der EG-Kommission hierzu ein Memorandum der SPD zu der Unterrichtung durch die mit meinen Vorstellungen vorgelegt. Bundesregierung Agrarbericht 1992 Bei den diesjährigen Preisverhandlungen habe ich Agrar- und ernährungspolitischer Bericht wichtige Verbesserungen erreichen können; weitere der Bundesregierung Verbesserungen sind zugesagt. Mein Ziel bei den diesjährigen Preisverhandlungen war es, Einkom- — Drucksachen 12/2727, 12/2728, 12/2038, menseinbußen für die deutsche Landwirtschaft soweit 12/2039, 12/3745 — wie möglich zu verhindern. Bei den Ergebnissen Berichterstattung: möchte ich die Anhebung der durchschnittlichen Abgeordneter Siegf ried Hornung Stillegungsprämie je Hektar von rund 590 auf 750 DM Zum Agrarbericht haben die Fraktion der SPD und und die Zulassung der Dauerbrache neben der Rota- die Gruppe PDS/Linke Liste je einen Entschließungs- tionsbrache besonders herausstellen. Damit wird antrag eingebracht. die von der Bundesregierung favorisierte Poli tik der Mengenrückführung gegen Einkommensaus- Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat sind für die gleich konsequent fortgeführt und attraktiver gestal- gemeinsame Aussprache zwei Stunden vorgesehen. tet. Sind Sie damit einverstanden? — Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Meine sehr geehrten Damen und Herren, in der Ich eröffne die Aussprache. Als erster Redner hat letzten Woche habe ich mein Konzept zur künftigen der Bundesminister das Wort, Herr Borchert. Ausgestaltung der Agrarpolitik der Öffentlichkeit vorgestellt. Auch wenn dies nicht die Zeit kosten- trächtiger Programme ist, muß es uns darum gehen, unseren Bäuerinnen und Bauern eine klare Orien- Jochen Borchert, Bundesminister für Ernährung, tierung zu geben und die Agrarpoli tik für sie über- Landwirtschaft und Forsten: Frau Präsidentin! Meine schaubarer, praktikabler und kalkulierbarer zu ma- sehr verehrten Damen und Herren! Ich lege heute chen. In den weiteren politischen Beratungen gilt es dem Deutschen Bundestag den Agrarbericht 1993 vor. nun, das Konzept durch konkrete Maßnahmen auszu- Der Bericht weist im abgelaufenen Wirtschaftsjahr füllen. 1991/92 für das frühere Bundesgebiet im Durchschnitt der landwirtschaftlichen Vollerwerbsbetriebe einen Dabei sehe ich vor allem folgende Aufgabenfelder: Anstieg der Gewinne um 4,3 % auf rund 47 700 DM je erstens Stärkung der leistungs- und umweltbezoge- Unternehmen aus. Damit wurde der im vorhergehen- nen Prinzipien in der Agrarstrukturförderung; zwei- den Wirtschaftsjahr eingetretene deutliche Gewinn- tens Wiederherstellung der Funktionsfähigkeit der rückgang teilweise wieder ausgeglichen. Im laufen- Agrarmärkte und Absicherung durch einen ausrei- den Wirtschaftsjahr, das in wenigen Tagen endet, ist chenden Außenschutz; drittens Sicherung flankieren- bei insgesamt ungünstigeren Preisen mit leicht rück- der Einkommenshilfen; viertens Weiterentwicklung läufigen Einkommen zu rechnen. der Agrarsozialpolitik; fünftens weitere Erschließung von nachwachsenden Rohstoffen; sechstens Aufbau In den neuen Ländern lassen erste Testergebnisse einer leistungsfähigen Land- und Ernährungswirt- folgende Tendenzen erkennen: Einzelunternehmen schaft in den neuen Ländern; siebentens Verbesse- und Personengesellschaften erzielten auf Grund der rung der Attraktivität ländlicher Räume; achtens Stär- großen Anbauflächen bereits relativ gute Gewinne je kung artgerechter, umweit- und landschaftspflegeri- Unternehmen und Arbeitskraft. Hierzu haben auch scher Produktionsverfahren; neuntens Verbesserung die umfangreichen staatlichen Hilfen wesentlich bei- der Verbraucherinformationen und des Verbraucher- getragen. Die Gewinnsituation der juristischen Perso- schutzes. nen war dagegen unbefriedigend. Im Durchschnitt konnten aber immerhin Löhne und Gehälter wie in Im Kern geht es insbesondere darum, die Wettbe- anderen Wirtschaftsbereichen gezahlt werden. werbsfähigkeit unserer Betriebe zu verbessern; denn Der Anpassungs- und Umstrukturierungsprozeß in dies ist die Voraussetzung dafür, daß die Landwirt- den neuen Ländern dauert an. Es ist inzwischen eine schaft auch künftig ihre vielfältigen Aufgaben in der beachtliche Anzahl vielseitig strukturierter Unterneh- Gesellschaft erfüllen kann. Das heißt konkret: Produk- men entstanden. Der Wettbewerb wird zeigen, wel- tion von Nahrungsmitteln und nachwachsenden Roh- che Unternehmensformen sich langfristig durchset- stoffen, aber auch Erhaltung und Pflege der Kultur- zen werden. landschaft und ländlicher Räume. Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 165. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23. Juni 1993 14137

Bundesminister Jochen Borchert In der Agrarstrukturpolitik muß die Verbesserung — Vielen Dank, Herr Kollege! — Mit der gleichen der Betriebsstruktur gezielt unterstützt werden. Ich Zielsetzung befürworte ich schließlich, besondere werde deshalb beispielsweise bei der einzelbetriebli- Leistungen der Landwirtschaft im Umweltbereich chen Förderung für eine Fortsetzung der EG-Sonder- finanziell zu honorieren. regelungen in den neuen Ländern eintreten. Ich Meine Damen und Herren, die Bundesregierung werde mich des weiteren dafür einsetzen, daß bei den wird auch künftig ihre erfolgreiche Politik der Ein- überbetrieblichen Maßnahmen der Schwerpunkt in kommenssicherung für unsere Bäuerinnen und Bau- den neuen Ländern gesetzt wird. ern fortsetzen. So werden wir beispielsweise die Aber auch in der Markt- und Preispolitik gilt es, die Bundesmittel für den soziostrukturellen Einkommens- Voraussetzungen für die Entwicklung der Bet riebe ausgleich und die Anpassungshilfe bereitstellen, für weiter zu verbessern. Ich werde deshalb beispiels- deren Verlängerung wir in Brüssel erfolgreich weise dafür kämpfen, daß die 90-Tier-Grenze bei der gekämpft haben. Rindfleischmarktordnung abgeschafft wird, und ich Nachdem der Bundesrat darauf verzichtet hat, den werde — in Übereinstimmung mit dem Berufsstand Vermittlungsausschuß anzurufen, werden wir die von und den Ländern — in den alten Bundesländern- die den Ländern beschlossene abgeschwächte betriebs- Handelbarkeit der bet rieblichen Milchreferenzmen- größenabhängige Degression bei der Anpassungs- gen flexibler gestalten, indem ein Quotentransfer hilfe in den neuen Ländern akzeptieren; denn wir innerhalb vorgegebener Verwaltungsregionen ohne wollen keine Verzögerung bei der Auszahlung der Flächenbindung zugelassen wird. Bundesmittel, weil wir wissen, daß die Landwirtschaft (Carl-Detlev Freiherr von Hammerstein im Augenblick nicht darauf verzichten kann. Nun sind [CDU/CSU]: Sehr wichtig!) die Lander aufgerufen, wie auch in den vergangenen Jahren ihren Beitrag zu leisten, damit unsere L and- Die vorläufige Zuteilung der Milchquoten für die wirte den vollen Betrag erhalten. neuen Länder mit einer Spitzensaldierung für diese Länder wird auch für die Zukunft beibehalten. Ein klares Bekenntnis zur Politik der Einkommens- sicherung würde ich mir auch von Ihnen wünschen, Noch in dieser Legislaturperiode, meine Damen meine sehr geehrten Damen und Herren von der SPD. und Herren, wird die vieldiskutierte Reform der Schließlich waren Sie es, die direkte Einkommenshil- Agrarsozialpolitik beschlossen. fen in der Vergangenheit immer als Ihren Heilsweg in (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. — der Agrarpolitik proklamiert haben. Horst Sielaff [SPD]: Darauf warten wir!) (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) — Lassen Sie sich überraschen. Es wäre hilfreich, Das alles soll nun auf einmal nicht mehr wahr sein. wenn Sie dabei mithelfen würden. Wie sonst ist es zu verstehen, daß die SPD u. a. fordert, (Beifall bei der CDU/CSU) die Gasölbeihilfe solle im Bundeshaushalt 1994 gestri- chen, der Abbau des soziostrukturellen Ausgleichs Aber ich komme gleich noch zu den Aussagen, die von solle beschleunigt und auf die Agrarsozialreform solle Ihrer Seite dazu gemacht worden sind. verzichtet werden? Über diese klassischen Bereiche der Agrarpolitik (Zurufe von der CDU/CSU: Hört! Hört! — hinaus werden wir prüfen, wie die Wettbewerbsfähig- Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Auf Ihre!) keit unserer landwirtschaftlichen Bet riebe durch neue — Auf „die" haben Sie gesagt. Technologien verbessert werden kann. Ich denke in diesem Zusammenhang beispielsweise an die Bio- Haben Sie, meine Damen und Herren von der SPD, technologie und die Gentechnik, denen vor allem je ausgerechnet, was das bedeutet? — Wahrscheinlich auch für die weitere Erschließung von nachwachsen- nicht. Ich habe es für Sie getan. Allein diese Strei- den Rohstoffen große Bedeutung zukommt. chungsvorschläge würden rund 1,5 Milliarden DM ausmachen. 1,5 Milliarden DM, das sind fast 8 % der (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Da hat aber landwirtschaftlichen Einkommen. Dies wollen Sie den die SPD Scheuklappen an!) Bauern in einer sowieso schon schwierigen Zeit zumu- Meine Damen und Herren, die Sicherung und ten! Pflege der Kulturlandschaft, die Erhaltung der (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Holzham Umwelt sind öffentliche Güter, für die es keinen mermethode! — Carl-Detlev Freiherr von Marktpreis gibt. Diese Leistungen müssen mit öffent- Hammerstein [CDU/CSU]: Das sollten die lichen Mitteln sichergestellt werden, wenn die Agrar- ihnen auch sagen, lieber Herr Minister!) preise dazu nicht mehr ausreichen. Ich erinnere in diesem Zusammenhang beispielsweise an die Aus- — Da sie es ihnen nicht sagen, Herr Kollege, müssen gleichszulage in den benachteiligten Gebieten. wir es draußen laut genug sagen. Mit der gleichen Begründung werde ich darauf Meine Damen und Herren, wer wie die SPD unseren hinwirken, daß Einkommenseinbußen durch Aufla- Bäuerinnen und Bauern in einer extrem schwierigen gen des Umweltschutzes, die über die Grundsätze der Zeit mutwillig die Einkommen zurückschneiden wi ll, guten fachlichen Praxis hinausgehen, finanziell aus- der handelt für mich schlichtweg verantwortungs- geglichen werden. los. (Beifall bei der CDU/CSU — Carl-Detlev (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Freiherr von Hammerstein [CDU/CSU]: Das Wer wie die SPD den soziostrukturellen Einkommens ist ganz entscheidend, Herr Minister!) ausgleich und die Anpassungshilfe zweckentfremden 14138 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 165. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23. Juni 1993

Bundesminister Jochen Borchert will, indem er einigen über massive Förderung etwas Sie haben keine Eigenkapitalbildung. In vielen zuspricht, was er anderen vorenthält, der kann nicht Betrieben reicht der Gewinn nicht, um Ersatzinvesti- mit meiner Zustimmung rechnen. tionen finanzieren zu können. (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Das ist (Carl-Detlev Freiherr von Hammerstein sowieso diffus, was da gesagt wird!) [CDU/CSU]: Damit hast du recht, Horst!) Dies ist nicht die soziale Verantwortung, wie die Viele Betriebe haben keinen Hofnachfolger. Er- Bundesregierung sie versteht. Es braucht uns keiner schreckend ist dies in Betrieben, die bisher als relativ zu sagen, daß gespart werden muß und daß davon gesund angesehen wurden. Perspektivlosigkeit greift auch die Landwirtschaft betroffen ist. Allerdings gilt um sich. Die eingangs erwähnte Sorge der Bäuerinnen es, dabei Augenmaß zu zeigen und Kontinuität und und Bauern um die Zukunft ihrer Kinder und Betriebe Verläßlichkeit der Agrarpolitik zu wahren. nimmt zu. Ich appelliere deshalb an alle, unsere Politik für Diese negativen Entwicklungen werden durch eine Bäuerinnen und Bauern nachhaltig zu unterstützen. insgesamt viel zu bürokratische und zu spät in Ang riff Unseren Bauern wünsche ich für die bevorstehende- genommene EG-Agrarreform unterstützt, die in Ernte gutes Wetter und Glück in Haus und Stall. Ansätzen richtig war und viele von uns Sozialdemo- Vielen Dank. kraten für wichtig gehaltene Aspekte einer neuen (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Agrarpolitik enthält. (Beifall bei der SPD) Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Als nächster hat das Der Bundesregierung ist es nicht gelungen, die Wort der Abgeordnete Horst Sielaff. Preissenkung in Höhe von 1,3 % zu verhindern bzw. auszugleichen, die sich auf Grund der vom Rat im Dezember 1992 beschlossenen agrarmonetären Rege- Horst Sielaff (SPD): Frau Präsidentin! Meine Damen lung infolge der Währungsereignisse seit September und Herren! „Die deutsche und die europäische 1992 ergibt. Landwirtschaft befinden sich in einer sehr schwieri- gen Lage. Unsere Bäuerinnen und Bauern haben (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Sie be Sorge, Sorge um die Zukunft, um die Zukunft ihrer kämpfen doch gerade diese jetzt angespro Kinder und ihrer Höfe. " Der Agrarbericht 1993 belegt chene Politik!) diese Aussagen des damals noch neuen Landwirt- Weitere Preiseinbußen — lieber Herr Ho rnung, Sie schaftsministers auf dem Internationalen Forum wissen das genau — und Gewinnrückgänge für die Agrarpolitik auf der Grünen Woche 1993. deutsche Landwirtschaft sind die Folge. Die Bundesregierung spricht oft und gern — heute Mit der Verabschiedung des soziostrukturellen Ein- ist es nicht geschehen — von der sogenannten Erblast, kommensausgleichs ab 1993 durch die Koalitionspar- die sie abzutragen habe. Die gegenwärtige, besonders teien im Deutschen Bundestag — erst vor wenigen schwere Krise der Landwirtschaft kann nun aber beim Tagen — wird von der Bundesregierung gern darüber besten Willen nicht den Sozialdemokraten als Erblast hinweggetäuscht, daß weitere Einkommensrück- in die Schuhe geschoben werden. gänge durch die Bundesregierung bereits vorpro- (Beifall bei der SPD — Siegfried Hornung grammiert sind. Der ersatzlose Wegfall des 2%igen [CDU/CSU]: So ganz ist das nicht von der Mehrwertsteuerausgleichs für die deutsche Landwirt- Hand zu weisen!) schaft trägt dazu bei. Es handelt sich um nicht weniger als 40 % der ursprünglichen Gesamtmaßnahme Mehr- Noch weniger Schuld an der agrarpolitischen Misere wertsteuerausgleich, die fortfallen. Er machte rund haben die Landwirte selbst. Falsche politische Rah- 6 % des Gewinns in den landwirtschaftlichen Betrie- menbedingungen und Ideologien, an denen auch die ben aus, wie es die Agrarberichte ausweisen. gegenwärtige Bundesregierung zu l ange festgehalten hat, sind Mitverursacher einer verfehlten Agrarpoli- Es wird auch gern verschwiegen, daß nach dem tik. Willen der Koalition die Mittel für den soziostruktu- (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Ideologien rellen Einkommensausgleich selbst ab 1994 in den haben wir keine!) Folgejahren bis zum Auslaufen erheblich gekürzt werden. Die Einkommenssituation in der Landwirtschaft ist alles andere als rosig. Der leichte Anstieg der Die Bundesregierung mutet darüber hinaus den Gewinne im Berichtszeitraum konnte die Rückgänge landwirtschaftlichen Betrieben in den neuen Bundes- des Vorjahres bei weitem nicht wettmachen. Jetzt sind ländern eine strikte Degression der Anpassungshilfen Besserungen nicht zu erwarten. zu — und dies, obwohl viele Betriebe wegen der unzureichenden Altschuldenregelung und sich immer (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Und da wol wieder verzögernder langfristiger Flächenzuteilun- len Sie noch mehr streichen! — Hans gen finanziell und wirtschaftlich noch nicht über den Joachim Fuchtel [CDU/CSU]: Und da wollen Berg sind, wie wir alle wissen. Sie kürzen! Unmöglich!) (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Fragen Sie Im Gegenteil, im abgelaufenen Jahr muß die deutsche mal den Schröder, was der dazu sagt!) Landwirtschaft im Durchschnitt mit Gewinnrückgän- gen rechnen. Das gilt auch für das in wenigen Tagen Die Anpassungshilfen sollten bei einigen Bet rieben beginnende neue Wirtschaftsjahr. Viele landwirt- gegenüber der Vergangenheit sogar um die Hälfte schaftliche Bet riebe leben bereits von der Substanz. gekürzt werden. Durch massiven Einsatz der neuen Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 165. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23. Juni 1993 14139

Horst Sielaff Bundesländer wurde dies glücklicherweise verhin- des Europäischen Parlaments in einer Entschließung dert. zum Ausdruck gebracht, daß die bisherige Förder- politik im Lichte der Entscheidungen zur EG-Agrarre- Die Agrarsozialreform, lieber Herr Minister, läßt form grundsätzlich überprüft werden muß. weiter auf sich warten. Oft angekündigt, verschwin- det sie schnell wieder. Selbst vom Kabinettstisch wird (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Die Ent sie kurzerhand verdammt. Der Kanzler verkündet, sie schließung ist ganz miserabel!) sei nicht zu finanzieren. Gerade in einer so ange- spannten Einkommenssituation wie der j etzigen ist sie Sie haben dafür folgende Grundsätze aufgestellt: um so nötiger und dringender, damit end lich die Unterstützung und Stärkung einer Landwirtschaft, die knappen öffentlichen Mittel gerechter und — im sich an den Erfordernissen des Marktes und der strengen Wortsinn — agrarsozialverträglicher einge- Umwelt ausrichtet, d. h. insbesondere eine Verstär- setzt werden können. kung der strukturverbessernden Förderung; Schaf- fung vergleichbarer Wettbewerbsbedingungen zwi- (Beifall bei der SPD — Siegfried Hornung schen den Mitgliedstaaten der EG und den Ländern [CDU/CSU]: Dreßler hat genau das Gegen- der Bundesrepublik Deutschland; besonderes Augen- teil gesagt! Der ist maßgebend!) merk ist dabei den Rechtsvorschriften in den Berei- — Hören Sie doch einmal zu, Herr Ho rnung; Sie reden chen Umwelt-, Tier- und Verbraucherschutz zu wid- sich selbst etwas ein. Hören Sie zu; Sie wollten dazu men, die EG-weit auf möglichst hohem Niveau gelten die Oppositionsmeinung hören. müssen; auch das Steuerrecht muß harmonisiert wer- den — ich nehme an, auch da stimmen wir überein —; (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Das ist doch soziale Flankierung des Strukturwandels; Weiterent- schlimm, was Sie hier erzählen!) wicklung und Förderung der ländlichen Räume durch Auch den sich vollziehenden Strukturwandel müs- integrierte Konzepte mit dem Ziel, die Wirtschafts- sen wir sozial abfedern. Die Bundesregierung wird kraft der Agrarregionen zu stärken. nun natürlich, wie wir es kennen, die Latte der Zahlungen an die Landwirtschaft in den vergangenen Diese Zielsetzungen haben die Vorsitzenden der Jahren hervorholen. Aber auch dies täuscht nicht SPD-Fraktionen auf ihrer Konferenz im Juni in Kiel darüber hinweg, daß die Bundesregierung selbst gemeinsam bestätigt. wichtige Änderungen im Bereich der Agrarpolitik Ob wir, Herr Bundesminister, allerdings in bezug vorgenommen hat, die unmittelbare Auswirkungen auf den Weg, auf dem die angestrebten Ziele zu auf die landwirtschaftlichen Betriebe und deren Ein- erreichen sind, noch übereinstimmen, habe ich erheb- kommen haben. liche Zweifel. Ihr künftiger Weg zur Sicherung des Was auf den Agrarbereich im einzelnen noch im Agrarstandorts Deutschland scheint uns eine Mogel- Rahmen der Stabilisierungsbemühungen für den Bun- packung zu sein. Die beste Zielformulierung nutzt deshaushalt — sprich: an Kürzungen — zukommt, hat nichts, wenn die Kraft fehlt, diese auch durch gezielte die Bundesregierung bisher noch nicht näher ausfüh- Maßnahmen zu realisieren. Der Waigelsche Spar- ren wollen. Mehr Gelder werden es bestimmt nicht. zwang mit einem Volumen um 20 Milliarden DM oder Eher wird die Förderung weiter eingeschränkt wer- mehr zwingt zu räumlichen und inhaltlichen Schwer- den müssen; denn die kritische Einkommenslage punktbildungen auch in der Agrarpolitik. Dazu fehlt vieler landwirtschaftlicher Be triebe fällt zusammen dem Agrarminister, bisher zumindest, leider der mit einem eingeschränkter werdenden Spielraum für Mut. die öffentlichen Haushalte. Mit vier Beispielen möchte ich das unterstreichen: (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: So schlimm, Das erste Beispiel ist der wie es die SPD vorhat, kann es gar nicht soziostrukturelle Einkom- Angesichts der neuen Rahmenbedin- kommen! — Weiterer Zuruf von der CDU/ mensausgleich. CSU: Sie machen doch dauernd Vor gungen und der knapper werdenden Finanzmittel schläge!) haben wir Sozialdemokraten uns mit Anträgen dafür eingesetzt, die verfügbaren Mittel gezielt für Investi- Insofern begrüße ich grundsätzlich, daß der neue tionen zur Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit Landwirtschaftsminister erst in diesen Tagen versucht der Be triebe und zur Förderung einer umweltscho- hat, den künftigen Weg seiner Agrarpolitik zu nenden Landbewirtschaftung einzusetzen. Wir So- beschreiben. Nur: Das, Herr Borchert, was Sie in der zialdemokraten wollten und wollen — hören Sie zu, letzten Woche als Ihren neuen Weg vorgestellt haben, damit Sie das weiterverkünden und nicht immer ist keiner. Daß Sie darüber hinaus glaubten, auf die draußen irgendwelche Märchen erzählen — diese Anwesenheit des Fachausschusses, der gleichzeitig Mittel für die Agrarpolitik und zur Entwicklung des — langfristig geplant — in Stuttgart tagte, verzichten ländlichen Raumes erhalten. Wir wollten aber weg zu können, ist übrigens, wie ich meine, mehr als nur vom Gießkannenprinzip und diese Mittel gezielt dort eine Stilfrage. einsetzen, wo sie dringend benötigt werden. (Beifall bei der SPD) (Beifall bei der SPD) In der Zielsetzung stimmen wir — zumindest auf den ersten Blick — angesichts der geänderten Rah- Sie, Herr Minister, bleiben aber bei Ihrer alten menbedingungen in vielen Dingen überein. Erst am Politik, möglichst allen etwas zu geben, unabhängig 23. April dieses Jahres haben die agrarpolitischen von der Einkommenslage und der dringenden Not- Sprecherinnen und Sprecher der SPD-Fraktionen des wendigkeit. Zum Beispiel fördern Sie nach wie vor mit Bundestages, der Landtage, der Bürgerschaften und diesen Mitteln Betriebe, die durchaus auf die Förde- 14140 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 165. Sitzung. Borm, Mittwoch, den 23. Juni 1993

Horst Sielaff rungsmittel verzichten können, die andere dringend Förderung nach ökologischen Kriterien ist diese Maß- brauchen. nahme aber weit entfernt. Gerade hier wäre eine (Beifall bei der SPD) Diskussion über Sinn und Zweck angebracht, die aber Ihre selbstgesteckten Ziele bleiben dabei, wie ich — ich sage das ausdrücklich — europaweit und meine, auf der Strecke. EG-einheitlich geführt werden muß. Das zweite Beispiel ist die Agrarsozialpolitik. Ich (Beifall bei der SPD) möchte hier für die SPD-Bundestagsfraktion aus- Eine weitere knappe Milliarde DM ist damit nach drücklich erklären: Wir wollen eine sozial gerechte Ihren Vorstellungen bereits gebunden. Ich frage Sie: und solide finanzierte Agrarsozialreform. Beiträge Wie will die Bundesregierung über einen künftigen und Leistungen sind solidarisch zu gestalten. Soweit agrarpolitischen Weg den Agrarstandort Deutschl and das möglich ist, soll eine Angleichung an die Renten- sichern, wenn die haushaltsmäßige Verfügungsmasse versicherung erfolgen. Die Landfrauen brauchen eine in ganz wesentlichen Teilen nicht zur Verfügung steht eigenständige Absicherung mit eigenen Beiträgen. und bisherige Mittel nicht angetastet werden sol- (Beifall bei der SPD — Siegfried Hornung- len? [CDU/CSU]: Herr Dreßler sagt genau das Gegenteil!) (Zuruf von der CDU/CSU: Die Sie weiter kürzen wollen!) Für eine solche Reform werden im übrigen keine zusätzlichen Bundesmittel benötigt. Bleibt also als Verfügungsmasse für die Politik der Regierung nur die Gemeinschaftsaufgabe "Verbesse- (Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Im Unter rung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes" schied zu Ihren Plänen!) übrig und dort im wesentlichen der Teil, der für die Bis heute wird viel Geld für zum Teil absurde Rege- Förderung von Investitionen zur Verfügung steht. lungen ausgegeben, Hier stehen aber überhaupt nur in bescheidenem Maße Mittel bereit. Sie selbst, Herr Minister, sagten (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Anfang Juni 1993 in Ihrer Antwort auf unsere Große z. B. für die Beitragszuschußregelung in der Alters- Anfrage zur „Umsetzung der flankierenden Maßnah- hilfe bei viel zu hohen Einkommensgrenzen. Das kann men der EG-Agrarreform in der Bundesrepublik für vernünftigere Dinge innerhalb des Sozialhaushalts Deutschland", daß Sie keine andere Wahl haben, als genutzt werden. Wir bieten, Herr Minister, unsere Mittel in der Gemeinschaftsaufgabe umzuschichten, Mitarbeit in diesem Bereich ausdrücklich an. um überhaupt die umweltgerechte landwirtschaftli- che Produktion als fl ankierende Maßnahme der EG- (Beifall bei der SPD) Agrarreform fördern zu können. Das dritte Beispiel ist die Ausgleichszulage in den Sieht man sich Ihre Umschichtungsversuche für die benachteiligten Gebieten. „Das auf Kontinuität ange- legte Förderprogramm darf nicht in Frage gestellt wichtige Förderung umweltgerechter Produktions- weisen genauer werden", sagte jedenfalls die Bundesregierung in an, so muß man feststellen, daß dafür ihrer Antwort von Anfang Juni 1993 auf eine Große praktisch kaum Finanzmittel übrigbleiben. Ich frage Anfrage der SPD-Bundestagsfraktion zur Umsetzung mich deshalb ernsthaft, mit welcher Berechtigung diese Bundesregierung die der flankierenden Maßnahmen. Die Bundesregierung Förderung umweltver- und die sie tragenden Parteien müssen sich den träglicher Landbewirtschaftung auf ihre Fahnen zu schreiben wagt. Vorwurf gefallen lassen, daß sie die leichtfertige und sehr durchsichtige Ausweitung der benachteiligten (Hans-Joachim Fuchtel [CDU/CSU]: Unge- Gebiete und der Förderung mit der Ausgleichszu- heurer Beifall!) lage u. a. auf Ackerstandorte durch Bundesminister Kiechle auch nicht vor dem Hintergrund der pauscha- Die Bundesregierung will mehrere überbetriebliche lierten Ausgleichszahlungen aus der EG-Agrarre- Maßnahmen, wozu insbesondere die Dorferneue- form, die diese Standorte jetzt erheblich begünstigt, rung, die Flurbereinigung, wasserwirtschaftliche hinterfragten und versuchten, ein Gleichgewicht wie- Maßnahmen und Maßnahmen zur Verbesserung der derherzustellen. Marktstruktur gehören, in den alten Ländern ausset- zen. Besonders hervorgehoben haben Sie, Herr Mi- (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Das ist völ nister, dabei die wasserwirtschaftlichen Maßnahmen. lig falsch!) Aber gerade diese Maßnahmen stellen Investitionen Das vierte Beispiel ist die Gasölbeihilfe, die hier in die Zukunft dar; sie verbessern die Infrastruktur ebenfalls angesprochen worden ist. u. a. durch den Ausbau von Abwasser- und Wasser- versorgungsanlagen und die Schaffung einer funk- (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Von Ihnen! tionsgerechten Verkehrsinfrastruktur. Das alles sind Sie wollen sie streichen!) Maßnahmen, die die Lebensqualität der Dörfer und — Nein, vom Minister; Sie haben Ihrem Minister nicht des ländlichen Raumes verbessern. zugehört, Herr Hornung. — Auch sie wird bei Ihnen (Dr. Walter Franz Altherr [CDU/CSU]: Keine unter der Überschrift „Einkommenssicherung über Hand rührt sich zum Beifall!) direkte Ausgleichszahlungen" abgehandelt, und die Mittel dürfen nach Ihren Vorstellungen nicht in Über- Dort legen Sie, meine Damen und Herren von der legungen für eine neue sachliche und räumliche Regierungskoalition, Hand an, weil Sie nicht die Kraft Schwerpunktbildung in der Agrarpolitik des künfti- haben, diesen in der Tat gewaltigen Kraftakt ange- gen Weges einbezogen werden. Vom Prinzip einer sichts stark veränderter Rahmenbedingungen und Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 165. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23. Juni 1993 14141

Horst Sielaff einer wirksamen Neubesinnung der Agrarpolitik in erstatter für den Einzelplan 10 es übernähme, ihn Deutschland zu vollziehen. darüber aufzuklären? (Beifall bei der SPD) (Beifall bei der SPD — Lachen bei der CDU/ CSU — Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Die Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Gestatten Sie eine Frage ist nur, was dabei herauskommt!) Zwischenfrage des Abgeordneten Kalb?

Horst Sielaff (SPD): Bitte. Sie wird ja nicht auf meine Horst Sielaff (SPD): Ich wäre ausgesprochen d ank- Redezeit angerechnet. bar. Vielleicht kommen wir dann dazu — und das wäre auch im Sinne des Ministers, glaube ich —, daß wir gemeinsam vernünftig Zukunftsperspektiven für die (CDU/CSU): Herr Kollege Sie- Bartholomäus Kalb Landwirtschaft öffentlich diskutieren und durchset- laff, würden Sie mir bestätigen, daß die wasserwirt- zen können. schaftlichen Maßnahmen und der Ausbau der Ver- (Beifall bei der SPD) kehrswege in den ländlichen Räumen vorrangig- eine Aufgabe der Länder und nicht des Bundes sind, wie es Meine Damen und Herren, im gleichen Atemzug ja einige Länder praktizieren? wollen Sie die Entwicklung der ländlichen Räume (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) und der Dörfer voranbringen, wie soeben Herr Kalb andeuten wollte. Ich frage mich nur: Wie? Etwa durch Aussetzung der Förderung der kommunalen Infra- Horst Sielaff (SPD): Also, lieber Herr Kollege, hier struktur gerade in den Dörfern, die angesichts des wird das gleiche Spiel bet rieben. Im Bund werden bevorstehenden Strukturwandels in der Landwirt- Dinge beschlossen und Mittel gekürzt, und die, die am schaft auch der alten L ander vor großen Aufgaben wenigsten haben, die Kommunen und die Länder, stehen? sollen es dann finanzieren. Das ist es ja gerade, was Sie machen. Ich weiß — damit möchte ich zum Schluß kom- men —, daß vor dem Hintergrund der EG-Agrarre- (Beifall bei der SPD — Lachen bei der CDU/ form, des bevorstehenden GATT-Abschlusses, der CSU) Realisierung des EG-Binnenmarktes und der deut- Sie wissen genau wie ich, daß die Gemeinschafts- schen Einigung die vor uns liegenden Probleme auch aufgabe mit von den Ländern zu finanzieren ist. im Agrarbereich riesig sind und größter Anstrengung Unsere Länder waren bereit, hier ihren Anteil zu bedürfen. Was ich kritisiere, ist, daß die Bundesregie- zahlen. Insofern stimmt der Akzent Ihrer Frage über- rung für Reformen praktisch keinen Spielraum hat. So haupt nicht. jedenfalls ist der künftige agrarpolitische Weg zur Sicherung des Agrarstandorts Deutschland nicht zu Bartholomäus Kalb (CDU/CSU): Darf ich eine beschreiten. Zusatzfrage stellen? — Herr Kollege, wenn Sie so Trotz seines guten Zahlenmaterials fehlt uns Wich- antworten, darf ich Sie darm bitten, mir in Ihrer tiges im Agrarbericht. Es werden keine Angaben verbleibenden Redezeit noch zu erläutern, darüber gemacht, wie und in welchen Zeiträumen die (Gudrun Weyel [SPD]: Nein, das gibt es Sicherung und die Wiederherstellung der natürlichen nicht!) Lebensgrundlagen agrar- und umweltpolitisch er- wie denn nun das Sparkonzept der SPD, das verschie- reicht werden sollen. Es fehlen ein Konzept und ein dentlich angekündigt worden ist, nun wirklich aus- Programm zur ökologischen Umstrukturierung der schaut. Ich höre so viel Unterschiedliches, daß ich Land- und Forstwirtschaft. Agrarpolitik muß sich ein- nicht weiß, woran ich bin. ordnen in eine langfristig angelegte, Kreisläufe berücksichtigende Gesamtstrategie zur Sicherung unserer natürlichen Lebensgrundlagen. Horst Sielaff (SPD): Herr Kollege, ich weiß, daß Abgeordnete, insbesondere Abgeordnete im Haus- Deshalb fordern wir in unserem Antrag im jährli- haltsausschuß, wenig Zeit haben, um alles zu lesen. chen Agrarbericht eine umfassendere Darstellung der Trotzdem bin ich gerne bereit, Ihnen alle unsere Beeinträchtigungen der Landschaft und des Natur- Beschlüsse hier im Hause und anderswo zur Verfü- haushalts, die durch die Land- und Forstwirtschaft gung zu stellen. Vielleicht lassen Sie eine Synopse verursacht werden oder sie selbst beeinträchtigen. machen, so daß Sie darm auch über die Akzente, die Wir müssen Fakten haben und müssen weg von wir deutlich öffentlich dargelegt haben, bestens infor- emotionalen Unterstellungen, auch gegenüber der miert sind. Landwirtschaft. (Beifall bei der SPD) Beherzigen Sie, Herr Minister, ruhig die Worte des Meine Damen und Herren, obwohl Sie in diesen agrarpolitischen Sprechers der F.D.P.-Fraktion. Herr wichtigen Bereichen kürzen wollen — — Bredehorn hat bei der Vorstellung des „Neuen Weges" gesagt: „Diese Grundsätze sollen aber nicht wie Transparente an der Hausfassade flattern; auch Gestatten Sie eine Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: die Inneneinrichtung muß dem entsprechen." Zwischenfrage des Abgeordneten Kastning? (Beifall bei der SPD — Günther Bredehorn Ernst Kastning (SPD): Herr Kollege Sielaff, wären [F.D.P.]: Bravo!) Sie damit einverstanden, wenn ich als der Kollege von Lieber Herr Bredehorn, vielleicht springt die Regie Herrn Kalb im Haushaltsausschuß und Mitbericht- rungskoalition einmal über ihren eigenen schwarzen 14142 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 165. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23. Juni 1993

Horst Sielaff Schatten, stimmt unserem Antrag zu und stimmt damit Egon Susset (CDU/CSU): Ja; jederzeit. für eine zukunftsgerichtete Agrarpolitik. Ich bedanke mich. Jan Oostergetelo (SPD): Herr Kollege Susset, ich (Beifall bei der SPD und der PDS/Linke höre jetzt aus Ihren Worten, daß der Weltuntergang eintritt, wenn das passiert, was die SPD sagt. Liste) (Dr. [CDU/CSU]: Bauernfeind partei! ) Das Wort hat jetzt Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Sind Sie bereit, Herr Kollege Susset, mit mir irgendwo der Herr Abgeordnete Egon Susset. eine Veranstaltung nach Ihrer Wahl zu machen, wo (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Jetzt wir aufrechnen, in welcher Zeit es den deutschen kommt Konstruktives!) Bauern besser ging, unter dieser Regierung oder unter den Sozialdemokraten? Egon Susset (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine (Beifall bei der SPD) sehr verehrten Damen und Herren! Die -Rede des Ich bin zu jedem Termin bereit. Kollegen Sielaff hörte sich an, als ob er die Vorgaben einem anderen Stern entnommen hätte. Egon Susset (CDU/CSU): Ich bin in der Regel zu (Beifall bei der CDU/CSU) allen Veranstaltungen bereit. Ich bin auch bereit, dazu beizutragen, daß einige Leute zur Veranstaltung kom- Ich habe hier nur einige Pressemitteilungen der men, um dann dem Kollegen Oostergetelo zumindest SPD-Bundestagsfraktion. auch im agrarpolitischen Bereich ein volles Haus zu (Horst Sielaff [SPD]: Nicht alles, was in der bieten. Presse steht, ist wahr!) (Jan Oostergetelo [SPD]: Herr Susset, darf ich — Von der SPD. Ich habe keine anderen Presseerklä- Sie beim Wort nehmen?) rungen hier als die der SPD. Und hier ist von Sparvor- — Sie dürfen mich beim Wort nehmen. schlägen die Rede. Gasölverbilligung: 910 Millionen. Alles SPD-Sparbeschlüsse. Meine Damen und Herren, die jährliche Agrarde- batte stellt jedes Jahr die Lage der deutschen Land- (Horst Sielaff [SPD]: Sie haben doch gehört, wirtschaft dar. Die statistischen Grundlagen liefert die was ich gesagt habe!) Bundesregierung. Deshalb sind wir den Mitarbeitern Der Verzicht auf die Agrarsozialreform wird hier mit des BML und den Länderministerien, besonders aber 200 Millionen beziffert. Vollständiger Abbau des den landwirtschaftlichen Betriebsleitern dankbar, die Währungsausgleichs: 342 Millionen; wenn man hier mit viel Mühe die Fakten zusammengetragen Bund und Länder zusammennimmt, ist es eine Milli- haben. arde. Die Agrarreform 1992 hat eine Wende in der (Dr. Walter Franz Altherr [CDU/CSU]: Hört! europäischen Agrarmarktpolitik eingeleitet, und Hört!) zwar zu markt- und umweltorientierter Politik. Sie Beseitigung der Gewinnermittlung nach Durch- wird die Entwicklung unserer Landwirtschaft und die schnittssätzen gemäß § 13a: 440 Millionen. Gestaltung der Agrarpolitik über die 90er Jahre hin- aus maßgebend bestimmen. Die Reform als solche war (Hans-Joachim Fuchtel [CDU/CSU]: So überfällig, um die agrarpolitischen Fehlentwicklun- macht man die Kleinen kaputt!) gen zu stoppen. Landwirtschaftliche Erzeugung läßt Streichung der Steuerermäßigung bei Abfindung wei- sich nicht dauerhaft gegen die elementaren Markt- chender Erben und Verkäufen von Grundstücken, kräfte von Angebot und Nachfrage abschirmen. Die wurde mir gesagt, etwa 500 Millionen. Preisstützung konnte weder ihre Markt- noch ihre Wenn man das alles zusammen betrachtet, könnte Einkommensfunktion erfüllen, weil man sich in Brüs- man, falls der Minister Borchert recht gehabt hätte mit sel nicht rechtzeitig zu einer Produktionsbegrenzung 1,5 Milliarden, vielleicht einen Teil der Rede des besonders bei Getreide hat durchsetzen können. Kollegen Sielaff noch als durchdacht ansehen. Aber es (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Das ist der sind insgesamt 3,042 Milliarden; das ist alles aus Ihren Teil der Erblast!) Presseerklärungen zu entnehmen. Es war nun ein großer Verhandlungserfolg, daß die (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Hört! Bundesregierung durchsetzen konnte, daß immerhin Hört!) Ausgleichszahlungen zwischen 7 und 8 Milliarden Meine Damen und Herren, ich glaube, so sollten wir DM aus der EG-Kasse kommen werden. nicht miteinander umgehen; so sollten wir in einer Die Reformbeschlüsse müssen nun, wenn auch schwierigen Lage der L and- und Ernährungswirt- nicht in allen Teilen von uns gewollt, aber als einzige schaft auch nicht reden. konsensfähige Alternative zum Nutzen unserer L and- (Beifall bei der CDU/CSU) wirte in Brüssel zustandegekommen, konsequent umgesetzt werden. Dies muß jedoch gleichgewichtig und wirksam in allen EG-Mitgliedstaaten gesche- Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Herr Abgeordneter, hen. gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten (Horst Sielaff [SPD]: Da sind wir uns einig!) Oostergetelo? Mit der Reform 1992 sind die Probleme der EG (Carl-Detlev Freiherr von Hammerstein Agrarpolitik angegangen, aber noch nicht dauerhaft [CDU/CSU]: Der Großbauer!) gelöst. Wo notwendig, muß das Reformergebnis ziel- Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 165. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23. Juni 1993 14143

Egon Susset gerecht nachgebessert werden, z. B. bei Rindfleisch. nahme zu einem effizienten und zweckmäßigen Im Gegensatz zur Opposition wollen wir also keine Instrument. Reform der Reform, wohl aber notwendige und ver- (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Und ist tretbare Korrekturen. dringend notwendig!) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Wenn wir aber von Aufforstung reden, darf uns die Lage der Forstwirtschaft nicht gleichgültig sein. Der Landwirtschaftsminister hat bereits eine einfache Durchführung erreicht. Dies läßt auf weitere Fort- (Siegfried Ho rnung [CDU/CSU]: Das ist rich schritte entsprechend dem deutschen Memorandum tig!) hoffen. Es darf nicht dazu kommen, daß die reformbe- Wir sind gut beraten, wenn wir uns gemeinsam dingten Reglementierungen mit deutschem Perfektio- Gedanken machen, wie wir die prekäre Ertragslage in nismus exekutiert werden, während man dies in der Forstwirtschaft durch geeignete Maßnahmen ver- anderen EG-Ländern unbürokratischer angeht. bessern können. (Beifall bei der CDU/CSU) - (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und Dies würde die deutschen Landwirte unberechtigt der F.D.P.) hart treffen, und dies würde auch Europa diskreditie- Ich glaube, das ist etwas, was wir der Umwelt und ren. Das darf nicht sein. nicht nur der in der Land- und Forstwirtschaft tätigen Bevölkerung wegen tun müssen. In den diesjährigen Agrarpreisverhandlungen gab es wenig Entscheidungsspielraum. Die Preisbe- (Horst Sielaff [SPD]: Machen Sie einmal Vor schlüsse sind durch die Reformbeschlüsse bereits schläge, Herr Susset!) vorweggenommen. Aber, Herr Minister Borchert, wir Wer Europa vorwirft, den Agrarmarkt gegenüber bestätigen, Sie haben Ihren Verhandlungsspielraum Einfuhren abschotten zu wollen, der redet nicht die in Brüssel voll ausgeschöpft, um insgesamt ein noch Wahrheit. Tatsache ist, daß schon gegenwärtig vertretbares Ergebnis zu erzielen. Zu begrüßen ist umfangreiche Importe von Nahrungs- und Futtermit- — Sie haben es schon angesprochen — die Anhebung teln in die EG und nach Deutschland gelangen. der Flächenstillegungsprämie. Sie ist Anreiz für Pro- Deutschland ist weltweit größter Agrarimporteur. Im duktionsverzicht und sicherlich auch ein gewisser Jahr 1991 haben wir Agrarprodukte im Wert von Ausgleich für die stark gebeutelten Getreideerzeu- 68 Milliarden DM importiert, aber auch — das wird ger. viel zu selten gesehen — für 35,8 Milliarden DM Nach Auffassung der SPD ist diese Regelung für die exportiert. Diese Zahlen beweisen auch, daß der — so Ihre Presseerklärung — schon reichlich geseg- Agrarexport für die deutsche Land- und Ernährungs- neten Getreideproduzenten allerdings zu teuer. Die wirtschaft von großer Bedeutung ist. Deutschland ist Opposition macht es sich zu einfach, wenn sie die weltweit viertgrößter Agrarexporteur. Reform in Bausch und Bogen ablehnt, ohne eine Die Landwirtschaft hat den Weg für ein GA TT konstruktive Alternative anbieten zu können.-Abkommen freigemacht und auf diese Weise ein positives Signal für die Wirtschaftsentwicklung (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU — gesetzt. Erst der GATT-Kompromiß hat die vielen Jan Oostergetelo [SPD]: Wo haben wir denn ungelösten Fragen im Industrie- und Dienstlei- abgelehnt?) stungssektor deutlich gemacht. Die EG-Land- Der Wermutstropfen bleibt. Trotz intensiver An- wirtschaft darf auf Dauer nicht der Lastesel für strengungen konnte eine aufwertungsbedingte Preis- den liberalen Welthandel sein. Es muß ein senkung von 1,3 % nicht verhindert werden. Abschluß sein, den wir wollen, bei dem unsere Bauern eine Zukunft haben, weil es keinen Ersatz Die Reform hat nicht nur die Lösung der Überschuß- für die Bauern gibt. probleme im Visier. Sie hat mit den flankierenden Maßnahmen den Akzent gleichzeitig auf eine Das hat Bundeskanzler Kohl in der CDU/CSU-Bun- umweltverträglichere Landwirtschaft und extensive destagsfraktion am Tag der Bauerndemonstration, am Produktionsverfahren gesetzt. Leistungen der Land- 8. Dezember 1992, ausgeführt. wirtschaft zum Erhalt von Natur und Umwelt können (Rudolf Müller [Schweinfurt] [SPD]: Das war in Zukunft gezielt vergütet werden, damit umweltge- sehr hilfreich!) rechte landwirtschaftliche Produktionsweisen auch gefördert werden können. Ich glaube, dazu kann m an gut stehen. Marktgleichgewicht und Ausgleichszahlungen sind (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und für die Stabilisierung der Einkommen unverzichtbar. der F.D.P.) Für uns ist es eine Frage der Glaubwürdigkeit, den Als Voraussetzung hierfür hat der Deutsche Bundes- soziostrukturellen Einkommensausgleich im Rah- tag die Änderung des Gemeinschaftsaufgabengeset- men der Brüsseler Vorgaben zu bezahlen. zes bereits in erster Lesung beraten, (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Auch die Aufforstung stillgelegter landwirtschaftli- Bund und Länder sind wie bisher gemeinsam in der cher Flächen bietet eine gute Chance zur Entlastung Pflicht. Auf Grund des verbesserten Länderanteils am der Agrarmärkte und zum Schutz der Umwelt. Die Mehrwertsteueraufkommen sind die Bundesländer großzügige finanzielle Förderung macht die Maß- besonders gefordert, sich finanziell zu beteiligen. Die 14144 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 165. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23. Juni 1993

Egon Susset Bundesländer haben die Chance, sich hier auch für die können auch in allen anderen Bundesländern belegt Landwirtschaft zu engagieren. werden. Wenn nun die SPD fordert, die Finanzmittel für (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Die Zahlen investive Zwecke bereitzustellen und damit auf sind falsch! Er hat den Sockelbetrag von wenige Betriebe zu beschränken, so ist dies ein ganz 2 500 DM nicht genannt!) durchsichtiges Manöver. Das Gerede von der Gieß- kannenförderung — ich weiß, auch Herr Kollege Richtig ist auch: Es handelt sich um einen differen- Bredehorn bedient sich dieses Wortes dann und wann zierten Einkommensausgleich für Umsatzverluste. — geht aber an der Sache vorbei und ist nach meiner Das möchte ich einmal klar sagen. Es war gerade die Meinung auch eine Art Vernebelungstaktik. SPD, die jahrelang direkte Zahlungen an die L and- wirte anstelle der Preissicherung im Rahmen der EG-Marktordnung gefordert hat. Gerade die SPD hat die Absenkung der Preise auf Weltmarktniveau und Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Herr Abgeordneter statt dessen staatliche Einkommensbeihilfen ange- Susset, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abge- - mahnt. Sie stehlen sich, meine Damen und Herren von ordneten Sielaff? der Opposition, aus der Verantwortung. Welchen Einkommensbeitrag staatliche Transfer- Egon Susset (CDU/CSU): Bitte. leistungen für die Landwirtschaft leisten, geht aus dem Agrarbericht hervor. Der Beitrag zum Gewinn bei den Vollerwerbsbetrieben in der alten Bundesrepu- Horst Sielaff (SPD): Lieber Herr Kollege, weil Sie so blik betrug im abgelaufenen Wirtschaftsjahr 28 %. In tun, als wären der soziostrukturelle Einkommensaus- den neuen Bundesländern be trugen die Transferzah- gleich und die Nichtbeteiligung der Länder daran der lungen 70 %. Auch das geht aus dem Agrarbericht Untergang der Landwirtschaft: Ist Ihnen bekannt, daß hervor. Und Sie tun so, als ob dies überhaupt nicht z. B. 60 % der Antragsteller aus Rheinland-Pfalz — das notwendig wäre. sind 18 000 Betriebe — 1993 Landesmittel pro Be trieb (Gudrun Weyel [SPD]: Tun wir überhaupt zwischen 485 und 970 DM erhalten? Sie können doch nicht!) niemand erzählen, daß der Be trieb, der diese Mittel nicht bekommt, bankrott geht oder der Betrieb, dem es Aber trotz dieser umfangreichen staatlichen Lei- schlecht geht, dadurch tatsächlich überleben kann. stungen ist die Einkommenslage schwierig. Für das abgelaufene Wirtschaftsjahr — Minister Borchert ist (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Fragen Sie schon darauf eingegangen — gab es nur einen mäßi- einmal die Betriebe!) gen Gewinnanstieg, obwohl es im Jahr zuvor einen Dies ist doch Unsinn. Dies ist Gießkannenprinzip. Einkommensrückgang von 16 % gab. Stimmen Sie dieser Beurteilung zu? (Horst Sielaff [SPD]: Richtig!) (Beifall bei der SPD) Deutlich wird, daß es unterschiedliche Entwicklun- gen gab. Bei den Veredlungsbetrieben gab es mit 26 % den höchsten Gewinnanstieg. Bei den Dauerkul- Egon Susset (CDU/CSU): Daß das kein Gießkan- turen, beispielsweise beim Obstbau, gab es ein Plus nenprinzip ist, sehen Sie daran, daß Sie Bet riebe von 52 % gegenüber dem Vorjahr. Man muß natürlich nennen, die 485 DM bekommen. Aber es gibt in dazusagen: In diesem Jahr sieht das anders aus, weil Rheinland-Pfalz schließlich auch Betriebe, die die nämlich die Marktpreise durch die gute Ernte zusam- Höchstsumme bekommen. So war es zumindest bis mengebrochen sind. zum letzten Jahr. Insgesamt bleibt nur ein geringes Plus für die (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Außerdem landwirtschaftlichen Betriebe. Der Einkommensab- stimmt es nicht, was er gesagt hat! — Horst stand zu anderen Wirtschaftsbereichen hat sich ver- Sielaff [SPD]: Die haben es teilweise nicht größert. nötig!) — Herr Sielaff ist der Meinung, daß die Bet riebe, die (Horst Sielaff [SPD]: Richtig!) mehr Mittel bekommen als die von ihm jetzt genann- — Aber dagegen muß man etwas tun. Man darf es ten, es nicht nötig haben. nicht unterlassen, wie Sie es tun. (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Er hat den (Horst Sielaff [SPD]: Wir machen ja Vor Sockelbetrag nicht genannt!) schläge! — Gegenruf des Abg. Siegfried Dann frage ich Sie: Was sagt der Kollege Thalheim Hornung [CDU/CSU]: Negative!) dazu, daß wir beispielsweise im letzten Jahr Einzel- Beim Einkommensausgleich nehmen die deutschen betriebe in den neuen Ländern mit bis zu 1 Million DM Landwirte im Vergleich zu den Kollegen in anderen gefördert haben, nur damit dort Landwirtschaft auf EG-Staaten nach wie vor nur einen mittleren Platz Dauer überhaupt möglich ist? Man darf doch nicht so ein. reden, wie es einem gerade einfällt. In den neuen Bundesländern — darauf wird (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: So ist es! nachher mein Kollege Junghanns noch eingehen — Unverschämt ist das!) zeichnet sich, auch wenn es noch keine repräsentati- Man darf sich nicht nur eine Einzelheit heraussuchen, ven Ergebnisse gibt, eine entsprechend den Betriebs- nur um irgend etwas zu beweisen. Diese Zahlen formen differenzierte Gewinnentwicklung ab. Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 165. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23. Juni 1993 14145

Egon Susset Eine für die Zukunft der Landwirtschaft wichtige Die Probleme des Weinbaus werden wir in nächster Säule ist die agrarsoziale Sicherung, deren Neurege- Zeit diskutieren können, weil wir ja ein neues Wein- lung unverzichtbar ist, auch wenn SPD-Politiker gesetz eingebracht haben. anderer Meinung sind. (Horst Sielaff [SPD]: Das hat aber l ange (Horst Sielaff [SPD]: Streichen Sie das doch gedauert!) endlich aus Ihrem Manuskript! Ich habe das — Wir haben es eingebracht. Ihr hättet ja auch die doch deutlich gesagt! — Jan Oostergetelo Chance gehabt, eines einzubringen, aber das habt ihr [SPD]: Seit acht Jahren fordern wir das!) nicht getan. Es kommt darauf an, sobald wie möglich die drin- (Horst Sielaff [SPD]: Die Bundesregierung gend notwendigen Maßnahmen zu ergreifen. Die hat doch da gezögert!) SPD-Fraktion sagt hier etwas anderes als der Herr Das neue Weingesetz soll bessere Rahmenbedin- Sielaff; das muß man deutlich machen. gungen schaffen, um die großen Probleme des deut- Wir müssen die bisher unzureichende Alterssiche- schen Weinbaus bewältigen zu können. - rung der Bäuerinnen verbessern. Das ist ein Element Alle Berufsgruppen des Agrarbereichs müssen in der Agrarsozialreform. Ich bin dem Minister dankbar, den kommenden Jahren mit Belastungen fertig wer- daß er hier heute den Zeitplan mitgeteilt hat. Die den. Sie müssen sich darauf einstellen können, daß sie Landwirte in der Bundesrepublik Deutschland kön- hier bei uns verläßliche Partner haben, indem wir nen sich also freuen. Wir — die Koalitionsfraktionen ihnen verläßliche agrarpolitische Rahmendaten ge- und die Bundesregierung — handeln, obwohl die SPD ben. dies nicht will. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU — (Horst Sielaff [SPD]: Das ist doch Unsinn! Uwe Lambinus [SPD]: Davon sind wir natür Unfug! —Jan Oostergetelo [SPD]: Rede doch lich alle überzeugt!) nicht wider besseres Wissen!) Der Herr Minister hat ja mit seinem agrarpolitischen Agrarpolitik ist eingebunden in die europäische Konzept Orientierungshilfe für betriebsnotwendige Interessenlage und mit unterschiedlichsten Zielvor- Entscheidungen geleistet. Ich wünsche Ihnen, Herr stellungen der Partnerstaaten befrachtet. Wir müssen Minister, im Interesse der Entwicklung des ländlichen verstärkt gegen Wettbewerbsverzerrungen im Um- Raums, im Interesse des Erhalts von Arbeitsplätzen in welt- und im Tierschutzbereich vorgehen. Dies ist der Landwirtschaft, in der Nahrungsmittelindustrie, in der Landtechnik und in vielen anderen Bereichen, die unverzichtbar für die Wettbewerbsfähigkeit der deut- schen Betriebe in der Europäischen Gemeinschaft. es nur solange gibt, solange es die Landwirtschaft gibt, (Dr. Albert Probst [CDU/CSU]: Jawohl!) (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Richtig!) Schwerpunkt der nationalen Agrarpolitik ist und daß wir hier gemeinsam ein gutes Stück vorankom- bleiben die Förderungs- und Einkommenspolitik und men und daß das, was der Kollege Sielaff hier nun nicht zuletzt eine verantwortliche Agrarsozialpolitik. nicht gesagt hat, was aber seine Fraktion immer und Nur so können wir eine leistungsfähige bäuerlich immer wieder zum Ausdruck bringt, durch den Wäh- strukturierte und flächendeckende Landwirtschaft ler verhindert wird. auch in Zukunft erhalten. Ich danke schön. Unsere Bundesrepublik Deutschland wäre um vie- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) les ärmer, und zwar nicht nur im ökonomischen Sinne, wenn es diese Landwirtschaft nicht mehr gäbe. Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Es spricht jetzt der (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. — Abgeordnete Günther Bredehorn. Horst Sielaff [SPD]: Damit sind wir einver standen!) (Jan Oostergetelo [SPD]: Jetzt kommt die neue Agrarpolitik! — Horst Sielaff [SPD]: Wir brauchen sie zur Sicherstellung der Nahrungsmit- Jetzt kommt die Inneneinrichtung!) telproduktion. Wir brauchen sie zur Pflege der Land- schaft und zur Sicherung der Naturgüter. Dies wird von unserer Gesellschaft gewünscht. Ich bin fest Günther Bredehorn (F.D.P.): Frau Präsidentin! davon überzeugt: Sie ist bereit, dies zu honorieren. Meine Damen und Herren! Wir diskutieren hier heute Aber daran müssen wir immer appellieren. Wir brau- — Ende Juni — den Agrarbericht 1993, der sich auf das chen nicht nur die Landwirte, nein, wir brauchen die Wirtschaftsjahr 1991/1992 bezieht. Ich möchte heute Gärtner, wir brauchen die Forstwirte, wir brauchen schon für das nächste Jahr fordern, daß wir die die Fischer, und wir brauchen die Weingärtner; denn Agrardebatte zeitlich näher an die Vorlage des sie alle zusammen — beispielsweise auch die Imker; Agrarberichts legen. auch sie sind ein Teil der Landwirtschaft — (Beifall bei der F.D.P., der CDU/CSU und der (Horst Sielaff [SPD]: Jetzt haben Sie alle SPD) genannt!) Es geht sonst nämlich der Zusammenhang zur Lage der deutschen Landwirtschaft, die im Agrarbericht brauchen wir, um Landwirtschaft tatsächlich so darzu- auch in diesem Jahr wieder hervorragend dokumen- stellen, wie wir es wollen. tiert ist, leicht verloren. Ich glaube, das ist nicht zu (Uwe Lambinus [SPD]: Eine bessere Regie akzeptieren; denn wir diskutieren hier ja heute rung brauchen wir!) zusammen, um die Erkenntnisse, die wir daraus 14146 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 165. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23. Juni 1993

Günther Bredehorn entnehmen, letztlich in praktische Agrarpolitik umzu- — Ich freue mich, daß sogar die SPD aus den Erfah- setzen. rungen durchaus die richtigen Schlüsse gezogen hat. Die Herausforderungen für die Agrarpolitik sind zur Zeit wahrlich groß genug. Die EG-Agrarreform ist (Gudrun Weyel [SPD]: Das haben wir schon zwar auf den Weg gebracht. Sie ist aber, gemessen an immer gesagt!) den Zielen, nämlich Rückführung der Überschußpro- Nur wenn es gelingt, diese eher allgemein formu- duktion, Sicherung der Finanzierbarkeit des EG lierten Grundsätze auch bei der Struktur des Maßnah- Agrarmarktes und umweltverträglichere Produktion, menkatalogs, auf den wir bei der Gestaltung der noch keinesfalls in trockenen Tüchern. deutschen und europäischen Agrarpolitik Einfluß nehmen können, durchzusetzen, wird es zu einer Ähnlich ist es bei der GATT-Runde. Dort hat zwar dringend notwendigen Verbesserung unserer Wett- die Agrarpolitik einen großen Beitrag für einen Kom- bewerbsposition kommen. Andere wichtige Partner promiß geleistet, der erfolgreiche Abschluß steht aber sind uns da voraus. Wir müssen also Prioritäten setzen noch aus. - und den Mut haben, eine Agrarpolitik zu machen, die Schließlich bleibt noch sehr viel zu tun, bis wir auch die Landwirtschaft stärker als bislang an den einmal sagen können: Die Landwirtschaft in den Grundprinzipien der Sozialen Marktwirtschaft orien- neuen Bundesländern ist in den deutschen und auch tiert. in den europäischen Agrarmarkt integriert. (Horst Sielaff [SPD]: Aber die F.D.P. muß den All dies wiegt schwer bei der richtigen Lagebe- Mut haben, diesen schwierigen Weg mit uns schreibung, auf die Minister Borchert in der vorigen zu gehen!) Woche bei der Vorstellung seines neuen agrarpoliti- Das bedeutet, der Strukturwandel wird sich bei guter schen Konzepts hingewiesen hat. Es ist wahr: Insbe- Wirtschaftslage und entsprechendem Arbeitsplatzan- sondere die westdeutsche Landwirtschaft leidet unter gebot möglicherweise sogar noch verstärken. beträchtlichen Strukturdefiziten. Sie sind zu einem großen Teil hausgemacht und werden Jahr für Jahr Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Herr Abgeordneter ebenfalls mit beträchtlichen Einkommens- und Ver- Bredehorn, gestatten Sie eine Zwischenfrage des mögensverlusten bezahlt. Geboten ist daher ein über- Abgeordneten Kastning? zeugendes und weittragendes Fitneßprogramm für eine unternehmerische, wettbewerbsfähige Land- Günther Bredehom (F.D.P.): Gerne, ja. wirtschaft, die sich stärker am Markt orientiert. Die ursprünglich sehr gut gemeinten Marktordnun- Ernst Kastning (SPD): Herr Kollege Bredehorn, ich gen haben sich als der falsche Weg erwiesen, der in habe Ihre Pressemitteilung von vor einigen Wochen den Überschußsumpf führt. sehr aufmerksam gelesen. Ich stimme ihr im Kern zu, daß in diese Landschaft das Gießkannenprinzip — Sie (Horst Sielaff [SPD]: Da stimmen wir über bezogen das auf die soziostrukturellen Einkommens- ein!) zahlungen — angesichts der Finanzen nicht mehr Hierdurch und durch Interventionen und dirigistische hineinpaßt. Sie haben strukturpolitische oder struktu- Eingriffe ist ein vernünftiger Strukturwandel eher relle Hilfen favorisiert. gehemmt worden. Dadurch verlief die Abwanderung Sehe ich es richtig, daß Sie im Grunde das zu Ende zu langsam. Zuviel Arbeitskraft und Kapital blieben in zu denken versuchen, was der Herr Minister seit der Landwirtschaft. Insbesondere wurde die Wettbe- Wochen öffentlich propagiert, nämlich die leistungs- werbsfähigkeit der deutschen Landwirtschaft ge- fähigen Betriebe zu stützen und wettbewerbsfähig zu hemmt. Wir können das ja feststellen. Wir verloren machen, und daß der eigentliche Blockierer dieser Marktanteile. Auf dem deutschen Markt beträgt der Politik in der Union zu suchen ist? Selbstversorgungsgrad bei Rindfleisch noch 85 %, bei (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Das ist Schweinefleisch ungefähr noch 80 %. Unsinn!) Wir können unsere im EG-Vergleich deutlichen Strukturdefizite nicht länger durch eine Politik der Günther Bredehorn (F.D.P.): Das sehe ich so über- Strukturerhaltung ausgleichen. Diese Politik haben haupt nicht. Ich meine, darüber, was der Minister wir schon zu lange betrieben. Es gilt also, alle Kräfte vorgestellt hat, werden wir diskutieren müssen. Ich darauf zu konzentrieren, die Wettbewerbsfähigkeit habe gesagt, wir müssen Prioritäten setzen. der deutschen Landwirtschaft zu stärken. Von unserer (Horst Sielaff [SPD]: Richtig!) Politik müssen klare Signale ausgehen; unsere Politik Das, was er fordert, nämlich Wettbewerbsfähigkeit zu darf nicht widersprüchlich sein. stärken, wird von uns voll unterstützt. Wir müssen das (Horst Sielaff [SPD]: Richtig!) durch die Agrarsozialpolitik abfedern. Das heißt in Anbetracht der finanziellen Möglichkeiten, die Daher müssen von der staatlichen Förderpolitik weit sicherlich nicht zunehmen werden, daß wir hier mehr als bisher wettbewerbsorientierte Impulse aus- Schwerpunkte, Prioritäten setzen müssen. Darüber gehen: Ja zu Anpassungshilfen, auch Ja zur Hilfe zur müssen wir gemeinsam streiten. Selbsthilfe, aber grundsätzlich Nein zur Gießkannen- förderung. (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Aber die SPD will anderthalb Millionen für einen (Beifall bei der F.D.P., der SPD und der Betrieb geben! — Horst Sielaff [SPD]: Da PDS/Linke Liste) zitieren sie aus meiner Rede!) Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 165. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23. Juni 1993 14147

Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Gestatten Sie noch Lieber Herr Sielaff, wenn Sie sagen, daß Sie diese eine weitere Zusatzfrage? Agrarsozialreform wollen, gleichzeitig aber eine sol- che Feststellung Ihrer Fraktionskollegen und der Günther Bredehorn (F.D.P.): Bitte. stellvertretenden Vorsitzenden akzeptieren, dann kann das nur in demselben Finanzrahmen gesche- Ernst Kastning (SPD): Trifft es denn zu, daß Sie als hen. Koalitionspartner dem Gesetz über die Einkommens- hilfen für die nächsten Jahre trotz dieser Erkenntnis im (Hermann Rind [F.D.P.]: Wir haben zwei Bundestag zugestimmt und damit vermutlich keinen Spuren! — Horst Sielaff [SPD]: Das habe ich Beitrag zu mehr Akzeptanz der Agrarpolitik geleistet auch gesagt!) haben, wie das z. B. der Minister erst jetzt wieder Das müssen wir hier einmal ganz klar feststellen. verkündet hat? Wir brauchen mehr Akzeptanz, hat er Dann ist das, was notwendig ist, nämlich auch eine gesagt. eigenständige Absicherung der Bäuerinnen, so nicht machbar. Ich stelle das nur fest, auch wegen der Günther Bredehorn (F.D.P.): Wenn Sie das Gesetz Redlichkeit. meinen: Dem haben die Koalitionsfraktionen- zuge- stimmt. (Hermann Rind [F.D.P.]: Vereinigung unab hängiger Sprecher ist das! — Egon Susset (Lachen bei der SPD — Horst Sielaff [SPD]: [CDU/CSU]: Sie wollen das nicht! — Horst Das war aber nüchtern!) Sielaff [SPD]: Das haben Sie richtig wieder gegeben!) Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Entschuldigen Sie, Herr Bredehorn, es gibt noch eine weitere Zwischen- — Es ist gut, wenn Sie das so wollen. Ich stelle das nur frage. fest. Ich meine, meine Damen und Herren, daß die Günther Bredehorn (F.D.P.): Bitte. Abfederung durch die Agrarsozialreform auch inner- halb der EG so wichtig ist — es gibt ja entsprechende Dr. Walter Hitschler (F.D.P.): Herr Kollege Brede- horn, stimmen Sie mir zu, daß dieser agrarische Vorschläge der EG, die ich sehr begrüße —, weil es Strukturwandel insbesondere im Süden der Bundes- rund 8,5 Millionen Landwirte in der EG gibt. Davon republik historische Gründe hat, die man nicht par sind 4,6 Millionen Landwirte über 55 Jahre alt und ordre du mufti oder durch eine einfache Änderung der davon wieder gut 3 Millionen Landwirte mit unter Politik innerhalb kurzer Zeit so bewältigen kann, wie 5 ha. Ich meine, daß es, wenn man Agrarpolitik das hier gewünscht wird, sondern daß das ein Anpas- verantwortlich durchführen will, sehr wichtig ist, daß sungsprozeß ist, der langfristig angelegt sein muß, wir dies im Auge haben und behalten. der (Zuruf von der CDU/CSU: Immer deutlich (Gudrun Weyel [SPD]: Der schon seit 40 Jah darauf hinweisen! Das ist ganz, ganz wich ren läuft!) fig! ) über mehrere Jahre geht und der seit vielen Jahren Notwendig ist daher auch, daß die mit der EG- auch so vollzogen wird? Agrarreform verabschiedeten flankierenden Maß- nahmen so schnell und so umfassend wie möglich Günther Bredehorn (F.D.P.): Herr Kollege, dies ist umgesetzt werden. Hier zu sparen wäre an der fal- so, und da haben wir eine große Verantwortung. Das schen Stelle gespart. Diese Maßnahmen sind konse- Dümmste und Schlechteste wäre jetzt, eine totale quent und richtig darauf angelegt, strukturelle Defi- Kehrtwendung zu machen. Das Ganze muß vielmehr zite abzubauen. Sie sind also Zukunftsinvestitionen. sehr verantwortungsvoll und vernünftig in den näch- sten Jahren umgesetzt werden. Dazu brauchen wir Ähnliches gilt für die Unterstützung ländlicher finanzielle Mittel. Da müssen wir dann neue Schwer- Regionen, insbesondere dort, wo eine flächendek- punkte setzen. kende Landwirtschaft in bisheriger Form nicht mehr aufrechterhalten werden kann. In solchen Regionen (Horst Sielaff [SPD]: Brauchen Sie unsere gilt es, über die Regionalpolitik gewerbliche Arbeits- Hilfe dazu?) plätze zu schaffen oder andere geeignete Entwicklun- Noch etwas zur Agrarsozialreform. Es ist ganz gen anzustoßen, die Zusatzeinkommen für die L and- wichtig, daß diese Politik mit der Agrarsozialpolitik wirtschaft erbringen. abgefedert wird. Ich habe hier feststellen können, daß Herr Sielaff gesagt hat, er stelle nicht insge- Der Umstrukturierungsprozeß der Landwirtschaft samt die Agrarsozialpolitik in Frage. Ich muß aber in den neuen Bundesländern ist bereits ein gutes sagen — das ist, glaube ich, um der Redlichkeit willen Stück vorangekommen. Meine Prognose, daß sich notwendig —, daß ich hier eine Pressemitteilung habe, dort eine im internationalen Vergleich wettbewerbs- nach der die stellvertretende Vorsitzende, Frau Mat- fähige Landwirtschaft entwickeln wird, hat sich schon thäus-Maier, und der finanzpolitische Sprecher der jetzt als richtig erwiesen. Die Weichenstellung durch SPD-Fraktion, Herr Poß, fordern — wörtlich —: die Koalitionsvereinbarung, die strukturelle Entwick- lung der Landwirtschaft in jeglicher Rechtsform zu Außerdem sollte auf die Agrarsozialreform ver- ermöglichen, war richtig. Auch im Verarbeitungsbe- zichtet werden, was 1994 eine Einsparung von reich sind dort vielerorts schon moderne Unterneh- 200 Millionen DM brächte. men entstanden. Für die nahe Zukunft kommt es (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Hört! darauf an, den weiteren Prozeß der Privatisierung Hört!) wirksam zu unterstützen. Jegliche Unternehmens- 14148 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 165. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23. Juni 1993

Günther Bredehorn form — sei es als Wiedereinrichter oder als Neuein- weiter finanzierbar bleibt und von unseren Bauern richter, sei es der Ortsansässige oder der Alteigentü- und den Bürgern Europas akzeptiert wird. mer — muß eine faire Chance bekommen. Ich danke Ihnen. Chancengleichheit sollte es auch bei den staatli- (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU chen Einrichtungen geben. Seit geraumer Zeit steht sowie bei Abgeordneten der SPD — Horst die Standortentscheidung für die Fachagentur Nach- Sielaff [SPD]: Er hat von der SPD mehr Beifall wachsende Rohstoffe an. Die Föderalismuskommis- bekommen als von der Koa lition! — Dr. Wal sion hat — ich glaube, mit guten Gründen — vorge- ter Franz Altherr [CDU/CSU]: Unser Beifall schlagen, einen Standort in den neuen Bundesländern ist qualifizierter!) zu wählen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Ich erteile dem sowie bei der SPD) Abgeordneten Dr. Fritz Schumann das Wort. Meine Damen und Herren, ich verstehe- es inzwi- schen eigentlich nicht mehr, daß diese Entscheidung Dr. Fritz Schumann (Kroppenstedt) (PDS/Linke noch immer nicht getroffen ist; Liste): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! (Horst Sielaff [SPD]: Wir auch nicht!) Die Entwicklung in der Landwirtschaft verlief auch im zurückliegenden Jahr nicht zugunsten der Bauern denn diese Fachagentur ist Gott sei Dank — das ist — das ist mehrfach betont worden —, obwohl Fort- völlig richtig — an das BML angegliedert. schritte vor allem auch im Osten Deutschlands unver- (Beifall bei der SPD) kennbar sind. Das möchte ich hier zum Ausdruck bringen. Ich werde darauf noch eingehen. Nicht mehr Ich möchte hier wirklich noch einmal ganz klar die Probleme des Absatzes von landwirtschaftlichen fordern, jetzt endlich diese Entscheidung zu treffen. Produkten stehen heute im Vordergrund wie vor allen Dingen unmittelbar nach der Wende, sondern die (Beifall bei Abgeordneten der F.D.P. und der allgemeine Einkommens- und Kostenentwicklung CDU/CSU sowie bei der SPD) verläuft für die Landwirtschaft weiterhin auf negati- Diese Arbeit ist zu wichtig, als daß wir die Entschei- ven Bahnen. dung immer weiter vor uns herschieben sollten. (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Weltweit!) (Horst Sielaff [SPD]: Ich sehe, die F.D.P. Das haben viele zum Ausdruck gebracht. Darüber stimmt in dieser Frage mit uns überein! — kann auch die Gewinnentwicklung nicht hinwegtäu- Gegenruf des Abg. Siegfried Hornung [CDU/ schen. CSU]: Herr Sielaff, das scheint nur so!) Die landwirtschaftlichen Erzeugerpreise sind 1992 Die Umsetzung der EG-Agrarreform macht eine im Durchschnitt um 4,5 % gefallen; gleichzeitig stieg Reihe von Schwierigkeiten und belastet mit ihrem der Preisindex für Nahrungs- und Genußmittel um enormen bürokratischen Aufwand jeden einzelnen 2,5 %. Das heißt, trotz weiter sinkender Preise im Landwirt. Der Bundeslandwirtschaftsminister bemüht Erzeugerbereich kommt letztlich beim Verbraucher sich um Vereinfachung. Wir begrüßen das ausdrück- davon nichts mehr an. lich und sagen, daß angesichts der enormen Beträge (Zuruf von der F.D.P.: Das ist richtig!) und der hohen Mißbrauchgefahr ein Mindestmaß an Wir beobachten diese Entwicklung zur Zeit auch auf Kontrolle allerdings notwendig ist. dem Schweinemarkt. Jeder, der daran beteiligt ist, In der Diskussion über den richtigen Weg der weiß das. Durchführung stecken aber auch Chancen, weil der Die Differenz zwischen Erzeugerpreisen und Ver- Ruf nach Vereinfachung zugleich ein Ruf nach De- braucherpreisen wird immer größer. Eine Handvoll regulierung der Eingriffe in die Agrarmärkte sein großer Handelsketten im Verbund mit hochkonzen- muß. Wir sollten hier entrümpeln, wo immer es geht, trierten Verarbeitungsbetrieben bestimmt viel stär- und statt dessen mehr auf EG-weit verbindliche Wett- ker, was beim Verbraucher ankommt, und maximiert bewerbsregeln setzen, die Wettbewerbspolitik insge- seine Gewinnmargen. samt stärken und so den Spielraum für eine gesunde Der Bauer als Erzeuger ist immer mehr vom Markt unternehmerische Landwirtschaft erhöhen. Dies wird abgekoppelt. Das hat viele strukturelle Ursachen, der Weg sein, den wir mittel- und langfristig gehen erfordert aber neben Strukturanpassung, der ich müssen. unbedingt zustimme, in der Landwirtschaft selbst vor Kurzfristig gilt es, in Brüssel die Agrarleitlinie ein- allem auch eine Verstärkung der agrarpolitischen zuhalten. EG-Kommissar Schmidhuber hat prognosti- Einflüsse auf den Gesamtsektor Nahrungsgüterwirt- ziert, daß sie im nächsten Jahr bereits um 2 Milliarden schaft und den ländlichen Raum insgesamt. DM überschritten werde. Wir sollten also die Debatte über die Vereinfachung auch in die Richtung führen, Herr Abgeordneter bei Maßnahmen einzusparen, die nicht mehr in die Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Dr. Schumann, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Zeit passen. Kollegen Gallus? (Horst Sielaff [SPD]: Sehr gut!) Noch einmal: Es gilt, Prioritäten zu setzen, wenn wir Dr. Fritz Schumann (Kroppenstedt) (PDS/Linke wollen, daß die gemeinsame europäische Agrarpolitik Liste): Ja. Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 165. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23. Juni 1993 14149

Georg Gallus (F.D.P.): Herr Kollege Schumann, ist Zeilen zu lesen — als Ossi ohnehin; da war es üblich, Ihnen bekannt, daß die Konzentration im Nahrungs- daß man zwischen den Zeilen lesen mußte, um her- mittelhandelsbereich dadurch zustande kam, daß die auszufinden, wo es langgehen sollte. Aber ich hoffe, Gewinnmargen hier in bezug auf die gesamte Wirt- daß Sie diesen Spagat überwinden, denn nur mit schaft weitaus geringer sind als in anderen Teilen der geschlossenen Beinen kann m an vorwärts marschie- Wirtschaft und deshalb der Zwang vorhanden war zu ren. Wenn Sie weiterhin im Spagat bleiben, wird es konzentrieren? Den Vorteil hat letzten Endes der sehr schwierig sein. Verbraucher gehabt. Von wegen große Gewinne im (Beifall bei der SPD — Siegf ried Ho ung Nahrungsmittelbereich — das müssen Sie in anderen rn [CDU/CSU]: Das stimmt auch nicht! Dann Bereichen der Wirtschaft suchen. kann man nur hüpfen!) Dr. Fritz Schumann (Kroppenstedt) (PDS/Linke Als Vertreter der ostdeutschen Landwirtschaft und Liste): Herr Gallus, Sie haben vielleicht recht, was den insbesondere der juristischen Personen, die immerhin Nahrungsmittelbereich angeht. Trotzdem müssen wir noch drei Viertel der landwirtschaftlichen Gesamtpro- inzwischen feststellen — Sie kennen die Zahlen ganz - duktion des Ostens ausmachen, habe ich mit Befriedi- genau —, wieviel Weizen nur noch im Brötchen ist und gung zur Kenntnis genommen, daß Diskriminierun- wieviel im Bier. Im Bier ist mittlerweile für 2 Pfennig gen, auch wenn sie nur verbal waren, jetzt offenbar zu Malz und für 40 Pfennig Werbung. Dann ist es Ende sind. Lassen Sie den Wettbewerb und die uninteressant, ob wir den Gerstenpreis auf die Hälfte wirtschaftliche Entwicklung entscheiden! Auch ich senken. Davon wird das Glas Bier nicht billiger. Hier bin mir im klaren, daß die gegenwärtigen Strukturen hat sich etwas aufgetan, was vielleicht nicht an der in Betriebsformen nicht das letzte Wort sind — nicht Nahrungsgüterwirtschaft liegt, aber wo wir einmal im Osten und schon gar nicht im Westen. Da besteht anpacken müssen. Wo entstehen denn die Gewinne? sicher über weite Strecken Einigkeit. Ich kann Ihnen auch Relationen aus anderen Berei- Festzustellen bleibt auf alle Fälle, daß es den chen nennen. Wir haben im Osten bei dem Einzug der ostdeutschen Landwirten — den Wiedereinrichtern großen Handelsketten erlebt, wie Märkte erobert genauso wie den juristischen Personen — zum über- werden, wie kleine Handelsbetriebe an die Seite wiegenden Teil gelungen ist, einen gedrückt werden, wie Gewinne maximiert werden. Strukturanpas- sungsprozeß in so kurzer Zeit, in nur zwei Jahren zu Hier ist Agrarpolitik gefordert. Darüber müßten wir durchlaufen, vor dem m an eigentlich nur den Hut uns eigentlich einig sein. ziehen kann. Der Wille von Menschen, die mit Boden Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Eine Zusatzfrage und Vieh umgehen und dies mehr als Berufung als von Herrn Gallus. einen Beruf ansehen, hat dazu beigetragen, daß trotz Preisbruch, komplizierter Vermögensauseinanderset- Georg Gallus (F.D.P.): Herr Kollege Schumann, zungen, die nach wie vor nicht abgeschlossen sind können Sie bestätigen, daß es in einer freien Markt- — auch darüber sind wir uns einig —, und veralteter wirtschaft jedem unbenommen ist, aus Gerste Bier materiell-technischer Basis im Bereich der Landwirt- und aus Weizen Brot zu machen, und daß das im schaft größere Hoffnungsaussichten bestehen als in genossenschaftlichen Bereich schon auf vielen Gebie- der industriellen Produktion. Auch das muß m an ten versucht worden ist mit dem Ende, daß viele dabei einmal sagen. bankrott gegangen sind? Das hat sicher auch etwas damit zu tun, daß Eigen- verantwortung, wenn auch in stark deformierter Dr. Fritz Schumann (Kroppenstedt) (PDS/Linke Form, zu DDR-Zeiten im Bereich der Landwirtschaft Liste): Das kann ich Ihnen voll bestätigen, Herr Gallus. niemals ganz aufgehoben war Aber wenn Sie mir sagen könnten, wo zur Zeit in der Landwirtschaft die freie Marktwirtschaft funktioniert, (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Eine her würde ich mich gerne daran beteiligen. vorragende Analyse!) (Heiterkeit und Beifall bei der SPD) und bei der Umstrukturierung eigene Entscheidun- Ich habe selber auch schon versucht, Schweine zu gen ohne Verkaufszwang und Bevormundung durch schlachten und Wurst daraus zu machen — mit gutem die Treuhand eine wesentlich größere Rolle gespielt Ergebnis, muß ich Ihnen sagen. Sie sollten einmal haben, als in der Industrie möglich war. Es ist sicher zu davon kosten, Herr Gallus. Ich bringe Ihnen etwas spät, daraus Schlußfolgerungen abzuleiten, aber für mit. die Industrie wäre es sicher sehr von Nutzen gewesen, Meine Damen und Herren, Bundesminister Bor- wir hätten dort ähnliche Entwicklungen vollzogen. chert hat in der vergangenen Woche sein Konzept für Der Anpassungsprozeß ist noch nicht beendet; noch den künftigen Weg zur Sicherung des Agrarstand- sind Preisunterschiede bei den Erzeugerpreisen, ins- ortes Deutschland vorgestellt. Es enthält Achtungs- besondere bei Milch, vorhanden und durch nichts zeichen in Richtung Strukturanpassung und beginnt mehr zu rechtfertigen, genauso wenig wie die im die fast Jahrzehnte dauernde Abschottung der Land- Osten höheren Einkaufspreise für Produktionsmit- wirtschaft gegenüber der allgemeinen wirtschaftli- tel. chen Entwicklung aufzuheben. Es macht aber auch den Spagat deutlich, Herr Minister, den Sie gemacht (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Das stimmt haben. Mir haben die Worte von Herrn Kollegen aber nicht überall!) Günther Bredehorn sowohl in Bonn-Röttgen als auch Besonders die Entwicklung von Einkaufspreisen für heute hier deutlicher gezeigt, wo es langgehen soll, die laufende Produktion ist im Osten besorgniserre- obwohl ich natürlich gewöhnt bin, zwischen den gend. Herr Hornung, ich habe mir die Statistiken 14150 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 165. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23. Juni 1993

Dr. Fritz Schumann (Kroppenstedt) angeschaut. Von 1991 bis zum ersten Quartal 1993 Zweitens. Die Bundesregierung malt immer wieder sind die Einkaufspreise im Osten auf 112 % gestiegen, das Bild von der bald modernsten Ernährungsindu- im Westen blieben sie gleich. Bei den Investitionen ist strie Europas in Ostdeutschland. Herr Borchert, Sie der Anstieg im Osten doppelt so hoch wie im Westen, haben das gerade ebenfalls getan. Ich habe dabei sehr was die Einkaufspreise anbelangt, gemischte Gefühle. Ich frage: Ist die Regierung, sind wir alle gut beraten, diesen der bisherigen Logik des (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Entschei Wirtschaftswachstums folgenden Kurs tatsächlich zu dend ist, auf welcher Höhe!) verfolgen? Bereits heute gibt es nur noch einen und zwar ganz abgesehen davon, daß in bezug auf Bruchteil der Verarbeitungsbetriebe von 1989. Gesamtausgaben bei Betriebsmitteln im Osten nur Damals waren es sicherlich zu viele; 125 Zuckerfabri- halb so viel investiert wird wie im Westen, was ich für ken im Osten mußten nicht sein. Da sind wir einer ungesund halte. Es müßte eigentlich umgekehrt sein, Meinung. drückt aber aus, wie die Situation ist. Das ist nicht nur (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Außerdem Sache der Politik — darüber sind wir uns einig —, das waren sie desolat!) ist vor allen Dingen Sache der Leute selbst,- aber auch — Aber es sind heute ein paar weniger, und in die Politik ist hier gefordert. anderen Bereichen ist das bestimmt noch bedenkli- Die gesamtpolitische Einflußnahme kennzeichnet cher. auch eine andere Erscheinung. Wenn der Umstruktu- (Hans-Ulrich Köhler [Hainspitz] [CDU/CSU]: rierungsprozeß als erfolgreich erscheint, darf dabei Richtig!) nicht vergessen werden, daß speziell im Bereich der tierischen Produktion Potential in erheblichem Um- — Das ist nicht alles, Herr Köhler. — Damit ging in vielen ländlichen Regionen nicht nur Arbeit verloren, fang vernichtet wurde. sondern es trat zugleich ein Verlust an typischen, Ich möchte noch einige Feststellungen machen. unverwechselbaren Erzeugnissen bestimmter Regio- Erstens. Heute können in einem Territorium, das sich nen auf, und das insbesondere im verarbeitenden nicht nur zu DDR-Zeiten, sondern auch im früheren Gewerbe. Ich glaube, das sollten wir nicht weiterver- Deutschland bei allen Grundnahrungsmitteln aus folgen. eigener Produktion versorgte, nicht einmal mehr die Der Transpo rt von Milch, Fleisch und Gemüse über vorhandenen Verarbeitungsbetriebe mit einheimi- oft Hunderte Kilometer erweist sich immer weniger als schen Rohstoffen beliefert werden. Die Umsätze der Fortschritt. Die nur am bet rieblichen Gewinn orien- westdeutschen Ernährungsindustrie und des Handels tierte Wirtschaftsweise nimmt immer mehr Züge des erreichten dagegen zweistellige Zuwachsraten, für Wahnsinns an. Ich war unlängst in Pritzwalk. Die die in früheren Jahren zehn und mehr Jahre notwen- fahren jeden Tag die Milch nach Oberitalien, machen dig gewesen wären. dort daraus Käse und bringen es wieder zurück. Ich Dieser Boom ist zwar jetzt vorbei, aber das damit frage mich schon, ob das eine Lösung für die Zukunft erreichte höhere Produktions- und Absatzniveau der ist. Ich halte das für sehr bedenklich. westdeutschen Handels- und Ernährungsindustrie Die Folgen sind vor allem die Vernichtung regiona- und der immer noch extrem niedrige Anteil der ler landwirtschaftlicher Produktions-, Beschäfti- ostdeutschen Landwirtschaft und Verarbeitung am gungs- und Einkommenspotentiale besonders in Gesamtverbrauch von Nahrungsgütern in Ostdeut- benachteiligten Gebieten bis hin zu den immens schland, geschweige denn in den westlichen Bundes- wachsenden Verkehrs- und Umweltproblemen. ländern, scheint damit weitgehend zementiert zu sein. Nötig ist eine andere wirtschaftliche Gesamtbe- Hier bedarf es einer Kurskorrektur. Die ostdeutsche trachtung, eine Gesamtrechnung, die soziale und Landwirtschaft und Verarbeitungsindustrie muß in ökologische Aspekte von heute und morgen ein- die Lage versetzt werden, wenigstens einen Teil ihrer schließt. Sie ergibt mit Sicherheit einen anderen verlorenen Marktanteile zurückzugewinnen. Die Ver- Entwicklungsansatz. Die Idee der wieder stärkeren antwortung gegenüber den Betroffenen im Osten Regionalisierung würde aufgewertet. Das dürfte ein gebietet, dies nicht allein dem Spiel der Marktkräfte Konfliktfeld auch für das Ministerkonzept sein, über zu überlassen, sofern es die, wie gesagt, im Bereich das wir hoffentlich bald im Ausschuß und darüber der Landwirtschaft überhaupt gibt. hinaus in der Öffentlichkeit diskutieren werden. (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Da gibt es aber erhebliche Hilfen!) Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Herr Abgeordneter — Das kann man nicht verschweigen; Hilfen hat es Schumann, gestatten Sie eine Zwischenfrage des gegeben. Abgeordneten Heinrich? Unsere Gruppe erneuert deshalb unsere Forderung von vor einem Jahr, den teilweisen Wiederaufbau der Dr. Fritz Schumann (Kroppenstedt) (PDS/Linke ostdeutschen Tierproduktion differenziert nach Re- Liste): Natürlich. gionen zeitweilig staatlich zu fördern. Vor einem Jahr wurde dies hier im Plenum abgelehnt. Es stimmt mich aber hoffnungsvoll, daß dieser Gedanke heute selbst Ulrich Heinrich (F.D.P.): Herr Kollege Schumann, innerhalb der F.D.P. diskutiert wird; unter den ost- Sie bedauern die geringe Investitionstätigkeit im deutschen Agrarministern ohnehin. Wir konnten das Bereich der Verarbeitungswirtschaft. Meine Frage: ja feststellen, als wir mit dem Ausschuß in Thüringen Woran liegt es Ihrer Meinung nach, daß die geringe waren. Investitionstätigkeit zu verzeichnen ist? Deutscher Bundestag -- 12. Wahlperiode — 165. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23. Juni 1993 14151

Dr. Fritz Schumann (Kroppenstedt) (PDS/Linke ländliche Regionen nach spezifischen Kriterien. Wir Liste): Ich bedaure nicht insgesamt die geringe Inve- halten das für dringlich. stitionstätigkeit im Bereich des Verarbeitungsge- (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Siehe Bo werbes, Herr Heinrich; denn es entstehen inzwischen-den-Württemberg!) Riesenunternehmen. Es werden drei riesengroße neue Zuckerfabriken mit einem Milliardenaufwand Besonders betroffen sind Frauen, die kaum noch gebaut. Es werden große Schlachthöfe gebaut, aber Chancen für eine Arbeit haben. Die soziale Sicherung nur an drei Stellen. im Alter ist ohnehin ein kompliziertes Problem, vor allen Dingen in der Westlandwirtschaft. Das wissen Für mich lautet die Frage: Haben wir die Mittel Sie; darüber ist hier diskutiert worden. Wir müssen uns richtig eingesetzt, indem wir solche Riesenunterneh- diesem Problem stellen. men gefördert und damit regionale Gesichtspunkte außer acht gelassen haben? Gerade die regionalen Gestatten Sie mir zum Schluß eine Bemerkung zum Gegebenheiten sollten meiner Meinung nach in der Agrarbericht selbst. Das ist eine Fleißarbeit. Dafür Ernährungswirtschaft eine viel stärkere Rolle spie- möchten wir allen Dank sagen, die daran gearbeitet len. haben. Es ist sehr viel Mate rial darin enthalten. Solche Riesenunternehmungen arbeiten sicher sehr Wir haben einen Entschließungsantrag dazu einge- modem. Die Zuckerfabrik in Könnern, die bei uns in bracht. Wir sind der Meinung, daß der zukünftige diesem Herbst in Betrieb geht, wohin wir unsere Agrarbericht den neuen Erfordernissen im ländlichen Rüben liefern, arbeitet nur noch mit 15 Menschen. Das Raum, der Umweltproblematik und der Gesamtpro- ist natürlich unter dem Gesichtspunkt der Modernität blematik mehr entsprechen sollte. Ich bitte darum, daß unwahrscheinlich gut. Ich weiß nur nicht, ob wir das wir darüber im Ausschuß diskutieren und daß wir uns überhaupt wollten, daß wir jeden Tag 10 000 t Zucker- darüber einig werden, wie wir weitermachen wollen. rüben auf der Straße dorthin fahren, um sie dort Ansonsten wünsche ich, daß wir gemeinsam die verarbeiten zu lassen. Ich habe da große Bedenken. Probleme anpacken. (Georg Gallus [F.D.P.]: Wollen Sie sie denn Danke schön. im Keller verarbeiten?) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten — Nein, das nicht, Herr Gallus. der CDU/CSU und der F.D.P.)

Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Herr Schumann, gestatten Sie eine Zusatzfrage? Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Das Wort zu einer Kurzintervention hat die Kollegin Ing rid Matthäus- Maier. Dr. Fritz Schumann (Kroppenstedt) (PDS/Linke Liste): Ja. Ingrid Matthäus-Maier (SPD): Frau Präsidentin! Ulrich Heinrich (F.D.P.): Ich habe noch eine Nach- Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Union frage: Sind Sie mit mir der Meinung, daß es nicht an versucht den Eindruck zu erwecken, die SPD wolle bereitgestellten Investitionsmitteln fehlt? keine agrarsoziale Reform. Abgesehen davon, daß Sie sie seit Jahren versprochen haben und sie, obwohl Dr. Fritz Schumann (Kroppenstedt) (PDS/Linke Sie die Regierung stellen, bis heute nicht auf die Beine Liste): Ich bin Ihrer Meinung, Herr Hein rich, daß es gebracht haben, nicht an Investitionsmitteln fehlt. Ich habe über das Konzept gesprochen, das wir angehen sollten, wenn (Beifall bei der SPD — Siegf ried Hornung wir über Agrarkonzepte und die Ernährungswirt- [CDU/CSU]: In dieser Periode!) schaft nachdenken. Wir sollten uns auch davon tren- darf ich Ihnen folgende Passage aus unserem Antrag nen, Agrarkonzepte losgelöst von der Ernährungs- vorlesen, die wir einstimmig verabschiedet haben: wirtschaft und von ländlichen Räumen zu betrachten. (Dr. Walter Franz Altherr [CDU/CSU]: Lesen Der Minister und wir alle sind sicher einhellig der können wir noch selbst, Frau Kollegin!) Auffassung, daß das nicht mehr geht. Wir können das in den ländlichen Räumen nicht mehr machen, weder Der Bundestag forde rt die Bundesregierung auf, aus ökologischer noch aus sozialer Sicht. endlich einen Gesetzentwurf zur grundlegenden Reform der agrarsozialen Sicherung vorzule- (Dr. Walter Hitschler [F.D.P.]: Das klingt ganz gen. vernünftig!) Es heißt dann u. a.: — Danke. (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Er ist in der Für die Landfrauen soll die Schaffung einer falschen Partei!) eigenständigen Versicherungsbiographie mit ei- genen Beiträgen und eigenen Leistungsansprü- Drittens. Für die Ostlandwirtschaft positiv sind die chen ermöglicht werden. Die Beiträge der l and- Fortschritte in der Arbeitsproduktivität; ich habe wirtschaftlichen Krankenversicherung sind sozial darüber eben bereits gesprochen. Um so bedrücken- gerecht zu staffeln. der ist es, daß ein Großteil der ehemals in ihr Tätigen davon nicht profitiert. Die Probleme im ländlichen Dann kommt der letzte Satz: Raum erscheinen schier unlösbar. Es geht nicht ohne Eine solche Reform wird nicht zu Mehrausgaben das Auflegen eines Sonderprogramms oder minde- im gesamten System führen. Dies wäre ange- stens die Zweckbestimmung von Mitteln der Gemein- sichts knapper öffentlicher Mittel und der Not- schaftsaufgabe Regionale Wirtschaftsförderung für wendigkeit, die gesamtgesellschaftliche Solidari- 14152 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 165. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23. Juni 1993

Ingrid Matthäus-Maier tät mit der agrarsozialen Sicherung zu wahren, Die SPD-Fraktion hat gestern oder vielleicht vorge- auch nicht zu rechtfertigen. stern einen Entschließungsantrag eingebracht, weil man in der Zwischenzeit den Druck von außen spürt, (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Was sagt denn Herr Dreßler für dummes Zeug?) daß wir die Agrarsozialreform wollen. Das ist der Unterschied zu Ihnen: Wir legen etwas (Gudrun Weyel [SPD]: Der ist schon ein paar vor, was sozial gerecht und durch Umschichtung Wochen alt!) solide finanziert ist. Die 200 Mil lionen DM, die in Dann sagt Frau Matthäus-Maier, die 200 Millionen unserem Sparpaket enthalten sind, beziehen sich auf DM sollen aus Mitteln finanziert werden, die der Ihren Vorschlag. Den hat doch nicht die SPD angehal- Landwirtschaft auf Grund der Währungsausgleichs- ten. Ihr Bundeskanzler hat ihn angehalten, weil er leistungen über den soziostrukturellen Einkommens- weiß, daß er die Finanzen vor die Wand gefahren ausgleich künftig nicht zur Verfügung stehen. hat. Sie werden die eigenständige soziale Sicherung (Beifall bei der SPD — Siegfried Hornung der Bäuerin nicht schaffen, wenn Sie meinen, daß dies [CDU/CSU]: Nein, Sie haben maßlos -provo kostenneutral zu leisten ist. Das ist einfach nicht ziert!) möglich. Wir kennen die Arbeitsteilung bei der Union: Ihre (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Familienpolitiker versprechen bei den Familienver- bänden das Blaue vom Himmel, Waigel tut es dann nicht und will sogar das Kindergeld kürzen. Ihre Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Als nächster spricht Agrarpolitiker versprechen 200 Millionen DM bei der der Abgeordnete Meinolf Michels. agrarsozialen Reform, die Sie nicht haben, die Ihr Bundeskanzler anhält, weil er weiß: Dieser Staat ist bis Meinolf Michels (CDU/CSU): Frau Präsidentin! über die Halskrause verschuldet. Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen! Die Da fahren die Landwirte besser mit der SPD. Öffentlichkeit und die Berufskollegen fragen uns, wie (Beifall bei der SPD — Lachen bei der CDU/ es in der Landwirtschaft bei uns und in Europa CSU) weitergeht, ob man als Landwirt auch in Zukunft die Chance einer gesicherten Existenz hat. In diesem Die SPD sagt ihnen die Wahrheit. Die SPD sagt ihnen: Zusammenhang bietet es sich an, auf der Basis der Wir haben kein Geld zum Draufsatteln. Wir sagen Erfahrung vergangener Jahre perspektivisch nach ihnen ehrlich, wo es langgeht. vorn zu schauen. In der Vergangenheit sind große Der Unterschied ist: Bei Ihnen bekommen Sie auf Anstrengungen unternommen worden, die Nah- dem Papier eine Reform, die 200 Millionen DM kostet, rungsmittelproduktion auf den Binnenmarkt einzu- die Sie nicht haben und die wir nicht haben. stellen. Mit hohem Geld- und Verwaltungsaufwand (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Sie strei konnten hierbei Teilerfolge erzielt werden. Für die chen alles! Bleiben Sie bei der Wahrheit!) Zukunft müssen jedoch der Verwaltungsaufwand ver- ringert — hierzu hat Herr Minister Borche rt dankens- Bei uns bekommen sie eine Reform, die sozial gerecht werterweise bereits ein Memorandum vorgelegt — und solide finanziert ist. Die Landwirte, die vernünf- und die finanziellen Ausgleichsmittel gesichert wer- tiger sind, als Sie denken, haben längst den Unter- den, denn zu Weltmarktbedingungen kann bei uns schied erkannt und lassen sich von Ihnen nicht mehr auch bei bester Struktur kein Landwirt produzieren. länger Sand in die Augen streuen. Das Drängen einiger osteuropäischer Länder, ihre (Beifall bei der SPD) Agrarprodukte in größerem Umfang auf unseren Märkten verkaufen zu können, ist verständlich. (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Das hat Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Ebenfalls das Wort zur Kurzintervention hat Herr Kollege Susset: aber mit dem Weltmarkt nichts zu tun!) Unsere Landwirtschaft ist aber auf einen uneinge- schränkten Außenschutz angewiesen. Sonst sind all Egon Susset (CDU/CSU): Frau Kollegin Matthäus- die schmerzlichen Schritte der Agrarreform in ihrer Maier hat soeben ihr schlechtes Gewissen beruhigt. Wirkung für die Landwirtschaft ergebnislos und exi- stenzbedrohend. (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Versucht!) Produktionseinschränkungen durch Flächenstille- Wer eine Agrarsozialreform will, kann nicht behaup- gung und Extensivierung führen nur dann zu einem ten, daß dies ohne zusätzliche Mittel möglich ist. mengenmäßig reduzierten Marktangebot, welches (Horst Sielaff [SPD]: Umschichtung!) die Preise wieder aus diesem Tal herausholt, wenn die — Das ist nicht durch Umschichtung möglich. Ich wäre Einfuhr von Substituten in dem gleichen Umfang Ihnen dankbar, wenn Sie einen Gesetzentwurf vorleg- zurückgeführt wird, in dem auch die europäischen ten. Bauern ihre Produktion zurücknehmen müssen. Eine höhere Flächenstillegung für den einzelnen Landwirt (Gudrun Weyel [SPD]: Dafür sind Sie als als 15 % der Fläche kann ernsthaft nicht erwogen Regierungspartei da!) werden. Es ist wichtig, daß in allen europäischen — Auch die Opposition ist dazu im Parlament. Sie Ländern und bei den an der Produktion Beteiligten kann nicht einfach in Presseerklärungen sagen: Wir insgesamt das gleiche Maß angelegt wird. Subs titute wollen die Agrarsozialreform nicht. sind zu einem großen Teil Abfallprodukte und werden Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 165. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23. Juni 1993 14153

Meinolf Michels im Preiskampf letztendlich noch gegen die Erstattung als dies in den alten Ländern jemals möglich war oder der Transportkosten auf unserem Markt angeboten. möglich ist. Der jetzt diskutierte Agrarbericht gibt uns aber auch (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Das gibt die Möglichkeit, einmal der Frage nachzugehen, wie sogar die PDS zu!) sich die Landwirtschaft in den fünf neuen Ländern auf Wir müssen darauf achten, daß die Landwirte im die für sie neuen Rahmenbedingungen hat einstellen Osten wie im Westen zunehmend die gleichen Per- können. Sicherlich ist es schwer, zu einem für alle spektiven sehen. In dem Maße, in dem dies geschieht, gleichermaßen gültigen Urteil zu kommen. Es kann wird es auch gelingen, daß sich das Zusammenwach- aber gesagt werden, daß die Landwirtschaft von allen sen in einem echten Miteinander vollzieht. Wirtschaftsbereichen in den fünf neuen Ländern zu dem Bereich gehört, der am ehesten zu den Betrieben Die Bundesregierung hat in den ersten Jahren der in den alten Ländern hat aufschließen können, denn Landwirtschaft im Osten zu Recht in außerordentli- die Garantiepreise und Abnahmebedingungen — hier cher Weise Hilfe zukommen lassen. liegt der große Unterschied, Herr Kollege — gelten (Horst Sielaff [SPD]: Und auch eine Menge letztendlich für alle Landwirte gleichermaßen und Fehler gemacht!) sind in der übrigen Wirtschaft so nicht vorhanden. Wenn dies nun nicht zu einer Benachteiligung der Dank der enormen Anstrengungen ist es auch schlechter strukturierten Landwirtschaft im Westen gelungen, daß die Erfassungs- und Verarbeitungsbe- führen soll, dann muß auch hier Einheit praktiziert triebe in relativ kurzer Zeit wesentliche Schritte nach werden. Hier ist sicher der Ort, einmal darauf hinzu- vorn tun konnten. Wir sind dabei, in den fünf neuen weisen, daß die Verschuldung im Westen bei 4 700 Ländern die modernsten Betriebe in Europa zu ent- DM je Hektar und im Osten bei etwa der Hälfte, wickeln. nämlich bei 2 400 DM je Hektar, liegt. Die große Hilfe, die die Bundesregierung geleistet Die Agrarreform muß als Realität angesehen und, hat, hat es den in der Landwirtschaft tätigen Men- wie Minister Borchert auch dargestellt hat, weiterent- schen ermöglicht, aus dem Tal sozialistischer Plan- wickelt werden. Dabei kommt es sehr darauf an, daß wirtschaft herauszufinden. Das größte Problem, mit die marktentlastenden Kriterien so genutzt werden, welchem die Landwirte in den fünf neuen Ländern daß der Markt wirklich wieder funktionieren kann. fertigwerden müssen, ist meines Erachtens die Eine Kontingentierung bei gleichzeitigem Überange- Rechtsunsicherheit, bot führt nicht nur zu einer Einengung der betriebli- (Zustimmung bei der CDU/CSU — Beifall chen Entwicklung, sondern auch zu niedrigeren Prei- des Abg. Dr. Rudolf Karl Krause [Bonese] sen und damit zu schlechteren, ja die Landwirtschaft [fraktionslos]) wirklich bedrohenden Einkommen. Dies kann nicht das Ziel von marktregulierenden Schritten sein. mit der praktisch alle landwirtschaftlichen Bet riebe bezüglich ihres Flächennachweises, ihres Eigentums Die enorme Leistung, die die Landwirtschaft für den und ihrer Pachtverhältnisse zu tun haben. Es liegt nun Natur- und Landschaftsschutz erbringt, hat nicht nur an uns allen, diesen Zustand rechtlicher Unsicherheit Anspruch auf entsprechende Beachtung, sondern Schritt für Schritt zu beseitigen. auch auf einen entsprechenden finanziellen Aus- gleich. Die Vermögensauseinandersetzungen zwischen (Zuruf von der SPD: Richtig!) den Mitgliedern ehemaliger LPGen und den heutigen Folgeunternehmen dürfen nicht, wie leider allzuoft Deshalb fordern wir die Bundesregierung auf, auch festgestellt werden muß, auf dem Rücken der innerhalb der EG die Maßnahmen zu einer stärkeren Schwächsten ausgetragen werden. Verwendung nachwachsender landwirtschaftlicher Rohstoffe auf allen möglichen Einsatzfeldern voranzu- (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Es gibt noch bringen und gleichzeitig a lles zu tun, daß die wirklich zu viele alte Genossen!) auf beiden Seiten funktionierende Zuckermarktord- Ich bin aber der Meinung, daß wir denjenigen, die nung unverändert erhalten bleibt. Mitglied in einer LPG waren, welche in Konkurs Meine Damen und Herren, wer zu dieser Zeit durch gehen mußte, dann helfen müssen, wenn ein Inventar- unser Land fährt, kann sich an einer wunderschönen ausgleich aus Mitteln der ehemaligen LPG nicht Landschaft erfreuen, in der — das ist besonders erfolgen kann. Nur dann brauchen wir nicht in einem wichtig — unser täglich Brot für das kommende Jahr Jahr 260 Millionen DM; statt dessen werden in meh- heranreift. Dies haben die Bäuerinnen und Bauern in reren Jahren hintereinander kleinere Beträge not- unserem Land bewirkt, und dies muß auch in Zukunft wendig sein. Dieser Prozeß wird sich sicherlich über so bleiben. einen längeren Zeitraum erstrecken, weil eine ordent- liche rechtliche Abwicklung Voraussetzung dafür ist, Schönen Dank. daß festgestellt werden kann, wer wirklich Schaden (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) hat hinnehmen müssen. Schon heute läßt sich jedoch sagen, daß sich ein hoher Anteil der landwirtschaftlichen Bet riebe im Osten hervorragend entwickelt hat und daß es für Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Meine Damen und junge Landwirte, die neu beginnen wollen, in den Herren, bevor ich den nächsten Redner aufrufe, neuen Ländern zum Teil weit leichter ist, z. B. zu möchte ich auf der Ehrentribüne den Vorsitzenden einem entsprechenden Milchlieferrecht zu kommen, des Präsidiums der albanischen Volksversammlung, 14154 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 165. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23. Juni 1993

Präsidentin Dr. Rita Süssmuth Herrn Pjeter Arbnori, mit seiner Delegation ganz Ich gebe zu, daß auch wir Sozialdemokraten uns mit herzlich begrüßen. unseren Reformvorstellungen — ich erinnere an das (Beifall) Apel-Papier — nicht durchsetzen konnten. Ich freue mich, daß wir mit Ihnen hier in der (Egon Susset [CDU/CSU]: Dann bräuchte Bundesrepublik vom Bundestag aus Gespräche füh- man heute keinen Agrarbericht mehr!) ren können, denn wir wissen, Herr Vorsitzender, was CDU/CSU und andere warfen uns damals vor, wir es für Sie bedeutet, sich nach 28 Jahren Lebenszeit, wollten damit die deutsche Landwirtschaft ruinieren. die Sie im Gefängnis verbracht haben, erneut der So war es, Herr Kollege Susset. politischen Arbeit zu stellen — im Dienst Ihres Landes, für den demokratischen Aufbau und die Wiederge- (Egon Susset [CDU/CSU]: Sie wäre auch winnung wirtschaft licher Prosperität. ruiniert worden! — Lachen bei der SPD) Wir danken Ihnen und Ihrer Delegation für die Interessanterweise greift der neue Bundesminister, Arbeit, die Sie im Lande leisten. Sie wissen, daß die Herr Borchert, in seinem Konzept, das er letzte Woche Bundesrepublik Albanien besonders verbunden ist - vorgestellt hat, viele Elemente unserer Vorschläge und daß auch unsere Parlamentarier aktiv an der auf. So schlecht kann es also nicht gewesen sein. Arbeit sind, um den Aufbau zu unterstützen. Herzlich willkommen im Deutschen Bundestag! (Hans Raidel [CDU/CSU]: Ihr habt ja damals schon abgeschrieben!) (Beifall) Der Koalition hatte nach 1982 Zeit genug, die Nun erteile ich dem Abgeordneten Rudolf Müller versprochene Wende auch in der Agrarpolitik wenig- das Wort. stens einzuleiten. Sie ist aber den von ihr in den 50er Jahren eingeschlagenen Weg weitergegangen. (Zuruf von der SPD: Richtig!) Rudolf Müller (Schweinfurt) (SPD): Frau Präsiden- tin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Diesen So steckt die Agrarpolitik heute in einer Sackgasse, Agrarbericht, Herr Minister Borchert, haben Sie nicht aus der sie nur schwer wird herauskommen kön- zu verantworten. Der eigentlich Verantwortliche sitzt nen, hier im Plenum: Altminister Herr Kiechle. Wohl aber (Carl-Detlev Freiherr von Hammerstein haben Sie als langjähriges Mitglied der Regierungs- [CDU/CSU]: Wie überall in der Welt!) koalition die Agrarpolitik mitzuverantworten. und das in einer Zeit, in der der Regierung auf allen Herr Kollege Susset, Sie haben vorhin mit lobenden Gebieten die Probleme über den Kopf wachsen. Die Worten erwähnt, was die Regierung alles für die Agrarpolitik ist gerade unter dieser Koalition einer Landwirtschaft getan hat. Zwangsverwaltungswirtschaft immer ähnlicher ge- (Zuruf von der CDU/CSU: Das ist auch eine worden, zumindest für die Bauern. ganze Menge!) (Beifall bei der SPD — Siegf ried Hornung Da sei die Frage erlaubt: Wie ist denn die Lage der [CDU/CSU]: Weil die Rahmenbedingungen Landwirtschaft heute? für die Agrarpolitik insgesamt schwieriger (Horst Sielaff [SPD]: Miserabel!) geworden sind!) Wir stellen fest: Die Einkommen der Landwirte sind Realitätssinn, Gespür für soziale Ausgewogenheit, schlechter denn je und geraten zunehmend unter Weitblick und Druchsetzungskraft, z. B. auch in Brüs- Druck. sel, gehören nicht gerade zu den herausragenden Eigenschaften dieser Regierung. Die Bananen-Ent- (Beifall des Abg. Dr. Rudolf Karl Krause scheidung macht das deutlich. Das ist kein Vorwurf an [Bonese] [fraktionslos]) rt, aber es ist die logische Sie, Herr Minister Borche Zweitens. Die Entscheidungsmöglichkeiten der Konsequenz einer falschen Agrarpolitik. Unternehmerlandwirte wurden weiter einge- schränkt. (Cari-Detlev Freiherr von Hammerstein [CDU/CSU]: EG-Beschluß!) Drittens. Bürokratie und staatliche Bevormundung haben noch zugenommen. Viel gravierender als Bananenpreissteigerungen sind die Auswirkungen auf die GATT-Verhandlungen, auf Viertens. Die Zukunftschancen wurden von den den Welthandel und auf die deutsche Wirtschaft und Landwirten selbst noch nie so schlecht eingeschätzt damit auch auf den Export unserer Agrarprodukte. wie heute. (Egon Susset [CDU/CSU]: Und die Bananen (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der Bauern in Schweinfurt!) PDS/Linke Liste) Bis heute ist offen, ob der Optimismus, den die Als diese Koalition 1982 antrat, wurde das als große Regierung und den Sie, Herr Susset, verbreiten, Wende bejubelt, in geistig-moralischer ebenso wie in gerechtfertigt ist. wirtschaftlicher Hinsicht. Zehn Jahre später lautet das Wort des Jahres: Politikverdrossenheit. Das gilt für Ehrlichkeitshalber muß ich hinzufügen, daß für den alle Schichten des Volkes; es gilt auch für die Bau- derzeitigen Zustand auch das Verhalten unseres EG- ern. Partners Frankreich mitverantwortlich ist. (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Aber auf (Beifall des Abg. Dr. Rudolf Karl Krause einem hohen Niveau des Wohlstandes!) [Bonese] [fraktionslos]) Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 165. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23. Juni 1993 14155

Rudolf Müller (Schweinfurt ) Sosehr jeder von uns für die europäische Einigung und Naturschutz betrifft, bei der Vorstellung seines eintritt, bleibt doch festzustellen: Die deutsche Regie- agrarpolitischen Konzepts erklärt, daß das Ziel eines rung muß unseren französischen Freunden klar und gleich hohen Schutzniveaus kurzfristig kaum zu errei- deutlich sagen, daß französische Interessen noch chen sein wird. Ja, was dann? Resigna tion ersetzt längst nicht immer unsere oder gemeinsame Interes- keine Politik. sen sind. (Beifall bei der SPD) (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Dr. Ru Hinter der Agrarpoli tik der CDU/CSU geisterte dolf Karl Krause [Bonese] [fraktionslos]) lange der Satz eines CSU-Ministerpräsidenten: Bauer „Deutschland soll zahlen" stand vor einiger Zeit in kann bleiben, wer Bauer bleiben will. einer bekannten französischen Zeitung. Den Zusatz (Georg Gallus [F.D.P.]: Wer war denn das?) will ich hier gar nicht hinzufügen. Nur wenige haben ehrlich hinzugefügt, daß dann, (Georg Gallus [F.D.P.]: Sagen Sie das dem wenn alle Bauer bleiben wollen, keine Poli tik allen Mitterrand!) Landwirten ein angemessenes Einkommen garantie- - — Der Herr Kohl sitzt doch mit ihm immer zusammen, ren kann. and kann und will der kann das alles klären. Deutschl Um dieser Wahrheit aus dem Weg zu gehen, wurde — da sind wir uns einig — für die Einigung Europas nicht nur von Familienbetrieben in einer Art und einen Beitrag leisten. Aber das Geld dafür müssen die Weise gesprochen — „bäuerlich" wurde noch beson- Deutschen auch verdienen können. ders betont —, die auch dem kleinsten und schlecht (Dr. Rudolf Karl Krause [Bonese] [fraktions wirtschaftenden Bauern das Gefühl geben mußte, die los]: Sehr richtig!) Politik werde seine Existenz schon irgendwie Nun sind, was den Welthandel, den Agrarhandel sichern. angeht, die Europäer nicht die Bösen und die Ameri- (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: So hat das kaner nicht die Guten. Es gibt bei der Diskussion sehr aber niemand gesagt! — Gegenruf von der viel Heuchelei, auch in Übersee. SPD: Aber sicher!) (Dr. Albert Probst [CDU/CSU]: Jawohl, da — Ihre Aussagen, Herr Kollege Ho rnung, führen nicht hast du recht! — H ans Raidel [CDU/CSU]: gerade zur Begeisterung unserer Bauern. Auch bei der SPD!) (Beifall bei der SPD — Zuruf von der CDU/ Klar ist aber eines: Niemand wird die Konsequenzen CSU: Ihre Reden auch nicht!) falscher Entscheidungen so teuer bezahlen müssen wie gerade wir Deutschen, auch die Bauern. Den Anders als die wirtschaftspoli tische Philosophie der notwendigen Strukturwandel in der Landwirtschaft Koalitionsfraktionen eigentlich verlangte, profitierten erzwingt die Konkurrenz der EG und die aus den von dieser Politik diejenigen am wenigsten, die den neuen Bundesländern sowieso, unabhängig davon, unternehmerischen Typ unter den Bauern verkör- was im GATT beschlossen wird. pern. (Beifall des Abg. Dr. Rudolf Karl Krause (Dr. Albert Probst [CDU/CSU]: Aber jetzt [Bonese] [fraktionslos]) kommt der Ausblick auf die Zukunft! — Horst Aber endgültig gescheiterte GATT-Verhandlungen Sielaff [SPD]: Erst die Probleme der Gegen werden wegen der Auswirkungen auf den deutschen wart lösen, Herr Kollege!) Export und damit auf die Steuereinnahmen auch die Weil gewisse Ausgleichszahlungen — Herr Kollege Landwirtschaft treffen, die noch lange öffentliche Bredehorn hat darauf hingewiesen — den Struktur- Zuschüsse haben will und, so wie die Lage nun einmal wandel hemmen, können sie ihre Kapazitäten nur ist, auch noch einige Zeit braucht. schwer auf wettbewerbsfähige Größenordnungen (Beifall bei der SPD — Zuruf von der CDU/ aufstocken. Hier wird zum Nachteil der Bauern Struk- CSU: Nicht nur einige Zeit!) turpolitik mit Sozialpolitik vermengt. Wer Pachtland hat, muß wegen der Ausgleichszahlungen mit höhe- Natürlich muß man die berechtigten Schutzinteres- ren Pachten rechnen. Tüchtige Unternehmer werden sen unserer Bauern anerkennen. Das heißt, ohne auf Dauer kaum einsehen, daß angesichts ihrer einen gewissen Außenschutz und eine Politik, die schwierig bleibenden Situa tion Leute Geld kassieren, Wettbewerbsverzerrungen vor allem erst einmal deren einzige Leistung darin besteht, ihren Boden innerhalb der EG verhindert, wird es auch in Zukunft nicht selbst zu bewirtschaften. nicht gehen. (Beifall bei der SPD — Siegf ried Hornung (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Und die [CDU/CSU]: Ein ganz wichtiger Satz!) SPD will, daß im Osten bis zu anderthalb Millionen bezahlt werden!) Deshalb fordern die deutschen Bauern zu Recht glei- che Wettbewerbsvoraussetzungen. Diese Regierung Auch die Milchmengenregelung, die Sie, Herr war aber bisher nicht in der Lage, das EG-weit Minister, als erfolgreiche Politik bezeichnet haben, durchzusetzen. wird, wie eine vielgelesene Zeitschrift für Betriebslei- ter schrieb, mehr und mehr zu einem Wertpapier für (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Aber in die Enkel ehemaliger Milcherzeuger. Diejenigen, die einigen Bereichen doch!) Milch preisgünstig produzieren wollen und auch kön- So hat der Bundesemährungsminister, was die nen, müssen das teuer bezahlen. Die Quotenregelung Wettbewerbsverzerrungen im Bereich Tier-, Umwelt- mag, als sie eingeführt wurde, als Notlösung erforder- 14156 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 165. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23. Juni 1993

Rudolf Müller (Schweinfurt) lich gewesen sein. Aber zukunftsträchtig ist sie schaft bestreiten kann, nicht von Haus und Hof gehen nicht. muß, weil nämlich die Politik zum Ziel hat, durch eine (Zuruf von der SPD: So ist es!) gute Strukturpolitik auch Arbeitsplätze in den länd- Die größten Vorteile von dieser EG-Agrarpoli tik lichen Räumen zu schaffen, haben unsere französischen Pa rtner. Sie werden sich (Beifall bei der CDU/CSU — Zuruf von der nicht zu Unrecht darauf berufen, daß das zu lange SPD: Das hat er nicht gesagt!) deutsche Beharren auf zu hohen staatlich abgesicher- ten Agrarpreisen ein wesentlicher Grund für die die es den Landwirten, wenn sie schon auf Grund des derzeitige Situa tion ist. Denn jetzt haben wir beides: unvermeidbaren Strukturwandels gezwungen sind, niedrige Preise und eine Reglementierung mit einer andere Einkommensquellen zu erschließen, ermögli- übermächtigen, entscheidungshemmenden Bürokra- chen, im ländlichen Raum zu bleiben und ausreichend tie. Es ist für uns Sozialdemokraten kein Anlaß zum Einkommen für sich und ihre Fami lie zu erwirtschaf- Triumph, daß wir recht behalten haben. Denn auch ten. wir werden für das mit in die Haftung genommen,- was Das war das Ziel, und das ist auch die konsequente die Bürger, was die Bauern so verdrossen macht. Politik in den südlichen Bundesländern gewesen. (Dr. Albert Probst [CDU/CSU]: Ihr habt (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Erfolg immer recht, weil ihr alles behauptet!) reich!) Was Sie, Herr Minister, bisher haben verlauten Das war auch die Poli tik der Bundesregierung, insbe- lassen, zeigt, daß wir, was die Neuausrichtung der sondere auch unter Agrarminister Kiechle, und das Agrarpolitik betrifft, offensichtlich nahe beieinander wird von Jochen Borchert so fortgesetzt, daß nicht die liegen. Ihr neues Konzept, ich sagte es schon, enthält Nebenerwerbslandwirte einseitig benachteiligt wer- viele Elemente, denen wir zustimmen können. den, (Dr. Albert Probst [CDU/CSU]: Sehr gut!) (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: So ist es!) Trotzdem werden Sie es schwer haben; denn der Zug in der EG fährt zunächst einmal weiter, aber in die wie es ja auch einige gewollt haben. falsche Richtung. Ihr Spielraum ist gering. Das wissen Ich glaube, wir tun gut daran, daß wir diese Poli tik wir. Aber ich sage ganz deutlich: Im Interesse unserer der Stärkung der ländlichen Räume, der Schaffung Bauernfamilien, im Interesse a ller Menschen auf dem von Arbeitsplätzen in den ländlichen Räumen so Lande und auch im Interesse der gesamten deutschen fortsetzen, Wirtschaft werden wir den neuen Landwirtschaftsmi- nister überall dort unterstützen, wo er das Allgemein- (Zuruf von der SPD: Es passiert doch wohl und damit das Wohl und Wehe der deutschen nichts!) Landwirtschaft in den Vordergrund stellt. daß wir damit auch den Menschen ermöglichen, daß (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Das nenne eine breite Eigentumsstreuung möglich ist und sie ihr ich konstruktiv!) Eigentum erhalten können. Ich danke. (Widerspruch bei der SPD) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten — Es gab ja auch die andere Philosophie, nämlich die der CDU/CSU) des Hans-Jochen Vogel beispielsweise in den 70er Jahren, wo er gesagt hat: Das zukünftige Leben wird das städtische Leben sein. — Das ist doch a lles Lügen Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Das Wort zu einer gestraft worden! Wir sehen doch heute, daß die Kurzinternvention hat jetzt der Kollege Kalb. Menschen hinauswollen, in die ländlichen Räume hinausdrängen. Im übrigen fällt mir gerade auf, daß von denjenigen, Bartholomäus Kalb (CDU/CSU): Herr Kollege Mül- die sich immer so sehr für die Umwelt einsetzen und ler, Sie haben hier gerade wieder den Satz von Alfons die Landwirtschaft immer anklagen, nämlich vom Goppel, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, überhaupt niemand da (Georg Gallus [F.D.P.]: Jetzt haben wir ist, ihn!) (Zurufe von der SPD: Die sind im Grünen! — dem früheren bayerischen Ministerpräsidenten, zi- Es ist peinlich, daß die nicht da sind! Das ist tiert: „Jeder kann Bauer bleiben, der Bauer bleiben richtig!) will." obwohl sonst immer gesagt wird, daß gerade die (Dr. Albert Probst [CDU/CSU]: Das war vor Landwirtschaft in die Umweltpolitik erheblich einge- 25 Jahren!) bunden sein muß. Kein Satz ist bewußt so absichtlich falsch interpretiert Im übrigen haben Sie ja vorhin auch das Pro- und verstanden worden wie dieser Satz. blem — — (Zuruf von der SPD: Aber er ist doch gesagt worden!) Er sollte damals nichts anderes aufzeigen, als daß auch derjenige, der seinen Lebensunterhalt nicht Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Herr Kalb, so span- mehr allein aus den Einkünften aus der Landwirt nend es ist: Die Zeit ist zu Ende. Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 165. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23. Juni 1993 14157

Bartholomäus Kalb (CDU/CSU): Ich danke, daß ich Da ist die Problematik, die darin steckt. Hier haben wir die Möglichkeit hatte; das andere werde ich mir dann zuviel Zeit versäumt. aufheben. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)

Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Zur Entgegnung Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Nun hat der Kollege gebe ich dem Herrn Kollegen Müller das Wort. Ulrich Heinrich das Wo rt.

Ulrich Heinrich (F.D.P.): Frau Präsidentin! Meine Rudolf Müller (Schweinfurt) (SPD): Herr Kollege lieben Kolleginnen und Kollegen! Der vorliegende Kalb, Herr Goppel ist tot. Agrarbericht '93 hinterläßt mehr Fragen, als er Ant- (Zuruf von der CDU/CSU: Aber nicht seine worten zu geben in der Lage ist. Wir Agrarpolitiker Idee! Die lebt weiter!) sind mit Sachwalter einer Politik, die mehr Unsicher- - heit bei den Betroffenen hinterläßt, als sie in der Lage Gewissenserforschung be treiben, was er gemeint hat, ist, Zukunftsperspektiven aufzuzeigen. ist heute ein bißchen schwer. Aber wir wissen, was er (Zuruf von der SPD: Der Satz ist wenigstens gesagt hat, und vor allem, welche Wirkung es bei den ehrlich!) Landwirten hervorgerufen hat. Das ist das Entschei- dende. Dies gilt aber nicht nur national, sondern ebenso auch (Zustimmung bei der SPD) auf europäischer Ebene, und ich fürchte, daß die soeben laufende Debatte auch nicht zur Erhellung Die Landwirte haben es so aufgefaßt, wie es für beigetragen hat. jeden einzelnen am besten gepaßt hat. Auch der kleine Vollerwerbslandwirt hat also geglaubt: Ja, Vor dem Hintergrund eines massiven Strukturwan- wenn die Regierung das so sagt, dann wird sie schon dels und angesichts des wegen der konjunkturellen etwas tun, damit ich auch weiterhin mit meinem Krise derzeitigen Fehlens von außerlandwirtschaftli- Vollerwerbsbetrieb bestehen kann. chen Perspektiven für die ländliche Bevölkerung sind unsere Vorstellungen für die Zukunft der Landwirt- (Zuruf von der CDU/CSU: Das stimmt doch schaft in Deutschl and noch zu verschwommen und zu alles nicht!) widersprüchlich. Das ist das berühmte Problem. Und die Folge ist, daß (Zuruf von der SPD: Wer trägt denn dafür die viele dieser Landwirte auch ihre Kinder noch veran- Verantwortung? — Siegfried Hornung laßt haben, diesen Beruf zu ergreifen, und daß [CDU/CSU]: Schauen wir uns doch einmal dadurch sogar viel Vermögen verlorengegangen ist, die verschiedenen Regionen unserer Bun weil sie sich damals, zu einer guten Zeit, nicht darauf desrepublik an!) eingerichtet haben, eventuell in den Nebenerwerb zu Wenn täglich 45 Betriebe ihre Hoftore für immer gehen. Damals bestanden diese Chancen; heute ist schließen und jährlich 20 000 Beitragszahler aus der das viel, viel schwieriger. landwirtschaftlichen Altershilfe ausscheiden, ist es Ich sage noch einmal, Herr Kalb, m an soll nicht allerhöchste Zeit, daß wir die Aufgaben der Landwirt- Struktur- mit Sozialpolitik vermengen. Wir waren uns schaft, die Rahmenbedingungen, unter denen die immer einig, auch mit Herrn Kiechle, daß das sozial Landwirtschaft tätig sein soll, klarer und deutlicher abgefedert werden muß. Wir waren uns immer einig, formulieren und diese Agrarpolitik nicht nur für die daß man das nicht von heute auf morgen so umdrehen aktive Landwirtschaft, für die produzierenden Berei- kann. che, sondern für den ländlichen Raum insgesamt Aber wir waren auch immer der Meinung, daß das darstellen. richtig ist, was jetzt der Herr Bredehorn gesagt hat und (Beifall bei der F.D.P. — Zuruf von der SPD: was jetzt auch der Minister sagt: Als Vollerwerbsbe- Ja, damit sind wir einverstanden!) triebe brauchen wir wettbewerbsfähige, leistungsfä- Landwirtschaftliche Einkommen müssen in Zu- hige Betriebe mit gut ausgebildeten Landwirten. Das kunft nach meinem Dafürhalten im wesentlichen aus ist Neuland für Sie, denn niemand von Ihnen hat das drei Bereichen zu erzielen sein, die ich im folgenden vor 10 Jahren zu sagen gewagt, niemand, sondern kurz skizzieren will. draußen entstand der Eindruck: Ja, die Politik wird Primäre Einkommensquelle für unsere Bauern wird das schon irgendwie hinziehen. Und da liegt das die Erzeugung qualitativ hochwertiger Nahrungs- Problem. Hier müssen wir einhaken; nur wäre das vor entsprechend den Wünschen der Verbraucher 10 Jahren alles viel, viel billiger geworden. Heute mittel zur Ernährung der Bevölkerung bleiben, ja bleiben kommt das leider teuer. müssen. Der Verbraucher verlangt zunehmend und Deswegen habe ich vorhin gesagt, der jetzige mit Recht die Produktion von Nahrungsmitteln höch- Minister wird es schwer haben. Sie wissen ja, Herr ster Qualität unter s trenger Beachtung von Umwelt- Kiechle hat doch auch schon versucht, dieses Umsteu- auflagen. ern vorzunehmen. Das war Mitte der 80er Jahre schon Die sich hier für unsere Bauern abzeichnende schwer, weil einfach das Geld nicht mehr vorhanden Chance im Bereich einer rückstandsfreien, verbrau- war. chernahen, umweltverträglichen, standortgerechten (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Entschei Nahrungsmittelproduktion wird meiner Meinung dend war die Erblast!) nach in den nächsten Jahren noch deutlicher an 14158 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 165. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23. Juni 1993

Ulrich Heinrich Bedeutung gewinnen. Die von einem zunehmenden wo kein Markt eine angemessene Bezahlung für die Teil der Bevölkerung an die Nahrungsmittel gestell- erbrachten Leistungen übernehmen kann. ten unterschiedlichen Anforderungen können von ausländischen Produzenten meist nicht erfüllt wer- Unverzichtbar ist dabei, auf regionale Gegebenhei- den. Derartige Nischen müssen erkannt und besetzt ten einzugehen, und zwar durch agrar- und struktur- werden, und zwar von der deutschen Landwirt- politische Maßnahmen. Die Regionalisierung muß schaft. daher ein wichtiges Element der Bundesländer sein, die ja für die infrastrukturelle Entwicklung ihrer (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne ländlichen Gebiete in erster Linie verantwortlich ten der SPD und des Abg. Dr. Rudolf Karl sind. Krause [Bonese] [fraktionslos]) (Horst Sielaff [SPD]: Dafür müssen sie Mittel Ich denke dabei auch an eine höhere Wertschöp- haben!) fung unserer Produkte. Wer glaubt, nur Rohstoffe produzieren zu sollen, wird es in Zukunft immer Zur dritten Säule landwirtschaftlichen Einkommens schwerer haben. Meine Damen und Herren,- die muß sich aber der Bereich der nachwachsenden Wertschöpfung wird einen entscheidenden Anteil am Rohstoffe entwickeln. Durch innovative Entwicklun- zukünftigen Einkommen der deutschen Landwirt- gen in der Naturstoffchemie, im chemisch-techni- schaft haben! schen Bereich werden neue Absatzmöglichkeiten für landwirtschaftliche Erzeugnisse erschlossen. Durch (Zuruf von der CDU/CSU: So ist es!) eine konsequente Nutzung der sich durch die Gen- Die Landwirtschaft der Zukunft muß unternehmeri- technologie bietenden Möglichkeiten können l and- scher denken und handeln als in der Vergangenheit. wirtschaftliche Produkte zudem in Zukunft stärker auf Landwirte sind Unternehmer, meine Damen und Her- die Anforderungen der Industrie zugeschnitten wer- ren. Ihr Engagement und ihre unternehmerischen den. Entscheidungen müssen auch künftig maßgebend für (Zustimmung bei der F.D.P.) ihre Einkommen sein. Entwicklungen in der Naturstoffchemie, im che- Marktwirtschaftlichen Spielraum finden unsere misch-technischen Bereich haben gute Chancen vor Landwirte z. B. noch im Sonderkulturenbereich: Obst, allem dort, wo spezielle Pflanzeninhaltsstoffe zur Gemüse, in der Schweine-, in der Eierproduktion, Herstellung von höherwertigen Produkten genutzt beim Wein, alles Bereiche, werden können, wo Agrarrohstoffe gegenüber ande- ren, fossilen Rohstoffen ökologische Vorteile durch (Zuruf von der F.D.P.: In der Schafwirt biologische Abbaubarkeit, CO2-Neutralität und Scho- schaft!) nung von Ressourcen haben. die seitens der EG nicht oder nur sehr schwach von Aber auch im energetischen Bereich muß jetzt ein Marktordnungen geregelt sind. klares politisches Signal zum Einstieg kommen, Herr (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: In welchen Minister Borchert! Ländern ist das am besten verwirklicht wor den?) (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne ten der CDU/CSU und bei der SPD) Aus diesem Grund lehne ich auch jegliche von Brüssel geplante Ausweitung von Marktordnungen auf bisher Da reine Pflanzenöle trotz Steuerfreiheit den Weg in noch nicht geregelte Bereiche strikt ab. den Treibstoffmarkt auf Grund besonderer Anforde- rungen (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne ten der CDU/CSU) (Zuruf von der CDU/CSU: Die SPD blockiert immer noch!) Ziel der F.D.P. bleibt also die unternehmerische, wettbewerbsfähige, sich am Markt orientierende an Distribution und Technik derzeit nicht finden, muß Landwirtschaft. Damit allein läßt sich jedoch mittelfri- jetzt aus umwelt- und agrarpolitischen Gründen die stig in vielen Produktbereichen bei auf Weltmarkt- Möglichkeit eröffnet werden, Mischtreibstoffe aus preisniveau absinkenden Erzeugerpreisen kein aus- Mineralöl und Pflanzenöl für den Pflanzenölanteil von reichendes Einkommen erwirtschaften. Dies ist trau- der Mineralölsteuer zu befreien. rig, aber leider wahr. (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Unmittel Die zweite Säule des landwirtschaftlichen Einkom- bar muß das geschehen!) mens unserer Landwirte werden daher in Zukunft die direkten Einkommensübertragungen bilden. Ein- Es ist Ziel, die Steuerfreiheit für eine begrenzte kommensübertragungen als Kompensation für feh- Gesamtmenge über einen bestimmten Zeitraum hin- lende Marktleistungen an die deutsche Landwirt- weg politisch auf den Weg zu bringen. schaft sind deshalb notwendig. Der Erhalt unserer (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne Landwirtschaft und der landwirtschaftlich geprägten ten der CDU/CSU) Kulturlandschaft, die verstärkten Anstrengungen zur Wiederherstellung des Marktgleichgewichts, der tief- Eine Steuerbefreiung für eine z. B. zweiprozentige greifende strukturelle Anpassungsprozeß sowie die Beimischung von Pflanzenöl zu Mineralöl würde rund Herstellung gleicher Wettbewerbsbedingungen für einen Pfennig pro Liter ausmachen, die dann natürlich die deutsche Landwirtschaft erfordern auch weiterhin dem fossilen Anteil zugeschlagen werden müßten, um den Einsatz staatlicher Mittel, und zwar überall dort, die leeren Kassen des Bundesfinanzministers nicht Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 165. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23. Juni 1993 14159

Ulrich Heinrich noch zusätzlich zu belasten. Das ist und muß eine Meinung sind, daß selbstverständlich auch der Agrar- gesamtgesellschaftliche Aufgabe werden. haushalt hier seinen Anteil beitragen muß. Wir wollen (Beifall bei Abgeordneten der F.D.P., bei der uns davor nicht drücken, Herr Minister. Wir erklären CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der hier unsere Bereitschaft mitzumachen, wir bitten Sie SPD) aber, daß Sie uns zeitig informieren, daß Sie uns zeitig mit einbinden, — Zukünftige Landwirtschaft muß sich im Rahmen dieser aufgezeigten Schwerpunkte entwickeln kön- Herr Kollege, den nen, und dieser Rahmen muß zuverlässig sein. Er darf Vizepräsident Hans Klein: Schlußsatz bitte! nicht heute beschlossen und morgen in Frage gestellt werden. Meine Damen und Herren, so kann die (Horst Sielaff [SPD]: Und im Fachaus Landwirtschaft nicht richtig reagieren; sie braucht schuß!) klare Perspektiven. (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne Ulrich Heinrich (F.D.P.): — daß Sie unsere Agrarpo- ten der SPD) litiker in die notwendige Erarbeitung einer Streich- - liste einbeziehen und daß wir nicht unverrückbaren Ich bin deshalb sehr dankbar, Herr Minister, daß die Festlegungen, mit wem sie auch immer abgesprochen Handelbarkeit der Milchquoten einer Region möglich wurden, konfrontiert werden. gemacht worden ist. Ich fordere aber darüber hinaus, daß wir auch andere wenn man jetzt Obergrenzen — Herr Kollege Heinrich, einmal die Quoten als Obergrenzen bezeichnen Vizepräsident Hans Klein: Sie sind weit über Ihre Redezeit. will — beseitigen, insbesondere in den alten Bundes- ländern. Dieses ist wettbewerbs- und strukturhem- mend und hat keinen Platz in einer zukünftigen Ulrich Heinrich (F.D.P.): Herr Präsident, ich bedanke Landwirtschaft. mich für Ihre Geduld, ich bedanke mich für Ihr Zuhören. (Beifall bei Abgeordneten der F.D.P.) (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) Zu einer verläßlichen, glaubwürdigen Politik gehört aber auch, daß man zu dem steht, was man über zwei Meine Geduld, verehrte Legislaturperioden in den Koalitionsvereinbarungen Vizepräsident Hans Klein: Kolleginnen und Kollegen, ist unermeßlich, aber das und Regierungserklärungen verkündet hat, nämlich geht den anderen Kolleginnen und Kollegen aus der dazu, daß die landwirtschaftliche Alterssicherung auf gleichen Gruppierung natürlich nachher von der ein neues Fundament gestellt werden soll. Ich habe Redezeit ab. Nur deshalb muß ich eingreifen. deshalb weder für die Verschiebung des Gesetzent- wurfs im Bundeskabinett vom Dezember 1992 noch (Zuruf von der CDU/CSU: Er war ja der letzte für die im Mai 1993 Verständnis. von der F.D.P.!) (Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [F.D.P.]: Ich erteile das Wort dem Kollegen Dr. Rudolf Krause Wenig Verständnis!) (Bonese). Die Inhalte der Reform sind klar, der ausgearbeitete (Bonese) (fraktionslos): Gesetzentwurf liegt auf dem Tisch, und die Finanzier- Dr. Rudolf Karl Krause Meine sehr verehrten Damen und Herren! Geschätz- barkeit ist gesichert. Reden wir uns doch nicht immer ter Herr Präsident! Im Agrarbericht steht im Punkt 153, ein, es sei nicht finanzierbar. Diese Reform ist finan- ein Hauptziel der Regierung sei die zierbar. Teilnahme an der allgemeinen Einkommens - und Wohlstandsentwick- (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Das sagt lung. Wenn ich auf Seite 67 das verfügbare Einkom- doch bloß die SPD!) men je Haushaltsmitglied auf 80 Arbeitsstunden für Wir brauchen nur den politischen Willen, einmal den den Selbständigen, Bauern wie jeden anderen, der handelnden Personen hier in diesem Raum, zum umrechne — jeder arbeitet mehr als 80 Stunden —, anderen aber auch die politische Bereitschaft des komme ich auf 3,60 DM für den Bauern, Deutschen Bauernverbandes, hier mitzuziehen, näm- (Zuruf von der SPD: Jeder ist übertrieben!) lich bei der Umschichtung der Mittel von der sozio- 13,60 DM für den sonstigen nicht landwirtschaftlich kulturellen Einkommensbeihilfe in Richtung eines Selbständigen und auf 26 DM für den Lehrer. Es ist soliden Fundaments der sozialen Sicherung für die heute besser für den Bauern, eine Lehrerin mit zwei Landwirtschaft. linken Händen zu heiraten als eine tüchtige Frau mit 80 Hektar. Vizepräsident Hans Klein: Herr Kollege, Ihre Rede- (Heiterkeit) zeit ist schon ein gutes Stück überschritten. — Ihr dürft ruhig klatschen, auch wenn es die falsche Fraktion ist. Insofern stimmt es nicht, daß die Teilnahme an der Ulrich Heinrich (F.D.P.): Ich darf mit Erlaubnis des allgemeinen Einkommens- und Wohlstandsentwick- Präsidenten noch einen ganz kurzen zweiten Satz lung gewährleistet ist. anfügen. Man muß natürlich Regierungen — und das trifft seit (Zuruf von der SPD: Den Schlußsatz!) 1968 alle vier Bundeskanzler — an ihren Ergebnissen Ich möchte der Regierung und insbesondere Ihnen, messen. Es sind drei Dinge, die die gesamtgesell- Herr Minister Borchert, signalisieren, daß wir bei all schaftlichen Rahmenbedingungen für diesen Nieder- den Problemen, die wir derzeit finanziell haben, der gang des Bauernstandes bilden. 14160 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 165. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23. Juni 1993

Dr. Rudolf Karl Krause (Bonese) Erstens. Sozialhilfe. Die sozialen Leistungen dieses Vizepräsident Hans Klein: Aber ich darf wenigstens Staates kommen nur dem zu, der nichts mehr hat. danken, daß Sie sich an die Zeit gehalten haben, Herr Solange der Bauer noch einen einzigen Hufbreit Kollege Krause. Boden sein eigen nennt, darf er sich nicht ins soziale (Dr. Rudolf Karl Krause [Bonese] [fraktions Netz zurückfallen lassen. Er wird nicht nur für los]: Deutsche Pünktlichkeit!) 3,60 DM, er wird, um seinen Hof zu halten, auch für weniger als 2,00 DM arbeiten müssen. Das ist ein Ich erteile das Wort zu einer Kurzintervention dem Durchschnittswert; viele tun es auch. Kollegen Jan Oostergetelo. Ich möchte hier ausdrücklich sagen: Die Minister Jan Oostergetelo (SPD): Herr Präsident! Meine sehr Kiechle und Borchert, alle im Landwirtschaftaus- verehrten Damen und Herren! Ich möchte gern zu schuß, aus allen Parteien, also von Bredehorn bis dem, was Herr Heinrich gesagt hat, drei oder vier Schumann, tun ihr Bestes zur Schadensbegrenzung. Aussagen machen. Aber es sind eben drei gesellschaftliche Rahmenbe- dingungen; eine ist das angerissene Sozialrecht. Erstens. Herr Heinrich, Sie haben dankenswerter- - weise den ländlichen Raum erwähnt. Er ist in der Das Zweite: Die EG garantiert einheitliche Preise, Diskussion, die wir bisher hatten, zu kurz gekommen. aber sie garantiert eben nicht einheitliche Kosten. Ich meine, es ist gut, daß wir einmal fragen, wie es Man kann in anderen Ländern die Vorleistungen und denn weitergehen soll. Wir haben noch ein D rittel vieles an Reparaturen viel billiger bekommen. Das junger Menschen, die bereit sind, landwirtschaftliche heißt also, der Sozialabbau des Bauernstandes in Betriebe zu übernehmen. Da kommt es nicht auf den Europa trifft zuerst den deutschen Bauern, weil er Schlagabtausch klein oder groß an, sondern es geht eben zu wesentlich höheren Kosten produzieren um die Frage: Wie kann ich den ländlichen Raum in muß. seiner Sozialfunktion erhalten? (Zuruf von der CDU/CSU: Die Tierarztkosten Herr Minister, da ist es nicht richtig, mit ein paar sind hier so hoch!) Pressezitaten zu arbeiten. Es ist jetzt klargeworden: Jeder von uns will die soziale Absicherung auch Drittens. Die deutschen Sozialleistungen belasten der Bäuerinnen. Wir haben ernst genommen, was bei den ausschließlich die Arbeit in Deutschland, auch die der Koalitionsabsprachen vor etwa sieben Jahren festge- Türken, die hier arbeiten. Wenn ein Trecker tausend legt wurde, als sich diese Regierung etablierte. So gesamtgesellschaftliche Arbeitsstunden kostet, kostet lange ist das her. er anderswo 20 000 DM und bei uns 40 000 DM. Alle Sozialleistungen, alle Steuern — bis auf die Mehr- Zweitens. Damit klar ist, was die soziostrukturellen wertsteuer — beziehen sich auf die gesamtgesell- Einkommensübertragungen anlangt: Herr Minister, schaftliche Arbeit in Deutschland. ich habe überhaupt nichts dagegen, daß Sie erreicht haben, daß das bis 1995 fortgeschrieben werden kann. Wie muß eine Lösung aussehen? Wir müssen davon Dann dürfen Sie aber nicht schimpfen, wenn Sozial- wegkommen, daß die Arbeit in Deutschland belastet demokraten versucht haben, es noch gezielter und wird. Wir müssen wegkommen von der Eigendiskri- noch länger zu etablieren. minierung. Es wird eine Reform des gesamten Steuer- Drittens. Sie haben zu Recht gesagt, daß wir es und Abgabensystems erforderlich sein, wenn nicht ein Wirtschaftszweig nach dem anderen kaputtgehen waren, die direkte Hilfen wollten. Das ist völlig richtig. soll. Ich muß allerdings sagen, daß diese Regierung das viel zu spät gemacht hat, denn Sie haben genau das Lassen Sie mich zum Schluß noch folgendes sagen. gemacht, was Sie nicht wollten. Warum arbeitet der deutsche Bauer? — Nicht nur, weil Es ist richtig, wenn wir handwerkliche Schwierig- er keine Gewerkschaft hat, sondern weil er dem Erben keiten oder zuviel Bürokratismus beklagen. Bei allem seinen Boden erhalten will, mit der Hoffnung auf Respekt muß ich sagen dürfen: Wir haben do rt an bessere Zeiten. Es ist nur die Hoffnung auf bessere jener Rheinseite gestreikt, und da hätte ich auch gern Zeiten. Er würde sich liebend gern einem anderen gehört, daß Sie gesagt hätten, daß es so nicht weiter- Beruf zuwenden. In Mitteldeutschland kann er es gehen kann. nicht. Ich möchte uns alle auffordern, in dieser Lage, da es Lassen Sie mich ein Letztes zu Mitteldeutschland nur noch ein Drittel Höfe gibt, bei denen die Fo rt sagen. Dort hat ein Rentnerehepaar im Durchschnitt lles zu tun und nicht mit-existenz gewährleistet ist, a 2 600 DM. Das ist das Dreifache wie im Westen — Zitaten zu arbeiten, daß der eine dem anderen unter- hervorragend. Vorruheständler sind aus dem Schnei- stellt, er habe nicht das Ganze im Sinn. der. Wer heute darunter liegt, wer 50 Jahre alt ist und (Beifall bei der SPD) auf dem Land lebt, hat alle sozialen Vorteile dieses Deutschlands, wenn er kein Eigentum hat. Hat er aber Eigentum, muß er das, was jahrhundertelang erarbei- Vizepräsident Hans Klein: Herr Kollege Heinrich, tet wurde, was ihm der Sozialismus nicht genommen Sie können, wenn Sie dies wünschen, kurz darauf hat, erst unter den Hammer bringen, bevor er sich in reagieren. die soziale Hängematte legen kann. Das kann und darf nicht Ziel zukünftiger deutscher Politik sein. Ulrich Heinrich (F.D.P.): Herr Kollege Oostergetelo, Ich danke für die Aufmerksamkeit, auch wenn Sie ich glaube, wir haben das gemeinsame Bemühen, den aus Parteiräson nicht klatschen dürfen. ländlichen Raum erhalten und stabilisieren zu wollen. Wir haben vor allen Dingen das gemeinsame Bemü- (Heiterkeit) hen, in der Landwirtschaft auch solche Strukturen zu Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 165. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23. Juni 1993 14161

Ulrich Heinrich erhalten, die den nachfolgenden Generationen erhal- Osten Wettbewerbsverzerrungen zum Nachteil der tenswert erscheinen. Landwirte in den alten Bundesländern geschaffen. (Horst Sielaff [SPD]: Was heißt denn „erhal Hier kann meiner Ansicht nach der Finanzminister tenswert"?) durchaus Geld einsparen. Was hilft es uns letztendlich, wenn wir in Produktions- Auch die Tatsache, daß wir bei den Ausgleichszah- bereiche abgleiten, die nachher keine rentierlich lungen für Betriebe im Westen beim soziostrukturel- arbeitenden Verarbeitungsstufen ermöglichen? Inso- len Einkommensausgleich eine Obergrenze von fern müssen wir den gesamten ländlichen Raum 10 000 DM festlegen, während in den neuen Bundes- betrachten. In dieser Beziehung sind wir völlig einer ländern die betriebliche Obergrenze für die Anpas- Meinung. sungshilfe bei 378 750 DM liegt, ist nicht tragfähig. Berücksichtigt man den Länderanteil, der noch Vizepräsident Hans Klein: Vielen Dank. Ich erteile gewährt werden darf, wird die Disparität noch größer. das Wort dem Kollegen Albert Deß. Es ergeben sich dann Höchstbeträge von 15 385 DM - im Westen und 582 692 DM in den jungen Bundeslän- dern. Albert Deß (CDU/CSU): Werter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es freut mich, daß Es darf auch nicht sein, daß die Landwirtschaft im unser langjähriger Landwirtschaftsminister Ignaz Westen für 44,8 Milliarden DM, wie es der Agrarbe- Kiechle mit Interesse an dieser Agrardebatte teil- richt ausweist, den Kapitaldienst erbringt, während in nimmt. den jungen Bundesländern der Bundesfinanzminister die gesamten Altschulden übernehmen soll. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Es ist unsere Aufgabe, solche Fehlleistungen zu Dies zeigt seine Verbundenheit mit den Bäuerinnen vermeiden, damit die Solidarität zwischen den Land- und Bauern in unserem Land über das Amt hinaus. wirten im Westen und im Osten unseres Landes nicht Vielen Dank, lieber Kollege . gefährdet wird. Notwendig ist es, möglichst schnell Wie jedes Jahr wurde uns ein umfangreicher Agrar- gleiche Förderbedingungen in ganz Deutschland zu bericht für das zurückliegende Wirtschaftsjahr vorge- schaffen. legt. Auch dieser Agrarbericht für das Wirtschaftsjahr 1991/92 zeigt, daß eine Reform der Agrarpolitik in Gleiche Bedingungen brauchen wir auch in der der Europäischen Gemeinschaft unumgänglich war. Europäischen Gemeinschaft. Sie, Herr Minister Bor- chert, haben angekündigt, sich besonders dafür ein- (Horst Sielaff [SPD]: Richtig!) zusetzen, daß Vorschriften und Verordnungen aus Das verfügbare Einkommen der Vollerwerbsbe- Brüssel europaweit gleichmäßig umgesetzt und ange- triebe ist zwar um 2,8 % gestiegen; dies ist jedoch bei wandt werden. Dafür bedanke ich mich. Hier kann weitem kein Ausgleich für das Minus von 21,2 % im man Ihnen nur viel Erfolg wünschen. Jahr zuvor bei den Vollerwerbsbetrieben. Es ist unerträglich — ich habe es bereits im Vorjahr Wenn jetzt Einsparungen im Haushalt erfolgen angesprochen —, daß in Italien bis heute die Milch- müssen, meine sehr verehrten Kolleginnen und Kolle- quotierungsregelung nicht vollzogen wird. gen, muß man berücksichtigen, daß kein Berufsstand in den alten Bundesländern wegen der Wiederverei- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) nigung unseres Landes größere Vorleistungen Benachteiligt ist die deutsche Landwirtschaft auch erbracht hat als die Landwirtschaft. Wären alle ande- durch die Währungsveränderungen, die wieder statt- ren Berufsgruppen bereit, ähnliche Einkommensein- gefunden haben. Die deutschen Landwirte sind des- bußen zugunsten der Wiedervereinigung hinzuneh- halb gut beraten, bei den Wahlen im nächsten Jahr men, hätte Finanzminister keine Pro- Parteien zu wählen, die sich für die Verträge von bleme, die Kosten, die sich aus der Wiedervereinigung Maastricht ausgesprochen haben bzw. aussprechen. — oder besser gesagt: aus über 40 Jahren sozialisti- Kein Berufsstand benötigt die Europäische Wäh- scher Mißwirtschaft in der ehemaligen DDR — erge- dringender als die Landwirte, damit sol- ben, zu finanzieren. Aber wo bleibt hier die Solidarität rungsunion che währungsbedingten Nachteile für die Zukunft der Gewerkschaften? Hier geht schon ein Aufschrei ausgeschlossen werden. durchs Land, wenn wieder eine Stunde länger gear- beitet werden soll, obwohl allgemein eine Arbeitszeit (Zurufe von der CDU/CSU: Sehr richtig!) gilt, von der die Bauern nur träumen können. Und trotzdem: Die meisten deutschen Landwirte Die Mehrzahl der Landwirte in den alten Bundes- bekennen sich zur europäischen Einigung, weil es ländern war und ist bereit, ihren Beitrag zur Wieder- dazu keine Alternative gibt. Alternativen brauchen vereinigung zu leisten. Ärger gibt es jedoch, wenn jedoch die deutsche und die europäische Landwirt- festgestellt werden muß, daß die Landwirtschaft im schaft für die Zukunft. Bei den Beschlüssen zur Osten und im Westen ungleich behandelt wird. Es darf Agrarreform ist es Ignaz Kiechle gelungen, den Anbau nicht sein, daß mit staatlichen Beihilfen zum Teil von nachwachsenden Rohstoffen auf Stillegungsflä- Überkapazitäten bei Vermarktungseinrichtungen in chen zu ermöglichen. Die Bürokratie hat es heuer den neuen Bundesländern geschaffen werden. Wäh- verhindert, daß hier schon stärker eingestiegen wer- rend im Westen Investitionen von landwirtschaftli- den kann. Die CSU-Landesgruppe ist nicht bereit, chen Vermarktungseinrichtungen größtenteils auf solche Schikanen aus Brüssel zu akzeptieren. dem freien Kapitalmarkt finanziert werden müssen, werden durch die hohen Investitionszuschüsse im (Beifall bei der CDU/CSU) 14162 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 165. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23. Juni 1993

Albert DeB Herr Minister, ich darf Sie ermuntern, dies im näch- Dr. Gerald Thalheim (SPD): Ich nehme das zur sten Anbaujahr zu ändern. Kenntnis. Aber ich schließe mich der Erwiderung Hürden müssen auch bei der Agrarsozialreform meines Kollegen Rudi Müller an. überwunden werden. Im Interesse unserer Bauern (Beifall bei der SPD) und Bäuerinnen ist es dringend erforderlich, in der Herr Minister, auch Sie mußten einräumen, daß der laufenden Legislaturperiode eine Reform der agrar- Weg zur Privatisierung des volkseigenen land- und sozialen Sicherung zu erreichen. forstwirtschaftlichen Vermögens den Frieden in den Der Entschließungsantrag, der von CDU/CSU und Dörfern gefährdet. Die Art und Weise, mit der die F.D.P. heute gemeinsam eingebracht wird, ist eine Treuhandanstalt mit Deckung der Bundesregierung gute Grundlage für die weitere agrarpolitische Arbeit hier vorgeht, ist geeignet, den Ost-West-Kon flikt eher der Bundesregierung. Ich bitte alle Kolleginnen und zu vertiefen, denn zu entschärfen. Kollegen, diesen Antrag zu unterstützen, da er dem Dabei geht es nicht nur um die verhängnisvollen Interesse der Landwirtschaft besser gerecht wird, als Auswirkungen der Verschleppungstaktik bei den dies beim SPD-Antrag der Fall ist. - langfristigen Pachtverträgen, sondern es geht vor Vielen Dank. allem darum, wie ostdeutsche Bewerber behandelt (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) werden. Die Umstände der Privatisierung der Forel- lenmastanlage Rathmannsdorf in Sachsen, die mit dem tragischen Freitod eines der Bewerber endete, Vizepräsident Hans Klein: Herr Kollege Dr. Gerald steht für mich symbolisch für die Benachteiligung Thalheim, Sie haben das Wort. ostdeutscher Bewerber. Ich könnte die Aussagen meiner Landtagskollegen der CDU aus Sachsen an Dr. Gerald Thalheim (SPD): Sehr geehrter Herr dieser Stelle zitieren. Ich erspare mir das und gebe sie Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ihnen zum Nachlesen. Herr Bundesminister, in der vergangenen Woche haben Sie in einer großen Veranstaltung Ihre agrar- Vizepräsident Hans Klein: Ein weiterer Zwischen- politischen Vorstellungen dargelegt. Einer der Teil- fragewunsch des Kollegen Kuessner, wenn Sie bereit nehmer, der bereits zu DDR-Zeiten an ähnlichen sind zu antworten. Veranstaltungen teilnahm, sagte mir, daß er sich in vielem an die Vergangenheit erinnert gefühlt habe. Hinrich Kuessner (SPD): Herr Kollege Thalheim, Nicht nur daß durch die Auswahl der Referenten von wissen Sie, daß die Richtlinien über die Verwertung vornherein für Konformität der Aussagen gesorgt war, der volkseigenen Güter dem Treuhandausschuß vielleicht mit Ausnahme der Rede des Kollegen Bre- mehrfach versprochen, aber bis heute noch nicht auf dehorn, sondern auch die Art und Weise, wie versucht den Tisch der Parlamentarier gekommen sind? wurde, Verbandsfunktionäre und Medienvertreter zu vereinnahmen. Dr. Gerald Thalheim (SPD): Kollege Kuessner, (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Dieses Spiel selbstverständlich ist mir das bekannt. Es ist eine können Sie zwischen der F.D.P. und der typische Vorgehensweise der Regierung an diesem CDU/CSU nicht machen!) Punkt, daß sie versucht, diesen sensiblen Bereich am Parlament vorbei zu regeln, obwohl in dem Bohl In einem entscheidenden Punkt, Kollege Hornung, Papier vom 4. Dezember vergangenen Jahres — das gab es jedoch Abweichungen zur ehemaligen DDR. muß man hinzufügen — ausdrücklich steht, daß dem Sie, Herr Minister, haben den Mut bewiesen, das Parlament diese Richtlinien zugeleitet werden sol- auszusprechen, was jeder weiß. Und, Kollege Kalb, len. ich kann Ihnen den Satz nicht ersparen, daß nicht jeder Landwirt bleiben kann, der es will. Leider muß Ich fahre fort: Dort, wo die ostdeutschen Bewerber ich Ihnen sagen, daß das bereits der wichtigste Satz tatsächlich eine Chance erhielten, haben die Men- Ihrer Rede war. Ich zumindest bin nicht wie mein schen in den neuen Ländern unter Beweis gestellt, daß Kollege Schumann bereit, zwischen den Zeilen zu sie selbst in dieser schwierigen Anpassungsphase lesen. So kann ich zu keiner anderen Aussage kom- erfolgreich wirtschaften können. Das geht ja zum Teil men, als daß Sie die Richtungsbestimmung nicht nur auch aus dem Agrarbericht hervor. für die alten, sondern auch für die neuen Länder Wichtig ist auch der Vergleich der Landwirtschaft schuldig geblieben sind. zur Industrie. Ich bin z. B. der Meinung, daß, gemes- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) sen am Gesamthaushalt der Treuhandanstalt, die Transferleistungen für die Landwirtschaft relativ gering sind. Immerhin 15 Milliarden DM. Diese waren Vizepräsident Hans Klein: Gestatten Sie eine Zwi- eine wichtige Hilfe. Es darf aber nicht verschwiegen schenfrage des Kollegen Kalb? werden, daß bereits die Anpassungshilfen des vergan- genen Jahres lediglich die ostdeutsche Version des Dr. Gerald Thalheim (SPD): Ja. soziostrukturellen Einkommensausgleichs waren und damit keine Transferleistungen. Bartholomäus Kalb (CDU/CSU): Herr Kollege Thal- Im vergangenen Jahr wurde unser Antrag auf heim, würden Sie zur Kenntnis nehmen, daß ich von höhere Anpassungshilfen für das Jahr 1992 mit dem hier vorn aus überhaupt nicht gesprochen habe? Ich Hinweis abgelehnt, daß im Osten bald dieselben habe nur einen Satz, der hier vorgetragen und falsch Erzeugerpreise wie im Westen gezahlt würden. Das interpretiert worden ist, richtig darzustellen versucht. Gegenteil ist der Fall, zumindest in Sachsen. Dort Ich bitte Sie, nicht wieder falsch zu interpretieren. mußten die Landwirte mit Wut zur Kenntnis nehmen, Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 165. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23. Juni 1993 14163

Dr. Gerald Thalheim daß die beiden großen Milchverarbeitungsbetriebe, Sie, Herr Staatssekretär Haschke, sind im vergange- die mehrheitlich der Südmilch bzw. Müller gehören, nen Jahr durch die neuen Länder gezogen und haben nur noch sage und schreibe 51 Pfennig pro Liter Milch den Betroffenen die Auszahlung von 280 Millionen zahlen. Bei der Sachsenmilch AG liegt der Verdacht DM für verlorengegangene Inventarbeiträge ange- nahe, daß die Bauern im Osten für die Management- kündigt. — Herr Kollege Ho rnung, dazu hat sie fehler bei der Südmilch aufkommen müssen. Ich höre niemand gezwungen. Aber diese Mittel wurden im in diesem Hause immer, daß es nur im Osten Mana- Haushalt dieses Jahres gestrichen. Was im kommen- gementfehler gegeben habe. Der sächsische Land- den Jahr wird, weiß keiner. wirtschaftsminister kommentiert das mit der Bemer- Herr Minister, ich möchte Sie zumindest bitten, daß kung, das sei Marktwirtschaft. Ich kann das so nicht für den Fall der Kreispachtverträge eine einigerma- akzeptieren. Ich möchte Sie auffordern, Herr Minister, ßen vernünftige Lösung gefunden wird. Ihnen geht es Ihren Einfluß dahin gehend geltend zu machen, daß sicher ähnlich wie uns allen, daß wir viele Zuschriften die Erzeuger an den erheblichen öffentlichen Mitteln erhalten. Der Frieden in den Dörfern der neuen für die Modernisierung der Verarbeitungsindustrie Länder ist nach wie vor auch durch die Vermögens- — immerhin zum Teil bis 50 % der Investitions- - auseinandersetzungen belastet. Da bringt es wenig, summe — in Form fairer Auszahlungspreise teilhaben darauf hinzuweisen, daß es in vielen Fällen die alten können. Das gilt nicht nur im Osten, das gilt genauso Leitungen und Vorstände waren, die sich bei den gut im Westen. Umwandlungsbeschlüssen Auch im Hinblick auf die Altschulden bleiben Sie (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Ja, aber es eine Richtungsbestimmung schuldig. Die Rangrück- ist halt so!) trittsvereinbarung ist für mich die Gesetz gewordene und bei der Rangrücktrittsvereinbarung des Vermö- Realitätsverweigerung der Bundesregierung nach gens nicht an die Gesetze gehalten haben. dem Motto: Jetzt tun wir alle so, als gäbe es keine Altschulden! — Ohne Lösung der Altschuldenfrage (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Und doch bleibt vielen Betrieben nur der Weg in die Liquida- ist es so!) tion. Bei der Diskussion wird verschwiegen, daß der Zielkonflikt, der sich jetzt in voller Schärfe zeigt, (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Sie reden doch bewußt an der Wahrheit vorbei!) bereits im Gesetz angelegt war. Weder die Bundes- regierung noch die Verbände haben Lösungsmöglich- — Nein, eben nicht, Herr Kollege Hornung. Das ist keiten für diesen Konflikt aufgezeigt. Der Bundesre- nachzulesen bei Professor Manfred Koene von der gierung sind schwerwiegende Versäumnisse im Hin- Universität Göttingen. Auf einem Symposium der blick auf die Information der Betroffenen vorzuwer- Edmund-Rehwinkel-Stiftung stellte er fest, daß Liqui- fen. Erst im Dezember des vergangenen Jahres wurde dation oft der bessere Weg sei, da die Betriebe nur so von der Bundesregierung der Leitfaden zur Vermö- einen Neuanfang ohne Altschulden erreichen kön- gensauseinandersetzung vorgelegt, obwohl zu die- nen. Kollege Michels, auch Ihnen empfehle ich drin- sem Zeitpunkt alle entscheidenden Termine praktisch gend diese Lektüre. verstrichen waren. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Die Vermögensauseinandersetzungen werden in einigen Betrieben zusätzlich belastet, da beispiels- Ich bin der festen Überzeugung, daß es bei der weise die exportgeförderten Kartoffellieferungen Anhörung zu Fragen der Bilanzierung im Zusammen- nach Osteuropa bis heute nicht vollständig bezahlt hang mit den Vermögensauseinandersetzungen in sind. Die dazu im Bericht der Bundesregierung vorge- der kommenden Woche, die übrigens von der SPD- legte Begründung, Herr Minister, kann man so ein- Bundestagsfraktion initiiert wurde, erneut für alle fach nicht akzeptieren. sichtbar ans Licht kommen wird: Mit der Verweige- Es ist zu fragen — und diese Frage stelle ich mit rungstaktik der Bundesregierung bei den Altschulden Nachdruck —, weshalb für Fleischexporteure, wie für werden die ehemaligen Inventareinbringer in Haf- Herrn Moksel, die Vorschriften — die öffentliche tung genommen. Das verteilbare Vermögen wird Diskussion ist bekannt — nachträglich geändert wur- geschmälert. den. Pikanterweise, Herr Minister, wurde ein beson- Noch schlimmer, meine Damen und Herren, geht es ders niedriger Aufkaufpreis als Herkunftszeugnis den Inventareinbringern, die ihr Vermögen in den anerkannt. Das muß m an sich mal überlegen! Den Betrieben stehen haben, die heute keine Landwirt- ostdeutschen Lieferern wurde dagegen an dieser schaft mehr betreiben. Durch die Verweigerung der Stelle jedes Entgegenkommen verweigert. Rangrücktrittsvereinbarung werden diese Betriebe in Sie sehen, für eine wirkliche Richtungsbestimmung die Liquidation ge trieben. Ihnen wir heute mit Hin- gibt es noch viel aufzuarbeiten und in der Zukunft viel weis auf den Umtauschkurs der Währungsunion, zu tun. bildlich gesprochen, das letzte Hemd vom Leib geris- sen. (Beifall bei der SPD und der PDS/Linke Liste) Auch in diesem Zusammenhang ist der Bundesre- Schaffen Sie Rahmenbedingungen, damit tatsächlich gierung Wortbruch vorzuwerfen. wettbewerbsfähige Be triebe entstehen, und reden Sie (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Sie haben nicht nur darüber. doch die Möglichkeit gehabt, sich mit ande (Beifall bei der SPD und der PDS/Linke ren LPGs zu vereinigen!) Liste) 14164 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 165. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23. Juni 1993

Vizepräsident Hans Klein: Als nächster hat das Wort — Nein, das nenne ich mit a ller Deutlichkeit als der Kollege Ulrich Junghanns. gemeinsame Aufgabe. Ergo muß die Devise lauten, den von der Agrarre- form gesetzten Rahmen voll auszuschöpfen. Gemein- Ulrich Junghanns (CDU/CSU): Herr Präsident! sam mit den modernen Verarbeitungsbetrieben müs- Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Vier sen größere Marktanteile, insbesondere gegenüber kurze Anmerkungen aus der Sicht der Landwirtschaft Importen, erobert bzw. zurückerobert werden. der jungen Bundesländer. In diesem Zusammenhang bin ich der Auffassung, Erstens. Zum Agrarbericht 1992 selbst. Insbeson- es kann nicht so sein, wie es mein Vorredner ange- dere von den juristischen Personen werden die stati- mahnt hat, daß z. B. Molkereien aus ihrer Position stischen Grundlagen und die Auswertungsmethodik heraus gegenüber den Bauern eine Übervorteilung des Agrarberichts kritisch hinterfragt. Wenn auch organisieren. erstmals Testbetriebe der neuen Bundesländer mit Drittens. An dieser Stelle werden auch bei uns herangezogen wurden, so konnte doch noch- keine immer wieder schlechte Rahmenbedingungen be- ausreichende Repräsentanz der Betriebsstrukturen klagt. Zunächst meine ich dazu: Bei allen Wünschen und Regionen erreicht werden. Uns hilft es nicht, leben wir doch nicht im luftleeren Raum. Das, was wenn wir diesen Zustand so erhalten. Wir müssen ihn Bundesminister Borchert an Sonderregelungen der verändern. Als problematisch erweisen sich vor allen EG-Agrarreform und an speziellen Hilfen für unsere Dingen die Kennzahlen, nach denen die Vergleiche jungen Bundesländer dargestellt hat, spricht im Ver- zwischen den verschiedenen Betriebsformen und zwi- gleich zu den alten Ländern vom Gegenteil. schen den alten und neuen Bundesländern angestellt werden. (Beifall des Abg. Siegfried Hornung [CDU/ CSU]) Wir müssen uns mit einer spezifischen Auswertung der juristischen Personen befassen. Als Ausweg kön- Der Agrarbericht 1993 offenbart aber gleichzeitig, daß nen nicht nur einer Seite der Beteiligten Schuld der Einrichtungs- und Umstrukturierungsprozeß zugesprochen und nötige Veränderungen abverlangt auch weiter der politischen Unterstützung durch Bonn werden. Mein Vorschlag ist, daß kompetente Vertre- bedarf. Wir erleben gemeinsam — meine Vorredner ter der juristischen Personen und Autoren des Agrar- haben darauf Bezug genommen —, wie besonders die berichts den Weg zueinander finden, um die Basis- notwendigen Vermögensauseinandersetzungen und werte und die Auswertungsmodalitäten aufeinander die Verpachtung der Treuhandflächen die Gemüter abzustimmen. massiv gegeneinander aufbringen. Wir brauchen hier in diesem Saal für alle Agrarde- In bezug auf meinen Vorredner möchte ich anmer- batten in der Zukunft ein ungeschminktes, klares Bild ken: Der Zielkonflikt ist da. Aber er ist im Grunde von der Situation in den juristischen Bet rieben, um uns genommen durch Rahmenbedingungen politisch aus- in die Lage zu versetzen, zuverlässige Folgerungen zu zugestalten, um ihn zu lösen. Es ist nicht möglich, ziehen. diese Problematik durch eine einseitige Zielvorgabe aus dem Konflikt herauszunehmen. Das ist die Natur (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Sehr rich konkurrierender Pachtinteressen; das ist die Natur -tig!) konkurrierender Vermögensauseinandersetzungen. Zweitens. Unabhängig davon kann aber für unsere Ich möchte zum wiederholten Mal feststellen: Es jungen Länder festgestellt werden, und das wurde gibt in den Kernfragen kein Bonner Regelungsdefizit, zum Teil schon getan: Die Landwirte in den jungen sondern ein Vollzugsdefizit in den Sachproblemen Ländern haben außerordentlich schnell eine Anpas- selbst, sung an die neuen Rahmenbedingungen der europäi- schen Agrarpolitik vollzogen. Schritt um Schritt neh- (Zuruf von der CDU/CSU: Das ist richtig!) men leistungsfähige und marktorientierte Bet riebe wofür ich, was manche Praxis in der Treuhand, aber Gestalt an. Es gibt sozusagen eine gewisse Stabilisie- auch insbesondere in m anchen Landratsämtern rung im Umstrukturierungsprozeß, auch wenn ich angeht, keinerlei Verständnis mehr aufbringen anfügen muß: Es ist eine Stabilisierung auf niedrigem kann. Niveau. Dann gibt es ein Defizit in der Handhabung der Den sich entwickelnden modernen Ernährungs- juristischen Instrumentarien, gepaart mit einer ver- wirtschaftsbetrieben steht beispielsweise ein unver- breiteten Rechtsunkenntnis und Rechtsunsicherheit. hältnismäßig niedriger Tierbestand gegenüber. Auch Wer diese Erfahrungen mit mir teilt, wird auch zustim- sind die Milchquoten 1992/93 nur zu rund 88 % men, wenn ich sage: Diese Probleme werden dadurch ausgeschöpft worden. Der radikale Arbeitskräfteab- nicht besser oder schneller geklärt, wenn die Vermö- bau in der Landwirtschaft unserer Länder auf durch- gens- und Pachtkonflikte weiter, wie bisher, politisch schnittlich 3,4 Vollarbeitskräfte je 100 ha — hierzu- dazu benutzt werden, den Fast-Glaubenskrieg zwi- lande sind es 5,8 — hat einen Punkt erreicht, der — das schen Betriebsstrukturen und Betriebsgrößen in unse- möchte ich nüchtern feststellen —, gemessen an den ren neuen Bundesländern anzuheizen. realen wirtschaftlichen Erwartungen an diese Bran- Wir sind aufgefordert, ohne diesen Konflikten und che, auf Stabilisierung orientiert. Fragen aus dem Wege zu gehen, für Vernunft und (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Das hat Verständnis füreinander zu sorgen, denn die Pro- aber nicht die Bundesregierung zu vertre bleme müssen in der Tat in den Dörfern ausgekämpft ten!) werden, und zwar gerade jetzt, wo die öffentlichen Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 165. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23. Juni 1993 14165

Ulrich Junghanns Ausgaben — die für die Landwirtschaft sind bestimmt wird. Das heißt, er will allen etwas nehmen, um dann nicht ausgenommen — notwendigerweise gekürzt einige wenige zu fördern. werden sollen. (Horst Sielaff [SPD]: Das ist Ihre falsche Der Umstrukturierungsprozeß in den alten und in Schlußfolgerung! ) den jungen Bundesländern geht weiter. Die Zukunft Damit will er die Situation verschärfen. gehört den leistungsfähigen, marktorientierten Be- trieben. Dabei wird es auch einen „Wettbewerb" der (Zuruf von der CDU/CSU: So ist es!) Strukturen geben, in dem aber zuallererst die Land- Weiter will die SPD die Situation verschärfen, indem wirte als Hauptakteure ihre Unternehmerfähigkeiten sie gleichzeitig die Streichung der Gasölbeihilfe und beweisen müssen und werden. die Kürzung im Sozialbereich fordert. Beides ist in der Schließlich noch zu einem gesonderten vie rten Presseerklärung von Ihnen nachzulesen. Punkt im Agrarbericht. Es geht um spezielle Probleme Zweite Anmerkung zur Anpassungshilfe: Sie haben der Gartenbaubetriebe in unseren jungen Ländern, beklagt, daß die Anpassungshilfe für Bet riebe um bis die eigentlich völlig unzulässig oftmals am Rand zu 50 % gekürzt werden solle. Sie haben nicht darauf unserer agrarpolitischen Betrachtungen stehen. Bei hingewiesen, daß davon nur wenige Betriebe in den der betrieblichen Förderung werden sogenannte neuen Ländern — Betriebe mit mehr als 250 Arbeits- Modernisierer — das sind Gartenbaubetriebe, zu- kräften — be troffen sind. Ich bedauere die Abschwä- meist Familienunternehmen, die schon zu DDR- chung der Degression, die durch den Bundesrat vor- Zeiten privat gewirtschaftet haben — gegenüber genommen worden ist, Wiedereinrichtern, meist aus ehemaligen Genossen- (Zuruf von der CDU/CSU: Sehr richtig!) schaftsgärtnereien, benachteiligt. Die Modernisierer weil uns so nicht die Möglichkeit gegeben ist, bei können in diesem Vergleich nur ca. ein D rittel der wenigen großen Betrieben zu kürzen, um vielen öffentlichen Darlehen beanspruchen. Altschuldenre- kleinen Betrieben stärker und intensiver helfen zu gelungen sind ihnen nicht zugänglich. können. Betrachtet man die Ausgangslage, so entbehrt diese Ungleichbehandlung jeder Grundlage. Deshalb er- laube ich mir von dieser Stelle aus, die Bitte an das Vizepräsident Hans Klein: Herr Bundesminister, der BML, aber auch an die Landesregierungen zu richten, Kollege Sielaff würde gerne eine Zwischenfrage stel- in dieser Frage Abhilfe zu schaffen. len. Ich danke Ihnen für das Zuhören. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Jochen Borchert, Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten: Aber gern.

Vizepräsident Hans Klein: Bevor ich dem Bundesmi- Vizepräsident Hans Klein: Bitte sehr, Herr Kol- nister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten, lege. Jochen Borchert, das Wort gebe, möchte ich Ihnen, meine Kolleginnen und Kollegen, sagen, daß zeitge- recht zu dieser Debatte auf der Tribüne 50 Teilnehmer Horst Sielaff (SPD): Herr Minister, würden Sie bitte der Jahresversammlung der Atlantic Association of zur Kenntnis nehmen, daß ich die Streichung der Young Political Leaders Platz genommen haben, die Gasölbeihilfe nicht gefordert habe in ihren Ländern — in den USA, in Engl and, in (Bartholomäus Kalb [CDU/CSU]: Aber die Frankreich und Italien; auch Abgeordnete von uns Frau Matthäus-Maier!) gehören dieser Vereinigung an — natürlich diese Problematik auf andere Weise ebenso zu behandeln und daß Sie sich hier offensichtlich auf irgendwelche haben. Ich richte ein herzliches Wort des Grußes im Fehlinformationen berufen. Ich habe ausdrücklich Namen des Hauses an Sie. gesagt, daß sie aber aus ökologischen Gründen zur Diskussion gestellt werden kann und daß man Neu- (Beifall) ordnungen vornehmen kann. Ich habe deutlich Herr Bundesminister, jetzt haben Sie das Wo rt. gemacht, daß dies dann auch EG-konform geschehen muß. Das, was Sie hier unterstellt haben, ist von mir als Sprecher der Fraktion nicht gesagt worden. Jochen Borchert, Bundesminister für Ernährung, (Zuruf von der CDU/CSU: Aber von der Landwirtschaft und Forsten: Vielen Dank, Herr Präsi- SPD!) dent! Meine Damen und Herren! Ich möchte in der Kürze der Zeit noch auf einige Widersprüche der Opposition eingehen. Der Kollege Sielaff beklagt Jochen Borchert, Bundesminister für Ernährung, einerseits die Einkommenssituation in der Landwirt- Landwirtschaft und Forsten: Ich nehme gern zur schaft. Er beklagt, daß auf Grund dieser Einkommens- Kenntnis, daß Sie — abweichend von Ihrer Fraktion — situation in vielen Betrieben keine Eigenkapitalbil- dies nicht fordern. Ich bleibe aber dabei, daß die dung möglich ist und keine Gewinne für Ersatzinve- Fraktion dies gefordert hat. stitionen erwirtschaftet werden können. (Horst Sielaff [SPD]: Das ist falsch! — J an Anschließend fordert er die Streichung des sozio- rt!) Oostergetelo [SPD]: Nein, Herr Borche strukturellen Einkommensausgleichs, wodurch die Zweitens: Sozialpolitik. Nun sind ja heute in der Gewinnsituation in den Betrieben noch schlechter Debatte auch die Widersprüche in der Sozialpolitik 14166 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 165. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23. Juni 1993

Bundesminister Jochen Borchert aufgeklärt worden. Die SPD fordert weiterhin die 2. Abrüstungsdebatte Streichung der zusätzlichen Mittel für die Agrarso- a) Beratung der Beschlußempfehlung und des zialreform. Sie sagen aber gleichzeitig, daß Sie eine Berichts des Auswärtigen Ausschusses Agrarsozialreform wollen, und zwar durch eine (3. Ausschuß) zu dem Antrag der Abgeord- Umverteilung der Mittel innerhalb der Sozialpolitik. neten Günter Verheugen, Katrin Fuchs Das heißt: Auch hier wollen Sie an irgendwelchen (Verl), Robert Antretter, weiterer Abgeord- Stellen innerhalb der Sozialpolitik kürzen, um dies neter und der Fraktion der SPD dann anders zu verteilen. Nur, ich sage Ihnen: Wer bei den vorhandenen Mitteln zusagt, er wolle im Rahmen Nichtverbreitung von Kernwaffen einer Reform die Rente der Bäuerinnen und weitere — Drucksachen 12/3099, 12/5116 — Leistungen finanzieren, der mutet den Betrieben Berichterstattung: Belastungen zu, die so nicht finanzierbar sind. Abgeordnete Peter Kurt Würzbach (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Katrin Fuchs (Verl) Eine letzte Anmerkung. Kollege Thalheim, Sie Dr. Olaf Feldmann sollten sich noch einmal überlegen, ob Sie Ihren b) Beratung der Beschlußempfehlung und des Vergleich so aufrechterhalten. Wenn Sie eine Veran- Berichts des Auswärtigen Ausschusses staltung, zu der ich als Minister eingeladen habe, auf (3. Ausschuß) zu dem Antrag der Abgeord- der frei gewählte Abgeordnete dieses Hauses spre- neten Katrin Fuchs (Verl), Robert Antretter, chen, an der gewählte Repräsentanten der Verbände Helmuth Becker (Nienberge), weiterer Ab- und der Organisationen der Bundesrepublik teilneh- geordneter und der Fraktion der SPD men, mit einer Veranstaltung in der früheren DDR vergleichen, dann kennzeichnet dies auch Ihre übri- Sofortige Einstellung aller Atomwaff en- gen Beiträge. tests Vielen Dank. — Drucksachen 12/2845, 12/5115 — (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. — Berichterstattung: Zurufe von der SPD: Das kennzeichnet Ihre Abgeordnete Peter Kurt Würzbach Beiträge! — Kein guter Beitrag!) Katrin Fuchs (Verl) Dr. Olaf Feldmann ZP1 Beratung der Beschlußempfehlung und des Vizepräsident Hans Klein: Ich schließe die Ausspra- Berichts des Auswärtigen Ausschusses (3. Aus- che. Der Agrarbericht 1993 soll an die in der Tages- schuß) zu dem Antrag der Fraktion der SPD ordnung genannten Ausschüsse überwiesen werden. Beseitigung der französischen HADES-Atom- Der Entschließungsantrag der Fraktion der SPD auf raketen Drucksache 12/5217 und der Entschließungsantrag der Gruppe PDS/Linke Liste auf Drucksache 12/5216 — Drucksachen 12/1212, 12/5210 — sollen an dieselben Ausschüsse überwiesen werden. Berichterstattung: Der während der Aussprache eingebrachte Entschlie- Abgeordnete Peter Kurt Würzbach ßungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU und der Katrin Fuchs (Verl) F.D.P. auf Drucksache 12/5231 soll ebenfalls an diese Dr. Olaf Feldmann Ausschüsse überwiesen werden. Gibt es dazu ander- weitige Vorschläge? — Das ist nicht der Fall. Dann ZP2 Beratung der Beschlußempfehlung und des sind die Überweisungen so beschlossen. Berichts des Auswärtigen Ausschusses (3. Aus- schuß) zu dem Antrag der Fraktion der SPD Wir kommen zur Abstimmung über die Beschluß- empfehlung des Ausschusses für Ernährung, Land- Abrüstung taktischer Atomwaffen wirtschaft und Forsten zu den Entschließungsanträ- — Drucksachen 12/1213, 12/5212 — gen zum Agrarbericht 1992 auf Drucksache 12/3745. Der Ausschuß empfiehlt, den Entschließungsantrag Berichterstattung: der Fraktionen der CDU/CSU und der F.D.P. auf Abgeordnete Peter Kurt Würzbach Drucksache 12/2727 unverändert anzunehmen. Wer Katrin Fuchs (Verl) stimmt für diese Beschlußempfehlung? — Gegen- Dr. Olaf Feldmann probe! — Enthaltungen? — Die Beschlußempfehlung ZP3 Beratung der Beschlußempfehlung und des ist angenommen. Berichts des Auswärtigen Ausschusses (3. Aus- Der Ausschuß empfiehlt weiter, den Entschlie- schuß) zu dem Antrag der Abgeordneten ßungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache Andrea Lederer, Dr. H ans Modrow und der 12/2728 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschluß- Gruppe der PDS/Linke Liste — empfehlung? Initiative zur nuklearen Abrüstung (Horst Sielaff [SPD]: Schlimm! Schlimm!) — Drucksachen 12/1443, 12/5213 — Wer stimmt dagegen? — Wer enthält sich der Stimme? Berichterstattung: — Diese Beschlußempfehlung ist ebenfalls angenom- men. Abgeordnete Peter Kurt Würzbach Katrin Fuchs (Verl) Ich rufe Punkt 2 der Tagesordnung sowie die Dr. Olaf Feldmann Zusatzpunkte 1 bis 3 auf: Dr. Hans Modrow Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 165. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23. Juni 1993 14167

Vizepräsident Hans Klein Ich darf die Kolleginnen und Kollegen, die an der Ich will das renommierte Internationale Institut für Debatte nicht teilnehmen wollen, bitten, den Saal Friedensforschung — SIPRI — aus Stockholm mit etwas schneller zu verlassen und die Gespräche einigen wenigen Zahlen zitieren. SIPRI stellte vor draußen zu führen, damit wir fortfahren können. wenigen Wochen fest, daß eine Reihe genannter Wir haben heute einen Vormittag, der offensichtlich Länder — und ich habe mir aus einer längeren Kette auch großes auswärtiges Interesse hervorruft. Auf der mit Bedacht und bewußt folgende drei herausgesucht: Ehrentribüne hat eine Delegation von Parlamenta- Indien, Israel, Pakist an, und jeder weiß, was ich im riern aus dem tunesischen Nationalparlament Platz Hinblick auf bestimmte Regionen, Zusammenhänge genommen. Ich richte ein Wort sehr herzlichen Grußes und Auswirkungen mit dem Erwähnen gerade dieser an Sie, meine verehrten Kolleginnen und Kollegen Länder meine — wohl über genügend Mate rial ver- aus Tunesien. fügten, um zusammen über 120 Atomwaffen bauen zu können. SIPRI stellte weiter fest — zum erstenmal in (Beifall) einer solch zusammengefaßten Schätzung —, daß auf Die Abrüstungsdebatte umfaßt die Beratung mehre- der Erde insgesamt — und das ist nicht alles im Besitz rer Vorlagen zu diesem Thema. Nach einer interfrak- der Kernwaffenstaaten — rund 1 000 Tonnen Pluto- tionellen Vereinbarung sind für die gemeinsame Aus- nium und 1 300 Tonnen hochangereichertes Uran sprache eineinhalb Stunden vorgesehen. — Dagegen vorhanden sind. All dies sind Materialien, die die erhebt sich kein Widerspruch. Dann ist das so Voraussetzung dafür bieten, Atomwaffen herzustel- beschlossen. len. Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem Das macht deutlich, wie wich tig es ist, daß die Kollegen Peter Würzbach. Weltgemeinschaft, die UNO, und alle Ins titutionen internationaler Art, die dies tun können, jetzt eingrei- fen, um hier zu ordnen, um zu kontrollieren. Das Peter Kurt Würzbach (CDU/CSU): Herr Präsident! Kontrollieren ist schon schwer, und wir sind darin Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich sage — ich noch unfertig. Korea hat das gezeigt, der Irak hat das weiß, daß dies gleich am Anfang dieser Debatte etwas gezeigt. Das waren zwei Bereiche, die uns aus sonst mutig ist —, daß das eine gute Debatte wird, und zwar ziemlich behäbiger Lethargie ein bißchen aufgerüttelt schon deshalb, weil — was ungewöhnlich in dieser haben. Zeit des Streits zwischen Regierung und Koalition um Das Kontrollieren, das dann schon ein bißchen manche Fragen der Sicherheits-, Verteidigungs- und besser perfektioniert ist, genügt aber nicht, wenn Bundeswehrpolitik ist — wir bei all diesen Fragen, die dahinter nicht Mechanismen stehen, um zu sanktio- heute hier anstehen, eine Sprache sprechen und nieren, wenn jemand gegen freiwillig unterschrie- gemeinsame Beschlußempfehlungen vorgelegt ha- bene Verträge und die gültigen Regeln verstößt. Bei ben. Dies macht Mut, um nicht nur unserer Bundesre- den Sanktionen sind wir noch nicht einmal am gierung zu zeigen, daß das Parlament hier quer durch Anfang, vernünftige Instrumente gefunden zu haben, alle Fraktionen in diesen zentralen abrüstungs- und und diese sind ungleich notwendiger. Hier haben wir sicherheitspolitischen Fragen einig ist, sondern dar- alle miteinander in der Welt eine Menge zu tun, und über hinaus zeigt dies auch allen internationalen auch wir, die Deutschen, haben unseren Teil dazu Institutionen in der Welt, die teilweise noch hand- beizutragen. In unserem gemeinsamen Beschluß lungskräftiger, handlungswilliger in diesem Zusam- haben wir — ich komme kurz darauf zurück — hierzu menhang werden müssen, daß der Deutsche Bundes- sehr konkrete Anregungen gegeben. tag hier eine Sprache spricht. Das ist etwas Besonde- Eine vor diesem Hintergrund ganz aktuelle und res, das wir, glaube ich, eingangs hier auch so würdi- ebenfalls schwere Herausforderung kommt im Au- gen sollten. Ich möchte den Kolleginnen und Kolle- genblick noch dadurch hinzu, daß wir erhebliche gen, die — auch auf meine Anregung hin; manchmal Mängel bei der Kontrolle der Atomwaffen der ehe- waren wir dabei, das Handtuch zu werfen — weiter- feststellen müssen. Auch wenn verhandelt haben, danken, daß wir in der Frage des maligen Sowjetunion die ehemalige Sowjetunion endlich angefangen hat, Vertrages über die Nichtweiterverbreitung von ihre Verträge zu erfüllen, nämlich riesige Mengen Atomwaffen — ein zentrales Thema in der Welt; es atomarer Waffen und Sprengköpfe zu verschrotten, geht im Augenblick inmitten der Tagespolitik und gibt es noch eine Vielzahl von unwägbaren Unsicher- nachgeordneter Dinge manchmal ein bißchen unter — heiten in den Nachfolgestaaten der ehemaligen zu einem gemeinsamen Entschluß kamen. Die Kolle- Sowjetunion. gin Fuchs von der SPD, der Kollege Feldmann von der F.D.P. und der Kollege Pflüger haben — nicht Tage; es Etwas Erfreuliches wi ll ich hier direkt anfügen. Es hat Wochen gedauert — miteinander verhandelt, und gibt Länder, die, obwohl sie in der Lage wären, ich freue mich, daß unser Unterausschuß und der Atomwaffen zu bauen, konkret darauf verzichtet Auswärtige Ausschuß zu dem Konsens gekommen haben, dies zu tun. Ich nenne Länder wie Argentinien, sind, der uns heute hier dieses in der Form verabschie- Brasilien, Südafrika, Taiw an. den läßt. Das ist eine prima, das ist eine beispielhafte Der Nichtverbreitungsvertrag über die Nichtwei- Sache, und jeder versteht meinen Wunsch: Gäbe es tergabe von atomaren Waffen und dazugehörigen diese Übereinstimmung doch auch in manch anderen Raketen, 1970 in Kraft getreten, muß 1995 verlängert für Deutschland, Europa und die Welt wich tigen werden, und wir fordern, daß er dann unbef ristet, für Fragen. alle Ewigkeit geltend, verlängert wird, also ohne über (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. neue Konditionen nachverhandeln zu müssen. Es gibt sowie bei Abgeordneten der SPD) manches in dem Vertrag, was besser sein könnte; aber 14168 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 165. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23. Juni 1993

Peter Kurt Würzbach wenn wir ihn öffnen und neu verhandeln würden, nicht abgeschlossen; da ist ein bißchen geschmeidig wäre bei so vielen Ländern — nur 28 Länder der Welt eingelenkt worden. Dies wird der erste im Augenblick gehören ihm nicht an — die Chance, eine Ratifizie- erkennbare praktische Prüfstein für Handlungsfähig- rung in den bestehenden Vertragsstaaten zu errei- keit und — viel wichtiger noch — für Handlungswil- chen, ungleich geringer. Es ist heute schon schwer. ligkeit der Vereinten Nationen, des Sicherheitsrates Zwei oder drei Schwierigkeiten will ich nennen, die, und aller ihnen angehörigen Nationen sein. wie ich hoffe, durch kluge Verhandlungen überwun- Ich will einige Länder nennen, die diesem Vertrag den werden können. Unsere Bundesregierung ist hier noch nicht angehören und bei denen wir alle — wir, an der Spitze der Aktivitäten und, wie ich höre, bei aber auch alle unsere Partner mit uns zusammen, den ersten Vorbereitungskonferenzen auch mit gutem jeder von uns — die große Möglichkeit und — ich sage Erfolg tätig geworden. Ich will hoffen, daß die Schwie- auch — Verpflichtung haben, auf diese Länder in der rigkeiten, die ich kurz skizzieren will, überwunden gebotenen parlamentarischen und politischen Form werden können. einzuwirken, sich diesem wichtigen Vertrag anzu- Da ist einmal die Schwierigkeit, daß atomare schließen. Länder wie Algerien, Brasilien, Indien, Rüstung von Vertragsstaaten durchgeführt wird, und Israel, Kasachstan, Kuba, Pakistan, die Ukraine und auch hier haben wir Beispiele: Nordkorea mit einem Weißrußland gehören diesem Vertrag noch nicht an. Fragezeichen — wenn es noch ein Fragezeichen ist. Manche dieser Länder haben Atomwaffen. Alle soll- Beim Irak wissen wir alle, wie es sich in der jüngsten ten sich dringend diesem Vertrag anschließen. Geschichte entwickelt hat und daß es nicht zu einer solchen vertragswidrigen Herstellung von Atomwaf- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) fen kam. Daß wir als Deutsche, daß Deutschland besonderes Aber auch wenn Nichtvertragsstaaten — die 28, die Interesse an diesem Vertrag hat, und zwar aus unter- ich nannte — sich jetzt Atomwaffen zulegen und die schiedlichen Gründen, das will ich hier auch sehr Weltgemeinschaft nicht in der Lage ist, irgend etwas deutlich feststellen. Unser Land hat völkerrechtlich zu tun, könnte das andere davon abhalten, diesen verbindlich — und niemand wollte und will und wird Vertrag zu verlängern. daran rütteln, und wollte er es, dann könnte er es nicht, auch zukünftig nicht — auf Kernwaffen verzich- Ich nenne eine dritte — etwas, was auch an die tet, und selbst im schlimmsten Fall, daß die Verlänge- Adresse von Partnern und Freunden geht — kritische rung dieses Vertrages über 1995 hinaus scheitern Entwicklungsmöglichkeit, nämlich daß auch Ver- sollte, wird sich an dieser Haltung Deutschlands tragspartner ihre Pflichten, die sich aus dem Vertrag nichts ändern. Ich sage auch — und das mit Bedacht, ergeben, nicht uneingeschränkt oder nur ungenü- aber ebenso klar —, daß Deutschl and in diesem gend erfüllen, und zwar im Hinblick auf drei Punkte, Zusammenhang ein Beispiel, ein Vorbild für andere die der Vertrag zur Leitlinie hat, erstens auf die Staaten ist. Wir sind eines der bevölkerungsmäßig Abrüstung, zweitens auf die Teststopps — darauf, jetzt größten Länder in Europa; wir sind kerntechnisch in sofort auf alle weiteren Tests mit nuklearen Waffen zu der Welt noch immer mit führend; wir haben s trenge, verzichten; ein Punkt der hier gesondert ansteht, und in Europa mit die strengsten Exportkontrollen in mein Kollege Pflüger wird sich dieser Frage besonders diesem Zusammenhang. Wir werden umfassend kon- annehmen — und drittens — dieser Punkt ist in der trolliert, und da gibt es kein Tabu; da ist nicht sicherheitspolitischen Diskussion hochaktuell — auf irgendeine Anlage verschlossen. Wir wirken in allen die Frage des Gebens von Sicherheitsgarantien für internationalen Institutionen, die sich mit diesen Vor- solche Staaten, die selber bewußt auf Atomwaffen gängen zu befassen haben, uneingeschränkt mit. Ich auch weiterhin verzichten wollen, aber in einer unsta- sage noch einmal: Wir wollen und werden kernwaf- bilen Region sind und des Schutzes und der Zusiche- fenfrei bleiben — ein wirkliches Beispiel für viele rung von Garantien durch stärkere, dazu in der Lage andere Länder. Das sollten wir selbstbewußt und befindliche Staaten bedürfen. Ich will als Deutscher deutlich, so finde ich, auch sagen. im Deutschen Bundestag nur fragen: Was wären wir, was wäre unser Land, das bewußt auf nukleare Zu unserem Antrag: Wir haben darin in zehn recht Waffen verzichtet hat, aber der Garantie von Partnern inhaltsvollen Punkten einen umfassenden, gründli- und Freunden bedurfte, uns mit allen Waffen beizu- chen und in vielen Bereichen sehr neuen und rich- stehen, wenn dies erforderlich sein würde, ohne tungsweisenden Zielkatalog für die Verhinderung der solche Garantie? Weiterverbreitung von Nuklearwaffen formuliert, ein Zielkatalog, der der Bundesregierung bei den inter- Das sind drei Punkte, bei denen ich hoffe, daß kluge nationalen Verhandlungen sehr helfen wird und von Beratungen befreundeter Regierungen — auch in dem ich mir wünsche, daß er auch mit uns in Verbin- Richtung solcher Staaten, die wir noch gewinnen dung stehende Parlamente anderer Staaten anregt, in wollen — ein Scheitern verhindern und eine Vertrags- ähnlicher Form tätig zu werden. verlängerung erreichen können. In Stichworten seien wenige der zehn inhaltsrei- Die Vorgänge im Irak sind es gewesen, die die chen Punkte genannt: UNO, den Sicherheitsrat, erst ein wenig in Bewegung gebracht haben. Hier muß noch eine Menge mehr Stärkung der Kontrollmöglichkeiten der internatio- geschehen, damit wir uns die vernünftigen Instru- nalen Atomenergiebehörde. Sie sind heute. völlig mente schaffen, um hier kontrollieren und sanktionie- unzureichend. Ich will hier noch einmal ein kleines ren zu können. Korea — ein Kapitel, das sich im Beispiel nennen, das aber ein Licht auf ein starres, Augenblick ein bißchen beruhigt hat — wird hier ein bürokratisches, behäbiges und den Auftrag damit ganz aktueller Prüfstein sein. Das Kapitel ist noch lähmendes und erstickendes Handlungsvermögen Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 165. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23. Juni 1993 14169

Peter Kurt Würzbach wirft. Wenn die Kontrolleure in irgendein L and gehen, ohne Rücksicht darauf, welche Gefährdung dadurch weil sie den dringenden Verdacht haben, daß dort eintritt. gegen die internationalen Regularien verstoßen wird Es muß von uns klug — hier sind wir wieder bei der — es ist fast ein Witz, es erwähnen zu müssen; es tut Abrüstungshilfe — frühzeitig geregelt werden, daß weh —, dann müssen sie wie jeder Tourist bei dem sich, wenn die Abrüstung begonnen hat und neue Land, in das sie reisen wollen, um Kontrollen durch- Waffen zerlegt werden, dieses Mate rial, das auf dem zuführen, erst einmal ein Visum beantragen. Jeder Schwarzen Markt gehandelt wird, nicht vermehrt. weiß, was bestimmte Länder dann, wenn sie wissen, Über 25 000 Kernwaffen müssen die Staaten der wer von welcher Behörde aus welchem Anlaß und zu ehemaligen Sowjetunion abrüsten. Das wirft Fragen welchem Zeitpunkt kommen wi ll, tun. Daß es dieser nach der Zerlegung, dem Transport, der Zwischenla- Behörde der UNO noch nicht einmal gelungen ist, den gerung, der Kontrolle, der Bewachung, der Weiterver- Kontrolleuren wenigstens ein Dauervisum zu ver- wendung, der Umweltverträglichkeit und der Finan- schaffen, so daß sie reisen können, wenn sie meinen, zierung auf. es sei nötig, das zeigt, welcher riesige Handlungsbe- darf da noch ist; das zeigt aber auch, wie alle Mitglied- Wir haben großartige Verträge geschlossen. Ich staaten — ich rechne uns mal dazu — sich mit diesem sehe hier unseren Ehrenvorsitzenden, Dr. Dregger, behäbigen Verwaltungsverfahren abgefunden zu der damals forderte: Weg mit den Kurzstreckenwaf- haben scheinen. Hier ist, lieber Herr Schäfer, für uns fen! alle, das Parlament und die Regierung, für unseren (Zuruf von der F.D.P.: Er war nicht der Staat und andere, dringender Handlungsbedarf gege- allererste!) ben. (Zuruf von der CDU/CSU: Sehr richtig!) Das ist längst Geschichte. Weiter forderte er: Weg mit den chemischen Waffen! Auch das ist längst Wir fordern darüber hinaus eine sehr weitgehende Geschichte. Alles das ist aber nur in bezug auf das Überprüfung auch aller zivilen Nuklearanlagen. Das Vertragswesen Geschichte. Die Dinger liegen noch ist eine ganz weitgehende Forderung, die wir erhe- hier und da und warten auf die Vernichtung. Hier darf ben, und dies ohne Ausnahme. Sie werden bisher ich an unser aller Adresse — der Schlüssel hierzu liegt nicht kontrolliert. Hier wird es möglicherweise Protest bei den ersten Ansätzen zum Haushalt unserer Bun- aus den Vereinigten Staaten, unseren Freunden und desregierung; ich glaube, das ist nächste Woche — Partnern, geben. Aber ich will begründen, warum wir darauf aufmerksam machen: Diese Verträge, gute dies gemeinsam gefordert haben: weil wir nur so in die Verträge, von denen manche hier auf der einen oder überalterten und gefährlichen Kernkraftwerke der anderen Seite meinten, daß wir sie nie zustande ehemaligen Sowjetunion, in Rußland, in der Ukraine bekämen, müssen nun umgesetzt werden in die prak- und sonstwo, hineinkommen. Ich hoffe, daß es allen tische Wirklichkeit. Dies kostet Geld, und hierzu hat unseren Partne rn einsichtig ist, daß wir dort hineinge- Deutschland bisher 10 Millionen DM beigetragen. hen müssen, um zu schauen, was sich do rt tut, was Vor dem Hintergrund mancher Diskussion ist das man dort tut und wie dort mit den Materialien umge- gangen wird. viel; aber gemessen an dem, was wir tun müssen, nämlich chemische Waffen und Kurz- und Langstrek- Eine internationale Kontrolle der Entsorgung soll kenwaffen und Raketen vernichten, ist das nichts. Im eingeführt werden. Auch dies ist neu und muß ohne Vergleich zu dem, was Japan, England, Frankreich Ausnahme gelten. und besonders Amerika geben, ist das ebenfalls fast nichts. Ich melde also hier gerade vor dem Hinter- Ein weiterer Punkt ist die Hilfe bei der nuklearen grund der Gemeinsamkeit deutlich an, daß der theo- Abrüstung der GUS, die dies allein nicht leisten kann. retischen Vertragsabschließung das praktische Um- Wenn sie es endlich politisch wirklich wollen — auch setzen zu folgen hat. da ist ja inzwischen noch bei dem einen oder anderen Land berechtigter Zweifel anzumelden —, dann kön- (Dr. Friedbert Pflüger [CDU/CSU]: Das ist nen sie es finanziell oder technologisch nicht. Hier ganz wichtig!) sind wir gewaltig gefordert, um mehr zu tun. Abschließend ein Wort zu einem Bericht, der hier ebenfalls ansteht. Die Bundesregierung hat am (Vorsitz: Vizepräsidentin Renate Schmidt) 24. März einen Vertrag über den sogenannten Offe- Ein weiterer Punkt ist die Frage der Sanktionen, nen Himmel unterzeichnet. Das ist ein fabelhafter und zwar gegen Firmen, die gegen die Regeln verstie- Vertrag, dem zuzustimmen wir empfehlen. Von Wla- ßen, wie gegen Lander, die lieferten, wie gegen diwostok bis Vancouver und Ma libu Länder, die empfingen. Alle drei müssen im Bereich (Katrin Fuchs [Verl] [SPD]: Vor allem der Sanktionen gesehen werden. Auf den allgemei- Malibu!) nen Teststopp, der hierher gehört, wies ich hin. Der Kollege Pflüger wird darauf eingehen. ist für alle in Europa, in Amerika, in Kanada und Rußland erlaubt, von oben mit Hilfe von Flugzeugen Es gibt in diesem Zusammenhang einen weiteren zu kontrollieren, ob m an sich an die Verträge hält. schwierigen Punkt, den ich als die „herumvagabun- Vielleicht kann dadurch eine Zusammenarbeit im dierenden Nuklearmaterialien in der alten Sowjet- europäischen und im über Europa hinausgehenden union" bezeichnen möchte. Es gibt viele solcher Bündnis hergestellt werden. Es dient der Kontrolle Materialien, und es muß verhindert werden, daß diese und ermöglicht die Chance, das auch auf Fragen des frei gehandelt und verkauft — um nicht zu sagen: Umweltschutzes und andere Dinge auszuweiten. Ich verscheuert — werden, um Devisen zu bekommen, möchte über diesen Vertragstext hinausgehend anre- 14170 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 165. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23. Juni 1993

Peter Kurt Würzbach gen, zu prüfen, ob wir — das gilt nur für die Vertrags- kurzfristig, sozusagen in letzter Sekunde, noch auf die staaten des ehemaligen Warschauer Pakts und die Tagesordnung gesetzt worden. NATO-Staaten — nicht auch neutralen Staaten — ich (Zuruf von der F.D.P.: Längst überholt!) nenne einmal bewußt ein Land wie Finnland — diese Daten zur Verfügung stellen sollten. Wir freuen uns: — Zum Teil überholt; ich bin sehr froh, daß die Demnächst werden die letzten russischen Soldaten landgestützten Kurzstreckenraketen mittlerweile ab- aus Deutschland abgezogen sein. Aus Zentraleuropa gezogen worden sind. Aber wir halten natürlich nach sind sie weg. Vor der Tür von Finnland haben sie sich wie vor daran fest, daß auch die luftgestützten Rake- massiert zusammengezogen. Als Finne hätte ich Inter- ten, also die Flugzeugbomben, aus Europa abgezogen esse zu sehen: Was tut sich da? Meine Frage also ist, ob werden. wir nicht auch Nichtvertragsstaaten die Chance ein- Im übrigen wollen wir nach wie vor, daß die räumen sollten, an den Daten teilzuhaben oder sogar Beseitigung von Atomwaffen weltweit kontrolliert in den Flugzeugen mitzufliegen und zu schauen. betrieben wird und die Philosophie der atomaren Ich ende mit dem Wunsch, mit dem ich begann: daß Abschreckung, die mit den Atomwaffen ja verbunden wir hier recht bald wieder Debatten zur Sicherheits-- ist, aufgegeben wird. Das bleibt unser Ziel. und Verteidigungspolitik führen, bei denen wir der Wir bleiben auch dabei, daß die restlichen HADES gleichen Auffassung sind, wie heute bei diesen Din- Raketen abgezogen werden sollen. Es hat ja mittler- gen. weile ein Abbau stattgefunden; aber es beruhigt uns (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. überhaupt nicht, daß der Rest in Depots verbracht sowie bei Abgeordneten der SPD) worden ist. Wenn sie denn zum Einsatz kämen, würden sie auf unser Land niedergehen. Das können wir nicht hinnehmen; das ist nicht akzeptabel. Ich Vizepräsidentin Renate Schmidt: Als nächste denke, das muß doch auch unseren französischen spricht die Kollegin Katrin Fuchs. Freunden zu vermitteln sein. (Ulrich Irmer [F.D.P.] meldet sich zu einer Katrin Fuchs (Verl) (SPD): Frau Präsidentin! Liebe Zwischenfrage) Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Würzbach! Leider haben wir heute fünf Anträge und einen — Darf ich weitermachen? Entschuldigung! Gesetzentwurf zu beraten. Es wurde also in letzter Sekunde noch etwas hinzugefügt, mit dem wir nicht Was heißt das? gerechnet haben. Aber es gilt nach wie vor: In den Vizepräsidentin Renate Schmidt: wesentlichen Anträgen, den Hauptanträgen, sind wir Erlauben Sie eine Zwischenfrage, ja oder nein? in der Tat einer Meinung. Sie be treffen den Teststopp und die Nichtweiterverbreitung von Kernwaffen. Ich Katrin Fuchs (Verl) (SPD): Nein, bitte nicht. hoffe, daß der Bundestag genauso einstimmig ent- scheiden wird, wie das der Auswärtige Ausschuß und Auch die ursprüngliche Begründung für diese der Unterausschuß für Abrüstung und Rüstungskon- Raketen, sozusagen gegen die konventionelle Über- legenheit der Warschauer Vertragsstaaten zu wirken, trolle getan haben. ist ja nun wirklich hinfällig. Also, wir sollten mit den Wir haben ebenfalls über den Gesetzentwurf über französischen Freunden reden. den Offenen Himmel, über den Sie gerade gespro- chen haben, zu entscheiden. Ich stimme vorbehaltlos Kollegen und Kolleginnen, zur Beendigung von all dem zu, was Sie dazu gesagt haben. Es ist ein Atomwaffenversuchen und zur Nichtweiterverbrei- außerordentlich positiver Entwurf. Ich hoffe auch hier tung von Kernwaffen haben wir nun gemeinsam diese auf breite oder einstimmige Zustimmung. Anträge vorgelegt. Alle drei Fraktionen — CDU/CSU, F.D.P. und SPD — möchten, daß Atomwaffentests Ich habe eine Anregung, die über Ihre hinausgeht nicht nur zeitweise ausgesetzt, sondern definitiv und — ähnliches hat der ehemalige Botschafter Hartmann für immer beendet werden. Und alle möchten, daß gesagt —: Es sollte überlegt werden, wie zukünftig mehr getan wird, um die Weiterverbreitung von „Open skies" zur Konfliktverhütung und Krisenbe- Atomwaffen zu verhindern. Gegenwärtig finden wältigung und auch im Bereich des Umweltschutzes keine Atomwaffenversuche statt, aber das 1992 von genutzt werden können. Rußland und von den USA beschlossene Testmorato- (Dr. Friedbert Pflüger [CDU/CSU]: Ganz rium läuft in diesem Monat ab. Frankreich hatte im richtig!) Januar 1993 verkündet, es werde so lange keine Das ist sicherlich eine gute Funktion. Das kann Atomwaffen zur Explosion bringen, wie auch die ausgeweitet werden. Diese Anregung aufzunehmen anderen Kernwaffenstaaten darauf verzichteten. wäre sicher sinnvoll. Im übrigen verdient dieses Auch China hat sich, zumindest in diesem Jahr, Gesetz die einhellige Unterstützung des Parlamen- zurückgehalten, obwohl es immer wieder zu verste- tes. hen gibt, daß es sich beim atomaren Rüstungswettlauf Nicht folgen werden wir als SPD der Beschlußemp- als Nachzügler fühlt und sich weitere Atomwaffenver- fehlung des Auswärtigen Ausschusses zu unseren suche vorbehält. Anträgen über die Abrüstung taktischer Atomwaffen In der Zeit des Moratoriums hat es positive Signale und die völlige Beseitigung der französischen gegeben. Die Präsidenten Clinton und Jelzin haben in HADES-Raketen. Diese Anträge liegen schon sage Vancouver am 3. Ap ril baldige Verhandlungen über und schreibe fast zwei Jahre dem Bundestag vor. Ich einen vollständigen Teststopp in Aussicht gestellt, finde es bemerkenswert, wie mit Anträgen von Frak- und Frankreich hat Konsultationen aller Atommächte tionen umgegangen wird. Ihre Behandlung ist ja sehr über diesen Punkt vorgeschlagen. Aber einen Durch- Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 165. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23. Juni 1993 14171

Katrin Fuchs (Verl) Bruch hat es bisher leider noch nicht gegeben. Wenn Im Unterausschuß ist auch beschlossen worden, jetzt nicht gehandelt wird, droht ein Rückfall in die einen Brief an die Kollegen im amerikanischen Kon- Vergangenheit, denn die Militärs in Ost und West greß zu richten, um sie zu bitten, sich ebenfalls gegen drängen bereits wieder darauf, weiter testen zu dür- die Wiederaufnahme der Tests zu stellen. Diese tr ans- fen. atlantische parlamentarische Zusammenarbeit — wir kriegen auch viele Anrufe von denjenigen, die die Es ist gut, wenn sich alle Fraktionen dieses Hauses Tests nicht wollen — scheint sich also ganz positiv insofern einig sind: Wenn die Zeit für vernünftige anzubahnen. Verhandlungen nicht ausreichend war, müssen die Moratorien eben verlängert werden. Diese Pause muß (Dr. Olaf Feldmann [F.D.P.]: Es gibt leider dann wirklich genutzt werden, um einen Vertrag über noch keine Zusammenarbeit!) die endgültige Beendigung der Tests auszuhandeln. — Na gut, man muß ja irgendwo anfangen. Wenn m an Vor wenigen Tagen hat die norwegische Regierung sich darauf verständigt, auf die Regierung einwirken einen Vertragsentwurf für einen umfassenden Test- will, die Moratorien zu verlängern, dann halte ich das stopp bei der Genfer Abrüstungskonferenz vorgelegt. für eine sehr gute Sache. Darin ist auch die früher umstrittene Frage, ob sich ein Jetzt ist es an der Bundesregierung, ihren Einfluß Teststopp verläßlich überprüfen lasse, beantwortet. geltend zu machen. Hier ist ein Thema, wo die Der Entwurf enthält detaillierte Regelungen zur Veri- Bundesregierung internationale Verantwortung fikation. Es gibt also überhaupt keinen Grund mehr, wahrnehmen kann. Hier kann sie mitreden und wirk- ein Teststoppabkommen abzulehnen. lich positiv wirken. Wir alle wissen, Atomtests gefährden Menschen Die Bundesregierung, die die Interessen eines und Umwelt, verstrahlen riesige Gebiete über Tau- Nichtatomwaffenstaates zu vertreten hat, kann sich sende von Jahren. Erst in jüngster Zeit haben wir dabei auf wichtige Bündnispartner stützen. Gerade gehört, welche Verseuchung die über 400 Atomexplo- Staaten aus der Dritten Welt haben sich in der sionen in Kasachstan verursacht haben. Zehntau- Sechs - Kontinente - Initiative zusammengetan, um ei- sende von Kindern werden in den Krankenhäusern nen vollständigen Teststopp zu erreichen. Diese Staa- rund um das Testgelände Semipalatinsk behandelt. ten wollen, daß mit der Verpflichtung der Atom- Sie werden ihr Leben lang von den Strahlenschäden mächte aus dem Nichtweiterverbreitungsvertrag zur gezeichnet sein. Das zeigt, wie verantwortungslos das allgemeinen nuklearen Abrüstung endlich ernst Gerede von den angeblich ungefährlichen unterirdi- gemacht wird. Diese Ini tiative zu unterstützen würde schen Tests immer war. der Bundesregierung gut anstehen. Das wäre prakti- Wir lehnen Atomversuche auch deswegen ab, weil zierte globale Verantwortung, von der heute dauernd sie im wesentlichen zur Entwicklung neuer und immer die Rede ist. effektiverer Atomwaffen gedient haben und dienen. Die Bundesregierung kann konkret zwei Dinge tun. Wir wollen aber keine neuen Atomwaffen, wir wollen, Erstens sollte sie sich dafür stark machen, daß die daß die alten endlich abgerüstet werden. Genfer Abrüstungskonferenz mit einem Verhand- lungsmandat für ein Teststoppabkommen ausgestat- Als offenbar letzter Versuch, Atomwaffentests nun tet wird. Auf der Grundlage des norwegischen Gesetz- doch noch zu retten, wird heute im Pentagon behaup- entwurfs könnten, wie wir finden, sehr schnell Verein- tet, sie seien für die Sicherheit der Waffen zwingend barungen erzielt werden. erforderlich. Im State Department ist man offensicht- lich ganz anderer Meinung. Dort neigt man eher der Zweitens sollte sich die Regierung bei der UN- Auffassung vieler Wissenschaftler zu, die schon lange Generalversammlung im Herbst dafür verwenden, sagen, daß diese Begründung nicht stichhaltig ist. daß eine Fortsetzung der Amendment-Konferenz Tatsache ist, das Pentagon betreibt hier Augenwi- beschlossen wird, die über eine Umwandlung des scherei. Um die Zuverlässigkeit der Waffen zu prüfen, begrenzten Teststoppvertrags von 1963 in ein umfas- reichen Inspektionen und Labortests aus. Und die sendes Verbot der Tests beraten will. Der interfraktio- veralteten, möglicherweise unsicheren Waffen kön- nelle Antrag gibt der Bundesregierung eine gute nen im Zuge der nuklearen Abrüstung natürlich auch Grundlage an die Hand, um auf diesem Felde inter- problemlos ausgemustert oder durch moderne ersetzt national aktiv zu werden, Druck zu machen, damit die werden, solange sie nicht restlos beseitigt sind. gefährlichen Atomtests endlich aufhören. Einige Kollegen aus dem Unterausschuß für Abrü- Liebe Kollegen und Kolleginnen, mit dem zweiten stung und Rüstungskontrolle waren im Mai in Antrag, den wir und die Fraktionen der Regierungs- Washington und konnten sich davon überzeugen, daß koalition vorlegen, wollen wir dazu beitragen, daß die Diskussion über die künftige Haltung der US- Atomwaffen nicht in die Hände von immer mehr Regierung in vollem Gange ist. 22 demokratische Staaten gelangen. Diesen Antrag zustande zu brin- Senatoren und ein Republikaner haben am 12. Mai an gen, hat viel Mühe gekostet. Sie hat sich gelohnt, weil Präsident Clinton geschrieben und ihn aufgefordert, wir damit der Sache, um die es uns allen geht, größeres das Teststoppmoratorium zu verlängern. Bill Clinton Gewicht verleihen. Auch ich möchte mich bei allen hat in seiner Wahlkampagne erklärt, daß er ein Beteiligten bedanken, auch bei Herrn Würzbach, der Teststoppabkommen will. Seit seiner Wahl zum neuen sozusagen seine schützende H and über einem Teil der Präsidenten gibt es daher die Chance, den amerika- Verhandler hatte, denke ich, und ihnen den Rücken nischen Prozeß des Umdenkens in dieser Frage positiv gestärkt hat. Also, es ging hier um „give and take" auf zu beeinflussen. allen Seiten, wobei ich an dieser Stelle auch gerne 14172 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 165. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23. Juni 1993

Katrin Fuchs (Verl) bereit bin einzuräumen, daß einige Anregungen aus der aus alten Gegnern Freunde und Partner geworden Ihren Fraktionen durchaus zur Verbesserung dieses sind. Hiermit würden wir auch einen Beitrag zur Antrages beigetragen haben. weltweiten kooperativen Sicherheit leisten. Wir wollen alle zivilen Atomanlagen der NV- Drittens wollen wir, daß die Bundesregierung einen Vertragsstaaten einem umfangreichen Kontrollme- Produktionsstopp für alle spaltbaren waffenfähigen chanismus unterwerfen. Kollege Würzbach hat darauf Nuklearmaterialien unterstützt. Damit könnten wir hingewiesen. Wir wollen die Inspektionsrechte der z. B. die USA unterstützen, die seit Ende der 80er Internationalen Atomenergiebehörde erweitern und Jahre kein waffengrädiges Mate rial mehr herstellen, dieser Institution jederzeit Verdachtskontrollen er- und wir könnten ein Signal an Rußland senden, das lauben. Die Entsorgung ziviler und militärischer Anla- ebenfalls Bereitschaft signalisiert hat, die Produk tion gen soll ebenfalls von der IAEO überwacht und nach einzustellen. Es ist mir nicht ganz erklärlich, warum international vereinbarten Verfahren betrieben wer- die Regierungsfraktionen diese Forderung nicht den. unterstützen können. Ich will auf einen Punkt des Antrages aufmerksam Viertens halten wir es für unverzichtbar, daß bei der machen — ich will nicht auf alles eingehen, weil wir Ausfuhrgenehmigung für Dual-use-Güter eine End- das heute aufteilen können —, der sich für uns aus verbleibskontrolle sicherzustellen ist. Hier hat sich einer Expertenanhörung des Unterausschusses erge- besonders die F.D.P. quergestellt. ben hat. Wir müssen, um den Risiken der Weiterver- breitung von Atomwaffen entgegenzusetzen, früher (Dr. Olaf Feldmann [F.D.P.]: Wir sind immer als bisher üblich ansetzen. Bestimmte Forschungs- konstruktiv dabei!) und Technikentwicklungen wie die Laser-Anreiche- — Herr Feldmann, ich wiederhole jetzt das, was ich rung können die Weiterverbreitung fördern, auch Ihnen auch gesagt habe. — Ich vermute, daß die andere Techniken. Wir regen daher an, solche Ent- Unternehmensinteressen bei Ihnen offensichtlich wicklungen einer kritischen Technikfolgenabschät- höher angesiedelt sind als wasserdichte Regelungen zung zu unterziehen. Da gibt es eine Diskussion im für den Rüstungsexport. Unterausschuß. Wir haben auch konkrete Projekte ins Auge gefaßt. Ich hoffe, daß das eine gute Arbeit (Dr. Olaf Feldmann [F.D.P.]: Nein, nein!) wird. Lassen Sie mich das einmal ganz polemisch so So positiv es ist, lieber Herr Kollege Würzbach, daß sagen. Regierungs- und Oppositionsfraktionen sich auf einen Antrag einigen konnten, bedauere ich natürlich, daß (Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [F.D.P.]: Sie einige für uns besonders wich tige Punkte nicht Das ist nicht nur polemisch, das ist übel!) mittragen wollten. Sie sind dem Protokoll angehängt. — Hören Sie doch bitte zu, Herr Feldmann! — Wie Wir werden diese Anliegen natürlich hier im Parla- anders können wir sicherstellen, daß keine bundes- ment und interna tional weiterverfolgen. Wer weiß, deutschen Firmen z. B. an der Aufrüstung des Iran vielleicht werden Sie eines Tages auch noch zu beteiligt sind? Sie wissen, es gibt Berichte, daß dies überzeugen sein. Die Hoffnung darf man nie aufge- stattfindet. ben. (Dr. Olaf Feldmann [F.D.P.]: Wir sind ein Bei diesen Punkten handelt es sich erstens darum, großes Exportland, und da gibt es auch daß die Bundesrepublik Deutschland im Rahmen schwarze Schafe!) nationaler Selbstverpflichtungen und Selbstbe- schränkungen einseitig auf die Nutzung sensitiver — Das kann man nicht mit dem Hinweis auf schwarze Nukleartechnologien, insbesondere auf die Wieder- Schafe einfach aus der Welt wischen. — Es gibt eine aufarbeitung und die Plutonium-Nutzung, verzichtet. Möglichkeit, zu überprüfen, daß bestimmte Rohre Ich verstehe nicht ganz, weshalb Sie sich dieser nicht für Kanonen verwendet werden, sondern für ein Forderung nicht anschließen können. Aus der Wieder- ziviles Gut. Das muß nachprüfbar sein. Es muß End- aufarbeitung haben wir uns verabschiedet. Sogar die verbleibsklauseln geben. Wir bestehen darauf und Industrie denkt darüber nach, ob es nicht zweckmäßi- halten das für einen ganz wich tigen Schritt. ger und kostengünstiger ist, aus der Plutoniumnut- (Dr. Olaf Feldmann [F.D.P.]: Die Rohre hat zung auszusteigen. Ich könnte Ihnen empfehlen, sich man in England gefunden!) da mit Siemens zu beraten. Bisher habe ich Ihre Ablehnung dieses Punktes nicht recht verstanden; ich Fünftens halten wir es für notwendig, daß im Rah- fand sie nicht überzeugend. Vielleicht kann Kollege men des NVV-Systems ein Fonds bei der UNO zur Pflüger, falls er dazu noch redet, das noch einmal Förderung alternativer, erneuerbarer Energien ge- erläutern. bildet wird, um den Entwicklungsländern tatsächlich eine Alternative zur Kernenergie zu ermöglichen. Zweitens wollen wir, daß die vorhandenen Kern- Allein werden sie dazu die Kraft nicht haben. Dies waffenbestände einschließlich der Trägermittel unter wäre ein wesentlicher Beitrag zur Verhinderung der internationale Überwachung gestellt werden. Auch Weiterverbreitung. Denn solange die Entwicklungs- die Vernichtung dieser Waffen soll unter Aufsicht länder auf Kernenergie angewiesen sind, besteht die einer UN-Behörde erfolgen. Diese Forderung wird in Gefahr, daß sie die Nuklearkenntnisse für die Herstel- der Fachwelt schon seit längerem erhoben. Sogar lung der Atombombe benutzen. Kollege Dregger hat sich dieser Forderung ange- schlossen. Sie ist vernünftig, sie schafft Transparenz (Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [F.D.P.]: So und würde der neuen politischen Lage entsprechen, in ist es!) Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 165. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23. Juni 1993 14173

Katrin Fuchs (Verl) — Warum stimmen Sie, wenn Sie mir jetzt zustimmen, ist nicht nur aus personellen und finanziellen Gründen nicht zu, daß wir einen Fonds bei den UN bilden? Aber gar nicht in der Lage, so viele Kriege zu führen. Eine gut, dann reden wir noch einmal darüber! UNO, die auf Kriegführen und militärische Erzwin- Ein Streitpunkt bei der Aushandlung des Antrags gung setzte, wäre, finden wir, schnell am Ende. Wer war die Frage, ob man dem Problem der Ausbreitung eine solche Militarisierung der internationalen Politik von Atomwaffen unter Umständen mit militärischen betreiben will, zerstört jegliche Hoffnung auf eine Mitteln beikommen kann. CDU/CSU und F.D.P. wol- friedlichere Welt. Diesen Aberwitz machen wir nicht len sich ausdrücklich die Op tion offenhalten, der mit. Weiterverbreitung mit einer Raketenabwehr zu Kolleginnen und Kollegen, selbst wenn alle von uns begegnen. Es kann doch aber niemand ernsthaft vorgeschlagenen Verbesserungen zur Kontrolle des annehmen, mit neuen Rüstungsprogrammen einer Atomwaffenverzichts verwirklicht werden, wenn es Aufrüstung in sogenannten Schwellenländern oder eine „internationale Rasterfahndung" schon gäbe, die den Ländern der Dritten Welt entgegenwirken zu alle einzelnen Schritte zur Herstellung von Atomwaf- können. Im übrigen habe ich den Eindruck, daß einige fen, den Kauf und Verkauf von relevanten Stoffen und nicht unwesentliche Kollegen aus der CDU/CSU- Komponenten erfassen würde, dann würde die Wei- Fraktion, die von Raketenabwehr etwas verstehen, terverbreitung dieser Waffen im Vergleich zur heuti- von ihr überhaupt nicht begeistert sind und sie eher gen Situation zwar wesentlich erschwert, aber ausge- ablehnen. Unsere Anhörung im Unterausschuß hat schlossen wäre sie noch immer nicht. Auch der bishe- ergeben, daß eine Raketenabwehr nur sehr begrenzte rige Atomwaffensperrvertrag hat nicht verhindert, Möglichkeiten hat, z. B. Cruise Missiles gar nicht daß einige Staaten heute faktisch Atommächte sind abfangen kann und außerdem horrende Kosten verur- bzw. kurz davor stehen, es zu werden; auch Kollege sachen wird. Würzbach hat darauf hingewiesen. Nordkorea war in Bedenken Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen, den Schlagzeilen, davor der Iran, davor der Irak. Von doch bitte folgendes. Wer für die reichen Länder des Israel weiß man, daß es über Atomwaffen bereits Nordens heute einen Schutz gegen Raketen aus der verfügt. Bei Pakistan und Indien nimmt man es an. Dritten Welt errichten will, der geht bereits jetzt von Südafrika hat gerade über ein früheres Atompro- der weiteren und unaufhaltsamen Ausbreitung von gramm berichtet. Diese Liste läßt sich fortsetzen. Massenvernichtungswaffen aus. Er hat vor der Auf- Um das Entstehen weiterer Atommächte zu verhin- gabe, die Proliferation zu verhindern, bereits kapitu- dern, muß noch mehr getan werden. Vor allem müß- liert. Nur konsequente Abrüstung begünstigt die ten endlich die politischen Motive für den Bau oder Nichtweiterverbreitung. Deswegen ist die SPD für die Erwerb von Atomwaffen in Rechnung gestellt werden. Fortsetzung der Abrüstungsbemühungen bei den Ich sage einmal: Nicht Angriffslust, sondern in den Atomwaffen wie bei den konventionellen Waffen meisten Fällen Angst hat den Wunsch nach dem Besitz (Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [F.D.P.]: von Atomwaffen ausgelöst. Die USA hatten ihre Wir auch!) Atomwaffenprogramme aus Angst vor Deutschl and und wünscht, daß auch Waffen, die auf neuartigen und Japan, später aus Angst vor dem Weltkommunis- technologischen Prinzipien beruhen, einer internatio- mus entwickelt. Israel hat seine Atomwaffen aus nalen Kontrolle unterzogen werden. Angst vor einer arabischen Bedrohung. Arabische Staaten möchten mit solchen Waffen Israel abschrek- Schließlich gibt es einen weiteren Dissens zwischen ken. Iran fürchtet die Wiederholung der militärischen der SPD-Fraktion und den Regierungsfraktionen. In Aggression aus dem Irak. Kasachstan sieht sich von Punkt 6 des Antrags wird festgestellt, daß die Verbrei- vier Atomstaaten — Rußland, China, Indien, Paki- tung und der Erwerb von Atomwaffen eine Bedrohung stan — umzingelt usw., usw. für den Weltfrieden und die internationale Sicherheit darstellt und daß Staaten, die völkerrechtswidrig (Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [F.D.P.]: versuchen, Nuklearwaffen zu erwerben oder herzu- Ein böser Kreislauf!) stellen, deshalb mit Sank tionen belegt werden müs- — Ja, ja! — Belarus scheint der einzige der neuen sen. Die SPD meint damit ausschließlich nichtmilitä- Atomwaffenstaaten zu sein, der keine besonders tische Sanktionen, wie sie im fortlaufenden Antrags- große Angst vor militärischen Aggressionen hat und text auch aufgeführt sind. die Atomwaffen auf seinem Boden wirklich loswerden Die Regierungsfraktionen wollen in diese Sanktio- möchte. nen ausdrücklich militärische Zwangsmaßnahmen Nun braucht man die Augen nicht davor zu ver- einschließen, wie unsere Debatte ergeben hatte. Das schließen, daß auch weniger ehrenwerte Mo tive im ist im Fall des Irak praktiziert worden. Das konnte dort Spiel sind. Einige der genannten potentiellen Atom- nur deswegen geschehen, weil der Irak zuvor aus waffenstaaten ringen miteinander um regionale Vor- anderen Gründen einen gegen ihn geführten Krieg machtstellungen. Das wissen wir. Ich wi ll hier auch verloren hatte. Aber soll die UNO Krieg z. B. gegen nicht alle Motive der traditionellen Atommächte den Iran führen, nur weil es Hinweise gibt, daß dieses untersuchen. Land eine Atomwaffe baut oder schon gebaut hat und damit später möglicherweise Nachbarn bedrohen Daß die Fähigkeiten zur Massenvernichtung eine könnte? Wenn man sich vor Augen hält, wie viele große Rolle spielen, ist traurig genug, ist aber nicht potentielle Kandidaten es für militärische Sanktionen unabänderlich. Denn daß Atomwaffen eine interna- durch UNO-Streitkräfte bei der nuklearen Weiterver- tionale Leitwährung sind, hat mit der Geschichte des breitung geben könnte, wird man sehr schnell sehen, Zweiten Weltkriegs und des Kalten Kriegs zu tun. dieser Weg führt ebenfalls in die Sackgasse. Die UNO Diesen Teil der Geschichte wollen wir abschließen. 14174 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 165. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23. Juni 1993

Katrin Fuchs (Verl) Gerade die hochentwickelten Staaten, die sich so viel Der Nichtweiterverbreitungsvertrag von 1968 steht auf ihre zivilgesellschaftlichen Errungenschaften zu- 1995 zur Verlängerung an. Es muß alles getan werden, gute halten, müssen endlich mit gutem Beispiel vor- damit das mit Unterstützung möglichst vieler Staaten angehen und die Rolle des militärischen Faktors in geschehen kann. Das Nichtverbreitungsregime muß den internationalen Beziehungen kräftig abwerten. dringend gestärkt werden. Die Bereitschaft, die Wei- terverbreitung von Atomwaffen zu stoppen, steigt, Es wäre eine internationale Anstrengung wert, mit wenn die Atomtests endlich eingestellt werden. Des- den inoffiziellen, potentiellen und den neuen Atom- wegen müssen die Moratorien verlängert werden. Ein waffenstaaten über den sicherheitspolitischen Hin- Atomteststoppabkommen muß zügig ausgehandelt tergrund ihres atomaren Ehrgeizes zu sprechen. Nur werden. Dafür sollten wir uns gerade in den nächsten so könnten wir eine Perspektive für die Beendigung Wochen, in denen über die Fortsetzung der Tests in der Weiterverbreitung und auch für eine atomwaffen- den USA, aber auch bei den anderen Atommächten freie Welt entwickeln. Dem UNO-Sicherheitsrat, in entschieden wird, mit aller Kraft einsetzen. dem alle offiziellen Atomstaaten als ständige Mitglie- (Beifall bei der SPD und der PDS/Linke der vertreten sind, sollte ein solcher Vorschlag- unter- breitet werden. Liste)

Die internationale Staatengemeinschaft ist nach wie Vizepräsidentin Renate Schmidt: Als nächster vor auf zivile Methoden der Nichtverbreitungspolitik spricht nun der Kollege Dr. Olaf Feldmann. angewiesen. Die Abrüstungshilfe, die dazu beitragen soll, die Massenvernichtungswaffen der früheren Dr. Olaf Feldmann (F.D.P.): Frau Präsidentin! Meine Sowjetunion zu beseitigen, ist ein gutes Beispiel für sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen den Ausbau der zivilen Methoden der Nichtverbrei- und Kollegen! So viel Friede, Gemeinsamkeit, friedli- tungspolitik. che Äußerungen — — Es ist eben darauf hingewiesen worden: Der ameri- (Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [F.D.P.]: kanische Kongreß hat bislang 800 Millionen Do llar für Außer den üblen Äußerungen von Frau die Abrüstungshilfe bewilligt und für den Haushalt Fuchs!) 1994 nochmals eine Erhöhung von 400 Millionen — Das waren nur wenige Äußerungen. Der Grundte- Dollar ins Auge gefaßt. Japan hat im Ap ril dieses nor hat aber doch eine große Gemeinsamkeit gezeigt. Jahres mit 100 Millionen US-Dollar ebenfalls einen Das läßt die Kontroversen und auch die wesentlich großen Beitrag für die nukleare Abrüstung Rußlands, heftigeren Debatten der letzten Legislaturperioden der Ukraine, Kasachstans und von Belarus zur Verfü- über die Abrüstungspolitik fast vergessen. Das ist gung gestellt. Die britischen Leistungen be tragen auch gut so. 30 Millionen Pfund, die französischen 400 Millionen Die F.D.P. ist stolz auf das — ich glaube, wir a lle, Francs. Der vergleichsweise bescheidene deutsche auch Sie, Frau Fuchs, können stolz darauf sein —, was Beitrag von 10 Millionen DM deutet ungefähr an, wo wir im Bereich der Abrüstung erreicht haben. die Bundesregierung die globale Rolle des — wie es (Beifall bei der F.D.P.) immer wieder heißt — größer gewordenen Deutsch- lands sieht. Um diese 10 Millionen DM mußte auf allen Die Ergebnisse der Abrüstungs- und Rüstungskon- Seiten des Parlaments noch sehr hart gekämpft wer- trollpolitik der letzten Jahre haben zu einem Gewinn den. an Sicherheit in Europa und der Welt geführt. Wir dürfen uns aber — da stimme ich mit Ihnen überein — (Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [F.D.P.]: Ist nicht auf den Erfolgen ausruhen. Auch nach dem Ende Ihnen bewußt, was wir an Rußland zah des Ost-West-Konflikts sind Sicherheit und Frieden len?) keine Selbstverständlichkeit. Die Abrüstungspolitik als wesentlicher Teil der Außen- und Sicherheitspoli- Es ist also kein Wunder, wenn gesagt wird, daß für die tik muß Schritt für Schritt fortgesetzt und vorangetrie- Bundesregierung der Hinweis auf eine gewachsene ben werden. Verantwortung Deutschlands für den Frieden in der Welt in erster Linie militärisch gemeint ist. Die trau- Wir haben heute eine Vielzahl von Anträgen zu rige Tatsache scheint zu stimmen, daß die deutsche diesem Thema auf der Tagesordnung. Aber, Frau Bevölkerung auf die Teilnahme der Bundeswehr an Präsidentin — wenn ich Sie ausnahmsweise direkt ansprechen darf —, das Open-Skies-Abkommen, zu globalen Kampfeinsätzen und globalen Militärinter- dem die Kollegen vorher Stellung genommen ventionen vorbereitet werden soll. Dafür steht jeden- haben — das frage ich nur zur Klarstellung — ist falls Geld zur Genüge zur Verfügung. meines Erachtens von der heutigen Tagesordnung (Dr. Olaf Feldmann [F.D.P.]: Aber nur bei gestrichen worden. Beschlüssen des Sicherheitsrats!) Vizepräsidentin Renate Schmidt: Herr Kollege, Sie Das sehen wir doch: 200 Millionen DM für Somalia. haben recht. Der Tagesordnungspunkt 2 c — Open- Das darf nicht so bleiben. Die Bundesregierung muß Skies — ist von der Tagesordnung abgesetzt, wie ich die weltpolitischen Möglichkeiten Deutschlands dort Ihnen gerade schon versicherte. zur Geltung bringen, wo wir tatsächlich etwas für den Frieden leisten können. Dr. Olaf Feldmann (F.D.P.): Vielen D ank für die (Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [F.D.P.]: Klarstellung. Man sollte Gleiches immer nur mit Gleichem Dann darf ich zum NVV kommen. Mit der nukle- vergleichen!) aren Abrüstung ist aber zugleich die Gefahr der Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 165. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23. Juni 1993 14175

Dr. Olaf Feldmann Weiterverbreitung von spaltbarem Material und Die Gefahr einer ungehemmten Proliferation von

Know - how gestiegen. Immer mehr Staaten vor allem Massenvernichtungswaffen der ehemaligen Sowjet- der Dritten Welt bemühen sich um Atomwaffen. Dem union ist sehr real — die Kollegen haben bereits darauf muß im Rahmen des NVV auf allen politischen Ebe- hingewiesen —; denn es ist ungewiß, inwiefern das nen entschieden entgegengewirkt werden. Der gewaltige Potential an atomaren und chemischen Zusammenbruch des Warschauer Pakts, die Auflö- Massenvernichtungswaffen noch unter Kontrolle ge- sung der ehemaligen Sowjetunion, die Erfahrungen halten werden kann. Die Bundesrepublik beteiligt des Golfkrieges sowie das hier schon erwähnte Katz- sich deshalb an der Abrüstungshilfe für die ehemali- und-Maus-Spiel Nordkoreas haben die Notwendig- gen Staaten der Sowjetunion durch finanzielle Unter- keit einer Verbesserung der Nichtverbreitung von stützung und Bereitstellung von Know-how. Durch Nuklearwaffen überdeutlich gemacht. Obwohl der internationale Abrüstungshilfe kann der Gefahr der NVV bisher das Entstehen einer größeren Zahl neuer Verbreitung entgegengewirkt werden. Ich hoffe mit Atommächte verhindert hat, muß er auf der Überprü- Ihnen Frau Kollegin Fuchs, daß wir im nächsten fungskonferenz 1995 nicht nur verlängert, sondern Bundeshaushalt — der Kollege Weng als unser Haus- auch wesentlich verbessert werden. Wir haben dazu haltspolitiker ist ja hier dabei; er hat im Plenum auch eine interfraktionelle Beschlußempfehlung und kon- schon durch entsprechende Zwischenrufe Zustim- krete Vorschläge erarbeitet. Ich darf mich auf das mung signalisiert — über die 10 Millionen DM hinaus- beziehen, was der Kollege Würzbach hier vorgetra- kommen, die wir aus anderen Titeln herausschneiden gen hat. Wir drei Berichterstatter stimmen voll über- müssen, und daß wir größere Beträge im Interesse ein, so daß ich das hier nicht wiederholen muß. Wir unserer eigenen Sicherheit für die Abrüstungshilfe für wollen den NVV stärken und seine Wirkungsmöglich- die Sowjetunion zur Verfügung stellen können. keiten ausbauen, von der Verhängung stärkerer Wir dürfen aber vor lauter nuklearen und chemi- Sanktionen bis hin zu Sicherheitsratsentschließungen schen Massenvernichtungswaffen die Proliferation auf der Grundlage des Art. 34 der UN-Charta. konventioneller Waffen nicht vergessen. Die Einrich- Die bürokratischen Hürden, die Sie erwähnt haben, tung eines entsprechenden Waffenregisters bei den sind natürlich eine Groteske; sie müssen beseitigt Vereinten Nationen konnte 1991 als Resolution verab- werden. Das ist die Aufgabe, der wir uns noch zu schiedet werden. Dies war ein beachtlicher Erfolg stellen haben. deutscher Außenpolitik, auf den die F.D.P. stolz ist. Wir wollen eine bessere personelle und materielle Die Vereinten Nationen setzten mit dieser Resolu- Ausstattung der IAEO in Wien — wir haben vor Ort ja tion ein Signal für ihre wachsende Mitverantwortung auch vernommen, wo es klemmt —, damit die IAEO bei der Erarbeitung und Implementierung konkreter ihre wachsenden Aufgaben in der Welt erfüllen kann. Maßnahmen zur Vertrauensbildung und Rüstungs- Die Finanzierung regionaler Kontrollbehörden, z. B. kontrolle. Gleichzeitig wurde damit das europäische der EURATOM, darf nicht auf Kosten der IAEO Konzept von vertrauensbildenden Maßnahmen welt- geschehen; denn es gibt keine realistische Alternative weit anerkannt. zu einer international vereinbarten und inte rnational Meine Damen und Herren, Atomwaffentests — da garantierten und kontrollierten, weltweit gültigen stimme ich Ihnen zu, Frau Kollegin Fuchs — erhöhen Politik der Nichtverbreitung von Kern- und Massen- das Risiko der nuklearen Proliferation. Ein endgülti- vernichtungswaf fen. ger Teststopp ist daher das Gebot der Stunde. Natür- Was, Herr Kollege Würzbach, Nordkorea anbe- lich ist ein umfassender Teststopp kein Ersatz für eine langt, so sind wir uns wohl einig, daß die Suspendie- substantielle Reduzierung vorhandener Waffenarse- rung der Austrittserklärung aus dem NVV nur ein nale. Aber er kann ein wichtiger Beitrag sein, um die erster zaghafter Schritt in die richtige Richtung ist; Weiterverbreitung von Atomwaffen zu verhindern. aber immerhin geht er in die richtige Richtung. Jeder Atomwaffentest kann von den Schwellenlän- Erforderlich ist natürlich das uneingeschränkte Ja dern als Signal verstanden werden, daß die Atom- Nordkoreas zum NVV und die uneingeschränkte mächte das Ziel der Beseitigung der Atomwaffen nicht Zulassung von IAEO-Inspektoren. weiter verfolgen. Die Einstellung aller Atomwaff en- tests dagegen fördert weitere substantielle Abrü- Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Proliferations- stungsschritte und kann ein Klima des Vertrauens probleme, die die Vorredner angesprochen haben, schaffen. Diese große Chance dürfen wir nicht unge- gibt es natürlich nicht nur im nuklearen Bereich, nutzt lassen. sondern auch bei den chemischen, biologischen und konventionellen Technologien. Das im Juli 1992 vom damaligen Präsidenten Bush verkündete Teststoppmoratorium muß über den Juni (Vorsitz: Vizepräsident Hans Klein) 1993 hinaus verlängert werden. Wir unterstützen Hier helfen nur wirksame Exportkontrollen, insbe- daher die Gesetzesinitiative des US-Repräsentanten- sondere im Dual-use-Gebiet. Deutschland ist Vorrei- hauses, in der die amerikanische Regierung zu einer ter auf dem Gebiet und muß es auch bleiben. weiteren Einstellung der Tests aufgefordert wird. Wir appellieren an unsere Parlamentskollegen in den (Beifall bei der F.D.P.) USA, auf eine Verlängerung des Teststoppmoratori- Eine weitere wichtige Möglichkeit der Exportkon- ums hinzuwirken. Diesen Appell richten wir auch an unsere Kollegen in England, Frankreich und Ruß- trolle ist das Tragertechnologiekontrollregime. Es ist eine wichtige Ergänzung der internationalen Bemü- land. hungen zur Nichtverbreitung und unterstützt flankie- Ein solcher Appell ist notwendig; denn in den rend rüstungskontrollpolitische Maßnahmen. letzten Wochen ist das Risiko gestiegen, daß Präsident 14176 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 165. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23. Juni 1993

Dr. Olaf Feldmann Clinton erneut Tests zuläßt. Eine Wiederaufnahme was unter geänderten politischen Bedingungen, mili- der Atomtests könnte als schlechtes Beispiel Schule tärstrategisch gesehen, nun wirk lich keinen Sinn machen und eine Kettenreaktion auslösen, denn mehr macht — und das meistens nur mit viel Ach und sowohl Präsident Jelzin als auch Präsident Mitterrand Krach. Diese Art der Abrüstung vor allem im Ost- haben eine Verlängerung ihrer Atomteststoppmorato- West-Verhältnis ist denn auch weniger dem guten rien über 1993 hinaus davon abhängig gemacht, daß Willen aller Beteiligten aus Einsicht in friedenspoliti- auch andere Staaten auf weitere Tests verzichten. Die sche Notwendigkeiten als vielmehr dem Druck der Chance, die die Moratorien bieten, muß genutzt veränderten Bedingungen geschuldet. werden, um Verhandlungen über einen vollständigen Es ist so: Unter anderem ohne die Verpflichtung zur Teststopp zu führen. Reduzierung der Bundeswehr auf 370 000 Soldaten Meine Damen und Herren, ich darf zusammenfas- hätte es die DDR nicht so schnell und nicht so billig sen: Der NW, das Atomteststoppmoratorium, aber gegeben. Das kann m an hinterher vielleicht als frie- auch das heute von der Tagesordnung abgesetzte denspolitische Großtat abfeiern; eine solche ist es aber Abkommen über Open skies haben eines gemeinsam: nicht und wird es auch nie werden. Die würde erst Sie sind keine Abrüstungsverträge im normalen, her- dann zum Gegenstand der Debatte hier, wenn bei- kömmlichen, traditionellen Sinne. Sie reduzieren spielsweise eine wirklich freiwillige Vorleistung der nicht bestehende Rüstungspotentiale und militärische Bundesregierung erbracht würde, indem sie sagt: Wir Aktivitäten. Diese Abkommen dienen vielmehr der reduzieren jetzt auf 200 000 Mann, weil es keine Verbesserung der Sicherheit und stärken das Ver- Bedrohung dieses Landes gibt. Dann reduzieren wir trauen durch Offenheit und Transparenz. Nur in auf 100 000 Mann, weil es noch immer keine Bedro- diesem Klima können weitere Abrüstungsmaßnah- hung gibt. Und so weiter. men gedeihen. Auf diesem Weg sollten wir weiterge- hen, Schritt für Schritt und konsequent. (Dr. Olaf Feldmann [F.D.P.]: Auch 370 000 waren schon eine freiwillige Vorleistung!) Vielen Dank. (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU Diese Großtat würde also darin bestehen, definitiv sowie bei Abgeordneten der SPD) und eindeutig auf jeden Einsatz der Bundeswehr außerhalb dieses Landes, auf jede Form militärisch untersetzter Außenpolitik zu verzichten. Dann würde Vizepräsident Hans Klein: Frau Kollegin Andrea ich hier glatt in eine Feierstunde einstimmen. Lederer, Sie haben das Wort. Eine wirklich friedenspolitische Großtat wird es aber nicht geben, und folgerichtig weist der Be richt Andrea Lederer (PDS/Linke Liste): Herr Präsident! auf andere Perspektiven hin. Da heißt es: Meine Damen und Herren! Ich schicke vorweg: Auch wir werden der Beschlußempfehlung zustimmen, was Priorität vor der weiteren Reduzierung von S treit- die beiden von den großen Fraktionen ausgehandel- kräften und Waffen wird zunächst die gemein- ten Anträge anbelangt. Aber wir sehen, ehrlich same Durchsetzung des Gebots haben, sich der gesagt, keinen Anlaß, hier eine abrüstungspolitische Androhung und Anwendung von Gewalt zu ent- Feierstunde zu veranstalten, wo man von Erfolgsbi- halten. lanz redet und die Einigkeit hervorhebt. Ich kann nur Die Bundesregierung erklärt damit im Grunde sagen, wenn es um die Frage internationaler Einsätze genommen das Ende weiterer Abrüstungsmaßnah- der Bundeswehr geht, hoffe ich, daß die Einigkeit men, kaum daß sie wirklich begonnen haben. nicht hergestellt wird, vor allem nicht im Sinne der Politik der Bundesregierung. Die Frage, wie dieses Gebot durchgesetzt werden Noch eines vorweg: Kollege Würzbach, Sie haben soll, beschäftigt momentan nicht nur Karlsruhe und hier den neuen Be richt von SIPRI zu einem ganz den Bundestag. Es ist genau das, was auch die konkreten Punkt erwähnt. Ich finde es, muß ich sagen, Kollegin Fuchs angesprochen hat: Es geht auch in eigentlich vermessen, nicht auch zu erwähnen, daß dieser Frage um die Militarisierung internationaler nach genau diesen Veröffentlichungen von SIPRI die Politik, wenn die Bundesregierung bei der Durchset- Bundesrepublik Deutschland inzwischen immerhin zung dieses Gebots nur militärische Mittel im Auge auf Platz drei der Hitliste der Waffenexporteure hat und faktisch anzupacken beginnt. gelandet ist und fast schon Platz zwei einnimmt; das Es ist in diesem Kontext natürlich klar, daß ausge- wird wohl nur noch eine Frage der Zeit sein. Wenn in rechnet die Petersberg-Erklärung der WEU als „eines dem Jahresabrüstungsbericht von eindrucksvollen der wichtigsten Dokumente, welches die WEU seit Erfolgsbilanzen die Rede ist, dann weiß ich nicht, ob ihrem Bestehen verabschieden konnte", im Be richt die Bundesregierung auch das darunter subsumiert. abgefeiert wird — immerhin ein Dokument, das der Ich tue das nicht. Es gibt jedenfalls keinerlei Anlaß, WEU als Grundlage für ein Agieren als aggressives sich hier selbst auf die Schulter zu klopfen. Militärbündnis dient. Es geht überhaupt nicht darum, die Notwendigkeit Es ist genauso folgerichtig, wenn praktisch aus- der Verträge, die Abrüstung zum Gegenstand haben, schließlich von den Militärbündnissen NATO und in Zweifel zu ziehen. Es geht um die Frage: Wie geht es WEU die Rede ist, wenn es um die politischen Ent- weiter? Es geht auch um die Frage: Wie sollen diese wicklungen und friedliche Kooperation in Europa Verträge eigentlich umgesetzt werden? geht. Als Stabilitätsfaktoren wird statt auf nichtmilitä- Es ist klar: Es wird abgerüstet, und zwar bei den rische Institutionen wie die KSZE — es ist fast ein einen, denen, die nicht mehr können, ziemlich viel, Wunder, daß sie in dem Be richt überhaupt auf- und bei den anderen relativ wenig, und zwar nur das, taucht — auf eben die Militärbündnisse gesetzt, die Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 165. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23. Juni 1993 14177

Andrea Lederer gegenwärtig die beste Gewähr für weltweite Inter- lenländer anzuklagen, solange er dafür selber die ventionspolitik bieten. Frieden und Abrüstung wer- wesentlichen Voraussetzungen durch den eigenen den aber nun gerade nicht durch Militärbündnisse Waffenexport liefert. und schon gar nicht durch ihren weiteren Ausbau oder Es steht dem drittgrößten Rüstungsexporteur der neue Rollenzuweisung im Sinne weltpolizeilicher Welt nicht zu, Interventionen zu haben sein. Im Gegenteil: Nur im (Peter Kurt Würzbach [CDU/CSU]: Die Abbau der Militärbündnisse und ihrer Ersetzung Exporte sind doch gar nicht gestiegen! Das durch nichtmilitärische Kooperationsmechanismen DDR-Gerät ist in andere Länder gegan liegt überhaupt eine Chance für eine erfolgreiche gen!) Friedens- und Abrüstungspolitik. Eine auf Militär- bündnisse beruhende Stabilität ist trügerisch. Sie die Gefahren, die aus der Hochrüstung mancher beruht auf Machtpolitik und ihrer militärischen Unter- Staaten der sogenannten Dritten Welt für die BRD mauerung. angeblich resultieren — — Natürlich besteht die Gefahr der Proliferation von (Dr. Olaf Feldmann [F.D.P.]: Das sind eure Atomwaffentechnologie, und natürlich besteht- die Waffen!) Gefahr der Proliferation anderer Massenvernich- — Quatsch, die haben Sie verscherbelt. Die sind doch tungswaffentechnologie. Aber es wird keinen Kon- unter Ihrer Regierung alle verscherbelt worden! Sie trollmechanismus geben, der diese Gefahren mit haben mit den gesamten NVA-Waffen doch einen Sicherheit beseitigen kann. Proliferationsgefahren Riesenreibach gemacht! Erzählen Sie hier keine Mär- wird es exakt so lange geben, wie es Besitzer und chen! Nichtbesitzer dieser Technologien gibt. Nur wenn Es steht dieser Bundesregierung überhaupt nicht sich die Besitzerstaaten zu Nichtbesitzerstaaten ent- zu, darüber hinwegzutäuschen, daß sie mit dazu wickeln, werden diese Gefahren beseitigt oder zumin- beiträgt, daß andere Staaten aufgerüstet werden, dest kontrollierbar werden können, weil erst dann indem sie Profite zu machen versucht, diese Rüstungs- kein Staat mehr glauben muß, es nötig zu haben, in die industrie hier weiter unterstützt und es ablehnt, ein Riege der Besitzerstaaten aufzurücken. Auch hier gilt: Verbot dieses Rüstungsexportes hier ein für allemal zu bei sich selbst anfangen. beschließen und auch grundgesetzlich zu veran- Ich habe zur Kenntnis genommen, daß die Bundes- kern. regierung für die unbefristete Verlängerung des Solange das so ist, nützt es überhaupt nichts, hier Atomwaffensperrvertrages eintreten will. Ich be- eine Feierstunde zum Thema Abrüstungspolitik abzu- grüße das. Ich hoffe, es bleibt dabei und sie wird sich halten. Wir wollen Taten sehen, wir wollen, daß Sie intensiv dafür einsetzen. Eine wirkliche Vorreiterrolle darauf verzichten, Außenpolitik militärisch zu unter- in der Frage nukleare Op tion und in der Frage der mauern, ob das durch Waffenexport oder dadurch Nichtweiterverbreitung kann aber nicht nur darin geschieht, daß Sie inte rnationale Einsätze der Bun- bestehen; denn die Verlängerung des Vertrages ist deswehr faktisch — ob durch die Verfassung gedeckt eine Selbstverständlichkeit, gerade unter den Besit- oder nicht — durchzupowern versuchen. zerstaaten. Es muß nicht nur darum gehen, die Zahl der Besitzerstaaten zu belassen und nicht weitere zu Ich danke. schaffen, sondern es muß auch darum gehen, daß das (Beifall bei der PDS/Linke Liste) nukleare Poten tial abgebaut wird, und zwar auch bei denjenigen, die heute über nukleare Waffen verfü- gen. Vizepräsident Hans Klein: Das Wort hat die Kollegin Vera Wollenberger. Eine Vorreiterrolle würde darin bestehen, einen völkerrechtlich verbindlichen Verzicht auf sämtliche Massenvernichtungswaffen zu erklären und in Ver- Vera Wollenberger (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): trägen festzuklopfen. Sie würde — was dieses L and Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau angeht — darin bestehen, einen Atomwaffenverzicht Kollegin Lederer, im Gegensatz zu Ihnen habe ich endlich ins Grundgesetz zu bringen; sie würde vor nichts gegen eine abrüstungspolitische Feierstunde, allem auch darin bestehen, daß diese Bundesregie- weil solche Feierstunden immer auch dazu dienen, rung erklärt, daß sie auf die multilaterale Teilhabe an Kraft zu schöpfen für neue Taten. Wenn wir Taten Atomwaffen verzichtet. Ich nenne das Stichwort: Vom sehen wollen, dann, denke ich, dürfen wir auch Eurokorps zur Eurobombe. Das sollte hier ausdrück- einmal feiern. lich erklärt werden. Außerdem sollte die Vorreiter- (Zuruf von der F.D.P.: Sehr gut!) rolle darin bestehen, die NATO-Erstschlagsoption endlich vom Tisch zu bringen. Allerdings haben wir Der uns vorgelegte Bericht der Bundesregierung ist hier von seiten der Bundesregierung immer nur alles in allem eine erfreuliche Lektüre. Der Abbau von Gegenteiliges gehört. Interkontinentalraketen oder die Abrüstung der in dem KSE-Abkommen festgelegten Waffen aus fünf (Dr. Friedbert Pflüger [CDU/CSU]: Das ist Kategorien sowie die Reduzierung der Truppenstär- doch Unfug!) ken sind durchaus Beispiele dafür. Am bedeutsamsten Ich denke, es steht dem drittgrößten Rüstungsex- ist sicherlich der Abschluß des Übereinkommens über porteur der Welt ganz einfach nicht zu, die zum chemische Waffen und entsprechende Maßnahmen eigenen Potential vergleichsweise nach wie vor küm- zur Verifikation der Respektierung des Verbots von merlichen Rüstungsarsenale mancher Staaten der Entwicklung, Produktion und Weitergabe chemischer sogenannten Dritten Welt oder sogenannter Schwel- Waffen. Damit bestehen gute Aussichten, eine der 14178 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 165. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23. Juni 1993

Vera Wollenberger grausamsten und heimtückischsten Waffenarten aus fen oder von taktischen Raketen gebastelt, sei es in dem Verkehr zu ziehen. Planungsspielen oder bereits in der Entwicklung. Weiter betont die Bundesregierung die Bedeutung Ein wesentlicher Beitrag zur Abrüstung kann gelei- von Rüstungskontrolle und dabei vor allem die Ein- stet werden, wenn die Bundesrepublik den Verzicht dämmung der Proliferation. Es ist nicht zu widerspre- auf die Produktion und den Besitz von Massenver- chen, wenn festgestellt wird, daß an Rüstungskon- nichtungswaffen — in erster Linie Atomwaffen — im trolle als „kooperativen Bemühungen um die Kon- Grundgesetz verankert. Anlaß dazu böte nicht zuletzt trolle militärischer Macht" festgehalten wird. Indes die unsichere Zukunft des Nichtweiterverbreitungs- fällt leider auf, daß dies in erster Linie auf andere vertrages. Sollten die Atomwaffenstaaten sich nicht Staaten bezogen wird, die angeblich unverantwort- bereit erklären, die beim Abschluß des Vertrages lich handeln und sich alle möglichen Arten von eingegangenen Verpflichtungen in kurzer Zeit zu Waffen auf dem Weltmarkt beschaffen wollen. erfüllen, ist vorhersehbar, daß viele Unterzeichner Gedanken an eigene Schritte der Abrüstung sowohl nicht bereit sein werden, die von ihnen als diskrimi- in Europa als auch im Sinne des Beitrags zur Eindäm- nierend empfundenen Bestimmungen einzuhalten. mung der weltweiten Proliferation von Massenver- Mit einem im Grundgesetz festgeschriebenen Ver- nichtungs- und Trägerwaffen fehlen. Dabei haben zicht würde Deutschland signalisieren, daß auch nach nicht zuletzt die Fälle Libyen und Irak gezeigt, daß es einem eventuellen Scheitern des Regimes zur Kon- in erster Linie westliche und westeuropäische und trolle atomarer Proliferation in diesem Land keine sehr oft deutsche Firmen waren, die nur zu bereit Atomwaffen gebaut werden; es würde damit zur waren, Ausrüstungen zur Produktion von Massenver- Vermeidung des Scheiterns beitragen. Der im Rah- nichtungswaffen zu liefern. men der WEU-Verträge erklärte Verzicht auf die Der Bericht des schwedischen Institutes SIPRI, auf Produktion von Atomwaffen würde allein — ohne den den auch Frau Lederer eingegangen ist, zeigt, daß die Nichtweiterverbreitungsvertrag — sowieso nicht aus- Bundesrepublik die Nummer 3 der Waffenexporteure reichen, denn er ist mit der Klausel „rebus sic stanti- dieser Erde ist. Das zeigt, wie sehr wir noch vor der bus" konditioniert. Leider läßt der Bericht kooperative eigenen Tür zu kehren haben, ehe wir mit dem Finger Ansätze gegenüber den zu Kontrollierenden vermis- auf andere deuten können. sen. Ein nicht unerheblicher Teil des Exports, z. B. die Ohne einen Austausch, ausgehandelte Zugeständ- Waffen der ehemaligen NVA, geht direkt auf das nisse und positive Anreize wird eine rein restriktive Konto der Regierung. Gerüchte, Panzer des Typs T-72 Kontrolle der Weiterverbreitung immer löchriger wer- aus dem Besitz der ehemaligen NVA würden angeb- den. Viele Länder, vor allem im Süden, werden lich für 500 000 DM auf dem Weltmarkt angeboten, versuchen, die Beschränkungen zu umgehen, und sind nicht geeignet, das Vertrauen in die Abrüstungs- einigen wird das auch gelingen. Allein Angebote und willigkeit der Regierung zu verstärken. Abmachungen, die beiden Seiten Nutzen verspre- Meine Damen und Herren, es gibt also allen Anlaß, chen, können auf Dauer wirksam sein. Hierbei ist es über Schritte nachzudenken, die dieses Land von sich an den Industriestaaten des Nordens, durch entspre- aus unternehmen kann, um die Abrüstung weiter zu chende Schritte zu beweisen, daß es nicht um die fördern und voranzutreiben. simple Verweigerung des Zugangs zur Technologie geht. (Günther Friedrich Nolting [F.D.P.]: Man sollte sich die Zahlen genau ansehen!) Bei konventionellen Waffen bieten sich der Bun- desregierung ebenfalls viele Chancen, den Prozeß der So sollte die Bundesrepublik nicht nur nichts tun, Abrüstung durch weitere Schritte voranzutreiben. was neues Wettrüsten verursacht, sondern auch zur Besonders bedeutsam wäre es, in der KSE über die Prävention beitragen und selber einseitige Schritte bisherigen fünf Waffenkategorien hinaus weitere der Abrüstung unternehmen. Abrüstungsschritte zu vereinbaren. (Peter Kurt Würzbach [CDU/CSU]: Das haben wir getan, und zwar viel!) In erster Linie sollte es darum gehen, die immensen Mengen an leichteren Waffen, Kleinwaffen und Muni- — Deswegen können wir noch mehr tun. tion, die seit der Auflösung der Sowjetunion Ost- und Ein solches Erfordernis wäre die Ausdehnung des Südosteuropa überschwemmen, substantiell zu ver- Weltraumrechts. Bisher ist es lediglich untersagt, im ringern. Es sind vor allem diese Waffen, die in den Weltraum Massenvernichtungsmittel zu stationieren. Kriegen in Ex-Jugoslawien, in der Kaukasusregion Das heißt, der weiteren Militarisierung des Weltraums und in Zentralasien zum Einsatz kommen. Sollten sie durch Systeme zur Raketenabwehr etc. ist keine weiter im bisherigen Umfang verfügbar bleiben, wird Grenze gesetzt. Ein entschiedener Vorstoß zur Entmi- es mit Sicherheit noch viele neue Kriege in diesen litarisierung des Weltraums, zumindest zum Verbot Regionen geben, die wegen des leichten Zugangs zu der Stationierung jeglicher Art von Waffen, wäre ein Waffen eine hohe Zahl an Opfern forde rn werden. wichtiger Schritt. Ähnlich wie bei der KSE sollten im Register der UN Weiterhin wäre ein Verzicht auf Systeme zur weitere Katego rien von Waffen und die entsprechen- Abwehr von Raketenangriffen ein Schritt, neue den Exportzahlen in die jährlich erstellten Berichte Rüstungswettläufe zu vermeiden. Derzeit wird sowohl aufgenommen werden. Das würde bedeuten, daß in in den USA als auch in Westeuropa an mancherlei einem zweiten Schritt die Produktionskapazitäten Systemen zur Abwehr von begrenzten Raketenangrif- offengelegt werden sollten. Die Bundesregierung Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 165. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23. Juni 1993 14179

Vera Wollenberger kann ohne Umschweife in diesem Sinn die Initiative ist die erste Abgeordnete, die im Plenum mit Hut ergreifen. erschienen ist. Die Einführung eines Verhaltenskodexes für Waf- (Heiterkeit — Dr. Olaf Feldmann [F.D.P.]: fenexporte wäre ein Schritt, die Verbreitung der Aber sie hat ihn dann abgerüstet! — Peter Waffen einzudämmen. So sollte nicht an Länder in Kurt Würzbach [CDU/CSU]: Aber er sah ein Kriegs-, Krisen- und Spannungsregionen, an Staaten, bißchen besser aus als der von der Simonis! die grob gegen die Menschenrechte verstoßen, gelie- — Erneute Heiterkeit) fert werden, und es sollten keine neuen Waffenarten Als nächster hat der Kollege Dr. Friedbert Pflüger in die Regionen eingeführt werden. das Wort. Dazu gibt es noch eine Reihe von anderen Kriterien, die wichtig sind. Ein solcher Verhaltenskodex sollte zunächst von den EG-Staaten im Rahmen ihrer Bera- Dr. Friedbert Pflüger (CDU/CSU): Herr Präsident! tungen zur gemeinsamen Rüstungsexportpolitik an- Meine Damen und Herren! Frau Kollegin Wollenber- genommen und dann in die Vereinten Nationen ger hat nicht nur einen schönen Hut aufgehabt, eingebracht werden. Es gibt eine Reihe unabhängiger sondern sie hat vor allen Dingen der Bundesregierung Organisationen, die genaue Vorstellungen entwickelt ein Kompliment gemacht, über das ich mich sehr freue haben, wie etwa die britische Saferworld. und für das ich mich auch bedanke. Ich finde, es ist Die Haltung der Bundesregierung zu Fragen der keineswegs selbstverständlich, daß das BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN in so deutlicher Form das, was wir in Konversion von Rüstungsindustrie ist zwiespältig. Während gerne von der Friedensdividende geredet den letzten Jahren zusammen erreicht haben, als wird, wird die Abfederung des Umbaus von militäri- Erfolg bewertet. schen Strukturen, wie Stützpunkten, und die Umstel- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) lung von Rüstungsbetrieben auf zivile Produk tion Dies und Ihre Rede auf dem Evangelischen Kirchen- sträflich vernachlässigt, ja, sogar behindert. tag, die deutlichen Worte, die Sie dort gefunden Die Bundesregierung täte gut daran, eigene Pro- haben, könnten, glaube ich, zur Grundlage für einen gramme zur Konversion aufzustellen, etwa für die sich anbahnenden guten Dialog werden. Regionen in Rheinl and-Pfalz, die viele US-Stütz- Ich möchte am Anfang gerne ein paar Worte zu dem punkte beherbergen, und die Gebiete in Ostdeutsch- sagen, was hier soeben von der Kollegin Fuchs und land, die mit den Hinterlassenschaften der abziehen- auch von der Kollegin Wollenberger gesagt worden den GUS-Armee alleingelassen werden. Zusätzlich ist. zum wirtschaftlichen Kahlschlag bleiben immense zur Beseiti- Umweltprobleme zurück, die vor Ort nicht allein Frau Kollegin Fuchs, zu Ihrem Antrag HADES-Raketen. Sie wissen bewältigt werden können. gung der französischen — wir haben das an dieser Stelle in den letzten zwei Die Abrüstung sollte sich nicht auf Schritte Jahren bereits mehrfach diskutiert —, die Haltung beschränken, die nach außen wirksam sind. Im Inne- aller Fraktionen in diesem Hause ist klar. Wir haben ren dieses Landes wären die Bürger dankbar, wenn auch von unserer Seite deutlich gemacht, daß wir die die Tiefflüge endlich aufhören würden. Desgleichen HADES-Raketen natürlich nicht wollen. ist es völlig unverständlich, weshalb in dem geplan- Allerdings wissen wir auch, daß es weniger ten — — HADES-Raketen gibt als ursprünglich vorgesehen, daß sie sich nicht in ihren Stellungen befinden, Vizepräsident Hans Klein: Frau Kollegin Wollenber- sondern in Silos deponiert sind. Wir glauben wirklich, ger, keine Liste mehr, sondern nur noch ein Schluß- daß dies im Moment kein aktuelles Problem in den satz. deutsch-französischen Beziehungen ist. Ich darf meine ganz persönliche Meinung sagen: Ich finde es falsch, daß wir diesen Antrag überhaupt auf Vera Wollenberger (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): der Tagesordnung haben; denn nun droht nur ein Ja. — Desgleichen ist es völlig unverständlich, wes- Thema wieder in den Vordergrund zu rücken, über halb in dem geplanten Ausmaß Truppenübungs- das wir uns zwischen Deutschen und Franzosen im plätze unterhalten werden müssen, vor allem wenn Grunde schon längst geeinigt haben. dies — wie in Wittstock und in der Letzlinger Heide — Der zweite Punkt: Sie haben das Thema Raketen- mit der Perpetuierung unrechtmäßiger Zwangsent- abwehr angesprochen. Das ist eine der Fragen, über eignung unter sowjetischem Besatzungsrecht einher- die wir in der ansonsten sehr konstruktiv zwischen geht und gegen die erklärten Interessen der Bevölke- unseren Fraktionen geführten Debatte in der Tat eine rung in der Region verstößt. unterschiedliche Auffassung hatten. Auch wir lehnen Vielen Dank. die Raketenabwehr als Lösung des Problems der (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Weiterverbreitung nuklearer Waffen ab. Das würde sehr viel teurer werden, als wenn wir jetzt Geld, was vernünftig wäre, in die nukleare Abrüstung hinein- steckten. Insofern ist Raketenabwehr keine Alterna- Vizepräsident Hans Klein: Ich glaube, Frau Kollegin Wollenberger, ich bin den Kolleginnen und Kollegen, tive zur Proliferationsverhinderung. die erst zu diesem Tagesordnungspunkt gekommen Aber, Frau Kollegin, wir alle wissen nicht, was sich sind, die Information schuldig, daß wir Ihnen heute trotz unserer Bemühungen z. B. um die Verlängerung eine Premiere verdanken: Die Kollegin Wollenberger des Atomwaffensperrvertrages in den nächsten 14180 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 165. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23. Juni 1993

Dr. Friedbert Pflüger 15 Jahren in der Welt abspielen wird und ob nicht doch sen bis zum Jahre 2003 von den jeweiligen Trägersy- eine Trägerrakete, die 1 000 oder 2 000 km weit trägt, stemen abmontiert werden. Sie müssen dann erst und ein nuklearer Sprengkopf irgendwo in Nordafrika einmal sicher in Laboratorien transportiert, sicher oder im Nahen Osten zusammenfinden und dann gelagert und dann zerlegt werden. Bei diesem hoch- plötzlich Europa bedrohen. komplizierten und gefährlichen Vorgang, der z. B. selbst in Amerika, Frankreich oder Engl and große Ich möchte jedenfalls für eine solche Situa tion nicht Probleme aufwerfen würde und der sich nun in bereits im Jahre 1993 die Raketenabwehr als Op tion Rußland auch noch in einer instabilen Situa tion völlig ausgeschlossen haben. Ich finde, als Op tion ist abspielt, werden, wenn die GUS alle ihre Abrüstungs- sie wichtig, aber sie ist sicherlich nicht ein Ziel, auf das vereinbarungen einhält, 100 t waffenfähiges Pluto- wir hinarbeiten, vor allen Dingen nicht jetzt unter den nium und 400 t hochangereichertes Ur an freigesetzt gegebenen finanzpolitischen Schwierigkeiten, vor werden. denen wir alle stehen. (Vors it z : Vizepräsidentin Renate Schmidt) Wenn dann die Demontage der Sprengköpfe statt- gefunden hat, benötigt Rußland weitere Lagerungsfa- In den nächsten zehn Jahren wird sich zeigen, ob zilitäten. Das wird sehr schwierig und teuer wer- wir die größte nukleare Abrüstung oder die größte den. nukleare Weiterverbreitung in der Menschheitsge- schichte erleben werden. Mit dem heute zur Abstim- Wir wissen, Plutonium hat Halbwertszeiten, also mung stehenden Antrag, den wir gemeinsam tragen, Zerfallszeiten, die man in menschlichen Katego rien wollen wir einen Beitrag leisten, dieses Problem in den kaum verstehen kann. Das heißt, wir schaffen uns Vordergrund der Debatte zu rücken. durch diesen Abrüstungsprozeß eine andere neue, riesige Gefahr. Es stellt sich nämlich die Frage: Wie Bisher wird die Gefahr der Weiterverbreitung von gehen wir mit diesen hochgiftigen Stoffen um, die dort von einer Atomwaffen und atomarer Technologie anfallen? breiten Öffentlichkeit weitgehend verkannt. Dabei ist sie im Kern genauso existenzbedrohend für den Men- Allein ein Lager für das Plutonium in Rußland kostet schen wie z. B. der Treibhauseffekt oder das Ozon- nach Ausführungen amerikanischer Wissenschaftler loch. etwa 250 Millionen Dollar plus 10 Millionen jährlich (Dr. Olaf Feldmann [F.D.P.]: So ist es!) an Betriebskosten, nur um es halbwegs zu sichern. Wir Im Gegensatz zu diesen Umweltkatastrophen erschei- ersehen daraus, welche ungeheuren Aufgaben auf nen die Gefahren der Weiterverbreitung von Atom- uns zukommen. Die Halbwertszeit von Plutonium waffen noch größer, weil sie weniger meßbar und beträgt 24 000 Jahre, die von hochangereichertem berechenbar sind. Uran 700 Millionen Jahre. Die bestehenden Abrüstungsvereinbarungen ver- Der Fortschritt auf dem Gebiet der Abrüstung hat zu pflichten die GUS-Staaten zur Abrüstung von ca. einer neuen, zusätzlichen Gefahr geführt. Was tun wir 25 000 nuklearen Sprengköpfen innerhalb der näch- mit dem Plutonium? sten zehn Jahre. Davon sind fast 7 000 interkontinen- tale Raketen, also Raketen, die bis nach Amerika Die erwünschte Abrüstung führt also zu einer neuen reichen. Gefahr, und wir haben nicht annähernd die Frage der Entsorgung gelöst. Sie stellt sich nun um so schärfer, Das ist eine gigantische Aufgabe, die Rußland, als wir wissen, daß wir in der GUS nicht einmal eine Weißrußland, die Ukraine und Kasachstan nicht stabile politische Situation haben. Jeder von uns weiß, alleine bewältigen können, zumal die politischen und daß die politische Situation in Rußland z. B. im näch- ökonomischen Rahmenbedingungen in diesen Län- sten Jahr völlig anders sein kann. In einer solchen dern äußerst problematisch sind. Notwendig ist ein- explosiven Lage 500 t spaltbares Mate rial zu haben, ist mal mehr eine gewaltige und koordinierte Anstren- wirklich so gefährlich — ich darf es noch einmal gung der internationalen Staatengemeinschaft, urn sagen — wie das Ozonloch oder der Treibhauseffekt. diese nukleare Erblast des Kalten Krieges abzufragen Wer kann garantieren, daß der gigantische Montage-, und ihr Ausstrahlen — im wahrsten Sinne des Wor- Transport- und Lagerungsprozeß ohne größere tes — zu verhindern. Unfälle, ohne terroristische Anschläge, ohne Dieb- Diese Bemühungen müssen in zwei Richtungen stahl von Substanzen usw. verläuft? gehen: Erstens geht es um die Hilfe bei der Denuklea- risierung in der GUS, und zweitens muß der im März Die Amerikaner haben vor dem Hintergrund dieser 1995 auslaufende Atomwaffensperrvertrag unverän- Situation als erste gehandelt; davon ist hier schon dert und unbegrenzt verlängert und das um ihn herum gesprochen worden. 800 Millionen Dollar sind bisher gewachsene Kontrollregime verschärft werden. bewilligt, in diesem Jahr kommen 400 Millionen Dollar dazu. Wir haben uns kürzlich mit dem Unter- (Dr. Olaf Feldmann [F.D.P.]: Und verbessert ausschuß Abrüstung in Washington ein Bild von der werden!) Situation gemacht. Die Amerikaner wollen beim Bau Wir werden bereits in den nächsten zwei Jahren von Lagerstätten helfen, sie wollen technische Hilfen erleben, ob wir dieser Aufgabe gewachsen sind oder bei der Eliminierung von hochgiftigen Flüssigkeits- ob wir scheitern. treibstoffen geben, Hilfe bei der Entgiftung verseuch- ter Gebiete und vor allen Dingen Unterstützung bei Zunächst zu den Aufgaben im Bereich der ehema- der Konversion von Rüstungsfabriken leisten. Von ligen Sowjetunion: Tausende von Sprengköpfen müs- daher glauben wir, daß die Amerikaner hier unser Lob Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 165. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23. Juni 1993 14181

Dr. Friedbert Pflüger verdienen. Sie haben als erste die Brisanz dieser Abwanderung von Nuklearwissenschaftlern nach Situation richtig erkannt. Libyen, Iran oder Irak zu verhindern, forcieren kann. (Beifall des Abg. Dr. Olaf Feldmann Ich finde es sehr wichtig, daß man jetzt endlich anfängt, im Rahmen dieses Projekts, wofür ja seit [F.D.P.]) langem Mittel zur Verfügung stehen, zu arbeiten. Wir Vor allem haben sie sich bereit erklärt, 500 t des bei haben jetzt immerhin ein Gebäude, wir haben jetzt der Abrüstung anfallenden Urans von den Russen zu eine Kernmannschaft, und unsere Fraktion hofft sehr, kaufen, um es später in verdünnter Form dem Welt- daß man bald mit der Arbeit beginnt. Allerdings gibt markt zur friedlichen Nutzung zuzuführen. Das, finde es nach wie vor Widerstände in Rußland. Es gibt ich, ist der einzige Weg, um aus diesem Dilemma immer noch Russen, die glauben, auf diesem Weg herauszukommen. Ich weiß, daß nicht alle darin würde zuviel nukleare Technologie in den Westen übereinstimmen und daß viele grundsätzliche Beden- gelangen. Solchen Befürchtungen muß m an entge- ken auch gegen die friedliche Nutzung der Kernkraft gentreten. Man muß vor allen Dingen sagen: Wenn haben. Nur, die friedliche Nutzung der Kernkraft ist wir nicht bald dieses Zentrum bauen, dann wird das im Grunde die einzig vertretbare Möglichkeit, um nukleare Know-how auf anderen Wegen — auf hochangereichertes waffenfähiges Plutonium und unkontrollierten — in die Welt gelangen, und es wird Uran in irgendeiner Weise einem Prozeß zugänglich in die falschen Hände geraten. zu machen und zu nutzen. Ich glaube — der Kollege Feldmann hat soeben Wir alle wissen, daß sich Ur an relativ leicht verdün- darauf hingewiesen, der Kollege Würzbach eben- nen läßt, so daß es in zivilen Leichtwasser-Kernreak- falls —, daß es angesichts der 1,2 Milliarden Dollar, die toren verwandt werden kann. Dies stellt sich beim die Amerikaner für die nukleare Abrüstungshilfe Plutonium natürlich anders dar. Es gibt ganz wenige ausgeben, wirklich nicht ausreichend ist, wenn wir, technische Verfahren, um waffenfähiges Plutonium in die Bundesrepublik Deutschland, lediglich 10 Millio- Plutonium zu verwandeln, das friedlich nutzbar ist. nen DM dafür zur Verfügung stellen. Natürlich ist der Die Firma Siemens hat dazu eine Technologie Einwand richtig, daß wir auf anderen Gebieten sehr entwickelt, die sogenannte MOX-Technologie. Dabei viel für Rußland tun, und zwar mehr als andere werden Uran-Plutonium-Mischoxid-Brennelemente Staaten. Dennoch: Wenn wir hier ein gewichtiges hergestellt. Wort mitsprechen wollen, auch bei der inhaltlichen Konzipierung der nuklearen Abrüstungshilfe, dann (Zuruf des Abg. Dr. Olaf Feldmann müssen wir wirklich mehr tun als bisher. Von daher [F.D.P.]) glaube ich, daß wir gut daran tun, die Mittel für die — Selbst wenn richtig ist, Herr Kollege Feldmann, daß Abrüstungshilfe bereits im kommenden Haushalt die Firma Siemens bei der Ausstattung unseres Ple- deutlich zu erhöhen. narsaals offenbar versagt hat, so traue ich ihr doch zu, Während des Kalten Krieges standen Mil liarden für daß sie auf diesem Gebiet mit ihrer Technologie die Aufrüstung zur Verfügung. Es ist in unser aller weitaus größere Erfolge hat. Interesse, daß nun wenigstens ein Teil dieses Be trages Wir verhandeln ja schon lange mit den Russen über für die nukleare Abrüstung zur Verfügung steht. Wir diese Technologie. Sie wissen, es gibt ein Projekt in dürfen dabei auch keine Zeit verlieren. Vielleicht ist Tscheljabinsk, wo wir im Juli mit einer Experten- das Fenster zur nuklearen Abrüstung, das aufgesto- gruppe aus Vertretern des Verteidigungsministeri- ßen worden ist, nur ganz klein und wird bald wieder ums, des Außenministeriums und der Industrie geschlossen. Deshalb ist schnelles Handeln dringend Gespräche über den Bau einer solchen Anlage führen erforderlich. werden. Es geht aber auch um ein internationales Gesamt- Auch das MOX-Verfahren führt natürlich nicht zu konzept zur nuklearen Abrüstung. Wir erinnern uns einer endgültigen Lösung des Plutoniumproblems, daran, daß der Bundeskanzler 1988 auf dem G- denn natürlich bleibt auch dann Plutonium in den 7-Gipfel in Toronto als erster das Thema der tropi- Brennelementen übrig. Die Endlagerungsfrage ist schen Regenwälder an die absolute Spitze der Tages- also damit nicht gelöst, aber sie verliert an Gewicht. ordnung der Weltgemeinschaft gesetzt hat. Das Deswegen glaube ich, daß wir hier über ein Verfahren Ergebnis davon ist der Erdgipfel von Rio gewesen. Wir verfügen, das sehr wichtig ist. Karl-Heinz Kamp hat in würden uns sehr freuen und fänden es sehr richtig, einer ausgezeichneten „Inte rnen Studie" der Konrad- wenn eine ähnliche Anstrengung unternommen Adenauer-Stiftung vor kurzem zu Recht darauf hinge- würde, um das Thema der Verhinderung der Weiter- wiesen. verbreitung von Nuklearwaffen ebenso auf höchster Ich freue mich sehr, daß es endlich gelungen ist, das Ebene zu behandeln und eine ebensolche Initiative zu Abkommen zur Abrüstungshilfe, das der Bundes- starten. kanzler am 16. Dezember vergangenen Jahres in Neben der Hilfe für die Sowjetunion bei der nukle- Moskau geschlossen hat, konkret umzusetzen, näm- aren Abrüstung — darauf hat der Kollege Würzbach lich indem die von uns geforderte Gemeinsame Kom- hingewiesen — kommt es vor allen Dingen darauf an, mission am Donnerstag und Freitag letzter Woche das den Atomwaffensperrvertrag zeitlich zu verlängern. erste Mal getagt hat. Dort hat man über das Tschelja- Ich will, wenn Sie erlauben, Frau Präsidentin, einen binsk-Projekt gesprochen. letzten Gedanken dazu vortragen. Man hat aber vor allen Dingen erörtert, wie man die Wir müssen den Versuch unternehmen — über das Einrichtung des Wissenschafts- und Technologiezen- hinaus, was wir in unserem Antrag sagen —, der trums, das in Moskau errichtet werden soll, um die Internationalen Atomenergiebehörde (IAEO) in Wien 14182 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 165. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23. Juni 1993

Dr. Friedbert Pflüger die Möglichkeit zu geben, ein sogenanntes „Interna- Deutschland beim Zustandekommen dieses Vertra- tionales Plutoniummanagement" aufzubauen. Über ges eine nicht unbe trächtliche Rolle gespielt hat. all das hinaus, was diese Behörde bisher schon leistet, arbeitet das dortige Sekretariat jetzt an einem Kon- (Peter Kurt Würzbach [CDU/CSU]: Die Rati fizierung müssen wir einmal einleiten, Herr zept, wie man z. B. in Rußland eine riesige Lagerstätte oder mehrere Lagerstätten aufbaut und dann in einer Schäfer!) Gemeinschaftsarbeit zwischen russischen Kräften — Den Umstand, daß die Ratifizierung noch nicht und Vertretern der Internationalen Atomenergiebe- eingeleitet worden ist, hat mehr das Präsidium des hörde — sozusagen mit einem Zwei-Schlüssel-Ver- Deutschen Bundestages, haben mehr die Fraktions- fahren — die Plutoniumverwaltung unter internatio- führungen, die Geschäftsführer zu vertreten als die nale Kontrolle stellt. Das Sekreta riat will diese Arbei- Bundesregierung, ten bis 1995 abgeschlossen haben. (Gerlinde Hämmerle [SPD]: Nein!) Ich finde, wir sollten wirklich alles tun, um der IAEO da sie die Tagesordnung des Deutschen Bundestages und ihrem Generaldirektor Blix bei dieser- schwieri- gen Aufgabe und auch dabei zu helfen, die Kontrollen, festlegen. Das Kabinett kann nur Wünsche äußern. die sie ausübt, zu verschärfen, zu verstärken und Aber die Geschäftsführer, Frau Kollegin Hämmerle, Verdachtskontrollén durchzuführen. Herr Blix hat uns sind natürlich hervorragende Persönlichkeiten. Ich bei einem Vortrag vor der Deutschen Gesellschaft für möchte das bei dieser Gelegenheit noch einmal unter- Auswärtige Politik im März zu Recht gemahnt, daß streichen. — auch dazu Geld erforderlich ist und daß die Bundes- republik auch die Verstärkung der Sonderkontrollen (Beifall bei Abgeordneten der F.D.P. und der der IAEO entsprechend finanzieren muß. SPD) Ich sage abschließend: Ich finde es wirklich ganz Und ich darf hier einmal sagen, was besonders erfreu- wichtig, daß wir an diesen Fragen weiterarbeiten, daß lich ist: Es haben 140 Staaten der Welt inzwischen sich das Auswärtige Amt auch überlegt, ob es intern dieses Übereinkommen gezeichnet. die Voraussetzungen geschaffen hat, um mit diesem Wir sind sehr froh, daß in der heutigen Aussprache neuen Thema wirklich angemessen fertigzuwerden. die breite Übereinstimmung in diesem Hause durch Ich wünsche mir neben den finanziellen Beiträgen, die die beiden interfraktionellen Beschlußempfehlungen, wir zu leisten haben, vor allen Dingen einen Füh- die Sie vorgelegt haben und die wir sehr begrüßen, rungsbeitrag der Bundesrepublik Deutschland auf deutlich wird. Von Feierstunde würde ich in diesem dem Gebiet der Konzeption. Hier sollten wir, genau Zusammenhang nicht sprechen. Ich finde, es ist sach- wie es früher bei der KSZE und in vielen anderen liche Arbeit, die wir hier leisten. Feierstunden unter- Bereichen der Fall war, die erste Rolle spielen. Man scheiden sich von sachlicher Arbeit sehr wesentlich, kann dann stolz sein auf sein eigenes Land, wenn es wie wir angesichts der Häufung von Feierstunden in sich an einer solchen Aufgabe verantwortlich betei- diesem Hause alle wissen. ligt. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Was den Atomwaffensperrvertrag aus dem Jahre 1968 betrifft, so wissen Sie, daß wir ihn nach wie vor als Kernstück des internationalen nuklearen Nicht- verbreitungssystems ansehen, das es zu stärken und auszubauen gilt. Hierzu gibt die vorliegende Be- Vizepräsidentin Renate Schmidt: Jetzt hat Herr Staatsminister Helmut Schäfer das Wort. schlußempfehlung wichtige Anregungen. Ich bin sehr dankbar, daß der Kollege Würzbach und andere einzelne wichtige Details noch einmal aufgegriffen haben. Gerade die Stärkung der Kon trollen der Inter- nationalen Atomenergieagentur in Wien und des Helmut Schäfer, Staatsminister im Auswärtigen Ausbaus von Exportkontrollen ist außerordentlich Amt: Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! wichtig. Herr Kollege Pflüger, natürlich hat das Auswärtige Amt nicht nur die Kapazitäten, sondern auch die Kraft, Zu den Zielsetzungen des Nichtverbreitungsver- Ihren Vorstellungen zu entsprechen; wir sind dabei. trags gehört natürlich die nukleare Abrüstung. Wir Ich lade Sie gern einmal ein, sich demnächst bei uns haben in den vergangenen Jahren immer wieder die umzusehen und festzustellen, wie gerade an diesen Kernwaffenstaaten auf ihre Verpflichtung hingewie- Fragen gearbeitet wird. sen, alles zu tun, um die Abrüstung dieser schreckli- chen Waffen energisch voranzutreiben. Wir sind froh, Ich darf, was die Nichtverbreitung von Massenver- daß durch die Vereinbarung zwischen den USA und nichtungswaffen und ihrer Trägersysteme betrifft, Rußland bei strategischen Nuklearwaffen ein doch heute noch einmal sehr deutlich zum Ausdruck brin- sehr weitreichender Schritt inzwischen erfolgt ist. gen, daß dies das dringlichste Ziel unserer Abrü- stungspolitik ist, wie ich das bei der Debatte am Die Bundesregierung tritt für die unkonditionierte 27. November letzten Jahres hier schon dargelegt und unbefristete Verlängerung des Nichtverbrei- habe. Ich kann heute nur sagen: Wir haben in der tungsvertrags im Jahre 1995 ein. Sie weiß sich in Zwischenzeit — man soll gelegentlich auch die Fakten diesem Vorhaben mit ihren westlichen Partnern, auch sprechen lassen — mit der Vereinbarung des Chemie- mit ihren mittel- und osteuropäischen Partnern waffenverbots einen weiteren wichtigen Erfolg auf einig. diesem Weg erzielen können. Sie wissen auch, daß (Beifall bei Abgeordneten der F.D.P.) Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 165. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23. Juni 1993 14183

Staatsminister Helmut Schäfer Gemeinsam wurde diese Zielsetzung in der Erklä- ein sehr langer Zeitraum erforderlich. Aber ich stimme rung des Nordatlantischen Kooperationsrates vom Ihnen völlig zu, wenn Sie sagen, wir dürfen diese 11. Juni dieses Jahres in Athen bekräftigt. Die Bun- Chance nicht vorübergehen lassen. Wir müssen von desregierung wird den bis zur Verlängerungskonfe- Anfang an mitentscheidend dabei sein, auch bei der renz verbleibenden Zeitraum nutzen, um Hindernisse technologischen Bewältigung dieses Problems. auf dem Weg zu diesem Ziel zu überwinden. Sie wird Mit der Ukraine wurde in diesem Monat ein Rah- sich nachhaltig darum bemühen — Sie sollten das als menabkommen über die Zusammenarbeit bei der Abgeordnete des Deutschen Bundestages auch tun —, Eliminierung ihrer Waffen abgeschlossen. Ich darf die Staaten, die noch nicht bereit sind, diesem Vertrag dazusagen, daß sich inzwischen herauskristallisiert, beizutreten — hier müssen immer wieder beispielhaft daß sich all diese Staaten ihrer besonderen Schwierig- genannt werden: Israel, Pakistan, Indien und Brasi- keiten bei der Vernichtung dieser Waffen bewußt sind lien; Herr Kollege Würzbach, Sie haben sie alle und daß die Zusammenarbeit mit den westlichen genannt —, zu einer Änderung ihrer Haltung zu Partnerstaaten zwangsläufig ist. Diese internationale bewegen. Zusammenarbeit wird von allen Mitgliedstaaten des (Beifall bei der F.D.P., der CDU/CSU und der Nichtverbreitungsvertrages als wichtiges Signal für SPD) die gemeinsame Entschlossenheit gewertet werden, nukleare Abrüstungsverpflichtungen zügig umzuset- Es wäre vielleicht an der Zeit, meine Damen und zen. Herren, angesichts der Begehrlichkeiten dieser Staa- ten, die an uns herangetragen werden, einen Zusam- Meine Damen und Herren, die Beschlußempfeh- menhang mit der Bereitschaft herzustellen, dem lung zur Einstellung der Atomtests entspricht dem seit Atomwaffensperrvertrag beizutreten. langem von uns mit Nachdruck vertretenen Anliegen, einen umfassenden und verifizierbaren Stopp nukle- hat mit seiner Ankündigung des Aus- Nordkorea arer Tests zum frühestmöglichen Zeitpunkt anzustre- tritts aus dem Nichtverbreitungsvertrag eine Gefahr ben. Wir haben uns für einen internationalen Vertrag heraufbeschworen, die nicht ernst genug genommen ausgesprochen, der in der Genfer Abrüstungskonfe- werden kann. Wir haben daher die Bemühungen der renz verhandelt werden sollte, in der alle Kernwaffen- Vereinigten Staaten gegenüber Nordkorea begrüßt, staaten gemeinsam mit einer repräsentativen Gruppe die Krise beizulegen. Die jüngste Ankündigung Nord- von Nichtkernwaffenstaaten an einem Verhandlungs- koreas läßt hoffen, daß die Absicht, auszutreten, bzw. tisch sitzen. der inzwischen erfolgte Austritt widerrufen wird und daß das Land dem Nichtverbreitungsvertrag wieder Im Teststoppbereich gibt es positive Entwicklun- beitreten wird. Auch das haben wir in allen Gesprä- gen. Seit September des vergangenen Jahres gab es chen sehr deutlich gemacht. keine Nukleartests mehr, was maßgeblich auf die Vereinbarungen über Testmoratorien zwischen den Implementierung bestehender Rüstungskontroll- USA und Rußland zurückzuführen ist, denen sich vereinbarungen, insbesondere der START-Verträge, Frankreich anschloß. Wir unternehmen alle Anstren- ist eine wichtige Voraussetzung für den Erfolg der gungen, daß es dabei bleibt. In diesem Zusammen- Verlängerungskonferenz des Nichtverbreitungsver- hang begrüßen wir auch die Absprachen zwischen trags. Gleichermaßen bedeutsam ist der Beitritt der den Präsidenten Rußlands und der USA von Vancou- Nachfolgestaaten der Sowjetunion zum Nichtverbrei- ver vom April dieses Jahres, die frühzeitige Verhand- tungsvertrag als Nichtkernwaffenstaaten entspre- lungen über einen nuklearen Teststopp anstreben. chend dem Lissaboner Protokoll. (Abg. Dr. [SPD] meldet sich Die Bundesregierung nutzt alle sich bietenden zu einer Zwischenfrage) Gelegenheiten, um diese Staaten auf ihre Verpflich- tungen hinzuweisen. Diese Thematik war, wie Sie wissen, ein wichtiger Gesprächspunkt beim jüngsten Vizepräsidentin Renate Schmidt: Herr Staatsmini- Besuch des Bundeskanzlers in Kiew. Zugleich ist die ster, würden Sie eine Zwischenfrage gestatten? Bundesrepublik bereit, diese Staaten bei der Umset- zung ihrer Abrüstungsverpflichtungen tatkräftig zu unterstützen. Wir sind uns bewußt, daß die bisher zur Helmut Schäfer, Staatsminister im Auswärten Amt: Verfügung stehenden Summen — Herr Kollege Pflü- Die Zwischenfrage kommt gleichzeitig mit dem roten ger, Herr Kollege Würzbach und andere — natürlich Licht, das hier jetzt aufleuchtet; deshalb möchte ich noch nicht ausreichend sind. Ich meine jedoch, wer gern mit Herrn Scheer im Anschluß privat ein Wort hier Vorschläge macht, diese Summen erheblich zu wechseln, ohne die bereits anwesenden, auf den erhöhen, muß auch sagen, wo sie an anderer Stelle nächsten Tagesordnungspunkt wartenden Minister nach Möglichkeit eingespart werden können. Viel- und Abgeordneten allzulange aufzuhalten. leicht gibt es da Ansatzpunkte bei der Frage, die ich Meine Damen und Herren, Ihre Unterstützung vorhin schon angedeutet habe: bei der kostenlosen unserer Politik wird uns helfen, den Rüstungskontroll- Lieferung von Rüstungsgütern an mit uns besonders prozeß weiter voranzutreiben. Sie wird unsere Bemü- befreundete Staaten. Vielleicht sollte man das in hungen um ein möglichst universelles und in der diesem Zusammenhang einmal erörtern dürfen. Umsetzung umfassendes Nichtverbreitungsregime Die Bundesrepublik hat bereits im Dezember des nachhaltig fördern. vergangenen Jahres entsprechende Abkommen mit Der breite Konsens in diesem Hause wird auch im Rußland abgeschlossen, und unsere praktische Hilfe Ausland nicht überhört werden und die Glaubwürdig- bei der Eliminierung von Nuklear- und Chemiewaffen keit unserer Politik unterstreichen, auch wenn wir läuft jetzt an. Herr Kollege Pflüger, natürlich ist hierfür gelegentlich Ausfälle gegen die Glaubwürdigkeit 14184 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 165. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23. Juni 1993

Staatsminister Helmut Schäfer unserer Politik von der immer gleichen Seite hinneh- Zweite und dritte Beratung des von der Frak- men müssen. tion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Vielen Dank. Gesetzes zur Änderung des Opferentschädi- gungsgesetzes (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) — Drucksache 12/4611 — (Erste Beratung 149. Sitzung) Vizepräsidentin Renate Schmidt: Wir kommen nun Zweite und dritte Beratung des von den Abge- zur Abstimmung, und zwar zunächst über die ordneten Vera Wollenberger, Dr. Klaus-Dieter Beschlußempfehlung des Auswärtigen Ausschusses Feige, Ingrid Köppe weiteren Abgeordneten zu dem Antrag der Frak tion der SPD zur Nichtverbrei- und der Gruppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN tung von Kernwaffen, Drucksachen 12/3099 und eingebrachten Entwurfs eines 12/5116. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag in der Gesetzes zur Änderung des Opferentschädigungsrechts Ausschußfassung anzunehmen. Wer stimmt dafür? — Wer stimmt dagegen? — Stimmenthaltungen? — — Drucksache 12/4348 — Damit ist die Beschlußempfehlung einstimmig- ange- (Erste Beratung 149. Sitzung) nommen. Zweite und dritte Beratung des von der Abge- Wir kommen nun zum Tagesordnungspunkt 2 b und ordneten Ulla Jelpke und der Gruppe der stimmen über die Beschlußempfehlung des Auswärti- PDS/Linke Liste eingebrachten Entwurfs eines gen Ausschusses zu dem Antrag der Frak tion der SPD Gesetzes zur Änderung des Opferentschädi- zur sofortigen Einstellung aller Atomwaffentests gungsgesetzes — Drucksachen 12/2845 und 12/5115 — ab. Der — Drucksache 12/4297 — Ausschuß empfiehlt, den Antrag in der Ausschußfas- sung anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschluß- (Erste Beratung 149. Sitzung) empfehlung? — Wer stimmt dagegen? — Stimment- a) Beschlußempfehlung und Bericht des Aus- haltungen? — Damit ist auch diese Beschlußempfeh- schusses für Arbeit und Sozialordnung lung einstimmig angenommen. (11. Ausschuß) Wir kommen nun zum Zusatzpunkt 1 und stimmen — Drucksache 12/5182 — über die Beschlußempfehlung des Auswärtigen Aus- Berichterstattung: schusses zu dem Antrag der Frak tion der SPD zur Beseitigung der französischen HADES-Atomraketen Abgeordnete Dr. Alex ander Warrikoff — Drucksachen 12/1212 und 12/5210 — ab. Der Ulrike Mascher Ausschuß empiehlt, den Antrag abzulehnen. Wer Dr. Gisela Babel stimmt für die Beschlußempfehlung? — Wer stimmt b) Berichte des Haushaltsausschusses (8. Aus- dagegen? — Stimmenthaltungen? — Damit ist diese schuß) gemäß § 96 der Geschäftsordnung Beschlußempfehlung mit knapper Mehrheit ange- — Drucksachen 12/5183, 12/5184, 12/5185, nommen. 12/5186 — Wir kommen nun zum Zusatzpunkt 2. Dabei handelt Berichterstattung: es sich um die Beschlußempfehlung des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Frak tion der SPD zur Abgeordnete Abrüstung taktischer Atomwaffen, Drucksachen Hans-Gerd Strube 12/1213 und 12/5212. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschluß- Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat ist für die empfehlung? — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Aussprache darüber eine halbe Stunde vorgesehen. Damit ist auch diese Beschlußempfehlung angenom- Gibt es dagegen irgendwie gearteten Widerspruch? — men. Das ist nicht der Fall. Es ist so beschlossen. Wir kommen nun zum Zusatzpunkt 3 und stimmen Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem über die Beschlußempfehlung des Auswärtigen Aus- dem Kollegen Dr. Alexander Warrikoff das Wort. schusses zu dem Antrag der Gruppe PDS/Linke Liste zu einer Initiative zur nuklearen Abrüstung ab, Druck- sachen 12/1443 und 12/5213. Dr. Alexander Warrikoff (CDU/CSU): Frau Präsiden- Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag abzulehnen. tin! Meine Damen und Herren! Unser Gesetz, das wir Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? — Gegen- heute gemeinsam verabschieden werden, wird die probe! — Stimmenthaltungen? — Damit ist auch diese Verbrechen von Hiinxe, Mölln und Solingen nicht Beschlußempfehlung angenommen. ungeschehen machen. Es kann sie auch nicht wieder- gutmachen. Das, was geschehen ist, ist nicht wieder gutmachbar. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 3 auf: Dennoch ist dieses Gesetz notwendig. Wir können Zweite und dritte Beratung des von der Bun- die Folgen der Gewalt nicht beseitigen, wir können desregierung eingebrachten Entwurfs eines aber zumindest wirtschaftlich helfen, so unvollkom- Zweiten Gesetzes zur Anderung des Gesetzes men das auch sein mag. Um all diese Fälle zu erfassen, über die Entschädigung für Opfer von Gewalt- haben wir eine Rückwirkung des Gesetzes vorgese- taten hen. — Drucksachen 12/4889, 12/4991 — Unser Opferentschädigungsrecht hat eine gewisse (Erste Beratung 158. Sitzung) Tradition. 1976 wurde es einstimmig im Deutschen Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 165. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23. Juni 1993 14185

Dr. Alexander Warrikoff Bundestag beschlossen. Es beschränkt sich jedoch auf nisierter Kriminalität in Zusammenhang stehen. Wir Deutsche, EG-Angehörige und solche Ausländer, in haben diese Fälle ausgenommen. deren Heimatländern das Recht auf Gegenseitigkeit An anderer Stelle wird durch den Gesetzgeber gilt, also Deutsche, die Opfer von Gewalttaten wer- — dazu gibt es ja eine ganze Reihe von Vorschlägen den, entschädigt würden. und Überlegungen —, aber auch durch den Gesetzes- Diese letzte Einschränkung darf keinen Bestand vollzug, durch die Rechtsprechung und vor allem haben. Wir wollen Ausländer entschädigen, weil sie durch das Verhalten der Gemeinschaft, der Nachbarn bei uns Opfer von Gewalt wurden, vor der sie unser und eines jeden einzelnen, der irgendwie damit in Staat nicht schützen konnte. Ihr Schicksal ist unab- Berührung kommt, dafür zu sorgen sein, daß mit aller hängig davon, ob Gegenseitigkeit gilt. Kraft Verbrechen wie die, die uns heute hier beschäf- tigen, bekämpft und soweit wie möglich vermieden Viele Länder haben kein Opferentschädigungs- werden. Es wird nicht ganz gelingen; leider. Hierzu recht für ihre eigenen Bürger und können daher auch kann dieses Gesetz einen Beitrag nicht leisten; das ist Deutschen keinen Anspruch geben. Wir verweigern nicht sein Zweck. Es soll aber, wenn sich Gewaltakte keinem Ausländer, der hier lebt, den Zugang zu gegen Ausländer wiederholen, so gut wie möglich unseren großen sozialen Sicherungssystemen mit der helfen. Begründung, daß es in seinem Heimatland vergleich- bare Systeme nicht gibt oder, wenn es sie geben sollte, (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Deutsche darin keinen Schutz finden können. Es spricht unsere Das Opferentschädigungsrecht gilt zwar — Gott sei Vizepräsidentin Renate Schmidt: Kollegin Ulrike Mascher. Dank — für sehr viel weniger Menschen als die großen sozialen Sicherungssysteme, aber es gehört dazu. Es wäre verfehlt, dieses Opferentschädigungsrecht von Ulrike Mascher (SPD): Frau Präsidentin! Liebe Kol- dem auszunehmen, was Ausländer in Anspruch neh- legen und Kolleginnen! Die SPD-Bundestagsfraktion men können. stimmt der Beschlußempfehlung des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung zu. Wir halten es für richtig, In unseren Beratungen hat auch das Schicksal von ja für notwendig, daß diese Änderung des Opferent- Deutschen, die im Ausland Opfer von Gewalt werden schädigungsgesetzes von einer breiten Mehrheit des und dort keine Ansprüche erwerben, eine große Rolle Bundestages getragen wird, um ein deutliches Signal gespielt. Dieses Schicksal darf uns nicht gleichgültig zu setzen. sein. Es war und es ist uns nicht gleichgültig. Aller- dings ist unser deutsches Opferentschädigungsrecht Die Beschlußempfehlung bezieht endlich auch die nicht die richtige Stelle für eine Regelung. Das Opfer- Gruppen von Ausländern in die Leistungen des Opfer- entschädigungsrecht bet rifft Versagen unseres Staa- entschädigungsgesetzes ein, die l ange bei uns leben, tes, also des deutschen Staates, nicht aber das Versa- Steuern und Beiträge zahlen, aber bisher ausgeschlos- gen anderer Staaten. sen waren, weil sie nicht aus Staaten der EG kommen oder weil es kein Abkommen mit ihrem Heimatstaat Wir wollen jedoch, um dieses Problem weiterzu- gibt, das nach dem Prinzip der Gegenseitigkeit auch bringen, wenn wir nachher abstimmen, die Bundesre- Leistungen für Deutsche vorsieht. gierung durch eine Entschließung auffordern, darauf Dieses abstrakte Prinzip der Gegenseitigkeit hat hinzuwirken, daß mit möglichst vielen Staaten bisher verhindert, daß die Anträge der SPD für eine Gegenseitigkeitsabkommen abgeschlossen werden, entsprechende Änderung des Opferentschädigungs- die eine der Entschädigung eigener Staatsangehöri- gesetzes eine Mehrheit gefunden haben. Bereits 1984 ger vergleichbare Entschädigung Deutscher vorse- hat die SPD einen entsprechenden Antrag einge- hen. Für den Fall, daß dies nicht möglich ist — es wird bracht. Der Antrag wurde damals von der CDU/CSU häufig nicht möglich sein, weil solche Systeme nicht und der F.D.P. wegen der angespannten Haushalts- bestehen —, bitten wir die Bundesregierung, Kon- lage — es ging um die Summe von 600 000 DM —, zepte zu entwickeln, wie den Deutschen, die im aber vor allem wegen des Gegenseitigkeitsprinzips Ausland Opfer von Gewalt wurden, geholfen werden abgelehnt. Andere Staaten sollten veranlaßt werden, kann. Deutschen vergleichbare Rechte in ihren Staaten So überzeugend das Gesamtkonzept ist, so gibt es einzuräumen. So lautete die Argumenta tion der auch hier, wie immer, Abgrenzungsprobleme. Es Regierungskoalition. kann passieren, daß z. B. Touristen, die die formalen Die Gefahr der Ablehnung aus den gleichen Grün- Voraussetzungen des Gesetzes — Aufenthaltsdauer den drohte auch dem Antrag der SPD vom 23. März usw. — nicht erfüllen, keine Ansprüche erwerben, dieses Jahres. Aber angesichts der steigenden Zahl obwohl dies im Einzelfall unserem gemeinsamen von Anschlägen auf Ausländer, die vor allem Türken, Gerechtigkeitsgefühl widersp richt. Hierfür haben wir Schwarzafrikaner und Vietnamesen getroffen haben, eine Härteregelung vorgesehen, die Abhilfe schaffen war das Festhalten am Prinzip der Gegenseitigkeit kann. untragbar geworden. Auf der anderen Seite der Abgrenzungsprobleme Die SPD hat es deshalb begrüßt, daß die Bundesre- will niemand Entschädigung leisten, wenn auf deut- gierung, aufgeschreckt durch die ausländerfeindli- schem Boden politische Auseinandersetzungen aus chen Gewalttaten, am 10. Mai endlich einen Gesetz- den jeweiligen Heimatländern aktiv und mit Gewalt entwurf zur Änderung des Opferentschädigungsge- fortgeführt werden und dabei Schäden entstehen oder setzes eingebracht hat, der das Prinzip der Gegensei- wenn gar, als besonders extremer Fall, Ausländer auf tigkeit aufbricht und sich an den Realitäten unseres deutschem Boden zu Schäden kommen, die mit orga- Landes orientiert; denn 75 % der bei uns lebenden 14186 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 165. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23. Juni 1993

Ulrike Mascher Ausländer waren bisher von den Leistungen des dafür Verständnis. Wir werden aber diesen Antrag Opferentschädigungsgesetzes ausgeschlossen. Viele erneut einbringen. von ihnen leben seit vielen Jahren bei uns, arbeiten Wir freuen uns, daß durch die Festlegung des hier und tragen mit ihren Steuern dazu bei, daß die Termins des Inkrafttretens dieses Gesetzes am 1. Ju li Leistungen des Opferentschädigungsgesetzes, also 1990 Petitionen, die dem Ausschuß zur Entscheidung Heilbehandlung, Rehabilitation und Rente, finanziert vorlagen, positiv entschieden werden können. werden können, von denen sie bisher keinen Nutzen haben konnten. Insgesamt liegt also nach den Ausschußberatungen nun ein Ergebnis vor, das im Interesse der bei uns Es ist erschreckend für uns alle in der Bundesrepu- lebenden Ausländer, aber auch im Interesse des blik, daß der Staat, unser Staat, Ausländer in den Ansehens der Bundesrepublik als eines L andes der letzten Jahren nicht mehr zuverlässig vor Gewalttaten guten Nachbarschaft mit ausländischen Mitbürgern schützen konnte. Um so dringlicher war es, alle bei uns und Gästen mit breiter Mehrheit zugestimmt werden lebenden Ausländer in den Leistungsbereich des kann, ja zugestimmt werden muß. Opferentschädigungsgesetzes einzubeziehen, Rege- - Leider haben sich die bayerische Staatsregierung lungen zu treffen, wie Verwandte, die hier zu Besuch und, wie es bei den Abstimmungen im Ausschuß sind, geschützt werden können und wie durch eine erkennbar, die CSU-Abgeordneten und ihre Freunde flexibel auf nicht vorhersehbare Härtefallregelung in der CDU aus diesem Konsens ausgeschlossen. Die und daher schwer regelbare Fallkonstruktionen rea- bayerische Staatsregierung hat im Bundesrat dage- giert werden kann. gen gestimmt, und die CSU-Abgeordneten und ihre Ich möchte mich ausdrücklich auch bei den Mitar- CDU-Freunde haben bei der Abstimmung im Aus- beitern und Mitarbeiterinnen des Ministeriums für schuß nur leere Stühle hinterlassen. Arbeit und Sozialordnung bedanken, daß jetzt ein (Dr. [CSU]: Gott sei Dank!) entsprechender Gesetzentwurf vorliegt. Ich finde es beschämend, daß dieses vergleichs- (Beifall bei Abgeordneten der SPD, der weise kleine Signal, Herr Dr. Ramsauer, an die Opfer F.D.P. und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ von Hünxe und Mölln, von Hoyerswerda und So lingen NEN) und leider viele andere von Vertretern der CSU — da frage ich mich, ob das christlich-sozial heißt — abge- Ich hoffe, daß die schwierige Formulierung der lehnt wird. Ich hätte erwartet, daß der neue bayerische Ausschlußgründe in § 2 dieses Gesetzes in der Realität Ministerpräsident oder der CSU-Vorsitzende Waigel zu akzeptablen Ergebnissen führt. Wir wollen nicht, dafür sorgen, daß Baye rn nicht dadurch ins Zwielicht daß z. B. ein Antragsteller, der auf Grund seiner gerät, daß es ausländischen Opfern von Gewalttaten publizistischen oppositionellen Tätigkeit in seinem Leistungen nach diesem Opferentschädigungsgesetz Heimatland verfolgt wurde, hier Asyl gefunden hat verweigert. und wegen der Fortsetzung dieser publizistischen Tätigkeit in der Bundesrepublik Opfer einer gezielten (Weiterer Zuruf des Abg. Dr. Ramsauer Gewalttat wird, keine Opferentschädigung unter [CSU]) Berufung auf diesen § 2 bekommt, und wir wollen Aber vielleicht — ich habe allerdings keine so auch nicht, daß Bürgerkriegsopfern, wenn sie hier großen Hoffnungen nach Ihren Zwischenrufen — erneut Opfer von Gewalt werden, schwer zu leistende nutzt noch ein Vertreter oder eine Vertreterin der CSU Beweislasten aufgebürdet werden. die Debatte zu einer eindeutigen positiven Stellung- nahme zu dieser Änderung des Opferentschädigungs- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) gesetzes. Wir waren uns im Ausschuß einig, daß Opfer von Die SPD-Bundestagsfraktion wird wie alle sozialde- internen Auseinandersetzungen krimineller Organi- mokratisch geführten L ander in Kontinuität ihrer sationen von Leistungen dieses Gesetzes ausge- Anträge von 1984 und vom März dieses Jahres dieser schlossen sind, es sei denn, der Beweis des Gegenteils Änderung des Gesetzes zustimmen. kann vom Antragsteller erbracht werden. Ich möchte Ich danke Ihnen. das hier ausdrücklich sagen, damit die SPD keinen Mißdeutungen ausgesetzt wird. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Die SPD hat durch einen Antrag eine Änderung des Bundesversorgungsgesetzes angeregt. Auch Kriegs- opfer, die bisher durch die Regelungen des Bundes- versorgungsgesetzes von Leistungen ausgeschlossen Vizepräsidentin Renate Schmidt: Nun spricht die waren, sollten im Rahmen dieses Gesetzgebungsver- Kollegin Cornelia Schmalz-Jacobsen. fahrens berücksichtigt werden. Es handelt sich dabei um deutschsprachige Juden aus den Ostgebieten und um NS-Verfolgte, die einen Entschädigungsanspruch Cornelia Schmalz-Jacobsen (F.D.P.): Frau Präsi- in ihrem Heimatland verloren haben, weil sie in dentin! Meine Kollegen! Meine Kolleginnen! Der Deutschland leben oder die deutsche Staatsangehö- Hintergrund, vor dem wir heute diese Gesetzesno- rigkeit erworben haben. velle verabschieden, ist bedrückend genug, und Die CDU/CSU hat diesen Antrag abgelehnt, weil sie darum ist Eile geboten. die Auswirkungen dieser Änderung des Bundesver- Aber ich kann mit Befriedigung feststellen, daß die sorgungsgesetzes sorgfältig prüfen will. Wir haben Bundesregierung ein Gesetz vorgelegt hat, das unse- Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 165. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23. Juni 1993 14187

Cornelia Schmalz-Jacobsen rem gemeinsamen Anspruch, ein sozialer Rechtsstaat eine sehr erfahrene Organisation, wenn es um die zu sein, gerecht wird. Opferentschädigung geht, Zweifel angemeldet, ob das Gesetz wirklich handhabbar sei. Die F.D.P.- (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne Fraktion wird nach einigen Monaten überprüfen, ob ten der CDU/CSU) es am Ende für die Antragsteller zu schwer verständ- In der Begründung des Opferentschädigungsgeset- lich und zu kompliziert für die Verwaltung ist. Das zes heißt es: möchten wir gern wissen. Wenn es der staatlichen Gemeinschaft trotz ihrer Meine zweite Bemerkung: Wir halten es für ange- Anstrengungen zur Verbrechensverhütung nicht zeigt — natürlich völlig unabhängig von dem, was wir gelingt, Gewalttaten völlig zu verhindern, so muß hier heute beschließen —, nach Wegen zu suchen, um sie wenigstens für die Opfer dieser Straftaten deutschen Opfern von Gewalt, die im Ausland zu einstehen. Schaden gekommen sind, mit Opfern im Inland gleichzustellen. Bisher war die große Mehrheit aller in der Bundes- (Beifall des Abg. Dr. Alexander Warrikoff republik lebenden Ausländer ausgeschlossen,- und zwar ohne Rücksicht darauf, wie viele Jahre sie schon [CDU/CSU]) bei uns gelebt und — ich sage das in Klammern — Wie gesagt, das hat hiermit nichts zu tun; aber wir gezahlt haben. Daß mit dieser Novelle auf die Gegen- möchten das gern geprüft wissen. seitigkeit verzichtet wird, das ist richtig, das ist Alles in allem: Es ist gut, daß wir heute diesen angemessen; aber ich will auch sagen: Es ist beispiel- Beschluß fassen. Es ist ein kleines Signal, aber es ist haft. doch ein deutliches Signal, daß wir Verantwortung ( [CDU/CSU]: Das ist rich übernehmen. tig!) Danke schön. Durch die vorliegende Änderung sind nun alle (Beifall bei der F.D.P. sowie Beifall bei Abge Ausländer, die seit mindestens drei Jahren rechtmä- ordneten der CDU/CSU, der SPD, der PDS/ ßig hier leben, deutschen wie auch EG-Staatsbürgern Linke Liste und des BÜNDNISSES 90/DIE gleichgestellt. Auch diejenigen, die sich erst kürzere GRÜNEN) Zeit bei uns aufhalten, fallen nicht durch die Maschen, sondern erhalten Entschädigungsleistungen. Hier ist Vizepräsidentin Renate Schmidt: Nun spricht die nun endlich die Grundlage für klare Rechtsansprüche Kollegin Ulla Jelpke. geschaffen worden.

(Beifall bei der F.D.P.) Ulla Jelpke (PDS/Linke Liste): Frau Präsidentin! Das ist wichtig, denn allein mit Ermessen kann man Meine Damen und Herren! Noch während der Trau- wenig tun. erfeierlichkeiten für die Opfer von Solingen diskutiert die CSU ihre Blockade gegen eine Entschädigung für Aber es bleibt hier dankenswerterweise auch noch die Opfer rassistischer Ang riffe. Wer wie Kollege Geis ein Raum für besondere Härtefälle bestehen. Das ist hier in der zweiten und der dritten Lesung zur deswegen wichtig, weil man nicht jeden Einzelfall in Grundgesetzänderung von einem „Naturrecht" auf einem Gesetz völlig abdecken kann. Widerstand gegen „Überfremdung" spricht, kann Es ist richtig, daß das Gesetz rückwirkend gilt, seit nicht ernsthaft für eine Änderung des Gesetzes eintre- dem 1. Juli 1990, denn damit kann nun den armen ten. Opfern von Gewalttaten — ich denke hier z. B. an die Kennzeichnend für die Atmosphäre in der Bundes- kleinen Mädchen aus Hünxe — Hilfe und Fürsorge republik ist, daß diese Regierung zu keiner großzügi- nicht länger verweigert werden. Sie bekommen jetzt gen Geste der Humanität und der Solidarität bereit die Hilfe, die sie brauchen. ist. Noch angesichts einer ständig wachsenden Liste Ich muß sagen: Ich werde erleichert sein, wenn wir von Brandanschlägen, Überfällen und Morden wird heute das neue Opferentschädigungsgesetz beschlos- Pfennigfuchserei betrieben. sen haben werden. Aber ich möchte auch hervorhe- (Jochen Feilcke [CDU/CSU]: Wenn Sie im ben, daß wir es hier mit einer sehr großzügigen Ausschuß dabei gewesen wären, wüßten Sie, Regelung zu tun haben, die ihresgleichen nicht finden daß Sie Quatsch reden!) wird. — Ich war im Innenausschuß dabei, während Sie (Zustimmung bei der F.D.P.) parallel im anderen Ausschuß getagt haben, und ich Herr Bundesminister Blüm, ich danke Ihnen ganz habe diese Kritik auch dort vorgetragen. ausdrücklich dafür. Potentielle Opfer des Rassismus, der inzwischen (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) blindlings gegen Flüchtlinge, Asylbewerber, Immi- granten zuschlägt, werden wieder klassifiziert und Es steht uns gut an, daß wir das machen, weil wir sortiert. nämlich auf diese Weise Verantwortung für alle Opfer Vorgelegt wurde ein gesetzliches Regelwerk, in übernehmen. Aber wir müssen uns mit diesem Gesetz dessen bürokratischem Gestrüpp noch viele Ansprü- auch nicht verstecken. che der Opfer hängenbleiben. Nach einer s trengen Zwei Bemerkungen möchte ich anschließen, die gesetzlichen Rangordnung nach Aufenthaltsdauer, von unserer Seite, der F.D.P.-Fraktion, bereits ange- Aufenthaltsstatus und Verwandtschaftsgrad ist die kündigt worden sind. Zum einen hat der Weiße Ring, Entschädigung differenziert. 14188 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 165. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23. Juni 1993

Ulla Jelpke Nicht vergessen wurde die Möglichkeit, Entschädi- Drittens. Wer grundsätzlich laufende Zahlungen gungsansprüche zu umgehen, indem die Schädigung beanspruchen könnte, soll diesen Anspruch verlieren, als Folge politischer Betätigung der Opfer ausgege- wenn er für sechs oder mehr Monate dieses Land ben werden kann. Das Opfer hat den Nachweis zu verläßt, etwa aus Angst nach der Gewalttat oder erbringen, daß dies nicht der Fall war. einfach, weil ein vorläufiges Bleiberecht ausläuft. Der Der Zynismus dieser Konzeption einer Opferent- Weiße Ring hat diese Regelung mit Recht kritisiert. schädigung wird an der Härtefallregelung für dieje- Viertens. Wer keinen Entschädigungsanspruch hat, nigen besonders deutlich, die auf Grund ihrer Aufent- kann auf dem Gnadenweg mit persönlicher Zustim- haltsdauer eigentlich keine Ansprüche hätten. Als mung des Bundesarbeitsministers trotzdem einige Gnadenakt können einmalige Zuwendungen gezahlt Leistungen erhalten, wenn eine besondere Härte werden, allerdings nur unter beträchtlichen Ein- vorliegt. Wann das geschehen könnte, sagt das Gesetz schränkungen. Hatte es im ursprünglichen Regie- leider nicht. Der Entwurf läßt keinen Raum für die rungsentwurf noch geheißen: „Eine besondere Härte Hoffnung, dies sei wenigstens dann der Fall, wenn das liegt dann vor, wenn der Geschädigte mindestens Opfer durch die Tat schwerbeschädigt ist. schwerbeschädigt ist", heißt es jetzt in der -Beschluß- vorlage, daß der Antrag überhaupt erst geprüft wird, Fünftens. Von Entschädigungsansprüchen soll auf wenn Schwerbeschädigung vorliegt. Druck der CSU nun ausgeschlossen sein, wer nach der Definition seines Heimat- oder Verfolgerlandes an Ich meine, der Bundestag sollte deutliche Signale politischen bzw. kriegerischen Auseinandersetzun- setzen, daß er die andauernde Gefahr für Ausländer gen aktiv beteiligt war oder einer Organisation ange- und Flüchtlinge in diesem Land erkannt hat. Das kann hört hat, die Gewalttaten begeht. Genau dies trifft meines Erachtens nur heißen: Einrichtung einer von aber auf viele Asylbewerber, politisch Oppositionelle, uns vorgeschlagenen Stiftung für die Opferentschädi- Flüchtlinge z. B. aus Ex-Jugoslawien, Ex-Mitglieder gung und umfassende gesetzliche Gleichstellung des ANC oder der OAS und sogar auf jüdische ausländischer Opfer mit Deutschen. Dem werden nur Anhänger von Begins früherer Untergrundbewegung die Entwürfe von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der zu. PDS/Linke Liste, die heute ebenfalls zur Abstimmung vorliegen, gerecht. Wenn dann von den Opfern ein Beweis verlangt Danke. wird, daß die Gewalttat in keinem Zusammenhang mit ihrer Biographie steht, ist dies pervers, besonders (Beifall bei der PDS/Linke Liste — Jochen wenn die Polizei die wirk lichen Täter nicht ermitteln Feilcke [CDU/CSU]: Schnell hinsetzen!) kann. Sechstens. Entschädigungszahlungen dürfen den Vizepräsidentin Renate Schmidt: Nun spricht die Opfern nicht sogleich wieder von anderen Soziallei- Kollegin Vera Wollenberger. stungen abgezogen werden, sonst gerät die heutige Novelle zum Nullsummenspiel, was einer Verhöh- Vera Wollenberger (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): nung der Opfer gleichkommen könnte. Der Regie- Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der rungsentwurf sieht bereits eine entsprechende Entla- Regierungsentwurf für die Entschädigung ausländi- stung der öffentlichen Haushalte „in nicht schätzbarer scher Gewaltopfer und deren Hinterbliebenen ist in Höhe" vor. Daher muß — wie nach Art. 2 des Entwurfs der von der Koalition und der SPD getragenen Aus- meiner Gruppe — ein echter Schadensausgleich für schußfassung in mehrfacher Hinsicht völlig unzurei- Gewaltopfer sichergestellt werden. chend. Siebtens. Nicht zuletzt erinnere ich Sie, Herr Mini- Erstens. Ausgangspunkt der gesetzlichen Entschä- ster Blüm und liebe Kolleginnen und Kollegen aus den digungsansprüche ist anerkanntermaßen der Um- Fraktionen, an die 13jährige Gülestan Öztürk, die in stand, daß der Staat Gewaltopfern im Einzelfall kei- Solingen verbrannt ist, wo sie ihre Tante und ihren nen Schutz gewähren konnte. Dazu paßt die Differen- Onkel, Cousinen und Cousins besuchte. Wollen Sie zierung des Leistungsumfangs nach der Dauer des hier — noch nicht einmal vier Wochen nach der Tat — Aufenthalts der Opfer in Deutschl and überhaupt ernstlich eine Regelung vornehmen und verabschie- nicht. den, die Gülestan Öztürk bzw. ihren Hinterbliebenen Will die Bundesregierung, wenn morgen oder über- jeden Entschädigungsanspruch verweigert, nur weil morgen erneut Ausländer von Neonazis überfallen sie — nach dem engherzigen Regierungsentwurf — und verletzt oder gar getötet werden, diesen oder die „falschen" Verwandten besucht hat? ihren Angehörigen Entschädigungsansprüche ernst- Ich denke, das darf nicht geschehen und sollte nach haft z. B. mit der Begründung versagen, ihre Aufent- den hier von allen formulierten Ansprüchen nicht sein. haltserlaubnis sei ja kurz zuvor abgelaufen oder sie Ich bitte Sie deshalb herzlich, zur Vermeidung dessen seien nur wegen unzureichender Papiere noch nicht der Beschlußempfehlung unserer Gruppe zuzustim- aus diesem gefährlichen Land abgeschoben wor- men. den? Zweitens. Wer noch nicht drei Jahre legal hier ist, Vielen Dank. soll nur Ersatz von Heilbehandlungs- und Rehabilita (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) tionskosten erhalten, nicht aber Rente oder Schadens- ausgleich wie Deutsche. Damit sind die meisten Asyl- bewerber ausgeschlossen, deren Unterkünfte in der Vergangenheit bevorzugtes Ziel gefährlicher Ang riffe Vizepräsidentin Renate Schmidt: Nun spricht Herr waren. Bundesarbeitsminister Dr. Norbert Blüm. Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 165. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23. Juni 1993 14189

Dr. Norbert Blüm, Bundesminister für Arbeit und daß er heute ein so wich tiges Gesetz mit, wie ich hoffe, Sozialordnung: Sehr verehrte Frau Präsidentin! Meine breiter Mehrheit beschließt, als ein Zeichen, das über Damen und Herren! Ich will am Schluß dieser Debatte die gesetzlichen Leistungen hinausgeht, als ein Zei- ganz klar feststellen: Für mich ist das Gesetz eine chen unseres Willens zur Integration. humanitäre und rechtsstaatliche Selbstverständlich- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) keit. Ich meine, die Erfindung des Rechtsstaats bestand darin, daß er die Gewalt monopolisiert hat und damit auch die Verpflichtung eingegangen ist, seine Bürger vor Gewalt zu schützen. Vizepräsidentin Renate Schmidt: Weitere Wortmel- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) dungen liegen nicht vor. Damit sind wir am Ende der Aussprache. Wenn er das nicht kann, muß er entschädigen. Diesen Schutz hat er allen Menschen zu gewähren, die bei Wir kommen jetzt zur Einzelberatung und Abstim- ihm leben, ohne Rücksicht auf Staatsbürgerschaft, mung über den von der Bundesregierung eingebrach- Hautfarbe, Sprache, Religion. ten Gesetzentwurf zur Änderung des Gesetzes über - die Entschädigung für Opfer von Gewalttaten auf den (Ulla Jelpke [PDS/Linke Listel: Und Auf ent Drucksachen 12/4889, 12/4991 und 12/5182. Ich bitte halt! ) diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschuß- Richtig ist, daß wir diejenigen, die bei uns leben, fassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. — nicht unterschiedlich behandeln, daß wir unsere aus- Wer stimmt dagegen? — Stimmenthaltungen? — ländischen Mitbürger nicht anders behandeln als Damit ist dieser Gesetzentwurf in zweiter Beratung deutsche Opfer. Das gilt auch für die in Frage stehen- mit großer Mehrheit bei wenigen Enthaltungen und den Regelungen, die Sie, Frau Wollenberger, gerade einer Gegenstimme angenommen. für die Solinger Opfer beschrieben haben. Damit kommen wir zur Ich finde, daß die bisherige Regelung insofern dritten Beratung unbefriedigend war, als sie das Gebot der Gegensei- tigkeit zur Leistungsvoraussetzung machte und nur und Schlußabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem für EG-Staatsangehörige Ausnahmen vorsah. Ich bin Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. — zwar nach wie vor ein Anhänger der Auffassung, daß Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Der wir auf Gegenseitigkeit drängen müssen. Aber was Gesetzentwurf ist damit auch in dritter Lesung mit kann ein ausländischer Mitbürger dafür, daß sein großer Mehrheit bei 2 Gegenstimmen und 2 Enthal- Land diese Gegenseitigkeit nicht gewährt? Insofern tungen angenommen. muß man diesen Hinderungsgrund überspringen. Unter Buchstabe b seiner Beschlußempfehlung auf Ich finde es auch richtig, daß wir durch das Gesetz Drucksache 12/5182 empfiehlt der Ausschuß für einerseits Rechtsansprüche gewähren. Es handelt sich Arbeit und Sozialordnung, die Gesetzentwürfe der dabei nicht um einen Akt obrigkeitlicher Huld, son- Fraktion der SPD, der Gruppe BÜNDNIS 90/DIE dern es geht um Rechtsansprüche, wie bei den deut- GRÜNEN und der Gruppe PDS/Linke Liste auf den schen Staatsangehörigen. Drucksachen 12/4611, 12/4348 und 12/4297 für erle- digt zu erklären. Wer stimmt für diese Beschlußemp- Andererseits ist die Regelung der Härtefälle einzu- fehlung? — Gegenprobe! — Stimmenthaltungen? — bauen. Ich glaube nämlich, es wird immer einen Fall Damit ist diese Beschlußempfehlung mit großer Mehr- mehr geben, als sich der Gesetzgeber ausgedacht hat. heit angenommen. Deshalb finde ich diese Kombination zwischen einem gesicherten Rechtsanspruch auf der einen Seite und Unter Buchstabe c empfiehlt der Ausschuß schließ- der Härtefallregelung, die dem Ermessen entspricht, lich die Annahme einer Entschließung. Wer stimmt für auf der anderen Seite richtig. diese Beschlußempfehlung? — Gegenprobe! — Stimmenthaltungen? — Damit ist diese Beschlußemp- Noch wichtiger als das Opferentschädigungsgesetz fehlung einstimmig angenommen. ist — darin stimmen wir überein —, Opfer zu verhin- dern. Es ist nur die Antwort auf Taten, für die wir uns Ich rufe nun Tagesordnungspunkt 16a bis 16j schämen müssen. Insofern kommt die Opferverhinde- auf: rung vor der Opferentschädigung. Ich fände es gut, wenn wir für dieses Gesetz eine breite Mehrheit Überweisungen im vereinfachten Verfahren bekämen. Ich glaube, das wäre über das Gesetz a) Erste Beratung des vom Bundesrat einge- hinaus ein Zeichen unseres Willens zur Solidarität und brachten Entwurfs eines ... Strafrechtsän- zum Schutz unserer ausländischen Mitbürger. derungsgesetzes — §§ 44, 69b StGB — Wir dürfen uns damit allerdings nicht zufriedenge- (... StrÄndG) ben. Wir dürfen auch nicht nur auf den Gesetzgeber — Drucksache 12/5053 — warten, wenn es gilt, unsere Nachbarn, unsere Überweisungsvorschlag: Arbeitskollegen, unsere ausländischen Kinder zu Rechtsausschuß (federführend) schützen und ihnen hier eine Heimat zu geben. Ausschuß für Verkehr Ich meine, bei der Verabschiedung dieses Gesetzes b) Erste Beratung des von der Bundesregie- sollte nicht vergessen werden: Es regelt lediglich den rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- materiellen Teil der Entschädigung. Das ist aber nicht zes zu dem Abkommen vom 29. Juli 1992 alles, was wir zu diesem Thema beizutragen haben. zwischen der Bundesrepublik Deutschland Dennoch danke ich dem Deutschen Bundestag dafür, und der Republik Polen über den Auto- 14190 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 165. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23. Juni 1993

Vizepräsidentin Renate Schmidt bahnzusammenschluß und den Bau von g) Erste Beratung des vom Bundesrat einge- Grenzabfertigungsanlagen für den neuen brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Grenzübergang im Raum Görlitz und Zgor- Änderung des Tierschutzgesetzes zelec — Drucksache 12/4869 — — Drucksache 12/5090 — Überweisungsvorschlag: Überweisungsvorschlag: Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Ausschuß für Verkehr (federführend) (federführend) Auswärtiger Ausschuß Rechtsausschuß Finanzausschuß Ausschuß für Gesundheit Haushaltsausschuß gemäß § 96 GO Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicher- heit Ausschuß für Forschung, Technologie und Technikfol- c) Erste Beratung des von der Bundesregie- genabschätzung rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- Ausschuß für Bildung und Wissenschaft zes zu dem Abkommen vom 30. September 1992 zwischen der Bundesrepublik h) Beratung der Unterrichtung durch die Bun- Deutschland und der Republik Bolivien zur desregierung Tierschutzbericht 1993 Vermeidung der Doppelbesteuerung auf "Bericht über den Stand der Entwicklung dem Gebiet der Steuern vom Einkommen des Tierschutzes" und vom Vermögen — Drucksache 12/4242 — — Drucksache 12/5192 — Überweisungsvorschlag: Überweisungsvorschlag: Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Finanzausschuß (federführend) (federführend) Auswärtiger Ausschuß Ausschuß für Gesundheit Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicher- d) Erste Beratung des von der Bundesregie- heit Ausschuß für Forschung, Technologie und Technikfol- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- genabschätzung zes zu dem Abkommen vom 25. Januar Ausschuß für Bildung und Wissenschaft 1993 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Costa Rica i) Beratung der Unterrichtung durch die Bun- zur Vermeidung der Doppelbesteuerung desregierung Bericht der Bundesregierung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkom- zur Stärkung der gesetzgeberischen Befug- men und vom Vermögen nisse des Europäischen Parlaments — Drucksache 12/5193 — — Drucksache 12/4733 —

Überweisungsvorschlag: Überweisungsvorschlag: Finanzausschuß (federführend) Rechtsausschuß (federführend) Auswärtiger Ausschuß EG-Ausschuß Ausschuß für Wahlprüfung, Immunität und Geschäfts- ordnung e) Erste Beratung des von der Bundesregie- Innenausschuß rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- Ausschuß für Wirtschaft zes zu dem Abkommen vom 23. Februar 1993 zwischen der Bundesrepublik j) Erste Beratung des von den Fraktionen der Deutschland und den Vereinigten Mexika- CDU/CSU, SPD und F.D.P. eingebrachten nischen Staaten zur Vermeidung der Dop- Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Ände- pelbesteuerung auf dem Gebiet der Steu- rung des Europawahlgesetzes ern vom Einkommen und vom Vermögen — Drucksache 12/5230 — — Drucksache 12/5194 — Überweisungsvorschlag: Überweisungsvorschlag: Innenausschuß (federführend) Finanzausschuß (federführend) Auswärtiger Ausschuß Auswärtiger Ausschuß Rechtsausschuß EG-Ausschuß f) Erste Beratung des von der Bundesregie- Dabei handelt es sich um Überweisungen im ver- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- einfachten Verfahren ohne Debatte. Interfraktionell zes zu dem Protokoll vom 21. Dezember wird vorgeschlagen, die Vorlagen an die in der 1992 zu dem Abkommen vom 11. August Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überwei- 197 1 zwischen der Bundesrepublik sen. Sind Sie damit einverstanden? — Das ist der Fall. Deutschland und der Schweizerischen Eid- Dann sind die Überweisungen so beschlossen. genossenschaft zur Vermeidung der Dop- pelbesteuerung auf dem Gebiete der Steu- ern vom Einkommen und vom Vermögen Ich rufe nun Tagesordnungspunkt 17a bis 17 k — Drucksache 12/5195 — auf:

Überweisungsvorschlag: Abschließende Beratungen ohne Aussprache Finanzausschuß (federführend) Auswärtiger Ausschuß a) Zweite Beratung und Schlußabstimmung Haushaltsausschuß gemäß § 96 GO des von der Bundesregierung eingebrach- Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 165. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23. Juni 1993 14191

Vizepräsidentin Renate Schmidt ten Entwurfs eines Gesetzes fiber den Bei- Diplomatische Beziehungen der Bundesre- tritt der Bundesrepublik Deutschland zu publik Deutschland mit den neuen Staaten den Übereinkommen vom 23. Oktober in Ost- und Südosteuropa 1991 fiber Kambodscha — Drucksachen 12/2233, 12/5117 — — Drucksache 12/4469 — Berichterstattung: (Erste Beratung 149. Sitzung) Abgeordnete (Hamburg) Beschlußempfehlung und Bericht des Aus- Karsten D. Voigt (Frankfurt) wärtigen Ausschusses (3. Ausschuß) Ulrich Irmer — Drucksache 12/5118 — Berichterstattung: f) Beratung der Beschlußempfehlung und des Abgeordnete Berichts des Ausschusses für Wirtschaft Volker Neumann (Bramsche) (9. Ausschuß) zu der Verordnung der Bun- Ulrich Irmer desregierung Aufhebbare Vierundachtzigste Verord- b) Zweite Beratung und Schlußabstimmung nung zur Änderung der Ausfuhrliste — An- des von der Bundesregierung eingebrach- lage AL zur Außenwirtschaftsverord- ten Entwurfs eines Gesetzes zu der Konsti- nung- tution und der Konvention der Interna- - Drucksachen 12/4746, 12/5159 — tionalen Fernmeldeunion vom 30. Juni Berichterstattung: 1989 Abgeordneter Peter Kittelmann — Drucksache 12/4134 — (Erste Beratung 140. Sitzung) g) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft Beschlußempfehlung und Bericht des Aus- schusses für Post und Telekommunika tion (9. Ausschuß) zu der Verordnung der Bun- desregierung (18. Ausschuß) — Drucksache 12/5122 — Aufhebbare Siebenundzwanzigste Verord- nung zur Änderung der Außenwirtschafts- Berichterstattung: verordnung Abgeordnete Dr. Bernd Protzner — Drucksachen 12/4745, 12/5160 — Arne Börnsen (Ritterhude) Jürgen Timm Berichterstattung: Abgeordneter Peter Kittelmann c) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Post und h) Beratung der Beschlußempfehlung und des Telekommunikation (18. Ausschuß) zu Berichts des Ausschusses für Wi rtschaft der Unterrichtung durch die Bundesregie- (9. Ausschuß) zu der Verordnung der Bun- rung desregierung Grünbuch fiber die Entwicklung des Bin- Aufhebbare Einhunderteinundzwanzigste nenmarktes für Postdienste Verordnung zur Änderung der Einfuhrli- — Drucksachen 12/3317 Nr. 2.6, 12/3328, ste 12/5123 — — Drucksachen 12/4677, 12/5161 — Berichterstattung: Berichterstattung: Abgeordnete Dr. Bernd Protzner Abgeordneter Dr. Uwe Jens Peter Paterna Jürgen Timm i) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses d) Beratung der Beschlußempfehlung und des (3. Ausschuß) zu dem Antrag der Abgeord- Berichts des Ausschusses für Arbeit und neten Dr. Klaus Kübler, Siegf ried Vergin, Sozialordnung (11. Ausschuß) zu dem Dr. Egon Jüttner und weiterer Abgeordne- Antrag der Fraktion der SPD ter Ausländerbeauftragte Beendigung der Nutzung des Standort- — Drucksachen 12/1357, 12/4366 — übungsplatzes Viernheimer/Lamperthei- mer (Sandhofer/Käfertaler) Wald in Hes- Berichterstattung: sen/Baden-Württemberg Abgeordneter — Drucksachen 12/3227, 12/5119 — e) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichterstattung: Berichts des Auswärtigen Ausschusses Abgeordnete Wilfried Böhm (Melsungen) (3. Ausschuß) zu dem Antrag der Frak tion Karsten D. Voigt (Fr ankfurt) der SPD Dr. Olaf Feldmann 14192 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 165. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23. Juni 1993

Vizepräsidentin Renate Schmidt j) Beratung der Beschlußempfehlung des Peti- schuß empfiehlt auf Drucksache 12/5117, den Antrag tionsausschusses (2. Ausschuß) der Fraktion der SPD auf Drucksache 12/2233 unver- ändert anzunehmen. Sammelübersicht 107 zu Petitionen — Drucksache 12/5149 — (Gerlinde Hämmerle [SPD]: Sensationell!) — Sensationen bahnen sich an. k) Beratung der Beschlußempfehlung des Peti- tionsausschusses (2. Ausschuß) Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? — Gegenprobe! — Stimmenthaltungen? — Damit ist Sammelübersicht 108 zu Petitionen diese Beschlußempfehlung einstimmig angenom- — Drucksache 12/5150 — men. Dabei handelt es sich um die Beschlußfassung zu Wir kommen dann zum Tagesordnungspunkt 17f Vorlagen, zu denen keine Aussprache vorgesehen bis 17h. Dabei handelt es sich um drei Beschlußemp- ist. fehlungen des Ausschusses für Wi rtschaft zu Ände- rungsverordnungen zur Ausfuhrliste, zur Außenwirt- Zuerst kommen wir zu Tagesordnungspunkt 17 a schaftsverordnung und zur Einfuhrliste. Wenn Sie und damit zur zweiten Beratung und Schlußabstim- damit einverstanden sind, lasse ich über die drei mung über den von der Bundesregierung eingebrach- Beschlußempfehlungen gemeinsam abstimmen. — ten Gesetzentwurf zum Beitritt zu den Übereinkom- Dazu erhebt sich kein Widerspruch. Dann können wir men über Kambodscha auf der Drucksache 12/4469. so verfahren. Der Auswärtige Ausschuß empfiehlt auf Drucksache 12/5118, den Gesetzentwurf unverändert anzuneh- Wer stimmt für diese drei Beschlußempfehlungen? men. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf — Gegenprobe! — Stimmenthaltungen? — Bei einer zustimmen wollen, sich zu erheben. — Wer stimmt Stimmenthaltung und bei einigen Nichtbeteiligungen dagegen? — Stimmenthaltungen? — Damit ist dieser an der Abstimmung sind die Beschlußempfehlungen Gesetzentwurf einstimmig angenommen. einstimmig angenommen. Wir kommen damit zum Tagesordnungspunkt 17b. Wir kommen nun zum Tagesordnungspunkt 17i. Dabei handelt es sich um die zweite Beratung und Dabei handelt es sich um die Beschlußempfehlung des Schlußabstimmung des von der Bundesregierung ein- Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Abge- gebrachten Gesetzentwurfs zur Internationalen Fern- ordneten Dr. Klaus Kübler, Siegfried Vergin, Dr. Egon meldeunion auf der Drucksache 12/4134. Der Aus- Jüttner und weiterer Abgeordneter zur Beendigung schuß für Post und Telekommunikation empfiehlt auf der Nutzung des Standortübungsplatzes Viernhei- Drucksache 12/5122, den Gesetzentwurf unverändert mer/Lampertheimer Wald auf der Drucksache anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzent- 12/3227. Ich hoffe, Sie wissen alle, wo das liegt. Der wurf zustimmen wollen, sich zu erheben. — Wer Ausschuß empfiehlt auf Drucksache 12/5119 die stimmt dagegen? — Stimmenthaltungen? — Damit ist Annahme des Antrags in der Ausschußfassung. Wer auch dieser Gesetzentwurf bei einer Stimmenthaltung stimmt für diese Beschlußempfehlung? Gegen- einstimmig angenommen. probe! — Stimmenthaltungen? — Damit ist diese Beschlußempfehlung einstimmig angenommen. Wir kommen nun zu Tagesordnungspunkt 17c. Wir kommen nun zum Tagesordnungspunkt 17j Dabei handelt es sich um die Beschlußempfehlung des und 17k. Dabei handelt es sich um Beschlußempfeh- Ausschusses für Post und Telekommunika tion zum lungen des Petitionsausschusses auf den Drucksachen Grünbuch über die Entwicklung des Binnenmarktes 12/5149 und 12/5150. Es sind die Sammelübersich- für Postdienste auf Drucksache 12/5123. Wer stimmt ten 107 und 108. Wer stimmt für diese Beschlußemp- für diese Beschlußempfehlung? — Gegenprobe! — fehlungen? — Gegenstimmen? — Stimmenthaltun- Stimmenthaltungen? — Bei einer Stimmenthaltung ist gen? — Wiederum bei einer Stimmenthaltung ein- diese Beschlußempfehlung einstimmig angenom- stimmig angenommen. men. Wir kommen dann zu Tagesordnungspunkt 17d. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 4 auf: Dabei handelt es sich um die Beschlußempfehlung des Fragestunde Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung zu dem Antrag der Frak tion der SPD zum Amt der Ausländer- — Drucksache 12/5188 — beauftragten. Der Ausschuß empfiehlt auf Druck- sache 12/4366, den Antrag der Fraktion der SPD Wir kommen mit unveränderter Geschwindigkeit auf Drucksache 12/1357 abzulehnen. Wer stimmt zum Geschäftsbereich des Auswärtigen Amtes. Zur für diese Beschlußempfehlung? — Gegenprobe! — Beantwortung steht Frau Staatsministerin Ursula Sei- Stimmenthaltungen? — Die Beschlußempfehlung ist ler-Albring zur Verfügung. damit bei einer Stimmenthaltung mit Mehrheit ange- Wir kommen zur ersten zu beantwortenden Frage, nommen. nämlich der Frage 22 des Kollegen Ortwin Lowack:

Wir kommen dann zum Tagesordnungspunkt 17e. Wie kommt die Bundesregierung eigentlich dazu, die tüchti- Dabei handelt es sich um die Beschlußempfehlung des gen Menschen auf Taiwan und die hervorragende Entwicklung Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Frak tion des Landes zu einer Demokratie nach westlichem Vorbild zu diffamieren, indem sie den Taiwan-Chinesen, die niemals zum der SPD zu den diplomatischen Beziehungen mit den kommunistischen Festland gehörten, eine „Ein-China-Doktrin" neuen Staaten in Ost- und Südosteuropa. Der Aus- aufzwingen will? Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 165. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23. Juni 1993 14193

Ursula Seiler-Albring, Staatsministerin im Auswärti- und des Herrn Bundeskanzlers in letzter Zeit ausführ- gen Amt: Herr Kollege Lowack, die deutsche Ein- lich dargestellt worden. Wir werden es zu gegebener China-Politik entspricht der von der Mehrheit der Zeit auch mit den Mitgliedern des Sicherheitsrates Völkergemeinschaft akzeptierten Völkerrechtslage. diskutieren. Die Frage stellt sich heute hier nicht. Unter anderem vertritt nicht nur die Volksrepublik China, sondern auch Taiwan offiziell eine Ein-China- Politik. Vizepräsidentin Renate Schmidt: Eine Zusatzfrage des Kollegen Lüder.

Vizepräsidentin Renate Schmidt: Eine Zusatzfrage, Wolfgang Lüder (F.D.P.): Frau Staatsministerin, Herr Kollege Lowack. beinhaltet die Doktrin der Ein-China-Poli tik auch eine Anerkennung der inneren und demokratischen Legi- timation des Regimes? Ortwin Lowack (fraktionslos): Hochverehrte Frau Staatsministerin, ist der Bundesregierung eigentlich Ursula Seiler-Albring, Staatsministerin: Herr Kol- noch bewußt oder bekannt, daß bei der Entscheidung lege Lüder, über den Komplex China, Menschen- über die Aufnahme diplomatischer Beziehungen zur rechte und dergleichen, ist in diesem Haus seit langer Volksrepublik China im Oktober 1972 nicht von der Zeit und sehr intensiv geredet worden. An der Posi tion Exklusivität der Kontakte — gerade im Gegenteil z. B. der Bundesregierung, insbesondere des Bundesmini- zur Vereinbarung zwischen Großbritannien und Rot- sters des Auswärtigen, gibt es wohl wirklich keinen china — gesprochen wurde, so daß im Grunde genom- Zweifel. Er hat das mehrfach und sehr ausführlich an men die derzeitige Politik der Bundesregierung aus- dieser Stelle zum Ausdruck gebracht. schließlich einem Akt der Selbstbindung entspricht? (Abg. Wolfgang Lüder [F.D.P.] meldet sich zu einer weiteren Zusatzfrage)

Ursula Seiler-Albring, Staatsministerin: Herr Kol- lege Lowack, ich habe Ihre Frage zum Teil akustisch Vizepräsidentin Renate Schmidt: Herr Kollege nicht verstanden, aber ich möchte betonen, daß weder Lüder, auf eine Frage kann ich keine zwei Zusatzfra- Peking noch Taipeh eine Zwei-Staaten-Theo rie ver- gen zulassen, auch wenn ich gerne möchte, weil ich treten. Insofern ist kein Anlaß geboten, von dieser Sie gerne mag. Position zur Zeit abzurücken. (Heiterkeit) Eine Zusatzfrage des Kollegen Kübler, den ich natürlich auch mag. Vizepräsidentin Renate Schmidt: Eine zweite (Heiterkeit) Zusatzfrage, Kollege Lowack. Dr. Klaus Kübler (SPD): Frau Staatsminsterin, kann ich Ihren Erläuterungen entnehmen, daß die Bundes- Ortwin Lowack (fraktionslos): Ich werde etwas lau- regierung in der Tat Überlegungen anstellt, die zum ter sprechen, damit das akustisch besser ankommt. jetzigen Zeitpunkt noch nicht abschlußreif sind? Hochzuverehrende Frau Kollegin, liebe Frau Staatsministerin, ist der Bundesregierung eigentlich Ursula Seiler-Albring, Staatsministerin: Die Frage in bekannt, daß diese Ein-Staaten-Theo rie, die noch bezug auf eine Zwei-China-Theorie stellt sich — ich immer vertreten wird — aber nicht mehr von einer muß es leider sagen — zur Zeit nicht, Herr Kollege. breiten Bevölkerungsmehrheit auf Taiw an —, damit zusammenhängt, daß Peking angedroht hat, daß es der Casus belli wäre, wenn denn Taiwan auf eine Vizepräsidentin Renate Schmidt: Wir kommen jetzt andere Idee käme? Ist denn die Haltung der Bundes- zu Frage 23 des Kollegen Dr. Klaus Kübler: regierung so zu verstehen, daß die Perspektive, mit Welche Haltung hat die Bundesregierung zu der Ausladung Hilfe Pekings und von seinen Gnaden Mitglied im des Dalai-Lama aus dem offiziellen Programm der VN-Weltmen- Sicherheitsrat der Vereinten Na tionen zu werden, schenrechtskonferenz in Wien, die auf Inte rvention und Druck sämtliche ethischen Grundsätze und auch wich tige Chinas erfolgt ist, eingenommen? wirtschaftliche überspielt? Bitte, Frau Staatsministerin.

Ursula Seiler-Albring, Staatsministerin: Herr Kol- Staatsministerin: Herr Kol- Ursula Seiler-Albring, lege Dr. Kübler, der Dalai-Lama — dies ist zunächst lege Lowack, Ihre Eingangsformel habe ich übrigens einmal festzustellen — wurde nicht ausgeladen. Der beim erstenmal schon verstanden. Sie können viel- Generalsekretär der Weltmenschenrechtskonferenz leicht beim nächsten Mal eine etwas gelassenere hat es jedoch abgelehnt, den zu einer Veranstaltung Anrede verwenden. der österreichischen Regierung mit Friedensnobel- Die Frage der Mitgliedschaft der Bundesrepublik preisträgern in Wien weilenden Dalai-Lama zu der Deutschland im Sicherheitsrat der Vereinten Natio- Eröffnung der Konferenz einzuladen. Die Bundesre- nen ist in mehreren Äußerungen des Außenministers gierung hat diese Entscheidung bedauert. 14194 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 165. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23. Juni 1993

Staatsministerin Ursula Seiler-Albring Die deutsche Delegation bei der Weltmenschen- Stellung genommen hat. Wir werden dies weiterhin rechtskonferenz hat zusammen mit den übrigen EG- im Bundestag darstellen und auch bilateral keine Partnern gegenüber dem Generalsekretär ihre Gelegenheit vorbeigehen lassen, dies unseren chine- Besorgnis zum Ausdruck gebracht mit dem Ziel, den sischen Partnern im Dialog zu vermitteln. Dalai-Lama einzuladen. (Helmut Sauer [Salzgitter] [CDU/CSU]: Sehr Vizepräsidentin Renate Schmidt: Nun eine Zusatz- gut!) frage des Kollegen Ortwin Lowack.

Vizepräsidentin Renate Schmidt: Eine Zusatzfrage, Ortwin Lowack (fraktionslos): Liebe Kollegin — ich Herr Kollege Kübler. hoffe, daß Sie mit dieser bescheidenen Anrede zufrie- den sein werden — — Dr. Klaus Kübler (SPD): Nach mir vorliegenden (Jochen Feilcke [CDU/CSU]: Das ist über- Informationen war vorher durchaus eine Einladung an heblich! Du bist doch kein Staatsminister!) den Dalai-Lama ausgesprochen worden, im Rahmen von NGO-Veranstaltungen sprechen zu können. — Sehr verehrte Frau Staatsministerin — auf beson- Ihren Äußerungen entnehme ich, daß dies nicht der deren Wunsch des Kollegen Feilcke —, Fall war. Kann ich nachfragen, ob Sie dies noch klären (Staatsministerin Ursula Seiler-Albring: Ich könnten? halte mich da raus!) gibt es über diese Verbalnoten hinaus irgendwo etwas Ursula Seiler-Albring, Staatsministerin: Das werde mehr, was man eventuell im Umgang mit Peking ich gerne klären, Herr Kollege Kübler. Mir ist von einbringen könnte, um tatsächlich effektiv darauf einer anderen Situation in bezug auf die Einladung im hinzuwirken, daß Menschenrechtsverletzungen, wie Rahmen der Nobelpreisträger nichts bekannt. Ich sie auch hier angesprochen worden sind, unterblei- gehe dem aber sehr gern nach und werde Sie entspre- ben? chend unterrichten. Ursula Seiler-Albring, Staatsministerin: Ich kann, Vizepräsidentin Renate Schmidt: Eine zweite sehr geehrter Herr Kollege Lowack, darauf verweisen, Zusatzfrage, Herr Kollege Kübler. daß im Anschluß an den Besuch des Außenministers in der Volksrepublik China einige Veränderungen statt- Dr. Klaus Kübler (SPD): Meine zweite Frage ist gefunden haben. Sie wissen, daß die Art und Weise natürlich: Welches war der aktive Beitrag der Bundes- des Dialogs, den der Außenminister geführt hat, in republik Deutschland, doch zu ermöglichen, daß der einigen Fällen zum Erfolg geführt hat. Wir werden in Dalai-Lama in bestimmter Weise zu Wort kommen entsprechender Weise fortfahren, unsere Bemühun- konnte? gen vielleicht nicht im Vordergrund der Bühne, aber dort, wo sie möglicherweise effizienter sind, fortzuset- Staatsministerin: Herr Kol- Ursula Seiler-Albring, zen. lege, Sie haben ja an dieser Konferenz teilgenommen. Ihnen ist sicherlich nicht entgangen, daß sich die Bundesregierung gemeinsam mit den anderen Part- Vizepräsidentin Renate Schmidt: Nun eine Zusatz- nern innerhalb der Gemeinschaft und auch anderen frage des Kollegen Karl-Heinz Klejdzinski. Delegationen erfolgreich bemüht hat, dem Dalai- Lama die Teilnahme an einer NGO-Veranstaltung am Dr. Karl-Heinz Klejdzinski: (SPD): Frau Staatsmini- 15. Juni 1993 im Veranstaltungsgebäude zu ermögli- sterin, darf ich Sie fragen, ob es in bezug auf die chen. Diese Einladung ist ergangen. Leider hat der Frage 23 eine Intervention der Volksrepublik China Dalai-Lama davon keinen Gebrauch gemacht. Er hat, gegeben hat? In welcher Form hat die Bundesregie- wenn ich richtig unterrichtet bin, zur gleichen Zeit in rung darauf reagiert? der Hofburg an einer anderen Veranstaltung teilge- nommen. Ursula Seiler-Albring, Staatsministerin: Herr Kol- lege Dr. Klejdzinski, es ist allen bekannt — m an Vizepräsidentin Renate Schmidt: Nun eine Zusatz- konnte es auch allen Medien entnehmen —, daß die frage des Kollegen Otto Schily. Volksrepublik China hier einen gewissen Einfluß ausgeübt hat. Ich kann nur sagen, daß die Bundesre- Otto Schily (SPD): Da ja das Auftreten des Dalai- publik Deutschland im Rahmen der Zwölf und mit Lama bei der Menschenrechtskonferenz sicherlich anderen Delegationen gemeinsam versucht hat, diese einen Zusammenhang mit den Menschenrechtsver- Situation zu ändern. Sie ist dabei nicht erfolgreich letzungen in der Volksrepublik China in Tibet hat, ist gewesen. Ich bedauere dies. meine Frage: Welche Bemühungen unternimmt die Bundesregierung eigentlich, um diesen Menschen- Vizepräsidentin Renate Schmidt: Nun eine Zusatz- rechtsverletzungen ein Ende zu machen? Welchen frage des Kollegen Lüder. Erfolg hatte sie, falls sie solche Bemühungen unter- nommen hat? Wolfgang Lüder (F.D.P.): Frau Staatsministerin, da es ja nicht nur darum geht, Menschenrechtsverstöße Ursula Seiler-Albring, Staatsministerin: Herr Kol- zu verurteilen, sondern auch darum, zu registrieren, in lege Schily, ich habe eben dem Kollegen Lüder schon welchen Teilen der Welt Menschenrechte akzeptiert gesagt, daß die Bundesregierung zu den Menschen- werden, frage ich: Ist die Bundesregierung bereit, rechtsverletzungen, zur Lage der Menschenrechte in politisch Partei zu nehmen für die Teile oder den Staat China insgesamt sehr eindeutig und nachdrücklich oder das Völkerrechtssubjekt China, genannt Repu- Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 165. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23. Juni 1993 14195

Wolfgang Lüder blik China auf Taiwan, weil dort Menschenrechtsver- humanitärer Hilfe und der Verfolgung von Kriegsver- stöße nicht mehr existieren? brechen. Darüber hinaus wird die Bundesregierung auch Ursula Seiler-Albring, Staatsministerin: Herr Kol- weiterhin in den internationalen Gremien für die lege Lüder, die Bundesregierung steht nicht an, anzu- Belange der Regierung von Bosnien-Herzegowina erkennen, daß der Demokratisierungsprozeß auf Tai- und der bosnischen Moslems eintreten. In einer Situa- wan eine sehr erfreuliche Richtung angenommen tion wie der in Bosnien-Herzegowina würden wirksa- hat. mere Hilfen die Bereitschaft voraussetzen, sich in derartigen Konfliktzonen notfalls auch militärisch zu Vizepräsidentin Renate Schmidt: Nun hat der Kol- engagieren. lege Horst Kubatschka das Wort zu einer Zusatz- frage. Vizepräsidentin Renate Schmidt: Eine Zusatzfrage, Herr Kollege Brecht. Horst Kubatschka (SPD): Frau Kollegin, hat es auf der Konferenz Kontakte zwischen der Bundesregie- Dr. Eberhard Brecht (SPD): Frau Staatsministerin, rung und dem Dalai-Lama gegeben? wie erklären Sie sich dann, daß der Außenminister unseres Landes davon gesprochen hat, daß er zähne- Ursula Seiler-Albring, Staatsministerin: Wie mir knirschend die Anerkennung der zwischen Serben gerade bestätigt wird, ist dies nicht bekannt. Ich und Kroaten vereinbarten Aufteilung Bosniens aner- werde dem aber nachgehen und für den Fall, daß es so kennen würde, obwohl sich die Konfliktparteien über etwas gegeben hat, Sie gerne unterrichten, Herr den Grenzverlauf, die territorialen Gar antien und den Kollege. Schutz der Minderheitenrechte überhaupt noch nicht (Otto Schily [SPD]: Das ist aber sehr interes- geeinigt haben und auch diese Anerkennung von sant, was Sie jetzt sagen! Offenbar wissen Sie niemandem eingeklagt wurde? noch nicht einmal, ob es Kontakte gegeben hat oder nicht! Das kennzeichnet Ihre Bemü- Ursula Seiler-Albring, Staatsministerin: Herr Kol- hungen, den Dalai-Lama zu unterstützen!) lege, ich kann nicht bestätigen — wie Sie sagen —, daß der Außenminister Grenzen bereits anerkannt habe. Vizepräsidentin Renate Schmidt: Wir kommen den- Ich erinnere mich an entsprechende Äußerungen, in noch zur Frage 24 des Kollegen Dr. Eberhard denen er seiner Besorgnis Ausdruck gegeben hat, daß Brecht: es Entwicklungen geben könnte, die möglicherweise Teilt die Bundesregierung die Auffassung, daß die auf der zu einer solchen Situation führen könnten. Aber das, jüngsten Konferenz in Genf deutlich gewordene ethnische was ich Ihnen soeben in der Beantwortung auf Ihre Aufteilung Bosnien-Herzegowinas zu Lasten des moslemischen Frage geantwortet habe, ist die Position der Bundes- Bevölkerungsteils einer faktischen Anerkennung der Erobe- rungs- und Vertreibungspolitik der stärkeren Kroaten und regierung, wie sie auch gestern durch die Äußerung Serben gleichkommt, und welche Schritte gedenkt sie zu unter- des Bundeskanzlers im Europäischen Rat in Kopenha- nehmen, um den bosnischen Moslems über Appelle und huma- gen noch einmal sehr deutlich zum Ausdruck nitäre Hilfe hinaus wirksam helfen zu können? gebracht wurde. Ursula Seiler-Albring, Staatsministerin: Herr Kol- Vizepräsidentin Renate Schmidt: Eine zweite lege Dr. Brecht, von serbischer und kroatischer Seite Zusatzfrage, Herr Kollege Brecht. wurden in Genf zuletzt Vorschläge zur Aufteilung der Republik Bosnien-Herzegowina gemacht, die für den Dr. Eberhard Brecht (SPD): Frau Staatsministerin, Fall ihrer Umsetzung die faktische Anerkennung der Sie haben mich möglicherweise mißverstanden. Ich Eroberungs- und Vertreibungspolitik der militärisch habe nicht davon gesprochen, daß der Außenminister Überlegenen bedeuten würde. den Grenzverlauf anerkannt habe, sondern davon, Die Bundesregierung betrachtet diese Vorschläge daß er in einem Interview gesagt hat, daß er zähne- nicht als für die internationale Gemeinschaft verbind- knirschend die Aufteilung von Bosnien-Herzegowina lich. Die Bundesregierung setzt gemeinsam mit ihren anerkennen würde. Dies steht im Widerspruch zu Partnern in der Europäischen Gemeinschaft weiter auf dem, was Sie jetzt gesagt haben. Können Sie das die staatliche Einheit Bosnien-Herzegowinas. Auch erklären? angesichts der sich ständig verändernden Lage vor Ort ist das letzte Wort für eine dauerhafte Konfliktlö- Ursula Seiler-Albring, Staatsministerin: Herr Kol- sung nicht gesprochen. Vordringlich ist ein umgehen- lege, ich bitte Sie, die Antwort, die ich Ihnen dazu der dauerhafter Waffenstillstand zur Sicherung des soeben gegeben habe, als die Antwort zu akzeptieren, physischen und politischen Überlebens der Mos- die ich Ihnen auf Ihre Frage geben konnte. lems. Der Europäische Rat hat gestern diese Ziele noch Vizepräsidentin Renate Schmidt: Eine Zusatzfrage einmal bekräftigt. Er hat darüber hinaus klargestellt, des Kollegen Lowack. daß eine Diktatlösung von seiten der Serben und der Kroaten zu Lasten der Moslems nicht akzeptiert wird. Ortwin Lowack (fraktionslos): Frau Staatsministerin, Der Europäische Rat hält zudem an den Prinzipien der halten Sie es nicht für einen unglaublichen Vorgang, Londoner Konferenz fest: insbesondere an der Unab- daß europäische Moslems, also Europäer, die in Bos- hängigkeit, Souveränität und territorialen Integrität nien ihre Heimat hatten, heute nach Pakistan in ein von Bosnien-Herzegowina, der Unzulässigkeit territo- völlig unsicheres Schicksal verfrachtet werden, ohne rialen Erwerbs durch Gewalt, der Notwendigkeit von der Europäischen Gemeinschaft, überhaupt der 14196 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 165. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23. Juni 1993

Ortwin Lowack westlichen Wertegemeinschaft eine Hoffnung vermit- rats der Treuhandanstalt ausführlich diskutiert wor- telt zu bekommen? den. Eine zusätzliche, in der Sache nicht gerechtfertigte Ursula Seiler-Albring, Staatsministerin: Aber selbst- Verzögerung der Privatisierungsentscheidung wäre verständlich, Herr Kollege Lowack. Ich glaube, über angesichts der angespannten, durch hohe Verluste die Bewertung der Vorgänge im ehemaligen Jugosla- gekennzeichneten wirtschaftlichen Situa tion der DSR wien gibt es doch in diesem Haus überhaupt gar nicht zu vertreten gewesen. Auch mußte die zeitliche keinen Dissens. Es geht darum, die Instrumente zu Befristung des Angebots bis zum 1. Juni 1993 der finden, wie man diesem Schlachten und diesem Mor- Erwerber Rahe und Schües berücksichtigt werden. den Einhalt gebieten kann. Der Kaufvertrag mit Rahe/Schües liegt dem BMF Ich denke, daß das, was der Bundeskanzler und der nun zur Genehmigung nach § 65 BHO vor. In die Außenminister gestern gefordert haben — leider Got- Prüfung nach § 65 sind u. a. die von Ihnen genannten tes haben wir da keine Unterstützung bekommen —, Punkte — Tragfähigkeit des Konzepts und Finanzkraft der Erwerber — einbezogen. Die C &L Treuarbeit AG, nämlich an eine teilweise Aufhebung des Waffenem-- bargos zu denken, eine Möglichkeit unter anderen die im Vorfeld der Privatisierung der DSR in die gewesen ist. Dieses ist leider Gottes vom Kreis der Prüfung der Angebote eingeschaltet war, bestätigt anderen Mitgliedsstaaten der Gemeinschaft nicht so dem Rahe/Schües-Konzept ausdrücklich Tragfähig- beurteilt worden. keit unter marktwirtschaftlichen Bedingungen, und zwar nicht zuletzt wegen des darin enthaltenen Diver- Wir können sicherlich eines tun — das ist auch sifizierungselements. Auch die Bonität der Erwerber bereits gemacht worden; das wird zwar das unmittel- Rahe/Schües wurde von der Treuarbeit AG unter- bare Geschehen nicht beeinflussen, aber es wird sucht und als zweifelsfrei bestätigt. möglicherweise denen, die vielleicht noch einen Rest von Verantwortung dort tragen, klarmachen, wie die Vor dem Hintergrund dieser Feststellungen hat die Situation anschließend sein wird, und möglicherweise Bundesregierung keinen Zweifel daran, daß mit dem auf die Art und Weise dazu beitragen, daß der Konf likt Konzept von Rahe/Schües gute Voraussetzungen für doch eher beendet wird —, nämlich eindeutig zu den dauerhaften Erhalt möglichst vieler Arbeitsplätze erklären, daß die Bundesrepublik Deutschland — sie — auch Arbeitsplätze auf Schiffen und Frauenarbeits- wird ihren entsprechenden Einfluß im Rahmen der plätze — gegeben sind. Zwölf auch geltend machen — nicht bereit ist, territo- riale Gewinne dadurch zu sank tionieren, daß sie nach Vizepräsidentin Renate Schmidt: Eine Zusatzfrage, Beendigung der Kampfhandlung zum Wiederaufbau Frau Kollegin Lucyga. dieser Gebiete beitragen wird.

Vizepräsidentin Renate Schmidt: Damit sind wir am Dr. Christine Lucyga (SPD): Da Sie soeben von Ende dieses Geschäftsbereichs. Herzlichen Dank, monatelangen Sondierungsgesprächen und anderem Frau Staatsministerin. sprachen: Waren in diese Gespräche die jetzt von der Treuhand favorisierten Erwerber Rahe/Schües einbe- Wir kommen nun zum Geschäftsbereich des Bun- zogen? Wir hatten den Eindruck, daß sie sehr schnell desministeriums der Finanzen. Zur Beantwortung auf der Bildfläche erschienen. Wie soll sichergestellt steht uns Herr Parlamentarischer Staatssekretär werden, daß das erhebliche materielle Vermögen der Dr. Joachim Grünewald zur Verfügung. DSR wirklich für die Sanierung des Reedereibetriebes Die Fragen 28 und 29 des Kollegen Dr. E rich Riedl und für den Geschäftsbetrieb der DSR eingesetzt wird, werden schriftlich beantwortet. Die Antworten wer- damit dieser auch erhalten bleiben kann? den als Anlagen abgedruckt. Wir kommen zur Frage 30 der Kollegin Dr. Ch ristine Parl. Staatssekretär: Die Lucyga: Dr. Joachim Grünewald, Sondierungsverhandlungen gehen zurück bis in den Wie hat sich die Bundesregierung vor der Entscheidung zum September vergangenen Jahres. Von den ursprüng- überhasteten Verkauf der Deutschen Seereederei an die Ham- burger Rahe/Schües-Gruppe davon überzeugen können, daß lich vier Interessenten kristallisierten sich zwei her- das Unternehmenskonzept langfristig tragfähig, insbesondere aus, bei denen, wie soeben angedeutet, die Verhand- die Finanzkraft der Investoren dauerhaft gesichert und der lungen bis zu paraphierten Verträgen vorangetrieben Erhalt von einheimischen Seearbeitsplätzen durch die von der wurden. Darunter waren Rahe und Schües. Die sind Treuhandanstalt favorisierten Erwerber auch wirklich möglich ist, und wie will sie die in letzter Zeit von verschiedener Seite mit großer Intensität und Sorgfalt in allen Parametern geäußerten Zweifel an der Bonität der Rahe/Schuess-Gruppe gegeneinander abgewogen worden. Der Zuschlag ist gegenüber den betroffenen Arbeitnehmern entkräften? nun einmal aus Sicht der Treuhandanstalt — mit Sicht auf die ausstehende Genehmigung durch uns; diesen Dr. Joachim Grünewald, Parl. Staatssekretär beim Vorbehalt muß ich machen — für Rahe und Schües Bundesminister der Finanzen: Frau Kollegin Lucyga, gefallen. von einem überhasteten Verkauf der Deutschen See- Zu dem zweiten Teil Ihrer Frage, zu einem Sub- reederei kann nun wirklich keine Rede sein. Dem stanzverlust, den Sie besorgen: Solchen, nicht aus Verkauf an die Erwerber Rahe/Schües gingen mona- schließbaren Dingen ist in dem umfangreichen Ver- telange Sanierungsgespräche und eingehende Kauf- tragswerk vorgebeugt worden. Darin enthalten sind verhandlungen voraus. Die Entscheidung selbst ist auf z. B.: keine Gewinnausschüttungen, keine Entnah- der Grundlage paraphierter Verträge im Vorstand, im men, keine Darlehensgewährungen aus dem Vermö- Verwaltungsrat und im Präsidium des Verwaltungs- gen der DSR bis Ende 1997. Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 165. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23. Juni 1993 14197

Vizepräsidentin Renate Schmidt: Eine zweite täten, auf die Schiffahrt wie auf die Touristikaktivitä- Zusatzfrage. ten, die vorgesehen sind, wie auch auf die Immobilien- aktivitäten, so daß im Kern sichergestellt ist, daß der Dr. Christine Lucyga (SPD): Herr Staatssekretär, Schiffahrtsverkehr, die eigentliche Aufgabe der DSR, können Sie mir dann auch erklären, wie es sich mit der auch in Zukunft sachgerecht von einem, wie wir von der Käufergruppe einzubringenden Beteiligung hoffen, interessanten Wettbewerber auf dem schwie- verhält und wie vor allem garantiert worden ist, daß rigen internationalen Markt gewährleistet sein wird. diese, von der Käufergruppe einzubringende Beteili- gung auch vorher verlustfrei gestellt wird? Vizepräsidentin Renate Schmidt: Nun der Kollege Werner Schulz. Dr. Joachim Grünewald, Parl. Staatssekretär: Bei dem Bieter Rahe/Schües gibt es, wenn ich es richtig sehe, nur verlustfreie Beteiligungen — das war bei Werner Schulz (Berlin) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- anderen Mitbewerbern anders —, so daß sich so NEN): Herr Staatssekretär Grünewald, abgesehen gesehen diese Frage nicht stellt. davon, daß sich die Gewinnabschöpfung oder die Gewährung von Darlehen bei einem gegen Null Vizepräsidentin Renate Schmidt: Eine Zusatzfrage tendierenden Vermögen der Deutschen Seereederei des Kollegen Karl-Heinz Klejdzinski. von selbst ergibt, werden denn für die Kreditzusage bzw. die Investitionszusage des Erwerbers Rahe/ Dr. Karl-Heinz Klejdzinski (SPD): Herr Staatssekre- Schües die Aktiva der Deutschen Seereederei als tär, Sie haben auf die Frage nach dem überhasteten Versicherungsvermögen herangezogen? Verkauf geantwortet, daß es nicht so sei, weil die Verträge paraphiert seien. Darf ich Sie fragen, ob Sie Dr. Joachim Grünewald, Parl. Staatssekretär: Nein, sich nicht vorstellen können, daß dies ein Argument die beiden Erwerber werden den Kaufpreis von ist, das die eigentliche Frage nicht beantwortet? 10 Millionen DM zu zahlen haben. Dr. Joachim Grünewald, Parl. Staatssekretär: Nein, (Werner Schulz [Berlin] [BÜNDNIS 90/DIE aber ich will gern noch einige ergänzende Erklärun- GRÜNEN]: Und die Investitionszusage?) gen abgeben, um den Zeitdruck zu belegen. Sie Bei den Investitionszusagen müssen Sie sehen, daß müssen sehen, daß die DSR im vergangenen Jahr wir nach den Projektionen des erwerbenden Konzerns 200 Millionen DM an Verlusten gemacht hat, und ich auch noch für 1993, 1994 und 1995 leider mit nach- habe in der letzten Sitzung des Treuhandanstaltaus- haltigen Verlusten rechnen müssen. Der Break-even- schusses in der vergangenen Woche gelernt — wir point wird nach den Aussagen der Sachverständigen haben uns ja stundenlang mit dieser Problematik frühestens 1996 erreicht werden. Die zugesagten befaßt —, daß auch im ersten Quartal 1993 schon 200 Millionen DM an Zuschüssen — Sie sprechen ja wieder ein Verlust von 42 Millionen DM aufgelaufen jetzt mit Sicht auf diese 200 Millionen DM — werden ist. Das ist ein Moment, warum wir auf Beschleuni- selbstverständlich für notwendige Investitionsmaß- gung drängen müssen, und das andere — das hatte ich nahmen im weiten Sinne gewährt und keineswegs allerdings erwähnt — ist, daß wir von Rahe/Schües ein etwa zur Abdeckung der Kaufpreiszahlung. auf den 1. Juni befristetes Angebot vorliegen hatten. Hätten wir diese F rist fruchtlos verstreichen lassen, Vizepräsidentin Renate Schmidt: Nun Kollege hätten wir möglicherweise den Interessenten verlo- Manfred Hampel, bitte. ren. Das wäre nicht verantwortbar gewesen. (SPD): Herr Staatssekretär Grüne- Nun eine Zusatz-- Manfred Hampel Vizepräsidentin Renate Schmidt: wald, ist sichergestellt, daß die zugesagten Investitio- frage der Kollegin Iris Gleicke. nen überwiegend in den Schiffahrtsbetrieb der DSR Iris Gleicke (SPD): Herr Staatssekretär, mich würde einfließen und daß die nicht unerheblichen Investi- noch interessieren, wie denn sichergestellt wird, daß tionszuschüsse seitens der Treuhandanstalt aus- bei der Verschachtelung der Sparten der DSR schließlich den originären Geschäftsfeldern der DSR Holding das Substanzvermögen der DSR nicht in zugute kommen? erheblichem Umfang durch andere Unternehmensfel- der beliehen oder aufgezehrt wird. Dr. Joachim Grünewald, Parl. Staatssekretär: Bei dem diversifizierten Unternehmenskonzept von Dr. Joachim Grünewald, Parl. Staatssekretär: Das Rahe/Schües geht das nicht. Ich habe gesagt: Es Vertragswerk ist außerordentlich kompliziert, und verteilt sich. Es verteilt sich auf Investitionen in deshalb habe ich auch je einem Vertreter der Fraktio- Schiffe, auf Investitionen auf dem L ande und auf nen im Ausschuß angeboten, die Verträge bei uns im Investitionen im Touristikbereich. Ich kann nicht Hause einzusehen. sagen, daß diese Investitionen überwiegend für die Der von Ihnen geäußerten Besorgnis ist sicherlich Schiffahrt gelten. Darauf kommt es uns auch gar nicht Rechnung getragen worden. So muß sich Rahe/ an; denn unser Interesse liegt ja gerade da rin, in Schües verpflichten, 60 Schiffe mit einer Gesamtton- Mecklenburg-Vorpommern ein möglichst konkur- nage, die in etwa dem derzeitigen Tonnagebestand renzfähiges Unternehmen, weitgehend diversifiziert von DSR entspricht, im Bestand zu behalten. Im mit Arbeitsplätzen auf dem Wasser wie auf dem übrigen sind von den vereinbarten Investitionen in Lande, zu finden. der Größenordnung von etwa 1,1 Milliarden DM 550 Millionen DM fest vereinbart und pönalisiert. Vizepräsidentin Renate Schmidt: Nun eine Zusatz- Diese verteilen sich in gleicher Weise auf alle Aktivi- frage vom Kollegen Otto Schily. 14198 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 165. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23. Juni 1993

Otto Schily (SPD): Herr Staatssekretär, halten Sie tet auch diese Transaktion eine zusätzliche Stärkung die in den Verträgen vorgesehenen Sanktionen bei der Substanz/Liquidität von DSR. Nichteinhaltung der Zusagen im Blick auf die Erfah- (Zuruf von der SPD: Wie bitte?) rungen für ausreichend, die die Treuhandanstalt und indirekt das Bundesfinanzministerium mit der Nicht- Vizepräsidentin Renate Schmidt: Nun kommt Kol- einhaltung von Zusagen in anderen Fällen gemacht lege Nils Diederich, aber ich habe die Bitte — das haben? richtet sich eigentlich an die Vorhergehenden — kurze und präzise Fragen zu stellen und ebenso kurze Antworten zu geben, weil ändere auch noch etwas Parl. Staatssekretär: Herr Dr. Joachim Grünewald, fragen wollen. Kollege Schily, nach den jüngsten Erkenntnissen im Zusammenhang mit den Zusagen 1992, die Vizeprä- Dr. Nils Diederich (Berlin) (SPD): Ich werde mir sident Brahms gerade gestern veröffentlicht hat, sind Mühe geben, Frau Präsidentin. — Herr Staatssekretär, wir optimistisch. Über alles gesehen, sind die Zusagen Sie haben über Investitionen gesprochen und dabei sowohl mit Sicht auf die Investitionen wie auch auf die auch verschiedene Projekte erwähnt. Gibt es ein Zahl der Arbeitsplätze mehr als erfüllt worden; aber schlüssiges Konzept der Käufer für die geplanten die Sorge, die sich hinter Ihrer Frage — auch in einem Investitionen in den nächsten Jahren einschließlich anderen, einem wesentlich verschlechterten konjunk- der geplanten Bauvorhaben usw., und liegt dieses turellen Umfeld — verbirgt, teilen wir natürlich. Man Konzept schriftlich und von Ihnen genehmigt vor? ist fast geneigt zu sagen: „Na ja, wenn der Himmel herunterfällt, sind die Spatzen tot!"; aber im Vertrags- Dr. Joachim Grünewald, Parl. Staatssekretär: Von werk, Herr Schily, haben wir das so weit abgesichert uns genehmigt noch nicht. Das Konzept liegt selbst- wie nur eben möglich. Wir haben 2 225 Arbeitsplätze verständlich vor und war, was die Tragfähigkeit in der fest vereinbart. Davon sind allein für die Leute zur See Marktwirtschaft anlangt, Gegenstand sorgfältiger 1 400 mit 3 000 DM pro Monat pönalisiert. Entspre- Untersuchungen u. a. der renommierten Prüfanstalt chendes gilt auch für die eben erwähnten 550 Millio- Treuarbeit. Sie hat die Tragfähigkeit dieses Konzepts nen DM Investitionskosten, die auch mit 25 % — wie ausdrücklich testiert. es in diesen Verträgen üblich ist, wie es bei den Mitbewerbern auch gewesen wäre — pönalisiert wor- Vizepräsidentin Renate Schmidt: Eine letzte Zu- den sind. satzfrage der Kollegin Rennebach. Renate Rennebach (SPD): Herr Staatssekretär, Sie Vizepräsidentin Renate Schmidt: Jetzt eine weitere sagten, daß Ihnen an dem Schiffahrtsbereich der DSR Zusatzfrage des Kollegen Hinrich Kuessner. nicht gelegen ist. Wir wissen, daß Hapag-Lloyd nicht daran interessiert ist, Konkurrenz zu haben. Wenn Sie sagen, daß Ihnen an Schiffahrt im Bereich der DSR (SPD): Herr Staatssekretär, wenn Hinrich Kuessner nicht gelegen ist oder daß das keine große Rolle spielt, ich das im Treuhandausschuß richtig verstanden möchte ich Sie fragen: Hat der schnelle Umschwenk die Rahe/Schües habe, betragen die Beteiligungen, zu Rahe/Schües etwas damit zu tun, daß Sie Hapag einbringt, 50 Millionen DM. Meine Frage lautet: Wird Lloyd unterstützen wollen? durch den Vertrag abgesichert, daß Rahe/Schües nicht Barmittel in diesem Wert oder in einem anderen Dr. Joachim Grünewald, Parl. Staatssekretär: Ich Wert aus der DSR herausziehen kann? Wir haben ja bitte um Entschuldigung, daß ich mich doch in großer erlebt, daß es durchaus Betriebe gibt, bei denen so Deutlichkeit dagegen verwahren muß, daß Sie mich - etwas versucht worden ist. dafür beanspruchen, daß ich den Schiffahrtsaktivitä- ten keine oder auch nur eine nachrangige Bedeutung Dr. Joachim Grünewald, Parl. Staatssekretär: Herr beigemessen hätte. Ich habe darauf hingewiesen, daß Kollege Kuessner, das ist ein sehr komplizierter Fall. über die Schiffahrtsaktivitäten hinaus in einem diver- Ich darf versuchen, ihn verkürzt und vereinfacht sifizierten Unternehmenskonzept auch andere Akti- darzustellen. vitäten angegangen werden, die im Grunde genom- men für die Zukunft mit zur Tragfähigkeit des Kon- Rahe/Schües bezahlt, wie schon gesagt 10 Millio- zepts gehören. nen DM als Kaufpreis und verpflichtet sich darüber hinaus, bei notwendig werdenden Liquiditätsbedürf- Vizepräsidentin Renate Schmidt: Weitere Zusatz- nissen weitere 10 Millionen DM verfügbar zu machen. fragen zu der Frage 30 liegen nicht vor. Wir kommen Rahe/Schües hält aber mittelbar und unmittelbar dann zur Frage 31 der Abgeordneten Dr. Christine Beteiligungen an zwei Gesellschaften, die sie ein- Lucyga: bringt und an DSR verkaufen wird. Der Wert — der Wie begründet die Bundesregierung, daß angesichts der natürlich auf Grund von Bewertungsgutachten festge- im Kaufvertrag zwischen der Treuhandanstalt und der Rahe/ stellt werden muß — beläuft sich auf etwa 80 Millionen Schües-Gruppe sehr niedrig ausgefallenen Poenale der Erhalt von DM, und es ist vereinbart, daß diese 80 Millionen DM Arbeitsplätzen für einheimische Seeleute und von Frauenarbeitsplät- bis zum 15. Januar 1998 in der DSR verbleiben, es sei zen als gesichert angesehen werden kann, und wie will die Bundes- regierung die diesbezüglichen, begründet geäußerten Zweifel und denn — mit Sicht auf einen Teilbetrag von 50 Millio- Ängste der Arbeitnehmer entkräften? nen DM —, daß die einbringenden Gesellschafter, also die Verkäufer an die DSR, dafür Mittel für sich aus Dr. Joachim Grünewald, Parl. Staatssekretär: Nach dem Beteiligungsverkauf ergebende steuerliche Ver- dem Kaufvertrag werden von Rahe/Schües bis Ende pflichtungen bis zu 50 Millionen DM entnehmen 1995 2 225 Arbeitsplätze garantiert. Diese Arbeits- dürfen. Verkürzt und vereinfacht: Im Ergebnis bedeu- platzgarantie ist keineswegs sehr niedrig pönalisiert. Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 165. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23. Juni 1993 14199

Parl. Staatssekretär Dr. Joachim Grünewald Ich habe ja eben schon darauf hingewiesen. Es konnte gern, in welcher Form das Konzept auch diesem vielmehr eine Vertragsstrafenhöhe festgeschrieben Umstand Rechnung trägt. werden, die auch bei anderen Kaufverträgen der Treuhandanstalt branchenübergreifend üblich ist. Dr. Joachim Grünewald, Parl. Staatssekretär: Bei Auch die Angebote der Mitbewerber für die DSR den 1 400 mit 3 000 DM pro Monat nun wirklich hoch respektive das Angebot des Bremer Vulkan wiesen pönalisierten Arbeitsplätzen besteht mit Sicherheit keine höhere Vertragsstrafe für die Arbeitsplätze nicht die Besorgnis, daß wegen einer Ausflaggung auf. diese Zusage nicht eingehalten werden könnte. Vertragsstrafen stellen im übrigen keine definitive Ich bin leider nicht imstande, eine konkrete Zahl Absicherung gegen einen Arbeitsplatzabbau dar. Im zum Anteil der beschäftigten Frauen zu geben. Ich Hinblick auf den Arbeitsplatzerhalt kommt daher der fürchte, das werde ich Ihnen auch nicht nachliefern Tragfähigkeit eines Unternehmenskonzepts um so können. Ich werde mich aber darum bemühen. größere Bedeutung zu. Die Tragfähigkeit des Kon- zepts von Rahe/Schües ist, wie bereits ausführlich Vizepräsidentin Renate Schmidt: Eine Zusatzfrage dargelegt, ausdrücklich von der Treuarbeit bestätigt der Kollegin Iris Gleicke. worden.

Vizepräsidentin Renate Schmidt: Eine Zusatzfrage Iris Gleicke (SPD): Herr Staatssekretär, mich würde der Kollegin Lucyga. noch einmal interessieren, wie denn die Treuhandan- stalt sicherstellen wird, daß die Erfüllung des Vertra- Dr. Christine Lucyga (SPD): Herr Staatssekretär, wie ges und die Entwicklung des Unternehmens auch viele Arbeitsplätze von der eben genannten Summe wirklich kontinuierlich begleitet werden und daß entfallen auf den Bereich der ursprünglichen DSR? darauf geachtet wird, daß alle Zusagen eingehalten Wie viele Arbeitnehmer aus dem Bereich der Rahe/ werden, um gegebenenfalls rasch eingreifen und Schües werden übernommen? Das war für mich nicht entgegenwirken zu können. Das sollte auf bessere klar herauszuhören. Weise ablaufen, als wir das in der Vergangenheit in Eine weitere Frage: Sind in bezug auf die Investi- ähnlich gelagerten Fällen erlebt haben. tionen, die ja Rahe/Schües entsprechend dem diver- sifizierten Konzept tätigen wollen, überhaupt in der Dr. Joachim Grünewald, Parl. Staatssekretär: Es Region entsprechende Vorklärungen erfolgt? Wenn wird besser als in der Vergangenheit ablaufen. Wir ich an die Baumaßnahmen denke, dann staune ich haben auf Betreiben des BMF das Vertragscontrol- doch, daß z. B. mit der Stadt Rostock, die dann ja ling bei der Treuhandanstalt umfänglich auf- und immer mit im Boot sitzt, überhaupt keine Absprachen ausgebaut. Wir werden es noch weiter ausbauen, von erfolgt sind und von ihr auch keine Zustimmung zur Zeit 350 Mitarbeitern auf 500. Damit ist zukünftig vorliegt. sichergestellt, daß wir diese Verträge auch wirksam kontrollieren und begleiten können. Dr. Joachim Grünewald, Parl. Staatssekretär: Ich bin Gott sei Dank in der Lage, Ihre Frage sehr präzise zu Vizepräsidentin Renate Schmidt: Die nächste Nach- beantworten. Es geht ja nur um zukünftige Arbeits- frage kommt vom Kollegen Karl-Heinz Klejdzinski. plätze bei der DSR. Hier sind 1 600 Arbeitsplätze für den Schiffverkehr, also auf See, davon 1 400 pönali- Dr. Karl-Heinz Klejdzinski (SPD): Herr Staatssekre- siert, 500 an Land und weitere 125 in sonstigen tär, Sie haben in Beantwortung der Fragen 30 und 31 Bereichen vorgesehen. inhaltlich gesagt, daß einheimische Arbeitsplätze Zum zweiten Teil Ihrer Frage: Die Durchsetzung des dort gesichert werden, und Sie haben ausgeführt, daß Konzepts obliegt nicht der Treuhandanstalt und schon 60 Schiffe weiterhin be trieben werden. Darf ich Sie gar nicht uns als Aufsichtsbehörde. Das wird das sehr konkret fragen, ob von den 60 Schiffen, die Unternehmen selber zu leisten haben. Ich kann Ihnen weiterhin betrieben werden und auf denen einheimi- nur sagen, daß im Vorfeld dieser umfänglichen Ver- sche Arbeitsplätze sind, kein einziges vertraglich so handlungen der Ministerpräsident, der Wirtschaftsmi- festgelegt ist, daß es nicht ausgeflaggt werden darf? nister, der Finanzminister, die Vorsitzenden der Frak- tionen im mecklenburg-vorpommerschen Landtag, Dr. Joachim Grünewald, Parl. Staatssekretär: Ich daß also wirklich alle Beteiligten bis ins Detail jeweils kann mich nur wiederholen, Herr Kollege Klejdzinski: zeitgerecht informiert worden sind. Mehr ist einfach Ein Mindestbestand von 60 Schiffen mit einer nicht zu leisten. Gesamttonnage, die der derzeitigen Tonnage der DSR entspricht, ist vertraglich vereinbart und pönalisiert. Vizepräsidentin Renate Schmidt: Eine zweite Zusatzfrage der Kollegin Lucyga. Das wird eingehalten; davon gehen wir aus. Anson- sten hätten wir ja die treuhandlichen Verträge nicht Dr. Christine Lucyga (SPD): Ist bei den eben ange- gemacht. Damit ist auch die Sicherung von Arbeits- sprochenen 1 600 Seearbeitsplätzen garantiert, daß plätzen vor Ort gewährleistet. das Pönale hoch genug ist, um auch eine Ausflaggung (Dr. Karl-Heinz Klejdzinski [SPD]: Ich habe nicht mehr attraktiv erscheinen zu lassen? nach der Ausflaggung gefragt!) Ein zweiter Punkt: Ich vermisse immer noch den Anteil der Frauenarbeitsplätze; denn auch danach Vizepräsidentin Renate Schmidt: Ich würde es bei habe ich in der zweiten Frage gefragt. Es arbeiten 700 den jetzt angemeldeten Zusatzfragen belassen wol- hochqualifizierte Frauen in der Seereederei. Ich wüßte len, weil die anderen Kollegen zu Recht unruhig 14200 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 165. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23. Juni 1993

Vizepräsidentin Renate Schmidt werden. Ich möchte bitten, daß wir versuchen, uns ein Dr. Joachim Grünewald, Parl. Staatssekretär: Aber bißchen kürzer zu fassen, selbstverständlich. Soweit ich über das umfängliche (Dr. Karl-Heinz Klejdzinski [SPD]: Wir kön- Vertragswerk einen Überblick habe, sind diese Fra- nen auch in die Aktuelle Stunde gehen!) gen der mittelbaren und unmittelbaren Beteiligung durch die Übernehmer schon im Vertragswerk enthal- auch wenn ich natürlich weiß, daß die jeweilige Frage ten. für den, der sie stellt, immer die wichtigste ist. Die nächste Zusatzfrage kommt vom Kollegen Man- Vizepräsidentin Renate Schmidt: Die Fragen 32 und fred Hampel. 33 der Kollegin Rosemarie Priebus werden schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlage abge- Manfred Hampel (SPD): Herr Staatssekretär Grüne- druckt. wald, Sie haben dem Treuhandausschuß gestattet, in Damit sind wir am Ende dieses Geschäftsbereichs Ihren Haus Einblick in die Verträge der DSR zu angekommen — vielen Dank, Herr Staatssekretär — nehmen, und haben das hier eben noch einmal und kommen zum Geschäftsbereich des Bundesmini- bekräftigt. Gilt das nur für die Verträge der DSR oder steriums der Verteidigung. Zur Beantwortung steht für alle für den Treuhandausschuß relevanten Fälle? die Parlamentarische Staatssekretärin Michaela Gei- ger zur Verfügung. Parl. Staatssekretär: Wir Dr. Joachim Grünewald, Ich rufe Frage 1 des Kollegen Jürgen Augustinowitz haben uns ja auch nach den Erfahrungen, die wir mit auf: der Privatisierung durch die Elf-Aquitaine oder mit Wie beurteilt die Bundesregierung den Beitrag der Bundes- den Interhotels gemacht haben, bisher im Ausschuß wehr zum sogenannten „air-dropping" über Ostbosnien? immer dahingehend verständigen können, das auf Einzelfälle zu beschränken. Denn wo würden wir bei Michaela Geiger, Parl. Staatssekretärin beim Bun- der weiteren notwendigen Privatisierung hinkom- desminister der Verteidigung: Herr Kollege Augusti- men, wenn wir alle Vertragswerke öffentlich draußen nowitz, eine Bitte der Regierung der USA vom 22. Fe- an die Bäume hängen würden? Ich meine, dieses bruar 1993 entsprechend und weil wir der notleiden- Angebot, die Unterlagen durch je einen Beauftragten den Bevölkerung in Ostbosnien wirksam helfen woll- einsehen zu lassen, hat in der Vergangenheit gereicht, ten, hat die Bundesregierung mit Kabinettsbeschluß und es wird auch in der Zukunft reichen. Ansonsten vom 24. März 1993 den Vereinten Nationen die besorge ich, daß Interessenten von ihrem Interesse Beteiligung an der Versorgung der Menschen in Abstand nehmen werden. Ostbosnien durch den Abwurf von Hilfsgütern aus der (Zustimmung des Abg. Manfred Carstens Luft, den sogenannten „air drop", angeboten. [Emstek] [CDU/CSU]) Nach der Zustimmung der Vereinten Nationen beteiligt sich die deutsche Luftwaffe seit dem 28. März Vizepräsidentin Renate Schmidt: Die nächste 1993 erfolgreich mit Lufttransportflugzeugen C 160 Zusatzfrage kommt vom Kollegen Werner Schulz. Transall an dieser humanitären Initiative. Mit bisher 74 deutschen Einsatzflügen wurden 381 Tonnen Nah- Werner Schulz (Berlin) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- rungsmittel und Medikamente über genau festgeleg- NEN): Herr Staatssekretär, wann wird der Bundesfi- ten Abwurfzonen in Ostbosnien abgesetzt. Nach der nanzminister zu einer abschließenden Entscheidung intensiven Ausbildung der Luftfahrzeugbesatzungen fiber die Privatisierung der Deutschen Seereederei für das Absetzen der Hilfsgüter aus großer Höhe kann kommen? Werden die im Vorfeld gestellten schriftli- die Aufgabe, den Menschen in Ostbosnien zu helfen, chen Fragen noch beantwortet? durch unsere Besatzungen gut erfüllt werden. Das wird uns auch durch die positiven Rückmeldungen Dr. Joachim Grünewald, Parl. Staatssekretär: Aus der Hilfsorganisationen vor Ort bestätigt. der eben dargelegten Dringlichkeit heraus sind wir Die Hilfsflüge sind eine eindrucksvolle Leistung, für bemüht, die notwendige Genehmigung so schnell wie die wir den daran beteiligten Soldaten zu großem nur eben möglich, noch vor der Sommerpause, zu Dank verpflichtet sind, zumal diese Einsätze nicht erteilen. Alle Fragen, die wir ja stundenlang mit den ungefährlich sind. Der UN-Generalsekretär hat die Fachleuten und auch mit dem Anwalt erörtert haben, deutsche Teilnahme an diesem humanitären Einsatz werden in unserem Genehmigungsverfahren Berück- ausdrücklich begrüßt. sichtigung finden, ebenso — wie von mir angeboten — Die Hilfe aus der Luft ist notwendig, weil eine die noch eingehenden schriftlichen Fragen. Sie wer- Versorgung der notleidenden Bevölkerung in diesem den selbstverständlich vorher auch noch beantwortet Gebiet durch Landkonvois nicht oder nur punktuell werden. möglich ist. Die Notsituation in Ostbosnien dauert, wie wir alle wissen, leider zur Zeit noch an. Wir werden Vizepräsidentin Renate Schmidt: Zu einer letzten uns deshalb weiterhin an der Hilfsaktion beteiligen. Zusatzfrage — das habe ich vorhin angekündigt — hat Die Bundesregierung beurteilt den Beitrag der Bun- der Kollege Otto Schily das Wort. deswehr zum sogenannten „air-dropping" als außer- ordentlich wichtig und sinnvoll. Otto Schily (SPD): Herr Staatssekretär, werden Sie in Ihre Überprüfung auch die Bewertung der veräu- Vizepräsidentin Renate Schmidt: Eine Zusatzfrage, ßerten Anteile einbeziehen? Wird die Bereitschaft, Herr Kollege. den Vertretern des Treuhandausschusses Einblick in die Vertragswerke zu gewähren, auch möglicher- Jürgen Augustinowitz (CDU/CSU): Eine kurze weise vorhandene Bewertungsgutachten umfassen? Zusatzfrage, Frau Staatssekretärin. Wie vielen Men- Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 165. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23. Juni 1993 14201

Jürgen Augustinowitz schen wird durch diese Aktion der Bundeswehr gehol- Durch die Reduzierung der Ozon-Vorläufersub- fen? Wie viele sind das ungefähr? stanzen aus dem Verkehrsbereich können Maßnah- men nach § 40 Abs. 2 jedoch unter bestimmten Michaela Geiger, Parl. Staatssekretärin: Wir kön- Bedingungen auch zu einer gewissen Absenkung der nen die Zahlen nicht mit Sicherheit feststellen. Wir Ozonkonzentrationen führen. wissen aber, daß die Ladungen ziemlich genau dort Zur Zeit befindet sich der Verordnungsentwurf in abgesetzt werden, wo sie hinkommen sollen, und daß der Ressortabstimmung. Der Kabinettsbeschluß wird sie dort sehr große Wirkungen haben, daß sie den unmittelbar nach Beendigung der Ressortabstim- Menschen wirklich helfen können und daß sie die mung erfolgen. Ein Termin steht noch nicht fest. Menschen auch tatsächlich erreichen, was bei den Konvois, die ja immer wieder gestoppt werden, leider Vizepräsidentin Renate Schmidt: Zusatzfrage, Herr nicht der Fall ist. Kollege Tappe.

Vizepräsidentin Renate Schmidt: Eine zweite Joachim Tappe (SPD): Herr Staatssekretär, unab- Zusatzfrage, Herr Kollege. hängig davon darf ich fragen: Plant die Bundesregie- rung weitere gesetzliche Maßnahmen zur Reduzie- Jürgen Augustinowitz (CDU/CSU): Wie viele Men- rung ozonverursachender Schadstoffe z. B. bei Kraft- schen sind denn in diesem Bereich eingeschlossen? fahrzeugen? Wie viele Menschen gibt es dort, die auf die Hilfe dringend angewiesen sind? Dr. Bertram Wieczorek, Parl. Staatssekretär: Zu- nächst müssen wir an dieser Stelle festhalten, daß Michaela Geiger, Parl. Staatssekretärin: Ich kann natürlich die Verordnung nach § 40 Abs. 2, die Ihnen auch diese Zahl nicht nennen. Ich kann aber demnächst, wenn die Ressortabstimmungen erfolgt versuchen, sie herauszufinden, und werde sie Ihnen sind, ins Bundeskabinett gehen soll, einen ganz dann schriftlich mitteilen. wesentlichen Beitrag zur Reduzierung von verkehrs- bedingten Schadstoffen leistet. Es handelt sich — das Vizepräsidentin Renate Schmidt: Weitere Zusatz- muß man an dieser Stelle noch einmal sagen — nicht fragen liegen nicht vor. Damit sind wir auch am Ende nur um den Schadstoff NOx, sondern auch um das des Geschäftsbereichs angekommen. Herzlichen anerkannte Kanzerogen Benzol und auch um das Dank, Frau Staatssekretärin. Kanzerogen Ruß. Damit sind die drei Schadstoffe erfaßt, die hier entscheidend sind. Wir kommen jetzt zum Geschäftsbereich des Bun- desministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reak- Vizepräsidentin Renate Schmidt: Eine zweite torsicherheit. Zur Beantwortung steht Herr Parlamen- Zusatzfrage. tarischer Staatssekretär Dr. Ber tram Wieczorek zur Verfügung. Joachim Tappe (SPD): Denkt die Bundesregierung Ich rufe Frage 2 des Kollegen Joachim Tappe auf: in diesem Zusammenhang auch daran, anderen Emit- Wann gedenkt die Bundesregierung die bereits seit einem tenten Beschränkungen aufzuerlegen, beispielsweise Jahr als Referentenentwurf vorliegende sogenannte „Sommer- in industriellen Feuerungs- oder Energieerzeugungs- smogverordnung" angesichts der immer häufiger deutlich über- anlagen, die eine Region natürlich auch entsprechend schrittenen Grenzwerte bei der Ozonbelastung in bestimmten Regionen zu erlassen? belasten? Parl. Staatssekretär: Herr Dr. Bertram Wieczorek, Parl. Staatssekretär beim Dr. Bertram Wieczorek, Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reak- Kollege Tappe, hier verweise ich auf die Großfeu- torsicherheit: Frau Präsidentin! Herr Kollege Tappe, erungsanlagenverordnung und die damit im Zusam- die Bundesregierung bereitet den Erlaß einer Verord- menhang stehende Technische Anleitung Luft. Sie nung nach § 40 Abs. 2 Satz 2 des Bundes-Immissions- werden vielleicht wissen, daß der Langzeitwert, der in schutzgesetzes vor. Ich möchte an dieser Stelle zur dieser Verordnung nach § 40 Abs. 2 festgeschrieben Klarstellung des Ziels der geplanten Verordnung ist, exakt den Bestimmungen der TA Luft beim NOx zunächst einen Hinweis geben: Es handelt sich hier entspricht. nicht um eine spezielle Sommersmog-Verordnung; Eine weitere denn unter Sommersmog wird eine erhöhte, sehr Vizepräsidentin Renate Schmidt: Zusatzfrage. großräumig auftretende bodennahe Ozonbelastung verstanden, wie sie unter bestimmten meteorologi- Marion Caspers-Merk (SPD): Herr Staatssekretär, in schen und topographischen Bedingungen im Sommer welchem Zeithorizont ist denn mit dem endgültigen anzutreffen ist. Erlaß zu rechnen? Sie kündigen diese Verordnung Solche Ozonbelastungen können mit dem Instru- schon mehrere Jahre an, ohne daß sie endgültig mentarium des § 40 Abs. 2 des Bundes-Immissions- erlassen worden ist, und zwingen dadurch die Länder schutzgesetzes nicht wirkungsvoll bekämpft werden. und auch die Kommunen, in andere Maßnahmen zu Die Verordnung sieht deshalb ausdrücklich nicht die gehen, ohne daß sie sich auf die Verordnung berufen Messung von Ozon vor und regelt auch keine Maß- können. Wann konkret ist denn damit zu rechnen? nahmen bei erhöhten Ozonkonzentrationen. Sie dient der Festlegung von Konzentrationswerten für ausge- Dr. Bertram Wieczorek, Parl. Staatssekretär: Frau wählte Luftverunreinigungen und der Verbesserung Kollegin Caspers-Merk, die Straßenverkehrsbehör- der Luftsituation in vom Verkehr belasteten Gebie- den können bereits jetzt nach § 40 Abs. 2 h andeln. Die ten. Handlungsgrenze wird allerdings durch diese Verord- 14202 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 165. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23. Juni 1993

Parl. Staatssekretär Dr. Bertram Wieczorek nung näher festgelegt. Die Ressortabstimmung findet Dr. Bertram Wieczorek, Parl. Staatssekretär: Ich zur Zeit mit Termin 2. Juli statt. Wenn es keine habe in der Beantwortung Ihrer Frage eben ausdrück- weiteren Hindernisse oder Hürden bei der Ressortab- lich benannt, daß wir Entscheidungen mit eng- und stimmung gibt, wird diese Verordnung noch vor der zum anderen mit weiträumiger Wirkung treffen kön- parlamentarischen Sommerpause und dann natürlich nen. Ich möchte an dieser Stelle darauf hinweisen, daß auch vor der Sommerpause des Kabinetts verabschie- eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe bereits eine Richtli- det. nie ausarbeitet, wie man für den Fall, daß diese Konzentrationswerte überschritten werden, handelt. Zusatzfrage des Vizepräsidentin Renate Schmidt: Eine zweite Kollegen Michael Müller. Vizepräsidentin Renate Schmidt: Zusatzfrage.

Michael Müller (Düsseldorf) (SPD): Herr Staatsse- Joachim Tappe (SPD): Wann ist mit dieser Bund- kretär, in der letzten Debatte des Bundestages zum Länder-Absprache zu rechnen? Unsere Bevölkerung Thema Sommersmog hat der Bundesumweltminister ist bei den gegenwärtigen Werten sehr starken Bela- hier erklärt, daß verkehrsbedingte NOx-Emissionen stungen ausgesetzt. nach dem letzten Bundesimmissionsschutzbericht gesunken seien. Es ist allerdings das Gegenteil der Dr. Bertram Wieczorek, Parl. Staatssekretär: Sobald Fall. Sind Sie bereit, die Aussage des Bundesumwelt- die Verordnung im Kabinett verabschiedet ist und der ministers hier zu korrigieren? Bundesrat zugestimmt hat, kann diese Richtlinie erlassen werden. Parl. Staatssekretär: Herr Dr. Bertram Wieczorek, Vizepräsidentin Renate Schmidt: Weitere Zusatz- Kollege Müller, wir haben uns im Umweltausschuß fragen liegen nicht vor. Dann sind wir am Ende dieses darüber ja unterhalten. Hier liegt wahrscheinlich ein Geschäftsbereichs angekommen. Mißverständnis vor. Die Angaben, die der Bundesum- weltminister hier gemacht hat, sind die aktuellen Die Fragen 4 und 5 des Kollegen Klaus Har ries aus Angaben des Umweltbundesamtes. dem Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Post und Telekommunikation werden schriftlich beantwortet. Dasselbe gilt für Frage 6 des Kollegen Vizepräsidentin Renate Schmidt: Weitere Zusatz- Horst Kubatschka aus dem Geschäftsbereich des Bun- fragen liegen nicht vor. Dann rufe ich die Frage 3 des desministeriums für Forschung und Technologie und Kollegen Tappe auf: Frage 7 des Kollegen Dr. Klaus Kübler aus dem Unter welchen Voraussetzungen gibt die vorgesehene Smog- Geschäftsbereich des Bundesministeriums für wirt- verordnung den Kommunen und gegebenenfalls den Landkrei- schaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung und sen eine rechtliche Grundlage, bei gefährlich hohen Ozonkon- zentrationen ihre Innenstädte bzw. besonders stark belastete Frage 8 des Kollegen Ortwin Lowack aus dem Regionen für den Autoverkehr zu sperren? Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Justiz. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt. Dr. Bertram Wieczorek, Parl. Staatssekretär: Herr Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesmi- Kollege Tappe, in der geplanten Verordnung nach nisteriums für Wirtschaft. Zur Beantwortung steht § 40 Abs. 2 Satz 2 des Bundes-Immiossionsschutzge- Herr Parlamentarischer Staatssekretär Dr. Heinrich setzes werden Konzentrationswerte für die verkehrs- L. Kolb zur Verfügung. Ich rufe Frage 9 des Kollegen bedingten Luftverunreinigungen Stickstoffdioxid, Ludwig Stiegler auf: Ruß und Benzol festgelegt. Bei Überschreitung der Wie beurteilt die Bundesregierung die Wettbewerbssituation Konzentrationswerte müssen die zuständigen Behör- der deutschen feinkeramischen Industrie gegenüber den auf den verkehrliche Maßnahmen prüfen. Die Durchfüh- Währungsgefälle, Lohngefälle und Umweltgefälle beruhenden Wettbewerbsvorteilen von Wettbewerbern aus den ehemaligen rung der Maßnahmen ist in den besagten Paragra- Staatshandelsländern Mittel- und Osteuropas, und welche Mög- phen geregelt. Danach kann die zuständige Straßen- lichkeiten bilateraler und multilateraler Art sieht sie, die durch verkehrsbehörde den Kraftfahrzeugverkehr auf be- die Grenzöffnung verursachte massive Änderung der Wettbe- stimmten Straßen oder in bestimmten Gebieten unter werbsbedingungen zugunsten der deutschen Unternehmen zu beeinflussen? Berücksichtigung der Verkehrsbedürfnisse und der städtebaulichen Belange nach Maßgabe der ver- Dr. Heinrich L. Kolb, Parl. Staatssekretär beim kehrsrechtlichen Vorschriften beschränken oder auch Bundesminister für Wirtschaft: Herr Kollege Stiegler, verbieten. ich beantworte Ihre Frage wie folgt: Wie zahlreiche andere Industriezweige auch hat die Vizepräsidentin Renate Schmidt: Zusatzfrage, Herr deutsche feinkeramische Industrie in den Unterneh- Kollege Tappe. men der mittel- und osteuropäischen Staaten Wettbe- werber, die auf Grund ihrer Kostenstruktur insbeson- Joachim Tappe (SPD): Herr Staatssekretär, ich dere eben im Bereich der Personalkosten gewisse komme aus einer Region, die auf Grund der topogra- Wettbewerbsvorteile haben. Andererseits kennen die phischen Gegebenheiten schlecht entlüftet wird und meisten deutschen Unternehmen der feinkerami- auf Grund dieser Tatsache im deutschlandweiten schen Industrie durch ihre jahrzehntelange sehr Vergleich seit Wochen Ozonspitzenwerte aufweist; erfolgreiche Exporttätigkeit die Faktoren sehr genau, dies bezieht sich jetzt nicht nur auf Innenstädte. die zu beachten sind, um sich am Weltmarkt auch Inwieweit gibt die geplante Verordnung die Möglich- gegenüber Produzenten aus Staaten mit niedrigeren keit, einen etwas größeren Bereich als die Innenstadt Produktionskosten erfolgreich durchsetzen zu kön- dann für den Verkehr zu sperren? nen. Dieses Erfahrungs- und Wissenspotential bedeu- Deutscher Bundestag. — 12. Wahlperiode — 165. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23. Juni 1993 14203

Parl. Staatssekretär Dr. Heinrich L. Kolb tet für die deutsche feinkeramische Industrie einen noch so große Rationalisierungen und Technisierun- erheblichen nicht nur kurzfristigen Wettbewerbsvor- gen überhaupt nicht aufgefangen werden kann? teil gegenüber den Konkurrenten aus den mittel- und osteuropäischen Staaten. Dr. Heinrich L. Kolb, Parl. Staatssekretär: Herr (Vorsitz: Vizepräsident Dieter-Julius Cro- Kollege Stiegler, das Ganze hat natürlich auch einen nenberg) gesamtwirtschaftlichen Aspekt. Die feinkeramische Industrie ist speziell durch Konkurrenz betroffen, Wie die Bundesregierung, Herr Kollege Stiegler, gleichzeitig erschließen sich insbesondere für bayeri- bereits in ihrer Antwort auf Ihre Anfrage vom Mai sche Unternehmen in den angrenzenden mittel- und 1992 ausgeführt hat, müssen die Unternehmen in osteuropäischen Staaten auch neue Märkte, immer eigener Verantwortung den ökonomisch bedingten vorausgesetzt, daß die bilateralen Beziehungen insge- Strukturänderungen gerecht werden. Zahlreiche Äu- samt unter dem Gesichtspunkt offenen H andels ßerungen von maßgeblichen Vertretern der feinkera- gestaltet sind. Ich denke, deswegen ist es durchaus mischen Industrie insbesondere hinsichtlich der not- berechtigt, daß die Bundesregierung zunächst einmal wendigen Senkung der zum Teil sehr hohen Arbeits- dem freien Handel die höchste Priorität gibt und die kosten zeigen, daß die Probleme bezüglich der Unternehmen auffordert, Anpassungsleistungen zu Kostenstruktur erkannt und einer Lösung zugeführt erbringen. werden. Ich bin daher überzeugt, daß es der feinke- Ich wiederhole: Es gibt durchaus Instrumente, um ramischen Industrie auch weiterhin gelingen wird, im Fall unfairen Wettbewerbs entsprechend zu han- ihre hohe internationale Wettbewerbsfähigkeit beizu- deln. Ich bin gern bereit, das Entsprechende dann behalten und gegebenenfalls noch zu verstärken. auch vorzutragen. Sollte der Verdacht bestehen, Herr Kollege Stiegler, daß sich die Wettbewerber mit Dumpingpreisen Wett- Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Zusatz- bewerbsvorteile verschaffen, kann die Wirtschaft frage des Abgeordneten Büttner. unter bestimmten Voraussetzungen gegebenenfalls über den europäischen oder den nationalen Verband Hans Büttner (Ingolstadt) (SPD): Ist sich die Bundes- bei der EG-Kommission einen Antrag auf Einleitung regierung in diesem Zusammenhang bewußt, daß sie eines Anti-Dumping-Verfahrens stellen. Im Rahmen durch die Förderung von Abkommen wie den Asso- der Assoziierungsabkommen mit den mittel- und ziierungsabkommen der EG mit dazu beiträgt, daß osteuropäischen Staaten sind Schutzmaßnahmen, durch den Wegfall von Arbeitsplätzen und damit einer u. a. auch mengenmäßige Einfuhrbeschränkungen, verminderten Kaufkraft bei bundesdeutschen Arbeit- möglich. Solche Eingriffe in den freien Warenaus- nehmern sowie die nicht genügende Kaufkraft in den tausch sollten jedoch nur in gravierenden Ausnahme- osteuropäischen Ländern auf Grund der Dumping- fällen in Erwägung gezogen werden. löhne weder ein wirtschaftlicher Markt in Osteuropa entsteht noch die Marktverhältnisse in der Bundesre- Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Zusatz- publik verbessert werden? frage. Bitte schön, Herr Abgeordneter Stiegler. Dr. Heinrich L. Kolb, Parl. Staatssekretär: Herr Ludwig Stiegler (SPD): Herr Staatssekretär, wie Kollege, ich will noch einmal betonen: Das Ganze ist vereinbaren Sie den Optimismus, der aus Ihren Aus- eine Medaille mit zwei Seiten. Auf der einen Seite ist führungen spricht, mit dem massiven Arbeitsplatzab- die Bundesrepublik als exportorientierte Nation bau in dieser Branche, der seit Monaten zu verfolgen natürlich daran interessiert, neue Märkte zu erschlie- ist und sozusagen ungebremst anhält? ßen und zu einem möglichst offenen H andel mit den mittel- und osteuropäischen Staaten zu kommen. Auf der anderen Seite müssen wir akzeptieren, daß diese Dr. Heinrich L. Kolb, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Stiegler, ich verkenne mit meiner Antwort Staaten in einem gewissen Rahmen — ich sage immer: nicht die Probleme, denen die Unternehmen der in einem fairen Wettbewerb — mit ihren Waren hier feinkeramischen Indust rie insbesondere in den Kon- auf den Markt drängen. Das ist eine notwendige zentrationsbereichen der alten Bundesländer ausge- Voraussetzung, um Handelsbeziehungen neu aufzu- setzt sind. Gleichwohl möchte ich unterstreichen, was bauen. Insofern habe ich von meinen Aussagen nichts mein Vorgänger im Amt, Klaus Beckmann, ausgeführt zu relativieren. hat: Es ist zunächst und in allererster Linie Aufgabe Zusatz- der Unternehmen, sich auf die veränderten Bedingun- Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: frage des Abgeordneten Klejdzinski. gen einzustellen. Dr. Karl-Heinz Klejdzinski (SPD): Herr Kollege, Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Zusatz- wenn Sie Ihren Aussagen nichts weiter hinzuzufügen frage. Bitte schön, Herr Abgeordneter Stiegler. haben, bzw. auch nichts relativieren wollen: Darf ich Sie fragen, wenn Sie einen Zeitraum von fünf Jahren Ludwig Stiegler (SPD): Herr Staatssekretär, halten ansetzen, welche Betriebe in diesem Bereich ange- Sie es denn für verantwortbar, daß bei einem Wäh- sichts des Dumpings, das in der Zwischenzeit von der rungsgefälle etwa zwischen Deutschland und der Gegenseite aus erfolgt, noch konkurrenzfähig sind? Tschechischen Republik von bald 1 : 18 und in man- Vielleicht denken Sie auch einmal darüber nach. chen Bereichen noch höher Anpassungsleistungen allein den Unternehmen übertragen werden und daß Dr. Heinrich L. Kolb, Parl. Staatssekretär: Herr die Marktöffnung unbegrenzt erfolgt, obwohl doch Kollege, ich bin kein Prophet. Insofern kann ich Ihnen jeder weiß, daß ein solches Lohngefälle selbst durch nicht sagen, welche Situation wir in dieser Industrie in 14204 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 165. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23. Juni 1993

Parl. Staatssekretär Dr. Heinrich L. Kolb fünf Jahren vorfinden werden. Ich bin geneigt, es noch durch Rücknahme- und Pfandpflichten für die Entsor- einmal vorzutragen: Es gibt die Möglichkeit des gung dieser Verpackungen in die Produktverantwor- Anti-Dumping-Verfahrens, wenn es von der überwie- tung genommen werden. genden Mehrzahl der in der EG ansässigen Unterneh- men z. B. über den nationalen oder europäischen (Zuruf von der CDU/CSU: Mit Zustimmung der SPD im Verband beantragt wird. Hier gibt es also Handlungs- Bundesrat!) möglichkeiten. Allerdings geht in diesem Fall die So weit, so gut. Um den Handel von seinen neuen Initiative von der Industrie bzw. dem Industriever- Pflichten gleich wieder zu befreien, wurde das band und nicht von der Bundesregierung aus. Schlupfloch DSD gefunden. Der Herr Kollege Graf Lambsdorff ist ja einer der Väter dieses Schlupf- Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Zum Ab- lochs. schluß der Fragestunde eine Frage der Abgeordneten (Zuruf von der CDU/CSU: Eine gute Idee war Renate Schmidt (Nürnberg). das!) Renate Schmidt (Nürnberg) (SPD): Herr Staatsse- Deswegen ist der gelbe Sack auch gelb. kretär, Sie haben gerade den Beg riff „fairer Wettbe- Mit der Installierung dieses Systems begann der werb" verwandt. Welches sind denn für Sie die komplette Ärger. Ärgernis Nr. 1: Mit dem Grünen Kriterien eines fairen Wettbewerbs, und zwar nicht Punkt wurde ein Symbol gefunden, das an Verbrau- nur im sozialen Bereich, sondern auch im ökologi- chertäuschung grenzt. Viele meinen nämlich, daß schen Bereich, und glauben Sie, daß in diesem Indu- dieses Zeichen ein Zeichen für besondere Umwelt- striebereich ein fairer Wettbewerb derzeit gewährlei- freundlichkeit sei. Tatsache ist aber, daß der Grüne stet ist? Punkt nur aussagt, daß die Lizenzgebühr für die Einwegverpackung entrichtet wurde. Dr. Heinrich L. Kolb, Parl. Staatssekretär: Die Kostenvorteile, die ich angesprochen habe, haben (Zuruf von der CDU/CSU: Das ist nichts natürlich mehrere Komponenten. Ich habe festge- Neues, was Sie hier erzählen!) stellt, daß wir ganz überwiegend den Einfluß im Ärgernis Nr. 2: Die Bürgerinnen und Bürger zahlen Personalkostenbereich sehen. Darüber hinaus spielt über den Grünen Punkt eine volle zweite Müllgebühr, natürlich auch ein, wie immer Sie es nennen mögen, die sich nach den Erhöhungen ab Oktober noch Umwelt-Dumping, Dumping im Sozialbereich und im einmal verdoppeln wird. Die neue Nachricht ist, daß allgemeinen eine gewisse Rolle. Unterschiedliche Bürgerinnen und Bürger eines durchschnittlichen Umweltvorschriften haben natürlich einen Einfluß, Haushalts in Zukunft eine jährliche Müllgebühr von können aber nicht zur alleinigen Begründung von bis zu 600 DM zahlen müssen. Wettbewerbsvorteilen herangezogen werden. (Zuruf von der CDU/CSU: Behauptet die Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Meine „Bild"-Zeitung! Aber das muß nicht stim Damen und Herren, damit sind wir am Ende der men!) Fragestunde. Dabei handelt es sich bislang um ein Abkassie- rungsmodell ohne Gegenleistungen. Ich rufe auf: Ärgernis Nr. 3: Die Hausfrauen — denn es sind ja Aktuelle Stunde überwiegend Frauen, die die unbezahlte Sortierar- Haltung der Bundesregierung zu den Fehlent- beit leisten — nehmen diesen Aufwand in Kauf, weil wicklungen bei der Verpackungsverordnung:- sie annehmen, daß die Verpackungen auch verwertet Duales System Deutschland. werden. Inzwischen mußten die Sortiererinnen aller- Die Fraktion der SPD hat die Aktuelle Stunde zu dings feststellen, daß ihr mühsam ausgespülter Jog- diesem Thema beantragt. hurtbecher irgendwo in einem D ritte-Welt-Land auf Frau Abgeordnete Caspers-Merk hat das Wort. einer Deponie landet, illegal entsorgt wird oder aber in brandgefährlichen Zwischenlagern in unserer Marion Caspers-Merk (SPD): Herr Präsident! Liebe Nachbarschaft vor sich hingammelt. Kolleginnen und Kollegen! In der Müllfibel des Bun- (Zuruf von der CDU/CSU: Üble Stimmungs desumweltministeriums bezeichnet sich der Umwelt- mache hier!) minister als Vater der Verpackungsverordnung. Daß man Vaterschaften in Krisenzeiten ganz gern wieder Ärgernis Nr. 4: Zur Müllvermeidung leistet das los wäre, ist für uns Frauen keine grundlegend neue ganze System keinen Beitrag; denn unser Konsum- Erfahrung. Der Bundesumweltminister verhält sich verhalten muß sich ja nicht ändern. Das DSD ist durchaus entsprechend unseren bisher gemachten lediglich das schlechte Gewissen unserer Wegwerfge- Erfahrungen. Er hat einen Wechselbalg in die Welt sellschaft, und die großen Verpacker sitzen allesamt gesetzt, hat sich um seine Erziehung nicht gekümmert im DSD, unbehelligt von einem Pro-forma-Kurato- und wundert sich nun, daß das ungeratene Kind nicht rium, das nur Dekorationszwecken dient. lebenstüchtig ist. Wir sprechen vom DSD, dem Dualen (Zuruf von der CDU/CSU: Sagen Sie das mal System Deutschland, das derzeit nicht nur in einer Herrn von Weizsäcker!) Finanz-, sondern auch in einer Existenzkrise ist. Ärgernis Nr. 5: Niemand kontrolliert den Monopo- (Zuruf von der CDU/CSU: Hört, hört!) listen DSD und sagt verbindlich, was das Ganze Dabei war alles so gut gedacht: Hersteller und kosten wird. Schon heute sind Milliarden in dieses Vertreiber von Verpackungen sollten in Zukunft System investiert worden, ohne daß über ökologische Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 165. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23. Juni 1993 14205

Marion Caspers-Merk Kriterien der Verwertung oder über den Ausschluß kommt. In diesem Fall ist es die Verpackungsverord- ökologisch unsinniger Verpackungen oder über eine nung.

Kostentransparenz und - kontrolle, wo der ganze (Beifall bei der CDU/CSU) Verpackungsmüll denn bleibt, geredet würde. Schon der Titel dieser Aktuellen Stunde ,,Fehlent- Wenn das Mitmachen der Bürgerinnen und Bürger wicklungen bei der Verpackungsverordnung" zeigt, weiterhin sichergestellt werden soll, bedarf es einer daß Sie entweder die Verpackungsverordnung gar Reform des ganzen Systems an Haupt und Gliedern. nicht gelesen haben oder sie nicht verstanden haben Wir fordern deshalb die Bundesregierung auf, oder sie nicht verstehen wollten oder — was noch viel (Zuruf von der CDU/CSU: Und den Bundes- schlimmer ist — die Praxis nicht kennen. rat!) (Zuruf von der SPD) endlich eine Novellierung der Verpackungsverord- Ich behaupte: Es gibt keine Fehlentwicklung bei der nung vorzunehmen, die wirklich umweltverträgli- Verpackungsverordnung; chen Kriterien entspricht. — Zu dem Zwischenruf „Bundesrat" ist zu sagen, daß der Bundesrat Bedin- (Zuruf von der SPD: Tonnenweise gibt es die gungen an die Zustimmung geknüpft hat, die bis Fehlentwicklung!) heute nicht umgesetzt wurden. denn alle Vorgaben, die diese Verpackungsverord- (Zuruf von der CDU/CSU: Die Bedingungen nung gestellt hat, wurden bisher erfüllt. Dazu gehört sind nicht sehr gut!) das Erfassen von Kunststoffen beispielsweise. Dort ist Wir haben deshalb hier heute im Bundestag einen die Quote übererfüllt worden, mit 400 000 t pro Jahr Antrag eingebracht, in dem wir die Bundesregierung sogar deutlich übererfüllt worden. Dazu gehört auch auffordern, das Recyceln. Wenn Sie die Verpackungsverordnung gelesen haben sollten, dann wüßten Sie, daß 30 % (Zuruf von der CDU/CSU: Und den Bundes- Recycling von Kunststoffverpackungen gefordert rat!) sind. die Novellierung der Verpackungsverordnung vorzu- (Zuruf von der SPD) nehmen. Unsere Forderungen sind erstens, daß die Diese 30 % wären 120 000 t im Jahr. Für mehr als Monopolstruktur des DSD weg muß, zweitens, daß 160 000 t sind Kapazitäten gebunden. 250 000 t wer- sofort eine Pfand- und Rücknahmepflicht eingeführt den in diesem Jahr aber auch machbar sein. wird. Drittens wollen wir einen klaren Auftrag für Müllvermeidung. Die Verpackungsverordnung hat bereits in den ersten Monaten ihrer Existenz dazu geführt, daß dank (Zuruf von der CDU/CSU: Wie denn?) des aktiven Mitwirkens der Bevölkerung wesentlich Viertens fordern wir die Verpflichtung zur transpa- mehr Kunststoffabfälle erfaßt und aussortiert wurden, renten Kostenkalkulation und fünftens eine Rechen- als sie es vorgeschrieben hatte. Es hat ein Umdenken schaftspflicht des DSD oder weiterer Systeme für bei der Bevölkerung eingesetzt. Aus unterschiedli- Sortierbilanzen, Verwertungspfade und Endverbleib chen Gründen aber sind die stofflichen Verwertungs- der gesammelten Wertstoffe. kapazitäten nicht gleichschnell entwickelt worden. Deshalb ist die Bundesregierung jetzt hier im Das liegt einmal daran, daß dies natürlich technisch Obligo. Sie soll uns erklären, wie es weitergehen soll; aufwendiger ist, als Sortierkapazitäten zu schaffen. denn so, wie es derzeit ist, kann es nicht mehr Zum anderen liegt das auch an der Verweigerungs- hingenommen werden. haltung der Industrie. Trotzdem besteht der positive Effekt, daß jetzt massiver Druck auf die Industrie Vielen Dank. ausgeübt wird, um Verwertungsanlagen zu entwik- (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE keln. GRÜNEN und bei der PDS/Linke Liste) Die SPD tut hier allerdings so, als ob ohne die Verpackungsverordnung sämtliche Verpackungsab- fälle ordentlich entsorgt werden könnten. Sie haben Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Das Wort wohl vergessen, daß die Deponien voll sind, daß hat nunmehr der Abgeordnete Ulrich Klinkert. Müllverbrennungsanlagen dank Ihrer aktiven Kom- munalpolitik nicht gebaut werden dürfen (Zuruf von der SPD) Ulrich Klinkert (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Parlamentarische und daß wir einen Entsorgungsnotstand in Deutsch- Demokratie braucht Opposition. Eine der wichtigsten land haben. Viele Industriebereiche und die SPD Aufgaben der Opposition ist es natürlich, die Regie- behaupten, daß es gar keine Anlagen zum stofflichen rung dort, wo sie Fehler gemacht hat, zu kritisieren. Recyceln von Kunststoffen geben kann, weil sie zu Aber nun wird die Opposition in diesem Haus ein Jahr aufwendig und. zu teuer wären. Aber hier sollte die vor den Wahlen langsam nervös. SPD nicht länger auf die Industrie hereinfallen. So haben nämlich führende deutsche Industrieunterneh- (Zuruf von der SPD) men beispielsweise bei den FCKW-Kühlschränken Mangels eigener Gedankenentwicklung — was hat behauptet, daß es die ökologisch und ökonomisch man außer Kandidatensuche von Ihnen schon groß vernünftig nicht nicht geben könnte. Heute werben gehört, meine Damen und Herren? — dreschen Sie alle deutschen Hersteller mit FCKW-freien Kühl- undifferenziert auf alles ein, was von der Regierung schränken und wollen sich an diese früheren Äuße- 14206 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 165. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23. Juni 1993

Ulrich Klinkert rungen nicht gern erinnern. Wie beim FCKW-freien der Sack und auch nicht die gelbe Farbe des Sackes Kühlschrank, so haben auch hier die neuen Bundes- und auch nicht das Schlupfloch. länder eine Vorreiterrolle übernommen. (Zuruf von der F.D.P. und der CDU/CSU — (Beifall bei der CDU/CSU und bei Abgeord- Zuruf des Abg. Dr. Klaus-Dieter Feige neten der F.D.P.) [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) — Danke. — Gerade in den neuen Bundesländern Die Bundesländer, einschließlich der SPD-regierten wurde eine ganze Reihe von Verwertungsanlagen Länder, unterstützten mit ihrer Entscheidung vom entworfen und ist bereits in der Realisierungsphase, Dezember 1992 den Versuch der an dem DSD betei- beispielsweise in Leuna für 200 000 t im Jahr; in ligten Wirtschaft, die Verpackungsverordnung auch meinem Wahlkreis bei „Schwarze Pumpe" werden umzusetzen. Kapazitäten für 120 000 t geschaffen. 1993 werden in (Dietmar Schütz [SPD]: Dieser Versuch ist meinem Wahlkreis z. B. 20 000 t Altkunststoffe stoff- gescheitert!) lich recycelt. Das bedeutet, daß 400 neue Arbeits- Was Sie jetzt mit Ihrem Antrag bewerkstelligen, plätze geschaffen wurden und daß 300 Millionen DM müssen Sie wohl gegen die Mehrheit der SPD- investiert wurden. regierten Länder zusammen mit Herrn Gauweiler (Zuruf von der SPD) durchsetzen. Dabei wünsche ich Ihnen viel Spaß. All das wäre ohne die Verpackungsverordnung, ohne (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) das DSD nicht möglich gewesen. Meine Damen und Herren, die Wirtschaft hat damit (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. — erstmalig eine umfassende Produktverantwortung Zurufe von der SPD) übernommen. Das hat schon zu erheblichen Verände- rungen geführt: Die Verpackungsunternehmen ha- Wir in den neuen Bundesländern lassen uns durch ben sich bei der Wahl des Verpackungsmaterials an die Blockadepolitik der SPD neue Wirtschaftsentwick- der stofflichen Verwertung orientiert, lungen nicht kaputtmachen. (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Sehr rich (Beifall bei der CDU/CSU und bei Abgeord- tig!) neten der F.D.P.) die Verpackungsvolumina sind verringert, die Um- Schröder wollte das VW-Werk in stoppen. stellung auf umweltfreundliche Verpackungsmateri- Die Umweltpolitiker der SPD wollen Verwertungsan- alien schreitet voran, und der Anteil an der Mehrweg- lagen für Altkunststoffe verhindern. Ich fordere die verpackung nimmt kontinuierlich zu. SPD-Abgeordneten, die das DSD und das Kunststoff (Zurufe des Abg. Dr. Klaus-Dieter Feige recyceln kaputtmachen wollen, auf: Kommen Sie in [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) die neuen Bundesländer und erklären Sie den Inge- nieuren und Arbeitern, die in Tag- und Nachtarbeit, beispielsweise bei mir in „Schwarze Pumpe", all das Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Herr Ab- aufbauen, daß dies ökologisch und ökonomisch unsin- geordneter Feige, Sie können doch gleich noch reden. nig sei. Nun reden Sie nicht soviel dazwischen. (Zuruf des Abg. Dr. Klaus-Dieter Feige [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Dr. Otto Graf Lambsdorff (F.D.P.): Herr Präsident, Meine Damen und Herren, der Grüne Punkt und das geht alles von meiner Redezeit ab. — Im übrigen: das DSD sind für Sie ein rotes Tuch. Aber sie sind das- Die Zwischenrufe entsprechen dem Pepita-Muster offensichtlich nur deshalb, weil die Verpackungsver- meines Anzuges. Auf Pepita kann man nicht Schach- ordnung von einem christdemokratischen Minister spielen; das ist zu kleinkariert. entwickelt wurde. (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU — Vielen Dank. Heiterkeit) (Beifall bei der CDU/CSU und F.D.P.) Aber, meine Damen und Herren, mit der Gründung des DSD und seiner anfänglichen Aktivitäten kamen auch die ersten Schwierigkeiten. Das bestreitet doch niemand. Der organisatorische und finanzielle Auf- Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Das Wort bau eines solchen Systems ist schwierig. Kooperati- hat nunmehr der Abgeordnete Dr. Otto Graf Lambs- onsbereitschaft aller ist erforderlich. Die Bereitschaft dorff. zur Kooperation ist noch nicht bei allen in der DSD engagierten Unternehmen in der gewünschten und notwendigen Form gegeben. Das gilt vor allem für die Kunststoffindustrie. Dr. Otto Graf Lambsdorff (F.D.P.): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Die Durch die umweltbewußte Mitarbeit unserer Mit- Verpackungsverordnung gibt erstmalig in der deut- bürger wird mehr Kunststoff als erwartet gesammelt schen Abfall- und Umweltpolitik marktwirtschaftli- und sortiert. Bis zu 414 000 t werden für das laufende chen Prinzipien genügend Raum, Jahr erwartet. Die Verarbeitungskapazitäten reichen nicht. Die kunststofferzeugende und -verarbeitende (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) Industrie ist nicht — noch nicht — bereit, sich an der um deren Vorteile unter Beweis zu stellen. Das, Frau Abfallverwertung in angemessener Weise zu beteili- Caspers-Merk, ist der Grund für mein Interesse, nicht gen. Ihr Hinweis, die in der Verpackungsverordnung Deutscher Bundestau — 12. Wahlperiode — 165. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23. Juni 1993 14207

Dr. Otto Graf Lambsdorff vorgeschriebene Quote sei doch erreicht, ist Zeugnis Petra Bläss (PDS/Linke Liste): Herr Präsident! eines wenig ausgeprägten Verantwortungsbewußt- Meine Damen und Herren! Eines hat die bisherige seins für eine verursachergerechte Entsorgung. Geschichte des DSD und des Grünen Punktes wohl gezeigt: Die Menschen in unserem L ande sehen einen (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU — dringenden Bedarf für eine ökologische Abfallpolitik Dietmar Schütz [SPD]: Das ist wohl wahr!) und sind bereit mitzumachen. Wenn jedoch die Poli tik Die Gründung einer neuen Gesellschaft mit größe- ihnen eine Struktur serviert, die bei ernsthafter ren Verwertungskapazitäten für Kunststoff ist des- Anwendung in einer Sackgasse endet, kann dabei halb beschlossen worden. Das ist auch der richtige nichts herauskommen. Im Gegenteil: Berichte von Weg. Ist es aber richtig, daß das DSD selber jetzt auch Müllverschiebungen und nicht realisierten Verwer- die Verwertung betreibt? Reicht dafür die finanzielle tungskapazitäten demotivieren die Menschen nur. Kraft des mit einem Stammkapital von 3 Millionen DM Die Apologeten der Müllverbrennung lachen sich ohnehin nur ungenügend finanzierten DSD? Stimmt dabei ins Fäustchen; aber vielleicht ist das ja auch so es, wie die „Süddeutsche Zeitung" am 19. Juni geplant. schreibt, daß die Verbrennung heute umweltunschäd- Ein ernstgemeintes und erfolgversprechendes Kon- lich möglich ist, so daß der Aufbau großer Verwer- zept für eine ökologische Abfallwirtschaft geht nicht tungskapazitäten in die Fehlinvestition führt? ohne grundsätzliche Änderung der industriellen Pro- (Dietmar Schütz [SPD]: Da haben wir es!) duktionsweise. Abfallpolitik ist letztlich Chemiepoli- Die Gebührenstaffelung nach den tatsächlichen tik mit dem Ziel der Entgiftung der Produk tion und Entsorgungskosten des Einzelmaterials, die für Herbst ihrer Produkte. Nur die Umstellung der industriellen dieses Jahres vorgesehen ist, ist ein weiterer Schritt in Güterproduktion auf abfallarme und in den Natur- die richtige Richtung. Damit ist eine verursacherge- kreislauf rückführbare Produkte sowie der konse- rechte Berechnung der Lizenzgebühren gewährlei- quente Ausbau von Mehrwegsystemen bieten einen stet, und notwendiges Kapital wird zur Verfügung Ausweg aus dem flächendeckenden Müllnotstand. gestellt. Aber auch hier zwei Fragen: Sollte die Ver- Das Duale System ist für die Lösung des Abfallpro- packung außer dem Grünen Punkt auch die Gebühr blems schlichtweg ungeeignet, schon allein deshalb, ausweisen, die für diese spezifische Verpackung vom weil es weitgehend der öffentlichen Kontrolle entzo- Verbraucher zu zahlen ist? Könnte das nicht den gen ist. Die Abfallentsorgung gehört — dies sei hier Druck zur Vermeidung teuer zu verwertender Ver- den Ideologen der Privatisierung ins Altpapier packungen verstärken? geschrieben — in die Hände der Kommunen. Wir (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) brauchen jetzt ein flächendeckendes Netz von kom- munalen Recyclinghöfen und Sero-Sammelstellen, Zweitens. Wie kann und will die Geschäftsführung verbunden mit kommunalen Getrenntmüll-Holsyste- des DSD sicherstellen, daß die Gebühren für den men. Natürlich muß der rechtliche Rahmen stimmen, Grünen Punkt pünktlich und vollständig gezahlt wer- und natürlich müssen die Kommunen mit den notwen- den? digen Mitteln ausgestattet werden, um tätig zu wer- Die Bundesländer müssen sich entscheiden, ob sie den. über mehr Marktwirtschaft im Umweltschutz nur (Dr. Otto Graf Lambsdorff [F.D.P.]: Und ein reden oder ob sie auch so handeln wollen. Ein paar Beamte mehr!) entschiedenes Jein reicht nicht aus. Ich verweise an dieser Stelle auf den Entschlie- In den zurückliegenden zehn bis 15 Jahren sind wir ßungsantrag der PDS/Linke Liste zur Antwort der in der Abfallvermeidung kaum weitergekommen. Bundesregierung auf unsere Große Anfrage „Auswir- Jetzt verlangt man von dem marktwirtschaftlichen kungen auf die Abfallentsorgung durch die Einfüh- Ansatz ein Wunder in zwei Jahren. Das ist weder fair rung des ,Dualen Systems Deutschland' (DSD)" vom noch sinnvoll. Halten wir uns lieber an die Lebens- Dezember vorigen Jahres. Darin heißt es: weisheit: Unmögliches wird sofort erledigt, Wunder dauern etwas länger. Hier brauchen wir Geduld. Ein Sollte sich anläßlich einer Bestandsaufnahme Scheitern des DSD bedeutet die Rücknahme nach dem Stichtag 1. Januar 1993 erweisen, daß gebrauchter Verpackungen im Laden. Nennt man die vereinbarten Verwertungsquoten nicht nach- diese, mit Verlaub gesagt, Schweinerei denn eigent- gewiesen werden können, tritt die Verpackungs- lich Entsorgung? Ein Scheitern des DSD bedeutet verordnung sofort in vollem ursprünglich vorge- auch den Abschied von Eigeninitiative und Eigenver- sehenen Umfang in Kraft, da die Voraussetzun- antwortung in der Abfallwirtschaft und den Ruf nach gen für die nach § 6 Abs. 3 VerpackV vorgese- mehr Staat, nach dirigistischen Maßnahmen. hene Sonderregelung in bezug auf ein zweites (duales) Entsorgungssystem entfallen. Über- Der SPD-Antrag enthält ein Wort in bemerkenswer- gangsregelungen und Ausnahmegenehmigun- ter Vielzahl, das Wort „Verbot". Das ist Ihre Posi tion gen werden nicht erteilt. und Ihre Philosophie. Dazu sollte es nicht kommen. Begleiten wir also das DSD kritisch, wie ich es Die Bundesregierung wird in diesem Fall aufge- versucht habe, aber kooperativ und konstruktiv. fordert, umgehend einen Gesetzesentwurf vorzu- legen, der zum Ziel hat, die vorhandenen Struk- (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) turen, eingenommenen Finanzmittel und auflau- fenden Verpackungsabfälle des „Dualen Systems Deutschland" in einen öffentlichen Zweckver- Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Nunmehr band einzubringen. Dieser Zweckverband soll erteile ich der Abgeordneten Petra Bläss das Wo rt. der umweltfreundlichen und sozialverträglichen 14208 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 165. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23. Juni 1993

Petra Bläss Auflösung und Abwicklung des DSD dienen mehr Informationen haben. Sie sollten sie Herrn Brück sowie Vorschläge für eine weitreichende Verpak- vom DSD zur Verfügung stellen. kungsverordnung mit Zielrichtung Abfallvermei- Statt auf öffentlichen Deponien wird der Müll nun in dung und Ausbau von Mehrwegsystemen erar- privaten Zwischenlagern gestapelt, wie immer auf beiten. Kosten der umweltbewußten Verbraucher und insbe- Träger des Zweckverbandes sind die entsor- sondere Verbraucherinnen. 200 bis 500 DM kostet gungspflichtigen Gebietskörperschaften, denen dieses widersinnige System jeden bundesdeutschen in bezug auf die Verpackungsverordnung ein Haushalt im Jahr. Die Menschen in unserem L and Vetorecht einzuräumen ist. Für den Bundesmini- werden getäuscht, betrogen und dafür auch noch zur ster für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicher- Kasse gebeten. Handel und Industrie dagegen kom- heit ist Konsultationspflicht vorzusehen. Der men ungeschoren weg. Soviel zum vielbeschworenen Zweckverband ist bis zu seiner finanziellen Verursacherprinzip. Eigenständigkeit durch Erhebung von Abgaben Obwohl den privaten Haushalten das Geld aus den auf Verpackungen aus Mitteln des Bundes zu Taschen gezogen wird, um ein Wirtschaftsunterneh- finanzieren. men vorzufinanzieren, mußten wir in der vergange- Wir sind der Ansicht, daß nun der Zeitpunkt gekom- nen Woche erfahren, daß diese Gesellschaft mit men ist, im Sinne unseres Entschließungsantrages beschränkter Haftung praktisch pleite ist. Wo ist denn tätig zu werden. das Geld hingegangen? Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. Weil die Kapazitäten fü r die Verarbeitung von (Beifall bei der PDS/Linke Liste) Kunststoffen im In- und Ausland nicht ausreichen, bezuschußt das DSD Abnehmer mit bis zu 1 000 DM pro Tonne. Das gesamte Unternehmen ist ökonomisch Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Ich erteile widersinnig und ökologischer Unfug. Mit Marktwirt- nunmehr dem Abgeordneten Klaus-Dieter Feige das schaft hat eine solche Monopolisierung, wie sie hier Wort. stattfindet, jedenfalls nichts zu tun; sonst hätte ich Ihr Programm auch nicht verstanden. Dr. Klaus-Dieter Feige (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (Beifall bei der SPD) NEN): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das Duale System Deutschland, einst als Das sogenannte stoffliche Recycling führt besten- Wunderwaffe im Kampf gegen den überhandneh- falls zu minderwertigen Regranulaten und damit zu menden Verpackungsmüll gepriesen, hat sich in den minderwertigen Produkten. Dieses Recyclingmate- letzten Wochen endgültig als Windei erwiesen. rial kostet dann pro Kilo mehr als 3 DM. Bezahlt wird am Markt aber nur ungefähr 1 DM, während qualitativ (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Das ist schon bessere Neuware für 50 Pf mehr erhältlich ist. falsch!) Hinzu kommt, daß durch die zusätzlichen Tr ans- Der vom Bundesumweltminister angekündigte Aus- porte CO2-Emissionen in erheblichem Umfang entste- stieg aus der Ex-und-hopp-Mentalität ist jämmerlich hen; aber angesichts des Nichthandelns der Bundes- gescheitert. Der Bundesumweltminister hat wider regierung in Sachen CO2-Reduzierung kommt es besseres Wissen und gegen alle Warnungen der darauf wahrscheinlich auch nicht mehr an. Opposition an seiner Unterstützung für das DSD festgehalten. Meine Damen und Herren, wir haben bereits im (Zuruf von der CDU/CSU: Welche Opposi- vergangenen Oktober hier im Bundestag über das tion?) DSD debattiert. Keiner der damals angesprochenen Kritikpunkte wurde in der Folgezeit behoben. Die Er hat mit dem Aufbau dieser parallelen Müllabfuhr einzig nennenswerte Aktivität des DSD bestand in der billigend in Kauf genommen, daß der Ruf der Bundes- Einrichtung eines Kuratoriums. Auch wir haben uns republik in vielen Staaten Schaden genommen hat: — trotz erheblicher Bedenken — an der Arbeit dieses (Zuruf von der CDU/CSU: Was? — Steffen Kuratoriums beteiligt. Kampeter [CDU/CSU]: Es machen doch alle Vor einem Monat habe ich meine Mitgliedschaft in eine Verpackungsverordnung!) diesem Organ aufgekündigt, weil es offenbar ledig- von Frankreich bis Großbritannien, von der Ukraine lich der Imagepflege des DSD dienen sollte. bis Indonesien, deutscher Müll in aller Welt. (Widerspruch bei Abgeordneten der CDU/ Die angebliche Abfallvermeidung ist ein giganti- CSU) scher Etikettenschwindel. Wie von uns vorhergesagt, haben die Verpackungsverordnung und das DSD Meine geringe Hoffnung auf eine positive Verände- lediglich dazu geführt, daß öffentliche Statistiken rung der Geschäftspolitik des DSD hat sich nicht frisiert werden. Keine Tonne Abfall wurde tatsächlich erfüllt. Wir lassen uns jedenfalls nicht als Feigenblatt vermieden. für das DSD mißbrauchen. (Zuruf des Abg. Dr. Otto Graf Lambsdorff (Zuruf von der CDU/CSU: Als Feigenblatt! — [F.D.P.]) Heiterkeit) Graf Lambsdorff, im Kuratorium selbst kennt man die Herr Lambsdorff, wenn Sie an der letzten Sitzung Zahlen, von denen Sie sprechen, noch nicht. Dort teilgenommen hätten — auch Sie sind Mitglied des konnte diese Statis tik aus Mangel an Informationen Kuratoriums —, dann hätten Sie mitbekommen, wie nicht vorgelegt werden. Sie müssen offensichtlich gerade Ihr Vorschlag — auszuweisen, wie teuer ein Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 165. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23. Juni 1993 14209

Dr. Klaus-Dieter Feige Grüner Punkt eigentlich ist; dem Verbraucher also — Herr Kollege Schily, das haben wir dem umweltpo- darzustellen, was ein Punkt kostet — mit den CDU/ litischen Sprecher Ihrer Fraktion mitgeteilt, der das CSU-Stimmen — ich möchte jetzt keine Namen nen- ohne weiteres so akzeptiert hat. nen — abgebügelt wurde. Wenn solche elementaren (Weiterer Zuruf des Abg. Otto Schily Ansätze einfach plattgemacht werden — dann können [SPD]) Sie sich hier noch zehntausendmal hinstellen und so — Das werden wir sehen, Herr Kollege Schily. tun, als würde das etwas bringen —, dann ersticken Sie selbst im Ansatz das, was dort möglich ist. Meistens, meine Damen und Herren, erfolgt die Betrachtung jedoch sehr einseitig. Wir haben einen (Dr. Otto Graf Lambsdorff [F.D.P.]: Ich wie- solchen Beitrag eben gehört. Da sind die ideologi- derhole den Vorschlag!) schen Verbotsstrategen, alternativlose Gegner not- Wir können und wollen es nicht verantworten, daß wendiger Entsorgungsverfahren und Anhänger ord- die Menschen auch und gerade im Osten Deutsch- nungsrechtlicher Abgabenlösungen. Sie vernachläs- lands ein System finanzieren, das keine entsprechen- sigen bewußt den Blick auf die Realität, auf das, was den Gegenleistungen liefert. Wir unterstützen aus- machbar ist, und auf die bereits wirkenden Verände- drücklich die Bundesländer, die die Freistellung des rungen. Handels von der Rücknahmepflicht für Kunststoffver- (Dietmar Schütz [SPD]: Ideologie ist auf der packungen widerrufen. Erst wenn die Handelsein- anderen Seite!) richtungen gezwungen werden, das Verpackungsma- Meine Damen und Herren, die Verpackungsver- terial selbst zu entsorgen, wird ein entsprechender hat tiefgreifende Veränderungen bewirkt. Druck entstehen, weniger Verpackung zu produzie- ordnung Sie hat schon jetzt Quantität und Qualität der Verpak- ren. kungen verändert. Allein der Packmitteleinsatz im (Zuruf von der CDU/CSU: Das ist doch durch Bereich Kunststoff ist von 1991 auf 1992 um rund nichts zu belegen!) 60 000 t zurückgegangen. — Bisher hat das ganz phantastisch geklappt. Ich möchte Sie gern auch mit der neuesten Zahl (Dr. Otto Graf Lambsdorff [F.D.P.]: Nichts hat konfrontieren, die in Wiesbaden die Gesellschaft für geklappt!) Verpackungsmarktforschung (GVM) gestern heraus- gegeben hat: Der Gesamtpackmitteleinsatz ist im — In der ersten Phase hat das wunderbar geklappt. Jahre 1992 um 500 000 t zurückgegangen. Ich glaube, die Bundesregierung ist mit der Verpak- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge kungsverordnung politisch für das überflüssige Duale ordneten der F.D.P.) System Deutschland verantwortlich. Meine Damen und Herren, entgegen allen Vorher- (Zuruf von der CDU/CSU: Und der Bundes- sagen — ich erinnere mich noch sehr gut an die rat!) Auseinandersetzung — hat sich im Getränkebereich — Der Bundesrat ebenfalls. innerhalb von 18 Monaten die Durchschnittsquote von 72 auf über 74 % erhöht. Wer aufmerksam in die Schwierigkeiten mit diesem System wird es weiter- Regale der Geschäfte schaut, erkennt, welche Verän- hin geben. Ich glaube, es wird möglicherweise doch derungen im Volumen und im Material von Verpak- noch ein spannender Wettbewerb, in der Hinsicht: kungen bereits erfolgt sind. Wer ist zuerst weg vom politischen Fenster — der Vater des Gedankens oder sein unsägliches Kind? (Zuruf der Abg. Ulrike Mehl [SPD]) Ich erinnere hier an neue Transportverpackungen, Schönen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. - Mehrwegsysteme für Möbel und Fahrräder — Frau (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Kollegin Mehl, auch das sollte man zur Kenntnis der PDS/Linke Liste — Zuruf von der CDU/- nehmen und aufmerksam zuhören — oder z. B. beim CSU: Das hat sich nicht gelohnt!) Transport von Fischen. Meine Damen und Herren, die Wirtschaft hat die geforderte Produktverantwortung grundsätzlich, Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Das Wort denke ich, angenommen. Innerhalb von anderthalb hat nunmehr der Parlamentarische Staatssekretär Jahren wurde ein flächendeckendes Erfassungssy- Dr. Bertram Wieczorek (Auerbach). stem aufgebaut: Gebrauchte Verpackungen werden mit steigender Tendenz einer stofflichen Verwertung zugeführt. Dr. Bertram Wieczorek, Parl. Staatssekretär beim Ich sage es hier ganz bewußt: Der Beginn der Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reak- Kreislaufwirtschaft ist gemacht. torsicherheit: Herr Präsident! Meine Damen und Her- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und ren! Der Vater dieses Gedankens lebt. Er ist zur Zeit in der F.D.P. — Zurufe des Abg. Dr. Klaus New York und gestaltet eine wichtige Konferenz zur Dieter Feige [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) nachhaltigen Entwicklung, eine der wichtigsten — Der Bundesrat hat das Kreislaufwirtschaftsgesetz Nachfolgekonferenzen von Rio de J aneiro. nicht abgelehnt, Herr Kollege Feige. Niemand kann leugnen — auch Kollege Feige (Dr. Klaus-Dieter Feige [BÜNDNIS 90/DIE nicht —: Der Grüne Punkt ist in aller Hände und in GRÜNEN: Er hat ein ganz kleines Päckchen aller Munde. daraus gemacht und hat es zurückge (Zuruf des Abg. Otto Schily [SPD]) schickt!) 14210 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 165. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23. Juni 1993

Parl. Staatssekretär Dr. Bertram Wieczorek — Sie sollten vielleicht ab und zu in den Bundesrat Meine Damen und Herren, dieser Einstieg in Stoff- gehen. kreisläufe hat bei den Verpackungen nur einen ele- ganten Beginn. Wir wollen in ganz andere Bereiche; Ich möchte an dieser Stelle auch den Bürgerinnen das wissen Sie selber so gut wie ich. und Bürgern ein Kompliment machen: Die Sammel- menge von 400 000 t Kunststoffverpackung zeigt das (Dietmar Schütz [SPD]: Sie wollen verbren hohe Umweltbewußtsein in unserem Land. Wir sollten nen!) dieses Umweltbewußtsein nicht enttäuschen. — Ich sprach gerade vom chemischen Recycling. M an sollte sich mit dem rohstofflichen Recycling intensiv (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) beschäftigen. Ich will hier nicht die Probleme vertuschen, die wir (Zuruf von der SPD: Sie wissen doch genau, im Bereich der Kunststoffverwertung offensichtlich daß sich das finanziell nicht trägt!) haben und die wir lösen müssen. — Dazu sollten Sie die Fachleute befragen. (Zuruf von der SPD: Bravo!) Wer die Freistellung für Kunststoffe vor diesem Hintergrund bef Meine Damen und Herren, die Kunststoffverpak- ristet — man sollte vielleicht nicht soviel über Thermoselect sprechen, sondern eher über kung war und ist — wie Sie alle wissen — zentrales ordentliche Hydrierungsverfahren —, hält die Investi- Ziel der Verpackungsverordnung. Sicherlich ist die Kreislaufwirtschaft in diesem Bereich nicht von heute tionsbereitschaft der Wirtschaft auf. Paradox wird es dann, wenn der Bundesrat von der Bundesregierung auf morgen zu realisieren; einige Vorredner haben die zeitweilige Öffnung der darauf hingewiesen. Verbrennung — jetzt komme ich dazu — für Kunststoffverpackungen for- Dennoch sind wir mit der heutigen Situation unzu- dert. frieden. Erstens. Seit Ende der 80er Jahre haben wir Meine Damen und Herren, die aktuelle Situation die Kunststoffindustrie zum Aufbau von Recyclingka- erfordert keine Veränderung der Verpackungsver- pazitäten aufgefordert. ordnung, sondern eine Konzentration auf die Anfor- Zweitens. Nach Verabschiedung der Verpackungs- derungen dieser Verordnung: verordnung hat die Kunststoffindustrie das notwen- Erstens. Die Kunststoffverwertung ist nach den dige Engagement bisher vermissen lassen. Sie korri- Vorgaben der Verordnung sicherzustellen. Mit der giert es jetzt; Kollege Graf Lambsdorff hat darauf finanziellen Konsolidierung des DSD durch Handel hingewiesen. und abfüllende Industrie sowie der Neugründung der Kunststoffverwertungsgesellschaft ist der erste Schritt Drittens. Die Verwertungspartner der Kunststoffin- getan. Auch die chemische Rohstoffindustrie hat dustrie sind nicht stets mit der nötigen Sorgfalt ausge- damit endlich ein Signal gegeben. Diese — auch sucht worden — Beispiel: Frankreich. finanzielle — Kraftanstrengung von Handel, Abfül- lern und Kunststofferzeugern zeigt, daß die Wirtschaft (Zuruf von der CDU/CSU: Das ist sehr höflich die Herausforderung der Verpackungsverordnung ausgedrückt!) annimmt. Die problematische Entwicklung ist aber auch von Zweitens. Eine redliche Positionierung gegenüber anderen mitgefördert worden. DSD ist angezeigt. DSD ist praktisch eine Logistik- und Maklerorganisation und kein gewinnorientiertes Die DSD GmbH wurde lange Zeit von Ländern,- Unternehmen. Kommunen und der Öffentlichkeit sozusagen als Black box angesehen, der m an über den Verord- Die Umsetzung der rohstofflichen Verwertungs- nungsrahmen hinaus weitreichende Anforderungen verfahren, die nach heutigen Erkenntnissen ökolo- stellen kann. gisch und ökonomisch vertretbar sind, darf nicht weiter behindert werden. Ich will hier nur die Forderung erwähnen, daß das DSD eine einheitliche Wertstofferfassung zu realisie- Ich möchte an dieser Stelle betonen, daß für 1993 ren habe. Das führt dazu — das wissen Sie —, daß 160 000 t Verwertungskapazitäten sichergestellt wur- heute 20 % verpackungsfremde Kunststoffe im den. Das ist mehr als das Doppelte, was die Verpak- System sind, für die weder eine Erfassung und Sortie- kungsverordnung inhaltlich hinsichtlich der stoffli- rung finanziert noch eine Verwertung garantiert ist. chen Verwertung hergibt. Hinsichtlich der Nichtverpackungsmaterialien im Meine Damen und Herren, einer Darmverschluß DSD-System sind auch Länder und Kommunen in der Strategie ähnelt es — wer nicht weiß, was das ist: Lösungsverantwortung. Wir haben bewußt auf die Ileus —, marktwirtschaftliche Lösungsvariante des Dualen (Heiterkeit im ganzen Hause) Systems gesetzt, weil damit eine Produktverantwor- wenn die Länder im Bundesrat die Anforderungen an tung wahrgenommen werden muß und nicht lediglich die Abwicklung erhöhter Ökosteuern gemanagt wer- die stoffliche Verwertung erhöhen und dann — jetzt müssen Sie besonders gut zuhören — der Umsetzung den kann. Wir wollen nicht mehr Staat und Verwal- rohstofflicher Verfahren und der Wiederherstellung tung, sondern die Marktwirtschaft für den Umwelt- von Rohöl, aus dem wieder Kunststoffe erzeugt wer- schutz aktivieren. den können, und von Gas, das Ressourcen ersetzt, Wir brauchen die Lösung im Produktionsprozeß. Steine in den Weg legen. Der Sekundärrohstoff muß integraler Bestandteil des Deutscher Bundestag -- 12. Wahlperiode — 165. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23. Juni 1993 14211

Parl. Staatssekretär Dr. Bertram Wieczorek Rohstoffmarktes werden. Gebrauchte Verpackungen sortieren, ihren Müll zu den Tonnen bringen, sich also sollen nicht nur zu Zaunpfählen, Gartenzwergen, unmittelbar und in der Sache beteiligen. Kleiderbügeln oder sonstwas verarbeitet werden, son- Aber gerade weil das so ist, finden wir es falsch und dern sie sind zu Shampooflaschen, zu den beliebten Joghurtbechern oder auch zum Ausgangsprodukt problematisch, daß ihnen mit dem DSD eine umwelt- politische Mogelpackung serviert wird, Rohöl zurückzuführen. Das sind die Stoffkreisläufe, die es zu schaffen gilt, bevor ein Produkt eines Tages (Dr. Klaus-Dieter Feige [BÜNDNIS 90/DIE energetisch verwertet oder verbrannt wird. GRÜNEN]: Die werden vergackeiert!) (Dr. Klaus-Dieter Feige [BÜNDNIS 90/DIE da nämlich dieser Abfallweg im wesentlichen in die GRÜNEN]: Aha! Energetisch verwertet!) Verbrennung gehen wird. Das ist der entscheidende Ich bin mir sehr sicher, daß die entsprechenden Punkt; wir sollten da ehrlicher sein. Anlagen und integrierten Systeme in den neuen Bundesländern — wir werden Sie dann herzlich (Beifall bei der SPD und beim BÜNDNIS einladen, Herr Feige — Ihnen das zeigen werden. 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS/Linke Liste — Dr. Gerhard F riedrich Ein letzter Punkt: Wir sollten hier bitte auch die [CDU/CSU]: Das ist wirklich abwegig!) europapolitische Komponente unseres umweltpoliti- schen Vorgehens nicht vergessen. Die Niederlande, — Doch, Herr Friedrich. Herr Friedrich, das Interes- Frankreich und Österreich haben bereits ähnliche sante daran ist für mich Maßnahmen ergriffen. Sie schauen auf Deutschland. Auch Belgien, Luxemburg, die Schweiz und Schwe- (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Nennen Sie den wollen unserem Beispiel nachfolgen. doch einmal eine Begründung!) Ich denke, eine entsprechende Diskussion kann — ich komme dazu —, daß selbst die Mitarbeiter und diese Länder ermutigen, uns in dem, was wir hier die Mitglieder im DSD sehr viel kritischer und selbst- sozusagen als das große Experiment „Ausstieg aus der kritischer diskutieren als Sie. Es macht mich doch sehr Wegwerfgesellschaft" durchführen, nachzuahmen. erstaunt, daß man hier nicht einmal ein wenig seine Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. eigene Politik reflektiert. Man kann ja unterschiedli- cher Meinung sein. Aber lassen Sie uns doch bitte (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) versuchen, ein bißchen reflektierender miteinander umzugehen. Ich finde das so wie bisher nicht in Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Das Wort Ordnung. hat nunmehr der Abgeordnete Michael Müller (Düs- Das Entscheidende aus unserer Sicht — ich seldorf). begründe das gleich an einzelnen Punkten — ist, daß das Duale System Deutschland ein umweltpolitischer Michael Müller (Düsseldorf) (SPD): Herr Präsident! Irrweg ist und es mögliche, sehr viel sinnvollere Meine Damen und Herren! Aus zwei Gründen ist es Alternativen blockiert, sie gar nicht erst zur Entfaltung sicherlich sehr wichtig, daß m an das Thema Grüner kommen läßt bzw. heute schon vom Markt ver- Punkt, Duales System Deutschland nicht ganz einfach drängt. behandelt: Erstens. Nirgendwo ist die Bürgerbeteili- (Dr. Gerhard Friedrich [CDU/CSU]: Nun mal gung so groß wie in der Abfallpolitik. konkret!) (Zuruf des Abg. Steffen Kampeter [CDU/ CSU]) — Ja, ich werde es Ihnen an einigen Punkten verdeut- lichen. — Gerade deshalb ist es so schlimm, wie Sie mit der Bürgerbeteiligung umgehen. — Also erstens: Das Erster Punkt: Ich habe mich in den letzten Tagen Bürgerengagement im Bereich Umweltschutz ist nir- sehr intensiv bemüht und bei sehr vielen größeren gendwo so groß wie in der Abfallpolitik. Deshalb muß Städten gefragt, welchen Effekt das DSD für die man da klare Lösungen schaffen und darf die Bürger Vermeidung und Verringerung von Müll dort hat; wir nicht täuschen. Das ist das erste Wichtige. haben leider keine offiziellen Daten. Die durchgän- Das zweite Wichtige ist: Die Innovationsfähigkeit, gige Auskunft der Umweltdezernenten, die ich die Zukunftsfähigkeit der Industriegesellschaft hängt befragt habe — ich habe insgesamt 14 Städte entscheidend davon ab, wie sie mit Rohstoffen befragt —, ist, daß es mit dem DSD eine Reduktion der umgeht, wie sie die Abfallproblematik löst. Insofern ist Müllmenge um 5 % gegeben hat — nicht mehr —, bei unser Thema DSD keine nebensächliche Frage, son- gleichzeitig massiv steigenden Kosten. Ich weiß nicht, dern sowohl in bezug auf die weitere Entwicklung ob Sie das auf Dauer gegenüber den Bürgern vertre- unserer Wirtschaftsstrukturen als auch im Hinblick ten können. auf das Bürgerengagement eine zentrale Frage. Ich Zweiter Punkt: Sie wissen ganz genau, daß das DSD will das in den Raum stellen, nicht damit wir uns insbesondere mit den Problemstoffen, z. B. Alumi- darüber streiten, sondern von den unterschiedlichen nium, Kunststoffe und Verbundverpackungen, auf Ausgangspositionen her versuchen, Inhalte zu klä- diesem Weg nicht zurechtkommt. Jeder, der ehrlich ren. ist, muß das zugeben. Auf diesem Weg werden die Die Bürger sehen das Abfallproblem als das zentrale Ziele nicht erreicht. Sie müssen bei den Ursachen Umweltproblem an; das belegt ein Anteil von etwa ansetzen, aber Sie setzen in der Abfallpolitik bei den 40 % bei fast jeder Umfrage. Vor diesem Hintergrund Folgen an. Solange Sie nur bei den Folgen der ist es in der Tat großartig, wie viele Leute sammeln, Produktion problematischer Stoffe ansetzen, werden 14212 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 165. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23. Juni 1993

Michael Müller (Düsseldorf) Sie die Müllproblematik, die Entsorgungsproblematik Tatsachen produzieren, nämlich Müllvermeidung. nicht lösen. Sie sind da auf dem Irrweg. Das muß unser Weg sein. (Beifall bei der SPD und beim BÜNDNIS 90/ (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der der PDS/Linke Liste — Steffen Kampeter PDS/Linke Liste) [CDU/CSU]: Was müssen wir nach Ihrer Meinung machen?) Ich erteile Als dritten Punkt möchte ich nennen — das sind Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: nunmehr dem Abgeordneten Dr. Wolfg ang von Gel- keine Zahlen aus der „Bild"-Zeitung, sondern Zahlen dern das Wort. der Arbeitsgemeinschaft der Verbraucher —: Die Belastungen für die Bürger werden von etwa 200 DM für eine vierköpfige Familie mittelfristig, in den näch- Dr. Wolfgang von Geldern (CDU/CSU): Herr Präsi- sten Jahren, auf etwa 600 bis 700 DM ansteigen. Schon dent! Meine Damen und Herren! Ich möchte mich dem heute liegen sie bei etwa 400 DM. Gleichzeitig steigen Kollegen Michael Müller, der jedenfalls in weiten die Abfallgebühren für die kommunale Entsorgung. Teilen eine viel sachlichere Rede gehalten hat als einige andere Redner der Opposition, durchaus (Dr. Gerhard Friedrich [CDU/CSU]: Aus ganz nähern, indem ich sage: Es gibt die Notwendigkeit anderen Gründen; das wissen Sie!) zum Reduzieren und zum Vermeiden von Abfall; Ich sage Ihnen noch einmal: Sie können mit dem selbstverständlich gibt es die. Das DSD leistet dazu Dualen System, wenn Sie nicht wirklich auf Vermei- — darauf komme ich zurück — einen wich tigen dung gehen — Sie gehen nämlich nicht auf Vermei- Beitrag. dung; Sie gehen auf die Bewältigung von Folgen —, Aber eins ist auch klar: Wir können Abfall nicht weder die Abfallproblematik lösen noch auf Dauer völlig vermeiden. Deswegen sind die stoffliche Wie- Akzeptanz bei den Bürgern schaffen. Das ist das derverwertung und das Recycling ebenfalls ein poli- entscheidende Problem. tisches Gebot einer modernen Abfallpolitik. M an muß nur aufpassen, daß man sich nicht selber zu Tode (Beifall bei der SPD und beim BÜNDNIS reitet. Das gilt sowohl beim Recycling als auch z. B. bei 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der Mehrwegfrage — ein richtiges Prinzip, das aber der PDS/Linke Liste) nicht immer und in jedem Falle absolut gesetzt wer- den kann. Ich will einen letzten Punkt ansprechen: Wir haben erst vor drei Wochen eine Konferenz mit den umwelt- Tatsache ist, daß sich in Deutschland die Deponie- politischen Sprechern aus anderen europäischen Par- kapazitäten allmählich ihrem Ende nähern — jeder lamenten gehabt. Auch wenn Sie es noch so sehr in Kommunalpolitiker weiß, wie schwierig es ist, neue Abrede stellen: Die Bundesrepublik verspielt derzeit auszuweisen — und daß wir bei weitem nicht genü- in einer unglaublichen Rasanz ihren Anspruch, gend Müllverbrennungsanlagen haben. Darum ist umweltpolitischer Vorreiter zu sein, und zwar am jede Maßnahme, die wirklich der Vermeidung oder Thema DSD. Es gibt nur Aggressionen und Beschimp- Verminderung von Abfall dient, ein willkommener fungen wegen DSD, ob ich in Spanien bin, mit Beitrag zur Problemlösung. Insbesondere unsere Portugiesen rede, in Holland oder in Dänemark bin. Kommunen wissen das. Seit Einführung des Dualen Systems sind die Abfall- (Ulrich Klinkert [CDU/CSU]: Das ist nur der mengen um mehr als 15 %, teilweise um 30 % — das Neid! Die gönnen uns den Erfolg nicht! — - kann man bei den Kommunen abfragen —, gesunken. Weitere Zurufe von der CDU/CSU) Das liegt auch daran, daß wir ein erhebliches Enga- gement der Verbraucher haben, was hier schon zur — Vielleicht haben sie andere Sprecher; aber ich habe Recht gewürdigt worden ist. auch mit vielen Umweltministern geredet. (Dr. Klaus-Dieter Feige [BÜNDNIS 90/DIE Ich sage das auch in Ihrem Interesse. Wir können GRÜNEN]: Woher haben Sie denn die Zah gemeinsam kein Interesse daran haben, daß die len?) Umweltpolitik der Bundesregierung unglaubwürdig Moderne Abfallpolitik — das zeigt sich hier — lebt ist. vom Mitmachen — Herr Kollege Feige, das sage ich gerade an Ihre Adresse — und nicht vom Miesma- (Beifall des Abg. Dr. Klaus-Dieter Feige [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) chen. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. — Deshalb sage ich Ihnen: Beenden Sie den Unsinn Horst Peter [Kassel] [SPD]: Herr Feige fragte, DSD, um kehren Sie zu den Alternativen zurück, die woher Sie die Zahlen haben!) Sie selber einmal gefordert haben: Mehrwegsysteme, Das Duale System ist die einzige großangelegte und Pfandsysteme, Stoffpolitik, also von vornherein Pro- ernst zu nehmende Initia tive, die den Kommunen in dukte und ihr Design so erstellen, daß sie nicht den kommenden Jahren eine erhebliche Abfallentla- problematisch sind. stung bringen kann und wird. Sie machen aber genau das Falsche — Ihre Logik ist Wenn wir an die 80er Jahre zurückdenken, wo falsch —: Sie produzieren Tatsachen und bemühen Verpackungsrecycling und Wiedergewinnung von sich anschließend mit unzureichenden Mitteln, diese Wertstoffen noch kein großes Thema waren, und diese Tatsachen wieder zu verändern. Wir müssen andere Zeit mit heute vergleichen, dann verzeichnen wir Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 165. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23. Juni 1993 14213

Dr. Wolfgang von Geldern inzwischen Erfolge, die wir vor zwei Jahren nicht für Birgit Homburger (F.D.P.): Herr Präsident! Liebe möglich gehalten hätten. Ich nenne nur die bundes- Kolleginnen und Kollegen! Wir diskutieren heute ja weite flächendeckende Erfassung von 500 entsor- nun zum wiederholten Male über das Duale System gungspflichtigen Körperschaften, all die Einzelver- und die Verpackungsverordnung. Das kommt mir ein träge mit den Kommunen und vor allen Dingen das bißchen gebetsmühlenhaft vor, weil das, was hier Mitmachen der Verbraucher. Diese Mitmachbereit- heute teilweise gegen das Duale System gesagt schaft ist außerordentlich hoch, so hoch, daß diesen wurde, schon in den Debatten davor in der gleichen Erfolg selbst das Duale System nicht erwartet hatte. Weise wiederholt worden ist. Daraus resultieren die hohen Sammelquoten insbe- (Zuruf von der SPD: Nun bestätigt sich das sondere auch bei Kunststoff, die hier schon erwähnt mehr und mehr! Das ist es!) worden sind. Wir haben das natürlich auch schon sehr differenziert Ich meine, daß der Erfolg, den das Duale System diskutiert, Herr Kollege Müller. Sie wissen ganz Deutschland bisher aufzuweisen hat, ihm jetzt nicht genau, daß auch wir eine differenzierte Position angelastet werden darf oder gar zur Rücknahme von haben, daß auch uns gewisse Dinge an dem Dualen Freistellungen führen darf. Zum Einstieg in die Kreis- System nicht gefallen und daß wir deswegen gesagt laufwirtschaft und damit zum Dualen System gibt es haben: Wir brauchen eine kritische, aber auch eine letztlich keine vernünftige Alternative. Vor allen Din- konstruktive Begleitung, um diese Mißstände abzu- gen gibt es keine praktikable Alte rnative, die unserer bauen. Das ist das, was wir wollen. Einbindung in den Weltmarkt, dem freien Warenver- kehr und den EG-Richtlinien Rechnung trägt. Es wurde wiederholt, was wir schon in den vergan- genen Debatten gehört hatten, nämlich daß es sich bei Ich glaube, daß die Wirtschaft die Herausforderung dieser Verordnung um eine Verordnung zur Vermei- der Verpackungsverordnung mit der Gründung des dung von Abfall handelt. Natürlich hat die Verpak- Dualen Systems Deutschland angenommen hat. Sie kungsverordnung Vermeidungseffekte — das läßt hat schnell ihre Solidarität bewiesen und dieses sich eindeutig nachweisen —, aber sie ist zunächst System jetzt wieder auf eine neue finanzielle Basis einmal eine Verordnung, die die Verwertung zum Ziel gestellt, die eine langfristige Arbeit des Systems hat. Ich habe schon einmal gesagt, daß hier vielleicht ermöglicht. Nur der Politik fällt es offenbar schwer, der zweite Schritt vor dem ersten gemacht wurde. wie wir heute auch wieder hören, zu begreifen, daß Aber sie können von einer Verordnung doch nichts ein Projekt von einer derartigen Größenordnung eine erwarten, was mit ihr gar nicht erreicht werden soll. Anlaufzeit braucht und nicht von heute auf morgen Genau das wird hier permanent wiederholt. Das, perfekt funktionieren kann. Natürlich ist das Duale denke ich, kann man nicht so stehenlassen. System noch nicht perfekt; wer wollte das bestrei- ten? (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) Ich möchte insbesondere an die Adresse der Oppo- Wenn ich dann höre, daß das DSD in einen öffent- sition, vor allen Dingen an die Adresse der SPD lich-rechtlichen Zweckverband überführt werden gerichtet, ein Zitat vortragen, das vom saarländischen soll, dann kann ich nur sagen: Glauben Sie wirklich Umweltminister Jo Leinen stammt. Er hat in einem und ernsthaft, daß das dann besser wäre als die Leserbrief an den „Stern" folgendes ausgeführt: privatwirtschaftliche Lösung? Ich kann mir das nicht vorstellen. Wollen Sie, daß die Verpackungen wieder in die Mülltonne geschmissen werden? Alle Beteiligten Nur noch ein Wort dazu, was die Monopolstellung wußten, daß es bei diesem neuartigen Sammelsy- des DSD angeht. Wer hat denn letztlich dafür gesorgt, stem Anlaufschwierigkeiten und Kinderkrank- daß das DSD noch viel mehr in eine Monopolstellung heiten geben würde. Doch der deutsche Perfek- hineingedrängt wurde? Doch letztlich die Länder, die tionismus verlangt immer gleich Totallösungen, wollen, daß die gewerbliche Entsorgung auch noch und zwar möglichst auf Knopfdruck. Es ist eine vom DSD übernommen wird. Das ist eine Art und großartige Leistung des Dualen Systems, inner- Weise, die man nicht akzeptieren kann. halb kürzester Zeit für 80 Millionen Menschen (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) eine Wertstoffsammlung aufzubauen. Die Sor- Es ist natürlich unbefriedigend, daß das Duale tier- und Verwertungsprobleme müssen bis Juli System derzeit einen großen Teil an Kunststoffen 1995 behoben werden, so wie es die Verpak- einsammelt, der noch nicht verwertet werden kann. kungsverordnung vorsieht. Das führt eben dazu, daß es diese Zwischenlager gibt. Nun noch einmal der Satz, den ich soeben schon zitiert Dem Dualen System daraus allerdings einen Vorwurf habe: „Recyling lebt vom Mitmachen und nicht vom zu machen ist meiner Ansicht nach unberechtigt. Die Miesmachen." — Wenn Sie noch Verständigungs- Verpackungsverordnung sieht vor, daß ab dem 1. Ja- probleme haben, dann empfehle ich Ihnen ein ausge- nuar dieses Jahres 30 % der Kunststoffe aus dem zeichnetes Buch, das den schönen Titel trägt: „Wege Verpackungsmaterial eingesammelt werden müssen. aus dem Wohlstandsmüll". Das entspricht etwa 330 000 Tonnen. 450 000 Tonnen (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU und werden, wie Sie wissen, eingesammelt. Die Verwer- der F.D.P.) tungsquote für Kunststoffe betrüge nach der Verpak- kungsverordnung 30 %. Das entspräche einer Ver- wertungsnotwendigkeit von 100 000 Tonnen. Ver- wertet werden 160 000 Tonnen. Damit hat das Duale Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Das Wort System zumindest in dem Bereich die Anforderungen, hat nunmehr die Abgeordnete Birgit Homburger. die an dieses System gestellt werden, erfüllt. 14214 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 165. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23. Juni 1993

Birgit Homburger Die Situation des Dualen Systems zeigt auch deut- Gestatten Sie mir noch ein letztes Wort. Es geht lich, daß es richtig ist, zukünftig verstärkt auf markt- eben auch nicht, daß Firmen wie Müller-Milch mit wirtschaftliche Instrumente in der Umweltpolitik zu einem Riesenanteil am Markt 90 % des Geldes, das sie setzen. Ich will als Beispiel nur die Reaktion des für den Grünen Punkt entrichten müßten, auf ein Dualen Systems in Form einer Umstellung der Preis- Sperrkonto einzahlen. Auch solche Aktionen schaden staffelung, die zum 1. Oktober dieses Jahres in Kraft dem Dualen System und haben lediglich das Ziel, vom tritt, anführen. Danach sind Kunststoffe wesentlich Gedanken der Verwertung ganz Abschied zu neh- teurer als andere Verpackungsmaterialien. Dies wird men, und das, meine Damen und Herren, dürfen wir zu einer weiteren Lenkung bei den Verpackungsma- nicht zulassen. terialien führen, nachdem der Anteil der Kunststoff- Danke. verpackungen nach der Einführung des Dualen (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) Systems zwischen 1990 und 1992 bereits von 40 auf 27 % zurückgegangen ist. Wenn das kein Ergebnis ist, dann weiß ich auch nicht mehr, was Sie ein Ergebnis Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Das Wort nennen. hat nunmehr die Abgeordnete Frau Susanne Kast- ner. Unter diesen Voraussetzungen habe ich auch kei- nerlei Verständnis für die Umweltminister von Rhein- land-Pfalz und Baden-Württemberg, Frau Martiny Susanne Kastner (SPD): Herr Präsident! Liebe Kol- und Herrn Schäfer. Sie wollen nämlich dem Dualen leginnen und Kollegen! Herr Töpfer und das Duale System die Freistellungserklärung für die Kunststoff- System haben uns den Rohstoffkreislauf versprochen. verpackungen entziehen. Dafür gibt es unter den Frau Kollegin Homburger, Herr Töpfer hat uns eben- vorher geschilderten Bedingungen überhaupt keine falls — so steht es ja wohl im Titel dieser Verordnung Handhabe in der Verpackungsverordnung. Vielmehr — eine Verordnung über die Vermeidung von Ver- könnte es sich das Duale System ja leichtmachen und packungsabfällen und eine Reduzierung des Verpak- die überschüssigen Kunststoffverpackungen auf die kungsmülls versprochen. All diese Versprechungen, Deponie oder aber zur Verbrennungsanlage bringen. liebe Kolleginnen und Kollegen, sind bis heute nicht Es kann ja wohl nicht sein, daß Sie das wirklich eingelöst. wollen. (Ulrich Klinkert [CDU/CSU]: Das ist falsch! (Dietmar Schütz [SPD]: Dahin wird es aber Das ist eine Lüge!) kommen!) — Statt dessen, Herr Klinkert — das können Sie Was, bitte schön, wollen diese Landesumweltmini- nachlesen —, landet deutscher Plastikmüll, verziert ster eigentlich damit erreichen, daß durch die Verwei- mit dem Grünen Punkt, in Indonesien, in Rußland, ja gerung der Freistellungserklärung Kunststoffverpak- sogar in unserem Nachbarland Frankreich auf Müll- kungen im Handel zurückgenommen werden müs- halden. Treffender als „Greenpeace" dies in ihren sen? Damit ist noch keine Kunststoffverpackung ent- Erfahrungswerten beschrieben hat, kann man die sorgt, geschweige denn verwertet. Mit der von Frau Misere des Dualen Systems gar nicht mehr beschrei- Martiny angekündigten Maßnahme passiert nur ben. Der Grüne Punkt: Symbol für vermeidbaren Müll. eines: Wir machen den Handel zur Schutthalde der Der Grüne Punkt ist in vielen Ländern Osteuropas und Nation, und das kann ja wohl nicht so sein. Asiens heute das Symbol für die Verantwortungslosig- keit deutscher Politik. Die reiche Bundesrepublik (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) Deutschland hinterläßt unter dem Stichwort „ökologi- Der hektische Aktionismus, der hier an den Tag sche Abfallwirtschaft" und mit dem Schlagwort „Se- gelegt wird, und zwar ohne gesetzliche Grundlage, kundärrohstoffe" Berge von stinkenden Plastikhaufen nützt niemandem und führt nur zu einer weiteren in diesen Ländern. Die Menschen in diesen Ländern, Verunsicherung der Verbraucher und Investoren. Wir die mit dem einheimischen Plastikmüll bescheidenes müssen jetzt ganz klarmachen, daß das Duale System Geld verdient haben, werden durch die immensen Deutschland die ersten Bewährungsproben bestan- Plastikimporte der Bundesrepublik Deutschland um den hat. Jetzt muß es optimiert werden. Deswegen ihren Broterwerb gebracht, weil die Preise in diesen macht die F.D.P. deutlich, daß das Duale System Ländern so nämlich kaputtgemacht werden. Deutschland Bestand hat. Mit einer Politik nach dem (Dr. Gerhard Friedrich [CDU/CSU]: Sie Motto: „Rein in die Kartoffeln, raus aus den Kartof- haben doch gesagt, das landet auf dem Müll! feln" sorgen wir jedenfalls nur für eine Verunsiche- Das ergibt keine Logik!) rung von Bürgern und Investoren. Manchmal scheint — Herr Kollege Friedrich, beschäftigen Sie sich ein- es ja das Ziel zu sein, auf diese Art und Weise das mal nut der Thematik! Dann wissen Sie auch, daß der Duale System und die Verpackungsverordnung noch Export dieses Plastikmülls natürlich auch dazu führt, zu konterkarieren, nachdem Herr Schäfer gemerkt die Preise dort kaputtzumachen. hat, daß Herr Töpfer in dieser Sache recht behalten hat. Die vorübergehenden Probleme im Bereich des (Dr. Gerhard F riedrich [CDU/CSU]: Aber er Kunststoffrecycling machen aber auch deutlich, daß landet nicht auf dem Müll!) das Duale System alle Möglichkeiten und Neuent- Solche Vorgänge, verehrter Herr Staatssekretär wicklungen zur stofflichen Verwertung ausschöpfen Wieczorek, haben sich in den letzten Jahren drama- muß. Es darf nicht passieren, daß mittelständische tisch gehäuft. Sie weisen auf einen steigenden Orga- Firmen mit überzeugenden Lösungen abgewiesen nisationsgrad legaler, aber vor allem auch illegaler werden. Insofern erwarte ich mehr Flexibilität vom Exportanstrengungen von seiten einer immer un- Dualen System. durchsichtigeren Szene professioneller Müllexpor- Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 165. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23. Juni 1993 14215

Susanne Kastner teure hin. Solche Vorgänge, liebe Kolleginnen und den, wie es die Verpackungsverordnung — aber nur Kollegen, haben — dies bestätigt ja inzwischen auch verbal in der Überschrift — beschreibt. das Umweltministerium — dem Ruf der Bundesrepu- (Birgit Homburger [F.D.P.]: Das ist gar nicht blik Deutschland in anderen Ländern erheblich wahr!) geschadet. Ich erinnere nur daran, mit welcher Ver- bitterung die deutsche Minderheit Rumäniens erle- Herr Töpfer läßt zur Zeit ständig erklären, daß die ben mußte, daß Giftmüll, deklariert als Hilfstransport, Deutschen wesentlich mehr Verpackungsmüll in die ins Land kam. Ich erinnere daran, wie schwierig die gelbe Tonne schmeißen, als erwartet worden sei. Rückführung dieser Fässer war. Einmal abgesehen davon, daß die Töpfersche Abfall- politik die Ankündigung, daß das Duale System zu (Dr. Otto Graf Lambsdorff [F.D.P.]: Was hat einer Müllverringerung führen werde, ad absurdum das mit der Verpackungsverordnung zu führt, dürfen wir schon heute gespannt sein, in wel- tun?) chen Ländern wir demnächst Plastik- und Verpak- Wie wollen Sie diesen außenpolitischen Schaden kungsmüll aus deutschen Landen finden werden. Ich wiedergutmachen? bitte Sie herzlich: Denken Sie bei a ll dem, was Sie tun, an die Worte des indischen Delegierten! (Zurufe von der SPD: Überhaupt nicht!) Danke schön. Herr Töpfer wendet sich öffentlich immer wieder (Beifall bei der SPD, der PDS/Linke Liste und vehement, aber bedauerlicherweise nur verbal gegen dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Müllexporte, (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Wer hat das Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Das Wort aus Rumänien zurückgeholt?) hat nunmehr die Abgeordnete Frau Elke Wülfing. gegen diese Form von Neukolonialismus. Aber wirk- sam dagegen angehen will der Herr Umweltminister Elke Wülfing (CDU/CSU): Sehr geehrter Herr Präsi- wohl nicht. — Darüber unterhalten wir uns später, dent! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Als Herr Kollege Kampeter. Das kenne ich vielleicht ein Sprecherin der Arbeitsgruppe Wirtschaft der CDU/ bißchen besser als Sie. CSU-Fraktion bin ich selbstverständlich der Meinung, daß Umweltschutz sein muß. Deswegen gibt die (Dr. Gerhard Friedrich [CDU/CSU]: Wer kon- Industrie auch sehr viel Geld dafür aus. trolliert die Grenzen? Der Herr Töpfer?) (Marion Caspers-Merk [SPD]: Das sie wieder Würde er das ernsthaft wollen, müßte er durch abkassiert!) politische Vorgaben endlich dafür sorgen, daß die Die Umweltausgaben im produzierenden Gewerbe unsägliche gelbe Tonne verschwindet und damit sind seit 1975 um das 3,5fache gestiegen, und zwar sortenreines Verpackungsmaterial in den Stoffkreis- von 5,7 Milliarden DM auf fast 20 Milliarden DM. lauf kommt. (Zuruf des Abg. Otto Schily [SPD]) (Dr. Wolfgang von Geldern [CDU/CSU]: Die Zerschlagung des DSD löst überhaupt kein Da eben die Zuverlässigkeit der Angaben sehr disku- Problem!) tiert worden ist: Die Quelle ist das Ins titut der Deut- schen Wirtschaft, Köln, Herr Schily. Um den seit Jahren laufenden Export dieser ver- Bei der Abfallbeseitigung liegen die Kostensteige- meintlichen Wertstoffe nach Osteuropa und Übersee rungsraten beim produzierenden Gewerbe noch um zu stoppen — wenn Sie sich so echauffieren, Herr - einiges höher, nämlich beim 4,5fachen. 1975 gaben Kollege von Geldern, muß ich wohl richtig liegen —, Betriebe nur 660 Millionen DM für die Abfallbeseiti- bedarf es einer öffentlichen Aufsicht über Gebühren gung aus, und Verwertungspraxis des Dualen Systems, von der gelben Tonne bis hin zur Recyclinganlage. Es bedarf (Otto Schily [SPD]: Zahlenspielereien!) eines Mehrwegkonzeptes mit gleichzeitiger Reduzie- 1991 immerhin 3 Milliarden DM. Die Kosten des rung der Einwegquote. Dualen Systems sind hierin noch nicht enthalten. Bei dem Arbeitstreffen der Vertragsstaaten der (Anhaltende Zurufe von der SPD) UNO-Konvention zur Kontrolle grenzüberschreiten- — Herr Präsident, können Sie ein bißchen für Ruhe der Abfalltransporte erwiderte der indische Dele- sorgen? Ich bin etwas irritiert. gierte der deutschen Delega tion auf die Behauptung (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU — der Deutschen, wir hätten volle Kontrolle über alles, Zurufe von der SPD) was zum Recycling außer L andes gehe: Ihr Industrie- staaten bittet uns fortwährend, viele Dinge für das Wohl der Erde zu tun: Wir sollen unsere Wälder nicht Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Ich kann abholzen. Wir sollen eure FCKWs nicht mehr benut- es versuchen, Frau Abgeordnete. Aber die Bereit- zen. Nun bitten wir euch um eines: Behaltet euren schaft, auf meine Worte zu hören, ist im Moment bei Müll zu Hause! einer Fraktion dieses Hauses außerordentlich ge- ring. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Elke Wülfing (CDU/CSU): Es ist vielleicht ganz Das sollte Herr Minister Töpfer eine Vorgabe für die hilfreich, wenn ein bißchen zugehört wird. — Als Abfallpolitik der Bundesrepublik Deutschland sein. langjähriges Kreistagsmitglied weiß ich, wie dringend Dazu gehört auch, daß wir versuchen, Müll zu vermei Abfallvermeidung und -reduzierung sind. Alte Depo- 14216 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 165. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23. Juni 1993

Elke Wülfing nien laufen voll. Neue Einrichtungen scheitern an Hunderttausenden wegfallen, dann brauchen wir schwierigen Genehmigungsverfahren, an mangeln- neue Möglichkeiten zum Einsatz von Recyclaten, dem Durchsetzungsvermögen, an der SPD vor O rt, meine Damen und Herren. (Widerspruch bei der SPD) Vielen Dank. und natürlich auch am Widerstand der be troffenen (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Bevölkerung gegen jede Art von Abfallbeseitigung, gegen Sondermülldeponien und gegen alle anderen Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Das Wort auch. In meinem Heimatwahlkreis planen wir immer- hat nunmehr die Abgeordnete Frau Dr. Liesel Harten- hin seit 17 Jahren eine Deponie. Ihre Verwirklichung stein. Ich wünsche ihr einen etwas geringeren ist immer noch nicht in trockenen Tüchern. Geräuschpegel, als ihn die Vorrednerin hatte. Daher ist die Idee des Dualen Systems genau richtig, nämlich die Verursacher des Mü lls mit dem Dr. Liesel Hartenstein (SPD): Danke schön, Herr selbst produzierten Abfall zu konfrontieren. Ich halte Präsident! Meine Damen und Herren! Wer in der es auch marktwirtschaftlich für sinnvoll und ökolo- Klemme sitzt, sucht gern nach Sündenböcken. Hier gisch für wichtig und richtig. sitzt nicht nur das Duale System in der Klemme, Da sich die deutschen Verbraucher lobenswerter- sondern auch die Bundesregierung. Lieber Kollege weise an der Getrenntsammlung vorbildlich beteili- Kampeter, daran ändern auch alle beschönigenden gen, ergeben sich speziell in der Kunststofffraktion Umschreibungen nichts. Überkapazitäten, die noch nicht recycelt werden Es ist letztlich grotesk, wenn seit neuestem so getan können. wird, als ob der umweltbewußte Verbraucher am Ich halte es allerdings nicht für richtig, das DSD Debakel des Grünen Punktes schuld sei, wegen seiner Anfangsschwierigkeiten sofort wieder (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Das hat nicht abzuschaffen, wie Sie es die ganze Zeit fordern. Eine einer gesagt!) Umstellung der kunststoffverarbeitenden Verpak- weil er im letzten Jahr 450 000 Tonnen Plastikabfälle kungsindustrie auf die Herstellung von ausschließlich gesammelt hat und nicht 40 000 Tonnen wie im Jahre recycelbaren Verpackungen, z. B. aus Polyethylen 1990. Dafür ist er zu loben. Man soll nicht Ursache und oder aus Polypropylen, geht nicht von heute auf Wirkung auf den Kopf stellen, wie Sie es in vielen morgen. Ich halte es daher auch nicht für sehr Reden getan haben. hilfreich, wenn Umweltminister in den Ländern jetzt die Kunststoffindustrie beschuldigen, sie bewege sich (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Keiner hat nicht. Bei einem Gespräch mit der kunststoffverarbei- das!) tenden Industrie in meinem Wahlkreis wurde mir der — Doch. Sie weigern sich immer noch, zur Kenntnis zu dringende Wunsch vorgetragen, die Verbundstoffe nehmen, daß das Duale System von Anfang an eine und die Duroplaste, die Ihrer Meinung nicht ersetzbar abfallpolitische Mißgeburt war. Es spart keine einzige seien, thermisch zu verwerten. Kunststoff sei verarbei- Verpackung ein und kostet den Verbraucher eine tetes 01 und damit zweiter Energie träger und als Menge Geld. Nicht wenige Länderminister haben das Brennstoff gut zu gebrauchen. längst erkannt. Von einer totalen Bund-Länder-Har- monie, wie Graf Lambsdorff das dargestellt hat, kann Auf meinen Hinweis, Verbrennen sei nicht das Ziel überhaupt keine Rede sein. Es war bekannt, daß die der Verpackungsverordnung — zu Ihrer Beruhi- an den Mund zu voll gung —, wurde mir ein für mich sehr einsichtiges DSD-Manager von Anfang genommen haben. Es war bekannt, daß die Recycling- Argument vorgehalten: Solange in Deutschland nicht, einrichtungen fehlen. Es war auch bekannt, daß die wie in der Schweiz, z. B. bei der Herstellung von Leitungsrohren zu einem bestimmten Prozentsatz die Techniken noch nicht weit genug entwickelt waren. Aber alle Kritiker wurden mundtot gemacht. Der Verwendung von Recyclaten vorgeschrieben sei und Umweltminister hat beide Augen zugedrückt. Das ist solange selbst bei der Herstellung von Mülltonnen die Verwendung von Recyclaten nicht zwingend sei, so nicht entschuldbar. lange gehe die Rechnung nicht auf. Der Verbraucher, meine Damen und Herren, wird gleich doppelt manipuliert. Auch das ist nicht ent- Nun glaube ich zwar, daß unsere Indust rie innova- schuldbar. Zum einen wird er dadurch getäuscht, daß tionsfähiger ist, als sie das manchmal öffentlich oder ihm eine ökologische Wiederverwertung vorgegau- auch im Beisein von Mitbewerbern zugibt, aber die kelt wird, die in weiten Teilen nicht stattfindet. Hinweise auf die Veränderung unserer Produktnor- men hin zu mehr Einsatz von Recyclaten in neuen Zum anderen ist er wehrlos gegenüber der Zwangs- Produkten sollten wir ernst nehmen. Wir sollten auf abkassierung des Dualen Systems, denn er muß den die Leute hören, die die Arbeitsplätze schaffen und die Grünen Punkt auch dann bezahlen, wenn er bereit sich mit unseren komplizierten Vorschriften beschäf- wäre, das leere Gurkenglas zum kommunalen Depot- tigen müssen. Wenn wir nicht die Gefahr eingehen Container zu bringen, statt es in den gelben Sack zu wollen, daß Kunststoffmüll illegal ins Ausland trans- stecken. portiert wird, wenn wir auch nicht wollen, daß die Das Geschäft ist unsolide, liebe Kolleginnen und Einzelhandelsgeschäfte zur zweiten Müllhalde wer- Kollegen, denn von einer freien Wahl des Verbrau- den, und wenn wir erst recht nicht wollen — ich denke, chers kann keine Rede mehr sein. Eigentlich müßte das darf ich als Vertreterin der Arbeitsgruppe Wirt- der Verbraucher dem Dualen System den Vertrag schaft sagen —, daß unsere Kunststoffindustrie in aufkündigen, mit der Begründung, die Geschäfts- Deutschland die Pforten schließt und Arbeitsplätze zu grundlage ist entfallen. Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 165. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23. Juni 1993 14217

Dr. Liesel Hartenstein Vor zwei Jahren rühmte der damalige Parlamenta- Zweitens. Das Duale System hat sein Klassenziel rische Staatssekretär Schmidbauer die Verpackungs- nicht erreicht. Es muß, wenn nicht aufgelöst, so doch verordnung und das darauf basierende Duale System von Grund auf reformiert werden. als sensationellen Durchbruch in der Abfallpolitik; das Drittens. Einwegverpackungen sind drastisch zu deutsche Vorgehen werde Modellcharakter haben, reduzieren und daher mit einer hohen Abgabe zu der Verpackungsaufwand werde — wörtlich — „dra- beleben. Anders kommen Sie hier, zumindest im stisch zurückgehen". Heute ist offenkundig, daß die- Getränkebereich, nicht zum Ziel. ses Experiment mißglückt ist. Der Verpackungsmüll steigt und gleichzeitig ist das DSD pleite. (Zuruf von der CDU/CSU: Das zahlt doch der Verbraucher!) Fazit: Der Bundesumweltminister hat aufs falsche Lassen Sie mich schließen: Wir brauchen ein Bünd- Pferd gesetzt. Man fragt sich, warum es der Bundes- nis von Verbrauchern, Umweltschützern und innova- regierung eigentlich so schwerfällt, einzugestehen, tionsfreudigen Unternehmern, wenn der Weg zu einer daß sie einem kapitalen Irrtum aufgesessen ist. Die ökologisch verträglichen Produk tion geöffnet werden Erfahrung lehrt doch, liebe Kolleginnen und Kollegen, soll. Das ist möglich. Die Weichen sind aber hier in daß sich ein Fehler oft erst dann als verhängnisvoll Bonn immer noch falsch gestellt. Sie können das erweist, wenn man nicht den Mut aufbringt, ihn ändern. rechtzeitig zu reparieren. Danke schön. Das DSD ist hauptsächlich deshalb eine so unver- (Beifall bei der SPD, der PDS/Linke Liste und zeihliche Fehlkonstruktion, weil es keinerlei Anreiz dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) zur Vermeidung überflüssiger Verpackungen bietet. Die Überlegung ist simpel: Warum sollte eigentlich Vermeidungsdruck entstehen, solange Preisauf- Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Das Wort schläge ungeniert auf die Verbraucher übergewälzt hat der Abgeordnete Steffen Kampeter. werden können? Je mehr Verpackungen produziert werden, desto besser läuft doch für alle Beteiligten das Geschäft. Die Menge macht's, Herr F riedrich! Die Steffen Kampeter (CDU/CSU): Herr Präsident! Menge macht's! Meine sehr verehrten Damen und Herren! In der Sozialen Marktwirtschaft hat der Markt zentrale Selten hat es ein p rivates Unternehmen innerhalb Koordinierungsfunktionen, auch für die Abfallwirt- von zwei Jahren auf einen Umsatz von vier bis fünf schaft. Deswegen fand ich es sehr erfrischend, daß Milliarden DM gebracht. Das ist nur möglich, weil das Graf Lambsdorff auf die ordnungspolitische Dimen- DSD praktisch ein Monopolist ist. Mit dem Segen des sion der heutigen Debatte hingewiesen hat. Die Bun- Verordnungsgebers werden die Konkurrenten ausge- desregierung hat im Kern ihrer abfallwirtschaftlichen schaltet. Bemühungen Stichworte wie „Kreislaufwirtschaft", „Weg mit dem Ex und Hopp", „Einbeziehung der (Dr. Gerhard Friedrich [CDU/CSU]: Und des Bundesrates, der SPD-Bundesratsminister!) Konsumenten in die Vermeidung", „umfassende Anlastung der Entsorgungskosten" zu einem Thema — So ist das. Verordnungsgeber sind beide, Herr gemacht. Ich glaube, daß kein anderes umweltpoliti- Friedrich. sches Thema die Menschen so bewegt, wo sie so mitmachen, wie durch die Veränderungen, die wir Inzwischen haben übrigens renommierte Gutachter unter anderem durch die Verpackungsverordnung in aus Ihren Reihen, z. B. Professor , die den bundesdeutschen Haushalten einführen konn- Monopolstellung des Dualen Systems auf dem Ent- ten. sorgungsmarkt hart kritisiert und als verfassungswid- rig eingestuft. Die publizistische Großoffensive, die heute parla- mentarisch mit etwas schriller Begleitmusik fortge- (Zuruf von der CDU/CSU: Davon versteht er führt wird, verdunkelt die Tatsachen eher, als das sie wenig!) die Bevölkerung über die Hintergründe der Verpak- Ich frage die Bundesregierung: Warum zieht sie kungsverordnung aufklärt. daraus keine Konsequenzen? (Widerspruch von der SPD) (Beifall bei der SPD) Richtig ist: Die Firma Duales System hat zur Zeit Probleme. Sie ist dabei, diese Probleme zu lösen. Solange der Hauptfehler nicht repariert ist, Graf Falsch ist allerdings, daß dadurch die Verpackungs- Lambsdorff, kann von Markt oder echtem Wettbe- verordnung oder der durch sie vertretene Kreislaufge- werb doch keine Rede sein! danke diskreditiert wird. (Zuruf von der SPD: Sehr richtig!) Die Gründe für die Probleme, die wir derzeit disku- tieren, liegen nicht nur in dem übermäßigen Sammel- Meine Damen und Herren, das Anhäufen von erfolg, sondern sind teilweise auch hausgemacht. Das Wertstoffbergen kann nicht Ziel einer modernen nehmen wir durchaus zur Kenntnis, so z. B. den Abfallpolitik sein. Recycling ist immer nur die zweit- niedrigen Lizensierungsgrad für Verpackungen im beste Lösung. Deshalb sind unsere Forderungen: Non-food-Bereich, Trittbrettfahrerprobleme, wie sie Erstens. Ein modernes Abfallrecht muß endlich die bei den Zigaretten gelöst werden konnten, oder groß- Müllvermeidung an die erste Stelle rücken. Das tut zügige Zusagen an die Kommunen. der jetzt vorliegende Entwurf der Bundesregierung Was allerdings heute von der Opposi tion an Kritik leider nicht. hier vorgetragen wurde, ist politisch abenteuerlich 14218 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 165. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23. Juni 1993

Steffen Kampeter und hat wenig Substanz. Da fordert der Kollege Feige doch ein Anreiz für den produktions- und produktin- von den GRÜNEN, wir sollen jetzt kräftig im Laden tegrierten Umweltschutz. zurücknehmen. Herr Kollege Feige, es wird doch Wichtig bleibt für uns, sofern freiwillige privatwirt- keine Tonne Kunststoff mehr verwertet, wenn Sie die schaftliche Lösungen in Selbstverpflichtungen nicht Sammlung im Laden organisieren und nicht über ein greifen, daß die Altpapierverordnung kommt, daß wir sogenanntes Duales System! Regelungen für Altautos, Elektronikschrott, ähnlich (Zurufe von der SPD und des Abg. Dr. Klaus- wie die Verpackungsverordnung, haben. Dieter Feige [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Ich fasse zusammen: Das ist doch nicht das Ziel! Es wird überhaupt nichts Erstens. Das Duale System Deutschland ist finanzi- vermieden. ell konsolidiert. Der Kollege Müller beklagt hier wehleidig die Zweitens. Die kunststofferzeugende Industrie hat steigenden Entsorgungskosten. sich endlich bereit erklärt, einen substantiellen Bei- (Lebhafte Zurufe von der SPD) trag für die Verwertung von Altkunststoffen zu lei- sten. Drittens. Die Entsorgungsstrategie der Firma DSD Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Meine hat sich den sammlerischen Realitäten in der Bundes- Damen und Herren, Sie können einander nicht mehr republik anzupassen und ihr Verwertungs- und Ent- verstehen, wenn Sie so weitermachen. Und das lohnt sorgungskonzept rasch fortzuentwickeln. Die Zusage beim besten Willen nicht. Ein wenig Zuhören ist schon des Handels, sich um die Lizensierung stärker zu richtig. kümmern, muß umgesetzt werden. (Zuruf von der SPD: Es lohnt sich wirklich Viertens. Ein Scheitern des Dualen Systems nicht!) Deutschland hätte katastrophale wettbewerbspoliti- sche Effekte. Gerade kleine und mittlere Entsor- gungsunternehmen würden dabei aus dem Markt gedrängt. Dies kann doch wohl nicht Sinn und Zweck Steffen Kampeter (CDU/CSU): Ich wiederhole, daß der Kollege Müller die steigenden Entsorgungskosten unserer Politik sein. hier beklagt, während die Kollegin Hartenstein eine (Zuruf von der SPD: Das haben wir immer Rederunde später eine deutliche Verpackungsabgabe gesagt!) fordert. Es ist doch überhaupt nicht mehr stimmig, was Fünftens und abschließend: Die Freistellungsrück- hier vorgetragen worden ist. nahme, wie sie von einigen Länderministern gefordert (Zuruf von der CDU/CSU: Scheinheilig ist wird, ist keine umweltpolitische Alte rnative. Aus das!) Wertstoffen würde wieder Abfall deklariert. Statt Es kann doch nur darin begründet sein, daß Sie die Fortentwicklung der Verwertung erfolgt dann wieder Verpackungsabgabe Grüner Punkt in privatwirt- das alte „Ex und Hopp". Das kann die SPD doch nicht schaftlicher H and nicht wollen und stattdessen stets allen Ernstes wollen. staatswirtschaftliche Lösungen bevorzugen. Aber die Ich danke Ihnen. staatswirtschaftliche Abfallwirtschaft hat uns doch in (Beifall bei der CDU/CSU) den Entsorgungskollaps geführt, über den wir heute diskutieren. (Beifall bei der CDU/CSU) Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Der letzte Redner ist Dr. Gerhard Fried rich. Ich hoffe, daß es Die Kollegin Caspers-Merk redet von einer Mogel- etwas ruhiger zugeht. packung. Frau Hartenstein, Sie haben von einer Mißgeburt der Verwertung gesprochen. Das ist doch (Dr. Klaus-Dieter Feige [BÜNDNIS 90/DIE einfach nicht richtig. Nehmen Sie bitte mal die Tatsa- GRÜNEN]: Aus Bayern kam schon immer chen zur Kenntnis: 1990 rund 20 000 t Kunststoffver- etwas Vernünftiges!) wertung, 1993 160 000 t Kunststoffverwertung. Das sind 700 % mehr in drei Jahren! Das ist ein Erfolg Dr. Gerhard Friedrich (CDU/CSU): Herr Präsident! dieser Verpackungsverordnung. Meine Damen und Herren! Nachdem mich der Kol- (Beifall bei der CDU/CSU — Zurufe des Abg. lege Feige gerade ansprach, möchte ich mit einer Dr. Klaus-Dieter Feige [BÜNDNIS 90/DIE persönlichen Bemerkung beginnen. GRÜNEN] — Zurufe von der SPD) (Horst Peter [Kassel] [SPD]: Er hat sie Hier wurde behauptet, es sei überhaupt nichts vermie- gelobt!) den worden. Tatsächlich ist der Verpackungsmittel- — Jetzt rede ich! — Der Kollege Feige ist einer der einsatz in diesem Jahr um 500 000 t im Vergleich zum menschlich nettesten Kollegen, die ich hier im Bun- Jahre 1990 gesunken. Und wenn etwas nicht mehr destag kenne. verwendet wird, dann ist das ein ganz klarer Vermei- dungserfolg. (Dr. Klaus-Dieter Feige [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das muß aus dem Protokoll her Trotz aller oppositioneller Verdunklungsversuche-aus!) (Widerspruch bei der SPD) Aber, lieber Kollege Feige, Ihr habt einen Fehler bleibt die Idee der Rücknahmeverpflichtung attraktiv. gemacht: Ihr habt als Fraktion der GRÜNEN (Ost) die Private Initiative organisiert die Entsorgung. Dies ist Referenten der GRÜNEN (West) beschäftigt, und du Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 165. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23. Juni 1993 14219

Dr. Gerhard Friedrich machst den Fehler, die unsinnigen Reden dieser Früher haben Kommunen versucht, stofflich zu ver- Referenten hier vorzutragen. werten. (Beifall bei der CDU/CSU und bei der F.D.P. (Weitere Zurufe von der SPD) — Dr. Klaus-Dieter Feige [BÜNDNIS 90/DIE — Ich weiß Ihren Namen nicht, Herr Kollege, aber in GRÜNEN]: Was hat das mit DSD zu tun?) meinem Wahlkreis haben alle SPD-Kollegen und alle Ich mache weiter: Der Kollege Feige war mit mir SPD-Mitglieder den Eindruck erweckt, durch mög- gemeinsam Mitglied des Kurato riums DSD. Ich habe lichst viel Sammeln durch die Kommune könne man auch mit ein wenig Bedauern zur Kenntnis genom- den Restmüll auf Null bringen. men, daß der Kollege Feige seinen Rücktritt (Otto Schily [SPD]: Das ist fachlich das Letzte!) (Dr. Klaus-Dieter Feige [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Austritt!) Erst seit die Wirtschaft selbst verwertet, erkennen Sie die Probleme und darüber müssen wir vernünftig — Austritt erklärt hat. Hätte der Kollege den Austritt weiter reden. Wir müssen auch darüber reden, ob alle glaubwürdig begründen wollen, hätte er vorher den Verwertungstechniken, die da jetzt angewendet wer- Versuch machen müssen, durch Anträge die Politik den, ökologisch sinnvoll sind. von DSD zu beeinflussen. (Zustimmung bei der CDU/CSU) (Dr. Klaus-Dieter Feige [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das haben wir mit der Verbrau- Darüber müssen wir doch reden! cherinitiative gemacht!) Dann, Herr Kollege Müller, kommt die entschei- dende Frage an Sie. Sind Sie denn dann bereit, mit uns Ich stelle fest, der Kollege Feige hat im Kurato rium die Verpackungsverordnung in diesem Punkt zu ver- keinen einzigen Versuch dieser Art gemacht. ändern? (Dr. Klaus-Dieter Feige [BÜNDNIS 90/DIE Ich werde solange einer Änderung der Verpak- GRÜNEN]: Was haben wir denn miteinander kungsverordnung nicht zustimmen, solange dann ein diskutiert?) Triumphgeschrei kommt und gesagt wird: Da seht ihr, Ich bin Mitglied. — Moment, jetzt komme ich zu jetzt sind die mit ihrer Verpackungsverordnung dem Punkt, der hier besprochen worden ist; auf den gescheitert. Wenn Sie versprechen, diesen Unsinn gehe ich doch ein. Das war der Antrag der Verbrau- dann nicht in der Öffentlichkeit zu bringen, können cherverbände, in dem vorgeschlagen wurde, die wir über Details der Verpackungsverordnung und Preise auf die Verpackungen aufzudrucken. bestimmte Methoden der Verwertung doch selbstver- ständlich reden. (Dr. Klaus-Dieter Feige [BÜNDNIS 90/DIE Herr Kollege Feige, Sie wissen doch, daß Herr Brück GRÜNEN]: Richtig!) vom DSD die Hydrierung inzwischen in Form einer Das ist jetzt auch vom früheren F.D.P.-Bundesvorsit- Energiebilanz überprüfen läßt. Der Mann hat doch die zenden unterstützt worden. Ich habe diesen Antrag im Probleme erkannt! Kuratorium abgelehnt, weil ich meine, daß das zwar (Dr. Klaus-Dieter Feige [BÜNDNIS 90/DIE eine pädagogisch sinnvolle Maßnahme wäre, aber es GRÜNEN]: Nee! — Große Heiterkeit!) kommt nicht darauf an, ob der Verbraucher weiß, was das Recyclen dieser Verpackung kostet. Die Profis — Doch. Bloß, die Verbraucherinitiative hat gemeint, man könne jetzt alle Verfahren über Ökobilanzen hier müssen wissen, was das kostet, diejenigen nämlich,- die Verpackungsmaterial für ihre Waren einkaufen. überprüfen lassen. Herr Kollege Feige, wir kennen Wenn sie feststellen, daß Kunststoffverpackung doch beide die Unterlagen des Umweltbundesamtes, immer teurer wird, dann werden sie aus Kunststoff welche methodischen Probleme bei den Ökobilanzen aussteigen, . wo immer es geht. Deshalb habe ich das auftauchen. abgelehnt, aber es wäre durchaus noch eine Maß- (Dr. Klaus-Dieter Feige [BÜNDNIS 90/DIE nahme pädagogischer Art, über die man diskutieren GRÜNEN]: Das ist etwas anderes!) könnte. Das wissen wir doch. (Zuruf von der SPD: Das haben wir doch Jetzt möchte ich noch eines zu den Exporten sagen, diskutiert!) Herr Präsident, und dann höre ich auf. Frau Kollegin Nächster Punkt: Was ich sehr interessiert zur Kennt- Kastner hat diese Exporte kritisiert. Ich habe einmal, nis nehme — und das ist das Nützlichste an dieser solange die Kommunen gesammelt haben, die Privat ganzen Verpackungsverordnungsdebatte — ist, daß entsorger der Kommunen gefragt, wo denn das die Umweltverbände und die SPD plötzlich erkannt Gesammelte lande. Sie haben mir gesagt: Bitte nicht haben, daß das Verwerten ökologisch manchmal laut sagen: teilweise im Ausland. Die Exporte, Frau problematisch sein kann. Kastner, sind doch nicht neu; (Otto Schily [SPD]: Plötzlich?) (Susanne Kastner [SPD]: Aber falsch!) — Das haben sie erst entdeckt, seit die Wirtschaft die sind jetzt durch das Nachweissystem des Dualen selber stofflich verwertet. Systems Deutschland sichtbar, und es ist schon ein bißchen eine Heuchelei, wenn Kommunalpolitiker (Zurufe von der SPD: Das ist doch Unsinn! der SPD bewußt die Augen davor verschlossen haben, Das war doch schon eher bekannt!) wo das von ihnen früher gesammelte Mate rial gelan- 14220 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 165. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23. Juni 1993

Dr. Gerhard Friedrich det ist. — Auch im Ausland! Erst seit DSD das macht, es heute in der Regel Arbeiter, die Maschinen und ist das plötzlich ein Problem! Maschinenanlagen bedienen, deren Anschaffung die (Susanne Kastner [SPD]: Das ist ja ein Firmen oft Millionen von Mark gekostet haben, und es Quatsch! Das haben wir ja früher schon ist gar nicht einzusehen, daß sie einen schlechteren kritisiert!) Kündigungsschutz als etwa eine Verkäuferin haben, die Angestellte ist. Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Verehrter (Angelika Barbe [SPD]: Das ist richtig!) Dr. Friedrich, Ihre Ankündigung habe ich gehört, und sie hat mich erfreut. Aber Sie sind jetzt doch deutlich Im übrigen ist es auch auf Grund eines Urteils des über der Zeit. Bundesverfassungsgerichts vom 30. Mai 1990 gebo- ten, diese gravierenden Unterschiede zu beseitigen und — ich sage es ganz klar — diesen Zopf, der noch Dr. Gerhard Fried rich (CDU/CSU): Herr Präsident, es wäre noch vieles zu sagen. aus dem letzten Jahrhundert herrührt, abzuschaf- fen. Ich bedanke mich. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Ich glaube, es besteht auch darüber Einigkeit, daß für die Menschen der Arbeitsplatz von existentieller Bedeutung ist. Dies ist nach meiner Meinung die beste Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Meine Begründung, warum wir einen Kündigungsschutz Damen und Herren, damit sind wir am Ende der brauchen und warum wir, wenn es zu Kündigungen Aktuellen Stunde. kommt, auch Kündigungsfristen brauchen.

Ich kann als nächsten Punkt, den Tagesordnungs- (Günther Heyenn [SPD]: Es geht nur darum, punkt 5, aufrufen. welche Kündigungsfristen!) Zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Andererseits können wir als Gesetzgeber die notwen- Gesetzes zur Vereinheitlichung der Kündi- digen Entscheidungen, die nun einmal im Unterneh- gungsfristen von Arbeitern und Angestellten men im Bereich der Personalpolitik anstehen können, (Kündigungsfristengesetz — KündFG) nicht ignorieren. — Drucksachen 12/4902, 12/5081, 12/5191 — (Erste Beratung 159. und 163. Sitzung) Der Vorschlag der SPD, die für Angestellte jetzt gültigen Kündigungsfristen von sechs Wochen zum Zweite und dritte Beratung des von der Frak- Quartalsende auf alle in unserem Land beschäftigten tion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Menschen auszudehnen, Gesetzes zur Vereinheitlichung der Kündi- gungsfristen von Arbeitern und Angestellten (Günther Heyenn [SPD]: Sehr gut!) (Zweites Arbeitsrechtsbereinigungsgesetz) hätte nach unserer Überzeugung eine Strangulierung — Drucksache 12/4907 — von Entscheidungsprozessen bedeutet. (Erste Beratung 159. Sitzung) Beschlußempfehlung und Be richt des Aus- (Lebhafter Widerspruch bei der SPD) schusses für Arbeit und Sozialordnung Meine Damen und Herren, auch die Anhörungen (11. Ausschuß) haben dies sehr deutlich gemacht. Die kleinen und — Drucksache 12/5228 — mittelständischen Betriebe, die es teilweise schwerer Berichterstattung: als etwa größere Be triebe oder die öffentliche Hand Abgeordneter Karl-Josef Laumann haben, eine langfristige Personalplanung zu machen, Zum Gesetzentwurf der Koalitionsfraktionen und wären durch lange Kündigungsfristen in ihrem unter- der Bundesregierung liegt ein Änderungsantrag des nehmerischen Handlungsspielraum sehr eingeengt. Abgeordneten Günther Heyenn vor. Aus diesem Grunde bin ich der Meinung, daß es Der Ältestenrat schlägt Ihnen eine Debattenzeit von richtig ist, einen Mittelweg zu finden, wenn man über einer halben Stunde vor. Ist das Haus damit einver- Kündigungsfristen spricht. Ich glaube, daß der standen? — Das ist offensichtlich der Fall. Dann kann Gesetzentwurf der CDU/CSU- und der F.D.P.-Frak- ich das als beschlossen feststellen, die Debatte eröff- tion diesen Mittelweg aufzeigt. nen und zunächst dem Abgeordneten Karl-Josef Lau- mann das Wort erteilen. Diese Gesetzentwürfe bedeuten im übrigen für alle Arbeiter in Deutschland, für Angestellte in Kleinbe- trieben und für die Beschäftigten in den neuen Bun- Karl-Josef Laumann (CDU/CSU): Herr Präsident! desländern eine erhebliche Verbesserung des Kündi- Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und gungsschutzes. Meine Damen und Herren, das sind Kollegen! Ich finde es gut, daß der Bundestag heute zusammen immerhin 18 Millionen Menschen in unse- mit seinen Beschlüssen die unterschiedlichen Kündi- rem Land, die durch dieses Gesetz, das wir heute wohl gungsfristen für Arbeiter und Angestellte in unserem verabschieden werden, einen besseren Kündigungs- Land abschafft, und ich bin ganz sicher, hier im Haus schutz haben werden als heute. gibt es auch eine große Übereinstimmung darin: Wenn man ein neues Kündigungsfristengesetz macht, Ich war schon ein bißchen darüber verwundert, daß dann passen in einer modernen Industriegesellschaft von den Experten in der Anhörung, insbesondere von diese Unterschiede nicht mehr hinein. Schließlich sind denjenigen, die von der Gewerkschaftsseite kamen, Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 165. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23. Juni 1993 14221

Karl-Josef Laumann dieser verbesserte Kündigungsschutz für die Arbeiter Schönen Dank. überhaupt nicht zur Kenntnis genommen wurde. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. — ( [SPD]: Für wieviel ergibt sich Gerd Andres [SPD]: Es sprach der Sprecher denn eine Verschlechterung? — Weiterer des gesunden Menschenverstands, Herr Zuruf von der SPD: Was ist denn mit den Laumann! Mein lieber Mann!) Angestellten?) Dennoch bin ich ganz optimistisch. Auch ich habe Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Das Wort viele Gespräche mit Betriebsräten geführt. Ich habe hat der Abgeordnete Günther Heyenn. den Eindruck, daß sie über diese Verbesserungen, die ich vorgetragen habe, sehr froh sind. Günther Heyenn (SPD): Herr Präsident! Meine (Gerd Andres [SPD]: Für wieviel Millionen Damen und Herren! Wir haben im Parlament für die wird denn verschlechtert?) Beratung dieser Gesetzentwürfe weniger als drei Wochen Zeit gehabt. Das reichte offenkundig für eine Ich war einige Jahre Mitglied eines Betriebsrats, bevor Fehlentscheidung auf Grund des gesunden Men- ich in den Bundestag kam. Ich wäre froh gewesen, schenverstands der Koalition. wenn wir für die gewerblichen Kolleginnen und Kollegen einen solchen Kündigungsschutz gehabt Die Koalition muß die Kündigungsfristen von hätten, wie wir ihn heute beschließen werden. Arbeitern denen der Angestellten angleichen; so das Bundesverfassungsgericht. Die Koalition nutzt die Darüber hinaus ist es doch eine richtige Entschei- Gunst der Stunde einer rezessiven Phase und kürzt dung — ich meine, es war auch eine gute Idee —, den drastisch die Grundkündigungsfristen für Ange- Kündigungsschutz an der Dauer der Beschäftigung stellte. Heute beträgt diese F rist sechs Wochen zum im Betrieb zu orientieren. Wir müssen uns einmal die Quartalsende. Zukünftig sollen Angestellte mit einer Staffelungen ansehen. Mitarbeiter mit einer 20jähri- Frist von vier Wochen — und das zu jedem x- gen Betriebszugehö rigkeit haben nach diesem Gesetz beliebigen Tag — gefeuert werden können. demnächst eine Kündigungsfrist von sieben Monaten. Das bedeutet auf der anderen Seite, daß diejenigen, Vorgegeben wird, damit der Beschäftigung zu die- die weniger lange im Betrieb tätig sind, kürzere nen. Tatsächlich wird nur die Rechtsposition der Kündigungsfristen haben. Auf jeden Fall aber ist die Arbeitgeber verstärkt. Grundkündigungsfrist von vier Wochen einzuhalten. (Gerd Andres [SPD]: Leider wahr!) Damit ist die Flexibilität, die im Bereich der Personal- Für die Arbeiter in den alten Ländern und für alle politik notwendig sein kann, gegeben. Arbeitnehmer in den neuen Ländern bedeutet das Meine Damen und Herren, ich glaube, wir sollten Gesetz allerdings eine Verbesserung. Aber das greift auch noch einen anderen Punkt aufgreifen. In den zu kurz, Herr Kollege Laumann: Angestellte in den Diskussionen im Ausschuß und bei der Anhörung ist alten Ländern haben das zu bezahlen. Es geht auch uns immer wieder der Vorwurf gemacht worden, der am Urteil des Bundesverfassungsgerichts vorbei. Das Vorschlag der Fraktionen von CDU/CSU und F.D.P. höchste Gericht hatte über die Zulässigkeit ungleicher im Bereich der Kündigungsfristen sei frauenfeindlich. Fristen zu entscheiden. Es hat auf die existentielle Ich möchte diesen Vorwurf ganz energisch zurück- Bedeutung des Arbeitsplatzes insbesondere in Zeiten weisen. Es war die CDU/CSU, die in den letzten hoher Arbeitslosigkeit hingewiesen und die Anglei- Jahren dafür gesorgt hat, daß wir Schritt für Schritt zu chung vorgeschrieben. Niemand in Karlsruhe dürfte einem Erziehungsurlaub von drei Jahren gekommen damit gerechnet haben, daß die Koalition und die sind. Bundesregierung dieses Urteil nutzen, um Arbeitneh- merrechte abzubauen. Es ging dem Verfassungsge- (Beifall bei der CDU/CSU) richt um den Ausbau von Rechten der Arbeiter! Wir waren es, die das Erziehungsgeld eingeführt (Beifall bei der SPD) haben. Ich sage deutlich: Das ist ein Kernstück christ- Ich glaube, meine Damen und Herren, es hätte sonst lich-demokratischer Familienpolitik. Das werden wir einen deutlicheren Urteilsspruch gegeben. uns auch nicht zerreden lassen. Wenn Sie dieses Gesetz gelesen hätten, wüßten Sie, daß der gesetzli- Zu den sozialen Folgen dieses Gesetzes will ich kurz che Erziehungsurlaub von drei Jahren durch dieses die DAG zitieren: Gesetz überhaupt nicht berührt wird, daß also gar 1. Die Position der gekündigten Angestellten bei keine Nachteile für die Frauen oder die Männer, die der Suche nach einem qualifizierten Arbeitsplatz Erziehungsurlaub nehmen, eintritt. auf einen immer differenzierteren und damit unübersichtlicheren Arbeitsmarkt sowie beim (Beifall bei der CDU/CSU) Aushandeln der Arbeitsvertragskonditionen wird Deswegen ist dieser Gesetzentwurf überhaupt nicht ganz wesentlich verschlechtert, weil schon bald frauenfeindlich. die Arbeitslosigkeit droht und deswegen sehr schnell zugegriffen werden muß. Dies führt zur Ich glaube, daß der Gesetzentwurf von CDU/CSU beruflichen Abqualifizierung und zum sozialen und F.D.P. — wie sollte es anders sein — vom gesunden Menschenverstand gezeichnet ist, daß er Abstieg .. . einen Mittelweg geht. 2. Die Arbeitslosigkeit wird weiter steigen, da den geplanten rund 260 Kündigungsterminen — statt (Lachen bei der SPD) wie bisher für die meisten Angestellten nur vier — Ich bitte Sie, diesem Gesetzentwurf zuzustimmen. keine entsprechend große Zahl von Einstellungs- 14222 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 165. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23. Juni 1993

Günther Heyenn terminen gegenüberstehen wird. Um keinen Ein- So wahr der Bundesarbeitsminister im Reden hier kommensausfall und keine Lücke in den Renten- gewesen ist, so unglaubwürdig ist er und sind Regie- versicherungszeiten entstehen zu lassen, müssen rung und Koalition in ihrem tatsächlichen politischen die Angestellten sich bis zum nächsten Einstel- Handeln. lungstermin auf jeden Fall arbeitslos melden. (Dr. Jürgen Rüttgers [CDU/CSU]: Das kann Die kurzen Kündigungsfristen zu jedem Arbeits- man so wirklich nicht sagen!) tag werden einerseits verstärkt zu Kündigungs- Ich glaube, ein solches politisches Verhalten hat auch schutzprozessen führen; andererseits den Kündi- eine Menge mit Politikverdrossenheit zu tun. gungsschutz noch mehr als bisher schon in seiner Wirksamkeit aushebeln, weil bei den kurzen (Beifall bei der SPD — Dr. Jürgen Rüttgers Kündigungsfristen die Arbeitsgerichte kaum ge- [CDU/CSU]: Herr Heyenn, wie kann man nug Zeit haben, den Bestand eines gekündigten denn so etwas sagen?!) Arbeitsverhältnisses zu retten. Dieser Rückschritt wird jetzt realisiert. Die Weichen Das ist Schlichtweg die Wahrheit. Die Bundesregie- werden falsch gestellt. Der Koalitionsentwurf ist rück- rung sah sich in den kurzen Ausschußberatungen in wärtsgerichtet. Er wird dem Anliegen des Bundesver- keiner Weise in der Lage, hierzu überhaupt eine fassungsgerichts nicht gerecht. Dieses wollte die Meinungsäußerung abzugeben. Darum ging es ihr Angleichung und nicht die Kürzung. nicht; die Folgen sind ihr schlicht gleichgültig. Meine Damen und Herren, auf die besondere Situation der Frauen wäre in einem neuen Kündi- Meine Damen und Herren, das Arbeitsrecht ist das gungsschutzrecht einzugehen gewesen. Ich gebe all Sonderrecht für die abhängig Beschäftigten. Es gilt denen recht, die sagen: Daran haben Sie nicht einen damit für mehr als 90 % der insgesamt Erwerbstätigen. Gedanken verschwendet. Auch das war Ihnen Wir wollen deren Rechtsposition nicht schwächen, schnuppe. Sie wollten Rechte reduzieren und nicht sondern sehen in der im Vergleich zu zurückliegen- gerechter gestalten. den Zeiten heute besseren Stellung der Arbeitnehmer eine konkrete und inhaltliche Ausgestaltung des (Beifall bei der SPD und der PDS/Linke Sozialstaats. Dieser hat nach unserem Grundgesetz Liste) Verfassungsrang. Ihn zu beachten und nicht unter die Sie aber sind auf Deregu lierung eingeschworen Räder kommen zu lassen müßte all denen am Herzen — Herr Laumann, das schönste Lächeln hilft nicht liegen, die sich unter Stabilität mehr vorstellen kön- darüber hinweg —, die Krise wird instrumentalisiert. nen als Profitraten, die wissen, daß auch der soziale Einkommen werden von unten nach oben, Rechte von Friede zu den Standortvorteilen eines Landes zählt; Arbeit zum Kapital umverteilt. und der ist nicht umsonst zu haben. (Dr. Jürgen Rüttgers [CDU/CSU]: Aber Herr Wir lehnen deshalb den Entwurf der Bundesregie- Heyenn, auch die SPD-Fraktion hat Ihrem rung und der Koalitionsfraktionen ab. Wir haben Vorschlag nicht zugestimmt!) unseren eigenen Vorschlag vorgelegt. Wir wollen die — Kündigungsfristen für die Arbeiter auf das Niveau der Dazu sage ich gleich etwas. Angestellten anheben. Wir wollen eine sechswöchige Dies will die Mehrheit; sie ist den Interessen der Kündigungsfrist für alle Arbeitnehmer zum Quartals- Arbeitgeber verpflichtet. Das ist legi tim, man sollte es ende. aber auch offen sagen. Dieser Vorschlag hatte von Anfang an keine Meine Damen und Herren von der Koali tion, Sie Chance, ebenso wie es bisher vergebliche Liebes- haben noch die Möglichkeit, sich zu korrigieren. Sie mühe des Landes Brandenburg war, im Bundesrat werden sie nicht nutzen. einen eigenen, dort kompromißfähigen Antrag auszu- Um Mißverständnissen vorzubeugen, sage ich, daß arbeiten. Der Vorschlag aus Brandenburg hatte im die Tatsache, daß unsere Änderungsanträge in der wesentlichen zum Inhalt, die Kündigungsfristen für Überschrift nicht den Namen der SPD-Fraktion, son- Arbeiter und Angestellte auf sechs Wochen zum dern nur meinen Namen tragen, Monatsende festzulegen. (Dr. Jürgen Rüttgers [CDU/CSU]: Das läßt Doch die Koalition war entschlossen, die Aufforde- tief blicken!) rung des Bundesverfassungsgerichts zu einem erneu- darauf zurückzuführen ist, daß wir nur sehr wenig Zeit ten Abbau der Arbeitnehmerrechte zu nutzen. Dazu hatten. Sie hatten zwölf Jahre lang Zeit, einen Gesetz- hat sie im Bundestag die Mehrheit; sie wird von ihr entwurf vorzulegen. Uns zwingen Sie zu einer Ent- genutzt. scheidung in knapp zwei Wochen. Es handelt sich um Ich habe schon bei der ersten Lesung aus der eine rein technische Frage. Stellungnahme des Bundesarbeitsministers an das (Dr. Jürgen Rüttgers [CDU/CSU]: Ob das Bundesverfassungsgericht zitiert. Originalton: stimmt?) Die Angestellten könnten darauf verweisen, die Ich darf, um möglichen Zweifeln vorzubeugen, sagen, für sie bisher bestehenden Kündigungsfristen daß die SPD-Fraktion voll hinter den von mir nament- seien zum erheblichen Teil bereits im vorigen lich gekennzeichneten Anträgen steht. Jahrhundert eingeführt. Eine Verkürzung sei vor allem in der heutigen Zeit mit ihrer hohen Vielen Dank. Arbeitslosigkeit ein unzumutbarer sozialer Rück- (Beifall bei der SPD, der PDS/Linke Liste und schritt. dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 165. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23. Juni 1993 14223

Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Nur zur Man muß beachten, daß das Gesetz ausdrücklich geschäftsordnungsgemäßen Klarstellung: Wir haben nur eine Grundregelung darstellt und die Tarifpartner es mit dem SPD-Antrag insgesamt und in der zweiten nicht an abweichenden Regelungen hindert. Nach Lesung mit dem Änderungsantrag des Abgeordneten Berechnungen auch des DGB weist die Mehrzahl der Heyenn zu tun, hinter dem die ganze Fraktion steht. Ist Tarifverträge längere Kündigungsfristen aus. Die das richtig so? — Jawohl, das ist eine Behauptung; wir Tarifparteien bleiben bei der Gestaltung der Kündi- sind hier gläubig. gungsfristen weiterhin unabhängig. Nun hat der Abgeordnete das Dies ist ähnlich wie beim gesetzlich geregelten Wort. Mindesturlaub. Wir wissen alle, daß der Tarifurlaub in der Praxis nicht 18 Werktage, sondern eher 30 Arbeits- tage und mehr beträgt. Auch dies ist in der Verant- Paul K. Friedhoff (F.D.P.): Herr Präsident! Meine wortung der Tarifpartner ausgehandelt worden. Damen und Herren! Mit dem heute zu verabschieden- Lassen Sie mich eine Bemerkung zu der Abschaf- den Kündigungsfristengesetz kommen die Koalitions- fung der Quartalskündigungstermine machen: Die fraktionen und die Bundesregierung dem Gesetzge- Quartalskündigungen führen zu einer schubweisen bungsauftrag des Bundesverfassungsgerichts nach. Belastung des Arbeitsmarktes, der Arbeitsämter und Gleichzeitig werden die Unterschiede bei den Kündi- der Arbeitsgerichte an vier Terminen im Jahr. Auch gungsfristen für Arbeitnehmer in den alten und neuen der DGB kann sich diesen Tatsachen nicht verschlie- Bundesländern beseitigt. Dies ist ein weiterer Eck- ßen und hat sich für Monatskündigungstermine aus- pfeiler auf dem Weg in die wirtschaftliche und soziale gesprochen. Dieser Teil der Neuregelung führt zu Einheit, die wir in diesem Lande schaffen müssen. einem gesamtwirtschaftlich notwendigen Mehr an Gerade diese Neuregelung ist hervorzuheben, da Flexibilität am Arbeitsmarkt und erleichtert einen sie doch eine deutliche Verbesserung der Rechtsposi möglichst nahtlosen Übergang in neue Arbeitsver- tion der Arbeitnehmer in den neuen Bundesländern hältnisse. Gerade kleine und mittlere Unternehmen darstellt. Leider ist dies bei den Protesten der vielen können bei einem sechswöchigen Kündigungstermin Interessengruppen nach Einbringung des Gesetzent- zum Quartalsende häufig in ihrer wirtschaftlichen wurfes nahezu untergegangen. Existenz bedroht sein. Lange, inflexible Kündigungs- fristen scheinen auf den ersten Blick zum Wohle der Meine Damen und Herren, das Kündigungsfristen- Arbeitnehmer zu sein. Tatsächlich stehen sie der gesetz sieht eine einheitliche Grundregelung der Schaffung neuer Arbeitsplätze entgegen und können Kündigungsfristen für alle abhängig Beschäftigten Arbeitsplätze gefährden. vor. Die neue gesetzliche Kündigungsfrist wird vier Wochen betragen. Damit ist diese Frist für alle Arbeit- Meine Damen und Herren, für Arbeiter und Arbeit- nehmer in den neuen sowie für alle Arbeiter in den nehmer vor allem in den neuen Bundesländern stellt alten Bundesländern verdoppelt worden. Für die sich de facto keine Verschlechterung, sondern eine Angestellten wird die gesetzliche F rist allerdings um deutliche Verbesserung der bisherigen Rechtsposi- zwei Wochen verringert. tion ein. Sie stellt eine Grundregelung dar; die Tarif- partner können im Rahmen ihrer Verantwortung Staffelung der Gleichzeitig wird eine eindeutige hiervon abweichende Regelungen treffen. Das Kündi- gemäß der Betriebszu- Länge der Kündigungsfristen gungsfristengesetz ist eine Lösung, die sozial ausge- vorgenommen. Danach verlängert sich gehörigkeit wogen und gleichzeitig gesamtwirtschaftlich vertret- die neue gesetzliche Kündigungsfrist bereits ab dem bar ist. zweiten Jahr der Bet riebszugehörigkeit. Dies hat in Die F.D.P.-Fraktion wird den vorliegenden Gesetz- der Anhörung viel Kritik der Arbeitgebervertreter- eingebracht, die ich verstehen kann, da sie die Flexi- entwürfen der Koalitionsfraktionen und der Bundes- bilität des Arbeitsmarkts sicher nicht erhöht, sondern regierung zustimmen. einengt. Ich bedanke mich. In die Neuregelung einbezogen werden auch die (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) Arbeitnehmer, die in Unternehmen mit nur zwei Beschäftigten tätig sind. Für diese nicht unerhebliche Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Das Wort Zahl von Arbeitnehmern wird es erstmals, trotz vieler, hat nunmehr die Abgeordnete Petra Bläss. wie ich meine, verständlicher Bedenken vor allem aus dem Bereich des Handwerks, längere gesetzliche Kündigungsfristen geben. Petra Bläss (PDS/Linke Liste): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die heute vorliegende Meine Damen und Herren, gerade diese Bedenken Beschlußempfehlung zur Vereinheitlichung der Kün- zeigen das Spannungsfeld auf, in dem eine Lösung digungsschutzfristen paßt geradezu klassisch zum gefunden werden mußte. Neben der sozialen Ausge- Politikkonzept der Bundesregierung. Sie reiht sich ein wogenheit für die Arbeitsplatzbesitzer durfte die Neu- in die Absicht, den Sozialstaat Stück um Stück weiter regelung nicht zu sehr der Schaffung und Erhaltung zu demontieren. Die leidige Karenztagediskussion zur von neuen Arbeitsplätzen entgegenstehen. Die Prote- Finanzierung der Pflegeabsicherung, die Debatte um ste von seiten der Angestelltenvertretung in den alten Mißbrauch und übersteigertes Anspruchsdenken, der Bundesländern dürften eigentlich niemanden überra- teilweise gelungene Versuch, die Tarifautonomie aus- schen. Natürlich findet eine Schlechterstellung der zuhöhlen, stehen dafür ebenso wie der jetzt vorge- gesetzlichen Kündigungsfrist bei den Angestellten schlagene Abbau von Arbeitnehmerinnen- und statt. Arbeitnehmerschutzrechten. Für die Angestellten ist (Günter Heyenn [SPD]: Ach nee!) die vorgeschlagene Neuregelung des Kündigungs- 14224 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 165. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23. Juni 1993

Petra Bläss schutzes ein schwerwiegender Eingriff in Jahrzehnte widrig erklärt und die Bundesregierung aufgefordert, währende Schutzrechte. eine Neuregelung zu treffen. Anstatt jedoch nun Zwar ergab sich der Handlungsbedarf der Bundes- diesen Anlaß zu nutzen, die Kündigungsfristen der regierung aus der Entscheidung des Bundesverfas- Arbeiter und Arbeiterinnen und insbesondere der sungsgerichts von 1990, ausnahmsweise aber haben ostdeutschen Angestellten auf das Niveau, das für die obersten Richter dem Gesetzgeber nicht vorge- Angestellte in Westdeutschland gilt, anzuheben, schrieben, in welcher Weise die aus verfassungsrecht- wählte die Koalition einen anderen Weg. Die gesetz- lichen Gründen notwendig gewordene Angleichung lichen Kündigungsfristen werden für alle auf eine F rist der Kündigungsschutzfristen vorgenommen werden von anfänglich vier Wochen festgesetzt, und Kündi- sollten. Der politische Spielraum der Regierung wurde gungen sollen nun zu jedem Tag möglich sein. jedoch dazu genutzt, um bestehende Kündigungs- Der Vorschlag der Regierungskoalition geht damit schutzrechte nach unten zu nivellieren. an der Intention des Urteils des Bundesverfassungsge- Natürlich ist die rechtliche Ungleichheit von Arbei- richts vorbei, das die unterschiedlichen Kündigungs- tern und Angestellten ein Rudiment überkommenen fristen nur insoweit für verfassungswidrig erklärt hat, Statusdenkens. Abhilfe aber hätte darin bestanden, als die Kündigungsfristen der Arbeiter und Arbeite- die Schutzrechte für Arbeiterinnen und Arbeiter auf rinnen eben kürzer sind als die der Angestellten. das Niveau der Angestellten anzuheben. Dies wäre Darüber hinaus ist allerdings in diesem Urteil eindeu- auch angesichts der sich weiter dramatisch zuspitzen- tig und sehr deutlich hervorgehoben worden, daß die den Lage auf dem Arbeitsmarkt eine weit vernünfti- Kündigungsfristen eine Schutzfunktion haben, die gere Lösung, als die Situation der noch Beschäftigten nicht ohne weiteres negiert werden kann. unsicherer zu machen. Selbst die Bundesregierung hat damals erklärt, daß Betroffen von der geplanten Neuregelung der Kün- es für die Angestellten „einen unzumutbaren sozialen digungsschutzfristen sind natürlich vor allem mal Rückschritt bedeuten würde, diese Fristen in Zeiten wieder Frauen. hoher Arbeitslosigkeit mit erheblichen Schwierigkei- Erstens verbleiben sie zu einem übergroßen Teil ten, einen neuen Arbeitsplatz zu finden, zu verkür- wegen erziehungs- und familienbedingter Berufsun- zen". Das haben die Damen und Herren von der terbrechungszeiten immer auf dem Niveau der Bundesregierung aber offensichtlich ganz schnell Grundkündigungsfristen und haben wenig Chancen, wieder vergessen, als der Arbeitgeberverband eine sich einen besseren Schutz zu erarbeiten, weil auf die Flexibilisierung der Kündigungsfristen favorisierte. immer noch frauentypische unkontinuierliche Berufs- Meine Damen und Herren, die Gruppe BÜNDNIS biographie keine Rücksicht genommen wird. 90/DIE GRÜNEN lehnt die Neuregelung der Kündi- Zweitens sind es gerade Frauen, die eines besonde- gungsfristen in der vorgeschlagenen Form ab, und ren gesetzlichen Schutzes bedürfen, weil gerade sie zwar nicht nur wegen der Verschlechterung für Ange- überwiegend in Bereichen tätig sind, die nicht zusätz- stellte, sondern weil damit das Gegenteil des Notwen- lich durch tarifvertragliche Regelungen abgesichert digen und Sinnvollen getan wird. Für alle Beschäftig- sind, also in Klein- und Mittelbetrieben des Dienstlei- ten sind längere Kündigungsfristen zur Absicherung stungsbereichs, aber auch in der Textil- und Beklei- der eigenen Lebensplanung unabdingbar, in Zeiten dungsindustrie. hoher Arbeitslosigkeit und wachsender Dauerarbeits- losigkeit um so mehr. Für sie hat die Dauer der Kündigungsfristen exi- stenzielle Bedeutung. Wer das negiert, handelt Wenn unter Bezugnahme auf tarifvertragliche frauenfeindlich. Regelungen behauptet wird, daß die neuen Kündi- Die PDS/Linke Liste unterstützt daher die Forderun- gungsfristen für viele Beschäftigte ohnehin nicht gel- gen der Gewerkschaften nach einer Angleichung der ten würden, frage ich mich, warum solche Regelun- Kündigungsschutzfristen auf das Niveau der Ange- gen, die in vielen Fällen angeblich nicht greifen, stellten und lehnt den von der Regierungskoalition überhaupt eingeführt werden sollen. Zweck einer vorgelegten Gesetzentwurf ab. solchen Behauptung ist vielmehr die bewußte Irrefüh- rung. Arbeitsverträge und Tarifverträge nehmen in Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. der Regel Bezug auf die geltenden gesetzlichen Rege- (Beifall bei der PDS/Linke Liste sowie bei lungen, und damit bekommt das durchaus eine Wir- Abgeordneten der SPD und des BÜNDNIS- kung. Außerdem sind gerade kleine Bet riebe häufig SES 90/DIE GRÜNEN) nicht tarifgebunden. Es zeigt sich also auch in dieser Frage ebenso wie in Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Das Wort der Diskussion um die Reduzierung der Arbeitslosen- hat die Abgeordnete Christina Schenk. geldansprüche, daß die Demontage sozialer Leistun- gen fortgesetzt wird. Die Gruppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN wird dazu ihre Zustimmung nicht geben. Christina Schenk (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Diskrimi- (Beifall bei der SPD und der PDS/Linke nierungen sind in der Bundesrepublik in verschiede- Liste) nen Bereichen an der Tagesordnung; das gilt auch im Arbeitsrecht. Das Bundesverfassungsgericht hat 1990 die unter- Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Ich erteile schiedlichen Kündigungsfristen für Arbeiter, Arbei- nunmehr dem Parlamentarischen Staatssekretär terinnen und Angestellte insgesamt für verfassungs- Horst Günther das Wort. Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 165. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23. Juni 1993 14225

Horst Günther, Parl. Staatssekretär beim Bundesmi- insbesondere die derzeitige Grundkündigungsfrist nister für Arbeit und Sozialordnung: Herr Präsident! von zwei auf vier Wochen, und die in Abhängigkeit Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen! Die Bun- von der Betriebszugehörigkeit verlängerten Kündi- desregierung begrüßt die von der Ausschußmehrheit gungsfristen, die jetzt höchstens drei Monate betra- beschlossene Neuregelung der gesetzlichen Kündi- gen, werden auf bis zu sieben Monate erhöht. Diese gungsfristen, denn sie stellt einen für alle Beteiligten längeren Kündigungsfristen gelten auch für die Ange- akzeptablen Mittelweg dar und bringt im Ergebnis stellten in den neuen Bundesländern, wo derzeit noch Verbesserungen für über 18 Millionen Arbeitneh- die Arbeiterfristen angewendet werden. mer. Damit beseitigt die Neuregelung einen der letzten (Zuruf von der SPD: Für wieviel bringt sie noch bestehenden Unterschiede in der arbeitsrechtli- denn Verschlechterungen?) chen Behandlung der Arbeitnehmer in den alten und den neuen Bundesländern. Daß Sie, Herr Kollege Heyenn, dennoch eben Kritik geübt haben, steht Ihnen nicht nur zu, sondern macht (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) an Punkten fest, die aus Ihrer Sicht auch kritikwürdig Wichtig ist auch, meine Damen und Herren, daß für sein mögen. Nur sollten Sie das Urteil des Bundesver- die Angestellten in Betrieben mit bis zu zwei Ange- fassungsgerichts hier nicht falsch interpretieren. Es ist stellten erstmals Kündigungsfristen gelten, die sich in auch nicht richtig, wenn Sie feststellen, das Gesetz Abhängigkeit von der Betriebszugehö rigkeit verlän- gehe an diesem Urteil vorbei. Das entspricht nun gern, und zwar je nach Beschäftigungsdauer bis zu wirklich nicht den Tatsachen; denn das Bundesverfas- sieben Monaten. Die Damen und Herren, die dort sungsgericht hat die Arbeiterfristen für nichtig erklärt beschäftigt waren, waren bisher von diesem Schutz und gleichzeitig verlangt, daß einheitliche Fristen für ausgeschlossen. Arbeiter und Angestellte vom Gesetzgeber hergestellt Die Kritik der Gewerkschaften richtet sich gegen werden müssen. Es hat keine Angleichung der Fristen die Fristverkürzung für Angestellte in den alten Bun- der Arbeiter an die der Angestellten verlangt, wie es desländern. Die eintretende Fristverkürzung ist mei- eben aus Ihren Worten herauszuhören war. Ich ner Ansicht nach vertretbar. Der vorliegenden Neure- möchte das hier ausdrücklich sagen. gelung muß zugute gehalten werden, daß sie als (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Ausgleich für diese Fristverkürzung eine neue Stufe ordneten der F.D.P.) der Kündigungsfristen für langjährig beschäftigte Ich möchte auch noch einmal ausdrücklich sagen, daß Arbeitnehmer mit sich bringt. So ist nach 20jähriger die Bundesregierung sehr wohl Auskunft gegeben Betriebszugehörigkeit eine Kündigungsfrist von sie- hat, ben Monaten vorgesehen. Eines kann nicht oft genug wiederholt werden, (Zuruf von der CDU/CSU: Man hat hier eine meine Damen und Herren, und es war auch aus dieser Legende gebildet!) Debatte herauszuhören: Der Kündigungsschutz als welche Arbeitsmarktauswirkungen sie sieht. Ich solcher, der vor ungerechtfertigten Kündigungen selbst habe das gestern auf Ihre Fragen hin im schützt, wird durch das vorliegende Gesetz in keiner Ausschuß noch getan. Dies hier zu kritisieren geht an Weise berührt. den Tatsachen vorbei. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. — Meine Damen und Herren, die Neuregelung orien- Gerd Andres [SPD]: Für wieviel Millionen tiert sich an folgenden Grundsätzen: an der Abschaf- verschlechtert er sich denn? Sagen Sie das fung des unterschiedlichen Rechts für Arbeiter und doch einmal!) Angestellte, einer stärkeren Staffelung der Kündi- — Herr Kollege Andres, der Kündigungsschutz als gungsfristen nach der Dauer der Betriebszugehörig- solcher wird durch dieses Gesetz in keiner Weise keit, der Vorfahrt für Tarifregelungen — das möchte berührt, die Kündigungsfristen werden berührt. ich ausdrücklich betonen — und dem Verzicht auf Quartalskündigungstermine. In diesen Punkten be- finden wir uns im Konsens mit den Sozialpartnern. Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Herr Staatssekretär, der Abgeordnete Büttner möchte gern Für die Neuregelung der Kündigungsfristen war eine Zwischenfrage stellen. auch der mit der IG-Chemie und der DAG abgeschlos- sene Manteltarifvertrag für die chemische Industrie von Bedeutung. Demgemäß hat auch der Gesetzgeber Hans Büttner (Ingolstadt) (SPD): Herr Staatssekre- einen mittleren Weg eingeschlagen und nicht alles tär, ist Ihnen bewußt, daß es beim Kündigungsschutz nach oben angeglichen. Wir dürfen unsere Schutzvor- eine entscheidende Rolle spielt, in welch kurzer Zeit schriften nicht überziehen, wenn wir nicht Einstel- jemand vor Gericht durch einen entsprechenden lungshemmnisse schaffen und befristete Arbeitsver- Beschluß seinen Arbeitsplatz sichern lassen kann, und hältnisse fördern wollen. Leidtragende einer solchen daß durch eine Verkürzung der Kündigungsfrist die Politik wären mit Sicherheit die Arbeitsuchenden. Chance, den Arbeitsplatz zu erhalten, in der Tat Deshalb sieht die vorliegende Neuregelung eine vier- verringert wird? wöchige Grundkündigungsfrist in Verbindung mit bei der Arbeitgeberkündigung einzuhaltenden stei- Horst Günther, Parl. Staatssekretär beim Bundesmi- genden Fristen für langjährig beschäftigte Arbeitneh- nister für Arbeit und Sozialordnung: Nein, Kollege mer vor. Büttner, da muß ich Ihnen heftig widersprechen. Ich Für Arbeiter führt der Gesetzentwurf zu erheblich habe selber Arbeitnehmer vor dem Arbeitsgericht verlängerten Kündigungsfristen. So verdoppeln sich vertreten. Die Verlängerung oder die Verkürzung der 14226 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 165. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23. Juni 1993

Parl. Staatssekretär Horst Günther Kündigungsfrist hat mit den Kündigungsgründen, die für den Buchstaben B. dieses Änderungsantrags? — zu einer Kündigung führen, überhaupt nichts zu Wer stimmt dagegen? — tun. (Hans Büttner [Ingolstadt] [SPD]: Kein sozia (Beifall bei der CDU/CSU und F.D.P.) les Gewissen!) Und ein Arbeitsgericht bewe rtet nicht, wie lange der Damit ist auch dieser Teil des Änderungsantrags mit Kündigungsschutz ist, sondern ob die Kündigung der gleichen Mehrheit abgelehnt worden. sozial gerechtfertigt oder durch betriebliche Gründe Meine Damen und Herren, wir kommen nunmehr bedingt ist. zu dem Gesetzentwurf in der Ausschußfassung. Wer Meine Damen und Herren von der Opposition, Sie stimmt für den Gesetzentwurf in der Ausschußfas- hingegen lassen politisches Verantwortungsgefühl sung? — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — vermissen, wenn Sie, wie in Ihrem Gesetzentwurf Keine. Damit ist der Gesetzentwurf in der Ausschuß- vorgesehen, alle Fristen nicht nur bis auf das her- fassung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen in kömmliche Angestelltenniveau, sondern noch dar- zweiter Beratung angenommen. über hinaus verlängern wollen. Wir kommen nunmehr zur (Zuruf von der SPD: Das ist ja unglaub- dritten Beratung lich!) und Schlußabstimmung. Wer dem Gesetzentwurf als Es kann doch nicht unser Ziel sein, Neueinstellun- Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu gen zu erschweren. Dies bewirken aber gerade auch erheben. — Wer den Gesetzentwurf als Ganzes ableh- Quartalskündigungstermine, die eine Konzentration nen will, den bitte ich, sich ebenfalls zu erheben. — aller Arbeitnehmer- und Arbeitgeberkündigungen Damit ist der Gesetzentwurf in der Ausschußfassung auf vier Termine im Jahr nach sich ziehen würden. mit den gleichen Mehrheitsverhältnissen wie in der Jedem Arbeitnehmer, der außerhalb dieses Quartals- zweiten Lesung angenommen worden. rhythmus eine Stellung sucht, wird automatisch der Unter Buchstabe b seiner Beschlußempfehlung auf Stempel aufgedrückt, sein Arbeitsverhältnis sei nicht Drucksachel2/5228 empfiehlt der Ausschuß für ordnungsgemäß beendet worden. Dies hat auch der Arbeit und Sozialordnung, den Gesetzentwurf der DGB erkannt. Er hat deshalb auf Quartalskündi- Fraktion der SPD auf Drucksache 12/4907 für erledigt gungstermine verzichtet. Leider hat es sehr l ange zu erklären. Wer stimmt dieser Beschlußempfehlung gedauert, bis auch Sie, meine Damen und Herren von zu? — Wer stimmt dagegen? — Damit ist die Mehrheit der Opposition, mit Ihrem Verzicht auf Quartalskün- für die Empfehlung gegeben und der Gesetzentwurf digungstermine doch noch einen gewissen Realitäts- für erledigt erklärt. sinn bewiesen haben. (Heiterkeit des Präsidenten — Hans-Eber- Ich wäre Ihnen deshalb dankbar, wenn Sie der hard Urbaniak [SPD]: Der Präsident freut vorliegenden Beschlußvorlage zustimmen würden. sich!) Vielen Dank. — Nein, das ist nur eine sinnlose Demons tration (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. — gewesen. Hans-Eberhard Urbaniak [SPD]: Wir denken nicht daran!) Ich rufe den Punkt 6a bis f sowie den Zusatzpunkt 6 der Tagesordnung auf: 6. - Entwicklungspolitische Debatte Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Meine a) Beratung der Beschlußempfehlung und des Damen und Herren, wir kommen nunmehr zur Einzel- Berichts des Ausschusses für wirtschaftliche beratung und Abstimmung über den Gesetzentwurf Zusammenarbeit (22. Ausschuß) zu dem zur Vereinheitlichung der Kündigungsfristen von Antrag der Abgeordneten Dr. Winfried Pin- Arbeitern und Angestellten. Hierzu liegen die Druck- ger, Klaus-Jürgen Hedrich, Dr. Karl-Heinz sachen 12/4902, 12/5081, 12/5191, 12/5235 und Hornhues, weiterer Abgeordneter und der 12/5228 vor. Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeord- Ich lasse zunächst über den Änderungsantrag des neten Ulrich Irmer, Günther Bredehorn, Abgeordneten Günther Heyenn abstimmen, der Jörg van Essen, weiterer Abgeordneter und Ihnen auf Drucksache 12/5239 vorliegt. Der Ände- der Fraktion der F.D.P. rungsantrag, so hat der Abgeordnete Heyenn ausge- Entfaltung der privaten unternehmeri- führt, findet die Unterstützung der SPD-Fraktion. schen Initiative in der „Dritten Welt" (Dr. Jürgen Rüttgers [CDU/CSU]: Sehr frag- — Drucksachen 12/1356, 12/4098 — lich!) Berichterstattung: Ich lasse zunächst über den Buchstaben A. des Abgeordnete B rigitte Adler Änderungsantrags abstimmen. Wer für den Buchsta- Dr. Winfried Pinger ben A. des Änderungsantrags ist, den bitte ich um das Ingrid Walz Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Wer enthält b) Beratung der Beschlußempfehlung und des sich? — Damit ist dieser Teil des Änderungsantrags Berichts des Ausschusses für wirtschaftliche abgelehnt. Zusammenarbeit (22. Ausschuß) zu der Wir kommen nun zur Abstimmung über den Buch- Unterrichtung durch das Europäische Parla- staben B. des gleichen Änderungsantrags. Wer stimmt ment Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 165. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23. Juni 1993 14227

Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg Entschließung zur Strukturanpassung in ZP6 Beratung des Antrags der Abgeordneten den Entwicklungsländern Verena Wohlleben, Hanna Wolf, Brigitte Adler, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der — Drucksachen 12/2786, 12/4618 — SPD Berichterstattung: Förderung von Frauen in Entwicklungslän- Abgeordnete Jochen Feilcke dern Dr. Ingomar Hauchler — Drucksache 12/5229 — Ingrid Walz Überweisungsvorschlag: c) Beratung der Beschlußempfehlung und des Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit (federfüh- Berichts des Ausschusses für wirtschaftliche rend) Zusammenarbeit (22. Ausschuß) zu dem Ausschuß für Frauen und Jugend Antrag der Gruppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Zur Beschlußempfehlung des Ausschusses für wirt- NEN schaftliche Zusammenarbeit zu der Entschließung des Unterzeichung und Ratifizierung des Ober- Europäischen Parlaments zur Strukturanpassung in einkommens 169 über eingeborene und in den Entwicklungsländern liegt ein Änderungsantrag Stämmen lebende Völker in unabhängigen der Fraktionen der CDU/CSU und der F.D.P. auf Ländern der Internationalen Arbeitsorga- Drucksache 12/5232 vor. nisation (ILO) Meine Damen und Herren, der Ältestenrat schlägt Ihnen eine Debattenzeit von zwei Stunden vor. Ich will — Drucksachen 12/3824, 12/4786 — jetzt einmal fragen, ob diejenigen Mitglieder, die Berichterstattung: beabsichtigen, an der Debatte teilzunehmen, mit Abgeordnete Dr. Harald Schreiber diesem Vorschlag einverstanden sind. — Das ist Ingrid Walz offensichtlich der Fall. Dann darf ich das als beschlos- Verena Wohlleben sen feststellen. d) Beratung des Antrags der Abgeordneten Bevor ich dem Abgeordneten Professor Dr. Pinger Andreas Schmidt (Mühlheim), Dr. Winfried das Wort gebe, möchte ich aber die erforderliche Ruhe Pinger, Jürgen Augustinowitz, weiterer Ab- herstellen und alle diejenigen, die nicht an der geordneter und der Fraktion der CDU/CSU Debatte teilnehmen wollen, bitten, schleunigst den sowie der Abgeordneten Ingrid Walz, Ulrich Saal zu verlassen. — Auch der Abgeordnete Laumann Irmer, Dr. Gisela Babel, weiterer Abgeord- wird gebeten, sich zu entscheiden, ob er bleiben will neter und der Fraktion der F.D.P. oder nicht, damit Herr Professor Pinger die Diskussion eröffnen kann. — Herr Professor Pinger, Sie haben das Entwicklung und Aufbau von sozialen Wort. Sicherungssystemen in den Entwicklungs- ländern

— Drucksache 12/4553 — Dr. Winfried Pinger (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die neue Entwicklungs- Überweisung svorschla g: politik der Bundesregierung wird für die Bürger der Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit (federfüh- Bundesrepublik Deutschlan rend) d immer klarer. Damit Auswärtiger Ausschuß wird auch die Zustimmung größer und die Unterstüt- Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung zung breiter. Ausschuß für Frauen und Jugend Der heute zur Beschlußfassung anstehende Antrag e) Beratung des Antrags der Abgeordneten zur Förderung der privaten unternehmerischen Initia- Dr. R. Werner Schuster, , Peter tive konkretisiert das Gesamtkonzept: Wirtschaftliche W. Reuschenbach, weiterer Abgeordneter Entwicklung kann entscheidend nicht von außen und und der Fraktion der SPD von oben durch einige wenige industrielle Großpro- Repatriierung und Reintegration von jekte und schon gar nicht durch den Staat gefördert Flüchtlingen werden. Die Wirtschaft entwickelt sich von unten durch die außerordentlich große Vielzahl und Vielfalt — Drucksache 12/4662 — kleiner und kleinster Unternehmen — vor allem auch Überwei sungsvorschlag: im informellen Sektor. Es geht um die Stärkung der Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit (federfüh- großen Produktivkraft der Armen und Ärmsten. Sie rend) können sich selbst helfen, und wir können ihnen Hilfe Auswärtiger Ausschuß zur Selbsthilfe leisten, wenn nur der Staat die notwen- f) Beratung des Antrags der Abgeordneten digen Freiräume gewährt und die richtigen Rahmen- Dr. R. Werner Schuster, Brigitte Schulte bedingungen setzt. (Hameln), Brigitte Adler, weiterer Abgeord- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. neter und der Fraktion der SPD sowie bei Abgeordneten der SPD und dem Gesetzesvorlagen BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

— Drucksache 12/4350 — Meine Damen und Herren, je größer die Unterstüt- zung für diese neue Entwicklungspolitik ist, um so Überweisungsvorschlag: heftiger wird die Kritik der SPD. Ausschuß für Wahlprüfung, Immunität und Geschäfts- ordnung (federführend) (V o r sitz: Vizepräsidentin Renate Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit Schmidt) 14228 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 165. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23. Juni 1993

Dr. Winfried Pinger Ganz massiv ist diese Kritik in der letzten Zeit gewor- Ich zitiere aus dem Antrag 12/1356, der heute zur den. Gewiß ist es die Aufgabe der Opposi tion, die Abstimmung steht: „Die Förderung der Kleinstunter- Regierungspolitik kritisch zu begleiten. Dies kann nehmen im informellen Sektor ist zu stärken." Diese übrigens sehr förderlich sein. Kleinstunternehmen betätigen sich aber bekanntlich in Werkschuppen und in Basaren, jedoch nicht auf (Zuruf von der SPD: Ist es auch!) dem Weltmarkt. Wir setzen also gerade nicht auf Wer sich jedoch ernsthaft mit den Vorwürfen der Industriepolitik und Exportförderung in einseitiger SPD-Opposition und mit der vorgelegten eigenen Weise, sondern auf Hilfe zur Selbsthilfe im produkti- Konzeption der SPD auseinanderzusetzen versucht, ven Bereich statt staatlicher Bevormundung. ist völlig ratlos. Bisher schien es, daß die SPD die neue Gegen wen wendet sich also die SPD-Kritik? Unsere k der Koalition — in ihren Grund- Entwicklungspoliti Entwicklungspolitik und unser Antrag können es also zügen zumindest — mittragen würde, nämlich nicht sein. Armutsbekämpfung durch Hilfe zur Selbsthilfe statt Großprojekten und staatlicher Bevormundung; Ver- Nun zitiere ich aus dem SPD-Papier. besserung der Rahmenbedingungen durch Errich- (Jochen Feilcke [CDU/CSU]: Aber nicht tung einer Wettbewerbsordnung im Sinne der Sozia- soviel, bitte!) len Marktwirtschaft sowie Partizipation der Bevölke- rung auf lokaler, regionaler und staatlicher Ebene Da steht erstaunlicherweise: „Eine neue Entwick- durch Demokratisierung in den staatlichen Struktu- lungspolitik muß das Gegenteil tun, nämlich in den ren. Ist all dies jetzt die falsche Richtung? Bedarf es Ländern des Südens und Ostens die inneren Rahmen- hier einer Neuorientierung? bedingungen für produktives Wirtschaften stärken, die inneren Produktionsfaktoren direkt auf breiter Da frage ich mich immer wieder: Was und wen Front fördern." Meine Damen und Herren, dies kritisiert die SPD eigentlich? Ist Gegenstand der K ritik könnte wortwörtlich aus der Konzeption unserer — so frage ich — die neue Entwicklungspolitik der neuen Entwicklungspolitik abgeschrieben sein. Regierung, von der doch die SPD und ihr Obmann Hauchler sagen, diese sei in Ordnung, man könne ihr (Jochen Feilcke [CDU/CSU]: Ist es auch!) im wesentlichen zustimmen? Trotzdem fordert Ingo- Der zweite Vorwurf der SPD mahnt die Kohärenz, mar Hauchler im Widerspruch dazu gleichzeitig die also die Verzahnung der einzelnen Politikbereiche, Neuorientierung der Entwicklungspoli tik. an, z. B. die von Entwicklungpolitik und Außenpolitik (Dr. Ingomar Hauchler [SPD]: Ihre ist doch sowie die von Entwicklungspolitik und Wirtschafts- verbraucht!) politik. Das ist in der Tat ein wichtiger Punkt. Will er denn zu der alten, längst als verfehlt erwiese- Nehmen wir nun als Beispiel die Verzahnung der nen Entwicklungszusammenarbeit zurückkehren, Entwicklungspolitik mit der Außenpolitik. Hier gibt also sozusagen eine Rolle rückwärts vornehmen? es traditionell ein Spannungsverhältnis — ist doch Außenpolitik in erster Linie angelegt auf die gegen- (Jochen Feilcke [CDU/CSU]: Ich glaube, das wärtigen, aktuellen guten Beziehungen zu der jetzi- weiß er selbst nicht!) gen Regierung und zum derzeitigen Präsidenten, Das kann es doch wohl nicht sein. während Entwicklungspolitik die langfristige Verbes- serung der Lebensverhältnisse der Menschen in Oder wendet sich die SPD mit ihrer Kritik gar nicht einem Zeitraum zum Ziel hat, in dem bereits der an die Bundesregierung, sondern meint sie die ande- übernächste Putsch möglicherweise stattgefunden ren Industrieländer, die als Geberländer aus den hat. Fehlern der Vergangenheit zum Teil nicht in gleicher Weise gelernt haben wie die Bundesregierung? Das Prestigeprojekt, die Prachtstraße der Haupt- stadt, steht dann möglicherweise in Alterna tive zur Oder ist es vielleicht ganz anders? Bezieht sich die Verbindungsstraße in den ländlichen Raum, zur Ent- harsche Kritik weder auf die Bundesregierung noch wicklung der kleinbäuerlichen Landwirtschaft. Tradi- auf die anderen Geberländer, sondern auf einen Teil tionell, also auch in der Zeit der SPD-Entwicklungs- der Genossinnen und Genossen in der eigenen Partei, minister, trat in der Praxis immer wieder dieser die ihre Vorstellungen von Entwicklungspolitik Gegensatz zutage, und es setzte sich allzuoft der immer noch von vorgestern beziehen — also aus der Außenminister durch. Zeit, in der die SPD die Entwicklungsminister stellte? Dies ist heute anders, und damit haben wir jetzt eine, wie ich meine, sensationelle Verbesserung der (Jochen Feilcke [CDU/CSU]: Als sie noch an Situation. Auf der afrikanischen Botschafterkonferenz den Marxismus glaubte! — Zuruf von der in Accra hat Außenminister Kinkel nahtlos das jetzige SPD: Das waren noch Zeiten!) neue Konzept zugrunde gelegt, das als Afrika-Regio- Diese Widersprüchlichkeiten will ich an einigen nalpapier im vergangenen Jahr von Entwicklungsmi- Beispielen deutlich machen. nister Spranger vorgelegt worden ist. Bemerkenswert war dabei auch, daß die anwesenden 38 deutschen k Ein Vorwurf geht dahin, die Entwicklungspoliti Botschafter aus ihrer Praxis heraus dieses Konzept setze einseitig auf Industriepolitik von außen und unterstützten und seine Umsetzung zusagten. Also Exportförderung aus den Entwicklungsländern. Kohärenz der Außenpolitik mit der Entwicklungspoli- (Zuruf von der SPD: Was?) tik! Unsere neue Entwicklungspoli tik kann damit nicht Ein weiteres Beispiel ist für mich die Sicherheitspo- gemeint sein. litik. In Somalia — und vorher in Kambodscha — zeigt Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 165. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23. Juni 1993 14229

Dr. Winfried Pinger sich die Kohärenz deutscher Sicherheitspolitik mit Vizepräsidentin Renate Schmidt: Als nächster der Entwicklungspolitik. Die Bundeswehr schützt spricht nun unser Kollege Professor Dr. Ingomar nicht nur unsere deutschen Mitbürger; sie schützt Hauchler. auch Menschen in der Dritten Welt.

(Beifall bei der CDU/CSU) Dr. Ingomar Hauchler (SPD): Frau Präsidentin! Da habe ich nun für die Politik der SPD überhaupt Meine Damen und Herren! Herr Kollege Pinger, es kein Verständnis, vor allen Dingen nicht für die war eine sehr defensive Rede, die Sie hier vorgetragen SPD-Entwicklungspolitik. Die SPD will globale haben. menschliche Entwicklung. Der Vorsitzende betont: (Dr. Karl-Heinz Hornhues [CDU/CSU]: Da „global human security". Wenn es dann aber konkret haben Sie nicht zugehört!) um den Schutz der Menschen in Somalia vor Mord und Sie haben sich nachdrücklich mit der Kritik der SPD an Verhungern geht, fällt die SPD der Bundesregierung der Regierungspolitik auseinandergesetzt. Das ist ein in den Rücken. Die SPD verlangt für die Vereinten gutes Zeichen. Nationen ein Gewaltmonopol zur Friedensschaffung in der Welt. Setzen aber die Vereinten Nationen in Meine Damen und Herren, wenn wir heute in einer Somalia Gewalt ein, dann versucht die SPD, den verbundenen Debatte über Entwicklungspolitik re- Kampfeinsatz der Vereinten Nationen dadurch zu den, dann steht für mich — genau auf den Tag vier schwächen, daß die deutschen Soldaten vom Bundes- Wochen nach der Neuregelung des Asylrechts — die verfassungsgericht zurückbefohlen werden. Frage im Vordergrund: Kann die Entwicklungspolitik, wie wir sie heute betreiben, einen nennenswerten Was die Verzahnung, die Kohärenz der Entwick- Beitrag leisten, um die Ursachen der Flucht, also lungspolitik mit der Außenpolitik angeht, können wir Hunger und Elend, Gewalt und Krieg, zu bekämp- — wie sich zeigte — einen großen Fortschritt vermer- fen? ken. Bei der Sicherheitspolitik haben wir in Somalia Ich frage das im Interesse der Menschen im Osten wenigsten einen wichtigen Einstieg erreicht, es sei und Süden, die nicht einfach so ohne Grund die denn, das Bundesverfassungsgericht würde in diesen Heimat verlassen; ich frage das aber auch im Interesse Stunden anders entscheiden. des eigenen Landes. Mit Abschottung werden wir das Probleme bereitet uns — wir wir alle wissen — Grundproblem einer wachsenden Völkerwanderung insbesondere die Wirtschaftspolitik der Europäischen sicher nicht lösen. Das Grundproblem haben wir noch Gemeinschaft, wenn es um Kohärenz der Entwick- nicht gelöst. Es liegt darin, daß Armut, Unterdrückung lungspolitik mit der Wirtschaftspolitik geht, vor allen und fehlende Hoffnung auf Entwicklung immer mehr Dingen was das Gebiet des Agrarmarktes angeht. Was Menschen veranlassen, ihre Heimat im Süden und sollen aber Ihre, der SPD, ständigen Mahnungen Osten zu verlassen, um im Norden eine Lebensper- hinsichtlich des Protektionismus, wenn Sie uns bei der spektive zu finden. ersten Gelegenheit, konkret gegen eine neue EG- Die Bundesregierung und die sie tragenden Koali- Einfuhrhürde anzugehen, in den Rücken fallen? Wie tionsparteien sind dieser Herausforderung bisher glaubwürdig sind Ihre ständigen Forderungen nach nicht nachgekommen, und ihre jetzige Politik läßt Kohärenz, wenn Sie schon bei den „EG-Ban anen" nicht erwarten, daß sie in Zukunft dieser Herausfor- davon abrücken? derung nachkommen werden. Ich will das mit vier Argumenten begründen. (Dr. R. Werner Schuster [SPD]: Weil das Problem komplizierter ist, Herr Kollege!) Erstes Argument. In der Bundesregierung und der Koalition verdrängt militärisches Denken zunehmend Es bleibt mir festzustellen: Wir, die CDU/CSU- entwicklungspolitisches Engagement. Fraktion, sind — und davon sind wir überzeugt — auf (Dr. Winfried Pinger [CDU/CSU]: Das ist dem richtigen Weg. Die notwendige Neuorientierung der Entwicklungspolitik hat längst stattgefunden. Die unzutreffend! —Jochen Feilcke [CDU/CSU]: Erfolge unserer Entwicklungspolitik sind sichtbar: Die Quatsch!) selbsthilfeorientierten Maßnahmen nehmen zu. Viele Der Bundeswehreinsatz in Somalia belegt — wie Menschen in den Entwicklungsländern schöpfen schon die gewaltige Finanzspritze für den Golf- neue Hoffnung. Ihr Selbstvertrauen wird gestärkt. Die krieg —, daß die Bundesregierung, während sie ihr Kritik der SPD trifft daher auf unsere neue Entwick- entwicklungspolitisches Engagement zurückfährt, im lungspolitik nicht zu. Wir brauchen keinen neuen Zweifel immer genügend Geld hat, wenn es um Kurswechsel. Militäraktionen geht. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ ordneten der F.D.P.) DIE GRÜNEN) In Somalia werden schnell einmal 200 Millionen DM Die CDU/CSU wird daher auch weiterhin konse- für militärische Zwecke bezahlt, während in all den quent die Entwicklungspolitik des Bundesministers Jahren, als sich dort Hunger und Gewalt immer höher unterstützen. Wir sind überzeugt, wir sind auf dem stauten, jährlich nur ein Bruchteil dessen für Entwick- richtigen Weg, und bitten die Opposition, ihre Kritik lung ausgegeben wurde, also für die Prävention differenzierter vorzunehmen und im wesentlichen gegen Gewalt, gegen Hunger, gegen Elend, gegen — wie wir glaubten: wie bisher — dieser Politik auch Flucht. zu folgen. (Zuruf von der CDU/CSU: Und dann wäre es (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) nicht zu den Kriegen gekommen?) 14230 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 165. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23. Juni 1993

Dr. Ingomar Hauchler Man stelle sich vor: Was der Bundeswehreinsatz in auch zu noch mehr Flucht führen. Wir Sozialdemokra- Somalia in wenigen Monaten kostet, ist etwa das ten werden dem entschieden entgegentreten. Doppelte dessen, was der Deutsche Entwicklungs- dienst jährlich weltweit für seine Arbeit zur Verfü- Strukturanpassung muß sein; sie darf aber nicht gung hat. Dies ist ein Skandal! zum Niedergang von Produk tion und Investition, zur Vernichtung inländischer Potentiale, zum sozialen (Beifall bei der SPD, der PDS/Linke Liste und Flächenbrand und zur Gefährdung demokratischer dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN — Jochen Ansätze führen — mit der nur vagen Hoffnung, daß Feilcke [CDU/CSU]: Aber die Regierung ist eines fernen Tages alles besser würde. Es könnte doch nicht schuld an dem Krieg!) dann, wenn die Medizin unserer westlichen Entwick- Dabei ist der Bundeswehreinsatz entwicklungspoli- lungstherapie gewirkt hat, heißen: Opera tion gelun- tisch ziemlich wertlos. Statt daß humanitäre Ak tionen, gen, Patient tot. Wiederaufbau und entwicklungspolitische Initiativen Strukturanpassung muß sein, aber vor allem auch in abgesichert werden, übernimmt das Militär dort selbst den Industrieländern, bei uns. Im Gegensatz dazu läßt die Rolle des Not- und Entwicklungshelfers mit ver- die Bundesregierung zu, daß in unserem Lande weiter gleichsweise sehr hohen Kosten und sehr geringer Energie und Wasser, Natur und Raum verschwendet Kompetenz. Dieser Einsatz verschwendet Steuergel- werden, die Umweltzerstörung ihren Lauf nimmt, der der, weil die Bundesregierung und die Industrieländer Individualverkehr explodie rt und uns die Klimaka- kein Konzept haben, um militärische Friedenssiche- tastrophe immer näherrückt. rung, Wiederaufbauhilfe und Entwicklungszusam- menarbeit miteinander zu verknüpfen. Nur so aber Drittes Argument, warum Sie den Herausforderun- hätte eine militärische Sicherung wirklich Sinn. gen nicht gewachsen sind: Politischer Opportunismus und eigene Wirtschaftsinteressen sind auf dem Vor- Wenn ich dies sage, so ist dies kein Votum gegen marsch bei der Entwicklungspolitik der Bundesregie- eine verfassungskonforme Beteiligung von Deut- rung. schen an Friedensmissionen der Vereinten Natio- nen. (Dr. Winfried Pinger [CDU/CSU]: Wovon reden Sie denn?) (Dr. Winfried Pinger [CDU/CSU]: Das ist schon etwas wert, daß Sie das sagen!) — Das erkläre ich Ihnen jetzt. — Die Regierung Ich bin für eine Beteiligung der Deutschen an einem betreibt zunehmend Entwicklungspo litik aus politi- robusten Einsatz von Blauhelmen zur Absicherung schem Opportunismus. Welches Land in welchen humanitärer Aktionen. Sektoren für welches Projekt eine Förderung erfährt, richtet sich nicht vornehmlich nach einer entwick- (Jochen Feilcke [CDU/CSU]: Aber es darf lungspolitischen Konzeption, sondern immer mehr nichts kosten!) nach einer schnell wechselnden Mischung aus eige- Ich bin auch dafür, wenn Wirtschaftssanktionen oder nen außen-, wirtschafts-, finanz- und innenpolitischen das Verbot von Waffenexporten nur so effektiv durch- Prioritäten. gesetzt werden können. Was aber die Bundesregie- (Beifall des Abg. Dr. R. Werner Schuster rung in Somalia vollführt, [SPD]) (Jochen Feilcke [CDU/CSU]: Kriegstreiberei, Diese Prioritäten, nicht entwicklungspolitische, drän- ja?) gen die Entwicklungspolitik immer mehr ins Abseits ist ein Eiertanz im Dreieck von militärischem Muskel- und degradieren — verzeihen Sie, Herr Minister, das spiel, Verfassungsbeugung und konzeptionsloser deutliche Wort — den Entwicklungsminister zum Reaktion auf internationalen Druck. Erfüllungsgehilfen und zum Public-Rela tions-Mana- (Beifall bei der SPD und der PDS/Linke Liste ger mächtigerer Kollegen. — Dr. Karl-Heinz Hornhues [CDU/CSU]: Da Das sieht so aus: Siemens will ein supermodernes klatschen die auch noch! Das ist doch uner- digitales Fernsprechnetz in einem Entwicklungsland träglich!) aufbauen. Gut, also helfen wir Siemens, indem wir Zweites Argument: Westliche Strukturanpassungs- dem Land für dieses hyperteure Projekt zig Millionen auflagen verschärfen die Fluchtursachen. Die Bun- aus dem Entwicklungsetat zur Verfügung stellen, desregierung hat sich seit den 80er Jahren mitschul- obwohl dort nicht einmal die Ernährungsgrundlage dig gemacht, daß sich das Elend in der Dritten Welt gesichert ist. Was kümmert es uns, wenn die Men- verschärft hat. Im Verein mit anderen großen Indu- schen dort ihre Heimat verlassen, weil sie nichts zu strieländern hat sie eine brutale Strukturanpassungs- essen haben? politik im Süden durchgedrückt. Und genau das, Herr Oder: China macht im Sicherheitsrat der Vereinten Kollege Pinger, haben Sie doch unterstützt. Die Bun- Nationen den Golfkrieg möglich. Also helfen wir den desregierung hat mit zu verantworten, daß im Ke rn Altkommunisten in China, am Ruder zu bleiben. Nach der Strukturanpassungsmaßnahmen des IWF die dem großen Lamento über das Massaker in Peking Exportsteigerung st and, um Altschulden bezahlen zu 1989 steht China schon wieder ganz oben auf der Liste können. wirtschaftlicher Kooperation und an zweiter Stelle der Heute verabreichen wir den Ländern des Ostens die größten Empfängerländer deutscher Entwicklungs- gleiche Schocktherapie. Diese wird dort — wie schon hilfe. Was kümmert es uns, wenn aus China weiter im Süden — zu noch mehr Hunger und Umweltzerstö- Menschen zu uns fliehen, die politisch verfolgt wer- rung, zu weniger Bildung und Gesundheit und damit den? Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 165. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23. Juni 1993 14231

Dr. Ingomar Hauchler Diese Politik ist nicht nur schizophren, sondern auch den europäischen Agrarprotektionismus, der zum kurzsichtig. Sie macht uns im Süden und Osten völlig Himmel schreit und an dem nicht nur die Franzosen unglaubwürdig. schuld sind. Dies muß endlich aufhören! (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Die Bundesregierung kennt seit langem die Institu- DIE GRÜNEN) tion des Bundessicherheitsrates zur Koordination Wir müssen endlich unsere knappen öffentlichen sicherheitspolitischer Fragen. Warum schafft der Bun- Mittel konzentrieren, Kontinuität unserer Kriterien deskanzler nicht endlich auch ein Entwicklungskabi- und Verläßlichkeit unserer Maßnahmen in der Ent- nett, in dem auf höchster Ebene die Entwicklungsver- wicklungspolitik sicherstellen und vorwiegend jenen träglichkeit aller Entscheidungen überprüft wird, die Ländern helfen, die selbst eine demokratische und von hoher Bedeutung für Entwicklung und Umwelt, entwicklungsorientierte Poli tik verfolgen. Weltwirtschaft und Migration sind? Eine solche Initia- tive schlagen wir Ihnen vor. Sie ist überfällig. Herr Kollege Pinger, „Hilfe zur Selbsthilfe" ist ja ein altes Schlagwort. Das kennen wir. Dafür sind wir. Unsere Forderung nach einer entwicklungsverträg- Aber wir haben das Konzept inhaltlich weiterentwik- lichen Orientierung und Koordina tion aller Ressorts kelt. Wir reden nicht einfach von „Hilfe zur Selbst- der Bundesregierung gilt nicht nur für die Zusammen- hilfe". Nein, wir sagen: Wir haben eine Verantwor- arbeit im Süden, sondern auch für unser Engagement tung, die inneren produktiven Poten tiale in diesen im Osten. Dort reiten aber inzwischen sage und Ländern systema tisch zu stärken. schreibe 17 Minister ihr eigenes entwicklungspoliti- sches Steckenpferd. Beamte aus fast allen Resso rts (Dr. Winfried Pinger [CDU/CSU]: Das steht und eine Flut exzellent verdienender deutscher Con- aber in unserem Antrag d rin, lieber Herr sulting-Unternehmen überschwemmen förmlich Kollege!) Osteuropa mit unkoordinierten und punktuellen Dazu gehört, daß wir aus kapitalfressenden und Beratungsangeboten, die dort aus M angel an Kapital isoliert stehenden Großprojekten aussteigen und kon- und geeigneten Rahmenbedingungen gar nicht sequent auf Programme setzen — hören Sie zu —, die umgesetzt werden können. Ist das ein wirksamer dem Aufbau der inneren Potentiale eines Entwick- Beitrag zur Bekämpfung von Fluchtursachen? Es sind lungslandes zugute kommen. dies: explodierende Arbeitslosigkeit — es geht do rt erst los —, soziale Verelendung — das verschärft (Jochen Feilcke [CDU/CSU]: Das steht alles sich — und Bürgerkriege, die aus der Not und aus der da drin! Jetzt lesen Sie aber unser Papier Spannung in diesen Gesellschaften entstehen wer- vor!) den. Dazu gehören Ernährungssicherung und Gesundheit, Bildung und eigene Technologieentwicklung sowie Die Bundesregierung hat die Zeichen der Zeit die Schaffung von Rahmenbedingungen für eine wahrlich nicht erkannt. Nicht Entwicklungspolitik, sozial und ökologisch verträgliche marktwirtschaftli- um Friedensgefährdungen vorzubeugen, sondern che Entwicklung. Militärpolitik, die ohne entwicklungspolitisches Kon- zept erst einmal militärisch dreinschlägt, beschäftigt (Jochen Feilcke [CDU/CSU]: Wo er recht hat, zunehmend ihr Denken. hat er recht!) (Jochen Feilcke [CDU/CSU]: Ich glaube, das — Es gibt gemeinsame Elemente in unseren Auffas- haben Sie schon einmal gesagt!) sungen von Entwicklungspolitik. Worüber wir zu streiten haben, ist nicht das Gemeinsame, sondern Die Entwicklungspolitik hat in Deutschland trotz sind die Unterschiede. Sie sollten wir hier herausar- wohltönender Worte des Bundeskanzlers und trotz beiten; dazu ist das Parlament da. richtiger Mahnungen des Bundespräsidenten — das Viertes Argument: Die Entwicklungspolitik hat in sollten Sie sich wirklich einmal zu Herzen nehmen — der Bundespolitik keinen wirklichen Stellenwert. Die immer noch einen ganz geringen Stellenwert. Sie ist Regierung ist unfähig, Entwicklungspolitik als eine allenfalls — geben wir es doch zu — Lückenbüßer, Querschnittsaufgabe der gesamten Politik zu begrei- zunehmend aber Propagandaartikel, Türöffner und f en. Instrument zur Durchsetzung eigener Interessen. Das ist ja im Bundeshaushalt nun wahrlich nachzulesen. (Uta Würfel [F.D.P.]: Wie kann man nur so Im Verlauf ihrer Amtszeit hat diese Bundesregierung - etwas sagen?) den Anteil der öffentlichen Entwicklungshilfe am Das Wenige, das der Entwicklungsminister — aller- Bruttosozialprodukt von 0,48 % auf 0,34 % zurückge- dings oft mehr schlecht als recht — aufbaut, wird in fahren. Dieser Anteil soll auf Grund der Finanzpla- vielen Fällen vom Außenminister, vom Wirtschaftsmi- nung der Bundesregierung weiter sinken. Das ist aber nister, vom Finanzminister und vom Landwirtschafts- kein Zeichen wirklicher Armut unseres Landes, son- minister wieder niedergerissen: durch außenpoliti- dem ein Armutszeugnis dieser Regierungskoalition. schen Opportunismus, durch das Prinzip „Gießkanne (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ statt konzentrierter Einsatz von Mitteln", Herr Staats- DIE GRÜNEN) minister Schäfer, durch den Mißbrauch entwicklungs- politischer Mittel zur Förderung von Großkonzernen Die Bundesregierung hat immer noch nicht erkannt, — davon habe ich gesprochen —, durch die Unfähig- daß die Sünden von gestern die Lasten von heute keit, die Überschuldung der Länder des Südens und verursacht haben und daß die erneute Mißachtung der Ostens abzubauen — das ist die von der Bundesregie- Fluchtursachen heute die Katastrophe von morgen rung unterstützte IWF-Poli tik —, und vor allem durch sein wird. 14232 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 165. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23. Juni 1993

Dr. Ingomar Hauchler Die Mittel, die durch eine bessere Steuerung der Generation an den Morden in Mölln und Solingen Zuwanderung eingespart werden — Sie haben ja trägt. versprochen, daß da einiges eingespart werden kann; (Dr. R. Werner Schuster [SPD]: So ist es!) mal sehen ob es eintritt —, müssen für die Bekämp- fung der Fluchtursachen eingesetzt werden. Sie hätten wahrlich andere Aufgaben, Herr Minister Spranger. (Beifall des Abg. Eckart Kuhlwein [SPD]) Anerkennen will ich allerdings, daß sich der Ent- — Danke schön, Herr Kuhlwein. wicklungsminister anfangs bis in den linken Journa- (Jochen Feilcke [CDU/CSU]: Moment, wer lismus hinein profilieren konnte, als er bei seinem war das?) Amtsantritt lautstark verkündete, für ihn seien Men- schenrechte, Demokra tie, Abrüstung und Marktwirt- Das war mein Kollege Kuhlwein; der versteht etwas schaft zentrale Kriterien für deutsche Hilfe. Das haben von der Sache. wir anerkannt. (Jochen Feilcke [CDU/CSU]: Ach, der war Bedauerlicherweise folgt ihm aber die Bundesre- das!) gierung nicht auf diesem Wege, denn an der Spitze der deutschen Empfängerliste stehen jene Länder, die Wir könnten mit diesem Geld eine zigfache Wir- nach wie vor in schwerer Weise Menschenrechte und kung in den Entwicklungsländern erzielen. Ich sage Demokratie verletzen und nicht nur nicht abrüsten, Ihnen noch einmal einen Zahlenvergleich. 35 Milliar- sondern massiv aufrüsten. Ich nenne China, Indien, den Deutsche Mark wurden 1992 für Asylbewerber in Indonesien. Die Kluft zwischen schönem Reden und Deutschland ausgegeben, 8 Milliarden für die ganze Handeln führt im Ausland zu einem immer größeren weite Dritte Welt. Verlust der deutschen Glaubwürdigkeit. (Jochen Feilcke [CDU/CSU]: Schlimm ge- Ich komme zum Schluß. nug!) (Dr. Karl-Heinz Hornhues [CDU/CSU]: O Ist das nicht ein groteskes Mißverhältnis! ja!) (Jochen Feilcke [CDU/CSU]: Warum haben Gerade in der Entwicklungspoli tik wünsche ich mir Sie sich bei der Änderung des Asylrechts so mehr Gemeinsamkeit über die Frak tionen in diesem gesträubt?) Hause hinweg. Leider sind die Koalitionsfraktionen aber weit davon entfernt, Entwicklung als eine zen- Ich bin ja gespannt, welche Konsequenzen Sie jetzt trale Voraussetzung für Frieden und Sicherheit zu aus der neuen Asylrechtsregelung ziehen und wieviel begreifen. Dabei liegt hier und nicht in der militäri- Geld Sie nun für die Bekämpfung der Fluchtursachen schen Intervention die eigentliche Zukunftsaufgabe einsetzen. Wir fordern schrittweise 0,7 % bis zum Jahr der internationalen Politik. 2000. (Beifall bei der SPD) Wie gesagt, die Regierungskoalition nimmt die Entwicklungspolitik nicht wirklich ernst. Erschwe- Im Mittelpunkt der internationalen Zusammenar- rend kommt aber hinzu, daß der Entwicklungsmini- beit muß das zivile Engagement und darf nicht ein ster selber — entschuldigen Sie, Herr Kollege Spran- militärisches Engagement für den Frieden stehen. ger — nicht wirklich ernst genommen wird. Darin lag einmal, nicht zuletzt durch , unsere internationale Reputation begründet. (Jochen Feilcke [CDU/CSU]: Na!) Auch nach dem Fall der Mauer, nach der Wieder- Er läßt sich zunehmend ureigene entwicklungspoliti- vereinigung und dem Ende des Kalten Krieges muß sche Aufgaben aus der Hand nehmen. nun eine Politik der globalen Entspannung das Mar- (Jochen Feilcke [CDU/CSU]: Von wem?) kenzeichen Deutschlands in der internationalen Gemeinschaft sein. Wir dürfen die Agenda für den — Das sage ich Ihnen, von wem. Frieden von UN-Generalsekretär Boutros-Ghali nicht Das galt für die Vorbereitungen zur Rio-Konferenz einseitig interpretieren als den bloßen Ruf nach deut- scher Beteiligung an UN-Einsätzen, sondern vor allem für Umwelt und Entwicklung im vergangenen Jahr. — das sagt er in jedem Gespräch — als Plädoyer für Das hat er an seinen Staatssekretär delegiert. Das gilt für die Weltbevölkerungskonferenz im nächsten Jahr.- Entwicklung als sowohl vorbeugende als auch nach- Das macht der Innenminister. Und das gilt für die sorgende Aktivität für den Frieden. Weltkonferenz für soziale Entwicklung 1995. Das Ich wiederhole: Diese Bundesregierung hat die macht der Arbeitsminister. Nicht der Entwicklungsmi- Zeichen der Zeit nicht erkannt. Die Zeit ist überfällig, nister, sondern der Umwelt-, der Innen- und der daß sie abtritt. Arbeitsminister sind jetzt in der Bundesregierung für (Beifall bei der SPD — Jochen Feilcke [CDU/ globale Entwicklungsfragen zuständig. CSU]: Treten Sie mal ab da oben!) (Jochen Feilcke [CDU/CSU]: Ein starkes Im Gegensatz zur Regierungskoalition werden wir Team! — Zuruf der Abg. Gudrun Weyel Sozialdemokraten, wenn wir ab 1994 regieren, [SPD]) (Jochen Feilcke [CDU/CSU]: „Falls" nicht: — So ist es, Frau Kollegin. „wenn"!) Herr Spranger beschäftigt sich derweil damit — ich national wie international nicht nur die Symptome, sage es nicht gern —, welche Schuld die 68er sondern verstärkt auch die Ursachen von Flucht und Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 165. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23. Juni 1993 14233

Dr. Ingomar Hauchler Vertreibung, also die Kluft zwischen Nord und Süd, den nicht nur die Sicherheit des einzelnen, sondern Ost und West und die globale Umweltzerstörung ganzer Regionen. bekämpfen. Kriminalität, der interna tionale Drogenhandel und (Jochen Feilcke [CDU/CSU]: Schön gehau- die wachsenden Flüchtlings- und Migrationsströme chelt!) erschüttern jetzt auch die letzten heilen Flecken Was hier konkret zu tun ist, darüber werden wir hier dieser Welt und machen überdeutlich, daß zwischen noch heftig, allerdings friedlich streiten müssen. Stabilität im Innern auf nationalstaatlicher Ebene und Vielen Dank. der Stabilität im internationalen System ein unauflös- licher Zusammenhang besteht. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der PDS/Linke Liste und des BÜNDNISSES Wir meinen, der Begriff der Sicherheit muß deshalb 90/DIE GRÜNEN) weiter gefaßt werden, nämlich als Sicherheit für die Menschen im Sinne einer umfassenden Sicherung der Lebensgrundlagen der heutigen Genera tion und der Vizepräsidentin Renate Schmidt: Nun hat Kollegin künftigen Generationen. Ingrid Walz das Wort. (Jochen Feilcke [CDU/CSU]: Nun stellen Sie (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU das richtig!) sowie des Abg. Eckart Kuhlwein [SPD]) Dies, meine Damen und Herren, ist eine Aufgabe für Ingrid Walz (F.D.P.): Frau Präsidentin! Meine alle. Keine Regierung kann sich aus dieser Verantwor- Damen und Herren! Der Weg von der Ersten über die tung entlassen. Das trifft vor allen Dingen für Deutsch- Zweite — was immer das sein mag und wo immer sie land und die Deutschen zu. sich auch befinden mag — zur Dritten bis hin zur Einen Welt war lang. Es war der Pfad nicht der Erkenntnis, Nachdem wir nämlich — wir waren es — den ersten sondern vieler Irrtümer. Stein aus der Berliner Mauer gezogen und damit — das ist das historische Verdienst der Deutschen — Als einzige richtige Theo rie hat sich offensichtlich zur Beendigung der Ost-West-Konfrontation beige- die Evolutionstheorie herausgestellt. Nur wer sich tragen haben, können wir nicht länger in den beque- anpaßt, überlebt. Diese Erkenntnis trifft uns jetzt men Logen des Welttheaters sitzen. Wir müssen selber wie Thors Hammer. Auch wir müssen uns handlungsfähiger und verantwortungsbewußter wer- weiterentwickeln. Auch wir sind vor die Entscheidung den und die vollen Pflichten eines Mitglieds der gestellt, welche Art der nachholenden Entwicklung Vereinten Nationen übernehmen. die richtige ist. Auch wir kämpfen mit einem immer größer werdenden Teil unserer Wirtschaft um Integra- (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) tion in die Weltwirtschaft, nicht nur, was die Wi rtschaft in den neuen Bundesländern betrifft, sondern auch, Lieber Herr Kollege Hauchler, wir dürfen und wir was die Wirtschaft im Westen betrifft. Doch ich können nicht länger zusehen, wie andere allein für die fürchte, trotz der Gleichartigkeit der Probleme, die Freiheit — mir versagt die Sprache — der Unterdrück- uns zu einem neuen Verständnis von Entwicklung ten kämpfen und gegen den Tod angehen. Dies gilt für und Entwicklungspolitik verhelfen könnte, denken Somalia. Dies galt Gott sei Dank nicht für Kambod- wir nach wie vor in den Rastern von Gebern und scha. Ich hoffe, es wird auch nicht für Angola gel- Nehmern, von Nord und Süd und betreiben wir leider ten. Gottes immer noch die Wunschvorstellung einer 0,7- Wir müssen mit daran arbeiten, die strukturellen Prozent-Politik. Ursachen der globalen Risiken sowohl in den Ländern Dieses Schema wurde in der nachkolonialen Phase des Südens und des Ostens als auch bei uns zu für die Zusammenarbeit zwischen den entwickelten beseitigen, soweit sie in unseren gesellschaftlichen und den unterentwickelten Ländern geprägt. Doch wo und wirtschaftlichen Systemen begründet sind. Über stehen wir heute als angeblich entwickeltes Land? Wo das Prolongieren von plan- oder staatswirtschaftli- stehen unsere Partner in der angeblich Dritten chen Modellen brauchen wir hier nicht mehr zu Welt? diskutieren; sie haben sich nämlich selbst ad absur- In den Industrieländern beginnt der Lack zu blät- dum geführt. Ich bin eigentlich nur neugierig, ob der tern. Viele Motoren stehen bereits s till oder laufen asiatische Versuch von sozialistischer Marktwirtschaft inzwischen anderswo. Mit der Senkgeschwindigkeit erfolgreich sein wird. des Bruttosozialprodukts steigt die Angst der Men- schen hier. Stehen wir damit vor einer neuen Qualität (Konrad Weiß [Berlin] [BÜNDNIS 90/DIE oder einer neuen Sicht der Zusammenarbeit, die von GRÜNEN]: Was ist denn das?) anderen Voraussetzungen ausgeht als bisher, näm- Wir müssen nicht nur Realitäten erkennen, sondern lich, daß Solidarität nicht aus Reichtum entsteht, auch in unseren Köpfen nachholende Entwicklung sondern durch Armut? zulassen. An deren Ende muß die Erkenntnis stehen, Aber auch auf eine andere These sei verwiesen. daß das einzige Zukunftsmodell — hier werde ich Zunehmende Armut, nicht nur im Süden, mehr im etwas konkreter als Sie, lieber Herr Kollege Hauchler Osten, die beängstigende Bevölkerungszunahme, die — eine ökologisch orientierte Soziale Marktwirt- Umweltzerstörung, das Aufflackern von ethnischen schaft sein kann. und religiösen Konflikten und die anhaltende Weiter- verbreitung von Massenvernichtungswaffen gefähr- (Zurufe von der CDU/CSU: Sehr richtig!) 14234 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 165. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23. Juni 1993

Ingrid Walz Dies ist Aufgabe für uns. Wir wollen dabei helfen, daß sich einige pseudodemokratisch gerieren, hat zu tief- diese Wirtschafts- und Gesellschaftsphilosophie als greifenden politischen und gesellschaftlichen Verän- Überlebensstrategie weltweit Eingang findet. derungen geführt. Wir sind heute weltweit mit unter- schiedlichen Entwicklungsgeschwindigkeiten und (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) einem unterschiedlichen Entwicklungsniveau in un- Die Entwicklungspolitik gewinnt vor diesem Hinter- seren Partnerlände rn konfrontiert. Wir haben mittler- grund nämlich eine völlig neue Bedeutung: Entwick- weile reiche Partner, und wir haben einen Kontinent, lungspolitik ist Politik der globalen Zukunftssiche- der sich am Rande der weltwirtschaftlichen Galaxie rung. befindet: Afrika. Um dies deutlich zu machen, haben wir, die Koali- Dies bedeutet für die deutsche Entwicklungszusam- tionsfraktionen, zwei wich tige Anträge vorgelegt, die menarbeit neue Anfragen und eine andere, viel- sich zum einen mit der Förderung der Marktwirt- schichtigere Art der Unterstützung. Es geht nicht schaft, d. h. der Privatwirtschaft, in Entwicklungslän- mehr, symbolisch gesprochen, um das Brunnenboh- dern und zum zweiten mit der Ausgestaltung des ren; es geht nicht mehr allein um den Transfer von Begriffs der Sozialen Marktwirtschaft im Hinblick auf Kapital und Know-how. Es geht heute um den gewoll- Sozialpolitik und den Aufbau sozialer Sicherungssy- ten und nachgefragten Transfer rechtlicher und staat- steme in unseren Partnerländern beschäftigen. licher Ordnungssysteme. Es geht um die Ausgestal- Ich sage zum wiederholten Male: Marktwirtschaft tung einer neuen gesellschaftspolitischen Zusammen- allein genügt nicht. Sie kann mißbraucht und auch arbeit. mißverstanden werden. Der Übergang von einer Plan- (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) bzw. Staatswirtschaft in die Marktwirtschaft braucht Viele unserer Partner haben nämlich begriffen, daß diese Begleitung. Wir haben wiederholt gehört, daß die Schaffung geeigneter Rahmenbedingungen eine die Privatisierung in Mittel- und Osteuropa und in den Voraussetzung für positive Veränderung ist. Dies gilt GUS-Staaten daran scheitert, daß viele Staatsbetriebe für einen verläßlichen Rechtsrahmen genauso wie für nicht privatisiert werden können, weil die sozialen den Aufbau eines breiteren Finanzsystems, Steuersy- Lasten zu groß sind. Dafür wird sich kein Investor stems, das dem Staat Einnahmen verschafft, damit er finden. Darum wird die Privatisierung in diesen Län- Armut überhaupt bekämpfen kann. Es geht vor allem dern nicht erfolgen können. um die Förderung der Privatwirtschaft. Dabei unter- In den meisten Entwicklungslände rn ist die Über- scheiden wir nicht nach Betriebsgrößen, sondern nach zeugung gewachsen, daß privatwirtschaftliches Han- der Möglichkeit, Arbeitsplätze zu schaffen, um die deln und Wettbewerb die treibenden Kräfte für eine Grundlage für das Entstehen eines stabilen Mittel- erfolgreiche Entwicklung sind. Die meisten unserer stands zu bilden. Partnerländer haben in diesem richtig verstandenen Wir haben inzwischen erkannt, daß der Aufbau und Sinne bereits die nötigen Entscheidungen getroffen. die Stärkung privatwirtschaftlicher Strukturen in Ent- Sie bestätigen damit eigentlich alle Annahmen, daß wicklungsländern eng mit der Funktionsfähigkeit des dann, wenn Ordnungspolitik in Richtung Marktwirt- Kreditwesens verbunden ist. Als entscheidender Eng- schaft steuert, Investitionen und Sozialprodukt zuneh- paß hat sich in der Vergangenheit nämlich der feh- men. lende Zugang von Klein- und mittleren Unternehmen Die Vergangenheit hat aber auch gezeigt: Auf den zu Krediten herausgestellt. Das bisherige System der Marsch in die Planwirtschaft folgt in der Regel ein Entwicklungsbanken ist deshalb mit einem sehr gro- eklatanter Einbruch. Die jüngsten empirischen Unter- ßen Fragezeichen zu versehen. suchungen kommen zu einem ganz erstaunlichen Ergebnis. Offensichtlich spielen externe Ursachen, (Beifall bei der F.D.P., der CDU/CSU und der wie die Veränderung der terms of trade oder der SPD — Dr. R. Werner Schuster [SPD]: Wo Weltkonjunktur, eine weitaus geringere Rolle, als bleiben die Konsequenzen?) bisher angenommen. Entscheidend für den eigendy- Wir haben dies fraktionsübergreifend eingebracht. namischen Entwicklungsprozeß und eine nachhaltige Wichtig ist eine liberalisierte, dezentralisierte Finanz- Entwicklung sind die internen Rahmenbedingungen struktur, die Ersparnisse mobilisiert und diese an in den jeweiligen Ländern selbst. Dabei sind Eigen- kreditsuchende Investoren weiterleitet. verantwortung, Privatinitiative und Leistungswille die Die Unterstützung beim Aufbau marktwirtschaftli- Schlüssel für wirtschaftlichen Erfolg und sozialen cher Strukturen kann jedoch langfristig nur dann Fortschritt. erfolgreich sein, wenn die S trategien wirtschaft lichen Ganz entscheidend — hier stehen wir hinter dem, Wachstums mit Maßnahmen der sozialen Absiche- was Minister Spranger in seiner Konzeption immer rung verbunden werden. Der Aufbau und die Ent- wieder zu verwirklichen versucht — ist die Beteili- wicklung sozialer Sicherungssysteme muß deshalb zu gung der Armen am Entwicklungsprozeß ihrer Län- einem wichtigen Bestandteil künftiger Entwicklungs- der. zusammenarbeit gemacht werden. (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU — (Dr. Ingomar Hauchler [SPD]: Wie soll das Dr. Ingomar Hauchler [SPD]: Das wissen wir geschehen?) schon seit 30 Jahren! Was ist an dieser Dafür gibt es auch einen anderen, einen sehr Konzeption neu?) wichtigen Grund. Nicht nur wirtschaftliches Wachs- Die Hinwendung vieler Länder zur Marktwirtschaft tum, sondern das Abkoppeln der „sozialen Sicher- und zur Demokratie, wobei wir sehen müssen, daß heit" von der Zahl der Kinder wird erst den entschei- Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 165. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23. Juni 1993 14235

Ingrid Walz denden Fortschritt in der Bevölkerungspolitik brin- überfordert. Aber es ist den Kollegen in Straßburg gen. Die Zahl der Kinder ist nämlich — das wissen wir zumindest gelungen, symbolisch den Finger auf heute ganz genau — häufig der Grund für Armut; es ist einige neuralgische Punkte des Miteinanders oder nicht umgekehrt. besser Gegeneinanders von Nord und Süd oder besser Mit unserem Antrag können wir aber auch der Arm und Reich zu legen. armutsorientierten Entwicklungszusammenarbeit Ich nenne stellvertretend nur die weltweite Schul- neue Impulse geben. Allerdings sollten wir uns davor denkrise, die unangemessene Kreditpolitik und den hüten, uns selbst als Sozialhilfeträger zu mißbrau- von den Industrieländern praktizierten handelspoliti- chen. Wir müssen unsere Partner in der neuen gesell- schen Protektionismus als einige der Ursachen für die schaftspolitischen Entwicklungszusammenarbeit dar- derzeitige Situation in den Entwicklungsländern oder auf aufmerksam machen, daß sie selber für die Besei- die Überlegung, Herr Pinger, daß eine endgültige tigung der Ursachen von Armut sorgen müssen. Ihre Bewältigung der Krise der Entwicklungsländer eine Politik muß entwicklungsorientiert, d. h. armutsüber- Neufestlegung der politischen und wirtschaft lichen windend, sein. Beziehungen zwischen der nördlichen und der südli- In den Verfassungen unserer Partnerländer sollte chen Erdhalbkugel umfassen muß. Auch die Kriterien so wie in unserer die Hinwendung zum Allgemein- der sozialen und ökologischen Verträglichkeit und die wohl und zur Achtung der Würde des Menschen Forderung nach umfangreicher Entschuldung und sichtbar werden. Ich vermisse in vielen Verfassungen Stabilisierung der Rohstoffpreise sind von uns mitzu- unserer Partner einen solchen Hinweis. Es darf auch tragen. Das ist zwar ebenfalls nicht neu, aber für ein nicht sein, daß die Schere zwischen Arm und Reich in solches Papier bemerkenswert. einigen Ländern immer größer wird. Deshalb meinen wir, daß das einzige tragfähige Modell der Zukunfts- Natürlich sehen wir auch die Schwachpunkte dieses sicherung das einer ökologisch orientierten Sozialen Papiers. Es gibt eine Reihe von konzeptionellen Marktwirtschaft ist. Dazu haben wir — ich muß es Widersprüchen, und es fehlen konkrete Aussagen noch einmal betonen —, lieber Herr Kollege Hauch- über die Handlungsträger der geforderten Verände- ler, rungen. Dadurch, daß konkret existierende Kräfte- und Interessenverhältnisse, z. B. innerhalb der Euro- (Jochen Feilcke [CDU/CSU]: Der ist über- päischen Gemeinschaft, sowie Entscheidungs- und haupt nicht lieb!) Handlungsmechanismen in den internationalen Be- im Gegensatz zu Ihnen sehr konkrete Vorschläge ziehungen einfach ignoriert werden, erhält das ganze gemacht. Papier streckenweise einen recht utopischen Charak- (Dr. Uwe Holtz [SPD]: Wo denn?) ter. Ich habe hier nicht polemisch agiert wie Sie, Nun, ich habe nichts gegen Utopien. Ich finde sie (Dr. Ingomar Hauchler [SPD]: Ich habe die sogar sehr nützlich, wenn sie in die richtige Richtung Wahrheit gesagt!) weisen. Ansätze sind dafür in der Entschließung des sondern ich habe im Sinne meiner Grundüberzeu- Europaparlaments enthalten, so unkonkret sie im gung, nämlich der Toleranz und der Sachlichkeit, Einzelfall auch sein mögen. unsere Vorschläge begründet. Die Beschlußempfehlung des Ausschusses für wirt- (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) schaftliche Zusammenarbeit greift einige Schwer- punkte der EG-Entschließung in sehr geraffter Form auf. Immerhin finden sich die wirksame Entschuldung Vizepräsidentin Renate Schmidt: Nun spricht die der Entwicklungsländer und ihre Einbeziehung in Kollegin Dr. Ursula Fischer. grundlegende Entscheidungen über die internatio- nale Wirtschafts- und Finanzpolitik noch im Forde- Dr. Ursula Fischer (PDS/Linke Liste): Frau Präsiden- rungskatalog. Eine Veränderung der weltwirtschaftli- tin! Meine Damen und Herren! Wiederum liegt in chen Rahmenbedingungen wird ins Auge gefaßt, was einer entwicklungspolitischen Debatte dem Parla- immer das bedeuten mag. ment ein sehr breites Angebot zur Diskussion vor, zum Hier kommen wir zu einem wichtigen Detail, auf das Teil in Form von Beschlußempfehlungen. Möglicher- wir immer wieder hinweisen müssen und werden. In weise, Kolleginnen und Kollegen, täten wir schon im dem vorliegenden Papier werden die erforderlichen eigenen Interesse besser daran, ein Thema etwas Veränderungen aus der Perspektive der Strukturan- tiefgründiger zu behandeln. Ich beschränke mich passung behandelt. Das Europaparlament bezeichnet deshalb auf einige Punkte. die Strukturanpassungsprogramme der sogenannten Zunächst möchte ich mich der Beschlußempfehlung Ersten Generation als gescheitert. des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit zur Unterrichtung durch das Europäische Parlament Aber auch die vom Europaparlament ins Auge zur Strukturanpassung in den Entwicklungsländern gefaßten Anpassungen müssen kritisch hinterfragt widmen. Die 25 - Punkte - Entschließung des Europäi- werden. Veränderungen allein im Süden, so wichtig schen Parlaments vom 13. Mai 1992 ist ein aus sie sind, reichen nicht. Gefragt ist vielmehr ein Kom- entwicklungspolitischer Sicht bemerkenswertes Do- plex von Strukturveränderungen auf der Nord- und kument. Das ist sie nicht etwa, weil sie das Lösungs- der Südhalbkugel sowie in den Beziehungen zwi- konzept für die drängenden globalen Probleme der schen Industrieländern und Entwicklungsländern, Menschheit darstellt. Mit diesem Anspruch wären wenn die existenzgefährdenden Widersprüche in die- sowohl das Papier als auch das Europaparlament ser Einen Welt nicht weiter eskalieren sollen. 14236 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 165. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23. Juni 1993

Dr. Ursula Fischer Ich bin besonders Herrn Hauchler sehr dankbar, Sicherungssystemen in den Entwicklungslände rn " daß er so ausführlich auf die Problematik der Asyl- habe ich offen gesagt große Schwierigkeiten. politik als die Kehrseite der Medaille der Entwick- lungspolitik eingegangen ist. Diese Deutlichkeit läßt (Dr. R. Werner Schuster [SPD]: Nicht nur die Beschlußempfehlung leider vermissen. Sie!) Meine Damen und Herren, die Beschlußempfeh- Nicht, daß ich die Notwendigkeit einer wie auch lung zu dem Antrag „Entfaltung der p rivaten unter- immer organisierten sozialen Grundsicherung nicht nehmerischen Initiative in der ,Dritten Welt' " möchte sehe; ganz im Gegenteil. Aber auch in diesem Fa ll ich nur kurz kommentieren. Ich will nicht in Abrede beschränken sich die Antragstellerinnen und Antrag- stellen, daß es in einigen oder den meisten Entwick- steller darauf, Symptome zu konstatieren und behan- lungsländern durchaus Gruppen gibt, deren Interes- deln zu wollen. Es wurde hier schon gesagt: Der sen und Entwicklungschancen der zugrunde liegende Patient ist am Ende tot. Aber auch das ist möglicher- Antrag entspricht. weise eine Form der Bevölkerungswachstumshem- mung. Es ist zynisch, ich weiß es; aber manchmal ist es Massiven Zweifel habe ich jedoch an der Breiten- so. wirksamkeit einer solchen Schwerpunktsetzung für (Jochen Feilcke [CDU/CSU]: Finden Sie das die bundesdeutsche Entwicklungspolitik. Wohlstand komisch, was Sie da sagen?) für einige bedeutet noch längst keine Grundbedürf- nisbefriedigung für die große Mehrheit. Die Über- — Nein. Ich finde das nicht komisch. Aber es ist so. tragbarkeit westlicher Wirtschafts- und Demokratie- (Jochen Feilcke [CDU/CSU]: Dann unterlas- modelle auf Entwicklungsländergesellschaften wird sen Sie es!) nicht erst seit heute und nicht nur von mir in Frage gestellt. — Gehen Sie doch auf die Ursachen ein! Die Ursachen für die beschriebenen Probleme wie Landflucht, Ver- (Jochen Feilcke [CDU/CSU]: Wollen Sie öst- städterung, Arbeitslosigkeit, Obdachlosigkeit etc. liche Modelle? Welche Modelle wollen Sie bleiben unberührt. haben, Frau Kollegin?) Auf diese Weise sind weder die fortschreitende Der Bundespräsident stellte am 12. Mai dieses Verelendung und der Zerfall der wenigen noch funk- Jahres im Zusammenhang mit Afrika fest: tionierenden Sozialstrukturen zu verhindern, noch Wie töricht wäre es also, unsere Gesellschaftsord- bestehen die notwendigen wirtschaftlichen Rahmen- nung anderen Völkern einfach als „Zaubertrank" bedingungen für den Neuaufbau sozialer Sicherungs- anzubieten oder gar aufzudrängen. Vielleicht ist systeme. Es ist bei Licht besehen ziemlich makaber, es wirklich so, daß unsere Erfahrungen auf viele daß der Norden dem Süden zunächst seine wirtschaft- Entwicklungsländer kaum direkt übertragbar lichen und politischen Modelle aufdrängt und hinter- sind. Vielleicht entspricht der afrikanischen Tra- her auch noch die unter den konkreten Bedingungen dition in der Tat eine stärkere Gemeinschafts- kaum funktionsfähigen Mittel zur Schadensbegren- orientierung, als wir sie kennen. Ich bin nicht zung liefern will, die dann wieder als entwicklungs- berufen, diese Frage zu beantworten. Die Af rika- politische Lichtblicke gefeiert werden können. Wäre ner selbst werden die Antwort finden. es nicht sinnvoller, endlich an die Entwicklung von Konzepten zu gehen, die den Menschen im Norden Dem habe ich nichts hinzuzufügen. Ich mag Sonn- und im Süden ein Leben in Würde und sozialer tagsreden ansonsten nicht; aber wo er recht hat, hat er Sicherheit auch im Alter ermöglichen? recht. Ich möchte noch einen kurzen Satz zum Antrag der Massenarmut wird jedenfalls mit diesem Antrag SPD auf Gesetzesvorlagen sagen. Die vorgeschla- nicht bekämpft. Außerdem abstrahieren der Antrag gene Einbeziehung der möglichen Auswirkungen auf und die Beschlußempfehlung vollständig von den Entwicklungsländer sowie die getrennte Kostenauf- internationalen Rahmenbedingungen, unter denen rechnung für Bund, Länder und Gemeinden halte ich sich die unternehmerische Aktivität in den Entwick- für eine sehr arbeitsaufwendige, aber sinnvolle Idee. lungsländern entfalten soll. Zumindest finden sie Zumindest würden auf diese Weise Politikerinnen und nirgendwo Erwähnung. Politiker aller Parteien — ich schließe uns da übrigens voll ein — und vor allem die Nicht-Entwicklungspoli- Die Kollegen von der F.D.P. hatten die oben behan-- delte Entschließung des Europaparlaments als blau- tiker endlich gezwungen, den immer wieder geforder- äugig bezeichnet. ten integrativen Ansatz der Entwicklungspolitik nicht nur verbal, sondern auch praktisch zur Anwendung zu (Jochen Feilcke [CDU/CSU]: Blaue Augen bringen. sind etwas Schönes!) Bemerkenswert finde ich den Antrag der SPD in Das hier vorliegende Papier verdient mit Verlaub die bezug auf die Förderung von Frauen in Entwick- gleiche Bezeichnung. Positiv zu vermerken ist eigent- lungsländern. Er enthält im übrigen Forderungen, die lich nur die Kontinuität, mit der Sie und Ihre Koali- zum Teil selbst in der Bundesrepublik Deutschl and tionspartner sowohl im Inland als auch in den Ent- nicht erfüllt sind. wicklungsländern die Interessen der immer wieder gleichen sozialen Gruppierung vertreten. Um nicht (Beifall des Abg. R. Werner Schuster [SPD]) mehr und nicht weniger h andelt es sich. Wichtig ist deshalb auch, daß dieser Antrag reflektiert, Mit dem Antrag der Kolleginnen und Kollegen der daß der Anteil von Frauen bei staatlicher Entwick Koalition „Entwicklung und Aufbau von sozialen lungshilfe in der Bundesrepublik erhöht werden muß. Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 165. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23. Juni 1993 14237

Dr. Ursula Fischer Insgesamt würde uns die Annahme eines solchen Sie zugeben, daß es für die Vereinten Nationen sehr Antrags sehr gut zu Gesicht stehen. Zwar würde sich vernünftig ist, in einem solchen Moment erst einmal dadurch nichts unmittelbar ändern, aber der für Ruhe und Ordnung zu sorgen, damit do rt Entwick- Anspruch der Frauen, dringend und immer wieder lung wieder möglich wird? formuliert, ist genauso wichtig. Meine Herren, an dieser Stelle ein Wort an Sie. Frauen sind der Schlüssel für die Zukunft. Ich hoffe auf Konrad Weiß (Berlin) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): eine konstruktive Diskussion gerade dieses Antrages Herr Kollege, ich bin nicht der Meinung, daß es in unserem Ausschuß. Aufgabe von Soldaten aus Pirna oder Pirmasens ist, (Beifall bei der PDS/Linke Liste sowie bei die Affenherde in Afrika in Schach zu halten. Abgeordneten der SPD) (Ingrid Walz [F.D.P.]: Wer dann?) Wir haben für die Bundeswehr einen klaren Auftrag, Vizepräsidentin Renate Schmidt: Nun spricht der der die Verteidigung dieses Landes zum Inhalt hat. Ich Kollege Konrad Weiß. bin sehr wohl dafür, daß junge Menschen nach Afrika gehen, um dort Entwicklungshilfe zu leisten, aber Konrad Weiß (Berlin) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): zivile. Ich bin auch der Auffassung, daß ein Konflikt Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Sehr noch nie dadurch gelöst worden ist, daß man ihn mit verehrter Herr Kollege Dr. Pinger, habe ich wirklich Gewalt zu lösen versucht hat. richtig gehört, daß Sie Bundeswehreinsätzen einen (Andras Schmidt [Mühlheim] [CDU/CSU]: entwicklungspolitischen Aspekt abgewinnen kön- Naiver Ansatz!) nen? Das verschiebt immer nur Probleme, die dann an (Dr. Winfried Pinger [CDU/CSU]: Genau so! anderer Stelle — manchmal Jahrzehnte später, wie Sicherheit als Voraussetzung für Entwick- wir das jetzt in Jugoslawien erleben — aufs neue lung!) hervorkommen. — Dann muß ich sagen: Meine Auffassung ist das (Jochen Feilcke [CDU/CSU]: Das heißt, die nicht. Sicherheit als Voraussetzung für Entwicklung? Dafür denke ich, haben nicht wir zu sorgen. Wir haben anderen sollen für Frieden sorgen, nicht wir! dafür zu sorgen, daß durch Entwicklungshilfe Men- — Weiterer Zuruf von der CDU/CSU: Also schen geholfen wird. Aber nicht durch den Einsatz von auch das wollen Sie zulassen!) Bundeswehr, mit Komißstiefeln und Stahlhelmen, Aber ich will jetzt auf das eingehen, worum es in auch wenn sie blau sind. Dort in Afrika haben wir den Anträgen, die wir heute behandeln, geht. Ich nichts zu suchen. kann mich der Bemerkung der Kollegin Fischer (Jochen Feilcke [CDU/CSU]: Herr Weiß, in anschließen: Auch ich bin der Auffassung, daß es welcher Welt leben Sie?) wenig Sinn macht, einen solchen entwicklungspoliti- schen Bauchladen, wie wir ihn heute behandeln, ins Ich bin dafür, unsere Entwicklungshilfe urn ein Plenum zu bringen, eine Debatte über mehrere Vielfaches zu verstärken. Ich bin dafür, statt dieses Anträge, die miteinander wenig zu tun haben. Ich wirklich sinnlosen Einsatzes von deutschen Soldaten wäre sehr dafür, sich in künftigen Debatten auf in Somalia, der auch in Somalia selbst überaus umstrit- wenige Anträge zu beschränken, ten ist und bei dem die Soldaten selbst sagen, daß sie gar nicht wissen, wozu sie da sind, (Jochen Feilcke [CDU/CSU]: Und auf sach kundige Redner!) (Jochen Feilcke [CDU/CSU]: Das Gegenteil, ist richtig! Das genaue Gegenteil ist rich- diese dann eingehend zu erörtern und im Verlauf der tig!) Debatte vielleicht zu neuen Gedanken und Lösungen die zivile Entwicklungszusammenarbeit zu vervielfa- zu kommen. chen. Das ist seit langem unsere Forderung. Ich möchte deshalb nur auf den Antrag der Gruppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingehen, der sich mit Vizepräsidentin Renate Schmidt: Kollege Weiß, dem Übereinkommen 169 der Internationalen würden Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Graf Arbeitsorganisation befaßt. Wir haben vorgeschla- Schönburg-Glauchau gestatten? gen, daß die Bundesregierung dieses Abkommen - endlich unterzeichnet. Die Koalitionsmehrheit hat die Absicht, das heute abzulehnen. Konrad Weiß (Berlin) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ja, bitte. Dieses Übereinkommen gilt für eingeborene und in Stämmen lebende Völker in unabhängigen Ländern und klärt deren Rechte in den Staaten, in denen sie Joachim Graf von Schönburg-Glauchau (CDU/ CSU): Lieber Kollege Weiß, können Sie mir darin leben. Die Bundesregierung beeinflußt durch ihr zustimmen, daß es Situationen gibt, wo die Unord- außenpolitisches, außenwirtschaftliches und entwick- nung so groß ist, daß es eines hergezeigten dicken lungspolitisches Handeln natürlich das Leben dieser Knüppels braucht, damit überhaupt friedliche Ent- Völker. wicklung möglich ist? Geben Sie zu, daß z. B. ein Dorf Die Ratifizierung des Übereinkommens entspräche von einer Affenherde terrorisiert werden und keine daher den öffentlichen Bekenntnissen der Bundesre- Frau Wasser holen und Felder bestellen kann, wenn gierung zur Einhaltung der Menschenrechte. Gleich- nicht jemand da ist, der die Affenherde in Schach hält? zeitig würde das ihren Willen bekräftigen, die Genau das ist doch die Situation in Somalia. Können Beschlüsse der Konferenz „Umwelt und Entwick- 14238 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 165. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23. Juni 1993

Konrad WeiB (Berlin) lung" in Rio de Janeiro umzusetzen, wo in der früh genug gekommen, aus regionalen Bürgerinitiati- Agenda 21 die Berücksichtigung der kulturellen Iden- ven ebenso wie von internationalen Fachleuten. tität und der Rechte eingeborener Bevölkerungsgrup- Die Weltbank läßt den Geldhahn dennoch weiter pen aufgenommen wurde. tröpfeln, auch nachdem ein gewichtiges Gutachten Weder der Agenda 21 noch den Grundsätzen des die Problematik des Projektes nachdrücklich festge- Übereinkommens 169 wurde und wird die deutsche stellt hat. Wären aber die eingeborenen Bauern und Entwicklungspolitik bislang gerecht. Nach Art. 7 des ihre Erfahrung von vornherein einbezogen worden, so Übereinkommens der ILO haben die eingeborenen wie es das Übereinkommen 169 vorschreibt, wären und in Stämmen lebenden Völker das Recht, an der die Eigentums- und Landverhältnisse, die gewachse- Aufstellung, Durchführung und Bewe rtung von Plä- nen Strukturen berücksichtigt worden, so wäre das nen und Programmen für die nationale und regionale Projekt, das in seinem Größenwahn einem stalinschen Entwicklung mitzuwirken. Die Art. 14 bis 16 klären Großbau des Kommunismus gleicht, vermutlich nie die Eigentums-, Ressourcen- und Umsiediungsrechte aus der Planungsphase herausgekommen. der betreffenden Völker. Diese Rechte zu garantieren Ähnlich verhält es sich mit der berüchtigten Mine und in das entwicklungspolitische Instrumentarium am Ok Tedi in Papua-Neuguinea. Der Erzabbau wird einzubeziehen wäre ein weiterer Schritt, koloniale ohne Rücksicht auf die in dem Gebiet siedelnden Relikte in unserer Entwicklungspolitik abzubauen. Stämme durchgeführt, ohne Rücksicht auf Menschen und Menschenrechte, ohne Rücksicht auf ökologische (Beifall bei der Abg. Verena Wohlleben Belange. Von der Infrastruktur, die zum Be treiben der [SPD]) Mine errichtet werden mußte, profitieren fast aus- Allzuoft wird in unserer entwicklungspolitischen schließlich die Betreiber. Für die dort siedelnde Bevöl- Praxis wenig oder überhaupt nicht Rücksicht auf kerung hat die Mine kaum einen Beschäftigungs- Minderheiteninteressen genommen. Partner sind impuls, dafür aber den Verlust traditionsreicher noch viel zu häufig die Regierungen, nicht aber jene, Erwerbsquellen gebracht. Von diesem entwicklungs- denen wir helfen wollen. Autoritäre Regime, gar politischen Flop profitieren nicht die Einheimischen, Diktaturen scheren sich natürlich nicht im geringsten sondern die schürfenden Unternehmer, darunter auch um unsere vorsichtig und diplomatisch vorgetragenen die deutsche Degussa. Vorstellungen über die Einbeziehung von Minderhei- Ähnliche entwicklungspolitische Verbrechen wer- ten oder eingeborenen Stämmen. Das läßt sich nur mit den gegenwärtig in China angeschoben. Es ist unver- harten ökonomischen Bandagen erreichen. antwortlich, sich ein Land, in dem die Menschen- und Entwicklungsminister Spranger hat doch die Kondi- Minderheitenrechte tagtäglich aufs schlimmste ver- tionierung der Entwicklungshilfe zu seinem Pro- letzt werden, als entwicklungspolitischen Partner zu gramm gemacht; wir unterstützen das ja auch. Eine wählen. Weder das Selbstbestimmungsrecht der Min- der expressis verbis genannten Konditionen ist die derheiten, beispielsweise der Tibetaner oder der Menschenrechtssituation in den Empfängerländern. Mongolen, noch das Recht auf Eigentum und dessen Es will mir nicht einleuchten, weshalb sich die Koali- Schutz sind in China gewährleistet. Würde man in tion so andauernd altjüngferlich gegen das Überein- China die Klauseln des Übereinkommens 169 anwen- kommen 169 sperrt. den, dürfte kein Pfennig dorthin fließen. Offenbar soll deutsche Entwicklungspolitik wieder einmal bloß Ich muß Sie an wenigstens zwei Fälle erinnern, wo Pfadfinder für die deutsche Wirtschaft sein, nicht aber die Bedingungen des ILO-Übereinkommens hilfreich denen helfen, die die Hilfe vor allem brauchen. Dazu für eine sinnvolle Entwicklungspolitik gewesen gehören auch die Schwachen und Unterdrückten, die wären. Das ist zum einen der Narmada-Staudamm in Minderheiten, die eingeborenen und in Stämmen Indien und zum anderen die Ok-Tedi-Mine in Papua- lebenden Völker. Neuguinea. Kollegin Walz, mir will nicht einleuchten, wie Sie als Zuvor aber möchte ich erwähnen, daß der Vertreter eine überzeugte Marktwirtschaftlerin daran glauben eines solchen kleinen Volkes, über das wir heute können, daß das Wort von der sozialistischen Markt- sprechen, bei dieser Debatte im Deutschen Bundestag wirtschaft auch nur den geringsten Sinngehalt hat. anwesend ist. Es ist Luis Alberto Vargas, ein 16jähri- Das ist doch etwas, was sich wie Feuer und Wasser ger Junge aus dem Stamm der Achuar-Indianer im widerspricht. Entweder bin ich für den Sozialismus, Amazonasgebiet, der nach Deutschland gekommen oder ich bin für die Marktwirtschaft. Aber beides läßt - ist, um beim Kongreß „Kranke Umwelt, kranke Kin- sich doch nicht vereinbaren. Was sich die alten Män- der", den BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN am Wochen- ner in China ausgedacht haben, das ist doch nichts ende in Bonn veranstalten wird, über die Vernichtung anderes, als dem Westen S and in die Augen zu des Regenwaldes in seiner Heimat zu berichten. Auch streuen, damit das Geld fließt. für sein Volk würde die Unterzeichnung des Überein- (Dr. R. Werner Schuster [SPD]: Richtig! — kommens 169 von unmittelbarer Bedeutung sein. Ingrid Walz [F.D.P.]: Herr Weiß, das ist doch Am Narmada-Staudamm, einem Projekt, das uns nicht mein Problem!) schon oft hier beschäftigt hat, wird weiter gebaut, — Doch, das ist Ihr Problem, weil Sie ständig als auch nachdem klar ist, daß die ökonomischen und Sendbotin der chinesischen Regierung mit diesem ökologischen Risiken nicht abzuschätzen sind und Modell hausieren gehen. daß sich die indische Regierung bei der Zwangsum- (Ingri d Walz [F.D.P.]: Ich habe ein Fragezei siedlung der einheimischen Bevölkerung schwere chen dahinter gemacht! — Dr. Ingomar Fahrlässigkeit und Menschenrechtsverletzungen hat Hauchler [SPD]: Das ist aber ein harter Vor zuschulden kommen lassen. Die Warnungen waren wurf, Herr Weiß!) Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 165. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23. Juni 1993 14239

Konrad Weiß (Berlin) Vizepräsidentin Renate Schmidt: Kollege Weiß, Umfang von den Koalitionsfraktionen mitgetragen nachdem Sie jetzt gerade sowieso unterbrochen wor- wird. den sind: Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kol- Lieber Kollege Hauchler, in Ihrer Rede heute habe legen Pinger? ich erneut selbst Ansätze einer sinnvollen Alternative zu dieser Konzeption vermißt. Konrad Weiß (Berlin) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Aber gern. Mit der Aufstellung von zum Teil schlichtweg falschen Behauptungen läßt sich eine solche Alte rnative auch nicht darstellen. Dr. Winfried Pinger (CDU/CSU): Herr Kollege Weiß, Sie sagen beispielsweise, militärisches Denken ver- sind Sie bereit, mir zuzugestehen, daß die Ablehnung dränge entwicklungspolitisches Engagement, und des Beitritts zum ILO-Abkommen von der Koalition begründen das mit Somalia. Somalia ist das denkbar damit begründet worden ist, daß sich dieses Abkom- schlechteste Beispiel für diese Behauptungen. men an die eigene Regierung richtet und für uns indigene Völker in der Bundesrepublik nicht auszu- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) machen waren? Wir erfüllen in Soma lia mit der Bundeswehr die (Rudolf Bindig [SPD]: Es geht doch um Hil- Verpflichtungen, die eine andere Regierung 1973 f en!) durch ihren Beitritt zur UNO eingegangen ist. Wenn es ein intensives entwicklungspolitisches Engagement der Bundesregierung gegeben hat, das Konrad Weiß (Berlin) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): insbesondere bis 1982 aus den bekannten Gründen, Wir haben auch solche Völker. Ich denke an die mit riesigem Personal- und Finanzaufwand erfolgte, Sorben, die im Westen offenbar noch nicht sehr ernst und wenn sich das Ganze nun so entwickelt hat, kann genommen werden. man das sicherlich weder der damaligen noch der (Jochen Feilcke [CDU/CSU]: Die sind aber heutigen Regierung ankreiden. Wir überlegen doch integriert! — Weiterer Zuruf von der CDU/- geradezu wöchentlich im BMZ, ob wir bei der Sicher- CSU: Sie leben nicht in Stämmen, Herr heitslage wenigstens einige Experten vor Ort plazie- Kollege!) ren können, die versuchen, z. B. eine Trinkwasserver- Aber es geht auch darum, daß die Unterzeichnung sorgung wiederaufzubauen, ohne daß sie dies unter eines solchen Abkommens natürlich Außenwirkung Lebensgefahr tun, was wir den Entwicklungshelfern hat. Insofern sind wir — offenbar im Gegensatz zu nicht zumuten dürfen. Die Reaktion der Opposition im Ihnen — der Auffassung, daß es sehr wohl einen Sinn Bundestag, wenn etwas passierte, wäre berechen- macht, wenn die Bundesrepublik Deutschland dieses bar. Abkommen unterzeichnen würde. Die Unterzeichnung des Übereinkommens wäre ein Vizepräsidentin Renate Schmidt: Herr Minister, kleiner, aber wirksamer Schritt, diesen Völkern künf- gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen tig mehr Recht und Gerechtigkeit zukommen zu Dr. Hauchler? lassen. Diese völkerrechtliche Verpflichtung könnte Deutschland helfen, tatsächlich zu einer vernünftig Carl-Dieter Spranger, Bundesminister für wirt- konditionierten Entwicklungszusammenarbeit zu schaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung: Bitte kommen. Denn unter Hinweis auf die eingegangenen sehr. Verpflichtungen — das wäre als Ergänzung hinzuzu- fügen — könnte die Bundesregierung auch in den Dr. Ingomar Hauchler (SPD): Herr Minister, sind Sie Verhandlungen mit schwierigen Partnern ihre Kondi- bereit, zur Kennntnis zu nehmen, daß ich gesagt habe, tionen der Entwicklungszusammenarbeit mit größe- daß militärische Sicherung sinnvoll sein kann, wenn rem Nachdruck vertreten. Ich bitte deshalb, unserem sie eingebunden ist in ein Konzept von Wiederaufbau- Antrag trotz Ihrer Bedenken zuzustimmen. hilfe und Entwicklung, und daß ich kritisiert habe, daß (Beifall bei Abgeordneten der SPD) genau das nicht der Fall ist in Somalia, daß die Bundeswehr vielmehr selbst Entwicklungshelfer spielt, statt gegebenenfalls — dafür ist meine Frak- Vizepräsidentin Renate Schmidt: Nun spricht Herr tion —, einen Blauhelm-Einsatz zu machen, um in Minister Carl-Dieter Spranger. einem solchen Konzept sinnvolle sicherheitspolitische Maßnahmen zu übernehmen? Das ist unsere Position. Bitte nehmen Sie das zur Kenntnis. Carl-Dieter Spranger, Bundesminister für wirt- schaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung: Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Nach über Carl-Dieter Spranger, Bundesminister für wirt- 30 Jahren Erfahrung in der Entwicklungszusammen- schaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung: Diese arbeit verfügen wir über eine breite Palette von Interpretation Ihrer Eingangsaussage „militärisches konkreten Maßnahmen, die der Armutsbekämpfung Denken verdrängt entwicklungspolitisches Engage- dienen. Eine Weichenstellung für den nachhaltigen ment, siehe Somalia" nehme ich zur Kenntnis. Das Erfolg dieser Arbeit brachte — offensichtlich kann ändert nichts daran, daß Ihre Eingangsbehauptung man das nicht oft genug betonen und wiederholen — schlichtweg falsch ist. die 1991 entworfene entwicklungspolitische Gesamt- Ich darf zum zweiten Punkt kommen. Sie sagten, konzeption der Bundesregierung, die auch in vollem das Elend in der Dritten Welt habe sich durch Struk- 14240 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 165. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23. Juni 1993

Bundesminister Carl-Dieter Spranger turanpassungsmaßnahmen verschärft und in Teilen Zusammenfassend kann man sagen, daß es zur der Entwicklungsländer zum Niedergang geführt. Konzeption der Bundesregierung und der Koalitions- Herr Kollege Hauchler, wenn Sie bei den internatio- parteien in bezug auf Entwicklungspolitik keine bes- nalen Tagungen dabei wären, zuletzt bei der Früh- sere Alternative gibt. Auf dieser Konzeption werden jahrstagung in Washington, könnten Sie hören, daß es wir weiter aufbauen. auch bei den Entwicklungsländern völlig unumstrit- ten ist, daß Strukturanpassungsmaßnahmen das ein- Diese Konzeption hat zwei Wegmarken richtungs- zig Richtige und Notwendige sind, um das Geld nicht weisend vorgegeben, die wir auch heute in der in Fässer ohne Boden fließen zu lassen und um an die Diskussion nicht vergessen sollten: Erstens. Armuts- Ursachen der Fehlentwicklungen heranzukommen. bekämpfung kann nur dann erfolgreich sein, wenn die Partnerländer durch Eigenanstrengungen zeigen, daß (Beifall bei der CDU/CSU) sie die wirtschaftlichen, politischen und sozialen Rah- Daß man damit Erfolg hat, zeigt die Entwicklung in menbedingungen in ihren Ländern verbessern wol- Ghana, in Sambia, in Marokko, in Bolivien, in Argen- len. Wir dürfen die Eigenverantwortung der Entwick- tinien und in einer Reihe anderer Länder. - lungsländer bei der ganzen Debatte nicht außer acht Sie müssen auch zur Kenntnis nehmen, daß wir in lassen der Zwischenzeit die durch Strukturanpassungsmaß- (Dr. Ingomar Hauchler [SPD]: Das ist rich nahmen sicherlich entstehenden sozialen Belastun- tig!) gen der Bevölkerung durch entsprechende Entwick- lungsmittel, Entwicklungsarbeit bilateral und multila- und uns nicht immer einbilden, wir könnten a lles teral abzufedern versuchen. managen. Die Eigenverantwortung ist hier auch (Dr. Ingomar Hauchler [SPD]: Auf wessen zukünftig verstärkt gefordert. Kosten? Auf Kosten der Armen!) (Dr. R. Werner Schuster [SPD]: Das ist unstrit Ihr dritter Punkt, die fehlende Koordination: Der tig, aber einäugig!) Einsatz des Umweltministers bei UNCED, des Arbeitsministers beim Weltsozialgipfel, des Innenmi- — Wunderbar, daß das jetzt unstrittig ist. nisters bei der Weltbevölkerungskonferenz — das weist nicht auf mangelnden Einfluß des BMZ hin, Zweitens. Wirksame Armutsbekämpfung bedeutet, sondern auf die Tatsache, daß entwicklungspolitische die schöpferischen Fähigkeiten des einzelnen zu för- Belange auch in den anderen Ressorts der Bundesre- dern und dadurch private Initiativen als Motor von gierung Berücksichtigung finden und hier ein sehr Entwicklung nutzbar zu machen. Ich hoffe, daß dies gutes Zusammenwirken innerhalb der Bundesregie- auch unstrittig ist. Wenn das so ist, können wir rung herrscht. feststellen, daß unsere Konzeption zügig in diese Richtung umgesetzt wird. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Wir haben überhaupt keine Probleme in bezug auf die Im Rahmen der Armutsbekämpfung werden wir Abstimmung. Daß auch hier Verbesserungen möglich insbesondere der Frauenförderung gerecht, indem und sinnvoll sind, ist unbestritten. wir alle uns vorgelegten Projektanträge darauf prü- fen, ob sie die rechtliche, wirtschaftliche und soziale (Dr. Ingomar Hauchler [SPD]: Deshalb küm Situation der Frauen be treffen und unterstützen und mern Sie sich jetzt um innenpolitische Pro verbessern. bleme!?) Der letzte Punkt: zuwenig Geld. Wir werden natür- (Verena Wohlleben [SPD]: Das ist ein guter lich darüber in den nächsten Wochen noch öfter zu Ansatz, aber zuwenig!) diskutieren haben. Nur frage ich mich immer wieder, Kollege Hauchler, wie viele Milliarden wir beispiels- Wir sind bestrebt, sie in die Vorhaben zu integrieren weise im Einzelplan 23 heute zusätzlich zur Verfü- und bereits ihre Mitwirkung an Planung und Durch- gung hätten, wenn wir über Jahre hinweg die Mög- führung sicherzustellen. lichkeiten genutzt hätten, den Asylrechtsmißbrauch Ein wesentlicher Punkt unserer entwicklungspoliti- wirklich und verfassungsgemäß zu bekämpfen. Daran schen Konzeption sind die Kriterien für nachhaltige ist mit Sicherheit nicht die Bundesregierung schuld. Entwicklung und sinnvolle Entwicklungszusammen- (Beifall bei der CDU/CSU — Dr. Ingomar arbeit, die wir klar definiert haben: Menschenrechte, Hauchler [SPD]: Dann wird jetzt Ihr Etat Beteiligung der Bevölkerung am politischen Entschei- gewaltig erhöht werden?) dungsprozeß und Rechtssicherheit, marktfreundliche — Lieber Kollege Hauchler, ich bin auf Ihre Vorhal- Wirtschafts- und Sozialordnung und entwicklungs- tung eingegangen, wir hätten zuwenig Geld. Das orientiertes staatliches Handeln. Sie sind die wesent- Geld, was in den letzten zehn Jahren wegen der nicht lichen Elemente unserer Zusammenarbeit mit den vorhandenen Bekämpfung des Asylrechtsmißbrauchs Partnern in den Entwicklungsländern. Das deckt sich für bestimmte Leistungen ausgegeben wurde, fehlt voll mit den Zielen des Antrags der Koali tion zur uns natürlich auch bei den Beratungen für den Haus- Entfaltung der privaten unternehmerischen Initia- haltsplan 1994. tive. (Rudolf Bindig [SPD]: Sie haben doch die Ich bin den Koalitionsfraktionen daher sehr dank- Gesetze nicht angewandt! — Dr. Ingomar bar, daß sie unsere Bemühungen durch ihre Ini tiative Hauchler [SPD]: Haben wir oder haben Sie in mittragen und daß sie unseren Weg durch einen den letzten zehn Jahren regiert?) Bundestagsbeschluß bekräftigen wollen. Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 165. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23. Juni 1993 14241

Bundesminister Carl-Dieter Spranger Die meisten der im Antrag schon 1991 formulierten betragen — ein Ergebnis, das das der Industrieländer Vorschläge sind bereits heute fester Bestandteil unse- übertrifft. rer Arbeit auf dem Gebiet der Förderung privatwirt- (Dr. Ingomar Hauchler [SPD]: Aber doch nur schaftlicher Aktivitäten. Insbesondere die Stärkung in den Schwellenländern!) des informellen Sektors ist ein besonders Anliegen, das wir auch von einer anderen Seite, nämlich im — Das ist aber ein wich tiger Teil, und das entlastet uns Rahmen unseres Schwerpunktes Bildung, unterstüt- bei den ärmeren Ländern; auch das muß man zen. sehen. Ich kann nicht nachvollziehen, was die Opposition Dennoch ist davon auszugehen, daß die wirtschaft- bewegt, ihre Zustimmung zu diesem Antrag zu ver- liche Entwicklung so schnell vollzogen wird, daß eine weigern. Denn immer wieder stellen wir fest, daß es gezielte Sozialpolitik damit nicht Schritt halten kann. die Privatwirtschaft ist, die Arbeitsplätze schafft und Das würde auf Dauer bedrohliche Folgen haben. den armen Bevölkerungsschichten mehr Erwerbs- Gravierend ist, daß die traditionellen sozialen möglichkeiten eröffnet. Sicherungssysteme wie der Verband der Großfamilie, (Verena Wohlleben [SPD]: Ohne Beachtung der als soziales Netz diente, inzwischen zerfallen sind, der sozialen Komponente!) ohne daß neue sie ersetzt hätten. Gemäß unserem Kriterium „Entwicklungsorientierung staatlichen Wir müssen daher die Entfaltung der privaten unter- Handelns" ermutigen wir auch auf diesem Gebiet die nehmerischen Initiative mit allen Kräften und allen Partnerregierungen, Konzepte zur Altersabsicherung Parteien unterstützen, damit sich in den Entwick- zu entwerfen und Rahmenbedingungen zu fördern, in lungsländern endlich Strukturen festigen, die der denen soziale Sicherungssysteme Sinn machen. Bevölkerung mehr soziale Sicherheit bieten. Die Umbruchsituationen in den meisten Entwick- Im übrigen ist die Bedeutung des p rivaten Sektors in lungsländern erleichtern diese Aufgabe nicht. Wir der Zwischenzeit auch international unumstritten und haben daher beim Deutschen Ins titut für Entwick- voll anerkannt. lungspolitik die Studie „Soziale Sicherungssysteme (Dr. Ingomar Hauchler [SPD]: Bei uns für arme Bevölkerungsgruppen" in Auftrag gege- auch!) ben. — Um so mehr könnten Sie heute dem Antrag (Zuruf von der SPD: Sehr gut!) zustimmen. — Nicht von ungefähr hat das Entwick- Diese Analyse soll die Voraussetzungen und Möglich- lungskomitee der Weltbank und des Internationalen keiten neuer sozialer Sicherungssysteme aufzeigen. Währungsfonds auf seiner diesjährigen Frühjahrsta- Darüber hinaus werden wir Fallstudien zu einzelnen gung die Förderung des Privatsektors in den Mittel- Ländern sowie zu Sozialsicherungssystemen in Afrika punkt gestellt. erstellen. Unser Ansatz der Förderung p rivater unternehme- (Dr. R. Werner Schuster [SPD]: Das begrüßen rischer Initiative sollte auch in einem größeren politi- wir!) schen Kontext verstanden werden; denn wir müssen den privaten Sektor im Zusammenhang mit den Das BMZ stellt sich somit auf die Förderung ange- erforderlichen politischen und ökonomischen Struk- paßter sozialer Sicherungssysteme ein. Sie soll kein turveränderungen in den Entwicklungsländern se- neuer Schwerpunkt der deutschen Entwicklungspoli- hen. tik werden, sondern sich in das bisherige Koordina- tensystem im Bereich Armutsbekämpfung, aber auch (Dr. Ingomar Hauchler [SPD]: Ihr Antrag ist Bildung einordnen. Insofern unterstützt der Antrag ideologisch geprägt! Deshalb lehnen wir ihn „Entwicklung und Aufbau von sozialen Sicherungssy- ab!) stemen in den Entwicklungsländern " die von uns Bei den Strukturanpassungsmaßnahmen verpflichten bereits begonnene Arbeit. sich die Regierungen der Partnerländer, ihre überdi- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) mensionalen Staats- und Beamtenapparate abzu- bauen. Mangelnde soziale Sicherheit in den Entwicklungs- ländern ist ein Grund für die stetig zunehmenden Soziale Unruhen infolge steigender Arbeitslosigkeit Flüchtlingsströme nach Europa. Menschen begeben vor allem in den Städten zu verhindern muß uns ein sich jedoch nur dann auf die Flucht, wenn die Lebens- Anliegen sein! Die Forderung nach sozialer Abfede- bedingungen in ihren Heimatländern auf keiner von Strukturanpassungsprogrammen ist auch in rung Ebene irgendwelche weiterführenden Perspektiven dem zur Abstimmung vorliegenden Entschließungs- bieten. Unsere ganze Entwicklungszusammenarbeit antrag des Europäischen Parlaments enthalten, den ist auf die herausfordernde Aufgabe ausgerichtet, die wir zur Kenntnis nehmen. Fluchtursachen zu bekämpfen. Natürlich kann das Meine Damen und Herren, Sozialverträglichkeit im BMZ diese gigantische Aufgabe allein nicht lösen und Rahmen der Strukturanpassung ist nur ein Aspekt des auch nicht innenpolitische Versäumnisse ausglei- allgemeinen Problems der sozialen Sicherung in den chen. Entwicklungsländern. Zwar ist es richtig, daß sich (Zustimmung bei der CDU/CSU) wirtschaftliches Wachstum in den Entwicklungslän- dern weltweit einstellt. Weltbankprognosen zufolge Unsere Chancen liegen darin, daß die große Mehr- wird das reale Wirtschaftswachstum der Entwick- heit der Flüchtlinge zu einer Rückkehr bereit ist, wenn lungsländer in den 90er Jahren im Schnitt 4,7 % sich die sozialen, politischen, wirtschaft lichen und 14242 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 165. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23. Juni 1993

Bundesminister Carl-Dieter Spranger ökologischen Bedingungen in ihren Heimatländern den Sie noch den richtigen Weg? Wir sind Ihnen gerne verbessern. Dieser Aufgabe müssen wir uns wid- dabei behilflich, den richtigen Weg zu finden. men. (Beifall bei der SPD) Ich möchte festhalten: Die Bundesregierung ist Verschiedene Wegweiser befinden sich heute ja auf durch den Bundestagsbeschluß vom 14. J anuar 1993 der Tagesordnung. Nehmen wir z. B. den Punkt „Un- aufgefordert worden, die Repatriierung und Flücht- terzeichnung und Ratifizierung des Übereinkommens lingsreintegration verstärkt zu unterstützen. Wir 169 über eingeborene und in Stämmen lebende Völ- haben bei der Aufstellung des Haushalts 1994 die ker „ . Mittel für Rückkehrerprogramme um 15 % aufge- (Jochen Feilcke [CDU/CSU]: Herr Professor stockt. Zusätzlich haben wir 1993 erstmals eine TZ- Pinger möchte gerne ein Privatissimum!) Reserve für Flüchtlingsprogramme in Höhe von 20 Millionen DM bereitgestellt. Ab 1994 soll ein — Aber nicht jetzt hier. — Wir Sozialdemokraten Studien- und Fachkräftefonds „Flüchtlingshilfe" mit verstehen nicht, warum Sie sich weigern, der Ratifi- 1 Milli zierung dieses Übereinkommens zuzustimmen. Im on DM gefördert werden. Das Problem ist also- nicht das Geld, sondern sind sinnvolle Projekte, um Bericht der Bundesregierung über die Konferenz hier erfolgreich zu arbeiten. „Umwelt und Entwicklung" der Vereinten Na tionen in Rio ist festgehalten, daß im Gegensatz zu anderen Wir arbeiten natürlich, um das ressortübergreifende Industrieländern Deutschl and nur im Rahmen der Gesamtkonzept besser umzusetzen, daran, die Zu- Entwicklungszusammenarbeit von der Problematik sammenarbeit mit BMI und AA noch enger zu koor- betroffen ist. Dem geben wir recht. dinieren, und wir intensivieren ergänzend unsere Arbeit auch auf der Bund-Länder-Ebene. In diesem Bericht haben Sie sich zwar für eine umfassendere Beteiligung der eingeborenen Bevöl- (Zustimmung bei der CDU/CSU) kerungsgruppen an den Entscheidungsprozessen Ich glaube, wer von uns heute noch ein Gesamtkon- und den entwicklungs- und umweltorientierten Maß- zept für die Repatriierung und Reintegra tion von nahmen der Agenda 21 ausgesprochen, aber das Flüchtlingen fordert, der kann dies nur in Unkenntnis reicht unserer Meinung nach nicht aus. unserer laufenden Aktivitäten tun. Deutschland ist zwar nicht direkt be troffen, aber Wir alle wissen, daß die Annahme oder Ablehnung doch indirekt. Indirekt be troffen sind wir auf Grund dieses Antrags nur einen sehr mittelbaren Einfluß auf unserer Arbeit, unserer Projektplanung und unserer das An- oder Abschwellen der Flüchtlingsströme gesamten Entwicklungspolitik, wie Sie selber zuge- nimmt und daß wir nur über verbesserte Lebensbedin- ben. Ich frage Sie: Warum sollen wir nicht Wegberei- gungen in den Entwicklungsländern sichtbare Erfolge ter sein, die Rechte der eingeborenen Völker anzuer- verzeichnen können. Dazu müssen wir immer wieder kennen, und damit Fundamente setzen, die eingebo- unsere sehr schnell wachsenden Erwartungen dämp- renen Völker in Entscheidungsprozesse zur Entwick- fen und mit langem Atem, viel Geduld und Realismus lung des Landes einzubeziehen? darauf hinarbeiten, daß Not und Elend in den Ent- Warum wollen Sie nicht auf einem Feld für Zigmil- wicklungsländern durch sozialen, wirtschaftlichen lionen von Menschen ein Signal setzen? Was verbirgt und politischen Fortschritt beseitigt werden. Das in sich dahinter, fragen wir uns. Vor allen Dingen erster Linie sollte unser Ziel sein. geschieht das gerade in einem Jahr, das die UNO als Ich darf Sie bitten: Lassen Sie uns alle auch zukünf- das Jahr der indigenen Völker sehen möchte. Warum tig mit aller Kraft gemeinsam an dieser wichtigen wollen Sie nicht Vorbild sein für andere Staaten? Wir Aufgabe arbeiten. vergeben uns dabei überhaupt nichts. (Beifall bei der SPD) (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Vizepräsidentin Renate Schmidt: Kollegin Wohlle- ben, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Vizepräsidentin Renate Schmidt: Nun hat die Kolle- Pinger? gin Verena Wohlleben das Wort.

Verena Wohlleben (SPD): Mit diesem Punkt bin ich noch nicht zu Ende. Verena Wohlleben (SPD): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Herren und Damen! Zum Auftakt dieser entwicklungspolitischen Debatte haben Sie, Vizepräsidentin Renate Schmidt: Aber später Herr Professor Pinger, gesagt, daß Sie mit Ihrer schon? Entwicklungspolitik auf dem richtigen Weg sind. (Dr. Winfried Pinger [CDU/CSU]: Das ist Verena Wohlleben (SPD): Ja. wahr!) (Jochen Feilcke [CDU/CSU]: Aber er hat jetzt eine Frage! Sie wollten ihm helfen!) Mir stellt sich die Frage, ob Sie sich nicht eher in einer Sackgasse befinden, aus der sie nicht mehr heraus- Das Ziel dieses Übereinkommens ist doch ein bes- kommen. serer Schutz der sozialen und kulturellen Identität der eingeborenen und in Stämmen lebenden Bevöl- (Beifall bei der SPD) kerungsgruppen. Wenn wir damit den Schutz alter Haben Sie sich vielleicht festgefahren, oder haben Sie Traditionen erreichen — wenn auch nur mit Vorbild- sich nur in den bisherigen Ansätzen verfahren? Fin funktion —, dann haben wir schon einen Teil dazu Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 165. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23. Juni 1993 14243

Verena Wohlleben beigetragen, soziale und kulturelle Traditionen in den es doch zugelassen, daß aus den Entwicklungsländern Entwicklungsländern zu erhalten. Und das wollen in großem Maße Billiglohnländer wurden, ohne dabei wir. auf die Sozialkomponente in diesen Ländern zu ach- ten und ohne die soziale Verantwortung bei den Vizepräsidentin Renate Schmidt: Jetzt Ihre Zwi- Verantwortlichen einzufordern. schenfrage, Herr Kollege Pinger. (Beifall bei der SPD und der PDS/Linke Liste) Dr. Winfried Pinger (CDU/CSU): Frau Kollegin, sind Es ist unbedingt notwendig, daß der Teufelskreis Sie bereit, mir darin zuzustimmen, daß sich die Koali- aufgebrochen wird. Immer noch ist es für die Frauen tionsfraktionen hinsichtlich der indigenen Völker am der Dritten Welt fast unausweichlich, möglichst viele praktischen Beispiel von Narmada sehr intensiv ein- Kinder in die Welt zu setzen, um wenigstens die gesetzt haben, was mit dazu geführt hat, daß das geringste Altersvorsorge zu haben, ja um überhaupt Projekt von der Weltbank schließlich aufgegeben ihr Leben durch die billige Arbeit dieser Kinder zu worden ist? Sind Sie also bereit, zuzugeben, daß - finanzieren. Eines der schwierigsten Probleme, näm- jedenfalls an diesem praktischen Beispiel deutlich lich das der Überbevölkerung, wird dadurch immer gemacht worden ist, daß wir indigene Völker unter- weiter verschlimmert. Wir müssen endlich dazu kom- stützen und uns für sie einsetzen? men, Alternativen für diese Menschen zu finden, (Zuruf von der SPD: Dann unterschreiben Sie damit die Ärmsten der Armen endlich auch sozial doch!) abgesichert sind. Das kann aber nicht nur die einfache Forderung Verena Wohlleben (SPD): Herr Professor Pinger, ich nach einem sozialen Sicherungssystem sein. Wir müs- bin überhaupt nicht bereit, etwas zuzugeben. Hier sen diesen Kreis vielmehr endlich durchbrechen und geht es nämlich nicht um Einzelprojekte, sondern um das Problem an der Wurzel packen. Wie berücksich- das gesamte Übereinkommen, und ich frage mich: tigen wir denn die Frauen in den Entwicklungslän- Warum stimmen Sie dem nicht zu? Warum sind Sie dern? Manchmal frage ich mich, ob es diese Frauen für nicht bereit, dem zuzustimmen und hier Vorreiter zu uns überhaupt gibt. Sie sind zwar ständig in aller sein? Munde, sie sind immer im Gespräch. Heute waren sie auch wieder im Gespräch, aber die Erkenntnis, daß es (Beifall bei der SPD) Entwicklung nur mit Frauen gibt, setzen Sie nicht Ich möchte mich nicht wiederholen, aber wir dürfen definitiv um. nicht auf Einzelprojekte ablenken, bei denen Sie vielleicht einmal ein bißchen entgegengekommen Wie und in welche Richtung sich unsere Weltgesell- sind. Hier geht es vielmehr um das Abkommen und schaft bewegt, hängt entscheidend davon ab, welche um nichts anderes. Möglichkeiten Frauen haben, sich am sozialen und wirtschaftlichen Leben zu beteiligen. Frauen haben Ein weiterer Punkt auf der Tagesordnung ist die eine Schlüsselposition. Daher ist die Förderung von Entwicklung und der Aufbau von sozialen Siche- Frauen in Entwicklungsländern ein wesentlicher Bei- rungssystemen in den Entwicklungsländern. Ihr trag zur Verwirklichung von Menschenrechten und Antrag liest sich zwar gut. Wir wissen aber, daß immer zur Wahrung der Menschenwürde. mehr Menschen in den Entwicklungsländern unter entwürdigenden Bedingungen absoluter Armut le- (Beifall bei der SPD — Gerlinde Hämmerle ben. Es sind die Ärmsten der Armen. Sie sind so arm, [SPD]: Nicht nur in Entwicklungsländern!) daß langfristig ihr Überleben gefährdet ist. Prognosen Ohne die Förderung von Frauen ist eine vernünftige besagen, daß diese Gruppe weiter wächst. Entwicklungspolitik nicht denkbar. Deshalb müssen Die bundesdeutsche Entwicklungszusammenarbeit den Frauen endlich bessere Bildungschancen zuge- sieht sich doch der Armutsbekämpfung verpflichtet. standen werden. Ein Schwerpunkt unserer Arbeit Deshalb steht sie vor der Frage, ob das herkömmliche muß die Förderung von Frauen werden. Förderungsinstrumentarium auch wirklich die Ärm- sten der Armen erreicht. Wir fragen uns, ob Ihr (Beifall bei der SPD und der PDS/Linke Liste Konzept vielleicht sogar die Ärmsten der Armen — Jochen Feilcke [CDU/CSU]: Gemein übergeht. plätze und Kalendersprüche!) Es ist sicher richtig und auch notwendig, Konzepte Auch der Lebensstandard der Menschen der Dritten zu schaffen, die langfristige soziale Sicherheit bein- Welt muß durch Verbesserung der Grundbildung, halten. Ich gebe Ihnen recht, wenn Sie in Ihrem Antrag Ausbildung und Weiterbildung und der hygienischen schreiben, daß Marktwirtschaft auf Dauer nur als Verhältnisse entscheidend angehoben werden. Wir Soziale Marktwirtschaft erfolgreich sein könne. Als dürfen nicht weiter zulassen, daß aus den Entwick- Trugschluß empfinde ich allerdings, wenn Sie weiter lungsländern nur herausgeholt wird, daß nur verdient formulieren und das vielleicht auch noch wirklich wird, daß Gewinne abgeschöpft werden, aber nicht glauben — das unterstelle ich Ihnen jedenfalls, denn von den Menschen, die dort leben, sondern von den sonst wäre das im Antrag nicht nachzulesen —, daß westeuropäischen Ländern. nichtstaatliche Solidargemeinschaften zu den Erfor- Wir wissen auch, daß das gegenwärtige Weltwirt- dernissen der Existenzsicherung, Sozialverträglich- schaftssystem nicht in der Lage ist, Hunger und soziale keit und Umwelterhaltung wesentlich beitragen. Verelendung in vielen Ländern dieser Erde zu stop- Wie stellt sich die Situation in den Entwicklungslän- pen. Auch ist das gegenwärtige Weltwirtschaftssy- dem dar? Das handeln Sie in einem Satz ab. Wir haben stem nicht in der Lage, die globale ökologische 14244 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 165. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23. Juni 1993

Verena Wohlleben Bedrohung abzuwenden. Deshalb kann die Lösung deutlich, daß die Entwicklungspolitik offensichtlich nur, wie meine Kollegin Brigitte Adler bereits im Juni einen neuen Stellenwert bekommen hat. vergangenen Jahres hier im Plenum ausführte, eine (Jochen Feilcke [CDU/CSU]: Im Sommer kombinierte Vorgehensweise sein: Schaffung einer sind die Tage ja auch lang! Wir werden nur gerechteren Weltwirtschaftsordnung und Nutzung noch im Sommer debattieren! — Dr. Jürgen der entstehenden Freiräume für privatwirtschaftliche Rüttgers [CDU/CSU]: Auch Geschäftsführer Initiativen. sind lernfähig!) (Jochen Feilcke [CDU/CSU]: Wir müssen erst Wer dem Ausschuß für wirtschaftliche Zusammen- eine Weltregierung haben!) arbeit angehört, der weiß aus Erfahrung, daß es in der Solange aber die internationalen Rahmenbedingun- Entwicklungspolitik eigentlich eine doch sehr breite gen keinen Spielraum für privatwirtschaftliche Initia- praktische Übereinstimmung gibt. Wer diese Debatte tiven lassen, solange das für Investitionen notwendige verfolgt und dann hört, daß — das ist ein besonderes Kapital aus den Entwicklungsländern in die Industrie- Privileg unseres verehrten Kollegen Hauchler — eine länder zurückfließt, solange diese fest zementierten entwicklungspolitische Wüste an die Wand gemalt Weltwirtschaftsstrukturen nicht reformiert werden, so wird, der weiß, daß das natürlich nur möglich ist, weil lange können unsere noch so guten, intensiv erarbei- hier weit offene Fenster sind, und daß das mit seinen teten und sicher auch wohlgemeinten Konzepte kei- normalen Reaktionen im Ausschuß und mit seiner nen Erfolg haben. breiten Zustimmung zur amtlichen Entwicklungspoli- (Zuruf von der SPD: Leider wahr!) tik nichts zu tun hat. Es geht um mehr als nur um die Zufriedenstellung (Beifall bei der CDU/CSU — Dr. Jürgen privater Investoren in den Entwicklungsländern. Es Rüttgers [CDU/CSU]: Realitätsverweige- geht um mehr als um eine Exportförderung für unser rung! — Dr. Ingomar Hauchler [SPD]: Ich Land. Es geht um Menschen, die das Recht haben, verwahre mich schärfstens dagegen! — Wei- unter menschenwürdigen Bedingungen und Lebens- terer Zuruf von der SPD: Sie stimmen doch verhältnissen zu leben. Deshalb muß unser oberstes immer unseren Diskussionsbeiträgen zu!) Ziel sein, zu einer menschenwürdigen, wirtschaftlich Verehrter Herr Kollege Hauchler, ich bin ja nun produktiven, sozial gerechten und umweltverträgli- ganz und gar ungeeignet zu polemischen Ausfällen, chen Entwicklung in den Entwicklungsländern und in aber ich erlaube mir doch einmal den Hinweis, daß wir den Ländern Osteuropas beizutragen und dabei auch in weiten Teilen der Welt auch deshalb Entwicklungs- einmal den privatwirtschaftlichen Nutzen der west- politik betreiben müssen, weil wir schlimme Folgen europäischen Firmen außer acht zu lassen und die einer bestimmten Ideologie tilgen müssen, einer Ideo- westeuropäischen Nutznießer in die Verantwortung logie, zu nehmen, (Beifall bei der SPD und der PDS/Linke Liste (Jochen Feilcke [CDU/CSU]: Bitte sagen, —Jochen Feilcke [CDU/CSU]: Heißt das, Sie welche!) wollen wieder den Sozialismus?) einer Wirtschaftsphilosophie, der wir eigentlich nicht damit auch in den Entwicklungslände rn die Lebens- sehr nahegestanden haben. Auch das gehört zur bedingungen angeglichen werden — in der einen geschichtlichen Wahrheit. Welt, die es meiner Meinung nach nur gibt — und (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. — damit die Gleichstellung der Menschen im Norden Jochen Feilcke [CDU/CSU]: Das kann man und Süden, im Westen und Osten realisiert wird, gar nicht oft genug sagen!) (Jochen Feilcke [CDU/CSU]: Staatliche Entwicklungspolitik soll keine inte rnationale So- ABM-Programme!) zialhilfe sein, sondern Hilfe zur Selbsthilfe. Hier ist denn das Recht des Stärkeren ist meistens das größte heute nachmittag schon einmal gesagt worden, das sei Unrecht. ein Schlagwort. Ich finde, Hilfe zur Selbsthilfe ist Ich danke Ihnen. richtig als Angebot, (Beifall bei der SPD und der PDS/Linke (Dr. Ingomar Hauchler [SPD]: Das habe ich Liste) gesagt!) als Philosophie vernünftiger Entwicklungspolitik. Deshalb glaube ich: Das, was richtig ist, darf und muß Vizepräsidentin Renate Schmidt: Nun hat der Kol- man immer wieder sagen. lege Ulrich Schmalz das Wort. Hilfe zur Selbsthilfe bedeutet die Entfaltung der in den Entwicklungsländern vorhandenen eigenen Ulrich Schmalz (CDU/CSU): Verehrte Frau Präsi- Kräfte. Dies kann mit langfristigem und nachhaltigem dentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Im Erfolg nur dann geschehen, wenn unsere Entwick- Jahre 1993 gibt es das Bundesministerium für wirt- lungspolitik darauf gerichtet ist, die produktiven schaftliche Zusammenarbeit seit 30 Jahren, d. h. seit Kräfte in den Entwicklungsländern zu stärken und 30 Jahren gibt es sozusagen amtliche deutsche Ent- damit die Beschäftigungsmöglichkeiten für die Bevöl- wicklungspolitik. Ich finde es sehr sympathisch, daß kerung zu vergrößern. Denn Arbeitsplätze sind erste eine kluge Regie es uns ermöglicht, am hellichten Voraussetzung dafür, daß Einkommen erwirtschaftet Tage über Entwicklungspolitik zu debattieren. Das werden können. Die dadurch steigende Kaufkraft ruft soll ja nicht immer so gewesen sein. Das macht erhöhte Nachfrage he rvor, die zu weiterem Wirt- Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 165. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23. Juni 1993 14245

Ulrich Schmalz schaftswachstum führt. Dieses Wirtschaftswachstum Das gilt auch für den informellen Sektor, dessen wiederum schafft Kapazität zu verstärkter Armutsbe- Potentiale für die Entwicklung nutzbar zu machen kämpfung aus eigener Kraft. Es hat auch etwas mit der sind und auch nutzbar gemacht werden können, wie Würde der Menschen zu tun, daß sie sich aus eigener beispielsweise speziell angepaßte Finanzdienstlei- Kraft bewähren können. stungen in Peru und Bangladesch beweisen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. — Mittelständisch strukturierte privatwirtschaftlich Dr. Ingomar Hauchler [SPD]: Ja, natürlich!) geführte Unternehmen schaffen produktive Arbeits- plätze, vermitteln unmittelbare Ausbildung, entwik- Die Förderung privater und unternehmerischer keln Kreativität und Innovation, fördern unternehme- Initiative in den Ländern der Dritten Welt verspricht rische Begabung und tragen zum unternehmerischen neben der Vermittlung von Bildung und Ausbildung Nachwuchs bei, ohne den ein erfolgversprechender am ehesten die Erlangung von langfristiger und wirtschaftlicher Aufbau nicht möglich ist. Durch ihre nachhaltiger Entwicklung. Anders als die meisten starke Verankerung im regionalen wirtschaftlichen staatlichen Entwicklungsprojekte erleben privatwirt- und sozialen Umfeld, z. B. durch geschäftliche Ver- schaftliche Projekte und Unternehmen nicht erst zu knüpfung mit der Landwirtschaft, können sich posi- einem späteren Zeitpunkt, bei der Übergabe an den tive Wachstumsanstöße für andere Sektoren ergeben. lokalen Projektträger, ihre Stunde der Wahrheit, son- Die Entwicklungen, die sich im Bereich der kleinen dern müssen sich von Anfang an den Spielregeln und und mittleren Unternehmen vollziehen, geben vielfäl- damit der Kontrolle des Marktes unterwerfen. Sie sind tige Möglichkeiten, das entwicklungspolitische In- auf Dauer angelegt und werden von p rivaten Unter- strumentarium, nämlich Kredit- und Beteiligungshil- nehmern gemanagt, die ihre persönlichen Interessen fen, Beratungsmaßnahmen, Partnerschaften zwischen in ihren Unternehmen verfolgen und damit weitest- Selbstverwaltungsorganen und Selbsthilfeeinrichtun- möglich ein Funktionieren und Fortbestehen ihres gen der Wirtschaft, einzusetzen und zu erweitern. Unternehmens sicherstellen. An dieser Stelle ist besonders das erfolgreiche Engagement der Deutschen Investitions- und Ent- Meine Damen und Herren, nachdem sich diese wicklungsgesellschaft zu würdigen und hervorzuhe- Erkenntnis nunmehr weltweit durchgesetzt hat, muß ben. Seit ihrer Gründung im Jahre 1962 hat die DEG das Ziel entwicklungspolitischer Zusammenarbeit in den Aufbau von 570 Unternehmen in Ländern der Zukunft mehr denn je sein: more trade than aid. Dieser Dritten Welt gefördert. Durch Zusagen von 3 Milliar- Zielrichtung trägt der hier zur Beschlußfassung vorlie- den DM hat sie ein Investitionsvolumen von insgesamt gende Antrag des Ausschusses für wirtschaftliche 30 Milliarden DM mobilisiert und die Schaffung von Zusammenarbeit über die Entfaltung der p rivaten 3 Millionen Arbeitsplätzen ermöglicht. unternehmerischen Initiative in der „Dritten Welt" in bemerkenswerter Deutlichkeit Rechnung. Dabei hat (Rudolf Bindig [SPD]: Die scharfe Kri tik des das entwicklungspolitische Instrumenta rium zur För- Ausschusses an der DEG kennen Sie wohl derung der privaten unternehmerischen Initiative nicht?) gleichermaßen die innere wirtschaftliche Belebung Meine Damen und Herren, zur wirtschaft lichen wie die internationale wirtschaftliche Kommunika- Belebung innerhalb der Dritten Welt gehören schließ- tionsfähigkeit der Partnerstaaten zu berücksichti- lich auch entscheidend die Privatisierung bislang gen. staatlicher Unternehmen und die Überführung öffent- licher Dienstleistungen in die Privatwirtschaft. Das ist Zur Förderung einer inneren wirtschaftlichen Bele- eine Forderung, die im übrigen nicht nur für Entwick- bung sind unserer Ansicht nach vor allem drei Maß- lungsländer Geltung beansprucht. nahmen unabdingbar und für die Entfaltung der privaten unternehmerischen Initia tive unerläßlich: Die weit größere Nutzung eines freien Handels erstens eine unternehmerfreundliche Investitions- durch die Entwicklungsländer wurde bisher dadurch und Kreditpolitik, zweitens eine aktive Mittelstands- behindert, daß ein erfolgreicher Abschluß der bereits politik unter Berücksichtigung des informellen Sek- seit 1986 laufenden Uruguay-Runde im Rahmen des tors und drittens die Privatisierung staatlicher Unter- GATT nicht gelang. Den anerkennenswerten Libera- nehmen. lisierungsschritten der Entwicklungsländer stehen auf multilateraler Ebene keine entsprechenden Maßnah- Die Investitions- und Kreditpolitik sowohl der men der Industriestaaten gegenüber. Durch die noch internationalen Geberländer wie der Entwicklungs- immer bestehende Einschränkung des Zugangs zu länder selbst hat sich — das muß hier leider beklagt den Industrieländermärkten insbesondere in den werden — in der Vergangenheit zu sehr an vor allem Bereichen Landwirtschaft, Textil und Bekleidung ver- staatlichen, aber auch p rivaten Großbetrieben orien- lieren die Entwicklungsänder schätzungsweise Ex- tiert. Aus diesem Grunde blieben zahlreiche Bera- porteinnahmen von 100 Milliarden US-Dollar pro tungsprojekte zur Förderung der Klein- und Mittelin- Jahr. Der Gesamtbetrag der weltweit aus öffentlichen dustrie in ihrer Wirkung eingeschränkt. Dabei sind für Quellen stammenden Entwicklungshilfeleistungen die Mehrzahl der Lander gerade kleine und mittlere lag 1992 bedeutend niedriger, nämlich bei rund 62 Unternehmen kennzeichnend. Sie können als eigent- Milliarden US-Dollar. liche Träger des wirtschaftlichen Wachstums gelten. Von ihrer Leistungsfähigkeit gehen entscheidende (Dr. Uwe Holtz [SPD]: Sie haben recht!) Impulse nicht nur für den wi rtschaftlichen, sondern Parallel zu diesen beschämenden Behinderungen von auch für den gesamtgesellschaftlichen Fortschritt Ausfuhren aus Ländern der Dritten Welt geht die aus. Beeinträchtigung der dortigen p rivaten unternehme- 14246 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 165. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23. Juni 1993

Ulrich Schmalz rischen Initia tive durch den Export subventionierter nischen Aufnahmeländern 13 selber von Hungerka- Agrarprodukte aus Industrieländern weiter. tastrophen bedroht oder befallen waren. Wie groß die (Dr. Uwe Holtz [SPD]: Leider!) Last der afrikanischen Aufnahmeländer ist, verdeutli- chen einige Zahlen. In Europa kommt auf 700 Einwoh- Meine Damen und Herren, eine solche Politik ner 1 Flüchtling. In Afrika liegt dieses Verhältnis bei erschüttert die Glaubwürdigkeit der von den Indu- 100: 1 und in einem armen Staat wie Malawi sogar bei striestaaten erhobenen Forderungen nach marktwirt- 8:1. schaftlichen Reformen in den Entwicklungslände rn. (Beifall bei der CDU/CSU, der F.D.P. und der Repatriierung und Reintegration dieser Menschen SPD) stellen die Entwicklungsländer vor unlösbare Auf ga- ben. Sie brauchen unsere Hilfe, um die zusätzliche Wir können von den Entwicklungsländern nicht Last der Flüchtlinge einigermaßen zu bewältigen. Wir immer die Erledigung der entwicklungspolitischen haben von Herrn Spranger gehört, daß die Bundesre- Hausaufgaben durch Schaffung marktgerechter Rah- gierung diese Notwendigkeit erkannt hat und bereits menbedingungen verlangen, wenn wir selbst nicht - dabei ist, sie umzusetzen. bereit sind, unsere Hausaufgaben zu machen und die Rahmenbedingungen für eine faire und gleichberech- Auch unser Parlament befaßt sich bereits seit den tigte Beteiligung der Entwicklungsländer am Welt- 70er Jahren mit diesem Problembereich. Wir müssen handel zu schaffen. zugeben, daß die zu erwartende Verdoppelung der Meine Damen und Herren, ich bin sicher, daß wir Weltbevölkerung die Chancen auf einen Erfolg wei- am Ende dieses Jahres am Ziel sind, daß GA TT terhin schmälert, weil es uns bis jetzt nicht gelungen wirklich zum Abschluß kommt. Ich glaube, daß mit ist, ein soziales Sicherungssystem in den Entwick- diesem GATT-Abschluß dann wichtige Vorausset- lungsländern aufzubauen, das die Eltern im Alter von zungen geschaffen sein werden, damit das von mir den Kindern unabhängig macht. beklagte Defizit abgebaut werden kann. In Ihrem Antrag zäumen Sie nach meinem Dafür- Wir empfehlen, die Beschlußempfehlung auf halten das Pferd von hinten auf. Rückkehr und Wie- Drucksache 12/4618 zur Entschließung des Europäi- dereingliederung sind keine losgelösten Problemf el- schen Parlaments zur Strukturanpassung in den Ent- der, sondern notwendigerweise Teile des jeweiligen wicklungsländern nicht zu unterstützen. Die dort nationalen Entwicklungsplanes, verwendeten Begriffe wie „Steuerung der Welt- märkte" entsprechen nicht unseren Auffassungen. (Zuruf von der SPD: Das steht drin!) Wir lehnen also die Entschließung, die dazu vorgelegt worden ist, ab. Im übrigen empfehlen wir den von den mit dem ein passendes Umfeld geschaffen werden Koalitionsfraktionen vorgelegten Antrag Ihrer An- muß, in das sich die Rückkehrer eingliedern kön- nahme. nen. Vielen Dank. (Zuruf von der SPD: Zustimmung!) (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. Sie schieben die Verantwortung für die nachhaltige sowie bei Abgeordneten der SPD) Beseitigung der Fluchtursachen außerdem einseitig den Industrieländern zu. Nun spricht die Vizepräsidentin Renate Schmidt: (Zuruf von der F.D.P.: Das machen die Kollegin Dr. Michaela Blunk. immer!) Meine Damen und Herren, es ist verständlich, daß Dr. Michaela Blunk (Lübeck) (F.D.P.): Frau Präsi- dentin! Meine Damen und Herren! Es gibt viele die meisten Flüchtlinge — es handelt sich überwie- Gründe, die dazu führen, daß immer noch eine stei- gend um Frauen, Kinder und alte Menschen — erst in gende Zahl von Menschen ihre angestammte Heimat ihre Heimat zurückkehren wollen, wenn sich dort die verläßt. Es hätte sicherlich der Sache mehr gedient, politischen, sozialen und ökologischen Verhältnisse wenn Sie in Ihrem Antrag zur Repatriierung den grundlegend geändert haben. Aber anders, als Sie es entscheidenden Grund beim Namen genannt hätten, schreiben, liegt die Verantwortung für die Verbesse- nämlich die dramatische Bevölkerungsentwicklung. rung der Rahmenbedingungen im wesentlichen bei den Entwicklungsländern selbst. (Dr. R. Werner Schuster [SPD]: Das steht doch drin! — Dr. Ingomar Hauchler [SPD]: Sie (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne haben den Antrag nicht gelesen, Frau Kolle ten der CDU/CSU — Zuruf von der SPD: Da gin!) unterscheiden wir uns!) Armut, Landflucht, Verslummung, Umweltzerstörung und auch manche kriegerische Auseinandersetzung Dazu gehören Minderheitenschutz, Hilfe zur Selbst- sind Folgeerscheinungen, weil zu viele Menschen hilfe — ich halte dieses Schlagwort auch für richtig —, ihre natürlichen Ressourcen überfordern. Politische Frauenförderung, fairer Welthandel, Entwicklung der Ursachen verstärken das Problem. Landwirtschaft. Bislang haben weder die USA noch Europa den (Dr. Ingomar Hauchler [SPD]: Einverstan tatsächlichen Umfang der Flüchtlingsströme erkannt, den!) weil nämlich zwischen 80 % und 90 % dieser Men- schen in den gebeutelten Entwicklungslände rn ver- Die Industrieländer müssen allerdings personelle und bleiben. Ich erinnere daran, daß 1988 von 20 afrika materielle Hilfe leisten. Ihnen obliegt es z. B., die Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 165. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23. Juni 1993 14247

Dr. Michaela Blunk (Lübeck) Rückkehrwilligen so auszubilden, daß sie auf dem einigen der Anträge, sogar in zwei Anträgen der heimischen Arbeitsmarkt Fuß fassen können. Koalitionsfraktionen, einige gute punktuelle Ansätze (Zuruf von der SPD: Das ist Ziel des Antra enthalten sind, wie die Förderung des informellen ges!) Sektors und der Aufbau von Systemen der sozialen Sicherung in den Entwicklungsländern, ein Ke rn Die Wiedereingliederung der Flüchtlinge ist ein -problem wird nicht angesprochen: die zwangsläufige Mosaikstein unter vielen; denn wenn nur die Rück- und eskalierende weitere Ausbeutung und Ausplün- kehrer Hilfe in Form von Ausbildung, Gehaltszu- derung der Dritten Welt über die ökonomischen und schüssen u. ä. erhalten, sind Konflikte unausweich- technologisch unterfütterten Austauschbeziehungen lich. Die Einrichtungen für Bildung und Ausbildung zwischen dem reichen Norden und dem armen Süden sowie die zu schaffenden Arbeitsplätze müssen für dieses Erdballs. alle zugänglich sein. Sie bleiben auch die Antwort schuldig, wie Sie Wer die Länder der Dritten Welt weiterhin schutzlos aussetzen Mitnahmeeffekte bei den Überbrückungshilfen ver- den weltwirtschaftlichen Marktkräften will, sei es auch durch Förderung der Privatinitiative, meiden wollen. - ist auf dem falschen Wege. Er nützt nicht den Armen in Angesichts der Unterschiede in den einzelnen Ent- den armen Ländern des Südens; er nützt dagegen dem wicklungsländern erscheint es zumindest zweifelhaft, reichen Norden, er nützt insbesondere den Kräften, ob es sinnvoll ist, ein Gesamtkonzept zu erstellen. Ob die hier bei uns, im reichen Norden, Probleme durch ein „Flüchtlingskabinett", also eine neue Instanz, für Entfesselung weiteren wirtschaft lichen Wachstums zu die entwicklungspolitische Zusammenarbeit sinnvoll lösen versuchen. ist, wage ich ebenfalls zu bezweifeln. Privatwirtschaftliche Ini tiative im Süden und Sie fordern eine erhebliche Aufstockung der bi- und Wachstum im Süden, damit im Norden so weiter multilateralen Mittel der Bundesrepublik und schla- verfahren und weiter gewachsen werden kann wie gen eine Umschichtung der sogenannten Ausstat- bisher, das, fürchte ich, ist die Logik des Koalitions- tungshilfe für Polizei und Militär vor. Nun erleben wir konzepts insgesamt. gerade in Somalia, was es bedeutet, wenn ein Staat keine funktionierende Polizei hat. In Mosambik und Das aber vertieft nicht nur die Kluft zwischen den Angola ist die teilweise Zusammenführung der ver- Armen im Süden und den Reichen im Norden dieser feindeten Truppen in einer neutralen nationalen Erde, sondern führt auch zur weiteren Belastung und Armee eine wichtige Voraussetzung für den inneren Zerstörung der natürlichen Umwelt. Es führt zur Frieden. Im übrigen haben auch Dritte-Welt-Länder Zerstörung der natürlichen Umwelt im Norden durch berechtigte Sicherheitsinteressen, denen sie mit einer weiter steigende Industrieproduktion und High-Tech- angemessenen Armee gerecht werden wollen. Investitionen, es führt zur Umweltzerstörung durch Die Repatriierung von Flüchtlingen ist ein — aller- Nichtentwicklung eigener, angepaßter Produk tions-, dings wichtiger — Teilaspekt der allgemeinen Ent- Energieerzeugungs- und Verkehrsformen in den Län- wicklungspolitik, die die Fluchtursachen beseitigen dern des Südens. muß und damit auch den Grundstein für die Rückkehr Ich fürchte, das ist der wirkliche Effekt und auch die der Flüchtlinge legt. Dem Ziel der Rückkehr und wirkliche Absicht der Entfaltung der privaten unter- Wiedereingliederung stimmen wir zwar zu, dem von nehmerischen Initiative in der sogenannten Dritten Ihnen aufgezeigten Weg im Antrag 12/4662 allerdings Welt. Sie zementiert — ich betone das noch einmal nicht. trotz einiger positiver Punkte — insgesamt die Auf- (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU — spaltung der Erde in den armen Süden und den Gerlinde Hämmerle [SPD]: Schade! — Wei reichen, industriell hoch- und in einigen Bereichen terer Zuruf von der SPD: Und keine Alterna vielleicht bereits überentwickelten Norden. tive!) Wer wirklich den Menschen in der Dritten Welt helfen will, der darf nicht die Verhältnisse hier im Vizepräsidentin Renate Schmidt: Nun spricht der Norden dort im Süden kopieren. Wer helfen will, der Kollege Dr. Ulrich Briefs. muß in die wirtschaftlichen Beziehungen zwischen erster und Dritter Welt aktiv gestaltend eingreifen, eingreifen erstens durch eine Politik der Schulden- Dr. Ulrich Briefs (fraktionslos): Frau Präsidentin! streichung, damit die armen Länder des Südens nicht Meine Damen und Herren! Es ist zu begrüßen, daß weiterhin den größeren Teil und einen weiter wach- sich dieses Haus wieder einmal mit dem befaßt, was senden Teil ihres natürlichen Reichtums und ihrer auch fortschrittliche Ökologen etwas willkürlich als Arbeitsproduktivität zur Bedienung der Finanzkapi- die Dritte Welt bezeichnen. Ich fürchte nur, das wird talmassen des reichen Nordens abliefern müssen. Das diese Bundesregierung dennoch nicht daran hinde rn, ist nämlich das Grundproblem. den Anteil der öffentlichen Entwicklungshilfe an der wirtschaftlichen Gesamtleistung dieses Landes weiter Wer helfen will, muß zweitens eingreifen durch absinken zu lassen. grundlegende Verbesserung der Terms of trade zu- gunsten der Entwicklungsländer durch Rohstoffab- Julius Nyerere aus Tansania hat das gestern in Bad kommen, durch Ausfuhr- und Einfuhrquoten, durch Godesberg auf der 40-Jahr-Jubiläums-Veranstaltung Preisgarantien, durch Marktöffnung hier bei uns, von UNICEF höflich, aber deutlich kritisiert, und er durch sonstige entsprechende Maßnahmen. hat insofern recht. Die reiche BRD, ökonomisch trotz Krise, trotz der Ostbelastung ein Riese, ist als Entwick- Der ungleiche Tausch von billigen Naturprodukten lungshelfer nach wie vor ein Zwerg. Und obwohl in und arbeitsintensiv, zum Teil mit Kinderarbeit erzeug- 14248 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 165. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23. 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Dr. Ulrich Briefs ten Konsumgütern aus dem Süden gegen technolo- SPD- gegen elf Koalitionsstimmen zustande gekom- gisch hochentwickelte und entsprechend kapitalin- men ist. tensiv produzierte Industrie- und insbesondere Inve- Ebenso zu begrüßen ist der Antrag der SPD zur stitionsgüter aus dem Norden darf nicht endlos wei- Repatriierung und Reintegration von Flüchtlingen, tergehen. Die Länder der Dritten Welt dürfen nicht da er wenigstens einen Versuch darstellt, an we- auch auf diesem Wege noch tiefer in die Verschul- sentlichen Fluchtursachen anzusetzen. Hinzu dungskrise hineingetrieben werden. kommt — — Aktiv gestaltend eingreifen heißt deshalb drittens auch: durch Struktur- und Industriepolitik in unsere Vizepräsidentin Renate Schmidt: Kollege Briefs, Produktionsstrukturen eingreifen — hier liegt insbe- sagten Sie, wann Sie zum Schluß kommen? sondere das Problem —, damit hier bei uns angepaßte Produkte und Verfahren für die Bedürfnisse der Drit- Dr. Ulrich Briefs (fraktionslos): Ich bin gerade im ten Welt entwickelt und produziert werden können. Begriff, Frau Präsidentin! Sie, diese Produkte und Verfahren, müssen an die (Heiterkeit) Stelle der vereinseitigten High-Tech-Produktion und ihrer Produkte und Verfahren treten, die auch Ihnen kann man das nicht l ange genug predigen, zwangsläufig in die Dritte Welt geliefert werden. damit Sie es klar wissen. (Jochen Feilcke [CDU/CSU]: Glauben Sie Wer nämlich die Dritte Welt ohne Schuldenstrei- wirklich, daß Ihnen jemand zuhört?) chung, ohne Verbesserung der terms of trade und der Das Ansetzen an den ökonomischen und technolo- Rahmenbedingungen für die Austauschbeziehungen gischen Fluchtursachen hier bei uns und angesichts ungeschützt dem Wettbewerb des Weltmarktes aus- der Beteiligung der BRD an der Ausplünderung der setzt, der zwingt sie, teure, technologisch raffinierte, Dritten Welt, auch die Ratifizierung des ILO-Überein- kapitalintensiv produzierte Maschinen im reichen kommens über eingeborene und in Stämmen lebende Norden zu kaufen und bei sich zu installieren. Das Völker, wie hier vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN heißt aber Aufbau eines High-Tech-Sektors wie bei insbesondere gefordert, sind zu unterstützen. uns, in dem immer weniger Arbeitskräfte mit immer Frau Präsidentin, ich bedanke mich für die außeror- weniger Arbeitsstunden, mit technologisch raffinier- dentliche Geduld. ten Verfahren Produkte erzeugen, die oft nur in anderen High-Tech-Betrieben eingesetzt werden können und oft am Bedarf, insbesondere am Grund- Vizepräsidentin Renate Schmidt: Da haben Sie aber bedarf der Bevölkerung im Norden und im Süden auch wirklich recht, daß Sie sich bedanken. vorbeigehen; das heißt einen Produktionskomplex Nun spricht der Kollege Andreas Schmidt. aufbauen, in dem z. B. das Spektrum der eingesetzten Roh-, Hilfs- und Betriebsstoffe tendenziell immer giftiger wird, was uns z. B. unser Giftmüllproblem Andreas Schmidt (Mülheim) (CDU/CSU): Frau Prä- beschert hat. Daß heißt ferner, einen Produktionskom- sidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! plex aufzubauen, der auch zunehmend energieinten- Herr Kollege Hauchler, Sie haben schon einige k riti- siv wird, der auf eine hochentwickelte Technologie sche Anmerkungen zu Ihrer Rede gehört. Auch ich und Verkehrsinfrastruktur angewiesen ist und der will eine grundsätzliche Replik machen. auch immer mehr Ansiedlungsfläche für die Betriebe Ich finde wirklich, daß Politiker wie Sie, wie die braucht. Sozialdemokraten, die durch die Klage in Karlsruhe versucht haben, Deutschland aus der Solidarität der Einen solchen High-Tech-Produktionskomplex Völkergemeinschaft herauszubrechen, jeden An- können die Entwicklungsländer nicht aufbauen, und spruch verloren haben, hier als Vordenker einer wenn sie es könnten, handelten sie sich nur die globalen Verantwortungsethik aufzutreten. ökologischen und sonstigen Folgen unserer High- (Beifall bei der CDU/CSU — Konrad Weiß Tech-Produktionsweise ein. Da sie es einerseits nicht [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Halten Sie können, sich andererseits aber auf dem Weltmarkt doch mal die Luft an!) ungeschützt behaupten müssen, werden sie von uns Meine Damen und Herren, es ist wohl so: immer abhängiger. Die Zementierung der Unterent- wicklung im Süden und der Ausbau der ökologisch (Zuruf von der SPD: Jetzt muß aber das und sozial problematischen High-Tech-, High-Speed- Niveau gehoben werden, Herr Kollege!) und High-Performance-Wirtschaft im Norden, jener Ich bin sehr glücklich, hier sagen zu können: Das Wirtschaft, die auf geradezu abenteuerliche technolo- Bundesverfassungsgericht verkündet wohl gerade in gische Spitzenleistungen orientiert ist, entsprechen diesem Augenblick, daß unsere Soldaten in Somalia einander. bleiben können. (Jochen Feilcke [CDU/CSU]: Sehr gut!) Vor diesem Hintergrund, Frau Präsidentin — ich Ich finde, dies ist eine gute Entscheidung für die danke für die Geduld und komme zum Schluß —, Menschlichkeit und für die ärmsten Menschen in denke ich, daß der Entschließung des Europäischen Somalia. Parlaments zur Strukturanpassung zuzustimmen ist, obwohl sie unzureichend ist. Zu begrüßen ist das (Beifall bei der CDU/CSU) Votum des Ausschusses für wirtschaftliche Zusam- Ich hoffe auch, wenn es dann noch zu einer Abstim- menarbeit, das im Ausschuß ja offensichtlich mit zwölf mung kommt — wir brauchen wohl die einfache Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 165. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23. Juni 1993 14249

Andreas Schmidt (Mülheim) Mehrheit —, daß Sie dann auch im Interesse unserer wächst diese Zahl um 90 Millionen Menschen, wobei entwicklungspolitischen Zielvorstellungen hier ja 90 % von Ihnen in Entwicklungsländern geboren sagen werden, daß unsere Soldaten in Soma lia einen werden. Dienst im Sinne unserer Entwicklungshilfepolitik lei- sten können. Nach einer seriösen Prognose der UNO werden im Jahr 2025 zehn bis elf Milliarden Menschen die Erde (Beifall bei der CDU/CSU) bevölkern. Wenn Entwicklungshilfepolitik überhaupt eine Chance im Sinne der Wahrnehmung globaler Die heutige entwicklungspolitische Debatte ist ein Verantwortung haben soll, muß es uns gelingen, hoffnungsvolles Signal. Entwicklungspolitische The- Konzepte für eine adäquate Altersversorgung in den men finden jetzt spürbar ein größeres Interesse in den Entwicklungsländern zu entwickeln, um so eine Medien, in der Öffentlichkeit und auch in der Politik. Alternative zur Alterssicherung durch Kinderreich- Nach der Beendigung des Ost-West-Kon fliktes schärft tum aufzuzeigen. sich unser Blick für die Nord-Süd-Problematik. Wir erkennen, daß es keine sogenannte Dritte Welt gibt, Um Mißverständnissen vorzubeugen, meine Da- sondern daß wir alle in einer Welt leben. men und Herren: Die Idee unseres Antrages ist nicht, die sozialen Sicherungssysteme der Industrienationen Während Gorbatschow noch vor einiger Zeit von als Vorbild zu exportieren. Es geht vielmehr darum, einem europäischen Haus gesprochen hat, wird informelle Solidargemeinschaften innerhalb von Fa- immer deutlicher, daß die gesamte Menschheit in milien, Großgruppen, Nachbarschaften oder Selbst- einem Haus lebt und daß wir zu begreifen beginnen, hilfeinitiativen, die in Entwicklungsländern über daß es die Statik dieses Hauses auf Dauer nicht zuläßt, Jahrzehnte gewachsen sind, vor dem Zerfall zu retten wenn wenige Zimmer immer pompöser ausgestattet und zu stärken. Wir legen mit unserem Antrag kein werden, während andere Zimmer Feuer fangen. Patentrezept zur Lösung dieser Probleme vor, aber wir Die Fakten, die uns herausfordern, werden immer versuchen, eine Initialzündung für eine Denkoffen- offensichtlicher: Täglich sterben 40 000 Kinder an sive zu setzen. Wir bitten die Bundesregierung, Unterernährung. 500 Millionen Menschen leiden an gemeinsam mit einheimischen Forschungseinrichtun- Hunger und Mangelerscheinungen. Die im Norden gen wissenschaftliche Konzepte zu entwickeln, um lebende Weltbevölkerung von 13 % verbraucht 85 % bereits vorhandene traditionelle soziale Sicherungs- aller produzierten Waren. 15 Millionen Menschen systeme in den Entwicklungsländern zu stärken und sind auf der Flucht vor Hunger, Krieg, Menschen- auszubauen. rechtsverletzungen und Umweltkatastrophen. Diese Wir fordern nichtstaatliche Trägerorganisationen Fakten, meine Damen und Herren, sprechen eine der Entwicklungszusammenarbeit auf zu prüfen, klare Sprache. inwieweit sie einen beratenden Beitrag zum Aufbau Ein Schwerpunkt der deutschen Entwicklungshilfe- sozialer Dienste im Sinne der Grundversorgung auch politik ist es daher zu Recht, daß wir die Armutsbe- im Rahmen genossenschaftlicher Strukturen in Ent- kämpfung in den Mittelpunkt gestellt haben. Mit dem wicklungsländern leisten können. Antrag der Koalitionsfraktionen von CDU/CSU und Meine Damen und Herren, in dieser entwicklungs- F.D.P. zum Thema „Entwicklung und Aufbau von politischen Debatte werden zu Recht verschiedene sozialen Sicherungssystemen in Entwicklungslän- Themenbereiche angesprochen. Ich will daher für dern" wollen wir die bisherigen S trategien zur meine Fraktion auch zu zwei weiteren Anträgen in Armutsbekämpfung um einen wichtigen und ent- aller Kürze Stellung nehmen. scheidenden Punkt ergänzen. In dem Antrag der Gruppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Wir erkennen zusehends, daß nicht nur Bürger- NEN auf Drucksache 12/3824 soll die Bundesregie- kriege, Naturkatastrophen und wirtschaftlicher Nie- rung aufgefordert werden, daß Übereinkommen 169 dergang für das Anwachsen der Armut ursächlich und der ILO zu unterzeichnen und dem Deutschen Bun- verantwortlich sind. Ein Grund dafür, daß trotz aller destag unverzüglich zur Ratifizierung vorzulegen. bisherigen entwicklungshilfepolitischen Anstrengun- Das Anliegen des Übereinkommens 169 ist zweifellos gen die Zahl der Armen weiterhin zunimmt, ist auch positiv zu bewerten, da es die Rechte von eingebore- darin zu sehen, daß traditionelle Sicherungssysteme nen und in Stämmen lebenden Völkern in unabhän- in den Entwicklungsländern zusehends zerbrechen gigen Ländern schützen soll. Der Antrag der Gruppe und dadurch die bedrohliche Bevölkerungsexplosion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN basiert aber offensicht- verursachen. Die einzige Altersvorsorge für die Ärm- lich auf einem Mißverständnis. Das ist schon deutlich sten der Armen ist nämlich in der Regel der Kinder- gesagt worden. reichtum. Das ILO-Übereinkommen 169 richtet sich nämlich Der damit verbundene Teufelskreis ist offensicht- an diejenigen Staaten, auf deren Territorium indigene lich: Bevölkerungswachstum, Verelendung, Umwelt- Völker leben. Da es in der Bundesrepublik Deutsch- zerstörung, Armutswanderung. land keine eingeborenen und in Stämmen lebende Machen wir uns bewußt, meine Damen und Herren, Völker gibt, sind wir von diesem Übereinkommen welches Ausmaß die Bevölkerungsexplosion auf nicht betroffen, Herr Kollege Weiß. unserem Planeten hat! Während um Christi Geburt (Konrad Weiß [Berlin] [BÜNDNIS 90/DIE 300 Millionen Menschen die Erde bevölkerten, im GRÜNEN]: Doch, die Baye rn!) Jahre 1900 1,65 Milliarden Menschen auf unserem Planeten ein Zuhause fanden, leben 1993 etwa Ohne Ihren Einsatz für die Rechte der indigenen 5,4 Milliarden Menschen auf unserer Erde. Jährlich Völker aufzugeben, sollten Sie sich überlegen, aus 14250 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 165. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23. Juni 1993

Andreas Schmidt (Mülheim) sachlichen Erwägungen Ihren Antrag zurückzuzie- Herren von der Regierungskoalition, für einen Teil- hen. aspekt die Nagelprobe. Ich will abschließend zum Antrag der sozialdemo- In Deutschland leben zur Zeit sicher mehr als kratischen Fraktion — Gesetzesvorlagen auf 1 Million Asylbewerber, Asylberechtigte und Bürger- — Drucksache 12/4350 — kurz Stellung nehmen. In kriegsflüchtlinge. Bei einer grundlegenden Verände- diesem Antrag schlagen Sie vor, das Vorblatt bei der rung der politischen, wirtschaft lichen, sozialen und Gesetzesvorlage urn einen Punkt D — mögliche Aus- ökologischen Verhältnisse in ihren Heimatländern wirkungen auf Entwicklungsländer — zu ergänzen. wäre eine Mehrheit dieser Flüchtlinge zu einer Rück- Ich plädiere dafür, daß wir über das Anliegen, das mit kehr bereit. Dazu allerdings benötigen sie unsere diesem Antrag verbunden ist, sehr schnell in eine systematische, qualifizierte Unterstützung. breite Diskussion eintreten. Ich bin jedoch der Auffas- sung, daß wir die zu führende Diskussion nicht auf Über den Prozentsatz der Rückkehrwilligen, Herr eine zweitrangige Frage beschränken sollten. Minister, mag man sich trefflich streiten. Ganz sicher aber liegt dieser Prozentsatz bei deutlich über 50 % bei Was wir dringend brauchen, ist eine umfassende den reinen Bürgerkriegsflüchtlingen. So leben in Strategie zur Schaffung einer Kohärenz in der Ent- Deutschland zur Zeit mindestens 300 000 Flüchtlinge wicklungshilfepolitik, denn zweifellos mangelt es zu aus Ex-Jugoslawien. So schrecklich, grausam und für Lasten der Effektivität unserer Entwicklungshilfepoli- die Europäische Gemeinschaft beschämend dieser tik an dieser Kohärenz in der nationalen Politik. Das ist genozidähnliche Krieg zur Zeit immer noch wütet, er keine Frage. Hinzu kommt auch ein Defizit an Koor- wird — so ist für die dort lebenden Menschen zu dinierung zwischen gemeinschaftlicher und einzel- hoffen — in absehbarer Zeit beendet sein. staatlicher Entwicklungshilfezusammenarbeit. Es ist ein unerträglicher Zustand, wenn z. B. ein mit deut- (Jochen Feilcke [CDU/CSU]: Hoffentlich!) scher Hilfe erfolgreich aufgebautes Rinderzuchtpro- jekt in Afrika durch billige EG-Rindfleischexporte in Spätestens dann aber, Herr Minister, stellt sich die Frage, wie professionell wir — der Bundestag und vor eben dieses afrikanische L and wieder zerstört wird. allem die Bundesregierung — auf dieses Ereignis (Zustimmung bei der CDU/CSU und bei der vorbereitet sind. Ex-Jugoslawien, meine Damen und SPD — Dr. Ingomar Hauchler [SPD]: In Togo Herren, ist für mich nur ein Beispiel für das Pro- zum Beispiel!) blem. Das ist überhaupt keine Frage, und hier müssen wir Nun gab es bereits in der Vergangenheit u. a. mit schnell nachdenken. Die Diskussion, Herr Kollege den Rückführungsprogrammen REAG und GARP Hauchler, muß breiter angelegt werden als in Ihrem positive einschlägige Erfahrungen. Auch jetzt kann Antrag. man der Presse entnehmen — Sie haben es ja bestä- Ich sage noch einmal: Wir müssen in diese Diskus- tigt —, daß in den verschiedenen Ministerien an sion eintreten, um eine Kohärenz zu schaffen. Wenn solchen Wiedereingliederungsprogrammen gebastelt Entwicklungshilfepolitik auf Dauer Erfolg haben soll, wird, aber eben nur gebastelt. Jedes Ministerium müssen wir in der Tat Entwicklungshilfepolitik als plant so vor sich hin, eifersüchtig auf seine Ressort- Querschnittsaufgabe aller Politikfelder verstehen. grenzen achtend. Von einer wirklichen systemati- Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit. schen, konzentrierten Anstrengung nach dem Motto „alle gemeinsam an einem Runden Tisch" ist nichts zu (Beifall bei der CDU/CSU und der Abg. vernehmen. Dr. Michaela Blunk [Lübeck] [F.D.P.]) (Jochen Feilcke [CDU/CSU]: Wir brauchen einen Plan!) Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Ich erteile Hier, Herr Minister, stört mich Ihre vorhin prakti- nunmehr dem Abgeordneten Dr. We rner Schuster das zierte Selbstgefälligkeit schon erheblich. Wer hindert Wort. Sie eigentlich daran, im Bundeskabinett im Zusam- menhang mit den Fragen der Flüchtlingsrückführung die Federführung im Sinne eines Flüchtlingskabinetts Dr. R. Werner Schuster (SPD): Herr Präsident! Liebe energisch einzufordern? Schließlich sind es die Ihnen Kolleginnen und Kollegen! In der heutigen entwick- nachgeordneten Durchführungsorganisationen der lungspolitischen Debatte möchte ich zu zwei Anträ- Entwicklungszusammenarbeit und die Vielzahl von gen der SPD-Frak tion Stellung nehmen: zu dem schon NGOs, also Nichtregierungsorganisationen, welche zitierten Antrag zur Reintegra tion und Repatriierung für die praktische Umsetzung solcher Maßnahmen von Flüchtlingen und zu dem anscheinend so verantwortlich in Frage kämen. unscheinbaren Thema des Gesetzesvorblattes. Nicht nur die SPD-Bundestagsfraktion würde dies Lassen Sie mich mit den Flüchtlingen beginnen. Sie begrüßen, sondern auch der inzwischen in den Ruhe- erinnern sich sicher noch an die wohlklingenden stand gegangene deutsche Vertreter des UNHCR, Worte der Sprecher aller Fraktionen anläßlich der Herr Koisser, hält eine bessere Koordinierung für eine Asyldebatte vor einem Monat hier in diesem Hohen überfällige Maßnahme. Hause. Damals haben die Redner aller Frak tionen unabhängig von ihrer Einstellung zur Grundgesetzän- Details der Antragsforderungen werden wir, Frau derung betont, wie wich tig darüber hinaus eine Blunck, sicher noch einmal im Ausschuß für wirt- Fluchtursachenbekämpfung sei. Mit dem hier vorge- schaftliche Zusammenarbeit diskutieren müssen, so legten Antrag bieten wir Ihnen, meine Damen und z. B. die Aufstockung des Regelbeitrags für den Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 165. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23. Juni 1993 14251

Dr. R. Werner Schuster UNHCR selbst oder die Umsetzung solcher Maßnah- Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Herr men gemeinsam mit den Partnerländern. Dr. Schuster, diese Ihre letzte Bemerkung hat offen- sichtlich das Bedürfnis des Grafen von Waldburg-Zeil Lassen Sie mich an dieser Stelle vorab kurz einige geweckt, eine Zwischenfrage zu stellen. Punkte vertiefen. Erstens. Eine ganz wesentliche Voraussetzung für Dr. R. Werner Schuster (SPD): Herr Graf. eine erfolgreiche persönliche und berufliche Reinte- gration von Flüchtlingen, die heimkehren wollen, ist Alois Graf von Waldburg-Zeil (CDU/CSU): Herr der Erwerb einer soliden beruflichen Qualifikation. Kollege Schuster, bevor Sie zum zweiten Teil überge- Auf dem Gebiet der Qualifikation- und Bildungsmaß- hen: Würde es Sie beschweren, wenn ich Ihnen sage, nahmen für Flüchtlinge wird in den Bundesländern daß ich Ihren Antrag ganz ausgezeichnet finde, vor- von öffentlichen und privaten Trägern schon viel behaltlich einzelner Punkte, die wir im Ausschuß Unterstützenswertes geleistet. Aber immer wieder sicher noch besprechen werden? Würde es Sie weiter- höre ich die gleiche Klage: Die derzeit geltenden hin beschweren, wenn ich im Zusammenhang mit differenzierten Zugangsmöglichkeiten z. B. zu einem Antrag, den wir bereits 1989 als „ entwicklungs- Sprachkursen oder Maßnahmen nach dem Arbeitsför- politischen Beitrag zur Lösung von Weltflüchtlings- derungsgesetz entsprechen in keiner Weise flücht- problemen" bezeichnet haben, feststelle, daß die lingspolitischen, geschweige denn entwicklungspoli- Tradition in diesem Ausschuß, kontinuierlich zu arbei- tischen Zielsetzungen und Notwendigkeiten. Eine ten und manchmal gemeinsame Auffassungen zu Novellierung genau dieser Regelungen, durch die vertreten, eine gute ist? allen ausländischen Flüchtlingen Zugang zu diesen Qualifikationsmaßnahmen eröffnet wird, ist überfäl- Dr. R. Werner Schuster (SPD): Herr Kollege, dem lig. Das ist doch eine typische Aufgabe für die gesamte widerspreche ich überhaupt nicht. Deswegen bin ich Bundesregierung. ja über die Schelte durch den Herrn Minister so überrascht. Ich habe mich natürlich kundig gemacht, Zweitens. Ein Grundsatz ist bei allen Rückführungs- Herr Minister. Ich könnte Ihnen unter vier Augen im programmen strikt zu beachten: Repatriierung darf Detail sagen, wo es Koordinierungsbedarf gibt. Ich nicht zur Abschiebung mißbraucht werden. In allen glaube, das ist unser gemeinsames Anliegen, Herr Fällen müssen die Grundsätze des UNHCR voll zur Kollege. Anwendung kommen; das gilt vor allem für den (Jochen Feilcke [CDU/CSU]: Aber wie Grundsatz der Freiwilligkeit jedes einzelnen Flücht- durchsetzen?) lings bei der Entscheidung für eine Rückkehr. Durch nichtstaatliche Hilfsorganisationen muß ein ausrei- Ich komme nunmehr — ich bitte um Verständnis — chendes Beratungsangebot über diese Möglichkeiten zu dem sogenannten Gesetzesvorblatt. Der entspre- gesichert werden. chende Antrag sieht vor, daß in Zukunft bei allen Gesetzesvorlagen auf diesem Vorblatt nicht nur wie Drittens. Viele der in den Bundesländern geplanten bisher die Problemdarstellung, die Lösung, die Kosten und durchgeführten Ausbildungs- und Hilfspro- für den Bund und die Alternativen ausgewiesen gramme für ausländische Flüchtlinge sind in ihrer werden, sondern zusätzlich auch die Folgekosten für Realisierung leider durch fehlende Mittel akut gefähr- die Kommunen und die Auswirkungen für die Ent- det. Eine Aufstockung der Mittel für das REAG- wicklungsländer. Ich bestreite nicht, daß gerade diese Programm und andere bestehende bzw. in Planung Kombination von zwei völlig heterogenen Politikbe- befindliche Programme ist trotz knapper Kassen not- reichen, nämlich Kommunal- und Entwicklungspoli- wendig, denn wir sind uns einig: Nichtstun in dieser tik, den besonderen Charme dieses Antrags aus- Frage hat allemal höhere Folgekosten. macht. Um hier Mißverständnissen vorzubeugen: Die SPD- Zunächst kurz zum kommunalpolitischen Aspekt. Fraktion geht davon aus, daß man die hierfür benötig- Nicht selten — das wissen Sie — beschließen wir im ten finanziellen Mittel durch Umschichtungen aus Bundestag Gesetzesvorlagen, bei denen aufgeführt Haushaltsmitteln sowohl des Auswärtigen Amtes ist: „Kosten: keine"; denn die Folgekosten tragen — z. B. der Ausstattungshilfe — als auch des BMZ andere, nämlich die Länder und Kommunen. Damit in — beispielsweise bei der FZ — freischaufeln kann. Wir Zukunft bereits vor der Beschlußfassung die Folgeko- sollten nicht vergessen, daß ein lebenswertes Leben in sten für Länder und Kommunen abgeschätzt und dem den Entwicklungsländern für einen Bruchteil der Parlament bekanntgemacht werden, sollen sie in Summe möglich ist, welche wir hier bei uns in Zukunft getrennt ausgewiesen werden. Vielleicht Deutschland für die Unterbringung und Be treuung kann man es so den Gesetzesinitiatoren erleichtern, der Flüchtlinge benötigen. rechtzeitig über einen finanziellen Ausgleich für die von den Folgekosten von Bundesgesetzen be troffenen (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Haushalte der Länder und Kommunen nachzuden- der CDU/CSU) ken. — Hier erwarte ich Beifall von allen Kommunal- politikern. Gefragt sind also ein qualifziertes, systematisches (Beifall bei der SPD) Gesamtkonzept und der politische Wille, auch gestal- Eine „neue Nachdenklichkeit" über die Folgewir- ten zu wollen. kungen politischen Handelns ist aber auch unter dem Damit bin ich bei dem zweiten Antrag. Dessen entwicklungspolitischen Aspekt angebracht. Er ent- Umsetzung kostet nun wirklich finanziell gar nichts, er spricht einer uralten Forderung des von mir hochge- kostet „nur" den guten Willen aller Betroffenen. schätzten ehemaligen Entwicklungsministers Erhard 14252 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 165. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23. Juni 1993

Dr. R. Werner Schuster Eppler, welcher seit Jahrzehnten fordert, daß bei schreiben, an sogenannten Sachzwängen zu scheitern Gesetzentwürfen neben den finanziellen Auswirkun- droht? Stimmt da unser Weltbild noch? Entspricht das gen als zusätzliche Dimension immer auch die mögli- unseren Vorstellungen von Verantwortungsethik? che Betroffenheit der Entwicklungsländer explizit (Zurufe von der SPD: Nein!) dargestellt wird. Meine Damen und Herren, nichts anderes wi ll (Dr. Uwe Holtz [SPD]: Die Entwicklungspoli dieser Antrag, als hier in der politischen Bürokratie, in tik beginnt zu Hause!) der Exekutive, aber auch bei uns in der Legisla tive Das systema tische Nachdenken über die Entwick- eine neue „Denke" einzufordern. Dazu brauchen wir lungsverträglichkeit von politischen Entscheidungen allerdings Ihre Unterstützung. bei uns in Deutschland ist längst überfällig und, wie Danke schön. ich weiß, Bestandteil entwicklungspolitischer Forde- rungen aller politischen Parteien. Nur, geschehen, (Beifall bei der SPD, der PDS/Linke Liste und meine Damen und Herren, ist bislang wenig oder beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) nichts. - Stellen Sie sich einmal vor, die Beamten im Ver- Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Ich erteile kehrsministerium von Herrn Wissmann, welche jetzt nunmehr der Abgeordneten Frau Erika Reinhardt das wahrscheinlich über der Lkw-Steuer und der Vignet- Wort. tenlösung brüten, wären gezwungen, die Entwick- lungsverträglichkeit dieser scheinbar nur die EG Erika Reinhardt (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine betreffenden Verkehrsgesetzgebung zu reflektieren. Damen und Herren! Was kann, soll und muß Entwick- Sie werden mir sicher zustimmen, die gesetzliche lungspolitik heute und in der Zukunft leisten? Die Lösung würde anders ausfallen, als sie dieser Tage in heutige Debatte gibt uns erneut Gelegenheit, Maßga- den Medien dargestellt wird. ben und Ziele der Entwicklungspoli tik klar zu definie- ren. Sie macht aber auch deutlich, wie sehr Entwick- Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Herr lungspolitik ein Schwerpunkt in unserer Politik Dr. Schuster, nochmals der Wunsch eines Grafen, eine geworden ist. Ich bin nicht Ihrer Meinung, Herr Weiß, Frage an Sie zu richten. daß das, was wir heute hier machen, mit einem Bauchladen zu vergleichen wäre. Joachim Graf von Schönburg-Glauchau (CDU/ Der von der SPD vorgelegte Antrag ist deshalb von CSU): Lieber Kollege Schuster, können wir nicht auch der Thematik her auch nicht neu. bei Tarifabschlüssen einführen, daß die entwick- (Gerlinde Hämmerle [SPD]: Aber super lungspolitischen Folgen berücksichtigt werden müs- gut!) sen? Ich erinnere an den Antrag der CDU/CSU und der F.D.P. im November 1992, der alle diese Punkte, die Dr. R. Werner Schuster (SPD): Ich stimme Ihnen zu, Sie heute ansprechen, bereits enthalten hat, oder an da ich im Gegensatz zu manchen meiner Vorredner anuar. die große entwicklungspolitische Debatte im J nicht einäugig bin. Auch da war die Rückführung und Integra tion ein (Beifall der Abg. Gerlinde Hämmerle Schwerpunkt. [SPD]) Meine Damen und Herren, 4,2 Milliarden Men- Oder, meine Damen und Herren, noch f rivoler: Die schen leben in Entwicklungsländern. Ihnen stehen unzähligen Heerscharen von Beamten und Angestell- 1,2 Milliarden Menschen in den Industriestaaten ten der verschiedensten Bundes- und Länderministe- gegenüber. Berichten zufolge wird die Bevölkerung in rien, welche in den letzten Monaten mit dem Asyl- den Entwicklungsländern bis zum Jahre 2025 auf kompromiß beschäftigt waren, hätten ihre Vorschläge 7,65 Milliarden ansteigen. Allein diese Zahlen unter dem Gesichtspunkt der Entwicklungsverträg- machen deutlich, wo die Probleme liegen. Die Flücht- lichkeit schreiben müssen. Ich bin ganz sicher, meine lings- und Wanderungsbewegungen, die Umweltzer- Damen und Herren, aus diesem Apparat wäre eine störung, fortschreitende Überbevölkerung und die Reihe Anregungen an die politisch Verantwortlichen Armutsbekämpfung sind die großen Herausforderun- herangetragen worden, welche zu anderen Konse- gen an die Industriestaaten. quenzen bei uns geführt hätten. Angesichts der politischen, wirtschaftlichen und (Dr. Jürgen Rüttgers [CDU/CSU]: Sie glau- gesellschaftlichen Umwälzungen der letzten Jahre ben aber noch an den Weihnachtsmann!) müssen wir alte Denkmuster begraben und neue Es ist das Fehlen solcher verbindlichen Vorschrif- Sichtweisen akzeptieren. Hierbei ist die wich tigste ten, Herr Schmidt, immer auch an die 4 1/2 Milliarden Erkenntnis: Wir leben in einer Welt. Längst gelingt Menschen im Süden denken zu müssen, welches bei es niemandem mehr, sich abzuschotten. Die wirt- uns im Norden zu so abgeschotteten, einseitigen schaftliche Verflechtung auf europäischer und inter- Entscheidungen führt. nationaler Ebene verpflichtet uns zur Zusammenar- beit. Wir tragen alle Verantwortung für diese eine Muß es uns nicht nachdenklich machen und beschä- Welt. men, daß wir voraussichtlich die Verfassung ändern werden, um militärische Interven tionen im Süden, wie (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) jetzt in Somalia, rechtsstaatlich abzusegnen, daß aber Vermeidung von Fluchtursachen durch eine wirk- die Forderung, in die Präambel unserer neuen Verfas- same Entwicklungspolitik ist unser Ziel. Die Koali- sung auch die Solidarität mit der einen Welt festzu- tionsfraktionen haben dazu in ihrem Antrag klare Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 165. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23. Juni 1993 14253

Erika Reinhardt Aussagen gemacht. Dazu gehört die Fortschreibung Interessant wäre allerdings, wie die Programme der Flüchtlingskonzeption. Dies wurde von der Regie- angenommen werden, wie effektiv sie sind und wo rung zugesagt. Minister Spranger hat es auch hier Korrekturen angebracht wären. Hier sind eine Ana- noch einmal deutlich gemacht: die Unterstützung von lyse und ein intensiver Gedankenaustausch notwen- Reformprozessen, die Verstärkung der Entwicklungs- dig. Wir werden sicherlich im Ausschuß dazu Gele- zusammenarbeit, Menschenrechtsorientierung, Um- genheit haben. Rückkehrhilfen müssen so gestaltet weltschutz und Armutsbekämpfung, um nur einige werden, daß sie entwicklungsfördernde Effekte aus- Punkte hier herauszugreifen. lösen. Beim Angebot individueller materieller Rück- kehranreize muß sichergestellt werden, daß durch Bedenkt man, daß sich 1991 rund 17,3 Millionen eine zweckmäßige Ausgestaltung der Vergabekrite- Menschen weltweit auf der Flucht befanden, wird rien diese Anreize nicht zu einer Sogwirkung im deutlich, wie wichtig es ist, sich der Fluchtursachen Heimatland führen. Andernfalls kann es zu Fehlent- anzunehmen und sie zu bekämpfen. Doch die besten wicklungen kommen und dazu, daß Gelder in falsche Programme verfehlen ihre Wirkung, wenn im Ent- Kanäle fließen oder ganz versanden. wicklungsland selbst der Wille zur Umstrukturierung nicht vorhanden ist. - Wir brauchen ein zielorientiertes Konzept. Der Herr Minister hat bereits zugesagt, daß das vorhandene (Beifall des Abg. Joachim Graf von Schön Konzept erweitert wird. burg-Glauchau [CDU/CSU]) (Dr. Ingomar Hauchler [SPD]: Es muß vor Hierzu gehören die Demokratisierung, die Achtung allen Dingen umgesetzt werden! Das ist der Menschenwürde und die Schaffung von Struktu- wichtig!) ren, die den Menschen eine Zukunftsperspektive — Nein, daß es erweitert, daß es den Gegebenheiten eröffnen und damit auch eine Rückkehr ermöglichen inzwischen angepaßt wird. — Kriterien, die bei der Entscheidung über die Ver- gabe von Entwicklungshilfe eine wichtige Rolle spie- (Dr. Ingomar Hauchler [SPD]: Sie machen len, und ich bin dankbar, daß die Regierung diese jedes Jahr ein neues Konzept!) Maßstäbe ansetzt. Denn Länder, die doppelt soviel für Die Entwicklung von Lebensperspektiven in den Waffen und Soldaten ausgegeben wie für Gesundheit Heimatländern muß dabei den entscheidenden und Erziehung zusammen, können in der Entwick- Ansatzpunkt für eine langfristige Lösung bilden. lungspolitik nicht auf unsere Hilfe rechnen. Ich danke Ihnen. (Beifall bei der CDU/CSU) (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) In der heutigen entwicklungspolitischen Debatte wurde bereits auf die vielfältigen Aufgaben, die vor Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Meine uns liegen, hingewiesen, ob es die Förderung von Damen und Herren, damit sind wir am Ende der privaten unternehmerischen Initiativen, die Schaf- Aussprache. fung von sozialen Sicherheitssystemen oder die Ent- schließung zur Strukturanpassung ist — alles Punkte, Wir kommen zur Abstimmung über den Tagesord- nungspunkt 6a: Beschlußempfehlung des Ausschus- die für die Repatriierung und Reintegration eine wichtige Rolle spielen. Sie sind sozusagen die Begleit- ses für wirtschaftliche Zusammenarbeit zum Antrag musik, die die Rückkehr ermöglicht, oder — m an der Fraktionen der CDU/CSU und der F.D.P. zur könnte auch sagen — das Salz in der Suppe. Entfaltung der p rivaten unternehmerischen Initiative in der Dritten Welt, Drucksachen 12/1356 und Wesentliche Elemente der Rückkehrprogramme 12/4098. Der Ausschuß empfiehlt die Annahme des sind sicherlich neben der materiellen Sicherung für Antrags in der Ausschußfassung. Wer stimmt dieser eine Übergangszeit oder der finanziellen Starthilfe bei Beschlußempfehlung zu? — Wer stimmt dagegen? — der Existenzgründung im Heimatland die Beratung Enthaltungen? — Keine. Dann ist diese Beschlußemp- und Vorbereitung der Rückkehrwilligen auf ihre Hei- fehlung mit den Stimmen der Mehrheit der Koalition matländer. angenommen. In diesem Zusammenhang ist zu begrüßen, daß sich Ich komme nun zur Abstimmung über den Tages- z. B. auch Baden-Württemberg durch Ausbildungs- ordnungspunkt 6 b: Beschlußempfehlung des Aus- maßnahmen an Rückkehrprogrammen beteiligt. schusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit zur Ent- schließung des Europäischen Parlaments zur Struk- (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) turanpassung in den Entwicklungsländern, Drucksa- Vielleicht ist dies ein Ansporn für andere Bundeslän- chen 12/2786 und 12/4618. der, dies ebenfalls zu tun. Wir würden so eine Hilfe Hierzu liegen Änderungsanträge der Fraktionen jedenfalls sehr begrüßen. der CDU/CSU und der F.D.P. vor, und zwar auf (Zuruf von der CDU/CSU: Die Rheinland Drucksache 12/5232. Ich lasse zunächst über die Pfälzer tun das auch!) Änderungsanträge abstimmen. Wer stimmt diesen Änderungsanträgen zu? — Wer stimmt dagegen? — — Wunderbar. Enthaltungen? — Keine. Dann sind die Änderungsan- Rückführungsprogramme bestehen seit 1990 mit träge mit der Mehrheit der Koalitionsfraktionen ange- Chile, Vietnam, Slowenien, Kroatien und Eritrea. Ich nommen. bin sicher, daß weitere folgen werden. Es wäre durch- Ich lasse jetzt über die Beschlußempfehlung in der aus denkbar, daß Rumänien oder Albanien hierzu jetzt geänderten Fassung abstimmen. Wer stimmt für gehören werden. diese Beschlußempfehlung? — Wer stimmt dagegen? 14254 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 165. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23. Juni 1993

Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg — Enthaltungen? — Damit ist die Beschlußempfeh- c) Beratung der Beschlußempfehlung und des lung mit der gleichen Mehrheit angenommen. Berichts des Ausschusses für Umwelt, Natur- Ich komme nunmehr zur Abstimmung über den schutz und Reaktorsicherheit (17. Ausschuß) zu Tagesordnungspunkt 6 c: Beschlußempfehlung des dem Antrag der Abgeordneten Dr. Klaus Küb- Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit zum ler, Monika Ganseforth, Dr. Liesel Hartenstein, Antrag der Gruppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zum weiterer Abgeordneter und der Frak tion der Übereinkommen über eingeborene und in Stämmen SPD lebende Völker, Drucksachen 12/3824 und 12/4786. Follow-Up der UNCED-Konferenz Umwelt Der Ausschuß empfiehlt Ihnen, diesen Antrag abzu- und Entwicklung lehnen. Wer dieser Empfehlung folgen will, den bitte — Drucksachen 12/3739, 12/5092 — ich um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Berichterstattung: Enthaltungen? — Zwei Enthaltungen aus der Unions- Abgeordnete Dr. Klaus W. Lippold (Offen- fraktion. Mit der Mehrheit der Koalitionsfraktionen ist bach) diese Beschlußempfehlung angenommen. Dr. Klaus Kübler Wir kommen nunmehr zum Tagesordnungs- Gerhart Rudolf Baum punkt 6 d bis 6f und zum Zusatzpunkt 6. Die Vorlagen auf den Drucksachen 12/4553, 12/4662, 12/4350 und d) Beratung der Beschlußempfehlung und des 12/5229 sollen an die in der Tagesordnung aufgeführ- Berichts des Ausschusses für Umwelt, Natur- ten Ausschüsse überwiesen werden. Gibt es dazu schutz und Reaktorsicherheit (17. Ausschuß) zu Änderungsvorschläge? Ist das Haus damit einverstan- dem Entschließungsantrag der Abgeordneten den? — Das ist offensichtlich der Fall. Dann kann ich Monika Ganseforth, Dr. Liesel Hartenstein, das als beschlossen feststellen. Dr. Klaus Kübler, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD zur Großen Anfrage der Ich rufe den Tagesordnungspunkt 7 auf: Abgeordneten Monika Ganseforth, Dr. Liesel a) Zweite Beratung und Schlußabstimmung des Hartenstein, Dr. Klaus Kübler, weiterer Abge- von der Bundesregierung eingebrachten Ent- ordneter und der Fraktion der SPD wurfs eines Gesetzes zu dem Rahmenüberein- Umsetzung der Empfehlung der Enquete- kommen der Vereinten Nationen vom 12. Juni Kommission „Vorsorge zum Schutz der Erdat- 1992 über Klimaänderungen mosphäre" durch die Bundesregierung — Drucksache 12/4489 — — Drucksachen 12/4527, 12/5094 — (Erste Beratung 152. Sitzung) Berichterstattung: aa) Beschlußempfehlung und Be richt des Aus- Abgeordnete Dr. Klaus W. Lippold (Offen- schusses für Umwelt, Naturschutz und bach) Reaktorsicherheit (17. Ausschuß) Monika Ganseforth — Drucksache 12/5093 — Gerhart Rudolf Baum Berichterstattung: Der Ältestenrat schlägt Ihnen eine Debattenzeit von Abgeordnete Dr. Klaus W. Lippold (Offen- einer Stunde vor. — Das Haus ist offensichtlich damit bach) einverstanden. So kann ich dies als beschlossen fest- Monika Ganseforth stellen. Klaus Beckmann Ich erteile der Frau Abgeordneten Trudi Schmidt bb) Bericht des Haushaltsausschusses (8. Aus- das Wort. schuß) gemäß § 96 der Geschäftsord- nung Trudi Schmidt (Spiesen) (CDU/CSU): Herr Präsi- — Drucksache 12/5107 — dent! Meine Damen und Herren! Im Rahmen dieser Berichterstattung: Debatte zur Klimakonvention und zur Konvention Abgeordnete Hans-Georg Wagner über die biologische Vielfalt werde ich mich auf die Michael von Schmude Themen Landwirtschaft und Wälder beschränken. Dr. Sigrid Hoth Klima und Landwirtschaft stehen in vielfacher b) Zweite Beratung und Schlußabstimmung des wechselseitiger Beziehung zueinander. Landwirt- von der Bundesregierung eingebrachten Ent- schaft beeinflußt nicht nur unser Klima. Es sind vor wurfs eines Gesetzes zu dem Übereinkommen allem die Landwirtschaft und die Wälder, die unmit- vom 5. Juni 1992 über die biologische Viel- telbar und direkt von den Auswirkungen einer dro- falt henden Klimaänderung betroffen sein werden. Die — Drucksache 12/4473 — Landwirtschaft ist der volkswirtschaftliche Sektor, der am deutlichsten und intensivsten von Klima, Witte- (Erste Beratung 152. Sitzung) rung und Wetter abhängig ist. Somit treffen sie die Beschlußempfehlung und Be richt des Aus- prognostizierten Klimaänderungen am empfindlich- schusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktor- sten. Man denke hier nur an die Auswirkungen der sicherheit (17. Ausschuß) Dürre in Nord- und Ostdeutschland. — Drucksache 12/5112 — Die weltweite Klimaänderung geht nach Aussage Berichterstattung: der weit überwiegenden Zahl der Wissenschaftler mit Abgeordnete Dr. Norbert Rieder der Zunahme der Dürren, der Stürme und anderer Ulrike Mehl extremer Wetterereignisse einher, die die Sicherheit Gerhart Rudolf Baum der Welternährung zunehmend gefährden werden. Deutscher Bundestag -- 12. Wahlperiode — 165. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23. Juni 1993 14255

Truth Schmidt (Spiesen) Neben den durch die Klimaänderung drohenden aber globales Problem dar, das eine Reform der Gefahren wird die Landwirtschaft auch direkt durch Landbewirtschaftung zwingend notwendig macht. die Spurengaszunahme, also durch die erhöhte Koh- Der Wald als sehr komplexes und für die Mensch- lendioxidkonzentration, die erhöhte UV-B-Strahlung heit überlebensnotwendiges terrestrisches Ökosy- und weitere Luftschadstoffe beeinträchtigt. Landwirt- stem ist ebenfalls unmittelbar von Umweltverschmut- schaftliche Aktivitäten bedingen aber auch in nicht zung und Klimaveränderung be troffen und bedroht. zu vernachlässigender Weise Schadstoffemissionen. Er dient als Schutz von Boden und Wasser, speichert N20, Methan und auch CO2 tragen zur Klimaproble- Kohlenstoff und bewahrt die Artenvielfalt. Wälder matik bei. stellen sehr spezifische Ansprüche an klimatische Die Landwirtschaft muß deshalb ebenso wie alle Bedingungen. Ihre Anfälligkeit gegenüber Schadstof- and eren Verursacherbereiche die Emissionen der fen erhöht sich bei veränderten Lebensbedingungen. Treibhausgase reduzieren, damit die Klimaänderung Die Anpassungszeit von Bäumen als sehr langlebigen gar nicht erst die katastrophalen prognostizierten Pflanzen beträgt mehrere Jahrzehnte. Ausmaße erreicht. Gerade in den Industrieländern Alle Maßnahmen zum Schutz der Wälder müssen muß der enorme Ressourcenverbrauch verringert- also darauf abzielen, die prognostizierten Klimaver- werden, Kreisläufe müssen wieder geschlossen, Ener- änderungen zu verlangsamen bzw. einzudämmen. gie mull effizienter eingesetzt werden, und wenn dies Die Reduktion klimarelevanter Spurengase, die Ver- nicht ausreicht, muß verzichtet werden. Dies gilt für minderung aller Luftschadstoffe, die Förderung der die industrielle Produktion, den Konsum, den Ener- nachhaltigen Bewirtschaftung von Waldgebieten be- gieverbrauch und die Mobilität genauso wie für die sonders in Gebieten des Regenwaldes sowie die landwirtschaftliche Produktion. Wiederaufforstung brachliegender Flächen zur Koh- (Dr. Klaus-Dieter Feige [BÜNDNIS 90/DIE lenstoff-Fixierung gehören zu den dringenden Aufga- GRÜNEN]: Das unterschreiben wir!) ben der Zukunft. Im Hinblick auf ihre Ernährung lebt die Weltbevöl- Einen Beitrag zur Erfüllung dieser Anforderungen kerung derzeit von der Hand in den Mund. Selbst leistet die Bundesregierung durch nationale und inter- wenn sie insgesamt noch ernährt werden könnte, nationale Maßnahmen, wie z . B. durch die Unter- scheitert dies an dem Problem der Verteilung zwi- zeichnung der Klima- und Artenschutzkonvention, schen Arm und Reich. Bis zum Jahr 2025 wird die durch Reduktionsprogramme für Klimagase und Wie- Bevölkerung von jetzt 5 Milliarden auf 8,5 Milliarden deraufforstungsprogramme. Die Menschheit muß wachsen. erkennen, daß ein Wald ein sehr kostbares Gut ist, das unersetzliche Dienste für Mensch und Umwelt leistet, In Anbetracht der enormen Überschüsse der EG anderereits aber durch den Menschen und die durch Landwirtschaft und der notwendigen Marktord- ihn verursachten Umweltbelastungen existentiell nungskosten gilt die Forderung nach einer Reduzie- gefährdet ist. rung der Produktionsintensität insbesondere für die Landwirtschaft in unseren Breiten. Eine Agrarreform, die zu einer deutlichen Extensivierung der Über- Vizepräsident Dieter - Julius Cronenberg: Frau Kol- schußlandwirtschaft führt, könnte mehrere Probleme legin Schmidt, ich versuche immer, Ihnen Signale zu gleichzeitig lösen. Die Umweltbelastungen aus dem gehen; aber ich habe den Eindruck, das beeindruckt Landwirtschaftssektor würden deutlich reduziert, was Sie relativ wenig zugleich die Gefahr einer Klimaänderung nicht abwenden, aber doch verringern würde. Die teuer subventionierten Überschüsse könnten abgebaut, der Trudi Schmidt (Spiesen) (CDU/CSU): Die eine Preisdruck auf dem Weltmarkt könnte reduziert wer- Minute habe ich noch. Dafür spricht der Kollege den. Dr. Lippold schneller. Ein weiteres wichtiges Betätigungsfeld der Land- Es wird ein zunehmendes Umdenken in unserer wirtschaft liegt im Energiebereich. Zur Verbesserung Gesellschaft notwendig. Die immer komplexer wer- der Konkurrenzfähigkeit der nachwachsenden Roh- denden Probleme versetzen den Menschen in die stoffe und Energieträger bzw. allgemein der regene- Situation, daß er nur noch reagieren und reparieren rativen Energiequellen ist eine europaweite kombi- kann. Er läuft einer dramatischen Entwicklung mehr nierte CO2-Energiesteuer baldmöglichst einzufüh- oder weniger unwissend hinterher und bekämpft ren, um damit alle nicht erneuerbaren Energien zu meist nur die Symptome. verteuern. Hierzu ist der Aufbau einer dezentralen Wir müssen aber die Ursachen unserer Probleme Energieversorgung des ländlichen Raumes durch bekämpfen und den Verursachern, also uns selbst, kleine Blockheizkraftwerke mit Kraft-Wärme-Kopp- Einhalt gebieten. Dies gilt nicht zuletzt für die Land- lung notwendig. Biogene Abfälle wie Biogas aus wirtschaft, die bereits in einer tiefen Krise steckt und Wirtschaftsdüngern, Stroh, Restholz usw. aus der durch die Unwägbarkeiten der drohenden Klimaän- Land- und Forstwirtschaft können sinnvoll zur Ener- derung empfindlich ge troffen wird. gieerzeugung genutzt werden, Ich danke. Das globale Leitziel muß eine dauerhafte Landwirt- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) schaft sein, die jeweils regional die Selbstversorgung sicherstellt und in einer Kreislaufwirtschaft ressour- censchonend und umweltverträglich wirtschaftet. Die Vizepräsident Dieter - Julius Cronenberg: Das Wort drohende Klimaänderung stellt neben allen Umwelt- hat nunmehr die Abgeordnete Frau Monika Ganse- belastungen der Landwirtschaft ein weiteres, nun forth. 14256 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 165. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23. Juni 1993

Monika Ganseforth (SPD): Herr Präsident! Liebe prozentuale Minderung" gehe. Daß das auf einmal Kollegen und Kolleginnen! Frau Schmidt, ich hätte es nicht mehr getrennt gerechnet wird, sondern zusam- schön gefunden, wenn das, was Sie soeben gesagt mengerechnet wird, obwohl wir wissen, daß die haben, heute nachmittag der Landwirtschaftsminister Emissionen in den neuen Ländern durch den Zusam- Borchert gehört hätte. menbruch der Wirtschaft enorm zurückgegangen (Beifall bei der SPD — Zurufe von der CDU/ sind, nicht aber durch eine Klimaschutzpolitik, ist eine CSU: Hat er! — Das hat er doch gehört!) Vernebelung, die wir uns eigentlich nicht gefallen lassen sollten. Der weiß das nämlich alles noch gar nicht, was Sie über die Landwirtschaft als Täter und auch als Opfer (Beifall bei der SPD) der möglichen Klimaänderung gesagt haben. Also da Schließlich hat der Umweltminister uns auf unsere muß noch einmal der Draht kürzer geschlossen wer- Frage, was zum Klimaschutz gemacht worden ist, den. einen Katalog mit 30 Maßnahmen vorgelegt. Das ist (Michael Müller [Düsseldorf] [SPD]: Sehr viel nun geradezu ein Witz. Ein D rittel der Maßnahmen kürzer!) sind vom Bundestag beschlossen worden, bevor die Reduktionsziele festgelegt wurden. Das zweite D rittel Vor über fünf Jahren ist die Enquete-Kommission sind die Maßnahmen, über die wir nun schon Monate „Schutz der Erdatmosphäre" eingesetzt worden. Sie und Jahre reden, die aber nicht auf den Weg kommen: hat auftragsgemäß Maßnahmen und Empfehlungen z. B. die Wärmenutzungsverordnung, eine CO2-Ener- erarbeitet, die die Atmosphäre vor weiterer Störung giesteuer oder Flottenverbrauchsregelungen. Das schützen sollten. Ozonschichtschwund, Klimaverän- dritte Drittel sind Maßnahmen, bei denen man sich derungen und die Abholzung der Regenwälder stan- fragt, was sie mit der CO2-Reduzierung zu tun haben: den im Mittelpunkt der fünfjährigen Arbeit. Heute z. B. die Vignette, die TA Siedlungsabfall und die debattieren wir auch über die Umsetzung der Emp- Verpackungsverordnung. So kann man das nun nicht fehlungen der Enquete-Kommission durch die Bun- machen. desregierung. Das ist ein doch ziemlich trauriges Kapitel. (Michael Müller [Düsseldorf] [SPD]: Sehr Wir werden auch heute darüber sprechen, daß vor richtig!) einem Jahr die Konferenz „Umwelt und Entwick- Das ist nun wirklich eine Schönrednerei, über die wir lung" in Rio stattgefunden hat, die einen etwas langsam hinausgekommen sein sollten. breiteren Ansatz hatte, nämlich das Artensterben als In der Liste fehlen allerdings die Maßnahmen, die wichtiges Thema, die Ausdehnung der Wüste, die inzwischen eingestellt worden sind, die aber dem weltweiten Trinkwasserprobleme, die zunehmende Klimaschutz und der Energieeinsparung galten: z. B. Verelendung und Unterentwicklung der Länder des die Möglichkeit der Absetzung von Kosten für Ener- Südens und die Bevölkerungsentwicklung. Diese giesparmaßnahmen bei der Einkommensteuer. Das ist Themen sind inzwischen stärker ins Blickfeld geraten. ausgelaufen. Solche Maßnahmen stehen natürlich Wir haben heute die Gelegenheit, Bilanz zu ziehen nicht in diesem illustren Katalog. und zu sehen, was an Maßnahmen eingeleitet wurde und ob das ausreichend ist. Der Umweltminister stellt für meine Begriffe die personifizierte „Als-ob-Politik" dar, die nicht nur Ich habe soeben schon angedeutet: Die Bilanz ist unverantwortlich ist, sondern die die Bürgerinnen und vernichtend. Die Bundesregierung hat die Umwelt- Bürger inzwischen übersatt haben. Das kann ich politik — so kann man es sagen — an die Wand Ihnen sagen. Wir haben diese Politik im übrigen auch gefahren. Umweltminister hat sich inzwischen Töpfer satt. vom Ankündigungsminister zum notorischen Schön- redner wider besseres Wissen entwickelt. Jeden Miß- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS erfolg hat er bis zur Selbstverleugnung als Erfolg 90/DIE GRÜNEN) verkauft. Beim Dualen System erleben wir das derzeit Nun lassen Sie mich noch etwas über die Arbeit in wieder. der Enquete-Kommission sagen. Dort sieht es nicht (Beifall bei der SPD — Hans-Joachim Fuchtel viel besser aus. Im Mittelpunkt der Diskussion stehen [CDU/CSU]: Nicht so viel Gift spritzen!) nicht mehr die Überlegungen, wie wir die großen Inzwischen nimmt er es auch mit der Wahrheit nicht Probleme der Klimaverschiebungen in den Griff mehr so genau. Als Beispiel nehme ich seine Aussage bekommen können, sondern in der Enquete-Kommis- in der Mai-Debatte hier im Bundestag über die ver- sion tummeln sich Interessengruppen und Interessen- kehrsbedingten Stickoxidemissonen, die zurückge- verbände. Die Arbeit ist zum Schwarzer-Peter-Spiel gangen sein sollten, wofür er aber bisher den Nach- degeneriert. Jede Interessengruppe versucht, unge- weis schuldig geblieben ist. schoren davonzukommen oder Zeit zu gewinnen. In der letzten Sitzung der Enquete-Kommission im (Klaus Harries [CDU/CSU]: Wer hat die denn Juni hat er auf meine Frage in bezug auf CO2 gesagt, gerufen?) daß das CO2-Reduktionsziel von 25 bis 30 % bis zum — Sie, Herr Lippold. Jahr 2005, bezogen auf 1987, für die gesamte Bundes- republik gelte. Dabei ist noch im Kabinettsbeschluß (Zurufe von der CDU/CSU: Nein! — Der hat vom 7. November 1990 ausdrücklich davon die Rede doch gar nichts gesagt! — Manta Sehn gewesen, daß die mindestens 25 %ige CO2-Reduktion [F.D.P.]: Der hat nichts gesagt!) nur für die alten Bundesländer gelte und daß es für die Die Überlebensfragen, vor denen wir stehen, sind neuen Länder — wörtlich — um eine „deutlich höhere unter dem Gewusel kleinlicher Besitzstandsdiskussio- Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 165. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23. Juni 1993 14257

Monika Ganseforth nen in Vergessenheit geraten. Gerade heute haben Wir müssen bis dahin ... mehr als die alte 25 bis wir dies mit dem Verkehrsbericht wieder erlebt. Da 30 %-Leier vorweisen können. Ich schlage des- wird getrickst. Da wird alles mögliche versucht, nicht halb vor, daß wir uns bis dahin auf folgende allen Mitgliedern der Enquete-Kommission einen fai- Aufgaben konzentrieren bzw. die Beschlüsse ren Zugang zu diesen Diskussionen zu gewährlei- dazu herbeiführen helfen: sten. 1. Einführung von Flottenverbrauchsregeln Die notwendige Kooperation — das Geheimnis des (Möglichst EG-weit) für Automobile. Erfolges von Enquete-Kommissionen ist ein Diskurs 2. Verabschiedung der neuen Wärmeschutzver- zwischen Politik und Wissenschaft sowie zwischen ordnung. den verschiedenen politischen Parteien —, diese not- wendige übergreifende Diskussion wird durch diese 3. Vermeidung eines neuen Kraftwerkes durch Art der „Zusammenarbeit" — denn das ist keine Least-Cost-Planning in Zusammenarbeit mit Zusammenarbeit — zerstört. Das werfe ich Ihnen einer Region und dem EVU. — ganz besonders Herrn Lippold — vor. Sie haben Ich schlage Erlangen vor. Da wäre das sehr gut - durch Ihren Schlingerkurs, durch die Halbherzigkeit möglich. und dadurch, daß Sie Lobbyisten viel zuviel Raum Weiter schrieb er: einräumen, die Umweltpolitik in der Enquete-Kom- mission zum Stillstand gebracht. 4. Bundesweite Einspeisevergütung für elektri- schen Strom zum mittleren Gestehungspreis für (Dr. Jürgen Rüttgers [CDU/CSU]: Frau Gan alle erneuerbaren Energien und die Stromüber- seforth, wie können Sie denn so etwas schüsse bei der Wärmekraftkoppelung in der sagen?) Industrie. Das heißt nicht, daß Vertreter bestimmter Interes- Das wäre dringend nötig. Soviel ich weiß, gibt es von sengruppen nicht zu Wort kommen sollen und gehört Brandenburg inzwischen einen entsprechenden Ge- werden dürfen. Das ist selbstverständlich. Aber ent- setzentwurf über den Bundesrat. Was wäre es schön, scheiden müssen wir am Ende, und zwar in Verant- wenn wir da an der Spitze der Bewegung wären und wortung für alle. Dafür sind wir gewählt. Dabei nicht getrieben werden müßten. können wir es nicht allen recht machen. Wenn man eine Umstrukturierung beabsichtigt — wie wir dies (Klaus Harries [CDU/CSU]: Sagen Sie mal, tun —, dann kann man es nicht allen recht machen, wie das finanziert werden soll!) sondern dann muß man auch an der einen oder — Sie wissen, daß die Energiepreise viel zu niedrig anderen Stelle jemandem weh tun. Wenn man nichts sind, wenn wir Klimaschutz betreiben wollen. Aber tut — das sehen wir im Augenblick bei der Automo- vielleicht wollen Sie das gar nicht mehr. bilindustrie —, dann geht das auch nicht ohne Pro- (Klaus Harries [CDU/CSU]: Wollen Sie die bleme. Die Automobilindustrie leidet nicht daran, daß Bürger noch mehr belasten?) zuviel getan worden ist, sondern sie leidet, weil die Rahmenbedingungen von der Politik überhaupt nicht Schließlich heißt es weiter: gesetzt wurden. 5. Abschluß eines Vertrages mit einem Schwel- (Klaus Harries [CDU/CSU]: Zu teuer! Tarif lenland für den Bau eines G. u. D.-Kraft- partner!) werks .. . Lassen Sie mich aus einem B rief zitieren, den ein Der entscheidende Punkt ist der sechste Punkt. Das Wissenschaftler der Enquete-Kommission vor fast trifft auf das zu, was Sie sagen, Herr Har ries. Ich einem Jahr geschrieben hat. Das war Professor Graßl, zitiere: der Direktor des Max-Planck-Instituts für Meteorolo- 6. Erhöhung der Energiepreise aus Umweltgrün- gie. Er schrieb: den, d. h. Internalisierung eines ersten Teils der externen Kosten ohne die ziemlich nutzlose Dis- ... der Nimbus unserer Enquete-Kommission kussion über die wahre Höhe des gerechten scheint gefährdet, weil wir uns in der Produktion Preises. von Papier erschöpfen. Was tun wir aber in der Enquete-Kommission? Wir (Marita Sehn [F.D.P.]: Der ist doch nie da, diskutieren weiter darüber, was besser ist: Energie- Frau Ganseforth!) steuer, CO2-Steuer, welche Randbedingungen, Kom- Ich spreche damit nicht gegen unsere Berichte, pensation usw.? sondern eher gegen die Fülle der Studien und Es liegt auf der Hand, was getan werden muß: in der Anhörungen, aber vor allem beklage ich die Verkehrspolitik, in der Wirtschaftspolitik, in der politische Lähmung. Agrarpolitik und in der Entwicklungspolitik. Fangen wir endlich an! Recht hat er, und er steht mit dieser Kritik nicht allein. Wir haben dies damals ausführlich diskutiert. Schönen Dank. (Klaus Harries [CDU/CSU]: Wer zögert denn (Beifall bei der SPD) immer?) Zur Klimakonvention und zur Nachf olgekonfe- renz, die in Deutschland stattfinden soll, hat er Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Das Wort gesagt: hat die Abgeordnete Frau Marita Sehn. 14258 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 165. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23. Juni 1993

Marita Sehn (F.D.P.): Herr Präsident! Liebe Kolle- daß zukünftig marktwirtschaftliche Instrumente die ginnen! Liebe Kollegen! Vor etwas mehr als einem Umweltpolitik prägen müssen. Jahr, am 14. Juni 1992, ging die Konferenz für Umwelt und Entwicklung in Rio zu Ende. Trotz der Kritik im (Zuruf von der SPD: Das ist doch Ordnungs- Vorfeld, die auch hier ganz besonders von der linken politik!) Seite kam, hat diese Konferenz nicht nur das Bewußt- Die Reform des Steuer- und Abgabensystems muß sein für ökologische Fragen geschärft. Rund 180 Staa- zugleich für Vereinfachungen und effizienteren ten und 35 000 Delegierte nahmen an dem Umwelt- Umweltschutz genutzt werden. gipfel teil. (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne (Zuruf des Abg. Dr. Klaus-Dieter Feige ten der CDU/CSU) [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Verursachergerechte Umweltsteuern und -abgaben -- Ein ernsthafter Dialog, Herr Feige, hat über die müssen durch steuerliche Entlastungen von Bürgern zukünftige Entwicklung unserer Erde in Rio begon- und Wirtschaft an anderer Stelle kompensiert werden. - nen. Ich glaube, das bezweifeln auch Sie nicht. Damit bietet sich die Chance, langfristig verläßliche Anreize für umweltverträgliches und innovatives Pro- Die Bundesrepublik Deutschland hat so wie 150 duktions- und Wirtschaftsverhalten zu setzen. andere Staaten sowohl die Klimakonvention als auch die Artenschutzkonvention in Rio unterzeichnet. Ich Wir alle kennen den Beschluß der Bundesregierung freue mich darüber, daß wir heute, also noch vor der und auch des Parlamentes zur Reduzierung der CO2- Sommerpause, die beiden Gesetzentwürfe zur Ratifi- Emissionen aus dem Jahre 1990 mittlerweile auswen- zierung der Klimakonvention und der Konvention zur dig. Oft genug hat er Eingang in unsere Reden Erhaltung der biologischen Vielfalt in zweiter und gefunden. Um 14,5 % hat sich der CO2-Ausstoß bis dritter Lesung beraten und, wie ich hoffe, gemeinsam Ende 1992 vermindert, und ein klarer Trend zur verabschieden werden. weiteren Reduzierung ist eindeutig erkennbar, selbst wenn es in einzelnen Bereichen wie dem Verkehr aus Die erste Lesung im April hat die unterschiedlichen heutiger Sicht wahrscheinlich zu keiner Reduzierung Standpunkte deutlich gemacht. Wer allerdings kommt. glaubte, daß auch die Diskussion im Umweltausschuß soviel Zeit in Anspruch nehmen würde, sieht sich beim (Monika Ganseforth [SPD]: Aber nur durch Durchlesen des Protokolls enttäuscht. Im Wirtschafts- die neuen Lander! ) ausschuß, der ebenfalls mitberaten hat, haben die Kolleginnen und Kollegen der SPD sehr zu meiner — Sicher, Frau Ganseforth, ist es richtig, daß in den Verwunderung noch nicht einmal das Wort ergriffen. alten Bundesländern ein Anstieg um etwa 3 % zu Liegt es vielleicht daran, daß die öffentliche Medien- verzeichnen ist. Aber hier muß auch deutlich gesagt landschaft dort nicht vertreten ist? werden, daß gerade in den letzten drei Jahren die Produktion in den alten Bundesländern, vor allem die Frau Ganseforth, Sie haben recht, wenn Sie vermu- energieintensive Produktion, durch die Wiederverei- ten, daß wir uns über den Verkehrsbericht in der nigung enorm gesteigert worden ist. Enquete-Kommission nicht einigen werden; aber das liegt nicht nur an uns, sondern ich glaube, das liegt Die Maßnahmen, die für die neuen Bundesländer auch an der anderen Seite. beschlossen worden sind, beginnen doch jetzt erst langsam zu greifen. Ich möchte hier einmal an den (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) Bereich des Gebäudebestandes erinnern. Fast alle Wohnungen in den neuen Bundesländern müssen Meine Damen und Herren von der Opposition, Sie renoviert werden. Hier verweise ich auch auf das im haben bestimmt großes Verständnis dafür, daß wir Rahmen des Solidarpakts beschlossene 10-Milliar- heute, wie im Umweltausschuß bereits geschehen, den-DM-Plattenbausanierungsprogramm. Dort liegt Ihre beiden Anträge ablehnen werden. Es kann und ein großes CO2-Einsparungspotential. darf doch nicht sein, daß wir ein immer dichteres Netz von ordnungspolitischen Maßnahmen beschließen, (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne also Ge- und Verbote, deren Einhaltung wir dann ten der CDU/CSU) nicht einmal kontrollieren und die uns auf der anderen Ebenfalls erwähnenswert ist die starke Entwicklung Seite zur Unbeweglichkeit führen. weg von der Braunkohlen-Einzelfeuerung hin zur (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) Gasheizung. Auch hier werden wir unserem — zuge- gebenermaßen sehr ehrgeizigen — Reduktionsziel Wir müssen hier neue Wege gehen. Wir müssen die näherkommen. Rahmenbedingungen in Richtung ökologische Markt- wirtschaft verändern, und zwar nicht durch Kom- Meine Frage an Sie, meine Damen und Herren von mando und Befehl, sondern durch Veränderung des der Opposition, lautet: Wie hoch hätte nach Ihren Steuerrechts. Vorstellungen jetzt, nachdem zweieinhalb Jahre seit diesem Beschluß vergangen sind, das Ergebnis (Dr. Klaus-Dieter Feige [BÜNDNIS 90/DIE eigentlich ausfallen müssen, um Sie zufriedenzustel- GRÜNEN]: Das ist Kommando!) len? Wir haben auf unserem Bundesparteitag in Münster (Zuruf von der CDU/CSU: Das ist unmöglich, unsere Vorstellungen in einem Beschluß, Herr Feige, die zufriedenzustellen! — Monika Ganse zum Ausdruck gebracht. Die F.D.P. fordert zu Recht, forth [SPD]: Keine Steigerung im Westen!) Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 165. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23. Juni 1993 14259

Marita Sehn Kann die jetzige Regierung überhaupt mit einem Es wäre ein Schritt zur Vereinfachung des Steuer- Ergebnis Ihre Zustimmung erreichen? rechts, und die derzeit mit der Kfz-Steuer beschäftig- ten Beamten könnten an anderer Stelle eingesetzt (Zuruf von der SPD: Ja!) werden. Gestatten Sie mir, daß ich hier viele Zweifel habe. Um auch der Industrie Anreize zu geben, ver- Die Bundesregierung hat bereits eine ganze Reihe brauchsärmere Fahrzeuge zu bauen, um die Produk- von Maßnahmen beschlossen, die ich heute nicht tionsfaktoren Arbeit und Kapital zu entlasten und mehr alle aufzählen will. Erwähnen möchte ich hier auch das Ziel des Umweltschutzes weiter voranzutrei- nur die Heizungsanlagenverordnung und die ben, stelle ich mir eine dritte Stufe vor. Also ökologisch Wärmeschutzverordnung. Letztere liegt dem Bundes- vernünftig, verläßlich und kalkulierbar — damit, so rat vor. Hier, meine Damen und Herren, kommt es auf meine ich, kann auch die Bevölkerung in den ländli- die Bundesländer an, wie schnell sie dieser Verord- chen Regionen leben. nung zustimmen. Bei konsequenter Umsetzung der Die von Bundeswirtschaftsminister Rexrodt vorge- neuen Wärmeschutzverordnung wird dies zu einer schlagene Kohlefinanzierungssteuer ist ökologisch - Einsparung von 100 Millionen Tonnen CO2-Emissio- sinnvoll und ein nationaler Einstieg in die EG-weite nen führen. Das sind 10 % der CO2-Gesamtemissio- CO2-Energiesteuer, die sich zur Zeit in einer Sack- nen. gasse befindet. Spätestens im zweiten Halbjahr 1994, Ich halte es allerdings für einen Skandal, daß zur wenn die Bundesrepublik Deutschland die EG-Präsi- Zeit nur etwa jeder siebente Neubau den geltenden dentschaft übernimmt, erwarte ich hier eine positive Wärmeschutzanforderungen entspricht. Wende. Die Einführung der Energiesteuer in den USA, so (Abg. Monika Ganseforth [SPD] meldet sich wie von Präsident Clinton im Frühjahr angekündigt, zu einer Zwischenfrage) wird es aus heutiger Sicht nicht geben. Es wird wohl — Nein, Frau Ganseforth, heute nicht; am Rande nur eine ganz geringe Erhöhung der Mineralölsteuer, vielleicht, aber nicht jetzt. wie ich höre, um noch nicht einmal zwei Pfennige pro Wir wollen also noch mehr erreichen und haben es Liter, übrigbleiben. Ich bedauere dies außerordentlich und hoffe, daß auf EG-Ebene trotzdem weiterverhan- im Augenblick noch nicht einmal geschafft, die beste- delt wird. henden Anforderungen umzusetzen. Hier, liebe Kol- leginnen und Kollegen von der SPD, sind die Länder Die Konvention zur Erhaltung der biologischen gefordert. Dort warte ich noch auf Ihre Vorschläge, Vielfalt strebt die Erhaltung des Lebens in seiner wie man neue Instrumente zur Behebung des Voll- ganzen genetischen Vielfalt an. Diese Konvention hat zugsdefizites entwickelt. Hier können Sie vielleicht meiner Auffassung nach in der öffentlichen Diskus- auch einmal Ihre Kraft einsetzen. sion zuwenig Aufmerksamkeit gefunden. Die Beein- trächtigung oder gar der Verlust von Arten und ihren (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) Lebensräumen bedroht auch die Lebensgrundlage Der Erhöhung der Mineralölsteuer, der Einführung des Menschen, da sie zu einer Verarmung der Natur der Lkw-Vignette und der Erhöhung der Kilometer- führen, die nicht mehr rückgängig zu machen ist. pauschale für die Berufspendler wird die F.D.P.- An dieser Stelle möchte ich auf das Problem des Bundestagsfraktion morgen in der Fraktionssondersit- Ferntourismus in unberührte Gebiete aufmerksam zung zustimmen. Damit ist die Pkw-Vignette, die machen. Hier werben Veranstalter mit Reisen in ökologisch sinnlos ist, vom Tisch. bisher von Menschen unbenutzte Gebiete. Erstaun- Ich möchte an dieser Stelle aber noch einmal lich ist, daß oft gerade sehr umweltbewußte Menschen wiederholen — — diese Angebote wahrnehmen. M an ist sich scheinbar dessen nicht mehr bewußt, daß mit solchen Reisen, die (Dr. Klaus-Dieter Feige [BÜNDNIS 90/DIE dann auf immer mehr Menschen einen Reiz ausüben, GRÜNEN]: Arme Vignette!) gerade diese noch erhaltene Natur zerstört wird. — Herr Feige, hören Sie mir doch zu —, daß ich mir Liebe Kolleginnen und Kollegen, wer Veränderun- gerade bei der Mineralölsteuer, um eine ökologisch gen im Bereich der Umweltpolitik — und dies auch vernünftige Lenkungswirkung zu erzielen, eine ver- international — will, muß die kleinen Schritte akzep- läßliche, vorhersehbare Stufenlösung vorstellen tieren, ohne die große nicht denkbar sind. kann. (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne ten der CDU/CSU) Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Frau Kol- legin Sehn, ich möchte mich nicht dem Verdacht Die jetzige Erhöhung betrachte ich als erste Stufe, die aussetzen, Sie bevorzugt zu behandeln, und diesen wir brauchen, um die Bahnreform zu finanzieren. Verdacht nähre ich, wenn ich Sie noch sehr lange Die zweite Stufe sollte die Umlegung der Kfz-Steuer weiterreden lasse. auf die Mineralölsteuer sein. Dies würde noch zwei weitere positive Effekte mit sich bringen. (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne Marita Sehn (F.D.P.): Noch einen letzten Satz. — ten der CDU/CSU — Zuruf von der F.D.P.: Aber wer schimpft, weil zuwenig zu langsam Endlich einmal eine Steuerabschaffung, das geschieht, der sollte zuerst darüber nachdenken, ist richtig!) welchen Beitrag er selber leistet. 14260 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 165. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23. Juni 1993

Marita Sehn Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit. — Mit und 42 potentiell gefährdet. Das gleiche Bild bietet Schimpfen habe ich nicht den Präsidenten gemeint. sich bei Fischen, Kriechtieren, Lurchen, Vögeln, (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) Pflanzen, Farnen und Pilzen. Die Menschen sind im vielfachen Sinne für diese Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Das Wort Situation verantwortlich, nicht nur die Regierung. Als hat der Abgeordnete Dr. Klaus-Dieter Feige. Teil der Natur haben wir ein paar Jahrtausende von der Natur gelebt, ohne größeren Schaden anzurich- Dr. Klaus-Dieter Feige (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- ten. Aber in den letzten Jahrzehnten haben wir sie so NEN): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen in die Enge getrieben, daß sie zu ersticken droht. und Herren! Prinzipiell gibt es zwei mögliche Heran- Hauptursache dieser Entwicklung ist die rasch fo rt gehensweisen an internationale Konventionen, die Vernichtung der ökologischen Lebens--schreitende man in ihrem Gehalt nicht unterstützen will: Entweder grundlagen durch die Intensivierung und Industriali- nimmt man sie ernst und verzichtet wie die USA unter sierung der Land- und Forstwirtschaft, durch die George Bush bei der Klimakonvention auf deren- ständig zunehmende Bodenversiegelung durch Indu- Ratifizierung, oder man läßt sich vor der internationa- strie, Straßenbau und Zersiedlung, durch eine zuneh- len Öffentlichkeit für die Unterstützung einer Konven- mende Belastung von Luft, Wasser und Boden mit tion bejubeln und verweist dann bei ausbleiben- chemischen Schadstoffen, durch einen gnadenlosen der Umsetzung auf vermeintlich unüberwindliche Gewässerabbau — nur Stichworte wie Flußkanalisie- Schwierigkeiten im Inland, und sei es bloß das feh- rung, Begradigung und Stauseen seien genannt — lende Geld. und nicht zuletzt auch durch einen zunehmenden zentralisierten Naturverbrauch für Tourismus, Frei- Die Bundesregierung hat sich bei der Konvention zeit- und Sportbedürfnisse. von Rio offensichtlich für die zweite Va riante ent- schieden. Sie schadet damit aber nicht nur der Sache, Diesen Raubbau müssen wir sofort stoppen und in diesem Fall dem Schutz der biologischen Vielfalt gleichzeitig darangehen, den entstandenen Schaden, und des Klimas auf unserem Planeten, sondern unter- wenn das denn überhaupt noch möglich ist, wieder- höhlt auch die Glaubwürdigkeit von internationalen gutzumachen. Das heißt aber, wirklich keine weitere Konventionen selbst. Denn seit einem Jahr steht die Vernichtung bislang unberührter Biotope zuzulassen. Bundesrepublik durch die Unterstützung der Klima- Ich denke an den Bundesverkehrswegeplan, in dem konvention von Rio international in der Pflicht, die die Zerstörung von Biotopen in einem Riesenausmaß Stabilisierung der Treibhausgaskonzentration in der vorgeplant wird. Dieser Schutz der Natur und Umwelt Atmosphäre auf einem Niveau zu erreichen, auf dem läßt sich jedoch nur dann verwirklichen, wenn wir eine gefährliche anthropogene Störung des Klimasy- endlich zu einer Form des Wirtschaftens und des stems verhindert wird, wie der Art. 2 des Rahmen- Fortschritts finden, die die Bedürfnisse der Gegenwart übereinkommens der Vereinten Nationen über Kli- deckt, ohne zukünftigen Generationen die Grundlage maänderung besagt. für deren Bedürfnisbefriedigung und der Natur und Allen regierungsoffiziellen Bekundungen vor und Umwelt die Existenzgrundlagen zu nehmen. nach Rio zum Trotz ist in der Bundesrepublik jedoch bislang nichts erfolgt, was uns der Erfüllung dieser Auf seiten der Bundesregierung ist dazu jedoch nur Ziele näherbringen könnte. Im Gegenteil: In beinahe verbale Bereitschaft erkennbar. Seit vielen Jahren allen Politbereichen werden heute Weichenstellun- kündigt das Bundesumweltministerium die Vorlage gen vorgenommen, die dem in Rio vereinbarten Ziel einer Novelle des Naturschutzgesetzes an, die jedoch eines umwelt-, klima- und generationenverträgli- wegen des hinhaltenden Widerstandes von Industrie- chen — kurz: nachhaltigen — Wirtschaftens entge- und Agrarlobby auf Eis liegt. genlaufen. Ohne Anspruch auf Vollständigkeit wären (Zuruf von der CDU/CSU: Wir haben doch dabei allein aus der jüngsten Zeit vor allem das ein gutes Naturschutzgesetz!) Investitionserleichterungs- und Wohnbaulandgesetz, das Kreislaufwirtschaftsgesetz, der Bundesverkehrs- — Fragen Sie bitte Herrn Töpfer, der das bestehende wegeplan 1993 und die geplante Kohlefinanzierungs- Gesetz selbst kritisiert; sonst hätte er keinen Referen- bzw. Effizienzsteuer zu nennen. A ll dies konterkariert tenentwurf im Kabinett eingebracht, mit dem einiges das, was Sie sagen. geändert werden soll. Er ist schließlich mit einem (Michael Müller [Düsseldorf] [SPD]: Rich vorhergehenden Entwurf schon einmal auf die tig!) Schnauze geflogen. Lassen Sie mich in der kurzen Zeit, die Sie mir zur Nicht umsonst hat die Gruppe BÜNDNIS 90/DIE Verfügung stellen, zu den beiden heute zur Ratifizie- GRÜNEN dem Bundestag wegen dieses Versagens rung anstehenden Konventionen Anspruch und Wirk- des Töpfer-Ministeriums einen Gesetzentwurf vorge- lichkeit der Politik der Bundesregierung miteinander legt, der wirklich dem Geist von Rio entspricht und der vergleichen. So hat sie in Rio das Übereinkommen auch zu Beginn des kommenden Jahrtausends beste- über die biologische Vielfalt unterschrieben; doch hen kann. Die Natur braucht auch im Kabinett des weniger als die Hälfte der in der Bundesrepublik Kanzlers Kohl endlich eine Lobby. Deutschland lebenden Tiere und Pflanzen gelten heute noch als nicht gefährdet. Knapp 10 % sind (Zuruf von der SPD: Sehr richtig!) bereits ausgestorben. Von insgesamt 500 Wirbeltier- arten sind 31 bereits ausgerottet, 62 unmittelbar vom Herr Töpfer selbst ist dort nie ein glaubhafter Anwalt Aussterben bedroht, 63 stark gefährdet, 55 gefährdet für die Umwelt gewesen. Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 165. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23. Juni 1993 14261

Dr. Klaus-Dieter Feige Schönen Dank für die Aufmerksamkeit. sowie vom Dezember 1991 für ein na tionales CO2- (Beifall bei der SPD und der PDS/Linke Minderungsprogramm, durch die Beschlüsse des Liste) gemeinsamen Umwelt- und Energieministerrates der Europäischen Gemeinschaft vom Oktober 1990 und Dezember 1991 gelegt. Zu nennen ist schließlich die Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Wir wer- Arbeit verschiedener Gremien wie etwa der IPCC und den jetzt den Parlamentarischen Staatssekretär der INC-Klima die Aushandlung und Ratifizierung der Dr. Bertram Wieczorek zu diesem Thema hören. Klima-Rahmenkonvention. Die Zwischenbilanz lautet aber auch: Wir benötigen Parl. Staatssekretär beim Dr. Bertram Wieczorek, eine zweite Phase intensivster Anstrengungen, na tio- Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reak- nal, EG-weit und auch weltweit, wenn wir die notwen- torsicherheit: Herr Präsident! Meine Damen und Her- dige Trendwende hin zu einer ökologisch und ökono- ren! Der Schutz der Erdatmosphäre gehört zu den misch nachhaltigen Entwicklung erreichen wollen. prioritären Aufgaben der Umweltpolitik der 90er Die Arbeit der kommenden Jahre wird entscheidend Jahre. Dies zieht sich hier ja auch durch die Debatte dafür sein, wann die gesetzten Ziele erreicht werden. hindurch. Wirksamer Klimaschutz bedeutet, daß die Hier sind die Verminderung der CO2-Emissionen in Umweltpolitik intensiv in die Energie- und Verkehrs- Deutschland, und zwar in Gesamtdeutschland, um 25 politik, die Bau- und Forschungspolitik, die Wirt- bis 30 %, bezogen auf das Jahr 1987, die Stabilisierung schafts- und Finanzpolitik und die Entwicklungs- und der CO2-Emissionen im Rahmen der EG als Ganzes bis Landwirtschaftspolitik integriert werden muß. zum Jahr 2000, bezogen auf das Jahr 1990, sowie die (Beifall bei der CDU/CSU) Konkretisierung und Umsetzung der Klima-Rahmen- Wenn wir an der Bewäl tigung übrigens keines natio- konvention zu nennen. Wir haben einen Klimabericht nalen Problems, wie es Frau Ganseforth hier stellen- bereits vor Inkrafttreten der Konvention erarbeitet, weise verkaufen wollte, sondern eines globalen Pro- der im August dieses Jahres dem INC-Klima vorgelegt blems arbeiten wollen, dann sollten wir hier nicht wird. Damit wollen wir international ein Beispiel künstlich Fronten aufbauen. Ökologische Nestbe- geben. schmutzerei in Deutschland bringt gar nichts und (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) zweckgebundener Optimismus auch nichts. (Beifall bei der CDU/CSU) Die Vorbereitungen zur Umsetzung der Biodiversi- tätskonvention Die Bundesregierung hat begonnen, die in Rio sind im Gange, insbesondere im Hin- behandelten globalen Umweltthemen umzusetzen. blick auf die erste Vertragsstaatenkonferenz. Es ist Das heißt konkret zunächst einmal die Umsetzung der besonders erfreulich, daß diese für das Leben der Erde wichtige Konventi Agenda 21. Wir wollen hier auch konkret werden: on so große Resonanz gefunden hat. Deutschland wird bis zum Ende des Jahres ein ent- Kollege Feige, auch das gehört zu der Bilanz von Rio. sprechendes nationales Aktionsprogramm vorlegen. Natürlich haben wir einen dramatischen Rückgang Das bedeutet des weiteren intensive Mitarbeit in der biologischer Vielfalt auf dieser Erde zu verzeichnen. Ich persönlich hoffe, daß man die diesbezüglichen neu gegründeten Kommission zur nachhaltigen Ent- wicklung, die die Umsetung der Rio-Beschlüsse über- Beschlüsse in Rio nicht erst um fünf nach zwölf wachen soll, die Weiterentwicklung der Wald-Grund- verabschiedet hat. Aber die Unterzeichnung durch 161 Staten, auch den USA — das soll man satzerklärung zu einer internationalen Wald-Konven- hier mal tion — das ist ja einer der großen Defizite von Rio sagen dürfen —, und die Ratifizierung durch jetzt bereits 18 Staaten zeigt doch, daß die Weltgemein- gewesen —, die Ratifizierung der Klima- und Biodi- schaft dieses Problem richtig erkannt hat und hier versitätskonvention spätestens bis zum Jahresende 1993 und schließlich die Vorbereitung der ersten hoffentlich auch zum Handeln fähig sein wird. Vertragsstaatenkonferenz zur Klima-Rahmenkon- Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zum vention, die Deutschland voraussichtlich Anfang 1995 Schluß der Zwischenbilanz die bisherige Entwicklung ausrichten wird. der CO2-Emissionen von 1987 bis Ende 1992 nennen. Die Sitzung des Deutschen Bundestages heute ist Sie wissen, daß die Grundlagen unserer Datenaussa- für mich ein Anlaß, eine Zwischenbilanz über den gen die des Umweltbundesamtes sind. Ich will sie hier Stand der nationalen und internationalen Arbeit zum nicht noch einmal wiederholen. Ich will aber sagen, Schutz der Erdatmosphäre zu ziehen. meine Damen und Herren, daß natürlich die Reduzie- Die zentralen Grundlagen für einen wirksamen rung der Schadstoff- und der CO2-Emissionen in den Klimaschutz, soweit dies deutsche Politik im weltwei- neuen Bundesländern nicht isoliert zu be trachten ist, ten Kontext vermag, sind in einer ersten Phase im Frau Kollegin Ganseforth. Wenn die alte Bundesrepu- Zeitraum von 1987 bis 1992 erarbeitet worden. An blik auch gesagt hat, wir wollen 1987 als Grundlage zentraler Stelle — das möchte ich hier durchaus noch nehmen und die damaligen Emissionen der ehemali- einmal im Gegensatz zu der Einschätzung der Kolle- gen DDR einbeziehen, so ist das doch schon ein gin Ganseforth betonen — steht hier die Arbeit der wesentlicher Fortschritt, der erreicht wurde. Wir Enquete-Kommission, insbesondere mit ihrem dritten haben — ich sage es noch einmal — ein globales Bericht vom Oktober 1990 und durch den dazugehö- Problem zu bewäl tigen. Und da interessiert die Erd- rigen Beschluß des Deutschen Bundestages vom atmosphäre nicht, ob die CO2-Minderung in Ost- 27. September 1991. deutschland, in Westdeutschland oder sonstwo statt- gefunden hat. Weitere Grundlagen wurden durch die Beschlüsse der Bundesregierung vom Juni und November 1990 (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) 14262 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 165. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23. Juni 1993

Parl. Staatssekretär Dr. Ber tram Wieczorek Dieser Prozeß, der in den neuen Bundesländern Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zum auch durch die Schließung völlig überalterter und Abschluß zum nationalen Minderungsziel ergänzen. damit auch menschenunwürdiger Arbeitsstätten statt- Die 25- bis 30prozentige CO2-Minderung bis zum Jahr gefunden hat, sollte bitteschön nicht in das Gegenteil 2005 wird immer wieder angezweifelt. Ich betone an verkehrt werden und den Bürgern in den neuen dieser Stelle noch einanal: Es bleibt bei diesem Ziel. Bundesländern vielleicht noch das Signal geben, daß Das Bundeskabinett hat dieses Ziel beschlossen. Es ist sie da etwas Falsches unterstützt haben. Bestandteil der Koalitionsvereinbarungen, der Regie- rungspolitik, es entspricht den Empfehlungen der Meine Damen und Herren, auf der anderen Seite Enquete-Kommission, und es ist erneut in der Antwort — das darf man auch nicht vergessen — gehört auf die Große Anfrage der SPD-Fraktion bekräftigt natürlich dazu — wir haben es von mehreren Rednern worden. gehört —, daß in den alten Bundesländern die CO2 Emissionen um etwa 3 % zugenommen haben. Was Meine Damen und Herren, in allen Politikberei- bedeutet das für die Umweltpolitik? Das bedeutet: Die chen, die ich eingangs aufgezählt habe, müssen wir nun die zweite Etappe der Klimaschutzpolitik begin- Entkoppelung von Wirtschaftswachstum und Ener-- gieverbrauch muß weiter fortgesetzt werden. Das ist nen. Dies gilt analog auch für die anderen in Rio die Herausforderung, vor der wir stehen. beschlossenen Handlungsfelder. Sie bilden einen ein- heitlichen Komplex, der als eine Gesamtheit betrach- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und tet wird. der F.D.P.) Abschließend möchte ich Ihnen -- das sei mir an Dies gilt auch und gerade für den Sektor Verkehr. Die dieser Stelle gestattet -- für die zügige und vor allem Entkoppelung von Wachstum und Energieverbrauch sehr konstruktive Beratung der Gesetzentwürfe, vor muß man auf diesen Bereich übertragen. allen Dingen auch in den Ausschüssen, zu den Kon- ventionen danken. Meine Damen und Herren, die Umsetzung des im Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit, CO2-Minderungsprogramm beschlossenen Maßnah- menbündels muß nun so optimiert werden, daß in den (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) neuen Ländern das Emissionsniveau bei dem dort angestrebten hohen Wirtschaftswachstum niedrig Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Meine gehalten werden kann und in den alten Ländern die Damen und Herren, ich erteile jetzt unserer Frau möglichen CO2-Minderungspotentiale ausgeschöpft Kollegin Ulrike Mehl das Wort. werden. Wenn wir uns die Energieplanung in den neuen Ulrike Mehl (SPD): Herr Präsident! Liebe Kollegin- Bundesländern anschauen, werden dort nicht mehr nen und Kollegen! Die Naturschutzpolitiker müßten Kraftwerke mit Wirkungsgraden von lediglich 30 bis sich eigentlich über das Gesetz über die biologische 35 % entstehen. Hier werden vielmehr Kraftwerke Artenvielfalt freuen, weil nämlich sehr viel Gutes und gebaut, die die Forderungen erfüllen, die wir als Richtiges darin steht. Deshalb haben wir diesem Umweltpolitiker haben, nämlich volle Ausschöpfung Gesetzentwurf im Ausschuß auch zugestimmt. des Energiepotentials und volle Nutzung der Energie, Wer aber die Realitäten kennt, der weiß, daß wir die bei der Energieumwandlung entsteht. hier ganz schön Fensterreden halten. Wer weiß, wie es um den Naturschutz bestellt ist, und zwar schon bei Dazu gehört natürlich auch die Kraft-Wärme-Kop- uns, geschweige denn in den Entwicklungsländern, pelung, die Nutzung der Fernwärme. Wir haben eine der weiß genau, daß insbesondere auf Bundesebene andere, günstige Situation in den neuen Bundeslän- Politik gar nicht in der Lage oder uch nicht gewillt ist, dern, und wir müssen diese günstige Situation auch a das alles, was in diesem Gesetz, das wir hier beschlie- nutzen. Das heißt, die Kraftwerke müssen dorthin, wo ßen wollen, steht, umzusetzen. wir dann auch den Dampf und die Wärme nutzen können, wo die Neubausiedlungen stehen, wo neue Und wer auf die drückenden Probleme der nächsten Wohngebiete entstehen, und nicht weit entfernt. Das Jahre sieht, dem ist klar, daß Naturschutz auf der sind eben die Erfahrungen, die man hier gemacht hat. politischen Prioritätenliste weiter nach hinten rut- Kraftwerke liegen von den Städten zu weit entfernt schen wird. und arbeiten mit zuviel Megawattleistung, so daß eine Ich frage mich, warum in unserer Gesellschaft Femwärmeversorgung mit der jetzigen Konstruktion absolut selbstverständlich über die Nutzung der Natur schwer erreichbar sein wird. diskutiert werden kann, man aber immer noch halb- wegs als Spinner gilt, wenn man von kreatürlichem Meine Damen und Herren, über die Umsetzung des Leben spricht. Warum geht es nicht in unsere Köpfe, CO2-Minderungsprogramms hat die Bundesregie- daß unser Leben und Tun verträglich in dieses rung in der Antwort auf die Große Anfrage berichtet. Gesamtgefüge eingebettet sein muß und daß in dem Sie wird den Bundestag auch weiterhin — das möchte Zusammenhang auch ein Eigenleben und ein Eigen- ich hier noch einmal versichern — aktuell auf dem recht der Natur bestehen muß? laufenden halten. Die interministerielle Arbeits- gruppe „CO2-Reduktion" wurde beauftragt, ihre (Beifall bei der SPD) Arbeiten an einem Gesamtkonzept zur CO2-Reduk- Dieses Nutzbarkeitsdenken findet sich leider auch tion auch unter Berücksichtigung weiterer klimarele- in diesem Gesetz wieder. Da ist in Art. 1 unter der vanter Treibhausgase fortzusetzen und dem Bundes- Überschrift „Ziele" zu lesen: Ziele sind die Erhaltung kabinett bis Herbst 1993 einen Fortschrittsbericht der biologischen Vielfalt. Wenn es hier einen Punkt — nicht einen Bericht — vorzulegen. gäbe, wäre das prima. Aber dann folgen überwiegend Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 165. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23. Juni 1993 14263

Ulrike Mehl noch die Worte: „Nutzung", „Ressourcen", „Vorteile" ungebremst auf Nimmerwiedersehen verschwinden. und „Finanzen". Dann müßten wir endlich zur Kenntnis nehmen, daß wir über die ökologischen Zusammenhänge in unse- Man fragt sich, ob es hier nicht tatsächlich um die rer Natur sehr, sehr wenig wissen. Deshalb wäre es Sicherung lukrativer Geschäfte geht — weltweit. Das auch so wichtig, daß der Art. 8 dieses Gesetzes einzige, was in diesem Zusammenhang für mich tatsächlich umgesetzt würde; das sind nämlich die nachvollziehbar und verständlich ist, ist die Tatsache, Maßnahmen, die wir hier bei uns treffen müssen. daß sich die Entwicklungsländer nicht weiterhin von den westlichen reichen Ländern ausbeuten lassen Wenn auch die Länder die Hauptzuständigkeit für wollen. den Naturschutz haben, so trägt trotzdem auch der Bund erhebliche Verantwortung für diesen Bereich, Würde man nur den Gesetzestext lesen und vergäße und nicht nur im reinen Naturschutzbereich, sondern die Naturschutzwirklichkeit, dann könnte dieses in allen anderen Politikbereichen auch. Gesetz ein wirklicher Fortschritt sein. Die Wirklichkeit Ich will die Gelegenheit nicht auslassen, den für den sieht aber völlig anders aus. Allein der illegale Arten- Naturschutz ganz besonders problematischen Punkt handel wird auf rund 5 Milliarden DM Gewinne - zu nennen: nämlich die Landwirtschaft. Jeder kennt geschätzt. Wenn man sich den Entwurf der anstehen- diesen Konflikt, und trotzdem wird an der Landwirt- den EG-Artenschutzverordnung ansieht, dann ist schaftsklausel im Bundesnaturschutzgesetz festge- klar, daß die Reise im Naturschutz nur auf dem Weg halten, von der Horst Stern sagt, dies sei die größte weitergeht, auf dem Nutzen zu schlagen ist. Gesetzeslüge, die er kenne. Dies ist sicher keine leicht Übrigens sind wir uns auf internationaler Ebene mit zu lösende Frage, das ist mir klar, aber wenn wir schon den Regierungsparteien und der Regierung in vielen an diesem Problem scheitern, dann frage ich mich, wie Punkten sehr häufig einig. In einem, für mich aber Sie die in diesem Gesetz beschriebenen Maßnahmen sehr wichtigen Punkt leider nicht, nämlich dem, daß realisieren wollen. Aber ich kann Sie beruhigen: Ich die Erhaltung der Natur eine Überlebensfrage für die werde Sie danach fragen. Menschen ist und nicht die eines wachsenden Brutto- (Vorsitz: Vizepräsident Helmuth Becker) sozialproduktes. Ich weiß, es macht wenig Sinn, daß dies alles im (Beifall bei der SPD) trauten, vertrauten und bekannten Kreise hier im Plenum gesagt wird. Aber ich bitte Sie, das vielleicht Während wir im Weltvergleich — nicht im Vergleich auch einmal an Herrn Kohl weiterzutragen, so daß unserer eigenen gesellschaftlichen Ebene, sondern im selbiger, wenn er vorhat, das Wort „Schöpfung" in Weltvergleich — aus dem Vollen schöpfen, fordern den Mund zu nehmen, wir von den Entwicklungsländern, die voller hun- (Klaus Harries [CDU/CSU]: Der war in gernder Menschen sind, sie sollen doch ihren Urwald Rio!) stehen lassen, weil der für die Erhaltung des Weltkli- mas und damit für unseren Wohlstand wichtig ist. vorher einmal die Luft anhält. Das ist einmal ein Oder wenn ich mir Länder wie Rumänien ansehe, Beitrag zur CO2-Minderung, aber auch eine Gelegen- dann kann man sich eigentlich nur schämen, wenn wir heit, darüber nachzudenken, was Schöpfung eigent- sagen: Naturschutz können wir uns im Moment nicht lich ist. leisten. Wer, bitte, wenn nicht wir, soll mit dem Vielen Dank. Schützen von Natur und Umwelt anfangen? (Beifall bei der SPD) (Beifall bei der SPD und des Abg. Dr. Klaus Dieter Feige [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Vizepräsident Helmuth Becker: Herr Kollege Klaus Wer, wenn nicht wir, muß diesen Ländern helfen, ihre Harries, Sie haben jetzt das Wort. Umwelt und die Natur zu erhalten, damit die Men- schen dort in ihrer Heimat eine Chance auf Zukunft Klaus Harries (CDU/CSU): Herr Präsident! Liebe haben? Kolleginnen und Kollegen! Die UNCED-Konferenz in Ich sage das sehr wohl an alle politischen Kräfte, Rio vor einem Jahr hat weltweit, insbesondere in der weil mir sehr bewußt ist, daß diese Überlegung in Dritten Welt, immense Hoffnungen und Erwartungen allen Parteien vorkommt, in den einen allerdings mehr geweckt. Daß die Konferenz in Rio vor einem Jahr und in den anderen weniger. nicht nur Sprechblasen erzeugt hat, sondern konkrete Ergebnisse erarbeitet hat, ist — ich glaube, darüber Wenn wir international glaubwürdig sein wollen, sind wir uns einig — insbesondere auf die Aktivität dann müßten wir bei uns anfangen, und zwar mit der und den Einsatz der Bundesregierung, des Kanzlers Umsetzung, nicht mit dem Produzieren weiterer und des Bundesumweltministers, in Rio zurückzufüh- Papierberge. ren. Wenn wir begreifen können, daß wir den Urwald (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) zum Leben brauchen, dann müßten wir auch begrei- Daß konkrete Ergebnisse vorliegen, können wir auch fen können, daß bei uns der Wald in immer schnelle- daran ermessen, daß wir als Folge von Rio in wenigen rem Tempo stirbt. Es gibt Fachleute, die sagen, daß wir Minuten voraussichtlich einstimmig zwei wichtige in 15 bis 20 Jahren in Deutschland keinen Wald mehr Gesetze zum Klimaschutz und zur Artenvielfalt verab- haben werden. Wenn das so ist, dann müßten wir schieden werden. Die Bundesrepublik Deutschland begreifen, daß insgesamt, aber auch in den Natur- war in Rio das einzige Land, das dort vor der Weltöf- schutzgebieten, heimische Tier- und Pflanzenarten fentlichkeit erklärt hat, bis zum Jahr 2005 die schäd- 14264 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 165. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23. Juni 1993

Klaus Harries lichen und gefahrbringenden CO2-Emissionen um 25 Ich bin der Meinung: Wichtig ist — das bedarf hier bis 30 % zu minimieren. herausgestellt zu werden —, Rio bleibt mit seinen Verträgen, seinen Zielen international auf der Tages- Inzwischen sind — das ist überhaupt nicht zu ordnung. Die Follow-up-Konferenz in zwei Jahren leugnen — in vielen Bereichen der Welt Resignation, wird folgen und wird bestätigen, daß es auf der Frustration, man kann es freundlicher ausdrücken: Tagesordnung ist. Wir halten an unserem Ziel der auch Nüchternheit eingetreten. Wenn ich daran Reduzierung der CO2-Emission um 25 bis 30 % bis denke, daß Hunger und Armut in der Welt andauern, zum Jahr 2005 fest. Ich sage an dieser Stelle aber auch: auch zugenommen haben, daß die Flüchtlingsbewe- Bei allem Einsatz, den wir brauchen, sollten wir das gungen nicht weniger geworden sind, so sind das zwei sozialverträglich und auch so umsetzen, daß es in Beweise, daß dringender Handlungsbedarf besteht. volkswirtschaftliche Rahmendaten hineinpaßt. Die Tropenwälder werden weiterhin abgeholzt, das wis- Bundesregierung hat von der langen Liste der Maß- sen wir. Die Industrieländer, die in erster Linie Ver- nahmen, die noch nicht umgesetzt sind, einige wich- antwortung tragen, als Vorbild voranzugehen, gehen tige ergriffen; sie sind hier genannt worden. Das mit einem sehr verhaltenen Tempo an die Aufgaben- weitere wird folgen. Ich habe Vertrauen in unsere heran, die in Rio diskutiert worden sind. Die USA Arbeit und finde es nicht gut, wenn m an die Enquete allerdings, die in Rio nicht in allen Punkten, aber Kommission hier in großer Intensität abqualifiziert. weitgehend noch im Abseits standen, haben jetzt Ich meine, meine Damen und Herren, wir sind zumindest die Ziele von Rio akzeptiert, wenn auch die Umsetzung — Frau Sehn, Sie haben darauf mit Recht absolut auf dem richtigen Weg. Ich sage aber auch: Das meiste ist noch zu tun. Wir haben die Ch ance, daß hingewiesen — nur sehr langsam erfolgt. Die GA TT Verhandlungen stagnieren. Dies alles sind Punkte, die wir es auch vollenden. bestätigen — was überhaupt nicht zu leugnen ist —, Ich bedanke mich. daß Nüchternheit und Resignation Platz gegriffen (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) haben. Ein weiterer wichtiger Punkt: Es gibt für die Indu- Vizepräsident Helmuth Becker: Meine sehr verehr- strieländer seit Jahren die moralische Verpflichtung ten Damen und Herren, ich erteile jetzt unserem — sie wurde in Rio nochmals bestätigt und unterstri- Kollegen Dr. Klaus Kübler das Wort. chen —, 0,7 % des jährlichen Haushaltsplans für Entwicklungshilfe bereitzustellen. Auch wir in der Dr. Klaus Kübler (SPD): Herr Präsident! Liebe Kol- Bundesrepublik können die diesem Wert entspre- leginnen und Kollegen! Meine Zielrichtung ist heute chenden Summen nicht aufbringen, wobei wir uns nicht die Regierung oder die Koalitionsfraktionen, aber sehr schnell darauf verständigen müßten und sondern die Wirtschaft. Ich sage zu Beginn deshalb sollten, daß es dafür Gründe gibt. nur einen Satz, in erster Linie an die Koalitionsfrak- tionen gerichtet: Die voraussehbare Ablehnung unse- (Beifall der Abg. Birgit Homburger [F.D.P.]) res Rio-Follow-up-Antrags ist nach den Reden, die Wenn wir anerkennen — das sollten wir tun, denn hier gehalten worden sind, wirklich schwer zu verste- auch das gehört zu dem Thema Umwelt und Entwick- hen. Genauso schwer — ich sage es ganz normal — ist lung —, daß wir Milliarden in die GUS-Länder gege- nach den Worten, die hier gefallen sind, die Ableh- ben haben, daß wir viele Hunderte von Millionen in nung des Entschließungsantrags zur Großen Anfrage die östlichen Länder gegeben haben, so ist auch das der SPD zu verstehen. eine Entwicklungshilfe, die für die Tätigkeit und die (Dr. Jürgen Rüttgers [CDU/CSU]: Dann ha- Politik der Bundesrepublik Deutschland spricht. ben Sie aber nicht zugehört!) (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Mein Hauptaugenmerk ist heute aber auf die Wirt- schaft gerichtet. Ich möchte auch die Verantwortung Auf einen Punkt, der die Politik von Rio zur Zeit der Wirtschaft für den Rio-Follow-up-Prozeß heraus- etwas erschwert, möchte ich nochmals hinweisen. Es stellen. In Richtung der Wirtschaft ist zu Beginn noch gibt eine vorherrschende wissenschaftliche Meinung, einmal zu sagen, daß die Ergebnisse der internationa- von deren Richtigkeit wir hier, insbesondere als Ange- len Klimaforschung und die grundlegenden Erklärun- hörige der Enquete-Kommission, überzeugt sind. Es gen zum anthropogenen Treibhauseffekt wirklich gibt aber durchaus renommierte Wissenschaftler in außer Zweifel sind. Es gibt deshalb auch keinen der Welt, die sagen: „Freunde, das ist alles gar nicht wissenschaftlichen und objektiven Grund für die Wirt- so; nun wartet einmal ab, da ist vieles noch nicht schaft für ein Zuwarten. Außer Zweifel steht auch nachgewiesen. " Es gibt genug Repräsentanten, Herr — auch dies in erster Linie an die Wirtschaft gerich- Feige, der Wirtschaft und anderer Verbände, die tet —, daß die Kosten bei einem weiteren Aufschieben sagen: „Hört, hört, nun einmal langsam!" War also von Maßnahmen gegen den Klimawandel überpro- alles vergebens? frage ich an dieser Stelle. Dann sage portional ansteigen werden. Das heißt, wenn wir ich: Nein. Man muß aber ehrlich anerkennen, daß wir heute nicht handeln, wird uns dies morgen teuer zu seit Jahr und Tag zumindest auf der Ebene der stehen kommen. Wir können uns deshalb im Umwelt- Industrieländer weltweit in einer Rezession mit stei- und Klimabereich in der Tat schon rein finanziell und gender Arbeitslosigkeit und mit Nullwachstum leben. wirtschaftlich kein Morato rium, geschweige denn ein Von daher ist es zumindest für uns auch einsehbar, Rollback leisten. Es besteht — auch wieder an die daß die Industrieländer versuchen, ihre Wi rtschaften, Wirtschaft gerichtet — zumindest ein politischer Kon- ihre Industriebetriebe, die dümpeln, nun wieder auf sens darüber, daß die Industrieländer — unter ihnen Fahrt zu bringen. die Bundesrepublik Deutschland und damit auch die Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 165. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23. Juni 1993 14265

Dr. Klaus Kübler deutsche Wirtschaft an vorderer Stelle — auf Grund schaftlicher Aktivposten ist. Mit einiger Befriedigung ihres hohen Energieverbrauchs in besonderer Weise nehmen wir zur Kenntnis, daß die Bundesregierung verpflichtet sind, bei Maßnahmen zum Klimaschutz diesem prinzipiell zugestimmt hat. eine Vorreiterrolle zu übernehmen. Lassen Sie mich deshalb mit dem Satz schließen: Deshalb spielt die Wirtschaft in dem Follow-up- Gefragt ist jetzt eine Politik, die über den nächsten Prozeß von Rio eine ganz zentrale Rolle. Deshalb sind Wahltermin hinausschaut, und eine Wi rtschaft, die — dies ist das erneute Angebot zur Zusammenar- über die nächste Jahresbilanz hinauszudenken ver- beit — Industrie und vor allen Dingen die Energiewirt- mag und die die Chancen, die uns ein ernsthafter und schaft potentielle zwangsläufige Partner für eine kon- konsequenter Umwelt- und Klimaschutz eröffnet, struktive zukunftsweisende Umwelt- und Klimapoli- auch wirklich ergreift. tik. (Zuruf von der CDU/CSU: Dafür werden wir Wichtige Teile der Wirtschaft haben allerdings sorgen!) derzeit Positionen eingenommen, die ein sinnvolles Herzlichen Dank. Follow-up von Rio erschweren, wenn nicht schlicht- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ weg unmöglich machen. Sie schaden jedoch nicht nur DIE GRÜNEN) sich selbst, sondern uns allen, wenn sie konsequenten Umwelt- und Klimaschutz lediglich als eine Bedro- hung ihrer betriebswirtschaftlichen Interessen emp- Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Meine finden und ablehnen, anstatt die unternehmerischen sehr verehrten Damen und Herren, das Wort hat unser Chancen zu sehen und zu ergreifen. Langfristigkeit ist Kollege Dr. Klaus W. Lippold. in der Tat gefragt. Unsere bisherige Form des Wirt- schaftens hat uns an einen kritischen Punkt geführt. Es Dr. Klaus W. Lippold (Offenbach) (CDU/CSU): Herr wäre ein fataler Fehler, wenn in der derzeitigen Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Rezession Umwelt- und Klimaschutz zurückgestellt Wir hatten vor einem Jahr die Konferenz in Rio. Diese würden. Konferenz hat Hoffnungen und Erwartungen ge- Der Bundeskanzler hat erst kürzlich bei der Entge- weckt. Wir sind diesen Hoffnungen und Erwartungen gennahme des ersten Jahresgutachtens des wissen- verpflichtet. Wir sind — ich will das betonen — einem schaftlichen Beirats globale Umweltveränderungen vorsorgenden Umweltschutz verpflichtet. Wir dürfen eingeräumt. Es wäre kurzsichtig und ein verhängnis- nicht erst warten, bis die Ereignisse eingetreten sind; voller Fehler, wenn Deutschland seine Bemühungen dann ist es zum Handeln zu spät. Deshalb brauchen um den globalen Umweltschutz angesichts innenpoli- wir — ich sage das noch einmal deutlich — die tischer Probleme vernachlässigen würde. Wir kom- wissenschaftliche Fundierung der politischen Arbeit, men immer wieder zu demselben Punkt: Unheimlich weil ohne die wissenschaftliche Fundierung der poli- gute Worte, und was folgt daraus? Die Ablehnung tischen Arbeit die Argumenta tion fehlt und die Geg- unseres Follow-up-Antrages — Herr Lippold, ich sage ner einer Klimaschutzpolitik sich daran festmachen das wirklich ganz bewußt in Ihre Richtung gerichtet — werden. und die Ablehnung des Entschließungsantrags zur (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Großen Anfrage der SPD. Das ist der Part, der der Enquete-Kommission Die momentane Standortdiskussion leidet unter der zukommt. Diesen Part leistet die Enquete-Kommis- Fehleinschätzung, daß Umweltschutz der Wettbe- sion mit der wissenschaftlichen Beratung des Bundes- werbsfähigkeit schade und den Standort Deutschland tages und der Bundesregierung. Sie tut dies mit gefährde. Das Gegenteil trifft zu: Nur ein ernsthafter, ausgesprochenem Erfolg. Dies in Frage zu stellen ist substantieller Umweltschutz kann unserer Wirtschaft töricht. Dies in Frage zu stellen ist wenig hilfreich. Dies mittel- und langfristige Perspektiven bieten. sollten wir nicht tun. Vor allen Dingen sollten wir uns dann immer an den eigenen Taten messen lassen, (Beifall bei der SPD) wenn wir dies tun und nicht auf der einen Seite Ein anschauliches Beispiel, das gegen die Wirtschaft 25 Gutachten fordern und hinterher diejenigen zitie- durchgeboxt werden mußte, ist die Großfeuerungsan- ren, die sie erarbeiten. Das kann nicht angehen, daß lagenverordnung, die 22 Milliarden DM Investitionen muß man ganz deutlich sagen. Ich kann nicht in die herauslockte. Umwelt- und Energiespartechnologien Richtung sagen, ich will die Gutachten zur wissen- sind investitionsintensiv und schaffen Arbeitsplätze. schaftlichen Qualifikation, und mich dann hinstellen Sie erschließen wichtige Zukunftsmärkte. M an muß und diese Vorgehensweise kritisieren. Das geht nicht. den Begriff des Umweltschutzes auch von der Wirt- Das ist nicht widerspruchslos. So kann m an das schaft viel positiver nehmen. Wenn ich ein energie- schlicht und ergreifend nicht machen. sparendes Auto konstruiere, dann schaffe ich mir neue Meine sehr geehrten Damen und Herren, nun ist Weltmärkte, nicht wenn ich noch etwas mehr Chrom aber der Schutz des Klimas eine weltweite Aufgabe. oder eine höhere PS-Zahl einbaue. Wir brauchen 50 Ratifika tionen, die vorliegen müssen, (Beifall bei der SPD) damit die Klimakonvention weltweit in Kraft tritt. 22 liegen aktuell vor. Die 23. Ra tifikation werden wir Umwelt und Klimaschutz sind daher auch Gebote der heute beschließen. Ich bin sehr froh darüber, denn das wirtschaftlichen Vernunft. ist ein weiterer notwendiger Schritt auf dem Weg zur Der Präsident der EG-Kommission Delors hat ge- Klimavorsorgepolitik. rade auf dem Kopenhagener Gipfel in dieser Woche In dieser Ratifikation müssen wir allerdings auch darauf hingewiesen, daß Umweltpolitik ein wirt- sehen, daß wir mit dazu beitragen, daß das Verhältnis 14266 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 165. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23. Juni 1993

Dr. Klaus W. Lippold (Offenbach) Nord-Süd, daß das Verhältnis zu den armen Staaten wir auch in den anderen Punkten, die nicht sofort dieser Erde mit berücksichtigt wird. Die Konferenz in umgesetzt werden, mit einer sofortigen Prüfung der Rio war nicht nur dem Umweltschutz, sondern auch Frage beginnen werden, damit auch diese anderen der Entwicklung verpflichtet. Ich sage noch einmal Punkte in Angriff genommen werden. Schneller geht deutlich, ohne daß wir die Positionen der Entwick- es doch nicht von der Politikberatung der Enquete lungsländer berücksichtigen, werden wir diese welt- Kommission zur Handlung dieser Bundesregierung. weite Klimaschutzvorsorgepolitik nicht durchsetzen, Ich bin dafür dankbar. Das sage ich sehr deutlich. Ich nicht realisieren können. Das heißt Technologietrans- hoffe, daß das auch in Zukunft der Fall sein wird. fer. Das heißt Zusammenarbeit. Das heißt gemeinsa- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) mes Handeln, wie es UNCED vorgesehen hat. Ich bitte noch einmal darum, daß wir die Dinge in Gemeinsames Handeln heißt auch, daß wir in ver- Zukunft mit mehr Geschlossenheit angehen; denn die schiedenen Fragen marktwirtschaftlich gemeinsam Bevölkerung wird den Gedanken der vorsorgenden vorgehen, um die Probleme nicht nur schnell, sondern Klimapolitik nicht stützen, wenn sie dahinter nichts schneller zu lösen. - anderes sieht oder wittert als kleinkarierten parteipo- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) litischen Streit. Den sollten wir da heraushalten. Wir dürfen nicht verkennen, daß wir auch national (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) handeln müssen; denn wer eine Vorreiterrolle in Rio spielt, muß deutlich machen, daß er sie auch zu Hause zu realisieren bereit ist. Wir haben — ich sage das sehr Vizepräsident Helmuth Becker: Meine sehr verehr- deutlich — bislang im internationalen Vergleich mehr ten Damen und Herren, weitere Wortmeldungen Maßnahmen beschlossen und eingeleitet als andere liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache. vergleichbare Industriestaaten. Jetzt kann man von Wir kommen zur Abstimmung. Tagesordnungs- uns nicht erwarten, daß wir anderen Ländern und punkt 7 a: Gesetzentwurf der Bundesregierung zu Staaten die Hände bei ihren politischen Entscheidun- dem Übereinkommen der Vereinten Nationen über gen führen und uns für deren Entscheidungen mitver- Klimaänderungen, Drucksachen 12/4489 und antwortlich machen. 12/5093. Ich rufe den Gesetzentwurf in der Ausschuß- fassung auf und bitte diejenigen, die zustimmen Wenn die EG-0O2-Steuer nicht da ist, ist das nicht wollen, sich zu erheben. — Gegenprobe! — Stimment- Fehlverhalten der Bundesregierung, die nur eine Der Gesetzentwurf ist einstimmig ange- Regierung von zwölf ist, sondern man muß immer haltungen? — wieder sehen, daß es elf andere Staaten gibt, die nommen. bedauerlicherweise nicht unserer Auffassung sind. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Ich will deutlich machen, daß wir in verschiedenen Wir kommen zum Tagesordnungspunkt 7 b: Gesetz- Punkten im internationalen Vergleich mehr tun. entwurf der Bundesregierung zu dem Übereinkom- Gerade wurde der Kanzler als derjenige angespro- men über die biologische Vielfalt, Drucksache chen, der in Sachen Umweltschutz und Nord-Süd- 12/4473. Der Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Konflikt etwas tun soll. Vor wenigen Tagen haben Reaktorsicherheit empfiehlt auf Drucksache 12/5112, Wissenschaftler dem Kanzler ein Gutachten überge- den Gesetzentwurf unverändert anzunehmen. Ich ben. Das sind die Wissenschaftler des Beirats Globale bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen Umweltfragen. Sie haben darin ganz aktuell gefor- wollen, sich zu erheben. — Gegenprobe! — Stimment- dert, daß wir für die Entwicklungsländer und für die haltungen? — Auch dieser Gesetzentwurf ist einstim- GUS-Nachfolgestaaten, also die früheren Ostblock- mig angenommen. länder, jährlich mindestens 1 % Entwicklungshilfelei- Wir kommen nun zu Tagesordnungspunkt 7 c. Wir stung — gemessen am Sozialprodukt — leisten müß- stimmen über die Beschlußempfehlung des Ausschus- ten. So ist die Forderung dieser Wissenschaftler an die ses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit zu Bundesregierung. Der Kanzler konnte dem entgegen- dem Antrag der Fraktion der SPD zum Follow-up der halten, daß diese Forderung mit der Drucklegung Umweltkonferenz in Rio de Janeiro, Drucksachen schon überholt ist, weil wir, wenn wir die Leistungen 12/3739 und 12/5092, ab. Der Ausschuß empfiehlt, an die GUS-Nachfolgestaaten und an die Entwick- den Antrag abzulehnen. Wer stimmt für diese lungsländer zusammenrechnen, bereits 1,3 % des Beschlußempfehlung? — Gegenstimmen? — Nach Bruttosozialproduktes leisten. Das ist 30 % mehr, als Stimmenthaltungen brauche ich nicht zu fragen. Mit die Wissenschaftler in ihrem taufrischen Gutachten den Stimmen der Koalitionsfraktionen ist die Be- gefordert haben. schlußempfehlung angenommen. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Wir kommen zu Tagesordnungspunkt 7 d. Wir stim- men jetzt noch über die Beschlußempfehlung des Ich sage, das ist doch wohl ein Punkt, bei dem man Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsi- sagen muß, wer so schnell übererfüllt, dem kann man cherheit zu dem Entschließungsantrag der Fraktion doch nur dankbar sein. der SPD zur Umsetzung der Empfehlung der Um einen anderen Punkt aufzugreifen, sage ich: Wir Enquete-Kommission „Vorsorge zum Schutz der haben erst vor wenigen Wochen an den Bundeskanz- Erdatmosphäre", Drucksachen 12/4527 und 12/5094, ler geschrieben, daß wir Biomasse verstärkt einsetzen, ab. Der Ausschuß empfiehlt, den Entschließungsan- um hier einen zusätzlichen Beitrag zur Spurengasre- trag abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlußemp- duktion zu leisten. Der Bundeskanzler hat geantwor- fehlung? — Gegenprobe! — Nach Stimmenthaltungen tet und gesagt, daß er dies aufgreift, daß ein Teil der brauche ich nicht zu fragen. Damit ist auch diese Maßnahme von uns umgesetzt werden wird und daß Beschlußempfehlung mit den Stimmen der Koalitions- Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 165. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23. Juni 1993 14267

Vizepräsident Helmuth Becker fraktionen gegen die übrigen Frak tionen und Grup- noch diskriminiert wird. Um im Bilde zu bleiben: Das pen dieses Hauses angenommen. Futter wird immer magerer und weniger, die zu tragenden Lasten werden immer schwerer. Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich rufe (Walter Link [Diepholz] [CDU/CSU]: Werden nun den Tagesordnungspunkt 8 auf: Sie doch objektiv!) a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Diese Bundesregierung hat eine familienpolitische Michael Habermann, Christel Hanewinckel, Krise ausgelöst und zu verantworten, die in der Angelika Barbe, weiterer Abgeordneter und jüngsten Geschichte ohne Beispiel ist. Die Politikfel- der Fraktion der SPD der, in denen die Bundesregierung versagt hat, kumu- Für einen verfassungsgemäßen und sozial lieren in ihren Auswirkungen in den Familien: gerechten Familienlastenausgleich (Beifall bei der SPD und der PDS/Linke — Drucksache 12/4128 — Liste) Überweisungsvorschla g: Ausschuß für Familie und Senioren fehlende Arbeitsplätze, fehlender bzw. zu teurer Finanzausschuß Wohnraum, Abbau von Sozialleistungen, Erhöhung (Federführung strittig) von Steuern und Abgaben und fehlende Plätze in Ausschuß für Frauen und Jugend Kindertageseinrichtungen. b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Michael Habermann, Ingrid Becker-Inglau, (Walter Link [Diepholz] [CDU/CSU]: Das war Hans Gottfried Bernrath, weiterer Abgeordne- in den 70er Jahren so!) ter und der Frak tion der SPD Familien in diesem Land partizipieren an allen Miß- Bericht über die Höhe des Existenzminimums erfolgen dieser Regierung auf grausamste Art und von Kindern und Familien Weise. — Drucksache 12/4653 — (Beifall bei der SPD und der PDS/Linke Überweisungsvorschlag: Ausschuß für Familie und Senioren (federführend) Liste) Rechtsausschuß Finanzausschuß Familien vor allem mit mehreren Kindern geraten Ausschuß für Frauen und Jugend zunehmend ins Abseits. c) Beratung des Antrags der Abgeordneten (Hermann Rind [F.D.P.]: Er lebt in einem Michael Habermann, Christel Hanewinckel, anderen Land als ich!) Angelika Barbe, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD In den neuen Bundesländern ist es als Ergebnis Ihrer Für einen gerechten Lastenausgleich zwischen Politik zu einem Geburtenrückgang gekommen, der Bund und Ländern zur Sicherung des schon jetzt größer ist als die jeweiligen Folgen der Anspruchs unserer Kinder auf einen Kinder- beiden Weltkriege. gartenplatz ab 1996 Liebe Kollegen von der CDU, Rheinland-Pfalz, das — Drucksache 12/4127 — Land, in dem Sie 40 Jahre Regierungsverantwortung Überweisungsvorschlag: hatten, Ausschuß für Frauen und Jugend (federführend) Finanzausschuß (Walter Link [Diepholz] [CDU/CSU]: Das Ausschuß für Familie und Senioren waren noch Zeiten!) Ausschuß für Bildung und Wissenschaft mag für mich als unverdäch tiges Beispiel dienen, um Nach einer interfraktionellen Vereinbarung soll die Ihnen die gemeinsame Aussprache eine Stunde dauern. — Ich Entwicklung der finanziellen Situation von Familien auf Grund Ihrer damaligen Landespolitik höre und sehe keinen Widespruch. Dann ist das so und Ihrer Bundespolitik zu verdeutlichen. beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile zunächst In den letzten zehn Jahren Ihrer Regierungsverant- unserem Kollegen Michael Habermann das Wort. wortung in Mainz ist die Zahl der Haushalte, die Sozialhilfe beziehen mußten, von 34 000 auf 68 000, also um 100 %, gestiegen. Die höchsten Steigerungs- Michael Habermann (SPD): Herr Präsident! Meine quoten verzeichneten die Haushalte, in denen Kinder Damen und Herren! Ich darf es zu Beginn meiner lebten. 250 % betrug diese Steigerungsrate — und Ausführungen auf den Punkt bringen: Die heutige dies, obwohl die Zahl der Haushalte mit Kindern um Debatte über die vorliegenden Anträge muß hier 5 % sank. Betroffen ist auch die Gruppe der Alleiner- insbesondere deshalb geführt werden, weil sich die ziehenden in Rheinland-Pfalz. Mußten 1980 6 500 Bundesregierung aus einer Politik für Fami lien verab- Alleinerziehende auf Sozialhilfe zurückgreifen, wa- schiedet hat. ren es 1990 bereits 13 000. Dabei ist die Gesamtzahl (Peter Kittelmann [CDU/CSU]: Das ist doch der Haushalte von Alleinerziehenden nur um 24,3 % unerhört!) gestiegen. Aus dem vielbeschworenen Goldenen Kalb wurde In keinem Fall wurden die Kinder und Jugendlichen mittlerweile ein Lastesel. Gemeint ist die Familienpo- in Rheinland-Pfalz von Ihrer Politik begünstigt. 1980 litik. Die Familien sind zum Lastesel der Na tion bezogen lediglich 2,3 % der unter 18jährigen Sozial- geworden, der schlecht gepflegt und zum Teil auch hilfe. 1990 waren es fast dreimal so viel: 6,2 %. 14268 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 165. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23. Juni 1993

Michael Habermann Frau Ministerin, wie können Sie angesichts solcher und die ihre Interessen innerhalb der Bundesregie- Entwicklungen von einer erfolgreichen Familienpoli- rung verteidigt. tik sprechen? (Eva-Maria Kors [CDU/CSU]: Da haben wir (Beifall bei Abgeordneten der SPD) die Richtige!) Sie haben in Ihrem Haus Ergebnisse über Einkom- Die Familien wollen eine Ministerin, die nicht schön- mensschichtungen von Familien. Rechnen Sie es sich redet, was nicht schönzureden ist. als Erfolg an, daß die Hälfte der alleinerziehenden (Beifall bei der SPD) Eltern in den neuen wie in den alten Bundesländern mit ihrem Einkommen unter der erklärtermaßen viel Sie wollen eine Ministerin, die sich in der Öffentlich- zu niedrigen Besteuerungsgrenze der Einkommen- keit vor die Familien und vor die familienpolitischen steuer liegt? Leistungen stellt, wenn der Wirtschaftsminister z. B. das Erziehungsgeld als Geburtsprämie diffamiert, die Ich darf aus einem Papier Ihres Hauses zitieren: sich ein Staat nur in fetten Jahren leisten könne. Es überrascht nicht, - (Zuruf von der SPD: Unglaublich!) — so ist dort zu lesen — Sie wollen eine Ministerin, die sich nicht nur um die Bekämpfung des Mißbrauchs sozialer Leistungen daß das bereits 1990 vorgestellte Gutachten über kümmert, sondern sich für die von ihr mehrfach Überschuldungssituation und Schuldnerbera- angekündigte Weiterentwicklung des Lastenaus- tung in der Bundesrepublik Deutschland zu dem gleichs einsetzt. Fazit kam: Es ist deshalb zweifelsohne berechtigt, zu sagen, daß Überschuldung in erster Linie ein (Zurufe von der SPD) Problem von Einkommensarmen, psychosozial Sie wollen eine Ministerin, die sich vor allem für ihre Hilfebedürftigen und Familien ist. Nach den verfassungsrechtlich geschützten Rechte einsetzt und Klientendaten der Beratungsstellen endlich zumindest das Existenzminimum steuerfrei — so formulieren Sie weiter — stellt. werden von Überschuldung in erster Linie Allein- Es kann niemand verstehen, liebe Kolleginnen und erziehende und Familien mit Klein- und Schul- Kollegen, wenn das gleiche Ministe rium das Existenz- kindern getroffen. minimum auf 588 DM beziffert, den steuerfrei gestell- ten Betrag auf 517 DM angibt und die Ministerin Auch der im November 1992 veröffentlichte For- behauptet, damit sei das Existenzminimum eines schungsbericht über die familienpolitischen Fördersy- Kindes steuerlich nicht belastet. steme in der Europäischen Gemeinschaft hebt als Gründe für Armut von Familien — da wird übrigens Frau Ministerin, Sie sind in der letzten Zeit bei zu von Armut gesprochen — vier Kriterien in Rangfolge vielen wichtigen, die Familien berührenden Fragen hervor: Kinderreichtum, Alleinerziehung, Arbeitslo- abgetaucht, und Sie sind leider allzuhäufig zum sigkeit und soziale Randständigkeit. Weiter wird for- unpassenden Zeitpunkt an der falschen Stelle wieder muliert: aufgetaucht. Arbeitslosigkeit wie Alleinerziehung nehmen (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten eher zu. Zu beobachten ist: Nachdem sich die der PDS/Linke Liste und des BÜNDNIS Altersarmut in Deutschland zurückgebildet hat, SES 90/DIE GRÜNEN) sind es die Kinder, die das größte Armutsrisiko Um es deutlicher zu formulieren: Die Familien in bilden. Deutschland erwarten von Ihnen, daß Sie Fami lien mit mehreren Kindern nicht die Sozialhilfe kürzen und Man kommt dann zu einer interessanten Schlußfol- dies als gerecht bezeichnen, sondern daß Sie den gerung: Verarmungsprozeß von Fami lien stoppen. Die bisher erörterten Lösungskonzepte für den Wir als SPD-Bundestagsfraktion haben dazu ein Kinderlastenausgleich reichen für diese einkom- Konzept. mensschwachen Familien nicht aus. (Zuruf von der CDU/CSU: Wo denn?) Dazu dürfen Sie ruhig etwas sagen, Frau Ministerin. Wer Sie und Ihre Kollegen aus Ihrer Frak tion kennt, Wir wollen sofort für jedes Kind — ich weiß, daß Sie weiß, was nachher kommen wird: Es ist wieder ein das nicht gerne hören, aber es ist das bessere Kon- Abgesang auf erfolgreiche Familienpolitik und der zept — 250 DM Kindergeld zahlen, und zwar ohne Versuch, durch historische Schuldzuweisungen zum Anrechnung auf das Einkommen, weil jedes Kind 115. Mal das aufzubereiten, was Sie schon öfters hier unserer Gesellschaft gleich viel wert sein muß gesagt haben. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (Widerspruch bei der CDU/CSU) der PDS/Linke Liste und des BÜNDNIS SES 90/DIE GRÜNEN) Aber Familien wollen etwas ganz anderes von Ihnen. Sie wollen eine Ministerin, die ihre Nöte und und weil diejenigen, die mit Kindern leben, nicht Sorgen wahrnimmt schlechtergestellt werden dürfen als diejenigen, die ohne Kinder leben. Von diesem verfassungsrechtlich ( [CDU/CSU]: Macht sie bestätigten Grundsatz läßt die SPD-Frak tion keinen doch!) Deut Abweichung zu. Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 165. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23. Juni 1993 14269

Michael Habermann Aber wir wissen auch, daß wir den Kinderlastenaus- Sie Ihrer Verantwortung als Familienministerin end- gleich weiterentwickeln müssen. Er muß sich in einem lich gerecht! ersten Schritt an den Kosten des Existenzminimums (Beifall bei der SPD und der PDS/Linke eines Kindes orientieren. Er muß in Zukunft stärker Liste) auf die unterschiedlichen Situationen der wirtschaftli- chen Leistungsfähigkeit von Familienhaushalten rea- gieren. Der Kinderlastenausgleich muß um so größer Vizepräsident Helmuth Becker: Meine Damen und sein, je niedriger das Einkommen und je höher die Herren, nun hat unser Kollege Herbert Werner das Zahl der Kinder ist. Wort. Sowohl die Finanzierung als auch die Organisation (Zuruf von der CDU/CSU: Herbert, gib's des Kinderlastenausgleichs bedürfen neuer Lösun- ihm!) gen. Dazu ist es zwingend notwendig, daß die Bun- desregierung im Parlament jährlich über die Entwick- lung des Existenzminimums berichtet. Herbert Werner (Ulm) (CDU/CSU): Herr Präsident! - Meine Damen und Herren! Lieber Kollege Haber- (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des mann, ich glaube, Sie haben hier eindrucksvoll vor- BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) gemacht, Meine Damen und Herren, wenn es in Frankreich (Beifall bei Abgeordneten der SPD) möglich ist, das Existenzminimum für Kinder und Familien zweimal pro Jahr anzupassen, sollte es doch wie man sich mit dem Thema Familienpolitik nicht dieser Bundesregierung möglich sein, mindestens auseinandersetzen sollte. einmal im Jahr über die Entwicklung des Existenzmi- (Beifall bei der CDU/CSU und bei Abgeord nimums wenigstens zu berichten. neten der F.D.P. — Dr. Peter Struck [SPD]: (Beifall bei der SPD und der PDS/Linke Jetzt gehen Sie aber weit über das normale Liste) Maß hinaus! — Weitere Zurufe von der SPD) Verfassungsrechtlich, aber vor allem sozialpolitisch ist es auch für uns zwingend geboten, eine zumindest Denn ganz so einfach ist es ja nicht, daß m an alles, was jährliche Anpassung der Leistung des Kinderlasten- an Schutt in der politischen L andschaft liegt, auf die eine Seite, nämlich auf die Ministerin abschiebt, ausgleichs vorzunehmen. Aber wir werden zukünftig nicht nur diese Dynamisierung sicherstellen müssen, (Zurufe von der SPD) sondern werden auch die ho rizontale und vertikale sich selber, der man sich fast stetig überall in der Einkommensumverteilung von Haushalten ohne Kin- Vergangenheit verweigert hat, in ein blankes, hehres der zu Haushalten mit Kindern angehen. Gewand hierherstellt (Beifall bei der SPD und der PDS/Linke (Beifall bei der CDU/CSU) Liste) und dann mit keinem Wort im Hinblick auf die Denn wir Sozialdemokraten vertreten den Stand- Realisierbarkeit und Finanzierbarkeit dessen, was punkt, daß kinderlose Personen dazu beitragen müs- man nur so nebenbei anspricht, auch eine Perspektive sen, daß Eltern die ihnen durch Kinder erwachsenden für die Zukunft gibt. Lasten und Verzichte besser zu tragen vermögen. (Beifall bei der CDU/CSU und bei Abgeord (Jochen Feilcke [CDU/CSU]: Kinder sind neten der F.D.P. — Zuruf der Abg. Margot keine Lasten!) von Renesse [SPD] — Christina Schenk Frau Ministerin, die finanzielle Situation vieler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das werde ich Familien und Alleinerziehenden ist bedrohlich. Die Ihnen nachher erklären, wie man das finan Ergebnisse der Caritas-Armutsuntersuchung sind ziert!) erschreckend. Der Geburtenrückgang insbesondere Herr Kollege, zu Ihren Zahlen über die Sozialhilfe. in den neuen Bundesländern ist alarmierend. Seit Ich stehe nicht an, hier zu erklären, daß sie nicht Übernahme Ihres Ministeramts haben Sie bei jeder stimmen. Aber Sie haben dabei einen entscheidenden erdenklichen Gelegenheit wortreich und mit sehr viel Hinweis vergessen, nämlich daß die Sozialhilfesätze Pathos den Wert der Familie als Hort der Tugend und noch nie so stark angestiegen sind wie in den vergan- der Werte beschworen. Daß die wirtschaftliche Situa- genen zehn Jahren und gerade deshalb immer mehr tion von Personen mit Kindern so erschreckend ist, Familien einen Anspruch auf Sozialhilfe haben. liegt daran, daß sich diese Ihre Wertschätzung zu (Zuruf von der SPD: Das ist doch die Rech meinem Bedauern in Worten und Ankündigungen nung von hinten aufgemacht! — Zuruf von erschöpft. Ich hätte mir gewünscht, Sie als Vertreterin der SPD: Weil sie immer weniger verdienen! von Famlieninteressen einmal so engagiert und infor- — Margot von Renesse [SPD]: Das stimmt ja miert zu erleben wie in der Diskussion um den gar nicht!) sogenannten Leistungsmißbrauch bei der Sozial- hilfe. Ich will hier keine Schwarzweißmalerei betreiben, und wir wissen, daß wir die Freistellung des Existenz- (Margot von Renesse [SPD]: Das ist ihr minimums von der Steuer bisher nicht für alle Kinder Thema!) haben erreichen können. Aber ich möchte ganz aus- Liebe Kolleginnen und Kollegen, sehen Sie unsere drücklich darauf hinweisen, daß der Weg, den Sie Anträge als neue Ch ance für eine sozial gerechte vorschlagen, nach meiner persönlichen Überzeugung Politik für Familien, und Sie, Frau Ministerin, werden nicht gangbar ist. Sie wollen den Kinderfreibetrag 14270 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 165. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23. Juni 1993

Herbert We rner (Ulm) und das Kindergeld gleichbehandeln und als Einheit — Denken Sie doch einmal mit, und plappern Sie nicht gegeneinander aufrechnen. dauern dazwischen, lieber Ko llege! (Margot von Renesse [SPD]: So meint es auch Die SPD möchte jetzt mit dem einheitlichen 250- Karlsruhe! — Gegenruf von der CDU/CSU) DM-Betrag vorgehen. Sie schlagen wiederum eine — Dieses Prinzip der kommunizierenden Röhren Finanzierung vor, die erneut die Familien zu erbrin- meint Karlsruhe, Frau von Renesse, gerade nicht. gen haben; denn Sie schlagen nichts anderes als eine Denn Karlsruhe hat darauf hingewiesen, daß der gigantische Umverteilung dessen vor, was wir bisher Kinderfreibetrag eine ganz spezielle Funktion hat, haben, während wir nachdrücklich dafür plädieren, nämlich das Einkommen und die Unterhaltsleistung innerhalb der bestehenden Fördersysteme Verbesse- der Eltern für Kinder von der zusätzlich einkommen- rungen vorzunehmen. steuerbezogenen steueranteiligen Belastung freizu- (Christel Hanewinckel [SPD]: Die sind aber stellen. Das ist der Sinn. unfair! ) (Beifall bei der CDU/CSU und bei Abgeord neten der F.D.P.) Diese Verbesserungen — ich sage dies ganz offen — - werden und können nicht kostenneutral sein. Aber Das ist auch der Grund, warum wir uns alle miteinan- wir sagen auch: Wir wissen, wie es um die finanzielle der so schwertun, einfach nach dem Motto „Eins ist Lage im Bereich des Haushalts der nächsten Jahre gleich eins" das reine Familiensplitting in den Raum stehen wird. zu stellen. Lassen Sie mich auch darauf hinweisen, daß der Wir müssen denjenigen, der Unterhaltsleistungen Familienlastenausgleich natürlich eine Vielzahl von als Steuerzahler für Kinder erbringt, gegenüber dem Leistungen, angefangen vom Wohngeld über BAföG kinderlosen Steuerzahler entlasten, und gerade dazu und Erziehungsgeld bis hin zu Ortszuschlägen etc., dient der Steuerfreibetrag, meine Damen und Her- ren. umfaßt. Es ist deswegen nicht richtig, davon zu reden, daß pauschal reduziert worden sei. (Beifall bei der CDU/CSU — Zurufe von der SPD) Ich möchte hier auch nicht die große Sorge, die ich persönlich habe, die auch von vielen Kolleginnen und Das Kindergeld nun ist eine unmittelbare Leistung Kollegen geteilt wird, verschweigen. Es ist die Sorge, zur direkten Unterstützung der Familien. daß wir in Anbetracht dieser Finanzlage, über die wir in diesen Tagen diskutieren, befürchten müssen, daß Vizepräsident Helmuth Becker: Herr Kollege Wer- Kinderfreibetrag, Kindergeld und auch andere kin- ner, Frau von Renesse hat eine Zwischenfrage. — Bitte derbezogene Leistungen eingefroren werden. Ich sehr. hoffe, daß sie nicht zusätzlich abgesenkt werden! (Zuruf von der CDU/CSU: Keine Belehrung, Aber ich muß gleichfalls darauf hinweisen, daß wir eine Frage!) diese schwierige Situation als Ch ance begreifen soll- ten, innerhalb des gesamten Familienlastenaus- Margot von Renesse (SPD): Herr Kollege Werner, gleichs stärker den Gerechtigkeitsgesichtspunkt zu wenn Sie sich daran erinnern, wie das Familienmini- sehen und dabei auch zu berücksichtigen, daß es ganz sterium und das Finanzministerium im Zusammenwir- dringend einer Harmonisierung der Einkommens- ken beider Systeme, Kindergeld und Kinderfreibe- begriffe bedarf. Denn gerade durch diese unter- trag, versucht hat, den beiden Urteilen des Verfas- schiedlichen Einkommensbegriffe entstehen zuwei- sungsgerichts in Sachen Lastenfreiheit des Unterhalts len im Verfügungseinkommen der Familie sprunghaft gerecht zu werden, würden Sie mir dann recht geben, Unterschiede, daß zumindest vom System her beide gemeinsam (Norbert Eimer [Fürth] [F.D.P.]: Genauso ist gesehen werden müssen und daß das Existenzmini- es!) mum von Kindern in diesen beiden Systemen aufge- fangen werden muß? die sich im konkreten Einzelfall unvorhersehbar sogar in einer Verringerung des Verfügungseinkommens niederschlagen können. Dies gilt es zu korrigieren, Herbert Werner (Ulm) (CDU/CSU): Verehrte Frau vor allen Dingen vor dem Hintergrund der Vorgaben, Kollegin, das ist doch gar kein Widerspruch zu dem, die uns Karlsruhe in Verbindung mit dem § 218 StGB was ich sage. Ich sage nur, daß Kinderfreibetrag und für mütterbezogene, kinder- und familienbezogene Kindergeld nicht gleichermaßen gegengerechnet Leistungen gemacht hat. werden können; denn sonst würde das BVG nicht nachdrücklich darauf hinweisen, daß das Kindergeld Wir wissen, wie schwierig die Situation ist, in der wir für alle Kinder nicht unter einen bestimmten Sockel uns befinden, auch und gerade für Familien, wenn wir abgesenkt werden darf. Dies weist darauf hin, daß das die demographische Entwicklung sehen, wenn wir Kindergeld eine unmittelbare, direkte Förderungs- die Rentenlastquote sehen, wenn wir sehen, wie sich funktion für alle in gleichem Maße hat. die Kosten- und die Personalseite im Bereich der Altenpflegemaßnahmen in den nächsten Jahren und Man muß sehen, daß auch und gerade diese Funk- Jahrzehnten entwickeln werden. Dann können wir tion des Kindergeldes im Hinblick auf die Einkom- nichts anderes tun, als alle miteinander in dieser mensgrenzen zu beurteilen ist, die wir beim Kinder- schwierigen Situation zusammenzustehen und ge- geld haben und die ihrerseits bestimmte Einkom- meinsam alle Energie darauf zu verwenden, auch in menszonen umfassen. Zukunft familien-, mütter- und kinderbezogene Lei- (Zuruf von der SPD) stungen nicht zu reduzieren, nicht einzufrieren, son- Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 165. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23. Juni 1993 14271

Herbert Werner (Ulm) dem im Rahmen des finanziell irgendwie Möglichen Man darf meiner Überzeugung nach nicht einen zu erhöhen. Punkt herauslösen und an Hand dieses Punktes ver- suchen, zu einer Änderung der Lastenverteilung zu (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) kommen. Auch der Bund finanziert nur über Steuer- Ein letztes Wort zu Ihrem familienähnlichen gelder, und die Haushalte der L ander sind nicht höher Bericht, den Sie da wollen. belastet als die des Bundes. (Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Na, na, na! Das ist ja diskriminierend! — Christel Damit die Länder durch den Bundesgesetzgeber Hanewinckel [SPD]: Das ist sehr genau nicht überfahren werden können, bedürfen Gesetze, beschrieben!) die die Länder betreffen, der Zustimmung des Bun- desrates. Das ist geschehen. Wir sind der Auffassung, daß es durchaus einen Sinn gibt, wenn wir uns jährlich oder in Zweijahresschrit- Wir müssen zu einem gerechten Ausgleich zwi- ten mit der finanziellen Situation insbesondere der schen Bund und Ländern kommen, aber nicht an Familien befassen. Deswegen werden wir hier mit and von Einzelpunkten, sondern auf der Grundlage H Ihnen die Beratungen konstruktiv führen. - der Gesamtausgaben. Der Lastenausgleich steht Nur eins werden wir nicht machen, nämlich Ihnen in ohnedies zur Neuverteilung an. In diesem Rahmen diesem Bereich ein Podium bieten, auf dem Sie, kann man darüber sprechen. ausgehend von Zeiten eigenen Versagens, ohne Rücksicht auf die Realitäten, wie sie sich heute dar- Kommen wir zum dritten Antrag, zum Familienla- stellen, bedingungslos und beliebig hohe Forderun- stenausgleich. Da schreiben Sie in Punkt 1: Das Exi- soll steuerfrei sein. — Ja, liebe Kolle- gen erheben können. stenzminimum gen von der SPD, diesem Antrag kann ich nur zustim- Vielen Dank. men. Das Bundesverfassungsgericht fordert ja gerade (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) das von uns. Die Familienpolitiker aller Fraktionen werden sich Vizepräsident Helmuth Becker: Meine Damen und einig sein: Erst danach beginnt eigentlich der Famili- Herren, ich erteile jetzt das Wort unserem Kollegen enlastenausgleich. Norbert Eimer. (Margot von Renesse [SPD]: Aber es ist noch nicht einmal soweit!) Norbert Eimer (Fürth) (F.D.P.): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bin für diese Debatte — Nein, so weit ist es nicht. — Aber diese Umsetzung sehr dankbar, wenngleich ich nicht glücklich darüber bedeutet: Ich muß das Existenzminimum, damit es bin, daß sie so spät stattfindet und nicht mehr Zeit zur nicht versteuert wird, von meinem steuerpflichtigen Verfügung steht. Aber die Tagesordnung ist das Einkommen zunächst abziehen und danach den Rest Ergebnis der Beratungen des Ältestenrats. Im Alte versteuern. Dies, meine Kollegen von der SPD, ist aber stenrat sind alle Fraktionen vertreten, und alle sind — umgesetzt — nichts anderes als die von Ihnen so dafür verantwortlich. sehr gescholtene Freibetragsregelung. Uns liegen drei Anträge der SPD vor, die wir im (Beifall bei der F.D.P. — Margot von Renesse Ausschuß sehr intensiv diskutieren und beraten wol- [SPD]: Das stimmt ja nicht!) len. Ich kann nur hoffen, daß wir uns darüber im klaren sind, daß wir nur dann etwas erreichen, Herr Hier stimmt die Forderung der SPD in Punkt 1 nicht Kollege Habermann, wenn wir dies nicht zur partei- mit dem überein, was sie in anderen Punkten oft politischen Profilierung mißbrauchen. Ihre Rede war genug sagt. dazu kein Beitrag. Ich will versuchen, auf Ihre drei Anträge einzugehen. Wie sieht es heute aus? Das Existenzminimum über Es geht zunächst einmal um die Forderung nach Kinderfreibeträge genügt in der Höhe nicht den einem Bericht über die Höhe des Existenzminimums Forderungen des Verfassungsgerichts. Deswegen von Kindern und Familien. Nach Aussagen unserer muß das gezahlte Kindergeld in einen fiktiven Freibe- Kollegen aus dem Finanz- und Wirtschaftsbereich trag umgerechnet werden. Erst damit wird die Forde- liegt hierzu eine Ausarbeitung vor, auf die sich das rung des Verfassungsgerichts einigermaßen erfüllt. Familien- und das Finanzministerium geeinigt haben. Von der Systematik des Antrags der SPD her müßte Ich kenne diese Ausarbeitung nicht. Im Ausschuß jetzt eigentlich der Punkt 3 des Antrags kommen: Das werden wir dazu hoffentlich etwas erfahren. Dann Existenzminimum sollte — ich formuliere das etwas wollen wir entscheiden, ob ein dera rtiger Bericht noch anders — mit der Sozialhilfe korrelieren. Was jetzt nötig ist oder nicht. Ich mache keinen Hehl daraus: Ich wem angepaßt werden sollte, das wird die Diskussion habe sehr viel Sympathie für einen solchen Bericht. im Ausschuß zeigen. Der zweite Antrag, den ich ansprechen will, beschäftigt sich mit dem geforderten Lastenausgleich Der vierte Punkt Ihres Antrags zeigt die Grundsätze zwischen Bund und Ländern zur Sicherung von Kin- des Familienlastenausgleichs auf. Auch dem kann ich dergartenplätzen. Hierfür kann ich keine Sympathie zustimmen. Personen mit Kindern müssen mehr aufbringen. Die Aufgabenverteilungen zwischen haben als Personen ohne Kinder. Aber das muß doch Bund und Ländern liegen fest. Gerade die Länder heißen: Kleinverdiener ohne Kinder und Kleinverdie- achten sehr eifersüchtig darauf, daß der Bund nicht in ner mit Kindern müssen in diesem Zusammenhang ihre Kompetenzen pfuscht. verglichen werden, ebenso Großverdiener mit Kin- 14272 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 165. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23. Juni 1993

-Norbert Eimer (Fürth) dern und Großverdiener ohne Kinder. Aber genau das Ich mache keinen Hehl daraus, daß mir das heutige macht die SPD nicht. System auch nicht gefällt. Es ist zu kompliziert; vor allem dann, wenn es um die (Margot von Renesse [SPD]: Aber sicher Einkommensgrenzen geht, ist es ungerecht. Ich will Ihnen ein Beispiel doch!) nennen: Wenn jemand vier Kinder hat und genau an Ich bezweifle nicht — ich betone das —, daß der Einkommensgrenze liegt, bekommt er das Kinder- selbstverständlich die steuerliche Belastung nach geld voll. Verdient er eine Mark im Jahr mehr, dann Fähigkeit damit nicht vergessen werden darf. hat er im Jahr netto 2 880 DM weniger. — Sie schütteln den Kopf. Lesen Sie doch die Gesetze! Von der Systematik her müßte jetzt eigentlich Punkt 2 des Antrags der SPD kommen. Sie fordert statt Ich will mit diesem Beispiel nur sagen: Die Probleme der Steuerfreiheit des Existenzminimums — wie in sind sehr viel vielschichtiger, als dies in einer kurzen Punkt 1 beschrieben — Kindergeld von monatlich Debatte angesprochen werden kann. Ich sage Ihnen: 250 DM für jedes Kind und für Kinderreiche 100 DM Ich freue mich auf die Diskussion im Ausschuß. Ich mehr. Damit aber die Forderung nach Steuerfreiheit kann nur hoffen, daß wir uns dazu genügend Zeit des Existenzminimums erfüllt wird, bleibt jetzt nichts nehmen. anderes übrig, als dieses Kindergeld — das kritisiere Vielen Dank. ich auch beim jetzigen System — in einen fiktiven (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) Kinderfreibetrag umzurechnen.

Abenteuerlich wird es aber erst, wenn es um die Vizepräsident Helmuth Becker: Lieber Herr Kollege Finanzierung dieser Ausgaben geht. Die SPD will Eimer, Sie haben sich eingangs darüber beschwert, eine Kappung des Splittings vornehmen. Sie hat daß der Ältestenrat die Debatte erstens so spät ange- immer noch nicht nachgerechnet, was diese Kappung setzt hat und daß zweitens die Zeit viel zu kurz ist. Da bedeutet. Sie führt dazu, daß zwei Paare — ich wir uns im Ältestenrat im Moment mit dem Präsidium wiederhole mich —, die beide zusammen das gleiche und mit den Fraktionsgeschäftsführern in einer Dau- Einkommen haben, verschieden hohe Steuern zahlen erdebatte darüber befinden, wie wir solche Debatten müssen: Die Paare mit Kindern, bei denen heute besser strukturieren können, wäre es gar nicht normalerweise immer noch die Frau zu Hause bleibt, schlecht, wenn Sie einen Vorschlag machen würden, werden mehr Steuern zahlen müssen als ein Paar, bei wie man die heutige Tagesordnung anders hätte dem sich das Einkommen gleichmäßig auf beide gestalten können. Das würde vielleicht bei den Bera- Partner verteilt. Anders ausgedrückt: Die SPD will ihr tungen helfen. Kindergeld von den Familien mit Kindern, vor allem von den kinderreichen Familien, finanzieren lassen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der F.D.P. —Abg. Norbert (Zurufe von der SPD: Was?) Eimer [Fürth] [F.D.P.] meldet sich zu Wort) Genau denen soll der Splittingvorteil genommen Nun erteile ich unserer Frau Kollegin Dr. Barbara werden. Diese Paare werden dann mehr Steuern Höll das Wort. zahlen müssen als Paare mit vergleichbaren Einkom- men ohne Kinder. Das wird durch Ihre Forderungen Dr. Barbara Höll (PDS/Linke Liste): Herr Präsident! nur zum Teil ausgeglichen. Meine Damen und Herren! Die PDS/Linke Liste Wenn man davon ausgeht, daß in einer Ehe eine unterstützt die drei Anträge der SPD und auch die gleichberechtigte Partnerschaft herrschen sollte und Rede von Herrn Habermann nachdrücklich. Ich muß daß das Einkommen von Mann und Frau gemeinsa- sagen: Ich bin doch etwas entsetzt darüber, mit welch mes Einkommen ist, worüber sie gemeinsam verfügen hanebüchenen Begründungen von seiten der CSU, sollen, dann muß man sie steuerlich so behandeln, daß der CDU und der F.D.P. dazu Stellung genommen jeder die Hälfte des gemeinsamen Einkommens ver- wird. Wenn m an Sozialpolitik auf Rechenaufgaben steuert. Genau das ist Splitting. reduziert, frage ich mich, wozu wir dann überhaupt noch Ausschüsse haben und an diesem Thema arbei- Meine Kollegen von der SPD, weil Sie sich so sehr ten. erregen: Ein kluger Mann hat einmal gesagt: Man (Zuruf von der F.D.P.: Rechnen muß man!) kann Politik gegen alle machen, nur nicht gegen Adam Riese. — Insbesondere, um Grundlagen zu haben, aber m an kann Sozialpolitik nicht auf Rechenaufgaben reduzie- (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU — ren. Das ist ja wohl ein wesentlicher Unterschied. Lachen und Zurufe von der SPD) Wir unterstützen den Antrag auf eine jährliche Liebe Kollegen, genau das werfe ich Ihnen vor. Ich Berichterstattung, wie es im Antrag ausgeführt ist. habe mehreren von Ihnen ja schon die Rechnung Das ist ja eine wesentliche Voraussetzung für die vorgelegt, und sie konnten nichts dagegen sagen. Alle Transferleistungen für Kinder und Familien, für das Gesetze, die wir im Bundestag zur Sozialpolitik Einkommensteuerrecht und ist auch von Bedeutung machen, sind im Grunde genommen Textaufgaben zu als Berechnungsgrundlage sowohl des Bundesverfas- einer Rechenformel, nach der dann Gelder eingesam- sungsgerichts in Zusammenhang mit dem Familienla- melt oder verteilt werden. Wer diesen Zusammen- stenausgleich als auch der Bundesregierung für die hang nicht sieht, macht mathematische Fehler. Ich Bestimmung der Sozialhilfe. wiederhole mich: Genau das werfe ich der SPD vor. Es Andererseits, so muß ich sagen, ist es schon erstaun- sind mathematische Fehler und gar nicht sosehr lich, das Hickhack der Bundesregierung um den von Fehler im Grundsatz. den Wohlfahrtsverbänden schon lange geforderten Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 165. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23. Juni 1993 14273

Dr. Barbara Höll Armutsbericht zu verfolgen. In dieser Frage tritt man Familien, die sich nach ökonomischen Schätzungen folgendermaßen auf: Einen Armutsbericht wollen wir an Zahlen festmachen läßt. Danach beträgt der öko- nicht. Die Sozialhilfe ist eine anscheinend fast luxu- nomische Wert der Versorgung und Erziehung von riöse finanzielle Ausstattung für Menschen, die nur drei Kindern in einer durchschnittlichen westdeut- zum Mißbrauch verleitet, wie uns in der Asyldebatte j a schen Familie etwa 1,5 Millionen DM. Durch staatli- immer wieder ausdrücklich gesagt wurde. Anderer- che Leistungen werden nach geltendem Recht nicht seits wird ein Existenzminimum ohne eine klare einmal 15 % abgedeckt. Ich frage mich, inwieweit der Darlegung der Ausgangsdaten festgelegt. Begriff „Familienlastenausgleich" hier tatsächlich eine reale Bedeutung hat oder inwieweit Sprache zur Interessanterweise sah sich das Bundesverfas- sungsgericht ja bereits im Jahre 1968 genötigt, festzu- Verschleierung von Tatsachen dient. stellen, daß Kinder Wesen mit eigener Menschen- Die PDS/Linke Liste schlägt deshalb bei entspre- würde und dem eigenen Recht auf Entfaltung ihrer chender Änderung des Steuersystems vor, die direkte, Persönlichkeit im Sinne der Art. 1 und 2 des Grund- unbürokratische Zahlung von Kindergeld — in An- gesetzes sind. Kinder und Jugendliche als eigenstän- lehnung an die EG-Orientierung, wonach Einkom- dige Persönlichkeiten mit spezifischen Bedürfnissen mensarmut bei Unterschreitung von 50 % des durch- und Interessen anzuerkennen bedeutet für sozialisti- schnittlichen Nettoverdienstes der Bevölkerung be- sches Denken Mitbestimmung und Teilhaberecht, ginnt — altersmäßig gestaffelt wie folgt vorzuneh- auch politische Handlungsmöglichkeiten, Förderung men: für Kinder von 0 bis 6 Jahren 20 % des Durch- von Bildung und Kultur, aber auch — als notwendige schnitts — das sind nach unseren Schätzungen etwa Voraussetzung für all dies — eine eigenständige 500 DM —, für Kinder von 6 bis 12 Jahren 25 % des elternunabhängige soziale Grundsicherung für Kin- Durchschnitts — gleich 625 DM — und für Kinder von der und Jugendliche. Deshalb ist die PDS nachdrück- 12 bis 16 Jahren 30 % des Durchschnitts — gleich lich gegen die Unterordnung der Kinder- und Jugend- 750 DM —. politik unter Familienpolitik und fordert ein umfassen- Dies erforderte einen finanziellen Mehrbedarf von des Entwicklungsprogramm für die Verbesserung der etwa 81 Milliarden DM pro Jahr. Mir ist sehr wohl Lebensverhältnisse von Kindern und Jugendlichen. bewußt, daß dies natürlich eine gewaltige Summe ist Die PDS/Linke Liste hat dem Bundestag deshalb ein und tatsächlich umfassende Änderungen erfordern Gesetz zur Sozialen Grundsicherung unterbreitet, in würde. Deshalb unterstützen wir den Antrag der SPD, dem die materielle Absicherung von Kindern und das Existenzminimum der Kinder tatsächlich von Jugendlichen als Subjekte einen wesentlichen Stel- Steuern zu befreien und in einem ersten Schritt die lenwert einnimmt. Wir schlagen vor, das duale System Kinderfreibeträge zu streichen und das Kindergeld des Familienlastenausgleichs aufzuheben. Ich muß pro Kind auf 250 DM anzuheben. Dies wäre nach den Ihnen sagen: Wenn man so weit gehen muß, das Berechnungen der SPD ja auch kostenneutral mög- Grundgesetz entsprechend zu andern, dann muß man lich. das auch tun. Allerdings verwundert mich hierbei, daß sich die (Dr. Hermann Otto Sohns [F.D.P.]: Sie brin- SPD bei ihren Forderungen dem von der Bundesregie- gen ja dann die Stimmen dafür!) rung nicht nachvollziehbar definierten Gesichtspunkt des Existenzminimums bzw. des Sozialhilfeniveaus Wir schlagen die Aufhebung des dualen Systems beugt und nur den Aspekt der Preisentwicklung des Familienlastenausgleichs vor, da es erstens in sich einbezieht. Wir halten hier eine Basisüberprüfung des viel zu kompliziert, undurchschaubar und bürokra- Existenzminimums für unabdingbar, gerade im Hin- tisch ist, was bekanntermaßen dazu führt, daß Eltern blick auf die EG-Orientierung, wonach die Einkom- nicht einmal in der Lage sind, das ihnen für die Kinder mensarmut eben bereits bei Unterschreiten von 50 % rechtmäßig zustehende Geld in vollem Umfang vom des durchschnittlichen Nettoeinkommens beginnt. Staat abzufordern, und zweitens eindeutig Besserver- dienende bevorteilt und die vom Grundgesetz in Art. 6 Abs. 5 vorgeschriebene Gleichbehandlung ehelicher Vizepräsident Helmuth Becker: Frau Kollegin Bar- und nichtehelicher Kinder nicht gewährleistet. Wenn bara Höll, Ihre Redezeit ist längst abgelaufen. Bitte man dies — drittens — im Zusammenhang mit dem machen Sie noch einen Schlußsatz. Ehegatten-Splitting betrachtet, tut man einem völlig überalterten, realitätsfernen Familienbegriff Genüge, (Zuruf von der CDU/CSU: Es reicht aber der Ehepaare ohne Kinder nur für den Trauschein auch!) überproportional belohnt, (Norbert Eimer [Fürth] [F.D.P.]: Irrtum! Nach- rechnen! Adam Riese!) Dr. Barbara Höll (PDS/Linke Liste): Herr Präsident, ich möchte nur noch einen letzten Satz sagen. während Menschen, die Kinder erziehen, trotz nach- Wir unterstützen im Zusammenhang mit dem skan- gewiesener zeitlicher, beruflicher, psychischer und dalösen Karlsruher Urteil zu § 218 den Antrag der SPD anderer Mehrbelastungen nur zu einem geringen Teil auf einen Lastenausgleich zwischen Ländern, Kom- von der Gesellschaft unterstützt werden. munen und Bund ausdrücklich. Man kann nicht nur Die strukturelle Rücksichtslosigkeit der Gesell- etwas für das ungeborene Leben tun wollen, sondern schaft gegenüber Familien — hier verstanden als ein man muß sich endlich auch einmal zu dem geborenen Leben mit Kindern — führt, so Professor Kaufmann in Leben und zum Recht der Kinder auf einen Kinder- einer Anhörung des Ausschusses für Familie und gartenplatz bekennen. Das ist der Grund für unsere Senioren, zu einer kumulativen Benachteiligung von nachdrückliche Unterstützung. 14274 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 165. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23. Juni 1993

Dr. Barbara Höll Ich danke Ihnen. Bundesländern darauf geeinigt, in § 9 des FKP- (Beifall bei der PDS/Linke Liste, der SPD und Gesetzes, das Existenzminimum wie folgt festzuset- dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) zen: für Alleinstehende 1993 10 500 DM und für Ehegatten 1993 21 000 DM. Vizepräsident Helmuth Becker: Herr Kollege Eimer, Ich habe mich bemüht, eine möglichst wertungs- ich konnte Ihre Wortmeldung vorhin leider nicht freie und rein sachliche Darstellung des jetzt erreich- zulassen, weil wir hier keine Diskussion führen kön- ten Ist-Zustandes zu geben. Ich denke, eine derartige nen, aber nach Beendigung dieser Debatte tue ich das Wiedergabe der Beschlußlage ist insbesondere geeig- gerne. Mein Vorschlag war wirklich ernstgemeint. net, den Bürgern Einsicht in Entscheidungsabläufe Nun hat unser Herr Kollege Wilfried Seibel das und deren Ergebnisse zu geben. Natürlich ist die im Wort. FKP-Gesetz vorgenommene Absenkung der Sätze keine Wunschlösung, sondern eine Notwendigkeit, sich den veränderten ökonomischen und finanziellen Wilfried Seibel (CDU/CSU): Sehr geehrter Herr Rahmenbedingungen anzupassen. Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Bun- desverfassungsgericht hat am 25. September 1992 die Unseren heutigen Beratungen liegt die Drucksache Verfassungswidrigkeit des Grundfreibetrages und 12/ 4128, der Antrag der SPD-Fraktion vom 15. Januar — daran anknüpfend — der gesamten Tarifvorschrift 1993, zugrunde. Insbesondere Herr Kollege Poß und des § 32a Abs. 1 Satz 2 des Einkommensteuergesetzes die anderen SPD-Kolleginnen und -Kollegen des festgestellt. Dem Urteil nach ist der Gesetzgeber Finanzausschusses waren intensiv bemüht, diese aufgefordert, spätestens ab 1996 den Einkommen- Aspekte sozialer Politik zu akzentuieren. Sie dienten steuertarif neu zu gestalten. Für die Jahre 1993 bis damit dem Anliegen, aber auch einer taktischen Linie. 1995 ist eine gesetzliche Übergangsregelung nötig. Gerade wenn man sich intensiv bemüht hat, so wie die Kolleginnen und Kollegen der SPD, ist es natürlich Nach dem Beschluß des Gerichts muß der Steuer- schmerzlich, wenn die eigenen Genossen aus den gesetzgeber dem Einkommensbezieher von seinen Reihen der SPD-regierten Bundesländer so wenig Erwerbsbezügen zumindest das belassen, was er dem Rücksicht auf den akkumulierten Sachverstand der Bedürftigen zur Bef riedigung seines existenznotwen- Bundestagsfraktion genommen haben, digen Bedarfs aus öffentlichen Mitteln zur Verfügung stellt, das sogenannte Existenzminimum. Entgegen (Christel Hanewinckel [SPD]: Das ist wohl vielen Erwartungen traf die Entscheidung des wahr! Das macht uns auch Bauchschmer- Gerichts somit nicht alle Steuerzahler, sondern im zen!) Kern nur die sogenannten Grenzsteuerzahler, also obwohl für jedermann erkennbar ist, daß sich die diejenigen, deren Erwerbsbezüge am Rande des Exi- Summe der guten Argumente zuallererst in der SPD- stenzminimums liegen. Die Höhe des steuerlich zu Fraktion im Bundestag findet. verschonenden Existenzminimums hängt von den allgemeinen wirtschaftlichen Verhältnissen und dem Zur Zeitersparnis wäre es natürlich gut gewesen, in der Rechtsgemeinschaft anerkannten Mindestbe- wenn die SPD ihren Antrag heute zurückgezogen darf ab, dem sogenannten sozialhilferechtlichen Exi- hätte. stenzminimum. (Christel Hanewinckel [SPD]: Warum denn? Diesen Anforderungen wurde der Grundfreibetrag — Horst Peter [Kassel] [SPD]: Dann hätten in den Jahren 1978 bis 1991 nicht gerecht und war Sie gar nicht reden können!) deshalb mit dem Grundgesetz nicht vereinbar. Das Gericht hielt es für gerechtfertigt, eine Korrektur nur — Jetzt kommt das Lob; hören Sie doch zu! — für die Zukunft vorzunehmen. Somit bleibt der gel- (Horst Peter [Kassel] [SPD]: Sie haben einen tende Einkommensteuertarif bis einschließlich 1995 autoritären Charakter!) weiter anwendbar. Für die Übergangsregelung der Jahre 1993, 1994 und 1995 ist sicherzustellen, daß Daß wir ihn heute beraten, kann natürlich nicht niemandem Lohn- oder Einkommensteuer abverlangt schaden. Die wichtigsten Gesichtspunkte für neue wird, der unterhalb des Existenzminimums liegt, und Regelungen im Einkommensteuergesetz zum Exi- ihm nur so viel abverlangt wird, daß sein Existenzmi- stenzminimum sollten schon in der Diskussion gehal- nimum nicht unterschritten wird. ten werden und liefern auch Argumente und Nach- denklichkeiten. Damit beim Steuerpflichtigen die Erwerbsbezüge belassen werden, die er zur Deckung seines existenz- Wir sollten jedoch zukünftige Erörterungen zu die- notwendigen Bedarfs benötigt, waren kurzfristige sem Thema nicht mit der Erwartung garnieren, daß für Verwaltungsregelungen für Anfang 1993 nötig, die im die Zukunft mit deutlich höheren Sätzen zu rechnen Dezember 1992 verabschiedet wurden. Darin war sei. Die konjunkturelle und finanzpolitische Situation vorgesehen, das Existenzminimum für Alleinstehende verlangt ihre Opfer. Es entspricht daher verantwor- auf 12 000 DM und für Verheiratete auf 19 000 DM tungsgerechter Tätigkeit aller Mitglieder des Bundes- festzusetzen. tages, nicht Erwartungen zu wecken, die nicht erfüllt werden können. In den Beratungen des Gesetzes zur Neuordnung des bundesstaatlichen Finanzausgleichs, dem soge- Unser Staat und unsere Gesellschaft sind in der nannten FKP-Gesetz, ist die Debatte in den zuständi- Lage — und werden es bleiben —, den wirklich gen Ausschüssen über dieses Thema intensiv geführt Bedürftigen die notwendige Hilfe zu gewähren. Dazu worden. Eine Anhörung der Experten hat stattgefun- zählt die angemessene Ausstattung von Sozialhilfe- den. Schließlich hat sich die Bundesregierung mit den sätzen, daraus abgeleitet ein Existenzminimum in den Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 165. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23. Juni 1993 14275

Wilfried Seibel Steuergesetzen. Wer hier deutliche Verbesserungen Christina Schenk (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ja, realisieren will, muß wissen, daß auch die Kassen der bitte. Länder und Gemeinden berührt werden. Es steht demjenigen, der solche Vorschläge erwägt oder gar Vizepräsident Helmuth Becker: Bitte sehr, Herr macht, gut an, dafür auch Deckungsvorschläge durch Kollege Eimer. Streichungen an anderer Stelle zu machen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Norbert Eimer (Fürth) (F.D.P.): Frau Kollegin, halten Sie es für richtig, daß zwei Paare, die jeweils zusam- Vizepräsident Helmuth Becker: Frau Kollegin Chri- men das gleiche Einkommen haben, nur deswegen stina Schenk, Sie sind die nächste Rednerin. Bitte unterschiedlich viel Steuern zahlen, weil die Einkom- sehr. menverteilung innerhalb dieser Pa rtnerschaft unter- schiedlich ist, und halten Sie es vor allem für richtig, daß in diesem Falle gerade diejenigen, die Kinder Christina Schenk (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): erziehen und von denen ein Partner zu Hause ist, mehr Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die heu- - Steuern zahlen müssen als solche Paare, bei denen tige Debatte gibt mir Gelegenheit, über die Frauen- beide arbeiten? Das Ganze steht, wie gesagt, unter der feindlichkeit und die Ungerechtigkeit zu sprechen, Voraussetzung, daß beide Paare ein Einkommen in die dem bundesdeutschen Steuerrecht imm anent gleicher Höhe haben. sind. Das ist auch deswegen wichtig, weil die vielen neu hinzugekommenen Frauen aus dem Osten dar- über noch relativ wenig wissen. Christina Schenk (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Kollege, ich bin der Auffassung, daß jede ein- Die Steuerprogression, derzufolge diejenigen, die zelne Person ihr Einkommen für sich versteuern soll ein hohes Einkommen haben, mehr abgeben müssen, und daß sich der Staat nicht über das Steuerrecht in ist gerecht. Absolut ungerecht ist es hingegen, wenn die Lebensform einmischen darf. Allenfalls ist zu Personen mit höherem Einkommen jede Menge überlegen — hier gebe ich Ihnen völlig recht —, wie Steuerentlastungen in Anspruch nehmen können, von das Zusammenleben mit Kindern oder beispielsweise denen diejenigen, die weniger einnehmen, ausge- auch mit Pflegebedürftigen steuerlich besser berück- schlossen sind. Absolut grotesk ist es, wenn diese sichtigt werden kann. Verfahrensweise als sozial bezeichnet wird. (Beifall bei der SPD und der PDS/Linke (Beifall bei der SPD und der PDS/Linke Liste) Liste) Unverheiratete Paare, bei denen Frau und Mann ein Das gilt insbesondere für das sogenannte Ehegat- aasnährend gleiches Einkommen haben — damit ten-Splitting. Die Steuerbegünstigung für Ehepaare komme ich auf Ihre Frage zurück —, bekommen keine — sie erfolgt unabhängig davon, ob diese Ehepaare oder nur sehr kleine Steuerermäßigungen und sind Kinder haben oder nicht — muß aus zwei Gründen durch verschiedene Vergünstigungen, die Alleinle- kritisiert werden. benden mit Kindern zustehen, bessergestellt, als Erstens wird dieser Vorteil — wie so vieles in dieser wenn sie heiraten. Deshalb würde ich diesen Leuten Bundesrepublik — nach dem Motto „Wer viel hat, tunlichst empfehlen, das nicht zu tim — wofür es auch dem wird viel gegeben" gewährt. Steuerpflichtige, noch eine Reihe von anderen Gründen gibt. die mit einer nicht erwerbstätigen Person verheiratet (Beifall der Abg. Dr. Barbara Höll [PDS/Linke sind, sparen bei einem Bruttojahresgehalt von 30 000 Liste]) DM durch das Ehegatten-Splitting ganze 1 730 DM, bei einem Bruttoeinkommen von 90 000 DM schon 7 440 DM, und Spitzenverdienern mit einem Brutto- Vizepräsident Helmuth Becker: Frau Kollegin jahreseinkommen von 250 000 DM schenkt Vater Schenk, gestatten Sie noch eine Zwischenfrage der Staat großzügig knapp 25 000 DM. Frau Kollegin Dr. Babel? (Zuruf von der CDU/CSU: Die zahlen auch mehr!) Christina Schenk (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wenn die Uhr angehalten wird. Das ist aber nur der eine Kritikpunkt. Der zweite ist der, daß mit Hilfe des Ehegatten Vizepräsident Helmuth Becker: Die Zeit ist Splittings die Ungleichheit unter den Verheirateten gestoppt. — Bitte sehr. gefördert wird und damit eine Lebensform, in der eine Person von der anderen — in den meisten Fällen die Frau vom Mann — ökonomisch abhängig ist. Insofern Dr. Gisela Babel (F.D.P.): Frau Kollegin Schenk, nur wäre es weitaus exakter, nicht vom Ehegatten-Split- um sicher zu sein, daß ich Sie richtig verstanden habe: ting zu sprechen, sondern von einer Prämie für patri- Wenn es sich um einen dieser hochverdienenden archalische Lebensweise. Ehemänner mit einer Frau handelt, die zu Hause bleibt, in welcher Höhe würden Sie dieser Frau einen (Widerspruch bei der CDU/CSU und der Unterhaltsanspruch einräumen: in Höhe des Sozialhil- F.D.P.) fesatzes oder in Höhe der Hälfte des Einkommens ihres Mannes? Vizepräsident Helmuth Becker: Frau Kollegin Schenk, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kolle- Christina Schenk (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ich gen Eimer? bleibe bei meinem Standpunkt: daß sich der Staat 14276 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 165. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23. Juni 1993

Christina Schenk über das Steuerrecht nicht in das Zusammenleben von kinderfreundliche Maßnahmen in diesem Land Menschen einmischen sollte. ermöglichen. Zum Beispiel könnte auch das Recht auf einen Kindergartenplatz zum großen Teil mit Hilfe (Norbert Eimer [Fürth] [F.D.P.]: Jetzt wird dieser Summe verwirklicht werden, wenn es politisch geeiert!) gewollt wäre. Es ist natürlich die Frage, wie in diesem L and gewähr- (Beifall bei der SPD und der PDS/Linke leistet werden kann, daß jeder Mensch durch eigene Liste) Arbeit ein eigenes Einkommen erzielen kann. Ich finde es beschämend, daß eine Arbeitsteilung, wie Sie Der Unabhängige Frauenverband tritt nicht nur für sie geschildert haben, noch immer gang und gäbe ist. die Abschaffung des Ehegattensplittings ein, sondern Es soll jeder Mensch die Möglichkeit zu ökonomischer auch für die Abschaffung des Familienlohns, durch Selbständigkeit durch eigene Arbeit haben, und wenn den der Ehemann in die Ernährerposition gebracht dies nicht möglich ist, dann eben über entsprechende wird, in der er seine Wäsche von der Ehefrau zum Sozialsysteme. Nulltarif waschen läßt und auch noch glaubt, darauf - einen Anspruch zu haben. (Zuruf von der CDU/CSU: Es lebe der Sozia Wir sind für eine radikale Arbeitszeitverkürzung, Eimer [Fürth] [F.D.P.]: lismus! — Norbert für eine gerechte, d. h. gleichmäßige, Verteilung der Jetzt haben Sie ganz schön geeiert!) bezahlten und der unbezahlten Arbeit unter Männern — Aber es hat doch offensichtlich für Sie gereicht. und Frauen. Alles andere — und das sage ich und muß (Heiterkeit) ich leider sagen auch in die Richtung der Frauenpoli- tiker und Frauenpolitikerinnen der SPD —, alles Ich darf nun vielleicht doch meine Rede fortsetzen. andere ist Flickschusterei am Patriarchat. Wir aber Ich war bei den Gründen, die gegen die Ehe spre- wollen diesen Stiefel nicht mehr flicken, sondern es chen. geht jetzt darum, ihn endlich zu entsorgen. Also noch einmal: Die Ideologie, die dem Ehegat- (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der tensplitting zugrunde liegt, ist die Ideologie von der PDS/Linke Liste — Zuruf von der CDU/CSU: Familie, die ein männliches Oberhaupt hat, das von Für welche Lebensform reden Sie denn?) seinem Arbeitgeber in völlig asozialer Weise von morgens bis abends in Anspruch genommen wird, völlig ohne Rücksicht auf die Tatsache, daß ein Vizepräsident Helmuth Becker. Ich erteile das Wort Mensch neben der Erwerbstätigkeit auch Kinder zu der Frau Bundesministerin für Fami lie und Senioren, versorgen, zu be treuen oder erzieherisch zu begleiten unserer Kollegin Hannelore Rönsch. hat oder sich um seine alten Eltern kümmern sollte oder kümmern müßte. Hannelore Rönsch, Bundesministerin für Familie Dafür sind dieser Ideologie zufolge dann die Frauen und Senioren: Herr Präsident! Meine sehr geehrten da, die dies selbstverständlich unbezahlterweise, Damen und Herren! Die drei Anträge, über die wir sozusagen für Kost und Logis, machen und vielleicht heute abend diskutieren, gehen die Grundprobleme nebenher auch noch in Teilzeitarbeit dazuverdienen, im Familienlastenausgleich an. Ich möchte sagen: Es aber doch eben keine Perspektive auf ökonomische ist eigentlich alter Wein in neuen Schläuchen. Unabhängigkeit oder eigenständige Altersversor- Wir haben in den vergangenen Jahren verschie- gung haben. dentlich darüber diskutiert, und wir werden uns an Leider — und das muß ich auch an die Adresse der dieser Stelle nicht einig werden, weil wir von unter- SPD sagen — hat sich die SPD mit ihrer Kritik am schiedlichen Grundpositionen ausgehen. Aber, meine Ehegattensplitting von dieser Ideologie ebenfalls sehr geehrten Damen und Herren und liebe Kollegin- nicht entfernt; denn sie will das Ehegattensplitting nen und Kollegen von der SPD, einig waren wir uns in nicht abschaffen, sondern sie will es nur kappen. einer ganzen Reihe von familienpolitischen Maßnah- Ehegatten, die weniger als 100 000 DM brutto im Jahr men, bei denen Sie zugestimmt haben. verdienen, sollen ihre Splittingvorteile in voller Höhe Deshalb erstaunt es, daß der Kollege Habermann behalten dürfen. Mit der bloßen Kappung auf 100 000 heute fragt, wieso wir von einer erfolgreichen Fami- DM ändert sich auch nichts am Gerechtigkeitsdefizit. lienpolitik reden. Ich will dann doch noch einmal Die Steuergeschenke an die, die nur 30 000 DM brutto einiges in Erinnerung rufen, Herr Kollege Haber- verdienen, und an die, die 90 000 DM verdienen — ich mann, weil offensichtlich schon in einer Zeit von vier erinnere an das eingangs geschilderte Beispiel —, bis fünf Jahren sehr viel vergessen wird. bleiben höchst verschieden. Mit dieser Kappung ändert sich vor allem nichts an der staatlichen Förde- Vergessen möchten Sie vielleicht sehr schnell, was rung bzw. an der Subventionierung der Hausfrauen- ich verstehen kann, daß Erziehungsgeld und Erzie- ehe. hungsurlaub bei der SPD immer in Programmen standen, aber nie verwirklicht wurden. Wir haben Das Ehegattensplittung führt zu einem jährlichen 1986 beides eingeführt und Steuerausfall von mindestens 50 Milliarden DM. Ich betone: mindestens 50 Milliarden DM. Die genaue (Michael Habermann [SPD]: Sagen Sie etwas Summe wird die Bundesregierung in ihrer Antwort auf über die Einkommensgrenzen!) meine Anfrage hoffentlich demnächst bekanntgeben. — aber selbstverständlich, Herr Kollege Habermann Die Abschaffung dieser Steuervergünstigung würde — und 1992 ausgebaut. Und, Herr Kollege Haber- also nicht nur die Einführung eines Kindergeldes von mann und meine sehr geehrten Damen und Herren 250 DM monatlich, sondern viel, viel mehr frauen- und von der SPD, es gab auch keine Kürzungen bei Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 165. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23. Juni 1993 14277

Bundesministerin Hannelore Rönsch Erziehungsgeld und Erziehungsurlaub, wie Sie es der ben sind, jetzt plötzlich verabschieden wollen und der Bevölkerung noch in den letzten Wochen und Mona- Bund die Finanzierung von Aufgaben übernehmen ten weismachen wollten. soll, die eindeutig von den Bundesländer zu überneh- men sind. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Ich gestehe Ihnen zu, daß es ausgesprochen schwie- Das ist nicht passiert. Sie haben vorschnell eine rig ist, zum 1. 1. 1996 diesen Rechtsanspruch zu Presseerklärung nach draußen geschossen, und Sie verwirklichen. Deshalb haben wir immer wieder dar- haben sie nicht einmal zurückgeholt. Das ist das über diskutiert, daß man auch andere Modelle, z. B. Schlimme daran, und das nehme ich Ihnen übel. Denn die Tagesmütterbetreuung oder Kinderbetreuungs- die Frauen und die Männer, die Erziehungsgeld und einrichtungen bei großen Firmen oder zusammen mit Erziehungsurlaub in Anspruch nehmen, haben ein Pflegeeinrichtungen, installieren sollte. Ich sehe die Recht darauf, auch von der Opposition vernünftig Schwierigkeiten der Kommunen und der einzelnen informiert zu werden. Bundesländer durchaus. Aber ich meine, daß gerade (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. — durch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom Michael Habermann [SPD]: Sie wollten kür- 28. Mai dieses Jahres eine ganz besondere Verpflich- zen!) tung auch auf die Kommunen zugekommen ist. Wir können uns, wenn wir glaubwürdig bleiben wollen, Ich will sie auch noch darüber informieren, daß Sie aus dieser Verpflichtung nicht verabschieden. Ich z. B. mit uns gemeinsam im vergangenen Jahr beim lade Sie dazu ein, meine sehr geehrten Damen und Schwangeren- und Familienhilfegesetz beschlossen Herren von der Opposition, daß Sie sich zu dieser haben, bei Krankheit von Kindern die Freistellung Verpflichtung bekennen. von der Arbeit von 10 auf 20 Tage für Alleinerzie- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) hende und 10 Tage für die Mutter oder 10 Tage für den Vater mit einer Obergrenze von 50 Tagen festzulegen. Den Antrag auf einen verfassungsgemäßen und Ich meine, daß dies eine familienpolitische Leistung sozialgerechten Familienausgleich haben wir hier, für Eltern, aber ganz besonders für Alleinerziehende wie gesagt, schon verschiedentlich diskutiert. Das ist ist. mittlerweile ein alter Hut. Aber es bleibt dabei, daß (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) das von Ihnen geforderte Kindergeld von 250 DM für jedes Kind zur Zeit nicht zu finanzieren ist. Sie Erinnern will ich Sie auch noch daran, daß wir mit unterscheiden sich dabei in sehr erfreulicher Weise der Anerkennung von Kindererziehungszeiten im von der PDS, die hier mit ganz abenteuerlichen Rentenrecht 1986 eine ganz alte SPD-Forderung in die finanziellen Forderungen gekommen ist. Wirklichkeit umgesetzt haben. Wenn ich mich richtig erinnere, haben Sie auch da mitgestimmt. ( [CDU/CSU]: Nicht nur hier!) Ich freue mich darüber. Ich bedauere nur ein Wenn man das jetzt unterscheidet, sind natürlich Ihre bißchen, daß man Sie immer wieder daran erinnern Forderungen noch recht bescheiden. Nur, sie sind muß. momentan nicht zu verwirklichen. Ja, meine sehr geehrten Damen und Herren, mitge- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) stimmt haben Sie im vergangenen Jahr auch beim Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz im Schwangeren- und Familienhilfegesetz. Und mitge- Vizepräsident Helmuth Becker: Frau Minister, stimmt haben Sie vor einigen Wochen auch beim gestatten Sie eine Zwischenfrage der Frau Kollegin Solidarpakt. Höll? — Bitte. (Christel Hanewinckel [SPD]: Das Gesetz (Dr. Reinhard Meyer zu Bentrup [CDU/CSU]: haben wir vorrangig mitgemacht!) Jetzt verkauft sie den Jäger 90!) — Das finde ich ganz hervorragend, Frau Kollegin Hanewinckel. Sie haben dieses Gesetz vorrangig Dr. Barbara Höll (PDS/Linke Liste): Nein, ich ver- gemacht und wollen sich heute davon verabschieden, kaufe Ihnen jetzt nicht den Jäger 90; das ist Ihre indem Sie dem Bund Verpflichtungen daraus zuwei- Aufgabe. Wir sind auch gegen die Verschwendung sen. Wir haben vor vier Wochen hier in diesem Hause von Mitteln für angeblich humanitäre Ausgaben im den Solidarpakt — das FKP— verabschiedet. Damit ist Ausland. sehr deutlich geworden, daß durch die Verteilung Frau Ministerin, ist Ihnen bekannt, daß nach seriö- auch der Steuern die einzelnen Bundesländer ihre sen Angaben die jährlichen Steuerhinterziehungen entsprechenden Zuweisungen erhalten haben. zwischen 120 und 150 Milliarden DM betragen? Ist Das heißt aber nicht nur, daß sie die Finanzmittel Ihnen auch bekannt, daß ich z. B. eine Reihe von bekommen und der Bund weiterhin für die Finanzie- Anfragen gemacht habe, was die Bundesregierung rung z. B. der Kindergartenplätze zuständig ist, son- hinsichtlich der Steuerbeamten zu tun gedenkt, wie dern das heißt natürlich auch, daß die Bundesländer sie durch weitere Ausbildung von Steuerbeamten und ihren finanziellen Verpflichtungen nachkommen die Verhinderung des Abzugs von Steuerbeamten in müssen. die freie Wirtschaft auf diesem Gebiet tätig werden will. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Wie gedenken Sie vielleicht einmal diese Summe Es kann nicht sein, daß Sie sich von Aufgaben, die zur Kenntnis zu nehmen und mit heranzuziehen? vom Grundgesetz für die Bundesländer vorgeschrie- Dann hätten wir immer noch einen Spielraum von 14278 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 165. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23. Juni 1993

Dr. Barbara Höll 40 Milliarden DM gegenüber der Zahl, die ich für das Gesetzgeber freisteht, welchen Weg er wählt. Das Kindergeld genannt habe, wofür wir 81 Milliarden- wollte ich dem Kollegen Struck heute abend gern DM brauchen. noch einmal auch von dieser Stelle aus sagen; (Zuruf von der SPD: Er liest es im Proto koll!) Hannelore Rönsch, Bundesministerin für Familie und Senioren: Liebe Frau Kollegin Dr. Höll, ich bin aber ich kann es auch noch einmal in einem p rivaten vorhin vom Kollegen Habermann ein wenig gerügt Gespräch tun. worden, daß wir Mißbräuche in allen Bereichen Da ich schon über den dualen Weg gesprochen nicht nur in der Sozialgesetzgebung, sondern in habe, will ich mich auch noch einmal sehr deutlich allen Bereichen und ganz besonders im Steuerrecht — dazu bekennen: Auch in Zukunft werden wir am sehr verschärft verfolgen wollen, ihnen nachgehen dualen Familienlastenausgleich festhalten, wollen, (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) (Christina Schenk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Aber Sie diskutieren nur über den nämlich am Kinderfreibetrag, momentan 4 104 DM, Sozialmißbrauch!) und am Kindergeld. und daß wir diese Mittel, die sich aus den Mißbräu- Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist unabhängig chen ergeben, dann natürlich an anderer Stelle brau- von momentanen aktuellen Haushaltszwängen wei- chen. Ich wäre jedem dankbar, wenn er weitere terhin unser erklärtes Ziel, mittelfristig auch den Mißbräuche aufdeckte und dies sehr deutlich nach dualen Familienlastenausgleich fortzuentwickeln. — außen sagte, damit man da nicht so sehr allein ist; denn Ich begrüße den Kollegen Struck; Sie werden ihm das es macht auch nicht nur Freude, permanent geschol- Gesagte sicher nachher mitteilen. ten zu werden, weil man Möglichkeiten des Miß- (Eduard Oswald [CDU/CSU]: Es ist nur die brauchs entdeckt hat, die sich zu Zeiten voller Kassen Frage, ob er die Mehrheiten inzwischen eingeschlichen haben und dann auf allen Ebenen gefunden hat! — Zuruf des Abg. Michael immer wieder toleriert worden sind. Habermann [SPD]) (Hans Büttner [Ingolstadt] [SPD]: Zehn Jahre — Dazu kann ich Ihnen, Herr Kollege Habermann, vertan!) gern noch etwas sagen. Ich empfinde es als unwürdig, Ich würde mir wünschen, daß wir uns alle in Zeiten wenn man Erziehungsgeld mit Gebärprämien ver- knappen Geldes uns darüber Gedanken machen, egal gleicht. Dieses Wort, meine ich, sollte man nicht auf welcher staatlichen, p rivaten oder wirtschaftli- wählen; denn wer sich mit der Mate rie tief befaßt und chen Ebene Leute die Solidargemeinschaft ausnut- weiß, wie Erziehungsgeld gerade jungen Frauen, zen. jungen Müttern, jungen Familien hilft, der sieht, daß (Zuruf von der SPD: Die Regierung! es notwendig ist, daß dieses Erziehungsgeld auch in Das können wir uns nämlich nicht mehr erlauben. seiner vollen Höhe erhalten bleibt. Deshalb habe ich seinerzeit auch so darum gekämpft, daß es dort keine (Beifall bei der CDU/CSU und bei der Abstriche gibt, und wir haben, wie Sie bitte spätestens F.D.P.) heute zur Kenntnis nehmen müssen bei diesem Kampf Ich lade Sie alle dazu ein, diese Mißbräuche tatsäch- gewonnen. Es gab keinen Abstrich beim Erziehungs- lich dann mit aufzudecken. geld. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) (Beifall bei der CDU/CSU — Zuruf von der Ich hätte mich gefreut, wenn der Kollege Struck SPD: Aber auch keinen Aufbau!) noch im Saal gewesen wäre. Er hatte in den vergan- Aber lassen Sie mich bitte zum Abschluß sagen, und genen Tagen versucht, einen konstruktiven Vor- ich wiederhole es gern noch einmal: Wir sind momen- schlag zu machen. tan in Haushaltszwängen, aber wir wollen unabhän- (Michael Habermann [SPD]: Deshalb haben gig von diesen Haushaltszwängen bei der mittelfristi- wir ihn ja hinausgeschickt!) gen Fortentwicklung des dualen Familienlastenaus- gleichs darauf Wert legen, daß die Förderung den — Das habe ich mir gedacht. Familien zugute kommt, die viele Kinder haben, und (Weitere Zurufe von der SPD — Eduard je niedriger das Einkommen und je höher die Kinder- Oswald [CDU/CSU]: Er sucht gerade nach zahl ist, desto stärker muß die Förderung auch durch Mehrheiten in der SPD!) die Finanzierung der Bundesregierung geschehen. Es ist unser erklärtes Ziel, daß die steuerliche Freistel- Herr Kollege Struck wollte das Kindergeld vom lung des Existenzminimums komplett erfolgt; denn Einkommen abhängig machen und es eigentlich ich bin mit Ihnen der Meinung, daß die eigentlichen schon ganz streichen. Ich wollte ihn heute nur darauf aufmerksam machen, daß wir nun zwei Urteile des Leistungen des Staates erst nach der steuerlichen Freistellung des Existenzminimums erfolgen. Ich Bundesverfassungsgerichts aus Mai und Juni 1990 würde mir wünschen, daß wir dann bedarfsgerecht haben, und diese Urteile besagen eindeutig, daß die das Kindergeld so schnell wie möglich gestalten Sicherstellung des Existenzminimums durch die steu- erliche Freistellung und ein Kindergeld von minde- können. stens 70 Mark erfolgen kann. Indem ich sage „kann", Wir brauchen allerdings dazu auch Ihre Vernunft weise ich darauf hin, daß auch das Bundesverfas- und Ihre Hilfe, denn in Zeiten, in denen die Kassen sungsgericht sehr eindeutig gesagt hat, daß es dem leer sind, ist natürlich auch die Sozialpolitik gefordert, Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 165. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23. Juni 1993 14279

Bundesministerin Hannelore Rönsch dort, wo sich vielleicht Mißbräuche eingeschlichen auch der Lebensunterhalt abgedeckt — zu vereinba- haben, Einsparungen vorzunehmen, damit man ren. Es ist nicht immer ein Mann da, der dazuver- denen, die tatsächlich Hilfe und Unterstützung vom dient. Staat brauchen, diese entsprechend gewähren kann. Auch die Leistungen im Rahmen des Familienla- stenausgleichs, insbesondere das Erziehungsgeld, (Beifall bei der CDU/CSU und bei der F.D.P. zählen zu den Maßnahmen des Staates, die geeignet —Hans Büttner [Ingolstadt] [SPD]: Abtreten! sind, Familien einen Rahmen zu ermöglichen, in dem Zurücktreten!) Kinder leben können. Es folgt ein weiteres Zitat: Vizepräsident Helmuth Becker: Ich erteile unserer Frau Kollegin Hildegard Wester das Wort. Die Bedeutung solcher Leistungen als Maßnah- men präventiven Lebensschutzes hat der Gesetz- geber in Rechnung zu stellen, wenn es erforder- Hildegard Wester (SPD): Herr Präsident! Liebe Kol- lich wird, staatliche Leistungen im Hinblick auf leginnen und Kollegen! Ich beginne mit einem knappe Mittel zu überprüfen. Zitat: Ausgerüstet mit diesem weiteren Zitat, Frau Der Staat genügt seiner Schutzpflicht gegenüber Rönsch, aus dem Verfassungsgerichtsurteil, müßte es dem ungeborenen menschlichen Leben nicht Ihnen möglich sein, jedem weiteren Versuch der allein dadurch, daß er Ang riffen wehrt, die die- Minister Waigel und Rexrodt, im Familienetat zu sem von anderen Menschen drohen. Er muß auch wildern, erfolgreich Widerstand zu leisten. denjenigen Gefahren engegentreten, die für die- ses Leben in den gegenwärtigen und absehbaren (Beifall bei der SPD, der PDS/Linke Liste und realen Lebensverhältnissen der Frau und der dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Familie begründet liegen und der Bereitschaft Statt dessen erleben wir zum wiederholten Male, zum Austragen des Kindes entgegenwirken. daß Sie schweigend hinnehmen, daß da geknapst und (Ursula Männle [CDU/CSU]: Das steht genau abkassiert werden soll, wo gesellschaftlich unver- so im Urteil des Bundesverfassungsge- zichtbare Aufgaben geleistet werden und wo sowieso richts!) die Belastungen am höchsten sind, nämlich bei Dieses Zitat aus dem Urteil des Bundesverfassungs- Lebensgemeinschaften mit Kindern, bei Familien. gerichts zum Familien- und Schwangerenhilfegesetz (Dr. Ulrich Böhme [Unna] [SPD]: Ein Skandal zeigt deutlich den großen Stellenwert des Maßnahme- ist das! — Walter Link [Diepholz] [CDU/ teils dieses Gesetzes. Es verdeutlicht aber auch, wel- CSU]: Das ist doch eine Unterstellung! Sie che Verantwortung die Frauen- und Familienpolitik haben doch gerade etwas anderes von der bei der Gestaltung einer Gesellschaft, die das Ja zum Ministerin gehört!) Kind ermöglicht, trägt. Die Richter führen weiter aus, der Schutz des — Ich werde Ihnen das an einigen Beispielen deutlich ungeborenen Lebens verpflichte den Staat und den machen. Die Leistungen für Familien wie das Erzie- Gesetzgeber, Grundlagen dafür zu schaffen, daß hungsgeld und das Kindergeld werden von Herrn Familien- und Erwerbstätigkeit vereinbar seien. Rexrodt als „staatliche Geburtsprämie" bezeichnet. Es tut mir leid, sagen zu müssen, daß ich außer heute Das macht das deutlich, daß es allerhöchste Zeit ist, bis jetzt von der Frau Ministerin in der Öffentlichkeit unseren heute vorliegenden Antrag zu verabschieden keine Gegendarstellung dazu gehört habe. und damit zu gewährleisten, daß durch eine gerechte Lastenverteilung zwischen Bund und Ländern das Es ist erstens eine unglaubliche Ahnungslosigkeit, Recht auf einen Kindergartenplatz realisiert werden wenn Herr Rexrodt glaubt, diese Leistungen seien in kann. ihrer Höhe und sonstigen Wirkungsweise geeignet, (Beifall bei der SPD, der PDS/Linke Liste und einen Kinderwunsch zu realisieren; denn nach wie vor dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) klafft eine große Lücke zwischen dem geäußerten Kinderwunsch und dem realisierten. Hier können die Bundesregierung und mit ihr die Familienministerin deutlich machen, wie ernst es Von der Entwicklung in den neuen Ländern will ich ihnen mit der Schaffung einer kinder- und familien- gar nicht reden; Sie wissen, daß hier ein erheblicher freundlichen Gesellschaft ist. Rückgang bei den Geburtenzahlen zu verzeichnen (Hans Büttner [Ingoldstadt] [SPD]: Wie ist. wahr!) Zweitens ist es eine ebenso schlimme Schnodderig- Die Förderung einer solchen wird von den Verfas- keit im Umgang mit Familien und ihrem Recht auf sungsrichtern ebenfalls dem Staat abverlangt. einen Lastenausgleich. Wie müssen sich die Familien (Margot von Renesse [SPD]: Verfassungsge- fühlen, die tagtäglich an ihrem Portemonnaie spüren, bot!) daß sie durch die Entscheidung zu Kindern einen größeren Teil der Lasten in unserer Gesellschaft Häufig genannte Ursache für den Wunsch nach tragen als die, die ohne Kinder leben, wenn sie so einem Schwangerschaftsabbruch ist nämlich die sub- etwas zu Ohren bekommen? jektiv empfundene und tatsächlich für einzelne Frauen existierende Unmöglichkeit, Erziehung des (Beifall bei der SPD, der PDS/Linke Liste und Kindes und Erwerbstätigkeit — und damit wird häufig dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) 14280 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 165. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23. Juni 1993

Hildegard Wester Familienlastenausgleich ist keine Sozialleistung, halbherzige Korrektur ist nicht nur gar keine Korrek- sondern ein verfassungsrechtlich garantiertes Recht. tur, sondern sie ist eine Verschlechterung und eine Ungerechtigkeit. (Margot von Renesse [SPD]: So ist es!) (Beifall bei der SPD, der PDS/Linke Liste und Das Existenzminimum eines jeden Kindes ist sicher- dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) zustellen. Das gleiche Verfahren hat sich der Finanzminister (Zurufe von der CDU/CSU: Richtig!) für den Bezug von Kindergeld für das zweite Kind Derzeit ist selbst dies nicht gewährleistet. Das haben vorgestellt. Auch hier gilt: Wenn man solche Korrek- wir heute bereits verschiedentlich gehört; ich weise turen an einem System vornimmt, bevor es richtig und noch einmal darauf hin. Augenblicklich werden gerecht greift, trägt m an zur Verunsicherung und 517 DM monatlich steuerlich freigestellt. Dem steht Schlechterstellung der Betroffenen bei. aber ein Existenzminimum von ca. 600 DM gegen- (Margot von Renesse [SPD]: So ist es!) über. Auf diese Art und Weise tragen die Fami lien neben ihrer sonstigen Belastung schon seit Jahren Wie soll ein Kindergeldbezieher begreifen, daß m an dazu bei, den Haushalt zu sanieren. ihm etwas wegkürzen will, wenn er auf der anderen Seite hört, daß ihm das Existenzminimum für seine Wir fordern daher die Bundesregierung auf, umge- Familie steuerlich immer noch nicht freigestellt ist? hend einen Bericht über die Höhe von Existenzmi- nima von Kindern und Familien vorzulegen. Es muß (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ möglich sein, an Hand von eigenen Zahlen zuste- DIE GRÜNEN) hende Leistungen zu überprüfen. Darüber hinaus Um so notwendiger brauchen wir verläßliche Anga- müssen diese Berichte jährlich aktualisiert werden, ben zum Existenzminimum. Wir müssen endlich ver- damit nicht Leistungen der Preisentwicklung jahre- bindlich wissen, von welchen Zahlen wir reden und lang hinterherhinken, wie z. B. beim Erziehungsgeld. wie die Lasten der Familien für die Sicherung des Genau da ist der Einspareffekt; das ist letzten Endes Existenzminimiums aussehen. Erst dies ermöglicht eine Kürzung. eine gerechte Entlastung von Fami lien. Hier mahnen wir schon seit Jahren eine Anpassung Wir fordern Sie auf, end lich etwas dazu beizutragen, an die gestiegenen Lebenshaltungskosten an. Seit indem Sie unserem Antrag zustimmen. 1986 hat sich die Einkommensgrenze für den Bezug Ich danke Ihnen. des Erziehungsgeldes ab dem siebten Lebensmonat des Kindes nicht geändert. Sie liegt bei einer Familie (Beifall bei der SPD, der PDS/Linke Liste und mit zwei Erwachsenen und zwei Kindern bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN — Michael 33 600 DM pro Jahr. Zum Vergleich: Bis zu einem Habermann [SPD]: Eine gute Rede, Frau jährlichen Einkommen von 32 137 DM hätte eine Kollegin!) Familie in dieser Konstellation Anspruch auf ergän- zende Sozialhilfe. 1991 haben 76,5 % aller Eltern ungekürztes Erziehungsgeld bezogen, weil sie ein Als letzte Rednerin Einkommen unterhalb dieser Einkommensgrenze Vizepräsident Helmuth Becker: zu diesem Tagesordnungspunkt hat nunmehr unsere hatten. Frau Kollegin Dr. Sissy Geiger das Wo rt. (Michael Habermann [SPD]: Und bei denen soll jetzt gespart werden!) In einer solchen Situa tion spricht Frau Ministerin Dr. Sissy Geiger (Darmstadt) (CDU/CSU): Herr Rönsch von einer gerechten Korrektur des Erzie- Präsident! Meine Damen und Herren! Am 25. Juni hungsgeldes, während sie im Rahmen des Föderalen 1992 beschloß der Deutsche Bundestag im Schwange- Konsolidierungsprogramms zustimmt, die Einkom- ren- und Familienhilfegesetz den Rechtsanspruch von men zur Feststellung der Berechtigung nicht mehr wie Frauen auf einen Kindergartenplatz für alle Kinder ab bisher aus dem vorvergangenen Kalenderjahr zu- drei Jahren mit den Stimmen aller Fraktionen. grunde zu legen, sondern die aktuellen heranzuzie- ristel Hanewinckel [SPD]: Haben auch hen. (Ch Sie zugestimmt?) Ein größerer Teil der Eltern wird gekürztes Erzie- — Da war ich noch nicht hier, Frau Kollegin. hungsgeld erhalten. Hier liegt ja gerade der erwünschte Einspareffekt. Diese Entscheidung war überfällig. Kinder brau- chen den Umgang mit Gleichaltrigen. Das gehört zur (Maria Michalk [CDU/CSU]: Das ist ja sozialen Erziehung. Hier werden entscheidend die gerecht!) sozialen Fähigkeiten geprägt; denn Einzelkinder, die — Der eine Teil ist gerecht, aber der Teil, der die in den heute üblichen Kleinfamilien aufwachsen, Gerechtigkeit komplett machen würde, fehlt, nämlich haben oft nicht die Spiel- und Erfahrungsräume in die Angleichung. unmittelbarer Umgebung. Damit werden immer mehr Familien in die Nähe der Andererseits: Durch die Entwicklung unserer Sozialhilfe rutschen. Diese Maßnahme bezeichnet Bevölkerung ergibt sich, daß immer mehr junge Frau Rönsch als Korrektur. Eine Korrektur wäre gewe- Frauen beides haben wollen, Kinder und Beruf. - sen, die Leistung in ihrer Höhe an die tatsächlichen Außerdem entscheiden sich immer mehr Paare zu nur Preissteigerungen anzupassen und gleichzeitig den einem Kind, höchstens zwei Kindern; denn nach wie Berechnungszeitpunkt zu aktualisieren. Aber eine vor wird von den Frauen erwartet, auch wenn sie voll Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 165. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23. Juni 1993 14281

Dr. Sissy Geiger (Darmstadt) erwerbstätig sind, daß sie Haushaltsführung und Kin- Demgegenüber war im Gesetzentwurf der CDU/ dererziehung zusätzlich leisten. - CSU-Fraktion der Betreuungsanspruch des Kindes außerhalb von Kindergärten auf Fälle beschränkt, in (Christina Schenk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- denen die Betreuung durch die Familie nicht gewähr- NEN]: Schlimm!) leistet ist. Wir brauchen aber dringend zunächst Freilich werden Frauen so gut wie gar nicht von den Kindergartenplätze für diese Fälle, in denen die männlichen Partnern bei dieser Haushalts- und Erzie- Betreuung durch die Familie nicht gegeben ist. hungsleistung unterstützt. Viele Frauen, die arbeiten müssen, sind daher auf einen Kindergartenpatz ange- (Christina Schenk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ wiesen. NEN]: Für alle!) Für die SPD wie die übrigen Initiatoren des Grup- Es muß bei der Verwirklichung dieser Kindergar- penantrags ist die Verwirklichung des Rechtsan- tenplätze aber doch nicht immer der deutsche Perfek- spruchs auf einen Kindergartenplatz im Zusammen- tionismus Maßstab sein. hang mit der Neuregelung des Rechts des Schwanger- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) schaftsabbruchs überdies eine verfassungsrechtliche Notwendigkeit. Er ist nämlich wesentlicher Bestand- Die Berechnungen der enormen Investitionskosten teil der dem Schutz des ungeborenen Lebens dienen- von 40 Milliarden DM kommen auch deshalb den Maßnahmen, die überhaupt erst den weitgehen- zustande, weil ganz seriöse Beamte nach seriösen den Verzicht auf das S trafrecht zu rechtfertigen ver- geltenden Bestimmungen und seriösen statistischen mögen. Angaben eine Planung nach den voraussichtlichen demographischen Entwicklungen angestellt haben. (Margot von Renesse [SPD]: Ja! Für alle!) Sie haben ideale Bedingungen zugrunde gelegt, was Der Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz ist die Ausstattung in räumlicher, sächlicher und perso- in Art. 5 — Änderung des Kinder- und Jugendhilfege- neller Hinsicht bedeutet. setzes — des Schwangeren- und Familienhilfegeset- (Zuruf von der SPD: Ist das verkehrt?) zes vom 27. Juli 1992 geregelt. Nach § 24 SGB VIII hat ein Kind vom vollendeten dritten Lebensjahr an bis Aus diesem Grund — weil es zu teuer ist, wenn a lles zum Schuleintritt Anspruch auf den Besuch eines perfekt sein muß — sind z. B. die Richtlinien für Kindergartens. Für Kinder im Alter unter drei Jahren Kindertagesstätten in Hessen von 1979 noch immer und Kinder im schulpflichtigen Alter sind nach Bedarf nicht verabschiedet worden, weil man nämlich ein Plätze in Tageseinrichtungen und, soweit für das Wohl Kindergartengesetz immer noch nicht verwirklicht des Kindes erforderlich, Tagespflegeplätze vorzuhal- hat. Auch im Bundesjugendministerium beschäftigt ten. Der Rechtsanspruch tritt nach Art. 10 des Kinder- man sich inzwischen mit der Frage, ob die Richtlinien und Jugendhilfegesetzes am 1. Januar 1996 in der Länder für den Bau und die Ausstattung von Kraft. Kindergarten wirklich in allen Punkten erforderlich sind, um das Wohlbefinden der Kinder in den Einrich- Von den Initiatoren des Gesetzentwurfs ist die tungen zu gewährleisten. Schließlich muß man nicht Verwirklichung des Anspruchs bis spätestens zu die- immer Architektenpreise einheimsen, wenn man sem Zeitpunkt als Voraussetzung für die Verfassungs- einen Kindergarten entwerfen will. mäßigkeit des Schwangeren- und Familienhilfegeset- zes bezeichnet worden. In der Zwischenzeit richtet (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) sich der Anspruch nach dem aktuellen Stand der Kindergarten- bzw. Tagesbetreuungsgesetze der Es kann einfach nicht sein, daß ein Kindergarten mit Länder. vier Gruppen 2 Millionen DM, ein Kindergarten mit sechs Gruppen 4 Millionen DM kosten muß. Es gibt Die Bundesländer haben dem Gesetz im Bundesrat auch andere Beispiele, die als Notlösungen entwickelt bei nur einer Gegenstimme zugestimmt. wurden und hervorragend funktionieren, z. B. Pavil- (Dr. Gisela Babel [F.D.P.]: Wer war es?) lons, die nicht mehr gebraucht worden sind, oder Garagenfertigteile als Kindergärten umzufunktionie- — Dreimal dürfen Sie raten. ren. Mit viel Überredungskunst kann man auch Der Bundesrat war sich dabei über die durch die Betriebe dazu gewinnen, mit der Gemeinde zusam- sozialen Begleitmaßnahmen entstehenden erhebli- men Kindergärten oder Pools einzurichten. Man kann chen Kosten für Länder und Gemeinden im klaren. klein anfangen. Man kann auch die Privatinitiative Jedoch wurden finanzpolitische Bedenken im Hin- unterstützen. Man kann außerdem auch verlangen, blick auf die rechtspolitisch gewünschte strafpoliti- daß gut verdienende Eltern oder auch gut verdie- sche Regelung des Schwangerschaftsabbruchs zu- nende alleinerziehende Mütter für den Kindergarten- rückgestellt. platz etwas bezahlen. Die Vorstellungen der SPD zur Kinderbetreuung (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. — gingen ursprünglich noch über die letztlich ge troffene Zurufe von der SPD) Regelung hinaus. Der SPD-Entwurf eines Schwange- — Doch, das gibt es auch! Ich habe in Darmstadt ren- und Familienhilfegesetzes enthielt einen alters- genügend Beispiele dafür. unabhängigen Rechtsanspruch des Kindes auf Förde- rung in einer Tageseinrichtung. Eine Übergangsfrist Meine Damen und Herren, ich komme zum Schluß, war nicht vorgesehen. Ganz Ähnliches galt auch noch indem ich noch anmerke: Wenn sich die Eltern, für den Gruppenantrag in seiner ursprünglichen Fas- besonders aber die Väter stärker um ihre Kinder sung. kümmern würden, dann würde so mancher Be treu- 14282 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 165. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23. Juni 1993

Dr. Sissy Geiger (Darmstadt) ungsfall nicht der Allgemeinheit übertragen werden wirtschaftlichen Geschehens durch Übertragung und müssen. Spaltung von Unternehmen, Übertragung von Beleg- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) schaftsmitgliedern auf entsprechende Gesellschaften im europäischen, d. h. sozusagen im EG-Ausland, aber im Binnenmarkt mit der Folge vorzunehmen, daß Vizepräsident Helmuth Becker: Liebe Frau Kollegin wir aus den Mitbestimmungsregeln, die wir selber Dr. Geiger, Sie haben Ihre Redezeit um zwei Minuten geschaffen haben, herausfallen. überzogen. Ich sage das nur deswegen: Selbst wenn hier jemand neu ist, dann muß er wissen, daß er sich Dieses wollen wir nicht. ungefähr an die Regeln halten muß. (Beifall bei der SPD) Wir sind am Ende der Aussprache. Weitere Wort- Dies, meine ich, wollen Sie auch nicht; denn das haben meldungen liegen nicht vor. Sie ja mit Ihrem eigenen Antrag ziemlich klar doku- Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen mentiert. auf den Drucksachen 12/4128, 12/4653 und 12/4127 an die in der Tagesordnung genannten Ausschüsse zu (Heribert Scharrenbroich [CDU/CSU]: Ge- überweisen. Beim Antrag der SPD für einen verfas- nauso klar!) sungsgemäßen und sozial gerechten Familienlasten- Ich verweise darauf, daß wir am 8 . November 1991 ausgleich soll die Federführung beim Ausschuß für eine Entschließung verabschiedet haben. Der Bun- Familie und Senioren liegen. Der Antrag der Frak tion destag hat seinerzeit gesagt, daß es bei den Regelun- der SPD zu einem Bericht über die Höhe des Existenz- gen, die im Rahmen der steuerlichen Harmonisierung minimums von Kindern und Familien soll, abwei- in der Europäischen Gemeinschaft notwendig sind, chend vom Überweisungsvorschlag in der Tagesord- nicht zu einer Schmälerung der Mitbestimmungs- nung, dem Finanzausschuß zur federführenden Bera- rechte von Arbeitnehmern kommen darf. Es ist die tung überwiesen werden. Dies ist interfraktionell Auffassung des Hauses, daß die Erhaltung der Mitbe- inzwischen so vereinbart. Sind Sie alle damit einver- stimmungsrechte besser und wirksamer in einer Mit- standen? — Dann ist das so beschlossen. bestimmungsregelung, also Mitbestimmungsrecht, geklärt werden soll. Daher hat der Deutsche Bundes- Ich rufe nunmehr Tagesordnungspunkt 9 auf: tag die Bundesregierung aufgefordert, entsprechende Erste Beratung des von der Frak tion der SPD Gesetzesinitiativen vorzulegen, um bei der Umset- eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur zung der EG-Fusionsrichtlinie eine effektive Siche- Beibehaltung der Mitbestimmung beim Aus- rung der Mitbestimmungsrechte auch durchzuset- tausch von Anteilen und der Einbringung von zen. Unternehmensteilen, die Gesellschaften ver- Dieses haben Sie bis zum Entwurf gemacht. Wir schiedener Mitgliedstaaten der Europäischen haben es im Bundestag und in den Ausschüssen Gemeinschaften be treffen angemahnt. Warum verfolgen Sie Ihren Entwurf (Mitbestimmungs-Beibehaltungsgesetz — eigentlich nicht weiter? MitbestBeiG) (Dr. Peter Struck [SPD]: Sehr wahr! — Horst — Drucksache 12/4532 — Peter [Kassel] [SPD]: Dahinter steckt Herr Überweisungsvorschlag : Lambsdorff!) Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung (federführend) Rechtsausschuß Soll die Mitbestimmung ausgehöhlt werden? Ist es so, Finanzausschuß daß die CDU/CSU durch die F.D.P. bedrängt wird, Ausschuß für Wirtschaft diesen Kurs der Demontage der Mitbestimmungs- Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat ist für die rechte zu verfolgen? Dieses wäre nicht nur unred lich, Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. — Ich höre bezogen auf die Entschließung, sondern stößt auf den und sehe keinen Widerspruch. Dann ist das so erbitterten Widerstand der Sozialdemokraten. Dar- beschlossen. über müssen wir uns klar sein. Ich eröffne die Aussprache und erteile zunächst dem (Beifall bei der SPD) Kollegen Hans Urbaniak das Wo rt. Wir müssen Sie daher auffordern, den Ausgangs- punkt des Gesetzentwurfes, was die Entschließung Hans-Eberhard Urbaniak (SPD): Herr Präsident! des Deutschen Bundestages angeht, ernst zu nehmen Meine Damen und Herren! Wir Sozialdemokraten und den mitbestimmungsrechtlichen Ansatz nun auch bringen heute einen Gesetzentwurf zur Mitbestim- tatsächlich zu realisieren. Denn es kann doch nicht mungsbeibehaltung ein. Dieses ist notwendig, weil richtig sein, wenn Unternehmen, die entsprechende der Entwurf der Koalitionsfraktionen, der mit dem, Dispositionen im europäischen Binnenmarkt vorneh- den wir heute einbringen, wortgleich ist, bisher leider men, dadurch steuerliche Entlastungen erfahren und nicht weiterverfolgt worden ist. gleichzeitig dabei auch noch die Mitbestimmung Wir beziehen uns insbesondere darauf, daß in kappen. Dies wäre ja wohl ein Holm auf die deutsche diesem Hause Klarheit geherrscht hat, daß sich im Mitbestimmungsregelung. Zuge des europäischen Binnenmarktes Einbußen in (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS der Mitbestimmungssubstanz, die wir in der Bundes- 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten republik Deutschland kennen, nicht vollziehen soll- der CDU/CSU) ten; denn in der Zwischenzeit ist mit dem Binnenmarkt eine Reihe von steuerrechtlichen Vorschriften erlas- Aus diesem Grunde ist es notwendig, daß wir jetzt sen worden, die es ermöglichen, die Konzentration sehr schnell zu einer Übereinstimmung kommen, daß Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 165. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23. Juni 1993 14283

Hans-Eberhard Urbaniak wir den Text noch einmal gründlich im Ausschuß für wir ja auch gar nicht in Frage stellen. Aber wo ist da Arbeit und Sozialordnung beraten, d. h. den Konsens die Informationspflicht? Wo ist da die Mitwirkung der finden, den wir seinerzeit mit der Entschließung schon Betriebsräte, der Gewerkschaften, der Belegschaften gefunden haben; denn man muß ja auch in dieser überhaupt? Hier hat man auf dem Felde des Zusam- Frage glaubwürdig bleiben. Soweit ich das sehe, menschlusses, des Zusammenwachsens der Europäi- haben die F.D.P.-Kolleginnen und -Kollegen dem schen Gemeinschaft — das sage ich Ihnen ganz Betriebsverfassungsgesetz mit dem Mitbestimmungs- offen — versagt, und die Bundesregierung hat ihren teil, der dort installiert ist, aber auch der 76er Mitbe- Anteil daran. Ich muß dies leider feststellen, meine stimmung ihre Zustimmung gegeben. Damen und Herren. (Hans Büttner [Ingolstadt] [SPD]: Das war Ich bitte daher, daß wir mit der Beratung dieses eine andere F.D.P.! Die war damals noch Gesetzesvorhabens nun sehr bald zum Abschluß kom- Liberal!) men, damit hier ein Gleichklang der Einflußmöglich- keiten zumindest versucht wird. Denn darüber müs- Darum kann ich gar nicht begreifen, warum man hier sen wir uns klar sein: Belegschaften zu erklären, daß nicht auf die gemeinsame Entschließung des Deut- sie aus der Mitbestimmung fallen oder in eine ungün- schen Bundestages zurückkommt und sich in den stigere Lage kommen, weil Konstruktionen im Rah- seinerzeitigen Beschluß eingebunden fühlt. men der Fusionsrichtlinie in der Europäischen (Horst Peter [Kassel] [SPD]: Das empfindet Gemeinschaft dieses auslösen, ist schwer. Das wird die F.D.P. heute als Erblast!) man in den Betrieben und Unternehmungen nicht verstehen, zumal wir traditionell unsere Zusammen- Am 18. Januar 1989 haben wir dem Deutschen arbeit in den Unternehmen auch auf das Zusammen- Bundestag einen Gesetzentwurf „Europäischer Bin- wirken abgestellt haben. Dieses Zusammenwirken in nenmarkt und soziale Demokratie „ vorgelegt. Wir den entsprechenden Ins titutionen hat sich wohl in der haben damals schon darauf aufmerksam gemacht, Bundesrepublik Deutschland hervorragend be- was es bedeutet, wenn dieser Binnenmarkt kommt währt. und der Sozialraum nicht konkret ausgestaltet wird. Die Bundesregierung und die Koalitionsfraktionen Wir haben darauf aufmerksam gemacht, daß unbe- haben also auch heute die Frage zu beantworten: dingt Initiativen notwendig sind. Wir haben mit Inter- Wollen sie den Erhalt des Status an Mitbestimmung, esse verfolgt, daß die EG-Kommission vor allen Din- wie wir das im Deutschen Bundestag über Jahre gen auf dem Feld der europäischen Ak tiengesell- debattiert und auch erreicht haben? Die Vorstellun- schaft Maßstäbe setzen wollte. Aber dies geht in gen der SPD gehen natürlich viel weiter, was die Brüssel einfach nicht weiter. paritätische Mitbestimmung angeht. Aber hier geht Man kann der einseitigen wirtschaftlichen Konzen- es heute um das Beibehaltungsgesetz. Sie sind aufge- tration nicht das Wort reden. Man braucht eine fordert, mit uns gemeinsam diese so bitter notwendige Begleitung von Arbeitnehmerrechten in der Europäi- Regelung jetzt zum Abschluß zu bringen, im Sinne schen Gemeinschaft. Wir müssen unseren Mitbestim- eines friedlichen Konsenses, der sich beim Zusam- mungsstatus in der Bundesrepublik Deutschl and auf menwachsen in der Europäischen Gemeinschaft zwi- jeden Fall erhalten, meine Damen und Herren. schen Unternehmens- und Konzernleitungen, den Betriebsräten und den Gewerkschaften vollziehen (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE soll. GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/ CSU) Wir bleiben bei der Entschließung und wollen dieses Beibehaltungsgesetz. Es ist notwendig, daß wir Dabei haben wir, wie gesagt, am 18. Januar 1989 auf das erfüllen, was wir im Bundestag selber gemeinsam diese Tatbestände schon hingewiesen. Wir haben die beschlossen haben. möglichen Modelle, die uns aus der europäischen Schönen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. Debatte bekannt sind, herausgearbeitet. Wir haben auch vor der Gründung einer europäischen Ak tienge- (Beifall bei der SPD) sellschaft einen Konsens über die Arbeitnehmermit- bestimmung zwischen den Konzernleitungen, den Vizepräsident Helmuth Becker: Meine Damen und Unternehmungen und den vertretenden Arbeitneh- Herren, unser nächster Redner ist der Kollege Heri- merorganisationen angemahnt. Wir haben mit unse- bert Scharrenbroich. rem Antrag den Status der europäischen Aktienge- sellschaft sehr stark herausgestellt. Die bestehenden Heribert Scharrenbroich (CDU/CSU): Herr Präsi- nationalen Arbeitnehmerrechte, die Tariffähigkeit dent! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kolle- der europäischen Ak tiengesellschaft sollten auf jeden gen! Ich brauche den Gesetzentwurf der SPD vom Fall im Gesetz verankert werden. Schließlich sollten 10. März 1993 nicht mehr zu erläutern. Das haben wir die Arbeitnehmerorganisationen auf nationaler und bereits am 24. September 1992 gemacht. Damals europäischer Basis selbstverständlich alle diese Dinge haben wir unseren Gesetzentwurf vorgelegt. Der in einem vernünftigen Konsens miteinander beraten Kollege Hörsken hat ihn erläutert, so daß ich das in der und weiter voranbringen. Sache gar nicht mehr zu erklären brauche. Heute warten wir sogar, obwohl sich die Konzentra- Zur Mitbestimmung brauche ich auch keine so tion ja mit einer Schnelligkeit vollzieht, die wir damals ausführlichen Erklärungen wie Kollege Urbaniak schon eingeschätzt haben, nicht einmal auf den euro- abzugeben, weil unter einer Unions- geführten Regie- päischen Betriebsrat; wir kennen die Konzentrations- rung Mitbestimmung noch nie abgebaut worden ist. bewegung der Gesellschaften, die Arbeitsteilung, die Daher möchte ich mich auf die Geschichte des Vor- 14284 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 165. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23. Juni 1993

Heribert Scharrenbroich gangs, mit dem wir uns heute zu beschäftigen haben, deutlich geworden — den Druck für die Beratung zu konzentrieren. - erzeugen. Ich verstehe das Unternehmen, das die SPD mit Ich stelle aber auch mit Interesse fest, daß die SPD diesem Gesetzentwurf gestartet hat, so: Wir sind uns Abs. 2 unseres § 2 wortwörtlich übernimmt. einig, daß die Richtlinie des Rates vom 23. Juli 1990, (Heinz-Adolf Hörsken [CDU/CSU]: Wir ar die vom damaligen Außenminister, Herrn Hans-Diet- beiten auch für die Opposi tion!) rich Genscher, ehemaliger Vorsitzender der F.D.P., Es ist schon erstaunlich, so etwas in einem Opposi- eingebracht worden ist, auch in Deutschland Gesetz tionstext zu lesen. Ich mache ausdrücklich darauf werden soll. Das wollen wir machen. aufmerksam, daß das, was der Koalitionsentwurf — zu Ich verstehe das Unternehmen der SPD so — darin dem ich natürlich stehe — und jetzt auch der Entwurf sind wir uns auch einig —, daß die Beschlüsse des der SPD vorsieht, weniger ist als das, was die Koali- Bundestages zu respektieren sind und daß sie in tionsfraktionen in Art. 14 Nr. 3 ihres Entwurfes für das einem angemessenen Zeitraum umzusetzen sind. Ich Steueränderungsgesetz vorgesehen hatten. beziehe mich damit auf die Entschließung vom 8. No- (Hans Büttner [Ingolstadt] [SPD]: Weil wir vember 1991. Diese Entschließung ist einstimmig realistisch sehen, was diese Koalition zu gefaßt worden. Daß sie, nach der dieses Gesetz jetzt zu machen in der Lage ist!) verabschieden ist, uns sehr wichtig ist, geht daraus — Wenn Sie Gesetzentwürfe einbringen, dann haben or, daß beide Gesetzentwürfe, der Koalitionsge- herv Sie wohl auch die Absicht, daß sie verabschiedet setzentwurf wie der SPD-Gesetzentwurf, diese Ent- werden. schließung in der Begründung in vollem Wortlaut abdrucken. Nach den Gesetzentwürfen zur Mitbestimmungssi- cherung gilt die Mitbestimmung dann nicht mehr für Ich will noch einmal darauf hinweisen, daß die Betriebe — wenn ich bei dem Beispiel des Mitbestim- Koalitionsfraktionen beim Entwurf für das Steuerän- mungsgesetzes von 1976 bleibe —, die weniger als derungsgesetz 1992 lediglich aus rechtssystemati- 500 Beschäftigte haben. Ich finde es schon beachtlich, schen Gründen diese Sicherung der Mitbestimmung daß die SPD als Opposition so etwas übernimmt. Das herausgeholt haben. Ich möchte noch einmal unsere wir uns mit der F.D.P. geeinigt haben, ist im Rahmen Position mit den Worten des Kollegen Faltlhauser einer Koalition selbstverständlich. Herr Kollege Urba- darlegen, der in jener Zeit finanzpolitischer Sprecher niak, ich glaube, Betriebsräte haben in Ihrer Frak tion war und heute stellvertretender Fraktionsvorsitzender auch nicht mehr das Gewicht, wie das früher einmal ist. Er sagte — ich zitiere aus dem Protokoll —: war. Wie weit ist es mit dieser ehemaligen Arbeiter- Die Kollegen der Koali tion im Finanzausschuß partei gekommen, daß man so etwas einfach über- waren übereinstimmend der Auffassung, daß die- nimmt? ses Gesetz (Dr. Peter Struck [SPD]: Na! Na!)

— gemeint war das Steueränderungsgesetz — Herr Kollege Schar- und das Steuerrecht überhaupt unter dem Vizepräsident Helmuth Becker: renbroich, nun möchte natürlich Herr Kollege Hans Gesichtspunkt der Systematik nicht der richtige Büttner eine Zwischenfrage stellen. Ort, nicht der richtige Rahmen sind, Mitbestim- mungsregelungen aufrechtzuerhalten. Aber wir waren uns in dem Ziel völlig einig: Die Mitbestim- Heribert Scharrenbroich (CDU/CSU): Aber selbst- mungsregelungen sollten unbedingt erhalten verständlich. bleiben. Sie sind eine große deutsche Errungen- schaft, die wir nicht schwächen und dem Binnen- markt nicht opfern wollen. Hans Büttner (Ingolstadt) (SPD): Herr Kollege Scharrenbroich, darf ich aus Ihren Äußerungen schlie- Genau darum geht es. ßen, daß die Sozialausschüsse in dieser Frage nicht Aus der Entschließung möchte ich noch den zweiten mehr an Koalitionsabsprachen usw. gebunden sind Satz zitieren, der lautet, einstimmig verabschiedet: und in der Lage gewesen wären, mit der SPD gegen Koalitionsvereinbarungen zu stimmen? Der Deutsche Bundestag ist der Auffassung, daß die Erhaltung der Mitbestimmungsrechte besser (Dr. Gisela Babel [F.D.P.]: Nun flirten Sie und wirksamer im Mitbestimmungsrecht selbst doch nicht mehr so unverschämt!) geregelt werden kann. Der Kollege Faltlhauser hat diesen Satz auch noch Heribert Scharrenbroich (CDU/CSU): Lieber Kol- einmal vorgelesen. Danach heißt es im Protokoll: lege Büttner, ich habe, weil ich diese Zwischenfrage „Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.". fast erwartet habe, eingefügt: In dem Koalitionsent- wurf — zu dem ich selbstverständlich stehe —, heißt (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) es — — Daß wir uns mit der F.D.P. in solchen Fragen, — Ich freue mich, daß die F.D.P. dies bestätigt. Damit die übrigens auch relativ sinnvoll sind, einigen, gebe ist die Gefechtslage klar, daß wir das jetzt im Aus- ich durchaus zu. Das ist selbstverständlich. schuß bald behandeln und verabschieden. Wir bleiben bei dem Koalitionsentwurf. Sie werden Ich habe volles Verständnis dafür, daß die SPD erleben, daß dieser Koalitionsentwurf Gesetz wird. Ich unseren Gesetzentwurf wortgetreu einbringt, und freue mich, daß dann auch Sie gegen diese Minderung zwar einmal, weil er gut ist, aber auch, um — das ist der Mitbestimmung nicht zu Felde ziehen können. Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 165. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23. Juni 1993 14285

Heribert Scharrenbroich Lassen Sie mich mit folgender Feststellung schlie- Die unternehmerische Entscheidung kann aber ßen: Koalitionsfraktionen und SPD-Opposition haben- auch dahin gehen, steuerliche Vorteile auszuschlagen gleichlautende Gesetzentwürfe eingebracht, wie die und sich den Mitbestimmungsrechten damit zu ent- einmütig gefaßte Entschließung vom 8. November ziehen. So weit, so gut, und so ist es in dem Entwurf 1991 umgesetzt werden soll. Ich meine — und das ist von CDU/CSU und F.D.P. geplant. Jetzt hat sich ja mir sehr ernst —, was die übergroße Mehrheit des auch die SPD angeschlossen. Deutschen Bundestages will, ist also jetzt eindeutig Ich will aber doch hinzufügen — es ist kein Geheim- schwarz auf weiß aus-, ab- und nachgedruckt. Der nis — daß dieses Mitbestimmungs-Beibehaltungsge- Respekt vor dieser übergroßen Mehrheit, der Respekt setz nicht gerade ein Lieblingskind der F.D.P. ist; denn vor der einmütig gefaßten Entschließung des Hohen schließlich handelt es sich nicht nur um die Beibehal- Hauses vom 8. November 1991 läßt nicht zu, daß die tung, sondern es handelt sich auch um die Ausdeh- Umsetzung von Beschlüssen weiter verzögert wird. nung von Mitbestinunungsrechten, dann nämlich, Deswegen glaube ich, daß es an der Zeit ist, die wenn die Restbetriebe mit einer kleineren Belegschaft Gesetzentwürfe zügig zu beraten und den Willen des die Mitbestimmungsregelungen für die größere Parlaments zu respektieren. Betriebseinheit beibehalten. Danke schön. (Heribert Scharrenbroich [CDU/CSU]: Auch (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) das machen wir!) Wir sehen also bei der Verabschiedung auch den Zusammenhang mit einem anderen Gesetz. Ich spre- Vizepräsident Helmuth Becker: Als letzter Rednerin che — das ist auch am 24. September 1992 angespro- zu diesem Tagesordnungspunkt erteile ich das Wort chen worden — von der kleinen Aktiengesellscha ft, unserer Kollegin Frau Dr. Gisela Babel. die wir zur Deregulierung des Aktienrechts dringend (Hans Büttner [Ingolstadt] [SPD]: Die Mitbe- brauchen und deren Schaffung wir in der Koalitions- stimmungsexpertin!) vereinbarung festgeschrieben haben. Stichtag war der 1. Januar 1993. Ich fordere die Bundesregierung daher auf — sie Dr. Gisela Babel (F.D.P.): Herr Präsident! Meine weiß schon, wen ich dabei im Auge habe —, nicht Damen und Herren! Ein feines Stück Oppositions- länger zu zögern und einen abgestimmten Gesetzent- kunst haben Sie sich diesmal einfallen lassen. wurf einzubringen. (Dr. Peter Struck [SPD]: Wir haben nur (Beifall bei der F.D.P.) Kunst!) Hinauszögern und Tatenlosigkeit werden uns hier mit Jedenfalls weist die heutige Debatte über den SPD- Sicherheit nicht weiterb ringen. Den SPD-Antrag wol- Entwurf eines Mitbestimmungs-Beibehaltungsgeset- len wir dann im Zusammenhang mit unserem Gesetz- zes zwei Neuerungen auf. Zum einen ist der Entwurf entwurf im Ausschuß beraten. handwerklich sehr gut gelungen — beinahe wie aus dem Formularhandbuch zur Erarbeitung eines Mit- Ich bedanke mich. bestimmungs-Beibehaltungsgesetzes. Zum anderen (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne kann ich ausnahmsweise einmal einen Gesetzentwurf ten der CDU/CSU) der SPD wenigstens ein bißchen loben, weil er auch inhaltlich mit den Vorstellungen der Koalition sehr gut Vizepräsident Helmuth Becker: Meine Damen und übereinstimmt. Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. (Eduard Oswald [CDU/CSU]: Jetzt keinen (Heribert Scharrenbroich [CDU/CSU]: Flirt!) Doch!) Es geht darum, die EG - Fusionsrichtlinie so umzu- — Herr Kollege Scharrenbroich, wenn Sie nach § 27 setzen, daß es nicht zu einem Abbau von Mitbestim- unserer Geschäftsordnung eine Kurzintervention ma- mungsrechten der Arbeitnehmer kommt. Fusionen, chen wollen, dann ist das gestattet. Sie haben das Spaltungen oder der Austausch von Gesellschaftsan- Wort, bitte sehr. teilen über die Grenze der EG-Mitgliedstaaten hin- weg sollen Mitbestimmungsrechte nicht schmälern. Das Montan-Mitbestimmungsgesetz, das Mitbestim- Heribert Scharrenbroich (CDU/CSU): Herr Präsi- mungsgesetz und das Bet riebsverfassungsgesetz dent! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich lege Wert schreiben die Rechte, aber damit zugleich auch die darauf, daß es nach unserer Auffassung kein Junktim Pflichten und die Verantwortung der Arbeitnehmer zwischen der kleinen Aktienrechtsreform und diesem fest. Dies soll aufrechterhalten werden. Mitbestimmungs-Beibehaltungsgesetz gibt. Es gibt eine einstimmig verabschiedete Erklärung des Deut- Die Koalition hat sich daher dafür entschieden, die schen Bundestages, und die ist zu respektieren. steuerliche Begünstigung von Unternehmen davon abhängig zu machen, daß es auch bei der Übertra- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU gung von Betriebs- oder Anteilsteilen über Länder- sowie bei der SPD und dem BÜNDNIS grenzen hinweg bei der Aufrechterhaltung des Mitbe- 90/DIE GRÜNEN) stimmungsstatus bleibt. Dem Unternehmen wird also ein Wahlrecht eingeräumt. Es steht ihm frei, die Vizepräsident Helmuth Becker: Meine Damen und steuerlichen Erleichterungen in Anspruch zu nehmen Herren, der Ältestenrat schlägt die Überweisung des und sich den Mitbestimmungsregelungen weithin zu Gesetzentwurfs auf Drucksache 12/4532 an die in der unterwerfen. Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vor. Gibt es 14286 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 165. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23. Juni 1993

Vizepräsident Helmuth Becker dazu noch anderweitige Vorschläge? — Das ist nicht Überweisungsvorschlag: der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlos-- Rechtsausschuß (federführend) Innenausschuß sen. Finanzausschuß Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung Haushaltsausschuß Ich rufe Punkt 10a und b der Tagesordnung auf: Nach den Mitteilungen, die mir zugegangen sind, a) Erste Beratung des von der Bundesregierung wollen alle vorgesehenen Rednerinnen und Redner eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Geset- ihre Reden zu Protokoll geben.• ) Ich muß das aber zes zur Bereinigung von SED-Unrecht (Zweites bestätigen lassen. Sind alle damit einverstanden? — SED-Unrechtsbereinigungsgesetz — 2. SED Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Dann ist das so UnBerG) beschlossen. — Drucksache 12/4994 — Der Ältestenrat schlägt die Überweisung der Vorla- gen auf den Drucksachen 12/4994 und 12/5219 an die Überweisungsvorschlag: Rechtsausschuß (federführend) in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse und Innenausschuß zusätzlich an den Ausschuß für Bildung und Wissen- Finanzausschuß schaft vor. Sind Sie damit einverstanden? — Ich sehe Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung und höre keinen Widerspruch. Dann sind die Über- Haushaltsausschuß mitberatend und gemäß § 96 GO weisungen so beschlossen. b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Wir sind damit am Schluß unserer heutigen Tages- Dr. Wolfgang Ullmann und der Gruppe BÜND- ordnung. NIS 90/DIE GRÜNEN Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bun- Rehabilitierung und Entschädigung der Ver- destages auf morgen, Donnerstag, 24. Juni 1993, 9 Uhr folgten des Stalinismus und des DDR-Regimes ein. (III): Verbesserung der Situation von Opfern beruf- Die Sitzung ist geschlossen. licher Verfolgung und Verwaltungsunrecht im (Schluß der Sitzung: 22.29 Uhr) Zweiten SED-Unrechtsbereinigungsgesetz

— Drucksache 12/5219 — *) Anlage 3

Berichtigung

162. Sitzung, Seite 13 858 D, vorletzte Zeile: Statt „Detlev von Larcher" ist „Dr. Ingomar Hauchler" zu lesen. Deutscher Bundestag - 12. Wahlperiode - 165. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23. Juni 1993 14287*

Anlagen zum Stenographischen Bericht

Anlage 1 entschuldigt bis Abgeordnete(r) Liste der entschuldigten Abgeordneten einschließlich Steiner, Heinz-Alfred SPD 23. 6. 93 Abgeordnete(r) entschuldigt bis Dr. Stercken, Hans einschließlich CDU/CSU 23. 6. 93 Tietjen, Günther SPD 23. 6. 93 Austermann, Dietrich CDU/CSU 23. 6. 93 Dr. Töpfer, Klaus CDU/CSU 23. 6. 93 Baum, Gerhart Rudolf F.D.P. 23. 6. 93 Verheugen, Günter SPD Blunck (Uetersen) SPD 23. 6. 93 ' 23. 6. 93 Lieselott Voigt (Frankfurt), SPD 23. 6. 93 Carstensen (Nordstrand), CDU/CSU 23. 6. 93 Karsten D. Peter Harry Welt, Jochen SPD 23. 6. 93 Ehrbar, Udo CDU/CSU 23. 6. 93 Dr. Wernitz, Axel SPD 23. 6. 93 Dr. Enkelmann, Dagmar PDS/Linke 23. 6. 93 Wohlrabe, Jürgen CDU/CSU 23. 6. 93 Liste Zapf, Uta SPD 23. 6. 93 Dr. Fell, Karl H. CDU/CSU 23. 6. 93 Frankenhauser, Herbert CDU/CSU 23. 6. 93 Zierer, Benno CDU/CSU 23. 6. 93 *

Fuchs (Köln), Anke SPD 23. 6. 93 * für die Teilnahme an Sitzungen der Westeuropäischen Union Dr. Geißler, Heiner CDU/CSU 23. 6. 93 ** für die Teilnahme an Sitzungen der Nordatlantischen Versamm- Gerster (Mainz), CDU/CSU 23. 6. 93 lung Johannes Dr. Götzer, Wolfgang CDU/CSU 23. 6. 93** Haungs, Rainer CDU/CSU 23. 6. 93 Hörster, Joachim CDU/CSU 23. 6. 93 Anlage 2 Ibrügger, Lothar SPD 23. 6. 93** Jaunich, Horst SPD 23. 6. 93 Zu Protokoll gegebene Rede Klose, Hans-Ulrich SPD 23. 6. 93 zu Tagesordnungspunkt 10 der 161. Sitzung vom 27. Mai 1993e) Kolbow, Walter SPD 23. 6. 93 (Einbeziehung der deutschen Heimatvertriebenen, Koschnick, Hans SPD 23. 6. 93 Aussiedler und der in Ostmittel-, Ost- und Südost- Dr. Leonhard-Schmid, SPD 23. 6. 93 europa lebenden deutschen Minderheiten in die Elke Politik der Verständigung und guten Nachbarschaft Leutheusser- F.D.P. 23. 6. 93 der Bundesrepublik Deutschland gegenüber ihren Schnarrenberger, östlichen und südöstlichen Nachbarn) Sabine Dr. Lieberoth, Immo CDU/CSU 23. 6. 93 Ulrich Irmer (F.D.P.): Die heutige Debatte gibt noch Marten, Günter CDU/CSU 23. 6. 93 einmal Gelegenheit, Bilanz zu ziehen über das politi- Matschie, Christoph SPD 23. 6. 93 sche Werk der Aussöhnung mit unseren östlichen Dr. Matterne, Dietmar SPD 23. 6. 93 Nachbarn, eines der Kernstücke dieser Legislaturpe- Dr. Möller, Franz CDU/CSU 23. 6. 93 riode. Wir erkennen an, daß Teil dieses Versöhnungs- werks auch und gerade die Heimatvertriebenen, Aus- Dr. Müller, Günther CDU/CSU 23. 6. 93* siedler und deutschen Minderheiten sind. Niedenthal, Erhard CDU/CSU 23. 6. 93 Nolte, Claudia CDU/CSU 23. 6. 93 So hat der Deutsche Ostdienst Info Nr. 30 vom Odendahl, Doris SPD 23. 6. 93 4. September 1991 der Auffassung zugestimmt, daß „angesichts des modernen Aneinanderrückens der Oesinghaus, Günther SPD 23. 6. 93 Menschen und Kulturen ein historischer Ausgleich Opel, Manfred SPD 23. 6. 93 und ein enges Zusammenwirken im Wiederaufbau Dr. Penner, Wilfried SPD 23. 6. 93 mit unseren östlichen Nachbarn ... eine unabding- Pfuhl, Albert SPD 23. 6. 93 bare historische Aufgabe" ist. Dabei wurden „zähe Pofalla, Ronald CDU/CSU 23. 6. 93 Verhandlungen um einen dauerhaften und glaubwür- Dr. Riedl (München), CDU/CSU 23. 6. 93 digen Ausgleich im abgewogenen Geben und Neh- Erich men" gefordert. Diese, so kann heute abschließend Dr. Rose, Klaus CDU/CSU 23. 6. 93 gesagt werden, haben unter großem Engagement aller Beteiligten stattgefunden und zu akzeptablen Sauer (Salzgitter), CDU/CSU 23. 6. 93 Ergebnissen geführt. Sowohl die Rechte der Heimat- Helmut vertriebenen als auch die der deutschen Minderheiten Schaich-Walch, Gudrun SPD 23. 6. 93 spielten bei den Verhandlungen und ihren Ergebnis- von Schmude, Michael CDU/CSU 23. 6. 93 sen, soweit es irgend möglich war, eine maßgebende Dr. Soell, Hartmut SPD 23. 6. 93* Rolle. Stachowa, Angela PDS/Linke 23. 6. 93 Liste *) Seite 13820 B und Anlage 4 14288* Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 165. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23. Juni 1993

Viele, die sich nicht mehr ständig an die Ergebnisse Vor zwei Wochen, am 15. Mai dieses Jahres, habe des Zweiten Weltkrieges erinnern, und alle, die ich auf der NeiBebrücke zwischen Görlitz und dem danach aufgewachsen sind, sehen heute die ethni- Stadtteil, der heute Zgorzelec heißt, gestanden und schen Säuberungen und Greueltaten an Unschuldi- das bunte Treiben in beiden Richtungen be trachtet. In gen anderswo auf dem Kontinent. Sie können daran Sichtweite befand sich die Wilhelminische Ruhmes- ermessen, welches Leiden die Heimatvertriebenen halle, heute ein polnisches Kulturhaus. Die berühmten nach einem von Deutschen angezettelten Krieg erlit- Parkanlagen des Fürsten Pückler im benachbarten ten, aber auch, welchen Friedensbeitrag sie durch Muskau liegen teils auf deutscher, teils auf polnischer ihren Verzicht auf Revanche und ihre Aufbauleistun- Seite. Eine Besichtigung sind sie allemal wert. gen erbracht haben. Die Rolle der deutschen Minder- heiten, die in Vergessenheit und Entwurzelung zu Die Außen- und Kulturpolitiker der F.D.P.-Bundes- versinken drohten, ist der Öffentlichkeit dank der tagsfraktion haben sich mit RoB und Reiter nach Wende in Europa wieder präsent geworden. Niederschlesien begeben, um fernab vom Bonner Leider muß jedoch auch festgestellt werden, daß Politbetrieb ein Zeichen politischer Präsenz zu setzen einige maßgebliche Kreise gerade unter den Vertrie- und den östlichen Nachbarn die Hand zu reichen. benenfunktionären bis zuletzt Sperrfeuer und Breit- Namhafte Kulturschaffende sind mit uns gereist. seiten gegen die Verträge über gute Nachbarschaft und Zusammenarbeit abgefeuert haben. Es handelt Wir konnten feststellen, daß sich dort im Grenzbe- sich hier um die Ewiggestrigen, von denen es leider reich schon viel mehr tut, als m an hier sieht oder auch einige in der nachwachsenden Genera tion gibt. wahrhaben will. So hat Prof. Wolf-Dieter Ludwig, Dem großen Koalitionspartner ist dabei zu konzedie- geboren in Liegnitz, Schlesien, aufgewachsen in ren, daß er seinen politischen Weg niemals von diesen Allenstein, Ostpreußen, jahrelang Regisseur an deut- Kreisen hat entscheidend steuern lassen, sondern sich schen und westeuropäischen Bühnen, Moza rt- und stets bemüht hat, die Vertriebenen in das Aussöh- Karajan-Experte, seit 1991 als Intendant des Musik- nungswerk mit einzubinden. theaters der Stadt Görlitz das Projekt EUROPERA Es ist zu hoffen, daß nunmehr die Schatten der aufgebaut. Hierzu gehört ein multina tionales Jugend- Vergangenheit endgültig verschwinden und ein orchester mit polnischer und tschechischer Beteili- neues, zukunftsgerichtetes Europa entsteht, in dem gung. Seine Qualitäten im Kammermusikbereich jeder Mensch und jede Minderheit sich in ihren konnten wir in einer Live-Aufführung genießen. Ort Rechten und in konstruktiver Vielfalt wiederfinden. der Veranstaltung war die Oberlausitzer Bibliothek, in der bibliophile Kostbarkeiten aus polnisch-sächsi- Für die deutschen Minderheiten in Ost-, Mittelost- scher Geschichte den Besucher in den Bann ziehen. und Südosteuropa haben sich vernünftige, realis tische und vor allen Dingen ausbaubare Regelungen finden lassen. Wir hatten geglaubt, damit auch so etwas wie Prof. Ludwig plant ein ebenso kühnes wie finanzier- ein Beispiel für andere Länder setzen zu können. Die bares Projekt, nämlich ein deutsch-polnisches Kultur- Nachricht sollte sein: „Bewahrt eure ethnische Identi- zentrum, symbolhaft als Neißebrücke konzipiert. Fa lls tät, euer kulturelles Erbe, eure Zusammengehörigkeit es gelingt, hierfür Mittel aus dem sogenannten und eure Würde". All dies fanden wir richtig und Jumbo-Kredit lockerzumachen, sollte über eine nachahmenswert. Vor allem aber, „seid loyal zu dem Unterstützung durch den Bundesminister des Innern Staat, dem ihr nunmehr seit Jahrzehnten angehört". gesprochen werden. Eines ist uns bei der Veranstal- tung allerdings auch klar geworden: bei den Men- Die schrecklichen Ereignisse in Südosteuropa zei- schen beiderseits der Grenze gibt es noch mehr gen, daß die Menschheit mit der politischen Atomisie- Vorbehalte auf der einen Seite, verborgene Angst auf rung des Kontinents, mit der Anarchisierung unter der anderen Seite abzubauen, als der Besucher dem Motto des Selbstbestimmungsrechts keinen zunächst wahrnimmt. Schon das Angebot von Schritt weiter kommt. Im früheren Jugoslawien, des- Deutschunterricht an die polnische Bevölkerung in sen Abbild Bosnien-Herzegowina ist, haben sich die Schlesien muß behutsam und in einer Weise erfolgen, Völker und ethnischen Gruppen über Jahrhunderte die keinerlei Befürchtungen aufkommen läßt. Eine hinweg beieinander und durcheinander angesiedelt. Wahrnehmung und Unterstützung der deutschen Die eine Hälfte des Dorfes ist serbisch, die andere Minderheit muß in ein Umfeld eingebettet werden, kroatisch, der eine Nachbar ist Muslim, der andere das die Hoffnung auf Hilfe und Zugang zu Europa für Christ. alle Bürger Polens einschließt. Wenn man ethnische Säuberungen als brutale Ver- brechen gegen die Menschlichkeit anprangert, dann Die Zukunft der europäischen Union nach Maas- sind diese Völker zum Zusammenleben verurteilt. tricht, die Europaverträge mit unseren östlichen Eine allseits akzeptable Formel für ethnisch definierte Nachbarn sind nur der formale Teil der Herausforde- Nationalstaaten muß bei solchen Voraussetzungen rung, die vor uns liegt: Europa muß mit dem Herzen erst noch gefunden werden. Sollte es zu einem Abklin- aufgebaut werden; dann werden, wie der polnische gen der Kriegshandlungen kommen und darüber Botschafter es einmal treffend gesagt hat, „die Steine hinaus eine Ausdehnung des Konfliktes vermieden in Breslau auch Deutsch sprechen und sehr viel auf werden, so dürfte es Jahrzehnte dauern, bis die Deutsch zu berichten" haben. Ich füge hinzu: diese Menschen den Weg der Aussöhnung gehen können, Steine sprechen Deutsch und Polnisch, Polnisch und den Deutschland, seine Heimatvertriebenen und die Deutsch, und sie werden in Zukunft noch viel Gutes deutschen Minderheiten beschritten haben. berichten. Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 165. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23. Juni 1993 14289*

Anlage 3 Auch das verwaltungsrechtliche Rehabilitierungs- gesetz greift auf das berufliche zurück. Die offensicht- Zu Protokoll gegebene Reden liche verwaltungsrechtliche Willkürmaßnahme kann zu Tagesordnungspunkt 10 aufgehoben werden. Im speziellen Fall der Enteig- (a — Zweites SED-Unrechtsbereinigungsgesetz, nungen geschieht dies bereits durch das Vermögens- b — Antrag: Rehabilitierung und Entschädigung gesetz. der Verfolgten des Stalinismus und des DDR-Regimes [III]: Letztlich sind jedoch die damit in Folge stehenden Verbesserung der Situation von Opfern beruflicher eingeschränkten Lebenschancen die auch heute noch Verfolgung und Verwaltungsunrecht im Zweiten nachwirkenden Probleme. Deshalb kommt dem SED-Unrechtsbereinigungsgesetz) beruflichen Rehabilitierungsgesetz eine zentrale Be- deutung zu. Die Betroffenen müssen in der heute, Gott Dr. Michael Luther (CDU/CSU): Noch nie habe ich sei Dank vorhandenen Freiheit, feststellen, wie ein Gesetz im Vorfeld einer ersten Lesung so oft in die schwierig es ist, im Lebensumfeld der sozialen Markt- Hand genommen und wieder beiseite gelegt, wie wirtschaft zurechtzukommen. Sie müssen feststellen, dieses heute zu diskutierende Gesetz. Wie soll man was ihnen an Ausbildung, Weiterbildung, Qualifizie- 40 Jahre DDR-Diktatur fassen, wo zur Machterhaltung rung, Berufserfahrung usw. vorenthalten wurde. politische Verfolgung und Behördenwillkür einge- Zwei Beispiele: Wie fühlt sich der Betroffene, der setzt wurden? nicht Recht studieren durfte gegenüber einem Rechts- Gesetze gab es in der DDR, aber es gab keinen anwalt — Marke DDR-konform —? Wie fühlt der Rechtsstaat. Die DDR war ein Gesetzesstaat, der das Betroffene, wenn er zusehen muß, wie der ehemalige Recht instrumentalisierte, um die Entwicklung der SED-Mann, ansonsten zu DDR-Zeiten recht liberal, gesellschaftlichen Verhältnisse voranzutreiben und heute Professor wird oder bleibt, weil er die besseren den Sozialismus zu fördern. Die sozialistische Gesetz- fachlichen Voraussetzungen mit sich bringt, und er lichkeit war lediglich auf die Interessen der Arbeiter- sich selbst heute in der Arbeitslosigkeit wiederfindet, klasse und auf die diese Klasse führende marxistisch- weil der sein Studium abbrechen mußte, weil er zur leninistische Partei ausgerichtet. Die Gesetze waren Promotion nicht zugelassen wurde, weil er von der damit im Grunde nur ein Mittel zur Erreichung Hochschule geflogen ist mit halbfertigen Ausbil- bestimmter gesellschaftlicher Zustände. dungsabschlüssen? Wenn wir die Gesetze und Verwaltungsentschei- Wissen, Bildung und Berufserfahrung sind notwen- dungen formell anwenden, dann müßten wir heute dig für den Aufbau in den neuen Ländern. Viele Opfer feststellen, daß ein Großteil der Verwaltungsentschei- von DDR-staatlicher Willkür konnten das in der Ver- dungen der DDR formalem Rechtsstaatsverständnis gangenheit nicht sammeln. Sie stehen deshalb außen genügt. Dieser Gedankengang ist schon aberwitzig. vor, und das ist das Schlimmste. Deshalb müssen wir Aber prüfen wir uns selbst. Sind wir nicht ständig in ihnen in ihrer heutigen Situation helfen, wobei ganz der Versuchung, DDR-Gesetze unter heutigen rechts- klar gesagt werden muß, Leben ist nicht wiederholbar. staatlichen Bedingungen zu werten und letztendlich Wie helfen wir? deren Fortführung und Überführung in heutige Bei den Rentnern ist es am einfachsten. Hier können rechtsstaatliche Normen zu be treiben? Ich glaube, das Rentenbezüge so gefaßt werden, als hätten sie den dürfen wir nicht tun. Akt von Berufsverbot nicht erlitten. Bezeichnen wir anders herum das Normengefüge der DDR generell als Unrecht, dann müssen wir Auch bei den Jüngeren kann man leichter helfen. eigentlich alles revidieren. Diese Gesamtrevision von Wer noch jung ist, soll lernen können. Das ist für 40 Jahren DDR können wir jedoch nicht leisten. diesen Personenkreis die beste Hilfe. Deshalb ist es, glaube ich, richtiger, wenn wir uns auf Aber wie ist es mit den Älteren, die noch nicht den zeitlichen Standort 3. Oktober 1990 begeben und Rentner sind. Auf die müssen wir unser besonderes das vorhandene Bild, das sich in den neuen Ländern Augenmerk richten. Wir müssen sie unterstützen, und zeigt, auf Rechtsstaatlichkeit prüfen. Wir können dies nicht nur dann, wenn sie Sozialhilfeempfänger letztendlich nur fragen, ob die zur politischen Verfol- sind. Hier müssen wir uns noch etwas einfallen lassen. gung dienende Maßnahme oder der Willkürakt heute Wie wäre es z. B., wenn wir für diesen Personenkreis noch meßbar ist. Und wir müssen fragen, was für den ein Altersübergangsgeld ermöglichen oder sie vor- Betroffenen heute getan werden kann. rangig in Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen überneh- Im strafrechtlichen Rehabilitierungsgesetz war men? diese Meßzahl der Zeitraum der Inhaftierung. Dafür Zu dem vorgelegten Gesetzentwurf gehört aber kann eine Entschädigung geleistet werden. Und auf auch das verwaltungsrechtliche Rehabilitierungsge- die Frage, was für den Betroffenen heute getan setz. Ich bin froh, daß die Zwangsausgesiedelten jetzt werden kann, verweisen wir in diesem Gesetz auf die endlich zu ihrem Recht kommen. Hinterbliebenen- und Beschädigtenversorgung. Aber auch dieses strafrechtliche Rehabilitierungs- Drei Anmerkungen habe ich zu diesem Gesetz, die gesetz ist nicht vollständig. Es wird der Tatbestand der zu diskutieren sind: strafrechtlichen Verfolgung im beruflichen Rehabili- 1. Warum formuliert § 1 „mit den tragenden Grund- tierungsgesetz wieder aufgegriffen, denn die berufli- sätzen eines Rechtsstaates schlechthin unvereinbar" che Benachteiligung unter sozialistischen Bedingun- und in „ihren Folgen noch unmittelbar schwer und gen hat eine in vielen Fällen wesentliche, noch heute unzumutbar fortwirkend" anstatt den Wortlaut des vorhandene Nachwirkung. Einigungsvertrages Artikel 19 schlicht „mit rechts- 14290* Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 165. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23. Juni 1993 staatlichen Grundsätzen unvereinbar" zu verwen- Beratung anstehenden Gesetzentwurf müssen wir in den? das Bild der jüngsten Geschichte unseres Volkes einordnen. Daraus erwächst für den Gesetzgeber die 2. Zum Thema Mauergrundstücke. Wollen wir allen Verpflichtung, mit dem 2. Unrechtsbereinigungsge- Ernstes behaupten, daß die Enteignungen im Zusam- setz Regelungen zu treffen, die für viele Betroffene zu menhang mit dem Mauerbau heute rechtens sind? Die einer späten Rehabilitierung führen. Um so mehr sind Mauer war ein Symbol für die Teilung Deutschlands an das zu verabschiedende Gesetz hohe Ansprüche zu und für die Machterhaltung einer Diktatur. Die Mauer stellen, da nach dem Willen der Bundesregierung war kein antifaschistischer Schutzwall gegen die dieses Gesetz den Schlußpunkt bei der juristischen imperalistischen Aggressoren, sondern eine Gefäng- Aufarbeitung von DDR-Unrecht und der Rehabilitie- nismauer zur Einsperrung des eigenen Volkes. rung der Opfer und Benachteiligten setzen soll. Es gibt das Entschädigungsargument. Ja, wer Wir alle wissen: Die Erwartungen, die an die Reha- wurde entschädigt? Die, die rechtzeitig in den Westen bilitierung von Verwaltungsunrecht und beruflicher geflohen sind, sind enteignet worden und bekommen Benachteiligung gestellt werden, sind hoch. Zu viel- ihr Eigentum zurück. Die, die dageblieben sind, die fältig waren die rechtsstaatswidrigen Methoden der Ossis wurden entschädigt. Einflußnahme und des Zwanges, mit denen DDR- Die Friedhöfe der Berliner Kirchengemeinden Organe Lebenswege und Lebenschancen von Bürge- Sophien und St. Hedwig wurden entschädigt. rinnen und Bürgern kreuzten, in tausenden Fällen 3 000 DM Jahresrate! Und zu DDR-Zeiten wurde die durchkreuzten. Entschädigung noch nicht einmal vollständig gezahlt. Warum wollen wir diese Ungerechtigkeit manifestie- Aus Anlaß des Gedenktages am 17. Juni haben sich ren? Politiker aus allen Parteien für einen Prozeß der Aussöhnung in Deutschland ausgesprochen. Ich 3. Einen guten Ansatzpunkt sehe ich in der Verwen- unterstütze dieses Ziel, das eine wesentliche Bedin- dung des Begriffes — die Entziehung eines Vermö- gung für das Zusammenwachsen in Deutschl and ist, genswertes —. In der Begründung des Gesetzes wird nachdrücklich. Um so wichtiger ist es jedoch, daß wir dazu ausgeführt: „Durch diese weite Auslegung wird jetzt endlich gesetzliche Regelungen zur Beseitigung gewährleistet, daß eine Entziehung auch in den Fällen noch wirkender Benachteiligungen aus Verwaltungs- vorliegt, in denen der Eigentümer resignierend dem unrecht und beruflicher Benachteiligung beschließen. Druck weicht und seine Vermögenswerte überträgt. " Dieses hätte schon früher geschehen müssen. Die Und weiter: „Soll z. B. das Grundstück eines Zwangs- Bundesregierung ist zu zögerlich an die Lösung dieser ausgesiedelten nach dem Verteidigungsgesetz ent- Aufgabe herangegangen. eignet werden und beugte sich der Betroffene dem Unabänderlichen und verkaufte vor der zwangswei- Wir müssen auch die Frage stellen: Ist der Kurs sen Inanspruchnahme, so wäre es nicht gerechtfertigt, richtig, den die Bundesregierung und die Koalition im hier keine Entziehung annehmen zu wollen." Wissen Bundestag steuern, nämlich die Möglichkeiten für Sie, wie das Volk formuliert: „Warum muß ich heute eine Res titution von Eigentum zu erweitern — bis hin Mieter in meinem Vaterhaus sein, welches mit Ent- zur partiellen Infragestellung der Bodenreforment- schädigung enteignet wurde, wo jedoch der Enteig- scheidungen —, gleichzeitig jedoch mit erheblichem nungszweck nie eingetreten ist. " „ Wozu bin ich denn Zeitverzug und am Ende in einem bescheidenen auf die Straße gegangen?". Ich kann es dem Mann Rahmen den Menschen einen Ausgleich zu gewäh- nicht erklären. Ich kann es dem Otto-Normal-Rechts- ren, die Schäden an der Gesundheit und in der staats-Benutzer nicht erklären. beruflichen Entwicklung davongetragen haben? Ich meine, hier werden — wie bereits bei anderen Gesetz- Wir müssen gerade in diesen Fragen nicht mehr gebungsakten — die Prioritäten falsch gesetzt. versuchen wollen nachzufragen, was denn das DDR- Justizministerium mit dieser und jener Regel gemeint Die Kürze der Redezeit gebietet, nur auf die gravie- haben könnte, und als Krönung deren Auslegung zum rendsten Probleme einzugehen, die die SPD-Bundes- Bestandteil unserer heutigen Rechtsliteratur zu tagsfraktion für die erste Lesung des Gesetzentwurfes machen und noch zu perfektionieren. Wir müssen sieht. Als Anspruchsvoraussetzung nennt der Entwurf ganz einfach akzeptieren: DDR-Gesetze und Verwal- der Bundesregierung unbes timmte Rechtsbegriffe tungsentscheidungen dienten letztendlich immer zum sowie Bedingungen, die es den Berechtigten schwer Machterhalt und sie wurden auch zu diesem Zweck machen zu prüfen, ob ihnen Rechte zustehen. Ich willkürlich produziert und angewendet. Wir müssen nenne einige davon: zum Maßstab unseres Wertens das heutige Bild her- anziehen, welches wir heute in den neuen Bundeslän- — „schlechthin Unvereinbarkeit mit tragenden dern aufnehmen. Wir müssen das reparieren, was zu Grundsätzen eines Rechtsstaates", reparieren geht. Wir müssen das lindern, was nicht zu — „die Folgen müssen noch unmittelbar und unzu- reparieren geht, und wir müssen den Be troffenen in mutbar fortwirken", ihrer heutigen Situa tion helfen. Wir können Gerech- tigkeit nicht schaffen, aber den Opfern helfen, das — „die Maßnahmen müssen der politischen Verfol- können wir. gung gedient haben". Wer die DDR-Bedingungen erlebt hat, weiß, wie Hans-Joachim Hacker (SPD): Vor einer Woche hat kompliziert die Zuordnung der unterschiedlichen der Deutsche Bundestag an die Ereignisse vor 40 Jah- Schädigungstypen unter die im Gesetzentwurf ent- ren in der damaligen DDR erinnert. Den heute zur haltenen Defini tionen ist. Wir sollten vermeiden, daß Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 165. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23. Juni 1993 14291* erst die Gerichte den betroffenen Bürgerinnen und Gruppe der Zwangsausgesiedelten. Insofern kann Bürgern den Willen des Gesetzgebers interpretieren auch die in der Stellungnahme der Bundesregierung müssen. Eine konkrete Bestimmung der berechtigten vorgetragene Argumenta tion des Bestehens eines Fallgruppen ist ganz wichtig, da es sich — wie bereits Moratoriums für die Leistungsgesetze bis 1995 nicht ausgeführt —, um das letzte Rehabilitierungsgesetz überzeugen. handelt, das die Bundesregierung vorlegen will. Die Diskussion zum Gesetzentwurf hat gezeigt, daß Ein weiteres Problem: Im verwaltungsrechtlichen die Ausschüsse noch sehr viel Arbeit werden leisten Rehabilitierungsgesetz ist ein Ausschluß sämtlicher müssen. Für die SPD-Frak tion kündige ich an, daß wir Verwaltungsentscheidungen in Steuersachen vorge- ein Anhörungsverfahren fordern werden, wobei wir sehen. Nach den Erkenntnissen aus dem Koko- für die Anhörung in einem der neuen Länder plädie- Ausschuß wird dieser absoluten Aussage keine Frak- ren. tion und Gruppe zustimmen können, da die Anwen- dung steuerrechtlicher Regelungen in nicht wenigen (F.D.P.): Das vorliegende Zweite Fällen Enteignungscharakter trug und die bekanntge- Jörg van Essen SED-Unrechtsbereinigungsgesetz ist eine notwen- wordenen Umstände der Anwendung des DDR-Steu- dige und gebotene Ergänzung des Ersten SED- errechts auf systematisch betriebene gravierende Unrechtsbereinigungsgesetzes vom 29. Oktober 1992. Repressalien schließen lassen. Während das Erste SED-Unrechtsbereinigungsgesetz Endlich löst die Bundesregierung die Zusagen sich mit den dringlichsten Fällen der Wiedergutma- gegenüber den Zwangsausgesiedelten ein und will chung befaßt — Wiedergutmachung für die Opfer ihnen das durch den DDR-Staat geraubte Vermögen politisch motivierter Strafverfolgungsmaßnahmen —, wiedergeben. Hier stellen sich einige Fragen, auf die sieht das Zweite SED-Unrechtsbereinigungsgesetz der Gesetzentwurf keine Antwort gibt: die Schaffung von Rehabilitierungsmöglichkeiten für Opfer sowohl der politischen Verfolgung im berufli- Es ist die Rede von Zwangsaussiedelungen im chen Bereich als auch für die Opfer von Verwaltungs- Grenzgebiet. Es gab auch derar tige Fälle im Inneren unrecht vor. der DDR. Es soll nun denjenigen geholfen werden, die von Weiter verdrängt die Bundesregierung das Problem Berufsverbot und rechtsstaatswidrigen Verwaltungs- der Lösung der Rückgabeforderungen der früheren entscheidungen des SED-Staates be troffen wurden. Eigentümer von Mauergrundstücken, obwohl von Die Freiheit des einzelnen zu schützen und Unrechts- Vertretern aller Parteien seit langem auf dieses Pro- maßnahmen, wo immer möglich, zu revidieren war blem hingewiesen wird. Dazu hat die Bundesjustizmi- stets Primat der liberalen Politik. Darum unterstütze nisterin dem Rechtsausschuß im März 1993 einen ich die Zielsetzung dieses Gesetzes mit Nachdruck. Bericht zugesagt, auf den der Rechtsausschuß bis heute wartet. Unter anderem werden von diesem Gesetz Wissen- schaftler erfaßt, die sich in der Lehre nicht an die dieser Stelle die Frage auf: Ist es Ich werfe an SED-Doktrin gehalten haben und deshalb mit Berufs- Absicht der Bundesregierung, die Zwangsausgesie- verbot belegt wurden. Weiterhin gehören zur Gruppe delten in die Vermögensabgabe einzubeziehen? Das der zu Entschädigenden auch Studenten, die wegen kann wohl nicht ernsthaft beabsichtigt sein! ihrer politischen Meinung zwangsexmatrikuliert wur- Ein weiterer Punkt: Für die berufliche Rehabilitie- den, sowie Inhaftierte, die nach ihrer Entlassung rung ist keine Regelung vorgesehen, nach der Betrof- beruflich benachteiligt wurden. Diese Beispiele könn- fene, denen aus sogenannten politisch-ideologischen ten beliebig fortgesetzt werden, denn die Maßnahmen Gründen der Zugang zum Abitur oder Studium ver- des SED-Unrechtsregimes waren mannigfaltig. sagt geblieben ist, als Anspruchsberechtigte nach Diese Gesetzesvorlage knüpft an die Regelungen dem Gesetz gelten. In einem früheren Gesetzentwurf des Rehabilitierungsgesetzes der ehemaligen DDR der Bundesregierung war deren Einbeziehung dage- an. Es enthielt auch Vorschriften zur beruflichen und gen vorgesehen. verwaltungsrechtlichen Rehabilita tion. Es konnte Die SPD-Bundestagsfraktion schließt sich der K ritik aber nach dem 3. Oktober 1990 nicht als Bundesrecht des Bundesrates an der vorgesehenen Tragung der übernommen werden. Zu Recht bestand und besteht Mehraufwendungen im Rentenbereich aus allgemei- bei den Betroffenen immer noch eine Hoffnung, daß nen Mitteln der Rentenversicherung an und unter- der Bundesgesetzgeber sich dieses Problems an stützt die Forderung des Bundesrates auf Änderung -nimmt, denn bisher besteht keine Möglichkeit für sie, der vorgesehenen Kostenteilung zwischen dem Bund ihr erlittenes Unrecht ausgleichen zu können. Sowohl (15 %) und den Ländern (85 %). Das dem 2. Unrechts- das Rechtsstaatsgebot als auch das Sozialstaatsgebot bereinigungsgesetz zugrunde liegende Unrecht ist im erfordern die Schaffung einer gesetzlichen Grundlage weitesten Sinne eine Kriegsfolgelast bzw. Folge der für Ausgleichsleistungen. Nachkriegsentwicklung in der SBZ/DDR, für die der An unserem guten Willen zum Ausgleich erlittener Gesamtstaat eintreten muß. Schäden fehlt es nicht. Aber uns sind die Hände durch Der Termin des Inkrafttretens, der 1. Juli 1994, und die allgemeine Finanzlage gebunden. Das Zweite die von der Bundesregierung beabsichtigte Leistungs- SED-Unrechtsbereinigungsgesetz kann deshalb nur gewährung erst ab 1995 werden bei den Be troffenen die gravierenden Fälle erfassen. Auch ist es der auf Ablehnung stoßen. Auch die SPD-Bundestags- Bundesrepublik nicht möglich, einen vollen Scha- fraktion fordert eine kurzfristige Inkraftsetzung des densersatz zu zahlen. Aber ich denke, daß allein eine Gesetzes. Das hätte insbesondere Bedeutung für die Anerkennung des den Be troffenen widerfahrenen 14292* Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 165. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23. Juni 1993

Unrechts helfen kann. Das begangene Unrecht kann Fortbildungen, Umschulungen oder Ausbildungen ohnehin nicht bereinigt oder wiedergutgemacht wer-- nachzuholen. Daneben gibt es Ausgleichsleistungen den. Das Leid der Be troffenen kann höchstens gemil- auch für die verfolgungsbedingte Bedürftigkeit. dert werden. Eine finanzielle Entschädigung ist dabei Während der letzten 40 Jahre hat es auf dem Gebiet nicht immer die einzig mögliche Form der Wiedergut- der DDR systematische Rechtsverletzungen gegeben. machung. Wichtig ist, daß die Betroffenen merken, Die zahlreichen Opfer der realsozialistischen Willkür- daß sie nicht allein gelassen werden, daß die Bundes- herrschaft haben für das ihnen widerfahrene Unrecht republik im Gegensatz zur ehemaligen DDR den und zugefügte Leid ein Recht auf Wiedergutmachung. Bürger als frei verantwortliches Individuum sieht und Die Arbeit an diesem Gesetzentwurf ist nicht leicht schützt. gewesen. 40 Jahre Behördenwillkür mußten erfaßt Die Gesetzesvorlage teilt sich in zwei große werden. Dann mußte das Gesetz in das Geflecht der Abschnitte: Der erste Artikel enthält das verwaltungs- anderen Rehabilitierungsgesetze integriert und den rechtliche Rehabilitierungsgesetz. Danach werden Personen, die bisher nach keinem dieser Gesetze hoheitliche Maßnahmen der DDR aufgehoben, die einen Anspruch auf Ausgleichszahlungen hatten, die grundsätzlich mit den rechtsstaatlichen Grundsätzen Möglichkeit einer Inanspruchnahme eingeräumt wer- der Bundesrepublik nicht im Einklang stehen. Aus- den. gangspunkt für diese Regelung ist Artikel 19 des Das Zweite SED-Unrechtsbereinigungsgesetz ist Einigungsvertrages, wonach die verwaltungsrechtli- ein guter Kompromiß, ein weiterer Baustein bei der chen Entscheidungen der ehemaligen DDR grund- Bewältigung der jüngsten deutschen Geschichte. sätzlich Bestandskraft haben. Eine Ausnahme von diesem Grundsatz macht nun das Zweite SED Unrechtsbereinigungsgesetz. Eine Aufhebung im Dr. Uwe-Jens Heuer (PDS/Linke Liste): Der dem Rahmen dieses Entwurfes ist allerdings nur dann Bundestag nunmehr von der Bundesregierung vorge- möglich, wenn der Betroffene gesundheitliche, ver- legte Entwurf eines zweiten Unrechtsbereinigungsge- mögensrechtliche oder berufliche Nachteile durch die setzes hat mich zunächst verwundert, nämlich in Entscheidung der Verwaltungsbehörden der DDR seiner gegenüber dem ersten Unrechtsbereinigungs- erfahren hat. Eine verwaltungsrechtliche Rehabilita- gesetz weitgehend veränderten Diktion. Während im tion ist möglich, wenn der Betroffene durch die ersten Unrechtsbereinigungsgesetz der Beg riff des damalige Maßnahme noch heute schwer und unzu- Unrechts ausschließlich als Kampfbegriff des fortge- mutbar beeinträchtigt wird. Diese Einschränkung ist setzten Kalten Krieges gebraucht wurde, findet er nun schon Gegenstand heftiger Kritik gewesen. Aber im Entwurf eines zweiten Unrechtsbereinigungsge- seien wir ehrlich: Der Amtsermittlungsgrundsatz, der setzes eher eine bereits im Verfahren vor dem Bun- dem Verwaltungsverfahren zugrunde liegt, erfordert desverfassungsgericht erprobte und auf den Rechts- ein arbeitsintensives Vorgehen der Behörden. In philosophen Radbruch zurückgehende dogmatische Anbetracht der Tatsache, daß die Umstände der Begründung. meisten Fälle schwer zu durchschauen, viele Unterla- Nach den Entscheidungen des Bundesverfassungs- gen nicht vorhanden sind und auch oftmals nur ein gerichtes waren nur bestimmte rechtliche Regelun- subjektiver Bericht maßgeblich sein wird, erscheint es gen des Dritten Reiches schlichtweg nichtiges sachgerecht, nur die schwersten Fälle zu entschädi- Unrecht, während dem überwiegenden Teil des gen. Rechts des Dritten Reiches der Rechtscharakter und Art und Weise der Folgeansprüche bestimmen sich damit die Bestandskraft nicht abgesprochen wurde. dann nach anderen Gesetzen. So wird eine gesund- Diese Rechtsauffassung will die Bundesregierung nun heitliche Beeinträchtigung durch Leistungen ausge- auch auf verwaltungsrechtliche Entscheidungen des glichen, die nach den Bestimmungen des Bundesver- Staates der DDR anwenden: Die überwiegende Mehr- sorgungsgesetzes gezahlt werden. Bei rechtswidrigen zahl dieser Entscheidungen soll bestandskräftig blei- Eingriffen in Vermögenswerte des Betroffenen ist ben, selbst wenn sie nach bundesdeutschen Rechts- nach Aufhebung der Maßnahme das Vermögensge- vorstellungen rechtsstaatlich bedenklich sind. setz einschlägig. Wurde jemand durch die Verwal- Die Rechtsauffassung der Bundesregierung bedeu- tungsentscheidung beruflich beeinträchtigt, so kann tet eine nicht unerhebliche Einschränkung gegenüber er nach dem beruflichen Rehabilitierungsgesetz Ent- der Formulierung in Art. 19 des Einigungsvertrages, schädigung verlangen. wonach Verwaltungsakte der DDR bereits dann reha- bilitiert werden können, wenn sie mit rechtsstaatli- Die Zwangsaussiedlung wird in diesem Abschnitt chen Grundsätzen oder mit den Regelungen des des Gesetzes gesondert geregelt. Sie wird aufgehoben Vertrages unvereinbar sind. Fragwürdig sind dabei und als mit den tragenden Grundsätzen der Bundes- die Motive der abstrakten Einschränkungen der republik, insbesondere mit dem Rechtsstaatsgebot Rehabilitierungsvoraussetzungen: Da heute immer des Art. 20 GG unvereinbar klassifiziert; eine wichtige noch Bürgerinnen und Bürger in den neuen Bundes- und notwendige Regelung. ländern straf- und verwaltungsrechtlich für ihr Enga- Der zweite Artikel der Gesetzesvorlage beinhaltet gement und ihre berufliche Tätigkeit in der DDR die berufliche Rehabilitation. Danach sollen diejeni- verfolgt werden, obwohl doch auch ihnen oder gerade gen Ausgleichsleistungen erhalten, die berufliche ihnen die neue Rechtsauffassung der Bundesregie- Nachteile durch die politische Verfolgung des SED rung zugute kommen müßte, kann ich nur vermuten, Regimes erlitten haben. Die Nachteile in der Renten- daß hier eine Rechtsauffassung nur für fiskalische versicherung werden ausgeglichen. Auch wird es den Vorteile instrumentalisiert wird, aber für die Bundes- Betroffenen ermöglicht, durch bevorzugte Förderung regierung weiter keine Bedeutung hat. Die Bundesre- Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 165. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23. Juni 1993 14293 gierung kann ihre Auffassung allenfalls damit recht- wieder zu einer indirekten Bevorzugung bestimmter fertigen, daß die Regelung in A rt. 19EV eine Kann-- Personenkreise dient. Bestimmung ist. Bedenklich ist aber die gewählte abstrakte und Dr. Wolfgang Ullmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- unbestimmte Begrifflichkeit: Sie ist gegenüber den NEN): Keinen Satz werden Sie jetzt von mir zum Inhalt konkret formulierten Voraussetzungen einer verwal- des Gesetzentwurfes zu hören bekommen. Auch auf tungsrechtlichen Rehabilitierung nach dem Rehabili- den Antrag von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN will ich tierungsgsetz der auf jeden Fall ein nicht eingehen. Denn ich brauche die knappe zur Rückschritt. Mit der abstrakten Formulierung wird Verfügung stehende Redezeit, um das Verfahren zu man nicht nur nicht die offenbar befürchtete Antrags- rügen, für das zweite Unrechtsbereinigungsgesetz flut einschränken können; m an provoziert vielmehr eine Halbstundendebatte am R ande der Tagesord- auch eine Flut von Prozessen, in denen den Ge richten nung vorzusehen. so vom Gesetzgeber eine Aufgabe aufgebürdet wird, Ein Gesetz, das zu den wich tigsten Aufgaben dieser die eigentlich der Gesetzgeber erfüllen müßte: näm- Legislaturperiode gehört, zur Erfüllung eines Auftra- lich die konkrete Bestimmung der Voraussetzungen ges, zu dem Art. 17 des Einigungsvertrages verpflich- für eine Rehabilitierung. Die Ge richte müßten noch tet — ein solches Gesetz derart zu behandeln, das ein anderes Problem bewältigen: wie in der Begrün- kann ich mir nur erklären aus einem mangelnden dung zu dem Gesetzentwurf angesprochen, müßten Bewußtsein davon, daß wir es hier mit dem Herzstück sie Normalität von Benachteiligungen im DDR-Alltag eines Kriegsfolgenlastenausgleichs zu tun haben. von den besonders krassen, den außerodentlichen Offenbar ist es noch immer nicht klar, daß die Folgen Fällen unterscheiden, bei ihrer Entscheidung die einer bedingungslosen Kapitulation, einer rechts- Verhältnisse der DDR untersuchen und berücksichti- wirksamen internationalen Verurteilung der deut- gen. schen Regierung in krassester Weise ungleich verteilt Ich halte es deshalb für erforderlich, die Fälle einer worden sind. Rehabilitierung bereits im Gesetz konkret, etwa durch Die Marginalisierung dieser mit der deutschen einen Katalog von Fallgestaltungen zu regeln und Vereinigung aktualisierten Gerechtigkeitsforderung dabei die Verhältnisse in der DDR zu berücksichtigen. beleidigt und schädigt nicht nur die betroffenen Gerade so lassen sich krasse, untragbare und damit Opfergruppen, sondern kommt der ganzen Gesell- rehabilitierungswürdige Fälle der Benachteiligung schaft teuer zu stehen. Was nützt es, angesichts immer am Maßstab dieser Verhältnisse für die Beteiligten größerer Lasten des Gemeinwesens Opfersinn und verbindlich und bestimmbar herausheben. Bereitschaft zum Teilen zu predigen, wenn die ober- Dieser Maßstab sollte auch bei der Bestimmung der sten Verfassungsorgane ständig mit Beispielen der zu entschädigenden Folgen wirksam sein. Dabei sind Entsolidarisierung und der Nichtachtung von Un- aber — gerade bei den Überlegungen zu einer beruf- rechtsopfern vorangehen? lichen Rehabilitierung — die schwerwiegenden sozia- Wenn wir schon die Marginalisierung zentraler len und finanziellen Konsequenzen und Schäden der Verantwortungen so weit treiben wie im Fa lle dieses deutschen Einheit, wie sie zu Lasten der Mehrheit der Gesetzentwurfes, wäre es dann nicht am einfachsten, Bürgerinnen und Bürger der neuen Bundesländer ganz ohne Aussprache zu überweisen? Aber wi ll das durchgeführt wurde, zu berücksichtigen. Die Rege- Parlament seine Selbstentmündigung wirk lich so weit lungen der Volkskammer zur beruflichen Rehabilitie- treiben? rung mit der Intention etwa einer bevorzugten Behandlung bei einer Ausbildung und im Beruf wür- den nun angesichts der allgemeinen Arbeitslosigkeit Rainer Funke, Parl. Staatssekretär bei der Bundes- in den neuen Bundesländern und auch der allgemei- ministerin der Justiz: Bei der Aufarbeitung der DDR nen Dequalifizierung auf eine Privilegierung der Vergangenheit hat die Wiedergutmachung, die Berei- Betroffenen gegenüber der Mehrheit der vom sozialen nigung von SED-Unrecht, herausragende Bedeutung. Abstieg betroffenen oder bedrohten Bürgerinnen und Wir alle sind verpflichtet, den Menschen zu helfen, die Bürger hinauslaufen. unter dem SED-Regime am schwersten gelitten haben: den Opfern politischer Verfolgung; ihnen muß Angesichts der allgemeinen Verfolgung von Bürge- Gerechtigkeit widerfahren. rinnen und Bürger der DDR und deren Entfernung aus beruflichen Positionen würde eine solche Privilegie- Das Sozialstaatsprinzip verpflichtet den Gesetzge- rung sogar darauf hinauslaufen, die einen Privilegier- ber, die bis heute andauernden Folgen krassesten ten durch die anderen zu ersetzen. Dies kann aber Unrechts abzumildern. Dadurch kann zwar nicht allen nicht Sinn einer Rehabilitierungsregelung sein. Erwartungen entsprochen werden, gleichwohl wird es gelingen, in einer Vielzahl von Fällen effektiv zu Ich kann den Kritikern des Gesetzentwurfes auch helfen und den Opfern einen spürbaren Ausgleich nicht dahingehend Recht geben, daß eine Verbindung ihres Verfolgungsschicksals zu verschaffen. von beruflicher Benachteiligung und dem Mo tiv der politischen Verfolgung aufgelockert werden sollte. Mit dem Strafrechtlichen Rehabilitierungsgesetz ist Gerade dieses Krite rium der politischen Verfolgung der erste, wichtigste Schritt in diese Richtung bereits dient zur Unterscheidung von einer in jedem Staat getan. Das 2. SED-Unrechtsbereinigungsgesetz, das durchgeführten, immer wieder auch ungerechten wir heute beraten, setzt diesen Weg konsequent fo rt, Auslese von Menschen in Ausbildung und Beruf. Es indem es für eine verwaltungsrechtliche und eine kann nicht angehen, daß die Rehabilitierung auch hier berufliche Rehabilitierung sorgt. 14294* Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 165. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23. Juni 1993

Nach dem Verwaltungsrechtlichen Rehabilitie- Zu Frage 4: rungsgesetz sollen hoheitliche Maßnahmen der ehe- Seit der Neustrukturierung des Post- und Fernmel- maligen DDR aufgehoben werden, wenn sie mit dewesens im Jahre 1989 nimmt das Bundesministe- tragenden Grundsätzen eines Rechtsstaats schlecht- rium für Post und Telekommunika tion vornehmlich hin unvereinbar sind, zu einem Eingriff in Gesundheit, politische und hoheitlich/regulierende Aufgaben Vermögen oder in das berufliche Fortkommen geführt wahr. Die unternehmerischen und bet rieblichen Auf- haben und ihre Folgen noch schwer und unzumutbar gaben obliegen dagegen den drei Unternehmen. fortwirken. Der Rehabilitierung von Zwangsausgesie- Dazu gehört auch die Preisbildung für ihre Pro- delten soll ein besonderer Stellenwert eingeräumt dukte. werden: Im Gesetz wird ausdrücklich festgelegt, daß die Zwangsaussiedlungen mit den tragenden Grund- Die vom Aufsichtsrat auf Vorschlag des Vorstandes sätzen eines Rechtsstaats schlechthin unvereinbar der Deutschen Bundespost POSTDIENST beschlosse- waren. nen Leistungsentgelte im Briefdienst werden nach dem Postverfassungsgesetz dem Bundesminister für Nach dem Beruflichen Rehabilitierungsgesetz sol- Post und Telekommunika tion zur Genehmigung vor- len Opfer politischer Verfolgung Ausgleichsleistun- gelegt. Die Genehmigung für die Entgeltfestsetzung gen erhalten, wenn sie verfolgungsbedingt in ihrem für das Konzept „B rief 2000", das auch die von Ihnen Beruf oder in einem berufsbezogenen Ausbildungs- angesprochenen „Büchersendungen" betrifft, hat der verhältnis erheblich benachteiligt worden sind. Ke rn BMPT im Herbst letzten Jahres erteilt. Es muß aber des Vorhabens ist dabei ein pauschalisierter Aus- deutlich gesagt werden, daß die Genehmigung nur gleich verfolgungsbedingter Nachteile in der Renten- dann versagt werden kann, wenn ein Beschluß des versicherung. Darüber hinaus sind Hilfe zur Selbst- Aufsichtsrates im Interesse der Bundesrepublik hilfe durch bevorzugte Förderung der Ausbildung, Deutschland nicht verantwortet werden kann oder beruflichen Fortbildung und Umschulung sowie wenn er gegen bestehende Rechtsvorschriften ver- Unterstützungsleistungen für besonders Bedürftige stößt. vorgesehen. Die Bundesregierung hat den Gesamtkomplex Zu Frage 5: Rehabilitierung intensiv mit den Ländern beraten. Nach dem Postverfassungsgesetz ist die Deutsche Dies war unumgänglich, hat indes einige Zeit in Bundespost POSTDIENST verpflichtet, ihre Aufwen- Anspruch genommen. Umso wichtiger ist es jetzt, daß dungen durch ihre Erträge zu decken. die parlamentarische Beratung dieses wichtigen Die Einnahmen aus der Sendungsart „Büchersen- Gesetzgebungsvorhabens zügig vorankommt. Die dung" decken seit ihrer Einführung bei weitem nicht außerordentliche Arbeitsbelastung in den Ausschüs- die durch die Bearbeitung entstehenden Kosten. sen, gerade auch im Rechtsausschuß und im Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung, ist mir bekannt. Ich Mit dem Gesamtkonzept „B rief 2000" will und muß hoffe trotzdem, daß wir rasch mit den Beratungen die Deutsche Bundespost POSTDIENST ihr Kosten- beginnen und das 2. SED-Unrechtsbereinigungsge- und Leistungsgefüge verbessern und die Qualität im setz —zum Wohle der Betroffenen—möglichst bald in Logistiknetz erhöhen, denn nur so kann sie auf Dauer diesem Hause verabschieden können. konkurrenzfähig bleiben. Es kann von daher nicht Aufgabe des Unternehmens Deutsche Bundespost Die Kritik der Gruppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN POSTDIENST sein, auf Dauer kulturpolitische Vorga- in dem heute gestellten Antrag teile ich nicht. Der ben und Funktionen zu erfüllen. Ihnen vorliegende Gesetzentwurf ist ein gelungener Kompromiß zwischen dem nach dem Sozialstaatsprin- zip Gebotenen und dem nach der derzeitigen Haus- haltslage Möglichen. Anlage 5 Antwort des Parl. Staatssekretärs Bernd Neumann auf die Frage des Abgeordneten Horst Kubatschka (SPD) (Drucksache 12/5188 Frage 6): Anlage 4 Welche Zwischenergebnisse liegen der Bundesregierung bis- her über den auf Rügen laufenden Test von Elektrofahrzeugen Antwort vor, und wie beurteilt sie diese Zwischenergebnisse? des Parl. Staatssekretärs Dr. Paul Laufs auf die Fragen Bei den Elektrofahrzeugen, die im Alltagsbetrieb des Abgeordneten Klaus Harries (CDU/CSU) (Druck- auf der Insel Rügen im Rahmen des vom BMFT sache 12/5188 Fragen 4 und 5): geförderten Projekts erprobt werden sollen, handelt es Hat die Bundesregierung bei der Einführung neuer Posttarife sich um Elektrofahrzeuge der neuesten Genera tion, für Büchersendungen bedacht, daß es bisher aus guten Gründen die weder am Markt erhältlich sind, noch in Se rie überzeugende Politik gewesen ist, im Interesse von Literatur, produziert werden. Es sind Prototypfahrzeuge, die mit dem Verlagswesen und der Nutzung von Büchern von besonde- ren Belastungen abzusehen? im Labor bzw. in Kleinfertigung hergestellten Hoch- energiebatterien (Natrium/Schwefel, Nickel/Cad- Sieht die Bundesregierung, daß die neuen postalischen Rege- mium, Natrium/Nickelchlorid), mit neuesten Prototy- lungen das Verlagswesen generell, Verkauf und Versand von Büchern wesentlich und, wie ich fürchte, unzumutbar beein- pantriebsmotoren und modernsten Antriebsmanage- trächtigen? mentsystemen ausgerüstet sind. Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 165. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23. Juni 1993 14295*

Anfänglich hatten die beteiligten Firmen angenom- — wie in dem Jahresgutachten vorgeschlagen — neue Pro- men, daß die Fahrversuche unmittelbar nach dem gramme zur Sensibilisierung der Bürger für globale Umweltpro- bleme initiieren? Zusammenbau beginnen könnten. Deshalb ging die ursprüngliche Planung davon aus, daß von den insge- samt 60 vorgesehenen Fahrzeugen am Ende des Auf Grund der angespannten Haushaltslage er- 2. Quartals 1993 51 im Einsatz sein würden. Tatsäch- scheint eine Anhebung des Anteils der staatlichen lich aber erwies sich die Systemintegration zu einer Entwicklungshilfe auf 0,7 % des Bruttosozialprodukts eigenen und schwierigen Forschungsaufgabe. Die in absehbarer Zeit unrealistisch. Systemintegration dieser neuartigen Komponenten Das gleiche gilt für eine Steigerung auf 1 %, selbst und Subsysteme hat bei allen Fahrzeugherstellern wenn die laufenden Beratungen im Rahmen des (Mercedes Benz, VW, Opel, BMW) zu Zeitverzöge- Entwicklungshilfeausschusses (DAC) der OECD über rung bei der Bereitstellung der Elektrofahrzeuge für eine Neudefinition der DAC-Liste der Entwicklungs- den Einsatz auf Rügen geführt. Außerdem haben sich länder zu dem Ergebnis führen sollten, daß über die gravierende Schwierigkeiten bei Bau und Lieferung bereits in die Liste aufgenommenen 5 zentralasiati- der Hochleistungsbatterien ergeben. Dies ist insbe- schen Republiken der Gemeinschaft Unabhängiger sondere auch auf die im Rahmen des „ Rügenver- Staaten hinaus weitere Staaten als Entwicklungslän- suchs " durchgeführten Sicherheitsuntersuchungen der anerkannt werden. der Hochleistungsbatterien zurückzuführen. So mußte z. B. ein Batterietyp, obwohl schon auf der Insel Angesichts des vergleichsweise hohen Pro-Kopf- im Einsatz, auf Grund der Sicherheitsuntersuchungen Einkommens und sonstiger bei der Definition von zunächst zurückgezogen werden. Dieser Typ wird zur Entwicklungsländern zugrundegelegter Kriterien Zeit weiterentwickelt und kommt sehr wahrscheinlich wird eine generelle Einbeziehung osteuropäischer nicht vor Herbst d. J. wieder zum Einsatz. Der Feld- Staaten in die Entwicklungsländerliste nicht erwogen. versuch „Rügen" hat offengelegt, daß die Entwick- Im übrigen hat die Mehrheit der osteuropäischen lung von Elektrofahrzeugen der nächsten Generation Staaten eine Aufnahme in die DAC-Entwicklungslän- alles andere als trivial ist und welche Schwierigkeiten derliste auch nicht beantragt. bei der Entwicklung tatsächlich noch bestehen. Die Bundesregierung leistet erhebliche finanzielle Wegen des wesentlich größer gewordenen For- Hilfe für die Staaten Mittel- und Osteuropas bei deren schungsgehaltes des Projektes auf Grund der aufge- Umbau staatlicher Strukturen, insbesondere auch im zeigten Schwierigkeiten sind bis Mitte Juni 1993 Bereich des Umwelt- und Naturschutzes. 16 Elektrofahrzeuge der neuesten Generation nach Die Bundesregierung hat sich bereits in der Vergan- Rügen geliefert worden, davon sind 11 im täglichen genheit — vor allem im Rahmen der UN-Konferenz für Einsatz. Der Versuchsbetrieb bringt es mit sich, daß an Umwelt und Entwicklung — darum bemüht, durch einigen Fahrzeugen zwischen den Versuchsfahrten entsprechende Öffentlichkeitsarbeit in der Bevölke- Veränderungen, Umbauten und Messungen vorge- rung der Bundesrepublik Deutschland Verhaltensän- nommen werden. Die dadurch entstehenden Liege- derungen im Sinne einer weltweiten Umweltpartner- zeiten sind zur Gewinnung technischer Kenntnisse schaft herbeizuführen, den ökologischen Generatio- und Erfahrungen unumgänglich. nenvertrag zu verdeutlichen und zu einem verant- Aus den technischen Vorbereitungen für den Fahr- wortlichen Umgang mit den Ressourcen der Industrie- versuch auf Rügen ist für die deutsche Automobil- und gesellschaft aufzurufen. Die Sensibilisierung der Bür- Batterie-Industrie eine Forschungsaufgabe entstan- ger für globale Umweltthemen wird auch weiterhin den, die anfangs, ohne praktische Versuche, nicht zu ein wichtiger Bestandteil der Aufklärungsarbeit der erkennen war. Der Rügenversuch ist gleichermaßen Bundesregierung sein. Daneben wird die Bevölke- Prüfstein für den Reifegrad der neuen Technologien rung kontinuierlich über den Fortgang der nationalen und Motor für intensive Entwicklungsanstrengungen und internationalen Beratungen im Hinblick auf den geworden. Der heute in der Industrie entstandene Follow-up-Prozeß zur UN-Konferenz für Umwelt und Kenntnisstand ist nicht mehr zu vergleichen mit den Entwicklung informiert. Ausgangsannahmen vor Start des Projektes. „Rügen" Im Bereich der Forschung sollen über einen ver- läuft auf vollen Touren, aber die eigentliche For- stärkten Transfer von Forschungsergebnissen und schungsarbeit findet „vor Rügen" in den Labors der ihre gezielte Aufbereitung die sachgemäße Informa- Firmen statt. tion der Öffentlichkeit verbessert werden. Im übrigen weise ich darauf hin, daß die beiden für den Beirat zuständigen Minister bereits eine ausführ- liche Bewertung des Gutachtens durch die Bundesre- Anlage 6 gierung angekündigt haben. Antwort des Parl. Staatssekretärs Hans-Peter Repnik auf die Frage des Abgeordneten Dr. Klaus Kübler (SPD) (Drucksache 12/5188 Frage 7): Anlage 7 Wie bewertet die Bundesregierung den im Jahresgutachten 1993 des Wissenschaftlichen Beirates der Bundesregierung Antwort Globale Umweltveränderungen (WBGU) der Bundesregierung des Parl. Staatssekretärs Rainer Funke auf die Frage unterbreiteten Vorschlag einer Erhöhung der Entwicklungshilfe auf 1 % BSP bei Neudefinition der Zugehörigkeit zu Entwick- des Abgeordneten Ortwin Lowack (fraktionslos) lungsländern unter Einbeziehung Osteuropas, und wird sie (Drucksache 12/5188 Frage 8): 14296' Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 165. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23. Juni 1993

Aus welcher Passage des Entwurfs für eine abschließende Anlage 8 völkerrechtliche Regelung in bezug auf Deutschland der dama- ligen Sowjetunion vom 17. August 1990 hat die Bundesregierung Antwort den Schluß gezogen, daß die alte Sowjetunion nicht nur auf einer Anerkennung der Legitimität von Enteignungen von 1945 bis des Parl. Staatssekretärs Horst Günther auf die Fragen 1949 bestand, sondern darüber hinaus eine Unumkehrbarkeit des Abgeordneten Dr. Jürgen Meyer (Ulm) (SPD) dieser Enteignungen verlangte (vgl. Antwort des Parlamentari- (Drucksache 12/5188 Fragen 10 und 11) schen Staatssekretärs Rainer Funke in der Fragestunde des Deutschen Bundestages vom 25. September 1991)? Welche Maßnahmen gedenkt die Bundesregierung zu ergrei- fen, um die Wettbewerbsverzerrung durch ausländische Firmen zu Lasten inländischer Baufirmen durch das nachweislich maß- lose Überziehen vereinbarter Werkvertragskontingente und durch Lohnzahlung unter Tarif aufzuheben? Der Entwurf vom 17. August 1990 muß im Kontext der von der damaligen Sowjetunion eingenommenen Gedenkt die Bundesregierung, die Werkvertragsregelungen Haltung in den Verhandlungen und den sie begleiten- abzuschaffen und durch bef ristete Arbeitsverträge zu inländi- den bilateralen Gesprächen gesehen werden, die zum schen Arbeitsbedingungen zu ersetzen? Abschluß des „Vertrages über die abschließende Regelung in bezug auf Deutschland" führten. Diese Zu Fragen 10 und 11: Haltung ging stets dahin, daß die Legitimität aller Die Bundesregierung hat unverzüglich nach Be- unter ihrer Besatzungshoheit in den Jahren zwischen kanntwerden der Überziehung der Werkvertragskon- 1945 und 1949 getroffenen Maßnahmen nicht mehr tingente einen Zulassungsstopp für neue Werkver- zur Disposition gestellt werden dürften und unum- tragsarbeitnehmer aus Polen, der Tschechei, der Slo- kehrbar seien. wakei sowie Rumänien veranlaßt. Darüber hinaus hat die Bundesregierung eine ganze Reihe von Maßnah- In den Sowjetischen Verlautbarungen stehen die men eingeleitet, die sicherstellen sollen, daß illegale Begriffe „Legitimität" und „Unumkehrbarkeit" in Praktiken, die im Gefolge der Beschäftigung von einem untrennbaren, auf die Enteignungen als solche Werkvertragsarbeitnehmern aufgetreten sind (Lohn- bezogenen Zusammenhang: Wer die Enteignung fak- dumping, Beschäftigung ohne Arbeitserlaubnis, Ar- tisch umkehrt (d. h. in dem Sinne rückgängig macht, beitnehmerüberlassung), wirksam bekämpft und die daß er dem Alteigentümer sein früheres Eigentum Arbeitserlaubnisse für Werkvertragsarbeitnehmer allein aus dem Grunde zurücküberträgt, weil er sei- auch zahlenmäßig zurückgeführt werden. nerzeit enteignet worden ist), der leugnet damit Die Bundesregierung beabsichtigt nicht, die Werk- logisch zwingend auch die rechtliche Legitimität die- vertragsvereinbarungen abzuschaffen und durch be- ser Enteignung. Dagegen hat sich die Sowjetunion fristete Arbeitsverträge mit inländischen Arbeitge- verwahrt. Mit der später im Gefolge der Enteignungen bern zu hiesigen Arbeitsbedingungen zu ersetzen. entstandenen Neuordnung der Eigentumsverhält- Diese Vereinbarungen sehen ohnehin die Zahlung nisse und deren Unumkehrbarkeit im Sinne einer deutscher Tariflöhne vor. Insbesondere außenpoliti- Festschreibung für alle Zukunft hat dies nicht das sche, arbeitsmarktpolitische und EG-rechtliche Über- geringste zu tun. Der Sowjetunion war selbstverständ- legungen sprechen gegen eine Abschaffung von lich bewußt, daß die DDR im Zuge der sich anbahnen- Werkverträgen und eine unmittelbare Beschäftigung den Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion auf dem von ausländischen Arbeitnehmern bei deutschen Weg zur deutschen Einheit in eine marktwirtschaftlich Arbeitgebern. orientierte und privatrechtlich strukturierte Eigen- tumsordnung hineinsteuerte, in der auch die Veräu- ßerung des ehemaligen Volkseigentums möglich sein würde. Dem hat sich die Sowjetunion in der Tat nicht Anlage 9 widersetzt, aber das ist auch ein völlig anderes Antwort Thema. des Parl. Staatssekretärs Horst Günther auf die Frage Ich darf in diesem Zusammenhang abschließend auf des Abgeordneten Ludwig Stiegler (SPD) (Drucksa- den jüngst ergangenen Beschluß des Bundesverfas- che 12/5188 Frage 12): sungsgerichts vom 15. April 1993 — 1 BvR 1885/92 Wie ist der Stand der Beratungen der Bundesregierung über die Kündigung und Änderung der Werkvertragsabkommen, und — (veröffentlicht in ZOV 1993, S. 180) hinweisen, in bis wann kann damit gerechnet werden, daß der durch die dem sich das Ge richt erneut mit der hier zu erörtern- Werkvertragsabkommen verursachte Verdrängungswettbe- den Thematik auseinandergesetzt hat. Das Ge richt werb zu Lasten inländischer Arbeitnehmerinnen und Arbeitneh- hat nach nochmaliger Prüfung der Sach- und Rechts- mer beendet sein wird? lage an der im Bodenreform-Urteil enthaltenen recht- lichen Würdigung festgehalten und dazu ausge- Die Bundesregierung hat wiederholt deutlich führt: gemacht, daß sie aus außenwirtschafts-, handels- und entwicklungspolitischen Gründen an dem Instrument „Die dem Urteil vom 23. April 1991 zugrunde der Werkverträge festhält. Sie ist aber der Auffassung, liegende mündliche Verhandlung hat ergeben, daß es daß Mißstände und illegale Praktiken bekämpft wer- der Sowjetunion im Ganzen darauf ankam, die unter den müssen. Es wurde eine Reihe von Maßnahmen ihrer Oberhoheit als Besatzungsmacht durchgeführ- eingeleitet, um Lohndumping und Wettbewerbsver- ten Maßnahmen, die ihren rechts-, wirtschafts- und zerrungen entgegenzuwirken. gesellschaftspolitischen Vorstellungen entsprachen, Mißbräuche und illegale Praktiken sind letztlich nicht nachträglich zur Disposition des besiegten nicht auf die Tätigkeit von Werkvertragsarbeitneh- Deutschlands zu stellen". mern zurückzuführen. Dies haben die bundesweiten Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 165. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23. Juni 1993 14297*

Schwerpunktprüfungen der Bundesanstalt für Arbeit Abs. 2 des Richtlinienvorschlags so weit wie möglich in den letzten Monaten deutlich gezeigt. zu folgen. Sie können aber auch von dieser Empfeh- lung abweichen, wenn sachliche Gründe dies ihres Im übrigen prüft das Bundesministerium für Arbeit Erachtens erfordern. und Sozialordnung mit der Bauwirtschaft z. Zt. einen Vorschlag der Bauverbände, nach dem im Wege der Ob und inwieweit diese Richtlinien-Empfehlung Auszahlung des örtsüblichen Lohnes (Tariflohnes) zur Ruhezeit an Sonntagen in den anderen EG- durch den deutschen Auftraggeber direkt an den Staaten Auswirkungen auf das produzierende Ge- ausländischen Werkvertragsarbeitnehmer sicherge- werbe, insbesondere die Textilindustrie, haben wird, stellt werden soll, daß der ausländische Arbeitnehmer läßt sich zum jetzigen Zeitpunkt nicht sagen. Nach der auch den tariflichen Lohn erhält. endgültigen Verabschiedung des Richtlinienvor- schlags haben die Mitgliedstaaten 3 Jahre Zeit, die Richtlinienbestimmungen in nationales Recht umzu- setzen. Hierbei haben sie Regelungen zur Arbeit an Sonn- und Feiertagen zu treffen. Anlage 10 Im übrigen ist es den Mitgliedstaaten überlassen, Antwort für eine angemessene Kontrolle und Überwachung des Parl. Staatssekretärs Horst Günther auf die Fragen der Richtlinienbestimmungen Sorge zu tragen. (CDU/CSU) des Abgeordneten Karl-Josef Laumann Die Kontrolle darüber, ob die Richtlinie in inner- (Drucksache 12/5188 Fragen 13 und 14): staatliches Recht umgesetzt ist, erfolgt auf der Grund- Vor dem Hintergrund, daß die Arbeitsminister der EG sich auf lage der in Artikel 18 des Richtlinienvorschlags eine EG-Richtlinie zur Arbeitszeit verständigt haben, in der es heißt, jeder EG-Arbeitnehmer hat Anspruch auf eine wöchent- genannten Verpflichtungen der Mitgliedstaaten. Die liche Ruhezeit von 35 Stunden, die grundsätzlich den Sonntag Mitgliedstaaten teilen danach der Kommission den einzuschließen hat, frage ich die Bundesregierung, welche Wortlaut der innerstaatlichen Rechtsvorschriften mit, Auswirkungen hat diese Richtlinie auf die Sonntagsarbeit im durch die die Mindeststandards der Richtlinie erfüllt produzierenden Gewerbe in den anderen EG-Staaten, insbeson- werden. Ist die Kommission der Auffassung, daß ein dere in der Textilindustrie, und durch wen wird das Einhalten dieser Richtlinie kontrolliert und durchgesetzt? Mitgliedstaat seiner Verpflichtung zur Umsetzung der Wie erfolgt die Kontrolle zur Einhaltung und Durchsetzung Richtlinie in nationales Recht nicht nachgekommen dieser Richtlinie, und inwieweit wird der Deutsche Bundestag ist, kann sie den Europäischen Gerichtshof in einem bei einer Novellierung des Arbeitszeitgesetzes durch diese Vertragsverletzungsverfahren anrufen. Richtlinie eingeschränkt?

Zu Frage 14: Zu Frage 13: Am 1. Juni 1993 hat der Rat der Arbeits- und In der Bundesrepublik Deutschland sollen die Bestimmungen des Richtlinienvorschlags „Arbeits- Sozialminister der EG den Gemeinsamen St andpunkt zeitgestaltung" durch den Entwurf eines Gesetzes zur zum Richtlinienvorschlag Arbeitszeitgestaltung be- Vereinheitlichung und Flexibilisierung des Arbeits- schlossen (Deutschland hat unter Vorbehalt zuge- zeitrechts in nationales Recht umgesetzt werden. Der stimmt) . Gesetzentwurf wird derzeit innerhalb der Bundesre- In Artikel 5 des Richtlinienvorschlags ist vorgese- gierung abgestimmt. hen, daß die Mitgliedstaaten die erforderlichen Maß- nahmen zu treffen haben, „um sicherzustellen, daß Im Gesetzentwurf ist vorgesehen, daß die Einhal- jedem Arbeitnehmer pro Siebentageszeitraum eine tung der Vorschriften des Gesetzes entsprechend der kontinuierliche Mindestruhezeit von 24 Stunden Kompetenzverteilung des Grundgesetzes von den zuzüglich der täglichen Ruhezeit von 11 Stunden nach Landesrecht zuständigen Aufsichtsbehörden zu gemäß Artikel 3 gewährt wird" (Absatz 1). Die 35stün- überwachen ist. Dies sind in der Regel die Gewerbe- dige Mindestruhezeit gemäß Artikel 5 Abs. 1 des aufsichtsämter. Richtlinienvorschlags schließt grundsätzlich den Im Richtlinienentwurf werden Mindestvorschriften Sonntag ein (Artikel 5 Abs. 2). Wenn objektive, zur Arbeitszeitgestaltung festgelegt, die grundsätz- technische oder arbeitsorganisatorische Umstände lich nicht über das geltende Recht hinausgehen. dies rechtfertigen, kann eine Mindestruhezeit von Weitergehende Vorschriften sind lediglich zur Nacht- 24 Stunden gewählt werden (Artikel 5 Abs. 3). arbeit und zum Mindesturlaub (4 Wochen) vorgese- Zu den Regelungen der wöchentlichen Ruhezeit des hen. Selbstverständlich kann der Deutsche Bundestag Artikels 5 des Richtlinienvorschlags wird in den Erwä- über die in der Richtlinie festgelegten Mindeststan- gungsgründen ausgeführt: „Bei der wöchentlichen dards hinausgehen. Ruhezeit muß der Unterschiedlichkeit der kulturellen, ethnischen, religiösen und anderen Faktoren hinrei- chend Rechnung getragen werden, die in den Mit- gliedstaaten ausschlaggebend sind. Insbesondere fällt es in den Zuständigkeitsbereich eines jeden Anlage 11 Mitgliedstaats, letztlich darüber zu befinden, ob und in welchem Maße der Sonntag in die wöchentliche Antwort Ruhezeit einzubeziehen ist." des Parl. Staatssekretärs Horst Günther auf die Fragen Gleichwohl sind die Mitgliedstaaten nach deutscher des Abgeordneten Adolf Ostertag (SPD) (Drucksache Auffassung gehalten, der Empfehlung des Artikels 5 12/5188 Fragen 15 und 16): 14298' Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 165. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23. Juni 1993

Aus welchen Gründen war die Bundesregierung bisher nicht der Bundesanstalt für Arbeit hat zu dem Vorgang in der Lage, einen Gesetzentwurf mit Regelungen über den bereits im letzten Jahr eingehend Stellung genom- Arbeitnehmerdatenschutz vorzulegen, obwohl bereits Mitte der 80er Jahre die Datenschutzbeauftragten des Bundes und der men. Abschlußberichte von Weiterbildungsträgern Lander sowie der Deutsche Bundestag entsprechende Regelun- sind im Interesse einer effektiven beruflichen Weiter- gen angesichts der völlig unbefriedigend geregelten Rechtslage bildungsförderung und einer raschen beruflichen forderten, und wie ist das Fehlen einer sachgerechten Lösung in Wiedereingliederung notwendig. Bundesregierung Einklang zu bringen mit mehrfachen Äußerungen des Bundes- ministeriums für Arbeit und Sozialordnung, wonach auch die und Vorstand der Bundesanstalt für Arbeit teilen Bundesregierung ein Regelungsbedürfnis sehe? jedoch die vom Bundesbeauftragten für Datenschutz Wie beurteilt die Bundesregierung den im 14. Tätigkeitsbe- vertretene Auffassung, daß sich der Inhalt von not- richt des Bundesbeauftragten für den Datenschutz kritisierten wendigen Abschlußberichten deshalb auf Ausführun- Umstand, daß Maßnahmenträger bei der Fortbildung und gen zum Maßnahmeerfolg sowie auf die mit der Umschulung von Arbeitslosen unzulässige ,, Sozial-Dossiers" mit Arbeitsvermittlung zusammenhängenden Fragen be- diskriminierenden Ausführungen und in die Persönlichkeit von Arbeitslosen eingreifende psychologische Bewe rtungen erstell- schränken muß. Abwertende oder gar diskriminie- ten und an das jeweilige Arbeitsamt weitergeleitet ha ben, und rende Äußerungen sind daher nicht zu verwenden wie will die Bundesregierung sicherstellen, daß die Einhaltung und zu speichern. Über diese Grundsätze ist bereits in bestehender datenschutzrechtlicher Bestimmungen im Rahmen einer Besprechung, an der im Januar 1990 Vertreter der Vertragsgestaltung zwischen Bundesanstalt für Arbeit und Maßnahmenträgern berücksichtigt werden? der Bundesanstalt für Arbeit, der Arbeitsgemeinschaf- ten der Berufsförderungs- und Berufsbildungswerke, des Bundesbeauftragten für den Datenschutz und des Zu Frage 15: Bundesministeriums für Arbeit und Sozialordnung Arbeitnehmer sind bei der Erhebung, Verarbeitung teilnahmen, Einigkeit im Hinblick auf Rehabilitations- und Nutzung ihrer Daten durch den Arbeitgeber maßnahmen hergestellt worden. durch das in der Verfassung garantierte Recht auf Persönlichkeitsschutz und dessen Auslegung für das Im Bereich der beruflichen Rehabilita tion wird Arbeitsverhältnis durch die Rechtsprechung, durch bereits in die Kostensatzvereinbarung der Bundesan- die Regelung des Bundesdatenschutzgesetzes sowie stalt für Arbeit mit dem Träger eine Klausel aufge- durch die Regelungen des Betriebsverfassungsgeset- nommen, wonach die Einrichtung die Bestimmungen zes bzw. der Personalvertretungsgesetze über die des Datenschutzes beachtet. Es wird von uns ange- Mitwirkungs- und Mitbestimmungsrechte des Be- strebt, daß eine entsprechende datenschutzrechtliche triebsrats bzw. Personalrats in ihrem Kern ge- Generalklausel generell in Verträge zwischen der schützt. Bundesanstalt für Arbeit und Weiterbildungsträgern aufgenommen wird. Der kollektive Arbeitnehmerdatenschutz ist in wesentlichen Grundzügen bereits heute durch ein- Halten die Einrichtungen die datenschutzrechtli- schlägige Vorschriften des Betriebsverfassungsgeset- chen Bestimmungen im Einzelfall nicht ein, ist für zes gesetzlich geregelt, vergleichbare gesetzliche derartige Vorstöße primär die Datenschutzaufsichts- Regelungen fehlen im Bereich des individuellen behörde des Bundesland zuständig, in dem sich die Arbeitnehmerdatenschutzes. Einrichtung befindet. Bei konfessionellen Trägern ist es die kirchliche Aufsichtsbehörde. Eine systemkonforme bereichsspezifische Sonder- regelung für Arbeitnehmerdaten ist nur auf der — auch gesellschaftlich akzeptierten — Grundlage eines allgemeinen Datenschutzrechtes erreichbar. Da das Bundesdatenschutzgesetz vom 27. Dezember 1977 insbesondere Ende der 80er Jahre grundlegend Anlage 12 überarbeitet wurde und diese Novellierung zur heuti- gen Fassung des Bundesdatenschutzgesetzes vom Antwort 20. Dezember 1990 führte, war eine zeitgleiche Bear- des Parl. Staatssekretärs Horst Günther auf die Frage beitung einer auf dem Bundesdatenschutzgesetz auf- des Abgeordneten Rolf Schwanitz (SPD) (Drucksache bauenden bereichsspezifischen Sonderregelung nicht 12/5188 Frage 17): angezeigt. Kann die Bundesregierung Informa tionen bestätigen, wonach Nach Inkrafttreten des Bundesdatenschutzgesetzes die Rentenversicherungsträger in den neuen Bundesländern seit konnten die Arbeiten zur Schaffung eines Arbeitneh- dem 1. April 1993 an entsprechende Antragsteller keine Abschlagszahlungen mehr vornehmen, sondern diese — mit merdatenschutzgesetzes nicht wie ursprünglich ge- dem Argument der Arbeitsüberlastung — direkt an die Sozial- plant unverzüglich aufgenommen werden, weil eine ämter verweisen, und — wenn diese Informationen zuträfen — Fülle einigungsbedingter Gesetzgebungsvorhaben es was würde die Bundesregierung hiergegen unternehmen? erforderlich machte, zeitlich gestaffelt vorzugehen. Die Bundesregierung erarbeitet jedoch derzeit den Die Bundesregierung kann derartige Informationen entsprechenden Referentenentwurf. — auch nach Einholung von Auskünften der Bundes- versicherungsanstalt für Angestellte und des Verban- Zu Frage 16 des Deutscher Rentenversicherungsträger — nicht bestätigen. Die vom Bundesbeauftragten für den Datenschutz in seinem 14. Tätigkeitsbericht wiedergegebenen Soweit Ihnen entsprechende Einzelfälle bekannt Zitate stammen aus Abschlußberichten eines einzigen sind, ist die Bundesregierung gerne bereit, diesen Weiterbildungsträgers. Die Berichte wurden im ver- Fällen — unter Einschaltung der zuständigen Auf- gangenen Jahr ausnahmslos vernichtet. Der Vorstand sichtsbehörden — nachzugehen. Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 165. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23. Juni 1993 14299

Denn eine solche Praxis wäre mit dem geltenden Zu Frage 19: - Recht nicht vereinbar. Die Rentenversicherungsträger Die Bundesregierung hat in der IMO eine Reihe von sind gemäß § 42 des Ersten Buches Sozialgesetzbuch schiffssicherheitspolitischen Initiativen eingebracht, verpflichtet, auf Antrag des Berechtigten Vorschüsse die größtenteils bereits bei der Sitzung des Schiffssi- zu zahlen, wenn feststeht, daß ein Anspruch auf eine cherheitsausschusses Ende Mai 1993 die Unterstüt- Geldleistung dem Grunde nach besteht und zur Fest- zung der übrigen Mitgliedstaaten gefunden und zu stellung der Höhe des Anspruchs voraussichtlich län- greifbaren Ergebnissen geführt haben. Der IMO-Rat gere Zeit erforderlich ist. Dies setzt allerdings voraus, hat auf seiner letzten Sitzung am 14./15. Juni 1993 daß die Anspruchsvoraussetzungen für die jewei lige folgendes beschlossen: Rentenleistung auch tatsächlich dem Grunde nach feststehen. Bei Anträgen auf Berufs- und Erwerbsun- — Erarbeitung von Regeln zum Einrichten verbindli- fähigkeitsrenten muß daher z. B. auch die entspre- cher küstenferner Wege für bestimmte Schiffsklas- chende Minderung der Erwerbsfähigkeit feststehen. sen mit bestimmten schädlichen Stoffen als Mas- Das kann in den neuen Bundesländern nicht anders sengut (Tanker) in Verbindung mit der Einrichtung gehandhabt werden als in den alten. verbindlicher Meldepflichten und landgestützter Überwachungssysteme. Der Rat hat sich für eine schnelle Umsetzung ausgesprochen. — Änderung des SOLAS-Übereinkommens, um die Anlage 13 Zeit zwischen der Verabschiedung und dem Antwort Inkraftsetzen von Änderungen erheblich zu ver- kürzen. In außergewöhnlich dringlichen Fällen soll des Parl. Staatssekretärs Manfred Carstens auf die ein beschleunigtes Inkraftsetzungsverfahren ein- Fragen der Abgeordneten Dr. Margrit Wetzel (SPD) geführt werden, durch das Änderungen bereits (Drucksache 12/5188 Fragen 18 und 19): nach 6 statt bisher 12 Monaten als angenommen Welche schiffahrtspolitischen Konsequenzen zieht die Bun- gelten, sofern die notwendige Anzahl von Ver- desregierung aus den Ergebnissen der letzten EG-Ministerrats- tragsstaaten nicht widersprochen hat. tagungen in Verbindung mit den eindeutigen Handlungsaufträ- gen, die sich aus der Anhörung des Verkehrsausschusses vom — Einen kurzen Zeitplan für die notwendige Weiter- 28. Mai 1993 zum Thema „Tankerunfälle, Schiffs- und Küsten- entwicklung des Übereinkommens von 1978 über sicherheit" ergeben haben? die Ausbildung, die Erteilung von Befähigungs- zeugnissen und für den Wachdienst von Seeleuten Welche konkreten Vorschläge zur Verbesserung der schiff- fahrts- und schiffssicherheitspolitischen Rahmenbedingungen bis zu der Revisionskonferenz im Juli 1995. haben die Vertreter der Bundesrepublik Deutschland in die IMO — Auf deutschen Vorschlag hin gemeinsame Sonder- — (Internationale Maritime Organization) — Ratssitzung am 14. und 15. Juni 1993 eingebracht und durchgesetzt? sitzung des Schiffssicherheitsausschusses und des Ausschusses für den Schutz der Meeresumwelt während der IMO-Vollversammiung im Oktober Zu Frage 18: 1993; hier sollen die künftigen Schwerpunkte der Die vom Bundeskabinett am 13. J anuar 1993 einge- Schiffssicherheits- und Umweltschutzpolitik der setzte interministerielle Arbeitsgruppe „Tankersi- IMO festgelegt werden. cherheit" wird in ihrem Abschlußbericht das Ergebnis der Sachverständigenanhörung vor dem Verkehrs- ausschuß des Deutschen Bundestages vom 28. Mai 1993 sowie die vom Verkehrsministerrat am 7./8. Juni 1993 verabschiedete Entschließung über eine ge- Anlage 14 meinsame Politik im Bereich der Sicherheit im Seever- Antwort kehr berücksichtigen und dem Kabinett vorschlagen, über die am 17. Februar 1993 im Kabinett bereits des Parl. Staatssekretärs Manfred Carstens auf die beschlossenen Maßnahmen hinaus weitere zu treffen. Frage des Abgeordneten Robert Antretter (SPD) Desweiteren wird sich die Bundesregierung im Rah- (Drucksache 12/5188 Frage 20): men der auch von ihr initiierten Beratungen in der Aus welchem Grund ist der Weiterbau der B 14 von Winnen IMO, der EG und im Rahmen der Pariser Vereinba- den nach Backnang im neuen Fünfjahresplan nicht mehr ent- halten, obgleich er im Fünfjahresplan 1985 bis 1990 vorgesehen rung über die Hafenstaatkontrolle von 1982 dafür war, und sieht die Bundesregierung Möglichkeiten — und einsetzen, daß die vorrangigen Maßnahmen zur Ver- gegebenenfalls welche —, dieses Projekt noch in den nunmehr besserung des Ausbildungsstandes der Tankerbesat- anlaufenden Fünfjahresplan aufzunehmen? zungen, Anerkennung von Klassifikationsgesell- schaften und die Intensivierung der Kon trollen in den Im Vorspann des 5-Jahresplanes, der ja ein Baupro- Häfen schnellstens verbindlich eingeführt werden. gramm darstellt, steht ausdrücklich und in der Aus- Auch der dem Bundesrat vorliegende Entwurf der schußdrucksache 430 des Verkehrsausschusses nach- 6. MARPOL-Änderungsverordnung ist ein Beitrag zur lesbar, daß die Auswahl der Maßnahmen dem jetzi- Verbesserung der Meeresumwelt. Darin schreibt das gen Planungsstand entspricht. Dies ist so auch mit der Bundesverkehrsministerium mit Wirkung vom 6. Juli Koalitionsregierung des Landes Baden-Württemberg 1993 unter anderem Maßnahmen zur Verhinderung abgestimmt. Änderungen sind entsprechend dem Pla- der Meeresverschmutzung durch Schiffe die Doppel- nungsfortschritt möglich. Das bedeutet, daß bei Pla- hüllenbauweise für Tankerneubauten und die Be- nungsverzögerungen andere Maßnahmen des Be- grenzung der Lebensdauer vorhandener Tanker auf darfsplanes, die nicht im 5-Jahresplan enthalten sind, 25 bzw. 30 Jahre vor. im Austausch in den aktuellen Pl an aufgenommen 14300* Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 165. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23. Juni 1993 werden können. Dies entspricht dem Vorgehen auch Zu Frage 25: (C - in den vergangenen 5-Jahresplänen. Der Bundesregierung liegen keine Erkenntnisse im Das bedeutet im Hinblick auf die B 14 OU Winnen Sinne des § 3 Abs. 1 des Bundesverfassungsschutzge- den — Backnang, daß dieser 5-Jahresplan einem setzes vor. früheren Baubeginn nicht entgegensteht, wenn die Baureife erzielt werden kann. Es liegt also in der Hand Zu Frage 26: der Region, wann sich der tägliche Engpaß auf der Der Bundeskanzler und der Bundesminister des B 14 ändert. Innern haben in der Sitzung des Deutschen Bundes- tages am 16. Juni 1993 zum wiederholten Male deutlich gemacht, daß die Bundesregierung abwer- tenden Äußerungen gegenüber Ausländern oder gar ausländerfeindlichen Tendenzen, wo immer sie sich zeigen mögen, mit Nachdruck entgegentritt. Anlage 15 Antwort des Parl. Staatssekretärs Manfred Carstens auf die Anlage 17 Frage des Abgeordneten Horst Kubatschka (SPD) (Drucksache 12/5188 Frage 21): Antwort Welche Konsequenzen zieht die Bundesregierung aus dem des Parl. Staatssekretärs Eduard Lintner auf die Frage Bericht des Bayerischen Obersten Rechnungshofs an den Baye- des Abgeordneten Jürgen Augustinowitz (CDU/CSU) rischen Landtag, den Senat und die Staatskanzlei, in dem die zu (Drucksache 12/5188 Frage 27): hohen Kosten für den geplanten Ausbau der Donau zwischen Straubing und Vilshofen gerügt werden und die fehlende Wie erfüllen die einzelnen Bundesländer (bitte einzeln auf- Kosten-Nutzen-Analyse für dieses Projekt angemahnt wird? schlüsseln) ihre Verpflichtung, ihre Bereitschaftspolizeien in einer bestimmten Größe zu unterhalten, und wie beurteilt die Bundesregierung das Verhalten der Bundesländer mit Blick auf Die Bundesregierung hat sich zum Thema Kosten- die innere Sicherheit? Nutzen-Analyse bereits in der Antwort auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Kubatschka, Antretter Der Bund hat mit allen Bundesländern Verwal- und weiteren Abgeordneten der SPD-Fraktion betref- tungsabkommen über deren Bereitschaftspolizei ab- fend „Weiterer Ausbau der Donau zwischen Strau- geschlossen. Grundlagen für die Personalstärken sind bing und Vilshofen" geäußert. Ich verweise hierzu auf hiernach sowohl die Antwort in der Bundestagsdrucksache 12/4351, — das Sicherheitsbedürfnis unter Berücksichtigung insbesondere zu den Fragen 16 und 19. der länderübergreifenden Katastrophenhilfe, des (r Der Bericht des Bayerischen Obersten Rechnungs- inneren Notstandes und des Verteidigungsfalles als hofes wendet sich nicht an die Bundesregierung, auch sondern an den Bayerischen Landtag, den Senat und — der Nachwuchsbedarf für die Polizei des Landes. die Staatskanzlei, denen zunächst Gelegenheit zu Die Vertragspartner kommen ihren Verpflichtun- Stellungnahmen gegeben werden muß. gen grundsätzlich in enger Kooperation nach. Schwankungen bei den Personalstärken sind dem System immanent, weil der Nachwuchsbedarf für die Polizei in den Ländern naturgemäß keine feste Größe ist. Anlage 16 Die Bereitschaftspolizei in den neuen Bundeslän- dern befindet sich zudem noch in der Aufbauphase. Antwort Die volle Einsatzfähigkeit der Beamten wird hier erst des Parl. Staatssekretärs Eduard Lintner auf die Fra- nach Abschluß von intensiven Aus- und Fortbildungs- gen des Abgeordneten Gernot Erler (SPD) (Drucksa- maßnahmen erreicht werden können. Bundesweit soll che 12/5188 Fragen 25 und 26): die Bereitschaftspolizei eine Personalstärke von 32 701 Beamten erreichen. Die gegenwärtige Ist Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung über die Tätig- keit einer Vereinigung namens „Christliche Mitte", die ihre Stärke beträgt 29 568 Beamte, was einem Personal- Adresse mit Postfach 21 68 in 59531 Lippstadt angibt, die per minus von 9,6 % gleich 3 133 Beamte entspricht. Postwurfsendung eine „Bürgerbefragung: Wollen Sie ein islami- Auf die einzelnen Bundesländer bezogen, ergibt sches Deutschland?" veranstaltet und dabei volksverhetzende Parolen verbreitet, in denen die Rede ist von einer drohenden sich gegenwärtig folgende Situation: „Islamisierung Deutschlands", islamischen „Weltherrschaft", Baden-Württemberg -8,8 % = 301 von islamischen Plänen zur Ausrottung aller Christen sowie von Mord und Vertreibung gegen Christen in der Türkei, und die Bayern -3,4 % = 176 sich gegen den Bau von „politischen Moscheen und Islamzen- Berlin -3,4 % = 47 tren" in Deutschland wendet? Brandenburg -52,0 % = 491 Wie bewertet die Bundesregierung die beschriebene Tätigkeit Bremen -17,9% = 120 der Vereinigung „Christliche Mitte" in einer Zeit, in der türki- Hamburg -3,0 % = 29 sche und andere Mitbewohner islamischen Glaubens in Hessen -9,2 % = 296 Deutschland um ihr Leben fürchten müssen, und welche Mög- Mecklenburg-Vorpommern -30,4 % = 324 lichkeiten wird die Bundesregierung wahrnehmen, um antiisla- mischen und antitürkischen Volksverhetzungen dieser A rt ent- Niedersachsen -13,9 % = 384 gegenzutreten? Nordrhein-Westfalen -10,4 % = 573 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 165. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23. Juni 1993 14301*

Rheinland-Pfalz -8,4 % = 187 beitsloser bewältigt werden können, entzieht sich Saarland -54,1 % = 299- meiner Beurteilung. Es ist mir zu meinem Bedauern Sachsen +12,5 % = 239 auch nicht möglich, anzugeben, wie viele derzeit Sachsen-Anhalt +3,5 % = 36 Arbeitslose sich für derartige Tätigkeiten eignen: Die Schleswig-Holstein -13,1 % = 135 verfügbaren Arbeitslosenstatistiken sind insoweit Thüringen -5,2% = 46 nicht aussagekräftig genug, da diese insoweit keine Der Bund steht gegenwärtig mit Ländern, in denen — subjektiven — Eignungselemente der Arbeitslosen sich die Gesamtstruktur der Polizei verändert, in enthalten. engem Kontakt, um die Verwaltungsabkommen ver- Beobachtungen der Treuhandanstalt deuten aber tragsgemäß anzupassen. darauf hin, daß einschlägig qualifiziertes Personal auf Zur ständigen Aufgabenerfüllung der Bereitschafts- dem Arbeitsmarkt nicht vorhanden ist. polizei gehört in allen Bundesländern insbesondere die Unterstützung der Schutz- und Kriminalpolizei zur Zu Frage 29: Bewältigung von polizeilichen Großlagen; hierbei stellen sich die Länder auch gegenseitig Einsatzein- Eine verzögerte Bearbeitung der Grundstücks- heiten zur Verfügung. In vielen Einsatzlagen leistet Kaufverträge führt unmittelbar nicht zu Einnahme- der Bundesgrenzschutz mit seinen Verbänden ver- ausfällen, sondern lediglich zu zeitlichen Verschie- stärkt Hilfe. Darüber hinaus unterstützt die Bereit- bungen. Da die Liegenschaftsgesellschaft der Treu- schaftspolizei die Polizeibehörden (den polizeilichen handanstalt überwiegend im Auftrag und auf Rech- Einzeldienst) bei der Bewältigung des quantitativ und nung der Treuhand-Unternehmen deren nicht qualitativ ständig steigenden Kriminalitätsgesche- betriebsnotwendige Grundstücke veräußert, gehen hens und erhöht somit die Polizeipräsenz. die Verzögerungen zu Lasten dieser Unternehmen, nicht der Treuhandanstalt selbst. Dieses System hat sich ausgezeichnet bewährt. Der Bund wird auch künftig seinen Verpflichtungen zur Mittelbar kann sich die Verzögerung allerdings in Ausstattung der Einheiten mit moderner, praxisge- zweifacher Weise auswirken: Einmal in Form eines rechter Polizeitechnik nachkommen und in diesem Zinsverlustes, der dem Verkäufer durch den späteren Sinne gemeinsam mit den Ländern einen Beitrag zur Zahlungseingang erwächst, zum anderen dadurch, Bekämpfung der wachsenden Gewalt leisten. daß die Treuhandanstalt manchen Unternehmen Liquiditätshilfen gewähren muß, die bei früherem Eingang des Kaufpreises entbehrlich wären. Berechnungen über mögliche finanzielle Wirkun- gen der Verzögerungen gibt es nicht. Anlage 18 Antwort des Parl. Staatssekretärs Dr. Joachim Grünewald auf die Fragen des Abgeordneten Dr. Erich Riedl (Mün- chen) (CDU/CSU) (Drucksache 12/5188 Fragen 28 Anlage 19 und 29): Antwort Wie viele Arbeitslose in Deutschland eignen sich zur Beschäf- tigung, um den vom Finanzchef der Treuhandanstalt, Herrn des Parl. Staatssekretärs Dr. Joachim Grünewald auf Hornef, am 16. Juni 1993 in der Sitzung des Ausschusses die Fragen der Abgeordneten Rosemarie Priebus Treuhandanstalt des Deutschen Bundestages erklärten Engpaß (CDU/CSU) (Drucksache 12/5188 Fragen 32 und bei den Kataster- und Grundbuchämtern sowie bei den Vermes- 33): sungsbüros in den neuen Ländern bei der Bearbeitung der in großem Umfang von der Treuhandanstalt bisher verkauften Trifft es zu, daß die Treuhandanstalt den Bet rieb „Mein Haus" Grundstücke schnellstmöglich zu beseitigen? in Werder bei Neuruppin (Fertighäuser/Mehrzweckgebäude) in die Liquidation geführt hat, obwohl ausreichend Aufträge für Wie hoch beziffert die Bundesregierung den Einnahmeausfall eine Weiterführung des Betriebes (161 Mitarbeiter) vorlagen, der Treuhandanstalt, der durch die in der vorangehenden Frage und daß dem Vorschlag des Be triebsrates, den Betrieb mit erwähnte verzögerte Bearbeitung von Grundstücks-Kaufverträ- vorhandenen Verträgen bis zur endgültigen Privatisierung/ gen in den neuen Ländern entsteht? Sanierung/Stillegung weiterzuführen, nicht zugestimmt wurde? Zu Frage 28: Was hat die Treuhandanstalt unternommen, um die Landes- regierung Brandenburg zur Hälfte an den Kosten des Sanie- Die quantitativ unzureichende Personalausstattung rungskonzeptes zu beteiligen, wie dies in einem Gutachten der bei den Kataster- und Grundbuchämtern sowie bei Treuhandanstalt gefordert wurde? den Vermessungsämtern in den neuen Bundeslän- dern ist in der Tat ein gewichtiges Investitionshemm- nis. Das gilt nicht nur für den Verantwortungsbereich Zu Frage 32: der Treuhandanstalt, sondern für den gesamten Die Treuhandanstalt hat Mitte 1992 entschieden, Grundstücksmarkt in den neuen Bundesländern. Eine die „Baufa AG" im Wege der Liquidation abzuwik- personelle Verstärkung der Dienststellen trüge keln. Die Produktionsstätte „Mein Haus" in ein sicherlich zum Abbau dieses Hemmnisses bei. Die Betriebsteil der „Baufa AG". Zu Beginn der Liquida- hierfür zuständigen Länder und Gemeinden sind, wie tion wurde mit Unterstützng des Aufsichtsrates der ich weiß, im Rahmen ihrer Möglichkeiten um Abhilfe „Baufa AG" beschlossen, die Privatisierungsbemü- bemüht. Inwieweit die Probleme z. B. durch Personal- hungen für den Betriebsteil „Mein Haus" bis Mitte umsetzung oder durch Neueinstellung bislang Ar- 1993 intensiv fortzuführen. 14302 * Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 165. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23. Juni 1993

Zu diesem Zeitpunkt waren Lohnaufträge für Beihilfeantrag „Flächen" bei der für ihn zuständi- Fremdfirmen bis zum 31. März 1993 vorhanden. Bei- gen Stelle rechtzeitig eingereicht hatte. einer Analyse zu Beginn der Liquida tion hat sich — herausgestellt, daß bei der Ausführung dieser Auf- Für 1993 waren die Mitgliedstaaten ermächtigt, träge ein Verlust in Höhe von 3 Mio. DM entstanden den Zeitraum für die Antragstellung bis zum wäre. Deshalb wurde nur rund die Hälfte der Aufträge 15. Mai zu begrenzen. angenommen. Hierdurch ist der „Baufa AG i. L." nur Davon haben, soweit ersichtlich, alle mit Aus- noch ein Verlust in Höhe von etwa 1,5 Mio. DM nahme von Portugal Gebrauch gemacht, das für entstanden. die Herbst-/Winterkulturen den 15. Ap ril als Schlußtermin festgelegt hat. Die Ausführung weiterer verlustträchtiger Aufträge hätte die vorgesehene Privatisierung unmöglich — Jeder Beihilfeantrag „Flächen" muß Angaben ent- gemacht und die Liquidationsgesellschaft untragba- halten, die die Identifizierung der landwirtschaft- ren Gewährleistungsverpflichtungen ausgesetzt. lich genutzten Betriebs-Parzelle, ihre Lage, Größe und Nutzung ermöglicht. Zu Frage 33: Der Bundesregierung ist bekannt, daß zur Sicher- Parallel zu den Privatisierungsverhandlungen stellung dieser zentralen Anspruchsvoraussetzungen wurde ein Gutachten über die Sanierungsfähigkeit alle Mitgliedstaaten Vordrucke zum Flächen- und von „Mein Haus" in Auftrag gegeben. Die Kosten für Nutzungsnachweis entwickelt haben, die für den die Sanierung betragen laut Gutachten bis zu 17 Mio. Antrag zu verwenden sind. In diesen Nachweisen DM. Dieses Konzept wurde im Grundsatz auch mit erhält jede Betriebs-Parze lle eine eigene Ordnungs- dem Ministerium für Arbeit und Soziales, Gesundheit nummer. Sie wird der entsprechenden Kataster und Frauen des Landes Brandenburg besprochen. Parzelle unter Angabe ihrer Nutzung zugeordnet. In Mitgliedstaaten ohne Liegenschaftskataster erfolgt Der Aufsichtsrat hat sich aber gegen dieses Sanie- die Zuordnung zu anderen amtlichen Unterlagen. rungskonzept entschieden. Ausschlaggebend für Wenn auch diese fehlen, muß der Antragsteller die diese Entscheidung waren der hohe Finanzbedarf, die Zuordnung in bestimmten geografischen Karten schlechte Auftragslage und das Fehlen eines geeigne- selbst vornehmen und diese vorlegen. ten Managements. Die Ausssage, daß das Gutachten den Vorschlag Auch bei der Kontrolle der Durchführung der EG macht, Brandenburg solle sich mit 50 % an den Sanie- Agrarreform haben die Mitgliedstaaten einheitlich rungskosten beteiligen, trifft nach Auskunft der THA wie folgt vorzugehen, um sicherzustellen, daß die nicht zu. Bedingungen für die Gewährung der Beihilfen und Prämien eingehalten wurden: — Alle Beihilfeanträge durchlaufen eine Verwal- tungskontrolle insbesondere hinsichtlich der ge- meldeten Parzellen und Tiere, um eine ungerecht- Anlage 20 fertigte doppelte Beihilfegewährung für dasselbe Antwort Kalenderjahr zu vermeiden. des Parl. Staatssekretärs Dr. Helmut Scholz auf die — Die Kontrollen vor Ort, die grundsätzlich unange- Fragen des Abgeordneten Peter Bleser (CDU/CSU) kündigt durchzuführen sind, erstrecken sich auf (Drucksache 12/5188 Fragen 34 und 35): signifikante Stichprobenkontrollen der einge- Ist der Bundesregierung bekannt, wie die EG-Mitgliedstaaten reichten Anträge und sind EG-einheitlich auf die EG-Agrarreform speziell bei der Erfassung der Flächen und grundsätzlich 5 % der Beihilfeanträge „Flächen" bei der Gewährung von Prämien umsetzen? sowie 10 % der Beihilfeanträge „Tiere" festge- Wie wird die Umsetzung der EG-Agrarreform in den einzelnen setzt. EG-Mitgliedstaaten kontrolliert?

Zu Frage 34 und 35: Bei der Umsetzung der EG-Agrarreform sind alle Mitgliedstaaten an zwingende EG-rechtliche Vorga- ben gebunden. Außerdem sind EG-einheitliche Kon- Anlage 21 trollvorschriften erlassen, die mit Sanktionen verbun- Antwort den sind. des Parl. Staatssekretärs Dr. Helmut Scholz auf die Nach Kenntnis der Bundesregierung sind die ande- Fragen der Abgeordneten Gudrun Weyel (SPD) ren Mitgliedstaaten bei der Umsetzung der EG- (Drucksache 12/5188 Fragen 36 und 37): Agrarreform sowie deren Kontrolle auf durchaus ver- gleichbare Weise wie in der Bundesrepublik Deutsch- Hat die Bundesregierung die Absicht, in absehbarer Zeit einen land vorgegangen. So bei der Gesetzentwurf zur Novellierung des Pflanzenschutzgesetzes vorzulegen, um im Rahmen der europäischen Harmonisierung Erfassung der Flächen und der Gewährung von Prä- die Zulassung selektiv wirkender Pflanzenschutzmittel für Spe- mien zialkulturen zu erleichtern? — Jeder Betriebsinhaber in der Gemeinschaft kann Welche zeitlichen Vorstellungen hat die Bundesregierung für eine Einigung über die einheitlichen Grundsätze für die Bewer- grundsätzlich nur dann die vollen Ausgleichszah- tung und Zulassung von Pflanzenschutzmitteln (Anhang VI der lungen und Prämien erhalten, wenn er einen Richtlinie 91/414/EWG)? Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 165. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23. Juni 1993 14303*

Zu Frage 36: Zu Frage 37:

In den vergangenen Jahren haben sich aufgrund Die Bundesregierung begrüßt, daß nun end lich der der schärferen Bestimmungen des Pflanzenschutzge- lang erwartete Vorschlag der Kommission für setzes von 1986 und Verschärfungen in anderen Anhang VI der Richtlinie 91/414/EWG vorliegt. Sie Rechtsbereichen das Spektrum der zur Verfügung wird eine alsbaldige Verabschiedung dieser Rege- stehenden Wirkstoffe in Pflanzenschutzmitteln um lung auf EG-Ebene unterstützen. Das BML wird etwa ein Drittel und die Zahl der Pflanzenschutzmittel deshalb diesen Vorschlag mit den Resso rts zügig auf etwa die Hälfte verringert. Vorwiegend sind es die beraten. Die Länder werden über die Beratungen im außerordentlich hohen Entwicklungskosten eines Bundesrat beteiligt. Eine Anhörung der Verbände ist neuen Pflanzenschutzmittels, die die Pflanzenschutz- vorgesehen. mittelindustrie veranlassen, keinen Antrag auf Zulas- sung oder Anwendung für Kulturen zu stellen, die vergleichsweise einen geringen Anbauumfang ha- ben. Anlage 22 Für alle Pflanzenschutzmittel sind im Rahmen der Antwort Zulassung die Vorschriften des Pflanzenschutzgeset- des Parl. Staatssekretärs Dr. Helmut Scholz auf die zes zu beachten. Dies gilt auch für selektiv wirkende, Fragen des Abgeordneten Dr. Karl-Heinz Klejdzinski nützlingsschonende Pflanzenschutzmittel. Zulas- (SPD) (Drucksache 12/5188 Fragen 38 und 39): sungserleichterungen für solche Mittel sind nicht möglich. Trifft es zu, daß der Entwurf einer Salmonellen-Verordnung durch die Bundesregierung, mit dem das von den Impfstoffwer- ken Dessau-Tornau in Sachsen-Anhalt hergestellte Zoosaloral H Mit der Richtlinie 91/414/EWG vom 15. Ju li 1991 im Geflügelzuchtbereich zwangsweise zur Anwendung ge- über das Inverkehrbringen von Pflanzenschutzmitteln bracht werden soll, um zu garantieren, daß nur noch salmonel- sind die Grundvoraussetzungen für den Abbau von lenfreie Tiere in die Massentierhaltung kommen, Ende 1993 in Wettbewerbsnachteilen durch unterschiedliche Kraft treten soll? Pflanzenschutzmittelzulassungen in den EG-Mit- Seit wann ist der Bundesregierung bekannt, daß die Salmo- gliedstaaten unter Wahrung des jetzigen Schutzni- nellenseuche mit dem Impfstoff Zoosaloral H umfassend und verbraucherunschädlich eingedämmt werden kann? veaus des deutschen Pflanzenschutzgesetzes geschaf- fen worden. Zu Frage 38: Es gilt jetzt, diese Richtlinie in nationales Recht Die Bundesregierung erwägt derzeit in Abstim- umzusetzen. Eine hierzu erforderliche Anpassung des mung mit den Bundesländern, ob für bestimmte Pflanzenschutzgesetzes ist derzeit in Vorbereitung. Geflügelhaltungsformen — neben anderen geeigne- Dabei ist vorgesehen, daß der Anwendungsbereich ten Maßnahmen — durch eine Verordnung die Imp- eines zugelassenen Pflanzenschutzmittels unter be- fung obligatorisch gemacht werden soll, um den stimmten Voraussetzungen auf Antrag Infektionsdruck zu vermindern.

— amtlicher oder wissenschaftlicher Einrichtungen Zu Frage 39: im Agrarbereich, Der Bundesregierung ist bekannt, daß durch die — landwirtschaftlicher Berufsverbände oder Impfung mit Zoosaloral H gegen die beiden im Vor- dergrund stehenden Salmonellatypen — Salmonella — professioneller Benutzer typhimurium und Salmonella enteritidis — ein Schutz erreicht werden kann. Neben dem Impfstoffeinsatz auf nicht durch die Zulassung abgedeckte Anwen- müssen aber strenge Hygienemaßnahmen im Bestand dungsbereiche ausgedehnt werden kann. Dies soll ergriffen werden. Dies haben umfangreiche Untersu- auch gegen den Willen des Zulassungsinhabers chungen in der ehemaligen DDR belegt. Seit dem geschehen können. Eine derange Regelung bietet 30. September 1992 ist der Impfstoff bundesweit eine Chance zur Bewältigung von Problemen mit zugelassen und somit auch in den alten Bundeslän- Lückenindikationen und geht über die Möglichkeiten dern einsetzbar. Nach Kenntnis der Bundesregierung des derzeitigen Pflanzenschutzrechts hinaus. wird der Impfstoff im großen Umfange angewendet.