Plenarprotokoll 12/25

Deutscher

Stenographischer Bericht

25. Sitzung

Berlin, Dienstag, den 14. Mai 1991

Inhalt:

Begrüßung des Präsidenten der National-- wesens für die Jahre 1988 und 1989 versammlung der Republik Nicaragua, (Drucksache 12/203) 1661 D Herrn Alfredo Cesar Aguirre 1661 A Tagesordnungspunkt 2: Glückwünsche zum Geburtstag des Abg. a) Zweite und dritte Beratung des Entwurfs Karl-Heinz Spilker 1661 B eines Gesetzes zur Förderung von Inve- stitionen und Schaffung von Arbeitsplät- Nachträgliche Überweisung des Entwurfs zen im Beitrittsgebiet sowie zur Ände- zur Änderung des Bundesarchivgesetzes an rung steuerrechtlicher und anderer Vor- den Ausschuß für Frauen und Jugend 1661 B schriften (Steueränderungsgesetz 1991) (Drucksachen 12/219, 12/402, 12/459, Erweiterung und Abwicklung der Tagesord 12/562, 12/566) 1661 B nung b) Zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Einführung eines be- Tagesordnungspunkt 1: fristeten Solidaritätszuschlags und zur Überweisung im vereinfachten Verfah- Änderung von Verbrauchsteuer- und ren anderen Gesetzen (Solidaritätsgesetz) (Drucksachen 12/220, 12/403, 12/561, a) Erste Beratung des von der Bundesre- 12/565) gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom Dr. CDU/CSU . 1662C, 1701B 18. Dezember 1989 zwischen der Ingrid Matthäus-Maier SPD 1665C, 1672 C Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung der Dr. Kurt Faltlhauser CDU/CSU 1669B, 1687 A Republik Ungarn über den Luftver- Norbert Eimer (Fürth) FDP 1670 D kehr (Drucksache 12/341) Norbert Eimer (Fürth) FDP 1672 B b) Erste Beratung eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 2. Oktober 1990 zwi- (Berlin) Bündnis 90/GRÜNE 1672 D schen der Bundesrepublik Deutsch- Dr. FDP 1675 B land und der Tschechischen und Slo- wakischen Föderativen Republik Joachim Poß SPD 1676A über die Förderung und den gegen- Dr. Fritz Schumann (Kroppenstedt) PDS/ seitigen Schutz von Kapitalanlagen Linke Liste 1677 C (Drucksache 12/460) Dr. Theodor Waigel, Bundesminister BMF 1679C c) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung Detlev von Larcher SPD 1682 D Bericht des Bundesministers für Post CDU/CSU 1684 C und Telekommunikation über die Er- Otto Reschke SPD 1686D schließung des Zonenrandgebietes im Bereich des Post- und Fernmelde- Hermann Rind FDP 1689A

II Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 25. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 14. Mai 1991

Dr. Ilja Seifert PDS/Linke Liste 1689D, 1690D b) Beratung des Antrags der Gruppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Ingrid Matthäus-Maier SPD 1691 A Vom Grundgesetz zur gesamtdeutschen Detlev von Larcher SPD 1691 C Verfassung — Einrichtung und Auf- Elisabeth Grochtmann CDU/CSU 1693 A gaben eines Verfassungsrates — (Drucksache 12/563) Manfred Hampel SPD 1694 B c) Beratung des Antrags der Abgeordne- Wilfried Seibel CDU/CSU 1695 D ten Dr. Karl H. Fell, Dirk Fischer (Hamburg), Siegfried Hornung, weite- Hansgeorg Hauser (Rednitzhembach) CDU/ rer Abgeordneter und der Fraktionen CSU 1696 D der CDU/CSU und der FDP: Einset- FDP 1698 D zung eines Gemeinsamen Verfas- Dr. Kurt Faltlhauser CDU/CSU (Erklärung sungsausschusses (Drucksache 12/ 567) nach § 31 GO) 1700 A Dr. Herta Däubler-Gmelin SPD 1715 D Namentliche Abstimmungen . . 1700D, 1701A Dr. CDU/CSU 1718D Ergebnisse 1701C, 1702A Dr. FDP 1720 C Tagesordnungspunkt 3: Gerd Poppe Bündnis 90/GRÜNE 1721B Zweite und dritte Beratung des Entwurfs Dr. PDS/Linke Liste 1722C eines Gesetzes über Maßnahmen zur Ent- lastung der öffentlichen Haushalte sowie Detlef Kleinert (Hannover) FDP 1724 D über strukturelle Anpassungen in dem in Dr. Bündnis 90/GRÜNE 1727A Artikel 3 des Einigungsvertrages genann- - Dr. Wolfgang Schäuble, Bundesminister ten Gebiet (Haushaltsbegleitgesetz 1991 BMI 1728D — HBeglG 1991) (Drucksachen 12/221, 12/401, 12/461, 12/581) Konrad Weiß (Berlin) Bündnis 90/GRÜNE 1731D Adolf Roth (Gießen) CDU/CSU 1702 B Dr. Ilja Seifert PDS/Linke Liste 1732A SPD 1733 A Arne Börnsen (Ritterhude) SPD 1703 D Dr. Edmund Stoiber, Staatsminister des Frei Dr. Christian Schwarz-Schilling, Bundesmi staates Bayern 1735 B nister BMPT 1705 C Dr. Willfried Penner SPD 1737 C Dr. Ulrich Briefs PDS/Linke Liste 1706C Dr. Paul Laufs CDU/CSU 1740A FDP 1707 A Dr. Burkhard Hirsch FDP 1741 C Tagesordnungspunkt 4: Dr. Herta Däubler-Gmelin SPD 1742B, D Zweite und dritte Beratung des Entwurfs Dr. Franz Möller CDU/CSU 1743 C eines Gesetzes zur Änderung wohngeld- SPD 1744 B rechtlicher Vorschriften (Artikel 5 und 6 aus Drucksachen 12/221, 12/401, 12/495, CDU/CSU 1745 D 12/568) Dr. Klaus Kinkel, Bundesminister BMJ 1746C Dr.-Ing. Dietmar Kansy CDU/CSU 1708D Tagesordnungspunkt 6: Siegfried Scheffler SPD 1710A Fragestunde Dr. Walter Hitschler FDP 1712A — Drucksachen 12/488 vom 8. Mai 1991 Dr. Ilja Seifert PDS/Linke Liste 1712B und 12/564 vom 13. Mai 1991 — Dr. Ilja Seifert PDS/Linke Liste 1712 D Wohnungsbauprogramm für die abziehen- den Sowjetischen Soldaten Dr. Irmgard Adam-Schwaetzer, Bundesmini sterin BMBau 1713 D DringlAnfr 1, 2 Norbert Gansel SPD Tagesordnungspunkt 5: Antw PStSekr Klaus Beckmann BMWi 1747D, Beratung von Anträgen der SPD, CDU/ 1749 B CSU und FDP und der Gruppe BÜND- ZusFr Norbert Gansel SPD 1747D, 1749C NIS 90/DIE GRÜNEN zur Einsetzung eines Verfassungsausschusses ZusFr SPD 1748C, 1750A ZusFr SPD a) Beratung des Antrags der Fraktion der 1748C, 1750B SPD: Weiterentwicklung des Grund- ZusFr Dr. SPD 1748D, 1750D gesetzes zur Verfassung für das ge- ZusFr SPD 1748 D einte Deutschland — Einsetzung ei- nes Verfassungsrates — (Drucksache ZusFr SPD 1749A 12/415) ZusFr Dr. Uwe-Jens Heuer PDS/Linke Liste 1749A

Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 25. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 14. Mai 1991 III

ZusFr Dr. SPD 1750 B MdlAnfr 26 SPD ZusFr Dr. Ulrich Janzen SPD 1750 C Otto Schily 1756 D ZusFr SPD 1750 D Antw PStSekr BMU ZusFr Johannes Gerster (Mainz) CDU/CSU 1751A ZusFr Otto Schily SPD 1757 A ZusFr SPD 1751 B Abschaffung der Bahnpostwagen zugunsten des Einsatzes von Lastkraftwagen; Beschleu- Zuständigkeit des BML für Fragen der Ver- nigung des Frachtgutverkehrs der Bundes- letzung des Völkerrechts im Zusammenhang post mit dem Abbruch der Verhandlungen über ein Fischereiabkommen zwischen der EG MdlAnfr 29, 30 und Namibia Klaus Harries CDU/CSU MdlAnfr 9 Antw PStSekr Wilhelm Rawe BMPT 1757 C Hans-Günther Toetemeyer SPD ZusFr Klaus Harries CDU/CSU 1757 D Antw PStSekr BML 1751 C ZusFr Hans-Günther Toetemeyer SPD 1757 D ZusFr Hans-Günther Toetemeyer SPD 1751D Probleme mit türkischen Behörden im Zu- Zahl der Arbeitslosen in den neuen Bundes- sammenhang mit deutschen Hilfsmaßnah- ländern 1991 und 1992 men für kurdische Flüchtlinge; Gewährlei- MdlAnfr 10 stung der freien Berichterstattung Otto Schily SPD MdlAnfr 32, 33 Antw PStSekr Horst Günther BMA 1752 A Hans Wallow SPD ZusFr Otto Schily SPD 1752 B Antw StMin Helmut Schäfer AA 1758A, D ZusFr Dr. Eberhard Brecht SPD 1752 C ZusFr Hans Wallow SPD 1758B, 1759 A ZusFr Klaus Kirschner SPD 1752 D ZusFr Rudolf Bindig SPD 1758 C ZusFr SPD 1752 D Beurteilung der Völkerrechtsverletzungen ZusFr Hans-Eberhard Urbaniak SPD 1753A durch ein EG-Land im Zusammenhang mit dem Abbruch der Verhandlungen über ein ZusFr Gerd Andres SPD 1753 B Fischereiabkommen zwischen der EG und ZusFr Manfred Reimann SPD 1753 C Namibia ZusFr Ernst Schwanhold SPD 1753 D MdlAnfr 34 Hans-Günther Toetemeyer SPD Lebensrakumartierung und Pflegeplan für unter Naturschutz stehende unbebaute Lie- Antw StMin Helmut Schäfer AA 1759A genschaften der Bundeswehr ZusFr Hans-Günther Toetemeyer SPD 1759 B MdlAnfr 13, 14 Ulrike Mehl SPD Konfrontation zwischen Schlesiern und Polen durch die Terminierung des Schlesier Antw PStSekr Willy Wimmer BMVg 1754A, B und eines Treffens anläßlich des-treffens ZusFr Ulrike Mehl SPD 1754 C 70. Jahrestages des 3. Schlesischen Auf- stands in Annaberg/Polen auf den 18./ Erkenntnisse über die Lagerung von Sonder- 19. Mai 1991 müll aus den alten Bundesländern in nicht geeigneten Deponien in der früheren DDR MdlAnfr 35, 36 Horst Sielaff SPD MdlAnfr 22, 23 Ernst Schwanhold SPD Antw StMin Helmut Schäfer AA 1759 D Antw PStSekr Bernd Schmidbauer BMU 1754 D, ZusFr Horst Sielaff SPD 1760A 1755 C ZusFr Otto Schily SPD 1760 C ZusFr Ernst Schwanhold SPD 1755A, DZusFr Freimut Duve SPD 1760 D ZusFr Ludwig Eich SPD 1755 B Zusatztagesordnungspunkt 1: Verringerung des Schadstoffgehalts der Elbe Aktuelle Stunde betr. Haltung der Bun- seit dem Beitritt der DDR desregierung zu Äußerungen des Bun- MdlAnfr 25 deswirtschaftsministers zur Aufkündi- CDU/CSU gung des Jahrhundertvertrages Antw PStSekr Bernd Schmidbauer BMU 1756 A Harald B. Schäfer (Offenburg) SPD 1761 A ZusFr Horst Eylmann CDU/CSU 1756 C Heinrich Seesing CDU/CSU 1762 A Dr. Ulrich Briefs PDS/Linke Liste 1763 A Verhinderung des Abholzens der Allee- bäume in den neuen Bundesländern Dr.-Ing. Karl-Hans Laermann FDP 1764 A

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Dr. Klaus-Dieter Feige Bündnis 90/GRÜNE 1765 A hier: Veräußerung der Aktienmehr- Norbert Formanski SPD 1766A heit an der Prakla-Seismos AG (Drucksachen 12/73, 12/388) CDU/CSU 1766D e) Beratung der Beschlußempfehlung FDP 1767 D des Haushaltsausschusses zu der Un- Jutta Müller (Völklingen) SPD 1768D terrichtung durch die Bundesregie- rung: Überplanmäßige Ausgaben bei Ernst Hinsken CDU/CSU 1769D Kapitel 15 02 Titel 681 15 — Haus- Jürgen W. Möllemann, Bundesminister haltsjahr 1990 — (Erziehungsgeld) BMWi 1770D (Drucksachen 12/44, 12/389) Volker Jung (Düsseldorf) SPD 1772 D f) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Johannes Ganz (St. Wendel) CDU/CSU 1774 A Umwelt, Naturschutz und Reaktorsi- Ulrich Klinkert CDU/CSU 1774 D cherheit

Tagesordnungspunkt 7: zu dem Antrag der Abgeordneten Mi- chael Müller (Düsseldorf), Harald B. Zweite und dritte Beratung des Entwurfs Schäfer (Offenburg), Gerd Andres, eines Gesetzes zur Änderung arbeitsför- weiteren Abgeordneten und der Frak- derungsrechtlicher und anderer sozial- tion der SPD: Hilfe für die Kinder von rechtlicher Vorschriften (AFG u. a. Tschernobyl ÄndG) (Drucksachen 12/222, 12/413, 12/ 493, 12/496, 12/569) zu dem Antrag der Abgeordneten und der Abgeordneten Heinz Schemken CDU/CSU 1775 C der Gruppe PDS/Linke Liste: Hilfe für Renate Rennebach SPD 1776 D die Kinder von Tschernobyl (Druck- sachen 12/165, 12/170, 12/475) 1781D Frau Dr. FDP 1778 B Petra Bläss PDS/Linke Liste 1779 C Zusatztagesordnungspunkt 2: Dr. Norbert Blüm, Bundesminister BMA 1780 A Beratung des Antrags der Fraktion der SPD: Rehabilitierung der Opfer des SED- Hans Büttner (Ingolstadt) SPD 1780 D Unrechtsstaates (Drucksache 12/570) Tagesordnungspunkt 8: Gisela Schröter SPD 1783 B Beratungen ohne Aussprache CDU/CSU 1784 A a) Erste und zweite Beratung sowie Vera Wollenberger Bündnis 90/GRÜNE 1784 C, Schlußabstimmung des von der Bun- 1786 C desregierung eingebrachten Entwurfs Jutta Braband PDS/Linke Liste 1785 C eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 8. Dezember 1990 zwischen der Otto Schily SPD 1785 D Bundesrepublik Deutschland und der Margot von Renesse SPD 1786 A Republik Polen über Soziale Sicher- heit (Drucksache 12/470) Ingrid Köppe Bündnis 90/GRÜNE 1786D b) Zweite Beratung und Schlußabstim- Dr. Klaus Kinkel, Bundesminister BMJ 1787 D mung des von den Fraktionen der Vera Wollenberger Bündnis 90/GRÜNE 1790D CDU/CSU und FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Ab- SPD 1791B kommen vom 8. Dezember 1990 zwi- Hartmut Büttner (Schönebeck) CDU/CSU 1792 C schen der Bundesrepublik Deutsch- Dr. Uwe-Jens Heuer PDS/Linke Liste 1794 A land und der Republik Polen über So- ziale Sicherheit (Drucksachen 12/303, Jörg van Essen FDP 1795 C 12/445) Hans-Joachim Hacker SPD 1796 D c) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Tagesordnungspunkt 9: Entwurfs eines Gesetzes über die Beratung des Antrags der Fraktion der zwanzigste Anpassung der Leistun- SPD: gen nach dem Bundesversorgungsge- Aktionsprogramm zur Sicherung der be- setz (KOV-Anpassungsgesetz 1991 — ruflichen Bildung in den neuen Ländern KOVAnpG 1991) (Drucksachen 12/ (Drucksache 12/416) 1798 C 335, 12/452, 12/456) d) Beratung der Beschlußempfehlung Zusatztagesordnungspunkt 3: und des Berichts des Haushaltsaus- Erste Beratung des von der Abgeordne- schusses zu der Unterrichtung durch ten Dr. Barbara Höll und der Gruppe der die Bundesregierung: Privatisierung PDS/Linke Liste eingebrachten Entwurfs von Bundesbeteiligungen eines Gesetzes zur Änderung des Bun-

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dessozialhilfegesetzes (Drucksache 12/ den neuen Bundesländern (Drucksache 483) 1798D 12/484) 1801B

Tagesordnungspunkt 10: Tagesordnungspunkt 11: Beratung des Antrags der Abgeordneten Erste Beratung des von den Abgeordne- Angelika Barbe, Holger Bartsch, Ingrid ten , , Becker-Inglau und weiterer Abgeordne- , weiteren Abgeordneten ter aus allen Fraktionen und Gruppen: und der Fraktion der CDU/CSU sowie Einspeisung der DFF-Länderkette in das den Abgeordneten Dr. Margret Funke Fernsehkabelnetz des Deutschen Bun- Schmitt-Rink, Dirk Hansen, Heinz-Dieter destages (Drucksache 12/481) Hackel, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der FDP eingebrachten Entwurfs Konrad Weiß (Berlin) Bündnis 90/GRÜNE 1799A eines Vierzehnten Gesetzes zur Ände- Petra Bläss PDS/Linke Liste 1799D rung des Bundesausbildungsförderungs- gesetzes (14. BAföGÄndG) (Drucksache Dr. CDU/CSU 1800C 12/473, 12/497) 1801 C

Zusatztagesordnungspunkt 4: Nächste Sitzung 1801 D Beratung des Antrags der Abgeordneten Petra Bläss und der Gruppe der PDS/ Berichtigung 1802 Linke Liste: Maßnahmen zur Verbesse- rung der sozialen Lage von Empfänge- rinnen und Empfängern von Vorruhe- Die Anlagen werden in einem Nachtrag zu stands- bzw. Altersübergangsgeld in diesem Plenarprotokoll veröffentlicht. -

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Beginn: 9.30 Uhr

Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Liebe Kolleginnen c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Karl H. Fell, und Kollegen! Ich eröffne unsere erste volle Arbeits- Dirk Fischer (Hamburg), Siegfried Hornung, weiterer Abgeordneter und der Fraktionen der CDU/CSU und der sitzung hier in Berlin und heiße Sie ganz herzlich will- FDP: Einsetzung eines Gemeinsamen Verfassungsaus- kommen. Ich hoffe, daß Sie, obwohl wir ja noch nicht schusses — Drucksache 12/567 — Arbeitsfähigkeit hergestellt haben, mit den Bedingun- Hal-1. Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion der SPD: gen zurechtkommen. tung der Bundesregierung zu Äußerungen des Bundeswirt- schaftsministers zur Aufkündigung des Jahrhundertvertra- Ich möchte auf der Ehrentribüne den Präsidenten ges der Nationalversammlung der Republik Nicaragua, Herrn Alfredo Cesar Aguirre, mit seiner parlamentari- Rehabilitierung2. Beratung des Antrags der Fraktion der SPD: schen Delegation ganz herzlich begrüßen. der Opfer des SED-Unrechtsstaates — Drucksache 12/570 — 3. Erste Beratung des von der Abgeordneten Dr. Barbara Höll (Beifall) und der Gruppe der PDS/Linke Liste eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Bundessozialhilfegesetzes Wir freuen uns, daß Sie uns hier in Berlin in der par- — Drucksache 12/483 — lamentarischen Arbeit begleiten können. Sie unter- 4. Beratung des Antrags der Abgeordneten Petra Bläss und der streichen mit Ihrer Anwesenheit die engen freund- Gruppe der PDS/Linke Liste: Maßnahmen zur Verbesserung schaftlichen Beziehungen zwischen unseren Ländern der sozialen Lage von Empfängerinnen und Empfängern und Völkern. Wir wünschen Ihnen einen guten Auf- von Vorruhestands- bzw. Altersübergangsgeld in den neuen enthalt in Berlin und in Bonn. Bundesländern — Drucksache 12/484 — Zugleich soll von der Frist für den Beginn der Bera- Ich habe noch einige amtliche Mitteilungen zur tung abgewichen werden, soweit dies bei einzelnen Verlesung: Punkten der Tagesordnung erforderlich ist. Sind Sie Meine Damen und Herren, der Herr Kollege Spilker damit einverstanden? — Ich sehe keinen Wider- feierte am 3. Mai seinen 70. Geburtstag. Ich gratuliere spruch. Dann ist dies so beschlossen. ihm nachträglich sehr herzlich im Namen des Hauses. (Beifall) Ich rufe Tagesordnungspunkt 1 auf: Der in der 21. Sitzung des Bundestages bereits über- wiesene Entwurf zur Änderung des Bundesarchivge- Überweisung im vereinfachten Verfahren: setzes — Drucksache 12/288 — soll nachträglich dem Ausschuß für Frauen und Jugend zur Mitberatung a) Erste Beratung des von der Bundesregie- überwiesen werden. rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes zu dem Abkommen vom 18. Dezember Nach einer interfraktionellen Vereinbarung soll die 1989 zwischen der Regierung der Bundes- verbundene Tagesordnung erweitert werden. Die republik Deutschland und der Regierung Punkte sind in der Ihnen vorliegenden Zusatzpunkt- der Republik Ungarn über den Luftver- liste aufgeführt. kehr — Drucksache 12/341 — Vorlagen zu Tagesordnungspunkt 5: Überweisungsvorschlag: a) Beratung des Antrags der Fraktion der SPD: Weiterent- Ausschuß für Verkehr wicklung des Grundgesetzes zur Verfassung für das ge- einte Deutschland b) Erste Beratung eines Gesetzes zu dem Ver- — Einsetzung eines Verfassungsrates — Drucksache 12/415 — trag vom 2. Oktober 1990 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der b) Beratung des Antrags der Gruppe Bündnis 90/DIE GRÜ- Tschechischen und Slowakischen Födera- NEN: Vom Grundgesetz zur gesamtdeutschen Verf as- tiven Republik über die Förderung und den sung — Einrichtung und Aufgaben eines Verfassungsrates — gegenseitigen Schutz von Kapitalanlagen Drucksache 12/563 — — Drucksache 12/460 — 1662 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 25. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 14. Mai 1991

Präsidentin Dr. Rita Süssmuth Überweisungsvorschlag: Berichterstatter: Ausschuß für Wirtschaft (federführend) Abgeordnete Helmut Wieczorek (Duisburg) Auswärtiger Ausschuß Adolf Roth (Gießen) c) Beratung der Unterrichtung durch die Bun- Dr. Wolfgang Weng (Gerlingen) desregierung (Erste Beratung 13. und 23. Sitzung) Bericht des Bundesministers für Post und Dazu liegen mehrere Änderungsanträge sowie je- Telekommunikation über die Erschließung weils ein Entschließungsantrag der Fraktion der SPD des Zonenrandgebietes im Bereich des vor. Post- und Fernmeldewesens für die Jahre Ich weise darauf hin, daß wir gegen 13.30 Uhr zwei 1988 und 1989 namentliche Abstimmungen durchführen werden. — Drucksache 12/203 — Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat sind für die Überweisungsvorschlag: gemeinsame Aussprache dreieinhalb Stunden vorge- Ausschuß für Post und Telekommunikation (federfüh- rend) sehen. — Auch dazu sehe ich keinen Widerspruch. Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau Ich eröffne die Aussprache. Es beginnt der Abge- Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen ordnete Dr. Kurt Faltlhauser. an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. Sind Sie auch damit einverstanden? — Dann ist das so beschlossen. Dr. Kurt Faltlhauser (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die CDU/CSU-Fraktion ist gestern abend auf dem Tegeler See mit einem großen Ich rufe Tagesordnungspunkt 2 auf: Boot gefahren, in ruhigen Gewässern, entsprechend der ruhigen politischen Situation, in der wir uns befin- a) Zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines den. Beim Besteigen dieses Schiffes haben wir eine Gesetzes zur Förderung von Investitionen und Berliner Abendzeitung überreicht bekommen. Schaffung von Arbeitsplätzen im Beitrittsgebiet- (Ausfall der Tonübertragungsanlage — Zu sowie zur Änderung steuerrechtlicher und an- rufe: Mikrophon! — Harald B. Schäfer [Of derer Vorschriften fenburg] [SPD]: Ihr seid abgesoffen!) (Steueränderungsgesetz 1991 — StÄndG 1991) — Hier gibt es keinen Ton. — Drucksachen 12/219, 12/402, 12/459 — (Wolfgang Roth [SPD]: Ein Bonner sitzt am aa) Beschlußempfehlung und Bericht des Fi Schaltpult! Wahrscheinlich Ehmke!) nanzausschusses (7. Ausschuß) — Es ist offenbar die Arbeitsgruppe Daniels, die hier — Drucksache 12/562 — sabotierend am Werk ist. Berichterstatter: Abgeordnete (Vereinzelt Zustimmung) Hansgeorg Hauser (Rednitzhembach) Ich darf fortfahren, Frau Präsidentin: Als wir in die- Joachim Poß ses Schiff eingestiegen sind, hat man uns eine Berliner Hermann Rind Abendzeitung überreicht, in der ein Interview mit dem Berliner Regierenden Bürgermeister Eberhard bb) Bericht des Haushaltsausschusses (8. Aus- Diepgen stand. Ich zitiere daraus: schuß) gemäß § 96 der Geschäftsordnung — Drucksache 12/566 — Die großen Finanzsorgen Berlins, die hohe Ar- beitslosigkeit, die zu geringe wirtschaftliche Berichterstatter: Wertschöpfung, alles sieht besser aus, wenn sich Abgeordnete Helmut Wieczorek (Duisburg) die Politik zu Berlin endlich und verbindlich be- Adolf Roth (Gießen) kennt. Dr. Wolfgang Weng (Gerlingen) (Teilweise Zustimmung) (Erste Beratung 13. und 23. Sitzung) Ich hätte dem Herrn Regierenden Bürgermeister b) Zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines hier heute gerne gesagt, daß sich der Finanzausschuß Gesetzes zur Einführung eines befristeten Soli- des Deutschen Bundestages zu Berlin verbindlich be- daritätszuschlags und zur Änderung von Ver- kennt, allerdings nicht in der Hauptstadtfrage — da brauchsteuer- und anderen Gesetzen muß ich ihn enttäuschen —, sondern in der Förde- (Solidaritätsgesetz) rungsfrage. — Drucksachen 12/220, 12/403 — Wir wissen um die Scharnierrolle Berlins zwischen aa) Beschlußempfehlung und Bericht des Fi Ost und West. Wir wissen, daß ein Abbruch der Mauer nanzausschusses (7. Ausschuß) noch nicht die Gräben des Absatzes und der Beschaf- — Drucksache 12/561 — fung im Umland zugeschüttet hat. Wir wissen, daß Berlin nicht die Erschütterung eines abrupten Ab- Berichterstatter: bruchs der diversen Förderungen verkraften kann. Abgeordnete Joachim Poß Hermann Rind Berlin braucht eine gewisse Berechenbarkeit und Gunnar Uldall Stetigkeit in schwieriger Übergangszeit. Deshalb ha- ben wir den stufenweisen Abbau der Berlin-Förde- bb) Bericht des Haushaltsausschusses (8. Aus- rung, wie ihn die Bundesregierung im vorliegenden schuß) gemäß § 96 der Geschäftsordnung Steueränderungsgesetz vorsieht, noch einmal zugun- — Drucksache 12/565 — sten Berlins sanfter und verträglicher gestaltet. Wir Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 25. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 14. Mai 1991 1663

Dr. Kurt Faltlhauser haben uns dabei von dem Gedanken tragen lassen, Zur Gegenwart, zu den haushalts- und steuerpoliti- daß lange Auslaufzeiten, über 1993 und 1994 hinaus, schen Problemen von heute, hat die Opposition keine weder EG-verträglich noch ökonomisch sinnvoll sind. Alternativen. Sicher hat sie Vorschläge gemacht. Berlin braucht jetzt, in diesem Jahr 1991, Hilfe, Doch das sind keine Alternativen; das sind bestenfalls braucht jetzt, in der dramatischen, ja, chaotischen Varianten. Umbruchzeit, mehr Luft. Deshalb haben wir das (Lachen bei der SPD) „Stauchungsmodell" erfunden, mit dem wir die Her- stellerpräferenz erst ab dem 1. Januar 1992 abbauen Zuschlag zur Einkommensteuer: Die SPD sagt: Ja wollen, den Einstieg in den Abbau also um ein halbes — aber bitte etwas anders, mit Einkommensgrenzen. Jahr verschieben, und bei der Einkommenspräferenz Erhöhung der Mineralölsteuer: Die SPD sagt: Ja; aber eine Verschiebung der Einführung zum 1. Oktober bitte deutlich höher. Tabaksteueränderung: Die SPD 1991 vorsehen. sagt: Ja; aber bitte etwas anders. Wir wollen jetzt entlasten, nicht in irgendwelchen Das sind Varianten. Das sind keine Alternativen zur späteren Jahren. Ich glaube, das müßte Berlin aner- Steuerpolitik der Bundesregierung und der Koali- kennen. Das ist eine Art Gastgeschenk für Berlin für tionsfraktionen. die zweite und dritte Lesung dieses Gesetzes. Es ist, wie ich meine, ein nicht ganz billiges Geschenk, wenn (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — man die 800 Millionen DM in Betracht zieht, die es Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Müder Bei kostet. fall!) Der Finanzausschuß hat bei seinen Beratungen Der Finanzausschuß hat im Rahmen der Beratungen über das Steueränderungsgesetz 1991 und das Soli- der vorliegenden Gesetzentwürfe eine große Exper- daritätsgesetz am letzten Mittwoch eine große Fülle tenanhörung durchgeführt. In einem zentralen Punkt von Detailarbeiten zum Abschluß gebracht. Es gab waren sich alle Experten einig: Die Steuererhöhun- alleine 73 Änderungsanträge zu beiden Gesetzen. gen sind notwendig; sie sind die bessere Alternative Das veranschaulicht das Ringen um Einzelformulie-- gegenüber einer weiteren Nettoneuverschuldung. rungen, um Kommaverschiebungen, um Verwal- Dies war die Auffassung der Vertreter der Gewerk- tungstechnik in einem kaum noch übersehbaren Netz schaften ebenso wie die der Arbeitgeber, die Auffas- der Steuergesetzgebung. sung der Wissenschaftler ebenso wie die der Bundes- bank. Diese Millimeterarbeit widerzuspiegeln, ist nicht der Sinn der Aussprache im Plenum des Deutschen Die Bundesbank hat nachdrücklich darauf hinge- Bundestages. Hier haben wir vor allem die Aufgabe, wiesen, daß im Interesse der Erhaltung der Stabilität der Bevölkerung deutlich zu machen, wo die Unter- der Preise und damit mittelfristig der wirtschaftlichen schiede zwischen den Positionen der Mehrheit und Gesundheit in unserem Land die Grenze der 70 Milli- denen der Opposition liegen. arden-Nettoneuverschuldung, die der Herr Bundesfi- nanzminister vorgegeben hat, nicht überschritten Wenn ich mir entsprechend dieser Zielsetzung die werden darf. Deshalb ist als Alternative die Steuerer- Argumentationslinien der SPD heute und in den ver- höhung unumgänglich gewesen. gangenen Wochen ansehe, komme ich zu dem Ergeb- nis: Die SPD betreibt ein gigantisches steuerpoliti- Gleichwohl, vom Bund der Steuerzahler, von Ver- sches Ablenkungs- und Ausweichmanöver. tretern der Medien und nicht zuletzt von vielen klu- (Lachen bei der SPD) gen Verbandsvertretern haben wir in den letzten Wo- chen immer wieder zu hören bekommen, daß es ei- Zum einen weist sie in ihrer steuerpolitischen Argu- gentlich einen Königsweg gibt, eine ganz andere Al- mentation nur in die Vergangenheit, wenn sie immer ternative zu Nettoneuverschuldung oder Steuererhö- wieder ihre sattsam bekannte Geschichte von „Vor hung, nämlich den Subventionsabbau. Hurra! Bei die- der Wahl — nach der Wahl" erzählt. sem Begriff sind sie alle dabei: Subventionsabbau all- (Helmut Wieczorek [Duisburg] [SPD]: Steu überall, aber, bitte schön, nur nicht im eigenen Be- erlüge!) reich. Hier flieht die SPD aus der bleihaltigen Luft der sach- Es konnte uns aber leider niemand sagen, wie man lichen Auseinandersetzung auf die Ebene moralischer einen Finanzbedarf von 18 Milliarden in einem hal- und künstlicher Empörung. ben Jahr, noch in diesem Jahr 1991, kurzfristig durch Subventionsabbau realisieren soll. Selbst wenn dieser (Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Haben Sie Bundestag über alle Fraktionsgrenzen hinweg in der etwas gegen Moral?) Lage oder bereit wäre, einen entsprechend großen Das zweite Ausweichmanöver der Opposition Einschnitt in die Subventionen zu tätigen, die rechtli- lenkt in eine unbestimmte Zukunft, beschäftigt sich chen Bindungen ließen in der kurzen Zeit einen Sub- mit etwas, was in beiden heute zu beratenden Geset- ventionsabbau in dieser Größenordnung von 18 Milli- zen nicht zur Entscheidung steht: mit der Vermögen- arden DM gar nicht zu. steuer im gesamten Staatsgebiet. Also, die SPD weicht in Vergangenes oder in eine selbstgebastelte Zukunft Gleichwohl arbeitet — das will ich hier sagen — innerhalb der Koalitionsfraktionen eine Arbeits- aus. gruppe an dem Auftrag, 5 Milliarden an steuerlichen (Beifall bei der CDU/CSU — Zuruf von der Begünstigungen abzubauen. Die Arbeitsgruppe ist in SPD: Dann habt ihr unsere Vorschläge gar ihrer Arbeit weit fortgeschritten. Wir werden in Kürze nicht gelesen?) ein Paket über 5 Milliarden vorlegen können. 1664 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 25. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 14. Mai 1991

Dr. Kurt Faltlhauser Wir hören, daß der Minister Möllemann weitere Ar- pitalsteuer und die Vermögensteuer nicht erhoben beiten in Richtung 10 Milliarden DM tätigt. Ich könnte werden. Im allgemeinen Teil der Begründung des mir vorstellen, daß er da einige Schwierigkeiten ha- Steueränderungsgesetzes heißt es entsprechend: ben wird. Wir meinen, daß wir von der Unionsfraktion „Mit dem Verzicht auf die Erhebung der Gewerbeka- und von der FDP-Fraktion dabei hilfreich zur Seite pitalsteuer und der Vermögensteuer im Beitrittsgebiet stehen sollten. Die Arbeitsgruppen sollten nach mei- wird ein erster Schritt zur Verringerung der ertrags- ner Ansicht gemeinsam arbeiten, damit wir hier vor- unabhängigen Steuern für Unternehmen im gesam- ankommen. ten Bundesgebiet getan. " Ich will noch daran erinnern: Wir haben bei unseren Die Koalitionsfraktionen haben sich bei der Bera- Arbeiten die Verbände, die uns gute Ratschläge zum tung auf folgende Klarstellung dieser Vorgaben aus Subventionsabbau geben, konkret gefragt: Wo sind der Koalitionsvereinbarung geeinigt: Wir sehen einer- Ihre Vorschläge? Es kamen keine Vorschläge; es kam seits in dem Verzicht auf die Erhebung der Gewerbe- nichts. kapitalsteuer im Beitrittsgebiet einen ersten Schritt Ich habe ein gewisses Verständnis dafür, daß Inter- zur Verringerung der ertragsunabhängigen Steuern Bundesgebiet. Die essenvertreter die Arbeit der Politik nicht überneh- der Unternehmen im gesamten Nichterhebung der Gewerbekapitalsteuer in den men können und wollen. Wenn das aber so ist, dann neuen Bundesländern soll in eine Beseitigung dieser sollten dieselben Interessenvertreter sich verbal etwas problematischen Steuer auch im gesamten Bundesge- mehr mit der platten und dümmlichen Wiederholung biet einmünden. Daß dabei die Gemeinden den Aus- der Forderung nach massivem Subventionsabbau zu- fall in vollem Umfang ersetzt bekommen, ist Ge- rückhalten. schäftsgrundlage dieses Vorhabens. Vor dem Hintergrund unserer Subventionsabbau- bemühungen haben wir über einige Regelungen des (Zuruf von der SPD: Aha!) vorliegenden Steueränderungsgesetzes mit gemisch- Andererseits hat die Aussetzung der Vermögen- ten Gefühlen debattiert, etwa über die- Anhebung steuer in den neuen Bundesländern keine Präjudiz- beim § 10e des Einkommensteuergesetzes oder die wirkung für eine Abschaffung der Vermögensteuer in Anhebung von 750 auf 1 000 DM beim Baukinder- der gesamten Bundesrepublik Deutschland. Es gibt geld. Die Anhörung im Finanzausschuß hat zu diesen also keinen Automatismus: Nichteinführung der Ver- Bereichen ergeben, daß die wohnungswirtschaftli- mögensteuer im Beitrittsgebiet, Abschaffung dieser chen Effekte der Maßnahmen wohl kaum erkennbar Steuer in den alten Bundesländern! sein werden. Aus finanzpolitischer Sicht ist deshalb zu fragen, ob wir in diesem Gesetz nicht neue Subven- Die auf die Jahre 1991 und 1992 befristete Ausset- tionstatbestände zu einem Zeitpunkt schaffen, zu dem zung der Vermögensteuer im Beitrittsgebiet soll des- wir uns an anderer Stelle dringend und unter Schwie- halb im gesamten Bundesgebiet von einer reformier rigkeiten bemühen, Subventionen abzubauen. ten Vermögensteuer abgelöst werden. Ziele dieser Reform sollten zum einen Vereinfachungsgesichts- Das gleiche gilt für den Tariffreibetrag, an dessen punkte, zum anderen eine Senkung der Belastung vor Sinn vielfach erhebliche Zweifel angemeldet wurden. allem bei der betrieblichen Vermögensteuer sein. In den neuen Bundesländern brauchen wir Investitio- nen und wollen nicht die Einkommenssituation vor- Abschaffung der Gewerbekapitalsteuer, Reform der nehmlich derjenigen verbessern, die zwar dort ihren Vermögensteuer, Reduzierung der Belastung im be- Hauptwohnsitz haben, aber in den alten Bundeslän- trieblichen Teil der Vermögensteuer: das zusammen- dern für gutes Geld arbeiten. Diese Gruppe der genommen ist schon ein wichtiger Baustein einer wei- „neuen Übersiedler" ist es vor allem, die von einem teren Stufe der Steuerreform, auf die wir im Hinblick derartigen Tariffreibetrag profitieren werden. Mit auf den internationalen Standortwettbewerb nicht großer Befriedigung stelle ich deshalb fest, daß wir verzichten können und wollen. uns im Finanzausschuß darauf geeinigt haben, den Gerade wegen des durch den unvorhersehbaren Tariffreibetrag bis Ende 1993 zu befristen. und außergewöhnlichen Haushaltsdruck entstande- Lassen Sie mich im Zusammenhang mit dem Steu- nen Zwangs zu Steuererhöhungen müssen und wol- eränderungsgesetz noch einige Anmerkungen zur len wir die mittelfristige Kontinuität unserer Steuerpo- Gewerbekapitalsteuer und zur Vermögensteuer ma- litik aufrechterhalten. Diese mittelfristige Kontinuität chen. In der Koalitionsvereinbarung vom 16. Januar heißt: Reduzierung der Steuerbelastung. Wir müssen 1991 heißt es: und werden nach den besonderen Belastungen der deutschen Einheit wieder auf diesen Weg zurückkom- Die Koalitionspartner sind sich darüber einig, in men. der kommenden Legislaturperiode die Steuerre- form fortzuführen. In der ersten Stufe werden die (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Gewerbekapitalsteuer und die Vermögensteuer Meine Damen und Herren, das Bundesverfassungs- abgeschafft; im Beitrittsgebiet wird zur besonde- gericht hat uns durch zwei Urteile des Ersten Senats ren Förderung der Investitionen und der Arbeits- aufgegeben, das Existenzminimum der Kinder von plätze auf die Erhebung der Gewerbekapital- der Besteuerung freizuhalten. Dementsprechend steuer und der Vermögensteuer bereits ab 1. Ja- sieht das Steueränderungsgesetz präzise das vor, was nuar 1991 verzichtet. uns das Bundesverfassungsgericht vorgegeben hat. Entsprechend dieser Vorgabe sind im Steuerände- Die falsche Besteuerung der Jahre 1983 bis 1985 wird rungsgesetz die gesetzlichen Vorkehrungen dafür ge- korrigiert, aber nur bei den nicht bestandskräftigen troffen worden, daß im Beitrittsgebiet die Gewerbeka Bescheiden. Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 25. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 14. Mai 1991 1665

Dr. Kurt Faltlhauser Der Protest gegen diese Einschränkung ist ver- Sondersitzungen in Vorbereitungen der heutigen ständlich. Der Querulant, der sich den staatlichen Fi- zweiten und dritten Lesung mitgetragen haben. Dies nanzbehörden entgegengestellt hat, der sich einen war nur unter der souveränen Leitung des Vorsitzen- Rechtsanwalt leisten kann, bekommt die Früchte sei- den Gattermann erträglich. nes Einspruchs wieder in die Kasse, und die Masse der In diesem Sinne bitte ich das Haus um Zustimmung braven Steuerzahler erhält nichts. zu den vorliegenden Gesetzen mit den Änderungen Warum, so frage ich, haben wir dann nicht für alle des Finanzausschusses. den Kinderfreibetrag für das erste Kind von 432 auf (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie 2 000 DM und für das zweite Kind um 1 400 DM ange- bei Abgeordneten der SPD) hoben? — Das war das Ergebnis eines Abwägungs- prozesses. Alle Steuerzahler mit Kindern für die Zeit von 1983 bis 1985 rückwirkend zu berücksichtigen, Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Ich frage noch ein- hätte zwischen 15 und 17 Milliarden DM gekostet. mal nach: War der letzte Teil der Rede besser zu Das wäre eine haushaltspolitische Belastung, meine hören? Damen und Herren, die Deutschland im Jahre 1991 schlicht und einfach nicht noch zusätzlich verkraften (Zurufe von der SPD: Nein! — Das lag aber kann. Hier müssen wir abwägen. Wir brauchen un- an der Rede!) sere knappen Mittel für die Gestaltung der Zukunft, — Da dies nicht der Fall ist, bitte ich die Techniker nicht für die Herstellung von blütenreiner Gerechtig- noch einmal, zu einer besseren Aussteuerung zu ge- keit in einer nunmehr doch schon ziemlich weit zu- langen. rückliegenden Vergangenheit. Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Ingrid Mat- Ich kann mir auch nicht vorstellen, daß das Bundes- thäus-Maier. verfassungsgericht den Gesetzgeber zwingen will, (Zuruf von der SPD: Dann wird es jetzt bes rückwirkend besonders großzügig zu sein, wenn es ser!) gleichzeitig sieht, daß dieser Bundestag entschlossen- und in der Lage ist, für die Zukunft den verfassungs- rechtlichen Vorgaben der Familienbesteuerung voll Ingrid Matthäus-Maier (SPD): Frau Präsidentin! Genüge zu tun. Dementsprechend werden wir ab Meine sehr verehrten Damen und Herren! Vor weni- 1. Januar 1992 auch den Kinderfreibetrag deutlich gen Wochen hat die SPD in Rheinland-Pfalz ein her- anheben. vorragendes Wahlergebnis errungen. Meine Damen und Herren, ich habe nur einige (Beifall bei der SPD) Punkte aus den umfangreichen Gesetzen herausge- griffen. Steuergesetze sind üblicherweise kein Pro- Die CDU hatte ein niederschmetterndes Wahlergeb- dukt des Gesetzgebers, das rundum Freude und nis. Wohlgefallen verbreitet. Dafür sind sie im Detail zu Am heutigen Tage, an dem wir hier im Parlament unverständlich; sie schaffen erhöhten Verwaltungs- das Steuererhöhungspaket der Bundesregierung dis- aufwand, sind von der Asche des üblichen Steuerall- kutieren, kommt es mir bei diesem Wahlergebnis auf tags bedeckt. eines besonders an: Die Bürger haben nicht nur mit Dies gilt auch für die beiden hier zur Verabschie- großer Mehrheit SPD gewählt; sie haben zugleich den dung vorliegenden Gesetze. Den an diesem Gesetz- Politikern der Steuerlüge eine herbe Quittung erteilt, gebungsverfahren mitwirkenden Finanzbeamten und und das ist gut so. Finanzpolitikern mag es jedoch zur Entschuldigung (Beifall bei der SPD) für dieses Paragraphenwerk gereichen, daß durch das Instrument der Steuergesetze verteilungspolitische, Vor der Wahl — wir erinnern uns — hieß es in einer umweltpolitische, regionalpolitische, verkehrspoliti- großen Anzeige der CDU: „Keine Steuererhöhung für sche und wirtschaftspolitische Gesichtspunkte gleich- die deutsche Einheit. Diese Garantie kann Ihnen nur zeitig aufeinanderprallen. die Regierung geben." (Lachen bei der SPD) Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Herr Abgeordneter „Wir" — so die CDU — „reden vor der Wahl nicht Faltlhauser, Ihre Redezeit ist überschritten. anders als nach der Wahl." Wer nach solch eindeutigen Wahlversprechungen Dr. Kurt Faltlhauser (CDU/CSU): Ja. Bitte berück- vor der Wahl sein Wort nach der Wahl so schamlos sichtigen Sie aber noch den Ausfall des Tons. Ich bricht und das rabiateste Steuer- und Abgabenerhö- komme dann zu meinen letzten Sätzen. hungspaket dieser Republik vorlegt, hat von den Wählern in Rheinland-Pfalz zu Recht die rote Karte Das Ergebnis kann dementsprechend nie — wie erhalten, meine Damen und Herren. manche Theoretiker es erwarten — klar und gesetzes- technisch schön sein. Daß sich die fachkundigen Da- (Beifall bei der SPD und dem Bündnis 90/ men und Herren des Finanzministeriums gleichwohl GRÜNE) auch hier wiederum außergewöhnlich bemüht haben, Für Politiker wie uns Sozialdemokraten, die auch verdient unseren ausdrücklichen Dank. Der Finanz- schon vor der Bundestagswahl ehrlich, wenn auch ausschuß bittet Sie, Herr Bundesfinanzminister, die- nicht sehr populär, darauf hingewiesen hatten, daß sen Dank an Ihr Haus weiterzugeben. die deutsche Einheit angesichts der nackten Zahlen In gleicher Weise bedanke ich mich bei den Kolle- nicht ohne Steuererhöhungen würde finanziert wer- gen des Finanzausschusses dafür, daß sie die vielen den können, ist das Wahlergebnis von Rheinland- 1666 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 25. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 14. Mai 1991

Ingrid Matthäus-Maier Pfalz eine Ermutigung für Ehrlichkeit und Glaubwür- Nein, ich glaube nicht an Irrtum. Sie sagen die Un- digkeit in der Politik; wahrheit, weil Sie die Auswirkungen Ihrer Steuerpo- litik vor dem Bürger verstecken müssen. Die Marken- (Beifall bei der SPD und dem Bündnis 90/ zeichen Ihrer Steuerpolitik sind nämlich Ungerech- GRÜNE — Widerspruch bei der CDU/CSU) tigkeit und Unehrlichkeit, und beides hängt mitein- zeigt dieses Wahlergebnis doch: Steuerlüge lohnt sich ander zusammen. Weil Ihre Steuerpolitik sozial unge- nicht, denn Steuerlügner wählt man nicht, meine Da- recht ist, weil sie 'die kleinen Leute und den Durch- men und Herren. schnittsverdiener immer sehr viel mehr als die Großen belasten und im Zweifel die Hochvermögenden sogar (Beifall bei der SPD) noch entlasten, müssen Sie dieses Ergebnis vor dem Die Bürger sollten aber wachsam sein, denn das Bürger verstecken. Deswegen haben Sie Angst, den Tricksen und Täuschen hört bei dieser Bundesregie- Bürgern vor der Wahl die Wahrheit zu sagen. rung nicht auf. Es durchzieht die Steuerpolitik dieser (Beifall bei der SPD) Bundesregierung wie ein roter Faden. Statt sich nach der Bundestagswahl zu entschuldigen, erklärte Fi- Das Strickmuster ist immer das gleiche. Es gibt eine nanzminister Waigel im März in der Haushaltsdebatte politische Aufgabe, die gelöst werden muß, und es des Bundestages: „Wenn die Ausgaben für den Golf- gibt bei den Bürgern eine Bereitschaft zur Solidarität. krieg nicht auf uns zugekommen wären, hätten wir im Diese Opferbereitschaft nutzt die Bundesregierung Jahre 1991 die Steuern nicht erhöht. Das ist die Wahr- dann aber für eine unverblümte Politik der Umvertei- heit." lung von unten nach oben aus. Nur zwei Beispiele: Meine Damen und Herren, das Bundestagsproto- Unter dem Etikett der Schaffung von Arbeitsplätzen koll vermerkt dazu den Zwischenruf der Abgeordne- hat diese Bundesregierung seit 1983 den Spitzensteu- ten Matthäus-Maier (SPD): „Noch eine Steuerlüge!" ersatz, den Körperschaftsteuersatz und die Vermö- gensteuer gesenkt und im Gegenzug die Mehrwert- (Beifall bei der SPD) steuer, die Mineralölsteuer, die Tabaksteuer, die Ver- sicherungsteuer, die Kraftfahrzeugsteuer erhöht, die Ich sage Ihnen: Wer angesichts von einmaligen Erdgassteuer neu eingeführt sowie den Weihnachts- 11,6 Milliarden DM Kosten für den Golfkrieg in die- sem Jahr Steuer- und Abgabenerhöhungen in Höhe freibetrag, den Arbeitnehmerfreibetrag, den Alters- freibetrag, den Essensfreibetrag und die Steuerfrei- von 33 Milliarden DM in diesem Jahr und in den Fol- gejahren vorsieht, heit für Nachtarbeitszuschläge abgeschafft. Daß dies zugunsten der Großen und zu Lasten der Kleinen (Dr. Hans-Jochen Vogel [SPD]: Ist das schon ging, das sieht ja jedermann. für den nächsten Golfkrieg?) (Beifall bei der SPD) will doch wohl die Wähler für dumm verkaufen, wenn er sich hinter dem Golfkrieg versteckt. Zweites Beispiel. Unter dem Etikett der Finanzie- rung der deutschen Einheit werden jetzt erneut die (Beifall bei der SPD) Lohn- und Einkommensteuer, die Mineralölsteuer, die Tabaksteuer, die Versicherungsteuer, die Kraft- Meine Damen und Herren, die Wählertäuschungs- fahrzeugsteuer, die Mehrwertsteuer, die Arbeitslo- versuche der CDU nehmen zum Teil groteske Formen an. So lieferte die Bundesregierung zwei Tage vor der senversicherungsbeiträge und die Telefongebühren Wahl in Rheinland-Pfalz folgende Schlagzeile in Sa- angehoben. Damit werden erneut hauptsächlich die kleinen und mittleren Einkommen zur Kasse gebeten chen Telefongebühren: „Keine Gebührenerhöhung — aber telefonieren wird teurer. " Die Erklärung für und die Großverdiener vergleichsweise geschont, und dieses Rätsel gab der Postminister, nämlich: Die Tele- nicht nur das, Großverdiener sollen sogar noch entla- fongebühren werden nicht erhöht; man kann nur für stet werden. dieselben Gebühren weniger telefonieren. Nach die- Meine Damen und Herren, wer sich diese lange ser Logik erwarte ich eigentlich von Ihnen heute mor- Liste von Steuer- und Abgabenerhöhungen anschaut, gen die Mitteilung, daß es Steuererhöhungen bei Mi- der sieht: Das dauernde Gerede von Union und FDP, neralöl und Tabak gar nicht gibt, denn schließlich sie senkten die Steuern, und die SPD sei die Steuer- kann man für dasselbe Geld nur weniger tanken und erhöhungspartei, ist Unsinn. Der Unterschied ist ein rauchen! anderer. Bundeskanzler Kohl und seine Koalition er- höhen die Steuern sozial ungerecht und verschweigen (Beifall bei der SPD und dem Bündnis 90/ ihre Pläne vor der Wahl. Wir Sozialdemokraten treten GRÜNE — Zuruf von der CDU/CSU: Ich dagegen auch bei der Steuerpolitik für soziale Ge- tanke immer nur für 20 Mark!) rechtigkeit ein und sagen den Bürgern vor der Wahl Ich habe mich immer gefragt, warum die Politiker von die Wahrheit. Steuergerechtigkeit gegen Steuerunge- CDU/CSU und FDP, von wenigen Ausnahmen abge- rechtigkeit, Steuerehrlichkeit gegen Steuerlüge, das sehen, vor der Wahl so unverdrossen die Unwahrheit sind die wahren Alternativen, vor denen die Bürger gesagt haben. Sie hätten sich geirrt, sagen Sie, Fehl- stehen. einschätzung. Wenn das stimmt, meine Damen und (Beifall bei der SPD) Herren, müßten Sie eigentlich wegen wirtschafts- und finanzpolitischer Inkompetenz zurücktreten. Man Wir Sozialdemokraten sagen ein klares Ja zu kräfti- kann sich doch nicht über zig Milliarden irren! gen Finanzhilfen für den Aufbau der neuen Bundes- länder. Wir haben einen umfassenden Aufbauplan für (Beifall bei der SPD und dem Bündnis 90/ die neuen Bundesländer vorgelegt und zugleich meh- GRÜNE) rere Maßnahmen zur Finanzierung vorgeschlagen. Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 25. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 14. Mai 1991 1667

Ingrid Matthäus-Maier Wir haben dabei einen Schwerpunkt auf Einsparmaß- zeigt, daß Sie die Bürger bis in die Überschrift hinein nahmen gelegt, denn ein Politiker darf den Bürgern täuschen wollen. nur dann höhere Steuern abverlangen, wenn er zuvor alle Einsparmöglichkeiten ausgeschöpft hat. Weil das (Beifall bei der SPD) aber alles nicht ausreicht, haben wir — wohlwissend, Warum nennen Sie es eigentlich Solidaritätsgesetz, daß es unpopulär ist — vor der Wahl eine auf vier wenn Sie darauf beharren, daß das Geld nicht für die Jahre begrenzte Ergänzungsabgabe für Höherver- Solidarität mit den neuen Ländern, sondern für den dienende vorgeschlagen, weil wir der Ansicht sind, Golfkrieg ausgegeben werden soll? Außerdem ist das daß nach der Idee des Lastenausgleichs nach dem Gegenteil von Solidarität in diesem Gesetz richtig: Ihr Zweiten Weltkrieg die Menschen mit den starken Steuergesetz ist zutiefst unsolidarisch, und zwar in Schultern die Lasten leichter als die Menschen mit dreifacher Weise: unsolidarisch gegenüber den klei- den schwachen Schultern tragen können. Bei Ihnen nen und mittleren Einkommen, unsolidarisch gegen- ist es genau umgekehrt, denn bei Ihnen wird ein über den Menschen in den neuen Bundesländern und durchschnittlich verdienender Arbeitnehmerhaushalt unsolidarisch gegenüber Ländern und Gemeinden. mit zwei Kindern mit zusätzlich 110 DM im Monat zur Kasse gebeten. Das sind rund 1 300 DM im Jahr. Der Sie fordern Solidarität von den kleinen Leuten, von Masse der Arbeitnehmer wird mit einem Schlag all der breiten Masse der Bevölkerung; das gilt im We- das wieder weggenommen, was Sie ihr durch die so- sten wie im Osten. Würden Sie unserem Vorschlag genannte Steuerreform gegeben haben. Und mit der folgen und die Ergänzungsabgabe nur oberhalb einer für 1993 vorgesehenen Anhebung der Mehrwert- Einkommensgrenze von 60 000 DM bei Ledigen bzw. steuer werden auf die Bürger neue Belastungen hin- 120 000 DM bei Verheirateten im Jahr erheben, dann zukommen. Deswegen, meine Damen und Herren, ist würde der Durchschnittsverdiener von der Ergän- es auch ein Unrecht, daß Sie bereits im Jahr 1991 mit zungsabgabe verschont. Ihr Gesetz hingegen trifft dem Abbau der Arbeitnehmerzulage in Berlin begin- nicht nur die Millionen der kleinen Lohn- und Ein- nen. Die Berliner Arbeitnehmer werden auf diese kommensteuerzahler im Westen, sondern Ihre Ergän- Weise doppelt zur Kasse gebeten. Wir hatten den An- zungsabgabe muß ab Juli auch von 70 % der Arbeit- trag gestellt, das in das nächste Jahr zu verschie- nehmer in den neuen Bundesländern gezahlt werden, ben. deren Löhne der Lohnsteuer unterliegen, also von (Beifall bei der SPD) über 6 Millionen Arbeitnehmern allein im Osten.

Auch bei Rentnern und Arbeitslosen sahnt die Bun- Das wird viele dieser Menschen hart und völlig un- desregierung kräftig ab. Die soziale Schlagseite wird erwartet treffen; denn als der Bundespräsident im insbesondere deutlich, wenn man sich vergegenwär- letzten Herbst gesagt hat, die Teilung müsse durch tigt, daß die Ergänzungsabgabe nur für ein Jahr gel- Teilen überwunden werden, da haben wir alle das ten soll, die Erhöhungen der indirekten Steuern aber doch nicht so verstanden, daß es die Bezieher kleiner unbegrenzt gelten sollen. Einkommen im Osten sein sollen, die Solidarität mit sich selber üben sollen. Was bei der Steuerpolitik dieser Bundesregierung herauskommt, hat das renommierte Deutsche Institut (Zurufe von der CDU/CSU — Gegenruf von für Wirtschaftsforschung im Deutschen Bundestag in der SPD: Das paßt euch nicht!) einer Anhörung festgestellt. Es stellt fest: Nachdem Diese offensichtliche Ungerechtigkeit wollen Sie nun die ganze Steuerreform zurückgenommen wird, ein wenig mit Ihrem sogenannten Tariffreibetrag aus- gibt es aber noch eine gewichtige Differenzierung. Es gleichen. Aber wie wollen Sie den Menschen in den heißt wörtlich: neuen Bundesländern eigentlich erklären, daß Otto Normalverbraucher davon eine Entlastung von 9 DM Allerdings werden jetzt die p rivaten Haushalte im Monat erhält, während Frau Staatssekretärin Berg- anders belastet, als sie damals entlastet wurden. mann-Pohl oder Herr Minister Krause oder auch west- Während die untere Hälfte der Gesamtheit der liche Spitzenverdiener, die sich zeitweilig zur Arbeit Lohnsteuerpflichtigen mit bis zu 45 000 DM Jah- im Osten aufhalten, das Dreifache erhalten? reseinkommen im Saldo belastet wird, werden die oberen 15 °A° mit über 80 000 DM Jahresein- Wenn sich der finanzpolitische Sprecher der CDU/ kommen kräftig entlastet. CSU-Fraktion im „Handelsblatt" — so wörtlich — „über diesen komischen Tariffreibetrag" mokiert und So das DIW. Es stellt seine Untersuchung unter die meint, er müsse zurückgenommen werden, dann, Überschrift „Umverteilung der Einkommen von unten Herr Faltlhauser, können wir Ihnen helfen: Wir schla- nach oben". gen Ihnen vor, lassen Sie uns diesen verkorksten Ta- riffreibetrag durch eine Anhebung des Grundfreibe- Diese Überschrift würde übrigens auch besser als trages um 600 DM für alle Bürger in Ost und West die von Ihnen gewählte Überschrift zu Ihrem Steuer- ersetzen. erhöhungsgesetz passen. (Beifall bei der SPD)

(Beifall bei der SPD) Wir wissen, daß heute bereits das Existenzminimum aller Bürger in verfassungswidriger Weise der Lohn- Daß Sie Ihr ungerechtes Steuererhöhungsgesetz aus- und Einkommensteuer unterliegt. Auch Sie wissen gerechnet Solidaritätsgesetz nennen, das. Schon jetzt werden alle Steuerbescheide entwe- der angefochten oder vorläufig erlassen — ein unhalt- (Zuruf von der SPD: Das ist zynisch!) barer Zustand. Ein Bundesfinanzminister, der das so 1668 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 25. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 14. Mai 1991

Ingrid Matthäus-Maier weiterlaufen läßt, wird seiner Verantwortung nicht Obendrein beschließen Sie in Ihrer Koalitionsver- gerecht. einbarung, auch noch die Vermögensteuer und die Gewerbekapitalsteuer abzuschaffen. Sie haben das (Beifall bei der SPD und dem Bündnis 90/ mit dem europäischen Binnenmarkt ab 1993 und der GRÜNE) internationalen Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft Deswegen schlagen wir Ihnen heute in einem beson- begründet. Meine Damen und Herren, das ist doch an deren Antrag vor, den Tariffreibetrag durch eine An- den Haaren herbeigezogen. Schon jetzt ist die deut- hebung des Grundfreibetrages als ersten Schritt hin sche Wirtschaft trotz der Vermögensteuer und trotz zur Steuergerechtigkeit zu ersetzen. der Gewerbekapitalsteuer die leistungsfähigste Wirt- schaft in der Europäischen Gemeinschaft. Das wird Meine Damen und Herren, zu Ihrem Steuer- und auch so bleiben. Abgabenerhöhungspaket gehört auch eine massive Anhebung der Mineralölsteuer. Als wir Sozialdemo- (Widerspruch bei der CDU/CSU und der kraten im Sommer 1988 eine ökologische Umschich- FDP) tung des Steuersystems forderten, bei der durch eine — Warum gucken Sie denn so pessimistisch in die Anhebung der Mineralölsteuer um 50 Pfennig auf der Zukunft? Das bin ich gar nicht von Ihnen gewohnt, anderen Seite eine Abschaffung der Kraftfahrzeug- meine Damen und Herren. steuer, eine kräftige Verbesserung des Grundfreibe- trags, die Einführung einer Fernpendler- und Entfer- Jetzt sind Sie einen halben Schritt zurückgewichen. nungspauschale, die Förderung des öffentlichen Per- Sie beharren nicht mehr auf der Abschaffung der Ver- sonennahverkehrs und von Fahrgemeinschaften, mögensteuer; Sie wollen sie nur noch halbieren. Das steuerliche Hilfen für das Energieeinsparen und so- begrüße ich und betrachte es als Erfolg unserer hart- ziale Ausgleichsmaßnahmen für Rentner, Behinderte näckigen Kritik. Das beweist aber doch, daß Ihre bis- und Arbeitslose finanziert werden sollten, hat diese herige Begründung, die Vermögensteuer müsse ab- Regierungskoalition gegen unser reines Umschich- geschafft werden, damit das Steuerrecht vereinfacht tungsmodell in nie dagewesener Weise- polemisiert. würde, ein Vorwand war. Der Verwaltungsaufwand „Schlag gegen den ländlichen Raum" waren noch der Vermögensteuer ist nämlich bei einer halbierten Ihre freundlichsten Vokabeln. Vermögensteuer genauso hoch wie bei der Vermö- gensteuer in jetziger Höhe. Deswegen ist das unehr- Aber, meine Damen und Herren, auch in dieser lich, meine Damen und Herren. Nein, wir brauchen Frage haben Sie die Menschen getäuscht. Während keine Halbierung der Vermögensteuer. Dies ist unge- Sie nämlich noch gegen unser reines Umschichtungs- recht und führt zu hohen Steuerausfällen. modell wetterten, haben Sie von 1988 bis heute die Mineralölsteuer schrittweise um sage und schreibe Jeder weiß, daß die zunehmende Vermögenskon- 39 Pfennig angehoben. Trotzdem gibt es noch die zentration eine ganz zentrale Schwachstelle unserer Kraftfahrzeugsteuer; und der Grundfreibetrag ist im- Wirtschaftsordnung ist. Nun kann zwar die Vermö- mer noch verfassungswidrig. Eine Entfernungspau- gensteuer die Vermögenskonzentration nicht verhin- schale gibt es immer noch nicht, und Fahrgemein- dern, aber eine solche Vermögenskonzentration schaften werden immer noch nicht gefördert, dem öf- durch Abschaffung der Vermögensteuer auch noch zu fentlichen Personennahverkehr geht es schlechter fördern, wird es mit den Sozialdemokraten nicht ge- denn je. An Ausgleichsmaßnahmen für Rentner, Be- ben, meine Damen und Herren. hinderte und Arbeitslose denken Sie ohnehin nicht. (Beifall bei der SPD) (Beifall bei der SPD) Wenn Sie uns schon nicht glauben, Herr Waigel, Nein, meine Damen und Herren, jeder deutsche dann empfehle ich Ihnen einen Blick in Ihre eigene Autofahrer kann sich leicht ausrechnen, daß er bei Steuerbroschüre „Steuern von A bis Z" vom letzten dem SPD-Umschichtungsmodell besser gefahren Jahr, in der eindeutig begründet wird, warum es eine wäre. Ihre Mineralölsteueranhebung um 39 Pfennig Vermögensteuer geben soll. Das war vor der Bundes- ist ein reines Abkassiermodell, und dieses Abkassier- tagswahl. Nach der Bundestagswahl behaupten Sie, modell machen wir nicht mit. die Vermögensteuer müsse abgeschafft werden. Was soll das eigentlich, wenn Sie das eine vor der Wahl (Beifall bei der SPD) sagen und das andere nach der Wahl tun? Das ist Während Sie Millionen Normalverdienern das Geld jedenfalls keine ehrliche Politik. aus der Tasche ziehen, schanzen Sie zugleich Spitzen- (Beifall bei der SPD — Dr. Hans-Jochen Vo zu. Nicht verdienern neue Steuererleichterungen gel [SPD]: Sehr wahr!) nur, daß Spitzenverdiener mit zwei Kindern unter 10 Jahren die Möglichkeit haben, sich das Einstellen Falsch und eine bewußte Irreführung der Öffent- einer Haushaltshilfe zur Hälfte vom Staat bezahlen zu lichkeit ist auch die Behauptung, die SPD fordere die lassen, während der Otto Normalverbraucher nicht Einführung der Vermögen- und Gewerbekapital- einmal den Kindergartenbeitrag von der Steuer abset- steuer in den neuen Bundesländern. Die Wahrheit ist, zen kann und der Staat kein Geld hat, neue Kinder- daß beide Steuern durch den Einigungsvertrag, dem gartenplätze zu schaffen. Nicht nur, daß jetzt auch das wir ja ganz überwiegend zugestimmt haben, bereits Schulgeld für den Besuch von Privatschulen steuerlich zum 1. Januar 1991 in den neuen Bundesländern ein- abgezogen werden kann, während auf der anderen geführt sind. Dabei soll es auch bleiben. Bei verwal- Seite viele Schulstunden ausfallen und die Bundes- tungsmäßigen Schwierigkeiten können bereits nach länder kein Geld haben, um neue Lehrer einzu- geltendem Recht Fristverlängerungen für die Abgabe stellen. von Steuererklärungen, vorläufige Steuerfestsetzun- Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 25. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 14. Mai 1991 1669

Ingrid Matthäus-Maier gen oder sogenannte Veranlagungen unter Vorbehalt ben natürlich gibt, reicht bereits das geltende Recht, der Nachprüfung erfolgen. um damit fertigzuwerden, z. B. durch — ich wieder- Nein, meine Damen und Herren, wir brauchen auch hole — Fristverlängerungen bei der Abgabe der in den neuen Bundesländern keine Aussetzung der Steuererklärung — d. h. die Betriebe müssen nicht Vermögensteuer, denn dies würde nur zu neuem Un- gleich übermorgen die Vermögensteuererklärung ab- recht führen. Wie schreibt die „Hannoversche Allge- geben — oder durch vorläufige Festsetzungen durch meine Zeitung" am 8. Mai so treffend: die Finanzämter oder durch Veranlagung unter dem Vorbehalt der Nachprüfung. Wir sind doch vernünf- Dies hätte aberwitzige Folgen. Wer konnte denn tige Leute. in der ehemaligen DDR Vermögen, die über die hohen Freibeträge hinausgehen, besitzen? Doch (Lachen bei der CDU/CSU) wohl ausschließlich Schieber, Spekulanten und In den neuen Bundesländern hat doch keiner die Idee, SED-Bonzen, die sich auf irgendeinem Weg Mil- sofort die Vermögensteuer zu erheben, Herr Faltlhau- lionen verschafft haben. ser. (Zuruf von der SPD: So ist es!) (Beifall bei der SPD) Und ausgerechnet die sollen von der Vermögen- steuer befreit werden? Warum soll in den neuen Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Gestatten Sie eine Bundesländern eigentlich ein Vermögender nicht weitere Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Faltl- dieselben Steuern zahlen, denen im Westen ein hauser? — Bitte. Vermögender unterliegt? Ich finde, die „Hannoversche Allgemeine Zeitung" hat recht, meine Damen und Herren! Dr. Kurt Faltlhauser (CDU/CSU): Ich entschuldige mich zunächst einmal. Ich wußte nicht, daß Sie bei der (Beifall bei der SPD) Anhörung mit dabei waren. Mit der Schaffung neuer Arbeitsplätze in den neuen - (Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Na, sehen Sie Bundesländern hat das schon gar nichts zu tun. Wenn

Sie sich wirklich für neue Investitionen und Arbeits- mal!) plätze in den neuen Bundesländern einsetzen wollen, — Das war aber die einzige Sitzung. dann sollten Sie unserem Vorschlag einer Anhebung (Zurufe von der CDU/CSU) der Investitionszulage von 12 auf 25 % zustimmen. Ich wollte das gleiche nachfragen, was ich auch im Finanzausschuß bei Ihren Kollegen nachgefragt habe: Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Frau Abgeordnete Bedeutet das gemäß Ihrem Beispiel, daß auch SED- Matthäus-Maier, gestatten Sie eine Zwischenfrage Bonzen oder irgendwelche Schieber in den nächsten des Abgeordneten Faltlhauser? zwei Jahren in der Praxis durch entsprechende Ver- waltungsvorgänge die Vermögensteuer nicht zu ent- Ingrid Matthäus-Maier (SPD): Bitte. richten brauchen? (Beifall bei der CDU/CSU) Dr. Kurt Faltlhauser (CDU/CSU): Frau Kollegin, Sie erstaunen mich mit Ihrer Aussage. Sie waren bei der Beratung dieser Gesetze im Finanzausschuß kein ein- Ingrid Matthäus-Maier (SPD): Herr Faltlhauser, ziges Mal anwesend. wenn die Finanzämter es nicht schaffen, dann könnte das sein. Aber was ist denn Ihre Alternative? Bei unse- (Zuruf von der CDU/CSU: Hört! Hört!) rem Vorschlag würde es vielleicht ein, zwei Jahre Ist Ihnen vielleicht deshalb nicht aufgefallen, daß dauern. Bei Ihrem Vorschlag werden die Schieber und auch Ihre eigenen Kollegen eine Initiative mit dem Bonzen auf Dauer befreit, Herr Faltlhauser. Ziel initiiert haben, die Erhebung der Vermögen- (Beifall bei der SPD) steuer und der Gewerbekapitalsteuer in den neuen Bundesländern auf dem Verwaltungswege nicht Meine Damen und Herren, die Anhebung der Inve- durchzuführen? Deswegen frage ich Sie: Was soll das stitionszulage ist für ostdeutsche Unternehmen wich- Beispiel, das Sie hier aus einer Zeitung zitieren? tig, da sie bisher überwiegend keine Gewinne ma- chen. Nur deswegen haben sie etwas von der Investi- (Beifall bei der CDU/CSU und bei Abgeord neten der FDP) tionszulage. Ich appelliere insbesondere an die ost- deutschen Kolleginnen und Kollegen in der CDU/ CSU und FDP, einen echten Investitionsanreiz für die Ingrid Matthäus-Maier (SPD): Herr Faltlhauser, daß neuen Länder mitzutragen. Sie haben gleich in einer Sie in einer Zwischenfrage gleich zweimal die Un- namentlichen Abstimmung die Möglichkeit dazu. wahrheit sagen, ist schon ein starkes Stück. Meine Damen und Herren, zum 1. Januar 1993 will (Zurufe von der CDU/CSU) die Bundesregierung die Mehrwertsteuer anheben. Erstens war ich im Finanzausschuß anwesend, z. B., Auch hier wird wieder getäuscht und get rickst. Zuerst wie Sie wissen, bei dem großen Hearing, wo Ihnen die hieß es, die Mehrwertsteuererhöhung sei wegen der Verbände Ihre ungerechte Steuerpolitik um die Oh- Steuerharmonisierung in Europa erforderlich. Nichts ren geschlagen haben. Zweitens ist nicht wahr, daß davon ist wahr. Der deutsche Mehrwertsteuersatz die SPD einer Aussetzung zugestimmt hat. Sie hat liegt innerhalb der Bandbreite von 14 % bis 20 % , die — genauso wie ich hier heute morgen — gesagt: Bei die Europäische Kommission vorgeschlagen hat. Jetzt verwaltungsmäßigen Schwierigkeiten, die es in den wollen Sie offensichtlich, Herr Waigel, die Europäer neuen Bundesländern angesichts der großen Aufga dazu bringen, den Mindestsatz in ganz Europa auf 1670 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 25. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 14. Mai 1991

Ingrid Matthäus-Maier 16 % anzuheben, damit Sie sich mit Ihrer Mehrwert- Dann soll nämlich der Spitzenverdiener 178 DM er- steueranhebung dann hinter einer solchen neuen halten, aber der Niedrigverdiener nur 64 DM. Festsetzung verstecken können. (Dr. Hans-Jochen Vogel [SPD]: Das wird im mer schlimmer!) (Zuruf von der SPD: So ist es!) Dies würde bedeuten, daß die Bevorzugung der Spit- zenverdiener noch größer wird, als es heute schon der Wo waren Sie eigentlich, Herr Finanzminister, am Fall ist. Wochenende, als es in Brüssel galt, einen Mehrwert- steuersatz von 14 % zu verteidigen? Indem Sie das den Wenn man Sie auf diese Ungerechtigkeit Ihrer Fa- Luxemburgern, den Spaniern und den Engländern, milienpolitik hinweist, dann sprechen Sie immer von die mit Nein gestimmt haben, überlassen haben, ha- Neid. Ich sage Ihnen: Umgekehrt wird ein Schuh dar- ben Sie eindeutig die Interessen der deutschen Steu- aus. was ist es denn anderes als Neid auf Ihrer Seite, erzahler verletzt, Herr Waigel. Das ist ein schlimmer wenn Sie den kleinen und mittleren Einkommen nicht Fehler. gönnen, daß sie genausoviel Kindergeld bekommen (Beifall bei der SPD) wie Spitzenverdiener? (Beifall bei der SPD) Der nächste Bruch eines Wahlversprechens steht Sie neiden es den kleinen Leuten, daß nach unse- bereits heute morgen hier zur Abstimmung. Sie haben rem Konzept die Kinder von Otto Normalverbraucher im Bundestagswahlkampf landauf, landab verspro- dem Staat genausoviel wert sein sollen wie die Kinder chen, daß die Familien, denen man in den Jahren von reicher Leute. Da wir diesen Neidkomplex nicht ha- 1983 bis 1985 zuviel Steuern abgenommen hat, alle ben, wie er bei Ihnen existiert, etwas zurückbekommen, und nicht nur die, die Ein- spruch eingelegt haben. Wenn die Bundesregierung (Josef Grünbeck [FDP]: Eine boshafte Unter mit dem heutigen Gesetz nur den Familien etwas zu- stellung!) bleibt es bei unserer Forderung: mindestens 200 DM rückgeben will, die gegen ihren Steuerbescheid- Ein- spruch eingelegt haben, und die große Mehrzahl der Kindergeld vom ersten Kind an, für alle gleich hoch. Familien, die pünktlich gezahlt und nicht Einspruch (Beifall bei der SPD) eingelegt haben, weil sie auf die Rechtmäßigkeit staatlichen Handelns vertrauen, leer ausgehen soll, dann ist das für die Familien mit Kindern empö- Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Frau Abgeordnete Matthäus-Maier, gestatten Sie eine Zwischenfrage rend. des Abgeordneten Eimer? Wir Sozialdemokraten stellen heute den Antrag, daß rückwirkend alle Familien, auch die, die nicht Ingrid Matthäus-Maier (SPD): Ja. Einspruch eingelegt haben, bei der Rückzahlung zu berücksichtigen sind, unabhängig davon, ob sie sich Norbert Eimer (Fürth) (FDP): Frau Kollegin, nach- gegen ihren Steuerbescheid gewehrt haben oder dem Sie wiederholtermaßen derart merkwürdige nicht. Sie werden heute in namentlicher Abstimmung, Rechnungen machen, frage ich Sie einmal anders- meine Damen und Herren von Union und FDP, Farbe herum: Wieviel muß jemand brutto verdienen, wenn bekennen müssen, ob Sie zwar Milliarden für die Sen- er 100 DM netto für seine Kinder ausgeben will, und kung der Vermögensteuer und die Abschaffung der zwar einmal, wenn er ein sehr niedriges Einkommen Gewerbekapitalsteuer lockermachen können, nicht mit Steuersatz Null hat und einmal ein sehr hohes aber für die Wiedergutmachung des Unrechts an den Einkommen mit einem Steuersatz von 50 % hat? Familien. (Beifall bei der SPD) Ingrid Matthäus-Maier (SPD): Sehr geehrter Herr Noch zu den Familien. Die Bundesregierung hält Eimer, selbstverständlich muß ein Spitzenverdiener daran fest, daß die Familien noch das ganze Jahr 1991 mehr verdienen, weil er progressiv besteuert wird. nach den Maßstäben des Verfassungsgerichtes ver- (Zurufe von der CDU/CSU: Aha! — Josef fassungswidrig zuviel Steuern zahlen. Erst 1992 will Grünbeck [FDP]: Das haben Sie aber unter die Bundesregierung dies ändern. Das kommt zu spät schlagen!) und ist zuwenig. Außerdem legen Sie den Schwer- Ich unterstelle, daß Sie das wissen, meine Damen und punkt wieder auf die ungerechten Kinderfreibeträge Herren. und verschärfen damit die Ungleichheit zwischen den kleinen Leuten und den reichen Leuten. (Norbert Eimer [Fürth] [FDP]: Deswegen frage ich ja! Das Verfassungsgericht sagt es (Uta Würfel [FDP]: Oh nein!) nämlich anders aus!) — Selbstverständlich muß er mehr verdienen. Aber ist Schon heute bekommt ein Spitzenverdiener für je- das denn ein Grund dafür, warum die Kinder von Spit- des Kind durch den Kinderfreibetrag 86 DM im Monat zenverdienern, die es im Leben sowieso viel einfacher mehr auf die Hand als ein Niedrigverdiener. Nach als die Kinder kleiner Leute haben, so massiv geför- Ihren Plänen soll ein Spitzenverdiener ab 1992 sogar dert werden, wie das bei Ihnen der Fall ist, Herr Ei- 114 DM mehr im Monat für sein Kind erhalten als ein mer? Niedrigverdiener. (Beifall bei der SPD) Wenn Sie, Herr Eimer, das Bundesverfassungsge- (Dr. Hans-Jochen Vogel [SPD]: Was?) richt zitieren, so darf ich auf folgendes hinweisen Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 25. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 14. Mai 1991 1671

Ingrid Matthäus-Maier — das ist ein alter Streit zwischen uns — : das Bundes- Beamte, Minister, Staatssekretäre und endlich auch verfassungsgericht läßt ausdrücklich offen, ob man Abgeordnete einbezogen werden. die Steuerfreiheit der Unterhaltsaufwendungen für (Beifall bei der SPD) Kinder über einen Kinderfreibetrag oder über das Kindergeld oder über ein Mischsystem löst. Verwi- Viertens. Passen Sie die Mineralölsteuer in das Ge- schen Sie deshalb die Debatte nicht mit unzutreffen- samtkonzept einer ökologischen Umschichtung des den Hinweisen auf das Bundesverfassungsgericht! Steuersystems ein, und kassieren Sie nicht einfach bei Gehen Sie vor den Bürger, und zeigen Sie ihm die den Menschen ab. Alternative! Bei Ihnen kriegen die Reichen immer et- Fünftens. Stellen Sie endlich das Existenzminimum was drauf, und wir sind der Ansicht, dem Staat muß steuerfrei. Wandeln Sie in einem ersten Schritt den jedes Kind gleich lieb und gleich wert sein. vorgesehenen Tariffreibetrag in eine Verbesserung (Beifall bei der SPD) des Grundfreibetrages für alle Steuerzahler in Ost und West um. Sagen Sie dem Bürger auch endlich einmal ehrlich, Sechstens. Verzichten Sie auf die geplante Senkung daß — wie in der Familienpolitik mit den Kinderfrei- der Vermögensteuer und auf die Abschaffung der beträgen — auch in der Wohnungsbauförderung mit Gewerbekapitalsteuer. dem § 10e des Einkommensteuergesetzes Ihr Grund- prinzip lautet: Wer hat dem wird vergeben — gege- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) ben Siebtens. Fördern Sie den Aufbau der neuen Länder (Heiterkeit) durch eine wirksame Investitionszulage von 25 % für — vergeben nicht. Vergeben wollen wir den Reichen betriebliche Investitionen. Das kommt besonders den und den Armen, aber wir wollen den Reichen nicht Unternehmen in den neuen Bundesländern zugute. mehr geben. Achtens. Verzichten Sie auf die für 1993 geplante (Beifall bei der SPD) Erhöhung der Mehrwertsteuer. Wenn Sie die Ergän- Wir sind der Ansicht, daß Ihre Wohnungsbauförde- zungsabgabe für Höherverdienende auf vier Jahre rung ungerecht ist. befristen und auf die Senkung der Vermögensteuer und die Abschaffung der Gewerbekapitalsteuer ver- Da Sie uns das nicht glauben, zitiere ich den Fami- zichten, dann hat der Staat genausoviel Geld zur Ver- lienbund der Deutschen Katholiken. Er sagt zu Ihrem fügung wie bei der von Ihnen geplanten Anhebung Gesetz: der Mehrwertsteuer. Bezieher von Höchsteinkommen erfahren nach Neuntens. Speisen Sie die Familien mit Kindern der Erhöhung des § 10e eine Entlastung von nicht länger mit schönen Worten ab. Erhöhen Sie das 8 745 DM jährlich. Bezieher von geringen Ein- einheitliche Kindergeld auf mindestens 200 DM vom kommen erfahren eine Entlastung von 3 135 DM. ersten Kind an für alle Kinder. Diejenigen 20 % der Einkommensbezieher mit (Beifall bei Abgeordneten der SPD) den höchsten Einkommen erhalten derzeit 45 der Eigentumsförderungsmittel. Diejenigen 20 Zehntens. Lösen Sie Ihr Versprechen ein, daß alle der Einkommensbezieher mit den niedrigsten Familien mit Kindern für die in den letzten Jahren Einkommen erhalten dementgegen nur 5 %. zuviel gezahlten Steuern einen Ausgleich bekommen, und nicht nur diejenigen, die Einspruch eingelegt ha- Wir Sozialdemokraten sind mit dem Familienver- ben. band der deutschen Katholiken, mit der deutschen Elftens. Stellen Sie die Förderung des Eigenheim- Bauwirtschaft und mit den Bausparkassen der An- baus auf einen einheitlichen Förderbetrag für alle um, sicht, daß dieses ungerechte System durch einen statt die bestehende Ungerechtigkeit zugunsten von gleich hohen Zuschuß für alle Menschen ersetzt wer- Spitzenverdienern noch zu vergrößern, und erhöhen den muß. Sie das Baukindergeld auf 1 200 DM. (Beifall bei der SPD) Zwölftens. Meine Damen und Herren, üben Sie Meine Damen und Herren, hören Sie endlich auf endlich auch Solidarität mit den Ländern und Ge- mit Ihrer Politik der Unwahrhaftigkeit und der Unge- meinden. Die westdeutschen Bundesländer haben rechtigkeit. Machen Sie eine Politik im Interesse der sich solidarisch an der Finanzierung der deutschen Menschen. Dann können Sie auch vor die Bürger tre- Einheit beteiligt. ten und ihnen die Wahrheit sagen. (Lachen bei der CDU/CSU) Unsere sozial gerechte Alternative fasse ich in zwölf Die Mehreinnahmen durch die Steuererhöhungen, kurzen Forderungen zusammen: die jetzt vorgenommen werden, fließen aber fast aus- Erstens. Sparen Sie endlich; dann brauchen Sie schließlich in die Kassen des Bundes. Das ist unsolida- nicht so rabiate Steuererhöhungen. risch. Wir Sozialdemokraten unterstützen die Forde- rungen der Länder, ihnen angesichts wachsender Zweitens. Befreien Sie die Bezieher kleiner und Ausgaben durch eine Neuverteilung des bestehenden mittlerer Einkommen von der Ergänzungsabgabe Steueraufkommens einen größeren Anteil am Steuer- durch die Einführung einer Einkommensgrenze. aufkommen zu verschaffen. Drittens. Ersetzen Sie die ungerechte Beitragserhö- Meine Damen und Herren, ich komme zum Schluß. hung bei der Arbeitslosenversicherung durch eine Ar- Steuern sind ein notwendiges Übel. Der Staat braucht beitsmarktabgabe für alle, in die auch Selbständige, sie, um seine Aufgaben zu erfüllen. Die Menschen 1672 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 25. Sitzung. Berlin, Dienstag, cien 14. Mai 1991

Ingrid Matthäus-Maier werden aber nur dann bereit sein, dem Staat ihre Das Verfassungsgericht sagt nun: Bis zum Existenz- meist mühsam erarbeiteten Steuergelder anzuver- minimum muß dem Staat jedes Kind gleich viel wert trauen, wenn sie erstens das Vertrauen haben, daß die sein. Das heißt, daß der Reiche für sein Kind genauso Politik ihnen nicht mehr Steuern abverlangt, als bei viel verdienen muß wie der Arme. strenger Sparsamkeit nötig ist, wenn sie zweitens das (Zuruf von der SPD: Umgekehrt!) Vertrauen haben, in Sachen Steuern vor der Wahl Nichts anderes bewirken die Freibeträge. Frau nicht belogen zu werden, und wenn sie drittens das Matthäus-Maier, wenn Sie mehr wollen, dann hat das Vertrauen haben können, daß die Steuerpolitik sozial mit der ursprünglichen Forderung des Verfassungs- gerecht ist und die Kleinen nicht für die Großen zah- gerichts nichts zu tun. len. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Sie, Herr Bundeskanzler und Herr Finanzminister, haben das Vertrauen der Menschen in diese Grund- sätze der Steuerpolitik schwer erschüttert. Durch das Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Zur Erwiderung bit- heute vorliegende Steuer- und Abgabenerhöhungs- tet Frau Matthäus-Maier um das Wort. paket wird dieser Vertrauensverlust noch verschärft. Deshalb lehnen wir Sozialdemokraten es ab. Unsere Ingrid Matthäus - Maier (SPD): Sehr verehrter Herr konstruktiven Alternativen liegen auf dem Tisch. Eimer! Ihre schönsten Berechnungen können nicht darüber hinwegtäuschen, daß ein Niedrigverdiener Ich danke Ihnen. durch den Kinderfreibetrag, den Sie eingeführt ha- (Anhaltender Beifall bei der SPD sowie Bei ben, für sein Kind im Monat 48 DM fall des Abg. Werner Schulz [Berlin] [Bünd (Norbert Eimer [Fürth] [FDP]: Das stimmt nis 90/GRÜNE]) doch nicht! — Weitere Zurufe von der FDP und der CDU/CSU) - — ich bitte um Entschuldigung, das ist doch völlig Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Zu einer Kurzinter- unstreitig; fragen Sie einmal Herrn Faltlhauser —, ein vention erteile ich das Wort dem Abgeordneten Nor- Spitzenverdiener für sein Kind im Monat 134 DM er- bert Eimer. hält. Das sind 86 DM mehr, als der Niedrigverdiener (Zurufe von der SPD: Och! — Gegenruf der bekommt. Abg. Uta Würfel [FDP]: Sehr demokra (Beifall bei der SPD — Norbert Eimer [Fürth] tisch!) [FDP]: Falsch!) —Mein lieber Herr Eimer, daß Sie sich so eifrig bemü- hen, dieses häßliche Ergebnis durch dauernde Zwi- Norbert Eimer (Fürth) (FDP): Frau Präsidentin! schenfragen, Interventionen und Diskussionen zu ver- Meine Damen und Herren! Die Unmutsäußerung von stecken, der SPD läßt bei dieser Debatte einiges befürchten. (Zuruf von der CDU/CSU: Sie liegen (Zuruf von der SPD: Hände aus der Ta falsch!) sche!) liegt offensichtlich daran, daß Sie Mühe haben, dieses Ich weiß nicht, ob ein solches Verhalten der angemes- ungerechte Ergebnis zu ertragen. sene demokratische Stil ist. (Beifall bei der SPD) Meine lieben Kollegen, ich bin kein Freund von Dieses häßliche Ergebnis war der Grund, warum die Freibeträgen. Das ist hier bekannt; ich habe das oft FDP 1974, als sie zusammen mit der SPD in der sozial- genug gesagt. Aber ich kann es nicht hinnehmen, in liberalen Koalition war — und auch die CDU und die welcher Art Freibeträge hier behandelt werden und CSU haben daran mitgewirkt — , die bis dahin beste- wie die Öffentlichkeit — ich sage es bewußt — hinters henden Kinderfreibeträge abgeschafft und durch das Licht geführt wird. einheitliche Kindergeld ersetzt hat. Damals waren Sie (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU — unserer Ansicht, heute driften Sie wieder ab zur Um- Widerspruch bei der SPD) verteilung von unten nach oben, meine Damen und Herren. Wie wirken denn Freibeträge? — Da Frau (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Werner Matthäus-Maier bei der Antwort auf meine Zwischen- Schulz [Berlin] [Bündnis 90/GRÜNE]) frage „herumgeeiert" ist, (Zustimmung bei der FDP — Widerspruch Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Das Wort hat jetzt bei der SPD) der Abgeordnete Werner Schulz. will ich Ihnen das einmal kurz vorrechnen. Wenn jemand 100 DM für sein Kind ausgeben will, Werner Schulz (Berlin) (Bündnis 90/GRÜNE): Frau muß er, wenn er keine Steuern zahlt, 100 DM brutto Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir gehören verdienen, damit er 100 DM ausgeben kann. Wenn zu denjenigen, die schon sehr frühzeitig erhebliche, jemand einem Durchschnittssteuersatz unterliegt, größere finanzielle Mittel zur Herstellung der deut- also 20 % Steuern zahlt, muß er 125 DM verdienen, schen Einheit gefordert haben. Ich kann es der Bun- damit er 100 DM für sein Kind ausgeben kann. Wenn desregierung nicht ersparen, sie an ihre Verlautba- jemand 50 % Steuern zahlt, also Großverdiener ist, rungen von gestern und vorgestern zu erinnern. Zu- muß er 200 DM verdienen, damit er 100 DM für seine nächst hieß es, die im Fonds „Deutsche Einheit" be- Kinder ausgeben kann. reitgestellten Mittel würden ausreichen, um die finan- Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 25. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 14. Mai 1991 1673

Werner Schulz (Berlin) ziehen Lasten der Vereinigung aufzubringen. Als sich ab sofort Steuersenkungen für die Wohlhabenden, das als Irrtum herausstellte, verbreitete die Regierung und zwar im Osten wie im Westen. noch Wochen nach den Wahlen ihre als Steuerillusion Das einzige, was an diesem Steuerpaket mit Ein- bekanntgewordene Behauptung, sie werde die deut- schränkung das Attribut „solidarisch" verdient, ist die sche Einheit ohne Steuererhöhungen finanzieren. Ergänzungsabgabe. Allerdings hat sie zwei entschei- Ja, ich meine in der Tat Steuerillusion. Es ist ja viel dende Schönheitsfehler: Erstens wird die Ergän- darüber gerätselt worden, ob es nun eine Steuerlüge zungsabgabe auch auf niedrige Einkommen, soweit oder eine Steuerillusion war, ob die Regierung wis- steuerpflichtig, erhoben, wenn auch entsprechend der sentlich die Unwahrheit gesagt oder im guten Glau- Steuerprogression gestaffelt. Aber die Ergänzungsab ben offenkundig unhaltbare Versprechungen ge- gabe steht ja nicht alleine da, und ob der Steuerein- macht hat. Beides ist gleichermaßen wenig schmei- kommenstarif in sich sozial ist, sei dahin gestellt. chelhaft. Ist unsere Regierung nun unehrlich oder ist Zudem steht zu befürchten, daß gerade die Ostdeut- sie inkompetent? Ich persönlich setze eher auf Ehr- schen nicht alle Steuertricks beherrschen, um auf le- lichkeit und muß daher wohl Leichtfertigkeit vermu- galem Wege ihre Steuerschuld zu mindern, und des- ten. Deswegen sage ich Steuerillusion. halb aus Steuerunerfahrenheit eine höhere Ergän- Wie dem auch sei, an Glaubwürdigkeit hat die Ko- zungsabgabe zahlen müssen als vergleichbare west- alition im Laufe dieser Steuerdebatte schon einiges deutsche Haushalte. Im übrigen trifft der Steuerzu- eingebüßt, und sie ist dabei, weiteren Vertrauenskre- schlag für den Aufbau im Osten etwa 70 % der Arbeit- dit zu verspielen. nehmer in den neuen Bundesländern, die so zur Soli- darität mit sich selbst herangezogen werden. Es ist schon einmalig, wie es die Regierung immer wieder fertigbringt, für ein und dieselbe Sache gleich Zweitens soll die Ergänzungsabgabe bekanntlich zweimal Prügel einzustecken: das erste Mal, wenn sie auf zwei halbe Jahre befristet werden. Das ist unver- einen Fehler macht, und das zweite Mal, wenn sie ihn ständlich und schlecht, weil damit ausgerechnet die halbherzig korrigiert. Dabei wäre das alles überhaupt- einzige halbwegs soziale Komponente des Pakets be- nicht nötig gewesen. Schließlich hat kaum jemand reits in einem guten Jahr wieder abgeschafft wird. Das außer Ihnen selbst geglaubt, es würde ohne Steuerer- benachteiligt zusätzlich diejenigen, denen nicht das höhungen abgehen. Auch die Bevölkerung hat dies steuerliche Gestaltungsprivileg Möglichkeiten zur nicht getan; denn offenbar haben eine ganze Reihe Umgehung der Ergänzungsabgabe einräumt. Das ist von Leuten diese Regierung wiedergewählt, obwohl noch schlechter, wenn man bedenkt, daß auf die Er- sie Ihren Steuerversprechungen kaum Glauben ge- gänzungsabgab e eine Erhöhung der Mehrwertsteuer schenkt haben. folgen soll, was den unsozialen Charakter des Pakets noch deutlicher betont. Die Opposition in diesem Haus hat ebenfalls Steuer- Bitte erzählen Sie uns nicht die Mär von der angeb- erhöhungen nie rundweg abgelehnt. Bitte korrigieren lichen Notwendigkeit der Sie mich, wenn ich mich hier irre, meine Damen und Mehrwertsteuererhöhung wegen der EG-Steuerharmonisierung. Da machen Sie Herren von der Opposition. sich doch kleiner, als Sie sind. Die jetzigen Mehrwert- Sie könnten für Ihr Steuerpaket vermutlich eine steuersätze liegen innerhalb der von der EG angepeil- breite Mehrheit in diesem Hause bekommen, wenn es ten Bandbreite. Es gibt keinen Grund, die Mehrwert- nur in etwa dem Namen entsprechen würde, den Sie steuer zu erhöhen. Neue Steuerrichtlinien der EG be- ihm aufgedrückt haben. In der Tat wäre ein wirkliches dürfen nach wie vor der Einstimmigkeit im Minister- Solidaritätsgesetz notwendig. Aber Sie haben uns nur rat. Ohne Zustimmung der Bundesrepublik wird es ein Mittelbeschaffungsgesetz vorgelegt. Indem Sie es also keine Angleichung auf höherem Niveau geben. Solidaritätsgesetz nennen, beschädigen Sie schon Nun gibt es aber noch die Haushaltsfreibeträge von wieder Ihre ohnehin lädierte Glaubwürdigkeit. 600 bzw. 1200 DM für Verheiratete als soziale Kompo- Es mag unabweislich sein, bestimmte politische nente. Im Prinzip sehr schön, aber die Entlastungswir- Härten an den Anfang einer Legislaturperiode zu le- kung ist wohl eher im banal Psychologischen zu su- gen. Aber es ist absolut inakzeptabel, die Opfer dieser chen. Die Familie, die wegen 10 DM Steuerersparnis Härten obendrein noch zu verhöhnen. Nichts anderes pro Monat die Abwanderung in den Westen noch ein- tun Sie, wenn Sie dieses Gesetz Solidaritätsgesetz mal überdenkt, müssen Sie uns zeigen. Das reicht ja nennen. Ich verstehe unter Solidarität etwas anderes, gerade, um die erhöhte Tabaksteuer zu bezahlen. Da- daß nämlich diejenigen, die haben, denen geben, die gegen sind die Abschaffung von Gewerbekapital- nichts oder nur wenig haben. und die Aussetzung der Vermögensteuer durchaus nicht nur symbolischer Natur. Wie Sie das als vertei- In Ihrem Steuerpaket dagegen steht die Solidarität lungspolitisch auch nur irgendwie vertretbar hinstel- Kopf. Da finanzieren nicht die Reichen aus dem We- len wollen, bleibt völlig fragwürdig. sten ihre armen Brüder und Schwestern im Osten, nein, es ist genau umgekehrt: Arbeitslose, Kurzarbei- Ich fasse zusammen: Das Steuer- und Abgabenpa- ter, Arbeitnehmer im vorzeitigen Ruhestand ebenso ket ist in seiner Verteilungswirkung ausgesprochen wie die in der Warteschleife, Familien in den ostdeut- unsozial. Dies wird sich noch verschärfen, wenn in der schen Bundesländern mit knapper und knappster zweiten Stufe die Mehrwertsteuererhöhung an die Kasse finanzieren über die erhöhten Verbrauchsteu- Stelle der Ergänzungsabgabe tritt. Aber nicht nur das; ern auf Tabak, Versicherung, Mineralöl wir sind auch keineswegs davon überzeugt, daß die hier zur Debatte stehenden Gesetze den wirtschaftli- (Zuruf von der SPD: Leider wahr!) chen Aufschwung in Ostdeutschland durchgreifend 1674 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 25. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 14. Mai 1991

Werner Schulz (Berlin) fördern werden. Zwei Dinge sind in dieser Hinsicht zu nicht zu wundern, wenn sie bei Landtags- und Kom- erreichen: munalwahlen überall Verluste einstecken. Erstens müssen neue arbeitsplatzschaffende Inve- Ich zitiere hier mal einige Passagen aus der Stel- stitionen wirksam gefördert werden. lungnahme des Deutschen Städtetages zu den Steuer- plänen der Koalition: Zweitens müssen bestehende Arbeitsplätze, wo im- mer dies wirtschaftlich vertretbar ist, gesichert wer- Die Beseitigung der Gewerbekapitalsteuer den. würde die Schäden noch verstärken, die der Ge- werbesteuer schon in der Vergangenheit durch Dabei sind gleichzeitig die politischen und gesell- den Bundesgesetzgeber zugefügt worden sind. schaftlichen Voraussetzungen für den wirtschaftli- Gerade die gewinnunabhängigen Bestandteile chen Aufbau zu verbessern. machen die Gewerbesteuer zu einer guten Ge- Um das erste Ziel zu erreichen, sind die Investitions- meindesteuer. Die Abschaffung der Gewerbe- zulagen sicher ein geeignetes Mittel. Sie zu verbes- kapitalsteuer wäre vor allem ein erneuter Schlag sern und auszubauen erscheint uns daher sinnvoll. gegen die strukturschwachen Städte. Anders ist es mit den Sonderabschreibungen. Diese Das sind doch keine ideologisch fixierten Regie- sind im wesentlichen für solche Unternehmen attrak- rungskritiker, die so denken. Viele Ihrer Parteifreunde tiv, die mit Gewinn arbeiten und infolgedessen die sehen das doch ganz genauso. Finanzschwache Län- Steuerentlastungen auch tatsächlich realisieren kön- der und Gemeinden, die ihre Aufgaben nicht in der nen. Bei kumulativer Anwendung von Investitionszu- notwendigen Weise wahrnehmen können, sind ein lagen und Sonderabschreibungen haben Sie damit Investitionshindernis ersten Ranges. Ihr Steuerpaket immer eine klare Bevorzugung der mit Gewinn ope- enthält im Hinblick auf die Förderung des wirtschaft- rierenden Unternehmen. Das sind in der Regel die lichen Aufschwungs in Ostdeutschland nur zum Teil westdeutschen Unternehmen. Was das für die Ent- sinnvolle, zu anderen Teilen aber wettbewerbsverzer- wicklungschancen einer eigenständigen Wirtschaft in rende, widersprüchliche und auch kontraproduktive Ostdeutschland bedeutet, brauche ich Ihnen wohl Elemente. nicht zu erläutern. Die Deutsche Bundesbank hat das Gesetzespaket in Wir stimmen deshalb im wesentlichen mit den von ihrer Stellungnahme als „Übel" bezeichnet, wenn den Sozialdemokraten geäußerten Vorstellungen auch als „geringeres Übel". Die momentane Finanz- überein, die Unternehmen sollten die Wahl haben, politik scheint dem Bundesbankpräsidenten ohnehin entweder die verbesserte Investitionszulage ohne übel zuzusetzen. Sonderabschreibungen oder eine geringere Investi- Bevor Sie nach neuen Einnahmequellen suchen, tionszulage zuzüglich der Sonderabschreibungen sollten Sie, so möchte ich anregen, erst einmal Einspa- wahrzunehmen. rungsmöglichkeiten im Haushalt nutzen. Ich er- Im Hinblick auf die Förderung von Investitionen gänze: Sie sollten zunächst auch bestehende, aber bringen dagegen die allgemeinen Steuergeschenke nicht genutzte Einnahmemöglichkeiten wie die Be- an Wohlhabende und Unternehmer — ich nenne hier steuerung der Zinseinkünfte realisieren. Da Sie nun nur das Stichwort Vermögensteuer — wenig bis gar mit dem Verzicht auf Einnahmen im Osten schon in nichts. die Unternehmenssteuerreform eingestiegen sind, stellt sich die Frage, warum dann nicht auch im We- Hinsichtlich des zweiten Ziels, der Erhaltung ge- sten, nämlich mit der Streichung von Steuerprivile- fährdeter Arbeitsplätze, können dagegen neben der gien, Abschreibungsmöglichkeiten und Subventio- Investitionszulage auch allgemeine Entlastungen der nen? Wir werden heute abend Gelegenheit haben, Kostenstruktur hilfreich sein. In dieser Diskussion hat dieses Thema ausführlicher zu diskutieren. sich nun erfreulicherweise einiges bewegt. Der Ver- zicht auf die Erhebung der Vermögensteuer soll jetzt Lassen Sie mich noch auf einige spezielle Punkte nicht mehr der Einstieg in den Ausstieg, sondern der eingehen. Was die Förderung des Erwerbs von Einstieg in die Vermögensteuerreform sein. Was Herr Wohneigentum angeht, so kann man sich zum einen Waigel da jüngst vorgestellt hat, findet zwar auch fragen, ob zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht eine nicht unsere Zustimmung, aber ein kleiner Fortschritt Konzentration der Mittel auf die ostdeutschen Länder ist es wohl. sinnvoll, und zum anderen, ob eine Förderung im Wege des Abzugs von der Steuerschuld nicht wir- Wenn Sie in die Debatte um die beiden Steuern mit kungsvoller gewesen wäre. Die Entgegnung, das sei der Zielrichtung einer befristeten Kostenentlastung nicht finanzierbar, bestätigt nur das Argument. Das ausschließlich der in Ostdeutschland ansässigen Un- heißt doch im Klartext: Eine Wohneigentumsförde- ternehmen gegangen wären, wäre das ein diskutabler rung für die Besserverdienenden können wir uns ge- Vorschlag gewesen, wenn gleichzeitig eine angemes- rade noch leisten. Das gehört wohl auch zu den sy- sene Kompensation für Länder und Gemeinden für stembedingten Asymmetrien der Sozialen Marktwirt- diese Zeit hätte gefunden werden können. schaft. Damit komme ich zum dritten Aspekt: Die politi- Sie haben in Ihrem Finanzierungspaket die Erhö- schen Bedingungen müssen stimmen. Sie können hung der Mineralölsteuer und zur Kompensation eine nicht auf der einen Seite den wirtschaftlichen Auf- Anhebung der Kilometerpauschalen vorgesehen. Oft schwung fördern wollen und auf der anderen Seite wird beiläufig kommentiert, dies habe im übrigen Ländern und Gemeinden die finanzielle Substanz auch umweltpolitisch erwünschte Auswirkungen. Ge- nach und nach entziehen. Sie brauchen sich doch gar nausowenig wie die scheibchenweise Anhebung der Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 25. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 14. Mai 1991 1675

Werner Schulz (Berlin) Tabaksteuer nennenswerte positive gesundheitspoli- Die Steuersenkungspolitik der Koalition hat sich be- tische Auswirkungen hat, führt diese Anhebung der währt. Sie wird fortgesetzt. Mineralölsteuer zu einer spürbaren Umweltentla- (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten stung. Im Gegenteil: In der Diskussion der vergange- der CDU/CSU) nen Monate wurde geradezu darauf spekuliert, daß die Einführung der Steuer von vermuteten Ölpreis- Um diesen Weg nicht zu verlassen und um die not- senkungen nach dem Golfkrieg begleitet und da- wendige Ausgabendisziplin zu wahren, hatten wir durch für die Verbraucher weniger belastend sein versucht, den gesamtdeutschen Prozeß ohne Steuer- würde. erhöhungen zu meistern. Diesen Weg müssen wir vor- Zu einem Verkehrsgeld oder einer Entfernungspau- übergehend verlassen. Ich gebe zu: Wir müssen un- schale konnten Sie sich nicht durchringen. Mit der sere Aussage korrigieren, aber nicht, weil wir irgend Erhöhung der Kilometerpauschale tun Sie nun ein jemanden täuschen wollen, sondern weil wir wegen übriges, um erwünschte Nebenwirkungen dieser besserer Erkenntnisse nun wissen: Um das Notwen- Steuererhöhung auszuschließen. dige zu leisten, müssen wir flexibel genug sein, von Zusagen Abstand zu nehmen. Dies ist im Interesse des Ärgerlich ist bei der ganzen Sache vor allem eins: Gesamtwohls und nicht aus parteitaktischen Gründen Mit jedem rein fiskalisch motivierten Griff in die Ta- geschehen. sche der Autofahrer verschlechtern sich die Möglich- keiten für die Einführung wirklicher Umweltabgaben, Jedoch verlassen wir den Pfad der finanzpolitischen deren Aufkommen konzentriert zur verkehrspoliti- Tugend nur vorübergehend. Vorübergehende Steuer- schen Umlenkung eingesetzt werden könnte. erhöhungen sind notwendig geworden. Ein anderer Weg, der einer weiteren Verschuldung, ist nicht zu (Beifall bei Abg. Detlev von Larcher [SPD]) verantworten. Eine Erhöhung der Nettokreditauf- Der Weg der fiskalisch motivierten Besteuerung des nahme wäre im Hinblick auf die Zinsentwicklung und Autoverkehrs wird sich als Holzweg erweisen, den wir die Geldwertstabilität die schlechteste Finanzierungs- erst Schritt für Schritt zurückgehen müssen, ehe ein - alternative gewesen. wirkliches Umweltsteuerkonzept — und dies ist drin- gend nötig — Platz greifen kann. (Beifall bei der FDP) (Beifall beim Bündnis 90/GRÜNE, bei der Sie hätte die Stabilität der D - Mark, die eigentliche SPD und der PDS/Linke Liste) Basis unseres Wohlstands, erschüttert. Das Vertrauen in eine solide Währung und die Geldwertstabilität haben allererste Priorität. Das Wort hat jetzt Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: (Hermann Rind [FDP]: So ist es!) der Abgeordnete Dr. Hermann Otto Solms. Es ist ein bewährter finanzpolitischer Grundsatz, daß der Druck zur Ausgabeneinsparung Vorrang vor Dr. Hermann Otto Solms (FDP): Frau Präsidentin! Steuererhöhungen haben muß. Deshalb hat die FDP Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Finanz- in den Koalitionsverhandlungen so großen Wert auf politik der Koalition war die innenpolitische Erfolgs- den Abbau von Subventionen gelegt und andere story der 80er Jahre. Sparmaßnahmen gefordert. Ohne die energische (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU — Durchsetzung wäre es nicht zu dem Beschluß gekom- Dr. Nils Diederich [Berlin] [SPD]: Das ist aber men, weitere 10 Milliarden an Subventionen einzu- sehr genügsam, Herr Kollege!) sparen. Das Ergebnis dieser Finanzpolitik kann sich sehen las- (Dr. [FDP]: Das hat die SPD sen: neun Jahre Aufschwung, stabile Preise, nahezu noch nicht mitgekriegt!) zwei Millionen zusätzliche Arbeitsplätze in den west- Ich darf daran erinnern, daß wir im Rahmen der gro- lichen Bundesländern, ausreichende Ausbildungs- ßen Steuerreformen bereits ein Volumen von plätze und, und, und. 13 1 /2 Milliarden DM eingespart haben. (Beifall bei der FPD und der CDU/CSU) Die Kürzungen sind eine gemeinsame Aufgabe von Ich wüßte nicht, warum wir von diesem Kurs abwei- uns allen. Ich muß hier an die Gesamtverantwortung chen sollten. Ich bin auch nicht pessimistisch, was Sie von Parlament und Regierung für solide Staatsfinan- uns unterstellen zu müssen glauben, Frau Matthäus zen erinnern. Es ist, Herr Kollege Faltlhauser, auch Maier, sondern ich bin voller Zuversicht, daß wir 1994 nicht eine spezielle Aufgabe des Bundeswirtschafts- den Bürgern in ganz Deutschland eine erfolgreiche ministers allein, sich darum zu kümmern, sondern es Bilanz vorlegen können, wenn wir diesen Kurs finanz- ist eine Aufgabe der Koalition; wir haben dies ge- politischer Solidität durchhalten. meinsam beschlossen. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Die erfolgreiche Finanzpolitik der 80er Jahre muß der CDU/CSU) also fortgesetzt werden. Die Finanzpolitik muß weiter- hin davon bestimmt sein, den Staatshaushalt auf das Das Verhalten der SPD im Finanzausschuß zeigt, Wesentliche zu konzentrieren und den Staatsanteil daß die Opposition nicht ernsthaft bereit ist, am Sub- am Bruttosozialprodukt zurückzudrängen. ventionsabbau mitzuwirken. Zählt man die zahlrei- chen kostenträchtigen Anträge der SPD zusammen, Was in den 80er Jahren richtig war, kann jetzt nicht so kommt man schnell auf ein Volumen von 50 Milli- falsch sein. arden DM und mehr. Schon die Forderung der SPD, (Dr. Ulrich Briefs [PDS/Linke Liste]: Doch!) die Investitionszulage für die neuen Bundesländer zu 1676 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 25. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 14. Mai 1991

Dr. Hermann Otto Solms verlängern, sie mit einem Fördersatz von 25 % auszu- sind konzeptionsloser Aktionismus, der Investoren statten und auch auf Gebäude auszudehnen, würde nicht beflügelt, sondern verunsichert und damit die mehr als 30 Milliarden DM zusätzlich kosten. Die Vor- angelaufenen positiven Entwicklungen und positiven schläge der SPD würden zwangsläufig weitere Steu- Auswirkungen des Gemeinschaftswerks Aufschwung ererhöhungen auslösen. Ost weiterhin gefährdet. (Lachen bei der SPD) Das Gemeinschaftswerk hat die Zustimmung aller Deshalb wäre es eine Frage der Ehrlichkeit, dann, wesentlichen gesellschaftlichen Gruppen gefunden. wenn man solche Vorschläge macht, zu sagen, wie Ohne den Solidaritätszuschlag wäre es nicht möglich man sie finanzieren soll und welche Steuern man gewesen, das Gemeinschaftswerk zu verwirklichen. dann erhöhen will, um dies zu verwirklichen. Es ist zielgerecht, ausreichend, entspricht den Forde- (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) rungen nach Solidarität. Deshalb auch die Zustim- mung von Gewerkschaften und Arbeitgebern. Es ent- Sie fordern ja, darüber heute in einer namentlichen spricht den Forderungen nach Solidarität, und es wird Abstimmung zu entscheiden. Ehrlich wäre die na- bereits in starkem Maße angenommen. mentliche Abstimmung, wenn die Finanzierungsvor- schläge gleich mitgeliefert würden. Wären die westlichen Bundesländer von Anfang an bereit gewesen, auf einen Teil ihrer (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) wachstumsbe- dingten Steuermehreinnahmen zu verzichten, die sie gerade auch auf Grund des gesamtdeutschen Prozes- Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Herr Abgeordneter ses bekommen haben, dann wären die Steuererhö- Solms, gestatten Sie eine Zwischenfrage? hungen vielleicht gar nicht, zumindest aber nicht in der jetzt notwendigen Höhe erfolgt. (FDP): Bitte schön. Dr. Hermann Otto Solms (Beifall bei der FDP) Wichtig ist, daß der auf ein Joachim Poß (SPD): Kollege Solms, sind Sie bereit, Solidaritätszuschlag zur Kenntnis zu nehmen, daß die Berechnungen der Jahr begrenzt ist. Es ist ein Element dieser langfristi- Bundesregierung ergeben haben, daß die Investi- gen Finanzpolitik, daß die Leistungskraft derjenigen, tionszulage zusätzlich — man muß ja gegenrechnen die die Leistung in der Wirtschaft zu erbringen haben, — 14 Milliarden DM und nicht über 30 Milliarden DM nämlich von Unternehmern und Arbeitnehmern, nicht ergeben würde und daß das auch so in dem Bericht durch zusätzliche Steuerbelastungen eingeschränkt des Finanzausschusses ausgewiesen ist und daß da wird. sozusagen noch nicht eingerechnet ist, was an dyna- Daran wird sich nichts ändern. Der Solidaritäts- mischer Wirtschaftsentwicklung dann über Wirt- zuschlag darf auf keinen Fall verlängert werden. Es schaftswachstum, Beschäftigung und Steuern wieder muß Vertrauen bestehen, daß die Entlastung des Lei- einkommt? stungsprozesses fortgesetzt wird. Die Unternehmen- steuerreform ist deshalb ein zwingendes Gebot zur Dr. Hermann Otto Solms (FDP): Nein, ganz im Ge- Schaffung fairer Wettbewerbsverhältnisse, insbeson- genteil. Wenn Sie jetzt die Diskussion um die Förder- dere wenn man daran denkt, daß ab 1993 der gemein- maßnahmen nicht umgehend beenden und es bei dem same Binnenmarkt gilt. Gemeinschaftswerk Aufschwung Ost belassen, wel- Meine Damen und Herren, es ist der deutschen ches ja die Zustimmung der wesentlichen Verbände Wirtschaft nicht zuzumuten, daß ihre Erträge wesent- und Gruppierungen in diesem Land gefunden hat, licher höher, nahezu doppelt so hoch wie in einzelnen dann werden Sie den Investitionsprozeß weiterhin Ländern Europas, belastet werden, wenn sie in einem verzögern, denn die Investitionswilligen warten na- gemeinsamen Markt mit gemeinsamen Wettbewerbs- türlich ab, welche Geschenke an sie noch verteilt wer- verhältnissen agieren müssen. den sollen. Nein diese Diskussion muß nun beendet werden, (Beifall bei der FDP) (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Nein, wir müssen hier zu fairen Wettbewerbsverhält- der CDU/CSU) nissen kommen, d. h. die Wirtschaft genauso wie die die Investitionen müssen beginnen, und sie beginnen Arbeitnehmer muß so belastet werden, wie es dem ja bereits. Die Situation sieht bereits wesentlich besser Belastungsniveau in den vergleichbaren und mit uns aus, als es die öffentlichen Medien darstellen. Ich konkurrierenden Märkten entspricht. gehe davon aus, daß dieser dynamische Prozeß an Falls nach Wegfall des Solidaritätszuschlags zur Geschwindigkeit zunehmen wird und daß wir in den Realisierung einer familiengerechten und wettbe- kommenden Monaten und Jahren eine sehr gesunde werbsfreundlichen Besteuerung Erhöhungen not- Entwicklung erleben werden. Allerdings müssen wir wendig sind, kommt ab 1993 die Mehrwertsteuer in erst ein tiefes Tal durchschreiten. Das weiß jeder, der Betracht. Wir haben dies ganz bewußt so beschlossen, sich mit der Sache befaßt. damit Sie nicht schon im vorhinein daraus wieder eine Zusätzliche Fördermaßnahmen können keine zu- neue Steuerlügen- Story entwickeln, Frau Matthäus. sätzlichen Investitionen auslösen; das Angebotspaket (Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Aber vor der bietet für jeden Investitionswilligen etwas, und zwar Wahl abgestritten!) in ausreichendem Maße. Sie gefährden aber die Sta- bilität der öffentlichen Finanzen in unverantwortli- Vielmehr ist ganz klar, daß im Zusammenhang mit cher Weise, wenn wir weitere Ausgaben beschließen. dem gemeinsamen Binnenmarkt hier Korrekturen Die Forderung nach zusätzlichen Fördermaßnahmen möglicherweise nötig sind. Das ist auch vor der Wahl Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 25. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 14. Mai 1991 1677

Dr. Hermann Otto Solms nie bestritten worden. Im Zusammenhang mit Europa Meine Damen und Herren, 1994 wird es sich erwei- stand das immer zur Diskussion. sen, daß es für die finanzpolitische Strategie der Koali- tion in Wirklichkeit keine glaubwürdige Alternative Für die FDP muß das Ziel gesichert sein, ab Mitte gibt. Diese Strategie wird zu dem Erfolg führen, den der 90er Jahre die Steuerlastquote wieder auf das wir im Interesse unserer Bürger in Gesamtdeutsch- niedrige Niveau von 1990 zurückzuführen. Die indi- rekten, konsumabhängigen Verbrauchsteuern und land brauchen. Wir werden diese Strategie unerschüt- terlich verfolgen, und wir werden uns von den Argu- die direkten, leistungsbremsenden direkten Steuern menten, die wir ja nun seit 10 Jahren immer wieder müssen wieder in ein ausgeglichenes Verhältnis ge- bracht werden. Es ist übrigens die Erkenntnis der Fi- von der SPD gehört haben, die uns aber nicht abhalten konnten, diese gesunde finanzpolitische Strategie nanzwissenschaftler überall auf der Welt, daß das ge- 1982 zu beschließen und beharrlich durchzuführen, sundeste Steuersystem jenes ist, in dem sich direkte nicht beirren lassen. Auf diesem Kurs werden wir be- und indirekte Steuern auf gleichem Niveau gegen- harren. überstehen. Vielen Dank. Die Unternehmensteuerreform bleibt also auf der Tagesordnung. Sie ist in dieser Legislaturperiode zu (Beifall bei der FDP — Joachim Poß [SPD]: realisieren. Dabei müssen die Substanzsteuern, die Wie kann man bei der Situation nur so selbst Gewerbekapital- und die Vermögensteuer, genauso gerecht sein!) wie die Ertragsteuern, die Lohn- und die Einkommen- steuer sowie die Körperschaftsteuer, spürbar gesenkt Vizepräsident Hans Klein: Das Wort hat der Abge- werden. ordnete Dr. Schumann. Ich will jetzt noch mit einem Satz auf die Diskussion über die Vermögensteuer eingehen. Wir haben nie- Dr. Fritz Schumann (Kroppenstedt) (PDS/Linke Li- mals die totale Abschaffung der Vermögensteuer ge- ste): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit fordert. Die FDP hat, ausweislich ihres Wahlpro-- dem Steueränderungsgesetz und dem sogenannten gramms, gesagt: Es geht darum, die betriebsbezogene Solidaritätsgesetz stehen Gesetze auf der Tagesord- Vermögensteuer abzubauen. nung, die ohne Zweifel in den vergangenen Wochen (Joachim Poß [SPD]: Aber beschlossen!) heiß diskutiert wurden; weniger im Osten Deutsch- lands als im Westen. Genau das ist es, was wir realisieren wollen; denn die Grundsätzliche Aussagen der Unionsparteien zur Vermögensteuer — bezogen auf das Betriebsvermö- Wahl wurden mit diesen Gesetzen umgestoßen, und gen — führt dazu, daß Betriebe, die in einer schwieri- das brachte und bringt Ärgernisse hervor; vor allem gen Situation sind und die keine Erträge erzielen, ihre bei den in Sachen Wahlen viel geübteren westlichen Steuern aus der Substanz zahlen müssen. Das führt Mitbürgern unseres Staates. Wir lehnen diese Gesetze natürlich sehr schnell dazu, daß solche Betriebe, ge- jedoch nicht nur deshalb ab, weil eine Wahlaussage rade die kleinen und mittelständischen Bet riebe, in nicht gehalten wurde, sondern weil die Finanzierung die Gefahr ihrer Existenz geraten. des Aufbaus der fünf neuen Länder einschließlich Ber- (Joachim Poß [SPD]: Da gibt es hohe Freibe lins nach unserer Auffassung konzeptionslos erfolgt, träge!) und vor allem, weil die Mehreinnahmen an Steuern für einen Krieg als Antwort auf die völkerrechtswid- — Herr Kollege Poß, Sie, der Sie doch genau so lange rige Annexion Kuwaits durch den Irak ausgegeben wie ich in der Diskussion sind, wissen doch, daß einem werden; mittelständischen Unternehmen mit Freibeträgen nicht zu helfen ist. Es geht darum, daß das Unterneh- (Beifall der Abg. Dr. men damit rechnen kann, daß diese Belastung nicht [PDS/Linke Liste]) eintritt. Betriebe brauchen klare Kalkulationsgrundla- für einen Krieg, den viele Bürger dieses Landes abge- gen und nicht die Hoffnung darauf, daß ein gnädiger lehnt haben, für einen Krieg, der viel menschliches Steuergesetzgeber ihnen irgendwo, hier oder dort, Leid und katastrophale ökologische Folgen hinterlas- entgegenkommt. sen hat. Wir halten es für prinzipiell unzulässig, (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Ausgaben für den Golfkrieg der CDU/CSU) mit den Anforderungen der deut- schen Einigung und den Anforderungen der Dritten Meine Damen und Herren, es ist aber nicht nur die Welt zu verknüpfen. Neben den finanzpolitischen und Unternehmensteuerreform, die es in Ang riff zu neh- finanztechnischen Problemen, die diese Gesetze mit men gilt, sondern es geht darüber hinaus darum, die sich bringen, ist das für uns ein absoluter Grund, die Familienbesteuerung so umzugestalten, daß das Zustimmung zu diesen Gesetzen zu verweigern. Steuerrecht den familiären Belastungen entspricht; Daß die Einheit Geld kosten wird, und zwar sehr d. h., daß die Familien drastisch von der Besteuerung viel Geld, mußte jedem Realpolitiker und jedem Öko- entlastet werden. nomen von Anbeginn klar sein. Es fehlte ja auch nicht Des weiteren geht es darum, die steuerliche Befrei- an Stimmen aus allen politischen Lagern und der Wirt- ung des Existenzminimums so zu gestalten, daß sie schaft, die mit Nachdruck vor den Folgen eines Crash den Ansprüchen des Bundesverfassungsgerichts ent- Kurses warnten. spricht. Das heißt, daß man natürlich auch in dieser Was die PDS/Linke Liste angeht, so hat sie nicht nur Legislaturperiode darüber reden muß, wie der Grund- eine quasi über Nacht erfolgende Währungsunion ab- freibetrag gestaltet, d. h. erhöht wird. gelehnt, sondern auch mit großer Klarheit auf die da- 1678 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 25. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 14. Mai 1991

Dr. Fritz Schumann (Kroppenstedt) mit verbundenen unausweichlichen Konsequenzen und einer neuen Weltwirtschaftsordnung wird. Finan- verwiesen. Die PDS hat genauso entschieden die fi- zielle Mittel für Osteuropa sind vor allem dann sinn- nanzpolitischen Regelungen des Einigungsvertrags voll, wenn sie den Austausch von Waren und Leistun- und speziell der Haushalte abgelehnt, weil sie völlig gen fördern — ich betone hier: den Austausch; dieser unzureichend sind und sich ihrem Wesen nach gegen beruht bekanntermaßen auf Gegenseitigkeit — und eine tatsächliche Wirtschafts- und Sozialunion rich- auch den Absatzmarkt der EG für osteuropäische Wa- ten. ren ohne jegliche Diskriminierung öffnen. Es war auch von vornherein völlig klar, daß die Bun- Eingebettet in eine solche Wirtschaftspolitik geht desregierung zum Mittel der Steuererhöhung greifen die PDS/Linke Liste in ihren finanzpolitischen Vor- wird. Eine Regierung, die dem Kapital verpflichtet ist, stellungen davon aus, daß die finanziellen Mehrforde- kennt nur eine Alternative: Abwälzung des Finanz- rungen vor allem über eine Umverteilung des Reich- drucks, den sie selbst durch eine Art und Weise von tums und eine Veränderung der Verteilungsstruktu- Währungsunion und Anschluß noch erheblich vergrö- ren zugunsten der Lohnabhängigen aufgebracht wer- ßerte, auf die Bevölkerungsmehrheit. Das lehnen wir den müssen. so lange ab, solange nicht ernsthaft die eigentlichen Wir unterstützen deshalb nachdrücklich die folgen- Gewinner der Vereinigung, das westdeutsche Kapi- den Vorschläge von Gewerkschaften, des Memoran- tal, zur Kasse gebeten werden. dums 1991 sowie verschiedener linker Gruppen und Hinzu kommt, daß die Bereitstellung von finanziel- Personen: len Mitteln allein kein Ersatz von Wirtschaftspolitik Erstens: Erhebung einer Ergänzungsabgabe auf die sein kann. Fakt ist doch, daß der Verzicht auf ein mit- Körperschaftsteuer- sowie die Einkommensteuer- telfristiges Aufbauprogramm die Anpassungskrise schuld von 10 % für Besserverdienende über fünf weiter vertieft hat. Solange nicht ernsthaft an ein sol- Jahre hinweg, z. B. ab 100 000 DM für Verheiratete. ches notwendiges Aufbauprogramm herangegangen wird, werden die Kosten der Einheit unausweichlich (Dr. Kurt Faltlhauser [CDU/CSU]: Paß auf, weiter anwachsen und sind weitere Steuererhöhun- da sind alte Genossen mit dabei!) gen sowie die Zunahme der Staatsverschuldung vor- — Wir haben keine Angst davor, wenn das die be- programmiert. trifft. In dieser Situation fordern wir die Bundesregierung Zweitens: Einführung einer Arbeitsmarktabgabe auf, eine Wirtschaftspolitik zu betreiben, die zu Struk- ab einem Monatseinkommen von 6 500 DM, in die turen führt, die sich auch im nächsten Jahrtausend Beamte und Selbständige eingeschlossen sind, und bewähren. Es gilt, die große Chance zu nutzen, eine Rücknahme der Erhöhung der Arbeitslosenversiche- Wirtschaft aufzubauen, die keine bloße Kopie der alt- rung um 2,5 Prozentpunkte, die ja einem Sonderopfer bundesdeutschen ist, sondern ökologischen, sozialen dieser Versicherungsgruppe gleichkommt. und humanen Erfordernissen Rechnung trägt. Bei ei- nem solchen Modell ist manches auch mit mittlerer Drittens: Verstärkte Betriebsprüfungen, Bekämp- Kapitalintensität machbar. fung der Steuerkriminalität und Maßnahmen zur Her- stellung von Steuergerechtigkeit, kontrollierte Ver- Deshalb ist für uns die Privatisierung weder die ein- steuerung der Zinsen im Rahmen der Einkommen- zige Alternative, noch darf sie als schneller Schluß- steuer sowie Anpassung der Einheitswerte von Immo- strich unter das Vergangene, unter die Ex-DDR gese- bilien an ihre Verkehrswerte. hen worden. Nur durch den Erhalt der Produktions- standorte in Ostdeutschland und die Ankurbelung, Viertens: Auflegung einer Anleihe mit Zeichnungs- Sanierung und Modernisierung der Produktion lassen pflicht für Banken, Versicherungen und Handel sowie sich der Aufschwung in Ostdeutschland tatsächlich die privaten Haushalte in Abhängigkeit vom Vermö- bewältigen und übergroße negative Folgen für die gensstatus, Mindestverzinsung mit der Inflationsrate, Altbundesländer und damit für die gesamte ökonomi- womit das Opfer im Zinsverlust gegenüber den Kapi- sche und soziale Entwicklung in ganz Deutschland talmarktzinsen bestünde. vermeiden. Fünftens: Erhebung einer Investitionshilfeabgabe vom Waren produzierenden Gewerbe in West- Die PDS/Linke Liste hält auch gegenwärtig noch deutschland zugunsten der ostdeutschen Wirtschaft, ein konkretes Strukturprogramm für jedes neue Bun- die ihrerseits über einen Sonderfonds den Unterneh- desland wie auch für Berlin für eine vordringliche men, die die Investitionshilfeabgabe aufbringen, ent- Tagesaufgabe. Sie wird den Landesregierungen dazu sprechende Beteiligungen zur Verfügung stellt. ihre konkreten Vorschläge unterbreiten. Wir erwarten von der Bundesregierung, daß sie den Prozeß der Er- Sechstens: Radikale Verringerung der Rüstungs- arbeitung eines Szenarios für jede Region unterstützt, ausgaben um zunächst 20 Milliarden DM bis Ende bei dem den Bürgerinnen und Bürgern eine Aussicht 1992, wovon 10 Milliarden DM für die Rüstungskon- auf einen Arbeitsplatz eröffnet wird. version eingesetzt werden müssen, sowie die Kürzung von sozial oder ökologisch nicht begründbaren Sub- In der Begründung der Gesetzentwürfe ist auch die ventionen. Rede von der Unterstützung für die Reformen in Osteuropa. Das ist zweifellos richtig und notwendig. Mit diesem Finanzierungsprogramm müssen die Aber Finanzspritzen allein sind viel zu wenig, um bei neuen Bundesländer und ihre Gemeinden in die Lage der Lösung der Probleme zu helfen. Notwendig sind versetzt werden, ihren sozialen, ökonomischen und Strategien, die helfen, daß Osteuropa ein potenter ökologischen Aufgaben gerecht zu werden. Ein finan- Partner in einer europäischen Wirtschaftsordnung ziell notleidender öffentlicher Sektor behindert nicht Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 25. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 14. Mai 1991 1679

Dr. Fritz Schumann (Kroppenstedt) nur den Auf- und Umbau in Ostdeutschland, vielmehr Dr. Theodor Waigel, Bundesminister der Finanzen: vertieft sich dadurch die Anpassungskrise. Die Ent- Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich darf würfe des Steueränderungs- und des Solidaritätsge- mich zunächst an Sie, Frau Kollegin Matthäus-Maier, setzes lehnen wir als unsozial ab. Schließlich will die wenden: Ihr Vorwurf der Lüge und Täuschung fällt Bundesregierung den Eindruck erwecken, daß es hier auf Sie zurück. um Solidarität von West für Ost gehen soll. Dazu sei (Beifall bei der CDU/CSU) festgestellt — das wurde hier schon mehrfach be- tont — , daß auch 70 % der Arbeitnehmer in den neuen Sie arbeiten permanent mit Halbwahrheiten und Un- Bundesländern die von der Bundesregierung ge- terstellungen und suchen damit ganz bewußt zu diff a plante Ergänzungsabgabe zahlen müssen. Sicher, der mieren. Sie haben seit den Jahren 1982/83 nichts da- Höhe nach betrachtet, zahlen sie weniger als die Bür- zugelernt, weder sachlich noch in der Form. ger in den alten Bundesländern. Andererseits geht es (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) für nicht wenige angesichts der steigenden Mieten und Tarife um eine für ihre Existenz bedeutsame Sie differenzieren nicht einmal zwischen Abgaben, Größe. Gleichzeitig sind auch die Bet riebe in Ost- Gebühren und Steuern. Sie haben auch keine Ahnung deutschland von der Mineralölsteuererhöhung be- von der Situation, wie sie sich Ende Januar, Anfang troffen. Und wo gerade Überlebenschancen berech- Februar dieses Jahres international und national dar- net wurden, sind in einer Reihe von Fällen diese als gestellt hat. Sie wiederholen schließlich in stereotyper gerettet eingeschätzten Arbeitsplätze für die Arbeit- Dummheit das, was schon 1982 falsch gewesen ist. nehmer wieder verloren. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Die unsoziale Wirkung der vorliegenden Steuerge- Widerspruch bei der SPD — Zurufe von der setze möchte ich an Hand von vier Punkten nochmals SPD: Unerhört!) kurz charakterisieren. Angesichts der Wortwahl der Frau Kollegin Matthäus Erstens. Für die Bürger der alten Bundesländer in Maier sehe ich mich nicht veranlaßt, davon nur einen unteren Einkommensgruppen werden die -positiven Deut zurückzunehmen. Wirkungen der Steuersenkung 1986/90 zunichte ge- (Beifall bei der CDU/CSU — Joachim Poß macht. Das wurde für Bezieher von Jahreseinkommen [SPD]: Herr Klein, was sagen Sie zu „Dumm bis zu 45 000 DM durch die Wirtschaftsinstitute kon- heit"?) kret belegt. Es ist bodenlos schäbig, dem Kollegen Krause und der Zweitens. Unsoziale Belastungen gehen vor allem Frau Kollegin Bergmann-Pohl deren Gehalt vorzu- von der Anhebung der Heizöl- und Erdgassteuer aus. werfen und ihnen zu unterstellen, sie würden nicht Besonders betroffen werden Haushalte mit Kindern ihre volle Kraft dem ganzen deutschen Vaterland zur und Bezieher niedriger Einkommen sein, die einen Verfügung stellen. vergleichsweise hohen Anteil ihres Einkommens für das Heizen verwenden müssen. Auch wenn durch das (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Einsparen von Energie sicher etwas ökologisch Wert- Sie sind auch nicht über das informiert, was sich am volles gemacht wird, halten wir die Anteile für viel zu vergangenen Freitag und Samstag in Luxemburg hoch. vollzogen hat. Sie wissen noch nicht einmal, daß zwi- Drittens. Die Einnahmen aus der Erhöhung der Mi- schenzeitlich gar keine Bandbreiten vorgeschlagen neralölsteuer, die durch eine Erhöhung der Kilometer werden, sondern daß von der Präsidentschaft Min- geldpauschale flankiert wird, sollten für den Ausbau destsätze vorgeschlagen werden. Sie wissen ganz ge- des öffentlichen Nah- und Fernverkehrs eingesetzt nau, daß wir uns für den Mindestsatz 14 % eingesetzt werden. Das wäre ein Anreiz, um den Ausstieg aus haben, uns dafür auch künftig einsetzen werden und einer übermäßigen individuellen Pkw-Nutzung zu er daß von uns kein anderer Vorschlag gekommen ist. leichtern. Durch die Erhöhung der Mineralölsteuer Sie sollten aber endlich einmal zur Kenntnis neh- sind andererseits Menschengruppen, die bei ihrer men, daß fast alle sozialdemokratischen und sozialisti- Fortbewegung auf Personenkraftwagen angewiesen schen Finanzminister Europas sich für einen höheren sind — ich denke insbesondere an Menschen mit Be- Mindestsatz als 14 % einsetzen. Es würde schon ein hinderungen — besonders benachteiligt. Hier sollte Mindestmaß auch an Information Ihrerseits vorausset- eine staatliche Ausgleichszahlung erfolgen. zen, daß Sie wissen, daß sich die große Mehrheit der Viertens. Die im Steueränderungsgesetz vorgese- sozialdemokratischen Finanzminister und -senatoren henen Korrekturen beim Kinderfreibetrag und Kin- der deutschen Bundesländer für eine Erhöhung der dergeld sind unzureichend. Sie entsprechen nicht den Mehrwertsteuer einsetzt, um ihre Einnahmebasis zu Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts und müs- verbreitern. sen daher nachgebessert werden. Dem Anspruch, ei- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) nen sozialverträglichen mittelfristigen Finanzierungs- Sie behaupten in diesem Zusammenhang wissend rahmen zu geben, entsprechen die vorliegenden Ge- die Unwahrheit und werden dabei nicht einmal rot. setze unseres Erachtens nicht. Danke. (Heiterkeit bei der CDU/CSU — Zuruf von der CDU/CSU: Das ist sie schon!) (Beifall bei der PDS/Linke Liste) — Im Gesicht! Noch ein Wort zum Familienlastenausgleich: Wie Vizepräsident Hans Klein: Ich erteile das Wort dem kommen Sie eigentlich dazu, das Bundesverfassungs- Bundesminister der Finanzen, Dr. Theodor Waigel. gerichtsurteil hinsichtlich der Bescheide von 1983 bis 1680 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 25. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 14. Mai 1991

Bundesminister Dr. Theodor Waigel 1985 zu kritisieren, wo Sie mit Ihrer verfehlten Fami- genfinanzierung über eine Anhebung der Mehrwert- lienpolitik überhaupt erst dazubeigetragen haben, steuer. daß der Familienlastenausgleich nicht ausreichend Schon aus dieser Zeit kennen wir das falsche, dema- gewesen ist? gogische Argument der „Umverteilung von unten (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) nach oben", der „Steuergeschenke für Reiche" und was sonst noch in der Mottenkiste des SPD-Vokabu- Sie haben die Kinderfreibeträge abgeschafft, und lars zu finden ist. Sie haben ein Riesendefizit im Haushalt hinterlassen, das wir zuerst beseitigen mußten, um Familienpolitik (Beifall bei der CDU/CSU — Joachim Poß überhaupt wieder betreiben zu können. [SPD]: Politischer Dünnbrettbohrer Waigel!) (Detlev von Larcher [SPD]: Diese alte Tatsache ist aber: Die steuerpolitische Initiative der Leier!) Jahre 1982/83 hat zusammen mit der wirksamen Kon- solidierungs- und Deregulierungspolitik die erfolg- Herr Präsident, wir beraten heute abschließend reichste Wirtschaftsperiode seit 1969 eingeleitet. über zwei steuerpolitische Gesetzesvorlagen, die im Zusammenhang mit der vor sieben Monaten vollzoge- (Beifall bei der CDU/CSU — Detlev von Lar nen Einheit Deutschlands stehen. cher [SPD]: Waigels Märchenstunde!) Für mich — auch für andere — ist dies die erste In der Summe hat die Steuerpolitik der 80er Jahre Rede, die ich im Reichstag in einer Plenarsitzung des alle gesteckten Ziele erreicht. Wir hatten zuletzt einen Deutschen Bundestages vortrage. Zuwachs des realen Bruttosozialprodukts um 4,6 Pro- zent. Die privaten Einkommen sind gegenüber 1982 (Freimut Duve [SPD]: Ein bißchen Würde!) um rund 25 Prozent gestiegen. Die Arbeitslosigkeit ist Ich freue mich darüber; denn der Reichstag und Berlin in den alten Bundesländern im Ap ril auf gut 1,6 Mil- waren und bleiben für immer Symbol der Einheit un- lionen und damit auf den niedrigsten Stand seit 1981 zurückgegangen. Und wir sind bei der Konsolidierung seres Vaterlandes. - aller öffentlichen Haushalte weit vorangekommen. Wir dürfen das Werk vollenden, für das unsere Vä- ter gekämpft haben. Dr. Fridolin Rothermel aus mei- Die Steuerpolitik der 80er Jahre hat, auch wenn wir nem Heimatort Oberrohr, später Landrat von Krum die Entwicklung des Jahres 1990 nicht voraussehen bach, wurde als Reichstagsabgeordneter 1933 von konnten, einen entscheidenden Beitrag für die Bewäl- den Nationalsozialisten aus diesem Haus und aus dem tigung der Wiedervereinigungsaufgabe geleistet. politischen Leben verbannt. Es ist der Auftrag dieses (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge tapferen Mannes und vieler seiner Zeitgenossen aus ordneten der FDP) allen demokratischen politischen Lagern, den wir jetzt zu erfüllen haben. Die Wiedervereinigungsaufgabe hat die Vorausset- zungen steuerpolitischer Entscheidungen grundsätz- Mit dem Steueränderungsgesetz 1991 und dem So- lich geändert. Ursprüngliche Vorhaben werden sich lidaritätsgesetz lösen wir vor allem zwei vordringliche verzögern, und Steuererhöhungen sind zunächst un- Aufgaben: Wir stellen die Steuerpolitik in den Dienst vermeidbar. Aber wir werden die Steuerpolitik auch einer umfassenden Wirtschaftsförderung in den in Zukunft einsetzen, um Wachstum und zusätzliche neuen Bundesländern und passen die regionalen Hil- Beschäftigung im Interesse der Bürger in Ost und fen für Berlin und das Zonenrandgebiet an die verän- West zu erreichen. derten politischen und wirtschaftlichen Bedingungen an. Durch Einnahmeverbesserungen festigen wir die In diesem Jahr haben wir durch das Solidaritätsge- Haushaltsgrundlagen für die Erfüllung erheblich ge- setz zusätzliche Steuereinnahmen von gut 17 Milliar- stiegener nationaler und internationaler Aufgaben. den DM, für das kommende Jahr von rund 27 Milliar- den DM vorgesehen. Dem stehen bereits ab 1. Januar Mit unseren aktuellen steuerpolitischen Initiativen 1992 Steuersenkungen zugunsten der Familien und bleiben wir im Rahmen unserer langfristigen finanz- Verbesserungen beim Kindergeld mit einem Volumen politischen Konzeption. Wir haben in den letzten neun von voraussichtlich rund 7 Milliarden DM gegenüber. Jahren die Steuerpolitik erfolgreich für die Interessen Im Saldo beläuft sich der Beitrag der Bürger zur Be- unserer Bürger eingesetzt; wir werden das auch in wältigung der erheblich gestiegenen internationalen Zukunft tun. und nationalen Herausforderungen auf weniger als Ich möchte, auch wenn es schon etwas länger zu- die Hälfte dessen, was ihnen in der Steuerreform 1986 rückliegt, an die Situation 1982/83 erinnern, die in bis 1990 gegeben wurde. bestimmten Punkten mit der heutigen vergleichbar (Detlev von Larcher [SPD]: Guck mal, sogar ist. Damals allerdings steckte die Bundesrepublik der Kanzler geht weg! — Joachim Poß [SPD]: Deutschland in einer tiefen Wachstumskrise. Spiel- Der Kanzler kann den Waigel nicht mehr hö raum für einen Einnahmeverzicht der öffentlichen ren!) Haushalte war nicht vorhanden, und dennoch konn- Bei einer solchen Rechnung wird noch folgendes ten wir die Steuerpolitik erfolgreich als Initialzündung übersehen: Die entscheidende Strukturreform, vor al- für den wirtschaftlichen Aufschwung einsetzen. Wir lem die Einführung des linearen Einkommensteuerta- haben damals, wie jetzt im Beitrittsgebiet und ab 1993 rifs, hat dauerhaft Wachstumskräfte freigesetzt, die in ganz Deutschland, vor allem bei den ertragsunab- wir jetzt dringend benötigen. hängigen Steuern angesetzt und Entlastungen bei der Gewerbesteuer sowie bei der Vermögensteuer auf Be- Meine Damen und Herren, anscheinend hat die triebsvermögen verwirklicht. Damals erfolgte die Ge Frau Kollegin Matthäus-Maier ein Zitat des Kollegen Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 25. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 14. Mai 1991 1681

Bundesminister Dr. Theodor Waigel Momper in der „Bild"-Zeitung nicht zur Kenntnis ge- ist nicht zuletzt ein Angebot an die Länder zu einem nommen. Dort heißt es zur Frage der Finanzierung angemessenen Ausgleich der Interessen. industrieller Sanierungsvorhaben wörtlich: „Über Wir sind auch in anderen Fragen zur Kooperation Steuererhöhung, anders läuft es nicht. Und zwar in bereit. Das gilt z. B. für die Forderung des stellvertre- allen Bereichen — Verbrauchsteuern, möglicherweise tenden Vorsitzenden der SPD-Fraktion, Herrn Kolle- auch eine höhere Mehrwertsteuer." — Beschäftigen gen Wolfgang Roth, vom 30. August 1990. Unter der Sie sich doch einmal mit den steuerpolitischen Vor- Überschrift „Das Ruder herumwerfen" schrieb Kol- schlägen und Äußerungen in Ihrer Partei, Frau Kolle- lege Roth im Pressedienst seiner Fraktion damals: gin Matthäus-Maier. „Verzicht auf Substanzbesteuerung (Gewerbekapital, (Beifall bei der CDU/CSU — Zuruf von der Vermögen) bei Unternehmen in der DDR für 5 Jahre." SPD: Vor der Wahl haben Sie es doch ge Wir werden den Vorschlag gern aufgreifen und mit leugnet! — Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Sie Ihnen diskutieren. haben es geleugnet! Wieder eine Steuer Wenn die sozialistische Regierung Frankreichs in- lüge!) zwischen Vermögen bis zu 1,2 Millionen DM von der Keine der Finanzierungsalternativen kann isoliert Vermögensteuer ganz freistellt, hat das mit Sicherheit betrachtet werden. Für sich genommen sind Steuerer- nichts mit der von der SPD immer wieder angeführten höhungen wachstumspolitisch natürlich problema- Umverteilung von unten nach oben zu tun. Es geht tisch. An dieser Einschätzung hat sich seit dem letzten vielmehr ganz einfach darum, dem produktiven Kapi- Jahr nichts geändert. tal attraktive Bedingungen zu bieten. (Joachim Poß [SPD]: Moralisch!) Wir wollen offene Grenzen. Wir wollen freien Wett- bewerb in Europa und der ganzen Welt. Dann müssen Allerdings, wir müssen in dem Zusammenhang se- wir aber auch die Konsequenz ziehen und die steuer- hen, welche Alternativen bestehen. Niemand kann es lichen Voraussetzungen an das anpassen, was in an- verantworten, daß durch eine wachsende Kreditauf-- deren Staaten bereits vollzogen oder geplant ist. nahme die Zinsen steigen. Wir müssen in diesem Zu- sammenhang auch die Befürchtungen unserer Partner (Detlev von Larcher [SPD]: Das ist doch eine in Europa und im internationalen Konzert ernst neh- Ausrede, Herr Waigel!) men, auch wenn die Ersparnisbildung — gerade wäh- Andernfalls sind nicht die Kapitaleigentümer, die sich rend des Wiedervereinigungsprozesses — zur Liquidi- andere Standorte suchen, sondern die deutschen Ar- tät der internationalen Kapitalmärkte ganz beachtlich beitnehmer am stärksten betroffen. beiträgt. Wir brauchen das Vertrauen der internatio- nalen Anleger. Wir brauchen die Einbettung in eine Wir haben von Anfang an überhaupt keine Zweifel stabile Weltwirtschaft, wenn wir die Aufgabe der Wie- daran gelassen: Die Aussetzung der Gewerbekapital- dervereinigung bewältigen wollen. und der Vermögensteuer im Beitrittsgebiet dient vor allem der Förderung von Investitionen und der Schaf- Die vorgeschlagenen Steuererhöhungen stärken fung zusätzlicher Arbeitsplätze. Mißbrauchs- und vor allem die Einnahmebasis des Bundes, weil der Umgehungsmöglichkeiten haben wir dabei nicht Bund auch den größten Teil der in den letzten Mona- übersehen. Deshalb haben wir unseren ursprüngli- ten zusätzlich entstandenen Aufgaben zu tragen hat. chen Gesetzesvorschlag in zwei Punkten angepaßt: Dabei möchte ich den inzwischen erheblichen Beitrag der Bundesländer nicht in den Hintergrund rücken. Ab 1993 soll in ganz Deutschland eine vor allem im Durch die Entscheidung der Ministerpräsidentenkon- betrieblichen Bereich deutlich reduzierte Vermögen- ferenz vom 28. Februar 1991 ist eine weitaus bessere steuer gelten. In Frage kommen vor allem die Über- Verteilung der Finanzierungslasten erreicht wor- nahme der Steuerbilanzwerte in die Vermögensauf- den. stellung sowie eine Anhebung der Freibeträge für Betriebsvermögen und der Bewertungsabschläge. Die Golfkosten, Unterstützung der mittel- und osteuro- Aussetzung der Vermögen- und der Gewerbekapital- päischen Staaten, humanitäre Hilfe für die Kurden steuer bringt vor allem für die jungen, noch weitge- und vor allem der 100-Milliarden-DM-Transfer zu- hend gewinnlosen Betriebe im Beitrittsgebiet eine gunsten der neuen Bundesländer gehen jedoch unbe- spürbare Entlastung. Zugleich erleichtern wir den stritten vor allem zu Lasten des Bundeshaushalts. Aufbau der Finanzverwaltung in den neuen Bundes- Auch in Zukunft fühlen wir uns aber mitverantwort- ländern, da sie sich zunächst nicht mit der Feststellung lich für eine solide Finanzierungsgrundlage der ande- von Einheitswerten befassen muß. ren öffentlichen Haushalte. Die angekündigte Mehr- Beim Abbau der Berlin- und Zonenrandförderung wertsteuererhöhung — ich halte es für fair, auch in wurden in den Beratungen des Finanzausschusses Luxemburg ausgesprochen zu haben, daß wir diese noch einige Anpassungen bei den Terminen und Fri- Maßnahme zum 1. Januar 1993 treffen wollen, sten vereinbart. Insgesamt liegt jetzt ein Konzept vor, das den Interessen aller Beteiligten ausgewogen (Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Aber nicht vor der Wahl!) Rechnung trägt. Der Abbauplan bleibt deutlich unter dem ursprünglich vorgesehenen Zeitraum von sieben ohne daß wir uns schon heute über die Höhe geeinigt Jahren. Die meisten Fördermaßnahmen laufen bereits hätten — bis 1994 aus. (Joachim Poß [SPD]: Vor der Wahl geleug Auf der anderen Seite wurde ein zu starker Anpas- net! — Detlev von Larcher [SPD]: Aber vor sungsdruck und damit die Gefährdung von Arbeits- der Wahl abgelogen!) plätzen vermieden. Bei der umsatzsteuerlichen Her- 1682 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 25. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 14. Mai 1991

Bundesminister Dr. Theodor Waigel stellerpräferenz und bei der Arbeitnehmerzulage in Damals, 1956, verhallten die Hilferufe und Be- Berlin wurden die Abbautermine gegenüber den ur- schwörungen von Imre Nagy, Maléter und Kardinal sprünglichen Vorschlägen um sechs bzw. um drei Mo- Mindszenty. Nagy und Maléter sind rehabilitiert, und nate verschoben. Auch wird das frühere West-Berlin der tote Mindszenty ist aus dem Exil wieder in seine in die Fördermaßnahmen zugunsten der neuen Bun- Heimat zurückgekehrt. Wir sind die glücklichen desländer einbezogen. Nutznießer ihres mutigen Freiheitskampfes. Für die strukturschwächeren ehemaligen Zonen- Unsere Leistungen für die Freiheit, national und randgebiete, die auch künftig in der Gemeinschafts- international, sind beachtlich. Sie sind aber zumutbar aufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschafts- und angesichts der Aufgabe und der Herausforderung struktur" verbleiben, bleiben die Sonderabschrei- unserer Zeit auch angemessen. bung und die steuerstundende Investitionsrücklage Ich danke Ihnen. bis Ende 1994 bestehen. Es war allerdings nicht ganz (Anhaltender lebhafter Beifall bei der CDU/ einfach, diese F rist gegenüber der Europäischen CSU und der FDP) Kommission durchzusetzen. Meine Damen und Herren, leider dominiert noch immer der Eindruck, die Bewältigung der Wiederver- Vizepräsident Hans Klein: Meine Damen und Her- einigungsaufgabe liege allein im Interesse der gut 16 ren, die Vokabel „Dummheit" hat bei der SPD zu Millionen neuen Mitbürger. Selbst wenn dies zuträfe, Unruhe und Zwischenrufen geführt, die nun ihrerseits wäre es Grund genug, jede wirksame Hilfe zu leisten. eine Qualität dieser Vokabel haben. Ich will sie nicht Tatsächlich investieren wir jedoch jede Mark, die jetzt wiederholen, ich habe auch keine Rüge erteilt. Ich zusätzlich gebraucht wird, in die gemeinsame Zu- stelle nur fest, daß sich die Ordnungsgewalt des Prä- kunft unserer Nation. sidenten nicht auf Regierungsmitglieder erstreckt, wenn es um einen Ordnungsruf gehen sollte. Ich Die Aufhebung der deutschen und europäischen möchte nur sagen, daß der Herr Bundesfinanzminister - Teilung, das Scheitern des kommunistischen Dogmas sprachkräftig genug ist, in Zukunft, wenn er sich mit und der Rückzug der Weltmacht Sowjetunion aus Mit- dem Intelligenzquotienten einer Kollegin oder eines teleuropa sind Entwicklungen, die für uns alle den Kollegen beschäftigt, dies auf andere Weise auszu- größten, kaum erhofften Gewinn bringen. drücken. (Heiterkeit) Auch im ökonomischen Bereich wird unser ganzes Land von der Aufhebung der hermetisch abgeriegel- Als nächstes hat der Abgeordnete Detlev von ten Grenze entscheidend profitieren. Grenzregionen Larcher das Wort. werden zur Mitte, und alte Handelsbeziehungen wer- den — wenn auch nicht von heute auf morgen — wie- (SPD): Herr Präsident! Meine der wachsen. Allerdings wird nichts von alleine kom- Detlev von Larcher sehr verehrten Damen und Herren! Ich denke, wir men. Wir müssen uns für jeden Schritt nach vorne ein- sollten Herrn Waigel nachsehen, daß er so nervös rea- setzen und darum kämpfen. giert und sich sogar zu Verbalinjurien hinreißen läßt. Entscheidend ist der Sieg der Freiheit über die Un- Schließlich ist es sehr verständlich, daß er sich bei sei- freiheit. Jahrzehntelang konnten wir nur ohnmächtig nem eigenen ungerechten Gesetzgebungswerk sehr protestieren und Flüchtlinge aufnehmen, als in Ost unwohl fühlt. Ich denke, man kann feststellen, er ist Berlin, Warschau und Budapest die Aufstände blutig fast schon so angeschlagen wie Herr Stoltenberg in unterdrückt wurden. Wir mußten hilflos zusehen, wie seiner Endphase. Offenbar hat ihm auch Irsee nicht in Prag, wenige hundert Kilometer östlich von uns, weitergeholfen. Panzer die friedlich demonstrierenden Menschen aus- (Beifall bei der SPD — Zurufe von der CDU/ einandertrieben. Wir haben auch damals auf den Sieg CSU) von Frieden, Freiheit und Selbstbestimmung gehofft. Das uns heute vorliegende Steuerpaket, das Sie, Jetzt sind wir dabei, diese Werte in Deutschland und meine Damen und Herren von den Koalitionsfraktio- Europa für die Zukunft zu sichern. nen, verabschieden wollen, ist sozial ungerecht. Es (Beifall bei der CDU/CSU und bei Abgeord gefährdet die Stabilität der Mark und ist wirtschaftlich neten der FDP) unvernünftig. Es ist wirtschaftlich unvernünftig, weil Sie kein Konzept für eine vernünftige Indust rie- und Diese Zusammenhänge wollen wir auch in einer Wirtschaftspolitik haben. scheinbar nüchternen steuerpolitischen Debatte nicht Wir Sozialdemokraten haben doch schon im Be- vergessen lassen. Während wir über Steuererhöhun- gleittext zum ersten Staatsvertrag Maßnahmen vorge- gen, steuerliche Wirtschaftsförderung und vieles an- schlagen, die den Namen „Aufschwung Ost" verdient dere diskutieren, sollten wir uns erinnern, um was es haben. Sie haben sie damals abgelehnt, weil Sie da- in Deutschland und Europa zu Beginn der 90er Jahre mals noch gesagt haben: Der Markt wird es schon tatsächlich geht. richten. Die Todesopfer an der Mauer waren nicht umsonst. Nein, Herr Solms, wenn bisher vom Aufschwung so Peter Fechter und viele andere sind nicht umsonst wenig zu sehen ist, so ist das Ihrer Bundesregierung gestorben. Der Aufstand von 1953 war 1989 und 1990 zuzuschreiben. Herr Haussmann und Herr Waigel erfolgreich. Die Panzer des Warschauer Paktes konn- hätten sich vor einem Jahr zusammensetzen sollen, ten 1968 zwar die Freiheit unterdrücken, doch die um dann unverzüglich zu handeln. Sie sind in Wahr- Freiheit brach sich Bahn im Jahre 1990. heit die Attentisten. Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 25. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 14. Mai 1991 1683

Detlev von Larcher Es wäre reizvoll, auf alle drei Aspekte einzugehen. Einheit nicht —, sage ich hier: So teuer, wie uns die Aber wegen der Kürze der Redezeit werde ich mich deutsche Einheit kommt, so teuer ist sie uns auch. auf die soziale Unausgewogenheit dieses Gesetzes- (Zuruf von der FDP: Aber nicht so lieb! — werks beschränken. Josef Grünbeck [FDP]: Kein Applaus bei der SPD!) Herr Faltlhauser, ich kann verstehen, daß Sie das von der Steuerlüge nicht mehr hören wollen. Auch ein Wir Sozialdemokraten kritisieren heute nicht, daß Dieb hat es nicht gern, wenn man öffentlich auf ihn Steuern erhöht werden sollen. Wir kritisieren, wie Sie zeigt und ihn Dieb nennt. Aber ich kann es Ihnen nicht die Steuern heute mit Ihrer Mehrheit erhöhen wollen, ersparen. sowie Ihre beispiellose Unredlichkeit gegenüber den Wählerinnen und Wählern. Im Bundestagswahlkampf ging es doch landauf, Herr Faltlhauser hat hier den Eindruck zu erwecken landab, allen voran der Bundeskanzler und der versucht, als ginge es bei unseren Alternativen, die Marktgraf. Hoch und heilig wurde versprochen, es wir im Finanzausschuß zur Diskussion und zur Ab- gebe nach der Wahl keine Steuererhöhungen. Man stimmung gestellt haben, um unbedeutende Alterna- ließ sich allerdings wie ein kleiner Dieb ein kleines tiven, die man sein lassen kann, die man aber auch Hintertürchen offen, nämlich den Golfkrieg oder durchführen kann. In Wahrheit handelt es sich bei überhaupt die Probleme im Osten. unseren Alternativvorschlägen um den Kernpunkt dieses Steuerpaketes, nämlich um die soziale Schief- Nun stehen wir vor dem größten Steuererhöhungs- lage, um die soziale Schlagseite, die Ihr Gesetzeswerk paket in der Geschichte der Bundesrepublik. Die Be- kennzeichnet. Es geht bei unseren Vorschlägen um lastung der Beschäftigten mit direkten und undirek- eine grundsätzlich andere Herangehensweise an die ten Abgaben steigt von 41,5 % in 1990 auf 43,2 % in notwendigen Steuererhöhungen, als es bei Ihnen der 1991, auf 44 % in 1992 und auf 45,2 % in 1994. Schon Fall ist. in diesem Jahr erreichen wir damit eine Belastung der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, wie -wir sie in Warum weigern Sie sich — ich frage besonders der Geschichte der Bundesrepublik noch nie gehabt auch den christlichen Arbeitnehmerschauspieler in haben. 1994 erreichen wir — oder besser: die Arbeit- der Bundesregierung, wie er damit zurechtkommt —, nehmerinnen und Arbeitnehmer — den Gipfel. unseren Vorschlag einer unteren Einkommensgrenze zu aktzeptieren, die die Mehrheit der Arbeitnehme- Unser Kollege Huonker hat am 23. November 1988 rinnen und Arbeitnehmer in Ostdeutschland von die- die damaligen Verbrauchsteuererhöhungen als das sem Zuschlag gerechterweise befreien würde? größte Steuererhöhungspaket bezeichnet. Damals (Beifall bei der SPD) ging es um Steuererhöhungen von 13 Milliarden DM, heute sprechen wir von über 33 Milliarden DM. Wenn Warum akzeptieren Sie nicht unsere Vorschläge, die unser Kollege Huonker es damals als das größte mit dem ersten zusammenhängen, nämlich die Ergän- Steuererhöhungspaket bezeichnet hat, wie wollen wir zungsabgabe über vier Jahre und statt 7,5 % 10 % zu das heute wohl nennen? Mega-Steuererhöhungspa- erheben? Damit würden mögliche Steuermanipulatio- ket vielleicht! nen weitestgehend ausgeschlossen, und es bestünde nicht die Gefahr, daß das Bundesverfassungsgericht Was haben Sie, meine Damen und Herren von der Ihr Gesetz wegen der Rückwirkungsproblematik für CDU/CSU, in der Vergangenheit nicht alles von der verfassungswidrig erklärt. Ihr Kollege Scharrenbroich Senkung der Staatsquote gequatscht und versucht, darf tönen, darf warnen, durchsetzen tun sich in der uns Sozialdemokraten das ideologisch um die Ohren CDU stets andere, nie das Feigenblatt CDA. zu hauen. Nun schauen Sie sich einmal die Berech- Für unsere Vorschläge gab es bei den Expertenan- nungen an: Sogar ohne dieses heutige Mega-Steuer- hörungen im Finanzausschuß viel Zustimmung. Aber erhöhungspaket wäre die Steuer- und Abgabenquote da können Sie nicht ran, weil Sie ideologisch verbohrt in 1991 um 2,8 Prozentpunkte höher als jemals in sind und um das Wohlwollen Ihrer Klientel fürchten: unserer Regierungszeit. Aber wie hieß es im Wahl- um das der Reichen und Superreichen. kampf — Originalton Helmut Kohl — : Wenn ich sage, wir machen im Zusammenhang mit der deutschen (Zurufe von der SPD: Sehr wahr!) Einheit keine Steuererhöhungen, dann machen wir Der Skandal der Umverteilung wird noch größer, keine; darauf kann sich jeder verlassen. wenn Sie die Steuersenkungen vornehmen, die Sie schon jetzt ankündigen: Wegfall der Vermögen- und Steuerlügner und Steuerbetrüger sind noch die ge- Gewerbekapitalsteuer. Dafür erhöhen Sie dann die lindesten Bezeichnungen, die ich in meinem Wahl- Mehrwertsteuer. In den unteren Einkommensberei- kreis über die regierungsgräflichen Exzellenzen zu chen ist die Belastung durch die Mehrwertsteuer dann hören bekomme. Haben die Menschen nicht recht? höher als die Entlastung durch den Wegfall der Ergän- Sie haben ihnen doch ganz bewußt die Unwahrheit zungsabgabe. Ganz anders im oberen Einkommens- gesagt; denn all die Ausreden, die Sie seit März dieses bereich: Da ist die Entlastung dann noch größer. Die Jahres gebrauchen, sind so jämmerlich schlecht, daß große Zahl der Arbeitnehmer mit kleinen und mittle- es keinen gibt, der das nicht durchschaut. ren Einkommen soll bezahlen. Die Gewinner Ihrer Steuerpolitik sind die Bezieher hoher und höchster Schon im Frühjahr 1990 haben Ihnen die Institute Einkommen. gesagt, wie teuer uns die deutsche Einheit kommt. Damit das klar ist — entgegen Ihren Diffamierungen (Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Leider, lei unserer Partei, wir wollten in Wahrheit die Deutsche der! — Joachim Poß [SPD]: Sehr wahr!) 1684 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 25. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 14. Mai 1991

Detlev von Larcher Ich komme nun zu einigen unserer Anträge im Fi- Detlev von Larcher (SPD): Ich komme zum nanzausschuß, von denen ich sage, daß sie die grund- Schluß. sätzlich andere Herangehensweise der Sozialdemo- Die Mehrheit der Koalitionsfraktionen hat unsere kraten an notwendige Steuererhöhungen widerspie- Vorschläge im Finanzausschuß samt und sonders ab- geln. gelehnt, meist ohne Begründung. Das ist nur folge- Für die Ergänzungsabgabe — das habe ich schon richtig, denn für die Ablehnung unserer Forderungen gesagt — haben wir — so sollte sie übrigens heißen, gibt es kaum rationale Begründungen. nicht Solidaritätszuschlag; das ist ein irreführender (Beifall bei der SPD) Euphemismus — eine Einkommensgrenze nach un- Die wichtigsten dieser Änderungsvorschläge liegen ten, eine vierjährige Dauer und eine Höhe von 10 nun dem Plenum des Bundestages vor. statt 7,5 % vorgeschlagen. Wir haben beantragt in § 10 Abs. 1 die Nr. 8 und 9 Vizepräsident Hans Klein: Herr Kollege, wenn die zu streichen. Damit wollen wir den Skandal beseiti- Redezeit abgelaufen ist, dann sprechen Sie einen gen, daß die Ärmsten die Dienstmädchen der Super- Schlußsatz, nicht einen Schlußabsatz. reichen bezahlen müssen.

(Beifall bei der SPD) Detlev von Larcher (SPD): Wir geben Ihnen die Wir wollen die Steuerbegünstigungen nach § 10 e Chance, die soziale Schieflage zu vermeiden. auf einen Abzug von der Steuerschuld umstellen. Da- In Beurteilung dieses Steuerpakets und der Reak- mit wollen wir die Ungerechtigkeit beseitigen, die tionen in der Bevölkerung kann man insgesamt nur darin liegt, daß die Bezieher höherer Einkommen we- sagen: Dieses Land braucht eine andere Bundesregie- gen der progressiven Entlastungswirkung wesentlich rung. mehr an Steuern sparen können als die Bezieher ge- (Beifall bei der SPD — Zurufe von der CDU/ ringer Einkommen. CSU und der FDP: Ach!) Wir haben vorgeschlagen, an Stelle der Einführung eines neuen Tariffreibetrages für die neuen Bundes- Ich erteile das Wort dem länder den Vizepräsident Hans Klein: Grundfreibetrag um den gleichen Betrag Abgeordneten Gunnar Uldall. progressionsunabhängig für alle Steuerpflichtigen anzuheben. Damit wollen wir einen ersten Schritt tun, um die Besteuerung nach dem Spruch des Bundesver- Gunnar Uldall (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine fassungsgerichts verfassungskonform zu gestalten. Damen und meine Herren! Vor über 40 Jahren ver- sammelten sich draußen auf dem Platz vor dem (Beifall bei der SPD) Reichstag Hunderttausende von Berliner Bürgern, um Durch die zu niedrige Höhe des Grundfreibetrages auf die Not aufmerksam zu machen, die der Stadt werden den Steuerpflichtigen heute — verfassungs- durch die sowjetische Blockade drohte. In bewegen- widrig — Jahr für Jahr ungefähr 500 DM — Ledige — den Worten beschwor Bürgermeister Reuter die Völ- und 1 000 DM — Verheiratete — zu viel an Steuern ker der Welt, Solidarität mit den Menschen in Berlin weggenommen. zu zeigen. Diese Solidarität wurde von Amerikanern, Wir haben — konstruktiv, wie wir Sozialdemokra- von Briten, von Franzosen praktiziert. Es gibt keine Berichte darüber, daß die Ausländer lange Diskussio- ten nun einmal sind — vorgeschlagen, den Tariffrei- betrag wenigstens progressionsunabhängig zu gestal- nen über das Ob und über das Wie der Hilfe für die Deutschen führten. ten, wenn Sie sich schon nicht für eine allgemeine Anhebung des Grundfreibetrages erwärmen können. Heute treten wir als frei gewähltes Parlament zur Dadurch wollen wir die grobe Ungerechtigkeit besei- ersten Arbeitssitzung im Reichstagsgebäude zusam- tigen, daß Steuerpflichtige mit hohen Einkommen men, um über Solidaritätsmaßnahmen von Deut- eine fast dreimal so hohe Entlastung erhalten wie sol- schen an Deutschen zu beschließen. Lassen Sie uns che mit geringen Einkommen. dabei nicht engherziger als die Helfer von damals sein. Für die ganz überwiegende Mehrheit der Men- schen in den neuen Bundesländern mit ihrem gerin- (Beifall bei der der CDU/CSU und der gen Einkommen bedeutet Ihr progressionsabhängi- FDP) ger Tariffreibetrag keine spürbare Hilfe. Aber Wessis Beschlüsse zur Erhöhung der steuerlichen Bela- wie wir, mit unseren höheren Einkommen, werden da stung haben noch nie Jubel ausgelöst. Aber eine ver- verstärkt entlastet. Das nennt diese Koalition Solidari- antwortungsbewußte Regierung muß auch die Bereit- tät. schaft zu notwendigen, kurzfristig unpopulär erschei- nenden Maßnahmen zeigen. Wir sind dafür, nicht nur die Kläger der Jahre 1983 bis 1985, also die Cleveren, die dem Staat mißtrauen, Während der langen Beratungen über die vorlie- durch Rückzahlung der zuviel gezahlten Steuern zu genden Gesetzentwürfe haben die Sozialdemokraten belohnen, sondern auch die zu entschädigen, deren wohl zahlreiche Vorschläge unterbreitet, wie weitere Steuerveranlagungen rechtskräftig sind. Ausgaben zu tätigen wären. Sie haben aber nicht ei- nen Vorschlag vorgelegt, wie diese zu finanzieren wären. Wären wir den Anträgen der Sozialdemokra- ten gefolgt, hätten wir über 20 Milliarden DM an Vizepräsident Hans Klein: Herr Kollege von Lar- Mehrausgaben zu tätigen, cher, Ihre Redezeit ist abgelaufen. (Widerspruch bei der SPD) Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 25. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 14. Mai 1991 1685

Gunnar Uldall z. B. für die erhöhte Investitionszulage oder für die genheit, Ihren Forderungen aus der „FAZ" von ge- generelle Erhöhung des Grundfreibetrags, die Frau stern zuzustimmen. Matthäus-Maier heute morgen einmal eben locker in (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) die Diskussion eingebracht hat und die 4 Milliarden DM gekostet hätte. Aber die Einnahmen wären um Der Zuschlag ist sozial ausgestaltet; denn er knüpft viele, viele Milliarden zurückgegangen, z. B. durch linear an die Einkommensteuer, die den Besserverdie- die Einführung der Einkommensgrenzen beim Solida- nenden auf Grund des Progressionsverlaufes stärker ritätszuschlag. Höhere Ausgaben, aber geringere Ein- belastet als den Bezieher niedriger Einkommen, an. nahmen — das ist keine ernst zu nehmende Finanzie- Ein Lediger mit 2 000 DM Monatseinkommen zahlt rungskonzeption. 16 DM Solidaritätszuschlag. Wer 6 000 DM verdient, muß 104 DM bezahlen. Also, wer das Dreifache ver- Die Opposition soll Alternative zur Regierung sein. dient, muß das Sechsfache an Solidaritätszuschlag Wir müssen erkennen, daß die Sozialdemokraten die- zahlen. ser Aufgabe nicht gerecht werden. (Dr. [CDU/CSU]: Sehr gut!) (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Widerspruch bei der SPD) Das ist soziale Ausgewogenheit, meine Damen und Herren. Welche Belastungen kommen auf die Bürger durch (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) den Solidaritätszuschlag zu? Ein lediger Arbeitneh- mer mit 3 000 DM Monatseinkommen zahlt 34 DM Über Monate hinweg wurde von der SPD ein Solidaritätszuschlag. Ist er verheiratet und hat zwei Steuerzuschlag gefordert. Kinder, so zahlt er 12 DM pro Monat. Ist das wirklich (Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Ja!) zuviel, um die Sanierung der Umwelt in den neuen Bundesländern voranzubringen? Jetzt legt die Koalition einen entsprechenden Entwurf vor. Aber die Opposition bringt nicht die Größe auf, (Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Für -viele der Regierungsvorlage zuzustimmen. Menschen ist das sehr viel Geld!) (Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Einkom In der vergangenen Woche wurde der neue Tarif mensgrenzen!) der IG Druck und Papier abgeschlossen. Die Gehälter — Statt dessen schlägt sie Einkommensgrenzen vor, steigen um 7 %. Für den eben genannten Arbeitneh- liebe Frau Matthäus-Maier. mer sind das 210 DM brutto mehr. Ist bei dieser Grö- ßenordnung ein Solidaritätszuschlag von 34 DM oder (Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Haben wir 12 DM wirklich zuviel, um den Aufbau der zerfallen- vor der Wahl gesagt!) den Städte zu finanzieren? — Sie schlagen Einkommensgrenzen vor, die so hoch (Beifall der CDU/CSU und der FDP) angesetzt sind, daß nur noch eine ganz geringe Zahl von Bürgern den Solidaritätsbeitrag zu entrichten Diese Frage stellt sich vor allem, wenn wir beden- hätte. Bei einer Einkommensgrenze von 60 000 DM ken, daß die hohen Abschlüsse der diesjährigen Tarif- oder 120 000 DM Jahreseinkommen brauchte selbst, runden natürlich auch darin begründet sind, daß, be- liebe Frau Matthäus-Maier, eine gut verdienende Ab- dingt durch die Wiedervereinigung, die Konjunktur geordnete des Deutschen Bundestages mit zwei Kin bei uns besonders gut läuft und die Einkommensstei- dern diesen Beitrag nicht mehr zu zahlen. gerungen hoch ausfallen konnten. Hätten wir z. B. eine Konjunktur wie in England oder in Frankreich, (Zuruf von der CDU/CSU: Hört! Hört! — dann wäre die diesjährige Tarifrunde sicherlich im Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Es kommt dar ganz normalen Rahmen ausgefallen, d. h. es hätte auf an, was sie verdient und was der Mann nicht 7 %, sondern vielleicht nur 4 % mehr gegeben. In verdient!) dem genannten Beispiel hätte der Arbeitnehmer nicht — Worauf kommt es an, liebe Frau Matthäus-Maier? eine Lohnerhöhung von 210 DM, sondern von Sie brauchten den nicht zu zahlen. 120 DM bekommen. (Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Selbstver Halten wir fest: Der Solidaritätszuschlag nimmt nur ständlich muß ich zahlen!) einen Teil des Einkommenszuwachses, der auch — Rechnen Sie Ihre Kinderfreibeträge und alles ab, durch die Wiedervereinigungskonjunktur erzielt dann werden Sie sehen, daß gerade Sie herausfal- wird. len. (Zustimmung bei der CDU/CSU und der Ehrlicher wäre es gewesen, zu sagen: Alle sollen FDP) zahlen. Solidarität darf nicht heißen, Frau Matthäus Dieser Anteil geht an die Menschen, die nicht von Maier: Die anderen sollen zahlen. Solidarität heißt: dem Konjunkturplus profitieren. Das ist echte Solida- Jeder soll nach seiner Leistungsfähigkeit zahlen. rität. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Meine Damen und Herren, ich habe gestern in der Dr. Kurt Faltlhauser [CDU/CSU]: Vielleicht „Frankfurter Allgemeinen" einen Artikel gelesen, will sie freiwillig zahlen?) Herr Thierse, in dem Sie schreiben: „Westdeutsche Ich möchte nun noch einmal Stellung nehmen zu sollen auf Wohlstandswachstum verzichten." Heute dem häufig vorgetragenen Argument, man hätte die legt die Regierung, legt die Koalition entsprechende unpopuläre Steuerentscheidung unmittelbar nach Gesetzesvorschläge vor. Sie haben heute die Gele Öffnung der Mauer treffen sollen. Dann, so wird argu- 1686 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 25. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 14. Mai 1991

Gunnar Uldall mentiert, wäre die Bereitschaft größer gewesen, eine den 90er Jahren nicht schneller steigen als in den 80er zusätzliche Belastung auf sich zu nehmen. Im Novem- Jahren. ber oder im Dezember 1989 konnte keiner ahnen, wel- Viertens. Der Abbau der Neuverschuldung von 70 che neuen Aufgaben und welche neuen Ausgaben auf auf 50, auf 40 Milliarden DM muß in jedem Fall ein- den Bund zukommen würden. gehalten werden. Die Einhaltung dieser Grenzen muß (Detlev von Larcher [SPD]: Ahnungslose!) oberstes Gebot für unsere Finanzpolitik sein. Fünftens. Das Streichen unnötiger Ausgaben und Für uns, die Union, ist eine Steuererhöhung auf Ver- Subventionen muß weitergehen. Heute, im Rahmen dacht dieser Gesetzesvorlagen, streichen wir 10 Milliarden (Dr. Alfred Dregger [CDU/CSU]: Sehr gut!) DM an Subventionen für Berlin und für das Zonen- — das wäre sie gewesen, wenn man sie damals vor- randgebiet. Mit diesem gewaltigen Subventionsab- genommen hätte — ein völlig ausgeschlossener Weg. bau, der durch die deutsche Einheit ermöglicht wird, Das überlassen wir anderen. dürfen unsere Bemühungen nicht enden. Ein weiteres Zehn-Milliarden-Paket für die Subventionen wird (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) noch vor der Sommerpause vorgelegt werden. Hätte man damals trotzdem dem Drängen der Sozial- demokraten nachgegeben und z. B. einen Solidari- Vizepräsident Hans Klein: Herr Kollege Uldall, Ihre tätszuschlag beschlossen, so wäre doch selbstver- Redezeit ist zu Ende. ständlich die damit erzielte Einnahme längst verfrüh stückt, und wir stünden heute wiederum vor genau Gunnar Uldall (CDU/CSU): Dann komme ich zum der gleichen Aufgabe, erneut irgendeine Steuererhö- Schluß, Herr Präsident. hung zu verlangen. Uns stellen sich schwierige Aufgaben. Aber diese (Joachim Poß [SPD]: Das tut weh!) schwierigen Aufgaben sind lösbar, vorausgesetzt, daß wir unseren finanzpolitischen Kurs mit Beharrlichkeit Für die CDU/CSU ist die Steuererhöhung- das letzte fortführen und auch den Mut haben, einmal etwas zu Mittel. tun, was auf den ersten Blick als unpopulär er- (Zuruf von der SPD: Aber Sie können es ganz scheint. gut!) Die heute zu verabschiedenden Gesetze sind ein Durch unser Hinausschieben der Tariferhöhung — Beitrag für die langfristige Sicherung unserer Staats- denn darum handelt es sich ja — haben wir den finanzen. Wir bitten deswegen um Ihre Zustim- Steuerzahler so lange wie irgend möglich geschont. mung. Vielen Dank. (Joachim Poß [SPD]: Jetzt werden alle klat schen!) (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Nun noch eine kurze Bemerkung zu der Besteue- Vizepräsident Hans Klein: Das Wort hat der Abge- rung von Erdgas, Heizöl und Zigaretten: Wir schlie- ordnete Otto Reschke. ßen nicht aus, daß es zu Verzerrungen der Wettbe- werbsfähigkeit zwischen Heizöl und Erdgas oder in- (SPD): Herr Präsident! Meine sehr nerhalb des Zigarettenmarktes kommen kann. Durch Otto Reschke verehrten Damen und Herren! Mit dem Steuerände- die jetzige Vorlage könnte sich eine Situation erge- rungsgesetz soll die Wohneigentumsbildung verbes- ben, daß der Gesetzgeber hier eine Überprüfung sert und die Modernisierung in den neuen Bundeslän- vornehmen müßte. Wir werden deswegen — so haben dern gefördert werden. So die Begründung der Bun- wir es im Ausschuß einhellig beschlossen — im Herbst desregierung. Aber lieber Herr Kollege Dr. Faltlhau- dieses Jahres eine entsprechende Prüfung und gege- ser, wenn es richtig ist, daß Eigentum die wichtigste benenfalls eine Korrektur vornehmen. Säule des Wohnungsmarktes ist, wenn es richtig ist, Welche Aufgaben stellen sich heute der Finanz- daß Eigentumsförderung der beste Mieterschutz und politik? die beste Entlastung des Wohnungsmarktes ist — wie Erstens. Wir müssen deutlich machen, daß nunmehr wir auch im Finanzausschuß gemeinsam festgestellt mit dem Beschließen neuer Ausgaben Schluß ist. Auf haben — , und wenn es richtig ist, daß bei der Eigen- die Kasse des Finanzministers gehört wieder ein tumsförderung nach § 10 e des Einkommensteuerge- schwer zu hebender eiserner Deckel. setzes kaum wohnungspolitische Effekte erzielt wer- den, warum gehen wir dann nicht auch heute gemein-

(Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Das werden sam an die Reform heran? Die SPD-Bundestagsfrak- wir sehen!) tion hat Ihnen einen kompletten Gesetzentwurf zur Zweitens. Weitere Unterstützungsaktionen für die Umgestaltung der Eigentumsförderung nach § 10 e ostdeutschen Bundesländer können kontraproduktiv EStG für den Wohnungsbau vorgelegt. wirken, da sie die Hoffnung nähren könnten, bei et- Doch so, wie der Gesetzentwurf hier vorliegt, was längerem Warten würde es noch mehr geben. schlägt die Bundesregierung die Beibehaltung des Aktionismus weckt Attentismus! unsozialen Systems vor. Sie setzen einfach das fort, was Sie in anderen Bereichen der Besteuerung auch (Sehr gut! bei der CDU/CSU) tun: Großverdiener werden stark gefördert, mit hohen Drittens. In der mittelfristigen Finanzplanung muß Mitnahmeeffekten; dagegen erhalten Bezieher mitt- der Ausgabenzuwachs deutlich unter dem Zuwachs lerer Einkommen nur die Hälfte, und Bezieher kleine- der Steuereinnahmen liegen. Die Ausgaben dürfen in rer Einkommen werden gering oder gar nicht geför- Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 25. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 14. Mai 1991 1687

Otto Reschke dert. So zeigt auch die derzeitige Eigentumsförderung fördern und den Bauherrn mit mittlerem Einkommen im Wohnungsbau nach § 10 e in den neuen fünf Bun- nur mit 33 000 DM in acht Jahren zu fördern, schlagen desländern keine Wirkung, da sie auf Grund der nied- wir einen einheitlichen Förderbetrag für alle als Ab- rigen Einkommen dort kaum zu Steuerersparnissen zug von der Steuerschuld vor. führt. Die Aufstockung der förderungsfähigen Summe (Beifall bei der SPD) von 300 000 auf 330 000 DM, die Sie jetzt vorhaben, ändert am ungerechten System nichts. Für 25 bis Hinzu kommt, daß wir das Baukindergeld von der- 30 DM mehr im Monat baut niemand, und die Erhö- zeit 750 DM auf 1 200 DM je Kind und Jahr, und das hung des Baukindergeldes von 750 auf 1 000 DM als für zehn Jahre, wirksam anheben möchten. Abzug von der Steuerschuld nützt nichts, wenn die Die einheitliche Förderung für alle, die eine Anhe- Steuerlastquote nichts hergibt. bung der Förderung für die Bezieher mittlerer Ein- kommen bewirken wird, wird durch die Umstellung Vizepräsident Hans Klein: Herr Kollege Reschke, auf Abzug von der Steuerschuld erreicht. Ganz natür- gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten lich muß dies davon begleitet sein, daß diejenigen, die Dr. Faltlhauser? keine Steuerschuld haben, diesen Betrag vom Finanz- amt ausgezahlt bekommen.

Dr. Kurt Faltlhauser (CDU/CSU): Herr Kollege (Beifall bei der SPD) Reschke, warum betonen Sie in diesem Plenum zur Dieses System kennen wir doch von der Investitions- Kenntnis der Kollegen nicht auch, daß die Wohnungs- zulage, daß einem Betrieb, der über keine Steuerlast baupolitiker der Koalition ebenso wie — zumindest verfügt, diese Zulage vom Finanzamt ausbezahlt teilweise — die Finanzpolitiker der Koalition mit Ih- wird. nen durchaus einig sind, daß eine Systemumstellung beim Wohnungsbau insgesamt wohl zielführend sein Die Unionsparteien haben vor der Wahl die Umstel- wird, - lung der Förderung auf einen Eigenheimabzugsbe- trag versprochen. Sie haben aber dann das Ministe- (Zuruf von der SPD: Warum machen Sie das rium an die FDP abgegeben. Auch dieses sagt mittler- nicht?) weile, daß eine Umstellung wünschenswert sei, fügt ein derartig umfassendes Reformwerk jetzt aber nicht aber hinzu, sie sei nicht zu finanzieren. gleichzeitig seriös gestaltet werden kann? Denn ein Das ist jedoch eine fadenscheinige Ausrede vor dem entsprechendes umfassendes Reformwerk kostet un- Hintergrund anderer steuerlicher Vergünstigungen glaublich viel Geld — das wissen Sie selbst — , Geld, im Wohnungsbau. Das muß man der Öffentlichkeit das wir heute, im Jahre 1991, nicht haben. doch klarmachen: 90 % der Verluste, die bei der Ein- kommensteuer vor den Finanzämtern geltend ge- Otto Reschke (SPD): Herr Kollege Faltlhauser, Sie macht werden, sind Verluste aus Vermietung und haben ein unglaublich kurzes Erinnerungsvermö- Verpachtung; rund 40 Milliarden DM im Jahr. Das gen. bedeutet eine Steuerverkürzung um rund 20 Milliar- (Beifall bei der SPD) den DM. Und da schaffen wir es nicht, 3 bis 4 Milliar- den DM herauszubrechen, um zielgerecht Wohn- Diesen Vorschlag haben wir seit 1986 permanent in eigentum zu fördern. Darum geht es. den Deutschen Bundestag eingebracht und damit vor- geschlagen, wie die Umstellung konkret laufen (Beifall bei der SPD) kann. Stehen Sie, meine Damen und Herren von der Re- Die Expertenanhörung des Finanzausschusses hat gierung, zu Ihrem Wort — Frau Wohnungsbaumini- bestätigt, daß das, was die Bundesregierung hier vor- sterin, da sind Sie besonders in die Pflicht genommen schlägt, nur Flickschusterei ohne nennenswerte Ver- — und lassen Sie uns die überfällige Reform gestal- besserung der Situation ist. Schlimmer noch: Der Bun- ten! desregierung wird vorgeworfen, daß durch ihre Vor- haben insgesamt viele Häuslebauer und solche, die es Jetzt haben Sie auf unseren Vorschlag im Finanz- werden möchten, schlechter ausgehen werden als bis- ausschuß hin einen Prüfungsauftrag gegeben. Im her. Die Fachwelt ist sich, wonach Sie soeben mit September soll ein Be richt kommen. Das ist natürlich Recht gefragt haben, einig: Um eine wirksame Förde- eine lobenswerte Sache. Aber ob das unsere Kennt- rung des selbstgenutzten Wohneigentums zu erhal- nisse erweitert, glaube ich nicht. Experten haben ja in ten, muß die Förderung schnellstens umgestellt wer- der Anhörung deutlich gesagt: Die Umstellung ist den: jetzt so vorzunehmen, um tatsächlich Wirkungen in (Zuruf von der SPD: Sehr richtig!) der Bauleistung zu erreichen. weg von der progressionsabhängigen steuerlichen Ich sage ganz deutlich: Ich freue mich. Aber dies ist Förderung auf einen einkommensneutralen Abzug bei Ihnen natürlich Einsicht auf Raten. Blockieren Sie von der Steuerschuld. diese Reform nicht durch angebliche finanz- oder ver- (Beifall bei der SPD) fassungspolitische Zwänge! Die Vorschläge liegen dem Haus konkret auf dem (Beifall bei der SPD) Tisch. Wir begrüßen natürlich auch einiges in dem Gesetz- Unser Vorschlag lautet — ich wiederhole ihn — wie entwurf, und zwar, daß Sie unserem im Wohnungs seit 1986: Statt Spitzenverdiener mit einem Höchst- bauausschuß gestellten Antrag zugestimmt haben, steuersatz von 53 % in acht Jahren mit 70 000 DM zu den Vorschlag des Bundesrates zu übernehmen, die 1688 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 25. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 14. Mai 1991

Otto Reschke Kommunen künftig von der Grunderwerbsteuer zu haben, obwohl es hier um Steuervergünstigungen in befreien, wenn ihnen Grund und Boden von der Treu- Millionenhöhe geht, die Sie an anderer Stelle immer hand übertragen wird. Dadurch wird einer enormen wieder beklagen und die angeblich nicht finanzierbar finanziellen Belastung für die Kommunen entgegen- sind. Dabei haben die steuerlichen Abschreibungsbe- gewirkt; sie verfügen derzeit kaum über Finanzen, um günstigungen, die die damalige Bauministerin Has- solche Käufe mit der Mehrwertsteuer bzw. Grunder- selfeldt gegeben hat, bereits gezeigt, daß dadurch werbsteuer zu bestreiten. kaum zusätzlicher Wohnraum entstanden ist, sondern nur hohe Mitnahmeeffekte provoziert worden sind. In den neuen Bundesländern sollen bei eigenge- nutzten Wohnungen alle Aufwendungen für die Er- Die unzureichende Wohnungspolitik wird auch aus haltung der Wohnungen, die nach dem 31. Dezember eigenen Reihen bestätigt; was Sie an Abschreibungs- 1990 und vor dem 1. Januar 1995 entstehen, mit je- möglichkeiten geben, entspricht nicht dem, was an weils 10 % abgezogen werden können, begrenzt auf Bauleistungen entsteht. 20 000 DM. Entschuldigen Sie, ich muß jetzt auch für In der Begründung des Finanzministeriums zur an- viele Kollegen sagen, die das gar nicht mitbekommen gestrebten Verlängerung des § 7 k in diesem Gesetz- haben: Im Finanzausschuß haben Sie soeben 20 000 entwurf heißt es: DM hinterhergeschoben. Der Betrag ist jetzt 40 000 DM. So gehen Sie mit Abschreibungsbeträgen in Mil- Es liegen noch keine gesicherten Erkenntnisse lionenhöhe um, in vielen Bereichen, ohne daß die darüber vor, ob mit der Abschreibungsvergünsti- Fachausschüsse damit beschäftigt worden sind. gung nach § 7 k der erhoffte Anreiz für den sozia- len Wohnungsbau noch erreicht werden kann. (Beifall bei der SPD) Deshalb haben Sie schon jetzt die Fristverlängerung Ich sage ganz deutlich: So begrüßenswert diese von 1993 auf 1996 angemahnt und in den Gesetzent- Situation ist — Sie sprechen von nachträglichen Her- wurf geschrieben. stellungskosten — , es ist nichts anderes als eine Mo- dernisierungsförderung für Bezieher kleiner- Einkom- Auch die Steuerberater — ich nannte das eben men, wo der § 10e, die Eigentumsförderung, nicht schon — beurteilen Ihre Gesetzgebung kritisch. Sie greift. Sie beschließen jetzt eine Ersatzlösung über sagen, die steuerlichen Regelungen sind kompliziert steuerliche Möglichkeiten für kleine Einkommen im und noch längst nicht in allen Fragen geklärt. Osten. Wie wenig durchdacht Ihre Aktionen sind, zeigt (Zuruf von der SPD: So ist es!) sich schon daran, daß in dem Moment, wo der Gesetz- Grundsätzlich halten wir es für begrüßenswert, daß entwurf als Drucksache vorliegt, schon klar ist, daß er energiesparende Maßnahmen in den neuen Bundes- nicht das letzte Wort ist, sondern durch nachgereichte ländern gefördert werden. Dies ist ein Schritt in die Formulierungshilfen ergänzt, verbessert und manch- richtige Richtung. Unbegreiflich bleibt allerdings, mal auch verwässert werden muß. Das war beim warum Sie ökologische Gesichtspunkte einer ver- Haushalt so, ist beim Wohngeld so und ist auch bei nünftigen Wohnungspolitik für Ost-Berlin gelten las- den steuerlichen Regelungen für den Wohnungsbau sen, aber für den Westteil ausschließen. Dies ist sehr nicht anders. unverständlich. Dort gilt die Förderung nämlich nicht. (Joachim Poß [SPD]: Sehr wahr!) Auch in den alten Bundesländern lassen Sie die För- derung der Energiesparmaßnahmen 1992 auslaufen, Herr Schneider leugnete jede Wohnungsnot, Frau obwohl hier Verlängerungsbedarf besteht. Hasselfeldt versprach goldene Klinken für Mieter und Bauherren und neue Sozialwohnungen. Frau Adam Gleichzeitig haben Sie in einem Nachtrag neue Ab- Schwaetzer verspricht eine Million Wohnungen in schreibungsbegünstigungen für nachträgliche Her- drei Jahren, aber sie kann nur Baugenehmigungen stellungskosten von Gebäuden und für den Neubau vorlegen, in denen keiner wohnen kann. Wohnungs- von Wohnungen in den neuen Bundesländern, ein- not und Wohnungsmangel in den alten und den neuen schließlich Gesamt-Berlin, festgesetzt. Das ist ja zu Bundesländern verlangen dringend nach wirksamen begrüßen. Maßnahmen. Die Fertigstellungszahlen sollten eine Wir sagen: nun doch irgendwie ein § 82 a; da wer- Mahnung für Sie sein: Im Jahre 1990 sind nur 225 000 den auch Modernisierung und Energiesparmaßnah- neue Wohnungen entstanden gegenüber 221 000 men anerkannt und bezuschußt. Ich kann nur feststel- Wohnungen in Neubauten im Jahre 1989. len: Hier fördern Sie diejenigen, die Mietwohnungs- (Zuruf von der SPD: Hört! Hört!) bau und Modernisierung betreiben, schließen aber wieder die Eigenheimer von dieser Art der Förderung Sie können jetzt natürlich die rund 32 000 Wohnun- aus. Dies gilt auch für die alten Bundesländer bei gen hinzuzählen, die durch Aus- und Umbau in vor- Eigenheim und Mietwohnung. handenen Gebäuden entstanden sind. Aber Sie ma- chen sich etwas vor, wenn Sie meinen, tatsächlich Welch ein Durcheinander! Lesen Sie übrigens mal steigen die Wohnungsbauzahlen um viele Punkte die Stellungnahme der Steuerberaterkammer, die an. dazu etwas gesagt hat! (Beifall bei der SPD) (Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Sehr gut!) Auch in den neuen Bundesländern ist Ihre Woh- Es spricht für Ihren politischen Stil, daß Sie diese nungspolitik gescheitert. Wenn Sie sehen, daß in den Regelungen, die ich eben angesprochen habe, nicht alten Bundesländern der Bau von Einfamilienhäusern dem zuständigen Fachausschuß, dem Bauausschuß 1990 um 11,4 % zurückgegangen ist und der Bau von des Deutschen Bundestages, zur Beratung vorgelegt Zweifamilienhäusern um 14,7 %, dann zeigt das deut- Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 25. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 14. Mai 1991 1689

Otto Reschke lich, daß es angebracht ist, die Reform jetzt nach den neuen Ländern immer wieder unvorhersehbares, Vorschlägen der SPD durchzuführen. nicht vorher planbares Handeln, weil es für die Um- stellung einer vierzigjährigen Kommandowirtschaft Vizepräsident Helmuth Becker: Herr Kollege, Ihre auf ein System der Sozialen Marktwirtschaft keine Redezeit ist abgelaufen. Erfahrungswerte gibt und auch die Wissenschaft und die volkswirtschaftlichen Lehrbücher uns als Gesetz- geber keine Handlungsgrundlage bieten können. Otto Reschke (SPD) : Ich komme zum Schluß. Insofern ist die Gesetzgebung in den beiden Ge- Diese Koalition, speziell das Finanz- und das Bau- setzentwürfen Ausdruck des nicht vorhersehbar und ministerium, ist aufgefordert, das System der Wohnei- des nicht planbar Gewesenen. gentumsförderung und der Wohnungsförderung grundlegend umzustellen. Wir haben Ihnen dazu ei- Die Frage ist, ob es bei einer solchen geschichtlich nige Vorschläge unterbreitet. Kommen Sie dazu, daß einmaligen Entwicklung noch eine Linie in der Steu- endlich der Eigenheimabzugsbetrag eingeführt wird! erpolitik geben kann oder, anders gefragt, ob die er- Kommen Sie dazu, daß jährlich 100 000 Sozialwoh- folgreiche Linie der Steuerpolitik bis 1990 aufgege- nungen gefördert werden! Kommen Sie dazu, daß ben wurde oder verlorengegangen ist. Zinshilfen gegeben werden und daß Modernisierung Das Solidaritätsgesetz mit den Steuererhöhungen und Energiesparmaßnahmen in Zukunft vom Bund hat — dies will ich nicht verschweigen — in der FDP- gezielt für diejenigen, die es nötig haben, gefördert Fraktion Zweifel an dem Willen ausgelöst, diese Linie werden in den neuen und den alten Ländern. in der Steuerpolitik fortzusetzen. Es gibt namhafte Schönen Dank. Stimmen — ich will hier nur aus einem Schreiben des Bundes der Steuerzahler vom 19. Ap ril zitieren —, die (Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/ die Bedenken teilen, die die FDP-Fraktion sehr heftig GRÜNE) bewegt haben. Der Bund der Steuerzahler schreibt: Steuererhöhungen können die finanziellen Vizepräsident Hans Klein: Das Wort hat der Abge- Schwierigkeiten des Bundes nur vorübergehend ordnete Hermann Rind. mildern. Mittelfristig verschärfen sie die Finan- zierungsprobleme, weil sich das Wirtschafts- Hermann Rind (FDP): Herr Präsident! Meine Kolle- wachstum entsprechend abschwächt, was nicht ginnen und Kollegen! Herr Kollege Reschke, Sie ha- ohne Einfluß auf das Steueraufkommen bleibt. ben gerade den Versuch gemacht, aus einer steuerpo- Die Erfahrungen mit der Steuerreform lehren uns litischen Debatte eine wohnungspolitische Debatte zu doch, wie Steuersenkungen die Wirtschaft bele- machen. ben können. (Widerspruch bei der SPD) Ich glaube, das sind beachtenswerte Sätze. Wir — Moment. Das ist Ihr gutes Recht. Einschlägig sind sprechen heute ja nicht nur über die zu beschließen- die Dinge, die Sie am Anfang angesprochen haben. den Gesetze, sondern auch über die Linie der Steuer- Sie sollten aber auch zur Kenntnis nehmen, daß wir politik der nächsten Jahre. Da ist es nun — wie dies auf Grund des Ergebnisses der Anhörung im Finanz- auch andere Redner schon betont haben — wichtig, ausschuß einhellig der Auffassung waren, daß wir daß wir die langfristigen finanzpolitischen Zielset- über eine Modifizierung, über eine Verbesserung des zungen unserer Steuerpolitik trotz dieser Gesetze Systems der Wohnbauförderung nachdenken sollten. nicht aus dem Auge verlieren. In diesem Zusammenhang ist Kritik zwar möglich, (Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten aber doch gleichzeitig weitgehend entschärft, wenn der CDU/CSU) man den grundsätzlichen Konsens im Finanzaus- schuß in Rechnung stellt. Vizepräsident Hans Klein: Herr Kollege Rind, ge- (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU — statten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordenten Sei- Widerspruch bei der SPD) fert? Meine Damen und Herren, die beiden heute zur Debatte und zur Abstimmung stehenden Gesetze sind Hermann Rind (FDP): Bitte. ein Spiegelbild gesamtdeutscher Wirklichkeit im Frühjahr 1991. Auf der einen Seite werden im Solida- Dr. Ilja Seifert (PDS/Linke Liste): Herr Kollege, Sie ritätsgesetz Steuererhöhungen beschlossen, die dem sprechen hier von der Einmaligkeit der Aufgabe. Für Aufbau der neuen Länder und der Finanzierung inter- mich ist Solidarität immer die Solidarität der Schwa- nationaler Verpflichtungen — ausgelöst durch den chen mit den noch Schwächeren. Ich habe den Ein- Golfkrieg und den Aufbau eines marktwirtschaftli- druck, daß jetzt die Schwachen Solidarität mit dem chen Systems in Osteuropa und unseren Beitrag dazu Starken, nämlich dem Staat, üben sollen, damit dieser — dienen sollen. das Geld bekommt. Stimmen Sie mir zu, oder sehen Auf der anderen Seite werden mit dem Steuerände- Sie das anders? rungsgesetz die Berlin- und die Zonenrandförderung abgebaut, steuerliche Förderungen für den Aufbau in Hermann Rind (FDP): Herr Kollege, Solidarität ist den neuen Ländern gewährt und eine Reihe von steu- das Zusammenstehen vieler zum Erreichen eines erlichen Begünstigungen in Erfüllung der Koalitions- übergeordneten Ziels, und zwar je nach ihrer Lei- vereinbarung eingeführt. stungsfähigkeit. Wir sind der festen Überzeugung Meine Damen und Herren, die Koalitionsvereinba- — ich weiß, daß es darüber zwischen uns und Ihnen rung erfordert entsprechend der Entwicklung in den sowie der SPD und anderen unterschiedliche Auffas- 1690 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 25. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 14. Mai 1991

Hermann Rind sungen gibt — , daß wir mit den Gesetzentwürfen die- haben und in den nächsten Wochen noch vorlegen ses Prinzip der Solidarität nicht verletzen. werden, entsprechende Möglichkeiten sieht. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Ich werde dazu im Zusammenhang mit einigen De- Dann möge er dies auch politisch vertreten. tailpunkten noch Stellung nehmen. (Detlev von Larcher [SPD]: Haben wir doch Meine Damen und Herren, ich habe von der lang- gemacht! — Gegenrufe von der FDP: Wo fristigen finanzpolitischen Linie der Steuerpolitik ge- denn?) sprochen, die bei den notwendigen Steuererhöhungs- Meine Damen und Herren, nun einige Anmerkun- maßnahmen nicht verlorengehen soll und darf. Es gen zu Einzelheiten des Gesetzes. Ich komme auf den muß unser zentrales Anliegen bleiben, auf den Pfad Einwand der sozialen Unausgewogenheit zurück. Der der finanzpolitischen Tugend zurückzukehren, d. h., Solidaritätszuschlag ist insofern gerecht, als derje- die Steuerlastquote zu begrenzen, die Struktur des nige, der wenig verdient, wenig Lohn- und Einkom- Steuersystems zu verbessern und den Staatsanteil zu- mensteuer und damit auch nur einen geringen Zu- rückzudrängen. Wir werden uns dafür einsetzen, daß schlag zur Lohn- und Einkommensteuer zahlt. die volkswirtschaftliche Steuerquote bis Mitte der Im übrigen bestehen in der Öffentlichkeit völlig fal- 90er Jahre, nämlich bis zum Ende dieser Legislaturpe- sche Vorstellungen über die Höhe des Solidaritäts- riode, auf das Niveau von 1990 zurückgeführt wird. zuschlags. Es machen sich viele nicht klar, daß der Dies ist ein hohes Ziel. Es erfordert sehr viele Anstren- Solidaritätszuschlag bedeutet, daß 3,75 % von der gungen, um es zu erreichen. Aber die Tatsache, daß Lohn- und Einkommensteuer als Zuschlag erhoben dies im Interesse unserer Volkswirtschaft liegt und werden, nicht 7,5 % vom Einkommen pro Jahr, wie damit auch der Sicherung und Erhaltung von Arbeits- dies mitunter in der Öffentlichkeit angenommen wird. plätzen dient, ist es wert, sich diesem Ziel zu ver- Das heißt, wer im Jahr 1 000 DM Lohn- oder Einkom- schreiben. Dies tun wir. mensteuer zahlt, zahlt durch den Solidaritätszuschlag (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten- 37,50 DM mehr. Es geht also um eine echte Mehrbe- der CDU/CSU — Detlev von Larcher [SPD]: lastung in Höhe von lediglich 3,75 % von der Lohn- Da klatscht nur die FDP!) oder Einkommensteuerschuld. Dies ist auch den Steu- erzahlern mit geringem Einkommen durchaus zumut- Rechtfertigen können wir auf der anderen Seite bar. Steuererhöhungen nur, wenn Haushaltsdisziplin ge- wahrt wird und wenn alle Einsparungsmöglichkeiten ausgeschöpft und die berühmten Subventionen abge- Vizepräsident Hans Klein: Herr Kollege Rind, Herr baut werden. Kollege Seifert möchte eine weitere Zwischenfrage stellen. In diesem Zusammenhang muß ich etwas richtig- stellen. Entgegen dem Eindruck in der Öffentlichkeit — dies ist auch eine gewisse Rechtfertigung für un- Hermann Rind (FDP): Bitte schön. sere Zustimmung zu den Steuererhöhungen — gibt es auf diesen Gebieten durchaus beachtenswerte Er- folge. Ich darf noch einmal daran erinnern — mein Dr. Ilja Seifert (PDS/Linke Liste): Können Sie mir Fraktionsvorsitzender hat dies vorhin schon ausge- nicht wenigstens dahin gehend zustimmen, daß für führt — : Mit dem Steuerreformgesetz 1990 haben wir den Bezieher oder die Bezieherin eines kleinen Ein- schon Steuervergünstigungen, somit indirekte Sub- kommens ein kleiner Zuschlag schwerer wiegt als für ventionen, im Umfang von knapp 14 Milliarden DM den Bezieher eines großen Einkommens ein etwas abgebaut, beispielsweise die Investitionszulage für größerer Zuschlag? das Zonenrandgebiet. Dies sollte nicht vergessen wer- (Gunnar Uldall [CDU/CSU]: Deswegen ma den. Dies war eine Maßnahme zum Subventionsab- chen wir es auch so!) bau, die erhebliche Kraft und politische Durchset- Denn wenn man wenig hat, ist es doch bedeutend zungsfähigkeit erfordert hat. schwerer, das noch zu teilen, als wenn man viel hat In Kürze werden weitere 10 Milliarden DM Einspa- und es ein bißchen teilt. rungen und Subventionskürzungen der Öffentlichkeit (Gunnar Uldall [CDU/CSU]: So läuft es doch vorgestellt werden. Der Abbau der Berlin- und der auch!) Zonenrandförderung ergibt nochmals ein Volumen von knapp 10 Milliarden DM jährlich. Im Entwurf des Verteidigungshaushalts für 1991 wurden bereits Hermann Rind (FDP) : Das ist im Grundsatz natürlich 7,6 Milliarden DM Einsparungen vorgenommen. richtig. Aber Sie müssen sehen, daß bei uns nur der- jenige Steuern zahlt, der bereits ein gewisses Grund- Diese Reihe, meine Kolleginnen und Kollegen, ließe einkommen hat, das ihm ein wirklich annehmliches sich noch fortsetzen. Auskommen ermöglicht, so daß für ihn die Belastung (Beifall des Abg. Dr. Kurt Faltlhauser [CDU/ durchaus tragbar ist, auch wenn sie bei ihm prozen- CSU]) tual natürlich stärker als bei demjenigen mit einem Ich muß einfach dem Eindruck entgegentreten, hier hohen Einkommen wirkt. Aber man muß den Gesamt- werde nichts getan. Man kann immer noch der Mei- bereich unserer Sozialausgleichsleistungen in die nung sein, es werde zuwenig getan. Aber derjenige, Überlegungen einbeziehen, um zu sehen, daß soziale der diesen Vorwurf erhebt, möge bitte konkret sagen, Ausgewogenheit gegeben ist. wo er zusätzlich zu dem, was wir bereits beschlossen (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 25. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 14. Mai 1991 1691

Vizepräsident Hans Klein: Herr Kollege Rind, jetzt als es auch von den Verbänden immer wieder darge- eine Zwischenfrage der Kollegin Matthäus-Maier. stellt wird. Wir werden uns — dies ist im Entschlie- ßungsantrag enthalten — diesem Thema aber im Hermann Rind (FDP): Bitte schön. Herbst zuwenden. Dasselbe gilt für die Struktur der Tabaksteuer. Wir Ingrid Matthäus-Maier (SPD): Herr Kollege Rind, wollen hier entsprechende Mehreinnahmen für den wollen Sie mir nicht darin zustimmen, daß eine Ergän- Staat erzielen, und die Tabaksteuerformel ist ein zungsabgabe ohne Einkommensgrenze gerade für die Schlüssel für entsprechende Mehreinnahmen bei der kleinen und mittleren Einkommen deswegen beson- Tabaksteuer. Ich füge hinzu, daß wir, wenn wir diese ders hart ist, weil, wie wir, glaube ich, alle hier im Gesetze heute beschließen und falls sich in diesen bei- Hause doch wissen, daß heute bereits das Existenzmi- den Bereichen noch Änderungen ergeben, daraus für nimum besteuert wird mit der Folge, daß das Ganze, die Bürger keine Steuermehrbelastungen erwachsen wenn ich darauf noch eine Ergänzungsabgabe ohne lassen wollen, sondern daß wir lediglich Verbesserun- Einkommensgrenze packe, noch härter wird? gen in der Relation der Steuerbelastungen bzw. in der Struktur vornehmen wollen. Hermann Rind (FDP) : Frau Matthäus-Maier, wir werden uns mit dem Thema Grundfreibetrag, das Sie Vizepräsident Hans Klein: Herr Kollege Rind, ge- hier ansprechen, noch auseinanderzusetzen haben, statten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten von nämlich mit der Definition des Grundfreibetrags. Ich Larcher? bin der Meinung, daß wir in diesem Staat auch bei den sozial Schwachen wirklich ein Einkommensniveau Hermann Rind (FDP): Das ist dann aber wirklich die nach Steuern, nach Sozialabgaben oder bei steuer- letzte Zusatzfrage im Interesse der Kollegen, die auf freien Bezügen aus der Arbeitslosenversicherung, So- die namentlichen Abstimmungen warten. zialhilfe oder anderen Sozialtransfers erreicht haben, Herr Kollege. bei dem man sich, wenn man an die Neugestaltung- des Grundfreibetrags herangeht, Gedanken machen Detlev von Larcher (SPD) : Herr Kollege Rind, haben sollte und muß, wie denn die Leistungsfähigkeit des Sie wirklich kein Gefühl für die Ungerechtigkeit, die Staates in der Relation zur Leistungsfähigkeit des ein- darin liegt, daß durch das Fehlen der Einkommens- zelnen zu sehen ist. grenze bei der Ergänzungsabgabe die Geringverdie- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) nenden in den neuen Ländern zur Solidarität mit sich Wir leben entgegen Ihren Aussagen nicht in einem selbst gezwungen werden? Land, in dem derjenige, der sozial schwach ist, einfach (Wolfgang Mischnick [FDP]: Ihr wolltet ge nicht das Notwendige zum Leben hat. Er hat ein wei- rade den Sonderfreibetrag abschaffen!) tes Stück sozialer Sicherheit darüber hinaus. Dies muß in die Gesamtüberlegungen einbezogen werden. Hermann Rind (FDP): Sie stellen den Antrag, den (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU — steuerfreien Betrag von 600 DM und 1 200 DM abzu- Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Herr Solms schaffen; Sie ersetzen unseren Antrag durch einen klatscht aber nicht! Der weiß, daß das nicht nicht finanzierbaren anderen. Anschließend sprechen stimmt!) Sie von Solidarität mit diesen Ländern. Unser Freibe- Nun, meine Damen und Herren, zurück zum Thema trag ist ein Zeichen der Solidarität mit diesen Ländern Solidaritätszuschlag. Die von der SPD vorgeschlagene und den Menschen, die dort Steuern zahlen. Ergänzungsabgabe für sogenannte Besserverdie- (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU — nende, wäre wirtschafts- und wachstumspolitisch ver- Detlev von Larcher [SPD]: Ich habe von et- fehlt. was ganz anderem gesprochen!) (Widerspruch bei der SPD) Beim Abbau der Berlin- und Zonenrandförderung — Ich will das gleich begründen. — Um das Einnah- ist hervorzuheben, daß mit Berlin und den betroffenen menziel von 22 Milliarden DM in den beiden Jahren Bereichen im Zonenrandgebiet weitgehende Über- 1991 und 1992 zu erreichen, müßten etwa 1,5 Millio- einstimmung erzielt wurde. Diese betrifft beim Abbau nen Menschen — das sind die Leistungsträger in allen der Berlin-Förderung zwar nur den Grundsatz und Berufsschichten und -ständen — einen etwa 15%igen nicht den Zeitrahmen und das Tempo des Abbaus. Zuschlag zahlen. Wer die hohe Steuerbelastung ge- Aber immerhin: Die Bereitschaft ist anzuerkennen. rade in den mittleren und höheren Einkommenschich- Sicherlich wurde Berlin die prinzipielle Zustim- ten kennt, der weiß, daß eine solche Zusatzbelastung mung zum Abbau der Berlin-Förderung dadurch er- jegliche Leistungsbereitschaft töten würde. Ange- leichtert, daß es als sechstes neues Bundesland voll in sichts der zeitlichen Befristung des Stabilitätszu- die Förderung der neuen Bundesländer einbezogen schlags auf ein Jahr muß man auch akzeptieren, daß wird, also weitgehend auch West-Berlin. Wir von der er auf alle Steuerzahler ausgedehnt wird und nicht auf FDP sind froh darüber, daß wir unsere Forderung, die die sogenannten Besserverdienenden beschränkt Regelungen der alten §§ 14a und 14b des Berlinför- wird. derungsgesetzes, d. h. Schnellabschreibungen im Be- Beim Thema Mineralölsteuer möchte ich nur noch reich des Wohnungsbaus in das Fördergebietsgesetz, auf das leichte Heizöl und das Erdgas hinweisen. Uns und zwar für Gesamt-Berlin, aufnehmen konnten. macht Sorge, daß hier gerade für den mittelständi- Die Verbesserungen bei der Förderung des selbst- schen Mineralölhandel Wettbewerbsverzerrungen genutzten Wohneigentums haben Herrn Reschke zu eintreten können. Aber dieses Thema ist komplexer, recht interessanten Äußerungen bewegt. Ich will nicht 1692 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 25. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 14. Mai 1991

Hermann Rind verschweigen — ich habe das schon in den ersten Ein- der betrieblichen Vermögensteuer — Investitionszu- gangssätzen gesagt — , daß wir auch ein gewisses Un- schüsse und Investitionszulagen gibt es bereits — , ha- behagen über die Möglichkeiten dieses Förderinstru- ben wir ein Förderinstrumentarium, das ca. 60 Pro- mentariums empfinden und Änderungen durchaus zent der Investitionen erreichen kann. Dies ist, glaube aufgeschlossen gegenüberstehen, die natürlich finan- ich, ein Förderinstrumentarium, das wir als voll aus- zierbar und auch verfassungsrechtlich haltbar sein reichend bezeichnen können und, damit kein Atten- müssen. Beim Abzugsbetrag, dem Förderbetrag, den tismus ausgelöst wird, auch als Endpunkt der Förder- die SPD wünscht, gibt es gewisse Probleme; aber ich maßnahmen bezeichnen müssen. Wir müssen daran will das nicht mehr vertiefen. nicht nur aus finanzpolitischen Gründen festhalten, sondern auch damit die Investitionen endlich in ver- Die Nichteinführung der betrieblichen Vermögen- stärktem Umfang in Gang gesetzt werden. Es tut sich steuer in den neuen Bundesländern hat denselben schon eine ganze Menge, aber wir hoffen, daß sich Hintergrund wie die Nichteinführung der Gewerbe- nach Verabschiedung dieser Gesetze noch wesentli- kapitalsteuer. Jeder, der die Realität in der Finanzver- che weitere Investitionen von Unternehmen in den waltung der neuen Länder kennt, weiß, daß es der neuen Ländern ergeben. Finanzverwaltung auf absehbare Zeit — dies ist nicht nur ein Zeitraum von ein, zwei Jahren, wie die SPD Zu der Forderung der SPD, neben den hier ausgeführt hat, sondern dies ist ein Zeitraum von Sonderab- schreibungen alternativ eine erhöhte Investitionszu- mindestens fünf, sechs, sieben, acht Jahren — nicht lage von 25 Prozent zu gewähren, sage ich noch ein- möglich sein wird, die Einheitsbewertung des Be- mal: Wir konnten dem aus mehreren Gründen nicht triebsvermögens und damit die Grundlage für die Be- nähertreten, nicht nur wegen der erheblichen Steuer- steuerung zu schaffen. ausfälle, sondern auch weil — das wurde erörtert und Wir sehen auch — das sollte die SPD bei ihrer Kritik ist im Grunde genommen Allgemeingut der volkswirt- an der Nichteinführung der Vermögensteuer in den schaftlichen Lehre — solche Zuschüsse, die generell neuen Ländern beachten — , daß gerade die Großbe- gegeben werden, natürlich leicht zu Fehlinvestitionen triebe, die ehemaligen volkseigenen Betriebe, durch- führen. Wir sind auch der Meinung, daß gerade mitt- aus erhebliche Probleme mit der Vermögensteuer ha- lere und kleinere Unternehmen in den neuen Ländern ben, ohne daß sie einen Pfennig Ertrag haben; sie sind darauf angewiesen sind, innerhalb des Zeitraums, in in einer Situation, in der ihnen das Wasser bereits bis dem die Abschreibungen gewährt werden, nämlich Oberkante Unterlippe steht. In dieser Lage müßten sie innerhalb von fünf Jahren, entsprechende Gewinne noch die betriebliche Vermögensteuer erbringen, weil zu machen, so daß auch diese Betriebe durchaus in ihre bewertungsrechtliche Vermögenssituation den Genuß der Sonderabschreibungen kommen. Sie durchaus Vermögensteuer auslöst. Dieses Problem ist brauchen für ihre Investitionen eine mittelfristige Fi- also nicht ein Problem von kleinen und mittleren Be- nanzplanung; dabei müssen Gewinne berücksichtigt trieben. Gerade für die Gesamtwirtschaft in den werden, und damit kommen auch die Sonderabschrei- neuen Ländern sind dies — neben Verwaltungspro- bungen zur Geltung. Auch diesen Betrieben wird also blemen — sehr gewichtige Argumente. Gerade die geholfen. Situation der Betriebe in den neuen Ländern macht deutlich, wie arbeitsplatzvernichtend Steuern sind, Ein anderes Problem ist, daß viele kleinere und mitt- die unabhängig vom Ertrag und damit von der Er- lere Betriebe und Existenzgründer in den neuen Län- tragskraft der Unternehmen erhoben werden. dern zu geringes Eigenkapital haben. Dafür aber müs- sen wir andere Instrumente einführen. Ich wiederhole (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten hier die Forderung, daß wir zu einer Verbesserung der CDU/CSU) von Bürgschaftsprogrammen für mittlere und klei- Meine Damen und Herren, bei dem geplanten Vor- nere Unternehmen in den neuen Ländern kommen haben „Reform der Unternehmensbesteuerung" wol- müssen, damit sie sich am Kapitalmarkt den Kredit len wir die Befreiung von der Gewerbekapitalsteuer verschaffen können, den sie für ihre Investitionen und eine weitgehende Entlastung von der betriebli- brauchen. Die Erhöhung der Investitionszulage ist da- chen Vermögensteuer auch auf Gesamtdeutschland für nicht das richtige Instrument. ausdehnen. Wir wollen — dies sei hier noch einmal angemerkt, weil es immer wieder unterschlagen wird (Beifall bei der FDP) — dies in der ersten Stufe durch den Abbau von Abschreibungsvergünstigungen aufkommensneutral Abschließend bleibt festzustellen, daß die FDP dem gestalten. Diese Verlagerung von ertragsunabhängi- Steueränderungsgesetz lieber zustimmt als dem Soli- gen Steuern hin zu Ertragsteuern ist eine erhebliche daritätsgesetz, aber auch letzterem ihre Zustimmung Verbesserung der Struktur der Unternehmensbe- nicht verweigern wird. Dies geschieht unter der si- steuerung und damit ein erster wichtiger Schritt auf cherlich nicht justiziablen, aber politisch intensiv ver- dem Weg zu einer Reform der Unternehmensbesteue- folgten Forderung, daß noch in dieser Legislaturpe- rung mit dem Ziel: Erhaltung und Sicherung von Ar- riode die Steuerlastquote begrenzt, die Struktur des beitsplätzen im Binnenmarkt bei einem Wettbewerb Steuersystems verbessert und der Staatsanteil am der Steuersysteme. Wirtschaftsgeschehen zurückgedrängt wird. Diese Fortsetzung der erfolgreichen Finanz- und Steuerpoli- (Beifall bei der FDP) tik der 80er Jahre ist im Hinblick auf ein gesundes Meine Damen und Herren, mit allen Maßnahmen, Wachstum unserer Volkswirtschaft im Binnenmarkt die heute beschlossen werden, Sonderabschrei- der Europäischen Gemeinschaft nach unserer Ober- bungen, Gewerbekapitalsteuerfreiheit, Freiheit von zeugung unverzichtbar. Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 25. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 14. Mai 1991 1693

Hermann Rind Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit. Dabei gibt es meiner Meinung nach zwei Aspekte der Wende, zum einen den sozialpolitischen Aspekt (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten und zum anderen den emotionalen Aspekt. der CDU/CSU) Der sozialpolitische Aspekt ist klar definierbar: Es muß ein System von einer sozialistischen Planwirt- Vizepräsident Hans Klein: Ich erteile der Abgeord- schaft zur Sozialen Marktwirtschaft mit all ihren Pro- neten Elisabeth Grochtmann das Wort. blemen umgestellt werden. Das geht nicht von allein. Hier müssen Maßnahmen greifen wie die, die heute im Bundestag beschlossen werden sollen.

Elisabeth Grochtmann (CDU/CSU): Herr Präsident! Investitionen werden erleichtert. Das ist gut und Meine Damen und Herren Abgeordneten! richtig. Gemeinden in den neuen Bundesländern wer- Die sozialistische Planung ist ein wesentliches den von der Gewerbesteuerumlage befreit. Es gibt Charakteristikum der sozialistischen Gesell- besondere steuerliche Vergünstigungen für diejeni- schaftsordnung und ihr entscheidender Vorzug. gen, die sich entscheiden, den Aufbau der Wirtschaft Die Praxis der sozialistischen Planwirtschaft be- in den neuen Bundesländern zu fördern. Außerdem weist durch die Stabilität der gesellschaftlichen nenne ich noch die Einführung befristeter Sonderab- und ökonomischen Entwicklung das Entwick- schreibungen sowie den Verzicht auf die Erhebung lungstempo von Produktion, Arbeitsproduktivität der Gewerbekapitalsteuer und der Vermögensteuer und Lebensstandard, ihre historische Überlegen- ab 1991. Die genauen Regelungen, aber auch weitere heit gegenüber der kapitalistischen Wirtschafts- Regelungen sind dem Gesetzentwurf zu entnehmen. organisation. Die sozialistische Planwirtschaft ist Rechnet man alle Maßnahmen einmal zusammen, eine wesentliche Voraussetzung, um die Grund- dann ergibt sich für 100 DM Investition eine Rücker- frage „Wer wen?" zugunsten des Friedens, der stattung von fast 50 DM. Demokratie und des Sozialismus zu entschei-- den. Natürlich kommt es nun darauf an, die Wirksamkeit dieser Maßnahmen zu sichern, denn sowohl Investi- An Ihren Mienen, meine sehr verehrten Damen und tionsförderungsmaßnahmen als auch Steuererhöhun- Herren, sehe ich, daß Sie sich fragen, ob Sie auf der gen und der befristete Solidaritätszuschlag sind ja richtigen Veranstaltung sind kein Selbstzweck, keine Laune der Politiker. Hier (Zustimmung bei der SPD) geht es darum, die bisher wichtigste Aufgabe in der jüngsten deutschen Geschichte zu lösen: die Einheit und ob ich von der richtigen Fraktion komme. Deutschlands nicht nur auf dem Papier, sondern auch (Detlev von Larcher [SPD]: Was ist eine in Wirklichkeit zu schaffen. „richtige Fraktion"?) (Beifall bei der CDU/CSU) Dem ist so. Aber mit diesem Zitat aus dem Wörterbuch der Politischen Ökonomie des Sozialismus wollte ich Das, meine Damen und Herren, ist nicht nebenbei Sie daran erinnern und nochmals darauf hinweisen, möglich. Hier sind große Kraftanstrengungen sowohl wie die Grundlagen der Wirtschaft in der ehemaligen der alten als auch der neuen Bundesländer nötig. Eine DDR verstanden wurden. marode sozialistische Wirtschaft wird nicht über Über 40 Jahre waren diese Grundlagen Pflichtwis- Nacht hocheffektiv, modern und umweltfreundlich. sen an allen Hochschulen und Universitäten. Die in Aber die Zeichen des Aufschwungs sind da — zaghaft dem Zitat angesprochene Frage „Wer wen?" wurde nur, aber wer sie sehen will, kann sie auch sehen. mit der Wende im Herbst 1989 endgültig entschieden, vorbereitet aber schon in den Jahren zuvor. Die Ent- Das große Problem besteht nun natürlich da rin, daß wicklung, der wir jetzt gegenüberstehen, geht rasant, im Rahmen der Umstrukturierung der Wirtschaft un schnell vorwärts. Vor drei, selbst vor zwei Jahren hätte effektive Arbeitsplätze schneller abgebaut werden, kaum jemand daran gedacht, daß die Mauer fallen als neue dazukommen. Es kommt jetzt darauf an, die- würde, daß wir einmal ein einheitliches Deutschland sen Prozeß so sozial wie möglich zu gestalten. Dieje- erleben würden. Im November 1989 wollten die Men- nigen, die dabei bewußt blockieren, sind fehl am schen Freiheit, Demokratie und Einheit. Diese Ziele Platze, wie z. B. jener Geschäftsführer in meinem sind nun erreicht. Sie sind sehr schnell Selbstver- Wahlkreis — früher aktiver SED-Funktionär — , der ständlichkeit geworden, werden als Selbstverständ- bereits zwei interessierte Investoren abwies und sei- lichkeit betrachtet und sind scheinbar nicht mehr der nen Mitarbeitern einen Maulkorb umhing mit den Rede wert. Worten: Kohl und Blüm haben uns Arbeitsplätze ver- sprochen. Die sollen mal machen; wir tun nichts. Die Menschen im Ostteil unseres Landes hatte 40 Jahre lang vor Augen, wie Wirtschaft, wie Leben, (Zurufe von der CDU/CSU: Hört! Hört!) wie Demokratie aussehen kann. Mit viel Arbeit und Fleiß ist es den Bürgern in den alten Bundesländern Ich fordere die Treuhand auf — hier bin ich mir der gelungen, sich einen freiheitlichen Staat aufzubauen. Zustimmung meiner Kollegen aus den neuen Bundes- Demgegenüber waren Initiative und Selbstbewußt- ländern gewiß —, daß für die Betriebe, die noch im sein in der ehemaligen DDR verpönt. Die Menschen Besitz der Treuhand sind, die Geschäftsführerstellen zogen sich in ein Nischendasein zurück, konnten sich neu auszuschreiben sind; damit aber nie abfinden. Mit der Wende 1989 begann ihr neues Leben. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) 1694 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 25. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 14. Mai 1991

Elisabeth Grochtmann denn das soeben angeführte Beispiel ist kein Einzel- Arbeitsmarktzahlen und Industrieproduktion spre- fall. chen eine beredte Sprache. Schauen Sie sich die Zah- (Dr.-Ing. Dietmar Kansy [CDU/CSU]: Sehr len einmal an, meine Herren. wahr!) (Beifall bei der SPD — Dr. Hermann Otto Der sozialpolitische Aspekt, den ich soeben ange- Solms [FDP]: Jetzt geht es aber los!) sprochen habe, ist für sich gesehen schon kompliziert Ein Ende dieser Entwicklung ist noch nicht absehbar. genug. Der zweite Aspekt ist aber die teilweise schon Sinkenden Arbeitslosenzahlen in den alten Bundes- erläuterte emotionale Seite. Wir haben die Mauer aus ländern stehen drastische Steigerungsraten in den Stein beseitigt. Nun kommt es darauf an, die Mauer in neuen Bundesländern gegenüber, den Köpfen der Menschen zu beseitigen. Menschen, (Uta Würfel [FDP]: Wer hat das zu verantwor denen bisher fast jeder Schritt vorgeschrieben wurde, ten?) sind plötzlich aufgefordert, allein zu entscheiden und und das trotz der großen Zahl von Pendlern aus den ihr Leben zu gestalten. Das ist es, was wir immer neuen Bundesländern. gewollt haben. Aber wenn die Anforderungen mit einemmal so stehen, sind die Probleme riesengroß. Alles bisher Gewohnte und Bekannte verändert sich. Vizepräsident Hans Klein: Herr Kollege Hampel, Die Sorge um den Arbeitsplatz steht im Mittelpunkt gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Grün- der Bemühungen. Genügend Arbeitsplätze werden beck? ohne private Investoren nicht geschaffen werden kön- nen. Deshalb appelliere ich an diese: Nutzen Sie die Manfred Hampel (SPD) : Ich bin beim letzten Mal auf Gunst der Stunde, und investieren Sie in den neuen viele Zwischenfragen eingegangen und bin daraufhin Bundesländern! So günstige begleitende Bedingun- mit meiner Redezeit in Schwierigkeiten gekommen. gen, wie z. B. jetzt, werden Sie so schnell nicht wieder vorfinden. - Vizepräsident Hans Klein: Die Zeit wird Ihnen nicht (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) angerechnet. Vor den Kommunalpolitikern in Mecklenburg-Vor- pommern, Brandenburg, Thüringen, Sachsen und Sachsen-Anhalt steht die Aufgabe, den Weg durch Manfred Hampel (SPD): Ich will heute auf das Zu- Investitionsbescheinigungen, Erschließung von Ge- lassen von Zwischenfragen verzichten und möchte werbegebieten usw. für diese Investitionen freizuma- mit meiner Rede fertig werden. chen. Jetzt ist Initiative gefragt. Die ersten Schritte (Zurufe von der CDU/CSU: Nicht kneifen!) müssen von den Kommunen und ihren Verwaltungen Umgekehrt ist es bei der Industrieproduktion: Die getan werden. Der Aufschwung muß an der Basis Wirtschaft in den alten Bundesländern boomt; in den beginnen. Das finanzielle und gesetzliche Fundament neuen Bundesländern erleben wir laufend Zusam- dafür hat die Bundesregierung mit ihren Maßnahmen menbrüche von Industriebetrieben. der letzten Monate und dem heutigen Tag gelegt. Alte (Dr. Hermann Otto Solms [FDP]: Woran liegt und neue Bundesländer müssen zusammenwachsen. das denn?) Ich bin überzeugt davon, daß es uns gelingt, gemein- sam ein einiges und einheitliches Deutschland zu ge- Die Kluft zwischen der wirtschaftlichen Entwicklung stalten. im Westen und der im Osten Deutschlands ist tiefer geworden. Danke. (Hermann Rind [FDP]: Überrascht Sie das?) (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Einer Minderheit von Betrieben, bei denen es klei- nere Erfolge bei der Umstellung gegeben hat, steht Vizepräsident Hans Klein: Das Wort hat der Abge- die Mehrheit der Bet riebe gegenüber, die mit der ordnete Manfred Hampel. Umstrukturierung nicht vorankommen. Viele Be- triebe fürchten um ihre Existenz. Die damit verbun- dene Sorge um den Arbeitsplatz und Zukunftsangst Manfred Hampel (SPD): Herr Präsident! Meine sehr haben zu einer resignativen Grundstimmung geführt. verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Faltlhau- Das ist nicht etwa auf — ich zitiere sinngemäß — ser hat uns heute früh erzählt, daß die CDU/CSU- beharrliches Madigmachen der Situation zurückzu- Fraktion gestern abend ins Schwimmen gekommen führen, und es wurde auch nicht durch Herbeireden ist — auf einem Dampfer in einer sehr angenehmen neuer Horrorszenen Sand ins wirtschaftliche Getriebe Art, wie ich hoffe. Allerdings kann ich mich der Mei- gestreut, wie Herr Glos dies den Sozialdemokraten nung von Herrn Dr. Solms nicht anschließen, daß der vorwarf; derzeitige finanz- und steuerpolitische Schlingerkurs ( [CDU/CSU]: Sie tun das ja im der Regierung nicht ganz Deutschland ins Schwim- mer noch! — Dr. Hermann Otto Solms [FDP]: men bringt — auf eine weit weniger angenehme Sie wissen es doch! — Zuruf von der FDP: Art. Merken Sie das nicht?) Deutschland ist nach der politischen Einigung in der es ist vielmehr eine Tatsache, die Sie im Wochenbe- wirtschaftlichen Entwicklung leider tiefer geteilt als in richt des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung Jahrzehnten zuvor. vom 3. Mai nachlesen können. (Lachen und Widerspruch bei der CDU/CSU Die Entwicklung der letzten Monate hat bedauerli- und der FDP) cherweise gezeigt, daß die sogenannten Horrorszena- Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 25. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 14. Mai 1991 1695

Manfred Hampel rien bisher von der Wirklichkeit noch stets überboten haupt nicht zu zahlen. Begünstigt werden durch die wurden. Abschaffung in erster Linie Privatpersonen mit hohem Kapitalvermögen und Kapitalgesellschaften mit ho- Meine sehr verehrten Damen und Herren, Herr hem Finanzvermögen, und zwar auch dann, wenn sie Bundesfinanzminister Waigel hat kürzlich einen tref- keine Investitionen tätigen. fenden Vergleich gezogen. Er hat gesagt: Einen Ab- grund kann man nur in einem Satz überspringen. Sehr (Beifall bei der SPD) schön! Nur, leider stehen wir noch nicht mit beiden Eine besondere Dimension bekommt die Nichterhe- Beinen fest auf der anderen Seite, sondern krallen uns bung der Vermögensteuer noch, wenn man sich vor mit den Händen am Abgrund fest und hoffen hochzu- Augen führt, daß die Leute, die in der ehemaligen kommen. DDR große Privatvermögen erwerben konnten, fast immer von Partei und Regierung geschützte Schieber (Beifall bei Abgeordneten der SPD) und Spekulanten sowie ehemalige SED-Bonzen wa- Um mit dem Vergleich fortzufahren: Wir werden ren. Solche Leute werden durch dieses System auch kräftig gefüttert, damit wir nicht die Kraft aus den Fin- noch belohnt. gerspitzen verlieren und ganz abstürzen. Ein Hoch- Ihnen, meine Damen und Herren von der Regie- ziehen mit beiden Händen wäre sicher wirkungsvol- rungskoalition, geht es ja in Wirk lichkeit nicht um den ler. Aufbau in den neuen Ländern, sondern Sie wollen den Auch das hochdotierte Gemeinschaftswerk Auf- bundesweiten Abbau dieser Steuern einleiten. Indem schwung Ost läßt für Investitionen keine Perspektive Sie den Ländern und Kommunen mit diesen Maßnah- erkennen. Die Mittel gehen überwiegend in den Kon- men die finanzielle Basis für Infrastrukturinvestitio- sum. An massiven Anreizen für Investitionen und da- nen wegnehmen, mit für die Schaffung und Sicherung von Arbeitsplät- (Dr. Hermann Otto Solms [FDP]: Also, der zen im produktiven Bereich fehlt es. Mann tickt nicht mehr richtig! — Zuruf von Die Bundesregierung sollte sich der Frage,- warum der CDU/CSU: Das ist unerhört, was Sie da Investitionen noch immer ausbleiben, dringend stel- reden!) len und weniger auf die Selbstheilungskräfte des schaden Sie den neuen Ländern auf Dauer mehr, als Marktes vertrauen. Davon hängt das wirtschaftliche Sie ihnen helfen. Überleben eines erheblichen Teils der neuen, größe- (Beifall bei der SPD — Wilf ried Seibel [CDU/ ren Bundesrepublik ab. CSU] meldet sich zu einer Zwischenfrage) (Beifall bei der SPD) — Ich möchte bitten, auf Zwischenfragen zu verzich- ten; ich habe nur noch sechs Minuten. Vielleicht kön- Welche Antworten hat die Bundesregierung auf nen Sie die Zwischenfrage am Schluß stellen, wenn diese Herausforderung? Ein Solidaritäts- und ein noch Zeit übrig ist. Steueränderungsgesetz. Einem ehemaligen DDR- Bürger dreht sich schon bei dem Wort „Solidarität" Herr Kollege, die Zwi- der Magen um, Vizepräsident Hans Klein: schenfragen und die Antworten werden grundsätzlich (Zuruf von der CDU/CSU: Das ist Ihr Pro von der Redezeit abgezogen. Also, darüber brauchen blem!) Sie sich keine Sorgen zu machen. weil es in der Vergangenheit zu allem Möglichen miß- braucht wurde, nur nicht um Solidarität zu praktizie- Manfred Hampel (SPD): Na gut, dann gestatte ich ren. Ähnliches gilt für dieses Gesetz. Solidarität kann eine Zwischenfrage. es nur in einer Richtung geben: vom Starken zum Schwachen. Wilfried Seibel (CDU/CSU): Herr Kollege, ich Nach den Plänen der Bundesregierung sollen durch möchte Sie fragen, ob Sie zur Kenntnis nehmen kön- den Solidaritätszuschlag mehr als 70 % der erwerbstä- nen und wollen, daß die hiermit eingetriebenen Steu- tigen Ossis Solidarität mit sich selbst üben. ern ganz konkrete Verwendungszwecke haben, und wie Sie vor diesem Hintergrund, wenn Sie das so ein- (Dr. Hermann Otto Solms [FDP]: Das ist doch räumen und nachvollziehen können, sagen können, Unsinn! Man sollte Sie mal ins Seminar uns gehe es gar nicht um den Aufbau in den neuen schicken!) Bundesländern? So ist zumindest der Beg riff falsch gewählt, um es vor- sichtig auszudrücken. Manfred Hampel (SPD): Die konkreten Verwen- dungszwecke dieser Steuern sind die eine Seite. Wem Ich möchte mich auf die in dem Gesetzespaket vor- sie letztendlich zufließen und wie sie schließlich ver- in gesehenen Hilfen zur Förderung von Investitionen wendet werden, ist sicher die andere Seite. den neuen Bundesländern konzentrieren. Dabei muß ich zunächst feststellen, daß die vorgesehene Nichter- (Lachen bei der CDU/CSU und der FDP — hebung der Vermögensteuer und der Gewerbekapi- Dr. Hermann Otto Solms [FDP]: Was soll talsteuer tatsächlich keine Förderung von Investitio- denn das heißen?) nen darstellt. Welcher Bet rieb in den neuen Bundes- Ich habe seit Wochen und Monaten in meinem Wahl- ländern hat denn nach Abzug der Schulden ein so kreis immer wieder nachgefragt: Wo bleiben die Gel- hohes Nettovermögen, daß er trotz der Freibeträge der aus dem Fonds Deutsche Einheit, die bereits im diese Steuern zahlen müßte? Die im Aufbau befindli- Februar überwiesen werden sollten? Bis heute sind chen Betriebe brauchen doch diese Steuern über die Kommunen nicht in der Lage, diese Gelder zu ver- 1696 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 25. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 14. Mai 1991

Manfred Hampel wenden, weil sie ihnen nicht zur Verfügung gestellt tionen sollen nur durch Sonderabschreibungen, nicht wurden. aber durch Investitionszulagen gefördert werden. Je- dem, der den Zustand unserer Betriebe kennt, dürfte (Paul Breuer [CDU/CSU]: Reden Sie doch klar sein, daß man moderne Maschinen und Anlagen nicht so dummes Zeug! — Weiterer Zuruf von nicht in Gebäude setzen kann, die erst durch Um- und der CDU/CSU: Wofür sind Sie denn gewählt Ausbau wieder betriebsfähig gemacht werden müs- worden?) sen. — Das hat doch etwas mit der Landesregierung zu tun. Gestatten Sie mir einen Satz zum Stichwort ,,Atten- — Ich möchte jetzt aber fortfahren. tismus", das Herr Dr. Solms anführte: Nicht unsere (Gunnar Uldall [CDU/CSU]: Was haben Sie Vorschläge führen dazu; denn Ihnen dürfte klar sein, denn getan, um das zu verbessern, Herr Kol- daß beide rückwirkend ab 1. Januar 1991 wirken wür- lege? Herr Hampel, was haben Sie als ge- den. Was vielmehr dazu geführt hat, sind die Konzep- wählter Abgeordneter gemacht, um diesen tionslosigkeit und die abwartende Haltung der Bun- Zustand zu verbessern? — Weiterer Zuruf desregierung. Das ist das, was in der Wahrheit zum von der CDU/CSU: Nichts habt ihr getan!) Attentismus geführt hat! — Was ist denn das jetzt für eine Frage, Herr Ul- (Beifall bei der der SPD) dall? Sie hätten doch bereits ab März letzten Jahres Kon- Aber auch die von Ihnen vorgeschlagene direkte zeptionen erarbeiten können und diese spätestens ab Förderung durch die Mischung von Investitionszulage 1. Juli oder 3. Oktober 1990 einführen können. Diese und Sonderabschreibungen hilft den Betrieben in den Zeit zumindest ist verstrichen. neuen Ländern wenig. Wir Sozialdemokraten halten (Zustimmung bei der SPD) eine Erhöhung der Investitionszulage von derzeit 12 % auf 25 % für dringend geboten. Mit dem heute von uns vorgelegten Änderungsan- - trag schlagen wir eine wirksame Investitionsförde- (Zuruf von der FDP: Wo wollen Sie das Geld rung vor, die sowohl den investitionswilligen, finanz- hernehmen?) starken westdeutschen Unternehmen als auch den im Hierdurch würden private betriebliche Investitionen Aufbau befindlichen ortsansässigen Unternehmen in den neuen Ländern vor allem im mittelständischen hilft. Bereich wirksam unterstützt. Eine direkte Investi- Förderprogramme, auf die in diesem Zusammen- tionszulage als ein direkter finanzieller Zuschuß zu hang verwiesen wird, sind kein äquivalenter Ersatz. einer Investition wirkt auch dann, wenn die Unterneh- Erstens besteht auf Fördermittel kein Rechtsanspruch, men anfangs keine Gewinne erwirtschaften. und zweitens vergeht durch lange Bearbeitungswege Dagegen nützt die im Gesetzentwurf vorgesehene viel Zeit, bis die Investition überhaupt begonnen wer- 50%ige Sonderabschreibung den ortsansässigen In- den kann. Zeit ist aber das, was wir am wenigsten vestoren so gut wie nicht, weil die Sonderabschrei- haben. bungen erst dann greifen, wenn Gewinne erwirtschaf- Ich bitte Sie daher, meine Damen und Herren von tet werden. Die Bundesregierung selbst geht bei ihrer der Regierungskoalition, und insbesondere Sie, liebe Ausfallschätzung davon aus, daß nur 40 % der Unter- Kolleginnen und Kollegen aus den neuen Bundeslän- nehmen, die in den neuen Ländern Investitionen täti- dern: Verschließen Sie sich nicht den besseren Ein- gen, Gewinne erwirtschaften und damit die Sonder- sichten und helfen Sie den Menschen, indem Sie über abschreibungen nutzen können. Hierbei handelt es Ihren parteipolitischen Schatten springen und unse- sich fast ausschließlich um westdeutsche Unterneh- rem Änderungsantrag zur Investitionszulage in der men. Damit erleiden die Unternehmen in den ostdeut- namentlichen Abstimmung zustimmen! schen Ländern, die die Sonderabschreibung nicht Schönen Dank. nutzen können und somit eine geringere Förderung als die gewinnstarken westdeutschen Bet riebe erhal- (Beifall bei der SPD, der PDS/Linke Liste und ten, einen weiteren Wettbewerbsnachteil. dem Bündnis 90/GRÜNE) Nach unserer Auffassung sollten daher die Bet riebe eine auf 25 % erhöhte Investitionszulage erhalten, wenn ihnen die Sonderabschreibung nichts nützt. Vizepräsident Hans Klein: Das Wort hat der Abge- Hierdurch würden die Unternehmen auch eine grö- ordnete Hansgeorg Hauser. ßere Sicherheit bei der Planung der Finanzierung von Investitionen erhalten. Das ist eine Meinung, mit der wir Sozialdemokraten nicht allein stehen. Auch die Herren Professoren Hansgeorg Hauser (Rednitzhembach) (CDU/CSU): Schneider und Hedtkamp haben in der Anhörung vor Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her- dem Finanzausschuß diese Auffassung vertreten. Eine ren! Ich bin gespannt, wann die Frau Kollegin Mat- ähnliche Auffassung wurde vom Verband deutscher thäus-Maier — sie ist jetzt leider nicht im Saal — Reeder in der Stellungnahme im Finanzausschuß ge- (Joachim Poß [SPD]: Sie war aber die ganze äußert. Zeit über im Saal!) Der von der Bundesregierung vorgelegte Gesetz- endlich mit dem unwürdigen Schauspiel aufhört, im entwurf ist auch hinsichtlich der Förderung von Ge- Osten zu fordern „Tischlein, deck dich", im Westen zu bäudeinvestitionen unzureichend. Gebäudeinvesti rufen „Goldesel, streck dich" und hier an dieser Stelle Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 25. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 14. Mai 1991 1697

Hansgeorg Hauser (Rednitzhembach) den Schaukampf „Knüppel aus dem Sack" aufzufüh- Fahrzeug angewiesen sind und nicht auf ein öffentli- ren. ches Verkehrsmittel umsteigen können. (Detlev von Larcher [SPD]: Darum schlagen (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU und wir ja Ausgleichsmaßnahmen vor!) der FDP — Zuruf von der SPD: Der Knüppel tut weh, aber gut!) Die Arbeitnehmer in Ballungsräumen, die bereits durch gute Verkehrsanbindungen begünstigt sind, er- Mit dieser Neidkampagne sollte endlich Schluß sein! hielten damit auch noch einen steuerlichen Vorteil Wir sollten zu einer sachlichen Diskussion kommen; gegenüber den Bewohnern im ländlichen Raum ohne denn nur so können wir den Menschen in den neuen günstigen öffentlichen Personennahverkehr. Bundesländern helfen. (Zustimmung bei der CDU/CSU) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge Im übrigen ist die Benutzung von öffentlichen Ver- ordneten der FDP) kehrsmitteln bereits insofern steuerlich begünstigt, als die angefallenen Kosten in voller Höhe als Wer- Ein Wort zum Kollegen Hampel: Sie wissen, daß die bungskosten angesetzt werden können, während die Arbeitslosigkeit ihre Ursache zum großen Teil in der Kraftfahrzeugkosten nur mit dem Pauschbetrag be- Unwirtschaftlichkeit der Betriebe hat. Deswegen fal- rücksichtigt werden. len jetzt Arbeitsplätze weg! Sie wissen auch, daß diese Arbeitslosigkeit in Form von versteckter Arbeitslosig- (Zuruf von der CDU/CSU: Sehr wahr!) keit in weit größerem Ausmaß bereits vorhanden war. Wir halten den Umsteigeeffekt vom Pkw auf den Nur, das alles wurde eben zugedeckt. öffentlichen Personennahverkehr bei Einführung ei- ner Entfernungspauschale für unwesentlich. Die Maß- (Rudolf Müller [Schweinfurt] [SPD]: Das ha nahme würde außerdem 950 Millionen DM kosten, ben Sie aber vor der Wahl auch gewußt!) nach einer früheren Schätzung sogar 2 Milliarden - Wir diskutieren heute über den Gesetzentwurf zur DM. Das ist nicht finanzierbar. Änderung von Steuergesetzen, der die Förderung Ganz so ernst scheint die SPD-Fraktion ihren An- von Investitionen und die Schaffung von Arbeitsplät- trag selbst nicht genommen zu haben; sonst wären die zen im Beitrittsgebiet zum Ziele hat. Mit diesem vor- kuriosen sprachlichen Auswirkungen des Antrags gelegten Gesetzentwurf sollen die steuerlichen Be- aufgefallen. Da wird beantragt, in den betreffenden dingungen rasch und entscheidend verbessert wer- Gesetzestext nach dem Wort „Fahrten" die Worte den, damit vor allem privates Kapital für Investitionen „oder Fußgängen" einzufügen. Der Gesetzestext schneller eingesetzt wird. Das bedeutet, daß neue Ar- hätte dann den Wortlaut: „Bei Fahrten" — jetzt käme beitsplätze geschaffen und alte Arbeitsplätze erhalten die Einfügung — „oder Fußgängen mit einem eigenen werden. Gleichzeitig werden die Standortbedingun- oder zur Nutzung überlassenen Kfz sind die Aufwen- gen der deutschen Wirtschaft im künftigen europäi- dungen ... anzusetzen. " Ähnliche Formulierungen schen Binnenmarkt verbessert und die Arbeitsplätze kommen heraus, wenn man die Sache nicht so ernst der Zukunft gesichert. meint. Das Steueränderungsgesetz enthält nicht nur Steu- (Zuruf von der SPD: Oberlehrer!) ererhöhungen, sondern gewährt auch sozial gerechte Daß es sich bei der Einfügung der Fußgänge nur um Ausgleichsmaßnahmen für ungleichgewichtige Bela- einen Schaueffekt oder eine ökologische Verbrämung stungen. Eine solche Härtemilderung stellt die Erhö- handelt, ist naheliegend. hung der Kilometerpauschale dar, also der Aufwen- dungen für die Fahrten zwischen Wohnung und Ar- (Zuruf von der SPD: Hat er nichts anderes beitsstätte, die im Jahre 1991 auf 58 und 1992 auf dazu zu sagen? — Dr. Ul rich Briefs [PDS/ 65 Pfennig erhöht werden. Die Kilometerpauschale Linke Liste]: Da haben Sie aber einen we wurde damit seit 1988 um 80 % angehoben. Allen sentlichen Punkt erwischt!) Arbeitnehmern, die draußen auf dem Land wohnen, Denn wer kann schon glaubhaft machen, daß er täg- und insbesondere den Fernpendlern wird dadurch ein lich 14 km zu Fuß zur Arbeit geht? angemessener Ausgleich für Standortnachteile gebo- (Zuruf von der SPD: Dummes Zeug!) ten. Ein wesentlicher Inhalt des Steueränderungsgeset- Die von der SPD vorgeschlagene Entfernungspau- zes ist der stufenweise Abbau der Berlin- und Zonen- schale lehnen wir als untaugliches und finanziell randförderung. Die Verhandlungen und die Gestal- überzogenes Mittel ab. tungen in diesen Punkten erwiesen sich als besonders schwierig, da Forderungen und Wünsche vielfältig- (Detlev von Larcher [SPD]: Warum ist sie un ster und konträrster Art unter einen Hut zu bringen tauglich?) waren. Während einige Verbände und Organisatio- nen forderten, daß Förderungen und Vergünstigun- — Hören Sie bitte zu. — Dieser Vorschlag sieht vor, gen sofort, zum 1. Juli 1991, abzuschaffen sind, da es daß faktisch alle Arbeitnehmer, die zur Arbeit fahren weder Mauer noch Zonengrenze mehr gibt, erinner- oder gehen, Aufwendungen in Höhe von 65 Pfennig ten die Betroffenen daran, daß einmal von einem Ab- steuerlich geltend machen können, auch wenn über- bauzeitraum von sieben Jahren die Rede war. haupt keine Kosten entstehen. Das widerspricht allen Grundsätzen unseres Steuerrechts. Es wäre vor allem Die EG-Kommission machte klar, daß sie nicht ge- eine völlig ungerechte Behandlung aller, die auf ein willt ist, Förderungen über das Jahr 1993 hinaus zu 1698 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 25. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 14. Mai 1991

Hansgeorg Hauser (Rednitzhembach) akzeptieren. In diesem Punkt wurde wieder einmal nen Kompromiß dar, der dem berechtigten Anlie- deutlich, wie weit wir bereits in die Europäische Ge- gen der gewerblichen Wirtschaft des ehemaligen meinschaft integriert sind. Allerdings wurde auch Zonenrandgebiets und im besonderen der mittel- Rücksicht auf die Sondersituation Deutschlands nach ständischen Wirtschaft entgegenkommt. der Wiedervereinigung genommen, so daß ein akzep- Aus bayerischer Sicht ist allerdings eine bedeut- tabler Kompromiß entstanden ist. same Unterscheidung hervorzuheben: Während Schließlich galt es auch, die berechtigten Anliegen durch den Wegfall der ehemaligen Zonengrenze ein der Betroffenen im ehemaligen West-Berlin zu be- neuer Wirtschaftsraum entstanden ist, der einen ra- rücksichtigen. Es sollten soziale Härten und vor allem santen Aufschwung nehmen wird, trifft dies für die abrupte Brüche in der Wirtschaftsstruktur vermieden Gebiete entlang der Grenze zur CSFR nicht zu. werden. Die Gefährdung von Arbeitsplätzen durch (Beifall des Abg. Dr. Kurt Faltlhauser [CDU/ Auftragsrückgänge und die damit verbundene Ab- CSU]) wanderung von Firmen mußten als Risikofaktor bei Durch die Öffnung dieser Grenze hat sich ebenfalls der Beratung des Gesetzentwurfs sorgfältig mit be- eine Veränderung ergeben. Aber der Aufschwung dacht werden. Allerdings durfte es auch nicht bei dem wird dort sicherlich auf sich warten lassen. Fördervorsprung des westlichen Berlin vor dem östli- chen und den übrigen neuen Bundesländern blei- Lassen Sie mich zum Abschluß noch einige persön- ben. liche Bemerkungen machen: Ich bin stolz darauf, daß ich meine erste Rede als Abgeordenter hier im Reichs- In Berlin hat sich der Schmerz der Teilung, aber tag halten kann. auch die Freude der Einheit am greifbarsten ausge- wirkt. Berlin mit seiner Insellage war in der Vergan- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) genheit oft stellvertretend für uns alle in der Bundes- Ich muß Ihnen ehrlich sagen: Es ist für mich immer republik der Prellbock, an dem die Fronten des Kalten noch ein Glücksgefühl, da draußen in der Wandel- Krieges aufeinandertrafen. Dafür, daß es das ausge- halle zu stehen und zum Fenster auf den Platz hinaus- halten hat, sind wir dem Land und seinen- Bewohnern zuschauen, wo früher die Mauer war. großen Dank schuldig. Diese historische Leistung Aber nicht nur die Beseitigung der Unterschiede in wird unvergessen bleiben. Jetzt aber sind Mauern den wirtschaftlichen Lebensbedingungen braucht und Grenzen gefallen, und Berlin ist wie unser gesam- seine Zeit, auch mit dem menschlichen Aufeinander tes Land wieder eins geworden. Berlin muß sich als zugehen haben wir so unsere Probleme. Wenn wir das neues Bundesland verstehen. Deshalb sind die För- Wort von der Überwindung der Teilung durch Teilen dermaßnahmen dem Niveau der anderen neuen Län- ernst nehmen, dann müssen wir auch bereit sein, das der anzugleichen. uns durch die vorliegenden Steueränderungsgesetze Ich möchte nun nicht auf die einzelnen Maßnahmen Abverlangte zu leisten. Es ist kein Opfer; denn keiner eingehen, aber ich verweise darauf, daß der Finanz- muß etwas von seinem Wohlstand abgeben. Es ist für ausschuß eine Reihe von Nachbesserungen beschlos- die meisten nur etwa ein Drittel dessen, was sie an sen hat, z. B. daß mit dem Abbau der Arbeitnehmer- Lohnerhöhungen bekommen haben. zulage erst am 1. Oktober begonnen wird und daß (Joachim Poß [SPD]: Was hat Herr Kohl ge diese Arbeitnehmerzulage erst 1994 ausläuft. sagt: Keiner braucht irgend etwas abzuge Zur Abschaffung des Berlin-Darlehens nach § 17 ben! Und das wiederholt er noch! Unglaub des Berlinförderungsgesetzes möchte ich noch eine lich!) kleine persönliche Anmerkung machen: So sehr die Abschaffung begrüßt wird, würde ich es um so mehr Vizepräsident Hans Klein: Herr Kollege Hauser, begrüßen, wenn ähnliche Maßnahmen zur Sammlung Ihre Redezeit ist reichlich überschritten. von privatem Kapital für die neuen Bundesländer, speziell für den Wohnungsbau, vorgesehen würden. Ausreichendes, auch p rivates Kapital, in nicht uner- Hansgeorg Hauser (Rednitzhembach) (CDU/CSU): heblichem Maße durch Kleinsparer mit aufgebracht, Die Investitionen für die Schaffung neuer Arbeits- war eine Grundlage für die Aufrechterhaltung des plätze sind gut angelegtes Geld, das für uns alle und Berliner Wohnungsbaus. Das würde auch in den die nachfolgenden Generationen reichlich Zinsen tra- neuen Bundesländern vielfältige Privatinitiativen im gen wird. Deshalb appelliere ich an Sie alle: Stimmen Wohnungsbau fördern. Natürlich müssen die Gestal- Sie diesen Gesetzentwürfen zu. tungsformen überprüft und überdacht werden. Aber (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) man sollte positiv wirkende Gesetze nicht immer nur nach den Auswüchsen beurteilen. Vizepräsident Hans Klein: Das Wort hat der Abge- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) ordnete Wolfgang Kubicki. Bezüglich des Abbaus der Zonenrandförderung verweisen wir auf die erfreulich objektive Stellung- nahme der Arbeitsgemeinschaft der Indust rie- und Wolfgang Kubicki (FDP): Herr Präsident! Meine Da- Handelskammern des Zonenrandgebietes im Anhö- men und Herren! Es ist nicht leicht für einen neuen rungsverfahren, in der es heißt: Bundestagsabgeordneten, in seinem ersten Beitrag vor dem Deutschen Bundestag seine sowie die abwei- Das im Entwurf eines Steueränderungsgesetzes chende Meinung der Kollegen Jürgen Koppelin und 1991 vorgesehene Abbaukonzept für Steuerab Werner Zywietz in einer derart wichtigen Frage zu schreibungen und steuerfreie Rücklagen stellt ei begründen. Wir drei Abgeordneten der FDP können Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 25. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 14. Mai 1991 1699

Wolfgang Kubicki den Vorlagen des Solidaritäts- und des Steuererhö- oder Geschäftssitz des Steuerpflichtigen, wobei pi- hungsgesetzes unsere Zustimmung nicht geben. kanterweise durch Einfügung eines Abs. 3 in § 3 a des (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Vermögensteuergesetzes die doch gerade den Mittel- stand tragenden Personen bzw. Personengesellschaf- Auch wir vertreten die Auffassung, daß zur Wieder- ten gegenüber den Kapitalgesellschaften erheblich herstellung der Einheitlichkeit der Lebensverhält- benachteiligt werden. nisse in ganz Deutschland noch Erhebliches geleistet (Zuruf von der SPD: Richtig!) werden muß, mehr, als viele früher für nötig hielten und vielleicht auch heute noch für nötig halten. Meine Damen und Herren, es geht hier allerdings Gleichwohl begegnen die Vorlagen erheblichen, für um mehr als nur juristische Bedenken. Es geht um die uns nicht überwindlichen Bedenken. Wegen der Frage der Glaubwürdigkeit der Politik und ihrer Ent- Kürze der Zeit nenne ich nur drei Punkte. scheidungsträger sowie um die Frage von deren Kom- petenz. Erstens. Beide Regierungsfraktionen und namhafte Vertreter der Bundesregierung haben vor der Bundes- (Beifall der Abg. Jürgen Koppelin [FDP] und tagswahl, auch noch in der Debatte vom 22. Novem- Werner Zywietz [FDP] sowie bei Abgeordne ber 1990, erklärt, es werde Steuererhöhungen nicht ten der SPD) geben. Notwendige Mehrausgaben auf der einen Diese Frage hat für uns angesichts einer weiter um Seite würden durch Einsparungen auf der anderen sich greifenden Politikverdrossenheit einen ver- Seite und durch wachstumsbedingte Mehreinnahmen gleichsweise hohen Stellenwert. des Staates ausgeglichen. Drittens. Die Maßnahmen sind zum Teil wirtschafts- (Zuruf von der SPD: Sehr richtig!) politisch kontraproduktiv und sozial schwer erträg- lich. Wir vermögen nicht zu erkennen, daß das Einspa- rungsprinzip konsequent verfolgt wird. (Beifall der Abg. Jürgen Koppelin [FDP] und Werner Zywietz [FDP]) (Dr. Kurt Faltlhauser [CDU/CSU]: Wo- sind denn Ihre Vorschläge gewesen, Herr Kol So trifft z. B. die Mineralölsteuererhöhung, so sehr sie lege?) umweltpolitisch erwünscht ist, unsere ostdeutschen Mitbürger vergleichsweise härter. Wir erleben mit Unmut die Angriffe — auch aus (Beifall der Abg. Jürgen Koppelin [FDP] und Teilen der CDU/CSU — auf Bundeswirtschaftsmini- Werner Zywietz [FDP]) ster Jürgen Möllemann und dessen Versuch des Sub- ventionsabbaus. Angesichts der Strukturanpassung erwarten wir von ihnen eine höhere Mobilität bei einem schlechter aus- (Beifall des Abg. Jürgen Koppeln [FDP]) gestatteten Netz an öffentlichen Verkehrsmitteln und Den Bürgern sind Steuererhöhungen erst und auch deutlich geringerem Einkommensniveau. Ich sage Ih- nur dann zuzumuten, wenn auch der Staat durch sein nen: Die von der Mineralölsteuererhöhung ausgehen- Ausgabeverhalten deutlich macht, daß er mit dem ihm den Friktionen im Osten Deutschlands werden uns überlassenen Geld verantwortlich umgeht. noch zu schaffen machen. (Beifall der Abg. Jürgen Koppelin [FDP] und (Beifall des Abg. Jürgen Koppelin [FDP]) Werner Zywietz [FDP] sowie bei der SPD und Lassen Sie mich abschließend auch im Namen von der PDS/Linke Liste) Jürgen Koppelin und Werner Zywietz eine persönli- Zweitens. Wir alle, die Mitglieder der FDP-Fraktion, che Erklärung gegenüber meiner Fraktion abgeben. haben — trotz zum Teil inhaltlich anderer Auffassun- Wir bedanken uns ausdrücklich für die faire Diskus- gen — den Bundestagswahlkampf mit der Erklärung sion, die wir haben erleben dürfen. Wir wissen, daß bestritten, Steuererhöhungen werde es wegen der vielen Abgeordneten die Entscheidung heute nicht deutschen Einheit nicht geben. Nun mögen neue Er- leicht fällt. Ich möchte sagen: Auch uns ist es nicht kenntnisse eingetreten sein. Aber dies rechtfertigt leicht gefallen, bei unserer abweichenden Haltung zu nach unserer Auffassung Steueranhebungen noch im bleiben. laufenden Haushaltsjahr nicht. Vielen Dank. (Beifall der Abg. Jürgen Koppelin [FDP] und (Beifall der Abg. Jürgen Koppelin [FDP] und Werner Zywitz [FDP] sowie bei Abgeordne Werner Zywietz [FDP] sowie bei Abgeordne ten der SPD) ten der SPD und des Bündnisses 90/ GRÜNE) Warum dem Vorschlag des Wirtschaftsausschusses des Deutschen Bundestages, z. B. Erhebungs- und Veranlagungszeitraum der Solidaritätsabgabe dek- Vizepräsident Hans Klein: Zu einer Erklärung zur kungsgleich zu machen sowie die Anrechnung bei Abstimmung hat der Kollege Dr. Faltlhauser das stufenweiser Körperschaftsteuerbelastung zu ermög- Wort. lichen, nicht gefolgt worden ist, ist schwer begründ- bar. Wir teilen hier die Bedenken, die insbesondere auch von den Sachverständigen während der Anhö- Dr. Kurt Faltlhauser (CDU/CSU) : Herr Präsident! rung vorgetragen wurden. Meine Damen und Herren! Bis wir zu diesem Punkt unmittelbar vor der Abstimmung gekommen sind, ha- (Zurufe von der SPD: Ja! — Hört! Hört!) ben wir in mehreren Stufen außergewöhnlich schwie- Nicht mehr hinnehmbar ist für uns die unterschied- rige und neue Situationen erlebt: Zunächst bekamen liche Behandlung des Vermögens nach Wohnsitz wir finanzielle Schwierigkeiten durch Veränderungen 1700 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 25. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 14. Mai 1991

Dr. Kurt Faltlhauser in allen möglichen Bereichen: Golfkrieg, neue Lasten Ich rufe Art. 1 auf, Änderung des Einkommensteu- in den Ländern Osteuropas und in den neuen Bundes- ergesetzes. Dazu liegen drei Änderungsanträge der ländern. Das war überraschend. Dann haben wir dies Fraktion der SPD vor. Wer stimmt für den Änderungs- in kurzer Frist — nicht immer mit dem Beifall der eige- antrag auf Drucksache 12/575? — Wer stimmt dage- nen Diskutanten — mit Instrumenten, die wir für not- gen? — Enthaltungen? — Der Änderungsantrag ist wendig gehalten haben, bewältigt. Wir haben eine abgelehnt. interne, sehr heftige und fachkundige Debatte ge- führt. Wir haben dabei die Anregungen aus allen Tei- Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Drucksa- len der Unionsfraktion und der FDP-Fraktion entge- che 12/576? — Wer stimmt dagegen? — Enthaltun- gengenommen. gen? — Auch dieser Änderungsantrag ist abgelehnt. (Joachim Poß [SPD]: Herr Faltlhauser, ist das, Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Drucksa- was Sie da machen, eine Erklärung nach der che 12/577? — Gegenstimmen! — Enthaltungen? — Geschäftsordnung? — Weiterer Zuruf von Abgelehnt. der SPD: Was soll das denn?) Wer stimmt für Art. 1 in der Ausschußfassung? — Wer stimmt dagegen? — Wer enthält sich der Stimme? — Damit ist Art. 1 in der Ausschußfassung angenom- Vizepräsident Hans Klein: Herr Kollege Faltlhauser, men. zur Abstimmung! Ich rufe Art. 1 a in der Ausschußfassung auf. Wer stimmt dafür? — Wer stimmt dagegen? — Enthaltun- Dr. Kurt Faltlhauser (CDU/CSU): Wir haben in der gen? — Art. 1 a ist angenommen. gesamten Zeit dieser Debatte, meine Damen und Her- ren, kein einziges Mal eine abweichende Meinung, Ich rufe Art. 2 auf, Änderung des Gewerbesteuerge- wie wir sie jetzt gerade vorgetragen bekommen ha- setzes. Dazu liegt auf Drucksache 12/578 unter Nr. 1 ben, gehört. ein Änderungsantrag der Fraktion der SPD vor. Wer stimmt für diesen Änderungsantrag? — Wer stimmt (Joachim Poß [SPD]: Was ist das für- eine Er dagegen? — Wer enthält sich der Stimme? — Der klärung, Herr Präsident? — Weitere Zurufe Änderungsantrag ist abgelehnt. von der SPD) Wir haben von den Kollegen auch keine entsprechen- Wer stimmt für Art. 2 in der Ausschußfassung? — den Verbesserungsvorschläge gehört. Wir haben Gegenprobe! — Enthaltungen? — Art. 2 ist in der Aus- auch keine entsprechenden abweichenden Auffas- schußfassung angenommen. sungen gehört. Deshalb, so meine ich, sollten sich die Ich rufe die Art. 3 bis 5 in der Ausschußfassung auf. drei Kollegen jetzt noch einmal überlegen, Wer stimmt dafür? — Gegenprobe! — Enthaltungen? (Dr. Dagmar Enkelmann [PDS/Linke Liste]: — Art. 3 bis 5 in der Ausschußfassung sind angenom- Das ist ja unerhört! — Anhaltende Zurufe von men. der SPD) Ich rufe Art. 6 Investitionszulagengesetz 1991 auf. ob sie zur Solidarität der Unionsfraktion und der FDP- Dazu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion der SPD Fraktion stehen. auf Drucksache 12/579 vor. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und Die Fraktion der SPD verlangt namentliche Abstim- der FDP) mung. Es sind fünf Urnen aufgestellt: eine hier vorn am Stenographentisch, jeweils eine außen an der Re- gierungs- und an der Bundesratsbank und zwei wei- Vizepräsident Hans Klein: Herr Kollege Faltlhauser, tere hinten in den Gängen. dies war keine Erklärung zur Abstimmung. Es war eine Frage in Richtung FDP. Ich eröffne die Abstimmung. (Beifall bei der SPD) Meine Damen und Herren, ich weise Sie vorsorglich Ich schließe die Aussprache. darauf hin, daß gleich anschließend die nächste na- mentliche Abstimmung stattfinden wird. Da mindestens eine Fraktion intern bekanntgege- ben hat, daß die Abstimmungen um 13.30 Uhr begin- Meine Damen und Herren, ist noch ein Mitglied des nen werden, und da wir den Kollegen, die sich auf die Hauses anwesend, das seine Stimme noch nicht abge- Minute eingerichtet haben, eine Chance geben wol- geben hat? — Haben jetzt alle abgestimmt? — Ich höre len, unterbreche ich die Sitzung bis 13.30 Uhr. und sehe keinen Widerspruch, dann schließe ich die Sie erleichtern den Ablauf der Sitzung, wenn Sie im Abstimmung. Ich bitte die Schriftführer, mit der Aus- Saal bleiben. zählung zu beginnen. (Unterbrechung der Sitzung von 13.26 bis Das Ergebnis der ersten namentlichen Abstimmung 13.30 Uhr) gebe ich später bekannt. *) Sind die neuen Urnen aufgestellt, und befinden sich Vizepräsident Hans Klein: Meine Damen und Her- bei allen Urnen Schriftführer? ren, wir setzen die unterbrochene Sitzung fort. Ich unterstelle, daß wir bereits jetzt über den Ent- Meine Damen und Herren, wir kommen zur Einzel- schließungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksa- beratung und Abstimmung über den Entwurf des che 12/580 abstimmen können, zu dem ebenfalls na- Steueränderungsgesetzes 1991 auf Drucksachen 12/219, 12/402, 12/459 und 12/562. *) Seite 1701 C Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 25. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 14. Mai 1991 1701

Vizepräsident Hans Klein mentliche Abstimmung verlangt ist. — Ich sehe kei- Enthaltungen? — Nach ursprünglicher Verwirrung ist nen Widerspruch. Dann können wir so verfahren. die Beschlußempfehlung einstimmig angenommen. Ich eröffne die Abstimmung. (Beifall bei der SPD) Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das Wir stimmen jetzt noch über den Entschließungsan- seine Stimme nicht abgegeben hat? — trag der Fraktion der SPD auf Drucksache 12/574 ab. Ich schließe die Abstimmung und bitte die Schrift- Wer stimmt dafür? — Wer stimmt dagegen? — Enthal- führer, mit der Auszählung zu beginnen. Auch dieses tungen? — Der Entschließungsantrag ist abgelehnt. Ergebnis wird später bekanntgegeben.*) Wir kommen jetzt zum Tagesordnungspunkt 2 a, Wir kommen zur Einzelberatung und Abstimmung Steueränderungsgesetz 1991, zurück. Ich gebe das über den Entwurf des Solidaritätsgesetzes auf den von den Schriftführern ermittelte Ergebnis der na- Drucksachen 12/220, 12/403 und 12/561. mentlichen Abstimmung über den Änderungsantrag Ich rufe Art. 1 auf. Dazu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion der SPD zu Art. 6 des Steueränderungs- der SPD-Fraktion auf Drucksache 12/573 vor. Wer gesetzes, Drucksache 12/579, bekannt. Abgegebene stimmt für diesen Änderungsantrag? — Wer stimmt Stimmen: 569. Davon ungültig: keine. Mit Ja haben dagegen? — Enthaltungen? — Der Änderungsantrag gestimmt 208, mit Nein haben gestimmt 357; ist abgelehnt. (Joachim Poß [SPD]: Das ist gegen die Inter Wer stimmt für Art. 1 in der Ausschußfassung? — essen der neuen Länder! In einem halben Wer stimmt dagegen? — Wer ist dagegen? — Enthal- Jahr kommt Ihr damit!) tungen? — Art. 1 in der Ausschußfassung ist ange- Enthaltungen: 4. Damit ist der Antrag abgelehnt.*) nommen. Wir kommen zur Abstimmung über Art. 6 in der Ich rufe Art. 2 bis 6, Einleitung und Überschrift in Ausschußfassung. Wer stimmt dafür? — Wer stimmt der Ausschußfassung auf. Wer den aufgerufenen Vor- dagegen? — Enthaltungen? — Art. 6 ist in der Aus- schriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich- um ein schußfassung angenommen. Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Wer enthält sich? — Die aufgerufenen Vorschriften sind angenom- Ich rufe Art. 7 bis 21, Einleitung und Überschrift auf. men. Zu Art. 7 liegt ein Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 12/578, Nr. 2, vor. Die Drucksa- Damit ist die zweite Beratung abgeschlossen. che 12/578 enthält außerdem unter Nr. 3 bis 5 drei Wir treten in die weitere Änderungsanträge zu Art. 8, 8 a und 15. Kön- dritte Beratung nen wir über diese Änderungsanträge gemeinsam ab- stimmen? — Ich sehe keinen Widerspruch. Dann kön- ein und kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem nen wir so verfahren. Wer stimmt für die Änderungs- Gesetzentwurf zuzustimmen wünscht, den bitte ich, anträge? — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — sich zu erheben. — Wer stimmt dagegen? — Wer ent- Die Änderungsanträge sind abgelehnt. hält sich seiner Stimme? — Der Gesetzentwurf ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Wer stimmt für die Art. 7 bis 21, Einleitung und Stimmen der Opposition angenommen. Überschrift in der Ausschußfassung? — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Die aufgerufenen Vorschriften Der Finanzausschuß empfiehlt unter Nr. 2 seiner sind angenommen. Damit ist die zweite Beratung ab- Beschlußempfehlung die Annahme einer Entschlie- geschlossen. ßung. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Wir treten in die (Zuruf des Abg. Dr. Kurt Faltlhauser [CDU/ dritte Beratung CSU]) ein und kommen zur Schlußabstimmung über das — Es gibt Zweifel. Dürfen wir noch einmal wiederho- Steueränderungsgesetz auf Drucksachen 12/219, len? 12/402, 12/459 und 12/562. Wer dem Gesetzentwurf (Widerspruch bei der SPD) zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Wer stimmt gegen den Gesetzentwurf? — Wer ent- hält sich seiner Stimme? — Der Gesetzentwurf ist mit Dr. Kurt Faltlhauser (CDU/CSU): Herr Präsident, den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Sie haben die Nummern nicht angegeben. Ich bitte, Stimmen der Opposition angenommen. die Nummern zu wiederholen, damit wir das überprü- Der Finanzausschuß empfiehlt unter Nr. 2 seiner fen können. Beschlußempfehlung die Annahme einer Entschlie- (Zuruf von der PDS/Linke Liste: Weil Sie ge- ßung. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? — schlafen haben!) Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Bei Enthal- tungen aus den Gruppen der PDS/Linke Liste und Bündnis 90/GRÜNE ist die Beschlußempfehlung an- genommen. Vizepräsident Hans Klein: Der Finanzausschuß empfiehlt unter Nr. 2 seiner Beschlußempfehlung die Ich gebe jetzt das von den Schriftführern ermittelte Annahme einer Entschließung. Wer stimmt für diese Ergebnis der namentlichen Abstimmung über den Beschlußempfehlung? — Wer stimmt dagegen? — *) Das endgültige Ergebnis und die Namensliste werden in *) Seite 1702 A einem Nachtrag zu diesem Plenarprotokoll veröffentlicht. 1702 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 25. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 14. Mai 1991

Vizepräsident Hans Klein Entschließungsantrag der SPD zum Steuerände- Bitte fahren Sie fort, Herr Kollege. rungsgesetz 1991 auf Drucksache 12/580 bekannt. Abgegebene Stimmen: 562. Davon ungültig: keine. Mit Ja haben gestimmt: 203. Mit Nein: 357. Enthaltun- Adolf Roth (Gießen) (CDU/CSU): Meine Damen gen: 2. Damit ist der Entschließungsantrag abge- und Herren, die von mir angesprochene schnelle Mo- lehnt. *) dernisierung erfordert zugleich eine gründliche Sa- nierung der Infrastruktur in den neuen Bundeslän- Ich rufe den Tagesordnungspunkt 3 auf: dern. Hierzu waren und sind ungewöhnliche Anstren- gungen erforderlich, um schrittweise das Notwendige Zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines in Gang zu setzen. Für die öffentlichen Haushalte der Gesetzes über Maßnahmen zur Entlastung der Bundesrepublik, insbesondere für den Haushalt des öffentlichen Haushalte sowie über strukturelle Bundes, ergeben sich daraus erhebliche Belastungen. Anpassungen in dem in Artikel 3 des Eini- In den haushaltspolitischen Eckwertbeschlüssen vom gungsvertrages genannten Gebiet 14. November 1990 und im Gemeinschaftswerk Auf- (Haushaltsbegleitgesetz 1991 — HBeglG schwung Ost haben Bundesregierung und Koalition 1991) wichtige Akzente gesetzt und gleichzeitig den Weg — Drucksachen 12/221, 12/401, 12/461 — für die Fortsetzung unserer bewährten stabilitäts- und wachstumsorientierten Finanzpolitik geebnet. Beschlußempfehlung und Be richt des Haus- haltsausschusses (8. Ausschuß) Meine Damen und Herren, das augenblickliche — Drucksache 12/581 — Konjunkturbild vom Frühjahr 1991 beweist, daß die Finanzpolitik trotz der erforderlichen Eingriffe expan- Berichterstatter: siv bleibt und daß unsere Politik mit den Gesetzen Abgeordnete Adolf Roth (Gießen) einer vernünftigen Stabilitätsorientierung in Einklang Dr. Wolfgang Weng (Gerlingen) steht. Wir setzen weiterhin auf die Kraft einer gesun- Helmut Wieczorek (Duisburg) den Konjunktur für den Aufbau und die wirtschaftli- (Erste Beratung 13. und 23. Sitzung) che Erneuerung. Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat ist für die In dem breiten Bündel von Maßnahmen zur Be- Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. Erhebt schleunigung des Aufbaus in den neuen Bundeslän- sich dagegen Widerspruch? — Das ist nicht der Fall. dern sind aber weitere gesetzliche Anpassungen er- Dann ist das so beschlossen. forderlich, um die begonnenen Maßnahmen abzurun- Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Abge- den. Soweit diese nicht bereits in anderen Gesetzen ordneten Adolf Roth das Wort. geregelt werden, sind sie im Haushaltsbegleitgesetz 1991 zusammengefaßt. Es handelt sich dabei im we- sentlichen um drei große Blöcke, die hier zur Entschei- Adolf Roth (Gießen) (CDU/CSU) : Herr Präsident! dung anstehen: Es geht zum einen um Maßnahmen Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das Haus- zur Entlastung des Bundeshaushalts, die innerhalb haltsbegleitgesetz 1991 ist nur einer unter vielen le- eines finanzpolitisch vertretbaren Ausgabe- und Ver- gislativen Schritten, mit denen wir die haushalts- und schuldungsrahmens zusätzlichen Spielraum für not- wirtschaftspolitischen Herausforderungen im Zusam- wendige Anschubleistungen schaffen sollen; es geht menhang mit der deutschen Vereinigung zu meistern zum zweiten um strukturelle Anpassungsmaßnah- versuchen. Wirtschaft, Ökologie, p rivate und öffentli- men, die den Menschen in den östlichen Bundeslän- che Infrastruktur in den neuen Bundesländern sind in dern den oft komplizierten Übergang in die Soziale einem desolaten Zustand. Das alte System hatte ja Marktwirtschaft erleichtern sollen; schließlich geht es nicht nur politisch, sondern auch wirtschaftlich abge- um die Verbesserung der Finanzausstattung der wirtschaftet. Insofern stehen wir heute vor einer der neuen Bundesländer und ihrer Kommunen. größten Herausforderungen. Wir müssen gewaltige Lassen Sie mich in der gebotenen Kürze einige An- Investitionsaufwendungen erbringen, um die Wirt- merkungen zu den einzelnen Maßnahmen des Haus- schaft umzustrukturieren und damit die Grundlage haltsbegleitgesetzes machen. Der Entlastung des sicherer Arbeitsplätze für morgen zu schaffen. Bundeshaushalts sind mehrere Abschnitte dieses Ge- setzes gewidmet. Ich nenne einmal die Regelung zur Vizepräsident Hans Klein: Herr Kollege Roth, darf Ablieferung der Deutschen Bundespost, sodann die ich Sie für einen Moment unterbrechen. Umlenkung von Finanzhilfen des Bundes für den kommunalen Straßenbau in das Beitrittsgebiet und Meine Damen und Herren, nicht nur der Plenarsaal schließlich Änderungen beim Ausgleich des Bundes ist hier größer, auch die Lobby ist größer. Wenn Sie für gemeinwirtschaftliche Leistungen bei den von der Gespräche führen wollen, führen Sie sie doch bitte in Bundesbahn abgegebenen Busdiensten. der Lobby; denn dieses neue Raumgefühl hat noch nicht die Empfindung dafür vermittelt, ob man Unter- Über die Änderung des Gemeindeverkehrsfinan- haltungen, die man führt, hört oder nicht. Jedenfalls zierungsgesetzes werden bis 1994 jährlich 200 Millio- stört dies. Der Redner sollte Zuhörer haben. Deshalb nen DM an Finanzhilfen des Bundes für den kommu- bitte ich Sie: Wer an dem Thema teilnehmen will, soll nalen Straßenbau in die neuen Bundesländer umge- im Saal bleiben. Wer Gespräche führen möchte oder lenkt. Außerdem werden den Neuländern in den Jah- muß, soll dafür die Lobby benutzen. ren 1991 und 1992 insgesamt 2,6 Milliarden DM aus dem Gemeinschaftswerk Aufschwung Ost für Zwecke *) Das endgültige Ergebnis und die Namensliste werden in des kommunalen Straßenbaus und des öffentlichen einem Nachtrag zu diesem Plenarprotokoll veröffentlicht. Personennahverkehrs zur Verfügung gestellt. In Er- Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 25. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 14. Mai 1991 1703

Adolf Roth (Gießen) gänzung früherer Beschlüsse ist dieser Plafond durch Rahmenbedingungen stimmen. Der Übergang zur D- dieses Gesetz noch einmal aufgestockt worden. Mark hat sich vergleichsweise reibungslos vollzogen. Wir haben ein wachstums- und leistungsorientiertes Meine Damen und Herren, damit unterstreichen wir Steuersystem schaffen können. Wir haben damit alle die Bedeutung zügiger Verkehrsinvestitionen für den Voraussetzungen für die Entfaltung privater Eigen- Prozeß der Erneuerung, für den Aufbau in den neuen initiativen in den neuen Bundesländern. Es gibt Bundesländern. Schritt um Schritt günstige Perspektiven für Investo- Zu den strukturellen Anpassungen im Beitrittsge- ren. biet zählen die Erhöhung des Kindergeldes für das Es läßt sich nicht leugnen, meine Damen und Her- erste Kind auf monatlich 65 DM, die Einführung von ren, daß die zielbewußte und konsequente Politik der Zinszuschüssen an Eigenheimer und p rivate Vermie- Bundesregierung ihre Wirkung erreicht. So ist die ter, außerdem das Erlöschen rückständiger Zinsen für Gründung neuer Unternehmen in den neuen Bundes- alte Reichsmark-Hypotheken und Aufbauhypothe- ländern in vielen Bereichen des Handels, des Hand- ken. Mit Kindergeld und Zinszuschüssen schaffen wir werks und des Dienstleistungssektors bereits voll an- in bestimmten Bereichen für die Übergangsphase ein gelaufen: pro Monat 25 000 neue Betriebsgründun- sozial verträgliches Umfeld zur Erleichterung des Ein- gen. Ich glaube, das ist eine Zahl, die durchaus Ein- stiegs in die Bedingungen unserer freiheitlichen Wirt- druck machen kann. Auch gibt es die Privatisierungs- schaftsordnung. fortschritte bei der Treuhand, die zu berechtigten Die Erlöschensregelung bei Zinsen ist ein klarer Hoffnungen Anlaß geben. 1 Mil lion Menschen haben Schritt, mit dem wir die systematische und oft gnaden- seit der Wende eine neue Beschäftigung gefunden lose Aushöhlung des Privateigentums durch die frü- und aufgenommen. Die Einkommensverhältnisse in heren Machthaber ein für allemal beenden wollen. Ich den neuen Bundesländern sind in vielen Bereichen glaube, dies ist eine besonders wichtige Entschei- deutlich verbessert worden. dung, auch wenn es sich bei diesem Komplex wahr- Diese Entwicklungen, meine Damen und Herren, lich nicht um einen großen Finanzbeitrag handelt. rechtfertigen die Einschätzung, daß die Menschen in Diese Lücke zu schließen ist ein Gebot der Vernunft den neuen Bundesländern Zug um Zug den Anschluß und auch der Gerechtigkeit den betroffenen Men- an unseren Lebensstandard schaffen werden. Wir wis- schen gegenüber. sen, daß die Verwirklichung einheitlicher Lebens- verhältnisse im vereinigten Deutschland ihre Zeit Meine Damen und Herren, ein wichtiger Fortschritt dauert. Aber sie wird schneller und nachhaltiger erfol- ist das zwischen dem Bund und den Ländern ge- gen, als viele der noch heute auf dem Markt zu ver- schnürte erweiterte Finanzierungspaket. Der Bundes- nehmenden Pessimisten und beruflichen Skeptiker finanzminister hat heute früh schon auf die Beschlüsse uns weismachen wollen. der Ministerpräsidentenkonferenz mit dem Bundes- kanzler vom 28. Februar 1991 hingewiesen. Die Fi- Von daher gesehen glaube ich, daß das Haushalts- nanzausstattung der neuen Bundesländer und ihrer begleitgesetz 1991 einen sinnvollen Abschluß unter Kommunen wird einmal durch den Verzicht des Bun- diese Gesetzgebungsmaßnahmen bringt. Die Frak- des auf seinen eigenen 15%igen Anteil an den Lei- tion der CDU/CSU stimmt dem vorliegenden Gesetz- stungen des Fonds „Deutsche Einheit" deutlich ver- entwurf in der dritten Lesung in der Ausschußfassung bessert. Damit stehen den Gebietskörperschaften in zu. den neuen Bundesländern in den Jahren bis 1994 ins- Herzlichen Dank. gesamt 14 Milliarden DM zusätzlich zur Verfügung. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Hinzu kommen für denselben Zeitraum noch einmal rund 17 Milliarden DM durch die Änderung des Ge- setzes über den Finanzausgleich zwischen Bund und Das Wort hat der Abge- Ländern, mit der die Aufteilung des Länderanteils an Vizepräsident Hans Klein: ordnete Arne Börnsen. der Umsatzsteuer zugunsten der neuen Bundesländer verbessert wird. Die neuen Länder werden nunmehr in vollem Umfang nach ihrer Einwohnerzahl am Län- (Ritterhude) (SPD): Herr Präsident! deranteil der Umsatzsteuer beteiligt. Ich meine, wir Arne Börnsen Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich zu dem sollten alle diesen Schritt begrüßen. Wir sollten begrü- Haushaltsstrukturgesetz zu Beginn einige Bewertun- ßen, daß die alten Bundesländer mit dieser Entschei- gen einzelner Artikel vornehmen, bevor ich auf ein dung nach Monaten des Zauderns ebenfalls Flagge zentrales Thema kommen möchte. gezeigt haben und sich in die gemeinsame Verant- wortung mit dem Bund begeben haben. Zu Art. 1, zur Änderung des Gemeindeverkehrsfi- nanzierungsgesetzes. Wir werden diesem Artikel zu- Meine Damen und Herren, dieses Maßnahmenbün- stimmen, da wir darin die Ermöglichung stärkerer In- del des Haushaltsbegleitgesetzes 1991 ist nur ein Aus- vestitionen in den ostdeutschen Bundesländern se- schnitt aus unseren vielfältigen Hilfsprogrammen für hen. Wir lehnen allerdings die Mittelaufteilung zwi- die neuen Bundesländer. Es zeigt aber die Breite der schen dem öffentlichen Personennahverkehr und dem Palette an Maßnahmen für einen umfassenden Auf- kommunalen Straßenbau ab. schwung. Wir sind sicher, daß diese Politik Schritt für Schritt bei den Menschen und im Prozeß der wirt- Zu Art. 2, Gesetz über die Anpassung von Kredit- schaftlichen Erneuerung greifen wird. verträgen an Marktbedingungen. Hier enthalten wir uns, weil wir der Meinung sind, daß verfassungsrecht- Insgesamt gesehen sind wir mit unserem finanzpoli- liche Bedenken wegen der rückwirkenden Zinsanhe- tischen Konzept auf einem vernünftigen Weg. Die bung zum 3. Oktober 1990 bestehen. 1704 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 25. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 14. Mai 1991

Arne Börnsen (Ritterhude) Zu Art. 4, Änderung des Personenbeförderungsge- Lassen Sie mich einige Schwerpunkte, die die Bun- setzes. Dies lehnen wir ab, weil wir davon ausgehen, desregierung bei der Begründung dieses Poststruk- daß diese Änderung zu spürbaren Preisanhebungen turgesetzes selber anführte, noch einmal aufgreifen. beim öffentlichen Personennahverkehr führen wird. Da gab es die Trennung in hoheitliche und betrieb- Art. 5 und 6 sind ausgegliedert. liche Funktionen. Wir haben diese Trennung in ho- heitliche und bet riebliche Funktionen durchaus mit- Den Art. 7 und 8 — sie betreffen zum einen den getragen und halten sie für vernünftig. Was allerdings und zum zweiten die Än- Fonds „Deutsche Einheit" heute gemacht wird und uns vorexerziert wurde, ist derung des Gesetzes über den Finanzausgleich zwi- genau das Gegenteil dieses Grundsatzes. Denn der schen Bund und Ländern — stimmen wir zu. Bundespostminister hat mit seinen Entscheidungen, Schließlich zu Art. 9, Änderung des Bundeskinder- ohne den Vorstand und den Aufsichtsrat in die Ent- geldgesetzes. Dies lehnen wir ab, weil wir meinen, scheidungsfindung mit einzubeziehen, in die Unter- eine Erhöhung des Kindergeldes um 15 DM soll nicht nehmen der Post hineinregiert. Nicht nur das: Die nur das erste Kind betreffen, sondern alle Kinder. Bundesregierung in der Gesamtheit hat dieses in der Person des Bundesfinanzministers vorexerziert. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Meine Damen und Herren, einen Artikel habe ich Wir haben uns bei der Beratung des Poststrukturge- setzes damals mit der Frage sehr schwergetan, ob ausgelassen, nämlich Art. 3, die Änderung des Post- nicht zusätzlich zu der Rechtsaufsicht, die der Bundes- verfassungsgesetzes. Hierauf möchte ich mich kon- zentrieren. Wir nehmen zur Kenntnis, daß die Ab- postminister über die Bundespost haben soll, auch eine Fachaufsicht eingeführt und in das Gesetz einge- gabe, die die Post an den Bundeshaushalt zahlen soll, um 4 Milliarden DM reduziert worden ist. Aber es ver- bracht werden sollte. Denn wir fürchteten, daß sonst bleiben 4 Milliarden DM. Die Größenordnung ist zwar die privatwirtschaftliche Orientierung der Unterneh- für die Unternehmen der Post wichtig, aber bei der men zu sehr im Vordergrund stehen würde. Wir haben das abgelehnt und müssen heute feststellen, daß diese politischen Bewertung zweitrangig. Der- Grundsatz der Vorgehensweise der Bundesregierung muß für Fachaufsicht vom Bundespostminister entgegen der Formulierung des Gesetzes bereits so wahrgenom- uns im Mittelpunkt stehen. men wird — also auch wieder das Gegenteil dessen, Auch das Gebührentheater, welches in den letzten was angestrebt wurde. Wochen die Öffentlichkeit stark beeindruckte, ist für uns heute zweitrangig, trotz des Ansehensverlustes, Es sollte mit dem Poststrukturgesetz aber auch eine den die Bundesregierung mit diesem Theater in Kauf Trennung von politischen Instanzen überhaupt er- nehmen mußte — aber das haben wir nicht zu kritisie- reicht werden. Ich will nur daran erinnern, daß es in ren — und trotz des Ansehensverlustes, den die Bun- den letzten Tagen vor dem Wahltag in Rheinland despost durch dieses Gebührentheater hat hinneh- Pfalz war, als sich die Bundesregierung bemüßigt sah, men müssen. die Erhöhung der Abgabe in Frage zu stellen, weil das zu einer öffentlichen Diskussion über die Gebühren- (Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Leider, anhebung geführt hat und weil sie aus wahltaktischen leider!) Gesichtspunkten fürchtete, daß das negative Auswir- Aus politischer Sicht ist für uns das zentrale Problem kungen auf die Wahl in Rheinland-Pfalz haben darin zu sehen, wie denn die Bundesregierung wohl würde. mit einem Gesetz umgeht, welches sie vor noch nicht (Zuruf von der SPD: Sehr wahr!) einmal zwei Jahren selbst beschlossen hat und wel- ches sie in den vergangenen vier Jahren als eines der Einen deutlicheren Beweis dafür, daß aus rein politi- drei wichtigsten Reformgesetze der 11. Legislaturpe- schen Gesichtspunkten Änderungen an der Entschei- riode bewertete. dungsfindung der Bundespost vorgenommen werden, gibt es kaum. Ich möchte mit Ihrer Erlaubnis aus der Drucksache (Beifall bei der SPD) 11/2854 zitieren, nämlich aus der Begründung zu eben diesem Poststrukturgesetz. Der Veranlasser ist Wir waren auch davon ausgegangen — ich zitiere die Bundesregierung gewesen. Dort steht: fast immer nur die Bundesregierung; es ist eine selt- same Position, die ich hier einnehmen muß —, daß Die gegenwärtige Ablieferung der Deutschen durch Einrichtung der Unternehmensvorstände auch Bundespost an den Bund führt zu Wettbewerbs- die Eigenverantwortung der Vorstände in Unabhän- verzerrungen, Fehlleitungen von Ressourcen und gigkeit von der Politik hervorgehoben werden sollte. zu gravierenden Wachstumsverlusten. Dies gilt Die Tatsache, daß die Bundesregierung, daß der Bun- um so mehr, seit die Ablieferung 1981 despostminister den Vorständen vorgibt, daß sie in — praktisch schon seit 1979 — den Jahren 1991 und 1992 keine Gebührenänderun- gen vornehmen dürfen, weil das nicht in das politische von 62/3 auf 10 % angehoben wurde. Konzept der Bundesregierung paßt, ist ebenfalls ein Wir verkennen nicht, daß wir an der Anhebung da- Beweis dafür, daß dieses Poststrukturgesetz ad absur- mals schuld waren. Aber die Anhebung, die heute von dum geführt wurde. der Bundesregierung vorgelegt wird, nämlich um (Beifall bei der SPD — Zuruf von der SPD: Sie 2 Milliarden DM in diesen zwei Jahren, ist eine Fort- hätten es gleich lassen sollen!) setzung dieser fehlerhaften Politik und führt jetzt zu einer spürbaren Verschlechterung der finanziellen Si- Ein letzter Punkt in dieser Reihe: Wenn man von der tuation der Bundespost. Verantwortung des Eigentümers Bund ausgeht, dann Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 25. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 14. Mai 1991 1705

Arne Börnsen (Ritterhude) wäre es in dieser Situation, wo die Bundespost und Der Minister nimmt im Verhältnis zu den Unterneh- insbesondere Telekom ganz besondere Leistungen in men drei Positionen für sich in Anspruch, die dieses den fünf neuen Bundesländern erbringen müssen und Ungleichgewicht skizzieren. Er ist zum einen der Re- einen enormen finanziellen Kraftakt leisten, um den gulierer, der zwischen den Monopolen der Unterneh- Anforderungen in den neuen Bundesländern gerecht men der Bundespost, den sich im Wettbewerb befind- zu werden, angemessen gewesen, das Eigenkapital lichen Bundespostunternehmen und den p rivaten Un- der Unternehmen der Bundespost zu erhöhen. Statt ternehmen zu regulieren hat. dessen macht man genau das Gegenteil. Man entzieht Er hat zweitens eine Eigentümerrolle wahrzuneh- dem Unternehmen in einer Situation, wo es finanz- men. politisch besonders gefordert ist, 4 Milliarden DM. Er hat drittens eine politische Funktion, die ich hier, (Zuruf von der SPD: Absurd!) glaube ich, ausreichend beschrieben habe. Meine Damen und Herren, wenn man die Bewer- (Dr. Uwe Küster [SPD]: Supermann!) tung des Poststrukturgesetzes aus heutiger Sicht zu- Die Unternehmen der Bundespost sind nicht in der sammenfassend betrachtet, dann kehrt sich die Argu- Lage, mit dieser dreifachen Konstruktion ihre Position mentation der Regierung und der Opposition von 1988 am Markt wirklich zu behaupten. Wenn man dies in und 1989 geradezu um. Vergleich zu der finanziellen Belastung setzt, die durch die Entscheidung der Bundesregierung der Post (Zustimmung des Abg. Dr. Ulrich Briefs gegenüber entstanden ist, dann muß man befürchten, [PDS/Linke Liste]) daß die Politik dieser Regierung die Unternehmen der — Ich bekomme sogar Zustimmung von Herrn Briefs. Bundespost in ein finanzielles Desaster führt. Was ist mit Ihnen los, Herr Briefs? Das verstehe ich gar Ich danke Ihnen. nicht. (Beifall bei der SPD) Die Opposition hat sich damals mit diesem Gesetz sehr schwer getan; ich will das gar nicht verhehlen. Vizepräsident Hans Klein: Ich erteile dem Bundes- Wir haben befürchtet, daß die Gemeinwohlorientie- minister für Post und Telekommunikation, Dr. Ch ri rung der Bundespost in Frage gestellt sein würde. Wir -stian Schwarz-Schilling, das Wort. haben befürchtet, daß sie nicht mehr in der Lage sein würde, ihrem Infrastrukturauftrag nachzukommen. Wir haben befürchtet, daß das Verfahren des Finanz- Dr. Christian Schwarz-Schilling, Bundesminister für ausgleichs unter dem Gesichtspunkt des Poststruktur- Post und Telekommunikation: Herr Präsident! Herr gesetzes nicht mehr so „gehandled" werden könnte Kollege Börnsen! Meine sehr verehrten Damen und wie in der Vergangenheit. Herren! Es ist ja fast schade, daß Sie damals dem Post- strukturgesetz nicht zugestimmt haben; denn dann Heute müssen wir sehen, daß sich diese Befürchtun- könnten Sie die Aussagen, wie gut das Gesetz ist und gen nicht bestätigt haben. Dies gilt dann, wenn ich wie gut die Begründungen sind, natürlich noch mit mich beim Finanzausgleich einmal auf das Verfahren einer ganz anderen Inbrunst hier zelebrieren. Ich beschränke und nicht die Inhalte des Finanzaus- freue mich trotzdem, daß Sie das Gesetz jetzt offen- gleichs heranziehe. Diese Befürchtungen haben sich sichtlich sehr gut finden. nicht bestätigt, vielleicht auch deswegen nicht — das Trotzdem muß ich sagen, es sind hier Un sage ich, ohne übertreiben zu wollen — , weil wir in richtigkei- ten vorgetragen worden. Es ist richtig, die Bundesre- der Endphase der Gesetzesberatung sehr wohl kon- gierung hatte ursprünglich eine erhöhte struktiv haben mitwirken können, weil die Einrich- Abgabe von 2 Milliarden DM pro Jahr — und dies vier Jahre lang tung eines Infrastrukturrates — natürlich gemein- — vorgesehen. Nicht weil die sam — erreicht werden konnte und weil auch die Re- rheinland-pfälzische Wahl gelungen über ein Einvernehmen mit dem Bundes- anstand, sondern bereits in den Monaten Fe- bruar und März stand der Minister für Post und Tele- finanzminister aus dem Gesetzentwurf beseitigt wur- kommunikation in Gesprächen mit dem Finanzmini- den. Aber das ist sicherlich nicht der zentrale Punkt. ster, um dies zu ändern, weil sich eine dramatische Die Regierung hat sich damals zum Ziel gesetzt, Veränderung der finanziellen Lage der Telekom er- Unternehmen zu schaffen, um unternehmensspezifi- geben hatte, die nicht voraussehbar war. Auch im sche Antriebe freizusetzen und um die Unternehmen Wirtschaftsplan der Telekom, der am 15. Dezember am Markt in die Lage zu versetzen, gegenüber p riva- 1990 vom Aufsichtsrat genehmigt wurde, war dies ten Konkurrenten wettbewerbsfähig zu sein. nicht erkannt worden. Es handelt sich um 550 Millio- nen DM, die durch die Tarifverträge, die im Februar/ Heute muß man sehen, meine Damen und Herren, März in unseren östlichen wie in unseren westlichen daß die Postunternehmen und insbesondere die Tele- Bundesländern abgeschlossen wurden, zusätzlich an kom am Hineinreden des Bundespostministers und Personalkosten entstanden sind. der Bundesregierung zu scheitern drohen. Als weiterer Faktor ist auch zu nennen, daß wir den Ich will abschließend drei Merkpunkte nennen, die Wunsch hatten — dazu steht diese Bundesregierung deutlich machen, daß die Bundesregierung dem Post- auch — , die überhöhten Telefongebühren in den strukturgesetz nicht nur nicht gerecht wird, sondern neuen Bundesländern nicht erst im Jahre 1992, son- den Geist dieses Gesetzes ins Gegenteil verkehrt hat dern bereits im Jahre 1991 abzubauen. Das waren wir und daß dieses Gesetz aus heutiger Sicht nicht mehr der Bevölkerung dort schuldig. Das führt zu Minder- geeignet ist, den Bedingungen der Unternehmen der einnahmen bei der Telekom in Höhe von 500 Millio- Bundespost tatsächlich gerecht zu werden. nen DM. Auf Grund dieser zusätzlichen Kostenbela- 1706 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 25. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 14. Mai 1991

Bundesminister Dr. Christian Schwarz-Schilling stung von mehr als 1 Milliarde DM ist das Gespräch Ich würde die Opposition bitten, auch einmal das zwischen den beiden Ministerien in Gang gekom- gesamte Deutschland zu sehen und nicht nur von den men. zehn Freieinheiten zu sprechen, die wir im Westteil Deutschlands jetzt einbüßen und die einen Betrag von Der Sachverhalt im Zusammenhang mit der rhein- 2,30 DM ausmachen, sondern auch auf die Vergünsti- land-pfälzischen Wahl ist anders gewesen: Da hat gungen für den östlichen Teil Deutschlands hinzuwei- eine Boulevardzeitung in Köln am Montag vor der sen: auf die Senkung der Anschlußgebühr, auf die Wahl von einem Geheimplan bezüglich einer zweiten Senkung der Tarife ab 1. Juli 1991. Dann haben Sie Gebührenerhöhung gesprochen, obwohl es gar keine eine gesamtdeutsche Sicht. Gerade hier wäre es an- erste Gebührenerhöhung gab. Alle Agenturen haben gebracht, diese Sicht zu haben. das aufgegriffen. Manche Zeitungen haben aber auch richtig berichtet. Die SPD aber — Entschuldigung, Ich danke Ihnen. wenn ich das so sage — hat auf diese Falschmeldun- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) gen voll gesetzt. Frau Matthäus-Maier wie auch Herr Paterna äußerten den Verdacht, daß die Telefonge- Das Wort hat der Abge- nach der Wahl doch erhöht werden sollten. Vizepräsident Hans Klein: bühren ordnete Dr. Ulrich Briefs. Man sprach von einem Manöver zur Täuschung der Wähler. (PDS/Linke Liste): Herr Präsident! Wer hat denn jetzt vor der Wahl etwas Falsches Dr. Ulrich Briefs Meine Damen und Herren! Das Haushaltsbegleitge- gesagt? Haben wir die Frage der Telefongebühren setz 1991 ist geprägt vom Geist bzw. von dem Ungeist nach der Wahl anders behandelt als vor der Wahl? — der konzeptionslosen Politik der Bundesregierung bei Nein! Es wäre deshalb ganz gut, wenn die SPD diese der Wahrnehmung der Jahrhundertaufgabe der soge- Anschuldigung zurücknimmt. nannten Wiedervereinigung. So begrüßenswert es ist, (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) daß die Bundesregierung soziale Maßnahmen vor Meine Damen und Herren, lassen Sie- mich noch dem Hintergrund der sich anbahnenden Verarmung ganz kurz etwas Weiteres dazu sagen: Wer spricht und auf längere Sicht Verelendung großer Teile der eigentlich heute davon, daß weder 1990 noch 1991 ostdeutschen Bevölkerung treffen will, sie tut es auch noch 1992 Gebührenerhöhungen beim Telefon vorge- mit diesem Gesetz nur halbherzig. Sie tun es in viel zu nommen worden sind oder werden? Das wird für geringem Umfang. Sie klotzen nicht, Sie kleckern. selbstverständlich gehalten. (Widerspruch bei der CDU/CSU) Wer spricht davon, daß am 1. Ap ril nicht — wie es in Sie tun es, als ob Sie die Menschen im Osten des den Zeitungen stand und von manchen Politikern wie- neuen Deutschlands — was immer das ist — als Weg- derholt wurde — eine Gebührenerhöhung, sondern werfbevölkerung oder als Wegwerfgesellschaft be- per saldo eine Gebührenreduzierung in einer Größen- trachten. Und natürlich ergreifen Sie soziale Maßnah- ordnung von 350 Millionen DM vorgenommen men nur unter Druck. wurde? Das ist noch vom alten Verwaltungsrat im Sie wollen die Menschen im Osten, die — wie auch Jahre 1988 beschlossen worden und hat eine kosten- die Eierwürfe von Halle zeigen, die wir nicht für ein orientierte Umstrukturierung der Ta rife zum Gegen- angemessenes Mittel politischer Auseinandersetzung stand, wie sie in aller Welt vorgenommen und von der halten — anfangen, sich zu wehren, die beginnen, Internationalen Fernmeldeunion von jedem Mit- nicht mehr alles mit sich machen zu lassen, bei der gliedsland verlangt wird. Stange Ihrer unzureichenden und unsozialen Politik Wer spricht davon, daß die Deutsche Bundespost halten. Daß sich der Herr Bundeskanzler nach seinem Besuch in Halle und seinen versuchten Tätlichkeiten Telekom die Tarife in den neuen Bundesländern für alle Gespräche im Weitverkehr, also auch in den We- gegenüber Demonstranten sten, ab 1. Juli 1991 zwischen 50 und 70 % reduzieren (Lachen bei der CDU/CSU und der FDP — wird, damit sie an das Westniveau angepaßt wer- Dr.-Ing. Dietmar Kansy [CDU/CSU]: Stasi! den? Stasi!) Wer spricht davon, daß in den neuen Bundeslän- vor allem Sorgen um sein politisches Image macht, dern die einmalige Anschlußgebühr ab 1. Juli 91 von sich jedoch nicht fragt, welche Empörung, welche 150 DM auf 65 DM herabgesetzt wird? Sorge ums Leben und Überleben in solchen Szenen zum Ausdruck kommt, ist bezeichnend für Ihre Ein- Wer spricht davon, daß die 30 Freieinheiten für stellung gegenüber der Bevölkerung der früheren Sozialanschlüsse in den neuen Bundesländern erst- DDR. mals ab 1. Juli 1991 eingeführt werden? Wir fordern Sie auf, Ihre Einstellung zu der Bevöl- Meine Damen und Herren, die ganze Debatte über kerung der früheren DDR, wie sie eben u. a. auch im die Telefongebührenerhöhung hat zwei Schieflagen: Haushaltsbegleitgesetz 1991 zum Ausdruck kommt, erstens eine falsche Wahlpropaganda, zweitens eine grundlegend zu ändern. Wir fordern Sie auf, sich um völlig einseitige, westorientierte Sicht, ohne jede die Menschen und ihre soziale Lage — und das wirk- Rücksicht darauf, was erforderlich ist, um der Bevöl- lich — zu kümmern, statt zu versuchen, die Menschen kerung der fünf neuen Bundesländer eine Anglei- bloß kurzfristig einzulullen. chung zuteil werden zu lassen. Unter Berücksichti- Konkret: Binden Sie die Mietentwicklung in sozial gung all dieser Punkte hätte die Debatte geführt wer- verträglicher Weise an die Einkommensentwicklung den müssen. gerade für die vielen sozial Schwachen. Konkret: (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Greifen Sie die Vorschläge der Memo-Gruppe oder Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 25. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 14. Mai 1991 1707

Dr. Ulrich Briefs unsere eigenen auf — wie sie der Kollege Zimmer- Die Wirtschaftsforschungsinstitute haben in ihrem mann auch dargelegt hat — , die detailliert und präzise jüngsten Bericht festgestellt, daß die staatlichen För- aufgezeigt haben, wie sich ohne unsoziale Belastun- derungen in Ostdeutschland für Investoren inzwi- gen ökologisch und sozial sinnvolle Arbeitsmöglich- schen eine Art Oase geschaffen haben. Insgesamt keiten in großem Umfang in den östlichen Ländern dürften im laufenden Jahr öffentliche Leistungen in schaffen lassen. einer Größenordnung von annähernd 100 Milliarden Sorgen um Ihr Image statt wirksame Notprogramme DM aus West- nach Ostdeutschland fließen. Das ist — das ist angesichts der Probleme und der Not im rund die Hälfte des ostdeutschen Sozialprodukts. Osten nun wirklich unangebracht. (Zuruf von der FDP: Das ist wahr!) Danke. Ein großer Teil der staatlichen Mittel geht gegen- (Beifall bei der PDS/Linke Liste) wärtig noch in den Konsum, hier insbesondere für die soziale Abfederung. Das Auseinanderlaufen der ge- Vizepräsident Hans Klein: Das Wort hat die Abge- samtwirtschaftlichen Nachfrage und der Produktion ordnete Ina Albowitz. wird gegenwärtig weitgehend vom Staat finanziert. Trotzdem ist die Situation nicht bef riedigend. Die Un- geduld wächst. Soziale Spannungen sind vermehrt zu Ina Albowitz (FDP): Herr Präsident! Meine sehr ver- verzeichnen. ehrten Damen und Herren! Herr Briefs, wenn ich Sie manchmal reden höre, wünschte ich mir, Sie wären in Sosehr ich die Ungeduld der ostdeutschen Mitbür- der Ausschußberatung dabeigewesen. Dann wüßten ger verstehen kann, sollte man jedoch dabei berück- Sie hinsichtlich des Gesetzes, wovon wir reden. sichtigen, daß es den marktwirtschaftlichen Urknall nicht gibt. Wir befinden uns in einer Situation und (Dr. Ulrich Briefs [PDS/Linke Liste]: Das soll Entwicklung, für die es vorher keine Beispiele gege- ten Sie sich nicht wünschen! Dann würden ben hat. Was jetzt stattfindet, meine Damen und Her- manche Ihrer Argumente etwas ärmlicher- ren, ist die Reparatur von über 40 Jahren Mißwirt- dastehen!) schaft und Ausbeutung der Menschen. Diese tiefen — Doch, es macht immer Freude, mit Ihnen zu disku- Wunden heilen nicht innerhalb von wenigen Mona- tieren, vor allen Dingen dann, wenn man Ihnen etwas ten. beibringen kann. Man muß sich einmal vor Augen halten, daß ein für Durch die enormen, bis an die Schmerzgrenze ge- uns relativ normaler Vorgang wie z. B. der Bau eines henden finanziellen Herausforderungen durch die Hauses vom Entschluß bis zur Fertigstellung, also Pla- deutsche Vereinigung sowie die eben nicht voraus- nung, Baugenehmigung, Bauausführung, mindestens sehbaren Finanzbelastungen durch den Golfkrieg anderthalb bis zwei Jahre dauert. Allein dieses Bei- mußten die ursprüngliche Haushaltsplanberatung spiel zeigt auf, daß man nicht erwarten kann, daß nach 1991 und die mittelfristige Finanzplanung durch das dem 3. Oktober von heute auf morgen alles besser Ihnen vorliegende Entlastungspaket korrigiert wer- wird. Wir werden auch in den folgenden Haushalts- den. Das Haushaltsbegleitgesetz, das wir heute in jahren noch mit großen, ja größten Schwierigkeiten zu letzter Lesung im Reichstagsgebäude verabschieden, kämpfen haben. sieht Entlastungen vor, die der Haushaltsausschuß so- zusagen in Notariatsfunktion federführend beraten Trotzdem werden wir die Situation nur meistern, hat. wenn wir eisern an den beschlossenen Eckwerten festhalten. Diese sehen vor, daß die Nettokreditauf- Hierzu zählen u. a. die Sonderablieferungen der nahme unter 70 Milliarden DM bleibt, in den Folge- Deutschen Bundespost, die Umschichtung von Inve- jahren wieder auf 30 Milliarden DM zurückgeführt stitionsmitteln für den kommunalen Straßenbau in wird und daß der Bundeshaushalt so restriktiv wie den neuen Bundesländern, die Aufhebung der Aus- möglich gefahren wird. gleichspflicht des Bundes für einen Teil des öffentli- chen Personennahverkehrs, Zinszuschüsse erhebli- Die letzte Aussage bedeutet konsequentes Durch- chen Ausmaßes sowie Verbesserungen im Sozialbe- forsten aller Ausgabenansätze und die Umsetzung reich. des seit Jahrzehnten angekündigten Subventionsab- Besonders erwähnenswert erscheint mir die Neure- baus. Dazu haben wir heute morgen in der Debatte gelung des Finanzausgleichs mit dem Ziel, die schon einiges gehört. Bei der Gelegenheit weise ich Finanzsituation der neuen Länder, aber auch der Ge- noch einmal ausdrücklich auf die Initiative von Bun- meinden deutlich zu verbessern. Zu erwähnen sind deswirtschaftsminister Jürgen Möllemann hin, der die der Verzicht des Bundes auf seinen Anteil des Fonds tatsächliche Umsetzung des Subventionsabbaus in ei- „Deutsche Einheit" sowie eine deutliche Steigerung ner Größenordnung von 10 Milliarden DM, begin- der Mittel im Bereich des kommunalen Straßenbaus nend ab dem Haushalt 1992, zur conditio sine qua non und des ÖPNV. Kurz gesagt: Im Haushaltsbegleitge- gemacht hat. Ich bin sicher, daß die Bundesregierung setz sind die gesetzlichen Anpassungen zusammen- diese Aufgaben meistern wird. gefaßt, die notwendig waren, um die strukturelle An- Dies ist auch notwendig, meine Damen und Herren. passung im Beitrittsgebiet sowie die Finanzausstat- Wenn ich die Aussagen des vertraulichen McKinsey tung der neuen Bundesländer erheblich zu verbes- Gutachtens — pikanterweise muß man als Parlamen- sern. Mit diesem massiven staatlichen Mitteleinsatz tarier dies ja dem gestern erschienenen „Spiegel" ent- versuchen wir, die öffentliche Infrastruktur, aber auch nehmen — richtig deute, bleibt uns eigentlich auch private Investitionen in den neuen Bundesländern zu keine andere Wahl. Dort wird ausgeführt — ich zi- fördern. tiere — : 1708 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 25. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 14. Mai 1991

Ina Albowitz Innerhalb der Bundesrepublik droht die Bela- Damit kommen wir zum Tagesordnungspunkt 4, stung der öffentlichen Haushalte und der Unter- den ich hiermit aufrufe: nehmen das tragbare Maß zu überschreiten — wenn nicht in bisher unvorstellbarem Umfang Zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Einsparmöglichkeiten in anderen Bereichen ... Gesetzes zur Änderung wohngeldrechtlicher konsequent genutzt werden. Vorschriften — Artikel 5 und 6 aus Drucksachen 12/221, Dem, meine Damen und Herren, ist nichts hinzuzufü- 12/401 — gen. Lassen Sie mich zum Schluß bei dieser Gelegenheit a) Beschlußempfehlung und Bericht des Aus- auch ein langsam wirklich unerfreuliches Thema an- schusses für Raumordnung, Bauwesen und schneiden, nämlich das der immer wiederkehrenden Städtebau (19. Ausschuß) Forderung nach zusätzlichen Mitteln durch den säch- — Drucksache 12/495 — sischen Ministerpräsidenten . Berichterstatter: (Zurufe von der FDP: Richtig!) Abgeordnete Siegfried Scheffler Dr.-Ing. Dietmar Kansy Wer sich in Kenntnis der umfangreichen Hilfe für die ehemalige DDR mit ständig neuen Mehranforderun- b) Bericht des Haushaltsausschusses (8. Aus- gen zu profilieren versucht, belastet das Klima und schuß) gemäß § 96 der Geschäftsordnung erzeugt bei Bürgern und Wirtschaft Unsicherheit. Be- — Drucksache 12/568 — reits mit dem Abschluß des Bundeshaushaltes 1990 Berichterstatter: haben wir feststellen müssen — und Sie wissen das alle —, daß Fördermittel in Milliardenhöhe nicht ab- Abgeordnete Dr. Wolfgang Weng (Gerlingen) geflossen sind. Das liegt daran, daß Verwaltungen bzw. Institutionen noch nicht so arbeitsfähig sind, wie Dr. Nils Diederich (Berlin) wir uns das wünschen. Aber der tägliche Ruf nach (Erste Beratung 13. und 23. Sitzung) zusätzlichen Mitteln führt dazu, daß die Opferbereit- Hierzu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion der schaft und die Solidarität der Bürger in den alten Bun- SPD vor. Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat ist desländern nicht gerade zunehmen. Biedenkopf redet für die Aussprache wiederum eine halbe Stunde vor- künstlich einen Gegensatz zwischen alten und neuen gesehen. Sind Sie damit einverstanden? — Ich sehe Bundesländern herbei. und höre keinen Widerspruch. Dann ist das so be- (Uwe Lambinus [SPD]: Unmöglich!) schlossen. Wir sollten endlich mit dem Jammern aufhören und Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abge- statt dessen die vor uns liegenden Probleme zügig und ordnete Dietmar Kansy. motiviert anfassen. Die FDP-Fraktion gibt dem Haushaltsbegleitgesetz ihre Zustimmung. Ich danke Ihnen. Dr.-Ing. Dietmar Kansy (CDU/CSU) : Herr Präsi- (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) dent! Meine Kolleginnen und Kollegen! Die abschlie- ßende Beratung des Wohngeldsondergesetzes hier im Berliner Reichstagsgebäude hat, meine ich, fast sym- Vizepräsident Hans Klein: Ich schließe die Ausspra- bolischen Charakter. Hier in Berlin, wo nach der Wie- che. dervereinigung Ost und West am unmittelbarsten mit- einander verwoben sind, schließen wir die Beratung Wir kommen zur Einzelberatung und Abstimmung eines Gesetzes ab, das beispielhaft dafür ist, wie wir über den Entwurf des Haushaltsbegleitgesetzes 1991 die schwierigen Jahre des Zusammenwachsens ge- auf den Drucksachen 12/221, 12/401, 12/461 und meinsam meistern können. 12/581. Ich rufe Artikel 1 bis 10, Einleitung und Über- schrift in der Ausschußfassung auf. Wer den aufgeru- Wie stellt sich die Situation dar? Mit Mieten im Be- fenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte reich der früheren DDR, deren Höhe noch aus der Hit- ich um ein Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — ler-Zeit stammt, wollte man eine besonders soziale Wer enthält sich der Stimme? — Die aufgerufenen Wohnungspolitik machen. Das Ergebnis war: verfalle- Vorschriften sind angenommen. Damit ist die zweite ner Wohnraum in Millionenhöhe, zerstörte Innen- Beratung abgeschlossen. städte, kein Geld für Modernisierung, umweltfeindli- Wir treten in die che Heizungssysteme, Wohnungsnot. Würde man ausschließlich nach den Gesetzen der Marktwirt- dritte Beratung schaft gehen, müßte man die Mieten zügig wenig- ein und kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem stens auf kostendeckende Beträge erhöhen, um den Gesetzentwurf zuzustimmen wünscht, den bitte ich, Verfall zu stoppen und auch Neubau zu ermögli- sich zu erheben. — Wer stimmt dagegen? — Enthal- chen. tungen? — Aber wir haben in der Bundesrepublik Deutschland Der Gesetzentwurf ist mit den Stimmen der Koali- eben nicht einen Laissez-faire-Kapitalismus, sondern tionsfraktionen gegen die Stimmen der SPD bei Ent- wir haben Soziale Marktwirtschaft. Vor diesem Hin- haltung der Stimmen der Gruppen PDS/Linke Liste tergrund wäre eine Mietanpassung auf westliches Ni- und Bündnis 90/GRÜNE angenommen. veau, wobei im Westen im übrigen auch gesetzliche Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 25. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 14. Mai 1991 1709

Dr.-Ing. Dietmar Kansy Begrenzungen vorhanden sind, von vornherein nicht Rentnerin wird einen erheblichen Teil ihrer Miete möglich gewesen. über dieses Sonderwohngeld bekommen. Die Mietverordnungen, die die Bundesregierung Auf der anderen Seite: Ein Maurer aus Potsdam, zusammen mit dem Bundesrat dazu erläßt und die hier in der Nachbarschaft, der im früheren West-Ber- heute nicht Bestandteil dieses Gesetzes sind, tragen lin arbeitet und genausoviel wie sein Kollege aus diesem Gesichtspunkt bereits Rechnung. Wenn sie Schöneberg verdient, kann nicht erwarten, daß dieser nunmehr insbesondere auf Wunsch der ostdeutschen Kollege ihm die wesentlich billigere Miete in Potsdam Bundesländer zum 1. Oktober dieses Jahres in Kraft aus seinen Steuermitteln finanziert. Auch dies ist ein treten, liegen sie weiterhin erheblich unter westdeut- Stück Gerechtigkeit. schem Niveau. Sie sind die unterste Grenze dessen, Wir haben dieses was notwendig ist, um den Wohnraum in Ostdeutsch- Sonderwohngeld so geschaffen, daß, im Vergleich zur Bevölkerung von Westdeutsch- land zu erhalten. Doch selbst diese, gemessen an den ökonomischen Notwendigkeiten immer noch nicht land, die unter Berücksichtigung des Wohngeldes im ausreichende Mieterhöhungsmöglichkeit würde ei- Westen gut 20 % ihres Monatseinkommens für die nen Teil der Menschen in den neuen Bundesländern Bruttokaltmiete ausgibt, die Familien in den ostdeut- überfordern. schen Bundesländern auf Grund dieses Wohngeldes im Schnitt etwa 10 % ihres Einkommens für die Brut- Im Einigungsvertrag wurde festgelegt, daß die Mie- tokaltmiete werden ausgeben müssen. ten entsprechend den Einkommens- und Rentenstei- gerungen schrittweise an westdeutsches Niveau her- Dies sind die Idee und die Leitlinie dieses Wohn- angeführt werden sollen. Dies heißt übrigens wegen geldsondergesetzes. der unterschiedlichen Qualität der Wohnungen auch Entsprechend den Anregungen des Bundesrats, ins- nicht, daß sie unbedingt westdeutsches Niveau errei- besondere der ostdeutschen Bundesländer, wird in chen sollen und werden. Ziel unserer Politik, Ziel auch diesem neuen Wohngeldrecht-Ost eine gegenüber er- des Gesetzentwurfs, den ich hier für die CDU/CSU- sten Vorstellungen der Koalition wesentlich verein- Fraktion vertrete, ist es, entsprechend den Schritt für fachte Regelung vorgesehen. Abweichend von dem Schritt steigenden Einkommen und Renten im Bereich westdeutschen Wohngeld werden auch Sonderrege- der neuen Bundesländer den Anteil des monatlichen lungen über die Berücksichtigung von Heizungs- und Familieneinkommens für das Wohnen ebenfalls Warmwasserkosten getroffen, da die Mieter in den Schritt für Schritt zu erhöhen. neuen Bundesländern zumindest heute sehr oft noch Angesichts der bereits heute sehr unterschiedlichen keinen Einfluß darauf haben, wie hoch der Wasser- und der Energieverbrauch sind. Einkommensentwicklung in den neuen Bundeslän- dern, sei es durch unterschiedliche Tarifverträge, die Die vereinfachte Regelung berücksichtigt auch die ja teils schon bei 70 % und teils noch bei 35 To sind, sei inzwischen vom Bundesrat beschlossene Begrenzung es durch vorübergehende Arbeitslosigkeit, sei es der umlagefähigen Kosten für Heizung und Warm- durch Arbeitsverhältnisse Hunderttausender zwi- wasser auf 3 DM statt 2 DM je qm Wohnfläche und schen Ost und West pendelnder Arbeitnehmer, und Monat. auf Grund vieler anderer Faktoren ist es nicht mög- lich, dies so zu tun, daß man für den gesamten Woh- Vor allen Dingen, meine lieben Kolleginnen und nungsbestand der ehemaligen DDR oder für gewisse Kollegen: Mit der schnellen Verabschiedung des Ge- räumliche Bereiche gleichermaßen verfährt. setzes am heutigen Tag und in wenigen Tagen im Bundesrat ist außerdem die Gewähr dafür gegeben, Wir haben deswegen auf ein bewährtes Instrument daß in den ostdeutschen Ländern und Gemeinden zurückgegriffen, das schon in der alten Bundesrepu- ausreichend Zeit vorhanden ist, sich auf die Auszah- blik dazu diente, persönliche Überforderung durch zu lung dieses Wohngelds vorzubereiten. hohe Mieten individuell zu verhindern. Es ist die Idee des Wohngelds. Dieses ist keine erweiterte Sozial- Zum Abschluß zwei Bitten: Die erste Bitte geht an hilfe, sondern im Gegensatz zu der in der früheren die westdeutsche Bevölkerung: Haben Sie Verständ- DDR praktizierten flächendeckenden Subventionie- nis für dieses Gesetz, auch für die Kosten, die damit rung von Wohnraum eine individuelle Subventionie- verbunden sind! Denn die Menschen in Ostdeutsch- rung des Wohnens. land haben in anderen Lebensbereichen schon erheb- liche Nachteile; neben den Kosten des Wohnens gibt Wir sind der Auffassung, daß das Wohngeld glei- es ja auch noch die Kosten der Unterhaltung, der Er- chermaßen die gerechte Behandlung der betroffenen nährung, der Kleidung, der Post, der Bahn usw., die Mieter in den neuen Bundesländern ermöglicht, aber wesentlich schneller gestiegen sind als die Einkom- auch die Legitimation für viele Familien in den alten men und die Renten in der ehemaligen DDR. Haben Bundesländern ist, die heute wesentlich höhere Mie- Sie also Verständnis, wenn wir diese Sonderregelung ten bezahlen und über Milliarden von Steuermitteln treffen! — wir werden allein für das Wohngeld-Ost im näch- sten Jahr ungefähr 3 Milliarden DM aufwenden müs- Meine Bitte an die Bevölkerung in den neuen Bun- sen — dieses Wohngeld mitfinanzieren. desländern: Haben Sie Vertrauen zu dieser Lösung, die die Kombination darstellt zwischen begrenztem Das heißt in der Praxis z. B.: Eine Rentnerin aus Mietanstieg und Sonderwohngeld! Wir werden die Leipzig mit 600 DM Monatseinkommen hat Anspruch Bundesregierung, aber auch die Fraktionen in den auf Solidarität aller Deutschen in Ost und West, wenn nächsten Wochen bis in jeden Haushalt hinein aus- sie die zur Erhaltung dieser Wohnung dringend not- führlich informieren, damit Sie in der Lage sind, mit wendigen Mieterhöhungen nicht tragen kann. Diese diesem Gesetz zu arbeiten. Ich bin sicher, daß wir eine 1710 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 25. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 14. Mai 1991

Dr.-Ing. Dietmar Kansy Regelung getroffen haben, die der Situation angemes- auch vor allem vor dem Hintergrund einer abweichen- sen ist. den Entscheidung des Bundesrates, kräftig beim (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Springen mitgeholfen. Aber immerhin! So mußte letztendlich die Bundesregierung bei der Vorlage ei- Vielen Dank. nes ersten gesamtdeutschen Haushaltes, bei den Fest- legungen aus dem Einigungsvertrag hinsichtlich der Vizepräsident Hans Klein: Das Wort hat der Herr Mietenentwicklung und ihrer Belastung Farbe beken- Kollege Siegfried Scheffler. nen, wobei sich die tiefschwarze Anfangsfarbe bei der Gesetzesentwicklung der letzten Monate in eine freundlichere, dem Monat Mai entsprechende Fär- Siegfried Scheffler (SPD): Herr Präsident! Meine bung mit einem kräftigen Schuß Rot verändert hat, Damen und Herren! Wie auf den meisten Feldern ge- genwärtiger deutscher Innenpolitik haben sich auch (Beifall bei Abgeordneten der SPD) vor dem Hintergrund einer sich drastisch verschlech- ternden Wohnraumversorgung in allen Bundeslän- nicht nur was die veränderten Mehrheitsverhältnisse dern die Alltagsthemen der deutschen Einheit bei im Bundesrat betrifft. An dieser Stelle sollten wir ruhig dem überwiegenden Teil der Bevölkerung breitge- den zuständigen Fachministern und Senatoren im macht: Alltagsthemen, die die Sicherheit um den Ar- Bundesrat für die geleistete Arbeit und das Ergebnis beitsplatz und die Bezahlbarkeit ihrer Wohnung bei ihrer Arbeit danken, ein Ergebnis, das letztendlich Befragung in den neuen Bundesländern als meistge- entscheidend dazu beigetragen hat, daß der jetzt vor- nannte Sorge und Nöte der Menschen in den Vorder- liegende Text zur Verabschiedung durch den Deut- grund stellen. Dabei lernen nicht nur die ständig stei- schen Bundestag, vorbereitet werden konnte. Es ist gende Zahl von Arbeitslosen und Kurzarbeitern in den ein erster konkreter Schritt, der die notwendigen Rah- neuen Bundesländern die Kehrseite der Medaille menbedingungen zur Anhebung der Grundmieten „Marktwirtschaft" kennen. Leider lernen nur wenige sowie der Umlage der Betriebskosten einschließlich die von Ihnen, Herr Kansy, angesprochene- soziale der Kosten für Heizung und Warmwasser schafft. Bei- Seite der Marktwirtschaft kennen. des soll zum 1. Oktober in Kraft gesetzt werden. Hunderttausende einkommensschwache Bürger Auch hier hatte die Bundesregierung noch bis zu- sehen deshalb der heutigen dritten Beratung zur letzt als Termin den 1. August vorgesehen, einen Ter- Wohngeldproblematik mit großer Spannung entge- min, der Anfang des Jahres schon einmal für den gen. Es ist immer wieder traurig, wie wenige Parla- 1. April — vielleicht als Aprilscherz, allerdings als ein mentarier hier auch einer solchen grundsätzlichen schlechter — vorgesehen war. Bezeichnend hinsicht- Debatte zuhören. lich der Terminlage ist auch die Tatsache, daß nicht Es ist deshalb wichtig, daß bei dieser Wohngeld- etwa die Bundesbauministerin die Verantwortung für problematik schon von vornherein klar war, daß vor den späteren Zeitpunkt übernimmt; nein, sie schiebt dem Hintergrund einer immer schneller verfallenden ihre Verantwortung allein auf die neuen Bundeslän- Bausubstanz die bisher künstlich niedrig gehaltenen der. Mieten keinen Bestand haben können. Die Städte Ro- (Dr. Walter Hitschler [FDP]: Gut so!) stock, Stralsund, Leipzig, Weimar, Erfurt, um nur ei- nige zu nennen, zeigen uns das Ergebnis, ein Ergeb- Damit werden allen Ländern des Beitrittsgebietes nis, entstanden durch ein aufgeblasenes Subventions- ganz locker die Kosten für den Ausgleich der Mieten- system, einer frustrierenden Mietenpolitik der ehema- defizite aufgebrummt. Meine Damen und Herren der ligen DDR. Dabei wurden natürlich die Subventionen Koalitionsparteien, das ist doch wohl nicht sozialver- träglich und schon gar nicht solidarisch. Davon war den privaten Mietshausbesitzern nicht gewährt. doch vorhin sehr oft die Rede. Ich bezweifle, daß bei Die SPD-Fraktion des Deutschen Bundestages wies den riesigen Finanzlöchern in den neuen Bundeslän- deshalb schon frühzeitig auf notwendige Steigerun- dern diese Defizite — auch bei der erwarteten Mieten- gen der Belastung bei gleichzeitiger sozialer Abfede anhebung — getragen werden können. Die SPD- rung hin. Es war zwingend notwendig, daß im Eini- Fraktion wird sich deshalb weiterhin dafür einsetzen, gungsvertrag bei entsprechender Einkommens- und daß auch nach der Verabschiedung des Haushalts '91 Rentenentwicklung in den neuen Bundesländern die die entstehenden Ausgleichszahlungen wie bisher Steigerung der Belastung der Wohnkosten festge- aus dem Bundeshaushalt finanziert werden. schrieben wurde. Ausdrücklich wurde der sozialver- träglichen Komponente entsprechende Priorität ein- Vielleicht verstehe ich jetzt die Ausführungen der geräumt. Bundesbauministerin zur freien Interpretation des Ei- Um so mehr begrüßt es die Fraktion der SPD im nigungsvertrages besser. Sie erklärte am 6. Februar Deutschen Bundestag, daß die Bundesregierung jetzt vor dem Deutschen Verband für Wohnungswesen, über ihren eigenen Schatten gesprungen ist und die Städtebau und Raumordnung ganz frei, daß bereits soziale Seite der Marktwirtschaft auf dem Gebiet der mit den Regelungen des Einigungsvertrages die Miet- Mietenentwicklung mit dem Sonderwohngeldgesetz preise für neugebaute Wohnungen weitgehend frei für die neuen Bundesländer mitträgt. vereinbart werden; so frei, daß wir täglich — auch in durchaus seriösen Blättern — etwas über einen Woh- (Zuruf von der SPD: Sie zeigt sich lernfä nungsmarkt wie im Wilden Westen lesen können, ei- hig!) nem Wohnungsmarkt, auf dem das Recht des Stärke- Sicher haben die Kolleginnen und Kollegen der Koali ren zählt. tionsparteien im Ausschuß, entsprechend der sach- und fachgerechten Auseinandersetzung, aber sicher (Zuruf von der SPD: Hört! Hört!) Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 25. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 14. Mai 1991 1711

Siegfried Scheffler Vielleicht war es auch deshalb notwendig, daß die wohngelds anläßlich der zu erwartenden Mieterhö- Konferenz der für das Bau-, Wohnungs- und Sied- hungen gesichert wird. Dem wurde Rechnung getra- lungswesen zuständigen Minister und Senatoren der gen. Die durchschnittliche Bruttokaltmiete wird in Länder am 22. Februar dieses Jahres in Leipzig kon- etwa 10 % des zur Verfügung stehenden Einkommens krete Forderungen an die Wohnungspolitik betreffs bzw. der Rente betragen. Mieten und sozialverträglicher Wohngeldregelungen Rechnung getragen wurde auch der Forde rung gestellt hat und in dem Tagesordnungspunkt „Miet- nach einer erheblichen Verfahrenserleichterung bei recht" entsprechende Beschlüsse gefaßt worden sind. der Wohngeldermittlung und Wohngeldgewährung. Die Forderungen der Minister und Senatoren waren Entgegen den bisher seitens der Bundesregierung wohlbegründet; denn noch am 20. Februar 1991 lag vorgestellten Regelungen gibt es jetzt ein wesentlich seitens der Bundesregierung kein konkretes Konzept vereinfacht zu ermittelndes und endgültiges Wohn- zur mittelfristigen Gestaltung der Mieten und ihrer geld. Aus Gründen der Verwaltungsvereinfachung sozialen Abfederung vor. wurde dabei auf die Verrechnung der vorab zu lei- Für die Bundesregierung sprangen die Koalitions- stenden Pauschalbeträge verzichtet. Das ist ein ent- parteien in den Ring, die am 3. März einen ersten Ent- scheidender Fortschritt. wurf zum Haushaltbegleitgesetz vorlegten. Nicht zufrieden sein können wir indes mit dem be- Erst mit einem weiteren Antrag der SPD-Fraktion grenzten Zeitraum bis zum 31. Januar 1993 bei der vom 13. März zur Mietenentwicklung einschließlich Beantragung. Hierzu hat die SPD ihre Forde rungen in sozial flankierender Maßnahmen wurde die Bundes- einem weitergehenden Antrag vorgelegt, der über regierung aufgeschreckt. Dabei wurden schon in der den 31. Dezember 1994 hinausgeht. Er wurde vorhin ersten von der SPD-Fraktion beantragten Aktuellen bereits angesprochen. Stunde zur Wohnungs- und Mietenproblematik für Wir werden uns der Forde rung des Bundesrats und die neuen Länder am 20. Februar '91 konkrete Forde- dem Gesetzestext zur Anhebung der Kappungs- rungen eingebracht. Ich denke beispielsweise an un- - grenze für die Umlage der Heizungs- und Warmwas- sere Forderung der Mietbelastungsbegrenzung von serkosten von 2 DM auf 3 DM pro Quadratmeter an- durchschnittlich 10 % für alle Haushalte sowie als schließen, obgleich die SPD-Fraktion einen Höchst- Obergrenze für einkommensschwache Haushalte, an satz von 2 DM pro Quadratmeter vorsah. Der Hinter- die Einbeziehung der Belastung aus Heizung und grund dafür ist, daß durch eine weitere Subventionie- Warmwasser in ein Sonderwohngeld sowie an den rung dieser Kosten Mieter von Altbauwohnungen be- Zeitraum der Sonderregelung über das Jahr 1993 hin- nachteiligt wären, da sie ebenfalls ohne eigenes Ver- aus. schulden überhöhte Preise für Heizenergie zu zahlen Meine Damen und Herren der Koalitionsparteien hätten. Für nicht abgedeckte Heizkosten ist weiterhin — ich darf das hier ruhig einmal sagen — : Wir freuen eine zeitlich begrenzte Subven tion zu zahlen. uns, daß Sie Lernfähigkeit bewiesen haben und zu- Meine Damen und Herren, lassen Sie mich ab- mindest über die Stationen 3., 11., 19., 22., 27. März schließend deutlich zum Ausdruck bringen, daß es sowie zweimal im Ap ril und selbst noch am 2. Mai und unsinnig ist, daß auf der einen Seite über Jahrzehnte letztendlich mit dem Entwurf am 7. Mai sich den For- subventionierte Mieten vorurteilsfrei hingenommen derungen des Bundesrates und der SPD weitestge- wurden, auf der anderen Seite aber Wohngeld als hend angeschlossen haben. Almosen abgestempelt wird. Diese Ausführungen (Dr. Walter Hitschler [FDP]: Sie belieben zu mache ich insbesondere in Richtung PDS. Hier sollten scherzen!) alle Parteien in den nächsten Wochen ausdrücklich sachliche und nicht von Polemik geleitete Aufklä- Dabei hatte sich die Bundesregierung schon nach rungsarbeit leisten. der Bundesratssitzung am 26. Ap ril den Argumenten der Landesminister und Senatoren angeschlossen und deshalb, weil notwendig, den Gesetzentwurf noch- mals verändert. Vizepräsidentin : Herr Kollege, kommen Sie bitte zum Schluß. Dazu eine Anmerkung: Wir alle, die wir im Aus- schuß mit den ständig wechselnden Sachständen kon- frontiert wurden — bei teilweise fehlender Formulie- rungshilfe — , empfanden es über alle Parteigrenzen Siegfried Scheffler (SPD): Wohngeld ist eine Lei- hinweg als unmöglich, was den Parlamentariern sei- stung der Wohnungspolitik und in diesem vorliegen- tens des Bundesbauministeriums zugemutet wurde. den Wohngeldsondergesetz auch ein Stück sozialer Komponente der Marktwirtschaft, die unseren Bürge- Aber vielleicht meint es die Bundesbauministerin rinnen und Bürgern in den neuen Bundesländern hilft, ernst, wenn sie sagt, daß die Bundesregierung zu ihrer unverträgliche Härten bei der Mietennovellierung zu wohnungspolitischen Mitverantwortung — nicht Ver- überstehen. antwortung, sondern Mitverantwortung — steht und daß die eigentliche Verantwortung für sozialpolitische Vor diesem schwierigen sozialen Hintergrund hält Fragen — so auch für Mieten und Wohngeld in den es bei aller Problematik im Vorfeld der Erarbeitung neuen Bundesländern — bei der SPD liegt. die SPD-Fraktion für erforderlich, dem Gesetzentwurf ihre Zustimmung in der dritten Lesung nicht zu versa- Wir haben deshalb richtigerweise die Entschei- gen. dungsargumente rechtzeitig geliefert. Hier mußte bei- spielsweise durchgesetzt werden, daß eine verwal- Vielen Dank. tungsmäßig beherrschbare Einführung eines Sonder (Beifall bei der SPD) 1712 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 25. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 14. Mai 1991

Vizepräsidentin Renate Schmidt: Das Wort hat der stens die Einkommensermittlung stark vereinfacht, Kollege Dr. Walter Hitschler. zweitens die für die Bewilligung maßgebenden Vor- schriften reduziert, drittens die Ermittlung der Miete Dr. Walter Hitschler (FDP): Frau Präsidentin! Meine oder Belastung durch den Wegfall zahlreicher Bestim- sehr verehrten Damen und Herren! Ich habe das Ge- mungen entkompliziert, die Anwendung zahlreicher fühl, daß der Kollege Scheffler die Fristen bezüglich Verwaltungsvorschriften ausgesetzt, die Antragsfor- des Wohngeldsondergesetzes etwas durcheinander mulare vereinfacht und die Zahl der Wohngeldtabel- gebracht hat und bei seiner Aufzählung etwas durch- len auf fünf reduziert. einandergeraten ist. Das geht sogar soweit, daß die Obschon die Wohngeldstellen in der Tat zahlreiche Daten in dem schriftlich vorgelegten Antrag nicht Anträge zu bearbeiten haben werden, wäre es ange- stimmig sind. Es gibt beispielsweise Differenzen zwi- sichts dieses vereinfachten Verfahrens nach unserer schen den Angaben im Antrag und in der Begrün- Auffassung möglich gewesen, die Regelung zum dung. 1. August 1991 in Kraft zu setzen. Der Bundesrat hat Mit der heute abschließenden Zustimmung zu ei- sich bedauerlicherweise für den Weg des geringsten nem Wohngeldsondergesetz für das Beitrittsgebiet Widerstandes und ein Inkrafttreten erst zum 1. Okto- werden die durch die Grundmieten- und Betriebsko- ber 1991 entschieden. Mit dieser Entscheidung scha- stenverordnungen eingeleiteten Anpassungen des den die Ministerpräsidenten der Bauwirtschaft in den bisherigen Mietunwesens der DDR durch eine Rege- neuen Bundesländern, denn die spätere Mietanhe- lung ergänzt, die die erforderlichen Mietanhebungen bung wird zu erheblichen Verzögerungen bei der Mo- durch eine verwaltungstechnisch einfache und groß- dernisierung und Instandsetzung des Wohnbestandes zügige Subjektförderung abmildert. Damit wird auch führen. Die Länder belasten mit diesen Entscheidun- das Wohngeld in den neuen Bundesländern zu einem gen im übrigen ihre eigenen Haushalte, da mit etwa zentralen wohnungspolitischen Instrument zur all- 3 Milliarden DM notwendigen Mietsubventionen ge- mählichen Heranführung des Mietensystems an ein rechnet werden muß. realistisches Marktniveau und zum zentralen- Instru- Die Ministerpräsidenten müssen sich darüber im ment der sozialen Abfederung der Wohnkostenbela- klaren sein, daß der Bund nicht auch noch für diese stung. Seine Geltung ist für einen Übergangszeitraum selbstverschuldeten Haushaltsbelastungen etwa Aus- bis zum 1. Januar 1995 vorgesehen, um die im Eini- gleichsleistungen vornimmt. Das verantworten die gungsvertrag vorgesehene Überleitung der Mietbela- Länder selbst und haben es daher auch aus ihrem stung entsprechend der Einkommensentwicklung ge- eigenen Portefeuille zu tragen. stalten zu können. Danach gilt gemeinsames Wohn- Das Wohngeldsondergesetz macht die den Mietern geldrecht. entstehenden Kosten für Heizung und Warmwasser In einem ersten Schritt wird dann der Anteil der durch Berücksichtigung pauschaler Zuschläge je Wohnkosten auf einen Satz zwischen 8 und 12 % des nach Heizungsart bis zu 3 DM pro Quadratmeter Einkommens begrenzt. In weiteren Anpassungs- Wohnfläche wohngeldfähig. Dies erscheint als Über- schritten wird das Belastungsniveau entsprechend der gangslösung insoweit vertretbar und erforderlich, als Einkommensentwicklung in den nächsten Jahren bis viele Mieter keinen Einfluß auf die Kostenbelastung zur Angleichung 1995 an unser Niveau angehoben. haben, da sie vielfach keine Regulierungsmöglichkeit haben. Vizepräsidentin Renate Schmidt: Herr Kollege Hitschler, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abge- Inhaltlich gibt es über die Detailregelungen dieses ordneten Seifert? Gesetzentwurfs kaum einen Dissens. Es war daher richtig, die wohngeldrechtlichen Änderungen aus Dr. Walter Hitschler (FDP): Ja, bitte. dem Haushaltsbegleitgesetz auszuklammern, um ein eventuelles Vermittlungsverfahren zu vermeiden. Al- Vizepräsidentin Renate Schmidt: Herr Kollege lein die Geltungsdauer und diverse Fristen nimmt die Seifert. Opposition zum Anlaß, den Gesetzentwurf zu kritisie- ren. Die Öffentlichkeit aber sollte wissen, daß die So- Dr. Ilja Seifert (PDS/Linke Liste): Kollege Hitschler, zialdemokraten den Mietern auch die Umlage der In- stimmen Sie mir darin zu, daß bei einer Anhebung standsetzungekosten aufbürden und sie damit noch von, wie Sie sagen, 8 bis 12 % wiederum die niedrig- stärker belasten wollten. Die Koalition hingegen hat sten Einkommen am stärksten belastet sind? sich an ihr Versprechen aus den Koalitionsverhand- lungen gehalten, den Anteil der Wohnkosten am Ein- Dr. Walter Hitschler (FDP): 8 bis 12 % gilt für alle kommen einkommensschwächerer Familien im ersten Einkommen gleichermaßen. Jahr durchschnittlich nicht über 10 % steigen zu las- (Dr. Ilja Seifert [PDS/Linke Liste]: Das ist ja sen. der Durchschnitt!) Mit diesem Gesetzentwurf halten wir unser Ver- — Ja, eben. 8 % ist von 1 000 DM 8 % wie von sprechen ein. Wir erbitten daher Ihre Zustimmung. 10 000 DM; da kann ich keinen Unterschied erken- (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) nen. Es ist deshalb erforderlich, daß die neue Wohngeld- Das Wort hat der regelung nicht nur zum gleichen Zeitpunkt wie die Vizepräsidentin Renate Schmidt: Kollege Dr. Ilja Seifert. Mietanhebung in Kraft tritt, sondern auch für Mieter wie Vermieter effektiv wirksam wird. Dem tragen ins- besondere die erheblich vereinfachten Rechts- und Dr. Ilja Seifert (PDS/Linke Liste): Frau Präsidentin! Verwaltungsvorschriften Rechnung. Es wurden er Meine Damen und Herren! Ich bin dafür, das Kind Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 25. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 14. Mai 1991 1713

Dr. Ilja Seifert beim Namen zu nennen. Ich glaube, nach der Steuer- An dieser Stelle möchte ich mich vom Deutschen lüge kommt jetzt die Mietlüge. Mit dem sogenannten Bundestag aus an die Bürgerinnen und Bürger in den Einigungsvertrag ist die Bundesregierung ermächtigt sechs neuen Bundesländern wenden: Ihnen, Ihren — ermächtigt! — , durch Rechtsverordnung mit Zu- massiven Protesten in vielfältiger Form, dem Engage- stimmung des Bundesrates den höchstzulässigen ment von Mieterverbänden und -initiativen ist es zu Mietzins, wohlgemerkt unter Berücksichtigung der verdanken, daß sich die Bundesregierung genötigt Einkommensentwicklung, schrittweise mit dem Ziel sah, ihre in der Koalitionsvereinbarung festgeschrie- zu erhöhen, die im Gesetz zur Regelung der Miethöhe benen Vorhaben zur Mietentwicklung zu überdenken bezeichnete Miete zuzulassen. und von ganz besonders schlimmen Absichten — ich erinnere nur an die ungeheuerliche Idee, Instandhal- Von dieser Ermächtigung hat die Bundesregierung tungskosten auf die Mieter umzulegen — Abstand zu trotz des Verlangens der SPD — welchem auch von nehmen. der PDS/Linke Liste nachdrücklich zugestimmt wurde — diese Frage im Parlament zu behandeln, in- Herr Kollege Sei- zwischen Gebrauch gemacht. Eindeutig ist festzustel- Vizepräsidentin Renate Schmidt: fert, kommen Sie bitte zum Ende. Sie sehen wahr- len, daß die Belastung der Bürgerinnen und Bürger in scheinlich das Licht nicht, Sie haben schon um eine den sechs neuen Bundesländern aus Miete und Miet- Minute überzogen. nebenkosten, zu denen natürlich auch erhöhte Brenn- stoffkosten zu zählen sind, für die übergroße Mehrheit der Bevölkerung den Einkommenszuwachs bei wei- Dr. Ilja Seifert (PDS/Linke Liste): Ich bitte um Ent- schuldigung. Ich komme zum Schluß: Unsere Mög- tem übersteigt. lichkeiten als parlamentarische Opposition allein rei- Angesichts von rund 4 Millionen Arbeitslosen, chen nicht aus. Ich danke für die Unterstützung durch Kurzarbeitern, sogenannten „Vorruheständlern" und die Bevölkerung. in Warteschleifen Verbannten sind Hinweise auf hö- Die PDS/Linke Liste kann dem vorliegenden Ge- here Abschlüsse schlicht und einfach eine Irreführung setzentwurf nicht zustimmen. Wir verlangen, daß sich der Öffentlichkeit. die Bundesregierung zumindest ihrer Wahlverspre- chen erinnert. Noch besser wäre es, sie nähme sich die Die Höhe der Mietsteigerungen wird von Frau Adam-Schwaetzer bewußt verniedlicht. In ihrer Be- realen Interessen der Bürgerinnen und Bürger zum gründung zum Wohngeldsondergesetz im Bundesrat Maßstab für ihre Politik, nicht hingegen die Interessen ging sie von Erhöhungsbeiträgen von 2,60 DM im Alt- des Finanzministers. bau und 3,60 DM pro Quadratmeter im Neubau aus. Vielen Dank. (Beifall bei der PDS/Linke Liste) Die tatsächlichen Mieterhöhungen einschließlich gestiegener Preise für Energie und Heizung dürften dagegen bei mindestens 4 bis 5 DM liegen. Dabei ist Vizepräsidentin Renate Schmidt: Das Wort hat die die 11 %ige Umlage von Modernisierungskosten noch Ministerin für Raumordnung, Bauwesen und Städte- nicht berücksichtigt, die vielfach eine ungeahnte bau, Frau Dr. Adam-Schwaetzer. Höhe erreichen kann! Dr. Irmgard Adam-Schwaetzer, Bundesministerin Nach den Beteuerungen der Bundesregierung soll für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau: Frau die Mieterhöhung — deren Notwendigkeit für die Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wohnungswirtschaft wir bis zu einem gewissen Grade Mit dem zeitlich befristeten Wohngeldsondergesetz im Grunde nicht bestreiten — durch die Gewährung für die fünf neuen Bundesländer und der Neunten von Wohngeld sozial abgefedert werden. Aber wieso Wohngeldnovelle, in der die notwendigen Folgeän- kann praktisch ohne jedwede Gegenleistung — die derungen aufgenommen sind, wird ein ganz wichti- Wohnqualität — der Preis einer Ware — es ist schon ges Stück sozialer Sicherheit für die Menschen in den schlimm genug, daß Wohnungen Waren sind — ein- fünf neuen Bundesländern auf ihrem in der Tat sehr fach angehoben werden? schwierigen Weg in die Soziale Marktwirtschaft ge- schaffen. (Dr.-Ing. Dietmar Kansy [CDU/CSU]: Bei Ih- nen war es schlimmer!) Ich möchte an dieser Stelle noch einmal unterstrei- chen, wie ich das schon vielfach getan habe: Wohn- Frau Adam-Schwaetzer behauptet in diesem Zusam- geld ist kein Almosen, sondern ein Rechtsanspruch, menhang — Herr Hitschler stimmte dem eben zu —, mit dem ein Sozialstaat notwendigerweise sicherstel- daß die durchschnittliche Belastung der Bürger im len muß, daß jede Familie angemessenen Wohnraum Beitrittsgebiet hieraus 10 % des Familieneinkommens bezahlen kann. Ich kann die Sorgen vieler Menschen nicht überschreiten werde. Frau Minister, halten Sie in den fünf neuen Bundesländern verstehen, die sich die Bürgerinnen und Bürger in den neuen Bundeslän- jetzt fragen, wie hoch denn ihre Mieten sein werden, dern für unfähig, Prozentrechnungen durchzuführen? wenn diese zum 1. Oktober angehoben werden dür- Nach dem vorliegenden Gesetz kommen jedenfalls fen. Sie können nach den Mietenverordnungen, die schon bei einem Monatseinkommen von 1 000 DM Ende April im Bundesrat beschlossen worden sind, 16 % und bei einem Monatseinkommen eines Allein- dies für ihre eigene Wohnung selbst berechnen. Sie stehenden von 1 500 DM sogar 32 % heraus. Spezielle werden nach dem Wohngeldsondergesetz, das wir Bedürfnisse — z. B. von Menschen mit Behinderung, heute beschließen, ebenfalls an Hand von Tabellen, die eben sehr konkrete Anforderungen an ihre Woh- von denen ich hoffe, daß sie in allen Tageszeitungen nung stellen müssen — werden überhaupt nicht ernst- der fünf neuen Bundesländer abgedruckt werden, sel- haft einbezogen. ber ausrechnen können wie hoch das Wohngeld ist, 1714 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 25. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 14. Mai 1991

Bundesministerin Dr. Irmgard Adam-Schwaetzer auf das sie Anspruch haben; daraus können sie ihre zeit, verabschieden können. Ich denke, es ist wichtig, verbleibende Mietbelastung berechnen. daß wir die Verabschiedung heute vornehmen kön- nen; denn wir haben in den vergangenen Monaten Deswegen, Herr Seifert, bin ich ganz sicher, daß festgestellt, daß die Vorbereitung der Auszahlung des sich die Menschen in den fünf neuen Bundesländern Wohngeldes für die Länder doch offensichtlich sehr von Ihrer Propaganda nicht mehr werden beeindruk- viel komplizierter ist und von den Gemeinden sehr ken lassen. viel mehr Aufwand erfordert, als es im Anfang von uns (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) angenommen worden war. Mieten und Wohngeld gehören zusammen. Darauf Ich bitte die Gemeinden in den fünf neuen Bundes- haben wir von Anfang an Wert gelegt. Aber, Herr ländern nachdrücklich, sofort mit der Einstellung ei- Scheffler, ich bin ein wenig erstaunt. Wenn ich mich ner ausreichenden Anzahl von Mitarbeitern in den auch freue, daß die Sozialdemokraten wenigstens der Wohngeldstellen zu beginnen. Wohngeldnovelle, so wie sie jetzt von der Bundesre- (Dr. Walter Hitschler [FDP]: Dies hätte schon gierung vorgelegt worden ist, zustimmen werden, so längst begonnen werden können!) mußte die Bundesregierung doch nicht über den eige- nen Schatten springen. Die soziale Verpflichtung un- Die Schulung für diese Mitarbeiter könnte dann sofort seres Staates ist uns, wenn man sich die Entwicklung in Angriff genommen werden. Wichtig ist, meine Da- des Wohngeldes einmal vor Augen hält, immer eine men und Herren: Wir können keine Mitarbeiter in wichtige Verpflichtung gewesen. Daran haben wir nie Wohngeldstellen schulen, die nicht eingestellt sind. einen Zweifel gelassen. Jetzt sind die Gemeinden und natürlich auch die Län- der am Zuge, die Verwaltung endlich auf die Beine zu Im übrigen möchte ich doch noch einmal darauf hin- stellen, damit die Bürger am 1. Oktober nicht umsonst weisen, daß in dieser Wohngeldnovelle genau das auf ihr Wohngeld warten. verwirklicht ist, was zum einen in den Koalitionsver- einbarungen niedergelegt worden ist, was zum ande- Die Opposition hat in einem Antrag gefordert, daß ren von uns, d. h. dem Bundesbauministerium,- als Bei- die Auszahlung dieses pauschalierten Wohngeldes trag zum Haushaltsbegleitgesetz von vornherein vor- bis Ende 1994 ausgedehnt werden soll. Ich bitte Sie, geschlagen war, nämlich die Einbeziehung der Ko- meine Damen und Herren, diesem Antrag nicht zuzu- sten für Heizung und Warmwasser in das Wohngeld stimmen; denn ich bin davon überzeugt, daß die Ver- — das ist eine Regelung, die es in den westlichen Bun- waltungen in den fünf neuen Bundesländern bis zum desländern nicht gibt — und ein besonderer Freibe- Jahre 1993 in der Lage sein werden, das dann normale trag für Familien, gestaffelt nach der Familiengröße. Wohngeld im Einzelfall, individuell zu berechnen und Über diesen Freibetrag wird sichergestellt, meine Da- auszuzahlen. Deswegen, denke ich, ist der Termin, so men und Herren, daß die Belastung aus Kaltmiete im wie er jetzt von der Bundesregierung vorgesehen ist, Schnitt den Betrag von 10 % des verfügbaren Famili- der richtige. Ich bitte Sie deshalb, dem Entwurf, so wie eneinkommens nicht überschreitet. Wenn wir sagen er im Ausschuß verabschiedet worden ist, zuzustim- „im Schnitt", dann bedeutet das natürlich, daß eben- men. falls berücksichtigt werden muß, daß die eine Familie Ein letztes: Worauf es jetzt ankommt, ist, daß die eine größere, die andere Familie eine kleinere Woh- Information über das Wohngeldgesetz, insbesondere nung hat. Dies spielt in der Tat bei der Mietenberech- über die Sonderbedingungen des Wohngeldgesetzes nung eine Rolle; das muß es ja wohl auch. in den fünf neuen Bundesländern, intensiviert wird. Ich wünsche mir, daß in diesen Fragen alle zusam- Der vorgelegte Gesetzentwurf legt großen Wert menarbeiten. Information ist wirklich das beste Mittel auch darauf, daß ein vereinfachtes, pauschaliertes gegen Verunsicherung. Wir, die Bundesregierung, Wohngeldverfahren zur Anwendung kommt. Dies ist werden deshalb sicherstellen, daß die Wohngeld — dafür danke ich dem Bundesrat und natürlich auch tabellen für das Wohngeld in den fünf neuen Bundes- den Ausschüssen des Deutschen Bundestages aus- ländern jeden Haushalt erreichen, sei es über Veröf- drücklich — in zum Teil sehr detaillierten Verhand- fentlichungen in den Zeitungen oder auch durch Flug- lungen zwischen Bundesregierung, Bundesrat und blätter, denn eines möchten wir wirklich sicherstellen, Bundestagsausschüssen ausformuliert worden. Wir meine Damen und Herren: Wir wollen, daß jeder so- haben mit dieser Regelung ein absolutes Neuland be- fort ganz konkret weiß, was auf ihn zukommt. Wissen treten, aber ich denke, die Mühe hat sich wirklich ist immer besser als Angstmacherei. Wir wollen mit gelohnt; denn jetzt, meine Damen und Herren, ist dem heute zu verabschiedenden Gesetz dazu beitra- sichergestellt, daß jeder seinen eigenen Anspruch be- gen, daß frühzeitig vor einer Mieterhöhung Kenntnis rechnen kann. über das Wohngeld besteht und von jedem erworben Wir sind zu diesem vereinfachten, pauschalierten werden kann. Wir werden unseren Beitrag dazu lei- Verfahren gekommen, indem wir die Einkommens- sten. arten auf die fünf wichtigsten reduziert haben, indem Ich bitte Sie, dem vorgelegten Gesetzentwurf zuzu- wir Mieten und Heizkostenpauschalen getrennt auf- stimmen. geführt haben, so daß jeder auf Grund des Mieterhö- hungsbescheids in den Tabe llen seinen eigenen An- (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) spruch ablesen kann. Ich möchte mich hier bei dem Ausschuß des Deut- schen Bundestages sehr herzlich bedanken, der in Vizepräsidentin Renate Schmidt: Weitere Wortmel- einer Sondersitzung ermöglicht hat, daß wir dieses dungen liegen nicht vor. Ich schließe die Ausspra- Gesetz bereits heute, nach einer so kurzen Beratungs che. Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 25. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 14. Mai 1991 1715

Vizepräsidentin Renate Schmidt Wir kommen zur Einzelberatung und Abstimmung a) Beratung des Antrags der Fraktion der über den Entwurf eines Gesetzes zur Änderung wohn SPD geldrechtlicher Vorschriften in der Ausschußfassung Weiterentwicklung des Grundgesetzes zur auf Drucksache 12/495. Verfassung für das geeinte Deutschland Ich rufe Art. 1 auf. Dazu liegt ein Änderungsantrag — Einsetzung eines Verfassungsrates — der Fraktion der SPD auf Drucksache 12/572 vor. Wer — Drucksache 12/415 — stimmt für diesen Änderungsantrag? — Wer stimmt Überweisungsvorschlag: dagegen? — Enthaltungen? — Damit ist dieser Ände- Ältestenrat rungsantrag abgelehnt. b) Beratung des Antrags der Gruppe Bünd- Wer stimmt für Art. 1 in der Ausschußfassung? — nis 90/DIE GRÜNEN Wer stimmt dagegen? — Stimmenthaltungen? — Da- Vom Grundgesetz zur gesamtdeutschen mit ist Art. 1 in der Ausschußfassung gegen die Stim- Verfassung men des Bündnisses 90/GRÜNE und der PDS/Linke —Einrichtung und Aufgaben eines Verf as- Liste angenommen. sungsrates — Ich rufe die Art. 2 bis 6, Einleitung und Überschrift — Drucksache 12/563 — in der Ausschußfassung auf. Wer den aufgerufenen Überweisungsvorschlag: Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um Ältestenrat das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthal- c) Beratung des Antrags der Abgeordneten tungen? — Die aufgerufenen Vorschriften sind ein- Dr. Karl H. Fell, Dirk Fischer (Hamburg), stimmig angenommen. Damit ist die zweite Beratung Siegfried Hornung, weiterer Abgeordneter abgeschlossen. und der Fraktionen der CDU/CSU und der Wir treten in die FDP - Einsetzung eines Gemeinsamen Verf as- dritte Beratung sungsausschusses ein und kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem — Drucksache 12/567 — Gesetzentwurf zuzustimmen wünscht, den bitte ich, Überweisungsvorschlag: sich zu erheben. — Wer stimmt dagegen? — Stimm- Ältestenrat enthaltungen? — Der Gesetzentwurf ist damit mit Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat sind für die breiter Mehrheit angenommen. Aussprache drei Stunden vorgesehen. — Ich sehe dazu keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlos- Mir liegt eine Erklärung nach § 31 unserer Ge- sen. schäftsordnung der Kollegen Michael Wonneberger, Dr.-Ing. Paul Krüger, Rolf Rau, Udo Haschke (Jena Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Abge- Ost), Reiner Krziskewitz und anderen vor. Diese Er- ordnete Frau Dr. Herta Däubler-Gmelin. klärung wird zu Protokoll genommen.* ) Der Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Dr. Herta Däubler-Gmelin (SPD): Meine Damen und Städtebau empfiehlt unter Nr. 2 weiterhin, die Bun- Herren! Wir reden heute im Deutschen Bundestag desregierung aufzufordern, über die Auswirkungen zum erstenmal über die Verfassung für das geeinte des Wohngeldsondergesetzes bis zum 31. Dezember Deutschland. Diese Diskussion ist keine Routineange- 1992 zu berichten. Wer stimmt für diese Beschlußemp- legenheit. Wir greifen damit weit über unsere parla- fehlung? — Wer stimmt dagegen? — Enthaltun- mentarischen Alltagsaufgaben hinaus. Ich hoffe, wir gen? — Diese Beschlußempfehlung ist damit einstim- eröffnen mit dieser ersten Diskussion heute eine mig angenommen. ebenso ernsthafte öffentliche wie breit angelegte Aus- einandersetzung, an deren Abschluß die Verfassung Liebe Kollegen, liebe Kolleginnen, ich möchte Sie für das geeinte Deutschland, also unsere gesamtdeut- darauf hinweisen: Der Ältestenrat hat sich in seiner sche Verfassung steht, die im Bundestag und im Bun- heutigen Sitzung darauf verständigt, daß in der Sit- desrat zuvor mit qualifizierter Mehrheit beschlossen, zungswoche vom 3. Juni, in der die Haushaltsbera- dann in einer Volksabstimmung durch alle Bürgerin- tungen erfolgen, keine Fragestunden, keine Aktuel- nen und Bürger des geeinten Deutschlands bekräftigt len Stunden und keine Befragungen der Bundesregie- wird. rung stattfinden sollen. Sind Sie damit einverstanden? Heute stehen im Mittelpunkt unserer Diskussion — Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so be- sicherlich zunächst einmal Verfahrensfragen. Wenn schlossen. wir die unterschiedlichen Anträge, die heute vorge- legt wurden, betrachten, dann zeigt sich sehr deutlich, Ich rufe den Tagesordnungspunkt 5 auf: daß es schon hier erhebliche Unterschiede gibt. Wir schlagen vor, das Grundgesetz zur gesamtdeut- Beratung von Anträgen der SPD, CDU/CSU schen Verfassung weiterzuentwickeln und damit ei- und FDP und der Gruppe Bündnis 90/DIE nen Verfassungsrat zu beauftragen, der neben Abge- GRÜNEN ordneten aus Bund und Ländern auch engagierte Per- zur Einsetzung eines Verfassungsausschusses sönlichkeiten aus allen Teilen unseres Landes zu voll- berechtigten, also auch als abstimmungsberechtigten • ) Wird in einem Nachtrag zu diesem Plenarprotokoll veröffent- Mitgliedern haben soll. Ich denke hier — aus den öst- licht. lichen Bundesländern — an Persönlichkeiten wie Kurt 1716 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 25. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 14. Mai 1991

Dr. Herta Däubler-Gmelin Masur, Bärbel Bohley, aber auch an Richard Schröder rer, biologischer und chemischer Massenvernich- oder an Christa Wolf. Ich bin sicher, daß sie eine tungsmittel. Menge zu sagen haben, wenn es um unsere künftige Wie ist es mit der Verankerung des Willens, daß wir deutsche Verfassung geht. Mir fallen auch geeignete Deutschen in dem neuen Nationalstaat gleichberech- Persönlichkeiten aus den westlichen Ländern ein. tigter Partner in einem europäischen Bundesstaat sein Nehmen Sie Walter Jens, Helmut Simon oder Franz wollen? Steinkühler. Sie alle wären Bereicherungen des Ver- fassungsrates; sie alle gehören da hinein, meine Da- Alle diese Fragen interessieren die Bürger. Die brin- men und Herren. gen wir in die Diskussion um die neue gesamtdeut- sche Verfassung. Ich betone das noch einmal aus- (Beifall bei SPD, der PDS/Linke Liste und drücklich, weil ich weiß: Schon in der Benutzung die- dem Bündnis 90/GRÜNE — Widerspruch bei ses Begriffs gibt es Unterschiede zwischen Ihnen und der CDU/CSU) uns, über die wir uns verständigen müssen.

Die Regierungskoalition setzt sich für einen Mini- Zur gesamtdeutschen Verfassung sagen Sie: Wir Verfassungsausschuß ein. Nur 16 Mitgliedern des haben schon eine gesamtdeutsche Verfassung, näm- Deutschen Bundestages wollen Sie den Zugang zu lich das Grundgesetz; das Grundgesetz ist diese ge- der Erarbeitung einer gesamtdeutschen Verfassung samtdeutsche Verfassung; wir wollen höchstens hie erlauben. Wir machen das nicht mit, übrigens schon und da eine kleine Änderung haben; darüber lassen wegen der Zahl nicht. Nochmals: Wir machen das wir mit uns reden, und dann hat es sich. nicht mit, nicht nur wegen der Begrenzung auf Abge- Ich sage Ihnen: Das reicht uns nicht; denn das ordnete — das sollten wir auch nicht tun — , sondern Grundgesetz — das ist völlig richtig; das sage ich auch wegen der geringen Zahl der Mitglieder. Ich heute nicht zum erstenmal — hat sich als Verfassung weiß nicht, verehrte Kolleginnen und Kollegen von für die alte Bundesrepublik bewährt. Es ist eine Ver- der FDP und der Union, ob Sie sich überlegt haben, fassung, mit der wir in der Alt-Bundesrepublik gut was Sie damit tun. Damit erklären Sie -Kollegen wie gefahren sind. Nur nebenbei: Es war nie sakrosankt; Herrn Ullmann oder Herrn Weiß, daß sie nicht berech- es war auch offen für Änderungen. Das zeigen schon tigt sein sollen, aus eigenem Recht Mitglieder dieses die 36 Änderungen der vergangenen 41 Jahre. Es war Ausschusses zu werden. Wollen Sie das wirklich? Sind übrigens auch offen für die Präzisierung und für die Sie wirklich der Auffassung, wir könnten über eine Weiterentwicklung der in ihm angelegten Staatsziele gesamtdeutsche Verfassung für das geeinte Deutsch- und auch Bürgerrechte in einer Welt, die sich ständig land auch nur reden, wenn wir diesen Kollegen be- wandelt. Hier hat sich das Bundesverfassungsgericht scheinigen, sie hätten in einer solchen Kommission, in mit seiner Rechtsprechung bleibende Verdienste er- einem solchen Ausschuß nichts zu suchen? Ich denke, worben. das darf nicht wahr sein, und erkläre Ihnen hier noch- mals deutlich: Wir machen das nicht mit. Wir sagen: Das Grundgesetz war als Verfassung des Provisoriums Bundesrepublik gedacht, also des west- (Beifall bei der SPD und dem Bündnis 90/ lichen Teils unseres Landes. Es war gedacht, bis zur GRÜNE) Herstellung der staatlichen Einheit Deutschlands zu gelten. Dann — so hat es übrigens auch das Grundge- Ich will eine zweite Verfahrensfrage ansprechen. setz selber angelegt — sollte das deutsche Volk in Wir schlagen vor, die gesamtdeutsche Verfassung freier Selbstbestimmung seine eigene neue Verfas- — nach Abstimmung, wie gesagt, im Bundestag und sung beschließen. Bundesrat mit qualifizierter Mehrheit — in einer Diese staatliche Einheit ist nun vollzogen. Viele von Volksabstimmung allen Bürgerinnen und Bürgern un- Ihnen meinen nun, die freie Selbstbestimmung des seres Landes zur Entscheidung zu unterbreiten. Sie Volkes bei der Schaffung einer neuen Verfassung sei haben Skepsis auch gegenüber diesem Vorschlag ge- schon erfüllt; sie sei erfüllt, weil die staatliche Einheit äußert. Ich hoffe, wir können Sie davon überzeugen, auf dem Weg des Art. 23 vollzogen worden sei, daß wir auch in diesem Punkt recht haben. Gerade der schließlich habe die DDR den Beitritt zur Bundesrepu- Weg, daß sich Bürgerinnen und Bürger aus ganz blik erklärt, und schließlich gelte das Grundgesetz Deutschland an der Abstimmung über ihre eigene jetzt auch auf dem Gebiet der ehemaligen DDR. Verfassung beteiligen können, interessiert die Bürger. Sie wollen abstimmen. Diese Frage interessiert sie Wir sagen: Das ist teilweise richtig. Das Grundge- ebenso wie die vielen inhaltlichen Fragen, um die es setz gilt auf dem Gebiet der ehemaligen DDR in der in der Diskussion gehen wird: beispielsweise ob es ein Modifikation, die wir mit dem Einigungsvertrag be- Recht auf Arbeit durch Konkretisierung des Sozial- schlossen haben. Dennoch — das ist, glaube ich, au- staatsgebots geben soll, wie wir es vorschlagen; ob wir ßerordentlich wichtig — ist es nicht die gesamtdeut- — gemeinsam, denn Verfassungsfragen sind in der sche Verfassung, von der das Grundgesetz ausgegan- Abstimmung letztlich Konsensfragen — mehr Bürger- gen ist. beteiligung auch auf Bundesebene einführen können; (Beifall bei der SPD und dem Bündnis 90/ wie es mit dem kommunalen Wahlrecht für Ausländer GRÜNE) steht, die mit ihren Familien schon lange in der Bun- desrepublik wohnen; oder wie wir es mit dem Staats- Wir sagen: In diese gesamtdeutsche Verfassung ge- ziel Umweltschutz halten, mit der Bekräftigung des hört mehr: eben eine breite und öffentliche Diskus- Grundsatzes der Friedensfähigkeit und der Friedens- sion, die vor allen Dingen den Menschen in den neuen bereitschaft im geeinten Deutschland durch Verzicht Ländern die Chance gibt, eigene Erfahrungen zu arti- etwa auf die Herstellung und auf die Lagerung atoma kulieren, ihre Erfahrungen der vergangenen Jahr- Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 25. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 14. Mai 1991 1717

Dr. Herta Däubler-Gmelin zehnte in die Diskussion einzubringen und vor allem Klar ist, daß heute diese Zeit vorbei ist, spätestens auch zu sagen, wie denn nach ihren Vorstellungen der mit der staatlichen Einigung Deutschlands. Besat- Staat beschaffen, wie er verfaßt sein soll, in dem sie zungsrechtliche Bindungen bestehen nicht mehr. Also jetzt leben und in dem sie künftig leben wollen. frage ich, meine Damen und Herren: Was liegt näher, als den Souverän des Staates, die Bevölkerung des Diese Tatsache ist an sich eine Selbstverständlich- geeinten Deutschland, auch bei der Schaffung der keit. Wir wissen jedoch, daß im letzten Jahr vor der Verfassung und bei der Abstimmung über die Verfas- staatlichen Einigung auf Grund der sich überschla- sung in seine vollen Rechte einzusetzen? Wir wollen genden Ereignisse dazu gar keine Zeit war. das. Auch deswegen bestehen wir auf unserem Vor- Übrigens hat diese Zeit auch für die Menschen, die schlag einer Volksabstimmung. in den westlichen Bundesländern leben, gefehlt. Sie Meine Damen und Herren, lassen Sie mich noch wurden von den Ereignissen zeitlich ebenso überrollt. hinzufügen: Jeder, der die Auffassung vertritt, das Viele fangen jetzt erst an, richtig darüber nachzuden- Grundgesetz sei quasi automatisch schon die gesamt- ken, was sich mit der staatlichen Einheit in unserem deutsche Verfassung, setzt sich einem Verdacht aus, Land alles verändert hat, und auch darüber, was an dem wir hier im Bundestag widersprechen sollten, der Verfassung des geeinten Deutschland verändert nämlich dem Verdacht, daß auch auf dem Gebiet der oder ergänzt werden sollte. Verfassung eine Haltung fortgeführt werden soll, die Wir sagen deshalb: Der vollzogenen staatlichen vielen Bürgerinnen und Bürgern der neuen Länder Einheit muß eine Phase der inneren Einigung, des jetzt schon gegen den Strich geht. Die rügen und be- Zusammenwachsens in Deutschland, folgen. Die Dis- klagen jetzt schon die, wie sie meinen, typische, An- kussion über unsere zukünftige Verfassung kann maßung vieler Wessis, die auch in Zukunft alles so dazu beitragen, das Zusammenwachsen aller Deut- weitermachen wollen, wie es bei ihnen in der alten schen zu fördern, kann Verständigung und auch das Bundesrepublik schon immer war. Jetzt — so klagen Zusammengehörigkeitsgefühl verstärken. Das gilt al- sie — eben in ganz Deutschland, ohne danach zu fra- lerdings nur dann — hier werden die Verfahrensfra- gen, was eigentlich die Bürgerinnen und Bürger der gen wieder außerordentlich wichtig — , wenn sich neuen Länder wollen. Wir sollten uns dieser Haltung auch der Bundestag bereit erklärt, die Diskussionen nicht anschließen. über die gesamtdeutsche Verfassung so breit und of- (Beifall bei der SPD, der PDS/Linke Liste und fen anzulegen, wie sie das verdient, und sie nicht zu dem Bündnis 90/GRÜNE) technisch und zu verengt zu führen. Wer argumentierte, das Grundgesetz sei automa- (Beifall bei der SPD) tisch die neue gesamtdeutsche Verfassung, der setzt Deshalb haben wir den Verfassungsrat vorgeschla- sich zudem dem Verdacht aus, den ich ebenfalls nicht gen, der Abgeordnete der Länder und engagierte Per- gut finde, daß der immer noch nicht beg riffen hat, daß sönlichkeiten aus allen Bereichen des öffentlichen Le- mit der staatlichen Einheit etwas Neues entstanden bens einbezieht. Daher halten wir Ihren Vorschlag ist, daß das geeinte Deutschland eben nicht die unge- einer miniparlamentarischen 16er-Kommission für brochene Fortsetzung der alten Bundesrepublik ist, falsch. nur um etwas Gebiet vergrößert und mit etwas mehr Bewohnern. Er setzt sich zudem dem Verdacht aus, Lassen Sie mich zu dem zweiten Punkt kommen, zu nicht verstanden zu haben, daß aus zwei deutschen der gesamtdeutschen Abstimmung über die Verfas- Staaten jetzt ein Staat, ein Nationalstaat, wurde, des- sung für das geeinte Deutschland. Wir wollen sie. Für sen Konturen und dessen Selbstverständnis durch uns ist auch das ein wichtiger Punkt. seine Bürgerinnen und Bürger überdacht und, wo es Nun wenden viele von Ihnen ein, auch über das erforderlich ist, auch neu bestimmt und neu in der Grundgesetz sei nie abgestimmt worden — das ist Verfassung festgelegt werden müssen. richtig — , und trotzdem sei es eine gute Verfassung Meine Damen und Herren, auch der Einigungsver- geworden und habe auch gegolten. Auch das ist rich- trag geht von diesem Vorverständnis aus. Deshalb hat tig. Aber richtig ist auch, daß sich gerade im Abwei- er uns den Auftrag erteilt. Ohne ihn hätte Art. 5 kaum chen von der doch für Verfassungen normalen Proze- eine Bedeutung, wäre kaum erwähnenswert. Auch dur einer Abstimmung durch die Bürgerinnen und der unterschiedliche Sprachgebrauch des Einigungs- Bürger eines Landes die Besonderheit der Umstände vertrages, der ja sehr sorgfältig zwischen fortdauern- und auch die Besonderheit der Zeit zeigt, in der das dem Grundgesetz und gesamtdeutscher Verfassung Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland als unterscheidet und den Weg des Art. 146 ausdrücklich Provisorium geschaffen wurde. betont, wäre sonst nicht verständlich. Deshalb sagen wir: Richten wir uns danach! Deutschland hatte damals seine vollen Rechte eben noch nicht wieder. Nach dem Text des Grundgesetzes Meine Damen und Herren, wir werden in diesen sollte der Souverän des Staates die Bevölkerung sein; Auseinandersetzungen auch hier im Bundestag noch in Wirklichkeit waren es in jener Zeit die Besatzungs- viel über Inhalte reden müssen und sicherlich auch mächte. Das war verständlich, vier Jahre nach dem streiten. Ich habe schon erwähnt, daß wir vorschlagen, Ende der Nazizeit mit ihren Schrecken und nach dem das Grundgesetz zur gesamtdeutschen Verfassung Ende des furchtbaren Zweiten Weltkrieges, der ja von weiterzuentwickeln. Wir wollen — das bedeutet dies Deutschland ausgegangen war. Die Besatzungs- zunächst — seine tragenden Elemente übernehmen. mächte als wirkliche Souveräne damals haben das Wir wollen sie aber auch anreichern, und wir wollen Grundgesetz genehmigt, sie haben ihm damit auch sie ergänzen. Wir möchten, daß die Bundesrepublik Rechtswirksamkeit verliehen. Deutschland — ich persönlich glaube, wir sollten auch 1718 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 25. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 14. Mai 1991

Dr. Herta Däubler-Gmelin bei diesem Namen bleiben — auch in Zukunft ein daß weiterhin der militärische Einsatz deutscher Sol- demokratischer und sozialer Rechts- und Bundesstaat daten außerhalb des Bündnisgebietes nicht zulässig ist. Allerdings wollen wir in der Verfassung zusätzlich ist, die Unterstützung der Vereinten Nationen durch die Verpflichtung zum Umweltschutz, und zwar ohne Blauhelme ausgenommen. Die Auseinandersetzung Einschränkung, und die Verpflichtung zum Frieden während des Golfkriegs hat uns auch gelehrt, daß niedergelegt wissen. klargestellt werden muß, daß der militärische Einsatz deutscher Soldaten ohne Zustimmung des Bundesta- (Beifall bei der SPD und dem Bündnis 90/ ges mit qualifizierter Mehrheit nicht zulässig ist. GRÜNE) Alles das sind Vorschläge, alles das sind wichtige Der Föderalismus muß — das ist der zweite unserer Fragen, die wir gemeinsam erörtern müssen. Aber, Vorschläge — ausgebaut werden, weil die Dezentrali- meine Damen und Herren, wir sollten auch offenblei- sierung der staatlichen Macht bürgerfreundlich ist, ben für weitere Überlegungen von anderen. Wir soll- weil Föderalismus kulturelle und regionale Vielfalt ten in der ersten Phase die breite und öffentliche Dis- ermöglicht und weil Entscheidungen auf der unteren kussion regelrecht ermutigen und zuhören, was enga- Ebene, wie wir wissen, oftmals schneller und sachge- gierte Bürgerinnen und Bürger sagen, welche Vor- rechter getroffen werden können als zentral am grü- schläge sie machen und welche Anregungen sie un- nen Tisch. terbreiten. Wir wollen — das ist unser dritter Punkt, den ich Ich bin dafür — um das ganz klar zu sagen —, auch heute anführen will — die Sozialstaatlichkeit unseres Verfassungsentwürfe zu beraten, die uns beispiels- Gemeinwesens erheblich verstärken. Wir glauben, weise durch engagierte Verfassungsinititativen erar- daß wir das tun sollten, weil wir damit Erwartungen beitet werden, sei das nun der Entwurf eines Kurato- vieler Menschen in den neuen Ländern berücksichti- riums für einen demokratisch verfaßten Bund deut- gen, die gerade in dieser Zeit mit dem Verlust ihrer scher Länder, der in den nächsten Tagen vorgestellt gewohnten sozialen Sicherheit schreckliche Erfah- werden soll, seien es andere Entwürfe. Ich bin auch rungen machen. Aber wir greifen damit auch Erwar- dafür, Anregungen aus dem Entwurf des Runden Ti- tungen vieler Menschen in den westlichen Bundes- sches für die DDR nach der demokratischen Wende ländern auf, die in den letzten 40 Jahren immer wie- aufmerksam zu prüfen. Ich hoffe, wir können uns dar- der erlebt haben, daß es — trotz des Sozialstaatsge- auf verständigen. bots im Grundgesetz — für die Politik häufig wichtiger Lassen Sie mich noch ein Wort zu Ihrem Antrag war, etwas für den Schutz des Eigentums, oder Eigen- sagen, verehrte Kolleginnen und Kollegen von den tumsrechte zu tun, als beispielsweise Massenarbeits- Regierungsfraktionen: Wir lehnen die miniparlamen- losigkeit zu verhindern oder wirksame Maßnahmen tarische Kommission ab, die Sie vorschlagen, und ha- gegen Obdachlosigkeit zu treffen. ben gegen weiteres erhebliche Bedenken: Wir halten Viertens regen wir an, durch die Einfügung eines es insbesondere nicht für klug, dem Bundesrat vorzu-

Staatsziels Umweltschutz — wie gesagt, ohne ein- schreiben, wie er seine Beteiligung an einer gemein- schränkende Begrenzungen — in der Verfassung die samen Verfassungsdiskussion organisieren soll. Er- Verpflichtung festzuschreiben, unser Gemeinwesen stens hat er sich schon festgelegt, und zweitens ökologisch umzubauen. könnte ich mir vorstellen, daß man solche Vorschläge dort als unfreundlichen Akt der Bevormundung ausle- Wir wollen — fünftens — das Demokratiegebot ver- gen könnte, der Gespräche und auch notwendige stärken, durch mehr Bürgerbeteiligung, also durch Verständigungen belasten könnte. Volksinitiativrecht, Volksbegehren und Volksent- scheid auch auf Bundesebene. Meine Damen und Herren, ich denke, wir sollten die heutige Diskussion, aber auch die kommenden Lassen Sie mich drei weitere Punkte hinzufügen: Wochen dazu nutzen, sicherzustellen, daß wir den Wir wollen — sechstens — , daß aus dem geeinten Auftrag des Einigungsvertrages erfüllen können, Deutschland kein Nationalstaat im alten — und ich möglichst auch in der Zeit, die uns dafür gegeben ist. füge hinzu: im schlechten — Sinne wird, wie manche Wir sollten die kommenden Wochen auch dazu nut- bei uns oder auch manche in den Nachbarländern das zen, uns möglichst auf ein Verfahren zu einigen, das befürchtet haben, aller Freude und allen Glückwün- das alles ermöglicht. schen zur staatlichen Vereinigung zum Trotz. Wir se- Herzlichen Dank. hen heute auch die Grenzen der Möglichkeiten von (Beifall bei der SPD und dem Bündnis 90/ Nationalstaaten schärfer als früher; deshalb betonen GRÜNE) wir, daß wir gleichberechtigte Partner in den Verei- nigten Staaten von Europa sein wollen. Vizepräsidentin Renate Schmidt: Das Wort hat Herr Wir wollen — siebtens — die Friedensbereitschaft Kollege Abgeordneter Professor Dr. Rupert Scholz. und Friedensfähigkeit durch einen Verzicht auf ABC-

Waffen und — das möchte ich hier betonen — durch (CDU/CSU): Frau Präsidentin! einen Verzicht auf Rüstungsexporte in der Verfassung Dr. Rupert Scholz Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es gilt, den festschreiben. Auftrag des Einigungsvertrages einzulösen, ein Gre- Im übrigen werden wir — achtens — unsere größere mium einzusetzen — nach Auffassung der CDU/CSU Verantwortung bei der Sicherung des Friedens neu einen gemeinsamen Verfassungsausschuß, paritä- durchdenken und, so füge ich hinzu, durch eine Ver- tisch aus Bundestag und Bundesrat besetzt — zur Er- änderung und Ergänzung unserer Verfassung klar- arbeitung der Vorschläge, die zur Modernisierung stellen müssen. Besonders muß klargestellt werden, — und ich sage sehr bewußt: zur Modernisierung — Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 25. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 14. Mai 1991 1719

Dr. Rupert Scholz des Grundgesetzes geboten sind. Dies ist das richtige, diese Grundwerte auch für das Gebiet der damaligen das angemessene Verfahren, da es — auch das DDR umgesetzt, so wie das Grundgesetz dies über möchte ich deutlich sagen — auschließlich um be- Jahrzehnte für die alte Bundesrepublik getan hat. stimmte Verfassungsänderungen, -anpassungen, Man sollte heute also nicht davon sprechen, daß das -modernisierungen geht, nicht aber um den Erlaß ei- Grundgesetz etwa einer grundlegenden Revision im ner neuen Verfassung, nicht um einen Gesamtumbau Lichte eben jener Erfahrungen der Menschen aus der unserer gegebenen Verfassung und nicht um eine früheren DDR bedürfe. Diese Erfahrungen sind unbe- Totalrevision. strittenermaßen sorgfältig zu diskutieren und mit auf- (Beifall bei der CDU/CSU) zunehmen; denn selbstverständlich müssen sich auch Unser Grundgesetz gehört zu den wahrhaft histori- die Menschen in den neuen Bundesländern in unserer gemeinsamen Verfassungsordnung, in unserem schen Glücksfällen der deutschen Geschichte. Noch nie gab es eine derart freiheitliche, eine demokratisch Grundgesetz, wiederfinden. so stabile und auch sozial so gerechte Verfassungsord- Dennoch ist es falsch und ungerecht, wenn manche nung in unserer Geschichte. Es ist kein Zufall, daß wir davon sprechen, daß den Menschen in den neuen um diese Verfassung heute selbst in traditionellen Bundesländern mit dem Grundgesetz eine Verfas- Demokratien, viel älteren Demokratien, als wir selbst sung übergestülpt würde, die sie gar nicht wollten sind, beneidet werden. oder mit der sie sich noch gar nicht hätten befassen Richtig ist, daß das Grundgesetz ursprünglich, im können. Wer so argumentiert, verkennt nicht nur die Zeitpunkt seines Erlasses 1949, zunächst als Über- Grundwerte der f riedlichen Revolution, sondern der gangsordnung bis zur deutschen Wiedervereinigung stellt diese gleichsam nachträglich in ihrer grundsätz- gedacht war. Andererseits ist es aber schon historisch lich freiheitlichen und revolutionären Legitimation in falsch, wenn heute teilweise — sehr plötzlich im übri- Frage; denn was ware jene f riedliche Revolution ohne gen — wieder auf diesen Übergangscharakter domi- das Bekenntnis gerade zur Demokratie, zu Menschen- nant abgestellt und behauptet wird, daß es nach unse- rechten und Rechtsstaatlichkeit? Was wäre sie eigent- rer Einheit jetzt um die Erarbeitung oder Legitimie- lich gewesen, wenn man sie inhaltlich von der grund- rung einer neuen gesamtdeutschen Verfassung gehen gesetzlichen Verfassungsordnung und den von ihr müsse. repräsentierten Verfassungswerten abzusetzen suchte? Das Grundgesetz und seine Väter und Mütter wa- ren sehr viel klüger. Sie haben für die deutsche Ein- In Wahrheit ist es doch so, daß die Menschen der heit bekanntlich zwei Wege alternativ bereitgestellt: früheren DDR mit ihrer friedlichen Revolution gerade Das eine ist der Weg des Art. 23, und das andere ist, für diese Grundwerte gestanden haben und daß sie wie Sie alle wissen, der Weg des Art. 146. Der Weg auch den Menschen in der alten Bundesrepublik mit über Art. 23 wurde gegangen. Der Weg über Art. 23 ihrem ebenso mutigen wie standhaften Eintreten für heißt nicht nur Beitritt der früheren DDR zur Bundes- eben diese Grundwerte im ursprünglichsten Sinne republik Deutschland, sondern er heißt auch Beitritt des Wortes demonstriert haben, wie allein richtig und zum Grundgesetz. menschengerecht diese Verfassungswerte, die unser Grundgesetz uns seit 40 Jahren beschert hat, sind. (Zuruf von der CDU/CSU: So ist es!) Wenn man will, kann man es auch so formulieren: Er heißt darüber hinaus, daß das Grundgesetz damit Unser Grundgesetz hat gerade durch diese f riedliche die eigenen Beschränkungen, das eigene Übergangs- Revolution im früher anderen Teil Deutschlands eine verständnis aufgibt, daß es damit endgültige, legitime weitere innere Bestätigung gefunden. deutsche Verfassung geworden ist. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) (Beifall bei der CDU/CSU) Die Opposition fordert, wie Frau Däubler-Gmelin Ich weiß, daß dies manchem nicht gefallen hat, daß eben begründet hat, die Einsetzung eines Verfas- mancher die Gelegenheit der deutschen Einheit auch sungsrates, der von der Bundesversammlung gewählt gern dazu genutzt hätte, eine neue gesamtdeutsche werden soll und dann über den neuen Art. 146 zur Verfassung zu erarbeiten, eine Verfassung, die sich Volksabstimmung führen soll. Die Verfassung für das vom Grundgesetz hier und dort sehr maßgebend ab- geeinte Deutschland, sie soll in Wahrheit eine neue hebt. Aber hierbei sollte auch, und zwar ehrlich, ein- Verfassung sein, sie soll im Grunde den Weg des alten geräumt werden, daß das viel zitierte Argument, das Art. 146 über die Hintertür doch noch realisieren. wir jetzt hören, daß nämlich in unsere Verfassungs- Aber, meine Damen und Herren, ich verweise noch ordnung auch jene Erfahrungen eingebracht werden einmal darauf: Mit Zweidrittelmehrheit hat dieses müßten, die die Menschen in der früheren DDR mit Haus den Weg über Art. 23 gewählt, und genauso hat ihrer großartigen f riedlichen Revolution empfangen die Volkskammer, die frei gewählte Volkskammer, haben, machmal auch sehr zweckorientiert eingesetzt entschieden. Das sind verfassungspolitisch relevante wird, um es vorsichtig zu formulieren. Entscheidungen. Diese Entscheidungen gilt es auch Jene große friedliche Revolution in der früheren zu respektieren. DDR stand für ebenjene Grundwerte, die auch die (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) zentralen Grundwerte unseres Grundgesetzes sind: Selbstbestimmung, Freiheit, Demokratie, Menschen- Deshalb meine ich: Heute ist nicht die Stunde der rechte, Rechts- und Sozialstaatlichkeit. In diesem Begründung eines Gremiums für eine neue Verfas- Sinne hatte die erste frei gewählte Volkskammer der sung, sondern allein die Stunde einer gegebenenfalls DDR über ihr Verfassungsgrundsätzegesetz genau zu verändernden, einer hier und dort zu modernisie- 1720 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 25. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 14. Mai 1991

Dr. Rupert Scholz renden Verfassung, wo dies notwendig ist, nämlich nachträglichen Delegitimierung oder Entlegitimie- unseres über vier Jahrzehnte bewährten Grundgeset- rung unserer Verfassung. zes. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Meine Damen und Herren, Verfassungsrecht ist Zurufe von der SPD) stets auch Verfassungspolitik. Innerhalb einer funk- tionierenden Verfassungsordnung muß stets auch Vizepräsidentin Renate Schmidt: Herr Kollege Pro- Raum sein für verfassungspolitischen Streit. Verfas- fessor Scholz, erlauben Sie eine Zwischenfrage des sungspolitischer Streit gehört gleichsam zum unver- Kollegen Hirsch? zichtbaren Lebenselexier auch einer Verfassung selbst. Dennoch geht es bei alledem auch und stets um Dr. Rupert Scholz (CDU/CSU): Also, einem Anhän- die Wahrung der Grenzen, um das konsensmäßig ge- ger der Volksabstimmung, wie Herr Hirsch es ist, meinsame Bekenntnis zu den verfassungsrechtlichen selbstverständlich. Grundwerten und um die Offenheit in der eigenen Argumentation. Dr. Burkhard Hirsch (FDP): Herr Kollege Professor Deshalb und noch einmal: Seien wir ehrlich, und Scholz, ich wollte Sie nur fragen, ob Sie den Art. 146 bekennen wir uns zum Auftrag des Einigungsvertra- des Grundgesetzes für einen Zufall oder für einen Irr- ges in dem Sinne, daß es allein um die Fortschreibung tum halten und ob Sie nicht auch der Auffassung sind, oder Modernisierung bestimmter, teilweise in der Tat daß er nun endlich verwirklicht werden sollte. regelungsbedürftiger Bereiche innerhalb unseres (Beifall bei Abgeordneten der FDP, der SPD Grundgesetzes geht, daß es aber nicht um die totale und des Bündnisses 90/GRÜNE) Revision oder um einen Gesamtumbau, also eine ver- kappte Verfassungsneugebung, geht. Dr. Rupert Scholz (CDU/CSU): Herr Hirsch, der Art. 146 des Grundgesetzes in seiner alten Fassung ist In diesem Zusammenhang möchte ich -noch ein Ar- gument aufgreifen, das man zunehmend hört, nämlich bekanntlich obsolet gewesen und deshalb aufgeho- daß das Grundgesetz eigentlich gar keine legitime ben worden. Der Art. 146 in seiner neuen Fassung ist, deutsche Verfassung sei. Da wird plötzlich hier und wenn Sie so wollen, schlicht deklaratorisch. dort davon gesprochen, daß das Grundgesetz über (Lachen bei der SPD und beim Bündnis 90/ keine hinreichende demokratische Legitimation ver- GRÜNE) füge, weil es nicht im Wege einer Volksabstimmung — Meine Damen und Herren, Sie müssen zuhören. verabschiedet worden sei. Plötzlich wird erklärt, daß Dann will ich Ihnen das erläutern. das Grundgesetz nach wie vor deshalb nicht voll als deutsche Verfassung legitimiert sei, weil es noch zu (Dr. Herta Däubler-Gmelin [SPD]: Danke Alliierten-Zeiten erarbeitet worden sei. Ich sage Ihnen schön! — Freimut Duve [SPD]: Sie sind ein dennoch: Dieses Grundgesetz verfügt über die unein- Verfassungsverwalter!) geschränkte und volle demokratische Legitima tion. Wenn ein Verfassungsgeber glaubt, daß er in einer Es ist über vier Jahrzehnte von den Menschen der materiellen Verfassungsbestimmung seinen poten- alten Bundesrepublik voll akzeptiert worden. Es ist tiellen Nachfolger, den Verfassungsgeber von mor- zur freiheitlichsten, demokratischsten Ordnung der gen, präjudizieren könnte, dann geht er im Selbstver- deutschen Geschichte geworden. Die Menschen in ständnis seines Mandats zu weit. Mit anderen Worten: unserem Lande haben das gespürt; sie haben es buch- Der Art. 146 neuer Fassung bringt nichts anderes als stäblich erlebt. Aus diesem Erleben ist ein ebenso eine Selbstverständlichkeit zum Ausdruck, nämlich ursprüngliches wie dauerhaftes Bekenntnis zu eben daß der Volkssouverän natürlich jederzeit eine neue dieser Verfassungsordnung erwachsen. Das sollte Verfassung erarbeiten kann. man nicht leichtfertig aufs Spiel setzen. (Widerspruch bei der SPD) (Detlev von Larcher [SPD]: Das will ja kei Wir stehen hier zu der Position, daß wir keine neue ner!) Verfassung wollen, weil wir keine neue Verfassung brauchen. Im übrigen ist es falsch, wenn behauptet wird, daß (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge nur eine Volksabstimmung eine Verfassung demo- ordneten der FDP) kratisch legitimieren kann. Dies ist im internationalen Vergleich falsch, und dies ist historisch falsch. Denken Deshalb ist der Art. 146 auch in der neuen Form für Sie nur an die Weimarer Verfassung! Auch sie wurde uns nicht relevant. nicht etwa durch eine Volksabstimmung verabschie- Herr Hirsch, wir haben die Frage einer Volksab- det. Die Wege, die ein Volkssouverän für eine demo- stimmung nach dem Einigungsvertrag zu diskutieren. kratische Verfassung wählt, liegen ausschließlich Da werden Sie Ihre Auffassung einbringen; wir wer- beim Volkssouverän selbst. Dies können Wege einer den unsere Auffassung einbringen. repräsentativen Demokratie sein, dies können ge- Aber ich will hier auch deutlich sagen: Das Votum, nauso Wege wie die des Parlamentarischen Rats sein, verstärkt plebiszitäre Elemente in die Verfassung auf- und dies können natürlich ebenso die Wege einer zunehmen, ist nicht das Votum der CDU/CSU. Volksabstimmung sein. (Beifall bei der CDU/CSU — Freimut Duve Aber wer heute davon spricht, daß das Grundgesetz [SPD]: Ihr seid das Volk, nicht?) erst durch eine Volksabstimmung demokratisch legi- Wir haben diese stabile Demokratie über das Prinzip timiert werden müßte, der betreibt das Spiel der der repräsentativen Demokratie geschaffen. Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 25. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 14. Mai 1991 1721

Dr. Rupert Scholz (Peter Conradi [SPD]: Er ist das Volk!) Dr. Rupert Scholz (CDU/CSU): Herr Kollege, ich kenne den Verfassungsentwurf des Runden Ti- Dies hat zur stabilen Demokratie geführt. Wir haben sches. aus den Erfahrungen von Weimar gelernt. Die Väter und Mütter des Grundgesetzes waren, wie sie selber (Gerd Poppe [Bündnis 90/GRÜNE]: Das ist formuliert haben, „gebrannte Kinder" durch die Er- schön!) fahrungen von Weimar. Ich weiß auch, daß er am 16. März, zwei Tage vor dem (Dr. Hans-Jochen Vogel [SPD]: Bayern, das 18. März, an einem vielleicht überraschenden Datum, gebrannte Kind!) verabschiedet worden ist. Ich weiß ihn in vielen seiner Fragen und Entscheidungen und Vorgaben, die er for- Wir sollten nicht noch einmal gebrannte Kinder sein muliert hat, durchaus zu respektieren und zu würdi- wollen. gen. Wir werden mit Sicherheit in unserem Verfas- Ich sage Ihnen noch eines: Die großen Erfahrungen, sungsausschuß auch diese Fragen und diese Postulate das große Erlebnis jener f riedlichen Revolution in der aufnehmen und ernsthaft miteinander diskutieren. früheren DDR, der Ruf „Wir sind das Volk!" werden Aber in der Frage der plebiszitären Demokratie nicht vergessen werden. werden wir vermutlich auseinander sein. Auch das (Uwe Lambinus [SPD]: „Wir sind das Volk!" darf ich Ihnen hier ganz deutlich prognostizieren. — aber nur, wenn es Ihnen paßt!) (Beifall bei der CDU/CSU und bei Abgeord Nur, wer glaubt — auch das will ich Ihnen auf Ihre neten der FDP) Zwischenrufe hin deutlich sagen —, daß er den Ruf Wir werden vor dieser Frage natürlich stehen; wir „Wir sind das Volk! " , der sich gegen dieses totalitäre werden sie zu diskutieren haben: Mehr plebiszitäre Unrechtssystem der SED gerichtet hat, umkehren Elemente? Vielleicht gibt es Kompromißmöglichkei- kann und gegen ein freiheitlich-demokratisches Sy- etwa im Bereich eines Volksbegehrens; aller- stem wie die Bundesrepublik Deutschland anwenden ten, dings mit sehr strikten Einschränkungen. Dies halte kann, - ich für denkbar, dies halte ich für diskutabel, aber (Uwe Lambinus [SPD]: Das ist ungeheuer, jedenfalls nicht für vorab entscheidbar. was Sie hier sagen!) Ein anderer Punkt, den ich aufgreifen darf und auf der verkennt die Berechtigung, den sich Frau Däubler-Gmelin soeben sehr intensiv (Detlev von Larcher [SPD]: Wen meinen Sie bezogen hat, sind die sozialen Staatszielbestimmun- denn? Unseren Kollegen?) gen. In Wahrheit sind damit mehr oder weniger so- ziale Grundrechte gemeint. die Legitimation eben jenes Rufes und er verkennt vor allem unser demokratisches System. Auch hier ist der Dissens deutlich vorherzusagen. Wir haben im Grundgesetz über unser Sozialstaats- prinzip eine soziale Ordnung begründen können, um Vizepräsidentin Renate Schmidt: Herr Kollege Pro- die wir wiederum in der Welt vielfach beneidet wer- fessor Scholz, gestatten Sie eine weitere Zwischen- den und die sich vor allem durch eines auszeichnet: frage? Soziale Gerechtigkeit, Gestaltung der Sozialordnung sind von einem eminenten Maß an Dynamik im Wech- sel der Lebensverhältnisse gekennzeichnet. Dieses Dr. Rupert Scholz (CDU/CSU): Nein, bitte nicht Sozialstaatsprinzip war und ist die richtige Antwort mehr. Die Zeit eilt. auf die soziale Dynamik, auf die Entwicklung der so- zialen Verhältnisse. Es sind nicht die Konkretisierun- gen, die Sie wollen. Vizepräsidentin Renate Schmidt: Sie wird Ihnen Das Recht auf Arbeit, das Recht auf Bildung, das nicht angerechnet. Recht auf Wohnung, das ist in einem System Sozialer Marktwirtschaft weitgehend und vielfältig Kosmetik oder Lyrik. Verfassungsgebung hat dem Bürger ge- Dr. Rupert Scholz (CDU/CSU): Also, wenn sie mir genüber ehrlich zu sein. Sie hat dem Bürger zu sagen, nicht angerechnet wird, sehr gerne, Frau Präsiden- was einzulösen ist und was eingelöst werden kann. tin. Ein Recht auf Arbeit kann in der Konsequenz nur in einer sozialistischen Ordnung eingelöst werden, die nämlich den Staat in die Situation versetzt, die Pro- Gerd Poppe (Bündnis 90/GRÜNE): Herr Kollege, duktionsmittel selber zu beherrschen. Und dies wol- Sie berufen sich nun zum wiederholten Male zu Un- len wir nicht. recht auf die f riedlichen Revolutionäre des Herbstes (Beifall bei der CDU/CSU) 1989. Ich frage Sie: Ist Ihnen eigentlich bekannt, daß sich eben diese am Runden Tisch einen neuen Ent- Wir werden auf der anderen Seite eine Fülle von wurf gegeben haben, den sie in diese gesamtdeutsche Fragen haben, bei denen wir uns vielleicht rascher Verfassungsdiskussion einbringen wollten, und daß werden einigen können. dieser Entwurf gerade auch etwas zu den plebiszitä- Ich denke dabei an unseren Föderalismus. Wir ha- ren Elementen, zu dem Problem des Volksentscheides ben jetzt 16 Bundesländer von sehr unterschiedlicher sagt? Diese Diskussion wollen Sie gerade verhindern Stärke und Qualität. Wir haben den grundgesetzli- und tun das ausgerechnet mit dem Hinweis auf diese chen Auftrag der Einheitlichkeit der Lebensverhält- friedliche Revolution des Herbstes 1989. nisse einzulösen. Wir haben unsere Länder zu präpa- 1722 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 25. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 14. Mai 1991

Dr. Rupert Scholz rieren, zu stärken, auch im Prozeß der europäischen Vizepräsidentin Renate Schmidt: Das Wort hat Herr Einigung. Ich glaube, daß hier Wichtiges zu leisten ist Abgeordneter Professor Dr. Gerhard Riege. und daß hier das Grundgesetz tatsächlich der Ergän- zung bedarf, angefangen bei den Fragen der Partizi- pation der Länder im Prozeß der europäischen Eini- Dr. Gerhard Riege (PDS/Linke Liste): Frau Präsi- gung bis hin zur Kompetenzstärkung, bis hin auch zu dentin! Meine Damen und Herren! Es hat eine ge- Fragen der Finanzverfassung. wisse Logik, wenn aus der Art, wie die Bildung des gesamtdeutschen Staates vollzogen wurde, nämlich Wir werden uns über die Staatszielbestimmung unter Berufung auf Art. 23 des Grundgesetzes, Inhalt Umweltschutz verständigen müssen und können, und Form der Verfassungsdiskussion abgeleitet wer- über die wir ja schon sehr lange diskutieren. den. Mit Art. 5 des Staatsvertrages zwischen der Bun- desrepublik Deutschland und der DDR vom 31. Au- Aber auch hier, Frau Däubler-Gmelin, geht es gust 1990 würden dann die Themen der Verfassungs- darum, einen Kompromiß zu finden. Ihre Fassung ist diskussion schon bestimmt sein. Damit wäre ein zu für uns nicht akzeptabel. Ich denke an Ihr Streitge- enger Radius gewählt. spräch mit Herrn Minister Kinkel, das gestern im „Spiegel" erschienen ist. Wenn Sie davon sprechen, Obendrein hätten wir eine Situation, die im Grunde Staatszielbestimmungen seien einklagbar, sage ich aus der Vorgabe der Regierungen erwachsen ist. Wer Ihnen: Staatszielbestimmungen sind nicht einklag- miterlebt hat, wie dieser Staatsvertrag zustande ge- bar; sie sind keine subjektiven Rechte. Wenn Sie mit kommen ist, wird bestätigen müssen, daß er in einer Ihrem Verständnis der Staatszielbestimmungen in die intensiv genutzten Stunde der Exekutive seine Gestalt Diskussion gehen wollen, dann werden wir es in der erhielt. Was die Parlamente dazutun konnten, war Frage der Staatszielbestimmungen sehr schwer mit- wenig, vom unmittelbaren Anteil der Bevölkerung einander haben. Staatszielbestimmungen können braucht nicht geredet zu werden. Auslegungsmaßstäbe, Ermächtigungen und Aufträge Nun muß den Bürgerinnen und Bürgern in Ost und an den Gesetzgeber sein, aber nichts -anderes. Sie West die Möglichkeit geboten sein, auf das Gemein- müssen auch das nötige Maß an Offenheit für die wesen Einfluß zu nehmen, das sie erstreben. Die Jahr- gesetzliche Ausgestaltung der Zukunft wahren, so zehnte dauernde deutsche Teilung ist mit dem 3. Ok- wie es im übrigen das Sozialstaatsprinzip meisterhaft tober 1990 nicht einmal der Form nach in vollem Maße verstanden hat. aufgehoben. Soll die Teilung wirklich überwunden werden, muß eine Verfassung ermöglicht werden, die Die verfassungsrechtliche Diskussion vieler Details von den neuen Bundesbürgern mitgestaltet und des- wird uns im übrigen beschäftigen. Wenn Sie mir die halb mitgetragen wird. kleine Randbemerkung erlauben: Es gibt auch Fälle Ich kann mich schwer von dem Gefühl freimachen, — Sie haben einen großen Katalog angekündigt —, daß der Standpunkt, die Deutschen aus der ehemali- die wir gar nicht diskutieren müssen, z. B. die Frage gen DDR hätten im Grunde nichts in die von der alten der Beteiligung der Bundeswehr an internationalen Bundesrepublik geprägte Verfassungsordnung einzu- Einsätzen. Dies ist verfassungsrechtlich überhaupt bringen, vom gleichen Geiste ist wie der leider oft nicht lösungsbedürftig. Hier geht es, wenn überhaupt, gehörte, weil zu oft ausgesprochene Satz, die gewese- nur darum, noch deutlicher für das Bewußtsein der nen DDR-Deutschen müßten erst einmal arbeiten ler- Öffentlichkeit durch eine verfassungspolitische Klar- nen. Die Väter des Grundgesetzes hatten ihrem Werk stellung etwas zu bewegen. Aber ihre Diskussion um das Attribut des Vorläufigen gegeben. Die alte Fas- die Blauhelme und ähnliches hätten Sie sehr viel frü- sung des Art. 146 belegt es: In einer schließlichen her führen müssen, nämlich bevor Sie die Charta der deutschen Einheit sahen sie die notwendige Bedin- Vereinten Nationen seinerzeit akzeptiert haben mit gung für eine neue Verfassung, die sich der neue dem vorbehaltlosen Beitritt der Bundesrepublik Souverän geben würde. Die Formel, daß sich das Deutschland zu den Vereinten Nationen. Grundgesetz bewährt habe, sollte nun nicht genutzt (Beifall bei der CDU/CSU und bei Abgeord werden, um sich von dem realistischen Gedanken der neten der FDP — Dr. Burkhard Hirsch [FDP]: Verfassungsschöpfung, nach der Phase der Zweistaat- Verfassungsrechtlich unhaltbar!) lichkeit müsse der gesamtdeutsche Souverän sein Verfassungswort sprechen, loszusagen. Wir werden eine Fülle von Fragen zu diskutieren Mit dem Zusammenschluß der beiden deutschen haben. Es geht um Verfassungsänderungen, es geht Staaten ist die DDR als Staat untergegangen; mit ihm um Verfassungsanpassung. Nach unserer Auffassung ist auch aus der Bundesrepublik ein veränderter Staat ist der gemeinsame Verfassungsausschuß, paritätisch geworden. Man kann die Dinge drehen und wenden, von Bundestag und Bundesrat besetzt, das richtige wie man will, wir haben es nicht mehr mit der alten Gremium hierfür, weil er deutlich macht, daß es um Bundesrepublik zu tun, und sie ist nicht allein deshalb ein Verfahren der Verfassungsänderung nach Art. 79 verändert, weil sie ter ritorial größer und personell und nicht etwa um das Verfahren der Verfassungs- zahlreicher, weil sie durch den Zuwachs an Gebiet, neugebung geht. Dennoch sollten wir nicht zu lange Bevölkerung und wirtschaftlichem Potential zu einem um das Verfahren streiten, wir sollten, wie leicht vor- auf mannigfache Weise gewichtigeren Faktor in der hersehbar ist, um die Sache streiten. Unser Grundge- internationalen Politik geworden ist. setz hat es verdient. Bedingungen für eine Großmacht sind gesetzt. Daß Ich danke Ihnen. daraus weder gegenüber Europa noch gegenüber der weiteren Welt entsprechende Politik entspringt, muß (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Verfassungsgebot sein. Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 25. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 14. Mai 1991 1723

Dr. Gerhard Riege Im Grundgesetz ist die Doktrin von der Identität ohne zum Objekt einer Vereinnahmung zu werden. der Bundesrepublik mit dem alten Deutschen Reich Der Verfassungsentwurf des Runden Tisches war kein lebendig. Art. 116 mit seiner auf Deutschland in den marginales Ereignis. Grenzen von 1937 bezogenen Staatsangehörigkeits- Natürlich stellte er einen Kompromiß dar; denn er doktrin ist dafür markantes Beispiel. Es ist an der Zeit, war in dem Bemühen um Konsens erarbeitet. Ihn ha- daß sich der Souverän im vereinigten Deutschland ben politische Kräfte mitgeformt und mitgetragen, die davon verabschiedet. Das schließt eindeutige Aussa- ihn wenig später preisgaben, die sich ungern an ihre gen zur Stabilität der Grenzen ein. Europäische Er- einstigen guten Gedanken erinnern lassen und die wartungen würden damit erfüllt. heute in anderen großen gesamtdeutschen Parteien So wenig wie die Völker Europas es vergessen wer- keinen Mut zeigen, unter den neuen Bedingungen den, dürfen wir nicht vergessen, daß die eben über- das Verfassungsthema in vergleichbarer Gründlich- wundene Zweistaatlichkeit auch eine Folge der keit und Konstruktivität zu erörtern. schweren Schuld gewesen ist, die aggressive deut- Im Kuratorium für einen demokratisch verfaßten sche Großmachtpolitik in der ersten Hälfte dieses Bund deutscher Länder reift das Angebot eines Textes Jahrhunderts begründet hat. Das verpflichtende Be- einer Gesamtverfassung. kenntnis zum Antifaschismus gehört in die Verfas- sung. Das Verfassungswerk von Weimar enthielt — z. B. im Demokratiebereich — Lösungen, die es wert sind, Es gibt im neuen Deutschland ein neues Staatsvolk. befragt zu werden. Mir scheint auch, daß die konsti- Zum wirklichen Souverän muß es noch werden. Ein tutionellen Erfahrungen anderer, insbesondere unverzichtbarer Schritt auf dem Wege dorthin wird west- europäischer Völker, für uns anregend sein kön- die Einflußnahme auf die Verfassung sein. Die Abge- nen. ordneten und das Parlament sind in bezug auf die Verfassung unverzichtbare Teile dieses Souveräns, Inhalte sind zu benennen, mit denen sich eine Ver- nicht jedoch dessen Stellvertreter. fassungsdiskussion beschäftigen muß. Das sind die Grundrechte. Ein neuer Staat und ein neues Staatsvolk, das sind — zumal unter den veränderten internationalen Be- Das Grundgesetz ist für den sozialökonomischen dingungen — Gründe, die es gebieten, das Verfas- Bereich aus meiner Sicht ergänzungsbedürftig. Das sungsproblem in seiner gesamten Breite zu durchden- Bedürfnis der Menschen nach Konkretisierung des ken und nach zeitgemäßen Lösungen zu suchen. — Sozialstaatsgebots in Gestalt von Grundrechten und Hier liegen Gründe, die es verbieten, dem Grundge- Staatszielbestimmungen ist groß. setz nur hier und da ein neues Lichtlein aufzuset- zen. Das massenhafte Erleben sozialer Unsicherheit in den neuen Bundesländern hat es verstärkt. Wir treten Etwa 40 Änderungen hat das Grundgesetz in seiner auch und gerade unter marktwirtschaftlichen Bedin- bisherigen Geschichte erfahren. Sie waren unter- gungen für ein Recht auf Arbeit ein, für das spezifi- schiedlich in ihrem Gewicht und verschieden in ihren sche Gewährleistungsformen gefunden werden müs- Anlässen. Aber keiner der Gründe war vergleichbar sen. Das kann nicht mit dem Satz abgetan werden, mit dem Jahrhundertereignis, daß die Bildung des daß die Forderung nach einem Recht auf Arbeit dem deutschen Gesamtstaates darstellt. Da muß gerade Verlangen gleichkäme, ständig Sonnenschein haben das Wort gelten, die adäquate Verfassung zu schaffen. zu wollen. Wer nur in der deutschen Einheit den Anlaß sieht, sich Die Verfassung muß das dem Verfassungsproblem zuzuwenden, übergeht die Recht auf Wohnung ent- halten. vielen Diskussionen der vergangenen Jahre, die auf eine Verfassungsnovellierung zielten. Die Teilhabe an der Kultur ist für das Menschsein so Diese Diskussionen verstummten beinahe schlagar- gewichtig, daß es verfassungsmäßigen Ausdruck er- fahren sollte. tig, als die Bildung des Gesamtstaates greifbar näher- rückte und Art. 23 zur Schlüsselnorm der deutschen Ein Verbot der Diskriminierung aller Arten von Einheit gekürt wurde. Da war Kritik am Grundgesetz Minderheiten sollte festgeschrieben sein. Die Gleich- nicht mehr opportun. stellung der Ausländer ist zu fixieren. Verfassungsarbeit von heute kann und muß sich auf Die Erhaltung der Grundlagen unseres Lebens muß eine breite Materialbasis stützen. Dafür liegt im zum allgemeinverpflichtenden Verfassungsgebot Grundgesetz selbst ein Fundus. werden wie das Recht auf eine heile Umwelt zum Verweisen möchte ich aber auch mit gleichem grundrechtlichen Anspruch des Menschen. Nachdruck auf den Verfassungsentwurf des Runden Ihm muß das Recht auf informationelle Selbstbe- Tisches mit seinen vielfältigen und neuartigen Sich- stimmung zustehen. ten auf Gesellschaft und Staat, auf Bürger, Mitmen- Wir plädieren für schen und Gesellschaft, auf mittelbare und Vertre- Staatszielbestimmungen, die tungsdemokratie sowie auf Natur, Welt und Frieden. nicht unverbindliche Programmpunkte, sondern ver- Nie sollte vergessen werden, daß der Verfassungsent- bindliche, bindende Handlungsorientierungen und wurf von jenen Kräften initiiert wurde, die den Wand- weitestgehend durch konkrete Rechte untersetzt sind. lungsprozeß auf dem Gebiet der DDR am stärksten beeinflußt haben, und daß er ein Rechtsdokument Im Grundgesetz ist der Weg zu Gemeineigentum sein sollte, auf dessen Basis ein gesamtes Staatsvolk und gemeinwirtschaftlichen Produktionsformen frei- den Weg in die deutsche Einheit hätte gehen können, gehalten. Die Auseinandersetzungen um Aufgaben 1724 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 25. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 14. Mai 1991

Dr. Gerhard Riege und Praxis der Treuhand zeigen, daß in diese Rich- tieller Abrüstung auch als Voraussetzung dafür gere- tung Verdeutlichung zweckmäßig ist. gelt werden, daß Unterentwicklung überwunden, Exi- stenz und Fortschritt der Menschheit gefördert wer- Vertretungsorgane sind natürlich unerläßlich für den können. den politischen und staatlichen Prozeß der Willensbil- dung. Die parlamentarische Demokratie aber, die Das Friedensgebot müßte zu einer Verpflichtung sich in diesem Lande ausgebildet hat, kann nicht die für aktives, dem Frieden und den freundschaftlichen letzte Antwort darauf sein, wie sich die Gesellschaft Beziehungen zwischen den Völkern dienendes Han- im Staat ausdrückt. Sie gewährleistet es nicht hinrei- deln fortentwickelt werden. Die Verpflichtung zur chend, daß sich die Vielfalt der in der Gesellschaft friedlichen Streitbeilegung und zum Verhüten von vorhandenen Interessen in den Entscheidungsabläu- Konflikten sollte ebenso ausdrücklichen Verfassungs- fen ausdrücken kann und die parlamentarischen Gre- rang erlangen wie das Ziel, einen f riedliebenden, ent- mien Foren sind, in denen sie sich artikulieren kön- militarisierten, demokratischen und sozialen Bundes- nen. staat Europa zu schaffen. Nach den gewiß ergänzungsfähigen Skizzen zum Die schlichte Reduktion des Demokratieprinzips Inhalt der Verfassungsdiskussion, wie die Gruppe auf das Verhältnis von Mehrheit und Minderheit PDS/Linke Liste sie für geboten hält, möchte ich zum scheint mir nicht mehr zeitgemäß. Deshalb sollte das Verfahren folgendes bemerken. Die Mitglieder mei- Gesamtgefüge von Institutionen und Spielregeln der ner Gruppe sprechen sich dafür aus, Prozeß und Ab- Demokratie auf Grund gesammelter Erfahrungen, schluß der Verfassungsgebung so zu gestalten, daß darunter auch derjenigen aus der letzten Zeit der sich die Bürgerinnen und Bürger unseres Landes mit DDR, überdacht und optimiert werden. ihren Vorstellungen und schließlich mit ihrem autori- Das Verhältnis von Parteien, anderen politischen sierenden Wort einbringen können. Wir sind für ein Vereinigungen und Bürgerbewegungen zum Staat Verfassungsgremium, an dem neben professionellen und zu seinen Strukturen steht zur Diskussion. Die Verfassungspolitikern und Verfassungsrechtlern Re- Einseitigkeit der grundgesetzlichen Entscheidung- für präsentanten der Öffentlichkeit, z. B. von Gewerk- die repräsentative Demokratie bedarf nach unserem schaften, Bürgerbewegungen, Kirchen, mitwirken. Erachten der Ergänzung durch Formen der unmittel- Wir sind für eine weitestgehende Öffentlichkeit der baren Demokratie. Beratungen. Der Weg, auf dem die Verfassung ihre Die Notstandsverfassung sollte auf kürzestem Gestalt gewinnt, muß so gewählt werden, daß jeder, Wege das Grundgesetz verlassen. der an ihm Anteil nehmen will, dies auch durch Infor- mationen, Stellungnahmen und Reaktionen darauf Unlängst hat Frau Hamm-Brücher die Tribüne des kann. Es würde verfassungsgestalterische Kraft aus Bundestags nochmals genutzt, um ihre Vorstellungen der Bürgerschaft unerschlossen bleiben, sollte das vom Platz des Parlaments mitzuteilen. Daß der ge- Wort des Souveräns der Verfassung nur in einem Ja wählten Körperschaft im Verhältnis zur Regierung oft oder Nein zu einem fertigen, ihm vorgelegten Text die nötige sachlich begründete Souveränität fehlt, ist bestehen. Dieses Parlament, verehrte Abgeordnete, wiederholt ausgesprochen worden. Die Verfassungs- kann sich dadurch weit über seine Legislaturperiode diskussion gibt Gelegenheit, die reale Stellung des hinaus einen Demokratiebonus erwerben, daß es der Parlaments anzuheben. Wählerschaft die Chance gibt, Alternativvorschläge Das Verhältnis zur Exekutive, die Gestaltung der zu wichtigen Gegenständen zur Kenntnis zu nehmen Entscheidungsprozesse im weitesten Sinne so, daß sie und darüber zu befinden. auch von der Öffentlichkeit, an die sich die Entschei- Die Koalitionsfraktionen haben einen Beschlußan- dungen schließlich wenden, verstanden, nachvollzo- trag eingebracht, der von seiner gesamten Anlage her gen und, wenn möglich, beeinflußt werden können, das Verfassungsproblem der Öffentlichkeit entzieht. sind Stichworte, die nach weiterführenden Lösungen Dieser Beschlußentwurf kann keine seriöse Entschei- rufen. dungsgrundlage abgeben. Wir setzen uns mit den anderen politischen Kräften Wir unterstützen die Bildung eines Verfassungsra- für einen Ausbau des Förderalismus ein. Das hat be- tes. Die Vorschläge vom Bündnis 90/GRÜNE und von sonderes Gewicht angesichts der Situation, in der sich der SPD enthalten dem Gegenstand angemessene Lö- die neuen Bundesländer befinden, zumal sich in ihnen sungen. Schließlich plädieren wir für eine plebiszitäre und durch sie in hohem Maße die Entwicklungen voll- Autorisierung der Verfassung, die dem geltenden ziehen müssen, die zu angeglichenen Lebensverhält- Grundgesetz nicht zuteil geworden ist. nissen in Deutschland führen. All das ist von der oft geäußerten Erkenntnis be- Eigene Akzente setzen die Tendenzen der europäi- stimmt, wonach das Kernproblem der modernen Ver- schen Integration und die Beachtung der Erfahrungen fassung in der Volkssouveränität besteht. des europäischen Regionalismus. Danke. (Beifall bei der PDS/Linke Liste) Lassen Sie mich schließlich darauf verweisen, daß die dem Wirken der Bundesrepublik für Frieden, in- ternationale Sicherheit und Zusammenarbeit der Vizepräsidentin Renate Schmidt: Das Wort hat Herr Staaten und Völker in Europa und weltweit gewidme- Kollege Detlef Kleinert. ten Regelungen des Grundgesetzes ergänzt werden sollten. Abgeleitet aus der internationalen Stellung und Verantwortung Deutschlands sollten Gebote zu Detlef Kleinert (Hannover) (FDP): Frau Präsidentin! globalem Umweltschutz, zu drastischer und substan Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Es ist Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 25. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 14. Mai 1991 1725

Detlef Kleinert (Hannover) immer wieder reizvoll, einen Vertreter der PDS zu Fra- sen — , die Vertreter der Gruppen, insbesondere die gen der Demokratie zu hören. Vertreter des Bündnisses 90/GRÜNE, mit Sitzen mit entscheidender Stimme zu bedenken, weil es einfach (Heiterkeit und Beifall bei der FDP und der nach unserem System an dieser Stelle, genauso wenig CDU/CSU) wie in irgendeinem anderen Ausschuß des Hauses, Es wäre für die von uns stets gesuchte sachliche Aus- nicht passen würde. Deshalb sieht unser Entwurf aus- einandersetzung natürlich noch hilfreicher, wenn sich drücklich vor, daß die Teilnahme mit beratender das weniger im Nebulös-Theoretischen als vielmehr Stimme stattfinden soll. Da die Entscheidungen letzt- in ganz praktischen Vorschlägen darstellen würde. lich nicht in einem solchen Beratungsgremium fallen Dann könnte man eher nachfühlen, was es heißt, daß werden, liegt darin insoweit die Möglichkeit einer das Parlament seinen Aufgaben im Verhältnis zur anständigen Beratung. Verwaltung — wir bemühen uns redlich und nehmen Der von Ihnen vorgeschlagene Verfassungsrat Ratschläge weiterhin entgegen — nicht so recht ge- würde mit Sicherheit zu einer ungewöhnlich umfang- wachsen ist und wer an dessen Stelle treten sollte. reichen Stoffsammlung für alles Wünschenswerte auf Solche Dinge andeutungsweise am Beginn dieser Be- dieser Welt, insbesondere im Bereich dieser Republik, ratung hätten unser Verständnis der Demokratieauf- führen. Wir wissen aber dann immer noch nicht, wie fassung Ihrer Partei, die doch früher unübersehbar wir aus einer solchen Stoffsammlung die notwendi- einige Defizite hatte, vielleicht erhellen können. gerweise mit Zweidrittelmehrheit zu tragenden kon- (Heiterkeit und Beifall bei der FDP und der kreten Schlußfolgerungen ziehen sollten. CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD (Beifall bei der FDP) — Dr. Ulrich Briefs [PDS/Linke Liste]: Und die braune FDP in Nordrhein-Westfalen Darum bin ich der Meinung, wir sollten es bei einer Ende der 50er Jahre?) arbeitsfähigen Gruppe belassen, die nach unserem Antrag einzusetzen wäre. Kein Mensch kann Sie hin Das Interessantere ist natürlich, sich zu fragen, was - dern — wie ich Sie kenne, werden Sie sich nicht im die verehrlichen Kolleginnen und Kollegen von der geringsten hindern lassen — , eine Fülle von beraten- Sozialdemokratie bewogen hat, hier heute mit dem den Gruppierungen einzusetzen, um nicht nur auf Antrag auf die Berufung eines Verfassungsrates an Ihren internen, sondern auch auf den zahlreichen ex- uns heranzutreten, während wir mit einem nach den ternen Veranstaltungen für Ihre speziellen Vorstel- Worten von Frau Däubler-Gmelin „Mini-Ausschuß" lungen zu dem Thema zu werben. Wir werden das Ihren Unwillen erregen. alles aufmerksam zur Kenntnis nehmen und damit die (Dr. Herta Däubler-Gmelin [SPD]: Meinen Beratungen zusätzlich zu bereichern suchen. Unwillen haben Sie nie!) Daß dies alles aber in einem Ausschuß stattfinden Ich glaube, wir haben bis jetzt noch etwas unter- soll, der dadurch an die Grenze der Arbeitsfähigkeit schiedliche Vorstellungen von dem, was hier insge- bzw. -unfähigkeit oder sogar darüber hinaus geraten samt geschehen, was hier geleistet werden soll. Von würde, leuchtet uns nicht so recht ein. Darum bitten daher kommen wir dann naturgemäß auch zu anderen wir in Anbetracht aller anderen Möglichkeiten herz- Vorstellungen über die zweckmäßige Anlage der Ar- lich, unserem Antrag zuzustimmen, damit wir mög- beit. Wir haben uns gedacht, eine Verfassung, die sich lichst bald in das von uns mit Ihnen dringend gesuchte im Ganzen bewährt hat — daran sind wir alle, und Gespräch über eine Reihe von Sachfragen eintreten zwar an jeder Stelle dieses Hauses und jeder in Regie- können. rungsverantwortung, schon beteiligt gewesen —, Keineswegs kann ich diese Sachfragen heute auch fortzuschreiben, so wie es im Einigungsvertrag ohne nur andeutungsweise im einzelnen durchgehen. Ich Erwähnung weiterer Einzelheiten festgelegt ist. möchte aber einmal auf etwas ganz Grundsätzliches Es ist ganz offensichtlich — darüber wäre sehr hinweisen; vielleicht gibt es auch da im Moment noch schnell Einigung zu erzielen — , daß in jedem Fall Unterschiede, die sich im Laufe der Diskussionen ap- einige Dinge geändert werden müssen. Man sollte bei planieren könnten und auch sollten. Man sollte den dieser Gelegenheit überlegen, was des weiteren wün- Unterschied zwischen dem, was die Verfassung lei- schenswerterweise in einem Zuge an der Verfassung sten kann, und dem, was die Politik leisten muß, sehr geändert werden soll. Drittens kann man sich auch deutlich machen und nicht bei gegebener Gelegen- darüber unterhalten, was von den verschiedenen Sei- heit, nämlich aus Anlaß der deutschen Einigung, die ten des Hauses unterschiedlich als notwendig angese- trotz allem, was hier Schmeichelhaftes über das Er- hen wird — ein Vorgang, auf den wir nun zusteu- gebnis des Runden Tisches in letzter Minute gesagt ern. worden ist, verfassungsmäßig wenig revolutionären Impetus gezeigt hat, versuchen, das, was Politik im Ich glaube, wenn wir etwas Sachliches bewegen Detail leisten muß, mit einem Kunstgriff in die Verfas- wollen, so wie es uns aufgegeben ist, dann ist die von sung zu befördern, so zu tun, als wäre es damit schon uns vorgeschlagene 32er-Kommission, die sich ma- erledigt, und schließlich mindestens die Gefahr in thematisch zwingend aus der Zahl von 16 Bundeslän- Kauf nehmen, daß dafür nicht bestimmte Verfas- dern und der gleichen Zahl von Mitgliedern des Bun- sungsorgane dann die Detailarbeit schon leisten wer- destages herleitet, das größte, was man sich an ar- den. Eine solche Veränderung unserer bisherigen beitsfähigem Gremium für eine sachlich weiterfüh- Verfassungswirklichkeit würden wir allerdings kei- rende Unterhaltung vorstellen kann. neswegs hinnehmen wollen; sie droht aber. Wenn Wegen dieser Mathematik ist es uns leider nicht man mit dem Recht auf Wohnung, mit dem Recht auf möglich — darauf möchte ich ausdrücklich hinwei- Arbeit, mit dem Recht auf Bildung und weiteren 1726 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 25. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 14. Mai 1991

Detlef Kleinert (Hannover) Staatszielbestimmungen so tut, als hätte jeder das Beratungen das zusammenzuführen, was der Bundes- Recht und nun hätte er auch Arbeit und Wohnung und rat hier anstrebt und was auch wir im wohlverstande- Bildung. nen Interesse dieses Hauses anstreben sollten, damit (Beifall bei der FDP — Zuruf von der SPD: Europa wirklich aus der Vielfalt seiner Glieder leben Bildung!) kann und nicht unnötigerweise von einer Zentrale aus, über einen Kamm hinweg geschoren, regiert — ganz und gar Bildung — , dann ist das doch die wird. Erweckung völlig falscher Vorstellungen, dann ist das etwas, was wir den Bürgern bei dieser Gelegenheit Die Frage ist aufgeworfen worden, was denn zum nicht antun sollten. Gelöst ist damit gar nichts. Schluß mit der zu verabschiedenden Verfassung zu geschehen hat. Es wird Art. 146 zitiert. Dabei wird (Zuruf von der SPD: Leider!) gesagt, Art. 146 würde vorschreiben — so sagt es der Der Detailteufel der praktischen parlamentarischen eine — , er würde nahelegen — so sagt es der an- Arbeit wird mit einem Kunstgriff über die Verfassung dere — , durch eine Volksabstimmung zum Schluß das zunächst zum Verschwinden gebracht. Wenn wir viel Ergebnis wirklich zu legitimieren. Glück haben, taucht er dann bei uns wieder auf. Wenn Herr Scholz hat schon darauf hingewiesen, daß das wir aber etwas weniger Glück haben, werden wir er- Grundgesetz sehr wohl legitimiert ist, daß es auch stens von Richtern und zweitens von Verwaltungen durch die Praxis, in der wir alle gestanden haben und oft und wieder oft hören, daß die Verfassung ihnen stehen, legitimiert ist und daß es nicht zuletzt, sondern aufgibt, jetzt so und so zu entscheiden, weil das Ge- in ganz besonders vornehmer Weise durch das Ergeb- setz nicht genügend für den zu entscheidenden Fall nis legitimiert ist, daß wir heute als Vertreter eines hergibt. Dann wird aus dem Vollen geschöpft; jede Deutschland hier sitzen und daß die deutsche Eini- Art von Rechtssicherheit kommt abhanden; die per- gung auch und gerade mit Hilfe dieses Grundgesetzes sönliche Einstellung des Richters zu im Grunde politi- und seiner sorgfältigen Beachtung erreicht worden schen und eben nicht juristischen Fragen gewinnt ein ist. Gewicht, das für sie nicht vorgesehen worden- ist. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Deshalb glaube ich nicht, daß es sehr sinnvoll wäre, der CDU/CSU) den Segen eines Plebiszits Deshalb wollen wir uns auf diesen Weg nicht bege- (Zuruf von der SPD: Doch!) ben. ausgerechnet am Ende einer Beratung über gewisse An dieser Stelle muß man leider anmerken, daß jün- Modernisierungen und Anpassungen unseres Grund- gere Vorgänge in Niedersachsen in bezug auf das, gesetzes auszuprobieren. was dann richterlicherseits geschehen könnte, zu denken geben: Wenn Frau Griefahn, die niedersäch- (Detlev von Larcher [SPD]: Nicht du alleine sische Umweltministerin, in ihrem Hause die Ausar- kannst entscheiden!) beitung eines aus Steuergeldern bezahlten Gutach- — Hier haben schon manche versucht, irgend etwas ters kursieren läßt, der empfiehlt, zur Erreichung um- alleine zu bewegen. Ich habe nie gehört, daß das zu weltpolitischer Ziele zunächst einmal dafür zu sorgen, sichtbaren Erfolgen geführt hätte. daß die Verwaltungsrichterschaft im Sinne der be- freundeten besonderen Umweltfreunde besetzt und (Dr. Willfried Penner [SPD]: Nein, das kön ausgerichtet werden möge, dann sind das Vorgänge, nen wir bestätigen!) die man in einem Rechtsstaat mit äußerstem Abscheu — Ich bin sehr dankbar für diese Bestätigung. zurückweisen muß (Lachen bei der SPD) (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU — Ausgerechnet ein fix und fertiges Produkt — davon Zurufe von der SPD: Na, na!) geht ja wohl die Sozialdemokratische Partei aus — und die überhaupt keine Veranlassung geben, auch schließlich einer Volksabstimmung zu unterziehen, nur die Gefahr einer Vermengung der parlamentari- schen und politischen Aufgabe mit der richterlichen (Detlev von Larcher [SPD]: Nach einer lan Aufgabe zuzulassen. Das würde aber geschehen, gen öffentlichen Debatte!) wenn wir uns auf dem Wege der von Ihnen so gelieb- die dann pro forma stattfinden müßte: Das wäre eine ten Staatsziele nur gehörig weiterbewegten. Veranstaltung, bei der mir — jedenfalls aus heutiger Es gibt ganz andere Dinge, über die wir uns — Sicht — nicht so recht wohl ist. Warum soll man aus- gerade dieses Haus — bei der Gelegenheit etwas in- gerechnet da den Eindruck erwecken, es würde etwas tensiver unterhalten sollten. Wenn nämlich der Bun- entschieden, wenn den Beteiligten, wenn Auguren, die mit Zweidrittelmehrheit entschieden haben, desrat begehrt, bei Verzicht auf Hoheitsrechte dieser Republik stärker beteiligt zu werden, um seine föde- schließlich klar ist, daß das kein Beitrag zu einer wirk- ralen Rechte wahren zu können, haben wir für dieses lichen Entscheidung in der Sache sein kann? Anliegen großes Verständnis. Was mir auffällt, ist, daß Anderes, was zu Fragen des Plebiszits zu sagen sich der Bundestag die gleiche Sorge gar nicht so sehr wäre, wird in den Debatten, die wir sicher nicht nur in in diesem Maße gemacht hat um das, was praktischer einem — wie auch immer zusammengesetzten — weise von Europa aus auch uns an geringerer Beteili- Verfassungsgremium, sondern auch hier in diesem gung und an nicht unbedingt notwendiger Entmach- Hause führen werden, noch zu sagen sein. Darüber tung und an Verlust von nationaler Souveränität blü- werden wir uns sicherlich nicht so rasch verständigen. hen kann. Darum sollten wir versuchen, in unseren Es gibt aber sehr viele Dinge, über die wir uns ver- Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 25. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 14. Mai 1991 1727

Detlef Kleinert (Hannover) ständigen können, über die wir uns auch verständigen Was heißt es, diesen Weg in der heutigen Situation sollten. Darum möchte ich heute alle Beteiligten sehr Deutschlands auch wirklich zu gehen? Es heißt zual- herzlich bitten. lererst, der Bevölkerung der Ostländer die Ausübung Unsere bewährte Verfassung hat es verdient, daß ihrer freien Selbstbestimmung, die Ausübung ihrer wir uns gemeinsam um eine angemessene Anpassung verfassunggebenden Gewalt so zu ermöglichen, daß an den jetzt eingetretenen Zustand bemühen. sie am Prozeß der Verfassungsdiskussion und Verfas- sunggebung aktiv beteiligt ist und daß jener Miß- Herzlichen Dank. brauch beendet wird, der darauf beruht, das Grund- (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU — gesetz so auszulegen, als ob in Art. 20 nur stünde, daß Detlev von Larcher [SPD]: Die FDP hat bes das Volk seine verfassunggebende Gewalt in Wahlen sere Köpfe!) ausübt. Es hieße zweitens, auch den Westländern in der gleichen Aktivität ein Ja zu der gemeinsamen politi- Vizepräsidentin Renate Schmidt: Das Wort hat Kol- schen Situation zu ermöglichen, das über bloße Emo- lege Dr. Wolfgang Ullmann. tionen oder eine bloße Affirma tion des Status quo, wie ich sie jetzt bei meinen Vorrednern gehört habe, er- kennbar hinausgeht. Wie weit wir von einem solchen Dr. Wolfgang Ullmann (Bündnis 90/GRÜNE): Frau Ja entfernt sind, das zeigt am besten der blamable Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Debatte, Verlauf der Berlin-Debatte. die wir heute eröffnen, war überfällig. Seit eineinhalb Jahren steht das Thema „Demokratie" und „Demo- Die klarste Antwort auf diese Anforderungen wäre kratisierung" auf der Tagesordnung der Vereinten jener Schritt, den der Deutsche Bundestag in zwei Nationen, auf der Tagesordnung Europas und darum Beschlüssen 1951 und 1952 schon einmal ins Auge auch auf der Tagesordnung des vereinigten Deutsch- gefaßt hatte: die Wahl einer verfassunggebenden Na- tionalversammlung. Die Geschichte des vorigen Jah- land. Demokratisierung heißt: Das Ganze unseres- ge- sellschaftlichen und politischen Lebens wird sich so res ist anders verlaufen und hat freie Wahlen nur als verändern, daß der Wirkungskreis der Demokratie Parlamentswahlen realisiert. Angesichts dessen er- auch die erreicht, die bisher von ihm ausgeschlossen scheint es uns als das einzig Angemessene, die Länder waren, und auch noch jene Bereiche unseres Lebens dadurch an der gesamtdeutschen Verfassung zu be- erfaßt, die wir bisher als beliebig verfügbares Mate rial teiligen, daß die Hälfte eines aus 160 Vertretern und zu behandeln pflegten. Vertreterinnen, paritätisch aus Männern und Frauen zusammengesetzten Verfassungsrates von den Län- Wie beantwortet die regierende Koalition diese ein- dern nach einem Verfahren bestellt wird, das auch malige Herausforderung? Ehe ich den eingebrachten Nichtparlamentariern eine Beteiligung ermöglicht. Vorschlag beurteile, will ich in Erinnerung rufen, was Dadurch, daß auch der Bundestag nach den Mehrhei- das Grundgesetz für genau diese Situation vor- ten seiner Fraktionen eine Hälfte des Verfassungsra- schrieb; ist es doch eines der Merkmale, die dem tes stellt, ist auch das Ergebnis der freien Wahlen im Grundgesetz eine einmalige Stellung in der deut- Verfassunggebungsprozeß berücksichtigt, der durch schen Verfassungsgeschichte zuweisen, daß es diese Volksentscheid zu vollenden ist. Das Volk muß die Situation, in der wir uns jetzt befinden, in seiner Prä- Möglichkeit haben, ja zu sagen. Ich finde es wirk lich ambel und seinem letzten Artikel bewußt als Ziel ver- bedrückend, mit welchen schlechten Witzen dieses Ja fassungsgemäßen staatlichen Handelns schon vor- hier verniedlicht worden ist. wegnahm. Was aber schlägt nun die regierende Koalition vor? Verfahren und Inhalt der Verfassungsreform ste- Einen 16-Mitglieder-Ausschuß des Bundestages, der hen schon für das Grundgesetz in engstem Zusam- mit einem Bleichstarken Bundesratsausschuß als Ver- menhang. Dennoch will ich mich jetzt im Hinblick auf fassungskommission, also als Verfassungsausschuß, die vorliegenden Entschließungsentwürfe an eine zusammentreten soll. Die Vertreter von Bündnis 90/ Stellungnahme zu den Verfahrensvorschlägen halten. DIE GRÜNEN sollen als überzählige Mitglieder ohne Über die inhaltlichen Vorstellungen der Gruppe Stimmrecht beteiligt werden. Bündnis 90/DIE GRÜNEN wird der von der Gruppe mitgetragene Verfassungsentwurf des Kuratoriums Meine Damen und Herren von der CDU/CSU und für einen demokratisch verfaßten Bund deutscher der FDP, Sie mußten sich darüber im klaren sein, daß Länder, der noch in diesem Monat veröffentlicht wer- Sie mit diesem Vorschlag zu diesem Thema Stellung den soll, detaillierte und konkrete Auskunft geben. auch gegenüber den Bürgerbewegungen bezogen, deren einziges Ziel es war, mit verfassungswidrigen Das Grundgesetz verlangt unter der Bedingung, und menschenrechtsverletzenden Zuständen in ei- daß der Frieden der Welt und die Vereinigung Euro- nem Teil unseres Landes Schluß zu machen. pas dabei gefördert werden können, daß auch den Ländern, die am Entwurf und der Inkraftsetzung des Ihr Vorschlag enthält auch eine Stellungnahme zu Grundgesetzes nicht teilnehmen konnten, das Recht denen, von denen die Initiative zur Einberufung des freier und gemeinsamer Selbstbestimmung zu eröff- Runden Tisches und zum Beschluß zur Auflösung des nen sei, so daß am Ende dieses Prozesses in freier Ent- Ministeriums für Staatssicherheit, das damals nur in scheidung das ganze Volk eine gemeinsame Verfas- ein Amt für Nationale Sicherheit umgewandelt wer- sung aller deutschen Länder in Kraft setzen kann. den sollte und damit zum entscheidenden Schritt zur Art. 5 des Einigungsvertrages hat diesen vom Grund- Wiederherstellung der Grundrechte und verfassungs- gesetz vorgeschriebenen Weg unter Berufung auf mäßiger Zustände auf dem Territorium der ehemali- Art. 146 des Grundgesetzes noch einmal bekräftigt. gen DDR ausgegangen ist. 1728 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 25. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 14. Mai 1991

Dr. Wolfgang Ullmann Ihr Vorschlag enthält eine Stellungnahme zu denen, kratische Gleichberechtigung im Namen der Männer die schon in der ersten Sitzung des Runden Tisches und Frauen, die wir vertreten. durch einen Beschluß die Verfassungsdebatte eröff- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) neten, die der Deutsche Bundestag heute endlich auf- Das Bündnis 90/GRÜNE hat bei den Verhandlun- nimmt, eine Stellungnahme zu denen, die angesichts des immer chaotischeren Umgehens der Volkskam- gen über den Fraktionsstatus, denke ich, ganz deut- mer mit in sich unklaren Verfassungsgrundsätzen als lich bewiesen, daß wir unsere Grenzen sehr genau erste einen entscheidenden Schritt zur Inkraftsetzung kennen. Genauso kennen wir aber auch unsere des Grundgesetzes im Sinne des Art. 23 Satz 2 forder- Würde. Das Spiel, das hier mit uns gespielt werden soll, werden wir nicht mitspielen. In Sachen Verfas- ten. sung lassen wir uns nicht zu Statisten machen. Diesen Vertretern der Bürgerbewegungen wollen (Beifall beim Bündnis 90/GRÜNE und bei Sie eine Art Gaststatus in der Bundestagsgruppe der Abgeordneten der SPD) Verfassungskommission anbieten. Was eigentlich ha- ben Sie sich mit diesem Vorschlag angesichts der Her- Meine Damen und Herren, ich schäme mich für die ausforderungen der Zeit, in der wir leben, gedacht? Parteien, die diesen Antrag eingebracht haben, die Parteien von Jakob Kaiser, Hermann Ehlers und (Zuruf von der SPD: Nichts!) Theodor Steltzer, von Theodor Heuss und Thomas Ganze Völker drängen auf den Areopag der Demo- Dehler. kratie. Die Völker Osteuropas skandieren die An- (Beifall beim Bündnis 90/GRÜNE und bei fangsworte der amerikanischen Verfassung: Wir, das Abgeordneten der SPD) Volk! Sie haben dazu nichts Besseres als einen klei- Sie haben diesen Antrag just in dem Moment einge- nen Parlamentsausschuß vorzuschlagen, der nicht bracht, in dem das Ansehen des Staates so schwer einmal dem Umfang eines der großen Ausschüsse der Schaden gelitten hat, wie es in Halle jüngst geschehen üblichen Parlamentsarbeit entspricht. ist. In einer solchen Lage hilft nicht der Ruf nach der (Zuruf von der SPD: So sind sie!)- Polizei, sondern der Ruf nach mehr Demokratie. Der Ruf nach der Polizei ist der letzte Ausweg aller ge- Sind Sie taub für die Signale, die darauf deuten, daß scheiterten Politiker. Das haben wir gerade in der ehe- sich auch dieser unser Alltag, Herr Kleinert, vollstän- maligen DDR gelernt. dig ändern muß? Gewiß, wir sind Leute, die eine To- talrevision fordern, nicht, wie Sie uns unterstellen, (Beifall beim Bündnis 90/GRÜNE und bei der eine Totalrevision all dessen, worauf Freiheit und De- SPD) mokratie beruhen, aber eine Totalrevision einer veral- Die Debatte über eine Verfassungsreform wird nur teten politischen Philosophie, die immer wieder ver- dann ein Ruf nach Demokratie sein, wenn sie sich mit sucht, Art. 146 zu unterminieren, eine Totalrevision all einem demokratiegemäßen Verfahren vollzieht. Ich dessen, was Demokratie und Demokratisierung ge- hoffe, daß die Beratungen des Bundestages und seiner fährdet, aufhält, verengt. Ausschüsse zu einem solchen Verfahren führen. Ich Wir wollen keine Achsen nach links verschieben, bitte Sie darum, in die Diskussion unserer Vorschläge sondern die Achse der Demokratie, der Freiheit auf- einzutreten. richten, geradestellen, damit sich die Umschwünge (Beifall beim Bündnis 90/GRÜNE, der SPD des politischen Lebens vollziehen, ohne daß dabei und der PDS/Linke Liste) Geräusche entstehen, die das Ohr derer beleidigen, die noch ein Rechtsgefühl und Rechtsbewußtsein ha- Das Wort hat der ben. Vizepräsidentin Renate Schmidt: Minister des Innern, Dr. Wolfgang Schäuble. Auch die Frage der Währungs- und Wirtschafts- union war eine Frage der Demokratie. Sie ist so unde- mokratisch gelöst worden, daß wir alle heute die Dr. Wolfgang Schäuble, Bundesminister des Innern: Rechnung dafür zu zahlen haben. Denn wer war der Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und größte Besitzer jener Devisen in jener Währung, die Herren! Wir haben vor zwei Jahren, im Mai 1989, in der Mehrheit der Bevölkerung in der ehemaligen DDR der damaligen Bundesrepublik das 40. Jubiläum un- vorenthalten worden sind? Es war jener Staat, der die seres Grundgesetzes begangen. Wir haben das Demokratie durch eine Diktatur ersetzt und defor- Grundgesetz damals als die beste und freiheitlichste miert hatte. Aber die Hauptverantwortlichen für die- Verfassung, die es je auf deutschem Boden gegeben sen skandalösen Mißbrauch sind heute entweder Be- hat, gepriesen. Aus dem Provisorium war schon da- rater bei Krupp oder wohnen am Tegernsee. mals längst das dauerhaft verankerte Fundament un- seres Staatswesens geworden. Wir haben damals, (Beifall beim Bündnis 90/GRÜNE, bei der vielleicht mehr prophetisch als wirklich schon wis- SPD und bei Abgeordneten der PDS/Linke send, hinzugefügt, daß das grundlegende Bekenntnis Liste) zu dieser Wertewelt auch im Falle einer Wiederverei- Diejenigen, die zur Aufdeckung und zur Beseitigung nigung nicht mehr werde in Frage gestellt werden dieser krassen Ungerechtigkeit, die nach Demoraktie können. Von diesen Worten ist heute, zwei Jahre da- nicht nur gerufen, sondern auch Wirksames für sie nach, nichts zurückzunehmen, ganz im Gegenteil. getan haben, wollen Sie an den Katzentisch des Ver- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) fassungsausschusses setzen. Die deutsche Einheit ist hergestellt. Für die Ver- Wir verlangen weder Orden noch Ehrenzeichen; wirklichung dieses Zieles standen — das ist wahr — Sie wissen das auch von uns. Wir verlangen nur demo verfassungsrechtlich zwei Wege zur Verfügung. Die Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 25. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 14. Mai 1991 1729

Bundesminister Dr. Wolfgang Schäuble Option für Art. 146 wurde verworfen. Die Menschen Ich denke, daß auch unsere Nachbarn und unsere in der damaligen DDR und das von diesen Menschen Partner in den internationalen Verhandlungen zur am 18. März 1990 frei gewählte Parlament haben sich Herstellung der deutschen Einheit von vornherein für den Weg des Beitritts nach Art. 23 entschieden. gern wissen wollten, mit welchem Deutschland sie es Wenn der Kollege von der SED/PDS vorhin gesagt in Zukunft eigentlich zu tun haben würden, und daß hat, die Menschen hätten dabei gar keine Rolle ge- dafür wichtig war, daß es das vereinte Deutschland spielt, hat er wohl vergessen oder verdrängt, daß es in des Grundgesetzes sein würde. So konnten wir Irrita- der DDR damals eine Revolution gegen die SED und tionen vermeiden. Diese Irritationen mußten wir ja ihr Unrechtssystem gegeben hat, die dies alles ja auf auch deshalb vermeiden, weil am Ende einer solchen den Weg gebracht hat. Debatte im vergangenen Jahr nach meiner sicheren Überzeugung nichts besseres als das Grundgesetz (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — herausgekommen wäre, sondern allenfalls etwas we- Dr. Ulrich Briefs [PDS/Linke Liste]: Auch ge niger Gutes. gen die Blockparteien!) Es kam hinzu, daß die freiheitlich-friedliche Eini- Die Meinung, die Menschen seien nicht beteiligt ge- gungsbewegung in der damaligen DDR, die Ergeb- wesen, wird auch durch die freien Wahlen am nisse der freien Wahlen und die Beratungen in der 18. März vergangenen Jahres widerlegt. Volkskammer in den Beitrittsbeschluß mündeten, daß Herr Kollege Ullmann, bei allem Respekt für das, sich die Menschen in der damaligen DDR in der ganz was Sie sagen, und für das, was Sie bewegt: Der Anteil überwiegenden Zahl für den freiheitlich verfaßten, an demokratischer Repräsentanz, den die Menschen rechtsstaatlich geordneten, wirtschaftlich blühenden in der damaligen DDR und in der heutigen Bundesre- und sozial leistungskräftigen Staat unseres Grundge- publik Deutschland Ihrer politischen Gruppe zuer- setzes ausgesprochen haben, auch wenn das nicht kennen wollten, wird Ihnen eingeräumt, nicht mehr allen so gefallen mag. und nicht weniger. Das ist der demokratisch richtige Heute brauchen wir dieses stabile Fundament mehr und der gerechte Anteil. - denn je, um die schwierigen Aufgaben, die mit der (Zuruf von der CDU/CSU: Sehr wahr!) Bewältigung von 40 Jahren Unrechtssystem und 40 Jahren menschenverachtender Mißwirtschaft in Wir haben gelegentlich auch Wahlergebnisse zu er- den neuen Ländern verbunden sind, rasch und zügig tragen, die uns nicht gefallen. meistern zu können. (Zuruf von der SPD: Weiß Gott!) Deswegen bleibt es richtig, daß wir uns im Jahre Aber zu respektieren haben wir sie alle miteinander 1990 auf die zur Herstellung der deutschen Einheit und allemal, ob sie nun günstig oder weniger günstig national und international unbedingt erforderlichen sind. Korrekturen, auf die einigungsbedingten Änderun- gen des Grundgesetzes beschränkt haben. Dabei ging Im übrigen werden Änderungen unseres Grundge- es im wesentlichen darum, im Verfassungstext zu do- nicht in einem Verfassungsausschuß, wie er setzes kumentieren, daß das Wiedervereinigungsgebot er- von den Koalitionsfraktionen beantragt wird, und füllt, das Selbstbestimmungsrecht ausgeübt und die nicht von einem Verfassungsrat, wie er von der sozi- Beitrittsoption damit erloschen ist. Hinzu kamen die aldemokratischen Fraktion beantragt wird, beschlos- Klauseln, die die uneingeschränkte Ausrichtung des sen, sondern von Bundestag und Bundesrat mit den einfachen Rechts am Grundgesetz im Beitrittsgebiet dafür in Art. 79 GG vorgesehenen Mehrheiten. Daran in schonend verkraftbaren Fristen ermöglichen. Und wirken Sie voll und gleichberechtigt mit dem Ihnen schließlich galt es, die Verfestigung der Eigentums- vom Wähler zugestandenen Anteil mit. Alles andere verhältnisse, die nach internationaler Einflußnahme ist eine Legendenbildung, die wir am Anfang dieses nicht mehr in Frage gestellt werden konnten, verfas- Prozesses hier wirklich nicht einführen sollten. Darum sungsmäßig abzusichern. möchte ich Sie herzlich bitten. Sie werden verstehen, daß ich als Verhandlungs- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) führer beim Einigungsvertrag mich heute darüber Ich denke übrigens, daß die Menschen in der dama- freue, daß Grundkonzeption wie Einzelstrukturen ligen DDR — aber wir auch; wir haben ja mitge- dieses Vertragswerks beim Bundesverfassungsge- wirkt — die Grundentscheidung für den Weg nach richt in den Entscheidungen im letzten Herbst wie in Art. 23 unseres Grundgesetzes, also dafür, daß mit der diesem Frühjahr volle Bestätigung gefunden haben. Herstellung der staatlichen Einheit dieses Grundge- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) setz zugleich auch die gemeinsame Grundordnung des vereinten Deutschland ist, keineswegs nur unter Nach dieser Grundanlage mußten wir die Problem- Zeitzwängen getroffen haben. Gleichwohl ist auch stellungen, die sich erst als Folge der Herstellung der wahr, daß wir bei einer mit deutscher Gründlichkeit deutschen Einheit ergaben, beispielsweise die territo- geführten Verfassungsdebatte im vergangenen Jahr riale Neugliederung in Berlin-Brandenburg, oder die die historische Gunst der Stunde vielleicht ungenutzt sich mit ihr noch verschärften, etwa die Probleme der hätten verstreichen lassen und die Wiedervereini- Finanzausstattung der Länder und Gemeinden, späte- gung über eher nachrangigen Detailproblemen ver- ren Beratungen überlassen. säumt hätten. Wir wissen ja heute, daß wir die Gunst Erst recht konnte es nicht angehen, bisher nicht der Stunde nur für eine kurze Spanne Zeit hatten. Ich konsensfähige oder gar unausgereifte Formulierun- bin froh und stolz, daß wir diese Zeit genutzt haben. gen im hektischen Sturmlauf des Einigungsprozesses (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) mit zu erledigen, zumal die besondere Struktur des 1730 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 25. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 14. Mai 1991

Bundesminister Dr. Wolfgang Schäuble Einigungsvertrages den beiden gesetzgebenden Kör- Zunächst einmal muß das uneingeschränkt souve- perschaften ja nur die Entscheidung über ein Ja oder rän gewordene vereinte Deutschland ein größeres Nein gelassen hätte. Aus dieser Einsicht folgte die Maß an Verantwortung in der Weltgemeinschaft Konzeption des Art. 5 des Einigungsvertrages. Im üb- übernehmen. Wir müssen sicherstellen, daß wir unse- rigen machte die Beschränkung auf diese wenigen ren vollen Beitrag zu den Bemühungen der Vereinten einigungsbedingten Änderungen ja auch die Lösung Nationen um die Erhaltung des Weltfriedens, beim des Problems der kontrahierten Verfassungsänderun- Aufbau einer neuen Weltfriedensordnung, wie sie gen leichter. sich als eine faszinierende Chance nach dem Ende des Ost-West-Konflikts ergibt, mit einbringen können. Welche Konsequenzen ergeben sich nun aus dieser Wir müssen unseren Beitrag an der Gesamtverant- Entstehungsgeschichte? Ich will sie für mich kurz zu- wortung ausrichten, wie sie die Völkergemeinschaft sammenfassen. Zunächst einmal, Frau Kollegin Däub- heute selbst übernommen hat. Wir dürfen uns dabei ler-Gmelin: Das Grundgesetz ist die Verfassung des nicht durch verfassungsrechtliche Festschreibungen vereinten Deutschland. Es muß dazu nicht erst ent- und Differenzierungen von vornherein Fesseln anle- wickelt werden. gen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Ich will gar nicht darauf abheben, daß nach der ganz überwiegenden Meinung der Verfassungsrecht- Wir haben den Weg des bisherigen A rt. 23 GG erfolg- reich beschritten. Wir werden nicht zur Weggabelung ler bereits der geltende Verfassungstext die breite zurückkehren und nachträglich die Option des alten Palette der Einsatzmöglichkeiten — Blauhelm-Aktio- Art. 146 GG ergreifen oder hinterherschalten. nen, Einsatz unter UN-Oberbefehl, Einsatz durch Er- mächtigung der UN — eröffnet. Verfassungspolitisch Eine Verfassungsneuschöpfung wird es mit uns war es sicher vertretbar, sich in einem Staat, der an der nicht geben, auch keinen Umbau und keine Totalre- Nahtstelle zwischen Ost und West gelegen und noch vision oder wie die Schlagworte noch heißen mögen. nicht mit voller Souveränität ausgestattet war, größe- Das Grundgesetz schafft einen wesentlichen- Beitrag rer Zurückhaltung zu befleißigen. Ich meine aber, daß für das Ansehen unseres Staates bei seinen Bürgern, man dem vereinten Deutschland eine sinnlos gewor- für das Ansehen Deutschlands in der Welt. Hieran dene außenpolitische Selbstbeschränkung auf Dauer wollen wir nicht rütteln lassen. nicht abnehmen wird. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Im Gegenteil: Die Entwicklungen im Zusammen- hang mit dem Golfkrieg haben gezeigt, daß wir mit Änderungen und Ergänzungen müssen sich in das einer solchen Haltung in der Welt nur Mißverständ- Strukturgefüge unserer Verfassung einpassen. Die nisse erzeugen und Gefahr laufen, isoliert zu werden. Entscheidungen sind von den Institutionen in den Damit darüber gegebenenfalls nicht verfassungs- Verfahren und mit den Mehrheitsverhältnissen zu rechtlich, sondern, wenn schon, politisch gestritten treffen, die unser Grundgesetz dafür vorsieht. Diese werden kann, ist eine entsprechende Klarstellung im Prinzipien sind im Wortlaut des Art. 5 des Einigungs- Grundgesetz angezeigt. vertrages und in der Denkschrift bestätigt. Es wäre Hinzufügen will ich, daß ich die Verstärkung der auch nicht vorstellbar, sich von diesen allgemeinen internationalen Zusammenarbeit keineswegs auf den Verfahrensgrundsätzen für den Fall des Art. 5 ohne militärischen Bereich beschränkt sehen möchte. Zum eine entsprechende Verfassungsänderung zu verab- Beispiel die weltweit operierende Drogenkriminalität schieden. und andere Formen der organisierten Kriminalität Schließlich hat Art. 5 in seinen Anstrichen einige werden wir nur mit einem international koordinierten Problemkreise für die Sachdebatte thematisiert, wo- Vorgehen der Polizei wirksam bekämpfen können. bei durch den Beg riff „insbesondere", der dieser Auf- Dies könnte es z. B. auch erforderlich machen, daß die zählung vorangestellt ist, weitere Vorschläge nicht Vereinten Nationen verstärkt polizeiliche Mittel an ausgeschlossen sind. Die Anstriche enthalten Frage- die Hand bekommen, wofür ich mich schon im ver- stellungen, noch nicht Vorentscheidungen oder Ant- gangenen Jahr bei der Sonderversammlung der Ver- worten. Darüber hätten die empfehlenden Regierun- einten Nationen ausgesprochen habe. gen auch gar nicht befinden können. (V o r s i t z : Vizepräsident Helmuth Becker) Im übrigen: Wer einen Vorschlag macht, bleibt dar- Die Herstellung der deutschen Einheit bedeutet legungs- und beweispflichtig dafür, daß die Änderung zum zweiten keinerlei Abstriche an unserem Ziel, die tatsächlich auch eine Verbesserung gegenüber dem Einigung Europas voranzutreiben und mitzuhelfen, bisherigen Verfassungstext herbeiführt. daß wir schließlich über die Währungs- und Wirt- schaftsunion zu einer politischen Union gelangen. Wir (Zustimmung bei der CDU/CSU) werden den Text unseres Grundgesetzes sorgfältig Wir werden uns nach den bereits mit dem Eini- darauf abzuklopfen haben, ob das bisherige Instru- gungsvertrag vorgenommenen Grundgesetzänderun- mentarium der Übertragung von Hoheitsrechten im gen jetzt mit den Themen beschäftigen müssen, die Zuge der fortschreitenden Integration noch hinreicht sich als Folge der staatlichen Einheit ergeben oder die oder ob der Vorrang der europäischen Rechtsetzun- sich mit der Einheit noch drängender stellen. Dies sind gen nur durch weitere Verfassungsänderungen gesi- nach meiner Auffassung im wesentlichen vier Fragen chert werden kann. komplexe, die auch in der Aufgabenbeschreibung des Einen anderen Aspekt in diesem Zusammenhang von den Koalitionsfraktionen vorgeschlagenen ge- bildet die Einsicht, daß wir bestimmte, bisher nur im meinsamen Ausschusses enthalten sind. nationalen Rahmen behandelte Probleme in den eu- Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 25. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 14. Mai 1991 1731

Bundesminister Dr. Wolfgang Schäuble ropäischen Kontext einbringen müssen — als Beispiel stimmungen im übrigen nur Ansprüche und Erwar- sei die Debatte um das Asylrecht erwähnt — und daß tungen aufbürden, die er gar nicht erfüllen kann. Pro- wir eine solche Verlagerung verfassungsmäßig absi- grammsätze und Staatsziele wie das Recht auf Arbeit chern müssen. Ich bin froh, daß wir — jedenfalls unter können falsche Erwartungshaltungen befördern. Der den Innenministern des Bundes und aller 16 Bundes- Staat unseres Grundgesetzes kann nicht alles. Im In- länder — Übereinstimmung haben, daß wir im Asyl- teresse der Freiheit ist er eine Ordnung der Selbstbe- recht und in der Asylpolitik zu europäischen Lösun- stimmung. Im übrigen zeigt ja gerade die Erfahrung gen kommen müssen. mit der früheren DDR, daß ein Staat, der alles können will, für seine Bürger letztlich wenig Gutes zu leisten Ein wesentliches Ziel unserer Verfassungsdebatte imstande ist. wird es zum dritten sein, für die uneingeschränkte Erhaltung der föderativen Elemente in unserem (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Staatswesen Sorge zu tragen. Gerade die europäische Anlaß und Rahmen der Debatte um unsere Verfas- Einheit verlangt nach starken Regionen. Die Minister- sung bestimmen oder sollten auch die Instrumente präsidenten der elf westdeutschen Länder hatten bestimmen, die für eine sachgerechte Beratung der hierzu im Zuge des deutschen Einigungsprozesses Änderungsvorschläge einzusetzen sind. Der Antrag bedeutsame Vorschläge unterbreitet. Hintergrund der SPD möchte mit einem dreigliedrigen Verfahren ihrer Forderungen sind nicht zuletzt die zunehmen- einen Verfassungsrat, die parlamentarischen Körper- den Kompetenzübertragungen auf die europäische schaften und schließlich das Volk entscheiden lassen. Ebene, die durch verstärkte innerstaatliche Einfluß- Ich möchte diesem Antrag widersprechen, weil er den möglichkeiten ausgeglichen werden sollen. Diese Vorschriften unseres Grundgesetzes und auch dem Postulate enthalten ein ernst zu nehmendes Anliegen, Auftrag des Einigungsvertrages letztlich nicht ent- wobei ich andererseits nicht verhehlen möchte, daß spricht. etwaige Verfassungsänderungen nicht solche Neuge- wichtungen herbeiführen dürfen, die den Prozeß der Vizepräsident Helmuth Becker: Herr Minister, es europäischen Integration wesentlich erschwerten- gibt zwei Wortmeldungen zu Zwischenfragen. Wollen oder ihn gar an formalen Hürden scheitern ließen. Sie die zulassen? Ich bin zum vierten gegenüber der Aufnahme neuer Bundesminister des Innern: Staatszielbestimmungen in unser Grundgesetz we- Dr. Wolfgang Schäuble, Bitte sehr. sentlich zurückhaltender. Die Verankerung des Um- weltschutzes möchte ich von diesem Bedenken aus- drücklich ausnehmen. Die Bewahrung der natürli- Vizepräsident Helmuth Becker: Herr Kollege Weiß, chen Lebensgrundlagen des Menschen als Basis der bitte. vielfältigen Antworten auf die ökologische Herausfor- derung sollte in breitem Konsens ausdrücklich festge- Konrad Weiß (Berlin) (Bündnis 90/GRÜNE): Herr schrieben werden. Die Koalition hat dazu bereits in Bundesminister, Sie haben sich mehrfach auf den der vergangenen Legislaturperiode entsprechende Art. 5 des Einigungsvertrages bezogen. Darf ich Sie Vorschläge eingebracht. daran erinnern, daß es Sinn eben jenes Art. 5 war, die Möglichkeit offenzulassen, in einem späteren Verfah- Aber anders steht es bei den übrigen Diskussions- ren die Erfahrungen der Bürgerinnen und Bürger der punkten. Mit einem Verfassungsbekenntnis zu einem damals noch bestehenden DDR in das Grundgesetz Recht auf Arbeit oder einem Recht auf Wohnung ist der Bundesrepublik Deutschland einzubringen? Wür- noch kein Wirtschaftsunternehmen gegründet und den Sie meine Auffassung teilen, daß es eine erneute noch kein dauerhafter Arbeitsplatz geschaffen wor- Rücksetzung der Bürgerinnen und Bürger in Ost- den. deutschland bedeuten würde, wenn man sie von die- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) sem Prozeß der Diskussion über eine erweiterte Ver- fassung und von der Mitwirkung an der Entscheidung Es wurde noch keine neue Wohnung damit gebaut und auch keine alte Wohnung saniert. Die Verfassung über eine solche Verfassung ausschließen würde? ist nicht der richtige Ort für die Konkretisierung der vielfältigen sozialstaatlichen Aufgaben; denn hier Dr. Wolfgang Schäuble, Bundesminister des Innern: muß der Gesetzgeber stets neue und vor allem präzise Herr Kollege Weiß, der Sinn des Art. 5 des Einigungs- Antworten auf die sich ständig verändernden Heraus- vertrages ist ein wenig anders, als Sie das eben hier forderungen finden. vorgetragen haben. Ich habe es ausgeführt. Ich kenne ihn relativ genau, denn ich habe ein wenig mit seiner Das Vorhaben wird auch nicht durch die Versiche- Formulierung zu tun gehabt. rung, man denke ohnehin nicht an die Fixierung ein- Der Sinn des Art. 5 ist, daß wir eine Reihe von mög- klagbarer Rechte, besser. Das Grundgesetz ist eine licherweise notwendigen Grundgesetzänderungen normative Verfassung, unverbindliche Deklamatio- damals nicht beschließen wollten. Deshalb haben wir nen und Programmsätze sind dem Grundgesetz gesagt: Das sollen die gesetzgeberischen Körper- fremd. Und dies sollte so bleiben. schaften des vereinten Deutschland alsbald danach (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) machen. An diesen gesetzgebenden Körperschaften — Bundestag und Bundesrat — wirken die Vertreter Wir sollten nicht in den Fehler von Weimar zurückfal- der Menschen in den fünf neuen Ländern genauso len, die Verfassung mit lyrischen Bekundungen anzu- gleichberechtigt mit wie die Vertreter der elf alten reichern, die sich im Ernstfall als leere Worte erweisen Länder. Es gibt überhaupt keinen Unterschied. Zwi- müssen. Der Staat würde sich mit derartigen Zielbe schen Ihrer Mitwirkungsmöglichkeit in diesem Bun- 1732 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 25. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 14. Mai 1991

Bundesminister Dr. Wolfgang Schäuble destag und meiner Mitwirkungsmöglichkeit in die- tet werden sollen. Denn der Schwerpunkt der Bera- sem Bundestag gibt es überhaupt keinen Unterschied. tungen soll ja nach den Vorstellungen der SPD beim Dies wird auch so bleiben. Allerdings werden Sie auch Verfassungsrat liegen, und das Parlament muß sich nicht einen höheren Grad der Mitwirkungsmöglich- unzweifelhaft mit dessen Vorschlägen befassen, keiten bekommen können als ich, sondern eben den- worin eine Einschränkung oder auch Aushebelung jenigen, den uns die Wähler zugemessen haben. des Initiativrechts des Hohen Hauses läge. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Dies gilt auch dann, wenn Bundestag und Bundes- rat nicht auf bloße Ja-oder-Nein-Entscheidungen in Vizepräsident Helmuth Becker: Herr Minister, die der Sache verwiesen wären und nicht die Ergebnisse zweite Zwischenfrage möchte gerne Herr Kollege des Verfassungsrats nur noch formal abzusegnen hät- Dr. Seifert stellen. ten. Deswegen halte ich im letzten die vorgeschlagene Dr. Ilja Seifert (PDS/Linke Liste): Herr Minister, Sie sprachen von Staatszielen, die Sie nicht gerne im Mischform für mit dem Grundgesetz nicht vereinbar, Grundgesetz verankert haben möchten. Wie stehen jedenfalls nicht ohne eine Grundgesetzänderung. Der Sie zu solchen Staatszielen mit Verfassungsrang wie Verfassungsrat ist, zumindest außerhalb des Verfah- dem Recht auf selbstbestimmtes Leben und dem ver- rens nach Art. 146, kein legitimer Bestandteil der fassungsrechtlichen sanktionierten Verbot von Diskri- Staatsgewalt nach Art. 20 Abs. 2 unserer Verfas- sung. minierung? Wir können übrigens dem Organ Bundesversamm- Dr. Wolfgang Schäuble, Bundesminister des Innern: lung, dessen verfassungsmäßige Zuständigkeiten sich Herr Kollege Seifert, ich habe ausgeführt, daß ich von auf die Wahl des Bundespräsidenten beschränken, Staatszielen und Programmsätzen, die nicht justitia- nicht durch einfachen Beschluß weitere Aufgaben bel sind, in unserem Grundgesetz wenig halte, weil übertragen. Jede Eingrenzung des Initiativrechts wir mit der normativen Verfassung, mit- der Verfas- — wie sie schon durch eine Pflicht zur Befassung mit sung, die regelt, was sie regeln will, und die nicht auf- den Vorschlägen des Verfassungsrates entsteht — nimmt, was sie nicht regeln will, gut gefahren sind. würde gegen Art. 76 Abs. 1 des Grundgesetzes ver- Wir haben in unserem Grundwertesystem — ausge- stoßen. hend von dem Schutz der Menschenwürde über das Ich finde im übrigen, Frau Däubler-Gmelin, daß wir allgemeine Freiheitsrecht bis hin zum Gleichheitssatz uns nicht schon jetzt, am Anfang der Verfassungsdis- des Art. 3 — ein sehr viel feineres System für das Le- kussion, auf die Volksabstimmung festlegen sollten, ben in selbstbestimmter Würde und für die Nichtdis- sondern daß wir es bei dem belassen sollten, was wir kreminierung, als Sie es mit irgendwelchen unver- im Einigungsvertrag einvernehmlich formuliert ha- bindlichen Programmsätzen formulieren könnten. Da- ben, nämlich daß wir prüfen und am Ende dieser Dis- mit sind wir wirklich besser gefahren, so ist meine kussion darüber entscheiden werden, ob wir eine sol- sorgfältig begründete Überzeugung, als wir mit der che Abstimmung durchführen sollen; wobei ich so- Formulierung von unverbindlichen Programmsätzen gleich hinzufüge: Unser Grundgesetz weist kein Legi- fahren würden. Deswegen bin ich in der Tat gegen die timationsdefizit auf. weitere Aufnahme solcher Sätze, die das Normenge füge unseres Grundgesetzes am Ende nicht positiv, (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) sondern allenfalls nachhaltig negativ beeinflussen könnten. Es ist die allseits anerkannte Grundordnung unseres Volkes, zu der wir uns im Westen in vielen Wahlen (Beifall bei der CDU/CSU und bei Abgeord und im Gebiet der neuen Länder in der im Beitritt neten der FDP) gipfelnden Entwicklung bekannt haben. Deswegen Nun, Herr Präsident, möchte ich gerne noch einmal meine ich, daß wir jedenfalls nicht der Begründung zu begründen versuchen, warum ich denke, daß der eines Mangels an Legitimation die Frage einer Volks- Antrag der sozialdemokratischen Bundestagsfrak- abstimmung nach Art. 146 am Ende unseres Diskus- tion unserem Grundgesetz und auch dem Auftrag des sionsprozesses entscheiden sollten. Einigungsvertrages letztlich nicht so ganz gerecht wird. Schon der Ausdruck „Verfassungsrat" ent- Dagegen paßt sich der Antrag der Koalitionsfraktio- stammt ja dem Begriffsarsenal für die Umschreibung nen in die Struktur unseres Grundgesetzes und auch einer originären verfassungsgebenden Gewalt. Ich in die Vorgaben des Einigungsvertrags ein. Deswe- denke, daß auch die vorgeschlagene hohe Zahl seiner gen empfehle ich Ihnen, diesen Antrag anzuneh- Mitglieder Assoziationen zu den Debatten des Parla- men. mentarischen Rats herstellen soll. Ein derartiges, letzt- Die Verfassungsdebatte, die wir nun beginnen, lich außer- oder überparlamentarisches Organ wäre wird uns höchste Sorgfalt abverlangen. Es wird gel- wohl nur für die Neuschöpfung einer Verfassung an- ten, Bewährtes und Erprobtes zu bewahren, bei den gemessen. Im Rechtsstaat des Grundgesetzes sind gebotenen Änderungen und Ergänzungen die Struk- Verfassungsänderungen ausschließlich den gesetzge- turen unseres Grundgesetzes zu erhalten und unserer benden Körperschaften Bundestag und Bundesrat Verantwortung gegenüber den großen Aufgaben und vorbehalten. Hierdurch wird die Verfassungskonti- Herausforderungen der Zukunft gerecht zu werden. nuität hergestellt und bewahrt. Dieser Auftrag kann nur dann gelingen, wenn wir die Die vorgeschlagene Konstruktion kann auch nicht Bereitschaft zum behutsamen Ausloten der Einzel- dadurch verbessert werden, daß dem Verfassungsrat aspekte und zum sachgerechten Kompromiß mit die parlamentarischen Körperschaften nachgeschal Grundsatztreue zu vereinen wissen. Die Grundord- Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 25. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 14. Mai 1991 1733

Bundesminister Dr. Wolfgang Schäuble nung unserer staatlichen Gemeinschaft ist zu wertvoll, Anspruch auf eine Verfassungsdiskussion eben durch als daß sie durch parteipolitischen Streit oder partei- diesen Weg verwirkt. politisches Profilierungsbedürfnis beschädigt werden (Beifall bei der SPD und dem Bündnis 90/ darf. GRÜNE) Ich setze auf die Gemeinsamkeit der Demokraten. Gewiß, wir haben diesen Weg als den realistischsten In diesem Sinn freue ich mich auf eine interessante Weg angesehen und beschritten, nicht zuletzt aus Ein- und fruchtbare Verfassungsdiskussion. sicht in die eigene Schwäche, d. h. die ökonomische (Anhaltender Beifall bei der CDU/CSU und und damit politische Schwäche des damals noch real der FDP) existierenden Staates DDR, zumal gemessen an der Stärke der damals noch existierenden BRD. Aber da- mit haben wir doch nicht den Wunsch und den An- spruch aufgegeben, unsere Erfahrungen und Vorstel- Vizepräsident Helmuth Becker: Das Wort hat jetzt lungen in den gemeinsamen Staat und seine Verfas- unser Kollege Wolfgang Thierse. sung einzubringen, damit und weil diese Verfassung dann kein provisorisches Grundgesetz mehr sein kann und soll. Deshalb sind die entsprechenden Pas- Wolfgang Thierse (SPD): Herr Präsident! Meine Da- sagen im Art. 5 des Einigungsvertrages vereinbart men und Herren! Vor zwei Wochen habe ich an einer worden, an denen nicht nur Sie, Herr Schäuble, son- Fernsehdiskussion über die Hauptstadtfrage teilge- dern auch ein paar Sozialdemokraten, Herta Däubler nommen. Nachdem die Kameras abgeschaltet waren, Gmelin und Hans-Jochen Vogel, mitgewirkt haben. ging die Diskussion hitzig weiter. Ein bekannter west- „Wir sind das Volk", das war der wichtigste Ruf der deutscher Fernsehjournalist warf mir, nein, den Ossis Demonstranten im Herbst 1989, zumindest in den Mo- überhaupt moralische Arroganz vor und sagte dann naten September bis November. Er artikulierte die wörtlich: Wir Westdeutschen haben 40 Jahre lang al- - Entschlossenheit, endlich, nach 40, nach 60 Jahren les richtig gemacht; es gibt keinen Anlaß, irgend et- demokratische Selbstbestimmung erreichen zu wol- was Grundsätzliches zu ändern. len. In der späteren Losung „wir sind ein Volk" , ist (Heribert Scharrenbroich [CDU/CSU]: Nen diese Entschlossenheit zwar eher versteckt, aber doch nen Sie Roß und Reiter! — Weitere Zurufe nicht gänzlich verlorengegangen. Sie hat nur einen von der CDU/CSU: Wer war das?) neuen Adressaten erhalten, in dem verzweifelt hoff- — Herr Herles. — Ich glaube, ich fürchte, diese Hal- nungsvollen Ruf nach gesamtdeutscher Solidarität. tung, die sich in einer solchen Äußerung verrät, der Dieser Ruf sollte nicht nur mit materiellen, mit sozia- erhitzten Debatte sicher geschuldet, ist, weniger hef- len Hilfeleistungen, mit Geld beantwortet werden, tig, weniger drastisch, durchaus verbreitet. Ich bin was ich wahrhaftig nicht geringschätze, im Gegen- sicher, nachdem ich Herrn Scholz und Herrn Kleinert teil. und auch Sie, Herr Schäuble, gehört habe. Ohne materiellen, sozialen Ausgleich in Deutsch- Was hat diese Beobachtung mit unserem heutigen land wird die Einheit mißlingen, aber sie wird auch Thema zu tun? Es geht darum, ob wir begreifen, daß mißlingen ohne politischen Ausgleich, ohne politi- die deutsche Einigung die Chance und die Verpflich- sche Gleichberechtigung. Das heißt, wir, die Bürger tung zur demokratischen Selbstprüfung, zur Verge- aus dem östlichen Deutschland, wollen die Chance wisserung enthält und zu einem Neuanfang. haben, unsere Erfahrungen, unsere Verzweiflungen und Hoffnungen aus den letzten 40 Jahren mitzubrin- (Beifall bei der SPD und dem Bündnis 90/ gen, vor allem das, was wir selbst daraus an politi- GRÜNE) schen, auch verfassungspolitischen Konsequenzen Das Grundgesetz ist in den vergangenen 40 Jahren ziehen zu müssen meinen. zahllos häufig mehr oder minder kleinen oder größe- (Beifall bei der SPD und dem Bündnis 90/ ren Änderungen unterworfen worden. Wann, wenn GRÜNE) nicht jetzt aus Anlaß der deutschen staatlichen Eini- gung, wäre der Anlaß, grundsätzlich darüber nachzu- Wir wollen nicht mehr nur bedauert, bemitleidet, ge- denken, wie dieses Deutschland, dieses nunmehr neu lobt und schulterklopfend behandelt werden, sondern vereinigte Deutschland verfaßt sein soll, welche ge- wir wollen endlich gehört werden, nicht als an etwas meinsamen und welche in 40 Jahren getrennten ge- Fertiges so unendlich Gelungenes Angeschlossene, schichtlichen Erfahrungen in die Wertegrundord- sondern als Gleichberechtigte, denen nicht etwas, sei nung des gemeinsamen Staates einfließen sollen. es das Grundgesetz, geschenkt wird, sondern die am Denn eine Verfassung ist auch eine Fixierung von Werk der deutschen Einheit mitarbeiten wollen. Das Werten, auf die man sich einigt. Wann, wenn nicht heißt, eben auch an seiner Grundlage, der Verfas- jetzt, muß aus dem provisorischen Grundgesetz eine sung. Verfassung werden? (Beifall bei der SPD und dem Bündnis 90/ Ich will darüber reden, warum für uns, die Hinzu- GRÜNE) gekommenen, eine wirklich umgreifende Verfas- sungsdiskussion von geradezu existentieller demo- Was bringen wir mit in eine Verfassungsde- kratischer Bedeutung ist. Vorweg: Ich empfinde es als batte? — durchaus zynisch, wenn aus der Tatsache, daß die Erstens. Einen großen — und dies nenne ich aus- staatliche Einigung nach Art. 23 des Grundgesetzes drücklich am Anfang — Respekt vor dem Grundge- vollzogen worden ist, abgeleitet wird, wir hätten den setz. Aus der Erfahrung von Unfreiheit, von politischer 1734 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 25. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 14. Mai 1991

Wolfgang Thierse Unterdrückung und Rechtlosigkeit wissen wir, wie ritäre Verhaltensweise und Charaktere en masse bei unendlich wichtig die Sicherung individueller Grund- uns. rechte ist, wie wichtig die Verankerung der Men- Demokratie kann eben nur in und durch demokra- schenrechte in der Verfassung ist. Ob eine Gesell- tische Praxis erlernt werden; durch die Erfahrung also, schaft letztlich auf Recht aufgebaut ist oder politischer nicht mehr Objekt von Politik, sondern Subjekt von Willkür gehorchen muß — diesen gravierenden Un- Politik sein zu können. Nicht diskussions- und revi- terschied haben wir am eigenen Leibe zur Genüge sionslose Überstülpung, sondern selbstbewußte An- erfahren. Wir müssen darüber — auch nicht von Herrn nahme der neuen politischen Ordnung ist deshalb die Scholz — nicht belehrt werden. Aufgabe. (Beifall bei der SPD, dem Bündnis 90/ (Beifall bei der SPD und dem Bündnis 90/ GRÜNE und der PDS/Linke Liste) GRÜNE) Gerade deshalb haben wir ja ein so leidenschaftli- Die Diskussion über die gemeinsame Verfassung ist ches Interesse an Fragen der politischen Kultur, an eine entscheidende Bedingung genau für die selbst- Verfassungsfragen. Daß wir ehemaligen DDR-Deut- bewußte Annahme der neuen politischen Ordnung. schen unter das Dach des Grundgesetzes gekommen Viertens. Wir kommen aus einem System, das mit sind, halte ich keineswegs für ein Unglück, im Gegen- gutem Grund ökonomisch, politisch und ideologisch teil. Aber ist das Grundgesetz, so wie es ist, schon die gescheitert ist. Viele empfinden sich deshalb auch Antwort auf alle unsere Fragen? Ist unsere Erfahrung selbst als Gescheiterte. Die gegenwärtige Situation in mit dieser Ankunft schon vollständig abgegolten? den neuen Bundesländern gibt nicht sehr viel Anlaß, Zweitens. Diese Frage gilt auch für das, was ich als daß sich die Ostdeutschen als wirklich Gleichberech- zweites Mitbringsel nennen möchte, nämlich unsere tigte erfahren können. Das dürfte sich, realistisch be- Erfahrung eines leidenschaftlichen Aufbruchs im trachtet, so schnell nicht ändern. Der ökonomische Jahre 1989, einer Selbstbefreiung, ein Anlaß zu und soziale Angleichungsprozeß wird lange dauern. Selbstbewußtsein, den nicht nur ich, sondern- eine Um so wichtiger ist es, in der politischen Kultur einen nicht kleine, nicht unwichtige Minderheit in verschie- Raum der Erfahrung von Gleichberechtigung für uns, denen Parteien und in den Bürgerbewegungen in den die Ostdeutschen, zu schaffen. neuen Ländern fast verzweifelt zu verteidigen ver- (Beifall bei der SPD und dem Bündnis 90/ suchte. Es geht hier nicht so sehr um Emotionen, auch GRÜNE) wenn es kostbare sind. Es geht auch nicht um Lyrik. Dabei füge ich nebenbei hinzu: Auch das Recht auf Die Art und Weise, ob und wie wir uns in eine Verfas- Eigentum kommt mir eigentümlich lyrisch vor; denn sungsdiskussion einbringen können, wird dafür eine es sichert ja noch nicht jedem Eigentum. Schlüsselerfahrung von positiver oder negativer Wir- kung für die demokratische Zukunft Gesamtdeutsch- (Beifall bei der SPD, dem Bündnis 90/ lands sein. GRÜNE und der PDS/Linke Liste) Fünftens. Wir bringen die Erinnerung an eine auf Es geht hier nicht so sehr um Emotionen, sondern es gewiß problematische Weise erzeugte Erfahrung so- geht um Dinge von Gewicht, die wir mitbringen; das zialer Grundsicherheit mit. Arbeitslosigkeit, Angst positive Erlebnis von unmittelbarer Demokratie, von vor Mietsteigerung und Wohnungsverlust kannten Basisdemokratie, die Wertschätzung der Demokratie wir nicht. Ich weiß: Der Preis dafür war sehr hoch. der Straße, wie das manche abschätzig nennen, und, Aber trotzdem: Soziale Sicherheit hat als ein grund- als gewichtiges Dokument, in das diese unsere Erfah- sätzlich positiver Wert bei uns einen ganz hohen rungen und wohl auch unsere Illusionen eingeflossen Rang, ebenso die soziale und ökonomische Gleichbe- sind, den Verfassungsentwurf des Runden Tisches. rechtigung der Frau. (Beifall bei der SPD und dem Bündnis 90/ Deshalb streben wir die Aufnahme des Rechts auf GRÜNE) Arbeit, auf menschenwürdigen Wohnraum und die Verwirklichung von Gleichberechtigung als Staats- Eine Diskussion darüber sollte — ich bitte Sie — nicht zielbestimmung in eine neue Verfassung an. Das sind einfach mit dem Hinweis auf die wohlgeübte Praxis nicht einfach unverbindliche Setzungen, sondern es der repräsentativen Demokratie und das bewährte sind Grundorientierungen, Vororientierungen für Grundgesetz abgelehnt werden. Insofern bin ich von jede aktuelle Politik und insofern sinnvoll. dem Bundeskanzler, aber auch von Herrn Kleinert und von anderen enttäuscht, die immer nur von ge- (Beifall bei der SPD und dem Bündnis 90/ wissen Änderungen, die jetzt erlaubt seien, sprechen. GRÜNE) Mehr wird nicht zugestanden. Sechstens. Gelingende Demokratie, eine um unsere Erfahrungen bereicherte neue deutsche Demokratie, Drittens. Wir bringen auch ein schwieriges Erbe mit. wird es nicht leicht haben angesichts der bedrücken- Nach vierzig, nein nach sechzig Jahren Existenz in den Tatsache, daß ihr Beginn im östlichen Deutsch- zwei unterschiedlichen Diktaturen, zuletzt in einem land begleitet, ja für viele geradezu verstellt ist von beängstigend vormundschaftlichen Staat, sind wir, sozialen Umbrüchen und Zusammenbrüchen, von sind viele Menschen im östlichen Deutschland auch Ängsten und existentiellen Unsicherheiten. Vieles da- innerlich vormundschaftlich geworden. Ich sage das von ist unvermeidlich, nicht alles. ohne Vorwurf. Es gibt Demokratiedefizite. Es gibt De- mokratieunsicherheiten. Es gibt Nachholbedarf und Es bedarf aber einer besonderen Anstrengung, die echten Lernbedarf, aber es gibt auch Hörigkeit, auto im problemreichen Übergang die Chance zur Identifi- Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 25. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 14. Mai 1991 1735

Wolfgang Thierse kation mit der Demokratie eröffnet und sichert. Eine sich in erster Linie den Interessen jener Gruppen ver- breite demokratische Verfassungsdiskussion wäre pflichtet fühlen, die sie repräsentieren. Sonderinteres- eine unwiederbringliche deutsche Möglichkeit genau sen könnten in einem solchen Gremium zu Lasten des dafür. Gemeinwohls in den Vordergrund rücken. Ich bitte (Beifall bei der SPD und dem Bündnis 90/ Sie, zu bedenken, was es bedeuten würde, Vorschläge GRÜNE) eines Verfassungsrates zurückzuweisen. Zwangsläu- fig würde ein Legitimationskonflikt mit jenen herauf- Wir dürfen diese Möglichkeit, die uns das Grundge- beschworen, die ihre Interessen in dem Verfassungs- setz ja selbst anbietet, nicht ungenutzt lassen, damit rat besonders repräsentiert sehen. Das wäre für mich der deutsche Einigungsprozeß, der ja noch lange nicht eine völlig unnötige und vermeidbare Belastung der beendet ist, wie wir angesichts der erfahrenen Tiefe anstehenden Verfassungsdiskussion. der ökonomischen, sozialen und menschlichen Spal tung in Deutschland sehen, nicht nur von einer unend- Dies schließt selbstverständlich nicht aus, den Kreis lichen Kostendebatte begleitet wird, sondern in eine jener, die sich in der Verfassungsdiskussion repräsen- wirklich politische, eine Wertedebatte eingebettet ist tiert fühlen, möglichst weit zu ziehen. Aber ich meine, und in eine erneuerte, vertiefte Demokratie mündet, dazu bedarf es keiner mediatisierten Gremien. Wich- deren Grundlage, die erneuerte Verfassung, in einer tig ist, daß Bundestag und Bundesrat, in deren Hän- Volksabstimmung vom Souverän angenommen den die Änderung und Ergänzung der Verfassung wird. liegt, sich der ihnen gestellten Aufgaben bewußt und (Beifall bei der SPD und dem Bündnis 90/ zu einer für alle Standpunkte offenen Verfassungsdis- GRÜNE) kussion bereit sind. Ein gemeinsamer, paritätisch be- setzter Verfassungsausschuß von Bundestag und Bun- In der Losung: „Wir sind e i n Volk" ist der Anspruch desrat vermag das nach meiner Überzeugung zu lei- des trotzigen Rufs „W i r sind das Volk" nicht gänzlich sten. Er verdient hierzu unsere volle Unterstützung. ausgelöscht, hoffe ich. Dieser Anspruch ist noch nicht eingelöst. - Ein solcher Ausschuß läßt auch keine Zweifel dar- über aufkommen, wem die Verfassung die Verant- (Beifall bei der SPD und dem Bündnis 90/ wortung für die Änderung oder Ergänzung zuweist. Er GRÜNE sowie bei Abgeordneten der PDS/ macht deutlich, daß Linke Liste) Verfassungsänderungen und -ergänzungen immer eine gesamtstaatliche Aufgabe von Bund und Ländern sind, und er ist schließlich Vizepräsident Helmuth Becker: Das Wort hat jetzt imstande, die mit der deutschen Einigung aufgewor- der Innenminister des Freistaates Bayern, Herr Dr. fenen Verfassungsfragen umfassend und sachkundig Edmund Stoiber. zu erörtern. Die Länder — das zeigt die vom Bundes- rat einberufene Kommission Verfassungsreform — sind zu einer außerordentlich breiten Diskussion be- Staatsminister (Bayern): Herr Dr. Edmund Stoiber reit. Sie hat auf ihrer konstituierenden Sitzung am Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! 19. April entschieden, sich nicht allein mit den Fragen Gerade auf das, was Herr Abgeordneter Thierse ge- des Föderalismus zu beschäftigen; sie hat einen eige- sagt hat, paßt natürlich wieder der Eingangssatz: Das nen Arbeitsausschuß zur Diskussion über weitere Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland hat Grundgesetzänderungen eingerichtet. sich in über 40 Jahren hervorragend bewährt. Es ist die freiheitlichste Ordnung der Geschichte Deutsch- Ich sehe nicht — noch einmal an die Adresse der lands. Wir brauchen deshalb keine neue Verfassung, SPD — , wieso diese Gremien ihrem Auftrag nicht ge- die die bewährten Strukturen verändert. recht werden sollen und wieso nicht alle mit der deut- Der Beitritt der neuen Länder zur Bundesrepublik schen Einigung aufgeworfenen Verfassungsfragen Deutschland — ich meine das, Herr Thierse, über- unter Einbeziehung aller relevanter Standpunkte dort haupt nicht zynisch — war auch ein klares Bekenntnis diskutiert werden können. zum Grundgesetz. Auch daraus entsteht die gemein- Diese prinzipielle Offenheit für alle hier und jetzt same Verpflichtung, das geeinte Deutschland auf der relevanten Fragen darf allerdings nicht dahin gehend Basis des bewährten Grundgesetzes aufzubauen. verstanden oder mißverstanden werden, als gelte es, Diese Haltung muß sich auch in dem Verfahren nun eine neue Verfassung zu schaffen. Wir sind nicht widerspiegeln, das sich aus der Empfehlung des Eini- zu einem Akt der Verfassungsgebung, sondern zu gungsvertrags ergibt, die mit der deutschen Einigung punktuellen Änderungen und Ergänzungen des aufgeworfenen Fragen zur Änderung oder Ergänzung Grundgesetzes aufgerufen. Hierüber darf von Anfang des Grundgesetzes zu behandeln. Die Aufgabe, das an kein Zweifel bestehen. Wir sind es der Öffentlich- Grundgesetz zu ändern oder zu ergänzen, ist gemäß keit schuldig, zu sagen, worum es in den nächsten dem Grundgesetz den Verfassungsorganen Bundes- Monaten geht. tag und Bundesrat zugewiesen. Dieser Regelung ent- Vieles von dem, meine sehr verehrten Damen und spricht der Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und Herren, was wir in 40 Jahren in der alten Bundesre- der FDP auf die Einsetzung eines Gemeinsamen Ver- publik erreicht haben, war nur möglich, weil wohlge- fassungsausschusses. ordnete Entscheidungsprozesse politische Stabilität Genauso entschieden wende ich mich gegen ein garantierten, war nur möglich, weil ökonomische Ent- außenstehendes Gremium, ob es nun Verfassungsrat wicklungen in eine wohlbedachte rechts- und sozial- oder wie auch immer heißen mag. Seine Mitglieder staatliche Verantwortung eingebunden waren. Ge- wären nicht dem gesamtdeutschen oder dem Gesamt- rade jetzt, wo die zu bewältigenden Aufgaben größer interesse verpflichtet und verantwortet. Sie würden denn je sind, ist es wichtig, sich die bewährte Konti- 1736 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 25. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 14. Mai 1991

Staatsminister Dr. Edmund Stoiber (Bayern) nuität der Verfassung zunutze zu machen. Auf man- diesem Argument werden Sie sich auseinandersetzen ches, was akademisch und politisch reizvoll erscheint, müssen, ob Sie wollen oder nicht. aber eben nicht erprobt ist, sollte daher gerade jetzt im Der Föderalismus muß als Kernstück unserer Ver- gesamtdeutschen oder gesamtstaatlichen Interesse fassung weiterentwickelt und in einem geeinten verzichtet werden. Die Größe der anstehenden Aufga- Deutschland ausgebaut und gestärkt werden. Wir for- ben mahnt zur Selbstbescheidung. Es ist nicht die Zeit dern mit gutem Grund ein föderalistisches Europa, ein mente, insbesondere nicht für Ziele, die für Experi Europa der Regionen. Wir wollen deshalb auch den nicht erfüllt werden können. Föderalismus in der Bundesrepublik erneuern. Sie werden sicher verstehen, meine Damen und Die eigenstaatliche Kraft und das eigenstaatliche Herren, daß ich in dieser Verfassungsdiskussion vor Gestaltungspotential der Länder haben aus vielfälti- allen Dingen an die Stärkung der föderativen Ele- gen Gründen über Jahrzehnte etwas an Gewicht ver- mente des Grundgesetzes denke. Die Chance zur Ein- loren. Die eigentlich vom Grundgesetz in den heit in der Vielfalt — hierin sehe ich eine der großen Art. 70 ff. vorgesehene grundsätzliche Gesetzge- Stärken föderalistischer Ordnung. Für die größer ge- bungskompetenz für die Länder hat sich in der Ge- wordene Bundesrepublik Deutschland und darüber setzgebungspraxis umgekehrt. Die konkurrierende hinaus auch für das zusammenwachsende Europa ist Gesetzgebung des Bundes muß zugunsten der Länder der Föderalismus der erfolgversprechende Weg. Ihn wieder zurückgeführt werden. Der Bund muß sich in zu gehen setzt voraus, seinen brüchig gewordenen dieser Frage mehr Selbstbeschränkung auflegen. Fundamenten Halt zu geben. Wir denken darüber nach, wie die Länder stärker in Meine Damen und Herren, das im Föderalismus lie- die gesamtstaatliche Verantwortung im Bund einge- gende innovative Potential muß für die anstehenden bunden werden können, besonders im Hinblick auf Aufgaben der Herstellung einheitlicher Lebensver- die europäische Integration. Ich verweise hier bei- hältnisse stärker genutzt werden. Aber auch der Pro- spielhaft — das ist in der Debatte schon gebracht wor- zeß der europäischen Integration kann durch- den Fö- den — auf die Absicherung einer stärkeren Beteili- deralismus gewinnen. Je stärker die Länder in die gung der Länder bei der Übertragung von Hoheits- gesamteuropäische Verantwortung einbezogen oder rechten auf zwischenstaatliche Einrichtungen. eingebunden werden, desto stärker wird vor Ort das Gefühl und das Verständnis für die europäische Inte- Wenn wir heute, meine Damen und Herren, die gration wachsen. europäische Politik nennen, dann ist das keine Au- ßenpolitik mehr, sondern allenfalls europäische In- Ich möchte im Zusammenhang mit dem Föderalis- nenpolitik. Wenn es aber europäische Innenpolitik ist, mus auch ein Wort zu plebiszitären Elementen sagen, ist der Entscheidungsweg, wie er in Art. 24 vorgese- Frau Däubler-Gmelin. Plebiszitäre Elemente auf Bun- hen ist und der die Länder von der Verantwortung desebene bedeuten selbstverständlich eine Ein- ausschließt, auf die Dauer nicht mehr gangbar. schränkung unserer föderativen Ordnung, weil Sie mit plebiszitären Elementen im Grunde genommen (Zustimmung des Abg. Ernst Hinsken [CDU/ die Länder als Teil dieses Staates ausschalten. Dar- CSU]) über müssen Sie sehr ernsthaft nachdenken. Deswegen: Je stärker die Länder in die gesamteuro- (Dr. Hans-Jochen Vogel [SPD]: Das ist aber päische Verantwortung eingebunden werden, desto nun wirklich an den Haaren herbeigezo stärker wird auch vor Ort das Gefühl und das Ver- gen!) ständnis für die europäische Integration wachsen. — Nein, das ist überhaupt kein Schwachsinn. In ei- Natürlich ist es nicht nur die Stärkung des Födera- nem Zwei-Kammern-System bedeuten plebiszitäre lismus, die uns als eine der Verfassungsfragen im Zu- Elemente natürlich auch mehr Zentralismus; das ist sammenhang mit der deutschen Einigung zu beschäf- gar keine Frage. Sie haben dann nur noch ein einziges tigen haben wird. Jede Verfassung bringt die Werte Entscheidungsgremium. zum Ausdruck, denen sich das von ihr geordnete Ge- meinwesen verpflichtet fühlt. Nun sind 16 Millionen (Dr. Hans-Jochen Vogel [SPD]: Da lacht so Deutsche mit eigenen Erfahrungen und Erwartungen gar der Herr Scholz!) hinzugekommen. Auch ihren Wertvorstellungen muß eine Verfassung, die für alle gelten will, Rechnung Gerade deshalb, meine sehr verehrten Damen und tragen. Ich will damit nicht in Frage stellen, daß die Herren, müssen — um bei dem Gedankengang der Entscheidung der Bürgerinnen und Bürger in der ehe- europäischen Integration zu bleiben — vordergründig maligen DDR für den Beitritt auch und vor allem eine eingängige Forderungen wie z. B. die Einführung ple- Entscheidung für die freiheitliche rechts- und sozial- biszitärer Elemente in das Grundgesetz — ich sage staatliche Ordnung des Grundgesetzes war. Dennoch dies noch einmal — auf ihre Auswirkungen für die muß eine Verfassungsordnung gelebt und konkret er- föderalistische Ordnung hin befragt und durchdacht fahren werden, um wirklich angenommen zu werden. werden. Damit ist zwar in erster Linie die praktische Politik (Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Sehr gut!) gefordert, aber eben nicht nur sie. Das Grundgesetz muß auch aus sich heraus vermitteln, wofür es steht. Dabei wird sich sehr rasch zeigen, daß direkte demo- Es muß dies so tun, daß jeder die Chance hat, sich mit kratische Entscheidungen auf Bundesebene die föde- seinen Wertvorstellungen in ihm wiederzuerkennen. ralistische Ordnung grundlegend in Frage stellen, weil für eine Mitwirkung der Länder über den Bun- (Beifall des Abg. Ernst Hinsken [CDU/ desrat insoweit kaum mehr ein Spielraum bleibt. Mit CSU]) Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 25. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 14. Mai 1991 1737

Staatsminister Dr. Edmund Stoiber (Bayern) Hierin liegt die identitätsstiftende Integrationskraft Vizepräsident Helmuth Becker: Jetzt hat der Kol- einer Verfassung. lege Dr. Willfried Penner das Wort. Wir werden uns deshalb fragen müssen, ob die Ver- fassung in dem einen oder anderen Punkt an Über- Dr. Willfried Penner (SPD): Herr Präsident! Verehrte zeugungskraft gewinnen kann, wenn einzelne Poli- Kolleginnen und Kollegen! Daß wir überhaupt über tikbereiche ausdrücklich Erwähnung finden. Aller- Sinn und Notwendigkeit einer Überarbeitung des dings sollte dabei alles darangesetzt werden, den Ein- Grundgesetzes nachdenken, ist unverhofftes Glück druck zu vermeiden, als könne auch nur eine Woh- genug, weil dies untrennbar mit der Vereinigung bei- nung oder ein Arbeitsplatz mehr geschaffen werden, der Teile Deutschlands verknüpft ist. Gewiß, schon in wenn man sich in der Verfassung ausdrücklich zu der Vergangenheit hat es Ergänzungen und Verände- einer Politik bekennt, die doch ohnehin selbstver- rungen des Grundgesetzes gegeben; es sind wohl ständlich sein sollte. 36 Zusätze im Laufe der Zeit geworden. Für manche sind sie sogar zu reichhaltig ausgefallen. Die deutsche Die Verfassung schafft nur den Rahmen für prakti- Vereinigung ist jedoch Anlaß für Überlegungen prin- sche Politik, sie ersetzt sie jedoch nicht. Wer einen zipieller Art. anderen Eindruck erweckt, der schadet der Integra- tionskraft der Verfassung und gefährdet ihre bef rie- Die Sozialdemokraten sind der Überzeugung, daß dende Funktion, weil er falsche Hoffnungen und Er- das Bonner Grundgesetz im Laufe der vergangenen wartungen über das erweckt, was eine Verfassung zu Jahrzehnte längst zur Verfassung geworden ist und leisten imstande ist. damit den Charakter des Provisoriums verloren hat. Die Bürgerinnen und Bürger haben das Grundgesetz Wenn wir — ich bin, was die Staatszielbestimmun- als ihre eigene Magna Charta akzeptiert. gen anbelangt, so skeptisch wie der Bundesinnenmi- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) nister — über das Für und Wider von Staatszielen dis- kutieren, dann sollte niemand von uns der Versu- Es ist eine tiefe Verbundenheit der Bürgerinnen und chung erliegen, zu behaupten, es gehe dabei um die Bürger mit dem Grundgesetz gewachsen. Diese Bin- Frage, ob man sich mit bestimmten Inhalten prakti- dung müssen wir bewahren und dürfen wir nicht acht- scher Politik identifiziere oder nicht. Die Aufnahme los abtun, weil es ein hohes Gut zum Schutz der De- von Staatszielen entscheidet sich am Funktionsver- mokratie ist. ständnis der Verfassung und nicht an der Bereitschaft, (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der sich zu bestimmten Inhalten praktischer Politik zu be- FDP) kennen. Ich verhehle nicht, Frau Däubler-Gmelin: Der Beitritt der früheren DDR zur Bundesrepublik Auch Ihre Bemerkung im „Spiegel" hinsichtlich der hat daran nichts geändert. Ganz im Gegenteil: Es ist ja Einklagbarkeit von Staatszielen zeigt mir, daß Sie un- nicht die rechtliche Konsequenz des Beitritts nach ter einem Staatsziel etwas völlig anderes verstehen als Art. 23 des Grundgesetzes allein, die ein Ja zum im Grunde genommen all diejenigen, die bereit sind, Grundgesetz generell einschließt. Diese Entschei- über Staatsziele zu reden. dung der Volkskammer war von breitester Zustim- Meine Damen und Herren, so ist es auch richtig, die mung der Menschen in der zu Ende gehenden DDR unterschiedlichen Meinungen zum Für und Wider ei- getragen. ner Volksabstimmung über das geänderte und er- (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der gänzte Grundgesetz auszutauschen. Es sollte nur nie- FDP) mand von uns so tun — das habe ich in dieser Debatte Das darf den Blick nicht dafür verstellen, daß politi- wieder gespürt — , als sei hier nur eine Lösung, als sei sche Erwartungen in der ehemaligen DDR zum Teil hier nur diese Lösung, die Lösung der Volksabstim- weit über die Möglichkeiten des Grundgesetzes hin- mung, zum Wohle der Sache denkbar. ausgehen. Ich denke hierbei an das Erlebnis der Wirk- Wer möchte ernsthaft bezweifeln, daß dem Grund- samkeit der direkten Demokratie, die über die gesetz in 40 Jahren gelebter Verfassungswirklichkeit ebenso friedlichen wie machtvollen Demonstrationen nicht jene Legitimation zugewachsen ist, die eine er- in Leipzig, Berlin, Dresden, Magdeburg, Rostock und folgreiche Verfassung auszeichnet? Das schließt si- anderswo den Wandel mit erzeugt hat. Aber direkte cher eine Volksabstimmung nicht aus, zeigt jedoch, plebiszitäre Demokratie ist nicht der Baustoff des daß es in der Diskussion über sie nicht um eine Con- Grundgesetzes. ditio sine qua non geht. In Übereinstimmung mit vielen Menschen in der DDR macht die SPD jedoch den Vorschlag, die Bonner Ich sehe überhaupt eine der großen Herausforde- Verfassung um plebiszitäre Elemente zu ergänzen, rungen in der anstehenden Verfassungsdiskussion ohne den bewährten Kern des repräsentativen Ansat- darin, ob und inwieweit es uns gelingen wird, sie mit zes in Frage stellen zu wollen. Bei aller verständlichen dem gebotenen Ernst und der gebotenen Sachlichkeit und vielleicht auch gebotenen Vorsicht bei diesem zu führen. Es würden sich viele Fragen ergeben, auf Thema darf man die Augen nicht davor verschließen, die unterschiedliche Antworten möglich sind. Wie wir daß die repräsentative Demokratie unseres Zu- mit diesen Differenzen umgehen und wie wir sie ver- schnitts über das unvermeidbare Maß hinaus Abnut- stehen, meine Damen und Herren, wird viel zur poli- zungserscheinungen zeigt, die sich, wie ich meine, tischen Kultur in unserem Lande beitragen. besorgniserregend in zunehmendem Desinteresse an Danke schön. öffentlichen Angelegenheiten bis hin zur Wahlver- weigerung, ja zur Wahlgleichgültigkeit zeigt. Es muß (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) also der Versuch gemacht werden, dieses Interesse 1738 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 25. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 14. Mai 1991

Dr. Wilfried Penner wieder zu wecken, z. B. durch verstärkte Berücksich- als es das vielfach praktizierte, mehrfach geschichtete tigung des Wählerwillens zwischen den Wahltermi- indirekte Delegiertenprinzip zuläßt. nen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) (Beifall bei der SPD und dem Bündnis 90/ Auch bei Listenvorschlägen sollte es künftig mehr GRÜNE) Gestaltungsmöglichkeiten als das bisher übliche Ja/ Anders als andere sehe ich dabei nicht so große Nein zu Listenplätzen geben. Möglichkeiten bei der Mitwirkung bis hin zur Mitent- (Beifall bei der SPD) scheidung bei konkreten politischen Fragen. Ich glaube, daß da mehr verheißen würde, als es der Sa- Die Parteien sind in einer modernen Demokratie che, insbesondere dem Werben um Bürgersinn näm- wichtig und als Organisationsangebote unverzicht- lich, guttäte. Aber beraten sollte man allemal darüber, bar. Partei nehmen, parteiisch sein ist gelebte Demo- auch deswegen, verehrte Kolleginnen und Kollegen kratie. Verfechter der Überparteilichkeit, ja Gegner der CDU/CSU, weil wir das denen schuldig sind, die von Parteien generell sind häufig nur dürftig verklei- ihren höchst persönlichen Anteil daran haben, daß die dete Lobbyisten am Rande oder jenseits der Demokra- vielbeschworenen und vielzitierten Brüder und tie. Schwestern aus der Zeit der Teilung Mitbürgerinnen (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Ulrich und Mitbürger in einem vereinten Deutschland wer- Irmer [FDP]) den können. Aber was den Detaileifer mancher Parteitage zu (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Sachproblemen angeht, so glaube ich nicht, daß dies der FDP) dazu beiträgt, die Vorbehalte der Bevölkerung zu überbrücken. Der Parlamentarismus droht Schaden Diese Menschen haben begreiflicherweise den zu nehmen, wenn die Gefahr besteht — dies ist nicht Wunsch, daß diese Monate erlebter und gelebter di- von der Hand zu weisen —, daß die Parlamentarier als rekter Demokratie nicht nur Episode bleiben, sondern Befehlsempfänger direkt nicht faßbarer Befehlsgeber in einer Verfassung für ein ganzes Deutschland ver- erscheinen. brieft und abrufbar werden. Ich bleibe dabei: Die Parteien sollten die große (Beifall bei der SPD und dem Bündnis 90/ Chance zu mehr plebiszitären Möglichkeiten nutzen. GRÜNE) Es darf nicht dazu kommen, daß die Parteien zu ge- Soll man sie deshalb tadeln? Soll man ihnen den Dia- setzlich autorisierten Legitimationsapparaten für im- log verweigern? Es ist ihr Rat, es sind ihre Erfahrun- mer weniger Menschen bei ständig abnehmender gen, die sie einbringen wollen. Die Andersmeinenden Bürgerberührung versteinern. unter uns haben nicht das Recht, dieses Angebot aus- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten zuschlagen. der FDP) (Beifall bei der SPD) Manche haben sich daran gestoßen, andere sogar Meines Erachtens ist allerdings ein anderer Aspekt sozialistische Gespenster gesehen, weil die SPD zum beim Thema plebiszitäre Elemente in unserer Verfas- Thema soziale Grundrechte Aussagen gemacht hat, sungsordnung nicht unwichtig. Ich meine, die Bürger- etwa zum Recht auf Arbeit oder zum Recht auf Woh- beteiligung bei wichtigsten Aufgaben der Parteien. nen. Wir meinen, wir sind es den Bürgerinnen und Unter dem Schutzschirm des Art. 21 des Grundgeset- Bürgern schuldig, daß sich eine verfassungsgebende zes, der erstmals in der deutschen Verfassungsge- Versammlung um diese Grundpositionen bemüht. schichte die Rolle der Parteien in eine Verfassung Wenn so viele Menschen wie jetzt in den fünf neuen übernimmt, die Mitwirkung der Parteien bei der poli- Bundesländern arbeitslos sind und es noch mehr wer- tischen Willensbildung des Volkes statuiert, haben den können — 30 bis 50 % Arbeitslosigkeit in den fünf sich die Parteien zu Kernbereichen lupenreinen reprä- neuen Bundesländern ist leider keine Schwarzmale- sentativen Demokratieverständnisses entwickelt. rei, sondern eher bittere Realität —, dann geht es nicht Zudem ist zu beobachten, daß dieses weit über die mehr um Sozialhilferecht, um Arbeitsförderung, um von der Verfassung eingeräumten Mitwirkungsmög- Arbeitslosenunterstützung, den Fächer unseres So- lichkeiten hinausgeht und mehr und mehr, wie ich zialrechts allein, dann steht die Grundordnung des meine, fälschlich, als Alleinbestimmungsrecht ver- Gemeinwesens auf dem Prüfstand und damit die Sta- standen wird. Das schadet der Demokratie. Die Par- tik des Sozialstaatsgebotes unseres Grundgesetzes. teien sollen und müssen Träger der Demokratie sein, (Beifall bei der SPD) während nicht etwa umgekehrt die Demokratie zum Tragpfeiler der Parteien verkümmern darf. Um des öffentlichen Wohls willen, weil es um eine möglichst breite staatstragende Schicht auf der (Beifall bei der SPD und dem Bündnis 90/ Grundlage einer soliden sozialen Absicherung geht, GRÜNE sowie bei Abgeordneten der CDU/ müssen wir offen sein für Präzisierungen des Sozial- CSU und der FDP) staatsgebotes des Grundgesetzes, damit es verstärkt gesellschaftliches wie staatliches Handeln bestimmen Die Parteien müssen weg von politikerstickender kann. Förmelei, die auch etwas mit den Folgen der staatli- chen Finanzierung und der daraus resultierenden Re- Herr Präsident, meine Damen und Herren, ich chenschaftspflicht zu tun hat. Bei den Kandidatenauf- meine, daß das Überdenken von Verfassungswirk- stellungen für öffentliche Mandate müßte zumindest lichkeit im Umfeld von Grundrechten auch aus einem das Parteivolk mehr und verstärkt mitwirken können, anderen Grund nötig ist. In jüngster Zeit hat sich nach Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 25. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 14. Mai 1991 1739

Dr. Willfried Penner meiner Überzeugung eine Schieflage zugunsten frü- legitimiert erscheinen mögen. Längst verschieben herer Eigentümer an Grund und Boden in der frühe- sich die politischen Gewichte mehr und mehr von ren DDR ergeben. Ich kann das so nicht akzeptieren. Bonn nach Brüssel. Mit der Konkretisierung des poli- Haben nicht viele Menschen unter dem unsäglichen tischen Europas verliert außerdem die bei uns seit SED-Regime leiden müssen, eine unwiederbringliche Jahrzehnten bewährte Dreiteilung der öffentlichen Spanne ihres Lebens unter ihm zubringen müssen Verantwortung in Bund, Länder und Gemeinden ihre und damit Beschädigungen ihrer Menschenwürde ursprüngliche Bedeutung. Der politische Rang der und ihres Rechts auf freie Persönlichkeitsentfaltung europäischen Regionen, die in Deutschland Länder hinnehmen müssen? Ist es denn gerecht, daß sie dafür heißen, wächst, und er muß in einem vereinten Europa entweder gar nicht oder nur höchst unzulänglich ent- verfassungsrechtlich festgeschrieben werden. Die schädigt werden können? Ist es gerecht und entspricht Gemeinden können bei einem immer rechtseinheitli- es der Wertordnung des Grundgesetzes, dies den Be- cheren Großraum Europa nicht auf ein nationales troffenen als unabänderlich zuzumuten und nur die Selbstverwaltungsrecht allein verwiesen werden. Das ursprünglichen Eigentümer von Immobilien voll zu heißt, weil Länder, Städte und Gemeinden immer berücksichtigen, obwohl sich dies investitionshem- wichtiger werden, gehören die diesbezüglichen mend auswirkt und damit erneut belastend auf imma- Grundentscheidungen des Bonner Grundgesetzes, teriell Betroffene wirkt? die ja unter den Bedingungen reiner Nationalstaat- lichkeit getroffen worden sind, auf den Prüfstand. Nicht zu vergessen ist der nicht kleine Kreis von DDR-Grundstückseigentümern, der ohnehin schon Um beim Thema Europa zu bleiben — ich sehe lei- auf vielfältige Weise bisherige Vergünstigungen der der Herrn Stoiber nicht mehr — : alten Bundesrepublik hat in Anspruch nehmen kön- (Zuruf von der SPD: Der ist gleich wieder nen. weg! — Weitere Zurufe von der SPD) Nein, so war es nicht gedacht, daß die noch durch Wollen Sie — besonders Sie von der CDU/CSU — das Gemeinwohl gebändigte Eigentumsgarantie des - weiter gegen ein kommunales Wahlrecht auch nur für Art. 14 derart massiv die Persönlichkeitsrechte der EG -Ausländer sein? Das Bundesverfassungsgericht, Art. 1 und 2 dominiert und überlagert. Wir Sozialde- das Sie in dieser Frage bemüht haben, hat dem Souve- mokraten werden das nicht als gottgegeben hinneh- rän, dem Parlament, die Legitimation dafür nicht ab- men können. gesprochen. Deshalb laden wir ein, die dafür notwen- (Beifall bei der SPD und dem Bündnis 90/ digen Voraussetzungen in der Verfassung zu schaf- GRÜNE) fen. Was Rolle und Bedeutung der drei Gewalten an- (Beifall bei der SPD und des Abg. Ul rich Ir geht, so steht ebenfalls nicht alles zum besten. Gewiß, mer [FDP]) wer die Daseinsvorsorge des Staates wie wir bejaht, Und noch eines sollte bei der politischen Architek- muß auch starke Verwaltungen wollen. Aber ist es in tur für ein geeintes Deutschland nicht übergangen Ordnung, daß die Exekutive so mächtig geworden ist, werden. Ich denke an die Verankerung des Berufsbe- und zwar auch im Verhältnis zur Legislative und zur amtentums. Wem das öffentliche Wohl am Herzen Rechtsprechung? Von den Schwierigkeiten der Legis- liegt und wer die schätzenswerten Dienste des Berufs- lative, des Parlamentarismus, war an anderer Stelle beamtentums erhalten will, kommt an einer Bestands- schon die Rede. aufnahme des Art. 33 Grundgesetz und seiner mon- Probleme der Rechtsprechung gibt es nicht minder. strösen Konkretisierungen in Gesetzen, Verordnun- Wo bleibt die friedensstiftende Funktion des Rechts, gen und Rechtsprechungen nicht vorbei. wenn der Richterspruch viel zu spät kommt, wie es bei (Beifall bei der SPD) uns leider eher die Regel geworden ist? Ist der aus- ufernde Rechtswegestaat, so wie er sich bei uns ent- Wir brauchen den öffentlichen Dienst, wir brauchen wickelt hat, wirklich ein legitimes Kind des Rechts- das Berufsbeamtentum bei hoheitlichen Tätigkeiten staats? Ermöglicht diese Form des Rechtsstaats nicht mit Eingriffsbefugnissen. Wir brauchen keine privile- vielfach schon heute rechthaberische Prinzipienreite- gierte Kaste auf Kosten anderer, die es nach meinen rei? Haben wir genug unternommen, um in unserem Wahrnehmungen in wichtigen Bereichen des öffentli- Rechtswesen wirklich Chancengleichheit durchzuset- chen Dienstes auch nicht gibt. zen? Ein neuer Dialog zur Finanzverfassung ist erf order- Um noch einmal auf Macht und Einfluß der Exeku- lich. Es kann so nicht weitergehen, daß der Bund zu- tive zurückzukommen: Dem politischen Europa wird nehmend Gesetze beschließt, für die die Länder finan- es nicht gut bekommen, wenn es ein Kunstgebilde der ziell geradestehen müssen, ohne vom Bund entspre- Exekutive ohne demokratische Fundamentierung chend ausgestattet zu sein. Übrigens gilt das nicht nur bleibt. für die Länder, sondern auch für Städte und Gemein- den. Es widerspricht dem sinnvollen Prinzip von Ei- (Beifall bei der SPD und dem Bündnis 90/ genverantwortung, daß heute kein Land der Bundes- GRÜNE sowie bei Abgeordneten der FDP) republik mehr finanzielle Eigenautonomie hat. Der Hinweis auf die Ermächtigung des Grundgeset- Wie gesagt, wir Sozialdemokraten sehen also zes, nach dem der Bund Hoheitsrechte auf zwischen- — derzeit vielleicht noch mehr als andere — die Not- staatliche Einrichtungen übertragen darf, nützt da wendigkeit zu mehr grundlegenden Beratungen über wenig. Es geht ja längst nicht mehr um Teilakte allein, unsere Verfassung; von den Wegen ist hier die Rede die durch eine Ermächtigungsvorschrift demokratisch gewesen. Über unsere Vorschläge werden wir disku- 1740 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 25. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 14. Mai 1991

Dr. Willfried Penner tieren müssen. In einem Punkt gibt es für uns Sozial- Gleichstellung der Frau usw. atmen den Geist soziali- demokraten jedoch kein Rütteln und kein Deuteln: stischer Staatsgläubigkeit, Die Verfassung muß vom Volk selbst und nicht von (Lachen bei der SPD) seinen Mandatsträgern beschlossen werden. Schönen Dank für die Geduld. den Geist, der doch weltweit und dramatisch Schiff- bruch erlitten hat. Meine Damen und Herren, wir wol- (Beifall bei der SPD und des Abg. Dr. Keller len keine andere Republik. [PDS/Linke Liste]) (Beifall bei der CDU/CSU — Detlev von Lar- cher [SPD]: Das ist ja ein Verfassungsver- Vizepräsident Helmuth Becker: Das Wort hat jetzt ständnis aus dem 19. Jahrhundert! — Rudolf unser Kollege Dr. Paul Laufs. Bindig [SPD]: Flacher geht es wohl nicht!) Der SPD-Antrag läßt in seiner Begründung anklin- gen, daß eine neue Verfassung unter Anwendung des (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine Dr. Paul Laufs Art. 146 und im Rahmen einer Volksabstimmung ge- Damen und Herren! Die Fraktionen dieses Hauses schaffen werden könnte. Mit dem letzten Artikel des sind bei der Anpassung der deutschen Verfassung an Grundgesetzes, Art. 146, hat der Parlamentarische die Erfordernisse der Zukunft aufeinander angewie- Rat an die Präambel unserer Verfassung angeknüpft sen. Man mag es beklagen und bedauern: Keine Seite und einen Weg zur Wiedervereinigung Deutschlands kann ihren Willen der anderen aufzwingen. Es ver- eröffnet, den er damals für politisch wahrscheinlicher steht sich in einer Koalition auch von selbst, daß Ver- ansah als den Beitritt der sowjetisch besetzten Teile fassungsänderungen gegen den Koalitionspartner Deutschlands nach Art. 23 des Grundgesetzes. Mit zwar zahlenmäßig, aber nicht politisch denkbar sind. dem Einigungsvertrag haben sich die frei gewählte Wir sollten deshalb pfleglich miteinander umgehen. Volkskammer und der Deutsche Bundestag sowie der Jede Seite muß sich Rechenschaft darüber geben Bundesrat auf die verfassungsrechtliche Kontinuität und herausarbeiten, was ihr nicht abverlangt werden des Grundgesetzes für ganz Deutschland festgelegt. kann, auch nicht im Rahmen von Paketlösungen, wie man etwas flapsig zu sagen pflegt. Manche Wünsche Herr Kollege Thierse, wie kommen Sie dazu, es als werden am Einspruch der anderen Seite scheitern. zynisch zu bezeichnen, wenn wir feststellen, daß das Deshalb ist es nicht unwahrscheinlich, daß sich die Grundgesetz die gemeinsame Verfassung der Deut- Änderungen insgesamt eher auf das unverzichtbar schen seither ist? Im Prozeß der Einigung war es all- Notwendige beschränken werden. Ein breit angeleg- gemeiner Konsens, keine das ganze Volk repräsentie- ter Verfassungsrat zur Vorbereitung der Verfassungs- rende Nationalversammlung wählen und keine neue änderungen jedenfalls würde mehr Erwartungen gesamtdeutsche Verfassung beraten und beschließen wecken, als er je erfüllen könnte. zu lassen. Die im Einigungsvertrag angedeuteten Grundgesetzänderungen müssen vielmehr von den (Claus Jäger [CDU/CSU]: Sehr richtig!) bestehenden Staatsorganen der Bundesrepublik un- Meine Damen und Herren, natürlich sind wir gefor- ter den Bindungen des Art. 79 des Grundgesetzes vor- dert: Die Verwirklichung der Europäischen Union und genommen werden. Das ist bei der Beratung von Art. 5 des Einigungsvertrages nehmen uns in die Art. 5 des Einigungsvertrages im Ausschuß Deutsche Pflicht. Der Konsens erscheint bei einigen Anliegen Einheit ausdrücklich so festgestellt worden. Es ist er- naheliegend, so etwa bei der Neugliederung des staunlich, wenn die Kollegin Frau Däubler-Gmelin Raumes Berlin-Brandenburg sowie bei geringfügigen dies heute ganz anders darstellt. Korrekturen an Ländergrenzen; so etwa bei der Frage Der Zweck des Art. 146 des Grundgesetzes hat sich der Selbstauflösung des Deutschen Bundestages, bei durch die Ereignisse erschöpft. Er muß gestrichen der Aufnahme der Staatszielbestimmung Umwelt- werden. Die im Grundgesetz begründeten Verfas- schutz, vielleicht auch bei der Klarstellung hinsicht- sungsorgane sind jedenfalls nicht ermächtigt, das lich des Bundeswehreinsatzes zur Sicherung einer Grundgesetz aufzuheben, damit eine andere Verfas- friedlichen Ordnung im Rahmen der Vereinten Natio- sung Geltung erlangen kann. nen, falls diese Klarstellung erforderlich ist. Eine schwierige Aufgabe wird die Wegbereitung Auch die Bundesversammlung, wie es der SPD- Antrag vorsieht, kann das nicht leisten. Das hätte viel- für die Europäische Politische Union sein, die der föderalen Struktur der Bundesrepublik gerecht mehr im Zug der Wiedervereinigung das ganze deut- sche Volk direkt und unmittelbar eben durch die Wahl wird. einer verfassungsgebende Versammlung so bestim- Ein dringliches Anliegen der Union ist im europäi- men müssen. schen Zusammenhang die Harmonisierung des Asyl- rechts, für die nach unserer Auffassung eine Verfas- Wenn Art. 146 zur geschichtlichen Makulatur ge- sungsänderung unumgänglich ist. worden ist, so gilt das auch für die in ihm enthaltene Möglichkeit, die Verfassung zum Gegenstand einer Einer Weiterentwicklung des Grundgesetzes mit ei- Volksabstimmung zu machen. Die CDU/CSU sieht im ner fundamentalen Neuorientierung, wie sie der SPD- übrigen an unserem Grundgesetz kein historisches neuer Staatszielbestimmungen Antrag mit einer Fülle Defizit an Legitimation. vorsieht, steht die Union ablehnend gegenüber. Die Forderung nach Grundrechten etwa auf Arbeit und Ich muß Herrn Kollegen Thierse um Verständnis Wohnung und die daraus abgeleitete Forderung nach dafür bitten, wenn ich sage, daß seine betont wieder- vom Bürger einklagbaren Staatsprogrammen für holte Charakterisierung des Grundgesetzes als eines Wohnungsbau, Beschäftigung, für Umweltschutz, Provisoriums für viele Kolleginnen und Kollegen recht Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 25. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 14. Mai 1991 1741

Dr. Paul Laufs schmerzlich ist. Eine gute Verfassung zeichnet sich Meinungsführer in den Massenmedien gerät, die üb- durch ihre Beständigkeit aus. rigens jeglicher demokratischer Kontrolle entzogen sind. (Claus Jäger [CDU/CSU]: Sehr gut!) (Dr. Uwe-Jens Heuer [PDS/Linke Liste]: Sehr Sie soll über einen langen Zeitraum hinweg eine ver- wahr!) läßliche Grundordnung sicherstellen. Das Grundge- setz hat sich über 40 Jahre nun wirklich bewährt. Darüber, Herr Kollege Penner, werden wir uns kri- Diese Erfahrung können nun allerdings die Menschen tisch auseinandersetzen müssen. in den neuen Bundesländern so nicht unmittelbar tei- Die CDU/CSU begegnet mit großer Skepsis den len. Vorschlägen, neue plebiszitäre Elemente in das Grundgesetz einzuführen. Die repräsentative Demo- Wir verstehen die Kollegen aus den neuen Bundes- kratie hat sich wahrlich bewährt. Wir sollten sie nicht ländern, wenn sie einen Neubeginn mit einer neuen in Frage stellen. Verfassung wünschen, um so der wiedererlangten Einheit für eine gemeinsame Zukunft einen neuen (Detlev von Larcher [SPD]: Tut ja auch kei Grund zu legen. Viele neue Bundesbürger sind be- ner!) wegt von der tief erlebten und erlittenen Erfahrung Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. des Aufbruchs zu Demokratie und Freiheit in der Re- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) volution gegen die menschenverachtende Diktatur. Die Menschen haben den Unterdrückern auf Straßen und Plätzen mit ihrem Freiheitswillen widerstanden Vizepräsident Helmuth Becker: Jetzt hat unser Kol- und sich durchgesetzt. Es gibt aus dieser Erfahrung lege Dr. Burkhard Hirsch das Wort. heraus den Wunsch — das sehen auch wir — , die un- mittelbare Beteiligung des Volkes an der Gesetzge- bung durch Volksbegehren und Volksentscheide im Dr. Burkhard Hirsch (FDP): Herr Präsident! Meine Grundgesetz zu verankern, wie dies etwa im- Verfas- sehr verehrten Damen und Herren! Es ist, finde ich, sungsentwurf des Runden Tisches vorgesehen war. von großer symbolischer Bedeutung, daß eine Verfas- Damit müssen wir uns auseinandersetzen. Für eine sungsdebatte, die binnen zwei Jahren die Konsequen- Verfassungsdiskussion sind wir alle selbstverständ- zen aus der Wiedervereinigung Deutschlands ziehen lich offen. soll, im ehrwürdigen Gebäude des alten Reichstags beginnt und, so hoffe ich, auch hier mit einer breiten Plebiszite haben im kommunalpolitischen, über- Mehrheit abgeschlossen werden kann. Das muß man schaubaren Bereich ihre Berechtigung. Die Erfahrun- wohl zu manchen Blütenträumen und manchen Ge- gen mit Plebisziten in einer komplexen, vielschichtig spensterbeschwörungen sagen, die wir gehört haben: verflochtenen Welt sind aber ausgesprochen schlecht. Am Ende dieser Debatte wird die Notwendigkeit ei- Sie haben sich in der Weimarer Demokratie nicht be- ner Zweidrittelmehrheit im Bundestag und Bundesrat währt. stehen. Das wird manche Hoffnungen dämpfen und (Zuruf von der SPD: Bayern ist komplex!) nicht nur die Frage nach der Berufung unserer Zeit zur Ich bezweifle, ob sie auf landespolitischer Ebene, wo Gesetzgebung aufwerfen. immer sie heute veranstaltet werden, so gut sind, daß Die Verfasser des Grundgesetzes wollten keinen man sie für die Bundespolitik einführen sollte. Man neuen Staat schaffen, sondern das an staatlicher Selb- kann z. B. nicht jedermann vor die Entscheidung über ständigkeit wahrnehmen, was ihnen die Besatzungs- komplizierte abfallrechtliche oder energiepolitische mächte anboten. Ihre berühmte Formel, das deutsche oder gar steuerrechtliche Regelungen stellen. Volk bleibe „aufgefordert, in freier Selbstbestimmung die Einheit und Freiheit Deutschlands zu vollenden", Der Philosoph Hermann Lübbe hat dieser Tage ge- spiegelt die politische Not der dramatischen Jahre sagt, daß es noch nie eine Zivilisation gegeben habe, 1948 und 1949 wider ebenso wie der die Verfassung die ihre Lebensgrundlagen weniger verstanden hätte abschließende Artikel 146, der festlegt, daß eine Ver- als unsere eigene. Es gebe keinen Zweifel, daß ein fassung vom deutschen Volk in freier Selbstbestim- Grund für die wachsende emotionale Distanz des Bür- mung beschlossen werden möge. gers gegenüber seinen technisch-industriellen Le- bensgrundlagen derjenige sei, daß der Bürger das er- In den letzten vierzig Jahren haben wir aber auch forderliche Maß an Kapazität für die zu verarbeitende erkannt, daß das oft bemäkelte Grundgesetz, als Informationsfülle nicht mehr aufbringen könne. In „Juristengesetz", als „rückwärts gewandt", als „von modernen hochkomplexen Gesellschaften nimmt die den Besatzungsmächten oktroyiert" bezeichnet, eine Neigung zu einer Nein-Danke-Haltung bei den zu außerordentliche Lebenskraft bewiesen hat. Es ist einer Entscheidung gedrängten Bürgern zu. Es ist nicht nur eine geschriebene Verfassung, sondern es kein Nein der begründeten Ablehnung, sondern ein befindet sich offenbar auch in Übereinstimmung mit Nein der Urteilsenthaltung gegen die Überforderung dem Lebensgefühl, mit der Verfassung, in der wir uns der eigenen Urteilskraft. selbst befinden. Das Grundgesetz ist einfach gut! Es ist so gut, daß es nicht nur alle Ang riffe seiner Gegner (Claus Jäger [CDU/CSU]: So ist das!) hat abwehren können, sondern sogar alle Versuche, Wer in dieser Situation über Volksentscheide der es durch Einschränkungen der in ihm garantierten Allgemeinheit die Verantwortung für die Regelung Freiheiten verteidigen zu wollen, doch Gottlob na- kompliziertester Sachverhalte übertragen will, muß hezu unbeschadet überstanden hat. wissen, daß er mit immer schlechter werdenden Bür- (Beifall bei der FDP und der SPD sowie bei gerbeteiligungen immer stärker unter den Einfluß der Abgeordneten der CDU/CSU) 1742 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 25. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 14. Mai 1991

Dr. Burkhard Hirsch Das Grundgesetz ist den neuen Ländern auch nicht menwachsen Europas zwingend ergeben, ohne daß übergestülpt worden, sondern es ist von einem frei der Grundkonsens unserer Verfassung verändert gewählten Parlament angenommen worden. Es ist wird. Wir wollen ihn erhalten, wir wollen ihn nicht keinesfalls so, wie der Kollege Thierse meinte sagen gefährden. zu sollen, daß damit das Recht, über Verfassungsrevi- Die inhaltlich zu begrenzende Arbeit soll nach un- sionen zu debattieren, aberkannt worden sei. In kei- serer Vorstellung ein viel kleiners Gremium leisten, in ner Weise! Hier in diesem Hause sind nahezu 140 Ab- dem Bundesrat und Bundestag in gleicher Weise ver- geordnete aus den neuen Ländern, die in derselben treten sind. Natürlich, Frau Däubler-Gmelin, soll es Weise wie wir an einer Verfassungsdebatte teilneh- nicht in Klausur tagen. Natürlich muß es in der Lage men. sein, jeden Sachverstand zu mobilisieren und anzuhö- Wir glauben nicht, daß unsere Verfassung durch ren, den es für notwendig erachtet. Natürlich müssen eine Totalrevision verbessert werden könnte oder ver- auch Repräsentanten aus den neuen Bundesländern bessert werden müßte. Darum ist auch der Gedanke gehört und beteiligt werden. Aber sie haben in Anse- einer Verfassungsversammlung nicht überzeugend. hung einer Verfassung, die für alle gelten soll, nicht Warum sollte sie als nicht nur einfach mittelbar ge- mehr und nicht weniger Rechte als die Bürger aus den wählte, sondern mehrstufig mittelbar gewählte Ver- alten Bundesländern auch, die zwar keine Revolution sammlung eine größere Legitimation haben, als sie gemacht, aber unsere Verfassung doch vierzig Jahre die unmittelbar gewählten Verfassungsorgane unse- mit Leben erfüllt haben. Die Vertreter der Bürger der res Staates besitzen? neuen Bundesländer sind ebenso wie die Vertreter (Beifall bei der FDP) der alten Bundesländer in diesem Parlament und er- füllen hier ihre politische Aufgabe, die Interessen ih- Sie würde falsche Vorstellungen davon erwecken, rer Wähler wahrzunehmen. Wir schaffen das nur ge- was von uns tatsächlich zu leisten ist. meinsam oder gar nicht. Da gibt es keine Prioritäten der Herkunft. Wir sollten selber dazu beitragen, die Vizepräsident Helmuth Becker: Kollege Dr. Hirsch, - Mauer in den Köpfen endlich abzutragen und sie nicht gestatten Sie eine Zwischenfrage? immer erneut zu beschwören. (Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten (FDP): Aber natürlich. Dr. Burkhard Hirsch der CDU/CSU) Vizepräsident Helmuth Becker: Bitte sehr, Frau Dr. Däubler-Gmelin. Vizepräsident Helmuth Becker: Herr Dr. Hirsch, ge- statten Sie noch eine Zwischenfrage der Frau Dr. Däubler-Gmelin? Dr. Herta Däubler-Gmelin (SPD): Herr Kollege Dr. Hirsch, es wäre mir arg, wenn die wichtigen Ele- mente eines Verfassungsrates von Ihnen ausschließ- Dr. Burkhard Hirsch (FDP): Natürlich. lich auf diesen, wie ich finde nicht einmal wichtigen Nebenaspekt konzentriert würden. Ich habe deshalb Dr. Herta Däubler-Gmelin (SPD): Herzlichen Dank, die Frage, ob Sie sich nicht damit befreunden können, daß Sie mir nochmals die Gelegenheit geben, bevor daß beim Verfassungsrat außer Abgeordneten des Sie beim nächsten Punkt sind, auf die Frage des Ver- Bundestages und Mitgliedern von Landesregierun- fassungsrats — nicht: der Verfassungsversamm- gen sowohl Abgeordnete der Länderparlamente als lung — einzugehen, Herr Hirsch. auch Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens, die Könnten Sie akzeptieren, daß es nicht eine Frage weder Bundestags- noch Bundesratmitglieder sind, von Legitimation ist — das wurde nie behauptet —, teilnehmen können? Hielten Sie das nicht für rich- auch nicht eine Frage von öffentlichem Tagen oder tig? Anhören, sondern eine Frage der Mitgliedschaft mit allen Rechten und Pflichten; und sind Sie nicht der Dr. Burkhard Hirsch (FDP): Zu der Frage der Betei- Meinung, daß dies bei der Ausarbeitung von Vor- ligung, zu der Öffnung dieses Gremiums für andere schlägen einer gesamtdeuschen Verfassung viel für Personen, die Sie vorschlagen, werde ich noch kom- sich hat? men. Ich bin nicht der Meinung, daß es in Klausur tagen sollte. Aber ich frage mich wirklich, wieso die von Ihnen vorgeschlagene Verfassungsversammlung, Dr. Burkhard Hirsch (FDP): Sie kennen den Vor- gewählt von der Bundesversammlung, eine größere schlag, den wir gemacht haben. Es kommt darauf an, Legitimation als die Abgeordneten dieses Hauses, ein Gremium zu schaffen, das die höchstmögliche Ge- währ dafür bietet, daß am Ende Lösungen vorgeschla- (Dr. Herta Däubler-Gmelin [SPD]: Das ist gen werden, die in diesen Häusern eine Zweidrittel- keine Legitimationsfrage!) mehrheit gewinnen. Sie müssen dafür allerdings die die unmittelbar vom Volk gewählt worden sind, und Möglichkeit haben, jeden Sachverstand zu mobilisie- als die Regierungen der Länder, die nach unserer Ver- ren, den sie zur Erfüllung dieser Aufgabe für notwen- fassung unmittelbar in den Bundesrat entsandt wor- dig halten. Diese Möglichkeit wird gegeben. den sind, haben sollte. Im Einigungsvertrag sind die notwendigen Punkte (Beifall bei der FDP) der notwendigen Adjustierung genannt: das Verhält- Was wir brauchen ist eine Adjustierung, eine Ver- nis von Bund und Ländern, die Staatszielbestimmun- gewisserung darüber, welche Änderungen sich aus gen, der Föderalismus, die Frage einer Volksabstim- der heutigen Lebenswirklichkeit in den 16 Ländern mung, die in Art. 5 des Einigungsvertrags erwähnt ist. der Bundesrepublik und aus dem weiteren Zusam Man kann das erweitern. Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 25. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 14. Mai 1991 1743

Dr. Burkhard Hirsch Stärkung der Rechte der Abgeordneten in der par- serer Verfassung zu erhalten, und nicht etwa, sie einer lamentarischen Demokratie: Hier müssen wir einmal Belastungsprobe zu unterziehen. Am Ende aller die- fragen, woher die Diskussion über plebiszitäre Ele- ser Bemühungen muß eine Zweidrittelmehrheit von mente kommt. Hierin machen es sich alle, die an Bundestag und Bundesrat stehen. Das zwingt zur Zu- dieser Debatte teilnehmen, nach unserer Überzeu- rückhaltung, das zwingt zum Kompromiß. Ich werbe gung zu leicht. Es gibt Volksabstimmungen in fast dafür, daß am Ende unserer Erörterungen und Be- allen Bundesländern. Es gibt sie in den Gemeinden, schlüsse schließlich die Verwirklichung des Art. 146 ohne daß die parlamentarische Welt daran zerbrochen unserer Verfassung steht: die Bestätigung der Verf as wäre. sung durch das Volk in freier Entscheidung. (Beifall bei der SPD) (Beifall bei der FDP und der SPD) Aber man muß sich auch einmal mit der Verfas- Lassen Sie uns auf dieser Grundlage vollenden, was sungswirklichkeit dieser Volksabstimmungen und ih- vor 42 Jahren begonnen wurde! rer Ergebnisse befassen und sich fragen, welche Wir- kungen sie denn haben, wenn die Wahlbevölkerung (Beifall bei der FDP und der SPD) aufgerufen wird, zu einem einzelnen Punkt mit der vereinfachten Antwort Ja oder Nein antworten zu müssen. Darüber muß man sich einmal unterhalten; Vizepräsident Helmuth Becker: Meine Damen und auch darüber, wie es denn kommt, daß viele Men- Herren, das Wort hat jetzt der Abgeordnete Dr. Möl- schen den Eindruck haben, daß sie von der Massivität ler. der Parteien, von ihrer Hierachisierung, auch von der Hierarchisierung dieses Parlaments, nicht mehr so vertreten werden, wie sie es für richtig halten. Dr. Franz Möller (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine (Beifall der Abg. Renate Schmidt [Nürnberg] Damen und Herren! Der Beitritt der früheren DDR [SPD]) - zum Staat des Bonner Grundgesetzes ist der wohl Wenn man an diese Wurzel herangehen will, lautet sichtbarste Ausdruck der Erfolgsgeschichte unserer die Frage zunächst, was wir in unserem eigenen Ar- Verfassung, die man mit Fug und Recht, wie es auch beitsstil ändern müssen, welche Möglichkeiten und eben geschehen ist, die deutsche Magna Cha rta der welche Rechte der einzelne Abgeordnete in diesem Freiheit nennen darf. Dieses Grundgesetz ist die beste Parlament bekommen muß. und freiheitlichste Verfassung, die es je auf deut- schem Boden gegeben hat. Auch das ist eben in ver- Erleichterung der Neugliederung; verfassungs- schiedenen eindrucksvollen Reden bekräftigt wor- rechtlicher Verzicht auf ABC-Waffen; eine Definition den. möglicher Aufgaben der Bundeswehr im Rahmen der Vereinten Nationen einschließlich der dabei unerläß- Unser Grundgesetz hat sich bewährt und ist allge- lichen parlamentarischen Entscheidungen: Ich warne mein anerkannt und akzeptiert. die konservative Seite dieses Hauses, hier den Ein- Das Grundgesetz ist die jetzt voll legitimierte druck zu erwecken, es sei eine Art Courtoisie und deutsche Verfassung. Es hat kein demokratisches nicht ein verfassungsrechtliches Gebot, daß man Defizit. Im Gegenteil: Die Bestimmung in Art. 146 dann, wenn man die Bundeswehr zu anderen Auf ga- (neu) besagt gerade, daß das Grundgesetz die ben als zur Verteidigung einsetzen wi ll, eine Verfas- nach „Vollendung der Einheit und Freiheit" gül- sungsänderung benötigt. Natürlich braucht man sie. tige Verfassung Deutschlands ist. (Beifall des Abg. Ulrich Irmer [FDP] sowie bei Das ist ein Zitat vom Bremer Senator für Justiz, Vol- der SPD und dem Bündnis 90/GRÜNE) ker Kröning, das wir voll unterstützen und dem wir uneingeschränkt zustimmen. Natürlich ist sie ein zwingendes politisches und recht- liches Erfordernis. Ich warne Sie, die Öffentlichkeit Gleichwohl gibt es durch Art. 5 des Einigungsver- und sich selber darüber täuschen zu wollen. trages und darüber hinaus Anlaß und Stoff für Klar- stellungen und Anpassungen in unserer Verfassung. (Norbert Gansel [SPD]: Und wortbrüchig zu Einige Punkte möchte ich aus meiner Sicht erwäh- werden!) nen. — Möglicherweise Teile der Finanzverfassung. Na- Erstens. Das oberste und beherrschende Prinzip des türlich muß darüber gesprochen werden. Grundgesetzes ist in Art. 1 Abs. 1 dargestellt: „Die Würde des Menschen ist unantastbar. " Dieser Ar Ich will der Versuchung widerstehen, zu den einzel- tikel nen Punkten hier und jetzt inhaltlich Stellung zu neh- findet seine logische Ergänzung in Art. 2 Abs. 2, wo es heißt: „Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche men, ebenso zu einigen weiteren Reizthemen. Wir Unversehrtheit." Der Mensch, der hier gemeint ist, schließen die Debatte ja heute nicht ab, sondern wir beginnt nicht erst mit der Geburt. Da dies immer wie- beginnen sie erst, und am Ende sollen breite Mehrhei- ten stehen. Darauf muß der Themenkatalog begrenzt der in Zweifel gezogen oder verdrängt wird, sollte bleiben. Muß es wirklich mehr sein? Davon müßten geprüft werden, ob im Grundgesetz klargestellt wer- wir überzeugt werden. den muß, daß auch das ungeborene Leben den unein- geschränkten Schutz unserer Verfassung genießt. Das Das Ziel ist nicht, politische Träume bei dieser Gele- Gleiche gilt für das kranke und behinderte sowie für genheit endlich unterzubringen. Das Ziel ist, zu korri- das verlöschende Leben, denn Leben ist Leben und gieren, wo es notwendig ist. Das Ziel ist, die vorhan- steht unter dem Schutz des Grundgesetzes. Nach dem dene Übereinstimmung unserer Gesellschaft mit un- Entstehen und vor dem Vergehen eines Lebens ist der 1744 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 25. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 14. Mai 1991

Dr. Franz Möller Schutz jedes Menschen uneingeschränkt und unge- Einsetzung eines Verfassungsrats zeigt, macht ganz teilt zu gewähren. deutlich: Verfassungsfragen sind Machtfragen. (Beifall bei der CDU/CSU) Besonders deutlich wird das in der Art und Weise, Zweitens. Die bisherige Rechtsprechung des Bun- wie über die Änderung der Verfassung diskutiert desverfassungsgerichts sollte daraufhin überprüft wird. Es wird gesagt: Das ist die beste Verfassung, die werden, ob es notwendig ist, seine herausgearbeite- wir je hatten. Dabei sind inzwischen über 38 Ände- ten Grundsätze zu den Freiheitsrechten, etwa zum rungen vollzogen worden. in den Recht auf informationelle Selbstbestimmung, (Dr. Jürgen Rüttgers [CDU/CSU]: Gerade Verfassungstext zu übernehmen, aber dann mit einem deshalb!) etwas besseren Beg riff. Die Urteile über den Daten- schutz sollten sorgfältig aufbereitet werden. Es werden Befürchtungen laut, daß über den Verfas- Drittens. Wir müssen auch prüfen, ob und in wel- sungsrat gleichberechtigt vielleicht eigene Gedanken cher Weise den Gefahren neuer Technologien verfas- von Ländervertretern, von Bürgerrechtlern, von Wis- sungsrechtlich begegnet werden muß. senschaftlern und von Persönlichkeiten des öffentli- chen Lebens in die Beratungen eingebracht werden. Viertens. Die Freiheit des Individuums ist in eine Es wird behauptet: Das sind keine arbeitsfähigen Gre- rechtliche und soziale Ordnung eingebunden, deren mien, und Parlamentarier aus unseren eigenen Rei- Struktur ganz wesentlich durch die Soziale Markwirt- hen, die Parlamentarier vom Bündnis 90, werden zu schaft geprägt ist, die auf Freiheit und auf soziale Ver- Beratern degradiert. pflichtung gleichermaßen aufgebaut ist. Unsere sozial verpflichtete Marktwirtschaft hat sich bewährt und Ich verstehe das sehr wohl. Damit sind natürlich ihre Anziehungskraft bewiesen. Befürchtungen dahin verbunden, daß sozialstaatliche Bisher ist, wie das Bundesverfassungsgericht meint, Elemente in die Verfassung aufgenommen werden die Soziale Marktwirtschaft aber im Grundgesetz könnten, die als hemmend für die Entfaltung der nicht festgeschrieben. Das Grundgesetz sei wirt- Marktkräfte und damit als Bedrohung des Status quo schaftspolitisch neutral, so heißt es. Die Verfassungs- angesehen werden könnten. wirklichkeit sieht jedoch anders aus. Die Soziale Ich denke beispielsweise an die Reaktion auf die Marktwirtschaft hat sich längst als die Wirtschafts- Verfassung vom Runden Tisch oder an die Sozial- form schlechthin etabliert. Durch den Vertrag über die charta. Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion vom 1. Juli 1990 wurde die Soziale Marktwirtschaft deshalb auch Die Forderungen, die dort erhoben worden sind, in der früheren DDR eingeführt. Auf der KSZE-Konfe- nämlich ein Recht auf Arbeit oder Arbeitsförderung, renz über wirtschaftliche Zusammenarbeit in Europa ein Recht auf menschenwürdigen Wohnraum, ein im Frühjahr 1990 und in der Charta von Paris im Recht auf Aus- und Weiterbildung, weitergehende Herbst 1990 haben sich 35 Staaten uneingeschränkt Demokratisierung des Arbeitslebens und die Grundsi- zur Sozialen Marktwirtschaft bekannt und sie zur Leit- cherung, sind Bedürfnisse, die wir Menschen im linie ihrer Politik gemacht. Deshalb wird es höchste Osten haben und die Sie ablehnen. Zeit, Verfassung und Verfassungswirklichkeit in Ein- Die andere Frage, das Recht auf Eigentum, bet rifft klang zu bringen. Marktwirtschaft ist die wirtschaft- Ihre Bedürfnisse. Das verstehen wir sehr gut. liche Ausfüllung der Staatsform Demokratie, wie wir sie jetzt erleben. Ich möchte auch auf Herrn Scholz eingehen. Er sagte, man brauche keine neue Verfassung, und man Demokratie und Marktwirtschaft gehören notwen- digerweise zusammen. Freiheit ist ein zentraler Wert wolle deshalb auch keine neue Verfassung. Ich sage unseres Grundgesetzes. Freiheit ist auch ein zentraler dagegen: Wir im Osten brauchen die neue Verfas- Wert jeder Marktwirtschaft, die durch das Sozial- sung. Wir wollen sie auch. Bei uns spielen andere Bedürfnisse eine Rolle. staatsprinzip ergänzt und umgrenzt wird. Deshalb muß auch die Wirtschaftsform der Sozialen Marktwirt- Sie behaupten, das Sozialstaatsprinzip sei meister- schaft in das Grundgesetz aufgenommen und dauer- haft gestaltet. Ich will versuchen, das zu widerlegen. haft verankert werden. Wenn man sich das Grundgesetz ansieht, dann stellt Meine Damen und Herren, in den Beratungen des man fest, daß drei Staatszielbestimmungen des Verfassungsausschusses wird die Union das Grund- Grundgesetzes ganz wichtige Bestimmungen sind: gesetz offensiv verteidigen und nur dort Änderungen Demokratie, Rechtsstaat und Bundesstaat. Dies sind zulassen, wo sie sich als notwendig erwiesen haben, Leitprinzipien, die für die Umgestaltung wichtig wa- damit das Grundgesetz bleibt, was es ist, nämlich eine ren. Das Sozialstaatspostulat wurde aber vernachläs- hervorragende Verfassung auch für die Zukunft. sigt. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Bei der Analyse stellt sich heraus, daß das Prinzip des Rechtsstaats damals ganz bewußt aus der Erfah- rung der nationalsozialistischen Diktatur entwickelt Meine Damen und Vizepräsident Helmuth Becker: wurde. Auch für uns im Osten Deutschlands, die wir Herren, das Wort hat jetzt unsere Kollegin Angelika die Rechtsstaatlichkeit vermißt haben, hat die Siche- Barbe. rung der Rechtsstaatlichkeit besondere Bedeutung. Ich unterstreiche den hohen Respekt vor dem Grund- Angelika Barbe (SPD): Herr Präsident! Meine sehr gesetz, den Wolfgang Thierse hier angesprochen hat. verehrten Damen und Herren! Die aktuelle Diskus- Denn die klassischen Freiheitsrechte wie die Ver- sion, wie sie sich heute hier in der Frage bezüglich der sammlungs- und die Meinungsfreiheit haben wir Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 25. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 14. Mai 1991 1745

Angelika Barbe 40 Jahre lang vermißt. Das hat auch verhindert, daß es Auch dies bedarf einer Regelung in der Verfassung. im Osten zu einer Demokratie kommen konnte. Dazu gehört auch das Recht der Frau, selbst über die Fortsetzung der Schwangerschaft zu entscheiden, und Aber — es fehlen die sozialen Grundrechte. Die gleichzeitig die Verpflichtung des Staats, werdendes sind Ihrer Meinung nach schwer einklagbar und Leben durch das Angebot sozialer Hilfen zu schüt- schwerer einzuhalten. Ich verstehe darunter aber zen. auch Ihre Furcht vor Veränderungen der Machtver- (Beifall bei der SPD) hältnisse. Das ist durch diese Argumente auch ausge- drückt worden. In der Debatte muß bedacht werden, ob Frauen in der DDR bisherige Rechtspositionen überhaupt ge- Ich möchte ein paar Prinzipien ansprechen, die für nommen werden dürfen; denn es gibt einen Bestand- uns im Osten ganz wichtig sind. Wenn das Prinzip der schutz für gewachsene Rechtsverhältnisse, auf denen rechtlichen, gleichen Freiheit für alle — gleichzeitig Millionen von Lebensentwürfen aufgebaut worden mit ökonomischer Herrschaft von Marktwirtschaft ge- sind. Auch dies alles muß in einer Verfassungsdebatte koppelt ist — besteht immer die Gefahr, daß es zu Berücksichtigung finden. besitzabhängiger sozialer Ungleichheit und damit zu Als Ostparlamentarier in der Opposition bin ich sozialer Unfreiheit kommen kann. nach leidvoller Erfahrung zu der Überzeugung ge- Wir haben aber im Osten nicht nur die Gefahr, son- langt, daß die parlamentarische Demokratie gestärkt dern wir haben drüben die Wirklichkeit: die Arbeits- werden muß, und zwar nicht nur all jene Formen, die losen und die Sozialhilfeempfänger, denen die Frei- den direkten Einfluß des Volkes auf die Willensbil- heit jetzt überhaupt nichts nützt. dung des Staates erhöhen — ich denke hier an Volks- begehren und Volksbefragungen, sondern ich denke Deshalb sind gezielte staatliche Gegenwirkungen vor allem auch an das Verhältnis zwischen Parlament nötig; um die vom Rechtsstaat gewährte individuelle und Regierung. Da muß etliches neu geregelt werden, Freiheit und rechtliche Gleichheit überhaupt für Men- und zwar mit dem Ziel, die Informations- und Kontroll- schen erlebbar zu machen. Die sozialen Errungen- rechte des Parlaments zu stärken. schaften von Marktwirtschaftssystemen sind doch politisch errungen worden. Denken wir nur an die (Beifall bei der SPD) Kämpfe der Gewerkschaften, die das ja mitbewirkt Es hätte nicht zu dem Skandal zu kommen brau- haben. chen, daß das Bundesministerium des Innern den Par- lamentariern den Gauck-Bericht über de Maizière Wenn jetzt Freiheit hoch geschätzt wird, gleichzei- vorenthalten hat und wir dann alle die Daten aus dem tig aber auch vielgestaltiges wirtschaftliches Leben „Spiegel" erfahren haben. als Voraussetzung von Freiheit zugelassen sein muß, so frage ich mich nach den Erfahrungen des letzten An den Schluß meiner Rede möchte ich ein Zitat von Jahres bei uns im Osten, welche gleichen Chancen Gustav Heinemann stellen, das uns, die wir in einem denn für jeden vorhanden sind. Wo oder inwieweit Unrechtsstaat groß geworden sind und leben mußten, findet denn Wettbewerb überhaupt statt? Es gibt eine beim Kampf um unsere Rechte weiterhelfen wird. Gu- ungerechte Verteilung von Einkommen und Produk- stav Heinemann sagte: Das geschriebene Recht ist die tivvermögen. Das macht die Startbedingungen im Magna Charta des kleinen Mannes. — Dieses Recht Wettbewerb erst einmal gar nicht für alle gleich. Es haben wir als Interessenvertreter der Bürger für alle macht sie extrem ungleich. Ich denke an die Vertei- Bürger und nicht nur für mächtige Lobbyisten poli- lung öffentlicher Aufträge, die im Augenblick alle zu- tisch durchzusetzen. gunsten der Westbetriebe erfolgen, zuungunsten der Danke schön. Ostbetriebe. (Beifall bei der SPD und dem Bündnis 90/ Ich zitiere Art. 20 Abs. 1 des Grundgesetzes: „Der GRÜNE sowie bei Abgeordneten der PDS/ Staat hat die Pflicht, für einen Ausgleich der sozialen Linke Liste) Gegensätze und damit für eine gerechte Sozialord- nung zu sorgen. " Das ist aber nur eine Postulatform. In Art. 20 und 28 reicht das nicht aus, sondern es ist ein Vizepräsident Helmuth Becker: Meine Damen und bindendes eindeutiges Sozialstaatsmodell notwendig. Herren, nunmehr hat das Wort unser Kollege Norbert Es sollte in einer zukünftigen Verfassung verankert Geis. sein. (Beifall bei der SPD) Norbert Geis (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine Im Zusammenhang mit dem Anspruch eines jeden sehr verehrten Damen und Herren! Frau Barbe, das Menschen auf Achtung und Schutz seiner Persönlich- Recht auf Leben sagt etwas aus über das Gemeinwe- keit und Privatheit muß auch das Recht eines jeden sen, und das Recht auf Leben und auch das Recht des einzelnen auf Einsicht in seine eigenen persönlichen ungeborenen Menschen auf Leben markiert das Maß Daten und auf Einsicht in die ihn betreffenden Akten der Menschlichkeit in einem Gemeinwesen. Unser in der zukünftigen Verfassung verankert sein. Ich Grundgesetz hat hier eine eindeutige Entscheidung denke hier besonders an das Stasi-Aktengesetz. Täg- getroffen. Wir sollten daran nicht rütteln. lich rufen etliche Bürger bei mir an oder schreiben mir (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) und fordern genau dies, nachdem sie 40 Jahre lang Meine sehr verehrten Damen und Herren, lassen Drangsal erdulden mußten. Sie mich ein Wort zu den plebiszitären Elementen Ein weiteres Problem ist die Gleichstellung der sagen, die heute schon oft angesprochen worden sind. Frau in allen Bereichen von Gesellschaft und Staat. Ich bin nicht der Auffassung, daß der Volksentscheid 1746 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 25. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 14. Mai 1991

Norbert Geis vom 17. Februar dieses Jahres in Bayern ein Mehr an alte Möglichkeit nun zunichte geworden ist, weil sie Demokratie gezeigt hat, einmal, weil sehr wenige nicht angewendet wurde, dann muß man sich zumin- daran teilgenommen haben, zum anderen, weil die, dest in dieser neuen Verfassungskommission die die zur Entscheidung gegangen sind, über einen Frage stellen, ob der jetzt neugefaßte Art. 146, der Sachverhalt haben entscheiden müssen — über zwei eine solche Aufhebung vorsieht, unserer Verfassung Gesetzesvorschläge — , von dem sie — dessen bin ich entspricht. Diese Frage muß meiner Meinung nach sicher, und ich trete dabei keinem zu nahe — nicht diskutiert werden. Deswegen hat der Innenminister allzuviel begreifen konnten, weil der Sachverhalt so mit Recht erklärt, daß wir uns erst am Ende dieser schwierig gewesen ist. Diskussion darauf festlegen sollten, ob wir zu einem Volksentscheid kommen oder nicht, aber nicht jetzt Die angelsächsischen Demokratien sowohl in Eng- schon. land als auch in den USA kennen plebiszitäre Ele- mente nicht. Der berühmte englische Verfassungshi- Ich danke Ihnen. storiker Sir Charles Pèt rie schreibt in einer großen (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Abhandlung darüber, daß die Plebiszite oftmals der Durchsetzung ausgesprochen undemokratischer Ziele dienen, und er hat deshalb solche Plebiszite ab- Vizepräsident Helmuth Becker: Meine Damen und gelehnt. Herren, zum Schluß der Debatte hat der Bundesmini- Meine sehr verehrten Damen und Herren von der ster der Justiz, Dr. Klaus Kinkel, das Wort. SPD, der von Ihnen ebenso wie von uns hochge- schätzte und unvergessene Staatsrechtslehrer und Bundesverfassungsrichter Gerhard Leibholz hat in ei- Dr. Klaus Kinkel, Bundesminister der Justiz: Herr ner frühen Abhandlung schon 1928 — und er hat Präsident! Meine Damen und Herren! Ich hatte mir daran festgehalten — plebiszitäre Elemente in einer eigentlich vorgenommen, nur zu der formalen Frage Demokratie abgelehnt. Verfassungsrat und Verfassungsausschüsse Stellung Der Parlamentarische Rat hat, wie Sie wissen, nicht zu nehmen und ganz bewußt die übrigen Fragen ohne an die Tradition der Weimarer Verfassung ange- Verfassungsänderungen wegzulassen. Der Verlauf knüpft, sondern er hat gerade aus dieser Erfahrung der Debatte hat mich angeregt, einige andere Gedan- heraus plebiszitäre Elemente in das Grundgesetz ken zu versuchen. nicht aufgenommen. Theodor Heuss warnte während Nach Jahren eines Unrechtsstaats in Deutschland, der Beratungen des Parlamentarischen Rates davor, der immerhin bis 1945 gedauert hat, wurde unter dem mit Volksbegehren und Volksentscheid die künftige Eindruck des damals geschehenen schlimmen, tiefen Demokratie zu belasten. Das Schweizer Vorbild, so Unrechts der Versuch unternommen, dem freien Teil Theodor Heuss, könne auf deutsche Verhältnisse des übriggebliebenen Deutschland eine neue Verfas- nicht ohne weiteres übertragen werden. Der Volks- sung zu geben. Was 1949 geschaffen wurde, war ein entscheid führe in einer großräumigen Demokratie Glücksfall. So sehen es nicht nur wir. Wir könnten ja wie bei uns zu einer dauernden Erschütterung des selbstverliebt und betriebsblind sein. Nein, so sieht es mühsam erkämpften und noch zu erkämpfenden An- die Welt, die uns um dieses Grundgesetz beneidet sehens der Gesetzgebungskörper. und es als Vorbild übernimmt — übrigens in den Län- dern der Dritten Welt gleichfalls wie in den Ostblock- Was damals galt, hat heute ebenso noch Geltung, ländern. insbesondere wenn man bedenkt, wie einseitig sich bei uns die veröffentlichte Meinung oft orientiert. Man Im anderen Teil Deutschlands wurde eine Verfas- kann sich sehr schnell vorstellen, daß Plebiszite in sung geschaffen, die den Staat als Instrument der der Anonymität von Redaktionsstuben gesteuert wer- herrschenden Klasse beschrieb. Ich zitiere: „Die DDR den und daß so Plebiszite weiter von der Demokratie ist die politische Organisation der Werktätigen unter weg- als zu ihr hinführen. Führung der Arbeiterklasse und ihrer marxistisch-le- ninistischen Partei. " (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU — Norbert Gansel [SPD]: So war das auch bei Unser Grundgesetz geht von der Unterscheidung der Parteienfinanzierung!) zwischen Staat und Gesellschaft aus. Es regelt in sei- nen Bestimmungen über das Staatsorganisationsrecht Ein Wort noch zu Art. 146 des Grundgesetzes. Hier Organisation und Aufbau des Staates und begrenzt muß man, wie ich meine, zwischen dem Verfassungs- außerdem, insbesondere in seinem Grundrechtsteil, geber und dem Verfassungsgesetzgeber unterschei- die Macht des Staates. Der Grundrechtsteil sichert den. Unser Verfassungsgeber, der Parlamentarische den Freiraum von Bürger und Gesellschaft gegenüber Rat, hat nur eine einzige Möglichkeit vorgesehen, das dem Staat. Es ist also ein grundverschiedener An- Grundgesetz abzulösen. Das war der alte Art. 146 des satz. Grundgesetzes. Diesen Weg haben wir nicht beschrit- Seit Oktober des letzten Jahres sind wir wiederver- . 23 des Grundgesetzes ge- ten, sondern sind über Art einigt, und zwar auf der Basis unseres Grundgesetzes. gangen. Seit diesem Zeitpunkt ist unser Grundgesetz Daß wir aus der Verfassung der früheren DDR nichts unsere legitimierte Verfassung. Wir leben im Augen- übernehmen wollten, war wohl unbest ritten. Zu sehr blick ja nicht in einem verfassungslosen Zustand; kein war diese Verfassung Artikulation des 40jährigen Mensch könnte dies ernsthaft behaupten. SED-Unrechtsstaates. Was das übrige Recht anbe- Wenn aber der Verfassungsgeber — das bitte ich zu langt, haben wir uns entschlossen, praktisch unser bedenken — nicht vorgesehen hat, daß die Verfas- gesamtes Recht auf die neuen Länder zu übertra- sung, die er gibt, aufgehoben werden kann und die gen. Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 25. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 14. Mai 1991 1747

Bundesminister Dr. Klaus Kinkel Wir versuchen im übrigen auf diese Art und Weise ist, wie ich meine, viel zu groß und nicht wirklich — nicht häufig in der Geschichte, was aus meiner handlungsfähig. Der Antrag der Koalitionsfraktionen Sicht oft übersehen wird — , einen Unrechtsstaat, eine auf Einsetzung eines Gemeinsamen Verfassungsaus- Revolution mit den Mitteln des Rechtsstaats im ande- schusses von Bundestag und Bundesrat mit je 16 Mit- ren Teil des wiedervereinigten Landes aufzuarbeiten. gliedern knüpft an die bewährten Verfahren zur Erör- Was das bedeutet, sehen wir z. B. auf dem Gebiet des terung und Vorbereitung von Änderungen des Strafrechts oder auf dem Gebiet des nachher noch zu Grundgesetzes an. Der Antrag der Koalitionsfraktio- behandelnden Rehabilitierungsbereichs; berechtigt nen verdient also, wie ich meine, Zustimmung. Er ist kann die Frage gestellt werden, was Strafrecht in ei- der richtige Weg, zu einer vernünftigen Diskussion ner solch nachrevolutionären Situation überhaupt an über die wirklich notwendigen, vor allem auch in die- Aufarbeitung zu bringen vermag. ser Zeit notwendigen Änderungen unserer Verfas- Ausgerechnet in dieser Situation des Aufbauen- sung zu kommen, um die uns — ich sage es noch- Müssens des Rechsstaats in fünf neuen Ländern, in mals — die Welt beneidet. der Situation des Übergangs sollten wir an unserem (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Grundgesetz, dem stärksten Anker, den wir in unse- rem Rechtssystem haben, nicht herumbasteln und Vizepräsident Helmuth Becker: Weitere Wortmel- auch nicht grundsätzliche Regelungen dieser Verfas- dungen liegen nicht vor. Ich schließe die Ausspra- sung in Frage stellen. Ich sage ganz deutlich und klar, che. daß ich das für wenig hilfreich und für wenig gut Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf halte. den Drucksachen 12/415, 12/563 und 12/567 an den (Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten Ältestenrat vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstan- der CDU/CSU) den? — Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Ich möchte im übrigen sagen, daß ich persönlich —ich bin sehr sicher, daß ich da auch für meine Par- Ich rufe nunmehr Punkt 6 der Tagesordnung auf: teifreunde spreche — in die Diskussion über die wirk- lich notwendigen Verfassungsänderungen auch die Fragestunde Erwartungen und Erfahrungen der Bürgerinnen und — Drucksache 12/488 — Bürger der neuen Länder einfließen lassen möchte. Zunächst werden Dringliche Fragen des Herrn Ab- Ich sage das mit großem Nachdruck, damit kein fal- geordneten Norbert Gansel auf der Drucksache scher Eindruck entsteht. Das geschieht aber zuerst 12/564 aus dem Geschäftsbereich des Bundesmini- und vor allem durch die in demokratischer Wahl in sters für Wirtschaft aufgerufen. Zur Beantwortung diesen Bundestag gewählten und entsandten Abge- steht uns der Parlamentarische Staatssekretär Klaus ordneten aus den neuen Ländern. Es geschieht Beckmann zur Verfügung. schließlich in nicht minderer Form durch die Vertreter Ich rufe die erste Dringliche Frage des Herrn Abge- der fünf neuen Länder über den Bundesrat. ordneten Norbert Gansel auf: Einige Redner haben heute hier im Plenum — seien Auf welche Vertragsbestimmung oder Nebenabrede des Sie nicht böse, daß ich das Wort so gebrauche — mit Deutsch-Sowjetischen Überleitungsvertrages stützt die Bundes- etwas Larmoyanz den Eindruck erweckt, als ob Ge- regierung die Ankündigung ihres Sprechers, die Bundesregie- rung würde Zahlungen an die Sowjetunion stoppen, wenn die dankengut des Runden Tisches oder Gedankengut deutsche Bauwirtschaft keine Aufträge für den ersten Abschnitt von dem, was an Erlebtem in den fünf neuen Ländern des Wohnungsbauprogramms für die abziehenden sowjetischen hier einzubringen wäre, nicht eingebracht werden Soldaten erhält? könnte. Ich muß Ihnen — genauso wie Herr Kollege Herr Staatssekretär, Sie haben nun das Wort. Hirsch — nochmals deutlich und klar sagen, daß ich das nicht verstehe. Ich verstehe es wohl einfach auch Klaus Beckmann, Parl. Staatssekretär beim Bun- deshalb nicht, weil es nicht richtig ist. desminister für Wirtschaft: Herr Kollege Gansel, der Es ist — um jetzt zu der formellen Frage der heuti- Sprecher der Bundesregierung hat nicht angekündigt, gen Debatte zu kommen — völlig egal, ob wir von daß die Bundesregierung Zahlungen an die Sowjet- einem Verfassungsrat, wie ihn die SPD will, oder von union stoppen werde, wenn die deutsche Bauindu- einer Verfassungskommission ausgehen, die — aus strie keine Aufträge beim Wohnungsbauprogramm meiner Sicht zu Recht — die Koalitionsfraktionen wol- erhält. Er hat vielmehr die Mechanismen der getroffe- len. Es ist doch absolut selbstverständlich, daß dieses nen Verabredungen erläutert, die vorsehen, daß die Gedankengut eingebracht werden kann und auch Arbeiten nur einvernehmlich vergeben werden kön- eingebracht werden soll. Ich sehe überhaupt nicht, nen. warum das nicht möglich sein sollte. Daher bedarf es Soll ich Frage 2 gleich mitbeantworten? aus meiner Sicht wirklich nicht einer larmoyanten Darstellung. Vizepräsident Helmuth Becker: Herr Abgeordneter (Beifall bei der FDP — Detlev von Larcher Gansel. [SPD]: Ist es denn egal, von wem?) Norbert Gansel (SPD): Nein. Herr Staatssekretär —Es ist natürlich nicht egal, von wem. Aber ich habe würden Sie den letzten Satz mit den Abreden wieder- ja nun deutlich darauf hingewiesen, wer das einbrin- holen? gen kann und wie es eingebracht werden könnte. Ich komme zum Schluß. Ein Verfassungsrat, nach Klaus Beckmann, Parl. Staatssekretär: Der Spre- dem Vorschlag der SPD mit 120 Mitgliedern besetzt, cher der Bundesregierung hat vielmehr die Mecha- 1748 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 25. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 14. Mai 1991

Parl. Staatssekretär Klaus Beckmann nismen der getroffenen Verabredungen erläutert, die — Nein, Intentionen sind Vorhaben. vorsehen, daß die Arbeiten nur einvernehmlich verge- ben werden können. Vizepräsident Helmuth Becker: Zu einer weiteren Zusatzfrage Herr Kollege Otto Schily. Norbert Gansel (SPD): Ich möchte meine Zusatzfra- gen stellen, Herr Präsident. Otto Schily (SPD): Herr Staatssekretär, offenkundig sind jetzt doch einige Zweifel auf sowjetischer Seite Vizepräsident Helmuth Becker: Bitte sehr, Herr Ab- aufgetaucht. Würden Sie immerhin zugeben wollen, geordneter Gansel. daß solche Zweifel mangels vertraglicher Klarheit ent- standen sind? Norbert Gansel (SPD): Herr Staatssekretär, können Sie meine Dringlichkeitsfrage entsprechend beant- Klaus Beckmann, Parl. Staatssekretär: Ich glaube, worten, worin der Mechanismus der Abreden besteht, daß die Irritationen, die aufgetreten sind, daher rüh- der der deutschen Bauwirtschaft eine Beteiligung an ren, daß die Ausschreibungsabläufe nicht den inter- dem Wohnungsbauprogramm für die abziehenden so- nationalen Gepflogenheiten gefolgt sind, so daß wir wjetischen Truppen sichert? eigentlich von einer engeren rechtlichen Rahmenset- zung nicht hätten ausgehen müssen. Klaus Beckmann, Parl. Staatssekretär: Der Mecha- (Otto Schily [SPD]: Wolkig, wolkig sind diese nismus, Herr Kollege Gansel, ist darin zu sehen, daß Auskünfte!) auf der Grundlage des Überleitungsvertrages und des Memorandums eine Verabredung mit der Sowjet- Vizepräsident Helmuth Becker: Eine weitere Zu- union getroffen worden ist, daß sich der Lenkungsaus- satzfrage des Kollegen Gernot Erler. schuß in Zweifelsfragen und in Fragen, in denen zu- nächst Uneinigkeit besteht, mit der Sache zu befassen Gernot Erler (SPD): Herr Staatssekretär, die Bun- hat und Einvernehmen herbeigeführt werden soll. desregierung hat sehr harte Worte gefunden und von Das ist der Mechanismus. Vertrauensbruch und anderem im Zusammenhang mit der sowjetischen Absicht gesprochen, diesen er- Vizepräsident Helmuth Becker: Herr Kollege Gan- sten Auftrag an türkische und finnische Anbieter zu sel, wollen Sie noch eine Zusatzfrage stellen? — Bitte vergeben. Können Sie dem Hohen Haus einmal mit- sehr. teilen, um welches Volumen es sich bei dem Gesamt- volumen von 7,8 Milliarden DM handelt? Norbert Gansel (SPD): Herr Staatssekretär, kann ich Ihrer Frage entnehmen, daß die Bundesregierung ver- Klaus Beckmann, Parl. Staatssekretär: Es handelt säumt hat, die Mitwirkung deutscher Baufirmen, ins- sich hier um ein Volumen von rund 700 Millionen DM. besondere von Baufirmen aus Ostdeutschland, bei der Im übrigen hat die Bundesregierung das Wort „Ver- Durchführung dieses Programms vertraglich zu si- trauensbruch" nicht in den Mund genommen. chern, und daß Sie statt dessen Verfahrensregelungen benutzen wollen, um Druck auszuüben, das wieder in Vizepräsident Helmuth Becker: Eine weitere Zu- Ordnung zu bringen, was Sie bei den Verhandlungen satzfrage von unserer Kollegin Dr. Christine Lucyga. versäumt haben? (Beifall bei der SPD und dem Bündnis 90/ Dr. Christine Lucyga (SPD): Herr Staatssekretär, GRÜNE) trifft es zu, daß die Bundesregierung mit der Sowjet- union die Besetzung von Beratungsgremien zur Koor- dinierung der Aufträge vorgesehen hat, und wenn ja, Klaus Beckmann, Parl Staatssekretär: Herr Kollege, ich kann Ihnen insoweit nicht folgen, als die Bundes- nach welchen Kriterien wurden diese Beratungsgre- regierung etwas verabsäumt hätte. Sie hat ganz im mien besetzt? Gegenteil auf der Grundlage der Vereinbarungen des Überleitungsvertrages durch den Bundeskanzler dem Klaus Beckmann, Parl. Staatssekretär: Frau Kolle- Staatspräsidenten Gorbatschow ein Memorandum gin, die Beratungsgremien sind auf der Grundlage der übermittelt und dasselbe noch einmal durch den Bun- Vereinbarungen mit der Sowjetunion von beiden Sei- deswirtschaftsminister im Dezember an den stellver- ten besetzt worden, wobei die Bundesregierung be- tretenden Ministerpräsidenten Sitarjan weiterge- müht war und ist, die sowjetische Seite bei der Aus- reicht, in dem die Intention der Bundesrepublik schreibung und bei der Abwicklung der Ausschrei- Deutschland, daß bei der Abwicklung des Wohnungs- bung sachkundig zu beraten. bauprogramms besonders deutsche Firmen unter be- Noch eine Zusatz- sonderer Berücksichtigung ostdeutscher Firmen ein- Vizepräsident Helmuth Becker: frage des Kollegen Freimut Duve. gebunden werden, klargemacht werden. Die sowjeti- sche Seite hat diesem Memorandum nicht widerspro- Freimut Duve (SPD): Herr Staatssekretär, mir liegt chen. eine dpa-Meldung vor, wonach es die Auffassung des Noch in der Folgezeit bei den Gesprächen über die Geschäftsführers der CDU/CSU-Fraktion Fried rich Abwicklung des Programms ist immer wieder — übri- Bohl sei, daß bei der Vergabe von Aufträgen aus den gens unwidersprochen — verdeutlicht worden, wie von Bonn finanzierten Wohnungsbauprogrammen groß das Interesse der Bundesregierung an der Ein- ohne Zustimmung der Bundesregierung nichts mög- bindung deutscher Unternehmen ist. lich sei. Teilen Sie diese Auffassung in Ihrer rechtli- (Norbert Gansel [SPD]: Intentionen sind chen Beurteilung der eben von Ihnen auf diese sehr Hoffnungen!) elegante Weise geschilderten Vorgänge? Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 25. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 14. Mai 1991 1749

Klaus Beckmann, Parl. Staatssekretär: Die Rechts- Unternehmen ist für die deutsche Seite dabei ein we- lage stellt sich so dar, Herr Kollege Duve, daß der sentliches Kriterium. Mandatar der Bundesregierung, nämlich die Kredit- anstalt für Wiederaufbau, zur Vergabe dieser Auf- Vizepräsident Helmuth Becker: Eine Zusatzfrage träge ihre Zustimmung erteilen muß. des Kollegen Gansel.

Vizepräsident Helmuth Becker: Weitere Zusatz- Norbert Gansel (SPD): Herr Staatssekretär, ist sich frage des Kollegen Rudolf Bindig. die Bundesregierung darüber im klaren, daß in Anbe- tracht des Umstandes, daß die Bundesregierung nach Rudolf Bindig (SPD): Können Sie bitte sagen, von dem Vertrag keine rechtlichen Ansprüche hat, die wann das von Ihnen eben erwähnte Memorandum Mitwirkung deutscher Baufirmen zu sichern, das Spiel stammt und in welcher Form es vereinbart worden mit den Mechanismen den Charakter politischer Dro- ist? hung haben kann und daß auf der sowjetischen Seite (Norbert Gansel [SPD]: Vor oder nach dem in gleicher Weise reagiert werden kann, was zur Ver- Vertrag?) zögerung des Abzugs der sowjetischen Truppen füh- ren könnte, und stellt das nicht am Anfang eines sehr Klaus Beckmann, Parl. Staatssekretär: Das Memo- schwierigen Prozesses eine außerordentliche Bela- randum ist im November 1990 der sowjetischen Seite stung dar? übergeben worden. (Norbert Gansel [SPD]: Also nach dem Ver Klaus Beckmann, Parl. Staatssekretär: Für die Bun- trag!) desregierung ist dieser Prozeß der Auftragsvergabe nicht mit Drohungen verbunden. Ganz im Gegenteil Vizepräsident Helmuth Becker: Weitere Zusatz- liegt der Bundesregierung außerordentlich daran, frage des Kollegen Dr. Heuer. hierin einen Start für die weitere wirtschaftliche Zu- - sammenarbeit zwischen der Sowjetunion und der Dr. Uwe-Jens Heuer (PDS/Linke Liste): Sie spra- Bundesrepublik Deutschland zu sehen. Deswegen ist chen vom Anteil der ostdeutschen Baubetriebe und die Bundesregierung auch sehr zuversichtlich, daß die davon, daß es auch darum gehe, diesen Baubetrieben Gespräche im Lenkungsausschuß das Ergebnis zeiti- Arbeit zu sichern; wir alle wissen, wie notwendig das gen werden, daß wir uns alle wünschen, nämlich eine ist. Wie hoch war denn der vorgesehene Anteil der Beteiligung deutscher Bauunternehmen bei der Auf- ebe, wieweit waren sie nur Zuliefe- ostdeutschen Bet ri tragsabwicklung. rer, oder wieweit waren sie daran beteiligt?

Klaus Beckmann, Parl. Staatssekretär: Es konnte Vizepräsident Helmuth Becker: Meine Damen und durch die Bundesregierung naturgemäß keine Herren Quotierung erfolgen; das war auch nicht der Sinn der (Norbert Gansel [SPD]: Ich habe noch eine Ausschreibungen. Wir wollten dies im Wettbewerb Zusatzfrage, Herr Präsident!) halten, und die ostdeutschen Firmen sollten innerhalb — darauf komme ich gleich —, der Konsortien mitarbeiten. (Norbert Gansel [SPD]: Gut!) Dr. Uwe-Jens Heuer (PDS/Linke Liste) : Wie hoch ich mache auf folgendes aufmerksam: Unsere Ge- schätzen Sie denn den Anteil? schäftsordnung sagt für die Fragestunde, die Fragen sollen kurz sein und eine kurze Beantwortung ermög- Vizepräsident Helmuth Becker: Nein, das ist nicht lichen. Darauf wollte ich nur noch einmal aufmerksam zulässig. machen. Nunmehr kommen wir zu der zweiten Dringlich- Jetzt hat der Kollege Norbert Gansel eine weitere keitsfrage des Kollegen Norbert Gansel. Zusatzfrage. Wie wird sich die Bundesregierung in der bevorstehenden Sit- (Johannes Gerster [Mainz] [CDU/CSU]: Eine zung des gemeinsamen deutsch-sowjetischen Lenkungsaus- kurze Zusatzfrage!) schusses dafür einsetzen, daß insbesondere Bauunternehmen und Arbeitskräfte aus den neuen Bundesländern an dem gesam- ten Wohnungsbauprogramm beteiligt werden? Norbert Gansel (SPD): Trifft es zu, Herr Staatssekre- Bitte, Herr Staatssekretär. tär, daß die Bundesregierung darauf gedrängt hat, daß die Ausschreibungen für das Wohnungsbaupro- Klaus Beckmann, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege gramm für die abziehenden sowjetischen Truppen in- Gansel, die Bundesregierung wird in den anstehen- ternational getätigt werden und daß aus diesem den Gesprächen mit der sowjetischen Seite auf die Grunde bei allen Verhandlungen Beamte der Euro- Einhaltung vereinbarter Verträge und Verabredun- päischen Gemeinschaft dabei waren, und trifft es zu, gen drängen, da der von der sowjetischen Fachebene daß auf diesem Hintergrund das Bundeswirtschafts- vorgetragene Vergabevorschlag hiervon abweicht. ministerium seit Monaten Warnungen erhalten hat, Außerdem wird die Bundesregierung erneut auf den daß im Ergebnis der Auftrag an ausländische Firmen Gesamtzusammenhang mit den weiteren wirtschaftli- gehen könnte? chen Beziehungen hinweisen. Die Bundesregierung ist daher zuversichtlich, daß Klaus Beckmann, Parl. Staatssekretär: Es ist richtig, es bei der anstehenden Vergabe zu einer Entschei- daß die Bundesregierung auf eine internationale Aus- dung kommt, die den Interessen beider Regierungen schreibung gedrängt hat. Dies hält die Bundesregie- Rechnung tragen wird. Die Beteiligung ostdeutscher rung aus Wettbewerbsgründen — Preisgestaltung! — 1750 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 25. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 14. Mai 1991

Parl. Staatssekretär Klaus Beckmann für erforderlich. Es entspricht auch den international sowjetische Seite auf Grund mangelnder Qualität der üblichen Gepflogenheiten, auf deren Beachtung wir ostdeutschen Bauprodukte weigert, solche Aufträge als Bundesregierung gegenüber Drittländern sonst an ostdeutsche Firmen zu vergeben, und was tut die drängen. Bundesregierung, um solche Vorbehalte auszulö- schen? Vizepräsident Helmuth Becker: Eine weitere Zu- satzfrage des Kollegen Otto Schily. Klaus Beckmann, Parl. Staatssekretär: Falls es sol- che Vorbehalte der sowjetischen Seite gegeben hat, Otto Schily (SPD): Herr Staatssekretär, es gibt ja ein hat die Bundesregierung stets darauf hingewiesen, deutsches Sprichwort: Klare Verträge, lange Freund- daß es sich bei den gewünschten deutschen Beteili- -schaft. Gibt es im Wirtschaftsministerium eine sach gungen um Kooperationen zwischen west- und ost- und rechtskundige Person, die vielleicht dafür sorgt, deutschen Unternehmen handeln würde. daß künftig Pannen dieser Art vermieden werden, oder werden Sie vielleicht die Amtshilfe des Justizmi- Vizepräsidentin Renate Schmidt: Eine weitere Zu- nisteriums oder des Auswärtigen Amtes in Anspruch satzfrage des Kollegen Ulrich Janzen. nehmen müssen? (Norbert Gansel [SPD]: Oder die des Kolle Dr. Ulrich Janzen (SPD): Herr Staatssekretär, ich gehe davon aus, daß Ihnen bekannt ist, daß innerhalb gen Schily?) der deutschen Bauindustrie die Meinung vertreten (Vorsitz: Vizepräsidentin Renate wird, die Bauweisen der ostdeutschen Länder wären Schmidt) den Sowjetmenschen nicht zumutbar. Wie wollen Sie unter dieser Voraussetzung die Beteiligung ostdeut- Klaus Beckmann, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege scher Baufirmen sichern? Schily, soweit die Abwicklung dieses Vertrages erf or- derlich ist, ist das Bundeswirtschaftsministerium ver- Klaus Beckmann, Parl. Staatssekretär: Von solchen antwortlich. Es bemüht sich, seitdem -es mit dieser Bedenken ist mir nichts bekannt. Sie können auch in Angelegenheit befaßt ist, der sowjetischen Seite in keiner Weise für die Vergabe solcher Aufträge durch die verschiedenen Schritte, die ich genannt maßgeblich sein, ganz im Gegenteil. — Ich will nur habe, die Interessenlage der Bundesrepublik noch einmal unterstreichen: Die Bundesregierung hat Deutschland zu verdeutlichen. Dabei steht ihr selbst- der Sowjetunion klargemacht und wird dies auch in verständlich auch der geballte juristische Sachver- den nächsten Tagen und Wochen tun, daß sie ein gro- stand des Hauses zur Verfügung. ßes Interesse daran hat, daß deutsche, west- wie ost- (Otto Schily [SPD]: Na, sehr geballt kann er deutsche, Unternehmen und Konsortien an der Ab- nicht gewesen sein!) wicklung des Auftrages beteiligt werden.

Vizepräsidentin Renate Schmidt: Eine weitere Zu- Vizepräsidentin Renate Schmidt: Noch eine Zusatz- satzfrage hat der Abgeordnete Gernot Erler. frage von Frau Dr. Christine Lucyga.

Gernot Erler (SPD): Herr Staatssekretär, Sie haben Dr. Christine Lucyga (SPD): Herr Staatssekretär, hat hier in bewegenden Worten dargestellt, welches In- die Bundesrepublik die Möglichkeit gehabt, bei den teresse die Bundesregierung an einer Beteiligung von Qualifikationsverfahren mitzuwirken, und wenn ja, Firmen aus den neuen Ländern an dem großen Bau- hat sie den Startvorteil der ostdeutschen Bauindustrie volumen hat. Könnten Sie dem Haus bitte einmal mit- durch langjährige Bauerfahrung in der Sowjetunion teilen, was in den Vorschriften über bietende Firmen dabei in angemessener Weise mitberücksichtigt? in bezug auf ihren Jahresumsatz und auf ihren Umsatz im letzten Geschäftsjahr als Voraussetzung dafür, daß Klaus Beckmann, Parl. Staatssekretär: Die Erfah- sie sich am Wettbewerb beteiligen können, steht? rungen sind in die Bewerbungen der deutschen Kon- sortien eingeflossen. Es handelt sich zum Teil auch um Klaus Beckmann, Parl. Staatssekretär: Herr Kol- verbundene Unternehmungen. Dabei sind also die lege, ich kann Ihnen jetzt aus der Hand diese Summe Kenntnisse der ostdeutschen Bauunternehmen, so- nicht nennen. Ich bin aber gern bereit, sie Ihnen nach- weit sie beteiligt waren, mit eingeflossen. Ich denke, zuliefern. daß sie auch weiterhin von Vorteil sein werden, wenn wir dieses Projekt in der Sowjetunion abwickeln. Allerdings ist eines richtig, nämlich daß die Firmen eine gewisse Größenordnung haben mußten, um zu Vizepräsidentin Renate Schmidt: Eine weitere Zu- garantieren, daß sie auch in der Lage sein würden, die satzfrage des Kollegen Markus Meckel. Ausschreibung voll zu erfüllen. (Norbert Gansel [SPD]: 0,5 Milliarden DM pro Jahr in den Bilanzen der letzten drei Markus Meckel (SPD): Gibt es unter den Überle- Jahre! — Rudolf Bindig [SPD]: Damit sind die gungen und Vorschlägen des Wirtschaftsministe riums ostdeutschen Firmen ausgeschlossen!) auch solche, die beinhalten, daß auch sowjetische und polnische Firmen wenigstens durch Zulieferung be- Vizepräsidentin Renate Schmidt: Eine weitere Zu- teiligt werden, damit nicht jeder Nagel und jede Tape- satzfrage des Kollegen Dr. Brecht. tenrolle aus Deutschland oder sonst aus dem Westen zugeliefert werden, und gibt es Prozentzahlen für die Dr. Eberhard Brecht (SPD): Herr Staatssekretär, Beteiligung aus dem Osten, wobei ich hier auch den sind Ihnen Informationen bekannt, wonach sich die Osten Deutschlands einbeziehe? Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 25. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 14. Mai 1991 1751

Klaus Beckmann, Parl. Staatssekretär: Prozentzah- werden sollen. Die Antworten werden als Anlagen len, Herr Kollege Meckel, gibt es dabei nicht. Aber abgedruckt. beide Seiten sind davon ausgegangen und gehen da- Auch die beiden Fragen aus dem Geschäftsbereich von aus, daß auch Ware aus dem Land bezogen wird. des Bundesministers der Justiz, die Fragen 7 und 8 des Das gilt insbesondere für die Sowjetunion. Kollegen Norbert Eimer, sollen schriftlich beantwortet Im übrigen werden sich die Bauunternehmen natür- werden. Die Antworten werden als Anlagen abge- lich der günstigsten Einkaufsmöglichkeiten bedie- druckt. nen; denn die Sowjetunion hat ein großes Interesse Wir kommen damit zum Geschäftsbereich des Bun- daran, daß mit dem Einsatz der Finanzmittel das desministers für Ernährung, Landwirtschaft und größtmögliche Bauvolumen erzielt wird. Forsten. Zur Beantwortung der Fragen steht Herr Par- lamentarischer Staatssekretär Gottf ried Haschke zu Vizepräsidentin Renate Schmidt: Eine weitere Zu- Verfügung. satzfrage des Kollegen Johannes Gerster. Wir kommen zur Frage 9 des Herrn Abgeordneten Hans-Günther Toetemeyer: Johannes Gerster (Mainz) (CDU/CSU): Herr Staatssekretär, könnten Sie mir bitte einmal klarma- Unter Hinweis auf meine Fragen 26 und 27 (Drucksache 12/396) frage ich die Bundesregierung, ob neuerdings für Fra- chen, wie das aufgeht, wenn wir der Sowjetunion ei- gen der Verletzung des Völkerrechts das Bundesministerium für nerseits Tag für Tag raten, die Gesetze der Sozialen Ernährung, Landwirtschaft und Forsten zuständig ist. Marktwirtschaft anzuwenden, hier aber andererseits ständig Vorschläge machen, die sämtliche Gesetze Gottfried Haschke, Parl. Staatssekretär beim Bun- der Sozialen Marktwirtschaft außer Kraft setzen? desminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten: Danke, Frau Präsidentin. — Herr Kollege Klaus Beckmann, Parl. Staatssekretär: In der Tat, Toetemeyer, das Bundesministerium für Ernährung, Herr Kollege Gerster, ist es so, daß sich die Bundesre- Landwirtschaft und Forsten ist für die interne und gierung unter diesem Aspekt für die internationale externe Fischereipolitik der Europäischen Gemein- Ausschreibung entschieden hat; ich habe vorhin das schaft und damit auch für Probleme zuständig, die Stichwort „Wettbewerb " genannt. Gleichwohl ist es sich in diesem Zusammenhang in den Beziehungen legitim — das zeigen auch die Fragen seitens der Op- der Gemeinschaft zu einem Drittland ergeben. position —, daß die deutschen Interessen hierbei nicht Das Ministerium stimmt sich bei Fragen, die auch vernachlässigt werden. die Zuständigkeit anderer Resso rts berühren, mit die- sen ab. Vizepräsidentin Renate Schmidt: Eine weitere Zu- satzfrage vom Kollegen Gerd Andres. Vizepräsidentin Renate Schmidt: Eine Zusatzfrage, Herr Kollege. Gerd Andres (SPD): Herr Staatssekretär, wenn es nach den Kriterien der Sozialen Marktwirtschaft geht: (SPD): Herr Parlamen- Würde die Bundesregierung auch hinnehmen, wenn Hans-Günther Toetemeyer tarischer Staatssekretär, wenn dem so ist, was hat das bei den weiteren Ausschreibungsverfahren nach ge- Ministerium unternommen, um zu verhindern, daß nau diesen Kriterien überhaupt keine deutschen Fir- wegen des Gerichtsurteils als Folge der Völkerrechts- men zum Zuge kämen und sich die Marktwirtschaft verletzung die begonnenen Vertragsverhandlungen damit klassisch durchsetzen könnte? über ein Fischereiabkommen zwischen der Europäi- schen Gemeinschaft und Namibia unterbrochen wer- Klaus Beckmann, Parl. Staatssekretär: Verehrter Herr Kollege Andres, das ist eine hypothetische Frage. den, was genau mit diesem Hinweis geschehen ist? Man sollte in der Politik auf hypothetische Fragen nicht antworten. Gottfried Haschke, Parl. Staatssekretär: Verehrter Kollege, ich glaube, diese Frage ist Ihnen schon das Vizepräsidentin Renate Schmidt: Weitere Zusatz- letzte Mal beantwortet worden. Die Bundesregierung fragen liegen nicht vor. hat ihre Sorge über diesen Vorgang zum Ausdruck gebracht. Wie ich Ihnen sagte, ist das der Schritt, der Wir sind damit am Ende dieses Geschäftsbereichs unternommen wurde. Es ist empfohlen worden, die angekommen. Herzlichen Dank, Herr Staatssekre- Verhandlungen sofort wiederaufzunehmen. Soweit tär. ich informiert bin, ist das schon im Gange. Die Fragen 1 und 2 aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Gesundheit — es handelt sich um Hans-Günther Toetemeyer (SPD): Halten Sie es für Fragen von Frau Dr. Ch ristine Lucyga — sollen einen guten Stil, daß gegen Völkerrechtsverletzungen schriftlich beantwortet werden. Die Antworten wer- nur dadurch vorgegangen wird, daß man seine Sorge den als Anlagen abgedruckt. über die Verletzung von Völkerrecht zum Ausdruck Wir kommen damit zum Geschäftsbereich des Bun- bringt? desministers für Forschung und Technologie. Die bei- den Fragen 3 und 4 der Frau Abgeordneten Dorle Gottfried Haschke, Parl. Staatssekretär: Da kann Marx sollen ebenfalls schriftlich beantwortet werden. man geteilter Meinung sein. Zur Europäischen Ge- Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt. meinschaft gehören ja zwölf Staaten. Wenn die Bun- Dasselbe trifft für die Fragen 5 und 6 des Herrn desregierung ihre Sorge zum Ausdruck gebracht hat, Abgeordneten Lothar Fischer aus dem Geschäftsbe- dann ist das schon etwas. Aber ich gebe Ihnen recht: reich des Bundesministers für wirtschaftliche Zusam- Wenn es erforderlich ist, kann es auch in etwas härte- menarbeit zu, die ebenfalls schriftlich beantwortet rem Ton geschehen. 1752 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 25. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 14. Mai 1991

Hans-Günther Toetemeyer (SPD): Würden Sie das sächlich Arbeitslosigkeit entsteht oder aber in Ar- auch tun? beitsbeschaffungsmaßnahmen oder in Fortbildung und Umschulung gegangen werden kann. Die Ange- Gottfried Haschke, Parl. Staatssekretär: Ja. bote liegen vor. Jetzt eine Zahl zu nennen, wie die Schwankungs- Vizepräsidentin Renate Schmidt: Das waren jetzt breite wäre, ist ziemlich schwierig. Wenn ich sie nen- zwar drei Zusatzfragen, aber die letzte war noch eini- nen müßte, würde ich sie ziemlich weit fassen. germaßen zulässig. Weitere Zusatzfragen liegen nicht vor. Damit sind Vizepräsidentin Renate Schmidt: Eine weitere Zu- wir am Ende dieses Geschäftsbereichs. Danke schön, satzfrage, Herr Kollege Schily. Herr Staatssekretär. Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers Otto Schily (SPD): In welcher Weise wird die Bun- für Arbeit und Sozialordnung auf. Zur Beantwortung desregierung bei Zugrundelegung der Zahlen, die Sie steht der Herr Parlamentarische Staatssekretär Herr genannt haben, nach Ihrer Meinung darauf einwirken Horst Günther zur Verfügung. können, die Zahlen zu senken? Wir kommen zur Frage 10 des Herrn Abgeordneten Parl. Staatssekretär: Wir haben Otto Schily: Horst Günther, durch das Gemeinschaftswerk Aufschwung Ost eine Mit wieviel Arbeitslosen rechnet die Bundesregierung in den gute Grundlage, glaube ich, gelegt. Wir haben eine Ländern Berlin, Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen-Anhalt, Sachsen und Thüringen in den Jahren 1991 Reihe von produktiven, arbeitsmarktfördernden Maß- und 1992? nahmen eingeleitet. Heute abend werden in diesem Hohen Hause, so hoffe ich, mit Mehrheit — vielleicht Horst Günther, Parl. Staatssekretär beim Bundesmi- sogar einstimmig — weitere Maßnahmen beschlos- nister für Arbeit und Sozialordnung: Herr Kollege sen, die dazu beitragen können, die Arbeitslosenzah- Schily, die Bundesregierung hat keine Vorausschät- len sinken zu lassen. - zung der Arbeitslosenzahlen im Beitrittsgebiet, ge- trennt nach einzelnen Ländern, vorgenommen. Sie Vizepräsidentin Renate Schmidt: Eine Zusatzfrage geht für die Gesamtheit der fünf neuen Bundesländer des Kollegen Dr. Eberhard Brecht. einschließlich des Ostteils von Berlin derzeit davon aus, daß die Zahl der Arbeitslosen im Jahre 1991 rund Dr. Eberhard Brecht (SPD): Herr Staatssekretär, die 1,1 Millionen und im Jahre 1992 rund 1,3 Millionen von Ihnen genannten Zahlen beziehen sich auf die Personen betragen wird. reine Arbeitslosigkeit: Wie würden diese Zahlen aus- Diese Annahmen implizieren, daß die Arbeitslosig- sehen, wenn Sie diejenigen Arbeitnehmer mit einbe- keit in einer Reihe von Monaten zur Jahreswende ziehen, die sich in Kurzarbeit befinden und deren Ar- 1991/92 etwa 1,5 Millionen betragen wird. Im Verlauf beitsanteil weniger als 50 % beträgt? des Jahres 1992 rechnen wir allerdings mit einem Rückgang der Arbeitslosigkeit. Horst Günther, Parl. Staatssekretär: Wir haben im Moment etwas über 2 Millionen Kurzarbeiter, davon Ich will allerdings auch noch darauf hinweisen, daß etwa die Hälfte mit weniger als 50 % Arbeitsanteil. die Schätzungen für das Beitrittsgebiet einen weit größeren Unsicherheitsspielraum haben als ver- Vizepräsidentin Renate Schmidt: Eine weitere Zu- gleichbare Vorausschätzungen für das alte Bundesge- satzfrage des Kollegen Klaus Kirschner. biet. Dies liegt daran, daß sich die Volkswirtschaft in Ostdeutschland in einer dramatischen Umbruch Klaus Kirschner (SPD): Herr Staatssekretär, wenn situation befindet, für die keine empirischen Erfah- Sie sagen, daß die Bundesregierung bestimmte Maß- rungen aus der Vergangenheit vorliegen. Daher sind nahmen plane, dann müssen Sie doch auch auf ir- den sonst üblichen, normalerweise bewährten Vor- gendwelchen Grundlagen arbeiten. Können Sie die ausschätzungsmethoden in diesem Falle enge Gren- hier mal näher erläutern? zen gesetzt. Horst Günther, Parl. Staatssekretär: Die Grundlage, Vizepräsidentin Renate Schmidt: Eine Zusatzfrage, Kollege Kirschner, ist natürlich die Entwicklung des Herr Kollege. Arbeitsmarktes dort drüben, die wir laufend beobach- ten, Monat für Monat. Dann fassen wir auch die ent- Otto Schily (SPD): Wenn Sie davon ausgehen, daß sprechenden Beschlüsse. Ich hatte schon auf das Ge- bei einer solchen Schätzung sehr viele Unsicherheits- setz, das heute verabschiedet wird, zusätzlich hinge- faktoren zugrunde gelegt werden müssen, wie sollen wiesen. Ich habe auf das Gemeinschaftswerk Auf- wir die Schwankungsbreite der Unsicherheitszone schwung Ost hingewiesen. Wir beobachten dort die annehmen? Wenn Sie jetzt eine Zahl nennen, wie Sie einzelnen Regionen, sind dort auch mit Arbeitsbe- es getan haben, welche Schwankungen halten Sie schaffungsmaßnahmen, mit Großprojekten, am nach unten und nach oben für denkbar? Werke, handeln so vor Ort. Anders wird es wohl nicht gehen. Horst Günther, Parl. Staatssekretär: Das ist schwie- rig zu sagen, Herr Kollege Schily, zumal wir zur Mitte Vizepräsidentin Renate Schmidt: Eine weitere Zu- des Jahres noch eine Reihe von Maßnahmen abwar- satzfrage des Kollegen Ottmar Schreiner. ten müssen wie etwa das Auslaufen von Rationalisie- rungsschutzabkommen und das Auslaufen der Warte- Ottmar Schreiner (SPD): Herr Staatssekretär, wie schleife. Wir wissen heute nicht, inwieweit hier tat verträgt sich denn Ihre Antwort auf die Frage des Kol- Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 25. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 14. Mai 1991 1753

Ottmar Schreiner legen Schily mit der Einschätzung des Bundesarbeits- che gemeint hat, sondern die Betroffenheit überhaupt, ministers in einem Interview mit dem „Handelsblatt" und die ist, wie ich eben schon geschildert habe, viel- im März dieses Jahres, wo er die Befürchtung äußerte, schichtig abzufangen. daß die Arbeitslosenzahl in den ostdeutschen Ländern (Manfred Reimann [SPD]: Was ist der Unter auf über 4 Millionen klettern könne? schied zwischen einem „Betroffenen" und einem „Arbeitslosen"?) Horst Günther, Parl. Staatssekretär: Der Herr Bun- desarbeitsminister hat meines Erachtens hier die Ge- Vizepräsidentin Renate Schmidt: Zwischenfragen samtbetroffenheit genannt, Kollege Schreiner, d. h. gibt es in der Fragestunde nicht. Wollen Sie sich zu die Zahl all derer, die ihren Arbeitsplatz verlieren kön- einer Zusatzfrage melden, Herr Kollege Manfred Rei- nen, gleichwohl nicht in Arbeitslosigkeit fallen müs- mann? sen. So ist diese Zahl zu verstehen. Sie hat eine Band- breite von 2,5 bis etwa 4 Millionen. Aber wir sehen, daß auch in entsprechenden Maßnahmen etwas gelei- Manfred Reimann (SPD): Herr Staatssekretär, da stet werden kann, so daß sie nicht alle in Arbeitslosig- Sie dauernd von „Betroffenen" und von „Arbeitslo- keit kommen. Dieser Entwicklungsprozeß hat ja be- sen" sprechen: Was ist der Unterschied? reits eingesetzt. Horst Günther, Parl. Staatssekretär: Zum Beispiel Vizepräsidentin Renate Schmidt: Eine weitere Zu- sind Kurzarbeiter, die noch im Bet rieb verbleiben, satzfrage des Kollegen Urbaniak. aber entweder zum Teil oder zu 100 % keine Arbeit haben, keine Arbeitslosen. Hans-Eberhard Urbaniak (SPD): Herr Staatssekre- (Lachen bei der SPD — Abg. Manfred Rei tär, wenn Sie sagen, wir haben es mit 2 Millionen mann [SPD] hat wieder Platz genommen) Kurzarbeitern zu tun und davon würden 1 Mil lion zu — Jemand ist auch kein Arbeitsloser, Kollege Rei- 50 % oder darunter beschäftigt sein: Muß- man die mann, wenn Sie das noch hören wollen, der in Arbeits- nicht realis tischerweise zu den Arbeitslosen zählen, beschaffungsmaßnahmen kommt. und käme man damit nicht zu viel höheren Zahlen tatsächlicher Arbeitslosigkeit? Vizepräsidentin Renate Schmidt: Kollege Reimann, Ihre Frage wird noch beantwortet. Horst Günther, Parl. Staatssekretär: Kollege Urba- niak, Sie wissen genau, daß wir dieses Sonderinstru- (Abg. Manfred Reimann [SPD] begibt sich ment der Kurzarbeit und die Behandlung in den fünf zurück zum Saalmikrophon) neuen Bundesländern bewußt gewählt haben, weil die Umstrukturierung in den Bet rieben noch längst Horst Günther, Parl. Staatssekretär: Ich kann das nicht abgeschlossen ist und die Chance besteht, daß noch ausführen, damit Sie Ihr Lachen dann vielleicht aus Kurzarbeit auch wieder Beschäftigung wird. Wir doch einstellen können. haben dieses Instrument, auch bei Null-Arbeit in (Harald B. Schäfer [Offenburg] [SPD]: Nicht Kurzarbeit gehen zu können, gewählt, damit die Be- so persönlich!) troffenen zunächst einmal im Bet rieb verbleiben und Auch diejenigen, die ihren Arbeitsplatz verlieren, nicht entlassen werden und so nicht eine Wiederein- aber sofort in Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen über- gliederung nötig wird, sondern eine Weiterbeschäfti- nommen werden können, sind bekanntlich keine Ar- gung möglich bleibt. beitslosen, zumindest für zwei Jahre nicht. Was dann (Deltev von Larcher [SPD]: Das ist versteckte wird, werden wir sehen. Das sind die „Betroffenen". Arbeitslosigkeit!) Diese kann man nicht alle als „Arbeitslose" bezeich- nen, wenn sie in Maßnahmen kommen, die ihrer Wei- Vizepräsidentin Renate Schmidt: Noch eine Zusatz- terbeschäftigung dienen sollen. frage des Kollegen Gerd Andres. (Dr. Uwe-Jens Heuer [PDS/Linke Liste]: Das ist eine Frage der Statistik!) Gerd Andres (SPD): Herr Staatssekretär, da, wie Ihnen bekannt ist, der Bundesarbeitsminister in sei- nem „Handelsblatt" -Artikel einzelne Gruppen von Vizepräsidentin Renate Schmidt: Eine letzte Zu- Arbeitslosigkeit Bedrohter aufgezählt hat, wie satzfrage zu dieser Frage. Dann kommen wir zum 700 000 aus dem Bergbau, 400 000 aus der Landwirt- nächsten Geschäftsbereich. schaft, die in der Warteschleife des öffentlichen Dienstes, nach dem Kündigungsschutzabkommen, Ernst Schwanhold (SPD): Herr Staatssekretär, wür- kann ja nicht zutreffen, daß der Arbeitsminister damit den Sie wenigstens zustimmen, daß die Gefahr der sozusagen die Gesamtbetrachtung gemacht hat, son- statistischen Manipulation dann nicht ganz von der dern er hat von 3,5 bis 4 Millionen Arbeitslosen ge- Hand zu weisen ist? sprochen. Ist diese Aussage nicht in eklatantem Wi- derspruch zu dem zu sehen, was Sie uns hier vorge- Horst Günther, Parl. Staatssekretär: Es wird stati- tragen haben. stisch überhaupt nicht manipuliert, weil die Begriffe (Beifall des Abg. Otto Schily [SPD]) eindeutig sind. Sie können das ja alles nachprüfen.

Horst Günther, Parl. Staatssekretär: Ich habe eben Vizepräsidentin Renate Schmidt: Damit sind wir am schon versucht, Kollege Andres, klarzustellen, daß der Ende dieses Geschäftsbereichs angelangt. Danke Bundesarbeitsminister nicht Arbeitslosigkeit als sol schön, Herr Staatssekretär Günther. 1754 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode - 25. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 14. Mai 1991

Vizepräsidentin Renate Schmidt Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesmi- che Pflegepläne demnächst ebenfalls erarbeitet und nisters der Verteidigung. Zur Beantwortung steht umgesetzt werden. Herr Staatssekretär Willy Wimmer zur Verfügung. Die Fragen 11 und 12 des Abgeordneten Gernot Vizepräsidentin Renate Schmidt: Zusatzfrage, Frau Erler sollen schriftlich beantwortet werden. Die Ant- Kollegin Mehl? worten werden als Anlagen abgedruckt. Wir kommen damit zur Frage 13 der Frau Kollegin Ulrike Mehl (SPD): Welche Qualifikation sollen die Ulrike Mehl: an den Pflegeplänen beteiligten Bediensteten oder Wird auf den unbebauten Liegenschaften der Bundeswehr für Mitarbeiter der Bundeswehr haben? Erfolgt die Aus- die unter das Naturschutzrecht fallenden Flächen eine qualifi- wahl nach Qualifikation, oder wie suchen Sie aus? zierte Lebensraumkartierung, incl. Bewe rtung der aufgenom- menen Flächen, durchgeführt, und wenn ja, durch wen ist bzw. soll das geschehen? Willy Wimmer, Parl. Staatssekretär: Verehrte Frau Kollegin, das geht bei uns immer nach Qualifikation. Willy Wimmer, Parl. Staatssekretär beim Bundesmi- Sie müssen in der Lage sein, gemäß den entsprechen- nister der Verteidigung: Grundsätzlich, Frau Kollegin den Erfordernissen hier tätig werden zu können. Ich Mehl, unterliegen alle Liegenschaften der Bundes- bin gerne bereit, Ihnen dafür die entsprechenden wehr dem Naturschutzrecht. In den alten Bundeslän- Qualifikationsnachweise zukommen zu lassen. dern ist auf allen Übungsplätzen und Flugplätzen eine (Ulrike Mehl [SPD]: Dafür wäre ich sehr Erfassung der sogenannten Naturausstattung erfolgt. dankbar!) Grundlage hierfür ist ein gemeinsam mit der Bundes- forschungsanstalt für Naturschutz und Landschafts- — Bitte schön. ökologie entwickelter Erhebungsbogen. Diese Erfas- sung wurde durch die naturwissenschaftlich ausgebil- Vizepräsidentin Renate Schmidt: Noch eine Zusatz- deten Leiter der Geländebetreuungsgruppen bei den frage? — Weitere Zusatzfragen liegen nicht vor. - Standortverwaltungen vorgenommen. Das Ergebnis Die Fragen 15 und 16 der Frau Abgeordneten Edel- dieser Erhebung wird im Rahmen der Biotopkartie- gard Bulmahn sollen schriftlich beantwortet werden. rung der Bundesländer durch deren Kräfte vertieft. In Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt. den neuen Bundesländern soll ebenso verfahren wer- Auch die Fragen 17 und 18 der Abgeordneten Frau den, wenn feststeht, welche Liegenschaften die Bun- Renate Schmidt (Nürnberg), die selbst derzeit keine deswehr auf Dauer nutzen wird. Fragen stellen kann, (Heiterkeit) Vizepräsidentin Renate Schmidt: Zusatzfrage, Frau Kollegin? — Keine Zusatzfrage. Gibt es weitere Zu- sollen deshalb schriftlich beantwortet werden. Die satzfragen zu diesem Punkt? — Das ist nicht der Antworten werden als Anlagen abgedruckt. — Danke Fall . schön, Herr Staatssekretär. Dann kommen wir zur Frage 14 der Frau Kollegin Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesmi- Ulrike Mehl: nisters für Verkehr. Die Frage 19 des Kollegen Hans Joachim Otto (Frankfu Ist es beabsichtigt bzw. bereits Praxis, daß für unbebaute Lie- rt) sowie die Fragen 20 und 21 genschaften der Bundeswehr, die dem § 38 BNatSchG unterlie- der Kollegin Bärbel Sothmann sollen ebenfalls schrift- gen, fachgerechte Pflegepläne erstellt werden, und durch wen lich beantwortet werden. Die Antworten werden als werden sie ggf. in die Praxis umgesetzt? Anlagen abgedruckt. — Danke schön, Herr Staatsse- kretär. Willy Wimmer, Parl. Staatssekretär: Verehrte Frau Wir kommen damit zum Geschäftsbereich des Bun- Kollegin, durch gemeinsamen Erlaß des Bundesmini- desministers für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsi- sters der Verteidigung und des Bundesministers der cherheit. Zur Beantwortung steht der Herr Parlamen- Finanzen ist die Erarbeitung von Pflegeplänen für alle tarische Staatssekretär Be rnd Schmidbauer zur Verfü- Übungsplätze der Bundeswehr angeordnet worden. gung. Der Bundesminister der Verteidigung ist für die Be- treuung des Freigeländes, der Bundesminister der Fi- Wir kommen zur Frage 22 des Kollegen Ernst nanzen ist mit der Bundesforstverwaltung für die Be- Schwanhold: treuung der Waldflächen zuständig. Liegen der Bundesregierung Erkenntnisse darüber vor, daß der aus den alten Bundesländern stammende Sondermüll noch Der Erlaß sieht vor, daß die zuständigen Landesna- immer in nicht geeigneten Deponien der fünf neuen Bundeslän- turschutzdienststellen zu beteiligen sind, um die Er- der unter Umgehung der rechtlichen Grundlagen eingelagert gebnisse der Erfassung der Naturausstattung im Hin- wird? blick auf die Festlegung ökologisch richtiger Pflege- Bitte schön, Herr Staatssekretär. maßnahmen zu bewerten. Vertreter der Truppe sind bei der Aufstellung der Pflegepläne beteiligt, damit Bernd Schmidtbauer, Parl. Staatssekretär beim die Interessen der militärischen Ausbildung auf den Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reak- betreffenden Flächen gewahrt werden. torsicherheit: Herr Kollege Schwanhold, nach Kennt- Die Umsetzung der Pflegepläne in der Praxis erfolgt nis der Bundesregierung werden in den neuen Bun- durch die bei 131 Standortverwaltungen eingerichte- desländern besonders überwachungsbedürftige Ab- ten sogenannten Geländebetreuungsgruppen. Diese fälle, also Sonderabfälle, aus den Altbundesländern sind hierfür personell und materiell entsprechend aus- nur noch auf der Deponie Schönberg mit Genehmi- gestattet. Für die in Dauernutzung verbleibenden Lie- gung der zuständigen Behörde des Landes Mecklen- genschaften in den neuen Bundesländern sollen sol burg-Vorpommern abgelagert. Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 25. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 14. Mai 1991 1755

Vizepräsidentin Renate Schmidt: Zusatzfrage, bitte. Wird bei der Einlagerung von Sondermüll sowie beim Trans- port in den fünf neuen Bundesländern nun das Begleitschein Meine Fragen sind mir soeben beantwortet worden. verfahren sowie die verantwortliche Erklärung des Sondermüll- produzenten für den Transport und die Deponierung von Son- Ernst Schwanhold (SPD): Herr Staatssekretär, hat dermüll angewandt? es inzwischen Untersuchungen der in Frage stehen- den Deponie gegeben, ob sie überhaupt geeignet ist, Bernd Schmidbauer, Parl. Staatssekretär: Herr Kol- dort weiterhin Einlagerungen vornehmen zu lassen. lege Schwanhold, nach den entsprechenden Bestim- mungen des Einigungsvertrags vom 23. September Bernd Schmidbauer, Parl. Staatssekretär: Herr Kol- 1990 gelten das Abfallgesetz sowie die darauf beru- lege, die gibt es in der Tat. Die Deponie Schönberg henden Rechtsverordnungen und Verwaltungsvor- verfügt, wie Sie wissen, über einen für die Deponien schriften auch in den neuen Bundesländern. von Sonderabfällen ausgelegten Teil, der die Kriterien Insbesondere gelten die Anforderungen des Abf all- der TA Abfall für Sonderabfalldeponien erfüllt. Daher gesetzes an die Entsorgung „besonders überwa- erfolgt die Ablagerung von Sonderabfällen auf der chungsbedürftiger Abfälle" sowie die entsprechen- Deponie Schönberg auf der Grundlage des geltenden den Überwachungsvorschriften. Ich erwähne die Ab- Rechts — mit all den Problemen der Altlasten, mit all fallbestimmungs-Verordnung nach § 2 Abs. 2 Abfall- den Problemen der Verfüllung in den letzten Jahren. gesetz , die Reststoffbestimmungs-Verordnung und Sie wissen, daß es da manche Überraschung geben die Abfall- und Reststoffüberwachungs-Verordnung, kann. Aber diese Deponie ist überprüft. Sie unterliegt die unter anderem die Führung des Entsorgungs- den Kritieren, die wir auch an Deponien in den alten nachweises durch den Sonderabfallerzeuger sowie Bundesländern anlegen. das Begleitscheinverfahren regeln. Die alten Bundesländer leisten im Rahmen ihrer Vizepräsidentin Renate Schmidt: Weitere Zusatz- frage. Möglichkeiten Verwaltungshilfe und sind bei Ver- bringungen von Sonderabfällen in die neuen Länder ohnehin in die Überwachungsverfahren nach oben Ernst Schwanhold (SPD): Darf ich Ihrer- Antwort entnehmen, daß der Bundesregierung nicht bekannt genannten Verordnungen hinsichtlich der Erzeuger ist, daß durch Mülltransportunternehmen besonders und Einsammler bzw. Beförderer eingebunden. im Bereich Sondermüll noch immer Sonderabfälle so- Soweit der Bundesregierung bekannt ist, werden all wohl nach Thüringen als auch in das Umland von Ber- diese von mir soeben zitierten Vorschriften in den lin transportiert und dort abgelagert werden? Oder neuen Bundesländern zwar schon teilweise, aber gibt es nur keine Untersuchungen und keine Nachfor- noch nicht flächendeckend angewandt, weil sich die schungen darüber? hierfür notwendige Behördenstruktur noch im Aufbau befindet. Bernd Schmidbauer, Parl. Staatssekretär: Herr Kol- lege, ich weiß nicht, was Sie unter „dort" verstehen. Vizepräsidentin Renate Schmidt: Zusatzfrage, Kol- Wenn Sie Schönberg meinen, dann — — lege Schwanhold. (Ernst Schwanhold [SPD]: Nein; ich rede nicht von Schönberg!) Ernst Schwanhold (SPD) : Welche Qualifizierungs- maßnahmen hat die Bundesregierung eingeleitet, um — Uns interessiert jeder Hinweis, den Sie haben, daß genug geeignetes Personal in den neuen Bundeslän- auf andere Deponien Sonderabfälle aus den alten dern zur Verfügung zu haben? Bundesländern angeliefert werden. Denn Sie wissen, daß die Möglichkeit dazu in der Tat nicht besteht. Bernd Schmidbauer, Parl. Staatssekretär: Ich sagte, (Ernst Schwanhold [SPD]: Gut!) daß die Hilfe der alten für die neuen Bundesländer zum einen direkt besteht, daß auch in Bund-Länder- Vizepräsidentin Renate Schmidt: Weitere Zusatz- Arbeitskreisen Besprechungen darüber stattfinden frage des Kollegen Eich. und daß zusätzlich unser Haus über Berater den Län- dern, den Kommunen, den entsorgungspflichtigen Ludwig Eich (SPD): Herr Staatssekretär, können Sie Körperschaften auch in diesen Fragen zur Verfügung mir sagen, wie viele Tonnen aus den sogenannten Alt- steht. Wir haben ureigens zu diesem Zweck solche ländern noch monatlich auf diese Deponie verbracht Beratergremien gebildet, die in den neuen Bundes- werden? ländern auch dafür Hilfestellung geben. Parl. Staatssekretär: Das kann Bernd Schmidbauer, Vizepräsidentin Renate Schmidt: Weitere Zusatz- ich Ihnen nicht sofort beantworten, weil dies Erhebun- frage. gen bei dem zuständigen Land und den zuständigen Entsorgern bzw. den Ländern, die dorthin transportie- Ernst Schwanhold (SPD): Da Sie diese Frage nicht ren, notwendig macht. Ich bin gern bereit, Ihnen diese beantwortet haben, möchte ich gern die Frage stellen, Zusatzfrage schriftlich zu beantworten. Ich sage Ihnen welche Qualifizierungsmaßnahmen Sie eingeleitet gern zu, Ihnen diese Daten zu liefern. haben, um in den Betrieben, in denen Sondermüll pro- (Ludwig Eich [SPD]: Vielen Dank!) duziert wird, den Sondermüllbeauftragten mit der entsprechenden notwendigen Qualifikation zur Ver- Vizepräsidentin Renate Schmidt: Eine weitere Zu- fügung zu haben. satzfrage dazu liegt nicht vor. Wir kommen zu Frage 23 des Kollegen Ernst Bernd Schmidbauer, Parl. Staatssekretär: Herr Kol- Schwanhold: lege, da Sie von Nichtbeantwortung sprechen, haben 1756 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 25. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 14. Mai 1991

Pari. Staatssekretär Bernd Schmidbauer Sie wahrscheinlich überhört, daß ich sagte: Dies ist die Trend fortsetzen wird, da bei neuen Produktionsanla- Zuständigkeit der neuen Bundesländer. Unser Haus gen — dies ist der entscheidende Punkt — die not- kann nur das tun, was wir heute tun, nämlich beraten wendigen Abwasserreinigungsanlagen mit installiert und mitwirken. Wir können darauf hinwirken, daß werden müssen. Bei Altanlagen und bei Kommunen auch aus den alten Ländern entsprechende Fachleute besteht noch ein gewaltiger Nachholbedarf in Sachen in den neuen Bundesländern an solchen Gesprächen Umwelt- und auch im Bereich des Gewässerschutzes. und Beratungen mitwirken, damit die neuen gültigen Wir erarbeiten derzeit eine ausführliche Stellung- Vorschriften praktiziert werden können. Ich sagte Ih- nahme dazu und werden sie in Kürze veröffentli- nen auch — ich wiederhole es gern — , daß dies noch chen. nicht flächendeckend geschehen kann. Für jede An- Die Bundesregierung hat bereits im Jahre 1990, regung Ihrerseits, wie dies weiter bewerkstelligt wer- noch vor dem Beitritt der ehemaligen DDR zur Bun- den könnte, bin ich dankbar. desrepublik Deutschland, zahlreiche Umweltschutz- und Abwasserprojekte gefördert. Sie geht davon aus, Vizepräsidentin Renate Schmidt: Weitere Zusatz- daß diese Projekte zügig verwirklicht werden und die fragen liegen nicht vor. neuen Länder die notwendigen Sanierungen tatkräf- tig vorantreiben. Wir kommen damit zur Frage 24, die schriftlich be- antwortet werden soll. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt. Vizepräsidentin Renate Schmidt: Eine Zusatzfrage zu dieser langen Antwort, Herr Kollege. Ich rufe nun die Frage 25 des Kollegen Horst Eyl- mann auf: Horst Eylmann (CDU/CSU): Mit Rücksicht auf die Hat sich die Schadstofffracht der Elbe seit dem Beitritt der angekündigte nähere Ausarbeitung verzichte ich auf früheren DDR verändert, und worauf sind diese Veränderungen gegebenenfalls zurückzuführen? Zusatzfragen.

Herr Staatssekretär, bitte. - Vizepräsidentin Renate Schmidt: Wir kommen da- mit zur Frage 26 des Herrn Abgeordneten Otto Schily: Bernd Schmidbauer, Parl. Staatssekretär: Herr Kol- lege Eylmann, im Rahmen des von der ARGE-Elbe Sieht der Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reak- torsicherheit im Rahmen seiner Zuständigkeit Möglichkeiten, durchgeführten Meßprogramms konnte in Schnak- dafür Sorge zu tragen, daß das Abholzen der Alleebäume in den kenburg — ehemaliger Grenzübertritt der Elbe — be- neuen Bundesländern unterbleibt? reits 1990 für mehrere Meßparameter ein deutlicher Rückgang der Schadstofffrachten beobachtet wer- Bernd Schmidbauer, Parl. Staatssekretär: Herr Kol- den, beispielsweise für die Summe der organischen lege Schily, ich darf bei der Antwort auf Ihre Frage Stoffe, gemessen als BSB bzw. CSB, für Stickstoff- und zusätzlich auf die bereits am 25. Ap ril 1991 gegebene Phosphorverbindungen und die Summe der organi- Antwort und auch auf andere schriftlich gegebene schen Halogenverbindungen und für Quecksilber. Antworten verweisen. Der Grund für die Verringerung der Schadstoff- In vielen Gebieten — Herr Kollege Schily, das wis- frachten liegt darin, daß es seit Januar 1990 in den sen Sie — in den neuen Bundesländern gibt es viele neuen Bundesländern zu zahlreichen Produktions wertvolle Bestände an alten Alleen. Sie zu schützen stillegungen bzw. Produktionsdrosselungen kam, wo- und in gutem Zustand zu erhalten ist Aufgabe des durch die Schadstoffeinleitungen in die Gewässer Trägers der Straßenbaulast und der Behörden des Na- weiter zurückgegangen sind. turschutzes und der Landschaftspflege. Die Verringerung der organischen Belastung der Nach uns vorliegenden Informationen werden ört- Elbe läßt sich beispielsweise am Verlauf der Sauer- lich begrenzt Alleebäume gefällt. Über die Zahl kann stoffkonzentrationswerte an der Meßstelle Magde- ich Ihnen keine näheren Informationen geben. Der burg sehr deutlich aufzeigen. Baumbestand wurde in den neuen Ländern — auch Ich darf hier einige Beispiele zitieren. Während die dies wurde in der damaligen Antwort bereits ausge- Sauerstoffgehalte 1989 zwischen 0,5 und 2,5 mg/l führt — nicht ausreichend gepflegt. Darüber hinaus schwankten, waren sie im Juni 1990 bereits auf Werte lassen sich wegen des teilweise schlechten Zustands zwischen 3,5 und 4 mg/l gestiegen. Ab Oktober 1990 der Straßen Eingriffe in den Baumbestand nicht in lagen die Werte schon zwischen 3,5 und 8 mg/l. Im jedem Fall vermeiden. Allerdings ist von vielen Häu- April 1991 wurden sogar Sauerstoffkonzentrationen sern innerhalb der Bundesregierung gefordert wor- zwischen 6 und 10 mg/l ermittelt. Das heißt, der Sau- den, darauf achtzugeben und darauf hinzuwirken, erstoffgehalt der Elbe stabilisiert sich zusehends. daß mit diesem Baumbestand äußerst schonend um- Beim Chemischen Sauerstoffbedarf wurde zwischen gegangen wird. Dezember 1990 und Ap ril 1991 eine Verminderung Im Rahmen seiner Möglichkeiten setzt sich auch der von etwa einem Viertel festgestellt. Bundesumweltminister für den Erhalt und den Schutz Beim Parameter BSB, also Biochemischer Sauer- der Alleebäume ein. So hat er sich bereits im Herbst stoffbedarf, ist die Entwicklung nicht so deutlich, da des vergangenen Jahres an die neuen Bundesländer die verursachenden Stoffe vor allem den kommunalen mit dem Ziel gewandt, Erfassung und Bewertung be- Abwässern entstammen. In diesem Bereich sind meß- sonders wertvoller Alleebestände sicherzustellen. bare Verbesserungen erst mit dem Bau bzw. der Sa- Außerdem wirkt unser Haus mit bei der Bearbei- nierung von Kläranlagen in großem Stil zu erwarten. tung von fachlichen Hinweisen des Bundesverkehrs- Es ist zu erwarten, daß sich der aufgezeigte positive ministers zur Erhaltung der Alleen im Bereich der Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 25. Sitzung. Ber lin, Dienstag, den 14. Mai 1991 1757

Parl. Staatssekretär Bernd Schmidbauer klassifizierten Straßen außerhalb von Ortschaften. Wir kommen zur Frage 29 des Kollegen Klaus Har- Hier ist vorgesehen, insbesondere auch Empfehlun- ries: gen für Baumschauen zu entwickeln, die neben der Treffen in der Öffentlichkeit aufgestellte Behauptungen zu, Erfassung und Zustandsbewertung von Alleebäumen daß die Deutsche Bundespost erwägt, 400 zur Zeit noch laufende auch Grundlage für die Abstimmung zwischen den für und eingesetzte Bahnpostwagen abzuschaffen, weil die Post mit den Straßenbau und den für Naturschutz und Land- 5 500 Lkw einfacher und schneller zustellbar ist? schaftspflege zuständigen Behörden sind. Herr Staatssekretär, bitte.

Vizepräsidentin Renate Schmidt: Eine Zusatzfrage, Wilhelm Rawe, Parl. Staatssekretär beim Bundesmi- Herr Kollege Schily. nister für Post- und Telekommunikation: Frau Präsi- dentin! Wenn Sie gestatten, würde ich gern die beiden ries im Zusammenhang be- Otto Schily (SPD): Wie weit ist denn die Erfassung Fragen des Kollegen Har der erhaltenswerten Alleebäume gediehen? antworten. Ich hoffe, der Herr Kollege Har ries ist da- mit einverstanden. Bernd Schmidbauer, Parl. Staatssekretär: Die Län- der sind mit dieser Erfassung beschäftigt. Die notwen- Vizepräsidentin Renate Schmidt: Ja, er ist damit digen Hilfestellungen werden laufend gegeben. Ich einverstanden. habe deshalb — auch durch den Hinweis auf die Be- Ich rufe also auch die Frage 30 des Abgeordneten antwortung vom 25. Ap ril — darauf hingewiesen, daß Harries auf: das Verkehrsministerium mit den Ländern und mit Beabsichtigt die Deutsche Bundespost, ihr Frachtgutkonzept den zuständigen Straßenbaubehörden nicht nur im mit dem Ziel einer deutlichen Beschleunigung zu verändern? Gespräch ist, sondern daß auch Grundzüge bei der Beurteilung und beim Umgang mit diesen Bäumen, Wilhelm Rawe, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege die z. B. durch Straßenbau tangiert werden, erstellt Harries, die Masse der Postsendungen wird nach wie werden. vor auf der Schiene transportiert. Die Deutsche Bun- despost Postdienst läßt sich dabei von dem Grundsatz Vizepräsidentin Renate Schmidt: Eine weitere Zu- leiten, daß dem Schienenverkehr immer dann der satzfrage, Herr Kollege Schily. Vorzug zu geben ist, wenn diese Art der Beförderung den Belangen des Postbetriebs ebensogut entspricht Otto Schily (SPD): Herr Schmidbauer, da Sie uns wie irgendeine alternative Transportorganisation. hier mitteilen — wie das schon zuvor von einem Kol- Die Generaldirektion Postdienst plant nicht, die 400 legen aus dem Verkehrsministerium geschehen ist —, eingesetzten Bahnpostwagen abzuschaffen. Sie be- daß Sie keine Übersicht darüber haben, wieviele Al- absichtigt allerdings, im Jahre 1991 zusätzlich zu den leebäume bereits gefällt worden sind, frage ich: Wäre im Gesamtbestand enthaltenen 117 sogenannten es Ihnen möglich — zumindest durch Raterteilung — Schnelläufern weitere 27 und im Jahre 1992 voraus- darauf hinzuwirken, daß wenigstens einstweilen ein sichtlich noch einmal 42 Fahrzeuge für eine Höchst- Stopp verhängt wird, der dahin geht, daß keine wei- geschwindigkeit von 200 Stundenkilometern umzu- teren Alleebäume gefällt werden? rüsten, um in noch größerem Umfang als bisher am Hochgeschwindigkeitsverkehr der Deutschen Bun- Bernd Schmidbauer, Parl. Staatssekretär: In B riefen desbahn teilzunehmen. aus unserem Haus und auch bei den Gesprächen un- Auch die zur Zeit laufenden Planungen im Trans- serer Mitarbeiter, die ureigens in der Beratung in die- portbereich Fracht bauen auf einer Kooperation von ser Angelegenheit in den Ländern unterwegs sind, Bahn und Post auf. Das durch die Deutsche Bundes- wird genau auf diesen Punkt hingewiesen. Ich bin post Postdienst erarbeitete Frachtkonzept wird durch gern bereit, noch einmal bei den Ländern rückzufra- den flächendeckenden 24-Stunden-Rhythmus die gen, wie sich der Tatbestand heute stellt und ob es derzeitige Laufzeitqualität erheblich verbessern. neue Zahlen über das Fällen solcher Bäume gibt, bzw. darauf hinzuwirken, daß solche Fällungen nur in äu- Klaus Harries (CDU/CSU) : Herr Staatssekretär, ist ßersten Notfällen vorgenommen werden. Dies ist aber Ihnen bekannt, ob die Deutsche Bundespost bei ihren auch der heutige Sachstand. Entscheidungen die auch ökologische Auswirkungen haben können, vorher Kontakt und Abstimmung mit Vizepräsidentin Renate Schmidt: Weitere Zusatz- dem Bundesumweltminister sucht und findet? fragen liegen nicht vor. Ich bedanke mich für die Be- antwortung der Fragen, Herr Staatssekretär. Wilhelm Rawe, Parl. Staatssekretär: Das tut sie si- Wir kommen nun zum Geschäftsbereich des Bun- cherlich, weil das ja der vorgeschriebene Weg ist, Herr desministers für Post und Telekommunikation. Zur Kollege, wie Sie wissen. Beantwortung steht Herr Parlamentarischer Staatsse- kretär Wilhelm Rawe zur Verfügung. Vizepräsidentin Renate Schmidt: Eine Zusatzfrage Wir kommen zur Frage 27 des Herrn Kollegen Herr Toetemeyer. Dr. Jürgen Schmieder, sofern er im Saal ist. — Dies ist nicht der Fall. Es wird verfahren, wie in der Geschäfts- Hans-Günther Toetemeyer (SPD): Herr Parlamen- ordnung vorgesehen. tarischer Staatssekretär, Sie haben eben gesagt: Die Die Frage 28 des Kollegen Hans-Joachim Otto soll Masse der Postsendungen wird durch die Bundes- schriftlich beantwortet werden. Die Antwort wird als bahn transportiert. Könnten Sie das in Prozenten an- Anlage abgedruckt. geben? 1758 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 25. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 14. Mai 1991

Wilhelm Rawe, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege entsprechenden Orten auf den Basaren verkauft wor- Toetemeyer, das kann ich im Moment nicht. Wenn ich den sind? von der Masse spreche, gehe ich davon aus, daß es über 50 % sind. Ich bin gern bereit, Ihnen die exakte Helmut Schäfer, Staatsminister: Herr Kollege, es Zahl nachzuliefern. mag sein, daß ein Repo rter des Südwestfunks live sol- che Unterstellungen oder Einlassungen gemacht hat. Vizepräsidentin Renate Schmidt: Es liegen keine Ich kann nur darauf hinweisen, daß bei der Fülle der weiteren Zusatzfragen vor. Wir sind damit am Ende Hilfsgüter, die die Bundesregierung zur Verfügung dieses Geschäftsbereichs. Herzlichen Dank, Herr gestellt hat, sicher im Einzelfall Mißbräuche nicht ver- Staatssekretär. mieden werden konnten. Aber wir haben keinerlei Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesmi- offizielle Hinweise darauf, und wir waren auch be- nisters des Auswärtigen. Zur Beantwortung steht Herr müht, solche Mißstände nach Möglichkeit zu vermei- Staatsminister Helmut Schäfer zur Verfügung. den. Die Frage 31 des Kollegen Ortwin Lowack soll schriftlich beantwortet werden. Die Antwort wird als Vizepräsidentin Renate Schmidt: Es ist für mich ein Anlage abgedruckt. bißchen schwierig, wenn immer einige im Saal stehen, Ich rufe die Frage 32 des Kollegen Hans Wallow auf, zu erkennen, ob eine Zusatzfrage gewünscht wird der anwesend ist. oder ob es sich um einfaches Herumstehen handelt. Welche politischen und organisatorischen Probleme entste- Der Kollege Rudolf Bindig hat eine Zusatzfrage. hen bei den Hilfsmaßnahmen der Bundesrepublik Deutschland für die kurdischen Flüchtlinge mit türkischen Behörden ein- schließlich des Militärs? Rudolf Bindig (SPD): Herr Staatsminister, sind eine Reihe der Versorgungsschwierigkeiten, die am An- Helmut Schäfer, Staatsminister im Auswärtigen fang entstanden sind, nicht auch dadurch entstanden, Amt: Herr Kollege, die türkische Regierung und ihre daß die türkischen Behörden die geflohenen kurdi- Behörden haben nicht nur rasch und großzügig ei- schen Flüchtlinge nicht aus den Bergen in bessere gene Maßnahmen für die irakischen Flüchtlinge ein- Gebiete haben absteigen lassen, so daß deshalb so geleitet, sondern auch die deutsche und andere aus- lange und schwierige Transportwege zu bewältigen ländische Hilfe von Anfang an nach besten Kräften waren? unterstützt und koordiniert. Besonders in der An- fangsphase auftretende Schwierigkeiten waren ange- Helmut Schäfer, Staatsminister: Herr Kollege, das sichts der Einmaligkeit und der Dimension der ge- ist sicher zutreffend. Wir hatten tatsächlich am Anfang meinsamen Hilfsaktionen kaum vermeidbar. solche Probleme. Sie wissen, daß wir von Anfang an, Über 500 000 Menschen flüchteten schließlich in- nachdem uns dies bekannt wurde, auf die türkische nerhalb kürzester Zeit unter schlechten Wetterbedin- Regierung und auf die türkischen Behörden einge- gungen in eine unwegsame und abgelegene Hochge- wirkt haben, damit die Flüchtlinge aus dem unwegsa- birgsregion. Eine provisorische Infrastruktur mußte men gebirgigen Gelände in die Täler absteigen durf- erst geschaffen werden. ten, was ihnen schließlich auch erlaubt wurde. Durch einen intensiven Dialog mit der türkischen Regierung und den türkischen Behörden, auch beim Vizepräsidentin Renate Schmidt: Weitere Zusatz- Besuch des Bundesaußenministers in der Türkei am frage zu dieser Frage? — Das ist nicht der Fall. 19. April, konnte eine enge und vertrauensvolle Zu- Dann rufe ich die Frage 33 des Kollegen Wa llow sammenarbeit gesichert werden. Es konnten damit auf: auch gewährleistet werden: die Versorgung von Hub- Welche Maßnahmen hat die Bundesregierung unternommen, schraubern mit Benzin, die Akkreditierung priva- tun die Freiheit der Berichterstattung über die Problematik der ter Hilfsorganisationen, Hubschrauberüberführungs- Hilfe für die kurdischen Flüchtlinge auf türkischem Gebiet zu flüge in den Iran und Zollabfertigung. gewährleisten bzw. gegen Einschränkungen durchzusetzen?

Vizepräsidentin Renate Schmidt: Zusatzfrage. Helmut Schäfer, Staatsminister: Herr Kollege Wal- low, im Laufe der Flüchtlingskatastrophe im türkisch- Hans Wallow (SPD): Herr Staatsminister, ist der irakisch-iranischen Grenzgebiet haben zeitweise Bundesregierung bekanntgeworden, daß durch türki- über 500 Journalisten aus dem Katastrophengebiet sches Militär Hilfsgüter gestohlen und anschließend berichtet. Diese Berichterstattung hat breiten Nieder- auf Basaren verkauft worden sind? schlag in den internationalen Medien gefunden. Abgesehen von den Akkreditierungsformalitäten Helmut Schäfer, Staatsminister: Es gab solche Ge- und Einschränkungen, die türkische millitärische Si- rüchte. Aber wir haben keine festen Informationen cherheitsbereiche betroffen haben, konnte und kann über die Gerüchte, die gelegentlich in Zeitungen zu die Presse im Krisengebiet im wesentlichen frei arbei- lesen waren. ten. Darüber hinausgehende Klagen deutscher Jour- nalisten sind nicht bekanntgeworden. Vizepräsidentin Renate Schmidt: Weitere Zusatz- frage. Für besondere Maßnahmen seitens der Bundesre- gierung besteht daher kein G rund. Die Botschaft in Hans Wallow (SPD): Ist der Bundesregierung be- Ankara hat sich zum Teil mit Erfolg bemüht, sogar kannt, daß ein Journalist im Südwestfunk live über hinsichtlich der erwähnten Einschränkungen, also in diese Diebstähle berichtet hat und daß es auch Fern- ganz bestimmte militärische Sicherheitsbereiche hin- sehaufnahmen gibt, die zeigen, daß Hilfsgüter in den ein, Erleichterungen zu erreichen. Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 25. Sitzung. Ber lin, Dienstag, den 14. Mai 1991 1759

Vizepräsidentin Renate Schmidt: Zusatzfrage, Herr Verhandlungsverlauf werden wir mit großer Auf- Kollege. merksamkeit verfolgen.

Hans Wallow (SPD): Herr Staatsminister, ist der Vizepräsidentin Renate Schmidt: Zusatzfrage. Bundesregierung nicht bekanntgeworden, daß ameri- kanische Journalisten und auch ein deutscher Journa- Hans-Günther Toetemeyer (SPD) : Wann hat es eine list auf Grund der Berichterstattung über die Dieb- Besprechung der Außenminister zu diesem Fall gege- stähle an Hilfsgütern unmittelbar darauf des Landes ben? Könnten Sie mich darüber informieren? Welche verwiesen worden sind? konkreten Maßnahmen sind getroffen worden?

Helmut Schäfer, Staatsminister: Herr Kollege, uns Helmut Schäfer, Staatsminister: Ich kann Ihnen sind Fälle bekannt, etwa der dreier britischer Journa- jetzt nicht sagen, in welchem der zahlreichen Außen- listen, denen die Akkreditierung dort auf Grund eines ministertreffen dieses spezielle Problem angespro- besonderen Zwischenfalls entzogen worden ist. Aber chen worden ist. Aber ich habe bereits darauf hinge- ich kann Ihnen zu den von Ihnen genannten Fällen wiesen, Herr Kollege Toetemeyer, daß die EG-Kom- keine Auskunft geben, und ich kann vor allem den mission von uns und auch von anderen Staaten darauf Zusammenhang, den Sie herstellen, nicht bejahen. hingewiesen worden ist, daß die spanische Regierung es entsprechend bedauert hat und daß Verhandlun- Vizepräsidentin Renate Schmidt: Keine weiteren gen zwischen der EG und Namibia auch im Hinblick Zusatzfragen. auf die Frage der zukünftigen Fischerei vor der Küste Ich rufe Frage 34 des Kollegen Hans-Günther Toe- geführt werden. temeyer auf: (Hans-Günther Toetemeyer [SPD]: Die Frage Wie beurteilt das Auswärtige Amt die von mir dargestellten war — — ) flagranten Völkerrechtsverletzungen durch einen Mitgliedstaat der Europäischen Gemeinschaft (s. Fragen 20 und 27, Drucksa- Vizepräsidentin Renate Schmidt: Herr Kollege, es che 12/396)? ist der Regierung freigestellt, wie sie Fragen beant- wortet oder nicht beantwortet. Ich kann leider Gottes Staatsminister: Herr Kollege Toe- Helmut Schäfer, nur zwei Zusatzfragen von Ihnen zulassen. Die temeyer, Sie hatten in der Fragestunde am 25. Ap ril Schlüsse aus den Antworten müssen Sie bitte selber ausgeführt, daß spanische Fischer seit Sommer 1990 ziehen. illegal in der 200-Meilen-Zone vor Namibia mehr als 45 000 t Fisch im Wert von ca. 120 Millionen DM ge- Gibt es von einem anderen Abgeordneten Zusatz- fangen haben. Kollege Gallus hat in der Sitzung vom fragen zu Frage 34? — Das ist nicht der Fa ll . 25. April im Namen der Regierung diese illegalen Ich rufe Frage 35 des Kollegen Horst Sielaff auf: Aktivitäten von einzelnen spanischen Fischern be- Ist der Bundesregierung bekannt, daß am 18./19. Mai 1991 in dauert und erklärt, daß die Bundesregierung der EG- Annaberg/Polen ein Schlesiertreffen geplant ist, auf dem der Kommission gegenüber ihre Sorge zum Ausdruck ge- Vorsitzende der Landsmannschaft Schlesien, Herbe rt Hupka, als Hauptredner auftreten wird, der den Grundlagenvertrag mit bracht hat. Diese Haltung war zwischen dem Land- Polen als „übereilt und höchst unzulänglich ausgehandelt" be- wirtschaftsministerium und dem Auswärtigen Amt zeichnet hat, und teilt die Bundesregierung die Meinung, daß abgestimmt. Sie wird vom Auswärtigen Amt voll mit- eine solche Veranstaltung der Normalisierung des Verhältnisses getragen. zwischen Deutschland und Polen und der Versöhnung zwischen beiden Völkern höchst abträglich sein würde? Ergänzend darf ich betonen, daß es sich um i llegale Aktivitäten von einzelnen spanischen Fischern ge- Helmut Schäfer, Staatsminister: Wenn Herr Kollege handelt hat. Die spanische Regierung hat diese illega- Sielaff und Sie, Frau Präsidentin, einverstanden sind, len Aktivitäten gegenüber der Regierung Namibias möchte ich die beiden Fragen des Kollegen Sielaff inzwischen förmlich bedauert und ihre Zusammenar- gern zusammen beantworten. — Der Kollege ist ein- beit zur Vermeidung ähnlicher Vorfälle in der Zukunft verstanden. angeboten. Vizepräsidentin Renate Schmidt: Dann rufe ich Vizepräsidentin Renate Schmidt: Zusatzfrage. auch Frage 36 des Kollegen Horst Sielaff auf: Ist der Bundesregierung bekannt, daß am 18./19 Mai 1991 in Hans-Günther Toetemeyer (SPD): Herr Staatsmini- Annaberg zeitgleich das Schlesiertreffen sowie, seitens polni- ster, da in allen der Europäischen Gemeinschaft ange- scher Organisationen, ein Treffen anläßlich des 70. Jahrestages hörenden Parlamenten ähnliche Fragen gestellt wor- des 3. Schlesischen Aufstandes, der 1921 durch deutsche, in den sind: Hat es inzwischen eine Kontaktaufnahme Schlesien zusammengestellte Corps niedergeschlagen wurde, geplant ist, und welche Möglichkeiten sieht die Bundesregie- der Außenminister untereinander gegeben, um auf rung, die damit zu erwartende Konfrontation zwischen Schle- die EG-Kommission einzuwirken, da der für die Fi- siern und Polen zu verhindern? scherei zuständige Kommissar dieses Verhalten der spanischen Regierung ausdrücklich gedeckt hat? Helmut Schäfer, Staatsminister: Der Bundesregie- rung ist bekannt, daß am 18. und 19. Mai dieses Jahres Helmut Schäfer, Staatsminister: Herr Kollege, ich ein Pfingsttreffen deutschstämmiger Oberschlesier habe bereits darauf hingewiesen, daß wir mit der EG- am Annaberg geplant ist. Dieses Treffen fällt in der Kommission, die zuständig ist, im Rahmen dieser Tat mit dem 70. Jahrestag des von Ihnen erwähnten Maßnahmen etwas zu tun, Kontakt aufgenommen ha- sogenannten 3. Schlesischen Aufstandes, eines polni- ben. Wir haben uns dafür eingesetzt und gehen davon schen Aufstandes, zusammen. Über die Teilnehmer aus, daß auch die Fischereiverhandlungen mit Nami- an dem Treffen liegen der Bundesregierung keine bia bald fortgeführt werden können. Den weiteren definitiven Informationen vor. 1760 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 25. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 14. Mai 1991

Staatsminister Helmut Schäfer Wie Ihnen bekannt ist, versucht die Bundesregie- Es entzieht sich aber wirklich der Kenntnis des Aus- rung in Zusammenarbeit mit der polnischen Regie- wärtigen Amtes. rung Bedingungen zu schaffen, in denen eine endgül- tige Versöhnung zwischen Deutschen und Polen und Vizepräsidentin Renate Schmidt: Eine weitere Zu- ein auf Dauer einträchtiges Zusammenleben der in satzfrage. Polen lebenden Deutschen mit ihren polnischen Mit- bürgern möglich wird. In diesem Sinn hat die Bundes- Horst Sielaff (SPD): Herr Staatsminister, wäre es regierung gegenüber den in Frage kommenden Ge- möglich, daß ich schriftlich nachgereicht bekommen sprächspartnern in Deutschland zu dem geplanten könnte, ob Herr Priesnitz geplant hatte, an diesem Treffen am Annaberg Stellung genommen. Treffen teilzunehmen? Über ein zeitgleiches Treffen polnischer Organisa- tionen aus Anlaß des erwähnten 70. Jahrestages des Helmut Schäfer, Staatsminister: Herr Kollege, es Aufstandes liegen der Bundesregierung keine siche- wäre sicher sinnvoll, den zuständigen Bundesminister ren Informationen vor. anzuschreiben, dem Herr Priesnitz als Staatssekretär untersteht. Vizepräsidentin Renate Schmidt: Zusatzfrage, Herr Kollege Sielaff. Vizepräsidentin Renate Schmidt: Herr Staatssekre- Ich muß der Ordnung halber darauf hinweisen, daß tär, nur ein Hinweis, wenn er erlaubt ist: Die Bundes- wir uns dem Ende der Fragestunde nähern, daß ich die regierung ist gefragt. Zusatzfragen noch zulasse, dies aber nicht sehr exten- Ich lasse jetzt noch drei Zusatzfragen zu; dann ist siv handhaben kann. die Fragestunde beendet. Als erster hatte sich der Kol- Also, Zusatzfrage, Herr Kollege Sielaff. lege Otto Schily gemeldet.

(SPD) : Herr Staatsminister, sind Sie mit Horst Sielaff - Otto Schily (SPD): Herr Staatsminister, halten Sie mir der Auffassung, daß das Sperrfeuer der CSU ge- das Schlesier-Treffen am Annaberg für hilfreich im gen den ausgehandelten Text des Nachbarschaftsver- Sinne der Förderung der deutsch-polnischen Bezie- trages mit Polen den Abbau von Konfrontationen zwi- hungen, und haben Sie vielleicht eine Anregung ge- schen Deutschen und Polen negativ beeinträchtigt? geben, anstelle dieses Treffens lieber ein deutsch-pol- nisches Treffen auf dem Annaberg zu veranstalten? Helmut Schäfer, Staatsminister: Herr Kollege, das steht nicht in einem unmittelbaren Zusammenhang Helmut Schäfer, Staatsminister: Zunächst einmal mit der Frage nach einem Treffen am Annaberg. darf ich wiederholen, Herr Kollege Schily, daß die (Rudolf Bindig [SPD]: Das paßt in den Ge Anregung zu diesem Treffen von Deutschstämmigen, samtrahmen!) die in Polen leben, ausgegangen ist und daß wir bei all unseren Kontakten mit der deutschen Minderheit Mir ist der Begriff „Sperrfeuer" zu militärisch; ich deutlich gemacht haben, daß es jetzt, in der Zeit eines würde vielleicht eher von einer gewissen Art von Don- ganz wichtigen Vertragsabschlusses darauf an- ner sprechen. kommt, nicht Emotionen aufzuheizen, sondern im Ge- (Lachen bei der SPD) genteil alles zu tun, um das künftige Zusammenleben Aber, Herr Kollege, ich meine, wir sollten hier, wie auch der deutschen Minderheit in Polen zu erleich- schon so oft bei Fragestunden im Deutschen Bundes- tern, was natürlich wiederum mit der polnischen Re- tag, Dinge nicht dramatisieren wollen, die sich im gierung zusammenhängt. politischen Leben von Parteien pausenlos abspielen Insofern ist jeder, der an einem solchen Treffen teil- und sicher ganz andere Motive haben als das Treffen nimmt, gut beraten, wenn er die kulturellen Aspekte, am Annaberg und die Folgen. die Sie in Ihrer Frage angesprochen haben, stärker in den Vordergrund stellt als möglicherweise politische Vizepräsidentin Renate Schmidt: So hat also auch Motive oder historische Reminiszenzen. die Antwort nicht unbedingt den Sachkomplex getrof- fen. Vizepräsidentin Renate Schmidt: Ich werde mit Herr Kollege Sielaff, weitere Zusatzfrage. Recht darauf hingewiesen, daß wir schon um vier Mi- nuten überzogen haben. Deshalb lasse ich die letzte Horst Sielaff (SPD): War geplant, Herr Staatsmini- Zusatzfrage zu; das ist die Zusatzfrage des Herrn Ab- ster, daß der Parlamentarische Staatssekretär P ries- geordneten Duve. nitz an diesem Treffen am Annaberg teilnehmen wollte oder sollte, wie es „Der Spiegel" am 6. Mai Freimut Duve (SPD): Herr Staatsminister, Sie haben berichtete? eben im Zusammenhang mit unseren Fragen nach dem Annaberg die Bedeutung des Vertragswerks mit Helmut Schäfer, Staatsminister: Herr Kollege, da Polen erwähnt. Ist die am heutigen Tage stattgefun- der Staatssekretär Priesnitz nicht dem Auswärtigen dene Koalitionsbesprechung zum weiteren Vorgehen Amt angehört, fällt es mir sehr schwer, Ihnen auf diese zwischen den drei Koalitionspartnern in Sachen die- Frage eine Auskunft zu geben. Ich halte es nicht für ses Vertrages im Zusammenhang mit dieser Diskus- ausgeschlossen, daß der Staatssekretär Priesnitz sol- sion über die Veranstaltung am Annaberg zu sehen, che Absichten hatte. Ich habe aber auch irgendeiner und sind Sie bereit, dem Haus hier über das Ergebnis Zeitung entnommen, daß er nicht dorthin fahren wird. dieses Gesprächs Mitteilung zu machen? Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 25. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 14. Mai 1991 1761

Helmut Schäfer, Staatsminister: Herr Kollege, da Herr Möllemann, gerade in der Energiepolitik, die dieses Gespräch heute nachmittag nach meiner langfristige Perspektiven braucht, bei der wir uns alle Kenntnis nicht zustande gekommen ist, um einen neuen Konsens bemühen, sind Ihre Eskapa- (Freimut Duve [SPD]: Hört! Hört!) den überflüssig und schädlich. Man kann nicht einer- seits einen energiepolitischen Konsens suchen und was aber nichts mit dem Treffen auf dem Annaberg, andererseits die Verhandlungsbasis zerstören, bevor sondern mit wesentlich vordergründigeren Dingen zu man überhaupt mit den Partnern geredet hat. Mit die- tun hat, kann ich Ihnen diese Frage leider noch nicht sem Stil werden Sie nicht nur in der Energiepolitik beantworten. scheitern. Sie sollten statt dessen lieber Ihre energiepoliti- Vizepräsidentin Renate Schmidt: Wir sind damit am Ende der Fragestunde angekommen. schen Schularbeiten machen. Sie haben bis heute keine einzige Maßnahme ergriffen, um die Kohlen- dioxidemissionen bis zum Jahre 2005 um 30 % abzu- Ich rufe Zusatzpunkt 1 der Tagesordnung auf: senken. Genau das hat die Bundesregierung be- Aktuelle Stunde schlossen. Haltung der Bundesregierung zu Äußerungen Wir kennen keine konkrete Zahl von Ihnen oder des Bundeswirtschaftsministers zur Aufkündi- eine Aussage darüber, wie der zukünftige Energiemix gung des Jahrhundertvertrages auszusehen hat und welche Rolle dabei die einzelnen Die Fraktion der SPD hat eine Aktuelle Stunde zu Energieträger — auch die heimische Steinkohle und dem zuvor erwähnten Thema verlangt. die heimische Braunkohle — spielen werden. Wir ha- Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Herr ben keine Klarheit, wie der Wirtschaftsminister lang- Abgeordnete Schäfer. fristig zur Kernenergie steht. Es ist nicht erkennbar, welche Anstrengungen der Bundeswirtschaftsmini- - ster unternehmen wird, um die erneuerbaren Ener- Harald B. Schäfer (Offenburg) (SPD): Frau Präsi- gien endlich in den Markt zu bringen. Auf allen die- dentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! sen wichtigen energiepolitischen Feldern Fehlan- Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Der Energiepoli- zeige der Bundesregierung! tik der Bundesregierung fehlen Klarheit, Berechen- barkeit und Verläßlichkeit. Den jüngsten Beleg dafür (Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Nein, der Oppo liefert erneut Bundeswirtschaftsminister Möllemann: sition!) nach dem Zickzackkurs zum Kernenergieausbau in den neuen Bundesländern nun eine unnötige Kohle- Statt mit konstruktiven Vorschlägen um Vertrauen diskussion. Wir fragen uns: Wem eigentlich soll ein und Konsens zu werben, schüren Sie mit Ihrem letzten solches Verhalten nützen, Herr Wirtschaftsminister Beitrag in der energiepolitischen Debatte Ängste, Möllemann? wecken Sie Emotionen, gefährden Sie mit Ihrem sa- loppen Gerede Arbeitnehmerexistenzen. Geben Sie (Gerd Andres [SPD]: Was sagt der Blüm endlich Eckpunkte eines energiepolitischen Gesamt- dazu? — Weitere Zurufe von der SPD) konzeptes vor, und halten Sie sich an gegebene Zusa- Zum Sachverhalt: Am 24. August 1989 gibt der Bun- gen bei der Steinkohleverstromung! deskanzler sein Wort. Viele Menschen verlassen sich darauf. Das Wort lautet: Der Jahrhundertvertrag für Wir Sozialdemokraten stehen jedenfalls zu unserem den Steinkohlenbergbau gilt bis 1995. Wort, auch in der Kohlepolitik. Was vor der Bundes- tagswahl gegolten hat, gilt auch danach. Das ist übri- (Zuruf von der CDU/CSU: Natürlich!) gens auch ein Gebot der politischen Moral und der In der Koalitionsvereinbarung von Beginn dieses Jah- politischen Kultur, über die so oft bei uns, auch in die- res, die der Wirtschaftsminister mit ausgehandelt hat, sem Hause heute an diesem Tage, geredet worden heißt es noch: Die Kohleverhandlungen mit der EG ist. werden auf der Basis von 40,9 Millionen t Steinkohle (Beifall bei der SPD) pro Jahr für die Verstromung geführt. Bis 1995 bleibt es beim Kohlepfennig. Nur wenn ein Gesamttableau auf dem Tisch liegt, kann man über die Rolle der einzelnen Energieträger Heute will der Wirtschaftsminister davon nichts in der Zukunft reden. Wir Sozialdemokraten haben mehr wissen und mit dem Sturzflug der Steinkohle klare energiepolitische Aussagen gemacht. Sie liegen lieber heute als morgen beginnen, und zwar ohne diesem Hohen Hause vor. Rücksicht auf energiepolitische, auf sozialpolitische, auf arbeitsmarktpolitische, auf regionalpolitische Ver- Wir meinen freilich, meine Damen und Herren, daß nunft. selbst bei Realisierung aller notwendigen Einsparpo- Meine Damen und Herren, soll auch in der Energie- tentiale, bei Ausschöpfung aller Potentiale erneuerba- politik der Bundesregierung das Motto gelten: Es gilt rer Energien, bei Schaffung eines neuen energiewirt- das gebrochene Wort? schaftlichen Ordnungsrahmens durch das Vorlegen eines neuen Energiegesetzes, das das Energiewirt- (Zuruf von der SPD: Fürwahr!) schaftsgesetz aus dem Jahre 1935 ablösen muß, daß Ein klärendes und klarstellendes Wort des Bundes- selbst bei Realisierung all dieser längst überfälligen kanzlers, daß die Zusage für den deutschen Steinkoh- energiepolitischen Maßnahmen die Kohle, die Stein- lenbergbau aus Sicht der Bundesregierung bis 1995 kohle und die Braunkohle, für lange Zeit ein Eckpfei- gilt, ist dringend geboten. ler einer umweltverträglichen und sicheren Energie- (Beifall bei der SPD) versorgung bleiben wird. 1762 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 25. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 14. Mai 1991

Vizepräsidentin Renate Schmidt: Kollege Schäfer, lem die Betroffenen, die Bergleute, die Steinkohlen- kommen Sie bitte zum Schluß. wirtschaft und die Stromerzeuger. (Uta Würfel [FDP]: Genau das findet statt!) Harald B. Schäfer (Offenburg) (SPD): Noch ein Satz, Der Steinkohlenbergbau hat ein Optimierungsmo- Frau Präsidentin! dell vorgelegt. Danach ist es in beschränktem Maße Deshalb muß ein Sockel heimischer Steinkohle und möglich, die Produktionskosten zu senken. Darüber, Braunkohle für die Stahlherstellung, für den ob die Vorschläge ausreichen oder nicht, wäre noch zu Wärmemarkt und für die Stromerzeugung erhalten diskutieren. Die Bundesregierung sollte ihre Vortel- bleiben. Zum Gespräch über den Umfang dieses Sok- lungen dazu bald bekanntmachen. kels im Rahmen einer vernünftigen Anschlußrege- Eine vernünftige Energiepolitik muß die Energie- lung nach 1995 sind wir Sozialdemokraten bereit. versorgung über einen längeren Zeitraum berechen- Ich bedanke mich bei Ihnen für die Aufmerksam- bar halten. Deswegen muß sich eine Planung für die keit. Zukunft über einen Zeitraum von mindestens 15 bis (Beifall bei der SPD und bei dem Bündnis 90/ 20 Jahren erstrecken. GRÜNE) (Uta Würfel [FDP]: Ach du meine Güte!) Unstrittig scheinen mir die Ziele der Energiepolitik Vizepräsidentin Renate Schmidt: Meine Damen zu sein: erstens eine Versorgung zu Preisen, die uns und Herren, ich möchte Sie darauf aufmerksam ma- international wettbewerbsfähig erhält, zweitens eine chen, daß wir hier, was die Redezeit und die Einstel- langfristige Versorgungssicherheit, drittens eine mög- lung der Uhr betrifft, eine andere Regelung haben als lichst hohe Umweltverträglichkeit und viertens die bei uns im „Wasserwerk" in Bonn. Wenn hier die rote soziale Akzeptanz. Aber darüber, welche Energieart Lampe leuchtet, ist die Redezeit um und nicht etwa in welchem Ausmaß eingesetzt werden soll oder darf, noch ein bißchen Zeit übrig. Ich bitte Sie,- sich darauf gibt es sicherlich unterschiedliche Auffassungen; einzurichten. denn jede Energieart ist mit Vorteilen und Nachteilen verbunden. Jetzt hat der Kollege Hein rich Seesing das Wort. Wie kompliziert diese Abwägungsprozesse sein können, kann man besonders am Beispiel der Stein- Heinrich Seesing (CDU/CSU): Frau Präsidentin! kohle sehen. Deutsche Steinkohle bietet eine hohe Meine Damen und Herren! Leben ist ohne Energie Versorgungssicherheit. Deswegen haben wir den nicht möglich. Bergbau mit erheblichen Subventionen — viele mei- (Beifall bei der SPD) nen, mit zu hohen Subventionen — am Leben gehal- Wenn wir wollen, daß es auch noch in hundert Jahren ten. Für deren soziale Akzeptanz ist in Bergbauregio- menschliches Leben auf der Erde gibt, müssen wir nen gesorgt, leben doch diese Regionen immer noch schon jetzt die Frage nach der Energieversorgung von der Steinkohle und mit der Steinkohle. Eine so- nicht nur stellen, sondern auch beantworten. Viel Zeit ziale Akzeptanz, kurzfristig den Bergbau einzustellen haben wir nicht mehr zu verlieren. Deswegen ist es oder auch nur einzuschränken, ist nicht zu erwarten. gut, wenn sich der zuständige Bundesminister Gedan- Deswegen müssen Maßnahmen, wie sie auch vom ken darüber macht. Nicht gut finde ich, daß er sich nur Bergbau selber vorgeschlagen werden, in einem ver- über eine Energieart so geäußert hat, daß man ihn nünftigen, aber überschaubaren Zeitraum durchge- eigentlich schelten müßte. führt werden. (Harald B. Schäfer [Offenburg] [SPD]: Der Abbau von Subventionen kann ein Grund sein, Eigentlich?) die Steinkohlenförderung zu reduzieren. Mindestens gleichrangig muß aber auch die Belastung der Erdat- Es macht nämlich kaum einen Sinn, wenn man über mosphäre durch Kohlendioxidemissionen gesehen Energieversorgung der Zukunft nachdenkt und nur werden. Die Reduzierung des CO2-Ausstoßes bet rifft über eine Energieart spricht. aber nicht nur die Steinkohle, sondern auch Braun- (Zustimmung bei der CDU/CSU) kohle, Erdöl und Erdgas. Deswegen hat es keinen Wir — das sind CDU und CSU — fordern nach- Sinn, nur über eine Energieart zu sprechen. drücklich die Vorlage eines energiepoliltischen Ge- Ich will nicht verschweigen, daß ich eine Sicherheit samtkonzepts bis zum Herbst dieses Jahres. Es gibt für die deutsche Steinkohle nur sehe, wenn es gelingt, auch für mich keinen Grund, von vertraglichen Ver- den Anteil der Stromerzeugung mit Hilfe der Kern- einbarungen, die z. B. über die Nutzung der Stein- energie sehr langfristig zu halten. Ich befürchte aller- kohle getroffen wurden, abzuweichen. Es liegen dazu dings, daß wir uns ziemlich kleinkariert mit deutschen eindeutige Aussagen in den Koalitionsvereinbarun- Problemen beschäftigen und die sich abzeichnende gen von CDU, CSU und FDP vor. Meine Glaubwür- Entwicklung eines europäischen Energiemarktes digkeit möchte ich nicht gerne in Zweifel gezogen übersehen. Seine Perspektiven sind in das energie- wissen. politische Gesamtkonzept einzubeziehen. (Beifall bei der CDU/CSU — Rudolf Bindig Vergessen wir nicht, meine lieben Kolleginnen und [SPD]: Die haben Sie schon heute morgen Kollegen: Unsere wichtigste nationale Aufgabe ist der verspielt!) Wiederaufbau einer leistungsfähigen und umweltver- Sollte es neue Bedingungen geben, muß mit allen träglichen Energieversorgung in den östlichen Bun- Beteiligten gesprochen werden. Dazu zählen vor al desländern. Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 25. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 14. Mai 1991 1763

Heinrich Seesing Danke schön. Kraftwerk bei Helmstedt, gehen Sie doch gar nicht (Beifall bei der CDU/CSU und bei Abgeord heran. neten der FDP) (Zuruf von der CDU/CSU: Nennen Sie doch einmal ein Beispiel aus Holland!) Vizepräsidentin Renate Schmidt: Als nächstes hat Wenn Sie auf die Kosten der Importkohle aus Süd- Herr Abgeordneter Dr. Ul rich Briefs das Wort. afrika in Höhe von nur 97 DM pro Tonne verweisen — die Ruhrkohle kostet demgegenüber 270 DM pro Dr. Ulrich Briefs (PDS/Linke Liste): Frau Präsiden- Tonne; das geben wir zu — , so vergessen Sie zugleich, tin! Meine Damen und Herren! Die Ankündigung des daß die Importkohle mit Raubbau an der Natur und an Bundeswirtschaftsministers, den sogenannten Jahr- der menschlichen Arbeitskraft oder unter zum Teil hundertvertrag vorzeitig zur Disposition zu stellen, ist unmenschlichen Arbeitsbedingungen in der soge- nicht ganz neu. Wirtschaftsminister Haussmann hat es nannten Dritten Welt abgebaut wird. schon früher durchblicken lassen: Nach den Wahlen Im übrigen geht es Ihnen und den hinter Ihnen ste- in NRW und nach den Bundestagswahlen sollten die henden Kräften, Herr Bundeswirtschaftsminister, im im Vertrag festgeschriebenen Verstromungsmengen wesentlichen doch nur darum, unter dem Motto „Neu- in Deutschland geförderter Steinkohle reduziert wer- bewertung der Atomenergie" die Weichen für den den. weiteren Ausbau der Atomenergieerzeugung zu stel- Neu ist allerdings, daß der Anschluß der DDR nun- len. Jedes der AKWs in der BRD hat allein ca. 4 000 mehr als weitere Begründung für die geplante Sen- Arbeitsplätze im Bergbau gekostet; das dürfen Sie kung der Verstromungsmengen und damit die Ver- nicht vergessen. Zusammen sind das über 60 000 Ar- nichtung weiterer Arbeitsplätze an Saar und Ruhr, in beitsplätze. Die Steinkohlenförderung und die in ihr Ibbenbüren und im Aachener Steinkohlenrevier ge- vorhandenen Arbeitsplätze stören Sie einfach beim nannt wird. Vergessen wird dabei, daß das Ruhrgebiet weiteren Ausbau der gefährlichen Atomenergieer- zeugung. eine höhere Arbeitslosigkeit als NRW hat und- daß die- ses Land sowie das Saarland wiederum eine höhere Aber der Vorstoß von Bundeswirtschaftsminister Arbeitslosigkeit als der Bundesdurchschnitt haben. Möllemann hat noch einen anderen Aspekt. Er stellt Nach wie vor suchen im Ruhrgebiet weit über eine einen Angriff auf wichtige von den Gewerkschaften Viertelmillion Menschen einen Arbeitsplatz. Nach durchgesetzte Schutzvorkehrungen für abhängig Be- wie vor zählt Nordrhein-Westfalen weit über 600 000 schäftigte dar, und er ist womöglich der Vorbote eines Arbeitslose. In dieser Situation ist jede politische Maß- Generalangriffs auf die Gewerkschaften, auf die Er- nahme zum weiteren Abbau von Arbeitsplätzen völlig gebnisse ihrer Kämpfe und Verhandlungen und auf unverantwortlich. Arbeitsplatzabbau im Westen mit ihre Rechte. Es ist zu befürchten, daß mit dem Gutach- der geradezu kataraktisch sich verstärkenden Ar- ten der Deregulierungskommission, das jüngst der beitslosigkeit im Osten zu begründen, das ist zy- Bundesregierung übergeben wurde, der Prozeß eines nisch. solchen Generalangriffs auf die Gewerkschaften in Als Abgeordneter, der in der letzten Legislaturpe- Gang kommen soll. riode im Wahlkreis Recklinghausen im Ruhrgebiet in Wir, die PDS/Linke Liste, sagen an die Adresse des dem Wahlkreis mit der größten Bergbaustadt Europas, Bundeswirtschaftsminsters Möllemann: Hände weg Herten, politisch gearbeitet hat, vom Steinkohlenbergbau und seinen Arbeitsplät- (Zuruf von der CDU/CSU: Ich denke, Sie zen! wohnen in Holland!) (Zuruf von der CDU/CSU: Hände hoch! — sage ich: Herr Bundeswirtschaftsminister, vertreten Heiterkeit) Sie doch einmal Ihre Absichten und Ansichten dort — Das ist der Ton, den Sie gerne hätten. Er kann Ihnen auf einer Belegschaftsversammlung z. B. der Zeche nicht militärisch genug sein. Auguste Victoria. Oder warum sagen Sie nicht z. B. auf einer Belegschaftsversammlung auf der Zeche So- phia Jacoba in Hückelhoven im Aachener Revier den Vizepräsidentin Renate Schmidt: Ich hätte jetzt Bergleuten ins Gesicht, daß Sie die Absicht haben, gerne, daß Sie zum Ende kommen. ihnen ihre Lebensgrundlage zu nehmen? Dort droht bei der Schließung dieser Zeche die Arbeitslosigkeits- quote auf 20 bis 25 % zu steigen. Wollen Sie das ver- Dr. Ulrich Briefs (PDS/Linke Liste): Wir sagen: antworten? Können Sie das verantworten, insbeson- Hände weg von den Gewerkschaften und ihren Rech- dere auch angesichts der Beschäftigungskatastrophe ten! Wir werden in der zukünftigen Auseinanderset- zung um gewerkschaftliche Rechte und um den im Osten, die uns in der Zukunft noch gewaltige Be- wältigungsanstrengungen abverlangen wird? Oder Schutz der Arbeitsplätze in West und Ost an der Seite wollen Sie, geleitet von einem diffusen marktradika- der Gewerkschaften und der Belegschaften stehen. len Credo, erreichen, daß sich die beiden Teile des neuen Deutschlands, der Osten und der Westen, ge- Vizepräsidentin Renate Schmidt: Herr Kollege genseitig auf immer höhere Grade von Arbeitslosig- Briefs, kommen Sie jetzt bitte zum Ende. keit hinauf schaukeln? Ihre sonstigen Argumente dagegen sind Scheinar- gumente. An die Haupt-CO2-Ausstoßer, etwa die rie- Dr. Ulrich Briefs (PDS/Linke Liste): Betreiben Sie sigen Braunkohlenkraftwerke der RWE-Tochter die Erfüllung des Jahrhundertvertrages und damit die Rheinbraun westlich von Köln oder das Buschhaus Sicherung der Bergarbeiterarbeitsplätze! 1764 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 25. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 14. Mai 1991

Dr. Ulrich Briefs Wir fordern weiterhin die Auflösung des Verbundes Aber es wäre nach Auffassung der FDP sinnvoll, wenn von Steinkohleverstromung und Energieerzeugung diese Regelung auf alle diejenigen im Bergbau Be- und den Ausstieg aus der Atomenergie. schäftigten Anwendung fände, die nur über Tage tä- (Beifall bei der PDS/Linke Liste) tig sind. (Hans-Eberhard Urbaniak [SPD]: Damit der Subventionsbedarf größer wird?) Vizepräsidentin Renate Schmidt: Herr Kollege Briefs, ich bitte Sie, jetzt das Rednerpodium zu verlas- Wir können auch nicht übersehen, daß nach der sen. Ich habe vorhin gesagt, daß ich bei einer Aktuel- deutschen Wiedervereinigung eine Situation einge- len Stunde die Redezeit nicht dauernd in diesem treten ist, die ein grundlegend neu überarbeitetes Maße überziehen lassen kann. Energiekonzept dringend erforderlich macht: ein Als nächster hat der Kollege Dr. Karl-Hans Laer- Konzept, das die deutsche Steinkohle im europäi- schen Kontext — meine Damen und Herren, ich wie- mann das Wort. derhole: im europäischen Kontext — als eine europäi- sche Energiereserve einbezieht, ein Konzept, das ver- läßliche und auf Dauer belastbare Rahmenbedingun- Dr.-Ing. Karl-Hans Laermann (FDP): Frau Präsiden- tin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich gen für die Bergbauunternehmen und für die Struk- denke, Herr B riefs, eine rationale Energiepolitik ver- turentwicklungen der betreffenden Regionen für die langt in erster Linie eine rationale Diskussion, und die Zeit nach 1995 sichert. Daran wird im Bundeswirt- Ebene der rationalen Diskussion haben Sie bei wei- schaftsministerium intensiv gearbeitet; das wissen tem verlassen. Sie. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Ich denke, daß sich der Übergang 1995 nicht abrupt vollziehen kann — auch nicht vollziehen darf — , son- Deswegen kann ich mich auch nicht weiter damit aus- dern kontinuierlich erfolgen muß, mit Wirkungen einandersetzen. - möglicherweise auch schon vor 1995. Allerdings sage Meine Damen und Herren, rationale Energiepolitik ich mit allem Nachdruck: Änderungen können nur im und in ganz besonderem Maße die Braun- und Stein- Einvernehmen aller Beteiligten — Bundesregierung, kohlepolitik müssen schon wegen der besonderen na- Landesregierungen, Unternehmen und auch der Ge- türlichen und technischen Gegebenheiten und wegen werkschaft Bergbau und Energie — erfolgen! Über der davon abhängigen sozialen Strukturen langfristig etwas anderes lassen wir mit uns überhaupt nicht re- angelegt sein. Das hat auch der Kollege Schäfer schon den. gesagt; da stimmen wir sicherlich überein. Genau darum ist Bundeswirtschaftsminister Jürgen (Dr. Ulrich Briefs [PDS/Linke Liste]: Das ist Möllemann bemüht, und das wollen Sie bitte zur doch trivial!) Kenntnis nehmen. Man muß nur genau hinhören, hin- Für die deutsche Steinkohle sind die Rahmenbedin- hören wollen, um zu erfahren, was er zum Subven- gungen im Kohleverstromungsgesetz, im Jahrhun- tionsabbau gesagt hat, und darf die Kritik an seinen dertvertrag mit der Elektrizitätswirtschaft und im Hüt- Darlegungen nicht an einem einzigen Satz festma- tenvertrag mit den bekannten zeitlichen Befristungen chen. Das Totschlagargument von der „Kohlelüge" ist festgelegt. tendenziös und bösartig. Das muß ich einmal mit aller Die daraus logischerweise folgenden Konsequen- Deutlichkeit sagen. zen können nicht übersehen werden. Es ist ein zwin- (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) gendes Gebot der Bergbauunternehmen wie der poli- tisch Verantwortlichen, ihre Konzeptionen und Dispo- Und es hilft in dem von niemandem bestrittenen not- sitionen an den veränderten Bedingungen und Para- wendigen Anpassungsprozeß überhaupt nicht: Es metern zu orientieren. Sie alle kennen genausogut hilft nicht den Kumpels, und es hilft nicht den Men- wie Bundesminister Jürgen Möllemann die in der schen an Ruhr und Saar, nicht den Menschen in Hük- GATT-Runde vertretenen Positionen zur deutschen kelhoven und Ibbenbüren und auch nicht den Men- Kohlepolitik; oder vielleicht sollte ich sagen: gegen schen in der Lausitz. die deutsche Kohlepolitik. Sie kennen die Auffassung Deswegen unterstützt die FDP den Bundeswirt- der Internationalen Energieagentur und nicht zuletzt schaftsminister in seinem Bemühen um einen ener- auch die strikte Haltung der EG-Kommission zur Sub- giepolitischen Konsens. Die FDP will keiner persönli- ventionierung der deutschen Steinkohle. Schließlich chen oder parteipolitischen Profilierung das Wort re- ist ja die Mikat-Kommission deswegen berufen wor- den. den, um ein Konzept für die Rolle und damit das Men- gengerüst der deutschen Steinkohle nach 1995 mit (Harald B. Schäfer [Offenburg] [SPD]: Na, dem Ziel zu erarbeiten, die Subventionen drastisch zu na! — Weitere Zurufe von der SPD — Dr. Ul reduzieren und den Steinkohlebergbau von Altlasten rich Briefs [PDS/Linke Liste]: Wenn Sie das zu befreien. nicht gesagt hätten, wäre keiner darauf ge Lassen Sie mich hier anmerken: Es ist ja zu begrü- kommen!) ßen, daß die sogenannten Artikel-17-Betriebe aus der Wir wollen uns mit allen Beteiligten und Betroffenen, Knappschaftsversicherung herausgenommen werden mit allen Parteien um eine Lösung der gewiß nicht sollen. einfachen Probleme bemühen: unter Berücksichti- (Hans-Eberhard Urbaniak [SPD]: Dummes gung — hören Sie gut zu — der umweltpolitischen Zeug!) und der sozialpolitischen Maßstäbe. Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 25. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 14. Mai 1991 1765

Dr.-Ing. Karl-Hans Laermann Ich danke Ihnen. Viertens. Wir brauchen umgehend die Bereitstel- (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) lung von Ersatzarbeitsplätzen in den Steinkohlerevie- ren. Freiwerdende Kohlesubventionsmittel sind für den Regionalumbau zu verwenden. Vizepräsidentin Renate Schmidt: Als nächster Der vielzitierte Energiemix, der Konsens zwischen spricht Kollege Dr. Klaus-Dieter Feige. Kohle und Atomenergie, hat in der Vergangenheit zum Ausbau der Atomstromerzeugung, zur Verdrän- gung der Kohle, zum Abbau von Arbeitsplätzen ge- Dr. Klaus-Dieter Feige (Bündnis 90/GRÜNE): Frau führt und gleichzeitig Energiesparmaßnahmen bzw. Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Her- den Ausbau regenerativer Energien verhindert. ren! Was Herr Möllemann fordert, ist in gewissen Die drohende Klimakatastrophe erzwingt eine Kreisen sicherlich außerordentlich populär. Und es ist schnellstmögliche Reduzierung der Verbrennung fos- leicht, gegen die — zugegebenermaßen sehr kostspie- siler Energieträger. In einem ökologisch verantwort- lige — Subventionierung der westdeutschen Stein- baren Energiekonzept kann die Kohlefördermenge kohle zu polemisieren. daher nur als Restgröße angesehen werden, nachdem Ich kann auch sehr gut nachvollziehen, daß Bürger alle Potentiale zur Energieeinsparung und zur Nut- aus den ostdeutschen Braunkohlerevieren wenig zung regenerativer Energien ausgeschöpft sind. Über Verständnis für die offenkundige Ungleichbehand- Kohlefördermengen zu diskutieren, ohne den ener- lung haben: Im Westen werden mit Milliardenauf- giepolitischen Zusammenhang zu sehen, muß in die wand Arbeitsplätze erhalten, während im Osten der Irre führen. großflächige Zusammenbruch offenbar in Kauf ge- Diese Regierung bleibt — wie übrigens leider auch nommen wird. einige SPD-Landesregierungen — der Energiepolitik Dennoch: Es nützt wenig, den Kahlschlag im Osten der 70er Jahre verhaftet, die einseitig auf die Energie- jetzt zum Modell für den westdeutschen Kohleberg- angebotsseite fixiert ist. Sie wollen nicht begreifen, bau zu machen. Es ist ja nicht so, daß in Westdeutsch- daß es eigentlich um die Bereitstellung von Energie- land keine Strukturanpassung betrieben würde. Im dienstleistungen gehen muß und daß hierzu nachfra- Gegenteil: 50 000 Arbeitsplätze sind in den letzten geseitige Maßnahmen wie Energiespartechnologien, Jahren abgebaut worden; weitere 30 000 sollen im rationelle Energienutzung usw. preiswerter und um- Bereich der Steinkohle bis zum Jahre 2005 wegfal- weltverträglicher sind. len. Wir fordern deshalb ein regional- und energiewirt- Wir halten angesichts dessen wenig von der ange- schaftliches Gesamtkonzept für die Steinkohle, das drohten Holzhammerpolitik des Bundesministers. Al- beschäftigungspolitische Maßnahmen sowie einen lerdings glauben wir auch nicht, daß eine Subventio- umweltverträglichen Steinkohleeinsatz insbesondere nierung des westdeutschen Steinkohlebergbaus im in der Kraft-Wärme-Kopplung vorsieht. Wir wollen Umfang von 11 Milliarden DM pro Jahr auf Dauer ver- den Jahrhundertvertrag nach 1995 durch einen Kraft- tretbar ist. Wärme-Kopplungs-Vertrag ersetzen, der die Stein- (Zuruf von der FDP: Ach?) kohlesubventionen an einen umweltverträglichen Steinkohleeinsatz bindet. Wir wollen den Kohlepfen- Wer also über den Jahrhundertvertrag bzw. über nig zugunsten einer allgemeinen Primärenergieab- die Subventionierung der einheimischen Kohle debat- gabe abschaffen, um das Energiepreisniveau anzuhe- tiert, muß zunächst einmal überzeugende energie- ben und damit Energiesparmaßnahmen noch lohnen- politische Gesamtkonzepte vorlegen, und genau das der zu machen. läßt der Bundesminister bisher vermissen. In dem von den GRÜNEN Anfang des Jahres vor- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) gelegten Energiewendeszenario haben wir aufge- Eine sinnvolle Kohlepolitik dagegen ist in folgende zeigt, daß auch die CO2-Bilanz einer solchen Energie- energiepolitische Grundlinien eingebunden: politik — wohlgemerkt: ohne AKWs — mehr als über- Erstens. Wir verlangen den sofortigen Ausstieg aus zeugend ist. In zwanzig Jahren kann der Ausstoß an der unverantwortbaren Atomenergienutzung, und Kohledioxid um fast die Hälfte reduziert werden. zwar nicht nur aus den bekannten Sicherheitsgrün- Nicht zuletzt steigt die Versorgungssicherheit be- den, sondern auch, um einen zeitlichen Spielraum trächtlich an, weil die Menge der importierten Ener- zur Schaffung von Ersatzarbeitsplätzen in den Kohle- gieträger massiv reduziert werden kann. revieren zu erhalten. Der Ausstieg aus der Atomener- Also noch einmal an die Adresse des Bundeswirt- gie schafft Arbeitsplätze; nach einer Prognos-Studie schaftsministers: Es ist absolut unsinnig, durch pole- bis zu 100 000 jährlich. mische Rundumschläge Panik und Neidgefühle zu Zweitens. Wir fordern den schnellstmöglichen Aus- erzeugen, wenn man selbst noch keine über den bau von umweltverträglichen Einsatzmöglichkeiten nächsten Tag hinausreichenden energiepolitischen für die Steinkohle, insbesondere zukunftsträchtige In- Konzeptionen vorlegen kann. vestitionen für die Kraft-Wärme-Kopplung, den Aus- Danke. bau der Nah- und Fernwärmeversorgung und den (Beifall bei der SPD und der PDS/Linke gleichzeitigen Verzicht auf Elektroheizung. Liste) Drittens. Notwendig ist eine progressive Anhebung des allgemeinen Energiepreisniveaus, um die Ener- gieeinsparung zu fördern. Die billigste und auch zu- Vizepräsidentin Renate Schmidt: Als nächster hat kunftssicherste Energie ist die gesparte Energie. der Kollege Norbert Formanski das Wort. 1766 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 25. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 14. Mai 1991

Norbert Formanski (SPD) : Frau Präsidentin! Sehr das haut dem berühmten Faß den Boden aus, das löst geehrte Damen und Herren! In den Bergbaurevieren zusätzlich Verbitterung aus. rumort es. Nachdem heute morgen in der „Westdeut- (Beifall bei der SPD) schen Allgemeinen Zeitung" weitere Pläne des Bun- deswirtschaftsministers bekanntgeworden sind, wo- Inzwischen zweifeln immer mehr Menschen in den nach er jetzt auch noch an die mit den Hüttenverträ- Bergbaurevieren daran, daß der Bundeskanzler sein gen vereinbarten Kokskohlebeihilfen mit drastischen Wort halten wird. Streichungen herangehen will, wächst die Unruhe (Dr. Norbert Lammert [CDU/CSU]: Stimmt weiter. Als Betriebsratsvorsitzender einer Schachtan- doch gar nicht!) lage mitten im Ruhrgebiet weiß ich aus hautnaher Auf den Schachtanlagen breitet sich der Zweifel sogar Erfahrung, wovon ich rede. Deshalb warne ich auch immer schneller aus, weil der Bundeskanzler hartnäk- und gerade vor diesem Hohen Hause. kig schweigt und schweigen läßt. Der Bundeswirt- Da ist inzwischen richtig Druck im Kessel. Wenn schaftsminister dagegen kündigt fast jeden Tag einen von Herrn Möllemann noch weiter angeheizt wird, neuen Wortbruch an. dann fliegt der ganze Kessel in die Luft, dann brennt (Hans-Eberhard Urbaniak [SPD]: Der hält es tatsächlich an Rhein, Ruhr und Saar. Die Verant- das gebrochene Wort!) wortung dafür haben Bundesregierung und Regie- rungsparteien. Herr Möllemann stellt den Jahrhundertvertrag zur Re- vision, die sozial verträgliche Anpassung in Frage und Ich frage die Bundesregierung, ob es denn wirklich will sich klammheimlich aus dem Hüttenvertrag in ihrem Interesse liegen kann, daß neben den sozia- schleichen. len Unruhen in den fünf neuen Bundesländern zusätz- liche Unruhen in den Bergbauregionen provoziert (Dr. Christoph Zöpel [SPD]: Und der Blüm werden. Wenn die Kohle-Kahlschlag-Pläne des Bun- schweigt! — Zuruf von der FDP: Was heißt deswirtschaftsministers nicht ganz schnell und end- hier „klammheimlich" ?) gültig vom Tisch genommen werden, dann ist nicht Ich sage Ihnen: Die Unsicherheit wird bald nicht mehr nur der soziale Frieden in den Revieren ernsthaft ge- zu ertragen sein. Der Bundeskanzler darf nicht fährdet, sondern es kann ein Flächenbrand entstehen, schweigen und sich nicht in den Wortbruch treiben gegen den es nicht genug Löschwasser geben wird. lassen; denn einen Wortbruch haben die Bergleute Der Anpassungsprozeß im deutschen Steinkohlen- und ihre Familien nicht verdient. bergbau läuft seit mehr als 30 Jahren, erst unkontrol- Glück auf! liert und im Sturzflug, dann unter sozialliberaler Re- (Beifall bei der SPD) gierungsverantwortung geordnet und im Gleitflug. Die sozial verträglichen Lösungen haben es der Indu- striegewerkschaft Bergbau und Energie ermöglicht, Als nächster hat die unvermeidbaren Anpassungsschritte mitzutragen Vizepräsidentin Renate Schmidt: der Kollege Matthias Wissmann das Wort. und auch gegenüber den Bergleuten zu vertreten. Damit ist der soziale Friede in den gebeutelten Berg- (Ottmar Schreiner [SPD]: Der Eiertänzer vom bauregionen bisher erhalten worden. Dienst!) Bergbau und Bergleute stehen heute mitten drin in einem weiteren Anpassungsprozeß, der 1987 mit der Bundesregierung und den Regierungsparteien verab- Matthias Wissmann (CDU/CSU): Frau Präsidentin! redet wurde und der noch bis 1995 planmäßig verlau- Meine Damen und Herren! Der Kollege Formanski fen muß, bevor die damals vereinbarten Ziele erreicht sprach eben davon, daß wir die Unsicherheit nicht werden können. In diesen sieben Jahren wird der schüren sollten. Steinkohlenbergbau noch einmal fast 40 000 Arbeits- (Zuruf von der FDP: Eben!) plätze aufgegeben haben, jedes Jahr mehr als 5 500. Herr Kollege Formanski, mein Eindruck ist: Es gibt manche in Ihren Reihen, die genau dieses beabsichti- Ich kann als Betriebsrat ein mehrstrophiges Lied gen. davon singen, wie schwierig es ist, immer wieder je- den gesunden, leistungsfähigen und leistungswilli- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — gen 50jährigen Bergmann einzeln zu überzeugen, Detlev von Larcher [SPD]: Die übliche Leier! den Beruf an den Nagel zu hängen, auf Geld zu ver- Laßt euch mal was Neues einfallen!) zichten und einem Jüngeren Platz zu machen. Dahin- Wir wollen die Diskussion versachlichen. Wir wollen ter verbirgt sich die Bereitschaft, auch persönliche zu einer Atmosphäre des Vertrauens beitragen. Nachteile in Kauf zu nehmen, um anderen zu helfen. (Lachen bei der SPD) Dieses Füreinandereinstehen, diese Solidarität unter Bergleuten ist nicht überall selbstverständlich. Wir wollen Stetigkeit, Berechenbarkeit und Verläß- lichkeit in der Energiepolitik. Jetzt aber den Bergleuten vorzuwerfen, ihnen gehe es viel zu gut und sie müßten für ihren Dienst an der (Erneutes Lachen bei der SPD) Allgemeinheit mit Entlassung, sogar mit Arbeitslosig- Meine Damen und Herren von der SPD, wir sagen keit bestraft werden, wie es der Bundeswirtschaftsmi- auch die unangenehmen Wahrheiten. nister anstrebt, (Rudolf Bindig [SPD]: Aber nicht vor der (Zurufe von der FDP: Blödsinn! Quatsch!) Wahl!) Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 25. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 14. Mai 1991 1767

Matthias Wissmann — Wir haben vor der Wahl deutlich gesagt, daß wir endlich ein klares Wort zur friedlichen Nutzung der zum Jahrhundertvertrag stehen. Wir sagen es nach Kernkraft sprechen, der Wahl genauso. (Zurufe von der SPD: „Nein"!) (Zuruf von der SPD: Steuer-Lüge!) daß Sie Ihren Eiertanz in der Energiepolitik beenden, Wir haben vor der Wahl gesagt, daß nach 1995 eine daß Sie endlich bereit sind zu sagen, was Sie sich Anpassungsregelung kommen muß, und wir sagen es unter einem Konsens in der Energiepolitik vorstellen. nach der Wahl genauso. Das Hüpfen von Ast zu Ast in der Energiepolitik, wie Sie es tun, kann doch kein Gesamtkonzept ersetzen. (Ottmar Schreiner [SPD]: Eiertänzer!) (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Wir haben vor der Wahl klar gesagt, daß es ohne einen Es geht doch nicht darum, daß wir populistisch den Energiemix aus Öl, aus Kohle, aus Kernkraft und re- Menschen sagen, was sie im Moment in der jeweili- generativen Energieträgern nicht geht. Und wir sagen gen Region hören wollen, sondern es geht darum, daß es auch jetzt, wenn es um die Entwicklung eines ener- wir ihnen auch unangenehme Wahrheiten sagen — giepolitischen Gesamtkonzeptes geht. aber nicht, indem wir Zusagen, die wir in der Vergan- (Ottmar Schreiner [SPD]: Was wollen Sie genheit gegeben haben, auflösen, sondern indem wir denn?) für die Zukunft ein Gesamtkonzept entwickeln, das auch in der zweiten Hälfte der 90er Jahre trägt. Kohle, Ich wäre dankbar, wenn innerhalb der sozialdemo- Kernkraft, Öl, regenerative Energieträger — aus die- kratischen Reihen einmal ein klares Wort zu allen Ele- sen Komponenten bauen wir ein Konzept für die menten dieses Energiemixes, also auch zur Kernkraft, zweite Hälfte der 90er Jahre. gesagt würde. (Monika Ganseforth [SPD]: Bloß nicht spa (Beifall bei der CDU/CSU und bei Abgeord ren!) neten der FDP) - Pro Jahr werden von den öffentlichen Haushalten, Sagen Sie etwas dazu, daß auf Dauer zukunftsfähige den Stromverbrauchern, zur Zeit rund 11 Milliarden Regelungen für die Kohle nicht finanzierbar sind, DM aufgebracht, um die Förderung deutscher Stein- ohne den Anteil der Kernkraft an diesem Energiemix kohle dem Weltmarktniveau anzupassen. Während zumindest auf einen absehbaren Zeitraum in der Zu- die Förderung einer Tonne deutscher Steinkohle zur kunft zu gewährleisten. Zeit etwa 270 DM kostet, kann sie auf dem Weltmarkt Meine Damen und Herren, natürlich gibt es unter- für rund 100 DM eingekauft werden. Solche Beträge schiedliche Meinungen. Aber ich bin froh, daß der — darüber sind auch Sie sich im klaren — können auf Kollege Laermann für die FDP-Fraktion heute in sei- Dauer nicht für ein Mengengerüst von derzeit 70 Mil- ner Rede eine Konzeption dargestellt hat, die auch in lionen Tonnen Steinkohleeinheiten pro Jahr ausgege- unserer Fraktion Zustimmung findet. ben werden. (Dr. Ulrich Briefs [PDS/Linke Liste]: Der hat doch nichts gesagt! — Gegenruf. des Abg. Vizepräsidentin Renate Schmidt: Kollege Wiss- Dr.-Ing. Karl-Hans Laermann [FDP]: Mehr mann, kommen Sie bitte zum Ende. als Sie!) Wir bauen jetzt gemeinsam an einem energiepoliti- Matthias Wissmann (CDU/CSU): Das Konzept, das schen Konzept für die Zukunft, in dem die Rolle der wir jetzt entwickeln müssen, muß dem Vertrauen ge- deutschen Steinkohle nach 1995 neu definiert werden recht werden, das die Bergleute in uns investieren. Es muß. muß gleichzeitig ein wirtschaftlich tragfähiges Zu- Aber es ist doch ganz klar: Wir werden in diesem kunftsmodell werden. Ich bin zuversichtlich, daß die schwierigen Umstrukturierungsprozeß die Bergleute Koalition in der Lage sein wird, ein solches Gesamt- nicht alleine lassen. Wir werden nicht von gegebenen konzept zu entwickeln. Zusagen abgehen. Wir werden für die Anpassung (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — nach 1995 flankierende regionalpolitische und sozial- Detlev von Larcher [SPD]: In Sie investiert politische Maßnahmen beschließen. Darauf kann sich keiner mehr Vertrauen!) jeder verlassen.

(Detlev von Larcher [SPD]: Das haben wir Vizepräsidentin Renate Schmidt: Als nächstes hat schon einmal gehört!) der Kollege Paul Friedhoff das Wort. Dies ist auch Teil unserer Koalitionsvereinbarungen. (Ottmar Schreiner [SPD]: Im Lügen hat die Paul Friedhoff (FDP): Frau Präsidentin! Meine sehr Koalition beste Erfahrungen!) verehrten Damen und Herren! In der Energiepolitik Meine Damen und Herren von der SPD, es wäre sind neue Konzepte notwendig; Lösungen, die Phan- langsam einmal an der Zeit, die Widersprüche in den tasie und Sachverstand erfordern, sind gefragt. Es darf eigenen Reihen zu klären. nicht wahr sein, daß Denkanstöße zum Subventions- abbau vor der deutschen Steinkohle halt machen (Harald B. Schäfer [Offenburg] [SPD]: Wel müssen und mit Totschlagargumenten wie „Kohle che Widersprüche?) lüge" oder „Kahlschlagpolitik" diffamiert werden. Es ist an der Zeit, daß Sie klarmachen, wie Ihre Posi (Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten tion zur Kohle außerhalb der Reviergebiete ist, daß Sie der CDU/CSU) 1768 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 25. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 14. Mai 1991

Paul Friedhoff Verantwortliche Politik darf diesen Wirtschaftszweig Lassen sie mich nun zur Versorgungssicherheit nicht ausklammern, wenn hier ca. 130 000 Arbeits- kommen. Es ist kein Geheimnis, daß auf dem Welt- plätze, markt auch in absehbarer Zukunft genug Steinkohle (Zuruf von der SPD: Vertrag!) verfügbar ist. Dies wird von niemandem ernsthaft be- stritten. Mit der Vereinigung Deutschlands stehen zu- von denen jeder jährlich mit 75 000 DM subventio- sätzlich große Braunkohlenvorräte zur Verfügung. niert wird, betroffen sind. Die bisher über 120 Milliar- den DM Subventionen, die in die Steinkohle geflossen In dem größer werdenden Europa, zu dem nun auch sind, haben nicht etwa zur Schaffung neuer Arbeits- die Steinkohlenreviere in Polen und der CSFR gehö- plätze beigetragen, sondern sind eher konsumiert ren, läßt sich die Versorgung der Bundesrepublik mit worden. Dies ist in der Geschichte .der Bundesrepu- Kohle auch bei erheblich verminderter Förderung von blik Deutschland beispiellos. Steinkohle an Ruhr und Saar sicherstellen. Ich könnte mir beispielsweise ein sehr hilfreiches Engagement (Beifall bei Abgeordneten der FDP und der der deutschen Steinkohleindustrie in diesen Ländern CDU/CSU) vorstellen. Deutsches bergmännisches Know-how Der Strukturwandel in den 60er Jahren und schon und Kapital wären für die Volkswirtschaft Polens und in den 50er Jahren im Eisenerzbergbau vollzog sich der CSFR wertvoll. Gleichzeitig würde langfristig die ebenso wie der Wandel in der Textilindustrie in den Versorgung Deutschlands mit Steinkohle aus europäi- 70er Jahren ohne dauerhafte staatliche Eingriffe und schen Nachbarstaaten gesichert. ohne nenneswerte öffentliche Unterstützungspro- Die immer wieder angeführten Probleme der deut- gramme. schen Bergbauzulieferindustrie ließen sich auf diese (Hans-Eberhard Urbaniak [SPD]: Denken Weise zumindest zum Teil ebenfalls lösen. Sie mal an die Ölkrisen!) Lassen Sie mich zum Abschluß nochmals betonen, daß die Diskussion über den Abbau der künftigen In den deutschen Steinkohlerevieren wurde der er- Subventionen für die deutsche Steinkohle so schnell folgreiche Strukturwandel durch die staatliche Ali- - wie möglich und nicht erst 1995 geführt werden muß. mentation verhindert Nach den vielen Belastungen der deutschen Volks- (Beifall bei Abgeordneten der FDP) wirtschaft im Zusammenhang mit der Vereinigung und mit der Versorgungssicherheit begründet. müssen wir mit dem verstärkten Subventionsabbau soweit wie möglich für Entlastungen sorgen und so die (Zurufe von der FDP: Sehr gut!) Kapazitäten schaffen, um die Herausforderungen der Das dem Kohlebergbau vorgegebene Mengengerüst Zukunft bewältigen zu können. — bis 1995 müssen die Stromversorger jährlich Ich danke Ihnen. 40,9 Millionen t Steinkohle abnehmen — hat das be- (Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten triebswirtschaftliche Denken in den Bergbauunter- der CDU/CSU) nehmen nicht gerade gefördert.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP — Hans Vizepräsidentin Renate Schmidt: Das Wort hat Frau Eberhard Urbaniak [SPD]: Unerhört, was Sie Kollegin Jutta Müller. da sagen!)

Für mich ist daher allenfalls ein Mengengerüst mit Jutta Müller (SPD) : Frau Präsidentin! Meine Damen einer deutlich niedrigeren Preisvorgabe denkbar. Es und Herren! Sie werden verstehen, daß ich gerade als dürften nur die kostengünstigsten Standorte, die in saarländische Bundestagsabgeordnete heute ganz der Nähe der internationalen Wettbewerbsfähigkeit besonders betroffen bin, daß wir hier in einer Aktuel- sein könnten, erhalten werden. Diese Wettbewerbsfä- len Stunde die Äußerungen von Bundeswirtschaftsmi- higkeit ist nur mit der Aufgabe auch liebgewordener nister Möllemann zum Optimierungsmodell des deut- Privilegien im deutschen Steinkohlenbergbau zu er- schen Steinkohlebergbaus und zum Jahrhundertver- reichen. trag diskutieren müssen. Ich habe nämlich wie viele Im folgenden möchte ich mich kurz auf zwei weitere andere Menschen in den Bergbaurevieren im August Gesichtspunkte konzentrieren: den Abbau von Ar- 1989 dem Bundeskanzler geglaubt, als er uns entspre- beitsplätzen und die Versorgungssicherheit. chende Zusagen machte. Heute muß ich feststellen, daß dies ein Fehler war und daß, wie das heute schon Für das Jahr 1991 erwarten wir in den alten Bundes- öfter gesagt wurde, der nächste Wortbruch ins Haus ländern die Schaffung von ca. 550 000 neuen Arbeits- steht. plätzen. Gleichzeitig beklagen wir einen nicht uner- heblichen Facharbeitermangel. Im Bergbau sind ca. Ein lebensfähiger und leistungsfähiger Steinkohle- 130 000 hochqualifizierte Arbeitnehmer beschäftigt. bergbau ist für die Versorgungssicherheit unseres Diese könnten zum überwiegenden Teil auch in ande- Landes unverzichtbar. Die Antikohlepolitik der Bun- ren Wirtschaftszweigen tätig werden. desregierung führt zwangsläufig in eine energiepoli- tische Sackgasse. Während die Versorgungssicher- Die Zahlen machen deutlich, daß bei etwas gutem heit durch die heimische Steinkohle aufs Spiel gesetzt Willen und jener Flexibilität, die wir pausenlos in den wird, ist ein störanfälliges Industrieland wie die Bun- neuen Bundesländern fordern, das Problem der Ar- desrepublik demnächst von zwei Energieträgern ab- beitsplätze in den westdeutschen Bergbaurevieren so- hängig, die beide unzuverlässig und gefährlich sind. zialverträglich gelöst werden kann. Das Öl erhalten wir von einer Gruppe politisch insta- (Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten biler Staaten, die auch nach dem Ende des Golfkrie- der CDU/CSU) ges keine Versorgungssicherheit gewährleisten kön-

Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 25. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 14. Mai 1991 1769

Jutta Müller nen. Der Atomstrom birgt dagegen Risiken, die auch tät einer Politik bezeichnen, es sei denn, man redu- ein Minister für Reaktorsicherheit nicht verantworten ziert es auf die Aussage: Die Kontinuität der Politik kann. des Bundeswirtschaftsministers besteht da rin, konti- nuierlich Chaos zu verbreiten. (Beifall bei der SPD und des Abg. Dr. Ulrich Briefs [PDS/Linke Liste]) (Beifall bei der SPD und des Abg. Dr. Ul rich Briefs [PDS/Linke Liste]) Ich denke, man kann deshalb das Kohleproblem nicht auf ein bloßes Mengen- oder Subventionspro- Lassen Sie mich zum Schluß als Saarländerin auch blem verkürzen. Jeder, der sich schon einmal mit noch ein Wort an das Kabinettsmitglied Bundesum- Bergbau beschäftigt hat, weiß, daß die Bergbauunter- weltminister Töpfer richten, der leider heute hier nicht nehmen Planungssicherheit brauchen und daß sie mit anwesend ist. Das zeigt auch schon einiges. langfristigen Vorgaben arbeiten müssen. Das bedeu- (Ulrich Irmer [FDP]: Dafür sind Sie ja da!) tet, daß in der Politik klare, berechenbare Vorstellun- gen über die Energiepolitik eines Landes vorhanden Ich möchte Herrn Töpfer mal daran erinnern, daß er sein müssen. Es ist aber keine klare berechenbare als Abgeordneter einen Wahlkreis vertritt, in dem die Politik, wenn vier Jahre vor Auslaufen des Stromver- meisten Menschen vom Bergbau leben. trages der Wirtschaftsminister die ganze Branche (Beifall bei der SPD — Dr. Werner Hoyer durch immer schärfere Forderungen in Unruhe ver- [FDP]: Wo sind denn Lafontaine und Rau?) setzt, und genau dies tut er. Diese Menschen haben ein Anrecht darauf, daß auch Zu der Subventionspolitik möchte ich noch ein er ihre Interessen vertritt, und diese Menschen warten Wort sagen. Es wird von den Kohlegegnern oft ver- bis heute auf ein klares Wort und auf seine Unterstüt- schwiegen, daß die Kohlesubventionen, die hier im- zung als Kabinettsmitglied. Ich möchte das hier an mer mit 10 Milliarden DM genannt werden, zum dieser Stelle mal für die saarländische Bevölkerung Großteil von den Stromverbrauchern getragen wer- einklagen. Ich denke, daß die Bergleute an der Saar den. Lediglich 3,8 Milliarden DM kamen bisher- aus und an der Ruhr diese Behandlung, wie sie zur Zeit Bonn. Wenn man nun bedenkt, wie locker die Bundes- erfolgt, nicht verdient haben. regierung 11 Milliarden DM zur Sicherung eines an- Ich danke Ihnen. deren Energieträgers, nämlich für das Öl am Golf- krieg, ausgegeben hat, dann wird deutlich, was die (Beifall bei der SPD) Bundesregierung will, nämlich das Aus für den deut- schen Steinkohlebergbau. (Beifall bei der SPD — Zuruf von der CDU/ Vizepräsidentin Renate Schmidt: Das Wort hat Herr CSU: So etwas Simples!) Kollege Ernst Hinsken. Ich finde, bei aller Diskussion über Mengen, Sub- ventionen und Preise wird das menschliche Schicksal der Bergleute im Saarland und an der Ruhr vergessen. Ernst Hinsken (CDU/CSU) : Frau Präsidentin! Die Menschen im Saarland haben durch die Stahl- Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich meine, krise und durch den Abbau von Zehntausenden von daß gerade bei dieser Debatte Polemik wenig am Platz Bergbauarbeitsplätzen in den vergangenen Jahren ist, und ich verstehe es nicht, Frau Kollegin, wenn Sie schon genug einstecken müssen. Ein weiterer Abbau sich darüber mokieren, daß der Bundesumweltmini- der Kohleindustrie hätte für uns Saarländer katastro- ster, Professor Töpfer, nicht hier ist, der wahrlich an- phale Auswirkungen. Diesmal wären besonders viele deren Terminen nachzugehen hat. Die zwei Minister- junge Familien vom Beschäftigungsabbau betroffen, präsidenten der Revierländer, Johannes Rau und Os- weil die älteren Beschäftigten schon im Rahmen der kar Lafontaine, haben uns dagegen nicht einmal ei- 1987 und 1989 getroffenen Kohlevereinbarungen die nen Vertreter hierher geschickt. Betriebe verlassen haben. Es ist eine Illusion, zu glau- ben, mit Mengenkürzungen seien kurz- oder mittelfri- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) stig Subventionskürzungen zu erreichen. Die Erfah- Dafür fehlt mir das notwendige Verständnis. rung lehrt, Stillegungsmaßnahmen erfordern hohe Anpassungshilfen, die von den Unternehmen nicht Meine Damen und Herren, Kohlepolitik hat die Auf- aufgebracht werden können. Mir scheint, darüber hat gabe, die Gesamtheit aller energiepolitischen Zielset- sich die Bundesregierung noch nicht viele Gedanken zungen unter ökonomischen Aspekten zu realisieren. gemacht. Der in der Bundesrepublik bet riebene Kohleprotek- tionismus belastet den Steuerzahler und den S trom- Es entsteht auch der Eindruck, daß es am politi- verbraucher. Wenn wir das, was im Bereich der Kohle schen Willen fehlt, sich solche Gedanken zu machen, geschieht und zur Diskussion ansteht, mit dem Bei- und daß es am politischen Willen fehlt, dem Bergbau wort Politik versehen, so bedeutet dies auch, daß als durch Modernisierungs- und Rationalisierungsmaß- Bestandteil jeder Neuorientierung auch der Blick auf nahmen eine faire Chance zu geben. Denn hier gibt es die Menschen, die von dieser Politik betroffen wer- auch einige Widersprüche. Einerseits fordert der Bun- den, nicht fehlen darf. deswirtschaftsminister den Steinkohlebergb au auf, Unbestritten: Solide Wirtschaftspolitik — auch für die Förderkosten pro Tonne zu senken, während zur die Zukunft — erfordert, Subventionen des Staates zu gleichen Zeit der Forschungsminister die Entwick- überprüfen und abzubauen. lungsförderung für bergbauspezifische Automatisie- rungsprojekte kürzt. Das kann man nicht als Kontinui (Beifall bei Abgeordneten der FDP) 1770 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 25. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 14. Mai 1991

Ernst Hinsken Dabei muß alles — auch der Jahrhundertvertrag der werbswind des Binnenmarktes allen Ernstes nicht Kohle — auf den Prüfstand. wollen können. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und (Zuruf des Abg. Konrad Gillges [SPD]) der FDP) — Dem Zwischenrufer möchte ich einmal sagen: Wenn er etwas von dem angesprochenen Problem Deshalb pflichte ich Bundeswirtschaftsminister verstände und wenn er qualifizierte Zurufe tätigte, Möllemann bei, wenn er zu einem grundlegenden dann ginge ich darauf ein. So aber muß ich die Zurufe Nachdenken fiber die Kohlepolitik ohne Tabus auf- beiseite lassen, weil sie keiner Antwort wert sind. ruft (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — (Ottmar Schreiner [SPD]: Sagen Sie einmal Harald B. Schäfer [Offenburg] [SPD]: Teu etwas zur bayerischen Landwirtschaft!) fel!) Ich darf bei der Gelegenheit auch darauf verweisen, und den Jahrhundertvertrag, der vor 15 Jahren von daß sich in meinem Wahlkreis ein Betrieb mit 350 Mit- dem damaligen Wirtschaftsminister und jetzigem arbeitern befindet, der sehr gut bezahlt, leider keine FDP-Vorsitzenden, seinem politischen Urgroßvater, Frachthilfe mehr bekommt und keine Zonenrandab- ausgehandelt wurde, zur Disposition stellt. schreibung mehr tätigen kann, aber mit 170 000 DM Allerdings darf nicht das Kind mit dem Bade ausge- jährlich allein über den Kohlepfennig belastet wird. schüttet werden. Ich pflichte deshalb dem baden Das heißt — umgerechnet —, er könnte jedem Mitar- württembergischen Ministerpräsidenten Teufel und beiter jährlich um 500 DM mehr bezahlen, wenn er dem bayerischen Wirtschaftsminister Dr. Lang, mit mit der Last, die er hier zu erbringen hat, nicht kon- letzterem ich heute nachmittag noch telefoniert habe, frontiert wäre. bei, (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und (Beifall und Zurufe von der SPD: Aha!) der FDP — Dr. Ulrich Briefs [PDS/Linke Li - ste]: Das würde er auch tun?) wenn sie feststellen, daß der Vertrag, der 1995 aus- Meine Damen und Herren, ein zweiter Aspekt ist läuft, nicht verlängert werden so ll, Sie aber einen so- von wesentlicher Bedeutung: Die EG-Kommission ist fortigen Ausstieg aus dem Vertrag nicht Rechtens fin- nicht mehr bereit, die Kohlesubventionierung, wie sie den. Jetzt erwarte ich von Ihnen, der Opposition, Bei- in Deutschland betrieben wird, hinzunehmen. Späte- fall. stens 1993, wenn in Brüssel eine neue Beihilfeent- (Harald B. Schäfer [Offenburg] [SPD]: Der scheidung getroffen werden muß, werden wir vor dem Teufel war gerade am Telefon! — Lachen bei Scherbenhaufen einer verfehlten Kohlepolitik stehen, der SPD) wenn wir das Problem nicht endlich mutig und offen- siv angehen. Eine bloße Verschiebung des Problems Meine Damen und Herren, betrachten wir uns die auf der Zeitachse bis 1993 oder 1995 ist kein politi- Fakten der Kohlepolitik. Das immer wieder zitierte sches Konzept. Ein dann drohender abrupter Ausstieg Argument der Versorgungssicherheit hat durch die aus der Kohleförderung mit dem Verlust von Tausen- Verbreiterung der Primärenergieerzeugung und der den von Arbeitsplätzen ist ein Szenario, das schon Bezugsquellen durch den Einsatz der Kernenergie heute durch sozial- und strukturpolitische Flankierun- und nicht zuletzt durch die Schaffung des Binnen- gen verhindert werden muß. marktes an Bedeutung verloren. Die nunmehr im Osten unseres Landes zur Verfügung stehenden lang- Vizepräsidentin Renate Schmidt: Kollege Hinsken, fristig wettbewerbsfähigen Braunkohlereserven sind kommen Sie bitte zum Schluß. ein weiterer Aspekt, die bei der Diskussion über ein neues energiepolitisches Gesamtkonzept nicht außer (CDU/CSU): Herr Bundesminister Acht gelassen werden dürfen. Mit Milliarden wird Ernst Hinsken Möllemann, ich fordere Sie auf, Ihre Vorschläge un- heute eine Kohleförderung subventioniert, die wenig- verzüglich und in einem sozialpolitisch verträglichen stens dreimal so teuer ist wie vergleichbare Import- Rahmen voranzutreiben und die Betroffenen und Ver- kohle. Die Subventionierung eines Arbeitsplatzes im antwortlichen an einen Tisch zu holen, die Gewerk- Steinkohlebergbau ist mit 70 000 DM eine ökonomi- schaften und den Steinkohlebergbau. Alle zusammen sche Fehlleistung ohnegleichen. sind gefordert. (Beifall bei der CDU/CSU) Wir als Politiker werden sicherlich unseren Beitrag dazu leisten, daß eine maßgeschneiderte soziale Abfe- Denn nicht nur der Steuerzahler, sondern auch der derung Platz greift. Stromverbraucher — sei es der Privathaushalt oder sei es die Industrie — werden durch den Kohlepfennig Ich bedanke mich. belastet. Nimmt man zum Kohlepfennig die Eigen- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) belastungen der Energieversorgungsunternehmen hinzu, so verteuert die Kohle den Strom um bis zu zwei Vizepräsidentin Renate Schmidt: Das Wort hat der Pfennig pro Kilowattstunde. Bundesminister für Wirtschaft, Jürgen Möllemann. Dies geht zu Lasten der betroffenen Stromabneh- mer, die ihre Kosten über den Verkaufspreis ihrer Pro- Jürgen W. Möllemann, Bundesminister für Wirt- dukte wieder einspielen müssen. Die deutsche Wirt- schaft: Frau Präsidentin! Meine Kolleginnen und Kol- schaft sieht sich hier einem Wettbewerbsnachteil aus- legen! Ich möchte gern mit der nachdenklichen und gesetzt, den wir im Hinblick auf den rauhen Wettbe rationalen Art, mit der der Kollege Friedhoff das Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 25. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 14. Mai 1991 1771

Jürgen W. Möllemann Thema hier behandelt hat, ein paar Bemerkungen mische Energieträger. Diese Rolle hat die Braunkohle zum Gegenstand der heutigen Debatte machen und in Ost und West übernommen. Dies kann nicht ohne zunächst einmal die Tatsachen beschreiben. Auswirkungen auf die Rolle der heimischen Energie- quellen für die Versorgungssicherheit bleiben. Wenn Tatsache ist, daß die Koalitionsvereinbarung und die Braunkohle in den neuen Bundesländern den aus die Regierungserklärung zu Beginn der Legislaturpe- ökologischen und ökonomischen Gründen unver- riode festgelegt haben, daß Steinkohle und Braun- meidlichen Anpassungsprozeß hinter sich haben kohle auch im vereinten Deutschland zu einer siche- wird, wird sie ebenso ein wettbewerbsfähiger Ener- ren Energieversorgung beitragen müssen, allerdings gieträger sein wie die rheinische Braunkohle. Die auf einem niedrigeren Niveau als bisher. Ich stehe voll deutsche Steinkohle hingegen ist und wird auch in zu dieser politischen Linie und nehme sie ernst, aller- Zukunft aus vielerlei Gründen nicht wettbewerbsfä- dings auch in bezug auf den letzten Absatz. hig sein. Dies hat das Optimierungsmodell des Stein- Dabei bitte ich um Verständnis, daß es heute ange- kohlenbergbaus erneut gezeigt. Die Preisdifferenz sichts der Tatsache, daß die Gespräche mit den in der zwischen deutscher Steinkohle und Importkohle be- Energiepolitik Tätigen, von ihr Betroffenen, an ihr trägt pro Tonne heute 180 DM. Den Differenzbetrag Beteiligten erst kürzlich begonnen haben, noch nicht zahlen Verbraucher und Steuerzahler. möglich ist, mengenmäßig im Blick auf die künftige Zweitens. Der Aufbau in den neuen Bundesländern Tonnenzahl zu konkretisieren, wo dieses niedrigere fordert die öffentlichen Finanzen weit stärker, als zu- Niveau angesiedelt sein wird. nächst erwartet. Hinzu kommen zusätzliche notwen- Ich habe mir vorgenommen — das ist ebenfalls Ge- dige Hilfe für Osteuropa, zusätzliche Herausforderun- genstand der Regierungserklärung — , im Herbst ein gen in der Familienpolitik, um nur einige Bereiche zu energiepolitisches Gesamtkonzept vorzulegen, zu nennen. dessen wichtigsten Eckpunkten neben der Integration Ich halte deshalb aus Wirtschafts- und finanzpoliti- der neuen Bundesländer in den gesamtdeutschen schen Gründen und auch im Blick auf die beschlosse- Energiemarkt, neben den Fragen des Klimaschutzes- nen Steuererhöhungen einen gleichzeitigen nachhal- und der Kernenergie vor allem die Kohlepolitik ge- tigen Subventionsabbau für unabdingbar. hört. Mir geht es um einen möglichst breiten energie- politischen Konsens über den künftigen Energiemix, (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten und das setzt die Diskussion mit allen Beteiligten vor- des Bündnisses 90/GRÜNE) aus, in einer parlamentarischen Demokratie auch eine öffentliche Diskussion über die sich wandelnden Eck- Die Koalition hat in den gleichen Beschlüssen, die ich punkte. hier schon mehrfach zitiert habe, festgelegt, daß be- ginnend mit dem Jahr 1992 10 Milliarden DM pro Jahr Das praktizieren wir übrigens. Ich denke, die So- an Subventionen abgebaut werden sollen. Davon zialdemokratische Partei führt solche Diskussionen kann die Kohle nicht ausgenommen werden. Sie stellt über streitige Themen dieser Art auch öffentlich. Ich den größten Posten in meinem Haushalt dar. Ich kann halte es für absurd zu glauben, man könnte dieses nicht von anderen Ressorts Subventionsabbau verlan- Thema im verschlossenen Kämmerchen behandeln gen, ohne dazu im eigenen Bereich bereit zu sein. Der und am Ende den überraschten Betroffenen das Er- für die Jahre 1992 bis 1994 vorgesehene Plafond für gebnis mitteilen. Das ist nicht mein Verständnis von die Kokskohlenbeihilfe wird also enger werden. Ich Demokratie. verstehe auch, Herr Kollege, die Überraschung dar- über nicht. Der Bundeshaushaltsentwurf 1991 weist (Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten dies bereits ausdrücklich aus. Er liegt Ihnen zur Bera- der CDU/CSU) tung vor, dort steht dies in der mittelfristigen Finanz- Die entsprechenden politischen Gespräche mit den planung, vom Kabinett einstimmig beschlossen. Man Ministerpräsidenten der Kohleländer, mit den zustän- braucht nur nachzusehen. Inwieweit sich dies auf die digen Fachministern in den Ländern, mit den Spitzen Mengen auswirkt, wird auch davon abhängen, wie auch der Parteien sind aufgenommen worden. Ich der Bergbau die Kosten in den Griff bekommt. werde sie fortführen und bin gespannt zu sehen, wel- Ich will nicht verhehlen, daß ein weiterer Abbau che Bereitschaft zur Rationalität sich bei den verschie- von Arbeitsplätzen auch im westdeutschen Bergbau denen Beteiligten zeigt. Das ist für mich als Liberalen unvermeidbar ist. Darüber bin ich mir im übrigen mit für die Zukunft über den Bereich der Energiepolitik den Landesregierungen der Kohleländer auch einig. hinaus von Bedeutung. Gestern habe ich mit Herrn Minister Einert darüber Das Denken in diesen Fragen lasse ich mir im übri- gesprochen. Dies hat auch der Vorsitzende der IG gen von niemandem verbieten. Ich würde mich Bergbau und Energie in seiner Rede auf dem Kongreß freuen, wenn sich möglichst viele dieser Anstrengung deutlich erklärt. unterzögen, bevor sie sich mit Totschlagargumenten, Das wird im Rahmen regionaler und sozialer Flan- wie sie zum Teil auch hier wieder gekommen sind, zu kierung geschehen. Wir können aber nicht bei der Wort melden. Braunkohle in den neuen Bundesländern in einem Folgende Fakten liegen auf dem Tisch. Erstens. Die sehr viel schwierigeren sozialen Umfeld massiven Be- Grundlinien der bisherigen Kohlepolitik wurden vor schäftigungsrückgang verlangen — dieser wird sich der deutschen Einheit formuliert. Es kann nicht be- innerhalb von drei Jahren um die Hälfte vollziehen —, stritten werden, daß die Rolle der Steinkohle im Ener- im westdeutschen Steinkohlenbergbau aber daran giemarkt des vereinten Deutschlands abgenommen festhalten, daß kein Bergmann in den Arbeitsmarkt hat. Die Steinkohle ist nicht mehr der wichtigste hei entlassen wird. Bei einem Durchschnittsalter von 1772 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 25. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 14. Mai 1991

Jürgen W. Möllemann 35 Jahren wäre die Vorstellung, hier mit Ruhestands- der EG-Kommission über eine vernünftige Menge ei- regelungen zu arbeiten, auch einigermaßen absurd. nen Konsens zu erzielen. Ein derartiger Unterschied der sozialpolitischen Maß- Meine Damen und Herren, dies als Schlußbemer- stäbe ist im vereinten Deutschland nicht vertretbar. kung: Hier ist moniert worden, daß ich nach jetzt (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten knapp 100 Tagen Amtszeit nicht die Fortschreibung der CDU/CSU) für ein endgültiges energiepolitisches Konzept vor- gelegt habe. Sie wissen sehr wohl, daß wir uns in den Im Hinblick auf den Jahrhundertvertrag bis 1995 ersten Wochen meiner Amtszeit sehr energisch und halte ich es für geboten, darauf hinzuweisen, daß die engagiert mit der Frage des Strategiekonzepts Auf- seinerzeit beim Bundeskanzler beschlossenen schwung Ost beschäftigt haben. Sie wissen auch sehr 40,9 Millionen Tonnen pro Jahr nicht eine einseitige wohl, daß es zwingend notwendig ist, in der Frage deutsche Angelegenheit sind, sondern von der EG- eines energiepolitischen Konsenses, wenn man ihn Kommission akzeptiert werden müssen. Das ist keine wirklich ernsthaft anstrebt, mit allen Beteiligten zu Überraschung, sondern allen Beteiligten seit langem sprechen. Es ist aber ganz gewiß nicht so, daß man in bekannt. Die EG-Kommission hält den Vertrag für ein Gespräch über einen Konsens mit einer Position zu grundsätzlich genehmigungsfähig. Sie will ihn aller- gehen hätte, die sozusagen die Übernahme der Posi- dings nicht unverändert hinnehmen. Sie verlangt eine tion der anderen Seite beinhaltete. Das können Sie begrenzte Absenkung der Menge bis 1993. Sie hat ernsthaft nicht so meinen. dem Bergbau mitgeteilt — ich zitiere wörtlich aus dem Im übrigen, meine sehr verehrten Kolleginnen und Schreiben der EG-Kommission— : Kollegen, bitte ich Sie herzlich — — Die Freistellung des Jahrhundertvertrags ist mit der Maßgabe zu gewähren, daß die Bezugsver- Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Herr Bun- pflichtungen für Steinkohle desminister, ich muß Sie leider darauf aufmerksam — der öffentlichen Elektrizitätswirtschaft — machen, daß so die Verlängerung der Debatte ermög- - licht wird. Sie überschreiten die Redezeit. Ich muß Sie so weit reduziert werden, daß sie bis zum 31. De- darauf aufmerksam machen, weil wir ansonsten bei zember 1993 die Jahresbezugsmenge von 30 Mil- der Gesamtdebattenlage in außerordentlich große lionen Tonnen nicht überschreiten. Schwierigkeiten kommen. Die Bezugsverpflichtungen der Elektrizitätswirtschaft sollen also nach Auffassung der EG-Kommission von Jürgen W. Möllemann, Bundesminister für Wirt- 34,4 Millionen Tonnen, die der Gesamtmenge von schaft: Ich danke Ihnen dafür, daß Sie mir die gleiche 40,9 Millionen Tonnen zugrunde liegen, auf 30 Millio- Großzügigkeit angedeihen lassen, wie sie die Präsi- nen Tonnen reduziert werden. dentin zuvor einigen Rednern geboten hat, und Ich werde die Verhandlungen mit der EG-Kommis- komme deswegen zur letzten Bemerkung. sion im Einklang mit der Regierungserklärung des Ich halte es für zweckmäßig, meine Damen und Bundeskanzlers in Kürze aufnehmen. 40,9 Millionen Herren, daß wir ganz nüchtern auf der Grundlage der Tonnen sind dabei die Verhandlungsbasis. Verhand- Fakten über das künftige Konzept diskutieren und lungsgegenstand ist also nicht der Jahrhundertvertrag daß wir jetzt hier nicht den Eindruck erwecken, als als solcher, wohl aber die Fördermenge, die Verstro- gehe es darum, mit Totschlagargumenten Feindbilder mungsmenge, die im Laufe der letzten Jahre schon aus dem Weg zu räumen, die man vorher selbst auf- einmal verändert worden ist, beispielsweise durch die gebaut hat. Verabredung, die hier mehrfach erwähnt worden ist. Vielen Dank. Der Jahrhundertvertrag sah für den jetzigen Zeitraum ursprünglich ja 45 Millionen Tonnen vor, und es kam (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU — dann doch zu einer Reduzierung der Menge. Jetzt Hans-Eberhard Urbaniak [SPD]: Die haben geht es wieder um die Menge. Man soll nicht so tun, Sie doch aufgebaut!) als würde der, der über die Menge redet, den Vertrag als solchen in Frage stellen. Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Das Wort (Vorsitz: Vizpräsident Dieter-Julius Cro hat der Abgeordnete Jung. nenberg) Die Verstromung deutscher Kohle ist aber nicht nur Volker Jung (Düsseldorf) (SPD): Herr Präsident! eine Frage bis 1995. Die Bundesregierung hat nie ei- Meine Damen und Herren! Herr Möllemann, wenn nen Zweifel daran gelassen, daß es auch nach 1995 Sie es wirklich ernst damit meinen, einen neuen ener- eine langfristige Verstromungsregelung geben muß. giepolitischen Konsens zu suchen — ich betone: einen Sie wird Bestandteil energiepolitischen Konzeptes der neuen energiepolitischen Konsens; es kann nicht um Bundesregierung sein. den alten gehen —, dann können Sie diese Suche nicht damit beginnen, daß Sie einen Generalangriff Auch dafür brauchen wir das Plazet aus Brüssel. Ich auf einen Energieträger, nämlich auf die heimische habe den Eindruck, daß die EG-Kommission die Ver- Steinkohle, fahren. stromungsmengen des Jahrhundertvertrages in ei- nem engen Sachzusammenhang mit der Kohlever- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten stromung ab 1996 sieht. Hier dürfen wir nicht zu kurz der PDS/Linke Liste) denken. Die Steinkohle braucht in der Tat eine lang- Damit verbauen Sie sämtliche Konsensmöglichkeiten fristige Perspektive. Unser Hauptziel muß es sein, mit für die Zukunft. Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 25. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 14. Mai 1991 1773

Volker Jung (Düsseldorf) Es muß noch einmal eindringlich daran erinnert Versuch gemacht, die Bergleute im Braunkohlentage- werden, daß der Bundeskanzler im August 1989 den bau in Ostdeutschland gegen ihre Kollegen im Stein- Ministerpräsidenten der Bergbauländer zugesagt hat, kohlenbergbau in Westdeutschland auszuspielen. das Mengengerüst der Kohleverstromung bis 1995 zu (Hans-Eberhard Urbaniak [SPD]: Ein schnö gewährleisten. Um dieses Thema geht es, nicht um die Anschlußregelung. der Akt!) Der jüngste Kongreß der IG Bergbau und Energie hat (Beifall bei Abgeordneten der SPD) gezeigt, daß dies nicht gelingen wird. Wegen der Zur Anschlußregelung hat mein Kollege Schäfer er- Transportkosten wird nämlich keine einzige Tonne klärt, daß wir über die Modalitäten zu sprechen bereit heimischer Steinkohle nach Ostdeutschland transpor- sind. Auf der Grundlage des geltenden Jahrhundert- tiert und keine einzige Tonne Braunkohle nach West- vertrages haben die Bergbauländer einen Teil der deutschland. Beide Energieträger werden in der Nähe Finanzierungslasten aus dem Ausgleichsfonds in ihre ihrer Förderung verstromt. Das hat gute Gründe, und Haushalte übernommen. Auf dieser Grundlage wurde das soll auch so bleiben. auch die Mikat-Kommission eingesetzt, die die Drittens. Besonders verwerflich ist das Argument: Grundzüge einer Anschlußregelung für den gelten- Weil im ostdeutschen Braunkohlentagebau Zehn- den Jahrhundertvertrag erarbeitet hat. Auf dieser tausende von Arbeitsplätzen wegfallen würden, dürfe Grundlage hat der Steinkohlenbergbau, der die An- man sich nicht darüber beklagen, wenn im westdeut- passung aus der letzten Kohlerunde vom Dezember schen Steinkohlenbergbau einige Leute ins Bergfreie 1987 erst noch verkraften muß, sein Optimierungsmo- fallen. So Originalton Möllemann. dell errechnet, das Möllemann schnöde vom Tisch gefegt hat. (Zuruf von der SPD: Hört! Hört!) Meine Damen und Herren, das heißt doch im Klartext: Was ihm offenbar noch gar nicht aufgefallen ist, ist Je mehr Fehleinschätzungen und Versäumnisse sich der Umstand, daß sich der Zuschußbedarf der Stein- - die Bundesregierung im Osten Deutschlands zuschul- kohleverstromung nach dieser Rechnung um ganze den kommen läßt, desto ungenierter kann sie im We- 3,4 Milliarden DM verringern würde. Das hat zwar mit sten Arbeitsplätze vernichten. dem Bundeshaushalt überhaupt nichts zu tun, denn der Kohlepfennig ist eine Ausgleichsabgabe inner- (Beifall bei der SPD) halb der Elektrizitätswirtschaft. Insofern ist das Argu- Das heißt, den Zynismus auf die Spitze zu treiben. Das ment völliger Unfug, daß man mit einer Reduzierung werden die Bergleute nicht mitmachen. der Steinkohleverstromung Subventionen einsparen könnte. (Zuruf von der SPD: Auch nicht mit Herrn Möllemann!) Was ihm auch nicht aufgefallen ist, ist der Umstand, daß jede weitere Förderreduzierung den Staatshaus- Dafür haben wir Sozialdemokraten volles Verständ- halt zusätzlich belasten würde, nis. Meine Damen und Herren, Sie weisen darauf hin, (Hans-Eberhard Urbaniak [SPD]: In Milliar daß die Europäische Kommission den Kohlepfennig denhöhe!) ab 1993 nur noch genehmigen will, wenn das Men- und zwar in Form von Stillegungskosten, Sozialplan- gengerüst abermals drastisch gekürzt wird. Ich weise kosten, Kosten für Arbeitslosenunterstützung usw. darauf hin, daß Sie es waren, die die Klage vor dem Diese Kosten tauchen zwar nicht in seinem Etat auf, Europäischen Gerichtshof haben ruhen lassen, um mit belasten aber gleichwohl die Allgemeinheit. Das Brüssel eine Verhandlungslösung zu suchen. Wie man sollte der Wirtschaftsminister eigentlich wissen. aus Brüssel hört, ist die Kommission auch dazu bereit. Aber Sie haben überhaupt noch kein Verhandlungs- (Beifall bei der SPD) konzept. Damit wird doch das alte Spiel über die Wenn Herr Möllemann heute geltend macht, daß Bande fortgesetzt, das wir von Ihren Vorgängern zur die Zusage des Bundeskanzlers vor der deutschen Genüge kennen. Einigung gegeben wurde, dann ignoriert er schlicht (Zuruf von der SPD: So ist es!) die Tatsachen. Dazu ist zu sagen: Wenn es Ihnen wirklich um einen neuen energiepo- Erstens. Die Zusage des Bundeskanzlers wurde litischen Konsens geht, Herr Möllemann, dann neh- nach der deutschen Einigung mehrfach bestätigt, zu- men Sie doch endlich ernsthafte Gespräche mit allen letzt in der Regierungserklärung vom Januar 1991, zu Beteiligten und auch mit uns auf, und formulieren Sie einem Zeitpunkt also, als Möllemann der Bundesre- keine Ausgangspositionen, die jede Konsensmöglich- gierung schon als verantwortlicher Minister ange- keit verbauen. Sonst werden Sie an einer Ihrer vor- hörte. Das heißt: Ihn intressiert nicht nur sein Ge- dringlichsten Aufgaben, nämlich Planungs- und Inve- schwätz von gestern nicht, sondern er straft auch sei- stitionssicherheit in der Energiewirtschaft zu schaffen, nen eigenen Regierungschef Lügen. Deshalb sagen hoffnungslos scheitern. wir: Darum muß der Bundeskanzler seinen Wirt- (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten schaftsminister zur Ordnung rufen. der PDS/Linke Liste) (Beifall bei der SPD) Zweitens. Die Verstromung heimischer Steinkohle hat mit der deutschen Einigung eigentlich überhaupt Vizepräsident Dieter -Julius Cronenberg: Das Wort nichts zu tun. Hier wird doch nur der durchsichtige hat der Abgeordnete Ganz. 1774 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 25. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 14. Mai 1991

Johannes Ganz (St. Wendel) (CDU/CSU): Herr Prä- Dies alles wird nicht mit einer Grätschaktion zu sident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! machen sein. Es wird aber auch nicht ohne Konsens- Herr Bundeswirtschaftsminister, Sie sehen es mir bitte bereitschaft auf allen Seiten zu machen sein. Das sage nach — ich bin sicher, Sie tun es —, wenn ich fest- ich insbesondere an die Adresse meiner eigenen Lan- stelle, daß Sie uns und sich selbst diese Aktuelle desregierung: Wer den Bergleuten wider besseres Stunde hätten ersparen können, wenn Ihre Äußerun- Wissen vorgaukelt, daß der nationale Energiebedarf gen in den Interviews der zurückliegenden Zeit so ausschließlich mit heimischer Kohle und regenerati- klar gewesen wären, wie Sie sie heute hier vorgetra- ven Energieträgern sicherzustellen sei, verschweigt gen haben. Dafür bin ich Ihnen eigentlich dankbar. ihnen, daß wir damit insgesamt sowohl im europäi- schen Binnenmarkt als auch international keine wett- Mit diesen Äußerungen — zumindest so, wie sie in bewerbsfähigen Strompreise haben werden, was, den Nachrichten übergekommen sind — haben Sie in wollte man die damit einhergehenden Arbeitsplatz- der Tat den Eindruck erweckt, als wollten Sie den verluste vermeiden, nur über beträchtliche Subven- Jahrhundertvertrag in Gänze vorzeitig kündigen, als tionen — sprich: von uns allen aufzubringende Steu- wollten Sie mit der EG nicht nur über das Mengenge- ern oder Abgaben — kompensiert werden müßte. rüst verhandeln, sondern den Vertrag als Ganzen in Frage stellen. Das hat uns Beschwernis eingebracht, (Beifall des Abg. Dr. Norbert Lammert [CDU/ auch die Beschwernis, daß wir draußen gegenüber CSU] — Ernst Hinsken [CDU/CSU]: So ist den Mitbürgerinnen und Mitbürgern, insbesondere es!) wir im Saarland auch den Bergleuten, Antwort auf die Deshalb ist meine Fraktion entschlossen, auch bei Frage geben müssen: Wie haltet ihr es denn nun da- der fortzuschreibenden Energiepolitik an einem Mix mit? Jeder einzelne von uns ist angesprochen und aus Steinkohle, Braunkohle, Kernenergie, Öl, Gas und betroffen. regenerativen Energien festzuhalten. Dabei muß der Anteil an heimischer Kohle noch definiert werden, Deswegen darf ich feststellen — ich bin sicher, auch wofür die Mikat-Kommission eine gute, und, wie ich für die Mehrheit meiner eigenen Fraktion; ich sage meine, konsensfähige Grundlage bietet. dabei nichts anderes, als ich den Bergleuten an der Saar auch im Wahlkampf gesagt habe — : Hier kann ich dem Ministerpräsidenten des Saar- landes nur raten, sich wieder in Richtung Energiekon- Erstens. Es muß noch einmal daran erinnert werden, sens zu bewegen; daß der bis 1995 geltende Vertrag und dessen Wur- (Beifall bei der CDU/CSU) zeln in die sozialliberale Regierung hineinreichen, daß er auf Drängen des Bundeskanzlers, der Bundes- denn die Arbeitsteilung, wie sie heute existiert, daß in regierung und der sie tragenden Fraktionen fortge- den revierfernen Ländern die Kernkraftwerke stehen schrieben worden ist und daß insofern — zweitens — und die Kohleländer genau dort die Subventionen überhaupt kein Zweifel daran bestehen darf und die — sprich: den Kohlepfennig — einfordern, wird auch CDU/CSU-Fraktion daran auch keinen Zweifel auf- er auf Dauer nicht durchhalten können. kommen läßt, daß dieser Vertrag gilt und auch einge- Herzlichen Dank. halten wird (Beifall bei der CDU/CSU) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Drittens. Die CDU/CSU-Fraktion hat aber auch nie Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Das Wort einen Zweifel daran gelassen, daß im Interesse aller hat der Abgeordnete Klinkert. Beteiligten vor Ablauf der vereinbarten Vertragszeit, d. h. noch vor 1995, Entscheidungen über die An- Ulrich Klinkert (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine schlußregelung getroffen werden müssen. Dabei Damen und Herren! Sie können mir glauben, daß ich weiß jedermann und wissen auch die Bergleute, daß aus eigener Erfahrung sehr genau weiß, was es für es zu weiteren Anpassungsmaßnahmen kommen eine Region und die Menschen, die in dieser Region muß, die schwierig sein werden und die sozial verträg- leben, bedeutet, wenn ein Großbetrieb oder gar ein lich gestaltet werden müssen. Insofern hat der Herr ganzer Industriezweig zusammenbricht. In den Kollege Möllemann an dieser Stelle nichts Neues und Braunkohlegebieten in Mitteldeutschland und in der Spektakuläres, wie vorhin dargestellt worden ist, ge- Lausitz herrschen Existenzangst und Verunsiche- sagt. Neu, meine sehr verehrten Kolleginnen und Kol- rung. Seit der Wende ist die Braunkohlenförderung legen, für uns alle ist dabei auch nicht, daß dies gewal- um ca. 100 Millionen t zurückgegangen. Was das tiger Anstrengungen nicht nur des Bundesministers Schlimmste dabei ist: Den Menschen kann im Mo- für Wirtschaft, sondern von uns allen bedarf. ment keine Prognose gegeben werden. Niemand weiß, wie es weitergeht und wie lange er seinen Ar- Wir werden die geänderte Situation nach der Wie- beitsplatz ganz konkret noch behalten wird. dervereinigung zu berücksichtigen haben. Wir wer- Ich beneide die westdeutsche Steinkohlenindustrie den Regelungen finden müssen, die den EG -Vorstel- lungen standhalten. Es muß ein Ausgleich zwischen und die darin Beschäftigten, aber ich mißgönne es den Interessen der Revierländer und der revierfer- Ihnen nicht, daß sie durch den im Parteienkonsens nen Länder gefunden werden. Die Neuregelung muß geschlossenen Jahrhundertvertrag eine auf Jahre, bis aber auch — ich als Saarländer sage: vor allem — die 1995, gesicherte Existenz haben. Sorgen und Nöte unserer Bergleute berücksichtigen, Zirka 11 Milliarden DM pro Jahr werden aufge- die in schweren Zeiten unsere Energieversorgung wandt, um die Förderung von 70 Millionen t Stein- und damit den wirtschaftlichen Aufschwung und un- kohle zur Zeit zu stützen. Zur Erinnerung: 12 Milliar- ser aller Wohlstand erst möglich gemacht haben. den DM fließen jährlich in den Aufschwung Ost. Aber Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 25. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 14. Mai 1991 1775

Ulrich Klinkert die Menschen, die von der Steinkohle leben, haben a) Beschlußempfehlung und Bericht des Aus- für die Fördergarantie bis 1995 das Wort ihrer frei schusses für Arbeit und Sozialordnung gewählten Bundesregierung, und auf dieses Wort (11. Ausschuß) müssen sie sich verlassen können. — Drucksache 12/496 — Ein Argument allerdings sticht in der Zwischenzeit Berichterstatter: nicht mehr, das damals für den Jahrhundertvertrag Abgeordneter Heinz Schemken mit ausschlaggebend war, nämlich daß die Steinkohle b) Bericht des Haushaltsausschusses (8. Aus- alleiniger Energieträger zur nationalen Energiever- schuß) gemäß § 96 der Geschäftsordnung sorgung sein kann. Ein notwendiger Energiemix für — Drucksache 12/569 — die Zeit nach 1995 muß umgehend erarbeitet werden, weil er wichtige Zeichen für längerdauernde notwen- Berichterstatter: dige Investitionen auch im Osten setzen wird. Abgeordnete Dr. Nils Diederich (Berlin) Dr. Klaus-Dieter Uelhoff Es muß ein Kompromiß gefunden werden, der aus Ina Albowitz volkswirtschaftlichen und sozialen Gesichtspunkten alle Energieträger berücksichtigt und Raum für alter- (Erste Beratung 15. und 24. Sitzung) native Energien läßt. Die Industrie braucht Milliar- Dazu liegt ein Entschließungsantrag der SPD-Frak- deninvestitionen, um die Energieerzeugung in den tion vor. Der Ältestenrat schlägt Ihnen eine Debatten- neuen Bundesländern auf ein modernes ökologisches zeit von 30 Minuten vor. Ist das Haus damit einver- Niveau zu heben. Dafür ist ein verläßliches Energie- standen? — Das ist offensichtlich der Fall. konzept möglichst aller Parteien notwendig, unter Be- Dann kann ich die Debatte eröffnen und dem Abge- rücksichtigung z. B. auch der vorgesehenen CO2-Re- ordneten Schemken das Wort erteilen. duzierung. Es kann aber nicht sein, daß traditionsreiche Ener- - gieerzeuger und Kohleförderer wie die in den neuen Heinz Schemken (CDU/CSU) : Herr Präsident! Bundesländern nun auch auf diesem Gebiet vorrangig Meine Kolleginnen und Kollegen! Wir befinden uns in zu Konsumenten werden. einer der schwierigsten Phasen des Umbaus von der Planwirtschaft zur Sozialen Marktwirtschaft in den Als Politiker sind wir aufgefordert, Sorge zu tragen, neuen Bundesländern. Die Einheit kann allerdings daß den Menschen in den neuen Ländern in der Koh- auf Sicht keine soziale Ungleichheit vertragen. leförderung — aber nicht nur dort — eine Chance ge- geben wird, nicht nur Konsumenten, also Nehmende, Wir wissen aber auch, daß das Erbe des verheeren- zu sein, sondern auch Produzenten, Gebende. den Arbeitsmarktes die größte „Soziale Altlast" ist, die uns der Arbeiter- und Bauernstaat der SED hinter- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) lassen hat. Man kann dieses Erbe nicht von heute auf Am Beispiel der westdeutschen Steinkohle kann morgen verbessern. man vielleicht die Brisanz der Lage in den neuen Bun- Die Menschen in den neuen Bundesländern setzen desländern im Zusammenhang mit der Kohle und die Hoffnung auf uns alle. Während in den alten Bun- Energie nachvollziehen. Es ist hier die Zahl von 5 000 desländern die Arbeitslosigkeit auf 5 % absank, stieg abzubauenden Arbeitsplätzen in der westdeutschen sie in den fünf neuen Bundesländern und Berlin im Steinkohle pro Jahr genannt worden. In den neuen Berichtszeitraum April auf 10 % an. Hinzu kommt, daß Bundesländern sind 5 000 abzubauende Arbeitsplätze der Ostmarkt und der Handel mit den RGW-Ländern mitunter eine Tagesspitzenmeldung. völlig eingebrochen sind. Viele Betriebe waren bis zu Ein vernünftiger Konsens und diese Chance in den 80 % vom RGW-Markt abhängig. Wir bewegen uns neuen Ländern könnte helfen, den Menschen ihre deshalb auf eine dramatische Entwicklung des Ar- Würde zurückzugeben und den Leitsatz der friedli- beitsmarktes im Beitrittsgebiet zu. Dies erfüllt uns mit chen Revolution: Wir sind ein Volk! erlebbarer zu großer Sorge. machen. Deshalb muß das Instrument des Arbeitsförde- rungsgesetzes noch stärker eingesetzt werden. Daher Vielen Dank. ist die konsequente und schnelle Entscheidung die (Beifall bei der CDU/CSU und bei Abgeord dieser Gesetzentwurf von uns fordert, vonnöten. neten der FDP) Wir werden nicht nur das Kurzarbeitergeld und damit auch die Regelung für Kurzarbeiter bis zum 31. Dezember dieses Jahres verlängern, sondern auch den Anspruch auf Altersübergangsgeld im Rahmen des Vorruhestandes für die 55- und 56jährigen Ar- Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Damit sind wir am Ende der Aktuellen Stunde. beitslosen einführen. Dies sind weitere flankierende Maßnahmen zur Abfederung der schwierigen Lage Ich rufe den Tagesordnungspunkt 7 auf: der Menschen in den fünf neuen Bundesländern. Eine deutliche Erhöhung der Zahl von Arbeitsbe- Zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines schaffungsmaßnahmen kommt insbesondere kommu- Gesetzes zur Änderung arbeitsförderungs- nalen Projekten und sozialen Einrichtungen zugute. rechtlicher und anderer sozialrechtlicher Vor- Wir schaffen damit auch die strukturellen Vorausset- schriften (AFG u. a. ÄndG) zungen für die Schaffung neuer Arbeitsplätze in den — Drucksachen 12/222, 12/413, 12/493 — Städten und Gemeinden. Deshalb sind diese AB-Maß- 1776 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 25. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 14. Mai 1991

Heinz Schemken nahmen im Grunde genommen auch Weichenstellun- Wenn wir Punkt 1 nehmen, sollen damit die Mög- gen für neue Arbeitsplätze. lichkeiten geschaffen werden, in den Braunkohlenge- bieten Beschäftigungs- und Qualifizierungsgesell- Das Gemeinschaftswerk Aufschwung Ost garan- schaften zu gründen. Wir sind der Meinung, daß dies tiert eine 100%ige Finanzierung. 280 000 Stellen im möglich ist. Aber wir wollen das nicht dort ausdrück- AB-Bereich bedeuten eine einmalige gewaltige Kraft- lich privilegieren, sondern im Gegenteil: Wir wollen anstrengung, die wir, mit vielen Milliarden DM aus- dieses Thema so behandeln, wie es auch mit den übri- gestattet, für die neuen Bundesländer erbringen. gen Trägerschaften nach dem Arbeitsförderungsge- Hinzu kommen 140 000 Schulentlassene, die setz möglich ist. sicherlich unser besonderes Augehmerk erforderlich Punkt 2 entspricht in seiner Intention im Grunde machen. Denn gerade die jungen Menschen in den genommen dem Gesetzentwurf. Es besteht auf Grund neuen Bundesländern sollen die Soziale Marktwirt- dieser Entschließung überhaupt kein Entscheidungs- schaft und ihre Chancen und Möglichkeiten so erfah bedarf. ren, wie dies auch junge Menschen in den alten Bun- Nun zu den Angehörigen des öffentlichen Dienstes, desländern tun. die in Punkt 3 behandelt werden: Niemand ist daran Hinzu kommen weitere 10 000 Jugendliche, die ih- gehindert, an einer AB-Maßnahme teilzunehmen. Es ren Ausbildungsplatz durch Konkurse verlieren. ist auch nicht so, daß die, die in der „Warteschleife" sind, vor ihrem beruflichen Wiedereinstieg eine Qua- Die CDU/CSU-Fraktion begrüßt deshalb u. a. das lifizierungsmaßnahme absolvieren müßten. Im Ge- Patentschaftsmodell des deutschen Handwerks als genteil: Sie könnten auch so direkt in eine AB-Maß- Angebot an junge Menschen in den betroffenen Re- nahme, falls erforderlich. gionen. Das Angebot sieht so aus, daß die Jugendli- chen ihren Wohnort in den neuen Bundesländern be- halten, daß sie aber in Handwerksbetrieben in den Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Herr Ab- westlichen Ländern ihre Ausbildung absolvieren. geordneter Schemken, Sie wissen aus Ihrer Tätigkeit - als Schriftführer, daß es nicht immer ganz einfach ist, Natürlich brauchen wir auch die überbetriebliche den Redner an die Zeit zu erinnern. Machen Sie es Hilfe für die Jugendlichen, die jetzt durch den Umstel- dem Präsidium nicht allzu schwer. lungsprozeß betroffen sind. Erfreulich ist — wir sollten hier auch einmal positive Heinz Schemken (CDU/CSU): Schönen Dank. Ich Signale setzen — , daß eine hohe Zahl von Frauen, habe das Signal hier übersehen. Es gibt ja kein Vor nämlich über 55 %, an Qualifizierungsmaßnahmen im signal. Beitrittsgebiet teilnehmen. Dies ist sicherlich ein posi- Noch ein Satz: Wir bleiben dabei, daß den 55- und tives Signal. Denn gerade die Ausbildung und die 56jährigen die Chance des Übergangs zum Vorruhe- Qualifizierung sind der Schlüssel zur Verbesserung stand eröffnet werden soll. Wir sind nicht der Mei- der Lage der Arbeitslosen. nung, daß es erforderlich ist, dieses auf weitere Jahr- gänge aus sozialpolitischen Gründen vorzuziehen. Es Bei aller Kritik an der Treuhand und in bezug auf ist in gewisser Weise auch eine Frage der Humanität, das Zögern der Wirtschaft muß festgestellt werden: daß wir nicht auch schon den 50jährigen die Möglich- 1 600 Betriebe sind mit einem Investitionsvolumen keit eröffnen, sich vom Arbeitsmarkt zu lösen. Im Ge- von 55 Milliarden DM schon privatisiert. Weitere genteil: Es gilt, ihnen Hoffnung zu machen, daß sie 300 Unternehmen befinden sich in der Umwand- morgen wieder aus der Arbeitslosigkeit ins Arbeitsle- lung. ben eintreten können. Aber eine der herausragenden und vorrangigen Schönen Dank. Forderungen an die Wirtschaft und an den Handel (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) bleibt, in die neuen Bundesländer nicht nur Produkte und Ausstattungen zu liefern, sondern dort auch zu produzieren. Dies schafft Arbeitsplätze. Nur so wer- Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Nun er- den wir die Weichen für eine gute Zukunft stellen teile ich das Wort der Abgeordneten Frau Renne- können. bach.

Hierzu gehört allerdings auch das gemeinsame soli- Renate Rennebach (SPD): Herr Präsident! Meine darische Miteinander der alten Bundesländer mit den lieben, verehrten Kolleginnen und Kollegen! Was der neuen Bundesländern. Gemeinsam mit der Bundesre- verehrte Vorredner gerade gesagt hat, klingt so wie gierung und den Regierungen der Bundesländer kön- die „unvollendete Humanität". nen wir es schaffen. Das Sammelgesetz über die Änderung arbeitsförde- Wir sollten deshalb diesem Gesetzentwurf unsere rungsrechtlicher und anderer sozialrechtlicher Vor- Zustimmung nicht verweigern. Im Gegenteil! Ich schriften hat einen kurzen, aber kennzeichnenden möchte zur Einlassung der SPD-Fraktion im Entschlie- Leidensweg zurückgelegt. Es wurde zwar noch or- ßungsantrag kommen, der eigentlich im wesentlichen dentlich vorbereitet, anberaten, durch Expertenmei- das umfaßt, was bereits gesetzlich geregelt ist. nungen angereichert, dann aber auf Druck der Regie- rung und der Koalitionsmehrheit im federführenden (Widerspruch bei der SPD — Rudolf Dreßler Ausschuß wie im Schweinsgalopp über die parlamen- [SPD]: Da müßt ihr Euch mal eine Brille kau tarische Bühne gebracht. fen!) Dieses unselig-unsägliche Verfahren habe, so — Der ist obsolet, der ist eigentlich überflüssig. wurde dem Bundestagsneuling Rennebach mit wis- Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 25. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 14. Mai 1991 1777

Renate Rennebach sender Miene bedeutet, Tradition. Irgendwann, ver- dern druckvoll voranzubringen und überall dort, wo ehrte Anwesende, haben Traditionen ausgedient, und sie Einfluß ausüben könnte, Initiativen entwickeln zu zwar alle. helfen. Es kann doch nicht sein, daß in der Bundesre- (Beifall bei der SPD) gierung aus einer Scheuklappenmentalität heraus dieses Potential, dieses großartige Instrument so we- Denn es geht hier nicht um parlamentarische Routine, nige Freunde hat. Oder glaubt man wie vor einem sondern um Regelungen, die über die Lebens- und Jahr, der Aufschwung Ost werde sich, von den Markt- Berufsperspektiven, über Glück und Aufbauwillen kräften inspiriert, automatisch einstellen? Hunderttausender entscheiden können. Dies sollte uns sehr teuer sein, so teuer, daß wir Präzision und Allerdings muß ich nach der heutige Fragestunde, Schnelligkeit miteinander verbinden. Und das ist et- in der gefragt wurde, wie viele Arbeitslose das BMA in was völlig anderes als die Eile der Beratungen. den neuen Ländern 1991 und 1992 erwartet, vermu- ten, daß das Blüm-Ministerium wirklich nach Inspira- (Beifall bei der SPD) tion — sprich : Kaffeesatz — handelt und weniger Das beste Beispiel ist die von der Bundesregierung nach der Wirklichkeit vor Ort. ins Auge gefaßte Übergangsregelung für ältere Ar- (Zuruf von der CDU/CSU: Quatsch!) beitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Angestoßen wurde ein verbesserter Vorruhestand in den neuen — Das ist kein Quatsch. Ländern durch die Sozialdemokraten und — jetzt hö- Die Politik hat große Chancen, in diesem Jahr mit ren Sie genau zu — durch die Bundesvereinigung der dafür zu sorgen, daß sich die Zeichen der Hoffnung Arbeitgeberverbände. Regierung und Koalition muß- und der Änderung in den neuen Ländern rasch meh- ten aus ihrem wohligen Zurücklehnen nach Verab- ren. Nur wollen muß sie das. Daher werden die Sozial- schiedung der Operation „Aufschwung Ost" ausge- demokraten dem Sammelgesetz insgesamt ihre Zu- rechnet auch durch die Arbeitgeber aufgeschreckt stimmung nicht verweigern. werden. Denn genau wie uns brennt es auch- denen auf den Nägeln, daß der Arbeitsmarkt im Osten Deut- (Dr. Gisela Babel [FDP]: Unerhört!) schlands kollabiert. — Sollen wir nein sagen? — Es beinhaltet Minimal- Während sich noch alle Welt wunderte, warum die sätze, die keineswegs zufriedenstellen können. Aber Bundesregierung ausweichend bis ablehnend auf niemand will leugnen, daß durch dieses Gesetz Ver- Vorruhestandsinitiativen reagierte, machte der Bun- schlechterungen auch vermieden werden. Nur, es desarbeitsminister eine Kehrtwendung. bleibt hinter den Möglichkeiten zur Entlastung des Arbeitsmarktes in den neuen Ländern weit zurück. Es (Rudolf Dreßler [SPD]: Leider wahr! — Ott schafft keine wirkliche Perspektive im Prozeß des not- mar Schreiner [SPD]: Darin hat er Übung! — wendigen wirtschaftlichen wie sozialen Wandels. Es Weiterer Zuruf von der SPD: Zickzack läuft ist im Grunde Abklatsch der immer gleichen kleinmü- der immer, der Blüm!) tigen Politik dieser Regierung, den die Westbürger bereits zur Genüge kennen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich finde es nicht tadelnswert, daß der Bundesarbeitsminister eine Notwendig ist eine Vorruhestandsregelung, die Kehrtwendung vornahm. Er hat ja Bundestag wie Öf- eine ganze Reihe von Jahrgängen der Älteren in den fentlichkeit im Laufe der Zeit häufiger mit Schlinger- neuen Bundesländern aus der Angst vor der Arbeits- bewegungen vertraut gemacht. Tadelnswert ist, daß losigkeit befreit, so wie die Sozialdemokraten dies in er sich nur zu einer Minimalregelung durchringen ihrem Ihnen vorliegenden Entschließungsantrag zum konnte, die nur zwei Jahrgänge in eine neue Alters- Ausdruck bringen. übergangsregelung bringt und die zudem so schlecht Notwendig ist darüber hinaus eine Verlängerung ausgestattet ist, daß bestenfalls 50 % eines Jahrgangs der Kurzarbeitergeldregelung, die jene belohnt, die in davon Gebrauch machen würden, wenn sie die die Qualifizierung gehen. Chance der Wahl hätten. Notwendig ist auch, den Beschäftigten des öffentli- Was der Arbeitsminister möchte, ist eine leptosome chen Dienstes der ehemaligen DDR wieder Berufsper- Lösung, die im Schritt ein Altersübergangsgeld von spektiven zu geben und sie wirtschaftlich zu stüt- weniger als 750 DM bedeutet. Ich finde, der Lohn für zen. ein oft sehr hartes, demütigendes Arbeitsleben im ehemaligen sogenannten Arbeiter-und-Bauern-Staat Schließlich ist es dringend erforderlich, die Beschäf- sollte uns mehr wert sein als eine Marge im Pegel der tigungs- und Qualifizierungsgesellschaften zu einem Sozialhilfe. Hebel zu machen, über den sich wirtschaftspolitisch (Zustimmung bei der SPD) etwas bewegen läßt. Von ähnlicher Qualität sind die Bedingungen für All das finden Sie in unserer Entschließung, die ich dringend Ihrer geschätzten Zustimmung empfehlen die Arbeitnehmer, die das Kurzarbeitergeld verlän- möchte. Ich frage mich, warum die Bundesregierung gert bekommen. Sie werden mit Sperrzeiten bestraft, und in ihrem Schlepptau die sie tragende Koalition mit wenn sie Kurzarbeitergeld nicht mit Qualifizierung kombinieren. unseren weitreichenden Vorstellungen so ablehnend umspringen. Ich meine das keineswegs rhetorisch. Außerordentlich bedauerlich ist ferner, daß sich die Welche Blöße gibt sich eine Regierung, wenn sie sagt, Bundesregierung nicht entschließen konnte — jeden- okay, die Opposition hat eine gute Idee — ich meine falls bis heute nicht —, die Idee der Beschäftigungs- den Entschließungsantrag — , sie ist es wert, aufge- und Qualifizierungsgesellschaften in den neuen Län nommen zu werden? 1778 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 25. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 14. Mai 1991

Renate Rennebach Niemand wird doch im ernst glauben, daß das real in größten Krisenzeiten und in den am stärksten be- drohende schreckliche Problem der Arbeitslosigkeit troffenen Problemregionen nicht kannten. im Alter in den neuen Ländern mit der Zuführung von (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) zwei Jahrgängen in eine Übergangsregelung gelöst wird. Warum nun kein attraktives weitergehendes Niemand bestreitet, daß die jetzige Situation im Be- Angebot? Legt sich der Bundesfinanzminister quer? reich der ehemaligen Planwirtschaft DDR diesen Ein- Fehlen ihm wegen des Vorruhestandes dann die Mil- satz erfordert. Die Arbeitsmarktsituation ist ernst, die lionen und Milliarden, die Vermögensteuerzahler ge- Zahlen der Arbeitslosen steigen immer noch weiter schenkt bekommen sollen? an, in den Problemzonen der Industrie sind Zeichen Warum diskutieren wir nicht ganz ernsthaft über die der Besserung bei der Beschäftigung noch nicht in Frage, ob eine neue Vorruhestandsregelung nicht Sicht. auch für Arbeitsmarktproblemregionen des Westens (Zuruf von der SPD: Hört! Hört!) in Betracht kommt? Ist im Westen alles so paletti, daß Die Bundesanstalt für Arbeit steht vor einer Herku- er zurückstehen kann? les-Aufgabe. Sie muß dafür sorgen, daß die Finanz- Viele der Parlamentsneulinge haben gehofft, daß mittel sinnvoll und verantwortlich ausgegeben wer- Diskussionen über das Bündel der Wertvorstellungen, den. Schon jetzt sind die erbrachten Leistungen ein- das uns zusammenbindet, offen und ohne Zeitdruck drucksvoll: Aufbau der Arbeitsämter, Requirieren und und Scheuklappen geführt werden könnte. Schulen von Mitarbeitern, Durchführen der Maßnah- men mit Bildungsträgern, die noch unerfahren sind (Beifall bei der SPD) mit Qualifizierung nach unserem westdeutschen Kolleginnen und Kollegen, die Sozialpolitik allein bie- Standard. Die Steigerung der AB-Maßnahmen von tet ja eine ganze Menge solcher Ansätze. Gehofft 63 000 auf 85 000 bis Mai 1991 zeigt jetzt schon den wurde auch, daß der Bundestag Forum dieser Diskus- Aufwärtstrend. Aber diese Zahlen, meine Damen und sion sein würde, der Bundestag an erster Stelle. Herren, müssen sich verdreifachen, um die Zielgerade Das Sammelgesetz über die Änderung- arbeitsförde- zu erreichen. rungsrechtlicher und anderer sozialrechtlicher Vor- Ich finde es grundsätzlich gut, daß alle Parteien im schriften und das dieses Gesetz leitende Verfahren Ausschuß diesen Gesetzentwurf mittragen, das Volu- haben mich enttäuscht. Dennoch hoffen wir Sozialde- men der Finanzen gutheißen und der Verlängerung mokratinnen und Sozialdemokraten, daß dieses Ge- der Fristen zustimmen. Aber, Frau Rennebach, es ge- setz hilft, einen akuten Notstand in den neuen Län- hört nicht zu den verfassungsmäßigen Pflichten der dern zu mildern. Die Bürgerinnen und Bürger in den Regierung noch der Koalition, die Opposition in allen neuen Ländern setzen Hoffnungen in ihre Abgeord- Punkten glücklich zu machen. neten. Sie sollen Vertrauen gewinnen in unsere par- lamentarische Demokratie. Die Koalition hat sich gna- (Konrad Gilges [SPD]: Sie sollen nicht uns denlos gegen Bundesrat und Opposition durchge- glücklich machen, sondern die Menschen!) setzt. Auch mein Verständnis von parlamentarischer Es kann doch nicht angehen, daß wir z. B. die Kurzar- Demokratie bekommt Sitzungstag für Sitzungstag beitergeldregelung dadurch noch attraktiver machen eine Scheibe abgeschnitten. Und dennoch danke ich wollen, daß wir Qualifizierung belohnen. Es geht für Ihre Aufmerksamkeit. darum, daß wir Anreize zur Flexibilisierung schaffen (Beifall bei der SPD — Julius Louven [CDU/ und daß das, was man in der Anhörung die Nest- CSU]: Und Sie stimmen zu!) wärme der Betriebe genannt hat, aufbricht, um bei allen Beteiligten das Bewußtsein zu wecken und zu fördern, daß man sich um neue Existenzen wirklich

Vizepräsident Dieter -Julius Cronenberg: Nun hat bemühen muß. die Abgeordnete Frau Dr. Babel das Wort. (Beifall bei der FDP — Gerd Andres [SPD]: Für die Abschaffung von Nestwärme sind Sie die Richtigen! Das ist wohl wahr!) Frau Dr. Gisela Babel (FDP): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der zur Schlußabstimmung vor- Insofern bestehen die Unterschiede zur Opposition in liegende Gesetzentwurf zum Arbeitsförderungsge- der Beurteilung, welche Bedeutung arbeitsmarktpoli- setz verlängert die Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen tische Maßnahmen überhaupt haben können. bis 1992, ebenso die Sonderregelungen für das Kurz- In der Anhörung klang es an, und ich wiederhole es arbeitergeld bis 1991, letztere mit der zusätzlichen für die Fraktion der FDP noch einmal von dieser Bedingung der Teilnahme an Qualifizierung. Mit den Stelle: Arbeitsmarktpolitik allein kann keine Arbeits- aufgestockten Mitteln aus dem Gemeinschaftswerk plätze auf Dauer schaffen, meine Damen und Her- Aufschwung Ost sollen 280 000 AB-Maßnahmen ren. durchgeführt werden. Dafür stehen 5,2 Milliarden DM bereit. 7,7 Milliarden DM sind für Fortbildungs- (Gerd Andres [SPD]: Behauptet auch kei und Umschulungsmaßnahmen vorgesehen, womit ner!) etwa 500 000 Qualifizierungsmaßnahmen bis 1991 Der Prozeß der Arbeitsplatzschaffung kann nur durch finanziert werden können. Maßnahmen der Wirtschafts-, der Struktur- und Ver- Meine Damen und Herren, das sind gigantische kehrspolitik und durch Förderung der Investitionen, Zahlen. Damit kommen die klassischen Instrumente durch Einsatz in der Privatwirtschaft gelingen, wenn der Arbeitsmarktpolitik in einem Maße zum Einsatz, das Ziel die gesunde Soziale Marktwirtschaft und wie wir das in der ehemaligen Bundesrepublik selbst nicht die Planwirtschaft ist. Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 25. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 14. Mai 1991 1779

Frau Dr. Gisela Babel Ich erinnere noch einmal an die Anmerkungen des vollen Mitteln ihren Beitrag geleistet. Die FDP stimmt brandenburgischen Kreishandwerkermeisters in der dem Gesetz zu. Anhörung. Er bat dringend darum, daß mit AB-Maß- Vielen Dank. nahmen Baubetrieben und Handwerkern keine Auf- träge weggenommen werden. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Meine Damen und Herren, das ist ein Punkt, auf den Vizepräsident Helmuth Becker: Das Wort hat die wir achten müssen. Er hat sehr anschaulich geschil- Abgeordnete Bläss. dert, wie das Beziehen von Kurzarbeitergeld durchaus fähige Betriebsangehörige gehindert hat, vorzeitig Petra Bläss (PDS/Linke Liste): Herr Präsident! eine neue Stelle anzunehmen. Man wartet ab, bis die Meine Damen und Herren! Wir diskutieren heute Vor- Kurzarbeitergeldregelung ausläuft, hofft noch auf schläge zur Änderung arbeitsförderungs- und anderer eine Prämie wegen Betriebsschließung, um sich dann sozialrechtlicher Vorschriften, wenige Tage nach Ver- eventuell neu zu orientieren. Er hat sein Unverständ- öffentlichung der jüngsten Arbeitslosenzahlen für die nis darüber ausgedrückt, warum das Arbeitsamt die neuen Bundesländer. Daß diese eine dramatische Zu- Arbeitskräfte, die Kurzarbeitergeld beziehen, nicht spitzung der Lage dort sichtbar machen, brauche ich vermittelt. angesichts der Tatsache, daß die Veröffentlichungen Der Engpaß bei der Vergabe der Investitionen sei seit neuestem immer mit dem Kommentar versehen die Bauverwaltung. Für diese könne man durch AB- sind, daß ein Ende der Talfahrt nicht absehbar ist, gar Maßnahmen keine Hilfe schaffen, weil heute schon nicht zu betonen. auf Grund des Tarifgefüges die Verwaltung fähige Wir diskutieren diesen Gesetzentwurf zum Arbeits- Fachleute in neuen Bundesländern nicht mehr förderungsgesetz aber auch wenige Tage, nachdem bekommen können. die sogenannte Deregulierungskommission ihren Be- - richt vorgelegt hat — einen Bericht, dessen Vor- Vizepräsident Helmuth Becker: Frau Dr. Babel, sind schläge darauf abzielen, die gegenwärtige Arbeits- Sie bereit, eine Zwischenfrage zu beantworten? marktordnung zu verändern, und zwar durch grund- legende Angriffe auf die Tarifautonomie und auf Ar- beitnehmer- und Arbeitnehmerinnenschutzrechte. (FDP): Nein, Herr Präsident, ich Dr. Gisela Babel Ich nenne diesen Bericht in diesem Zusammenhang möchte zum Schluß kommen. — Die Kritik eines Prak- deshalb, weil er wie kein anderes Dokument bisher tikers verdient unsere Beachtung und vor allem die deutlich macht, welche Entwicklung für den Arbeits- der Bundesanstalt für Arbeit bei der Durchführung markt, für die abhängig Beschäftigten und vor allem ihrer Maßnahmen. für die Arbeitslosen wirklich vorgesehen sind, jenseits Nun noch eine Bemerkung zum Altersübergangs- der heute zur Debatte stehenden Maßnahmen zum geld. In gemeinsam gebilligten Anträgen wird die Krisenmanagement. Der Bericht beschreibt das Sze- Altersgrenze für Bezieher von Altersübergangsgeld nario, mit dem künftig Unternehmermacht gegenüber von 57 auf 55 Jahre herabgesetzt. Meine Damen und dem Einfluß der Gewerkschaften weiter ausgebaut Herren, ich kann nicht begreifen, warum sich die SPD wird, mit dem gesetzliche und tarifvertragliche Rechte hier nicht befriedigt geäußert hat. Denn ich meine, sie der abhängig Beschäftigten weiterhin reduziert, Er- hat in dieser Frage durchaus auch Anregungen gege- werbstätige und Arbeitslose gegeneinander ausge- ben. spielt werden. (Gerd Andres [SPD]: Sie waren bei der Aus (Zuruf von der CDU/CSU: Unsinn!) schußberatung nicht da, Frau Kollegin!) Vor diesem Hintergrund ist es für mich völlig ein- Jetzt äußert sie sich wieder enttäuscht. Aber ich sichtig, daß die Verlängerung des Kurzarbeitergeldes denke, es ist diese Berufsenttäuschtheit, die Sie als bis zum Jahresende ebenso wie die weitere Auswei- Opposition immer äußern müssen. tung von ABM-Programmen, die heute zur Debatte (Gerd Andres [SPD]: Sie waren bei der Aus stehen, nicht zur Problemlösung beitragen, sondern schußberatung nicht da! Sonst wüßten Sie lediglich dazu taugen, die bevorstehende Katastrophe es!) zu verschleiern, an den Problemen herumzukurieren Nicht nur unter sozialen Aspekten, sondern auch, und deren Lösung im Interesse der betroffenen Men- weil der Arbeitsmarkt entlastet wird, ist diese Maß- schen zu vertagen. Eine Verknüpfung der Verlänge- nahme sinnvoll. Besonders begrüße ich die Tatsache, rung des Kurzarbeitergeldes z. B. mit der Teilnahme daß ein entsprechender neuer Vorschlag jetzt auch für an Qualifikationsmaßnahmen bleibt unseres Erach- Selbständige Anwendung finden kann, die es ihnen tens nicht mehr als eine plumpe Sanktion, wenn die erspart, unter den veränderten marktwirtschaftlichen Möglichkeiten dafür nicht gleichzeitig entschieden Bedingungen noch einmal neu anzufangen. ausgeweitet werden. (Zustimmung bei der CDU/CSU) Darüber hinaus muß den Betroffenen deutlich ge- macht werden, daß Qualifizierung angesichts der Sie waren bis zum 3. Oktober 1990 sozialversiche- strukturellen Entwicklungen in den neuen Bundes- rungspflichtig. Insofern ist es nur allzu gerechtfertigt, ländern die Aussicht auf einen Arbeitsplatz minde- daß man ihnen jetzt die Möglichkeit gibt, Arbeitslo- stens verbessert. Nach unserer Auffassung kann die sengeld und Altersübergangsgeld zu beziehen. Kurzarbeiterinnenregelung dann zum Instrument Meine Damen und Herren, die Arbeitsmarktpolitik wirtschaftsstruktureller Umstellungen werden, wenn hat mit diesem Gesetz und den wirklichen eindrucks sie mit grundlegenden strukturpolitischen Maßnah- 1780 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 25. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 14. Mai 1991

Petra Bläss men verbunden ist. Dabei müssen auch für die Be- Lohn der Anerkennung für ihre Anstrengungen ge- schäftigten Anreize geschaffen werden, sich auf neue bracht werden. Strukturen und wirtschaftspolitische Erfordernisse (Konrad Gilges [SPD] und Ottmar Schreiner einzustellen, statt ihnen Sperrfristen und Geldkürzun- [SPD]: Quatsch!) gen anzudrohen. Fortbildung und Umschulung: Seit Oktober Wir als PDS/Linke Liste werden trotz aller Beden- 297 000; fast 300 000. Wir haben im April in vier Wo- ken nicht gegen den vorliegenden Gesetzentwurf chen — — stimmen, weil wir im Interesse der Menschen in Kurz- arbeit wenigstens bis zum Jahresende ihre materielle (Zuruf des Abg. Konrad Gilges [SPD]) Absicherung gesichert wissen wollen. —Ach, bleiben Sie ganz ruhig. Ich rede nicht für mich; ich rede für diejenigen, die etwas Großes im Interesse Danke. derer geleistet haben, die in Not sind und denen wir (Beifall bei der PDS/Linke Liste) beistehen müssen. (Dr. Ulrich Briefs [PDS/Linke Liste]: Ihr habt die Arbeitsplätze kaputtgemacht!) Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Das Wort hat der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung, — Die Arbeitsplätze hat der Sozialismus vernichtet, Dr. Norbert Blüm. nicht diese Bundesregierung. (Gerd Andres [SPD]: Der sollte doch zur Koh (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) lerunde reden!) Es wird ja immer schöner! Wir räumen die Trümmer weg, und die Trümmergesellschaft beschwert sich über unsere Arbeit. Dr. Norbert Blüm, Bundesminister für Arbeit und (Zuruf von der FDP: Ein Witz!) Sozialordnung: Herr Präsident! Meine Damen und Noch mal zu F & U: Im April in vier Wochen 73 000 Herren! Ich möchte am Ende des Gesetzgebungsver-- neue Umschulungsplätze. Ist das nichts? Dahinter fahrens zu diesem wichtigen Gesetz doch einige Be- steht doch eine große Anstrengung. merkungen machen. (Konrad Gilges [SPD]: Langt überhaupt (Dr. Hermann Otto Solms [FDP]: Wenn auch nicht!) kurz!) — Sie langt noch lange nicht. Wir müssen auf diesem Wir nutzen die Instrumente des Arbeitsmarkts, wie Weg weitermachen. Und dieses Gesetz bietet dafür keine Regierung vor uns, Voraussetzungen. Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und werden großzügiger ausgestattet, mit Sachmitteln der FDP) ausgestattet. und zwar was die Zahl der Instrumente wie die Aus- Ich finde, wir müssen in ungewöhnlichen Zeiten stattung anlangt. ungewöhnliche Anworten geben. (Ottmar Schreiner [SPD]: Nachdem ihr ein

Jahr geschlafen habt!) Vizepräsident Dieter -Julius Cronenberg: Herr Bun- Nie gab es mehr Geld und Instrumente im Arbeitsför- desminister, sind Sie bereit, eine Zwischenfrage zu derungsgesetz als durch dieses Gesetz. beantworten? Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen: In den neuen Bundesländern haben wir jetzt 85 000 ABM-Plätze. Dr. Norbert Blüm, Bundesminister für Arbeit und Das sind mehr als in den alten Westländern insge- Sozialordnung: Aber bitte. samt. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und Hans Büttner (Ingolstadt) (SPD): Herr Bundesmini- der FDP) ster, halten auch Sie es für einen Beitrag zur Überwin- Wir haben in diesen Tagen mit den Arbeitsbeschaf- dung der Arbeitslosigkeit, wenn man Kurzarbeiter, fungsmaßnahmen in den neuen Bundesländern die die bildungsbereit sind, für die nach Aussagen ihrer Zahl der in den alten Bundesländern angesiedelten eigenen Regierung aber nicht genug Plätze angebo- ABM übertroffen. ten werden können, dafür bestraft, daß sie die nicht vorhandenen Qualifizierungsmaßnahmen nicht wahr- (Ottmar Schreiner [SPD]: Nachdem ihr in den nehmen können? alten Ländern gestrichen habt!) (Widerspruch bei der CDU/CSU und der 85 000! Im März hatten wir 63 000. Ich möchte doch FDP) alle, auch die Opposition, bitten, anzuerkennen, wel- che Anstrengungen, auch vor Ort, auch durch die Arbeitsämter, durch die Träger, in diesen Zahlen zum Dr. Norbert Blüm, Bundesminister für Arbeit und Ausdruck kommen. Diese Anerkennung, meine ich, Sozialordnung: Verehrter Herr Kollege! Meines Er- ist ein Gebot der Redlichkeit. achtens geht es darum, die Kurzarbeit mehr, als es uns in der Vergangenheit gelungen ist, mit Qualifizierung (Konrad Gilges [SPD]: Mein Gott! Spiel dich zu verbinden. Dafür setzen wir sowohl bei den Perso- doch nicht so auf wie im Wahlkampf!) nen wie bei den Institutionen an. Wir bezahlen und — Ich spiele mich auf für die Leute, die durch diese unterstützen inzwischen auch 128 Träger für Fortbil- Kritik, wie die Opposition sie hier vorträgt, um den dungs- und Umschulungsmaßnahmen. Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 25. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 14. Mai 1991 1781

Bundesminister Dr. Norbert Blüm

Kurzarbeit war ein Instrument, um sozusagen das Vizepräsident Dieter -Julius Cronenberg: Meine Abbrechen des Arbeitsmarkts zu verhindern. Wir ha- Damen und Herren, wir kommen nunmehr zur Einzel- ben sie großzügig ausgestattet und noch einmal um beratung und Abstimmung über den Gesetzentwurf ein halbes Jahr verlängert. Aber wir möchten nicht, auf den Drucksachen 12/222, 12/413, 12/493, 12/496 daß die Kurzarbeit sozusagen eine passive Antwort in der jeweiligen Ausschußfassung. auf die Arbeitslosigkeit ist. Wir möchten sie stärker nutzbringend mit Qualifizierung verbinden. Das ist Ich rufe zunächst die Art. 1 bis 10, Einleitung und der Sinn, wir wollen den Menschen helfen. Überschrift in der Ausschußfassung auf. Wer den auf- gerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) bitte ich um das Handzeichen. — Wer stimmt dage- gen? — Enthaltungen? — Bei Enthaltung der Gruppe Das Altersübergangsgeld — das ist schon gesagt der PDS/Linke Liste sind die Vorschriften angenom- worden — betrachte ich nicht als den Normalweg: daß men. Damit ist die zweite Lesung abgeschlossen. sich ein 55jähriger sozusagen schon auf den Zugang zur Rente vorbereitet. Nur finde ich: Wenn wir schon Wir treten nunmehr in die vor der Wahl stehen, finde ich es sinnvoller, einem 55jährigen ein Altersübergangsgeld zu zahlen als ei- dritte Beratung nem 20jährigen Arbeitslosengeld. ein und kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem (Beifall bei der FDP) Gesetzentwurf zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Wer stimmt dagegen? — Enthal- Das ist die Philosophie, die dahintersteht. tungen? — Bei einigen Enthaltungen aus der Gruppe (Ottmar Schreiner [SPD]: Wenden Sie dieses der PDS/Linke Liste ist damit der Gesetzentwurf an- Verfahren doch auch mal bei der Bundesre genommen. gierung an! Da sind einige überreif!) Wir stimmen nunmehr ab über den Entschließungs- Wir sind überhaupt keine Dogmatiker. Wenn- es den antrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 12/571. Menschen hilft, helfen wir auch. Wir wollen auch die Wer stimmt diesem Entschließungsantrag zu? — Wer Selbständigen wieder in das Arbeitsförderungsgesetz stimmt dagegen? Damit ist dieser Entschließungsan- einbeziehen. trag mit der Mehrheit der Koalitionsfraktionen abge- lehnt. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Meine Damen und Herren, wäre es nicht gut, Sie Wir kommen nunmehr zum Tagesordnungs- würden in Ihren Diskussionsbeiträgen ihrem Abstim- punkt 8: mungsverhalten Rechnung tragen? Sie haben doch alle gesagt, daß Sie dem Gesetz zustimmen. Machen Beratungen ohne Aussprache Sie doch mal den Menschen, den Frauen, den Män- nern, den Jungen, den Alten in den fünf neuen Bun- a) Erste und zweite Beratung sowie Schlußab- desländern Mut, daß wir mit ihnen die schwere Krise stimmung des von der Bundesregierung überwinden wollen. Ich finde, das ist wichtiger, als eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu hier den Dampf der Polemik abzulassen und am dem Abkommen vom 8. Dezember 1990 Schluß doch zuzustimmen. zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Polen über Soziale (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Sicherheit Konrad Gilges [SPD]: Sie sind doch der — Drucksache 12/470 — größte Polemiker, den es in diesem Hause gibt!) b) Zweite Beratung und Schlußabstimmung — Ich amüsiere mich über Sie, wenn Sie solche Lach- des von den Fraktionen der CDU/CSU und krämpfe kriegen. Warum stimmen Sie denn anschlie- FDP eingebrachten Entwurfs eines Geset- ßend zu? Sie reden hier polemisch gegen ein Gesetz zes zu dem Abkommen vom 8. Dezember und stimmen am Schluß doch mit Ja. Ich bedanke 1990 zwischen der Bundesrepublik mich ausdrücklich für Ihre Ja-Stimmen und verzichte Deutschland und der Republik Polen über auf Ihre Polemik. Soziale Sicherheit — Drucksache 12/303 — Ich bedanke mich auch bei allen Mitgliedern des Ausschusses, daß Sie so schnell gearbeitet haben. Ich Beschlußempfehlung und Bericht des Aus- bedanke mich ausdrücklich bei denjenigen, die so schusses für Arbeit und Sozialordnung schnell gearbeitet haben. Leider Gottes kam die Ar- (11. Ausschuß) beitslosigkeit auch schnell. Deshalb kann man nicht — Drucksache 12/445 — im Normalgang arbeiten, sondern muß eine schnelle Antwort bringen. Ich bin dem Ausschuß dankbar, daß Berichterstatterin: er die Einsicht in die Notwendigkeit dieses Schnell- Abgeordnete Dr. Gisela Babel ganges hatte. (Erste Beratung 21. Sitzung) Ich glaube, wir helfen heute mit diesem Gesetz vie- len Menschen. Wir sind nicht am Ziel, aber ein großes c) Zweite und dritte Beratung des von der Stück kommen wir mit diesem Gesetz voran. Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die zwanzigste Anpas- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) sung der Leistungen nach dem Bundesver- 1782 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 25. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 14. Mai 1991

Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg sorgungsgesetz (KOV-Anpassungsgesetz 1991 Marita Sehn — KOVAnpG 1991) Jutta Braband — Drucksache 12/335 — Dr. Klaus-Dieter Feige Wir kommen zunächst zu den Tagesordnungspunk- aa) Beschlußempfehlung und Bericht des ten 8 a und 8 b. Interfraktionell ist vereinbart, den Re- Ausschusses für Arbeit und Sozialord- gierungsentwurf zu dem Abkommen mit der Republik nung (11. Ausschuß) Polen über soziale Sicherheit heute in erster und zwei- — Drucksache 12/452 — ter Beratung zusammen mit dem textgleichen Gesetz- Berichterstatter: entwurf der Fraktionen der CDU/CSU und der FDP zu Abgeordneter Heinz-Jürgen Kronberg behandeln. Darf ich davon ausgehen, daß Sie mit die- sem Verfahren einverstanden sind? — Dies ist offen- bb) Bericht des Haushaltsausschusses sichtlich der Fall. (8. Ausschuß) gemäß § 96 der Ge- schäftsordnung Zur Information: Das ist nach § 80 Abs. 2 unserer Geschäftsordnung möglich. Damit ist das mit Mehr- — Drucksache 12/456 — heit beschlossen. Berichterstatter: Abgeordnete Wir kommen nunmehr zur Einzelberatung und Hans-Gerd Strube Schlußabstimmung über den Gesetzentwurf zum Ab- Dr. Wolfgang Weng (Gerlingen) kommen der Republik Polen über soziale Sicherheit, der Ihnen auf den Drucksachen 12/303, 12/445 und (Erste Beratung 21. Sitzung) 12/470 vorliegt. d) Beratung der Beschlußempfehlung und des Ich rufe die Art. 1 bis 6, Einleitung und Überschrift Berichts des Haushaltsausschusses (8. Aus- auf. Wer dem Gesetzentwurf zuzustimmen wünscht, schuß) zu der Unterrichtung durch die Bun- den bitte ich, sich zu erheben. Wer stimmt dagegen? desregierung — Enthaltungen? — Damit habe ich das seltene Ver- Privatisierung von Bundesbeteiligungen gnügen, festzustellen, daß das Haus das einstimmig angenommen hat. hier: Veräußerung der Aktienmehrheit an der Prakla-Seismos AG Wir kommen nunmehr zum Tagesordnungs- — Drucksachen 12/73, 12/388 — punkt 8 c. Es handelt sich um die Einzelberatung und Abstimmung über den Gesetzentwurf der Bundesre- Berichterstatter: gierung zur zwanzigsten Anpassung der Leistungen Abgeordnete Dr. Nils Diederich (Berlin) nach dem Bundesversorgungsgesetz. Dazu liegen Ih- Hans-Werner Müller (Wadern) nen die Drucksachen 12/335 und 12/452 vor. Werner Zywietz Ich rufe die Art. 1 und 2 sowie Einleitung und Über- e) Beratung der Beschlußempfehlung des schrift in der Ausschußfassung auf. Wer den aufgeru- Haushaltsausschusses (8. Ausschuß) zu der fenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte Unterrichtung durch die Bundesregierung ich um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Überplanmäßige Ausgaben bei Kapitel Enthaltungen? — Bei einigen wenigen Enthaltungen 15 02 Titel 681 15 — Haushaltsjahr 1990 — sind die Vorschriften in der zweiten Beratung ange- (Erziehungsgeld) nommen. — Drucksachen 12/44, 12/389 — Wir treten in die Berichterstatter: dritte Beratung Abgeordnete Irmgard Karwatzki Dr. Sigrid Hoth ein und kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Dr. Konstanze Wegner Gesetzentwurf zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Wer stimmt dagegen? — Enthal- f) Beratung der Beschlußempfehlung und des rungen? — Damit ist der Gesetzentwurf bei einigen Berichts des Ausschusses für Umwelt, Na- wenigen Enthaltungen angenommen. turschutz und Reaktorsicherheit (17. Aus- schuß) Wir kommen jetzt zur Abstimmung über die Be- zu dem Antrag der Abgeordneten Michael schlußempfehlung des Haushaltsausschusses auf Drucksache 12/388. Der Ausschuß empfiehlt, die Un- Müller (Düsseldorf), Harald B. Schäfer (Of- fenburg), Gerd Andres, weiteren Abgeord- terrichtung durch die Bundesregierung über die Ver- äußerung der Aktienmehrheit an der Prakla-Seismos neten und der Fraktion der SPD AG auf Drucksache 12/73 zur Kenntnis zu nehmen. Hilfe für die Kinder von Tschernobyl Wer stimmt dieser Beschlußempfehlung zu? — Wer zu dem Antrag der Abgeordneten Jutta Bra- stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Die Beschluß- band und der Abgeordneten der Gruppe empfehlung ist bei wenigen Enthaltungen angenom- PDS/Linke Liste men. Hilfe für die Kinder von Tschernobyl Wir kommen nun zu Tagesordnungspunkt 8 e. Wir — Drucksachen 12/165, 12/170, 12/475 — stimmen ab über die Beschlußempfehlung des Haus- Berichterstatter: haltsausschusses zur Unterrichtung durch die Bun- Abgeordnete Klaus Harries desregierung zu überplanmäßigen Ausgaben beim Michael Müller (Düsseldorf) Erziehungsgeld. Dazu liegen Ihnen die Drucksachen Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 25. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 14. Mai 1991 1783

Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg 12/44 und 12/389 vor. Der Ausschuß empfiehlt Kennt- Gisela Schröter (SPD): Die umfassende Neurege- nisnahme. Wer dieser Beschlußempfehlung zuzustim- lung muß an dem Maß des persönlich erlittenen Un- men wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — rechts anknüpfen und nicht da Prioritäten setzen, wo Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Die Be- ein Ausgleich am leichtesten zu bestimmen ist. Es schlußempfehlung ist einstimmig angenommen. wäre gefährlich, finanzielle Entschädigung in ihrer Wir kommen nun zu Tagesordnungspunkt 8 f. Wir Bedeutung für die Opfer höher zu bewerten als mora- stimmen jetzt noch ab über die Beschlußempfehlung lische und berufliche Rehabilitierung. des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reak- (Zustimmung bei der SPD) torsicherheit zur Hilfe für die Kinder von Tschernobyl Die Neuregelung der Rehabilitation darf daher den auf Drucksache 12/475. Wer stimmt für diese Be- Ausgleich von Eigentumsverlusten gegenüber dem schlußempfehlung? — Wer stimmt dagegen? — Ent- Ausgleich des Verlustes von beruflichen Chancen und haltungen? — Die Beschlußempfehlung ist einstim- dem Brechen von Persönlichkeiten nicht bevorzu- mig angenommen. gen. (Dr. Uwe Küster [SPD]: Das ist wichtig!) Ich rufe nunmehr Zusatzpunkt 2 der Tagesordnung Es muß berücksichtigt werden, wer Verzögerungen auf: eher verkraften kann als andere. Beratung des Antrags der Fraktion der SPD (Dr. Uwe Küster [SPD]: Richtig!) Rehabilitierung der Opfer des SED-Unrechts- Viele ältere Opfer, die beispielsweise ihren erlern- staates ten Beruf nicht ausüben durften, müssen heute mit der — Drucksache 12/570 Mindestrente auskommen. Unerträglich ist demge- —Überweisungsvorschlag: genüber, daß Profiteure des Unrechtsstaates noch in Rechtsausschuß (federführend) ihrer jetzigen Verrentung privilegiert sind, daß sie Innenausschuß Höchstrenten kassieren. Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung Haushaltsausschuß (Beifall bei der SPD und dem Bündnis 90/ Es gibt eine interfraktionelle Vereinbarung, die Ih- GRÜNE — Zuruf von der SPD: Das ist ein nen eine Debattenzeit von 90 Minuten empfiehlt. Er- Skandal!) hebt sich dagegen Widerspruch? — Das ist offensicht- Aber persönliches Leid ist nicht nur finanziell zu lich nicht der Fall. Dann ist das so beschlossen. bemessen. Vielen von Ihnen wird vielleicht nicht be- Wir kommen zur Aussprache. Ich erteile zunächst kannt sein, daß ein Teil der politischen Unterdrük- einmal der Abgeordneten Frau Schröter das Wort. kung darin bestand, daß den Opfern verboten wurde, über die von ihnen erlittenen Repressalien zu berich- ten. Wenn sie doch darüber sprachen, mußten sie be- fürchten, daß ihre Familien benachteiligt oder verfolgt Gisela Schröter (SPD): Herr Präsident! Meine Da- men und Herren! Es war ein schlimmes Signal für die wurden oder ihnen auch im persönlichen Umfeld Opfer der politischen Unterdrückung, daß das von der nicht geglaubt wurde. Volkskammer beschlossene Rehabilitierungsgesetz Viele Opfer berichten deshalb heute zum erstenmal durch den Einigungsvertrag beschnitten wurde. — oft unter Tränen — von Drohungen, Mißhandlun- Die SPD-Fraktion begrüßt, daß in einer baldigen gen, Folterungen, die sie oft selbst ihren Ehepartnern Neuregelung — wie auch schon im Volkskammerge- über lange Jahre verschwiegen haben. Vor ehrenamt- setz — wieder berufliche Benachteiligung und Ver- lichen Helfern vor Ort tun sich Abgründe auf, die waltungsunrecht aufgenommen werden sollen. Aber selbst kritische Bürger sich so nicht vorstellen konn- hier gilt es, Prioritäten an der richtigen Stelle zu set- ten. zen. In meiner Heimatstadt Sondershausen in Thürin- (Unruhe) gen, einer Kleinstadt mit 25 000 Einwohnern, haben sich bisher vor einer beim Kreistag angesiedelten Stelle für Vergangenheitsbewältigung 150 Opfer ge- Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Meine meldet. Die Ausschußmitglieder vermuten, daß diese Damen und Herren! Ich wäre Ihnen außerordentlich Zahl erheblich ansteigen wird, wenn das von uns zu verbunden, wenn Sie der Rednerin die notwendige verabschiedende Rehabilitierungsgesetz vorliegt. Beachtung schenkten und zuhörten. Diese Stelle erledigt im Rahmen ihrer Möglichkei- (Beifall bei SPD und beim Bündnis 90/ ten die Hausaufgaben, die der Gesetzgeber bisher GRÜNE) nicht erledigt hat. Wir sollten solchen Helfern an die- Diejenigen, die den Raum verlassen wollen, bitte ich, ser Stelle einmal danken, daß sie vor Ort im Vorgriff das so schnell zu tun, daß die ohnehin sehr lange Bera- auf unsere Regelungen Vertrauen in den Rechtsstaat tungszeit nicht unnötig verlängert wird. bilden, das von uns noch eingelöst werden muß. Herr Geschäftsführer Krause, ich wäre Ihnen wirk- (Beifall bei der SPD) lich dankbar, wenn Sie das Unternehmen nicht durch Unter den 150 Frauen und Männern, die sich bisher Störungen — vermutlich durch interessante Unterhal- hilfesuchend an die Ausschußmitglieder gewandt ha- tungen, das bezweifle ich nicht — verlängerten. ben, ist ein Mann von 91 Jahren. Wir haben keine Zeit Frau Abgeordnete, ich glaube, Sie können jetzt fort- und kein Recht dazu, von diesem Mann die Geduld zu fahren. fordern, die der Bundesjustizminister Dr. Kinkel in 1784 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 25. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 14. Mai 1991

Gisela Schröter seiner Presseinformation vom 10. Mai 1991 von den ende getan haben. Es geht auch heute darum, die Opfern erbittet. Opfer zu versöhnen. — Bitte schön. Es ist nicht zu leugnen, daß nach klassischen recht- lichen Kriterien im Einzelfall Beweis- und Darle- Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Aus Ihrer gungsschwierigkeiten bestehen werden. Unser Zwischenbemerkung habe ich entnommen, daß Sie Rechtsstaat ist dann aber gehalten, für diese Notfälle bereit sind, die Zwischenfrage der Abgeordneten — es handelt sich hier, meine Damen und Herren, um Frau Wollenberger zu beantworten. echte Notfälle — nach Beschleunigungsmöglichkei- Bitte schön. ten zu suchen. Unter den Nachteilen, die die Opfer erlitten haben, war auch das Leid — ich sagte es bereits — , daß den Vera Wollenberger (Bündnis 90/GRÜNE): Herr Ab- Opfern ihre Unschuld oft nicht geglaubt wurde. „Es geordneter, Sie haben eben in bewegenden Worten wird schon etwas drangewesen sein" hieß das Miß- den Unrechtsstaat DDR geschildert. Sind Sie da nicht trauen der Umwelt, dem heute eine offizielle Ehrener- auch der Meinung, daß es eine schwere Fehlentschei- klärung entgegengestellt werden muß. dung war, dem Honecker-Regime noch Milliarden- kredite zu geben und damit sein Leben zu verlän- Mit einer schnellen Verabschiedung eines verbes- gern? serten Rehabilitierungsgesetzes müssen wir einen (Beifall bei Abgeordneten der SPD) wichtigen Beitrag zu diesem ersten Schritt leisten. (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten Erwin Marschewski (CDU/CSU): Meine sehr ver- der CDU/CSU) ehrte Kollegin, eine viel größere Fehlentscheidung wäre es gewesen, wenn wir damals Herrn Modrow die

Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Das Wort 15 Milliarden DM gegeben hätten. Das haben wir be- hat der Abgeordnete Marschewski. wußt nicht getan, und deswegen war diese Politik - sicherlich richtig. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Erwin Marschewski (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Am 15. Dezember 1988 Widerspruch bei der SPD) war es einem 18jährigen DDR-Bürger gelungen, die Aber, meine Damen und Herren, ich will zu diesem Elbe zu durchschwimmen. Er erreichte westdeutsches Thema etwas anderes weiter ausführen. Gerade das, Gebiet, rutschte auf den Knien aus dem Wasser, was Sie sagen, ist begründet, denn Opferversöhnung, reckte sich hoch. In diesem Augenblick gab ein DDR- sehr verehrte Frau Kollegin, bedeutet natürlich Be- Grenzer vier gezielte Schüsse auf ihn ab, einer ver- strafung der Verantwortlichen für Tod, für Leid und letzte den Flüchtling schwer. Als Verräter an der Ar- für Unterdrückung. Ich meine, gerade das, was Sie beiterklasse und am sozialistischen Staat DDR wurde sagen, ist begründet, denn die Hauptverantwortli- er zu drei Jahren Haft verurteilt. chen, die Honeckers, die SchalckGolodkowskis, dür- Ein zweiter Fall. Ein junges DDR-Paar, es trug mit fen nicht amnestiert werden. „Glasnost" und „Perestroika" bedruckte T-Shirts, (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU — ging an der Mauer in Berlin spazieren. Man nahm die Zurufe von der SPD) beiden fest. Man verurteilte sie wegen ungenehmig- Für diese Leute darf es keinerlei Sonderregelung ge- ter Demonstration zu 18 Monaten Freiheitsstrafe. ben. Auch das gehört zur Opferversöhnung. Dies sind nur zwei Beispiele menschenunwürdiger Opferversöhnung heißt insbesondere berufliche Re- Entscheidungen. Allein in Salzgitter — ich sage dies habilitation, d. h. Wiedergutmachung bei Repressio- hier ganz bewußt; wir wollten Salzgitter damals nicht nen durch Verwaltungsbehörden. Es eilt — deswegen auflösen — wurden 30 000 Fälle registriert. Die Ge- bin ich mit der Intention Ihres Antrags durchaus ein- samtzahl der politisch Verfolgten dürfte so ungefähr verstanden — es ist ernst zu nehmen, was ich gesagt bei 150 000 liegen: Terrorurteile gegen Unschuldige, habe, und Sie sollten es mit uns gemeinsam machen. die nach DDR-Jargon wegen „Boykotthetze", „Sabo- Es eilt, die Menschen, die aus dem Bereich von Mauer tage", „Diversion" oder „Zusammenrottung" einge- und Stacheldraht als sogenannte unzuverlässige Ele- kerkert, in psychatrischen Anstalten interniert und mente vertrieben wurden, zu rehabilitieren. Opferver- sogar ermordet wurden, und dies nur, weil ihre Sehn- söhnung bedeutet vor allen Dingen Aufhebung der sucht nach Freiheit und Recht sie antrieb, nachzuden- Unrechtsurteile sowie eine angemessene Entschädi- ken, zu fordern, Widerstand zu leisten oder zu fliehen. gung auf einfachem Wege und so schnell wie mög- Nur deswegen wurden sie Opfer einer willfährigen lich. Terrorjustiz, die im Namen der Gerechtigkeit Unrecht Ich weiß selbst, was wir damals, am 17. Juni, gesagt sprach. haben. Ich kann es nicht begreifen, daß nach der der- (Abg. Vera Wollenberger [Bündnis 90/ zeitigen Gesetzeslage nicht die Möglichkeit besteht, GRÜNE] meldet sich zu einer Zwischen- eine Rehabilitierung der Leute zu vollziehen, die da- frage) mals gegen die politische Polizei aufgestanden sind. Dies — ich will das eben noch ausführen — muß Da sind wir durchaus, so meine ich, einer Meinung, mich an die Zeit von 1933 bis 1945 erinnern, denn daß wir auch diesen Fall regeln müssen. damals postulierte man so: Es sei nicht vom Recht aus- Eine weitere Problematik: Als ich neulich in Dres- zugehen, sondern vom Entschluß, der Mann müsse den war, hat mir ein Gesprächspartner, der drei Jahre weg. — Deswegen meine ich, wir müssen auch die unschuldig in Haft verbrachte, gesagt, daß er es nicht Probleme so handhaben, wie wir dies nach Kriegs verstehe, im Monat nur 80 DM Entschädigung zu be- Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 25. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 14. Mai 1991 1785

Erwin Marschewski kommen. Ich teile auch da Ihre Auffassung. Wir kön- Jutta Braband (PDS/Linke Liste): Meine Frage be- nen uns nicht damit abfinden, daß jemand, der ein zieht sich auf das, was Sie über die Rehabilitierung Jahr zu Unrecht in Haft verbracht hat, nur 1 000 DM nach dem Zweiten Weltkrieg gesagt haben, also auf Entschädigung für dieses Jahr bekommt. Laßt uns die Rehabilitierung in bezug auf das Naziregime. Sie doch darüber nachdenken, ob wir nicht das, was im meinen damit sicherlich, daß auch Roma und Sinti, Strafverfolgungsentschädigungsgesetz pro Hafttag Homosexuelle und Kommunisten entschädigt worden vorgesehen ist — ich meine die 20 DM — , zumindest sind? teilweise übernehmen. Ich meine, dieser Vorschlag ist überlegenswert. Erwin Marschewski (CDU/CSU) : Ich sage Ihnen, Ich weiß, meine sehr verehrten Damen und Herren daß wir insbesondere im strafrechtlichen Bereich eine der SPD, das kann kein Ausgleich für erlittenes Un- ganze Menge getan haben, daß wir alle Unrechtsur- recht sein. Ich meine aber, dies kommt der Verpflich- teile schon unmittelbar nach dem Kriege aufgehoben tung der oft genannten Solidargemeinschaft, der ge- haben, wenn es auch noch Rechtsfälle und Restfälle samten Bürger der Bundesrepublik Deutschland, die- gab, die wir in der Zwischenzeit gelöst haben. ses vereinten Deutschlands doch beträchtlich näher. Ich gehe davon aus, daß wir die Probleme, die Sie Ich glaube, wir sollten auch darüber nachdenken. sicherlich nicht zu Unrecht ansprechen, noch lösen werden. Nur haben wir nach dem Kriege eine sehr Meine Damen und Herren, dieses Ziel gilt natürlich umfassende Entschädigungsregelung geschaffen so- auch für die Verwirklichung weiterer Ziele des Antra- wohl im faktischen, im finanziellen Wege, als natür- ges. Ich meine, sehr geehrter Herr Minister, die Bun- lich auch im Rechtswege. desregierung muß unverzüglich, d. h. ohne schuldhaf- tes Zögern, eine neue, alles erfassende, alles umfas- (Gerhard Pfeffermann [CDU/CSU]: Wir sende gesetzliche Grundlage für die Rehabilitierung brauchen keine Nachhilfestunde von der schaffen. Wir haben allein 50 000 Anträge im straf- SED und ihren Zöglingen! — Gegenrufe von rechtlichen Bereich. Diese Anträge bedürfen drin- der SPD) gend einer Antwort des Rechtsstaates. Ich meine, wir sollten uns nicht auf Art. 17 des Einigungsvertrages Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Zu einer beschränken, d. h. nur auf die strafrechtliche Rehabi- Zwischenfrage Herr Schily. litation, nur auf die Einweisung in psychiatrische An- (Unruhe) stalten. — Ich wäre dankbar, Herr Abgeordneter Pfeffermann, Ich denke an die Zeit nach dem Krieg. Wir haben meine Damen, wenn der Abgeordnete Schily seine noch vor geraumer Zeit über die Urteile des Volksge- Zwischenfrage in aller Ruhe formulieren könnte. richtshofs gesprochen. 50 Jahre, nachdem diese Un- (Unruhe) rechts- und Schreckensurteile gefällt worden sind, Herr Abgeordneter Schily, Sie haben das Wort. darf es einfach nicht dauern. Wir haben aber gute Beispiele: Die Bundesrepublik Otto Schily (SPD): Herr Kollege Marschewski, wir hat sich nach 1945 zu einer kompromißlosen Wieder- sind uns ja sicherlich darüber einig, daß die ehemalige gutmachung entschlossen. Dazu gehörte auch die be- DDR ein Unrechtsregime war und daß es sinnvoll ist, rufliche Rehabilitation. Dazu gehörte natürlich auch die Opfer dieses Unrechtsregimes zu entschädigen ein Ausgleich für Schäden an der Gesundheit. Bei der und zu rehabilitieren, soweit das irgendwie möglich Vorbereitung zu diesem Thema habe ich gelesen, daß und praktikabel ist. Aber glauben Sie bei Ihren mehr- sich der damalige Bundeskanzler Konrad Adenauer fachen Vergleichen mit dem NS-Regime nicht, daß sehr häufig über die Bedenken seines Finanzministers Sie vielleicht doch auch gut daran täten, einige Unter- Fritz Scheffer hinweggesetzt hatte. Meine Damen und schiede herauszuarbeiten, die zwischen dem NS-Re- Herren, Konrad Adenauer tat dies, weil er wußte, daß gime und dem Unrechtsregime in der ehemaligen gerade hier die Akzeptanz des Rechts, der innere DDR bestanden haben? Friede und die Glaubwürdigkeit der jungen demokra- (Beifall bei der SPD und der PDS/Linke tischen Republik zur Diskussion standen. Was damals Liste) richtig war, sollte auch heute gelten. Wir als Union sehen in der schnellen Rehabilitie- Erwin Marschewski (CDU/CSU): Herr Kollege rung ein wesentliches versöhnendes Element zur de- Schily, ich bin schon erfreut darüber, und ich meine, mokratischen Erneuerung von Gesellschaft, von Staat es ist schon bemerkenswert, daß Sie hier erklären, daß und Recht in unserem wiedervereinigten Lande. Für die DDR ein Unrechtsstaat war. Da sind wir beide die Menschen, die so unsägliches Leid erlitten haben wirklich völlig einer Meinung. Ich weiß natürlich ge- — ich glaube, daß sich alle Demokraten in diesem nauso gut wie Sie, daß man Geschichte und das Wer- Hause völlig einig sein müssen — , muß doch alles in ten von Fakten in der Geschichte nicht miteinander unserer Macht Stehende getan werden, damit diesen vergleichen kann. Das ist sicherlich richtig. Nur, eines Opfern endlich Gerechtigkeit zuteil wird. ist auch richtig: Das Dritte Reich war ein Unrechts- staat, sicherlich mit anderen Facetten und unter ande- ren Umständen. Die DDR war ebenfalls ein Unrechts- staat, den wir jetzt in einen Rechtsstaat überführt ha- Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Herr Ab- ben, in einen Staat der Freiheit, in einen Staat der geordneter, ich muß Sie noch einmal unterbrechen, Demokratie. weil eine Bitte um eine Zwischenfrage vorliegt. (Zuruf des Abg. Dr. Ulrich Briefs [PDS/Linke Bitte sehr, Frau Abgeordnete. Liste]) 1786 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 25. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 14. Mai 1991

Erwin Marschewski — Nein, den Verbrecherstaat haben wir überführt. sind sehr nachdenkliche Worte. Ich glaube, unsere —Wir haben sie in einen Staat überführt, in dem die Antwort hierauf ist eindeutig. Nur, unsere Forderung, Menschenwürde endlich wieder gilt. die Forderung des Parlaments, muß sehr bald, muß (Dr. Ulrich Briefs [PDS/Linke Liste]: Das unverzüglich gestellt werden. Dritte Reich war der größte Verbrecherstaat! Informieren Sie sich mal, welche Rolle da Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Ich muß Globke gespielt hat!) Sie jetzt noch einmal unterbrechen, weil Frau Wollen- berger noch eine Zwischenfrage zu stellen wünscht. Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Frau von Renesse möchte eine Zwischenfrage stellen. Erwin Marschewski (CDU/CSU): Ich bin fast am Ende. — Wir stimmen der Überweisung zu. (CDU/CSU): Bitte schön. Erwin Marschewski Aber ich bin gern bereit, noch auf das zu antworten, was Sie fragen. Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Bevor ich die Frage von Frau von Renesse zulasse, mache ich auf folgende Gefechtslage aufmerksam: Unsere Debat- Vera Wollenberger (Bündnis 90/GRÜNE): Herr Ab- tenzeit wird bis zwischen 1 und 2 Uhr heute nacht geordneter, Sie haben vorhin von der Umwandlung gehen. Ich bemühe mich — wie auch die Kollegin der ehemaligen DDR in einen Rechtsstaat gespro- Vorgängerin —, einen Teil der Redebeiträge zu Proto- chen. Ist Ihnen bekannt, daß ehemalige Stasi-Richter koll geben zu lassen. Ich wäre dankbar, wenn Sie sich heute als gut bezahlte Anwälte arbeiten, und meinen auf die wirklich unverzichtbaren Zwischenfragen be- Sie nicht, daß dann das Bild vom Rechtsstaat etwas schränken würden, weil die Geschichte sonst für das korrigiert werden muß? arbeitende Personal, aber auch für uns selber unzu- (Zustimmung bei der SPD) mutbar wird. Frau von Renesse, wenn Sie jetzt noch- eine unver- Erwin Marschewski (CDU/CSU): Frau Kollegin, zichtbare Zwischenfrage stellen wollen und der Abge- wenn es Einzelfälle geben sollte, so sind sie zu lö- ordnete bereit ist, sie zu beantworten, dann bitte sen. sehr. (Vera Wollenberger [Bündnis 90/GRÜNE]: Da stimme ich Ihnen zu! Ich hoffe, daß das Margot von Renesse (SPD): Herr Abgeordneter, auch gemacht wird!) finden Sie es nicht erstaunlich und glauben Sie nicht, Aber ich halte es für völlig verwerflich, das, was in der daß es den Menschen in der DDR, für die Sie sich, DDR geschehen ist — die Menschen, die an der wenn sie Opfer sind, mit so großem Engagement ein- Mauer erschossen worden sind, und die Menschen, setzen, verwunderlich erscheinen muß, daß wir uns in die gequält worden sind —, mit einem einzigen Fall zu den Ausschüssen schon mit einem Überleitungsgesetz vergleichen, — u. a. auch für die Anpassung der Versorgungen und Sonderversorgungen für Angehörige von Block- (Vera Wollenberger [Bündnis 90/GRÜNE]: parteien, NVA, Volkspolizei, Stasi, Gesellschaft für Es sind mehrere!) Sport und Technik und dergleichen — beschäftigen, den ich gar nicht kenne und den Sie einfach behaup- während ein Rehabilitationsgesetz noch nicht in Sicht ten. Ich meine, daß ist ein unzulässiger Vergleich der ist? geschichtlichen Situation, die wir hier zu lösen ha- ben. Erwin Marschewski (CDU/CSU): Ich glaube, daß Sie können sich darauf verlassen, daß wir bei der ich zum Rehabilitationsgesetz das Nötige gesagt Rehabilitierung alles tun werden, um den Opfern Ge- habe. Es wird sicherlich seine Zeit dauern. Das ist nüge zu tun. Ich sage, um die Frage von Herrn Lud keine Frage. Aber wir, das Parlament, Frau Kollegin, mann zu beantworten — ich will damit schließen — : werden die Regierung beauftragen, das sehr schnell Diese Menschen dürfen nicht weiter Opfer sein. Wir zu machen. Ich habe ja den Vergleich mit der Nach- werden in diesem Parlament alles tun, um Recht und kriegszeit gezogen. Ich halte es für dringend erforder- Gerechtigkeit auch gegenüber diesen Opfern zum lich — spätes Recht ist halbes Recht — , diese Proble- Siege zu verhelfen. matik sehr schnell zu lösen, und zwar einfach deswe- Ich bedanke mich ganz herzlich, daß Sie zugehört gen, um den Menschen, die unsägliches Leid erlitten haben, und insbesondere für die vielen, sehr interes- haben, Gerechtigkeit zuteil werden zu lassen, damit santen Zwischenfragen. Vertrauen in die Rechtsstaatlichkeit erwächst. Aber es gilt, insbesondere auf eines, was ich neulich (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) gelesen habe, eine Antwort zu finden. Da fragt Olaf Ludmann, der 22 Monate wegen sogenannter Repu- Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Nun hat blikflucht in Haft war: Wofür ist das alles gewesen? das Wort die Abgeordnete Frau Köppe. Wofür sind die Menschen an der Mauer gestorben, und wofür wurden Tausende jahrelang eingesperrt? Ingrid Köppe (Bündnis 90/GRÜNE): Herr Präsident! Wofür wurden Familien auseinandergerissen, und Meine Damen und Herren! Ich meine, es ist kenn- wofür wurden eigentlich so viele Menschen betrogen? zeichnend für die vollzogene staatliche Vereinheitli- — Das schreibt der Mann aus der DDR. Das ist die chung von DDR und Bundesrepublik, daß zwei von Lebenswirklichkeit dieses Staates gewesen. Er fragt der Volkskammer beschlossene wesentliche Gesetze weiter: Um jetzt im Taumel der Freude vergessen zu zur Aufarbeitung der DDR-Vergangenheit, nämlich werden? — Meine Damen und Herren, ich meine, das das am 24. August 1990 beschlossene Stasi-Aktenge- Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 25. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 14. Mai 1991 1787

Ingrid Köppe setz und das am 6. September 1990 beschlossene Re- mung von Grundrechten in friedlicher Form gehan- habilitierungsgesetz, nicht als fortgeltendes Recht in delt haben. Wer sich dem Regime unf riedlich — dazu den Einigungsvertrag aufgenommen wurden. Verant- gehören auch schon Sitzblockaden — widersetzte und wortlich dafür, daß dieses Rehabilitierungsgesetz deswegen verurteilt wurde, kann nach dem jetzigen nicht als fortgeltendes Recht aufgenommen wurde, ist Stand der gesetzlichen Regelungen nicht rehabilitiert die CDU. werden. Des weiteren finde ich es erstaunlich, daß die SPD, Auch für die zwischen 1945 und 1949 unrechtmäßig die diesem Einigungsvertrag in der Volkskammer zu- Internierten und Verurteilten der sowjetischen Mili- gestimmt hat, jetzt im nachhinein dieses Rehabilitie- tärjustiz muß es Entschädigungen geben. Vor allem rungsgesetz so sehr hochlobt. Ich denke, es ist zu frü- die Bestimmungen des Gesetzes müssen in Art und herer Zeit einiges versäumt worden. Wenn ich Sie Verfahren den besonderen Bedingungen der SED- heute hier so reden höre, erscheint mir das fast als Herrschaft Rechnung tragen und den verfügbaren Heuchelei. Quellen zum Nachweis von Verfolgungs- und Diskri- minierungsmaßnahmen angemessen sein. Sie wissen, daß diese Ignoranz gegenüber den Op- fern von staatlichen Repressionen in der ehemaligen Speziell bei Anerkennung der Tatsache, daß es sich DDR bei den Betroffenen Enttäuschung, Verbitterung bei der Staatssicherheit um eine verbrecherische Or- hervorgerufen hat. Die Vermutung, erneut betrogen ganisation gehandelt hat, der es zudem hinterher ge- zu werden, führte zu heftigen Protesten. Dem tau- lungen ist, bedeutende Unterlagen zu vernichten, ist sendfach erlittenen Unrecht wird mit den zögerlichen mit Vermutungsregelungen zugunsten der Betroffe- Wiedergutmachungsversuchen nur halbherzig be- nen zu arbeiten, wenn anderweitige Nachweise nicht gegnet. Obwohl die persönlichen und beruflichen beigebracht werden können. Hierbei sind die Krite- Perspektiven vieler Menschen davon abhängen, kom- rien der Glaubhaftmachung und der Glaubwürdigkeit men die Rehabilitierung und Entschädigung von Op- zugrunde zu legen. fern nur allzu zäh in Gang. Von einer gebotenen um- Das Hauptproblem: Der Justizminister kann bisher fassenden Genugtuung für die Opfer kann- bisher nur juristische Erwägungen anstellen, die nichts ko- nicht die Rede sein. sten. Die eigentliche Entscheidung liegt also beim Fi- nanzminister. Die Auffassung, die strafrechtliche Re- Der Deutsche Bundestag muß diesem Anliegen eine habilitierung einschließlich der Folgekosten obliege hohe Priorität beimessen. In dem zu erarbeitenden den neuen Bundesländern, wird der Sache nicht ge- Gesetz müssen die Intentionen des Rehabilitierungs- recht; denn wir wissen, die neuen Länder können das gesetzes der DDR vom 6. September 1990 aufgegrif- nicht bezahlen. Die Vermutung der Opfer, der Bund fen und materiell umgesetzt werden. wolle diese Kosten nicht übernehmen, wird mit der Das bedeutet: Rehabilierungsregelungen dürfen ausbleibenden klaren Stellungnahme zu diesem nicht auf strafrechtliche Rehabilitierungen und Fälle Thema immer mehr verstärkt. der Zwangspsychiatrisierung und Zwangsaussiedlun- Es ist verständlich, daß die Bundesregierung bei der gen aus den Grenzgebieten beschränkt bleiben. Scha- Erarbeitung eines Rehabilitierungsgesetzes Schwie- denstatbestände wie Schaden an Körper, Leben, Ge- rigkeiten hat, vor allem deshalb, weil Westpolitikern sundheit, aber auch Schaden durch Behinderung im offensichtlich die Detailkenntnis von staatlichen Un- Bildungsweg und im beruflichen Fortkommen müs- rechtshandlungen in der ehemaligen DDR fehlt. sen berücksichtigt werden. Und: Es muß eine Haftent- Wir raten deshalb der Regierung: Beteiligen Sie an schädigung geben, die ihren Namen auch wirklich der Ausarbeitung des Gesetzes die Betroffenen! Set- verdient. zen Sie sich mit dem Bund der Stalinistisch Verfolg- (Dr. Herta Däubler-Gmelin [SPD]: Richtig!) ten an einen Tisch! Er vertritt als stärkste Interessen- vertretung in den neuen Bundesländern die in der Die zahlreichen Fälle von beruflicher Benachteili- DDR politisch Verfolgten und hat bereits sachkundige gung, Verweigerung von Ausbildung, Entlassung aus Vorschläge für eine gesetzliche Regelung erarbeitet. dem Beruf und Exmatrikulation vom Studium müssen rehabilitiert werden. Der beharrlich vorgetragene Ausspruch des Justiz- ministers, es dürfen keine unerfüllbaren Hoffnungen (Dr. Herta Däubler-Gmelin [SPD]: Richtig!) geweckt werden, ist eine erneute Demütigung für die Diejenigen, denen staatliche Ausbildung verwehrt Opfer. Sie hoffen darauf, daß ihnen endlich Recht wurde, und die infolgedessen kirchliche Einrichtun- widerfährt. Sie werden so lange zweifelnd und fremd gen besuchten, haben ein Recht darauf, daß ihr beruf- diesem Rechtstaat gegenüberstehen, wie ihnen das licher Abschluß anerkannt wird. Recht auf Rehabilitierung verwehrt wird. (Dr. Herta Däubler-Gmelin [SPD]: So ist (Beifall beim Bündnis 90/GRÜNE, bei der es!) SPD und der PDS/Linke Liste) Beruflich Benachteiligte müssen einen Rechtsan- spruch auf erleichterten Zugang und auf bevorzugte Vizepräsidentin Dieter-Julius Cronenberg: Das Einstellung in bestimmten Berufen, z. B. im öffentli- Wort hat der Bundesminister der Justiz Dr. Kinkel. chen Dienst, haben. Diese Forderung verkommt aber zur Farce, wenn das nötige Gesetzeswerk noch lange Dr. Klaus Kinkel, Bundesminister der Justiz: Herr auf sich warten läßt. Präsident! Meine Damen und Herren! Das SED-Re- Rehabilitierung darf nicht auf Urteile beschränkt gime hat Menschen systematisch zerbrochen und Le- werden, bei denen die Betroffenen in der Wahrneh bensschicksale zerstört; ich habe das an dieser Stelle 1788 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 25. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 14. Mai 1991

Bundesminister Dr. Klaus Kinkel in anderem Zusammenhang schon einmal gesagt. Aus jetzt ganz wesentlich — , daß eine angemessene Ent- politischen Gründen wurden mißliebige Bürger straf- schädigung zu gewähren ist. gerichtlich verfolgt, in psychiatrische Anstalten ge- Wo stehen wir heute? Zunächst zur steckt, zwangsausgesiedelt, an Ausbildung und Fort- strafrechtlichen Rehabilitierung: Diese richtet sich nach dem kommen gehindert. Dieses Unrecht ist noch schlim- Rehabi- litierungsgesetz, dem und dem mer als das Unrecht, das im Zusammenhang mit Ei- Häftlingshilfegesetz, Vermögensgesetz. In der Praxis gibt es ganz gewal- gentumsentzug und Vermögensentzug geschehen ist, tige Probleme; das will ich nicht leugnen. Bereits jetzt weil es die Menschen selbst betraf. liegen 50 000 Anträge auf Rehabilitierung bei den Das Bundesverfassungsgericht hat zu Recht darauf Bezirksgerichten der fünf neuen Länder vor. Ich sel- hingewiesen, daß bei den gesamten Wiedergutma- ber rechne mit etwa 100 000 Anträgen. chungsregelungen der Gleichheitssatz zu beachten Die Anträge sind meistens nicht genügend aufgear- ist. Daran sollten und wollen wir uns halten. beitet. Oft fehlen Unterlagen; häufig wird das falsche Ich verstehe sehr wohl, daß die betroffenen Men- Verfahren gewählt. Es fehlen aber vor allem die Rich- schen, daß die Opfer auf rasche Hilfe drängen und ter. Fazit und Folge: Die Erledigung geht leider aus hoffen. — Ich will gleich noch etwas zum letzten Re- meiner Sicht nur äußerst schleppend voran. debeitrag sagen; ich will es mir allerdings noch etwas Zunächst müssen wir also, ob wir wollen oder nicht, aufbewahren. — Ich bleibe aber dabei: Wir dürfen genügend Richter aus den Altländern in die neuen auch keine falschen Hoffnungen wecken. Länder entsenden, fliegende Rehabilitierungssenate Ich sage es nochmals: Ein Teil der Betroffenen wird usw. einrichten und versuchen, mit dem Richterpro- sich trotz aller unserer Bemühungen noch etwas ge- blem fertigzuwerden und alles Denkbare zu tun, was dulden müssen, weil sich vierzig Jahre Unrecht dieses helfen kann. Ausmaßes — auch das wiederhole ich — beim besten Ich habe das mit meinem Personalprogramm ver- Willen nicht in den paar Monaten seit der Wiederver- sucht. Es kann alles nur Stückwerk bleiben; auch dar- einigung aufarbeiten lassen. Wir haben gerade sieben auf muß ich hinweisen. Das letzte, was ich in diesem Monate nach der Wiedervereinigung. Ich muß einfach Zusammenhang getan habe, war mein positiv aufge- einmal darauf hinweisen, daß diejenigen, die überzo- nommener Appell beim Deutschen Anwaltstag in der gene Forderungen stellen, sich aus meiner Sicht in letzten Woche. Die Anwälte sollen kostenlos bei der mancher Beziehung ein wenig mäßigen sollten. — Ich Aufarbeitung der unsortierten Rehabilitierungsan- werde darauf noch eingehen. träge mitwirken. Dies ist mir zugesagt worden. Ich Es wäre aus meiner Sicht unverantwortlich, jetzt verspreche mir davon eine ganz gewaltige Verkür- übereilte Regelungen zu treffen, deren Folgen nie- zung des Verfahrens. mand absehen kann. Wir müssen Prioritäten zweifel- Das geltende Recht hat aber auch zahlreiche Lük- los dort setzen, wo das Unrecht am schwersten war ken und Unklarheiten. Diese müssen ebenfalls besei- und wo Hilfe u. a. aus Altersgründen wirklich not tigt werden. Zum Beispiel trifft die Unterscheidung tut. zwischen Rehablitierungs- und Kassationsverfahren Die Hinterlassenschaft der SED haben wir alle zu- die willkürliche Rechtspraxis in der DDR nicht. Die sammen geerbt. Die Aufarbeitung von vierzig Jahren Rechtsprechung in der ehemaligen DDR bediente sich Diktatur und Verfolgung ist deshalb eine gesamtstaat- virtuos sowohl des politischen als auch des gewöhnli- liche, eine nationale Aufgabe. Der Deutsche Bundes- chen Strafrechts zur Durchsetzung ideologischer tag hat sich dieser Aufgabe, wie ich finde, eindrucks- Ziele. voll angenommen. Dafür bin ich dankbar, gerade weil Weiter: Die Rehabilitierung bleibt vielfach denjeni- ich innerhalb der Bundesregierung für diesen nicht gen versagt, die am 17. Juni 1953 — Herr Mar- ganz einfachen Fragenkreis Verantwortung trage. schewski hat darauf hingewiesen — z. B. durch Be- Kurz nach Abschluß des Einigungsvertrages am triebsbesetzungen Widerstand geleistet haben, weil 6. September 1990 hat die Volkskammer der DDR eben Rehabilitierung nur für f riedlichen und gewalt- noch ein umfassendes Rehabilitierungsgesetz be- losen Widerstand vorgesehen ist. Das ist undenkbar. schlossen. Geregelt wurden damals die strafrechtli- Entscheidend für die Opfer ist natürlich in erster che, die verwaltungsrechtliche, die berufliche und die Linie die Entschädigungsregelung. Hier verweist das Rehabilitierung der Personen, die durch alliierte Be- Rehabilitierungsgesetz auf das Häftlingshilfegesetz. satzungsmächte in Gewahrsam genommen worden Dies paßt aber nicht auf die Rehabilitierung, weil es waren. ursprünglich als Eingliederungshilfe gedacht war In der Zusatzvereinbarung zum Einigungsvertrag und eben nicht als die jetzt benötigte Ausgleichsrege- wurden nur die strafrechtliche Rehabilitierung und lung für erlittene Nachteile. Das heißt, Unzuträglich- aus der verwaltungsrechtlichen Rehabilitierung die keiten sind zwangsläufig die Folge. Fälle der Psychiatrieeinweisungen übernommen. Auch nach erfolgreichem Abschluß des Rehabilitie- Der Ausschuß Deutsche Einheit hat dem gesamt- rungsverfahrens muß derzeit der Betroffene ein weite- deutschen Gesetzgeber die Aufgabe zugewiesen, die res langwieriges Anerkennungsverfahren vor einer getroffenen Rehabilitierungsmaßnahmen zu überprü- anderen Behörde durchlaufen, um an Ausgleichszah- fen und neu zu regeln. Er hat außerdem klargestellt, lungen heranzukommen. In manchen Fällen geht er daß die Überprüfung nicht auf die in Art. 17 des Eini- sogar trotz Rehabilitierung nach den Vorschriften des gungsvertrages genannte strafrechtliche Rehabilitie- Häftlingshilfegesetzes leer aus, weil dieses andere rung beschränkt sein soll, und festgelegt — das ist Ausschlußtatbestände enthält. Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 25. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 14. Mai 1991 1789

Bundesminister Dr. Klaus Kinkel Die Leistungssätze nach dem Häftlingshilfegesetz auch schon angesprochen worden. Dessen will ich sind viel zu gering; Herr Marschewski hat es ange- mich besonders annehmen. Dabei geht es um die se- sprochen. Es ist natürlich nicht denkbar, daß für zwei lektive Entfernung aller politisch mißliebigen Men- Jahre Freiheitsberaubung der Betroffene nicht einmal schen aus dem Grenzbereich in einer Breite von ca. 2 000 DM, nämlich 80 DM für jeden Monat, erhält. 5 km. Dabei sind über 50 000 Menschen bei Nacht Das ist viel zuwenig und muß geändert werden. und Nebel und unter teilweise entwürdigenden Um- ständen aus ihren Häusern heraus verhaftet und ins Im Bereich der strafrechtlichen Rehabilitierung Innere der DDR verschleppt worden. strebt die Bundesregierung deshalb folgende sofor- tige Sonderregelungen an — ich hoffe, daß ich so Die Bundesregierung — und damit auch ich — wird schnell wie möglich, wenn es irgendwie geht, noch im Hinblick auf die Betroffenen, die hier angespro- vor der Sommerpause, ein Gesetz vorlegen kann — : chen sind, umgehend eine gesetzliche Regelung für Rehabilitierungsverfahren und Kassationsverfahren die Rückgabe des Vermögens oder, wo dies nicht werden zu einem einheitlichen Rechtsinstitut der er- möglich ist, für Entschädigungen und moralische weiterten Rehabilitierung zusammengefaßt. Das Wiedergutmachung vorlegen. Verfahrensrecht wird im Interesse der Betroffenen Ebenso werden wir das Verwaltungsunrecht, das vereinfacht. Es wird eine eigene, vom Häftlingshilfe- durch präventivpolizeiliche Maßnahmen, vor allem gesetz abgekoppelte soziale Ausgleichsregelung ge- durch Schußwaffengebrauch an der Grenze und Frei- schaffen. Die Entscheidung der Ge richte ist damit für heitsentziehungen ohne gerichtliche Kontrollen, etwa die Vollzugsbehörden ebenfalls bindend. Die Ent- bei Demonstrationen, geschehen ist, in die Regelun- schädigung wird in Anpassung an die heutigen Ver- gen über die strafrechtliche Rehabilitierung einbezie- hältnisse erhöht. hen. Im übrigen wird — was ganz wichtig ist — eine Das DDR-Gesetz betraf auch die Rehabilitierung rückwirkende Stichtagsregelung geschaffen werden der Menschen, die durch alliierte Besatzungsmächte müssen. Wenn die Haft zu dauernden psychischen - in Gewahrsam genommen oder von sowjetischen Mi- und physischen Schäden geführt hat, ist an Renten, litärtribunalen verurteilt wurden. Diese Urteile von Berufsschadensausgleich, Pflegezulagen usw. zu den- sowjetischen Militärtribunalen können wir aus völ- ken. Die Verhandlungen mit dem Finanzminister lau- kerrechtlichen Gründen nicht aufheben. — Ich habe fen; sie werden in Kürze abgeschlossen sein. mich persönlich um diese Fälle außerordentlich be- müht. Die Verhandlungen mit der Sowjetunion sind so Ich finde es billig und auch ungerecht — ich muß es deutlich sagen — , wenn mir oder der Bundesregie- verlaufen, wie ich es Ihnen hier schildere. — Die Ver- urteilungen aufheben kann nur die Sowjetunion rung vorgeworfen wird, wir hätten die Zahlen noch selbst; vereinzelt ist es bereits geschehen. Sie hat uns nicht vorgelegt. Ich muß einmal ganz deutlich fragen: zugesichert, daß sie das bei begründeten Anträgen Wie soll ich sie denn vorlegen, wenn ich auf das Urteil und entsprechenden Nachweisen auch in Zukunft tun des Bundesverfassungsgerichts in diesem Zusam- menhang warten muß? Das liegt — ich habe es ja nun will. selber entgegengenommen — erst ganz kurze Zeit (Gerhart Rudolf Baum [FDP]: Das ist aber zurück. Man muß sich, wenn man etwas fordert, auch nicht befriedigend!) überlegen, was man fordert. Ich muß fünf bis sechs Beide Personenkreise können aber bereits jetzt Lei- verschiedene Ausgleichsleistungen in Konsens brin- stungen nach dem Häftlingshilfegesetz — der geplan- gen, am Grundgesetz messen und Dinge aufarbeiten, ten neuen Regelung angepaßt — erhalten. die eben nicht von heute auf morgen aufgearbeitet werden können. Dazu braucht man etwas Zeit zum Ich will klipp und klar sagen, daß wir uns bemühen Nachdenken. Wir können Gesetze in diesen schwieri- werden, auch für diesen Bereich zu besseren Lösun- gen Komplexen auch nicht aus dem Boden stamp- gen zu kommen. fen. (Gerhart Rudolf Baum [FDP]: Sehr gut!) (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Ich denke einmal — vorsichtig — laut daran, ob nicht Der falsche Weg wäre jetzt, die Leistungssätze für eine Lösung gefunden werden könnte, die dem ent- Freiheitsberaubung einseitig zu erhöhen. Wir brau- spricht, was in anderem Zusammenhang im Deut- chen wohldurchdachte, stimmige Lösungen, die sich schen Bundestag einmal geschehen ist, was die pau- in das spätere Gesamttableau einfügen. Klar muß im schale Aufhebung der Urteile oder mindestens die übrigen sein, was wir alles entschädigen wollen und moralisch-ethische Wiedergutmachung in diesem Zu- entschädigen müssen. sammenhang anbelangt. Zum Verwaltungsunrecht: Hier ist außer der Psy- (Gerhart Rudolf Baum [FDP]: Das wäre min chiatrieeinweisung gesetzlich leider noch nichts ge- destens notwendig!) regelt; ich kann nichts dafür. Die Schwierigkeit fängt Zu den dunkelsten Kapiteln der deutschen Justiz- schon damit an, daß es ein Verwaltungshandeln in geschichte zählen die sogenannten Waldheim-Pro- unserem rechtsstaatlichen Sinne in der DDR über- Die damals ergangenen Urteile können jetzt haupt nicht gab. Verwaltungsmäßiges Handeln ge- zesse. schon aufgehoben werden. Die Strafverfahren im Zu- genüber dem Bürger wurde weitgehend auch durch sammenhang mit diesen Waldheim-Prozessen spra- nichtstaatliche Stellen, Parteidienststellen oder ge- chen dieser Bezeichnung hohn: Die Verfahren waren sellschaftliche Einrichtungen bestimmt. in aller Regel nicht öffentlich und dauerten selten län- Der dringendste Handlungsbedarf besteht bei den ger als 15 Minuten. Es wurden zum Teil gegen 14jäh- Zwangsaussiedlungen im Grenzbereich; das ist hier rige Jugendliche drakonische Freiheitsstrafen von 15 1790 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 25. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 14. Mai 1991

Bundesminister Dr. Klaus Kinkel bis 20 Jahren verhängt, in einigen Fällen sogar die beschlossen, daß wir insbesondere die Betroffenen Todesstrafe. Den von unmenschlichen Haftbedingun- aus den neuen Ländern in die Gesetzgebungsarbeit gen, von Krankheiten und Schwächen gezeichneten einbeziehen, weil wir aus ihren Erfahrungen natürlich Angeklagten stand meist kein Verteidiger zur Seite. profitieren würden. Oftmals lag das fertige Urteil bereits zu Beginn der Es würde uns bei dieser Arbeit und es würde erst Verhandlung auf dem Richtertisch. recht den Opfern des SED-Unrechtsregimes viel hel- Meine Damen und Herren, ganz schwierig ist die fen, wenn wir den übergreifenden Konsens, der sich Situation bei der beruflichen Rehabilitierung. Wir ha- heute für mich jedenfalls ein wenig gezeigt hat, be- ben hier keine gesetzlichen Regelungen, und wahren könnten. — schlimmer noch — wir haben überhaupt kein ge- Ich möchte zum Schluß gern noch zwei Dinge sa- naues Wissen. Typische Reaktionen des SED-Regimes gen, Frau Köppe. Ich möchte sagen, daß ich auch per- auf Kritik, Auflehnung und Ausreiseversuche waren sönlich tief betroffen bin durch das Leid, das mir aus im beruflichen Bereich: Es gab keinen Zugang zur diesen Tausenden von Anträgen, aus den Akten und Ausbildung, zum Beruf mehr. Der Aufstieg in höhere aus den Gesamtzusammenhängen entgegenschlägt. Positionen wurde verhindert. Degradierung, Entlas- Schon deshalb verspreche ich, daß ich auch persönlich sung aus dem Beruf und Sippenhaft für Familienmit- alles tun werde, um zu helfen, wo es nur irgendwie glieder waren an der Tagesordnung. Hier die nötige geht. Klarheit zu gewinnen ist äußerst schwierig; das brau- Aber ich möchte gern das, was Sie vorher dem Kol- che ich Ihnen nicht im einzelnen darzulegen. 40 Jahre legen Marschewski gegenüber gesagt haben — Stich- staatliche Verfolgung und Willkür in allen beruflichen wort Heuchelei — zurückweisen, und zwar scharf zu- Bereichen sind zu erforschen, zu systematisieren und rückweisen. Wissen Sie, Frau Köppe, ich habe so ein zu bewerten. bißchen den Eindruck — und den gebe ich dann doch Um die einzelnen Fallgruppen genauer auszuarbei- wieder —: Es gibt einige, die nichts für diese 40 Jahre ten, die Anzahl der Betroffenen hochzurechnen und Unrechtsstaat können, überhaupt nichts, die aber nun taugliche Beweismittel für spätere Anerkennungsver- seit Monaten mit ungeheuren Anstrengungen dabei fahren zu finden, untersuchen wir im Augenblick die sind, diesen ganzen Mist aufzuarbeiten. Ich muß Ih- Akten der Gauck-Behörde. Ganz wichtig ist außer- nen sagen, daß es dann manchmal bitter ist, wenn dem die Auswertung von vielen Tausenden von Ein- man solche Angriffe, wie vorher von Ihnen gestartet, gaben, die das Bundesjustizministerium erreicht ha- hört. Sie sind zutiefst ungerecht. Ich sage Ihnen noch ben. Wir versuchen, auch über demoskopische Erhe- einmal: Ich weise es mit Nachdruck zurück. bungen weiterzukommen. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Es wäre unverantwortlich — ich sage es noch ein- mal — , ohne diese Vorarbeiten und ohne genauere Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Das Wort Kenntnis über die Zahl der Betroffenen Lösungen zu zu einer Kurzintervention hat die Abgeordnete Frau präsentieren und festzuschreiben. Die Vorarbeiten Wollenberger. kosten aber Zeit; Zeit, die wir für eine gerechte Lö- sung brauchen. Schließlich: Für die Regelung des Zugangs zu den Vera Wollenberger (Bündnis 90/GRÜNE): Herr Prä- sident! Meine Damen und Herren Abgeordneten! Ich Stasi-Akten scheint sich ja jetzt — wenn ich das in aller Kürze sagen darf — eine Lösung abzuzeich- muß es leider symptomatisch finden, daß ein so wich- nen. tiger Beitrag zu unser aller Vergangenheitsbewälti- gung zu so später Stunde und vor so leerem Hause Ich will zusammenfassen. In der Präambel des Re- erfolgt. habilitierungsgesetzes steht: „Die Rehabilitierung ist (Manfred Richter [Bremerhaven] [FDP]: Vom ein wesentliches Element der Politik zur demokrati- Bündnis 90 sind zwei Leute im Saal! Das ist schen Erneuerung der Gesellschaft, des Staates, des doch eine Frechheit! Zwei Leute!) Rechts." Richtig. Aber es dürfen — nochmals — keine unerfüllbaren Hoffnungen geweckt werden. Die fi- Ich möchte trotzdem sprechen, und zwar nicht als nanziellen Auswirkungen der Rehabilitierung müssen Abgeordnete, sondern als Betroffene und vor allen bedacht werden. Es muß eine gerechte, am Gleich- Dingen für Menschen, die sich zu diesem Thema in heitssatz ausgerichtete Regelung getroffen werden. der Öffentlichkeit nicht äußern können. Die Betroffenen werden trotz aller Bemühungen Ich meine jene, die immer noch in den Gefängnis- — ich sage es noch einmal, auch wenn sich Frau sen sitzen, obwohl sie seinerzeit von der Staatssicher- Köppe an den Kopf faßt — etwas Geduld brauchen. heit ins Gefängnis gebracht wurden. Es ist ein weit- gehend unbekannt gebliebener Fakt, daß in einem Notwendig ist — ich sage auch das noch einmal — Drittel aller Fälle von verurteilten sogenannten Krimi- die Konzentration auf die Fälle, in denen schnelle und nellen in der DDR die Staatssicherheit die Untersu- sofortige Hilfe wirklich not tut; Stichworte: erhebli- chung geführt hat. Diese Menschen sind nach erfolg- cher Eingriff, Fortdauer der Folgen. ter Verurteilung mit nur einem einzigen Blatt ins Ge- Ich habe allergrößtes Verständnis für die berechtig- fängnis eingeliefert worden. Das war der Vollstrek- ten Erwartungen der Opfer. Deshalb: Was sofort ge- kungsbefehl. Darauf stand, nach welchen Paragra- macht werden kann, wird vorrangig in Ang riff genom- phen sie verurteilt worden waren und für wie viele men. Das verspreche ich Ihnen. Wir werden in Kürze Jahre. Niemand von den Gefängnisdirektoren, die ich einen Gesetzentwurf vorlegen; die Rahmenabstim- angesprochen habe, weiß, wo sich die Akten dieser mung mit den Ländern läuft. Selbstverständlich ist betroffenen Menschen befinden. Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 25. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 14. Mai 1991 1791

Vera Wollenberger Seinerzeit ist in der Volkskammer eine Initiative Natürlich ist, wie meine Fraktionskollegin Frau Schrö- von Abgeordneten gescheitert, diese Menschen zu ter bereits ausführte die Situation seit dem 3. Oktober amnestieren. Statt dessen wurde beschlossen, daß 1990 hier nicht bef riedigend. Das Rehabilitierungsge- man Einzelfallprüfungen durchführt. Seitdem ist über setz der Volkskammer wurde durch die Vereinba- ein Dreivierteljahr vergangen, und ich habe von kei- rung zum Einigungsvertrag um ca. zwei Drittel ge- nem einzigen Fall gehört, daß eine solche Überprü- kürzt. Die Rehabilitierung beruflicher Unrechtsmaß- fung abgeschlossen worden wäre. nahmen fiel ersatzlos weg. Aus dem großen Bereich der verwaltungsrechtlichen Repressionen gilt nur (Dr. Reinhard Göhner [CDU/CSU]: Doch!) noch die widerrechtliche zwangsweise Einweisung in Vielleicht kann der Herr Justizminister, da er eben eine psychiatrische Anstalt als rehabilitierungswür- versprochen hat, alles zu tun, um den Betroffenen zu dig. Auch bei der strafrechtlichen Rehabilitierung sind helfen, in diesem Fall energische Schritte einleiten, große Unrechtsbereiche, beispielsweise die Ver- damit diese Menschen nicht länger ungerechterweise schleppung und Ermordung politischer Gegner zwi- in den Gefängnissen zubringen müssen. schen 1945 und 1949, einfach unter den Tisch gefal- Herr Justizminister Kinkel, Sie haben hier vor über- len. zogenen finanziellen Forderungen gewarnt. Aber ich denke, es ist keine überzogene finanzielle Forderung, Ich möchte mich in meinen nun folgenden Ausfüh- wenn man z. B. wie in meinem Fall erwartet, daß, rungen vorwiegend dem Bereich der strafrechtlichen wenn das Gericht festlegt, daß der Staatshaushalt die Rehabilitierung zuwenden: Die im Zusammenhang Kosten des Rehabilitierungsverfahrens trägt, das auch mit der strafrechtlichen Rehabilitierung zur Zeit gel- geschieht und sie nicht aus eigener Tasche bezahlt tenden rechtlichen Regelungen sind, wie auch der werden müssen. Bundesjustizminister in seinen jetzigen Ausführun- Ich habe heute schon darauf hingewiesen, daß auf gen richtigerweise darstellte, zum Teil unklar und wi- Beschluß der alten Bundesregierung dem Honecker dersprüchlich. Die Grenzen des politischen Straf- Regime Milliarden-Kredite zur Verfügung- gestellt rechts in der ehemaligen DDR sind durch die jetzigen wurden. Ich finde, es wäre ein guter Beitrag zur mora- Rehabilitierungsregelungen nicht exakt erfaßt. Ein lisch-politischen Hygiene, wenn ein ähnlich hoher Be- Bürger der DDR, der beispielsweise Anfang der 50er trag zur Verfügung gestellt würde, um die Opfer des Jahre Kontakt zum Ostbüro der SPD aufgenommen Honecker-Regimes zu entschädigen. Ich glaube, dann hatte, wurde von der Justiz der DDR wegen Spiona- könnten die realistischen und auch berechtigten Er- getätigkeit zu einer hohen Haftstrafe verurteilt. Die- wartungen der Opfer auch erfüllt werden. sem Bürger bleibt nach den jetzigen Rehabilitierungs- regelungen eine Rehabilitierung versagt, weil Spio- Vielen Dank. nage als Straftatbestand nicht als rehabilitierungs- würdig gilt. Dies ist ein unhaltbarer Zustand. Hier wäre nur Kassation möglich, was wegen der geringe- Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Das Wort ren gesellschaftlichen Wertigkeit für diesen Bürger als hat nun der Abgeordnete Schwanitz. nicht akzeptabel betrachtet werden muß.

Der Vorschlag des Justizministers, die Rehabilitie- (SPD) : Herr Präsident! Meine sehr Rolf Schwanitz rung und die Kassation künftig zusammenzufassen, verehrten Damen und Herren! Nach einer über muß geprüft werden. 40 Jahre währenden Pe riode der kommunistischen Unterdrückung im östlichen Teil der heutigen Bun- (Dr. Herta Däubler-Gmelin [SPD]: Richtig!) desrepublik eröffnet der demokratische Neuanfang die Möglichkeit, aber auch die Notwendigkeit der Aufarbeitung des gesamten Ausmaßes dieser Dikta- Mir scheint jedoch, daß bei einer solchen Verschmel- tur. Dabei sind die Voraussetzungen für diesen Aufar- zung, so sinnvoll sie aus verfahrenstechnischer Sicht beitungsprozeß sehr unterschiedlich. In den neuen auch sein mag, die Differenzierungsmöglichkeit und Bundesländern beginnen erstmalig, Betroffene über damit die gesellschaftliche Anerkennung des straf- ihre Schicksale zu berichten. Die vom SED-Staat ver- rechtlich verfolgten politischen Widerstands gegen- hängten Schweigeverpflichtungen, vor allem gegen- über sonstigem Unrecht in der Rechtsprechung verlo- über dem Unrecht der 40er und 50er Jahre, und der rengeht. damit einhergehende Verdrängungsprozeß, der bis in (Beifall bei der SPD) die Familien der Betroffenen hineinreichte, können nur mühsam aufgebrochen werden. Hier steht der Völlig unakzeptabel, meine Damen und Herren, Gesetzgeber in der Pflicht. sind jedoch die zur Zeit vorhandenen unterschiedli- chen Ansprüche aus den Rehabilitierungs- und den Ohne eine angemessene gesellschaftliche Aner- Kassationsverfahren. Hier bestehen vollkommen ge- kennung und Wiedergutmachtung der individuell er- trennte und sowohl in der Art als auch in der Höhe lebten Verfolgungen können diese Wunden nicht ver- vollkommen unterschiedliche Leistungsansprüche. heilen. Ein Rehabilitierungsgesetz, welches zumin- Einen Anspruch auf Ausgleich des immateriellen dest näherungsweise dem Umfang des kommunisti- Schadens infolge der Haft kennt die Kassation nicht, schen Unrechts gerecht wird, wird damit zu einer im Unterschied beispielsweise zum bundesdeutschen wichtigen Voraussetzung für die Demokratisierung in Strafrechtsentschädigungsgesetz, während bei der den neuen Bundesländern überhaupt. Rehabilitierung wenigstens auf die Eingliederungs- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten hilfen nach dem Häftlingshilfegesetz zurückgegriffen der CDU/CSU) werden kann. 1792 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 25. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 14. Mai 1991

Roll Schwanitz Völlig unakzeptabel ist freilich auch die Höhe der Vizepräsident Helmuth Becker: Das Wort hat jetzt Entschädigung nach dem Häftlingshilfegesetz. unser Kollege Hartmut Büttner. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Hartmut Büttner (Schönebeck) (CDU/CSU): Herr Eine finanzielle Leistung von 1 bis 2 DM pro Hafttag Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! kann von den Betroffenen nur als Verhöhnung ihres Die Bewältigung der DDR-Hinterlassenschaft ist in Schicksals aufgefaßt werden. der Tat, Herr Schwanitz — ich bin für Ihre Rede sehr (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten dankbar —, eine nationale Aufgabe, der wir uns alle der CDU/CSU) zu stellen haben. Ich begrüße ausdrücklich die Gele- genheit, den Opfern des SED-Unrechtsregimes sagen Dies hat erfreulicherweise auch der Bundesjustizmini- zu können: Der Deutsche Bundestag hat Sie nicht ver- ster in seiner Presseerklärung am 10. Mai so gesehen. gessen. Hier müssen Leistungen gewährt werden, die sich an Die Wiedergutmachung vergangenen Unrechts ist den tatsächlichen Lebensbedingungen unserer Tage besonders wichtig, um die Glaubwürdigkeit des orientieren, beispielsweise Tagessätze von 20 DM pro Rechtsstaats in die Bundesrepublik Deutschland für Hafttag, welche in besonderen Härtefällen auch an- die Menschen in den neuen Ländern erlebbar zu ma- gehoben werden können. chen. Rehabilitierung und Aufarbeitung der Folgen (Beifall bei der SPD) von 40 Jahren sozialistischer Diktatur stärken auch den inneren Frieden in unserem Land. Nur so kann die Rehabilitierung näherungsweise ei- nen Wiedergutmachungscharakter erhalten. Es ist auf die Grundlagen verwiesen worden, auf den Volkskammer-Beschluß vom 6. September, auf Abschließend möchte ich noch auf ein besonders den Art. 17 des Einigungsvertrags, aber auch auf die trauriges Kapitel im Bereich der strafrechtlichen Re- Forderungen des Ausschusses Deutsche Einheit und, habilitierung zu sprechen kommen. Gemeint das Un- ich will hinzufügen, auch auf die Koalitionsvereinba- recht, welches zwischen 1945 und 1949 in der dama- rungen zwischen CDU/CSU und FDP, wo wir eindeu- ligen SBZ durch die Sowjets begangen worden ist. tig gesagt haben, daß der Gesamtkomplex der Reha- Dies war das wohl dunkelste Kapitel der politischen bilitierung zu überprüfen und neu zu regeln sei. Verfolgung im Osten Deutschlands seit 1945. Hier wurden die längsten Haftstrafen ausgesprochen, so- Zahlreiche Vorredner haben auf die Spannweite fern überhaupt ein Gerichtsverfahren durchgeführt des den Menschen in der ehemaligen DDR zugefüg- worden ist. Verurteilungen von 20 bis 25 Jahren ten Unrechts verwiesen. Zwangsarbeit scheinen zeitweilig normales Strafmaß Ich will hier einige Beispiele anfügen. Angeführt gewesen zu sein. Dies war auch die Zeit der vermehr- worden ist die Zeit nach dem Krieg, als Menschen ten Todesurteile und der Vernichtung der Menschen deportiert, interniert und durch die sowjetischen Mili- in den Internierungslagern und Haftanstalten. Allein tärtribunale verurteilt worden sind. Wir sollten aber in der Haftanstalt Bautzen rechnet man mit ca. 16 000 auch daran erinnern, daß in dieser Zeit ehemalige Toten, zum Großteil in der Zeit zwischen 1945 und Nazi-KZs wie Buchenwald umfunktioniert und einem 1949. Es kann nicht akzeptiert werden, daß diese Un- neuen Zweck zugeführt worden sind. Ich erinnere an taten weiterhin aus dem Geltungsbereich des Rehabi- das Massengrab von Oranienburg, das eine beredte litierungsgesetzes herausfallen. Sprache über die Untaten dieser Zeit spricht. Es geht hier nicht darum, daß die Sowjetunion als Wir müssen auch daran erinnern, daß nach 1949 das eigentlicher Verursacher dieses Unrechts heute völ- Strafrecht zum Kampfinstrument zur Aufrechterhal- kerrechtlich dafür geradestehen will, wie dies der Par- tung der SED-Herrschaft verkommen ist. Bewußt sind lamentarische Staatssekretär des BMJ, Herr Göhner, unbeugsame Bürger zu Verbrechern gestempelt wor- und auch der Minister selbst heute wieder als Haupt- den. Die Grenzlinien zwischen politisch Inhaftierten hinderungsgrund ausgeführt haben. Es geht hier nicht und kriminellen Straftätern wurden verwischt. Die um einen Anspruch, den die Betroffenen gegenüber Kriminalisierung der politischen Opfer war Me- der Sowjetunion besitzen oder wahrnehmen wollen, thode, da es offiziell keine politischen Gefangenen in sondern es geht darum, daß diesen Unrechtsmaßnah- der DDR zu geben hatte. men bei dem innerstaatlichen Recht die gleiche Auf- Das Leid der Betroffenen übersteigt heute noch das merksamkeit entgegengebracht wird wie dem, was Vorstellungsvermögen des unbefangenen Beobach- sich nach 1949 in der DDR abgespielt hat. ters. Hier ist erwähnt worden, wie menschenunwür- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) dig die Haftbedingungen waren. Hier ist noch nicht erwähnt worden, daß es Wegnahme und Zwangs- Die Aufnahme dieser Inhaftierungen, Verschleppun- adoptierung von Kindern gab, daß Familien zerrissen gen und Tötungen zwischen 1945 und 1949 in die worden sind. Hier müssen die zahlreichen Todesfälle Rehabilitierung ist für uns unverzichtbarer Bestand- auch in der Haft in den letzten Jahren erwähnt wer- teil eines künftigen, möglichst schnell zu beschließen- den. Das Beispiel Bautzen ist hier genannt worden. den Rehabilitierungsgesetzes. Dieses für die Betroffe- Ich denke auch an die zahlreichen Schikanen und nen so wichtige Signal zu setzen, meine Damen und Willkürakte. 150 000 bis 200 000 Menschen gingen Herren, hätten Sie durch den vorliegenden SPD-An- durch die Kerker der SBZ und der DDR — 150 000 bis trag nun die Möglichkeit. 200 000 Menschen — , allein aus politischen Gründen. Danke schön. Ich denke, Bautzen, Cottbus und Hoheneck sind Sym- (Beifall bei der SPD) bole dieses Staatsterrors. Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 25. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 14. Mai 1991 1793

Hartmut Büttner (Schönebeck) Wir sollten an dieser Stelle allerdings auch auf die zwischen 1945 und 1949 sollten ihre Bemühungen um Enteignungen landwirtschaftlicher, betrieblicher und Gerechtigkeit auch wirklich noch erleben dürfen. häuslicher Vermögen schauen. (Beifall bei der CDU/CSU, der FDP und der Wir müssen sehen, daß die Spannweite für Rehabi- SPD) litierung auch die Einziehung des Vermögens von Voraussetzung für eine beschleunigte Abwicklung Republikflüchtigen und Regimegegnern umfaßt. Er- der strafrechtlichen Rehabilitierungsanträge ist aller- wähnt von Minister Kinkel wurden die 50 000 Ausge- dings die Abordnung von weiteren zusätzlichen Rich- wiesenen und Deportierten aus den Sperrgebieten auf tern aus den alten Bundesländer in die neuen Länder. der einen Seite der Grenze. Die westlichen Partnerländer haben viele Zusagen Die Bandbreite umfaßt die vielen Menschen, die im gemacht, viele Leistungen vollbracht. Aber ich denke, beruflichen Bereich von Pressionen der Einheitspartei das ist nicht überall ausreichend. Wir sollten an dieser erfaßt worden sind, Menschen, die als Reaktionen des Stelle erinnern, daß die zusätzlich zugesagten Richter SED-Regimes auf Kritik, Auflehnung oder Ausreise- auch baldmöglichst mit ihrer Arbeit beginnen müs- wunsch mit Degradierungen, Zugangsverweigerun- sen. Denn wir können es den Opfern nicht zumuten, gen und Entlassungen überzogen worden sind. Meine ihre Rehabilitierung vor belasteten Altrichtern anzu- Damen und Herren, diese Praxis ging bis zur Sippen- strengen. haft für Familienmitglieder, einer in Diktaturen (Beifall bei der CDU/CSU) — hier gab es einige Vergleiche — immer wiederkeh- Herr Schwanitz, ich sehe eine kleine Differenz, die renden Unterdrückungsmethode. wir aber sicherlich in den Ausschußberatungen aus- Die systematische Zerstörung von Lebensschicksa- räumen können. Eine gesetzliche Regelung sollte len Andersdenkender war auch ein Ergebnis der nicht bei einer Erweiterung des Häftlingsgesetzes ste- Stasi-Tätigkeit. Ich will einen Hinweis geben, Frau henbleiben. Dessen Zielsetzung umfaßt im wesentli- Köppe. Ich denke, Sie werden dann keine Schwierig- chen nur die Eingliederungshilfe. Ich meine, unser keiten haben, dem Teil des Gesetzentwurfs zuzustim- Ziel muß es sein, einen Ausgleich für erlittene Nach- men, den wir hiermit in Verbindung mit der Situation teile zu vermitteln. Wir brauchen deshalb eine spe- im Rentenbereich eingebracht haben, wo wir die zielle Ausgleichsregelung zum Zwecke der Wieder- Stasi-Renten auf 600 DM beschränken wollen. Ich gutmachung in diesem Falle. Dabei ist mehrfach an- denke, das ist auch ein Stück Gerechtigkeit, das man gedeutet worden, daß die 1 DM pro Hafttag in der Tat in dieser Diskussion mit einfügen sollte. ein Skandal und gänzlich unzureichend ist. Die Wiedergutmachung des erlittenen Unrechts ist Meine Damen und Herren, weder menschlich noch vor allen Dingen allerdings auch eine moralische Auf- politisch ist zwischen den Opfern deutscher Diktatu- gabe. Neben der materiellen Seite muß es ebenfalls ren ein Unterschied zu machen. Ich möchte deshalb den Vorschlag einfügen, daß eine Orientierung an die menschliche Qualität der Rehabilitierung geben. Die Opfer der Diktatur dürfen nicht den Eindruck den Entschädigungszahlen für Nazi-Opfer unter Be- gewinnen, als würde die Fürsorge für diejenigen, die rücksichtigung der heutigen Verhältnisse ein geeig- in der untergegangenen DDR Unrecht zu verantwor- neter Maßstab wäre. ten haben, mehr Aufmerksamkeit als die teilweise (Beifall bei der CDU/CSU) vergessenen Opfer erregen. Eine Sonderregelung jenseits des Häftlingsgesetzes (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) ist auch deshalb geboten, weil auch eine Vereinfa- chung des Verfahrenswegs angesichts der Fülle der Meine Damen und Herren, der Bundesjustizmini- Ansprüche unausweichlich ist. Eine Gerichtsentschei- ster sprach von 50 000 zur Zeit vorliegenden Rehabi- dung über eine anerkannte Wiedergutmachungsmaß- litierungsanträgen. Zu erwarten sind 100 000 als vor- nahme muß auch für die Vollzugsbehörden bindend sichtige Schätzung. Allein diese Zahlen zeigen die sein. Auf zusätzliche, langwierige Anerkennungsver- Dimension der Aufgabe. Deshalb dürfen wir nicht den fahren sollte verzichtet werden. Eindruck erwecken, als könnten wir jegliches erlitte- nes Unrecht, Frau Köppe, sofort materiell und Meine Damen und Herren, ein Punkt, der mir be- menschlich lösen. Diese 45 Jahre lassen sich, denke sonders am Herzen liegt, müßte allerdings hier auch ich, nicht in wenigen Monaten aufarbeiten. Deshalb Erwähnung finden. Ich denke, daß auch der Bereich sollten wir bei der Bewältigung des Gesamtproblems der Widerständler des Volksaufstandes vom 17. Juni Schwerpunkte setzen, wir auch bewußt als Parla- 1953 durch Erweiterung des Tatbestandes der Reha- ment. bilitierung Aufnahme in das Gesetz finden sollte. Diese Widerständler sind durch die bisherigen Rege- Ich meine, daß hier zunächst einmal an erster Stelle lungen ebenfalls nicht erfaßt worden. die Rehabilitierung der Haftopfer von Bautzen und Hohenegg und der anderen Gefängnisse beginnen Besondere Schwierigkeiten — das wurde angespro- muß. Den Betroffenen der gleichgeschalteten Justiz chen — werden wir bei der Bewältigung der unter- muß unsere erste Fürsorge gelten. Das gilt ebenfalls schiedlichen Einzelaspekte der beruflichen Rehabili- für die Menschen aus den Grenzgebieten, die tierung bekommen. Hier wird es auch sehr, sehr zwangsausgesiedelt worden sind. Ich meine aller- schwer sein, die Zahlen zusammenzubekommen. dings auch — das ist hier ebenfalls von Frau Schröter Deshalb wird dieser Bereich sicherlich erst nach sorg- schon einmal angesprochen worden —, das muß vor fältiger Aufarbeitung aller verfügbaren Quellen zu allem für ältere Menschen gelten. Die Opfer der Zeit lösen sein. 1794 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 25. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 14. Mai 1991

Hartmut Büttner (Schönebeck) Meine Damen und Herren, in dieser Frage, wie waltungsakte sowie berufliche Nachteile durch Ent- auch bei den Problemen der Bewältigung der Stasi- scheidungen von Betrieben umfassen muß. vergangenheit, sollte es Zielstellung des Deutschen Bundestages sein, zu einer gemeinsamen Lösung aller Strittig war zunächst der Maßstab, an dem das Un- recht gemessen wird. Der Ausschuß empfahl einmü- demokratischen Fraktionen und Gruppen zu kom- men. Ich denke, die heutigen Diskussionsbeiträge ha- tig, von den verfassungsmäßig garantierten Grund- ben hierfür eine gute Basis gelegt. Wir können unse- und Menschenrechten der DDR auszugehen. rer Verantwortung gegenüber den Opfern in der Tat Ein ursprünglich vorgesehener Abschnitt über die gerecht werden. Rehabilitierung von Personen, die durch alliierte Be- Herzlichen Dank. satzungsmächte in Gewahrsam genommen wurden, wurde vom Ministerrat der DDR gestrichen; dann (Beifall bei der CDU/CSU, der FDP und der aber vornehmlich auf Grund der Forderungen des SPD) Verbandes der Opfer des Stalinismus wieder aufge- nommen. Vizepräsident Helmuth Becker: Meine Damen und Im Ergebnis unserer Diskussion im Rechtsausschuß Herren, das Wort hat jetzt der Herr Kollege Uwe-Jens wurde gleichzeitig die Festlegung getroffen, daß eine Heuer. Rehabilitierung nicht erfolgt, wenn die Gründe der Inhaftierung von den Betroffenen zu vertreten sind, insbesondere wenn die Handlung nach international (PDS/Linke Liste): Herr Präsi- Dr. Uwe-Jens Heuer anerkannten Rechtsgrundsätzen zu verurteilen ist. dent! Meine Damen und Herren! Gestatten Sie mir zu Das gelte vor allem für Verbrechen gegen den Frie- Beginn eine Bitte. Im Zusammenhang mit der Anfrage den, gegen die Menschlichkeit und für Kriegsverbre- von Frau Braband von unserer Gruppe wurden hier chen. sehr scharfe Zwischenrufe gemacht, (Zuruf von der FDP: Das gehört dazu!)- Ein wesentlicher Punkt waren noch Hinweise der bundesdeutschen Seite auf Schwierigkeiten der die ihr das Recht absprachen, eine solche Frage zu finanziellen Abdeckung des Entschädigungsgesetzes. stellen. Ich würde bitten, daß wir versuchen, festzu- Das betraf beispielsweise die Bemessungsgrundlage stellen, was jeder einzelne in diesem Parlament für für die Höhe der Entschädigung; Zeit- bzw. Einheits- eine Stellung hat. Wir haben in unserer Gruppe Men- wert. schen sehr verschiedener Herkunft und auch unter- schiedlicher politischer Einstellung. Ich würde sagen: Mit dem Bekanntwerden des Entwurfs des Zweiten Es gehört zur politischen Kultur, daß man den politi- Staatsvertrages wuchs bei allen Fraktionen die Be- schen Gegner auch als Individuum sieht und entspre- sorgnis, ob es sich überhaupt noch lohne, hier weiter- chend behandelt. zuarbeiten. Das führte sehr deutlich der Abgeordnete (Jürgen Timm [FDP]: Das haben wir ge Reichel für die Fraktion Bündnis 90/GRÜNE aus. Die tan!) Ursache hier für war Art. 17, der den Erlaß eines Reha- bilitierungsgesetzes durch den Gesetzgeber des ver- — Nein, das ist z. B. in diesem Falle nicht gesche- einigten Deutschlands vorsah. hen. Die Volkskammer beschloß deshalb am 6. Septem- Das Anliegen des Antrags ist in unseren Augen voll ber bei einer Stimmenthaltung, die Regierung der berechtigt. Der Entschließungsantrag läßt aber nach DDR zu beauftragen, Nachverhandlungen zu führen unserer Meinung ungenügend deutlich erkennen, mit dem Ziel, das welch wesentliche Arbeit an einem Rehabilitierungs- Rehabilitierungsgesetz als weiter- geltendes Recht zu verankern. Tatsächlich aber — das gesetz bereits von der Volkskammer der DDR gelei- ist der entscheidende Grund, warum wir heute zusam- stet worden ist, und zwar von allen Fraktionen dieser Volkskammer, die in seltener Einmütigkeit dieses Ge- mensitzen müssen — wurde unser Rehabilitierungs- gesetz nur als Torso übernommen und praktisch auf setz am 6. September 1990 mit nur einer Gegen- die strafrechtliche Rehabilitierung beschränkt, womit stimme und fünf Stimmenthaltungen verabschiedet sicher erhebliche Mittel eingespart wurden. hat. Die PDS hatte an der Erarbeitung dieses Gesetzes Jetzt ergibt sich die Notwendigkeit, wieder auf das — die anderen hier noch mitwirkenden Mitglieder DDR-Gesetz zurückzugreifen und erneut die beiden unseres damaligen Rechtsausschusses werden mir anderen Rehabilitierungsformen zu regeln und natür- das bestätigen — ihren Anteil. Der Rechtsausschuß als lich notwendige Verbesserungen vorzunehmen. Dazu federführender Ausschuß hat sich an drei Sitzungsta- ist heute hier schon gesprochen worden. gen — mit zum Teil sehr ausführlichen Anhörun- Was die finanzielle Seite betrifft, so zeigt das Bei- gen — mit diesem Gesetz befaßt. Ich muß Ihnen geste- spiel des Golfkrieges, welche Reserven es gibt. Vom hen, daß mich vieles, was ich in diesen Anhörungen ehemaligen SED-Vermögen hätte ein Teil der von etwa über die Art und Weise der Zwangsumsiedlun- uns im Januar 1990 überwiesenen mehr als 3 Milliar- gen an der Grenze oder über die Waldheimer Prozesse den DM für diesen Zweck verwendet werden können. erfuhr, tief erschüttert hat. Wenn die Treuhandanstalt und die Parteienkommis- Welches waren die Hauptergebnisse unserer Ar- sion unserem Vorschlag zur endgültigen Regelung beit? — Es gab eine Verständigung darüber, daß die der Vermögensfragen gefolgt wären, so stünden be- Rehabilitierung eine ideelle und eine materielle Seite achtliche Mittel zur Verfügung. Das erfordert aller- hat und daß sie über die strafrechtliche Rehabilitie- dings, daß die Treuhandanstalt endlich ihrem Auftrag rung hinausgehen und auch die Nachteile durch Ver nachkommt, rechtmäßig erworbenes Eigentum, das Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 25. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 14. Mai 1991 1795

Dr. Uwe-Jens Heuer der PDS zu übertragen ist, und anderes Eigentum zu sonderzügen der Bundesbahn durchgeführt, die sich trennen und nicht ihre treuhänderische Stellung ad sogar vom Bundesverfassungsgericht die Unbedenk- infinitum zu verlängern. lichkeit derartiger Fahrten bescheinigen ließ. In dem Entschließungsantrag der SPD wird großer (Manfred Richter [Bremerhaven] [FDP]: Eine Wert darauf gelegt, Maßnahmen der sowjetischen Zumutung für dieses Haus! — Dirk Hansen Besatzungsmacht einzubeziehen. Der Ministerrat der [FDP]: Sie schaffen sich Ihr eigenes Alibi!) DDR hatte, wie schon erwähnt, ursprünglich darauf 1961 wurde dann die „Aktion" plötzlich für verfas- verzichtet. Die Festlegungen unseres Rehabilitie- sungswidrig und strafbar erklärt. Den beiden Frauen rungsgesetzes wurden im zweiten Staatsvertrag nicht wird die Haftzeit bis heute nicht auf die Rente ange- übernommen. Offenbar spielten hier außenpolitische rechnet. Rücksichten eine wesentliche Rolle. Der Herr Justiz- Das sind zwei von vielen Fällen. Ich denke, wir soll- minister ist auf diese Frage hier heute ebenfalls ein- ten gesetzliche Möglichkeiten schaffen, um auch un- gegangen. ter diese Dinge einen Schlußstrich zu ziehen. Man Dieses Problem sollte sehr gründlich geprüft wer- sollte dem Deutschen Bundestag nicht später einmal den. Insbesondere halten wir es für fragwürdig, eine vorwerfen können, mit zweierlei Maß zu messen. solche Festlegung jetzt im einheitlichen Deutschland Danke schön. Maßnahmen einer der vier Siegermächte zu nur für (Beifall bei der PDS/Linke Liste — F riedrich treffen. Hier wird eine Einseitigkeit des Entschlie- Bohl [CDU/CSU]: Eine Verhöhnung der Op ßungsantrags der SPD deutlich, die — neben dem Ste- fer! — Manfred Richter [Bremerhaven] reotyp SED-Unrechtsstaat — auch noch in einer ande- [FDP]: Die Rede eines Unbelehrbaren! Uner ren Frage offenbar wird. träglich! — Weitere Zurufe von der CDU/ Es darf keinerlei Abstriche an der Verurteilung in CSU und der FDP) der DDR begangenen Unrechts geben. Dieses Un- recht ist zu einem erheblichen Teil aus den Bedingun-- gen des Kalten Krieges zu erklären, wenn auch nicht Vizepräsident Helmuth Becker: Das Wort hat jetzt zu rechtfertigen. der Kollege Jörg van Essen. ( [CDU/CSU]: Keine Ablen kung!) Jörg van Essen (FDP): Meine Damen und Herren! Die Rehabilitation ist ein Thema, das man nicht ohne Wir dürfen dabei aber nicht vergessen, daß der Kalte Emotionen angehen kann, insbesondere dann nicht, Krieg auch in der alten Bundesrepublik Opfer gefor- wenn man den Beitrag des Kollegen Heuer gehört dert hat. hat. (Manfred Richter [Bremerhaven] [FDP]: (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Diese Vergleiche sind unerträglich!) Ich denke, dieser Redebeitrag war eine Verhöhnung Wenn sich nicht wieder einmal das Wort von den Sie- der Opfer der Diktatur der SED. gern und den Besiegten bestätigen soll, dann sollten (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU sowie wir auch diesen Menschen Gerechtigkeit widerfahren bei Abgeordneten der SPD) lassen. Dieses Thema kann man seitens der Betroffenen nicht Nicht nur die DDR, auch die alte Bundesrepublik ohne Emotionen angehen, denen zum Teil wichtige hatte ihre politische Strafjustiz. Zwischen 1951 und Lebensjahre gestohlen worden sind, denen zum Teil 1968 gab es etwa 250 000 Ermittlungsverfahren. Etwa sogar die gesamte Lebensperspektive vernichtet 8 000 westdeutsche Bürger waren in dieser Zeit we- wurde. Aber auch ich selbst als Bürger der alten Bun- gen ihrer politischen Tätigkeit im Gefängnis. desrepublik bin nicht frei davon. Zu oft habe ich selbst (Dirk Hansen [FDP]: Sie sind Opfer Ihrer ei entlassene Strafgefangene aus Bautzen oder anderen genen Propaganda! — Manfred Richter [Bre Strafanstalten der ehemaligen DDR vernommen und merhaven] [FDP]: Sie haben ja nichts ge dabei von den Praktiken, genauer: schlimmen Strafta- lernt!) ten bestimmter Wärter erfahren, deren Namen immer wieder auftauchten. Zu oft war ich über langjährige Die politischen Straftatbestände, geschaffen als Freiheitsstrafen erschrocken, die für eigentlich ganz — wie seinerzeit Herr Hassler von der CDU/CSU- selbstverständliche Aktivitäten verhängt wurden, Fraktion im 3. Deutschen Bundestag formulierte — etwa die Gründung einer Umweltschutzgruppe im „Waffe, um im Kalten Krieg zu bestehen", wurden kirchlichen Umfeld. dann Ende der 60er Jahre aufgehoben. Aber die von Aber so verständlich Gefühle in diesem Bereich der politischen Justiz und auch die von den Berufsver- sind, in der Politik sind sie nicht immer ein guter Rat- boten betroffenen Bürger warten bis jetzt vergeblich geber. Nähert man sich dem Thema rational als Ju rist, auf Gerechtigkeit. so werden ebenfalls schnell Grenzen sichtbar. Der Dazu gehören z. B. zwei Frauen aus Niedersachsen, Jurist strebt nach Möglichkeit eine Einzelfallgerech- die vom Landgericht Lüneburg Anfang der 60er Jahre tigkeit an. Nur, sie setzt komplizierte Regelungen und zu je einem Jahr Gefängnis verurteilt wurden, weil sie umfangreiche Untersuchungen voraus, wobei ange- im Rahmen der Aktion „Frohe Fe rien für alle Kinder" sichts der zum Teil vernichteten Stasi-Unterlagen of- entsprechende Erholungsmöglichkeiten in der DDR fenbleibt, ob man wirklich alles zugunsten der Opfer vermittelt hatten. Bis 1961, sieben Jahre, hat man berücksichtigt hat, ganz zu schweigen von dem zeitli- diese Fahrten in die DDR mit preisverbilligten Ferien chen Aufwand, den dies bei der zu erwartenden ho- 1796 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 25. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 14. Mai 1991

Jörg van Essen hen Zahl von Rehabilitierungsanträgen — die Zahl Bereich der Rehabilitation aus Verwaltungsunrecht 100 000 ist hier schon mehrfach genannt worden — gilt es für die Bereiche der Freiheitsentziehung im erfordert. Vorfeld der Justiz, der Unterbringung in der Psychia- trie, für Maßnahmen der Polizei sowie der Zwangs- Müssen die Opfer der Diktatur zu lange auf ihr aussiedlungen aus dem Grenzbereich zur Bundesre- Recht warten, ist von Gerechtigkeit keine Spur mehr. publik. Insbesondere die älteren Opfer würden die Entschei- dung oft nicht mehr erleben. Die uns im Einigungsver- Dabei sollte auch die Anregung der Opfer geprüft trag auferlegte Verpflichtung, unverzüglich eine ge- werden — das ist bisher von keinem der Vorredner setzliche Grundlage für die Rehabilitierung der Opfer gesagt worden; ich halte aber auch das für wichtig —, zu schaffen, sollte deshalb insbesondere zur Be- wo immer möglich eine summarische und pauschale schleunigung der Verfahren genutzt werden. Der Regelung zu treffen, die langwierige Einzelnachfor- Bundesjustizminister beabsichtigt eine Zusammen- schungen erübrigt. Ich begrüße in diesem Zusammen- fassung von Rehabilitation und Kassation. Dies unter- hang nachdrücklich das Hilfsangebot des Deutschen stütze ich nachdrücklich, bediente sich doch die SED- Anwaltvereins, das ebenfalls zu einer Beschleunigung Diktatur zur Verfolgung ihrer Opfer der gesamten der Entscheidung führen kann. Klaviatur nicht nur des Strafrechts. Es gibt aber dar- Lassen Sie mich zum Schluß noch eines anmerken: über hinaus die Möglichkeit — hier unterstütze ich die Die Rehabilitation ist nur eine Seite, mit der wir den Worte eines Vorredners — belastete Richter, die in Opfern Genugtuung verschaffen müssen. Auch das Kassationsverfahren an der Überprüfung beteiligt Verhalten der Täter, der Handelnden, ist in rechts- sein können, von der Mitwirkung auszuschließen. Da- staatlichen Verfahren zu prüfen. mit wird das Vertrauen der Betroffenen in die gericht- (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) liche Entscheidung verstärkt. Das ist keine Rache, die auch die Opfer nicht wollen, Auch die Pläne für eine eigene Regelung des sozia- sondern ein weiteres notwendiges Element der Ge- len Ausgleichs, die von dem hier nicht passenden - rechtigkeit. Häftlingshilfegesetz abgekoppelt ist, erscheinen mir unterstützenswert. Das Häftlingshilfegesetz ist insbe- Dem Überweisungsvorschlag stimme ich namens der FDP zu. sondere deshalb keine geeignete Grundlage, weil es ein anderes Ziel hat, nämlich die Eingliederung. Ich Vielen Dank. bedaure deshalb etwas, daß die SPD in ihrem Antrag (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) wieder auf das Häftlingshilfegesetz abstellt. Mit allen meinen Vorrednern bin ich jedoch einig, daß die Ent- schädigungssätze des Häftlingshilfegesetzes in kei- Vizepräsident Helmuth Becker: Meine Damen und nem Fall ausreichend sind. Herren, letzter Redner zum Zusatztagesordnungs- punkt 2 ist der Kollege Hans-Joachim Hacker. (Dr. Herta Däubler-Gmelin [SPD]: Das ist gut!) Auch wenn man z. B. unrechtmäßig verbüßte Haft Hans-Joachim Hacker (SPD): Herr Präsident! oder die ähnlich zu beurteilende Unterbringung in der Meine Damen und Herren! Ich reihe mich ein in die Psychiatrie durch Geld im wahrsten Sinne des Wortes Worte meiner Vorredner, daß es höchste Zeit ist, daß nicht wieder „gutmachen" kann, so ist eine angemes- sich der Deutsche Bundestag mit den Fragen der Re- sene Entschädigung, die sich an den Leistungen für habilitierung der Opfer des SED-Unrechts beschäf- die NS-Opfer orientiert, doch ein kleiner Ausgleich für tigt. das erlittene schlimme Unrecht. Wenn es nach den Vorstellungen der SPD gegan- Die Erwähnung der Opfer einer anderen schlimmen gen wäre, hätte der Deutsche Bundestag diese vorran- Diktatur in Deutschland macht für mich jedoch auch gige Aufgabe schon viel früher angepackt. eine Grenze der Entschädigung nach oben deutlich. (Beifall bei der SPD) Die Opfer der NS-Diktatur, insbesondere die Überle Zusammen mit den ehemaligen Volkskammerabge- benden der Konzentrationslager, dürfen nicht den ordneten bin ich stolz darauf, daß die Volkskammer Eindruck haben, ihr Leiden werde geringer bewertet der ehemaligen DDR trotz der großen Fülle der weite- als das der Opfer der SED-Diktatur. ren in dieser Zeit des Aufbruches und der großen poli- Gerade weil die Zeit drängt, halte ich es — damit tischen Aufgaben der Einigung Deutschlands drin- widerspreche ich dem Kollegen Marschewski — für gend gesetzlich zu regelnden Fragen ein weit umfas- überlegenswert, kein Gesamtpaket zu schnüren, das senderes Rehabilitierungsgesetz beschlossen hat, als auch die besonders schwierige Frage der beruflichen es nach den Einschränkungen des Einigungsvertra- Rehabilitation bereits enthält. ges schließlich übriggeblieben ist. Das war ein für viele Betroffene sichtbares Zeichen, ihnen angetanes Auch der Bereich der Verfolgung nach 1945, der Unrecht wiedergutzumachen, soweit dies heute über- auch nach meiner Auffassung geregelt werden muß, haupt noch möglich ist. ist nicht so unverzüglich zu klären — der Bundesju- stizminister hat es ausgeführt — , wie es wünschens- Man mag hinsichtlich der Feinheiten der juristi- wert wäre. schen Ausgestaltung des Gesetzes der Volkskammer Einwände haben — aber welches Gesetz ist vollkom- Die Chancen zu einer schnellen ersten Regelung men, meine Damen und Herren? —, auf jeden Fall sollten genutzt werden. Dazu zähle ich zunächst den würde es der grundsätzlichen Aufgabenstellung, mit Bereich der strafrechtlichen Rehabilitation. Aus dem der wir es hier zu tun haben, weit besser gerecht als Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 25. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 14. Mai 1991 1797

Hans-Joachim Hacker der nach dem Einigungsvertrag übriggebliebene schen im Machtbereich der SED schikaniert, diszipli- Torso. niert und zwangsweise den Weisungen der Parteifüh- rungen untergeordnet wurden. Die nun anstehende Reparaturgesetzgebung muß sich von dem Grundsatz leiten lassen, wie er in der Dazu gehören auch die vielen Tausenden von Men- Präambel des Gesetzes vom 6. September 1990 for- schen, die in inhumaner Weise aus dem grenznahen muliert wurde, daß die Rehabilitierung von Personen, Raum zwangsevakuiert wurden. Ich denke an dieser die im Widerspruch zu verfassungsmäßig garantierten Stelle insbesondere an diejenigen, die von den un- Grund- und Menschenrechten strafrechtlich verfolgt, menschlichen Maßnahmen des Grenzregimes der da- diskriminiert oder in anderer Weise in ihren Rechten maligen DDR betroffen wurden. Wir in diesem Hause schwerwiegend beeinträchtigt wurden, ein wesentli- müssen uns dessen in besonderer Weise bewußt sein, ches Element der Politik zur demokratischen Erneue- wenn wir daran denken, welche Gedenksteine in we- rung der Gesellschaft, des Staates und des Rechts in nigen 100 m Entfernung stehen. den neuen Bundesländern ist. Im Zusammenhang mit der Zwangsevakuierung In diesem Sinne ist auch die Anfrage der Fraktion aus dem ehemaligen innerdeutschen Grenzgebiet ist der SPD zur Rehabilitierung der Opfer des SED-Un- ein Problem aufgetreten, auf das ich an dieser Stelle rechts vom Februar dieses Jahres zu sehen, mit der wir ausdrücklich aufmerksam machen möchte, das wir die Bundesregierung zum wiederholten Male zu einer allerdings auch bei der Änderung des Vermögensge- gründlichen Bestandsaufnahme als Grundlage für die setzes durch das Gesetz vom 22. März 1991 zur Besei- dringende und umfassende Novellierung des Rehabi- tigung von Hemmnissen bei der Privatisierung von litierungsgesetzes veranlassen wollten. Wir Sozialde- Unternehmen und zur Förderung von Investitionen mokraten waren mit der schleppenden Behandlung nicht genügend berücksichtigt haben. Ich meine, das dieser wichtigen Aufgabe durch die Bundesregierung Vermögensgesetz stellt in § 1 Abs. 1 a auf die entschä- nicht einverstanden, die sich den Vorwurf gefallen digungslose Enteignung und Überführung in Volksei- lassen muß, die Regelung der Eigentumsfragen, die gentum ab. Damit werden die rechtsstaatswidrigen Entschädigung für Enteignungen, viel intensiver und Vertreibungsmaßnahmen von Bürgern aus dem Ge- zügiger betrieben zu haben als die Ausarbeitung von biet an der sogenannten Staatsgrenze-West der ehe- Regelungen auf dem Gebiet der Rehabilitierung und maligen DDR nicht mit erfaßt, da hier in der Regel der wenigstens teilweisen Wiedergutmachung des Entschädigungen gezahlt worden sind. Den Betroffe- den Opfern des Stalinismus und SED-Unrechts zuge- nen geht es aber um die Wiedereinsetzung in ihre fügten menschlichen Leides. alten Eigentümerrechte als Voraussetzung für die Die erschütternden Schicksale der Opfer wurden Rückkehr in die alte Heimat. Es ist unhaltbar, wenn auf Foren deutlich. Ich kann Ihnen sagen: In meinem die zwangsweise Ausgesiedelten jetzt die Prozedur eigenen Wahlkreis wird mir in Beratungen mit Betrof- über sich ergehen lassen müssen, daß sie als Bittsteller fenen jedesmal deutlich, welches Unrecht dort ge- erst zum Vermögensamt, dann zum Landrat und dann schehen ist. zur Landesregierung gehen in dem Bestreben, eine Lösung ihres Problems herbeizuführen. Sie erfahren Wir Sozialdemokraten begrüßen, daß sich nunmehr zwar überall viel Verständnis, aber praktische Hilfe ist auch der Bundesjustizminister zur Notwendigkeit ei- nicht möglich. ner umfassenden und beschleunigten Regelung der offenen Rehabilitierungsfragen bekannt hat, Eine umfassende Rehabilitierung muß auch berück- sichtigen, daß im Sinne der dargestellten Ziele der (Zustimmung bei der SPD) SED-Politik ebenso Maßnahmen beruflicher Benach- so daß der Ihnen vorliegende Entschließungsantrag teiligung wie Berufsverbote, Entlassungen und Aus- der Fraktion der SPD Aussicht hat, von der Mehrheit schluß von Beförderungen sowie behördliche Un- dieses Hauses akzeptiert zu werden. rechtsakte wie die Aberkennung von Qualifikationen und die Verweigerung und der Entzug staatlicher Er- (Zustimmung bei der SPD) laubnisse von den Organen des Staates durchgeführt Dieser Antrag sollte als Ausgangsposition und ge- wurden. Dies ist sicher nicht der einfachste Rege- meinsame Grundlage für die anstehende Reparatur- lungsbereich, da Hunderttausende beruflich benach- gesetzgebung Ihre Zustimmung finden. Mit einem teiligt wurden und der Gesetzgeber die Relation die- klaren Votum würden wir ein nachhaltiges Signal set- ses Regelungsbereichs zu anderen Bereichen unbe- zen, auf das die Betreffenden seit dem 3. Oktober war- dingt beachten muß. Ich befinde mich in Übereinstim- ten. mung mit dem Bundesjustizminister, wenn ich sage: Hier kommt es auf eine Gewichtung an. Wir müssen Ich möchte nun auf einige Schwerpunkte der No- die grassierenden Auswüchse, die vor allen Dingen im vellierung des Rehabilitierungsgesetzes eingehen. Bereich des politischen Strafrechts vorgekommen Darauf haben meine Vorredner zwar schon hingewie- sind, natürlich anders bewerten als Einschränkungen sen, aber ich denke, es sind doch noch einmal einige im Bereich der beruflichen Tätigkeit. Akzente in besonderer Form zu setzen. Mit der Repa- raturgesetzgebung ist sicherzustellen, daß neben der Meine Damen und Herren, lassen Sie mich ab- strafrechtlichen Rehabilitierung auch die verwal- schließend noch kurz auf das Problem der Kosten der tungsrechtliche und die berufliche Rehabilitierung Rehabilitierung eingehen. Es kann nicht akzeptiert der Opfer des SED-Unrechts ermöglicht wird, denn werden, wenn die Bezahlbarkeit der Wiedergutma- die Kriminalisierung Andersdenkender mit den Mit- chungsleistungen in den Vordergrund der Überlegun- teln des politischen Strafrechts war nur eine Erschei- gen gestellt wird. Es ist den zumeist im fortgeschritte- nungsform der Willkürakte, mit deren Hilfe die Men- nen Lebensalter befindlichen, an den Folgen der Un- 1798 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 25. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 14. Mai 1991

Hans-Joachim Hacker rechtsmaßnahmen noch heute leidenden Menschen, Interfraktionell wird Überweisung der soeben be- die zum Teil in kümmerlichen Verhältnissen leben, handelten Vorlage auf Drucksache 12/570 an die in nicht zuzumuten, noch mehr Geduld aufzubringen, der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorge- als sie bis jetzt schon aufgebracht haben. schlagen. Sind Sie damit einverstanden? — Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Dann ist die Überwei- (Zustimmung bei der SPD) sung so beschlossen. Insofern ist es für mich persönlich enttäuschend, wenn Sie, Herr Bundesminister, offensichtlich auch unter Hinweis auf bestimmte Verweise des Finanzministers Ich rufe nunmehr Tagesordnungspunkt 9 auf: diese Geduld weiter einfordern. Zu den besonderen Problemen der beruflichen Rehabilitierung und der Beratung des Antrags der Fraktion der SPD entsprechenden Vorbereitung hatte ich mich, denke Aktionsprogramm zur Sicherung der berufli- ich, deutlich geäußert. Ich sehe auch hier einen Be- chen Bildung in den neuen Ländern reich für eine gründliche Prüfung. Ganz eindeutig stellen wir Sozialdemokraten fest, — Drucksache 12/416 — daß die Kosten für die Rehabilitierung der Bund tra- Überweisungsvorschlag: gen muß und daß sie nicht auf die Länder abgescho- Ausschuß für Bildung und Wissenschaft (federführend) ben werden können, auch wenn diese nach der Ver- Ausschuß für Wirtschaft fassung dafür zuständig sind. Insbesondere die neuen Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung Ausschuß für Frauen und Jugend Bundesländer haben für diesen Bereich nicht das nö- Haushaltsausschuß tige Geld, um die Kosten zu tragen. In diesem Zusammenhang erinnere ich erneut an Es haben inzwischen alle für diesen Tagesord- nungspunkt vorgesehenen Redner ihre Rede zu Pro- die Möglichkeit der Inanspruchnahme der wider- tokoll gegeben. ) rechtlich erworbenen Vermögenswerte der SED und (Beifall) der anderen Blockparteien für die Zwecke der Reha- bilitierung. Ich hoffe, daß alle damit einverstanden sind, daß wir (Dr. Herta Däubler-Gmelin [SPD]: Sehr so verfahren. — Ich sehe keinen Widerspruch. Dann wahr!) ist das so beschlossen. Hierbei geht es nicht um Enteignung, sondern um In diesem Fall wird interfraktionell die Überwei- eine Vermögenszuführung an den rechtmäßigen Ei- sung der Vorlage auf Drucksache 12/416 an die in der gentümer, der dann über das Vermögen befinden Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschla- kann. Ich freue mich, daß sich auch Herr Kollege Pro- gen. Sind Sie damit einverstanden? — Ich sehe und fessor Heuer heute dazu in verbindlicher Form geäu- höre keinen Widerspruch. Dann ist auch diese Über- ßert hat. Aber bis heute ist der von der Volkskammer weisung so beschlossen. der damaligen DDR erteilte Auftrag an die ehemalige Regierung, die am 3. Oktober die Verantwortung auf die neue Regierung Gesamtdeutschlands übertragen Ich rufe nunmehr Zusatztagesordnungspunkt 3 hat, nicht abgearbeitet worden. Es ist für uns nicht zu auf: erkennen, was sich auf dem Gebiet der Klärung der Parteienvermögensfrage tut. Jedenfalls ist bis jetzt Erste Beratung des von der Abgeordneten Dr. nichts Erkennbares geschehen. Ich frage die Bundes- Barbara Höll und der Gruppe der PDS/Linke regierung, welche Aktivitäten insbesondere durch die Liste eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes Treuhandanstalt inzwischen eingeleitet wurden und zur Änderung des Bundessozialhilfegesetzes zu welchen Ergebnissen sie geführt haben. — Drucksache 12/483 —

Nach wie vor können noch von den Altparteien ein- Überweisungsvorschlag: gesetzte Gesellschafter aus den ihnen eingeräumten Ausschuß für Familie und Senioren (federführend) Vorzugsbedingungen Gewinne realisieren und alte Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung Seilschaften ein gutes Leben führen, während die Ar- Haushaltsausschuß mitberatend und gem. § 96 GO beitnehmer in den neuen Bundesländern die Folgen Auch hier haben alle Redner, die sich zu diesem der Mißwirtschaft in der DDR zu tragen haben und die Opfer des SED-Unrechts bisher leer ausgingen. Hier Tagesordnungspunkt gemeldet haben, ihre Rede zu Protokoll gegeben. *) ist eine Deckungsquelle für die Kosten der Rehabili- tierung, auf die ich die Bundesregierung nachdrück- (Beifall) lich hinweisen will. Ich hoffe, daß auch hier kein Widerspruch erfolgt. — Ich danke Ihnen. Dann ist das so beschlossen. (Beifall bei der SPD und dem Bündnis 90/ Wir werden diesen Antrag auf Drucksache 12/483, GRÜNE) wie interfraktionell vorgesehen, an die in der Tages- ordnung aufgeführten Ausschüsse überweisen. Gibt es anderweitige Vorschläge? — Das ist nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Vizepräsident Helmuth Becker: Meine Damen und Herren, ich schließe die Aussprache. Weitere Wort- *) Die Reden werden in einem Nachtrag zu diesem Plenarpro- meldungen liegen nicht vor. tokoll veröffentlicht. Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 25. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 14. Mai 1991 1799

Vizepräsident Helmuth Becker Ich rufe nunmehr den Tagesordnungspunkt 10 Das in seiner Art einmalige, europäisch orientierte auf: und überaus niveauvolle Kulturprogramm des Beratung des Antrags der Abgeordneten Ange- Deutschlandsenders wäre für die westdeutsche Hör- lika Barbe, Holger Bartsch, Ing rid Becker funklandschaft eine Bereicherung. Künftig sollten Inglau und weiterer Abgeordneter aus allen auch die Programme der beiden entstehenden ost- Fraktionen und Gruppen deutschen Rundfunkanstalten überall in Deutschland zu hören sein. Einspeisung der DFF-Länderkette in das Fern- sehkabelnetz des Deutschen Bundestages Zudem ermöglicht die Realisierung unseres Antra- ges einen Einblick in den vielschichtigen Versuch der — Drucksache 12/481 — ehemals staatstragenden Massenmedien, die Demo- Überweisungsvorschlag: kratisierung unseres Landes weiterzuführen, Vergan- Ältestenrat (federführend) genheitsbewältigung zu leisten und zugleich der Ver- Haushaltsausschuß antwortung für den Wiederaufbau der Gesellschaft Zum Tagesordnungspunkt 10 gibt es zwei Wortmel- gerecht zu werden. Diese schwere Arbeit muß in den dungen. Das Wort hat zunächst der Abgeordnete Medien wie überall im Land getan werden. Sie bleibt, Weiß. Bitte sehr. wie so vieles in dieser Zeit, nicht ohne Rückschläge und Niederlagen. Konrad Weiß (Berlin) (Bündnis 90/GRÜNE): Herr Gerade deswegen sollten wir Abgeordneten alle Präsident! Meine Damen und Herren! Ich fühle mich ehrlichen Bemühungen im Deutschen Fernsehfunk, an die Zeiten in der Volkskammer erinnert, als wir im Funkhaus Berlin und in den ostdeutschen Landes- ebenfalls in nächtelangen Debatten diskutiert haben; sendern mit unserer Aufmerksamkeit und Ermuti- das liegt vielleicht an Berlin. gung begleiten. Schließlich kommt gerade uns die Aufgabe zu, im so überaus komplizierten Einigungs- Der vorliegende interfraktionelle Antrag reiht sich prozeß integrativ und verständnisfördernd zu wir- in eine Kette von Initiativen ein, die eine Neugestal-- ken. tung der Medienlandschaft in Deutschland zugunsten einer stärkeren Beteiligung der ostdeutschen Medien Nicht zuletzt wäre die Einspeisung des DFF ein zum Ziel haben. Die schwierigen wirtschaftlichen und wichtiges politisches Signal für die Mitarbeiter in den sozialen Prozesse, die sich gegenwärtig in den östli- ostdeutschen Medien selber. Deren soziale und sozio- chen Bundesländern vollziehen, bedürfen der ge- kulturelle Situation sowie ihre häufige Nichtakzep- nauen und sachkundigen Reflexion in den Medien. tanz bei ihren westdeutschen Berufskollegen und bei Diese Arbeit kann und muß zuerst von denen geleistet den Politikern wirken sich denkbar ungünstig auf ihre werden, die in der DDR gelebt haben und hier ge- Kreativität und ihren Mut aus, auch unbequeme The- formt, vielleicht auch verformt worden sind. men kritisch und couragiert zu behandeln. Massen- entlassungen, ungerechtfertigte Schuldzuweisungen Die aktive Auseinandersetzung mit dieser Vergan- oder die nicht seltene Bevorzugung gerade der ange- genheit ermöglicht eine Sichtweise auf den Eini- paßten und dienstfertigen Ehemaligen durch die gungsprozeß, die so nur von Ostdeutschen in die ge- neuen Auftraggeber bewirken Resignation, Zynismus samtdeutsche Medienlandschaft eingebracht werden oder — genauso schädlich — vorauseilenden Gehor- kann. Daher war die starke Resonanz, die die vorlie- sam. Nicht zufällig sind ehemals fanatische Genossen gende Initiative in allen Fraktionen gefunden hat, be- auch heute wieder unkritische Verfechter der Regie- sonders erfreulich. Fast 150 Abgeordnete haben sich rungspolitik, nicht nur in den Medien. dem Antrag angeschlossen, mehr als die Hälfte davon aus den alten Bundesländern. Einige der Unterzeich- (Zustimmung der Abg. Dr. Herta Däubler ner und Unterzeichnerinnen baten zusätzlich darum, Gmelin [SPD]) eine Ausweitung des Antrages vorzunehmen und die Zwar hat mir der Haushaltsausschuß bereits vor der Einspeisung der ostdeutschen Hörfunk- und Fern- Überweisung durch das Plenum mitgeteilt, er habe sehsender in alle Kabelnetze zu beschließen. Prinzi- nicht die Absicht, einer Einspeisung ins Bonner Kabel- piell wäre das zwar zu begrüßen, aber wir haben hier- netz zuzustimmen. bei die alleinige Zuständigkeit der Länder für ihre (Zurufe von der CDU/CSU und der FDP: Medienlandschaft zu respektieren und uns auf die Bitte? — Was?) Empfehlungen für die Ministerpräsidenten zu be- schränken. Ich denke jedoch, der Deutsche Bundestag ist es sich schuldig, mit gutem Beispiel voranzugehen und sich Ziel unseres Antrages ist es, den Abgeordneten des für diese sinnvolle Investition in die deutsche Einheit ersten gesamtdeutschen Bundestages wenigstens den zu entscheiden. Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerk- Zugang zum Programm des Deutschen Fernsehfunks samkeit. zu ermöglichen und damit auch am vorläufigen Parla- (Beifall im ganzen Hause) mentssitz in Bonn ein gesamtdeutsches Medienange- bot zu haben. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der Vizepräsident Helmuth Becker: Meine Damen und FDP) Herren, als nächste Rednerin hat Frau Petra Bläss das Wort. Umfassende Information ist die beste Voraussetzung dafür, die für die neuen Länder notwendigen Ent- scheidungen verantwortungsbewußt und sensibel zu Petra Bläss (PDS/Linke Liste): Herr Präsident! treffen. Ich denke, auch die ostdeutschen Sender Meine Damen und Herren! Die PDS/Linke Liste be- könnten dazu beitragen. grüßt zunächst das Zustandekommen des von Abge- 1800 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 25. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 14. Mai 1991

Petra Bläss ordneten aller Fraktionen getragenen Antrags zur nen, die die Befindlichkeiten der Menschen und die Einspeisung der DFF-Länderkette in das Fernsehka- regionalen Eigenarten genau kennen und die da- belnetz des Deutschen Bundestages und bekundet durch am besten auf die realen Probleme eingehen hiermit ihre volle Zustimmung zur vorliegenden Be- können. gründung. ( [CDU/CSU]: Das spricht na Vizepräsident Helmuth Becker: Entschuldigen Sie, türlich gegen den Antrag!) Frau Kollegin Bläss. Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Lammert? In der Möglichkeit, die DFF-Länderkette im Bun- destagskanalnetz empfangen zu können, sehen wir eine große Chance vor allem für unsere Kolleginnen Petra Bläss (PDS/Linke Liste): Ja. und Kollegen aus den alten Bundesländern, eine un- mittelbare Reflexion der Situation in den neuen Bun- Dr. Norbert Lammert (CDU/CSU) : Frau Kollegin, desländern quasi ins Haus zu bekommen, was selbst- angesichts Ihrer eindrucksvollen, mich fast rühren- verständlich nicht den Aufenthalt vor Ort ersetzen den kann. (Dr. Herta Däubler-Gmelin [SPD]: Zu Trä Wie Infas-Umfragen ermittelten, wird der Deutsche nen!) Fernsehfunk seit Monaten unverändert als Fernseh- Begründung für die Notwendigkeit einer möglichst sender angesehen, der für die Bewältigung der vielen breiten Wahrnehmung aller vorhandenen Kommuni- neuen Probleme in den neuen Bundesländern die kationsmöglichkeiten, in diesem Falle also der Ein- beste Orientierungshilfe leistet. Als Wegbegleiter im speisung des DFF in das Kabelnetz des Deutschen Einigungsprozeß genießt er bei den Bürgerinnen und Bundestages, könnten Sie vielleicht in Ihren ein- Bürgern in Berlin, Mecklenburg-Vorpommern, Sach- drucksvollen Beitrag noch einen Satz der Begründung sen-Anhalt, Sachsen, Brandenburg und Thüringen einflechten, warum Ihre Vorgängerpartei SED nach breite Akzeptanz und spielt als solcher- im Vergleich meiner Erinnerung zu keinem Zeitpunkt ähnliche An- mit den anderen zu empfangenden Sendern noch im- strengungen unternommen hat, für die Einwohner der mer die wichtigste Rolle. ehemaligen DDR eine ähnliche Transparenz und die Verfügbarkeit westdeutscher Fernsehsender sicher- Die Auswertung vorliegender Analysen ergab, daß zustellen? ein Großteil der Bürgerinnen und Bürger in den neuen Bundesländern auf keinen Fall auf den Deutschen Fernsehfunk verzichten möchte und sich diesen Sen- Petra Bläss (PDS/Linke Liste): Ich darf Sie auch im der nicht aus der Medienlandschaft wegdenken Anschluß an die Ausführungen meines Kollegen kann. Heuer darauf aufmerksam machen, Die DFF-Länderkette wird heute häufiger genutzt (Zuruf von der FDP: Nein, bitte nicht!) als noch vor einem Jahr. Die Neuverteilung der Fre- daß wir eine — so sage ich einmal — bunte, farbige quenzen und die damit verbundene Reduzierung des Fraktion sind. Ich selbst bin nicht Mitglied der PDS. DFF-Angebots auf ein Programm hat das Ansehen Ich bin Mitglied des Unabhängigen Frauenverbandes dieses Senders bei den Zuschauerinnen und Zuschau- und als unabhängige Kandidatin auf diese Liste ge- ern nicht beeinträchtigt, im Gegenteil: Die Einschalt- kommen. quoten zeigen, daß die Zuschauerinnen und Zu- (Zuruf von der FDP: Das ehrt Sie!) schauer in den neuen Bundesländern nicht auf be- Gestatten Sie mir, hier auch zu erläutern, weshalb liebte Programmelemente, wie „Elf 99", das Donners- meine Rede vielleicht sehr emotional ist. Ich bin nach tagsgespräch, Polizeiruf 110 oder Unterhaltungssen- wie vor Angehörige des Deutschen Fernsehfunks. dungen verzichten wollen. Die Mehrheit aller Zu- schauerinnen und Zuschauer der neuen Bundeslän- (Jochen Feilcke [CDU/CSU]: Also, Betrof der äußerte sich laut Infas positiv darüber, wie es dem fene dürfen hier gar nicht reden!) Deutschen Fernsehfunk bisher gelungen ist, die Er- Ich habe bis zur Annahme des Mandats im Deutschen wartungen und Bedürfnisse breiter Zuschauer- und Bundestag als Redakteurin dort gearbeitet, habe in Zuschauerinnenkreise zu erfüllen. den vergangenen Wochen noch einmal Gespräche mit dem Personalrat, mit dem Intendanten und mit dem Zweifellos mußte der Deutsche Fernsehfunk als aus Personalchef geführt, habe daher die neuesten Zahlen dem ehemals staatlichen Fernsehen der DDR hervor- und bin deshalb natürlich auch beteiligt; das gebe ich gegangener Sender zunächst um Akzeptanz und zu. Glaubwürdigkeit ringen. Doch mittlerweile ist die Kompetenz der ostdeutschen Programmacherinnen (Dr. Norbert Lammert [CDU/CSU]: Danach und Programmacher für ihr Sendegebiet, ihre diffe- hatte ich zwar nicht gefragt, aber es war renzierte Sicht der Lage in den neuen Bundesländern trotzdem eindrucksvoll!) unumstritten. Mit dem Deutschen Fernsehfunk wird ganz bewußt ein Programm für die Bürgerinnen und Bürger in den (Jochen Feilcke [CDU/CSU]: Muß die denn neuen Bundesländern gemacht. Davon, daß sich die unbedingt reden? Das spricht doch gegen Kolleginnen und Kollegen in Adlershof und in den den Antrag!) einzelnen Landessendern mit nachweisbarem Erfolg Hier arbeiten Journalistinnen und Journalisten, die in darum bemühen, zeugt nicht zuletzt die hohe Zuwen- ihren Sendungen über die neuen Bundesländer aus dung der Zuschauer und Zuschauerinnen zu Nach- ihrem unmittelbaren Erlebnisbereich schöpfen kön richten-, Magazin- und Ratgebersendungen. Lassen Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 25. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 14. Mai 1991 1801

Petra Bläss Sie mich im übrigen anmerken, daß die Sendungen von Vorruhestands- bzw. Altersübergangs- des DFF auch in den alten Bundesländern, sofern ein geld in den neuen Bundesländern Empfang möglich ist, also in den ehemaligen Zonen- randgebieten, Zuspruch finden. — Drucksache 12/484 — Meine Damen und Herren, laut Einigungsvertrag Überweisungsvorschlag: Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung (federführend) wird der ehemals zentrale Rundfunk der DDR zum Ausschuß für Wirtschaft Jahresende 1991 in Länderhoheit übergeführt. Ge- genwärtig erhalten die ostdeutschen Fernsehhaus- Zu diesem Tagesordnungspunkt haben die Redner halte statt früher zwei nur noch ein Fernsehprogramm ihre vorbereiteten Reden zu Protokoll gegeben. * ) aus ihrer regionalen Produktion: die DFF-Länder- (Beifall) kette, die allen Grundsätzen öffentlich-rechtlicher Programme entspricht. Doch die Grundversorgung ist Wenn kein Widerspruch erfolgt, dann ist dies so be- angesichts des ständig vorgegebenen Personalabbaus schlossen. — Ich sehe und höre keinen Wider- sowie der mangelnden Bereitschaft der Parlamente spruch. und Regierungen in den neuen Bundesländern, schnelle Beschlüsse zur Neuordnung des Rundfunks Damit können wir diesen Antrag auf der Drucksa- che 12/484, wie interfraktionell vorgeschlagen, an die zu fassen, in Gefahr. Solange keine Landesmedienge- in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse über- setze verabschiedet werden, wird der Aufbau der Lan- weisen. Sind Sie damit einverstanden? — Ich sehe und desrundfunkanstalten weiter verzögert. Die herr- schende Unklarheit über die Überführung von Pro- höre keinen Widerspruch. Dann ist die Überweisung so beschlossen. grammteilen und Personal wirkt sich auf das Zustan- dekommen funktionierender Landesfunkhäuser schmerzlich aus. Und wenn in einem leistungsfähigen Ich rufe nunmehr Tagesordnungspunkt 11 auf: Sendestandort, wie er gegenwärtig noch in Berlin- Erste Beratung des von den Abgeordneten An- Adlershof besteht, erst alle entlassen sind, kann- auch neliese Augustin, Richard Bayha, Meinrad nichts mehr produziert werden. Belle, weiteren Abgeordneten und der Fraktion Die Versorgungspflicht des Deutschen Fernseh der CDU/CSU sowie den Abgeordneten Funks gegenüber den Bürgern und Bürgerinnen in Dr. Margret Funke-Schmitt-Rink, Dirk Hansen, den neuen Bundesländern darf nicht unterschätzt Heinz-Dieter Hackel, weiteren Abgeordneten werden. Die Bundesrepublik braucht einen Kanal, in und der Fraktion der FDP eingebrachten Ent- dem die Probleme in den neuen Bundesländern hart wurfs eines Vierzehnten Gesetzes zur Ände- und offen, sozusagen aus erster Hand angesprochen rung des Bundesausbildungsförderungsgeset- werden. zes (14. BAföGÄndG) Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit zu dieser — Drucksachen 12/473, 12/497 (Berichti- späten Stunde. gung) — (Beifall bei der PDS/Linke Liste sowie bei Überweisungsvorschlag: Abgeordneten der SPD und des Bündnis Ausschuß für Bildung und Wissenschaft (federführend) ses 90/GRÜNE) Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung Haushaltsausschuß mitberatend und gem. § 96 GO Auch hier haben alle vorgesehenen Rednerinnen und Redner ihre Rede zu Protokoll gegeben. *) Meine sehr verehr- Vizepräsident Helmuth Becker: (Beifall) ten Damen und Herren, damit sind wir am Ende der Aussprache zu diesem Tagesordnungspunkt. Ich hoffe, daß Sie auch mit diesem Verfahren einver- Vorgeschlagen wird, den Antrag auf Drucksache standen sind. — Ich sehe und höre keinen Wider- 12/481 zur federführenden Beratung an den Ältesten- spruch. Dann ist das so beschlossen. rat und zur Mitberatung an den Haushaltsausschuß zu Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetz- überweisen. Die Gruppe Bündnis 90/GRÜNE ver- entwurfs auf Drucksache 12/473 an die in der Tages- langt hingegen sofortige Abstimmung. ordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Nach ständiger Übung geht die Abstimmung über Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? — Das ist nicht den Überweisungsvorschlag vor. Wer stimmt für den der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. interfraktionellen Überweisungsvorschlag? — Wer Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir sind stimmt dagegen? — Stimmenthaltungen? — Damit ist damit am Schluß unserer Tagesordnung. der Überweisungsvorschlag mit großer Mehrheit an- genommen. Die Abstimmung über den Antrag der Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bun- Gruppe Bündnis 90/GRÜNE erübrigt sich somit. destages auf Dienstag, den 4. Juni, 15 Uhr ein. Die Sitzung ist geschlossen. Ich rufe nunmehr den Zusatzpunkt 4 der Tagesord- nung auf: (Beifall) Beratung des Antrags der Abgeordneten Petra (Schluß der Sitzung: 23.55 Uhr) Bläss und der Gruppe der PDS/Linke Liste Maßnahmen zur Verbesserung der sozialen *) Die Reden werden in einem Nachtrag zu diesem Plenarpro- Lage von Empfängerinnen und Empfängern tokoll abgedruckt. 1802 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 25. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 14. Mai 1991

Berichtigung

23. Sitzung, Seite 1546 D, Zeile 16 und Seite 1547 A, Zeile 15: Statt „Dr. Klaus-Dieter Uelhoff" ist „Klaus Harries" zu lesen.

Nachtrag zum Plenarprotokoll 12/25

Deutscher Bundestag

Nachtrag zum Stenographischen Bericht

25. Sitzung

Berlin, Dienstag, den 14. Mai 1991

Inhalt:

Anlage 1 Anlage 6

Liste der entschuldigten Abgeordneten 1803* A Zu Protokoll gegebene Reden zu Tagesord- nungspunkt 9 (Beratung des Antrags betr. Aktionsprogramm zur Sicherung der berufli- Anlage 2 chen Bildung in den neuen Ländern) Endgültiges Ergebnis und Namensliste der Maria Eichhorn CDU/CSU 1809* C namentlichen Abstimmung über den Ände- rungsantrag der Fraktion der SPD auf Druck- Günter Rixe SPD 1810* C sache 12/579 1804* A Dr.-Ing. Rainer Jork CDU/CSU 1811* D

Dirk Hansen FDP 1812* C Anlage 3 Evelin Fischer (Gräfenhainichen) SPD 1813* D Endgültiges Ergebnis und Namensliste der namentlichen Abstimmung über den Ände- Dr. PDS/Linke Liste 1814* C rungsantrag der Fraktion der SPD auf Druck- sache 12/561 1806* A Torsten Wolfgramm, Parl. Staatssekretär BMBW 1815* B

Anlage 4 Anlage 7 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordne- ten Michael Wonneberger, Dr.-Ing. Paul Krü- Zu Protokoll gegebene Reden zu Zusatzta- ger, Rolf Rau, Udo Haschke (Jena), Rainer gesordnungspunkt 3 (Entwurf eines Geset- Krziskewitz (alle CDU/CSU) zur Abstim- zes zur Änderung des Bundessozialhilfege- mung über den Entwurf des Haushaltsbe- setzes) gleitgesetzes 1991 (Tagesordnungspunkt 3) 1808* A Angelika Pfeiffer CDU/CSU 1816* A

Anlage 5 Margot von Renesse SPD 1816* D Zu Protokoll gegebene Rede zu Zusatztages- Norbert Eimer (Fürth) FDP 1817* A ordnungspunkt 2 (Beratung des Antrags betr. Rehabilitierung der Opfer des SED-Un- Dr. Barbara Höll PDS/Linke Liste 1817* C rechtsstaates) Roswitha Verhülsdonk, Parl. Staatssekretärin Hartmut Büttner (Schönebeck) CDU/CSU 1808* B BMFuS 1818* C

II Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 25. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 14. Mai 1991

Anlage 8 Anlage 13 Zu Protokoll gegebene Reden zu Tagesord- Bedingungen für die Wiederaufnahme der nungspunkt 10 (Beratung des Antrags betr. Entwicklungshilfe für Somalia Einspeisung der DFF-Länderkette in das MdlAnfr 5, 6 — Drs 12/488 — Fernsehkabelnetz des Deutschen Bundesta- Lothar Fischer (Homburg) SPD ges) Dr. Joseph-Theodor Blank CDU/CSU 1819* B SchrAntw PStSekr Hans - Peter Repnik BMZ 1827* B Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast SPD 1820* A Anlage 14 Heinz-Dieter Hackel FDP 1820* C Klagehäufigkeit in der Bundesrepublik Eduard Lintner, Parl. Staatssekretär BMI 1821* A Deutschland im Vergleich zu den europäi- schen Nachbarländern Anlage 9 MdlAnfr 7, 8 — Drs 12/488 — Zu Protokoll gegebene Reden zu Zusatzta- Norbert Eimer (Fürth) FDP gesordnungspunkt 4 (Antrag betr. Maßnah- SchrAntw PStSekr BMJ 1827* D men zur Verbesserung der sozialen Lage von Empfängerinnen und Empfängern von Vor- ruhestands- bzw. Altersübergangsgeld in Anlage 15 den neuen Bundesländern) Verpflichtungen der Bundesregierung im Julius Louven CDU/CSU 1821* C Zusammenhang mit dem Verkauf der Firma Dr. Eva Pohl FDP 1822* A Heckler & Koch; Bereitstellung von Bundes- mitteln zur Entwicklung des G11-Gewehrs Renate Jäger SPD 1822* C durch diese Firma Dr. Barbara Höll PDS/Linke Liste 1822* D MdlAnfr 11, 12 — Drs 12/488 — Gernot Erler SPD Anlage 10 SchrAntw PStSekr Willy Wimmer BMVg 1828* D Zu Protokoll gegebene Reden zu Tagesord- nungspunkt 11 (Entwurf eines Vierzehnten Gesetzes zur Änderung des Bundesausbil- Anlage 16 dungsförderungsgesetzes) Schließung von Standorten in Niedersach- Alois Graf von Waldburg-Zeil CDU/CSU 1823* C sen; Auswirkung des Stationierungskon- zepts der Bundeswehr auf die Zahl der Sol- Doris Odendahl SPD 1824* A daten und Zivilbediensteten, insbesondere Dr. Margret Funke-Schmitt-Rink SPD 1825* A in Hannover

Torsten Wolfgramm, Parl. Staatssekretär MdlAnfr 15, 16 — Drs 12/488 — BMBW 1825* C SPD Dr. Dietmar Keller PDS/Linke Liste 1826* B SchrAntw PStSekr Willy Wimmer BMVg 1829* A

Anlage 11 Anlage 17 Schließung von Polikliniken in den neuen Sondergenehmigung für Tiefflugübungen Bundesländern auf Grund fehlender Mittel; für die schnelle Eingreiftruppe seit dem Golf- Sicherstellung der ärztlichen Versorgung krieg; Einstellung der Tiefflüge von Bundes- luftwaffe und verbündeten Streitkräften über MdlAnfr 1, 2 — Drs 12/488 — Dr. Christine Lucyga SPD der Bundesrepublik Deutschland

SchrAntw PStSin Dr. Sabine Bergmann-Pohl MdlAnfr 17, 18 — Drs 12/488 — BMG 1826* D Renate Schmidt (Nürnberg) SPD SchrAntw PStSekr Willy Wimmer BMVg 1829* C Anlage 12

Sammlung von Informationen über Hoch- Anlage 18 schulangehörige im Rahmen der Vergabe von Forschungsmitteln an Universitäten in Verkehrsunfälle 1990 auf Grund eines Blut- den neuen Bundesländern alkoholgehalts bis 0,79 Promille

MdlAnfr 3, 4 — Drs 12/488 — MdlAnfr 19 — Drs 12/488 — Dorle Marx SPD Hans -Joachim Otto (Frankfurt) FDP SchrAntw PStSekr BMFT 1827* A SchrAntw PStSekr Wolfgang Gröbl BMV 1829* D

Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 25. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 14. Mai 1991 III

Anlage 19 Anlage 25 Ergänzung der geplanten Autobahn Bad Laufende Zuwendungen für Asylbewerber; Hersfeld—Görlitz durch den Ausbau der B 49 Höhe des Taschengeldes für albanische zwischen Limburg und Wetzlar gegen den Flüchtlinge in Niedersachsen Willen der hessischen Landesregierung

MdlAnfr 41, 42 — Drs 12/488 — MdlAnfr 20, 21 — Drs 12/488 — Dr. CDU/CSU Bärbel Sothmann CDU/CSU SchrAntw PStSekr Wolfgang Gröbl BMV 1830* A SchrAntw PStSekr Eduard Lintner BMI 1832* A

Anlage 20 Anlage 26 Konsequenzen aus der Anhörung des Um- Tarifliche Regelung für die Arbeitsentgelte weltausschusses zu den ökologischen Folgen im öffentlichen Dienst in den neuen Bundes- des Golfkriegs ländern ab 1. Juli 1991

MdlAnfr 24 — Drs 12/488 — CDU/CSU MdlAnfr 43 — Drs 12/488 — Clemens Schwalbe CDU/CSU SchrAntw PStSekr Bernd Schmidbauer BMU 1830* C SchrAntw PStSekr Eduard Lintner BMI 1832 * D

Anlage 21 Anlage 27 Verkürzung der Laufzeiten im Postzeitungs- dienst Unterstützung des Autorenversorgungs- werks VG WORT bis zum Inkrafttreten der

MdlAnfr 28 — Drs 12/488 — Künstlersozialversicherung in den neuen

Hans -Joachim Otto (Frankfurt) FDP Bundesländern; Zahlung der Bibliothekstan- tieme aus dem Bundeshaushalt oder dem SchrAntw PStSekr Wilhelm Rawe BMPT 1830* D Gemeinschaftswerk „Aufschwung Ost" zur finanziellen Entlastung der Bibliotheken in den neuen Bundesländern Anlage 22 Aufnahme Ungarns und der CSFR in die MdlAnfr 44, 45 — Drs 12/488 — NATO SPD

MdlAnfr 31 — Drs 12/488 — SchrAntw PStSekr Eduard Lintner BMI 1833* A Ortwin Lowack CDU/CSU SchrAntw StMin Helmut Schäfer AA 1831* A Anlage 28 Kenntnisse über das Auslandsvermögen der Anlage 23 SED-PDS Beteiligung der Vertriebenenorganisationen

an der Gestaltung des Schlesiertreffens am MdlAnfr 46 — Drs 12/488 — 18./19. Mai 1991 in Annaberg/Polen; Unter- Arne Börnsen (Ritterhude) SPD richtung der Öffentlichkeit über die Haltung der Bundesregierung SchrAntw PStSekr Eduard Lintner BMI 1834* A

MdlAnfr 37, 38 — Drs 12/488 — Freimut Duve SPD SchrAntw StMin Helmut Schäfer AA 1831* B Anlage 29 Wahrnehmung der Verfügungsrechte der SED-PDS über das Auslandsvermögen; Wei- Anlage 24 terleitung des Zwischenberichts der Regie- rungskommission zur Überprüfung des Ver- Verwendung von Propagandamaterial der mögens der Parteien und Massenorganisa- Vertriebenenorganisationen im Deutschun- tionen der früheren DDR an den Bundestag terricht an polnischen Schulen

MdlAnfr 47, 48 — Drs 12/488 — MdlAnfr 39, 40 — Drs 12/488 — Gerd Andres SPD Ludwig Eich SPD SchrAntw StMin Helmut Schäfer AA 1831* C SchrAntw PStSekr Eduard Lintner BMI 1834* D

IV Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 25. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 14. Mai 1991

Anlage 30 Anlage 35 Offenlegung der Bilanzen aller Parteien und Neuauflage der Zonenrandförderung für die Massenorganisationen der ehemaligen DDR betroffenen Gebiete in den neuen Bundes- zum 7. Oktober 1989; Höhe und Verwen- ländern dung der den am „Runden Tisch" Beteiligten

zugeflossenen Mittel MdlAnfr 58 — Drs 12/488 — Manfred Heise CDU/CSU MdlAnfr 49, 50 — Drs 12/488 — Manfred Hampel SPD SchrAntw PStSekr Klaus Beckmann BMWi 1837* C SchrAntw PStSekr Eduard Lintner BMI 1835* A

Anlage 36 Anlage 31 Bekämpfung des Schwarzhandels in den neuen Bundesländern Erkenntnisse über das Auslandsvermögen der SED-PDS, insbesondere aus dem Verant- MdlAnfr 59 — Drs 12/488 — wortungsbereich des früheren Staatssekre- Dr. Jürgen Schmieder FDP tärs Schalck-Golodkowski SchrAntw PStSekr Klaus Beckmann BMWi 1838* A MdlAnfr 51 — Drs 12/488 — Arne Börnsen (Ritterhude) SPD

SchrAntw PStSekr Dr. Joachim Grünewald BMF 1836* A Anlage 37 Beteiligung deutscher Firmen am Bau der Wohnungen für in die Sowjetunion zurück- kehrende Soldaten Anlage 32

Verhinderung weiterer Panzer- und Schieß- MdlAnfr 60 — Drs 12/488 — übungen sowie der Verseuchung des Bodens Ortwin Lowack CDU/CSU im Zusammenhang mit Verhandlungen zur Aufhebung des Soltau-Lüneburg-Abkom- SchrAntw PStSekr Klaus Beckmann BMWi 1838* B mens; Beseitigung der Altlasten und Ent- schädigung für die betroffenen Gemeinden

MdlAnfr 52, 53 Drs 12/488 — Anlage 38 Arne Fuhrmann SPD Trainingsprogramme der Firma Heckler und Koch im Ausland im Zusammenhang mit SchrAntw PStSekr Dr. Joachim Grünewald dem Export von Handfeuerwaffen BMF 1836' B

MdlAnfr 61, 62 — Drs 12/488 — Klaus Kirschner SPD Anlage 33 SchrAntw PStSekr Klaus Beckmann BMWi 1838* D Haushaltstechnische Abwicklung der für hu- manitäre Hilfe für die kurdischen Flüchtlinge vorgesehenen Mittel Anlage 39 MdlAnfr 54, 55 — Drs 12/488 — Rudolf Bindig SPD Exportförderung und Benachteiligung der deutschen Schuhindustrie durch Zahlung SchrAntw PStSekr Dr. Joachim Grünewald von Zuschüssen zur Gestaltung von Gemein- BMF 1836* D schaftsständen auf der Schuhmesse; Schutz der Arbeitsplätze angesichts der Subven- tionspolitik Indiens Anlage 34 MdlAnfr 63, 64 — Drs 12/488 — Kosten des Golfkriegs aufgeschlüsselt nach Lydia Westrich SPD beteiligten Nationen; Anteil der Bundesre- publik Deutschland SchrAntw PStSekr Klaus Beckmann BMWi 1839* A

MdlAnfr 56, 57 — Drs 12/488 — Wolfgang Roth SPD Anlage 40 SchrAntw PStSekr Dr. Joachim Grünewald BMF 1837* B Amtliche Mitteilungen 1839* C Deutscher Bundestag - 12. Wahlperiode - 25. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 14. Mai 1991 1803*

Anlagen zum Stenographischen Bericht

Anlage 1 entschuldigt bis Abgeordnete(r) einschließlich Liste der entschuldigten Abgeordneten Reddemann, Gerhard CDU/CSU 14. 05. 91 ** entschuldigt bis Reuschenbach, Peter W. SPD 14. 05. 91 Abgeordnete(r) einschließlich Dr. Riedl (München), CDU/CSU 14. 05. 91 Büchler (Hof), Hans SPD 14. 05. 91 * Erich Bulmahn, Edelgard SPD 14. 05. 91 Schartz (Trier), Günther CDU/CSU 14. 05. 91 Burchardt, Ursula SPD 14. 05. 91 Dr. Scheer, Hermann SPD 14. 05. 91 ** Diller, Karl SPD 14. 05. 91 Dr. Schmieder, Jürgen FDP 14. 05. 91 Fischer (Homburg), SPD 14. 05. 91 Dr. Schöfberger, Rudolf SPD 14. 05. 91 Lothar Fischer (Unna), Leni CDU/CSU 14. 05. 91 Dr. Schroeder (Freiburg), CDU/CSU 14. 05. 91 Conrad Fuchs (Köln), Anke SPD 14. 05. 91 14. 05. 91 Funke, Rainer FDP 14. 05. 91 Seidenthal, Bodo SPD Gattermann, Hans H. FDP 14. 05. 91 Dr. Soell, Hartmut SPD 14. 05. 91 ** Gerster (Worms), Florian SPD 14. 05. 91 Dr. Sperling, Dietrich SPD 14. 05. 91 Dr. Götte, Rose SPD 14. 05. 91 Spilker, Karl-Heinz CDU/CSU 14. 05. 91 Großmann, Achim SPD 14. 05. 91 Dr. von Teichman und FDP 14. 05. 91* Dr. Hartenstein, Liesel SPD 14. 05. 91 Logischen, C. Dr. Holtz, Uwe SPD 14. 05. 91* Terborg, Margitta SPD 14. 05. 91 Huonker, Gunter SPD 14. 05. 91 Thiele, Carl-Ludwig FDP 14. 05. 91 Ibrügger, Lothar SPD 14. 05. 91 Titze, Uta SPD 14. 05. 91 14. 05. 91 Janz, Ilse SPD Vergin, Siegfried SPD 14. 05. 91 Jung (Düsseldorf), Volker SPD 14. 05. 91 Verheugen, Günter SPD 14. 05. 91 Junghanns, Ulrich CDU/CSU 14. 05. 91 Dr. Vondran, Ruprecht CDU/CSU 14. 05. 91 Dr. Kahl, Harald CDU/CSU 14. 05. 91 Kretkowski, Volkmar SPD 14. 05. 91 Vosen, Josef SPD 14. 05. 91 Kriedner, Arnulf CDU/CSU 14. 05. 91 Weisskirchen (Wiesloch), SPD 14. 05. 91 Kubatschka, Horst SPD 14. 05. 91 Gert Marten, Günter CDU/CSU 14. 05. 91 ** Dr. Weng (Gerlingen), FDP 14. 05. 91 Wolfgang Dr. Müller, Günther CDU/CSU 14. 05. 91 ** Müller (Wesseling), CDU/CSU 14. 05. 91 Dr. Wieczorek, Norbert SPD 14. 05. 91 Alfons Wieczorek-Zeul, SPD 14.05.91 Otto (Frankfurt), FDP 14. 05. 91 Heidemarie Hans-Joachim * für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versamm- Pofalla, Ronald CDU/CSU 14. 05. 91 lung des Europarates Dr. Probst, Albert CDU/CSU 14. 05. 91 ** für die Teilnahme an Sitzungen der Westeuropäischen Union 1804* Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 25. Sitzung, Berlin, Dienstag, den 14. Mai 1991

Anlage 2 Endgültiges Ergebnis und Namensliste der namentlichen Abstimmung über den Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 12/579 *)

Abgegebene Stimmen 561; davon

ja: 202 nein: 355 enthalten: 4

Ja Dr. sc. Knaape Frau Schröter Bündnis 90/GRÜNE Körper Schröter SPD Frau Kolbe Schütz Dr. Feige Kolbow Frau Schulte (Hameln) Frau Köppe Andres Koltzsch Dr. Schuster Poppe Bachmaier Kuessner Schwanhold Schulz (Berlin) Frau Barbe Dr. Küster Schwanitz Dr. Ullmann Becker (Nienberge) Kuhlwein Frau Seuster Weiß (Berlin) Frau Becker-Inglau Lambinus Sielaff Berger Frau Lange Frau Simm Beucher von Larcher Singer Nein Bindig Leidinger Frau Dr. Skarpelis-Sperk Frau Blunck Frau Dr. Leonhard-Schmid Frau Dr. Sonntag-Wolgast CDU/CSU Dr. Böhme (Unna) Lohmann (Witten) Sorge Börnsen (Ritterhude) Frau Dr. Lucyga Frau Steen Adam Brandt Maaß (Herne) Steiner Dr. Altherr Frau Brandt-Elsweier Frau Marx Stiegler Frau Augustin Dr. Brecht Frau Mascher Dr. Struck Augustinowitz Dr. von Bülow Matschie Tappe Austermann Büttner (Ingolstadt) Dr. Matterne Dr. Thalheim Bargfrede Bury Frau Matthäus-Maier Thierse Dr. Bauer Frau Mattischeck Frau Caspers-Merk Toetemeyer Frau Baumeister Conradi Meckel Urbaniak Frau Mehl Bayha Frau Dr. Däubler-Gmelin Dr. Vogel Belle Dr. Diederich (Berlin) Meißner Wagner Dr. Mertens (Bottrop) Frau Dr. Bergmann-Pohl Frau Dr. Dobberthien Wallow Bierling Dr. Meyer (Ulm) Waltemathe Dreßler Müller (Düsseldorf) Dr. Blank Duve Walther Frau Blank Müller (Schweinfurt) Wartenberg (Berlin) Ebert Frau Müller (Völklingen) Dr. Blens Dr. Eckardt Frau Dr. Wegner Bleser Müller (Zittau) Weiermann Dr. Ehmke (Bonn) Müntefering Frau Dr. Böhmer Eich Frau Weiler Börnsen (Bönstrup) Neumann (Bramsche) Weis (Stendal) Dr. Elmer Neumann (Gotha) Dr. Bötsch Erler Frau Dr. Niehuis Weißgerber Bohl Ewen Dr. Niese Weisskirchen (Wiesloch) Bohlsen Frau Ferner Frau Odendahl Welt Borchert Frau Fischer Oesinghaus Dr. Wernitz Brähmig (Grafenhainichen) Oostergetelo Frau Wester Breuer Formanski Opel Frau Westrich Frau Brudlewsky Fuhrmann Ostertag Frau Wettig-Danielmeier Brunnhuber Gansel Paterna Frau Dr. Wetzel Bühler (Bruchsal) Dr. Gautier Dr. Penner Frau Weyel Büttner (Schönebeck) Gilges Peter (Kassel) Wieczorek (Duisburg) Buwitt Frau Gleicke Dr. Pfaff Wimmer (Neuötting) Carstens (Emstek) Graf Pfuhl Dr. de With Carstensen (Nordstrand) Haack (Extertal) Dr. Pick Wittich Clemens Habermann Poß Frau Wohlleben Dehnel Hacker Purps Frau Wolf Frau Dempwolf Frau Hämmerle Rappe (Hildesheim) Frau Zapf Deres Hampel Rempe Zumkley Deß Frau Hanewinckel Frau von Renesse Frau Diemers Hasenfratz Frau Rennebach Dörflinger Heistermann Reschke PDS/LL Doppmeier Heyenn Rixe Doss Hiller (Lübeck) Roth Frau Bläss Dr. Dregger Hilsberg Schäfer (Offenburg) Dr. Briefs Echternach Horn Frau Schaich-Walch Frau Dr. Enkelmann Ehlers Frau Iwersen Schanz Frau Dr. Fischer Ehrbar Frau Jäger Scheffler Dr. Gysi Frau Eichhorn Dr. Janzen Schily Dr. Heuer Engelmann Jaunich Schloten Frau Dr. Höll Eppelmann Dr. Jens Schluckebier Dr. Keller Eylmann Jungmann (Wittmoldt) Schmidbauer (Nürnberg) Frau Lederer Frau Eymer Frau Kastner Frau Schmidt (Nürnberg) Dr. Modrow Frau Falk Kastning Frau Schmidt-Zadel Dr. Riege Dr. Faltlhauser Kirschner Dr. Schmude Dr. Schumann (Kroppenstedt) Feilcke Frau Klappert Dr. Schnell Dr. Seifert Dr. Fell Frau Klemmer Schreiner Frau Stachowa Fischer (Hamburg)

*) Vgl. Seite 1701 C Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 25. Sitzung, Berlin, Dienstag, den 14. Mai 1991 1805*

Francke (Hamburg) Dr. Laufs Schemken van Essen Dr. Fried rich Laumann Scheu Dr. Feldmann Fritz Lenzer Schmalz Friedhoff Fuchtel Dr. Lieberoth Schmidbauer Friedrich Ganz (St. Wendel) Frau Limbach Schmidt (Fürth) Frau Dr. Funke-Schmitt-Rink Frau Geiger Link (Diepholz) Dr. Schmidt (Halsbrücke) Gallus Geis Lintner Schmidt (Mühlheim) Ganschow Dr. Geißler Dr. Lippold (Offenbach) Schmitz (Baesweiler) Gries Gerster (Mainz) Dr. sc. Lischewski von Schmude Grünbeck Gibtner Lohmann (Lüdenscheid) Dr. Schneider (Nürnberg) Günther (Plauen) Glos Louven Dr. Schockenhoff Dr. Guttmacher Dr. Göhner Lummer Graf von Schönburg-Glauchau Hackel Göttsching Dr. Luther Dr. Scholz Hansen Götz Maaß (Wilhelmshaven) Frhr. von Schorlemer Dr. Haussmann Dr. Götzer Frau Männle Dr. Schreiber Gres Dr. Mahlo Dr. Schroeder (Freiburg) Heinrich Frau Grochtmann de Maizière Schulhoff Dr. Hirsch Gröbl Frau Marienfeld Dr. Schulte Dr. Hitschler Grotz Marschewski (Schwäbisch Gmünd) Frau Homburger Dr. Grünewald Dr. Mayer (Siegertsbrunn) Schwalbe Frau Dr. Hoth Günther (Duisburg) Meckelburg Schwarz Dr. Hoyer Frhr. von Hammerstein Meinl Dr. Schwarz-Schilling Hübner Harries Frau Dr. Merkel Dr. Schwörer Irmer Haschke (Großhennersdorf) Frau Dr. Meseke Seehofer Kleinert (Hannover) Haschke (Jena-Ost) Dr. Meyer zu Bentrup Seesing Kohn Frau Hasselfeldt Michels Seibel Dr. Kolb Haungs Dr. Mildner Seiters Koppelin Hauser (Esslingen) Dr. Möller Dr. Sopart Kubicki Hauser (Rednitzhembach) Molnar Frau Sothmann Dr.-Ing. Laermann Hedrich Müller (Kirchheim) Spranger Frau Leutheusser- Heise Müller (Wadern) Dr. Sprung Schnarrenberger Frau Dr. Hellwig Nelle Dr. Stavenhagen Lüder Helmrich Dr. Neuling Frau Steinbach-Hermann Lühr Dr. Hennig Neumann (Bremen) Dr. Stercken Dr. Menzel Dr. h. c. Herkenrath Nitsch Stockhausen Mischnick Hinsken Frau Nolte Dr. Stoltenberg Nolting Hintze Dr. Olderog Strube Dr. Ortleb Hörsken Ost Frau Dr. Süssmuth Paintner Hörster Oswald Susset Frau Peters Tillmann Dr. Hoffacker Otto (Erfurt) Frau Dr. Pohl Hollerith Dr. Päselt Dr. Töpfer Dr. Hornhues Dr. Paziorek Dr. Uelhoff Richter (Bremerhaven) Hornung Pesch Uldall Rind Hüppe Petzold Frau Verhülsdonk Dr. Röhl Jäger Pfeffermann Vogel (Ennepetal) Schäfer (Mainz) Frau Jaffke Pfeifer Vogt (Düren) Frau Schmalz-Jacobsen Jagoda Frau Pfeiffer Dr. Voigt (Northeim) Schmidt (Dresden) Dr. Jahn (Münster) Dr. Pfennig Dr. Waffenschmidt Dr. Schmieder Janovsky Dr. Pohler Dr. Waigel Schüßler Frau Jeltsch Frau Priebus Graf von Waldburg-Zeil Schuster Dr. Jobst Dr. Protzner Dr. Warnke Frau Sehn Dr.-Ing. Jork Pützhofen Dr. Warrikoff Frau Seiler-Albring Jung (Limburg) Frau Rahardt-Vahldieck Werner (Ulm) Frau Dr. Semper Kampeter Raidel Wetzel Dr. Solms Dr.-Ing. Kansy Dr. Ramsauer Frau Wiechatzek Dr. Starnick Dr. Kappes Rau Dr. Wieczorek (Auerbach) Dr. Thomae Frau Karwatzki Rauen Frau Dr. Wilms Timm Kauder Rawe Wilz Türk Keller Regenspurger Wimmer (Neuss) Frau Walz Kittelmann Reichenbach Frau Dr. Wisniewski Wolfgramm (Göttingen) Klein (Bremen) Dr. Reinartz Wissmann Frau Würfel Klein (München) Frau Reinhardt Dr. Wittmann Zurheide Klinkert Repnik Wittmann (Tännesberg) Zywietz Köhler (Hainspitz) Dr. Rieder Wonneberger Dr. Köhler (Wolfsburg) Dr. Riedl (München) Frau Wülfing Dr. Kohl Dr. Riesenhuber Würzbach Kolbe Rode (Wietzen) Frau Yzer Enthalten Frau Kors Frau Rönsch (Wiesbaden) Zeitlmann Koschyk Frau Roitzsch (Quickborn) Zöller CDU/CSU Kossendey Romer Kraus Dr. Rose Dr. Pinger Dr. Krause (Börgerende) Rossmanith FDP Schulz (Leipzig) Dr. Krause (Bonese) Roth (Gießen) Krause (Dessau) Rother Frau Dr. Adam-Schwaetzer Krey Dr. Ruck Frau Albowitz PDS/LL Kronberg Rühe Frau Dr. Babel Dr.-Ing. Krüger Dr. Rüttgers Baum Frau Jelpke Krziskewitz Sauer (Salzgitter) Beckmann Lamers Sauer (Stuttgart) Bredehorn Dr. Lammert Scharrenbroich Cronenberg (Arnsberg) Fraktionslos Lamp Frau Schätzle Eimer (Fürth) Lattmann Dr. Schäuble Engelhard Lowack 1806* Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 25. Sitzung, Berlin, Dienstag, den 14. Mai 1991

Anlage 3 Endgültiges Ergebnis und Namensliste der namentlichen Abstimmung über den Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 12/580 *) Abgegebene Stimmen 561; davon

ja: 202 nein: 357 enthalten: 2

Ja Dr. sc. Knaape Frau Schröter Bündnis 90/GRÜNE Körper Schröter SPD Frau Kolbe Schütz Dr. Feige Kolbow Frau Schulte (Hameln) Frau Köppe Andres Koltzsch Dr. Schuster Poppe Bachmaier Dr. Kübler Schwanhold Schulz (Berlin) Frau Barbe Kuessner Schwanitz Dr. Ullmann Becker (Nienberge) Dr. Küster Frau Seuster Weiß (Berlin) Frau Becker-Inglau Kuhlwein Sielaff Berger Lambinus Frau Simm Beucher Frau Lange Singer Nein Bindig von Larcher Frau Dr. Skarpelis-Sperk Frau Blunck Leidinger Frau Dr. Sonntag-Wolgast CDU/CSU Dr. Böhme (Unna) Frau Dr. Leonhard-Schmid Sorge Börnsen (Ritterhude) Lohmann (Witten) Frau Steen Adam Brandt Frau Dr. Lucyga Steiner Dr. Altherr Frau Brandt-Elsweier Maaß (Herne) Stiegler Frau Augustin Dr. Brecht Frau Marx Dr. Struck Augustinowitz Dr. von Bülow Frau Mascher Tappe Austermann Büttner (Ingolstadt) Matschie Dr. Thalheim Bargfrede Bury Dr. Matterne Thierse Dr. Bauer Frau Matthäus-Maier Toetemeyer Frau Baumeister Frau Caspers-Merk Frau Mattischeck Conradi Urbaniak Bayha Frau Mehl Dr. Vogel Belle Frau Dr. Däubler-Gmelin Meißner Dr. Diederich (Berlin) Wagner Frau Dr. Bergmann-Pohl Dr. Mertens (Bottrop) Wallow Bierling Frau Dr. Dobberthien Dr. Meyer (Ulm) Dreßler Waltemathe Dr. Blank Müller (Düsseldorf) Walther Duve Müller (Schweinfurt) Frau Blank Ebert Wartenberg (Berlin) Dr. Blens Frau Müller (Völklingen) Frau Dr. Wegner Dr. Eckardt Müller (Zittau) Bleser Dr. Ehmke (Bonn) Weiermann Frau Dr. Böhmer Müntefering Frau Weiler Eich Neumann (Bramsche) Börnsen (Bönstrup) Dr. Elmer Weis (Stendal) Dr. Bötsch Neumann (Gotha) Weißgerber Erler Frau Dr. Niehuis Bohl Ewen Weisskirchen (Wiesloch) Bohlsen Dr. Niese Welt Frau Ferner Frau Odendahl Borchert Frau Fischer Oesinghaus Dr. Wernitz Brähmig (Gräfenhainichen) Oostergetelo Frau Wester Breuer Formanski Opel Frau Westrich Frau Brudlewsky Fuhrmann Ostertag Frau Wettig-Danielmeier Brunnhuber Gansel Paterna Frau Dr. Wetzel Bühler (Bruchsal) Dr. Gautier Dr. Penner Frau Weyel Büttner (Schönebeck) Gilges Peter (Kassel) Wieczorek (Duisburg) Buwitt Frau Gleicke Dr. Pfaff Wimmer (Neuötting) Carstens (Emstek) Graf Pfuhl Dr. de With Carstensen (Nordstrand) Haack (Extertal) Dr. Pick Wittich Clemens Habermann Poß Frau Wohlleben Dehnel Hacker Purps Frau Wolf Frau Dempwolf Frau Hämmerle Rappe (Hildesheim) Frau Zapf Deres Hampel Rempe Zumkley Deß Frau Hanewinckel Frau von Renesse Frau Diemers Hasenfratz Frau Rennebach Dörflinger Heistermann Reschke PDS/LL Doppmeier Heyenn Rixe Doss Hiller (Lübeck) Roth Frau Bläss Dr. Dregger Hilsberg Schäfer (Offenburg) Dr. Briefs Echternach Horn Frau Schaich-Walch Frau Dr. Enkelmann Ehlers Frau Iwersen Schanz Frau Dr. Fischer Ehrbar Frau Jäger Scheffler Dr. Gysi Frau Eichhorn Dr. Janzen Schily Dr. Heuer Engelmann Jaunich Schloten Frau Dr. Höll Eppelmann Dr. Jens Schluckebier Dr. Keller Eylmann Jungmann (Wittmoldt) Schmidbauer (Nürnberg) Frau Lederer Frau Eymer Frau Kastner Frau Schmidt (Nürnberg) Dr. Modrow Frau Falk Kastning Frau Schmidt-Zadel Dr. Riege Dr. Faltlhauser Kirschner Dr. Schmude Dr. Schumann (Kroppenstedt) Feilcke Frau Klappert Dr. Schnell Dr. Seifert Dr. Fell Frau Klemmer Schreiner Frau Stachowa Fischer (Hamburg)

*) Vgl. Seite 1701D, vorletzte Zeile Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 25. Sitzung, Berlin, Dienstag, den 14. Mai 1991 1807*

Francke (Hamburg) Dr. Lammert Sauer (Salzgitter) Baum Dr. Friedrich Lamp Sauer (Stuttgart) Beckmann Fritz Lattmann Scharrenbroich Bredehorn Fuchtel Dr. Laufs Frau Schätzle Cronenberg (Arnsberg) Ganz (St. Wendel) Laumann Dr. Schäuble Eimer (Fürth) Frau Geiger Lenzer Schemken Engelhard Geis Dr. Lieberoth Scheu van Essen Dr. Geißler Frau Limbach Schmalz Dr. Feldmann Dr. von Geldern Link (Diepholz) Schmidbauer Friedhoff Gerster (Mainz) Lintner Schmidt (Fürth) Friedrich Gibtner Dr. Lippold (Offenbach) Dr. Schmidt (Halsbrücke) Frau Dr. Funke-Schmitt-Rink Glos Dr. sc. Lischewski Schmidt (Mühlheim) Gallus Dr. Göhner Lohmann (Lüdenscheid) Schmitz (Baesweiler) Ganschow Göttsching Louven von Schmude Gries Götz Lummer Dr. Schneider (Nürnberg) Grünbeck Dr. Götzer Dr. Luther Dr. Schockenhoff Günther (Plauen) Gres Maaß (Wilhelmshaven) Graf von Schönburg-Glauchau Dr. Guttmacher Frau Grochtmann Frau Männle Dr. Scholz Hackel Gröbl Dr. Mahlo Frhr. von Schorlemer Dr. Schreiber Hansen Grotz de Maizière Dr. Haussmann Dr. Grünewald Frau Marienfeld Dr. Schroeder (Freiburg) Marschewski Schulhoff Heinrich Günther (Duisburg) Dr. Hirsch Frhr. von Hammerstein Dr. Mayer (Siegertsbrunn) Dr. Schulte Dr. Hitschler Harries Meckelburg (Schwäbisch Gmünd) Haschke (Großhennersdorf) Meinl Schulz (Leipzig) Frau Homburger Haschke (Jena-Ost) Frau Dr. Merkel Schwalbe Frau Dr. Hoth Frau Hasselfeldt Frau Dr. Meseke Schwarz Dr. Hoyer Haungs Dr. Meyer zu Bentrup Dr. Schwarz-Schilling Hübner Hauser (Esslingen) Frau Michalk Dr. Schwörer Irmer Hauser (Rednitzhembach) Dr. Mildner Seehofer Kleinert (Hannover) Hedrich Dr. Möller Seesing Kohn Heise Molnar Seibel Dr. Kolb Frau Dr. Hellwig Müller (Kirchheim) Seiters Koppelin Helmrich Müller (Wadern) Dr. Sopart Kubicki Dr. Hennig Nelle Frau Sothmann Dr.-Ing. Laermann Dr. h. c. Herkenrath Dr. Neuling Spranger Frau Leutheusser- Hinsken Neumann (Bremen) Dr. Stavenhagen Schnarrenberger Hintze Nitsch Frau Steinbach-Hermann Lüder Hörsken Frau Nolte Dr. Stercken Lühr Hörster Dr. Olderog Stockhausen Dr. Menzel Dr. Hoffacker Ost Dr. Stoltenberg Mischnick Hollerith Oswald Strube Nolting Dr. Hornhues Otto (Erfurt) Frau Dr. Süssmuth Dr. Ortleb Hornung Dr. Päselt Susset Paintner Hüppe Dr. Paziorek Tillmann Frau Peters Dr. Töpfer Jäger Pesch Frau Dr. Pohl Frau Jaffke Petzold Dr. Uelhoff Uldall Richter (Bremerhaven) Jagoda Pfeffermann Rind Pfeifer Frau Verhülsdonk Dr. Jahn (Münster) Dr. Röhl Janovsky Frau Pfeiffer Vogel (Ennepetal) Dr. Pfennig Vogt (Düren) Schäfer (Mainz) Frau Jeltsch Schmalz-Jacobsen Dr. Jobst Dr. Pflüger Dr. Voigt (Northeim) Frau Dr.-Ing. Jork Dr. Pinger Dr. Waffenschmidt Schmidt (Dresden) Dr. Jüttner Dr. Pohler Dr. Waigel Dr. Schmieder Jung (Limburg) Frau Priebus Graf von Waldburg-Zeil Schüßler Kampeter Dr. Protzner Dr. Warnke Schuster Dr.-Ing. Kansy Pützhofen Dr. Warrikoff Frau Sehn Dr. Kappes Frau Rahardt-Vahldieck Werner (Ulm) Frau Dr. Semper Frau Karwatzki Raidel Wetzel Dr. Solms Kauder Dr. Ramsauer Frau Wiechatzek Dr. Starnick Keller Rau Dr. Wieczorek (Auerbach) Dr. Thomae Kittelmann Rauen Frau Dr. Wilms Timm Klein (Bremen) Rawe Wilz Türk Klein (München) Regenspurger Wimmer (Neuss) Frau Walz Klinkert Reichenbach Frau Dr. Wisniewski Wolfgramm (Göttingen) Köhler (Hainspitz) Dr. Reinartz Wissmann Frau Würfel Dr. Köhler (Wolfsburg) Frau Reinhardt Dr. Wittmann Zurheide Dr. Kohl Repnik Wittmann (Tännesberg) Zywietz Kolbe Dr. Rieder Wonneberger Frau Kors Dr. Riedl (München) Frau Wülfing Koschyk Dr. Riesenhuber Würzbach Kossendey Rode (Wietzen) Frau Yzer Enthalten Kraus Frau Rönsch (Wiesbaden) Zeitlmann Dr. Krause (Börgerende) Frau Roitzsch (Quickborn) Zöller PDS/LL Dr. Krause (Bonese) Romer Krause (Dessau) Rossmanith Frau Jelpke Krey Roth (Gießen) FDP Kronberg Rother Dr.-Ing. Krüger Dr. Ruck Frau Dr. Adam-Schwaetzer Fraktionslos Krziskewitz Rühe Frau Albowitz Lamers Dr. Rüttgers Frau Dr. Babel Lowack 1808* Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 25. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 14. Mai 1991

Anlage 4 können: Der Deutsche Bundestag hat sie nicht verges- sen. Die Wiedergutmachung vergangenen Unrechts Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Michael ist besonders wichtig, um die Glaubwürdigkeit des Wonneberger, Dr.-Ing. Paul Krüger, Rolf Rau, Udo Rechtsstaates Bundesrepublik Deutschland für die Haschke (Jena), Rainer Krziskewitz (alle CDU/CSU) Menschen in den neuen Ländern erlebbar zu machen. zur Abstimmung über den Entwurf des Haushaltsbe Rehabilitierung und Aufarbeitung der Folgen von 40 gleitgesetzes 1991 (Tagesordnungspunkt 3) *) Jahren sozialistischer Diktatur stärken den inneren Frieden unseres Landes. Im Zusammenhang mit der Abstimmung des Haus- Der Volkskammerbeschluß vom 6. September 1990, haltsbegleitgesetzes 1991 gaben die Landesgruppen der Artikel 17 des Einigungsvertrages, die Forderun- vorsitzenden der CDU/CSU-Bundestagsfraktion für gen des Ausschusses Deutsche Einheit und die Koali- die Länder Brandenburg, Mecklenburg-Vorpom- tionsvereinbarung zwischen CDU/CSU und FDP bil- mern, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen fol- den die Grundlagen des Auftrages an Bundesregie- gende Erklärung ab: rung und Bundestag. Das Haushaltsbegleitgesetz 1991 enthält eine Reihe Bekanntlich hat der Ausschuß Deutsche Einheit von wichtigen Bestimmungen, die die Angleichung klargestellt, daß der erste gesamtdeutsche Bundestag der Lebensverhältnisse der Bundesbürger in den fünf den Gesamtkomplex der Rehabilitierung zu überprü- neuen Ländern an die Lebensverhältnisse der Bun- fen und neu zu regeln habe. Die Koalitionsvereinba- desbürger in den elf alten Ländern voranbringen. rung bekräftigt diesen Auftrag ausdrücklich. Wir wissen, daß von den Bundesbürgern in den al- Die Spannbreite des den Menschen in der ehemali- ten Ländern ein hohes Maß von Solidarität verlangt, gen DDR zugefügten Unrechts ist enorm. Beispiele: aber auch gewährt wird. Wichtig ist für die Menschen in den neuen Ländern, daß die Finanzierung der Kom- — Gleich nach dem Krieg sind Menschen deportiert, munen, die durch die Änderungen des- Gemeinde- interniert und durch die sowjetischen Militärtribu- verkehrsfinanzierungsgesetzes gesetzt wird, voran- nale verurteilt worden. kommt. Dem gleichen Ziel dienen die Änderungen des Gesetzes über die Errichtung des Fonds Deutsche — In den Jahren zwischen 1945 und 1949 bestanden Einheit sowie die Änderung des Gesetzes über den einige Nazi-KZ's fort und wurden wie Buchenwald Finanzausgleich zwischen Bund und Ländern. Die mit Opfern der Deutschen und der sowjetischen persönlichen Lebensverhältnisse der Bürger werden Kommunisten belegt. Das Massengrab von Ora- durch die Wohngeldregelung und die Änderung des nienburg spricht eine beredte Sprache. Bundeskindergeldgesetzes verbessert. — Nach 1949 wurde das Strafrecht zum Kampfinstru- Im Gegensatz dazu kann Art. 2, das Gesetz über die ment zur Aufrechterhaltung der SED-Herrschaft. Anpassung von Kreditverträgen an Marktbedingun- Bewußt sind unbeugsame Bürger zu Verbrechern gen sowie über Ausgleichsleistungen an Kreditneh- gestempelt worden. mer, in der vorliegenden Fassung nicht befriedigen, Die Grenzlinien zwischen politisch Inhaftierten und da die Sorgen und Befürchtungen der Bürger in den kriminellen Straftätern wurden verwischt. Die Krimi- neuen Bundesländern nicht in ausreichender Weise nalisierung der politischen Opfer war Methode, da es berücksichtigt wurden. offiziell keine politischen Gefangenen in der DDR Wir versichern, daß wir uns energisch für die Nach- gab. besserung dieser Bestimmung einsetzen werden. We- gen der Wichtigkeit des Gesamtgesetzes geben wir Das Leid der Betroffenen übersteigt dabei auch trotz unserer Bedenken gegen Art. 2 dem Gesetz un- heute noch das Vorstellungsvermögen der Beobach- sere Zustimmung. ter: Berlin, den 14. Mai 1991 — Die Haftbedingungen waren häufig menschenun- würdig. — Es kam zur Wegnahme und Zwangsadoptierung von Kindern.

Anlage 5 — Zahlreiche Todesfälle als Folge von Haft oder wäh- rend der Haft belegen die menschenzerstörende Zu Protokoll gegebene Rede Wirkung durch Schikanen und Willkürakte. zu Zusatztagesordnungspunkt 2 Bautzen, Cottbus, Hohenegg sind die Symbole die- (Beratung des Antrags betr. Rehabilitierung der ses Staatsterrors. Opfer des SED-Unrechtsstaates) * * ) — Wir müssen erinnern an das Enteignungsrecht der sogenannten Bodenreform und der zahlreichen Hartmut Büttner (Schönebeck) (CDU/CSU): Die Be- Betriebs- und Hausenteignungen. wältigung der DDR-Hinterlassenschaft ist eine natio- — nale Aufgabe. Ich begrüße die heutige Gelegenheit, 200 000 Menschen waren durch die sowjetische um den Opfern des SED-Unrechtsstaates sagen zu Besatzungsmacht oder durch SED-Behörden ein- gekerkert worden.

*) Vgl. Seite 1702A — Zu erinnern ist an die Einziehung des Vermögens **) Vgl. Seite 1783 A von Republikflüchtigen und von Regimegegnern. Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 25. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 14. Mai 1991 1809*

— Gedacht werden muß an die 50 000 Ausgewiese- Anlage 6 nen und Deportierten aus dem Sperrgebiet der ehemaligen Grenze inmitten Deutschlands. Zu Protokoll gegebene Reden zu Tagesordnungspunkt 9 — Die Bandbreite erfaßt die vielen Menschen, die im (Beratung des Antrags betr. Aktionsprogramm zur beruflichen Bereich von Pressionen der Einheits- Sicherung der beruflichen Bildung in den neuen partei erfaßt worden sind. Ländern) *) Menschen sind als Reaktion des SED-Regimes auf Kritik, Auflehnung oder Ausreisewunsch mit Degra- Maria Eichhorn (CDU/CSU): Wenn wir uns den An dierungen, Zugangsverweigerungen und Entlassun- trag der SPD ansehen, stelle ich fest: Das, was Sie gen überzogen worden. Diese Praxis ging bis zur Sip- heute fordern, ist bereits weitgehend beschlossene penhaft für Familienmitglieder, einer in Diktaturen Sache. immer wiederkehrenden Unterdrückungsmethode. Zunächst stellen Sie in Ihrem Antrag die Lage in den Die systematische Zerstörung von Lebensschicksa- neuen Bundesländern dar. Wir wissen genauso wie len Andersdenkender war auch ein Ergebnis der Sie, daß es Schwierigkeiten gibt. Ich denke, wir sind Stasi-Tätigkeit. Die Wiedergutmachung des erlitte- alle einer Meinung, daß wir diese Probleme lösen wol- nen Unrechts ist vor allem eine moralische Aufgabe. len und — davon bin ich überzeugt — auch lösen wer- Neben der materiellen Seite muß es auch eine mora- den. lisch/menschliche Qualität der Rehabilitierung ge- Sie werfen der Bundesregierung Untätigkeit vor. ben. Die Opfer der Diktatur dürfen nicht den Eindruck Als Opposition ist dies Ihr gutes Recht. Tatsache ist gewinnen, als würde die Fürsorge für diejenigen, die aber, daß Ihr Vorwurf ins Leere geht, weil die Bundes- in der untergegangenen DDR Unrecht zu verantwor- regierung das, was Sie fordern, am 24. April bereits ten haben, mehr Aufmerksamkeit gewidmet als den beschlossen hat. teilweise vergessenen Opfern. - Nun zu den einzelnen Punkten: Erstens. Sie for- Neben der Aufarbeitung der Stasi-Akten kommt mit dern, daß die Ausbildungskapazitäten der Treuhand- der Rehabilitierungsregelung ein zweiter riesiger betriebe erhalten bleiben. Die Bundesregierung hat Komplex auf Gesetzgeber und Behörden zu. Bis jetzt bereits beschlossen, daß die Finanzierung der berufli- liegen 50 000 Rehabilitierungsanträge den Justizbe- chen Ausbildung in den Treuhandbetrieben für beste- hörden vor. Das Bundesjustizministerium erwartet al- hende Ausbildungsverhältnisse sichergestellt wird. lerdings 100 000 Fälle. Allein diese beiden Zahlen zei- Die Treuhand wird darauf achten, daß Neuerwerber gen die Dimension der Aufgabe. Deshalb dürfen wir die bestehenden Ausbildungsverhältnisse fortfüh- nicht den Eindruck erwecken, als könnten wir jegli- ren. ches erlittenes Unrecht sofort materiell und mensch- lich lösen. Zweitens. Selbstverständlich sind wir der Meinung, daß die Konkurslehrlinge von diesem Programm ge- 45 Jahre lassen sich nicht in wenigen Monaten auf- nauso erfaßt werden wie neu einzustellende Lehr- arbeiten. Deshalb müssen bei der Bewältigung des linge. Gesamtproblems Schwerpunkte gesetzt werden. Ich Drittens. Für die Förderung der bet rieblichen Be- begrüße die Ankündigungen des Justizministers: rufsausbildung in den neuen Ländern werden für die 1. Rehabilitierung muß bei den Haftopfern von Jahre 1991 und 1992 insgesamt 250 Millionen DM zur Bautzen, Hohenegg und den anderen Gefängnissen Verfügung gestellt. Aus diesen Mitteln erhalten Un- beginnen. Den Betroffenen der gleichgeschalteten Ju- ternehmen, die mehr als 20 Beschäftigte haben, eine stiz gilt unsere erste Fürsorge. einmalige Prämie von 5 000 DM, wenn sie im Jahre 2. Ebenso sollten wir uns um die 50 000 zwangsaus- 1991 einen Lehrling neu einstellen — eine Forderung, gesiedelten Menschen des ehemaligen Grenzgebie- die Sie heute stellen. Die Bundesregierung hat sie tes vorrangig bemühen. bereits beschlossen. Dieser Zuschuß wird ein wesent- licher Beitrag zur Lösung der Ausbildungsprobleme 3. Das gilt auch für ältere Menschen und die Zeit sein. zwischen 1945 und 1949. Diese Opfer sollten ihre Be- Die Bundesregierung hat sich nach langen Gesprä- mühungen um Gerechtigkeit noch erleben dürfen. chen mit Fachleuten der Wirtschaft auf Unternehmen Voraussetzung für eine beschleunigte Abwicklung mit bis zu 20 Beschäftigten beschränkt. So ist die der strafrechtlichen Rehabilitierungsanträge ist aller- größte Wirksamkeit dieses Programms erreichbar. Es dings die Abordnung von weiteren zusätzlichen Rich- werden damit private, vor allem Handwerksbetriebe tern aus den alten Bundesländern in die neuen Län- unterstützt. Unternehmen mit mehr als 20 Beschäftig- der. Ich erinnere an dieser Stelle an den Beschluß des ten sind meist Bet riebe, die auch andere Förderungs- Bundestages. Die westlichen Partnerländer sollten möglichkeiten haben, z. B. über die Treuhand. Die sich zügig bemühen, die zusätzlich zugesagten Rich- Spitzenverbände der deuschen Wirtschaft haben ter auch baldmöglichst mit ihrer Arbeit beginnen zu nachdrücklich versichert, daß es mit dieser Förderung lassen. Wir können es den Opfern nicht zumuten, ihre gelingen wird, in diesem Jahr 50 000 zusätzliche Aus- Rehabilitierung vor belasteten Altrichtern anzustren- bildungsplätze zu bekommen. gen. Mit dieser Initiative werden auch für die nächsten Eine gesetzliche Regelung sollte nicht bei einer Er- Jahre die Weichen richtig gestellt: im Hinblick auf den weiterung des Häftlingshilfegesetzes stehenbleiben. Auf- und Ausbau einer gesunden mittelständischen Dessen Zielsetzung umfaßt im wesentlichen nur die Eingliederungshilfe. *) Vgl. Seite 1798C 1810* Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 25. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 14. Mai 1991

Wirtschaft und des dualen Systems, in dem die klei- Wiedervereinigung fordert neue Wege: Betriebe er- nen Betriebe eine bedeutende Rolle spielen. Zugleich halten Geld für die Ausbildung. Mit diesem Programm werden die Voraussetzungen dafür geschaffen, daß werden zugleich die Weichen für die Zukunft gestellt die Jugendlichen dort ausgebildet werden, wo man — für ein funktionsfähiges Berufsbildungssystem im sie in den nächsten Jahren als Fachkräfte dringend Rahmen der Sozialen Marktwirtschaft. Das ist die be- benötigen wird. ste Hilfe, die wir geben können. Denn unser duales Viertens. Die Erhaltung und Modernisierung von System der Berufsausbildung ist weltweit anerkannt. Vollzeitberufsschulen, die Sie fordern, ist ein Thema, Es ist die Grundlage unseres wirtschaftlichen Erfolges das im Rahmen der dualen Ausbildung sicher anders und die beste Voraussetzung für einen erfolgreichen zu sehen ist als noch zur Zeit der DDR. Die betriebli- Neubeginn in den neuen Bundesländern. che Ausbildung hat nun einen höheren Stellenwert. Meine Damen und Herren von der SPD, das, was Sie Mit den Investitionshilfen im Rahmen des Gemein- heute fordern, ist im Programm der Regierung bereits schaftswerks „Aufschwung Ost" wird bereits ein we- enthalten. Wir haben bereits gehandelt! sentlicher Beitrag zur Erhaltung und Modernisierung der Berufsschulen geleistet. Günter Rixe (SPD): Der Deutsche Bundestag hat Fünftens. Für die Förderung außerbetrieblicher Be- bereits am 27. Februar übereinstimmend zwischen al- rufsausbildung sowie berufsvorbereitender Maßnah- len Fraktionen festgestellt, daß die Lage für die Ju- men sind im Haushalt der Bundesanstalt für Arbeit in gendlichen in den neuen Bundesländern, die einen diesem Jahr rund 663 Millionen DM vorgesehen. Vor- qualifizierten Ausbildungsplatz suchen, äußerst be- rang hat jedoch die Vermittlung von Jugendlichen in drohlich ist. Diese Befürchtungen von vor gut drei betriebliche Ausbildungsverhältnisse. Monaten werden immer mehr zur Gewißheit. Sechstens. Der Treuhandvorstand hat bereits be- Für den 1. September sind ca. 140 000 Schulabgän- schlossen, Gebäude und Einrichtungen, die derzeit ger zu erwarten, die mit den etwa 40 000 Konkurs- nicht mehr für die Berufsausbildung benutzt werden, lehrlingen und den schätzungsweise 20 000 jungen für überbetriebliche Ausbildung zur Verfügung zu Menschen aus den zu Ende gehenden Warteschleifen stellen. Ein flächendeckendes Netz dieser überbe- Ausbildungsplätze suchen werden. Diesen rund trieblichen Berufsbildungsstätten zur Ergänzung der 200 000 Bewerberinnen und Bewerbern stehen aber Ausbildung in Klein- und Mittelbetrieben wird zügig nur x-tausend Plätze gegenüber. aufgebaut. Die ursprüngliche Zahl über das Ausbildungsplatz- Siebtens. Der Bund geht mit gutem Beispiel voran: angebot aus Industrie, Handel, Handwerk und den Er stellt 1991 in seinem Bereich 10 000 Ausbildungs- sonstigen Dienstleistungsbereichen ist in alarmieren- plätze zur Verfügung. Wir erwarten, daß auch Länder den Schritten rückläufig. Am 31. März dieses Jahres und Kommunen in den neuen Ländern diesem Bei- waren gerade erst 36 200 betriebliche Ausbildungs- spiel folgen. plätze von den Arbeitsämtern in den neuen Ländern In den Punkten 8 und 9 sprechen Sie Qualifizierung gemeldet. Gegenüber der in unserem Antrag genann- und Information an. Flankierende Maßnahmen des ten Zahl ist insofern eine Korrektur nach unten erf or- Regierungsprogramms sind die fachliche und päd- derlich. Wie viele Plätze dann tatsächlich am 1. Sep- agogische Zusatzqualifizierung des Personals in der tember zur Verfügung stehen werden, ist sehr unsi- beruflichen Bildung, Qualifizierungskonzepte für cher. Gegen diese besorgniserregenden Entwicklun- Ausbildungsbetriebe, berufliche Schulen und überbe- gen gilt es sofort mit konkreten Handlungen anzuge- triebliche Berufsbildungsstätten. hen. Zehntens. Selbstverständlich ist es richtig, öffentli- Deshalb hat die SPD-Bundestagsfraktion den Ih- che Aufträge an Betriebe in den neuen Ländern zu nen, liebe Kolleginnen und Kollegen, heute zur Ent- vergeben. Da rennen Sie offene Türen ein. schließung vorliegenden Antrag eingebracht. Wir konnten feststellen, daß die Bundesregierung trotz all Die zehn Punkte, die Sie heute fordern, hat die Bun- dieser bedrückenden Tendenzen — und meine Vor- desregierung bereits weitgehend beschlossen. Dar- rednerinnen und Vorredner haben diese Problematik über hinaus fördert die Bundesanstalt für Arbeit Aus- ja anschaulich verdeutlicht — bisher weitestgehend bildungspartnerschaften zwischen Betrieben in den untätig geblieben ist. Die Aktivitäten beschränkten neuen und den alten Ländern. Dabei erfolgt ein Teil sich im wesentlichen auf Appelle und Ankündigun- der Ausbildung bei einem Partnerbetrieb im Westen; gen; so etwa die Zusicherung im „Gemeinschaftswerk der Abschluß der Ausbildung muß jedoch im Heimat- Aufschwung Ost", mit der auch schon für 1991 allen betrieb erfolgen. Für die Zeit im Westen kann der Aus- Schulabgängerinnen und Schulabgängern ein Aus- zubildende Berufsausbildungsbeihilfe nach dem Aus- bildungsplatz versprochen wurde, oder wie im Berufs- bildungsförderungsgesetz erhalten. bildungsbericht 1991, wonach in den nächsten Jahren Außerdem fördert die Bundesanstalt für Arbeit be- eine berufliche Qualifizierungsoffensive notwendig rufsvorbereitende Maßnahmen für noch nicht berufs- sei. reife Jugendliche, Maßnahmen für benachteiligte Ju- gendliche und vorübergehend auch außerbetriebliche Wie soll aber die Wirtschaft diese Appelle umset- Maßnahmen. zen, wenn ihr noch die Substanz fehlt, um über ihren kurzfristigen Bedarf und die begrenzten Möglichkei- Mit dem „Ausbildungsförderungsprogramm Ost" ten hinaus zusätzliche Ausbildungsanstrengungen zu werden Hilfen von insgesamt über einer Milliarde DM unternehmen? Ich sage Ihnen, die Ausbildungs- und zur Verfügung gestellt. Das Jahrhundertereignis der Qualifizierungsoffensive ist daher nicht erst in den Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 25. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 14. Mai 1991 1811*

nächsten Jahren notwendig; nein, sie muß jetzt hier Der Vorschlag des Bundesministers für Bildung und und heute mit konkreten Maßnahmen beschlossen Wissenschaft über einen Zuschuß von einmalig werden. 5 000 DM an alle Betriebe mit bis zu 20 Mitarbeitern wird angesichts der Wirtschaftssituation und der Ko- Auch die im Entwurf des Haushaltsplanes 1991 von sten für einen Ausbildungsvertrag über dreieinhalb der Bundesregierung vorgesehenen Mittel zur Förde- Jahre kaum zu neuen Ausbildungsplätzen in Hand- rung der beruflichen Bildung in den neuen Ländern werk und Mittelstand führen. Sehr geehrter Herr Mi- reichen bei weitem nicht aus. Die bis zur Verabschie- nister, solch einen Vorschlag können Sie doch nicht dung geltende vorläufige Haushaltsführung erlaubt mit „ordnungspolitischen Regeln" rechtfertigen. Hier weder die Fortsetzung der im letzten Jahr eingeleite- müssen Sie doch die Realitäten sehen, die in den ten Maßnahmen noch erlaubt sie notwendige und neuen Bundesländern herrschen. Mit einem einmali- neue Maßnahmen im Hinblick auf die Vorbereitun- gen Zuschuß werden Sie bei der aktuellen Wirt- gen zum Beginn des neuen Ausbildungsjahres am schaftslage des Mittelstandes und des Handwerks 1. September. doch keinen hinter dem Ofen hervorlocken. Meine sehr geehrten Damen und Herren, das „Ak- Viertens. Für die Erhaltung und Modernisierung tionsprogramm zur Sicherung der beruflichen Bildung von Vollzeitberufsschulen, die Förderung außerbe- in den neuen Ländern" ist auf vier Jahre angelegt. Die trieblicher und überbetrieblicher Ausbildungsstätten, Kosten dieses Aktionsprogrammes betragen für den die Qualifizierung von Ausbilderinnen und Ausbil- Bund insgesamt 3,37 Milliarden DM, wovon 600 Mil- dern und für die Anpassung der Ausbildungspraxis an lionen DM im Hauhaltsjahr 1991 aufzubringen sind. die geltende Gesetzeslage sind die bisher vorgesehe- Das soziale Grundrecht aller Jugendlichen auf eine nen Haushaltsmittel wesentlich zu erhöhen. Denn nur qualifizierte zukunftsorientierte Berufsausbildung ist so können die zur aktiven berufsbildungspolitischen in den neuen Ländern bedroht. Die Unternehmen Mitwirkung bereiten Träger Ausbildungsstätten können ihre vom Bundesverfassungsgericht bekräf- schaffen, die qualifizierte Ausbildung garantieren. tigte Verantwortung, vorrangig für ein auswahlfähi- Die Erhöhung der Mittel muß aber auch jetzt gesche- ges und den Anforderungen des Berufsbildungsgeset- hen, damit die Träger genügend Vorlauf für die Vor- zes genügendes Ausbildungsplatzangebot zu sorgen, bereitung der Angebote haben. derzeit nicht allein wahrnehmen. Und wenn fünftens — und damit komme ich zum Deshalb und auch, weil der Bund nach dem Grund- Schluß — die öffentlichen Verwaltungen und Be- gesetz und dem Einigungsvertrag verpflichtet ist, für triebe, insbesondere die Bundesunternehmen ein- ein gesamtwirtschaftliches Gleichgewicht zwischen schließlich Reichsbahn, Post und Telekom, über ihren den Bundesländern zu sorgen — und hierzu gehört Bedarf Ausbildungsverträge abschließen — also min- auch die Tatsache, daß die Förderung der beruflichen destens 10 000 zusätzliche Plätze zum 1. Septem- Bildung ein entscheidendes Element zum Ausgleich ber — , dann bin ich überzeugt, daß wir für das Jahr unterschiedlicher Wirtschaftskraft im Bundesgebiet, 1991 ein kleines Stückchen weitergekommen sind auf ein entscheidendes Element zum gesellschaftlichen dem Weg zur Sicherung der beruflichen Bildung in den neuen Ländern. Neuaufbau und zum sozialen Zusammenhalt dar- stellt —, ist sofortiges Handeln der Bundesregierung zusammen mit allen berufsbildungspolitisch Verant- Dr.-Ing. Rainer Jork (CDU/CSU): Ein hinsichtlich wortlichen geboten. Anzahl und Qualität ausreichendes Angebot an Lehr- stellen in den östlichen Bundesländern zu sichern ist Lassen Sie mich zu einigen der Sofortmaßnahmen ein wesentlicher Beitrag zur Herstellung der inneren noch anmerken: Erstens. Die Treuhand muß ab sofort Einheit Deutschlands. Die bestehende Problemlage darauf hinwirken, daß die in ausreichender Zahl noch wird hinreichend dadurch deutlich, daß laut Prognose aus der DDR-Zeit vorhandenen Kapazitäten der be- Mitte April dieses Jahres für 100 Bewerber in den trieblichen Schulen und Ausbildungszentren erhalten westlichen Bundesländern 110 Stellen, in den östli- bleiben. Dieses muß bei der Veräußerung und bei der chen Bundesländern jedoch nur 44 Lehrstellen ange- Sanierung von Betrieben oder Betriebsteilen sicher- boten wurden. gestellt werden und auch für die Fälle gelten, wenn die Treuhand den entsprechenden Betrieb selber Welche Zielvorstellungen bewegen aber neben der nicht mehr für erhaltenswert erachtet. formalen Erlangung einer Lehrstelle einen zukünfti- gen Lehrling? Zweitens. Für diejenigen Jugendlichen, die durch Konkurse und Betriebsstillegungen bedroht sind, ih- Er möchte seinen Wunschberuf erlernen. Er erwar- ren Ausbildungsplatz zu verlieren, muß der Bund die tet, daß der Lehrbetrieb vernünftig erreichbar ist, eine Ausbildungsvergütungen übernehmen, damit andere entsprechende Berufsschule vorhanden, die Ausbil- Betriebe oder außerbetriebliche Ausbildungsstätten dung in Betrieb und Schule aktuell und paßfähig zu in der Lage sind, wenn sie es wollen, die Ausbildung einem zukünftigen Arbeitsplatz ist und daß es diesen der betroffenen Jugendlichen zu Ende zu führen. nach Lehrabschluß auch geben wird. Drittens. In der privaten Wirtschaft müssen alle Un- Welche Probleme stehen der Realisierung dieser ternehmen einen Zuschuß von 5 000 DM für jeden Wunschvorstellungen in den östlichen Bundesländern neuen Auszubildenden und pro Ausbildungsjahr er- zur Zeit entgegen? halten, wenn die Ausbildungsquote des einzelnen Un- Die mittelständische Industrie — normalerweise ternehmens 5 % der am 1. Mai 1991 Beschäftigten Hauptträger der beruflichen Ausbildungsleistungen übersteigt. — funktioniert noch nicht. Betriebe, die um das wirt- 1812* Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 25. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 14. Mai 1991 schaftliche Überleben kämpfen, haben Mühe, Ausbil- — den Partnern in der Wirtschaft, die auch bereit dungsverhältnisse zu Ende zu führen. Das ist dort sind, Lehrlinge über den aktuellen oder erwarteten keine Frage der Ausbildungsbereitschaft. Eigenbedarf hinaus einzustellen, In nahezu allen Betrieben besteht Modernisie- — der Treuhand für die konkrete Maßnahmeunter- rungsbedarf. Die unklare Wirtschaftsentwicklung er- setzung zur Stützung des Ausbildungsstellen- schwert die Identifikation sicherer Zielberufe. Auch marktes, durch Abwanderungstendenzen entsteht die Gefahr — der Regierung für das Maßnahmepaket im Sinne eines Fachkräftemangels in den nächsten Jahren. Da- der Auszubildenden der östlichen Bundesländer. bei können außerbetriebliche Hilfsmaßnahmen nur Notlösungen sein. Sie dürfen den Neuaufbau des dua- Insgesamt wird erkannt, so scheint mir, daß Sozial- len Berufsbildungssystems nicht erschweren. politik und psychologische Notwendigkeit weit schwerer wiegen als rein betriebliche Argumente. Die Ursachen für das Defizit im Lehrstellenangebot Mit den im Antrag der SPD-Fraktion angeführten liegen vor allem in der wirtschaftlichen Entwicklung Vorschlägen kann meinerseits weitgehende inhaltli- bzw. der Notwendigkeit zur Neuprofilierung in den che Übereinstimmung festgestellt werden. Wie östlichen Bundesländern, der Erweiterung der Ausbil- könnte es auch anders sein? Entsprechen diese doch dungszeit von 2 auf 3 Jahre und der Umstellung der in vielen Details den von der Bundesregierung einge- Ausbildung auf anerkannte Ausbildungsberufe für leiteten Maßnahmen. Das Notwendige wird mit dem etwa 100 000 Jugendliche. Aktionsprogramm der Bundesregierung zur Siche- Am Prozeß der Bereitstellung und Sicherung von rung der beruflichen Bildung in den neuen Ländern Qualität und Quantität der Lehrstellen sind die Indu- getan. strie, das Handwerk, die Verbände, sind also die Wirt- Das Wünschenswerte ist nicht vollständig finanzier- schaft und die öffentliche Hand, für die betrieblichen bar. Ausbildungsplätze sind die Kommunen- und die Lan- desregierungen für die Schulen, ist die Bundesregie- Die CDU/CSU-Fraktion ist für die Überweisung des rung, der Staat für Förderung, Nothilfe und Mittelbe- SPD-Antrags in die Ausschüsse. reitstellung zuständig. Dirk Hansen (FDP): „Klotzen, nicht kleckern" oder Die Maßnahmen der Regierung sprechen diese „Immer feste druff" oder „Wir können's noch besser Partner an. Der Antrag der SPD-Fraktion fordert die als ihr" — so scheinen Sozialdemokraten zu meinen, Bundesregierung zu Aktivitäten auf. wenn es um staatliche Programme geht. So auch hier Es geht darum, neben kurzfristig wirksamen Maß- beim vorliegenden Antrag. Die SPD will „draufsat- nahmen die Grundlage für einen Neuaufbau des dua- teln" , wo die Regierung und die sie tragenden Koali- len Berufsbildungssystems zu schaffen. Der Staat darf tionsfraktionen einiges nicht nur angekündigt, son- nicht Aushilfslehrer auf Dauer werden! dern schon vorgelegt und beschlossen haben. Der Antrag erhebt den Anschein, nicht nur alles besser zu Natürlich liegt die Versuchung nahe, offene Lehr- wissen, sondern auch schneller agieren zu wollen. stellen in den westlichen Bundesländern durch Aus- Jedoch schon das Kabinett hat am 24. April 1991 be- zubildende aus den östlichen Bundesländern zu bele- schlossen — und Sie wissen dies —, womit Sie jetzt gen. Der Bedarf und damit auch Ausbildung und Ab- noch nachklappern wollen. 250 Millionen DM sind für schluß müssen aber in den neuen Bundesländern ge- die Schaffung von Ausbildungsplätzen in kleinen und sichert werden. Dabei mag der Lehrstellenüberschuß mittleren Betrieben vorgesehen. Und der Bund wird bestenfalls als Reserve gesehen werden. 10 000 zusätzliche Ausbildungsplätze für Jugendliche aus dem Osten in Verwaltungsbehörden schaffen. Eine überschlägige Lehrstellenbilanz zeigt, daß ei- Hinzu kommen von der Bundesanstalt für Arbeit nem zu erwartenden Bedarf von 155 000 Lehrstellen 663 Millionen DM für die außerbetriebliche Berufs- zur Zeit bereits ca. 120 000 Angebotsstellen gegen- ausbildung in 1991. überstehen. Dabei sind 35 000 zu erwartende Bewer- ber berücksichtigt, die durch Schließung oder Kon- In der langatmigen Vorlage wechseln Teile der rich- kurs von Betrieben neue Ausbildungsplätze benöti- tigen — und das sei hier eingestanden — Situations- gen. beschreibung mit solchen der offenbar politparla- mentarisch als notwendig betrachteten Regierungs- Ich bin überzeugt, daß die mit der Treuhand verein- herabsetzung — nach dem schiefen Motto: Wer an- barten Maßnahmen, die Maßnahmen der Bundesan- dere erniedrigt, erhöht sich selbst — und solchen der stalt für Arbeit (663 Millionen DM) sowie Ausbil- vollmundigen Bekenntnisse zum dualen System, wo- dungspartnerschaften mit den Betrieben in den west- bei dann zugleich — ich beziehe mich etwa auf Ab- lichen Bundesländern die rechnerisch noch beste- schnitt III.4 „Erhaltung und Modernisierung von Voll- hende Diskrepanz beseitigen können. zeitberufsschulen" — zu fragen wäre, ob dies nicht nur Lippenbekenntnisse sind. Denn eine Modernisie- Ich möchte hier stellvertretend für die Betroffenen rung, die auch langfristig sinnvoll sein soll, verträgt in den östlichen Bundesländern allen um die Lehrstel- sich nur schlecht mit dem ansonsten auf angeblich nur lenbeschaffung und -sicherung Bemühten herzlich vier Jahre angelegten Aktionsprogramm. danken, Im übrigen: die Kommunen haben für dieses Jahr — zuerst wohl den altbundesdeutschen Steuerzah erhebliche Möglichkeiten im Rahmen der Investi- lern, die die erheblichen Kosten aufbringen, tionshilfen des „Gemeinschaftswerks Aufschwung Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 25. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 14. Mai 1991 1813*

Ost" erhalten, um die Berufsschulen zu erhalten bzw. an. Und da frage ich Sie, wie Sie denn z. B. Ihren Vor- zu modernisieren. schlag (Seite 6 unten) praktizieren wollen, die Be- grenzung der Ausbildungsförderung, wie wir sie in Überhaupt bleiben auch weitere Widersprüche Betrieben mit bis zu 20 Arbeitnehmern praktikabel nicht aus, so z. B. wenn einerseits — Seite 4 Zeile 2 — und sinnvoll vorsehen, aufzuheben, und statt dessen Finanzhilfen des Gemeinschaftswerks Aufschwung auch „Ausbildung über Bedarf" gefördert wissen wol- Ost gerügt werden, weil sie am „Bewilligungsrecht len. Was heißt denn das? Wer bestimmt denn den des Parlaments vorbei" erfolgten (was haushaltsrecht- Bedarf? Kontrolleure! Bürokraten! Wahrlich SPD-ge- lich betrachtet auch nicht zutrifft, denn keiner wird raten. übersehen, daß der Bundestag sich momentan in den Haushaltsberatungen befindet; selbst der Antragstel- So verbleiben insgesamt in dem ja keineswegs mit ler nutzt ja diese Gelegenheit), und andererseits im heißer Nadel gestrickten Antrag — jedenfalls wenn Antrag mehrfach von „sofort" oder „unverzüglich" man das Nachdenken des Antragstellers auf die Zeit die Rede ist. Etwa ohne parlamentarischen Beschluß? seit der Aktuellen Stunde vom 27. Februar 1991 kon- Auch Elemente des selektiven Lesens werden beim zediert — eine Vielzahl von Ungereimtheiten und Un- Antragsteller erkennbar, wenn er — ist es Zufall oder klarheiten. Es kann Sie daher nicht überraschen, daß hat es Methode? — den Berufsbildungsbericht 1991 wir Ihren Antrag überwiesen wissen wollen zwecks zitiert und die darin angesprochene Warnung vor ei- Beratung in den Ausschüssen. Denn man kann ja ner Subventionsmentalität glaubt als Beleg dafür her- durchaus bei einzelnen Vorschlägen konform mit Ih- anziehen zu können, daß die Regierung und die sie nen gehen. Es sei ausdrücklich von mir betont, daß Sie tragenden Fraktionen Scheu hätten vor staatlichen mit uns einiggehen, wenn Sie z. B. die Treuhand auf- Maßnahmen. Weit gefehlt — und das in doppelter fordern, darauf zu achten, daß Ausbildungsplatzkapa- Weise — : Liest man an der entsprechenden Stelle im zitäten nicht vernichtet werden sollten, oder wenn Berufsbildungsbericht nach, so liest der ehrliche Leser gesagt wird, daß im außer- und überbetrieblichen (auf Seite 3 unter 1.2) auch von einer „erforderliche(n) Ausbildungsbereich noch ungenutzte Reserven lie- subsidiäre(n) staatliche(n) Förderung beruflicher gen, um über die ja keineswegs bestrittenen Nöte zu Qualifizierungsprozesse". Und der zur Differenzie- kommen. Und dies geht gerade auch die Frage der rung neigende Leser versteht dann im weiteren sehr sogenannten Konkurslehrlinge in '91 und '92 an. wohl, daß die Warnung, solche „keinesfalls auf Dauer" anzulegen, durchaus ein Kriterium abwägen- Ganz wichtig scheint mir auch der Hinweis auf die der, relativierender, pragmatischen Lösungen zuge- Qualifizierung der Ausbilder zu sein, ebenso der Hin- neigter Politik ist. Im übrigen ist ja das am 24. April weis, öffentliche Aufträge vorrangig an auszubil- 1991 vom Kabinett beschlossene Ausbildungsplatz- dende Betriebe im Osten selber zu vergeben. Können förderungsprogramm in Höhe von 250 Millionen DM zum Teil auch von Ihnen selber dazu keine Kostenver- selbst der beste Beleg gegen solche sozialdemokrati- anschlagungen vorgenommen werden, so sind wir schen Vorurteile. Zu wünschen wären aber auch Be- doch dankbar für Ihre Unterstützung. Denn keiner gründungen für die schlichte Behauptung, die An- von uns kann wollen, daß die Weichen für den Auf- sätze reichten „bei weitem nicht aus" (Seite 3 unten). schwung Ost im Leeren enden oder der Drang gen Woher nimmt die SPD die prophetische Gabe, vor Westen sich weiter verstärkt. Es wird weiter — auch in Beginn eines Programms um das Ende desselben zu den Ausschüssen — zu beobachten und zu beraten wissen? Wie begründet sie denn ihre eigenen An- sein, wie Bund, Länder, Kommunen, Kammern, Schu- sätze? Auch hier Fehlanzeige. Zahlenspielereien? len, Betriebe und Verbände zusammenarbeiten, um Spekulationen. das gesteckte Ziel zu erreichen. Wir wissen doch alle heute nicht genau zu beziffern, Investitionen vor Ort und in die Ausbildung der ob die angesetzten finanziellen Mittel ausreichen Menschen, und ganz besonders in junge Leute, sind werden. Die Wahlkampfmelodie „Was kostet uns das immer noch die beste Kapitalanlage in einem Land alles?" ist doch in der Sache vollkommen unspielbar ohne sonstige Ressourcen. „Köpfe sind unser Kapital" und ödet das Publikum nur an. Zahlenkolonnen auf- — und dies wahrlich nicht nur aus schlichten ökono- zustellen ist auch nichts anderes als „propagandisti- mischen Gründen. scher Aufwand" . Dieser Vorwurf fällt auf den Antrag- steller zurück. Und wenn an anderer Stelle (Seite 4 oben) wie- Evelin Fischer (Gräfenhainichen) (SPD): Die Lage derum schlankweg behauptet wird, die Investitions- und Perspektive für die Jugendlichen im Hinblick auf pauschale von 5 Milliarden DM des Bundes für Ge- eine qualifizierte Ausbildung ist äußerst besorgniser- meinden und Kreise „reicht nicht aus" , so bleibt auch regend. Darin bestand in der von der SPD beantragten dies unbegründet und allzu pauschal. Es geht doch Aktuellen Stunde über die Ausbildungssituation Ei- gar nicht um die Frage, ob ausreichend Gelder zur nigkeit zwischen allen Fraktionen. Jetzt, 10 Wochen Verfügung gestellt werden, sondern in der alltägli- danach, ist diese Lage noch bedrohlicher geworden; chen Wirklichkeit geht es vielmehr entscheidend denn 120 000 Schulabgängerinnen und Schulabgän- darum, wie dieselben umgesetzt, eingesetzt und in gern und einer Zahl von mehreren zehntausend Be- Aufträge an möglichst viele Firmen im Osten selber werberinnen und Bewerbern aus dem letzten Jahr ste- verwandelt werden können. hen nach Einschätzung der Bundesanstalt für Arbeit nur 41 000 gemeldete Ausbildungsplätze gegenüber. Nein, meine Damen und Herren, es geht nicht um Selbst diese Zahl wird sich noch nach unten korrigie- theoretische Erwägungen, sondern um die Wirklich- ren. Nahezu kein ostdeutscher Betrieb ist vor dem keit. Die ist zu packen. Die Praxis vor Ort geht uns Konkurs sicher. 1814* Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 25. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 14. Mai 1991

Ein Hoffnungsschimmer wäre tatsächlich, wenn die chen Bildung in den fünf neuen Ländern zuzustim- von Bundesminister Ortleb fest einkalkulierten 30 000 men. Ausbildungsstellen zusätzlich vom Handwerk ange- Meine Damen und Herren, die Mauer, die mitten boten würden, doch nach Aussagen des DIHT-Präsi- durch unser Land ging, haben wir abgerissen, aber sie denten Stroisch sieht sich das Handwerk, obwohl mo- hinterließ bis heute tiefe Gräben, die das deutsche tiviert, durch die derzeitige schlechte wirtschaftliche Volk trotzdem trennen. Gerade die Jugendlichen sind Situation, durch nichtgelöste Eigentumsfragen und aber am ehesten in der Lage und auch bereit, diese durch zusätzliche Kostenbelastung der Handwerks- Gräben zu überwinden. Tun Sie jetzt und heute das betriebe nicht in der Lage, Schulabgänger in ein be- dazu Erforderliche: mit einem Programm, das jungen triebliches Ausbildungsverhältnis in dieser Größen- Leuten eine Chance für einen erfolgreichen Start ins ordnung aufzunehmen. Leben gibt! Es ist auch eine Chance der Bundesregie- Besonders problematisch sind die Ausbildungs- rung! chancen für Mädchen. Von 11 200 gemeldeten Aus- bildungsplätzen in Sachsen-Anhalt entfallen nur Dr. Dietmar Keller (PDS/Linke Liste): Die Abgeord knapp ein Drittel auf Mädchen. Sie machen aber 51 netengruppe PDS/Linke Liste gibt dem Aktionspro- der Schulabgänger aus. Laut 8. Jugendbericht bevor- gramm ihre Zustimmung, und zwar aus Gründen, die zugen Arbeitgeber junge Männer bei der Einstellung, den Unterschied zwischen diesem Programm und auch wenn Mädchen oder junge Frauen die gleiche dem sogenannten Ausbildungsplatzförderprogramm Qualifikation nachweisen können. der Bundesregierung ausmachen. Das Aktionspro- In einem Manifest mit dem Titel „Berufs- und Le- gramm ist komplexer und weniger kurzatmig als das benschancen für Frauen in der neuen Bundesrepu- mit vielen Appellen garnierte und — zumindest was blik" , das führende Politikerinnen und Politiker unse- die betriebliche Berufsausbildung bet rifft — mit zu- res Landes unterzeichnet haben, heißt es: „Beruf und wenig Finanzmitteln ausgestattete Notprogramm der Arbeit sind der einzige Weg zur persönlichen- Eigen- Regierung. ständigkeit. Sie darf im demokratischen Staat nicht als Im Unterschied zur „Lehrstellenkampagne Ost" der ,Privileg für Männer' reserviert werden." Der Forde- Bundesregierung, die noch bis vor kurzem von einem rung der Bundesministerin Merkel, eine Quotenrege- stark geschönten Lehrstellenmanko von etwa 60 000 lung für freie Ausbildungsplätze einzuführen, müßte in den neuen Ländern ausging und diese Zahl quasi eine Forderung nach einer Quotenregelung bei Ein- über Nacht auf realitätsnähere 120 000 hochrechnete tritt in die Erwerbstätigkeit folgen. — was die Seriosität auch anderer bildungspolitischer Günstig wäre meines Erachtens die Förderung Rechnungen der Bundesregierung bezweifeln läßt —, staatlicher Berufsfachschulen, insbesondere für kauf- geht das Aktionsprogramm von vornherein von einer männische Berufe, in denen bevorzugt Mädchen aus- realistischeren Einschätzung der Lage aus. gebildet werden könnten. Der Bedarf in der Wirtschaft Während im Regierungslager auch in bezug auf die und in der Verwaltung ist schon jetzt groß. Um eine Berufsbildungspolitik die Einsicht nur langsam reift Kammerprüfung zu erreichen, könnte man die Ausbil- und von Anhängern der reinen Marktlehre heftig be- dungszeit auf drei Jahre verlängern bzw. müßte man kämpft wird, daß der Übergang von einer Plan- zu nach einem halbjährigen Betriebspraktikum den An- einer Marktgesellschaft — ob man das will oder trag auf Prüfung vor der Kammer stellen können, die nicht — eines weit über das „Marktübliche" hinaus- dann auch die Prüfung abnehmen müßte. gehenden Maßes an staatlicher Regulierung bedarf, Ich mache keine Panik, aber ich sehe tagtäglich die zeugt der im Aktionsprogramm vorgesehene Maß- Unsicherheit und Angst, die aus den Gesprächen mit nahmekatalog von solcher Einsichtigkeit. Schulabgängern ersichtlich wird. Mir fällt es schwer, In den konkreten Maßnahmevorschlägen vermei- diesen Mädchen und Jungen die Tatsachen ins Ge- det das Aktionsprogramm die Ungereimtheiten und sicht zu sagen, und es tut mir weh, wenn ich höre, wie die Widersprüchlichkeit des Notprogramms der Re- besonders Abiturienten ohne Studienplatzchance sich gierung. mit dem Gedanken tragen, in die alten Bundesländer zu gehen, um sich dort ausbilden zu lassen. Aus unerfindlichen Gründen will die Regierung die finanzielle Förderung der bet rieblichen Ausbildung Rico Apel aus Schmalkalden, der kurz vor dem auf das erste Ausbildungsjahr auf 5 000 DM je Ausbil- Abitur steht: „Wenn ich die Möglichkeit hätte, würde dungsplatz und auf Unternehmen bis zu 20 Beschäf- ich lieber hier arbeiten, weil ich doch hier in Thürin- tigten begrenzen. Sie verkündet den fraglos richtigen gen zu Hause bin, aber hier bieten sich einfach keine Grundsatz von der Priorität der bet rieblichen Ausbil- Perspektiven. " Ich gebe zu, daß es immer noch besser dung, favorisiert aber praktisch die fragwürdige au- ist, sich im Westen ausbilden zu lassen, als überhaupt ßerbetriebliche Ausbildung, indem sie diese mit keine Lehrstelle zu bekommen, aber das allerbeste 15 000 DM je Ausbildungsplatz und mit insgesamt wäre doch, die jungen Leute fänden dort, wo sie zu 650 Millionen DM gegenüber 250 Millionen für die Hause sind, einen Ausbildungsplatz. betriebliche Ausbildung finanziell anreizen will. Ich glaube auch, daß nicht nur meine Fraktion zu- Eine entschieden höhere Wirksamkeit ist bei Reali- tiefst über die derzeitige Lage in den fünf neuen Län- sierung der im Aktionsprogramm vorgesehenen fi- dern beunruhigt ist, sondern auch meine Abgeordne- nanziellen Förderung zu erwarten, nämlich 5 000 DM tenkollegen der anderen Parteien, und deshalb fällt es je neuen Auszubildenden und für jedes Ausbildungs- mir auch nicht schwer, sie herzlich zu bitten, doch jahr zu gewähren und die Förderung nicht willkürlich unserem Aktionsprogramm zur Sicherung der berufli auf Unternehmen bis zu 20 Beschäftigten zu begren- Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 25. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 14. Mai 1991 1815* zen, sondern „Mitnahmeeffekte" dadurch einzudäm- Ausbilder entlassen werden. Eine Anweisung der men, daß der finanzielle Zuschuß unabhängig von der Treuhand an die ihr gehörenden Betriebe ist ergan- Beschäftigtenzahl, aber erst nach Erfüllung einer gen. Im Rahmen ihrer Privatisierungsaktivitäten wird „Pflichtquote" von je einem Ausbildungsplatz auf je die Treuhand darauf achten, daß Neuerwerber vor- 20 Beschäftigte, also einer Ausbildungsquote von 5 % handene Ausbildungsverhältnisse fortführen. gewährt werden soll. Der Treuhandvorstand hat darüber hinaus be- Im Verbund mit den anderen vorgeschlagenen schlossen, nicht genutzte Berufsbildungseinrichtun- Maßnahmen kann das Aktionsprogramm dazu beitra- gen in Treuhandbetrieben überbetrieblichen Trägern gen, der von der Regierung in bekannter Vollmundig- kostenlos oder kostengünstig zur Nutzung zu überlas- keit und Unverbindlichkeit versprochenen Ausbil- sen oder, soweit eine dauerhafte Nutzung vorgesehen dungsplatzgarantie für die Lehrstellensuchenden in ist, zu übereignen. Diese Selbstverpflichtungen der Ostdeutschland näher zu kommen. Treuhand, die durch nachdrückliche Intervention des Ich setze als bekannt voraus, daß die PDS/Linke Bundesministers für Bildung und Wissenschaft er- Liste von Anfang an für eine verbindliche Ausbil- reicht wurden, sind erhebliche Beiträge zur Problem- dungsplatzgarantie und in diesem Zusammenhang lösung, die berufliche Ausbildung in den neuen Län- für die volle Ausschöpfung der dafür 1m Grundgesetz dern zu gewährleisten. — Art. 91 b — und im Einigungsvertrag vorgesehenen Möglichkeiten eingetreten ist. Im Haushalt der Bundesanstalt für Arbeit sind für alle jetzt noch notwendigen Maßnahmen zur Förde- Die Ausbildungsplatzgarantie ist keine Frage des rung außerbetrieblicher Berufsausbildung und Be- Ermessens oder des Wohlwollens. Sie ist unabding- rufsvorbereitung 1991 ausreichende Mittel etatisiert, bar, um die immer bedrohlicher wachsende Jugend- insgesamt 663 Millionen DM. arbeitslosigkeit einzudämmen. Die Organisationen der westdeutschen Wirtschaft Zu den gegenwärtig ca. 120 000 jugendlichen- Ar- leisten bei der Organisation entsprechender Träger beitslosen kommen allein 1991 ca. 120 000 -sPotentielle chaften und Einrichtungen im Rahmen der Gemein- durch fehlende Lehrstellen hinzu. Und selbst wenn schaftsaktion umfassende und wirksame Hilfe. In die- diese Lehrstellen geschaffen werden können, wozu sem Zusammenhang hat sich der Bundesminister für die PDS/Linke Liste auch vor Ort, in den Regionen Bildung und Wissenschaft bereit erklärt, die Entsen- ihren Beitrag leisten wird, kann die Jugendarbeitslo- dung erfahrener Berater zu fördern. sigkeit nicht begrenzt oder gar beseitigt werden, wenn nicht eine neue Politik der Wirtschaftsförderung Die Bundesanstalt für Arbeit und der Bundesmini- in den neuen Ländern bet rieben wird. Eine solche ster für Arbeit und Sozialordnung stellen sicher, daß Politik muß nicht zuletzt darauf gerichtet sein, daß aus Jugendliche, die in Ausbildungsverbünden zwischen den jetzigen „Überbedarfsplätzen" in der Berufsaus- Ausbildungsbetrieben in den neuen Ländern und bildung „Bedarfsplätze" werden, d. h., daß sich für die Partnerbetrieben in den alten Ländern ausgebildet betroffenen Jugendlichen die Gewißheit, einen Aus- werden, für Ausbildungsphasen im westlichen Part- bildungsplatz zu erhalten, mit der begründeten Aus- nerbetrieb Berufsausbildungsbeihilfe erhalten kön- sicht verbindet, anschließend auch einen Arbeitsplatz nen. zu erhalten. Die Bundesregierung hat mit der Investitionshilfe für die Komunen im Rahmen des Gemeinschaftswer- Torsten Wolfgramm, Parl. Staatssekretär beim Bun kes „Aufschwung Ost" einen wesentlichen Beitrag desminister für Bildung und Wissenschaft: Es ist ein zur Erhaltung und Modernisierung von Berufsschulen gemeinsames Anliegen aller Fraktionen des Deut- geleistet. Wir flankieren diese Maßnahmen mit quali- schen Bundestages und der Bundesregierung, die Be- tativen Komponenten, für die fachliche und pädagogi- rufsausbildung in den neuen Ländern zu sichern. Die sche Zusatzqualifizierung des Personals in der beruf- Bundesregierung hat längst gehandelt und mit dem lichen Bildung, für die konzeptionelle Vorbereitung Beschluß des Bundeskabinetts vom 24. April 1991 und und fachlich-inhaltliche Ausgestaltung außerbetrieb- einer Reihe flankierender Maßnahmen alle notwendi- licher Ausbildungsmaßnahmen, für den Innovations- gen Schritte eingeleitet. Das Aktionsprogramm der transfer von in den alten Ländern entwickelten, er- SPD-Fraktion kommt insoweit für 1991 zu spät, zum probten und erfolgreich eingesetzten Modellver- Teil sind die Schwerpunkte nicht zielentsprechend. suchsergebnissen, Lehr- und Lernmitteln, Qualifizie- Mit einem 250-Millionen-Sonderprogramm des rungskonzepten und Umsetzungshilfen für Ausbil- Bundesministers für Bildung und Wissenschaft wird dungsbetriebe, berufliche Schulen und überbetriebli- die Ausbildung in kleinen Unternehmen mit höch- che Berufsbildungsstätten, für den Aufbau eines stens 20 Beschäftigten intensiv unterstützt. Im Bereich pluralen und marktwirtschaftlich orientierten Systems der Bundesverwaltung werden 10 000 zusätzliche beruflicher Weiterbildung. Ein flächendeckendes Ausbildungsplätze für Jugendliche aus den neuen Netz überbetrieblicher Berufsbildungsstätten zur Er- Ländern angeboten und besetzt. gänzung der Ausbildung in kleinen und mittleren Be- trieben wird aufgebaut. Die Finanzierung der beruflichen Ausbildung in Treuhandbetrieben wird für bestehende Ausbil- Die zuständigen Bundesministerien, die Bundesan- dungsverhältnisse sichergestellt. Im Rahmen der ver- stalt für Arbeit, die Organisationen der Wirtschaft sor- fügbaren Ausbildungskapazitäten werden Jugendli- gen in enger Abstimmung miteinander dafür, daß die che neu eingestellt — nach Möglichkeit über den Ei- neuen Länder, Kammern, Betriebe, Schulen und die genbedarf hinaus. In Treuhandbetrieben dürfen keine betroffenen Jugendlichen und Eltern über alle Maß- 1816* Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 25. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 14. Mai 1991 nahmen und Fördermöglichkeiten umfassend infor- Das soll nicht heißen, daß ich die Summe 120 DM im miert werden. Monat ausreichend finde. Auch ich wäre glücklich, allen älteren Menschen mehr Geld zukommen zu las- Die Bundesregierung wird durch die interministe- sen. Gerade unsere alten Bürger, die viele Jahre nach rielle Arbeitsgruppe für die Sicherung eines ausrei- dem Krieg schwer gearbeitet haben, sollten uns be- chenden Ausbildungsplatzangebots 1991 die weitere sonders am Herzen liegen. Die begrenzten Mittel, die Entwicklung und die Wirksamkeit der Maßnahmen uns zur Zeit zustehen, müssen aber in erster Linie die zusammen mit Wirtschaft, Gewerkschaften, den beklagenswerten Situationen in vielen Altenheimen neuen Landesregierungen und der Bundesanstalt für (hauptsächlich im Beitrittsgebiet) verbessern helfen, Arbeit eingehend beobachten und sich regelmäßig — nicht in Vorzeigeheimen für Funktionäre, sondern mit dem erreichten Stand befassen. Die Berufsbildung in Heimen für den Normalverbraucher. in den neuen Bundesländern muß und wird ihren Bei- trag zur schnellen Entwicklung der Marktwirtschaft Die Berufung der PDS auf den Begriff Humanität in leisten. ihrem Antrag ist auf Grund der tatsächlichen Situation (die von dieser Partei verschuldet wurde) absurd und unglaubwürdig. Jeder anderen Partei oder Gruppe hätte ich gute Absichten für diese Gesetzesänderung bescheinigt. Der PDS-SED spreche ich auf Grund mei- ner jahrelangen Erfahrungen auf dem geriatrischen Anlage 7 Gebiet die gute Absicht ab. Wo waren denn die Hu- manitätsgefühle der PDS-SED zu Honeckers Zeiten? Zu Protokoll gegebene Reden zu Zusatztagesordnungspunkt 3 Die älteren Bürger leben und lebten in Häusern mit (Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des schlechter Bausubstanz und schlechter Ausstattung. Bundessozialhilfegesetzes) * ) Die Parteifunktionäre mit hohen Renten haben - ebenso wie ein Mindestrentner 105 Mark in Feierabendheimen und 120 Mark in Pflegeheimen Angelika Pfeiffer (CDU/CSU): Ich fühle mich gera zahlen müssen. Den großen Rest konnten Funktionäre dezu gerufen und berufen, für meine Fraktion zu dem sparen, der kleine Rest der Mindestrentner hatte nur Antrag der PDS „Entwurf eines Gesetzes zur Ände- ein Taschengeld von 120 Mark. rung des Bundessozialhilfegesetzes" Stellung zu neh- men. Von Beruf Hebamme, in zweiter Ausbildung Es ist typisch für die PDS, medienwirksam zu versu- geriatrischer Fürsorger, über zehn Jahre Leiter eines chen, Geld zu verteilen, das ihr nicht gehört. Die PDS Seniorenheimes in Leipzig und Diplomsoziologe, ist sollte erst einmal ihre eigenen unrechtmäßig erworbe- es mir ein Bedürfnis, Antwort zu geben. nen Gelder verteilen, eventuell für eine humanitäre Sache! Diese Gesetzesänderung wäre im Grunde eine gute Sache, aber ich frage mich, was die PDS damit zu tun hat. Die PDS ist für mich die SED. PDS — praktisch das Margot von Renesse (SPD): Die Bewohner/innen selbe! von Alten- und Pflegeheimen in der ehemaligen DDR haben im April dieses Jahres einen Schock erleben Meine jahrelange Fürsorgearbeit in Heimen und im müssen: Erstmals kamen auf sie, die früher nur zu Wohngebiet zeigt ein Bild der Betreuungsleistungen einem geringen Teil der tatsächlichen Heimkosten für die älteren Bürger, die im großen Kontrast zu den herangezogen wurden, realistischere Kostensätze zu. Betreuungsleistungen für ältere Bürger in den alten Folge ist, daß sie praktisch alle schlagartig zu Sozial- Bundesländern stehen. Der Zustand der Senioren- hilfeempfänger/innen geworden sind. Während sie und Pflegeheime im Beitrittsgebiet war und ist nach früher von ihren geringen Renten noch Ersparnisse wie vor katastrophal. ansammeln konnten, sind sie heute für ihre persönli- Für regimetreue Genossen der SED gab es geson- chen Bedürfnisse auf das schmale sogenannte Ta- derte, gut ausgestattete Heime, gegebenenfalls Ein- schengeld nach dem BSHG angewiesen. Das Ergeb- zelzimmer in anderen Heimen. Auf Anträgen für Se- nis ist verständlicherweise Verbitterung. nioren- und Pflegeheime mußten die Mitarbeiter des Die Verbitterung ist umso größer, als der Zustand Sozialwesens vermerken, ob die Antragsteller lang- der meisten Heime in der ehemaligen DDR bekla- jährige SED-Mitglieder waren oder langjährige genswert ist: Das DDR-Regime hat die bauliche Sub- FDGB-Mitglieder. Danach wurden Plätze in Heimen stanz der Heime verkommen lassen; sanitäre Anlagen vergeben. sind häufig in einer unglaublichen Verfassung; Vier-, Diese Gesetzesänderung, die die PDS jetzt anstrebt, Sechs- und Mehrbettzimmer machen für die Bewoh- so gut und medienwirksam es auch klingt, verstößt ner/innen eine private Umgebung unmöglich. gegen das Gleichbehandlungsprinzip: Alle Menschen Dabei ist der Betrieb dieser Heime gerade wegen sind vor dem Gesetz gleich. ihrer Unzulänglichkeit personell aufwendig und Was aber machen die älteren Bürger im Wohnge- teuer; der Geldbedarf, um sie bald erträglich auszu- biet, die nicht in Heimen leben, die ihre Wohnung statten, ist ungeheuer groß. Dies belastet derzeit weit- unterhalten müssen, für ihren Lebensunterhalt auf- gehend die Kommunen als Noch-Träger der Einrich- kommen und so oftmals keine 120 DM Taschengeld tungen. im Monat nur für sich haben? Ein erhöhtes „Taschengeld" für Heimbewohner/in- nen würde die Kommunen als Träger der Sozialhilfe *) Vgl. Seite 1798 D zusätzlich finanziell treffen. Voraussichtlich müßten in Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 25. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 14. Mai 1991 1817*

den neuen Bundesländern dafür rund 100 Millionen 2. Die Kosten müßten nicht, wie im Vorblatt unter D DM aufgewendet werden. Dabei stehen die Kommu- geschrieben, von den Ländern, sondern von den nen schon jetzt vor einer Vielzahl von Aufgaben, de- Kommunen getragen werden. ren gleichzeitige Erledigung von ihnen gefordert wird Wir gehen einen anderen Weg: und kaum zu leisten ist. 1. Erhöhung des Rentenniveaus. Das betrifft beson- Ein zweites: Man kann unmöglich Sozialhilfelei- ders die neuen Bundesländer. Das wurde von der stungen nur für eine Gruppe von Empfänger/innen Koalition bereits in ersten Schritten vollzogen. erhöhen, ohne die Verzerrungen zu bedenken, die sich für sonstige Bedürftige ergäben. Wie soll man den 2. Noch in dieser Legislaturperiode wird diese Koali- Rentner/innen mit Mindestrenten von 500 DM monat- tion eine Pflegeversicherung einführen. lich, einschließlich Sozialzuschlag, die nicht in Hei- Wir halten unseren Weg für den besseren. Die PDS men leben, erklären, daß der finanzielle Spielraum ist noch in alten Denkstrukturen verhaftet, die sich in der Rentner/innen in Heimen für persönliche Bedürf- über 40 Jahren nicht bewährt haben. nisse bei gleicher Rente 260 DM beträgt? Dies ist im- merhin auch der Betrag, den das Sozialamt zur Dek ung aller Bedürfnisse eines Kindes zwischen 7 und Dr. Barbara Höll (PDS/Linke Liste): In den letzten 11 Jahren an Familien zahlt. Diese Verzerrungen Wochen hatte ich Begegnungen mit vielen Senioren müssen ebenfalls bedacht werden. in Alters- und Pflegeheimen in Sachsen. Viele dieser Heimbewohner waren ob der Ungewißheit über die Der Zorn der Heimbewohner/innen ist zu verste- Neufestlegung der Kostensätze und der Verteilung hen. Abhilfe ist aber weniger im BSHG zu suchen als der Heim- bzw. Sozialhilfeanträge verängstigt und vielmehr in einer vernünftigen und sozialen Neuge- verzweifelt. Eine sozial verträgliche dynamisierte Ko- staltung der Sicherungssysteme bei Alter und Pflege. stenbeteiligung entsprechend der Rentenerhöhung Hier gilt es, die Autonomie der Betroffenen, zu der vertrete ich als ein Mittel, den Bestand der Alters- und auch die finanzielle Seite gehört, zu erhalten. -k- Pflegeheime zu sichern. Mir ist jedoch klar, daß dies sicher nur in wenigen Regionen der neuen Bundeslän- Norbert Eimer (Fürth) (FDP): In der Problembe der und nur bei einigen Trägern gelingen wird, und schreibung zum Gesetzentwurf schreibt die PDS, daß wenn, sicher nur für kurze Zeit. die Taschengeldregelung für die älteren Bürger in Mit der Gesetzesänderung, das Taschengeld für den neuen Bundesländern „ganze 120 DM" Taschen- Heimbewohner aufzubessern, will die PDS/Linke Li- geld und damit eine „drastische Einschränkung des ste hier im Bundestag etwas tun, um die Lage aller Bewegungsspielraums" bringe. Abgesehen von der Betroffenen erträglicher zu gestalten. Als Parlamenta- Peinlichkeit, daß der Begriff „drastische Einschrän- rier sind wir verpflichtet, auch in diesem Bereich ent- kung des Bewegungsspielraums" ausgerechnet von sprechend dem Grundgesetz zu wirken. Die Würde einer Partei gebraucht wird, deren Vorgänger der ge- und Unverletzbarkeit des Menschen gelten auch im samten Bevölkerung kaum Bewegungsspielraum ließ, Alter. Ich teile die Empfindung der Entwürdigung vie- muß ich fragen, wieviel Taschengeld — ich betone ler Menschen, welche nach einem arbeitsreichen Le- Taschengeld — die älteren Bürger vor der Wende hat- ben plötzlich nur noch über eine karg bemessene ten. Summe, ein Taschengeld frei verfügen können. Kommen wir zu den „Lösungen". Da wird gesagt, Mit der Erhöhung der Unterhaltskosten auf 800, — „Leistungen" nicht einer „Profitorientierung zu unter- bis 2 500, — DM monatlich für die Heim- und Pflege- werfen". Ich übersetze diesen Begriff in eine normale plätze in den neuen Bundesländern, können diese Sprache: Altenheime dürfen keine Erträge haben. nicht mehr von der eigenen Rente bezahlt werden. Wohin aber ein System führt, das keine Erträge haben Von dieser Regelung sind in der ehemaligen DDR darf, das haben 40 Jahre Sozialismus in der ehemali- etwa 150 000 Menschen, alle Heimbewohner, betrof- gen DDR gezeigt. Auch ein Vergleich zwischen alten fen. Menschen bei uns und in der vergangenen DDR ist nicht für uns peinlich. Nur Rentner durften in der DDR Auch in den alten Bundesländern, in denen die Un- in den Westen reisen. Wenn sie wegblieben, war es kostenbeiträge bekanntlich zwischen 3 000 und nicht schlimm für den Sozialismus, denn sie waren ja 10 000 DM pro Platz und Monat liegen, sind etwa nicht mehr „profitabel". Ich meine, wir brauchen uns 70 Prozent der in Heimen lebenden älteren Bürger das Wort Profitorientierung von der PDS nicht vorwer- von der Taschengeldregelung erfaßt. fen zu lassen. Alle diese Menschen erhalten ein monatliches Ta- Die PDS fordert mehr Geld. Das hört sich immer gut schengeld zwischen 120 und 185 DM. Wir wenden an. Nachteil der PDS-Regelung ist jedoch, daß sie bei uns strikt gegen diese Einengung des Bewegungs- der Taschengeldregelung bleibt. spielraumes von knapp einer halben Million Bürgerin- nen und Bürger in den alten und neuen Bundeslän- Alle Parteien im Bundestag waren sich einig, daß dern. Taschengeldregelungen nicht optimal sind. Sie sind entwürdigend. Obwohl immer als Rechtsanspruch gepriesen, wird den Bürgerinnen und Bürgern in ostdeutschen Hei- Der Vorschlag der PDS ist von zwei Seiten falsch: men ganz konkret klar, wie belastend Sozialhilfe ist. 1. Weil der Maßstab für die Höhe des Taschengeldes Es ist nicht nur die generelle Scheu ob des Bittgangs die Sozialhilfe sein soll, d. h. wer viel zu seiner zu überwinden. Auf vierseitigen Formularen ist aufzu- Alterssicherung beiträgt, soll eben so wenig erhal- zählen, welche Geschenke über 500 DM in den letz- ten wie derjenige, der nichts dazu beiträgt. ten 10 Jahren vergeben wurden. Was soll das? Ge- 1818* Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 25. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 14. Mai 1991 schenke, die unter ganz anderen gesellschaftlichen das für die PDS/Linke Liste der Beistands- und Sor- Bedingungen gemacht wurden, sollen jetzt angerech- gepflicht des Staates und der gesamten Gesellschaft net oder zurückgefordert werden? Dies wäre eine Ver- obliegt und nicht durch zusätzliche Pflichtabgaben fahrensweise, als ob man Bürger für etwas bestrafen der Bürgerinnen und Bürger zu tragen ist. Als eines will, was zur Zeit des „Tatherganges" nicht strafbar der reichsten und entwickelsten Länder hat die Bun- war. Daß das rechtlich nicht geht, wird mittlerweile desrepublik auch international die Pflicht, entspre- bei der „Behandlung" der ehemaligen „Oberen" der chend ihrem Potential, das Wohlergehen der alten, DDR eingesehen. Sollen nun die „Kleinen" , die Pfle- behinderten und pflegebedürftigen Mitbürger und gebedürftigen, die Alten zur „Verantwortung" gezo- Mitbürgerinnen zu gestalten. gen werden für „Liebesdienste" an ihren Verwand- ten? Für die PDS/Linke Liste wird die Pflegeproblematik zu einem Modellfall über die Grundrichtungen künf- Es ist entwürdigend, daß der Heimbewohner und tiger Sozialpolitik in der BRD. Doch bevor es soweit ist, die Heimbewohnerin eine Ermächtigung zur unein- plädieren wir dafür, den Menschen in Alten- und Pfle- geschränkten Offenlegung ihrer Kontenführung sei- geheimen rasch durch die wohlwollende Behandlung tens der Bank erteilen müssen, hinzu kommt, daß die unseres Gesetzesänderungsentwurfs einen größeren Kinder der Bewohnerinnen und Bewohner ihre Ein- finanziellen Spielraum einzuräumen. kommen offenlegen und belegen müssen, damit eventuell ein Zuschuß von diesen „Unterhaltspflichti- gen" eingefordert werden kann. Ob mit letzterem ein „vernünftiger Druck" auf den Entscheid für die Pflege Roswitha Verhülsdonk, Parl. Staatssekretärin bei in der Familie befördert wird, wage ich zu bezweifeln. der Bundesministerin für Familie und Senioren: Wenn Sind denn Frauen — meist sind sie es doch, die häus- ich mir diesen Gesetzentwurf, vor allem seine Begrün- liche Pflege übernehmen — sind also Frauen, die ihre dung ansehe, dann kommen mir erhebliche Zweifel, berufliche Entwicklung verfolgten, selbst Kinder er- ob den Verfassern das Umdenken von einem soziali- ziehen und „zufällig" eine pflegebedürftige Mutter stischen Gießkannensystem, das den vollendeten haben, die sich zur Betreuung in ein Heim begab, mit Staatsbankrott zur Folge gehabt hat, zu einem rechts- dem Stempel eines „asozialen Verhaltens zur Fami- und sozialstaatlichen System des verantwortbaren lie" zu versehen, wofür sie nun „zahlen" müssen? Ich -Ausgleichs zwischen Wünschbarem und ordnungs kenne viele Frauen und Männer in der ehemaligen und finanzpolitisch Machbarem bereits gelungen ist. DDR, deren Mütter in Heimen leben, die dennoch und Die Verwirklichung des Gesetzentwurfs würde eine vielleicht erst im Rahmen solcher Bedingungen für ein halbe Milliarde DM kosten, einen Betrag, der bei der gutes familiäres Klima sorgen. so dringend notwendigen Sanierung der herunterge- kommenen Alten- und Pflegeheime und der Schaf- Hinzu kommt, daß ein solcher Schritt ins Heim fung neuer, menschenwürdigerer Einrichtungen in kaum noch korrigierbar ist, auch jetzt, unter gewan- den neuen Bundesländern fehlen würde. Und was Sie delten gesellschaftlichen Verhältnissen nicht. Wie auch verschweigen, ist, daß nach Ihrer Feierabend- viele Bürgerinnen und Bürger gab es, die auf Grund und Pflegeheim-Verordnung seit 1979 bis in das letzte eigener schlechter Wohnbedingungen, miserabler Jahr hinein unverändert an Heimbewohner ohne oder Infrastruktur, der Vollbeschäftigung der Kinder und mit geringem Einkommen eine Unterstützung zur deren beengter Wohnverhältnisse in ein Feierabend- persönlichen Verwendung in Höhe von nur 120 Mark heim zogen. Ja dieser Name ist nicht nur belastet als im Monat gezahlt wurde. War das nach Ihren Wert- „Endstation", er bedeutete für viele Menschen auch vorstellungen human? Geborgenheit und Ruhe in sich. Aber mit diesem Schritt ins Feierabendheim haben sie nun unwiderruf- Es stimmt, in den alten Bundesländern sind die lich die Wohnung verlassen — und sind dieser nun Heimkosten entsprechend den dort erbrachten Lei- kommenden Sozialhilfepraxis — man muß es so sa- stungen so hoch, daß die größere Zahl der Heimpfle- gen: ausgeliefert. gebedürftigen sie nicht allein aus ihrer Altersrente bezahlen kann. Den fehlenden Betrag — 1989 waren Diese Sozialhilfepraxis betrachtend, lohnt es auch das im alten Bundesgebiet knapp 8 Milliarden DM — nicht, auf Besserung durch die avisierte Pflegeversi- trägt die Allgemeinheit in Form der Sozialhilfe. Hier- cherung von Herrn Blüm zu warten. Denn die auf hat jeder, der nicht Selbstzahler aus Einkommen 2 000 DM, welche auf Basis dieser Versicherung ma- und Vermögen ist, einen Rechtsanspruch; dessen ist ximal für pflegebedürftige Menschen in Heimen ge- er sich bewußt und er muß es deshalb nicht als diskri- zahlt werden sollen, decken die Kosten nicht annä- minierend empfinden. Dennoch wollen wir für Pflege- hernd, die Zahl der sozialhilfeabhängigen Heimbe- bedürftige durch eine gesetzlich abgesicherte Finan- wohner wird nicht sinken. Nutznießer werden die zierung der Pflegebedürftigkeit eine von der Sozial- Krankenkassen und die Kassen der Sozialhilfe sein. hilfe weitgehend unabhängige Lösung schaffen. Es sind also nur scheinbare „Verlockungen", daß eine Pflegeversicherung die anstehenden Aufgaben Was nun im besonderen den Anspruch des Heimbe- auf diesem Gebiet in Ost und West lösen könne, des- wohners auf einen zusätzlichen „angemessenen Bar- halb lehnt die PDS/Linke Liste eine solche Versiche- betrag zur persönlichen Verfügung" betrifft — das ist rung ab. Der Humanismus einer Gesellschaft zeigt die gesetzliche Bezeichnung, nicht das von Ihnen in sich unserer Ansicht nach auch und vor allem in ihrem verächtlich machender Absicht gebrauchte Wort „Ta- Umgang mit hilfs- und pflegebedürftigen Bürgerin- schengeld" — , so sprechen schon Gerechtigkeits- nen und Bürgern. Der Schutz des betagten und behin- gründe dafür, Heimbewohner nicht anders zu stellen derten Lebens ist ein hohes sittlich-moralisches Gut, als diejenigen alten Menschen, die keinen Heimplatz Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 25. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 14. Mai 1991 1819* in Anspruch nehmen und ihr Leben z. B. in einer be- Bundesländern voraus, um die notwendigen und rich- scheidenen Mietwohnung führen. Das war ja gerade tigen parlamentarischen Entscheidungen treffen zu die Ungerechtigkeit Ihres sozialistischen Systems, daß können. Und daß das DFF-Neue-Länderkette-Pro- es von diesen Menschen verlangte, alles Verfügbare gramm mit dazu beitragen kann, diesen notwendigen an Rente und Erspartem zur Bestreitung ihres Lebens- Informationsfluß zu verstärken, Einblicke auch in den unterhalts einzusetzen, wobei beim Mindestrentner Lebensalltag unserer Mitbürger im östlichen Teil für wirklich persönliche Bedürfnisse kaum einmal et- Deutschlands zu geben, kann und soll nicht bestritten was übrig geblieben sein dürfte. Dagegen hatte der werden. Heimbewohner, auch der mit einer hohen Funktio- närsrente, bis auf einen geringen Eigenbeitrag — bis Besser als sich über's Fernsehn zu informieren, wäre vor einem Jahr waren das ganze 100 oder 120 Mark — allerdings, wenn alle Abgeordneten sich „vor Ort" seine ganze Rente zur freien Verfügung und brauchte begeben würden, um sich die notwendigen Informa- sein Vermögen überhaupt nicht anzutasten. tionen zu beschaffen. Und so hat denn ja auch in den letzten Monaten eine über diesen Antrag hinausge- Was das jetzt bundeseinheitlich geltende Finanzie- hende Diskussion darüber stattgefunden, ob nicht das rungssystem über die Sozialhilfe mit „Profitorientie- DFF-Programm über eine Einspeisung in die Kabel- rung" oder „mangelnder Humanität" zu tun haben netze bundesweit ausgestrahlt werden sollte. soll, bleibt Ihr Geheimnis. Sie wissen, daß diese Überlegungen schließlich ins- Wenn wir nach dem Gleichbehandlungsgrundsatz besondere aus zwei Gründen ad acta gelegt wurden: verfahren, dann müssen wir feststellen, daß die seit Eine Übernahme des DFF-Programms in West- vielen Jahren im alten Bundesgebiet geltende Rege- deutschland würde eine besondere Heranführung an lung ausgewogen ist: Empfänger laufender Sozialhil- die bestehenden ca. 2500 Breitbandverteilungsanla- feleistungen zum Lebensunterhalt haben in etwa die gen über einen Satellitenkanal notwendig gemacht gleichen Mittel zur Bestreitung persönlicher Bedürf- haben. Hierfür wären Kosten in Höhe von ca. 11 Mil- nisse zur Verfügung, wie sie Heimbewohner mit der lionen DM/Jahr entstanden. Hinzugekommen wäre gesetzlichen Barbetragsregelung erhalten. Hieran et- die Problematik der Urheber- und Leistungsschutz- was zu ändern besteht deshalb kein Anlaß. Auch der rechte. Für eine Ausstrahlung im Westen fehlen dem Deutsche Verein für öffentliche und p rivate Fürsorge, DFF nämlich die Senderechte. Ihr Erwerb wäre schät- der in den letzten Jahren Vorschläge zur Weiterent- zungsweise noch einmal mit der gleichen Summe zu wicklung der Sozialhilfe erarbeitet hat, hat zu der hier veranschlagen gewesen. Ein solcher finanzieller Auf- in Rede stehenden Regelung des § 21 Abs. 3 des Bun- wand — und dies war der zweite wesentliche dessozialhilfegesetzes keine inhaltliche Änderung Grund — für ein Programm, dessen Weiterführung vorgeschlagen. der Einigungsvertrag nur bis Ende 1991 vorsieht, wäre Ich bitte deshalb den Deutschen Bundestag, den nicht zu verantworten gewesen. Gesetzentwurf der PDS-Gruppe abzulehnen. All das bedeutet nun aber nicht, daß Westdeutsch- land für das Fernsehprogramm des DFF „terra incog- nita" ist. So ist der DFF mit ca. 5 % an der Gesamtpro- duktion von 3-Sat beteiligt. Neben dem sonntäglichen Kulturmagazin (17.30-18.00 Uhr) und der Sendung Anlage 8 „Landauf-Landab", Bericht aus den neuen Ländern (Sonntag 17.00 Uhr), sendet der DFF im 3-Sat-Rah- Zu Protokoll gegebene Reden men täglich die Nachrichtensendung „Spätjournal", zu Tagesordnungspunkt 10 die frühere „AK 2". Im übrigen: Im September be- (Beratung des Antrags betr. Einspeisung der DFF- ginnt die ARD ein neues Ländermagazin. Montags bis Länderkette in das Fernsehkabelnetz des Deutschen Freitags von 17.00 —17.15 Uhr. Behandelt werden sol- Bundestages) * ) len dabei vor allem die neuen Bundesländer. Sich über diese 3-Sat-Sendungen zu informieren, ist Der von Dr. Joseph-Theodor Blank (CDU/CSU): auch Bundestagsabgeordneten möglich. Wollte man zahlreichen Kolleginnen und Kollegen quer durch alle darüber hinaus, wie dies der vorliegende Antrag for- Fraktionen und Gruppen dieses Hauses eingebrachte dert, das Fernsehprogramm „DFF Neue Länderkette" Antrag, das Fernsehprogramm „DFF Neue Länder- in das Kabelnetz des Deutschen Bundestages einspei- kette" (NLK) — ein drittes Programm nach westdeut- sen, so würde für die technische Heranführung des schem Vorbild — in das Fernsehkabelnetz des Deut- Programms der Aufbau und der Betrieb einer Richt- schen Bundestages einzuspeisen, erscheint auf den funkstrecke erforderlich sein. Hierfür sind Investi- ersten Blick unproblematisch und zustimmungsfähig. tionskosten in Höhe von 1,7 Millionen DM erforder- Denn richtig ist sicherlich: Die Bewältigung unserer lich. Der Aufbau einer solchen Richtfunkstrecke zentralen innenpolitischen Aufgabe, den notwendi- würde ca. ein Jahr in Anspruch nehmen. Mir erscheint gen Strukturwandel von Gesellschaft und Wirtschaft angesichts des absehbaren Endes des Programms im östlichen Teil Deutschlands herbeizuführen, ihn eine solche Maßnahme unter finanziellen und zeitli- sozialpolitisch abzusichern und den Menschen neue chen Gesichtspunkten nicht sehr sinnvoll zu sein. Perspektiven zu vermitteln, setzt insbesondere für die Abgeordneten des Deutschen Bundestages eine mög- Man könnte allerdings die Ausstrahlung auf be- lichst umfassende Kenntnis der Situation in den neuen stimmte Tageszeiten beschränken. Eine solche zeit- lich befristete Schaltung wäre über bestehende Richt- *) Vgl. Seite 1799 A funkstrecken sofort durchführbar. Allerdings würden 1820* Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 25. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 14. Mai 1991 auch hier Kosten in Höhe von ungefähr 1,5 Millio- verlaufene Geschichte der beiden Deutschlands in nen DM anfallen. den zurückliegenden 40 Jahren vor dem Umschwung Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion stimmt der besser zu durchleuchten — auch in ihren Nach- Überweisung an die in der Tagesordnung angeführ- wehen! ten Ausschüsse zu. Vor dem Hintergrund der beste- Im übrigen sollten wir uns vor jeder Hochnäsigkeit henden Empfangsmöglichkeiten über 3-Sat und unter in Sachen Medienpolitik hüten. Auch im Westen gibt den Gesichtspunkten Zeit und Kosten bedarf der An- es Seilschaften, wenn auch ganz anderer Machart als trag, das Fernsehprogramm „DFF Neue Länderkette" die in der ehemaligen DDR. Auch im Westen ist die in das Kabelnetz des Deutschen Bundestages einzu- schöne Ursprungsidee vom Rundfunk, der sich weder speisen, einer sorgfältigen Abwägung des Für und dem Staat noch den Interessen Privater unterwirft, Wider von Kosten und Nutzen in den Parlamentsaus- gründlich verkehrt worden. Die neuen Bundesländer schüssen. robben sich langsam an die Bildung öffentlich-rechtli- cher Sender heran. Eine neue, geordnete Medien- landschaft ist bislang nicht einmal in Umrissen er- Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast (SPD): Ein hochran giger Vertreter der ARD soll über die Arbeit von DFF- kennbar. Und die Verbeugungen, die etwa der Mini- Aktuell so geurteilt haben: „In der Nachrichtenaus- sterpräsident von Mecklenburg-Vorpommern im Ge- wahl dominieren die Themen aus dem Gebiet der frü- rangel um den Anschluß seines Landes an den NDR heren DDR. Unterschwellige Kritik ist an der Tages- oder aber die Bildung eines Nordostdeutschen Rund- ordnung. " Soweit dieses Zitat, das sein Verfasser ei- funks unter Mißachtung seines eigenen Landtages vor gentlich abfällig meinte. Aber falls er recht hat, kann den medienpolitischen Einflüsterungen höchster es uns gerade nicht schaden, die Programme der DFF- CDU-Kreise machte, nähren nicht gerade die Hoff- Länderkette gelegentlich einzuschalten. Ich erwarte nung auf eine schnelle Blüte des unabhängigen, wirk- weder Lobhudeleien auf die deutsche Einigung noch lich staatsfreien Rundfunks in den neuen Ländern. Musterbeiträge, die uns auf Schritt und Tritt bewei- Geben wir also uns und der DFF-Länderkette eine - sen, wie gründlich sich die journalistische Arbeit des kleine Chance — und tun wir das schnell, solange es DFF aus den Fesseln und Einfärbungen alter SED- sich noch lohnt. Seilschaften befreit hat. Ich erwarte wohl aber Infor- mationen und Eindrücke aus erster Hand über Alltag, Lebensgefühl und Probleme in den neuen Bundeslän- Heinz-Dieter Hackel (FDP): Ich habe den Antrag dern. Wir Abgeordneten brauchen Anschauungs- nicht mit unterzeichnet, bin aber gleichwohl der Mei- material jeglicher Art. Vielleicht ist es sogar span- nung, daß die Einspeisung der DFF-Länderkette in nend, die Reste alter Kaderschulung im Medienbe- das Kabelnetz des Deutschen Bundestages wün- schenswert ist. Es ist nach meiner Meinung wichtig, reich noch ausfindig zu machen — selbst dort, wo sicherlich der Wille zu personeller und inhaltlicher daß die Länderkette auch in das Kabelprogramm ein- Neuorientierung vorherrscht. bezogen wird, damit die Abgeordneten aus den neuen Bundesländern, aber auch aus den alten Bundeslän- Es geht auch nicht darum, ein auslaufendes Modell dern die Möglichkeit erhalten, sich über die Probleme noch eine Zeitlang abzustützen. Wir wissen, daß der im Osten unseres Landes zu informieren. DFF schon seit 15. Dezember 1990 auf dem ersten Kanal der ARD weichen mußte und daß die Länder- Die Einspeisung der DFF-Länderkette in das Kabel- kette auf dem zweiten Kanal die Sendungen einstel- netz des Deutschen Bundestages ist allerdings deswe- len soll, wenn sich in den neuen Ländern die jeweili- gen problematisch und mit einigem Aufwand verbun- gen Rundfunkanstalten etabliert haben. Dennoch den, weil dieses Programm jedenfalls in Bonn — für wird die Einspeisung der DFF-Sendungen in das Berlin gilt dies ausdrücklich nicht — nicht terrestrisch Fernsehkabelnetz des Deutschen Bundestages für zu empfangen ist. Der Einwand ist erheblich, daß das „politisch wünschenswert" gehalten. Wenn man das Heranführen des Programms über eine längere Kabel- wirklich meint, muß man allerdings dafür sorgen, daß strecke mit erheblichen Kosten verbunden ist. Des- es nicht bei frommen Wünschen bleibt! Deshalb tra- halb befürwortet meine Fraktion den Auftrag des Al- gen und unterstützen wir Sozialdemokraten den An- testenrates an die Verwaltung, hierfür Lösungen zu trag, und ich freue mich über die parteiübergreifende suchen, die mit einem vertretbaren Kostenrahmen die Initiative. Die technischen und finanziellen Hürden umfassende Information der Abgeordneten sicherstel- halte ich für überwindbar. Die Kosten sollen sich auf len können. Die Situation wäre vermutlich einfacher, 541 000 DM belaufen, wenn eine Verbindung über würde die DFF-Länderkette in einen freien Satelliten- Hannover geschaltet wird. Denken Sie auch daran, kanal eingespeist. Dies hätte zudem den Vorteil, daß liebe Kollegen und Kolleginnen, daß uns das Kabel- dieses Fernsehprogramm dadurch in allen Kabelnet- netz ansonsten wahrhaft auch Überflüssigeres anbie- zen Westdeutschlands verfügbar sein könnte. Auch tet als die vom DFF produzierten Länderprogramme! hier ist allerdings der Kostenrahmen noch nicht ab- So können wir uns das holländische Fernsehen zu sehbar. Gemüte führen, auch Video-Clips und Tutti Frutti. Das Informationsangebot der DFF-Länderkette Nun werden sogleich einige von Ihnen dies alles kei- würde eine Komplettierung des Angebots der Kabel- neswegs als überflüssig bezeichnen, aber ich verlange anlage des Deutschen Bundestages darstellen. Nach ja auch gar nicht die Abschaffung all dieser Angebote, Meinung der FDP-Fraktion sollten die Probleme der sondern lediglich ihre bescheidene Ergänzung durch neuen Bundesländer einen sachgerechten Nieder- Programme, die die aktuelle Situation in den neuen schlag in der Alltagsarbeit des Deutschen Bundesta- Bundesländern umfassend dokumentieren. Das wird ges finden. Soweit dies mit vertretbarem finanziellen uns im übrigen auch helfen, die so unterschiedlich Aufwand zu erreichen ist, unterstützen wir das Anlie- Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 25. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 14. Mai 1991 1821* gen der Antragsteller. Dem Überweisungsvorschlag schlägige Sendungen aufzeichnen lassen und den In- stimmen wir zu. teressenten auf Abruf oder mittels Kassette zur Verfü- gung stellen. Damit würde auch eine Präjudizierung für gleichgelagerte Fälle in der Zukunft vermieden. Eduard Lintner, Parl. Staatssekretär beim Bundes minister des Innern: Der zur Beratung vorliegende Antrag befaßt sich mit einer ausschließlich internen Angelegenheit des Deutschen Bundestags. Eine rund- funkrechtliche Kompetenz des Bundes ist nicht gege- ben. Anlage 9 Der Veranstalter, dessen Programm in das hausin- terne Verteilnetz des Deutschen Bundestages einge- Zu Protokoll gegebene Reden speist werden soll, ist die gemeinsame Ländereinrich- zu Zusatztagesordnungspunkt 4 tung in Berlin. Adressat der rundfunkrechtlichen An- (Antrag betr. Maßnahmen zur Verbesserung der so zeige- bei einer Einspeisung des Programms der DFF zialen Lage von Empfängerinnen und Empfängern Länderkette in das Verteilnetz des Deutschen Bun- von Vorruhestands- bzw. Altersübergangsgeld in destages ist die Landesanstalt für Rundfunk in Düssel- den neuen Bundesländern) *) dorf. Aus der Sicht der Bundesregierung möchte ich mich Julius Louven (CDU/CSU): Die CDU/CSU-Fraktion daher auf einige kurze Bemerkungen beschränken: wird den Antrag ablehnen. Der Vorruhestand ist ein wichtiges arbeitsmarktpolitisches Instrument, das Die DFF-Länderkette ist aus den früheren Program- man nicht überstrapazieren darf, wie es mit dem vor- men des Deutschen Fernsehfunks entstanden und liegenden Antrag geschieht. wird gemäß Art. 36 des Einigungsvertrages von der gemeinsamen Ländereinrichtung verantwortet. Die Der Vorruhestand spielt für die älteren Arbeitneh- Einrichtung ist bis spätestens Ende dieses Jahres- in mer und den Arbeitsmarkt in den fünf neuen Bundes- die noch zu errichtenden Landesrundfunkanstalten in ländern eine wichtige Rolle. Rund 400 000 Personen den neuen Ländern überzuführen, und die Einrich- sind in diese Frühpensionierungsregelung eingetre- tung ist dann aufgelöst. Spätestens Ende 1991 wird ten. Für sie sind im Haushaltsplan des Bundes Ausga- das Programm der DFF-Länderkette nicht mehr vor- ben in Höhe von 4,1 Milliarden DM vorgesehen. Es ist handen sein. Es bestehen derzeit keine Anzeichen, heute absehbar, daß dieser Ansatz nicht ausreichen daß die neuen Landesrundfunkanstalten das Pro- wird. Gerade heute haben wir mit der Absenkung des gramm der DFF-Länderkette getrennt oder gemein- Zugangsalters für das Altersübergangsgeld weiter ge- sam fortführen. handelt. Nach den rundfunkrechtlichen Vorschriften des Die Zuverdienstgrenze der Vorruheständler von Landes Nordrhein-Westfalen kann mit der Einspei- monatlich 130 DM auf mindestens 400 DM zu erhö- sung des Programms frühestens zwei Monate nach hen, würde diesen Personenkreis gegenüber den Ar- ihrer Anzeige an die Landesanstalt für Rundfunk in beitslosen und Empfängern von Altersübergangsgeld Düsseldorf begonnen werden. Dies bedeutet, daß die besserstellen. Dafür gibt es angesichts der vergleich- Einspeisung sich letztlich auf den Zeitraum von An- baren sozialen Lage der Betroffenen keinen Grund. fang September — nach Beendigung der Sommer- Durch den vorgezogenen Ruhestand für ältere Ar- pause — bis längstens Ende Dezember — insgesamt beitnehmer sollen für jüngere die Beschäftigungs- auf höchstens vier Monate — erstrecken würde. möglichkeiten erhalten bleiben. Mit Ihrem Vorschlag Dem in der Begründung des Antrags geltend ge- der Zulassung von mehr Nebenbeschäftigungen machten Informationsmangel über die Situation in würde dieses Ziel unterlaufen. den neuen Bundesländern vermag ich nicht zuzustim- men. Die Fernsehanstalten der ARD und das ZDF ha- Beim zweiten Ansatz schießt die PDS in ihrem Ent- ben ihre Berichterstattung aus den neuen Bundeslän- schließungsantrag ein Eigentor. Die Modrow-Regie- dern erheblich verstärkt. rung hat in die Vorruhestandsregelung hineinge- schrieben, daß für Invalidenrentner das Vorruhe- Hinzu kommen die Informationsmöglichkeiten standsgeld und die Invalidenrente zusammen durch Presse und insbesondere Hörfunk. Ich möchte 1 000 DM im Monat nicht übersteigen dürfen. die heutige Diskussion gerne zum Anlaß nehmen und an dieser Stelle darauf hinweisen, daß der Deutsch- Diese Regelung hat doch sicher ihren Grund auch in landfunk als erste Hörfunkanstalt unmittelbar nach der Finanzierung dieser Leistungen. Wenn Sie nun- der Öffnung der Grenzen in den neuen Bundeslän- mehr — und ich sage: Gott sei Dank — außerhalb der dern Korrespondentenplätze eingerichtet hat. Der Regierungsverantwortung stehen, fühlen Sie sich an Deutschlandfunk verfügt heute im Gebiet der neuen Grundsätze der Solidität und Ehrlichkeit nicht mehr Bundesländer über die meisten Studio- und Korre- gebunden. spondentenplätze im Hörfunkbereich. Ich sage Ihnen: Populistische Allüren haben kurze Um dem Informationsbedürfnis der interessierten Beine. Nur überzeugende Konzepte, die gerecht und Kollegen dieses Hohen Hauses gerecht zu werden, finanziell abgesichert sind, tragen weiter. Nach die- ließe sich auch ein anderer — bestimmt auch erheb- sen Grundsätzen handeln wir. Ihren Antrag lehnen lich kostengünstigerer — Weg beschreiten. Das wir ab. Presse- und Informationsamt der Bundesregierung könnte Informationssendungen und sonstige ein *) Vgl. Seite 1801B 1822* Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 25. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 14. Mai 1991

Dr. Eva Pohl (FDP): Auf den ersten Blick mag dieser Renate Jäger (SPD): Die PDS/Linke Liste hat auf Antrag vertretbar, möglicherweise sogar sozial er- die Schnelle einen Antrag eingebracht, der im zustän- scheinen. Blickt man jedoch genauer hin, so wird der digen Ausschuß des Bundestages sicher seine not- Pferdefuß sehr deutlich. Vergegenwärtigen wir uns wendige Beratung finden wird. doch bitte noch einmal den Sinn und Zweck dieser Regelungen, heißen sie nun Vorruhestand — oder Al- Auf den ersten Blick ist jedoch jetzt schon sichtbar, tersübergangsgeld. daß er die soziale Gerechtigkeit nicht mit der objekti- Ziel dieser Maßnahmen war und ist: Erstens. Älte- ven Notwendigkeit der Entlastung des Arbeits- marktes verbindet. Dies ist aber angesichts der Lage ren Arbeitnehmern, die auf Grund des durch über 40 in den neuen Ländern unerläßlich. Jahre Mißwirtschaft notwendig werdenden wirt- schaftlichen Umbruchs ihre Arbeitsstelle verlieren Unseres Erachtens ist es dringend notwendig, für und auf Grund ihres Alters geringe Chancen haben, in die Geburtsjahrgänge 1935 bis 1939, vielleicht sogar absehbarer Zeit einen neuen Arbeitsplatz zu erhalten, bis 1940, einen Vorruhestand zu schaffen, der diesen soll die Möglichkeit geboten werden, vorzeitig in den Frauen und Männern die Arbeitslosigkeit als letzte Ruhestand gehen zu können, ohne längere Zeit in Stufe des Erwerbslebens erspart. Nach unseren Vor- Arbeitslosigkeit verharren zu müssen. stellungen könnten heute 600 000 ältere Arbeitneh- Ich weiß, daß dieser Abschied vom Arbeitsleben merinnen und Arbeitnehmer von diesem Los befreit kaum jemandem leicht fällt; ich kann das nur zu gut werden. verstehen. Ich weiß aber auch, daß viele eine solche Regelung längerer Arbeitslosigkeit vorziehen. Inso- Die Bundesregierung setzt dagegen auf eine Grö- fern handelt es sich um eine sozialverträgliche Rege- ßenordnung von nur 200 000 bei einer finanziellen lung. Ausstattung in der Größenordnung des Arbeitslosen- Zweitens. Ziel dieser Regelung — des Altersüber- geldes. Würde die Bundesregierung unseren Vorstel- gangsgeldes — ist es aber auch, die Beschäftigungs- lungen folgen, könnte dies die Versorgungsängste möglichkeiten für jüngere Arbeitnehmer- zu verbes- vieler älterer Bürger beseitigen. sern, das ist jetzt besonders dringlich. Da die PDS/Linke Liste auf dem Gebiet zu Arbeits- Wer beide Ziele bejaht — und beide gehören zu- markt- und sozialen Fragen recht viele Anträge ein- sammen —, der darf aber das von mir zuletzt ge- bringt, wäre zu erwarten, daß sie an der Arbeit dieses nannte Ziel nicht durch die erweiterte Zulassung von Ausschusses besonders interessiert ist. Obwohl ich Nebenbeschäftigungen wieder selbst in Frage stellen. Verständnis für die Schwierigkeit habe, mit einer zah- Dies würde von vielen Bürgern, insbesondere denen, lenmäßig kleinen Gruppe alle Ausschußberatungen die in den neuen Bundesländern arbeitslos sind, nicht regelmäßig zu besetzen, verstehe ich an dieser Stelle verstanden werden. Darüber hinaus würde Ihr Vor- die Prioritätensetzung nicht, denn ausgerechnet in schlag zu einer Besserstellung der Bezieher von Vor- diesem Ausschuß ist die PDS/Linke Liste meist nicht ruhestands-/Altersübergangsgeld gegenüber Ar- anwesend und kann damit ihre Vorstellungen hier beitslosen führen. Ich meine, man sollte und kann hier auch nicht einbringen. nicht mit zweierlei Maß messen. Im übrigen darf ich daran erinnern, daß wir vor wenigen Stunden das AFG-Änderungsgesetz mit ei- Dr. Barbara Höll (PDS/Linke Liste): Das Anliegen ner Absenkung der Altersgrenzen beim Altersüber- unseres Antrages zielt darauf, Entscheidungen zu in- gangsgeld auf das 55. Lebensjahr verabschiedet ha- itiieren, die die soziale Lage von Frauen und Män- ben. Eine so sinnvolle und notwendige Regelung nern, die in den neuen Bundesländern Vorruhe- würde konterkariert, wenn wir Ihrem Antrag folgen stands- bzw. Altersübergangsgeld empfangen, zu er würden. leichtern. Wir halten dies für gerechtfertigt, weil der Des weiteren ist auch daran zu erinnern, daß mit der Vorruhestand keineswegs für alle das erstrebens- Steigerung der Lohnersatzleistungen entsprechend werte Ziel ist. Obschon eine Reihe Bürgerinnen und der Einkommensentwicklung — und die Steigerungs- Bürger in diesem Alter den Vorruhestand wegen sei- raten in diesem Jahr sind beachtlich und werden es im ner relativen sozialen Sicherung bejahen, bringt er für nächsten Jahr mindestens in der gleichen Höhe alle diejenigen, deren Vorruhestand in erster Linie sein — auch dieser Personenkreis an der Lohndyna- Ausdruck ihrer erzwungenen verdeckten Arbeitslo- mik teilhat. sigkeit ist, neben materiellen Einbußen eine Vielzahl psychischer Belastungen mit sich. Diese aus dem ab- Was die Parallelität der Leistungen von Invaliden- rupten und endgültigen Ausstieg aus dem Berufsle- rente und Vorruhestands-/Altersübergangsgeld an- ben herrührenden Belastungen dürfen unserer Mei- belangt, so ist schon von Vorrednern auf die damit nung nach nicht durch „kleinliche" Beschneidungen verbundene Problematik hingewiesen worden. Auch von finanziellen Bezügen verstärkt werden, die aus ich habe große Zweifel, ob eine solche parallele Lei- dem Versuch zielen, sich irgendwie noch nützlich zu stungsgewährung tatsächlich gerechtfertigt ist. machen. Die Chancen dazu sind ohnehin durch die Alles in allem: Mit Ihrem Antrag werden falsche Si- prekäre Lage auf dem Arbeitsmarkt gering. gnale gesetzt und Erwartungen geweckt, die in der jetzigen Situation nicht realisierbar sind. Es wird hier Unser Vorschlag, die Zuverdienstgrenze auf nach der Melodie des Rattenfängers von Hameln ver- 110 DM pro Woche zu erhöhen, geht zudem konform fahren. Aus den genannten Gründen ist dieser Antrag mit den sogenannten geringfügigen Beschäftigungs- kein Antrag zum sozialen Frieden, und wir werden ihn verhältnissen bis 470 DM bzw. 15 Wochenstunden, deshalb nicht unterstützen. die dann bevorzugt von dieser Personengruppe ge- Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 25. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 14. Mai 1991 1823* nutzt werden könnten und nicht von jüngeren Men- Anlage 10 schen, die durch solche Beschäftigungsverhältnisse die eigene Zukunftssicherung schädigen. Zu Protokoll gegebene Reden zu Tagesordnungspunkt 11 Weshalb die Gegenrechnungsgrenze von 80 Pro- (Entwurf eines Vierzehnten Gesetzes zur Änderung zent des vorherigen Nettoverdienstes durch das nied- des Bundesausbildungsförderungsgesetzes) *) rige Einkommensniveau eine Benachteiligung für die Bürgerinnen und Bürger in den neuen Bundesländern Alois Graf von Waldburg-Zeil (CDU/CSU): Gesetze ist, soll ein Beispiel zeigen: sind für Menschen da, nicht Menschen für Gesetze. Deshalb muß es neben den großen Jahrhundertgeset- Selbst eine ehemals überdurchschnittlich verdie- zen — die Bundesausbildungsförderung als Garant nende alleinstehende Bürgerin erhält bei einer zu- der Chancengerechtigkeit gehört sicher dazu — auch grunde gelegten Bemessungsgrenze (Beitrags-) für die kleinen und kleinsten Änderungen geben, die ein die Berechnung von Altersübergangsgeld von Gesetz an aktuelle Bedürfnisse anpassen. 3 000 DM genau 323 DM pro Woche. Zu diesen Die 14. BAföG-Novelle tut genau dies. In den neuen 70 Prozent (bis 1.4. erhielt man die) 10 Prozent hinzu- Bundesländern ändern sich die Einkommensverhält- verdienen zu können, also bis 80 Prozent zu kommen, nisse sehr rasch. Dies kann auch im negativen Sinne würde 32,50 DM ausmachen, also ganze 2,50 DM der Fall sein, etwa wenn Arbeitslosigkeit eintritt. Da über der bisherigen Zuverdienstgrenze liegen. Die nützt es wenig, wenn Ausbildungsförderung nach 80 Prozent für niedrigere Einkommen anzuwenden dem Einkommen des vorletzten oder letzten Jahres hieße, daß die volle Gegenrechnungsgrenze niedriger berechnet wird. Man muß von den Einkommensver- läge als die Zuverdienstgrenze von 30 DM. hältnissen im Bewilligungszeitraum ausgehen. Auch Hieran zeigt sich zum wiederholten Male, wie para- die Vermögensanrechnung muß geklärt werden. dox es ist, Regelungen aus der Alt-BRD einfach über- Schließlich regelt das Gesetz auch noch EG-rechtliche tragen zu wollen, ohne die konkreten Gegebenheiten Forderungen. - in Rechnung zu stellen. Gerne nehme ich eine so winzig scheinende Anpas- sung zum Anlaß, auf das große Verdienst hinzuwei- Deshalb schlagen wie die Änderung des § 115 des sen, in aller kürzester Zeit eine leistungsfähige Förde- AFG bezüglich einer Zuverdienstgrenze von 110 DM rungsverwaltung in den neuen Ländern aufzubauen. wöchentlich und der generellen Abschaffung einer Bis März galt ja noch die Übergangsfrist vom früheren Gegenrechnungsgrenze bei Vorruhestands- bzw. Al- Stipendienrecht der alten DDR zum Förderungsrecht tersübergangsgeldempfängern vor. der Bundesrepublik. Ab dem 3. Oktober sind 700 Mit- Was den zweiten Teil unseres Antrages anbelangt, arbeiter in Hochschulen, bei den Studentenwerken so gehen wir davon aus, daß es sich hierbei um ein und bei den Kommunen geschult worden. Sie werden „Versehen" im Einigungsvertrag handelt, indem bei ihrer Arbeit zunächst noch weiterhin beratend beim Weitergelten der Vorruhestandsverordnung der begleitet. Sodann waren drei Datenverarbeitungszen- DDR durch Anlage II, Kap. VIII, Sachgebiet E, III die tren in den neuen Ländern aufzubauen: Schwerin, Begrenzung der monatlichen Gesamteinkünfte auf Dresden und Erfurt. Um eine Vorstellung von den zu 1 000 Mark für die Bezieher von Invalidenrenten, die bewältigenden Zahlen zu geben: Im März waren im in den Vorruhestand traten, nicht aufgehoben wurde, Zahlungslauf noch 185 000 Empfänger nach dem Sti- während eine solche Begrenzung für die Empfänger pendienübergangsverfahren bedient worden. Im von Altersübergangsgeld im „gleichen Status" nicht April sind nach dem BAföG-Datenverarbeitungs-Ver- gilt. bundsverfahren schon 130 000 Zahlfälle, im Mai 160 000 angewiesen worden, im Juni wird der März Mir sind Beispiele zu Ohren gekommen, wonach Stand wieder erreicht sein. Wer die Kompliziertheit bei Invalidenrentnern und -rentnerinnen im Vorruhe- des Antragsverfahrens kennt, muß den Hut ziehen vor stand durch die Rentenerhöhungen das Vorruhe- so rascher Überwindung der Anlaufschwierigkeiten. standsgeld bis auf 18 DM „abgeschmolzen" wurde. Damit denen, die in diesen Übergangsproblemen Unseres Erachtens zu Recht fragen diese Frauen und zunächst steckengeblieben waren, kein Nachteil er- Männer, die zuerst „Platz gemacht" haben, womit sie wächst, wird es rückwirkende Zahlungen sowohl von diese Ungleichbehandlung „verdient" haben. Landesstellen als auch im manuellen Verfahren von- seiten der Studentenwerke für Ap ril und Mai ge- Angesichts der ständig steigenden Belastungen — ben. erwähnt werden sollen nur: steigende Dienstlei- stungskosten, Verkehrstarife und bald auch Mieten — Dank und Anerkennung an die Verwaltung spreche ersuchen wir, alle rechtlich notwendigen Schritte ich aber noch aus einem anderen Grund aus. Der rasch zu unternehmen, um auch dieses „Defizit" des Gesetzgeber kann und muß fordern. Er darf die Ver- Einigungsvertrages zu beheben. waltung aber nicht überfordern. Wer zu viel zur Erle- digung vorschreibt, wer es zu kompliziert macht, der Abschließend möchte ich nochmals den Appell an führt nicht zu mehr Effektivität, sondern zu Überla- das hohe Haus richten, Maßnahmen zur Verbesse- stung und Ineffektivität. Den Schaden hat dann der rung der Lage dieser älteren Menschen einzuleiten. Leistungsempfänger, der zwar optimale Ansprüche, Dazu sollten auch solche Vergünstigungen, wie sie aber pessimale Realisierungschancen hat. Altersrentnerinnen und -rentner zur Aufrechterhal- Ich spreche diese Warnung aus, weil wir uns im tung sozialer Kontakte und Kommunikationsmöglich- Ausschuß darüber unterhalten werden, ob die ab Au- keiten benötigen, z. B. Fahrpreisermäßigungen, in die Überlegungen einbezogen werden. *) Vgl. Seite 1801 C 1824* Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 25. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 14. Mai 1991 gust vorgesehene Neuregelung für die Feststellung beitsplatzes eintreten können. So heißt es beschöni- der anzurechnenden Einkommen auch rückwirkend gend in einer Pressemeldung des Bundesministers für angewandt werden kann oder soll. Wir werden bei Bildung und Wissenschaft zum Kabinettsbeschluß. dieser Beratung streng darauf zu achten haben, ob Mitte April 1991 gab es bereits 690 000 Arbeitslose dies überhaupt durchführbar ist oder ob nicht die ge- und über 2 Millionen Empfänger von Kurzarbeiter- rade von mir gelobte Leistungsfähigkeit der neuen geld in den neuen Ländern. Der Präsident der Bundes- Ausbildungsverwaltung dann überfordert und damit anstalt für Arbeit verrät uns in seiner jüngsten Arbeits- untergraben wird. marktstatistik nicht, wie viele Erwerbspersonen in den neuen Ländern — vor allem Frauen — bereits in die „Stille Rese Doris Odendahl (SPD): Das individuelle Ausbil rve" abgedrängt worden sind. Ab dungsförderungsrecht in der Bundesrepublik zeich- Mitte des Jahres droht vielen das Ende ihrer „Warte- net sich immer mehr durch das Prinzip „klarstellende schleife". In dieser Situation beabsichtigt die Bundes- Verwirrung" aus. Gerade für die Auszubildenden in regierung, die auch psychologisch diskriminierende den neuen Ländern und die neu eingerichteten Aus- Sonderregelung bei der Einkommensanrechnung erst bildungsförderungsämter stellen die komplizierte ab 1. August für nach dem 31. Juli beginnende Bewil- Materie als solche und die einheitsbedingten Über- ligungszeiträume in Kraft setzen zu lassen. Wir for- gangsbestimmungen einen gravierenden Unsicher- dern die rückwirkende Aufhebung des § 24 Abs. 1 a heitsfaktor dar: Welche Bestimmung ist zu ihrem Vor- BAföG bereits zum 1. Januar 1991. Die Ausbildungs- teil, durch welche werden sie gegenüber den Betrof- förderungsämter in den neuen Ländern haben dem fenen in den alten Ländern benachteiligt? Hinzu Bundesminister für Bildung und Wissenschaft einhel- kommt: Dieser Gesetzentwurf ist mehr eine bürokra- lig erklärt, daß sie hierzu administrativ in der Lage tische Spielerei denn aus der Einsicht in notwendiges wären und daß sie dies für notwendig halten. Die SPD Handeln geboren. Die tatsächlichen Probleme der hätte auch keine Einwände erhoben, wenn entspre- Auszubildenden in den neuen Ländern werden nicht chend bereits im Gesetzesvollzug gehandelt worden ernsthaft angepackt. Diese dritte BAföG-Novelle- in- wäre. nerhalb eines Jahres, nicht mitgerechnet die Über- gangsbestimmungen im Einigungsvertrag, verstellt In der ehemaligen DDR gab es Ausbildungsbeihil- geradezu den Blick auf die trostlose Lage vieler Schü- fen für Schüler der EOS ab Klasse 11. Ab 1. Januar lerinnen und Schüler, Studentinnen und Studenten — 1991 wurden diese Beihilfen durch das sehr viel nied- in den neuen Ländern mehr noch als in den alten. rigere Kindergeld ersetzt. Ergänzende Schülerförde- rungsgesetze konnten die neuen Länder wegen feh- Wenn Sie sich die Internate und Studentenwohn- lender Finanz- und Verwaltungskraft noch nicht er- heime in Dresden, Halle und überall — ich zitiere lassen. In der alten Bundesrepublik wurde die in den Art. 1 Nr. 4 des Gesetzentwurfs — „in dem in § 12 siebziger Jahren mit größter Mühe gehaltene Bundes- Abs. 1 Nr. 1 Buchstabe a bezeichneten Gebiet" anse- schülerförderung von dieser Bundesregierung 1983 hen, werden Sie erschrecken über die vielfach völlig abgeschafft. Unter dem Stichwort „Voneinander ler- unzureichenden Wohnbedingungen in den neuen nen" wäre die Einigung eine gute Gelegenheit für den Ländern. Der Einwand, dies habe nichts mit der Bund gewesen, die Schülerförderung jedenfalls in 14. Novelle zu tun, ist leicht zu widerlegen: Die Tat- dem früheren Umfang wieder aufzunehmen. Dies for- sache, daß viele Studierende in Sechsbettzimmern mit dert die SPD nach wie vor, auch zur namhaften Entla- einer einzigen Kochnische und bei tropfendem Was- stung der Sozialhilfeträger! Im Haushaltsentwurf der serhahn sich auf eine wissenschaftliche Berufstätig- Bundesregierung sind für das BAföG 2,75 Milliarden keit vorbereiten sollen, führt zu einer Flucht in eine DM Ausgaben und über 340 Millionen DM Rückflüsse Studentenbude. Auf dem durchaus schon schwarzen aus unseligen Darlehen veranschlagt. Nach unserer Wohnungsmarkt werden teilweise bereits Mieten ver- Schätzung wären alle unsere Forderungen ohne grö- langt, die im Westen nicht unverschämter sein kön- ßere Erhöhung des Ansatzes im Bundeshaushalt fi- nen. Dies bedeutet, daß die Differenzierung der Be- nanzierbar. Daß die Bundesregierung diese Einschät- darfssätze nach der Lage der besuchten Ausbildungs- zung offenbar teilt, ist daraus ersichtlich, daß sie plant, stätte nicht mehr gerechtfertigt ist. Da auch die Le- ihre „Lehrstellenhilfe" in diesem Jahr aus dem Pla- benshaltungskosten allgemein in den neuen Ländern fond des Einzelplans 31 zu finanzieren. sich rasch an das Preisniveau in den alten Ländern angepaßt haben, fordert die SPD die Beseitigung der Das Ausbildungsförderungsrecht muß nach den Differenzen bei den Bedarfssätzen. Die Herstellung Vorstellungen der SPD alsbald grundlegend über- gleicher Lebens- und Arbeitsbedingungen setzt die prüft werden. Die 12. Novelle war lediglich ein erster Schaffung gleichen Rechts für alle voraus. Mit dieser Schritt. Einer der Prüfpunkte, zu dem wir auch gern Forderung weiß sich die SPD einig mit dem Sächsi- die Auffassung des BAföG-Beirats hören würden, be- schen Landtag, dessen Ausschuß für Bildung und Wis- senschaft am 18. April 1991 für einheitliche Grundbe- trifft die Frage, ob das BAföG „europafit" ist. Die Bun- desregierung hat einem Urteil des Europäischen Ge- darfssätze und die schrittweise Anpassung des Miet- zuschlags votiert hat. richtshofs folgend in der 14. Novelle vorgesehen, daß in bestimmtem Umfang nach EG-Recht bevorrech- Der Kern des Gesetzentwurfs der Bundesregierung tigte ausländische Auszubildende bei einer Ausbil- und der Koalitionsfraktionen bet rifft die Schaffung der dung im Heimatland gefördert werden können. Dies Möglichkeit, auf besonderen Antrag jetzt auch in den wirft grundsätzliche Fragen nach einer Harmonisie- neuen Ländern bei der Anrechnung von Eltern- bzw. rung der Ausbildungsförderungssysteme in den Mit- Ehegatteneinkommen Einkommensrückgänge zu be- gliedstaaten der EG auf. Wir weisen darauf hin, daß rücksichtigen, wie sie z. B. durch den Verlust des Ar weitere Ungereimtheiten, etwa zwischen EG-Aufent- Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 25. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 14. Mai 1991 1825* haltsrecht und Ausbildungsförderungsrecht, einer bildungsförderung die Aufgaben derselben wahrneh- Überprüfung bedürfen. men, ausgeräumt. Das Deutsche Studentenwerk hat bereits auf seiner Mit dem zu behandelnden Gesetz ist schließlich 50. Mitgliederversammlung Anfang Dezember 1990 eine Auswertung von Vorschlägen und Entscheidun- deutlich gemacht, daß angesichts steigender Lebens- gen der Europäischen Gemeinschaft sowie der Recht- haltungskosten zum Herbst 1991 eine weitere Anpas- sprechung des Europäischen Gerichtshofes im Hin- sung der Bedarfssätze, auch in den alten Ländern, not- blick auf die nationalstaatliche Studienförderung um- wendig ist, um ein reales Absinken der Einnahmen gesetzt worden. Denn es wird nun ermöglicht, nach der Auszubildenden zu verhindern. Die unsoziale EG-Recht bevorrechtigte ausländische Auszubil- Steuer- und Gebührenpolitik der Bundesregierung dende auch bei einer Ausbildung in ihrem Heimat- kommt als weiterer Anlaß zur Überprüfung der Be- land zu fördern. darfssätze hinzu. Eine Stellungnahme der Bundesre- gierung zu dieser Frage erwartet die SPD bei der Be- ratung dieses Gesetzentwurfs in den Ausschüssen. Torsten Wolfgramm, Parl. Staatssekretär beim Bun Mit der Überweisung und zügigen Beratung ist die desminister für Bildung und Wissenschaft: Mit dem SPD einverstanden. vorliegenden Entwurf des 14. BAföG-Änderungs- gesetzes werden im Bereich der Ausbildungsförde- rung bestimmte Regelungen der Einkommens- und Dr. Margret Funke-Schmitt-Rink (SPD): Die vorlie Vermögensanrechnung an die besonderen Verhält- gende Gesetzesinitiative der Koalitionsfraktionen ist nisse in den neuen Bundesländern angepaßt. notwendig, um Bestimmungen der Einkommens- und Der Geltungsbereich des Bundesausbildungsförde- Vermögensanrechnung den Verhältnissen in den rungsgesetzes wurde durch den Einigungsvertrag mit neuen Ländern anzupassen und entstandene offen- Wirkung vom 1. Januar 1991 auf das Beitrittsgebiet sichtliche Vollzugsprobleme beseitigen zu können. ausgedehnt. Mit der Einführung dieses Sozial- Am ersten Januar 1991 wurde in Fragen der Studien- - leistungsgesetzes, das im Unterschied zu dem Stipen- finanzierung im Beitrittsgebiet ein neues Kapitel auf- dienrecht der Deutschen Demokratischen Republik geschlagen. Die Studierenden im östlichen Bundesge- den finanziellen Bedarf für den Lebensunterhalt und biet müssen für ihre monatliche BAföG-Finanzspritze die Ausbildung sicherstellt, wird auch in den neuen einen schriftlichen Antrag stellen. Ländern die Chancengerechtigkeit gewährleistet. Ich Die Studenten und Schüler im Beitrittsgebiet erhal- betrachte es als einen großen Erfolg, daß in den neuen ten seit Beginn des Jahres wie ihre Kommilitonen im Ländern in recht kurzer Zeit die Förderungsverwal- Westen BAföG-Leistungen. Rund 80 % der BAföG- tung aufgebaut werden konnte. Da dort ein wesent- Berechtigten sind nach unseren Einschätzungen aus- lich größerer Anteil der Auszubildenden als in den schließlich auf diese Einkommensquelle angewiesen. alten Ländern ausschließlich auf das BAföG als Ein- Deshalb ist es „existentiell wichtig", Defizite in den kommensquelle angewiesen ist, kommt der Funk- bisherigen Regelungen auszugleichen. Es gilt, die tionstüchtigkeit der dortigen Förderungsverwaltung Folgen beispielsweise der Arbeitslosigkeit, mit der wir eine besonders große Bedeutung zu. in den fünf neuen Ländern verstärkt zu kämpfen ha- Der Einigungsvertrag enthält für die Ausführung ben, zu mildern. Die vorgeschlagene Neuregelung des übergeleiteten Ausbildungsförderungsrechts im des BAföG soll eben diese Folgen berücksichtigen. Beitrittsgebiet notwendige Ausnahmen und Anpas- Für viele Eltern wäre es ohne Hilfen nicht möglich, die sungsregelungen. So wird insbesondere bei der An- Ausbildung ihrer Kinder in Zukunft weiter zu finan- rechnung des Eltern- und Ehegatteneinkommens auf zieren. die Höhe des Einkommens in den letzten drei Mona- Der Verlust des Arbeitsplatzes und andere Rück- ten des Kalenderjahres vor Beginn der Förderung ab- gänge des Einkommens verlangten eine Neufassung, gestellt. Die Möglichkeit, im konkreten Fall das aktu- die eine Aktualisierung der Angaben über die Ein- elle Einkommen im Förderungszeitraum zugrunde zu kommen von Eltern und Ehegatten des Auszubilden- legen, konnte wegen der damit verbundenen zusätz- den möglich macht. Die Aktualisierung, die regelmä- lichen Belastung der Verwaltung in der Aufbauphase ßig zu höheren Förderungsleistungen führen wird, soll nicht vorgesehen werden. noch im laufenden Bewilligungszeitraum beantragt Durch das 14. BAföG-Änderungsgesetz soll in den werden können. neuen Ländern die Möglichkeit geschaffen werden, Sie werden mir sicherlich zustimmen, daß auf künftig auf besonderen Antrag das aktuelle Einkom- Grund der derzeit nicht vorhandenen Bewertungs- men der Förderungsentscheidung zugrunde zu legen. meßlatten für Grundstücke und Betriebsvermögen im Durch diese Neuregelung können Einkommensrück- Osten Deutschlands diesbezüglich keine Anrechnung gänge berücksichtigt werden, wie sie zum Beispiel des Vermögens des Auszubildenden vorgenommen durch den Verlust des Arbeitsplatzes eintreten. Diese werden kann. Aktualisierung wird für nach dem 31. Juli dieses Jah- res beginnende Bewilligungszeiträume beantragt Die Länder waren an der Vorbereitung beteiligt. werden können. Den neuen Ämtern für Ausbildungs- Insbesondere beim Vollzug des BAföG in den neuen förderung wird dann die zusätzliche Bearbeitung von Ländern werden mit dieser Neufassung des Gesetzes Aktualisierungsanträgen zumutbar sein. deutlich gewordene Probleme gelöst. Auch werden die aufgetretenen Irritationen, ob die bisherigen Vor- Ferner sollen mit dem Gesetzentwurf beim Vollzug gaben für die Organisationsregelung der Länder es des BAföG folgende in den neuen Ländern deutlich zulassen, daß andere als die Kommunalämter für Aus gewordene Probleme gelöst werden: 1826* Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 25. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 14. Mai 1991

Für im Beitrittsgebiet gelegene Grundstücke und tere Benachteiligung stellte die Hochrechnung der Betriebsvermögen stehen kurzfristig keine geeigne- drei letzten Monate von 1990 auf das gesamte Jahr ten Bemessungsgrundlagen zur Verfügung. Für eine 1990 dar, da in diesen Monaten die Einkommenssitua- Übergangszeit bis zum 31. Juli 1992 werden sie daher tion u. a. durch Gewährung von Sozialzuschlägen in von der Anrechnung des Vermögens des Auszubil- sehr vielen Fällen günstiger als im Jahresdurchschnitt denden ausgenommen. 1990 war. Ich verweise darauf, daß die Bundesregie- Im Bereich der Anrechnung des Vermögens der El- rung für die unsinnige Regelung vom Dezember 1990 tern enthält der Gesetzentwurf eine Klarstellung: Eine und die mit ihr und ihrer Rückgängigmachung ver- Veranlagung zur Vermögensteuer im vorletzten Ka- bundenen hohen personellen und finanziellen Auf- lenderjahr wird aus Gleichbehandlungsgründen nur wendungen und nicht zuletzt für die Verärgerung und dann berücksichtigt, wenn sie nach dem Vermögen- Demütigung der Betroffenen verantwortlich zu ma- steuergesetz der Bundesrepublik Deutschland er- chen ist. folgte. In der Begründung zum Gesetzentwurf wird die Eine Änderung der durch den Einigungsvertrag Beseitigung des entstandenen Dilemmas wieder den vorgenommenen Absenkung der Bedarfssätze in den Beteiligten aufgebürdet, indem die Auszubildenden neuen Ländern ist im Gesetzentwurf nicht vorgese- einen besonderen Antrag stellen müssen, wenn sie hen. Die Absenkung ist nach Auffassung der Bundes- bzw. ihre Eltern von der Aktualisierungsmöglichkeit regierung weiterhin notwendig, um den gegenwärtig Gebrauch machen wollen. noch bestehenden erheblichen Unterschieden in den Für einen Übergangszeitraum von mehreren Jahren Ausbildungs- und Lebenshaltungskosten, insbeson- sollte den Antragstellern aus den neuen Ländern ge- dere den Mietkosten und den niedrigeren Erwerbs- nerell freigestellt werden, einen von zwei oder mehr einkommen in den neuen Ländern Rechnung zu tra- möglichen Berechnungszeiträumen zu wählen. gen. Eine Anpassung der Bedarfssätze wird in dem In Übereinstimmung mit dem Studentenwerk und Maße erfolgen, wie sich diese Grunddaten verän- - Studentenverbänden fordern wir gleiche BAföG- dern. Sätze in alten und neuen Bundesländern und die Auf- Lassen Sie mich abschließend noch die weiteren im nahme einer entsprechenden Regelung in das Ände- Gesetzentwurf enthaltenen Änderungen kurz skizzie- rungsgesetz. ren: Im Anschluß an ein entsprechendes Urteil des Europäischen Gerichtshofes vom November 1990 wird es ermöglicht, nach EG-Recht bevorrechtigte ausländische Auszubildende künftig auch bei einer Anlage 11 Ausbildung in ihrem Heimatland zu fördern. Ferner werden in der Rechtsprechung entstandene Zweifel Antwort über die sachlich-instantielle Zuständigkeit der Ämter der Parl. Staatssekretärin Dr. Sabine Bergmann-Pohl für Ausbildungsförderung ausgeräumt; die bundes- auf die Fragen der Abgeordneten Dr. Christine Lu- rechtlichen Vorgaben für die Organisationsregelun- cyga (SPD) (Drucksache 12/488 Fragen 1 und 2): gen der Länder lassen es zu, daß andere als die kom- munalen Ämter die Aufgaben der Auslandsförderung Ist der Bundesregierung bekannt, daß den Polikliniken auf dem Gebiet der ehemaligen DDR auf Grund mangelnder finan- wahrnehmen. zieller Handlungsfähigkeit der Kommunen vorzeitige Schlie- Die Bundesregierung begrüßt, daß die Koalitions- ßung droht obwohl andererseits die Anzahl freipraktizierender niedergelassener Ärzte noch längst keine ausreichende medizi- fraktionen den Entwurf eines 14. BAföG-Änderungs- nische Versorgung gewährleisten kann? gesetzes eingebracht und damit ermöglicht haben, Mit welchem Maßnahmen gedenkt die Bundesregierung die daß diese Änderungen noch rechtzeitig zum Beginn Leistungsfähigkeit derjenigen Polikliniken zu sichern, die in der neuen Bewilligungszeiträume im Herbst 1991 in dem vom Einigungsvertrag vorgesehenen Übergangszeitraum Kraft treten können. von fünf Jahren zur Sicherstellung der ambulanten Versorgung der Bevölkerung notwendig sind? Dr. Dietmar Keller (PDS/Linke Liste): Im Namen der Abgeordnetengruppe PDS/Linke Liste begrüße ich, Die Bundesregierung ist nicht der Auffassung, daß daß die willkürliche, ungerechte und in vielen Fällen für den Betrieb von Polikliniken in den neuen Bundes- eine unzumutbare Härte darstellende Regelung vom ländern keine ausreichenden finanziellen Mittel zur Dezember 1990, wonach für die BAföG-Bewilligung Verfügung stehen und die ambulante Versorgung im Jahr 1991 in den neuen Ländern ausschließlich die durch freipraktizierende Ärzte anstelle oder neben Einkommenssituation der Eltern in den Monaten Ok- den Polikliniken nicht gewährleistet ist. tober bis Dezember 1990 zugrunde gelegt wurde, mit Inzwischen haben sich annähernd 10 000 Ärzte in dem Gesetzentwurf wieder aufgehoben wird. Aller- den neuen Bundesländern niedergelassen. Dies sind dings reicht die in der Begründung gegebene Erklä- rund 50 % der in der ambulanten Versorgung der ehe- rung für die Regelung vom Dezember 1990 nicht maligen DDR tätigen Ärzte. Die Tendenz zur Nieder- aus. lassung in freier Praxis ist weiterhin stark. Die Zahlen Es war zu dieser Zeit ohne weiteres vorauszusehen, belegen, daß die flächendeckende medizinische Be- daß sich die Einkommenssituation vieler Eltern von treuung durch niedergelassene Ärzte schneller er- BAföG-Berechtigten verschlechtern wird, so daß der reicht sein wird, als zunächst erwartet. ausdrückliche Ausschluß einer Aktualisierungsmög- Sie machen zugleich deutlich, daß Schließungen lichkeit für die neuen Länder eine eindeutige Diskri- poliklinischer Einrichtungen nicht zu medizinischen minierung und Benachteiligung darstellte. Eine wei Versorgungsdefiziten führen. Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 25. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 14. Mai 1991 1827*

Die Bundesregierung sieht deshalb keinen Anlaß, DM zur Verfügung gestellt. Sie wurde über das zur Sicherstellung der ambulanten Versorgung der Komitee Cap Anamur — Deutsche Notärzte e. V. Bevölkerung bestimmte Polikliniken finanziell abzu- abgewickelt. 1990 waren es bereits 1,2 Millionen sichern. DM. — Über das Auswärtige Amt wurden dem IKRK 1991 (Stand 30. Ap ril 1991) 300 000 DM für humanitäre Hilfsmaßnahmen zur Verfügung gestellt. 1990 er- Anlage 12 hielten das IKRK 1 Million DM und der UNHCR Antwort 800 000 DM für Flüchtlingshilfe. des Parl. Staatssekretärs Bernd Neumann auf die Fra- Darüber hinaus wird die Bundesregierung ihre Ver- gen der Abgeordneten Dorle Marx (SPD) (Drucksa- pflichtung zur humanitären Hilfe vor allem auch im che 12/488 Fragen 3 und 4): Rahmen der Vereinten Nationen und der Europäi- schen Gemeinschaft erfüllen. Letztere stellte bisher Trifft es zu, daß im Rahmen der Vergabe von Forschungsmit- teln an Universitäten in den neuen Ländern anhand eines spe- für 1991 (Stand 30. April 1991) 3 Millionen ECU bereit. ziellen Fragenkatalogs Informationen über Hochschulangehö- In der Europäischen Gemeinschaft wurde des weite- rige gesammelt werden, wobei neben fachlichen Qualifikatio- ren ein Nahrungsmittelhilfe-Sonderprogramm für nen unter anderem die bisher vertretene politische Anschauung, Afrika südlich der Sahara über 440 Millionen DM Verhalten gegenüber ideologischen Abweichlern und Art und Enge der Bindungen zur SED erfragt werden? (400 000 t) beschlossen. In seinem Rahmen sind für Somalia 20 000 t vorgesehen. Falls ja, auf welche Weise werden solche Informationen erho- ben, und erhalten die Betroffenen von den über sie eingeholten Die Europäische Gemeinschaft wird einen bei den Auskünften Kenntnis? Vereinten Nationen in Vorbereitung befindlichen hu- manitären Hilfsplan unterstützen. Auf Vorschlag der In den Verfahrensregelungen der Förderung der Bundesregierung soll die EG-Präsidentschaft die Or- Drittmittelforschung (Projektförderung) des Bundes- ganisation für Afrikanische Einheit (OAU) zu einer ministers für Forschung und Technologie in den aktiven Rolle bei der politischen Konfliktlösung in neuen Bundesländern ist der erwähnte Fragenkatalog Somalia auffordern. nicht enthalten. Wenn die Rahmenbedingungen in Somalia Aus- Auch nach dem Ergebnis von Nachfragen in Förder- sichten auf entwicklungspolitische Wirksamkeit ge- referaten ist ein Fragenkatalog im Sinne der Anfrage eigneter Vorhaben bieten, wird die Bundesregierung nicht bekannt. Entsprechendes gilt für den Förderbe- die Entwicklungszusammenarbeit mit entsprechen- reich des Bundesministers für Bildung und Wissen- den Maßnahmen wieder aufnehmen. schaft. Zu Frage 6: Gegenwärtig besteht in Somalia keine landesweite Anlage 13 Regierungsgewalt. Die Bundesregierung ist jedoch bereit, auf Wunsch mit Vertretern der verschiedenen Antwort somalischen Gruppierungen auf Arbeitsebene Infor- des Parl. Staatssekretärs Hans-Peter Repnik auf die mationen und Meinungen auszutauschen. Fragen des Abgeordneten Lothar Fischer (Homburg) (SPD) (Drucksache 12/488 Fragen 5 und 6): Wann und unter welchen Bedingungen gedenkt die Bundes- regierung die Entwicklungshilfe für Somalia wieder aufzuneh- men? Anlage 14 Wird die Bundesregierung mit der somalischen Übergangsre- Antwort gierung Kontakt aufnehmen, um die erforderlichen Informatio- nen darüber zu erhalten, in welchen Bereichen nunmehr Ent- des Parl. Staatssekretärs Rainer Funke auf die Fragen wicklungshilfe vorrangig zu leisten ist? des Abgeordneten Norbert Eimer (Fürth) (FDP) (Drucksache 12/488 Fragen 7 und 8): Zu Frage 5: Wie hoch ist die Klagehäufigkeit in der Bundesrepublik Die Bundesregierung sieht gegenwärtig keine Deutschland im Vergleich zu den europäischen Nachbarländern Möglichkeiten für eine reguläre Entwicklungszusam- wie England, Frankreich, Italien, die Niederlande? menarbeit mit Somalia, da wegen des Bürgerkrieges Wie teilen sich die Punkte, um die geklagt wird, prozentual und der weiterhin anhaltenden Auseinandersetzun- auf? gen die für Entwicklungszusammenarbeit erforderli- chen Strukturen nicht bestehen. Zu Frage 7: In Übereinstimmung mit der Auffassung des Aus- Im Jahre 1988 — die Zahlen für 1989 sind für die schusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit des Justizstatistik noch nicht aufbereitet, für das Jahr 1990 Deutschen Bundestages wird die Bundesregierung liegen sie noch nicht vor — betrug der Geschäftsanfall sich vorerst ausschließlich auf humanitäre und Nah- an erstinstanzlichen Zivilsachen in den Altländern der rungsmittelhilfe konzentrieren. Bundesrepublik Deutschland 1 633 093 Sachen. — Für Nahrungsmittelhilfe wurden bisher durch das Es entfielen auf je 1 000 Einwohner rund 26,5 Sa- Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammen- chen. In diesen Zahlen ist der Geschäftsanfall in arbeit 1991 (Stand 30. April 1991) ca. 2 Millionen Mahnsachen, in Familiensachen und in Sachen der

1828* Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 25. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 14. Mai 1991

freiwilligen Gerichtsbarkeit nicht enthalten. Rechnet Zu Frage 8: man die Mahnsachen und die Familiensachen hinzu, so ergibt sich ein Geschäftsanfall von 7 487 876 Sa- Die Justizstatistik in der Bundesrepublik Deutsch- chen oder von 121,3 Sachen je 1 000 Einwohner. land geht bei der Aufteilung nach den verschiedenen Rechnet man nur die Mahnsachen hinzu, so sind es Verfahren von den Erledigungszahlen aus, weil sich 115,4 Sachen je 1 000 Einwohner. oft erst nach der Erledigung eines Verfahrens mit hin- reichender Sicherheit feststellen läßt, welcher Materie Ein gewisser Vergleich zu europäischen Nachbar- es zuzuordnen ist. Die Prozentzahlen der 1988 erledig- ländern ist möglich aufgrund der vom Bundesministe- ten Verfahren ohne Familiensachen, bezogen auf die rium der Justiz in Auftrag gegebenen Studie von Blan- I. Instanz, lauten: kenburg mit dem Titel „Prozeßflut?" Die dort in dem % Beitrag von Wollschläger zur Arbeit der Zivilgerichte Prozeßkostenhilfeverfahren 0,6 im historischen und internationalen Vergleich mit Kindschaftssachen nach § 640 ZPO 1,4 dem Jahre 1980 endenden Zahlenangaben hat der Urkunden-, Wechsel- oder Scheckprozesse 0,9 Herausgeber aktualisiert, soweit das möglich war. Es Arreste oder einstweilige Verfügungen 3,5 ergibt sich folgendes Bild: Entmündigungssachen 0,3 für Belgien: Aufgebotsverfahren 0,6 Klagen in Zwangsvollstreckungssachen, Maßgeblich ist das Jahr 1986. Der Geschäftsanfall an Anträge auf Vollstreckbarerklärung erstinstanzlichen Zivilsachen einschließlich der Fami- eines ausländischen Urteils aufgrund liensachen — ein Mahnverfahren ist dem belgischen eines Vollstreckungsvertrages 0,7 Recht fremd — betrug 396 326 oder 39,9 Sachen je Baulandsachen 0,0 1 000 Einwohner. Entschädigungs-/Rückerstattungssachen 0,1 für Großbritannien und Wales: Gewöhnliche Prozesse über Wohnungsmietrecht 15,4 Maßgeblich ist das Jahr 1988. Der Geschäftsanfall an Unterhaltsrecht 0,6 erstinstanzlichen Zivilsachen einschließlich der Fami- Verkehrsunfallrecht 10,3 liensachen — ein Mahnverfahren gibt es auch hier Bau-/Architektenrecht 2,0 nicht — betrug 2 907 213 oder 57,6 Sachen je 1 000 Kaufrecht 14,7 Einwohner. Rechnet man hier, weil die britische Ge- Sonstige gewöhnliche Prozesse 48,9 schäftsstatistik dies zuläßt, die Familiensachen her- aus, so sind es 7,1 Sachen je 1 000 Einwohner weni- Eine weitere Untergliederung sieht die Justizstati- ger. stik nicht vor.

für Frankreich: Für erledigte Familiensachen beim Amtsgericht lauten die Prozentzahlen: Maßgeblich ist das Jahr 1988. Der Geschäftsanfall in erstinstanzlichen Zivilsachen betrug unter Ausschluß % der Mahnsachen und der Familiensachen 1 165 833 Eheverfahren 43,0 oder 20,9 Sachen auf je 1 000 Einwohner. Rechnet Verfahren über abgetrennte man die Mahn- und die Familiensachen hinzu, so sind Scheidungsfolgesachen 5,0 es 34,8 Sachen je 1 000 Einwohner, rechnet man nur Verfahren über allein anhängige die Mahnsachen hinzu, so sind es 31,9 Sachen je 1 000 andere Familiensachen 49,9 Einwohner. Prozeßkostenhilfeverfahren 2,1 für Italien kann man schon auf das Jahr 1989 zurückgreifen. An erstinstanzlichen Zivilsachen einschließlich der Ehe- sachen, die nicht herauszurechnen sind, aber ohne Mahnsachen, gab es 1 014 414 oder 17,7 Sachen je Anlage 15 1 000 Einwohner, mit Mahnsachen erhöht sich letz- Antwort tere Zahl auf 26,4. des Parl. Staatssekretärs Willy Wimmer auf die Fragen für die Niederlande des Abgeordneten Gernot Erler (SPD) (Drucksache ist das Jahr 1984 maßgeblich. An erstinstanzlichen 12/488 Fragen 11 und 12): Zivilsachen ohne Mahnsachen und ohne Familiensa- Welche Verpflichtungen ist die Bundesregierung im Zusam- chen fielen 224 230 oder 15,1 Sachen auf 1 000 Ein- menhang mit dem Verkauf der Firma Heckler & Koch in Obern- wohner an, rechnet man die Mahnsachen hinzu, so dorf an die englische Firma Ordonance eingegangen? sind es 19,1 Sachen auf 1 000 Einwohner. Wieviel Bundesmittel sind bisher für die Entwicklung des G 11-Gewehrs bei Heckler & Koch verwendet worden, und wer Alle genannten Zahlen sind dahin zu relativieren, wird künftig über die Lizenz für die Herstellung des G 11- als sie die arbeitsrechtlichen Verfahren nur insoweit Gewehrs verfügen? nicht enthalten, als für sie besondere Gerichte beste- hen, wie bei uns und in Frankreich. Zu Frage 11: Die dargestellten Unterschiede sind zum großen Die Bundesregierung ist bei dem Verkauf keine Teil in den jeweiligen Verfahrensordnungen begrün- Verpflichtung eingegangen. Der Verkauf erfolgte det; dies wäre näher zu untersuchen. ausschließlich auf privatrechtlicher Ebene. Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 25. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 14. Mai 1991 1829*

Zu Frage 12: sehen, wird sich erst nach erfolgter Entscheidung be- Die Entwicklung des Gewehrs G11 erfolgte im Auf- schreiben lassen. Dasselbe gilt für die Frage mögli- trag der Bundeswehr und wurde in vollem Umfang mit cherweise zu räumender Liegenschaften. Haushaltsmitteln des Bundes finanziert. Die Entwicklungsverträge sind durch das BWB hin- sichtlich des Preises geprüft und für angemessen be- Anlage 17 funden worden. Daß die Beschaffung des G-11 Ge- wehres vorläufig nicht eingeleitet werden kann, liegt Antwort auch daran, daß der EPl 14 drastisch reduziert worden des Parl. Staatssekretärs Willy Wimmer auf die Fragen ist und im Zuge einer Priorisierung die Beschaffung der Abgeordneten Renate Schmidt (Nürnberg) (SPD) des G-11 Gewehrs zurückgestellt werden mußte. (Drucksache 12/488 Fragen 17 und 18): Als Auftragnehmer verfügt die Firma Heckler & Warum wurde seit dem Golfkrieg in der Area 7 für die Staffel Koch auch nach dem Verkauf über das Recht zur Ver- der schnellen Eingreiftruppe eine unbefristete Sondergenehmi- gabe von Lizenzen. Sie muß sich jedoch mit ihrem gung für Tiefflugübungen erteilt, und wie wird die damit ver- Vertragspartner — dem Bundesamt für Wehrtechnik bundene Beschränkung auf 700 Flugstunden kontrolliert? und Beschaffung — ins Benehmen setzen, bevor Wann wird die Bundesregierung ihr Versprechen, daß von allen Fraktionen des Deutschen Bundestages und der Bevölke- Rechte oder Verfahren zum Nachbau des Gewehrs rung begrüßt worden ist, einlösen, sowohl Tiefflüge als auch G11 ins Ausland vergeben werden. Die Vergabe kann Angriffsübungen über dem Gebiet der Bundesrepublik untersagt werden. Deutschland einzustellen, und was gedenkt die Bundesregie- rung angesichts der gewonnenen Souveränitätsrechte zu tun, Für den Export von Gewehren oder Lizenzen zu daß sich die in der Bundesrepublik Deutschland stationierten ihrer Herstellung gelten darüber hinaus unverändert bzw. den bundesrepublikanischen Luftraum benutzenden die Regelungen des Kriegswaffenkontroll- und Au- NATO-Luftstreitkräfte ebenfalls an ein Verbot von Tiefflügen ßenwirtschaftsrechtes. halten? - Zu Frage 17: Aus Gründen der Aufrechterhaltung der Einsatzfä- higkeit besteht zur Zeit eine Ausnahmegenehmigung Anlage 16 für eine Staffel mit ca. 20 Alpha Jets aus Oldenburg, Antwort die zur schnellen Eingreifreserve der NATO — AMF — gehört. Der Einsatz dieser AMF-Staffel in der Tür- des Parl. Staatssekretärs Willy Wimmer auf die Fragen kei hat gezeigt, daß eine realitätsnahe Ausbildung der der Abgeordneten Edelgard Bulmahn (SPD) (Druck- Flugzeugführer im Tiefflug unbedingt notwendig sache 12/488 Fragen 15 und 16) : ist. Treffen die Berichte der Zeitung „DIE WELT" vom 6. und 7. Mai 1991 zu, denen zufolge die Bundesregierung plant, in Die AMF-Staffel hat seit Erteilung der Ausnahme- Niedersachsen 17 Standorte ganz bzw. 5 Standorte zu mehr als genehmigung keine Übungsflüge in der Area 7 50 aufzugeben, und in welchem Zeitraum sollen die Schlie- durchgeführt. ßungen bzw. Reduzierungen an den jeweiligen Standorten ab- gewickelt werden? Die Bundesregierung läßt die Kontrolle der mit der Welche Auswirkungen hat das im Bundesministerium der Ausnahmegenehmigung verbundenen Beschrän- Verteidigung am 2. Mai 1991 erörterte Stationierungskonzept kung auf 700 Flugstunden mittels Addition der von auf die jeweilige Zahl der Soldaten und Zivilbediensteten der dem Verband gemeldeten Stunden durchführen. Bundeswehr in Hannover sowie den angrenzenden Gemeinden, und welche Liegenschaften beabsichtigt die Bundeswehr je- weils am Standort Hannover sowie den angrenzenden Gemein- Zu Frage 18: den zu räumen? Die Bundesregierung hat kein Versprechen, „so- wohl Tiefflüge als auch Angriffsübungen über dem Zu Frage 15: Gebiet der Bundesrepublik Deutschland einzustel- Die Berichte in „Die Welt" vom 6. und 7. Mai treffen len", gegeben. nicht zu, da dem Bundesminister der Verteidigung die Die Bundesregierung hat kein generelles Tiefflug- Detailplanungen zur Truppenstationierung noch verbot gegenüber den „in der Bundesrepublik nicht vorgetragen wurden und er sie demzufolge auch Deutschland stationierten bzw. den bundesrepublika- nicht genehmigt haben kann. nischen Luftraum benutzenden NATO-Luftstreitkräf- Von einer Planung der Bundesregierung kann da- ten" ausgesprochen. her zu diesem Zeitpunkt noch keine Rede sein; eine Erörterung von Zeitvorstellungen erübrigt sich da- her. Anlage 18 Zu Frage 16: Antwort Die noch zu treffenden Entscheidungen zu den Sta- des Parl. Staatssekretärs Wolfgang Gröbl auf die tionierungen der Truppenteile sowie der Bundes- Frage des Abgeordneten Hans-Joachim Otto (Frank- wehrverwaltung werden maßgebliche Auswirkungen furt) (FDP) (Drucksache 12/488 Frage 19): auf die Zahl der Soldaten und Zivilbediensteten der Wie viele Unfälle und mit welchen Folgen wurden 1990 von Bundeswehr in Hannover sowie den angrenzenden Verkehrsteilnehmern mit einem Blutalkoholgehalt zwischen 0,5 Gemeinden haben. Wie diese allerdings konkret aus und 0,79 Promille verschuldet? 1830* Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 25. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 14. Mai 1991

Angaben darüber, wie viele Unfälle mit welchen Anlage 20 Folgen von Verkehrsteilnehmern mit einem Blutalko- Antwort hol-Wert zwischen 0,5 und 0,79 ‰ verschuldet wer- den, liegen für das gesamte Bundesgebiet nicht vor. des Parl. Staatssekretärs Bernd Schmidbauer auf die Frage des Abgeordneten Helmut Lamp (CDU/CSU) Das Bayerische Statistische Landesamt veröffent- (Drucksache 12/488 Frage 24): licht Angaben über die Beteiligung alkoholbeeinfluß- Wird die Bundesregierung aus den Informationen, die sich bei ter Kraftfahrzeugführer an Unfällen. Danach haben in der öffentlichen Anhörung des Umweltausschusses zu den öko- Bayern ca. 10 % der an Straßenverkehrsunfällen be- logischen Auswirkungen des Golfkrieges am 29. April 1991 ergeben haben, Konsequenzen ziehen, und wie beurteilt die teiligten Kraftfahrzeugführer unter Alkoholeinfluß ei- Bundesregierung den Wert dieser Informationen, nachdem sich nen Blutalkohol-Wert von unter 0,8 ‰. nunmehr abzeichnet, daß Möglichkeiten der Datenerfassung im Katastrophengebiet genutzt werden können und verläßliche Bei allen Zahlen zu Alkoholunfällen ist allerdings Meßdaten vorliegen? mit einer deutlichen Dunkelziffer zu rechnen.

Auch die öffentliche Anhörung des Umweltaus- schusses des Deutschen Bundestages am 29. April 1991 hat die Bundesregierung in ihrer Auffassung be- stätigt, daß nach wie vor zuverlässige Informationen nicht in ausreichendem Umfang zur Verfügung ste- hen. Dies gilt insbesondere für die Umweltbelastun- Anlage 19 gen, die durch die brennenden Ölquellen in Kuwait Antwort entstehen. Aus diesem Grunde wird die Bundesregie- rung in Kürze ein Flugzeug entsenden, welches in der des Parl. Staatssekretärs Wolfgang Gröbl auf die Fra- Lage ist, die in der Luft befindlichen Schadstoffe zu gen der Abgeordneten Bärbel Sothmann- (CDU/CSU) messen. Darüber hinaus wird sie zu diesem Zweck je (Drucksache 12/488 Fragen 20 und 21) : ein Meßfahrzeug im Iran und in Kuwait einsetzen. Die erforderlichen Regierungsvereinbarungen liegen Wie sieht die Bundesregierung die Notwendigkeit, die Ver- dem Iran und Kuwait zur Zeichnung vor. kehrsschiene „Bad Hersfeld/Kassel — Erfurt — Dresden — Görlitz" — ein Autobahnprojekt, das zu den vom Bundesministerium für Da eine Besserung der Situation erst bei einem Er- Verkehr geplanten „Verkehrsprojekten Deutsche Einheit" ge- löschen der Ölbrände zu erhoffen ist, bereitet die Bun- hört, die eine Schlüsselfunktion für das Zusammenwachsen im desregierung außerdem in enger Kooperation mit der wiedervereinigten Deutschland haben sollen — auch in Rich- tung Westen über Gießen — Limburg — Koblenz — Trier durch den kuwaitischen Regierung sowie in Abstimmung mit vierspurigen Ausbau der B 49 zwischen Limburg und Wetzlar so der Europäischen Gemeinschaft die Entsendung einer zu gestalten, daß der Verkehrsnotstand im Ost-West-Verkehr Expertenkommission vor, die die Voraussetzungen für tatsächlich beseitigt werden kann? den Einsatz deutscher Brandbekämpfungstechnik in Wie sieht die Bundesregierung die Realisierungschancen des Kuwait erkunden und einen solchen Einsatz planen vierspurigen Ausbaus der B 49 zwischen Limburg und Wetzlar, soll. nachdem die neue „rot-grüne" Landesregierung in Hessen die- sen Ausbau in ihren Koalitionsvereinbarungen ausdrücklich ab- gelehnt hat? Anlage 21 Antwort Zu Frage 20: des Parl. Staatssekretärs Wilhelm Rawe auf die Frage

Es ist unstrittig, daß dem 4streifigen Ausbau der des Abgeordneten Hans -Joachim Otto (Frankfurt) B 49 zwischen Limburg/Ahlbach und Wetzlar im Zu- (FDP) (Drucksache 12/488 Frage 28): sammenhang mit der Zunahme des Ost-West-Ver- Welche Maßnahmen müssen nach Ansicht der Bundesregie- kehrs ein erhöhtes Gewicht zukommt. Die Bundesre- rung ergriffen werden, um die immer länger werdenden Lauf- gierung beabsichtigt, bei der Fortschreibung des Be- zeiten im Postzeitungsdienst wieder zu verkürzen? darfsplanes für die Bundesfernstraßen den 4streifigen Zur Verbesserung der Laufzeiten im Postzeitungs- Ausbau der B 49 zwischen Ahlbach und Wetzlar mit dienst sind von der Deutschen Bundespost Postdienst dem Ziel einer vordringlichen Einstufung neu zu be- bereits zahlreiche Maßnahmen durchgeführt worden, werten. Über eine möglicherweise günstigere Einstu- wie Erweiterung des Nachtluftpostnetzes, Umleitung fung der B 49 entscheidet der Deutsche Bundestag. von Sendungsströmen, Änderung der Briefabgangs organisation, Einsatz zusätzlicher Bahn- und Straßen- posten, Zusatzschichten mit Überstunden und auch Zu Frage 21: die Anwerbung von zusätzlichem Personal. Die Bundesregierung geht davon aus, daß entspre- Die vielfältigen zentralen, regionalen und örtlichen chend der Einstufung des Projektes im fortgeschriebe- Maßnahmen werden durch ein Maßnahmenbündel nen Bedarfsplan Planung und spätere Baudurchfüh- einer breit angelegten Qualitätsoffensive verstärkt, rung durch das Land Hessen als Auftragsverwaltung die von der Generaldirektion Postdienst am 13. Mai weitergeführt werden. Das Hessische Ministerium für 1991 eigens bundesweit gestartet wurde. Eine einge- Wirtschaft, Verkehr und Technologie ist bisher wegen richtete Zentralstelle trifft durch die täglich eingehen- der Auswirkungen der Koalitionsvereinbarung auf den Lageinformationen von den betrieblichen Brenn- den Ausbau der B 49 nicht an das Bundesverkehrsmi- punktstellen sofort und effektiv Entscheidungen, um nisterium herangetreten. aufkommende Engpässe kurzfristig zu beseitigen und Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 25. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 14. Mai 1991 1831* präventive Maßnahmen zur Sicherung der Qualität Sollte das Schlesiertreffen auf dem Annaberg zustande kom- einzuleiten. men, welche Maßnahmen wird die Bundesregierung ergreifen, um in der deutschen und polnischen Öffentlichkeit unmißver- Zur langfristigen Sicherung und zum Ausbau der ständlich die ablehnende Haltung der Bundesregierung gegen- Qualität der postalischen Dienstleistungen werden über diesem Treffen zum Ausdruck zu bringen? vom Unternehmen Deutsche Bundespost Postdienst neue Konzepte für den Brief- und Frachtdienst erar- Herr Abgeordneter, mit Ihrer Erlaubnis möchte ich beitet. Ihre Fragen zusammen beantworten. Nach Kenntnis der Bundesregierung liegen die or- ganisatorischen Vorbereitungen des Treffens in den Händen von Personen, die in Oberschlesien ansässig Anlage 22 sind. Antwort Bitten um eine Bezuschussung der Kosten für das Treffen, die der Bundesregierung übermittelt wurden, des Staatsministers Helmut Schäfer auf die Frage des ist nicht entsprochen worden. Abgeordneten Ortwin Lowack (CDU/CSU) (Drucksa- che 12/488 Frage 31): Hinsichtlich der Haltung der Bundesregierung ge- genüber diesem Treffen verweise ich Sie auf meine Was spricht eigentlich dagegen, in Verhandlungen mit Un- garn und der CSFR langfristig eine Mitgliedschaft in der NATO Antwort auf die Fragen des Kollegen Sielaff. anzustreben und diese Länder bereits jetzt mit den parlamenta- rischen Gremien der NATO zusammenarbeiten zu lassen?

Seit der Londoner Erklärung der Staats- und Regie- rungschefs des Nordatlantischen Bündnisses vom Juli Anlage 24 1990 hat sich ein zunehmend dichter werdender Ge- Antwort dankenaustausch im politischen und militärischen Be- reich zwischen der NATO und den Staaten Mittel- des Staatsministers Helmut Schäfer auf die Fragen des und Osteuropas, einschließlich der Sowjetunion, ent- Abgeordneten Gerd Andres (SPD) (Drucksache wickelt. Das seitdem bestehende Instrument der stän- 12/488 Fragen 39 und 40): digen diplomatischen Verbindung zur NATO soll wei- Ist der Bundesregierung bekannt, daß an polnischen Schulen ter ausgebaut werden, weil es hilft, mehr Transparenz für den Deutschunterricht Propagandamaterial der Vertriebe- und Vertrauen zu schaffen. Die Bundesregierung nenverbände zur Information der aktuellen politischen Situation im geeinten Deutschland verwendet wird, da es keine Materia- wünscht, daß dieser ermutigende Prozeß der Öffnung lien gibt, z. B. von der Bundesregierung , die die Situation aller Staaten Mittel- und Osteuropas, einschließlich — auch die Grenzsituation — angemessen und der offiziellen der Sowjetunion gegenüber der NATO fortgesetzt Politik der Bundesregierung entsprechend darstellen? wird. Dieses Ziel würde gefährdet, wenn das Bündnis Was wird die Bundesregierung unternehmen, um diesen Zu- präferenzielle Beziehungen zu einzelnen Staaten Mit- stand zu ändern? tel- und Osteuropas unter Ausschluß anderer anstre- ben würde. Hierüber besteht auch im Bündnis Einver- Zu Frage 39: nehmen. Ob und welches Material der Vertriebenenver- Ergänzend möchte ich darauf hinweisen, daß die bände an polnischen Schulen verwendet wird, ist der interparlamentarische Organisation der 16 Bündnis- Bundesregierung nicht bekannt. Seit Anfang 1990 be- mitgliedstaaten, die Nordatlantische Versammlung, müht sich die Bundesregierung verstärkt, die polni- inzwischen allen Staaten Mittel- und Osteuropas, ein- sche Öffentlichkeit über den Stand der aktuellen poli- schließlich der Sowjetunion einen Assoziationsstatus tischen Entwicklungen in D und der deutsch-polni- in der Nordatlantischen Versammlung angeboten hat schen Beziehungen zu informieren. Dies geschieht und daß an den Sitzungen der Nordatlantischen Ver- u. a. im Rahmen der politischen und kulturellen Öf- sammlung bereits seit Mai 1990 Parlamentarier aus fentlichkeitsarbeit unserer Vertretungen in Warschau, Staaten Mittel- und Osteuropas teilnehmen. Breslau, Danzig und Stettin, die entsprechendes Infor- mationsmaterial auf Wunsch auch an Schulen vertei- len. Dazu dient auch das seit Anfang 1991 in mehreren polnischen Regionalstationen ausgestrahlte Osteu- Anlage 23 ropa-Magazin der Deutschen Welle und der seit Herbst 1990 im polnischen Fernsehen laufende Fern- Antwort sehsprachkurs „Alles Gute". Außerdem wurden des Staatsministers Helmut Schäfer auf die Fragen des Schulen mit Deutschunterricht in Oberschlesien, dem Abgeordneten Freimut Duve (SPD) (Drucksache Hauptwohngebiet der deutschen Minderheit, mit 12/488 Fragen 37 und 38): deutschem Lehr- und Lernmaterial ausgestattet. An 14 dieser Schulen sind deutsche Lehrer eingesetzt, die Ist der Bundesregierung bekannt, in welcher Form bundes- deutsche Organisationen, insbesondere Vetriebenenverbände, auch dazu beitragen, ein realistisches und aktuelles an der Planung, Organisation und inhaltlichen Gestaltung des Deutschlandbild zu vermitteln. für den 18./19. Mai geplanten Schlesiertreffens in Annaberg, z. B. über ihre Kontakte zu den „Freundschaftskreisen der Deut- schen in Schlesien" , beteiligt sind, und kann die Bundesregie- Zu Frage 40: rung ausschließen, daß aus den Haushaltsmitteln, die den Ver- triebenenverbänden zur Verfügung stehen, das Schlesiertreffen Die Bundesregierung hat nicht die Möglichkeit, den mitfinanziert wird? freien Fluß der Information zu kontrollieren oder gar 1832* Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 25. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 14. Mai 1991

zu unterbinden. Im übrigen wird im deutsch-polni- Nach § 120 Abs. 2 Satz 1 Bundessozialhilfegesetz schen Nachbarschaftsvertrag eine umfassende Infor- beschränkt sich der Anspruch auf die Hilfe zum Le- mation abgesichert. Auf dieser Grundlage wird die bensunterhalt. Nach Satz 2 dieser Bestimmung kann Bundesregierung deshalb ihre Anstrengungen fort- sonstige Sozialhilfe, in der Praxis vor allem Kranken- setzen, in Polen die bestehenden Informationsange- hilfe, gewährt werden. Die Hilfe soll, soweit dies mög- bote über das vereinigte Deutschland und insbeson- lich ist, als Sachleistung gegeben und kann auch dere über die deutsch-polnischen Beziehungen zu er- durch Aushändigung von Wertgutscheinen gewährt weitern. werden. Sie kann auf das zum Lebensunterhalt Uner- läßliche eingeschränkt werden. Die Länder und Gemeinden sind — soweit ihnen das möglich ist — dazu übergegangen, Sozialhilfe als Anlage 25 Sachleistung zu gewähren. In diesen Fällen erhalten Antwort Asylbewerber nur ein monatliches Taschengeld zwi- schen 10, — und 80, — DM je nach Familienstand in des Parl. Staatssekretärs Eduard Lintner auf die Fra- bar. gen des Abgeordneten Dr. Peter Ramsauer (CDU/ Soweit Sozialhilfe noch insgesamt in bar ausgezahlt CSU) (Drucksache 12/488 Fragen 41 und 42): wird, richtet sie sich — neben der Übernahme der Kann die Bundesregierung erläutern, in welchem materiellen Mietkosten und einmaliger Beihilfen — weitgehend und geldlichen Umfang einerseits Asylbewerbern bzw. aner- kannten Asylanten und andererseits sogenannten Kontingent- nach den bestehenden Regelsätzen. Der Eckregelsatz flüchtlingen einmalige sowie laufende Zuwendungen in der für die westdeutschen Bundesländer beträgt z. Z. Bundesrepublik Deutschland gewährt werden? 448, — DM monatlich. Ferner erhält der Hilfebedürf- Wie beurteilt die Bundesregierung in diesem Zusammenhang tige bei Bedarf einmalige Beihilfen. Außerdem wer- die Meldung der „Welt am Sonntag" vom 14. April 1991, daß den die Mietkosten übernommen. Ein monatlicher jeder albanische Flüchtling im Land Niedersachsen ein Ta- Durchschnittsbetrag läßt sich hierfür nicht angeben, schengeld in Höhe von rd. 1 000 DM bei freier- Unterkunft und Verpflegung erhält? da entsprechende Unterlagen nicht vorliegen.

Zu Frage 41: Zu Frage 42: 1. Rechtlich anerkannte Flüchtlinge, d. h. Asylbe- Albanische Flüchtlinge, die den Status von Kontin- rechtigte und Kontingentflüchtlinge, haben Anspruch gentflüchtlingen haben, erhalten ein zu versteuern- auf bestimmte Eingliederungshilfen. Dazu gehören des Eingliederungsgeld in Höhe von rd. 1 000, — DM insbesondere Sprachförderungsleistungen nach dem monatlich. Diese Leistung entspricht — wie in der Arbeitsförderungsgesetz und Beihilfen aus dem sog. Antwort zu Ihrer ersten Frage ausgeführt — der beste- Garantiefonds. henden Rechtslage. Das Niedersächsische Ministe- rium für Bundes- und Europaangelegenheiten hat Das Eingliederungsgeld bezweckt, den Flüchtling mitgeteilt, daß von dem Eingliederungsgeld künftig materiell in die Lage zu versetzen, die deutsche Spra- bis zu 300, — DM pro Person für Verpflegung und che zu erlernen. Es dient damit der Vorbereitung zur Unterkunft verwendet werden soll. Aufnahme einer Erwerbstätigkeit und wird deshalb nur demjenigen gezahlt, der der Arbeitsvermittlung zur Verfügung steht. Die Leistungen werden für die Dauer der ganztägigen Teilnahme an einem Deutsch Anlage 26 Sprachlehrgang, längstens jedoch 10 Monate ge- währt. Die Höhe des während der Dauer des Sprach- Antwort kurses gezahlten Eingliederungsgeldes ist abhängig des Parl. Staatssekretärs Eduard Lintner auf die Frage vom Familienstand und beträgt im Durchschnitt mo- des Abgeordneten Clemens Schwalbe (CDU/CSU) natlich rd. 1 000, — DM (§ 62c in Verbindung mit (Drucksache 12/488 Frage 43): § 62 a Arbeitsförderungsgesetz). Darüber hinaus ist zu Welche Einstufungspraxis wird im öffentlichen Dienst in den berücksichtigen, daß das Eingliederungsgeld steuer- neuen Bundesländern verfolgt, wenn zum 1. Juli 1991 durch pflichtig ist. tarifrechtliche Festlegung die Regelung getroffen wird, daß Ar- beitnehmer der Beitrittsgebiete nur 60% der Westentlohnung Anerkannten Flüchtlingen unter 35 Jahre, die der erhalten sollen? Arbeitsvermittlung noch nicht zur Verfügung stehen und deshalb kein Eingliederungsgeld erhalten kön- Die Tarifvertragsparteien des öffentlichen Dienstes nen, werden Beihilfen zur schulischen, beruflichen haben vereinbart, mit Wirkung ab 1. Juli 1991 in den und gesellschaftlichen Eingliederung nach dem sog. neuen Bundesländern grundsätzlich das Vergütungs- Garantiefonds gewährt. system des westlichen Tarifgebiets zu übernehmen Soweit anerkannte Flüchtlinge keine Eingliede- und eine Vergütung in Höhe von 60 % der sich hieraus rungshilfen erhalten können und hilfebedürftig sind, ergebenden Beträge zu zahlen. Damit wird endlich haben sie wie Deutsche Anspruch auf Sozialhilfelei- eine leistungsgerechte Eingruppierung der Angestell- stungen. ten ermöglicht. Dies ist ein wesentlicher Beitrag zum 2. Asylbewerber erhalten — bei Vorliegen der Vor- Aufbau einer funktionsfähigen Verwaltung. aussetzungen — lediglich Sozialhilfeleistungen nach Die Tarifvertragsparteien haben die Grundvergü- dem Bundessozialhilfegesetz und entsprechende Lei- tung in den einzelnen Vergütungsgruppen ebenso stungen nach spezialgesetzlichen Vorschriften der wie im BAT nach Lebensaltersstufen und nicht nach Länder. Dienstzeit bemessen. Die bisherigen Tarifvereinba- Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 25. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 14. Mai 1991 1833* rungen haben noch keine Dienstzeitregelungen zum der Beiträge zur gesetzlichen Kranken- und Renten- Inhalt. Die Tarifvertragsparteien haben allerdings versicherung aufbringen müssen. vereinbart, daß bei den vorhandenen Angestellten die Die Beitragsrückerstattung an die Künstler in den erstmalige Zuordnung zu diesen Lebensaltersstufen neuen Bundesländern soll aufgrund des Einigungs- wie bei einer Neueinstellung vollzogen wird. Diese vertrages von der Stiftung Kulturfonds vorgenommen Regelung des BAT-O ist identisch mit der im BAT bei werden. Neben den Einnahmen aus der Künstlersozi- Neueinstellungen vorgesehenen. Die Gleichstellung alabgabe erhält die Stiftung Kulturfonds Bundesmittel mit Neueinstellungen ist folgerichtig, weil der betrof- in Höhe von 20 Millionen DM, um u. a. auch den Au- fene Personenkreis erstmals in das neue System der toren in den neuen Bundesländern entsprechend den Vergütung nach dem BAT-O einbezogen wird. Auf- Bestimmungen des Einigungsvertrages ihre Beiträge grund der bisher geltenden völlig unterschiedlichen zur gesetzlichen Kranken- und Rentenversicherung Vergütungssysteme konnten keine Bewährungs- oder bis zur Hälfte erstatten zu können. Tätigkeitszeiten vor Inkrafttreten des Tarifvertrags berücksichtigt werden. Die Leistungen der gesetzlichen Krankenversiche- rung werden wie bei den Autoren in den alten Bun- Hinsichtlich der Höhe der Vergütung ist sicherge- desländern von der zuständigen Allgemeinen Orts- stellt, daß sie nach dem BAT-O mindestens die bishe- krankenkasse bzw. einer Ersatzkasse und die Leistun- rige Vergütung erreicht. Es kann also in keinem Fall gen der gesetzlichen Rentenversicherung von der durch die neuen tariflichen Regelungen zu einer Bundesversicherungsanstalt für Angestellte bzw. der Schlechterstellung kommen. Überleitungsanstalt Sozialversicherung erbracht. Angesichts dieser Sach- und Rechtslage sieht die Bundesregierung keine Möglichkeit, über die er- wähnten 20 Millionen DM hinaus zusätzliche Mittel Anlage 27 dem Autorenversorgungswerk der VG WORT zur - Verfügung zu stellen. Antwort des Parl. Staatssekretärs Eduard Lintner auf die Fra- Zu Frage 45: (SPD) (Druck- gen des Abgeordneten Ludwig Stiegler Nach Einführung der sog. Bibliothekstantieme in sache 12/488 Fragen 44 und 45): § 27 Urheberrechtsgesetz haben Bund und Länder in Wird die Bundesregierung im Hinblick darauf, daß die Auto- einem Vertrag mit den Verwertungsgesellschaften ren in den neuen Bundesländern erst ab 1. Januar 1992 von der die Zahlungsverpflichtung für das Verleihen von Bü- Künstlersozialversicherung partizipieren können, das Autoren- versorgungswerk der VG WORT wirtschaftlich unterstützen, chern durch öffentliche Bibliotheken übernommen. damit diese in die Lage versetzt wird, auch die Autoren aus den Die mit den Verwertungsgesellschaften vereinbarten neuen Bundesländern entsprechend zu unterstützen? Jahrespauschalen zur Befriedigung des nach § 27 Wird die Bundesregierung die pauschalen Bibliothekstantie UrhG bestehenden Vergütungsanspruches werden men von rund 4,9 Mio. DM, die die Kommission als angemes- von Bund und Ländern im Verhältnis 1 : 9 getragen. sene Pauschalvergütungssumme für die Zeit vom 3. Oktober 1990 bis 31. Dezember 1991 anerkannt hat, aus dem Bundes- Seit dem 3. Oktober 1990 gilt das Urheberrechtsge- haushalt oder aus dem Programm „Aufschwung Ost" an die setz auch in den neuen Bundesländern, die damit ne- beteiligten Verwertungsgesellschaften zahlen, um die neuen ben dem Bund zur Zahlung der Bibliothekstantieme Länder und ihre Kommunen, deren Bibliothekswesen ohnehin besonderen Belastungen ausgesetzt ist, für die Übergangszeit verpflichtet sind. wenigstens finanziell zu entlasten, und sieht sie dafür eine Er- Bei der von der Kommission Bibliothekstantieme mächtigung oder Verpflichtung im Einigungsvertrag? der KMK für angemessen gehaltenen pauschalen Bi- bliothekstantieme von 4,9 Millionen DM für den Zeit- Zu Frage 44: raum vom 3. Oktober 1990 bis zum 31. Dezember Das Künstlersozialversicherungsgesetz tritt nach 1991 handelt es sich nur um den von den neuen Bun- dem Einigungsvertrag (Anlage 1, Kapitel VIII, Sach- desländern aufzubringenden Anteil an der Biblio- gebiet F Abschnitt III, Nummer 5) in seiner Gesamt- thekstantieme, nicht um den Anteil des Bundes. heit erst zum 1. Januar 1992 in Kraft. Bereits seit dem Eine rechtliche Verpflichtung des Bundes zur Über- 1. Januar 1991 besteht die Abgabepflicht der Unter- nahme des von den neuen Bundesländern aufzubrin- nehmer, die Werke und Leistungen selbständiger genden Anteils an der Bibliothekstantieme besteht Künstler und Publizisten für Zwecke ihres Unterneh- nicht; Art. 35 des Einigungsvertrages, der eine über- mens gegen Entgelt in Anspruch nehmen (Künstlerso- gangsweise Mitfinanzierung des Bundes zur kulturel- zialabgabe). Die Künstlersozialabgabe wird für die len Substanzerhaltung und zur Förderung der kultu- soziale Absicherung der Künstler und Publizisten im rellen Infrastruktur ermöglicht, bietet keine hinrei- Jahre 1991 verwendet. Im Einigungsvertrag wurde chende Ermächtigungsgrundlage. Die Abgeltung der festgelegt, daß den Künstlern und Publizisten in den urheberrechtlichen Vergütungsansprüche, die jedem neuen Bundesländern, deren Jahreseinkommen Autor, nicht nur den in den neuen Bundesländern 24 000, — DM nicht übersteigt, auf Antrag die von ih- lebenden Schriftstellern zusteht, dient weder der kul- nen für das Jahr 1991 zu zahlenden Beiträge zur Kran- turellen Substanzerhaltung in den neuen Bundeslän- ken- und Rentenversicherung bis zur Hälfte erstattet dern, noch wird durch die Übernahme dieser urheber- werden. Mit dieser Übergangsregelung wird bereits rechtlichen Vergütung die kulturelle Infrastruktur in im Jahre 1991 eine weitgehende Gleichstellung der den Kommunen gefördert. Wenngleich der Bund Künstler in den neuen Bundesländern mit denen in keine Verpflichtung zur Übernahme der von den den alten erreicht, die nach dem KSVG nur die Hälfte neuen Bundesländern aufzubringenden Bibliotheks- 1834* Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 25. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 14. Mai 1991 tantieme sieht, ist er gleichwohl bereit, gemeinsam halten wurde, wird nunmehr entgegen früheren Be- mit den Ländern, insbesondere mit der KMK und der kundungen des Parteivorsitzenden ausgeführt, ein VG WORT nach Lösungsmöglichkeiten zu suchen, Verzicht sei bisher nicht erklärt worden; jedoch be- damit die neuen Bundesländer bei der Aufbringung stehe nach wie vor die Bereitschaft hierzu. Allerdings der Bibliothekstantieme vorübergehend entlastet lehnt die PDS in diesem Zusammenhang eine Mitwir- werden. kung bei der Feststellung von Art und Umfang dieses Auslandsvermögens ab. Nach ihrer Auffassung be- steht ihrerseits keine Aufklärungspflicht. Demgegenüber ist die Unabhängige Kommission Anlage 28 der Ansicht, daß die PDS einmal im Rahmen der von Antwort ihr nach § 20a PartG-DDR zu erstellenden Vermö- des Parl. Staatssekretärs Eduard Lintner auf die Frage gensübersicht eine detaillierte Auskunft über das ge- des Abgeordneten Arne Börnsen (Ritterhude) (SPD) samte Auslandsvermögen zum Stichtag 7. Oktober (Drucksache 12/488 Frage 46): 1989 zu geben hat und daß diese darüber hinaus — da rechtliche Identität mit der früheren SED besteht — Über welche Kenntnisse über das Auslandsvermögen der SED/PDS verfügt die Bundesregierung, insbesondere bezogen alle Maßnahmen zu treffen hat, die für die Aufklärung auf die seitens der SED/PDS nach eigenen Aussagen vorgenom- und Sicherstellung des Verbleibs dieses Vermögens mene Übertragung ihres Auslandsvermögens auf die ehemalige erforderlich sind. Die Unabhängige Kommission wird Regierung der DDR? in diesem Sinne in Zusammenarbeit mit der Treu- handanstalt die ihr notwendig erscheinenden Schritte Für die Ermittlung des Vermögens der PDS — wie zur Sicherung des Auslandsvermögens vornehmen. auch der anderen Parteien, ihnen verbundenen Orga- nisationen, juristischen Personen und Massenorgani- Soweit ausländische Gesellschaften der Partei und deren Vermögen durch den Bereich Kommerzielle sationen der DDR — ist gemäß Anlage II Kapitel II Sachgebiet A Abschnitt III zum Einigungsvertrag- Koordinierung für die Partei verwaltet wurden, sind (BGBl. II 1990, S. 885, 1150) in Verbindung mit § 20 a sie im wesentlichen bekannt. PartG-DDR (GBl. 1990, S. 275f) die Unabhängige Allerdings fehlt derzeit noch eine detaillierte Kennt- Kommission zur Überprüfung des Vermögens der Par- nis über den Umfang des Gesamtvermögens zu dem teien und Massenorganisationen der DDR, die der in § 20a Abs. 2 PartG-DDR gesetzten Stichtag des Rechtsaufsicht der Bundesregierung untersteht, zu- 7. Oktober 1989 sowie über anschließend eingetre- ständig. Das Sekretariat der Unabhängigen Kommis- tene Veränderungen. Die PDS ist ihrer diesbezügli- sion hat mir zu Ihrer Frage mitgeteilt: chen Berichtspflicht nicht nachgekommen. Eine Grö- Die PDS hat mehrfach — auch öffentlich und gegen- ßenordnung läßt sich deshalb zur Zeit noch nicht an- über der Unabhängigen Kommission — erklärt, sie geben. habe im Dezember 1989 gegenüber der DDR-Regie- rung zugunsten des Staatshaushalts der DDR auf ihre Auslandsvermögen — einschließlich des Vermögens in den alten Bundesländern — verzichtet. Die wiederholte Aufforderung der Unabhängigen Anlage 29 Kommission, diesen Verzicht nachzuweisen und Antwort hierzu entsprechende Urkunden vorzulegen, blieb al- lerdings ohne Reaktion. Daraufhin hat die Unabhän- des Parl. Staatssekretärs Eduard Lintner auf die Fra- gige Kommission in ihrer Sitzung am 24. April 1991 gen des Abgeordneten Ludwig Eich (SPD) (Drucksa- die PDS unter Fristsetzung aufgefordert, Auskunft che 12/488 Fragen 47 und 48): über das Vorliegen und den Inhalt sämtlicher rechts- Liegen der Bundesregierung Erkenntnisse darüber vor, ob die geschäftlich verbindlicher Erklärungen und Verein- SED/PDS Verfügungsrechte über das Kommerzielle Koordinie- barungen zum SED/PDS-Auslandsvermögen zu ertei- rungs-Auslandsvermögen wahrzunehmen in der Lage war? len und diese Auskunft durch vollständige Vorlage Seit wann liegt der Bundesregierung der Zwischenbericht der der entsprechenden Dokumente zu belegen. Regierungskommission zur Überprüfung des Vermögens der Parteien und Massenorganisationen der DDR vor, wann beab- Der Bescheid wurde am 26. April 1991 zugestellt. sichtigt sie eine Weiterleitung an den Deutschen Bundestag? Eine Antwort der PDS auf diesen Bescheid ist bei der Unabhängigen Kommission am 10. Mai 1991 einge- Zu Frage 47: gangen. In dieser Antwort gibt sie an, es habe zwei Arten von Auslandsvermögen der PDS gegeben. Der Für die Ermittlung des Vermögens der PDS — wie eine Teil dieses Vermögens sei über den Bereich Kom- auch der anderen Parteien, ihnen verbundenen Orga- merzielle Koordinierung verwaltet worden — und nisationen, juristischen Personen und Massenorgani- zwar unter Leitung von Herrn Schalck-Golod- sationen der DDR — ist gemäß Anlage II Kapitel II kowski — , der andere Teil durch das ZK der SED Sachgebiet A Abschnitt III zum Einigungsvertrag selbst. Hinsichtlich des ersten Teils schließe sich die (BGBl. II 1990, S. 885, 1150) in Verbindung mit § 20 a PDS der Rechtsauffassung einer Ende 1989 vom Mini- PartG-DDR (GBl. 1990, S. 275f) die Unabhängige sterrat der DDR eingesetzten Sonderkommission an, Kommission zur Überprüfung des Vermögens der Par- wonach das Parteivermögen, das vom Bereich Kom- teien und Massenorganisationen der DDR, die der merzielle Koordinierung verwaltet wurde, in Wirk- Rechtsaufsicht der Bundesregierung untersteht, zu- lichkeit Staatseigentum gewesen sei. Bezüglich des ständig. Das Sekretariat der Unabhängigen Kommis- Auslandsvermögens, das direkt vom ZK der SED ge sion hat mir zu Ihrer Frage mitgeteilt: Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 25. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 14. Mai 1991 1835*

Nach den Erkenntnissen der Unabhängigen Kom- nungen — in keinem Falle zum Stichtag des 7. Okto- mission ist davon auszugehen, daß die SED bis ca. ber 1989. Die Unabhängige Kommission hat nunmehr Anfang Dezember 1989 in der Lage war, ihre wirt- Wirtschaftsprüfungsgesellschaften beauftragt, an- schaftlichen Auslandsinteressen sowohl über den Be- hand der vorgelegten Unterlagen Vermögensüber- reich Kommerzielle Koordinierung als auch unmittel- sichten zum gesetzlichen Stichtag zu erstellen. bar gegenüber den ausländischen Parteigesellschaf- ten wahrzunehmen. Für die Zeit danach liegen detail- Zu Frage 50: lierte Erkenntnisse über eine etwaige Einflußnahme der SED/PDS auf das Auslandsvermögen noch nicht Bei der Beantwortung der Frage wird davon ausge- vor. gangen, daß der insoweit maßgebliche Zeitraum mit dem Tag der Wiedervereinigung der beiden deut- schen Staaten (3. Oktober 1990) endet. Zu Frage 48: Der Zwischenbericht der Unabhängigen Kommis- Die Verwaltung des Deutschen Bundestages hat der sion zur Überprüfung des Vermögens der Parteien Bundesregierung Unterlagen der Volkskammer sowie und Massenorganisationen der DDR ist beim Bundes- der Arbeitsgruppe Parteienfinanzierung der Volks- minister des Innern am 26. März 1991 eingegangen. kammer der ehemaligen Deutschen Demokratischen Nachdem sich zwischenzeitlich die zuständigen Res- Republik über die Gewährung staatlicher Leistungen sorts mit dem Zwischenbericht befaßt haben, fand an Parteien/politische Vereinigungen in der ehemali- eine Kabinettbehandlung am 15. Mai 1991 statt, bei gen Deutschen Demokratischen Republik zur Verfü- der die Weiterleitung des Zwischenberichts an den gung gestellt. Über deren Vollständigkeit und Rich- Deutschen Bundestag beschlossen wurde. tigkeit können keine Angaben gemacht werden. Hiernach wurden finanzielle Leistungen an fol- gende Parteien/politische Vereinigungen erbracht: - — Bund Freier Demokraten (B.F.D.) Anlage 30 — Bündnis 90 (NEUES FORUM-DEMOKRATIE Antwort JETZT — IFM) des Parl. Staatssekretärs Eduard Lintner auf die Fra- — Christlich-Demokratische Union Deutschlands gen des Abgeordneten Manfred Hampel (SPD) (CDU) (Drucksache 12/488 Fragen 49 und 50): — CDJ Ist der Bundesregierung bekannt, ob alle Parteien und Mas- senorganisationen der ehemaligen DDR der Auflage zur Offen- — „Demokratischer Aufbruch — sozial+ökologisch" legung ihrer Bilanzen zum Stichtag 7. Oktober 1989 nachge- (DA) kommen sind? — Demokratie Jetzt Ist der Bundesregierung bekannt, welchen Parteien und Mit- gliedern am sogenannten Runden Tisch finanzielle Mittel zuge- — Demokratischer Frauenbund Deutschlands (DFD) flossen sind, und wie wurden diese verwandt? — Deutsche Forumpartei (DFP) Zu Frage 49: — Demokratische Bauernpartei Deutschlands (DBD) Für die Ermittlung des Vermögens der PDS — wie — Deutsche Biertrinker Union (DBU) auch der anderen Parteien, ihnen verbundenen Orga- — Deutsche Jugendpartei (DJP) nisationen, juristischen Personen und Massenorgani- sationen der DDR — ist gemäß Anlage II Kapitel II — Deutsche Soziale Union (DSU) Sachgebiet A Abschnitt III zum Einigungsvertrag — Die Nelken (BGBl. II 1990, S. 885, 1150) in Verbindung mit § 20 a PartG-DDR (GBl. 1990, 5. 275f) die Unabhängige — Domowina Kommission zur Überprüfung des Vermögens der Par- — Europa-Union der DDR teien und Massenorganisationen der DDR, die der Rechtsaufsicht der Bundesregierung untersteht, zu- — Freie Deutsche Jugend (FDJ) ständig. Das Sekretariat der Unabhängigen Kommis- — Freie Demokratische Partei in der DDR sion hat mir zu Ihrer Frage mitgeteilt: — Die Liberalen (FDP) Nach § 20 a Abs. 1 PartG-DDR hat die Unabhängige — Grüne Liga (Runder Tisch, aber nicht als Partei Kommission die Aufgabe, einen Bericht über die Ver- registriert) mögenswerte aller Parteien und ihnen verbundenen Organisationen, juristische Personen und Massenor- — Grüne Partei/Unabhängiger Frauenverband (UFV) ganisationen der DDR im In- und Ausland zu erstellen. — Jugendbund Deutscher Regenbogen Damit die Unabhängige Kommission diese Aufgabe erfüllen kann, sind alle Parteien und sonstigen Insti- — Initiative Frieden und Menschenrechte (IFM) tutionen bzw. deren Rechtsnachfolger nach § 20 a — JuliA Abs. 2 PartG-DDR verpflichtet, Rechenschaft zu le- gen. Sie haben insbesondere eine Vermögensüber- — Kommunistische Partei Deutschlands (KPD) sicht nach dem Stand vom 7. Oktober 1989 vorzule- — Landjugendverband in der DDR gen. Die Parteien und sonstigen Institutionen haben NEUES FORUM der Unabhängigen Kommission Vermögensübersich- — ten vorgelegt, jedoch — trotz wiederholter Anmah — Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS) 1836* Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 25. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 14. Mai 1991

— RAP Zu Frage 52: — Soz. Studentenbund Die Bundesregierung ist sich der Situation im Übungsgebiet Soltau-Lüneburg bewußt. Sie setzt sich — Spartakist-Arbeiterpartei- Deutschlands (SpAD intensiv für eine Behebung oder zumindest eine Ver- Leninisten) ringerung der Belastungen der Bevölkerung durch — Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD) den Übungsbetrieb ein. — Unabhängige Sozialdemokratische Partei Deutsch- Das Auswärtige Amt wird die zur Verwirklichung lands (USPD) dieses Ziels erforderlichen Verhandlungen über das — Vereinigte Linke (VL) Soltau-Lüneburg-Abkommen im Zusammenhang mit der Überprüfung des Zusatzabkommens zum NATO- Der Bundesregierung liegen keine Unterlagen über Truppenstatut führen. die Verwendung der an diese Parteien/politische Ver- Unabhängig hiervon hat die Bundesregierung ent- einigungen erbrachten Leistungen vor. sprechend dem Beschluß des Deutschen Bundestages vom 30. Oktober 1990 (Drucksache 11/7958) bereits mit der britischen Regierung Gespräche über Mög- lichkeiten der Verlagerung der Übungsaktivitäten auf Anlage 31 schon vorhandene Truppenübungsplätze eingeleitet. Bei den deutsch-britischen Regierungskonsultationen Antwort am 11. März 1991 haben der Bundesminister der Ver- des Parl. Staatssekretärs Dr. Joachim Grünewald auf teidigung Dr. Stoltenberg und der britische Verteidi- die Frage des Abgeordneten Arne Börnsen (Ritter- gungsminister King vereinbart, eine gemeinsame Ar- hude) (SPD) (Drucksache 12/488 Frage 51): beitsgruppe unter Beteiligung auch kanadischer Ver- treter einzusetzen mit dem Zweck, Übungsmöglich- Liegen der Bundesregierung Erkenntnisse über das Auslands- vermögen aus dem Kommerziellen Koordinierungs-Verantwor-- keiten zu prüfen, die den britischen und kanadischen tungsbereich des Schalck-Golodkowski vor, um welche Größen- Streitkräften im Gegenzug für einen Verzicht auf das ordnung handelt es sich dabei? Soltau-Lüneburg-Gebiet angeboten werden können. Die Bundesregierung wird auf ein zügiges Verfahren Der umfangreiche Besitz an ausländischen Gesell- hinwirken. schaften des ehemaligen Bereichs „Kommerzielle Ko- ordinierung" ist unter der im Juni 1990 gegründeten Zu Frage 53: Effect Vermögensverwaltungsgesellschaft mbH zu- Die Bundesregierung kann noch nicht mitteilen, ob sammengefaßt. Es handelt sich um 15 Obergesell- bzw. in welchem Umfang eine Verseuchung des Bo- schaften mit Sitz in Liechtenstein, der Schweiz, Lu- dens im Übungsgebiet Soltau-Lüneburg gegeben ist. xemburg, Spanien und Curacao, die jeweils weitere Zur Zeit werden entsprechende Bodenuntersuchun- Untergesellschaften halten. Die Effect Vermögensver- gen vorgenommen. waltungsgesellschaft mbH verwaltet den Beteili- gungsbesitz treuhänderisch für die Treuhandanstalt Die Abgeltung von Schäden der Streitkräfte richtet und wickelt ihn ab. Die Treuhandanstalt rechnet mit sich hauptsächlich nach den mit den jeweiligen Ei- einem Verwertungsergebnis von insgesamt rund gentümern abgeschlossenen Nutzungsverträgen. 224 Millionen DM. Dies bedeutet, daß in erster Linie die Streitkräfte haf- ten.

Anlage 32 Anlage 33 Antwort Antwort des Parl. Staatssekretärs Dr. Joachim Grünewald auf des Parl. Staatssekretärs Dr. Joachim Grünewald auf die Fragen des Abgeordneten Arne Fuhrmann (SPD) die Fragen des Abgeordneten Rudolf Bindig (SPD) (Drucksache 12/488 Fragen 52 und 53): (Drucksache 12/488 Fragen 54 und 55): Welche konkreten Schritte beabsichtigt die Bundesregierung Kann die Bundesregierung angeben, wie der Bundesminister im Zusammenhang mit Verhandlungen zur Aufhebung des Sol- der Finanzen die haushaltstechnische Abwicklung der für hu- tau-Lüneburg-Abkommens in nächster Zeit, um eine sofortige manitäre Hilfe für die Kurdenflüchtlinge vorgesehenen 415 Mil- Reduzierung des täglichen Panzerkrieges in den bewohnten lionen DM vorzunehmen gedenkt; aus welchen Haushaltstiteln Teilen der betroffenen Region zu gewährleisten, um weitere und Haushaltsetats soll der Betrag bereitgestellt werden? Panzer- und Schießübungen im Naturschutzgebiet (in dem Kann die Bundesregierung — gegebenenfalls kalkulato- Wanderer die Wege nicht verlassen dürfen und der Gebrauch risch — angeben, welcher Teilbetrag der 415 Millionen DM, von Feuer und offenem Licht verboten ist) sofort zu unterbinden, welche für die humanitäre Hilfe für Kurden vorgesehen sind, um die weitere Zerstörung dieser einmaligen Kulturlandschaft wahrscheinlich für Transport- und sonstige Leistungen an die und die Verseuchung des Bodens mit Ölen, Cadmium, Blei und Bundeswehr zu zahlen, d. h. dem Bundesministerium der Ver Quecksilber zu verhindern? teidigung zu erstatten sein wird? Welche konkreten Maßnahmen beabsichtigt die Bundesre- gierung, um die Regeneration des verseuchten Bodens und die notwendigen Aufforstungsarbeiten zu garantieren, und für wel- Zu Frage 54: chen Zeitraum sind — auch nach Aufhebung des Soltau-Lüne- Der Bundesminister der Finanzen hat im Anschluß burg-Abkommens — Entschädigungs- und Ausfallzahlungen für die betroffenen Kreise und Gemeinden von seiten des Bun- an die Kabinettberatung am 17. April 1991 dem Aus- des gesichert? wärtigen Amt die Bewirtschaftung der erforderlichen Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 25. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 14. Mai 1991 1837*

Haushaltsmittel übertragen und ihm die Mittel umge- Zu Frage 57: hend zugewiesen. Der Umfang der von der Bundesrepublik Deutsch- Der Betrag von 415 Millionen DM wird in Höhe von land im Zusammenhang mit dem Golfkonflikt er- 355 Millionen DM aus dem im Rahmen der vorläufi- brachten Leistungen beträgt rund 15 Milliarden DM. gen Haushaltsführung 1991 bei Kapitel 6007 einge- Hiervon entfallen 11,2 Milliarden DM auf Geldlei- richteten Titel 686 06 — Humanitäre Hilfsmaßnahmen stungen und 3,8 Milliarden DM auf Sachleistungen für die kurdischen Flüchtlinge in der Golfregion — (z. B. Transportunterstützung). geleistet. Die restlichen 60 Millionen DM stellen den Restbetrag des deutschen Anteils an den EG-Hilfs- Hinzu kommt unsere Unterstützung für die von der maßnahmen für die kurdischen Flüchtlinge dar; sie Golfkrise wirtschaftlich betroffenen Länder in Höhe werden über den bei Kapitel 6001 ausgebrachten Titel von insgesamt 2,6 Milliarden DM, insbesondere für 019 01 — Zuweisungen an die Europäischen Gemein- Ägypten, Jordanien und die Türkei. schaften nach Bruttosozialprodukt-Schlüssel — be- reitgestellt. Das Bundeskabinett hat beschlossen, den zusätzlich bereitgestellten Betrag von 415 Millionen DM unter Beteiligung aller Bundesressorts im Haushaltsvollzug 1991 zu erwirtschaften. Der Bundesminister der Fi- Anlage 35 nanzen wird dem Haushaltsausschuß des Deutschen Bundestages zur Bereinigungssitzung am 22./23. Mai Antwort 1991 einen Vorschlag zur Erwirtschaftung dieses Be- des Parl. Staatssekretärs Klaus Beckmann auf die trages vorlegen. Frage des Abgeordneten Manfred Heise (CDU/CSU) (Drucksache 12/488 Frage 58): Zu Frage 55: Ist nach der weitgehenden Vergabe an eine Neuauflage des Im Rahmen der von der Bundesregierung am Bund/Länder-Programms zur Förderung wirtschaftsnaher Infra- 17. April 1991 beschlossenen zusätzlichen Soforthilfe struktur aus der sogenannten Zonenrandförderung gedacht, die ja nunmehr der Entwicklung in den neuen Bundesländern zu- für die kurdischen Flüchtlinge ist ein Teilbetrag von steht, um daraus insbesondere den Gemeinden im ehemaligen 105 Millionen DM für die Erstattung von Transportko- 500 m-Schutzstreifen oder auch der 5 km-Sperrzone vorrangig sten an die Bundeswehr vorgesehen. zu hellen? Der Erstattungsbetrag von 105 Millionen DM ist vom Bundesminister der Verteidigung pauschal be- Bei dem im Frühjahr 1990 noch mit der damaligen rechnet worden. Er umfaßt die Kosten für die Durch- DDR-Regierung und den Ländern Schleswig-Hol- führung der Luftbrücke von fünf Flugzeugen täglich stein, Niedersachsen, Hessen und Bayern gemeinsam und den Betrieb von 40 Hubschraubern im Iran und in konzipierten und finanzierten Programm zur Förde- der Türkei für einen Zeitraum von 60 Tagen. rung der wirtschaftsnahen Infrastruktur im Grenzge- biet der DDR zur Bundesrepublik Deutschland im Um- fang von insgesamt 400 Millionen DM handelte es sich nicht um eine Maßnahme im Rahmen der Zonen- randförderung im Sinne des Zonenrandförderungsge- Anlage 34 setzes. Antwort Das Programm hatte vielmehr Pilot- und Erpro- des Parl. Staatssekretärs Dr. Joachim Grünewald auf bungscharakter für die Übertragung der Gemein- die Fragen des Abgeordneten Wolfgang Roth (SPD) schaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirt- (Drucksache 12/488 Fragen 56 und 57): schaftsstruktur" auf die neuen Länder. Es diente der Wie hoch sind die tatsächlichen Kosten des Golfkrieges, und schnellen Verknüpfung der Wirtschaftsräume beider- welche Struktur haben diese Kosten aufgeschlüsselt auf die be- seits der Grenze sowie der Intensivierung der regio- teiligten Nationen der Operation Wüstenschild? nalen Zusammenarbeit zwischen den benachbarten Welchen tatsächlichen Anteil in Geld- und Sachleistungen Ländern und Kommunen. trägt die Bundesrepublik Deutschland? Bei der Einbeziehung des Beitrittsgebietes in die Gemeinschaftsaufgabe, die mit dem Beitritt am 3. Ok- Zu Frage 56: tober 1990 erfolgte, wie auch bei der Konzipierung Der Bundesregierung liegen keine Angaben über weiterer wirtschaftlicher Hilfen (z. B. Investitionszu- die gesamten Kosten des Golfkriegs bzw. über die lage; Sonderabschreibungen) wurde bewußt auf eine Kosten der Anti-Irak-Koalition vor. regionale Differenzierung verzichtet, weil das Ge- samtgebiet der neuen Länder als förderungswürdig Ein Ende April 1991 dem amerikanischen Kongreß einzustufen ist. vorgelegter Be richt der verantwortlichen Haushalts- behörde, nämlich des „Office of Management and Nach der Kompetenzverteilung des Grundgesetzes Budget" , schätzt die den USA entstandenen und wei- (Artikel 91 a) steht es allerdings den Ländern bei der terhin entstehenden Kosten auf über 60 Milliarden Förderung im Rahmen der Gemeinschaftsaufgabe US-Dollar. Die Haushaltsbehörde sieht sich bisher je- frei, eine solche Differenzierung nach ihren eigenen doch noch nicht in der Lage, eine endgültige Kosten- Kriterien einzuführen, falls sie dies für sinnvoll hal- rechnung vorzunehmen. ten. 1838* Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 25. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 14. Mai 1991

Anlage 36 Treffen Mitteilungen zu, wonach deutsche Firmen an den von der Bundesrepublik Deutschland zu finanzierenden Wohnun- Antwort gen für die in die UdSSR zurückkehrenden Soldaten und ihre Familienangehörigen nicht oder nur unwesentlich beteiligt sind, des Parl. Staatssekretärs Klaus Beckmann auf die weil die Bundesregierung eine internationale Ausschreibung Frage des Abgeordneten Dr. Jürgen Schmieder (FDP) zum Bau der Wohnungen akzeptiert hat und deutsche Firmen (Drucksache 12/488 Frage 59): (auch aus den neuen Bundesländern) keine Chance gegenüber Billigkonkurrenz aus anderen Ländern haben? Wie schätzt die Bundesregierung den Umfang und die Er- scheinungsformen des Schwarzhandels bzw. des Schwarzmark- tes in den neuen Bundesländern ein, und welche — hoffentlich Bisher sind im Rahmen des Wohnungsbaupro- sofort eingeleiteten — Maßnahmen gedenkt die Bundesregie- gramms für die aus dem Beitrittsgebiet zurückkehren- rung zu ergreifen? den sowjetischen Soldaten noch keinerlei Vergaben erfolgt. Der Bundesregierung liegen keinerlei zuverlässige Angaben über den Umfang des sogenannten Mit der sowjetischen Seite wurde vertraglich ver- Schwarzhandels bzw. des Schwarzmarktes vor. Dar- einbart, daß die Vergabe auf Basis eines wettbewerb- über hinaus dürfte es kaum allgemeingültige Abgren- lichen Ausschreibungsverfahrens erfolgt, wobei ne- zungskriterien für den sogenannten Schwarzhandel ben dem Preis Elemente wie Leistungsfähigkeit, Qua- geben. Soweit damit auf den Handel ohne gewerbli- lität, Gewähr für termingerechte Erstellung und Ein- che Genehmigung abgestellt wird, kann jedoch nach bindung von Unternehmen aus den neuen Bundeslän- stichprobenartigen Nachfragen bei kommunalen Ge- dern mit in die Vergabeentscheidung einfließen sol- werbeordnungsämtern und Industrie- und Handels- len. kammern festgestellt werden, daß Fälle von Handel Außerdem wurde der sowjetischen Seite seit Pro- ohne gewerbliche Genehmigung höchstens vereinzelt grammstart verdeutlicht, daß die Bundesregierung auftreten. von einer überwiegenden Beauftragung deutscher Von, einem großen Umfang dieser widerrechtlichen Unternehmen ausgeht. Form des Handels kann nach den uns vorliegenden Die sowjetische Seite hat in der letzten Woche vor- Hinweisen nicht die Rede sein. geschlagen, alle Aufträge an ausländische Unterneh- Möglicherweise beruht der Verdacht eines umfäng- men zu vergeben, da sie nach sowjetischer Auffas- lichen sogenannten Schwarzhandels in den neuen sung die günstigsten Angebote abgegeben hätten. Bundesländern auf den nach der Wirtschafts- und Da diese Bewertung mit den gemeinsam erörterten Währungsunion schnell entstandenen sogenannten Ergebnissen der Ausschreibung und der vereinbarten Provisorien, wie u. a. großflächige Zeltmärkte, Nut- Vorgehensweise nicht im Einklang steht, hat die Bun- zung von Lagergebäuden und anderen Gebäuden als desregierung ihrerseits Vorschläge für die Vergabe Einzelhandelseinrichtungen, aber insbesondere auf vorgelegt, bei denen solche Unternehmen zum Zuge den in fast allen Gemeinden vorzufindenden Straßen- kommen sollten, die neben der Preiswürdigkeit auch märkten. Für die Straßenmärkte liegen in der Regel das Kriterium der Einbindung von Unternehmen in jedoch Ausnahmegenehmigungen der kommunalen den neuen Bundesländern erfüllt haben. Gewerbeordnungsämter vor. Entsprechend den vertraglich vereinbarten Regeln Aufgrund der teilweise geringen Personalkapazität wird sich jetzt der Gemeinsame Lenkungsausschuß der kommunalen Ämter kann es allerdings in Einzel- auf Ministerebene mit der Vergabe befassen, um ein fällen zum Auftreten des nicht genehmigten Straßen- Einvernehmen herzustellen. handels kommen. Diese provisorische Schaffung von neuen Einzel- handelsflächen muß vor allem auch vor dem Hinter- grund gesehen werden, daß die Verkaufsraumflächen Anlage 38 des Einzelhandels in den neuen Bundesländern nur 1 /3 der im früheren Bundesgebiet verfügbaren Flä- Antwort chen ausmachen und damit einem Mangel kurzfristig des Parl. Staatssekretärs Klaus Beckmann auf die Fra- begegnet werden soll. gen des Abgeordneten Klaus Kirschner (SPD) (Druck- Die Bundesregierung sieht deshalb keinen Anlaß, sache 12/488 Fragen 61 und 62) : besondere gesetzliche Maßnahmen zu ergreifen. Die Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung über im Aus- bestehenden gesetzlichen Möglichkeiten, das Auftre- land durchgeführte Trainingsprogramme der Firma Heckler & ten eines nicht genehmigten Straßenhandels zu unter- Koch (Oberndorf) im Zusammenhang mit dem Expo rt und der binden, reichen aus. Jedoch sollten die Kommunen, Vermarktung der von dieser Firma hergestellten Handfeuerwaf- deren Gewerbeordnungsbereich personelle Engpässe fen? aufweist, diese so schnell wie möglich beheben. Ist es üblich, daß deutsche Rüstungsfirmen im Ausland solche Trainingsprogramme durchführen, und welche solcher Pro- gramme und Firmen sind der Bundesregierung bekannt?

Zu Frage 61: Anlage 37 Der Bundesregierung ist bekannt geworden, daß Antwort die US-Tochtergesellschaft des deutschen Unterneh- des Parl. Staatssekretärs Klaus Beckmann auf die mens, Heckler & Koch, INC., Trainingsprogramme für Frage des Abgeordneten Ortwin Lowack (CDU/CSU) Heckler & Koch-Waffen in den USA durchführt. Teil- (Drucksache 12/488 Frage 60) : nehmer dieser Veranstaltung sind amerikanische Po- Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 25. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 14. Mai 1991 1839* lizei- und Militärangehörige. Derartige Trainingspro- Zu Frage 64: gramme werden in den USA auch von anderen Waf- Schuhschäfte und Leder werden nicht zum gleichen fenherstellern üblicherweise angeboten. Preis aus Indien eingeführt. Ausweislich der Außen- handelsstatistik (Spezialhandel) für das Jahr 1989 sind Zu Frage 62: die Preise für indische Schuhhalbfertigprodukte er- Der Bundesregierung sind Trainingsprogramme heblich höher als für indisches Leder. Von diesen dieser Art von anderen deutschen Herstellern nicht Preisunterschieden können damit keine negativen bekannt. Bei der Lieferung von militärischem Großge- Auswirkungen auf Arbeitsplätze in der deutschen rät ist es allerdings üblich, daß der Kunde vom Her- Schuhindustrie abgeleitet werden. steller ausführlich in die Bedienung, Handhabung Es ist aber bekannt, daß die indische Regierung den und Wartung der Waffensysteme eingewiesen wird. Export sowohl von Leder als auch von Schuhen durch staatliche Maßnahmen fördert. Die Kombination von natürlichen Standortvorteilen bei der Rohware und damit beim Leder sowie das extrem niedrige Lohn- niveau ist die eigentliche Ursache dafür, daß deutsche Anlage 39 Hersteller ihre Schuhhalbfertigprodukte in beträchtli- Antwort chem Umfang aus Indien beziehen. Die Bundesregie- rung und die EG beabsichtigen, das Thema Subven- des Parl. Staatssekretärs Klaus Beckmann auf die Fra- tionspolitik gegenüber Indien in der Uruguay-Runde gen der Abgeordneten Lydia Westrich (SPD) (Druck- zur Sprache zu bringen. sache 12/488 Fragen 63 und 64): Beabsichtigt die Bundesregierung, die Schuhexportförderung der Länder Argentinien, Kolumbien, Mexiko, Tunesien und Tür- kei durch die Zahlung von Zuschüssen zur Gestaltung der Län- dergemeinschaftsstände auf der Großen deutschen Schuhmu- sterschau (GDS) — wie bereits im März 1991 geschehen — auch für die Messe im September 1991 fortzusetzen, und wie recht- Anlage 40 fertigt sie diese Zahlungen angesichts der nicht subventionier- ten und nach wie vor in der Krise befindlichen deutschen Schuh- Amtliche Mitteilungen industrie? Wie beabsichtigt die Bundesregierung auf die Subventionspo- Der Bundesrat hat in seiner Sitzung am 26. April 1991 beschlossen, litik der indischen Regierung zu reagieren, die dazu führt, daß dem Gesetz über die Anpassung der Renten der gesetzlichen Renten- Schuhhalbfertigprodukte (z. B. Schäfte) aus Indien zum glei- versicherung und der Geldleistungen der gesetzlichen Unfallversi- chen Preis eingeführt werden können wie Rohleder, und wie cherung Im Jahre 1991 zuzustimmen. stellt sich die Bundesregierung unter diesen Umständen den Schutz von Arbeitsplätzen in der deutschen Schuhindustrie Der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses hat mitgeteilt, daß vor? der Ausschuß gemäß § 80 Abs. 3 Satz 2 der Geschäftsordnung von einer Berichterstattung zu den nachstehenden Vorlagen absieht:

Zu Frage 63: Drucksache 12/50 Die Bundesregierung ist grundsätzlich bereit, die Drucksache 12/65 Schuhexportförderung für die Länder Argentinien, Kolumbien, Mexiko, Tunesien und Türkei durch Zah- Die Vorsitzenden folgender Ausschüsse haben mitgeteilt, daß der Ausschuß die nachstehenden EG-Vorlagen zur Kenntnis genommen lung von Zuschüssen zur Gestaltung von Länderge- bzw. von einer Beratung abgesehen hat: meinschaftsständen auf der GDS Internationale Schuhmesse Düsseldorf auch im September 1991 fort- Auswärtiger Ausschuß Drucksache 12/157 Nr. 2.1 zusetzen. Innenausschuß Es ist Ziel der Entwicklungspolitik der Bundesregie- Drucksache 12/210 Nr. 31, 32 rung, die Entwicklungsländer in die arbeitsteilige Finanzausschuß Weltwirtschaft zu integrieren und ihnen dabei zu hel- Drucksache 12/210 Nr. 76 fen, ihre Produkte auf den Märkten der westlichen Länder zu verkaufen. Haushaltsausschuß Drucksache 11/360 Nr. 3.13, 2.13 Weitere Details dazu könnte das für die Messeför- Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten derung für Entwicklungsländer zuständige Ministe- Drucksachen 12/210 Nr. 118, 119, 121, 124 rium für wirtschaftliche Zusammenarbeit mitteilen. Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung Auf die Wettbewerbssituation der deutschen Drucksachen 12/152 Nr. 50-52 Schuhindustrie wirken sich die Fördermaßnahmen Drucksache 12/157 Nr. 2.30 zugunsten der genannten Länder kaum aus, weil Drucksachen 12/210 Nr. 135, 136 diese Länder bisher nur sehr geringe Mengen auf den Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit deutschen Markt exportieren und weil die Qualität Drucksache 12/210 Nr. 205 dieser Schuhe das Qualitätsniveau der deutschen Ausschuß für Forschung, Technologie und Technikfolgenab- Schuhproduktion noch nicht erreicht. schätzung Drucksache 12/152 Nr. 62 Im übrigen erhält die deutsche Schuhindustrie bei Drucksache 12/311 Nr. 2.21 Messebeteiligung im Ausland ebenfalls entspre- Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit chende finanzielle Unterstützung aus dem Auslands- Drucksache 12/152 Nr. 67 messetitel des Bundesministers für Wirtschaft. Drucksache 12/187 Nr. 2.24