Plenarprotokoll 12/76

Deutscher

Stenographischer Bericht

76. Sitzung

Bonn, Donnerstag, den 13. Februar 1992

Inhalt:

Begrüßung des Vorsitzenden des Obersten (Steueränderungsgesetz 1992) (Drucksa- Rates der Republik Litauen und seiner Dele- chen 12/1108, 12/1368, 12/1466, 12 /1506, gation 6273 A 12/1691, 12/2044) b) Beratung der Beschlußempfehlung des Glückwünsche zu den Geburtstagen der Ausschusses nach Artikel 77 des Grund- Abgeordneten Erika Reinhardt und Dr. gesetzes (Vermittlungsausschuß) zu dem 6273B Gesetz zur Aufhebung des Struktur- hilfegesetzes und zur Aufstockung des Namensänderung eines Ausschusses . 6273 B Fonds „Deutsche Einheit" (Drucksachen 12/1227, 12/1374, 12/1494, 12/1692, Nachträgliche Überweisung des 13. Subven- 12/2045) tionsberichts der Bundesregierung an den Hans H. Gattermann FDP ...... 6274 C Ausschuß für Forschung, Technologie und Technikfolgenabschätzung 6273 B Dr. Wolfgang Schäuble CDU/CSU . . . . 6276A Dr. Peter Struck SPD 6278B Erweiterung und Abwicklung der Tagesord- nung 6273C Dr. FDP . . . . . 6280 C Dr. Barbara Höll PDS/Linke Liste . . . 6282 A Tagesordnungspunkt 3: Nachwahl eines Mitglieds der Parlamen- (Berlin) Bündnis 90/GRÜNE 6282 D tarischen Kontrollkommission: Wahlvor- Gerhard Schröder, Ministerpräsident des schlag der Fraktion der CDU/CSU Landes Niedersachsen 6283 C (Drucksache 12/2034) 6273 D Dr. Theodor Waigel, Bundesminister BMF 6285 C Ergebnis der Wahl . 6287 D Namentliche Abstimmung 6287 D Zusatztagesordnungspunkt 2: Beratung des Antrags der Fraktion der Ergebnis 6293 B CDU/CSU: Entsendung eines Ersatzbe- werbers als Beobachter in das Europäi- Tagesordnungspunkt 5: sche Parlament (Drucksache 12/2056) 6274 B Beratung der Beschlußempfehlung des Ausschusses nach Artikel 77 des Grund- Tagesordnungspunkt 4: gesetzes (Vermittlungsausschuß) zu dem a) Beratung der Beschlußempfehlung des Gesetz über die Anpassung von Dienst- Ausschusses nach Artikel 77 des Grund- und Versorgungsbezügen in Bund und gesetzes (Vermittlungsausschuß) zu dem Ländern 1991 (Bundesbesoldungs- und Gesetz zur Entlastung der Familien und -versorgungsanpassungsgesetz 1991 — zur Verbesserung der Rahmenbedingun- BBVAnpG 91) (Drucksachen 12/732, gen für Investitionen und Arbeitsplätze 12/1455, 12/1693, 12/2006) 6288A II Deutscher — 12. Wahlperiode — 76. Sitzung. , Donnerstag, den 13. Februar 1992

Tagesordnungspunkt 6: b) Beratung der Beschlußempfehlung und Überweisungen im vereinfachten Ver- des Berichts des Ausschusses für Verkehr fahren zu der Unterrichtung durch die Bundesre- gierung: Vorschlag für eine Richtlinie a) Erste Beratung des von der Bundesre- des Rates über die Benennung und die gierung eingebrachten Entwurfs eines berufliche Befähigung eines Gefahrgut Gesetzes zur Änderung des Bürger- beauftragten in Unternehmen, die ge- lichen Gesetzbuchs (Bauhandwer- fährliche Güter befördern (Drucksachen kersicherungsgesetz) (Drucksache 12/1122 Nr. 3.16, 12/1980) 12/1836) b) Beratung des Antrags der Abgeordne- c) Beratung der Beschlußempfehlung ten Joachim Poß, Hans Gottfried Bern- des Petitionsausschusses: Sammelüber- rath, Dr. Ulrich Böhme (Unna), weite- sicht 44 zu Petitionen (Drucksache rer Abgeordneter und der Fraktion der 12/1957) SPD: Unterbindung der Geldwäsche d) Beratung der Beschlußempfehlung zur Bekämpfung der organisierten des Petitionsausschusses: Sammelüber- Kriminalität (Drucksache 12/1367) sicht 45 zu Petitionen (Drucksache c) Beratung des Antrags des Bundesmi- 12/1991) nister für Wirtschaft: Rechnungsle- e) Beratung der Beschlußempfehlung gung über das Sondervermögen des des Petitionsausschusses: Sammelüber- Bundes „Ausgleichsfonds zur Siche- sicht 46 zu Petitionen (Drucksache rung des Steinkohleneinsatzes" — 12/1992) 6288D Wirtschaftsjahr 1990 — (Drucksache 12/1905) d) Beratung des Antrags der Abgeordne- Tagesordnungspunkt 8: ten , Jan Oostergetelo, a) Beratung der Unterrichtung durch die Hans Gottfried Bernrath, weiterer Ab- Bundesregierung: Jahreswirtschaftsbe- geordneter und der Fraktion der SPD: richt 1992 der Bundesregierung (Druck- Für einen ethisch verantwortbaren sache 12/2018) Umgang mit Tieren (Drucksache 12/781) b) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung: Jahresgutachten 1991/ in Verbindung mit 92 des Sachverständigenrates zur Begut- achtung der gesamtwirtschaftlichen Ent- wicklung (Drucksache 12/1618) Zusatztagesordnungspunkt 3: - c) Beratung der Beschlußempfehlung und Erste Beratung des von den Fraktionen des Berichts des Ausschusses für Wirt- der CDU/CSU, SPD und FDP eingebrach- schaft ten Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Marktstrukturgesetzes — zu dem Entschließungsantrag der (Drucksache 12/2060) Fraktion der SPD — zu dem Entschließungsantrag der in Verbindung mit Fraktionen der CDU/CSU und FDP zu der Unterrichtung durch die Bundesre- Zusatztagesordnungspunkt 4: gierung Erste Beratung des von der Fraktion der Jahreswirtschaftsbericht 1991 der Bun- SPD eingebrachten Entwurfs eines Ge- desregierung — Drucksachen 12/223, setzes zur vorzeitigen Inkraftsetzung des 12/377, 12/391, 12/1521 — Marktstrukturgesetzes und darauf beru- d) Beratung der Beschlußempfehlung und hende Rechtsverordnungen im Beitritts- des Berichts des Ausschusses für Wirt- gebiet (Inkraftsetzungsgesetz) (Drucksa- schaft zu dem Antrag der Fraktion der che 12/1946) ...... 6288A SPD: Den Aufbau in den neuen Ländern vorantreiben — Investitionen fördern — Tagesordnungspunkt 7: Umwelt sanieren — Verwaltungskraft Abschließende Beratungen ohne Aus- stärken (Drucksachen 12/670, 12/1840) sprache a) Beratung der Beschlußempfehlung Jürgen W. Möllemann, Bundesminister und des Berichts des Ausschusses für BMWi 6289 D Umwelt, Naturschutz und Reaktorsi- cherheit zu dem Antrag der Fraktion Hans-Ulrich Klose SPD 6295 A der SPD: Finanzierung der Schiffsent- sorgung in deutschen Seehäfen nach CDU/CSU 6301 B MARPOL — Anlage I und II (Drucksa- chen 12/117, 12/1897) Dr. FDP . . . . . 6230 C

Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 76. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Februar 1992 III

Ingrid Matthäus-Maier SPD . 6304A, 6306D, Rechtliche Begründung für den Einsatz der 6328 B Bundesmarine in der „Godewind"-Affäre (Köln) SPD 6306B, 6320C, 6327 D MdlAnfr 58 SPD Dr. PDS/Linke Liste . . . 6309A Hans Martin Bury Werner Schulz (Berlin) Bündnis 90/GRÜNE 6311B Antw StM BK . 6344C Dr. Werner Münch, Ministerpräsident des ZusFr Hans Martin Bury SPD ...... 6344 C Landes Sachsen-Anhalt 6315A ZusFr Norbert Gansel SPD ...... 6344 D Wolfgang Roth SPD 6317 B ZusFr Hermann Bachmaier SPD . . . . . 6345 A Ernst Hinsken CDU/CSU 6318B Stopp des deutschen Frachters „Codewind" Dr. Otto Graf Lambsdorff FDP . 6318D, 6322C, mit Hilfe der Bundeswehr; Verzicht auf den 6328A Einsatz der BGS-Gruppe GSG 9 Michael Glos CDU/CSU 6319D, 6336C, 6337C MdlAnfr 59 Jürgen W. Möllemann FDP . . 6320A, 6336 D Ernst Schwanhold SPD CDU/CSU 6322 D Antw StM Bernd Schmidbauer BK . . . . 6345 B Wolfgang Roth SPD 6323 D ZusFr Ernst Schwanhold SPD ...... 6345 B Herbert Meißner SPD 6325C ZusFr Norbert Gansel SPD ...... 6345 C Josef Grünbeck FDP 6326 D Verhinderung des illegalen Transports von Dr. Walter Hitschler FDP 6327 D Kriegswaffen für Syrien durch den deutschen Dr. Fritz Schumann (Kroppenstedt) PDS/ Frachter „Godewind" noch vor Auslaufen Linke Liste 6330B aus dem Hamburger Hafen Ortwin Lowack fraktionslos 6331 D MdlAnfr 93, 94 Hermann Bachmaier SPD Dr. Hermann Pohler CDU/CSU . . . . 6333 C Antw StM Bernd Schmidbauer BK . . . 6346 A Anke Fuchs (Köln) SPD 6334 D ZusFr Hermann Bachmaier SPD . . . . 6346 A Friedhelm Ost CDU/CSU ...... . 6338A ZusFr Norbert Gansel SPD 6347 B Tagesordnungspunkt 2 (Fortsetzung): Fragestunde Verhinderung der Nutzung deutscher Ver- Transport von Kriegswaffen — Drucksache 12/2051 vom 7. Februar kehrswege zum 1992 — durch ausländische Spediteure Bernd Schmidbauer, Staatsminister BK . 6340 D MdlAnfr 50 Dieter Schloten SPD Norbert Gansel SPD 6341A Antw StM Bernd Schmidbauer BK . . . 6347 D Deutsch-israelische Kontakte im Zusammen- ZusFr Jürgen Koppelin FDP 6348 A hang mit der Godewind-Affäre ZusFr Norbert Gansel SPD 6348 B MdlAnfr 17 Hans Martin Bury SPD ZusFr Hermann Bachmaier SPD . . . . 6348 B 6342 A Antw StM Bernd Schmidbauer BK Verhaltenspflichten für in Polen verbliebene ZusFr Hans Martin Bury SPD . 6342 B Deutsche im Zustimmungsgesetz zum Nach- barschaftsvertrag mit Polen Zeitpunkt der Unterrichtung der CSFR über MdlAnfr 12 den Stopp des ungenehmigten Transports fraktionslos tschechoslowakischer Panzer durch die Bun- Ortwin Lowack desmarine; Veranlassung der Rückkehr der Antw StM Ursula Seiler-Albring AA . . . 6348 D Godewind durch die CSFR ZusFr Ortwin Lowack fraktionslos . . . . 6348 D MdlAnfr 18 Norbert Gansel SPD Beteiligung der Vertriebenen am Vertrag mit Antw StM Bernd Schmidbauer BK . . . . 6342 B der CSFR und Durchsetzung der Rechte der Sudetendeutschen nach der Unterzeichnung ZusFr Norbert Gansel SPD ...... 6342 C des Vertrages ZusFr Jürgen Koppelin FDP . . 6343 C MdlAnfr 13 ZusFr Ernst Schwanhold SPD 6343 D Ortwin Lowack fraktionslos ZusFr Dieter Schloten SPD 6344 A Antw StM Ursula Seiler-Albring AA . . . 6349A ZusFr Hermann Bachmaier SPD 6344 B ZusFr Ortwin Lowack fraktionslos . . . . 6349A

IV Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 76. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Februar 1992

Schaffung eines deutschen Zentrums in Hel- Tagesordnungspunkt 10: sinki, ggf. unter Verwendung des Gebäudes Beratung der Beschlußempfehlung des Pe- der ehemaligen DDR-Botschaft titionsausschusses: Sammelübersicht 36 (Pflanzenschutz) (Drucksa- MdlAnfr 14, 15 zu Petitionen che 12/1454) Albert Pfuhl SPD CDU/CSU 6361 C Antw StM Ursula Seiler-Albring AA 6349 C Susanne Kastner SPD ...... 6363 B ZusFr Albert Pfuhl SPD . . 6349 D Birgit Homburger FDP ...... 6365 A Übernahme der Richtlinien zur Rüstungs- Tagesordnungspunkt 11: exportkontrolle durch die osteuropäischen Staaten Beratung des Antrags der Abgeordneten Petra Bläss, Dr. Fritz Schumann (Krop- MdlAnfr 16 penstedt), Dr. Gregor Gysi und der Dieter Schloten SPD Gruppe der PDS/Linke Liste: Verstärkte Einflußnahme auf die Weiterbildung in Antw StM Ursula Seiler-Albring AA . 6350 C den neuen Bundesländern (Drucksache ZusFr Dieter Schloten SPD 6350 D 12/1795) Petra Bläss PDS/Linke Liste 6366C Bemühungen der Bundesregierung um Aus- Franz Romer CDU/CSU ...... 6367 C weisung Erich Honeckers aus der chileni- schen Botschaft in Moskau Konrad Gilges SPD ...... 6368B 6369B MdlAnfr 22 Dr. Margret Funke-Schmitt-Rink FDP . Jürgen Augustinowitz CDU/CSU Tagesordnungspunkt 13: Antw StM Ursula Seiler-Albring AA . 6351B Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung: ZusFr Jürgen Augustinowitz CDU/CSU 6351 C Stellungnahme der Bundesregierung zu dem Bericht „Empfehlungen der Exper- Kriterien für die Verkehrswertermittiung für tenkommission der Bundesregierung zur den von den US-Streitkräften geräumten Reform der Versorgung im psychiatri- Flugplatz Zweibrücken; US-Pläne für die schen und psychotherapeutisch/psycho- Sanierung somatischen Bereich" — auf der Grund- MdlAnfr 36 lage des Modellprogramms „Psychia- Lydia Westrich SPD trie" der Bundesregierung (Drucksache 11/8494) Antw PStSekr Dr. Joachim Grünewald , Bundesministerin BMG 6370C BMF 6352 A Dr. Hans-Hinrich Knaape SPD . 6371B, 6372B, ZusFr Lydia Westrich SPD ...... 6352B 6375D, 6378D Regina Schmidt-Zadel SPD ...... 6372 D Tagesordnungspunkt 9: Beratung des Antrags der Abgeordneten Uta Würfel FDP ...... 6375A Dr. Uwe Jens, Wolfgang Roth, Hans Ber- Dr. PDS/Linke Liste . . . 6376 D ger, weiterer Abgeordneter und der Frak- tion der SPD: Verstärkte Berücksichti- Editha Limbach CDU/CSU ...... 6377 C gung von ostdeutschen Betrieben bei der Klaus Kirschner SPD 6378 A Vergabe öffentlicher Aufträge (Drucksa- che 12/737) Horst Schmidbauer (Nürnberg) SPD . . 6379 C

Dr. Uwe Jens SPD 6352 D Nächste Sitzung ...... 6381C Hans-Ulrich Köhler (Hainspitz) CDU/CSU 6354 A Anlage 1 Dr. Fritz Schumann (Kroppenstedt) PDS/ Linke Liste 6355C Liste der entschuldigten Abgeordneten . . 6383* A Jürgen Türk FDP 6356 B Anlage 2 Klaus Beckmann, Parl. Staatssekretär BMWi 6357A Verzeichnis der Mitglieder des Deutschen Christian Müller (Zittau) SPD 6358 B Bundestages, die an der Wahl eines Mit- glieds der Parlamentarischen Kontrollkom- Ulrich Petzold CDU/CSU 6359D mission teilgenommen haben 6383* C

Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 76. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Februar 1992 V

Anlage 3 Anlage 9 Hilfsmaßnahmen für die von der irakischen Jährliche Kosten für die Stationierung der Politik besonders betroffenen Assyrer verbündeten Streitkräfte MdlAnfr 19, 20 — Drs 12/2051 — MdlAnfr 42 — Drs 12/2051 — Dr. Christian Ruck CDU/CSU Albrecht Müller (Pleisweiler) SPD SchrAntw StM Ursula Seiler-Albring AA . 6385 * B SchrAntw PStSekr Dr. Joachim Grünewald BMF 6387* A

Anlage 4 Anlage 10 Verzicht auf die Erhebung der Visumsge- bühr von 1 Rubel (= ca. 1,3 Pfennige) durch Sicherungsmaßnahmen für das ehemalige NVA-Objekt in Rhinow/Kreis Rathenow die deutsche Botschaft in Moskau (Land Brandenburg) MdlAnfr 21 — Drs 12/2051 — MdlAnfr 43 — Drs 12/2051 — SPD Dr. Hans-Hinrich Knaape SPD SchrAntw StM Ursula Seiler-Albring AA . 6385* C SchrAntw PStSekr Dr. Joachim Grünewald BMF . 6387* C Anlage 5 Kriterien für die Verkehrswertermittlung für Anlage 11 den von den US-Streitkräften geräumten Konsequenzen aus der Lieferung von Tech- Flugplatz Zweibrücken; US-Pläne für die niken für nukleare und chemische Auf- Sanierung rüstung deutscher Firmen in den Iran MdlAnfr 37 — Drs 12/2051 — MdlAnfr 44, 45 — Drs 12/2051 — Lydia Westrich SPD SPD SchrAntw PStSekr Dr. Joachim Grünewald SchrAntw PStSekr Klaus Beckmann BMWi 6387* D BMF 6386* A

Anlage 12 Anlage 6 Bereitstellung von Liquiditätshilfen (im Zu- Abbau der „Neujahrsfalle" bei der Förde- sammenhang mit Hermes-Bürgschaften) für rung von selbst genutztem Wohneigentum existenzbedrohte Unternehmen in den neuen Bundesländern, die hauptsächlich mit MdlAnfr 38 — Drs 12/2051 — den ehemaligen RGW-Staaten gehandelt Gabriele Iwersen SPD haben SchrAntw PStSekr Dr. Joachim Grünewald MdlAnfr 46, 47 — Drs 12/2051 — BMF 6386* A Jürgen Türk FDP SchrAntw PStSekr Klaus Beckmann BMWi 6388* A Anlage 7 Erhaltung unverkäuflicher Ostbetriebe Anlage 13 durch Beteiligungen westdeutscher Kon- Anzahl der von ostdeutschen Schiffswerften zerne; Ausgabe von Volksaktien in den fertiggestellten Schiffsneubauten für die neuen Bundesländern ehemalige UdSSR, deren Finanzierung un- MdlAnfr 39, 40 — Drs 12/2051 — geklärt ist; Vereinbarung eines Abkommens Manfred Kolbe CDU/CSU über Fischereifangrechte mit einzelnen GUS-Staaten SchrAntw PStSekr Dr. Joachim Grünewald BMF 6386* C MdlAnfr 48, 49 — Drs 12/2051 — Michael von Schmude CDU/CSU SchrAntw PStSekr BMWi . . 6388* C Anlage 8 Arbeitsplatzverluste von Zivilbediensteten bei den US-Streitkräften bis 1995; Verteilung Anlage 14 des Personalabbaus auf die Regierungsbe- Herausstellung der Bedeutung der Rü- zirke Bayerns stungskonversion; Förderung der Konver- sion in Osteuropa und der GUS MdlAnfr 41 — Drs 12/2051 — SPD MdlAnfr 51, 52 — Drs 12/2051 — (Wiesloch) SPD SchrAntw PStSekr Dr. Joachim Grünewald BMF . 6386* D SchrAntw PStSekr Klaus Beckmann BMWi 6388* D

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Anlage 15 Anlage 21 Sicherstellung der unverzüglichen Auszah- Ursachen für die Zunahme der Wehrdienst- lung von Leistungen der Arbeitsämter ange- verweigerungen sichts der angestiegenen Zahl der Arbeitslo- sen in den neuen Bundesländern MdlAnfr 63 — Drs 12/2051 — Hans Wallow SPD MdlAnfr 53, 54 — Drs 12/2051 — Regina Kolbe SPD SchrAntw PStSekr Willy Wimmer BMVg . 6391* B SchrAntw PStSekr BMA 6389* B Anlage 22 Anlage 16 Verlegung der bisher in Bremgarten statio- nierten SAR-Hubschrauber der Bundeswehr; Genehmigung von Arbeitsbeschaffungs- weitere Betreuung des südbadischen Raums maßnahmen jeweils nur noch für sechs um Freiburg Monate angesichts der hohen Arbeitslosig- keit in den neuen Bundesländern, insbeson- MdlAnfr 64, 65 — Drs 12/2051 — dere im Kreis Rathenow (Land Branden- SPD burg) SchrAntw PStSekr Willy Wimmer BMVg 6391* C MdlAnfr 55 — Drs 12/2051 — Dr. Hans-Hinrich Knaape SPD SchrAntw PStSekr Horst Seehofer BMA . 6389* D Anlage 23 Weitere Elbequerung für den Schienenver- kehr zur Beseitigung des Engpasses Ham- Anlage 17 burg; Anbindung an die Autobahnen Initiative der bayerischen Landesregierung MdlAnfr 74, 75 — Drs 12/2051 zur Durchsetzung der Hilfen zur häuslichen SPD —Antje-Marie Steen Pflege SchrAntw PStSekr Dr. BMV 6392* A MdlAnfr 56 — Drs 12/2051 — Dr. SPD SchrAntw PStSekr Horst Seehofer BMA . 6390'B Anlage 24 Aussparung von Gebieten für die Elbeque- rung westlich von Hamburg aus ökologi- Anlage 18 - schen Gründen; Verkehrsaufkommen bei Gleichbehandlung der Berufssoldaten bei den unterschiedlichen Varianten Beantragung des Vorruhestands nach dem 30. März 1992 MdlAnfr 76, 77 — Drs 12/2051 — Ulrike Mehl SPD MdlAnfr 57 — Drs 12/2051 — Heribert Scharrenbroich CDU/CSU SchrAntw PStSekr Dr. Dieter Schulte BMV 6392* C SchrAntw PStSekr Willy Wimmer BMVg 6390* C Anlage 25 Anlage 19 Verbindung einer Küstenautobahn Cuxha- ven-Hamburg mit einer Elbequerung west- Anwendbarkeit der aus der Gesamtentwick- lich von Hamburg; Varianten einer weiteren lung des Jägers 90 gewonnenen technologi- Elbequerung als Grundlage für wissen- schen Erkenntnisse für zivile Forschungs-, schaftliche Untersuchungen Entwicklungs- und Produktionsbereiche MdlAnfr 78, 79 — Drs 12/2051 — MdlAnfr 60 — Drs 12/2051 — Manfred Opel SPD Dr. FDP SchrAntw PStSekr Willy Wimmer BMVg . 6390* C SchrAntw PStSekr Dr. Dieter Schulte BMV 6392* D

Anlage 20 Anlage 26 Kritik am Jagdbomber MRCA-Tornado; Re- Bevorzugung des Baus einer weiteren Elbe- duzierung der Mittel für die Entwicklung querung vor dem Bau eines weiteren Elbe eines Störsenders tunnels westlich von Hamburg MdlAnfr 61, 62 — Drs 12/2051 — MdlAnfr 80, 81 — Drs 12/2051 — SPD Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast SPD SchrAntw PStSekr Willy Wimmer BMVg . 6391* A SchrAntw PStSekr Dr. Dieter Schulte BMV 6393* A Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 76. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Februar 1992 VII

Anlage 27 Anlage 33 Verzicht auf einen vierten Elbtunnel zugun- Unfallhäufigkeit an Bahnübergängen Elbequerung westlich sten einer weiteren MdlAnfr 95 — Drs 12/2051 — von Hamburg; Verkehrsaufkommen nach Wolfgang Börnsen (Bönstrup) CDU/CSU Fertigstellung des vierten Tunnels SchrAntw PStSekr Dr. Dieter Schulte BMV 6394* B MdlAnfr 82, 83 Drs 12/2051 — Reinhold Hiller (Lübeck) SPD Anlage 34 SchrAntw PStSekr Dr. Dieter Schulte BMV 6393* A Ursache des Zugunglücks bei Lehrte am 24. Januar 1992; Arbeitsbedingungen der Anlage 28 Lokomotivführer, insbesondere im Bereich Zeitrahmen für die Lösung der Verkehrspro- Hannover bleme im Hamburger Raum, insbesondere MdlAnfr 96, 97 — Drs 12/2051 — beim Bau einer weiteren Elbquerung SPD MdlAnfr 84, 85 — Drs 12/2051 — SchrAntw PStSekr Dr. Dieter Schulte BMV 6394* C Dr. SPD SchrAntw PStSekr Dr. Dieter Schulte BMV 6393* B Anlage 35 Abtrennung der Raucher- und Nichtraucher- Anlage 29 bereiche in ICE-/EC-/IC-Großraumwagen, Bau eines Autobahnrings rund um die Han- z. B. durch Glastrennwände sestadt Hamburg mit einer nördlichen Tras- MdlAnfr 98 — Drs 12/2051 — senführung durch Schleswig-Holstein; Ent- Dr. Olaf Feldmann FDP wicklung der Verkehrsdichte auf den Bun- desstraßen 206 und 404 in den nächsten fünf SchrAntw PStSekr Dr. Dieter Schulte BMV 6395* A bis zehn Jahren bei Verzicht auf den Bau des vierten Elbtunnels Anlage 36 MdlAnfr 86, 87 — Drs 12/2051 — Sicherung der Unparteilichkeit der Planfest- Günther Heyenn SPD stellungsbehörde im Planfeststellungsver- SchrAntw PStSekr Dr. Dieter Schulte BMV 6393* C fahren der Hochgeschwindigkeitsstrecke Hannover-Berlin; Alternativen zur Südum- fahrung von Stendal Anlage 30 Endgültige Aussage der Bundesregierung MdlAnfr 100, 101 — Drs 12/2051 — - (Stendal) SPD über die Reihenfolge der Verwirklichung der Reinhard Weis Projekte Elbtunnel und Elbquerung SchrAntw PStSekr Dr. Dieter Schulte BMV 6395* B MdlAnfr 88 — Drs 12/2051 — Norbert Gansel SPD Anlage 37 SchrAntw PStSekr Dr. Dieter Schulte BMV 6393* C Verzögerungen bei der Fertigstellung der Lärmschutzanlagen im Bereich des Flugha- Anlage 31 fens München 11 Trassenführung für Anbindungen der Elbe- MdlAnfr 102 — Drs 12/2051 — querung westlich von Hamburg Horst Kubatschka SPD MdlAnfr 89, 90 — Drs 12/2051 — SchrAntw PStSekr Dr. Dieter Schulte BMV 6395* C Hans-Joachim Hacker SPD SchrAntw PStSekr Dr. Dieter Schulte BMV 6393* D Anlage 38 Überprüfung der Privatverträge im Zusam Anlage 32 menhang mit dem Neckarhafen Plochingen Äußerungen des Bundesumweltministers MdlAnfr 103 — Drs 12/2051 — Dr. Töpfer zur Dringlichkeit des Weiterbaus Dr. Wolfgang Weng (Gerlingen) FDP der A 8 von Merzig-Wellingen bis zur SchrAntw PStSekr Dr. Dieter Schulte BMV 6395* D Luxemburger Grenze; Gespräch saarländi- scher Bundestagsabgeordneter mit dem Anlage 39 BMV über die ortsdurchfahrtsfreie Verbin- dung zwischen der A 620 bei Saarlouis und Realisierung einer umweltgerechten Ver- dem Autobahnkreis St. Avoid einschließlich kehrspolitik gemäß der Forderung von Bun- einer Querspanne zur B 51 desumweltminister Dr. Töpfer MdlAnfr 91, 92 — Drs 12/2051 — MdlAnfr 104 — Drs 12/2051 — SPD Albrecht Müller (Pleisweiler) SPD SchrAntw PStSekr Dr. Dieter Schulte BMV 6393* D SchrAntw PStSekr Dr. Dieter Schulte BMV 6396* C

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76. Sitzung

Bonn, den 13. Februar 1992

Beginn: 9.00 Uhr

Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Meine Damen und Interfraktionell ist ferner vereinbart worden, die Herren, die Sitzung ist eröffnet. verbundene Tagesordnung zu erweitern. Die Punkte sind in der Ihnen vorliegenden Zusatzpunktliste auf- Ich begrüße zunächst ganz herzlich auf der Tribüne geführt: den Vorsitzenden des Obersten Rates der Republik Litauen, Herrn Vytautas Landsbergis, mit seiner Dele- 1. Aktuelle Stunde: Dramatische Abnahme der Ozonschicht gation. und politische Konsequenzen 2. Beratung des Antrags der Fraktion der CDU/CSU: Entsen- (Beifall im ganzen Hause) dung eines Ersatzbewerbers als Beobachter in das Europäi- sche Parlament — Drucksache 12/2056 — Herr Vorsitzender, Sie weilen seit Montag in Bonn. 3. Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU, SPD Sie haben zahlreiche Gespräche geführt. Ich denke, und FDP eingebrachten Entwurfs eines Dritten Gesetzes

Ihr Aufenthalt heute morgen im Parlament ist zugleich zur Änderung des Marktstrukturgesetzes — Drucksache ein Zeichen der Verbundenheit mit unserem Parla- 12/2060 — ment, aber insbesondere mit denjenigen, die seit 4. Erste Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Anbeginn Ihre Unabhängigkeitsbestrebungen durch- Entwurfs eines Gesetzes zur vorzeitigen Inkraftsetzung des gängig begleitet haben, Sie in den schweren Tagen Marktstrukturgesetzes und darauf beruhende Rechtsverord- nungen im Beitrittsgebiet (Inkraftsetzungsgesetz) — Druck- unterstützt haben. Wir hoffen, daß Ihr Land eine gute, sache 12/1946 — demokratische, eigenständige Entwicklung nimmt 5. Beratung des Antrags der Abgeordneten Heinz-Günter Barg- und daß die deutsch-baltischen und die deutsch- frede, Dr. , , weiterer Abgeordneter litauischen Beziehungen besonders gut gedeihen. und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Viel Erfolg bei Ihrem Besuch in der Bundesrepu- Ulrich Irmer, Günther Friedrich Nolting, Dr. , blik. weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Rüstungs- kontrolle und Abrüstung nach Ende des Ost - West - Konflikts (Beifall im ganzen Hause) — Drucksache 12/2076 — Fortsetzung6. Beratung des der Antrags der Fraktion der SPD:

Meine Damen und Herren, zunächst möchte ich Abrüstungspolitik nach der Auflösung der UdSSR — Druck- Frau Kollegin Erika Reinhardt, die am 30. Januar sache 12/2067 — 1992 ihren 60. Geburtstag feierte, und Herrn Kollegen 7. Beratung des Antrags der Abgeordneten Katrin Fuchs (Verl), Dr. Horst Ehmke, der am 4. Februar 1992 seinen Edelgard Bulmahn, Karsten D. Voigt (), weiterer 65. Geburtstag feierte, nachträglich die besten Glück- Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Hilfen für die Gemeinschaft Unabhängiger Staaten bei der Rüstungskon- wünsche des Hauses aussprechen. version und der Stärkung des Non-Proliferationsregimes — Drucksache 12/2068 — (Beifall im ganzen Hause) Bei Zusatzpunkt 3 soll von der Frist für den Beginn Sodann gebe ich bekannt, daß der Ausschuß für der Beratung abgewichen werden. Fremdenverkehr einmütig beschlossen hat, sich künf- Außerdem ist interfraktionell vereinbart worden, tig „Ausschuß für Fremdenverkehr und Tourismus" Tagesordnungspunkt 12 — Einsetzung einer En- zu nennen. quete-Kommission — erst am Freitag nach der Bera- (Heiterkeit) tung der Anträge zur Abrüstung und Rüstungskon- trolle aufzurufen. — Übrigens haben dem alle Fraktionen zugestimmt. Sind Sie damit einverstanden? — Das ist der Fall. Ich gehen davon aus, daß sich kein Widerspruch im Dann ist dies beschlossen. Hause erhebt. — Dann ist es so beschlossen. Der Dreizehnte Subventionsbericht der Bundesre- Ich rufe Tagesordnungspunkt 3 auf: gierung auf Drucksache 12/1525, der bereits in der Nachwahl eines Mitglieds der Parlamentari- 70. Sitzung des Bundestages überwiesen wurde, soll schen Kontrollkommission nachträglich auch dem Ausschuß für Forschung, Technologie und Technikfolgenabschätzung zur Mit- Wahlvorschlag der Fraktion der CDU/CSU beratung überwiesen werden. — Drucksache 12/2034 — 6274 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 76. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Februar 1992

Präsidentin Dr. Rita Süssmuth Die Fraktion der CDU/CSU schlägt auf Drucksache b) Beratung der Beschlußempfehlung des Aus- 12/2034 vor, den Abgeordneten Johannes Gerster schusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes (Mainz) als Nachfolger für den ausgeschiedenen Kol- (Vermittlungsausschuß) zu dem Gesetz zur legen Dr. Paul Laufs zu wählen. Aufhebung des Strukturhilfegesetzes und zur Bevor wir zur Wahl kommen, bitte ich um Ihre Aufstockung des Fonds „Deutsche Einheit" Aufmerksamkeit für einige Hinweise zum Verfahren. — Drucksachen 12/1227, 12/1374, 12/1494, Die erforderlichen Stimmkarten wurden am Eingang 12/1692, 12/2045 — und im Saal verteilt. Für die Wahl benötigen Sie Berichterstattung: außerdem Ihren Wahlausweis, den Sie, soweit noch Abgeordneter Hans H. Gattermann nicht geschehen, jetzt noch Ihrem Schließfach in der Eingangshalle entnehmen können. Ich weise darauf hin, daß über die Beschlußempfeh- Gewählt ist, wer die Stimmen der Mehrheit der lung nachher namentlich abgestimmt werden soll. Mitglieder des Bundestages auf sich vereint, d. h. Zunächst hat zur Berichterstattung der Kollege mindestens 332 Stimmen erhält. Stimmkarten, die Hans Gattermann das Wort. mehr als ein Kreuz, andere Namen oder Zusätze enthalten, sind ungültig. Die Wahl ist nicht geheim; Sie können die Stimm- Hans H. Gattermann (FDP): Verehrte Frau Präsiden- karten deshalb auch an Ihren Plätzen ankreuzen. tin! Meine Damen! Meine Herren! Liebe Kollegen! Bevor Sie die Stimmkarte in eine der aufgestellten Die Ihnen heute zur Abstimmung vorliegende Wahlurnen werfen, geben Sie bitte Ihren Wahlaus- Beschlußempfehlung des Ausschusses nach Art. 77 weis dem Schriftführer. Die Abgabe des Wahlauswei- des Grundgesetzes basiert auf einer Mehrheitsent- ses gilt als Nachweis der Teilnahme an der Wahl. scheidung von 16 zu 14 Stimmen. Ich bitte jetzt die Schriftführer, die vorgesehenen (Dr. Peter Struck [SPD]: Leider!) Plätze einzunehmen. Es ist bekannt und offensichtlich, daß sich Mehrheit Ich eröffne die Wahl. — und Minderheit nicht jeweils aus den Mitgliedern der Ich frage, ob alle Mitglieder des Hauses, auch die Verfassungsorgane Bundestag und Bundesrat darstel- Schriftführer, ihre Stimmkarten abgegeben haben. len, sondern parteipolitisch geprägt sind. (Zurufe: Nein!) Die zur Entscheidung anstehende Beschlußempfeh- Ich frage ein letztes Mal: Sind jetzt alle Stimmkarten lung führt die beiden Gesetze, um die es geht, wegen abgegeben? — Ich höre, es haben alle ihre Stimmkar- des untrennbaren finanziellen Zusammenhanges zu ten abgegeben. Damit schließe ich die Wahl und bitte einer einheitlichen Abstimmung zusammen, so daß die Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Bundesrat und Bundestag zu beiden Gesetzen nur Wir setzen jetzt die Beratungen fort. Das Wahler- einheitlich ja oder nein sagen können. gebnis gebe ich später bekannt.*) Es gab zu den in diesem Hohen Hause verabschie- deten Gesetzen keine konkreten Anrufungsbegehren Ich rufe Zusatztagesordnungspunkt 2 auf: des Bundesrates. Zu beiden Gesetzen war der Ver- Beratung des Antrags der Fraktion der CDU/ mittlungsausschuß global angerufen. Ich berichte CSU Ihnen deshalb nur über die Punkte, in denen die Entsendung eines Ersatzbewerbers als Beob- Beschlußempfehlung von den im Deutschen Bundes- achter in das Europäische Parlament tag beschlossenen Gesetzen abweicht, über unverän- — Drucksache 12/2056 — derte Punkte nur insoweit, als die öffentliche Diskus- sion über Änderungs- und Ablehnungswünsche der Die Fraktion der CDU/CSU schlägt vor, Herrn Erläuterung bedarf. Dr. Albert Kosler für den ausgeschiedenen Herrn Wolfgang Fiedler als Beobachter in das Europäische Erstens. Die Aufhebung des Strukturhilfegesetzes Parlament zu entsenden. Ist das Haus damit einver- zum 31. Dezember 1991 bleibt unverändert. Die vor- standen? — Das ist offensichtlich der Fall. Somit ist gesehene Abschlußzahlung an die Länder wird von Herr Dr. Albert Kosler als Beobachter in das Europäi- 600 Millionen DM auf 800 Millionen DM erhöht. sche Parlament entsandt. Zweitens. Statt der vorgesehenen Aufstockung der Mittel des Fonds Deutsche Einheit — Stichwort: Ver- Ich rufe Tagesordnungspunkt 4 auf: stetigung —, die für die Jahre 1993 und 1994 nur um a) Beratung der Beschlußempfehlung des Aus- jeweils 5,9 Milliarden DM vorgesehen war, sind dies schusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes nunmehr 11,5 Milliarden DM im Jahre 1993 und (Vermittlungsausschuß) zu dem Gesetz zur Ent- 13,9 Milliarden DM im Jahre 1994. Außerdem soll lastung der Familien und zur Verbesserung der jeweils im ersten Halbjahr des Vorjahres überprüft Rahmenbedingungen für Investitionen und werden, ob weitere Aufstockungen der Fondsmittel Arbeitsplätze (Steueränderungsgesetz 1992 — für die Erreichung des Ziels einer weiteren Anglei- StÄndG 1992) chung der Lebensverhältnisse in den neuen Bundes- — Drucksachen 12/1108, 12/1368, 12/1466, ländern notwendig sind. 12/1506, 12/1691, 12/2044 — Drittens. Die Finanzierung dieser Fondsaufstok- Berichterstattung: kung erfolgt in den Jahren 1993 und 1994 durch die Abgeordneter Hans H. Gattermann Mehreinnahmen aus der Anhebung der Umsatzsteuer von 14 % auf 15 %. Darüber hinaus zahlt der Bund *) S. 6287D jeweils eine weitere Milliarde DM in diesen Fonds. Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 76. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Februar 1992 6275

Hans H. Gattermann Dieser Punkt ist das politische und finanzielle Kern- tigkeit, aber alles mit der Finanzbelastung des Bundes stück des Vermittlungsergebnisses. Es unterstreicht und der Länder zu tun hat. die Priorität der Aufgabe, die glücklich errungene (Unruhe) staatliche Einheit auch gesellschaftlich, ökonomisch und sozial zu verwirklichen. Zugleich wird die gesamtstaatliche Verantwortlichkeit von Bund und Ländern für die Erfüllung dieser Aufgabe unterstri- Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Liebe Kolleginnen chen. Schließlich beinhaltet das finanzpolitische und Kollegen, ich möchte Sie bitten, bei dieser wich- Signal, daß diese Aufgabe nicht durch weitere Kapi- tigen Sache doch zuzuhören; denn sonst vermittelt talmarktfinanzierung oder durch die schlicht spekula- sich wirklich ein falscher Eindruck. tive Hoffnung auf weitere Bundesbankgewinne finan- ziert werden kann und soll. Viertens. Die Beschlußempfehlung enthält im Rah- men einer Änderung des Finanzausgleichgesetzes die Hans H. Gattermann (FDP): Herzlichen Dank, Frau sich aus der dargestellten Fondsfinanzierung erge- Präsidentin. benden Konsequenzen. Darüber hinaus sieht die Ich würde dem Bundesminister der Finanzen emp- Änderung des Finanzausgleichgesetzes eine deutli- fehlen, hierzu einmal Modellrechnungen erstellen zu che Verbesserung der Finanzausstattung der Länder lassen, um einer Legendenbildung vorzubeugen. — hier insbesondere der Westländer — dadurch vor, (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) daß sich der Länderanteil am Mehrwertsteueraufkom- men in den Jahren 1993 und 1994 gegenüber der Achtens. Ich habe noch nachzutragen, daß mit der geltenden Rechtslage um 2 % von 35 % auf 37 % Neuregelung der Umsatzsteuerverteilung zwischen erhöht. Das entspricht einem Betrag von ca. 4,4 Milli- Bund und Ländern die Zusage des Bundes aus dem arden DM. Vermittlungsverfahren zum Steueränderungsgesetz 1991 zu Barleistungen im Rahmen eines Konversions- Fünftens. Bei der sogenannten ersten Stufe der gemeinschaftsprogrammes von Bund und Ländern Unternehmensteuerreform werden eine deutliche erledigt sein soll. Es bleibt allerdings bei der Zusage Volumenreduzierung und eine Akzentverschiebung verbilligter Grundstücksabgaben. Ein wesentliches vorgeschlagen. Auf die Abschaffung der Gewerbeka- Motiv für diesen Vorschlag war und ist, daß in den pitalsteuer wird zur Zeit verzichtet. Allerdings soll Fachressorts des Bundes und der Länder inzwischen diese Steuer in den neuen Bundesländern bis 1994 die Erkenntnis gewachsen ist, daß solche Gemein- nicht erhoben werden. Auch bei der Reform der chaftsfinanzierungsprogramme im wesentlichen Zeit- betrieblichen Vermögensteuer sind nur noch die verzögerungen und Bürokratieaufwand produzie- Übernahme der Steuerbilanzwerte in die Vermögens- ren. aufstellung und die Anhebung des Freibetrages auf (Beifall bei der FDP) 500 000 DM vorgesehen. Dagegen soll insbesondere- im Interesse des Mittelstandes die Gewerbeertrag- Meine Damen und Herren, erlauben Sie mir eine steuersenkung großzügiger als bisher vorgesehen ganz persönliche Anmerkung außerhalb meiner ausfallen. Berichterstatterrolle. Ich möchte an die Mehrheit Das gesamte Entlastungsvolumen reduziert sich dieses Hauses und an die Mehrheit des Bundesrates dadurch auf rund 3,8 Milliarden DM. Da dieses finan- appellieren, dieses Gesetzespaket nicht scheitern zu ziert war durch den Abbau von steuerlichen Vergün- lassen. stigungen und Gestaltungsmöglichkeiten, wäre unter (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) dem Strich bei dieser Volumenreduzierung eine Ich verzichte darauf, die schlimmen Wirkungen für die Mehrbelastung der Wirtschaft herausgekommen. Familien, für die Unternehmen, für die Bauwilligen, Deshalb enthält der Vorschlag den Verzicht auf drei für die steuerberatenden Berufe, für die Lohnbuchhal- solcher Maßnahmen: die Verschlechterung der de- tungen der Unternehmen, für die Finanzierung der gressiven Abschreibung bei Wirtschaftsgebäuden, die Aufbauarbeit in den neuen Bundesländern und, last Anhebung des Pauschsteuersatzes bei Teilzeitbe- but not least, für die Steuerverwaltungen auszumalen. schäftigten und bei Leistungen des Arbeitgebers für Ich will nur sagen, daß das aus meiner Sicht nicht zu die Zukunftssicherung. verantworten ist. Sechstens. Die Gewerbesteuerumlage zum Aus- (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) gleich der Steuerausfälle der Gemeinden soll nun- mehr um 24 Punkte auf 28 % erfolgen. Außerdem Ein Zweites: Art. 77 des Grundgesetzes ist das sollen die 3 Milliarden DM für die Gemeinden im Angebot unserer Verfassung, Konflikte zwischen Rahmen des Gemeindeverkehrsfinanzierungsgeset- Bundesrat und Bundestag aufzulösen. zes — abweichend von den Beschlüssen dieses Hohen (Zuruf von der SPD: 1980!) Hauses — auch in den Jahren 1994 und 1995 gezahlt werden. — Dies ist der Inhalt des Art. 77 des Grundgesetzes. — Wenn aber Parteipräsidien — vor denen ich die Siebtens. Beim Familienlastenausgleich ergeben allergrößte Hochachtung habe, wie mir jedermann sich keine Änderungen gegenüber dem vom Bundes- abnehmen mag — dazu übergehen, die Entschei- tag beschlossenen Gesetz. Lassen Sie mich in diesem dungskompetenz in allen Fragen dieses Landes, bis Zusammenhang darauf hinweisen, daß dieses nur in hin in die letzten Auflösungsmechanismen der Ver- begrenztem Umfang etwas mit Verteilungsgerech fassung für Konfliktfälle, durch welche Druckkulissen 6276 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 76. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Februar 1992

Hans H. Gattermann auch immer ausüben wollen, dann halte ich Mehrwertsteuer nicht funktionieren könne. Das alles das — — ist wahr, und es ist so. (Widerspruch bei der SPD — Hans-Ulrich (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Klose [SPD]: Gehört das zur Berichterstat tung?) Wenn wir also die Mehrwertsteuer um diesen einen Prozentpunkt zwingend erhöhen müssen, dann sollen — Verehrter Herr Klose, wenn Sie mir zugehört hätten nach der Beschlußempfehlung die entsprechenden — was Sie bei einem simplen Bericht offenbar nicht Mittel ausschließlich dazu verwendet werden, den tun —, hätten Sie die Überleitungsfloskel bemerkt, Fonds Deutsche Einheit aufzustocken. daß ich mir erlaube, eine einzige persönliche Berner- kung zu machen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — (Hans-Ulrich Klose [SPD]: Das ist aber nicht Zuruf von der SPD: Steuerlüge!) erlaubt!) Das Aufkommen aus dieser Steuererhöhung wird also Diese Bemerkung beinhaltet, daß sich dann, wenn in voller Höhe der ostdeutschen Bevölkerung zugute sich dies so fortsetzt — ich sage das nicht nur an die kommen. Adresse der Sozialdemokratischen Partei, verehrter (Beifall bei der CDU/CSU) Herr Klose, ich sage das gegenüber dem ganzen Hohen Hause —, wenn dies so Schule macht und Niemand wird dagegen sein können, wenn auf wenn das auf dem Rücken des Volkes passiert, nie- diese Weise den ostdeutschen Ländern dringend mand darüber wundern sollte, daß die Parteiverdros- benötigte Mittel an die Hand gegeben werden, um die senheit in diesem Lande zunimmt. Lebensverhältnisse der Bürger im Osten möglichst (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) rasch an die im Westen angleichen zu können, um die Wirtschaft weiter anzukurbeln und zusätzliche Arbeitsplätze zu schaffen. Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Als nächster spricht Der Bund ist mit dem Einigungsvorschlag des Ver- Dr. Wolfgang Schäuble. mittlungsausschusses allen Beteiligten weit entge- gengekommen.

Dr. Wolfgang Schäuble (CDU/CSU): Frau Präsiden- (Dr. Herta Däubler-Gmelin [SPD]: Auch das tin! Meine Damen und Herren! Die CDU/CSU-Frak- ist nicht richtig!) tion stimmt der Beschlußempfehlung des Vermitt- Die Länder werden in den Jahren 1993 und 1994 statt lungsausschusses zum Steueränderungsgesetz 1992 mit 35 % mit 37 % am Mehrwertsteueraufkommen zu. beteiligt. Damit erhalten die Bundesländer praktisch Ich möchte hierzu folgendes erklären. Es ist in der den auf sie entfallenden Anteil an der Mehrwertsteu- Europäischen Gemeinschaft beschlossene Sache, ererhöhung — und das zu Lasten des Bundes. Für den - einen Mehrwertsteuersatz von mindestens 15 % in Bund bedeutet das Ergebnis in den Jahren bis 1994 allen Ländern der Gemeinschaft verbindlich einzu- insgesamt eine Mehrbelastung von fast 19 Milliarden führen. DM. (Dr. Herta Däubler-Gmelin [SPD]: Falsch!) Mit dem Beschluß des Vermittlungsausschusses Die entsprechende Richtlinie wird noch im April gelingt uns der Einstieg in die dringend notwendige formelle Rechtskraft erlangen. Die Bundesrepublik Reform der Unternehmensbesteuerung in der Bun- Deutschland ist wie alle anderen Mitgliedstaaten desrepublik Deutschland. Durch die vorgeschlagenen gezwungen, diese Richtlinie in nationales Recht Steueränderungen werden die Bet riebe um jährlich umzusetzen. mehr als 4 Milliarden DM entlastet. Wir sichern auf diese Weise den Investitionsstandort Deutschland in (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) einer Zeit scharfer internationaler Konkurrenz. Darauf hat jüngst die zuständige Kommissarin Chri- stiane Scrivener unmißverständlich hingewiesen. (Dr. Herta Däubler-Gmelin [SPD]: Auch das ist falsch!) (Dr. Herta Däubler-Gmelin [SPD]: Unwahr heit!) Dies ist Voraussetzung, um die großen Chancen Zu diesem Ergebnis ist zu seiner eigenen Überra- nutzen zu können, die sich unserer Wirtschaft im schung auch der saarländische Ministerpräsident Europäischen Binnenmarkt bieten. gekommen, nachdem er den Entwurf, der bekanntlich Die vorgesehene Erhöhung des Kindergeldes und auf einen Beschluß vom letzten Herbst zurückgeht, des Kinderfreibetrags ist ein weiterer wichtiger jüngst gelesen hat. Schritt auf dem von dieser Koalition seit 1986 einge- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) schlagenen Weg der Familienförderung. Auch der Parteivorsitzende der SPD und der Finanz- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) minister von Brandenburg haben dies bestätigt. Sie entspricht auch der Rechtsprechung des Bundes- Der Vorsitzende des Haushaltsausschusses des verfassungsgerichts. Deutschen Bundestags, der Kollege Rudi Walther, hat dieser Tage erklärt, daß das Vorhaben auch in der (Dr. Herta Däubler-Gmelin [SPD]: Noch Sache richtig sei, da der gemeinsame europäische lange nicht! — Dr. Peter Struck [SPD]: Ganz Binnenmarkt ohne eine europaweit harmonisierte bestimmt nicht!) Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 76. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Februar 1992 6277

Dr. Wolfgang Schäuble Alternativvorschläge aus der SPD, das Kindergeld Auch die Wirtschaft muß endlich wissen, wie die etwas mehr und die Kinderfreibeträge deutlich weni- steuerlichen Rahmenbedingungen aussehen wer- ger zu erhöhen, sind sozial unausgewogen, den. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — (Zurufe von der SPD) Widerspruch bei der SPD) Sonst leidet das konjunkturelle Klima. Deshalb müs- — ich werde Ihnen das gleich erklären —, weil das sen wir jetzt Klarheit schaffen. Kindergeld nur für die ersten Kinder, die Kinderfrei- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) beträge aber für alle erhöht werden sollen. Der Vorschlag, der uns jetzt von den Sozialdemokra-

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) ten angesonnen wird, der EG - Richtlinie zur Harmo- Deswegen würden, wenn man Ihren Vorschlägen nisierung der Mehrwertsteuer die Umsetzung in folgen sollte, wegen der mit den Kinderfreibeträgen unser nationales Recht zu verweigern, ist für uns verbundenen Kindergeldzuschläge für die einkom- indiskutabel. Wir würden uns damit in Europa isolie- mensschwächeren Familien gerade die sozial schwä- ren, unsere Handlungsfähigkeit aufs Spiel setzen. cheren Mehrkinderfamilien schlechtergestellt. (Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Sie setzen den Föderalismus aufs Spiel!) (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Widerspruch bei der SPD) Wenn die Sozialdemokraten in diesen Tagen sogar darangehen, auch ihre Zustimmung zu den Maas- Deshalb ist Ihr Vorschlag sozial unausgewogen. In trichter Verträgen wieder in Frage zu stellen, Wahrheit geht es auch nicht um mehr Geld für die Familien, sondern um mehr Geld für die Kassen der (Dr. Wolfgang Bötsch [CDU/CSU]: Uner Bundesländer. hört!) (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — so manövrieren sie sich selbst ins Abseits. Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Lächerlich!) (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Ich appelliere mit aller Eindringlichkeit an die Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Das ist Un Sozialdemokraten, dem sachlich richtigen und guten sinn!) Ergebnis des Vermittlungsausschusses die Zustim- — Frau Matthäus-Maier, Sie sollten mich einmal mung nicht zu verweigern. Die Anpassung der Mehr- einen Satz ohne einen Zwischenruf reden lassen. wertsteuer in der Europäischen Gemeinschaft kommt. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Dr. Auch in Ihrer Partei weiß jeder, daß die Erhöhung der Herta Däubler-Gmelin [SPD]: Armer Herr Steuersätze unausweichlich und zwingend ist. Schäuble!) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU — Wenn wir auch in Zukunft in Frieden und Freiheit und Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Sie können sicherem Wohlstand leben wollen — — das verhindern!) - (Lachen bei der SPD) Wenn dies so ist, dann macht es keinen Sinn, dieses Verfahren lediglich aus wahltaktischen und parteipo- — Ich weiß nicht, was es da zu Lachen gibt. litischen Gründen bis zu den Wahlen in Schleswig- Wenn wir auch in Zukunft in Frieden, Freiheit und Holstein und Baden-Württemberg am 5. April aufhal- sicherem Wohlstand leben wollen, dann gibt es für uns ten zu wollen. gerade in der Mitte Europas keine verantwortbare (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Alternative zur Politik der europäischen Einigung. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Sie haben nicht einen einzigen in der Sache triftigen Grund. Dies ist kein Beitrag zur politischen Glaubwür- Die Finanzausstattung der neuen Bundesländer digkeit. wird mit der Beschlußempfehlung des Vermittlungs- ausschusses in den nächsten Jahren um gut 33 Milli- (Zuruf von der SPD: Das wollen Sie beurtei arden DM — 33 000 Millionen DM! — verbessert. len?) Dies ist ein entscheidender Beitrag zur Angleichung Wie soll dieses Theater eigentlich auf unsere Bürger der Lebensverhältnisse, zur Herstellung von Chan- wirken? cengerechtigkeit für die Menschen in den östlichen Bundesländern. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Wer sich dieser erstrangigen sozialen wie nationa- Im übrigen dauert die Diskussion um das Steuerände- len Aufgabe verweigert, braucht fortan das Wort rungsgesetz schon viel zu lange. „Solidarität" nicht mehr in den Mund zu nehmen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — (Anhaltender lebhafter Beifall bei der CDU/ Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Das stimmt! — CSU und der FDP) Weiterer Zuruf von der SPD: Machen Sie Ich stimme dem Bundesratspräsidenten Alfred nicht solche Gesetze!) Gomolka ausdrücklich zu, der die morgige Entschei- Gerade die Betroffenen, die Familien mit Kindern, dung im Bundesrat als „Stunde der Wahrheit und unsere Mitbürger in den ostdeutschen Ländern, dür- Bewährung für die Solidarität aller Bundesländer" fen wir nicht länger warten lassen. bezeichnet hat. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) 6278 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 76. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Februar 1992

Dr. Wolfgang Schäuble Der brandenburgische Ministerpräsident Manfred weil wir nicht unsere Hand dazu herreichen werden, Stolpe hat Anfang der Woche erklärt, er werde keine uns an der zweiten Steuerlüge der Bundesregierung Entscheidung unterstützen, die parteipolitische Inter- zu beteiligen. essen über die Interessen der Menschen in seinem (Beifall bei der SPD und dem Bündnis 90/ Land stelle. GRÜNE — Zurufe von der CDU/CSU und der (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — FDP) Beifall bei der SPD — Dr. Herta Däubler Gmelin [SPD]: Sie hoffentlich auch nicht, Das Vermittlungsverfahren und das Ergebnis haben Herr Schäuble!) gezeigt, daß die Bundesregierung und die Regie- rungskoalition noch einige Lernprozesse vor sich Ich finde, Parteisolidarität ist eine wichtige Sache. haben. Sie werden es erst noch lernen müssen, meine (Dr. Herta Däubler-Gmelin [SPD]: Halten Sie Damen und Herren, und auch akzeptieren müssen, sich daran!) daß Sie im Bundesrat nach dem Regierungswechsel in Schließlich bin ich Vorsitzender der größten Fraktion Rheinland-Pfalz nicht mehr die Mehrheit haben. in diesem Hohen Hause. Begreifen Sie das endlich! (Zurufe von der SPD) (Beifall bei der SPD) Aber ich muß Herrn Stolpe recht geben: In einer Frage Sie haben sich in all den Jahren mit Ihrer Mehrheit von dieser Bedeutung darf es keine falsch verstan- in Bundestag und Bundesrat daran gewöhnt, daß die dene Solidarität geben. Vor eine solche Alte rnative Ergebnisse, die in Partei- und Koalitionszirkeln aus sollten die Sozialdemokraten Herrn Stolpe nicht stel- gekungelt wurden, dann ohne Rücksicht auf die SPD len. in Bundestag und Bundesrat durchgedrückt werden (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — konnten. Das ist vorbei. Nehmen Sie das zur Kenntnis, Zuruf von der SPD: Sehr wahr! — Dr. Herta und berücksichtigen Sie das; sonst werden Sie immer Däubler-Gmelin [SPD]: Sie auch nicht, Herr wieder scheitern. Schäuble!) (Beifall bei der SPD) Auch die sozialdemokratischen Kollegen aus den neuen Bundesländern können die Beschlußempfeh- Fest steht: Die Bundesregierung ist mit Ihrer Selbst- lung des Vermittlungsausschusses nicht ernsthaft gerechtigkeit und ihrer Konfrontationspolitik beim ablehnen wollen. Steueränderungsgestz 1992 gescheitert. (Dr. Herta Däubler-Gmelin [SPD]: Auch das (Beifall bei der SPD) ist falsch!) Sie ist mit ihrer Strategie gescheitert, keine Kompro- Wie wollen Sie das Ihren Bürgerinnen und Bürgern zu misse einzugehen. Sie ist gescheitert mit dem Ver- Hause, in Mecklenburg-Vorpommern, in Thüringen, such, einzelne Länder einzukaufen. Herr Kollege in Brandenburg, in Sachsen und Sachsen-Anhalt- Schäuble, Ihre Rede grenzte — jedenfalls in diesem erklären? Ich frage die Führung der SPD: Wollen Sie Punkt — schon an Scharlatanerie. das Ihren Kollegen aus den ostdeutschen Ländern wirklich zumuten? (Beifall bei der SPD und dem Bündnis 90/ GRÜNE — Widerspruch bei der CDU/CSU — (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Zuruf von der CDU/CSU: Pfui!) Meine Fraktion beantragt namentliche Abstim- mung über die Beschlußempfehlung des Vermitt- Wir Sozialdemokraten haben oft genug unsere lungsausschusses. Jedes Mitglied dieses Hohen Hau- Kompromißbereitschaft angeboten. ses soll Gelegenheit haben, seine persönliche Ent- (Zurufe von der CDU/CSU: Wo?) scheidung sichtbar zu machen. Ich sage Ihnen hier: Auch Sie werden in Zukunft (Zustimmung bei der SPD) Kompromißbereitschaft zeigen müssen; sonst läuft Ich appelliere an Sie alle, meine verehrten Kollegin- überhaupt nichts mehr. Statt gemeinsam mit uns nen und Kollegen: Entscheiden Sie sich mit uns im Kompromisse zu suchen, Sinne der Solidarität mit unseren Landsleuten in den (Widerspruch bei der CDU/CSU und der neuen Bundesländern. FDP) (Anhaltender lebhafter Beifall bei der CDU/ CSU und Beifall bei der FDP) haben Sie zum Mittel der Drohung und zum Mittel der Erpressung gegriffen; ich gebe Ihnen dafür zwei Beispiele. Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Es spricht jetzt der Abgeordnete Peter Struck. (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Dr. Wolf gang Ullmann [Bündnis 90/GRÜNE]) (Zurufe von der CDU/CSU: Oh!) Herr Kollege Waigel, hören Sie genau zu: Sie haben den neuen Ländern damit gedroht — der Ministerprä- Dr. Peter Struck (SPD): Frau Präsidentin! Meine sident des Landes Niedersachsen wird das im Damen und Herren! Die SPD-Bundestagsfraktion Anschluß sicherlich noch darstellen —, daß sie kein wird den Vorschlag des Vermittlungsausschusses Geld für die Haushaltsfinanzierung bekommen wür- ablehnen, den, wenn das Steueränderungsgesetz 1992 nicht in (Beifall bei der SPD und dem Bündnis 90/ der von Ihnen gewünschten Form angenommen wird. GRÜNE) Das ist ein miserables politisches Spiel mit der Angst Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 76. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Februar 1992 6279

Dr. Peter Struck und der Sorge der Menschen in den neuen Ländern, Mehrwertsteuererhöhung werde nicht zur Finanzie- für das Sie sich schämen sollten. rung der Erhöhung des Kindergeldes, sondern für die neuen Länder gebraucht. Das kann und das wird (Beifall bei der SPD und dem Bündnis 90/ Ihnen doch niemand glauben. Klar ist nur, daß Sie hier GRÜNE) ein mieses politisches Spiel treiben. Die Wahrheit sieht doch ganz anders aus. Herr (Beifall bei der SPD) Kollege Schäuble, mich wundert, daß Sie das nicht angesprochen haben; offensichtlich wissen Sie es Zuerst wurden die Familien mit Kindern in Geiselhaft nicht. Es ist im Vermittlungsausschuß völlig unstreitig genommen; jetzt sind es die neuen Länder, gewesen, daß die Mittel für den Fonds Deutsche (Widerspruch bei der CDU/CSU und der Einheit aufgestockt und verstetigt werden sollen. FDP) (Dr. Jürgen Rüttgers [CDU/CSU]: Das stimmt und dies alles nur zu dem einen Zweck, die von Ihnen doch nicht!) gewollte Mehrwertsteuererhöhung durchzudrücken. Sie wissen doch, Herr Bundesfinanzminister, daß in Die Mehrwertsteuerhöhung ist, so wie sie von Ihnen Ihrem Bundeshaushalt 1992 bereits zusätzliche Mittel gewollt ist, unsozial, weil sie die kleinen Leute relativ für den Fonds Deutsche Einheit in Höhe von 5,9 stärker belastet als die Bezieher höherer Einkommen. Milliarden DM stehen, die längst von uns allen im Deshalb sind wir dagegen. Rahmen des Haushaltsplans 1992 beschlossen wor- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten den sind. der PDS/Linke Liste und des Bündnisses 90/ Wir fordern den Bundesfinanzminister auf, diese GRÜNE) Mittel den neuen Ländern nun endlich unverzüglich Die Mehrwertsteuererhöhung ist konjunkturell nicht und bestimmungsgemäß zur Verfügung zu stellen, zu vertreten. Sie belastet die laufenden Tarifverhand- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten lungen, heizt die Inflation weiter an und provoziert der PDS/Linke Liste und des Bündnisses 90/ geradezu Gegenreaktionen der Bundesbank mit der GRÜNE) Folge steigender Zinsen und einer Gefährdung der Konjunktur. Das kann nicht im Interesse des Industrie- ihre Auszahlung nicht länger zu blockieren und sich standortes Deutschland sein. an Recht und Gesetz zu halten; das ist nämlich Ihre Verpflichtung, Herr Bundesfinanzminister. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des Bündnisses 90/GRÜNE) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der PDS/Linke Liste und des Bündnisses 90/ Ein wichtiger Politiker dieses Hauses hat gesagt: GRÜNE) Die Erhöhung der Mehrwertsteuer bewirkt das genaue Gegenteil einer Belebung der Wirt- Allein die Blockadepolitik der Bundesregierung ist schuld daran, daß die Erhöhung der Mittel für den schaft. Fonds Deutsche Einheit für die Jahre 1993 und 1994 Wir halten immer noch nicht beschlossen ist. ... die Mehrwertsteuererhöhung in dieser kon- Um dies allen zu dokumentieren, hat die SPD- kreten Situation für ein tödliches Gift. Bundestagsfraktion einen Antrag eingebracht, in dem Das sagte im Deutschen Bundestag am die Aufstockung und Verstetigung gerade dieser 26. März 1982. Dem ist nichts hinzuzufügen, meine Mittel gefordert wird. Wenn Sie das wollen, was Herr Damen und Herren. Kollege Schäuble hier mit Tremolo vorgetragen hat, dann stimmen Sie diesem Antrag der SPD-Bundes- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten tagsfraktion zu. des Bündnisses 90/GRÜNE) Ein noch wichtigerer Politiker dieses Hauses (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten sagte: des Bündnisses 90/GRÜNE) Eine Erhöhung der Mehrwertsteuer würde nur Ich sage Ihnen: Wenn Sie nicht zustimmen, wird auch eine neue Preiswelle auslösen und die Gewerk- dem letzten klar, daß die Bundesregierung und die schaften veranlassen, diese Entwicklungen bei Regierungskoalition den neuen Ländern die Mittel ihren Lohnforderungen einzubeziehen. Einem verweigern. solchen Unsinn können wir nicht zustimmen. (Beifall bei der SPD — Lachen bei der CDU/ Das sagte Franz Josef Strauß im März 1982. Welch CSU und der FDP) weise Einsicht der damaligen Opposition! Genauso schäbig wie mit den neuen Ländern gehen (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Sie auch mit den Familien mit Kindern um. Sie des Bündnisses 90/GRÜNE) verweigern den Familien mit Kindern ihr Recht auf ein höheres Kindergeld deshalb, weil wir der Erhöhung Unwahr ist auch, daß die Erhöhung der Mehrwert- der Mehrwertsteuer nicht zustimmen. Dabei hatte die steuer zum 1. Januar 1993 wegen einer erforderlichen notwendig sei. Richtig ist, Bundesregierung inzwischen selber zugeben müssen, Harmonisierung in Europa daß die von ihr gewollte Mehrwertsteuererhöhung ab daß Sie, Herr Bundesfinanzminister, sich mit Ihrer Mehrwertsteuererhöhung hinter Europa verstecken 1993 mit der Finanzierung der Kindergelderhöhung ab 1. Januar 1992 nichts, aber auch gar nichts zu tun wollen hat, nachdem sie monatelang immer wieder das (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Gegenteil behauptet hatte. Jetzt heißt es plötzlich, die des Bündnisses 90/GRÜNE) 6280 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 76. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Februar 1992

Dr. Peter Struck und die EG-Kommission deshalb dazu gebracht Ich will dem Abstimmungsergebnis morgen im haben, einen Richtlinienentwurf für einen Mindest- Bundesrat nicht vorgreifen. steuersatz von 15 % vorzulegen. Bisher existiert nur (Bundesminister Dr. Theodor Waigel: Das ein unverbindlicher Entwurf. Rechtliche Konsequen- wäre noch schöner!) zen ergeben sich erst dann, wenn alle Mitgliedstaaten der EG — ich betone: alle; denn da herrscht das Nur vertraue ich darauf, daß es Ihnen nicht gelingen Einstimmigkeitsprinzip — diesem Entwurf zuge- wird, durch unsittliche und unfaire Angebote an stimmt haben. Was bisher dazu in Brüssel beschlossen einzelne Länder worden ist, ist nicht mehr als eine Absichtserklärung (Lachen bei der CDU/CSU und der FDP) der Finanzminister. in den neuen Ländern die Solidarität zwischen den (Dr. Wolfgang Bötsch [CDU/CSU]: Aber wir alten und den neuen Bundesländern zu brechen. Sie sind glaubwürdig!) erweisen damit dem Föderalismus einen Bärendienst. Deshalb lehnen wir dieses Angebot ab. Ich gebe zu, Herr Kollege Waigel, daß diese Absichts- erklärung für Sie jetzt ein Problem ist, weil Sie im (Anhaltender Beifall bei der SPD sowie Bei letzten Jahr zugestimmt haben. Aber wenn Sie in fall bei Abgeordneten der PDS/Linke Liste Brüssel etwas versprechen, ohne zu Hause die dafür und des Bündnisses 90/GRÜNE) nötigen Mehrheiten zu haben, dann haben Sie ganz einfach den Mund zu voll genommen, und das ist dann Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Als nächster spricht Ihr Problem. Dr. Hermann Solms. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des Bündnisses 90/GRÜNE) Dr. Hermann Otto Solms (FDP): Frau Präsidentin! Im übrigen sage ich: Was ist denn das für ein Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die FDP- Verfassungsverständnis, wenn man versucht, die Bundestagsfraktion stimmt der Beschlußempfehlung Verfassungsorgane Bundestag und Bundesrat über des Vermittlungsausschusses zu. die EG auszuhebeln? Es erscheint mir bemerkenswert, daß der Fraktions- (Beifall bei der SPD) vorsitzende der SPD, Herr Klose, nun Herrn Struck Wer so handelt, unterläuft nicht nur unsere parlamen- quasi als Kettenhund vorschickt, tarische und föderative Verfassung; er diskreditiert (Heiterkeit und Beifall bei der FDP und der auch Europa bei unseren Bürgern. CDU/CSU — Lachen bei der SPD) (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Dr. um eine Position zu vertreten, und dies obendrein in [Bündnis 90/GRÜNE] — einer Wortwahl, die der Sache in keiner Weise ange- Dr. Jürgen Rüttgers [CDU/CSU]: Nicht zu messen ist, fassen!) (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) - Die Bundesregierung versucht, mit dem Steuerän- während er sich selber bedeckt hält, weil es ihm derungsgesetz 1992 die Länder nicht nur politisch, anscheinend peinlich ist, diese Position vertreten zu sondern auch finanziell an die Wand zu stellen. müssen. (Dr. Wolfgang Bötsch [CDU/CSU]: Na, na, (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU — na!) Lachen bei der SPD) Sie wollen den ärmeren Bundesländern mit einer Wenn Sie, Herr Struck, für den Fall, daß es zu einer kurzen Übergangsregelung die Strukturhilfe strei- Zustimmung des Bundesrates doch noch kommt, die- chen. Auf das Kompromißangebot der Länder, die jenigen, die dann verantwortlich für ihr Land handeln Strukturhilfe schrittweise abzubauen, so daß wenig- würden, von vornherein als Brutus diffamieren, zei- stens keine Investitionsruinen entstehen, sind Sie gar gen Sie, mit welchen Methoden Sie hier parteilichen nicht eingegangen. Sie lehnen einen weiteren Aus- Druck ausüben. gleich für die wirtschaftlichen Schwierigkeiten, die in (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) strukturschwachen Regionen durch den Abbau der Diese Rede hat besser, als wir es je darstellen könnten, Bundeswehr entstehen, ab, obwohl Sie, Herr Kollege gezeigt, mit welchen Methoden hier gearbeitet Waigel, uns das im vorigen Sommer im Vermittlungs- wird. ausschuß zugesagt haben. Schon das zeigt, wie Sie sich an Ihr Wort halten. Das kann man nur Wortbruch (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) nennen. Sie haben massive Steuer- und Abgabener- Zurück zur Sache. höhungen von mehr als 40 Milliarden DM im vergan- (Lachen und Beifall bei der SPD und dem genen Jahr gehabt, und zwar ausschließlich zugun- Bündnis 90/GRÜNE) sten des Bundes und nicht zugunsten der Länder. Daß — Zum sachlichen Inhalt der Gesetzgebung. das unsere Länder nicht akzeptieren können, müßte auch jeder von Ihnen endlich begreifen. Die zum Steueränderungsgesetz 1992 und zur Ver- stetigung des Fonds Deutsche Einheit vorgeschlage- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) nen Änderungen zeigen die Kompromißbereitschaft Die Länder sind leer ausgegangen. Wer glaubt, so mit des Bundes. Sie stellen ein ausgewogenes, faires, den Ländern umspringen zu können, verhärtet das großzügiges Maßnahmenpaket dar, bei dem der Bund Verhandlungsklima und entzieht möglichen Kompro- an die Grenzen, ich möchte sagen: an die äußersten missen von vornherein den Boden. Grenzen seiner finanziellen Leistungsfähigkeit und Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 76. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Februar 1992 6281

Dr. Hermann Otto Solms Verantwortlichkeit gegangen ist. Dazu möchte ich Fünftens. Die FDP hält nach wie vor eine spürbare einige nüchterne politische Bemerkungen machen. Entlastung der Unternehmen von Steuern und Abga- Erstens. Die FDP begrüßt, daß der Fonds Deutsche ben für notwendig, Einheit in den Jahren bis 1994 mit einem Finanzvolu- (Dr. Herta Däubler-Gmelin [SPD]: Das ist es! men in Höhe von über 30 Milliarden DM aufgestockt Das ist der Zweck der Steuererhöhung!) werden soll. Erst das bietet die gesetzliche Grundlage, weil nur so die notwendigen Arbeitsplätze gesichert die notwendigen Zahlungen für die neuen Bundeslän- und geschaffen werden können. Die Entlastungen bei der auch leisten zu können, Herr Kollege Struck. Ohne der Gewerbesteuer und bei der betrieblichen Vermö- eine gesetzliche Grundlage — das sollten Sie wis- gensteuer sind dafür ein geeigneter Einstieg. Auch sen — ist das nicht möglich. dem müssen weitere Schritte folgen. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) (Dr. Herta Däubler-Gmelin [SPD]: Deswegen Diese Mittel sind zur Herstellung einheitlicher soll die Mehrwertsteuer erhöht werden!) Lebens- und Wirtschaftsverhältnisse in ganz Deutsch- Sechstens. Die im Steueränderungsgesetz 1992 vor- land unverzichtbar. Jede Mark, die in den neuen gesehenen Maßnahmen zur Förderung des Woh- Ländern in Infrastruktur, in Investitionen, in den nungsbaus dürfen nicht länger hinausgezögert wer- Wohnungsbau, in den öffentlichen Nahverkehr und in den. Schon heute führt die Verunsicherung dazu, daß die Altlastensanierung fließt, ist gut angelegt, ist Tausende von Wohnungsbauvorhaben unterblei- sicherlich sogar effizienter angelegt als gegenwärtig ben. in den westlichen Bundesländern. Eine Verstetigung dieses Mittelzuflusses für die neuen Bundesländer ist (Franz Müntefering [SPD]: Das ist doch unser zentrales Anliegen bei dieser Beschlußvor- Unsinn, was Sie da erzählen!) lage. Siebtens. Die FDP-Bundestagsfraktion appelliert an Zweitens. Die vom Vermittlungsausschuß vorge- die Beteiligten im Bundestag und im Bundesrat, die schlagene Lastenverteilung ist auch ein faires, ja Beschlußempfehlungen des Vermittlungsausschusses großzügiges Angebot an die alten Länder und anzunehmen, damit die Unternehmen, die Steuerbe- Gemeinden. Auch sie haben eine finanzielle Verant- rater, die Finanzverwaltung und die Steuerpflichtigen wortung für die deutsche Einheit. Verfassungsrecht- endlich wissen, woran sie sind. Eine parteipolitische lich, strukturpolitisch, wirtschafts- und finanzpolitisch Blockade, wie sie von der SPD hier vorgeführt wird, ist sind die Strukturhilfen nicht mehr gerechtfertigt. Der in der Verfassung nicht vorgesehen, meine Damen Bund ist bereit, den Wegfall der Strukturhilfen durch und Herren. eine Übergangszahlung von 800 Millionen DM abzu- (Beifall bei Abgeordneten der FDP — Wider federn und zugunsten der Länder auf einen Anteil von spruch bei der SPD) 2 % an der Umsatzsteuer zu verzichten. Das ist mehr, als die alten Bundesländer erwartet hatten. Auch bei Wenn der Parteivorsitzende der SPD, Engholm, ihnen muß das Schlagwort von der Solidarität- mit glaubt, zu solchen Mitteln greifen zu müssen, um Leben erfüllt werden. seine innerparteiliche Autorität zu beweisen, dann ist das in meinen Augen eher ein Zeichen von Führungs- Drittens. Die in Europa eingegangene Verpflich- schwäche. tung, den Normalsatz bei der Mehrwertsteuer ab 1993 auf 15 % anzuheben, ist politisch bindend. Das wird (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) auch von der EG-Kommission so gesehen. Die Richt- Weil das so ist, liegt die letzte Chance darin, daß der linientexte zur EG-Steuerharmonisierung liegen vor Ministerpräsident des Landes Brandenburg die Ver- und werden am 13. April in Brüssel ohne nähere antwortung dafür übernimmt, im Sinne seiner Verant- Debatte verabschiedet. Die Bundesrepublik Deutsch- wortung für sein Bundesland abzustimmen land muß und wird ein verläßlicher Partner in Europa (Dr. Herta Däubler-Gmelin [SPD]: Dieser sein und bleiben. persönliche Druck ist unerträglich!) (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) und dabei die Interessen der Bürger seines L andes in Der Kollege Struck zitierte die Äußerungen des den Vordergrund zu stellen. Das ist seine verfassungs- Bundeskanzlers aus dem Jahre 1982. Das Zitat stimmt. mäßige Aufgabe. Dafür ist er gewählt. Ein großzügi- Das war in der damaligen wirtschaftlichen Situation geres Angebot als das vorliegende kann er bei einer eine richtige Aussage. Das zeigt, daß Sie immer noch Ablehnung in Zukunft nicht erwarten. nicht verstanden haben, daß wir in Gesamtdeutsch- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU — land in einer völlig neuen Situation sind. Zurufe von der SPD: Aha!) (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Die FDP-Bundestagsfraktion beantragt ebenfa lls Dieser Situation müssen wir schließlich gerecht wer- namentliche Abstimmung. Es muß nachgewiesen den. werden, daß diejenigen, die so laut und immer wieder Viertens. Die FDP-Bundestagsfraktion steht zu den davon sprechen, Verbesserungen beim Familienlastenausgleich, wie (Dr. Herta Däubler-Gmelin [SPD]: Wie der sie der Deutsche Bundestag am 8. November 1991 Herr Solms!) beschlossen hat. Es wird das getan, was verfassungs- daß Teilung durch Teilen überwunden werden soll, rechtlich geboten und finanzpolitisch verantwortlich das dann auch zu realisieren bereit sind. ist. Dem werden in der Zukunft selbstverständlich weitere Schritte folgen müssen. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) 6282 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 76. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Februar 1992

Dr. Hermann Otto Solms Das betrifft die Bundestagsabgeordneten genauso wie sen Eltern von einer Erhöhung des Erstkindergeldes die Landesregierungen, die hier aufgefordert sind, zu um nur 20 DM zugute kommen? zeigen, daß die gesamtdeutsche Solidarität nun end- Ich glaube, ich kann darauf verzichten, darzulegen, lich ernstgenommen wird. warum es keinen bindenden EG-Beschluß zur Mehr- Vielen Dank. wertsteuererhöhung gibt. Daß eine bis 1996 befristete (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Übergangsregelung existiert, nach der eine Besteue- rung im gewerblichen Bereich in dem Lande erfolgt, in das die Ware geliefert wird, so daß Wettbewerbs- Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Als nächste spricht nachteile für die deutsche Wirtschaft nicht zu erwar- Dr. Barbara Höll. ten sind, hat das Bundesfinanzministerium jüngst bestätigt. Auch hat das Europäische Parlament in einer Entschließung vom 13. Juni 1991 festgestellt, Dr. Barbara Höll (PDS/Linke Liste): Frau Präsiden- „daß Unterschiede in den Steuersätzen auch nach der tin! Meine Damen und Herren! Die von der Bundes- völligen Abschaffung der Steuergrenzen den Wettbe- regierung offiziell vertretene Kompromißlinie setzt werb nicht wesentlich verzerren können". voll darauf, daß sich die Konfliktlage zwischen den neuen und alten Bundesländern verschärft. Wie eben Vielleicht spekuliert die SPD insgeheim doch dar- gesagt: Teilung durch Teilen. Die neuen Länder, von auf, daß die Mehrwertsteuererhöhung trotz ihres dieser Bundesregierung ohnehin zu Bittstellern de- Neins kommen und den Ländern die Kassen füllen gradiert und mit viel zu geringen Finanzmitteln aus- wird. Vielleicht ist mein Eindruck falsch und Branden- gestattet, werden gegen die Altländer ausgespielt, burgs Finanzminister Kühbacher glaubt wirklich an denen man 1988 wenigstens noch ein auf mindestens den warmen Goldregen aus Bonn. Die SPD sollte ihre zehn Jahre befristetes Strukturhilfegesetz bescherte, Politikfähigkeit endlich unter Beweis stellen und das das eine regional ausgewogene Wirtschaftsentwick Flügelschlagen sein lassen. lung fördern sollte. Die Streichung der Strukturhilfe (Detlev von Larcher [SPD]: Das müßt gerade kann von den westlichen Bundesländern nicht akzep- ihr uns sagen! Wenn ihr uns das nicht sagt, tiert werden. Denn mit der Vereinigung Deutschlands wissen wir es nicht!) sind die regionalen Unterschiede zwischen den Alt- ländern nicht verschwunden. Die Bundesregierung Der so oft und mit so viel Berechtigung gegen die wäre gut beraten, wenn sie auf die Länder zugehen Bundesregierung gerichtete Vorwurf der Steuerlüge und eine mehrjährige sachgerechte Übergangslö- könnte sich nämlich sehr schnell als Bumerang erwei- sung möglich machen würde. sen. Wir begrüßen die Absicht der Bundesregierung, Die PDS/Linke Liste lehnt beide Beschlußempfeh- den Fonds Deutsche Einheit aufzustocken, und for- lungen ab. dern die gleichzeitige schnelle und unbürokratische Gestatten Sie mir zum Schluß noch die persönliche Freigabe der Finanzmittel. Das Konzept des- sich selbst Frage an Herrn Schäuble, ob ich es richtig verstanden tragenden Aufschwungs hat nicht gegriffen. Die Ver- habe, daß tatsächlich nur derjenige, der für eine stetigung der Fondsleistungen auf hohem Niveau Mehrwertsteuererhöhung ist, auch für Freiheit und sollte unserer Meinung nach allerdings nicht über Frieden ist. Wenn ich das so richtig verstanden habe, eine Erhöhung der Mehrwertsteuer finanziert wer- muß ich leider sagen, daß mich das sehr an Denkmu- den, die preissteigernd wirkt und die Bezieherinnen ster aus der ehemaligen DDR erinnert. kleinerer und mittlerer Einkommen überproportional Ich danke Ihnen. belasten würde. (Beifall bei der PDS/Linke Liste) (Beifall bei der PDS/Linke Liste sowie bei Abgeordneten der SPD) Bund, Länder und Gemeinden müßten als Folge der Mehrwertsteuererhöhung mit einer Verteuerung des laufenden Sachaufwandes und der Investitionen rech- nen. Herr Kühbacher, ein aktiver Jein-Sager, sollte Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Als nächster spricht sich einmal die interne Studie des hessischen Finanz- Werner Schulz. ministeriums zu Gemüte führen, die das mit genauen Zahlen belegt. Der sogenannte Kompromiß, den der Vermittlungs- (Berlin) (Bündnis 90/GRÜNE): Frau ausschuß mit der Mehrheit der Koalitionsvertreter Werner Schulz Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Vermitt- beschlossen hat, ist weder geeignet, einen wirksamen lungsausschuß hat am 5. Februar Vorschläge formu- Beitrag zur soliden Finanzierung der Einigungskosten liert, die niemanden zufriedenstellen können, aber zu leisten, noch verdient er das Prädikat „familien- auch nicht alle Beteiligten von der Zustimmung abhal- freundlich". Was zum Familienlastenausgleich be- ten werden. Die Bundesregierung suchte nach einem schlossen worden ist, ist nichts anderes als ein Ausbau Ausweg, um nicht erneut der Steuerlüge bezichtigt zu bestehender Ungerechtigkeiten. Was würde die werden. Sie fand ihn in der Erhöhung der Mehrwert- Anhebung des Kinderfreibetrags bei der Lohn- und steuer. Die geplante Anhebung dieser Steuer gibt sie Einkommensteuer Familien und Alleinerziehenden — formell korrekt — als notwendige Anpassung an mit geringem Einkommen einbringen — in den neuen die steuerlichen Festlegungen in Europa aus. Bundesländern bei einer durchschnittlichen offiziel- len Arbeitslosenrate von 17 % und einer Festschrei- (Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Das ist bung von 60 % des Westlohnes? Was würde arbeitslo falsch!) Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 76. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Februar 1992 6283

Werner Schulz (Berlin) Der Finanzminister vergißt dabei aber geflissentlich sche Einheit" ergeben, nicht verzichten können. Ein- seinen eigenen aktiven Beitrag zum Zustandekom- zig aus diesem Grund, daß ein Scheitern des Steuer- men jenes EG-Richtlinienentwurfs. pakets den neuen Bundesländern die Planung ihrer (Beifall beim Bündnis 90/GRÜNE) Haushalte erschweren und unverzichtbare Finanzmit- tel blockieren würde, werden wir dieses Steuerpaket Zu Recht hat die Opposition darauf verwiesen, daß sowohl ablehnen als auch nicht ablehnen. eine Mehrwertsteuererhöhung verteilungspolitisch (Beifall beim Bündnis 90/GRÜNE — Große ungerecht wirkt. Die unteren Einkommensschichten Heiterkeit) werden stärker belastet. Dies trifft vor allem die Menschen in den neuen Bundesländern. Darüber hinaus führt eine Anhebung der Mehrwertsteuer im Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Als nächster spricht Ergebnis zu einem Anstieg des Preisniveaus und der Ministerpräsident des Landes Niedersachsen, erschwert dadurch die Stabilisierungsaufgabe der Gerhard Schröder. Deutschen Bundesbank. (Dr. Wolfgang Schäuble [CDU/CSU]: Was (Dr. Klaus-Dieter Feige [Bündnis 90/ soll das denn, der kann doch morgen reden! GRÜNE]: Genau das!) Was soll denn der Quatsch? Das ist ganz Es mutet kurios an, wie die Koalitionsparteien und ungewöhnlich!) die SPD ihre Argumente gebrauchen: Die SPD über- nimmt heute die frühere Kritik der damals oppositio- nellen Christdemokraten, während es so scheint, daß Ministerpräsident Gerhard Schröder (Niedersach- die Vertreter der jetzigen Regierung ihre Argumenta- sen): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen tion vor einem Jahrzehnt völlig vergessen haben. und Herren! Ich möchte gern den Versuch machen, in (Zuruf vom Bündnis 90/GRÜNE: Die sind ja der Steuerfrage zu einer rationalen Debatte zu kom- men. Die auch am Ende!) Ablehnung des Steuerpakets durch mich und meine Regierung gründet sich nicht, Herr Gatter- Die Argumente beider Seiten sind austauschbar und mann, auf Beschlüsse irgendeines Präsidiums. Sie beliebig. Und Sie, Herr Schäuble, fragen: Wie wirkt wissen auch, daß das nicht so ist. Meine Ablehnung das Theater auf unsere Bürger? — Ich sage Ihnen: Wie gründet sich auch nicht auf die vorgesehene Erhö- der Streit der Platzhirsche ums Futter der Feld- hung der Mehrwertsteuer. Im Unterschied zu anderen mäuse. halte ich es für denkbar und möglich und, wenn man (Beifall beim Bündnis 90/GRÜNE) ganz bestimmte soziale Maßnahmen vornimmt, auch für vertretbar, die Mehrwertsteuer um einen Punkt zu Es macht sich Partei- und Politikverdrossenheit erhöhen. breit — Herr Gattermann, das gilt auch für Ihren „Club", wie wir aus einer gesicherten Studie wis- Meine Ablehnung, meine Damen und Herren, sen —, wozu auch, wie ich denke, die Diskussion- um gründet sich auf das Paket selber. das Steuerpaket beigetragen hat. Ich kann jeden (Johannes Gerster [Mainz] [CDU/CSU]: Eier Bürger verstehen, der von diesem Theater den Kanal tänzer!) voll hat. So, wie es vorliegt, ist es sozial unausgewogen; so, wie Festzuhalten bleibt: Die bisherige Politik der Bun- es vorliegt, ist es länderfeindlich und stellt den Ver- desregierung zur Finanzierung der deutschen Einheit such dar, die strukturschwachen alten Bundesländer hat die Bezieher höherer Einkommen insgesamt — und zwar sie allein — in die Haftung für die geschont. Die Hauptlast wurde von den Beziehern finanziellen Schwierigkeiten der neuen Bundesländer niedrigerer Einkommen getragen. zu nehmen. So, wie dieses Steuerpaket vorliegt, ist es z. B. bei der ins Auge gefaßten Reform der Unterneh- (Dr. Klaus-Dieter Feige [Bündnis 90/ mensbesteuerung der Versuch, im einzelnen durch- GRÜNE]: Genau!) aus diskutable Ansätze auf Kosten der Länder zu Die investitionsfördernden Maßnahmen der Bundes- finanzieren. regierung kommen dagegen hauptsächlich den (Dr. Wolfgang Schäuble [CDU/CSU]: Was Beziehern höherer Einkommen zugute und bewirken hier stattfindet, kann überhaupt nicht wahr zusätzlich eine Umverteilung zugunsten dieser Grup- sein! Eine gewisse Ordnung gilt sogar für pen. Herrn Schröder!) (Beifall beim Bündnis 90/GRÜNE sowie bei Ich möchte das im einzelnen sehr kurz am Beispiel Abgeordneten der SPD) der Auswirkungen für mein Land beweisen dürfen. Das vorliegende Steuerpaket wird daran nichts Erstens. Niemand kann ernsthaft bestreiten, daß ändern, im Gegenteil. Die Bundesregierung bleibt eine Direktzahlung von Kindergeld — übrigens nicht also in der Pflicht, ein finanzpolitisches Konzept vor- nur für das erste Kind; die logische Folge sind Verän- zulegen, das die Lasten der deutschen Einheit gerecht derungen auch beim Kindergeld für das zweite verteilt. Dieser Verpflichtung ist sie mit dem hier Kind — bei insgesamt gleichbleibendem Volumen vorliegenden Paket nicht gerecht geworden. soziale Wirkungen gerade in den fünf neuen Bundes- Dennoch ist es einsichtig, daß die östlichen Bundes- ländern hat und haben muß. länder auf die finanziellen Hilfen, die sich aus dem (Beifall bei der SPD und der PDS/Linke Liste Steuerpaket und dem Gesetz zur Aufstockung der sowie des Abg. Dr. Wolfgang Ullmann Strukturhilfe sowie zur Aufstockung des Fonds „Deut [Bündnis 90/GRÜNE]) 6284 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 76. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Februar 1992

Ministerpräsident Gerhard Schröder (Niedersachsen) Sie wissen doch ganz genau, daß das Einkommens- Hinzu kommt: Die Haushaltsnotlagendotationen von niveau der Menschen dort rund 30 % unter dem der Bremen und vom Saarland schlagen bei uns mit minus Menschen in den westlichen Bundesländern liegt. 120 Millionen DM zu Buche. Deshalb ist es nur logisch, daß die von uns geforderte Meine Damen und Herren, insgesamt sind es Verdoppelung des Erstkindergelds dort mehr hilft als 1,3 Milliarden DM weniger — in einem struktur- irgendwo anders. schwachen Land! (Beifall bei der SPD — Dr. Wolfgang Jetzt komme ich zu dem, was wir nach Ihren Plänen Schäuble [CDU/CSU]: Haben wir hier eine dafür bekommen sollen. Unser Debatte vereinbart?) Umsatzsteueranteil soll um zwei Prozentpunkte steigen; das ist ein Plus Meine Damen und Herren, von den Steuerfreibe- von 360 Millionen DM. Der Subventionsabbau — trägen profitieren Sie und ich sehr viel mehr als die wenn er so durchgeführt wird, wie Sie es wollen; Sie Bezieher niedriger Einkommen, und dies geht wissen, daß das immer mit Risiken behaftet ist — nicht! würde ein Plus von 145 Millionen DM bringen. Wir (Beifall bei der SPD, der PDS/Linke Liste und hätten für 1993 einen negativen Finanzierungssaldo dem Bündnis 90/GRÜNE) von 829 Millionen DM. Zweitens. Warum meine ich, daß dieses Gesetz Wie wollen Sie angesichts dessen von einem Mini- gegen die Interessen der Länder insgesamt ist, weil sterpräsidenten eines strukturschwachen Landes ver- auf die Zerstörung deren Solidarität gerichtet? Ich langen, daß er diesem Gesetz zustimmt? Das können möchte Ihnen das an den Auswirkungen für Nieder- Sie doch nicht ernsthaft verlangen. sachsen darlegen. Meinem Vorgänger, Herrn Dr. Al- (Beifall bei der SPD, der PDS/Linke Liste und brecht, ist 1988 für seine Zustimmung zur damaligen dem Bündnis 90/GRÜNE — Dr. Jürgen Rütt Steuerreform die Strukturhilfe versprochen worden. gers [CDU/CSU]: Wegen der deutschen Ein Dieses Versprechen ist Gesetz geworden. Herr heit!) Albrecht hat 652 Millionen DM jährlich bekommen; das sollte für zehn Jahre gelten. — Auf diesen Zwischenruf habe ich gewartet. (Zurufe von der CDU/CSU: Vor der Ein Ich bin bereit zu sagen: Wir haben noch Anspruch heit!) auf sieben mal 625 Millionen DM; dies sind 4,5 Milli- — Ich komme dazu, meine Damen und Herren. arden DM. Nehmt diese Strukturhilfe, auf die wir Anspruch haben, die uns versprochen worden ist, die Diese 652 Millionen DM werden im Landeshaushalt in Gesetze gegossen ist, und finanziert daraus den ganz natürlich fehlen. Zu einer Bewertung komme ich Fonds Deutsche Einheit! Dies ist ein Beitrag zur noch. Solidarität, zu dem wir bereit sind, meine Damen und (Zuruf von der FDP: Zonenrandmentalität!) Herren. Bei den Diskussionen im Vorfeld der Sitzung- des (Beifall bei der SPD und dem Bündnis 90/ Vermittlungsausschusses waren wir uns einig, Herr GRÜNE — Johannes Gerster [Mainz] [CDU/ Gattermann und Herr Waigel, daß wir eine Unterneh- CSU]: So redet ein Billiger Jakob!) mensteuerreform erstens aufkommensneutral für alle Ich war dabei, als im Juni letzten Jahres über Finanzierungsebenen machen wollten, zweitens geredet worden ist und als uns in die finanziert durch die Streichung unsinniger Steuer- Konversionen Hand versprochen worden ist: Wir werden auch und subventionen für die Unternehmen. gerade in den alten Ländern mithelfen, die wirtschaft- (Beifall bei der SPD und dem Bündnis 90/ lichen Folgen des Truppenabbaus — für den wir GRÜNE) sind — aufzufangen. Es ist keine Rede mehr davon, Das vorliegende Gesetzespaket realisiert dies in meine Damen und Herren. keiner Weise. Wenn die Unternehmensteuerreform Ich sagen Ihnen: Meinethalben verzichten wir auf so durchkommt, wie Sie sie durchführen wollen, den Konversionsfonds; nehmen Sie dieses Geld, das bedeutet das beispielsweise für Niedersachsen ein Sie uns versprochen hatten, und finanzieren Sie dar- Minus von 220 Millionen DM. aus den Fonds Deutsche Einheit. (Zuruf von der CDU/CSU) (Beifall bei Abgeordneten der SPD) — Ich sage Ihnen gleich, was an Subventionen hinzu- Etwas kann ich nicht verstehen: Wenn Sie dann kommt; das werden Sie schon noch hören. noch den einen Prozentpunkt der Mehrwertsteuer Die Änderung der Gewerbesteuerumlage würde bekommen, dann hindert Sie niemand daran, Ihre für Niedersachsen ein Minus von 105 Millionen DM 63 Prozentpunkte zu nehmen und daraus den Fonds bedeuten. Deutsche Einheit zu finanzieren. (Dr. Wolfgang Schäuble [CDU/CSU]: Haben (Beifall bei Abgeordneten der SPD) wir hier eigentlich eine Debatte?) Ein solches Vorgehen, meine Damen und Herren, Wenn der Familienlastenausgleich so durchgesetzt wäre nicht nur sozialverträglich, sondern es würde würde, wie Sie es vorhaben, würde das für Nieder- auch den Interessen der Länder gerecht. sachsen ein Minus von 192 Millionen DM bedeuten. Wenn die Wohneigentumsförderung so vorgenom- (Dr. Jürgen Rüttgers [CDU/CSU]: Das ist men würde, wie Sie es wollen, würde das für Nieder- klar! — Johannes Gerster [Mainz] [CDU/ sachsen ein Minus von 45 Millionen DM bedeuten. CSU]: So reden Bankrotteure!) Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 76. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Februar 1992 6285

Ministerpräsident Gerhard Schröder (Niedersachsen) Warum sage ich das? Ich sage das doch nicht und die Zusammenarbeitsfähigkeit unter den Län- deshalb, weil die Finanzminister und die Ministerprä- dern zerstören. Und Sie haben die Folgen davon zu sidenten der alten Länder aus einer Ansammlung tragen, meine Damen und Herren. geldgieriger Menschen bestünden. (Beifall bei der SPD — Widerspruch bei der (Dr. Jürgen Rüttgers [CDU/CSU]: Doch — CDU/CSU) mit Ausnahmen!) Meine Bitte an Sie ist: Bessern Sie nach in sozial Was tun wir denn damit? Sie diskutieren hier z. B. vernünftiger Weise, in einer Weise, die zu ausgewo- — was ich gut finde — einen Rechtsanspruch auf gener Vertretung der Länderinteressen führt! Bessern einen Kindergartenplatz. Aber wer muß den Platz Sie bei der Umsatzsteuerreform wirklich so nach, daß denn bauen? Das müssen die Gemeinden und die Sie nicht Geschenke zu Lasten anderer verteilen. Lander tun, meine Damen und Herren. Wenn Sie dieses geleistet haben, dann können Sie auch Ihren Punkt Mehrwertsteuer bekommen, meine (Beifall bei der SPD, der PDS/Linke Liste und Damen und Herren. dem Bündnis 90/GRÜNE) (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Dr. Wolf Und denen nehmen Sie das Geld weg. gang Ullmann [Bündnis 90/GRÜNE]) Wer finanziert denn die Schulen, die Lehrerinnen und Lehrer in den Schulen? Das tun die Länder. Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Jetzt spricht der Wer finanziert denn — weil Sie sich nicht auf eine Bundesminister der Finanzen, Dr. . Pflegeversicherung einigen können — die Menschen, die sich in den Altenpflegeeinrichtungen befinden? Das tun die Länder. Dr. Theodor Waigel, Bundesminister der Finanzen: (Lebhafter Beifall bei der SPD sowie Beifall Frau Präsident! Meine sehr verehrten Damen und bei der PDS/Linke Liste und dem Bünd Herren! Die beiden Reden des Kollegen S truck und nis 90/GRÜNE) des Ministerpräsidenten haben sich bemerkenswert unterschieden. Trotz einer sehr engagierten Rede hat Ich denke, es ist an der Zeit, daß man in dieser der Ministerpräsident bei der Fraktion der SPD nur Steuerdebatte endlich dazu kommt, das zu tun, was sehr verhaltenen Beifall bekommen. sozial gerecht ist, was auch zwischen den Ländern vernünftig ist, und das zu tun — und nur das —, was (Beifall bei der CDU/CSU — Lachen bei der wirklich eine sinnvolle Unternehmensbesteuerung SPD — Zuruf von der SPD: Sie haben wohl darstellt. auf den Ohren gesessen!) All dies, meine Damen und Herren, hätten Sie ohne Ich möchte aber doch nicht versäumen, noch einiges das ganze Theater, das hier von Ihnen veranstaltet zu der Rede des Kollegen S truck zu sagen: Herr worden ist, haben können. Kollege Struck, Sie haben hier von Erpressung - gesprochen. Sie haben gesagt, man nehme Kinder in (Beifall bei der SPD und dem Bündnis 90/ eine Geiselhaft. Sie haben von An-die-Wand-Stellen GRÜNE) gesprochen. Wer gibt ihnen das Recht, in dieser Ich frage Sie: Warum wollen Sie das denn nicht? Sie Tonart zu sprechen, wo Sie einen eigenen Partei- wollen an einem Punkt Macht demons trieren. Zur freund in dem Zusammenhang als Brutus bezeichnet Demonstration von Macht suchen Sie sich diejenigen haben? aus, die am meisten auf die Bundeskassen angewie- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) sen sind. Das sind die Länder im Osten Deutschlands, Wer eigene Parteifreunde, die das Wohl ihres Landes Brandenburg eingeschlossen, meine Damen und Her- und ihrer Bürger über die Satzung und die S trategie ren. Nicht Struck und andere machen ein Erpres- ihrer Partei stellen, als Verräter bezeichnet, der dis- sungsmanöver, Sie spekulieren auf die Armut dort, qualifiziert sich hier in diesem Hohen Hause. meine Damen und Herren. Das ist Ihr Problem. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) (Beifall bei der SPD, der PDS/Linke Liste und dem Bündnis 90/GRÜNE) Es ist schon ein starkes Stück, hier zu behaupten, wir wollten den neuen Ländern kein Geld geben. Sie, Mein Vorschlag ist: Nehmen Sie das weg, machen Herr Kollege Struck, und ihre Haushaltspolitiker, Sie es so, wie wir es im übrigen andiskutiert hatten in wissen doch genau, daß die gesetzliche Grundlage für vielen Gesprächen, die geführt worden sind! eine Umlenkung, auch wenn sie im Haushalt enthal- ( [Quickborn] [CDU/CSU]: ten ist, fehlt. Wir brauchen erst die gesetzliche Grund- Warum schreien Sie eigentlich so laut? — lage, um das Geld ausgeben zu können. Dr. Wolfgang Bötsch [CDU/CSU]: Da platzen (Dr. Peter S truck [SPD]: Das ist falsch!) ja die Lautsprecher! — Johannes Gerster — Nein, das ist richtig. [Mainz] [CDU/CSU]: Wie der Rektor einer Klippschule!) (Dr. Peter Struck [SPD]: Falsch!) — Weil Sie immer dazwischenrufen, schreie ich so laut — Es ist richtig. — und weil ich in der Tat engagiert bin; hier geht es Was die Mehrwertsteuer anbelangt: Wenn Sie mir wirklich darum, daß Interessen der Länder nicht nicht glauben, rufen Sie doch an bei Ihren Parteifreun- gegeneinander ausgespielt werden. Denn wenn die den in Europa, bei Wim Kok, bei Pierre Bérégovoy jetzt auf Sie reinfallen, dann werden die kurzfristig oder auch bei Jacques Delors, hören Sie, was Madame etwas davon haben, langfristig aber die Solidarität Scrivener in dem Zusammenhang gesagt hat. Sie 6286 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 76. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Februar 1992

Bundesminister Dr. Theodor Waigel wissen doch ganz genau: Wir haben einem einstimmi- will aber hier das Geheimhaltungsprinzip dieses gen Beschluß im Europäischen Rat zugestimmt. Das hohen Ausschusses nicht weiter tangieren. war die Voraussetzung, um überhaupt einheitliche (Heiterkeit) Steuersätze in Europa zu bekommen. Alle anderen mit Ausnahme von Luxemburg und von Spanien Sie haben immerhin zur Mehrwertsteuer eine diffe- hatten schon höhere Steuersätze; alle anderen wollten renzierte Betrachtung gegeben, und ich hoffe, daß das mindestens 16 %. Wir haben erreicht, daß der Steuer- der SPD zu denken gibt. satz auf 15 % gesenkt wird. Nur, Herr Ministerpräsident Schröder, wir haben (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) uns vor Weihnachten darüber unterhalten, welchen Weg wir gehen, und um zu einem Kompromiß zu Wir haben in dem Zusammenhang etwas eingebracht, kommen, mußte jede Seite bereit sein, auf die andere was Finanzminister der SPD nie getan haben, nämlich zuzugehen. Das haben wir beide versucht. Ich glaube, den ermäßigten Steuersatz gerade für die Güter des wir haben im Bereich der Unternehmensteuerreform täglichen Bedarfs nicht erhöht. Das ist unsere soziale die Ideologie des letzten Jahres weggenomen und Komponente. sind ganz beachtlich nach vorn gekommen. Wenn ich (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) mir vorstelle, wie beim letzten Vermittlungsbegehren damals noch allein das Nennen des Wortes „Gewer- Zu dem Zeitpunkt, als diese Bundesregierung ihre bekapitalsteuer" bei Ihnen schon zu ungeheuren Zustimmung gegeben hat, Herr Struck, hatten wir Reaktionen geführt hat, übrigens eine Mehrheit im Bundesrat. Wenn ich jedes Mal bei einer Entscheidung in Europa, die für die (Zuruf von der SPD: Was ist denn nun mit der nächsten zehn Jahre gültig ist, darauf sehen müßte, ob Geheimhaltung?) wir ein oder zwei Jahre später eine Mehrheit im dann kann ich heute nur sagen: Mit welcher Gelas- Bundesrat haben oder nicht haben werden, dann wäre senheit wir heute darüber reden, daß sie in den neuen eine Regierung bewegungsunfähig. Es kann doch Bundesländern noch ein paar Jahre nicht erhoben nicht Ihr Ernst sein, mit einer solchen Strategie in wird, mit welcher Ruhe wir heute über die betriebliche Europa aufzutreten, mit der wir uns lächerlich machen Vermögensteuer, über die Erhöhung der Freibeträge, würden. über die Einsetzung der Steuerbilanzwerte in die (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Vermögensaufstellung reden, das ist ein beachtlicher Fortschritt, der sich hier im politischen Prozeß der Es sind abenteuerliche Finanzierungsvorschläge, die Sozialdemokratie ergeben hat. Ich begrüße das aus- die SPD in dem Zusammenhang gemacht hat. drücklich. (Dr. Wolfgang Schäuble [CDU/CSU]: Lieder (Detlev von Larcher [SPD]: Wir brauchen liche!) nicht Ihre Zensuren!) Ich war mit der Frau Kollegin Simonis jahrelang im Wir sind uns auch darüber einig, daß das aufkom- Haushaltsausschuß. Daß sie alle Grundsätze- der mensneutral geschehen soll, und genau das ist der Wahrheit und Klarheit des Haushaltsgebarens verges- Fall. sen hat, hätte ich ihr nicht zugetraut. Nun gab es zwei Möglichkeiten: Die eine war, beim (Dr. Peter Struck [SPD]: Das müssen gerade Erstkindergeld eine Erhöhung vorzunehmen, wobei Sie sagen! Wer im Glashaus sitzt, soll nicht bei Ihnen der Geldsäckel des eigenen Landes und die mit Steinen werfen! Mal ganz vorsichtig!) Liebe dazu mindestens so stark ausgeprägt ist wie die Man muß sich einmal vorstellen: Die SPD stellt sich soziale Komponente, von der Sie lautstark gesprochen vor, wir könnten 100 Milliarden mehr ausgeben, weil haben. wir Kreditermächtigungen in den letzten zwei Jahren (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU und nicht in Anspruch genommen haben. Abenteuerlich, der FDP) unseriös, und in Bayern würde man sagen: lieder- lich! Aber das werfe ich Ihnen nicht vor, Herr Schröder, das ist Aufgabe eines Ministerpräsidenten. Die zweite (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Möglichkeit war die Erhöhung des Umsatzsteueran- Ihre Rede, Herr Ministerpräsident Schröder, war teils. Aber beides, auf der einen Seite Erhöhung des von anderer Art. Darum nehme ich sie ernster. Kindergeldes mit dem Nachteil für den Bund — 10 Mark, also über 1 Milliarde — und auf der (Detlev von Larcher [SPD]: Ach, das ist aber anderen dann noch Erhöhung des Umsatzsteueran- kein Kompliment!) teils, beides zu Lasten des Bundes — das geht nicht. Sie haben es nicht einfach, Herr Ministerpräsident, Der Bund opfert hier viel mehr als jedes Land und die aber Sie sind ja in Niedersachsen nicht auf die SPD Länderseite insgesamt, wenn wir 19 Milliarden DM angewiesen, Sie haben ja dort die GRÜNEN noch zur über die Beschlüsse des Bundestages zulegen. Wir Hand. sind diejenigen, die am meisten betroffen sind und den größten Teil an Solidarität allen Ländern gegen- (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU und über zum Ausdruck bringen. der FDP) (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Sie haben das Ganze als Theater bezeichnet. Ich glaube, damit sollten wir vorsichtig sein. Sie haben ja Wenn Sie auf die Strukturhilfe verweisen, Herr im Vermittlungsausschuß auch einmal von Affenthea- Ministerpräsident Schröder, dann gilt folgendes: Eine ter gesprochen. Ich glaube, das nützt uns nichts. Ich Zusage auf zehn Jahre kann es nicht geben, sondern Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 76. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Februar 1992 6287

Bundesminister Dr. Theodor Waigel entscheidend ist, ob etwas verfassungskonform ist Es ist schlimm, daß die Familien möglicherweise oder nicht. Gegen dieses Gesetz gibt es zwei Verfas- noch über Wochen und Monate nicht wissen, woran sungsklagen, übrigens von einem CDU-Land und sie sind. — horribile dictu — von einem SPD-Land, nämlich (Detlev von Larcher [SPD]: Das liegt doch an Hessen. So schlimm sind die Hessen in ihrer Solidari- euch!) tät — — Es ist schlimm, daß die Investoren nicht wissen, woran (Dr. Peter Struck [SPD]: Was sagt Ihnen das, sie sind. Es ist schlimm, daß der Wohnungsbau keine Herr Dr. Waigel?) verläßliche Grundlage bekommt. Es ist schlimm, daß wir zu diesem Zeitpunkt, wo auch wir unseren Part für — Ja, ich hätte doch wirklich erwartet, wenn dort ein die Belebung der internationalen Konjunktur erbrin- SPD-Ministerpräsident gewählt wird, daß dieser dann gen sollten, das nicht tun können, weil Sie das auf Grund der Solidarität zu seinem SPD-Kollegen in verhindern wollen. Niedersachsen die Klage zurückzieht. Er hat es nicht getan. Meine Damen und Herren von der Opposition hier im Bundestag und in den Ländern, Sie müssen sich (Beifall bei der CDU/CSU — Zuruf von der entscheiden, welche Strategie Sie wollen, eine Strate- SPD: Sie stellen es falsch dar!) gie der gemeinsamen Verantwortung vor dem deut- schen Volk oder eine Parteistrategie, um auf Baisse zu Aber wir sind uns ziemlich darüber einig, daß dieses setzen und daraus parteipolitischen Vorteil zu erhal- Gesetz über die Strukturhilfe, nachdem die Wieder- ten. Nur, mit der letzteren Strategie werden Sie vereinigung gekommen ist und fünf andere Länder scheitern. mit ganz anderen Strukturproblemen als Niedersach- sen, das Saarland, Bremen, Schleswig-Holstein und (Anhaltender lebhafter Beifall bei der CDU/ einige andere da sind, in der Verfassung keine Grund- CSU und der FDP — Detlev von Larcher lage mehr hat und mit letzter Sicherheit vom Bundes- [SPD]: Was macht ihr mit dem Asyl?) verfassungsgericht aufgehoben wird. (Zurufe von der CDU/CSU: Sehr wahr!) Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Meine Damen und Wenn das so ist, dann ist auch keine Rechtsgrundlage Herren, wir kommen jetzt zur Abstimmung. Gemäß für weitere Mittel mehr da. § 10 Abs. 3 Satz 1 seiner Geschäftsordnung hat der Vermittlungsausschuß beschlossen, daß über die Wenn wir dann eine Übergangshilfe von ursprüng- Beschlußempfehlung auf Drucksache 12/2044 zum lich 600 und jetzt 800 Millionen DM aufwenden, um Steueränderungsgesetz 1992 und über die Beschluß- anfinanzierte Projekte fortführen und entsprechend empfehlung auf Drucksache 12/2045 zum Gesetz zur abwickeln zu können, dann ist dies ein faires Angebot. Aufhebung des Strukturhilfegesetzes und zur Auf- Sie können nicht etwas, was vor der Verfassung keinen Bestand mehr haben wird, als Rechtsanspruch stockung des Fonds „Deutsche Einheit" gemeinsam abzustimmen ist. des Landes Niedersachsen für die nächsten zehn Jahre postulieren. Die Fraktionen der CDU/CSU und der FDP verlan- gen namentliche Abstimmung. Ich eröffne die Abstim- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) mung. — Die Mehrbelastungen des Bundes belaufen sich auf Ich frage, ob alle Stimmen abgegeben sind. — Das 19 Milliarden DM. Die Länder wollen weitere 30 Mil- ist der Fall. Dann schließe ich die Abstimmung und liarden DM mehr. Das ist nicht finanzierbar. bitte die Schriftführer, mit der Auszählung zu begin- nen. Das Ergebnis der Abstimmung wird Ihnen später Zur Strukturhilfe habe ich das Notwendige bekanntgegeben. *) gesagt. Bevor ich den nächsten Tagesordnungspunkt auf- Um die Mehrwertsteuer wird ein Scheingefecht rufe, möchte ich zunächst das Ergebnis der Nachwahl geführt. Meine Damen und Herren, Sie werden doch eines Mitglieds der Parlamentarischen Kontrollkom- von Ihren eigenen Europaabgeordneten ausgelacht mission bekanntgeben. Mitgliederzahl 662, abgege- angesichts der Sentenz und angesichts der politischen bene Stimmen 520, ungültige Stimmen 6. Für den Entwicklung in Europa. Sie wissen das ganz genau. Wahlvorschlag der CDU/CSU haben 363 Abgeord- Sie glauben, vor zwei Wahlterminen die Menschen nete gestimmt. Mit Nein haben 114 Abgeordnete glauben machen zu können, gestimmt. Enthaltungen 37. (Detlev von Larcher [SPD]: Und was macht Der Abgeordnete Johannes Gerster (Mainz) hat ihr?) damit die erforderliche Mehrheit von 332 Stimmen erreicht. Er ist als Mitglied der Parlamentarischen die Mehrwertsteuererhöhung komme nicht und Sie Kontrollkommission gewählt. **) könnten sie verhindern. Sie sollten mit dem Vorwurf (Beifall bei der CDU/CSU) der Steuerlüge sehr vorsichtig sein; denn Sie können das nicht einhalten, was Sie jetzt versprechen. Ich möchte bei dieser Gelegenheit dem aus der Parlamentarischen Kontrollkommission ausgeschie- (Beifall bei der CDU/CSU) *) Seite 6293 B Ihre eigenen Ministerpräsidenten nehmen dazu schon **) Verzeichnis der Abgeordneten, die an der Wahl teilgenom- eine andere Haltung ein. men haben, siehe Anlage 2 6288 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 76. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Februar 1992

Präsidentin Dr. Rita Süssmuth denen Mitglied Dr. Paul Laufs noch einmal für seine Unterbindung der Geldwäsche zur Be- Mitarbeit herzlich danken und ihm für seine neue kämpfung der organisierten Kriminalität Aufgabe viel Erfolg wünschen. — Drucksache 12/1367 — Überweisungsvorschlag: Rechtsausschuß (federführend) Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 5 auf: Innenausschuß Beratung der Beschlußempfehlung des Aus- Finanzausschuß Ausschuß für Post und Telekommunikation schusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes Haushaltsausschuß (Vermittlungsausschuß) zu dem Gesetz über die Anpassung von Dienst- und Versorgungs- c) Beratung des Antrags des Bundesministers bezügen in Bund und Ländern 1991 (Bundes für Wirtschaft besoldungs- und -versorgungsanpassungsge- Rechnungslegung über das Sondervermö- setz 1991 — BBVAnpG 91) gen des Bundes „Ausgleichsfonds zur — Drucksachen 12/732, 12/1455, 12/1693, Sicherung des Steinkohleneinsatzes" — 12/2006 — Wirtschaftsjahr 1990 — Berichterstattung: — Drucksache 12/1905 — Abgeordneter Rudolf Dreßler Überweisungsvorschlag: Wird das Wort zur Berichterstattung gewünscht? — Haushaltsausschuß (federführend) Das ist nicht der Fall. Ausschuß für Wirtschaft Beratung des Antrags der Abgeordneten Dann kommen wir jetzt zur Abstimmung. Ich bitte d) ans Gott- diejenigen, die zustimmen wollen, um das Handzei- Brigitte Adler, Jan Oostergetelo, H chen. —Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen! — Die fried Bernrath, weiterer Abgeordneter und Beschlußempfehlung des Vermittlungsausschusses ist der Fraktion der SPD somit einstimmig angenommen. Für einen ethisch verantwortbaren Um- gang mit Tieren — Drucksache 12/781 — Ich rufe Tagesordnungspunkt 6 und die Zusatz- punkte 3 und 4 auf: Überweisungsvorschlag: Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten 6. a) Erste Beratung des von der Bundesregie- (federführend) rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicher- heit zes zur Änderung des Bürgerlichen Gesetz- Ausschuß für Forschung, Technologie und Technikfol- buchs (Bauhandwerkersicherungsgesetz) genabschätzung Ausschuß für Bildung und Wissenschaft — Drucksache 12/1836 — Es handelt sich um Überweisungen im vereinfach- Überweisungsvorschlag: - ten Verfahren ohne Debatte. Interfraktionell wird Rechtsausschuß (federführend) Ausschuß für Wirtschaft vorgeschlagen, die Vorlagen an die in der Tagesord- Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau nung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. Sind ZP 3 Erste Beratung des von den Fraktionen der Sie damit einverstanden? — Dann sind die Überwei- CDU/CSU, SPD und FDP eingebrachten Ent- sungen so beschlossen. wurfs eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Marktstrukturgesetzes Ich rufe den Tagesordnungspunkt 7 auf. Es handelt — Drucksache 12/2060 — sich um die Beratung von Vorlagen, zu denen keine Überweisungsvorschlag: Aussprache vorgesehen ist: Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten (feder- a) Beratung der Beschlußempfehlung und des führend) Berichts des Ausschusses für Umwelt, Natur- Rechtsausschuß Haushaltsausschuß mitberatend und gemäß § 96 GO schutz und Reaktorsicherheit (17. Ausschuß) zu dem Antrag der Fraktion der SPD ZP 4 Erste Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Finanzierung der Schiffsentsorgung in deut- vorzeitigen Inkraftsetzung des Marktstruktur- schen Seehäfen nach MARPOL — Anlage I gesetzes und darauf beruhende Rechtsverord- und II nungen im Beitrittsgebiet (Inkraftsetzungsge- — Drucksachen 12/117, 12/1897 — setz) Berichterstattung: — Drucksache 12/1946 — Abgeordnete Wolfgang Ehlers Überweisungsvorschlag : Dietmar Schütz Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten (feder- Uwe Lühr führend) Rechtsausschuß b) Beratung der Beschlußempfehlung und des Haushaltsausschuß mitberatend und gemäß § 96 GO Berichts des Ausschusses für Verkehr (16. Aus- 6. b) Beratung des Antrags der Abgeordneten schuß) zu der Unterrichtung durch die Bundes- Joachim Poß, Hans Gottfried Bernrath, regierung Dr. Ulrich Böhme (Unna), weiterer Abge- Vorschlag für eine Richtlinie des Rates über ordneter und der Fraktion der SPD die Benennung und die berufliche Befähigung Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 76. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Februar 1992 6289

Präsidentin Dr. Rita Süssmuth eines Gefahrgutbeauftragten in Unternehmen, Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau die gefährliche Güter befördern Haushaltsausschuß — Drucksachen 12/1122 Nr. 3.16, 12/1980 — c) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft Berichterstattung: (9. Ausschuß) Abgeordneter Helmut Rode (Wietzen) — zu dem Entschließungsantrag der Fraktion c) Beratung der Beschlußempfehlung des Peti- der SPD tionsausschusses (2. Ausschuß) — zu dem Entschließungsantrag der Fraktio- Sammelübersicht 44 zu Petitionen nen der CDU/CSU und FDP — Drucksache 12/1957 — zu der Unterrichtung durch die Bundesregie- d) Beratung der Beschlußempfehlung des Peti- rung tionsausschusses (2. Ausschuß) Jahreswirtschaftsbericht 1991 der Bundesre- Sammelübersicht 45 zu Petitionen gierung — Drucksache 12/1991 — — Drucksachen 12/223, 12/377, 12/391, e) Beratung der Beschlußempfehlung des Peti- 12/1521 — tionsausschusses (2. Ausschuß) Berichterstattung: Sammelübersicht 46 zu Petitionen Abgeordneter Dr. Uwe Jens — Drucksache 12/1992 — d) Beratung der Beschlußempfehlung und des Ich komme zum Tagesordnungspunkt 7 a. Wer Berichts des Ausschusses für Wirtschaft stimmt für die Beschlußempfehlung des Ausschusses? (9. Ausschuß) zu dem Antrag der Fraktion der — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Damit ist die SPD Beschlußempfehlung mehrheitlich angenommen ge- Den Aufbau in den neuen Ländern vorantrei- gen die Stimmen der SPD, der PDS/Linke Liste und ben — Investitionen fördern — Umwelt sanie- des Bündnisses 90/GRÜNE. ren — Verwaltungskraft stärken Wer stimmt für die in Tagesordnungspunkt 7 b — Drucksachen 12/670, 12/1840 — genannte Beschlußempfehlung des Ausschusses für Berichterstattung: Verkehr? — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Diese Abgeordneter Ulrich Petzold Beschlußempfehlung ist einstimmig angenommen. Zum Jahreswirtschaftsbericht liegen ein Entschlie- Wer stimmt für die in den Tagesordnungspunkten ßungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU und FDP 7 c bis e genannten Beschlußempfehlungen des Peti und ein Entschließungsantrag der Gruppe PDS/Linke tionsausschusses? — Gegenprobe! — Enthaltungen? Liste vor. — Die Beschlußempfehlungen sind bei einigen Ent- haltungen angenommen. - Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat sind für die gemeinsame Aussprache vier Stunden vorgesehen. — Dazu sehe ich keinen Widerspruch. Ich rufe Tagesordnungspunkt 8 auf: Ich eröffne die Beratungen. Das Wort hat der a) Beratung der Unterrichtung durch die Bundes- Bundesminister für Wirtschaft, Jürgen Möllemann. regierung Jahreswirtschaftsbericht 1992 der Bundesre- gierung Jürgen W. Möllemann, Bundesminister für Wirt- schaft: Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! — Drucksache 12/2018 Der Jahreswirtschaftsbericht macht deutlich, wie —Überweisungsvorschlag: groß die Aufgaben und Herausforderungen sind, vor Ausschuß für Wirtschaft (federführend) denen wir jetzt stehen. Finanzausschuß Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung Erstens. Der Aufbau der neuen Bundesländer zu Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit einem leistungsstarken Industrie- und Dienstlei- Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau stungsstandort muß weitergehen. Er wird mehr Zeit, Ausschuß für Forschung, Technologie und Technikfolgen- Kraft und Geld kosten, als wir am Anfang geglaubt abschätzung Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit haben, und er wird sicher das ganze vor uns liegende Haushaltsausschuß Jahrzehnt beanspruchen. b) Beratung der Unterrichtung durch die Bundes- Zweitens. Wir sind gefordert, die internationale regierung Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft in Gesamt- deutschland auf der Grundlage von Stabilität und Jahresgutachten 1991/92 des Sachverständi- Wachstum zu sichern. Nur wenn die Wirtschaftsloko- genrates zur Begutachtung der gesamtwirt- motive unter Dampf bleibt, wird sie die schweren schaftlichen Entwicklung Wagen den Berg hinaufziehen können. Dazu brau- — Drucksache 12/1618 — chen wir auch die Garantien des Freihandels. Dazu Überweisungsvorschlag: brauchen wir einen Erfolg bei den GATT-Verhand- Ausschuß für Wirtschaft (federführend) lungen. Finanzausschuß Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung Drittens. Die Beziehungen mit den Staaten der GUS Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit und Osteuropas brauchen eine neue, eine tragfähige 6290 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 76. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Februar 1992

Bundesminister Jürgen W. Möllemann Grundlage. Hierin liegt für ganz Europa eine Chance gen, nämlich das Gesetz zur Senkung der Einkom- der Integration. Hierin liegt aber, wenn die Staaten- men- und Körperschaftsteuer. Das ist ebenfalls not- gemeinschaft, vor allem des Westens, nicht mit Rat wendig. Es geht auch — nicht nur, aber eben auch — und Tat und entschlossen helfen, auch die Gefahr des um die im internationalen Vergleich wettbewerbs- Rückfalls in totalitäre Verhältnisse oder das Risiko feindlichen Unternehmensteuem in unserem Land. einer Ost-West-Völkerwanderung. Daneben kann auch der Anstieg der Lohnzusatzko- Viertens. Unseren hohen Umweltstandard, unsere sten nicht so weitergehen wie bisher. Hier bürden wir führende Position im Umweltschutz müssen wir noch der deutschen Wirtschaft, vor allem den kleinen und stärker als Standortvorteil ausspielen. Es gilt, das mittleren Unternehmen, weltweit die höchsten Lasten ökologisch Notwendige ökonomisch sinnvoll zu auf. Das zu ändern, hat die Koalition angekündigt. gestalten. Schon deshalb können wir uns keine falschen Kon- zepte bei der Pflegeversicherung leisten. Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, das sind ehrgeizige Ziele, die hohe Anforderungen an die (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Menschen und an uns in der Politik stellen. Sie fordern Das gilt auch für die Gesundheitsausgaben, die hohe die Leistungsfähigkeit unserer Wirtschaft, der Politik Kostenbelastungen bei der Wirtschaft und den und des gesamten Gemeinwesens. Beschäftigten verursachen. Vor diesem Hintergrund lege ich mit dem Jahres- Meine Damen, meine Herren, Aufschwung Ost wirtschaftsbericht eine erste gesamtdeutsche Projek- heißt für die Bundesregierung mehr Investitionen für tion vor: für Gesamtdeutschland eine Wachstumsrate mehr wettbewerbsfähige Arbeitsplätze. Wir wollen des Bruttosozialprodukts von gut 2 %, für Ostdeutsch- den Aufbau eines wettbewerbsfähigen Industrie- und land ein Wachstum von 10 % und für Westdeutschland Dienstleistungsstandortes in den neuen Ländern. Kein ein solches von 1,5 %. Investor aus dem In- und Ausland darf in ein Förder- Meine Kolleginnen und Kollegen, der Aufschwung loch fallen. Die Bundesregierung wird deshalb die Ost ist in diesem Jahr noch nicht selbsttragend. Er Mittel für die Regionalförderung weiter aufstocken. basiert noch immer auf erheblichen Transferleistun- Der Ausbau von Straßen- und Schienenverkehrs- gen aus Westdeutschland. Allein 1991 waren es netto wegen mit 14 Milliarden DM, aber auch der Ausbau über 100 Milliarden DM. 1992 wird sich dieser Betrag der Telekommunikation mit 9 Milliarden DM kom- noch erhöhen. Auf mittlere Sicht aber müssen wir men auf hohem Niveau voran. Hier werden auch neue wieder zu normalen Verhältnissen zurück. Die Wege der Finanzierung und der Privatisierung gesamtwirtschaftliche Leistungsfähigkeit und die Sta- beschritten, die der klassischen Haushaltsfinanzie- bilität gerieten sonst in Gefahr. rung überlegen sind.

Die Haushalts - und Finanzpolitik werden weiterhin Die Länder haben angekündigt, alle mit einem im Vordergrund stehen, wenn wir über Wachstums- Investitionsprojekt verbundenen Planungs - und Ge- chancen sprechen. Sie müssen ihren Teil dazu beitra- nehmigungsvorgänge innerhalb von sechs Monaten gen, um Beschäftigung in Deutschland weiterhin- abzuschließen. Das ist eine gute, aber auch eine attraktiv zu halten. mutige Ankündigung. Die Bundesregierung setzt dar- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) auf, daß aus ihr Wirklichkeit wird, damit der Auf- schwung nicht dadurch gehemmt wird, daß bürokra- Darauf weist dankenswerter Weise auch der Sachver- tische Entscheidungsprozesse zu lange dauern. ständigenrat in seinem hier heute zur Beratung anste- henden Jahresgutachten hin. Wir sollten diese klaren Trotz aller Kritik will ich hier feststellen, daß die Aussagen gebührend zur Kenntnis nehmen. Treuhandanstalt ihren schwierigen Aufgaben gerecht wird. Nach 5 000 Privatisierungen in noch nicht ein- Neue Leistungen müssen mit Einsparungen an mal eineinhalb Jahren steht jetzt nur noch jeder fünfte anderer Stelle finanziert werden. Generell gilt, daß Beschäftigte in Ostdeutschland auf der Gehalts- und das Moratorium für neue Leistungsgesetze auf abseh- Lohnliste der Treuhandanstalt. Das ist weiß Gott eine bare Zeit weiter gelten muß. Leistung, für die Frau Breuel und ihre Mitarbeiter (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Dank und Anerkennung verdienen. Meine Damen, meine Herren, zu einer soliden (Beifall bei Abgeordneten der FDP und der Haushalts- und Finanzpolitik gehört weiterhin auch CDU/CSU — Zuruf von der SPD: Der Beifall die Überprüfung bestehender staatlicher Vergünsti- ist aber dünn!) gungen in Form von direkten Finanzhilfen und — Ich nehme das mit Interesse zur Kenntnis. Steuervergünstigungen. Das heißt, der Subventions- abbau muß fortgesetzt werden. Auch ich weiß, wie Die Politik der Privatisierung hat sich bewährt. Sie schwierig das ist. Die Erfahrung habe ich selber wird und muß von der grundsätzlichen Orientierung zusammen mit Ihnen gemacht. Aber es ist notwendig, her so fortgeführt werden. diesen schwierigen Prozeß weiter fortzusetzen. Allerdings muß die aktive Sanierung 1992 stärker Wettbewerbsfähigkeit stärken heißt auch, die als bisher in den Vordergrund treten. Dafür müssen Unternehmensteuerreform umzusetzen. Sie ist und und werden wir der Treuhandanstalt die dafür nötige bleibt ein zentraler Bestandteil der Wirtschaftspolitik. Zeit und das dafür nötige Geld zur Verfügung stellen. Das heißt, nach dem hoffentlich positiven Entscheid Überall dort, wo in absehbarer Zeit Wettbewerbsfä- des Bundesrates morgen werden wir in diesem Jahr higkeit erreicht werden kann, eröffnet die Sanierung das Gesetz, was den zweiten Schritt betrifft, einbrin den Menschen Perspektiven auf sinnvolle Arbeit. Dies Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 76. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Februar 1992 6291

Bundesminister Jürgen W. Möllemann sollen die Treuhandanstalt und die Treuhandkabi- ist ökonomisch und finanzpolitisch wenig sinnvoll und nette in den Ländern besonders berücksichtigen. eben deshalb auch verfassungsrechtlich kaum reali- Liebe Kolleginnen und Kollegen, die jüngsten Mel- sierbar. Wir sind bereits jetzt bei mehr Entschädigung dungen zum Arbeitsmarkt zeigen, wie beschwerlich als Restitution — so hat es schon vor der Weg ist, den wir noch vor uns haben. Ich habe einem Jahr festgestellt. Dieser Trend wird sich durch bereits zum letzten Jahreswirtschaftsbericht gesagt: die beabsichtigte Novelle zum Vermögensgesetz, die Die Arbeitslosenzahlen in den neuen Bundesländern Herr Kinkel und ich jetzt gemeinsam erarbeitet haben, werden steigen. Ich wiederhole: Die Menschen in den weiter verstärken. neuen Bundesländern brauchen nicht die Erhaltung (Hans-Ulrich Klose [SPD]: Vorsicht!) der alten Arbeitsplätze um jeden Preis. Was sie brauchen, sind neue Arbeitsplätze, solche, die überle- Lassen Sie uns also nicht die Schlachten von gestern bensfähig sind, wiederholen. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) die dem internationalen Konkurrenzdruck standhal- Meine Damen und Herren, es geht nicht ohne ten können und damit eine wirkliche Perspektive Grundbücher. Also kann niemand vorbei am mühse- bieten. ligen Umgang mit ihnen. Es geht nicht ohne gericht- Wir setzen die Fördermittel dort ein, wo sie den lichen Rechtsschutz. Man darf sich allerdings als größten Nutzen für Investitionen und Arbeitsplätze verantwortliche Gemeindeverwaltung nicht zu sehr bringen. Von Maßnahmen der Kurzarbeit, der von manchmal bemerkenswert offensiven Anwalts- Arbeitsbeschaffung und Qualifizierung, von Vorruhe- schreiben beeindrucken lassen. Bund, Länder und stand und Altersübergangsgeld haben im letzten Jahr Gemeinden müssen zusammenwirken, um die perso- 2 Millionen Beschäftigte profitiert. 1992 unternimmt nellen Engpässe noch weiter zu überbrücken, damit die Bundesanstalt für Arbeit mit Ansätzen von 36 Mil- hieran die notwendigen Entscheidungen nicht zu liarden DM nochmals erhebliche Anstrengungen. lange festgehalten werden. Damit sich noch mehr Personen qualifizieren kön- Die konjunkturelle Entwicklung in Westdeutsch- nen, habe ich die Kopplung von Arbeitsbeschaffungs- land ist natürlich nicht mit letzter Sicherheit einzu- maßnahmen und Qualifizierung vorgeschlagen. schätzen. Sie hängt nicht zuletzt auch von der Lohn- Noch besser qualifizierte Arbeitnehmer als bisher sind entwicklung ab. Die Zahl 4 ist natürlich keine magi- nötig, um bei immer moderneren, intelligenteren sche Zahl. Im Gegenteil, wir müssen herunter von 4 % Technologien auch in den neuen Bundesländern mit- Inflation. Damit tun wir mehr für die Beschäftigten, als halten zu können. Hier liegt der Schwerpunkt der es noch so heftige Grabenkämpfe bei Lohnverhand- Arbeitsmarktpolitik für die Menschen in den neuen lungen je erreichen können. Bundesländern. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Liebe Kolleginnen und Kollegen, in der Eigentums-- der CDU/CSU) frage wird wie in kaum einem anderen Bereich des Der Streit um die Mitbestimmung, die seinerzeitige Aufschwungs Ost deutlich, wie sehr wir alle Lernende Klage über das Ende der konzertierten Aktion liegt in diesem Prozeß sind. Aufschwung Ost war und ist lange zurück. In den neuen Chancen des Miteinan- mehr als die Summe staatlicher Förderungspro- ders liegt die Zukunft der Industriegesellschaft. Off- gramme und Transferleistungen. nen wir uns für die partnerschaftliche Teilhabe am (Zuruf von der SPD: Auf uns wollt ihr ja nicht Wirtschaftsergebnis, für neue Formen der Arbeitszeit, hören!) der Entlohnung, der Gewinnbeteiligung. Das Inve- Es ging und geht um Rahmensetzung, die Markt- stivlohnkonzept zielt zugleich auf die Lohnseite und kräfte freisetzt. Zum Kern dieser Rahmensetzung auf die Investitionen. Auf Investitionen kommt es für gehört es, Eigentümerinteressen zu schaffen und den Aufschwung Ost entscheidend an. dadurch Märkte zu eröffnen, wie Mit den Löhnen, die für die Arbeitnehmer in den es ausgedrückt hat. neuen Bundesländern durchgesetzt sind, haben sich Daß wir als Bundesregierung und Koalition hierüber die Arbeitnehmer im Grunde das verbliebene Produk- einig sind, auch einig mit der größten Oppositionspar- tivvermögen der früheren DDR fast vollständig ange- tei, mit Gewerkschaften und Unternehmern, mit den eignet, jedenfalls im wirtschaftlichen Sinne. Wenn Bürgern im Westen wie im Osten, darin liegt die Arbeitnehmer einen Teil der Löhne einsetzen, die eigentliche Stärke und Erfolgsaussicht der Strategie noch nicht erwirtschaftet sind, und im Unternehmen Aufschwung Ost. belassen, bis sie erwirtschaftet und damit sie erwirt- schaftet werden, dann sind sie Mitgestalter, Mitunter Die Vorschläge zur Verlängerung und Verbesse- nehmer des historischen Programms Aufschwung rung der Vorfahrtsregel sind durch ständigen Erfah- Ost. rungsaustausch mit Detlef Rohwedder und Frau Breuel zustande gekommen. Wir wissen, das ist Sache der Tarifparteien. Sie tragen jetzt eine besondere Verantwortung für das (Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Sie wissen, daß Gemeinwohl und für unsere Zukunft. Es gibt gegen- das nicht stimmt!) wärtig ermutigende Signale, daß dieser übergeordne- Der Streit um die Prinzipienfrage „Entschädigung ten Verantwortung auf diesem Feld entsprochen wer- oder Rückgabe" führt nicht weiter. Grundstücke zu den soll. Jetzt ist die Zeit für gemeinsame Lösungen — entschädigen, die niemand für Investitionen braucht, nicht nur in den neuen Bundesländern. 6292 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 76. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Februar 1992

Bundesminister Jürgen W. Möllemann Liebe Kolleginnen und Kollegen, gerade in diesen — Zur Wirtschaft gehören beide: die Arbeitgeber und Wochen werden auf internationalen Bühnen mehr die Arbeitnehmer. Natürlich ist es auch für die denn je Schicksalsfragen der Wirtschaft entschieden. Lebens- und Arbeitsbedingungen der Beschäftigten Ein Scheitern der in der Schlußphase befindlichen nicht ohne Belang.

GATT- Runde würde uns, würde die Exportnation Meine Damen, meine Herren, die Bewahrung der Deutschland besonders treffen. Es hätte folgen- natürlichen Lebensgrundlagen ist ebenfalls eine schwere Wirkungen für die neuen Bundesländer, für Standortchance für die deutsche Wirtschaft und die Integration Osteuropas und für die Länder der unsere Arbeitnehmer. Umweltbeauftragte in den Dritten Welt. Internationaler Handel und internatio- Unternehmen können hier zugleich für wirksameren nale Arbeitsteilung in der Produktion sind kein Null- Umweltschutz, für sparsameren Umgang mit ökono- summenspiel. Dort, wo wie im Agrarsektor Abschot- mischen Ressourcen und für die Verkürzung der tung das Geschehen bestimmte, sind Entwicklungs- Genehmigungsverfahren sorgen. Die Sicherung des chancen verpaßt worden, haben alle teuer bezahlt: die Industriestandortes Deutschland auf Kosten des Länder, denen wir unsere Märkte verweigern, und die Umweltschutzes kann natürlich nicht unsere Position Verbraucher, die subventionierte Produkte kaufen. sein. Dies liegt weder im Interesse der Bürger noch im Arthur Dunkel, der Generalsekretär des GA TT, hat Interesse der Wirtschaft. Der hohe Umweltstandard ist vor einigen Tagen gesagt: Wir stehen jetzt vor der Standortvorteil und sichert zukünftige Marktchancen. Stunde der Wahrheit. Dies ist zutreffend. Wenn wir insgesamt unsere Ansprüche überprüfen müssen, heißt das für mich: Einkommenssteigerungen (Zuruf von der SPD) dürfen nicht durch Abstriche beim Umweltschutz — Ja, ich weiß, die Stunde der Wahrheit herrscht hier finanziert werden. An erster Stelle aller Anstrengun- dauernd; aber in dem Fall trifft es zu. gen zum Ausgleich von Ökonomie und Ökologie stehen die wirksame Senkung des Energieeinsatzes Ich bin der festen Überzeugung, daß die Bundesre- und der entschlossene Ausbau regenerativer Ener- gierung gut daran tut, in dieser entscheidenden Phase gien weltweit. Der Weltenergiemarkt ist ein Schlüs- zum Vorreiter für einen Erfolg der GATT-Verhand- selbereich der Weltwirtschaftsordnung. lungen zu werden. Die Klimapolitik kann langfristig diese Ordnung (Beifall bei der FDP) stärken und für ihre Ziele nutzen. Wir brauchen daher Niemand braucht den internationalen Freihandel eine europäische Klimaschutzregelung, eine Klima- mehr als wir. Deswegen haben wir uns in der Bundes- schutzabgabe oder -steuer, wie sie jetzt die EG regierung darauf festgelegt, in der Schlußphase die vorgeschlagen hat, als europäische Regelung. notwendigen Impulse zu geben, damit die Verhand- (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten lungen zum Erfolg geführt werden können. der CDU/CSU) Meine Damen, meine Herren, im weltweiten Wett- Ökonomisch und ökologisch sind hier nationale Kon- bewerb auf offenen Märkten werden Mitbestimmung- zepte nicht hinreichend; vielmehr ist die Einbringung und Mitverantwortung noch stärker dazu beitragen, unserer nationalen Ideen in eine europäische Lösung das eigentliche Zukunftspotential weiter zu entfalten. erforderlich. Wir brauchen einen Ausstieg aus der Die starre Aufteilung der Produktion in kleinste FCKW-Produktion; das hat die gestrige Debatte in Arbeitsabläufe am Fließband ist überholt. Moderne diesem Hause deutlich gemacht. Produktion vollzieht sich auch als Lernprozeß. Pro- duktivität ist deshalb zuallererst durch Einfallsreich (Detlev von Larcher [SPD]: Das wissen wir tum am Arbeitsplatz, durch flexible Handlungsspiel- aber schon länger!) räume und eigenständige Fehlersuche zu steigern. In — Herr Kollege, ich weiß, daß Ihnen das meiste schon der Arbeitswelt von morgen sind mehr Eigenverant- länger geläufig ist. Sie sollten es nur zum Gegenstand wortung, mehr Mitgestaltung, mehr Freiheit und mehr Ihres Handelns machen. Flexibilität die entscheidenden Faktoren. (Lachen und Zurufe von der SPD) Arbeitnehmer und Unternehmen gestalten schon die Zukunft. Sie haben sich in vielen Fällen bereits auf Auch unabhängig vom Klimaaspekt stellt der Ener- die Entkopplung von Maschinennutzung und Arbeits- gieverbrauch zusammen mit dem Bevölkerungs- zeit verständigt. Aber das ist noch nicht häufig genug wachstum langfristig die zentrale umweltpolitische der Fall; das muß sich weiter fortsetzen. Das ist Größe dar. praktizierte Verantwortung. Sie sichert Beschäftigung Meine Damen, meine Herren, wir haben zu Beginn am Standort Bundesrepublik. dieses Jahres 1992 — das belegt der Jahreswirt- Es lohnt sich, nach Regensburg zu einem großen schaftsbericht; das belegen seine Kernaussagen — die Automobilbauer zu fahren. Dort haben Unternehmer Chance, dieses Jahr zum zehnten Jahr wirtschaftli- und Arbeitnehmer partnerschaftliche Lösungen ge- chen Wachstums in Folge zu machen. Eine solche funden, die die ökonomischen Erfordernisse mit den lange Phase wirtschaftlicher Prosperität, hohen individuellen Interessen der Arbeitnehmer verbin- Wohlstands, ausgeprägter Freizeit und der Möglich- den. Ich glaube, wenn dieses Beispiel Schule machte, keit, sie auch zu nutzen, haben wir noch nicht gehabt. könnte es unserer Wirtschaft einen wesentlichen Gewiß ist das nicht zuallererst das Verdienst der Wettbewerbsvorteil verschaffen. jeweils wirtschaftspolitisch Verantwortlichen, son- dern primär derer, die in den verschiedenen Berei- (Hans-Ulrich Klose [SPD]: Den Arbeitneh chen, in den Be trieben, in den Verwaltungen und in mern auch!) den Praxen, gestaltend tätig sind. Aber so schlecht Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 76. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Februar 1992 6293

Bundesminister Jürgen W. Möllemann kann die Wirtschaftspolitik nicht gewesen sein, die die Dr. Fell Lamp Rahmenbedingungen für einen solchen Prozeß Fischer (Hamburg) Lattmann Frau Fischer (Unna) Dr. Laufs geschaffen hat. Fockenberg Laumann (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Francke (Hamburg) Frau Dr. Lehr Frankenhauser Lenzer Wenn wir mit Augenmaß und Vernunft, mit den Dr. Friedrich Dr. Lieberoth Leitlinien für die Wirtschaftspolitik, die das wirt- Fritz Frau Limbach schaftspolitische Handeln in den Jahren zwischen Fuchtel Link (Diepholz) Ganz (St. Wendel) Lintner 1983 und 1990 geprägt haben, auch in dieses Jahr Frau Geiger Dr. Lippold (Offenbach) hineingehen, dann besteht die Chance, daß 1992 ein Geis Dr. sc. Lischewski gutes wirtschaftliches Jahr wird, daß wir die Kraft Dr. Geißler Frau Löwisch haben, die großen Probleme in den neuen Bundeslän- Dr. von Geldern Lohmann (Lüdenscheid) dern entschlossen anzugehen und Schritt für Schritt zu Gerster (Mainz) Louven Gibtner Lummer meistern, in einem Prozeß, der dauern wird, und daß Glos Dr. Luther wir die großen Hoffnungen und Erwartungen, die auf Dr. Göhner Maaß (Wilhelmshaven) Deutschland ruhen — nicht nur in Osteuropa, sondern Göttsching Frau Männle Götz Magin in vielen Teilen der Welt — nicht enttäuschen müssen. Dr. Götzer Dr. Mahlo Aber der Umkehrschluß gilt eben auch: Wenn wir uns Gres Frau Marienfeld in einer solchen Situation, in der alle Kräfte ange- Frau Grochtmann Dr. Mayer (Siegertsbrunn) spannt werden, selbst lähmen, unsere Kraft in Vertei- Gröbl Meckelburg Grotz Meinl lungskämpfen verbrauchen, dann werden wir das Dr. Grünewald Frau Dr. Merkel nicht können. Deswegen ist es jetzt Zeit, die richtigen Günther (Duisburg) Frau Dr. Meseke Prioritäten zu setzen. Das haben wir mit dem Jahres- Frhr. von Hammerstein Dr. Meyer zu Bentrup wirtschaftsbericht versucht. Harries Frau Michalk Haschke (Großhennersdorf) Michels Ich danke Ihnen. Haschke (Jena-Ost) Dr. Mildner Frau Hasselfeldt Dr. Möller (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Haungs Molnar Hauser (Esslingen) Müller (Kirchheim) Hauser (Rednitzhembach) Müller (Wesseling) Vizepräsident Hans Klein: Meine Damen und Her- Heise Nelle ren! Bevor ich den nächsten Redner aufrufe, gebe ich Frau Dr. Hellwig Neumann (Bremen) Dr. Hennig Nitsch Ihnen das von den Schriftführern ermittelte Ergebnis Dr. h. c. Herkenrath Frau Nolte der namentlichen Abstimmung über die Beschluß- Hinsken Dr. Olderog empfehlungen des Vermittlungsausschusses auf den Hintze Ost Drucksachen 12/2044 und 12/2045 bekannt. Hörsken Oswald Hörster Otto (Erfu rt) Es wurden 555 Stimmen abgegeben. Davon ist Dr. Hoffacker Dr. Päselt keine Stimme ungültig. Mit Ja haben 347 gestimmt. Dr. Hornhues Dr. Paziorek Hornung Pesch Mit Nein haben 206 gestimmt. Es gibt 2 Enthaltun- Hüppe Petzold gen. Jäger Pfeffermann Jagoda Pfeifer Dr. Jahn (Münster) Dr. Pflüger Endgültiges Ergebnis Frau Dr. Böhmer Janovsky Dr. Pinger Börnsen (Bönstrup) Frau Jeltsch Pofalla Abgegebene Stimmen: 553; Dr. Bötsch Dr. Jobst Dr. Pohler davon Bohl Dr.-Ing. Jork Frau Priebus Borchert Dr. Jüttner Dr. Probst ja: 345 Brähmig Jung (Limburg) Dr. Protzner nein: 206 Breuer Junghanns Dr. Ramsauer Frau Brudlewsky Dr. Kahl Rauen enthalten: 2 Brunnhuber Kampeter Rawe Bühler (Bruchsal) Dr.-Ing. Kansy Regenspurger Büttner (Schönebeck) Dr. Kappes Dr. Reinartz Ja Buwitt Keller Frau Reinhardt Carstensen (Nordstrand) Kiechle Repnik CDU/CSU Clemens Klein (Bremen) Dr. Rieder Dehnel Klein (München) Dr. Riedl (München) Frau Dr. Ackermann Frau Dempwolf Klinkert Dr. Riesenhuber Adam Deß Köhler (Hainspitz) Rode (Wietzen) Dr. Altherr Frau Diemers Dr. Köhler (Wolfsburg) Frau Rönsch (Wiesbaden) Frau Augustin Dörflinger Dr. Kohl Frau Roitzsch (Quickborn) Augustinowitz Doss Frau Kors Romer Bargfrede Dr. Dregger Koschyk Rother Dr. Bauer Echternach Kossendey Dr. Ruck Frau Baumeister Ehlers Kraus Rühe Bayha Ehrbar Dr. Krause (Börgerende) Dr. Rüttgers Belle Frau Eichhorn Dr. Krause (Bonese) Sauer (Salzgitter) Bierling Engelmann Krause (Dessau) Scharrenbroich Dr. Blank Eppelmann Krey Frau Schätzle Frau Blank Eylmann Kronberg Dr. Schäuble Dr. Blens Frau Eymer Dr.-Ing. Krüger Schartz (Trier) Bleser Frau Falk Krziskewitz Schemken Dr. Blüm Dr. Faltlhauser Lamers Scheu Böhm (Melsungen) Feilcke Dr. Lammert Schmalz 6294 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 76. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Februar 1992

Vizepräsident Hans Klein Schmidbauer Gallus Dr. von Bülow Müller (Düsseldorf) Schmidt (Fürth) Ganschow Büttner (Ingolstadt) Müller (Schweinfurt) Dr. Schmidt (Halsbrücke) Gattermann Frau Bulmahn Frau Müller (Völklingen) Schmidt (Mühlheim) Gries Frau Burchardt Müller (Zittau) Frau Schmidt (Spiesen) Grünbeck Bury Müntefering Schmitz (Baesweiler) Grüner Frau Caspers-Merk Neumann (Bramsche) Dr. Schneider (Nürnberg) Günther (Plauen) Catenhusen Neumann (Gotha) Dr. Schockenhoff Dr. Guttmacher Conradi Frau Dr. Niehuis Graf von Schönburg Hackel Frau Dr. Däubler-Gmelin Dr. Niese -Glauchau Heinrich Daubertshäuser Niggemeier Dr. Scholz Dr. Hirsch Frau Dr. Dobberthien Frau Odendahl Frhr. von Schorlemer Dr. Hitschler Dreßler Oesinghaus Dr. Schreiber Frau Homburger Ebert Oostergetelo Schulhoff Dr. Hoyer Dr. Eckardt Ostertag Dr. Schulte Hübner Dr. Ehmke (Bonn) Frau Dr. Otto (Schwäbisch Gmünd) Irmer Eich Paterna Schulz () Kleinert (Hannover) Erler Dr. Penner Schwalbe Kohn Ewen Peter (Kassel) Schwarz Dr. Kolb Frau Ferner Dr. Pfaff Dr. Schwörer Koppelin Frau Fischer Pfuhl Seehofer Dr.-Ing. Laermann (Gräfenhainichen) Poß Seesing Dr. Graf Lambsdorff Fischer (Homburg) Reimann Seibel Frau Leutheusser Formanski Frau von Renesse Seiters Schnarrenberger Frau Fuchs (Köln) Frau Rennebach Dr. Sopart Lüder Frau Fuchs (Verl) Reschke Frau Sothmann Lühr Fuhrmann Reuschenbach Spilker Dr. Menzel Frau Ganseforth Reuter Spranger Möllemann Gansel Rixe Dr. Sprung Nolting Dr. Gautier Roth Frau Steinbach-Hermann Dr. Ortleb Gilges Frau Schaich-Walch Dr. Stercken Paintner Frau Gleicke Schanz Dr. Frhr. von Stetten Frau Peters Dr. Glotz Scheffler Stockhausen Frau Dr. Pohl Graf Schily Dr. Stoltenberg Richter (Bremerhaven) Großmann Schloten Stübgen Rind Haack (Extertal) Schluckebier Frau Dr. Süssmuth Dr. Röhl Hacker Frau Schmidt (Aachen) Susset Schäfer (Mainz) Hampel Frau Schmidt (Nürnberg) Tillmann Frau Schmalz-Jacobsen Frau Hanewinckel Schmidt (Salzgitter) Dr. Töpfer Dr. Schmieder Hasenfratz Frau Schmidt-Zadel Uldall Schüßler Hiller (Lübeck) Dr. Schmude Frau Verhülsdonk Schuster Hilsberg Dr. Schöfberger Vogel (Ennepetal) Frau Dr. Schwaetzer Dr. Holtz Schreiner Vogt (Düren) Frau Sehn Huonker Frau Schröter Dr. Voigt (Northeim) Frau Seiler-Albring Frau Iwersen Schröter Dr. Vondran Frau Dr. Semper - Frau Jäger Schütz Dr. Waffenschmidt Dr. Solms Frau Janz Dr. Schuster Dr. Waigel Dr. Starnick Dr. Janzen Schwanitz Graf von Waldburg-Zeil Frau Dr. von Teichman Jaunich Seidenthal Dr. Warnke Dr. Thomae Dr. Jens Frau Seuster Dr. Warrikoff Timm Jung (Düsseldorf) Sielaff Werner (Ulm) Türk Frau Kastner Frau Simm Wetzel Frau Walz Kirschner Singer Frau Wiechatzek Wolfgramm (Göttingen) Frau Klappert Frau Dr. Skarpelis-Sperk Dr. Wieczorek (Auerbach) Frau Würfel Frau Klemmer Frau Dr. Sonntag-Wolgast Frau Dr. Wilms Zurheide Klose Sorge Wilz Dr. sc. Knaape Frau Steen Wimmer (Neuss) Körper Steiner Frau Dr. Wisniewski Frau Kolbe Stiegler Wissmann Fraktionslos Kolbow Dr. Struck Dr. Wittmann Koltzsch Tappe Wittmann (Tännesberg) Lowack Koschnick Frau Terborg Wonneberger Kubatschka Dr. Thalheim Frau Wülfing Kuhlwein Thierse Würzbach Lambinus Tietjen Frau Yzer Frau Lange Urbaniak Zeitlmann Nein von Larcher Vergin Zöller Leidinger Verheugen SPD Lennartz Dr. Vogel Lohmann (Witten) Voigt (Frankfurt) FDP Frau Adler Frau Dr. Lucyga Vosen Andres Maaß (Herne) Wallow Frau Dr. Babel Bachmaier Frau Marx Waltemathe Beckmann Frau Barbe Frau Mascher Walter (Cochem) Bredehorn Becker (Nienberge) Matschie Wartenberg (Berlin) Cronenberg (Arnsberg) Frau Becker-Inglau Dr. Matterne Weiermann Eimer (Fürth) Bernrath Frau Matthäus-Maier Frau Weiler Engelhard Beucher Frau Mattischeck Weis (Stendal) van Essen Bindig Meckel Weißgerber Dr. Feldmann Brandt Frau Mehl Welt Friedhoff Frau Brandt-Elsweier Meißner Dr. Wernitz Friedrich Dr. Brecht Dr. Mertens (Bottrop) Frau Wester Funke Büchler (Hof) Dr. Meyer (Ulm) Frau Westrich Frau Dr. Funke-Schmitt-Rink Buchner (Speyer) Mosdorf Frau Dr. Wetzel Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 76. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Februar 1992 6295

Vizepräsident Hans Klein Frau Weyel Dr. Schumann (Kroppenstedt) finde allerdings, der Bundeskanzler sollte den Mut Frau Wieczorek-Zeul Dr. Seifert haben, klar und deutlich zu sagen, daß die Bundesre- Wiefelspütz Frau Stachowa selbst einen erheblichen Beitrag geleistet hat, Wimmer (Neuötting) gierung Dr. de With die Forderungen nach oben zu treiben. Bündnis 90/GRÜNE Wittich (Beifall bei der SPD) Frau Wohlleben Dr. Feige Frau Wolf Frau Köppe Denn sie ist verantwortlich für die derzeit aus deut- Frau Zapf Poppe scher Sicht hohe Preissteigerungsrate, die überdies Dr. Zöpel Dr. Ullmann durch eine Erhöhung der Mehrwertsteuer weiter nach PDS/LL Fraktionslos oben getrieben würde. Es ist doch kein Zufall, Herr Frau Dr. Enkelmann Kollege Schäuble, daß die erste zweistellige Tariffor- Frau Dr. Fischer Henn Dr. Gysi derung angemeldet wurde, nachdem innerhalb der Dr. Heuer Enthalten Bundesregierung über eine Erhöhung der Mehrwert- Frau Dr. Höll steuer nicht nur um 1 sondern um 2 Punkte geredet Frau Jelpke Bündnis 90/GRÜNE wurde. Dr. Keller Frau Lederer Schulz (Berlin) Noch immer halten Sie ja, wie wir heute gehört Dr. Riege Weiß (Berlin) haben, an der Absicht fest, die Mehrwertsteuer auf Die Beschlußempfehlungen des Vermittlungsaus- 15 % anzuheben, obwohl die Bundesbank, die Wi rt schusses sind damit angenommen. -schaft und alle Sachverständigen vor den Folgen dieser Steuerpolitik warnen. Selbst die „FAZ" stellt Ich erteile das Wort dem Abgeordneten Hans-Ulrich fest, zugegeben nicht im Politikteil, sondern im Wirt- Klose. schaftsteil, wo man es ja bisweilen anders liest — ich zitiere —: „Wer den Lohnkonflikt in den Blick nimmt, Hans - Ulrich Klose (SPD): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Herr Bundeskanzler hat in der wird die These der SPD nicht beiseite schieben seiner traditionellen Pressekonferenz zu Beginn des können, die höhere Mehrwertsteuer sei Gift für die Jahres laut „FAZ" erklärt, das Jahr 1992 dürfe kein Konjunktur." — Das Argument ist richtig, Herr Kol- Jahr der Verteilungskämpfe und des Anspruchsden- lege Schäuble, und zwar nicht nur, weil die Gewerk- kens werden. schaften reagieren müssen, sondern auch weil die Bundesbank aus Gründen der Geldwertstabilität rea- (Zuruf von der CDU/CSU: Recht hat er!) gieren und die Zinsen hochhalten muß, obwohl alle Der Bundeswirtschaftsminister hat sich eben ähnlich unsere Partner auf ein Zinssignal nach unten war- geäußert. ten. Meine Damen und Herren, das Ziel solcher Aussa- Der Herr Bundeskanzler sei, so haben wir gehört, gen ist klar. Beide wollen angesichts wachsender über die jüngste Leitzinserhöhung der Bundesbank ökonomischer Schwierigkeiten politisch vorsorgen, nicht glücklich gewesen. Nun, er hätte sich — statt zu um die Schuld für voraussehbare Probleme rechtzeitig lamentieren — zu seines Glückes eigenem Schmied anderen zuzuschieben, machen sollen. Er hätte ja die Mehrwertsteuerpläne (Beifall bei der SPD) zum gegenwärtigen Zeitpunkt aufgeben können. Zumal Sie früheren Unwahrheiten derzeit eine wei- den Gewerkschaften nämlich. tere hinzufügen müssen, (Dr. Wolfgang Schäuble [CDU/CSU]: Na, was denn die Frau Simonis dazu sagt!) (Zuruf von der SPD: Sehr wahr!) Das Rezept ist ja auch vielfach erprobt. Auch Graf nämlich indem der Herr Bundeskanzler und Sie, Herr Lambsdorff hat bei dem ebenfalls traditionellen Drei- Kollege Schäuble, behaupten, die EG-Harmonisie- königstreffen nach einer vernichtenden Kritik an der rung der Steuern komme „zwingend" — „zwingend" Finanzpolitik der Bundesregierung am Ende nur haben Sie gesagt! — zum 1. Januar 1993. Die Wahr- einen Schuldigen benennen wollen, nämlich die heit ist, daß wir für diese Harmonisierung bis 1997 Zeit Gewerkschaften, die mit zu hohen Tarifforderungen haben. Es liegt derzeit allein an der Bundesregierung, Stabilität und Wachstumskräfte gefährdeten. Es ist ob sie einer rechtlich verpflichtenden Richtlinie — die immer dieselbe Litanei. Entscheidung ist im April dieses Jahres; das haben Sie selber gesagt — schon zum 1. Januar 1993 zustimmen (Dr. Otto Graf Lambsdorff [FDP]: Sie hören will oder nicht. Sie verstößt keineswegs gegen EG- nie richtig zu!) Vereinbarungen, wenn sie jetzt mit Blick auf die Mit ihr versucht die Bundesregierung von eigenen konjunkturelle Lage bei dem alten Satz von 14 Fehlern, z. B. in der Finanzpolitik, abzulenken. Dazu bleibt. kommt dann noch — zur Aufbesserung schwacher (Beifall bei der SPD) Argumente — der Hinweis auf die hohen Kosten der deutschen Einigung, die man so nicht habe vorausse- Das ist die Wahrheit, nicht aber das, was Sie hier heute hen können. Das mag ja sein. Aber wie man diese wieder erklärt haben. mangelnde Voraussicht bewerten muß, ist eine (Dr. Wolfgang Schäuble [CDU/CSU]: Das andere Frage. Gegenteil ist richtig!) (Beifall bei der SPD) Was Ihre Kritik an unserer Haltung zu dem Ver- Es mag auch durchaus sein — ich vermute das handlungsergebnis von Maastricht angeht: Ich sogar —, daß die hohen Lohnforderungen der denke, wenn Sie unsere Reden und Erklärungen dazu Gewerkschaften die Bundesregierung stören. Ich lesen, müssen Sie — Fairneß unterstellt — zugeben, 6296 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 76. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Februar 1992

Hans-Ulrich Klose daß wir uns in hohem Maße verantwortlich verhalten Unwahrheit gesagt zu haben. Das ist der eigentliche haben, Grund. (Dr. Wolfgang Schäuble [CDU/CSU]: Im (Beifall bei der SPD) Dezember ja!) Das muß hier einmal gesagt werden, weil man sich denn wir wollen nicht weniger Europa, sondern wir nicht immer so dick moralisch aufplustern sollte, wenn wollen mehr, und zwar mehr Demokratie in Europa. ganz andere Argumente für die Entscheidung eine (Beifall bei der SPD) Rolle gespielt haben. Das will auch der Bundeskanzler; jedenfalls lauten die Ich will auf den Herrn Bundeskanzler zurückkom- Erklärungen so. Deshalb werden wir intern sogar men. Er wolle den Investitionsstandort Deutschland ermutigt, Druck zu machen, damit man in diesem sichern, hat er gesagt. Er wolle die Frage der Siche- Sinne noch ein bißchen mehr herausholen kann. rung Deutschlands als führendes wettbewerbsfähiges (Beifall bei der SPD) Industrieland auch zum Wahlkampfthema machen. Nach dem Hinweis auf die schwache amerikanische Ich empfinde es als eine unanständige Aufgabenver- Konjunktur und die Schwierigkeiten der europäi- teilung, wenn uns intern gesagt wird: Macht mal schen Automobilhersteller kommt es wieder: Daraus Druck, damit wir eine bessere Verhandlungsposition müßten Konsequenzen in der Tarifpolitik und in der haben, und dann stellen Sie sich hier hin und greifen Steuerpolitik gezogen werden. uns moralisch hochtönend wegen unserer Position zu Maastricht an. Das ist nicht in Ordnung, Herr (Matthias Wissmann [CDU/CSU]: So ist es! — Schäuble! Michael Glos [CDU/CSU]: Der Mann hat recht!) (Beifall bei der SPD — Ingrid Matthäus Maier [SPD]: Ausgesprochen unfair!) Ich würde den Herrn Bundeskanzler, wenn er noch da Da ich gerade einmal dabei bin: Herr Kollege wäre, gerne fragen Schäuble, die Funktionsfähigkeit unseres parlamen- (Dr. Herta Däubler-Gmelin [SPD]: Wo ist er ist nicht, wie Sie in einem Gespräch tarischen Systems denn eigentlich?) mit der „FAZ" behauptet haben, durch die Schwäche der SPD bedroht, sondern durch die Tatsache, daß — es kann schon einmal sein, daß man dringende diese Bundesregierung mehr und mehr dazu über- Termine hat; das akzeptiere ich —, geht, ihre Politik absolut zu setzen. Sie selbst sind ja ein Meister solcherart Darstellung. Für Sie ist — das (Bundesminister : Ich sage es haben wir inzwischen gelernt, und das haben Sie hier ihm! — Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Bis jetzt heute auch wieder vorgeführt — alles Polemik, was hat er nichts versäumt!) Ihrer politischen Meinung widerspricht. welche Konsequenzen er denn in der Tarifpolitik - (Beifall bei der SPD) ziehen will. Verhandlungspartner ist der Bund jeden- falls nur im öffentlichen Dienst, und auch dort nicht Sie verfahren nach der Devise: Die Regierung hat die einmal alleiniger Verhandlungspartner. Ansonsten Wahrheit gepachtet, und die Opposition betreibt Par- aber bleibt der Bundesregierung nur der Appell. Es teipolitik. Um es Ihnen noch einmal klar zu sagen, wird ja unentwegt appelliert. Glaubt der Bundeskanz- Herr Kollege Schäuble: Die Opposition im parlamen- ler aber ernsthaft, daß seine Überzeugungskraft tarischen System ist nicht dazu da, die als absolut gestärkt wird, wenn der Bundeswirtschaftsminister gesetzte Wahrheit der Bundesregierung zu unterstüt- öffentlich empfiehlt, die Beamtengehälter vor Ab- zen. schluß der Tarifrunde per Gesetz zu regeln? Glauben (Beifall bei der SPD) Sie, es befördert das von dem Herrn Bundeskanzler Es gibt in der Politik unterschiedliche Wahrheiten, angemahnte sorgfältige Abwägen von Argumenten, jedenfalls wenn es sich um demokratische Politik wenn der Bundeswirtschaftsminister Zahlen vorgibt handelt. Wer das nicht begreift, der hat den demokra- und erklärt, die Einkommenssteigerungen müßten tischen Grundkonsens nicht begriffen. unter 4,5 % gehalten werden? Jeder, der auch nur etwas von Tarifverhandlungen versteht, weiß, daß (Beifall bei der SPD) solche Empfehlungen das genaue Gegenteil bewir- Im übrigen, wenn es, um bei der Steuerpolitik zu ken. Wenn es also teuer wird, aus Ihrer Sicht zu teuer, bleiben, einen Refinanzierungsbedarf des Bundes Herr Bundeskanzler, dann bedanken Sie sich dafür, gibt, um den Fonds Deutsche Einheit zu stabilisieren, bei Ihrem Wirtschaftsminister. Er ist schuld. dann hätten Sie doch auch über eine Ergänzungsab- (Beifall bei der SPD —Josef Grünbeck [FDP]: gabe nachdenken können. Dieses Instrument ist ein- Schiller ist anderer Ansicht!) geführt. Es ermöglicht zudem ein größeres Maß an sozialer Gerechtigkeit, was mit Blick auf die laufen- Den Investitionsstandort Deutschland sichern: ein- den Tarifverhandlungen auch ökonomisch anzupei- verstanden. Wir wüßten nur zu gern, woraus der Herr len wäre. Aber nein, Ihre Wahrheit ist: Es geht nur mit Bundeskanzler schlußfolgert, daß der Investitions- der Mehrwertsteuererhöhung. Etwas anderes wollen standort Deutschland gefährdet ist. Beunruhigen ihn Sie nicht, aber nicht, wie Sie uns hier immer öffentlich die Unkenrufe der deutschen Automobilhersteller, die weismachen wollen, aus sachlichen Gründen, son- sich nach krachend guten Jahren jetzt einer gewis- dern weil Sie sich nicht einmal mehr dem Vorwurf sene Marktsättigung gegenübersehen? Daß diese aussetzen wollen, in Sachen Steuerpolitik die Marktsättigung eintreten würde, wußte jeder. Das hat Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 76. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Februar 1992 6297

Hans-Ulrich Klose mit dem Standort Deutschlands überhaupt nichts zu sich die Konkurrenz ausgerechnet vor der Tür tun. eines leistungsfähigen Wettbewerbers ansiedeln (Beifall bei Abgeordneten der FDP — Josef würde. Die Kapitalrendite ist in weniger entwik- Grünbeck [FDP]: Da können Sie Herrn Reu kelten Ländern höher als in den Volkswirtschaf- ter fragen!) ten, die reichlich mit Kapital ausgestattet sind. Das ist eine volkswirtschaftliche Gesetzmäßig- Oder sind es die geringen Auslandsinvestitionen in keit . . . Deutschland im Vergleich zu den deutschen Investi- tionen im Ausland, die der Bundesregierung Sorgen (Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Das kennen die da bereiten? Da rate ich in Übereinstimmung mit meiner drüben nicht! — Ingrid Matthäus-Maier Kollegin Ingrid Matthäus-Maier zu einer etwas [SPD]: „Handelsblatt" lesen!) genaueren Analyse. Richtig. Die japanische Wirtschaft investiert — ich unter- Nein — das muß man dem Herrn Bundeskanzler stelle, manche von Ihnen wissen das — noch weit sagen —, von einer Schwäche des Investitionsstand- mehr im Ausland als die deutsche. Die Auslandsinve- ortes Deutschland kann derzeit keine Rede sein. Die stitionen in Japan sind noch weit geringer als die in Auslandsinvestitionen der deutschen Industrie sind Deutschland. Käme irgend jemand auf den Gedan- kein Zeichen von Schwäche, sondern ein Zeichen von ken, daraus ernsthaft eine Standortschwäche Japans Stärke. Überhaupt finde ich: Es macht keinen Sinn, ableiten zu wollen? über den Wirtschaftsstandort Deutschl and dauernd (Beifall bei Abgeordneten der SPD) negativ zu reden. Die hohen Investitionen deutscher Unternehmen (Beifall bei der SPD) im Ausland sind kein Zeichen einer Standortflucht, Es mag ja, Herr Bundeswirtschaftsminister, hier und sondern — wie Frau Matthäus-Maier richtig festge- da Probleme geben. Über Anstrengungen zur Verstär- stellt hat — Antwort auf die Globalisierung der Welt- kung der Wettbewerbsfähigkeit unserer Wirtschaft, märkte. Sie sind eine Vorbereitung auf den europäi- z. B. in den Hochtechnologiesektoren, können wir schen Binnenmarkt. Das ist gut so. gern miteinander reden und streiten. Da tun Sie Oder beklagen Sie sich ernsthaft über deutsche nämlich zuwenig; darauf komme ich zurück. Viel- Investitionen in Spanien oder in Portugal oder in leicht sind auch die Nominalsätze unserer Unterneh- Irland? Das wäre politisch wenig verständlich, weil wir mensbesteuerung — die übrigens nichts über die alle den europäischen Binnenmarkt und möglichst reale Steuerlast aussagen — ein Problem für Sie. gleichwertige Lebensverhältnisse in Europa anstre- (Dr. Otto Graf Lambsdorff [FDP]: Ja!) ben. Im „Handelsblatt" las man es am 21. Januar wie folgt: Nun gut, sage ich, über eine Reform der Unterneh- mensbesteuerung können Sie mit uns reden. Aller- Würde die deutsche Industrie nicht auch -in Por- dings sollten Sie ehrlich sein: Sie kann derzeit und auf tugal oder in Irland investieren, dann müßte der absehbare Zeit nur aufkommensneutral realisiert wer- deutsche Steuerzahler die Mittel für diese zur den. Konvergenz notwendigen Investitionen über Ko- häsions-, Struktur- oder Regionalfonds aufbrin- (Michael Glos [CDU/CSU]: Das ist unser gen. Da sind die freien Direktinvestitionen der Vorschlag!) Unternehmen sehr viel vernünftiger. Das wissen Sie so gut wie ich; denn woher sollte das (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Geld für Steuersenkungen kommen? Glauben Sie ja nicht, wir würden die Finanzierung ermöglichen, Völlig richtig. Das ist sehr viel vernünftiger. Dem kann indem wir die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ich zustimmen. Ebenso kann ich auch der Empfehlung mehr belasten. Das ist mit uns jedenfalls nicht zu von Herrn Leibinger zustimmen, dem Präsidenten der machen! Maschinenbauer, daß die deutschen Unternehmen eine höhere Repräsentanz in Südostasien brauch- (Beifall bei der SPD) ten. Über eine aufkommensneutrale Reform der Unter- (Dr. Otto Graf Lambsdorff [FDP]: Das ist wohl nehmensbesteuerung, Herr Bundeswirtschaftsmini- neu?) ster, wie z. B. in den USA, können wir gern miteinan- der reden. Und schließlich sind die relativ niedrigen ausländi- schen Investitionen bei uns nicht ein Zeichen von (Dr. Otto Graf Lambsdorff [FDP]: Na, USA?) Standortschwäche, sondern eher ein Zeichen für die — Das gefällt Ihnen natürlich nicht so gut, weil die hohe Leistungsfähigkeit der Wirtschaft. Um noch Unternehmen nach dieser wunderbaren Steuerreform einmal das Handelsblatt zu zitieren: am Ende mehr Steuern bezahlen mußten als vorher. ... welcher Fuchs sollte sich ausgerechnet in die (Zuruf von der CDU/CSU: Das haben die vom Höhle des Löwen begeben, um Beute zu erjagen? DGB abgeschrieben!) Welcher ausländische Automobilproduzent sollte — Das haben die nicht vom DGB abgeschrieben, in Stuttgart, welches fremde Stahlunternehmen sondern die Unternehmen haben, wie die Unterneh- an der Ruhr investieren? Die Bundesrepublik Deutschland hat, wenn man einmal von Ost- mensverbände inzwischen selber zugegeben haben, nicht richtig aufgepaßt. deutschland absieht, die höchste Kapitalsätti- gung in Europa. Es wäre ungewöhnlich, wenn (Beifall bei der SPD) 6298 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 76. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Februar 1992

Hans-Ulrich Klose Aber das kann auch denen einmal passieren. — deutschen Industrie, die Verwendung von Hard- ware und Software, verlorenzugehen scheint. (Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Sie haben Fraglich ist, ob Europa im Bereich der Informa- lange nicht mehr mit dem DIHT gespro tionstechnik für japanische Unternehmen über- chen!) haupt noch ein kompetenter Partner ist und sich Also, aufkommensneutral — darüber können wir Kooperationen lohnen. reden. Der BDI folgert als Konsequenz aus dieser Analyse Aber noch lieber, meine Damen und Herren, wür- eine Industriepolitik des Aufholens in einer Allianz den wir darüber reden, was denn getan werden kann, von Wirtschaft, Wissenschaft und Politik, auch unter um die unbestreitbaren Vorteile des Standortes Beteiligung der Gewerkschaften. Er vermißt aber Deutschland ins Blickfeld zu rücken und auszubauen. politische Schubkraft und stellt fest, der Austausch Dabei ist diese simple Erkenntnis grundlegend: zwischen Politik und Wirtschaft sei mangelhaft. Die Deutschland ist nicht reich an natürlichen Ressourcen, Rede ist von „strategischer Denkfaulheit". die gibt es bei uns kaum; ein bißchen Kohle, nicht einmal genug Sonne. Der Reichtum Deutschlands (Beifall bei der SPD — Dr. beruht auf der Leistungsfähigkeit von Köpfen und [CDU/CSU]: So leicht machen es sich m an Händen. Diesen Reichtum müssen wir pflegen. che! Die deutsche Industrie hat das doch (Beifall bei der SPD) verschlafen! Das hat doch nicht die Regie rung verschlafen!) Dazu genügt es nicht, auf das bewährte System der Berufsausbildung zu verweisen. Dieses System ist gut, Da kann ich nur sagen: völlig richtig. Hier fehlt es bedarf aber der Ergänzung. Dazu empfehlen wir Orientierung, vor allem auch durch die Politik. Die seit längerer Zeit eine bildungspolitische Offensive, konzentriert sich auf die deutschen Probleme und den die der Erwachsenenbildung — der Qualifizierung, europäischen Binnenmarkt. Auch das ist wichtig. Wir der Fort- und Weiterbildung auf allen Bildungsstu- müssen aber sehen, daß dabei leicht der globale fen — einen ebenso hohen Rang einräumt wie der Horizont und der Blick für die qualitative Dimension Schule, der Hochschule und der Berufsbildung im einer modernen Industriepolitik verlorengehen. dualen System. Wäre es nicht an der Zeit, unter Einbeziehung der vorhandenen Träger und Instru- Dazu hätte sich der Bundeskanzler in seiner Presse- mente ein Erwachsenen-Bildungssystem zu entwik- konferenz äußern müssen, ebenso der Bundeswirt- keln und aufzubauen, das in starkem Maß praxis- und schaftsminister heute hier. Denn die europäischen berufsorientiert arbeitet, die be trieblichen Bedarfe Volkswirtschaften — auch die leistungsstarke deut- und Möglichkeiten berücksichtigt, zugleich aber Bil- sche Volkswirtschaft — können nicht einfach abwar- dungsmöglichkeiten eröffnet und einbezieht, die im ten und später auf neue Marktentwicklungen reagie- eigenen Betrieb nicht angeboten werden können? So ren. Wenn es den fernöstlichen Konkurrenten mit etwas ließe sich durchaus organisieren —- etwa nach ihren aggressiven Markteroberungsstrategien ge- Art eines Baukastens. Eine solche Initiative käme lingt, beispielsweise in der Mikroelektronik die allen zugute: den Bet rieben, der Volkswirtschaft und Schlüsselprodukte zu fertigen, auf die die restliche der Gesellschaft insgesamt. Welt auf Gedeih und Verderb angewiesen ist, dann ist es mit unserer Wirtschaftsstärke schnell vorbei. Wir Hier lägen die wirklich zukunftsträchtigen Ansätze müssen jetzt handeln, um beim zukünftigen Wettbe- für eine s trategisch orientierte Standortpolitik. Dazu werb dabei zu sein. Provinzielle Standortdebatten, die hätten wir von der Bundesregierung und vom Wirt- in Wahrheit nur Schuldzuweisungsdebatten sind, füh- schaftsminister gern ein richtungsweisendes Wort ren uns überhaupt nicht weiter. gehört. Wer immer nur über Löhne und Lohnneben- kosten redet, Herr Minister, der springt zu kurz. (Beifall bei der SPD) (Beifall bei der SPD) Was wäre zu tun? Ich nenne vier Punkte. Erstens. Ich nenne das Stichwort Forschungspolitik; dazu Forschung und Entwicklung müssen wieder einen ein Zitat aus der BDI-Analyse „Industriepolitik im höheren Stellenwert bekommen, übrigens auch im Hochtechnologiebereich": Bundeshaushalt. Bei Halbleitern steigerten japanische Unterneh- Zweitens. An unseren Hochschulen, die heute men den Weltproduktionsanteil von knapp quantitativ und folglich auch qualitativ total überfor- 40 Prozent aus dem Jahr 1980 auf 50 Prozent im dert sind, müssen verstärkt Naturwissenschaften und Jahr 1990; bei modernen Speicherchips halten sie Ingenieurtechniken angeboten werden. Wenn das sogar 90 Prozent, bei Mikroprozessoren haben Angebot da ist, wird auch das Interesse junger Men- amerikanische Unternehmen 80 Prozent Welt- schen, diese Fächer zu studieren, zunehmen. marktanteil. Die Position der europäischen Unter- nehmen ist durch zunehmend defizitäre Handels- (Zustimmung des Abg. Michael Glos [CDU/ bilanzen mit Japan und durch rote Zahlen aller CSU]) europäischen Chip- und Computerhersteller ge- kennzeichnet. Der Weltmarktführer im Werk- Drittens. Wir brauchen ein besseres Klima für tech- zeugmaschinenbau, die japanische Firma Fanuk, nische naturwissenschaftliche Innovationen. Statt all- hat einen höheren Gewinn als der größte nicht- gemeiner Technikfeindlichkeit müssen die Chancen japanische Konkurrent Umsatz. Besonders be- und Risiken neuer Techniken für eine humanere, denklich ist, daß auch die Systemstärke der umweltgerechtere und ressourcenschonende Produk- Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 76. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Februar 1992 6299

Hans-Ulrich Klose tion kritisch, aber unvoreingenommen gegeneinan- der Tat ein negativer Standortfaktor, denn damit der abgewogen werden. werden zugleich die Genehmigungsverfahren, z. B. nach dem Bundesimmissionsschutzgesetz, zu einem (Zurufe von der CDU/CSU: Kerntechnik! — zumindest zeitlich kaum noch kalkulierbaren Va- Rot-grüne Landesregierungen!) banquespiel. — Seien Sie vorsichtig, der Finanzminister hat die Wenn heute z. B. ein Zuliefererbetrieb der Automo- Grünen eben gelobt; setzen Sie sich nicht in Wider- bilbranche gefragt wird, ob er ein bestimmtes Teil spruch zu ihm. produzieren könne, dann wird er in der Regel sagen: Viertens. Wir brauchen eine verstärkte technologi- Ja. Aber er wird Schwierigkeiten haben, sich über den sche Kooperation zwischen Unternehmen, For- Zeitpunkt der Lieferung präzise zu äußern, weil er schungsinstituten und staatlicher Forschungspolitik. nicht weiß, wann die Genehmigungsverfahren für Diese neuen Kooperationsformen müssen sich stärker neue Maschinen abgeschlossen sein werden. als bisher an der Marktumsetzung orientieren. (Friedhelm Ost [CDU/CSU]: Vor allem in (Dr. Albert Probst [CDU/CSU]: Jawohl, aber Hamburg, ja!) das bremst ihr doch seit Jahren! Reden Sie Das ist, wie ich weiß, auch ein Verwaltungsproblem. mal mit dem Catenhusen! Wo ist der eigent Aber in erster Linie ist es ein politisches Problem, das lich?) durch konzeptionelle Verstetigung gelöst werden — Ja, mein Lieber, wer regiert denn eigentlich in könnte. Wann endlich begreift das der Herr Minister diesem Lande? Sie sind in der Lage, handeln zu Töpfer? können. Handeln Sie doch endlich einmal! (Beifall bei der SPD) (Beifall bei der SPD — Dr. Albert Probst Wenn ihm selbst dazu nichts einfällt, möge er doch auf [CDU/CSU]: Und Sie regieren die Frak die Vorschläge unserer Arbeitsgruppe „Fortschritt lion!) 90" zurückgreifen. Wenn es um die Sache geht — und Handeln Sie doch; Sie haben ja die Mehrheiten. um die muß es uns gehen —, darf die Bundesregie- Warten Sie doch nicht immer auf die Opposition. rung bei uns abkupfern. (Dr. Wolfgang Schäuble [CDU/CSU]: Wer ist (Beifall bei der SPD — Zurufe von der CDU/ denn für die Hochschulen zuständig?) CSU) Vor der Presse hat der Bundeskanzler mitgeteilt, er Das tun Sie, Herr Kollege Schäuble, der Sie gerade werde an der UN - Konferenz über Umwelt und Ent- so milde lächeln, im übrigen in anderen Fällen auch, wicklung im Juni dieses Jahres in Rio teilnehmen; z. B. bei der Aufbauarbeit in den ostdeutschen Län- Deutschland wolle mit dem Engagement für die dern. Tropenwälder in Brasilien und für den Klimaschutz (Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Aber zuwe - ein Beispiel geben. — Gut. nig!) Aber wie wäre es denn, wenn die Regierung endlich Wie oft haben wir Ihnen erklärt, daß die Eigentums- damit anfangen würde, und zwar hier bei uns, im frage nach dem Grundsatz „Entschädigung vor Rück- eigenen Land? Im vergangenen Jahr wurde uns ver- gabe" gelöst werden muß! sprochen, „der ökologischen Orientierung der Markt- wirtschaft größere Geltung zu verschaffen". Gesche- (Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Sie wird nicht hen ist in der Zwischenzeit aber so gut wie gar gelöst!) nichts. Wenn unsere Information zutrifft, wird dieser Grund- (Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Das ist doch satz von Ihren Parteifreunden in den neuen Ländern auch voll akzeptiert. So hat z. B. der Ministerpräsident typisch!) Sachsens, Dr. , am 29. Oktober 1991 Auf ein strategisch angelegtes, marktwirtschaftlich erklärt: orientiertes Konzept zur Erhöhung der Energiepro- Es erweist sich heute eben doch als falsch, sich duktivität und zur Reduzierung des Energiever- von dem Grundsatz Rückgabe statt Entschädi- brauchs bei uns warten wir bis heute vergebens. gung oder Rückgabe vor Entschädigung leiten zu (Beifall bei der SPD — Ingrid Roitzsch lassen. [Quickborn] [CDU/CSU]: Da waren Sie in (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Mexiko! Das haben Sie nicht mitgekriegt!) Sie wissen, Herr Bundeswirtschaftsminister, daß die Statt dessen erfreut uns der Umweltminister bei- gegenwärtige Rechtslage das Investitionshindernis nahe täglich mit neuen Sprüchen, die in der Sache gar par excellence ist. Sie haben heute ja auch gesagt, Sie nichts bewirken und höchstens dazu beitragen, die seien bezüglich dieses Themas ein Lernender. Das Planungsunsicherheit bei den Unternehmen zu stei- sind wir alle, und das hören wir gern. Aber hoffentlich gern. lernen Sie wirklich etwas; ich bin nicht ganz ohne (Beifall bei der SPD) Hoffnung, denn selbst im Jahreswirtschaftsbericht Diese Unternehmen sind nämlich — obwohl sie gerne wird eingeräumt, daß der Aufbau im Osten durch die klagen, wie ich einräume — nicht gegen verstärkte Eigentumsproblematik behindert wird; von den sozia- len Problemen ganz abgesehen. Anstrengungen im Bereich des Umweltschutzes. Sie fordern aber — und zwar zu Recht — klare und (Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Schneller ler verläßlich Vorgaben; und daran mangelt es. Das ist in nen!) 6300 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 76. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Februar 1992

Hans-Ulrich Klose Besonders beeindruckt, meine Damen und Herren, nachdrücklich auf, Kürzungen bei AB-Maßnahmen, hat mich in diesem Zusammenhang — das möchte ich jedenfalls zum gegenwärtigen Zeitpunkt, rückgängig gern erzählen — ein Beispiel in Dresden; es steht zu machen. gewiß für viele. Dort sind derzeit in der sogenannten (Beifall bei der SPD) Neustadt — die eigentlich die Altstadt von Dresden ist — 30 000 Wohnungen unbewohnbar. Von diesen Noch eine abschließende Bemerkung, und zwar zur 30 000 Wohnungen sind 95 % restitutionsbefangen. Es Politik der Treuhand: Es ist Ihre Politik, meine Damen wird nicht investiert und instandgesetzt, obwohl Geld und Herren von der Bundesregierung und von der bei der Stadt vorhanden ist und die Liste der Woh- Koalition; denn die Treuhand arbeitet nach Gesetzen, nungssuchenden 27 000 Namen enthält. Das darf die die Mehrheit dieses Hauses beschlossen hat, und doch nicht wahr sein! unter der Fach- und Rechtsaufsicht des Bundesfinanz- ministers. Wir kritisieren daher nicht die Treuhand, (Beifall bei der SPD) sondern Sie, weil Sie die Treuhand vornehmlich als Hier muß doch endlich gehandelt werden, zumal Privatisierungsanstalt sehen und die Sanierungsauf- selbst bei den Objekten, bei denen die Eigentums- gabe lange verdrängt und auch heute noch nicht frage klar ist, Probleme bestehen, weil die erforderli- wirklich akzeptiert haben. chen Grundbucheintragungen aus Mangel an qualifi- zierten Mitarbeitern nur schleppend vorankommen. (Beifall bei der SPD) Der Verband der Rechtspfleger hat geschätzt, daß sich Wenn wir aber, meine Damen und Herren, den weit der dadurch bewirkte Investitionsstau auf ca. 20 Mil- fortgeschrittenen Zustand der Entindustrialisierung in liarden DM beläuft. den ostdeutschen Ländern aufhalten wollen, müssen Mittel und Wege gefunden werden, um den derzeit (Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Aber es bleibt notleidenden Unternehmen, die vielleicht doch auf alles beim alten!) Dauer eine Chance am Markt haben, über die Klippen Ich muß wiederholen, was ich schon in der Haus- zu helfen, wobei sich der Bund durch Eigenkapital- haltsdebatte gesagt habe: Wir Sozialdemokraten kri- ausstattung, eventuell auch mit befristeten Lohnsub- tisieren nicht die Höhe der notwendigen Transferlei- ventionen, beteiligen muß, desgleichen die Länder, stungen in die ostdeutschen Länder. Wir kritisieren, daß zu wenig konkret und zur Sache geleistet wird, (Beifall bei der SPD) um den Aufschwung zügig voranzutreiben. unter der Voraussetzung, daß branchenkundige (Beifall bei der SPD und dem Bündnis 90/ Unternehmen, sanierungserfahrene Manager und GRÜNE) risikobereite Banken mit unternehmerischem Risiko beteiligt werden. Sie lassen, im Gegenteil, den Abschwung treiben. Sie beklagen wie wir — verbal — die hohen Arbeitslosen- Die Bereitschaft der Unternehmen und Banken zahlen, die, was nicht verschwiegen werden soll, auch sollte durch verstärkte Fördermaßnahmen und politi- in den alten Bundesländern wieder angestiegen- sind. sche Einflußnahme gesteigert werden. Da geschieht Aber Sie tun zu wenig, effektiv zu wenig, um die Lage derzeit viel zuwenig. ökonomisch zu stabilisieren. (Beifall bei der SPD) (Dr. Walter Franz Altherr [CDU/CSU]: Wir haben Anlaß, uns Sorge zu machen. Das Klima Beschäftigungsgesellschaf ten?) der deutschen Einheit ist ohnehin durch eingetretene Der Bundeskanzler hat erklärt — und auch der Enttäuschungen nach vollmundigen Versprechungen Bundeswirtschaftsminister mehrfach —, das Gemein- im Osten und im Westen berührt. Statt Solidarität erleben wir einen Prozeß der schleichenden schaftswerk Aufschwung Ost sei — wörtlich — ein Entsoli- großer Erfolg. Ich wünschte, die Bundesregierung darisierung, hätte recht mit dieser Feststellung. Einstweilen zeigen (Friedhelm Ost [CDU/CSU]: Durch die die Fakten aber ein ganz anderes Bild. Bei einer SPD!) Arbeitslosenquote von real — real! — über 20 % von einem großen Erfolg zu reden, halte ich ohnehin für der übrigens — wenn ich dies hinzufügen darf — abwegig, um es vorsichtig zu formulieren. durch die medienwirksame Verbreitung von Gift noch befördert wird. Ich füge hinzu, ein Stichwort aufgreifend, das mir eben zugerufen wurde: (Beifall bei der SPD) (Zuruf von der CDU/CSU: Miesmachen!) Diese Bundesregierung hat bereits den einen wirt- schaftspolitischen Fehler gemacht, vor dem wir immer So sehr ich mit Ihnen der Auffassung bin, daß die gewarnt hatten, nämlich die ostdeutsche Industrie ABM - Programme keine Dauereinrichtung werden von heute auf morgen der Weltmarktkonkurrenz dürfen, so sehr sehe ich doch auch, daß es trotz der auszusetzen, in der diese Indus trie nicht bestehen Ankündigung des Herrn Bundeskanzlers Einheitsver- konnte. Das wußten wir alle. „Kreative Zerstörung" lierer geben wird. Vor allem ältere Arbeitnehmer ab hat man das genannt. Die Zerstörung kann in der Tat 50, die ihren Arbeitsplatz verlieren, stehen vor der jeder beobachten. Aber die Menschen fragen sich, wo realen Gefahr, zur Dauerarbeitslosigkeit verurteilt zu denn das Kreative herkommen soll. sein. Das dürfen wir nicht einfach hinnehmen! Die Bundesregierung ist nun dabei, den zweiten (Beifall bei der SPD) gravierenden wirtschaftspolitischen Fehler zu bege-

Hier hat der sogenannte zweite Arbeitsmarkt seine hen, nämlich sich einer aktiven Struktur - und Indu- reale und bleibende Funktion. Wir fordern Sie daher striepolitik zu versagen, so als hätte es die Erfahrung Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 76. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Februar 1992 6301

Hans-Ulrich Klose mit der Bekämpfung von Strukturkrisen hier bei uns, als ob Sie es besser könnten. Die Praxis hat gezeigt: beim Schiffbau, bei Kohle, bei Stahl, nie gegeben. Als Sie regiert haben, war es schlechter. Der dritte Fehler, vielleicht der mit den schlimmsten (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge Wirkungen für die deutsche Einheit, zeichnet sich ordneten der FDP — Ingrid Matthäus-Maier deutlich ab: Um vom eigenen Politikversagen abzu- [SPD]: So ein Quatsch!) lenken, schiebt diese Bundesregierung den westli- chen Bundesländern die Schuld zu: sie seien selbstbe- — Gnädige Frau, versteigen Sie sich nicht in den zogen und geizig. Zwischenruf „So ein Quatsch!". Ich will es gerne an (Zuruf von der CDU/CSU: Sehr richtig!) Zahlen belegen: Die Schwachen, die Strukturschwachen und die wirk- (Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Das glauben Sie lich Schwachen, werden gegeneinander getrieben. doch selber nicht!) Nicht Teilung überwinden durch Teilen ist das Motto Zwischen 1969 und 1982, in immerhin 13 SPD-Regie- dieser Regierung, sondern „Teile und herrsche! ". rungsjahren, sind nur etwa 400 000 zusätzliche (Beifall bei der SPD — Michael Glos [CDU/ Arbeitsplätze entstanden. Die Inflationsrate be trug in CSU]: Mir kommen gleich die Tränen, wenn dieser Zeit 5 %. Sie so weitermachen!) (Zuruf von der CDU/CSU: Hört! Hört!) Es ist hier viel von Gemeinsamkeit die Rede gewe- sen. Auch der Kollege Waigel hat Gemeinsamkeit Das ist doch ein sehr schlimmer Unterschied zu der eingefordert, und ihm höre ich nicht immer mit wohltuenden Situation, in der wir sind. Freude, aber jedenfalls lieber zu als manchem ande- ren Kollegen von der Koalition. Meine sehr verehrten Damen und Herren, richtig ist zweifellos, daß die deutsche Wirtschaft mittlerweile in (Friedhelm Ost [CDU/CSU]: Man kann ja ein konjunkturell etwas ruhigeres Fahrwasser einge- auch lernen! — Weiterer Zuruf von der CDU/ mündet ist. Das ist stabilitätspolitisch sicher in gewis- CSU: Er hat ja auch gut gesprochen!) ser Weise durchaus willkommen; es gibt aber doch Ich gebe zu, ich höre die Rede von Gemeinsamkeit wohl auch sehr viel Grund zur Sorge. gern, aber ich sage ihm, und er wird es verstehen: Es Ich halte die Wachstumserwartungen des Jahres- ist mit der Gemeinsamkeit wie mit der Liebe, Herr wirtschaftsberichtes ingesamt gesehen für realistisch. Bundesfinanzminister: muß man nicht sagen, muß Völlig verfehlt ist es in diesem Zusammenhang, von man tun, und es gehören immer zwei dazu! einem „geschönten" Jahreswirtschaftsbericht zu Vielen Dank. sprechen, wie dies der Kollege Roth unlängst getan (Lebhafter Beifall bei der SPD) hat. Die Bundesregierung bewegt sich in ihrer Ein- schätzung in der Größenordnung, von der auch die - Wirtschaftsforschungsinstitute und der Sachverstän- digenrat ausgehen. Auch die Bundesbank sieht kei- Vizepräsident Hans Klein: Ich erteile das Wort dem Abgeordneten Michael Glos. nen Anlaß, von rezessiven Tendenzen in der deut- schen Wirtschaft zu sprechen. Gleichwohl wollen wir nicht verkennen, daß es Michael Glos (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine Sorgen gibt. Besonders einzelne Branchen machen sehr verehrten Damen und Herren! Wir begehen Probleme. Ich erinnere an die Investitionsgüterindu- heute ein kleines Jubiläum. Wir beraten das 25. Mal strie, an den Maschinenbau. Ich spüre sehr deutlich im einen Jahreswirtschaftsbericht, den zehnten Bericht Wahlkreis, daß in der Wälzlagerindustrie viele Tau- der Bundesregierung unter Helmut Kohl und den sende von Arbeitsplätzen abgebaut werden. Die Elek- ersten Jahreswirtschaftsbericht mit einer Einschät- trotechnik, der Fahrzeugbau, aber sicher auch die zung der wirtschaftlichen Entwicklung in ganz chemische Industrie haben derzeit Sorgen. Deutschland. Insofern sind wir in einer sehr komfor- tablen Lage, Herr Klose. Wir können nämlich auf Meine sehr verehrten Damen und Herren, es würde alles noch viel schlimmer aussehen, wenn wir die Tatsachen verweisen. Tatsache ist: Mit einem realen Wirtschaftswachstum in 1992 von rund 1,5 % für die deutsche Wiedervereinigung nicht gehabt hätten, die einen großartigen Konjunkturimpuls gegeben hat. alte Bundesrepublik kann diese Regierung auf zehn Denn das weltwirtschaftliche Umfeld ist in dieser Zeit Jahre ununterbrochenen wirtschaftlichen Auf- schwung verweisen. nicht leicht für uns, und wir haben eine exportorien- tierte Industrie. In Japan beginnt sich die Konjunktur (Beifall bei der CDU/CSU) abzuschwächen, in Amerika ist sie immer noch nicht In den alten Bundesländern wurden in dieser Zeit angesprungen, die osteuropäischen Länder fallen als über 2,5 Millionen neue Arbeitsplätze geschaffen. Käufer so gut wie aus, und auch in den skandinavi- Der Preisanstieg konnte auf jahresdurchschnittlich schen Ländern scheint die Konjunktursonne noch etwa 2 % begrenzt werden. Das ist eine großartige nicht. Deswegen ist es eigentlich kein Wunder, daß Zehnjahresbilanz. Wenn es überhaupt sinnvoll war, sich sorgende Stimmen mehren und daß man sich daß die SPD in unserem Land jemals regiert hat, dabei, nachdem der Boom in vielen Bereichen aufzu- hören scheint, über das Abwandern deutscher Firmen (Lachen bei der SPD) ins Ausland bzw. über die geringen Investitionen dann eigentlich deshalb, weil die Tatsachen das ausländischer Firmen in Deutschland Gedanken entmystifizieren, was Sie uns gesagt haben. Sie tun so, macht. 6302 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 76. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Februar 1992

Michael Glos Herr Klose, der Vergleich mit Japan war ein sehr Ich habe hier das „Handelsblatt" vom Samstag, dem schwacher Vergleich. Bei uns im Land herrschen 8. September 1990. Da ist Herr Engholm mit nach- derzeit auf Grund der deutschen Wiedervereinigung denklichem Gesicht fotografiert. riesige Investitionsmöglichkeiten. Sie wissen das. Es (Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Der ist schöner als stehen jede Menge qualifizierte Arbeitskräfte zur Sie!) Verfügung, es steht industrielle Erfahrung zur Verfü- gung, während Japan eine Insel ist, wo die Arbeits- — Mein Neid hält sich in Grenzen. Er stützt bedenk- kräfte nach wie vor knapp sind und ausländische lich seinen Kopf in die Hände, Firmen sehr schwer investieren können, während wir (Ingrid Roitzsch [Quickborn] [CDU/CSU]: derzeit die ganze Welt einladen und Sonderbedingun- Mit oder ohne Pfeife?) gen bieten, damit hier investiert wird. Und wenn die Ausländer nicht so investieren, wie wir es erhoffen, und er plädiert dabei für vorgezogene Mehrwert- dann müssen wir nachdenken, ob die Ursachen nicht steuererhöhungen. So damals, und heute ist er nicht in auch bei uns liegen. der Lage, seine Partei zu koordinieren. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge Meine sehr verehrten Damen und Herren, machen ordneten der FDP — Zuruf von der SPD: Ja, Sie Ordnung in der Steuerpolitik, dann wird es auch besser mit dem Wirtschaftsstandort Deutschland. Wir genau!) wissen, daß wir mit den hohen Unternehmenssteuern Mir liegt es völlig fern, die Dinge zu dramatisieren. herunter müssen, Aber auch eine Verharmlosung in der Diskussion über (Dr. Wolfgang Schäuble [CDU/CSU]: Sehr den Standort Deutschland ist fehl am Platze. Es geht richtig!) meines Erachtens darum, die internationale Dimen- sion dieses Problems zu begreifen. Wir stehen einer und wir wissen, daß wir uns dem internationalen globalen Herausforderung und einem Wettbewerb Wettbewerb der Steuersysteme anpassen müssen. der Volkswirtschaften gegenüber. Diese Herausfor- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) derung zu bestehen ist unabdingbare Voraussetzung sowohl für die Wahrung des Wohlstandes im Westen Es ist keineswegs unsere Absicht, die deutschen als auch für einen erfolgreichen Aufholprozeß in den Stärken kaputtzureden. Wir verfügen über gute räum- neuen Bundesländern. liche und soziale Infrastrukturen. Die deutsche Wäh- rung ist stabil. Die politische Lage ist dank der großen Wenn Sie, Herr Klose, erklären, wie unlängst mit Mehrheit der Union im Bundestag stabil. einem Interview in der „Süddeutschen Zeitung", die SPD sei besser in der Lage, dies zu tun, (Lachen bei der SPD — Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Da müssen Sie selber lachen!) (Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Wohl wahr!) Der Ausbildungsstand der Arbeitnehmer ist nach wie dann kann ich nur sagen: Die Tatsachen sprechen vor hoch. Aber daraus den Schluß zu ziehen, Deutsch- dagegen. Niemand wird doch glauben,- daß eine land bliebe auch in Zukunft so ganz selbstverständlich Partei mehr Vertrauen in der Wirtschaft genießt, die ein exzellenter Wirtschaftsstandort, hieße, die Dinge früher die Aktion „Gelber Punkt" erfunden hat, bei völlig zu verkennen. der das Wort „Unternehmer" dem Wort „Ausbeuter" gleichzusetzen ist. Und, meine sehr verehrten Damen (Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk [SPD]: Wir reden und Herren, zu dieser „Haltet den Dieb"-Mentalität, doch nicht vom Esperantogeld!) die Sie vorhin in bezug auf die Technikfeindlichkeit Die Konkurrenz schläft nicht. Wir können uns nicht gezeigt haben: Von wem kommt denn die Technik- auf den Lorbeeren der Vergangenheit ausruhen. feindlichkeit? So sind 1991 die Lohnstückkosten um 5 1/2 % in die (Zurufe von der SPD) Höhe getrieben worden. Die Lohnrunde 1992 verheißt nichts Gutes. Bei den Lohnzusatzkosten sind wir mit Nicht von uns! Bei Ihnen ist ein grüner Aussteiger 85 % des Direktentgelts leider Weltmeister. Im inter- immer noch beliebter als ein Einsteiger, der die Ärmel nationalen Vergleich belasten die deutsche Wirtschaft hochkrempelt und sich daranmacht, etwas auf die hohe Energie - und Umweltkosten. Die Steuerbela- Beine zu stellen. stung der Unternehmungen beträgt bei uns rund 65 % (Beifall bei der CDU/CSU — Weitere Zurufe und ist damit höher als in wichtigen Konkurrenzlän- von der SPD) dern. Unsere Unternehmungen müssen ungleich mehr Feier - , Urlaubs - und Krankheitstage bezahlen Frau Matthäus-Maier hat ja unlängst gesagt, diese als ihre ausländischen Konkurrenten. ganze Standortdiskussion werde nur geführt, weil mehr für die Unternehmungen herausgeholt werden (Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk [SPD]: Das ist solle. Das, meine sehr verehrten Damen und Herren, doch der ganze Katalog des BDI herunterge ist für mich Klassenkampf. betet!) (Zuruf von der CDU/CSU: Jawohl!) Unsere Arbeitnehmer arbeiten etwa 1 500 Stunden pro Jahr, im Vergleich zu 1 800 Stunden in Japan und Und es ist Doppelstrategie, genauso wie die Erklärun- 2 100 Stunden in den USA. All dies sind Tatsachen. gen und wie die Haltungen zur Steuerpolitik ein Ich bezweifle auch, daß wir den Wohlstand der ganzes Stück Doppelstrategie darstellen. Zukunft mit weniger Facharbeitern, mit weniger (Zurufe von der CDU/CSU: Sehr richtig! — handwerklich ausgebildeten und arbeitenden Men- Doppelzüngig!) schen, leisten können. Es gibt doch zu denken, wenn Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 76. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Februar 1992 6303

Michael Glos es heute schon Bundesländer gibt, in denen die Zahl Es ist ungleich sinnvoller, alle einer Volkswirt- der Architekturstudenten gleich hoch ist wie die Zahl schaft zur Verfügung stehenden Energien auf die der Maurer. Mehrung des Ertrages der Volkswirtschaft zu richten, als sich in Kämpfen um die Verteilung des (Dr. Reinhard Meyer zu Bentrup [CDU/ Ertrages zu zermürben und sich dadurch von dem CSU]: Höher!) allein fruchtbaren Weg der Steigerung des Sozial- — Oder sogar noch höher, ja. produktes abdrängen zu lassen. Es ist viel leich- ter, jedem einzelnen aus einem immer größer (Zuruf von der CDU/CSU: 10 000 Architek werdenden Kuchen ein größeres Stück zu gewäh- ten, 6 000 Maurer!) ren, als einen Gewinn aus einer Auseinanderset- Nicht einzelne Standortfaktoren stehen im interna- zung um die Verteilung eines kleinen Kuchens tionalen Vergleich; es geht vielmehr um die Gesamt- ziehen zu wollen, weil auf solche Weise jeder heit der Einflußgrößen. Wir von der CDU/CSU-Frak- Vorteil mit einem Nachteil bezahlt werden tion werden uns in den nächsten Monaten mit dieser muß. Frage sehr sorgfältig auseinandersetzen. Wir wollen Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit. die Stärken und Schwächen analysieren, und wir (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) wollen die notwendigen Konsequenzen ziehen. Aber dies kann nicht allein der Gesetzgeber. Auch die Tarifpartner müssen diese Konsequenzen ziehen. Sie Vizepräsident Hans Klein: Das Wort hat der Abge- bestimmen zum Teil auch, wie schnell Arbeitsplätze ordnete Dr. Graf Lambsdorff. ins Ausland verlagert werden. Es ist ja nicht so, daß die Produktionen, die aus unserem Land abwandern, Dr. Otto Graf Lambsdorff (FDP): Herr Präsident! ersatzlos ausfallen. Die Produkte werden weiter pro- Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Deut- duziert, nur nicht mehr bei uns, sondern irgendwo in sche Wirtschaftspolitik ist wahrlich nicht einfacher Südostasien oder sonstwo. geworden, und zwar weder nach innen noch nach (Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Weil es dort außen. National tun wir uns in den fünf neuen Absatzmärkte gibt, Herr Kollege!) Bundesländern schwerer als erwartet und stoßen wir in den alten Bundesländern an Verteilungsgrenzen. Das müssen wir uns selbstverständlich immer wieder International nimmt die Kritik an hohen Zinsen, hohen vor Augen halten. Krediten und hohen Tarifabschlüssen zu. Meine sehr verehrten Damen und Herren, für mich In solcher Lage brauchen wir wirtschaftspolitische wäre es ein Signal von nicht zu unterschätzender Orientierung. Der Jahreswirtschaftsbericht gibt diese Bedeutung für die deutsche Wirtschaft, wenn die SPD Orientierung. Er verschweigt keine Probleme, er ana- über die Notwendigkeit steuerlicher Veränderungen lysiert zutreffend, und er gibt auch sinnvolle Hinweise für die Lösung der Probleme. Die Umstellung einer im Unternehmensbereich nicht nur reden -würde, sondern durch ihre Zustimmung morgen im Bundesrat Volkswirtschaft von Plan- auf Marktwirtschaft ist ein handeln würde. Dies wäre ein erster richtiger Schritt. in der Wirtschaftsgeschichte bisher einmaliger Vor- Durch Umschichtungen ist die Finanzierung ja eben- gang. Man kann dies wirklich nicht oft genug falls aufkommensneutral. sagen. (Wolfgang Roth [SPD]: Sie hätten sie besser Bei der Standortdiskussion geht es auch darum, den vorbereiten müssen!) Blick für die Einsicht zu schärfen, daß selbst ein reiches Land wie die Bundesrepublik nicht gleichzei- Ich habe vor Monaten von dieser Stelle aus gefor- tig alles finanzieren kann: den Aufholprozeß in den dert, daß wir die Kraft bewahren müssen, die dabei neuen Bundesländern, die massivsten Hilfen für unvermeidlichen Fehler zu korrigieren und nicht aus Osteuropa, das effektivste soziale Netz, den perfekte- unnützem politischen Prestigedenken an Fehlern fest- sten Umweltschutz, den höchsten Lebensstandard zuhalten. und die üppigsten Löhne der Welt. Die Politik wird (Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Aber die ver gezwungen sein, in Zukunft Prioritäten zu setzen. meidlichen Fehler nicht erst machen!) Auch Arbeitgeber und die Gewerkschaften müssen Der Mut zur Korrektur ist gefragt; und dieser Jahres- dazu ihren Beitrag leisten. Hören Sie sich doch einmal wirtschaftsbericht ist mutig. Frau Matthäus-Maier, Sie um, was die Arbeiter sagen. hätten alles vermieden. Sie wissen es hinterher immer besser. ( [SPD]: Jetzt kommt der Fach (Zustimmung bei der FDP und der CDU/CSU mann dafür!) — Zuruf der Abg. Ingrid Matthäus-Maier Hören Sie sich einmal in der Henkelmannetage um [SPD]) — nicht in der Hummeretage, wo die freigestellten — Ich komme gleich dazu. Funktionäre sitzen —, was man dort sagt und welche (Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Typische Macho Gedanken man sich dort über die Zukunft der Arbeits- Bezeichnung!) plätze macht. Da werden Sie auf sehr wenig Zustim- mung für die Haltung des Immer-mehr-Forderns sto- — Ach, das hätte ich einem Mann genauso gesagt. Das ßen. wissen Sie. — Also verehrte Frau Kollegin Fuchs, auch Ihre Zwischenrufe über viele Jahre hinweg können Ich möchte mit einem Zitat von mich nicht davon abhalten, für einen höheren Anteil schließen, der gesagt hat: von Kolleginnen im Bundestag einzutreten. 6304 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 76. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Februar 1992

Vizepräsident Hans Klein: Gestatten Sie eine Zwi- Meine Damen und Herren, 3,5 Millionen Arbeits- schenfrage der Kollegin Matthäus-Maier? lose in Deutschland, das ist eine bedrückende Zahl, kein Zweifel. Arbeitslosenunterstützung, Arbeitslo- Dr. Otto Graf Lambsdorff (FDP): Ja, Herr Präsident, sengeld, Null-Kurzarbeit, AB-Maßnahmen sind für wenn es nicht auf die Zeit angerechnet wird. die Betroffenen ein schwacher Trost. Und über das Thema der Arbeitnehmer über 50 Jahre habe ich in jeder Wahlkampfrede in der damaligen DDR gespro- Natürlich nicht. Bitte Vizepräsident Hans Klein: chen und am 3. Oktober im Reichstag. Es ist eines der sehr. schlimmsten Probleme, daß man keine Antwort für die Lösung der Probleme dieser Menschen finden kann. Ingrid Matthäus-Maier (SPD): Graf Lambsdorff, Denen helfen Sie nicht mit AB-Maßnahmen und nicht nachdem Sie eben den Eindruck zu erwecken ver- mit Arbeitslosengeld. Deren Arbeitsleben ist von der suchten, wir wüßten im nachhinein alles besser, sozialistischen Planwirtschaft verschwendet worden. würden Sie mir bitte darin zustimmen, daß wir erstens Sie haben nicht mehr Zeit und keine Chance, es beim ersten beziehungsweise dem zweiten Eini- wiedergutzumachen. Das ist einer der schlimmsten gungsvertrag gefordert haben, bei der Eigentumsre- Teile dieser Erbschaft. gelung dem Prinzip „Entschädigung vor Rückgabe" zu folgen, daß wir zweitens von Anfang an gefordert (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU sowie haben, mehr Geld in den Aufbau der Infrastruktur in des Abg. Hans-Ulrich Klose [SPD]) den neuen Ländern zu stecken, daß wir drittens gemeint haben, die Altschuldenregelung sei so ver- Auch die FDP, meine Damen und Herren, hält kehrt, und daß wir viertens von Anfang an gefordert AB - Maßnahmen für unverzichtbar, vor allem bei haben, daß die Treuhand nicht in erster Linie einen regional massierter Arbeitslosigkeit. Aber sie dürfen Privatisierungs-, sondern zugleich einen Sanierungs- nicht wettbewerbsverzerrend zu Lasten des neu ent- auftrag haben müßte — alles, bevor Sie uns teilweise stehenden Mittelstandes sein. Sie dürfen durch ihre gefolgt sind? Dauer und ihre Höhe nicht so ausgestaltet sein, daß sie die Motivation der Betroffenen für den ersten Arbeits- Dr. Otto Graf Lambsdorff (FDP): Verehrte Frau markt herabsetzen. Kollegin, ich kann doch hier kein Sonderreferat hal- ten, dann komme ich mit der Zeit bestimmt nicht aus. Es bleibt unverändert die Aufgabe der Wirtschafts- Zur Eigentumsfrage werde ich mich noch äußern, zu politik — Herr Möllemann hat völlig recht —, neue anderen Fragen auch. Ich komme darauf zurück. Arbeitsplätze zu schaffen. Neue müssen es sein. Die künstliche Bewahrung obsoleter Arbeitsplätze durch Der Jahreswirtschaftsbericht bemäntelt nicht, daß Staatsholdings, Bundes- oder Länderbeteiligungen, es langsamer geht als erwartet, daß es teurer wird als das wäre der falsche Weg. Und Lohnsubventionen, angenommen und daß wir im Westen Deutschlands Herr Klose, die Sie hier ins Gespräch gebracht haben, die Konsequenzen immer noch nicht ausreichend sind ein gefährlicher und bedenklicher Weg. Sie ziehen, sondern uns in schädliche Verteilungskämpfe werden die Tarifverhandlungen erschweren. verbeißen. Der Jahreswirtschaftsbericht erinnert daran, daß (Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Das fordert nicht die Soziale Marktwirtschaft versagt hat. Wir sind auch Herr Wecker!) konfrontiert mit dem Elend von 40 Jahren real existent gewesenem Sozialismus. — Das weiß ich, und er hat auch nicht recht. Man kann (Zustimmung bei der CDU/CSU) doch nicht die eine Staatswirtschaft durch eine andere Staatswirtschaft ersetzen, Stichwort Staatsholding, Meine Damen und Herren, die Situation hier im Hause ist gelegentlich wirklich absurd. Ich will mal (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) andere Beispiele von der letzten Woche nicht erwäh- nen. Aber gleich nach mir wird die PDS in das große und das Ganze dann Marktwirtschaft nennen. Lamento über die soziale Lage in den fünf neuen Bundesländern ausbrechen. Dabei wissen wir alle Die industriepolitischen Vorstellungen, Herr Klose, ganz genau: die 17 % Arbeitslosen und die flächen- die Herr Engholm in Stuttgart geäußert hat, sind deckende Zerstörung der Umwelt sind das Ergebnis abwegig. Die von Herrn Jens in der FAZ geäußerten der SED-Mißwirtschaft, sind diskutabel. Aber was fangen wir denn mit solcher (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) SPD-Politik zum Aussuchen an? und sie sind nicht das Ergebnis der Politik der Regie- rung Kohl/Genscher. Sie haben heute den BDI im Zusammenhang mit Industriepolitik zitiert. Ja, dann hätten Sie auch Lassen Sie mich noch etwas erwähnen, das wir hier zitieren sollen, daß der BDI sich von dieser Stellung- vor wenigen Tagen erlebt haben, als wir den Kroko- nahme der Zusammenfassung einer Diskussion in dilstränen einer Kollegin von der PDS über die einer Pressemitteilung zehn Tage später, am 6. No- deutsch-tschechoslowakischen Beziehungen zuhören vember, distanziert hat. Ich stelle sie Ihnen gerne zur mußten und dann im Handbuch feststellen konnten, Verfügung. Also, nehmen Sie den BDI nicht für daß sie vier Jahre nach dem Einmarsch des War- Positionen in Anspruch, die er so nicht vertritt. schauer Paktes in Prag in die SED eingetreten war. Das ist genauso absurd. (Wolfgang Roth [SPD]: Das ist das bekannte (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Problem von Basis und Führung!) Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 76. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Februar 1992 6305

Dr. Otto Graf Lambsdorff — Ja gut, da haben Sie in der SPD ja große Erfahrun- gung dürfte auf der Sehnsucht nach einem Koordina- gen. Dann hätten Sie auch mehr Verständnis für den tor für die SPD beruhen. BDI haben sollen. (Beifall bei der FDP) (Wolfgang Roth [SPD]: Ich habe Verständnis für den BDI!) Bei dieser Novellierung wird noch einmal zu prüfen Meine Damen und Herren, jede D-Mark, die in sein, wie wir die rechtliche Position derjenigen sichern können, die auf der Grundlage sogenannter Investitionen geht, ist gut angelegt. Und jede D-Mark, Nut- in der früheren DDR in Häuser und die in den Konsum geht, ist weniger gut angelegt. zungsrechte Wohnungen investiert haben und sich jetzt Ansprü- (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU — chen früherer Eigentümer gegenübersehen. Nach Wolfgang Roth [SPD]: Ganz ohne Konsum Ansicht der FDP muß es bei dem Grundsatz bleiben, geht es auch nicht!) daß altes Unrecht nicht durch neues Unrecht wieder- gutgemacht werden kann. — Deswegen habe ich gesagt: weniger gut. Ich habe nicht gesagt: schlecht. Herr Roth, hören Sie zu! (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Aber Geld und Investitionsanreize alleine tun es der CDU/CSU) nicht. Klärung der Eigentumsrechte, Genehmigungs- Das ist leicht gesagt, nicht ganz einfach getan. fragen, funktionierende Verwaltung, das sind einige wenige, aber wichtige Stichworte. Wir verschweigen die Schwierigkeiten bei der Her- Ich begrüße für die FDP die Erklärung des Bundes- stellung der wirtschaftlichen, sozialen und ökologi- justizministers und unterstreiche mit der Bundesre- schen Einheit Deutschlands nicht. Aber wir ver- gierung, Frau Matthäus-Maier: Eine Umkehr des schweigen ebensowenig die Erfolge, die auf diesem Prinzips „Rückgabe vor Entschädigung" kommt nicht Wege erreicht worden sind, die wir erreicht haben und in Frage. die Herr Klose dann doch etwas klein geschrieben hat. Sie sind aber unübersehbar. Jeder Bewohner, jeder (Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Warum Besucher der neuen Länder weiß das. Je größer der nicht?) Abstand ist, mit dem er hinkommt, um so augenfälli- ger ist es für ihn. Wir machen Fortschritte bei der Der Schutz des Privateigentums ist und bleibt eine Verbesserung der Infrastruktur, bei der Telekommu- konstitutive Grundlage unserer Wirtschafts- und nikation und beim Straßenbau. Es entstehen neue Gesellschaftsordnung. Unternehmen, vor allem im Bereich des Hand- (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU — werks. Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Ein Investi tionshemmnis!) Die Privatisierungsergebnisse der Treuhand sind - beeindruckend. Ihre höchst schwierige Arbeit ver- Die Umkehr des Grundsatzes — jetzt auch noch — dient Anerkennung. Im Bereich von Handel und würde nur zu neuen Turbulenzen und neuen Unsi- Dienstleistung ist die Privatisierung praktisch abge- cherheiten führen, würde neue Ungerechtigkeiten im schlossen. Selbst in dem so schwer gestörten Arbeits- Hinblick auf inzwischen schon erfolgte Rückgaben markt zeigt sich erste Bewegung. schaffen, und sie würde die nicht finanzierbare Forde- rung nach Entschädigung zu Verkehrswerten nach Die Umstellung auf das westdeutsche Rentensystem sich ziehen. ist technisch hervorragend gelungen und inhaltlich überwiegend akzeptiert worden. Ich verkenne dabei Außerdem würde sie — ich weiß, manche nehmen das Stichwort der Zusatzrenten und deren Problema- das leicht; ich tue das nicht — wegen der dann tik nicht. zwingend notwendigen unterschiedlichen Behand- lung von NS-Verfolgten sehr unliebsame Diskussio- Der Jahreswirtschaftsbericht rechnet — ebenso wie nen auslösen. Fragen Sie mal nach, Herr Klose, wie die Institute und der Sachverständigenrat — mit einer viele Dresdner unter diesem Stichwort unter Ihr Bei- kräftigen Belebung des realen Wachstums in diesem spiel fallen. Dieser Zug — das sage ich auch in Jahr zwischen 8 und 10 %; der Bundeswirtschaftsmi- Richtung des sächsischen Ministerpräsidenten, den nister hat das erwähnt. Das alles ist vorzeigbar und Sie zitiert haben — ist abgefahren. kein Anlaß, nur zu klagen. Dringend notwendig — hier sind wir mit Herrn Wir dürfen uns aber auch nicht täuschen: Es ist noch Biedenkopf einig — sind aber Änderungen des Ver- kein sich selbst tragender Aufschwung. Die positive mögensgesetzes, um die Regelung „Vorfahrt für Inve- Entwicklung beruht zu einem guten Teil auf den stitionen" wirksamer zu machen. Wir begrüßen des- Transfers aus dem Westen; sie beruht auf Subventio- halb die Absicht der Bundesregierung, diesen Gesetz- nen. Das ist unvermeidlich; ein Dauerzustand darf es entwurf alsbald vorzulegen, und wir fordern alle aber nicht werden. Eine marktwirtschaftliche Ord- Fraktionen des Hauses zur intensiven Mitarbeit auf, nung ist mit permanenter staatlicher Fürsorge nicht in damit die notwendigen Änderungen noch vor der Einklang zu bringen. Darüber hinaus würde eine Sommerpause verabschiedet werden. ungebremste Fortsetzung staatlicher Transfers von Allerdings kann ich mir keinen Vers auf den Vor- West nach Ost den Ast absägen, auf dem heute West schlag von Frau Däubler-Gmelin machen, einen und Ost gemeinsam sitzen, nämlich denjenigen der

Koordinator für Ost - Fragen einzusetzen. Die Anre Leistungskraft der Wirtschaft im Westen. 6306 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 76. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Februar 1992

Dr. Otto Graf Lambsdorff Die Ansprüche, die derzeit an Staat und Volkswirt- nicht der Weg, daß wir dauernd die Steuern erhöhen schaft gestellt werden, sind in ihrer Kumulation nicht und immer mehr Ausgaben veranstalten. erfüllbar. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Schon jetzt sind für die Unternehmen, für die Wir reden viel von der Verantwortungsgesellschaft, Verbraucher und für die Leistungsträger unserer in der wir angeblich leben. Ist das eigentlich wirklich Gesellschaft die Belastungsgrenzen erreicht. Ohne so? Ich habe viel mehr den Eindruck, daß wir in einer Schaden für die Wettbewerbsfähigkeit und damit für Forderungsgesellschaft leben. Ohne daß ich werten Wachstum und Beschäftigung können wir diesen Weg will oder Anspruch auf Vollzähligkeit erhebe: Mehr nicht weitergehen. Ich habe mich soeben und auch mit Erziehungsgeld, mehr BAföG, mehr Pflegeversiche- dieser Antwort auf die Frage von Frau Fuchs gegen rung, Familienlastenausgleich, Wohnungsbau, Regio- Steuererhöhungen ausgesprochen. Ich wundere mich nalförderung, zusätzliche Agrarsubventionen, Kon- nicht, daß die Sozialdemokraten in diesem Zusam- versionsmittel, Hilfe für Mittel- und Osteuropa usw. menhang an die umstrittene Mehrwertsteuer, an den usw., einen Punkt, der heute morgen Gegenstand der (Anke Fuchs [Köln] [SPD]: „Niedrigere Steu Debatte war, erinnern. Abgesehen davon, daß uns ern"!) diese Mehrwertsteuererhöhung in der Europäischen Gemeinschaft zwingend ins Haus steht, will ich hier wir werden das alles auf einmal wohl nicht können. aber unumwunden zugeben — — (Michael Glos [CDU/CSU]: Sehr richtig!) (Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Unwahr!) Bei einer Verschärfung des Verteilungskampfes auf — Nun hören Sie doch bitte einmal bis zu Ende zu. Das allen Ebenen — zwischen Ost und West, zwischen können Sie nie, Frau Matthäus-Maier. Das geht nicht; Bund, Ländern und Gemeinden, zwischen Staat und ich weiß das. Wir kennen uns so l ange. Gesellschaft, zwischen alten und neuen Subventions- empfängern oder zwischen Unternehmen und Arbeit- (Wolfgang Roth [SPD]: Sie hat die falsche Sozialisation bekommen! — Heiterkeit) nehmern — kann es letztlich nur Verlierer geben. — Herr Roth, sie soll es auch nicht mehr lernen. Das Es liegt auch kein Ausweg darin, die Haushalts- macht ja ihren Charme aus. Lassen wir das! probleme durch immer höhere Steuern und Abgaben — seien es nun Sozialabgaben, Umweltabgaben oder Ich sage also: Die Mehrwertsteuererhöhung steht sonstige Abgaben — lösen zu wollen. Wir haben Uris zwingend ins Haus. Ich will hier aber unumwun- schon einmal die Belastungsfähigkeit unserer Wirt- den zugeben: Der FDP wäre es lieber gewesen, wir schaft getestet. Das Ergebnis war die wirtschaftliche hätten auf die Mehrwertsteuererhöhung jetzt verzich- Lethargie zu Beginn der achtziger Jahre. Das Beispiel tet — mit diesem Hinweis haben Sie recht, Herr Klose; sollte uns eine Lehre sein. der Zeitpunkt ist nicht zwingend — und die notwen- dige Ausgabendeckung durch Umschichtung im (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Haushalt oder Subventionsabbau erreichen können. - (Beifall des Abg. Hans-Ulrich Klose [SPD] Vizepräsident Hans Klein: Graf Lambsdorff, gestat- und des Abg. [SPD]) ten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Fuchs? Aber ausgerechnet die sozialdemokratische Oppo- sition hat nicht den geringsten Grund, die Koalition deswegen zu kritisieren. Ich habe nicht gehört, ver- Dr. Otto Graf Lambsdorff (FDP): Bitte sehr. ehrter Herr Klose, daß Sie und Ihre Kollegen den Bundeswirtschaftsminister bei seinen Bemühungen Anke Fuchs (Köln) (SPD): Wenn Sie, Graf Lambs- unterstützt hätten, im Steinkohlenbergbau — um ein dorff, ein bißchen mehr Verantwortungsbewußtsein Beispiel zu nennen — durch weiteren Subventionsab- anmahnen — ich stimme Ihnen durchaus zu, wenn Sie bau erhebliche Beträge einzusparen. sagen: die Forderungen an Staat und Gesellschaft (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten können zu hoch sein —, warum sind Sie dann nicht der CDU/CSU) bereit, mit uns zusammen die Ergänzungsabgabe, den Im Gegenteil: Sie haben ihn für angeblich ungenü- Solidaritätsbeitrag fortzusetzen? Denn das wäre doch gende Ergebnisse beim Subventionsabbau kritisiert, ein Weg, indem man sagt: Die Lasten, die kommen, gleichzeitig alle Kräfte im Lande gegen eben diesen werden so verteilt, daß die stärkeren Schultern mehr mobilisiert und außerdem noch an tragen als die schwachen. Dann würden die Besser- Subventionsabbau allen Ecken und Enden zusätzliche Subventionen verdienenden ein Signal geben, daß sie bereit sind, zu verlangt. So kann es ja wohl nicht gehen. teilen, damit Aufgaben wahrgenommen werden kön- nen. Vizepräsident Hans Klein: Graf Lambsdorff, ein weiteres Zwischenfragebegehren der Kollegin Mat- Dr. Otto Graf Lambsdorff (FDP): Verehrte Frau thäus-Maier. Kollegin, ich habe gerade darauf aufmerksam gemacht, daß wir sortieren müssen und Prioritäten setzen müssen, welche Ansprüche jetzt eigentlich Dr. Otto Graf Lambsdorff (FDP): Aber gerne. erfüllbar und finanzierbar sind. Es fällt einem immer irgend etwas ein, um eine noch so gut gemeinte Ingrid Matthäus-Maier (SPD): Sehr verehrter Graf Forderung, einen noch so gut gemeinten Anspruch mit Lambsdorff, sind Sie nicht mit mir der Ansicht, daß ich der Belastung anderer zu finanzieren. Das ist aber einen Zwischenruf sogar machen muß, den übrigens Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 76. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Februar 1992 6307

Ingrid Matthäus-Maier auch Sie an dieser Stelle machen würden, wenn ich burg zwingen, gegen seine eigenen Interessen zu das sagte, wenn Sie behaupten, die Anhebung der stimmen. Sie weigern sich immer noch, die finanziel- Mehrwertsteuer auf 15 Punkte sei „zwingend not- len Konsequenzen aus der deutschen Einheit zu wendig", obwohl Sie — gerade bei Ihrer Ausbil- ziehen. Aber der Name ihres Verhandlungsführers dung — wissen, daß das nicht stimmt, weil nämlich war und ist Symbol. hat die deutsche der bisherige Beschluß vom Juni 1991 ausschließlich Einheit nicht verstanden — wie sollte er wohl ihre eine politische Absichtserklärung ist und es keine Umsetzung begreifen? rechtliche Bindung für die Bundesregierung gibt, dem Der stellvertretende SPD-Vorsitzende Thierse klagt zuzustimmen? im Bundestag immer wieder über mangelnde Hilfsbe- reitschaft der alten Bundesländer gegenüber den fünf neuen Bundesländern. In dieser Diskussion hätte ich Dr. Otto Graf Lambsdorff (FDP): Liebe Frau Kolle- die Stimme von Herrn Thierse gern einmal gehört. Wo gin, natürlich steht uns die Mehrwertsteuererhöhung ist sie? auf 15 % und Harmonisierung auf europäischer Ebene — das wollen auch wir — zwingend ins Haus. Wann (Hans-Ulrich Klose [SPD]: Krank!) das der Fall ist und wann man die Mehrwertsteuerer- Meine Damen und Herren, in ganz besonderer höhung einführen muß — das habe ich Herrn Klose Verantwortung steht die Tarifpolitik. Rückkehr zu vorhin gesagt —, darüber kann man diskutieren. Wir einer stabilitätsorientierten Lohnpolitik muß das haben auch sonst nicht jede Richtlinie pünktlich am Gebot sein. Das heißt: Orientierung der Tarifab- ersten Tage umgesetzt, wenn ich daran erinnern schlüsse an Produktivitätsentwicklung und an dem darf. unvermeidlichen Preisanstieg. Eine solche Politik (Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Aha!) wäre die beste Garantie dafür, daß sich nach der Im übrigen möchte ich sagen: Bitte, bleiben Sie bei jetzigen konjunkturellen Verschnaufpause der Wie- den Zwischenrufen! Was sollte ich hier oben machen, deraufschwung anschließt. wenn von Ihnen keine Zwischenrufe mehr kämen. Wie aber sieht die Realität aus? Zweistellige Tarif- Das wäre ganz langweilig. forderungen, ein viel zu hoher Stahlabschluß! Wollen Meine Damen und Herren, die Diskussion um das Sie behaupten, der Bundeswirtschaftsminister sei Steueränderungsgesetz zeigt nun erneut — Herr daran schuld? Das ist ein Abschluß, erzielt in einem Klose, ich kann es nicht anders sagen — die Verant- Wirtschaftszweig, in dem es wegen der Montanmitbe- wortungslosigkeit sozialdemokratischer Haushalts- stimmung keine völlige Gegnerunabhängigkeit bei und Steuerpolitik. Tarifverhandlungen gibt. Wie auch im öffentlichen Dienst! Der Widerstand bricht immer wieder in den (Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Oh Gott!) Bereichen zusammen, wo die Vertreter der ÖTV an Sie wollen die Mehrwertsteuererhöhung ablehnen beiden Seiten des Tisches sitzen. Es wird wohl auch und schlagen allen Ernstes vor, den höheren -Bundes- dieses Mal wieder da beginnen. Hoffentlich bleiben bankgewinn zur Deckung höherer Ausgaben einzu- sie an anderer Stelle standhaft. setzen. Dabei wissen Sie ganz genau, daß wir durch Gesetz verpflichtet sind, einen höheren Bundesbank- Flächendeckende Abschlüsse, die keine oder zu gewinn zur Verringerung der Verschuldung zu ver- geringe Differenzierung nach Ertragskraft und Bran- wenden und die Kapitalmärkte zu entlasten. Das ist che zulassen! Warum muß ein Straßenbahnschaffner Ihnen völlig gleichgültig. in dieser Lohnrunde den gleichen Zuwachs erzielen wie eine Krankenschwester? Sie klagen über die hohen Zinsen und machen gleichzeitig Vorschläge — Kreditermächtigungen in (Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Warum machen Anspruch nehmen —, wie man den Kapitalmarkt die öffentlichen Arbeitgeber kein Ange höher belastet und damit einen weiteren Druck in bot?) Richtung Zinserhöhung ausübt. Weitgehende Übernahme der Abschlüsse nach Ost- Ihr steuerliches Gehabe erinnert mich daran, ver- deutschland mit der Folge, daß sich die Schere zwi- ehrter Herr Klose, schen Produktivität und Einkommen weiter öffnet und (Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk [SPD]: Das sind Arbeitsplätze vernichtet! alles Lügen und Unterstellungen!) Schließlich die Verschärfung der Debatte um den daß wir in diesem Jahr 500 Jahre „Christoph Kolum- Standort Deutschland! Wie oft habe ich an dieser bus und Amerika" feiern. Er war bekanntlich einer der Stelle gesagt — und kein Mensch hat zugehört; das ersten Sozialisten. Er fuhr los und wußte nicht, wohin. passiert einem ja gelegentlich Er kam an und wußte nicht, wo er gelandet war. Er (Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk [SPD]: Nicht mal kam zurück und wußte nicht, woher. Und das alles mit die eigenen Leute! — Bundesminister fremder Leute Geld! Dr. Theodor Waigel: Nicht nur der FDP!) (Heiterkeit und Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) — Sie kommen heute noch dran, Herr Bundesfinanz- minister —, wie oft habe ich hier gesagt: Der Standort Meine Damen und Herren, leider ist die steuerpoli- Deutschland ist nicht schlechter, aber andere Stand- tische Haltung der SPD keineswegs spaßig. Sie stellen orte sind besser geworden! die Parteiräson über Länderinteressen. Sie verhindern die Zuweisung von Milliardenbeträgen an die neuen (Zuruf von der CDU/CSU: Richtig! Das ist ein Länder, und Sie wollen wirklich das Land Branden guter Vergleich!) 6308 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 76. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Februar 1992

Dr. Otto Graf Lambsdorff Die geben sich mehr Mühe, ihre Standorte auszu- Der Jahreswirtschaftsbericht erwähnt zu Recht die bauen. Auch das ist Wettbewerb. Darum müssen wir Bedeutung internationaler Aspekte für die deutsche uns kümmern. Wir werden nicht absolut schlechter. Wirtschaftspolitik. Herr Möllemann hat das noch ein- mal erwähnt. Ich will drei Punkte nennen: (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Erstens, der Binnenmarkt kommt. Sind wir gerü- Die Folgen dieser Tarifpolitik sind doch klar. Sie stet? Ohne die Unternehmensteuerreform sind wir es heißen Rationalisierung, Arbeitsplatzabbau, Investi- nicht! Die SPD weiß das, jedenfalls weiß und sagt es tionsverlagerung ins Ausland. Hier stimme ich Ihnen ihr Parteivorsitzender. Werden Sie endlich begreifen, zu: Diese Rechnung, 3 Milliarden DM hier, 30 Milliar- daß wir uns mit unseren Spitzensteuersätzen im wahr- den DM dort, ist zu einfach. Ganz hat Hans Mundorf sten Sinne des Wortes aus dem Geschäft bringen? Die im „Handelsblatt" nicht recht. Die Wahrheit liegt Spitzensteuersätze sind deswegen so bedeutsam — dazwischen. Man muß schon die Frage stellen: Warum ich richte das auch an einige in den Reihen unseres werden Investitionen verlagert? Daß eine Exportna- geschätzten Koalitionspartners; ich erinnere an das tion auf Dauer auch draußen investieren muß, ist Theater von damals —, weil die psychologische Wir- vollkommen richtig. kung dieser Steuersätze so abschreckend ist. In der (Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk [SPD]: Eben!) realen Besteuerung mit der Steuerbemessungsgrund- lage gleicht sich ja sehr vieles aus; das weiß ich auch. Aber: Welche Teile der Arbeit werden nach draußen Aber allein die Zahl hält die Leute, wenn sie sie lesen, verlagert? Glauben Sie nicht, daß es bedenklich ist davon ab hierherzukommen. — sosehr ich es unseren Partnern in der Tschechoslo- wakei wünsche —, daß die Arbeitsplätze, die wir in (Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk [SPD]: Können den fünf neuen Bundesländern brauchen, zur Zeit die denn nicht rechnen?) durch Tarifpolitik in die Tschechoslowakei vertrieben — Natürlich können die rechnen. — Wenn wir uns werden? darauf verständigen könnten, daß das aufkommens- (Zustimmung bei der CDU/CSU) neutral gemacht werden kann, wären wir schon einen Schritt weiter. Das hat Gründe, die standortbedingt sind. (Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Diskutieren (Wolfgang Roth [SPD]: Das hat mit dem kann man darüber!) Wechselkurs und nicht mit Tarifpolitik zu — Nicht nur immer diskutieren, wir sollten auch tun! Das eine ist ein Effekt 1 : 10 und das einmal entscheiden. andere um 10 %!) (Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Sie kennen — Das hat sehr wohl mit Tarifpolitik zu tun. doch die Probleme! (Wolfgang Roth [SPD]: Sie wissen es bes Zweitens, GATT. Die Uruguay-Runde ist die wich- ser!) tigste weltweite Aufgabe der Handelspolitik. Die - — Wie dem auch sei, es muß untersucht, überlegt und USA, Europa und Japan tragen die Hauptverantwor- diskutiert werden, warum diese Investitionsverlage- tung dafür, daß wir den Entwicklungsländern und den rungen erfolgen. Die Zahlen alleine genügen nicht. Ländern in Mittel- und Osteuropa unsere Märkte öffnen, aber nicht nur das. Wenn ausgerechnet die Wir müssen aber auch sehen, welche Arbeit im Bundesrepublik Deutschland ein Scheitern der Uru- wesentlichen nach draußen verlagert wird: Es ist die guay-Runde hinnimmt oder durch mangelnde Initia- Arbeit, die bei uns zu teuer geworden ist, weil es die tive dazu beiträgt, dann schneiden wir uns tief ins einfache Arbeit ist, weil es die Arbeit ist, die keine eigene Fleisch. Selten waren Eigeninteresse und welt- hohe Wertschöpfung mit sich bringt. Es ist schon politische Verantwortung so deckungsgleich wie wichtig, daß wir nicht am Ende in einer Gesellschaft hier. landen, bei der wir nur noch diejenigen aus dem Produktionsprozeß bezahlen können, die höherwer- Drittens. Wirtschafts- und Währungsunion und ein- tige Arbeit leisten, und bei der die anderen durch den heitliche europäische Währung. Langsam kommt die Rost dieser Gesellschaft fallen und von irgendwelchen öffentliche Diskussion über das, was in Maastricht Unterstützungsmaßnahmen leben. erreicht worden ist und was nicht, in Fahrt. Fragen werden gestellt, und ich denke, es reicht nicht ganz (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) aus, wenn der Bundesfinanzminister darauf mit Jetzt sage ich etwas im Gegensatz zu dem, was Sie „Dr. Waigels gesammeltem Schweigen" antwortet. uns vorwerfen, Herr Klose, nämlich wir schimpften auf Da muß schon etwas mehr kommen. die Gewerkschaften alleine: Nein, was haben sich (Bundesminister Dr. Theodor Waigel: Völlig eigentlich beide Tarifpartner bei Stahl gedacht, als sie unverständlich!) ein pensioniertes Vorstandsmitglied an die Spitze der Widersprüchlich verhält sich in der Tat die SPD, Verhandlungsdelegation gesetzt haben und keinen auch nach dem, was ich heute gehört habe, Herr der Bosse aus den großen Stahlunternehmen, weil die Klose. In der Debatte zu Maastricht gab es hier an dazu nicht bereit waren? Beide Tarifpartner einigen dieser Stelle lobende Worte. Eine wertende Kritik kam sich auf Kosten der Arbeitslosen und des Staates. Das nur von der FDP. Jetzt haben SPD-Präsidium und war schon früher schlimm, aber angesichts der hohen SPD-Ministerpräsidenten in der Erklärung vom Mon- Arbeitslosigkeit in den fünf neuen Bundesländern ist tag mit einiger Spätzündung entdeckt, daß das Thema es schlicht verwerflich. etwas hergeben könnte. Nun steigen sie plötzlich (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) kritisch ein. Das Thema ist aber zu wichtig, um Herrn Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 76. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Februar 1992 6309

Dr. Otto Graf Lambsdorff Gauweiler als Rammbock gegen seinen Parteivorsit- len Wachstumspfad" die Rede ist, fühle ich mich an zenden zu dienen und Ihnen zur Polemik gegen die schönfärberische Wirtschaftsberichte aus vergange- Regierung. ner Zeit in der DDR erinnert. Wir halten am Ziel der Währungsunion und an der Der eigentliche Sinn einer solchen Debatte muß einheitlichen europäischen Währung fest. Wir haben doch wohl darin bestehen, Schlußfolgerungen für das Fragen, ob der in Maastricht gefundene Weg richtig Wirtschaftsjahr 1992 zu ziehen. Diese scheinen mir und sicher ist. Diese Fragen werden wir artikulieren, aber im Jahreswirtschaftsbericht für das Jahr 1992 in und wir werden sie hier im Parlament zur Diskussion völlig unzureichender Art und Weise gezogen worden stellen. zu sein. Darin besteht das Fatale der Situation. Im Meine Damen und Herren, ich will zusammenfas- wesentlichen wird die Wiederholung bisher gemach- send sagen: Der Jahreswirtschaftsbericht ist ein wich- ter Fehler angeboten. Soweit Korrekturen vorgenom- tiger und richtiger Appell in schwieriger gewordenen men werden, werden sie als solche kaum gekenn- Zeiten. Er weist den Weg: Fortsetzung eines markt- zeichnet. wirtschaftlichen Kurses, solide Finanzen und stabiles Geld, Unterstützung des Anpassungsprozesses in den Wirtschaftsminister Möllemann erklärt, daß er für fünf neuen Bundesländern und Wahrung der Stand- das zweite Jahr Aufschwung Ost weitere 2 Milliarden ortqualität als Aufgabe aller gesellschaftlichen Grup- DM benötigt. Diese Erklärung bedeutet aber doch, pen. Auf diesem Wege und bei dieser Politik unter- daß das erste Jahr Aufschwung Ost nicht stattgefun- stützt die Freie Demokratische Partei und ihre Bun- den hat. Dies konnte auch nicht stattfinden, weil die destagsfraktion Sie, Herr Bundeswirtschaftsminister finanziellen Mittel überwiegend zur sozialen Abfede- Möllemann, und sie unterstützt auf diesem Wege die rung des Untergangs des Industrie- und Landwirt- Bundesregierung Kohl/Genscher. schaftsstandortes in den neuen Bundesländern genutzt wurden, nicht aber zur Sanierung der Wirt- Ich bedanke mich. schaft. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Vor allem wird sich die wirtschaftliche Situation schon bald auch in den alten Bundesländern verän- Vizepräsident Hans Klein: Das Wort hat der Abge- dern. Die Aufträge an die Unternehmen gehen ordnete Gregor Gysi. zurück; der Boom aus der Neueroberung des ostdeut- schen Marktes ist vorüber. Wie immer in solchen Zeiten kommt dann die Aufforderung an die Gewerk- Dr. Gregor Gysi (PDS/Linke Liste): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Am Anfang, Herr Dr. Graf schaften, hinsichtlich der Tarifabschlüsse maßzuhal- Lambsdorff, haben Sie sich zu der Hinterlassenschaft ten. Es ist klar, wie hier der Schwarze Peter verteilt der früheren DDR-Wirtschaft geäußert. Ich war ein werden soll. Hinsichtlich des weiteren wirtschaftli- bißchen an die frühere DDR erinnert, weil dort näm- chen Abstiegs wird schon jetzt die Schuld vorbeugend den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern und lich in den siebziger Jahren alle Mängel- in der Wirtschaft immer noch mit den Reparationsleistungen ihren Gewerkschaften zugeschoben, obwohl längst in den vierziger und fünfziger Jahren und der Tatsa- und mehrfach bewiesen ist, daß Lohnsteigerungen che begründet wurden, daß die DDR im Jahre 1945 nur zu einem Bruchteil den Gewinnsteigerungen nur drei Hochöfen und die Bundesrepublik ungefähr entsprechen und keinesfalls die wirtschaftliche Ent- 50 hatte. Ich finde, das hilft auf Dauer nicht, um von wicklung behindern. Sie erhöhen die Kaufkraft und eigenen Fehlleistungen in der Wirtschaftspolitik beleben damit den Markt. Außerdem geht es darum, abzulenken. Sie wissen natürlich ganz genau, daß die im Kampf um soziale Gerechtigkeit nicht nachzulas- hohe Arbeitslosenzahl in den neuen Bundesländern sen. sehr viel mit der neuen Wirtschaftspolitik seit dem Die zunehmenden wirtschaftlichen Schwierigkei- Juni 1990, d. h. mit der Währungsunion, zu tun hat. ten in den alten Bundesländern hängen direkt mit der (Zuruf von der CDU/CSU: So ist es! Kein Wirtschaftsentwicklung in den neuen Bundesländern Sozialismus mehr, Gott sei Dank!) zusammen. Die Entwicklung wird künftig nicht mehr Ich glaube, daß die zweite Beratung zum Jahres- gegeneinander verlaufen; vielmehr wird die Fortset- wirtschaftsbericht 1991 und die erste Beratung zum zung der bisherigen Wirtschaftspolitik in den neuen Jahreswirtschaftsbericht 1992 verschiedene Merk- Bundesländern auch entsprechende katastrophale würdigkeiten aufweisen. Hinsichtlich der Entschlie- Auswirkungen auf die alten Bundesländer haben. ßungsanträge zum Jahreswirtschaftsbericht 1991 Nach wie vor sehen Bundesregierung und Treu- halte ich diese Beratung für völlig überflüssig. Das handanstalt es als wichtigste Aufgabe an, die Betriebe Wirtschaftsjahr 1991 ist seit über einem Monat abge- in den neuen Bundesländern zu privatisieren. Als schlossen. Die Debatte könnte getrost den Historikern Begründung wird u. a. angegeben, daß die Treuhand- überlassen bleiben. anstalt als Herrscherin über mehr als 10 000 Unter- Für noch bedenklicher halte ich es, wenn wir in nehmen nichts über die Entwicklung der einzelnen diesem Zusammenhang über den Entschließungsan- Unternehmen wissen könne; sie sei deshalb zur Sanie- trag der CDU/CSU- und der FDP-Fraktion entschei- rung nicht in der Lage. Dann aber wird es doch wohl den sollen. Welchen Wert kann eine solche Entschlie- Zeit, den auch von uns unterbreiteten Vorschlag ßung für die Bürgerinnen und Bürger haben? Wenn aufzugreifen, die Treuhandanstalt wesentlich stärker ich dann noch im Punkt 3 dieses Entschließungsantra- zu dezentralisieren, damit die Übersicht gewonnen ges zum Jahreswirtschaftsbericht 1991 lese, daß werden kann. Das ist auch ein Vorschlag von CDU- hinsichtlich der neuen Bundesländer von einem „stei Abgeordneten aus den neuen Bundesländern. 6310 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 76. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Februar 1992

Dr. Gregor Gysi Es ist also keinesfalls zwingend so, daß mit der den und die anderen Betriebe plattgemacht sind, dann Frage, ob sich ein Käufer für ein Unternehmen findet wird bei der Berechnung der Schulden wieder an das oder nicht, auch die Aussage verbunden werden große Ganze gedacht und der Schuldenberg — volks- kann, ob das Unternehmen sanierungsfähig ist oder wirtschaftlich betrachtet — gewissermaßen soziali- nicht. Es gibt auch sanierungsfähige Unternehmen, siert. Bis dann haben aber andere die großen die nicht gekauft werden, und es gibt natürlich Geschäfte gemacht. Nicht die Bürgerinnen und Bür- ebenfalls Unternehmen, die nicht sanierungsfähig ger insgesamt, sondern einzelne werden die großen sind und dennoch erworben werden, weil z. B. Inter- Gewinner dieser Treuhandpolitik sein, und zwar ein- esse an den Immobilien besteht. Die Politik der zelne sowohl aus den alten als auch aus den neuen Treuhandanstalt, immer mehr Be triebe zum Nullpreis Bundesländern. zu verkaufen, hat keinesfalls zu einer wirtschaftlichen Belebung im Osten Deutschlands beigetragen. Wann Jede und jeder, der eine andere Politik der Treu- endlich, frage ich, werden Maßnahmen wie z. B. handanstalt fordert, wird sofort verdächtigt, daß er degressive Lohnsubventionen ergriffen, mit deren antimarktwirtschaftlich eine Staatslenkung fordert. Hilfe die Kosten der Betriebe gesenkt und ihre Markt- Mittlerweile müßten aber auch die Gralshüter der chancen erhöht werden können? Wann endlich wird Marktwirtschaft erkannt haben, daß in den neuen also das Geld zur Finanzierung von Arbeit und nicht Bundesländern von einem echten Wettbewerb und zur Finanzierung von Arbeitslosigkeit ausgegeben? folglich auch von einem Markt keine Rede sein kann, Wann endlich geht in Eigentumsfragen Entschädi- weil Betriebe entweder sofort stillgelegt oder an gung vor Rückgabe, um das größte Investitionshemm- marktbeherrschende Unternehmen aus Westdeutsch- nis zu beseitigen? Ich habe schon einmal darauf land verkauft werden. hingewiesen: Um Eigentumsgerechtigkeit herzustel- Warum verbürgt die Treuhandanstalt in diesem len, können wir nicht im Jahr 1945 anfangen; dazu Jahr Bankkredite nicht mehr global? Warum gewährt müssen wir viel weiter zurückgehen. sie nur noch Einzelbürgschaften? Ist es nicht klar, daß Die Wirtschaftspolitik der Bundesregierung und der mit solchen Entscheidungen der Einfluß auf die Inve- Treuhandanstalt bewegt sich gegenwärtig zwischen stitionspläne der Unternehmen erhöht wird? Warum Deindustrialisierung und Monopolisierung. Sie trägt verzichten Sie in den neuen Bundesländern auf eine nicht zur Entzerrung der ungünstigen Kosten- und aktive, in die ökonomischen Prozesse eingreifende Absatzstrukturen in Ostdeutschland bei. Die von mir Struktur- und Industriepolitik, wenn Sie gleichzeitig geforderte Regionalisierung der Treuhandanstalt ist gestatten, daß die Treuhandanstalt über die Gewäh- allerdings ohne Transparenz ihrer Entscheidungen rung von Bankbürgschaften mittelbar investitionslen- und ohne die Erweiterung von Mitbestimmungsrech- kend tätig werden kann? ten undenkbar. Regionalisierung und Demokratisie- (Erich G. Fritz [CDU/CSU]: Weil das kein rung sowie Transparenz der Politik der Treuhandan- Laborversuch ist!) stalt sind wesentliche Voraussetzungen, wenn eine - Sanierungspolitik im Interesse des Erhalts und der Gleiches gilt für die Hermes-Kreditbürgschaften. Schaffung neuer Arbeitsplätze durchgesetzt werden Obwohl in der ostdeutschen Industrie direkt und soll. Strukturkonzepte, die zur Neuschaffung von indirekt 500 000 Arbeitsplätze am Handel mit der Investitionspotentialen in den Unternehmen beitra- früheren Sowjetunion hängen, wurden die Mittel für gen, müssen klare und eindeutige Regelungen zur diese Exporthilfen stark gekürzt. Einem Antragsvolu- Finanzierung von Modernisierungsinvestitionen ent- men in Höhe von 70 Milliarden DM stehen Hermes halten. Über eine allgemeine Investitionshilfeabgabe Bürgschaften in Höhe von insgesamt 5 Milliarden DM für westdeutsche Unternehmen, eine Arbeitsmarkt- gegenüber. Die Unternehmen, denen solche Ausfuhr- abgabe für Besserverdienende und nicht zuletzt über bürgschaften gewährt werden sollen, wählt die Treu- Kürzungen im Rüstungsetat könnte der Finanzbedarf handanstalt aus. Ich frage Sie, ob das etwa keine gedeckt werden. lenkenden Eingriffe in Wirtschaftsabläufe sind. Was spricht eigentlich dagegen, das Konzept einer In der Praxis zeigt sich also, daß die Treuhandanstalt zeitlich befristeten Zwangsanleihe mit Zeichnungs- und damit die Bundesregierung sehr wohl in Wirt- pflicht zu diskutieren, das im Finanzausschuß schon schaftsprozesse eingreift. Die Frage ist nur, wie in einmal vorgetragen worden ist? Die Treuhandanstalt solche Prozesse eingegriffen wird, rechnet bis Ende 1994 mit Schulden in Höhe von 250 Milliarden DM. Das wird der Preis sein, den die Ich halte es für erforderlich, daß die Bundesregie- Bürgerinnen und Bürger dieses Landes für eine rein rung ihre wirtschaftliche Fehlpolitik eingesteht, dar- betriebswirtschaftlichen Kriterien folgende Kahl- aus Folgerungen zieht und mit einer wirklichen Sanie- schlagpolitik der Bundesregierung zahlen müssen. rungs-, Struktur- und Arbeitsbeschaffungspolitik in den neuen Bundesländern letztlich auch zum Wohl (Erich G. Fritz [CDU/CSU]: Ach, Gysi!) der alten Bundesländer beginnt. Volkswirtschaftlich wird interessanterweise immer Ehrlichkeit haben die Bürgerinnen und Bürger nur dann argumentiert, wenn es um die Bezahlung der immer noch am besten vertragen. Einen Fehler zu Schulden geht. Laut „Handelsblatt" vom 5. Februar begehen ist schlimm. Aber viel schlimmer ist es, ihn hat Treuhandfinanzvorstand Krause gefordert, bei der nicht einzugestehen und keine Folgerungen für eine Gewinn- und Verlustrechnung der Treuhandanstalt veränderte Politik zu ziehen. auch das volkswirtschaftliche Kriterium zu berück- sichtigen. Im Klartext soll das bedeuten: Wenn die (Dr. Otto Graf Lambsdorff [FDP]: Aber da Filetstücke herausgeschnitten und verscherbelt wor- hatten Ihre Vorgänger 40 Jahre Zeit!) Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 76. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Februar 1992 6311

Dr. Gregor Gysi — Reichlich; ja. Das ist unstrittig. Das ist kein S treit- Die Erfahrungen zeigen aber — auch die Wirt- punkt zwischen uns. Deshalb können wir ja aus diesen schaftswissenschaft sieht das inzwischen so —, daß Erfahrungen schöpfen. Deshalb sind wir so wichtig für diese Vereinfachung nicht einmal für eine entwickelte eine neue Politik. Marktwirtschaft zutrifft. Um so weniger gilt sie für den Die Situation in den neuen Bundesländern wird Umbau der ehemals staatsgelenkten Wirtschaft in immer katastrophaler. Darum fällt es mir so sehr auf. Ostdeutschland. Die Wohlstandsmaschine hat dort Für Januar 1992 sind nun offiziell 1,3 Millionen bisher weitgehend versagt. Es klappt eben nicht, Arbeitslose angegeben worden, wobei allein im wenn die eine Hälfte der Wirtschaftspolitik aus Psy- Monat Januar 300 000 hinzugekommen sind. Wenn chologie besteht und die andere auf Selbstbetrug man noch die verdeckte Arbeitslosigkeit durch Vorru- hinausläuft. heständlerinnen und Vorruheständler, Umschülerin- Der Arbeitsmarkt ist aus den Fugen geraten. Die nen und Umschüler usw. berücksichtigt, erhöht sich jüngsten Zahlen aus Nürnberg sind noch längst nicht die Zahl auf fast drei Millionen. der Tiefpunkt einer vermeidbar gewesenen Entwick- Welches deutlicheren Beweises bedürfte es noch für lung. Dabei trügt die Statistik: Rund 1,7 Millionen eine verfehlte Wirtschaftspolitik und die Notwendig- Ostdeutsche ohne Arbeitsplatz sind gar nicht erst keit einer Änderung? Noch nie gab es so viele Men- erfaßt, weil sie kurzarbeiten, an Arbeitsbeschaffungs- schen in den neuen Bundesländern, die sich überflüs- oder Umschulungsmaßnahmen teilnehmen oder früh- sig fühlen und keine Perspektive für sich sehen. Hinter zeitig aus dem Berufsleben entlassen wurden. Arbeitslosigkeit stehen nicht nur soziale, sondern Momentan werden dort ganze Lebensbäume ge- auch psychische Probleme. Belastet ist nicht nur die kappt. oder der Arbeitslose, sondern ihre oder seine ganze Familie. Der tatsächliche Beschäftigungsverlust ist also mehr als doppelt so hoch und entspricht einer Arbeitslosen- Obwohl die Menschen in der DDR bis 1989 unter quote von 38 %. Das heißt, zeitgemäß formuliert, jeder den Bedingungen einer Diktatur lebten, gab es dritte trägt den grausamen Stempel: Derzeit nicht zu wesentlich weniger Selbstmorde als heute. Dies muß gebrauchen. Das ist kein vorübergehendes Problem. doch wohl wenigstens zu denken geben. Ich glaube, Im Osten droht Dauerarbeitslosigkeit in neuen daß auf Dauer gegen diese wirtschaftliche Entwick- Dimensionen mit ungeahnten Auswirkungen. lung auch keine politischen Ablenkungsmanöver helfen. Allein daran müßte die Bundesregierung erkennen: Es berührt mich mehr als unangenehm, wenn sich Der freie Markt richtet längst nicht aus, was Struktur- ein Generalstaatsanwalt stolz Günter der Starke nen- und Industriepolitik vermögen. Die Arbeitsmarktpoli- nen läßt, wenn Ermittlungen der Gestapo und Ankla- tik steht vor einer in der Wirtschaftsgeschichte der geschriften der Nazi-Justiz vor unseren Gerichten Bundesrepublik Deutschland einzigartigen Heraus- wieder zugelassen sind, wenn eine Frau trotz Empfeh- forderung. Der soziale Friede wackelt, aber im Wirt- lung eines demokratisch gewählten Richterwahlaus- schaftsministerium hat das offenbar noch keinen schusses nicht Richterin werden darf, weil sie einer erschüttert. Die Beschäftigungskrise wird dort einfach dem Regierenden Bürgermeister von Berlin nicht als Erblast des sozialistischen Systems ausgegeben. genehmen Partei angehören soll, wenn die einzige Wie lange will man dort die Menschen damit noch Antwort auf Fremdenfeindlichkeit darin besteht, daß vertrösten? sich die Bundesregierung überlegt, wie man Fremde Die sozialen Verhältnisse in den neuen Bundeslän- loswerden kann. Es wäre noch vieles andere zu dern kollabieren, und die Bundesregierung betreibt nennen. business as usual. Was wir in Wirklichkeit brauchen, sind politische Auch der halbherzige Kurswechsel vor einem Jahr Besonnenheit, mehr Demokratie gerade wegen des kann daran nur wenig ändern. Das Paradebeispiel ist erheblichen Mangels an Demokratie in der früheren die Regelung der Eigentumsverhältnisse. Die groß- DDR und eine transparente aktive Wirtschaftspolitik, spurig angepriesene Vorfahrt für Investitionen hat die im Interesse der großen Mehrheit der Menschen sich als Flop erwiesen. Die „Wirtschaftswoche" stellt und nicht der Gewinne einzelner Unternehmen kühl und nüchtern fest: Das Enthemmungsgesetz betrieben wird. taugt nichts. (Beifall bei der PDS/Linke Liste — Erich G. Fritz [CDU/CSU]: Alte Schablonen!) Darüber hinaus hat das Vermögensgesetz in den neuen Bundesländern eine Situation der erneuten Entrechtung geschaffen. Die Behandlung der Eigen- Vizepräsident Hans Klein: Das Wort hat der Abge- tumsprobleme hat das Vertrauen in den Rechtsstaat ordnete Werner Schulz. untergraben. Besonders tragisch ist die Situation von Mietern und Nutzern von Grundstücken, die sich jetzt Werner Schulz (Berlin) (Bündnis 90/GRÜNE): Herr ungeahnten Rückgabeforderungen ausgesetzt sehen. Präsident! Meine Damen und Herren! Der Bundes- Zukunftsangst und Verunsicherung haben die Freude wirtschaftsminister hat kürzlich eine Broschüre mit über die Einheit getrübt. Völlig unbewiesen steht die dem Titel „Die Wohlstandsmaschine" veröffentlicht. Behauptung im Raum, daß die Eigentumsfrage das Sie soll die Bürgerinnen und Bürger in den neuen Investitionshindernis Nummer eins sei. Seltsamer- Bundesländern aufklären, wie die Marktwirtschaft weise kommen auch da keine arbeitsplatzschaffenden funktioniert. Sie sollen endlich begreifen: Der Markt Investoren, wo keine ungeklärten Eigentumsverhält- regelt sich selbst, und der Markt lenkt die Produkti- nisse bestehen. Die Risikobereitschaft des Kapitals onsfaktoren. hält sich eben nicht in nationalen Grenzen. Aus 6312 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 76. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Februar 1992

Werner Schulz (Berlin) vaterlandslosen Gesellen sind längst Meister gewor- Die bisherige Politik der Bundesregierung zur den. Finanzierung der deutschen Einheit hat die höheren Einkommen geschont. Die Hauptlast wurde von den Der Jahreswirtschaftsbericht der Bundesregierung unteren Einkommensbeziehern ge tragen. Die investi- enthält von alledem nur wenig. Die Bundesregierung tionsfördernden Maßnahmen kommen ebenfalls betrachtet die wirtschaftlichen Probleme lieber durchs hauptsächlich den Beziehern höherer Einkommen verkehrt herum gehaltene Fernglas. Selbst dort, wo zugute und bewirken zusätzlich eine Umverteilung der Sachverständigenrat im Jahresgutachten Han- zugunsten dieser Gruppen. deln fordert und empfiehlt: „alles vermeiden, was Investieren und Sparen behindert, weniger subventio- Hinzu kommen fatale Verteilungsfolgen in Ost- nieren, nicht das obsolet Gewordene erhalten wollen, deutschland. Die Neustrukturierung der Eigentums- Augenmaß für das Verteilbare bewahren und den rechte im Rahmen der Privatisierungspolitik der Treu- Staat solide finanzieren" , zieht sich die Regierung auf handanstalt und der Eigentumsregelung für Alteigen- irreführende Aussagen zurück. Im Jahreswirtschafts- tümer haben für viele der neuen Bundesbürger Ver- bericht ist nicht einmal in Andeutungen ein finanzpo- schlechterungen mit sich gebracht. Der Sachverstän- litisches Konzept für die Bewältigung der wirtschaftli- digenrat hat deutlich festgestellt, daß es der Finanz- chen Einheit Deutschlands erkennbar. politik bisher nicht gelungen ist, für die Lösung dieser Verteilungsprobleme überzeugende Instrumente und Nehmen wir uns kein Beispiel an der Bundesregie- Mechanismen zu entwickeln, die eine langfristige rung; machen wir uns nichts vor. Der Boom der letzten Strategie und damit einen klaren Kurs in der Finanz- Jahre ist zu Ende. Die Belastungen durch die deutsche politik ermöglicht hätten. Einheit und den Einigungsprozeß können nur noch in geringem Maße durch die Gewinne des wirtschaftli- „Die Chronik der Finanzpolitik des Jahres 1991 chen Wachstums finanziert werden. Der Strukturum- präsentiert sich vielmehr als eine Fülle finanzpoliti- bruch in den neuen Bundesländern wird noch für viele scher Einzelmaßnahmen, die eher der Not der Stunde Jahre finanzielle Transfers von West nach Ost benöti- als einer langfristig angelegten Konzeption zu folgen gen. Der Aufschwung Ost kommt nur sehr langsam in scheinen." Dieser Feststellung des Sachverständigen- Gang. Er benötigt erheblich mehr Zeit, als die Bun- rates ist nichts hinzuzufügen. desregierung in ihren wirtschaftlichen Wunschvor- Rein fiskalisch hätte die deutsche Einheit wohl nicht stellungen veranschlagt. stattfinden dürfen; sie rechnet sich nicht. Demzufolge Die Kosten für den Aufbau in den neuen Bundes- hat die Bundesregierung die Probleme verdrängt, ländern werden von der Bundesregierung nach wie heruntergespielt und ihre Standpunkte nur widerwil- vor heruntergespielt und verschleiert. Der Skandal ist lig und nur auf Druck geringfügig korrigiert. Ich dabei nicht, daß mit dem Einigungsprozeß hohe erinnere an das Gemeinschaftswerk Aufschwung Ost, Transferleistungen von West nach Ost notwendig das ein ganzes Jahr zu spät auf den Weg gebracht geworden sind. Der Skandal ist vielmehr, daß die worden ist Bundesregierung — leider nicht nur sie — immer (Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk [SPD]: Richtig!) noch nicht den Ernst der Lage erkannt hat. Sie möchte mit den traditionellen Mitteln der Finanzpolitik die und das eben keiner schnaufenden Lokomotive ent- außergewöhnlich hohen Belastungen aus dem deut- spricht, die die schweren Wagen den Berg hochzieht; schen Einigungsprozeß bewältigen. Dabei ist schon denn unser Lokführer Möllemann hat vergessen, vor lange abzusehen — die wissenschaftlichen Experten dem Start der „Wohlstandsmaschine" die Schienen zu des Sachverständigenrates und der Institute haben legen. darauf mehrmals hingewiesen —, daß neue Wege in der Wirtschaftspolitik beschritten werden müssen. Wir haben an der Ausgestaltung des Gemein- Doch die Bundesregierung befindet sich auf einem schaftswerks in mancher Hinsicht Kritik geübt. Den- trotzigen Trampelpfad. Ihre finanzpolitische Linie ist noch haben wir diese Initiative von Anfang an für trotz wohltönender Rhetorik konzeptionslos geblie- notwendig gehalten und sind heute — mit Herrn ben. Möllemann — der Auffassung, daß das Aufschwung- Ost-Programm über das Jahr 1992 hinaus verlängert Der Sachverständigenrat hat zu Recht ein langfristi- werden sollte. Allerdings muß die zu schaffende ges Zukunftsprogramm für die kommende Dekade öffentliche Nachfrage im industriellen Sektor in den gefordert, das auf eine tragfähige finanzielle Grund- ostdeutschen Bundesländern wirksam werden. lage gestellt werden muß. Wenn sich die öffentliche Verschuldung nicht weiter dramatisch erhöhen soll, Krasse Fehler gibt es in der Arbeitsmarktpolitik: müssen deshalb in den kommenden Jahren die Aus- das verspätete und widerwillige Eingehen auf gaben für die Finanzierung des Strukturwandels in Beschäftigungs- und Qualifizierungsgesellschaften, Ostdeutschland und der sozialen Sicherung stärker als die Beschneidung der Arbeitsbeschaffungsmaßnah- bisher die Ressourcen der deutschen Volkswirtschaft men zu einem Zeitpunkt, in dem die Arbeitslosigkeit beanspruchen. Diese Mittel für den Aufbau in den im Osten noch lange nicht überschaubar war, was sie neuen Bundesländern werden hauptsächlich im auch jetzt leider noch nicht ist. Westen aufzubringen sein. Es erweist sich als ein Die jüngste Initiative des Bundeswirtschaftsmini- großer Fehler, daß der verfassungsmäßig vorgese- sters zur weiteren Beschneidung der ABM-Möglich- hene Länderfinanzausgleich ohne Not außer Kraft keiten gesetzt und die Verteilung der Belastung über den Fonds „Deutsche Einheit" geregelt wurde. (Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Sehr wahr!) Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 76. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Februar 1992 6313

Werner Schulz (Berlin) muß von den Betroffenen als Ausdruck sozialer Kälte kehrswegeplan vor. Der „Aufschwung Ost" wird also oder, drastisch gesagt, als Tritt in den Hintern verstan- zum Motorisierungsschub. den werden, Neue, zukunftsweisende Orientierungen läßt die (Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Ja!) Bundesregierung in der Infrastrukturentwicklung und ganz abgesehen davon, daß die Vorschläge auch in der Energiepolitik vermissen. Ökologisch verantwort- der Sache kaum begründbar sind. liches Wirtschaften läßt sich aber nicht auf der Basis eines „Weiter so!" erreichen. Wann möchte uns die Die Bundesregierung sperrt sich bis heute gegen Bundesregierung erklären, wie sie eigentlich ihr ehr- eine konstruktive Korrektur ihrer Treuhandpolitik. geiziges Ziel der CO2-Reduzierung erreichen will? Nur millimeterweise gibt sie — und mit ihr die Treu- handanstalt und ihre eiserne Birgit — dem öffentli- Ein weiterer wunder Punkt in der Wirtschaftspolitik chen Druck nach, die lange Zeit geleugnete Sanie- der Bundesregierung ist die Förderung des Osthan- rungsaufgabe endlich in Angriff zu nehmen. dels ostdeutscher Unternehmen. Man kann wohl kaum bezweifeln, daß Exporte in die Gemeinschaft (Hans-Ulrich Klose [SPD]: Das ist aber nicht Unabhängiger Staaten in der nächsten Zeit mit beson- Fehler der Treuhand, sondern Fehler der deren Risiken verbunden bleiben werden. Daher ist Bundesregierung!) gewiß erhöhte Vorsicht geboten. Die eigene ideologische Fixierung hat der Regierung Der Beschluß der Regierung zur radikalen hier offenbar im Wege gestanden. Beschneidung der Hermes-Kredite bleibt dessenun- Mit der Formel, Privatisierung sei die beste Form geachtet unverständlich und unakzeptabel. Eine neue der Sanierung, läßt sich aber das Problem nicht lösen, Luftnummer von Wirtschaftsminister Möllemann war daß ein Großteil der Treuhandbetriebe offenbar nicht seine vollmundige Ankündigung, sich im Kabinett für ohne weiteres privatisierbar ist und daß so manche die Ausweitung der Vergabe von Hermes-Bürgschaf- Teilprivatisierung eher zur Zerschlagung bestehen- ten zur Absicherung von Ostexporten stark zu der Funktionszusammenhänge und nicht zu ihrer machen. Bereits vor der entscheidenden Kabinettssit- Sanierung führt. Das ist ein Punkt, auf den bekannt- zung hat er klein beigegeben und damit erneut — wie lich auch die ostdeutschen CDU-Abgeordneten — lei- schon in der Treuhandfrage — gegen Theo Waigel der ohne großen Erfolg — hingewiesen haben. Der den kürzeren gezogen. Kanzler hat ihnen tief in die Augen geschaut, und das Der Beschluß der Bundesregierung wird in abseh- hat sie reihenweise hypnotisiert. Dann hatten sie die barer Zeit den Handel mit den GUS-Republiken Hoffnung vor Augen, daß ihr Fraktionschef noch praktisch abwürgen. Den völligen Ausfall dieses etwas machen kann, was wie Sanierung aussieht, Marktes kann die ostdeutsche Wirtschaft derzeit nicht damit sie zu Hause nicht gesteinigt werden. verkraften. Ein beschleunigter Arbeitsplatzabbau und (Dr. Albert Probst [CDU/CSU]: Starke weitere Stillegungen werden die Folgen sein. Bis auf Bilder!) - weiteres ist die Vergabe weiterer Hermes-Bürgschaf- ten zur Absicherung dieser Exporte unverzichtbar. — Wenn Sie eine schwache Politik betreiben, sind starke Bilder erlaubt. Im Osten krebst die Industrieproduktion auf nied- (Michael Glos [CDU/CSU]: Starke Bilder, rigstem Niveau herum; zarte Anzeichen ihres schwacher Inhalt!) Anstiegs verflüchtigen sich bei näherem Hinsehen; die Arbeitslosenzahlen schwellen an. Es dürfte hier wohl Übereinstimmung bestehen, daß der Bedarf an Arbeitsplätzen in den ostdeutschen Derweil meint man im Westen offenbar, zur alltäg- Ländern allein mit privaten Neuinvestitionen und lichen Routine zurückkehren zu können. So macht Neugründungen von Unternehmen auf Jahre hinaus sich die Bundesregierung, wo immer möglich, daran, nicht zu decken sein wird. Deshalb ist es unverant- die Transferleistungen für den Osten zu beschneiden. wortlich, die Diskussion über die Rolle des Staates bei Die Tarifparteien im Westen veranstalten, offenbar Sanierung und Investitionen von einer abstrakt wenig beeindruckt von den Erfordernissen Ost- rechthaberischen Warte zu führen. deutschlands, ihre Verhandlungsrituale. (Dr. Albert Probst [CDU/CSU]: Jetzt übertrei Im Osten vollbringen die Menschen erstaunliche ben Sie!) Anpassungsleistungen. Ist es da nicht angebracht, vom Westen vernünftige Veränderungen im Sinne des Es stellt sich nicht die Frage, wer besser als Sanierer zusammenwachsenden Gemeinwesens zu fordern? geeignet ist, der Staat oder Private, weil hier praktisch gar keine Alternative besteht. Um einen großen Teil Deshalb müssen wir uns dem Konflikt zwischen den der Treuhandunternehmen kümmert sich entweder aus westdeutscher Sicht wohl berechtigten Lohnfor- der Staat, also die Treuhand, oder niemand kümmert derungen und den Erfordernissen eines Wirtschafts- sich darum. aufschwungs im Osten wirklich und nicht nur rheto- risch stellen. Zwar findet der Jahreswirtschaftsbericht schöne Worte zur Berücksichtigung umweltpolitischer Ziele Lohnsteigerungen, die auf die Korrektur der Vertei- beim wirtschaftlichen Aufbau im Osten. Doch in der lungsrelationen abzielen, haben gleichzeitig Wirkun- Praxis reduziert sich das bestenfalls auf die Anglei- gen auf das Preisniveau und die Entwicklung der chung an das Modell Westdeutschland: weiterhin Investitionstätigkeit. Dieser Zusammenhang — als Chlorchemie, weiterhin Priorität für den Straßenbau; Frage nach der Qualität des Produktionsstandorts 9 000 neue Straßenkilometer sieht der Bundesver Bundesrepublik in der öffentlichen Diskussion — 6314 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 76. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Februar 1992

Werner Schulz (Berlin) zeigt sich auch jetzt bei den Tarifauseinandersetzun- dezu. Sowohl die keineswegs nur erfolglose Konzer- gen. Es ist nicht von der Hand zu weisen, daß starke tierte Aktion als auch der Runde Tisch bieten Anknüp- Lohnsteigerungen in den neuen Bundesländern die fungspunkte und Modelle. Solche Instrumente gesell- Beschäftigungskrise verschärfen können. Ein großer schaftlicher Übereinkunft sind angesichts der schein- Teil der existierenden Unternehmen wird kaum in der baren Überlegenheit der im Westen vorherrschenden Lage sein, die Produktivität im gleichen Tempo zu Mechanismen voreilig an den Rand gedrängt wor- steigern, wie die Löhne im Rahmen der tariflichen den. Festlegungen in den kommenden Jahren steigen (Beifall beim Bündnis 90/GRÜNE sowie bei werden. Abgeordneten der PDS/Linke Liste) (Michael Glos [CDU/CSU]: Erstaunliche Deshalb fordern wir erstens, daß sich Regierung und Erkenntnisse!) Tarifpartner unverzüglich an einen Tisch setzen und Außerdem: Die Lohnkosten können bereits jetzt von einen tragfähigen nationalen Konsens zur Finanzie- vielen Unternehmen nicht erwirtschaftet werden. Nur rung der deutschen Einheit aushandeln. wenige High-Tech-Betriebe und stark lokal gebun- In dene Produktionen und Dienstleistungen können Zweitens fordern wir ein Investitionsgebot Ost: unter diesen Umständen den Lohnschock überleben. nationalen Notsituationen hat sich die alte Bundesre- Auf seiten der Gewerkschaften — und vielfach auch publik durchaus kreativ gezeigt und z. B. 1952 ein in den Reihen der SPD — wird übersehen, daß die „Gesetz über die Investitionshilfe der gewerblichen Entkoppelung der Reallöhne von der Produktivitäts- Wirtschaft" eingeführt, durch das eine Milliarde DM von der gewerblichen Wirtschaft erhoben und für den entwicklung die jetzige Wettbewerbssituation der industriellen Unternehmen in den neuen Bundeslän- Investitionsbedarf der notleidenden Industrie, des Kohlenbergbaus und der Energiewirtschaft verwen- dern nachhaltig beeinträchtigt. det wurde. Es war eine Art Zwangsanleihe. (Beifall bei der CDU/CSU — Michael Glos [CDU/CSU]: Dagegen kann man nichts Der entscheidende Unterschied zur damaligen sagen!) Investitionshilfeabgabe liegt bei unserem Vorschlag jedoch darin, daß diejenigen Unternehmen, die im Nicht nur die Bundesregierung steht in der Kritik; Osten Arbeitsplätze nach Maßgabe einer fiktiven auch von den Sozialpartnern in der alten Bundesrepu- Pflichtquote — etwa 5 % ihrer West-Arbeitsplätze — blik fehlen bisher überzeugende Antworten auf die schaffen, von der Abgabepflicht befreit werden. Herausforderungen der deutschen Einheit. In Ergänzung einer solidarischen Tarifpolitik wäre (Beifall beim Bündnis 90/GRÜNE sowie des gleichzeitig die Einführung einer Solidarabgabe der Abg. Michael Glos [CDU/CSU]) Vermögensbesitzer in der Bundesrepublik sinnvoll. Mit der schlichten Forderung nach einem „Maßhal- Ein weiteres Element einer solidarischen Einkom- ten der Tarifparteien", wie sie etwa der Vorsitzende - menspolitik besteht in der Beteiligung der Arbeitneh- des CDU-Wirtschaftsrats, Dieter Murmann, erhoben mer und Arbeitnehmerinnen am Produktivkapital. hat, der damit im Ergebnis den Verzicht auf Lohnfor- Das bestehende rechtliche Instrumentarium ist hierfür derungen und die Umverteilung zugunsten der Unter- nicht ausreichend. nehmer gemeint hat, ist es allerdings nicht getan. Die Bundesregierung steht hier in der Pflicht, die Die traditionellen Methoden der Lohnfindung sind Möglichkeit zur Kapitalbeteiligung besonders in den angesichts der jetzigen Situation ungeeignet. Wir neuen Bundesländern zu verbessern. Für Tarifmo- fordern deshalb die Bundesregierung und die Sozial- delle, die einen zeitweisen Konsumaufschub und die partner auf, Ansätze zu einer solidarischen Einkom- Beteiligung der Arbeitnehmer am Produktivkapital menspolitik zu entwickeln. Eine solche Politik der vorsehen, müssen die rechtlichen und sachlichen Solidarität verlangt von allen Beteiligten ein Zurück- Voraussetzungen sowie Anreize geschaffen werden. stecken. So können weitere Mittel für den wirtschaftlichen Von Gewerkschaftsseite wird häufig argumentiert, Aufbau Ostdeutschlands mobilisiert werden; übrigens ein einseitiger Lohnverzicht im Westen nütze im auch in Ostdeutschland selbst. Das geschieht im Osten wenig, denn niemand könne garantieren, daß Moment; man sollte sich nicht nur an der Risikobereit- die eingesparten Mittel tatsächlich in Ostdeutschland schaft der Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen im investiert würden. — Sehr richtig. Deswegen muß Motorradwerk Schkopau ein Beispiel nehmen. eben verbindlich vereinbart werden, daß zu diesen Das sind Ansätze, Überlegungen, die der Weiterent- Mitteln beide Seiten beisteuern — die Arbeitnehmer wicklung und der kritischen Diskussion bedürfen. durch Konsumverzicht, die Arbeitgeber durch Ver- zicht auf die Realisierung eines bestimmten Gewinn- Aber eines dürfte klar sein: Wenn die Entwicklung anteils — und daß diese Mittel in gemeinsamer Ver- der Investitionen in Ostdeutschland nicht schneller antwortung der Tarifpartner für den Wirtschaftsauf- vorangeht und unkonventionelle Wege beschreitet, bau in Ostdeutschland eingesetzt werden. dann sind Voraussagen, nach denen die Lebensver- hältnisse in Ost und West noch in den nächsten Solche Vereinbarungen werden kaum im Rahmen 20 Jahren auseinanderfallen werden, keineswegs als von Einzeltarifverhandlungen zustande kommen. unrealistisch anzusehen. Hier bedarf es eines weiter gefaßten Ansatzes. Das Wachstums- und Stabilitätsgesetz schreibt ihn vor. Dann wird die ungedeckte Behauptung, die fünf Das wohl kaum erreichbare Ziel „Hoher Beschäfti- neuen Länder würden bis zur Jahrhundertwende der gungsstand und Preisstabilität" verlangt ihn gera modernere Teil Deutschlands, wohl kaum — — Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 76. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Februar 1992 6315

Vizepräsident Hans Klein: Herr Abgeordneter, Ihre konsequent überwinden, damit der Standort Deutsch- Redezeit ist bereits stattlich überschritten. land insgesamt stark und attraktiv bleibt, mehr noch: damit er neu an Attraktivität gewinnt. Ich habe Werner Schulz (Berlin) (Bündnis 90/GRÜNE): Ein manchmal den Eindruck, daß diese Dimension unse- Wort noch: — — eingelöst. rer Aufgabe viel zuwenig beg riffen wird. Ich danke Ihnen. Im Osten entscheidet sich heute, wie Deutschland in (Beifall beim Bündnis 90/GRÜNE) zehn und in zwanzig Jahren in der Welt dastehen wird. Bereits jetzt kann m an im übrigen deutlich sehen, welch eine Innovativkraft in den kommenden Vizepräsident Hans Klein: Ich erteile dem Minister- Jahren von den neuen Ländern ausgehen wird. Es präsidenten von Sachsen-Anhalt, Werner Münch, das wird ja immer wieder daran erinnert, daß der Osten Wort. am Tropf des Westens hänge. Doch wer erinnert heute eigentlich noch daran, daß vom zehnten Jahr des Ministerpräsident Werner Minch (Sachsen-An- Aufschwungs im Westen ohne die deutsche Einheit halt): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen wohl keine Rede mehr sein könnte. und Herren Abgeordneten! Es ist in dieser Debatte bereits sehr ausgiebig von der Situation in den neuen (Michael Glos [CDU/CSU]: Sehr wahr!) Bundesländern die Rede gewesen. Im Vordergrund Ich will hier keine Seite gegen die andere ausspie- aller Überlegungen stehen natürlich die vielfältigen len. Auch umgekehrt gilt nämlich — ich sage auch Aufgaben und Probleme bei uns und die hohen dieses ausdrücklich —, daß ein wirtschaftlicher Auf- Belastungen, die Deutschland als Ganzes zu tragen schwung im Osten nur möglich ist, wenn der Auf- hat. schwung im Westen nicht stagniert. (Michael Glos [CDU/CSU]: Sehr richtig!) (Beifall bei der CDU/CSU — Anke Fuchs Dieses Hohe Haus hat durch eine Vielzahl von [Köln] [SPD]: Tut er aber!) Entscheidungen unter Beweis gestellt, daß es die Wenn ich dann heute in irgendeinem Entschließungs- Anliegen der Bürgerinnen und Bürger in Ostdeutsch- antrag lese, daß die Währungsunion den Produktions- land außerordentlich ernst nimmt. Ich möchte Ihnen einbruch und, daraus resultierend, eine hohe Arbeits- deshalb zunächst sagen, daß ich Ihnen für diese losigkeit zur Folge gehabt hat, Unterstützung außerordentlich dankbar bin und sie überhaupt nicht für selbstverständlich halte. (Clemens Schwalbe [CDU/CSU]: Quatsch!) (Beifall bei der CDU/CSU) dann komme ich mir manchmal vor, als wenn da Als Ministerpräsident eines der neuen Länder halte Brandstifter und willige, aktive Feuerwehrleute mit- ich es gleichwohl für angezeigt, speziell aus ostdeut- einander verwechselt würden. Die marode Planwirt- scher Sicht einige Anmerkungen zum Jahreswirt- schaft der letzten Jahrzehnte und die Tatsache, daß schaftsbericht der Bundesregierung zu machen. Ich die Arbeitslosigkeit in dieser maroden Planwirtschaft tue dies, weil ich die Sorge habe, daß zwar im Osten jahrelang mit gefälschten Statistiken verdeckt worden viel über den Westen und im Westen viel über den ist, sind die Ursache und nicht das, was, wie zitiert, Osten, daß aber noch immer viel zuwenig wirklich behauptet wird. miteinander geredet wird. Dadurch ist bei vielen in (Beifall bei der CDU/CSU) unserem Land leider der Eindruck entstanden, als ob Der Aufbau der neuen Länder, sowie die Herstel- jeweils die eine Seite der anderen etwas wegnehmen lung vergleichbarer Lebensverhältnisse in Ost und wolle und als ob man sich im Westen vor den Begehr- West sind die großen Aufgaben der 90er Jahre. Alle lichkeiten des Ostens — und im Osten vor denen des reden davon, daß wir Prioritäten setzen müssen. Ich Westens — zu schützen habe. sage Ihnen: Unsere Priorität heißt Ostdeutschland. Dieser Eindruck ist nicht nur falsch, sondern er ist Und sie heißt: Investitionen sichern. Wir müssen die auch sehr gefährlich. Lassen Sie es mich deshalb Dinge jetzt mit aller Kraft vorantreiben, damit die deutlich sagen: Mit der deutschen Einheit und mit Lokomotive schnell selbst zu laufen beginnt und die dem epochalen Umbruch in Mittel- und Osteuropa ist Phase des Übergangs für die Menschen so kurz und so zunächst einmal die Zeit vorbei, in der der Westen erträglich wie möglich ist. Dazu brauchen wir zeit- Deutschlands seinen ständig wachsenden Wohlstand nahe Lösungen. Wir brauchen Flexibilität in der gewissermaßen als naturgegeben annehmen durfte. Handhabung, und wir brauchen auch die Fähigkeit Wir müssen begreifen: Wenn es Ostdeutschland zur Solidarität. schlechtgeht, dann geht es Deutschland insgesamt schlecht. Ein Teil unseres Staates kann nicht unbe- Ich möchte an dieser Stelle auch ausdrücklich eine schadet bleiben, wenn der andere mit schweren Lanze für die Mitbürgerinnen und Mitbürger in unse- Lasten und Problemen zu kämpfen hat. Deshalb gilt: rem Land und in den anderen neuen Bundesländern Was wir heute in den neuen Ländern tun, das tun wir brechen. Es hat niemals eine Phase in der deutschen für die Zukunft unseres ganzen Landes. Nachkriegsgeschichte, auch des gesamten 20. Jahr- hunderts, gegeben, in der in einem so kurzen Zeit- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) raum den Menschen so viel zugemutet worden ist wie Wir stehen heute in Deutschland vor der Alterna- in den neuen deutschen Bundesländern. Wenn wir tive, ob wir ein bestehendes gefährliches Ungleichge- heute das Ergebnis sehen und mit den vielen falschen wicht festschreiben und damit auf Dauer zu Gefange- Prophezeiungen, die wir vor zwei, drei Jahren noch nen unserer eigenen Strukturprobleme werden wol- gehört haben, vergleichen, können wir stolz sein auf len oder ob wir die Probleme im Osten schnell und die Motivation, auf die Leistungskraft und auf die 6316 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 76. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Februar 1992

Ministerpräsident Werner Münch (Sachsen-Anhalt) Bereitschaft zur aktiven Mithilfe am Aufbau der neuen —Ich fände es besser, die eigenen Leute in die richtige Bundesländer. Richtung zu bringen — es ist ja noch Gelegenheit bis morgen früh — und nicht die CDU-Ministerpräsiden- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie ten auf die richtige Fährte zu lenken, auf der sie längst der Abg. Anke Fuchs [Köln] [SPD]) sind. Niemand in Ostdeutschland will auf Dauer Almo- (Beifall bei der CDU/CSU) senempfänger des Westens sein. Die Menschen bei uns haben die Fähigkeiten und sind auch bereit, ihren Herr Bundesfinanzminister, ich will auch gern Beitrag zu leisten. Aber es gibt keinen Menschen in sagen: Diese Unterstützung verpflichtet uns als neue Bitterfeld oder im Mansfelder Land oder in der Alt- Länder, auch das Unsrige zu tun, soweit wir es irgend mark, wo die Hälfte der Arbeitnehmer z. B. in den können. Wir wissen, daß auch wir eine Bringschuld landwirtschaftlichen Betrieben ihren Arbeitsplatz ver- haben. Aus Sachsen-Anhalt haben Sie in der Vergan- loren hat, dem man verständlich machen kann, daß genheit keine unerfüllbaren Forderungen gehört. Es wir nichts Wichtigeres zu tun haben, als auch noch in wird auch in Zukunft dabei bleiben. der letzten westdeutschen Kleinstadt ein Hallenbad Dennoch werden die Länder ihre Aufgaben nur zu bauen oder eine Straße zum drittenmal zu pfla- dann erfüllen können, wenn ihre Finanzkraft schnell stern. und auf Dauer gestärkt wird. Wir brauchen Haushalts- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) klarheit, und wir brauchen Planungssicherheit. Es müssen so schnell wie möglich finanzpolitische Ent- Hier stellt sich die Frage der Prioritätensetzung sehr scheidungen mindestens für die nächsten fünf Jahre konkret. Es geht ja auch überhaupt nicht ums Verzich- getroffen werden. Wir müssen aus der Phase heraus, ten, sondern darum, für eine begrenzte Zeit auf einen daß immer nur die akutesten Probleme ad hoc ent- Teil des Zuwachses zu verzichten und nichts ande- schieden werden, während wir genau wissen, daß res. bereits weitere Probleme ungelöst anstehen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Wir brauchen, wie Sie wissen, dringend eine zumin- Ich sage dies auch ausdrücklich mit Blick auf die dest annähernde Verstetigung des Fonds Deutsche laufenden Tarifauseinandersetzungen. Ich habe für Einheit. Natürlich muß auch bald geklärt werden, wie das Land Sachsen-Anhalt ausgerechnet, daß eine die Beseitigung der Umweltaltlasten finanziert wer- Erhöhung im öffentlichen Dienst um 1 % bei uns pro den soll. Wenn hier zusammen mit anderen Altlasten, Jahr 45 Millionen DM kosten würde. Bei den Forde- z. B. im Wohnungsbau, ein weiterer Schuldenberg auf rungen, die im Raum stehen, würde dies eine Bela- uns zukommt, dann haben wir in unserem Land stung von mehr als 400 Millionen DM zur Folge bereits Milliardenbeträge allein für die Zinsen aufzu- haben. Ich muß Ihnen ganz offen sagen: Diese Summe bringen. Dieses Geld geht uns dann natürlich für kann zur Zeit keiner bei uns bezahlen. Wenn ich dringend benötigte Investitionen verloren. hinzufüge, daß dies bei einem Ist-Personalbestand in Meine Damen und Herren, trotz allem, der Auf- der öffentlichen Verwaltung von durchschnittlich schwung Ost gewinnt an Fahrt. Für den, der die 70 % und nicht von 100 % gilt, und daran erinnere, daß Situation vor Ort kennt und der nicht außerhalb das Ganze bei einem Gehaltsniveau von 60 % im darüber redet, ohne sie zu kennen, kann überhaupt Vergleich zu 100 % im Westen gerechnet ist, dann kein Zweifel bestehen: Die eingeleiteten Maßnahmen wissen Sie, wie groß die Summe wäre, wenn ich diese beginnen zu greifen. Wenn wir den eingeschlagenen beiden Faktoren noch mit berücksichtigen würde. Weg weitergehen und wenn wir dort, wo sich neue Ich bin sehr dankbar, daß Bundesgesetzgeber und Entwickungen ergeben, auch den Mut haben, unsere Bundesregierung für die neuen Länder die Weichen Instrumentarien konstruktiv weiterzuentwickeln wie Stück um Stück in die richtige Richtung stellen. Vieles z. B. in der Eigentumsfrage, dann bin ich sehr zuver- von dem, was ich heute gehört habe, kann ich aus sichtlich. Ich staune ja, welche Parteienvertreter es meiner Sicht und Erfahrung überhaupt nicht teilen. hier gibt, die heute für eine sehr progressive Eigen- Die Unterstützung, die wir vom Bund und von den tumsregelung eintreten, gleichzeitig aber nicht in der alten Ländern erhalten, ist beispielhaft, und sie ist Lage waren, ihren Ministerpräsidenten in einem auch alles andere als selbstverständlich. neuen Bundesland zu einer Zustimmung zum Ver- kehrswegeplanungsbeschleunigungsgesetz zu bewe- (Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Finde ich gen. gut!) (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) — Es ist nur die Frage, ob es gut bleibt; denn die Bewährungsprobe stellt sich jetzt, in diesen Tagen. Sie Ich kann aus der Sicht des Landes Sachsen-Anhalt können dann nachweisen, daß Sie die Bewährungs- nur bestätigen: Es ist erstaunlich, wieviel in kurzer probe auch gerne bestehen wollen und daß Sie bei Zeit bereits auf den Weg gebracht worden ist. diesem Prinzip bleiben. (Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Und wieviel (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) falsch!) Ich komme gerne zu den Eigentumsfragen, weil ich Herr Bundesfinanzminister — — hier durchaus meine eigene Position habe. Ich bin (Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Wo ist er zunächst einmal dankbar, daß die Bundesregierung eigentlich? — Wolfgang Roth [SPD]: Der durch gesetzliche Änderungen erhebliche Erleichte- interessiert sich so intensiv, daß er Sie nicht rungen schaffen will; ich unterstütze dies auch unein- einmal anhört!) geschränkt. Ich habe den Eindruck, daß wir, wenn Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 76. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Februar 1992 6317

Ministerpräsident Werner Münch (Sachsen-Anhalt) beide Maßnahmen — sowohl die Verlängerung der Das zentrale Problem in Ostdeutschland ist das Vorfahrtsregelung als auch die Verkürzung des Problem einer regionalen Entindustrialisierung, weil Anspruchszeitraumes auf etwa zwei Wochen durch- die Betriebe, die existiert haben, mit dem weltweiten geführt werden —, genau das erreicht haben, was wir Wettbewerb nicht zurechtkommen. Ich werde zu wollen. Und wenn dann die Vertreter der Opposition diesem Thema am Ende meiner Ausführungen noch ihre SPD-Oberbürgermeister in den neuen Bundes- ein paar Bemerkungen machen. Lassen Sie mich ländern noch dazu bringen, daß sie § 3 a richtig zuerst ein paar eher langfristige, strategische Aufga- anwenden, dann kommen wir auch in dieser Frage ben der Wirtschaftspolitik ansprechen: einen erheblichen Schritt weiter. (Dr. Albert Probst [CDU/CSU]: Jetzt (Beifall bei der CDU/CSU) kommt's!) Der wirtschaftliche Aufschwung in den neuen Län- ökologische Erneuerung, währungspolitische Inte- dern zeichnet sich immer deutlicher ab. Dennoch gration Europas, über die ja heftig diskutiert wird — haben wir die persönlichen Schwierigkeiten des Graf Lambsdorff hat es angesprochen —, und dann Übergangs, die die Menschen belasten, natürlich sehr auch die Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft in der ernst zu nehmen. Die Situation auf dem Arbeitsmarkt Bundesrepublik Deutschland. und die Wohnungsnot, die Belastung unserer Umwelt oder die Situation in der Landwirtschaft mögen als Wir sind uns hoffentlich einig, daß die Industriege- Stichworte für viele andere genügen. Aber soviel läßt sellschaft die natürlichen Lebensgrundlagen bedroht. sich heute sagen: Die Weichen sind eindeutig in die Die Klimakatastrophe rückt näher. Hier gab es ja richtige Richtung gestellt. Wir sind auf einem guten erfreulicherweise eine übereinstimmende Bewertung Weg, auch wenn wir unser Ziel noch nicht erreicht der Enquete-Kommission. haben, was ja auch gar nicht anders sein kann. (Zuruf von der CDU/CSU: Ist das erfreulich Natürlich muß die eine oder andere rote Ampel noch für Sie?) weg, und der Zug muß noch an Fahrt gewinnen. Das Ozonloch hat sich, wie neueste Forschungen (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU) belegen, erneut vergrößert. — Ich dachte, ich hätte eine völlig unpolitische Bemer Der Jahreswirtschaftsbericht gesteht diese Pro- kung gemacht, aber das scheint nicht so zu sein. bleme durchaus ein. Doch anstatt exakte Zeitpläne zur (Dr. Albert Probst [CDU/CSU]: Wir haben es Umsetzung und vor allem zum Umfang der Erhebung richtig aufgefaßt, Herr Ministerpräsident! — einer Klimaschutzsteuer vorzulegen, bleibt es bei Michael Glos [CDU/CSU]: Wir haben an Frau völlig allgemeinen Ankündigungen, das müsse eben Matthäus-Maier gedacht!) in der EG passieren. Statt beispielsweise die Diskus- Der Zug muß also noch an Fahrt gewinnen. Ich sion um das FCKW zum Anlaß zu nehmen, es schnell möchte Sie ganz herzlich bitten: Behalten Sie die zu verbieten, wird dieses Thema im Jahreswirtschafts- Anliegen der neuen Länder weiterhin im Blick, und bericht als wirtschaftsfremd überhaupt nicht er- - wähnt. lassen Sie uns gemeinsam mit aller Kraft dafür arbei- ten, daß der Aufbau des vereinigten Deutschlands so (Anke Fuchs [Köln] [SPD]: So sind die!) schnell wie möglich gelingt, weil es die Herausforde- Es ist deshalb nur logisch, wenn im Jahreswirt- rung dieser Jahre ist und weil viele auf das Ergebnis schaftsbericht folgende Illusion genährt wird — ich dessen, was wir ohne irgendwelche Vorbilder tun, in zitiere —: Mittel- und in Osteuropa im Sinne eines Modellcha- rakters dringend warten. Die Bundesregierung unterstreicht dabei Vielen Dank. — in der Umweltfrage — (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) die Bedeutung von Eigenverantwortung und Eigeninitiative für fortschrittlichen Umwelt- schutz. Vizepräsident Hans Klein: Herr Abgeordneter Wolf- gang Roth, Sie haben das Wort. So weit, so gut. Und dann: Sie wird die Entwicklung zu einem als Selbstver pflichtung verstandenen Umweltmanagement Wolfgang Roth (SPD): Herr Präsident! Meine durch verläßliche Rahmenbedingungen fördern. Damen und Herren! Der Ministerpräsident des Lan- Das ist nicht nur verquastes Deutsch, sondern es ist des Sachsen-Anhalt hat gerade betont, daß der Auf- eine absolute Illusion zu glauben, daß Selbstver- schwung begonnen hat. Ich sehe das differenzierter. pflichtung im Umweltschutz in der ökonomischen Wir haben Bereiche der Wirtschaft in Ostdeutschland, Wettbewerbsgesellschaft ausreicht. bei denen volle Fahrt ist. Ich frage mich überhaupt, ob wir steuerliche Subventionen für Investitionen im (Beifall bei der SPD) Gaststättengewerbe, im Bankgewerbe, bei Versiche- Fünf Minuten vor zwölf soll die selbstkritische rungen etc. noch brauchen. Aber es gibt eben Berei- Einsicht plötzlich die Wende bringen. Sicherlich, wir che, Herr Ministerpräsident —und da stimme ich Ihrer brauchen einsichtige Unternehmer. Wir freuen uns Schönfärberei überhaupt nicht zu —, wo sich der über jeden, der Einsicht entwickelt. Aber nur darauf Abschwungprozeß fortsetzt. zu hoffen, dafür ist die Situation zu ernst. (Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Richtig!) Ich habe übrigens gerade heute ein GATT-Doku- Das betrifft vor allem die Industrie. ment gesehen, das noch einmal bestätigt, man dürfe in 6318 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 76. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Februar 1992

Wolfgang Roth das GATT-System nicht zu viele Umweltauflagen realisiert wird. Die Konturen müssen noch klarer einbringen. Ich halte das für falsch. M an müßte das werden. Ich will aber eines ganz klar sagen, weil Sie, auch in internationale Handelsregeln der Zukunft Graf Lambsdorff, hier einen Soupçon bzw. die Unter- einbringen. stellung hereingebracht haben, das Präsidium der So lange derjenige Kostenvorteile hat, der die SPD habe nun auch an der Europäischen Währungs- Umwelt zerstört, wird es keinen wirklichen Druck auf union Zweifel. neue Strukturen und keine Verbesserungen der öko- (Dr. Otto Graf Lambsdorff [FDP]: Habe ich nomischen Grundlagen geben. Deshalb steht die SPD gelesen!) dazu: Gerade wenn man die Marktwirtschaft für die Das ist nicht der Fall. Was wir lediglich verlangen, ist Umweltverbesserung nutzen will, dann muß man eine Parallelität zwischen der Währungsunion sowie auch über Steuern und notfalls — das FCKW ist ein der Politischen Union und der Demokratisierung der Beispiel dafür — über Gebote und Verbote konse- Gemeinschaft. quent den Erneuerungsprozeß erzwingen. Das ist die Aufgabe. (Beifall bei der SPD) (Beifall bei der SPD) Wir sind nicht für ein Europa des Geldes und gleich- zeitig für ein Europa ohne parlamentarische Demo- Das zweite Thema. Die Ergebnisse von Maastricht zur Entwicklung der EG sind anläßlich der Unter- kratie. Das ist der Punkt. zeichnung des Dokuments in den letzten Tagen heftig (Beifall bei der SPD — Anke Fuchs [Köln] diskutiert worden. [SPD]: Da muß nachgebessert werden!) Wissen Sie, wenn Sie jemanden in bezug auf die Vizepräsident Hans Klein: Herr Kollege Roth, -Währung angreifen wollen, dann habe ich eine gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Hins- Adresse für Sie: Der Mann heißt Gauweiler. Der hat ken? schmähend gesagt, das sei eine „Esperanto-Wäh- rung Wolfgang Roth (SPD): Ich bin ja schon beim Thema (Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Unglaublich!) Maastricht. Er kann später noch einmal etwas sagen. Ich will eines sagen: Der völkerversöhnende Geist des Esperanto wäre in manchen Köpfen der CSU ganz gut (Michael Glos [CDU/CSU]: Seien Sie doch aufgehoben. nicht so unkollegial!) — Gut, er darf fragen. (Beifall bei der SPD) Wir sind für die Europäische Währung. Wir sind der Ernst Hinsken (CDU/CSU): Herr Kollege Roth, ich Meinung, sie muß kommen. Ich stehe auch nicht an zu kann auch nichts dafür, daß der Präsident den Blick sagen, daß die Bedingungen, die in Maastricht formu- momentan nach links und nicht nach rechts gerichtet liert worden sind, richtig sind. Die Schwelle ist sehr hatte. Sonst hätte er Sie längst unterbrechen kön- hoch. Die Bundesrepublik Deutschl and könnte die nen. Schwelle zur Eurowährung derzeit gar nicht überstei- gen. Das sage ich auch einmal. Wir haben eine höhere Wolfgang Roth (SPD): Ich richte meinen Blick auch Preissteigerungsrate als Frankreich. Erinnern Sie sich nach rechts. Aber da fällt mir mehr Lambsdorff als Sie bitte an die Koalition, die wir einmal hatten, Graf auf. Lambsdorff. In den ganzen Jahren damals war die Bundesrepublik das stabilste Land in Europa, heute sind wir nur dritter oder vierter Stelle. Ernst Hinsken (CDU/CSU): Herr Kollege Roth, Sie an haben mich herausgefordert; denn ich meine, gerade (Beifall bei der SPD) was den Umweltschutz anbelangt, doch einiges sagen zu dürfen. Sie verweisen hier darauf, daß gerade diese Regierung dem Umweltschutz nicht die notwendige Vizepräsident Hans Klein: Herr Kollege Roth, der Bedeutung beimißt. Deshalb die Frage: Haben Sie den eben von Ihnen angesprochene Graf Lambsdorff hat Entschließungsantrag der CDU/CSU- und FDP-Frak- eine Zwischenfrage. tion gelesen, der zu diesem Tagesordnungspunkt vorgelegt wurde? Wenn nicht, bin ich gerne bereit, ihn (FDP): Herr Kollege, darf vorzutragen. Dr. Otto Graf Lambsdorff ich Sie vielleicht daran erinnern, daß Sie mich nicht auf die Attacken des Herrn Gauweiler aufmerksam zu (SPD): Natürlich habe ich ihn gele- Wolfgang Roth machen brauchten, weil ich sie vorhin selber erwähnt sen. Ich muß ihn ja lesen, um meiner Fraktion zu hatte? Hätten Sie zugehört, dann hätten Sie es auch sagen, ob wir zustimmen oder nicht zustimmen. Ich gemerkt. Darf ich zweitens fragen, Herr Kollege, ob halte dieses Papier in dieser Frage für nicht konse- Ihre etwas aufgeregte Darstellung der Angelegenheit quent genug. Es ist genauso verharmlosend wie der jetzt darauf zurückzuführen ist, daß die sozialdemo- Jahreswirtschaftsbericht. kratische Fraktion in der Debatte über Maastricht das (Beifall bei der SPD — Dr. Albert Probst Thema schon ziemlich verschlafen und ich bei der [CDU/CSU]: Sie haben ihn nicht gelesen!) Gelegenheit genau dieselben Punkte angesprochen Die Überführung der D-Mark und der anderen zehn hatte, die Sie jetzt mit einiger zeitlicher Verzögerung Währungen in eine Gemeinschaftswährung ist kein erwähnen? Aber ich möchte auch zum Ausdruck Pappenstiel. Ich halte es für richtig, daß darüber heftig bringen, daß uns eine späte Erkenntnis lieber ist, als diskutiert wird. Wir haben ja auch Zeit, bis das gar keine. Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 76. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Februar 1992 6319

Wolfgang Roth (SPD): Graf Lambsdorff, Sie haben rechnungen über Gefahren beim GA TT angespro- im Grunde zwei Fragen gestellt. Meine etwas beweg- chen haben. tere Redeweise hat damit zu tun, daß ich die Kollegin- Wenn wir hier keinen Erfolg haben, wenn in diesem nen und Kollegen zur Mittagszeit etwas aufwecken erhitzten Wahljahr 1992 in Amerika die Protektioni- wollte. Es war vorher ein gewisses Geplätscher. sten dort die Mehrheit bekommen — die haben alle ihre Gesetze fertig —, dann wird das vor allem für die westdeutsche Wirtschaft — Ostdeutschland ist davon, Vizepräsident Hans Klein: Das war also reine Kolle- gialität. leider muß ich sagen, noch nicht so betroffen, weil sich die Exporte nicht so entwickeln — eine Bedrohung von Arbeitsplätzen bedeuten, über die sich viele noch Wolfgang Roth (SPD): Der zweite Punkt: Frau Wie- nicht klar sind. Das betrifft die Elektrotechnik, die czorek-Zeul, Norbert Wieczorek, viele andere Redner Automobil- und chemische Industrie. Ich kenne einige unserer Fraktion haben seit Monaten im Deutschen Senatoren, die protektionistische Konzeptionen ha- Bundestag die Zustimmung der SPD bei politischen ben, die unglaublich sind. Wir müssen da zusammen- Vorbedingungen zur Eurowährung, zur Politischen halten. Union und zur Demokratisierung der Gemeinschaft Was sich Herr Kiechle und andere in der EG- formuliert. Das ist unsere Position. Agrarpolitik an Steifheit, Sturheit und Unbeweglich- Graf Lambsdorff, die SPD ist die einzige Partei in der keit in dieser Frage leisten, deutschen Geschichte, die auf ihrem Heidelberger (Dr. Albert Probst [CDU/CSU]: Davon verste Parteitag im Jahre 1923 als erste für die Politische hen Sie doch gar nichts! Da haben Sie keine Union Europas — sie sprach sogar vom vereinten Ahnung! — Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Europa — plädiert hat. Da brauchen wir weiß Gott Unverschämte Unterstellung!) keinen Nachhilfeunterricht von Ihrer Seite. ist gegen das Interesse der Bundesrepublik Deutsch- (Beifall bei der SPD — Dr. Otto Graf Lambs land gerichtet. dorff [FDP]: Damals war die SPD noch weit (Beifall bei der SPD) sichtig!) Das heißt: Gehen Sie über auf unser Konzept der Aber Graf Lambsdorff, eines wollte ich auch sagen Förderung der kleinen und mittleren Betriebe in der — und da sind wir hoffentlich gemeinsamer Mei- Landwirtschaft, nung —: Ich habe große Angst, daß die Eurowährung, der Übergang von der D-Mark zu einer Konzeption (Dr. Albert Probst [CDU/CSU]: Ach Gott!) Europäische Zentralbank und Stabilität dann in ganz direkte Einkommensübertragungen; Europa, in die Hände von Demagogen gerät. Man (Dr. Albert Probst [CDU/CSU]: Ach Gott!) kann keinen Binnenmarkt auf Dauer machen und gleichzeitig elf Währungen — und wenn der Beitritt keine Exportsubventioniererei, keine Erweiterung der Preisstützung. Das alles hilft den kleinen Landwir- stattfindet, 20 Währungen — haben. Dann kommt- der Nutzen nicht heraus. Ich bedauere sehr, daß ein ten mehr und ist mit dem GATT-System verträglich. bayerischer Minister in der Weise demagogisch Das könnte den Erfolg bedeuten. Auf diesem Weg Befürchtungen ausnutzt. Wenn es die Zeitung mit den müssen wir vorangehen. großen Buchstaben macht, in Ordnung. Das kennen (Beifall bei der SPD) wir ja. Aber wenn verantwortliche Politiker, die diesen Konsens in diesen Parteien ewig formuliert haben, anfangen, populistisch im Stil eines NPD-Menschen Vizepräsident Hans Klein: Herr Kollege Roth, jetzt daherzureden, dann ist das ganz gefährlich. Denn ich möchte gerne der Kollege Glos eine Zwischenfrage weiß, es gibt Ängste und Befürchtungen. stellen. Aber man muß auch sagen — das sage ich verant- wortlich für die SPD —: Wir wollen die Stabilität der Wolfgang Roth (SPD): Ja, gerne. D-Mark in die Europäische Währungsunion übertra- gen und nicht die Stabilität der D-Mark beseitigen. Michael Glos (CDU/CSU): Herr Kollege Roth, sind Das ist unser Ziel. Sie bereit, näher zu erläutern, was Sie über Minister (Beifall bei der SPD — Dr. Albert Probst Kiechle gesagt haben, er habe nämlich Steifheit und [CDU/CSU]: Das ist ein ganz neuer Gesichts Unbeweglichkeit gezeigt, und haben Sie versäumt, punkt, das ist originell!) zur Kenntnis zu nehmen, daß im Landwirtschaftsmini- Meine Damen und Herren, ein paar Bemerkungen sterium sehr weitreichende Verhandlungsgrundlagen zum Thema GATT. Graf Lambsdorff, Sie haben GA TT vorbereitet worden sind? auch angesprochen, Herr Bundeswirtschaftsminister hat es getan. Ich habe große Befürchtungen, was Wolfgang Roth (SPD): Meine Meinung ist, daß und den Erfolg der GATT Uruguay-Runde anbetrifft. immer noch die Gefahr besteht, daß die Uruguay Ich habe ein bißchen das Gefühl, daß in der deutschen Runde an der Haltung von Herrn Kiechle, aber auch Öffentlichkeit bei vielen, die nicht so unmittelbar mit derjenigen der französischen Agrarpolitik scheitern Handelsproblemen zu tun haben, das Gefühl vorhan- kann. den ist: Diese GATT-Runde ist etwas für Experten und Technokraten, das hat nichts mit dem wirklichen (Michael Glos [CDU/CSU]: Das klingt schon Leben zu tun. Ich bin dem Bundeswirtschaftsminister anders!) und seinen Beamten dankbar, daß sie einmal Modell Das kann geschehen; diese Gefahr droht. 6320 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 76. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Februar 1992

Wolfgang Roth Meine Meinung ist weiter, daß es seit Jahren ein würde, wenn die GATT-Runde nicht zum Erfolg verhängnisvoller Fehler der Agrarpolitik dieser Bun- geführt wird. desregierung ist, daß sie stur auf Preissubventionen, (Michael Glos [CDU/CSU]: Dann brauchen auf Exporthilfen setzt und daß sie nicht bereit ist, den Sie auch kein dummes Zeug über Kiechle zu Landwirten unmittelbar, direkt zu helfen. Die ameri- reden! Darum ging es!) kanische Politik hat stets betont, daß sie direkte Ich möchte noch ein paar Bemerkungen anschlie- Einkommensübertragungen unterstützt und für ßend an das, was Herr Klose zum Thema Wettbe- GATT-verträglich hält. Ich würde dieses Instrument werbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft gesagt hat, ausnutzen, statt an diesem alten System zu hängen. machen. Das ist unsere Position für Landwirte, insbesondere für kleine und mittlere Landwirte. (Abg. Anke Fuchs [Köln] [SPD] meldet sich zu einer Zwischenfrage) (Beifall bei der SPD) Herr Kollege Roth, Ent- Vizepräsident Hans Klein: Herr Kollege Roth, sind Vizepräsident Hans Klein: Sie auch bereit, dem Abgeordneten Möllemann eine schuldigung. Ich möchte an die Adresse der Kollegin- Zwischenfrage zu beantworten? nen und Kollegen, die ein reichliches Fragebedürfnis an Sie haben, sagen: Der Redner sollte schon ein bißchen im Zusammenhang reden können. Aber (SPD): Unbedingt. Wolfgang Roth trotzdem entscheidet er, ob er eine Frage beantwortet oder nicht. Jürgen W. Möllemann (FDP): Unbedingt ist nicht nötig. Es reicht auch so. (Dr. Albert Probst [CDU/CSU]: Das ist zur Entlastung! — Matthias Wissmann [CDU/ CSU]: Sozialdemokraten stören Roth!) Wolfgang Roth (SPD): Ein Kollege hat einmal gesagt: Ja, wenn er kurz und präzise ist. Das werde ich nicht sagen. Anke Fuchs (Köln) (SPD): Herr Kollege Roth, kön- nen Sie mir zustimmen, wenn ich sage, daß das sozialdemokratische Konzept wesentlich auf den Jürgen W. Möllemann (FDP): Herr Kollege, könnten Sie mir denn nach Ihrer begrüßenswerten Unterstüt- Gedanken von Herrn Minister Matthiesen beruht und zung für die Bemühungen um ein schnelles und gutes daß deswegen die Einlassung nur sein kann, daß er Ergebnis bei den GATT-Verhandlungen sagen, wie eine sozial verträgliche Gestaltung dieses Konzeptes Sie die Einlassungen des nordrhein-westfälischen anmahnt? Landwirtschaftsministers Matthiesen bewerten, der (Michael Glos [CDU/CSU]: Wie wirr muß das erklärt hat, daß, würden die Vorschläge für ein GA TT sein! — Dr. Albert Probst [CDU/CSU]: Jetzt - Ergebnis, wie sie jetzt auf dem Tisch liegen, umge- wird es noch widersprüchlicher!) setzt, dies ein Sterben von Abertausenden- von Bau- ernhöfen bedeuten würde? Wolfgang Roth (SPD): Das wollte ich gesagt haben. (Dr. Albert Probst [CDU/CSU]: Der versteht Ich bedanke mich für diese Klarstellung. was davon! ) Eine Bemerkung zur internationalen Wettbewerbs- Meinen Sie, es hilft uns weiter, wenn wir auf der einen fähigkeit. Ich wollte folgendes sagen: Ich ziehe in der Seite im Bundestag solche Plädoyers an uns selbst Diskussion, die derzeit geführt wird, den Begriff richten, wenn Sie Bundesminister Kiechle kritisieren, „Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft" aber in Ihrer eigenen Partei Landwirtschaftsminister dem Begriff „Standort" vor. Das Wort „Standortsitua- die gezeigte Kompromißbereitschaft viel schärfer tion" impliziert eigentlich, es ginge nur um das, was rügen? wir hier machen. Ich will ausdrücklich sagen: Ich halte (Michael Glos [CDU/CSU]: Herr Matthiesen es für absolut notwendig, daß die westdeutsche Indu- hat einen tüchtigen beamteten Staatssekre strie nicht nur an diesem Standort gut ist, sondern tär! ) beispielsweise mit Direktinvestitionen in der ganzen Welt ihre Leistungen erbringt und Arbeitsplätze schafft. Wolfgang Roth (SPD): Herr Bundeswirtschaftsmini- ster, ich kenne den Text nicht. Ich kenne nur unsere (Beifall bei der SPD) Vorstellungen zur EG-Agrarpolitik. Wenn die reali- Es wird nämlich sehr oft verkannt, daß, wenn eine siert würden, wäre das eine direkte Maßnahme, die deutsche Firma ins Ausland geht, das nicht bedeutet, den Kleinen und Mittleren gerade zum Überleben daß in entsprechender Zahl, in der dort in neue hilft. Es kann wohl sein, daß Herr Minister Matthiesen Arbeitsplätze investiert wird, bei uns Arbeitsplätze die Bedingungen so sah, daß die Bundesregierung verlorengehen. Wir haben aus der Strukturberichter- keine kompensierenden Einkommensmaßnahmen stattung des Bundes erkannt, daß etwa 50 % der vorsieht. Es kann sein, daß er sich darauf bezogen hat. Arbeitsplätze, die im Ausland geschaffen werden, Ich glaube jedenfalls, wir müssen uns in dieser Frage durch Produktion im eigenen Lande ergänzt werden. bemühen. Ich werde Ihre Frage auch zum Anlaß Das heißt, in einer Zeit der Globalisierung der Wirt- nehmen, bei Herrn Minister Matthiesen klärend fest- schaft ist es völlig dumm, gegen Direktinvestitionen zustellen, was er damit gemeint hat. zu mobilisieren. War es nicht richtig, daß beispiels- Ich persönlich glaube, daß die bundesdeutsche weise VW nach Pamplona ging, dort regional entwik- Wirtschaft — und zwar unabhängig davon, in wel- kelt und Einkommen schafft? Dann kommt auch chem Sektor man tätig ist — schwer geschädigt wieder Nachfrage zurück, und es gibt entsprechende Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 76. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Februar 1992 6321

Wolfgang Roth Vorleistungen aus der Bundesrepublik Deutschland. tumstempos in der Indus trie in Ostdeutschland gegen- Ich finde, wir führen die Standortdiskussion unter über dem ersten Halbjahr. vielen Aspekten viel zu provinziell. Die Globalisie- Herr Bundeswirtschaftsminister, Sie haben das rung der Märkte ist notwendig und wird von uns ganze Thema Industriepolitik für Ostdeutschland — akzeptiert. wie können wir das Wegfegen ganzer Sektoren der Ich war — Sie werden vielleicht davon gelesen oder Elektroindustrie, Textilindustrie und Maschinenbau- gehört haben; wir haben teilweise auch schon darüber industrie sowie beträchtlicher Teile der Chemiein- gesprochen —14 Tage in Japan. Ich habe mir bewußt dustrie a) stoppen oder b) durch neue Investitionen an die Zeit genommen, mir die Situation 14 Tage anzu- der industriellen Basis ersetzen? — überhaupt nicht schauen. Ich muß selbstkritisch eines sagen: Die behandelt. Es gibt keine industriepolitische Antwort Behauptung, Löhne und Lohnnebenkosten seien die dieser Landesregierung. Ursache unserer Probleme, ist völlig falsch. Vielmehr Meine Meinung ist: Wir können den Kurs, den Sie resultiert aus der Tatsache, daß wir unbeweglich und der Treuhand vorgegeben haben, nämlich nicht wett- innovationsskeptisch geworden sind, daß wir viel bewerbsfähige Betriebe, die nicht privatisierungsfä- zögern und daß wir für neue Investitionen oft 12, hig sind, einfach zuzusperren, nicht weiter durchhal- 15 Jahre brauchen, während die Japaner in drei, vier ten. Wir müssen hier Hilfsmittel einsetzen. Es ist Jahren fertig sind, ein Problem für unsere Wettbe- interessant, daß so unterschiedliche Leute wie der werbsfähigkeit, um das wir uns alle kümmern müs- eher konservativ-liberale Professor Engels auf der sen. einen Seite und das DIW und das Hamburger Welt- (Beifall bei der SPD und der FDP — Dr. Albert wirtschaftsarchiv auf der anderen Seite zeitlich befri- Probst [CDU/CSU]: Weil Sie zu grün gewor stete Zuschüsse zum Überleben und zur Innovation den sind!) von Treuhandbetrieben vorschlagen, und zwar de- gressive Zuschüsse, so daß die Betriebe genau wissen, — Er ruft dazwischen: Grün werden! daß sie in drei, vier Jahren voll im Wettbewerb stehen Meine Damen und Herren, eine Umweltverträg- müssen. lichkeitsprüfung kann man auch in kurzer Zeit Was geschieht derzeit? Wenn Sie im Aufsichtsrat abschließen. eines derartigen Betriebes sind, bekommen Sie den (Dr. Albert Probst [CDU/CSU]: Aber nicht mit Besuch eines Mitarbeiters — in der Regel eines Ihnen! Nicht mit Ihren Leuten!) Direktors — der Treuhand, der eine Einzelbewertung (V o r sitz: Vizepräsident Dieter-Julius vornimmt und sagt: Jetzt kriegt ihr mal wieder 20 oder Cronenberg) 40 Millionen DM. — Nach einem halben Jahr reicht das wieder nicht; dann wird nachgeschossen. Man kann sie, wenn man sie in kürzerer Zeit abschlie- Meine Damen und Herren, das ist eine Politik, auf ßen will, aber dadurch, daß man selbst Verantwortung die die Wörter Interventionismus, mangelnde Regel- trägt. Viele Investitionsprozesse in Deutschland wer- haftigkeit und mangelnde Ordnungsverträglichkeit den nicht wegen der Umweltverträglichkeitsprüfung- völlig zutreffend sind. Es ist eine falsche Politik. Wir verzögert, sondern wegen der Feigheit derjenigen, brauchen von der Treuhand einen klaren und verläß- die an der Entscheidung beteiligt sind und die Ver- lichen Sanierungsrahmen auch auf finanzieller Seite. antwortung von einem zum anderen schieben wol- Das ist unsere Hauptforderung an die Politik. Reden len. Sie sich nicht hinter dem Rücken der Treuhand (Beifall bei der SPD) heraus! Mir hat gar nicht gefallen, daß Herr Schulz Das können wir uns nach meiner Auffassung nicht vom Bündnis 90 nun die Frau Breuel angegriffen hat. leisten. Ich habe gar keinen Grund, das zu tun. Ich habe mit ihr auch manche Konflikte gehabt, aber ich muß sagen: Meine Damen und Herren, ich wollte noch ein paar Bei dieser Aufgabe und diesen schlechten Vorgaben Bemerkungen — Herr Ministerpräsident Münch hat, macht sie ihre Arbeit eigentlich ganz ordentlich. nachdem er geredet hat, keine Zeit, den anschließen- den Rednern zuzuhören; aber er wird das Protokoll (Beifall bei der SPD) garantiert nachlesen — zu der ostdeutschen Wirt- Das Problem sind Sie, meine Damen und Herren in der schaft und zu der Entwicklung dort machen. Für mich Bundesregierung, und nicht Frau Breuel. ist die Entwicklung dramatisch. Die 305 000 neuen Meine Damen und Herren, ein paar Schlußbemer- Arbeitslosen zum 1. Januar — wir erwarten weitere kungen zum Thema konjunkturelle Entwicklung. 300 000 bis 400 000 Arbeitslose zum 1. August, wie Mein Eindruck ist, daß wir, jedenfalls nach internatio- die Bundesanstalt für Arbeit dargestellt hat — sind nalen OECD-Standards, bereits in eine Rezession eine bedrohliche Entwicklung. Es sind vor allem eingetreten sind. Die OECD bezeichnet zwei Quartale Industriearbeitslose. mit sinkender Produktion — sinkende Auftragsein- Vorgestern hat das DIW durch einen Sprecher in gänge im Vorquartal und sinkende Produktion in zwei einem Interview sagen lassen, daß, was die wirtschaft- anschließenden Quartalen -- bereits als Rezession. liche Leistungsfähigkeit im Osten anbetrifft, beim Ich will hier jetzt keinen Streit um Worte beginnen. Ich jetzigen Wachstumstempo und Entwicklungstempo will nur sagen, daß in der Bundesrepublik die auch in 20 Jahren kein Gleichstand im Verhältnis zu Abschwächung im Automobilbereich, vor allem im Westdeutschland erreicht wird. Das ist einfach eine Maschinenbau, aber auch in der chemischen Indust rie realistische Analyse der aktuellen Daten. Wir haben begonnen hat, und zwar in einer Situation, in der wir schon im zweiten Halbjahr 1991 — darauf sollten wir Wachstumsprozesse und gute Entwicklungen weiß genau achten — eine Verlangsamung des Wachs Gott brauchen, nicht zuletzt wegen der nachhaltig 6322 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 76. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Februar 1992

Wolfgang Roth erforderlichen Steuereinnahmen zur Sanierung von Wolfgang Roth (SPD): Statt die sozialen Kräfte Ostdeutschland. zusammenzubringen, hat er eine Kluft zwischen den In Erkenntnis dessen möchte ich zwar den S treit Bundeswirtschaftsminister, der im Grund die Leute zwischen Bund und Ländern draußen vorlassen, aber zusammenbringen soll, und die Gewerkschaften getrieben. Das war ein schwerer Fehler. Ich mahne etwas zur Mehrwertsteuererhöhung sagen. Ich ver- mag die Mehrwertsteuererhöhung, die Sie jetzt Sie, kehren Sie in dieser Frage um. Erinnern Sie sich ankündigen und durchsetzen wollen, unter konjunk- an Schillers Position der Konzertierung statt der Aus- tur- und stabilitätspolitischen Aspekten überhaupt einanderdividierung. Das wäre die richtige Antwort nicht zu verstehen. Vielleicht hätte man darüber vor auf die aktuelle Situation. eineinhalb Jahren diskutieren können. Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Bitte Was bedeutet das? Es bedeutet unmittelbar, daß die schön, Graf Lambsdorff. Preissteigerungsrate anwächst, wenn auch nicht wirk- lich im Sinne einer zusätzlichen Inflation. Wir alle Dr. Otto Graf Lambsdorff (FDP): Herr Kollege, darf wissen, daß die Gewerkschaften das in ihre Lohnfor- ich Sie im Zusammenhang mit der Zinsentwicklung in derungen einrechnen. Wir wissen auch, daß die Bun- den letzten zehn Tagen, die Sie beklagt haben und die desbank auf solche Situationen reagiert, indem sie ich nicht so wahnsinnig eindrucksvoll finde, fragen: eine Verschärfung ihrer Geldpolitik betreibt. Wir Welche Wirkungen, meinen Sie, wird es auf die wissen weiter, daß das höhere Zinsen bedeutet. Zinsentwicklung haben, wenn wir Ihren Ratschlägen In der jetzigen Phase, in der wir in der Bundesrepu- folgten, den Bundesbankgewinn nicht zur Verringe- blik Deutschland eine beginnende Rezession haben, rung der Schulden zu benutzen und die Kreditermäch- in der wir im Wohnungsbau unglaubliche Defizite tigungen auszunutzen, um weiter am Kapitalmarkt haben und in der wir in Ostdeutschland Investitionen, Geld in Anspruch zu nehmen? Investitionen und noch einmal Investitionen brau- (Beifall bei der FDP — Dr. Albert Probst chen, [CDU/CSU]: Das weiß er nicht!) (Zuruf von der FDP: Das machen wir (SPD): Graf Lambsdorff, Sie wissen auch!) Wolfgang Roth ganz genau, daß noch bis morgen früh Verhandlungs- die Zinsentwicklung anzuheizen, ist die falsche Poli- spielraum bestünde, um ein sehr solides Finanzie- tik. Die Zinsen müssen doch um zwei, drei Punkte rungskonzept zu ermöglichen. Sie wissen ganz genau, herunter und dürfen nicht weiter steigen. daß es diese Möglichkeiten gibt. Unsere Vorschläge (Beifall bei der SPD) liegen auf dem Tisch, z. B. der Vorschlag einer soliden Finanzierung durch Verlängerung einer sozial ge- Es ist mehr als bedrückend, meine Damen und rechten Ergänzungsabgabe mit entsprechend größe- Herren: Vor etwa drei Wochen hatten wir ein leichtes ren steuerlichen Freiräumen. Diese Vorschläge gibt Säuseln auf dem Kapitalmarkt bei den langfristigen - es. Zinsen. Ich dachte, jetzt geht es herunter. Sie aber sind stur fixiert auf ein falsches Finanzie- (Friedhelm Ost [CDU/CSU]: Sie sind doch rungskonzept. Das wird der Bundesrepublik und ihrer heruntergegangen!) Wirtschaft erheblichen Schaden zufügen. Wir spre- — Vorsicht, schauen Sie sich die letzten zehn Tage an: chen uns darüber im nächsten halben Jahr in diesem Es ist wieder eine Gegenbewegung in Gange. Das ist Hause öfters wieder. genau mit der Politik zu erklären, die Sie betreiben. Vielen Dank fürs Zuhören. In einer Phase, in der wir die Rezession mit allen (Beifall bei der SPD — Dr. Albert Probst Mitteln verhindern müssen, ist ein Kurswechsel in der [CDU/CSU]: Dieser Dank ist angebracht; das Wirtschaftspolitik angesagt. Sie müßten noch heute war nicht so einfach!) nicht nur aus verteilungspolitischen Gründen, son- dern auch aus wirtschaftspolitischen Gründen auf die Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Nun er- Mehrwertsteuererhöhung verzichten. teile ich dem Abgeordneten Josef Grünbeck das Wort. Sie müßten noch ein anderes tun: Sie müßten mit überlegen, wie wir eine Stagnation, die leider unter (Zuruf von der CDU/CSU: Nein, Wiss den heutigen Aspekten mit der Preissteigerungsrate mann!) von 4 % und dem kommenden Prozent wegen der — Das tut mir schrecklich leid; dann ist mir hier etwas Mehrwertsteuererhöhung schon eine Stagflation sein falsch übergeben worden. Wenn das so ist, möchte ich könnte, vermeiden können. Ihnen, Herr Abgeordneter Wissmann, die Möglichkeit zu reden selbstverständlich nicht nehmen. Da, finde ich, ist der Bundeswirtschaftsminister seit einem halben Jahr in die völlig falsche Richtung Matthias Wissmann (CDU/CSU): Aber ich wäre gegangen. auch nicht traurig, wenn mein Kollege und Freund (Abg. Dr. Otto Graf Lambsdorff [FDP] meldet Josef Grünbeck hier sprechen würde. sich zu einer Zwischenfrage) Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Kollege Roth hat gerade innerhalb weniger Sätze zum Thema Konjunktur in seinen Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Das gibt letzten Bemerkungen grundlegende Widersprüche Ihnen die Gelegenheit, eine Frage zu beantworten, offenbart. Erst beklagt er beredt die angeblich nega- wenn Sie das wollen. tive konjunkturelle Wirkung der Mehrwertsteuerer- Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 76. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Februar 1992 6323

Matthias Wissmann höhung, um dann als Antwort auf die Zwischenfrage men in den neuen Bundesländern erwartet für 1992 zu sagen, daß eigentlich die Ergänzungsabgabe ein eine Verbesserung ihrer Situation. Bereits heute beur- mögliches Konzept darstellen könnte. teilen 70 % der Unternehmen ihre wirtschaftliche edigend. Seit Anfang 1990 Ich will es ganz klar sagen: Wenn dieses Paket Lage als gut oder befri morgen nicht in Kraft treten würde, dann gäbe es zwei verzeichnen wir über eine halbe Million Gewerbean- negative konjunkturelle Wirkungen. Die erste ist meldungen. diese: Es würden keine 33 Milliarden DM in die neuen Man muß hier einmal sagen, meine Damen und Bundesländer fließen, wo wir solche weiteren Impulse Herren: Die beiden Hauptredner der Sozialdemokra- dringend brauchen. Die zweite Wirkung, die sich mit ten, Herr Klose und Herr Roth — wir haben genau dem Paket inzidenter ebenfalls ergibt, ist folgende: aufgepaßt —, haben während ihrer Reden nicht ein Gott sei Dank soll die Solidaritätsabgabe in Höhe von einziges Mal das Wort „Mittelstand" in den Mund 7,5 % wegfallen. Sie fällt gerade zu dem Zeitpunkt genommen. weg, wo wir die Entlastung des Bürgers, des Steuer- (Wolfgang Roth [SPD]: Also, da lesen Sie mal zahlers, des Facharbeiters, des Angestellten brau- nach! — Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Die chen. Insofern ist der konjunkturelle Effekt des Steu- haben den Mittelstand längst vergessen!) erpakets ein positiver und nicht ein negativer. Wir wissen doch alle, daß auf dem Aufbau der kleinen (Beifall bei der CDU/CSU) und mittleren Be triebe ein wesentlicher Teil des hoffentlich bald eintretenden Gesamterfolgs in den Herr Kollege Roth, es geht einfach darum, zusammen- neuen Bundesländern beruht. Man muß doch wissen, rechnen zu können. daß auch im Westen neun von zehn neuen Arbeits- Was die Zinsen angeht: Die Bundesbank hat immer plätzen von Betrieben mit zwischen einem und wieder sehr deutlich gesagt, für sie sei die Frage, ob 100 Beschäftigten geschaffen werden und daß wir ein Spielraum für Zinssenkungen besteht, ganz deswegen von dem aufblühenden Mittelstand in Han- wesentlich von den Entscheidungen über Tarife und del, Handwerk und Dienstleistungsbereich drüben Löhne abhängig. Je moderater der Tarifabschluß, den wesentlichsten Teil des Erfolgs erwarten. Daher desto größer der Spielraum für die Bundesbank im brauchen die mittelständischen Unternehmer politi- Bereich von Diskontsatz und Lombardsatz. sche Unterstützung, aber auch entsprechende steuer- (Beifall bei der CDU/CSU) liche und andere Rahmenbedingungen. Dieser Spielraum muß in den kommenden Monaten (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) geschaffen werden. Herr Kol- Meine Damen und Herren, wir haben hier vom Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: lege Wissmann, sind Sie bereit eine Frage des Abge- Aufbau in den neuen Bundesländern gehört. Jeder- mann weiß, daß sich die Leistungen von Bund und ordneten Roth zu beantworten? — Bitte sehr, Herr Ländern beim Aufbau in einem weltweit nicht erreich- Abgeordneter. - ten Ausmaß bewegen. 1991 betrugen sie 140 Milliar- den DM; 1992 werden es 175 Milliarden DM sein. Das Wolfgang Roth (SPD): Jeder kann sich aufblasen, ist eine Summe, die beinahe 11 000 DM pro Bürger in wie er will. den neuen Bundesländern ausmacht. Ich habe folgende konkrete Frage: Herr Wissmann, Wir sind uns in diesem Kreise ja alle darüber im haben Sie eigentlich vergessen, wer als erster in der klaren — wir sind vorhin auch noch einmal daran Bundesrepublik im Jahre 1990 Mittelstandskredite erinnert worden —: Es geht nicht nur um finanzielle der Ausgleichsbank auf der einen Seite und der KfW Hilfe; vielmehr bedürfen gerade angesichts der auf der anderen Seite vorgeschlagen hat, als Sie noch Umstrukturierungskrise in der Industrie und der mehr gedacht haben, das gehe alles automatisch und ohne als problematischen Arbeitsmarktsituation die Men- jeden Kredit? Finden Sie es fair, hier eine derartige schen in den neuen Bundesländern der Ermutigung Attacke zu machen? Sie wissen es doch besser. und auch der moralischen Unterstützung. Wir sollten es hier zum Ausdruck bringen: Die Menschen drüben Matthias Wissmann (CDU/CSU): Herr Kollege erbringen eine große Anpassungsleistung. Sie haben Roth, ich bedauere, daß Sie zunehmend zu der Vor- eine Veränderung ihres Umfeldes zu ertragen, und sie stellung neigen, daß die Treuhand ordnen soll und daß haben neue Herausforderungen zu bewältigen. Ihre der Staat Einfluß nehmen soll, Anpassungsleistung ist mindestens genausoviel wert wie die finanzielle Hilfe der Menschen aus den (Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Nein, die Bundes westdeutschen Bundesländern. Ich finde, wir West- regierung!) deutschen sollten unseren Landsleuten in den neuen und daß Sie gute Reden, die Sie früher selber zum Bundesländern unseren Respekt vor dieser enormen Thema Mittelstand gehalten haben, inzwischen zum Anpassungsleistung nicht versagen. Teil wieder vergessen. Natürlich ist es richtig, daß wir im Rahmen des Eigenkapitalhilfeprogramms mittler- (Beifall bei der CDU/CSU) weile 54 000 Zusagen an Be triebe in den neuen Meine Damen und Herren, inzwischen wird ja Bundesländern haben geben können. Das Gesamtvo- neben den großen Problemen, die wir gar nicht lumen beträgt 3,4 Milliarden DM. Natürlich ist es leugnen, an einer ganzen Reihe von Beispielen auch richtig, daß wir 130 000 ERP-Kredite in Höhe von sichtbar, wo es drüben aufwärtsgeht. Die Aufträge der insgesamt 14,5 Milliarden DM zusagen konnten. Bauindustrie lagen im Oktober 1991 um 88 % über Wenn das Geburtsrecht daran zum Teil auch Ihnen dem Vorjahresniveau. Rund die Hälfte der Unterneh zusteht, ist es ja schön. Aber bitte vergessen Sie heute 6324 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 76. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Februar 1992

Matthias Wissmann die Mittelstandspolitik nicht. Sie ist heute genauso Sorgen Sie dafür, daß endlich Sozialdemokraten Hin- wichtig wie vor einem Jahr. dernisse beiseite räumen, die beiseite geräumt wer- den müssen, wenn es um Investitionen geht. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Darum geht es mir, wenn ich hier diese Fragen (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) anspreche. Der Bundeswirtschaftsminister hat zu Recht deut- Aber, meine Damen und Herren, natürlich ist klar: lich gemacht, daß es uns, wenn wir den Aufschwung Wir haben immer noch erhebliche Investitionshemm- Ost sichern wollen, darum gehen muß, die Qualität nisse. Deswegen begrüßen wir die Absicht der Bun- des gesamtdeutschen und natürlich vor allem des desregierung, jetzt zügig eine Modifizierung des Ver- westdeutschen Standorts ebenfalls zu sichern. Keiner mögensgesetzes zu erreichen, um Investitionen zu von uns will den Standort herunterreden. Herr Klose erleichtern und die Rückgabe von eigenem Grundbe- hat davon gesprochen, es würden einige bei uns sitz zu beschleunigen. Deswegen halten wir es zwei- versuchen. Keiner tut es. Aber wir wollen die Pro- tens — das gehört auch dazu — für dringend notwen- bleme der Sicherung des deutschen Industriestand- dig, daß wir auch bürokratisch die Voraussetzung in orts auch nicht wegretuschieren. Wir sind heute noch den neuen Bundesländern mit schaffen helfen, daß Exportweltmeister und Spitzenreiter. Aber wer vor- Anträge zügig abgearbeitet werden können. 1,2 Mil- sorgend handelt, der darf die Wolken am Horizont lionen Vermögensanträge liegen vor. 2 000 Mitarbei- nicht übersehen. Bei der Autoproduktion, der Herstel- ter in den Vermögensämtern können sich derzeit lung von Werkzeugmaschinen und in der Elektronik damit beschäftigen. Wir werden Jahre brauchen, und Elektrotechnik ist Japan zunehmend in wichtig- wenn wir nicht zu einer bürokratischen Beschleuni- sten Bereichen an der ersten Stelle. Bei den modernen gung kommen. Informationstechnologien droht Europäern und Ame- (Zuruf von der FDP: Unbürokratisch!) rikanern die immer weitere Abhängigkeit von Japan. 90 % der neuesten Speicherchips stammen bereits aus — Es geht darum, daß Entscheidungen unbürokra- japanischen Fabriken. Ich teile nicht die Meinung tisch schneller erfolgen können. Deswegen rege ich eines führenden deutschen Diplomaten, der in seinem an, daß jedes Grundbuch- und Katasteramt sowie Buch davon gesprochen hat, wir könnten zu einer jedes Liegenschaftsamt im Westen, in den alten Bun- technologischen Kolonialisierung Europas durch Ja- desländern, in Partnerschaft mit den Ämtern in den pan kommen, weil ich auf der anderen Seite auch neuen Bundesländern ein bestimmtes Kontingent an unsere Stärken sehe, unsere Stärken in der Grundla- Verwaltungsaufgaben einer Partnerstadt in den genforschung, unsere Stärken bei der Qualifikation neuen Bundesländern im Wege der Amtshilfe über- der Menschen, unsere Stärken bei der Infrastruktur, nimmt. Denn wir im Westen können hier manche unsere Stärken vor allem bei dem vorhin diskutierten Fragen zurückstellen. Wir müssen dafür sorgen, daß Mittelstand. Aber ich warne uns alle davor, daß wir drüben möglichst schnell der Investitionszug anrollt. uns in den Sesseln der Wohlstandsgesellschaft gemüt- Das ist eine gemeinsame Aufgabe, eine partnerschaft- lich ausruhen, immer wissend, daß wir heute noch liche Aufgabe, die wir werden leisten müssen. Spitzenreiter sind, und dabei übersehen, daß wir es Ein letzter Punkt: Wenn sich Sozialdemokraten über morgen nicht mehr sein könnten, wenn wir nicht an Investitionshemmnisse beklagen, Herr Klose, Herr der Pflege dieses Standorts in den wesentlichsten Roth, dann würde ich Sie bitten: Geben Sie einmal den Bereichen arbeiten. sozialdemokratisch geführten Landesregierungen die Sporen. (Beifall bei der CDU/CSU) ( [CDU/CSU]: Ja, sehr Ich nenne ein Beispiel. Die deutschen Unternehmen richtig!) müssen von Strategien der Japaner lernen, etwa im Automobilbereich. Lean production, schlanke Pro- Wenn beispielsweise beim Bau der Verbundleitung duktion, heißt eine der Herausforderungen. Kürzere von Hessen nach Thüringen von thüringischer Seite Rüstzeiten, bessere Qualitätskontrollen, höhere Wert- inzwischen alle Voraussetzungen erfüllt sind, wenn schöpfung: So heißen die signalhaft zugespitzten die neuen Länder schneller agieren als die hessische Worte japanischen Erfolgs in diesem Bereich. Seite, weil sich die rot-grüne Landesregierung zu den notwendigen Entscheidungen nicht durchringen Es muß klar sein: Solche Erfolge lassen sich mit kann, dann sage ich: Das ist eine Entscheidung zu bisherigen deutschen Arbeitsorganisationen und Lasten des Aufbaus eines Stromnetzes, zu Lasten Betriebsnutzungszeiten nicht erzielen. Deswegen einer Versorgung von Berlin, sind Politik und Tarifparteien aufgefordert, flexible- (Beifall bei der CDU/CSU — Zurufe von der ren Arbeitszeitmodellen zuzustimmen. SPD) (Brigitte Baumeister [CDU/CSU]: Das sagen zu Lasten einer Versorgung der neuen Bundesländer. wir aber schon lange!) Wollen Sie denn wirklich, daß auf Grund Ihrer rot- grünen Zögerlichkeiten zum Schluß Computersy- Es kann doch nicht so sein, wie es in „Lean Produc- steme abstürzen, tion", der Studie des MIT, steht, daß große deutsche Automobilfabriken, die in Europa an der Spitze ste- (Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Die Geschichte ist hen, für Nacharbeit und Qualitätskontrolle einen doch schon entschieden!) höheren Aufwand haben als die vergleichbare japa- Frequenzen nicht gehalten werden können, Opel in nische Fabrik für die Herstellung des Autos hat. Wir Eisenach Probleme mit der Stromversorgung hat? müssen daran arbeiten, daß wir auch hinsichtlich der Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 76. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Februar 1992 6325

Matthias Wissmann Managementmethoden bessere Voraussetzungen für rungsoption enthält, streichen und die Soziale Markt- die Sicherung unseres Standorts bekommen. wirtschaft ins Grundgesetz aufnehmen. (Zuruf von der SPD: Das können Sie doch (Beifall bei der CDU/CSU) heute schon!) Eigentlich müßten auch die Sozialdemokraten zustim- men, denn sie bekennen sich ja in Reden zu dieser Wir müssen zweitens daran arbeiten, daß die Wirtschaftsordnung. Lassen Sie uns diese Wirtschafts- nicht ins Uferlose steigen. Arbeitskosten ordnung also in die Verfassung aufnehmen. (Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Sehr richtig!) Was 1948/49 nicht möglich war, nämlich eine klare gemeinsame Position zur Wirtschaftsordnung, müßte Sie betragen 37,88 DM je Stunde in der verarbeiten- 1992 eigentlich möglich sein. Damit würde Klarheit den Industrie in Deutschland. geschaffen. Damit würde auch jeder Rückfall in altes (Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Bei höherer Pro Denken verfassungsrechtlich verhindert. Ich glaube, duktivität!) das wäre ein guter Vorstoß, den wir gemeinsam unternehmen sollten. Sie betragen 25,85 DM in Japan und 24,18 DM in den USA. Wir brauchen moderate Lohnabschlüsse. Wir (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) brauchen übrigens auch flexiblere Tarifverträge, die auf Regionen und Branchen Rücksicht nehmen, wenn Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Nun er- wir die Herausforderungen der Zukunft meistern teile ich dem Abgeordneten Meißner das Wort. wollen.

(Beifall bei der CDU/CSU — Brigitte Baumei Herbert Meißner (SPD): Herr Präsident! Meine sehr ster [CDU/CSU]: Wir brauchen noch flexible verehrten Damen und Herren! Der Jahreswirtschafts- Gewerkschaften!) bericht 1992 benennt sehr treffend die ökologischen Ich nenne einen dritten Punkt: Die Steuersätze für Herausforderungen unserer Tage. Die Industriege- Gewinne, die in Kapitalgesellschaften für Investitio- sellschaft bedroht die natürlichen Lebensräume welt- nen stehen, sind in Deutschland zu hoch. Sie betragen weit. Wenn wir nicht sehr schnell mit einem Bündel 50 % in Deutschland, 41 % in Belgien, 40 % in Däne- von Maßnahmen für eine ökologische Harmonisie- mark, 40 % in Irland, 37 % in Frankreich, 35 % in rung der Weltwirtschaft sorgen, werden in einem Großbritannien und 35 % in den Niederlanden. Es ist immer schnelleren Maße die drastischen Umweltka- von überragender gesamtstaatlicher Bedeutung, daß tastrophen zunehmen. Der Abstand zwischen den wir das Vermittlungspaket, das erste Schritte zu einer Meldungen wirklich tragischer Umweltzerstörungen Unternehmensteuerreform enthält, verabschieden wird immer kürzer. Eines Tages werden wir feststellen und daß wir dem einen zweiten größeren Schritt hin zu müssen, daß alle Umweltprobleme unumkehrbar einer Unternehmensteuerreform Mitte der 90er Jahre sind. folgen lassen, und zwar nicht weil wir Reichen- etwas Doch lassen Sie mich die typischen Probleme in den schenken wollen, sondern weil wir den Investitions- neuen Bundesländern ansprechen. Die Vollendung standort Deutschland für Arbeitnehmer und Unter- der wirtschaftlichen und sozialen Einheit Deutsch- nehmen sichern wollen. lands befindet sich zur Zeit in ihrer ersten und vorentscheidenden Phase. Es sind jedoch nicht die (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Gemeinsamkeiten, sondern vielmehr die Unter- Ich glaube, das sollten wir gemeinsam erkennen. schiede, die gegenwärtig die deutsche Wirtschaft charakterisieren. Die ostdeutsche Wirtschaft steht, Meine Damen und Herren, lassen Sie mich einen wenn sie nicht bereits abgewickelt ist, in ihrer letzten Punkt ansprechen. Wir als Wirtschaftspolitiker Gesamtheit vor der Null-Stunden-Kurzarbeit. Dage- stehen gleichzeitig ja auch mitten in einer Verfas- gen hat die wirtschaftliche Entwicklung der westdeut- sungsdiskussion. Ich schlage vor, daß wir das erfolg- schen Industrie einen Aufwärtstrend von bisher nicht reichste Wirtschaftsmodell, das wir kennen, in unsere dagewesener Größe erreicht. Nach wie vor werden Verfassung aufnehmen, nämlich die Soziale Markt- Waren und Dienste in enormer Größenordnung von wirtschaft. West nach Ost transferiert. Der Arbeitsmarkt im Westen boomt. (Zustimmung bei der CDU/CSU) Im Osten dagegen gehen massenhaft Arbeitsplätze Die Idee der Sozialen Marktwirtschaft hat sich im verloren. Das Wegbrechen strukturbestimmender Wettkampf der Systeme überall durchgesetzt. Das Industriestandorte im Osten nimmt erschreckende Erhardsche Wirtschaftsmodell ist Vorbild für den Ausmaße an, meine Damen und Herren. Der vielge- Westen und Hoffnungsträger für den Osten. Sie ist die priesene Aufholprozeß will nicht so richtig in Wirtschaftsordnung der Zukunft. Schwung kommen. Die notwendige Schaffung neuer Wir alle wissen, daß wichtige Elemente der Sozialen Arbeitsplätze liegt weit unter den Erwartungen. Zur Marktwirtschaft bereits im Grundgesetz verankert Zeit ist ein permanentes Anwachsen der Arbeitslo- sind: Privateigentum und Sozialstaatsprinzip. Aber senzahlen im Osten feststellbar. Sie liegt trotz einer andere wesentliche konstitutive Elemente wie freie ganzen Reihe von Entlastungsmaßnahmen, die hier Preise, Leistungswettbewerb, offene Märkte, Freizü- schon genannt wurden, bei annähernd 20 %. Es kann gigkeit von Arbeit, Kapital, Gütern und Dienstleistun- dem Westen auf die Dauer nicht gutgehen, wenn es gen tauchen dort bisher nicht auf. Ich schlage vor, daß dem Osten auf Dauer schlechtgeht, wir Art. 15 des Grundgesetzes, der die Sozialisie (Beifall bei der SPD) 6326 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 76. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Februar 1992

Herbert Meißner sagte unlängst Ihr Kollege Genscher. Das trifft auch bisher vermarktet hat, ein Kinderspiel gegen das war, voll auf die deutsch-deutsche Situation zu. was jetzt noch kommt, und so ist es auch. Zwar hat die Bundesregierung verschiedene Maß- (Beifall bei der SPD) nahmen zur Beseitigung von Investitionshemmnissen Die Treuhandanstalt muß von der Regierung nun ergriffen. Das entscheidende Investitionshemmnis ist endlich den eindeutigen Auftrag zur Sanierung struk- nach Auffassung der Mehrzahl seriöser Beobachter, turbestimmender Betriebe bekommen; das ist beson- auch des Sachverständigenrats, jedoch weiterhin die ders wichtig. Sonst werden solche Hiobsbotschaften, Frage der Eigentumsregelung. von denen die „Sächsischen Nachrichten" vom (Franz Müntefering [SPD]: Und die Bundes 11. Februar schrieben, zur Alltäglichkeit. Es heißt regierung selbst!) dort, „noch 190 von 6 000 Beschäftigten bei Penta con" . In einer anderen Nachricht heißt es: „von 8 000 — Das ist ein wahres Wort. noch 1 500 Beschäftigte im ehemaligen Halbleiter- werk Frankfurt/Oder" . Nehmen wir weiterhin die Nun darf ich doch ganz nüchtern und sachlich Schwermaschinenbau AG Wildau; ehemals 3 400 feststellen, daß wir Sozialdemokraten von Anfang an Beschäftigte, heute nur noch 1 620. Die Treuhand der Eigentumsfrage die zentrale Bedeutung zuer- fordert eine Reduzierung auf 900. Dann aber werden kannt haben. Nur wenn Eigentumsentscheidungen die fixen Kosten für die verbleibende Produktion so kurzfristig und endgültig abgeschlossen werden, hoch, daß die Überlebenschancen gleich Null sind. kommen auch Investoren ins Land. In einer Informa- tion des Bundesministeriums der Justiz vom 11. Fe- Gestatten Sie, daß ich mich weiterhin den Aufgaben bruar heißt es u. a.: Die Eigentumsfrage spielt eine der Treuhand zuwende: Die Treuhandanstalt ist der geringere Rolle. strukturbestimmende Faktor schlechthin. Sie ist, wenn Sie so wollen, neben der Eigentumsfrage der Die Probleme im Zusammenhang mit dem Enthem- zweite wichtige Faktor für die wirtschaftliche Gesun- mungsgesetz wurden bereits mehrmals angespro- dung im Osten Deutschlands. Die im Jahreswirt- chen. Ein bisher noch nicht angesprochenes Problem schaftsbericht genannten Zahlen zur Arbeit der Treu- sind die §-6-Grundstücke in der ehemaligen DDR. handanstalt sind schon beeindruckend. Doch sie nut- Neben einer Vielzahl von Betroffenen im Berliner zen den vielen Arbeitslosen in den neuen Bundeslän- Umland gibt es wohl insgesamt mehrere hunderttau- dern überhaupt nichts. send Betroffene. Fast überall können die Nutzungsbe- rechtigten ihren Investitionswünschen nicht nach- Nach ihrer Prognose soll sich die Arbeitslosigkeit kommen, weil die Banken bei unklaren Eigentums- 1992 möglicherweise auf 17 % erhöhen. Nun haben verhältnissen keine Kredite gewähren. Nun sprechen wir aber in Brandenburg zur Zeit einen Durchschnitt Sie davon, daß offene Vermögensfragen eine weitaus von 16,8 % erreicht. In zwei Kreisen Brandenburgs geringere Rolle spielen. sind bereits jetzt schon 20,3 % beziehungsweise 20,5 % zu verzeichnen. Rechne ich nun die von Ihnen Ich stelle hier mit einiger Genugtuung fest,- daß in befürchtete Zunahme hinzu, komme ich immerhin auf dieser Frage eine interfraktionelle Koalition zu ver- 27 %. Es ist höchste Zeit, daß Sie jetzt die Notbremse zeichnen ist. Ich hoffe nur, Herr Kolbe, Sie werden Ihre ziehen. nützlichen Gedanken hierzu nicht vergessen, sondern Dies sind die Zahlen, und zwar ohne die von Ihnen sie mit uns gemeinsam in die Tat umsetzen. angedachten Maßnahmen zur drastischen Einschrän- (Beifall bei der SPD) kung der ABM sowie zur Beendigung der zur Zeit noch möglichen Inanspruchnahme der Vorruhe- An zweiter Stelle verweist der Sachverständigenrat standsregelung. Rechnen Sie selbst nach, und Sie auf das Hemmnisbeseitigungsgesetz. Auch hier ist werden sehr schnell feststellen, daß unter Berücksich- dringliche Nachbesserung erforderlich. Zur Zeit tigung dieser nicht sehr günstigen Voraussetzungen kommt doch jeder gescheite Rechtsanwalt eines Ver- die von der brandenburgischen Sozialministerin vor- fügungsberechtigten mit einer einstweiligen Verfü- hergesagten 35 bis 40 % Arbeitslosigkeit im Osten gung durch, und somit ist jede weitere Investitionsan- Deutschlands gar nicht so unrealistisch sind. strengung hinfällig. Ich danke Ihnen. Ein Aufmacher ist mir im Jahreswirtschaftsbericht (Beifall bei der SPD) besonders aufgefallen: „Den Auftrag der Treuhand- anstalt konsequent fortsetzen". Meinen Sie nun die Privatisierung? Oder meinen Sie die Sanierung? Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Das Wort (Michael Glos [CDU/CSU]: Beides!) hat der Abgeordnete Josef Grünbeck. Oder meinen Sie die Stillegung des nicht mehr lukra- tiven Restes? Natürlich — das ist mir klar — meinen Sie das alles in der soeben genannten Reihenfolge. Josef Grünbeck (FDP): Herr Präsident! Meine sehr Aber das reicht nicht aus, meine sehr verehrten verehrten Damen und Herren! Im Rahmen der Damen und Herren der Koalition. Die Sahnehäubchen Debatte zum Jahreswirtschaftsbericht melde ich mich und die besten Tortenstücke sind doch bereits verge- als mittelstandspolitischer Sprecher der FDP-Fraktion ben. zu Wort. Ich bin meinem Freund und Kollegen Mat- thias Wissmann sehr dankbar, daß er das erste Mal Vor ein paar Wochen habe ich an dieser Stelle zum auch über den Mittelstand gesprochen hat. Ich aber Ausdruck gebracht, daß alles, was die Treuhand rede nur über den Mittelstand und die freien Berufe; Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 76. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Februar 1992 6327

Josef Grünbeck auf diesem Feld lassen wir Freien Demokraten uns von müssen das Tor zum Dauerarbeitsplatz sein und kein niemandem übertreffen. Ausweichplatz für öffentliche Aufgaben. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) (Beifall bei der FDP — Heiterkeit — Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Deswegen sind Sie Meine Damen und Herren, ich bedaure es außeror- auch für die Fusion Daimler-Benz/MBB dentlich, daß sich gerade die Sozialdemokraten darin gewesen!) üben schwarzweißzumalen, statt Fakten aufzuzählen. Dafür nur einige Beispiele. Die von dieser Debatte ausgehende Stimmung Frau Matthäus-Maier, Sie haben in einer Presseer- betrübt mich, die Stimmung dieser Debatte macht klärung zum Jahreswirtschaftsbericht gefordert: „Wir mich viel ernster, als Sie das meinen. Was ich über- verlangen von der Bundesregierung klare Antworten haupt nicht begreife, ist, daß die ganze Opposition im darauf, wie die ausufernde Staatsverschuldung abge- Grunde genommen versucht, ein Stimmungsbild zu baut werden soll und wo sie im Bundeshaushalt zeichnen, das grau in grau ist. einsparen will." Parallel dazu gibt es aber von der SPD Anträge mit (Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Das stimmt erheblichen Konsequenzen auf der Ausgabenseite, doch überhaupt nicht!) etwa den Antrag über den Aufbau in den neuen — Wir bagatellisieren doch nichts. Wenn Sie zugehört Bundesländern, in dem es heißt: Investitionen fördern, haben, was der Wirtschaftsminister und Graf Lambs- Umwelt sanieren und Verwaltungskraft stärken. dorff hier vorgetragen haben, müssen Sie registrieren, Wer das auch nur annähernd kostenmäßig errech- daß uns alle dieselbe Sorge erfüllt. Aber ohne Per- net, wird auf Milliardensummen und damit auf eine spektive und nur mit Verunsicherung der Bevölke- wesentlich höhere Verschuldung kommen. Aber die rung — gleichgültig, ob es sich um die junge oder die SPD ist nicht einmal bereit, die Erhöhung der Mehr- ältere Generation handelt — können wir die vor uns wertsteuer zu akzeptieren. Daraus macht sie ein liegenden Probleme bei Gott nicht bewältigen. Wahlkampfthema. (Dr. Otto Graf Lambsdorff [FDP]: Sehr gut!) (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Tun Sie, meine sehr verehrten Damen und Herren Daher bitte ich Sie: Bleiben Sie bei den Fakten! von der SPD, ja nicht so, als wüßten Sie das nicht! Ich habe Ihren Antrag, den Sie im Wirtschaftsausschuß Faktum ist: In der Geschichte der Wirtschaftspolitik gestellt haben, einmal nachgerechnet. Es war peinlich gab es noch niemals in so kurzen Zeiträumen so zu sehen, daß Sie noch nicht einmal neben dem Text tiefgreifende Veränderungen wie in den letzten Jah- die Beträge ausgewiesen haben. Das hätte bei jedem ren. Insbesondere der Zusammenbruch der kommuni- Finanzbuchhalter zur fristlosen Entlassung geführt. stisch gelenkten staatlichen Planwirtschaft in allen Sie schreiben irgend etwas plakativ hin, was nach östlichen Ländern Europas hat diese Welt verändert. meiner Rechnung etwa 36 Milliarden DM kostet, aber Diese Tatsache hat erhebliche Anpassungsprozesse Sie sind nicht einmal bereit, das zu errechnen. Das ist ausgelöst, insbesondere bei den mittelständischen eine unseriöse Haushaltspolitik. Das kann natürlich so Betrieben und den freien Berufen. nicht hingenommen werden.

Man kann es so formulieren: Die kleinen und Eine Zwi- mittleren Betriebe haben in den alten und in den Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: neuen Bundesländern bewiesen, daß man durch Fle- schenfrage des Herrn Abgeordneten Hitschler. xibilität, Leistungs- und Risikobereitschaft und Quali- tätssicherung diesen Anpassungsprozeß am ehesten Dr. Walter Hitschler (FDP): Herr Kollege Grünbeck, bestehen kann. Gerade die kleinen und mittleren sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß allein der Betriebe haben die Chancen ergriffen und die Heraus- Vorschlag der SPD-Fraktion, die Altschulden im Woh- forderungen auf dem Arbeitsmarkt schon einigerma- nungsbau zu übernehmen, gegenwärtig einen Be trag ßen bestanden. von rund 40 Milliarden DM ausmachen würde? Sowohl in der beruflichen Bildung als auch in der Weiterbildung wurden große Anstrengungen unter- Josef Grünbeck (FDP): Ich bin Ihnen für diese nommen, um die Qualifizierung für die größer wer- Zwischenfrage dankbar. Das nehme ich zur Kenntnis. denden Aufgaben herbeizuführen, den Anpassungs- Das unterstreicht meinen Vorwurf nur noch. Vielen prozeß in den neuen Bundesländern zu bestehen und Dank, Herr Kollege Hitschler. die Betriebe wettbewerbsfähig zu machen bzw. in ihrer Wettbewerbsfähigkeit zu stärken. Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Dies wie- derum, Herr Abgeordneter Grünbeck, veranlaßt die Dabei war klar, daß man alle Ins trumente des Abgeordnete Fuchs, Sie zu bitten, eine Frage zuzulas- geltenden Arbeitsförderungsgesetzes nutzen muß. sen. Wir haben immer die Ansicht vertreten, daß Arbeits- beschaffungsmaßnahmen da und dort notwendig sind, daß sie aber nicht zu Wettbewerbsverzerrungen Josef Grünbeck (FDP): Ja, gerne. für die kleinen und mittleren Betriebe führen dürfen und daß der Mißbrauch begrenzt werden muß. Anke Fuchs (Köln) (SPD): Sind Sie bereit, mir zu Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen dienen dazu, die erläutern, wie denn die FDP die Altschulden im Menschen wieder in einen Beruf zurückzuführen. Sie Mietwohnungsbau beseitigen möchte? 6328 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 76. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Februar 1992

Josef Grünbeck (FDP): Ich will meiner verehrten umzumünzen. Wenn Sie wollen, haben Sie aber die Bauministerin nicht vorgreifen. Gelegenheit, darauf zu antworten. (Lachen bei der SPD) — Entschuldigen Sie, das ist doch keine Bagatelle. Es stünde der SPD gut an, ein solches Problem gründlich zu beraten. Die FDP ist im Augenblick dabei. Josef Grünbeck (FDP): Ich glaube, Graf Lambsdorff hat Ihnen schon vorab die Antwort gegeben. Vizepräsident Dieter - Julius Cronenberg: Bitte sehr, (Lachen bei der SPD) Graf Lambsdorff, unter der Voraussetzung, daß der Abgeordnete Grünbeck zustimmt. Der Herr Kollege Roth hat in einer Presseerklärung zum Jahreswirtschaftsbericht gesagt, daß die gegen- Josef Grünbeck (FDP): Natürlich. wärtige Entwicklung in Ostdeutschland milder ver- (Franz Müntefering [SPD]: Das muß der FDP laufen wäre, wenn die Bundesregierung auf die For- langsam angerechnet werden!) derungen der Sozialdemokraten eingegangen wäre. Ich kann nur sagen: Gott sei Dank hat die Bundes- Dr. Otto Graf Lambsdorff (FDP): Herr Kollege Grün- regierung einen eigenen Weg beschritten, der nun beck, würden Sie bitte zur Kenntnis nehmen und diese wirklich — das dürfen wir in dieser Debatte doch nicht Kenntnisnahme dann auch weitergeben, daß sich im verschweigen — eine Vielzahl von Anfangserfolgen Zusammenhang mit der schlichten Übernahme der gerade für die mittelständisch strukturierte Wirtschaft Altschulden im Wohnungsbau der früheren DDR gebracht hat. selbstverständlich auch die Frage stellt, was denn wohl die Hypothekenschuldner im alten Bundesge- Ich möchte wirklich nur an Hand von Zahlen und biet zu einer solchen Haltung sagen würden. Ist es Fakten einiges vortragen. Die Zahl der Gewerbean- nicht vernünftig und richtig, darüber nachzudenken, meldungen in den neuen Bundesländern betrug 1990 ob nicht zumindest diejenigen, die einen Wohnungs- und 1991 fast 450 000. Mit 200 000 bis 250 000 vollzo- und Hausbesitz haben, zum Teil in der Lage sein genen Neugründungen wurden 1,25 Millionen Ar- müssen und angehalten werden müssen, ihre Hypo- beitsplätze geschaffen bzw. gesichert. theken auch zurückzuzahlen? Woher bekommen wir Wir erkennen durchaus, daß sich diese Neugrün- jemanden, der uns immer alle Hypotheken ab- dungen vorwiegend auf das Handwerk, den Dienst- nimmt? leistungsbereich und die freien Berufe konzentriert (Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Das ist nicht das haben. Wir sind aber ebenso überzeugt, daß es auch Thema, Herr Kollege!) beim industriellen Mittelstand noch in diesem Jahr — wenn auch mühsam — aufwärts geht. (FDP): Graf Lambsdorff, ich brau- Josef Grünbeck Diese Existenzgründungen werden durch die Aus- che das nicht weiterzuvermitteln, weil ich gemerkt reichung von ERP-Krediten an mittelständische Inve- habe, daß Frau Kollegin Fuchs Ihnen aufmerksam storen begleitet. Bis Februar 1992 sieht die Bilanz wie zugehört und das zur Kenntnis genommen hat. folgt aus: Bisher sind 154 000 Anträge mit einem zusagefähigen Kreditvolumen von über 17 Milliarden Vizepräsident Dieter - Julius Cronenberg: Ich darf das Haus darauf aufmerksam machen, daß die DM eingegangen. Dann kann man doch nicht von Geschäftsordnung Dreiecksfragen nicht zuläßt; Drei- einer schlechten Stimmung reden. Das muß man doch ecksweitergaben sind natürlich nicht völlig ausge- als Signal aufgreifen, das insgesamt eine positive schlossen. Wirkung hat. Bis 1992 steht ein Kreditvolumen in Höhe von 25 Milliarden DM zur Verfügung. Frau Matthäus-Maier, bitte. Nun richten sich alle inhaltlichen Zusagen auf

Ingrid Matthäus - Maier (SPD): In bezug auf das Investitionen. Die Förderung hat ein Investitionsvolu- „Dreieck" muß ich dann auch aufpassen. men in Höhe von 39 Milliarden DM mobilisiert. Mit Graf Lambsdorff, nachdem ich Ihnen, was die Ein- dieser Förderung ist ein Arbeitsplatzeffekt in Höhe zelheiten angeht, nämlich daß man zu einer differen- von 700 000 Arbeitsplätzen verbunden. Daneben wer- zierten Regelung kommen muß, ausdrücklich zu- den 900 000 bestehende Arbeitsplätze gefördert. Aus stimme, frage ich Sie: Sind Sie nicht genau wie Frau den vorliegenden Anträgen zur Regionalförderung Schwaetzer der Ansicht, daß der jetzige Zustand, ergibt sich ein geplantes Investitionsvolumen von diese Milliardensummen schlicht und einfach auf den 79 Milliarden DM. Das ERP-Programm steht für eine kommunalen Wohnungsbaugenossenschaften lasten Investitionssumme in Höhe von 35 Milliarden DM. zu lassen, mit der Folge, daß das am Schluß sowieso Nach einer Ifo-Umfrage planen westdeutsche Unter- bei den ostdeutschen Kommunen landet, so nicht nehmen 1992 Investitionen in Höhe von 36 Milliarden weitergehen kann? DM. Meine sehr verehrten Damen und Herren, was ist Josef Grünbeck (FDP): Herr Präsident, darf ich aus diesen Zahlen eigentlich ersichtlich? Investitionen feststellen, daß die Frau Kollegin gar keine Frage an und Investitionen! Nennen Sie mir ein einziges Land mich gestellt hat? Deshalb brauche ich ihr auch keine in Europa, in dem Investitionen so stark fließen wie bei Antwort zu geben. uns in der Bundesrepublik und Gott sei Dank jetzt auch in den neuen Bundesländern. Vizepräsident Dieter - Julius Cronenberg: Das ist mir natürlich nicht entgangen. Deswegen hatte ich schon (Abg. Ernst Schwanhold [SPD] meldet sich zu vor, die Zwischenfrage in eine Kurzintervention einer Zwischenfrage) Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 76. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Februar 1992 6329

Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Herr Ab- mehr als 40 Milliarden DM zu ihrer Finanzierung geordneter, sind Sie bereit, eine Zwischenfrage zu erfordern. Glauben Sie ernsthaft, daß wir damit Jubel beantworten? bei unseren Steuerzahlern auslösen könnten? Ich meine, das muß einfach noch einmal überprüft wer- den. Da sollte die SPD ihre Glaubwürdigkeit auf dem Josef Grünbeck (FDP): Ich möchte jetzt keine Zwi- Prüfstand sehen. Wir dürfen die öffentlichen Haus- schenfragen mehr zulassen. Die Zeit ist schon über- halte durch solche Dinge nicht gefährden. schritten. Herr Kollege, wenn Sie mir deshalb nicht böse sind, wird unsere Freundschaft erhalten blei- Ich beklage in diesem Zusammenhang ausdrück- ben. lich, meine Damen und Herren, die mangelhafte Bereitschaft zur Privatisierung öffentlicher Aufga- Ich danke von dieser Stelle aber auch — lassen Sie ben. Gerade bei uns in der Bundesrepublik ist da noch mich das trotz einiger unbequemer und unschöner wenig aufgegriffen worden. Obwohl die Kommunen Begleiterscheinungen feststellen — den westdeut- viele Aufgaben privatisieren könnten, zögern sie und schen Unternehmen für ihre Risikobereitschaft. Ich halten durchaus realisierbare Privatisierungsmaßnah- widerspreche von dieser Stelle ausdrücklich Herrn men in der Schublade. Steinkühler von der IG Metall, der den westdeutschen Unternehmern global eine Goldgräberstimmung un- Natürlich spielt gerade für die mittelständische terstellt hat. Mit derart diskriminierenden Äußerun- Wirtschaft die Entwicklung der Personalkosten eine gen gegenüber den wichtigsten Trägern des Auf- große Rolle. Ich darf noch einmal darauf verweisen, schwungs Ost, nämlich den Investoren, kann man daß eine Situation entstanden ist, die für den Standort nichts erreichen außer Brunnenvergiftung. Alles kön- Bundesrepublik Deutschland und für den Mittelstand nen wir gebrauchen, nur das nicht. gefährlich geworden ist. Die gesetzlich verankerten (Beifall bei der FDP) Personalzusatzkosten im produzierenden Gewerbe sind von 1978 bis 1990 von 33,6 auf 36 % gestiegen, die Auch an die Verantwortung dort sollte appelliert tariflich bestimmten in diesem Bereich von 38,2 auf werden. 46,9 %. Insgesamt ergibt dies eine Steigerung von Wir wissen, daß der Anpassungsprozeß bei den 71,8 % auf 82,9 % für die wenigen Jahre. industriellen Großbetrieben schwieriger zu gestalten ist. Die Konzerne, die als Volkseigene Betriebe eher Mit diesen Personalzusatzkosten liegen wir fast um Verteilungs- als Leistungsprozesse absolviert haben, die Hälfte höher als Frankreich, doppelt so hoch wie sind heute weitgehend leider nicht mehr wettbe- die USA und Großbritannien und dreimal so hoch wie werbsfähig. Ihnen ist durch die Entwicklung in den Japan. osteuropäischen Staaten die Auftragsstruktur buch- Unerfreulich ist auch der Vergleich der Entwick- stäblich weggebrochen. lung der Arbeitszeiten, die natürlich den mittelständi- Ich teile mit Ihnen die Einschätzung, Herr Kollege schen Betrieben besondere Sorge bereitet. Die effek- Roth: Wir müssen denen helfen. Nur ist das Problem- in tiv geleistete Arbeitszeit der Arbeitnehmer in Stunden den osteuropäischen Ländern, daß sie im Augenblick pro Jahr beträgt in Deutschland weniger als 1 700, in wenige Gesprächspartner anbieten können, mit Großbritannien sind es fast 1 900, in den USA 2 000, in denen wir überhaupt über die Fortsetzung dieser Japan 2 100 und in Korea 2 300. Ich hoffe, Herr Exportbeziehungen sprechen könnten. Kollege Roth, daß Sie bei Ihrem Aufenthalt in Japan Deshalb begrüßen wir die Begleitung dieser gemerkt haben, was das bedeutet. Betriebe durch die Treuhand, die dann Übergangshil- Einbrüche vieler deutscher Branchen, nicht nur der fen leisten soll, wenn sie eine Chance zur baldigen Automobilindustrie, auch der Werkzeugmaschinen Erlangung der Wettbewerbsfähigkeit erkennt. Wenn industrie, die primär auf den Export ausgerichtet sind, aber diese Chance überhaupt nicht gegeben ist lassen sich mit solchen Arbeitszeiten nicht mehr — meine Damen und Herren, da sind wir uns doch verhindern, auch nicht durch rücksichtslose Zugriffe hoffentlich von rechts nach links einig —, dann ist die auf Rationalisierung. Der Arbeitnehmer ist einer, der Schließung des Unternehmens auf lange Sicht gese- dabei bezahlt. Ich stimme ausdrücklich meinem Par- hen die bessere Lösung. Subventionen in Höhe von teivorsitzenden Graf Lambsdorff zu, der in Stuttgart 300 000 bis 900 000 DM pro Arbeitsplatz können doch gesagt hat: Wer das jetzt nicht erkennt, wird eines nicht zur Regel werden. Mit wesentlich weniger Tages mit voller Wucht getroffen, denn diese Märkte Finanzmitteln könnte man Umschulung und Qualifi- lassen sich dann nur sehr schwer zurückerwerben. zierung der Mitarbeiter für andere Branchen finanzie- Deshalb müssen wir bei den Lohnkosten darum bitten, ren und die Neuansiedlung von Be trieben dynamisch daß regional und branchendifferenziert angepaßt begleiten. wird, um Entwicklungen zu stützen und nicht zu Die Rolle der öffentlichen Haushalte wird in der ersticken. Wir brauchen Öffnungsklauseln, unterneh- Beurteilung aus mittelstandspolitischer Sicht immer mensbezogene Tarifabschlüsse und betriebsbezo- kritischer. Mit großer Sorge verfolgen viele kleine und gene Lohnorientierungen. mittlere Unternehmer und auch ihre Mitarbeiter die Lassen Sie mich zum Schluß noch ein Wort zur Entwicklung, die sich durch Tarifforderungen in unse- Deregulierung und Entbürokratisierung sagen. In rer Bundesrepublik abzeichnet. Anbetracht des europäischen Binnenmarktes, der ja Der Solidaritätszuschlag von 7,5 % bringt nach nun in wenigen Monaten beginnt, habe ich die Sorge, meiner Information Mehreinnahmen von etwa 27 Mil daß durch nationale und europäische Bürokratie eine arden DM. Allein die Forderung aus dem öffentli--li Entwicklung zustande kommt, die die mittelständi- chen Dienst mit über 10 % würde eine Summe von schen Be triebe nicht mehr verkraften. Ich sage dies 6330 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 76. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Februar 1992

Josef Grünbeck ausdrücklich auch mit der Bitte an die Union. Ich habe Hinter diesem Satz, der für mich in mehrfacher kürzlich gelesen, daß die christlich-soziale Arbeitneh- Hinsicht jedoch auch scheinheilig ist, verbergen sich merschaft in Deutschland die Arbeitskammern ein- aber grundsätzliche Denkansätze, die sich durch den führen will. Ich bin dankbar, daß vernünftige Leute ganzen Bericht ziehen. aus der Union schon Widerstand signalisiert haben. In Erstens schlägt doch hier voll durch, daß das der Österreich wollen sie die Arbeitskammern abschaf- Markt schon richten wird und ein regelrechter Horror fen, bei uns will man sie einführen. Was wollen wir der Regierungskoalition vor Strukturprogrammen denn noch alles der mittelständischen Wirtschaft an und planmäßiger Wirtschaftsförderung besteht. Da- bürokratischen Reglementierungen überstülpen! bei hat der Bundeskanzler selbst bei seinen Besuchen (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) in Halle sowie in der Treuhandanstalt Berlin oder bei Gerade in den neuen Bundesländern sind kleine und Gesprächen mit Gewerkschaftsvertretern in Bonn von mittlere Betriebe besonders betroffen. Wir brauchen der Erhaltung von Kernbereichen der Industrie weniger und nicht mehr bürokratische Auflagen, ob es gesprochen. Wie soll denn das gehen? Durch Appelle? die Baubürokratie, die Arbeitsmarktbürokratie, die — Wohl nicht. Gewerbeaufsicht oder alle anderen Institutionen Die Tatsachen zeigen doch, daß es eine umgekehrte sind. Entwicklung gibt. Der Poker zwischen Treuhand- Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zum anstalt und Unternehmen zeigt doch jedes Mal deut- Schluß eines feststellen. Die politische Entwicklung lich, worum es wirklich geht. Der Markt ist gesättigt, in Europa hat ihre eigene Faszination. Die Verände- weltwirtschaftlich ist Konjunktur nicht so recht zu rungen verlaufen im Grunde genommen in erfreuli- erkennen. Was liegt also näher, als unliebsame Kon- chen Bahnen. Der Wandel von der Diktatur zur kurrenten zu beseitigen! Ich erinnere hier nur an die Freiheit, von der Planwirtschaft zur Marktwirtschaft Stahlindustrie Brandenburgs oder an die Motorrad- und damit zur individuellen Gestaltung der Gesell- werke in Zschopau, ein kleines Werk im Süden, wo schaft ist in einem dynamischen Prozeß. Ich bin stolz, sogar die Belegschaft mit Teilen ihres Einkommens für daß ich dies erklären kann und daß in den letzten ihr Werk eintreten wollte. Wenn jedoch der Markt für Jahrzehnten liberale Wirtschaftsminister an diesen 250er und 500er Modelle sich gerade auftut und 750er Grundsätzen nie gezweifelt und sie immer realisiert und 1 000er nicht mehr so gut gehen, dann kann man haben. schon verstehen, warum BMW sich diese Marktan- teile erobern will. Da stört eben so ein kleines Werk in Dabei gilt es festzustellen, und das wissen wir alle: Die Demokratie ist kein perfektes System, aber es gibt der Nähe von Chemnitz, auch wenn es dort mit diesen kein besseres. Und dazu gehört der Satz: Marktwirt- gefragten Modellen gute Erfahrungen gibt. schaft ist nichts Bequemes, aber es gibt nichts Gerech- Im Dezember gab es in diesem Hohen Hause eine teres. Aktuelle Stunde zum Stahlwerk Hennigsdorf. Die (Franz Müntefering [SPD]: Eine starke Hennigsdorfer hatten sich damals zur Wehr gesetzt Grundsatzrede!) und sich selbst in die Verhandlungen der Treuhand- anstalt eingemischt, nicht ganz ohne Erfolg. Das hat Das haben die mittelständischen Betriebe und die auch die Walzwerker in Eberswalde-Finow ermutigt, freien Berufe in den alten und neuen Bundesländern sich zu widersetzen, nachdem sie am 20. Januar nach erfaßt. Sie stellen sich dieser Herausforderung und monatelangen Versicherungen zur Erhaltung von betrachten sie als große Chance für eine positive 1 350 Arbeitsplätzen erfuhren, daß mehr als die Hälfte gesellschaftliche Entwicklung. davon beseitigt werden sollte. Inzwischen sind Inve- Vielen Dank. stitionen in Höhe von 40 Millionen DM zugesagt, und (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) die Treuhand hat die Reduzierung der Belegschaft zurückgenommen. Warum — so muß man fragen — funktioniert denn Nun er- Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: die Soziale Marktwirtschaft nicht so, wie uns verspro- teile ich dem Abgeordneten Dr. Schumann das chen wurde? Ich denke dabei insbesondere an die Wort. Wahlkampfreden zu den vier Wahlen im Jahre 1990. Dr. Fritz Schumann (Kroppenstedt) (PDS/Linke Wir zollen den hohen Transferleistungen aus den Liste): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Im alten Bundesländern durchaus höchsten Respekt. Es vorliegenden Jahreswirtschaftsbericht habe ich viele ist sicher nicht einfach und auch auf die Dauer nicht interessante Sachen gelesen, aber insbesondere hat durchzustehen, 100 Milliarden DM netto für die fünf mich ein Satz auf Seite 13 unter Punkt 13 beeindruckt. neuen Länder bereitzustellen. Da diese Mittel jedoch Ich zitiere ihn: zu großen Teilen in die soziale Abfederung geflossen Die Bundesregierung setzt vor allem auf privates sind, wird damit das Loch im Faß nicht gestopft, Engagement. Nur so kann auf Dauer die Basis des sondern nur nachgefüllt. Wohlstands in Ost und West gesichert werden, Nach Umfrage des Ifo-Instituts hat die westdeutsche und nur so können Chancen in Erfolge gewandelt Industrie 1991 25 Milliarden DM investiert. Herr werden. Grünbeck hat das hier ebenfalls gesagt. 1992 sollen es Diesem Satz kann m an durchaus zustimmen, denn 36 Milliarden DM werden. Wir sind der Meinung, daß ohne das Engagement vieler oder besser aller Men- das angesichts der enormen Gewinne, die in Wirt- schen sind sicher Aufgaben von der Größenordnung schaft, Handel und Banken vielleicht gerade wegen der deutschen Einheit niemals zu bewältigen. der deutschen Einheit gemacht wurden, viel zuwenig Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 76. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Februar 1992 6331

Dr. Fritz Schumann (Kroppenstedt) ist und in keinem Verhältnis zu den sozialen Aufwen- vorwerfen, die sich früher wegen des autoritären dungen steht, die ich damit keinesfalls diskriminieren Systems nicht entfalten konnten und heute wieder will. Es geht darum, daß sich die Bundesregierung und ausgeschlossen werden, weil sie sich in diesem auto- auch der Bundestag ihrer Mittel und Möglichkeiten ritären System keine Voraussetzungen schaffen konn- besinnen, um Investitionen und Engagement noch ten? besser zu fördern und, wenn notwendig, auch zu Die von der Bundesregierung gebotenen Hilfen und befördern. Wir haben in unserem vorliegenden Ent- Mittel reichen a) nicht aus — es sollten weitere schließungsantrag auf solche Maßnahmen hingewie- Programme, speziell für Bürgerinnen und Bürger aus sen und nicht nur die Ausgangslage kritisiert. den neuen Bundesländern, aufgelegt werden — und Lassen Sie mich auf meinen Ausgangssatz über das sind vor allem b) nicht wirksam genug. So wird auch in private Engagement zurückkommen. Ich kann mir der Bundesregierung der zögerliche Abfluß der Mittel einfach nicht vorstellen — und das sollte mein zweiter registriert und durchaus beklagt. Veränderungen Grundgedanke dazu sein —, daß mit dem privaten aber sind angesagt, die eine andere Einstellung, auch Engagement nur Bürgerinnen und Bürger aus den von den vielen Westimporten in den Verwaltungen, Altbundesländern gemeint sein sollten. Herr Wiss- verlangen. Geld genug wird dafür wohl ausgege- mann, ich kann Ihre Worte nur begrüßen. — Leider ist ben. er nicht mehr da. — Er hat hier davon gesprochen, daß Ich wurde gestern in der Sitzung des Wirtschafts- sich auch die Bürger in den fünf neuen Ländern ausschusses Zeuge, wie ein Antrag der SPD zur engagieren wollen. In der Realität stellt sich das aber Anerkennung von Meistern der Indus trie als Hand- so dar, daß speziell im produzierenden Gewerbe werksmeister abgelehnt wurde, leider auch mit Stim- kaum nennenswerte Ergebnisse von Initiativen aus men von Abgeordneten der CDU aus dem Osten. den neuen Bundesländern vor allem im industriellen Grundlage für diese Ablehnung waren rein ideologi- Bereich zu sehen sind. Es muß doch zu denken geben, sche Vorbehalte, weil Industriemeister angeblich wenn von 20 000 Gewerbeanmeldungen im Novem- zuviel Gesellschafts- und Parteipolitik gelernt hätten. ber 1991 44 % im Bereich Handel und Gaststätten Ganz abgesehen davon, daß das honorischer Quatsch liegen und ganze 9,5 % im produzierenden Gewerbe ist, weil alle Ausbildungsrichtungen mit dem entspre- einschließlich des Baugewerbes, das sich natürlich chenden Anteil Marxismus-Leninismus-Unterricht positiv entwickelt hat. Ganz abgesehen von den gesegnet waren — das wissen zumindest alle, die im 273 000 Gewerbeanmeldungen — auch diese Zahl ist Osten gelebt und gelernt haben —, hier schon mehrfach genannt worden, von Herrn (Dr. [PDS/Linke Liste]: Wissmann und auch von Herrn Grünbeck — in elf Der Krause!) Monaten insgesamt, muß man aber dazusagen, daß in geht es doch nicht darum, daß jemand gerne einen der gleichen Zeit insgesamt 89 000 Abmeldungen Titel tragen möchte. Es geht vielmehr darum, daß der registriert wurden; das sind immerhin 32,6 %. Zu einer Meistertitel schon für eine Gewerbeanmeldung und sauberen Bilanz gehört wohl beides: An- und Abmel- für die Ausbildung von Lehrlingen entscheidend ist. dungen. Wollen Sie mit dieser Ablehnung die große Gruppe Ich sehe den Grund nicht mehr darin, daß es von berufserfahrenen Menschen ausschließen, oder zuwenig Engagement in der Bevölkerung der fünf haben Sie Angst, daß diese Meister neue VEBs grün- neuen Länder gibt. Erst recht gibt es keine allgemeine den? Lethargie. Aber versuchen Sie einmal als ostdeutsche (Josef Grünbeck [FDP]: Weder das eine noch Bürgerin oder als ostdeutscher Bürger, ein produzie- das andere!) rendes Gewerbe aufzubauen. Schon die erste Frage Ich glaube, daß es genügend Themen gibt, bei bei der Treuhand, nämlich die nach dem geeigneten denen wir als Bundestag und bei denen die Bundes- Grundstück, wird zum Problem. Aber gerade produ- regierung Rahmen schaffen kann, die die Entwick- zierendes Gewerbe läßt sich eben nicht im Wohn- lung in den fünf neuen Ländern schneller als bisher wagen am Straßenrand oder im Bauwagen auf der befördern. Baustelle aufbauen. Also schaut man bei der Treu- handanstalt zum Beispiel im Angesicht des „O" vor Danke. der Postleitzahl schon sehr skeptisch drein, und (Beifall bei der PDS/Linke Liste) unklare und offene Vermögensfragen tun ein übri- ges. Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Nun er- Der Weg zu den Ämtern ist inzwischen sicherlich teile ich dem Abgeordneten Lowack das Wort. erleichtert. Aber dann kommen die große Frage nach dem Kapital und die Gegenfrage derjenigen, die es verwalten: Was sind denn Ihre Sicherheiten? Späte- Ortwin Lowack (fraktionslos): Herr Präsident! stens dann wird es für die meisten sehr kompliziert. Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Unter den Bedingungen der DDR war es eben nicht Kolleginnen und Kollegen! Nachdem das monströse möglich, sich Kapital und Sicherheiten zu schaffen. Produkt in Maastricht unterzeichnet wurde, sollten Das war sicher eines der Probleme des Sozialismus — wir uns doch noch etwas mit Herrn Gauweiler das gebe ich doch ehrlich zu —, daß sich Leistung beschäftigen. Ich meine natürlich nicht seine Person eben nicht oder kaum in Vermögen verwandeln ließ und seine Wirkung auf die CSU — vor allen Dingen und deshalb auch Leistung ausblieb, und zwar fort- nachdem das Konzil in München bereits getagt hat —, schreitend mehr, bis zum Untergang dieser Gesell- sondern ich meine die Leute, die dahinterstehen. Das schaftsordnung. Wollen Sie das aber den Menschen ist nicht nur der sehr angesehene Präsident der 6332 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 76. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Februar 1992

Ortwin Lowack bayerischen Landeszentralbank; es ist auch der sehr ten ist. Die Zinsen werden — auch das müssen wir angesehene Präsident des Sparkassenverbandes; befürchten — nach einer Phase, in der sich jeder (Michael Glos [CDU/CSU]: Alles CSU- zurückhält, steigen. Leute!) Noch etwas: Die Entwicklung der Handels- und und dem Vernehmen nach sind das sehr gute Leute Leistungsbilanz ist erschreckend. Es nutzt uns über- aus der Deutschen Bundesbank — alles keine Lum- haupt nichts, wenn da Experten kommen und sagen, pen, sondern durchaus beachtenswerte Männer und das liege daran, daß die Preise bei den Importen so Frauen, die hierzu Stellung nehmen können. hoch seien. Wenn man die Struktur der Importe durchgeht, stellt man im Grunde genommen etwas (Michael Glos [CDU/CSU]: In der CSU gibt ganz anderes fest, daß nämlich der größte Teil der es keine Lumpen!) Zunahme bei den Importen darauf beruht, daß sie bei Ich weiß nicht, was eine „Esperanto-Währung" ist. uns nicht investiv verwendet werden, sondern für den Aber es bietet sich hier doch eine ganz interessante Konsum. Das bedeutet, meine lieben Kolleginnen und Parallele an. Wenn wir Esperanto in allen Ländern Kollegen, daß die großen Transfers, die wir im Augen- Europas unterrichten würden, trüge das zweifellos blick leisten und die für die nächsten drei oder vier dazu bei, daß sich die Europäer besser verstehen. Es Jahre vorgesehen sind, zu einem viel zu großen Anteil wäre allerdings ein großer Fehler, wenn wir die in den Konsum gehen und nicht in die Investition. wunderschönen europäischen Sprachen durch das Ich wage die Vorhersage, daß die Hoffnung der Esperanto ersetzen wollten. Ich sehe das ähnlich bei dem oder bei der — wir haben uns ja noch nicht Bundesregierung, der schnelle Aufschwung in den geeinigt, welcher Artikel der richtige ist — ECU. Auch neuen Bundesländern würde kommen, sich so nicht halten läßt. Uns wird die Luft ausgehen. Wir werden hier bin ich der Auffassung, daß der oder die ECU das Geld nicht mehr haben. Aber wir werden eine durchaus eine wichtige Funktion wahrnehmen unglaubliche Zunahme der feststellen könnte, wenn er oder sie neben den nationalen Verschuldung müssen, die wieder zu Lasten unserer Wirtschaft Währungen als eine europäische Währung be- stünde. geht. (Franz Müntefering [SPD]: Lowack unter Der Bundeskanzler hatte vor neun Jahren einmal stützt Gauweiler!) eine Rede zum Haushalt 1983 gehalten. Ich muß sagen, ich habe mich mit dieser Rede voll identifizie- Das hätte vor allen Dingen den großen Vorteil, daß ren können, die ein Credo marktwirtschaftlicher Poli- zwischen den einzelnen Mitgliedsländern der Euro- tik darstellt. In dieser Rede hieß es: päischen Gemeinschaft noch ein Stabilitätswettbe- werb möglich wäre, weil sofort deutlich wird, wer Unsere vorrangige Aufgabe ist es, die Staatsfi- Stabilitätspolitik betreibt und wer nicht. Wenn ich nanzen wieder in Ordnung zu bringen. Unser Ziel allerdings eine einzige Währung europaweit ein- ist es, den Staat wieder zu befähigen, seine bringe, dann gehe ich gerade den Schritt,- der es dem Aufgaben zum Nutzen aller Bürger wahrzuneh- einen möglich macht, keine Stabilitätspolitik zu men, ohne die heranwachsende Generation betreiben und damit seine Lasten im Grunde genom- unserer Kinder mit einem riesigen Schuldenberg men auf die anderen abzuwälzen. Deswegen sehe ich vorzubelasten. hier durchaus ein Problem; das muß angesprochen werden. Alle öffentlichen Haushalte, einschließlich Bahn und Post, meine Damen und Herren, sind gegen- Theo Waigel hat sich etwas Besonderes einfallen wärtig mit rund 700 Milliarden DM Schulden lassen, indem er sagte, der oder die ECU würde eines belastet. Tag für Tag, jeden Tag muß die öffent- Tages die härteste Währung werden. Das ist für mich liche Hand zusätzlich über 200 Millionen DM nicht ganz frei von Zynismus. Denn im Grunde aufnehmen. Unerträglich ist das für uns, ich hoffe, genommen sagt er damit ja nur, daß die Leitfunktion, für uns alle. die die D-Mark bei der Stabilität in Europa heute hat, in Zukunft mehr oder weniger auf andere übergeht. Jawohl, Recht hat er gehabt, der Herr Bundeskanz- Hier liegt also eine sehr kritische Haltung zur künfti- ler! Nur, meine sehr verehrten Damen und Herren, in gen Entwicklung der D-Mark zugrunde. Ein Schalk ist der Zwischenzeit sind wir bei 1 300 Milliarden öffent- der liebe Theo sicher nicht, licher Schulden angelangt, und die Zinsbelastung beträgt über 100 Milliarden DM mit einer steil aufstei- (Michael Glos [CDU/CSU]: Ein Schalk schon, genden Tendenz, unter der wir alle leiden und unter aber kein Golodkowski!) der diese Wirtschaft leiden muß. auch wenn ich manchmal den Eindruck habe, daß er gerne in die Rolle eines Clowns schlüpft, wie das Der Staat ist allmählich überfordert. Auch das hatte früher bei Fürstenhöfen nun einmal üblich war. der Bundeskanzler damals festgestellt, indem er sagte: Aber, meine sehr verehrten Damen und Herren, die Alarmzeichen sind doch unübersehbar. Das Bruttoin- Meine Damen und Herren, unser Land ist in diese landsprodukt hält sich mit dem Bruttosozialprodukt verhängnisvolle Situation gekommen, weil der deshalb nicht mehr im Gleichklang, weil die Einkom- Staat überfordert und damit seine finanzielle men aus Auslandsinvestitionen gegenüber den Ein- Grundlage erschüttert wurde, weil soziale Ge- kommen aus Inlandsinvestitionen überproportional rechtigkeit mit staatlicher Betreuung und Bevor- steigen. Wir haben bei der In flation in der Zwischen- mundung verwechselt wurde und weil die Bela- zeit erlebt, daß sie der Bundesregierung längst entglit stung der Wirtschaft, nicht zuletzt von Ihnen, Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 76. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Februar 1992 6333

Ortwin Lowack meine Damen und Herren aus der Sozialdemo- Dr. Hermann Pohler (CDU/CSU): Herr Präsident! kratie, im Übermaß erprobt wurde. Meine Damen und Herren! Zunächst eine kurze Ich frage mich nur: Wo stehen wir denn heute? Bemerkung zu Herrn Schumann bezüglich der Indu- Merken wir nicht, daß der Standort — die Wettbe- striemeister. Wenn Sie die Berichte der Handwerks- werbsfähigkeit, würde ich mit dem Kollegen Roth kammer gelesen hätten, könnten Sie daraus entneh- sagen — Deutschland immer schwieriger wird, daß men, daß von den Industriemeistern, die sich bewor- der Substanzverlust beim Mittelstand alarmierend ist ben haben, nur maximal 5 % abgelehnt wurden, und und daß die Verantwortungsbereitschaft abnimmt? das in der Regel, weil sie sich branchenfremd bewor- ben haben. Nach Rücksprache auch mit der Hand- Ich sage voraus, daß wir in zehn oder zwölf Jahren werkskammer dürfte, von diesen Zahlen ausgehend, weniger Mittelstand haben werden als heute, weil die eine gesetzliche Regelung nicht erforderlich sein, Verantwortung und die Belastung auf Dauer nicht wenn die Möglichkeit der Zulassung besteht. mehr zu ertragen sind. Der Trend geht doch weg von der Einzelverantwortlichkeit und in die Großbetriebe Uns allen ist klar, daß sich eine sozialistische Miß- hinein. Hier müßten wir einhaken. Hier muß die wirtschaft nicht innerhalb eines Jahres und einiger Belastung abgebaut werden. Nur, wo tut denn die Monate in eine blühende Marktwirtschaft verwan- Regierung etwas? Ich meine alle, die so freundlich deln kann. Im ersten Jahr nach der Vereinigung dazu gesprochen haben. wurde aber sehr viel erreicht. Ich möchte daher zunächst einige positive Signale nennen, die es für Dafür reist unsere Regierungsspitze, der Kanzler einen Aufschwung gibt. und der Außenminister, in aller Welt herum, und sie versprechen die tollsten Sachen. Es war der Bundes- Im Handwerk hat sich die Zahl der Betriebe bis kanzler, der bereit war, 90 Milliarden DM innerhalb heute auf rund 150 000 nahezu verdoppelt. Seit kürzester Zeit in ein marodes sowjetisches System zu Anfang des Jahres 1990 gab es insgesamt über eine stecken. Heute fehlt uns das Geld. Es wird stückchen- halbe Million Gewerbeanmeldungen. Beim verarbei- weise auf den deutschen Steuerzahler zukommen, der tenden Gewerbe ist das Tal nach dem Abbruch des das in irgendeiner Art und Weise bewältigen muß. Osthandels offensichtlich durchschritten. Während im April 1991 das Produktionsvolumen nur rund 60 % des Die Zusage an Polen kostet uns Hunderte von Standes des dritten Quartals 1990 erreichte, lag es im Milliarden als Nettozahler, wenn wir nicht in der Lage November 1991 immerhin schon wieder bei rund sind, das anders in den Griff zu bekommen, als bisher 70 %. die Zusagen vorliegen. Ich bin wirklich der Auffas- sung, man sollte als deutscher Politiker nicht um Bei der regionalen Wirtschaftsförderung Sachsens polnische oder um ausländische Orden buhlen, es gab es bis zum 31. Dezember 1991 über 4 000 förde- wäre wahrlich besser, wenn man deutsche Auszeich- rungsfähige Anträge in der gewerblichen Wirtschaft. nungen ein bißchen höher hielte als die aus anderen Damit kann ein Investitionsvolumen von 23,2 Milliar- Ländern. den DM angeschoben werden. 1 500 Anträge sind bereits bewilligt worden. Damit sind 12 Milliarden Was wir im Augenblick machen, ist eine unglaubli- DM Investitionsvolumen und fast 50 000 neue Arbeits- che Belastung. Wir übernehmen uns politisch im plätze geschaffen worden und 35 000 bestehende Inneren wie im Äußeren. Arbeitsplätze erhalten geblieben. (Widerspruch bei Abgeordneten der FDP) Die vielgescholtene Treuhandanstalt arbeitet mit Wenn von den Erfolgen der deutschen Politik immensem Privatisierungstempo. Insgesamt werden gesprochen wird, meine lieben Kolleginnen und Kol- pro Tag durchschnittlich 20 Unternehmen privatisiert. legen, dann hat das doch nichts mit der Führungs- Damit sind Zusagen für Investitionen in Höhe von spitze dieser Regierung zu tun, sondern mit den rund 26,3 Milliarden DM und 260 000 Arbeitsplätze Millionen Menschen draußen, die mit härtester Arbeit verbunden. unter schwierigsten Bedingungen eine Lebenslei- Trotz vieler positiver Signale, trotz der Transferlei- stung erbringen, die uns nach außen als Staat effektiv stungen nach Ostdeutschland von rund 140 Milliar- gestaltet hat. Nur, diese Regierung wird dem nicht den DM allein im Jahre 1991 befindet sich die Wirt- gerecht. schaft in den neuen Bundesländern nach wie vor in Ich bitte Sie, daran mitzuwirken, vor allem nachdem einem schwierigen Anpassungsprozeß. Der wirklich ich in der „Financial Times" gelesen habe: „Chancel- schwierige Teil der Privatisierung steht noch aus. Bei lor Helmut Kohl behaves ever more as a unto strukturbestimmenden Betrieben ist die Zusammen- himself." Bitte üben Sie Ihre Kontrolle etwas ernsthaf- arbeit der Länder und der Treuhandanstalt zu verbes- ter aus, damit wir ein Europa der freiheitlichen Prin- sern. Erforderliche strukturpolitische Entscheidungen zipien und nicht nur der Institutionen bekommen, daß können nicht der Treuhand allein überlassen werden. wir wieder mehr Volksnähe statt Distanz zu den Nach wie vor gilt jedoch: Privatisierung ist der beste Menschen haben und vor allen Dingen auch, daß wir und kostengünstigste Weg zur Sanierung. wieder zu den alten Tugenden zurückkehren, die eine Aber nicht jeder sanierungsfähige Betrieb ist kurz- Entwicklung wie nach dem Krieg zu einem blühenden fristig zu privatisieren. Betriebe mit bestätigtem Gemeinwesen in Deutschland überhaupt erst ermög- Sanierungskonzept brauchen Zeit zur Umsetzung des licht haben. Konzeptes. Diese Zeit und die erforderliche Unterstüt- zung sollten ihnen gewährt werden. Neue Aufgaben erfordern neue Lösungswege. Kei- Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Nun er- nesfalls bedeutet dies aber eine Änderung des Treu- teile ich dem Abgeordneten Dr. Pohler das Wort. handgesetzes. Ein vernünftiges, neues Konzept wäre 6334 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 76. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Februar 1992

Dr. Hermann Pohler es z. B. unter Mitwirkung der Treuhandanstalt mit wiederholter eigener Investitionsvorschläge das Pro- Beteiligungsgesellschaften zu arbeiten. jekt immer wieder verzögern kann. Neue Wege sollen beispielsweise auch mit dem (Beifall bei der CDU/CSU) Sachsen-Fonds beschritten werden, der u. a. durch Nur auf diese Weise kann die Vorfahrtsregelung Gelder von Banken, Dienstleistungsunternehmen und tatsächlich enthemmend wirken. Jetzt stellt sie oft- der Industrie finanziert werden soll. Mit seiner Hilfe mals ein Investitionshemmnis dar. Sie wirkt sich sollen sanierungswürdige und sanierungsfähige Be- negativ auf Investitionen und in den Kommunen aus. triebe gekauft und nach erfolgreicher Sanierung In Leipzig können z. B. aus diesem Grund ganze gegebenenfalls weite rverkauft werden. Wesentlich Straßenzüge nicht bearbeitet werden. bei allen Lösungen ist, daß es sich nicht um Privatisie- Abschließend möchte ich etwas zum Steuerpaket rungen durch eine Staatsholding handelt. Die Unter- 1992 sagen, über das morgen im Bundesrat entschie- nehmen müssen vielmehr stets privatwirtschaftlich den wird. Zu Beginn hatte ich auf die steigende geführt werden. Produktion in den neuen Ländern hingewiesen. Wie Ich möchte in diesem Zusammenhang noch einige wir alle wissen, ist das Produktionsniveau in den Bemerkungen zur Vergabe der Hermes-Kredite neuen Ländern jedoch gering und sind die Steuerein- machen. Auf sie kann zur Aufrechterhaltung des nahmen also niedrig. Die neuen Bundesländer sind Osthandels in der jetzigen Situation nicht verzichtet auf den Fonds Deutsche Einheit angewiesen. Er war werden. Für viele Bet riebe in den neuen Ländern sind Kernstück des Vermittlungsergebnisses. Immerhin sie zur Existenzfrage geworden. Bei der Vergabe der bedeutet dies 31,3 Milliarden DM zusätzliche Finanz- begrenzten Mittel sollten jedoch verstärkt strukturbe- mittel für die neuen Bundesländer bis 1994. stimmende und sanierungsfähige Betriebe beteiligt Die SPD, die sich schon gegen die äußere Einheit werden. Ein tragbares Konzept zur Sanierung und gewandt hat, hat nun die Gelegenheit, zu zeigen, daß Erschließung neuer Märkte muß hier zur wesentli- sie die innere Einheit und die Herstellung gleicher chen Grundlage für den Erhalt der Bürgschaften Lebensverhältnisse wirklich will. werden. Es darf nicht sein, daß die Mittel zur Festi- (Franz Müntefering [SPD]: Nun machen Sie gung nichttragfähiger Strukturen genutzt werden. einmal einen Punkt!) Größtes Problem und größtes Hemmnis sind noch Nicht Worte, sondern Taten zählen. immer die ungeklärten Eigentumsverhältnisse. Die Danke schön. Erfahrungen, die ich in meinem Wahlkreis in Leipzig machte und die viele meiner Kollegen in gleicher oder (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) ähnlicher Form machen, zeigen: Bei der Klärung der offenen Vermögensfragen muß eingestanden werden, daß die Vorfahrtsregelung für investive Maßnahmen Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Ich erteile in der bestehenden Form nicht greift. Hier gibt es der Abgeordneten Anke Fuchs das Wort. deutlichen Handlungsbedarf. Nicht das Prinzip „Rückgabe vor Entschädigung" Anke Fuchs (Köln) (SPD): Herr Präsident! Meine ist falsch. Eigentum ist einer der wesentlichen Eck- Damen und Herren! Herr Grünbeck, auch ich bin pfeiler der Sozialen Marktwirtschaft. Dies gilt für die durch diese Debatte ein bißchen beunruhigt. Ich will Menschen in den neuen Bundesländern in besonderer in meinem kurzen Beitrag nicht das herausarbeiten, Weise. Jedoch mit nur ca. 2 000 Mitarbeitern in den worin wir einig sind, sondern will die grundsätzlich Vermögensämtern können die rund 1,2 Millionen unterschiedlichen Auffassungen erläutern. Vermögensanträge nicht entsprechend zügig bear- Es geht auch gar nicht darum, daß heute grau in beitet werden. Diese Personalknappheit in den Ver- grau gemalt worden sei, wie Sie sagten. Eine ganze mögensämtern muß endlich beseitigt werden. Hier Menge läuft phantastisch. Es gibt eine ganze Menge bedarf es weiterer Verwaltungshilfe oder auch an Zuversicht, und es gibt Signale, die positiv stim- Beschäftigung von Mitarbeitern auf Honorarbasis. men. Dennoch gibt es — das will ich an drei Beispielen Einen weiteren Zeitverzug können wir uns nicht klarmachen — in der Frage, wie wir die Übergangs- erlauben. zeit regeln können, eklatante Unterschiede zwischen Aber auch der Inhalt der Vorfahrtsregelung muß Ihnen und uns. verbessert werden. Der Vorschlag von Bundesjustiz- Der erste Teil ist die Frage der Eigentumsregelung. minister Kinkel, daß mit dem Gesetz zur Änderung des Das habe ich gerade eben wieder gehört. Da sind Sie Vermögensrechts die Vorfahrtsregelung bis Ende eben uneinsichtig. Da machen Sie eben wieder ein 1995 verlängert werden soll, ist zu begrüßen. falsches Gesetz: Wir Sozialdemokraten sagen: Von Beginn an war es falsch, den Grundsatz „Rückgabe Noch wichtiger ist aber, daß der Investor, dem das vor Entschädigung" zu installieren. Daran krankt die Grundstück zugewiesen wurde, schneller Klarheit ganze Investitionsarbeit im Osten. erhalten muß. Es ist richtig, daß sich der Alteigentü- mer innerhalb kurzer Zeit zu entscheiden hat, ob er (Franz Müntefering [SPD]: Das ist leider gegen die Maßnahme einstweiligen Rechtsschutz wahr! — Beifall bei der SPD) beantragen will oder nicht. Richtig ist auch, daß er sich Der zweite Teil ist die Industriepolitik. Ich weiß, in einer Frist von zwei Wochen mit allen Argumenten Herr Möllemann mag nicht einmal das Wort in den gegen das Investitionsvorhaben gewendet haben Mund nehmen. Aber der Kern ist doch nicht, daß wir in muß. Es kann nicht angehen, daß der Alteigentümer der Sozialen Marktwirtschaft viele neue Unterneh- durch stetes Nachschieben neuer Einwendungen oder men wollen, weil wir wissen, daß es damit neue Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 76. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Februar 1992 6335

Anke Fuchs (Köln) Arbeitsplätze gäbe, Gewinne gäbe usw., sondern der wollen, machen Sie es zu kurz und zu knapp und zu Kern ist, daß wir nicht zulassen dürfen, daß der Osten eng. Wie man in dieser Zeit, bei einer stagnierenden Deutschlands entindustrialisiert wird. Entwicklung, auf die Idee kommen kann, im Westen die Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen zu kürzen, ist (Zuruf von der CDU/CSU: Das wollen wir ja mir unbegreiflich. Hier müßte jetzt eigentlich im nicht!) Westen wie im Osten geklotzt werden. Statt dessen Wer das nicht will, muß Industriepolitik betreiben, wird eingeschränkt, wo immer man es nur kann. meine Damen und Herren. Das ist heute morgen Dabei steht in allen Berichten folgendes — dabei erläutert worden. Das ist der Kernansatz, bei dem Sie nehme ich FDP-Ideologie auf —: falsch liegen. (Jürgen W. Möllemann [FDP]: Gedankengut, (Beifall bei der SPD) nicht Ideologie!) Noch so viel Mittelstandspolitik, alle Förderungsin- Es muß doch eine Brücke da sein. Wir wissen, daß wir strumente, zu denen wir stehen und die wir begrüßen, mit Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen, mit Umschu- werden nichts nützen. Der Industriestandort frühere lung, mit Fortbildung, auch mit Kurzarbeitergeld, mit DDR wird kaputtgehen, wenn Sie nicht endlich auf Altersruhegeld einen Teil der Arbeitslosigkeit haben unsere Vorschläge einer vernünftigen Industriepolitik auffangen können. Dann muß man doch sagen: Wenn eingehen. das so ist und wenn sich das heute als eins der Dann gibt es einen großen Unterschied. Ich gebe zu, wichtigsten Instrumente herausstellt, dann muß man Graf Lambsdorff hat das Wort „Arbeitslosigkeit" in doch diese Ins trumente so ausbauen, daß sie noch den Mund genommen. Alle anderen haben achsel- mehr tragen, und man darf nicht ganz schnell wieder zuckend zur Kenntnis genommen, daß wir mehr als auf die Idee kommen, zu fragen: Wie können wir es einschränken? Diese Hü-und-hott-Politik macht das 3,5 Millionen Menschen ohne Arbeit haben. Ich sage Ihnen: Es wird unerträglich für die demokratische Ganze doch kaputt. Entwicklung, wenn wir das einfach so hinnehmen. Ich (Beifall bei der SPD) weiß, daß Wirtschaftspolitiker immer wieder gesagt Deswegen liegen Sie auch falsch, Herr Möllemann, haben, die Arbeitslosigkeit sei die Restgröße einer wenn Sie sagen: auf sechs Monate begrenzen. Das wirtschaftlichen Entwicklung, und die hätten wir zeigt ebenfalls, daß Sie nicht ganz begriffen haben, hinzunehmen. Ich meine, es kann nicht angehen, daß was diese ganzen Maßnahmen bedeuten. wir sozusagen tatenlos zuschauen, wie 3,5 Millionen Männer und Frauen nicht in der Lage sind, durch (Jürgen W. Möllemann [FDP]: Wann kom Arbeit ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Auch hier men denn jetzt Ihre Vorschläge?) sind Sie mit allem, was Sie an Arbeitsmarktmaßnah- — Unser Vorschlag ist, nicht auf sechs Monate zu men anbieten, viel zu kurz gesprungen. begrenzen. Unser Vorschlag ist, eher daran zu den- (Beifall bei der SPD) ken, wie man qualitativ etwas machen kann, wie man - Umschulung und Fortbildung hineinnimmt. Da geht es um Menschen, nicht nur im Osten. (Jürgen W. Möllemann [FDP]: Aber das kann (Josef Grünbeck [FDP]: Wer ist tatenlos? doch nicht alles sein!) Niemand ist tatenlos!) Man muß aber auch ganz knallhart sagen: Solange wir Herr Glos, Sie haben so schön geschrieben, „es geht andere Arbeitsplätze nicht anzubieten haben, werden uns glänzend", „zehn Jahre Aufschwung", „oh, wie ganz normale Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen im ist alles schön". Das ist die eine Seite der Realität. Die größtmöglichen Maß angeboten. andere Seite der Realität — das hat etwas mit Ihrer Politik zu tun — ist, daß wir auch im Westen zuneh- (Jürgen W. Möllemann [FDP]: Das machen mende Armut haben, daß wir im Westen Langzeitar- wir doch alles schon!) beitslosigkeit haben, daß wir im Westen Wohnungs- Denn wir wissen doch auch: In den neuen fünf not haben. Deswegen bedeutet eine Politik, bei der Bundesländern liegt die Arbeit geradezu auf der Sie sagen: „ihr kleinen Leute, verzichtet nun mal, Straße. Es gibt so viel zu tun, daß es sinnvoller ist, die indem ihr durch größere Preise über Mehrwertsteu- Arbeit über Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen zu orga- ererhöhung noch mehr gebeutelt werdet, damit es im nisieren, als daß wir die Leute zu Hause sitzen lassen Osten besser geht", eine verteilungspolitische Schief- und den Anschluß an die Gemeinschaft verlieren lage. Deswegen müssen wir bedenken, daß es nicht lassen. nur um Ost und West geht, sondern auch um die Bekämpfung des Unterschieds von arm und reich. Wir (Beifall bei der SPD — Jürgen W. Möllemann Sozialdemokraten bleiben bei dem Wort: Wir wollen [FDP]: Das machen wir doch alles!) eine solidarische Gesellschaft und keine Ellenbogen- — Nein, Sie wollen sie jetzt auf sechs Monate gesellschaft aufbauen. beschränken. Daran sehen Sie, daß das auch ein (Beifall bei der SPD) qualitatives Element hat, auf das ich in dieser Frage hingewiesen haben wollte. Der dritte Punkt, bei dem Sie zu kurz springen, ist die Arbeitsmarktpolitik. Ich weiß ja, daß das alles für (Jürgen W. Möllemann [FDP]: Das ist per den Wirtschaftsminister schwierig ist. Er hat da lernen Gesetz auf sechs Monate beschränkt!) müssen. Ich verstehe auch, daß Sie einiges von uns Graf Lambsdorff hat recht bei dem, was er zu den übernommen haben. Aber immer dann, wenn Sie Fünfzigjährigen sagte: Es kann auf die Dauer nicht so etwas übernehmen, obwohl Sie es eigentlich nicht sein, daß wir ihnen einen schäbigen Altersruhestand 6336 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 76. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Februar 1992

Anke Fuchs (Köln) anbieten, und das war es dann. Ich sage noch einmal: Michael Glos (CDU/CSU): Frau Kollegin Fuchs, ich Der Anstieg der Arbeitslosigkeit ist zu zwei Drittel zu würde Sie gerne fragen, ob Sie hier in der Debatte Lasten der Frauen gegangen. Ich denke, wir müssen jemandem von uns unterstellt haben, daß wir auf die alle Möglichkeiten nutzen, so schwierig das ist Dauer niedrige Löhne gefordert hätten. Es klingt — auch durch Ausfahren der Arbeitsbeschaffungs- gerade so in Ihrer Erwiderung. maßnahmen, auch durch die Überlegung, wie wir die Frauen im Arbeitsprozeß belassen können —, damit (Köln) (SPD): Ja, das haben Sie alle sie nicht die Verlierer der jetzigen Entwicklung Anke Fuchs gefordert: nur mäßige Lohnabschlüsse, oder Mölle- sind. mann sagte: nur 4 % — damit hat er nämlich die 6 % Deswegen sage ich Ihnen: Der dritte Punkt, bei dem erst provoziert; das hat er immer noch nicht begrif- Sie schiefliegen — neben der Eigentumsideologie, fen. neben der mangelnden Industriepolitik —, betrifft (Michael Glos [CDU/CSU]: Sie haben gesagt: den Arbeitsmarkt und die Chancen, die die Arbeits- auf die Dauer niedrige Löhne!) marktpolitik heute bietet. Überall wird gesagt, wenn es schwierig wird, sollen Ich will auf das eingehen, was heute in der Debatte die Gewerkschaften Zurückhaltung üben. schon anklang. Es war wieder das alte Strickmuster: Die Regierung macht alles richtig, den Menschen geht (Josef Grünbeck [FDP]: Niemand hat das so es eigentlich insgesamt gut, wer auf die Probleme gesagt!) hinweist, ist ein Schwarzmaler, und wenn es Probleme — Überall steht: maßvolle Lohnabschlüsse, eigentlich gibt, haben die anderen, nämlich die Gewerkschaf- ist das viel zu hoch. Herr Möllemann hat gesagt: nicht ten, schuld. mehr als 4 %. Das haben Sie alle so gesagt. (Jürgen W. Möllemann [FDP]: Das haben wir Wenn Sie mir jetzt zustimmen, bitte ich auch um nicht gesagt! — Josef Grünbeck [FDP]: Wer Beifall, wenn ich sage: hat das denn gesagt?) (Beifall bei der SPD) Das kennen wir ja auch: Lohnerhöhungen sind Wir haben Tarifautonomie. Wir trauen den Gewerk- immer falsch. schaften und den Arbeitgebern zu, daß sie wie in der (Josef Grünbeck [FDP]: Nicht Lohnerhöhun Vergangenheit verantwortungsbewußt Tarifverträge gen, sondern zu starke Lohnerhöhungen! abschließen. Dann ist das Thema erledigt. Dann Das ist doch ein Unterschied, Frau Kolle müssen Sie jetzt aber klatschen. — Das tun Sie gin!) nicht. Entweder wird die Konjunktur abgebrochen oder sie wird angeheizt. Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Der Abge- Deswegen möchte ich aus sozialdemokratischer ordnete Möllemann kann auch deswegen nicht klat- Sicht einmal ganz deutlich sagen, Herr Möllemann: schen, weil er Ihnen eine Frage stellen möchte. - Ich weiß, daß die Arbeitnehmer, ihre Betriebsräte und Vielleicht wollen Sie sie auch beantworten. ihre Gewerkschaften die Betriebe sehr gut kennen. Sie kennen auch die Branchen, und sie kennen die (Köln) (SPD): Ja. gesamten ökonomischen Probleme. Denen vertraue Anke Fuchs ich sehr viel mehr als Ihren Aussprüchen zur Tarif- autonomie, meine Damen und Herren. Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Bitte (Beifall bei der SPD) sehr. Das war immer ein schwieriges Problem. Zuzugeben ist, daß Löhne auch Kosten sind. Aber Jürgen W. Möllemann (FDP): Frau Kollegin Fuchs, Löhne sind auch Kaufkraft. Wenn Sie den Menschen mich würde in diesem Zusammenhang interessieren, auf Dauer niedrige Löhne verpassen, dann können sie wie Sie die Anregung der geschätzten Kollegin Frau die Produkte nicht kaufen. Ein Teil unseres wirtschaft- Simonis bewerten, für den öffentlichen Dienst einen lichen Erfolges liegt auch daran, daß wir mit guten Abschluß mit nicht mehr als einer 3 vor dem Komma Löhnen gute Produkte haben kaufen können. Deswe- anzustreben, gen bedenken Sie bitte immer, daß Löhne auch (Dr. Willfried Penner [SPD]: Sie ist Vertrete kaufkraftorientiert gezahlt werden müssen und des- rin der Arbeitgeber!) wegen nicht nur des Teufels sind. und wie Sie den diesbezüglichen Vorschlag von Nun sage ich dazu: , der Ihnen ja ebenfalls noch bekannt ist, bewerten, nunmehr eine reale Nullrunde für diesen Bereich vorzusehen. Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Sind Sie, bevor Sie das sagen, bereit, eine Frage zu beantwor- (Zuruf von der CDU/CSU: Zwei Jahre!) ten? — Er hat sogar gesagt: für zwei Jahre; Sie haben recht. Da das ja beides ausgewiesene Sozialdemokraten (Köln) (SPD): Ja, bitte sehr. Anke Fuchs sind, deren Sachverstand jedenfalls Sie nicht in Zwei- fel ziehen werden, ist es denn aus Ihrer Sicht so fatal, Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Bitte sehr, wenn der ehemalige Bundeskanzler und eine amtie- Herr Abgeordneter Glos. rende Finanzministerin das gleiche sagen wie der Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 76. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Februar 1992 6337

Jürgen W. Möllemann Bundeswirtschaftsminister, der nur etwas großzügiger Herr Präsident, jetzt lasse ich eine Frage zu. gewesen ist? (Michael Glos [CDU/CSU]: Dabei waren sich Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Jetzt wol- Schmidt und Simonis nie einig!) len wir die Frage noch zulassen. Dann würde ich aber bitten, so langsam mit der Fragerei aufzuhören; sonst ist die Zeit zur Beantwortung von Fragen länger als die Anke Fuchs (Köln) (SPD): Ich bleibe dabei: Wir eigentliche Redezeit. haben Tarifautonomie. Wer immer sich äußert, muß Herr Abgeordneter Glos, bitte. wissen, daß er damit eher höhere Abschlüsse provo- ziert als niedrigere. Michael Glos (CDU/CSU): Frau Kollegin Fuchs, da Nun komme ich zur Tarifrunde im öffentlichen ich die Frau Landesministerin Simonis aus ihrer Zeit Dienst. Frau Simonis, meine gute Parteifreundin, ist in im Haushaltsausschuß als eine äußerst sachkundige diesem Rahmen Arbeitgeberin; das ist doch völlig klar und engagierte Kollegin, die alles, was sie betrieben und logisch. Sie spielt die schwierige Rolle, mit wenig hat, mit großer Ernsthaftigkeit getan hat, kenne, Geld einen Tarifabschluß hinzubekommen, der in erlaube ich mir, Sie zu fragen, ob Sie ihre Verhand- etwa dem entspricht, was sie einbringen kann. Ich lungsführung als eine Art Spiel, als eine Art Kuhhan- finde, das ist eine Rolle, die völlig in Ordnung ist. del, bei dem man mit Angeboten kommt, die niemand akzeptieren kann, darstellen wollen? (Beifall bei der SPD) (Franz Müntefering [SPD]: Was soll denn Aber wenn die Arbeitnehmer des öffentlichen das? Das ist doch billig!) Dienstes dank Ihrer Verschuldenspolitik inflationsbe- dingt hohe Zinsen zahlen müssen, wenn eine Abga- Denn Sie haben es hier als einen eigentlich ganz benhöhe da ist, die so hoch ist wie lange nicht, und normalen Vorgang bezeichnet, wenn sie mit so nied- wenn sie mehr Steuern zahlen müssen, dann ist es rigen Angeboten einsteigt. doch völlig klar, daß die für den öffentlichen Dienst zuständige Gewerkschaft die Interessen ihrer Arbeit- Anke Fuchs (Köln) (SPD): Das ist auch normal, und nehmer vertreten muß. Solange Sie nicht in der Lage das ist Ihre Rolle. Ich habe nicht von „Spiel", sondern sind, auf eine Senkung der Unternehmensteuern zu von „Rolle" gesprochen. Sie verstehen nicht, wie in verzichten, kann ich es den Menschen im öffentlichen Betrieben in der organisierten Arbeitnehmerschaft Dienst nicht verdenken, wenn auch sie ihren Anteil an Forderungen aufgestellt werden. Das ist ein langer der wirtschaftlichen Entwicklung haben wollen, Prozeß, in dem eine ganze Menge Betrachtungen meine Damen und Herren. angestellt werden, z. B. auch Betrachtungen über Hinzu kommt folgendes: Ich denke, wir sind uns Flexibilität und Arbeitszeit. Wir haben in unseren darin einig, daß wir aufpassen müssen, daß wir den Betrieben die längsten Maschinenlaufzeiten und die öffentlichen Dienst nicht global beschimpfen. kürzeste Arbeitszeit. Das heißt, alles, was wir unter dem Stichwort Wettbewerbsfähigkeit diskutieren, ist (Beifall bei Abgeordneten der SPD) ja in der Realität der Betriebe ganz anders, als es hier Denn in den letzten Jahren — das will ich einmal in den abstrakten Debatten manchmal zum Vorschein sagen — haben, soweit ich es beurteilen kann, sehr kommt. Frau Simonis muß das gewichten; es ist eine viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des öffentli- schwierige Aufgabe. Aber ich sage noch einmal: Es chen Dienstes eine überproportionale Leistung wäre völlig falsch, wenn man in dieser Situation den erbracht, was die Einigung der beiden deutschen Eindruck erweckte, als ob es nicht berechtigte Inter- Staaten anbelangt. Da gab es viel zusätzliches Enga- essen der Arbeitnehmerschaft, auch der im öffentli- gement; chen Dienst, gäbe, die in Tarifverhandlungen einzu- (Jürgen W. Möllemann [FDP]: Das bestreite bringen sind. ich auch nicht! Das ist ja richtig! Das finde (Beifall bei der SPD) auch ich!) Mein letzter Gedanke ist, meine Damen und Herren da gab es viel zusätzliche Arbeit. Ich sehe überhaupt — ich habe zu Wettbewerbsfähigkeit und Standortfra- nicht ein, meine Damen und Herren, wenn jetzt so gen schon etwas gesagt, ich glaube, der Kollege Roth getan wird, als ob sich ihre Interessenvertretung nach hat zu Recht darauf hingewiesen —: Die Wettbe- einer konservativen Steuerpolitik zu richten hätte. werbsfähigkeit wird immer dann in Frage gestellt, wenn es einmal wieder um die Forderung nach (Jürgen W. Möllemann [FDP]: Diese Angriffe Steuersenkungen geht oder um die Forderung nach auf Schmidt weise ich zurück!) Lohnzurückhaltung der Gewerkschaften. Deswegen unterstütze ich die Rollenverteilung. Ich (Jürgen W. Möllemann [FDP]: Hat der Roth finde auch, der Ministerpräsident — er ist nicht mehr nicht gesagt!) da — hat unrecht, wenn er sagt, die Arbeitnehmer im öffentlichen Dienst im Osten sollten auf Einkommen Wettbewerbsfähigkeit heißt doch: die Infrastruktur verzichten. beachten, d. h. Schule, d. h. Hochschule, d. h. Ver- kehrspolitik und d. h. Verläßlichkeit in der Politik, die (Abg. Michael Glos [CDU/CSU] meldet sich die Unternehmen brauchen, z. B. in der Umweltpoli- zu einer Zwischenfrage) tik. Daß es da Probleme gibt und daß man darüber Ich komme wieder zu meinem Nachfrageinstru- miteinander im Gespräch sein muß, das, glaube ich, ment und sage noch einmal: 10 % der dort beschlos- werden wir alle miteinander gerne wollen. Deswegen senen Tariferhöhungen kommen über Steuern wieder fasse ich meinen Diskussionsbeitrag so zusammen herein. und sage: Ich bedauere, daß wir in den drei ideologi- 6338 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 76. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Februar 1992

Anke Fuchs (Köln) schen Blockaden mit Ihnen nicht weiterkommen. Ich Ich selber habe mit großer Freude im Unterneh- mahne uns alle, daran zu denken, mensteil gelesen, daß es die berühmte Gruppe des (Zuruf von der CDU/CSU) Beamtenheimstättenwerks in Hameln gibt. Diese Gesellschaft streicht 700 Arbeitsplätze. Die Begrün- was es für die Zuversicht in eine demokratische dung ist ganz gut, die Anteilseigner dieser Gesell- Entwicklung bedeutet, wenn nach dieser Debatte die schaft — das sind der Deutsche Gewerkschaftsbund 3,5 Millionen arbeitslosen Menschen den sicheren und der Deutsche Beamtenbund — Eindruck haben müssen: Es bleibt so wie es ist; die Regierung beschönigt alles. — Das kann nicht ihre (Zurufe von der CDU/CSU und der FDP: Antwort sein, meine Damen und Herren. Hört! Hört!) (Beifall bei der SPD — Jürgen W. Möllemann wünschen nämlich eine Verbesserung der Ertrags- [FDP]: Nein, das tun wir nicht!) lage. (Wolfgang Roth [SPD]: Das ist doch auch ihre Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Das Wort Aufgabe!) hat der Abgeordnete Friedhelm Ost. — Das ist ja richtig. Nur, diese Bausparkasse war in Ihrem Sinne ganz fortschrittlich, so fortschrittlich, daß sie die 35-Stunden-Woche eingeführt hat in der Hoff- Friedhelm Ost (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine nung, daß andere die Regelung auch übernehmen. Sie Damen und Herren! Die Arbeitsteilung bei den Freun- kann sie jetzt nicht halten und muß 700 Leute entlas- den der SPD war ja sehr interess an t. Der Kollege Klose sen. Dies zeigt, glaube ich, sehr deutlich — an einem, als Kolumbus der Ökonomie kleinen Beispiel, aber die praktischen Beispiele sind (Zuruf von der CDU/CSU: Na, mit „Freun die besten —, daß in der Tat die Erträge von heute die den" wäre ich noch vorsichtig!) Investitionen von morgen und auch die Arbeitsplätze mit großen Zeitzeugen. Ich hoffe, daß das „Handels- von morgen und die Einkommen von übermorgen blatt" für die SPD jetzt zur Tageslektüre wird und daß sind und daß es wenig bringt, wenn wir weiter solche sie sich nicht nur an einem Artikel aus dem Januar Parolen hören wie „Verteilung von unten nach dieses Jahres von Hans Mundorf, sondern an all den oben" . Weisheiten orientiert, die Hans Mundorf sonst in der Wenn man sich die variantenreiche Ablehnung des Steuer-, Finanz-, Wirtschafts-, Sozial- und Umwelt- Steueränderungsgesetzes durch die SPD vor Augen schutzpolitik von sich gibt. Dies hat etwas mit dem führt, so hat man bei der Begründung bisweilen den „Kursbuch" des DGB zu tun. Das habe ich schon Eindruck, daß Sie immer noch so etwas wie Nostalgie gemerkt und auch zu dem Standort Deutschland in bezug auf den Sozialismus haben. Sie schüren angemerkt. Hier gibt es Nachholbedarf, nachdem Angst und Neidkomplexe, Sie machen Front gegen man bei der Diskussion über Arbeitszeitgestaltung sinnvolle steuerpolitische Maßnahmen zur Förderung Verwirrung gestiftet hat. Herr Kollege Roth, das war von Investitionen und zur Schaffung von Arbeitsplät- ein Versuch, endgültig ein Konkurrent zum- Weltöko- zen, vor allem auch von betrieblichen Investitionen im nomen Schmidt zu werden. Mittelstand, fordern zugleich für alles und jedes mehr (Michael Glos [CDU/CSU]: Aber ein mißlun Geld, rufen dann, aufgeschreckt durch Frau Mat- gener Versuch!) thäus-Maier, immer nach mehr Konsolidierung des Lieber Herr Kollege Roth, es war nachher sehr schwer, Bundeshaushalts, verlangen aber zugleich wieder vor allem bei der Interpretation der großen Kapital- eine Aufstockung großartiger Hilfen und sagen nicht, markt- und Zinspolitik. Da war es doch mehr der wie dies bezahlt werden soll, verweigern aber die Hackethal der Wirtschaftspolitik, den wir hier gehört Zustimmung zum Steueränderungsgesetz. haben. (Dr. Albert Probst [CDU/CSU]: Das nennen Frau Kollegin Fuchs, ich gebe Ihnen recht, es geht sie einen klaren Standpunkt!) hier nicht um Schwarzweißmalerei oder um Rechtha- Ich sage Ihnen: Die SPD ist in der Tat ein Sicherheits- berei. Natürlich ist die soziale Marktwirtschaft wie risiko für die Konjunktur, für die Beschäftigung und keine andere Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung für den Aufschwung in den neuen Ländern gewor- fähig, weil sie keine Ideologie ist, sich dynamisch den. anzupassen, neue Dinge aufzunehmen. Nur sage ich (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Ihnen auch bei Ihrem großen Vertrauen in die Tarif- Wolfgang Roth [SPD]: Beifall bei dreien von partner — das haben wir ja alle —, es war kein fünfzig! ) geringerer als Helmut Schmidt, der Null-Runden gefordert hat. Die rasche Verabschiedung des Steueränderungs- gesetzes hätte positive Wirkungen auf die Konjunk- (Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Der irrt auch tur. manchmal, Herr Kollege!) — Das kann ja sein. Ich hoffe, daß Sie ihm das auch (Widerspruch der Abg. Anke Fuchs [Köln] selber sagen. Aber ich denke auch, daß der Wirt- [SPD]) schafts- und auch andere Minister, die Verantwortung — Doch. — Eine Solidaritätsabgabe würde — das muß für die Wirtschaftspolitik, für die wirtschaftliche Ent- man sehr deutlich sagen — die Leistung gerade der- wicklung tragen, ein Recht haben, sich in die Diskus- jenigen einschränken, die viel Leistung erbringen, sion einzuschalten. Sie haben doch nach konzertierter nicht nur der reichen Leute — Herr Penner, deswegen Aktion gerufen. war ein großer Freund rufen Sie jetzt „Ja" —, sondern auch der Facharbeiter von Lohnleitlinien. und der Meister, der tüchtigen Ingenieure. Eine Ver- Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 76. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Februar 1992 6339

Friedhelm Ost abschiedung des Steueränderungsgesetzes hätte in Der Schnelle Brüter, der Hochtemperaturreaktor: All der Tat eine Erhöhung des Kindergeldes zur Folge. dies sind Zukunftstechnologien. Sie, die Sozialdemokraten, waren ja ein großer Ver- (Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Wollen Sie die fechter der Kaufkrafttheorie. Sie ist etwas angestaubt, Kohle abschaffen?) aber ein höheres Kindergeld mag ja noch die Kauf- kraft stärken. — Nein; ich komme gleich noch auf die Kohle zu sprechen. — Schauen Sie sich die Konzeptionslosig- (Dr. Willfried Penner [SPD]: Das setzt aber keit Nordrhein-Westfalens in der Strukturpolitik an! Kinder voraus!) Schauen Sie sich die Bildungs- und Schulpolitik an! Die SPD selber ist ja mit dem Kultusminister nicht Selbst die Bauförderung würde noch verbessert mit zufrieden. Nur beim Denkmalschutz, insbesondere in der Folge, daß die Konjunktur weiter gestärkt bezug auf neuzeitliche Industriedenkmäler, entfaltet würde. sich gewaltige sozialdemokratische Dynamik in Nord- Sie sind in der Tat diejenigen, die hier immer rhein-Westfalen. Ich sage Ihnen: Mit einer solchen Solidarität anmahnen, aber Sie sind unsolidarisch mit Museumspolitik können wir in der Tat nicht der den Menschen in Ostdeutschland. Mit der Beschwö- moderne Standort Deutschl and bleiben. rung von Krisen und Katastrophen kommen wir in der (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Tat nicht weiter. Ich sage Ihnen auch ganz deutlich: Dr. Willfried Penner [SPD]: Witz komm 'raus! Ich bin der Meinung — darin stimme ich sogar der Du bist umzingelt!) Analyse des DGB voll zu —, der Wirtschaftsstandort Deutschland ist ein guter Standort. Was wichtig für die Zukunft ist — darauf könnten wir uns vielleicht alle verständigen —: Die Quelle (Beifall bei der CDU/CSU) unseres Wohlstandes, die Quelle für die Beschäfti- gung und für wirtschaftliches Wachstum ist unsere — Sie können alle klatschen. — Sie können das ja Produktivität. Dazu müssen wir — auch Sie — in der nachvollziehen an Hand der vom DGB vorgelegten Tat vergessen, was Karl Marx einmal über das Kapital Daten und Fakten. — Lieber Herr Kollege Schwan- geschrieben hat. Das hat das Kapital sozusagen in hold, Sie können das ja nachvollziehen und nachle- Verruf gebracht. sen. (Dr. Elke Leonhard-Schmid [SPD]: Haben Der Wirtschaftsstandort Deutschland ist deshalb Sie es überhaupt gelesen?) ein guter Standort, weil in den 80er Jahren die — Sie sind Spezialistin, Frau Kollegin. Ich weiß das. Standortfaktoren durch eine konsequente Politik der Revitalisierung der Sozialen Marktwirtschaft nach- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) haltig verbessert worden sind. Ich sage Ihnen: Die Wir brauchen Humankapital. Wir müssen mit die- Revitalisierung der Sozialen Marktwirtschaft muß - sem Humankapital pfleglich umgehen und es gut fortgesetzt werden, weil — das sehen Sie übrigens bei qualifizieren. Wir müssen es gut einsetzen und auch jeder Olympiade und bei jeder Weltmeisterschaft und nutzen. bei jedem Europapokal — auch die Konkurrenten besser geworden sind. Österreich und Frankreich und (Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Und nicht arbeits auch andere sozialistisch oder sozialdemokratisch los zu Hause sitzen lassen!) regierte Länder haben gemerkt, daß man die Rahmen- — Ich bin ganz Ihrer Meinung: Wenig Arbeitslosigkeit bedingungen kontinuierlich verbessern muß, wenn oder Vollbeschäftigung muß unser Ziel sein, und zwar man für Wachstum, Wettbewerb, Beschäftigung und Vollbeschäftigung von gut qualifizierten Menschen. Einkommen sorgen will. Mit einer Puppenstubenstra- tegie, wie sie von einigen SPD-Politikern in der Tat Sie haben völlig recht: Wir brauchen für die Phase empfohlen oder wie sie in einigen SPD-regierten des Übergangs gewaltige Anstrengungen. Sie werden Ländern inzwischen auch betrieben wird, können wir auch gemacht. Sie sind sogar verstärkt worden. Wir weder im Europapokal noch bei der Weltmeisterschaft brauchen Investitionskapital. Investitionskapital fällt einen Titel holen. nicht vom Himmel. Es gibt auch nicht irgendwo eine Quelle, sondern es muß erbracht werden. Es muß Schauen Sie sich einmal Nordrhein-Westfalen an, verdient werden. Deswegen sage ich Ihnen nochmals, das ja schon etwas zu lange von der SPD regiert was Karl Schiller Ihnen vor langer, langer Zeit, auf wird. dem Bonner SPD-Parteitag, gesagt hat: Erträge sind in der Tat notwendig für Investitionen und Arbeitsplätze. (Michael Glos [CDU/CSU]: Viel zu lange!) Nehmen Sie deswegen Abschied von Ihrer Ideolo- gie, — Es wird schlecht verwaltet, nichts gegen den öffentlichen Dienst, aber gegen die Landesregierung. (Dr. Elke Leonhard-Schmid [SPD]: Haben — Dort wird der Ausstieg aus modernster zukunfts- wir schon längst!) trächtiger Technologie praktiziert. Herr Klose hat es auch bei der Steuerpolitik. Wir sind nach wie vor ein angemahnt; auch Herr Kollege Roth hat es doch Hochsteuerland und ein Hochlohnland. Wir müssen angemahnt, etwa im Energiebereich. Sie haben doch davon herunter. Freunden Sie sich endlich damit an, auch die Umweltkrise hier mit beschworen. damit mehr Erträge und mehr Arbeitsplätze kommen und wir weniger Arbeitslose haben. (Michael Glos [CDU/CSU]: Und verur sacht!) (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) 6340 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 76. Sitzung, Bonn, Donnerstag, den 13. Februar 1992

Friedhelm Ost Wenn Sie den Jahreswirtschaftsbericht sehr aufmerk- wie der Jahreswirtschaftsbericht überwiesen wer- sam lesen, finden Sie gute Anregungen. Es ist ein den. verläßliches Kursbuch, das in einem zweifellos Das Haus ist damit einverstanden? — Das ist offen- schwierigen internationalen Fahrwasser Zukunfts- sichtlich der Fall. Dann ist das so beschlossen. orientierung vermittelt. Wir kommen nunmehr zur Abstimmung über die Ich komme gerne noch auf die Energiepolitik Beschlußempfehlung des Ausschusses für Wirtschaft zurück, Frau Kollegin Fuchs. Ich glaube, wir brauchen auf Drucksache 12/1521. Der Ausschuß für Wirtschaft angesichts der dramatischen Veränderungen in der empfiehlt unter Nr. I seiner Beschlußempfehlung, den letzten Zeit in Mittel- und Osteuropa in der Tat einen Entschließungsantrag der Fraktion der SPD auf neuen Konsens über Kohle, Kernenergie und soweit Drucksache 12/377 abzulehnen. Wer dieser Beschluß- wie möglich regenerative Energien. Wenn Sie mög- empfehlung, den SPD-Antrag abzulehnen, zuzustim- lichst bald aussteigen wollen, tun Sie so, als ob Sie men wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — ganz alleine auf einer Insel sitzen. Tschernobyl kann Wer stimmt dagegen? — Dann ist dieser Beschluß- jeden Tag wieder passieren, 18mal, mit schrecklichen empfehlung mit der Mehrheit des Hauses gefolgt Dimensionen. Sie übernehmen überhaupt keine Ver- worden. antwortung. Sie müßten sagen: einsteigen statt aus- Der Ausschuß für Wirtschaft empfiehlt unter Nr. II, steigen. den Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU/ (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge CSU und FDP auf Drucksache 12/391 anzunehmen. ordneten der FDP) Wer dieser Beschlußempfehlung zuzustimmen Aber wahrscheinlich sind Sie unbelehrbar. wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer Deutschland steht vor großen Herausforderungen, stimmt dagegen? — Dann ist diese Beschlußempfeh- lung mit der gleichen Mehrheit angenommen wor- die wir mit gewaltigen Anstrengungen, insbesondere den. auch mit dem Mut zu Innovationen auf allen Feldern anpacken müssen, nicht nur im Bereich der Techno- Meine Damen und Herren, wir stimmen jetzt noch logie. Das gebe ich Ihnen zu. Das ist ein Feld von über die Beschlußempfehlung des Ausschusses für vielen. Wir brauchen Chips und Grips. Wir brauchen Wirtschaft auf Drucksache 12/1840 ab. Der Ausschuß auch soziale Innovationen. empfiehlt, den Antrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 12/670 abzulehnen. Wer stimmt für diese (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Beschlußempfehlung? — Wer stimmt dagegen? — Wir dürfen uns nicht selbst die Zukunftschancen Dann ist diese Beschlußempfehlung mit der gleichen verbauen, sondern müssen jetzt den Kurs der Revita- Mehrheit angenommen worden. lisierung der Sozialen Marktwirtschaft bei uns sehr konsequent fortsetzen, um weitere wirkliche Fort- schritte im Umweltschutz, im Sozialbereich, beim Meine Damen und Herren, damit kommen wir zu Punkt 2 unserer heutigen Tagesordnung: Wohlstand für alle und vor allem auch bei der notwen- - digen Hilfe für unsere Nachbarn in Mittel- und Ost- Fragestunde europa, aber auch für die Entwicklungsländer zu — Drucksache 12/2051 — verdienen. Wenn wir hier weiter ertragreich wirt- Ich rufe zunächst einmal den Geschäftsbereich des schaften, wenn wir hier ein hohes Maß an Beschäfti- Herrn Bundeskanzlers und des Bundeskanzleramtes gung haben, werden wir auch genug Mittel erwirt- auf. Hier steht uns Staatsminister Schmidbauer zur schaften können, um den Nachbarn in Europa und Beantwortung der Fragen zur Verfügung. den Entwicklungsländern helfen zu können. Wir wer- den dann unter einem anderen Aspekt die zweifellos Die erste Frage dieses Geschäftsbereichs ist die kräftig gestiegenen Auslandsinvestitionen diskutie- Frage 17 des Abgeordneten Bury. ren. Herr Staatsminister, Sie haben das Wort. Vielen herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Bernd Schmidbauer, Staatsminister beim Bundes- kanzler: Herr Präsident, ich möchte die Fragen 17, 18, 50, 58, 59, 93 und 94, wenn das Hohe Haus damit Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Meine einverstanden ist, im Zusammenhang beantworten. Damen und Herren, damit sind wir am Ende der Denn ich gehe davon aus, daß sich alle Fragen auf ein Aussprache. und denselben Komplex beziehen und daß es besser Der Jahreswirtschaftsbericht 1992 und das Jahres- wäre, wenn vorab einige allgemeine Hinweise ermög- licht würden. gutachten 1991/92 — sie liegen auf den Drucksachen 12/2018 und 12/1618 vor — sollen an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse überwiesen Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Herr Ab- werden. Abweichend von der Tagesordnung soll der geordneter Bury, wären Sie mit dem Verfahren ein- Jahreswirtschaftsbericht nicht dem Ausschuß für wirt- verstanden? schaftliche Zusammenarbeit überwiesen werden. (Zuruf des Abg. Norbert Gansel [SPD]) Der Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU/ — Herr Abgeordneter Gansel, ich muß die Zustim- CSU und der FDP — er liegt Ihnen auf der Drucksache mung aller drei beteiligter Kollegen herbeiführen. 12/2077 vor — sowie der Entschließungsantrag der Gruppe PDS/Linke Liste — er liegt auf der Drucksa- (Norbert Gansel [SPD]: Fünf!) che 12/2063 vor — sollen an die gleichen Ausschüsse — Ja, es sind fünf. Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 76. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Februar 1992 6341

Norbert Gansel (SPD): Herr Präsident, das ist ein Das Auswärtige Amt informierte dann den Bundes- sehr ungewöhnliches Verfahren. Praktisch wird uns minister für Wirtschaft, den Bundesminister für Ver- ein Referat angeboten, zu dem wir zum Schluß noch kehr sowie den Bundesnachrichtendienst, die — so- Fragen stellen dürfen. Ich hätte nichts dagegen, wenn weit betroffen — jeweils in ihrem Zuständigkeitsbe- der Staatsminister einleitende Bemerkungen macht, reich recherchierten. dann aber noch zu jeder Frage einzeln Stellung (Norbert Gansel [SPD]: Wann?) nimmt, damit auch die Zusatzfragen in der korrekten Form gestellt werden können. So fragte der Bundesminister für Verkehr bei der Wasser- und Schiffahrtsdirektion Nord als der örtlich zuständigen Behörde und bei den Schiffahrtsverbän- Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Ich neige dazu, Herr Staatsminister, mich dieser Meinung anzu- den am 9. Januar 1992 nach, ohne daß sich jedoch ein schließen. Ich bin sehr damit einverstanden, wenn die positives Ergebnis erzielen ließ. beiden Fragen des Abgeordneten Bury zusammenge- Während die Recherchen insgesamt weiterliefen, faßt werden, aber darüber hinaus sollten wir nicht konnte die MS Godewind am 13. Januar 1992 den gehen. Denn sonst kriegen wir ein bißchen Schwierig- Stettiner Hafen verlassen und am 14. und 15. Januar keiten mit den Zusatzfragen, Schwierigkeiten, das 1992 im Hamburger Freihafen unbehelligt zuladen, Ganze auseinanderzuhalten. da bis zu diesem Zeitpunkt das Schiff noch nicht als Wenn es Ihnen nicht allzu schwerfällt, wäre ich Transporter für die Waffen erkannt war, zumal Tran- dankbar, wenn Sie zunächst einmal ein paar Vorbe- sitgüter an Bord von Schiffen im Freihafen nicht merkungen zum Gesamtkomplex machen und dann deklariert werden müssen und somit keiner Kontrolle damit beginnen würden, die Fragen 17 und 58 des unterliegen. Abgeordneten Bury zu beantworten. Danach könnten Nachdem sich ab dem 20. Januar 1992 die Hinweise wir etwaige Zusatzfragen abwickeln und dann mit auf den Namen des Schiffes konkretisierten, der den weiteren Fragen so fortfahren. Hinweis auf „Godwin" aber auch nur eine Namens- Wenn wir darüber Übereinstimmung erzielt haben, ähnlichkeit enthielt, konnten am 27. Januar 1992 nach bitte ich Sie, zunächst einmal mit den allgemeinen einer Überprüfung von deutschen Schiffen mit ähnli- Vorbemerkungen zu beginnen. chen Namen durch den Bundesminister für Verkehr betroffener Reeder und Schiff festgestellt werden. Bernd Schmidbauer, Staatsminister: Herr Präsident, Zu demselben Zeitpunkt bat der Bundesminister für das war mein Vorschlag. Ich wollte im Anschluß an die Verkehr den Reeder, sicherzustellen, daß die „Gode Vorbemerkungen dann die einzelnen Fragen beant- wind" ihre Fahrt mit den an Bord befindlichen Kriegs- worten. waffen nicht fortsetzt und den avisierten Zielhafen Tartus in Syrien nicht erreicht. Beides wurde zuge- Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Ich weiß, sagt. daß es hilfreich gemeint ist; ich weiß das zu schätzen.- Im Verlauf des 28. Januar 1992 wurde dann — Bitte sehr. bekannt, daß das Schiff entgegen der vom Reeder avisierten Reiseroute im Hafen Augusta nicht ange- Bernd Schmidbauer, Staatsminister: Ich sagte legt, sondern bereits die italienischen Hoheitsgewäs- bereits, daß sich alle Fragen auf einen Sachverhalt ser verlassen hatte. beziehen, den man mit der Kurzbeschreibung „Unge- Da im weiteren Verlauf verschiedene Positions- und nehmigter Waffentransport auf einem deutschen Richtungsangaben eintrafen, die den beabsichtigten Schiff unter Verstoß gegen das Kriegswaffenkontroll- Kurs des Schiffes nicht zweifelsfrei erkennen ließen, gesetz" zusammenfassen kann. Da Fragen jeweils wurde der sich südlich von Sizilien aufhaltende Teilaspekte berühren — das hatte ich bereits ange- Schiffsverband der Marine gebeten, den Aufenthalt deutet —, der Gesamtzusammenhang aber für das des Schiffes festzustellen. So hatte der Reeder der „MS Verständnis notwendig ist, möchte ich den Vorgang, Godewind" für die Mittagsstunde des 29. Januar eine soweit mir bekannt, auch chronologisch darstellen Position gemeldet, die der Schiffsverband der Ma rine und auf diese Weise dokumentieren, daß die Bundes- zu derselben Zeit durchlaufen hatte, ohne jedoch im regierung unter verantwortungsvoller Koordinierung Umkreis von fünf Meilen überhaupt ein Schiff ausge- der Ressorts ihrer Verantwortung unverzüglich nach- macht zu haben. gekommen ist. Mit Drahtbericht vom 3. Januar 1992 berichtete die Um 18.20 Uhr des 29. Januar 1992 konnte dann Botschaft Prag dem Auswärtigen Amt, daß nach durch den Zerstörer Mölders festgestellt werden, daß tschechoslowakischen Presseberichten angeblich ein das Frachtschiff „Godewind" wie vom Reeder veran- deutsches Schiff den Transport von Panzern tsche- laßt in westlicher Richtung lief. choslowakischer Herkunft nach Syrien von Stettin Diese Dokumentation beantwortet einen großen aus durchführen solle. Dies ergebe sich aus der Teil der Fragen. Ich will gleich auf die einzelnen Presseauswertung, ohne daß sich konkrete Einzelum- Fragen eingehen, zuvor aber der Vollständigkeit stände, insbesondere Zeitpunkt der Verladung, Name halber einen neuen Hinweis im Rahmen der Chrono- des Schiffes oder sonstige Identifizierungsmerkmale logie geben, weil ich denke, daß er dazugehört, um des Schiffes, ausmachen ließen. sich ein Bild zu machen. Ich meine, daß dies zusätzlich Zwar war der Export grundsätzlich von tschechoslo- zur Chronologie, die ich vorgetragen habe und auf die wakischer Seite bestätigt worden; nähere Einzelhei- im Detail noch eingegangen werden kann, erfolgen ten wurden aber nicht bekannt. sollte: 6342 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 76. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Februar 1992

Staatsminister Bernd Schmidbauer In einer polnischen Tageszeitung vom 11. Januar chenden deutschen Gesetzesbestimmungen ist aus- soll der Name „Godewind" bereits aufgetaucht sein. schließlich der deutsche Reeder. Diese Mitteilung ist nach meiner Kenntnis Ende Die Bundesregierung hatte daher keine Veranlas- Januar im Auswärtigen Amt auch so eingegangen. Ich sung, in der Angelegenheit an die Regierung der konnte das in der Kürze der Zeit nicht im einzelnen CSFR heranzutreten, der das Verhalten des Reeders in überprüfen, will es aber der Vollständigkeit halber keiner Weise zuzurechnen ist. Das gilt um so mehr, als sagen. der Export und Transport der Panzer unter CSFR- Sie können davon ausgehen, daß natürlich im Recht keine strafbare Handlung darstellt. nachhinein beim Studieren vieler Zeitungen und Bei seinem Gespräch mit dem Außenminister der Tausender von Meldungen das eine oder andere CSFR am 30. Januar 1992 hat der Bundesminister des zusätzlich ermittelt werden konnte und ermittelt wer- Auswärtigen diesen über den Sachverhalt unterrich- den kann. tet. Außenminister Dienstbier zeigte sich über die Angelegenheit bereits informiert. Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Nach die- ser einleitenden Darstellung rufe ich nunmehr die Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Eine Zu- Frage 17 des Abgeordneten Bury auf: satzfrage, bitte, Herr Gansel. Wann und mit welchem Inhalt hat es zwischen Stellen, die der Bundesregierung unterstehen, und israelischen Stellen das erste Mal im Zusammenhang mit der „Godewind"-Affäre Kontakt Norbert Gansel (SPD): Herr Staatsminister, meine gegeben? Frage geht eigentlich eher an das Außenministerium. Es tut mir leid, daß man Ihnen die unangenehme Bernd Schmidbauer, Staatsminister: Einen Kontakt Aufgabe der Beantwortung übertragen hat. zwischen Stellen, die der Bundesregierung unterste- hen, und israelischen Stellen im Zusammenhang mit Bernd Schmidbauer, Staatsminister: Ich empfinde der „MS Godewind" hat es nach Kenntnis der Bun- es als eine sehr angenehme Aufgabe, Herr Kollege desregierung nicht gegeben. Ich will aber anfügen, Gansel, zumal ich weiß, daß Sie uns in diesem daß die Bundesregierung wohl am 28. Januar die Zusammenhang unterstützt haben. israelische Botschaft über den Vorfall insgesamt unterrichtet hat. Norbert Gansel (SPD): Gut, dann interessiert es mich um so mehr, warum man nicht versucht hat, den Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Wir kom- Transport der tschechoslowakischen Panzer auf men jetzt zu den Zusatzfragen. Bitte sehr. einem deutschen Schiff so zu verhindern, daß man die Tschechoslowakei international nicht unangemessen (SPD): Sieht die Bundesregierung Hans Martin Bury in ein schiefes öffentliches Licht bringt. Denn Sie oder — soweit Sie das beurteilen können — die israe- wissen, auch andere Staaten — u. a. die Bundesrepu- lische Regierung Parallelen oder gar Zusammen- blik — exportieren gelegentlich Waffen. Nach tsche- hänge zwischen dem Export sogenannter landwirt- - choslowakischem und internationalem Recht war das schaftlicher Geräte durch den BND und der deut- Geschäft nicht verboten. schen Beteiligung an dem Export von Panzern nach Syrien? Deshalb wäre die normale Reaktion im diplomati- schen Verkehr doch gewesen, der tschechoslowaki- Bernd Schmidbauer, Staatsminister: In aller Ernst- schen Regierung zu sagen: Da kommt ein Problem auf haftigkeit, Herr Kollege Bury: Diese beiden Fälle sind uns zu; wir versuchen, es auf unserer Seite zu klären; überhaupt nicht vergleichbar. In dem einen Fall aber ihr als Genehmiger mit Einfluß auf die Export- handelt es sich um einen lang praktizierten Akt der firma sorgt bitte dafür, daß das Schiff umkehrt; oder Zusammenarbeit mit der israelischen Regierung; in besser noch davor — nachdem es die ersten Presse- dem anderen Fall handelt es sich um einen Verstoß berichte gegeben hatte —: Sorgt dafür, daß solche gegen das Kriegswaffenkontrollgesetz. Ich bitte wirk- Waffen nicht auf einem deutschen Schiff verladen lich darum, beide Dinge nicht miteinander zu verglei- werden, denn die Bundesregierung wird dafür keine chen. Genehmigung geben. Warum also hat man den Transport auf einem Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Nun rufe deutschen Schiff nicht so verhindert, daß die tschecho- ich Frage 18 des Abgeordneten Norbert Gansel auf: slowakische Regierung nicht zusätzlich beschämt Wann hat der Bundesminister des Auswärtigen, Hans-Dietrich wurde, von der wir wissen, daß sie dieser Waffen- Genscher, das Außenministerium der CSFR davon informiert, exportpolitik selbst sehr kritisch gegenübersteht? daß die Bundesregierung die Bundesmarine nutzen würde, um den ungenehmigten Weitertransport von tschechoslowakischen Panzern auf einem deutschen Schiff noch während der KSZE- Bernd Schmidbauer, Staatsminister: Ich denke, Konferenz in Prag zu verhindern, und warum ist das Außenmi- Herr Kollege Gansel, ich habe vorhin deutlich nisterium der CSFR nicht gebeten worden, seinerseits über das gemacht, daß es Meldungen — ich will es hier einmal tschechoslowakische Ausfuhrunternehmen die Rückkehr der „Godewind" zu veranlassen? in aller Nüchternheit ausführen — über Transporte von Panzern auf der gesagten Route unter Beteiligung Bernd Schmidbauer, Staatsminister: Auf Bitten des der beiden Länder gab und daß dies eine sehr volu- zuständigen Bundesministeriums für Verkehr war es minöse Information war, die keinesfalls Hinweise der Reeder der „Godewind", der veranlaßte, daß das darauf gab, daß deutsche Schiffe an diesen Transpor- Schiff seine ungenehmigte Fahrt nicht weiter fort- ten beteiligt sind. setzte, sondern den Rückweg antrat. Verantwortlich Als in den Informationen zum erstenmal — und für den Transport und die Einhaltung der entspre auch dieses Datum habe ich genannt — der Hinweis Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 76. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Februar 1992 6343

Staatsminister Bernd Schmidbauer auf die Möglichkeit auftauchte, daß sich ein deutsches war. Der Vorgang ist ja heute noch nicht abgeschlos- Schiff an diesen Transporten beteiligen könnte, gab es sen, sondern das Schiff befindet sich noch auf dem dieses Schiff noch nicht an entsprechender Stelle, Wege nach Stettin. Die Staatsanwaltschaft in Kiel hat nämlich in Stettin. Es wurde weder beladen, noch das Verfahren in der Hand. Wir müssen abwarten, wie wurde transportiert. sich dieses Verfahren und dieser Vorgang weiter Zu diesem Zeitpunkt, als wir festgestellt haben, entwickeln. welches Schiff den Transport — ich spreche immer von Panzern, aber ich muß korrekterweise dazu sagen Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Zusatz- und tue das auch nicht ohne Grund: und Beiladung — frage des Abgeordneten Koppelin. durchführen würde und daß es sich um ein deutsches Schiff handelte, wurde exakt die von mir beschrie- Jürgen Koppelin (FDP): Hat die Bundesregierung bene Maßnahme ergriffen, die dann dazu geführt hat, geprüft, ob Schiffen mit Ladung und vor allem auch daß gemäß unserer Gesetzgebung dieser Kriegswaf- mit, wie Sie sagen, Beiladung wie bei der „Godewind" fentransport unterblieben ist. die Durchfahrt durch den Nordostseekanal untersagt Zusammenhänge zwischen bestimmten Terminen werden kann? Denn nach meiner Kenntnis ist es so, — ich nenne den Termin KSZE — und der Operation daß bei gefährlicher Ladung die Durchfahrt verboten sind überhaupt nicht herzustellen. Auch dies wurde werden kann. Munition ist, so würde ich sagen, der CSFR in entsprechender Weise mitgeteilt. zumindest eine gefährliche Ladung.

Staatsminister: Auch dies ist Eine wei- Bernd Schmidbauer, Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: natürlich eine hypothetische Frage, da dieser Trans- tere Zusatzfrage. port als illegaler Transport funktionierte und weder für Schiff noch für Ladung Genehmigungen im Rah- Norbert Gansel (SPD): Stimmen Sie mir zu, daß man men der notwendigen Verfahren vorgelegen haben. den Transport von Panzern und Beiladung — es Aber wäre dies bekannt gewesen, hätte man erstens handelt sich dabei offenbar um Munition — auf dem die Genehmigung nicht gegeben — das heißt, der deutschen Schiff und die nachfolgende spektakuläre Transport hätte nicht stattfinden können —, und bei Aktion hätte verhindern können, wenn nach dem Transportvorhaben ohne Genehmigung hätte man ersten Pressebericht das Auswärtige Amt der tsche- zweitens natürlich in entsprechender kommoder choslowakischen Regierung gesagt hätte, es gebe Weise an der Stelle, die Sie erwähnten, eingreifen Presseberichte, wonach Panzer auf einem deutschen müssen und auch eingegriffen. Schiff exportiert werden sollten, daß es dafür aber keine Genehmigung gäbe und daß sie bitte auf ihren Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Zusatz- Kanälen — tschechoslowakisches Außenministerium, frage des Abgeordneten Schwanhold. Genehmigungsbehörde, Staatshandelsunternehmen, Reeder — dafür sorgen möge, daß eine Einschiffung - Ernst Schwanhold (SPD): Ich gehe davon aus, Herr auf einem deutschen Schiff nicht erfolge? Staatssekretär, daß am 3. Januar 1992 die Information aus Prag nicht zufällig an uns gekommen ist. Bernd Schmidbauer, Staatsminister: Erstens will ich (Staatsminister Bernd Schmidbauer: Bitte, darauf hinweisen — das ergibt sich aus der Chronolo- würden Sie das Datum noch einmal nen gie —: Diese Gespräche hätten Sinn gemacht, wenn nen!) es gelungen wäre, die bekannte Nadel in dem riesen- großen Heuhaufen zu einem Zeitpunkt zu identifizie- — 3. Januar 1992. ren, als es weder Heuhaufen noch Nadel gegeben Sie haben sechs Tage verstreichen lassen, um bei hat. der Wasser- und Schiffahrtsdirektion Nord nachzufra- gen. Ich frage Sie: Gibt es außer einer Anfrage bei der (Heiterkeit bei der CDU/CSU und der FDP) Wasser- und Schiffahrtsdirektion Nord weitere Versu- Ich stimme Ihnen in dem einen Punkt zu: daß, wenn es che, die Stecknadel im Heuhaufen, der Ihnen dann mit Informationen — ich sprach davon, und ich werde Stettin ja bekannt war, zu finden, möglicherweise auch an anderer Stelle darüber noch ausführlich auch durch Rückkopplung in Richtung Prag oder informieren — über dieses Transportgeschäft, dessen Stettin? Volumen schon monatelang über entsprechende Vor- stöße anderer Regierungen bei den beteiligten Staa- Bernd Schmidbauer, Staatsminister: Hinsichtlich ten in Rede stand, gegeben hätte, daß insbesondere einer Rückkopplung mit Prag hätte ich meine Zweifel, auch deutsche Reeder, deutsche Schiffe involviert ob wir bei Abgabe des Geschäftes von Prag an eine sein würden, dies eine der theoretisch möglichen entsprechende Gesellschaft fündig geworden wä- Maßnahmen gewesen wäre. Ich gehe auch davon aus, ren. daß man, wenn die Chance bestanden hätte, dieses Schiff zu identifizieren, bevor Ladung an Bord genom- (Ernst Schwanhold [SPD]: Ich frage, ob Sie es men worden wäre, zu diesem Zeitpunkt eine solche versucht haben!) Maßnahme in die Erwägungen hätte mit einbeziehen Aber Sie können unterstellen, daß sämtliche Möglich- müssen. keiten in diesen Zeiträumen, die ich genannt habe, Ich will Ihnen aber zu dem Begriff „spektakuläre abgeprüft wurden, um entsprechenden Hinweisen Aktion" auch sagen: Ich würde das nicht so bewerten. nachzugehen. Ich werde nachher in einem anderen Zusammenhang Hinterher sind alle sehr viel schlauer, aber zu einfach sagen, daß es eine angemessene Operation diesem Zeitpunkt waren weder Heuhaufen noch 6344 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 76. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Februar 1992

Staatsminister Bernd Schmidbauer Stecknadel bekannt. Es gibt viele Meldungen und diesem Zwischenraum gab es keine Möglichkeit, die Hinweise auf viele Schiffe, auf viele Länder, die Dinge zu verifizieren. Transporte durchführen. Deshalb war es in diesem Zeitraum nicht möglich, auch wenn man es beklagen Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Danke mag. Rückwärts betrachtet, hätte ich eine Chance schön. gesehen, die Dinge etwas früher zu identifizieren, Damit ist die Frage 18 einschließlich der Zusatzfra- aber nicht so früh, daß es gelungen wäre, vor Abfahrt gen erledigt. Jetzt müssen wir uns überlegen, ob wir, des Schiffes die entsprechenden Hinweise zu besit- um den sachlichen Zusammenhang zu wahren, zen. zunächst die Frage 59 oder die Frage 58 behandeln. Wahrscheinlich ist es vernünftiger, jetzt die Frage 58 Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Bevor ich des Abgeordneten Bury zu beantworten: dem Abgeordneten Bachmaier das Wort zu einer Wie ist die rechtliche Begründung der Bundesregierung für Zusatzfrage gebe, bitte ich diejenigen, die Zusatzfra- den Einsatz der Bundesmarine in der „Godewind"-Affäre, gen stellen wollen, ein wenig darauf zu achten, ob soweit sie nicht Kommunikationsaufgaben übernommen hat, nicht im Zusammenhang mit dem anschließenden und trifft es zu, daß das Bundesministerium der Verteidigung Fragenkomplex die gleichen Fragen noch einmal den Einsatz auf § 13 Abs. 4 in Verbindung mit Absatz 1 Kriegs- waffenkontrollgesetz stützt? behandelt werden. Die letzte Frage hätte meines Erachtens ebensogut oder noch sinnvoller unter der Staatsminister: Herr Kollege Frage 94 abgehandelt werden können. Ich will Ihre Bernd Schmidbauer, Bury, ein Einsatz der Marine im Sinne des Art. 87 a Rechte nicht einschränken. Ich möchte im Sinne einer Abs. 2 des Grundgesetzes hat nicht stattgefunden. Die ökonomischen Abwicklung der Fragestunde nur auf Feststellung von Fahrtkurs und Position des Frachters dieses Problem aufmerksam machen. Unter den „Godewind" geschah mit Unterstützung durch Schiffe Umständen kann ich nun den Abgeordneten Schloten der Marine, die im gleichen Seegebiet standen. Maß- bitten. nahmen nach § 13 Abs. 4 des Kriegswaffenkontrollge- setzes sind nicht getroffen worden. Dieter Schloten (SPD): Ich glaube, die Zusatzfrage schließt hier an: Trifft zu, was ich gehört habe, daß Bitte, eine nämlich die CSFR beabsichtigt, den Erlös aus dem Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Zusatzfrage. Panzergeschäft zur Konversion der Panzerfabrik in der Tschechoslowakei einzusetzen und zukünftig keine Panzer mehr in Krisengebiete zu exportieren? Hans Martin Bury (SPD): Wird der Einsatz der Bundeswehr mit einem Verstoß gegen den § 3 oder den § 4 des Kriegswaffenkontrollgesetzes begrün- Staatsminister: Herr Kollege, Bernd Schmidbauer, det? ich kann das nicht bestätigen. Bernd Schmidbauer, Staatsminister: Im Sinne des Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Abgeord- neter Bachmaier, bitte schön. eingeleiteten Strafverfahrens möchte ich auf diese Frage keine Antwort geben. Hermann Bachmaier (SPD): Herr Staatsminister, ich habe Sie doch richtig verstanden, daß am 3. Januar Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Danke bereits deutschen Dienststellen bekannt war, daß schön. tschechoslowakische Panzer mit einem deutschen Weitere Zusatzfragen? — Bei Ihnen nicht, Herr Schiff aus dem Hafen Stettin transportiert werden Abgeordneter Bury. Dann Herr Gansel, bitte. sollten. Meine Frage geht dahin: Braucht man, wenn man intensiv sucht, wirklich 20 Tage, bis man den Norbert Gansel (SPD): Herr Staatsminister, da es tatsächlichen Frachter gefunden hat? sich hier mit dem Einsatz der Bundesmarine um ein sehr heikles Thema handelt und in diesem Bereich Bernd Schmidbauer, Staatsminister: Herr Kollege auch keine Grauzone entstehen darf, möchte ich Sie Bachmaier, es trifft nicht zu, daß nur ein Hafen fragen, ob Sie mit mir darin übereinstimmen, daß angegeben wurde, sondern wir hatten Meldungen exekutive Maßnahmen der Bundeswehr außerhalb von zwei Ausgangshäfen. Wir hatten vor allem Mel- der Bundesrepublik nicht auf § 13 Abs. 4 Kriegswaf- dungen, daß überhaupt Schiffe diese Transporte fenkontrollgesetz gestützt werden können, wie es bereits durchgeführt hätten. Ich will hier nur andeu- etwas ungenauen Verlautbarungen aus dem Bundes- ten, aber auch an anderer Stelle detaillierte Informa- verteidigungsministerium zu entnehmen war. tionen geben, daß die Schiffsrouten dieses Transports nicht diejenigen waren, die zu diesem Zeitpunkt Bernd Schmidbauer, Staatsminister: Herr Kollege wirklich gewählt wurden. Es gab auch andere Routen. Gansel, deshalb, weil ich mit Ihnen der Meinung bin, Aus der Vielfalt der Aufkommen war es also zu diesem daß es in diesem sensiblen Bereich unter der gegebe- Zeitpunkt nicht möglich, Genaueres festzustellen, nen Rechtslage keine Operation in Grauzonen geben zumal das Schiff den Hafen, aus dem es nachher kann, sagte ich sehr deutlich, daß weder nach Art. 87 a ausgelaufen ist, noch nicht angelaufen hatte. Deshalb Abs. 2 des Grundgesetzes noch nach § 13 Abs. 4 des konnten wir entsprechende Maßnahmen noch nicht Kriegswaffenkontrollgesetzes Maßnahmen ergriffen auf den Weg bringen. Das Problem war, daß die wurden. Meldung einer eventuellen Möglichkeit wesentlich früher lag als die eigentliche Aktion, die sich dann in Norbert Gansel (SPD): Sie wären auch nicht zulässig einem wesentlich späteren Zeitraum abgespielt hat. In gewesen. Darum geht es! Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 76. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Februar 1992 6345

Bernd Schmidbauer, Staatsminister: Wir haben das Bernd Schmidbauer, Staatsminister: Es gab über- geprüft, aber „Worst case"-Überlegungen und andere haupt keine Veranlassung, „Worst case " -Betrachtun- Dinge spielen in diesem Zusammenhang keine Rolle. gen in die Tat umzusetzen, aber es wäre sicherlich Wir haben darauf geachtet, und da möchte ich bei möglich gewesen. Die rechtliche Möglichkeit wäre dieser Gelegenheit auch der Marine meinen Dank sicher da gewesen, eine Unterstützung durch Polizei abstatten. Wir haben dies in diesem Verfahren geprüft in internationalen Gewässern zu bekommen, wenn und uns entschlossen, eben nicht nach diesen von polizeiliche Maßnahmen notwendig gewesen wären. Ihnen zitierten Gesetzesunterlagen vorzugehen oder Ich will auch nicht verschweigen, daß das Bundes- das auch nur in Erwägung zu ziehen, sondern uns auf grenzschutzgesetz dies als Möglichkeit vorsieht, das zu beschränken, was wir gemacht haben: Positio- wenn ich recht informiert bin, in § 6. nen festhalten, Information und Kommunikation betreiben, so daß wir jederzeit in der Lage waren, über Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Weitere den Standort des Schiffes Bescheid zu wissen. Dies Zusatzfragen? — Bitte schön. war eine Maßnahme der Marine. Weitere Maßnah- men gab es nicht; sie waren nicht notwendig. Abge- Norbert Gansel (SPD): Herr Staatsminister, da ich prüft wurde selbstverständlich die sensible Frage des auch der Meinung bin, daß sich die Bundesmarine in Art. 87a Abs. 2. dieser schwierigen und auch rechtlich heiklen Situa- tion geschickt verhalten hat, da sie aber in ähnlichen Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Abgeord- Fällen wissen muß, was sie darf und was sie nicht darf, neter Bachmaier. möglicherweise auch, wozu sie rechtlich verpflichtet Hermann Bachmaier (SPD): Herr Staatsminister, ist und wozu sie nicht verpflichtet ist, ist es doch könnten Sie uns dann präzise darlegen, auf welcher notwendig, die Frage zu beantworten, ob § 13 Abs. 4 Rechtsgrundlage Sie im konkreten Fall eingegriffen Kriegswaffenkontrollgesetz die Bundeswehr außer- haben? halb des Bundesgebietes rechtlich legitimieren oder sogar verpflichten könnte, mit exekutiven Maßnah- Bernd Schmidbauer, Staatsminister: Wir haben um men Kriegswaffen sicherzustellen. Unterstützung durch die Marine gebeten. Ich hatte das gesagt. Eine kleine Form der Amtshilfe, wenn Sie Bernd Schmidbauer, Staatsminister: Die Bundesre- so wollen, aber ich bezeichne es nicht als Amtshilfe. gierung hat sich dafür entschieden, nicht nach § 13 Sie sind Jurist und werden das viel besser wissen als Abs. 4 des Kriegswaffenkontrollgesetzes vorzugehen ich als Naturwissenschaftler, aber ich habe mich da und diese Vorschrift auch nicht in Maßnahmen im ganz gut briefen lassen und mich auch bei der Zusammenhang mit der Marine einzubeziehen. Ich Diskussion in der Ressortabstimmung sehr genau um denke, daß wir in den nächsten Monaten im Rahmen diese Dinge gekümmert. Wir haben die Marine um der Verfassungsdiskussion ausgiebig Gelegenheit Unterstützung gebeten. Ich will nicht ausschmücken, haben, über solche Fragen zu diskutieren und zu was notwendig gewesen wäre, wenn es nicht möglich entsprechenden Ergebnissen zu kommen. Im Augen- gewesen wäre, die deutsche Marine um Unterstüt- blick ist es nicht Gegenstand von Überlegungen zung zu bitten. Sie hat uns diese Unterstützung gewesen, dies überhaupt zu praktizieren oder durch- gewährt; so möchte ich das formulieren. Damit waren zuführen. Schon die Frage, die ich eben im Zusam- Kommunikation und Information ja sicher möglich. menhang mit Polizeieinsatz beantwortet habe, macht deutlich, in welche Richtung die Überlegungen eher Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Danke gegangen wären. schön. Nun rufe ich die Frage 59 des Abgeordneten Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Im übri- Schwanhold auf: gen mache ich darauf aufmerksam, daß Frage und Trifft es zu, daß die Bundesregierung, um den Frachter Antwort schon im Zusammenhang mit der Frage 58 „Godewind" zur Umkehr zu zwingen, auch Überlegungen fast wortgleich behandelt worden sind. angestellt hat, den Bundesgrenzschutz bzw. die GSG 9 mit dieser Aufgabe zu beauftragen, und warum hat sie sich dann für Nun rufe ich die Frage 93 des Abgeordneten Bach- einen Einsatz der Bundeswehr entschieden? maier auf: Weshalb hat die Bundesregierung den Waffentransport nach Bernd Schmidbauer, Staatsminister: Die Bundesre- Syrien nicht bereits verhindert, als die „Godewind" am 14. Ja- gierung hat alle rechtlich zulässigen Maßnahmen in nuar 1992 den Hamburger Hafen anlief, um dort weitere Fracht ihre Überlegungen einbezogen. Im übrigen verweise zuzuladen? ich auf die von mir eben gegebene Antwort zur Frage 58 des Kollegen Bury, in der bereits festgestellt Bernd Schmidbauer, Staatsminister: Herr Präsident, wurde, daß die Marine in zulässiger Weise Unterstüt- darf ich die Fragen 93 und 94 zusammenfassend zung gewährt hat. beantworten?

Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Zusatz- Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Ich unter- frage? — Bitte schön. stelle, daß der Abgeordnete Bachmaier nichts dage- gen hat. Ist das richtig? Ernst Schwanhold (SPD): Ich bedanke mich zunächst für die Bestätigung, daß Sie auch überprüft (Hermann Bachmaier [SPD]: Ja!) haben, die GSG 9 dort einzusetzen. Aus welchen — Okay. Dann haben Sie vier Zusatzfragen. rechtlichen Gründen sind Sie denn zu der Entschei- Ich rufe dann noch die Frage 94 des Abgeordneten dung gekommen, diese nicht einzusetzen? Bachmaier auf: 6346 Deutscher Bundestag - 12. Wahlperiode - 76. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Februar 1992

Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg Warum hat die Bundesregierung erst am 29. Januar 1992 ten: 3. Januar 1992: Eingang des Fernschreibens im Maßnahmen gegen den illegalen Kriegswaffentransport durch Auswärtigen Amt. 9. Januar 1992: Das Auswärtige den deutschen Frachter „Godewind" ergriffen, obwohl sie bereits am 3. Januar 1992 durch die deutsche Botschaft in Prag Amt bittet das BMV, das BMWi und den BND, den über diesen Waffentransport informiert wurde? Sachverhalt dieser Mitteilung zu überprüfen. 10. Ja- nuar: Eine Nachfrage des BMV bei der Wasserschutz- Bernd Schmidbauer, Staatsminister: Die Antwort direktion Nord und bei den Schiffahrtsverbänden zur Frage 93 ergibt sich aus der Beantwortung zur über Telefax ergibt, daß dort keine Informationen zum Frage 94, die folgendermaßen lautet: Wie anfangs Sachverhalt vorliegen. 13. Januar: „Godewind" ver- ausgeführt, konnten trotz intensiver Recherchen erst läßt Stettin. Ich will noch einmal ausdrücklich sagen, am 27. Januar 1992 Reeder und Name des Schiffes daß alles, was ich eben erwähnt habe, vor Abfahrt des eindeutig identifiziert werden. Am 14. Januar 1992 Schiffes stattfand. war der Bundesregierung nicht bekannt, daß die 16. Januar: Schreiben des BMV an das AA, daß „Godewind" unter Verstoß gegen das Kriegswaffen- Schiff und Reeder nicht bekannt seien. 23. Januar: kontrollgesetz Waffen geladen hatte. - Ich hatte dies Dem AA wird mitgeteilt, daß laut entsprechender auch schon in meinem Eingangsstatement in Ausführ- Information ein Schiff namens „Godwin" am 13. Ja- lichkeit chronologisch beschrieben. nuar den Hafen von Stettin mit entsprechender Ladung verlassen habe. Allerdings kann dieser Sach- Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Zusatz- verhalt in der Mitteilung nicht bestätigt werden. frage. (Hermann Bachmaier [SPD): Wann war Hermann Bachmaier (SPD): Wann wurden Sie als das?) zuständiger Staatsminister zum erstenmal über den - Am 23. Januar. Vorgang, der ja bereits am 3. Januar 1992 in groben Das Auswärtige Amt gibt den Hinweis auf das Umrissen der Bundesregierung bekannt geworden deutsche Schiff telefonisch an das BMV weiter. Das war, informiert, und welche konkreten Maßnahmen BMV kommt nach Rückfrage bei Reedereienverbän- haben Sie daraufhin unmittelbar eingeleitet? den und nach Überprüfung amtlicher und veröffent- lichter Schiffslisten zu dem Ergebnis, daß ein Schiff Bernd Schmidbauer, Staatsminister: Am 28. Januar dieses Namens nicht unter deutscher Flagge regi- nachmittags unterrichtete mich das BMV. Ich bin zu striert ist. ZFA Hamburg erhält von dritter Stelle den diesem Zeitpunkt tätig geworden. Wir haben am Hinweis, daß das deutsche Schiff Godewind am 29. Januar veranlaßt, daß sich alle betroffenen Res- 14. Januar 1992 mit Panzern an Bord im Hamburger sorts in einer koordinierten Befassung mit diesen Freihafen gelegen habe und nach Augusta unterwegs Fragen, die ich vorhin erwähnte, beschäftigen, und sei. ZFA unterrichtet ZKI. Am 24. Januar informiert zwar mit dem Ergebnis, daß am selben Tag, also am ZKI die italienischen Behörden - das war einen Tag 29. Januar abends gegen 18 oder 19 Uhr Position und später - im Hinblick auf den Zielhafen Augusta. In Kurs des Schiffes festgestellt wurden. Dazu waren - der Folge hatte ich vorhin den 27. bis zum 29. Januar mehrere Besprechungen notwendig. Ich will auch hier beschrieben. nicht versäumen, mich für die Zusammenarbeit der Ich habe vorhin auch noch eine Ergänzung neue- Ressorts im Rahmen dieser Besprechungen am 29. Ja- sten Datums nachgereicht, die Meldung einer polni- nuar ausdrücklich zu bedanken. schen Zeitung vom 11. Januar mit Eingang, nach meiner Kenntnis, Ende Januar im Auswärtigen Amt. Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Weitere Zusatzfrage. Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Herr Hermann Bachmaier (SPD): Welche konkreten Bachmaier, Sie haben noch zwei weitere Zusatzfra- Maßnahmen wurden nach der ersten Information vom gen. 3. Januar, die offensichtlich an das Auswärtige Amt erging, von dort aus eingeleitet? Welche Ministerien bzw. Dienststellen der Bundesregierung wurden Hermann Bachmaier (SPD): Herr Staatsminister, unmittelbar nach Eingang der Erstinformation einge- wie erklären Sie sich, daß, nachdem der BND nach schaltet? Welche Maßnahmen haben Sie eingeleitet, Ihren Ausführungen doch ganz offensichtlich zu nachdem Ihnen der Vorgang offensichtlich erst zu einem sehr frühen Zeitpunkt die Information erhalten einem verblüffend späten Zeitpunkt bekannt gewor- hatte, Sie als der dafür zuständige Minister erst mehr den sein soll? als zwei Wochen später vom BND - ich sage es noch einmal - informiert worden sein sollen? Ein langer Bernd Schmidbauer, Staatsminister: Erstens: nicht Dienstweg, nicht? „sein soll", sondern „ist". Zweitens: Ich hatte vorhin im Eingangsstatement Bernd Schmidbauer, Staatsminister: Herr Kollege, die chronologische Abfolge - vom 3. Januar über ich sagte, daß es allgemeine Informationen über die den 9. Januar, den 10. Januar, den 13. Januar, den Geschäfte an sich gegeben hat, die mir vorgelegen 16. Januar bis zum 23. Januar - dargelegt. Ich will haben. Wir sprechen von dem Vorfall mit einem das aber gerne noch einmal darstellen, damit es auch bestimmten Schiff, der „Godewind". Es gab Meldun- im Protokoll festgehalten wird - zusammen mit den gen, die sich über Monate hinzogen, die Sie überall Ergänzungen, die ich vorhin gemacht habe. nachlesen konnten. Und ich sagte, es gab die entspre- Mit Einverständnis des Präsidenten will ich also chenden diplomatischen Vorstöße. Dazu gibt es auch diese Chronologie wiederholen. Ich sage in Stichwor Meldungen, daß Waffentransporte stattfinden. Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 76. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Februar 1992 6347

Staatsminister Bernd Schmidbauer Wir haben es im Augenblick mit einem bestimmten keine Bittstunde haben, bin ich sicher, daß dieses Vorgang zu tun, der am 3. Januar mit dem Hinweis weitergemeldet wird. ausgelöst wurde — übrigens nicht vom BND, deshalb Ich will nur, Herr Kollege Gansel, noch einmal geht Ihre Frage in diesem Zusammenhang natürlich darauf hinweisen, jedes Fahrzeug, das Sie nach Stettin ins Leere —, daß auch ein deutsches Schiff bei diesen geschickt hätten, hätte eben kein deutsches Schiff im vielen Waffentransporten beteiligt sein könnte. Wobei Stettiner Hafen zwischen dem 3. und dem 13. Januar Schiff und Ladung — ich sage es noch einmal — zu vorgefunden. Darauf will ich noch einmal hinweisen. diesem Zeitpunkt überhaupt nicht bekannt sein konn- Ich werde an geeigneter Stelle, auch Ihnen gegen- ten. über, der Sie sich positiv zu diesem Vorgang in der Presse ausgelassen haben, noch einmal darauf hin- Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Die näch- weisen, daß dies ein sehr umfangreicher Vorgang ist, ste Zusatzfrage, bitte schön! bei dem nur der geringste, der kleinste Teil hier im Rahmen dieser Fragestunde diskutiert wurde. Hermann Bachmaier (SPD): Welche Maßnahme wird die Bundesregierung ergreifen, um Vorgänge Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Im übri- dieser Art in Zukunft zu vermeiden respektive früh- gen erlaubt sich der Präsident den Hinweis, Herr zeitiger über Vorgänge dieser Art informiert zu sein? Abgeordneter Gansel, daß sich diese Bitte an den Und mit welchen Maßnahmen denken Sie dann zu Herrn Staatsminister schon dadurch erübrigt, daß das reagieren? Auswärtige Amt in würdevoller Form hier vertreten ist. Bernd Schmidbauer, Staatsminister: Ich denke, (Norbert Gansel [SPD]: Meine zweite Zusatz Herr Kollege, daß die Bundesregierung Vorgänge frage!) dieser Art überhaupt nicht vermeiden will, sondern — Sie kennen die Geschäftsordnung sehr genau. Sie mit Vorgängen dieser Art tunlichst als Signalwirkung haben zwei Fragen. deutlich machen will, daß es mit unserem Recht nicht so sein kann, daß es umgangen wird, sondern daß das Norbert Gansel (SPD): Jedenfalls dann, wenn es sich Kriegswaffenkontrollgesetz ernstgenommen wird. um die Rechte von Abgeordneten handelt; die paar Was die Zeitabläufe angeht, so sagte ich bereits kann man ja schließlich überblicken, Herr Präsi- eingangs, daß man hinterher — „Wer aus der Kirche dent. kommt ... "; auch dies ist ein bekanntes Sprichwort — Herr Staatsminister, meine zweite Frage lautet: die Dinge in einem anderen Licht sehen konnte. Wir Wären Sie bereit, meiner Bitte zu folgen, auch dem suchen natürlich nach Möglichkeiten, bei solchen Bundesverkehrsminister mitzuteilen, wenn es einmal Vorgängen entsprechende Koordinationsmöglichkei- eine ähnliche Situation geben sollte, im Rahmen der ten in kürzerer Frist zu haben. Ich fürchte nur, daß es, Amtshilfe die polnischen Verkehrsbehörden anzuru- wenn es sich um ähnliche Vorgänge handelt,- dann fen und sie zu bitten, festzustellen, ob in ihren Häfen auch ähnlich ablaufen wird. Ich bin an sich sehr froh, zufällig ein deutsches Schiff mit nicht ganz unauffäl- daß am Ende das Ziel vollständig erreicht wurde. ligen Panzern beladen wird, und, wenn ja, den Namen des Schiffes der deutschen Behörde mitzuteilen? Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Eine Zu- satzfrage des Abgeordneten Gansel. Bernd Schmidbauer, Staatsminister: Ich darf das mit der Antwort beantworten, die der Herr Präsident Norbert Gansel (SPD): Herr Präsident, die Frage- Ihnen eben zur ersten Zusatzfrage gegeben hat. stunde krankt daran, daß, wenn man Fragen an Ressorts hat, die geschlafen haben, ausgerechnet das Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Ich rufe Ressort antwortet, das aufgepaßt hat. Insofern ging die Frage 50 des Abgeordneten Dieter Schloten auf: meine Frage nur indirekt an das Bundeskanzleramt. Wie gedenkt die Bundesregierung sicherzustellen, daß die Deshalb frage ich: Wären Sie bereit, Herr Staatsmi- deutschen Verkehrswege nicht von ausländischen Spediteuren genutzt werden, um Kriegswaffen in Länder zu liefern, für die nister, meiner Bitte zu folgen und dem Auswärtigen deutsche Exporteure keine Exportgenehmigung erhalten wür- Amt mitzuteilen, daß man, wenn wieder ähnliche den Meldungen in der Zeitung stehen über Panzer, die ohne Genehmigung auf ein deutsches Schiff verladen Bernd Schmidbauer, Staatsminister: Herr Kollege, werden, sich dann nicht damit herausredet, daß es sich die Beförderung von Kriegswaffen auf deutschen um eine Stecknadel in einem Heuhaufen handelt? Die Verkehrswegen unterliegt genehmigungsrechtlich Ausrede mit dem Heuhaufen kann doch wohl nur dem Kriegswaffenkontrollgesetz. Hiernach dürfen einem Esel einfallen. Aber ein Schiff ist ziemlich groß, auch ausländische Spediteure grundsätzlich nur dann und die Ostseeküste ist ziemlich klein. Notfalls kann Kriegswaffen durch das Bundesgebiet durchführen man auch den Journalisten fragen, der den Artikel lassen, wenn die hierzu erforderliche Beförderung geschrieben hat. Oder man kann einen Angehörigen genehmigt ist. Insbesondere im Bereich des Straßen- der Botschaft mit einem Auto losschicken mit der Bitte, transports, des Luftverkehrs und, mit Einschränkun- im Stettiner Hafen nachzufragen, ob dort ein deut- gen, auch des Eisenbahntransports müssen ausländi- sches Schiff mit Panzern beladen worden ist. Würden sche Spediteure immer im Besitz einer speziellen Sie das bitte dem Auswärtigen Amt mitteilen? Genehmigung sein. Bei der Ausstellung dieser Durchfahrtsgenehmi- Bernd Schmidbauer, Staatsminister: Unabhängig gungen für ausländische Antragsteller wendet die davon, daß Bitten keine Fragen sind und wir hier Bundesregierung die gleichen s trengen Maßstäbe an, 6348 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 76. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Februar 1992

Staatsminister Bernd Schmidbauer die auch für die Ausfuhr von Kriegswaffen aus Hafen Stettin zurückzukehren, und wo befindet sich Deutschland gelten. Richtschnur sind hierbei die das Schiff im Augenblick? rüstungsexportpolitischen Grundsätze der Bundesre- gierung vom 28. April 1982, nach denen insbesondere Bernd Schmidbauer, Staatsminister: Herr Kollege, die Lieferung von Kriegswaffen nicht zu einer Erhö- unter besonderer Beachtung der staatsanwaltschaftli- hung bestehender Spannungen beitragen darf. chen Ermittlungen möchte ich darüber keine Aus- Durch die Verordnung über allgemeine Genehmi- kunft geben. Mir ist die Position des Schiffes zur Zeit gungen nach dem KWKG wurde der Transport von bekannt. Mir sind die Maßnahmen der Staatsanwalt- Kriegswaffen mit Seeschiffen fremder Flagge nur schaft Kiel aus Informationen bekannt. Aber ich insoweit allgemein genehmigt, als die Kriegswaffen möchte darüber hier keine Auskunft geben, um die auf dem Seewege ohne Wechsel des Verfrachters Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Kiel nicht zu durchgeführt werden und die Seeschiffe im Bundes- stören, die mit uns in guter Weise zusammengearbei- gebiet — außer in besonderen Notfällen — nur an tet hat. Zollanlandungsplätzen oder in Freihäfen mit anderen Fahrzeugen oder mit dem Land in Verbindung tre- Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Im übri- ten. gen stand diese Frage nicht im Zusammenhang mit der Frage, wie die Bundesregierung Spediteure in Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Zusatz- Zukunft an illegalen Waffenlieferungen zu hindern frage, Herr Abgeordneter Schloten, bitte. — Erle- gedenkt, Herr Abgeordneter Bachmaier. digt. Nichtsdestoweniger bedanke ich mich sehr herzlich Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Koppelin. bei Ihnen, Herr Staatsminister, für die Mühewal- tung. Jürgen Koppelin (FDP): Da bei Ihrer Aufzählung die Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers Wasserwege fehlten und Sie vorhin bei meiner des Auswärtigen auf. Zur Beantwortung steht uns die Zusatzfrage ein wenig ausgewichen sind, darf ich Sie Staatsministerin Frau Seiler-Albring zur Verfügung. noch einmal fragen: Sehen Sie die Möglichkeit, daß Ich rufe die Frage 12 des Abgeordneten Lowack Schiffe im Nord-Ostsee-Kanal gestoppt werden, wenn auf: sie Panzer und Munition geladen haben? Begründet das Zustimmungsgesetz zum Nachbarschaftsver- trag mit Polen Verhaltenspflichten für deutsche Staatsangehö- Bernd Schmidbauer, Staatsminister: Ich sehe die rige, die in ihrer alten Heimat östlich von Oder und Neiße Möglichkeiten. Aber ich sehe mich im Augenblick geblieben sind? außerstande, hierauf konkret einzugehen. Ihre Frage bezieht sich auf Schiffe ausländischer Flagge. Ursula Seiler-Albring, Staatsministerin im Auswärti- gen Amt: Vielen Dank, Herr Präsident. Herr Kollege (Jürgen Koppelin [FDP]: Auf alle!) Lowack, nach Art. 22 Abs. 2 des Nachbarschaftsver- Bei deutschen Flaggen ist die Lage klar; ich hatte trages sind die Angehörigen der deutschen Minder- das beantwortet. Für ausländische Flaggen habe ich heit in Polen gehalten, sich wie jeder Staatsbürger allgemein genau darauf eine Antwort gegeben. loyal gegenüber dem Staat zu verhalten, in dem sie (Jürgen Koppelin [FDP]: Allgemein!) leben und in dem sie sich nach den Verpflichtungen richten, die sich auf Grund der Gesetze dieses Staates Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Danke ergeben. schön. Herr Abgeordneter Gansel. Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Zusatz- Norbert Gansel (SPD): Herr Staatsminister, da wir frage. respektieren wollen, daß der Nord-Ostsee-Kanal eine internationale Wasserstraße ist, wir aber andererseits Ortwin Lowack (fraktionslos): Frau Staatsministerin, Interesse daran haben müssen, daß keine gefährli- vielleicht hatten Sie die Frage nicht so intensiv durch- chen Güter ohne entsprechende Deklarierung und gelesen, daß Sie den Sinn ganz erschlossen haben. Die Vorwarnung auf dem Kanal transportiert werden, Frage war eigentlich, ob durch ein deutsches Zustim- frage ich Sie, ob Sie bereit sind, überprüfen zu lassen, mungsgesetz zusätzliche Verpflichtungen für Deut- welche Möglichkeiten der Kontrolle, der Überwa- sche entstanden sind. chung, der Unterbindung deutschen Behörden zur Verfügung stehen, wenn auf dem Nord-Ostsee-Kanal Ursula Seiler-Albring, Staatsministerin: Herr Kol- scharfe Munition transportiert wird? lege Lowack, die Anknüpfung an die Staatsangehö- rigkeit ist bei Minderheitenregelungen völkerrecht- Bernd Schmidbauer, Staatsminister: Ich bin gerne lich üblich. Der Vertrag befaßt sich im übrigen aber bereit, Ihnen durch das zuständige Ministerium die nicht mit Fragen der Staatsangehörigkeit. Prüfung dieser Frage schriftlich zugehen zu lassen. Es tut mir leid, wir haben uns an den Buchstaben Ihrer Frage gehalten. Ich bedaure es, wenn uns der Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Abgeord- tiefere Sinn verborgen geblieben sein sollte. Wir neter Bachmaier. würden dann gerne weiteren Fragen in dieser Rich- tung entgegensehen. Hermann Bachmaier (SPD): Herr Staatsminister, welchen Rückweg benutzt nach Ihren bisherigen Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Zusatz- Erkenntnissen die Godewind derzeitig, um in den frage, bitte schön. Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 76. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Februar 1992 6349

Ortwin Lowack (fraktionslos): Ich erspare mir die Ist die Bundesregierung bereit, das Gebäude der ehemaligen Zusatzfrage. DDR-Botschaft auf der Insel Kulosaari im Osten von Helsinki für alle in Helsinki ansässigen Institutionen der deutsch-finnischen Zusammenarbeit, wie Goethe-Institut, Deutsch-Finnische Han- Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Okay. — delskammer, Deutsche Gemeinde, Deutsche Bibliothek u. a., zur Dann kommen wir zu der Frage 13 des Abgeordneten Verfügung zu stellen und somit ein deutsches Zentrum in Lowack: Helsinki zu schaffen? Warum hat die Bundesregierung die betroffenen vertriebenen Ist es sinnvoll, die Fragen 14 und 15 zusammen zu Sudetendeutschen nicht an dem Vertrag der Tschechoslowakei beantworten? beteiligt, und welche Chancen sieht die Bundesregierung für die Durchsetzung der Rechte der Sudetendeutschen nach der Unter- zeichnung des Vertrages? Ursula Seiler-Albring, Staatsministerin: Das kann ich gerne machen, wenn der Kollege Pfuhl damit Ursula Seiler-Albring, Staatsministerin: Herr Kol- einverstanden ist. lege Lowack, bereits im Vorfeld der Verhandlungen über den deutsch-tschechoslowakischen Nachbar- Albert Pfuhl (SPD): Einverstanden. schaftsvertrag wie auch in ihrem weiteren Verlauf hat die Bundesregierung einen sehr umfassenden Dialog mit den verschiedenen Repräsentanten der Sudeten- Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Dann rufe deutschen geführt. Die Gespräche sind auf seiten der ich noch die Frage 15 des Abgeordneten Albert Pfuhl Bundesregierung neben anderen vom Bundeskanzler auf: und vom Bundesminister des Auswärtigen persönlich Sollte die Antwort aufgrund der Lage des Gebäudes zu diesem geführt worden. Zweck negativ ausfallen, so frage ich, ob die Bundesregierung bereit ist, den Erlös des Verkaufs zum Ankauf oder Bau eines Zum zweiten Teil Ihrer Frage: Nach der Unterzeich- Deutschen Zentrums in Helsinki zu verwenden, damit die o. g. nung des Vertrages, die für den 27. Februar 1992 in Institutionen zusammen mit dem deutschen Kindergarten eine Prag vorgesehen ist, und der Zustimmung durch die Heimstatt finden könnten? gesetzgebenden Körperschaften beider Länder wer- den beide Seiten den Vertrag in all seinen Aspekten Ursula Seiler-Albring, Staatsministerin: Herr Kol- unverzüglich mit Leben erfüllen. lege Pfuhl, das Gebäude der ehemaligen DDR- Botschaft in Helsinki wird bis Mitte Juli 1992 für die Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Zusatz- KSZE-Folgekonferenz benötigt, die am 24. März 1992 frage, bitte schön. in Helsinki beginnt. Außer der deutschen Delegation werden dort weitere untergebracht sein, nämlich die Ortwin Lowack (fraktionslos): Auf diese Erfüllung britische und die niederländische. mit Leben darf man sich freuen. Für die Zwecke der Deutschen Botschaft werden zur Hat zu den Gesprächspartnern, die Sie erwähnt Zeit eine Kanzlei und eine Residenz neu gebaut. Es haben, auch der Sprecher der Sudetendeutschen besteht daher kein amtlicher Bedarf des Auswärtigen gehört? Amtes, die Botschaften der ehemaligen DDR über Juli 1992 hinaus zu nutzen. Die Liegenschaft wird somit Ursula Seiler-Albring, Staatsministerin: Herr Kol- dem Bundesminister der Finanzen zur Übernahme in lege Lowack, ich habe eine ganze Auflistung von verschiedenen Gesprächspartnern. Zum Beispiel hat das allgemeine Grundvermögen gemeldet werden. der Staatssekretär Kastrup mit Vertretern der sude- Sollte auch kein anderes Bundesressort amtlichen tendeutschen Landsmannschaft am 25. Februar 1991 Bedarf geltend machen, steht es den in Helsinki in Bonn diskutiert. Er hat auch mit dem Bundesvorsit- ansässigen und im Interesse der deutsch-finnischen zenden der Seeliger-Gemeinde gesprochen. Der Bot- Zusammenarbeit tätigen Institutionen frei, sich beim schafter Höynck hat mit der sudetendeutschen Lands- BMF für den Erwerb oder die Nutzung dieser Liegen- mannschaft z. B. am 12. Juni 1991 in Bonn gespro- schaft zu bewerben. chen. Daneben gibt es eine ganze Reihe weiterer Die Bundesregierung würde gut begründete An- Kontakte, die ich Ihnen, wenn Sie darauf Wert legen, träge im Interesse der deutsch-finnischen Beziehun- gerne zur Kenntnis gebe. gen wohlwollend prüfen. Für den Fall, daß es weder zum Erwerb noch zur Nutzung durch einen oder Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Zusatz- mehrere auf dem Felde der deutsch-finnischen frage. Zusammenarbeit tätigen Interessenten kommt, wird der Herr Bundesminister der Finanzen die Liegen- Ortwin Lowack (fraktionslos): Sehr verehrte Frau schaft nach den Regeln der Bundeshaushaltsordnung Kollegin, warum ist dann eigentlich auf das Hauptan- veräußern und den Erlös, wie es das Gesetz vor- liegen der Sudetendeutschen und ihrer Sprecher, schreibt, dem Bundeshaushalt zuführen. bessere Rückkehr- und Investitionsmöglichkeiten für die Sudetendeutschen zu schaffen, in dem Vertrag Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Zusatz- überhaupt nicht eingegangen worden? frage, bitte schön. Ursula Seiler-Albring, Staatsministerin: Herr Kol- lege Lowack, es ist eine Hypothese, daß dies nicht Albert Pfuhl (SPD): Frau Staatsminister, wäre die geschehen ist, und auf Hypothesen kann ich in diesem Bundesregierung bereit, die Federführung zur Zu- Zusammenhang nicht eingehen. sammenführung all dieser deutsch-finnischen Institu- tionen in Helsinki zu betreiben, um dabei eine Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Dann rufe gemeinsame Lösung zu finden, oder würde sie sich ich die Frage 14 des Abgeordneten Pfuhl auf: dabei in vornehmer Zurückhaltung üben? 6350 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 76. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Februar 1992

Ursula Seiler-Albring, Staatsministerin: Natürlich Ursula Seiler-Albring, Staatsministerin: Herr Kol- würde die Deutsche Botschaft in Helsinki gern das in lege Pfuhl, Sie wissen, wie hartleibig der Bundes- ihrer Macht Stehende tun, um hilfreich zu sein, die finanzminister aus guten Gründen bei manchen Din- Interessen zu koordinieren. Ich rege an, daß sich die gen ist. Er hat sich aber noch nie einer sehr sinnvollen Vertreter dieser Gruppierungen mit der Botschaft in und die zwischenstaatlichen Beziehungen fördernden Verbindung setzen, so daß man abgleichen kann, Maßnahme verschlossen. Wenn das Auswärtige Amt inwieweit es Möglichkeiten gibt. zu einer solchen Hilfe herangezogen wird, will ich mich gern im Rahmen meiner Zuständigkeiten dafür Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Weitere einsetzen und dieser guten Sache meine — wie Sie so Zusatzfrage. nett sagen — guten Kontakte zum Haushaltsausschuß und zum Bundesminister der Finanzen dienbar Albert Pfuhl (SPD): Frau Staatsminister, ist Ihnen machen. bzw. dem Auswärtigen Amt die räumliche Unterbrin- gung all dieser Institutionen in Helsinki bekannt, und Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Der Herr zwar hinsichtlich der räumlichen Mängel, die beste- Abgeordnete Pfuhl empfiehlt sich dann als Reisebe- hen, und ist Ihnen bzw. dem Auswärtigen Amt die gleiter. Notwendigkeit bekannt, dort etwas Neues zu schaf- (Albert Pfuhl [SPD]: Ich nehme Sie beim fen, wenn wir daran denken wollen, daß wir die Wort, Herr Präsident!) deutsche Sprache, die deutsche Kultur auch in Finn- Ich rufe die Frage 16 des Abgeordneten Dieter land stärker als bisher fördern wollen, damit wir im Schloten auf: Integrationsprozeß in Europa bessere Karten haben? Wie gedenkt die Bundesregierung sicherzustellen, daß die neuen osteuropäischen Wirtschaftspartner nicht nur die westli- Ursula Seiler-Albring, Staatsministerin: Natürlich che Wirtschaftsordnung, sondern auch die in den westlichen sind die Beurteilungen unserer Botschaft in die Beant- Ländern im Konsens vereinbarten Richtlinien zur Rüstungs- exportkontrolle übernehmen? wortung dieser Frage eingeflossen. Ich sagte es ja: Wenn es einen vernünftigen Weg gibt, diese Interes- Ursula Seiler-Albring, Staatsministerin: Herr Kol- sen, z. B. die weitere Praktizierung und Verbreitung lege, hinsichtlich A-, B- und C-Waffen vertraut die und Vermittlung der deutschen Sprache, so zu koor- Bundesregierung darauf, daß die osteuropäischen dinieren, daß es sinnvoll ist, dann wird die deutsche Staaten die bestehenden Verbote weiterhin einhalten. Botschaft in Helsinki Sie, Kollegen, die sich hier Die Bundesregierung setzt sich intensiv dafür ein, daß darum kümmern, oder finnische Stellen, die miteinan- auch die neu entstandenen Staaten diese Verpflich- der kooperieren wollen, gern unterstützen. tungen übernehmen. Bei Dual-use-Gütern im ABC- Bereich unterstützt die Bundesregierung aktiv die Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Weitere Bemühungen der verschiedenen Exportkontrollre- Zusatzfrage. gime — ich nenne hier die australische Gruppe, Trä-

gertechnologieregime, Nuclear Suppliers Group —, Albert Pfuhl (SPD): Frau Staatsminister, nicht ohne die neuen osteuropäischen Wirtschaftspartner an Grund habe ich die zweite Frage gestellt, ob das diese Regime heranzuführen. jetzige alte Botschaftsgebäude in Helsinki unter Schließlich unterstützt die Bundesregierung dieje- Berücksichtigung der geographischen Entfernung nigen osteuropäischen Staaten, die es wünschen, gegebenenfalls für ein solches deutsches Zentrum beim Aufbau eines wirksamen Exportkontrollsystems. geeignet wäre. Deswegen die Frage: Würde das Dies ist z. B. im Falle Ungarns und der Tschechoslo- Auswärtige Amt diese deutschen Institutionen unter- wakei bereits geschehen und der Ukraine konkret stützen und darauf drängen, daß aus dem Erlös dieses angeboten worden. Verkaufs, gegebenenfalls an einer anderen, neuen Zu konventionellen Waffen und Dual-use-Waren im Stelle in Helsinki, etwas Neues geschaffen werden konventionellen Bereich gibt es noch keine allgemein könnte? vereinbarten Richtlinien, welche diese Länder über- nehmen könnten. Sie wissen aber, Herr Kollege, daß Staatsministerin: Herr Kol- Ursula Seiler-Albring, sich die Bundesregierung seit langem und nachdrück- lege Pfuhl, ich sagte Ihnen bereits, daß die Haushalts- lich für Zurückhaltung und größere Verantwortung ordnung ein sehr genaues Vorgehen vorschreibt. bei Exporten von Waffen und Rüstungsgütern ein- Noch einmal: Wenn es eine vernünftige Lösung, ein setzt. Wichtige internationale Erfolge sind die im Modell gibt, wie man hier zu einer Koordinierung Rahmen der Vereinten Nationen und der KSZE über- dieser Gruppierungen kommen kann, werden wir das nommenen Verpflichtungen aller, auch der osteuro- gern tun. Ich habe Ihnen bei der Beantwortung Ihrer päischen Staaten, ein Waffentransferregister bei den ersten Frage bereits zugesichert, daß die Bundesre- Vereinten Nationen einzurichten bzw. bei Waffen- gierung solche Bestrebungen wohlwollend unterstüt- transfers in Spannungsgebiete und in Staaten, die zen wird. eine übermäßige Anhäufung von Waffen betreiben, Verantwortungsbewußtsein zu zeigen. Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Letzte Zusatzfrage. Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Zusatz- frage, Herr Abgeordneter Schloten? — Bitte schön. Albert Pfuhl (SPD): Frau Staatsminister, wären Sie als ehemalige Haushälterin persönlich bereit und in Dieter Schloten (SPD): Der Anlaß meiner Fragestel- der Lage, durch Ihre Sach- und Fachkenntnis helfend lung war natürlich auch der Fall Godewind — wenn einzugreifen? ich ihn einmal so nennen darf. Deshalb möchte ich Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 76. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Februar 1992 6351

Dieter Schloten noch eine Zusatzfrage stellen: Auf welche Weise Jürgen Augustinowitz (CDU/CSU): Vielen Dank, gedenkt die Bundesregierung auf die ehemaligen Frau Staatsministerin, für die Beantwortung der Warschauer-Pakt-Staaten bzw. deren Nachfolgestaa- Frage. ten einzuwirken, damit zukünftig Waffenexporte in Die russische Regierung hat ja mehrfach bekräftigt, Krisen- oder gar Kriegsgebiete verhindert werden? daß sie Erich Honecker beim Verlassen der chileni- schen Botschaft den deutschen Behörden zuführen Ursula Seiler-Albring, Staatsministerin: Herr Kol- will. Wäre es nicht sinnvoll, von der russischen Regie- lege Schloten, ich glaube, Sie sind mit mir einig, wenn rung zu erbitten, daß sie in dem Sinne, wie Sie es eben ich sage, daß der Bundesminister des Auswärtigen geschildert haben, gegenüber Chile aktiv wird? dies in der Vergangenheit sehr nachdrücklich und in bilateralen Gesprächen immer wieder getan hat. Wir Ursula Seiler-Albring, Staatsministerin: Herr Kol- werden z. B. die Möglichkeiten, die sich im Bereich lege Augustinowitz, Sie können davon ausgehen, daß der Kooperation auf EG-Ebene mit diesen Staaten in die Bundesregierung alle Facetten dieser Thematik Zukunft verstärkt abzeichnen, dazu nutzen können, mit den dafür zuständigen Stellen angesprochen hat. die Politik der Nichtweitergabe und am besten der Es gibt wirklich eine unglaubliche Fülle von Kontak- Einstellung dieser Waffenlieferungen zu betreiben. ten. Wir haben bislang den Zustand — wir haben Ich kann Ihnen das für mein Haus sicherlich signali- heute ja einige andere Meldungen gehört —, daß sieren und zusagen. Erich Honecker nach wie vor in der chilenischen Botschaft ist. Aber wir gehen weiterhin davon aus, daß Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Weitere die Zusage der chilenischen Regierung steht, daß sie Zusatzfragen hierzu werden nicht gewünscht. Erich Honecker nur mit einem gültigen deutschen Paß Dann teile ich dem Haus zunächst einmal mit, daß ins Land lassen wird. die Fragen 19 und 20 des Abgeordneten Dr. Ruck sowie die Frage 21 des Abgeordneten Bindig schrift- Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Eine wei- lich beantwortet werden. Die Antworten werden als tere Zusatzfrage, bitte schön. Anlagen abgedruckt. Ich rufe die Frage 22 des Abgeordneten Augustino- Jürgen Augustinowitz (CDU/CSU): Frau Staatsmi- witz auf: nisterin, können Sie vielleicht Zweifel zerstreuen, daß Gegen welche internationalen Verträge bzw. Abkommen die Bundesregierung gegenüber Chile diesen Fall verstößt Chile eventuell, indem die chilenische Botschaft in nicht deutlich genug formuliert hat? Denn wir müssen Moskau Erich Honecker weiterhin in der Botschaft duldet, und durch welche Maßnahmen hat die Bundesregierung bisher auf natürlich auch die besondere innenpolitische Situa- die Regierung in Chile eingewirkt, damit diese ihre Botschaft in tion in Deutschland betrachten. Für uns ist die Sache Moskau veranlaßt, Erich Honecker aus der dortigen Botschaft Erich Honecker nicht irgendeine Angelegenheit, son- auszuweisen? dern ein Fall von besonderer Bedeutung.

Staatsministerin: Herr- Kol- Ursula Seiler-Albring, Ursula Seiler-Albring, Staatsministerin: Herr Augu- lege, in Be tracht könnte lediglich das Übereinkom- stinowitz, wenn Sie es möchten, kann ich Ihnen gerne men über diplomatische Beziehungen kommen. Chile einen Einblick in die Liste der Kontakte geben. Ich verletzt aber nur dann das WÜD, wenn Rußland die kann es nur nicht hier vortragen, weil es eine ganze Beendigung des Aufenthalts von Erich Honecker in Reihe schutzwürdiger Kontakte gibt. Darauf nehmen der Botschaft Chiles in Moskau verlangt und Chile Sie bitte Rücksicht. Ich kann Ihnen versichern, daß der sich dann diesem Verlangen widersetzt. Allerdings chilenischen Regierung nicht verborgen geblieben ist, kann Rußland einen solchen Anspruch nicht zwangs- welchen Nachdruck die Bundesregierung mit ihrem weise durchsetzen. Wunsch verbindet, E rich Honecker vor ein deutsches Sie wissen, daß die Bundesregierung wiederholt auf Gericht zu stellen. allen ihr zur Verfügung stehenden Kanälen der chile- nischen Regierung ihre Haltung im Falle Honecker Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Frau erläutert hat und gebeten hat, Erich Honecker nicht in Staatsministerin, ich bedanke mich bei Ihnen. der Botschaft Chiles in Moskau zu dulden. Die chile- nische Regierung hat erwidert, sie werde Erich Ich kann noch die Fragen 36 und 37 der Abgeord- Honecker kein Asyl gewähren, sie sehe sich aber neten Frau Westrich aufrufen, damit der Staatssekre- außerstande, Honecker aus der Botschaft auszuwei- tär Dr. Grünewald für den Bundesminister der Finan- sen. In Chile wird diese Haltung vielfach mit humani- zen nicht völlig vergeblich gekommen ist. Ist es tären Erwägungen und mit angeblicher Dankbarkeit sinnvoll, die Fragen zusammen zu beantworten? gegenüber Honecker für die Aufnahme vieler Chile- (Lydia Westrich [SPD]: Nein!) nen in der früheren DDR während der Pinochet — Sie setzen sich damit dem Risiko aus, Frau Abge- Diktatur gerechtfertigt. ordnete, daß wir nur noch die Frage 36 behandeln. Ich Der chilenischen Regierung ist die deutsche Posi- rufe also diese Frage auf: tion klar bewußt. Sie hält aber bislang an der geschil- Kann die Bundesregierung bestätigen, daß die Verkehrswert- derten Haltung fest. Dessenungeachtet wird die Bun- ermittlung für den von den US-Streitkräften im vergangenen desregierung in ihren Bemühungen nicht nachlas- Jahr geräumten Flugplatz Zweibrücken sich auf den Stichtag der Freigabe und auf die Eigenschaften, den Zustand und die sen. Beschaffenheit des Grundstücks zum Freigabestichtag ohne Rücksicht auf die Planungsmaßnahmen der Stadt Zweibrücken Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Zusatz- beziehen wird? frage, bitte schön. Bitte sehr. 6352 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 76. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Februar 1992

Dr. Joachim Grünewald, Parl. Staatssekretär beim Bitte schön. Bundesminister der Finanzen: Frau Kollegin Westrich, bei der Ermittlung des Wertes bundeseigener Grund- stücke, für die ein Bebauungsplan nicht vorliegt, ist Lydia Westrich (SPD): Ich muß noch einmal fragen, der Bund grundsätzlich gehalten, von der zukünftig Herr Staatssekretär, ob es unter der Aufzählung vorgesehenen Bauleitplanung auszugehen, es sei flankierender Maßnahmen für schwer vom Truppen- denn, die Baulandeigenschaft ergibt sich bereits auf abzug be troffene Gebiete auch die Möglichkeit der Grund der baurechtlichen Vorschriften. vorgezogenen Wertermittlung gibt. Ist das auch bei der Stadt Zweibrücken möglich? Davon abweichend kann nach dem Verbilligungs- konzept der Bundesregierung bei der Verkehrswert- ermittlung für den ehemaligen Militärflugplatz Dr. Joachim Grünewald, Parl. Staatssekretär: Ja, Zweibrücken für den eine Planung noch nicht vor- natürlich. Nur werden, wie Ihnen bekannt ist, auf dem liegt, yon der derzeitigen Grundstücksqualität auszu- Flughafen die Schäden der dortigen Altlasten noch gehen sein. Dazu müssen allerdings die Vorausset- festgestellt, und zwar sowohl von amerikanischer zungen für die Durchführung städtebaulicher Maß- Seite als auch im Auftrag des Bundes durch die nahmen im Sinne des Maßnahmengesetzes zum Bau- Landesbauverwaltung sowie wohl auch im Auftrag gesetzbuch erfüllt sein. des Landes Rheinland-Pfalz von einer Gesellschaft, Auch ohne eine entsprechende förmliche Festle- deren Namen ich momentan nicht genau weiß. gung des Gebietes kann nach dem Ihnen bekannten (Lydia Westrich [SPD]: Nach Beantwortung Haushaltsvermerk in diesem Fall an die Gemeinde der zweiten Frage kann man darauf zurück zum entwicklungsunbeeinflußten Grundstückswert kommen!) veräußert werden. Voraussetzung dafür ist, daß sich die Gemeinde zur Durchführung der beabsichtigten städtebaulichen Entwicklungsmaßnahmen innerhalb Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Herr von fünf Jahren verpflichtet. Eine weitere Vorausset- Staatssekretär, ich danke Ihnen. *) zung ist das Vorhandensein einer im Ergebnis glei- chen Regelung im Land Rheinland-Pfalz. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 9 auf: Weitere Einzelheiten über diese Grundsätze wer- Beratung des Antrags der Abgeordneten den augenblicklich interdisziplinär in der Bundesre- Dr. Uwe Jens, Wolfgang Roth, Hans Berger, gierung festgelegt. weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Ich lasse eine Zusatzfrage zu. Dann ist die Fragestunde been- Verstärkte Berücksichtigung von ostdeut- det. Bitte schön, Frau Abgeordnete. schen Betrieben bei der Vergabe öffentlicher Aufträge - Lydia Westrich (SPD): Da der Beauftragte der Ober- — Drucksache 12/737 — finanzdirektion Koblenz als Vertreter der Bundesre- Überweisungsvorschlag: gierung bei Wertermittlungen immer auf einen Zeit- Ausschuß für Wirtschaft (federführend) punkt nach vorliegenden Planungen verweist, frage Rechtsausschuß ich Sie: Wie ist es dann mit eventuell vorhandenen Ausschuß für Post und Telekommunikation Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau oder entstehenden Planungsgewinnen? Kommen Haushaltsausschuß diese den betroffenen Kommunen als Ausgleich für die Kosten, die sie bis dahin getragen haben, Der Ältestenrat schlägt Ihnen eine Debattenzeit von zugute? einer Stunde vor. — Das Haus ist damit einverstan- den. Dr. Joachim Grünewald, Parl. Staatssekretär: Die Ich eröffne die Debatte und erteile dem Abgeordne- Verkehrswertermittlung richtet sich nach dem Zeit- ten Dr. Jens das Wort. punkt der Freigabe mit Sicht auf die zukünftige Planung. Der Bund beabsichtigt, um es ganz deutlich (SPD): Herr Präsident! Meine sehr zu sagen, in keinem Fall, Planungsgewinne für sich zu Dr. Uwe Jens geehrten Damen und Herren! Der bekannte amerika- beanspruchen, wenn die Gemeinde kauft und selber nische Nationalökonom und Nobelpreisträger Paul tätig wird oder einen Dritten beauftragt. Dann muß Samuelson meinte: „God gave us two eyes: one to der Planungsgewinn auch der Gemeinde zukom- watch supply side, and one to watch dem and side." men. Gerade die Nachfrageseite ist im Programm Auf- Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Danke schwung Ost bisher leider viel zu kurz gekommen. schön. Angebotspolitische Maßnahmen wie eine Investi- tionszulage setzen Unternehmen voraus, die investie- (Lydia Westrich [SPD]: Noch eine Zusatz ren wollen. Bei unausgelasteten Kapazitäten, zu gro- frage!) ßem Angebot und zu geringer Nachfrage wirken diese — Wir haben die für die Fragestunde vorgesehene Maßnahmen überhaupt nicht. So war es zum Teil. Zeit jetzt schon deutlich überschritten. Aber wenn Trotz lautstarker Versprechungen vieler Großunter- Ihnen die Zusatzfrage sehr am Herzen liegt und wenn sie kurz ist, will ich sie zulassen. Ich mache jedoch *) Die Frage 99 des Abgeordneten Eckart Kuhlwein ist zurück- darauf aufmerksam, daß wir die Zeit schon deutlich gezogen. Die übrigen Fragen sind schriftlich beantwortet wor- überschritten haben. den und als Anlagen abgedruckt. Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 76. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Februar 1992 6353

Dr. Uwe Jens nehmen wurde bisher in den neuen Bundesländern die Probleme in Ostdeutschland nicht geringer, son- viel zu wenig investiert. dern immer größer werden. (Dr. Peter S truck [SPD]: Sehr wahr!) (Beifall bei der SPD) Man konnte ja schließlich die Nachfrage in Ost- Wenn wir von öffentlichen Unternehmen sprechen, deutschland mit Leichtigkeit durch die vorhandenen dann meinen wir selbstverständlich nicht nur die Kapazitäten in Westdeutschland bef riedigen. Stadtwerke, sondern auch alle Elektrizitätsversor- gungsunternehmen. Wir können der Bundesregierung den Vorwurf Ich hatte vor kurzem Gelegenheit, die Probleme bei nicht ersparen, daß sie auf die Einführung der Wäh- der Firma Bergmann-Borsig in Ost-Berlin zu diskutie- rungsunion am 1. Juli 1990 wirtschaftspolitisch zu spät und zu schwach reagiert hat. Politisch gab es zur ren. Diese Firma gehört mittlerweile zum ABB- Einführung der D-Mark zu dieser Zeit keine Alterna- Konzern. Da ist ein Unternehmen privatisiert wor- den. tive. Dennoch waren die verheerenden Folgen für die ostdeutsche Wirtschaft vorhersehbar. Gleichzeitig mit Ob das für dieses Unternehmen ideal ist, wage ich der Währungsunion hätte ein umfassendes und groß- zu bezweifeln. Die Aufträge werden nämlich zentral zügiges Programm zur Belebung der Wirtschaftstätig- von der Konzernleitung akquiriert und zentral verge- keit in den neuen Bundesländern auf die Beine ben. Berlin hat bisher wenig abbekommen; aber es gestellt werden müssen. sind Aufträge z. B. nach Mannheim vergeben worden. Das scheint mir nicht sehr sinnvoll zu sein. Die (Dr. Peter S truck [SPD]: Sehr wahr!) Privatisierung hat nicht das gebracht, was wir eigent- Jetzt haben wir in den neuen Bundesländern etwa lich erhofft hatten. ein Viertel der Bevölkerung ganz Deutschlands woh- Tatsache ist, daß der Betriebsrat unwahrscheinlich nen, aber die Bruttowertschöpfung betrug im vergan- aktiv ist und sich bemüht, daß Aufträge hereinkom- genen Jahr nur etwa 10 %. Die Bruttoinvestitionen der men. Das weiß ich sehr wohl zu schätzen; das finde ich privaten Wirtschaft lagen noch wesentlich tiefer: bei ganz hervorragend. Wenn wir hinbekämen, daß 70 % 6 % der gesamten Investitionen der Bundesrepublik der öffentlichen Aufträge drüben erledigt werden Deutschland. müssen, wäre dieses Unternehmen für diesen Konzern plötzlich wieder hochattraktiv. Angesichts dieser Entwicklung den Eindruck in den neuen Bundesländern zu erwecken, mit der Anglei- Ich erwähne noch kurz drei weitere Maßnahmen, chung der Lebensverhältnisse dauere es noch drei bis um die Nachfrageseite in Ostdeutschland, die bisher fünf Jahre, ist verwerflich und falsch. Wenn nicht mehr viel zu kurz gekommen ist, zu beleben: als bisher getan wird, werden wir nicht einmal in Erstens. Die Haltung der gegen- zehn Jahren angenäherte Lebensverhältnisse in Ost- Gasunternehmen über den Lieferstaaten in der ehemaligen UdSSR ist deutschland erreichen. mir unverständlich. Sie ist auch in der Diskussion im Bei der Vergabe öffentlicher Aufträge und Leistun- Wirtschaftsausschuß unverständlich geblieben. Ge- gen gibt es für kleine und mittlere Unternehmen in genüber diesen Konzernen muß der Bundesminister Ostdeutschland zur Zeit noch eine sogenannte Mehr- für Wirtschaft offenbar eine etwas verständlichere preispräferenz von 6 %. Nach unserem Antrag, den Sprache sprechen. wir heute diskutieren, muß diese Mehrpreispräferenz Zweitens. Der Kabinettsbeschluß vom 22. Januar angehoben, verlängert und auf alle Unternehmen in über die Hermes - Deckung von 5 Milliarden DM für den neuen Bundesländern ausgeweitet werden. dieses Jahr für Lieferungen in die GUS-Staaten greift Selbst wenn die Unternehmen in Ostdeutschland 20 % nach meinem Dafürhalten ein wenig zu kurz. Wir teurer sind, sollten sie die öffentlichen Aufträge kennen das Problem selbstverständlich. Darüber muß bekommen. Das will unser Antrag. jedoch im Interesse der ostdeutschen und einiger Zweitens fordern wir, daß öffentliche Vergabestel- westdeutscher Unternehmen in der ersten Hälfte len aller Art — nicht nur in den neuen Bundeslän- dieses Jahres neu nachgedacht werden. Mit jeder dern — bei Aufträgen für die neuen Bundesländer Maschine, die wir in die GUS-Staaten liefern, stabili- dafür sorgen, daß mindestens 70 % der Lieferungen sieren wir auch den Umstrukturierungsprozeß, den und Leistungen aus ostdeutschen Betrieben kommen. wir im Eigeninteresse unserer Wirtschaft dringend In begründeten Ausnahmefällen gibt es eine Aus- benötigen. weichmöglichkeit. Was in Ostdeutschland neu benö- Drittens. Ich weiß nicht, warum die Bundesregie- tigt wird, soll von Kommunen, Ländern, Bund, Post, rung nicht mehr unternimmt, um L ander wie Polen, Bahn usw. vor allem in ostdeutschen Be trieben die CSFR und Ungarn in die Europäische Gemein- bestellt werden. Das würde die Auftragslage der schaft zu holen. Auch das wäre ein Beitrag zur ostdeutschen Unternehmen spürbar verbessern. Es Stabilisierung des Reformprozesses. Auch damit wür- wäre auch ein Anreiz für westdeutsche Unternehmen, den wir die wirtschaftliche Position von Unternehmen in den neuen Bundesländern endlich eigene Produk- in Ostdeutschland verbessern. tionsstätten aufzubauen. In den Tagesnachrichten vom 23. Januar dieses Den Einwand im Hinblick auf die Europäische Jahres läßt der Bundesminister für Wirtschaft verlau- Gemeinschaft kennen wir; er ist geprüft. Aber Pro- ten: Bei Käufern der öffentlichen Hand müßte im bleme sind bekanntlich dazu da, daß sie überwunden Rahmen des rechtlich Zulässigen eine Präferenz für werden. Wenn wir nicht mehr als bisher tun, werden ostdeutsche Anbieter geschaffen werden. Ich wieder- 6354 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 76. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Februar 1992

Dr. Uwe Jens hole — das war das Anliegen meiner kleinen Rede —: ländern zuzüglich Ost-Berlins 36,4 Milliarden DM. Tun Sie es doch endlich! Nach einer Umfrage des Hauptverbandes der Bauin- Unser Antrag zur verstärkten Berücksichtigung ost- dustrie bei 100 ostdeutschen Mitgliedsunternehmen deutscher Betriebe bei der Vergabe öffentlicher Auf- ist das Volumen der neu hereingekommenen Auf- träge, über den wir heute diskutieren, liegt seit dem träge im Januar 1992 gegenüber dem Vormonat um 2. Juli des vergangenen Jahres als Bundestagsdruck- 11 % gestiegen. Dabei stieg die Baunachfrage in sache vor. Warum müssen die Sozialdemokraten die Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen-Anhalt und Regierung bei den Hilfsmaßnahmen für Ostdeutsch- Ost-Berlin, während in Thüringen, Sachsen und Bran- land ununterbrochen treiben? denburg eine Belebung ausblieb. Der Bundesminister für Wirtschaft hat ja bekannt- Nach den Präferenzregelungen der Bundesregie- lich schon sehr viel von uns übernommen, worüber wir rung hat sich gezeigt, daß Arbeitsgemeinschaften natürlich nicht böse sind. Es sei aber erlaubt, dies zwischen Betrieben in den alten Bundesländern und immer wieder hervorzuheben. Auf alle Fälle meine Betrieben in den neuen Bundesländern deutlich die ich, es wäre gut, wenn der Bundesminister für Wirt- Nase vorn hatten. Erfahrungen des einen Partners, schaft auch diese Anregung, die heute zur Debatte gepaart mit dem Heimvorteil des anderen, führten steht, möglichst schon morgen verwirklichen würde. naturgemäß öfters zum Erfolg. Schönen Dank. Das Baugewerbe in den neuen Bundesländern (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Dr. Fritz mußte sich sehr schnell an die neuen Bedingungen Schumann [Kroppenstedt] [PDS/Linke des Marktes gewöhnen. Doch was nützen uns die Liste]) besten Verordnungen und Präferenzen, wenn sie vor Ort von den Ländern und Kommunen nicht oder nur teilweise angenommen werden? Oder ist der Landrat Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Das Wort hat der Abgeordnete Hans-Ulrich Köhler. oder Bürgermeister immer und in jedem Fall zu kritisieren, der aus den ihm zur Verfügung stehenden Mitteln mehr herausholen will, als es mitunter die Hans-Ulrich Köhler (Hainspitz) (CDU/CSU): Herr einheimischen Handwerker zulassen würden? Hinzu Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! kommt, daß Planungsbüros aus den alten Bundeslän- Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Baujunktur in dern auf Grund ihres besseren Know-hows, verbun- den neuen Bundesländern und Ost-Berlin beruht den mit den unerläßlichen Beziehungen und Kennt- überwiegend auf öffentlichen Aufträgen. Die von der nissen der VOB Wege finden, Gesetze und Verord- Bundesregierung bereitgestellten Mittel für den Auf- nungen geschickt zu umgehen. schwung Ost haben sich als Initialzündung bewährt. Das zeigt die Entwicklung des Auftragseinganges und Das „Handelsblatt" schreibt dazu in seiner Ausgabe des Auftragsbestandes beim Bauhauptgewerbe. Die vom 7. Oktober 1991: Bauaufträge lagen im Herbst 1991 um fast- 90 % über Von der Präferenzregelung, die die Bundesregie- dem Vorjahresniveau. rung Mitte des Jahres erlassen hatte, um den Das Hauptanliegen der Bundesregierung war es ostdeutschen Unternehmen eine Vorzugsbe- von Anfang an, der einheimischen Bauindustrie sowie handlung bei der Vergabe von öffentlichen Auf- dem aufkeimenden mittelständischen Baugewerbe in trägen zu sichern, wird in den Beitrittsländern den neuen Bundesländern Präferenzen einzuräumen. kaum Gebrauch gemacht. Denn diese Regelung Deshalb erhalten kleine und mittlere Betriebe aus den ist von den Ländern und Gemeinden in der neuen Bundesländern bei der Vergabe von öffentli- ehemaligen DDR weitgehend nicht übernommen chen Aufträgen auch dann noch den Zuschlag, wenn worden. sie mit ihrem Angebot bis zu 5 % über dem günstigsten Angebot eines Unternehmens liegen, das nicht in den Das „Handelsblatt" begründet seine Feststellung mit neuen Bundesländern ansässig ist. Überforderung der Beamten an den Vergabestellen für öffentliche Aufträge ebenso wie mit der Überfor- Außerdem haben die in den neuen Bundesländern derung der öffentlichen Haushalte. ansässigen Unternehmen bei öffentlichen Ausschrei- bungen ein Recht zum Eintritt in das Angebot bzw. Demzufolge brauchen wir keine Erweiterung der den Preis des günstigsten Anbieters, der nicht aus den Präferenzen, wie von der SPD in dem Antrag gefor- neuen Bundesländern stammt. Das bedeutet, daß das dert, und schon gar keine Mehrpreispräferenz unab- Unternehmen die Möglichkeit erhält, seine Preise neu hängig von der Größe des Unternehmens. Denn zu kalkulieren, so daß sie das günstigste Angebot schließlich wollen wir den Mittelstand und nicht die nicht oder um nicht mehr als 5 % übersteigen. Großunternehmen fördern. Wir müssen dafür sorgen, Darum ist die 20 %-Marge richtig und sinnvoll, weil daß bestehende Regelungen konsequent angewandt sich nur innerhalb dieser Preisspanne Rationalisie- werden. Jeder gesetzgeberische Eingriff der Bundes- rungsreserven bilden lassen. Oberhalb dieser Preis- regierung in den Markt, der über die bestehende spanne ist die einwandfreie Erfüllung dieses Ange- Mehrpreispräferenz hinausgeht, bedeutet eine ge- bots zumindest zweifelhaft. Die dabei festgelegte fährliche Gratwanderung hin zum Dirigismus. Obergrenze bei Liefergeschäften von 100 000 DM Wir können darüber hinaus beschließen, was wir und bei Bauvorhaben in Höhe von 1 Million DM hat wollen: Das Ausgrenzen von Firmen aus den alten sich ebenfalls bewährt. Bundesländern auf dem ostdeutschen Baumarkt kön- 1991 betrug laut dem Statistischen Bundesamt die nen wir dadurch nicht erreichen. Dabei stellt sich Summe der Bauinvestitionen in den neuen Bundes gleichzeitig die Frage, ob wir das überhaupt wollen. Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 76. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Februar 1992 6355

Hans-Ulrich Köhler (Hainspitz) Unser Ziel muß es sein, unser deutsches Vaterland Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit. gemeinsam aufzubauen. Wir alle sind gefordert, so (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) schnell wie möglich und so viel wie möglich dazuzu- lernen. Mit gutem Beispiel geht hier die Deutsche Bundes- Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Das Wort post Telekom mit ihrer Vergabe von Aufträgen voran: hat der Abgeordnete Dr. Schumann. Von den 7,25 Milliarden DM, die 1991 für den Aufbau der Infrastruktur und die Angleichung des Dienstlei- (Kroppenstedt) (PDS/Linke stungsstandards insgesamt zur Verfügung standen, Dr. Fritz Schumann Liste): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir wurden bereits im ersten Halbjahr 18 500 Aufträge verkennen nicht die Anstrengungen, die in den neuen mit einem Volumen von 800 Millionen DM an Unter- Ländern unternommen worden sind, um den Unter- nehmen in den neuen Bundesländern vergeben. Die nehmen aus den neuen Bundesländern größere Chan- Tendenz blieb steigend, so daß die Unternehmen der cen im Wettbewerb um öffentliche Aufträge einzu- Deutschen Bundespost, also Telekom, Postdienst und räumen. Dazu hat besonders der Erlaß des Bundes- Postbank, schon bis Ende des dritten Vierteljahres wirtschaftsministeriums vom 1. Juli 1991 beigetragen. rund 48 000 Aufträge mit einem Gesamtwert von Die Anteile, die sich bei der Vergabe der Aufträge an 1,8 Milliarden DM in den neuen Bundesländern erteilt ostdeutsche Unternehmen ergeben, sind örtlich zwar hatten. unterschiedlich, aber rein zahlenmäßig entfällt ein Handwerk, Handel und die mittelständische Indu- nicht unbeträchtlicher Anteil auf ostdeutsche Unter- strie sind unmittelbarer Nutznießer dieses Auftrags- nehmen. Eine andere Frage ist das vorhandene Auf- volumens, von dem zusätzlich Sekundarwirkung tragsvolumen, das trotz gewaltiger Transferleistun- zugunsten des Mittelstandes ausgeht. Kleinere und gen nicht ausreichend ist. mittlere Betriebe können sich noch als Unterauftrag- Notwendigkeiten für öffentliche Aufträge gibt es in nehmer und Zulieferer für Großunternehmen anbie- Hülle und Fülle. Da wären in erster Linie die Woh- ten und erhalten so Aufträge, die eigentlich der nungserhaltung, die Stadtsanierung, die Beseitigung Industrie zugerechnet werden. von Umweltschäden und die Probleme mit Trinkwas- Von der hohen Nachfrage nach Telefonanschlüssen serqualitäten zu nennen. Sieht man das Ganze dazu in den neuen Bundesländern wird eine weitere vor dem Hintergrund der stark angestiegenen Signalwirkung für den wirtschaftlichen Aufschwung Arbeitslosigkeit im Osten, der vielen Menschen, die erwartet. 1991 hat die Bundespost Telekom 550 000 aus dem Arbeitsprozeß ausgeschieden sind, obwohl Anschlüsse geschaltet und 453 000 neu verlegt. Die- sie noch gern gearbeitet hätten, und der fehlenden ses Ergebnis übertraf alle Erwartungen und Progno- Infrastruktur, die das Entstehen von Arbeitsplätzen sen. Dafür und für das Programm „Telekom 2000", das behindert, dann muß man sich doch ganz zwangsläu- 7,2 Millionen Anschlüsse für die neuen Bundesländer fig die Frage nach einem öffentlich finanzierten bis 1997 vorsieht, möchte ich der Bundesregierung Programm mit Arbeit für viele hunderttausend stel- danken. Der Ausbau des Telefonverkehrs in den len, das diesen für viele Menschen ohne Arbeit neuen Bundesländern ist ein wesentlicher Beitrag schmerzhaften Kreislauf durchbrechen helfen könnte, zum Aufbau der Infrastruktur und zum Aufbau der statt Arbeitslosigkeit durch Passivsein zu finanzie- Wirtschaft. ren. Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, Sie müssen Statt neue Forderungen zu erheben, schlage ich vor, sich bei der Diskussion auch die tatsächliche Finanz- daß die SPD-Regierungen der alten Bundesländer ausstattung der ostdeutschen Kommunen vor Augen darlegen, wie vielen Unternehmen aus den neuen halten. Eine Gemeinde im Westen nahm 1991 pro Ländern sie bisher Präferenzen bei der öffentlichen Einwohner rund 1 270 DM Steuern ein — eine Auftragsvergabe gewährt haben. Dabei sollten Gemeinde im Osten dagegen nur 200 DM. Eine wei- zunächst die Regelungen des Bundes und der neuen tere mögliche Einnahmequelle, nämlich die Energie- Länder von den alten Ländern übernommen werden. versorgung über die Stadtwerke, gehört nach dem Zwischen Anspruch und Wirklichkeit liegen bei der Stromvertrag großen Westkonzernen; zumindest so SPD wie immer Welten. lange, bis diese Entscheidung gerichtlich rückgängig (Dr. Peter Struck [SPD]: Na, na, na! Jetzt gemacht wird. Auch die Mittel aus dem Gemein- werden Sie hier aber nicht polemisch! — schaftswerk Aufschwung Ost bringen hier keinen Weitere Zurufe von der SPD) Ausgleich, auch wenn man dafür sicher dankbar sein muß. Bevor die SPD die Bundesregierung kritisiert, sollte sie dafür sorgen, daß die SPD-Landesregierungen die Zugleich ist es auch nach unserer Auffassung Präferenzregelungen übernehmen. besonders notwendig, ostdeutschen Be trieben bei der Vergabe zu erwartender öffentlicher Aufträge Vor- (Horst Peter [Kassel] [SPD]: Wir haben das rang einzuräumen. Das könnte auch dem Mittelstand, bisher alles geduldig angehört!) dem produzierenden Gewerbe, weiteren Auftrieb Damit helfen diese den Unternehmen und hier beson- geben. Wir haben heute in der Wirtschaftsdebatte ders dem Mittelstand in den neuen Ländern. Hier ausführlich darüber gesprochen. kann die SPD-Bundestagsfraktion einmal zeigen, wie Einigen ostdeutschen Firmen, z. B. in Sachsen, war gut die Zusammenarbeit mit den SPD-Landesregie- es gelungen, öffentliche Aufträge zur Montage von rungen funktioniert und welchen Einfluß sie geltend Stahlschutzplanken und Sicherheitsausrüstungen an machen kann. Autobahnen und Straßen zu bekommen. Die neuere 6356 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 76. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Februar 1992

Dr. Fritz Schumann (Kroppenstedt) Entwicklung geht dazu über, daß verstärkt Umbauten Bundesverband Mittelständischer Wirtschaft im Land und Neubauten ausgeschrieben werden. Brandenburg werden die öffentlichen Aufträge im Alle vorliegenden Informationen deuten darauf hin, Bereich von Cottbus überwiegend an ostdeutsche daß dies jedoch nach einer anderen Methode erfolgen Firmen vergeben. Das bedeutet freilich nicht, daß das soll: Man bevorzugt die Beauftragung von General- schon ausreicht. Ganz offensichtlich hat hierzu auch unternehmen. Eine getrennte Ausschreibung von die Auftragsberatungsstelle des Landes Brandenburg geeigneten Gewerken, z. B. Stahlschutzplanken, mit Sitz in Cottbus beigetragen. Doch nichts ist so gut, Lärmschutz, Markierung und Beschilderung, soll daß es nicht verbessert, d. h. besser angewendet und nicht mehr erfolgen. umgesetzt, werden könnte. Gerade für die neuen mittelständischen Unterneh- Ein Hindernis ist, daß sich die westdeutschen Län- men ist eine solche Ausschreibungsmethode jedoch der weigern, diese Bundesregelung zu übernehmen. von großem Nachteil. In aller Regel wird der General- Das dürfte ein weiteres Mal nicht gerade ein Beweis unternehmer nicht eine Ausschreibung, sondern ein von Solidarität sein. Angebotsverfahren durchführen. Außerdem wird ein Unabhängig davon könnten wahrscheinlich durch Generalunternehmer die bestehende Richtlinie für die genannte Regelung insgesamt die Angebote die Behandlung bevorzugter Bewerber aus mittelstän- gedrückt und damit in der Summe öffentliche Mittel dischen Betrieben nicht unbedingt anwenden müs- eingespart werden. sen. Wir schlagen vor, in jedem Fall und unabhängig Bei der Gelegenheit: Gespart werden könnte und vom direkten Auftragnehmer bei den Auftraggebern muß nicht nur durch zahlenmäßige Reduzierung von der öffentlichen Hand eine Ausschreibung sicherzu- öffentlichen Maßnahmen in den alten Ländern, son- stellen, damit die Förderung des Mittelstandes nicht dern vor allem durch Reduzierung der Größe und auf diesem Umweg zurückgeht. Ausstattung entsprechend dem tatsächlich erforderli- chen Bedarf. Wir brauchen jetzt also keine Paläste mit Danke. goldenen Klinken. (Beifall bei der PDS/Linke Liste und bei Abgeordneten der SPD) Hier sollte, das ist meine Anregung, über Bemes- sungsrichtwerte — das sage ich ganz bewußt — nach- gedacht werden, da öffentliche Anlagen ohne Zweifel Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Ich erteile überbemessen werden. Das hatte ich schon bei uns dem Abgeordneten Jürgen Türk das Wort. festgestellt. Ich nehme an, das ist hier im öffentlichen Dienst nicht anders. Jürgen Türk (FDP): Sehr geehrter Herr Präsident! Ohne den zu erwartenden Berichten vorgreifen zu Meine Damen und Herren! Es ist hinlänglich bekannt, wollen, stelle ich fest: Offensichtlich kommen noch daß ostdeutsche Betriebe durch die erforderliche nicht alle öffentlichen Auftraggeber in vollem Umfang Umstrukturierung Anpassungsschwierigkeiten in be- ihrer Verpflichtung nach, sich über die Auftragsbera- trächtlichen Größenordnungen haben und haben tungsstellen geeignete ostdeutsche Unternehmen für müssen, weil sie nicht auf Leistung und damit nicht auf die Angebotsabgabe nennen zu lassen. Laut Auftrags- Wettbewerbsfähigkeit ausgerichtet waren. Extrem beratungsstellen hat hier z. B. die Bundespost noch schwierig wird die Lage durch den weggebrochenen zuwenig und die Bahn — d. h. Bundesbahn und Markt. Somit sind sowohl vorhandene Betriebe als Reichsbahn — kaum Bedarf angemeldet. Insgesamt auch viele Existenzgründer benachteiligt: Sie haben ist der Trend zu verzeichnen, daß vorwiegend nur das wesentlich schlechtere Wettbewerbschancen als angemeldet wird, was über Jahre fest gebundene westdeutsche Unternehmen. westdeutsche Lieferanten nicht mehr produzieren Da aber ohne Zweifel zu einer gesunden Wirtschaft können. insbesondere bodenständige, kleinere und mittlere Erfreulicherweise ist hier eine Trendumkehr Unternehmen gehören, müssen diese Wettbewerbs- erkennbar, wie ich mir heute aus Cottbus habe berich- nachteile schrittweise abgebaut werden. Das macht ten lassen. Doch das müssen die Analysen, die zu die Bundesregierung seit Mitte 1991 mit entsprechen- erwarten sind, besser ausweisen. Sie müßten auch den Erlassen zugunsten der neuen Bundesländer bei darüber Aufschluß geben, ob jeweils eine Beratungs- der Vergabe öffentlicher Aufträge und einem Nach- stelle in den ostdeutschen Ländern ausreicht. tragserlaß des Bundesministers für Wirtschaft vom 14. November 1991 über die Aufgaben der Auftrags- Darüber hinaus ist die Frage zu stellen, ob die beratungsstellen in Ostdeutschland. Beratungsstellen weiterhin nur Lieferungen oder bes- Eintrittsrechte in Bestgebote westdeutscher Bieter ser auch Bau- und Planungsleistungen vermitteln bei Übersteigung des ostdeutschen Angebots bis sollten. Viele Investitionen bestehen aus diesen 20 %, ein Mehrpreis von 5 % für mittlere und kleine genannten Teilleistungen. Unternehmen und Eintrittsangebote vorrangig an Insgesamt bedeutet das: Die vorhandenen Regelun- kleine und mittlere Unternehmen gehen zweifellos gen stellen wesentlich verbesserte Hilfen dar, haben über die bis zum ersten Halbjahr 1991 gültigen sich bewährt und sollten auf der Grundlage der noch Regelungen hinaus und sind meines Erachtens eine zu erwartenden Berichte umgehend bis Ende 1993 optimale Hilfe. — ich betone: bis Ende 1993 — verlängert und noch Natürlich stellt sich die Frage, ob diese eingeleite- konsequenter umgesetzt werden. Damit würde sich

ten Maßnahmen greifen. Für den Bereich Cottbus, aus der SPD - Antrag, der sicher gut gemeint war, aller- dem ich komme, kann ich das feststellen. Laut dem dings erübrigen. Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 76. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Februar 1992 6357

Jürgen Türk Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit. Erstens. Den öffentlichen Auftraggebern wurde die (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Möglichkeit eingeräumt, an Stelle der öffentlichen Ausschreibung beschränkt auszuschreiben. Zweitens. Den Unternehmen der neuen Bundeslän- Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Ich erteile der haben wir ein generelles Eintrittsrecht in die dem Parlamentarischen Staatssekretär Klaus Beck- Bestgebote westdeutscher Bieter ermöglicht. Dies mann das Wort. bedeutet, daß immer dann, wenn ein ostdeutsches Unternehmen mit seinem Angebot um nicht mehr als 20 % über dem westdeutschen Bestgebot liegt, es in Klaus Beckmann, Parl. Staatssekretär beim Bundes- dieses Angebot eintreten kann. minister für Wirtschaft: Herr Präsident! Meine sehr Drittens. Den Unternehmen der neuen Bundeslän- verehrten Damen! Meine Herren! Anfang Januar der wird, wenn sie in ein westdeutsches Bestgebot dieses Jahres hat der Bundeswirtschaftsminister die eingetreten sind — bei kleineren Aufträgen, also bei zweite Runde des Gemeinschaftswerks Aufschwung Lieferaufträgen bis 200 000 DM und Bauaufträgen bis Ost der Bundesregierung eingeläutet und der Öffent- 1 Million DM —, ein Mehrpreis von bis zu 5 % lichkeit vorgestellt. Ziel dieses weltweit wohl einma- gewährt. ligen Unterfangens ist es, in den neuen Bundeslän- dern die Rahmenbedingungen und Infrastruktur zu Viertens. Zusätzlich wird allen kleinen und mittle- schaffen, die es mittelfristig ermöglichen, dort eine ren Unternehmen ohne Rücksicht auf die Größe des blühende, auch dem internationalen Wettbewerb Auftrages ein weiterer Mehrpreis von nochmals 5 % standhaltende Wirtschaft zu schaffen und damit das eingeräumt. Dies bedeutet, die Unternehmen bekom- Gefälle zwischen Ost und West und innerhalb der men für Lieferaufträge bis zu 200 000 DM und Bau- Bundesrepublik abzubauen. aufträge bis zu 1 Million DM 10 % mehr als die westdeutsche Konkurrenz. Dies alles hat seinen Preis. Die Bundesregierung stellt deswegen sowohl 1991 als auch 1992 jeweils Fünftens. Die öffentlichen Auftraggeber des Bundes 12 Milliarden DM für das Gemeinschaftswerk Auf- wurden verpflichtet, bei beschränkten Ausschreibun- schwung Ost bereit. gen und freihändigen Vergaben, wo es nicht unmög- lich oder unzweckmäßig erscheint, die Auftragsbera- Ein großer Teil dieser Gelder — damit komme ich tungsstellen der neuen Bundesländer einzuschalten zum Thema der heutigen Debatte — fließt als öffent- und sich geeignete Unternehmen aus den neuen liche Aufträge in den Wirtschaftskreislauf zurück. Bundesländern benennen zu lassen. Die Bundesregierung hat mit Wirkung vom 1. Juli Sechstens. Alle öffentlichen Auftraggeber wurden 1991 zur Flankierung dieses Mammutprogramms im verpflichtet, dafür Sorge zu tragen, daß bei umfangrei- öffentlichen Auftragswesen ein Bündel von Maßnah- chen Leistungen, die in einzelne Lose oder Gewerke men verabschiedet, das besonders den Unternehmen aufzuteilen sind, Unternehmen aus den neuen Bun- in den neuen Bundesländern zugute kommt. desländern angemessen zu beteiligen sind. Gleiches Insoweit, Herr Kollege, ist die Bundesregierung gilt für westdeutsche Hauptauftragnehmer. Auch sie dem Antrag der SPD zuvorgekommen. Sie werden sind gehalten, möglichst als Unterauftragnehmer sicher damit einverstanden sein, daß wir damit im Partner in den neuen Ländern zu suchen. Dies ermög- wesentlichen dem Ziel Ihres Antrages entsprochen licht auch einen Know-how-Transfer, learning by haben. doing. Um den Problemen, die sich für Unternehmen aus Siebtens. Den Auftraggebern in den neuen Ländern den neuen Bundesländern im Wettbewerb auch um wird in gewissem Umfang Spielraum für freihändige öffentliche Aufträge ergeben, zu begegnen, hat die Vergaben eingeräumt wie die Möglichkeit, das Lei- Bundesregierung viele Instrumente entwickelt. stungsprofil für den einzelnen Auftrag so zu gestalten, Eines der wichtigsten Instrumente ist dabei der d. h. abzuspecken, daß Unternehmen aus den neuen Zugang zu öffentlichen Aufträgen. Ich nannte ein- Ländern eine Chance haben, sich um diesen Auftrag gangs die 12 Milliarden DM pro Jahr aus dem zu bewerben. Es muß nicht sofort bei allen Leistungen, Gemeinschaftswerk Aufschwung Ost. Dies ist jedoch die mehr als 40 Jahre überhaupt fehlten, bei Lei- nur die Spitze des Eisbergs, nämlich der Transfer der stungszeitraum und Ausführung von 0 auf 100 Haushaltsmittel, die gezielt und projektbezogen in die beschleunigt werden. neuen Bundesländer fließen. Doch insgesamt ist das Meine Damen und Herren, ich denke, daß diese Auftragsvolumen viel, viel höher. kurze und auch nicht abschließende Aufzählung Nach Berechnungen der EG-Kommission fließen zeigt, was die Bundesregierung im Bereich des öffent- derzeit weit mehr als 10 % des Bruttosozialprodukts lichen Auftragswesens geleistet hat. Die Maßnahmen aller Mitgliedstaaten als öffentliche Aufträge in den greifen. Ich denke, wir haben insoweit auch schon viel Wirtschaftskreislauf zurück. Dies bedeutet allein für bewegt. die Bundesrepublik mit einem Bruttosozialprodukt Aber — das will ich nicht verkennen — es gibt auch von rund 2,2 Billionen DM, daß rund 220 Milliarden Grenzen, über die auch die Bundesregierung nicht DM von Bund, Ländern und Gemeinden als öffentli- springen kann. Dazu, Herr Kollege Jens, gehören die che Aufträge vergeben werden. Damit nun ein großer Forderungen der SPD, nämlich 20 % Mehrpreise für Teil dieses Geldes auch tatsächlich den Unternehmen alle Unternehmen in den neuen Bundesländern und in den neuen Bundesländern zugute kommt, ist ihnen 70 % des Auftragswertes aller Aufträge für Einrichtun- der Zugang zum Kunden öffentliche Hand zunächst gen in den neuen Bundesländern. Derartige Local- bis Ende 1992 erleichtert worden. Content-Regelungen für Unternehmen in den neuen 6358 Deutscher Bundestag - 12. Wahlperiode — 76. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Februar 1992

Parl. Staatssekretär Klaus Beckmann Ländern sind unrealistisch und auch mit EG-Recht diese ganze Angelegenheit einmal aus einer etwas nicht vereinbar. Sie sind vorhin so salopp — ich emotionaleren Sicht zu beleuchten. verstehe das aus Ihrer Sicht — über diese Problematik Es wurde heute und hier schon festgestellt, daß von hinweggegangen. der Lösung der Probleme im Osten letztendlich auch (Vorsitz : Vizepräsidentin ) die wirtschaftliche Zukunft des gesamten Landes Ein kleines Beispiel zum Eintrittsrecht in westdeut- abhängt. Ich glaube, wir sind allmählich an einem sche Bestgebote: Sobald der Bestbieter aus einem Punkt angelangt, an dem ich mich frage, welche EG-Mitgliedstaat kommt, gilt das Eintrittsrecht eben Bedeutung das Wort Flexibilität in diesem Lande hat. nicht mehr. Hier ist der EWG-Vertrag eine absolute Von den Ostdeutschen erwartet man ein Höchstmaß Sperre, wie er auch eine Sperre ist gegen alle Versu- davon, damit sie mit den neuen Bedingungen fertig- che, eine sogenannte Local-Content-Lösung einzu- werden. Ich kenne jede Menge Leute, die ihre ganze führen, nach der gewisse Auftragsteile für gewisse Intelligenz, Kreativität und Tatkraft dafür einsetzen, Auftragnehmer rese rviert werden sollen. Ein derarti- um sich selbst oder ihrem Unternehmen ein Stück ges Eintrittsrecht oder eine Local-Content-Regelung Zukunft zu verschaffen. Dazu braucht man einen ist mit dem durch den EWG-Vertrag garantierten gewissen Spielraum, und um den geht es auch in freien Waren- und Dienstleistungsverkehr nicht ver- diesem Antrag. einbar. Folge wäre in letzter Konsequenz ja auch ein Es geht auch darum, daß in diesem Hause begriffen Vertragsverletzungsverfahren gegen die Bundesre- werden muß, daß man, um den tatsächlichen Vollzug publik Deutschland vor dem Europäischen Gerichts- der deutschen Einheit zu erreichen, nicht einfach nach hof. den seit Jahrzehnten eingeübten Strickmustern wei- (Dr. Uwe Jens [SPD]: Das dauert doch ter verfahren kann. 5 Jahre!) Die gesamte deutsche Politik und natürlich die Lassen Sie mich noch kurz ein Wort zur finanziellen Gesellschaft als solche sind gefordert, die Situation Seite sagen: Würde jeder der von der SPD geforderten der Menschen im Osten wirklich wahrzunehmen und 70 % aller Aufträge mit 20 % Mehrpreis vergeben, ein Höchstmaß an Flexibilität aufzubringen, um bedeutete dies entweder rund 15 % weniger Investi- Lösungen hervorzubringen, damit dort Geld nicht nur tionen oder die Aufstockung der Haushalte um diesen ausgegeben, sondern auch verdient werden kann. Betrag. Derartige Forderungen passen in keiner (Dr. Uwe Jens [SPD]: Sehr richtig!) Weise in die haushalts- und finanzpolitische Land- schaft. Wir haben ja heute vormittag darüber schon Immer noch begünstigt die Zerstörung der alten gesprochen. Strukturen im Osten vorwiegend die Produktion im Als letztes ein Appell an die Verantwortlichen in Westen. Dies könnte wenigstens in Teilbereichen den alten Bundesländern. Die alten Bundesländer geändert werden, wenn — wie auch in diesem Antrag haben ja die jetzigen Bundesregelungen im öffentli- gefordert — ostdeutsche Betriebe bei der Vergabe chen Auftragswesen nicht übernommen. Das wurde öffentlicher Aufträge stärker berücksichtigt würden. eben schon ausgeführt. Der Bundeswirtschaftsmini- Es ist hier schon einiges zu den Hintergründen ster hat deswegen erst vor kurzem bei seiner Vorstel- gesagt worden. Ich muß nicht wiederholen, welche lung „Der Aufschwung Ost im zweiten Jahr" die Vorstellungen wir dazu haben. Ich meine, wenn dies Forderung wiederholt, die alten Bundesländer möch- auch irgendwo eine Wettbewerbsverzerrung ist, so ten nun auch endlich ihren Beitrag leisten und die sollte diese vorübergehende Verstärkung der Wettbe- Präferenzen im öffentlichen Auftragswesen überneh- werbsverzerrung doch wohl von den westdeutschen men. Ich denke, daß insbesondere angesichts der Unternehmern akzeptiert werden können, zumal es ja Tatsache, daß derzeit geprüft und erwogen wird, diese bei diesem Antrag zunächst nur um Einrichtungen in Regelung um ein Jahr zu verlängern, der Appell den neuen Bundesländern geht. besonders deutlich wird. Dabei muß ich einfügen, daß mir der Antrag als Meine Damen und Herren, machen Sie bitte Ihren solcher angesichts der fatalen Situation der ostdeut- Einfluß geltend und helfen Sie uns, die alten Bundes- schen Unternehmen nicht weit genug geht. Präferen- länder zu überzeugen und sie zu einer Übernahme zen und Bevorzugungen der ostdeutschen Wirtschaft dieser Regelungen zu bewegen. Damit tun Sie das durch die öffentliche Hand sollten auch für bestimmte Richtige zugunsten der Unternehmen und der Zeiten im alten Bundesgebiet gelten, um die unmäßig Arbeitsplätze in den neuen Bundesländern. hohe Schwelle des Einstiegs in die Westmärkte zu Vielen Dank. überwinden. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsidentin Renate Schmidt: Als nächster hat EG-Regelungen in allen Ehren, aber ich glaube, wir nun der Kollege Christian Müller das Wort. müssen mit diesem Problem zurechtkommen. Der Wettbewerb ist ohnehin verzerrt, und zwar aus Christian Müller (Zittau) (SPD): Frau Präsidentin! der Sicht der ostdeutschen Unternehmen. Wie ist es Meine Damen und Herren! Wenn heute nun endlich denn um die Chancengleichheit der ostdeutschen unser Antrag vom 12. Juni 1991 auf der Tagesordnung Unternehmen bestellt? Die Energiepreise liegen im steht, sind wir wohl um einige bittere Erkenntnisse Westen deutlich unter denen im Osten. Schon dieser über den Verlauf des gesamtdeutschen Einigungspro- Umstand allein reduziert die Chancen der ostdeut- zesses reicher. Daher komme ich auch nicht umhin, schen Industrie. Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 76. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Februar 1992 6359

Christian Müller (Zittau) Alle ostdeutschen Existenzgründer leiden in kata- auftritt, mit gutem Beispiel voranzugehen. Das gilt strophalem Maße an Kapitalmangel. Seit geraumer ganz besonders für das Beschaffungsprogramm von Zeit ist nun auch zu beobachten, daß die anfangs Bundesbahn und Reichsbahn und auch für den großzügiger gehandhabte Gewährung von Eigenka- Bereich Kohle und Energie. pitalhilfe und ERP-Krediten einer strengeren Verga- Genau zu diesem Thema gehört, klar die regionalen bepraxis nach dem Kriterium nachgewiesener Quali- Interessen zu definieren, welche der Industriestand- fikation gewichen ist. Damit geraten die Existenz- orte in einer Region unverzichtbar sind. Es war gründer in Schwierigkeiten, die einen fachlichen immerhin ein Fortschritt — ich habe das sehr Neueinstieg verursachen. begrüßt —, daß die sächsischen CDU-Abgeordneten Schon existierende mittelständische Unternehmun- begonnen haben, Forderungen dieser Art geltend zu gen — ausgenommen die der Baubranche — haben machen. Ich kann nur hoffen, daß Sie, liebe Kollegen, kein wirtschaftliches Umfeld, um größere Betriebe als in der Lage sein werden, Ihren Standpunkt durchzu- Zulieferer zu versorgen, weil diese als Treuhandun- setzen. ternehmen in der Regel tief in der Krise stecken. Ist es Für mich und die Oberlausitz möchte ich klar dann nicht fair, vorübergehend ein wenig bevorzugt ausdrücken, daß der Schienenfahrzeugbau in Baut- zu werden — und sei es durch öffentliche Aufträge —, zen, Niesky und Görlitz ebenso unverzichtbar ist wie um die jetzige Durststrecke zu überleben? Dabei geht die als sanierungsfähig eingestuften Reste der Textil- es schließlich um Arbeitsplätze und letztendlich auch industrie bei Frottana in Großschönau oder Lautex, darum, ob Kommunen in Zukunft einheimische Steu- das Ferrolegierungswerk in Hirschfelde, das sich seit erzahler aus dem Mittelstand haben werden oder ob zwei Jahren erfolgreich am westlichen Markt behaup- der Löwenanteil von Steuern in den Kommunen der tet und in Gefahr ist, „rekonstruiert" zu werden, das westlichen Firmenstammsitze kassiert wird. Dieselmotorenwerk in Cunewalde, der Stahlbau in Niesky. Diese Liste kann beliebig fortgesetzt werden. Aber jenseits dieser im Antrag vorgeschlagenen Die Existenz dieser Betriebe ist für diese Region Verfahrensweise, die die reduzierten Chancen ost- genauso wichtig wie die Existenz der Leuna-Werke deutscher Unternehmer bestenfalls lindern hilft, geht für den Raum Merseburg. es nach meiner Meinung längst um mehr. Es geht doch in der Tat darum, ob wir es zulassen, daß die Industrie- Ich fordere nochmals die Automobilbranche der Bundesrepublik auf, sich die hundertjährigen Erfah- landschaft zwischen Elbe und Oder verödet und den dort lebenden Menschen zugemutet wird, vom rungen im Lkw-Bau bei ROBUR in Zittau und die fachliche Qualifikation der dort noch beschäftigten Westen her alimentiert zu werden. Menschen zunutze zu machen, um da wenigstens ein Es geht darum, die Deindustrialisierung zu stoppen Stück Zulieferindustrie aufzubauen. und in den vernachlässigten Regionen des Landes — Gemessen an diesen Problemen, an deren Bewälti- ob im Norden oder bei mir in der Oberlausitz — die gung sich niemand vorbeidrücken kann, ist der vor- sanierungsfähigen Kerne der noch vorhandenen liegende Antrag — so glaube ich — lediglich ein Betriebe auch wirklich zu sanieren, gleichgültig, ob bescheidener Schritt, dem zugestimmt werden sollte. die Treuhandanstalt dafür noch in diesem Jahr die Ich bin der Meinung, es gäbe wesentlichere Maßnah- Privatisierung in Gang setzen kann oder nicht. Denn men zu beschließen, die der ostdeutschen Wirtschaft eine neue Industriestruktur, die näherungsweise in deutlicher auf die Beine helfen als diese. der Lage wäre, die notwendigen Arbeitsplätze zur Ich bedanke mich. Verfügung zu stellen, die für ein menschenwürdiges Dasein der Bevölkerung notwendig wären, wird mit (Beifall bei der SPD und der PDS/Linke den Instrumentarien des Gemeinschaftswerks Auf- Liste) schwung Ost in einem erträglichen Zeitraum nicht entstehen. Das wissen wir schon längst. Ich fand es Vizepräsidentin Renate Schmidt: Nun hat der Kol- sehr erfreulich, mit welcher Klarheit Herr Tyll Necker lege Ulrich Petzold das Wort. in der „Wirtschaftswoche" Nr. 5 die Situation umris- sen hat. Ulrich Petzold (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine Schließlich geht es für mich als ostdeutschen Abge- sehr verehrten Damen und Herren! Es tut mir leid, daß ordneten klar darum, daß der ausgebrochene Vertei- die Kollegen der SPD die Erlasse der Bundesministe- lungskonflikt zwischen Ost und West nicht automa- rien — ich will sie nicht alle aufzählen — einfach nicht tisch auf dem Rücken der Ostdeutschen ausgetragen zur Kenntnis genommen haben. Das fehlt in der wird. Was wäre sonst jahrzehntealtes Gerede von den Diskussion heute natürlich ein bißchen. Aber ich „Brüdern und Schwestern in der Sowjetzone" , später möchte sagen: Ein Ziel, zwei Wege — kurz umschrie- der sogenannten DDR, eigentlich wert gewesen? ben ist das die Formel, wenn man sich den Antrag der Natürlich ist es so, daß expandierende Märkte im SPD und die Erlasse mehrerer Ministerien zur ver- Westen die beste Voraussetzung dafür wären, daß stärkten Berücksichtigung ostdeutscher Betriebe bei auch konkurrenzfähige Ostprodukte Marktanteile der Vergabe öffentlicher Aufträge ansieht. gewinnen könnten. Aber was ist eigentlich, wenn Ich danke der Opposition, daß auch sie sich dieses diese expandierenden Märkte in mittelfristigen Zeit- Themas annimmt. Die drängende Auftragslage in der räumen nicht existieren sollten? Dann gibt es doch ostdeutschen Wirtschaft zum Entstehungszeitpunkt wohl nur die Lösung, Marktanteile und Arbeit zwi- des Antrags sowie der Erlasse ist uns noch gut im schen Ost und West zu verteilen. Der Staat hat dabei, Gedächtnis. Doch ich möchte feststellen, daß sich soweit er als Auftraggeber oder mit Subventionen — nicht zuletzt auch durch die Erlasse über Ausnah- 6360 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 76. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Februar 1992

Ulrich Petzold meregelungen bei der Vergabe öffentlicher Aufträge men können sich bei kleinen und mittleren Unterneh- zugunsten der neuen Bundesländer — die Auftrags- men zu einer Mehrpreispräferenz von 10 bzw. 5 % lage, insbesondere im Handwerk und in der Bauindu- addieren. strie, wesentlich entspannt hat. Deshalb erlaube ich mir, Ihre beiden Forderungen den Grundforderungen Hinzu kommen die gerade für mittelständische der Erlasse gegenüberzustellen. Firmen so wichtige Erweiterung der Verdingungsord- nungen durch die Erhöhung des Auftragswertes für Sie fordern unter Punkt II. 1 eine 20%ige Mehr- die freihändige Vergabe und die Erleichterung der preispräferenz. Dazu muß ich sagen: Es wohnen zwei beschränkten Ausschreibung. Hier trat am 14. No- Seelen in meiner Brust. Als ostdeutscher CDU-Bun- vember vorigen Jahres per Erlaß des Bundeswirt- destagsabgeordneter habe ich nicht nur unsere notlei- schaftsministeriums eine weitere Vereinfachung in dende Industrie, sondern auch viele Gemeinden zu Kraft. Wenn gerade diese Ausnahmeregelungen als vertreten, in denen wir die politische Verantwortung zweischneidig betrachtet werden können, so haben tragen. Wo jemand 20 % mehr für einen Auftrag die Erfahrungen in den neuen Bundesländern die erhalten soll, da muß auch jemand 20 % mehr für positiven Aspekte überwiegen lassen. einen Auftrag zahlen. Aus dem Maßnahmenpaket der Erlasse, das ich (Dr. Uwe Jens [SPD]: Muß ja nicht sein!) Ihrer problematischen Mehrpreispräferenzlösung ge- genüberstelle, möchte ich insbesondere noch einmal Hier fehlen den Gemeinden, Kreisen und Ländern das Eintrittsrecht in das wirtschaftlichste Angebot einfach die Einnahmen — auch die aus dem Fonds hervorheben. Die Kalkulation von Preisen ist in ost- Deutsche Einheit —, um die wir jetzt alle gemeinsam deutschen Firmen oft noch mit großen Unsicherheiten kämpfen sollten. behaftet. Gerade daß man Konkurrenzangebote ken- Bei einer wahllosen 20%igen Mehrpreispräferenz nenlernt und darauf reagieren kann, ist für diese für ostdeutsche Unternehmen würden verständlicher- Unternehmen wichtig und wirkungsvoll. weise auch die westdeutschen Unternehmensver- Leider liegen zu den Auswirkungen des Eintritts- bände nicht mitmachen. Schon jetzt sprechen dro- rechtes noch keine klaren statistischen Zahlen in allen hende Stimmen von Preisdumping ostdeutscher Bereichen vor. Um so erfreulicher ist die vorläufige Betriebe mit Hilfe der Treuhand. Bilanz im Bereich Verkehr in den neuen Bundeslän- (Dr. Uwe Jens [SPD]: Das muß man nicht so dern. Demnach wurden im Bundesfernstraßenbau ernst nehmen!) 88 % der Aufträge und 73 % des Auftragswertes in -Höhe von insgesamt 2,136 Milliarden DM an Ost Das ist nach allen Überprüfungen bisher jedoch unbe- bzw. Ost-West-Firmen vergeben. rechtigt. Insgesamt, so meine ich, ist eine 20%ige wahllose Mehrpreispräferenz in ihrer Höhe und auf Wünschenswert dabei wäre, wenn gerade auch an Grund der Ziellosigkeit eher schädlich als nützlich. den Schaufenstern des Straßenbaus, den Autobahn- - baustellen, mehr Schilder ostdeutscher Firmen zu Ihre zweite Forderung nach der Festschreibung, daß sehen wären. Die Autofahrer aus den neuen Ländern mindestens 70 % des Lieferungs- und Leistungsum- registrieren hier viel mehr die Schilder aus dem fanges bei öffentlichen Aufträgen aus ostdeutschen Westen als die schönen Zahlen aus dem Bundesver- Betrieben stammen sollen, ist schon auf Grund des kehrsministerium. Auch so etwas kann trotz stolzer verwaltungstechnischen Umfangs beim erforderli- Bilanz Frust und Minderwertigkeitsgefühle erwek- chen Nachweisverfahren kaum realisierbar. Wir müs- ken. sen davon ausgehen, daß sich im vergangenen Jahr Bei den eine große Zahl von Ost-West-Unternehmen gebildet Bundeswasserstraßen kann man davon hat, bei denen ein Herkunftsnachweis kaum mehr ausgehen, daß von dem Auftragsvolumen von 67 Mil- möglich ist. Außerdem sind viele technische Gebilde lionen DM alle Aufträge bis auf wenige Projektierun- in ihrer Struktur zu kompliziert, als daß man sie auf gen an Ost- bzw. Ost-West-Unternehmen gegangen den einfachen Nenner 70 : 30 reduzieren kann. Woher sind und daß auf Grund des noch niedrigen Lohnni- nehmen Sie die Atteste über viele Einzelteile bei der veaus in den neuen Bundesländern der überwiegende Anteil der Beschäftigten von dort kommt. heute üblichen internationalen Kooperation? Ähnlich gut sieht es nach Angaben des Ministeri- Der in Ihrem Antrag aufgeführten globalen Mehr- ums im Bereich der Deutschen Reichsbahn preispräferenz wird in den Erlassen der Ministerien aus. Fast sämtliche Aufträge sind an Ostfirmen gegangen. ein, so meine ich, präzises Förderinstrument gegen- Langfristige gute Lieferbeziehungen zahlen sich hier übergestellt. Hier werden sehr wirkungsvolle Förder- aus. maßnahmen für den sich bildenden Mittelstand ange- boten. Die im Aufbau befindlichen mittelständischen Nur bei der Deutschen Bundesbahn scheinen sich Unternehmen können durch die Festlegung der die Erlasse des Ministers nicht so schnell herumzu- Erlasse nicht bloß in das niedrigste Gebot einer Firma sprechen. Ganze 9,7 % der Aufträge bei 10,3 % des aus den Altbundesländern einsteigen, sondern kön- Gesamtauftragswertes gingen in den Osten. Das ist nen außerdem bei Lieferungen mit einem Auftrags- jedoch nicht verwunderlich, wenn man bedenkt, daß wert bis 200 000 DM oder bei Bauleistungen mit der Dezernent für maschinentechnische Anlagen des einem Volumen bis zu 1 Million DM erstens einen Zentralamtes Minden der Deutschen Bundesbahn am Mehrpreis von 5 bzw. 2,5 % und zweitens einen 23. Oktober 1991 den Erlaß seines Ministers vom Mehrpreis in gleicher Höhe auf Grund geringer 1. Juli 1991 noch nicht kannte und steif darauf Betriebsgrößen in Anspruch nehmen. Beide Maßnah beharrte, daß sich das Einstiegsrecht nur auf Aufträge Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 76. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Februar 1992 6361

Ulrich Petzold bis zu 1 Million DM beschränke, und einer ostdeut- Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Kolle- schen Firma jedes Eintrittsrecht verweigerte. gin Gertrud Dempwolf. (Dr. Uwe Jens [SPD]: Sehr interessant!) Doch auch hier scheint sich durch den Einsatz des Ministeriums eine positive Entwicklung zu vollzie- Gertrud Dempwolf (CDU/CSU): Frau Präsidentin! hen. Meine Damen und Herren! Die SPD hat im Petitions- Entscheidend ist, daß durch die Privatisierungsbe- ausschuß die Aussprache über die Petitionen bean- strebungen, die, wie wir hoffen, einen positiven Ein- tragt, die, unterstützt durch über 5 700 Unterschriften, fluß auf die Wirtschaftlichkeit unserer Eisenbahn ein Verbot der Produktion und die Bestrafung der haben werden, die Ausnahmeregelung für Unterneh- Ausbringung toxischer chemischer Stoffe in die men aus den neuen Ländern nicht unterlaufen wird. Umwelt fordern. Die Petenten beziehen sich auf die Studie über ein Forschungsvorhaben der Biologischen Als Vertreter der Sozialen Marktwirtschaft — hier Bundesanstalt für Land- und Forstwirtschaft unter betone ich Marktwirtschaft — ist uns das Heranführen Förderung des Umweltbundesamtes, das zwischen der ostdeutschen Betriebe an eine Konkurrenz sehr 1986 und 1989 durchgeführt wurde. wichtig. Die Frage ist hier natürlich auch wieder die nach der Zeitspanne. Vielen von uns erscheint das Als Schlußfolgerung aus dieser Studie über „Ver- Abschmelzen der Erlasse zum 30. Juni 1992 und das bleib von Pflanzenschutzmitteln in der Umwelt" ein Auslaufen zum 31. Dezember 1992 zur Zeit als zu hart. generelles Verbot von Pflanzenschutzmitteln zu zie- Ich bin dem Bundeswirtschaftsminister dankbar, daß hen, ist jedoch falsch. Die Studie hat erbracht, daß er sich gemäß seiner Erklärung vom 7. Januar 1992 nicht ein Verbot sinnvoll ist, sondern eine zusätzliche gemeinsam mit uns bei der EG und der westdeutschen Überprüfung des Verflüchtigungsverhaltens von Wirtschaft für eine Verlängerung der Erlasse über Pflanzenschutzmitteln und der Abbaubarkeit der den 31. Dezember 1992 hinaus einsetzen will. Wirkstoffe in der Luft. Außerdem werden wir uns gemeinsam mit dem Die Biologische Bundesanstalt erteilt auf Grund der Wirtschaftsminister dafür einsetzen, daß das Eintritts- Untersuchungen keine Zulassung mehr für Pflanzen- recht und die Mehrpreisgewährung für ostdeutsche schutzmittel, die durch Sonneneinstrahlung oder Firmen auch durch die alten Bundesländer festge- durch sonstige chemische Vorgänge in der Luft nicht schrieben werden. Hier, meine Damen und Herren abgebaut werden. von der Opposition, erbitten wir Ihre Unterstützung, Leider müssen wir aber zur Kenntnis nehmen, daß da ja die Mehrzahl der Regierungen dieser Bundes- dieses Problem national kaum zu lösen ist, da Luft länder von Vertretern Ihrer Partei geführt werden. Wir keine Ländergrenzen kennt und Pflanzenschutzmittel wissen, es fällt schwer, etwas abzugeben. Aber nach und andere Chemikalien, die in Nachbarländern dem großzügigen Antrag dürfen wir doch auf Ihre eingesetzt werden, binnen kurzer Zeit bei uns mit der Hilfe hoffen. Luft und mit dem Regen ankommen. - Ich sehe im Zusammenhang mit dem Antrag noch Wir nehmen die Sorgen der Petenten ernst. Unsere großen Gesprächsbedarf. Bemühungen um einen verantwortungsvollen Um- Ich freue mich auf eine Diskussion im Ausschuß. gang mit Pflanzenschutzmitteln müssen sich auf ein sachgemäßes Verfahren konzentrieren. Dreh- und (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Angelpunkt unserer Fragen sind die Zulassung und der heutige wissenschaftliche Erkenntnisstand. Vizepräsidentin Renate Schmidt: Weitere Wortmel- Pflanzenschutzmittel werden laut § 15 des Pflan- dungen liegen nicht vor. Damit schließe ich die zenschutzgesetzes nur zugelassen, wenn sie bei Aussprache. bestimmungsgemäßer und sachgerechter Anwen- Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage dung keine schädlichen Auswirkungen auf die auf Drucksache 12/737 an die in der Tagesordnung Gesundheit von Mensch und Tier und auf den Natur- aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie haushalt haben. damit einverstanden? — Ich sehe dazu keinen Wider- (Susanne Kastner [SPD]: Aber auf das Grund spruch. Dann ist die Überweisung so beschlossen. wasser dürfen sie sie haben!) — Kommt noch, Frau Kollegin. — Ich rufe Tagesordnungspunkt 10 auf: (Dr. Peter Strucke [SPD]: Hoffentlich!) Beratung der Beschlußempfehlung des Peti- Maßstab ist der gegenwärtige Stand der wissenschaft- tionsausschusses (2. Ausschuß) lichen Erkenntnis. Wie anders sollte es sein? Sammelübersicht 36 zu Petitionen Auch Sie haben heute noch nicht das Wissen von (Pflanzenschutz) morgen, liebe Frau Kollegin. — Drucksache 12/1454 — (Susanne Kastner [SPD]: Aber wir nutzen das Dazu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion der Wissen von heute!) SPD vor. Wie in anderen Bereichen bleibt auch bei Pflanzen- Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat ist eine schutzmitteln die Zeit nicht stehen. Verbesserte Aussprache von einer halben Stunde vorgesehen. — Untersuchungsmethoden führen zu neuen Erkennt- Ich sehe auch dazu keinen Widerspruch. Dann ist nissen, die laufend Eingang in das Zulassungsverfah- diese halbe Stunde so beschlossen. ren finden. 6362 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 76. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Februar 1992

Gertrud Dempwolf Das Zulassungsverfahren bei uns in der Bundesre- gibt es zur Zeit kein geeignetes Verfahren für die publik ist besonders streng. Das zeigen folgende biologische Kontrolle von Krankheiten und Schäd- Zulassungszahlen für die verschiedenen EG-Staaten: lingen. Dies ist auch in der Zukunft sehr kritisch zu Während in Deutschland 220 zugelassene Wirkstoffe sehen. Es ist so und wird wohl so bleiben, daß es z. B. existieren, sind es in Frankreich 400, in Portugal über ökonomisch einfach völlig unrealistisch ist, Marienkä- 600. Während es in der Bundesrepublik 80 verbotene fer für die Blattlausbekämpfung im Getreide zu pro- Wirkstoffe gibt, sind es in der EG nur 18. duzieren und einzusetzen. Das einzige Verfahren, das (Susanne Kastner [SPD]: Was sagt das?) funktioniert, ist bisher die Bekämpfung des Maiszüns- lers in Süddeutschland. — Diese Zahlen sind ein beredtes Beispiel für die kritischen Prüfungen bei uns. Das sagt das. Diese Erkenntnisse kann man einer Studie über die Wir haben es begrüßt, daß es die Bundesregierung Situation zum biologischen Pflanzenschutz entneh- auf der Grundlage des Pflanzenschutzgesetzes vom men, die vom BMFT gefördert wurde und die Sie ja 15. September 1986 gegen erheblichen Widerstand einmal studieren können, wenn Sie die Forderungen mehrerer Mitgliedstaaten der EG und teilweise auch nach Verbot von chemischen Pflanzenschutzmitteln der EG-Kommission durchgesetzt hat, daß einerseits unterstützen. Ich kann Ihnen sagen, wo Sie sie fin- eine möglichst weitgehende Harmonisierung, ande- den. rerseits ein möglichst hohes Schutzniveau für (Susanne Kastner [SPD]: Ja?) Mensch, Tier und Naturhaushalt EG-weit verzahnt wurden. Für die Anwendungsvorschriften gilt im In diesem Zusammenhang möchte ich noch einen übrigen ausschließlich das hohe Schutzniveau des weiteren Gedanken anschließen. Landwirtschaft deutschen Pflanzenschutzrechtes. ohne jegliche Chemikalien erscheint auch nicht Auf Grund der Zulassungskriterien und der gesetz- durchführbar, weil eine solche Form der Landwirt- lichen Bestimmungen ist doch völlig klar, daß die schaft im Wettbewerb nicht bestehen kann. Es könnte Biologische Bundesanstalt nicht so lange wartet, bis — wenn überhaupt — nur funktionieren, wenn wir gesundheitsschädigende Wirkungen eintreten. Auf- uns in Deutschland vollständig abschotten und keine hebungen von Zulassungen und Anwendungsver- Importe mehr zulassen. Zum einen könnten wir dann bote werden bereits ausgesprochen, wenn neue nicht mehr mit konventioneller, intensiver Produktion Untersuchungen nachteilige Wirkungen erkennen konkurrieren. Zum anderen würden alle Importe die lassen. Es sind eine Reihe von Fällen aufzuzählen, in Belastungen wieder zurückbringen; denn auf die denen in der Bundesrepublik Deutschland Stoffe Apfelsinen aus Spanien und das Gemüse aus Holland verboten wurden, die zum Teil in anderen Ländern wollen wir nicht verzichten. Oder wollen Sie dem eingesetzt werden oder erst sehr viel später aus dem Bundesbürger vorschreiben, von den exotischen Köst- Verkehr gezogen wurden, wie z. B. die Quecksilber- lichkeiten, an die wir uns alle gewöhnt haben, ganz beize, Phthalimide, Gramoxone und Atrazin seit Abstand zu nehmen? Denn da sind die Belastungen 1991. besonders hoch, und sie werden so bleiben, da viele Wir erwarten in diesem Zusammenhang, daß sich Produkte aus den Tropen bzw. aus den Subtropen die Bundesregierung wie bisher mit Nachdruck für die ohne Chemie überhaupt nicht zu produzieren sind. EG-weite Durchsetzung der Anwendungsverbote für Flächendeckender alternativer Landbau ist also alle atrazinhaltigen Pflanzenschutzmittel einsetzt. nicht denkbar, wenn m an halbwegs realistische öko- (Susanne Kastner [SPD]: Das hoffen wir nomische Kriterien anlegt. Ich glaube, daß das Grund- auch!) prinzip des integrierten Pflanzenbaus und speziell Auf Grund des hohen Schutzniveaus des deutschen des integrierten Pflanzenschutzes, das im Gesetz als Pflanzenschutzrechts sehe ich zum jetzigen Zeitpunkt Richtlinie für den Landwirt verankert ist, eine sehr keine weitere Notwendigkeit für eine Novellierung vernünftige und, wenn richtig angewendet, durchaus oder Änderung im Pflanzenschutzgesetz; denn bei uns realistische Grundlage zur umweltgerechten Pflan- werden erkannte Gefahrenpotentiale mit hoher zen- und Tierproduktion bietet. Sicherheit in beschränkende Verordnungen umge- setzt. Ich nenne hier z. B. die Wasserschutzauflage So sind die Bauern bemüht, mit möglichst wenig und die Bienenverordnung. Dünge- und Pflanzenschutzmitteln — das Problem ist gekoppelt — auszukommen. Im übrigen: Wenn wir uns rational mit den für uns alle eminent wichtigen Fragen auseinandersetzen, (Susanne Kastner [SPD]: Nicht alle!) müssen wir doch darin übereinstimmen, daß es nicht ohne jeglichen Pflanzenschutz in der Landwirtschaft Neue Meßmethoden und der Einsatz von Computern geht. Natürlich können Sie argumentieren, daß im sind dabei eine wichtige Hilfe. Kleingarten- und Gewächshausbereich und zum Teil im Obst- und Weinbau der biologische Pflanzenschutz (Susanne Kastner [SPD]: Das stimmt!) z. B. mit Einsatz von Nützlingen schon heute prakti- kabel ist. Darin stimme ich mit Ihnen überein. Ich unterstreiche für meine Fraktion, daß wir eine umweltgerechte Pflanzenproduktion eher im inte- In unseren großen, flächendeckenden Kulturen grierten Pflanzenbau in vernünftiger Abstimmung — ich denke an Getreide, Rüben, Raps und Kartof- von biologischen und umweltverträglichen chemi- feln — schen Verfahren verwirklicht sehen. Das ist realistisch (Susanne Kastner [SPD]: Mais!) und gut und muß gefördert werden. Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 76. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Februar 1992 6363

Gertrud Dempwolf Ich kann die Forderung, im Pflanzenschutzgesetz verschweigt aber gleichzeitig, daß diese massen- ein sogenanntes Vorsorgeprinzip aufzunehmen, weise, bisher nicht ausreichend kontrollierte Anwen- nicht unterstützen. dung chemisch-synthetischer Pflanzenschutzmittel (Susanne Kastner [SPD]: Das ist ja der Ham bei uns und in anderen Ländern Pflanzen, Tiere, mer! — Beifall des Abg. Martin Göttsching Naturhaushalte, Umweltklima und die Gesundheit [CDU/CSU] — Susanne Kastner [SPD]: Da des Menschen gefährden kann und tagtäglich schon würde ich nicht klatschen, Herr Gött gefährdet. sching!) Die Bürgerinnen und Bürger draußen lassen sich Verlassen wir uns auf den wissenschaftlichen Sach- aber nicht mehr so ohne weiteres durch Hochglanz- verstand, nicht auf Emotionen, und arbeiten wir weiter broschüren und teure Werbespots der Industrie blen- daran, daß bei der Festlegung der einheitlichen den. Grundsätze auf EG-Ebene schrittweise das jeweils (Dr. Peter Struck [SPD]: Sehr gut!) höchste Schutzniveau erreicht wird. Es ist richtig, daß die Zahl der zugelassenen Mittel Lassen Sie mich noch ein Wort zu der Forderung der und Wirkstoffe seit 1986 stark zurückgegangen ist. Petenten nach der qualifizierten Unterrichtung für Landwirte und Forstleute über den alternativen (Martin Göttsching [CDU/CSU]: Na bitte!) Landbau sagen. Es ist doch einfach unrichtig zu Der landwirtschaftliche Verbrauch liegt aber z. B. in behaupten, daß eine solche Unterrichtung von seiten den alten Bundesländern immer noch bei 30 000 t, der für die Beratung, Aus- und Fortbildung zuständi- Herr Göttsching. gen Landwirtschaftsministerien der Länder versäumt wurde. Die Vermittlung umweltrelevanter Lernin- Im ersten Zwischenbericht der von der Bundesre- halte ist im übrigen Bestandteil der landwirtschaftli- gierung in Auftrag gegebenen Technikfolgenab- chen Ausbildung. schätzung Grundwasser kann man lesen — ich zitiere —: (Susanne Kastner [SPD]: Nicht umfassend genug!) Relevante landwirtschaftliche Faktoren für den Es sollte Ihnen doch nicht entgangen sein, daß die Eintrag von Pflanzenschutzmitteln ins Grund- Bundesregierung bereits seit 1973 den alternativen wasser sind insbesondere die Anwendungs- Landbau durch intensive Forschungsförderung un- menge, die Anwendungshäufigkeit, der Anwen- terstützt. Es wurden und werden Forschungsvorhaben dungszeitpunkt und die Anwendungsart. über umwelt- und naturverträgliche Pflanzenschutz- (Martin Göttsching [CDU/CSU]: Das ist bei maßnahmen durch den BML und den BMFT mit vielen allem so!) Millionen DM — zur Zeit über 22 Millionen DM — Sie wissen genau, daß die Abbaurate eines ausge- gefördert. brachten Wirkstoffs in der Umwelt sehr hoch sein muß, Für meine Fraktion — meine Zeit ist abgelaufen; - um Grundwasserbelastungen auszuschließen. Das darum mache ich es kurz, schlage ich vor, das Peti- Landwirtschaftsministerium steht dabei völlig konträr tionsverfahren abzuschließen, zum Beschluß der Umweltministerkonferenz, alle (Susanne Kastner [SPD]: Das glaube ich!) Pflanzenschutzmittel zu verbieten, die ins Grundwas- weil die Unterschriftenaktionen keinen Anlaß ser gelangen können. Frau Dempwolf, ich erinnere Sie daran, daß wir in der letzten Legislaturpe riode (Susanne Kastner [SPD]: 5 000 Wähler weni eine Petition zum Verbot von Ausbringungen von ger!) Pflanzenschutzmitteln bei der Bundesbahn gemein- zu gesetzgeberischen Maßnahmen bieten. sam beschlossen haben. Der Vollzug dieser Petition ist Ich danke Ihnen. bis heute noch nicht passiert. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) (Beifall bei der SPD — Dr. Peter Struck [SPD]: Unglaublich!) Vizepräsidentin Renate Schmidt: Sie hatten sogar Ich gebe ja zu, daß wir im Vergleich zu anderen noch zehn Sekunden, Frau Kollegin. Jetzt hat die europäischen Ländern einen höheren Standard bei Kollegin Susanne Kastner das Wort. der Zulassung und Anwendung haben. Aber auch wenn nur 6 % der Pflanzenschutzmittel toxisch sind (Gertrud Dempwolf [CDU/CSU]: Ich bin — wie der Staatssekretär im Landwirtschaftsministe- Schriftführerin, Frau Präsidentin! Ich weiß, rium, Herr Gallus, der heute nicht anwesend ist, wie streng Sie sind!) sagt —, (Dr. Peter S truck [SPD]: Wo ist der nun Susanne Kastner (SPD): Frau Präsidentin! Liebe wieder, der Gallus!) Kollegen! Liebe Kolleginnen! Wie gesagt: 5 280 Bür- ger unterstützen die Petition, die die Kollegin Demp- dann sind das immerhin 1 800 t toxische Pflanzen- wolf hier gerade vorgetragen hat. Diese Unterstüt- schutzmittel, die uns Menschen unmittelbar gefähr- zung geschieht aus Sorge und Unsicherheit über den. Das kann man doch nicht lapidar abtun. mögliche Risiken der massenweise ausgebrachten Im übrigen geht es aber nicht nur um die Giftigkeit Pflanzenschutzmittel. der Wirkstoffe für uns Menschen. Wenn durch Pflan- Ein in die Irre führendes Wort im übrigen, suggeriert zenschutzmittel unser wichtigstes Lebensmittel, näm- es doch, daß Kulturpflanzen und Wildkräuter — bei lich das Trinkwasser, gefährdet ist und ein dramati- uns Unkräuter genannt — geschützt werden sollen, sches Aussterben vieler Tier- und Pflanzenarten fest- 6364 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 76. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Februar 1992

Susanne Kastner zustellen ist, muß jeder zustimmen, daß die Anwen- pro Hektar für Ausgleichsmaßnahmen, 100 DM pro dung von chemischen Pflanzenschutzmitteln dra- Hektar für Mehrkosten für Pflanzenschutzmittel, die stisch eingeschränkt bzw. zum Schutz des Trinkwas- für Wasserschutzgebiete zugelassen sind. Das bedeu- sers — da stimmt mir die Frau Gesundheitsministerin tet in meiner Gemeinde eine Mehrbelastung von sicher zu — verboten werden muß. 60 000 DM, und dazu kommen die Kosten für die im Frühjahr und Herbst durchgeführten Bodenproben. (Beifall bei der SPD) Dabei sind das nicht einmal Sanierungsmaßnah- Hier besteht ein Grund zum politischen Handeln, men, sondern es ist der Versuch, durch Vorsorgemaß- und dazu brauchen wir dringend die Durchsetzung nahmen den Schadstoffeintrag vielleicht in den näch- bei der Zulassung und des Vorsorgegrundsatzes sten zehn Jahren langsam, aber stetig zu vermindern. Anwendung von chemischen Pflanzenschutzmitteln. Der Verbraucher bezahlt dies durch eine Erhöhung (Dr. Peter Struck [SPD]: Das sollte sich die seines Wasserpreises um 50 Pfennig, nachdem er CDU einmal hinter die Ohren schreiben!) ohnehin schon durch seine Steuern die falsche Land- wirtschaftspolitik der EG und der Bundesregierung Dies ist im übrigen auch ein Beschluß der Umweltmi- mitbezahlen muß. nisterkonferenz vom November 1989, um die sich der Bundeslandwirtschaftsminister herzlich wenig küm- Nun müssen Sie mir doch eigentlich recht geben, mert. liebe Kolleginnen und Kollegen von der Union, daß das Petitum der Bürger, diese gefährlichen Stoffe zu (Dr. Peter Struck [SPD]: Wie wahr!) verbieten, so ungerechtfertigt nicht ist. Wir brauchen Wir brauchen eine Reform des Pflanzenschutzge- eine flächendeckende umweltverträgliche Landwirt- setzes mit einer Verschärfung der Zulassungsanforde- schaft und umfassenden Schutz unserer wertvollen rungen entsprechend dem Vorsorgeprinzip, schnel- Grundwasservorräte. lere Verbote von grundwasser- und gesundheitsge- Im übrigen ist auch der Export von Pflanzenschutz- fährdenden Wirkstoffen sowie s trengere Regeln für mitteln weder in der EG-Richtlinie noch in unserem eine ordnungsgemäße Pflanzenschutzanwendung — Pflanzenschutzgesetz ausreichend geregelt. Immer alles unabdingbare, wichtige gesetzliche Regelungen noch besteht die Gefahr, daß unsere Kinder die des Bundes, sei es über die Novellierung des Pflan- exotischen Bananen und Apfelsinen, verehrte Frau zenschutzgesetzes oder der Pflanzenschutz-Anwen- Kollegin, die mit bei uns verbotenen Pflanzenschutz- dungsverordnung. mitteln belastet sind, weiterhin essen. Welch einen Mit Ihrer Passivität in der Regierung fördern Sie die Zynismus stellt die Aussage von Herrn Gallus dar, Pflanzenschutzmittelhersteller, stempeln aber viele wenn er auf die Unzulänglichkeit dieser Vorschriften gutwillige Landwirte zu Buhmännern in der Gesell- hinweist, indem er sagt — so nachzulesen in der schaft ab, weil sie den Wettbewerbsverzerrungen Petition —: durch Ihre verfehlte Landwirtschaftspolitik nicht mehr Es ist jedoch davon auszugehen, daß auf Grund gewachsen sind, und bringen den ökologischen Land- des internationalen Verhaltenskodex für das In- bau ins Hintertreff en. VerkehrBringen und für die Anwendung von Sie verweisen auf den Handlungsbedarf in der EG, Pflanzenschutz- und Schädlingsbekämpfungs- wohl wissend, Frau Dempwolf, wie schwierig es ist, mitteln Stoffe der Anlage 1 der Pflanzenschutz- überhaupt ein EG-weites Verbot von bei uns nicht Anwendungsverordnung nicht in zu exportieren- zugelassenen Wirkstoffen zu erstreiten. Viele Men- den Pflanzenschutzmitteln enthalten sind. schen — glauben Sie mir —, auch die Petenten, haben Meine sehr verehrten Damen und Herren, Ver- längst das Vertrauen in die EG-weiten Regelungen trauen mag da ja gut sein. Aber ich denke, Gesetze verloren, weil sie von der Bundesregierung einfach und Kontrolle sind in dieser Frage einfach unerläß- nicht konsequent eingefordert werden. lich. (Dr. Peter S truck [SPD]: Leider wahr!) (Beifall bei der SPD) Länder und Kommunen werden mit ihren Wasser- Der zweite Teil der Petition ist die Forderung nach problemen einfach alleingelassen. „Alarmierend" einer qualifizierten Unterrichtung für Land- und nennt das niedersächsische Umweltministerium in Forstwirte. Aber Sie, verehrte Frau Dempwolf, wissen einem Zeitungsbericht vom 11. Februar dieses Jahres, sicher auch, daß es da weitergehende Vorschläge gibt, also von vor zwei Tagen, die Belastung des Grund- nämlich z. B. eine Pflanzenschutzmittelbuchführung, wassers durch Nitrate und Pflanzenschutzmittel. In eine Verschärfung des Sachkundenachweises bei den 15 % der Messungen sei in Niedersachsen mindestens Landwirten, eine Verschärfung der Anforderungen an eine Pflanzenschutzmittelsubstanz nachgewiesen Feldspritzgeräte worden. (Gertrud Dempwolf [CDU/CSU]: Die werden Die Kommunen versuchen verzweifelt, ihr Trink- regelmäßig kontrolliert!) wasser vor der Belastung mit Pflanzenschutzmitteln zu schützen. Ich will Ihnen einmal ein Beispiel aus und die Verbesserung der Pflanzenschutzmittelan- meiner eigenen Gemeinde nennen. Dort hat sich der wendungstechnik. Die Vorschläge sind sehr viel wei- Gemeinderat gemeinsam mit den Verantwortlichen tergehend als die, von denen Sie gerade geredet haben. der Landwirtschaft dazu entschlossen, Ausgleichs- maßnahmen für die Landwirte zu zahlen, die im Letzteres geht sicherlich nicht durch eine Rechts- Wasserschutzgebiet und im weiten Wassereinzugsge- verordnung, sondern nur durch eine gezielte Förde- biet ihre Felder bestellen. 400 DM zahlt die Gemeinde rung des Bundes. Der wirtschaftliche Erfolg des öko- Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 76. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Februar 1992 6365

Susanne Kastner logischen Landbaus sollte für alle Anlaß zum Umden- schutzmitteln photochemischen Abbaumechanismen ken und Nachahmen sein. unterliegt. Stoffe, für die eine hohe Persistenz ange- Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, nehmen nommen werden kann, wie z. B. DDT, HCB oder auch Sie also die Forderung der Petenten auf. Stimmen Sie Aldrin, wurden in die Anlage 1 der Pflanzenschutz- unserem Antrag zu, und sorgen Sie mit uns für die Anwendungsverordnung aufgenommen und sind in notwendige Verschärfung des Pflanzenschutzrechtes. der Bundesrepublik Deutschland bereits verboten. Die Landwirtschaft, die Natur und die Mitwelt, kurz: Darüber hinaus ist für die Zulassung von Pflanzen- wir alle werden davon profilieren. schutzmitteln in der Bundesrepublik ein komplexes Verfahren zu durchlaufen, in dem Auswirkungen von Danke schön. Pflanzenschutzmitteln auf Menschen, Tiere, Pflanzen, (Beifall bei der SPD und der PDS/Linke auf Boden, Luft und Wasser in vielfältigen Untersu- Liste) chungen überprüft werden. Das heißt nicht, daß wir uns damit zufrieden geben sollen. Vizepräsidentin Renate Schmidt: Als nächste hat (Susanne Kastner [SPD]: Das ist gut!) unsere Kollegin Birgit Homburger das Wort. Selbstverständlich ist es die Pflicht der für die Zulas- (Zuruf von der SPD: Eine Gallus-Verteidige sung von Pflanzenschutzmitteln zuständigen Ämter, rin folgt jetzt!) auch weiterhin intensiv zu prüfen. (Susanne Kastner [SPD]: Umsetzen, verehrte Birgit Homburger (FDP): Ja natürlich, immer. Bei Frau Kollegin, nicht prüfen!) solch wichtigen Sachfragen sind wir uns einig. Dazu gehört für mich insbesondere, daß endlich alle Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir zur Zeit zugelassenen Pflanzenschutzmittel dem seit haben jetzt schon einiges über die Petition gehört. Die 1. Januar 1987 geltenden erweiterten Zulassungsver- Petenten beziehen sich auf eine Untersuchung der fahren unterworfen werden. Das wurde auf Ihre Biologischen Bundesanstalt für Land- und Forstwirt- Anfrage, Frau Kollegin von der SPD, geantwortet. schaft in Braunschweig mit dem Titel „Verbleib von Hier muß endlich das durchgeführt werden, was Pflanzenschutzmitteln in der Umwelt-Exposition, Bio- zwischenzeitlich per Verordnung festgelegt worden akkumulation, Abbau". Auf Grund dieser Untersu- ist. Aus meiner Sicht geht es nicht an, daß erst etwas chung fordern die Petenten, die Ausbringung von mehr als ein Viertel dieser Pflanzenschutzmittel mit toxischen und chemischen Stoffen in die Umwelt zu Altzulassungen dieser Prüfung unterzogen wurden. verbieten und zu bestrafen, mit der Begründung, daß Das muß nachgeholt werden. Pflanzenschutzmittel nicht abgebaut werden kön- Darüber hinaus ist es unerläßlich, weitere For- nen. schungsvorhaben intensiv zu betreiben und die Wir- Mich wundert ein bißchen, daß die SPD hier bean- kung von Stoffen auf Menschen, Pflanzen und Tiere tragt, diese Petition der Bundesregierung zur Berück-- und auf die gesamte Umwelt zu erforschen. sichtigung zu überweisen, alldieweil ich die Position, die in der Petition vertreten wird, bisher von der Ein komplettes Verbot von Pflanzenschutzmitteln, SPD-Fraktion, insbesondere von ihren Landwirt- wie der Petent es fordert oder aber wie Sie mit Ihrem schaftspolitikern, in dieser Form noch nicht gehört völlig überzogen formulierten Vorsorgeprinzip for- habe. Offensichtlich haben sie nicht genau hingese- dern, hen, was die Petition eigentlich alles fordert. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU — (Dr. Jürgen Rüttgers [CDU/CSU]: So ist es!) Susanne Kastner [SPD]: Völlig richtig formu Wie die Nachforschungen ergaben, liefert die Stu- liert! Sie haben sich versprochen, Frau Kolle die der Biologischen Bundesanstalt lediglich Einzeler- gin!) gebnisse, z. B. zum Verflüchtigungsverhalten des das sagen will, daß Stoffe erst dann zugelassen wer- Verbleibs von Pflanzenschutzmitteln in der Luft, die den, wenn die Gesundheitsunschädlichkeit mit aller- nicht verallgemeinert werden können und auch nicht letzter wissenschaftlicher Sicherheit bewiesen ist, ist verallgemeinert werden dürfen. Für eindeutige Aus- im Endeffekt nicht möglich. Sonst könnten Sie über- sagen zum Verbleib von Wirkstoffen beispielsweise in haupt nichts mehr zulassen und müßten alles verbie- der Atmosphäre sind noch weitere Untersuchungen ten. Das wäre ein Verbot über die Hintertür. Das nötig. Das wurde uns auch bei der Anhörung mitge- können wir so nicht machen. teilt. Solche Untersuchungen sind nach Auffassung der FDP voranzutreiben. (Zurufe von der SPD) Die Ermittlungen des Petitionsausschusses haben Ein Problem besteht u. a. auch da rin, daß wir oft weiterhin ergeben, daß aus der zitierten Untersu- nichts über Kombinationswirkungen von Agroche- chung nicht abgeleitet werden kann, daß Pflanzen- mikalien wissen. Auch hier in diesem Bereich muß schutzmittel generell nicht abgebaut werden können. weiter geforscht werden. Aber ich bin schon der Die Abbaubarkeit hängt vielmehr von der Form, in der Meinung, daß wir hier etliche Verfahren durchlaufen die Pflanzenschutzmittel in der Atmosphäre vorlie- und wichtige Prüfungsverfahren nach dem jetzigen gen, nämlich gasförmig oder an Staub gebunden, und Stand der Wissenschaft und der Technik durchgeführt von ihrer photochemisch-oxidativen Stabilität ab. werden und dadurch nur Mittel mit einem sehr hohen Standard zugelassen werden. Auf Grund der bisherigen Untersuchungen geht das Bundeslandwirtschaftsministerium davon aus, daß ein Einen weiteren Punkt möchte ich ansprechen. Die Großteil der angewandten Wirkstoffe in Pflanzen Petenten werfen darüber hinaus dem Staat vor, daß er 6366 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 76. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Februar 1992

Birgit Homburger in der Vergangenheit die chemisch-orientierte Wirt- Petra Bläss (PDS/Linke Liste): Frau Präsidentin! schaftsweise durchgesetzt habe und Kenntnisse in Meine Damen und Herren! Ich bin der festen Über- alternativer, chemiefreier Pflanzenbehandlung den zeugung: In diesem Saal herrscht Übereinstimmung Landwirten bisher vorenthalten habe. Diesen Vorwurf darüber, welch hohen Stellenwert Weiterbildung in der Petenten kann man so auf gar keinen Fall stehen- den neuen Bundesländern für den angekündigten lassen. wirtschaftlichen Aufschwung hat. Mit rund 11 Milliar- (Susanne Kastner [SPD]: Die Förderung den DM stellt die Bundesregierung schließlich keinen spricht doch Bände! Das stimmt doch!) Pappenstiel zur Verfügung. Die PDS/Linke Liste hat keinesfalls die Absicht, das Ich weise darauf hin, daß es für die Landwirte auch auf diesem Gebiet bisher Geleistete abzuwerten. jetzt schon möglich ist, auf biologischen Pflanzenbau Vielmehr geht es uns darum, konkrete Erfahrungen umzustellen, und daß es dafür auch eine Förderung aus den neuen Bundesländern in die gegenwärtige von der Bundesregierung gibt. Debatte um die Weiterbildung offensiv einzubringen, indem auf sichtbar werdende Defizite aufmerksam Vizepräsidentin Renate Schmidt: Aber keine Förde- gemacht wird. rung für mehr Zeit. (Unruhe) — Vielleicht können Sie einen Moment — es ist ja nur eine kurze Runde — zuhören! Birgit Homburger (FDP): Ja, vielen Dank, Frau Die gegenwärtigen Bemühungen seitens der Bun- Präsidentin. Ich komme zum Schluß. desregierung, die bisherige Weiterbildungspraxis in Ich stelle fest, daß diese Petition Dinge fordert, die den neuen Bundesländern zu analysieren und zu nicht machbar sind und sich daher aus Sicht der FDP überarbeiten — ich erinnere an die Ankündigung, daß nicht als Anstoß für nötige weitergehende Überlegun- die Konzertierte Aktion Weiterbildung mit neuen gen — daß solche anzustellen sind, streite ich gar nicht inhaltlichen Aspekten und in gestraffter Organisation ab — eignet. Daher empfiehlt die FDP-Fraktion, dem fortgesetzt werden soll —, übersehen wir keinesfalls. Votum des Petitionsausschusses zu folgen und das Insofern möchte ich dafür plädieren, den von uns Petitionsverfahren abzuschließen. vorgelegten Antrag in den Ausschüssen gemeinsam Danke. mit dem bereits angekündigten Berufsbildungsbe- richt 1992 zu beraten. Mit seinem Erscheinen sind (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) schließlich konkrete neue Analyseergebnisse zur Weiterbildung in den neuen Bundesländern zu erwar- Vizepräsidentin Renate Schmidt: Weitere Wortmel- ten, die ich für eine weitere Debatte für unabdingbar dungen liegen mir nicht mehr vor. Damit schließe ich halte. die Aussprache. Die Behandlung dieses Tagesordnungspunktes Wir kommen zur Abstimmung, und zwar zunächst halte ich trotzdem für lohnend, um einige Aspekte der über den Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Weiterbildung in den neuen Bundesländern zu Drucksache 12/2066. Wer stimmt für diesen Ände- benennen, die Anlaß zu Kritik geben. rungsantrag? — Wer stimmt dagegen? - Enthaltun- Erstens. Um die Nutznießung der von der Bundes- gen? — Damit ist dieser Änderungsantrag knapp regierung bereitgestellten Mittel buhlen mittlerweile abgelehnt. unzählige Weiterbildungsträger, so daß das gegen- wärtige Bildungsangebot eher einem undurchschau- Wer stimmt für die Beschlußempfehlung des Peti- baren Wirrwarr gleicht. Der Verdacht, daß für die tionsausschusses? — Wer stimmt dagegen? einzelnen Bildungsträger ökonomische Erwägungen (Konrad Gilges [SPD]: Das ist aber knapp!) auf dem Bildungsmarkt primäre Bedeutung bekom- Enthaltungen? — Damit ist diese Beschlußempfeh- men, liegt nahe. Für die Betroffenen ist das insofern lung angenommen. ein Problem, als ihnen vielfach die Orientierung, die notwendige Übersicht über vorhandene Weiterbil- dungsangebote fehlt. Auch die Verantwortlichen vor Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 11 auf: Ort thematisieren diesen Fakt immer häufiger. Ich Beratung des Antrags der Abgeordneten Petra verweise auf Überlegungen in Berlin und Br anden- Bläss, Dr. Fritz Schumann (Kroppenstedt), burg, eine Art Weiterbildungs-TÜV einzurichten. Dr. Gregor Gysi und der Gruppe der PDS/Linke Zweitens. Es gibt verhältnismäßig wenige Umschu- Liste lungsmaßnahmen, die mit staatlich anerkannten enden. Ein Zertifikat für die erfolgreiche Verstärkte Einflußnahme auf die Weiterbil- Abschlüssen Teilnahme an einer Umschulung wird von Personal- dung in den neuen Bundesländern managern vielfach als Armutszeugnis für diejenige — Drucksache 12/1795 — oder denjenigen angesehen, die oder der sich mit der Überweisungsvorschlag : ursprünglichen Qualifikation nicht in der Lage sah, Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung (federführend) sich dem Arbeitsmarkt erfolgreich zu stellen. Das Ausschuß für Bildung und Wissenschaft betrifft insbesondere Hochschulabsolventinnen und Ausschuß für Wirtschaft -absolventen, die nun neben ihrem Diplom über ein Im Ältestenrat ist für die Aussprache eine Fünf- Zertifikat auf lediglich Assistentinnen- oder Assisten- Minuten-Runde vereinbart worden. — Dazu gibt es tenniveau verfügen. Das ist eine eindeutige Dequali- keinen Widerspruch. Dann ist es so beschlossen. fikation, abgesehen davon, daß im bisherigen Berufs- Als erste hat Frau Petra Bläss das Wort. leben und zu DDR-Zeiten typische Aus- und Weiter- Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 76. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Februar 1992 6367

Petra Bläss bildungen Schlichtweg ignoriert werden. Weiterbil- Danke. dung muß ebenso an vorhandene allgemeine und, wo (Beifall bei der PDS/Linke Liste) immer es geht, auch spezifische Qualifikationen anknüpfen, zumal eine große Weiterbildungsbereit- schaft auf seiten der neuen Bundesbürgerinnen und Vizepräsidentin Renate Schmidt: Nun hat der Kol- Bundesbürger besteht. lege Franz Romer das Wort. Drittens. Umschulung macht letztlich nur dann Sinn, wenn sie mit einem Strukturkonzept für die Franz Romer (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine Entwicklung der einzelnen Regionen einhergeht. Damen! Meine Herren! Der vorliegende Antrag der Hier ist die Bundesregierung schon gefordert, denn es PDS/Linke Liste ist nur auf den ersten Blick ein sollte nicht länger dem Spiel der freien marktwirt- Zeichen von Sorge um die berufliche Zukunft der schaftlichen Kräfte überlassen bleiben, ob es für die ostdeutschen Bürger. In Wirklichkeit startet er hier neuen Bundesbürgerinnen und Bundesbürger über wieder einen Versuch, DDR-Nostalgie zu erzeugen. kurz oder lang vor Ort ausreichende Möglichkeiten Damit aber werden Sie weder dem Problem gerecht gibt, sich ihren Lebensunterhalt mit eigener sinner- noch den Maßnahmen, die die Regierung Kohl zur füllter und qualifikationsgemäßer Erwerbsarbeit zu Förderung der Weiterbildung in den neuen Ländern verdienen. bereits erfolgreich einsetzt. Ohne zu wissen, ob man nach abgeschlossener Das Problem ist: Es stimmt zwar, daß die ostdeut- Fortbildung und Umschulung reelle Chancen hat, mit schen Arbeitnehmer allgemein gut qualifiziert sind, seiner nunmehr neuen Ausbildung auch einen und niemand bezweifelt, daß viele durch ständige Arbeitsplatz zu finden, bleibt die Umschulung für Weiterbildung ein hohes Maß an Fachkompetenz viele nicht mehr als ein Parkplatz. Konzepte für den erreicht haben. Aber genau diese Qualifizierung wirtschaftlichen Um- und Ausbau der Regionen und erfolgte oft für Berufe und Wirtschaftsbereiche, die deren Veröffentlichung für jede Betroffene und für unter normalen marktwirtschaftlichen Bedingungen jeden Betroffenen sind Grundvoraussetzung für eine keine Zukunft haben. Hier rächt sich, daß die SED sinnvolle Qualifikation, d. h. auch für einen sinnvollen starrsinnig versucht hat, ein nicht funktionierendes Einsatz der bewilligten Gelder. Wirtschafts- und Beschäftigungssystem künstlich am Leben zu erhalten. Ihre Vorgängerpartei, meine Lassen Sie mich abschließend noch zu einem Damen und Herren von der PDS, hat mit diesem Aspekt kommen, der bei diesem Thema leider viel- System der real existierenden Scheuklappen ver- fach unter den Tisch fällt. Frauen versuchen, ihre schuldet, daß jetzt so viele Menschen ihre alten Jobs schlechten Chancen auf dem Arbeitsmarkt zumindest verlassen müssen. teilweise durch Qualifikationslehrgänge zu kompen- sieren, aber inzwischen sind sie diesbezüglich nicht Die Regierung Kohl betont die Förderung der nur qualitativ, sondern auch quantitativ benachteiligt. beruflichen Qualifizierung als Schwerpunkt der akti- - Ostdeutsche Frauen sind nach wie vor überproportio- ven Arbeitsmarktpolitik Ost. S e stellt daher in diesem nal an Fortbildung, Umschulung und Einarbeitung Jahr 11 Milliarden DM für diesen Zweck bereit, beteiligt, aber zum einen liegt ihr Anteil längst unter 3,3 Milliarden DM mehr als 1991. Damit finanziert sie ihrem Anteil an den Erwerbslosen, zum anderen Qualifizierungsmaßnahmen für weitere 700 000 Inter- werden Frauen viel stärker „auf Halde" qualifiziert als essenten, nach den 900 000 Weiterbildungsmaßnah- Männer, da sie weniger vermittelt werden. Damit ist men, die 1991 ermöglicht wurden. Das sind Zahlen, die Entwertung auch neu erworbener Qualifikationen die für sich sprechen. Ihr Antrag kommt also offen- vorprogrammiert. sichtlich viel zu spät. Aber auch Ihre Kritik, daß am Bedarf vorbei gehan- Durchschnittlich drei Viertel der sich qualifizieren- delt werde, stößt ins Leere. Die Weiterbildungsmaß- den Frauen gehen in die Fortbildung. In den höher nahmen sind auf die Marktbedürfnisse ausgerichtet. qualifizierenden Fortbildungskursen dominieren ins- Das wird durch die Arbeitsverwaltung regelmäßig gesamt jedoch die Männer. Demgegenüber besetzen überprüft. Das duale System von beruflicher und Frauen zu 60 % die Plätze in den sogenannten Orien- schulischer Weiterbildung sorgt für einen engen tierungskursen, die keine berufliche Fortbildung brin- Zusammenhang zwischen Theorie und Praxis. Aller- gen. Kein Zufall ist außerdem, daß Frauen weniger als dings wäre es wünschenswert, den Anteil der Weiter- Männer in betrieblich organisierten Kursen bzw. in bildungsmaßnahmen im Be trieb noch zu erhöhen. der Kombination von betrieblicher und schulischer Aber auch in den neuen Einrichtungen der Arbeits- Qualifikation vertreten sind. Betriebliche und betrieb- amtsbezirke wird grundsätzlich arbeitsplatzbezogen lich-schulische Weiterbildung wird deutlich weniger weitergebildet. Frauen ermöglicht. Auch die staatlich geförderte In den 269 seit 1990 vom Bund aufgebauten Bil- betriebliche Einarbeitung kommt anteilig mehr Män- nern als Frauen zugute. dungseinrichtungen lag der Schwerpunkt der Maß- nahmen zu Beginn im kaufmännischen Bereich. Denn Fazit: Folglich werden Frauen nicht nur überpropor- hier gab es einen großen Nachholbedarf. Seit 1991 tional entlassen, sondern auch weniger in Arbeit stehen die gewerblich-technischen Berufe im Vorder- vermittelt bzw. weniger wirklich arbeitsmarktpoli- grund. Ein großer Teil der 40 000 hochwertigen neuen tisch gefördert. Selbst in der Weiterbildung und Ein- Plätze wird für Weiterbildungsmaßnahmen in den arbeitung haben sie weniger Chancen, ihre Konkur- neuen Techniken genutzt. Es gibt jedoch auch Ange- renzfähigkeit auf dem Arbeitsmarkt zu stärken, als bote für Interessenten aus Bereichen wie Touristik, Männer. Hotelwesen oder Umwelt. 6368 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 76. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Februar 1992

Franz Romer In diesen Einrichtungen wird also in einer Band- Weiterbildung und Umschulung steht außer Zweifel breite und Qualität geschult, die den Weiterbildungs- und wird auch nicht bestritten. Sie wurde nicht bestrit- einrichtungen im Westen unseres Landes entspre- ten für die alte Bundesrepublik, und sie wird auch chen. Daß es bei den privaten Anbietern schwarze nicht bestritten für die neue Bundesrepublik. Diese Schafe gegeben hat, ist möglich. Aber die Arbeitsver- Bildung ist ein wichtiger Teil unserer Gesamtbildung; waltung hat den Auftrag und auch die Möglichkeit, denn sie ist notwendig, weil sich im ökonomischen diesen Leuten das Handwerk zu legen. Prozeß der Bundesrepublik ständig etwas verändert. Wenn Sie, meine Damen und Herren Antragsteller, Frau Bläss, es ist nicht unproblematisch, zu sagen, der Arbeitsverwaltung vorwerfen, sie verschwende daß man auf der beruflichen Bildung in der ehemali- Steuergelder an diese Leute oder an unnütze Projekte, gen DDR aufbauen kann. Die berufliche Bildung in so versuchen Sie doch nur, die Bürger gegen das der ehemaligen DDR war auf das ökonomische Prinzip Arbeitsamt aufzubringen. Das ist unwahr und ebenso und das System dieses Landes ausgerichtet. Heute falsch wie Ihre Kritik, Frauen würden bei der Weiter- haben wir ein anderes Wirtschaftssystem in der ehe- bildung benachteiligt. Die Zahlen beweisen das maligen DDR. Es muß deswegen Weiterbildung, Gegenteil. Die Frauen in den neuen Ländern sind in Umschulung in großem Maßstab stattfinden, weil den Prozeß der beruflichen Weiterbildung inte- Berufszweige, Berufsgruppen, die in der ehemaligen griert. DDR noch bestehen konnten, in den fünf neuen (Horst Peter [Kassel] [SPD]: In gleichem Bundesländern heute nicht mehr bestehen können; Maß?) denn die Bedingungen sind, wie ich schon sagte, Ich werde daher bei Ihrem Antrag den Verdacht anders geworden. Deswegen kann man das nicht so einfach nicht los, daß Sie, meine Damen und Herren sagen, wie Sie es gesagt haben. von PDS und Linker Liste, wieder einmal das Märchen Ich teile auch nicht die Meinung des Kollegen von der vollkommenen Gleichberechtigung der Frau Romer, der sagt, es sei alles schlecht gewesen, in der DDR auftischen wollen. Tatsache ist: Die DDR war kein Hort der Gleichberechtigung, genausowenig (Franz Romer [CDU/CSU]: Das habe ich nicht wie sie eine Demokratie war. gesagt!) (Beifall bei der CDU/CSU) was in der ehemaligen DDR im Bereich der berufli- Also geht Ihr Antrag auch hier an den Tatsachen chen Bildung stattgefunden hat. vorbei. Der zweite Punkt ist die Qualität der Weiterbil- Meine Damen und Herren, auch die Gelder für die dung. Wir sind uns darüber einig, daß die Qualität der Weiterbildung in den fünf neuen Ländern werden Weiterbildung und ihre Auswirkungen, d. h. die vom Beitragszahler aufgebracht, also von Arbeitneh- berufliche Qualifikation, ein Standortfaktor sind. Das mern und Arbeitgebern gemeinsam. gilt insbesondere für die fünf neuen Bundesländer. Je (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Das ver höher die berufliche Qualifikation in diesen neuen gesse man nicht! — Horst Peter [Kassel]- Ländern ist, desto mehr Chancen haben die Arbeit- [SPD]: Wenn jetzt die Beamten auch noch nehmer und die Länder, ökonomisch Anschluß an die was zahlen würden, wäre es hervorra alten Länder der Bundesrepublik Deutschland zu gend!) finden. Diese Notwendigkeit besteht. Daher muß man sich schon Gedanken machen, wie man diesen Diese großartige Solidarität verpflichtet uns, die Anschluß durch Qualifikation, durch Weiterbildung Umstrukturierung auch auf diesem Gebiet zügig vor- und durch Umschulung erreichen kann. anzubringen. Unsere Politik ist es daher, sich an den Erfordernissen und nicht an den alten Strukturen zu Das gilt auch für die Frage der Produktivität. In der orientieren. Wir wollen, daß die Arbeitnehmer den ehemaligen DDR war die Produktivität ein schwieri- Blick in der Weiterbildung optimistisch nach vorn und ges Problem. Die Produktivität lag weit unter der in nicht wehmütig zurück richten. Daher bitten wir die den alten Bundesländern der Bundesrepublik Mitglieder des Deutschen Bundestages, den Antrag Deutschland. Die Schätzungen gehen in Richtung 50 der PDS/Linke Liste abzulehnen. bis 60 %. Hohe Produktivität kann man nur dann (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: In Bausch erreichen, wenn eine hohe Qualifikation in der beruf- und Bogen!) lichen Bildung besteht. Danke schön. (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Und eine (Beifall bei der CDU/CSU) entsprechende Motivation!) Um die Produktivität zu steigern, ist es also notwen- Vizepräsidentin Renate Schmidt: Nun hat unser dig, daß Weiterbildung, Qualifikation stattfindet. Kollege „Conny" Gilges das Wort, dem ich zu seinem Drittens. Wir bedauern— und das stellen wir fest —, heutigen 51. Geburtstag ganz herzlich gratuliere. daß es mittlerweile eine große Geschäftemacherei in (Beifall) der ehemaligen DDR im Bereich der Weiterbildung und Umschulung gibt, daß es Geschäftemacherei in dem Sinne gibt, daß man Schulen, Einrichtungen zum Konrad Gilges (SPD): Frau Präsidentin, liebe Erwerb von Qualifikationen einrichtet, in denen es Renate, herzlichen Dank für die Gratulation! nicht darum geht, die Menschen, die dort hingehen, Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe zu qualifizieren, sondern in denen es darum geht, Kolleginnen und Kollegen! Die Notwendigkeit der Geld zu verdienen, und zwar durch denjenigen, der Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 76. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Februar 1992 6369

Konrad Gilges die Ausbildungsstätte, Umschulungsstätte bereit- die schwierige Arbeitsmarktsituation in den neuen stellt. Ländern zu verbessern. Um einen möglichst reibungs- (Horst Peter [Kassel] [SPD]: Mit den Beiträ losen Anpassungsprozeß an verwertbare Qualifika- gen der Arbeitnehmer und Arbeitgeber!) tion zu gewährleisten, wurden im vergangenen Jahr 6,8 Milliarden DM bereitgestellt. 1992 werden es Und das darf nicht sein. sogar 7,5 Milliarden DM für Investitionen in Qualifi- Deswegen sind wir schon der Meinung, daß sich die zierungsmaßnahmen entsprechend den Regelungen Bundesregierung bemühen müßte, dem endlich einen des Arbeitsförderungsgesetzes sein. Die FDP begrüßt Riegel vorzuschieben. Denn das Ganze nimmt immer die großen Anstrengungen der Bundesregierung als katastrophalere Ausmaße an. Es gibt so etwas auch einen wichtigen Schritt zur Bekämpfung der Arbeits- schon in den alten Ländern der Bundesrepublik. Ich losigkeit. kenne das von meinem DGB-Kreis Köln. Wir kämpfen (Beifall bei der FDP) ständig dagegen an und haben inzwischen Mittel entwickelt, die es uns ermöglichen, dagegen anzu- Ich möchte an dieser Stelle aber nicht versäumen, kommen. Aber in der ehemaligen DDR, d. h. in den auf einen wunden Punkt hinzuweisen. Zur Zeit schie- fünf neuen Bundesländern, scheint es dafür noch ßen Weiterbildungs-GmbHs wie Pilze aus dem keine ausreichenden Instrumente zu geben. Es wäre Boden. Man hat Grund zu bezweifeln, daß diese gut, wenn die Bundesregierung den Arbeitsämtern, Unternehmungen Qualifikationen vermitteln, die auf den Gewerkschaften, den Unternehmerverbänden dem Arbeitsmarkt wirklich verwertbar sind. Ich erin- und insbesondere den Kammern helfen würde, gegen nere an die unrühmlichen Erfahrungen, die wir in den diese Geschäftemacherei anzukämpfen, sie zu unter- 60er Jahren in der Bundesrepublik mit den Weiterbil- binden. dungskampagnen gemacht haben. Für Bildungshaie Viertens. Wir als Sozialdemokraten fordern, daß es kann das Geld der Bundesanstalt für Arbeit nicht einen Weiterbildungsplan gibt. Die Arbeitsämter, die verschwendet werden. Kammern, die Kommunen und die Länder müssen (Beifall bei der FDP, der SPD und der PDS/ sich gemeinsam überlegen, wie man einen Gesamt- Linke Liste) plan entwickeln kann, um Weiterbildung, Qualifika- tion und Umschulung in den fünf neuen Bundeslän- Inkompetente Dozenten und auf schnellen Profit dern so zu meistern, daß, wie ich schon zu Beginn schielende Geschäftemacher müssen in Zukunft mit sagte, ein Anschluß an die ökonomische Entwicklung wirksamen Kontrollinstrumenten verhindert wer- hergestellt wird. den. Des weiteren fordern wir, daß die Weiterbildung mit Aber nicht nur der Staat ist gefordert, sondern auch einer allgemeinen Bildung verbunden wird. Ein die Betriebe sind aufgerufen trotz ihrer wirtschaft- Handwerksmeister oder ein Fliesenlegergeselle, wie lichen Probleme —, ihre Mitarbeiter und Mitarbeite- ich einer bin, muß notfalls auch eine Rechnung rinnen, z. B. mit Hilfe der Kammern und/oder Partnern ausstellen können. Zur Vermittlung solcher Qualifika-- aus dem Westen, zu Qualifizierungsmaßnahmen zu tionen ist ein großes Maß an Weiterbildung erforder- schicken. Nur auf diese Weise werden die wirtschaft- lich. Es reicht nicht aus, daß nur die handwerklichen lichen Probleme gemeistert, da die Wettbewerbsfä- Fertigkeiten gefördert werden. Auch die Allgemein- higkeit hierdurch entscheidend gesteigert wird. bildung muß zum Ausbildungsinhalt werden. Meine Herren, meine Damen, Weiterbildungsmaß- Wir sind weiterhin der Meinung, daß besonders die nahmen haben nur Sinn, wenn sie bedarfsgerechte Frauen in der ehemaligen DDR verstärkt einbezogen Angebote machen und vor allem hohen Ansprüchen werden. Sie sind die Verlierer der Umstrukturierung gerecht werden. Angesichts der Tatsache, daß täglich und der ökonomischen Entwicklung in der DDR. Die in den neuen Ländern rund 25 000 Fortbildungsveran- Arbeitslosenstatistik zeigt, daß sehr viele Frauen staltungen stattfinden, ist es daher unbedingt notwen- arbeitslos geworden sind. Die Frauenarbeitslosigkeit dig, ein besonderes Augenmerk auf die Qualitäts- stellt also ein gravierendes Problem dar. sicherung in der beruflichen Weiterbildung zu set- Ich meine, es ist notwendig, daß ein Gesetz verab- zen. schiedet wird, in dem die Freistellung von Arbeitneh- Der Präsident der Bundesanstalt für Arbeit hat mit mern für die berufliche Weiterbildung fixiert wird. Es seinem Erlaß vom August 1991 hier erste wichtige muß gesetzlich geregelt werden, daß der Arbeitneh- Zeichen gesetzt, den § 34 Arbeitsförderungsgesetz in mer die Möglichkeit hat, sich für Weiterbildung oder die Realität umzusetzen. Doch sind über den Franke Umschulung von der Arbeit freistellen zu lassen. Erlaß hinaus zusätzliche Maßnahmen erforderlich. Danke schön. Angesichts der Tatsache, daß für die Menschen, die (Beifall bei der SPD und der PDS/Linke sich in den neuen Ländern zur Zeit in Fortbildung Liste) befinden, keine Garantien für einen Arbeitsplatz gegeben werden können, sind Anstrengungen zur Qualitätssicherung besonders vordringlich, um Wei- Vizepräsidentin Renate Schmidt: Nun hat die Kolle- terbildungsfrustrationen zu verhindern. Die Teilneh- gin Margret Funke - Schmitt - Rink das Wort. mer und Teilnehmerinnen dürfen nicht demotiviert werden.

Dr. Margret Funke - Schmitt - Rink (FDP): Frau Präsi- Die FDP unterstützt daher die Bemühungen der dentin! Meine Herren! Meine Damen! Mit gewaltigen Bundesregierung im Rahmen einer marktwirtschaft- finanziellen Mitteln versucht die Bundesregierung, lich pluralen Weiterbildungsordnung — nicht plan-, 6370 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 76. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Februar 1992

Dr. Margret Funke-Schmitt-Rink sondern marktwirtschaftlich pluralen Weiterbil- sion der Bundesregierung zur Reform der dungsordnung , entsprechende freiheitliche Instru- Versorgung im psychiatrischen und psycho- mente der Qualitätssicherung zu erproben und einzu- therapeutisch/psychosomatischen Bereich" — führen. auf der Grundlage des Modellprogramms (Konrad Gilges [SPD]: Man muß aber keinen „Psychiatrie" der Bundesregierung Ausschlag kriegen, wenn das Wort „Plan" in — Drucksache 11/8494 — den Mund genommen wird!) Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für Hier liegt der falsche Ansatz des PDS-Antrags. Des- die Aussprache eine Stunde vorgesehen. — Auch halb lehnt die FDP-Fraktion den Antrag ab. Denn Ihr dazu gibt es keinerlei Widerspruch. Dann ist auch das Antrag läuft darauf hinaus, in altbekannter Manier so beschlossen. staatliche Weiterbildung zu organisieren in einer Als erstes hat die Bundesministerin für Gesundheit, Organisationsform, die den sachlichen Notwendig- Frau Gerda Hasselfeldt, das Wort. keiten von beruflicher Weiterbildung nicht gerecht wird.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Gerda Hasselfeldt, Bundesministerin für Gesund- Entscheidend für die FDP ist die Sicherung einer heit: Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und marktwirtschaftlichen Weiterbildungsordnung. Herren! Die Verpflichtung, für eine bessere Versor- (Zuruf von der CDU/CSU: Für uns auch!) gung unserer psychisch kranken Mitbürger zu sorgen, ist nicht teilbar; sie geht uns alle an. Unser gemeinsa- Deswegen müssen auch Qualitätssicherungsele- mer Anspruch auf eine menschliche Gesellschaft muß mente, wie sie in der Marktwirtschaft üblich sind, in sich daran messen lassen. der Weiterbildung verstärkt werden. Dazu gehören im einzelnen: erstens die Ausweitung der Beratung der Die Bundesregierung steht zu dieser Verantwor- Teilnehmer und Teilnehmerinnen an Weiterbildungs- tung; aber sie steht dabei nicht alleine. Diese Verant- maßnahmen hinsichtich anzustrebender Fortbil- wortung schließt in gleicher Weise Länder und Kom- dungsgänge, zweitens verstärkte Kontrollen der Bun- munen sowie alle anderen mitwirkenden Institutionen desanstalt für Arbeit bei den Trägern, drittens der und Leistungserbringer ein. Keiner der Beteiligten Aufbau von Weiterbildungsschutzzentralen und tele- kann die erfolgreiche Weiterführung der Psychiatrie fonischen Informationsdiensten, viertens die freiwil- Reform alleine sicherstellen. lige Selbstkontrolle von Trägern der Weiterbildung in Diese erfolgreiche Weiterführung der Psychiatriere- Richtung Qualitätszirkel und vor allem: fünftens die form kann auch nicht kurzfristig realisiert werden. Qualitätskontrollmechanismen wie die Stiftung Wa- (Horst Peter [Kassel] [SPD]: Deshalb haben rentest. Sie sich mit der Stellungnahme so lange Zeit Fazit, meine Herren, meine Damen: Nur mit markt- gelassen?) wirtschaftlich orientierten Instrumenten ist- sicherzu- Das ist im übrigen auch die einhellige Auffassung der stellen, daß wir eine hinreichende Qualität der beruf- Expertenkommission, über deren Bericht wir heute lichen Weiterbildung erhalten. Die Bundesregierung beraten. Dieser Bericht analysiert die Lage in den wird aufgefordert, alle Anstrengungen zu intensivie- westlichen Bundesländern. Angesichts der Verhält- ren, damit keine Weiterbildungsdemotivation in gro- nisse in den neuen Bundesländern hat er aber eine ßem Umfang entsteht. zusätzliche Bedeutung. Die Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen sollen in Dort gelten für die Verbesserung der psychiatri- Einrichtungen geschult werden, die dem im Westen schen Versorgung die gleichen Reformziele, die glei- üblichen Qualitätsstandard nicht nachstehen. chen Prinzipien wie auch in den alten Bundesländern. Galt 1990 bei vielen Verantwortlichen - übrigens Dabei ist ganz besonders wichtig, meine Damen und auch im BMA — vielleicht noch die Priorität „Quanti- Herren: Wir müssen von der bloß verwahrenden tät vor Qualität", so hält die FDP für 1992 an der Psychiatrie zu einer therapeutischen und rehabilitati- Forderung „Qualität vor Quantität" fest. ven Psychiatrie kommen. Danke. (Beifall bei der CDU/CSU) (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Die dafür in der Psychiatrie-Enquete aufgestellten der CDU/CSU) Grundprinzipien sind unbestritten, nämlich erstens eine möglichst gemeindenahe Versorgung, zweitens Vizepräsidentin Renate Schmidt: Damit schließe ich eine bedarfsgerechte und umfassende Versorgung die Aussprache. aller psychisch Kranken und Behinderten, drittens die Koordination aller Versorgungsdienste und viertens Der Ältestenrat schlägt die Überweisung der Vor- die Gleichstellung psychisch Kranker mit körperlich lage auf Drucksache 12/1795 an die in der Tagesord- Kranken. nung aufgeführten Ausschüsse vor. Sind Sie damit einverstanden? — Dann ist die Überweisung so (Vorsitz: Vizepräsident Helmuth Becker) beschlossen. Diese Prinzipien dürfen aber nicht alleine stehen, (Editha Limbach [CDU/CSU]: Sehr richtig!) Ich rufe Punkt 13 der Tagesordnung auf: sondern mindestens genauso kommt es darauf an, wie Stellungnahme der Bundesregierung zu dem wir mit den psychisch kranken Menschen umgehen. Bericht „Empfehlungen der Expertenkommis Sie dürfen nicht ausgegrenzt oder zur Seite geschoben Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 76. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Februar 1992 6371

Bundesministerin Gerda Hasselfeldt werden, sondern wir müssen unvoreingenommen auf Meine Damen und Herren, ich sprach davon, daß ihre Bedürfnisse eingehen. wir zwischen 1980 und 1985 etwa 190 Millionen DM in (Beifall der Abg. Editha Limbach [CDU/ einem großangelegten Modellprogramm bereitge- CSU]) stellt haben. Gemeinsam mit sechs Bundesländern konnte in 14 Regionen ein Versorgungsnetz zwischen Meine Damen und Herren, die Bundesregierung niedergelassenen Nervenärzten und stationären Ein- war und ist bestrebt, die Lage der psychisch Kranken richtungen entwickelt und erprobt werden. Ein ande- und Behinderten im Rahmen ihrer Möglichkeiten zu rer Teil der Modellmittel wurde für Maßnahmen im verbessern. stationären Bereich, in der beruflichen Rehabilitation (Horst Peter [Kassel] [SPD]: Im Schnecken und für die wissenschaftliche Begleitung eingesetzt. tempo!) Dieses Bundesprogramm ist dann auch die Grund- Allerdings — und das, meine Herren von der Opposi- lage der vorliegenden Expertenempfehlungen. Dort tion, können auch Sie nicht verschweigen — bleibt die wird bestätigt, daß es seit dem Beginn der Arbeit an konkrete Ausgestaltung der psychiatrischen Versor- der Psychiatrie-Enquete zu beträchtlichen Investitio- gung vor Ort in der alleinigen Kompetenz der Länder nen der öffentlichen Hände gekommen ist. Außerdem und der Kommunen. plädieren die Experten dafür, daß die Erfahrungen aus (Editha Limbach [CDU/CSU]: Sehr richtig! — diesem Modellprogramm weiter umgesetzt werden. Horst Peter [Kassel] [SPD]: Sie haben immer gegen unseren Gesetzentwurf gestimmt!) Nun steht fest, daß das Programm in vielem positive Anstöße gegeben hat: — Das hat nichts mit fehlender Verantwortung zu tun. Sie wissen genau, daß der Bund über seine Verant- Wir wissen, daß die Bettenzahl in den großen wortung hinaus aktiv geworden ist und dies auch in psychiatrischen Krankenhäusern um fast die Hälfte der Zukunft sein darf. Nur darf dies alles nicht über die reduziert wurde — eine deutliche Verbesserung für Kompetenzen hinwegtäuschen. die Betroffenen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Die Forderung nach einem möglichst flächendek- Es steht fest, daß wir bereits jetzt entscheidend dazu kenden Aufbau psychiatrischer Abteilungen an All- beigetragen haben, dem Reformimpuls der Psychia- gemeinkrankenhäusern ist weitgehend erfüllt. Die trie-Enquete zum Durchbruch zu verhelfen. Verbes- Zahl dieser Abteilungen ist seit 1971 von 20 auf 120 serungen der Versorgung psychisch Kranker und gestiegen. Insgesamt stehen dort heute rund 11 000 Behinderter gibt es vor allem auch im nichtstationären Betten bereit. Sektor. Trotzdem muß noch vieles weiterentwickelt Nicht zuletzt ist auch durch die Verbesserung des und ergänzt werden. Das will ich gar nicht leugnen. Stellenplans für die Pflegekräfte in der Psychiatrie die Das bestätigen im übrigen auch die Ergebnisse des Belastung für die dort Tätigen besser geworden. Das von uns finanzierten Psychiatrie-Modellprogramms. hat zu einer Erhöhung der Stellenzahl in den alten Sie wissen, daß der Bund von 1980 bis 1985 dafür- etwa Ländern um etwa 5 000 Stellen geführt, in den neuen 190 Millionen DM ausgegeben hat. Ländern um etwa 1 500 Stellen.

Vizepräsident Helmuth Becker: Frau Ministerin, (Editha Limbach [CDU/CSU]: Das ist auch gestatten Sie eine Zwischenfrage? schon eine gute Leistung!) — Das ist eine Verbesserung der Situation für die dort Gerda Hasselfeldt, Bundesministerin für Gesund- Tätigen, die wirklich harte Arbeit zu leisten haben. heit: Gerne. Außerdem hat sich die Zahl der niedergelassenen Nervenärzte seit der Psychiatrie-Enquete verdrei- Bitte sehr, Herr Vizepräsident Helmuth Becker: facht, auf insgesamt 4 500 erhöht. Kollege. Weitere Versorgungsverbesserungen wurden

Dr. Hans - Hinrich Knaape (SPD): Frau Ministerin, durch den Ausbau teilstationärer, ambulanter und warum hat dann der Gesundheitsausschuß, in dem die komplementärer Behandlungsangebote erreicht. Da- CDU/CSU-FDP-Koalition die Mehrheit hat, den bei, meine Damen und Herren, dürfen und werden wir Antrag der SPD abgelehnt, in den neuen Bundeslän- alle gemeinsam uns nicht ausruhen. dern an den einzurichtenden psychiatrischen Abtei- Diese Erfolge müssen gesichert, müssen vor allem lungen der Krankenhäuser auch die Institutsambu- weiter ausgebaut werden. Deshalb werden wir immer lanzen zuzulassen und damit eine wesentliche Ver- wieder Modellmaßnahmen fördern, nicht nur in den besserung der Versorgung der chronisch Kranken aus alten, sondern natürlich und insbesondere auch in den der Bundeskompetenz zu erreichen? neuen Bundesländern. Insgesamt stehen in diesem Jahr dafür 7 Millionen DM bereit, doppelt so viel wie Gerda Hasselfeldt, Bundesministerin für Gesund- im vergangenen Jahr. Mehr als die Hälfte dieser heit: Sie wissen, daß dies, Herr Kollege, nicht unbe- Mittel fließt schon jetzt in die neuen Länder. dingt eine Verbesserung der Versorgung der psy- chisch Behinderten und der psychisch Kranken be- (Beifall bei der CDU/CSU) inhaltet. Wir können hier nicht Äpfel mit Birnen Über den Ansatz der Modellförderung des nächsten vergleichen. Ich bitte, dies nicht durcheinanderzu- Jahres wird in den kommenden Haushaltsverhand- werfen. lungen entschieden, und Sie dürfen sicher sein, daß (Beifall bei der CDU/CSU) ich mich dabei mit meinen Kolleginnen und Kollegen 6372 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 76. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Februar 1992

Bundesministerin Gerda Hasselfeldt aus der CDU/CSU-Fraktion und der FDP-Fraktion für ligen DDR ist, die sicherlich nicht gerechtfertigt wäre. eine weitere Etatverbesserung einsetzen werde. Da stimmen Sie doch sicher zu? Bei der Mittelvergabe konzentrieren wir uns schon jetzt auf die Bereiche, die von der Expertenkommis- Gerda Hasselfeldt, Bundesministerin für Gesund- sion als besonders entwicklungsbedürftig eingestuft heit: Herr Kollege, wenn Sie aus meinen Äußerungen, worden sind. Dies gilt vor allem für die schweren die ich soeben und auch sonst getan habe, eine Behinderungen, für die Kinder- und Jugendpsychiat- pauschale Verurteilung herausgehört haben sollten, rie sowie für die Psychiatrie unserer älteren Mitbür- dann haben Sie nicht richtig zugehört. ger. Dabei ist die Rehabilitation ganz besonders (Dr. Hans-Hinrich Knaape [SPD]: Das war wichtig. Bei der Rehabilitation verfolgen wir das Ziel, nicht die Frage!) die Selbständigkeit der Lebensführung möglichst Zu den Zahlen: Ich bitte um Verständnis dafür, daß ich lange zu erhalten bzw. wiederherzustellen. Trotzdem nicht alle Zahlen im Kopf habe. Aber was an Zahlen- müßten natürlich auch die Pflegemöglichkeiten wei- material vorliegt, bin ich gern bereit Ihnen zur Kennt- ter ausgebaut werden. nis zu geben. Ich werde dies gern prüfen. Mit dem Gesundheits-Reformgesetz haben wir Meine Damen und Herren, im Ergebnis müssen wir schon einen ganz wichtigen Schritt zur Stärkung der heute einen über 20jährigen Versorgungsrückstand häuslichen Pflege getan. Sie wissen, daß wir am aufarbeiten. Es ist klar, daß die Mittel, die wir mit dem umfassenden Konzept der sozialen Absicherung der Aufschwung Ost auch für Investitionen in psychiatri- Pflegebedürftigen derzeit arbeiten und dieses Kon- schen Krankenhäusern bereitgestellt haben, dies zept in einigen Monaten vorlegen können. nicht mit einem Schlag aufholen konnten. Dies gilt Die bisherige Bilanz für die alten Bundesländer auch für die Ansätze des Modellverbunds „Psychia- beweist, daß der notwendige Strukturwandel in der trie", die wir jetzt in immer stärkerem Maße auf die Versorgung psychisch Kranker vorankommt. Der neuen Länder konzentrieren. Wer uns angesichts erfolgreiche Abschluß dieser Bemühungen fordert dieser objektiven Schwierigkeiten Untätigkeit vor- allerdings die gemeinsame Verantwortung von Bund, wirft, argumentiert nicht sachlich. Nun gestehe ich Ländern, Gemeinden und allen anderen Beteiligten. gern zu, daß es das Recht der Opposition ist, immer Diese gemeinsame Verantwortung ist vor allem auch noch mehr zu fordern, auch mehr Geld zu fordern, deshalb unverzichtbar, weil wir das katastrophale, das aber dieses Recht der Opposition, immer noch mehr zu inhumane Psychiatrieerbe der SED-Diktatur nur so, fordern, schließt nicht die Freiheit ein, tatsächliche nämlich nur gemeinsam erfolgreich umgestalten kön- Leistungen zu leugnen. nen. Die Bundesregierung wird ihre Anstrengungen für (Beifall bei der CDU/CSU) eine erfolgreiche Psychiatriereform weiter fortführen. Außerdem müssen wir — das sage ich mit voller Dabei werden wir uns auch in Zukunft an den Emp- Deutlichkeit — Gemeinsamkeit in der schonungslo- fehlungen der Expertenkommission orientieren. Bei sen Aufdeckung des Psychiatriemißbrauchs- in der dieser wichtigen Aufgabe hat ein nutzloser parteipoli- ehemaligen DDR beweisen. tischer Streit keinen Platz. Jeder muß seine Verant- (Beifall bei der CDU/CSU — Karl Joseph wortung an seiner Stelle wahrnehmen. Letztlich Laumann [CDU/CSU]: Das ist wahr! Viel haben wir alle hier gemeinsam ein Ziel, nämlich die leicht kann die PDS hier einen Beitrag lei Verbesserung der Situation der psychisch Kranken. sten?) Lassen Sie uns daran auch gemeinsam arbeiten! Die stationären Einrichtungen in der ehemaligen DDR (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie weisen nicht nur schwere bauliche und organisatori- des Abgeordneten Dr. Hans-Hinrich Knaape sche Mängel auf. Die Psychiatrie dort, meine Damen [SPD]) und Herren, hat über Jahrzehnte keine Reform erfah- ren. Das war eine für alle Patienten und viele enga- Vizepräsident Helmuth Becker: Meine Damen und gierte Mitarbeiter unerträgliche Situation. Herren, ich erteile jetzt unserer Kollegin Frau Regina Schmidt-Zadel das Wort. Vizepräsident Helmuth Becker: Frau Minister, gestatten Sie noch eine Zwischenfrage? Regina Schmidt-Zadel (SPD): herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zunächst einmal muß ich Gerda Hasselfeldt, Bundesministerin für Gesund- sagen, daß ich es ausgesprochen schade finde, daß wir heit: Bitte. über dieses Thema hier zu so später Stunde reden. Dieses Thema hätte mehr Aufmerksamkeit verdient. Vizepräsident Helmuth Becker: Kollege Knaape, (Zuruf von der CDU/CSU: Es ist doch wirk bitte. lich nicht spät!) — Ja, aber ich denke schon, es hätte mehr Aufmerk- Dr. Hans - Hinrich Knaape (SPD): Frau Ministerin, samkeit verdient, und das ist zu später Stunde ja liegen der Bundesregierung genaue Zahlen vor, in immer nicht sehr einfach. welchen psychiatrischen Kliniken der ehemaligen DDR Mißbrauch der Psychiatrie getrieben wurde, (Beifall bei der SPD) bzw. laufen Ermittlungsverfahren gegen einige Wenn es in der heutigen Debatte um die Verbesse- Psychiater? Denn es ist sehr häufig herauszulesen — rung der Lage psychisch kranker Menschen geht, ich will Ihnen das nicht unterstellen —, daß es eine sollten wir uns zunächst vor Augen führen, um wel- pauschale Verurteilung der Psychiatrie in der ehema chen Personenkreis es hier überhaupt geht. Nicht Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 76. Sitzung. Borin, Donnerstag, den 13. Februar 1992 6373

Regina Schmidt-Zadel zuletzt, meine Damen und Herren, die stark unter- auch die Modellprojekte fielen in die Zeit der sozial- schiedliche, unscharfe Definition des Begriffs „psy- liberalen Koalition. Ähnliche Anstrengungen sind chisch krank" hat in der Vergangenheit dazu geführt, während der Amtszeit dieser Regierungskoalition daß der Stellenwert der Psychiatriepolitik nicht deut- bisher noch nicht zu verzeichnen. Aber was nicht ist, lich genug wurde. Hinter Begriffen verbergen sich kann ja noch werden. Schicksale, überwiegend schlimme Schicksale, die Mit der Gesundheitsreform 1988 hatte die Regie- sehr in das Leben von Menschen und Familien ein- rung die einmalige Chance, eine längst überfällige greifen können. Eine genaue Definition und vor allem Neuregelung für psychisch Kranke mit einzubezie- die Größenordnung machen daher, wie ich finde, die hen. Dies hat sie versäumt. Sie hat damit die Erwar- Bedeutung, die einer Psychiatriereform zukommt, tungen der Experten und auch der Betroffenen auf besonders deutlich, sträfliche Weise, so will ich es einmal ausdrücken, Ich halte daher die von der Expertenkommission enttäuscht. Richtig ist aber, daß sich auf Grund der gemachte Quantifizierung für sehr wichtig. Die Kom- Modellprogramme wesentliche Veränderungen in mission grenzt psychische Störungen mit Krankheits- den Modellregionen vollzogen haben. Sicherlich sind wert von kurzfristigen allgemeinen Lebenskrisen oder davon auch Initialzündungen für andere Städte und Befindlichkeitsstörungen ab. Gerade der Begriff „psy- Gemeinden ausgegangen. chische Störungen mit Krankheitswert" macht deut- Allerdings stellt die Expertenkommission zum lich: Hier handelt es sich um kranke Menschen, um Abschluß fest, daß die Reformbestrebungen nicht Menschen, die eine lange Zeit, viele von ihnen ein kurzfristig — auch nicht in fünf Jahren — vollzogen Lebenlang, unter psychischen Störungen und Erkran- werden können. kungen leiden, um Menschen also, liebe Kolleginnen und Kollegen, die unserer Gesellschaft nicht gleich- (Editha Limbach [CDU/CSU]: Warum werfen gültig sein dürfen, deren Betreuung und Versorgung Sie es dann der Regierung vor?) wir ebenso wichtig nehmen sollten, wie wir es bei den — Sie ist ja schon länger als fünf Jahre dran, Frau körperlich Kranken bereits tun. Kollegin. — Vielmehr ist es notwendig, den Auf- und Da wir leider immer noch nicht auf statistisch Ausbau eines gemeindepsychiatrischen Verbundes ausreichend gestütztes Datenmaterial zurückgreifen flächendeckend zu realisieren und ständig den Erfor- können, lassen sich bei der Größenordnung nur dernissen anzupassen. Trends feststellen. Unter anderem auch deshalb hat Ein Schritt in die richtige Richtung wäre es gewe- die SPD-Bundestagsfraktion eine Große Anfrage zur sen, meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Situation der psychisch Kranken in Deutschland ein- Kollegen, den Bericht der „Aktion Psychisch Kranke" gebracht. mit dem Titel „Zur Lage der Psychiatrie in der Eine Tatsache, die den mangelnden Stellenwert ehemaligen DDR" mit einer Drucksachennummer zu psychisch kranker Menschen in unserer Gesellschaft versehen und somit auch ihren Stellenwert in der widerspiegelt, ist, daß die Mitglieder der Enquete- Politik zu dokumentieren. Kommission feststellen mußten, daß wir noch nicht Angesichts der katastrophalen Bedingungen der einmal zuverlässige Daten über die Anzahl der Betten Psychiatrie in den neuen Bundesländern ich habe in psychiatrischen Einrichtungen haben und es sie es mir angesehen und muß sagen, daß ich mehr als auch nicht gibt. Die wenigen Zahlen, die uns vorlie- erschüttert gewesen bin — ist es längst überfällig, dort gen, sind um so erschreckender: Etwa 10 bis 12 % der ebenfalls flächendeckende Reformen zu bewerkstelli- Bevölkerung sind innerhalb eines Jahres psychia- gen oder sie überhaupt erst einmal in Gang zu trisch behandlungsbedürftig. Konkret, liebe Kollegin- setzen. nen und Kollegen, bedeutet dies 6 bis 8 Millionen Bürgerinnen und Bürger. Dies entspricht, um das ( [CDU/CSU]: Das wird ja die einmal plastisch darzustellen, der Einwohnerzahl Bundesregierung machen!) unseres Nachbarlandes Österreich, was nicht heißen Ja, das haben wir diese Woche im Ausschuß erlebt. soll, daß alle Österreicher psychisch krank seien. Ich denke, das wird richtig verstanden. — Es sind 6 bis Frau Kollegin, ich komme nachher auf diesen 8 Millionen Bürgerinnen und Bürger, für deren Ver- Punkt. sorgung die Politik der Koalitionsparteien außer einer Hier sieht die Expertenkommission die gemein- halbherzig durchgeführten Reform bisher nicht viel zu same Verantwortung von Ländern und Bund. Vor bieten hatte. allem der Bund ist nach Art. 72 GG verpflichtet, dann tätig zu werden, wenn Angelegenheiten durch die (Uta Würfel [FDP]: Das ist nicht nett von Gesetzgebung einzelner Länder nicht wirksam gere- Ihnen!) gelt werden können. Der Bund ist für die Herstellung — Das ist nicht nett, aber es ist so. der Gleichheit der Lebensverhältnisse zuständig. Er hat daher auch die Möglichkeit, in diesem Bereich In ihrer Stellungnahme zu den Empfehlungen der Entwicklungen in Gang zu setzen. Expertenkommission bewertet die Bundesregierung die Ergebnisse der Modellprogramme aus den Jahren Die jüngsten Erhebungen zur Lage der Psychiatrie 1980 bis 1985 überwiegend positiv. Sie erweckt hier- in den neuen Bundesländern bescheinigen katastro- durch den Eindruck, als führte sie diese Ergebnisse phale Defizite und zum Teil — das finde ich sehr auf ihre eigene Arbeit zurück. Die Wahrheit aber ist traurig — menschenunwürdige Verhältnisse. Beson- — ich denke, das sollte nicht verwischt werden —: ders fatal ist, daß das zerstört worden ist, was hier Sowohl die Einsetzung der Psychiatrie-Enquete als vorbildlich war, nämlich die Polikliniken, die eine 6374 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 76. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Februar 1992

Regina Schmidt-Zadel ambulante Versorgung der psychisch Kranken mög- Uneinigkeit. Der Koalitionspoker, meine Damen und lich gemacht hätten. Herren, bei diesem Thema sollte nicht auf den Rücken dieser Menschen ausgetragen werden. Erhebungen — darüber sind wir uns einig — alleine reichen aber nicht aus, um zu dokumentieren, daß (Beifall bei der SPD — Dr. Peter Struck [SPD]: man sich dieses Problems annimmt. Glaubwürdiger Das ist unwürdig!) wäre es gewesen, dem Antrag der SPD-Fraktion im — Ja, unwürdig. Oft führen die immensen sozialen Gesundheitsausschuß zuzustimmen, Modellprojekte und finanziellen Belastungen zu gesellschaftlicher in den neuen Ländern zu initiieren, um damit Initial- Isolation. Zum sozialen Abstieg ist es dann meist nur zündungen für die Versorgung psychisch Kranker noch ein kleiner Schritt. ausgehen zu lassen. Welche Forderungen ergeben sich nun hinsicht- Frau Ministerin, ich habe nicht verstanden, was Sie lich einer konsequenten Weiterentwicklung der zu diesem Punkt soeben gesagt haben. Denn wir Psychiatriereform? Hier ist an erster Stelle zu nennen hatten dies ja beantragt. Aber die Koalitionsparteien die schnellstmögliche Umsetzung der Empfehlungen haben diesen Antrag mit ihrer Mehrheit im Ausschuß der Expertenkommission. Die Abkehr vom klinikzen- abgebügelt. Offensichtlich war ihnen dieses Problem trierten Denken, das heißt die Loslösung von der da nicht wichtig genug. Versorgung in verwahrenden stationären Langzeit- Wertvolle Zeit ist ungenutzt verstrichen. Angesichts krankenhäusern, und die Hinwendung zu wohnortna- der neuen Aufgaben — Psychiatriereform in den hen therapeutischen Angeboten müssen schnellstens neuen Ländern — darf nicht noch mehr Zeit vertan realisiert werden. und vertändelt werden. Das wäre um so verheerender Dazu ist es erforderlich, das bisher unzureichende angesichts der Tatsache, daß die Zahl psychisch Netz an gemeindepsychiatrischen Hilfen flächendek- kranker Menschen auf Grund unterschiedlicher Ent- kend auszubauen. Aber dort, wo stationäre klinische wicklungen auch in den neuen Ländern weiter Versorgung weiter erforderlich ist, muß eine Abkehr zunimmt. von Großeinrichtungen und Hinwendung zu kleine- Die Situation insgesamt möchte ich an Hand dreier ren gemeindeintegrierten Kliniken und Abteilungen Gruppen Behandlungsbedürftiger exemplarisch dar- erfolgen. stellen. Da gibt es zunächst die Gruppe der chronisch Die Deutsche Vereinigung hat das Problem der Kranken; sie wird in der Bundesrepublik auf ca. Psychiatrie verstärkt ins Blickfeld gerückt. Der Auf- 600 000 Personen geschätzt. Von diesen ist ca. ein bau der psychiatrischen Versorgung in den neuen Drittel dauerhaft in Einrichtungen untergebracht. Ein Ländern muß sehr schnell erfolgen. großer Teil jedoch lebt noch in den Familien. Ich Auf Dauer kann es aber nicht angehen — da gebe denke, die meisten von Ihnen können sich vorstellen, ich Ihnen recht, Frau Ministerin —, daß die Reform der welchen Belastungen diese Familien ausgesetzt Psychiatrie ständig nur in Form von Modellprojekten sind. gebietsweise realisiert wird. Die Zeit der wissen- Dazu kommt in den meisten Fällen auch noch eine schaftlichen Sandkastenspiele muß hier vorbei sein, katastrophale finanzielle Situation. Bis zu 90 % dieser so hilfreich sie auch sein mögen. Die seit langem Menschen sind aus dem Erwerbsleben ausgegrenzt. geforderte Gleichsetzung der psychisch Kranken mit Sie leben an oder unterhalb der Armutsgrenze von den körperlich Kranken ist immer noch nicht verwirk- Kleinrenten und Sozialhilfe, viele ausschließlich vom licht und muß dringend verwirklicht werden. Vermögen ihrer Angehörigen. Das ist eine Situation, Eine Ungleichbehandlung, eine Zweiteilung in psy- die unserer Bundesrepublik und uns nicht würdig chisch Kranke, die das Glück haben, in einer Modell- ist. region zu wohnen, und solche, die das Glück nicht Jede Psychiatriereform muß sich daher auch daran haben, darf es doch bei diesem Personenkreis nicht messen lassen, was sie bereit ist für Langzeitkranke, auch noch geben. Die Lage der chronisch psychisch also für chronisch kranke Menschen, zu tun. Kranken ist eine Katastrophe und beschämend für die Bundesrepublik. Eine große Gruppe innerhalb der chronisch Kran- ken sind die psychisch Alterskranken. Die Zahl dieser Der erforderliche Neuaufbau in den neuen Bundes- Menschen wird infolge der Verschiebung der Alters- ländern muß auch als Chance für die Psychiatrie struktur weiter zunehmen. Hier fallen nicht nur die begriffen werden. Die Angleichung in Ost und West biologischen Faktoren ins Gewicht, es spielen auch darf nicht, wie in anderen Bereichen bereits gesche- soziale und psychologische Faktoren eine Rolle. Die hen, auf dem kleinsten gemeinsamen Nenner enden. Versorgungsangebote sollten daher berücksichtigen, Es muß auch eine Angleichung des Niveaus erfol- daß die stationären Aufenthalte so kurz wie möglich gen. gehalten werden, damit die Selbständigkeit der alten Menschen gewahrt bleibt. Vizepräsident Helmuth Becker: Liebe Frau Kolle- Auch hier tragen größtenteils die Familien die gin — — Hauptlast der Betreuung. Deshalb, liebe Kolleginnen und Kollegen, muß auch dringend und schnell die gesetzliche Pflegeversicherung kommen. Regina Schmidt - Zadel (SPD): Ich bin sofort fertig. (Beifall bei der SPD) Erneuerungen rufen nach gemeinsamen Entschlie- Denn Pflegebedürftigkeit ist ein allgemeines Risiko ßungen aller Fraktionen und dürfen — und damit will und kann jeden treffen. Nach wie vor herrscht hier ich versöhnlich enden — nicht zum parteipolitischen Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 76. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Februar 1992 6375

Regina Schmidt-Zadel Zankapfel werden. Das hilft sicher am allerwenigsten ambulanten, stationären und komplementären Ver- diesen Menschen, meine Damen und Herren. sorgungsangeboten zur Verfügung steht. Ich danke Ihnen für das Zuhören. Für eine verbesserte Versorgung ist es deshalb auch nicht ausreichend, alleine die Behandlung durch nie- (Beifall bei der SPD und der PDS/Linke dergelassene Ärzte oder Krankenhäuser im Auge zu Liste) haben. Es kommt auf ein sorgsam aufeinander abge- stimmtes Netz von Versorgungsangeboten an, in dem Vizepräsident Helmuth Becker: Die nächste Redne- psychosoziale Dienste, komplementäre Wohnungsan- rin ist Frau Kollegin Uta Würfel. gebote, Angebote zur beruflichen Rehabilitation, teil- stationäre Angebote und andere Versorgungsformen eine entscheidende Rolle spielen. Uta Würfel (FDP): Sehr geehrter Herr Präsident! Die Bundesregierung hat in einem beispiellosen Liebe Kolleginnen und Kollegen! Tatsächlich reicht Programm mit einem Aufwand von 186,5 Millionen die Reform der Psychiatrie bis in die 70er Jahre DM die Erforschung und Erprobung solcher neuarti- zurück. Der Deutsche Bundestag hat in seiner 130. Sit- zung am 23. Juni 1971 den Auftrag erteilt, eine gen Versorgungsstrukturen gefördert. Dieses Pro- gramm hat zentrale Erkenntnisse der psychiatrischen Kommission zur Erarbeitung einer Enquete über die Reform der Psychiatrie einzusetzen. Versorgung erbracht. Es hat daneben — das ist ein viel wichtigerer Die Psychiatrie-Enquete hat in ihrem Abschlußbe- Beitrag — während seiner Laufzeit in allen Bundes- richt 1975 teilweise dramatische Versorgungsbedin- ländern umfassende Reformbemühungen zur Verbes- gungen in der Psychiatrie festgestellt. Von elenden, serung der Psychiatrie in Gang gesetzt. Die Erpro- menschenunwürdigen Verhältnissen war damals die bung neuer Versorgungsformen und die allgemeine Rede. Eine Reform der Psychiatrie wurde als mehr als Umsetzung erfolgte somit gewissermaßen Hand in überfällig erkannt. Hand. Diese Enquete hat auch die Grundprinzipien einer Reform formuliert: Die Versorgung muß gemeindenah Vizepräsident Helmuth Becker: Frau Kollegin Wür- erfolgen, sie muß bedarfsgerecht und umfassend sein, fel, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen die Versorgungsdienste müssen bedarfsgerecht mit- Knaape? einander koordiniert werden, und psychisch Kranke und somatisch Kranke müssen gleichgestellt sein. Das (FDP): Aber selbstverständlich, gerne. heißt, die Versorgungsbedingungen für psychisch Uta Würfel Kranke dürfen in unserem Gesundheitswesen nicht schlechter sein als diejenigen für somatisch Kranke. Vizepräsident Helmuth Becker: Bitte sehr. Wo stehen wir heute, 16 Jahre, nachdem diese (SPD): Frau Kollegin Wür- Reformprinzipen aufgestellt wurden? — Die von der Dr. Hans-Hinrich Knaape Bundesregierung einberufene Expertenkommission fel, ich möchte Sie fragen: Wäre es, da die Bundesre- zur Reform der Versorgung im psychiatrischen und gierung in der zurückliegenden Zeit dieses Anschub- psychotherapeutisch/psychosomatischen Bereich hat programm für die Psychiatrie in den alten Ländern dies in ihrem umfassenden Bericht deutlich genannt: geleistet hat, nicht auch denkbar und wünschenswert, Die Versorgungsbedingungen für psychische Kranke daß eine Anschubfinanzierung für eine Aufbesserung haben sich wesentlich gebessert. Die Langzeitberei- der Psychiatrie in den neuen Bundesländern erfolgt? che in psychiatrischen Krankenhäusern und Heimen Würden Sie dem zustimmen? konnten deutlich verkleinert werden, weil für viele Kranke und Behinderte eine neue Lebensgrundlage Uta Würfel (FDP): Herr Dr. Knaape, ich halte dies in Wohngruppen oder auch in betreuten Einzelwoh- sogar für unverzichtbar. nungen gefunden werden konnte. (Beifall bei der FDP, der SPD und der PDS/ Dies war möglich, weil in den letzten beiden Jahr- Linke Liste — Dr. Hans-Hinrich Knaape zehnten zahlreiche neue Versorgungsformen in enger [SPD]: Danke!) Kooperation zwischen ambulanten und stationären Diese zweifellos beträchtlichen Erfolge, die ich Angeboten entstanden sind. Viele Menschen, die eben genannt habe, sollten uns allerdings keine heute schwer psychisch erkranken — das kann jeden Veranlassung dazu geben, die notwendigen Verbes- von uns treffen; denn wie wir schon gehört haben, serungen der psychiatrischen Versorgung als erfolg- wird jeder vierte deutsche Bundesbürger im Verlaufe reich abgeschlossen anzusehen. Daß dies nicht der seines Lebens einmal psychisch krank —, hätten Fall ist, zeigt uns im Grunde genommen schon die früher nur eine Lebensperspektive in den Langzeitbe- heutige Debatte. Dies sollten vor allem auch jene reichen unserer psychiatrischen Krankenhäuser ge- unter uns bedenken, die das Thema Pflege als letzte funden. zu lösende sozialpolitische Aufgabe bezeichnen. Es Die Psychiatriereform hat uns gelehrt, daß wir für gibt durchaus noch weitere große Aufgaben. viele psychisch Kranke durch intensive rehabilitative Die Expertenkommission hat trotz aller erreichten Bemühungen dieses Schicksal vermeiden können. Verbesserungen deutlich darauf hingewiesen, daß Wir haben durch die Psychiatriereform auch gelernt, wir von der gesetzlich verbürgten Gleichstellung der daß es keine einfachen Rezepte zur Behandlung und psychisch Kranken mit den somatisch Kranken noch Versorgung psychisch Kranker gibt. Das Risiko der immer weit entfernt sind. Vorwiegend im gemeinde- Chronifizierung des Krankheitsverlaufs kann nur psychiatrischen Bereich besteht nach Auffassung der gemindert werden, wenn ein engmaschiges Netz von Experten für die kommenden Jahre der größte Hand- 6376 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 76. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Februar 1992

Uta Würfel lungsbedarf. Dies gilt auch für die hinzugekommenen hilfe als Rehabilitationsträger für psychisch Kranke Länder. Es fehlt in vielen Kommunen nach wie vor an hat. Sie hat uns deshalb empfohlen, die Regelungen der Schaffung ausreichender Angebote. Es fehlt vor der Heranziehung von Einkommen und Vermögen allen Dingen auch an der notwendigen Koordination kritisch zu überprüfen; denn Mittellosigkeit der und Verzahnung dieser Angebote untereinander. Betroffenen — das hat bereits die Kollegin von der SPD ausgeführt — kann den Weg zur Unabhängigkeit Diese Versorgungsprobleme sind spätestens seit und selbständigen Lebensführung des gesundenden der Vorlage des Expertenberichts 1988 bekannt. Es psychisch Kranken versperren. sind nun insbesondere die Kommunen und Länder aufgefordert, die in ihren Bereichen noch liegenden Wer psychisch schwerkrank wird und über Jahre Defizite anzugehen. hinweg der Betreuung bedarf, dem darf nicht allein aus Mangel an eigenen Geldmitteln die Reintegration Liebe Kolleginnen und Kollegen, für uns haben die in eine selbständige Lebensführung verwehrt werden. Erkenntnisse der Psychiatriereform auch besondere Wir werden weitere Verbesserungen für psychisch Bedeutung für die neuen Bundesländer. Wir wissen Kranke im Rahmen der Überarbeitung des Rehabili- um die besonderen Probleme der Psychiatrie in den tationsrechts sorgfältig zu prüfen haben. neuen Ländern, und wir werden uns damit auch noch Meine Damen und Herren, dies ist keine Psychia- eingehender auseinanderzusetzen haben. Wir haben triepolitik an sich, sondern dies ist Gesundheitspolitik aus den Reformprogrammen heraus auch hinrei- und Rehabilitationspolitik schlechthin; denn wenn wir chende Erkenntnisse gewinnen können, welche Maß- eines durch die Psychiatriereform gelernt haben, dann nahmen bei der Reform der Psychiatrie in den neuen ist es der uns allen ins Stammbuch geschriebene Ländern zu ergreifen sind. Auftrag zur Gleichstellung von psychisch und soma- Dort wie hier gilt der Grundsatz, daß eine Psychia- tisch Kranken. Wie anders können wir diesem Auftrag triereform auf gemeinsame Anstrengungen von Bund, besser entsprechen, als eine einheitliche Gesund- Ländern und Kommunen angewiesen ist. Der Bund heitspolitik sowohl für psychisch als auch für soma- hat im Rahmen seiner Gesetzgebungskompetenz tisch Kranke zu betreiben? zahlreiche Maßnahmen zur Verbesserung der psych- (Beifall bei der FDP, der CDU/CSU und der iatrischen Versorgung in den letzten Jahren ergriffen. SPD) Dazu gehört beispielhaft die Verbesserung der Mög- lichkeit einer tagesklinischen Behandlung, finanzie- rungsrechtliche Absicherung der Behandlung durch Vizepräsident Helmuth Becker: Ich erteile jetzt der eine psychiatrische Institutsambulanz, die Reform des Frau Abgeordneten Dr. Ursula Fischer das Wort. Vormundschafts- und Pflegschaftsrechts, Verbesse- rung der Personalausstattung mit Pflegekräften in psychiatrischen Krankenhäusern und die besondere Dr. Ursula Fischer (PDS/Linke Liste): Herr Präsi- Berücksichtigung der Bedürfnisse psychisch Kranker dent! Meine Damen und Herren! Ich habe es sicher- im Rahmen der Gesundheitsstrukturreform.- Damit ist lich nicht einfach, hier zu diesem Thema zu sprechen. viel erreicht; aber noch nicht alles ist geschafft. Ich tue es trotzdem. Die Expertenkommission hat zu Recht darauf hin- (Zuruf der Abg. Maria Michalk [CDU/ gewiesen, daß ein Psychotherapeutengesetz mit dem CSU]) Ziel der Verbesserung der ambulanten psychothera- — Sie haben jetzt gut reden, weil Sie auf dieser Bank peutischen Versorgung erforderlich ist. Dieses Gesetz sitzen. — so strittig es in der Ausgestaltung zwischen den verschiedenen Interessengruppen auch sein mag — Zu Beginn des 19. Jahrhunderts wurde Psychiatrie ist meines Erachtens in der Tat längst überfällig. als Teil der Staatsheilkunde gelehrt. Ich wollte damit nur darauf hinweisen, daß es gemeinsame Wurzeln in Dabei geht es vor allen Dingen um die berufsrechtli- Ost und West gibt. Daß die Psychiatrie das Fach ist, in che Regelung. Dies ist nicht nur im Interesse der dem sich Menschenbild, Abhängigkeiten und Ver- tätigen Psychotherapeuten dringend notwendig, son- flechtungen mit der jeweiligen Gesellschaftsordnung dern auch im Interesse der Patienten; denn der Patient besonders deutlich zeigen, hat sich in der deutschen hat doch ein Anrecht darauf, von einem Psychothera- Geschichte in eklatanter Weise durch die Verstrik- peuten ein hohes Qualifikationsniveau zu verlangen. kung in das Euthanasieprogramm der Faschisten Nur derjenige sollte sich Psychotherapeut nennen gezeigt. Das ist das schwerwiegendste Beispiel; es können, der seine Befähigung für diese verantwor- gibt andere. tungsvolle Aufgabe nachgewiesen hat. Dem psychiatrisch Tätigen vertrauen sich eigentlich Ich plädiere also sehr dafür, daß wir dieses Berufs- besonders verletzliche Menschen an, aber auch sol- recht nicht mit der Frage vermischen, wie die Psycho- che, bei denen das Ausmaß von Krankheit bzw. therapie von der Krankenversicherung finanziert wer- Störung ein selbstbestimmtes Handeln nicht mehr den soll. Dafür wird es Regelungen geben, wenn wir zuläßt. Genau in einer solchen Spezifik der psychiatri- erst einmal die wichtigere Aufgabe des Berufsrechts schen Erkrankung liegt eben auch die Gefahr der gelöst haben. Psychiatrie, insbesondere der institutionalisierten Psychiatrie, über Menschen zu verfügen. Das ist auch (Klaus Kirschner [SPD]: Außerhalb der Kran jetzt in der ehemaligen DDR ganz deutlich zu sehen. kenversicherung!) Diese Zustände dort betreffen mich sehr. Ich habe Die Expertenkommission hat uns auch darauf hin- auch gelesen, was es in den westlichen Bundeslän- gewiesen, welche besondere Bedeutung die Sozial dern noch zu tun gibt. Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 76. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Februar 1992 6377

Dr. Ursula Fischer Vor diesen beschriebenen Gefahren standen und der Bundesregierung auf die Große Anfrage der SPD, stehen ost- und westdeutsche Psychiatrien gleicher- die Schlüsse zulassen wird, ob eine wirkliche Bewe- maßen. Ebenso wie die Gesellschaft bedarf die Psy- gung in diesem Bereich tatsächlich entsteht. chiatrie einer kritischen Öffentlichkeit, um die Fähig- Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit. keit zur ständigen Selbstkorrektur nicht zu verlieren. Das ist für uns aus folgendem Grund sehr wichtig. Die (Beifall bei der PDS/Linke Liste) Versorgung psychisch Kranker ist in ganz Deutsch- land nach wie vor unzureichend. Das, was in der DDR Vizepräsident Helmuth Becker: Meine Damen und gut gewesen ist — das wurde hier auch schon Herren, nächste Rednerin ist jetzt unsere Frau Kolle- gesagt —, wurde hier „plattgemacht". gin Editha Limbach. Folgt man der Entwicklung seit der Psychiatrie Enquete 1975, allen durch den Bund finanzierten und wissenschaftlich begleiteten Modellprojekten, stellt Editha Limbach (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine sich aus unserer Sicht heraus: Das sogenannte Basis- Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte mit einem system niedergelassener Nervenarzt und stationäre Dank an Frau Schmidt-Zadel beginnen, weil sie psychiatrische Versorgung ist eben doch keine Basis, deutlich und ausdrücklich gesagt hat, daß sie nicht da die Vielzahl der komplementären ambulanten möchte, daß diese Diskussion, bei der es sich ja um das Betreuung gerade in diesem Bereich von immenser Schicksal von Menschen handelt, die es besonders Bedeutung ist. schwer haben, in das Parteiengezänk kommt. Ich würde mich freuen, wenn es uns gelänge, dies in der Der langjährig verschleppte Reformprozeß — da Diskussion und auch bei den Formulierungen, die die folgen wir den Intentionen der Großen Anfrage der einzelnen dann finden, durchzuhalten. SPD scheint seit Jahren steckengeblieben zu sein. Warum wohl? Weil unter anderem das Modellpro- Wir waren uns auch in der Enquete-Kommission zur gramm Psychiatric, die Expertenkommission, das Strukturreform der gesetzlichen Krankenversiche- Gutachten des Sachverständigenrates im Empfeh- rung einig, als wir diesen Abschnitt besprochen lungscharakter stehengelassen worden sind. Die Bun- haben, daß wir da gemeinsam vorangehen wollen, um desregierung hat es bis heute verabsäumt, die Re- zu erreichen, daß, ich sage einmal: auch psychisch formansätze und die entsprechenden Empfehlungen kranke Menschen möglichst nahe an eine normale durch gesetzgeberische Aktivitäten für die Länder Lebensführung herankommen, daß die Behandlung verbindlich zu regeln. Hier liegt der akute Handlungs- immer individuell und nicht schematisiert stattfindet, bedarf. daß, ich sage einmal: mit gleichen Rechten und auf gleichen Wegen behandelt wird und daß in der Tat Die Reform der Psychiatrie, bekanntlich vor 16 Jah- körperlich und seelisch oder psychisch Kranke gleich- ren eingeleitet, ist aber auch dringend durch die gestellt werden. Reform der Finanzierung der Psychiatrie bundesweit (Beifall bei der CDU/CSU) zu ergänzen. Die entsprechenden Gesetzesregelun-- gen haben die Finanzlasten der Reform der psychiatri- Das ist mir auch sehr wichtig. schen Einrichtungen neu auf die Kostenträger zu Aber, Frau Schmidt-Zadel, ich muß Ihnen auch verteilen. Zu den gesetzlichen Regelungen muß dann sagen: Wenn Sie meinen — das klang in Ihrer Rede aber auch endlich ein Psychotherapeutengesetz gehö- doch sehr an —, die Bundesregierung — Sie meinten ren, und zwar aus meiner Sicht noch in diesem Jahr. die jetzige Bundesregierung — brauche zuviel Zeit, Die Gruppe PDS/Linke Liste fordert dies. Aus der (Dr. Peter Struck [SPD]: Hatte Sie recht!) Fragestunde mit Frau Bergmann-Pohl gestern war ja ersichtlich, wie der Verlauf sein könnte: Referenten- darf ich einmal darauf hinweisen, daß bereits von 1975 entwurf im ersten Halbjahr, Beschluß im Kabinett bis 1982 — vorher war Helmut Kohl nicht Kanzler, 1993. Dann sind Wahlen. Ich habe große Befürchtun- (Dr. Peter Struck [SPD]: Das wäre ja noch gen, daß auch das wieder steckenbleibt. schlimmer gewesen!) Die außerklinische Psychiatrie, über die seit 1975 aber im Oktober 1982 wurde er es - sieben Jahre eigentlich ein verbaler Konsens besteht, hat ein plu- vergangen sind, in denen eigentlich nicht so schreck- ralistisches Versorgungsangebot zu beinhalten. Die- lich viel geschah, außer daß 1980 das Modell-Projekt ses Versorgungsangebot muß aber endlich dem auf den Weg gebracht wurde. Ich sage das bewußt Bedarf der psychisch Kranken entsprechen. Es darf nicht als Vorwurf, sondern das ist einfach ein so keine andersgeartete Lobby dominant sein. Dieser kompliziertes und schwieriges Problem mit so großen Bedarf ist eben sehr unterschiedlich zu realisieren. Aufgaben, daß es nicht richtig ist, bei den Menschen, Er betrifft auf der einen Seite fast 600 000 chronisch die betroffen sind, den Eindruck zu erwecken, diese psychisch Kranke, er betrifft auf der anderen Seite ein Probleme könnte man so mit einem Fingerschnipsen psychotherapeutisches Angebot für psychosomatisch in Null Komma nichts erledigen. und noch nicht chronifizierte psychisch Erkrankte. Er (Dr. Peter Struck [SPD]: Das stimmt!) betrifft aber auch das Angebot für Kinder und Jugend- Ich wollte darauf hinweisen, daß mit dem Modell- liche. programm, das von 1980 bis 1985 lief, nicht daran Der Schlußfolgerung, daß sozialpsychiatrische Zen- gedacht war — das sage ich gerade auch den Kolle- tren eben nicht das Nonplusultra sind und daß mehr ginnen und Kollegen aus den neuen Bundeslän- niedergelassene Kinder- und Jugendpsychiater ein- dern , sozusagen Versorgungslücken zu schließen gesetzt werden müssen, können wir so ausschließlich oder Versorgung sicherzustellen. Vielmehr war es nicht folgen. Wir sind sehr gespannt auf die Antwort — nur das ist Bundesaufgabe — gezielt ein Modell- 6378 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 76. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Februar 1992

Editha Limbach programm, das neue Strukturen, moderne Strukturen, keit dafür ist gegeben, und auch die grundsätzliche entwickelte Strukturen ausprobieren sollte, um damit Aussage steht im Sozialgesetzbuch. In § 27 SGB V denen, die Verantwortung haben — das sind in die- steht ausdrücklich: sem Fall die Länder und Kommunen —, etwas an die Bei der Krankenbehandlung ist den besonderen Hand zu geben, wonach man sich bei der Reform Bedürfnissen psychisch Kranker Rechnung zu dieses Bereiches in den Ländern, in den Kommunen tragen, insbesondere bei der Versorgung mit richten könnte. Heilmitteln und bei der medizinischen Rehabili- tation. Vizepräsident Helmuth Becker: Frau Kollegin Lim- bach, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Also auch dies ist im SGB V mit einem kleinen Schritt Kirschner? in die richtige Richtung gesteuert worden. Auch das, was dort in bezug auf die häusliche Pflege Editha Limbach (CDU/CSU): Ja, er war Vorsitzen- geregelt wurde, kommt natürlich nicht nur somatisch der der Enquete-Kommission; deshalb darf er fra- Kranken, sondern auch psychisch Kranken zugute. gen. Was haben wir denn sonst noch gemacht? Wir haben das Betreuungsgesetz, das ab Anfang dieses Klaus Kirschner (SPD): Frau Kollegin Limbach, Jahres gilt, neu geschaffen. Auch darin sind die wenn Sie eben auf tatsächliche oder auch nicht Rechte psychisch Kranker gestärkt worden. Wir haben vorhandene Versäumnisse der damaligen soziallibe- Frau Minister Hasselfeldt hat schon darauf hinge- ralen Koalition nach der Enquete-Kommission von wiesen — die Bettenzahl reduziert und die Verweil- 1975 hinwiesen, wäre es dann nicht auch angebracht, dauer verkürzt. Die Bettenzahl — die Zahl wurde zu erwähnen, daß das Modellprogramm damals vor- eben schon einmal genannt — ich wiederhole sie aber wiegend in sozialdemokratisch und sozialliberal gerne noch einmal — wurde von 150 000 im Jahre geführten Bundesländern durchgeführt wurde und 1976 auf 75 000 im Jahre 1990 verringert. Auch die leider, muß man sagen, von den CDU/CSU-geführten Verweildauer im Krankenhaus ist erheblich verkürzt Bundesländern damals nicht mitgemacht wurde? worden, nämlich von 152 Tagen auf 100 Tage. Die 100 Tage beziehen sich auf 1986. Editha Limbach (CDU/CSU): Herr Kirschner, ich habe deshalb nicht darauf hingewiesen, weil mir die Hintergründe dafür nicht bekannt sind. Immerhin war Vizepräsident Helmuth Becker: Frau Kollegin Lim- 1980 die Bundesregierung stark von der SPD geprägt; bach, würden Sie noch eine Zwischenfrage des Kolle- möglicherweise hat das damit zusammengehangen. gen Dr. Knaape gestatten? Ich kann das nicht beurteilen und kann Ihnen deshalb diese Frage nicht schlüssig beantworten. Editha Limbach (CDU/CSU): Ja, das tue ich. Ich wollte noch darauf hinweisen, daß keineswegs seit 1975 und erst recht nicht, seit Helmut Kohl die Bundesregierung führt, nichts geschehen- sei. Es ist Dr. Hans - Hinrich Knaape (SPD): Frau Kollegin, wir eine ganze Menge erfolgt. Es gibt zwar keine Aha hatten ja im Gesundheitsausschuß den Antrag Erlebnisse, die die ganze Republik erschütterten, aber gestellt, die nicht ärztlichen Leistungen, die zur psy- eine Menge Kleinarbeit, die den richtigen Weg wei- chischen Rehabilitation bzw. auch zur psychischen terverfolgt hat, Schritt für Schritt, wie man ja meistens Diagnostik notwendig sind, zu erweitern, also nicht große Probleme nicht mit einem großen Rundum- nur auf die sozialpädiatrischen Zentren zu beschrän- schlag, sondern nur Schritt für Schritt in die richtige ken. Das haben Sie doch abgelehnt. Richtung lösen kann. (Dr. Paul Hoffacker [CDU/CSU]: Natürlich, Ich möchte einmal sagen, was erfolgt ist. Zunächst weil es keine Kassenleistung ist!) einmal gibt es eine ganze Reihe von einschlägigen Es wäre doch ein Fortschritt gewesen, wenn dies eine Vorschriften im Gesundheits-Reformgesetz. Diese Zustimmung erfahren hätte. Oder gehe ich fehl in können Sie alle im Sozialgesetzbuch V nachlesen. Ich dieser Annahme? habe mir einige Punkte aufgeschrieben. Nach § 118 können psychiatrische Institutsambulanzen errichtet werden und die Zulassung bekommen. Die sozial- Editha Limbach (CDU/CSU): Ich glaube, Herr pädiatrischen Zentren sind in § 119 erwähnt. Die Dr. Knaape, Sie haben unseren Argumenten im Aus- Chance, eine ambulante und eine stationäre Behand- schuß nicht richtig zugehört. Ich kann die Ausschuß- lung zu vermischen und zu verzahnen, ist gegeben. beratungen, die sehr ausführlich waren, jetzt nicht wiederholen. Aber die Gründe, die dagegen spra- Ich gestehe zu: Wir haben an die mündigen Bürge- chen, Ihrem Antrag zu folgen und die z. B. mit den rinnen und Bürger geglaubt, die in den Selbstverwal- Kassenleistungen und anderen Fragen zusammen- tungsorganen tätig sind, und haben vielfach den hängen, waren meiner Ansicht nach überzeugend. Krankenkassen sozusagen Ermächtigungen gegeben, Wenn sie Sie nicht überzeugt haben, bedauere ich dies zu tun. Ich halte das auch für richtig, weil ich im das. Aber uns hatten sie überzeugt. Grunde der Meinung bin, daß es notwendig ist, die richtigen Rahmenbedingungen zu schaffen, damit (Beifall bei der CDU/CSU) Bürgerinnen und Bürger, insbesondere wenn sie in Ich möchte noch einige weitere Punkte erwähnen, den Selbstverwaltungsorganen in der Verantwortung weil man sie immer übersieht und meint, das müsse stehen, zum Wohle der ihnen jeweils anvertrauten alles in einem Gesetz auffindbar sein. Auch das, was in Menschen handeln können. Ich hoffe sehr, daß auf einschlägigen Rentenversicherungsregelungen über diesem Wege noch sehr vieles geschieht. Die Möglich Rehabilitation und Wiedereingliederung steht, gehört Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 76. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Februar 1992 6379

Editha Limbach zu dem, was für psychisch Kranke wichtig sein kann Vielen Dank. und auch wichtig ist. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD) Auch das, was im neuen Jugendhilferecht geschaf- fen wurde, das nicht nur die seelisch behinderten Kinder und Jugendlichen, sondern außer der Jugend- Vizepräsident Helmuth Becker: Meine sehr verehr- hilfe expressis verbis die ärztliche Beteiligung aus- ten Damen und Herren, vorläufig letzter Redner zu drücklich erwähnt, muß dann angesprochen wer- diesem Tagesordnungspunkt ist unser Kollege Horst den. Schmidbauer.

Es wird sicher noch mehr Punkte geben. Die Kapa- Horst Schmidbauer (Nürnberg) (SPD): Herr Präsi- zität meines Büros und meine eigene sind nicht so dent! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen groß, daß ich das jetzt überall hätte heraussuchen und Kollegen! Die 1975 gegebenen Empfehlungen können. Ich wollte Ihnen nur einen Eindruck davon der Enquete-Kommission wurden in der allgemeinen geben, daß es unrichtig ist, wenn man sagt: Seit 1975 und in der Fachöffentlichkeit und vor allem bei der ist nichts geschehen. Nein, es ist sehr viel geschehen. damaligen Bundesregierung mit großer Zustimmung Ich gebe zu, es ist nicht so viel geschehen, daß wir uns aufgenommen. Wenn man sich das durchliest, kam zurücklehnen und sagen können: Wunderbar, jetzt ist die Kritik seinerzeit nur von den Ärzteverbänden. Am alles geregelt. Aber man kann auch nicht so tun, als sei Anfang aber war klar — das ist, glaube ich, auch der nichts geschehen und man säße nur da und staunte Punkt heute, der sichtbar geworden ist —, daß die über Expertenmeinungen. Reform wesentliche Veränderungen des Leistungs- rechts erforderte. Diese sollten durch ein Bundesmo- Ich möchte auch noch ein wenig über die Psychia- dellprogramm erst noch legitimiert werden. Als die trie sagen, auf die sich vorhin auch Ihre Frage, Herr Ergebnisse vorlagen und der Bericht der Experten- Dr. Knaape, bezog. Ich habe die Frau Ministerin nicht kommission fertiggestellt worden war, brachte die so verstanden, als hätte sie generell alle, die in diesem inzwischen konservativ-liberale Bundesregierung Beruf oder in Randberufen tätig waren, pauschal 1988 das sogenannte Gesundheits-Reformgesetz auf verurteilt. Aber wir wissen doch — und das ist doch den Weg. Trotz gegenteiliger Voten des Bundesrates schon in der ersten freigewählten Volkskammer her- blieben darin die Erfordernisse der Psychiatriereform ausgekommen —, daß beispielsweise die Klinik unberücksichtigt. Für meine Fraktion war dies ein Waldheim überprüft werden mußte, weil dort sehr Anlaß, ein eigenes Gesetz in den Bundestag einzu- schlimme Dinge bekannt wurden. Gerade kürzlich hat bringen. Unser Ziel war es, in den entsprechenden der sächsische Gesundheitsminister Hans Geisler die sozialrechtlichen Bestimmungen psychisch Kranke Überprüfung aller Kliniken in Sachsen angeordnet auf mit körperlich Kranken gleichzustellen. Der Entwurf Grund der Dinge, die dort im einzelnen herausgekom- scheiterte seinerzeit an den Mehrheitsverhältnissen. men sind. Ich finde es auch deshalb richtig, daß man (Zuruf von der CDU/CSU: So ist es!) dies insgesamt tut, damit man dann zu Recht sozusa- gen die faulen Eier von den richtigen Eiern trennen Nach dem sogenannten Gesundheitsreformgesetz kann. Nicht pauschale Verurteilung ist hier angesagt, dagegen sollen die besonderen Belange der Psychia- aber doch ein Hinweis darauf, daß die Menschenver- trien im Bereich der ambulanten Pflege und der achtung des Systems, unter dem Sie, Herr Dr. Knaape, Rehabilitation zwar angemessen berücksichtigt wer- und Sie, Frau Michalk, Sie, Herr Sopart — ich könnte den, aber mit der Maßgabe, „daß psychosoziale Maß- jetzt alle nennen —, so lange leben mußten, sowohl nahmen, die bei der Betreuung psychisch Kranker die psychisch und seelisch Kranken, aber auch die eine wichtige Rolle spielen, weiterhin nicht zum alten Menschen, die vielleicht etwas desorientiert Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversiche- waren, in verheerender Weise getroffen hat. Ich rung gehören", wünsche mir sehr, daß wir gemeinsam in der Lage (Editha Limbach [CDU/CSU]: Weil es einen sind, dieses alles zu überwinden. anderen Kostenträger gibt!) eine Formulierung, deren Paradoxie durchaus ins (Beifall der Abg. Maria Michalk [CDU/ Fachgebiet der Psychiatrie fällt. CSU]) (Beifall bei der SPD) Lassen Sie mich aber noch ein letztes dazu sagen. Wenn man heute die entscheidende Frage stellt, Die Verantwortung dafür liegt bei uns allen. Sie liegt was von den Reformansätzen verwirklicht worden ist, auch beim Bund, aber nicht nur beim Bund. Es geht muß man resigniert feststellen, von der damaligen nicht an, alle Probleme aufzuzählen, sie dem Bund, Aufbruchstimmung ist wenig geblieben. Manche hal- dem Bundestag und der Bundesregierung, vor die ten die Reform für versandet, ja sogar für gescheitert. Füße zu kippen und zu sagen: Nun kehre sie einmal Wie steht es denn mit der Prioritätensetzung beim weg. Wenn wir am Föderalismus festhalten — und das Aufbau ambulanter oder teilstationärer Einrichtun- will ich, weil ich ihn für gut und nützlich für unseren gen, komplementärer Dienste und Einrichtungen oder Staat, für unser Volk halte —, wenn wir an der der Errichtung psychiatrischer Abteilungen in den gemeindlichen Selbstverwaltung festhalten — was allgemeinen Krankenhäusern? Wenn Sie die depri- ich auch für gut und nützlich halte —, dann müssen mierende Antwort nicht selbst wissen, würde ich wir auch die Kompetenzen, auch die finanziellen, sagen, fragen Sie doch die Betroffenen. Das mit dem jeweils da lassen, wo sie sind und darauf hinwirken, Aufbau solcher Einrichtungen verknüpfte Ziel, unnö- daß gemeinsam zur Linderung der Not und des tige Hospitalisierung zu vermeiden, eine humani- schweren Lebens der Betroffenen gearbeitet wird. sierte Psychiatrie auf den Weg zu bringen, scheint so 6380 Deutscher Bundestag — l2. Wahlperiode — 76. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Februar 1992

Horst Schmidbauer (Nürnberg) weit entfernt wie je zuvor. Der wenig attraktive Bei der beruflichen Rehabilitation ergibt sich das Bereich der psychiatrischen Versorgung droht weiter gleiche düstere Bild: Für die Zentren oder Tagesstät- an den Rand des gesellschaftlichen Bewußtseins zu ten mit den für die Betroffenen wichtigen sozialen geraten, und das sollte uns herausfordern. Funktionen haben die Kommunen kein Geld. Andere Leistungsträger sieht das Leistungsrecht nicht vor. Siebzehn Jahre sind seit der Enquete verstrichen, ohne daß der Gesetzgeber ausreichend tätig gewor- Seit 1988 hatte die Koalition die Chance, endlich den ist. Bestätigt wird das nicht nur von uns, sondern wesentliche Maßnahmen zu einer Psychiatriereform auch vom Sachverständigenrat für die Konzertierte in Gesetzesform zu gießen. Dazu hätte sie ganz Aktion im Gesundheitswesen. 1988 konstatierten die einfach nur die Ergebnisse der Expertenkommission, Experten nämlich weiterhin ernstzunehmende Defi- die in einem schlüssigen Bericht mit eindeutigen zite im Bereich der nichtstationären psychiatrischen Empfehlungen vorgelegt worden sind, umsetzen müs- Langzeitversorgung. Sie prangern dabei vor allem die sen. Diese Chance, so muß ich sagen, haben Sie mangelhaften Finanzierungsgrundlagen an. Halten leichtfertig vertan. wir also fest: Es gibt zwei zentrale Defizite, zum einen Die Verzögerung von nunmehr 17 Jahren ist sach- den Mangel an ambulanten Versorgungsstrukturen lich nicht mehr erklärbar und entschuldbar. Wenn und zum anderen eine unzureichende Finanzierungs- man die Gleichstellung psychisch Kranker mit körper- grundlage. lich Kranken wirklich will, wenn man die Abwertung Die beiden Mängel werden aber gerade dort sicht- und Ausgrenzung bestimmter Patientengruppen, die bar, wo der größte Nachholbedarf besteht, nämlich bei in dem unerträglichen Gerede von der Zwei-Klassen- der Realisierung des psychiatrischen Gemeindever- Psychiatrie ihren Ausdruck gefunden haben, been- bundes. Dabei spielt die Idee eines umfassenden den will, muß mit der Neuordnung der psychiatri- regionalen Psychiatriebudgets eine ganz zentrale schen Versorgung endlich ernst gemacht werden. Rolle. Psychiatriebudget bedeutet: ein regionaler Dies bedeutet vor allem: Es muß ernst gemacht werden mit dein Aufbau einer gemeindenahen Psy- Finanzierungsverbund, in dem die Mittel aller Lei- stungsträger gebündelt werden, um der Zersplitte- chiatrie. rung bei der Zuständigkeit ein Ende zu bereiten. Es Lassen Sie mich zum Abschluß feststellen: Bislang kann doch nicht angehen, liebe Kolleginnen und läßt sich die Psychiatriereform am ehesten mit einem Kollegen, daß Träger von umfassenden gemeindepsy- steckengebliebenen Karren vergleichen, der an allen chiatrischen Angeboten mit bis zu zwölf verschiede- vier Rädern blockiert wird, und zwar erstens durch nen Kostenträgern jonglieren müssen! Vorurteile in der Bevölkerung gegenüber psychisch Kranken, die noch weiter abgebaut werden müssen, Mehr als die Hälfte der Ausgaben für die psychia- zweitens durch die Abhängigkeit von der Sozialhilfe, trische Versorgung wird über die Sozialhilfe finanziert die angesichts der chronischen Finanznöte in den und nur etwa ein Drittel aus den Kassen der Sozial- Kommunen dazu führt, daß die Mangelsituation zur versicherung, also Kranken-, Renten-, Arbeitslosen- Normalsituation wird, drittens durch das Einfrieren versicherung. Das Modellprogramm des Bundes, in zusätzlicher Finanzierungsmöglichkeiten durch die dem die Leitlinien der Enquete erprobt werden soll- Krankenkassen angesichts ausufernder Kosten und ten, hat beispielhaft die Verwendung der Mittel drohender Beitragserhöhungen und viertens wegen errechnet: Die Hälfte der Mittel wird für die Kranken- der fehlenden gesetzlichen Absicherung der Pflege- hausbehandlung herangezogen, ein Viertel für die versicherung, die immer noch auf sich warten läßt, Heimbetreuung und man höre und staune! ein weil sich der große Koalitionspartner nicht gegen den Siebtel für den gesamten ambulanten Bereich und nur kleinen durchsetzen kann oder auch nicht durchset- ein Prozent für die Rehabilitation. Prävention ich zen will. habe nachgeschaut — taucht nirgends auf. Meine Redezeit ist um. Die Zeit, die man dem Das Leistungsbilanzdefizit, das von 1975 bis heute Gesetzgeber für die Psychiatriereform zubilligen muß, fortbesteht, in ein paar Stichworten: Die Instituts- ist aber schon längst abgelaufen, ohne daß der Präsi- ambulanzen der Krankenhäuser sind zum einen meist dent des Hohen Hauses mit der Glocke an die Pflich- zu weit entfernt von den Kranken. Sie sind zum ten hätte erinnern können. anderen unzureichend finanziert. Darüber hinaus ist, was vor allem die psychiatrischen Abteilungen der Vielen Dank. Allgemeinkrankenhäuser anbelangt, immer noch die (Beifall bei der SPD) Bedarfsprüfung erforderlich, bevor sie die Leistungen anbieten dürfen. Vizepräsident Helmuth Becker: Meine sehr verehr- In bezug auf die medizinischen Leistungen des ten Damen und Herren, ich schließe die Ausspra- Sozialpsychiatrischen Dienstes an Gesundheitsäm- che. tern sind die Kassen nicht leistungsverpflichtet. Die Ich bedanke mich für die Kooperation der Personalausstattung ist ungenügend. In einem Be- reich gibt es keine Probleme, nämlich bei der Finan- Geschäftsführer. Ich will bei dieser Gelegenheit zierung von Psychopharmaka; bezeichnenderweise, sagen: Die Koalition hat ihre Redezeit unterschritten, die Opposition hat sie überschritten, und das einver- kann man dazusagen. nehmlich. Ich finde das sehr nett. Es kann auch einmal (Regina Schmidt-Zadel [SPD]: Das stimmt!) anders herum laufen. Für Übergangswohnheime gilt wiederum: Sie sind Eine zweite Bemerkung an die Frau Kollegin meist zu weit entfernt. Für die Kosten kommt im Regina Schmidt-Zadel. Die Tagesordnung des Bun- besten Fall die überörtliche Sozialhilfe auf. destages und der Ablauf hier werden nach § 20 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 76. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Februar 1992 6381

Vizepräsident Helmuth Becker unserer Geschäftsordnung in der Ältestenratssitzung ren. — Ich höre und sehe dazu keinen Widerspruch. festgelegt. Das heißt, die Fraktionen und Gruppen Dann ist die Überweisung so beschlossen. verständigen sich auch darauf, wann welcher Tages- ordnungspunkt aufgerufen wird. Nicht alle Tagesord- Wir sind damit am Schluß unserer heutigen Tages- nungspunkte können morgens um 11 Uhr aufgerufen ordnung. werden, jedenfalls nicht zusammen. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bun- Meine sehr verehrten Damen und Herren, der destages auf morgen, Freitag, den 14. Februar 1992, Ältestenrat schlägt Überweisung der Drucksache 9 Uhr ein. 11/8494 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vor. Das sind federführend der Ausschuß Die Sitzung ist geschlossen. für Gesundheit und mitberatend die Ausschüsse für Arbeit und Sozialordnung und für Familie und Senio (Schluß der Sitzung: 19.22 Uhr)

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Deutscher Bundestag - 12. Wahlperiode - 76. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Februar 1992 6383*

Anlagen zum Stenographischen Bericht

Anlage 1 Anlage 2

Liste der entschuldigten Abgeordneten Verzeichnis der Mitglieder des Deutschen Bundestages, entschuldigt bis Abgeordnete(r) die an der Wahl eines Mitglieds einschließlich der parlamentarischen Kontrollkommission Baum, Gerhart Rudolf FDP 13. 02. 92 teilgenommen haben Dr. Bergmann-Pohl, CDU/CSU 13. 02. 92 CDU/CSU Frau Grochtmann Sabine Gröbl Dr. Böhme (Unna), SPD 13. 02. 92 Frau Dr. Ackermann Grotz Dr. Grünewald Dr. Altherr Günther (Duisburg) Braband, Jutta PDS/LL 13. 02. 92 Frau Augustin Harries Doppmeier, Hubert CDU/CSU 13. 02. 92 Augustinowitz Haschke (Großhennersdorf) Genscher, Hans-Diet rich FDP 13. 02. 92 Bargfrede Haschke (Jena-Ost) Dr. Bauer Frau Hasselfeldt Habermann, SPD 13.02.92 Frau Baumeister Haungs Frank-Michael Bayha Hauser (Esslingen) Hämmerle, Gerlinde SPD 13. 02. 92 Belle Hauser (Rednitzhembach) Bierling Hedrich Hansen, Dirk FDP 13. 02. 92 Dr. Blank Heise Dr. Hartenstein, Liesel SPD 13. 02. 92 Frau Blank Frau Dr. Hellwig Dr. Hauchler, Ingomar SPD 13. 02. 92 Dr. Blens Helmrich Bleser Dr. Hennig Heyenn, Günther SPD 13. 02. 92 Dr. Blüm Dr. h. c. Herkenrath Hollerith, Josef CDU/CSU 13. 02. 92 Böhm (Melsungen) Hinsken SPD 13. 02. 92 ** Frau Dr. Böhmer Hintze Horn, Erwin Börnsen (Bönstrup) Hörsken Ibrügger, Lothar SPD 13. 02. 92 ** Dr. Bötsch Hörster Kittelmann, Peter CDU/CSU 13. 02. 92 * Bohl Dr. Hoffacker Borchert Dr. Hornhues Kolbe, Manfred CDU/CSU 13. 02. 92 Breuer Hornung Kretkowski, Volkmar SPD 13. 02. 92 Frau Brudlewsky Hüppe Kubicki, Wolfgang FDP 13. 02. 92 Brunnhuber Jäger Bühler (Bruchsal) Jagoda Dr. Küster, Uwe SPD 13. 02. 92 Büttner (Schönebeck) Dr. Jahn (Münster) Dr. Merkel, Angela CDU/CSU 13. 02. 92 Buwitt Janovsky Dorothea Carstensen (Nordstrand) Frau Jeltsch Clemens Dr. Jobst Mischnick, Wolfgang FDP 13. 02. 92 Dehnel Dr.-Ing. Jork Dr. Müller, Günther CDU/CSU 13. 02. 92 * Frau Dempwolf Dr. Jüttner Dr. Neuling, Christian CDU/CSU 13. 02. 92 Deß Jung (Limburg) Frau Diemers Junghanns Pfeiffer, Angelika CDU/CSU 13. 02. 92 Dörflinger Dr. Kahl Raidel, Hans CDU/CSU 13. 02. 92 Dr. Dregger Kampeter Echternach Dr.-Ing. Kansy Rau, Rolf CDU/CSU 13. 02. 92 Ehlers Dr. Kappes Reddemann, Gerhard CDU/CSU 13. 02. 92* Ehrbar Keller Reichenbach, Klaus CDU/CSU 13. 02. 92 Frau Eichhorn Kiechle Engelmann Klein (Bremen) Rempe, Walter SPD 13. 02. 92 Eppelmann Klein (München) Schäfer (Offenburg), SPD 13. 02. 92 Eylmann Klinkert Harald B. Frau Eymer Köhler (Hainspitz) Frau Falk Dr. Köhler (Wolfsburg) Schmidt (Dresden), Arno FDP 13. 02. 92 Dr. Faltlhauser Dr. Kohl von Schmude, Michael CDU/CSU 13. 02. 92 Feilcke Frau Kors Schulte (Hameln), SPD 13. 02. 92 ** Dr. Fell Koschyk Fischer (Hamburg) Kossendey Brigitte Frau Fischer (Unna) Kraus Dr. Schwarz-Schilling, CDU/CSU 13. 02. 92 Fockenberg Dr. Krause (Börgerende) Christian Francke (Hamburg) Dr. Krause (Bonese) Frankenhauser Krause (Dessau) Skowron, Werner H. CDU/CSU 13. 02. 92 Dr. Friedrich Krey Dr. Soell, Hartmut SPD 13. 02. 92 * Fuchtel Kronberg Dr. Sperling, Dietrich SPD 13. 02. 92 Ganz (St. Wendel) Dr.-Ing. Krüger Frau Geiger Krziskewitz Dr. Stavenhagen, Lutz G. CDU/CSU 13. 02. 92 Geis Lamers Weisskirchen (Wiesloch), SPD 13. 02. 92 Dr. Geißler Lattmann Gert Dr. von Geldern Dr. Laufs Gerster (Mainz) Laumann Wollenberger, Vera BÜNDNIS 13. 02. 92 Gibtner Frau Dr. Lehr 90/GRÜNE Glos Lenzer Zierer, Benno CDU/CSU 13. 02. 92 Dr. Göhner Dr. Lieberoth Göttsching Frau Limbach für die Teilnahme an Sitzungen der Westeuropäischen Union Götz Link (Diepholz) für die Teilnahme an Sitzungen der Nordatlantischen Versamm- Dr. Götzer Lintner lung Gres Dr. Lippold (Offenbach) 6384* Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 76. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Februar 1992

Dr. sc. Lischewski Schwalbe Erler Scheffler Lohmann (Lüdenscheid) Schwarz Ewen Schloten Louven Dr. Schwörer Frau Ferner Frau Schmidt (Aachen) Lummer Seehofer Fischer (Homburg) Frau Schmidt (Nürnberg) Dr. Luther Seesing Formanski Schmidt (Salzgitter) Maaß (Wilhelmshaven) Seibel Frau Fuchs (Köln) Frau Schmidt-Zadel Frau Männle Seiters Frau Fuchs (Verl) Dr. Schmude Magin Dr. Sopart Fuhrmann Dr. Schöfberger Dr. Mahlo Frau Sothmann Frau Ganseforth Schreiner Frau Marienfeld Spilker Gansel Frau Schröter Marschewski Spranger Dr. Gautier Schröter Dr. Mayer (Siegertsbrunn) Dr. Sprung Gilges Schütz Meckelburg Frau Steinbach-Hermann Dr. Glotz Dr. Schuster Meinl Dr. Stercken Graf Schwanhold Frau Dr. Merkel Dr. Frhr. von Stetten Großmann Schwanitz Frau Dr. Meseke Stockhausen Haack (Extertal) Seidenthal Dr. Meyer zu Bentrup Dr. Stoltenberg Hacker Frau Seuster Frau Michalk Stübgen Hampel Sielaff Michels Frau Dr. Süssmuth Frau Hanewinckel Frau Simm Dr. Mildner Susset Hasenfratz Singer Dr. Möller Tillmann Hiller (Lübeck) Frau Dr. Skarpelis-Sperk Molnar Dr. Töpfer Hilsberg Frau Dr. Sonntag-Wolgast Müller (Kirchheim) Uldall Dr. Holtz Sorge Müller (Wesseling) Frau Verhülsdonk Huonker Frau Steen Nelle Vogel (Ennepetal) Frau Iwersen Steiner Neumann (Bremen) Vogt (Duren) Frau Jäger Stiegler Nitsch Dr. Voigt (Northeim) Frau Janz Dr. Struck Frau Nolte Dr. Waffenschmidt Dr. Janzen Tappe Dr. Olderog Dr. Waigel Frau Kastner Frau Terborg Ost Graf von Waldburg-Zeil Kirschner Dr. Thalheim Oswald Dr. Warnke Frau Klappert Thierse Otto (Erfurt) Dr. Warrikoff Frau Klemmer Urbaniak Dr. Päselt Werner (Ulm) Klose Vergin Dr. Paziorek Wetzel Dr. sc. Knaape Verheugen Petzold Frau Wiechatzek Körper Dr. Vogel Pfeffermann Dr. Wieczorek (Auerbach) Frau Kolbe Voigt (Frankfurt) Pfeifer Frau Dr. Wilms Kolbow Vosen Dr. Pinger Wilz Koltzsch Wallow Pofalla Wimmer (Neuss) Koschnick Waltemathe Dr. Pohler Frau Dr. Wisniewski Kubatschka Walter (Cochem) Frau Priebus Wissmann Kuhlwein Wartenberg (Berlin) Dr. Probst Dr. Wittmann Lambinus Weiermann Dr. Protzner Wittmann (Tännesberg) Frau Lange Frau Weiler Dr. Ramsauer Wonneberger Leidinger Weis (Stendal) Rauen Frau Wülfing Lohmann (Witten) Weißgerber Rawe Würzbach - Frau Dr. Lucyga Welt Regenspurger Frau Yzer Maaß (Herne) Dr. Wernitz Frau Reinhardt Zeitlmann Frau Marx Frau Wester Repnik Zöller Frau Mascher Frau Westrich Dr. Rieder Dr. Matterne Frau Wettig-Danielmeier Dr. Riedl (München) Frau Matthäus-Maier SPD Frau Dr. Wetzel Dr. Riesenhuber Frau Mattischeck Frau Weyel Rode (Wietzen) Frau Adler Meckel Frau Wieczorek-Zeul Frau Rönsch (Wiesbaden) Andres Frau Mehl Wiefelspütz Frau Roitzsch (Quickborn) Antretter Meißner Wimmer (Neuötting) Romer Bachmaier Dr. Meyer (Ulm) Dr. de With Rother Frau Barbe Mosdorf Wittich Dr. Ruck Becker (Nienberge) Müller (Düsseldorf) Frau Wohlleben Rühe Frau Becker-Inglau Müller (Schweinfurt) Frau Wolf Dr. Rüttgers Beucher Frau Müller (Völklingen) Frau Zapf Sauer (Salzgitter) Bindig Müller (Zittau) Dr. Zöpel Scharrenbroich Frau Blunck Müntefering Frau Schätzle Brandt Neumann (Bramsche) Dr. Schäuble Frau Brandt-Elsweier Neumann (Gotha) FDP Schartz (Trier) Dr. Brecht Frau Dr. Niehuis Schemken Büchler (Hof) Dr. Niese Frau Dr. Babel Scheu Büchner (Speyer) Niggemeier Beckmann Schmalz Büttner (Ingolstadt) Frau Odendahl Bredehorn Schmidbauer Frau Bulmahn Oesinghaus Cronenberg (Arnsberg) Schmidt (Fürth) Frau Burchardt Oostergetelo Eimer (Fürth) Dr. Schmidt (Halsbrücke) Bury Ostertag Engelhard Frau Schmidt (Spiesen) Frau Caspers-Merk Frau Dr. Otto van Essen Schmitz (Baesweiler) Catenhusen Dr. Penner Dr. Feldmann Dr. Schockenhoff Conradi Peter (Kassel) Friedhoff Graf von Schönburg Frau Dr. Däubler-Gmelin Dr. Pfaff Friedrich Glauchau Daubertshäuser Pfuhl Funke Dr. Scholz Frau Dr. Dobberthien Poß Frau Dr. Funke-Schmitt-Rink Frhr. von Schorlemer Dreßler Reimann Gallus Dr. Schreiber Ebert Frau von Renesse Ganschow Schulhoff Dr. Eckardt Reuschenbach Gattermann Dr. Schulte Dr. Ehmke (Bonn) Rixe Gries (Schwäbisch Gmünd) Eich Roth Grünbeck Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 76. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Februar 1992 6385*

Grüner Dr. Starnick Initiative verabschiedet wurde, bringt ausdrücklich Günther (Plauen) Frau Dr. von Teichman die Forderung zum Ausdruck, daß die irakische Dr. Guttmacher Dr. Thomae Regierung einen offenen Dialog führt, der die Respek- Hackel Türk Heinrich Frau Walz tierung der Menschenrechte aller irakischen Bürger Dr. Hirsch Wolfgramm (Göttingen) zum Ziel hat. Die Bundesregierung wird sich in diesem Dr. Hitschler Frau Würfel Sinne weiterhin für alle unterdrückten Menschen in Frau Homburger Zurheide Irak einsetzen. Dr. Hoyer Hübner Die Hilfe für die kurdischen Flüchtlinge in Irak, in Irmer PDS/LL Kohn Iran und in der Türkei galt und gilt auch den assyri- Dr. Kolb Frau Dr. Enkelmann schen Christen. Koppelin Frau Dr. Fischer Dr.-Ing. Laermann Dr. Gysi Dr. Graf Lambsdorff Dr. Heuer Zu Frage 20: Frau Leutheusser Frau Dr. Höll Schnarrenberger Dr. Keller Die Hilfe für die Flüchtlinge der Region ist nicht Lüder Dr. Riege nach Empfängergruppen aufgeschlüsselt worden. Lühr Dr. Schumann (Kroppenstedt) Dr. Menzel Dr. Seifert Einzelheiten zum Umfang der gesamten Hilfe sind Möllemann Frau Stachowa Paintner in der Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Frau Peters Anfrage des Abgeordneten Gerd Poppe und der Frau Dr. Pohl Gruppe Bündnis 90/DIE GRÜNEN, Bundestags- Bündnis 90/GRÜNE Richter (Bremerhaven) drucksache 12/1597 enthalten. Rind Dr. Röhl Dr. Feige Schäfer (Mainz) Poppe Frau Schmalz-Jacobsen Schulz (Berlin) Dr. Schmieder Dr. Ullmann Schüßler Weiß (Berlin) Schuster Frau Dr. Schwaetzer Anlage 4 Frau Sehn Fraktionslos Frau Seiler-Albring Antwort Frau Dr. Semper Henn Dr. Solms Lowack der Staatsministerin Ursula Seiler-Albring auf die Frage des Abgeordneten Rudolf Bendig (SPD) (Druck- sache 12/2051 Frage 21): Kann die Bundesregierung angeben, warum von Bürgern der Republik Rußland, welche an der deutschen Botschaft in Moskau ein Visum für die Bundesrepublik Deutschland beantragen, eine - Visumsgebühr von einem Rubel erhoben wird, was nach offiziel- lem Tauschkurs in den Moskauer Wechselstuben z. Z. einem Anlage 3 Gegenwert von 1,3 Deutschen Pfennigen entspricht, und wäre es angesichts des entstehenden Verwaltungsaufwandes (Kas- Antwort senführung, Abrechnung, Verbuchung im Bundeshaushalt) nicht angebracht, diese Gebührenerhebung ganz einzustel- der Staatsministerin Ursula Seiler-Albring auf die len? Fragen des Abgeordneten Dr. Christian Ruck (CDU/ CSU) (Drucksache 12/2051 Fragen 19 und 20): Bei dem in der Frage genannten Betrag von einem Welche politischen, wirtschaftlichen sowie humanitären Maß- nahmen und sonstigen Schritte hat die Bundesregierung — al- Rubel handelt es sich nicht um die Visagebühr der lein oder mit anderen Regierungen bzw. internationalen Orga- Botschaft Moskau, sondern um eine Kostenpauschale nisationen — unternommen oder beabsichtigt sie zu unterneh- für die Abfrage des Ausländerzentralregisters beim men, um den neben den Kurden durch die Politik des irakischen Bundesverwaltungsamt mittels Fernschreiben für in Systems ebenfalls besonders be troffenen Assyrern zu helfen, von denen Zigtausende dem Vernehmen nach in den letzten der Regel jeweils hundert Antragsteller. Auf die Jahren Gewalt und Terror zum Opfer gefallen sind, noch mehr gegenseitige Erhebung von Visumgebühren wird auf- zwangsumgesiedelt wurden oder fliehen mußten, nachdem man grund eines Notenwechsels mit der früheren Sowjet- ihre Dörfer zerstört hatte, und ein Teil wegen ihrer oppositionel- union vom 1. Mai 1960 verzichtet. Die Bundesregie- len Haltung inhaftiert wurde? rung wendet diese Regelung auch auf die Nachfolge- In welchem Umfang wurden die Assyrer in die nationalen und staaten der Sowjetunion an, solange Gegenseitigkeit internationalen Hilfsmaßnahmen und -programme für die iraki- schen Flüchtlinge in die Türkei und den Iran eingebunden, besteht. Die Kostenpauschale wird entsprechend den soweit sie nicht zufällig davon partizipierten? tatsächlich entstandenen Kosten für die Beteiligung anderer Behörden festgesetzt. Sie beträgt für die Zu Frage 19: Botschaft Moskau seit Herbst 1991 einen Rubel. Bei der Wertermittlung kann nicht der aktuelle Devisen- Die Bundesregierung hat ihre Sorge um das Schick- kurs in den Wechselstuben in Moskau zugrunde sal der irakischen Bevölkerungsminderheiten und gelegt werden, sondern der amtliche Kurs, der für die ihre Hilfe stets auf alle Bevölkerungsgruppen bezo- Akkreditive der Botschaft Moskau gilt. Danach war gen. In seiner Regierungserklärung vom 17. April 91 kürzlich der rechnerische Gegenwert für einen Rubel vor dem Deutschen Bundestag hat Bundesminister knapp eine DM. Genscher neben den Kurden ausdrücklich auch die anderen Minderheiten erwähnt. Auch die VN-Resolu- Die Kostenpauschale wird zur Zeit überprüft und tion 688, die aufgrund deutscher und französischer dann neu festgesetzt werden. 6386* Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 76. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Februar 1992

Anlage 5 Abzugszeitraums seine Wohnung leerstehen läßt. Die Antwort Bundesregierung sieht daher keine Notwendigkeit für eine Änderung der geltenden Rechtslage. des Parl. Staatssekretärs Dr. Joachim Grünewald auf die Frage der Abgeordneten Lydia Westrich (SPD) (Drucksache 12/2051 Frage 37): Liegt der Bundesregierung eine konkrete Planung der Regie- rung der Vereinigten Staaten von Amerika vor, wann, in Anlage 7 welchem Umfang und mit welchen Methoden die Sanierung des Flughafengeländes des ehemaligen Militärflughafens Zwei- Antwort brücken durchgeführt werden wird? des Parl. Staatssekretärs Dr. Joachim Grünewald auf die Fragen des Abgeordneten Manfred Kolbe (CDU/ Der Bundesregierung liegt eine derartige konkrete CSU) (Drucksache 12/2051 Fragen 39 und 40): Planung nicht vor. Ist es richtig — wie das Nachrichtenmagazin „" in Auf Veranlassung des Bundesministeriums der Ver- seiner Ausgabe Nr. 6/1992 berichtet —, daß die Bundesregie- teidigung haben die US-Streitkräfte dem Bundesmini- rung Druck auf westdeutsche Konzerne ausübt, damit diese sterium der Verteidigung ihre Erkenntnisse über unverkäufliche Ostbetriebe durch finanzielle Beteiligungen ret- Schadstoffbelastungen der Liegenschaft Zweibrük- ten? ken mitgeteilt und die finanzielle Verantwortung für Wie schätzt die Bundesregierung die Möglichkeiten ein, mit Hilfe des ,, Volksaktien-Modells" in den östlichen Bundeslän- die Beseitigung der von ihnen verursachten Schäden dern Bürgern mit geringem Einkommen den Erwerb von Eigen übernommen. tum zu ermöglichen und gleichzeitig auf diesem Wege struktur- Ferner hat die Landesbauverwaltung im Auftrage bestimmende Großbetriebe zu erhalten? des Bundesministeriums der Verteidigung Feststel- lungen über solche Belastungen getroffen. Zu Frage 39: Nach Auswertung und ggf. weiteren Erhebungen Die Privatisierung und Sanierung der ostdeutschen ist vorgesehen, mit den US-Streitkräften über die zur Unternehmen ist nach dem Treuhandgesetz Aufgabe Behebung von Schäden notwendigen Maßnahmen zu der Treuhandanstalt. Die Bundesregierung hat der verhandeln. THA dafür den finanziellen Rahmen bereitgestellt, damit sie diese Aufgaben erfolgreich bewältigen kann. Anlage 6 Zwang oder Druck auf Investoren ausüben kann die Antwort Bundesregierung nicht, will sie auch nicht. des Parl. Staatssekretärs Dr. Joachim Grünewald auf Allerdings unternimmt sie selbstverständlich im die Frage der Abgeordneten Gabriele Iwersen (SPD) Rahmen ihrer Gesamtverantwortung alles, um Inve- (Drucksache 12/2051 Frage 38): stitionen in den neuen Ländern anzuregen und zu Ist die Bundesregierung bereit, die „Neujahrsfalle"- bei der fördern. Dazu gehören nicht nur die Optimierung der Förderung von selbst genutztem Wohneigentum, das vor Ende finanziellen Rahmenbedingungen (z. B. über das eines Kalenderjahres erworben, aber erst nach Neujahr bezogen Gemeinschaftswerk Aufschwung Ost) und die Unter- wird, und deshalb zur Zeit zur Reduzierung des Abzugszeitrau- stützung kreativer Privatisierungskonzepte der THA, mes von acht Jahren auf sieben Jahre führt, abzubauen, um dem Anspruch der Bürger auf Gleichbehandlung gerecht zu wer- sondern auch Gespräche z. B. mit Unternehmen, Ver- den? bänden und Handelskammern.

Die steuerliche Förderung des eigengenutzten Zu Frage 40: Wohneigentums nach § 10 e EStG beginnt im Jahr der Die Bundesregierung begrüßt alle Anstrengungen Anschaffung oder Fertigstellung der zu eigenen der Treuhandanstalt, die im Rahmen unternehmens- Wohnzwecken genutzten Wohnung und umfaßt einen bezogener Kriterien dazu beitragen, wichtige Unter- Zeitraum von acht Jahren. Entsprechend der Zielset- nehmen und Industrieregionen als Industriestandorte zung des § 10 e EStG — Förderung von Wohneigen zu erhalten. tum, das zu eigenen Wohnzwecken genutzt wird — kann der Eigentümer die Abzugsbeträge nach § 10 e Die Möglichkeiten, sogenannte strukturbestim- EStG nur in den Jahren des achtjährigen Abzugszeit- mende Großbetriebe mit Hilfe des sogenannten raums in Anspruch nehmen, in denen er die Wohnung „Volksaktienmodells" zu veräußern, schätzt die Bun- auch tatsächlich bewohnt. Der Abzugsbetrag steht desregierung wegen der noch fehlenden Börsenfähig- daher einem Erwerber, der seine Wohnung im keit der Unternehmen und ihrer unbefriedigenden Anschaffungsjahr noch nicht selbst bewohnt, nach Ertragssituation als zur Zeit nicht erfolgversprechend dem eindeutigen Gesetzeswortlaut für dieses Jahr ein. nicht zu. Die Bundesregierung hält diese vom Gesetzgeber gewollte und vom Bundesfinanzhof im Urteil vom 13. August 1990 bestätigte Regelung für sachgerecht. Anlage 8 Wollte man in dem von Ihnen angesprochenen Fall eine Ausnahme von der Nutzung zu eigenen Wohn- Antwort zwecken zulassen, so könnte mit gleichem Recht auch des Parl. Staatssekretärs Dr. Joachim Grünewald auf derjenige Eigentümer den Abzugsbetrag beanspru- die Frage des Abgeordneten Ludwig Stiegler (SPD) chen, der beispielsweise in einem späteren Jahr des (Drucksache 12/2051 Frage 41): Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 76. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Februar 1992 6387*

In welchem Umfang werden nach den jetzt bekanntgeworde- Anlage 10 nen Ankündigungen der US-Regierung über einen schnelleren und umfangreicheren Abzug der US-Streitkräfte bis 1995 ein- Antwort heimische Zivilbeschäftigte mit dem Verlust ihrer Arbeitsplätze rechnen müssen, und wie verteilt sich nach dem heutigen des Parl. Staatssekretärs Dr. Joachim Grünewald auf Kenntnisstand der Bundesregierung dieser Personalabbau auf die Frage des Abgeordneten Dr. Hans-Hinrich die einzelnen Regierungsbezirke Bayerns? Knaape (SPD) (Drucksache 12/2051 Frage 43): Welche Sicherungsmaßnahmen sieht die Bundesregierung für ehemalige NVA-Objekte vor, wie z. B. für das ehemalige NVA- Nach Mitteilung der US-Streitkräfte ist eine Aus- Objekt Rhinow, Kreis Rathenow, Land Brandenburg, welches sage darüber, wie sich der geplante Truppenabbau nach Auffassung der Bundesvermögensverwaltung Potsdam der US-Streitkräfte in der Bundesrepublik Deutsch- sich gegenwärtig nicht gewinnbringend verkaufen läßt und eine land bis 1995 auf die örtlichen Arbeitnehmer auswir- Arbeitsplätze schaffende Nutzungsübergabe an die Stadt Rhinow nicht für möglich hält, um zu verhindern, daß es durch ken wird, noch nicht möglich. Randale, Einbrüche oder durch andere Einflüsse zur Zerstörung des Objektes kommt, und trägt dann gegebenenfalls das Bun- Nachdem der Personalabbau in den Standorten Bad desministerium der Finanzen die dadurch entstehenden Tölz und Neu-Ulm weitgehend abgeschlossen ist, sind Kosten? insbesondere für folgende Standorte weitere Abbau- maßnahmen angekündigt bzw. bereits eingeleitet: In Ehemalige NVA-Liegenschaften werden nach Zu- Unterfranken für Aschaffenburg und Würzburg, in führung in das Allgemeine Grundvermögen grund- Mittelfranken für Ansbach und Nürnberg, in Ober- sätzlich im Auftrag der Bundesvermögensverwaltung franken für Bamberg und in Schwaben für Augs- von privaten Wachunternehmen gesichert. Von einer burg. Bewachung wird abgesehen, wenn dies nach Lage der Liegenschaft, der Art der sonstigen Sicherungen und Wieviele Arbeitnehmer in den einzelnen Stand- dem vorgesehenen Zeitpunkt der Verwertung nicht orten betroffen sein werden, steht noch nicht fest. erforderlich oder angemessen erscheint. Auch bei Bewachung der Objekte lassen sich Sach- beschädigungen nicht immer vermeiden. Sie wirken sich bei der Verwertung einer Liegenschaft ggf. auf den Kaufpreis aus. Die bisherigen Erfahrungen bei Verkäufen zeigen allerdings, daß nur geringe Minde- Anlage 9 rungen des Gesamt-Kaufpreises zu verzeichnen sind, Antwort da für die Käufer in erster Linie die Lage, der Wert des Grundstücks und die Bausubstanz entscheidend des Parl. Staatssekretärs Dr. Joachim Grünewald auf sind. die Frage des Abgeordneten Albrecht Müller (Pleis- Anzumerken ist, daß über den vorliegenden Kauf- weiler) (SPD) (Drucksache 12/2051 Frage 42): antrag der Gemeinde erst nach Ermittlung des Ver- Welche direkten und indirekten Kosten entstehen der Bundes- kehrswertes entschieden werden kann. republik Deutschland jährlich für die Stationierung der alliierten Streitkräfte, und wie verteilen sich diese auf die einzelnen Herkunftsländer? Anlage 11 Der Bundesrepublik Deutschland entstanden für Antwort die Stationierung der alliierten Streitkräfte 1991 Aus- des Parl. Staatssekretärs Klaus Beckmann auf die gaben in Höhe von 1 429 Millionen DM (etatisiert im Fragen des Abgeordneten Christoph Matschie (SPD) Einzelplan 35 „Verteidigungslasten im Zusammen- (Drucksache 12/2051 Fragen 44 und 45): hang mit dem Aufenthalt ausländischer S treit- Hat die Bundesregierung Kenntnis davon, daß, wie die israe- kräfte"). lische Tageszeitung Ha'aretz berichtete, deutsche Firmen, die zur nuklearen und chemischen Aufrüstung des Irak beigetragen Das Haushaltssoll für 1992 beläuft sich auf haben, jetzt die gleiche Technik an Iran verkaufen, und gibt es 1 431 Millionen DM. Erkenntnisse über weitere Firmen, die solche Lieferungen tätigen? Diesen Ausgaben stehen in den genannten Jahren Wie beurteilt die Bundesregierung die oben genannten Liefe- Einnahmen gegenüber bei Kap. 3511 Tit. 286 01 rungen deutscher Firmen an Iran, und welche Konsequenzen „Einnahmen im Zusammenhang mit der Abgeltung wird die Bundesregierung gegenüber den be treffenden Firmen von Schäden". Die Entsendestaaten tragen rd. 75 % einleiten? der Schäden selbst, die mit dem Aufenthalt ihrer Streitkräfte in der Bundesrepublik Deutschland ver- Zu Frage 44: bunden sind — vor allem Manöverschäden —. Diese Nach der von Ihnen zitierten Pressemeldung sollen Einnahmen betrugen 1991 99 Millionen DM. der Bundesregierung von der USA und Israel Listen Für das Haushaltsjahr 1992 sind 98 Millionen DM von deutschen Unternehmen übergeben worden sein, veranschlagt. Eine Aufteilung der Kosten in direkte die illegal Waren für Rüstungsprogramme nach Ir an und indirekte wird nicht vorgenommen. geliefert haben sollen. Die Meldung war unzutref- fend, derartige Listen wurden nicht übergeben. Die 1991 verteilten sich die Ausgaben wie folgt auf die Bundesregierung hat mehrfach mitgeteilt, daß Aus- einzelnen Herkunftsländer (in Millionen DM): USA fuhrgenehmigungen, die mit derartigen Programmen 770, Großbritannien 366, Frankreich und übrige in Zusammenhang stehen könnten, nicht erteilt wer- Streitkräfte in der Bundesrepublik 293. den. Aus diesem Grunde hatte sie beispielsweise 6388* Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 76. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Februar 1992

Genehmigungen für Ausfuhren an eine Pestizidan- weit wirtschafts- und finanzpolitische Maßnahmen lage und an ein Kernkraftwerksprojekt abgelehnt. nach Auslaufen des Gemeinschaftswerks „Auf- Im übrigen laufen z. Zt. einige Ermittlungsverfah- schwung Ost" notwendig sind. ren wegen möglicher ungenehmigter Ausfuhren in verschiedenen Bereichen in den Iran. Zu Einzelheiten dieser Ermittlungsverfahren kann die Bundesregierung wegen der noch laufenden Anlage 13 Ermittlungen nicht Stellung nehmen. Antwort des Parl. Staatssekretärs Dr. E ri Zu Frage 45: ch Riedl auf die Fra- gen des Abgeordneten Michael von Schmude (CDU/ Wie bereits ausgeführt, sind der Bundesregierung CSU) (Drucksache 12/2051 Fragen 48 und 49): keine derartigen Lieferungen bekanntgeworden. All- Wie viele Schiffsneubauten, die von ostdeutschen Werften für gemein möchte ich betonen, daß die Bundesregierung die ehemalige UdSSR fertiggestellt wurden, liegen zur Zeit auf allen Hinweisen auf mögliche Verstöße gegen das Reede, weil die Finanzierung ungeklärt ist? Außenwirtschaftsrecht mit Nachdruck nachgeht und Sieht die Bundesregierung eine Möglichkeit, mit einzelnen entsprechende Unterlagen unverzüglich an die GUS-Staaten ein Abkommen über Fischereifangrechte zu tref- Ermittlungsbehörden weiterleitet. fen, um so im Rahmen einer Zusammenarbeit eine Kaufpreis- finanzierung zu erleichtern, oder beabsichtigt die Bundesre- gierung eine zusätzliche Hermes-Deckung bereitzustellen?

Zu Frage 48: Anlage 12 Die Zahl der von ostdeutschen Werften für die Antwort ehemalige UdSSR fertiggestellten und nicht abge- nommenen Schiffe ist 15. des Parl. Staatssekretärs Klaus Beckmann auf die Fragen des Abgeordneten Jürgen Türk (FDP) (Druck- Durch die Verhandlungen von Bundesminister Möl- sache 12/2051 Fragen 46 und 47): lemann in Moskau am 3. Febraur 1992 besteht die Sieht die Bundesregierung die Möglichkeit, im Zusammen- Aussicht, daß die Schiffe bald geliefert werden kön- hang mit den Hermes-Bürgschaften Liquiditätshilfen für Unter- nen. nehmen, die hauptsächlich mit den ehemaligen RGW-Staaten gehandelt haben, in den neuen Ländern bereitzustellen, wenn sie durch die Veränderungen in Osteuropa in ihrer Existenz Zu Frage 49: bedroht sind? Der Fischereibereich ist vergemeinschaftet. Dem- Wie schnell und auf welche Weise ließe sich hier eine entsprechend hat die Bundesrepublik Deutschland praktikable Lösung finden? nicht mehr die Möglichkeit, selbständig mit Drittlän- dern Fischereiabkommen abzuschließen. Dies ist viel- Zu Frage 46: mehr ausschließliche Kompetenz der EG. Die Bundesregierung hat bereits frühzeitig durch Sondierungen über den Abschluß solcher Abkom- günstige Rahmenbedingungen und marktkonforme men finden gegenwärtig in Rußland und den balti- Maßnahmen den strukturellen Anpassungsprozeß schen Staaten statt. Ob diese zu Abkommen führen flankiert. Sie hat das entsprechende Instrumentarium werden, läßt sich noch nicht beurteilen, da es Wider- nicht nur weitgehend beibehalten, sondern durch das stände innerhalb der Gemeinschaft gibt und das Gemeinschaftswerk „Aufschwung Ost" noch wesent- Ergebnis des Restrukturierungsprozesses in den balti- lich verstärkt. schen Staaten und Rußland ungewiß ist. Innerhalb der Es ist nicht daran gedacht, einzelfallbezogene EG engagieren sich Deutschland und Dänemark für direkte Liquiditätshilfen den von der Umstrukturie- einen Abschluß. rung getroffenen Unternehmen zur Verfügung zu Die Bundesregierung ist bereit, weitere Hermesan- stellen, da die o. a. Maßnahmen als geeignet erschei- träge der ostdeutschen Werften zu prüfen. Ein Antrag nen, in der ersten Jahreshälfte 1992 einen Erfahrungs- der Volkswerft S tralsund hat dem Interministeriellen bericht über die wichtigsten Fördermaßnahmen vor- Ausschuß für Ausfuhrgewährleistungen bereits vor- zulegen, mit dem auch geprüft wird, inwieweit mit gelegen. Die Bundesregierung wird über dieses Pro- den Förderprogrammen die angestrebten Zielsetzun- jekt entscheiden, sobald die Ergebnisse einer Unter- gen erreicht werden konnten. suchung über seine Wirtschaftlichkeit und die Zustim- mung der EG zu unserem Werfthilfeprogramm für die Zu Frage 47: ostdeutschen Werften vorliegen. Das bisherige Instrumentarium, das sich als prakti- kabel erwiesen hat, soll fortgeführt werden. Bis auf die Hermes-Sonderbedingungen ist keines der bestehen- den Förderprogramme ausgelaufen; die Programme Anlage 14 werden auch 1992 fortgesetzt. Die Bundesregierung Antwort beabsichtigt — wie bereits dargelegt —, einen Erfah- rungsbericht über die wichtigsten Fördermaßnahmen des Parl. Staatssekretärs Klaus Beckmann auf die in der ersten Jahreshälfte 1992 vorzulegen. Die Bun- Fragen des Abgeordneten Gert Weisskirchen (Wies desregierung wird dann entscheiden, ob und-l inwie- och) (SPD) (Drucksache 12/2051 Fragen 51 und 52): Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 76. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Februar 1992 6389*

Durch welche Maßnahmen will die Bundesregierung die der technischen Abwicklung im Bankenapparat zu besondere Bedeutung der Umstellung der Waffenproduktion auf erwarten. zivile Produktion herausstellen, zu der sie sich zusammen mit den anderen KSZE-Staaten am 31. Januar 1992 in Prag bekannt Die Auszahlung von Leistungen an die Leistungs- hat? empfänger erfolgt nach der Bewilligung der Leistung Wie will die Bundesregierung diese Form der Konversion in in einem maschinellen Auszahlverfahren, wobei die den Staaten Osteuropas und besonders in der GUS fördern? Zahlungen jeweils nach Ablauf des 14tägigen Zah- lungszeitraumes automatisch veranlaßt werden. Die Zu Frage 51: Zunahme der Zahlfälle führt hier nicht zu Verzöge- Die Bundesregierung mißt einer erfolgreichen rungen. Umstellung der Waffenproduktion bei der Industrie Zu Ihrer zweiten Frage bemerke ich folgendes: Im auf zivile Produktionen große Bedeutung bei. Beson- Hinblick auf die in den Dienststellen der Bundesan- dere Maßnahmen zur Förderung der industriellen stalt im neuen Teil des Bundesgebietes erwartete Konversion gibt es allerdings nicht. Die Bedarfspla- Aufgabenentwicklung hat die Bundesanstalt frühzei- nung des Bundesministers der Verteidigung wird der tig personelle Vorkehrungen getroffen, damit der für Industrie immer so rechtzeitig bekanntgemacht, daß den Beginn des Jahres 1992 erwartete Anstieg der sie sich darauf einstellen kann. Im übrigen stehen der Zahl der Arbeitslosen bewältigt werden kann. Industrie die üblichen regional-, forschungs- und arbeitsmarktpolitischen Instrumentarien der Bundes- Seit Mitte Dezember sind bereits 1 500 Mitarbeiter regierung zur Flankierung der Anpassung zur Verfü- aus dem bisherigen Bundesgebiet zur personellen gung. Auch in den neuen Bundesländern bewältigen Verstärkung der neuen Arbeitsämter eingesetzt. die ehemaligen Rüstungsbetriebe die Umstellung Diese Zahl wird in Kürze — bedarfsorientiert — um ohne spezielle Konversionshilfen. mindestens 1 000 Mitarbeiter erhöht. Von den 1 500 Mitarbeitern sind 816 in den Leistungsabteilungen Zu Frage 52: der neuen Arbeitsämter tätig. Mit Hilfe von Consulting-Leistungen, die seit 1990 Darüber hinaus sind in den neuen Arbeitsämtern vom Bundesministerium für Wirtschaft in Form von derzeit rd. 5 100 Kräfte mit befristetem Arbeitsvertrag Zuwendungen gefördert werden, sind bereits zwei beschäftigt. Konversions-Projekte bewilligt worden. Die Dienststellen im neuen Teil des Bundesgebietes Das Thema „Rüstungskonversion" wird auch ein sind angewiesen, die Mitarbeiter durch interne wichtiges Thema bei der Tagung des deutsch-russi- Umsetzungen so einzusetzen, daß die zeitnahe Bear- schen Kooperationsrates am 18. Februar 1992 in Bonn beitung und Auszahlung der Leistungen sichergestellt sein. Bei dieser Gelegenheit wird die Bundesregie- ist. rung die russische Seite ermutigen, das umfangreiche Derzeit beträgt die durchschnittliche Bearbeitungs- menschliche und industrielle Rüstungspotential um- dauer vollständig vorliegender Anträge auf Arbeitslo- zustellen und für den wirtschaftlichen Aufbau zu sengeld oder Arbeitslosenhilfe rd. 10 Tage. nutzen. Hierfür wird deutsches Know-how zur Verfü- gung gestellt. Können Lohnersatzleistungen trotz der vorstehend erwähnten Maßnahmen nicht innerhalb von 3 Wo- chen bewilligt werden, sind die Arbeitsämter ange- wiesen, rechtzeitig Vorschüsse zu leisten, wenn der Anspruch zumindest dem Grunde nach feststeht. Anlage 15 Antwort des Parl. Staatssekretärs Horst Seehofer auf die Fra- gen der Abgeordneten Regina Kolbe (SPD) (Drucksa- Anlage 16 che 12/2051 Fragen 53 und 54): Kann die Bundesregierung ausschließen, daß es aufgrund der Antwort zum Jahreswechsel stark angestiegenen Zahl an Arbeitslosen in den neuen Ländern nicht wieder wie im Vorjahr zu Verzögerun- des Parl. Staatssekretärs Horst Seehofer auf die Frage gen bei der Auszahlung von Leistungen der Arbeitsämter des Abgeordneten Dr. Hans-Hinrich Knaape (SPD) kommt? (Drucksache 12/2051 Frage 55): Wie ist von seiten der Arbeitsverwaltung in den neuen Beabsichtigt die Bundesregierung, die Arbeitsbeschaffungs- Ländern in personeller und verwaltungstechnischer Hinsicht maßnahmen (ABM) jeweils nur noch für sechs Monate zu sichergestellt worden, daß es angesichts der gestiegenen Zahl an genehmigen, und wenn ja, welche Argumente zur Sicherung des Arbeitslosen nicht zu Verzögerungen bei der Bearbeitung von sozialen Friedens empfiehlt die Bundesregierung gegenüber Anträgen auf Auszahlung von Leistungen der Bundesanstalt für den Bürgern, z. B. im Kreis Rathenow, Land Brandenburg, wo Arbeit kommt? die Arbeitslosigkeit gegenwärtig 16,3 % beträgt und nach Weg- fall der ABM-Stellen von 2 500 auf 444 im laufenden Jahr die Die Anfang des Jahres 1991 aufgetretenen Verzö- Arbeitslosigkeit auf über 20 % ansteigen wird? gerungen bei der Auszahlung der Leistungen an Arbeitslose waren in der Hauptsache auf die lange Die Bundesregierung ist rechtlich nicht befugt, die Dauer der Überweisungswege bei den Kreditinstitu- Förderung von Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen zu ten zurückzuführen. Nachdem die Kreditinstitute im bewilligen. Nach § 3 AFG und § 19 SGB I ist die Beitrittsgebiet den Zahlungsverkehr in der Zwischen- ABM-Bewilligung Aufgabe der Bundesanstalt für zeit vollständig auf den Bundesbank-Standard umge- Arbeit mit ihren Dienststellen, den Arbeitsämtern und stellt haben, sind auch keine Verzögerungen mehr bei den Landesarbeitsämtern. 6390* Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 76. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Februar 1992

Der Präsident der Bundesanstalt für Arbeit hat in Anlage 18 seinem Erlaß „Vorgaben zur Qualitätssicherung und Antwort Steuerung bei ABM für das Jahr 1992 in den neuen Bundesländern einschl. Berlin-Ost" vom 20. Dezem- des Parl. Staatssekretärs Willy Wimmer auf die Frage ber 1991 (Ziff. II 11) angeordnet, daß die Förderungs- des Abgeordneten Heribert Scharrenbroich (CDU/ dauer in den ABM-Bewilligungsbescheiden auf höch- CSU) (Drucksache 12/2051 Frage 57): stens ein Jahr zu begrenzen ist. Das ist auch der Können Berufssoldaten auch noch nach dem 30. März 1992 Standpunkt der Selbstverwaltung der Bundesanstalt eine vorzeitige Zurruhesetzung nach § 2 des PersStärkeG bean- tragen und damit rechnen, daß sie mit den Kameraden gleich- für Arbeit. Um mit den vorhandenen ABM-Mitteln behandelt werden, die ihre Anträge vor diesem Datum vorleg- möglichst viele Personen in Beschäftigung zu bringen, ten? sollte nach Auffassung der Bundesregierung die ABM-Förderung im Einzelfalle nach Möglichkeit auf Die Vorgabe in den Vorläufigen Ausführungsbe- sechs Monate begrenzt werden. Eine längere Förde- stimmungen zum Personalstärkegesetz, daß Anträge rung ist danach in den Fä llen möglich, in denen eine bis zum 31. März 1992 gestellt werden sollen, beinhal- halbjährige Förderung arbeitsmarktpolitisch keinen tet keine Ausschlußfrist. In sehr vielen Fällen wird Sinn gibt. eine Auswahl erforderlich sein. Sie muß unter ande- Der Mittelansatz für die ABM-Förderung im Haus- rem wegen der Einhaltung gesetzlicher Vorgaben halt 1992 der Bundesanstalt für Arbeit läßt Neubewil- früh durchgeführt werden und soll gleichzeitig auf ligungen für 150 000 Personen zu. Um eine kontinu- möglichst breiter Basis erfolgen. Dies ist aber nur ierliche und regional ausgewogene Bewilligungspra- möglich, wenn bis zu dem genannten Termin hinrei- xis für 1992 zu erreichen, sieht der Erlaß vom 20. De- chend viele Anträge vorliegen. zember 1991 monatliche Kontingente für die Arbeits- Spätere Anträge werden im Rahmen des dann ämter der neuen Bundesländer vor. Auf das Arbeits- bestehenden Zurruhesetzungsbedarfs Erfolg haben amt Neuruppin, zu dessen Bezirk Rathenow gehört, können. Das dürfte insbesondere für den Fall gelten, entfallen 361 Zuweisungen in ABM-Vollzeitarbeits- daß Soldaten ihren Antrag zurückhalten wollen, bis plätze und 64 Zuweisungen in ABM-Teilzeitarbeits- ihnen die Auswirkungen von Organisationsmaßnah- plätze monatlich. Die ABM-Beschäftigungen, die aus men, die ihre Dienststelle be treffen, bekannt sind. dem Vorjahr in das laufende Jahr hineinreichen, bleiben von der Kontigentierung der Neubewilligung unberührt. Anlage 19 Antwort des Parl. Staatssekretärs Willy Wimmer auf die Frage Anlage 17 des Abgeordneten Dr. Olaf Feldmann (FDP) (Druck- sache 12/2051 Frage 60): Antwort Welcher zivile „spin-off " ist bisher bei den einzelnen Entwick- des Parl. Staatssekretärs Horst Seehofer auf die Frage lungsprogrammen der jeweilig damit in Deutschland, England, Italien und Spanien beauftragten Firmen für die Gesamtent- des Abgeordneten Dr. Martin Pfaff (SPD) (Drucksa- wicklung des Eurofighter (Jäger 90) entstanden, und welchen che 12/2051 Frage 56): Wert bzw. welche Anwendungsmöglichkeiten haben die aus der Gesamtentwicklung des Jäger 90 gewonnenen technologischen Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung über die Initia- Erkenntnisse für zivile Forschungs-, Entwicklungs- und Produk- tive, die die bayerische Landesregierung in jüngster Zeit zur tionsbereiche? Durchsetzung der Hilfen zur häuslichen Pflege ergriffen hat, und welche gesetzlichen Konsequenzen wird sie daraus ziehen? Für den Bundesminister der Verteidigung ist das Die jetzt bestehenden Ansprüche auf Hilfen der entscheidende Kriterium bei der Auswahl eines Jagd- Krankenkassen bei der häuslichen Pflege wurden mit flugzeuges die wirtschaftliche Deckung des militäri- dem Gesundheits-Reformgesetz eingeführt. Bei der schen Bedarfs. Einführung von Krankenkassenleistungen zur häusli- Gleichzeitig wird die besondere industriepolitische chen Pflegehilfe nach §§ 53 ff. SGB V waren starke und technologische Bedeutung sowohl der Entwick- Widerstände zu überwinden, da diese Lösung von lung als auch für die mögliche Entscheidung über die vielen als der falsche Weg angesehen wurde. An der Produktion gesehen und berücksichtigt. Vorbereitung dieser Reform und bei der Durchset- Die industrielle Beteiligung ist technologisch und in zung der Leistungen für die Pflegebedürftigen war bezug auf die beteiligten Firmen sehr vielseitig und Bayern in Gestalt der die bayerische Staatsregierung umfangreich. Es wurden weit über 200 Unterverträge tragenden CSU maßgeblich beteiligt. abgeschlossen. Eine Erhebung über den „spin-off" in Bayern zählt auch jetzt zu den Kämpfern für eine allen Einzelfällen oder gar eine Quantifizierung ist Gesamtabsicherung des Risikos Pflegebedürftigkeit, nicht möglich. wie dies aus den Beschlüssen der bayerischen Staats- Der Bundesminister der Verteidigung geht davon regierung und der CSU deutlich wird. Diese Vorstel- aus, daß mit der Teilnahme an dem internationalen lungen zur Einführung einer gesetzlichen sozialen EFA-Entwicklungsprogramm die zivile Luft- und Pflegeversicherung decken sich weitestgehend mit Raumfahrt in den modernsten technologischen Berei- denen der CDU und des Bundesarbeitsministers. Sie chen wie Antriebstechnik, Werkstoffe, Meß- und sind Gegenstand der laufenden Koalitionsgespräche Berechnungsverfahren, Zuverlässigkeit und Betriebs- über eine Absicherung des Risikos Pflegebedürftig- sicherheit, Elektronik und Datenverarbeitung beson- keit. ders gestützt wird. Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 76. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Februar 1992 6391*

Anlage 20 „Gewissensentscheidung gegen den Kriegsdienst mit der Waffe" anerkannt wird (Artikel 4 Absatz 3 Satz 1 Antwort des Grundgesetzes). des Parl. Staatssekretärs Willy Wimmer auf die Fragen des Abgeordneten Walter Kolbow (SPD) (Drucksache 12/2051 Fragen 61 und 62): Teilt die Bundesregierung die öffentliche Medienkritik, daß der Jagdbomber MRCA-Tornado als eines der wichtigsten Anlage 22 Waffensysteme der Luftwaffe „außer Kontrolle geraten" sei? Aus welchen Gründen ist die Bundesregierung nicht bereit, Antwort angesichts der verringerten Bedrohung darauf zu verzichten, des Parl. Staatssekretärs Willy Wimmer auf die Fragen immer mehr Geld in die offensichtlich fragwürdige Entwicklung eines Stör- und Täuschsenders zu stecken? des Abgeordneten Gernot Erler (SPD) (Drucksache 12/2051 Fragen 64 und 65): Zu Frage 61: Mit welchem Ergebnis hat der Bundesminister der Verteidi- gung in Abstimmung mit dem Bundesminister für Verkehr über Eine „öffentliche Medienkritik" ist der Bundesre- die künftige Stationierung von SAR-Hubschraubern im Bundes- gierung — mit Ausnahme des Artikels in einer gebiet entschieden, wie mir dies in einer Antwort auf Frage 47 in Wochenzeitschrift der vergangenen Woche und damit Drucksache 12/1099 angekündigt worden ist? in Verbindung stehender Agenturmeldungen — nicht Wohin wird der bisher in Bremgarten stationierte SAR- bekannt. Hubschrauber der Bundeswehr verlegt, und wie wird durch die Stationierungsentscheidung sichergestellt, daß der südbadische Die Bundesregierung teilt die Kritik dieser Wochen- Raum um die Großstadt Freiburg herum auch künftig auf zeitschrift nicht, daß der Jagdbomber MRCA-TOR- SAR-Dienste rechnen kann? NADO als „das wichtigste Waffensystem der Luft- waffe außer Kontrolle geraten" sei. Das Bundesmini- Zu Frage 64: sterium der Verteidigung hat eine berichtigende Klar- stellung veröffentlicht. Eine Neuorganisation des überregionalen Such- Der Jagdbomber MRCA-TORNADO ist einsatzbe- und Rettungsdienstes der Bundeswehr (SAR) ist im reit. Seine technische Klarstandsrate entspricht der Zusammenhang mit der Reduzierung der Bundes- anderer Einsatzflugzeuge der deutschen Luftwaffe wehr und der Ausweitung der Zuständigkeit im Zuge und erfüllt die NATO-Forderungen. der Einigung unseres L andes unumgänglich. Die Sicherstellung des Auftrages für die besonderen Zu Frage 62: Belange der Luftfahrt als Bundesaufgabe auf Grund internationaler Verpflichtungen erfordert die flächen- Die Bundesregierung hat die Verpflichtung, der deckende Bereitstellung von SAR-Mitteln rund um Truppe die Ausrüstung zur Verfügung zu stellen, die die Uhr. In Abstimmung mit dem Bundesminister für ihr das Überleben im Einsatz und die Erfüllung ihrer Verkehr werden die SAR-Hubschrauber künftig so Aufgaben ermöglicht. Hierzu gehört für die TOR- disloziert, daß jeder Punkt Deutschlands innerhalb NADO-Besatzung auch der Stör- und Täuschsender von 45 Minuten nach dem Start erreicht werden kann. CERBERUS. Der Verzicht auf ein derartiges Gerät Die besonderen Bel ange der Küsten- und Gebirgsre- würde die Besatzung verwundbarer machen und die gionen werden durch eine Mehrfachüberlappung Einsatzwirksamkeit entscheidend verringern; andere besonders berücksichtigt. Nach einer Übergangs- Lösungsmöglichkeiten stehen nicht zur Verfügung. phase wird die Bundeswehr ab Ende 1994 insgesamt Eine Weiterentwicklung des Stör- und Täuschsenders 13 SAR-Kommandos mit Hubschraubern und einer mit dem Ziel der Anpassung an neue Radarsysteme ist SAR-Bereitschaft mit einem Seeaufklärungsflugzeug auf diesem besonders innovationsträchtigen Gebiet betreiben: erforderlich. Aus diesem Grund haben die zuständi- gen Ausschüsse des Deutschen Bundestages (zuletzt Die Dislozierung ist wie folgt geplant: bei der Beratung des Haushalts 1992) dem Vorhaben Marine CERBERUS zugestimmt. BORKUM (Niedersachsen) WESTERLAND (Schleswig-Holstein) KIEL (Schleswig-Holstein) Anlage 21 PAROW (Mecklenburg-Vorpommern) NORDHOLZ (Niedersachsen), Aufklärungsflug- Antwort zeug für Langstreckensuche des Parl. Staatssekretärs Willy Wimmer auf die Frage Luftwaffe des Abgeordneten Hans Wallow (SPD) (Drucksache AHLHORN (Niedersachsen) 12/2051 Frage 63): FASSBERG (Niedersachsen) Welche Ursachen sind nach Ansicht der Bundesregierung für LAAGE (Mecklenburg-Vorpommern) die Zunahme der Wehrdienstverweigerer auf nunmehr 150 000 jährlich verantwortlich? NÖRVENICH (Nordrhein-Westfalen) ERFURT (Thüringen) Über die tatsächlichen Beweggründe der vermehr- HOLZDORF (Brandenburg) ten Antragstellung liegen keine gesicherten Erkennt- STUTTGART (Baden-Württemberg) nisse vor. Die Bundesregierung hat es in der Vergan- MANCHING (Bayern) genheit stets abgelehnt, Aussagen über die Beweg- PENZING (Bayern) gründe von KDV-Antragstellern zu treffen, da von der Zusätzlich stellt die Bundeswehr für die regionale Verfassung als einziger Verweigerungsgrund die zivile Luftrettung — in Verantwortung der Länder — 6392* Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 76. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Februar 1992

neben den bestehenden sechs Rettungszentren in den Die Untersuchungen sollen den Zusammenhang zwi- alten Bundesländern künftig weitere drei SAR-Ret- schen westlicher und östlicher Umfahrung Hamburgs tungshubschrauber in den neuen Bundesländern ab. einerseits und dem Bau der 4. Röhre andererseits Die Stationierung ist für Erfurt, Bad Sarrow und aufzeigen. Daraus sind Aussagen über die Verknüp- Neustrelitz geplant. fung einzelner Projekte sowie einen Zeitplan für die Reihenfolge der Verwirklichung abzuleiten. Verkehr- Zu Frage 65: liche und ökologische Kriterien sind hierbei ebenso zu Im Rahmen der Reorganisation des militärischen berücksichtigen wie Fragen der Wirtschaftlichkeit und der Finanzierung. SAR-Dienstes ist die Verlegung des SAR-Kommandos in BREMGARTEN, nach Stillegung des Flugplatzes, Nach der Vorlage der Untersuchungen werden die auf den Flughafen STUTTGART vorgesehen. Trotz Verkehrsminister der 5 Küstenländer und der Bun- der Stillegung des Flugplatzes BREMGARTEN ist desverkehrsminister hierüber in einer Konferenz am durch diese Maßnahme eine effiziente Abdeckung 27. Februar 1992 in Rostock beraten. Dabei wird eine der gesamten Süd-West-Region gegeben. Von möglichst gemeinsam getragene Lösung angestrebt, STUTTGART aus wird auch Südbaden für Such- und die dann Bestandteil des im Laufe des Jahres 1992 Rettungseinsätze sowie für dringende Krankentrans- vorzulegenden gesamtdeutschen Verkehrswegepla- porte — unter der Voraussetzung, daß kein geeignetes nes sein soll. ziviles Luftrettungsmittel zeitgerecht zur Verfügung Die in Ihrer Frage genannten Autobahnverbindun- steht — mitversorgt werden können. gen sind in die Untersuchungen einbezogen.

Anlage 23 Anlage 24 Antwort Antwort des Parl. Staatssekretärs Dr. Dieter Schulte auf die des Parl. Staatssekretärs Dr. Dieter Schulte auf die Fragen der Abgeordneten Antje-Marie Steen (SPD) Fragen der Abgeordneten Ulrike Mehl (SPD) (Druck- (Drucksache 12/2051 Fragen 74 und 75): sache 12/2051 Fragen 76 und 77): Wird bei den Untersuchungen auch die Frage einer weiteren Welche Gebiete kommen nach Auffassung der Bundesregie- Elbequerung für den Schienenverkehr einbezogen, um den rung aus ökologischen Gründen für die Elbequerung westlich Engpaß Hamburg im Nord-Süd-Verkehr sowohl auf der Strecke von Hamburg nicht in Frage? Hamburg-Flensburg als auch Puttgarden/Lübeck-Trave- Von welchem Verkehrsaufkommen geht die Bundesregierung münde/Skandinavienkai zu beseitigen? bei den verschiedenen möglichen Elbequerungen westlich von Sind mit einer Planung für eine Elbequerung westlich von Hamburg aus, und worauf beruhen diese Zahlen? Hamburg Planungen für eine Autobahnverbindung zur A 27, zur A 1 und/oder zur A 23 verbunden? Diese Fragen sind Bestandteil der derzeit laufenden Untersuchungen für ein Gesamtkonzept für den nord- Zu Frage 74: deutschen Raum. Zur Verbesserung der Schieneninfrastruktur im Hamburger Raum ist im Bundesverkehrswegeplan 1985 die Ausbaustrecke Hamburg-Harburg-Ham- burg-Rothenburgsort enthalten. Gegenstand des 1987 Anlage 25 begonnenen Vorhabens ist die Neuordnung bezie- Antwort hungsweise der Neubau von Gleisanlagen zwischen des Parl. Staatssekretärs Dr. Dieter Schulte auf die dem Rangierbahnhof Maschen und Hamburg-Ro- Fragen des Abgeordneten Manfred Opel (SPD) thenburgsort mit dem Ziel einer Steigerung der Strek- (Drucksache 12/2051 Fragen 78 und 79): kenkapazität und Beförderungsqualität. Baubeginn für die neue Süderelbbrücke war im Mai 1991. Nach Welche Überlegungen über eine Küstenautobahn Cuxhaven- Hamburg sind für die Bundesregierung mit einer Elbequerung der für 1996 geplanten Inbetriebnahme des Gesamt- westlich von Hamburg unmittelbar verbunden? projektes sind die vorhandenen Engpässe im vorge- Welche Varianten einer weiteren Elbequerung liegen den nannten Bereich beseitigt. Untersuchungen, die nach Aussagen der Bundesregierung im Frühjahr 1992 vorliegen sollen, zugrunde? Zu Frage 75: Ziel der Bundesregierung ist die Entwicklung eines Zu Frage 78: Gesamtkonzeptes für den norddeutschen Raum. Die- Für die Bundesregierung ist die Frage einer durch- ses Gesamtkonzept muß sowohl die Belange des gehenden Autobahn Hamburg-Cuxhaven derzeit Fernverkehrs als auch die des Regionalverkehrs und nicht relevant. Gleichwohl werden die Wirkungen des damit zusammenhängenden örtlichen Verkehrs einer Elbequerung westlich von Hamburg auf das im Großraum Hamburg koordinieren. Weiträumige vorhandene Straßennetz unter Einbeziehung der im Verkehre sollten nicht ohne Not in den städtischen derzeit geltenden Bedarfsplan enthaltenen Maßnah- Bereich hineingezogen werden. Beim Fernverkehr men überprüft. müssen die mittel- und langfristig zu erwartenden Entwicklungen im skandinavischen Raum sowie im Zu Frage 79: Ost-West-Verkehr berücksichtigt werden. Der Untersuchung liegen Elbequerungen im Raum Hierzu sind Untersuchungen in Auftrag gegeben Stade, im Raum Brunsbüttel sowie im Raum Geest- worden, deren Ergebnisse in Kürze erwartet werden. hacht zugrunde. Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 76. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Februar 1992 6393*

Anlage 26 Anlage 29 Antwort Antwort des Parl. Staatssekretärs Dr. Dieter Schulte auf die des Parl. Staatssekretärs Dr. Dieter Schulte auf die Fragen der Abgeordneten Dr. Cornelie Sonntag- Fragen des Abgeordneten Günther Heyenn (SPD) Wolgast (SPD) (Drucksache 12/2051 Fragen 80 und (Drucksache 12/2051 Fragen 86 und 87): 81): Wie beurteilt die Bundesregierung die Notwendigkeit und die Teilt die Bundesregierung die Auffassung, nur der Bau einer Möglichkeit eines Autobahnringes rund um die Hansestadt weiteren Elbequerung könne Schleswig-Holsteins Verkehrs- Hamburg mit einer nördlichen Trassenführung durch Schles- probleme lösen, von einer weiteren Elbtunnelröhre profitiere in wig-Holstein? erster Linie der Hamburger innerstädtische Verkehr, und wenn Welche Auswirkungen auf die Verkehrsdichte der Bundes- ja, welche Verkehrszahlen liegen dieser Einschätzung straßen 206 und 404 erwartet die Bundesregierung innerhalb zugrunde? der nächsten fünf bis zehn Jahre für den Fall, daß die vierte Favorisiert die Bundesregierung auch den Bau eines weiteren Elbtunnelröhre — wie vom Bundesminister für Verkehr, Elbtunnels westlich von Hamburg? Dr. Günther Krause, in den vergangenen Wochen mehrfach öffentlich geäußert — nicht gebaut wird? Die Frage der Zusammenwirkung der verschiede- nen Einzelelemente als auch der Zeitplan für die Diese Fragen sind Bestandteil der zur Zeit laufen- Verwirklichung sind Gegenstand des in Arbeit den Untersuchungen für ein Gesamtkonzept für den befindlichen Gesamtkonzepts für den norddeutschen norddeutschen Raum. Raum.

Anlage 30 Anlage 27 Antwort Antwort des Parl. Staatssekretärs Dr. Dieter Schulte auf die des Parl. Staatssekretärs Dr. Dieter Schulte auf die Frage des Abgeordneten Norbert Gansel (SPD) Fragen des Abgeordneten Reinhold Hiller (Lübeck) (Drucksache 12/2051 Frage 88): (SPD) (Drucksache 12/2051 Fragen 82 und 83): Bis zu welchem Zeitpunkt ist mit einer endgültigen Aussage der Bundesregierung bezüglich der Reihenfolge der Verwirkli- Wie steht die Bundesregierung zu der Ankündigung vom chung der verschiedenen Projekte „4. Elbtunnelröhre" und Bundesminister für Verkehr, Dr. Günther Krause, auf eine vierte „Weitere Elbequerung" zu rechnen, und bestehen bezüglich der Elbtunnelröhre zu verzichten und statt dessen eine weitere planerischen und baulichen Umsetzbarkeit dieser verschiede- Elbequerung westlich Hamburgs zu bauen? nen Projekte zeitliche Unterschiede? Wie hoch prognostiziert die Bundesregierung das Verkehrs- aufkommen im Elbtunnel nach Fertigstellung der 4. Röhre? Diese Fragen sind Bestandteil des Gesamtkonzep- tes für den norddeutschen Raum und werden in der Zu Frage 82: Besprechung der Verkehrsminister am 27. Februar Diese Aussage trifft nicht zu. Ziel ist vielmehr ein 1992 in Rostock beraten werden. Gesamtkonzept für den norddeutschen Raum.

Zu Frage 83: Anlage 31 Diese Frage ist Bestandteil der zur Zeit laufenden Untersuchungen. Ziel des Gesamtkonzeptes ist, das Antwort Hineinziehen von Fernverkehren in den städtischen des Parl. Staatssekretärs Dr. Dieter Schulte auf die Bereich so weit als möglich zu vermeiden. Fragen des Abgeordneten Hans-Joachim Hacker (SPD) (Drucksache 12/2051 Fragen 89 und 90): Welche Anbindungen an eine mögliche Elbequerung westlich von Hamburg hält die Bundesregierung für denkbar? Anlage 28 Welche Trassenführungen werden für Anbindungen der Elbe- Antwort querung westlich von Hamburg von der Bundesregierung geprüft, und welche Ergebnisse solcher Prüfungen möglicher des Parl. Staatssekretärs Dr. Dieter Schulte auf die Trassen liegen der Bundesregierung zur Zeit vor? Fragen der Abgeordneten Dr. Christine Lucyga (SPD) (Drucksache 12/2051 Fragen 84 und 85): Diese Fragen sind Bestandteil der zur Zeit laufen- Von welchem Zeitraum geht die Bundesregierung aus, wenn den Untersuchungen für ein Gesamtkonzept für den sie in der Antwort auf die Kleine Anfrage 12/1880 zur Verkehrs- norddeutschen Raum. planung in Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern zur Lösung der Verkehrsprobleme im Hamburger Raum „mittel- fristig" von der Erforderlichkeit einer großräumigen Umfahrung der Hansestadt Hamburg gesprochen hat? Anlage 32 Wie beurteilt die Bundesregierung Aussagen der schleswig- holsteinischen Landesregierung, daß eine weitere Elbequerung Antwort wegen der notwendigen Abstimmungen zwischen dem Bund, den beteiligten Ländern Schleswig-Holstein, Niedersachsen des Parl. Staatssekretärs Dr. Dieter Schulte auf die und der Hansestadt Hamburg erst nach der Jahrtausendwende Fragen des Abgeordneten Ottmar Schreiner (SPD) in Angriff genommen werden könnte? (Drucksache 12/2051 Fragen 91 und 92): Wie sind bezüglich des von allen relevanten politischen und Dies wird Gegenstand des Gesprächs der Verkehrs- gesellschaftlichen Kräften im Saarland, insbesondere im Hin- minister am 27. Februar 1992 in Rostock sein. blick auf den Europäischen Binnenmarkt, für äußerst dringlich 6394* Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 76. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Februar 1992

erachteten Weiterbaus der Autobahn A 8 von Merzig-Wellingen Anlage 34 bis zur Luxemburger Grenze die in der „Saarbrücker Zeitung" vom 27. Januar 1992 verbreiteten Wortlautformulierungen vom Antwort Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, Dr. Klaus Töpfer, "Die A 8 muß schnellstens kommen, sonst des Parl. Staatssekretärs Dr. Dieter Schulte auf die nabeln wir uns ein Stück aus Europa ab" und „Die A 8 wird Fragen der Abgeordneten Edelgard Bulmahn (SPD) kommen" zu verstehen? (Drucksache 12/2051 Fragen 96 und 97): Wann kommt das von Kollegin Trudi Schmidt mit Schreiben Welche Umstände haben zu dem Zugunglück am 24. Januar vom 30. Oktober 1991 im Namen aller saarländischen Bundes- 1992 bei Lehrte geführt, und welche Schlußfolgerungen zieht die tagsabgeordneten erbetene Gespräch mit einem Vertreter der Deutsche Bundesbahn hieraus? politischen Leitungsebene des Bundesministeriums für Verkehr Wie kommt es, daß allein im Bereich Hannover die Lokführer über die ortsdurchfahrtsfreie Verbindung zwischen der BAB im vergangenen Jahr durchschnittlich 26 Tage mehr arbeiten A 620 (Saarlouis) und dem Autobahnkreis St. Avoid einschließ- mußten als tariflich vorgesehen, und aus welchen Gründen lich einer Querspange zwischen der BAB A 620 und B 51 (neu) gehen Lokführer der Deutschen Bundesbahn im Schnitt bereits zustande? mit 55 Jahren in den Ruhestand?

Zu Frage 91: Zu Frage 96: Das bedauerliche Zugunglück im Bahnhof Lehrte Mit den angesprochenen Äußerungen, die in der am 24. Januar 1992 ist auf menschliches Versagen „Saarbrücker Zeitung" vom 27. Januar 1992 wieder- zurückzuführen. gegeben sind, hat Bundesminister Prof. Dr. Töpfer unterstrichen, daß er den Weiterbau der A 8 von Für etwaige, bisher nicht erkennbare Schlußfolge- Merzig/Wellingen bis zur luxemburgischen Grenze rungen aus dem Unfallgeschehen bleiben die gericht- für vordringlich erachtet. lichen Untersuchungen abzuwarten.

Dementsprechend hat die Bundesregierung dieses Zu Frage 97: Projekt in die Liste der für eine Privatfinanzierung in Betracht kommenden Verkehrsinvestitionen aufge- Mehrleistungen in Funktionen wie dem Lokfahr- nommen. dienst der Deutschen Bundesbahn sind betriebsbe- dingt und unvermeidbar, wenn das Leistungsangebot der Deutschen Bundesbahn täglich gefahren werden Zu Frage 92: soll. Sie werden in der Regel in einem angemessenen Zeitraum durch Freizeit ausgeglichen. Die Mehrlei- Im Einvernehmen mit der Kollegin Trudi Schmidt stungen entstehen durch Wochenfeiertage, Sonder- wurde zunächst auf einen konkreten Gesprächster- leistungen, deren zeitliche Abwicklung nicht vorher- min verzichtet, weil die Bewertungsergebnisse für sehbar ist, und durch Abweichungen gegenüber der diese Straßenbaumaßnahmen noch nicht vorliegen. ursprünglichen betrieblichen Planung, zum Beispiel bei Verspätungen. Hierfür und für den Freizeitausgleich hält die Deut- sche Bundesbahn entsprechendes „Mehr-Personal" vor. Die Unergiebigkeit des Arbeitsmarktes hat in den letzten Jahren vor allem im Lokfahrdienst zu Perso- Anlage 33 nalengpässen geführt, die durch Mehrleistungen des Antwort vorhandenen Personals ausgeglichen werden müs- sen. Durch die Verkürzungen der gesetzlichen des Parl. Staatssekretärs Dr. Dieter Schulte auf die Arbeitszeit ist diese Situation noch verschärft worden. Frage des Abgeordneten Wolfgang Börnsen (Bön- Die Beanspruchung des Personals durch Mehrarbeit strup) (CDU/CSU) (Drucksache 12/2051 Frage 95): wird auch am Stand der noch auszugleichenden Mehrleistungen deutlich. Er liegt im Bereich der Wie hat sich in den vergangenen Jahren die Unfallhäufigkeit an Bahnübergängen, die nicht durch Halbschranken gesichert Bundesbahndirektion Hannover mit 16,1 Tagen pro sind, entwickelt, und wie beurteilt die Bundesregierung den Lokführer im Durchschnitt der Deutschen Bundes- Vorschlag, in Anbetracht der oftmals schrecklichen Folgen von bahn. Die Deutsche Bundesbahn hat mich darauf Zusammenstößen von Personenkraftwagen und Zügen an Bahn- hingewiesen, daß die Lokführer im Bereich Hannover übergängen die Unfallfolgen durch bauliche Veränderungen der Lokomotiven, z. B. Abweiser, zu mildern? 4 % mehr Jahresurlaub nehmen konnten als ihre Kollegen im Bundesbahn-Durchschnitt. Die arbeitsrechtlichen Schutzvorschriften (soge- Die Zahl der Unfälle an Bahnübergängen im nannte Dienstdauervorschriften) werden trotz der Bereich der Deutschen Bundesbahn hat sich stetig angespannten Situation von der Deutschen Bundes- verringert. So sank die Gesamtzahl der Unfälle an bahn stets eingehalten. Bahnübergängen von 793 im Jahre 1970 auf 308 im Jahre 1990. Eine entsprechende Entwicklung ist auch Die Tauglichkeitsanforderungen, die wegen der an den Bahnübergängen eingetreten, die nicht mit Betriebssicherheit an die im Betriebsführungsbereich Halbschranken gesichert sind. beschäftigten Mitarbeiter gestellt werden müssen, führen zusammen mit sonstigen gesundheitlichen Abweiser oder Energieverzehreinrichtungen an Belastungen durch unregelmäßigen Dienst häufiger führenden Fahrzeugen der Eisenbahnen stellen aus als sonst zur vorzeitigen Dienstunfähigkeit. Für Lok- physikalischen Gründen kein geeignetes Mittel dar, führer der Deutschen Bundesbahn liegt sie zwischen Unfälle auf Bahnübergängen zu verhindern oder dem fünfundfünfzigsten und sechsundfünfzigsten etwaige Unfallfolgen zu mildern. Lebensjahr. Dieser Sachverhalt trifft auch auf Mitar- Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 76. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Februar 1992 6395*

heiter in anderen Funktionen (Rangierdienst, Zug- nungsgesellschaft Schnellbahnbau Hannover-Berlin begleitdienst, örtlicher Betriebsstellendienst) zu. mbH um Stellungnahme dient der Vorbereitung die- ses Gesetzes. Die Anlagen zum Gesetzentwurf wer- den alle Unterlagen zur Abwägung öffentlicher und privater Belange enthalten. Hierüber wird der Deut- Anlage 35 sche Bundestag entscheiden. Antwort Zu Frage 101: des Parl. Staatssekretärs Dr. Dieter Schulte auf die Die Planungsgesellschaft Schnellbahnbau Hanno- Frage des Abgeordneten Dr. Olaf Feldmann (FDP) (Drucksache 12/2051 Frage 98): ver-Berlin mbH hat verschiedene Alternativen zur Trassenführung im Raum Stendal untersuchen lassen. Warum hat die Deutsche Bundesbahn bisher in ihren Groß- Dabei erwies sich die Südumfahrung Stendals aus raumwagen zur Personenbeförderung erster und zweiter Klasse in den ICE/EC/IC-Zügen anstelle der halb-offenen Glastrenn- ökologischer und finanzieller Sicht als die beste Vari- wände zwischen den Sitzreihen kein geschlossenes Trennsy- ante. stem (durch Glasschiebetüren oder andere Techniken) zwischen den Raucher- und Nichtraucherbereichen eingeführt, um das krebsfördernde und allgemein gesundheitsschädliche passive Mitrauchen für Nichtraucher möglichst gering zu halten, und ist die Deutsche Bundesbahn grundsätzlich bereit, ein solches geschlossenes Trennsystem für beide Klassen in ihren Groß- Anlage 37 raumwagen einzuführen, wie dies bei der Schweizer Bundes- bahn in den sogenannten Clubwagen durch ein entsprechendes Antwort geschlossenes Trennsystem bereits seit Jahren praktiziert wird? des Parl. Staatssekretärs Dr. Dieter Schulte auf die Frage des Abgeordneten Horst Kubatschka (SPD) In den Großraumwagen der Deutschen Bundes- (Drucksache 12/2051 Frage 102): bahn erfolgt die Führung der Zu- und Abluft so, daß Trifft es zu, daß beim neuen Flughafen München II möglicher- Luft aus dem Raucherteil nicht in den Nichtraucherteil weise nur die Hälfte aller in den Schutzzonen liegenden Anwe- des Wagens gelangen kann, da die Luft durch entspre- sen bis zur Flughafeneröffnung mit den ihnen rechtlich zuste- henden Lärmschutzvorrichtungen ausgestattet sein werden, und chende Gestaltung der Luftkanäle von der Wagen- was sind die Gründe für eine derartige Verzögerung? mitte aus zu den Wagenenden strömt. Da der Raucher- teil nur ein Drittel der Großraumwagenfläche aus- macht, besteht ein beträchtlicher Abstand zur Wagen- Die Anträge der nach Planfeststellungsbeschluß für mitte, so daß keine Luft mit Rauchbestandteilen zur den Flughafen München II berechtigten Antragsteller anderen Wagenseite strömen kann. Aus diesem auf Erstattung baulicher Schallschutzaufwendungen Grunde beabsichtigt die Deutsche Bundesbahn nicht, gehen im wesentlichen erst seit Dezember 1991 bei zusätzliche Trennwände oder -türen in ihren- Groß- der Flughafengesellschaft ein. Davon werden bis zur raumwagen einzuführen. Inbetriebnahme des Flughafens rund 750 Anträge für die hauptbetroffenen Gemeinden beschieden worden sein. Der Einbau der Lärmschutzeinrichtungen ist danach Sache der Hauseigentümer selbst. Anlage 36 Antwort des Parl. Staatssekretärs Dr. Dieter Schulte auf die Fragen des Abgeordneten Reinhard Weis (Stendal) (SPD) (Drucksache 12/2051 Fragen 100 und 101): Anlage 38 Wie sichert die Bundesregierung im Planfeststellungsverfah- Antwort ren der Hochgeschwindigkeitsstrecke Hannover-Berlin die Unparteilichkeit der Planfeststellungsbehörde gegenüber dem des Parl. Staatssekretärs Dr. Dieter Schulte auf die Vorhabensträger, wenn sie gestattet, daß die Planungsgesell- Frage des Abgeordneten Dr. Wolfgang Weng (Gerlin- schaft Schnellbahnbau mit Schreiben vom 15. November 1991 gen) (FDP) (Drucksache 12/2051 Frage 103): Stellungnahmen von Trägern öffentlicher Belange unter Hin- weis auf ein vorhandenes Investitionsmaßnahmegesetz abfor- Ist die Bundesregierung der Auffassung, daß die privatver- dert? traglichen Gegebenheiten im Zusammenhang mit dem Neckar- hafen Plochingen einer Revision bedürfen, weil entgegen der Wird die Bundesregierung für die Trassierung der Hochge- ursprünglichen Planung der Neckar nicht weiter schiffbar schwindigkeitsstrecke Hannover-Berlin im Streckenabschnitt gemacht wird und damit Plochingen Endhafen bleibt? Vinzelberg-Hämerten vertiefende Untersuchungen von Alter- nativen zur Südumfahrung, wie sie von der Stadt Stendal eingeklagt werden, veranlassen, falls die Planfeststellung über Der Bundesminister für Verkehr ist grundsätzlich das Verfahren eines Investitionsmaßnahmegesetzes durchge- führt werden soll? damit einverstanden, daß die privatvertraglichen Gegebenheiten im Zusammenhang mit dem Neckar- hafen Plochingen, insbesondere wegen der Ablage- Zu Frage 100: rungen im Durchstich, einer Überprüfung unterzogen Die Bundesregierung beabsichtigt, die planungs- werden. Hierbei ist davon auszugehen, daß der Hafen rechtlichen Grundlagen für die Südumfahrung Sten- Plochingen nach der Entscheidung, den Neckar ober- dals durch ein Investitionsmaßnahmengesetz zu halb Plochingen nicht mehr auszubauen, Endhafen schaffen. Die in der Frage angeführte Bitte der Pla der Neckarwasserstraße bleibt. 6396* Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 76. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Februar 1992

Die Bereitschaft zu der Überprüfung war der Stadt Anlage 39 Plochingen bereits im Jahre 1981 mitgeteilt worden. Antwort Da allerdings zunächst die Wirkung von Maßnahmen außerhalb der Wasserstraße, von denen m an sich eine des Parl. Staatssekretärs Dr. Dieter Schulte auf die Verbesserung der Ablagerungsverhältnisse im Be- Frage des Abgeordneten Albrecht Müller (Pleiswei- reich des Neckardurchstichs erhofft hat, abgewartet ler) (SPD) (Drucksache 12/2051 Frage 104): werden sollten, sind entsprechende Verhandlungen Welche Maßnahmen hat die Bundesregierung ergriffen und bisher noch nicht aufgenommen worden. welche gedenkt sie zu ergreifen, um der Forderung vom Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, Es geht hierbei insbesondere um die Frage, inwie- Dr. Klaus Töpfer, vom 14. November 1991 nach einer „umwelt- gerechten Verkehrspolitik" und speziell zur „Verkehrsvermei- weit sich aufgrund der erheblichen Ablagerungen im dung" gerecht zu werden? Neckardurchstich für die Stadt Plochingen bei der Erfüllung ihrer vertraglichen Unterhaltungsverpflich- tung unzumutbare Belastungen ergeben haben. Das 1. Optimierung der Transportabläufe durch ent- Ergebnis dieser Überprüfung muß so stichhaltig sein, sprechende Gestaltung der ordnungs- und investi- daß es die Anwendung des § 9 des Hafenvertrages tionspolitischen Rahmenbedingungen unter anderem von 1965 (Vertragsanpassung bei wesentlicher Ände- zur Erhöhung des Auslastungsgrades beziehungs- rung der Verhältnisse) rechtfertigt. weise Besetzungsgrades und zur Vermeidung von Leerfahrten. Die Frage soll zunächst gemeinsam von der Wasser- 2. Verlagerung von Straßenverkehr auf energie- und Schiffahrtsdirektion Südwest und der Stadt effizientere und damit umweltfreundlichere Ver- Plochingen untersucht werden. Die Wasser- und kehrsmittel sowie Schiffahrtsdirektion Südwest wurde beauftragt, sich mit der Stadt Plochingen in Verbindung zu setzen, um 3. technische Verbesserung der Verkehrsmittel einen gemeinsamen Lösungsvorschlag zu erarbei- selbst zur Verminderung schädlicher Emissionen und ten. zur Kraftstoffeinsparung.