Deutschland

CDU Der Mann im Schatten Seine Ämter haben inzwischen andere, seine Macht haben sie nicht. Plant Wolfgang Schäuble ein Comeback? Von Tina Hildebrandt

nichtsnutzige Zeitgenossen geisti- ge Überlegenheit spüren zu las- sen, haben seit jeher Distanz zwi- schen Schäuble und seiner Umge- bung geschaffen. Herrisch, kalt, fast unmensch- lich in seiner Kontrolliertheit fan- den und finden ihn viele. In der Fraktion, die er acht Jahre lang streng geführt hat, sowieso. Auch in seinem eigenen Landesverband Baden-Württemberg war Schäuble nie unumstritten. Seit seinem putschartigen Sturz vom Chefsessel der CDU ver- größert ein kollektives schlechtes Gewissen die Distanz. In der Frak- tion sitzt Schäuble hinten links bei seiner Landesgruppe, im Plenum des Bundestags in der zweiten Reihe. Ein Denkmal der Disziplin, das die so genannten Spitzenkräf- te in der ersten Reihe durch bloße Anwesenheit deklassiert und alle anderen daran erinnert, dass sie einen erfolgreichen Parteichef dem Rechtsbrecher

STEFFEN SCHMIDT / AP SCHMIDT STEFFEN geopfert haben. CDU-Politiker Schäuble: „Ich beschäftige mich nicht mit Posten“ Schäuble weiß das alles. Er hat oft unter dieser Distanz gelitten. ie Hände senken sich auf das Ge- sagt, „können mich das überhaupt nicht Umso mehr genießt er die Wertschätzung, sicht wie ein Vorhang auf die Büh- fragen. Fragen können mich nur die Vor- die ihm nun von Parteifreunden wie dem Dne. Blaue Augen spähen belustigt sitzenden von CDU und CSU.“ sächsischen Premier Kurt Biedenkopf, dem zwischen den Fingern hervor, dann lässt Anderthalb Jahre ist es her, dass sie ihn Thüringer oder dem CSU- Wolfgang Schäuble ein mildes Grinsen se- als Partei- und Fraktionschef verjagt ha- Mann entgegengebracht hen. Dass da ein paar Parteifreunde wirk- ben. Jetzt steckt die Partei tief im Schla- wird. lich geglaubt hatten, er werde im CDU- massel. Seine Ämter haben andere, seine Doch sosehr Schäuble es auskostet, den Präsidium erklären, dass er nicht als Kanz- Macht haben sie nicht. Jetzt brauchen sie Überlegenen zu spielen, so unzweifelhaft lerkandidat zur Verfügung stehe – also das, ihn. Wahrscheinlich glaubt Schäuble selbst ist für alle, die ihn kennen, dass er einem sagt er, „finde ich einfach süß“. nicht, dass er die Union 2002 als Kanzler- Ruf seiner Partei nur zu gern folgen wür- Trägt er nicht zur Beschädigung seiner kandidat in den Wahlkampf gegen Ger- de. Wenn er käme. Und wenn er laut ge- Nachfolgerin bei, weil er hard Schröder führen wird. Aber man traut nug vernehmbar wäre. die Debatte nicht beendet? Schäuble lässt es ihm wieder zu, vor allen anderen in der Elf Jahre ist es her, dass ein Attentäter ein wenig Missbilligung auf seiner Stirn CDU. Das ist es, was für ihn zählt. Er könn- ihn fast umgebracht hat. Damals hat aufziehen. „Ich habe wohl in 20 Jahren be- te. Einige finden, er müsste. Schäuble sich zum Leben entschlossen, wiesen, dass mir das Wohl der Partei wich- Schäubles Triumph liegt im Konjunktiv. und das hieß für ihn zur Politik. Gut einen tiger ist als persönliche Ambitionen“, sagt Auf den Mann im Schatten, der noch vor Monat nach dem Anschlag arbeitete der er streng. An Loyalität soll ihn erst mal ei- gut einem Jahr die dubiose Vergangenheit damalige Bundesinnenminister schon wie- ner überbieten. Zweifel? „Die verbitte ich der CDU verkörperte, richten sich nun der am Einigungsvertrag. Es soll ironisch mir“, grollt Schäuble mit kalkulierter Hef- wieder Zukunftshoffnungen. klingen, wenn Schäuble sagt, Politik falle tigkeit. Es fällt nicht leicht, sich Wolfgang „unter die Suchtkrankheiten“. Doch es ist Keiner hat es gewagt, ihm in der Frakti- Schäuble zu nähern. Am Rollstuhl – soll die Wahrheit. on die Frage zu stellen, die alle interes- man sich zu ihm hinunterbeugen oder lie- Er selbst sieht den vorbildlichen Politiker, siert: Will er nun überhaupt Kandidat wer- ber neben ihn setzen, oder ist das zu ver- also sich selbst, gern als glücklichen Sisy- den oder nicht? Dabei hatte Wolfgang traulich? – liegt das nicht allein. Rechtha- phos, der unverdrossen mit Würde und Au- Schäuble sich schon eine Antwort über- berei und die Angewohnheit, begriffsstut- torität den Stein den Berg hinaufrollt. „Ja, legt. „Sie“, hätte er freundlich lächelnd ge- zige, schlecht vorbereitete oder andere willst du es denn werden?“, hat ihn seine

90 46/2001 Frau gefragt, als es darum den weisen Yoda aus dem ging, bei der Berliner Land- Kino-Epos „Starwars“ vor. tagswahl die Spitzenkandida- Yoda ist der Lehrmeister der tur zu übernehmen. „Nein“, mit besonderen Kräften aus- hat er geantwortet. „Warum gestatteten Jedi-Ritter, eine solltest du es dann machen?“, unscheinbare, kleine Gestalt, hat sie gefragt. „Weil es in der die nur aus Ohren und Ge- Politik nicht darum geht, dass sicht zu bestehen scheint, man macht, was man will“, aber durch ihre Gedanken hat er entgegnet. Dinge bewegen kann. Yoda Wenn man diese Disziplin ist die personifizierte Macht nicht mehr aufbringt, meint des Geistes. der badische Protestant Ohne Posten, durch die Schäuble, dann ist ein Politi- Macht seines Geistes hat ker am Ende. Dann dürfte er Wolfgang Schäuble es ge- auch nicht mehr für den schafft, dass viele in ihm jetzt kandidieren. erneut die eigentliche Num- Wolfgang Schäuble ist jetzt mer eins der CDU sehen. 59 Jahre alt, und am Ende Doch vermutlich werden fühlt er sich noch lange nicht. über seine Zukunft wieder

Über zehn Jahre lang hat FOCUS / AGENTUR K. R. MÜLLER andere entscheiden. Denn Schäuble im Auftrag seines Christdemokraten Kohl, Schäuble (1997)*: Geistiger Ausnahmezustand nur wenn Entdeckers Helmut Kohl den und Angela Merkel sich frei- Stein den Berg hinaufgerollt, als Kanzler- stecken. Dann bekommt man immer, was willig aus ihrem nicht erklärten Rennen amtsminister, Innenminister, Architekt der man will. Und was man nicht bekommt, zurückziehen, hat der Außenseiter-Kandi- deutschen Einheit, Fraktionschef. das hat man eben nie gewollt. dat Schäuble eine Chance. Er wird kaum Als immer deutlicher wurde, dass Kohl „Ich beschäftige mich nicht mit Posten“, den Oskar machen beim Parteitag der CDU abgewirtschaftet hatte, erschien Schäuble sagt er heute, „plane nichts in dieser Rich- in Dresden Anfang Dezember und gegen vielen, wenn nicht den meisten seiner tung.“ In seinem karg eingerichteten Büro Merkel putschen, so wie Lafontaine es 1995 Parteifreunde als der bessere Kanzlerkan- trägt der Hobby-Schachspieler am liebsten in Mannheim gegen Rudolf Scharping tat. didat. Nach einer fulminanten Rede beim Hemd und Pulli. Äußerlichkeiten und Sta- Denn kaum wäre Schäuble Kandidat, das Leipziger Parteitag kürten ihn die CDU- tussymbole sind dem Badener, dem trotz weiß er so gut wie seine Unterstützer, wäre Mitglieder 1997 per Applaus zur eigentli- seiner Bodenständigkeit alles Süddeutsch- der Rollstuhl wieder ein Thema. Und vie- chen Nummer eins. Barocke völlig abgeht, erkennbar egal. les mehr. Zum Beispiel die Zweifel an sei- Kohl erkannte die Gefahr und degra- Wenn Schäuble mal ausgelassen ist, gönnt er ner Version der 100000-Mark-Spende, die dierte ihn zum Nachfolger, „eines Tages“. sich am Abend zum Rotwein eine Pfeife. die Staatsanwaltschaft in ihrer Verfügung Schäuble kämpfte nicht. Er verwendete sei- Sein Ehrgeiz, will Schäuble glauben zur Einstellung des Ermittlungsverfahrens ne Kraft darauf, sich zurückzunehmen, wie machen, sei intellektueller Art. Gestalten, geäußert hat. Und nicht zuletzt die Angst gefragt sein, seine Meinung durch- vor neuen Intrigen des Altkanzlers Helmut Prozent Schäubles Comeback? setzen, das sei es, was er wolle. Kohl, der sich nach Angaben von Partei- 70 Seine Nachfolger mögen Ämter freunden im „geistigen Ausnahmezustand“ Befragte, die Wolfgang haben, er hat lieber Einfluss. befindet, seit Gerüchte von einem mögli- 65 Schäubles politische Arbeit Schäuble war es, der sich im par- chen Comeback Schäubles kursieren. positiv einschätzen teiinternen Hickhack um einen Andererseits – ausschließen will den 60 Nato-Einsatz in Mazedonien durch- Kandidaten Schäuble derzeit auch nie- setzte. Schäuble war es, der sein mand. Seinen Unterstützern in CDU und Spenden- 55 55 Anliegen, die Bundeswehr auch CSU reicht angesichts der desolaten Lage Regierungs- affäre 50 wechsel 50 im Inneren einsetzen zu können, der Partei schon die Vorstellung, dass Wolf- zur Parteiforderung machte. Und gang Schäuble wieder als Ordnungsfaktor Quelle: Emnid bis Juli 2001, 45 Infratest ab September 2001; 45 Schäuble war es, den der Kanzler mitmischt. Der Umworbene genießt und bis inkl. 1999 Quartalswerte; nach dem 11. September als Ersten hält sich alles offen. 40 rund 1000 Befragte 40 von der Opposition angerufen hat, Der Grund seines Scheiterns, schreibt 1998 1999 2000 2001 weil er ihn als Einzigen in der CDU Schäuble in seinem Buch „Mitten im Le- für geschäftsfähig hält. ben“, „war, dass ich in einer schweren Kri- es seiner Vorstellung von der Pflicht eines Und dennoch: Politik in der Medienge- se der Union, die mit der vorübergehenden Politikers entspricht. sellschaft, das sind große Gesten, Körper- Selbstzerstörung des Ansehens unserer 16 Nach der verheerenden Wahlniederlage sprache, Inszenierung. Wer im Rollstuhl Jahre Regierungsverantwortung einher- von 1998 übernahm Schäuble als Partei- sitzt, hat es schwer im Zirkus der Talk- ging, ungeeignet erschien, die Partei aus vorsitzender das, was von der CDU nach 16 Gladiatoren. Den Tisch vor sich braucht dieser Krise zu führen, weil ich viel zu eng Jahren Helmut Kohl übrig geblieben war. Schäuble zum Abstützen, zu ausladenden mit diesen 16 Jahren verbunden war“. Dann kam die Spendenaffäre. Schäuble Gesten kann er kaum ausholen. Also hat er Die Passage klingt heute missverständ- kämpfte um seine Ehre, um seine Posten aus der Not eine Tugend gemacht, hat sich lich, findet der Autor. Gemeint hat er, dass kämpfte er nicht. auf die Kunst des Minimalismus verlegt, er der Falsche war in einer Situation, in der Vielleicht ist es richtig, dass er gar keine hat gelernt, mit dem Gesicht auszudrücken, sich der Abschied von der Ära Kohl im Chance zum Kämpfen hatte, weil das die wofür andere den ganzen Körper brauchen. Streit mit dem Altkanzler vollziehen musste. harmonieversessene Christenunion zerris- Die Jüngeren in der Fraktion stellen sich Aber die Ära Kohl ist ja vorbei, nicht sen hätte. Man kann sich hinter der Fassa- Wolfgang Schäuble deshalb gelegentlich als wahr? „Mein künftiges politisches Leben“, de des Pflichtmenschen, der sich klaglos in sagt Wolfgang Schäuble, „ist von den 16 sein Schicksal fügt, natürlich auch ver- * In Helmut Kohls Arbeitszimmer im Bonner Kanzleramt. Jahren in keiner Weise beeinträchtigt.“ ™

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