Die Akte Ramelow
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dietz berlin dietz berlin dietz Ein Bericht aus dem nicht beendeten Kalten Krieg. Bodo Ramelow, ein Gewerkschaftsfunk- tionär, der 1990 von Hessen nach Thüringen Stefan Wogawa wechselte und dort in die Politik geriet, enga- gierte sich in der »falschen« Partei. Deshalb wurde über den stellvertretenden Vorsitzen- den der Bundestagsfraktion DIE LINKE ein Aus nahmerecht verhängt. Ramelow steht seit Die Akte Jahren unter Beobachtung verschiedener Ge- heimdienste, gegen die er sich sowohl politisch Die AkteDie Ramelow als auch juristisch wehrt. Ramelow Die deutschen Geheimdienste sind auf dem Wege, »sich an allen parlamentarischen Kon- trollen vorbei in eine politische Geheimpolizei Ein Abgeordneter zu verwandeln« (Oskar Lafontaine). im Visier der Geheimdienste ISBN 978-3-320-02126-9 9 783320 021269 Mit einem Vorwort von Oskar Lafontaine Stefan Wogawa Stefan Stefan Wogawa Die Akte Ramelow STEFAN WOGAWA Die Akte Ramelow. Ein Abgeordneter im Visier der Geheimdienste Mit einem Vorwort von Oskar Lafontaine Karl Dietz Verlag Berlin Karikaturen auf dem Umschlag Harald Kretschmar: »Hallo Bodo«, »Die heiße Spur« ISBN 978-3-320-02126-9 © Karl Dietz Verlag Berlin GmbH 2007 Umschlag: Heike Schmelter unter Verwendung von zwei Karikaturen von Harald Kretschmar Typographie/Satz: Jörn Schütrumpf Druck und Bindearbeit: MediaService GmbH BärenDruck und Werbung Printed in Germany Oskar Lafontaine: Vorwort 7 Gespräch im »Hochsicherheitstrakt« 9 Satanische Gewerkschafter 15 »Nähere Begründung erfolgt nicht« 25 Ein Politologe als Denunziant 50 »Schmutzfink wäre angebracht« 59 »Bei Bespitzelung in die Offensive gehen« 78 »Verdichteter Verdacht wegen Funktionärstätigkeit« 98 Der dritte Mann 117 Keine »privilegierende Sonderbehandlung« 131 Allerlei »Lug und Trug« 151 Wenn nötig bis nach Straßburg 163 Gegen obrigkeitsstaatliches Gebaren 181 Oskar Lafontaine Vorwort In keinem Fall darf ein Grundrecht in seinem Wesensgehalt angetastet werden. Grundgesetz, Artikel 19 (2) Die Behörden, die sich Verfassungsschutz nennen, haben die Einhaltung der Verfassung, und zwar die Einhaltung der Verfassung durch alle Teile der Gesellschaft zu schützen. Dass auch die Regierungen in Bund und Ländern zu dieser Gesellschaft zählen, wussten noch die Väter des Grundgesetzes – sie verstanden sich als Dienende am Volk –; manchen Politikern von heute jedoch erscheint das ein absurder Gedanke. Entspre- chend benehmen sie sich. In Deutschland werden seit den siebziger Jahren des vorigen Jahrhun- derts die Grundrechte eingeschränkt. Die Verfassungsschutzbehörden spielen dabei eine zentrale Rolle. Das erste bekannt gewordene Opfer il- legaler Geheimdienstoperationen in der Bundesrepublik war der Atom- physiker Klaus Traube, in dessen Wohnung vom Verfassungsschutz am 30. Dezember 1975 – unter dem Codeword Müll – Abhörwanzen instal- liert wurden. Bundesinnenminister Werner Maihofer (FDP) hatte diesen vorsätzlichen Verstoß gegen geltendes Recht abgesegnet – und musste deshalb 1978 gehen. Seitdem sind die Versuche, Artikel 19 (2) des Grundgesetzes zu verlet- zen, sowohl im Bund als auch in etlichen Ländern integraler Bestandteil der Regierungspolitik. Der Große Lauschangriff, von der CDU/CSU/ FDP-Regierung 1998 beschlossen, traf im eigenen Lager nur auf wenig Widerstand. Die Ausnahme war Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, die aus Protest gegen die Entscheidung ihrer eigenen Partei ihr Amt als Bundesjustizministerin niederlegte. Solche Gewissensbisse kennen der derzeitige Bundesinnenminister und der Bundesverteidigungsminister nicht. Sie üben den Verfassungs- bruch geradezu in Permanenz. Erinnert sei hier nur an den durch nichts zu rechtfertigenden Bundeswehreinsatz im Inneren anlässlich des G8- Gipfels und die menschenverachtenden Pläne, Passagierflugzeuge im Fall der Gefahr, dass ein entführtes Flugzeug für einen Terroranschlag genutzt werden könnte, abzuschießen. Dass das Bundesverfassungsge- richt einen solchen Abschuss als grundgesetzwidrig abgelehnt hat, hin- 7 dert den Bundesverteidigungsminister nicht daran, zu bekräftigen, ein entführtes Passagierflugzeug dennoch abschießen zu lassen, wenn es für einen Anschlag genutzt werden soll. Vergessen werden sollte ebenfalls nicht, dass das umstrittene Luftsicherheitsgesetz noch unter der Koaliti- on von SPD und Grünen vom damaligen Innenminister Otto Schily ent- worfen worden ist. Der von den Regierenden betriebene sicherheitspolitische Umbau geht einher mit einer zielgerichteten Demolierung des Sozialstaates: Das jüngste Beispiel ist die von der Großen Koalition gekürzte Pendlerpau- schale. Gegen sie ist eine Verfassungsbeschwerde anhängig. Das Nieder- sächsische Finanzgericht hat bereits festgestellt, dass die Neuregelung gegen den allgemeinen Gleichheitssatz aus Artikel 3 des Grundgesetzes verstoße. Die Große Koalition hat dies nicht zum Anlass genommen, das vor allem gegen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer gerichtete Gesetz zurückzunehmen, sondern will dies bis zur Entscheidung des Bundesver- fassungsgerichts aussitzen. Im krassen Gegensatz zu dem von der SPD und den Grünen unter Bundeskanzler Schröder vorangetriebenen und jetzt von der Großen Ko- alition fortgesetzen Sozialabbau stehen die unverschämten Entlastungen für Vermögende in Deutschland. Das Grundgesetz schreibt jedoch vor, das Eigentum verpflichtet. »Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen«, heißt es in Artikel 14. Offensichtlich sitzen die Verfassungsfeinde in der Regierung, nicht in der Opposition. Die Recherchen von Stefan Wogawa über die systematische Beobach- tung des frei gewählten Abgeordneten Bodo Ramelow zeigen wie in ei- nem Fixierglas, dass sich Geheimdienste, die sich zu großen Teilen der parlamentarischen Kontrolle entziehen können, die freiheitlich-demo- kratische Grundordnung zerstören. Die Behörden, die Verfassungsschutz heißen, sind auf dem Weg, sich an allen parlamentarischen Kontrollen vorbei in eine politische Geheimpolizei zu verwandeln. Das gilt es zu verhindern. Da diese Behörden die Öffentlichkeit scheuen wie Wanzen das Licht, wurde dieses Buch geschrieben. Berlin, am 9. November 2007 8 Gespräch im »Hochsicherheitstrakt«. Berichte aus dem nicht beendeten Kalten Krieg Berlin, Wilhelmstraße, mitten in der neuen Mitte der Hauptstadt. Der wuchtige Büroblock, der den Namen »Paul-Löbe-Haus« trägt, gehört zu einem ausgedehnten Gebäudekomplex, in dem die zahllosen Büros der Bundestagsabgeordneten und ihrer Mitarbeiter untergebracht sind. Zum Reichstag sind es nur einige hundert Meter. Um zum Hauptstadtstudio der ARD zu gelangen, muss man lediglich die Straße überqueren, in zehn Minuten hat man den neuen Hauptbahnhof erreicht. Einen Parlamentarier kann man nicht so einfach besuchen. Hinter zwei Glastüren wartet die Einlasskontrolle. Zum Bundestagsabgeordneten Ra- melow, Fraktion DIE LINKE. Einen Termin?, fragt die uniformierte blon- de Dame hinter der Panzerglasscheibe durch eine Mikrofonanlage. Ja. Der Personalausweis landet in der Ablage beim Einlassdienst, ein Gä- steausweis wird ausgehändigt, er muss im Gebäude immer sichtbar getra- gen werden. Die Sicherheitsschleuse kennt man von Flughäfen, das Perso- nal ist freundlich, aber bestimmt. Gepäck und Kleidung werden überprüft. Auch nach den Kontrollen sind für Gäste keine Alleingänge möglich. Bit- te warten, ein Mitarbeiter des Abgeordneten ist schon unterwegs. Ohne ihn wäre man in dem modernen Monumentalbau rettungslos verloren. Zunächst bitte durch die Tür hier links, jetzt diesen Gang ent- lang, zwei Treppen nach oben, dann über die Brücke in den Gebäudeteil A, anschließend mit dem Aufzug ins Stockwerk 5, nun nach rechts … Das Innere des Bürogiganten entpuppt sich als ein wahrer Irrgarten aus Gängen, Treppen, Fahrstühlen und Türen. Der Weg ist unübersichtlich und lang, die Gedanken schweifen fast unwillkürlich ab. Als Beamte der Polizei von Washington in der Nacht zum 17. Juni 1972 mehrere Einbrecher im Wahlkampfhauptquartier der Demokrati- schen Partei im ebenso labyrinthischen Bürotrakt des gewaltigen Water- gate-Komplexes festnahmen, entwickelte sich ein innenpolitischer Skan- dal, der US-Präsident Richard Nixon schließlich sein Amt kostete. Weil ihm eklatante Rechtsbrüche und der Missbrauch seiner Regierungsvoll- machten hatten nachgewiesen werden können, tritt der Republikaner Ni- xon am 9. August 1974 zurück, Auch die Bundesrepublik Deutschland erlebt einen Skandal mit hoher Brisanz, es geht um nicht weniger als die Beobachtung frei gewählter Landtags- und Bundestagsabgeordneter durch deutsche Geheimdienste, 9 um Verbindungen dieser »Dienste« zu Regierungsparteien und deren Stiftungen, um geheimdienstliche »Parteikisten« (wie ein Insider sie nennt), um Wissenschaftler, die unter Tarnnamen politische Propa- gandatraktate publizieren, um Geldwäsche, um illegale Parteispenden und seltsame Wahlkampfpraktiken. Doch hierzulande verteidigen gleich mehrere Regierungen diese Methoden und betonen die vermeintliche Rechtsmäßigkeit ihres Handelns. Vom Ende der Schnüffelei ist keine Rede, von Rücktritten erst recht nicht. Wir sind gleich da, erinnert der Mitarbeiter der Linksfraktion an den Grund des Besuchs in Berlin. Er zeigt auf einen breiten, hell erleuchteten Gang und erklärt, dass die Abgeordneten auf diesem Weg unterirdisch di- rekt zum Reichstag laufen können, ohne bei Regen nass zu werden – oder einem einzigen normalen Bürger begegnen zu müssen. Die Architektur der eigentlichen Abgeordnetentrakte ist eigenartig. Um riesige, von Geländern begrenzte Lichtschächte ziehen sich, Etage über Etage, die Gänge hin, von denen hunderte Bürotüren abgehen. Die Etagen wiederum sind