Deutschland
denten unterstützen, weisen alle Beteiligten pflichtgemäß zurück. Aber, räumt CDU-Generalsekretär Laurenz Meyer ein: „Alles hängt mit allem zusammen.“ Und das wisse schließlich auch die FDP.
Die Freidemokraten, so heißt es, hätten durchblicken lassen, sie würden einen Kandidaten Wolfgang Schäuble wohl mitwählen. Einen eigenen Bewerber um das höchste Staatsamt aufzustellen, wie die Parteispitze um Westerwelle eine Zeit lang erwogen hat, dazu fehlt den Liberalen zurzeit das politische Gewicht.
PA R T E I E N
„Bürgerliche Gegenwehr“
Nach dem Treueschwur des Regierungsduos
Schröder/Fischer schmieden auch Angela Merkel und
Guido Westerwelle ihr Wahlbündnis 2006.
leich nach dem Frühstück telefonierte Gui-
G
do Westerwelle am
Donnerstag vergangener Woche mit dem bayerischen Mi-
Im Bundesrat sind CDU/
CSU und FDP aufeinander angewiesen, wenn sie die Pläne der Regierung blockieren wollen. Die Union hat nicht vergessen, dass es der liberale Parteivize Rainer Brüderle war, der Gerhard Schröders Steuerreform 2000 zum Erfolg verhalf. Und sie weiß, dass ihr demoskopisches Hoch kein Grund zum Übermut sein sollte. „Die guten Umfragewerte dürfen die Union nicht zu dem Trugschluss verleiten, es gä- be eine bürgerliche Mehrheit ohne die FDP“, warnt CSU- Landesgruppenchef Michael Glos. Das gilt nicht nur für die nächste Bundestagswahl, sondern auch für die vorher anstehenden Landtagswahlen in Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein.
nisterpräsidenten Edmund Stoi
-ber. Kurz darauf bekam der FDP-Vorsitzende auch Angela Merkel, die Chefin der CDU, an die Strippe. Worum es bei den Gesprächen ging, posaunte Westerwelle aufgekratzt in einer eilig anberaumten Pressekonferenz hinaus. „Wir, die Oppositionsparteien, werden eine bürgerliche Gegenwehr zur rot-grünen Regierungspolitik bilden.“
Am 12. November darf sich der Chefliberale von Gleich zu Gleich mit den Spitzen der Oppositionsparteien beraten. Offiziell soll es darum gehen, wie sich die von CDU und FDP regierten Länder (Baden-Württemberg, Hamburg, Niedersachsen, Sachsen-Anhalt) im Bundesrat zu den
Reformgesetzen im Bundesrat Parteichefs Westerwelle, Merkel: „Sie sagt, wo es langgeht“
stellen.
Geradezu gebettelt hatte
Edmund Stoiber als Kanzlerkandidat der Union im vergangenen Jahr, die FDP solle
Westerwelle wittert vor allem eine rin Eva Christiansen. Denn auch die CDU doch eine Koalitionsaussage zu Gunsten
Chance, von der Führungsdebatte in der ei- ist auf die FDP angewiesen. der CDU/CSU machen. Westerwelle wei-
- genen Partei abzulenken. Flugs redet er
- Die nahe liegende Vermutung, dass die gerte sich. Seit Kanzler Schröder und Vize
das Arbeitstreffen zum „Oppositionsgipfel“ Liberalen sich die Hilfsaktion dadurch er- Fischer einander vor einigen Wochen erhoch und sich selbst zum Ober-Oppositio- kaufen, dass sie einen CDU-Kandidaten neut die Treue geschworen haben, ist klar, nellen, der schon mal für Stoiber und bei der Wahl des nächsten Bundespräsi- dass den Liberalen nur die Union als PartMerkel mit formuliert: Bei der Reform des Arbeitsmarkts müssten die rot-grünen Pläne noch verschärft werden. ner bleibt.
Die „Koalition in der Opposition“, die beide Parteien öffentlich bestreiten, ist längst politischer Alltag. So darf an jeder Besprechung der Union vor einer Sitzung des Vermittlungsausschusses ein FDP-Politiker teilnehmen, in der Regel Fraktionsgeschäftsführer Jörg van Essen. Er sitzt dort keineswegs als stiller Beobachter: Egal ob es um Zuwanderung, Gesundheitsreform oder taktische Fragen geht, van Essen diskutiert gleichberechtigt mit.
Stabile Regierung
Hinter der rhetorischen Offensive verbirgt sich ein geordneter Rückzug. Der hochtrabend „Äquidistanz-Strategie“ genannte Versuch der Liberalen, sich von der Union zu emanzipieren, ist kläglich gescheitert. Nun suchen die Freidemokraten ihr Heil wieder bei ihrem traditionellen Partner CDU/CSU, mit dem sie seit Gründung der Bundesrepublik unter wechselnden Kanzlern 29 Jahre regiert haben. Die sozial-liberale Ära währte nur 13 Jahre.
Die CDU will von dem Spitzentreffen im November nicht viel Aufhebens machen. Merkel werde, wie es in ihrem Umfeld heißt, nur „in groben Zügen“ eine gemeinsame Verhandlungslinie ausloten. Doch das Treffen sei „symbolisch keine schlechte Sache“, findet Merkels Spreche-
„ W ird die rot-grüne Bundesregierung bis zum Ende der Legis- laturperiode Bestand haben, oder wird sie vorher zerbrechen?“
wird
Bestand haben wird vorher zerbrechen
Im Vermittlungsausschuss überlassen die
Christdemokraten den Liberalen großzügig auch einen Platz in den Arbeitsgruppen, in denen die FDP eigentlich nicht vertreten ist. Das gilt selbst dann, wenn beide Parteien unterschiedliche Auffassungen haben, etwa in der Ausländerpolitik. Nur bei den oft wichtigen Verfahrensfragen muss
59%
33%
NFO-Infratest-Umfrage für den SPIEGEL vom 21. bis 23. Okt.; Angaben in Prozent; rund 1000 Befragte; an 100 fehlende Prozent: „weiß nicht“
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die FDP, so die interne Verabredung, die Unionsposition mittragen.
Im Parlament kann die Truppe von FDP-
Fraktionschef Wolfgang Gerhardt sich auf die schnelle und unbürokratische Unterstützung des Unionslagers verlassen. Weil den Freidemokraten bei der Debatte um die Reform des Föderalismus am vorvergangenen Donnerstag nur wenige Minuten Redezeit zustanden, gaben die CDU/CSU-Kollegen großzügig Zeit aus ihrem Kontingent ab.
Die beiden Bundesvorsitzenden von FDP und CDU folgen mit ihrem neuen Kurs der öffentlichen Meinung. Sie werden, wie eine Image-Studie des Instituts Forsa ergab, vom Wähler als Duo wahrgenommen. Gleich ob sozialdemokratische, bürgerliche oder unentschlossene Wähler,
Porsche nein, µkoda ja
Die Ost-Union macht Front gegen die radikalen Kürzungspläne des
Hessen Roland Koch – und lobt vorsichtig die Regierung.
enn Christoph Bergner, einst schuldet ist“, sagt Althaus, „darf dafür CDU-Ministerpräsident von die Verwandtschaft nicht büßen.“
W
- Sachsen-Anhalt und heute
- Nach Kochs Vorstellungen müssten
Bundestagsabgeordneter, an seinen Langzeitarbeitslose zudem ihr eigenes Wahlkreis denkt, dann überkommt ihn Auto aufgeben. Wer aber Mobilität verstets „ein beklemmendes Gefühl“: Die lange, „darf sie nicht verhindern“, sagt Arbeitslosigkeit in Halle an der Saale Fraktionsvize Arnold Vaatz. Sicher liegt über 20 Prozent. Exakt sind 24840 müsse ein Dauerarbeitsloser „keinen Menschen ohne Job, rund 11550 da-
- von Langzeitarbeitslose.
- Jung oder Alt, west-
- Umso mehr irritiert ihn, dass ausge-
- oder ostdeutsch – fast
- rechnet ein Parteifreund das Dilemma
- durchgängig ordneten
- noch vergrößern würde – Hessens Mi-
- die Befragten Wester-
- nisterpräsident Roland Koch mit sei-
- welle und Merkel in
- nem Existenzgrundlagengesetz. Da-
- der Mitte des Politi-
- nach soll die Kürzung der Zahlungen
- ker-Spektrums ein.
- an Langzeitarbeitslose noch drastischer
- Forsa-Chef Manfred
- ausfallen, als es die Bundesregierung
- Güllner sieht darin ei-
- mit ihrem Gesetz Hartz IV plant.
- nen Beleg dafür, dass
- „Wenn man nicht gleichzeitig Arbeits-
- sich „nach der Bun-
- plätze anbieten kann“, stöhnt Bergner,
- destagswahl 2002 zwei
- 54, „ist das der blanke Wahnsinn.“
- feste Lager gebildet
- Kaum hatten sie, meist mehr aus
- haben“.
Loyalität denn aus Überzeugung, im
Die Vorsitzenden
Bundestag für Kochs Gesetzestext vo-
Westerwelle und Mer-
tiert, gaben die 39 ostdeutschen CDU-
kel, darauf legen die
- Bundestagsabgeordneten fast ausnahms-
- Parteizentralen Wert,
los ihren Protest offiziell zu Protokoll Ostdeutsche Ministerpräsidenten*
und forderten umfassende Nachbesse- „ U nmut in der Bevölkerung“
rungen. In den neuen Ländern mit ihren
„können miteinander“. Die 49-jährige ostdeutsche Physikerin und der 41-jährige Rechtsanwalt aus Bonn tauschen sich regelmäßig am Telefon aus, gelegentlich treffen sich beide beim Italiener. Das Verhältnis war nicht immer so harmonisch. 1998 hatte Westerwelle, zu der Zeit FDP-Generalsekretär, den Rücktritt der damaligen Umweltministerin Merkel gefordert, als sie wegen überschrittener Grenzwerte bei Castor-Transporten in die Kritik geraten war.
Nach der Wahl trafen sie sich als Kollegen wieder, Merkel wurde Generalsekretärin. Ihr Mut in der CDU-Spendenaffäre und ihre Fähigkeit zur Selbstironie beeindruckten Westerwelle. Auch Merkel schätzt den FDP-Mann, obwohl sie ihn politisch letztlich nicht für stark hält. überdurchschnittlich vielen Arbeits- Porsche besitzen – ein µkoda darf aber losenhilfeempfängern, heißt es in dem wohl noch erlaubt sein“.
- Papier, „dürfte die Leistungskürzung
- Ostdeutsche CDU-Arbeitsmarkt-
Unmut bei der Bevölkerung erregen“. experten halten auch Kochs Idee, die Zugleich würden sich die „individuellen Kommunen anstelle der Bundesanstalt Kaufkraftverluste“ zu einer bedeutsa- für Arbeit mit der Betreuung Langmen Größe summieren. Thüringens Mi- zeitarbeitsloser zu beauftragen, im nisterpräsident Dieter Althaus (CDU) Osten für undurchführbar. „Bei der hat den Minuseffekt ausrechnen lassen großen Klientel“, so Sachsen-Anhalts
- – rund eine Milliarde Euro.
- Arbeitsstaatssekretär Reiner Haseloff,
Folglich findet CDU-Frontmann „wären unsere Städte und Landkreise
Koch für seinen Plan, im Vermittlungs- heillos überfordert.“ Koch habe eben ausschuss von Bundestag und Bundes- nur westdeutsche Kommunen vor Aurat alle Zugeständnisse des Kanzlers an gen. „Das werden wir nicht mitmadie SPD-Linke zu eliminieren, im Osten chen“, warnt Althaus.
- wenig Gegenliebe. Denn einige dieser
- Der Widerstand der Ost-CDU ist
- Als die Mietauto-Firma Sixt die CDU-
Chefin vor zwei Jahren auf einem Plakat mit Sturmfrisur verulkte („Lust auf eine neue Frisur? Mieten Sie sich ein Cabrio“) lud der Freidemokrat seine Kollegin zu einer Spritztour ein. Im offenen SiebzigerJahre-Käfer ließ sich Merkel um die Berliner Siegessäule kutschieren. Westerwelles Kommentar: „Ich fahre, aber Frau Merkel sagt, wo es langgeht.“
Kompromisse sind auch ganz im Sinne nicht nur der Wirklichkeit zwischen der Christdemokraten aus den neuen Rügen und Erzgebirge geschuldet, er Ländern. Kochs Modell, so Althaus hat auch wahltaktische Gründe. Bei spitz, tauge allenfalls als „Begleitmate- den anstehenden Landtagswahlen in
- rial“ für den Ausschuss.
- Sachsen und Thüringen sind die Ar-
Der Regierungsplan hingegen, Eltern beitslosen ein entscheidendes Wähleroder Kinder Arbeitsloser von der Un- potenzial. Da wären, fürchtet ein terhaltspflicht freizustellen, sei durch- Parteistratege der Ost-CDU, tiefere Einaus „ein guter Ansatz“. Da die Ar- schnitte als von der Regierung bebeitslosigkeit „bei uns nicht selbst ver- schlossen, „eine Sauerstoffzufuhr für die momentan atemlose SPD“.
Und so ist es geblieben. Wer Koch und wer Kellner ist, muss in dieser Paarung nicht geklärt werden.
* Georg Milbradt, Dieter Althaus, Wolfgang Böhmer.
Stefan Berg, Steffen Winter
Tina Hildebrandt, Alexander Neubacher,
Ralf Neukirch
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