Dieter Althaus Ministerpräsident Freistaat Thüringen Im Gespräch Mit Werner Reuß
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BR-ONLINE | Das Online-Angebot des Bayerischen Rundfunks Sendung vom 26.09.2006, 20.15 Uhr Dieter Althaus Ministerpräsident Freistaat Thüringen im Gespräch mit Werner Reuß Reuß: Verehrte Zuschauer, ganz herzlich willkommen zum alpha-forum, heute vom Mitteldeutschen Rundfunk in Erfurt aus, der Landeshauptstadt des Freistaates Thüringen. Bei uns zu Gast ist der Ministerpräsident des Freistaates Thüringen, Dieter Althaus. Ich freue mich, dass er hier ist, herzlich willkommen, Herr Ministerpräsident. Althaus: Guten Tag. Reuß: "Politik ist die Kunst, dem lieben Gott so zu dienen, dass es dem bösen Teufel nicht missfällt", so sagt ein Sprichwort. Ist das so? Ist Politik eine Gratwanderung? Was ist Politik für Dieter Althaus? Althaus: Für mich ist das jetzt natürlich das ganze Leben. Ich bin mit der Wiedervereinigung eingestiegen, damals mit dem Bewusstsein, etwas verändern zu wollen. Ich glaube, Politik muss immer wieder versuchen, die Spielregeln, die in der Gesellschaft bestehen, zu überprüfen, zu verändern, sodass sich die Gesellschaft möglichst frei gestalten kann. Zum Zweiten muss Politik auch ein großes Kommunikationsvermögen beweisen: Was da getan wird, muss auch vermittelt werden. Drittens muss Politik auch vorgelebt werden. Das heißt, derjenige, der Politik gestaltet, muss wissen, dass er als Mensch auch in besonderer Weise wahrgenommen wird. Insofern ist mit der Politik und aus der Politik heraus auch eine Vorbildrolle verbunden. Reuß: Etiketten sind nicht unproblematisch, sie neigen dazu, zum Klischee zu werden, aber ich will es dennoch mal probieren: Die "Frankfurter Rundschau" lobte Sie einmal als "überraschend offensiv". Der "Fokus" bezeichnete Sie als "Thüringer Dynamo" und die "Süddeutsche Zeitung" nannte Sie einen "zielstrebigen Pfadfinder der Macht". Fühlen Sie sich so richtig beschrieben? Althaus: Das sind alles Facetten, die sicher eine wichtige Aussagefunktion haben. Ich glaube, dass Politiker zum Anfassen sein müssen. Sie müssen also ganz normale Leute sein, die im Leben stehen. Sie dürfen ihr Amt nicht autoritär ausüben, sie müssen wissen: Nicht das Amt gibt ihnen Autorität, sondern die Person hat Autorität und muss diese auch leben. Und so habe ich in den letzten 16 Jahren eigentlich auch mein Politikverständnis ausgeprägt. Reuß: "Politik kann süchtig machen", sagt Bundesminister Horst Seehofer. Und der ehemalige Bundespräsident Johannes Rau meinte einmal: "Das ist wie mit den Erdnüssen. Man will eine haben, langt in die Schale und hört dann nicht mehr auf, bis die Schale leer ist." Ist das so? Kann Politik süchtig machen? Und wenn ja, was macht denn den Suchtcharakter aus? Ist das die Macht, sind das die Insignien der Macht? Oder ist es die Aufmerksamkeit, die man genießt? Althaus: Diese Aufmerksamkeit und die Macht sind sicherlich solche Punkte, aber ich glaube, mich macht Politik nicht süchtig. Die Politik war eine Veränderung in meinem Leben 1989/90, die ich dann auch ernsthaft gestaltet habe. Aber das ist kein Beruf, der keine andere Perspektive mehr mit sich bringen würde. Stattdessen hatte ich vorher eine andere berufliche Aufgabe wahrgenommen und ich könnte mir gut vorstellen, dass ich das hinterher auch wieder tue. Reuß: "Ich glaube, man darf den Konsens nicht aus dem Blick verlieren. Aber man darf auch nicht den Konsens als Entschuldigung für Entscheidungsunfähigkeit nutzen". Dieser Satz stammt von Ihnen. Sie gelten als jemand, der eher moderat ist, der eher Konflikte mildert, der sachlich agiert und argumentiert. Dennoch: Besteht ein bisschen die Gefahr, dass wir aufgrund eines Konsenswillens unpopuläre Entscheidungen vermeiden? Althaus: Das ist ganz sicher so. Das hängt einmal mit der Struktur in Deutschland zusammen, dass wir den Bund und die Länder haben und dadurch ein noch höheres Maß an Politikdiskussion auf verschiedenen Ebenen miteinander verbinden müssen. Zum anderen sind ja in Deutschland aufgrund des Verhältniswahlrechts auch sehr unterschiedliche Parteien gemeinsam in der Verantwortung. Das zeigt sich natürlich schon als Problem, wenn über Jahrzehnte hinweg politische Profile sich zwar ausgeprägt haben, aber die Lösungen, die heute notwendig sind, eigentlich ganz neue Antworten brauchen. Da wird der Konsens manchmal wirklich nur verstanden als kleinster gemeinsamer Nenner. Wir haben jedoch heute größere Probleme zu lösen und dafür reicht das dann nicht. Reuß: "In der Politik geht es nicht nur um Sachfragen. Oft prägt eine Vielzahl unbeglichener Rechnungen und gekränkter Eitelkeiten die Auseinandersetzung. Das macht eine effektive Politik unmöglich", sagt Gesine Schwan, die Präsidentin der Europauniversität Viadrina in Frankfurt an der Oder. Teilen Sie diese Einschätzung? Ist es wirklich so, wie der Bundespräsident sagt, dass es hin und wieder Sandkastenspiele gibt in der Politik? Althaus: Ja, zum einen deswegen, weil die Politiker natürlich auch in ihrer jeweils eigenen Geschichte stehen. Und es scheint sehr schwer zu fallen, sozusagen endlich mal einen neuen Versuch zu wagen unter der Überschrift "trial and error", also einen Versuch, bei dem man erst noch herausfinden muss, ob er etwas taugt oder ob er in die falsche Richtung weist und er daher geändert werden muss. Zum anderen ist das aber auch deshalb so, weil eben die Politik insgesamt in ihrer Geschichte steckt. Nehmen wir nur einmal die Geschichte der sozialen Marktwirtschaft: Da ist vieles gut gelaufen, aber das, was sich fehlerhaft entwickelt hat, muss verändert werden. Und dann ist das Ganze natürlich auch eine Absprache innerhalb eines bestimmten Kreises, d. h. wir müssen sehr darauf achten, dass wir nicht in eine korporatistische Organisation abgeleiten, in der sozusagen nur noch bestimmte Interessenlagen berücksichtigt werden, während diejenigen Interessen, die sich nicht formulieren können, möglicherweise unberücksichtigt bleiben. Das ist also schon eine Gefahr und deswegen muss Politik eben auch immer kritisch hinterfragt werden. Politik muss sich daher rechtfertigen, Politik muss sich dann eben auch beweisen. Heute ist es vor allem wichtig, dass wir nicht immer diesen Langfristigkeitsanspruch haben, sondern so wie in der Wirtschaft und in der Wissenschaft vorgehen. Auch dort verändert sich vieles sehr, sehr schnell. Deswegen muss auch die Politik in der Lage sein, solche Veränderungen nicht nur mitzugestalten, sondern sie vielleicht bereits von Anfang an mitzubewegen. Das heißt auch, dass die Politik weniger von ganz langen Linien her denken muss; sie muss vielmehr in der Lage sein, sich an Grundorientierungen festzuhalten, diese Grundorientierungen öffentlich zu machen und sie als Begründung für Entscheidungen heranzuziehen. Damit meine ich unsere Wertorientierungen, unsere Orientierung an Gerechtigkeit, Menschenwürde, Freiheit usw. Darüber hinaus muss die Politik aber eben auch flexibel sein, wenn es um die jeweiligen Instrumente geht. Reuß: Der französische Moralist Joseph Joubert meinte einmal: "Politik ist die Kunst, die Menge zu leiten, nicht wohin sie gehen will, sondern wohin sie gehen soll." Mit Blick auf die Geschichte Deutschlands und seine zwei Diktaturen ist das ein Satz, der sicherlich ambivalente Empfindungen hervorruft. Dennoch meine Frage: Ist das so? Muss Politik lenken und führen und manchmal auch unpopuläre Entscheidungen gegen den Willen der Mehrheit in der Bevölkerung treffen? Althaus: Das ist ganz sicher richtig. Politik muss selbstverständlich demokratisch funktionieren. Das heißt, es braucht die Kontrolle und es braucht auch die verschiedenen Entscheidungsinstanzen wie den Bundestag oder den Landtag. Aber Politik muss sich vor allen Dingen auch in der Entscheidung beweisen. Als in Deutschland 1948 die Marktwirtschaft eingeführt worden ist, hat Ludwig Erhard zu diesem Thema überhaupt keine öffentliche Debatte geführt, sondern er hat schlicht und ergreifend mit dem 20. Juni 1948 die Entscheidung gefällt, dass die Märkte freigegeben werden, dass es keine Bewirtschaftung mehr gibt. Das war überhaupt nicht im Interesse der damaligen Bevölkerung – so meinten zumindest viele. Die Gewerkschaften haben damals zum Massenstreik aufgerufen und selbst der amerikanische Befehlshaber war nicht dafür. Aber diese Entscheidung hat sich dennoch als richtig erwiesen. Politik muss sich also auch als Gruppe, als Institution verstehen, die an einem Ziel orientiert entscheidet und sich nicht nur an der gerade vorhandenen öffentlichen Meinung orientiert. Reuß: Nun wollen ja Politiker wiedergewählt werden. In einem föderalen System wie der Bundesrepublik finden fast immer irgendwo irgendwelche Wahlen statt. Selbst Kommunalwahlen werden dann hochstilisiert zu Bundestagstestwahlen. Carl Friedrich von Weizsäcker hat daher einmal die pointierte Frage gestellt: "Wie kann eine Regierung das langfristig Notwendige entscheiden, wenn es kurzfristig unbeliebt ist und den Wahlerfolg bedroht?" Gibt es in unserem politischen System tatsächlich die Gefahr, dass man bestimmte Dinge liegen lässt, weil eine Wahl bevorsteht und man Angst hat, dass das negative Folgen auf den Wahlausgang haben könnte? Althaus: Ich glaube, neben den vielen Stärken der föderalen Ordnung in Deutschland muss man eben auch deren Schwächen nennen. Eine dieser Schwächen besteht sicherlich darin, dass sehr viel häufiger politische Wahlereignisse stattfinden und dadurch wohl so manche politische Entscheidung in den letzten 30, 40 Jahren nicht zur rechten Zeit getroffen worden ist. Wenn man die föderale Ordnung erhalten möchte, und dafür bin ich, denn ich bin fest davon überzeugt, dass diese föderale Ordnung richtig ist, dann ist es heute umso wichtiger, dass