Ansprache Vogel Gesprochenes Wort

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Ansprache Vogel Gesprochenes Wort Trauergottesdienst und Staatsakt zu Ehren von Bundespräsident a.D. D. Dr. h.c. Johannes Rau am 7. Februar 2006 im Dom zu Berlin Ansprache von Dr. Hans-Jochen Vogel, Bundesminister a.D. Liebe Christina, liebe Familie Rau, hoch verehrte Trauergemeinde, der Herr Bundespräsident hat Johannes Rau soeben in bewegender Weise als eine große Persönlichkeit gewürdigt, als einen Staatsmann, der sich um unser Land in besonderer Weise verdient gemacht hat. Herr Bundespräsident Fischer hat nicht minder eindrucksvoll das Ansehen her- vorgehoben, das der Verstorbene auch außerhalb unseres Landes besaß. Als einer, der Johannes Rau fast vier Jahrzehnte lang freundschaftlich verbunden war und als ehemaliger Vorsitzender der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands darf ich dem noch einige persönliche Bemerkungen hinzufügen. Dies tue ich im Einvernehmen mit Matthias Platzeck zugleich auch für ihn als dem jetzigen Parteivorsitzenden. Johannes Rau bin ich zum ersten Mal im Sommer 1967 in seiner Heimat- stadt Wuppertal begegnet. Er war damals mit 36 Jahren Vorsitzender der dortigen SPD-Stadtratsfraktion, aber auch schon seit einigen Jahren Landtagsabgeordneter. Ich kam zu ihm als Münchner Oberbürgermeister, um ihn in einer bestimmten Frage um seine Unterstützung bei der Vorbe- reitung der Olympischen Spiele in München zu bitten. Schon bei dieser Gelegenheit erschien er mir als einer, der sich von vielen der mir bis dahin bekannten Kollegen unterschied. Er wirkte weniger routiniert, er wirkte - 2 - aufmerksamer im Zuhören und er wirkte an seinem Gesprächspartner auch persönlich interessiert. In den folgenden Jahren, in denen wir gemeinsam zuerst dem Vorstand und dann dem Präsidium unserer Partei angehörten, imponierte mir unter anderem die Art und Weise, in der er als Wissenschaftsminister und erfolgreicher Gründer neuer Universitäten mit den damals protestierenden Studenten, darunter bei einem Disput auch mit Rudi Dutschke, umging. Seine Geduld und seine Fähigkeit zum Ausgleich ohne jede Preisgabe der eigenen Position traten bei diesen Gelegenheiten deutlich hervor. Da ich selbst auf entsprechende innerparteiliche Entwicklungen in München härter und auch emotionaler reagierte, war unser Meinungsaustausch in jener Zeit gelegentlich sehr lebhaft. Während der zwei Jahrzehnte, die er anschließend als Ministerpräsident seines Landes amtierte, beeindruckte mich nicht nur, wie er die dort not- wendigen Strukturveränderungen auf den Weg brachte. Sondern fast mehr beeindruckte mich die Art und Weise, wie er auf die Menschen zuging. Nicht anbiedernd oder gar kumpelhaft und schon gar nicht herablassend oder gönnerhaft. Vielmehr respekt- und verständnisvoll, jeden einzelnen als Individuum achtend. Ihn aber auch zur Mitarbeit am Gemeinwohl einladend. Sein unglaubliches Namensgedächtnis kam ihm dabei zustatten. Übrigens - sein meisterhaftes Skatspiel auch. Inzwischen waren wir Freunde geworden. Das half uns, die Frage, wer von uns beiden jeweils für bestimmte Aufgaben kandidieren sollte, schnell und in gutem Einvernehmen zu lösen. So auch 1987, als es um die Spitzenkandidatur für die Bundestagswahl ging. Nach meiner Niederlage im Jahre 1983 und seinem grandiosen Wahlerfolg bei den Landtagswah- len sprach ja auch alles für ihn. „Versöhnen statt spalten“ war dann die Devise, mit der er auch auf der Bundesebene eine absolute Mehrheit anstrebte. Trotz seines unermüdlichen Einsatzes nahm die Sache indes einen anderen Verlauf. Eine Zeitlang verbitterte ihn das. Vorübergehend haderte er auch mit Willy Brandt, weil dieser in einem Interview, so hatte - 3 - es den Anschein, ein anderes Wahlziel vertrat als er. Aber Johannes Rau überwand die Niederlage - es war wohl die erste in seinem Leben - und setzte seine Arbeit in Nordrhein-Westfalen kraftvoll fort. Auch über die Nachfolge für Willy Brandt verständigten wir uns 1987 rasch. Er blieb aus eigener Entscheidung Stellvertretender Parteivor- sitzender. Eine Episode übrigens aus jener Zeit zeigt noch einmal seine besondere Verbundenheit mit Israel. Voller Empörung und sichtlich erregt kam er an einem Sonntagnachmittag von Wuppertal in meine Bonner Wohnung und verlangte mein sofortiges Einschreiten gegen Äußerungen eines anderen Sozialdemokraten, die ihm als israelfeindlich erschienen. Seine Amtszeit als Bundespräsident war sicher der Höhepunkt seines politischen Wirkens. Er wusste, dass er es in einer ganz besonderen, nur ihm möglichen Weise ausfüllen würde. Und das hat er ja dann wahrlich auch getan. Wenige Politiker waren den Menschen so nahe wie er. Er hat sie immer wieder ermutigt und ihnen Hoffnungen gegeben. Er hat aber auch unüberhörbar gemahnt, wenn er Entwicklungen für gefährlich hielt. Die gesundheitlichen Probleme, die ihm schon gegen Ende seiner Amts- zeit zu schaffen machten, haben sich dann zunehmend verschärft. Im Oktober 2005 - es war der 30. Oktober - nahm er ein letztes Mal an einer besonders bedeutsamen öffentlichen Veranstaltung teil - nämlich an der Wiedereinweihung der Dresdner Frauenkirche. Man sah ihm an, welche Freude ihm dieses Ereignis bereitete. Aber man sah ihm auch an, welche Mühe es ihm machte, dorthin zu reisen und dort zwei Stunden lang anwesend zu sein. Ende November vorigen Jahres habe ich ihn dann noch einmal in seiner Wohnung besucht. Ich war erschrocken über seinen Zustand. Aber ich ahnte nicht, dass es die letzte Begegnung sein würde. Denn noch immer gab es einen Funken Hoffnung. Und auch er selbst schien noch nicht ganz mit seinem Leben abgeschlossen zu haben. Zugleich dachte er aber über den Tod hinaus. - 4 - Was bleibt von Johannes Rau in meiner Erinnerung? Es bleibt die Erinne- rung an einen Sozialdemokraten, dem es stets um Frieden, um Gerechtig- keit, um Solidarität und um Mitmenschlichkeit ging. Und der aus der weit zurückreichenden Geschichte seiner Partei, die er im Detail kannte, immer wieder Einsicht und auch Überzeugungskraft gewann. Aus ihren Erfolgen, aber auch aus ihren Niederlagen. Es bleibt die Erinnerung an einen Christenmenschen, der aus seinem Glauben heraus lebte, der als sein Lebensmotto den Wahlspruch der Bekennenden Kirche „Ich halte stand, weil ich gehalten werde“ wählte und dessen Bibelfestigkeit keine Marotte, sondern ein Zeichen dafür war, wie wichtig ihm die Heilige Schrift in seinem täglichen Dasein gewesen ist. Es bleibt die Erinnerung an einen Menschen, der den Versuchungen der Macht widerstand, der seinen Mit- menschen ein Leben lang im guten Sinne des Wortes diente und der jeden einzelnen Menschen ernst nahm. Die Zehntausenden - es mögen fast Hunderttausende gewesen sein - von individuellen Briefen, die er im Laufe seines Lebens ganz persönlich - zum Teil sogar in seiner klaren und unverwechselbaren Handschrift - an die unterschiedlichsten Adressaten geschrieben hat, sind dafür der beste Beweis. Die meisten dieser Briefe waren ermutigende oder zumindest tröstende Antworten auf Anfragen und Hilferufe. Es bleibt auch die Erinnerung an einen Menschen, der in jeder Hinsicht den heute weit verbreiteten Klischees über das Tun und Lassen von Politikern widersprach, bei dem Reden und Tun übereinstimmten und der deshalb den Lebenden und den kommenden Generationen ein Vorbild sein kann. So nehme ich Abschied von einem Freund, dem ich Zeit meines Lebens dankbar sein werde. Zugleich danke ich Dir, liebe Christina, die Du Johannes seit einem Viertel Jahrhundert und vor allem in der letzten und schwierigsten Phase seines Lebens so treu begleitet hast. Dir, den Kindern und der ganzen Familie möge die große Verbundenheit, ja Vereh- rung, die Johannes in diesen Tagen allerorts erwiesen wird, Kraft geben. Leb wohl, Johannes. Du wirst mir stets gegenwärtig sein. .
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