Im Reich Der Riesen
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Deutschland OSTDEUTSCHLAND Im Reich der Riesen Bei den Landtagswahlen in Thüringen, Sachsen und Brandenburg wollen Dieter Althaus, Georg Milbradt und Matthias Platzeck die Macht sichern, die sie ihren Vorgängern verdanken – doch alle drei müssen noch aus dem Schatten der Alten treten. (CDU), 45, vorvergangene Woche verge- bens sein Glück. Im roten Dress läuft der einstige Abwehrstratege von Motor Heili- genstadt im „Team Thüringen“ im Volks- parkstadion auf – im Schlepptau frühere Größen des DDR-Fußballs. Althaus’ Geg- ner kommen aus dem Westen: Im Tradi- tionsteam von Schalke 04 spielen Fußball- Legenden wie der Torjäger Klaus Fischer. Unsicher zwinkert Althaus ins weite Oval, das sein Vorgänger Bernhard Vogel allen- falls als Zuschauer betreten hätte. Redlich müht sich der Premier auf der rechten Ab- wehrseite um den Ball, dann steht es 3:1 für den Gegner, und der Politiker hat es eilig, wieder aus dem Stadion zu kommen – wichtige Termine. Am 13. Juni wird in Thüringen gewählt, am 19. September in Brandenburg und Sachsen. Doch Althaus, Platzeck und Mil- bradt führen keinen gewöhnlichen Wahl- kampf. Diesmal geht es nicht nur darum, den politischen Konkurrenten zu bezwin- JENS MEYER / AP gen. Althaus, Platzeck und Milbradt müs- CDU-Wahlwerbung für Althaus: Von der Blockflöte zum Populisten sen auch ihre populären Vorgänger über- winden. ohin soll er nur mit seinen Hän- Georg Milbradt (CDU) hat es da in Sach- Noch haben die drei Jüngeren ihre den? Soll er sich hinstellen wie sen leichter – theoretisch zumindest. Kein Macht den alten Vorleuten zu verdan- Wein Fußballer in der Abwehr- Kanzler, auf den er Rücksicht nehmen ken, die während der zu Ende gehenden mauer beim Freistoß? muss, kein Vorgänger, der dauernd Nega- Legislaturperiode zurücktraten. Bernhard Matthias Platzeck, 50, Ministerpräsident tiv-Nachrichten produziert. Doch vergan- Vogel, 72, und Kurt Biedenkopf, 74, in Brandenburg, ist auf der Suche nach ei- genen Dienstag, 13.31 Uhr, bricht auch für erkämpften der Union absolute Mehr- ner Haltung. Pressekonferenz im Schloss den Ministerpräsidenten des Freistaats heiten in den Freistaaten Thüringen und Cecilienhof im Anschluss an die Branden- Sachsen die Stunde der Zweifel an. Als Sachsen, Manfred Stolpe, 68, schien der burg-Reise des Bundeskanzlers. Gerhard hätte der Blitz ihn getroffen, zuckt Milbradt Garant dafür, dass im Land des „roten Schröder steht in dem holzgetäfelten Saal, kurz, als IOC-Präsident Jacques Rogge das Adlers“ auch die Roten ewig regieren als wollte er dort für immer als Statue aus- Ende der Olympia-Bewerbung Leipzigs können. harren, wo einst Stalin, Truman und verkündet. Bislang klang Churchill die Weltgeschicke lenkten. Sachsen stets nach Sieg – nach Manfred Stolpe, Platzecks Vorgänger, Aufbau, Chipfabriken und Sachsen würde hier staatsmännisch erstarren. Doch natürlich nach Kurt Bieden- Umfrage- und Landtagswahlergebnisse Platzeck schwankt weiter. Seine Augen su- kopf. Nun die Niederlage 56,9% chen nach vertrauten Gesichtern im Saal. Leipzigs mitten im Landtags- 56% Dann steckt er die linke Hand in die Ho- wahlkampf. Wie aus der sentasche, die rechte schiebt er wie Napo- falschen Rede klingen plötz- leon zwischen zwei Knöpfen in sein Sakko lich die Sätze, die Milbradt, – ein Kompromiss aus Lässigkeit und 59, trotzdem noch über die staatsmännischem Auftreten ist gefunden. schmalen Lippen kommen: Landtagswahl 1999 Sozialdemokrat Platzeck weiß, dass er „Wir haben gemeinsam Leip- 22,2% Umfrage Mai 2004 mit Sozialdemokrat Schröder im laufen- zig und Sachsen nach vorn ge- Quelle: Leipziger Institut den Landtagswahlkampf nicht punkten bracht. Ganz Mitteldeutsch- 17% 17% für Marktforschung für kann. Aber so tun, als hätte er mit dem land ist ein Gewinner.“ 10,7% SPD Sachsen Boss aus Berlin nichts gemein? Nein, das ist Fernab der bundespoliti- 5% 2,6% 3% nicht seine Sache. „Ich tue ja auch nicht schen Schauplätze, im thürin- 1,1% so“, sagt er, „als hätte ich Manfred Stolpe gischen Gotha, versuchte der CDU PDS SPD Grüne FDP nicht gekannt.“ Wahlkämpfer Dieter Althaus 44 der spiegel 22/2004 Brandenburg Umfrage- und Landtagswahlergebnisse 39,3% 34% 30% 26,5% 23,3% Landtagswahl 1999 20% Umfrage März 2004 Quelle: Infratest dimap für „Märkische Allgemeine“ 5,3% 5% 5% 1,9% 1,9% SPD CDU PDS DVU Grüne FDP THOMAS IMO / PHALANX-PHOTO.DE THOMAS Sozialdemokraten Platzeck, Stolpe: Anerkennung und ein wenig Häme über den Westen Die drei Alten waren weitaus mehr Lebens für das verantwortlich, was du dir Dankbar vernahm er deshalb, wie Vogel in als gewöhnliche Ministerpräsidenten. Der vertraut gemacht hast“), fürchtete so man- seiner letzten Landtagsrede sich selbst und wackligen ostdeutschen Nachwendegesell- cher Unionsmann, dass künftig in Wahrheit seinen Nachfolger gleichermaßen lobte. schaft gab jeder von ihnen auf seine Art eine Doppelspitze in der Erfurter Staats- Bei der Auswahl seiner Kultusminister, so Halt – Biedenkopf als „König Kurt“ mit kanzlei regieren werde. „Ich werde Dieter Vogel, habe er sich „immer ganz besonde- präsidialem Gehabe, Stolpe als verspäteter Althaus nicht dreinreden, aber ich werde re Mühe gegeben“. Staatsratsvorsitzender und Vogel als volks- ihm meinen Rat geben, wenn er mich da- Solche Harmonie ist undenkbar im Frei- nahe Vaterfigur. Das Problem: Noch wir- nach fragt“, erklärte Vogel. staat Sachsen. Ja, er treffe heute wieder ken ihre Nachfolger wie Zwerge im Reich Aber Althaus fragt selten. „Ich gehe mei- ab und an auf Kurt Biedenkopf, sagt Mil- der Riesen. Aber jeder der drei versucht nen eigenen Weg“, beschied er knapp. bradt, dessen Nachfolger. „Unsere politi- auf seine Weise, den Vorgänger letztlich Während er für die Landeskinder das Bild schen Vorstellungen liegen nah beieinan- doch vergessen zu machen. der Harmonie inszenierte, brach er mit der.“ So knapp und kalt können Partei- Als wollte er von der Aura des Alten dem betulichen Politikstil seines Vorgän- freunde übereinander reden. noch möglichst lange profitieren, hat sich gers. Interviewfreudig mauserte sich der Es war ein Super-GAU im Leben des Althaus für einen sanften Übergang ent- einst angepasste Mann aus der Ost-CDU Georg Milbradt, als ihm sein einstiger Men- schieden. Bis heute redet er elegisch über zum begabten Populisten. Ob Steuerre- tor am 31. Januar 2001 die Entlassungsur- seinen politischen Ziehvater, dem er lange form, Ostförderung oder Rentendebatte – kunde übergab. Milbradt sei, so hatte ein als Kultusminister diente. „Mit Bernhard immer hat Althaus eine Meinung, nicht im- sichtlich erregter Biedenkopf Tage zuvor Vogel zusammenarbeiten zu dürfen und an mer ist es die der Parteiführung. Den Journalisten in den Block diktiert, zwar seinem politischen Wirken teilhaben zu „Steuern-runter-Orden“ der „Bild“-Zei- ein „hoch begabter Fachmann“, aber ein können“ sei ein persönlicher Gewinn. Vo- tung – er nahm ihn dankend an. Das „miserabler Politiker“, der „einen Fehler gel revanchiert sich mit Lobpreisungen Vorziehen der Steuerreform im Vermitt- nach dem anderen macht“, wenn er sein über den Mann, für den er im Juni 2003 lungsausschuss – natürlich sein Erfolg. Die Fachgebiet verlasse. nach elf Jahren zurücktrat: „Er ist hier ge- Vorschläge des Hessen Roland Koch zu Als sich Milbradt aus der Schockstarre boren und aufgewachsen – er kennt das drastischen Kürzungen bei der Arbeitslo- gelöst hatte, versuchte er, den Bruch mit Land wie kaum ein anderer. “ senunterstützung – reine „Westdenke“. dem Übervater zu überspielen. Nie zahlte Doch die Nähe des Vorgängers hat für Stolz nennt er die neuen Länder „junge er mit gleicher Münze zurück. Selbst in Althaus auch Bedrohliches. Als Vogel auf Länder“. Oberossi? Nein, ein „selbstbe- den Stunden des größten Triumphs, nach- einem Parteitag der Landes-CDU Antoine wusster Bundesbürger“ will er sein. dem er gegen Biedenkopfs Willen am 18. de Saint-Exupéry zitierte („Du bist Zeit Ähnlich wie Brandenburgs Landeschef April 2002 zum Ministerpräsidenten ge- Platzeck gilt der Thüringer Althaus unter wählt worden war, reichte er dem Vorgän- den 16 Ministerpräsidenten inzwischen als ger die Hand: „Ich danke dem ersten Mi- unideologisch und kompromissbereit. Wer nisterpräsidenten unseres Landes, Kurt nicht schon mit 16 Jahren der Jungen Uni- Biedenkopf, der seit 1990 sicher und außer- on oder den Jusos beigetreten sei, verhal- ordentlich erfolgreich unser Land geführt te sich eben anders als die Polit-Profis im hat.“ Nur so konnte er die tief zerrissene Westen, erklärt Thüringens Regierungs- Partei einigen und den Makel des Königs- sprecher Uwe Spindeldreier, der schon un- mörders abwehren. ter Vogel diente. „Neue-Länder-Pragma- Und doch wurde alles anders. Hatte Bie- tismus“ nennt dies Althaus. denkopf seine Fachminister arbeiten las- Doch auf den Beistand des Vorgängers sen und sich auf das Große und Ganze be- bleibt Althaus angewiesen. Denn beim schränkt, hatte er sich lieber mit der bun- Volk kommt er noch nicht so an wie der desweiten Reform des Rentensystems als Alte. Die Chancen für den Erhalt der ab- mit den steigenden Abwassergebühren da- soluten Mehrheit stehen drei Wochen vor heim beschäftigt, regiert Milbradt nun mit RONALD BONSS / MOMENT PHOTO RONALD dem Urnengang nicht gut (siehe Grafik). harter Hand. Ob Hochschullandschaft, Landesentwicklungsplan, Kulturförderung Kontrahenten Milbradt, Biedenkopf oder Polizei – er zieht alles auf seinen Schluss mit höfischem Gehabe Tisch, traut seinen Ministern nur be- der spiegel 22/2004 45 Deutschland grenzt. Schließlich hatte er bei seiner Ka- schützte den Oberkörper ein binettsbildung auch auf die Befriedung der grüner Parka. Im Landrover Thüringen