Neuanfang in Brandenburg.Pdf
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Andrea von Gersdorff Astrid Lorenz Neuanfang in Brandenburg Copyright 2010 Herausgeber: Brandenburgische Landeszentrale für politische Bildung Eine Publikation der Brandenburgischen Landeszentrale für politische Bildung. Mit freundlicher Unterstützung von Ungewöhnlicher Ort für eine Kabinettsitzung – unterwegs im Zug durch das Land Brandenburg. ISBN 3-932502-57-4 Fotografien: Simone Diestel Gestaltung und Realisierung: Bauersfeld Werbeagentur Druck: Druckerei Arnold, Großbeeren Diese Veröffentlichung stellt keine Meinungsäußerung der Brandenburgischen Landeszentrale für politische Bildung dar. Für inhaltliche Aussagen tragen die Autorinnen die Verantwortung. Inhalt Vom Parteineuling zum Landtagsvizepräsidenten 93 Martin Habermann Auf Distanz zur eigenen Fraktion 99 An einem Wochenende im Sommer 1989… 6 Herbert Knoblich Andrea von Gersdorff und Astrid Lorenz REINGERATEN SUCHEN Kinderärztin mit neuen Aufgaben 108 Werte leben und konsequent sein 11 Hannelore Birkholz Beate Blechinger Von New York nach Potsdam – Ein Diplomat wird Landespolitiker 115 Ein Mann der offenen Worte 17 Hans Otto Bräutigam Günter Nooke Zum obersten Finanzexperten in neuem Umfeld 123 Endlich Ideen verwirklichen 24 Klaus-Dieter Kühbacher Matthias Platzeck In die Pflicht genommen 129 Rücksichtsvoller Idealist 31 Manfred Stolpe Alwin Ziel TREU BLEIBEN MACHEN Ein Pragmatiker als Fraktionschef 138 Ein Freigeist – kein Parteisoldat 41 Wolfgang Birthler Peter-Michael Diestel Standpunkte bewahren 145 Fürsorge und Verantwortung als Leitmotiv 47 Stefan Körber Jörg Hildebrandt über seine Frau Regine Hildebrandt Der Anfang vom Ende in der alten Partei 152 Mit Entschlossenheit am Werk 54 Karl-Heinz Kretschmer Steffen Reiche Enttäuschungen mit der Partei 159 Beseelt von der Freiheit 62 Alfred Pracht Britta Stark (damals Schellin) Konstruktiver Kritiker 165 Flucht nach vorn 69 Marco Schumann über seinen Vater Michael Schumann Heinz Vietze Aufstieg, Ausstieg, Umstieg. ZUGREIFEN Elitenwechsel in Brandenburg 173 Politik als Intermezzo 79 Astrid Lorenz Frank Dietrich Literaturverzeichnis 196 Als Westler gegen Westimporte 85 Hinrich Enderlein Über die Autorinnen 199 An einem Wochenende im Sommer 1989 … Den zunehmenden Druck fühlten auch jene Funktionäre der SED, der „füh- renden Partei“ der DDR, die mit der Bevölkerung in Kontakt standen. „Im Sommer 1989 gab es für mich keinen normalen Sonntag mehr. Jede Woche war angespannt wegen der wirtschaftlichen Situation. Ich war am verlief das Leben der meisten DDR-Bürger noch in den gewohnten Bahnen. Wochenende ständig unterwegs, war bei vielen Diskussionen, wo es haupt- Viele Menschen fuhren in ihren Garten außerhalb der Stadt, um sich zurück- sächlich um Versorgungsfragen ging.“ Heinz Vietze sah damals zwar noch zuziehen und in der Natur zu erholen. Auch Herbert Knoblich: „Wir hatten keine Anzeichen für das, was kam, doch er war zunehmend ernüchtert. uns 1980 außerhalb Potsdams einen recht großen Garten zugelegt, in dem Ob Herbert Knoblich, Beate Blechinger, Britta Stark oder Heinz Vietze – wir vom Frühjahr bis zum Herbst die meisten Wochenenden zubrachten. So ihnen allen ist gemeinsam, dass sie im Sommer 1989 noch nicht ahnten, entzog man sich von Freitag bis Sonntag dem öffentlichen Blickfeld.“ ahnen konnten, was in den nächsten Monaten sie, ihre Familie und Andere gingen wie Alwin Ziel regelmäßig sonntags in die Kirche, auch Freunde, die Nachbarn und Kollegen, die gesamte Gesellschaft erwarten um im vertrauten Umfeld vielleicht offener reden zu können: „Wir wohnten würde. Vieles kam zusammen, damit sich die Unzufriedenheit der einzel- in Berlin/Lichtenberg. Dort gingen wir sonntags in die evangelische Kirche nen zu einer gemeinsamen Protestwelle formte. Sie brachte die Freiheit, Am Fennpfuhl. Nach dem Gottesdienst gab es eine Tasse Kaffee und man Politiker, Funktionäre und Direktoren zu entmachten und das politische plauderte mit den anderen Kirchgängern.“ System umzukrempeln. Allen Genannten ist auch gemeinsam, dass sie Für Frauen war das Leben in der DDR selbst an Wochenenden häufig später zu denen gehörten und gehören, die in der erlangten Demokratie mit besonders viel Arbeit verbunden: „Freizeit war für mich damals Sams- das neu gegründete Land Brandenburg gestalten und prägen würden. tagabend von 20 bis 22 Uhr.“ Arbeit, Kinderbetreuung und Einkauf verlang- Dieses Buch lässt sie und andere Personen zu Wort kommen, die in der ten Beate Blechinger viel Kraft und Energie ab. Zeit des Neuanfangs ab 1990 politisch aktiv waren und die Geschicke des Peter-Michael Diestel, auch er im Sommer 1989 immer unterwegs in der Landes beeinflussten. Es ist kein Heldenroman. Es zeigt Menschen, die freien Natur, fasst für sich zusammen: „Alle meine Ziele, Hoffnungen und das gleiche Problem hatten wie wir heute. Es gibt eine große Freiheit, alles Wünsche haben sich ansonsten auf das Leben in der DDR konzentriert. Mögliche zu tun, aber wie entscheide ich mich, was ich mit dieser Freiheit Denn sie war mein Heimatland. Ich kannte nichts anderes als diese anfange, was gut ist für mich und für andere? Wie weit kann ich gehen, 108.000 Quadratkilometer.“ Er fand wie viele andere auch: „Das Leben in darf ich Fehler machen? Weiß ich überhaupt genug? Wie setze ich mich der DDR hatte für mich etwas Selbstverständliches.“ durch, wenn ich unzufrieden mit etwas bin? Manche erlebten Vorgänge, die sie nicht einordnen konnten. „Damals Die wenigsten Personen in diesem Buch verfolgten einen Plan. Sie absolvierte ich meinen Grundwehrdienst bei der NVA in Cottbus. Wir Sol- kamen auf ganz unterschiedliche Weise dazu, Politik zu gestalten. Sie daten des dritten Diensthalbjahres hatten uns zum Grillen zusammenge- suchten und schauten sich um, sie wurden unerwartet in etwas hineinge- funden. Auf einmal ratterte gegen 17 Uhr der Fernschreiber, was sehr zogen, sie griffen zu, als sich eine Gelegenheit ergab oder sie blieben ein- ungewöhnlich war. Das Fernschreiben hatte unter dem Vermerk: „Geheime fach ihren Grundsätzen treu. Und dann gab es noch die „Macher“ – Verschlußsache!“ folgenden Inhalt: „Die Entlassung der Entlassungskan- Personen, die sich immer gern engagierten und sich nun entschieden, dies didaten 89 II fällt auf unbestimmte Zeit aus. Keßler, Armeegeneral.“ Frank in der Politik zu tun. Nach diesen Unterschieden sind die verschiedenen Dietrich schenkte der Meldung wenig Beachtung, erst später wurde ihm Buchabschnitte betitelt. klar, was es damit auf sich hatte. Bei allen Eigenheiten der Charaktere und Sichtweisen einte die Men- Nur wenige verbrachten ihre Wochenenden anders als in den Jahren schen in diesem Buch, dass sie bereit waren, auch nach der Zeit des gro- zuvor, doch die Stimmung änderte sich langsam. Britta Stark, die sonst ßen Umbruchs Politik zu gestalten, sich den Mühen und auch Verwun- gerne mit dem Fahrrad einen Ausflug unternahm: „Es gab aber auch Sonn- dungen des politischen Streits auszusetzen, gemeinsam etwas Neues zu tage, an denen ich mit Freunden diskutiert habe, wie man die sich verän- schaffen, obwohl sie keinen Masterplan dafür hatten. Sie übernahmen Ver- dernde politische Situation selbst mitgestalten kann.“ Ähnlich erging es antwortung und prägen mit ihren Entscheidungen Brandenburg bis heute. Alfred Pracht bei der Parteiarbeit für die LDPD: „Es fanden mehr Gesprä- Lebenslinien sind nicht vorgezeichnet, sie waren es nie und sind es che und Diskussionen an Sonntagen statt als bisher üblich, wir sprachen heute nicht. Einige der Befragten stehen nach wie vor auf der Bühne von offener miteinander, auch über Parteigrenzen hinweg, und äußerten An- Parlament und Regierung, andere sind nicht mehr politisch aktiv, wofür es sichten, die wir uns Jahre vorher nicht getraut hätten zu sagen.“ jeweils ganz unterschiedliche Gründe gab. Zwei Agierende der damaligen 7 8 Zeit sind bereits verstorben. Für sie haben wir im einen Fall den Ehemann, im anderen den Sohn sprechen lassen. Wir stellten allen Personen dieselben Fragen, darunter: Welchen beruf- lichen Hintergrund hatten Sie und wie war Ihre Haltung zur DDR? Welche Erinnerungen haben Sie an 1989/90 und die Phase danach? Was moti- SUCHEN vierte Sie dazu, aktiv Politik zu betreiben? Welchen Umgang mit der Ver- gangenheit bevorzugten Sie? Wie bewerten Sie heute die damaligen Ereignisse und Entscheidungen? Und: Würden Sie das alles noch einmal machen? Die Antworten sind in Erzählform wiedergegeben. Wir wünschen uns, dass die Geschichten in diesem Buch die Leser so in Atem halten wie uns, weil sie zeigen, wie viel Entwicklung in einem Leben möglich ist, wenn man will. Wir wünschen uns auch, dass nebenbei erkennbar wird, wie Politik in einem Bundesland abläuft, dass sie sinnvoll ist, dass die Menschen in Brandenburg einen Schatz gemeinsamer Erfahrungen haben, der sie eint und unterscheidet von anderen. Wer weiß, woher er kommt, kann selbst- bewusster entscheiden, wohin er will. Die Rückblicke im Buch, so individuell sie auch sind, ergeben zusammen ein recht genaues Abbild des personellen Neuanfangs in Brandenburg. Der Schlussaufsatz verdeutlicht, warum das so ist. Er stellt das Erzählte in den größeren Zusammenhang des politischen Aufbruchs und Elitenwechsels in Ostdeutschland und vergleicht Brandenburg mit den anderen Ländern. Der Aufsatz ist so angelegt, dass auch nur einzelne Abschnitte gelesen werden können, deren Themen interessieren. Dieses Buch wäre nicht zustande gekommen ohne die großzügige Bereit- schaft der Befragten, uns Einblicke in ihr Leben, das ihrer Frau (Regine Hildebrandt) oder ihres Vaters (Michael Schumann) zu geben. Simone Diestel, die als Pressefotografin in Potsdam die Protagonisten