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Sendung vom 03.09.1999

Matthias Platzeck Ministerpräsident des Landes im Gespräch mit Dr. Dieter Lehner

Lehner: Willkommen bei Alpha-Forum, verehrte Zuschauer. Zu Gast heute ist Matthias Platzeck. In der ehemaligen DDR war er Bürgerrechtler und Umweltaktivist, nach der Wende Umweltminister von Brandenburg und heute Oberbürgermeister von . Ich begrüße Sie recht herzlich, Herr Platzeck. Viele Menschen in den neuen Bundesländern verspüren nach der Wende so eine Art biographischen Bruch; manche sind sogar bis heute im vereinten Deutschland nicht angekommen. Sie hingegen haben eine rasante Karriere hinter sich. Woran liegt es, dass es solche Unterschiede gibt? Sind Sie wendiger, anpassungsfähiger als andere? Platzeck: Anpassungsfähig bin ich bestimmt. Ich glaube aber nicht, dass mich das so gravierend von anderen unterscheidet. Ich verspüre auch einen biographischen Bruch, aber einen in die Richtung, wie ich ihn mir gewünscht habe. Ich war schon in den Jahren vorher relativ kribbelig, weil ich jemand bin, der schnell unruhig wird, weil er irgendetwas mitmachen, mitgestalten will. Das ging in der DDR nur um den Preis von erheblichen Kompromissen, die nicht in meiner Bandbreite lagen und deshalb war ich sehr froh, als sich 1988/89 eine Veränderung abzeichnete und man mehr mitgestalten konnte. Das habe ich auch getan. Dazu gesellten sich einige Zufälle, wie es in den damaligen Zeiten so war, und so ist das alles gekommen, wie Sie es eben skizziert haben. Lehner: Haben Sie das Gefühl, seit 1989 ein neues, ein zweites Leben zu führen im Gegensatz zum früheren Leben in der DDR? Platzeck: Teils, teils. Der Bruch ist nicht so tief, dass ich ein anderer Mensch geworden bin, sondern es hat sich manches fortführen lassen von dem, was vorher war. Was politische Betätigungsmöglichkeiten betrifft, ob in der Kommune, im Land oder auf dem Gebiet des Natur- und Umweltschutzes, da unterscheidet sich das Leben nach 1989 gravierend von dem vor 1989. Lehner: Schon zu DDR-Zeiten haben Sie eine bemerkenswerte Berufskarriere hinter sich gebracht: Sie sind Diplomingenieur, Biokybernetiker, arbeiteten als wissenschaftlicher Mitarbeiter, dann als Krankenhausdirektor und am Schluss waren Sie in Potsdam als Umwelthygieniker tätig. Wie kam es zu dieser etwas verschlungenen Berufskarriere? Platzeck: Das ganze fing nach dem Studium in – damals Karl-Marx-Stadt - an. Ich arbeitete am Institut für Lufthygiene und habe da die ersten, prägenden Berührungen mit dem Umweltschutz gehabt. Damals, Ende der 70er-Jahre, hatten wir das erste Messnetz für Schwefeldioxid, einen Leitschadstoff für Waldschäden, auf dem Kamm des oberen Erzgebirges aufgebaut. Dort konnte ich etwas wahrnehmen, das ich so für nicht möglich gehalten habe: Es wurde von Waldkrankheiten und vom sterbenden Wald geredet, aber dort oben im Erzgebirge war der Wald in großen Teilen schon tot. Er war schlicht abgestorben und es sah aus wie auf Kriegsbildern. Dies durfte aber nicht gesagt werden, denn offiziell hatte die DDR kein Waldschadensproblem und auch kein Umweltproblem. Das hat sich bei mir tief eingegraben und so wurde ein Anfangsimpuls gesetzt. Wir hatten damals drei kleine Mädchen, die permanent an Bronchitis erkrankt waren, und das hat uns bewogen, Chemnitz den Rücken zu kehren. Da ich weiterhin Geld verdienen musste, sah ich mich nach einer anderen Arbeit um. An der Oder im Osten wurde am Kreiskrankenhaus die Stelle des Verwaltungsdirektors frei und ich habe mich beworben. Da damals schon sehr viele Menschen nicht in den äußersten Osten der DDR ziehen wollten und ich die Ausbildungsvoraussetzungen besaß, wurde ich eingestellt. Zuerst war es eine schöne Sache. Allerdings hat sich nach zwei Jahren das eingestellt, was bei solchen Posten in der DDR eigentlich üblich war. Es kam die Frage, ob ich nicht Mitglied der SED werden wollte, weil das an sich an so eine Funktion gebunden war. Man hatte mir ein bisschen Bedenkzeit eingeräumt, aber ich lehnte ab. So musste ich mich wieder nach etwas anderem umsehen. Es war nicht hochdramatisch, aber ich wusste, dass beruflich nicht mehr viel zu bestellen war, wenn ich nicht in die SED eintrete. So habe ich mich in meiner Heimatstadt Potsdam wieder umgesehen und war froh, als ich einen Beruf wiederum im Umweltschutz finden konnte. Dort war ich von 1982 bis 1989 tätig. Lehner: Jetzt sind Sie ein zweites Mal nach Potsdam zurückgekehrt. Waren Sie damals außer den angesprochenen Anfragen der Partei anderen Restriktionen ausgesetzt, z. B. durch die Staatssicherheit? Platzeck: Nein. Das war für mich überhaupt nicht dramatisch. Es hängt auch damit zusammen, dass ich bis Mitte der 80er Jahre friedlicher Bürger war. Ich habe mich Anfang der 80er Jahre von der damaligen Nationalen Volksarmee, was den Dienst an der Waffe betraf, abgemeldet. Ich hatte in den 70er Jahren schon meinen Grundwehrdienst geleistet und bin im Laufe der ganzen Nachrüstungsdebatte zu der Überzeugung gekommen, dass es mit den Armeen keinen großen Sinn mehr macht. Ich habe mich 1982 abgemeldet, was für eine kurze Aufwallung der Gefühle dort im Wehrkreiskommando und auch bei der Staatssicherheit sorgte. Für mich waren die Folgen aber nicht dramatisch. Ich habe etwas unruhig abgewartet, aber es geschah nichts und ich wurde auch nicht mehr zum Reservedienst eingezogen. Angespannter wurde es 1987/88, als wir in Potsdam anfingen, uns aus Freundeskreisen heraus zu organisieren und Bürgerinitiativen zu gründen. So gab es auch 1989 Kontakte zur Staatssicherheit, indem sie mich aufsuchten und mit allen möglichen, meist leeren Drohungen versuchten, mich vom Weg zu bringen. Auch das würde ich nicht überdramatisieren, denn es hielt sich im Vergleich zu dem, was andere erleben mussten, noch im Rahmen des Erträglichen. Lehner: Hatten Sie damals Hoffnungen auf eine gewisse Reformierbarkeit des realexistierenden Sozialismus aufgrund Ihrer Erfahrungen aus dem Erzgebirge? Platzeck: Ich hatte 1986/87 Hoffnungen, die ganz eng mit Michail Gorbatschow in Moskau zusammen hingen. Wir dachten, dass es nicht an der DDR spurlos vorübergehen kann, was sich da in Russland tut. Ich hatte gute Beziehungen nach Russland, weil ich dort zwei Mal zum Praktikum war und gemerkt habe, was dort für eine Aufbruchstimmung herrschte. Man hat das auch in anderen Ländern wie Polen und Ungarn mit Händen greifen können, was da vor sich ging. Wir waren uns sicher, dass die DDR keine Insel im Meer der Veränderung sein kann. Das war allerdings nicht verbunden mit dem Blick nach Westdeutschland, sondern wir dachten, dass wir das bei uns im Land richten würden. Ich bin in der DDR geboren, dort groß geworden und habe es auch als mein Land betrachtet. Ich habe an die Wiedervereinigung bis Anfang der 90er-Jahre keinen Gedanken verschwendet. Wir wollten im Land alles reformieren, wollten versuchen zu mehr Freiheiten zu kommen. Wir wollten auch manches nicht so machen wie in Westdeutschland. Es war alles eine Illusion, wahrscheinlich auch nicht zu Ende gedacht, weil uns z. B. die ökonomische Basis nicht zugänglich war. Wir hatten selbst 1989 ein viel zu positives Bild von dem, was da möglich gewesen wäre. Lehner: Ihnen werden zwei Etiketten aufgeklebt, was das damalige Wirken betrifft: einerseits Bürgerrechtler, andererseits Umweltaktivist. Sie haben eine Umweltgruppe namens “ARGUS” ins Leben gerufen. Was trifft mehr zu: der Bürgerrechtler oder der Umweltaktivist? Platzeck: Mit dem ersten Etikett würde ich mich selbst nicht unbedingt versehen. Ich denke, das sollte Menschen vorbehalten bleiben, die es in ganz kleiner Zahl gab und die wirklich über Jahre viel Mut hatten und sich ganz intensiv für Bürgerrechte einsetzten, dafür auch Restriktionen ausgesetzt oder im Gefängnis waren. Mein Thema war ganz einfach der Umwelt- und Naturschutz. Da lagen die Missstände, gerade Mitte bis Ende der 80er Jahre, offen auf der Hand. Wir haben in Potsdam außerhalb der kirchlichen Kreise eine Gruppe gegründet, weil wir davon ausgegangen sind, dass man das nicht nur in der Kirche lassen darf. Wir wollten auch ein bisschen hinein in das gesellschaftliche Leben. Wir haben nur das, was Partei und Regierung immer wieder verkündeten, wörtlich genommen und es dann auch gemacht. Es gab z. B. das Landeskulturgesetz, das so übel gar nicht war, aber es hielt sich niemand daran. Wir haben die Paragraphen genommen und uns dafür eingesetzt, dass sie nach Buchstabe und Inhalt umgesetzt werden. Das war schon schlimm genug und wir kamen schon ins Rudern. Es fiel der Staatsmacht zumindest anfangs relativ schwer, uns etwas anhaben zu können, weil wir uns auf einem Boden bewegten, den sie selbst bereitet hatte. Lehner: Was hatte die Gruppe ARGUS zum Programm und wer waren die Mitglieder? Platzeck: Der Name ARGUS heißt ausgeschrieben: Arbeitsgemeinschaft für Umweltschutz und Stadtgestaltung. Die Schwerpunkte waren städtischer Umweltschutz, Umwelthygiene und Stadtgestaltung, was gerade in Potsdam eine große Rolle spielte, da Potsdam eine Stadt mit städtebaulichem Erbe ist. Hier denke ich z. B. an das holländische Viertel, die Holländische Kolonie usw. Dies waren Stadtviertel, die in Zeiten des Sozialismus dem fast völligen Verfall preisgegeben waren. Dies stieß in der Stadtbürgerschaft immer mehr auf Kritik und diese Leute haben sich dort zusammengefunden. Es waren vorwiegend junge Leute. Wir waren zu Beginn 35 Frauen und Männer, Durchschnittsalter 30 Jahre. Der Verfall von Potsdams Innenstadt war nicht mehr geheim zu halten, da ihn jeder beobachten konnte, der nicht mit geschlossenen Augen durch die Stadt ging. Man konnte sehen, dass es höchstens noch fünf Jahre so weitergehen würde, ehe sie in sich zusammenbrechen würde. Das hat für hinreichend Potential gesorgt und so gab es Leute, die weder in den Westen ausreisen wollten – das war damals 1988/89 auch in Potsdam eine relativ große Bewegung – noch einfach alles hinnehmen wollten. Sie wollten hier bleiben, aber hier etwas verändern. Daraus rekrutierte sich letztlich der Bestand der Bürgerinitiative. Kurz davor hat sich eine zweite Bürgerinitiative gegründet, die sich speziell ein Kulturgut in Potsdam zum Ziel nahm, den Pfingstberg, den höchsten Aussichtspunkt Potsdams, der gekrönt ist von einem Bauwerk, das jetzt wieder hergestellt wird. Es hat die Kriegszeiten völlig überstanden und verfiel erst in den 40 Jahren Sozialismus. Es hatte noch die Besonderheit, dass dieser Aussichtspunkt - dieses schöne Schloss auf dem Berg - bewusst nicht mehr gepflegt wurde, denn man konnte von dort oben sowohl in das Gelände der Staatssicherheit Einblick nehmen, als auch in die Truppenübungsflächen der russischen Streitkräfte, die Potsdams Norden komplett besetzt hatten. Das hat natürlich dazu geführt, dass auch hier politische Aspekte dabei waren, die von uns so gar nicht beabsichtigt waren. Lehner: Sie sind mit Teilen der Gruppe in das Neue Forum eingetreten und hoben die Grüne Liga aus der Taufe. War diese Grüne Liga mehr eine Bewegung oder eine Partei, analog zu den Grünen in Westdeutschland? Platzeck: Es war keine Partei. Die Gründung der Grünen Liga und der Grünen Partei verlief zeitgleich. Im November 1989 gab es auch unterschiedliche Politikansätze und viele Leute, die mit einer Partei nichts mehr zu tun haben wollten. Man wollte eine parteiübergreifende Bewegung schaffen. Es war etwas Blauäugigkeit dabei, da man dachte, dass man mit völlig neuen Ansätzen politisches Leben gestalten könnte, was sich so letztlich nicht als reale Möglichkeit erwiesen hat. Die Grüne Liga war ein Verband - der erste DDR-weite Umweltverband -, der seine Wurzeln schon in Treffen im April 1989 und am 7. Oktober 1989 in Potsdam hatte. Wir hatten es dort von ARGUS aus ermöglicht, dass Gruppen aus 24 Städten, was zu DDR-Zeiten schon eine große organisatorische Leistung war, auf Privatbasis zusammen kamen und sich austauschten. Im April gründeten wir ein Informationsnetzwerk all dieser Umweltgruppen, verfeinerten es am 7. Oktober, dem 40. Jahrestag der DDR, durch ein zweites Treffen und verabschiedeten eine Resolution am 7. Oktober, die auch von fast allen unterschrieben wurde, was damals relativ viel Mut voraussetzte. In dieser Resolution waren unsere Ziele formuliert, die nicht konform gingen mit dem, was zeitgleich in Berlin auf der 40-Jahrfeier verkündet wurde. Das war die Grundlage für die Grüne Liga. Lehner: Sie saßen mit am Runden Tisch und wurden in der ersten Regierung Modrow Minister ohne Geschäftsbereich. Wie kam es so urplötzlich dazu? Platzeck: Es war alles sehr spannend. Die Grüne Liga kam mit an den Runden Tisch, weil sie der einzige und flächendeckende Umweltverband seinerzeit war und dieses Thema ausgangs der DDR eine eminent große Rolle spielte. Man brauchte nur nach Unna, Leuna oder in die Uranabbaugebiete in Thüringen und Sachsen gehen oder sich den Zustand der Seen und Flüsse ansehen. Das Umweltthema betraf fast jeden Bürger. Ich galt als jemand, der ein ausreichend großes Mundwerk hatte und da wurde ich gebeten, mich mit hin zu setzen, weil viele Politikprofis aus der alten DDR, z. B. die Blockparteien oder die SED, auch mit am Tisch saßen. Beim Eintritt ins Kabinett spielte auch wieder der Zufall mit, denn die Grüne Partei, die auch am Runden Tisch vertreten war, suchte jemanden, der sie im Kabinett Modrow vertreten sollte. Zu dieser Bildung kam es, weil Modrow damals Ende Januar gemerkt hatte, dass ihm die Verhältnisse aus den Händen glitten. Die DDR wurde von Tag zu Tag unregierbarer und er hat - wie ich finde - den nicht falschen Ansatz gewählt zu sagen, dass er die Wahlen von Mai auf März vorziehen will. Das war auch eine Forderung der Bürgerbewegung. Er wollte auch, dass von den Bürgerbewegungen Minister ohne Geschäftsbereich mit in die Regierung kommen, um eine Regierung der nationalen Verantwortung zu schaffen. Damals war ich in einem Seminar in Tutzing, hier in Bayern, und bekam einen Anruf, dass ich sofort nach Berlin zurückkommen und übermorgen als Minister vereidigt werden sollte. Ich stand etwas ratlos am Telefon, bin aber dann doch zurückgefahren. So wurde ich Minister. Lehner: Danach waren Sie auch als Bundestagsabgeordneter in Bonn. Ich habe in verschiedenen Artikeln gelesen, dass es Ihnen dort überhaupt nicht gefallen hat. Weshalb nicht? Haben diese Erfahrungen damals in Bonn eine bundespolitische Karriere des Matthias Platzeck verhindert? Platzeck: Das zweite wäre die blanke Spekulation. Lehner: Sie haben es immerhin abgelehnt, im Schattenkabinett von Gerhard Schröder aufzutauchen. Platzeck: Ja, aber das fußte nicht unbedingt auf den Erfahrungen, die ich damals 1990 in Bonn gemacht habe. Ich bin im März 1990 in die erste freigewählte gewählt worden, war dort parlamentarischer Geschäftsführer der hochspannenden Fraktion Bündnis 90/Grüne, wo Leute wie Jens Reich, Günther Nooke, , Konrad Weiß und viele andere vertreten waren. Es war eine Fraktion, in der eigentlich viele von denen waren, wie Gerd Poppe, die die Wende in der DDR eigentlich mit angeschoben und bewirkt haben. Das war eine hochspannende Tätigkeit, fast 24 Stunden am Tag, denn dort brannte die Luft. Dann kamen wir im Oktober 1990 nach Bonn. Dort fand ich ein geruhsames, gemächliches, fast beschauliches politisches Leben vor und wurde gleich wieder kribbelig. In Berlin war eigentlich jeden Tag die Welt eine andere, es war die Zeit des Umbruchs und für mich war Bonn viel zu weit weg und abgekoppelt. Deshalb habe ich es dort nicht lange ausgehalten. Lehner: Im November 1990 wurden Sie Umweltminister im ersten Kabinett Stolpe. War das vorauszusehen? Platzeck: Für mich war es nicht direkt vorauszusehen. Damals habe ich für das Bündnis 90 in Brandenburg kandidiert und wir machten keine gemeinsame Kandidatur mit den Grünen, die es in Brandenburg auch gab. Es gab alle möglichen Querelen, die relativ bald kamen. Wir sind schnell auf normal deutsches Politikniveau gekommen. Wir sind nicht zusammengekommen, haben nicht gemeinsam kandidiert und da war kaum abzusehen, dass es eine der beiden Gruppierungen im Gegeneinander schafft, die Fünf- Prozent-Hürde zu überspringen. Damals haben wir es als Bündnis 90 in Brandenburg mit 6,5 Prozent geschafft. Die Grünen haben es nicht geschafft und von daher war es nicht abzusehen. Es begannen die sehr spannenden Verhandlungen um die erste Ampelkoalition in Deutschland: SPD, Bündnis 90 / Grüne, FDP. Ich hatte mit dem Umweltschutz schon eine ganze Menge zu tun und betätigte mich auch öffentlich. So kam auf mich zu und meinte, wenn das mit der Regierung etwas wird, dann sollte ich mich damit anfreunden, das Umwelt- und Planungsressort zu übernehmen. Lehner: Sie galten schon damals als jemand, der über große integrative Fähigkeiten verfügt und auch nicht so parteipolitisch fixiert ist. Sie haben sich z. B. damals einen CSU-Staatssekretär ins Ministerium geholt, was keiner verstand. Warum haben Sie das gemacht? Platzeck: Ich war völlig unerfahren. Mir war klar, dass wir nicht im eigenen Saft schmoren konnten, sondern ganz schnell Kontakt zu den alten Bundesländern aufnehmen müssen, uns aber auch in Europa wiederfinden müssen, wozu ich als DDR-Bürger überhaupt keine Beziehung hatte. Der Weg über die Glienicker Brücke von Potsdam nach Berlin im November 1989 war mein erster Schritt in den Westen hinein. Ich kannte Dr. Paul Engstfeld von der Volkskammer sehr gut. Er hat für den Umweltausschuss des Europäischen Parlaments den Vereinigungsprozess begleitet und steckte tief in den Problemen des Umweltrechtes drin und andererseits auch in den europäischen Problemen, weil seine Arbeitsorte Luxemburg und Brüssel waren. Ich rief ihn an und bot ihm an Staatssekretär zu werden. Ich wusste nicht, dass er in der CDU war, aber es war mir auch egal, da er ein guter Mann war. Das hat bei den Ostdeutschen in der Regierung keine Gefühlsaufwallung gegeben. Unsere nordrheinwestfälischen Berater waren etwas von den Socken und da musste ich erst klarstellen, wer denn nun Minister geworden ist und wer nicht, und dann ging es ganz gut. Lehner: Sie haben sich als Rot-Grüner mit wertkonservativen Elementen bezeichnet. Was meinten Sie damit konkret? Platzeck: Ich bin jemand, der von dem Thema “Schutz der Umwelt und der Natur” sehr geprägt ist und das wird sich in diesem Leben sicher nicht mehr verlieren, weil ich über viele Jahre hinweg mitverfolgen konnte, was es heißt, dieses Thema zu vernachlässigen. Es war seinerzeit auf dem Gebiet der DDR eine rasante Abwärtsentwicklung zu verzeichnen. Wer sich mit Naturschutz intensiv auseinander setzt oder auf diesem Gebiet arbeitet, wird nie leugnen können, dass er auch konservative Züge hat. Ich bin der Meinung, dass grundsätzlich in der Lebenshaltung, ob man nun religiös ist oder nicht, ein bisschen Demut ganz angebracht ist. Wir leben in Zusammenhängen, die über Jahrmillionen entstanden sind, ausgefeilt, gut organisiert, aber hochsensibel. Das ist mein Ansatz zu diesem Wertkonservativen. Ehe man etwas wegwirft, das sich bewährt hat - das meine ich auch im Hinblick auf Naturzusammenhänge - ehe man denkt, man könne es spielend verbessern und mit einigen technischen Tricks vielleicht sogar überlisten, sollte man es sich 20 Mal überlegen. Lehner: 1993 kam es zum Bruch mit Bündnis 90, weil Sie die Fusion mit den Grünen nicht mitvollziehen wollten, im Gegensatz zu Ihrem Parteifreund Günther Nooke. Warum haben Sie da nicht mitgespielt? Platzeck: Damals kam es nicht zum Bruch mit Günther Nooke. Die ganze Fraktion Bündnis 90 hat damals diesen Zusammenschluss mit den West-Grünen nicht mitgemacht. Günther Nooke auch nicht. Er ist heute bei der CDU als Bundestagsabgeordneter. Damals war ich mit Günther Nooke eigentlich einig. Das hing mit vielen politischen Vorbehalten zusammen. Der Name West-Grüne sagt schon, dass sie für uns sehr westlich geblieben sind, auch in ihrer Denkweise, der Art, Politik zu machen, und in ihrem ganzen Erscheinungsbild, so wie wir es wahrgenommen haben. Es gab natürlich, wie auch im politischen Leben, viele persönliche Zwiste, die das Geschäft auch noch erschwerten. Rückblickend muss man heute sagen, dass es insgesamt keine glückliche Fügung war. Ich möchte heute niemandem die Schuld zuschieben, aber es wäre besser gewesen, man hätte damals mit etwas mehr Augenmaß und mehr Kompromissbereitschaft diesen Zusammenschluss hinbekommen. Das hätte speziell in Ostdeutschland dem Bündnis 90/Grünen einen zusätzlichen Schub verleihen können. Heute hat sich das, was damals Bündnis 90 war, in alle Winde verteilt. Auf der anderen Seite muss man fairerweise sagen, dass dort eigentlich ein Prozess stattgefunden hat, der so unüblich nicht ist: die Solidarnosc in Polen hat sich nach der Wende aufgeteilt, die Bürgerrechtsbewegung in Tschechoslowakei hat sich in die verschiedensten Parteirichtungen aufgesplittet. So galt es auch für das Bündnis 90 in der DDR: es gab das Neue Forum, Demokratie jetzt, die Initiative Frieden und Menschenrechte. Sie alle haben sich gefunden, um gegen etwas zu sein. Das ist etwas sehr Verbindendes, auch etwas Einfaches. Als es dann darum ging, wofür sie sind, welche Wege sie einschlagen wollten, welche Instrumente und Mittel sie einsetzen wollten, differenzierte es sich aus. So kam es - um das Trio zu nennen, das in Brandenburg damals für das Bündnis 90 in die Wahl zog -, dass Günther Nooke heute in der CDU, Marianne Birthler bei den Grünen und ich bei der SPD bin. Da hat die klassische Ausdifferenzierung stattgefunden. Lehner: Ist diese Ausdifferenzierung auch ein Hinweis auf diese Zerrissenheit von Existenzen, die sich in der Nach-DDR-Phase vollzogen hat? Platzeck: Für diese drei Beispiele das Wort Zerrissenheit zu wählen, trifft nicht. Es sind Selbstfindungsprozesse, bei denen man erst in der politischen Arbeit – wir fingen letztendlich alle bei Null an – merkt, wo man überhaupt hin will. Bei mir war es auch ein relativ langer Prozess und als das Bündnis 90 und die Grünen sich zusammenschlossen - zumindest diejenigen, die es wollten - war ich eine ganze Zeit lang parteilos und bin erst Mitte 1995 in die SPD gegangen, was für viele so verwunderlich nicht war, weil ich im Bündnis 90 immer schon als der Rote galt. Ich wurde auch immer zu den SPD- Parteitagen geschickt, denn die SPD war unser Koalitionspartner. Ich hatte viele Freunde in der SPD, so dass das kein großer Schritt mehr für mich war. Lehner: Warum haben Sie sich so lange Zeit gelassen, wenn es ja von Ihrem Werdegang her schon abzusehen war? Hatten Sie Angst, als Konvertit zu gelten? Platzeck: Die Bedenken spielten auch eine Rolle, aber es war nicht das Prägende. Ich wollte für mich selber eine Entscheidung treffen und es genauer wissen und ließ die Dinge langsam in mir wachsen. Irgendwann kam ich an einen Punkt, an dem ich bereit war, es zu machen, und auch dahinter stand. So lange das aber nicht der Fall war, habe ich es nicht gemacht. Es gab viele, die vor der Wahl 1994 sagten, dass ich es jetzt tun sollte, denn wer weiß, ob ich dann je wieder eine Chance hätte – also mehr aus politisch-praktischen Erwägungen. Das wollte ich aber nicht, denn dabei hätte ich kein gutes Gefühl gehabt. Lehner: Mich interessieren natürlich auch die umweltpolitischen Inhalte, die Sie damals versuchten durchzusetzen als Minister in fast zwei Legislaturperioden. Am Anfang war es eine sehr anarchische Situation, diese Goldgräberstimmung, die damals herrschte; diese Golfplatz- und Supermarktbetreiber, die zu Scharen in die östlichen Bundesländer kamen; die Trabbis, die an allen Ecken abgestellt wurden; dubiose Sondermüllentsorger usw. Wie konnte man in solcher Situation überhaupt konkret Umweltpolitik betreiben und etwas durchsetzen? Platzeck: Man musste ein fröhlicher Mensch sein, wenn man damals, von 1990 bis 1992, nicht verzweifeln wollte. Das bin ich und somit verzweifelte ich nicht. Wir hatten in dem Ministerium eine gute Mischung. Ich hatte viele gute Leute, Abteilungsleiter – übrigens fast alle seinerzeit parteilos -, die gute Fachleute, aber keine Juristen waren. Wir hatten aus der alten Bundesrepublik gelernt, dass man ab Abteilungsleiter unbedingt Jurist sein muss. Wir waren nicht schlecht beraten, dass es Experten waren, ob für Müllentsorgung, Naturschutz, Wasserwirtschaft oder ähnliches. Fast alle waren Brandenburger und haben sich ganz schnell eingearbeitet. Man kann sagen, dass wir als Brandenburgisches Umweltministerium mit dieser Mannschaft im bundesweiten Vergleich zu jenen gehörten, die ihr Licht nicht unter den Scheffel stellen brauchten. Wir hatten uns ein paar Ziele formuliert, haben versucht, allzu große Sprüche im Vorfeld zu vermeiden, denn wir wollten lieber etwas erreichen, was manchmal in der Stille besser geht, als wenn man die Fahne zu sehr schwenkt. Wir hatten zwei Hauptziele. Einerseits wollten wir möglichst schnell auf marktwirtschaftlicher Basis zu einer vernünftigen Müllentsorgung kommen. Wir hatten über 2000 wilde Deponien im Lande Brandenburg, über die niemand einen Überblick hatte und von denen keiner wusste, was darauf liegt. Wir hätten uns selbst in die Handlungsunfähigkeit geführt, wenn wir alle vorhandenen westdeutschen Standards hundertprozentig angewandt hätten. Heute sind wir bei der Müllentsorgung auf einem Stand, von dem man sagen kann, dass alles geregelt ist, keine Umweltgefahren mehr davon ausgehen, und bezahlbar ist es auch noch geblieben. Der zweite, mir sehr am Herzen liegende Punkt war, dass Brandenburg nicht nur ein miserables Erbe, was den Zustand der Flüsse und Seen und vor allem der Luft anbelangt, übernommen hatte. Wir waren Weltmeister im Kohlendioxidausstoß pro Kopf in der Braunkohleregion. Wir haben aber auch einen Schatz übernommen, nämlich die in Teilen noch unzerstörte Natur, die sich insbesondere dort ausgebildet hatte, wo unsere Staatsoberen ihre riesigen Staatsjagdgebiete hatten oder - was viele nicht wissen – wo die ehemaligen Truppenübungsplätze lagen. Diese Plätze waren von großen Schutzzonen umgeben, denn man wollte dort nicht gestört sein. Dort konnte sich die Natur 50 Jahre lang völlig unbeeinflusst entwickeln. Dort fanden wir Schätze vor. Unser damaliger Umweltminister Klaus Töpfer, mit dem ich sehr gerne zusammen gearbeitet habe, hat das mit wenigen Blicken erkannt und half uns intensiv, diese Gebiete unter Schutz zu stellen. Hier haben wir im Naturschutz der Bundesrepublik mit dazu beitragen können, dass es so eine Art Paradigmenwechsel gab, nämlich weg vom Schutz einer einzigen Art mit großem finanziellen Aufwand, hin zum Lebensraumschutz, denn wenn der Lebensraumschutz einigermaßen funktioniert, dann stellt sich die Artenvielfalt an vielen Stellen von selbst ein. Das ist uns einigermaßen gelungen. Lehner: Sie haben die Braunkohle erwähnt, die seit vielen Jahren ein Umwelt- Dauerbrenner ist. An keiner anderen Frage entzündet sich so unmittelbar der Konflikt zwischen Ökologie und Ökonomie. Brandenburg ist mit der Lausitz-Region davon sehr betroffen. Sie wollten damals auch dezentrale Stromkonzepte durchsetzen. Wie konnten Sie sich gegen die Energiekonzerne überhaupt durchsetzen? Platzeck: In Brandenburg war die Windenergie bis 1989 überhaupt nicht vertreten und keiner hatte eine Ahnung davon. Wer heute durch das Land fährt, sieht, dass Windparks entstanden sind. Wir waren eines der ersten Länder, die im Binnenland damit anfingen. Die Küstenländer waren dafür prädestiniert; in Binnenländern hingegen wurde es bezweifelt. Es hat funktioniert und es funktioniert auch weiter. Die Ökologie hatte unbewusst in der Marktwirtschaft, an manchen Stellen auch ungewollt, Helfer. Von unseren 13 Braunkohletagebauen wurden aus rein wirtschaftlichen Gründen in kürzester Zeit zehn nicht mehr rentabel und brachen zusammen, in Folge alle daran hängenden Brikett-Fabriken, Kraftwerke usw. Der positive Effekt war, dass sich die Luft in der Lausitz in wenigen Jahren um bis zu 90 Prozent verbesserte. Dies führte wiederum dazu - von vielen Umweltschützern heftig kritisiert und auch ich wurde deshalb heftig kritisiert - , dass wir gesagt haben, dass die jetzt noch existierenden drei Tagebaue - aus meiner Sicht ist es auch heute noch so – möglichst über die nächsten Jahre noch erhalten bleiben müssen, weil der soziale Fadenriss sonst politisch nicht mehr zu beherrschen ist. Wenn man also von 13 Tagebauen in kurzer Frist zehn schließt ohne Abfederungsprogramme, so steigt die Zahl der Arbeitslosen enorm. Auch eine Umweltpolitik kann nichts mehr bestellen, wenn man soziale Fadenrisse zulässt, und deshalb war ich auch für die Inanspruchnahme des Ortes Hornow, an dem sich die ganze Debatte in Brandenburg entzündete. Für mich verband sich damit die Hoffnung, dass wir das Standbein Energiewirtschaft noch eine Weile in Brandenburg halten können. Obwohl die Liberalisierung des Energiemarktes und was hier auf uns zurollt sehr begrüßenswerte Aspekte hat, wird sie in Brandenburg künftig an vielen Stellen zusätzliche Probleme schaffen. Lehner: Sie haben es geschafft, dass 40 Prozent des Landes Brandenburg unter Naturschutz gestellt worden sind. Sie haben u.a. den Nationalpark Unteres Odertal gegen große Widerstände ins Leben gerufen. Einmal musste der Entwurf dafür wieder in der Schublade verschwinden, aber Sie haben den Nationalpark letztlich doch durchgesetzt. Bundesweit bekannt geworden sind Sie aber durch ein anderes Ereignis an der Oder, nämlich das große Oderhochwasser vom Sommer 1997, wo Sie sich als Krisenmanager einen Namen machten. Nicht nur Sie, sondern viele Politiker besuchten damals die Oder, aber gerade Ihnen hat man ein Höchstmaß an Glaubwürdigkeit zugeschrieben. Woran liegt es, dass Sie mehr als andere Politiker hier überzeugen konnten? Platzeck: Zum einen habe ich die Oder damals nicht nur besucht, sondern meine Zelte aufgeschlagen und war fünf Wochen dort. Ich habe mit meinem Stab direkt am Wasser gewohnt. Wir konnten jeden Morgen aus dem Fenster blicken und sehen, ob sich der Wasserpegel nach oben oder unten entwickelt. Außerdem war ich zusammen mit dem Innenminister dafür verantwortlich, denn in meinem Ressort lag auch die Wasserwirtschaft, die Deichsicherheit und alle Bau- und Sicherheitsmaßnahmen an dem Deichsystem. Von daher hatte ich automatisch jeden Tag, 24 Stunden, mit dem Thema zu tun. Wir haben die Situation in Tschechien und Polen auswerten können. Es war hochdramatisch was dort passierte. Wir erhielten als eine der ersten Informationen, dass das Manko in der Informationspolitik der Bevölkerung - der Informationsfluss von Behörde zu Bevölkerung und zurück - lag. Deshalb wollten wir diesen Fehler nicht machen, irgendetwas schön zu reden, aber wir wollten auch nicht, dass die Leute in Panik geraten. Wir wollten so realistisch, so ehrlich wie möglich rund um die Uhr berichten, weil natürlich 10000 Menschen im Oderbruch – das ist ein riesiger Landstrich, der unter dem Pegel der Oder lag - in Gefahr waren. Wenn uns hier ein Deich gebrochen wäre wie 1947, hätte der gesamte Landstrich innerhalb weniger Stunden mit vielen Dörfern und Städten unter Wasser gestanden. Deshalb habe ich die Möglichkeiten, die die Medien heute bieten, genutzt, den Sachstand, so wie er uns bekannt war, und die Maßnahmen, die wir einleiten wollten bis hin zur Evakuierung - die natürlich immer schwer durchzusetzen ist, gerade in ländlichen Gegenden, denn wer verlässt gerne freiwillig Haus und Hof in eine ungewissen Zukunft - diesen Leuten immer wieder zu erklären. Wir haben versucht, ein komplettes Bild zu vermitteln. Ich muss immerhin sagen – das gilt für alle, die dort arbeiteten – dass uns die Leute nach wenigen Tagen auch geglaubt haben. Als wir dann gesagt haben, dass evakuiert werden muss, funktionierte das auch. Letztlich hat sich die Evakuierung als richtig erwiesen, denn bei den Deichbrüchen an der Ziltendorfer Niederung haben wir am Abend vorher evakuiert und am nächsten Morgen sind die Deiche gebrochen. Lehner: Naturschutz als Sozialleistung ist eines Ihrer Hauptziele, das sich wie ein roter Faden durch Ihr politisches Wirken seit der Wende zieht. “Das eine darf das andere nicht fressen”, sagten Sie einmal. Was meinten Sie damit konkret? Platzeck: Einerseits geht das an die Adresse der Naturschützer, bei denen sich manche als Fachkraft in ihrer Nische ganz wohl fühlen. Sie müssen aber hinaus, es begreifbar machen, was in der Natur geschieht und es auch populärwissenschaftlich darstellen. Wir brauchen Mehrheiten. In einer Demokratie kann man erst etwas bewirken, wenn man “50 % + 1” hat. Der Gesellschaft habe ich – zusammen mit vielen anderen - versucht deutlich zu machen, dass es wirklich eine soziale Leistung ist. Wenn wir unsere Natur, unsere Lebensgrundlage, nicht mit der nötigen Aufmerksamkeit schützen, bewahren und entwickeln, nicht die Sensibilität an den Tag legen und die Instrumente schaffen, dass sie uns erhalten bleibt, dann können wir alles andere vergessen. Es ist nicht in den Köpfen der Leute, dass Naturschutz eine soziale Leistung ist. Es wird als Luxusgut betrachtet, dem man sich widmen kann, wenn Geld und Zeit übrig sind. Ich bin aber der Meinung, wenn es diese Grundlage nicht mehr gäbe, dann bräuchten wir uns über alle anderen gesellschaftlichen Prozesse keine Gedanken mehr machen. Damit meine ich nicht nur die hier im Lande ausgeprägte Schönheit, sondern auch die Zusammenhänge und das Funktionieren der Natur und des Lebens. Das alles muss bewahrt bleiben. Es ist kein Geheimnis mehr, dass in großen Gebieten der Welt die nächsten Kriege schon in den nächsten Jahren um das Wasser geführt werden, weil man diese ganzen Mechanismen nicht beachtet hat, außer Acht ließ, Raubbau, Ausbeutung der Natur betrieb. Als letztes Mittel bleibt dann nur noch, um die verbliebenen Quellen und Grundlagen vielleicht mit Panzern zu kämpfen. Das kann eigentlich nicht das Zukunftsbild sein. Deshalb muss man Naturschutz als soziale Leistung anerkennen und verstehen. Lehner: Ende 1998 sind Sie von den Höhen der internationalen und nationalen Umweltpolitik in die Niederungen der Kommunalpolitik gestiegen und Oberbürgermeister Ihrer Geburts- und Heimatstadt Potsdam geworden. Das hatte eine kleine Vorgeschichte: Ihr Vorgänger wurde mit Schimpf und Schande und einem Bürgerbegehren aus dem Amt gejagt. War das eine Aktion als Parteisoldat, um Potsdam vor der PDS zu retten, oder was hat Sie an dieser Aufgabe gereizt? Platzeck: Es waren mehrere Faktoren: Zum einen habe ich immer gesagt, dass es für mich zwei Dinge gibt, die mich richtig bewegen, und das ist zum einen der Umwelt- und Naturschutz und zum anderen meine Heimatstadt Potsdam. Ich finde, dass Potsdam eine traumhaft schöne Stadt ist, eine lebenswerte, aus der mich auch niemand wegbekommt. Daran hat man mich auch erinnert, als die Not am größten war. Es spielte auch eine Rolle, dass ich damals der dienstälteste Umweltminister der Bundesrepublik war und es gab eine Zeit, in der ich mich fragte, ob ich mein Feld hier nicht schon bestellt hätte, denn es war eine lange Zeit. Ich wollte nicht als Umwelt- Methusalem enden. Ich habe ein gutes Gefühl gehabt, dass viele Dinge, die wir uns 1990 vorgenommen hatten, einen Reifegrad erreichten, der es zuließ, etwas Neues zu probieren. Der Dritte Punkt war, dass Potsdam in Brandenburg allgemein als schwer bis nicht regierbar galt. Potsdam ist die “Meckerhauptstadt” des Ostens – das hat jedenfalls der “Spiegel” einmal herausgefunden. Die Differenz zwischen den objektiven Daten in Potsdam wie Gehalt, Wohnraumversorgung, Kultur usw. und der subjektiven Wahrnehmung durch die Bürger ist in keiner Stadt so groß wie dort. Wir lagen auf einem Spitzenplatz bei Umfragen, was objektive Daten betraf, und auf dem letzten Platz, was die Annahme durch die eigenen Bürger anging. Ich wollte herausfinden, ob diese Stadt wirklich nicht regierbar ist und das war das Prickelnde, das Herausfordernde. Letztlich natürlich auch der Fakt, dass damals ein sehr populärer PDS-Kandidat zur Rede stand und die Sozialdemokraten meinten, dass man jetzt aufpassen müsse, weil sonst Potsdam als erste Landeshauptstadt an die PDS/SED geht und das wollte ich auch nicht. Lehner: Sie haben damals mit fast 64 Prozent ein mehr als respektables Ergebnis erzielt. Sie müssen sich jetzt gegen den früheren rot-roten Filz,, der sich da aufgebaut hat, dubiose Investoren und ein etwas merkwürdiges städtisches Baugeschehen durchsetzen. Wie schaffen Sie das? Platzeck: Ob ich es schaffe, werden die nächsten Jahre zeigen, denn es ist nicht mit zehn Monaten getan. Potsdam ist hochverschuldet, was viele Ursachen hat: Es gab Missmanagement, aber auch die normalen Sorgen, die jede ostdeutsche Stadt hat. Wir haben einen großen Nachholbedarf, denn die Stadt war 1989 fast verfallen. Dies alles hat zu dieser fast unentwirrbaren Problemlage geführt. Ich habe im Wahlkampf keine Versprechungen gemacht, dass es weitergeht wie bisher, sondern habe versucht - so klar mir das damals schon war -, so ehrlich wie möglich zu sagen, dass wir hier eine Menge ändern müssen und vieles nicht mehr so weitergehen wird wie bisher. Wir sind jetzt dabei, die ersten Schritte umzusetzen, beispielsweise, um einen der am heftigsten diskutierten zu nennen: Wir haben als Stadt mit 125000 Einwohnern neben Museum und großer Bibliothek auch ein Theater, ein Kabarett und ein Symphonisches Orchester. Das trägt aber so eine Stadt nicht. Deshalb haben wir uns überlegt, wo ein Einschnitt am verschmerzbarsten ist. Das Orchester hat diese Entscheidung abbekommen, die wir einfach treffen mussten, um wieder etwas Luft zu bekommen. Das hat natürlich zu einer Aufwallung der Gefühle geführt und das wird mir auch von früh bis spät vorgehalten, obwohl das Kompromisspaket, das wir im Haushaltskonsolidierungskonzept beschlossen haben, beinhaltet, dass es auch weiterhin ein Orchester geben kann. Die Stadt würde es fördern, allerdings nicht mehr mit 70, sondern mit 35 Musikern. Ich denke, dass dies der Stadtgröße durchaus angemessen ist. Hier müssen wir erst mal durch. Wir haben im Mai nach vielen Querelen durch die Stadtverordnetenversammlung ein Paket mit 120 Sparmaßnahmen bekommen und nun wird sich zeigen, ob alle dazu stehen. Lehner: Das werden wir abwarten. Vielen Dank für dieses Gespräch, Herr Platzeck. Wir werden auch abwarten, wer einmal Ministerpräsident Manfred Stolpe in seinem Amt beerben wird. Verehrte Zuschauer, das war das Alpha-Forum, heute war Matthias Platzeck zu Gast.

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