Matthias Platzeck Ministerpräsident Des Landes Brandenburg Im Gespräch Mit Dr

Matthias Platzeck Ministerpräsident Des Landes Brandenburg Im Gespräch Mit Dr

BR-ONLINE | Das Online-Angebot des Bayerischen Rundfunks Sendung vom 03.09.1999 Matthias Platzeck Ministerpräsident des Landes Brandenburg im Gespräch mit Dr. Dieter Lehner Lehner: Willkommen bei Alpha-Forum, verehrte Zuschauer. Zu Gast heute ist Matthias Platzeck. In der ehemaligen DDR war er Bürgerrechtler und Umweltaktivist, nach der Wende Umweltminister von Brandenburg und heute Oberbürgermeister von Potsdam. Ich begrüße Sie recht herzlich, Herr Platzeck. Viele Menschen in den neuen Bundesländern verspüren nach der Wende so eine Art biographischen Bruch; manche sind sogar bis heute im vereinten Deutschland nicht angekommen. Sie hingegen haben eine rasante Karriere hinter sich. Woran liegt es, dass es solche Unterschiede gibt? Sind Sie wendiger, anpassungsfähiger als andere? Platzeck: Anpassungsfähig bin ich bestimmt. Ich glaube aber nicht, dass mich das so gravierend von anderen unterscheidet. Ich verspüre auch einen biographischen Bruch, aber einen in die Richtung, wie ich ihn mir gewünscht habe. Ich war schon in den Jahren vorher relativ kribbelig, weil ich jemand bin, der schnell unruhig wird, weil er irgendetwas mitmachen, mitgestalten will. Das ging in der DDR nur um den Preis von erheblichen Kompromissen, die nicht in meiner Bandbreite lagen und deshalb war ich sehr froh, als sich 1988/89 eine Veränderung abzeichnete und man mehr mitgestalten konnte. Das habe ich auch getan. Dazu gesellten sich einige Zufälle, wie es in den damaligen Zeiten so war, und so ist das alles gekommen, wie Sie es eben skizziert haben. Lehner: Haben Sie das Gefühl, seit 1989 ein neues, ein zweites Leben zu führen im Gegensatz zum früheren Leben in der DDR? Platzeck: Teils, teils. Der Bruch ist nicht so tief, dass ich ein anderer Mensch geworden bin, sondern es hat sich manches fortführen lassen von dem, was vorher war. Was politische Betätigungsmöglichkeiten betrifft, ob in der Kommune, im Land oder auf dem Gebiet des Natur- und Umweltschutzes, da unterscheidet sich das Leben nach 1989 gravierend von dem vor 1989. Lehner: Schon zu DDR-Zeiten haben Sie eine bemerkenswerte Berufskarriere hinter sich gebracht: Sie sind Diplomingenieur, Biokybernetiker, arbeiteten als wissenschaftlicher Mitarbeiter, dann als Krankenhausdirektor und am Schluss waren Sie in Potsdam als Umwelthygieniker tätig. Wie kam es zu dieser etwas verschlungenen Berufskarriere? Platzeck: Das ganze fing nach dem Studium in Chemnitz – damals Karl-Marx-Stadt - an. Ich arbeitete am Institut für Lufthygiene und habe da die ersten, prägenden Berührungen mit dem Umweltschutz gehabt. Damals, Ende der 70er-Jahre, hatten wir das erste Messnetz für Schwefeldioxid, einen Leitschadstoff für Waldschäden, auf dem Kamm des oberen Erzgebirges aufgebaut. Dort konnte ich etwas wahrnehmen, das ich so für nicht möglich gehalten habe: Es wurde von Waldkrankheiten und vom sterbenden Wald geredet, aber dort oben im Erzgebirge war der Wald in großen Teilen schon tot. Er war schlicht abgestorben und es sah aus wie auf Kriegsbildern. Dies durfte aber nicht gesagt werden, denn offiziell hatte die DDR kein Waldschadensproblem und auch kein Umweltproblem. Das hat sich bei mir tief eingegraben und so wurde ein Anfangsimpuls gesetzt. Wir hatten damals drei kleine Mädchen, die permanent an Bronchitis erkrankt waren, und das hat uns bewogen, Chemnitz den Rücken zu kehren. Da ich weiterhin Geld verdienen musste, sah ich mich nach einer anderen Arbeit um. An der Oder im Osten Brandenburgs wurde am Kreiskrankenhaus die Stelle des Verwaltungsdirektors frei und ich habe mich beworben. Da damals schon sehr viele Menschen nicht in den äußersten Osten der DDR ziehen wollten und ich die Ausbildungsvoraussetzungen besaß, wurde ich eingestellt. Zuerst war es eine schöne Sache. Allerdings hat sich nach zwei Jahren das eingestellt, was bei solchen Posten in der DDR eigentlich üblich war. Es kam die Frage, ob ich nicht Mitglied der SED werden wollte, weil das an sich an so eine Funktion gebunden war. Man hatte mir ein bisschen Bedenkzeit eingeräumt, aber ich lehnte ab. So musste ich mich wieder nach etwas anderem umsehen. Es war nicht hochdramatisch, aber ich wusste, dass beruflich nicht mehr viel zu bestellen war, wenn ich nicht in die SED eintrete. So habe ich mich in meiner Heimatstadt Potsdam wieder umgesehen und war froh, als ich einen Beruf wiederum im Umweltschutz finden konnte. Dort war ich von 1982 bis 1989 tätig. Lehner: Jetzt sind Sie ein zweites Mal nach Potsdam zurückgekehrt. Waren Sie damals außer den angesprochenen Anfragen der Partei anderen Restriktionen ausgesetzt, z. B. durch die Staatssicherheit? Platzeck: Nein. Das war für mich überhaupt nicht dramatisch. Es hängt auch damit zusammen, dass ich bis Mitte der 80er Jahre friedlicher Bürger war. Ich habe mich Anfang der 80er Jahre von der damaligen Nationalen Volksarmee, was den Dienst an der Waffe betraf, abgemeldet. Ich hatte in den 70er Jahren schon meinen Grundwehrdienst geleistet und bin im Laufe der ganzen Nachrüstungsdebatte zu der Überzeugung gekommen, dass es mit den Armeen keinen großen Sinn mehr macht. Ich habe mich 1982 abgemeldet, was für eine kurze Aufwallung der Gefühle dort im Wehrkreiskommando und auch bei der Staatssicherheit sorgte. Für mich waren die Folgen aber nicht dramatisch. Ich habe etwas unruhig abgewartet, aber es geschah nichts und ich wurde auch nicht mehr zum Reservedienst eingezogen. Angespannter wurde es 1987/88, als wir in Potsdam anfingen, uns aus Freundeskreisen heraus zu organisieren und Bürgerinitiativen zu gründen. So gab es auch 1989 Kontakte zur Staatssicherheit, indem sie mich aufsuchten und mit allen möglichen, meist leeren Drohungen versuchten, mich vom Weg zu bringen. Auch das würde ich nicht überdramatisieren, denn es hielt sich im Vergleich zu dem, was andere erleben mussten, noch im Rahmen des Erträglichen. Lehner: Hatten Sie damals Hoffnungen auf eine gewisse Reformierbarkeit des realexistierenden Sozialismus aufgrund Ihrer Erfahrungen aus dem Erzgebirge? Platzeck: Ich hatte 1986/87 Hoffnungen, die ganz eng mit Michail Gorbatschow in Moskau zusammen hingen. Wir dachten, dass es nicht an der DDR spurlos vorübergehen kann, was sich da in Russland tut. Ich hatte gute Beziehungen nach Russland, weil ich dort zwei Mal zum Praktikum war und gemerkt habe, was dort für eine Aufbruchstimmung herrschte. Man hat das auch in anderen Ländern wie Polen und Ungarn mit Händen greifen können, was da vor sich ging. Wir waren uns sicher, dass die DDR keine Insel im Meer der Veränderung sein kann. Das war allerdings nicht verbunden mit dem Blick nach Westdeutschland, sondern wir dachten, dass wir das bei uns im Land richten würden. Ich bin in der DDR geboren, dort groß geworden und habe es auch als mein Land betrachtet. Ich habe an die Wiedervereinigung bis Anfang der 90er-Jahre keinen Gedanken verschwendet. Wir wollten im Land alles reformieren, wollten versuchen zu mehr Freiheiten zu kommen. Wir wollten auch manches nicht so machen wie in Westdeutschland. Es war alles eine Illusion, wahrscheinlich auch nicht zu Ende gedacht, weil uns z. B. die ökonomische Basis nicht zugänglich war. Wir hatten selbst 1989 ein viel zu positives Bild von dem, was da möglich gewesen wäre. Lehner: Ihnen werden zwei Etiketten aufgeklebt, was das damalige Wirken betrifft: einerseits Bürgerrechtler, andererseits Umweltaktivist. Sie haben eine Umweltgruppe namens “ARGUS” ins Leben gerufen. Was trifft mehr zu: der Bürgerrechtler oder der Umweltaktivist? Platzeck: Mit dem ersten Etikett würde ich mich selbst nicht unbedingt versehen. Ich denke, das sollte Menschen vorbehalten bleiben, die es in ganz kleiner Zahl gab und die wirklich über Jahre viel Mut hatten und sich ganz intensiv für Bürgerrechte einsetzten, dafür auch Restriktionen ausgesetzt oder im Gefängnis waren. Mein Thema war ganz einfach der Umwelt- und Naturschutz. Da lagen die Missstände, gerade Mitte bis Ende der 80er Jahre, offen auf der Hand. Wir haben in Potsdam außerhalb der kirchlichen Kreise eine Gruppe gegründet, weil wir davon ausgegangen sind, dass man das nicht nur in der Kirche lassen darf. Wir wollten auch ein bisschen hinein in das gesellschaftliche Leben. Wir haben nur das, was Partei und Regierung immer wieder verkündeten, wörtlich genommen und es dann auch gemacht. Es gab z. B. das Landeskulturgesetz, das so übel gar nicht war, aber es hielt sich niemand daran. Wir haben die Paragraphen genommen und uns dafür eingesetzt, dass sie nach Buchstabe und Inhalt umgesetzt werden. Das war schon schlimm genug und wir kamen schon ins Rudern. Es fiel der Staatsmacht zumindest anfangs relativ schwer, uns etwas anhaben zu können, weil wir uns auf einem Boden bewegten, den sie selbst bereitet hatte. Lehner: Was hatte die Gruppe ARGUS zum Programm und wer waren die Mitglieder? Platzeck: Der Name ARGUS heißt ausgeschrieben: Arbeitsgemeinschaft für Umweltschutz und Stadtgestaltung. Die Schwerpunkte waren städtischer Umweltschutz, Umwelthygiene und Stadtgestaltung, was gerade in Potsdam eine große Rolle spielte, da Potsdam eine Stadt mit städtebaulichem Erbe ist. Hier denke ich z. B. an das holländische Viertel, die Holländische Kolonie usw. Dies waren Stadtviertel, die in Zeiten des Sozialismus dem fast völligen Verfall preisgegeben waren. Dies stieß in der Stadtbürgerschaft immer mehr auf Kritik und diese Leute haben sich dort zusammengefunden. Es waren vorwiegend junge Leute. Wir waren zu Beginn 35 Frauen und Männer, Durchschnittsalter 30 Jahre. Der Verfall von Potsdams Innenstadt war nicht mehr geheim zu halten, da ihn jeder beobachten konnte, der nicht mit geschlossenen Augen durch

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