Plenarprotokoll 11/89

Deutscher Bundesta g

Stenographischer Bericht

89. Sitzung

Bonn, Dienstag, den 6. September 1988

Inhalt:

Gedenkworte für die Opfer des Unglücks Bundes 1988 bis 1992 (Drucksa- bei der Flugschau in Ramstein 6059 A che 11/2701)

Nachruf auf das ehemalige Mitglied des in Verbindung mit Deutschen Bundestages, Bundesminister a. D. Dr. Johann Baptist Gradl 6059 B Zusatztagesordnungspunkt: Erste Beratung des von der Bundesregie- Nachruf auf das ehemalige Mitglied des rung eingebrachten Entwurfs eines Ge- Deutschen Bundestages Professor Dr. Fried- setzes über die Feststellung eines Nach- rich Schäfer 6059 D trags zum Bundeshaushaltsplan für das Haushaltsjahr 1988: (Nachtragshaus- haltsgesetz 1988) (Drucksache 11/2650) Verzicht der Abg. Dr. Wörner, Sauter (Ichen- hausen) und Lemmrich auf die Mitglied- Dr. Stoltenberg, Bundesminister BMF 6060D, 6106B schaft im Deutschen 6060 A Wieczorek (Duisburg) SPD 6072 B

Eintritt der Abg. Jäger (Wangen), Graf Huyn Carstens (Emstek) CDU/CSU 6080 B und Frau Dr. Wegner in den Deutschen Bun- destag 6060 B Kleinert (Marburg) GRÜNE 6085 C

Dr. Weng (Gerlingen) FDP 6088 C Glückwünsche zu den Geburtstagen der Abg. Buschfort, Sauter (Epfendorf), Esters SPD 6093 B Koltzsch, Dr. Stercken und des Vizepräsi- denten Stücklen 6060 B Dr. Rose CDU/CSU 6096 C Frau Rust GRÜNE 6100A Erweiterung der Tagesordnung 6060 C Dr. Solms FDP 6101 D

Tagesordnungspunkt 1: Frau Will-Feld CDU/CSU 6104 A Erste Beratung des von der Bundesregie- a) Walther SPD 6108B rung eingebrachten Entwurfs eines Ge- setzes über die Feststellung des Bundes- haushaltsplans für das Haushaltsjahr Nächste Sitzung 6110 C 1989: (Haushaltsgesetz 1989) (Drucksa- che 11/2700) Anlage b) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung: Der Finanzplan des Liste der entschuldigten Abgeordneten 6111 *A

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89. Sitzung

Bonn, den 6. September 1988

Beginn: 11.00 Uhr

Präsident Dr. Jenninger: Die Sitzung ist eröffnet. Mitglied des Hauptvorstandes der CDU abgesetzt. In West- leitete Gradl dann das Ost-Büro der CDU (Die Abgeordneten erheben sich) und war von 1970 an Vorsitzender der Exil-CDU. Mit tiefer Trauer und Anteilnahme gedenken wir Dem Deutschen Bundestag gehörte Gradl von 1957 heute der Opfer des schweren Unglücks, das sich bei bis 1980 an. Von 1969 bis 1972 war er Vorsitzender des der Flugschau in Ramstein am 28. August 1988 ereig- Ausschusses für gesamtdeutsche und Berliner Fragen net und nach letzten Meldungen 52 Menschenleben bzw. des Ausschusses für innerdeutsche Beziehun- gefordert hat. Mehrere hundert Menschen erlitten da- gen. Die Mitgliedschaft in diesem Ausschuß sowie im bei zum Teil lebensgefährliche Verletzungen. Als be- Auswärtigen Ausschuß hat er bis 1980 beibehalten. sonders schmerzvoll empfinden wir, daß sich unter den Opfern und Verletzten viele Kinder und junge Als Gründungsmitglied des Kuratoriums Unteilba- Menschen befinden. res Deutschland hat Gradl stets das Gespräch über die Parteigrenzen hinaus gesucht. Dem Präsidium des Mit großer Erschütterung haben wir die Bilder und Kuratoriums hat er bis zu seinem Tode vorgestan- die Berichte von dem Geschehen aufgenommen und den. wissen uns aufgefordert, die Frage nach dem- Sinn und den Risiken solcher Veranstaltungen neu zu überden- Der Name Johann Baptist Gradl ist für immer ver- ken. bunden mit dem mutigen Kampf der nichtkommuni- stischen Parteien in der damaligen sowjetischen Be- In diesem Augenblick aber wollen wir der Opfer satzungszone. Uns wird er immer in Erinnerung blei- gedenken. Den Hinterbliebenen, den Angehörigen ben als Anwalt der Einheit Deutschlands, der er als und allen, die den Toten nahestehen, gilt unsere tief Bundesminister für Vertriebene, Flüchtlinge und empfundene Anteilnahme. Zugleich wünsche ich den Kriegsgeschädigte und als Bundesminister für ge- durch das Unglück Verletzten, von denen noch viele samtdeutsche Fragen gedient hat. Johann Baptist intensiver ärztlicher Behandlung bedürfen, rasche Gradl hat sich mit seiner ganzen Persönlichkeit in den Besserung und baldige Genesung. Dienst der Freiheit und der Selbstbestimmung der Darüber hinaus möchte ich all denen, die sich auf- Deutschen gestellt. Sein politisches Wirken war ge- opferungsvoll an den Rettungsaktionen beteiligt ha- prägt von Mut, Standfestigkeit und Besonnenheit. ben, unseren Dank für ihren beispiellosen Einsatz Der Deutsche Bundestag wird Johann Baptist Gradl aussprechen. ein ehrendes und dankbares Gedenken bewahren. Meine Damen und Herren, lassen Sie mich noch Am 31. August 1988 ist unser früheres Mitglied Pro- zweier ehemaliger Kollegen gedenken, die während fessor Dr. Friedrich Schäfer im Alter von 73 Jahren in der Sommerferien verstorben sind. Tübingen verstorben. Der Deutsche Bundestag trauert um sein ehemali- Friedrich Schäfer wurde am 6. Ap ril 1915 in Sindel- ges Mitglied, den Bundesminister Dr. Johann Baptist fingen geboren. In Tübingen und Berlin studierte er Gradl, der während der Sommerpause am 2. Juli 1988 Rechtswissenschaft. Dem Deutschen Bundestag ge- in Berlin gestorben ist. hörte er von 1957 bis 1980 an, mit einer Unterbre- Johann Baptist Gradl, der am 25. März 1904 in Ber- chung in der Zeit der Großen Koalition zwischen 1967 lin geboren wurde, studierte in seiner Heimatstadt und 1969. In dieser Zeit war er Staatssekretär im Bun- und in Halle Staats- und Wirtschaftswissenschaften. desministerium für Angelegenheiten des Bundes und Im Jahre 1930 wurde er in Halle promoviert. Gradl, der Länder. Zuvor hatte F riedrich Schäfer lange Jahre der bis 1933 der Deutschen Zentrumspartei angehört das Amt eines Parlamentarischen Geschäftsführers in hatte, gründete 1945 gemeinsam mit Jakob Kaiser der SPD-Fraktion versehen. und die Christlich Demokratische Von 1965 bis 1967 war er Vorsitzender des Aus- Union für Berlin und für die damalige sowjetische schusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäfts- Besatzungszone. 1947 wurde er von der sowjetischen ordnung, später, nach seiner Rückkehr in den Bundes- Militäradministration mit Redeverbot belegt und als tag, Vorsitzender des Innenausschusses und außer- 6060 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 89. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 6. September 1988

Präsident Dr. Jenninger dem von 1971 bis 1976 Vorsitzender der Enquete verehrten Kollegen noch nachträglich die besten Kommission Verfassungsreform, deren Ergebnisse Wünsche des Hauses übermitteln. nicht zuletzt durch sein Wirken die verfassungspoliti- (Beifall) sche Diskussion in der Bundesrepublik nachhaltig be- einflußt haben. Meine Damen und Herren, interfraktionell ist ver- einbart worden, die erste Beratung des Nachtrags- Friedrich Schäfer war ein leidenschaftlicher Parla- haushaltsgesetzes 1988 auf der Drucksache 11/2650 mentarier, aber auch Wissenschaftler, wovon sein als Zusatzpunkt in verbundener Debatte auf die Ta- Werk über den Deutschen Bundestag und zahlreiche gesordnung zu setzen. Sind Sie damit einverstanden? weitere Veröffentlichungen zum Thema Parlament — Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist es so be- Zeugnis geben. In Wort und Schrift setzte er sich dafür schlossen. ein, daß der Bundestag seine staatsleitende Aufgabe wahrnimmt und sich seiner politischen Fuhrungsauf- gabe bewußt bleibt. Ich rufe Tagesordnungspunkt 1 sowie den Zusatzta- Ich habe der Familie des Verstorbenen im Namen gesordnungspunkt auf: des Deutschen Bundestages meine Anteilnahme aus- gesprochen. Der Deutsche Bundestag wird seinem 1. a) Erste Beratung des von der Bundesregie- ehemaligen Mitglied Friedrich Schäfer ein dankbares rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- und ehrendes Gedenken bewahren. zes über die Feststellung des Bundeshaus- haltsplans für das Haushaltsjahr 1989 Meine Damen und Herren, Sie haben sich zu Ehren (Haushaltsgesetz 1989) der Toten von Ihren Plätzen erhoben. Ich danke Ih- — Drucksache 11/2700 — nen. Überweisung: Bevor wir in die Tagesordnung eintreten, darf ich Haushaltsausschuß einige Mitteilungen machen. Am 30. Juni 1988 hat der b) Beratung der Unterrichtung durch die Bun- Abgeordnete Dr. Wörner auf die Mitgliedschaft im desregierung Deutschen Bundestag verzichtet. Als sein Nachfolger hat der Abgeordnete Jäger (Wangen) am 1. Juli 1988 Der Finanzplan des Bundes 1988 bis 1992 die Mitgliedschaft im Deutschen Bundestag erwor- — Drucksache 11/2701 — ben. Überweisung: Am 6. Juli 1988 hat der Abgeordnete Sauter (Ichen- Haushaltsausschuß - hausen) ebenfalls auf die Mitgliedschaft im Deut- ZP Erste Beratung des von der Bundesregierung schen Bundestag verzichtet. Als sein Nachfolger hat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über der Abgeordnete Dr. Kreile am 11. Juli 1988 die Mit- die Feststellung eines Nachtrags zum Bundes- gliedschaft im Deutschen Bundestag erworben. haushaltsplan für das Haushaltsjahr 1988 Am 28. Juli 1988 hat der Abgeordnete Lemmrich (Nachtragshaushaltsgesetz 1988) auf die Mitgliedschaft im Deutschen Bundestag ver- — Drucksache 11/2650 — zichtet. Sein Nachfolger, der Abgeordnete Graf Huyn, hat am 2. August 1988 die Mitgliedschaft im Deut- Überweisung: schen Bundestag erworben. Haushaltsausschuß Meine Damen und Herren, interfraktionell ist ver- Die Abgeordnete Frau Dr. Dobberthien hat am einbart worden, daß die Aussprache heute und mor- 29. August 1988 auf die Mitgliedschaft im Deutschen gen bis ca. 18 Uhr dauern soll. Am Donnerstag soll sie Bundestag verzichtet. Als ihre Nachfolgerin hat die um 18.30 Uhr sowie am Freitag gegen 12 Uhr beendet Abgeordnete Frau Dr. Wegner am 31. August 1988 werden. Eine Mittagspause ist jeweils von 13 bis die Mitgliedschaft im Deutschen Bundestag erwor- 14 Uhr vorgesehen. — Ich sehe keinen Widerspruch; ben. dann ist es so beschlossen. Ich begrüße die uns schon aus früheren Wahlperio- Das Wort zur Einbringung des Haushalts hat der den bekannten Kollegen und die neue Kollegin herz- Bundesminister der Finanzen. lich. (Beifall)

Schließlich darf ich noch auf folgende erfreuliche Dr. Stoltenberg, Bundesminister der Finanzen: Herr Ereignisse hinweisen. Am 25. Juni dieses Jahres hat Präsident! Meine Damen und Herren! Die Entschei- der Abgeordnete Buschfort seinen 60. Geburtstag, am dungen zum Entwurf des Bundeshaushalts 1989 und 30. Juni der Abgeordnete Sauter (Epfendorf) eben- der mittelfristigen Finanzplanung stehen unter dem falls seinen 60. Geburtstag, am 16. Juli 1988 der Ab- Vorzeichen erheblicher neuer Anforderungen an den geordnete Koltzsch seinen 60. Geburtstag und am Staat, grundlegend verbesserter wirtschaftlicher Da- 24. Juli dieses Jahres der Abgeordnete Schwarz sei- ten und Erwartungen sowie einer Neubestimmung nen 60. Geburtstag gefeiert. Herr Vizepräsident von Ausgaben und Einnahmen im Verhältnis von Stücklen hat am 20. August seinen 72. Geburtstag Bund, Ländern und Europäischer Gemeinschaft. Der und Herr Abgeordneter Dr. Stercken hat am 2. Sep- vorgelegte Etat setzt auch unter veränderten Bedin- tember seinen 65. Geburtstag gefeiert. Ich darf den gungen den Kurs sparsamer, verantwortungsbewuß- Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 89. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 6. September 1988 6061

Bundesminister Dr. Stoltenberg ter Verwendung der öffentlichen Mittel fort und trägt Der in den letzten Wochen 1987 überraschend nach unserer Überzeugung dazu bei, das Wachstum starke Kurseinbruch des US-Dollars erreichte Ende unserer Volkswirtschaft weiter nachhaltig zu för- Dezember seinen Tiefpunkt. So entfiel die einge- dern. plante Ablieferung des Bundesbankgewinns von rund 6 Milliarden DM auf Grund des plötzlich eingetrete- Wesentlich ist, daß die in diesem Jahr durch Sonder- nen Abschreibungsbedarfs der Bundesbank nahezu faktoren vorübergehend erhöhte Neuverschuldung völlig. wieder deutlich zurückgeführt werden soll. Sie soll nach knapp 40 Milliarden DM 1988 auf weniger als Wir haben — ich will daran erinnern, meine Damen 32 Milliarden DM im Jahre 1989 absinken. Die Bun- und Herren — in jenen Wochen der erheblichen Un- desregierung will am Ziel dauerhafter stabiler Grund- ruhe und des übergroßen Pessimismus den verbreite- lagen für die öffentliche Finanzwirtschaft festhalten. ten Forderungen nach hektischen Aktionen wider- sprochen. Wir sind froh, daß wir ihnen widersprochen (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) haben und ihnen nicht gefolgt sind. Die Ausgaben im Bundeshaushalt 1989 sollen um (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) 4,6 % auf rund 288 Milliarden DM zunehmen. Der Aber in Übereinstimmung mit dem Sachverständi- Anstieg ist damit deutlich höher als in den letzten genrat und auch den führenden internationalen Orga- sechs Jahren, als er durchschnittlich nur 2 % betrug. nisationen rechneten wir ebenfalls mit einem verhal- Diese einmalig erhöhte Wachstumsrate ist auf die ver- teneren Wachstum. Deshalb schätzten wir im Januar einbarten zusätzlichen Leistungen des Bundes an im Jahreswirtschaftsbericht eine Zunahme des realen strukturschwache Länder in Höhe von 2,45 Milliarden Bruttosozialprodukts von nur 1,5 % bis höchstens 2 %. DM jährlich sowie auf Zuschüsse an die Bundesanstalt Ich will daran erinnern, daß uns diese vorsichtige Pro- für Arbeit von 3,3 Milliarden DM zurückzuführen. gnose damals heftige Kritik von der sozialdemokrati- Ohne diese Sonderfaktoren, die ich begründen werde, schen Opposition und vielen Kommentatoren und den wäre der Ausgabenanstieg bei 2,5 % geblieben. 1990 Vorwurf eingetragen hat, wir huldigten hier einem soll der Zuwachs wieder auf etwa 2%, in den folgen- Zweckoptimismus. den Jahren auf 2,5 To zurückgeführt werden. Auf Grund der vorhergesagten Wachstumsstok- Meine Damen und Herren, wir haben es erneut er- kung entschlossen wir uns, ein höheres Haushaltsde- lebt: Die Entwicklung der öffentlichen Finanzen ist in fizit vorübergehend hinzunehmen und die vorgese- den Ablauf wirtschaftlicher Trends und ihrer manch- hene Anhebung der Verbrauchsteuern auf 1989 zu mal kurzfristigen Schwankungen eingebunden. So verschieben. sind gewisse Abweichungen von angestrebten Ziel- größen und quantitativen Orientierungen in einer Zeit Wir haben bereits am Jahresanfang eindeutig ge- des raschen Wandels der Daten und Prognosen unver- sagt, daß die sich abzeichnende Neuverschuldung meidbar. von etwa 40 Milliarden DM nur kurzfristig und nur einmalig vertretbar sei. Das Kabinett erklärte in sei- (Dr. Lippelt [Hannover] [GRÜNE]: So kann nem Beschluß vom 7. Januar, bereits im Haushalts- man es auch nennen!) jahr 1989 müsse wieder eine Größenordnung von etwa 30 Milliarden DM angestrebt werden. Dabei ha- — Im Augenblick geht der Trend erfreulicherweise ben wir massiven Forderungen nach zusätzlichen mil- wieder nach oben. Dazu spreche ich auch noch. liardenschweren und kreditfinanzierten Ausgaben- Stetigkeit und Verläßlichkeit in der Finanzpolitik programmen ebenso widerstanden wie den vielfälti- heißen deshalb — bei aller Flexibilität und Reaktions- gen Appellen — etwa von Wirtschaftsverbänden —, fähigkeit — vor allem, langfristig an klar gesetzten die Steuern noch schneller und umfassender zu sen- Zielen und Grundsätzen festzuhalten und auch unter ken. veränderten Bedingungen die für richtig erkannten So konnten wir eine noch wesentlich höhere Aus- Konzeptionen Zug um Zug zu verwirklichen. weitung der Nettokreditaufnahme abwehren, erhebli- Für das laufende Haushaltsjahr 1988 hatten wir im che Zusatzbelastungen vom Bundeshaushalt abwen- Herbst letzten Jahres für die Nettokreditaufnahme den, und — wie ich glaube — auch das Vertrauen in einen Rahmen von 29,5 Milliarden DM vorgesehen. die Berechenbarkeit der Finanzpolitik stärken. Die schon damals zu erwartenden, von uns in die Dis- (Zuruf des Abg. Dr. Lippelt [Hannover] kussion eingeführten, aber in der Größenordnung zu- [GRÜNE]) nächst noch nicht abschätzbaren Einnahmeverluste durch erhöhte Finanzbeiträge an die Europäische Ge- — Sie reden ständig vor sich hin. Aber es trägt zur meinschaft sollten — wie ja bereits von der Koalition Klärung der Probleme, die wir behandeln, wirklich Anfang 1987 vereinbart und angekündigt — durch nicht bei. eine maßvolle Anhebung bei den Verbrauchsteuern (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) ausgeglichen werden. Ich erinnere noch einmal an diese sorgenvollen und Um den Jahreswechsel ergab sich jedoch eine er- kritischen Debatten, an diese pessimistischen Vorher- heblich veränderte Lage. Nach den weltweiten Er- sagen; denn seit dem Jahresanfang hat sich der zu- schütterungen an den Devisen- und Aktienmärkten nächst verhangene wirtschaftliche Horizont aufge- wurden die Wachstumserwartungen für das Jahr 1988 hellt. Die Wachstumsdynamik verstärkt sich ganz er- beträchtlich zurückgenommen. Vor allem von der so- heblich. Das zeigen auch die gestrigen Zahlen über zialdemokratischen Opposition wurde die Gefahr ei- die Auftragseingänge des Monats Juli, die wir morgen ner Rezession in düstersten Farben beschworen. in den Zeitungen lesen werden. 6062 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 89. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 6. September 1988

Bundesminister Dr. Stoltenberg Zu einer über Erwarten guten Exportentwicklung sen, was Preisstabilität für sie an sozialem und wirt- kommen vor allem die erhebliche Steigerung der Bin- schaftlichem Fortschritt tatsächlich bedeutet. nennachfrage und als wichtigster Trend seit einigen (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Monaten ein sehr starker Anstieg der p rivaten Investi- tionen. Wir haben an der Erneuerung und Vertiefung der scheinbar im Herbst gefährdeten internationalen Meine Damen und Herren, heute früh hat das Sta- Zusammenarbeit der Industrieländer in der Wirt- tistische Bundesamt Zahlen über die Wirtschaftsent- schafts-, Währungs- und Handelspolitik aktiv und er- wicklung im ersten Halbjahr 1988 veröffentlicht. folgreich mitgewirkt. Es gibt bei allen unbestreitbaren (Frau Garbe [GRÜNE]: Das haben Sie gut Unterschieden im einzelnen eine wachsende Über- hingekriegt!) einstimmung zwischen ihnen in den vorrangigen Zie- len. Dies wird in der Finanz- und vor allem Steuerpo- Ich möchte sie hier vortragen: Danach ist das Br utto- litik der Industrieländer ebenso sichtbar wie in dem sozialprodukt real um 3,9 % angestiegen. gemeinsamen Bemühen, zu extreme Ausschläge bei (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) den Wechselkursen zu vermeiden, wie auch in den Der private Verbrauch wuchs um 3,2 %, der Staatsver- Verhandlungen über eine schrittweise Öffnung der brauch — ich sage das als Finanzminister mit Genug- Märkte. tuung — nur um 1,9 %. Wir gehen — das können wir heute schon sagen — mit dieser gestärkten Dynamik in das Jahr 1989. Die (Dr. Dregger [CDU/CSU]: Sehr gut!) gute Konstitution unserer Volkswirtschaft begründet Die Bruttoinvestitionen nahmen um 11 % zu, die Erwartung, daß der Aufschwung dann auch im siebten Jahr anhalten wird. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Meine Damen und Herren, nach sechs Jahren stän- die Bauinvestitionen um 10,4 %. Ich unterstreiche das diger Expansion wird es für die Opposition immer im Hinblick auf die großen Sorgen der Firmen der schwieriger, wirtschaftliche Erfolge glücklichen Zu- Bauwirtschaft und ihrer Mitarbeiter, die endlich wie- fällen zuzuschreiben. Zunächst — wir haben das zwei der bessere Erfahrungen machen, was wir nur begrü- Jahre von Ihnen gehört, Herr Vogel, drei Jahre — ßen können. (Dr. Vogel [SPD]: Vier Jahre!) (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) sollten es nur die günstigen Exportbedingungen ge- Das ist ein eindrucksvolles Zwischenergebnis, über wesen sein. das wir uns alle freuen können. Für das ganze Jahr 1988 können wir jetzt mit einem realen Wachstum von (Walther [SPD]: Die waren es ja auch!) - mindestens 3 % rechnen. Sicher wird sich der Trend in — Aber 1986 und 1987, Herr Walther, verminderte dieser Zahl ein Stück abschwächen, aber die Auf- bereits der sinkende Außenbeitrag den Zuwachs des tragseingänge sprechen dafür, daß die positive Ent- realen Bruttosozialprodukts rechnerisch jährlich um wicklung anhält. über einen Prozentpunkt. Und jetzt sucht die Opposi- Zu dieser positiven Wende hat unsere Finanz- und tion — bisher vergeblich — nach Gründen, warum die Wirtschaftspolitik einen maßgeblichen Beitrag gelei- von ihr angekündigte Stagnation oder Rezession in stet. diesem Jahr ausblieb. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — (Zustimmung bei der CDU/CSU) Dr. Dregger [CDU/CSU] : Das kann man Dabei sind die Zusammenhänge nicht schwer zu er- wohl sagen!) kennen: Vor allem durch ein sehr hohes Maß an Preisstabilität Wir haben seit 1982 den Zuwachs der öffentlichen und die Steuersenkungen — in diesem Jahr wird die Ausgaben, die Staatsquote und den Anteil der öffent- Einkommen- und Lohnsteuer erneut um fast 14 Milli- lichen Kreditaufnahme am Bruttosozialprodukt zu- arden DM gesenkt — stiegen die real verfügbaren rückgeführt. Das war eine entscheidende Vorausset- Einkommen der Bürger 1986 und 1987 nach den Fest- zung für mehr Preisstabilität und steigende p rivate stellungen der Bundesbank jeweils um gut 4 % an. Investitionen. 1988 werden es voraussichtlich erneut 3,5 % sein. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) (Dr. Dregger [CDU/CSU]: Traumhaft, ein Wir verwirklichten gegen heftige Widerstände Traumergebnis!) — das muß man sagen — die Steuerreform und sorgen Meine Damen und Herren, man muß in der Ge- damit für eine nachhaltige Verringerung der Steuer- schichte der Bundesrepublik Deutschland sehr weit last. Bis 1990 wird der Anteil der Steuern an der ge- zurückgehen, um eine vergleichsweise eindrucks- samtwirtschaftlichen Leistung mit 22,7 % den niedrig- volle Entwicklung über jetzt drei Jahre hinweg zu ver- sten Wert seit 1960 erreichen. Das gilt unter Einbezie- zeichnen. hung der von der Bundesregierung vorgeschlagenen (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) maßgeblichen, nein: maßvollen Anhebung von Ver- brauchsteuern. Diese Zahlen widerlegen ja auch überzeugend die ständig — zuletzt in Münster — gebetsmühlenartig (Lachen bei der SPD und den GRÜNEN) wiederholte Propagandaparole der SPD, unsere Poli- — Ich verspreche mich gern noch einmal, wenn ich tik sei gegen die Interessen der breiten Schichten der Ihnen damit eine so große Freude bereite. — Es be- Bevölkerung gerichtet. Immer mehr Menschen wis deutet im Ergebnis eine wesentlich stärkere Anerken- Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 89. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 6. September 1988 6063

Bundesminister Dr. Stoltenberg nung beruflicher Leistung und auch unternehmeri- Sozialdemokraten — das zeigen die Beratungen in scher Erfolge. Münster — leisten sich immer noch diesen Luxus. Wir haben über die Grundfragen und Einzelprob- (Bohl [CDU/CSU]: Ja!) leme der Steuerreform bis zur Sommerpause hier im- Aus ihrem erst kürzlich zurückgezogenen Alternativ- mer wieder debattiert. Ich möchte in diesem Zusam- konzept zur Steuerreform der Bundesregierung geht menhang drei Punkte besonders betonen. hervor, daß ein wirklicher Abbau der Progression im Durch die Steuerreform wird die ganz überwie- Einkommensteuertarif von ihnen nicht gewollt wird, gende Mehrzahl der Bürger — auch unter Berücksich- daß Steuererleichterungen für Bet riebe, die wir seit tigung der vorgeschlagenen Anhebung einiger indi- 1983 verwirklicht haben, sogar in wichtigen Punkten rekter Steuern — dauerhaft entlastet und nicht zusätz- zurückgenommen werden sollen. lich belastet, wie es die Opposition unverdrossen in Zu solchen steuerpolitischen Vorstellungen schrieb völliger Verdrehung der Tatsachen behauptet. die Wochenzeitung „Die Zeit" am 29. April 1988 (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — — ich zitiere mit der Genehmigung des Herrn Präsi- Dr. Vogel [SPD]: He, he!) denten — : So vermindert sich für einen verheirateten Arbeit- In nahezu allen Staaten der Europäischen Ge- nehmer mit zwei Kindern und einem durchschnittli- meinschaft und in den wichtigen Konkurrenz- chen Bruttoverdienst von 42 700 DM die sich im Zeit- ländern der Bundesrepublik und auf den Welt- raum 1986 bis 1990 ergebende Bruttoentlastung von märkten sind die Regierungen dabei, die Steuer- rund 2 000 DM durch die vorgeschlagenen Verände- last für ihre Unternehmen zu senken. Das Kon- rungen bei den Verbrauchsteuern im Durchschnitt um trastprogramm der SPD-Kommission paßt dazu rund 300 DM. Das sind die Relationen, die im Deut- wie die Faust aufs Auge .. . schen Bundestag einmal vorgetragen werden müs- (Dr. Dregger [CDU/CSU] : Jawohl!) sen. (Dr. Vogel [SPD]: Höchste Zeit!) Gegen den Strom Durch die gleichmäßigere Erfassung der steuer- — so schreibt die von herausgege- pflichtigen Einkommen und den Abbau von Steuer- bene Wochenzeitung — privilegien und Steuersubventionen wird unser Steu- sollte eine Opposition schon schwimmen, aber ersystem nicht gegen den Rest der Welt. (Dr. Vogel [SPD]: Sukzessive!) insgesamt gerechter und volkswirtschaftlich wirksa- (Anhaltender Beifall bei der CDU/CSU und - der FDP — Dr. Vogel [SPD]: Mit wie wenig mer gestaltet. die Herrschaften zufriedenzustellen sind! (Dr. Vogel [SPD]: Wunderbar! Hobbyflie Bescheiden! — Dr. Waigel [CDU/CSU]: Sie ger!) müssen für die SPD erklären, wer Helmut Der immer wieder beschworene Subventionsabbau Schmidt ist! — Heiterkeit) erfolgt jetzt um 6 Milliarden DM. Unter Einbeziehung — Ja, für einige ist das nötig. von bisherigen Ausnahmetatbeständen und Sonder- regelungen sind es 13 Milliarden DM jährlich, die (Dr. Waigel [CDU/CSU]: Der Herr Vogel durch unsere gesetzgeberische Entscheidung abge- kennt Helmut Schmidt nicht mehr! — Dr. Vo gel [SPD]: Waigel in Hochform!) baut wurden. Knapper und treffender kann eine Bewertung des (Walther [SPD]: Die Nachtzuschläge!) Beitrags der SPD zur aktuellen Steuerdiskussion In immer mehr westlichen Industrieländern werden kaum formuliert werden. Dieses Bild der Orientie- übrigens dieselben Grundgedanken bei der Reform rungslosigkeit, Herr Kollege Vogel, ist in den letzten der Steuersysteme verwirklicht. In den letzten Mona- Tagen auf dem Münsteraner Parteitag nachhaltig be- ten, seit wir zum letzten Mal über internationale stätigt worden. Trends der Steuerpolitik geredet haben, haben auch Ihr langjähriger finanzpolitischer Sprecher, Herr Italien und Belgien vergleichbare Konzepte einge- Dieter Spöri bracht, übrigens bei sozialistischer Regierungsbeteili- gung in beiden Ländern, mit einer Absenkung des (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU und Spitzensteuersatzes und einer generellen Verringe- der FDP — Bohl [CDU/CSU]: Ach so!) rung des Tarifverlaufs. —ich meine jetzt wirklich Spöri — Wir stehen im internationalen Wettbewerb der (Dr. Vogel [SPD]: Der Repräsentant Schles um unternehmerische Investitionen Steuersysteme wig-Holsteins, Björn Engholm!) und die Schaffung zusätzlicher Arbeitsplätze. — es ist doch nichts dagegen einzuwenden, daß ich (Roth [SPD]: Sie machen doch nichts!) das sage, Herr Vogel; er war doch Ihr langjähriger Es geht um die spürbare Reduzierung der Steuersätze finanz- und steuerpolitischer Sprecher —, bei der Einkommen- und Körperschaftsteuer, um die (Dr. Vogel [SPD]: Richtig!) Verbreiterung der Bemessungsgrundlage und die Verringerung steuerlicher Vergünstigungen. Es wäre forderte in einem Interview im „Handelsblatt" einen verhängnisvoll, diesen internationalen Trend weiter- Sonderparteitag zur Steuerpolitik und erklärte — ich hin zu ignorieren. zitiere — : 6064 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 89. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 6. September 1988

Bundesminister Dr. Stoltenberg Die Widersprüche unserer Vorstellungen müssen muß man nach dem Ablauf in Münster sagen. Herr endlich diskutiert werden. Apel sagte: Es fragt sich, was Sie die ganzen Jahre gemacht ha- Wir dürfen auch nicht indirekt Schützenhilfe für ben. Stoltenbergs Verbrauchsteuererhöhungen lei- (Heiterkeit bei der CDU/CSU und der FDP) sten. Er sagte weiter: Bei Herrn Roth klang das dann wieder ganz anders. Herr Roth sagte: Die Steuerdiskussion ist zu lange übertüncht wor- den. Die SPD wirft Herrn Stoltenberg nicht vor, daß er die Mineralölsteuer erhöht. Ich habe heute morgen im Protokoll des Parteitages — es ist lesenswert — Ganz überraschend — nach manchen Reden vor der Sommerpause. (Dr. Vogel [SPD]: Sehr richtig!) Wir werfen ihm vor, daß er sie für den falschen festgestellt, daß er das am 31. August im Plenum noch Zweck erhöht, nämlich zum Stopfen von Haus- härter formuliert hat. Auch das möchte ich mit der haltslöchern. Genehmigung des Präsidenten sagen. Jetzt müssen Sie sich mal verständigen, was eigent- (Dr. Vogel [SPD]: Die brauchen Sie gar lich Sache ist, meine Damen und Herren der SPD. nicht!) — Doch. (Roth [SPD]: Das ist Sache!) (Dr. Vogel [SPD]: Aber die brauchen Sie gar Wenn Spöri, Hauff, Lafontaine und sehr starke nicht!) Kräfte in der SPD den privaten Energieverbrauch durch eine massive Besteuerung absenken wollen Sie haben es gehört, aber wir noch nicht. Deswegen — in den Antragsunterlagen, die Herr Hauff vor der will ich es hier mal vortragen. — Meine Damen und Öffentlichkeit verkündete, stand eine Größenordnung Herren, Herr Spöri sagte — ich zitiere — : von 80 Milliarden DM bei den Energiesteuern —, Zur Steuerpolitik möchte ich eines sagen: Die dann denken sie an ein Vielfaches an Steuerbelastun- wirtschaftliche Aussage dieses Parteitages leidet gen für die Verbraucher und Betriebe im Vergleich zu fundamental an ungeklärten steuerpolitischen unseren, vom Kollegen Apel immer wieder heftig kri- Gegensätzen, die wir seit Jahren verkleistern, tisierten Vorlagen für die maßvolle Anhebung indi- von Parteitag zu Parteitag in Form eines Ver- rekter Steuern. Das gehört zur Bilanz von Münster. schiebebahnhofs verschieben. Und das muß hier im Deutschen Bundestag einmal gesagt werden, meine Damen und Herren. (Hört! Hört! bei der CDU/CSU — Seiters [CDU/CSU]: Das sind die Hobbypolitiker!) (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Ich muß sagen: Der Realitätssinn und die Offenheit Herr Kollege Apel, wir haben hier in den vergange- der Beschreibung der Situation der SPD haben bei nen sechs Jahren oft engagierte und auch harte De- Herrn Spöri sichtbar zugenommen, seitdem er seinen batten miteinander geführt. Ich möchte Ihnen heute Standort von Bonn nach Stuttgart verändert hat. persönlich Respekt für Ihre Entscheidung bekunden, Ihre Fraktionsämter niederzulegen, auch Respekt für (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Ihren unermüdlichen Einsatz für Ihre Partei und für Sie können doch noch alle diese erstaunlichen Reden unsere parlamentarische Demokratie. hier vor der Steuerreform erinnern. Da klang es ganz (Beifall bei der CDU/CSU, der FDP, der SPD anders. und bei Abgeordneten der GRÜNEN) Im Mittelpunkt seiner Vorstellungen stehe — so Meine Damen und Herren, die Erfolge der interna- sagte Spar" — die Senkung des Energieverbrauchs tionalen Kooperation in der Finanz - und Währungs- mittels einer Energiesteuer für Privathaushalte. Er hat politik werden von manchen Kritikern ebenso gerne auch gesagt, die Lohn - und Einkommensteuer solle übersehen wie diejenigen unserer Steuerreformpoli- weiter gesenkt werden. Das haben dann andere ent- tik. Dem sogenannten Louvre-Akkord vom Februar schieden kritisiert. Zur neuerlichen Veränderung des 1987, der Vereinbarung der großen westlichen Indu- von der Koalition herabgesetzten Spitzensteuersatzes strieländer über die bessere Abstimmung der Finanz- wollte sich Spöri im Interview mit dem „Handelsblatt" und Währungspolitik auch mit dem Ziel größerer Sta- nicht näher äußern. Er wolle sich nicht festlegen. Auch bilität bei den Wechselkursen und ausgeglichenerer das ist eine interessante Tatsache, wenn wir all das Handelsbeziehungen, wurde vielfach der Mißerfolg hier erinnern, was uns an furchtbaren Dingen gesagt prophezeit. Nachdem der Wertverfall des Dollars wurde. lange Zeit unaufhaltbar erschien, steht der Dollar Demgegenüber kritisierte der Kollege Apel heute übrigens einige Pfennig über dem Kurs vom Februar 1987, dem Zeitpunkt, als wir in Paris diese (Zuruf von der CDU/CSU: Wer ist das Vereinbarung trafen. Die Zentralbanken Europas und denn?) der USA haben in bestimmten kritischen Situationen die von Spöri und auch von vielen anderen SPD-Poli- — wie Sie wissen — durch erhebliche Interventionen tikern geforderte Erhöhung von Verbrauchsteuern die Märkte beeindruckt. Sie werden dies, falls erfor- mit Argumenten, die wir von ihm auch aus dem Deut- derlich, auch in Zukunft tun, wobei wir wissen, daß schen Bundestag kennen, allerdings vergebens, so Interventionen alleine nicht helfen. Die fundamenta- Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 89. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 6. September 1988 6065

Bundesminister Dr. Stoltenberg len Entwicklungen der Politik und der Daten der gro- werden gesetzliche und freiwillige Leistungen der ßen Industrieländer erfordern mehr Konvergenz. Bundesanstalt um 1,8 Milliarden DM zurückgeführt. Stabilere Wechselkurserwartungen haben die Ex- Durch die Beschlüsse des Europäischen Rates vom portbedingungen in allen beteiligten Ländern we- 11. bis 13. Februar dieses Jahres werden die finanzi- sentlich verbessert. Die Anpassung, insbesondere bei ellen Grundlagen der Europäischen Gemeinschaft den Leistungsbilanzsalden, hat begonnen. Die Tatsa- erheblich gestärkt. Damit ist die Finanzierung der er- che, daß dieser Prozeß zu ausgeglicheneren Daten weiterten vertraglichen Aufgaben der Gemeinschaft zwischen den Industrieländern immer noch ver- gesichert und vor allem die Möglichkeit geschaffen, gleichsweise langsam vorankommt, unterstreicht, wie durch eine spürbare Aufstockung der Strukturfonds notwendig die Erhaltung realistischer und stabiler Be- zu einer gleichmäßigeren wirtschaftlichen Entwick- dingungen für den internationalen Austausch von lung in den schwächsten Mitgliedstaaten beizutra- Waren und Dienstleistungen ist. Eine stärkere Abwei- gen. chung des Dollarkurses vom gegenwärtigen Niveau Wir stärken damit nicht nur den Zusammenhalt in- würde bei uns wie in unseren Partnerländern neue nerhalb der Europäischen Gemeinschaft. Vor allem Probleme bei Zinsen, Preisen und im Außenhandel schaffen wir so wesentliche Voraussetzungen für die hervorrufen. Verwirklichung des Binnenmarktes bis 1992, für ei- nen großen reformerischen Schritt, der Europa ent- Enge Zusammenarbeit und zunehmende Stabilität scheidend voranbringen wird. des Dollarkurses haben vor allem das Europäische Währungssystem vor schwerwiegenden Turbulenzen (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) bewahrt. Entgegen immer wieder anders lautenden Der Binnenmarkt soll Europas Stellung in einer sich Prophezeiungen haben die am 17. Januar 1987, also verändernden Weltwirtschaft stärken, und er wird so vor 20 Monaten, vereinbarten Leitkurse weiterhin Be- allen Bürgern Vorteile bringen. stand. Ich sage das mit großer Bef riedigung. Als wir damals nach einer Wechselkursveränderung von (Stratmann [GRÜNE]: So ein Märchen! — knapp 3 % im Europäischen Währungssystem aus Frau Garbe [GRÜNE]: Ganz vorsichtig! Fra Brüssel zurückkamen, haben uns viele Experten er- gen Sie mal Herrn Töpfer!) klärt, das würde höchstens vier Monate halten. Es hält Wir sind fest davon überzeugt, daß ein großer gemein- seit 20 Monaten! Das ist sehr wichtig; denn bei einem samer Markt allen Bürgern Vorteile bringt, meine Da- Anteil der westeuropäischen Länder von 50 % am men und Herren. deutschen Export bedeutet dies für eine sehr große Zahl unserer Betriebe und ihrer Mitarbeiter sichere (Beifall bei der CDU/CSU, der FDP und bei Kalkulationsgrundlagen. - Abgeordneten der SPD) Diese auf der Grundlage längerfristig angelegter Wie wollen Sie denn die grenzüberschreitenden wirtschafts-, finanz- und währungspolitischer Ent- ökologischen Probleme lösen, wenn nicht durch mehr scheidungen erreichten Erfolge bestärken uns darin, Gemeinsamkeit in Europa die erforderlichen Struktu- am eingeschlagenen Kurs festzuhalten. ren geschaffen werden, meine Damen und Herren? Auch das ist eine Voraussetzung. Neue Aufgaben ergeben sich vor allem in folgenden (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Bereichen: Stratmann [GRÜNE]: Sie schaffen doch da Wir haben vor der Sommerpause im Zusammen- durch ökologische Probleme! — Frau Garbe hang mit der Gesetzesinitiative Niedersachsens ver- [GRÜNE]: Fragen Sie mal Herrn Töpfer, der einbart, durch Strukturhilfen des Bundes noch stärker sieht das ganz anders!) zu gleichgewichtigeren Entwicklungen in den einzel- Aber dieser Binnenmarkt bedeutet nicht Abschot- nen Bundesländern und Regionen beizutragen. Wir tung nach außen, wie jetzt von einigen Kommentato- haben hierfür längerfristig jährlich 2,45 Milliarden ren in den Vereinigten Staaten oder Japan zu Unrecht DM vorgesehen. Wir werden den Gesetzentwurf in befürchtet wird. Wir haben gemeinsam mit unseren Kürze einbringen. Der Bund stärkt damit die Investi- Partnern im Frühjahr bei der Verabschiedung der tionsfähigkeit der anderen Gebietskörperschaften. wegweisenden EG-Richtlinie über die Liberalisierung Meine Damen und Herren, im Vergleich zu 1982 hat des Kapitalverkehrs in der Gemeinschaft festgelegt, die Bundesanstalt für Arbeit ihre Leistungen für ak- daß dadurch die Freizügigkeit der Kapitalbewegun- gen über die EG hinaus in keiner Weise behindert tive Arbeitsmarktpolitik im laufenden Jahr mehr als verdoppelt. Darüber hinaus wurden wesentliche Ver- wird. Dasselbe freiheitliche, liberale Prinzip wird die Bundesregierung auch bei den anderen anstehenden besserungen beim Arbeitslosengeld eingeführt. Auf Entscheidungen leiten. Grund des sich abzeichnenden Defizits der Bundesan- stalt für Arbeit sind zwei Maßnahmen vereinbart wor- Der Bund wird bereits in diesem Jahr auf über 4 Mil- den. Die an sich fällige Erhöhung der Beiträge unter- liarden DM Einnahmen zugunsten der Europäischen bleibt, um die Lohnzusatzkosten nicht anzuheben. Gemeinschaft verzichten. Bis 1992 wird sich dieser Das ist eine gut begründete, für die Haushaltspolitik Betrag schrittweise auf über 9 Milliarden DM erhö- aber nicht unproblematische Entscheidung, hen. (Zustimmung bei Abgeordneten der FDP) Meine Damen und Herren, aus den drei genannten neuen Aufgabenschwerpunkten ergeben sich bis denn wir müssen 1989 einen Zuschuß von 3,3 Milliar 1992 jährliche Ausgaben und Mindereinnahmen für den in den Bundeshaushalt übernehmen. Zugleich uns von rund 11 bis 12 Milliarden DM. Die vorgese- 6066 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 89. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 6. September 1988

Bundesminister Dr. Stoltenberg heue Anhebung der Verbrauchsteuern wird nur einen mit Zinszahlungen dauerhaft in einer Größenordnung Teil des zusätzlichen Finanzbedarfs decken. Weitere 2 von etwa 60 bis 70 Millionen DM jährlich. bis 3 Milliarden DM jährlich müssen durch eine sehr sparsame Ausgabengestaltung aufgefangen werden. (Frau Garbe [GRÜNE]: Wo soll das hinfüh ren?) dieses Jahres Die positive Wirtschaftsentwicklung Die Entscheidungen der Bundesregierung zur Fi- Das gilt er- führt auch zu höheren Steuereinnahmen. nanzierung des Bundeshaushalts 1989 gewinnen freulicherweise vor allem für die Städte und Gemein- nach meiner Überzeugung dadurch an Gewicht, daß den. Sie verzeichneten im ersten Vierteljahr ein Plus eine in sich schlüssige Alternative in der öffentlichen von über 7 %. Für das zweite Quartal haben wir bisher Diskussion bisher nicht vorgelegt wurde. Vor allem die Zahlen über die Gewerbesteuereinnahmen. Sie die Opposition ist auch in den Fragen der Gestaltung stiegen im zweiten Quartal um 11.6 % an. Die duste- der öffentlichen Etats in ihren Forderungen und ihrer ren Vorhersagen, vor allem des Deutschen Städteta- Kritik in tiefe Widersprüche verstrickt. ges und seiner bekannten Präsidenten, der Oberbür- germeister Rommel und Schmalstieg, über die Wir- Bis ins Frühjahr überboten sich Vertreter der SPD kungen unserer Steuerpolitik sind durch diese erfreu- mit angeblich realistischen Vorausschätzungen der liche Entwicklung des Jahres 1988 bereits völlig wi- drohenden Deckungslücke im Bundeshaushalt. Ich zi- derlegt worden, meine Damen und Herren. tiere, Herr Dr. Vogel, Ihren Beitrag aus der „Eßlinger Zeitung" vom 7. April 1988. Das ist nicht lange her. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Sie haben damals geschrieben: Zuruf des Abg. Dr. Vogel [SPD]) In Wahrheit wird die Neuverschuldung — Natürlich, Herr Vogel; wir senken in diesem Jahr die Einkommen- und Lohnsteuer um fast 14 Milliar- — für 1988 — den DM. Das ist eingebettet in ein gesamtwirtschaft- jedoch auf mindestens 45 Milliarden DM stei- liches Konzept, das Wachstumsimpulse fördert und gen. sich bei den Kommunen gut auswirkt. Ich bin sicher, daß sich dies 1990 so wiederholen kann. Dann haben Sie gesagt: (Dr. Struck [SPD]: Aber es gibt doch regio Im Jahr 1990 wird selbst bei kräftig erhöhten Ver- nale Unterschiede!) brauchsteuern das Defizit im Bundeshaushalt bei mindestens 50 Milliarden DM liegen. — Darauf komme ich gleich noch; auf diesen Punkt Noch am 24. Juni, Herr Vogel, haben Sie Ihre Pro- komme ich noch. - gnose zur Finanzierungslücke des Bundes in der De- (Dr. Vogel [SPD]: Albrecht kommt noch! batte über die Regierungserklärung weiter gesteigert. Rommel war schon dran!) Sie haben gesagt: rund 170 Milliarden DM für die Jahre 1989 bis 1991. — Ich komme gleich noch auf die regionalen Unter- schiede. (Dr. Vogel [SPD]: Deckungslücke!) Wir rechnen mit einer Größenordnung von rund Für den Bund verläuft der positive Trend etwas ver- 100 Milliarden DM für diese Zeit, eher etwas weniger haltener. Wir rechnen 1988 mit Mehreinnahmen von als mehr. etwa 1,5 Milliarden DM, die zur Verringerung der im vorgelegten Nachtragshaushalt mit 39,2 Milliarden (Dr. Vogel [SPD]: Deckungslücke!) DM geschätzten Nettokreditaufnahme verwendet werden sollen. Da muß ich sagen: Die Abweichung zwischen bishe- rigen Daten und Prognosen ist bei Ihnen ein bißchen Erfreulich ist, meine Damen und Herren, daß sich zu groß, selbst wenn man der Opposition — selbstver- die sehr verhaltene Ausgabenentwicklung unseres ständlich — einen Rabatt einräumt. Haushalts in diesem Jahr fortsetzt. Sie dürfte etwa bei (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — dem Haushaltssoll mit einem Zuwachs von nur 2,4 % Wieczorek [Duisburg] [SPD]: Man muß ge verlaufen und abschließen. nauer lesen, Herr Stoltenberg!) Bei aller Genugtuung über die verbesserten Ein- Ich möchte Ihnen, nachdem ich im Fernsehen Kern- nahmen — die Neuverschuldung ist immer noch zu sätze Ihrer Parteitagsrede in Münster gesehen habe, hoch. Wir wollen mittelfristig die Kreditaufnahme des auch in einem anderen Punkt zur Vorsicht raten. Bundes wieder auf die 1985 und 1986 erreichte Grö- ßenordnung von 20 bis 24 Milliarden DM zurückfüh- (Wieczorek [Duisburg] [SPD]: Fernsehen bil ren, auf rund 1 % des Bruttosozialprodukts. det!) (Dr. Vogel [SPD]: Das erzählen Sie jedes Sie verkünden überall, in diesem Jahr hätten wir die Jahr!) höchste Kreditaufnahme der Nachkriegszeit. Seien Sie vorsichtig. Es ist nicht sicher, aber es ist möglich, Der entscheidende Grund dafür ist die Entwicklung —ich habe von einer Größenordnung von 38 Milliar- der Zinsausgaben. Ihr Anteil an den Gesamtausgaben den DM nach der letzten Schätzung gesprochen —, des Bundes stieg in den Jahren von 1969 bis 1982 von daß wir etwas unter den Neuverschuldungszahlen 2,7 % auf 9 %. Mit verlangsamtem Tempo steigt die der beginnenden 80er Jahre liegen. Wir wissen das Zinsquote bis 1992 auf rund 121/2 % an. Jede Milliarde erst Anfang nächsten Jahres. Ich sage Ihnen das aber Nettokreditaufnahme belastet den Bundeshaushalt vorsorglich, um Sie nach so krassen Fehlprognosen Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 89. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 6. September 1988 6067

Bundesminister Dr. Stoltenberg der letzten Monate vor weiteren falschen Aussagen Im Mittelpunkt finanzpolitischer Entscheidungen nach Kräften zu bewahren. wird auch weiterhin die Förderung international kon- kurrenzfähiger Bedingungen für private Investitio- (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU und nen, für mehr Beschäftigung und wirtschaftliche Ex- der FDP — Dr. Vogel [SPD]: Über Prognosen pansion stehen müssen. Für die nächste Legislaturpe- müssen gerade Sie reden!) riode haben wir uns eine weiterreichende Reform der Zugleich werden von der SPD ständig Forderungen Unternehmensteuern vorgenommen. Mit den Vorar- nach Mehrausgaben und Sonderprogrammen erho- beiten hierfür werden wir noch in diesem Jahr begin- ben, die jeden Rahmen vertretbarer Finanzpolitik nen. sprengen. Allein die im Zeitraum der Haushaltsbera- tungen für dieses Jahr von Ihrer Fraktion gestellten Die Privatisierung industrieller Bundesbeteiligun- Anträge, Forderungen und Initiativen hätten in die- gen konnte in diesem Jahr mit der Veräußerung der sem Jahr zu Mehrbelastungen von 10 Milliarden DM verbliebenen VW-Anteile des Bundes und der Voll- geführt. Die haben Sie in Ihre schlechten Prognosen privatisierung der VIAG AG vorangebracht werden. wahrscheinlich schon eingerechnet. Glücklicher- (Beifall des Abg. Dr. Weng [Gerlingen] weise haben wir sie alle abgelehnt, meine Damen und [FDP]) Herren. Das war sicher richtig. Weitere Privatisierungen im Bereich der öffentlichen Die wirklichen Grundprobleme der Finanzsitua- Banken, Deutsche Pfandbriefanstalt, bei der wir an tion des Bundes stellen sich in einer ganz anderen -eine Vollprivatisierung denken, Deutsche Siedlungs Weise. Von der Mitte der 50er bis Anfang der 70er und Landesrentenbank — eine Teilprivatisierung —, Jahre betrug der Anteil des Bundes am Gesamtsteu- werden zur Zeit vorbereitet. eraufkommen mehr als 50 %. Das hat mein Vorgänger Fritz Schäffer, überzeugter bayerischer Föderalist, in Mehr Wettbewerb werden wir auch durch die Stär- den Auseinandersetzungen mit Ländern und Gemein- kung unternehmerischer Strukturen im Bereich der den einmal durchgesetzt. 1982 waren es noch 48,4 % Deutschen Bundespost und die angestrebten beweg- In diesem Jahr wird der Anteil des Zentralstaats am licheren Regelungen im Sektor der Dienstleistungen Gesamtsteueraufkommen auf 45,2 % sinken. Im Ver- und des Ladenschlusses erreichen. gleich zu 1982 sind das 15 Milliarden DM jährlich, die uns jetzt auf der Einnahmeseite fehlen, die an die Län- Die Problematik des Subventionsabbaus haben wir der und Gemeinden und an die EG gegangen sind. oft diskutiert. Forderungen nach sehr drastischen Ein- Wäre der Anteil des Bundes an den Steuereinnahmen schränkungen sind rasch gestellt, aber Einschnitte im auf dem Stand von 1982 geblieben, würden wir für System der zum Teil sozialpolitisch begründeten, zum dieses Jahr nicht von knapp 40 Milliarden DM, son- Teil durch Verträge und Vereinbarungen langfristig dern von weniger als 25 Milliarden DM Nettokredit- festgelegten Zahlungen sind immer wieder sehr müh- aufnahme reden, und für das nächste Jahr würde es sam. Das Volumen der Finanzhilfen des Bundes wird nicht um eine Neuverschuldung von etwa 30 Milliar- durch Sonderentwicklungen von 15 Milliarden DM im den DM, sondern etwa 15 Milliarden DM gehen. Jahre 1988 auf 16,7 Milliarden DM im Jahre 1989 an- steigen. Das ist nicht einer der Glanzpunkte des Haus- Meine Damen und Herren, ich sage das in aller halts — ich sage es Ihnen ganz offen — , nur muß man Klarheit: Die strukturelle Schwächung der Einnahme- dann natürlich auch die Gründe sehen: Allein 1,2 Mil- basis des Bundes auch im Verhältnis zu den Steueran- liarden DM hiervon sind auf die erhöhte Kokskohlen- teilen von Ländern und Gemeinden kann nicht wei- beihilfe — auch eine Folge des Wechselkurses — und tergehen, wenn der Zentralstaat seine wachsenden den als Folge der EG-Beschlüsse neuen soziostruktu- Aufgaben im internationalen Bereich und seine Ver- rellen Einkommensausgleich an die Landwirtschaft pflichtungen in der Innenpolitik langfristig erfüllen zurückzuführen. Dafür gehen allerdings die Steuer- soll; auch dies muß im Deutschen Bundestag einmal subventionen, wie bereits erwähnt, durch die Steuer- angesprochen werden. reform ab 1990 erheblich und zusätzlich durch die (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) parallele Verringerung der Vorsteuerpauschale für die Landwirtschaft ab 1989 noch einmal um 1,1 Milli- Natürlich ist das auch ein maßgebender Grund dafür, arden DM zurück. Im Finanzplan wollen wir die Fi- daß wir uns im Grundsatz darauf verständigt haben, nanzhilfen weiter zurückführen. im Hinblick auf die Steuerabführung an Europa einen Ausgleich bei den indirekten Steuern zu suchen. Allein die Unterstützung des deutschen Kohleberg- baus erfordert im nächsten Jahr Bundesmittel in Höhe Im Vergleich zur Lage des Bundes ist die finanzielle von 3,7 Milliarden DM; ich rechne dabei die Subven- Situation der Gemeinden entgegen vielfachen Kla- tionen für die Knappschaft gar nicht mit. Die — inzwi- gen im Durchschnitt wesentlich günstiger. Unbestrit- schen allerdings wieder etwas günstigere — Entwick- ten, meine Damen und Herren, sind regionale Unter- lung beim Dollarkurs und bei dem von ihm abhängi- schiede, vor allem die ernsten Probleme und Belastun- gen Weltmarktpreis für Kohle läßt angesichts der ver- gen mancher Städte in strukturschwachen Regionen. traglichen Verpflichtungen und der im letzten Jahr Aber insgesamt gilt folgendes: Der Anteil der kredit- getroffenen Entscheidungen zur sozialen Flankierung finanzierten Ausgaben der Gemeinden an den Ge- des Kapazitätsabbaus zur Zeit kaum Spielraum für samtausgaben lag 1987 mit 1,9 % erheblich unter dem Subventionsabbau in diesem Bereich. entsprechenden Wert des Bundes, der sich auf 10,2 % belief. Gleichzeitig stiegen die Ausgaben der Ge- Der optisch starke Anstieg der Agrarausgaben um meinden in jenem Jahr um 3,8 %; bei uns waren es, 11,6 % auf 9,5 Milliarden DM im nächsten Jahr ist im wie Sie wissen, 2,9 %. wesentlichen das Ergebnis der genannten haushalts- 6068 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 89. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 6. September 1988

Bundesminister Dr. Stoltenberg neutralen Umschichtung von einer Steuersubvention Meine Damen und Herren, die jetzt von der Sozial- auf eine Ausgabensubvention. demokratischen Partei übernommene Forderung der Industriegewerkschaft Metall nach schrittweiser Ein- Hinzu kommen die während der deutschen Präsi- führung der 30-Stunden-Woche ist ein verhängnisvol- dentschaft vereinbarten Maßnahmen zur Begrenzung ler Irrtum. der Überschußproduktion. Dazu gehören der Einkom- mensausgleich an bäuerliche Betriebe bei Flächen- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) stillegung und Extensivierung sowie die Produktions- Sie würde im Ergebnis erhebliche Verluste an Wett- aufgaberente. bewerbsfähigkeit, an privater Einkommensentwick- Meine Damen und Herren, die Verantwortung für lung, an Beiträgen für die sozialen Sicherungssysteme künftiges Wachstum und mehr Beschäftigung liegt und die Gefährdung zahlreicher Betriebe und Arbeits- nicht allein im Bereich staatlicher Tätigkeit und ver- plätze bewirken. besserter Rahmenbedingungen. Vor allem müssen (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und auch die Tarifvertragspartner ihrer großen Verant- der FDP) wortung für das verstärkte Angebot an bezahlbarer Arbeit noch nachhaltiger Rechnung tragen. Wir haben schon heute im internationalen Vergleich der großen Industrienationen nicht nur sehr hohe Ar- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) beitskosten, sondern auch die kürzeste Arbeitszeit. Die vielfach beklagten, sicherlich überhöhten Lohn- Während bei uns im Jahresdurchschnitt lediglich zusatzkosten in der Bundesrepublik Deutschland be- noch 1 582 Stunden gearbeitet wird, sind es in den ruhen zu mehr als der Hälfte auf tarifvertraglichen Vereinigten Staaten 1 848 und in Japan sogar 2 166 Regelungen. Vor allem die Tarifpartner haben es in Stunden. der Hand, durch sachgerechte und differenzierte Wir alle wollen die Verwirklichung des Europäi- Lohnabschlüsse zur Schaffung zusätzlicher Arbeits- schen Binnenmarktes. Fast alle in diesem Hohen Haus plätze beizutragen. bejahen ein offeneres Weltwirtschaftssystem. Dann Zwischen 1970 und 1982 sind die Lohnstückkosten kann man aber bei den Tarifverträgen, den Kosten, in der Bundesrepublik im Jahresdurchschnitt um den Arbeitszeitregelungen nicht weiter so tun, als ob 5,7 % gestiegen. Gleichzeitig gingen 600 000 Arbeits- wir noch in den autarken, abgeschlossenen National- plätze verloren. Demgegenüber hat der wesentlich staaten und Nationalwirtschaften schalten und walten verhaltenere Anstieg der Lohnstückkosten — plus könnten, ohne sich um die Konsequenzen für den 1,4 % im Jahresdurchschnitt 1983 bis 1987 — maßgeb- Wettbewerb und die Zukunft der Arbeitsplätze zu lich dazu beigetragen, daß in den letzten fünf Jahren kümmern. die Zahl der Arbeitsplätze um mehr als 800 000 zu- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) nahm. Wir brauchen auch bei der Nutzung teurer Maschi- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) nen mehr Flexibilität. Ich freue mich, daß sich wenig- stens bei Herrn Lafontaine die seit langem geäußerten Vor allem in einer stärkeren Differenzierung der Überzeugungen der Koalitionsparteien schrittweise Tarifabschlüsse nach Branchen und Regionen liegt durchsetzen. Allerdings haben wir gesehen, daß auch der Schlüssel zur mittelfristigen Bewältigung der nach er in Ihrer Partei in solchen Dingen nicht mehrheitsfä- wie vor ernsthaften Probleme am Arbeitsmarkt. Wir hig ist, was unter anderen Gesichtspunkten auch können Förderprogramme verstärken — soweit die durchaus zu begrüßen ist. Aber in diesem Zusammen- EG das noch ermöglicht, muß man einschränkend sa- hang muß man anerkennen, daß sich der saarländi- gen — , wir können Strukturhilfen bewilligen: Wenn sche Ministerpräsident in einigen Punkten in sehr be- nicht Arbeitgeber und Gewerkschaften bereit sind, achtlicher Weise der Politik der Bundesregierung an- durch differenzierte Tarifabschlüsse Standorte in nähert. Grenzlagen attraktiver zu machen, werden wir nicht die gewünschten Erfolge haben, weder in Nordfries- Wir brauchen mehr Mobilität auch auf dem Ar- land noch in Ostfriesland, noch im Bayerischen Wald. beitsmarkt, wo selbst in Gebieten hoher Arbeitslosig- Das ist die Wahrheit, meine Damen und Herren. keit immer kritischer über den Mangel an Fachkräften diskutiert wird. Ein Arbeitsplatz kostet heute im (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Durchschnitt rund 180 000 DM. Die Frage lautet, wie Es ist auch nicht vertretbar, daß gerade in einigen lange wir es uns noch leisten können, dieses Kapital hochsubventionierten Branchen mit die höchsten immer längere Zeit ungenutzt zu lassen. Wir haben Lohnkosten anfallen. die Möglichkeit, mehr zu produzieren und bessere ökonomische und soziale Dienstleistungen anzubie- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — ten. Zusätzliches Einkommen bedeutet zusätzliche Stratmann [GRÜNE]: Airbus!) Nachfrage und Zuwachs an Arbeitsplätzen. Wir dür- — Ich beziehe alle ein, über die man hier reden fen uns deshalb nicht mit defensiven Strategien und kann. der Verteilung des Mangels zufriedengeben. Es bedarf vielmehr der wirksameren Nutzung der (Stratmann [GRÜNE]: Warum machen Sie uns zur Verfügung stehenden Ressourcen — Kapital, das immer wieder?) Wissen, Ausbildung und Leistungsbereitschaft —, Dies gilt für alle, die hier als hochsubventionierte wenn wir die großen Zukunftsaufgaben bewältigen Branchen angesprochen sind. Ich sage das gar nicht wollen. Im Mittelpunkt steht dabei die weitreichende nur in eine bestimmte Richtung. Veränderung in der Bevölkerungsstruktur der Bun- Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 89. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 6. September 1988 6069

Bundesminister Dr. Stoltenberg desrepublik Deutschland mit schwerwiegenden Fol- Wir treten für gleichgewichtige Abrüstung im kon- gen, auch für die künftige Finanzierung der Alterssi- ventionellen Bereich ein. cherungssysteme. Nur in einer dynamischen Volks- (Frau Garbe [GRÜNE]: Das bietet doch Herr wirtschaft können wir die sozialen Anpassungspro- Gorbatschow an!) zesse für die Arbeitnehmer und die Rentner in huma- ner Weise meistern. Wenn sie erreicht ist, wird man über grundlegende Veränderungen der Planungen für unsere Streitkräfte Steuerreform, Neuordnung unserer Alterssiche- im einzelnen entscheiden. rungssysteme und Reform des Gesundheitswesens stehen so in einem inneren Zusammenhang. Sie ge- Jetzt plant die Bundeswehr wegen der abnehmen- ben Antworten auf die tiefgreifenden Veränderungen den Zahl wehrpflichtiger junger Menschen für die in der Altersschichtung unseres Volkes, auf neue öko- 90er Jahre eine höhere Zahl von Berufs- und Zeitsol- nomische und soziale Bedingungen. daten ein. Rund 60 % des vorgesehenen Zuwachses im Verteidigungshaushalt sind für zusätzliche Perso- Die Begrenzung der Abgabenbelastung für die ar- nalausgaben vorgesehen. Ein beachtlicher Teil davon beitenden Menschen und die Betriebe bei der Lohn- dient dazu, den Arbeitsplatz Bundeswehr attraktiver und Einkommensteuer und bei den Sozialversiche- zu machen. Gleichzeitig nehmen die verteidigungsin- rungsbeiträgen ist die wichtigste Voraussetzung für vestiven Ausgaben zu; allerdings werden wir bei dem ein größeres Angebot an bezahlbarer Arbeit, für ver- Ansatz für militärische Beschaffungen etwa den jetzi- stärktes Wachstum auf der Grundlage hoher betrieb- gen Stand von 11 Milliarden DM halten. licher Investitionen. Die Lohnzusatzkosten belaufen sich heute auf rund 80% des direkten Arbeitsentgelts. Im Bereich des Umweltschutzes setzen wir konse- Was mit der Steuerreform den arbeitenden Menschen quent auf die Verwirklichung des Verursacherprin- zurückgegeben wird, darf ihnen nicht durch immer zips. Die Kosten der vorsorgenden Vermeidung und höhere Zwangsbeiträge wieder weggenommen wer- der Beseitigung von Umweltschäden sind grundsätz- den. lich von den dafür Verantwortlichen zu tragen. Zur Durchsetzung dieses Prinzips brauchen wir weiterrei- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — chende rechtliche Regelungen, brauchen wir vor al- Roth [SPD]: Wer erhöht denn?) lem strengere verbindliche Standards in der Europäi- Das verstärkte Abwandern von Produktion und Ar- schen Gemeinschaft, für die wir uns einsetzen. beitsplätzen in den Bereich der Schwarzarbeit oder in Der Etat des Bundesministers für Umwelt, Natur- Länder mit wesentlich günstigeren Kostenbedingun- schutz und Reaktorsicherheit soll 1989 um 8,3 % stei- gen. Bei den neuen Finanzhilfen des Bundes an die gen können wir nur abwenden, wenn der Abstand- zwischen Brutto- und Nettoeinkommen wieder gerin- strukturschwachen Länder erwarten wir, daß der Um- ger wird. weltschutz eine hohe Priorität erhält. Das gilt in der Verantwortung der Küstenländer und ihrer Kommu- Ein weiterer Schwerpunkt im Bereich des Sozial- nen vor allem auch für Investitionen zum Schutz der haushalts ist neben der Rentenversicherung die Fi- Nord - und Ostsee. Zur besseren Koordination und nanzierung des in den letzten Jahren erheblich ver- Überwachung im Bereich der Reaktorsicherheit und besserten Allein für die Familienlastenausgleichs. des Strahlenschutzes hat die Bundesregierung be- Anrechnung von Kindererziehungszeiten in der Ren- schlossen, ein Bundesamt für Strahlenschutz einzu- tenversicherung wird der Bund im Jahre 1989 rund richten. 3 Milliarden DM zahlen. Bis 1992 wird dieser Betrag auf über 5 Milliarden DM ansteigen. Weitere Maß- (Stratmann [GRÜNE]: Was sind denn 8,3 % nahmen sind das Erziehungsgeld für alle Mütter oder absolut?) Väter, das wir eingeführt haben und das 1989 allein In drei Wochen werden die zuständigen Minister 3,6 Milliarden DM erfordert, und der Kindergeld- und die Zentralbankpräsidenten aus 151 Mitglieds- zuschlag für Familien mit geringem Einkommen. Die ländern des Internationalen Währungsfonds und der Steuerreform 1990 bringt, wie Sie wissen, eine weitere Weltbank und darüber hinaus viele Gäste und Beob- Erhöhung der Kinderfreibeträge. achter zur jährlichen Versammlung dieser Organisa- Meine Damen und Herren, der Sozialhaushalt tionen nach Berlin kommen. Damit werden die inter- bleibt mit jetzt 66,9 Milliarden DM auch 1989 der nationale Zusammenarbeit, die Festigung der interna- größte Einzelplan. Ihm folgt der Verteidigungsetat tionalen finanziellen Beziehungen, die Schuldenkrise mit eingeplanten 53,3 Milliarden DM. und die wirksamere Hilfe für weniger entwickelte Länder stärker in den Mittelpunkt des öffentlichen (Frau Garbe [GRÜNE]: Das wird einfach so Interesses rücken. hingenommen!?) Die Mitgliederzahl von Währungsfonds und Welt- Auch unter den Vorzeichen verbesserter Ost-West bank hat ständig zugenommen. In den letzten Jahren Beziehungen soll die Bundeswehr ihren hohen Ein- sind elf weitere Staaten diesen Organisationen beige- satzstand behalten, um ihre Verpflichtungen im treten, darunter Mosambik und Simbabwe sowie Po- Bündnis für Frieden und Freiheit wahrnehmen zu len und Ungarn, ausnahmslos vergleichsweise arme können; Entwicklungsländer oder kommunistische Staatshan- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) delsländer. Man will Mitglied in diesen Organisatio- nen werden; man tritt nicht aus. Das ist die Haltung denn bei allen wichtigen neuen Akzenten der Politik der kommunistischen Länder und der Entwicklungs- in Moskau: Der Ausbau des weit überlegenen Militär- länder. Ich hebe dies hervor, weil es die Weltfremdheit potentials der Sowjetunion geht bis jetzt weiter. und Verbohrtheit der sogenannten alternativen Kam- 6070 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 89. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 6. September 1988

Bundesminister Dr. Stoltenberg pagne gegen diese Institutionen, gegen die Tagung in bedingungen für die ärmsten Länder erheblich ver- Berlin mit den bekannten antikapitalistischen Schlag- bessert haben. So kann das neue strukturelle Anpas- worten eines verstaubten Marxismus um so deutlicher sungsprogramm des Währungsfonds ihnen sehr lang- macht. fristige und nahezu zinslose Darlehen gewähren. Wir brauchen diese neuen Instrumente. Es hat keinen (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Sinn, Ländern, die in extremster Armut leben und Insbesondere die Situation der hoch verschuldeten deren wirtschaftliche Grundlagen total erschüttert

Entwicklungs - und Schwellenländer erfordert weiter- sind, Kredite zu Bedingungen anzubieten, die über- hin volles Engagement und engste Zusammenarbeit. haupt keine Chance auf eine vernünftige Nutzung Der Internationale Währungsfonds und die Weltbank und Rückzahlung eröffnen. nehmen bei dieser Aufgabe eine hervorragende Rolle ein. Durch erhebliche Mittelbereitstellung, durch Hil- In Berlin wird darüber beraten werden, in welchem fen bei der Strukturanpassung und Projektfinanzie- Umfang auch die Eigenmittel des Fonds aufgestockt rung werden sollen. Die Bundesregierung wird sich für eine beträchtliche Anhebung dieser Mittel einsetzen. Ob (Stratmann [GRÜNE]: Bei der Indianeraus wir den Beschluß bereits in Berlin erreichen, ist aller- rottung!) dings offen. und vor allem auch durch fachkundige wirtschaftspo- litische Beratung tragen sie maßgeblich dazu bei, die Meine Damen und Herren, über den Bürgschafts- grundlegenden wirtschaftlichen und sozialen Pro- haushalt — jetzt rede ich von einem wirklichen Sor- bleme dieser Länder zu analysieren und Wege aus genpunkt für den Finanzminister — trägt die Bundes- einer überhöhten Verschuldung für ökonomischen regierung dazu bei, daß in den Umschuldungsver- und sozialen Fortschritt zu suchen. handlungen mit den öffentlichen Kreditgebern im Pa- riser Club angemessene Lösungen in den Fällen ge- (Stratmann [GRÜNE]: Heuchelei ist das!) funden werden können, in denen hoch verschuldete Mit der Hilfe dieser beiden Organisationen haben in- Länder ihren Zins- und Tilgungsverpflichtungen nicht zwischen zahlreiche Länder weitreichende Struktur- mehr nachkommen können. Im Haushaltsentwurf reformen eingeleitet und vielfach Fortschritte bei der 1989 sind für Zahlungen aus Gewährleistungen insge- Überwindung ihrer Schwierigkeiten erzielt. samt 2,8 Milliarden DM eingeplant. Die Kolleginnen und Kollegen aus dem Haushaltsausschuß kennen Seit einiger Zeit müssen sich Internationaler Wäh- diese Problematik. Bis 1982 haben meine Amtsvor- rungsfonds und Weltbank mit dem Vorwurf auseinan- gänger aus der Hermes-Versicherung und den Bürg- dersetzen, sie würden die Situation der Menschen in - schaften jedes Jahr einen dreistelligen Millionenbe- den von ihnen unterstützten Ländern eher noch ver- trag eingenommen, wie man es auch gerne möchte, schlechtern. Ein Teil der Kritik richtet sich gegen die wenn man eine gutgehende Versicherung betreibt. im Zusammenhang mit der Kreditgewährung verein- Die internationale Schuldenkrise hat dazu geführt, barten strukturellen Anpassungsprogramme. Dabei daß wir seit 1983 jährlich einen Milliardenbetrag für wird jedoch übersehen, daß die Verbesserung der notleidend gewordene Bürgschaften verwenden müs- Kreditfähigkeit der betroffenen Länder, ihre Fähigkeit sen. Wir sehen jetzt, daß bei einem Bürgschaftsvolu- am Welthandelssystem teilzunehmen — durch mehr men des Bundes von über 200 Milliarden DM in die- Sparsamkeit in den öffentlichen Haushalten, durch sem Sektor mit erheblichen Risiken zu rechnen ist. Bekämpfung der In flation und den Abbau wettbe- Allein auf Grund des Ergebnisses von Umschuldungs- werbshemmender Strukturen — , die Voraussetzung verhandlungen der letzten Wochen müssen wir den für mehr Wachstum und die Verringerung von Not Bundestag bitten, den Ansatz der Regierung für 1989 und Armut ist. zu erhöhen. Es ist mittelfristig eines unserer schwie- Neue Mittel müssen vor allem in erhöhte volkswirt- rigsten Probleme. Wir können auf Bürgschaften nicht schaftliche Leistungsfähigkeit umgesetzt werden. An- verzichten: a) im Interesse unserer Exportwirtschaft derenfalls wäre die Bereitstellung zusätzlicher Bei- und ihrer Arbeiter und b) im Interesse der verschulde- träge langfristig ziemlich sinnlos. Die Armut in der ten Länder, die ja nur dadurch ihre Handelsbeziehun- Dritten Welt würde bei einer falschen Verwendung gen aufrechterhalten können. Aber wir müssen ein- dieser Mittel nur noch erhöht. fach wissen, daß wir ein latentes erhebliches Haus- Meine Damen und Herren, die Kreditmöglichkei- haltsrisiko haben. ten von Währungsfonds und Weltbank werden auch Meine Damen und Herren, im Bereich der Kredit- weiterhin ausgeweitet. So ist noch in diesem Jahr das vergabe privater Banken an Entwicklungs - und Kapital der Weltbank um rund 75 Milliarden amerika- Schwellenländer wird seit längerem nach neuen We- nische Dollar erhöht worden. In unserem vorliegen- gen gesucht. Schuldenrückkaufmodelle und die Um- den Haushaltsentwurf sind die für das nächste Jahr wandlung von Krediten in Beteiligungen sind die erforderlichen Ermächtigungen vorgesehen, damit wichtigsten Stichworte aus der jüngsten Entwicklung. die Bundesrepublik ihren Anteil an den Einzahlungen Im Kern geht es darum, Belastungen aus Zins und Til- von 184 Millionen DM leisten kann. Darüber hinaus gungen zu verringern — und das ist auch bei Bank- sehen wir im Etat des Bundesministers für wirtschaft- krediten notwendig — , sie an die wirtschaftlichen liche Zusammenarbeit einen weiteren Anstieg unse- Möglichkeiten der verschuldeten Länder besser anzu- rer Beiträge für die regionalen Entwicklungsbanken passen, ohne deren Kreditwürdigkeit zu gefährden; um 45 Millionen DM auf 915 Millionen DM vor. das letzte muß man unterstreichen. Das ist auch der Hervorzuheben ist, daß Währungsfonds und Welt- Grund, weshalb wir unverändert nichts von Initiativen bank ihre Kreditvolumina und vor allem ihre Kredit für globalen Schuldenerlaß halten, denn damit würde Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 89. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 6. September 1988 6071

Bundesminister Dr. Stoltenberg auch die Kreditwürdigkeit der betroffenen Länder Meine Damen und Herren, der Ausbau und die vernichtet. Stärkung der Europäischen Gemeinschaft, unsere Wir erwarten, daß sich die deutschen Banken auch Verpflichtungen für die Bundeswehr in der Allianz für weiterhin, ja, einige noch stärker aktiv an solchen Frieden und Freiheit, weltweite Mitverantwortung in Lösungen beteiligen. Deswegen haben wir ihnen vor der engeren Zusammenarbeit der Industrieländer und Jahren, als die Schuldenkrise ausbrach, übrigens vor allem auch für die bedrängten Völker der Dritten auch angemessene Möglichkeiten für steuerliche und Vierten Welt — dies alles spiegelt sich im einzel- Wertberichtigungen in diesem Bereich eingeräumt. nen auch im Entwurf unseres Bundeshaushalts 1989 Sie sind großzügig, aber das heißt auch: Die großen ebenso wider wie die weitgespannten innenpoliti- deutschen Banken können sich aus Engagements in schen Aufgaben des Bundes. Problemländern nicht einfach zurückziehen. Das ist Die Erfahrungen seit 1982 zeigen: Eine niedrigere auch ein Teil der Beherrschung der Schuldenstrategie Steuerquote, eine Erweiterung der Gestaltungsräume und der mit ihr verbundenen wirtschaftlichen Pro- für die schöpferischen Kräfte mündiger Bürger und bleme. damit eine Konzentration des Staates auf seine eigent- Meine Damen und Herren, vor allem die Regierun- lichen Aufgaben führen nicht zur Absage an die so- gen der Schwellenländer müssen in ihrem eigenen ziale Verantwortung unseres Gemeinwesens, wie das Interesse vertrauensbildende Wirtschaftsreformen immer wieder fälschlicherweise behauptet wird. durchführen. Immer noch gibt es, vor allem in Latein- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) amerika, einige Staaten, die nicht die Kraft zur dauer- haften Anpassung aufbringen, obwohl das Potential Sie schaffen vielmehr erst bessere Voraussetzungen ihrer Länder an sich beachtlich ist. Das Ergebnis ist für mehr Dynamik und Innovation, für Erneuerungs- eine anhaltende Kapitalflucht aus diesen Ländern mit fähigkeit und die Meisterung der Zukunftsaufga- negativen ökonomischen und sozialen Folgen. ben. Die ärmsten Entwicklungsländer, vor allem in Deshalb müssen wir auch weiterhin vielen überzo- Afrika südlich der Sahara, sind demgegenüber für genen Forderungen von Interessengruppen an den lange Zeit überwiegend auf öffentliche Hilfe ange- Bundeshaushalt widerstehen. Es liegen mehr als ge- wiesen. Nicht nur bei der Bereitstellung von Mitteln nug auf dem Tisch; jeder weiß das. Nur so gewährlei- für internationale Organisationen hat sich die Bundes- sten wir stabile Grundlagen, auch um kurzfristig neue regierung besonders engagiert. Sie hat einer größeren Aufgaben — wie jetzt die tatkräftige Hilfe für die an- Zahl der ärmsten Länder die Schulden aus Entwick- steigende Zahl deutscher Aussiedler — finanzieren lungshilfeleistungen völlig erlassen. Diese Länder er- und meistern zu können. Auch hier vertrauen wir ne- halten solche Leistungen nur noch als Zuschüsse oder ben der Bereitstellung der erforderlichen finanziellen Schenkungen. Mittel durch Bund, Länder und Gemeinden auf die Wir haben erst kürzlich den Kreis der so geförderten Bereitschaft unserer Mitbürger, in einer ganz über- Länder noch erweitert. Darüber hinaus ist ein Schul- wiegend vom Wohlstand bestimmten Gesellschaft je- denerlaß für sechs weitere Länder Afrikas unter der nen solidarisch zu helfen, die unverschuldet die ver- Voraussetzung vorgesehen, daß sie vernünftige An- hängnisvollen Folgen der nationalsozialistischen Ära passungs- und Reformprogramme in Zusammenarbeit länger und härter erleiden mußten als wir. Das ist auch mit dem Internationalen Währungsfonds und der eine moralische Kategorie, die uns hier berührt. Weltbank durchführen. Unser Schuldenerlaß wird da- durch um 3,3 Milliarden DM auf jetzt insgesamt (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie 7,5 Milliarden DM ausgeweitet. bei Abgeordneten der SPD) Ich sage auch gegenüber dem deutschen Steuer- Nach dem Rückschlag und den Sorgen des vergan- zahler: Dies ist richtig. Aber wir können es, meine genen Winters sind auch in der Finanzpolitik positi- Damen und auch Herren, auch gegenüber dem deut- vere Daten und Perspektiven erkennbar. Ich habe sie schen Steuerzahler nur vertreten, wenn wir die Über- geschildert. Aber es gibt keinen Anlaß, nach dem zeugung haben, daß die so geförderten Länder durch überzogenen Pessimismus der jüngsten Vergangen- eine vernünftige Wirtschaftspolitik alles tun, was ih- heit jetzt in einen blauäugigen Optimismus, in Vertei- nen selbst hilft, damit es ein sinnvoller Verzicht ist und lungsmentalität oder Sorglosigkeit zu verfallen. eine sinnvolle Hilfe an Länder, die Hilfe brauchen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) So glänzend ist das Bild auch nicht, das ich Ihnen für Wir wollen weiterhin die internationale Zusammen- die öffentlichen Finanzen hier zeichnen konnte. arbeit aktiv mitgestalten. Wir übersehen bei dem er- freulich aufgehellten Bild, das ich schildern konnte, Wir brauchen unverändert Ausgabendisziplin und nicht die Probleme, die es weiterhin gibt. Die großen Vorrang für die weitere Verringerung der Nettokre- Herausforderungen und Risiken für die Weltwirt- ditaufnahme, nicht nur um die Zinsquote in unseren schaft sind die erheblichen Ungleichgewichte in den Haushalten endlich zu stabilisieren, sondern auch um Handels- und Leistungsbilanzen der Industrienatio- das Vertrauen in stabile Preise und unsere harte Wäh- nen und das große Gefälle, das zu große Gefälle zwi- rung weiter zu erhalten und zu festigen. schen ihrem Wohlstand und der Not der meisten Ent- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) wicklungsländer. Beides erfordert Verantwortungs- bewußtsein, Kompetenz und Kooperation über die Das ist für die soziale und wirtschaftliche Zukunft Grenzen der Staaten und Kontinente hinweg. unseres Volkes wichtiger als diese oder jene Einzel- 6072 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 89. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 6. September 1988

Bundesminister Dr. Stoltenberg maßnahme für diese oder jene Gruppe. Ich glaube, Wer jedoch glaubt, daß damit ein finanzpolitischer davon sind wir alle überzeugt. Kurswechsel der SPD verbunden wäre, der irrt, meine (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Damen und Herren. Meine Damen und Herren, große und schwierige (Dr. Dregger [CDU/CSU]: Hatten Sie über Aufgaben liegen weiterhin vor uns — wir wollen sie haupt einen Kurs?) meistern —, von der Neubestimmung der Finanzbe- An unserer Beurteilung der Finanzpolitik dieser Bun- ziehungen des Bundes zur Rentenversicherung — ein desregierung ändert sich durch die Entscheidung von Thema der nächsten Wochen — bis zur Förderung der nichts. Strukturanpassungen. (Beifall bei der SPD) Dennoch: Wir stellen mit Befriedigung fest, daß die Vorhersagen der falschen Propheten vom letzten Win- Der Bundeshaushalt 1989 und der Finanzplan 1988 ter über die Rezession oder über die explodierende bis 1992, die der Bundesfinanzminister heute morgen Neuverschuldung widerlegt wurden. Der gute Ver- hier eingebracht hat, sind für uns Anlaß zu einer Zwi- lauf des Jahres 1988 stärkt unsere Zuversicht, den schenbilanz über sechs Jahre konservativer Finanz- heute eingebrachten Etat 1989 verantwortungsbe- politik. wußt zu gestalten und die Herausforderung meistern Diese Bundesregierung ist 1982 mit einer Reihe von zu können. Ich bitte Sie, meine Damen und Herren, Versprechungen angetreten. Die öffentlichen Haus- dabei um Ihre tatkräftige Mitarbeit. halte sollten grundlegend saniert und die notwendi- gen Opfer auf alle Bürger sozial gerecht verteilt wer- (Anhaltender lebhafter Beifall bei der CDU/ den. Die öffentlichen Investitionen sollten verstärkt CSU und der FDP) und die Subventionen abgebaut werden. Die Neuver- schuldung sollte „spürbar unter 20 Milliarden DM ohne Bundesbankgewinne" zurückgeführt werden, Präsident Dr. Jenninger: Meine Damen und Herren, ohne dabei Steuererhöhungen vorzunehmen — Zitat ich unterbreche die Sitzung für die Mittagspause. Wir von Herrn Dr. Stoltenberg am 28. Oktober 1984 in der setzen die Beratung um 14 Uhr fort. „Welt am Sonntag". (Unterbrechung von 12.23 bis 14.00 Uhr) Am 4. Mai 1983 hat der Bundeskanzler Helmut Kohl in seiner Regierungserklärung vor dem Deutschen Bundestag versprochen: Vizepräsident Stücklen: Die unterbrochene Sitzung Aufgabe Nummer eins ist die Beseitigung der wird fortgesetzt. Massenarbeitslosigkeit. - Ich eröffne die Aussprache über die Beratung des Meine Damen und Herren, die Bundesregierung Haushaltsgesetzes 1989, des Finanzplanes 1988 bis hat keines ihrer Versprechen gehalten. Die einmalige 1992 und des Nachtragshaushaltsgesetzes 1988. Chance, die eine seit sechs Jahren anhaltende, welt- Das Wort hat Herr Abgeordneter Wieczorek. weit günstige Wirtschaftsentwicklung geboten hat, ist vertan worden. Die öffentlichen Haushalte stecken in einer tiefen Finanzkrise. Die Staatsverschuldung hat ein historisches Rekordniveau erreicht. Die Kluft zwi- Wieczorek (Duisburg) (SPD): Herr Präsident! Meine schen Arm und Reich hat sich vergrößert. Während sehr verehrten Damen und Herren! In der heutigen die sozial Schwachen zu Beginn Ihrer Amtszeit große Debatte war ursprünglich Hans Apel als erster Redner Opfer für die angebliche Konsolidierungspolitik brin- der SPD vorgesehen. gen mußten, (Zuruf von der CDU/CSU: Tatsächlich?) (Zuruf von der CDU/CSU: Das glauben Sie ja Wie Sie wissen, hat Hans Apel gestern sein Amt als selbst nicht!) finanzpolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfrak- werden heute die Steuern für Spitzenverdiener ge- tion niedergelegt. Ich möchte deshalb zu Beginn mei- senkt. ner Rede Hans Apel ausdrücklich für seine großartige Arbeit hier im Deutschen Bundestag danken. (Beifall bei der SPD) (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der Die Struktur der öffentlichen Haushalte war noch FDP) nie so schlecht. Während die Investitionsquote weiter zurückgeht, ufern die Subventionen immer mehr aus. Wir alle haben seine offene und kollegiale Art stets Die ist seit 1982 um eine halbe geschätzt. Er hat mit seinem Sachverstand unser aller Zahl der Arbeitslosen Million gestiegen und steigt weiter. 2,3 Millionen Ar- Hochachtung erworben. Ich spreche für uns alle, beitslose werden von der Teilhabe am wachsenden wenn ich sage, daß wir diese persönliche Entschei- Wohlstand ausgegrenzt. dung von Hans Apel bedauern, aber sie verdient un- seren Respekt. (Beifall bei der SPD — Seiters [CDU/CSU]: Und die Arbeitsplätze?) (Dr. Dregger [CDU/CSU]: Man kann sie ver stehen!) An Millionen von Bürgern und Familien geht der Auf- Ich darf Ihnen, Herr Bundesfinanzminister, herzlich schwung vorbei. für die Worte danken, die Sie für Hans Apel gefunden Die Schulden des Bundes, Herr Bundesfinanzmini- haben. ster, sind noch nie so stark gestiegen wie in diesem (Beifall bei allen Fraktionen) Jahr. Die Neuverschuldung von mehr als 39 Milliar- Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 89. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 6. September 1988 6073

Wieczorek (Duisburg) den DM im Nachtragshaushalt 1988 ist die höchste in In Wahrheit, meine Damen und Herren, machen Sie der Geschichte der Bundesrepublik, auch wenn Sie eine Politik der Schuldenrekorde. Denn ohne Bun- sie jetzt heruntermanipulieren wollen, um von dieser desbankgewinne müßte diese Regierung ab 1989 Jahr Rekordziffer wegzukommen. für Jahr 40 Milliarden DM neue Schulden aufnehmen. Ohne die vorgesehene Verbrauchsteuererhöhung (Beifall bei der SPD — Dr. Vogel [SPD]: Hört! und die massiven Kürzungen bei der Bundesanstalt Hört! — Widerspruch bei der CDU/CSU) für Arbeit wären es, wenn Sie korrekt und sauber Die Rekordziffer des Bundes ist aber nicht einmal rechnen, gar 50 Milliarden DM jährlich. ein einmaliger Ausrutscher, sondern dauerhaft. (Dr. Stark [Nürtingen] [CDU/CSU]: Und bei (Dr. Friedmann [CDU/CSU]: Bei ein paar Ihnen 70 Milliarden!) hundert Milliarden DM mehr Bruttosozial produkt!) Für diese Zahlen hätten Sie heute morgen, Herr Bun- desfinanzminister, die Verantwortung übernehmen Der neue Finanzplan dieser Bundesregierung weist müssen, wenn Sie ehrlich bilanzieren würden. aus, daß in den Jahren 1988 bis 1992 — und ich wie- derhole die Zahl von Herrn Vogel, Herr Stoltenberg — Ich erinnere noch einmal an die schlimmen und 171 Milliarden DM mehr neuer Schulden aufgenom- unredlichen Reden hier im Deutschen Bundestag An- men werden sollen. fang der 80er Jahre. Damals malten Sie den drohen- den Staatsbankrott an die Wand und stellten Ihre gro- (Hört! Hört! bei der SPD) ßen Konsolidierungsversprechungen daneben. Vor Das sind durchschnittlich 34 Milliarden DM pro Jahr. diesem Hintergrund sind die heutigen Ergebnisse Ih- Eine höhere Neuverschuldung hat es in der Ge- rer Politik so entlarvend, daß jeder weitere Kommen- schichte unseres Volkes niemals gegeben. tar überflüssig ist. (Dr. Friedmann [CDU/CSU]: Bei ein paar (Beifall bei der SPD) hundert Milliarden DM mehr Bruttosozial Sie wußten damals genausogut, wie wir es heute wis- produkt! — Weitere Zurufe von der CDU/ sen: Unserem Land drohte damals kein Staatsban- CSU) krott, und er droht uns auch heute nicht. Dieses miese Die Bundesregierung wird nach ihrer eigenen Finanz- Geschäft mit der Angst unserer Sparer betreiben wir planung bis 1992 in zehn Jahren — Herr Friedmann, nicht. Wir verwerfen Ihre Finanzpolitik, weil sie un- als Vorsitzenden des Rechnungsprüfungsausschusses redlich und falsch ist. Selbst in einer Phase ohne kon- bitte ich Sie ganz herzlich, zuzuhören — junkturelle Einbrüche und außenwirtschaftliche Stö- rungen sind Sie gescheitert. (Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: - Macht der immer!) (Beifall bei der SPD) genausoviel Schulden machen wie alle Bundesregie- Sie versprechen Steuererleichterungen, erhöhen rungen vorher in 33 Jahren. aber vorher die Steuern. Sie reden von Konsolidie- rung, präsentieren aber Rekorddefizite. Diese Haus- (Beifall bei der SPD — Dr. Vogel [SPD]: Hört! haltsdefizite, meine Damen und Herren, sind doch Hört! „Weiter so! " — Widerspruch bei der nicht Ausdruck einer aktiven, berechenbaren Steuer- CDU/CSU) und Finanzpolitik im Kampf gegen die Massenar- Der Schuldenstand des Bundes betrug bei der beitslosigkeit oder im Kampf für eine bessere Umwelt. „Wende" 1982 300 Milliarden DM — viel zuviel, Sie sind vielmehr das Ergebnis Ihrer verfehlten Steu- wenn Sie mich fragen. Aber er wird am Ende dieses erpolitik, Ihrer unberechenbaren Politik der Wohlta- Finanzplanungszeitraums 600 Milliarden DM betra- ten für die Gruppen, denen gegenüber Sie sich abhän- gen. gig fühlen. (Beifall bei der SPD) (Dr. Stark [Nürtingen] [CDU/CSU]: Weil wir eure Schulden mitbezahlen müssen, die ihr Weil Ihrer Politik die Perspektive fehlt, häufen Sie gemacht habt!) Schuldenberge auf, die uns vor schwere Probleme stellen werden. Man muß sich diese Zahl einmal vor Augen führen. Auch die drastischen Es ist mir schlicht unbegreiflich, Herr Dregger, wie Steuer- und Abgabenerhö- hungen im kommenden Jahr haben mit einer voraus- der Bundeskanzler angesichts dieser Fakten am schauenden Politik nichts zu tun. Für ein sinnvolles 11. Januar vor der Bundespressekonferenz erklären Konzept, für eine ökologische Neuorientierung der konnte — ich zitiere — : „Unser Markenzeichen ist, Besteuerung könnten Sie jederzeit mit unserer Hilfe daß wir keine Schulden machen." rechnen. (Dr. Vogel [SPD]: Hei! — Widerspruch bei Es geht Ihnen aber nicht darum, sondern Sie stopfen der SPD — Dr. Stark [Nürtingen] [SPD]: Wir nur die gröbsten Haushaltslöcher, die Sie an anderen bezahlen die Zinsen für eure Schulden!) Stellen mit dem überzogenen Steuerpaket 1990 auf- Man muß sich so etwas nur einmal vorstellen. Denn reißen. Genau in diesem Punkt liegt der entschei- das wußte auch der Bundeskanzler, daß diese Aus- dende Unterschied zwischen Ihren und unseren steu- sage schlicht und einfach falsch ist. erpolitischen Vorstellungen. (Walther [SPD]: Wohl wahr! — Zander [SPD]: Sie haben heute morgen so viel über Münster gere- Wer weiß, ob er es wußte! — Weiterer Zuruf det. Ich will Ihnen unsere Position von Münster ver- von der SPD: Wie immer!) deutlichen. Wir wollen unser Steuersystem so um- 6074 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 89. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 6. September 1988

Wieczorek (Duisburg) strukturieren, daß es den dringenden umweltpoliti- Damit noch nicht genug. Denn der Eigenbeitrag schen Erfordernissen gerecht wird. Diese ökologische wird zu einer weiteren Kostenbelastung der Bürger Umstrukturierung unseres Steuersystems wird nicht von 6,5 Milliarden DM jährlich führen. Das sind die zu einer höheren Gesamtbelastung für kleine und Kosten für die Selbstbeteiligung im Krankheitsfall, mittlere Einkommen führen; sie wird in diesem Be- die die einzelnen Menschen aus ihrer eigenen Tasche reich nicht eine Erhöhung, sondern im Gegenteil Ent- zahlen müssen. lastungen bewirken. Wir wollen ein Nullsummen Das sind zusammen weitere 10 Miliarden DM an spiel. Wir wollen aber die Einnahmen des Staates an- Mehrbelastung für die Bürger. ders verteilen. Wir möchten die Leute mit kleinen und geringen Einkommen entlasten und statt dessen jene, Insgesamt wollen Sie in den nächsten Jahren also die das ökologische Gleichgewicht stören, in größe- 23 Milliarden DM bei den Bürgern und der Wirtschaft rem Maße belasten. Das ist unsere Grundaussage. abkassieren. Wir müssen uns darüber klar sein, was das eigentlich bedeutet, was der Herr Bundsfinanzmi- (Beifall bei der SPD — Dr. Friedmann [CDU/ nister heute morgen so vollmundig hier umschrieben CSU]: Sie wollen doch den Benzinpreis ver hat. doppeln!) Der Bund der Steuerzahler hat Ihnen im Juni, also Wir wollen das Mehraufkommen bei den einzelnen noch vor dem Kabinettsbeschluß, ausgerechnet, was Energiesteuern in erster Linie zur Steuerentlastung das eigentlich bedeutet. Die Abgabenbelastung der für kleine und mittlere Einkommen verwenden. Wir Arbeitnehmer und die Nebenkosten der Wirtschaft werden damit einen Teil der Umverteilung von unten werden durch Ihre Politik auf neue Rekordhöhen ge- nach oben, die das Ergebnis Ihrer Steuerpolitik ist, trieben, und Sie reden hier von Entlastung der Lohn- berichtigen. nebenkosten. Sie dagegen nehmen den Arbeitnehmern und Ver- (Beifall bei der SPD) brauchern das Geld aus der Tasche, um es den Begü- Trotzdem haben Sie die Steuererhöhung beschlos- terten zuzuschieben. Was bedeuten denn Ihre Steuer- sen. Sehenden Auges treiben Sie die Ungerechtigkei- pläne für den durchschnittlichen Verbraucher? Die ten Ihrer Steuerpolitik auf die Spitze. Sie verstecken drastische Verteuerung des Benzins und die Kraft- die schlimmen Folgen Ihrer Politik so gerne hinter fahrzeugsteuer für Diesel-Pkw kosten jeden Autofah- Durchschnittszahlen — heute morgen haben Sie dafür rer 200 DM im Jahr, egal, wieviel er an Einkommen- wieder ein Musterbeispiel geliefert — , bei denen die steuer zahlt. Die Vervierfachung der Heizölsteuer ko- Spitzenverdiener und die Arbeitslosen in einen Topf stet den Eigenheimbesitzer noch einmal um die geworfen werden. Mit dieser Art von Statistik läßt sich 200 DM. Die Anhebung der Versicherungsteuer, der alles beweisen. Tabaksteuer und die Quellensteuer wird Ihnen- nach Aber können Sie denn bestreiten, Herr Finanzmini- Ihren Berechnungen 5 1/2 Milliarden DM in die Kasse ster, daß 17 Millionen Rentner, Arbeitslose und So- bringen. zialhilfeempfänger bei Ihrem Steuerpaket 1990 völlig (Dr. Friedmann [CDU/CSU]: Ihr wollt doch leer ausgehen, aber in Zukunft von ihrer Rente, ihrem den Benzinpreis verdoppeln!) Arbeitslosengeld, ihrer Sozialhilfe auch noch höhere Verbrauchsteuern zahlen müssen? Unter dem Strich bedeutet das für 1989 13 Milliar- den DM mehr Steuern pro Jahr für Bürger und Wirt- (Beifall bei der SPD) schaft, Herr Finanzminister. Können Sie denn bestreiten, daß Millionen Normal- Das ist das größte Steuererhöhungspaket aller Zei- verdiener 1990 von Ihnen weniger zurückbekommen ten. werden, als sie bereits 1989 und in allen weiteren Jah- ren durch Ihre Beschlüsse bezahlen müssen? Sie kön- (Beifall bei der SPD — Carstensen [Nord nen das nicht, Herr Finanzminister; denn sonst hätten strand] [CDU/CSU]: Wovon redet der Mann? Sie uns das schon heute morgen gesagt. — Beckmann [FDP]: Wie hoch ist denn Ihre Energiesteuer?) (Becker [Nienberge] [SPD]: Der ADAC hat das schon nachgewiesen!) Aber es kommt noch schlimmer, ob es Ihnen paßt Meine Damen und Herren, die von der Bundesre- oder nicht. gierung geplanten Steuer- und Abgabenerhöhungen (Dr. Stark [Nürtingen] [CDU/CSU]: Dagegen sind nicht nur ungerecht, sie sind auch wirtschaftspo- war der Apel noch Gold!) litisch völlig verfehlt. Das Hamburger Wirtschaftsfor- schungsinstitut hat die Verbrauchsteuererhöhung in 1989 soll auch schon die Gesundheitsreform in kaum überbietbarer Deutlichkeit eine ,,Bankrotter- Kraft treten. Sie müssen ehrlich sagen, was Sie wollen. klärung der Politik" genannt. Die Gesundheitsreform wird die Menschen draußen schlicht und einfach 3,4 Milliarden DM an zusätzli- Trotz einer seit sechs Jahren andauernden weltwirt- chen Belastungen kosten, die sie dann für die steigen- schaftlich bedingten Aufschwungphase ist diese Bun- den Krankenversicherungsbeiträge aufzubringen ha- desregierung unfähig, den Bundeshaushalt in Ord- ben. nung zu halten. Schlimmer kann man sich überhaupt nicht blamieren. (Dr. Weng [Gerlingen] [FDP]: Eigenbeitrag!) Da helfen auch die Beschönigungen des Bundesfi- — Zum Eigenbeitrag komme ich noch, Herr nanzministers nicht weiter, der heute morgen hier er- Dr. Weng. klärt hat, daß er jetzt 1,5 bis 2 Milliarden DM Steuer- Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 89. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 6. September 1988 6075

Wieczorek (Duisburg) mehreinnahmen für den Bundeshaushalt erwarte. desbank zugunsten der Deutschen Mark mit höheren Das wäre erfreulich. Aber wir schreiben heute erst den Bundesbankgewinnen rechnen kann. 6. September. Warten wir also doch einmal ab, wie es Meine Damen und Herren, bereits in der Vergan- bei der zweiten und dritten Lesung sein wird oder genheit hat der Bundesfinanzminister vor allem vom besser: wie es am Jahresende sein wird. An den Grö- Bundesbankgewinn gelebt. 1988, als die Milliarden- ßenordnungen, Herr Bundesfinanzminister, ändert gewinne aus Frankfurt plötzlich ausblieben, schnellte sich dadurch doch nichts. Die Neuverschuldung be- die Neuverschuldung im Bundeshaushalt sofort auf trägt 39 Milliarden DM allein beim Bund, 65 Milliar- Rekordhöhe. Das zeigt doch deutlich, wie fragwürdig den DM, wenn Sie Länder und Gemeinden dazuneh- diese Art der Haushaltsfinanzierung ist. Die angebli- men, 75 Milliarden DM, wenn Sie den Schattenhaus- che Konsolidierung war in Wirklichkeit auf Sand ge- halt Bahn und Post dazunehmen. Das ist die richtige baut. Größenordnung. Hier müssen auch Sie bemerken, wie gering die Einnahmeverbesserung durchschlagen Trotzdem sind im Haushalt 1989 wiederum 5 Milli- wird. arden DM Bundesbankgewinn eingesetzt worden; of- fenbar zuwenig, denn gleichzeitig teilt uns der Fi- Es ist erstaunlich, wie die Bundesregierung ange- nanzminister mit, daß er eigentlich 7 bis 8 Milliarden sichts dieser verheerenden Bilanz Glauben machen DM einnehmen werde. Ich gehe davon aus, daß die will, die Konjunkturentwicklung dieses Jahres sei ihr Einnahme deutlich über 10 Milliarden DM betragen Verdienst. Da ist am 11. August 1988 sogar dem den wird. Wenn Sie sich mit Ihren Fachleuten unterhiel- Unternehmen nahestehenden Institut der Deutschen ten, würde Ihnen diese Zahl auch bestätigt. Das ist Wirtschaft der Kragen geplatzt. Es zeigt sich verwun- aber pure Augenwischerei; denn dahinter steckt Ab- dert, „daß das Hauptverdienst für die konjunkturelle sicht. Es geht nämlich darum, die vorgesehenen Ver- Besserung ausgerechnet von der Wirtschafts- und Fi- brauchsteuererhöhungen politisch durchzusetzen. nanzpolitik beansprucht wird". (Walther [SPD]: Richtig!) Meine Damen und Herren, auch wenn der Bundes- wirtschaftsminister bekanntlich häufiger auf Reisen Deshalb haben Sie den Bundesbankgewinn bewußt im Ausland als zu Hause ist, liegt darin wohl kaum der zu niedrig angesetzt und das Haushaltsgesetz geän- Grund, daß die Exporte in den letzten Monaten wieder dert. angestiegen sind. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) (Zander [SPD]: Da richtet er aber weniger Diese eigenartige Regelung im Haushaltsgesetz zur Schaden an!) Tilgung von Altschulden ist in Wahrheit ein neuer Versuch, die Haushaltskompetenz des Parlaments Dem Bundesfinanzminister hat das Institut der- Deut- auszuhöhlen. Das von Ihnen vorgesehene Verfahren schen Wirtschaft gleich noch ins Stammbuch ge- führt nämlich dazu, daß der Bundesfinanzminister in schrieben, die Politiker sollten nicht glauben, daß die dem gleichen Umfang, in dem er 1989 Altschulden finanzpolitischen Probleme heute weniger drängend tilgt, 1990 ohne Ermächtigung des Parlaments zusätz- seien als vor Jahresfrist. liche Kredite zum Ausgleich von Haushaltslücken aufnehmen kann. Damit wollen Sie vermeiden, daß Im Klartext: Herr Bundeskanzler, Sie sollten endlich Sie 1990 vor der Wahl erneut gezwungen sind, einen dafür sorgen, daß die Hausaufgaben, die Sie aufge- Nachtragshaushalt vorzulegen. Dafür bauen Sie sich ben, ordentlich erledigt werden, und daß sich Ihre diese schwarze Sparkasse. Das wollen wir hier schon Administration nicht mit fremden Federn schmückt. heute sagen, damit Sie nicht im Wahljahr, von neuen Aber dafür gibt es klare Indizien: Die seit Monaten Grundpositionen ausgehend, die Sie sich selbst ge- anhaltende Kapitalflucht — 60 Milliarden DM seit schaffen haben, wieder Erfolge feiern, die in Wirklich- Jahresanfang — ist ein eindeutiges Mißtrauensvotum keit nicht da sind. der Kapitalanleger und Investoren im In- und Ausland (Beifall bei der SPD) gegen Ihre unsolide und unberechenbare Finanzpoli- tik. Lassen Sie mich zu einem anderen, aber dieses (Beifall bei der SPD — Walther [SPD]: Und Haus sehr interessierenden Thema kommen. Die treibt das Zinsniveau hoch!) Neuverschuldung von 39,2 Milliarden DM im Nach- tragshaushalt verstößt klar gegen das Grundgesetz. Inzwischen, meine Damen und Herren, bremst die Deutsche Bundesbank nicht mehr den Verfall des Dol- (Walther [SPD]: Sehr richtig!) lars, sondern sie muß mit Milliardenbeträgen gegen Nach der Verfassung darf die Neuverschuldung des eine Abwertung der Deutschen Mark intervenieren. Bundes nicht höher als die Summe der Investitionen Das wird hier leider verschwiegen. sein. Tatsächlich betragen die Investitionen jedoch (Dr. Bötsch [CDU/CSU]: Wir haben es aber nur 34 Milliarden DM, also 5 Milliarden weniger als ganz gut im Griff, habe ich den Eindruck!) die Neuverschuldung. Das beweist, daß diese Bundesregierung mit ihrer Fi- Der Bundesfinanzminister hat sich dazu bis heute nanzpolitik im internationalen Vergleich tatsächlich nur sehr ausweichend geäußert. Die Verfassung da- immer schlechtere Noten bekommt. gegen ist sehr eindeutig: Die Neuverschuldung darf nur dann die Summe der Investitionen übersteigen, Es ist auch nicht das Verdienst der Bundesregie- wenn dies zur Abwehr einer Störung des gesamtwirt- rung, wenn sie im kommenden Jahr gerade wegen schaftlichen Gleichgewichts notwendig ist. Sie be- der umfangreichen Stützungsmaßnahmen der Bun haupten aber: Unsere Konjunktur läuft p rima. Dann 6076 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 89. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 6. September 1988

Wieczorek (Duisburg) aber darf die Neuverschuldung die Investitionen nicht Wir haben bei den Haushaltsberatungen des vergan- übersteigen, und dann darf dieser Nachtragshaushalt genen Jahres immer wieder darauf hingewiesen, wo nicht Gesetz werden. Ihre Lücken sind. Sie haben Milliardenrisiken nicht veranschlagt. Da wir eine verbundene Debatte haben, Meine Damen und Herren, ich gehe aber davon aus, gilt es hier auch noch einmal über den Haushalt 1988 daß Sie ihn mit Ihrer Mehrheit trotzdem beschließen zu reden und über seine Entstehung, also darüber, wie werden. er zu dem geworden ist, was er heute ist, und warum (Seiters [CDU/CSU]: So ist das! — Weiterer der Finanzminister heute einen Nachtragshaushalt Zuruf von der CDU/CSU: Eine gute Pro für das laufende Jahr einbringen muß. Wir haben Ih- gnose!) nen das immer gesagt, und Sie haben mit gespielter Empörung immer wieder von Horrormeldungen der Dann aber bringen sich zumindest die Herren von der Opposition geredet. Wir haben Ihnen die Finanzlük- CDU/CSU und ihr damaliger Oppositionsführer und ken bei der Bundesanstalt bereits im letzten Sommer heutiger Bundeskanzler in eine unmögliche Situa- aufgezeigt, nachdem Sie nämlich zur Entlastung des tion. Bundeshaushaltes eine Reihe von sachfremden Auf- Um was geht es denn? Helmut Kohl und die Bun- gaben auf die Bundesanstalt für Arbeit verschoben destagsfraktion der CDU/CSU haben 1982 die sozial- haben. Das war Ihnen bekannt, Herr Stoltenberg. liberale Koalition verklagt, weil sie im Krisenjahr 1981 (Walther [SPD]: Das war sogar verfassungs eine höhere Nettokreditaufnahme beschlossen hat, widrig, Herr Kollege!) als Ausgaben für Investitionen vorgesehen waren. Das war damals zur Abwehr der Störung des wirt- Trotzdem erklärte der Bundesfinanzminister am schaftlichen Gleichgewichts auf Grund der weltwirt- 2. Juli 1987, die Bundesanstalt könne — ich zitiere — schaftlichen Probleme erforderlich. Das Grundgesetz „ihre Verpflichtungen in den nächsten Jahren bei Be- läßt dies in einer Notlage — und das war eine Not- achtung der Grundsätze sorgfältiger Haushaltsfüh- lage — ausdrücklich zu. rung erfüllen". Jetzt muß der Finanzminister selber einräumen, daß bei der Bundesanstalt für Arbeit in Nun wird diese Klage der CDU/CSU im Dezember diesem Jahr 1,1 Milliarden DM und im nächsten Jahr dieses Jahres vor dem Verfassungsgericht behandelt. gar 5,1 Milliarden DM fehlen. Jetzt zeigt sich, Herr Da kommen also die Kläger der CDU/CSU Ende des Finanzminister: In der Finanzpolitik haben Lügen Jahres nach Karlsruhe, nachdem sie zuvor für 1988 wirklich kurze Beine. einen eindeutig verfassungswidrigen Nachtragshaus- halt beschlossen haben (Beifall bei der SPD) (Hört! Hört! bei der SPD) Lassen Sie uns zu dem nächsten für Sie damals - unbekannten Risiko kommen: den Milliarden-Mehr- und damit selber gegen das Grundgesetz verstoßen belastungen durch die EG. Diese waren bereits im haben. Sommer 1986 bekannt. Damals haben Sie selber sogar für (Zuruf von der SPD: Da kennen die nichts!) eine Reserve für höhere Abführungen an die EG 1988 in den Finanzplan eingestellt. Aber Sie haben Wie wollen Sie eigentlich, Herr Dr. Dregger, vor dem diese Reserve trotz unserer Warnungen aufgelöst, um Bundesverfassungsgericht argumentieren? andere Löcher im Bundeshaushalt 1988 zu vertu- schen. (Zuruf von der CDU/CSU: Warten Sie doch einmal ab!) (Seiters [CDU/CSU]: Ist das nun Ihre Rede oder die von Apel?) Ich würde Ihnen raten: Sagen Sie einfach die Wahr- heit. Geben Sie es doch endlich zu: Aus diesem Grund wer- den jetzt die Verbraucher mit höheren Steuern zur (Heiterkeit und Beifall bei der SPD — Zuruf Kasse gebeten. So seriös ist Ihre Finanzpolitik. von der SPD: Das ist aber schwer! — Dr. Vogel [SPD]: Etwas Unmögliches!) Auch noch im November letzten Jahres haben Sie an dem Ansatz für den Bundesbankgewinn festgehal- Denn die Wahrheit ist: Zur Diffamierung Ihrer politi- ten. Sie haben den Dollarkursverfall einfach igno- schen Gegner waren Ihnen damals alle Mittel recht, riert. Am 7. Januar mußten Sie schon eingestehen, und heute, wo Sie sich Ihren eigenen juristischen Fall- daß das eine reine Luftbuchung war. Daß Ihr Haushalt stricken ausgesetzt sehen und die Klage loswerden 1988 keinen Bestand haben würde, war also bereits müssen, argumentieren Sie nach dem Motto „Was bei der Verabschiedung im Bundestag und im Bun- schert mich mein Geschwätz von gestern? desrat erkennbar. Trotzdem ist diese Regierungsko- (Walther [SPD]: Mein dummes Geschwätz alition ihrer Regierung gefolgt und hat den Bundes- von gestern!) haushalt kurz vor Weihnachten des letzten Jahres be- schlossen. Das war das vorläufige Ende eines Possen- Wir treten heute neu an" . spiels. Drei Wochen später war der Haushalt 1988 in (Beifall bei der SPD) seinen Eckdaten bereits Makulatur, und jetzt beraten wir den Nachtrag für 1988, und weiter geht das Pos- Lassen Sie mich aber zu den Lücken kommen, die senspiel. sich nach unserer Bewertung jetzt noch im Haushalt Auch mit dem Bundeshaushalt 1989 verstößt die zeigen. Bundesregierung gegen die selbstgesteckten Ziele, (Dr. Weng [Gerlingen] [FDP]: Noch mehr gegen öffentlich abgegebene Erklärungen und Ver- Lücken?) sprechungen. Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 89. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 6. September 1988 6077

Wieczorek (Duisburg) Noch am 7. Januar 1988 ist im Zusammenhang mit Von Stetigkeit, Klarheit und Verläßlichkeit ist in Ihrer den Fehlbeträgen für 1988 im Kabinett beschlossen Finanzpolitik keine Spur. worden: „Im Haushaltsjahr 1989 muß die Nettokredit- (Beifall bei der SPD — Jungmann [SPD]: aufnahme des Bundes um mindestens 10 Milliarden Unzuverlässiger Geselle!) DM zurückgeführt werden. Dies soll durch Subven- tionsabbau, Erhöhung spezifischer Verbrauchsteuern Auch jetzt ist der Bundesfinanzminister augen- und konsequente Ausgabenbegrenzung erfolgen." scheinlich nicht bereit, alle Haushaltsrisiken nach dem Prinzip der Haushaltswahrheit und Haushalts- Und heute? Machen wir wieder einmal Zwischenbi- klarheit zu veranschlagen. 1989 fehlt eine halbe Mil- lanz : Die Rückführung der Neuverschuldung ist nicht liarde für die Kokskohlenbeihilfe. Wo ist das Geld, um um 10 Milliarden DM, sondern nur um 7 Milliarden die unbezahlten Rechnungen von 3 Milliarden DM zu DM gelungen, aber sie muß allein von den Verbrau- begleichen, die bis Ende dieses Jahres bei dem Ver- chern bezahlt werden und nicht etwa von den Grup- stromungsfonds aufgelaufen sein werden pen, die vorher angesprochen waren. (Walther [SPD]: 4 Milliarden!) Meine Damen und Herren, noch im Mai dieses Jah- und für die der Bund eintreten muß? Im Haushalt sind res hat der Finanzminister vor dem Finanzplanungsrat bisher noch nicht die Mittel, die Sie für die Eingliede- festgestellt, der Bundeshaushalt 1989 werde um weni- rung der vielen deutschen Zuwanderer aus Osteuropa ger als 3 % wachsen. zugesagt haben. Der Bundeszuschuß an die Bundes- anstalt für Arbeit ist erneut um mindestens 500 Millio- (Zander [SPD]: Was der schon alles erzählt nen DM zu niedrig angesetzt. 500 Millionen DM gar hat!) verlangt die EG für zuviel zugeteilte Milchquoten zu- Heute sind es über 4,6 % geworden. Diese höhere rück. Die Post treiben Sie mit überhöhten Ablieferun- Ausgabensteigerung hat nichts mit einer planvoll ge- gen an den Bundeshaushalt immer tiefer in die Ver- stalteten Haushaltspolitik zu tun, im Gegenteil: Die schuldung. Ausgaben laufen Ihnen davon, weil Ihre Politik so (Dr. Friedmann [CDU/CSU]: Wer hat sie konzeptionslos ist und Sie längst überfällige Weichen- denn festgesetzt?) stellungen verschlafen haben. Die Gebührenerhöhung im nächsten Jahr muß in Sie machen über Jahre eine falsche Agrarpolitik, Wirklichkeit der Finanzminister verantworten. vergeuden gegen unseren Willen Milliarden für die (Beifall bei Abgeordneten der SPD) umsatzstarken Betriebe, auch für die Massentierhal- ter, und müssen immer mehr Subventionen für unsere Die Zuweisungen an die Bundesbahn sind seit 1982 Bauern nachlegen. - um keine einzige Mark gestiegen. Auch die steigen- den Bahnschulden sind in Wahrheit Schulden des (Beifall bei der SPD) Bundesfinanzministers. Sie zerstören mit Ihrer überzogenen und ungerech- (Beifall bei der SPD und den GRÜNEN) ten Steuerpolitik die Handlungsfähigkeit unserer Wir werden, meine Damen und Herren, hoffentlich Städte und Gemeinden, und daran ändert auch Ihre auch mit Unterstützung der Abgeordneten der Koali- Durchschnittsrechnung nichts. Vielmehr müssen die tion, in den Fachausschüssen und vor allen Dingen im strukturschwachen Bundesländer und die darin be- Haushaltsausschuß alle Anstrengungen unterneh- findlichen Städte und Gemeinden nun mit Struktur- men, um Ihre Vorlage zu dem zu machen, was ein hilfen dafür bezahlt werden. Haushalt zu sein hat: das Schicksalsbuch der Nation, Sie räumen die Kassen der Arbeitslosenversiche- in dem alle Ausgaben und Einnahmen des Bundes rung aus und müssen nun die Defizite ausgleichen. korrekt verzeichnet sind. (Dr. Weng [Gerlingen] [FDP]: Die GRÜNEN (Jungmann [SPD]: Das ist ein Kassenplünde werden euch helfen!) rer!) Die mittelfristige Finanzplanung ist bei Ihnen, Herr Sie haben die viel zu hohe Ausgabensteigerung im Bundesfinanzminister, leider zu einem Muster ohne nächsten Jahr in voller Höhe selbst zu verantwor- Wert verkommen. ten. (Zuruf von der SPD: Makulatur!) Jahrelang haben Sie, Herr Dr. Stoltenberg, die ei- Das haben wir Ihnen bereits vor einem Jahr für Ihre gentliche Aufgabe des Finanzministers im Kabinett Finanzplanung bis 1991 vorgeworfen. Ihre neue Fi- nicht wahrgenommen. Die erste Pflicht des Finanzmi- nanzplanung bis 1992 bestätigt die Richtigkeit unse- nisters ist es, den Haushalts- und Finanzplan nach den rer damaligen Feststellungen. Vor einem Jahr hatten Grundsätzen der Haushaltswahrheit und Haushalts- Sie in Ihrer Finanzplanung für das Jahr 1989 eine klarheit aufzustellen. Nur mit einem verläßlichen Neuverschuldung von 27,2 Milliarden DM angesetzt, Zahlenwerk läßt sich eine berechenbare und solide und das ohne Verbrauchsteuererhöhung. Jetzt planen Politik betreiben. Mit Ihren Mogeleien, mit Ihrer Sie für 1989 eine Neuverschuldung von 32 Milliarden Scheinkonsolidierung mit Hilfe der Bundesbankge- DM. Das sind 5 Milliarden DM mehr, trotz massiver winne und Ihren optimistischen Modellrechnungen Verbrauchsteuererhöhung. Wo ist da bei Ihnen eine und Beschwichtigungen haben Sie das heillose klare Planung zu erkennen? Sie wursteln sich durch, Finanzchaos selbst angerichtet. Herr Finanzminister. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) (Beifall bei der SPD) 6078 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 89. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 6. September 1988

Wieczorek (Duisburg) Für 1990 hatten Sie noch vor einem Jahr eine Neuver- Der Deutsche Städtetag hat ein Finanzierungskonzept schuldung von 30,9 Milliarden DM geplant. In Ihrer des Bundes bereits angemahnt. Wir werden mit eige- neuen Finanzplanung gehen Sie jetzt auf 36 Milliar- nen Vorschlägen in dieser Richtung kommen, wenn den DM. Das sind wiederum 5 Milliarden DM mehr hier die zweite Lesung ansteht. als veranschlagt. Das alles geschah innerhalb eines (Frau Garbe [GRÜNE]: Wir auch!) Jahres. Für 1991 hatten Sie noch vor einem Jahr eine Neuverschuldung des Bundes von 26,1 Milliarden Die Zahl der Zivildienstleistenden — wir sind noch DM veranschlagt. Jetzt haben Sie in Ihrer neuen Fi- gar nicht fertig, Sie brauchen sich noch nicht zu nanzplanung für 1991 eine Neuverschuldung von freuen — wird viel höher werden, als in der Finanz- 34 Milliarden DM. planung eingestellt. Auch hier fehlt bis 1992 schlicht und einfach eine halbe Milliarde DM. Oder haben Sie (Walther [SPD]: Das reicht ja nicht!) insgeheim schon vorgesehen, das Anerkennungsver- Das sind 8 Milliarden DM mehr, als noch vor einem fahren wieder zu verschärfen? Man muß diese Fragen Jahr geschätzt. ja stellen, weil der Bundesfinanzminister die politi- Wie lange werden die Eckwerte dieser Finanzpla- schen Zielvorstellungen eigentlich in Geld ummün- nung nun Geltung haben? zen muß. Wenn er es nicht tut, kann man vermuten, daß dahinter eine politische Absicht steht. (Jungmann [SPD]: Bis morgen!) Wo sind eigentlich die internationalen Verpflich- Werden Ihnen erneut Bundesbankgewinne aus der tungen eingestellt, die Sie für die Raumfahrt einge- Patsche helfen, oder werden Sie uns im nächsten Jahr gangen sind? Der Bundesforschungsminister mußte neue Schuldenrekorde präsentieren müssen? selbst zugeben, daß die Finanzierung nicht gesichert (Zander [SPD]: Lotto spielen!) ist, und bei Ihrer globalen Minderausgabe muß der Bundesforschungsminister seine Programme in unan- Denn für milliardenschwere Ansprüche an den Bun- gemessener Weise reduzieren. deshaushalt haben Sie keine Vorsorge getroffen. Die CDU/CSU ist bei den Bürgern im Wort, noch in dieser Das Zahlengerüst des Finanzplans, den der Bundes- Legislaturperiode das Kindergeld und das Erzie- finanzminister heute morgen hier eingebracht hat, hungsgeld anzuheben: 6 Milliarden DM. Dafür sind in bietet schon heute mittag keine verläßliche Orientie- Ihrer Finanzplanung keine Mittel vorgesehen. Selbst rung mehr. Den Kassensturz, den die Bundesregie- wenn die Zahl der Arbeitslosen bis 1992 nicht wächst, rung für Mitte dieser Legislaturpe riode angekündigt sondern bei 2,3 Millionen stagniert, muß der Bundes- hat, hat der Bundesfinanzminister mit seiner Finanz- zuschuß für die Bundesanstalt für Arbeit und die Ar- planung jedenfalls nicht geleistet. Er wird auch wei- beitslosenhilfe bis 1992 um 10 Milliarden DM höher terhin versuchen, mit geschönten Zahlen den Tag der sein, als vom Finanzminister geplant. Wahrheit so lange wie möglich vor sich herzuschie- ben. Im Verteidigungsetat fehlen bis 1992 3 Milliarden DM gegenüber der Bundeswehrplanung. Wessen Die Bundesregierung ist mit dem Anspruch ange- Zahlen sind nun eigentlich richtig? Plant die Bundes- treten, die öffentlichen und p rivaten Investitionen zu wehr richtig, oder muß die Bundeswehr ihre Gefähr- steigern, um Arbeitsplätze zu schaffen und Massenar- dungsanalyse den finanziellen Bedingungen des Bun- beitslosigkeit abzubauen. Tatsache ist heute: Wäh- desfinanzministers anpassen? rend Ihrer Regierungszeit ist die gesamtwirtschaftli- che Investitionsquote auf einen historischen Tiefstand (Jungmann [SPD]: Die haben beide keine gesunken. Ahnung!) (Dr. Vogel [SPD]: Leider wahr!) Aber wir sind ja noch nicht fertig. Die Rentenversi- Ein gut Teil der anhaltenden Massenarbeitslosigkeit cherung braucht auf jeden Fall einen erhöhten Bun- ist damit hausgemacht. Gerade der Bund ist mit sei- deszuschuß, wenn massive Beitragsanhebungen ver- nen Investitionen mit schlechtem Beispiel vorange- mieden werden müssen. Im neuen Finanzplan findet gangen. Der Anteil der Investitionen am Bundeshaus- sich dafür keine Mark. Im Gegenteil, der Zuschuß ist halt ist von 13,1 % im Jahre 1982 auf 12,4 % in diesem 1990 und 1991 jeweils um 340 Millionen DM niedriger Jahr zurückgefallen. Bis 1992 soll die Investitions- angesetzt als bisher. quote des Bundes nach Ihrer Finanzplanung auf gar (Walther [SPD]: Das ist unglaublich!) nur noch 11,5 1)/0 fallen. Das wird die niedrigste Inve- stitionsquote sein, die jemals ein Bundeshaushalt auf- Da fehlen spätestens 1991 Milliarden, wenn die Ren- wies. ten sicher bleiben sollen. Nicht besser sieht es bei den Investitionen von Wo sind, Herr Finanzminister, eigentlich die Mil- Ländern und Gemeinden aus. Besonders schlimm ist liarden für den Airbus, die noch bis 1992 aus dem es bei den Gemeinden, die zwei Drittel aller öffentli- Bundeshaushalt fällig werden, wenn Sie Ihr Konzept chen Investitionen tragen. Die kommunalen Investi- der Privatisierung der Gewinne und der Sozialisie- tionen liegen heute real auf dem Niveau der frühen rung der Verluste durchziehen wollen? 60er Jahre, und Sie freuen sich hier heute morgen (Beifall bei der SPD) über die Investitionskraft der Städte und Gemeinden. Herr Minister, das ist unredlich. Was wird denn aus dem Programm zur Rettung der Nordsee, das der Bundesumweltminister angekün- (Dr. Struck [SPD]: Das ist falsch!) digt hat? Wenn die explosionsartig gestiegenen Sozialhilfe- (Jungmann [SPD]: Keine müde Mark!) aufwendungen für Langzeitarbeitslose ausgeglichen Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 89. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 6. September 1988 6079

Wieczorek (Duisburg) werden sollen, müssen Sie, auch wegen der Einnah- sätzlich noch einmal 9 Milliarden DM. Dabei ist die meverluste durch Ihre Steuerpolitik, da eingreifen. Verringerung des kommunalen Finanzausgleichs, die Das schadet nämlich sonst der örtlichen Beschäfti- zwangsläufig eintritt, noch nicht einmal berücksich- gung und verhindert notwendige Maßnahmen zur tigt. Das ist massive Umverteilung von unten nach Verbesserung der Umwelt. So darf das nicht weiterge- oben, auch in der Finanzverteilung zwischen Bund, hen. Deshalb haben wir Sozialdemokraten die Über- Ländern und Gemeinden. Mit einem fairen Miteinan- nahme der Sozialhilfekosten von den Gemeinden für der hat das nichts zu tun. Langzeitarbeitslose in Höhe von 4 Milliarden DM (Beifall bei der SPD) jährlich durch den Bund gefordert. Meine Damen und Herren, Sie machen sich etwas (Dr. Weng [Gerlingen] [FDP]: Ohne Finan vor, wenn Sie glauben, daß Sie mit dieser einseitigen zierung natürlich!) und kommunalfeindlichen Finanzpolitik auf Dauer Deshalb führt an einer Entlastung der Kommunen von durchkommen. den Sozialhilfeaufwendungen für Pflegefälle kein (Dr. Waigel [CDU/CSU]: Kommunalfreund Weg vorbei. liche Finanzpolitik!) (Beifall bei der SPD) Die Länder werden Ihnen ihre Forderungen präsen- Deshalb war auch die Forderung der sieben nord- und tieren, und das wird dann zusätzliche Löcher in Ihre westdeutschen Länder nach Übernahme von Sozial- Finanzplanung reißen. hilfeaufwendungen durch den Bund ein Schritt in die richtige Richtung. Leider ist der Ministerpräsident (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Albrecht ohne sachlichen Grund aus der gemeinsa- Sie sind 1982 mit dem Versprechen angetreten, die men Front der sieben Länder ausgeschert, nur um das Steuer - und Abgabenbelastung der Bürger zu sen- Steuerpaket der Bundesregierung, das auch Nieder- ken. Für die Bürger ist das Gegenteil herausgekom- sachsen schwer trifft, nicht zu gefährden. men: Der Bund der Steuerzahler hat Ihnen nachge- Natürlich werden die Länder, Herr Finanzminister, wiesen, daß die durchschnittliche Abgabenbelastung die 2,4 Milliarden DM Strukturhilfen des Bundes neh- der Arbeitnehmer seit 1982 von 39,8 % auf 42,2 % in men, aber gemessen an der ursprünglichen Forde- diesem Jahr angestiegen ist. Trotz des beschlossenen rung ist das für Herrn Albrecht eine herbe Niederlage Steuerpaketes wird 1990 die Abgabenbelastung nicht und für die strukturschwachen Länder eine schwere niedriger sein als heute. 1992 wird sie sogar bei 43,7 % Enttäuschung. liegen. Dieser massive Anstieg der Abgabenquote von 1982 bis 1992 bedeutet für die Arbeitnehmer eine Er- (Beifall bei der SPD — Walther [SPD]: Für- die höhung ihrer Abgabenbelastung um 40 Milliarden Gemeinden vor allem!) DM jährlich. Da Sie mit Ihrer Steuerpolitik vor allem Wir Sozialdemokraten werden genau darauf achten, Bezieher hoher Einkommen entlasten, steigt die daß die Strukturhilfen des Bundes nicht zur Sanierung Lohn- und Einkommensteuer nach 1990 in Wirklich- der Länderhaushalte verwandt werden. Es geht nicht keit höher als nach dem alten Tarif. Hören Sie also an, daß Hilfen, wie im Haushaltsentwurf des Landes endlich auf, wahrheitswidrig von einer dauerhaften Niedersachsen vorgesehen, zum großen Teil einkas- Entlastung der Bürger durch Ihre Steuerpolitik zu siert werden, nur um die Steuerausfälle aus der Steu- sprechen! Das Gegenteil ist richtig! erreform 1990 auszugleichen. Die Mittel sind für (Beifall bei der SPD) Städte und Gemeinden in Regionen mit überdurch- schnittlicher Arbeitslosigkeit und hohen Sozialauf- Sie setzen mit Ihrer Steuerpolitik den Marsch in den wendungen bestimmt. Gerade diese Städte und Ge- Lohnsteuerstaat faktisch ungebremst fort. meinden brauchen dieses Geld dringend, damit durch Die schmerzhafteste Verfehlung Ihrer eigenen Ziele eigene Anstrengung etwas zur Überwindung der liegt aber darin, daß Sie die Arbeitslosigkeit nicht Strukturschwäche getan werden kann. abgebaut, sondern weiter erhöht haben. „Die (Beifall bei der SPD) schlimmste soziale Unausgewogenheit wäre eine an- dauernde Arbeitslosigkeit von 2 Millionen Erwerbsfä- Seit seinem Amtsantritt hat der Bundesfinanzmini- higen oder gar noch mehr." Das hat Graf Lambsdorff ster systematisch eine Finanzpolitik auf dem Rücken in seinem Wende-Papier vom 9. September 1982 ge- der Länder und Gemeinden betrieben. Nicht nur die schrieben. Kosten der Massenarbeitslosigkeit müssen zu einem wachsenden Teil von ihnen getragen werden, auch (Walther [SPD]: Otto, der Kandidat!) durch die Steuerpolitik werden sie weiterhin belastet. Das gilt! Recht hat er! Der Bundeskanzler Kohl hat Während die Einnahmeausfälle aus der Steuerreform damals den Abbau der Massenarbeitslosigkeit zum 1990 zu fast 60 % von den Ländern und Gemeinden Schwerpunkt seiner Regierungstätigkeit erklärt. getragen werden müssen, gehen die Mehreinnahmen Noch 1985, vor drei Jahren, hat uns Herr Stoltenberg aus den Verbrauchsteuererhöhungen nahezu voll- für 1990 die Vollbeschäftigung versprochen. So leicht- ständig an den Bund. fertig gehen Sie mit Ihrem Wort um! (Walther [SPD]: Unglaublich!) (Beifall bei der SPD) Bis Ende 1992 bleibt dem Bund aus den steuerlichen In den sechs Jahren Ihrer Regierungszeit ist die Zahl Maßnahmen der Jahre 1989 und 1990 ein Einnahme- der Arbeitslosen nicht zurückgegangen, sondern um überschuß von 9 Milliarden DM, die Länder dagegen eine knappe halbe Million gestiegen. Mit Ihren Kür- verlieren 26 Milliarden DM und die Gemeinden zu zungen der Mittel für Umschulung und Weiterbildung 6080 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 89. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 6. September 1988

Wieczorek (Duisburg) bei der Bundesanstalt für Arbeit sorgen Sie selber nicht mehr Kredite aufgenommen, als wir Zinsen ge- dafür, daß die Massenarbeitslosigkeit dauerhaft über zahlt haben. 2 Millionen bleibt. Die Bundesregierung hat hinsicht lich ihres wichtigsten Zieles, der Bekämpfung der (Dr. Dregger [CDU/CSU]: Für deren Schul Massenarbeitslosigkeit, kläglich versagt. den! — Zuruf von der SPD: Unsinn!) (Beifall bei der SPD) Diese Zinsen sind für die Schulden aufzuwenden ge- wesen, die wir von der SPD übernommen haben. Diese Bundesregierung hat ihre wichtigsten Ver- sprechungen in der Wirtschafts- und Finanzpolitik ge- (Beifall bei der CDU/CSU — Zuruf von der brochen. Sie hat ohne Not in einer Zeit weltweit gün- SPD: 011e Kamellen!) stiger wirtschaftlicher Rahmenbedingungen vollkom- Das heißt, wenn wir nicht die Schulden mit der Zins- men versagt. Nach sechs Jahren konservativer last hätten übernehmen müssen ; hätten wir in den Finanzpolitik bieten die öffentlichen Haushalte ein letzten Jahren überhaupt keine neuen Kredite aufzu- Bild der Zerrüttung. Es ist keine Perspektive erkenn- nehmen brauchen. bar, wie die großen anstehenden Reformvorhaben, der Abbau der Massenarbeitslosigkeit und die Bewäl- (Beifall bei der CDU/CSU — Lachen bei der tigung wachsender ökologischer Probleme, sachge- SPD - Dr. Struck [SPD]: Das glauben Sie recht bewältigt werden können. doch selbst nicht!) (Beifall bei der SPD — Widerspruch bei der Diese Haushaltsdebatte — das darf man schon sa- CDU/CSU) gen — begann ja doch mit einer nicht sehr kleinen Glauben Sie nicht, Sie seien mit Ihrer Steuer- und Überraschung; denn am gestrigen Vormittag war man Finanzpolitik aus dem Gröbsten heraus, wenn Sie die noch allgemein davon ausgegangen, daß der Kollege Steuerbefreiung des Flugbenzins rückgängig ge- Apel nach der Einbringung des Haushalts durch den macht und die Verbrauchsteuererhöhungen beschlos- Bundesfinanzminister als erster in der Debatte reden sen haben. Glauben Sie nicht, Sie seien Ihre finanz- würde. politischen Probleme los, wenn Sie diesen Haushalt (Dr. Vogel [SPD]: Und nun will die FDP beschlossen haben! Die schlimmen Konsequenzen Ih- Herrn Stoltenberg auswechseln!) rer verfehlten Steuer- und Finanzpolitik werden Sie weiter verfolgen. Das kam nun anders. Ich kann mir vorstellen, daß Kol- lege Apel mit großer Bitternis und Enttäuschung von Unser Land kann sich den fortschreitenden Verfall seinen Fraktionsämtern zurückgetreten ist. Nun weiß politischer Führung nicht länger leisten. jeder, daß ich mit seiner finanzpolitischen Auffassung (Beifall bei der SPD) - nie übereingestimmt habe; aber ich finde es doch Wir brauchen einen Neuanfang in der Finanz- und schade und auch bezeichnend, daß offensichtlich für Wirtschaftspolitik. solche Männer wie Hans Apel mit seiner integren Per- sönlichkeit in der heutigen SPD, zumindest an ange- (Anhaltender Beifall bei der SPD — Lachen messener Stelle, kein Platz mehr ist. Das ist höchst bei der CDU/CSU und der FDP) bedauerlich; mir persönlich tut das leid. Man kann annehmen, daß Kollege Apel nicht nur aus persönlichen Gründen zu diesem Rücktritt ge- Vizepräsident Stücklen: Das Wort hat der Herr Ab- geordnete Carstens (Emstek). kommen ist. Es werden auch sachpolitische Gründe vorhanden sein; ich denke allein an die Auseinander- setzungen und die Diskussionen auf Ihrem Bundes- parteitag in Münster. Sie haben kein finanzpolitisches Carstens (Emstek) (CDU/CSU): Herr Präsident! Konzept, und da ist es natürlich mißlich, finanzpoliti- Meine verehrten Damen und Herren! Ich möchte mit scher Sprecher zu sein. Wie soll man aber auch mit dem beginnen, mit dem mein Vorredner aufgehört solch unterschiedlichen Persönlichkeiten, wie es z. B. hat. Er hat von der Notwendigkeit eines Neuanfangs Herr Steinkühler und Herr Lafontaine sind, zu einem gesprochen. Gesamtkonzept kommen? (Beifall bei der SPD) (Dr. Vogel [SPD]: Immerhin Persönlichkei Er ist in der Tat notwendig für die SPD-Bundestags- ten!) fraktion. Herr Steinkühler weiß zwar genau, was er finanzpoli- Wir hörten soeben eine Aneinanderreihung von tisch will. Aber das sind ausgetretene Pfade, die nicht Vorwürfen und Behauptungen. einmal für Oppositionszwecke herhalten können. (Becker [Nienberge] [SPD]: Aber auch Wahr Herr Lafontaine scheint noch nicht genau zu wissen, heiten!) was er will. Aber er weiß genau, daß das, was Herr Steinkühler für sein Konzept hält, auf keinen Fall die kaum bis gar nicht mit Fakten untermauert wor- funktionieren kann. Wie wollen Sie da zu einem Lö- den sind. Die Berechtigung dieser Vorwürfe bricht in sungsansatz für ein finanzpolitisches Gesamtkonzept den meisten Fällen in sich zusammen, wenn man nur kommen? ein einziges Argument dagegen vorbringt: Wir müs- sen 1989 etwa 32 Milliarden DM neue Schulden — Der heutige Tag und auch schon die letzten Wochen leider — aufnehmen. Im Jahre 1989 müssen wir aber und Monate haben eindeutig bewiesen, daß sich die allein für Zinsen 32,1 Milliarden DM aufbringen. Im Finanzpolitik der SPD sowohl sachlich als auch perso- Durchschnitt der letzten fünf, sechs Jahre haben wir nell in einer erheblichen Krise befindet. Auch die An- Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 89. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 6. September 1988 6081

Carstens (Emstek) einanderreihung von Vorwürfen konnte heute ja nicht gab zusätzliche EG-Abführungen, und wir haben das Gegenteil beweisen. — das muß man bedenken — ein erheblich größeres Volumen des gesamten Haushalts, d. h. der prozen- Demgegenüber möchte ich hier aus fester innerer tuale Anteil der Kredite liegt erheblich niedriger. Überzeugung zum Ausdruck bringen, daß diese Bun- Ähnlich verhält es sich mit dem viel größeren Brutto- desregierung und die sie tragende Koalition heute sozialprodukt unseres Landes. Wie gesagt, wir führen und nicht nur heute ihre Handlungsfähigkeit bewie- die Neuverschuldung innerhalb eines Jahres wieder sen haben mit den Beschlüssen für das Haushaltsjahr in die Nähe von 30 Milliarden DM zurück. 1989, für das laufende Rechnungsjahr und mit den steuerpolitischen Entscheidungen, die notwendig wa- (Beifall bei der CDU/CSU) ren, die wir rechtzeitig angekündigt haben und die wir auch durchziehen werden. Allen Unkenrufen zum Diese Fakten beweisen eindeutig den gewaltigen Trotz und trotz gezielter Meinungsmache wird bei uns qualitativen Unterschied zwischen der Neuverschul- rechtzeitig entschieden, ohne Wenn und Aber. dung von 1981 und der Neuverschuldung des Jahres 1988, und sie machen auch den qualitativen Unter- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU — schied zwischen Ihrer Finanzpolitik und unserer Fi- Dr. Vogel [SPD]: Na, na! — Walther [SPD]: nanzpolitik deutlich. Auch wenn es falsch ist!) (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Ich denke an die vielen unterschiedlichen Vor- schläge, die uns über Jahre ständig neu gemacht wor- Meine Damen und Herren, ich habe soeben zum den sind: Steuern vorziehen, höhere Steuerentla- Ausdruck gebracht, daß unsere Finanzpolitik seit der stung, geringere Steuerentlastung, Konjunkturpro- Regierungsübernahme im Herbst 1982 für Stetigkeit gramme auflegen. Die SPD hat uns über Jahre hinweg und Klarheit, für Kontinuität und Verläßlichkeit ge- vorgeworfen, wir wollten die Mehrwertsteuer erhö- sorgt hat. Ich habe hinzugefügt, daß das auch in Zu- hen. Ich kann dazu heute feststellen, daß wir unsere kunft so bleiben wird. Das hängt damit zusammen, Linie eingehalten haben, daß die Bevölkerung weiß, daß wir eine ganz klare haushaltspolitische und fi- worauf sie sich einstellen kann, und daß das auch in nanzpolitische Vorstellung haben, und die sieht so den nächsten Jahren so bleiben wird. Denn gerade aus, daß wir die Ausgabenzuwächse sehr eng begren- diese finanzpolitische Linie trägt in entscheidendem zen. Wir wollen den Staatsanteil zurückführen und Umfang dazu bei — ich möchte gleich erläutern, den Privatanteil ausbauen. Wir tun das deswegen, wie —, daß wir uns in einer gesunden wirtschaftlichen weil wir glauben, daß es in den wirtschaftlichen Ab- Aufwärtsentwicklung befinden mit all den Vorzügen, läufen ohne erhöhte Privatinitiative keine Erfolge ge- die der Großteil unserer Bevölkerung davon hat. ben kann. Dadurch, daß wir die Ausgabenzuwächse Auch wenn es unangenehm wird, auch dann, wenn abbremsen, und zwar ganz erheblich — im Laufe der wir in eine relativ schwierige Situation kommen — letzten sechs Jahre auf durchschnittlich 2 % —, schaf- z. B. auf Grund weltwirtschaftlicher Ereignisse, auf fen wir Spielräume in der Finanzpolitik, um zum einen Grund des ausgefallenen Bundesbankgewinns —, die Neuverschuldung abzubauen, was wir in den er- reagieren wir, sobald es möglich ist. So geschah es sten drei, vier Jahren der Regierungstätigkeit getan z. B. Anfang des Jahres 1988, als wir bewußt eine haben, und zum anderen, um die Steuern in gewissen höhere Neuverschuldung in Kauf genommen haben, Abständen regelmäßig zu senken. Diese Linie kann wobei wir aber auch verdeutlichen, daß wir sie dort im Prinzip auch in den nächsten Jahren so beibehalten begrenzen, wo es möglich ist — auf Grund eines rela- werden. Das Motto der damaligen Finanzminister tiv geringen Ausgabenanstiegs — , und dann auch Schmidt, Apel und Matthöfer hieß: mehr ausgeben als gleichzeitig hinzufügen, daß wir schon im Jahre 1989 einnehmen. wieder in die Nähe von 30 Milliarden DM zurückkom- Meine Damen und Herren, unsere Politik, die wir men wollen. nun seit 1982 so betreiben, ist nicht immer populär Nun hat der Finanzminister heute morgen zum Aus- und kann auch nicht so ohne weiteres in Einzelheit druck gebracht, daß man noch nicht klar absehen erläutert werden, aber der Erfolg spricht für sie. Ich kann, wo wir bei der Aufnahme der Neuverschuldung möchte an Hand von Einzelbeispielen deutlich ma- im Jahre 1988 abschließend landen werden, aber er chen, wie diese Politik wirkt. Selbstverständlich ist es hat auch zum Ausdruck gebracht, daß es sehr gute einfacher, auf kurze Sicht zu neuen ausgabewirksa- Chancen dafür gibt, daß wir in etwa die Höhe errei- men Beschlüssen zu kommen, d. h. hier in diesem chen werden, die wir 1981 und 1982 — in einer gänz- Hohen Hause zu beschließen: Dieser oder jener Be- lich anderen Situation — gehabt haben. Wenn der völkerungsteil bekommt mehr Geld. Dann kann man Kollege Wieczorek soeben von einer „Notlage" ge- durch die Lande fahren, um sich für die Wohltaten sprochen hat, dann mag er mit der Bezeichnung der feiern zu lassen. Das haben Sie ein paar Jahre ver- Lage, die 1981/82 für die SPD vorgelegen hat, nicht sucht, und das Ergebnis haben Sie genauso wie die ganz falsch liegen; sie ist aber richtiger bezeichnet, Bevölkerung unseres Landes feststellen können. wenn ich sage, es war eine ausweglose, aussichtslose Wir setzen auf Steuersenkungen und auf zurückhal- Lage mit ständig steigender Neuverschuldung. Wir tende Ausgabenzuwächse, um die Privatinitiative an- aber haben mit dieser Summe für ein Jahr zu tun zuregen. gehabt, weil wir — das wollten wir; das ist bewußt gemacht worden — schon zweimal, 1986 und 1988, Dabei ist der Neid, den Sie im Lande ausstreuen, als die Steuern ganz erheblich gesenkt haben und den Argumentationshilfe kein guter Ratgeber. Selbstver- Bürgern das Geld zurückgegeben haben. Es gab ei- ständlich — das wissen wir auch — gibt es bei Steuer- nen, fast gänzlich entfallenen Bundesbankgewinn, es entlastungen immer wieder auch Bürger, die davon 6082 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 89. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 6. September 1988

Carstens (Emstek) kaum Vorteile haben, und es gibt auch immer wieder Betätigung geht, um Investitionen, um die Schaffung Bürger, die nur wenige Vorteile davon haben. von Arbeitsplätzen, dann setzen wir nicht auf den Staat, sondern dann wollen wir den Freiraum für die (Walther [SPD]: Und andere, die gar keine Privaten ausweiten; denn diese verstehen vom Wirt- haben!) schaften viel mehr als jeder Staatsapparat. Daran muß man bei der Haushaltspolitik denken, wie wir es beispielsweise 1986 gemacht haben, als wir für (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) diejenigen, die Kinder haben und kaum Steuerentla- Wenn Sie sich einmal vorstellen, wie wir die Steu- stungen wahrnehmen konnten, das Kindergeld ange- erentlastungen finanziert haben, dann spricht das al- hoben haben. Das kann man aber nicht über die Steu- lein für sich. Da verblaßt alles, was hier seitens der erpolitik regeln. SPD vorgetragen wurde Ich erlebe oft auf Veranstal- Man muß hierbei auch die Kehrseite der Medaille in tungen, daß die Bürger erstaunt fragen: Wie konnten Betracht ziehen. Der Staat hat die Pflicht, darauf zu Sie denn zweimal — 1986 und 1988 — die Steuern um achten, daß diejenigen, die soziale Leistungen erst 25 Milliarden DM senken, ohne daß Sie bisher die ermöglichen, gerecht behandelt werden. Verbrauchsteuern erhöht haben? Wir haben schon zweimal die Steuer gesenkt, ohne daß wir auf der (Zustimmung des Abg. Dr. Friedmann [CDU/ anderen Seite irgendwo Steuern angehoben hätten. CSU]) Meine Damen und Herren, das hängt einzig und allein Beide Seiten müssen in der Politik ihren Platz ha- damit zusammen, daß die öffentlichen Haushalte — in ben. der Federführung und an der Spitze mit dem Bundes- haushalt — nicht wie bisher alles das, was in der Wirt- Wir haben bei der Befolgung dieses Weges darauf schaft neu erarbeitet wird, für sich in Anspruch neh- geachtet, daß wir fast von Jahr zu Jahr neu diesen men, sondern sich bescheiden zurückhalten und nur Anteil des Staates um ein halbes Prozent zurückge- das Nötigste für sich in Anspruch nehmen, um den führt haben. Es ist etwas unterschiedlich gelaufen, Rest den Steuerzahlern zurückzugeben, wiederum aber im Durchschnitt der Jahre war es so. 0,5 % des zur Ausweitung der Privatinitiative. Sozialprodukts bedeuten 10 bis 12 Milliarden DM. Die Schere zwischen Staatsanteil und Privatanteil geht Die Wirtschaft ist in den letzten Jahren im Durch- dadurch jedes Jahr um etwa 20, 25 Milliarden DM schnitt um sage und schreibe nominell 4,5 % gewach- auseinander. Es ist ein ständig wiederkehrendes Kon- sen, der Bundeshaushalt nur um 2 %. Die Länderhaus- junkturprogramm, es sind ständig neue Möglichkei- halte und die Kommunen haben eine etwas größere ten für zusätzliche Privatinitiativen. Steigerung gehabt, aber das blieb zusammengenom- - men so um 3 %. Wenn man eineinhalb Prozent von der Um das noch zu verdeutlichen: Wäre beispielsweise Wirtschaftsleistung seitens der öffentlichen Haushalte die Staatsquote 1988 noch so hoch wie 1982, dann nicht selbst in Anspruch nimmt, dann sind das jährlich würden die öffentlichen Haushalte allein im Jahre so etwa 8 bis 10 Milliarden DM. Wenn man die Jahre 1988 60 Milliarden DM mehr ausgeben, als sie es jetzt 1986, 1987 und 1988 zusammenzählt, dann haben wir tun. Wäre die Steuerquote noch so hoch wie 1982, damit ein Volumen von um die 25 Milliarden DM. Das dann würden die Bürger allein in diesem Jahr 25 Mil- ist genau der Betrag, den wir den Bürgern zur Verfü- liarden DM mehr Steuern zahlen, als sie es jetzt tun. gung gestellt haben. Das haben wir denen auf der Das heißt, wenn man es auf die Neuverschuldung anderen Seite nicht aus der Tasche gezogen, das ha- bezieht, zahlten unsere Steuerzahler 25 Milliarden ben wir niemandem sonst weggenommen, sondern DM mehr Steuern, und die Neuverschuldung bei allen dadurch, daß der Staat nicht — wie das bisher bei der öffentlichen Haushalten wäre um 35 Milliarden DM SPD üblich war — alles selbst mit großen Händen in höher, als sie es jetzt ist. Anspruch genommen hat, konnten wir die Bürger Stellen Sie sich eimal vor, meine Damen und Her- schon zweimal hintereinander steuerlich entlasten, ren, was das hieße für die Zinshöhe, was das hieße für und das wird 1990 fortgesetzt. die Inflationsrate und was das heißen müßte für die (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) realen Einkommen. Wie will man bei hohen Infla- tionsraten auf Dauer noch Realeinkommen erzielen? Dann betrachte man bitte einmal, wie Steuersen- Was würden die Häuslebauer sagen, die ihre Abträge kungen wirken. Es wird oft gesagt, sie seien nicht zu zahlen haben, wenn die Zinsrate 11, 12 oder 13 % sozial ausgewogen. Ja, meine Damen und Herren, wir wäre? Das wäre eine katastrophale Situation, in der haben bei Familien mit zwei Kindern dafür gesorgt, wir uns befinden müßten, falls diese verhängnisvolle daß bei etwa 24 000 DM die Besteuerung anfängt. Das Politik von 1982 fortgesetzt worden wäre. war bei der SPD noch etwa bei 14 000 DM. Man muß sich das einmal vorstellen: Bei Familien mit zwei Kin (Beifall bei der CDU/CSU) dern bei rund 14 000 DM. Da mußten sie feste Steuern

Insofern kann man sagen, daß diese Haushalts - und bezahlen. Finanzpolitik mehr zur Stabilisierung des wirtschaft- (Walther [SPD]: Wann war das?) lichen Wachstums und zur Erneuerung der Sozialen Marktwirtschaft beiträgt als alles andere sonst. — Noch 1985, aus Ihrem Tarif. Wir setzen nicht auf mehr staatliche Investitionen. Jetzt haben wir bei Familien mit vier Kindern dafür Das Notwendige muß getan werden, und der Staats- gesorgt, daß sie den ersten Pfennig Steuern erst ab apparat muß auch das nötige Geld zur Verfügung 31 000 DM Jahreseinkommen brutto zahlen müssen. haben, um seine Aufgaben bewältigen zu können. Das war bei der SPD noch nach dem alten Steuertarif Aber wenn es um neue zusätzliche wirtschaftliche bei etwa 15 000 DM. Diese Familie mit einem Brut- Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 89. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 6. September 1988 6083

Carstens (Emstek) toeinkommen von rund 31 000 DM mit vier Kindern nis von 96 % auf Ihrem Bundesparteitag in Münster wird aber um 2- bis 3 000 DM entlastet. Ich habe die zutande gekommen ist. Zahl gerade nicht im Kopf, aber es sind über 2 000 DM (Beifall bei der CDU/CSU — Oh-Rufe bei der und unter 3 000 DM. Wenn ich nun eine solche Fami- SPD) lie mit 2 000 DM bei den Steuern entlaste, dann ist das Jedenfalls habe ich von solchen Umfragen in der Be- netto bar in der Tasche. Wenn ich das über Lohnerhö- völkerung noch nichts gehört. hung bringen wollte, dann müßte ich zunächst einmal den Bruttolohn um etwa 4 000 DM anheben, weil die (Dr. Waigel [CDU/CSU]: Auch da ist es nicht andere Hälfte für Steuern und Sozialabgaben weg- so!) geht. Wenn ich dann aber diese Firma mit rund Ich habe zum Ausdruck gebracht, daß diese Politik 4 000 DM belaste, dann kommen die Lohnnebenko- auf vielfache Weise Vorteile für die große Masse der sten mit ca. 80 % dazu. Bevölkerung direkt und indirekt bringt. Ich denke (Stratmann [GRÜNE]: Jetzt rechnen Sie dop z. B. an den Umweltschutz: Wie wollte man denn er- pelt!) folgreiche Umweltschutzpolitik betreiben, wenn kein Geld in der Kasse ist, wenn die Wirtschaft nicht läuft, Dann liege ich bei gut 7 000 DM, mit denen die Firma wenn man den an der Wirtschaft Beteiligten — auch kostenmäßig belastet würde, damit die Familie den Privaten — diese Belastungen nicht zumuten 2 000 DM netto hat. Wenn ich aber die Steuern senke, könnte? wie wir es tun und wie wir es tun können, weil der Staat sich bei den Ausgaben zurückhält, dann kom- Wir haben der Wirtschaft Auflagen durch Gesetz doch nur machen können, weil wir sicher waren, daß men diese 2 000 DM bar in die Taschen der Familien, und Kosten entstehen nirgendwo. diese Auflagen finanziell auch erfüllt werden konn- ten. Ich denke einmal an die Großfeuerungsanlagen (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Verordnung. Ich denke daran, daß wir dazu angeregt In diesem Zusammenhang kommt manchmal der haben, mit Katalysator zu fahren. Das ist durch finan- Vorwurf, es nähmen aber nicht alle teil. Das stimmt zielle Anreize angeregt worden. Wenn kein Geld in zwar; aber bei Umfragen ergibt sich, daß auf die der Kasse ist, kann man so etwas kaum anregen. Wir Frage, ob sie mit ihrer eigenen finanziellen Lage zu- haben sehr dafür geworben und die notwendigen frieden sind, nahezu 80 % sagen, sie seien zufrieden. Voraussetzungen dafür geschaffen, daß man mehr Das hat es ja kaum gegeben. bleifrei fährt. (Walther [SPD]: Das kann nur von Aliens Wir können jetzt mit der EG dafür sorgen, daß viele bach kommen!) Flächen innerhalb der Landwirtschaft umweltscho- nend behandelt werden, daß sie zum Teil stillgelegt - Nun sind immer noch 20 % da, die von sich aus sagen, werden, daß in großem Umfang Wald angepflanzt sie seien nicht zufrieden. Wir wollen einmal die Hälfte wird. Das alles kann man sich doch nur erlauben, streichen, denn 50 % kritisieren, auch ohne daß sie wenn die Wirtschaft läuft. Wenn kein Geld in der einen eigentlichen Grund dafür haben. Der Rest sind Kasse ist — beim Staat wie bei den Privaten — , dann aber immer noch 6 Millionen in unserem Lande. Ich kann man sich all diese Dinge nicht erlauben. Es ist kann mir schon vorstellen, daß nicht wenige Land- also außerordentlich wichtig, daß man Leistungen er- wirte dabei sind, kann mir schon vorstellen, daß auch reicht, die dann wiederum dazu führen, daß die ge- Sozialhilfeempfänger dabei sind, auch Arbeitslose, samte Bevölkerung auch dauerhaft etwas davon die Arbeit haben möchten, selbstverständlich. Aber in hat. dem Maße, wie die Regierung erfolgreiche Politik macht, in dem Maße, wie die Wirtschaft läuft, zu neuen Erträgnissen führt, in dem Maße kann auch Vizepräsident Stücklen: Herr Abgeordneter, gestat- unsere Politik auf Dauer denen helfen, die heute zu ten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Strat- Recht noch nicht zufrieden sein können mit ihrer eige- mann? — Bitte schön. nen finanziellen Lage. Stratmann (GRÜNE): Herr Kollege, ich habe eine (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Frage zur Logik Ihres Arguments: mehr Wirtschafts- wachstum und Aufschwung dienen auch dem Um- weltschutz. Wie kommentieren Sie das Faktum, daß Vizepräsident Stücklen: Gestatten Sie eine Zwi- trotz vermehrten Einbaus von Katalysatoren in die schenfrage des Abgeordneten Kühbacher? Autos der dadurch erreichte Umweltentlastungseffekt — unbestritten — durch zweierlei mehr als überkom- pensiert wurde: einmal durch wieder größere Raserei Kühbacher (SPD): Herr Kollege Carstens, Sie haben der Kat-Autos und anderer Autos auf den Straßen und uns nun freundlicherweise ein Umfrageergebnis zu zweitens durch eine Zunahme des Automobilverkehrs dem sozialen und finanziellen Wohlbefinden der Be- auf den Straßen? Das ist Wirtschaftswachstum in der völkerung hier vorgeführt. War dies die gleiche Um- Automobilindustrie und auf den Straßen. frage, wo 96 % der Befragten gesagt haben, sie wür- den den Sinn Ihrer angeblichen Steuerreform nicht Carstens (Emstek) (CDU/CSU): Ich will nicht dafür verstehen? plädieren, daß auf den Autobahnen gerast wird. Mir ist aber bekannt, daß vom gesamten Verkehrsauf- kommen nur wenige Prozent auf der Autobahn sind, Carstens (Emstek) (CDU/CSU): Ich nehme an, so daß die Gesamtbelastung, von der Sie sprechen, meine Damen und Herren, daß dieses Umfrageergeb- sicherlich nicht überwiegend daher rühren kann. 6084 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 89. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 6. September 1988

Carstens (Emstek) Aber wir hören ja von neuen Zulassungszahlen, von Wir sind stolz darauf, daß die Rahmenbedingungen neuen Autos, die täglich auf die Straße kommen. Das in unserem Lande stimmen, daß sich die Wirtschaft wird wohl in erster Linie als Grund zu sehen sein. Nur, orientieren kann, gestatten Sie, bitte: Wenn Sie diese Debatte führen (Walther [SPD]: Woran soll sie sich orientie wollen, dann tun Sie es, wenn hier Umweltschutzthe- ren?) men in Einzelheit diskutiert werden. Ich bin sicher, daß dort in größerer Klarheit und Eindeutigkeit auf daß auch die privaten Haushalte wissen, wie sie dran Ihre Frage eingegangen werden kann. sind und daß sie sich auf eine relativ gute zukünftige Entwicklung einstellen können. Bei einer solchen Ar- Ich habe zum Ausdruck gebracht — ich möchte das beit mitzumachen — das macht Freude, an welcher Stelle diese Arbeit auch immer abgefordert wird. fortsetzen — , daß von einer guten Wirtschafts- und Finanzpolitik die große, breite Masse ihren Anteil hat. (Zuruf von den GRÜNEN: Das ist Satire!) Ich brauche nur einmal an die Arbeitnehmer zu den- Von daher können Sie sicher davon ausgehen, daß ken. Wir haben nun seit Jahren reale Lohnzuwächse wir die Arbeit dieser Bundesregierung auch bei den in einer Größenordnung, wie wir sie über Jahre vorher Haushaltsberatungen in vier Punkten nachhaltig un- nicht mehr gehabt haben. Wenn heute die Wirtschaft terstützen werden: im Stande ist, im Durchschnitt um 3 % mehr Lohn zu gewähren und bei Tarifverhandlungen mit zu unter- Erstens. Mit dem Haushaltsentwurf 1989 und den schreiben, dann ist das bar mehr in der Tasche, zumin- steuerpolitischen Beschlüssen wird der Weg dieser dest in bezug auf die Inflationsrate. angebotsorientierten Haushaltspolitik weiter fortge- führt, die Nachfrageseite dabei aber nicht aus dem Auge verloren. Die Renten sind in ähnlicher Weise wie die Löhne und Gehälter angepaßt, jeweils versetzt um ein Jahr. Zweitens. Die Voraussetzungen für dauerhaftes, So können wir auch hier feststellen, daß wir schon seit wirtschaftliches Wachstum, stabile Preise und zusätz- einigen Jahren reale Lohn- und reale Rentenerhöhun- liche Arbeitsplätze werden gefestigt werden. gen haben. Das wirkt sich insbesondere bei den Be- Drittens. Die Bedingungen für die jetzt beginnen- völkerungsgruppen aus, die regelmäßige Anpassun- den Haushaltsberatungen sind wegen der recht guten gen erhalten, wie wir das bei den Rentnern und bei wirtschaftlichen Entwicklung relativ günstig. den Arbeitnehmern jeweils feststellen können. Ich wage hier die Behauptung, daß gerade der kleine (Frau Garbe [GRÜNE]: „Relativ"!) Mann wie kaum jemals zuvor in den letzten Jahren Und ich freue mich darüber, daß der Herr Bundes- Anteil an dieser Entwicklung hat. finanzminister gerade hierzu ein deutliches Zeichen - gesetzt hat, in erster Linie dadurch, daß er dafür ge- Es gibt hier und da sicherlich noch Schwierigkeiten. sorgt hat, daß der Bundesbankgewinn dem Haushalt Sicherlich gibt es Bevölkerungsgruppen, die mit dem, in Zukunft nur in einer sehr begrenzten Höhe zur Ver- was sie an Anpassung erhalten haben, nicht zufrieden fügung steht. Im Jahre 1989 sollen es 5 Milliarden DM sein können. Aber, wie gesagt: Wir werden auch das sein. Der darüber hinaus erzielte Bundesbankgewinn, Stück um Stück aufarbeiten. Und unter der Vorausset- den auch ich erwarte, wird nicht für neue Ausgaben zung, daß man auch selbst bereit ist, mitzumachen, zur Verfügung stehen, weil das keine dauerhafte Fi- selbst bereit ist, die Chancen, die man hat, zu ergrei- nanzierungsgrundlage ist, sondern wird dazu heran- fen, glaube ich, daß nach nicht allzu langer Zeit immer gezogen, Altschulden zurückzuzahlen. Das hätte sich mehr Teile der Bevölkerung in diese wirtschaftliche die SPD vor sieben oder zehn Jahren niemals einfallen Entwicklung, von der ich soeben berichtet habe, ein- lassen, mit dem Bundesbankgewinn Altschulden zu- bezogen sind. rückzuzahlen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Meine Damen und Herren, wir haben vor, den Ent- Widerspruch bei der SPD) wurf der Bundesregierung im Haushaltsausschuß, Wir wollen neue Ausgaben nur auf dauerhaften wenn möglich, noch ein wenig zu verbessern. Das neuen Einnahmen aufbauen. Und diese neuen Ausga- wird nur sehr schwer möglich sein, da wir in den letz- ben wollen wir auch noch in einer bescheidenen ten Jahren schon sehr stark gekürzt haben. Größenordnung halten. Aber auf nur mit größter Unsi- cherheit zu erwartenden Einnahmen bauen wir keine (Dr. Struck [SPD]: Das wird nicht schwierig dauerhaften Ausgaben auf. sein, da helfen wir euch mit! — Weitere Zu Die CDU/CSU-Fraktion wird versuchen — vier- rufe von der SPD und den GRÜNEN) tens —, den vorgelegten Entwurf etwas zu verbes- sern. Dabei werden wir jeden Einzeltitel genau und Ich glaube nicht, daß noch erhebliche Verbesserun- kritisch überprüfen. Und am Ende der Haushaltsbera- gen möglich sind. Ich möchte die Erwartungen da tungen dann, im November, sollte die Nettokreditauf- nicht zu hoch schrauben. Aber ich sage genauso deut- nahme im Haushaltssoll die im Haushaltsentwurf des lich, daß wir diese Politik der Bundesregierung im Finanzministers ein wenig unterschreiten. In welchem Haushaltsausschuß und in den Fraktionen von CDU/ Umfang — das muß abgewartet werden, das kann CSU und FDP tatkräftig unterstützen, daß wir diese heute noch niemand sagen. Aber es sollte unser Ziel Politik mit den nötigen Arbeiten und Beschlüssen sein, diese Nettokreditaufnahme von 32 Milliarden flankieren werden, die bis zum Ende dieses Jahres DM, wie sie im Entwurf steht, ein wenig zu senken. noch durchzuführen sind. (Dr. Dregger [CDU/CSU]: Jawohl!) Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 89. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 6. September 1988 6085

Carstens (Emstek) Eventuelle Mehreinnahmen — nicht nur die aus Kleinert (Marburg) (GRÜNE): Herr Präsident! dem Bundesbankgewinn, sondern möglicherweise Meine Damen und Herren! Nach dieser besonders auch die auf Grund höheren Steueraufkommens oder interessanten Rede des Kollegen Carstens aus zusätzlichen Privatisierungserlösen — stehen für (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) neue Ausgaben im Jahre 1989 nicht zur Verfügung, sondern müssen logischerweise — logischerweise! — will ich auf das zurückkommen, was der Bundes- zur Rückführung der Nettoneuverschuldung heran- finanzminister heute früh vorgetragen hat. gezogen werden, da wir im Jahre 1987, als es urplötz- (Hauser [Krefeld] [CDU/CSU]: Gutes!) lich Steuerausfälle gab, auch damals logischerweise gesagt haben, daß wir nicht die Ausgaben weiter be- Herr Stoltenberg hat heute morgen wieder einmal grenzen wollen, sondern daß in dem Fall die Neuver- eine Rede abgeliefert, die von Selbstgerechtigkeit schuldung ein wenig ansteigen soll. Insofern müssen und Anmaßung nur so gestrotzt hat. Da haben wir von wir also jetzt konsequent bleiben — und wir werden positiven Daten und positiven Perspektiven in der konsequent sein — , um Mehreinnahmen zur Rück- Finanzpolitik der Bundesregierung gehört. führung der Neuverschuldung zu verwenden. (Hauser [Krefeld] [CDU/CSU]: Wir sind froh, (Dr. Vogel [SPD]: Sie streichen doch dau daß es so ist!) ernd!) Der solide haushaltspolitische Kurs der Vergangen- Bei den Finanzhilfen, den sogenannten Subventio- heit habe sich bewährt, und trotz zwischenzeitlicher nen, die im Haushalt stehen — anders als bei den Probleme könne man weitermachen. steuerlichen Subventionen, die jetzt ja sehr zurückge- (Dr. Weng [Gerlingen] [FDP]: Ja!) führt werden — , sollte man nicht allzuviel erwarten. Wenn die Opposition das von uns fordert, dann muß Herr Stoltenberg, daß das mit der Wahrheit nicht die Opposition Roß und Reiter nennen. eben viel zu tun hat, müßten Sie eigentlich am besten wissen. Denn man braucht nicht sehr tief in finanz- (Walther [SPD]: Das sollte man immer! — politische Details einzusteigen, damit man erkennen Dr. Struck [SPD]: Wer ist Roß, wer Reiter?) kann, daß es zuallerletzt das Verdienst dieser Regie- Man soll das einmal durchgehen und sagen, wo man rung ist, wenn der Finanzminister in diesem Herbst denn kürzen möchte. Wir sind Jahr für Jahr an der tatsächlich noch einmal mit eineinhalb blauen Augen Arbeit gewesen und haben jedes Jahr etwas erbracht, davonkommen sollte. und wir werden das mit Sicherheit jetzt auch für 1989 (Hauser [Krefeld] [CDU/CSU]: Wessen Ver tun. Aber wer glaubt, daß sich da Milliardenbeträge dienst ist es denn?) auftun könnten, der setzt aufs völlig falsche Pferd.- Das Wenn der Bundeshaushalt 1989 am Ende tatsächlich wird nicht möglich sein. Dabei ginge man so sehr in ohne noch höheren Anstieg der Neuverschuldung soziale Maßnahmen hinein, daß das die Opposition auskommen mag, dann liegt das nicht an den großen nicht mittragen würde, und auch wir würden es nicht Erfolgen Ihrer Finanzpolitik, mittragen. Das steht nicht an. Wir bringen die Dinge auch so gut ins Lot, so daß auch in der Bevölkerung (Hauser [Krefeld] [CDU/CSU]: Sondern?) niemand zu erwarten braucht, daß wir an irgendwel- sondern zum einen an der günstigen konjunkturellen che gesetzliche Zusagen herangehen. Das haben wir Entwicklung und den damit verbundenen Steuerein- nicht nötig. Aber wir wollen den Haushalt des Bundes, nahmen, aber doch nicht an Ihrer Politik — das wissen den der Bundesfinanzminister vorgelegt hat, noch ein Sie doch genau; und problematisch genug ist sie Stück verbessern. obendrein —; und es liegt zum zweiten daran, daß der Abschließend sage ich: Gelingt uns das gemeinsam Bundesbankgewinn mit dem Koalitionspartner, mit dem wir ja sehr eng (Dr. Friedmann [CDU/CSU]: Das ist Grünes und vertrauensvoll in jeder Beziehung zusammenar- Latein! — Weitere Zurufe von der CDU/ beiten CSU) (Dr. Struck [SPD]: Das merkt man!) voraussichtlich neue Rekordhöhen erreichen wird. — — ich erwähne den Namen Wolfgang Weng in diesem Beruhigen Sie sich doch einmal ein bißchen! Es war Zusammenhang —, anstrengend genug, Ihren Rednern zuhören zu müs- sen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) (Beifall bei Abgeordneten der GRÜNEN) dann ist der Haushalt 1989 eine solide Basis, um auch die dritte Stufe der Steuerreform 1990 verantwortlich Jetzt kann ich doch wenigstens das gleiche von Ihnen bezahlen zu können, ohne unsere haushaltspoliti- erwarten. schen Grundpositionen in Frage zu stellen. Ich sage Es sind die Bundesbankgewinne, die Sie dann auf Ihnen voraus: es wird uns gelingen. der Einnahmenseite in den Bundeshaushalt hinein Schönen Dank. manipulieren, wie wir es seit Jahren kennen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Wenn das alles so kommt, dann mag es dem Finanz- minister Stoltenberg ja wahrhaftig in diesem Herbst gelingen, seinen Verbleib im Amt doch noch möglich zu machen. Viele hatten ja nicht mehr damit gerech- net. Vizepräsident Stücklen: Das Wort hat der Herr Ab- geordnete Kleinert. (Zuruf des Abg. Dr. Rose [CDU/CSU]) 6086 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 89. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 6. September 1988

Kleinert (Marburg) Der Beweis für eine Finanzpolitik, die auf dringende Nun sagt Herr Stoltenberg in seiner Rede, im Be- gesellschaftliche Probleme Antworten weiß, ist das reich des Umweltschutzes setze diese Regierung kon- allerdings nicht. sequent auf die Verwirklichung des Verursacherprin- zips. Verursacherprinzip, Herr Stoltenberg, dafür sind (Beifall bei Abgeordneten der GRÜNEN) auch wir. Wenn es denn wenigstens konsequent an- Meine Damen und Herren, jeder Haushaltsentwurf gewandt würde. Aber selbst dafür sorgt diese Regie- ist Ausdruck einer politischen Gesamtkonzeption, die rung nicht. Aber selbst wenn es das würde — und wir sich hinter dem Zahlenwerk verbirgt. Deshalb ist ein alle wissen, daß das nicht der Fall ist — , könnte das Haushalt an seiner Fähigkeit zu messen, Antworten doch nicht bedeuten, daß sich die öffentliche Hand, wenigstens auf die wichtigsten gesellschaftlichen Pro- daß sich die Politik völlig gegenüber den Notwendig- bleme zu geben, die die Zukunft betreffen. Wenn man keiten, den ökologischen Umbau dieser Gesellschaft diesen Haushaltsentwurf daraufhin überprüft, wird voranzubringen, zurückzieht. Im Gegenteil. Deshalb man solche Antworten mit der Lupe suchen müssen. ist aus ökologischer Sicht dieser Haushaltsentwurf Niemand in diesem Hause wird mittlerweile mehr zu eine einzige Bankrotterklärung dieser Bundesregie- bestreiten wagen, daß die ökologische K rise, daß die rung; ökologischen Gefährdungen, denen wir alle ausge- (Beifall bei den GRÜNEN) setzt sind, als Zukunftsproblem den allerhöchsten denn wo ist das Programm zur Bekämpfung der Trink- Stellenwert haben. wasserverseuchung? Wo sind die finanziellen Mittel, (Frau Garbe [GRÜNE]: Sehr wahr!) um gegen das Nordseesterben in einer konzertierten Aktion mit den Ländern schleunigst vorzugehen? Was Daß wir als GRÜNE mit dieser Auffassung noch vor ist eigentlich aus den Vorschlägen, zur Einführung wenigen Jahren ziemlich allein standen, ist mittler- der dritten Klärstufe 20 Milliarden DM aufzuwenden, weile Schnee von gestern und bedarf keiner weiteren von denen Herr Töpfer vor wenigen Wochen öffent- Erwähnung. Man mag es ja schon als Fortschritt anse- lich gesprochen hat, geworden? Nichts davon, nicht hen, daß wenigstens verbal alle in diesem Hause diese einmal in Ansätzen, findet sich in diesem Bundes- Einschätzung angeblich teilen. haushalt. Wo sind die Markthilfen für alternative (Frau Garbe [GRÜNE]: Das reicht nur Energieformen? Wo ist das Bodenschutzprogramm nicht!) der Bundesregierung? Alternative Energieträger wer- den unter ausdrücklicher Berufung auf marktwirt- Nun haben wir in den letzten Monaten eine drama- schaftliche Grundprinzipien gerade nicht subventio- tische Verschärfung der sichtbaren Anzeichen für die niert. Markteinführungshilfen gibt es nicht. Hier wird Zuspitzung der ökologischen Probleme erlebt. Selten die Marktwirtschaft hochgehalten. Bei den milliar- vorher sind in so kurzer Zeit so viele neue Umweltpro- denschweren Subventionen für den Airbus dagegen bleme ins öffentliche Bewußtsein getreten wie in der stört Sie die Unvereinbarkeit mit marktwirtschaftli- kurzen Phase seit Beginn des Sommers. Die Stich- chen Grundprinzipien nicht im geringsten, aber da- worte sind jedem Zeitungsleser bekannt: Nordsee- hinter sitzt ja auch Herr Strauß. Statt neuer Wege in sterben, Trinkwassergefährdung, Ozonloch. Die der Umweltpolitik hat sich diese Bundesregierung Reihe ließe sich lange fortsetzen. den ökologischen Irrsinn mit der Erdgassteuer einfal- Grund genug also, diesen Haushalt daraufhin abzu- len lassen. klopfen, was er denn nun beitragen soll und was er Gewiß wäre es richtig, alle fossilen Energieträger zu beitragen kann zur Lösung dieser Probleme. Und besteuern. Deshalb fordern die GRÜNEN seit länge- wenn man dann genauer hinsieht, dann wird man ent- rem eine Primärenergieabgabe. Es ist aber eine schal- decken: Fehlanzeige. Solche Lösungen und neue lende Ohrfeige für die Ökologie, ausgerechnet unter Wege in der Umweltpolitik wird man in diesem Bun- den derzeit von dieser Bundesregierung gesetzten deshaushalt vergeblich suchen. Ganze 495 Millionen energiepolitischen Rahmenbedingungen eine Erd- DM soll Umweltminister Töpfer im nächsten Jahr zur gassteuer einzuführen; denn mit der Einführung einer Verfügung haben, lächerliche 34 Millionen DM mehr solchen Steuer würde lediglich ein Wettbewerbsvor- als im Jahre 1988. Lächerliche 34 Millionen DM mehr, teil für solche fossilen Energieträger wie Kohle und Öl das ist alles, was dieser Bundesregierung als Antwort entstehen, die weit mehr umweltpolitische Risiken auf die Entwicklungen der letzten Monate einfällt. aufwerfen als das Erdgas. (Frau Garbe [GRÜNE]: Traurig! Traurig!) Meine Damen und Herren, was Sie da vorhaben, ist nicht nur eine Ohrfeige für die Ökologie, es ist auch Auch der Hinweis auf die paar Millionen DM an Um- weltausgaben, die in anderen Einzelplänen auftau- eine Ohrfeige für Herrn Töpfer, der von diesen Pla- nungen der Bundesregierung zur Erdgassteuer im Juli chen, wird Ihre umweltpolitische Bilanz nicht besser machen. vermutlich ebenso wie wir erst aus den Zeitungen erfahren haben wird. Aber so sind die Kräfteverhält- Herr Töpfer darf im Lande herumreisen und mit ern- nisse bei Ihnen. ster Miene umweltpolitische Nachdenklichkeit de- monstrieren. Wenn es dann an die harten finanzpoli- Grotesk ist auch die fiskalpolitische Begründung, tischen Fakten geht, wird er von Ihnen, Herr Stolten- mit der diese neue Verbrauchsteuer eingeführt wer- berg, zum umweltpolitischen Hanswurst degradiert. den soll. Ihr Ausgangspunkt ist der: Sie stehen vor der Das ist die umweltpolitische Linie dieser Regierung, Frage „Wo könnte man denn noch ein bißchen Geld wenn man sie an der Alltagsrealität mißt. zusammenkratzen, um die Löcher zu stopfen?", die Löcher, die Ihre grandiose Steuerreform reißt, und (Beifall bei den GRÜNEN) dann verfallen Sie gegen jede energiepolitische Ver- Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 89. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 6. September 1988 6087

Kleinert (Marburg) nunft auf die Idee, den Einsatz von Erdgas zu besteu- sche Sanierung und ökologischen Umbau dieser Ge- ern. Damit wird Energiepolitik zum bloßen Instrument sellschaft aufgewendet wird. kurzatmiger Fiskalpolitik. Die Ökologie wird benutzt, (Beifall bei den GRÜNEN) um Haushaltslöcher zu stopfen. Auch das macht noch einmal schlagend klar, welchen Stellenwert diese Re- Meine Damen und Herren, längst überfällig wäre gierung der Umweltpolitik zuweist. Die Umweltpoli- eine grundlegende Neuorientierung in der Finanz- tik kommt ganz zuletzt, und das kann man an diesem politik. In der Tat brauchen wir eine Steuerreform, Haushaltsentwurf einmal mehr nachweisen. aber eine Steuerreform, die nicht auf Umverteilung von unten nach oben aus ist, sondern ökologische Kri- (Beifall bei den GRÜNEN) terien in den Vordergrund rückt. Wir brauchen eine - Das ist längst nicht alles. Sie wollen den WAA ökologische Steuerreform, eine Steuerreform, die das Wahnsinn in Wackersdorf weiterfinanzieren. Sie wol- Instrument der Steuerpolitik einsetzt, damit durch ge- len, daß der Schnelle Brüter unbedingt ans Netz geht. zielte finanzielle Belastungen und Entlastungen An- Für gigantische Prestigeprojekte im Weltraum ist ge- reize zu ökologischer Produktionsumstellung und zu nug Geld in diesem Haushalt. Der Rüstungsetat soll umweltverträglichem Konsum geliefert werden. um gut 2 Milliarden DM steigen, und das in einer poli- Dazu gehört z. B. eine Primärenergieabgabe; dazu tischen Konstellation, die neue, ungeahnte Abrü- gehört eine Steuer auf den Einsatz bestimmter Chemi- stungschancen bieten würde. Wie wollen Sie eigent- kalien; dazu gehört eine Reihe von zweckgebunde- lich auf dem Hintergrund diverser Abrüstungsofferten nen Sonderabgaben, z. B. zur Eindämmung von Pla- aus dem Osten auch im konventionellen Bereich noch stikverpackungen, eine Grundwasserabgabe, eine jemandem plausibel machen, wieso die Bundeswehr Stickstoffabgabe und dergleichen mehr. eigentlich dauernd weiter aufrüsten soll? Ökosteuern und ökologische Abgaben, deren Auf- An diesen und an vielen anderen Stellen wäre das kommen zweckgebunden zur Beseitigung ökologi- Geld schon zu holen, das für die dringenden umwelt- scher Schäden einzusetzen wären, das wären die politischen Maßnahmen nötig ist, aber Sie wollen das steuerpolitischen Notwendigkeiten, die sich heute alles nicht, weil es nicht der politischen Linie dieser stellen. Bundesregierung entspricht. Ihr Umweltminister ist nicht mehr als ein Alibi in dieser Bundesregierung. Er Natürlich wären auch solche Maßnahmen einer darf in schöngeistigen Sonntagsreden auch einmal ökologischen Steuerreform kein Allheilmittel zur Lö- Problembewußtsein zeigen; die nüchterne Wirklich- sung sämtlicher Umweltprobleme; aber sie wären ein keit sieht aber ganz andere politische Prioritäten bei wichtiges Instrument beim ökologischen Umbau die- Ihnen im Vordergrund. ser Gesellschaft. Denn ökologische Besteuerung könnte umweltschädliche Produktionsverfahren und Welche Prioritäten das sind, hat nicht zuletzt Ihr nicht regenerierbare Ressourcen verteuern, umwelt- grandioser Flop mit der Steuerreform einmal mehr verträgliche Alternativen dagegen rentabler machen. deutlich gemacht, jener Steuerreform, die nun auf Von solchen ökologischen Lösungsansätzen ist diese Jahre hinaus restriktive Rahmenbedingungen für den Regierung meilenweit entfernt. Solche Konzepte wer- finanzpolitischen Handlungsspielraum der öffentli- den rundweg abgelehnt. chen Hand setzen soll und die ganz besonders die Möglichkeiten von Ländern und Kommunen drastisch In diesem Zusammenhang muß auch ein Wort zur beschneidet. Die Steuersenkung entzieht der öffentli- SPD gesagt werden. chen Hand 19 Milliarden, nur damit diejenigen, die (Walther [SPD]: Muß nicht!) ohnehin schon genug haben, die Taschen noch voller kriegen; dafür fehlt dann das Geld für soziale und — Doch, doch, nach Ihrem grandiosen Parteitag, Herr ökologische Aufgaben. Eine Mischung aus knallhar- Kollege Walther. ter Interessenpolitik und ideologischer Verbohrtheit Natürlich ist es nur zu begrüßen, wenn neuerdings hat Sie dazu gebracht, diesen Unsinn hier durchzuzie- auch von Ihrer Seite von ökologischer Umgestaltung hen. Wir alle erinnern uns ja noch an den traurigen des Steuersystems die Rede ist. Wir beanspruchen ja Höhepunkt des Frühsommertheaters, an die Steuer- schließlich kein Copyright auf Begriffe. Nun habe ich befreiung für das Flugbenzin, jenes Geschenk an den aber bislang in Ihren Papieren vom Münsteraner Par- bekannten Münchener Hobbypiloten, mit dem Sie teitag leider vergeblich nach einem konkreten Kon- dann allerdings eine anständige Bruchlandung erlebt zept gesucht, wie das im einzelnen mit der ökologi- haben. Um diesen Flop „Steuerreform" zu finanzie- schen Steuerreform dann aussehen soll. ren, ohne allzu große Haushaltslöcher entstehen zu lassen, sollen nun diverse Verbrauchsteuern erhöht (Dr. Bötsch [CDU/CSU]: Das haben sie mit werden. Bezahlen sollen, hübsch sozial ausgewogen, euch gemeinsam!) alle. — Nein, ich habe doch einiges hier vorgetragen, Herr Meine Damen und Herren, wir als GRÜNE sind Bötsch; vielleicht haben Sie nicht zugehört. natürlich nicht gegen eine Erhöhung der Mineralöl- Ich will nun nicht hoffen, daß es bei Ihnen wieder steuer. Wir fordern das seit langem, weil es dafür sehr mit den Überschriften schon sein Bewenden hat, daß gute umweltpolitische Gründe gibt. Aber wir wollen Sie bei uns die Überschriften abschreiben, daß dann keine Erhöhung der Mineralölsteuer bloß deshalb, da- schon der ganze Blätterwald rauscht und den ökologi- mit Sie ein paar Haushaltslöcher stopfen können, die schen Sinneswandel der SPD verkündet und daß es Sie mit Ihrer verfehlten Finanzpolitik aufgerissen ha- das dann auch schon war. Das hoffe ich nicht; ich sage ben. Eine Erhöhung der Mineralölsteuer ist sinnvoll das ausdrücklich. Ich hoffe, daß es bei dieser Sache und nötig, aber nur dann, wenn das Geld für ökologi- anders ist. Wir werden jedenfalls mit großem Interesse 6088 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 89. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 6. September 1988

Kleinert (Marburg) abwarten, was an konkreten Konzepten außer der gen, wo es sinnvoll ist: bei der Bundesbahn etwa, beim Überschrift dann noch nachkommt. Städtebau, im Etat der Frau Süssmuth und anderswo. Wir werden konkrete Schritte zur konventionellen (Walther [SPD]: Dazu habt ihr ja vor lauter Abrüstung in der Bundesrepublik in diesem Bundes- Streit gar keine Zeit mehr!) tag einbringen. Wir werden Maßnahmen zur Bekämp- Meine Damen und Herren, auch auf das zweite der fung der neuen Armut vorlegen, und wir werden Ih- großen gesellschaftlichen Probleme, die Massenar- nen nachweisen, daß unsere Alternativen sinnvolle beitslosigkeit, hat dieser Haushalt keine Antwort pa- Wege zur Bekämpfung der Massenarbeitslosigkeit rat. Fast noch schlimmer: Die 2,2 Millionen Men- aufzeigen. schen, die trotz günstiger Konjunkturlage als regi- Meine Damen und Herren, das ist die Grundrich- strierte Arbeitslose heute einen Job suchen müssen, tung der Politik, um die es heute gehen muß. Das ist sind in Stoltenbergs Haushaltsrede nicht mit einem allerdings nicht die Grundrichtung, die Sie vorschla- Wort überhaupt aufgetaucht. Sie handeln nicht nur gen. Ihr Weg weist in eine Zukunft, die wir so nicht nicht, Sie reden schon gar nicht mehr davon, meine wollen. Damen und Herren. In diesem Haushalt wird man einen Beitrag zur Bekämpfung der Massenarbeitslo- Danke. sigkeit vergeblich suchen. Statt dessen wollen Sie (Beifall bei den GRÜNEN) weitere Leistungskürzungen bei der Bundesanstalt für Arbeit durchziehen, die die Chancen für die Ar- beitslosen nur noch weiter beschneiden werden. Vizepräsident Stücklen: Das Wort hat der Herr Ab- 1,8 Milliarden DM sollen insgesamt dadurch herein- geordnete Weng. kommen. Dafür wird dann in die Finanzierung des Jäger 90 eingestiegen. So, meine Damen und Herren, sind die politischen Prioritäten dieser Bundesregie- Dr. Weng (Gerlingen) (FDP): Herr Präsident! Meine rung. sehr verehrten Damen und Herren! Die Bundestags- Die Finanzierung des ökologischen Umbaus zu so- fraktion der FDP hat in ihrer gestrigen Sitzung be- zial gerechten Bedingungen ist die zentrale politische schlossen, den Bundeshaushalt 1989 auf der Basis der Zukunftsaufgabe für die Finanzpolitik. Zu dieser Zu- vorliegenden Kabinettsentscheidung zu beraten. kunftsaufgabe gibt dieser Haushaltsentwurf fast (Esters [SPD]: Das ist aber toll!) nichts her. Weder tote Robbenbabys noch vergiftetes Trinkwasser sind für diese Regierung Anlaß zu wirk- — Herr Kollege Esters, wenn Sie den Nachsatz hören, samem Handeln, das im harten finanzpolitischen All- werden Sie diesen Zwischenruf gleich wiederholen tag seinen Niederschlag finden würde. Zu all- den öko- können. logischen Zukunftsaufgaben haben Sie wenig anzu- (Walther [SPD]: Ganz was Neues!) bieten, zur Bekämpfung der Massenerwerbslosigkeit Wer, meine Damen und Herren, die öffentliche De- gar nichts. Sie haben wenig anzubieten zur Frage der batte über einzelne Positionen des Haushalts in den Umverteilung von Arbeit, und Sie haben wenig bis gar vergangenen Wochen verfolgt hat, wird sich vorstel- nichts anzubieten zu der Frage neuer Wege in der len können, daß diese Entscheidung nicht ohne harte Sozialpolitik. Diskussionen, nicht ohne deutliche Kritik und auch Herr Stoltenberg, statt die Zukunftsaufgaben we- nicht ohne abweichende Einzelpositionen zustande nigstens im Ansatz anzugehen, haben Sie uns hier gekommen ist. Unsere selbst gesetzte Aufgabe, die einmal mehr das Dokument einer ideologisch ver- Aufgabe der Koalition — sorgfältige und sparsame bohrten neoliberalen Finanzpolitik vorgelegt, die Haushaltsführung — , macht es aber notwendig, auf nicht einmal die zarten Pflänzchen ökologisch-markt- der Basis der durch das Kabinett getroffenen Ent- wirtschaftlichen Denkens aufnimmt, die man selbst scheidungen zu verhandeln. am Rande der Regierungsparteien dann und wann Meine Damen und Herren, erlauben Sie mir vorab finden kann. eine persönliche Anmerkung. Zum erstenmal seit Die ganze Grundrichtung dieser Politik ist falsch. meiner Mitgliedschaft im Deutschen Bundestag füh- Über diese Grundrichtung werden wir in den näch- ren wir heute eine Haushaltsdebatte ohne den Kolle- sten Wochen und Monaten den Streit mit Ihnen zu gen Apel von der SPD. Das ist eine direkte Konse- führen haben. quenz aus der unsinnigen und rechtlich fragwürdigen Quotenregelung, die die SPD auf ihrem letzten Partei- (Walther [SPD]: Aber nur, wenn du in den tag beschlossen hat. Bei allem Wohlwollen für die För- Ausschuß kommst!) derung von Frauen in allen gesellschaftlichen Berei- Wir werden das an Hand von konkreten Anträgen tun, chen und dabei natürlich auch im Bereich der Politik: die wir mit konkreten Finanzierungsvorschlägen ver- Wenn sich eine solche Förderung von unten nach binden. Wir werden nicht nur ein Konzept für eine oben aufbaut und dann zu gleichgewichtigen Ergeb- ökologische Steuerreform vorlegen, wir werden öko- nissen kommt, logische Sofortmaßnahmen vorschlagen: im Bereich (Walther [SPD]: Was heißt das denn?) der Abwasserentgiftung, zur Altlastensanierung, zur dann ist sie vernünftig. Von oben kann man im Leben Kraftwerksentschwefelung, zur Energieeinsparung. bekanntlich fast nirgendwo anfangen, sondern über- Wir werden Maßnahmen zur rationelleren Energie- nutzung und zur Förderung alternativer Energiefor- all werden die Dinge von unten aufgebaut. men vorschlagen. Wir werden die Steigerung investi- (Stratmann [GRÜNE]: Ist das ein Plädoyer für ver Ausgaben in diesem Bundeshaushalt da vorschla Lambsdorff?) Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 89. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 6. September 1988 6089

Dr. Weng (Gerlingen) Der einzige Bereich, von dem mir bekannt ist, daß die übrigens von manchen politisch Tätigen als solche man von oben anfangen kann, ist das Umgraben des beklagt wird — , nicht die angestrebte Zielvorgabe für Gartens. die jeweilige Haushaltsberatung sein. Unser Bemü- (Heiterkeit bei der FDP und der CDU/CSU) hen, nach dem Ausreißer des laufenden Jahres, den der Finanzminister in seinen Ursachen und Gründen Spaß beiseite! Meine Damen und Herren, wenn eine heute morgen sehr deutlich beschrieben hat, diese Regelung dazu führt, daß sachkundige, erfahrene und Grenze künftig nicht mehr zu überschreiten, sondern profilierte Politiker abgewählt werden, nur weil sie deutlich darunter wegzukommen, bleibt deshalb er- Männer sind, kann dies keine vernünftige Regelung halten. Auch hier, Herr Kollege Wieczorek, erinnere sein. ich mich wieder an einen Satz in Ihrer Rede, als Sie (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU — vom gesamten Ablauf der letzten Jahre unter hervor- Dr. Rose [CDU/CSU]: Durch Frauenquote ragenden Gesamtrahmenbedingungen auch der gibt es Männertote! — Walther [SPD]: Nur Weltwirtschaft und ohne außenwirtschaftliche Störun- die Machos klatschen!) gen gesprochen haben. Haben Sie denn tatsächlich schon vergessen, was im Herbst letzten Jahres war, Obwohl das Haushaltsrecht eines der ganz wesent- welche Entwicklung an den Börsen international, wel- lichen Rechte eines demokratischen Parlaments ist, che Entwicklung des Dollarkurses dazu geführt hat, dürfen wir die Augen nicht davor verschließen, daß daß wir zu Beginn dieses Jahres eben davon ausgehen die Haushaltsberatung nur eine eingeschränkte Ge- mußten, die Verschuldung unseres Landes aus ge- staltungsmöglichkeit beinhaltet. Ein Haushalt ist auch samtwirtschaftlichen Gründen höher anzusetzen, als und ganz wesentlich Bilanz getroffener Entscheidun- es die ursprüngliche Konzeption vorsah. gen. Deshalb ist die Haushaltsberatung der Zeitpunkt zum Rückblick ebenso wie zum Ausblick. Wenn auch (Wieczorek [Duisburg] [SPD]: Ihr habt ge die rein buchhalterische Fortschreibung von Haus- wurstelt, gepfuscht!) haltsdaten einen Politiker niemals wird befriedigen „Ohne außenwirtschaftliche Störungen", dies kann können, meine Damen und Herren: An den Fakten wirklich nur als lächerlich bezeichnet werden. kann trotzdem niemand vorbeigehen. Deshalb muß auch der Zusammenhang zwischen Einnahmen, Aus- (Dr. Friedmann [CDU/CSU]: Dann muß man gaben und Schulden immer wieder deutlich gemacht auch einmal über den Investitionsbegriff werden. nachdenken!) (Zuruf des Abg. Walther [SPD]) Herr Friedmann, ich gebe Ihnen auf Ihren Zwischen- ruf hin gerne recht, daß die Frage, wie die Investitio- Wer dieses Dreieck, Herr Kollege Walther, wie es von nen im Bundeshaushalt begründet und aufgelistet Seiten der Opposition sehr gern geschieht, dadurch- sind, wirklich einer Diskussion bedürfte und man hier auflösen will, daß er nur Erhöhung der Ausgaben und gegebenenfalls Änderungen vornehmen sollte, um Senkung der Schulden fordert, der muß an sich ein ganz konsequent tatsächliche Investitionen als solche Viereck konstruieren. Die vierte Position ist dann eine zu bezeichnen und andere Dinge davon zu trennen. Banknotenpresse, die ständig in Bewegung sein Aber da wir in der Vergangenheit immer an den müßte. Grundlagen der jetzt zu erstellenden Zahl gemessen (Walther [SPD]: Die hat der Stoltenberg bei haben, will ich das nicht an dieser Stelle in die Debatte der Bundesbank!) einbringen; wir können uns hierüber gerne unterhal- ten. Diese Banknotenpresse würde aber dazu führen, daß die Solidität, daß die Stabilität unseres Geldwertes (Walther [SPD]: Da sind wir mit dabei!) verlorenginge. Gerade die Geldwertstabilität aber, Der Haushaltsentwurf 1989, meine Damen und Her- meine Damen und Herren, und dies in allen vergan- ren, den uns der Finanzminister heute morgen als Ent- genen Jahren, wurde nicht unwesentlich durch die scheidung des Kabinetts vorgelegt hat, hat aus Sicht Haushaltspolitik der Koalition erreicht. Ich sage das des Parlamentariers eine Reihe von Schwächen, die auch im Blick darauf, daß der Kollege Wieczorek in über das reine Zahlenwerk hinausgehen. seiner Rede erklärt hat, daß die Wirtschaft im Moment gut laufe und das nichts mit der politischen Arbeit der (Wieczorek [Duisburg] [SPD]: Richtig!) Koalition hier in Bonn zu tun habe. Meine Damen und Der Umfang der Ausgabensteigerung ist, gemessen Herren, was hätte er wohl gesagt, wenn es zur Zeit an dem, was wir in den vergangenen Jahren erreicht schlecht laufen würde? haben, natürlich unerwünscht; ich sage dies, auch (Heiterkeit und Beifall bei der FDP und der wenn mir bewußt ist, daß der Steigerungstitel „Erhöh- CDU/CSU — Dr. Friedmann [CDU/CSU]: ter Zuschuß für die Bundesanstalt für Arbeit" eine Dann wäre die Regierung schuld!) ausdrückliche Konsequenz des Wunsches meiner Fraktion ist, die Beiträge für die Bundesanstalt für Wer Steuern senkt, wer damit in gewissem Maße, Arbeit nicht ansteigen zu lassen, wie es sonst notwen- politisch wünschenswert, auch noch verbindet, von dig gewesen wäre. direkten auf indirekte Steuern umzustellen, wie wir es getan haben und tun werden, der kann im Rahmen (Walther [SPD]: Weil ihr Aufgaben auf die gestaltender Politik auch eine zeitlich begrenzte Bundesanstalt verlagert habt! — Wieczorek Schuldenerhöhung für erforderlich halten und diese [Duisburg] [SPD]: Aufgaben habt ihr ver dann politisch akzeptieren. Natürlich kann die verfas- schoben!) sungsmäßige Regelung, daß die Verschuldung die In- Auch hier — Herr Kollege Walther, deshalb ist der vestitionen nicht überschreiten darf — eine Regelung, Zwischenruf zum richtigen Zeitpunkt erfolgt, auch 6090 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 89. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 6. September 1988

Dr. Weng (Gerlingen) wenn er inhaltlich falsch ist — wird nämlich wieder vatflieger auf Initiative von Franz Josef Strauß, auch ein Finanzdreieck deutlich, wenn diese Steuerbefreiung wieder zurückgenom- men werden soll. (Walther [SPD]: Ihr habt verfassungsmäßige Aufgaben des Bundes verschoben!) (Zuruf von den GRÜNEN: Teilweise!) an dem sich die Opposition messen lassen müßte. Wer Ob Strauß Ananas in Alaska oder Wombats in Wild- einerseits Leistungsverringerungen der Bundesan- bad Kreuth züchtet, stalt moniert und ablehnt, andererseits Beitragserhö- hungen nicht wünscht, der kann seine Forderung (Frau Seiler-Albring [FDP]: Was ist das?) nach einem höheren Bundeszuschuß nur dann seriös vortragen, wenn er die notwendigen Einnahmen im er möge bitte künftig darauf verzichten, uns solche Bundeshaushalt auch mitträgt und mitbeschließt. faulen Fier ins Nest zu legen. Hierzu habe ich von seiten der Opposition nichts ge- hört. (Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der SPD — Kleinert [Marburg] [GRÜNE]: (Walther [SPD]: Wieso sind wir für die Folgen Wieso haben Sie denn dafür gestimmt?) eurer Politik verantwortlich?) Ich bin für die Zwischenfrage, Frau Kollegin, aus- Jeder weiß, meine Damen und Herren, daß die Ein- drücklich dankbar. Der Wombat ist ein australisches führung der Erdgassteuer mit dem Zuschuß für die Beuteltier, das so ähnlich aussieht wie ein Biber ohne Bundesanstalt für Arbeit in ganz direktem Zusam- Schwanz, ungefähr diese Größe hat und ein ausge- menhang steht; das Zahlenwerk ist völlig klar. Die sprochen liebenswertes Tier ist. Ich weiß nicht, ob es Aufschlüsselung: Einsparung im Bundeshaushalt, Re- als Haustier geeignet ist. Die deutsche Bezeichnung duzierung überzogener Leistungen bei der Bundesan- habe ich dem Brockhaus entnommen — beide Namen stalt und erhöhter Bundeszuschuß für das kommende sind an sich nicht richtig — : entweder Beutelmaus, Jahr. worunter man sich etwas ganz Kleines vorstellt, oder (Walther [SPD]: Jetzt sind die Arbeitslosen Plumpbeutler, und das wird diesem liebenswerten für die Erdgassteuer zuständig! Jetzt wird es Tier wirklich nicht gerecht. aber verrückt!) (Dr. Bötsch [CDU/CSU]: Man erkennt sofort Da braucht man nicht zu versuchen, durch Zwischen- den weitgereisten Parlamentarier! — rufe etwas davon wegzureden. Dr. Rose [CDU/CSU]: Dafür war der zweimal (Walther [SPD]: Die Erdgassteuer für die Ar in Australien!) beitslosen!) - Meine Damen und Herren, die Flugzeugambitionen Der zweite große Ausgabebrocken ist das Ergebnis von Franz Josef Strauß führen ja auch beim Bundes- der sogenannten Albrecht-Initiative. Hier haben Poli- haushalt — jedenfalls kann man es vermuten — unter tiker aller Couleur — ich sage dies auch selbstkritisch dem Stichwort „Airbus" ab und zu einmal zu Konse- an die Adresse meiner eigenen Partei — unter Feder- quenzen, die an seinem direkten Industrieengage- führung des niedersächsischen Ministerpräsidenten ment als Vorsitzender des Aufsichtsrats der Airbusin- einen Wettlauf veranstaltet, dem „nackten Mann" dustrie nach meiner Überzeugung Kritik begrün- Bundeshaushalt heftig in die Tasche zu greifen. Dies den. ist vor allem dann kein positives Beispiel gesamtpoli- tischer Verantwortung, wenn man sich vor Augen Ich will aber im Zusammenhang mit Airbus etwas hält, daß die Steuermehreinnahmen der vergangenen anderes vortragen. Unsere Fraktion begrüßt aus- Jahre in wesentlich größerem Umfang Ländern und drücklich die Bemühungen des Bundeswirtschaftsmi- Gemeinden als dem Bund zugegangen sind. Herr nisters, die enorm anwachsenden Subventionen beim Wieczorek, Sie haben hier heute nachmittag andere Airbus dadurch mittelfristig abzusenken, daß ein ge- Zahlen genannt. Tatsache ist: Der Anteil des Bundes eigneter industrieller Partner den nötigen Schub an am Gesamtsteueraufkommen betrug bis Mitte der Managementerfahrung in dieses Unternehmen 70er Jahre etwa 50 %, zeitweise sogar mehr als 50 %, bringt. Natürlich sehen auch wir die Probleme, die 1988 liegt er nur noch bei ca. 45 %. presseöffentlich massiv diskutiert werden, die aus ei- ner möglichen Beteiligung von Daimler-Benz an MBB Ich darf hier die Äußerung von Lothar Späth aus der in anderem Zusammenhang entstehen können. Na- Wochenzeitschrift „Die Zeit" zitieren. Späth: „Ich türlich wird auch die Frage der möglichen Konditio- halte es für sehr problematisch, wenn zehn von elf nen und vor allem die der Risikoverteilung bei einer Ländern im wirtschaftsstärksten Staat Europas quasi künftig möglicherweise anstehenden Entscheidung erklären, sie seien ohne ernsthafte Strukturhilfen des eine Rolle spielen und sorgfältiger Prüfung unterzo- Zentralstaates gar nicht mehr fähig, ihre Probleme gen werden. Das Grundkonzept des Bundeswirt- und ihre Aufgaben zu lösen." Er hat das in anderem schaftsministers, öffentliche Verantwortung in einem Zusammenhang gesagt, aber es paßt natürlich auch sehr schwierigen Industriebereich wenigstens teil- hier sehr gut hinein. Allerdings ist Lothar Späth ein weise in private Verantwortung zu überführen, ist schlechter Kronzeuge, denn sein eigenes Verhalten aber ausdrücklich richtig. bei der Besteuerung betrieblicher Zuwendungen — Stichwort: Jahreswagen von Daimler-Benz — liegt (Beifall bei der FDP — Wieczorek [Duisburg] ja auf dem gleichen Niveau, und das gilt um so mehr [SPD]: Aber ihr nehmt den Privaten das Ri für die heftig diskutierte — die Diskussion ist nicht siko! — Kühbacher [SPD]: Wolfgang, aber beendet — Flugzeugbenzinsteuerbefreiung für Pri Subventionen gebt ihr nicht!) Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 89. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 6. September 1988 6091

Dr. Weng (Gerlingen) — Herr Kollege, wenn Sie meinen Ausführungen ge- welcher Freude Harald und Daniel, meine zwei klei- folgt wären, nen Jungen, das mitgebrachte Plüschtier aufgenom- (Kühbacher [SPD]: Bin ich!) men haben. dann wüßten Sie, daß ich genau hierzu im Vorsatz Ich komme auf meinen Gedanken zurück: Der etwas gesagt habe. Ich will das jetzt nicht noch einmal schnelle Personenverkehr auf andere Gleise. Eine wiederholen, aber es wäre natürlich doch wünschens- Arbeitsgruppe der Koalition hat ja dem Bau einer Re- wert, nicht auf Grund eines gehörten Halbsatzes mit ferenzstrecke der Magnetschnellbahn im Grundsatz Zwischenrufen zu kommen, wenn man den Gesamt- zugestimmt und damit auch — so hoffe ich doch — zusammenhang nicht gehört oder gar nicht begriffen eine gewisse Bewegung in dieses Projekt gebracht. hat. Bei einer solchen Referenzstrecke brauchen wir na- (Dr. Struck [SPD]: Der Gesamtzusammen türlich etwas mehr: Wir brauchen eine Vision bezüg- hang war überhaupt nicht erkennbar! — lich künftiger Verkehrsführung und natürlich eine Weitere Zurufe von der SPD) Konzeption für das, was diese Magnetschnellbahn tun könnte. — Doch. Es war doch durchaus so, daß es deutlich verständlich war, Herr Kollege. Andere haben ja Eile Unter der Voraussetzung — ich glaube, wir können gehabt, nämlich ihre vorbereitete Rede schnell genug davon ausgehen — , daß die technischen Probleme durchzulesen. Und was da alles an Anfeindungen drin vollends gelöst werden, wäre es sicher wünschens- war. Aber das Konzept war trotzdem ganz interessant wert, wenn dieses System flächendeckend bet rieben und lustig; denn in der Presseerklärung, die die SPD werden könnte, vielleicht in Form einer ungefähren verteilt hat, war ausdrücklich eine Zwischenfrage for- Acht mit dem Knotenpunkt im Bereich des Frankfur- muliert. Leider hat sie trotzdem keiner von Ihnen ge- ter Flughafens, wenn es darüber hinaus die bundes- stellt. deutschen Flughäfen miteinander verbinden würde (Heiterkeit und Beifall bei der FDP und der und hierdurch eben der vorhin genannte Kurzstrek- CDU/CSU) kenflugverkehr reduziert werden könnte. Das könnte in der Zukunft eine echte Ergänzung der Verkehrsträ- Wir haben das Papier hier. ger sein. Wie gesagt, die technischen Probleme müs- (Hauser [Krefeld] [CDU/CSU]: Ein Regiefeh sen gelöst werden. ler!) Wir sollten solche Visionen durchaus haben; denn Meine Damen und Herren, wenn wir gerade beim wenn wir uns vor Augen halten, welche Anstrengun- Fliegen sind: Der immer stärker belastete Luftraum gen vergangene Generationen beim Bau des Schie- — das gilt gerade auch für den Kurzstreckenflugver- nennetzes der Eisenbahn geleistet, was sie dafür inve- kehr — und auch die zunehmende Umweltbelastung- stiert haben, dann sollte es, meine ich, in einem wirt- durch Abgase der besonders hoch fliegenden Maschi- schaftsstarken Land auch möglich sein — wenn nicht nen — mit noch unbekannten, aber schon vermuteten ganz problemlos, so doch im Grundsatz —, ein solches und umweltmäßig sicherlich nicht ungefährlichen ausdrücklich umweltschonendes, aber den Erforder- Auswirkungen — sollten die Überlegungen im Zu- nissen künftigen Transports gerecht werdendes Sy- sammenhang mit dem schnellen Personenverkehr auf stem voranzubringen. andere Gleise führen. Ich sage ausdrücklich Gleise. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Vizepräsident Stücklen: Herr Abgeordneter, gestat- Die Struktur sollte so sein, daß es als Teilersatz bei ten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten künftig noch wachsendem Luftverkehr — das ist ja Esters? konzipiert — den vernünftigen Ausbau und die Aus- lastung der Bundesbahnstrecken möglichst wenig be- Dr. Weng (Gerlingen) (FDP): Ich vermute, daß die einträchtigt. Zwischenfrage nicht im Zusammenhang mit dem Meine Damen und Herren, Verschuldung in Gren- steht, was ich gerade ange rissen habe. Aber vielleicht zen zu halten ist ein schwieriges Geschäft. können wir es trotzdem dazwischenpacken, Herr Kol- lege Esters. Bitte. (Zustimmung bei der SPD) Ich habe vorhin schon einmal auf Art. 115 des Grund- Esters (SPD): Ich hatte mich schon eine ganze Zeit gesetzes hingewiesen und will auch mit dem Hinweis gemeldet, Herr Kollege. auf § 96 unserer Geschäftsordnung auf die besondere Ich wollte nur fragen, ob Sie mir sagen können, Verantwortung des Haushaltsausschusses des Deut- wieso die Frau Kollegin Seiler-Albring so genau wis- schen Bundestages aufmerksam machen. sen konnte, daß Sie wissen, was ein australisches (Walther [SPD]: Endlich!) Wombat ist. (Heiterkeit) Nur wenn bei ausgabenwirksamen Entscheidun- gen Notwendiges vom Wünschenswerten getrennt wird, können wir die Dinge im Griff behalten. Ich sage Dr. Weng (Gerlingen) (FDP): Herr Kollege Esters, das auch im Blick auf die künftige Gestaltung des der guten Ordnung halber: ein australischer Wom- Bundeszuschusses für die Rentenversicherung. Die- bat. ser Bundeszuschuß wird steigen müssen; das weiß Die Kollegin Seiler-Albring konnte das deswegen jeder. Aber die Frage, in welchem Umfang, kann nach wissen, weil ich ihr von diesem Tier begeistert berich- meiner Überzeugung nicht nur zu Lasten des Bundes- tet habe. Insbesondere habe ich davon berichtet, mit haushalts entschieden werden. 6092 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 89. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 6. September 1988

Dr. Weng (Gerlingen) Dies sage ich auch mit Blick auf die geforderte Ge- von Entwicklungen, die wir als Bundesrepublik und meinsamkeit mit der SPD. Meine Damen und Herren, als Regierungskoalition nicht zu vertreten hatten; Gemeinsamkeit kann bei Sachthemen kein Wert an aber dies kann darüber hinaus natürlich nicht der sich sein. Sie ist nur dann sinnvoll, wenn sie auch bes- Normalfall werden. sere Lösungen beinhaltet. Denn in einer Demokratie entscheiden nachher wiederum die Bürger über Daß die Gesamtverschuldung aller öffentlichen Mehrheiten, und die Mehrheiten entscheiden, wenn Haushalte und der Sondervermögen im laufenden sie der Meinung sind, daß die von ihnen konzipierte Jahr die ominöse Grenze von 1 000 Milliarden DM Lösung die bestmögliche ist. Gesamtverschuldung überschreiten wird, ist ein war- nendes Symbol, das die Ausgabenfreude von Mini- Erfahrungsgemäß haben die Bürger ein gutes Ge- stern und Fachpolitikern stärker dämpfen sollte, als es spür dafür, wer die Gesamtverantwortung für eine üblicherweise der Fall ist. bessere Politik sinnvollerweise garantiert, wer diese Verantwortung haben sollte. Dies ist im Normalfall, Wir, die Koalition aus CDU/CSU und FDP, aber ins- jedenfalls bei dem Bürger, der sich wirklich eine Mei- besondere die FDP, haben der Öffentlichkeit Spar- nung bildet, nicht derjenige, der jedem alles ver- samkeit und Haushaltskonsolidierung versprochen. spricht. Ich erinnere hier an das vielzitierte Wort von Dies müssen und werden wir fortführen. Theodor Heuss: In der Politik gilt nicht das Verspro- Zum Stichwort „versprochen" und „müssen wir chene, sondern das Gehaltene. fortführen" : Meine Damen und Herren, bei Privatisie- (Beifall bei der FDP, der CDU/CSU und bei rung ist im Bundeshaushalt vom Geldvolumen her Abgeordneten der SPD — V o r s i t z : Vize jetzt natürlich nicht mehr das eingestellt, was in ver- präsident Cronenberg) gangenen Jahren eingestellt war. Aber wir sollten nicht vergessen, daß für uns Privatisierung bei dem, Für meine Fraktion ist klar, daß das Gesamtpaket was tatsächlich durchgeführt wurde, immer ein ord- Haushalt nur so lange getragen werden kann, wie nungspolitisches Anliegen mit erfreulichen haushalts- alle drei Regierungsparteien hierzu stehen. Das heißt politischen Nebeneffekten war. Die auch — dies ist erfreulicherweise Vorgabe des Kabi- ordnungspoliti- sche Frage und Forderung besteht fort, auch wenn netts — , daß durch die positive Wirtschaftsentwick- jetzt die großen und in der Veräußerung vielleicht lung möglicherweise entstehende Steuermehreinnah- ertragversprechenden Bereiche im großen und gan- men zur Minderung der sowieso zu hohen Schulden zen privatisiert sind. herangezogen werden und nicht als verfügbare Masse für Ausgaben angesehen werden können. Dies Jetzt, nachdem nicht mehr so viel Geld durch Priva- gilt auch für einen möglicherweise etwas höheren tisierung einzunehmen ist, dürfen das ordnungspoliti- Bundesbankgewinn als angesetzt. - sche Anliegen und die Zusage der Koalition in diesem Meine Damen und Herren, wir dürfen nicht die Aus- Punkt nicht plötzlich einschlafen. Auch hier geht mein gangsbasis, von der wir diskutieren, aus dem Auge Appell insbesondere an die Kolleginnen und Kollegen verlieren. Man muß sich vor Augen halten, daß wir des Koalitionspartners: Den öffentlichen Erklärungen, den Haushalt des laufenden Jahres mit einer Ver- die, wenn ich an einen Brief, den mir Franz Josef schuldung von 29,2 Milliarden DM konzipiert und Strauß vor Jahren geschrieben hat, denke, in der gan- verabschiedet haben und daß wir, wenn es gut läuft, zen Koalition offensichtlich unbestritten sind, sollen tatsächlich eine Größenordnung von 37 bis 38 Milliar- eben auch wieder Taten folgen. den DM in diesem Jahr erreichen werden. Man kann (Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten doch dann nicht so tun, als ob man 1 Millarde DM der CDU/CSU) Mehreingang ausgeben könnte. Das heißt dann im- mer noch 8 Milliarden DM mehr Nettoneuverschul- Was ist z. B. mit den Bahnbeteiligungen, die schon dung, als wir ursprünglich konzipiert haben. Hier, in der vorigen Wahlperiode Beschlußlage des Kabi- meine ich, muß man wirklich konsequent sein, um so netts waren? Schenker, die Spedition der Deutschen mehr — ich sage das mit Blick auf den möglichen Bun- Bundesbahn, die aus ordnungspolitischen Gründen desbankgewinn — , wenn gegebenenfalls durch eine unbedingt privatisiert werden sollte, ist immer noch zu kurzfristige oder einmalige Einnahme auf der anderen 100 % in öffentlicher Hand. Hier ist der Verkehrsmini- Seite langfristig wirkende Ausgaben beschlossen ster in der Pflicht. Ich sage es ausdrücklich und erneut werden sollen. Diese Verantwortung, der das Kabinett von dieser Stelle, obwohl es langsam schon fast pein- Rechnung getragen hat, tragen wir mit. Wer glaubt, lich wird, daran zu erinnern: Was ist mit der lange hier gäbe es Spielräume, wenn, wie gesagt, Steuerein- gegebenen Zusage, an der technischen Überwachung nahmen plötzlich etwas ansteigen, der muß sich diese von Kraftfahrzeugen verstärkt freiberufliche Inge- Überlegung vor Augen halten. nieure zu beteiligen? Dies sind einige wenige Bei- Die Finanzplanung ist leider — auch in der Projek- spiele. Ich meine, Herr Finanzminister, Sie oder der tion auf künftige Jahre — in den letzten Jahren stän- von Ihnen damit befaßte Staatssekretär sollten sich dig schlechter geworden. Wenn wir das Ergebnis der wieder einmal das dicke Buch der Bundesbeteiligun- Steuerreform im kommenden Jahr in den Haushalt gen als Lektüre vornehmen. von 1990 einbauen und beraten wollen, müssen wir (Dr. Struck [SPD]: Das alles hat aber seine wissen, daß auf Grund unabweisbarer Entwicklungen Grenzen, Herr Kollege Weng!) schon heute abzusehen ist, daß wir sehr hart an der Verschuldensgrenze, die uns die Verfassung vorgibt, Wir, unsere Fraktion, bleiben bei diesem Thema am vorbeischrammen werden. Wie gesagt, 1988 ist das Ball. — Herr Kollege Struck, den Zwischenruf, hier begründet durch den einmaligen Ausreißer auf Grund habe alles seine Grenzen, nehme ich gerne auf. Die Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 89. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 6. September 1988 6093

Dr. Weng (Gerlingen) Privatisierung hat dort ihre Grenzen, wo eben alles diesem Augenblick, obwohl alle Wirtschaftsinstitute privatisiert ist. auf die erneut ungünstiger werdenden Bedingungen (Heiterkeit — Beifall bei der FDP) für 1989 hinweisen. Die Erfahrungen der letzten Jahre zeigen doch, wie schwankend und jederzeit bedroht Die Zusagen aus der Regierungserklärung sowohl der weltwirtschaftliche Konjunkturverlauf ist, von der vergangenen als auch der laufenden Wahlperiode dem wir natürlich maßgeblich mit abhängen. sind uns hier Verpflichtung. Meine Damen und Herren, wir werden den Bundes- Sie haben wegen Ihrer Illusionen über Jahre hin die haushalt jetzt nach vorbereitenden Berichterstatter- Steuereinnahmen nach unten korrigieren müssen und gesprächen in gewohnter Sorgfalt im Haushaltsaus- gleichwohl starr an einer Steuerreform festgehalten, schuß beraten, Position um Position, in enger Koope- die letztlich ruinöse Folgen für das Haushaltsgleich- ration mit den Freunden des Koalitionspartners. Kol- gewicht hat und die Sie nun durch unausgereifte und lege Carstens, Sie haben dankenswerterweise auf die politisch willkürlich gewählte Verbrauchsteuererhö- gute Kooperation, auf die auch menschlich gute hungen notdürftig korrigieren müssen. Atmosphäre hingewiesen. Wir sind bereit, hier in glei- (Beifall bei der SPD — Glos [CDU/CSU]: Das cher Weise wie in den vergangen Jahren fortzufahren. ist falsch! Das nehmen Sie sofort zurück!) Denn wir wollen unser Beratungsergebnis in zweiter und dritter Lesung hier im Plenum im Rahmen der Sie sind — wie in vielen Bereichen — hier längst dann gegebenen Gesamtdaten, die wir heute noch nicht mehr Herr des Verfahrens, sondern reagieren als nicht alle absehen können, neu diskutieren und den ein Getriebener, der mehr schlecht als recht die aller- Haushalt dann — genauso wie in früheren Jahren — schwersten Defizite stopfen muß. ordnungsgemäß verabschieden. Meine Damen und Sie haben gleichzeitig die Ausgabendynamik un- Herren, ich bin mir sicher, wir werden — wie in all den terschätzt und sich gerühmt, den Ausgabenanstieg Jahren der Koalition aus CDU/CSU und FDP — ein unter 3 % zu halten, während 1989 die Erhöhung Beratungsergebnis vorlegen, das unserer Verantwor- 4,6 % betragen soll. In Wirklichkeit ist es Ihnen eine tung gerecht wird und auch die berechtigte öffentli- Zeitlang gelungen, klar absehbare Ausgaben hinaus- che Anerkennung findet. zuzögern oder zu verdrängen, ohne Vorsorge zu tref- (Lebhafter Beifall bei der FDP und der CDU/ fen. Das gilt für die Finanzierung der Europäischen CSU) Gemeinschaft, die Sie jetzt mit voller Wucht trifft und die langfristig das Ausgabenniveau des Haushalts er- heblich steigert. Vizepräsident Cronenberg: Das Wort hat der Abge- ordnete Esters. Andere Ausgaben haben Sie entweder in leichtsin- nigem Vertrauen auf Besserung oder aus der Mißach- tung des zentralen Problems unserer Gesellschaft, der Esters (SPD): Herr Präsident! Meine Damen und Bekämpfung der Massenarbeitslosigkeit, aus dem Herren! Ich bin dem Kollegen Wolfgang Weng sehr Bundeshaushalt schlechthin ausgelagert. Nachdem dankbar, daß er uns von dem weittragenden Beschluß Sie durch Abwälzung von sachfremden Ausgaben die seiner Fraktion hier unterrichtet hat, den Bundeshaus- Zahlungsunfähigkeit der Bundesanstalt für Arbeit mit halt auf der Basis der Regierungsvorlage beraten zu herbeigeführt haben, wollen. (Walther [SPD]: Richtig!) (Heiterkeit und Beifall bei der SPD) können Sie es nun nicht mehr vermeiden, Bundeszu- Ich kann Ihnen für meine Fraktion mitteilen: Auch wir schüsse in den Nachtragshaushalt, in den Bundes- haben diese Absicht haushalt 1989 und auch in die mittelfristige Finanz- (Erneute Heiterkeit bei der SPD — Beifall bei planung einzustellen. Sie haben sich schließlich per- der FDP) manent dagegen gesträubt, daß der Bund seiner Auf- und werden dies, so hoffe ich, genauso kritisch wie in gabe gerecht werden muß, strukturelle Ungleichge- den vergangenen Jahren tun. wichte innerhalb des Bundesgebiets auszugleichen. Herr Bundesfinanzminister, die etwas freundlichere Auch von dieser langjährigen Verkennung der Si- Gestaltung des Wirtschaftswachstums, die bescheide- tuation werden Sie im Nachtragshaushalt 1988 und im nen Einnahmeverbesserungen aus Steuern, die Sie Haushaltsentwurf 1989 eingeholt. Weil Sie selbst kein daraus erwarten, und die einstweilen unbekannte Konzept entwickelt haben, Strukturpolitik finanziell Größe des Bundesbankgewinns sind die schwanken- zu gestalten, sind Sie nun das Opfer eines Zwangsma- den Pfeiler, auf die Sie Ihre positivere Bewertung der növers des niedersächsischen Ministerpräsidenten Haushaltslage stützen. Ich kann nicht erkennen, daß geworden, der sich dabei freilich auf eine Notwehrsi- diese Erwartungen, die allenfalls die reale Tristesse tuation berufen kann, die es auch in anderen Bundes- der Situation flüchtig aufhellen und die deutlich spe- ländern gibt. kulativen Charakter tragen, den von Ihnen bean- spruchten, aber nicht eingelösten Maßstäben der Soli- (Beifall bei der SPD) darität entsprechen. Der Nachtragshaushalt 1988, der Haushaltsentwurf Das Grundübel der Haushaltswirtschaft, die Sie be- 1989 und der neue Finanzplan 1988 bis 1992 doku- treiben, liegt darin, daß sich die Einnahmenseite in mentieren haushaltspolitische Führungslosigkeit und permanentem Ungleichgewicht zur Ausgabenseite Fehlentwicklungen, wie sie spätestens seit der zwei- befindet. Sie haben über Jahre hin die Wachstums- ten Jahreshälfte 1987 für alle offenkundig geworden kurve der Wirtschaft überschätzt und tun dies auch in sind. 6094 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 89. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 6. September 1988

Esters 1987 sind Sie mit einem Haushalt in den Wahlkampf 34 Milliarden DM: eine Differenz von 8 Milliarden gezogen, der auf dem Papier eine Neuverschuldung DM. von 22,3 Milliarden DM aufwies, ein Irrtum, der ange- sichts der Warnungen von unserer Seite alle Elemente Der Finanzminister trägt die Verantwortung dafür, eines grob fahrlässigen Verhaltens aufwies. Der von daß trotz einer dank der Weltwirtschaft nicht ungün- Ihnen damals gepriesene — so wörtlich in einer BMF- stigen Normallage der Weltkonjunktur die Neuver- Pressemitteilung — „Meilenstein" auf dem Weg zur schuldung strukturell und dynamisch gegenüber den Gesundung der Staatsfinanzen erwies sich im Haus- bisherigen Planungen ansteigt. Da kann ich es — mit haltsvollzug in Wirklichkeit als ein Mühlstein, der den Verlaub — nur als Possenspiel bezeichnen, wenn der Absturz der Staatsfinanzen auslöste. Im Ergebnis fehl- Parlamentarische Staatssekretär Häfele einen Abbau ten 5 Milliarden DM. der Altverschuldung des Bundes ankündigt. [SPD]: (Beifall bei der SPD) (Walther Gibt es Häfele noch?) Da Sie dieses Menetekel nicht als Warnung verstan- —Offensichtlich ja. Hin und wieder gibt es Erklärun- den haben, verdoppelte sich das Defizit im Haushalt gen von ihm. des laufenden Jahres auf etwa den doppelten Betrag. (Uldall [CDU/CSU]: Bringen Sie Ihren Red Die Druckerschwärze des Haushaltsgesetzes war ner nicht durcheinander! Das ist unfair! — noch nicht getrocknet, da erwies es sich bereits als Gegenruf Frau Traupe [SPD]: Der ist nicht Makulatur. Es fehlten rund 10 Milliarden DM, so daß durcheinanderzubringen!) sich die Neuverschuldung, wie nun endgültig klar ist, statt auf 30 Milliarden DM auf rund 40 Milliarden DM — So leicht bringen Sie den nicht durcheinander. — Sie haben heute morgen etwas herunterkorri- giert — belaufen wird. Nur mit Hilfe vorzeitiger Ver- (Walther [SPD]: Daß es den Häfele gibt, habe brauchsteuererhöhungen im Umfang von rund 8 Mil- ich schon lange nicht mehr gehört!) liarden DM sowie einer noch nicht nachgewiesenen —Es wird allerhöchste Zeit, daß Sie ein Gespräch mit globalen Minderausgabe von 1,2 Milliarden DM soll Herrn Staatssekretär Häfele bekommen, Herr Vorsit- es Ihnen 1989 gelingen, die Nettokreditaufnahme, die zender. sonst erneut bei mindestens 40 Milliarden DM läge, auf 32 Milliarden DM zurückzuführen. Auch dies ist Bei dem Zahlenvergleich, den ich angeführt habe, nur unter der Voraussetzung möglich, daß der Bun- stehen natürlich noch nicht die Aufgaben wie die Ren- desbankgewinn, den Sie für 1989 auf 5 Milliarden DM tenreform oder die Entschuldung der Bundesbahn auf veranschlagen, der vermutlich erheblich höher ausfal- der Tagesordnung. Sie sind unberücksichtigt; denn len wird, in der Finanzplanung mit jährlich- rund im Finanzplan fehlt dazu jegliche Aussage. 7 Milliarden DM eingesetzt wird, wenn er denn tat- Ich möchte hier voraussagen, daß Sie, um der klaf- sächlich erzielt wird. Ich sage Ihnen, daß eine Haus- fenden Schere zwischen Einnahmen und Ausgaben haltskonsolidierung, die auf dem Bundesbankgewinn Herr zu werden, künftig weiter indirekte Steuern wer- aufbaut, in Wirklichkeit ein bloßes Roulettspiel ist. Es den erhöhen müssen. Sie verbrämen dies im jüngsten muß die allerschwerste Besorgnis erregen, daß sich Finanzplan unter dem Stichwort einer — wörtlich — die Neuverschuldung im Haushaltsvollzug 1988, im „Harmonisierung der indirekten Steuern in der Euro- Haushalt 1989 und im jüngsten Finanzplan kontinu- päischen Gemeinschaft". Ich wäre dankbar, wenn ierlich auf einem beträchtlich höheren Sockel bewegt, diese sibyllinische Andeutung hier präzisiert werden als es die bisher gültige Finanzplanung im Finanzbe- könnte. Gibt es Schubladenpläne für solche erneuten richt 1988, die kaum ein Jahr alt ist, prognostizierte. Steuererhöhungen im Verbrauchsteuerbereich, na- (Dr. Struck [SPD]: Leider wahr! — Beifall bei mentlich auch im Bereich der Mehrwertsteuer nach der SPD) 1990? Da Haushaltspolitik ein Geschäft mit Zahlen ist, will Ich komme auf den Haushalt 1989 zurück. Der Glo- ich dies an Hand der eben genannten und uns zuge- balansatz für vorgesehene Steuererhöhungen im Ein- gangenen Unterlagen mit Zahlen belegen. Während zelplan 60 über 8 Milliarden DM ist zur Zeit im Um- der Finanzbericht 1988 vor einem Jahr die Nettokre- fang ungesichert, da das Gesetzgebungsverfahren ditaufnahme im Bundeshaushalt 1988 noch auf erst beginnt und sich die Koalition in gewohnten Miß- 29,8 Milliarden DM schätzte, beträgt sie nun nach klängen weder über den Zeitpunkt noch über den Vorlage des Nachtragshaushalts etwas über 39 Mil- Umfang einig ist. liarden DM: eine Differenz von rund 10 Milliarden (Dr. Struck [SPD]: Sehr wahr!) DM. Während der Finanzbericht 1988 vor einem Jahr die Kreditaufnahme für 1989 noch mit 27,2 Milliarden Die Klage des Vorstandsvorsitzenden der Esso AG, DM schätzte, beträgt sie bereits nach dem Haushalts- daß — ich zitiere — die deutsche Wirtschaft sich auf entwurf 1989, der uns vorliegt, fast 32 Milliarden DM: diese Bundesregierung nicht verlassen könne, eine Differenz von schon jetzt rund 5 Milliarden DM. Für 1990 schätzte der Finanzbericht noch 30,9 Milliar- (Walther [SPD]: Sehr gut!) den DM, während der neue Finanzplan nur ein Jahr weil es weder eine zielgerichtete Wirtschaftspolitik später bereits von 36 Milliarden DM Nettokreditauf- noch eindeutige, auf Dauer geltende Rahmenbedin- nahme ausgeht: eine Differenz von wiederum rund gungen gebe, bestätigt sich auch hier exemplarisch. 5 Milliarden DM. Für 1991 sind dann die Differenzen noch dramatischer. Der Finanzbericht 1988 schätzte (Strube [CDU/CSU]: War das der Esso-Chef? 26 Milliarden DM, der jüngste Finanzplan nennt Wie heißt der eigentlich?) Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 89. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 6. September 1988 6095

Esters — Wie der heißt, Herr Kollege? Auch dies kann ich Einzustellen sind in den Haushaltsentwurf aus ver- Ihnen sagen: Er heißt Herr Kohlmorgen. ständlichen Gründen die bislang noch nicht berück- sichtigten Kosten des Sonderprogramms zur Einglie- (Dr. Friedmann [CDU/CSU]: Das ist keine derung der aus Osteuropa kommenden Aussiedler. Empfehlung für Esso!) Ungewiß ist ferner das ganze Ausmaß der Verpflich- Es ist dem Herrn Bundesfinanzminister unbekannt. tungen, die der Bund für die Airbus-Förderung auf- Ihnen ist er jetzt bekannt. wenden will. Am 28. Oktober 1984 hat der Bundesfi- nanzminister in der „Welt am Sonntag" erklärt: Von (Dr. Friedmann [CDU/CSU]: Spricht nicht einer wirklichen Konsolidierung kann man erst spre- für seine Marke!) chen, wenn die jährliche Neuverschuldung des Bun- Ein weiteres Haushaltsrisiko ist die globale Min- des ohne Bundesbankgewinn spürbar unter 20 Mil- derausgabe von rund 1,2 Milliarden DM, deren Er- liarden liegt. — Ich glaube, da hat er recht. Sie sind wirtschaftung ungesichert ist. Wenn der Haushalts- seither, Herr Minister, etappenweise kleinlauter ge- ausschuß seine früheren Beschlüsse zum Instrument worden. Und wir hören seit Jahren, daß hier konsoli- der globalen Minderausgabe ernst nimmt, so muß er diert wird. Nur, der Schuldenberg wird nicht kleiner, — daß heißt namentlich die Koalitionsmehrheit — sondern größer. versuchen, die Einsparungen an konkreten Positionen (Kühbacher [SPD]: Das ist wohl wahr! Und vorzunehmen oder darauf zu verzichten. Es geht nicht die Zinsen werden immer höher!) an, daß über die globale Minderausgabe Teile des parlamentarischen Budgetrechts an den Bundesfi- In Ihrer gesamten bisherigen Amtszeit sind Sie nicht nanzminister abgetreten werden. einmal annähernd an diese Zielmarke, die Sie selbst gesetzt haben, herangekommen. Ihr bestes Ergebnis (Walther [SPD]: Unerhört!) waren 34,8 Milliarden DM im letzten Jahr. 1988 sind Es ist bedauerlich, daß auch der Nachtragshaushalt es dann wieder knapp 40 Milliarden DM, und nach 1988 eine solche globale Minderausgabe von 300 Mil- Ihrem eigenen Finanzplan sind es — trotz massiver lionen DM vorsieht — ich weiß, daß dies in der Rela- Verbrauchsteuererhöhungen — 1989 37 Milliarden tion ein kleiner Betrag ist —, offenbar um aus kosme- DM, 1990 43 Milliarden DM, 1991 41 Milliarden DM tischen Gründen unter einer bestimmten Zahlengröße und 1992 37 Milliarden DM. —ich nenne einmal 10 Milliarden DM — bleiben zu (Kühbacher [SPD]: Schulden sind das!) können. Verstärkt verstecken Sie darüber hinaus Ausgaben Jede globale Minderausgabe desavouiert aber die und Schulden in Schattenhaushalten, mühsame Arbeit der Kolleginnen und Kollegen im Haushaltsausschuß. Es ist jedoch bezeichnend,- daß (Dr. Struck [SPD]: Unerhört ist so etwas! — der Bundesfinanzminister seit Jahren auf die Keule Weitere Zurufe von der SPD) der globalen Minderausgabe entweder bei Einzelplä- die zu einer Zeitbombe geworden sind und früher nen oder insgesamt nicht verzichten kann, um die oder später neben der im Haushalt offen ausgewiese- Dynamik der Neuverschuldung abzubremsen. nen steigenden Neuverschuldung unsere Finanzkraft Unverändert ein Haushaltsrisiko ist der Bundeszu- sprengen können. schuß an die Bundesanstalt für Arbeit, der mit 3,3 Mil- Ich nenne Beispiele: 1983 hatte die Bundesbahn liarden DM knapp veranschlagt wird. Obwohl durch einen Schuldenstand von knapp 36 Milliarden DM die Entwicklung in den Vorjahren wiederholt wider- und konnte in dem Jahr sogar noch einen Teil ihrer legt, unterstellt der Bundesfinanzminister, daß die De- Schulden netto tilgen. Im nächsten Jahr werden es fizite der Bundesanstalt durch gesetzliche Anpassung mehr als 46 Milliarden DM sein, 1991 bereits 54 Mil- des Leistungsrechts vermindert werden und daß es liarden DM. Diese steigende Verschuldung wird sich erhebliche Einschränkungen bei den Ermessenslei- früher oder später im Bundeshaushalt in irgendeiner stungen, ABM-Maßnahmen und Qualifizierungsof- Form niederschlagen müssen. fensive, geben wird. Dabei gehen die wirtschaftswis- senschaftlichen Institute, so der jüngste Ifo-Bericht, Auch die Deutsche Bundespost wird Jahr für Jahr davon aus, daß es Ende 1988 rund 50 000 Arbeitslose stärker zur Ader gelassen, um Haushaltsdefizite zu mehr als 1987 und 1989 weitere rund 30 000 mehr schließen. geben wird. (Walther [SPD]: Telefonsteuer!) (Walther [SPD]: Das sind ja traurige Zah — Ihre Anregung, Herr Kollege Walther, werden wir len!) der zuständigen Enquete-Kommission weiterge- Man muß schon ein hartgesottener Fiskalist sein, ben. — (Wieczorek [Duisburg] [SPD]: Wie dieser (Walther [SPD]: Nein, das ist eine Telefon Weng!) steuer, die der Stoltenberg da erhebt!) um auf die Zunahme der Arbeitslosigkeit mit Lei- Von 1983 bis 1988 mußte die Post 28 Milliarden DM an stungskürzungen und knappen Haushaltsansätzen zu Ablieferungen an den Bund überweisen. antworten. Während in der Koalition über neue sozial- (Dr. Friedmann [CDU/CSU]: Die ihr be politische Leistungen Scheingefechte geführt werden, schlossen habt! Die 10 % sind zu eurer Zeit findet hier der soziale Abbau zu Lasten der am beschlossen worden!) schwersten benachteiligten Mitbürger statt. — Ihr wart doch sonst immer so schnell dabei, lieber (Beifall bei der SPD) Kollege Friedmann, Dinge, die wir beschlossen hatten 6096 Deutscher Bundestag — l 1. Wahlperiode — 89. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 6. September 1988

Esters und die ihr für dusselig hieltet, abzuschaffen. Weshalb Bundeshaushalt kommen müßte, Herr Minister, an- denn hier nicht? Weshalb hat's denn hier so lang ge- derswohin verlagern. dauert? Ihr hattet doch Zeit genug dazu. (Walther [SPD]: Der Minister ist gar nicht (Beifall bei der SPD — Dr. Friedmann [CDU/ mehr da!) CSU]: Ihr habt soviel hinterlassen! Es geht Ermessen Sie bitte doch einmal selber, inwieweit Sie nicht auf einmal!) ihre eigenen Ziele verfehlt haben. Die Öffentlichkeit — Ach! hat davon offenbar einen stärkeren Begriff als Sie selbst. (Walther [SPD]: Ihr hattet schon sechs Jahre Der Nachtragshaushalt 1988, der Haushalt 1989 Zeit! Wie lang wollt ihr jetzt noch Zeit haben? und der Finanzplan machen nicht sichtbar, wie Sie die — Dr. Struck [SPD]: Sehr gut! Jetzt sagt er haushaltspolitische Zeitbombe des permanenten und nichts mehr, der Herr Friedmann; jetzt hat er wachsenden Haushaltsungleichgewichts entschärfen kein Argument mehr!) wollen. Wir wären dankbar, wenn wir im Lauf dieser Entsprechend konnte der Bund natürlich seine Neu- Beratungen oder der Beratungen im Haushaltsaus- verschuldung verkürzen. schuß auf all diese Fragen konkrete Antworten be- kommen könnten. Bei der Post mußten jedoch genau 28,2 Milliarden neue Schulden aufgenommen werden. Auch diese (Beifall bei der SPD — Walther [SPD]: Da hof 28 Milliarden fehlen in jeder Bilanz des Bundesfi- fen wir leider vergebens!) nanzministers. Die Liste läßt sich verlängern. 1987 wurde beim Vizepräsident Cronenberg: Das Wort hat der Abge- Verstromungsfonds ein neuer Schuldentopf von ordnete Dr. Rose. 2 Milliarden DM zur Entlastung des Bundeshaushalts aufgemacht. Auch dieser Topf läuft schon über. Dr. Rose (CDU/CSU): Sehr geehrter Herr Präsident! (Walther [SPD]: Ja!) Meine verehrte Damen! Meine Herren! Ich knüpfe an Bis Ende 1988 werden über die 2 Milliarden DM hin- jene Passagen der Rede des Herrn Bundesfinanzmini- aus weitere 2 Milliarden für unbezahlte Rechnungen sters an, die die düsteren Prophezeiungen der Sozial- aufgelaufen sein, demokraten für die Wirtschafts- und Finanzpolitik wi- derlegten. Es ist in der Tat entlarvend, mit welchen (Walther [SPD]: 4 Milliarden DM Schul Horrorzahlen die deutsche Opposition immer wieder den!) - Politik zu machen versucht. für die der Bund haftet. So die jüngsten Prüfungen des Nichts von alledem, was jahrlang angekündigt Bundesrechnungshofs. wurde und auch zu Beginn dieses Jahres Inhalt Ihrer Attacken war, ist eingetreten. Aber das hinderte die (Walther [SPD]: Richtig! Und was sagt jetzt Kollegen mit der anderen Feldpostnummer auch der kluge Kopf?) heute nicht, den Untergang zu predigen. Kollege Das sind Risiken im Bundeshaushalt, für die nir- Wieczorek hat extra davon gesprochen, daß er, ob- gendwo Vorsorge getroffen worden ist. wohl er Ersatzredner sei, keinen Kurswechsel garan- tieren könne. Weitere 1,6 Milliarden Schulden wurden ebenfalls 1987 bei der Bundesanstalt für landwirtschaftliche (Dr. Bötsch [CDU/CSU]: Ersatzreserve I!) Marktordnung untergebracht. Mit dieser Aktion Ich weiß nicht, ob das eine Drohung war, aber auf konnte der Finanzminister vermeiden, bereits 1987 jeden Fall, lieber Kollege Helmut Wieczorek, hoffe einen Nachtragshaushalt vorlegen zu müssen. ich, daß, nachdem Sie einer der drei Namensträger in Auch diese Beispiele sind fortsetzungsfähig. Nicht Ihrer Fraktion sind, bei Ihnen der Vorname Helmut für nur der Bund, sondern auch andere öffentliche Ge- bessere Qualität bürgt. bietskörperschaften sind in einer tiefen Schuldensi- (Walther [SPD]: Soll das ein Witz gewesen tuation. In diesem Sommer hat die Staatsverschul- sein?) dung insgesamt, also im öffentlichen Gesamthaushalt In Wahrheit ist eine zwar verhaltene, aber durchaus einschließlich Bahn und Post, die Grenze von 1 Billion optimistische Zukunftsperspektive in der Wirtschafts- DM überschritten — eine Zahl, die jede Vorstellungs- und Finanzpolitik gegeben. Ich möchte Beispiele nen- kraft übersteigt. Im Bundeshaushalt müssen bereits nen. jetzt rund 11,8 % — das ist jede zehnte Mark — für Die Zinsen ausgegeben werden. Dieses Geld fehlt wirtschaftliche Entwicklung verläuft günstiger als erwartet. zwangsläufig bei den sozialen Leistungen, bei der Bekämpfung der Massenarbeitslosigkeit, im Umwelt- (Zuruf von der CDU/CSU: Sehr richtig!) schutz oder bei den Investitionen. Allein 1988 steigen Wir haben nun schon sechs Jahre lang Wachstum. die Schulden von Bund, Ländern und Gemeinden um Selbst schlimmste Ereignisse wie der Schwarze Mon- 65 Milliarden DM — so der Finanzplanungsrat im tag des vergangenen Jahres konnten uns wirtschafts- Mai. Bahn und Post kommen mit zusammen weiteren politisch nicht aus der Bahn werfen. Das war aber nur 10 Milliarden DM Schulden hinzu. durch eine konsequente und nicht durch eine wankel- Sie versuchen, die Bedrohlichkeit der Lage zu ka- mütige Gegenstrategie möglich. schieren, indem Sie etliches, was eigentlich aus dem (Uldall [CDU/CSU]: Sehr gut!) Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 89. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 6. September 1988 6097

Dr. Rose Zweitens. Den entscheidenden Impuls für die gute kippen. Beispiel: Das Bäcker-, das Bau- oder auch das Konjunktur gab und gibt unsere traditionelle Stärke Friseurgewerbe zahlen schon Prämien, damit sie beim Export von Investitionsgütern. Ich möchte an überhaupt Jugendliche für ihre Lehrstellen bekom- dieser Stelle deshalb ein Lob unseren Unternehmern men. und den in den Unternehmen beschäftigten Arbeit- (Sehr wahr! bei der CDU/CSU) nehmern sagen. Das ging also alles ohne die von der SPD gewünschte (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Ausbildungsplatzabgabe. Man merkt hier, daß man Aber auch die von der Bundesregierung getätigte zwar im Erfinden von zusätzlichen Steuern und Abga- Wirtschaftspolitik trägt dazu bei, daß sich auf diesem ben stark sein kann, damit aber keinen Erfolg hat. Feld positive Zahlen eingestellt haben. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) (Sehr richtig! bei der CDU/CSU) Meine Damen und Herren, gerade die 44 Beispiele Auch auf dem Inlandsmarkt stieg die Nachfrage und von Steuern und Abgaben, die die SPD im Laufe ihrer hier wiederum besonders der p rivate Verbrauch. Das Regierungszeit und auch noch in der Opposition er- hängt natürlich auch mit der Steuerreform zusam- funden hat, sollten uns abschrecken, sowohl 1989 als men. auch in den 90er Jahren zur SPD zurückzukehren. (Dr. Friedmann [CDU/CSU]: Eben zusätzli Meine Damen und Herren, so gingen also die che Kaufkraft!) Angstphantasien der Opposition deutlich an der Wirk- Doch es ist nicht so, wie Spötter sagen, daß man aus lichkeit vorbei. Kompetenz haben Sozialdemokraten Angst vor der Quellensteuer noch schnell die Sparbü- und GRÜNE auf dem Felde der Wirtschafts- und Fi- cher geplündert hätte. Es sind insgesamt einfach mehr nanzpolitik immer noch nicht bewiesen. Mittel zum Verbrauch in der Öffentlichkeit vorhan- (Frau Traupe [SPD]: Und ihr?) den; deshalb konnte der Verbrauch angekurbelt wer- Daran änderte auch der SPD-Parteitag nichts. Was den. hatte denn Peter von Oertzen schon vor dem Parteitag (Dr. Friedmann [CDU/CSU]: 14 Milliarden über den wirtschaftspolitischen Leitantrag gesagt? Er DM mehr Kaufkraft!) nannte ihn Kunstfleisch mit Ketchupsoße. Ich habe Drittes Beispiel: Die Bausparkassen melden überra- das zwar nicht ganz verstanden, aber vielleicht meinte schend viel Schwung im Bauspargeschäft. Dieser er, daß man jetzt sagen muß, daß Hack fleisch mit Schwung ermöglicht zusätzliche Impulse beim Bau. Appelmus das traurige Endergebnis ist; denn zer- Ich las heute in der „Süddeutschen Zeitung", daß be- hackt muß sich die SPD vorkommen, wenn sie ihre sonders in Bayern und vor allem beim Eigenheimbau eigene, widersprüchliche Haltung betrachtet. - große Zuwachsraten, zum Teil bis zu 20 %, zu ver- (Zuruf von der SPD: Schwach heute!) zeichnen sind. Hier greift also nicht nur die Wirt- schaftspolitik, sondern auch die soziale Komponente. Da befeindet sie einerseits die maßvollen und wegen konkreter Aufgaben notwendigen Verbrauchsteu- Ich möchte hier auch sagen: Wir wollen die Eigen- ererhöhungen und will andererseits Riesenbelastun- tumsquote beim Wohnraumbau noch deutlich stei- gen beim Energieverbrauch. gern. Be (Beifall bei der CDU/CSU) (Dr. Friedmann [CDU/CSU]: Doppelter zinpreis!) Viertes Beispiel: In manchen Wirtschaftsbranchen boomt es geradezu. Da verkündet der Ministerpräsident von der Saar die- ses und der Gewerkschaftspräsident vom Neckar je- (Kleinert [Marburg] [GRÜNE]: Was?) nes, da will man bei den Reichen abkassieren und den — Es boomt geradezu. Das kann sich ein Norddeut- Armen mehr geben — oder zumindest so tun — und scher vielleicht nicht so vorstellen. übersieht, daß Robin Hoods Methoden — oder weil in diesem Jahr ein Jubiläum stattfindet, gar Jack-the- (Kleinert [Marburg] [GRÜNE]: Das ist doch Ripper-Methoden — heute ebenso fehl am Platze sind Englisch, Herr Rose!) wie der Schrei nach mehr Staat. Aber in südlichen Bundesländern merkt man das sehr (Frau Matthäus-Maier [SPD]: Jack the Rip deutlich. Nur haben wir große regionale Unter- per? Das ist nun aber wirklich dümmlich!) schiede. Ich kann in diesem Zusammenhang dem Norden, besonders dort, wo er von den Sozialdemo- Die SPD mag zwar auf eine gerechte Verteilung des kraten regiert wird, deshalb nur wünschen, daß er mit Sozialprodukts stolz sein, aber, verehrte Frau seiner Industriefeindlichkeit aufhört und damit für In- Matthäus-Maier, Sie sollten sich auch klarmachen, dustrieansiedlungen attraktiv wird, so daß Arbeits- daß es zunächst jemanden braucht, der dieses Sozial- plätze geschaffen werden können. produkt erwirtschaftet. Sie dürfen nicht vergessen, daß unser Industriestandort Bundesrepublik gepflegt (Büchler [Hof] [SPD]: Sie reden doch nur vom werden muß, so stark es irgend geht, und dazu brau- Münchener Raum, aber nicht von Oberfran chen wir eine marktwirtschaftliche Erneuerung, nicht ken oder sonstwo in Bayern!) eine gewerkschaftliche Erstarrung. Meine Damen und Herren, die noch gar nicht — um ein weiteres Beispiel zu bringen — so lange zurücklie- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) gende Misere auf dem Ausbildungsstellensektor Manches auf dem SPD-Parteitag war — das gestehe durch das Vorhandensein zu weniger Plätze droht nun ich durchaus zu — in dieser Hinsicht erfreulich, doch zu einer Misere wegen zu wenig Jugendlicher umzu zu einem Regierungsprogramm, lieber Kollege Küh- 6098 Deutscher Bundestag — 11. Wahlpe riode — 89. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 6. September 1988

Dr. Rose hacher, reicht es noch lange nicht, und das haben am Ende der SPD-Zeit im Jahre 1982 hochgeschnellt nicht bloß Sie erkannt, sondern auch Ihr Kollege Er- war, kam 1987 schon wieder auf unter 47 % zurück. hard Eppler, der von einem deutlichen Manko beim Unser Ziel ist es, diesen Entstaatlichungskurs fort- Kompetenzzuwachs auf dem wirtschaftspolitischen zusetzen, und unser fester Wille ist es auch, die Felde sprach. Steuer- und Abgabenquote deutlich zu senken. Uns Meine Damen und Herren, ich komme zurück zur ist es lieber, stabile Preise, niedrige Zinsen und markt- Haushaltspolitik. Auch beim eigentlichen Zahlenspiel wirtschaftliche Freiräume zu haben, als mit Umvertei- der 288 Milliarden sieht die Wirklichkeit besser aus, lungshänden den deutschen Steuerzahler auszuplün- als von der SPD orakelt und als auch von Ihnen, lieber dern. Kollege Esters, dessen Sachverstand ich ja durchaus (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) sehr schätze, eben in anderem Zusammenhang noch- mals vorgetragen worden ist. Denn wir haben eine Der Bundeshaushalt soll die großen Linien aufzei- strenge Ausgabendisziplin. Sie können ja der Bun- gen. Er soll einen Beitrag zur Finanzsolidität und zum desregierung dann, wenn Sie Ausgaben tätigen muß, Wirtschaftswachstum leisten; er soll einen Beitrag zur die zugunsten anderer Haushalte erfolgen, z. B. beim Investitionsanregung und zur Arbeitsmarktbelebung, EG-Haushalt, z. B. bei den strukturschwachen Län- zur Zukunftsteuerung und zur Steuergerechtigkeit dern, nicht vorwerfen, daß sie als Bundesregierung leisten. Er soll aber auch der regionalen Ausgewogen- unredlich wirtschaftet. Das kann man auf keinen Fall heit dienen und weltwirtschaftliche Aspekte ausstrah- miteinander in Zusammenhang bringen. len. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Dr. Stoltenberg hat in nüchternen Zahlen diese Esters [SPD]: Das habe ich auch nicht ge Grundlinien gezogen. Er hat vor allem deutlich ge- sagt!) macht, daß es am Willen zur Sparsamkeit nicht man- gelt. Auf diesem Weg kann ich ihn nur bestärken. Es In diesem Zusammenhang sollte man auch die ist auch vorhin von unseren Rednern, von Herrn Car- Höhe der Neuverschuldung sehen. Man muß sehen, stens und von Herrn Dr. Weng, so gesagt worden. für was Neuverschuldung erforderlich ist, wo die neuen Aufgaben liegen und warum man also vorüber- Risiken gibt es genug. Wir werden bei den jetzt gehend höhere Zahlen in Kauf nehmen muß. beginnenden Einzelberatungen im Haushaltsaus- schuß diese Risiken gründlich erörtern, egal ob es sich (Frau Garbe [GRÜNE]: Für den Airbus um Mindereinnahmen oder Umschuldungsverluste z. B.!) zugunsten von Ländern der Dritten Welt handelt, ob es um das Aussiedlerprogramm oder um die Bundes- Eine strenge Ausgabendisziplin im laufenden Jahr bahn geht, ob es sich um die Schwierigkeiten beim macht es möglich, daß die geplante - Ausgabensteige- Airbus, bei der Kohle oder bei der Bundesanstalt für rung trotz Nachtragshaushalt nicht überschritten Arbeit dreht. Alle Punkte müssen sorgfältig beraten wird. Da verstehe ich überhaupt nicht, daß der Kol- und auf ihre Haushaltsvereinbarkeit abgeklopft wer- lege Helmut Wieczorek vorhin von einem Herunter den. Wer diese Risiken bedenkt, spürt, daß keine manipulieren sprach. Wir sollten doch froh darüber neuen Verteilungsspielräume in Sicht sind. sein, daß sich die realen Zahlen besser darstellen als die zuvor geplanten. Das ist doch besser als umge- Liebe Kolleginnen und Kollegen, auch von der Ko- kehrt. Wir sollten deshalb dafür dankbar sein, daß die alition, ich kann in diesem Zusammenhang nur jetzt Bundesregierung eine sehr strenge Ausgabendiszi- schon, also rechtzeitig, davor warnen, aus momenta- plin gefahren hat, um damit auch manches wieder nen Silberstreifen gleich goldene Kälber zu formen. einzusammeln, was man vorher vielleicht meinte aus- Ich muß deshalb auch unsere grundsätzliche Zustim- geben zu müssen. Mit 2,4 % ist die Ausgabensteige- mung zu den maßvollen Steuererhöhungsplänen der rung im Jahre 1988 also trotz Nachtragshaushalt äu- Bundesregierung geben. Denn dabei handelt es sich ßerst maßvoll. um Einnahmen, damit man längerfristige Aufgaben und Ausgaben tätigen kann, die auch bei größter Blicken wir auf die ersten fünf Jahre unserer Regie- Sparsamkeit nicht anders gedeckt werden können, rungszeit zurück: Wir gingen im Jahresdurchschnitt die aber notwendig und sinnvoll sind. nicht über 2 % Zuwachs hinaus. Das muß uns erst ein- mal einer nachmachen. Das war auch ein deutliches Niemand wird behaupten, daß z. B. ein etwas höhe- Signal dafür, daß der Staat nicht mehr der Moloch sein rer Benzinpreis die Konjunktur abwürgt. Wenn man wollte, der er unter der SPD-geführten Regierung bei 1,50 DM noch fahren konnte und wollte, dann noch war. Niemals in der Finanzgeschichte der Bun- wird man bei 1,10 DM — wie der Benzinpreis nach desrepublik ist auch nur annäherend so lange so spar- der Mineralölsteuererhöhung vielleicht sein wird — sam gewirtschaftet worden, und dagegen spricht auch ebenfalls fahren. Ganz im Gegenteil: Wenn man die nicht der Anstieg der Schulden. zusätzlichen Einkommen sieht, dürfte 1,10 DM weit weniger belasten als früher 1,50 DM. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) (Dr. Friedmann [CDU/CSU]: Die SPD will Meine Damen und Herren, wenn jetzt für 1989 eine den Preis verdoppeln!) Steigerungsrate von 4,6 % vorgesehen ist, dann weiß jeder warum und vor allen Dingen auch, daß dies ein- — Danke, Kollege Friedmann; das habe ich ja vorhin malig ist. Denn in der Finanzplanung der kommenden schon erwähnt. — Sie machen ja mit ihrer Energiever- Jahre sind wiederum nur zwischen jeweils 2 und 2,5 % brauchsteuer etwa viel Schlimmeres. Mehrausgaben vorgesehen. Die Staatsquote, die von (Zuruf von der CDU/CSU: Das ist bei denen rund 40 % anfangs der siebziger Jahre auf tast 50 % eine soziale Wohltat!) Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 89. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 6. September 1988 6099

Dr. Rose Auf jeden Fall tragen diese notwendigen, aber sehr Rückführung der Neuverschuldung und vor allen Din- maßvollen indirekten Steuern auch zu einer Gleichge- gen zur Tilgung der Altschulden verwendet wer- wichtung von direkten und indirekten Steuern bei, so den. daß man auch hier sagen muß: Finanzpolitisch gese- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) hen ist diese Maßnahme ausgewogen. Dann geht auch die Zinsbelastung zurück, die sonst Betrachtet man, meine Damen und Herren, nicht ab 1991 zu einem größeren Betrag führen würde, als bloß den Bundeshaushalt 1989, sondern auch den sie nach dem Investitionsvolumen sein dürfte. Meine neuen Finanzplan, so wird der Zwang zum Sparen Damen und Herren, das darf nicht eintreten. Der noch deutlicher. Insofern kann ich der Opposition nur Haushaltsausschuß hat deshalb erneut ein gewaltiges dankbar sein, daß sie heute auch diese Risiken, viel- Stück Arbeit vor sich. leicht sogar auch so versteckte Sparkassen und man- chen vielleicht so zu bezeichnenden Schattenhaushalt Vielleicht darf ich zum Schluß noch einige Sätze zur angeführt hat. Denn man muß wirklich Begehrlichkei- Stimmung im Lande sagen. Die „Frankfurter Rund- ten schon am Anfang bremsen, und der Zwang zum schau" , die ja nicht unbedingt sehr regierungsfreund- Sparen wird immer deutlicher. lich oder gar CSU-freundlich ist, schreibt heute, daß bei den Koalitionären, also bei der CDU, CSU und (Frau Traupe [SPD]: Das ist richtig, Herr Kol FDP, die Stimmung sehr viel schlechter sei als die lege! Wir messen Sie 1990 an Ihren Wor Lage und umgekehrt bei der SPD und den GRÜNEN ten!) die Stimmung sehr viel besser als gerechtfertigt. Verschiedene neue Schwerpunkte sollten trotzdem (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU — neue Akzente setzen. Um diese aber zu finanzieren, Lachen bei der SPD und den GRÜNEN) muß andernorts abgespeckt werden. Das Blatt meint weiter, das Stimmungshoch kam wohl Ich möchte einige vernünftige Zweckbestimmun- zwei Jahre zu früh. Es kam sogar nur ein paar Tage zu gen aus meiner Sicht, auch aus der Sicht des dritten früh, denn der Parteitag selber hat nach den Umfra- Koalitionspartners nennen. Wir glauben, daß der Aus- geergebnissen dieses Stimmungshoch deutlich umge- bau beim Hochschulwesen durchaus noch zusätzliche kehrt. Aber darauf kann man sich sowieso nie verlas- Ausgaben verträgt. Der Hochschulbau ist für uns eine sen. Ich möchte Ihnen deshalb durchaus Mut machen: wichtige Aufgabe. Wenn Sie so weitermachen, wird sich dieses Stim- (Beifall des Abg. Gattermann [FDP]) mungshoch bei Ihnen noch halten. Meine Damen und Herren, wir glauben auch, daß für (Esters [SPD]: Das ist reizend von Ihnen!) überbetriebliche berufliche Ausbildung sowie- für die Die Stimmungsergebnisse, d. h. die Stimmergebnisse Grundlagenforschung oder für die Umweltvorsorge des Jahres 1990 werden dann mit Sicherheit anders Schwerpunkte gesetzt werden sollten. Genauso wich- sein. tig erscheinen mir die modernen Schlüsseltechnolo- gien, die Weltraumprojekte, aber auch die äußere Si- (Beifall bei der CDU/CSU) cherheit zu sein. Genau so ist aber die Lage. Für die Koalition besteht die Aufforderung, wirtschaftspolitischen Optimismus Man kann zwar viel vom ewigen Frieden reden zu zeigen. Für die Opposition aber ist der Rat ange- — darüber gab es schon im 18. Jahrhundert philoso- bracht, die Zeichen der modernen Zeit zu erkennen. phische Abhandlungen — , man kann auch heute viel von Abrüstung reden, aber zum Nulltarif bekommt (Esters [SPD]: Ja!) man diesen ewigen Frieden garantiert nicht. Das be- — Will die Bundesrepublik, lieber Kollege Esters, liebte Spiel, das auch wir im Haushaltsausschuß gerne auch im Europa der 90er Jahre bestehen, dann gemacht haben, bei den Streichorgien zunächst ein- braucht sie mehr wirtschaftlichen Spielraum und we- mal den Verteidigungshaushalt zu betrachten, scheint niger Gängelung, dann braucht sie mehr steuerliche mir in diesem Jahr zumindest überprüfungsnötig zu Unternehmensentlastung und weniger Umvertei- sein, auch unter dem Aspekt, nicht im investiven Teil lung, zu kürzen, sondern höchstens, wenn überhaupt, im konsumtiven. Das gilt im übrigen auch beim Fernstra- (Dr. Bötsch [CDU/CSU]: Intelligenz statt ßenbau und bei verschieden anderen Maßnahmen, Quoten!) die ich gerade aus bayerischer Sicht betone. dann braucht sie mehr Arbeitsflexibilität und weniger Wenn ich, meine Damen und Herren, schon jetzt Erstarrung. Lafontaine als Grenzland-Ministerpräsi- eine Bewertung des Haushalts 1989 vornehmen darf: dent spürt offenbar eher — allerdings glaube ich, daß Mich versöhnt der strikte Sparkurs, der trotz der ein- Herr Apel, das auch schon wußte; aber deshalb ist er maligen Steigerung um 4,6 % festzustellen ist. Der in die Wüste geschickt worden — , was die Stunde Aufwuchs ist — ich sage es nochmals — bekanntlich geschlagen hat. Auch andere Sozialisten spüren es. wegen der Unterstützung strukturschwacher Bundes- Ich selber wohne an der Grenze zu Österreich. Das länder entstanden, hat also nichts mit staatlicher Ver- berühmte Beispiel, daß die Spitzensteuer von den So- schwendungssucht und schon gar nichts mit Ver- zialisten Österreichs rechtzeitig abgesenkt wurde, schwendungslust bei der Bundesregierung oder beim ließe sich fortsetzen: Die sozialistische Bundesregie- Bundeshaushalt zu tun. Etwaige Mehreinnahmen, rung in Österreich führt inzwischen Arbeitszeitflexibi- wie sie in der letzten Zeit durch die Öffentlichkeit lität ein, möchte Dienstleistungsstunden am Abend gegeistert sind — durch Bundesbankgewinn oder hö- einführen, die Wochenendarbeitszeit überprüfen und here Steuern oder was sonst immer — , müssen zur vieles andere mehr. Das sind genau jene Forderun- 6100 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 89. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 6. September 1988

Dr. Rose gen, die Lafontaine gestellt hat und die an eine mo- Also will ich einmal mutig sein und fordern: Das will derne Wirtschaft zu stellen sind. ich für Frauen auch. Ich kann deshalb nur hoffen, daß die Opposition (Beifall bei den GRÜNEN und der Abg. Frau ihre historische, aber auch ihre europäische Verant- Matthäus-Maier [SPD]) wortung erkennt und deshalb nicht bloß den Bundes- haushalt kritisch begleitet, sondern auch wirtschafts- Personen, die wegen Kinderbetreuung oder Kran- politisch auf einen vernünftigen Kurs einschwenkt. kenpflege befristet aus dem Berufsleben ausscheiden, sollen das Recht haben, den Arbeitsmarkt mit minde- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — stens der gleichen Qualifikation wieder zu betreten, Esters [SPD]: Worauf du dich verlassen mit der sie ihn verlassen haben. Wohlgemerkt: Perso- kannst!) nen, nicht Frauen; denn ich will ja die Männer nicht daran hindern, in Zukunft unverdrossen in Kinder- Vizepräsident Cronenberg: Das Wort hat die Abge- erziehung und Krankenpflege einzusteigen. Nichts ordnete Frau Rust. liegt mir ferner. (Beifall bei den GRÜNEN) Frau Rust (GRÜNE): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kollegen und Kolleginnen! 52 % der Be- Realisiert werden könnte ein solches Recht etwa fol- völkerung sind in den letzten Jahren und Jahrzehnten gendermaßen: Drei Jahre lang Wiedereinstellungsga- mehr und mehr dazu übergegangen, offensiv eine rantien, bei mehreren zu betreuenden Personen sechs drastische Verbesserung ihres Lebens einzufordern. Jahre, bei längerer Unterbrechung der Berufstätigkeit Diese 52 % unterscheiden sich vom Rest durch ihr Recht auf Finanzierung einer Berufsausbildung oder Geschlecht: sie sind Frauen. Es ist also an der Zeit, die eines Studiums z. B. über BAföG-Höchstsatz. Kosten- Finanz- und Haushaltspolitik dieser Regierung end- punkt: ca. 1 Milliarde DM. Traumtänzerei? Bei Zeit- soldaten doch offenbar nicht, warum also bei lich auch am Anspruch der weiblichen Bevölke- Frauen? rungsmehrheit zu messen. Denn: Immer noch ist die übergroße Mehrheit aller Sozialhilfeempfänger Doch nun zum ernüchternden Blick auf die Politik Frauen, immer noch liegen Frauenrenten viel zu oft dieser Bundesregierung. Frau Süssmuth kündigt ein unter Sozialhilfeniveau, immer noch sind Frauen in Modellprojekt für Berufsrückkehrerinnen an, Volu- Ausbildung und Beruf benachteiligt. Also ein lohnen- men 30 Millionen DM. Die Beratung der rückkehrwil- des Betätigungsfeld für eine tatkräftige Regierung: ligen Frauen ist mit 6 Millionen DM in ihrem Haus- Einschneidende Maßnahmen sind angesagt, viel Geld haltsplan abgesichert. Darüber hinaus kündigt sie ist für eine wirklich schwungvolle Frauenpolitik erf or- Lohnkostenzuschüsse bei Wiedereintritt ins Berufsle- ben über eine Änderung des Arbeitsförderungsgeset- derlich. - (Beifall bei den GRÜNEN) zes an. Bezahlt werden diese Zuschüsse dann von der Bundesanstalt für Arbeit. Gleichzeitig überrascht uns Nehmen wir uns als Beispiel das Problem der beruf- aber Herr Blüm mit der Ankündigung, die Leistungen lichen Wiedereingliederung vor. Derzeit kehren rund genau derselben Bundesanstalt für Arbeit um ca. 320 000 Frauen nach Kindererziehungs- oder Pflege- 1,8 Milliarden DM einzuschränken. Damit fallen also phasen auf den Arbeitsmarkt zurück. Ca. 2 Millionen auch diese Mittel zur beruflichen Wiedereingliede- planen ihre Rückkehr in den kommenden fünf Jahren. rung einer drastischen Kürzung anheim. Unter dem Die meisten dieser Frauen haben während ihrer Be- Strich bleibt für Frau Süssmuths Reform also weniger rufspause einen spürbaren Qualifikationsverlust erlit- als vorher. Eine wahrhaft überzeugende Regierungs- ten; nach längerer Unterbrechung ist ihre Berufsaus- politik! bildung sogar keinen Pfifferling mehr wert. Ergebnis: Sie sind nur weit unter Qualifikation oder überhaupt Wem sollen wir nun glauben, Frau Süssmuth, die nicht vermittelbar. Hier wären also massive Qualifika- ihren guten Willen bekundet, oder Herrn Blüm, der tionsmaßnahmen angesagt. Doch einer solchen For- guten Willen und Optimismus herauskehrt, bei derung ergeht es wie vielen anderen. Es erschallt von gleichzeitiger Radikalamputation der erforderlichen allen Seiten sofort der Ruf: „Nicht finanzierbar. " Mittel? Oder scheitert die Frauenpolitik am Finanzmi- Warum eigentlich? nister, und was sagt eigentlich der Kanzler dazu? (Frau Garbe [GRÜNE]: Weil sie nicht hinhö (Kleinert [Marburg] [GRÜNE]: Der ist gar ren! Die kennen das Problem nicht!) nicht da!) Gibt es nicht eine männliche Vergleichsgruppe, bei Es wird klar, für Sonntagsreden beliebiger Couleur der dergleichen sehr wohl finanzierbar ist? Es gibt sie, bleibt den einzelnen Regierungsmitgliedern beachtli- nämlich Soldaten, und zwar die, die sich als Zeitsol- cher Spielraum, für Frauenpolitik allerdings bleibt Fi- daten bei der Bundeswehr verpflichten. Nach Unter- nanzvolumen eine Marginalie. brechung ihres Berufslebens zwischen 2 und 12 Jah- ren wird ihnen selbstverständlich nicht zugemutet, Nun sollte „frau" annehmen, daß zumindest für Re- mit leeren Händen und Qualifikationsverlust auf den formen, die überhaupt kein Geld kosten, ein gewisser Arbeitsmarkt zurückzukehren. Sie werden mit Abfin- Spielraum vorhanden ist. Doch weit gefehlt! Unser dungen verabschiedet, machen Vorbereitungskurse, kostenneutrales Quotierungsgesetz und die mehr als werden umgeschult und machen Ausbildungen bis 30 frauenpolitischen Anträge, die wir zum letzten hin zur Finanzierung eines Hochschulstudiums; auf Haushaltsjahr einbrachten, wurden mit großer Mehr- Kosten der Steuerzahler, versteht sich. An Klagelieder heit abgelehnt. Ein einziger Antrag kam durch. angesichts der Kosten dieser Wiedereingliederungs- Es wurde im Haushaltsausschuß beschlossen, in die hilfe kann ich mich nicht erinnern. Stellenpläne des Bundes auch die weibliche Amtsbe- Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 89. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 6. September 1988 6101

Frau Rust zeichnung aufzunehmen: Statt „Bezüge des Bundes- sche Schikanen auf die lange Bank geschoben wer- ministers" sollte es ab 1989 heißen: „Bezüge des Bun- den. Ich fordere die Regierung auf: Unterlassen Sie ab desministers/der Bundesministerin". Doch selbst sofort Ihre Bremsversuche! Weibliche Amtsbezeich- diese absolut kostenneutrale Änderung droht am Ein- nungen gehören in die Stellenpläne aufgenommen, spruch der Regierung zu scheitern. und zwar sofort und ohne weiteres Lamento. (Dr. Bötsch [CDU/CSU]: Hauptsache, sie (Beifall bei den GRÜNEN und der Abg. Frau kriegen das gleiche Geld!) Matthäus-Maier [SPD]) Mit Schreiben vom 30. Juni 1988 läßt der Finanzmini- Ich fordere einen Haushalt für Frauen, der die Le- ster dem Ausschuß mitteilen, der Beschluß werde we- bensrealität für Frauen verbessert, der Taten statt lee- gen mannigfaltiger Schwierigkeiten nicht umgesetzt. rer Versprechungen bietet. Ich fordere Erhöhung der Die Benennung eines weiblichen Ministers mit der Sozialhilfe um 30 %, Einführung einer Mindestrente schlichten Formulierung „Ministerin" sei nämlich gar von 1 200 DM monatlich, Gewährleistung der Rück- nicht so einfach, wie unbedarfte Parlamentarierinnen kehr von Frauen ins Berufsleben, spürbare Verbesse- in ihrem naiven Gemüt annehmen. Zum Beispiel lasse rungen für Alleinerziehende, Gleichberechtigung der sich noch nicht absehen — Zitat — , „wie sich die mit Frauen in Ausbildung und Beruf, Quotierung der Er- Schrägstrichen versehenen männlichen und weibli- werbsarbeitsplätze. chen Amtsbezeichnungen auf die Fassung anderer All das bietet dieser Haushalt nicht, all das will diese Vorschriften auswirken und deren äußere Gestaltung Regierung auch gar nicht. Wohin der Weg mit dieser präjudizieren würden". Regierung geht, zeigt das Wachstum des Frauenan- teils an den Beschäftigten der obersten Bundesbehör- (Heiterkeit bei den GRÜNEN) den, auf das so gern und stolz verwiesen wird. Ich Eine wirklich heimtückische Gefahr, auf die uns die habe mal nachgerechnet, wie lange es dauern wird, Regierung hier hinweist! bis auch in den höheren Besoldungsgruppen ein Frau- enanteil von 50% erreicht sein wird. Ergebnis: Behält (Beifall der Abgeordneten Frau Matthäus die Regierung ihr atemberaubendes Tempo bei, dann Maier [SPD]) dauert es noch 473 Jahre. 500 Jahre! Dazu kann ich Man stelle sich vor, es könnte einfach so Usus wer- nur sagen: Nein, danke. Ich fordere die Quotierung den, überall per männliche/weibliche Amtsbezeich- der Erwerbsarbeitsplätze, und zwar jetzt. nung zu dokumentieren, daß auch die Besetzung von (Beifall bei den GRÜNEN) hochdotierten Posten mit Frauen in den Bereich des Denkbaren gerückt ist, oder aber weibliche Minister würden nicht mehr täglich durch ihren Briefkopf- mit Vizepräsident Cronenberg: Das Wort hat der Abge- der Amtsbezeichnung „Der Bundesminister für ... " ordnete Dr. Solms. daran erinnert, daß sie auf diesem Posten ursprünglich nicht vorgesehen waren und nur die Ausnahme sind, die ja bekanntlich die Regel bestätigt! Dr. Solms (FDP): Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist interessant, über welche Themen man (Beifall bei den GRÜNEN und der Abgeord im Rahmen der Haushaltsdebatte alles sprechen neten Frau Matthäus-Maier [SPD]) kann. Wenn man die Quotierung der Arbeitsplätze Es wäre gar nicht auszudenken, die betreffenden Da- vornimmt, so gibt es einen Bereich, wo es überhaupt men würden nachgerade übermütig. Frau Wilms keine Vorbestimmung gibt, nämlich den Bereich der würde über die Stränge schlagen, von Frau Süssmuth Selbständigen. Wenn sich also die Frauen besonders wollen wir gar nicht reden. betätigen wollen, gibt es keinerlei Hinderungsgrund, sich als Selbständige zu betätigen. Ganz abgesehen von diesen Problemen gilt es laut (Frau Vennegerts [GRÜNE]: Keine Ahnung Regierung auch noch Formalien zu beachten, denn hat der Junge!) der Rechtsausschuß meldet „Beteiligungsrechte" an und ist darüber hinaus auch noch „federführend", Aber ich kann Ihnen sagen: Die SPD ist in Ihrem zwei weitere Ausschüsse sind in die höchst kompli- Sinne auf gutem Wege; denn die SPD-Bundestags- zierten Beratungen einzubeziehen, und auch „aus fraktion wird jetzt nur noch, nämlich zu 100 %, von den Reihen der Länder" wird auf die nötige Abspra- Frauen vertreten. Insgesamt zwei sind anwesend. che vor „grundlegenden Änderungen" hingewiesen. (Heiterkeit und Beifall bei der FDP und der Frage an die Bundesregierung: Können wir noch vor CDU/CSU) der Jahrtausendwende mit ersten Zwischenergebnis- Das zeigt, daß die Quotenregelung anscheinend noch sen rechnen, ernster genommen wird, als sie seinerzeit eigentlich (Beifall bei den GRÜNEN) gedacht war. oder sollen wir jetzt schon unseren Töchtern den Rat (Erneute Heiterkeit — Frau Traupe [SPD]: geben, sich mit ganz viel Geduld zu wappnen? Hinter Ihnen steht ein männliches Mitglied unserer Fraktion!) (Frau Matthäus-Maier [SPD]: Aber die könn Meine Damen und Herren, der Pep ist aus dieser ten doch auch so ihr Briefpapier ändern!) Haushaltsdebatte ja etwas heraus. Das zeigt ja auch Weitere Frage: Wie lange soll der weibliche Teil der diese schwache Beteiligung. Im Grunde genommen Bevölkerung diese Erbsenzählerei eigentlich noch müssen die Koalitionsfraktionen auch noch die Auf- ernst nehmen? Es geht um die Durchsetzung von gabe der Opposition übernehmen. Die Opposition Selbstverständlichkeiten, die hier durch bürokrati versagt ihren Dienst. Sie hat uns im Stich gelassen. 6102 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 89. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 6. September 1988

Dr. Solms Die entscheidenden Oppositionsvertreter in der Fi- Die FDP ist deshalb auch dafür — das will ich ganz nanzpolitik haben sich ja abgemeldet oder sind dazu offen erklären — , daß die Verbrauchsteuern wie ge- gezwungen worden, sich abzumelden. plant angehoben bzw. eingeführt werden, wenn uns auch die Einführung einer neuen Steuer, nämlich der (Frau Traupe [SPD]: O Gott!) Erdgassteuer, schwergefallen ist. Aber wir stehen in Nun müssen wir die Sache von beiden Seiten über- der Gesamtverantwortung. Wir haben bereits bei den nehmen. Das ist natürlich hinderlich, weil wir auch Koalitionsverhandlungen im Frühjahr letzten Jahres eine Herausforderung brauchen. Wenn wir von der darauf hingewiesen, daß wir zur Finanzierung der Opposition nicht herausgefordert werden, könnte es europäischen Kosten, die neu auf uns zukommen, die ja sein, daß wir in unseren eigenen Anstrengungen Verbrauchsteuern heranziehen müssen. Wie Sie wis- nachlassen. Das würde natürlich zu einer schlechten sen, steigen die Kosten aus Europa bis zum Jahre 1992 Politik führen. stufenweise auf ein Volumen von über 9 Milliarden DM im Jahr an. Das ist aus dem Haushalt zusätzlich Ich will diese Oppositionsaufgabe aber auch des- zur Steuerreform nicht finanzierbar. Dazu müssen halb nicht übernehmen, weil ich meine, daß der Haus- diese Verbrauchsteuern angehoben werden. Das halt, der vorgelegt worden ist, vernünftig ist und daß müssen wir dem Bürger ganz offen sagen, und das tun wir ihm zustimmen können. Wir sollten, und zwar alle wir hiermit. Ich glaube, es ist dem Bürger lieber, es Seiten dieses Hauses, die Anstrengungen insbeson- wird ihm klar und deutlich gesagt, was er zu leisten dere zur Sanierung des Haushalts, zur gesünderen hat, was wir leisten und war wir ihm durch den Abbau Gestaltung des Haushalts in der Zukunft voll unter- der Steuern wieder zur Verfügung stellen, als wenn stützen. wir versuchen würden, alles zu verbergen, zu ver- Wir können ja bei der Sanierung der Staatsfinanzen, schleiern, und im Endeffekt der Bürger sehen müßte, dem Abbau der öffentlichen Neuverschuldung, der daß er es über die schlecht finanzierten Haushalte Rückführung des Staatsanteils und der Senkung der wieder neu finanzieren müßte. Abgabenlast bis 1987 auf eindrucksvolle Erfolge ver- (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) weisen. Die Staatsquote, der Anteil der Staatsausga- ben an der gesamtwirtschaftlichen Leistung, ist von Meine Damen und Herren, wir haben darüber hin- 1982 bis 1987 von 50% auf 46,8 % gesunken. Gemes- aus unausweichliche Ausgaben zu finanzieren, bei- sen am Bruttosozialprodukt konnte der Umfang der spielsweise das Programm für die strukturschwachen öffentlichen Defizite von 4,9 % im Jahr 1981 auf 2,5 % Räume in der Bundesrepublik, beispielsweise zusätz- im Jahr 1987 abgebaut werden. liche Lasten zur Eingliederung der Aussiedler — eine Aufgabe, der wir uns nicht verschließen können —, Der Ausgabenzuwachs betrug in den Jahren- 1983 beispielsweise den höheren Bundeszuschuß zur ge- bis 1987 im Jahresdurchschnitt weniger als 2 %. Ins- setzlichen Rentenversicherung oder auch die Pro- besondere durch die Steuersenkungen 1986 bis 1988 gramme zur Flächenstillegung bzw. zur Produktions- ist es gelungen, die Steuer- und Abgabenquote deut- aufgaberente für die Landwirtschaft, die sich in einem lich zu senken. Das hat ja den entscheidenden Beitrag äußerst schwierigen Strukturanpassungsprozeß be dazu geleistet, daß wir so gesunde Wirtschaftszahlen findet. erkennen und vorweisen können, wie sie der Bundes- Aber darüber hinaus gibt es keinen Anlaß, jetzt finanzminister heute morgen ganz aktuell vorgetra- über neue Leistungsgesetze nachzudenken. gen hat. (Beifall bei bei der FDP) (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Nach Meinung der FDP muß eines ganz klar sein: Das ist ein Ergebnis dieser Politik. Deshalb müssen Wenn es zusätzliche Einnahmen gibt, wenn die Steu- wir diese Politik fortsetzen; denn das ist eine Politik erquellen noch besser fließen, als man es im Moment für den Bürger und eine Politik gegen Bürokratie und sieht, oder wenn es einmalig einen höheren Bundes- gegen Umverteilung. bankgewinn geben sollte — das weiß heute kein Mensch —, dann müssen diese zusätzlichen finanziel- Wir dürfen natürlich nicht dem Glauben verfallen, len Mittel genutzt werden, um die Neuverschuldung daß wir, wenn sich bessere Einnahmen abzeichnen des Staates zu reduzieren bzw. um die Staatsschulden — wo auch immer — , sofort neue Ansprüche wecken abzubauen. Davon sind wir allerdings noch weit ent- könnten. Wir, die Politiker auf allen Seiten dieses fernt, Hauses, haben viele Jahre lang immer wieder Ansprü- che in der Bevölkerung geweckt, die wir langfristig (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) nicht erfüllen können. Das ist ganz klar; darauf muß sich alles richten. Denn (Zuruf von der CDU/CSU: Leider!) zur Zeit der Koalitionsverhandlungen war die Grund- lage der Verhandlungen die Finanzplanung 1986. Deswegen ist diese Art der Verführung des Bürgers, Noch 1986 sind wir von einer Neuverschuldung für um Wahlstimmen zu bekommen, ein falscher politi- 1989 und 1990 von jeweils etwa 25 Milliarden DM scher Ansatz. ausgegangen. Wenn wir also heute für das nächste (Schulhoff [CDU/CSU]: Sehr richtig!) Jahr eine Neuverschuldung von 32 Milliarden DM planen, so sind wir noch weit von dem Betrag entfernt, Wir müssen darauf hinweisen, daß wir uns nur das der damals Verhandlungsgrundlage für den Koali- leisten können, was vorher die Bürger verdient haben; tionsvertrag war. Im Koalitionsvertrag steht, daß wir denn von deren Steuergeldern müssen wir ja die staat- abgesprochen hätten, nach zwei Jahren dieser Legis- lichen Ausgaben finanzieren. laturperiode sollte über neue Leistungsgesetze disku- Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 89. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 6. September 1988 6103

Dr. Solms tiert werden und man sollte sehen, ob da ein Bewe- methode einen bestimmten Prozentsatz bei allen ab- gungsspielraum vorhanden sei. Dazu muß man wis- zubauen, sen, daß ein Bewegungsspielraum theoretisch nur (Zuruf von der FDP: Das kommt noch!) dann vorhanden ist, wenn die Neuverschuldung im nächsten Jahr unter 25 Milliarden DM sinken würde dann muß man sich darauf konzentrieren, in den Fel- — nicht unter 32 Milliarden DM, sondern unter dern, auf denen Abbaumöglichkeiten, Einsparmög- 25 Milliarden DM! lichkeiten bestehen, auch die — wenn auch unpopu- lären — Maßnahmen zu treffen. Ich glaube, damit (Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten müssen wir uns noch in dieser Legislaturperiode be- der CDU/CSU) fassen. Nur das wäre die Basis für solche zusätzlichen Lei- Zu den Forderungen der FDP zur Gesundung des stungsgesetze. Investitionsstandorts Bundesrepublik Deutschland Dies alles ist wichtig vor dem Hintergrund der ein- oder, sagen wir besser: zur Wettbewerbsfähigkeit, ge- drucksvollen Zahl einer Gesamtverschuldung aller öf- hört beispielsweise eine Begrenzung der Lohnneben- fentlichen Kassen, auch der Sondervermögen, von kosten. Wir haben ja bereits bei den Beiträgen zur 1 000 Milliarden DM; denn das führt dazu, daß die Arbeitslosenversicherung den einfachen Weg vermie- öffentlichen Haushalte im Jahr nahezu 70 Milliarden den, die Beiträge anzuheben. Das ist eine wichtige DM an Zinsen zahlen müssen. Das ist eine sehr ein- Entscheidung gewesen. Dazu gehört die Absenkung drucksvolle Zahl. Das zeigt, daß der Weg in dieser der Steuer- und Abgabenlast der Unternehmen. Eine Weise nicht weiter beschritten werden darf, sondern Reform der Unternehmensbesteuerung in der näch- daß dieses Ausreißerjahr 1988 ein einmaliger Sonder- sten Legislaturperiode ist aus der Sicht der FDP ein fall im Rahmen der Politik dieser Koalition sein muß zentrales Anliegen für die Finanz- und Wirtschafts- und daß wir wieder an die langfristige Entwicklung politik. Ich nenne weiter die Flexibilisierung der Ar- von 1983 bis 1987 anknüpfen müssen, die nämlich beitszeiten, die Einschränkung der Bürokratie, Fort- dazu beigetragen hat, daß die wirtschaftliche Erho- schritte bei der Privatisierung. Dazu gehören kapital- lung und die Erholung der verfügbaren Einnahmen marktpolitische Anliegen wie beispielsweise die Be- der Bürger so deutlich spürbar wurden. seitigung der Börsenumsatzsteuer und der Gesell- schaftsteuer. Dazu gehört eine Reform des Aktien- Meine Damen und Herren, wenn es um die Zu- rechts. Noch in dieser Legislaturperiode werden die kunftsaufgaben geht und wenn es um die Frage geht: gesetzlichen Voraussetzungen geschaffen, um einen Was müssen wir für die letzten zehn Jahre dieses Jahr- Termin- und Optionsmarkt auch in der Bundesrepu- tausends wirklich finanzieren?, dann müssen wir uns blik zu erlauben. Wir wollen aber auch eine Gesamt- überlegen, wie wir den Strukturwandel in- der Bun- reform des Börsenrechts durchführen. Dazu gehört desrepublik deutlich unterstützen und begleiten kön- auch die Reform des Kapitalanlagegesellschaftenge- nen, damit unsere Kinder auch noch in der Zeit, wo sie setzes, also eine Reform der Investmentfonds. im Arbeitsleben sind, dauerhafte, sichere und qualita- Oskar Lafontaine hat — das ist mein Eindruck — tiv hochwertige Arbeitsplätze erwarten können. wohl erkannt, daß die Wirtschafts- und Finanzpolitik (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) der Zukunft so aussehen muß, wie ich es mit wenigen einzelnen Stichworten angesprochen habe. Die SPD Wir können das Geld nicht heute ausgeben ohne als Ganzes kämpft noch mit der Vergangenheit. Das Rücksicht darauf, was dann in zehn Jahren sein wird. ist mein Eindruck vom Parteitag in Münster. Sie kann Sie sehen ja die Entwicklung in den anderen industri- sich bis jetzt nicht aus der Umklammerung der Ge- ellen Ländern: Der Wettbewerb zwischen den Natio- werkschaften lösen, die aber nicht das Interesse der nen um die Investitionsbedingungen in den Ländern Bevölkerung, sondern allein eigene Organisationsin- wird immer stärker. In vielen anderen Ländern wer- teressen im Sinne haben. Es kann nicht Aufgabe einer den die Steuern gesenkt, sind die Arbeitsbedingun- Volkspartei sein, sich hinter die Ziele einer Interes- gen flexibler und ist man anpassungsfähiger gewor- senorganisation zu stellen, die nicht die Interessen der den. Diesem Wettbewerb müssen wir uns stellen. Das Gesamtbevölkerung vertritt. Ich bedauere, daß diese ist die eigentliche Aufgabe für die nächste Legislatur- Entwicklung so ist. Mir wäre es lieber, die SPD würde periode. Sie liegt nämlich darin, die Bundesrepublik sich diesen Zukunftsgedanken öffnen, aber wir müs- als Investitionsstandort genauso wie als Finanzplatz sen mit der SPD leben, wie sie sich uns bietet. zu stärken; denn nur ein gesunder Finanzplatz, der leistungsfähig ist und eine billige Finanzierung für die Wir müssen unsere finanziellen Reserven für die mittelständische Wirtschaft ermöglicht, kann auch Lösung der Zukunftsaufgaben aufbauen und einset- von dieser Seite her die Voraussetzung bieten, daß wir zen. Es gibt keine Alternative zu einer äußerst sparsa- auf Dauer wettbewerbsfähig sind. men Haushaltspolitik. Wir dürfen nicht jedesmal, wenn wir einen finanzpolitischen Silberstreif sehen, in Dazu gehört natürlich ein weiterer Abbau der Sub- den alten Fehler der Umverteilungspolitik zurückver- ventionen, und zwar nicht nur im Bereich der steuer- fallen. lichen Subventionen, wo wir ja einen einmaligen Fort- (Glos [CDU/CSU]: Sehr richtig!) schritt erzielt haben, sondern auch im Bereich der direkten Finanzhilfen. Ich möchte den Bundesfinanz- Sparen um des Sparens willen ist kein Konzept. Wir minister daran erinnern, daß ursprünglich einmal aus- wissen jedoch, wofür wir sparen wollen. Es lohnt sich, gemacht worden ist, daß dazu auch ein Vorschlag die Mittel zur Finanzierung der von mir genannten gemacht wird. Ich meine, wenn man sich schon nicht I Maßnahmen einzusetzen und anzusparen. Ich würde auf den Vorschlag einigen kann, mit der Rasenmäher das nicht sagen, wenn ich mir davon nicht die ent- 6104 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 89. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 6. September 1988

Dr. Solms scheidende und deutliche Verbesserung der Beschäf- steuer zu vermindern. Wir haben eine Möglichkeit tigungsmöglichkeiten in der Bundesrepublik verspre- herausgesucht, wir haben eine Möglichkeit angepeilt chen würde. und sie auch durchgeführt: die Tarifsenkung bei Vielen Dank. gleichzeitiger Verbreiterung der Bemessungsgrund- lage. Auch Sie streben ja eine solche Tarifreform an, (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) obwohl Sie sich mit der Absenkung der Spitzensteuer- sätze ein wenig schwertun. Vizepräsident Cronenberg: Das Wort hat die Abge- ordnete Frau Will-Feld. Ich bin zutiefst davon überzeugt, daß Ihre Bruder- parteien in anderen Ländern

Frau Will-Feld (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine (Schulhoff [CDU/CSU]: Schwesterparteien!) sehr verehrten Damen und Herren! ich freue mich, daß nun etwas mehr Mitglieder der SPD-Fraktion an anders handeln würden, und wenn Sie regieren wür- der Debatte teilnehmen; denn ich hatte mir doch eine den, dann müßten Sie eine ganz andere Einstellung so schöne Rede gegen Sie vorbereitet. dazu haben. Das jüngste Beispiel — der Kollege Rose hat es erwähnt — ist Österreich. Ich sage Ihnen: Inter- Aber zuerst zu Herrn Dr. Solms. Ich bin mit Ihnen nationale Unterschiede bei den Spitzensteuersätzen völlig einig, wenn Sie sagen: Der Steuerkuchen kann spielen nun einmal eine bedeutende Rolle bei den nur einmal verteilt werden. Ich bin mit Ihnen auch Veränderungen der internationalen Kapitalströme einig, daß wir eine umfassende Steuerreform, die die und bei den Wettbewerbschancen. Man mag dies be- Reform der Unternehmensbesteuerung einschließt, dauern, aber es ist nicht zu ändern. Der Wettbewerb benötigen, allerdings immer in kleineren Schritten, um niedrige Steuern ist weltweit in Gang gekommen. weil wir nämlich, Herr Wieczorek, nicht bereits im Auch Sie als Opposition halten dies nicht auf. Deswe- Jahre 1975 anläßlich der großen Steuerreform damit gen werden Sie auch eine Änderung des begonnen haben. Hätten wir damals damit begonnen, Spitzen- steuersatzes überhaupt nicht vornehmen. Sie werden Herr Kollege, wären wir heute mit einer umfassenden froh sein, daß wir dies getan haben. Steuerreform längst viel weiter. Jetzt aber, bei den wirtschaftlichen Herausforderungen der 80er Jahre (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) und der angespannten Haushaltslage von Bund, Ländern und Kommunen, sind wir gezwungen, eine Aber ganz gleichgültig, welchem Konzept man nun solche Steuerreform in kleineren Schritten vorzuneh- folgt: In allen Fällen führt — das ist eine simple men. Schlußfolgerung — eine Steuerreform zu Ausfällen Die Reform der Unternehmensbesteuerung- ist nach des Steueraufkommens. Die Haushaltslage von Bund, den Zusagen der Regierung und der Koalitionsfraktio- Ländern und Gemeinden setzt natürlich jedem Re- nen vorrangiges steuerpolitisches Ziel der nächsten formwillen auch gewisse Grenzen. Das bestätigen im Legislaturpe riode. übrigen auch die Konzepte, die Sie vorlegen. Der (Wieczorek [Duisburg] [SPD]: Und Sie glau Haushalt kann nicht alle Ausfälle verkraften. Eine ben denen? — Zander [SPD]: Die sagen doch ausschließliche Kreditfinanzierung kann für nieman- alles zu!) den in Frage kommen. Die Erfahrungen aus den Zei- ten der SPD-Regierung — steigende Kreditnachfra- — Ich will immer wieder sagen: Für jede Regierung, gen — haben dies gezeigt. Herr Kollege, gilt, daß der Steuerkuchen immer nur einmal verteilt werden kann. Auch die Kürzung von Subventionen ist außeror- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — dentlich schwierig. Sie werfen uns dies immer wieder Beifall bei Abgeordneten der SPD) vor. Uns wird gesagt: Hätten Sie die Subventionen gekürzt, dann wäre eine neuerliche Ausweitung des Nun sage ich Ihnen im übrigen zu unserer Tarifre- öffentlichen Defizits verhindert worden. form als dem ersten großen Schritt beim Einstieg in ein umfassendes Steuerkonzept: Ich bin persönlich (Zander [SPD]: Das haben Sie doch vorher zutiefst davon überzeugt, daß Sie, die SPD, außer viel- versprochen!) leicht einigen kosmetischen Änderungen trotz aller gegenteiligen Bekundungen nichts, aber auch gar Aber ich will Ihnen doch sagen: Was heißt denn hier nichts ändern würden, wenn Sie dazu in die Lage ver- politischer Mut? Wo ist denn Ihr Aufschrei, wenn es setzt würden, denn Sie werden froh und dankbar sein, um Subventionen für Werften, Kohle und Stahl geht? daß wir diesen ersten umfassenden Schritt der Tarif- Ich wage die These, daß Sie selbst bei der Landwirt- reform gemacht haben. Davon bin ich zutiefst über- schaft überhaupt nichts machen würden, wenn es zeugt. denn soweit wäre. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Wieczorek [Duisburg] [SPD]: Flugbenzin Wenn jetzt jemand — Herr Kleinert hat das, glaube hätten wir nicht gemacht!) ich, heute nachmittag hier gefordert — eine ökologi- sche Umgestaltung des Steuerrechts will, dann geht Ich will Ihnen auch sagen, weshalb. Es sind vor allen dies, Herr Kleinert, überhaupt nicht — die Belastung Dingen drei Steuerarten, die den Bürger belasten: die der Bürger hat nämlich die Schallgrenze erreicht — Einkommen-, die Lohn- und die Körperschaftsteuer, ohne massive Herabsetzung der direkten Steuern. die Vermögensteuer sowie die Gewerbesteuer. Anders kann ich mir es überhaupt nicht vorstellen. Es gibt natürlich mehrere Möglichkeiten, die Bela- Genau dazu haben wir mit der Tarifreform, die jetzt stungen durch die Einkommensteuer und die Lohn von Ihnen so angefeindet wird, beigetragen. Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 89. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 6. September 1988 6105

Vizepräsident Cronenberg: Frau Abgeordnete, ge- resgutachten von 1985/86, worin der Sachverständi- statten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten genrat ausdrücklich betont, daß die Besteuerung Esters? wachstumsfreundlicher gestaltet würde, indem die Verbrauchsteuerbelastung erhöht und die Einkom- Esters (SPD): Frau Kollegin Will-Feld, sind Sie be- mensteuerbelastung vermindert wird. reit, zur Kenntnis zu nehmen, daß auch wir wissen, Folgendes aber macht mich ein bißchen stutzig daß eine Reihe von Subventionen über einen längeren — das sage ich jetzt an die Adresse der Opposition — Zeitraum hinweg bestehenbleiben werden, auch in Ich las dieser Tage den Be richt — allerdings in der unserer Zeit, und daß Sie es waren, die uns immer Presse — , den der Vorsitzende der SPD-Parteikom- empfohlen haben, mit der Rasenmähermethode bei mission Energie und Umwelt der Öffentlichkeit vorge- allen Subventionen 10 % wegzunehmen, daß wir das stellt hat, in dem er forderte, daß zukünftig zu den damals für dummes Zeug gehalten haben und dies bestehenden Belastungen auf Energie in Höhe von auch heute noch tun? 40 Milliarden DM zusätzliche Energiesteuern in Höhe von 40 bis 80 Milliarden DM kommen müssen. Frau Will-Feld (CDU/CSU): Ich kann nur die Einla- Dazu zitiere ich: dung wiederholen, Herr Kollege: Bitte, machen wir gemeinsam Vorschläge. Es ist unser aller Anliegen, Wir verlangen eine Besteuerung des Verbrauchs die Subventionen zu kürzen. Sie sind herzlich dazu von Mineralöl und seinen Produkten, von Erdgas eingeladen. und Strom. (Beifall bei der CDU/CSU — Walther [SPD]: Hier schimpfen Sie über unsere 8 Milliarden DM und Wer regiert, muß Vorschläge machen!) beschimpfen uns, und gleichzeitig fordern Sie dort in Jetzt lassen Sie mich aber noch ein Wort zu den diesem Be richt 40 bis 80 Milliarden DM. Verbrauchsteuern sagen. Bereits in der Koalitionsver- In einem allerdings scheint Übereinstimmung zu einbarung vom März 1987 ist angekündigt worden, bestehen. Es wird von seiten der Opposition zugestan- daß ab 1989 zum Ausgleich für steigende EG-Anfor- den, daß bei den ein derungen einzelne Verbrauchsteuern angehoben Verbrauchsteuern EG-Harmoni- besteht. Dies ist schon einmal ein Fort- werden sollen. Angesichts der Ansprüche an den Bun- sierungsbedarf schritt. Auch dies haben Sie ja bis vor einiger Zeit ein deshaushalt bleibt dem Bund keine andere Wahl, als die Möglichkeit der Verbrauchsteuererhöhung tat- wenig bestritten. Dieser Vorschlag ist in der öffentli- chen Diskussion um die Verbrauchsteuer insofern von sächlich auszuschöpfen. Insofern kann eigentlich nie- mand überrascht sein. Die massive Kritik der Opposi- Bedeutung, als Sie unsere 8 Milliarden DM in der Öffentlichkeit dauernd angegriffen haben. tion an diesem Vorhaben ist für mich nicht ganz- ver- ständlich, hat doch die damalige Bundesregierung Aber auch Ihnen ist ja wohl klar, daß eine solche — ist nicht eben einmal das Wort vom saudummen Belastung für den einzelnen Bürger fast unmöglich ist. Geschwätz von vorgestern gefallen? — im Finanzbe- Ich zitiere aus diesem Kommissionspapier: Man will richt 1980 ihre Absicht dokumentiert, auf lange Sicht eine sozial verträgliche Ausgestaltung, es sollen nach das Steuersystem so umzugestalten, daß die indirek- Meinung dieser Kommission keine neuen sozialen ten Steuern ein stärkeres Gewicht erhalten gegen- Ungerechtigkeiten entstehen. Ich weiß nicht, wie Sie über den direkten Steuern — so die damalige Bundes- das im einzelnen wollen. Wollen Sie verschiedene regierung in ihrem Finanzbericht. Auch wir sind der Abstufungen je nach Einkommen? Dazu kann ich Ih- Meinung, daß zu einer Steuerstrukturreform ein aus- nen immer nur sagen: Der Heilige Bürokratius läßt gewogenes Verhältnis der direkten zu den indirekten grüßen. Steuern gehört. (Esters [SPD]: Wie bei der Quellensteuer!) (Esters [SPD]: Und dies geht nicht national allein!) Ich zitiere weiter: Deshalb — jetzt kommt das Aben- In der Steuerwissenschaft ist es unbestritten, daß man teuerliche — wird das Aufkommen nicht dem Fiskus ein Verhältnis von 50 zu 50 herstellen sollte, 50 vom zugeführt. Es soll vielmehr an anderer Stelle zur Ent- Hundert Steuern vom Ertrag und Vermögen und lastung der Bürger beitragen. Heute morgen habe ich 50 vom Hundert Steuern vom Umsatz und Verbrauch. etwas von einer „schwarzen" Sparkasse gehört. Hier Die Bundesrepublik hat Ende der 60er Jahre auch ein- in diesem Papier aber fordern Sie — wenn ich richtig mal ein Verhältnis von 55 zu 45% gehabt. Dann aber gelesen habe —, daß dieses Aufkommen nicht dem ist der Anteil der direkten Steuern erheblich gestie- Fiskus zugeführt werden soll, sondern an einer ande- gen, nämlich auf 70 %. Jetzt liegen wir etwa bei 57 ren Stelle zur Entlastung des Bürgers beitragen soll. direkten Steuern und 43% indirekten Steuern, aller- Ich frage nur, weil ich es anscheinend noch nicht dings mit einer Tendenz zu 60 zu 40. ganz verstanden habe, was Sie eigentlich wollen. Sie Das heißt, hier ist durchaus die Möglichkeit gege- wollen nämlich als Gegenleistung für den Bürger ben, um ein ausgewogenes Verhältnis zwischen di- — so war es in den Pressemeldungen zu lesen — die rekten und indirekten Steuern zu erhalten, bei den Steuern auf Arbeit entlasten. Ich frage mich, was das Verbrauchsteuern anzusetzen. Ich bin mir darüber heißt. Wir haben im Steuerrecht sieben Einkunftsar- klar, daß eine Verbrauchsteuererhöhung außeror- ten. Bedeutet eine Senkung der Steuer auf Arbeit, daß dentlich unpopulär ist. Aber wie sehr die Meinung des der Arbeitnehmer — als Ministerpräsident, als Mana- Bürgers und die Meinung derjenigen auseinanderfal- ger — entlastet wird, daß aber der Einzelhändler oder len, die es wissen müssen, d. h. die Fach- und Sach- die Personengesellschaft mit gleich hohem Einkom- kundigen der Finanzwissenschaft, zeigt auch die Stel- men nicht daran partizipieren, weil Sie glauben, daß lungnahme des Sachverständigenrates in seinem Jah diese nicht arbeiten, weil sie keine Einkünfte aus 6106 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 89. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 6. September 1988

Frau Will-Feld nichtselbständiger Arbeit haben? Oder bedeutet das legen Rose klargemacht haben, auch für die Steuer- beispielsweise, daß der Bezieher einer Pension — in vorlagen. der Regel die Beamten, die ja Einkünfte aus nicht- (Zurufe von der SPD) selbständiger Arbeit haben — begünstigt wird, aber bei anderen, die ihre Altersversorgung anderweitig —Ja, ich unterstreiche das, weil es da ja ganz andere aufgebaut haben oder anderweitig haben aufbauen Erwartungen auf den Seiten der Opposition in den müssen, beispielsweise durch Zinsen aus Kapitalver- letzten Tagen gegeben hat. mögen, diese als arbeitsloses Einkommen bezeichnet (Zuruf des Abg. Walther [SPD]) und in Zukunft dann stärker belastet werden sollen? Dies ist also für mich noch alles sehr verschleiert und — Ja, ich sag' ja: Erwartungen bei Ihnen. sehr undurchsichtig, (Jungmann [SPD]: Lambsdorff! — Weitere (Zander [SPD] : Das merkt man auch an Ihrer Zurufe von der SPD) Darstellung!) Mit dem Beginn der Parlamentsarbeit werden die Ein- weil ich mit diesen Dingen, so wie Sie es darstellen, in sichten in der Koalition immer besser, wird das Ein- ihrer Konzeptionslosigkeit einfach nichts anzufangen vernehmen immer größer, während Sie nach Ihrem weiß. Parteitag da noch einiges aufzuarbeiten haben. Das ist (Zuruf von der SPD: Sie müssen nur richtig der Unterschied, meine Herren der Opposition. lesen!) (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) In der öffentlichen Diskussion wird im Zusammen- Sicher ist in der Ausgestaltung manches zu erörtern, hang mit der Verbrauchsteuererhöhung das Problem was den Haushalt betrifft. Und ich begrüße auch die der Steuergerechtigkeit heftig angesprochen. Auch Erklärungen der Koalitionsfraktionen, der Sprecher das wird diskutiert. Nur, Steuergerechtigkeit, meine im Haushaltsausschuß, daß im Haushaltsverfahren sehr verehrten Damen und Herren, ist ein Grundsatz die Einzeltitel einer sorgfältigen Prüfung unterworfen der direkten Steuern. Die Einkommensverwendung werden, auch unter den Gesichtspunkten eines Opti- ist die Grundlage für die Verbrauchsteuern, und das mums an sparsamer Gestaltung. Leistungsfähigkeitsprinzip und die Gerechtigkeit sind Grundsätze der direkten Besteuerung. (Zuruf des Abg. Jungmann [SPD]) Bei der gesamten Diskussion um die Erhöhung der — Ich erlaube mir, würdigend auf einige Beiträge ein- Verbrauchsteuer wird dabei übersehen, daß sich das zugehen, wenn Sie nichts dagegen haben. Verhältnis von direkten und indirekten Steuern in (Jungmann [SPD]: Die müssen aber schwach der Bundesrepublik ständig in die Richtung- direkte Steuern verschoben hat. Aber wir haben schon in der gewesen sein!) dreistufigen Steuerreform die Belastung der Bürger — Sie brauchen das jetzt gar nicht zu zensieren, Herr und der Wirtschaft mit direkten Steuern nachhaltig Kollege. zurückgeführt. Und das Verhältnis zwischen direkten (Jungmann [SPD]: Sie machen das doch!) und indirekten Steuern wird auch verbessert, wenn die vorgesehene Anhebung der Verbrauchsteuern Sie haben noch Gelegenheit, in den nächsten Tagen vorgenommen wird. zu sprechen. Ich bedanke mich. Ich möchte auch ausdrücklich begrüßen, daß die (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Sprecher der Koalitionsfraktionen den Vorrang einer weiteren Rückführung der Nettokreditaufnahme so nachdrücklich unterstrichen haben. Vizepräsident Cronenberg: Das Wort hat der Bun- (Schulhoff [CDU/CSU]: Das ist ganz wich desminister der Finanzen, Dr. Stoltenberg. tig!) Herr Kollege Wieczorek, ich glaube, daß Ihre Beur- Dr. Stoltenberg, Bundesminister der Finanzen: Herr teilung — bei voller Anerkennung der kritischen Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben ja Funktion der Opposition — in einer Reihe von Punk- am Freitagvormittag noch Gelegenheit — auch unter ten zu pessimistisch war. Einbeziehung der Ergebnisse der Debatte der näch- Das gilt für die Finanzsituation des Bundes, die sich, sten Tage —, die finanzpolitische und haushaltspoliti- verglichen mit unseren Diskussionen im Januar und sche Diskussion aufzunehmen und weiterzuführen. Februar, spürbar verbessert hat: in den erkennbaren Ich möchte mich deshalb heute abend auch in diesem Zahlen für 1988, vor allem aber in den Voraussetzun- kleinen — natürlich besonders erlesenen — Kreis auf gen für 1989. Das gilt auch für eine Reihe anderer einige wenige Bemerkungen beschränken und will Punkte. dann am Freitag gern andere Stichworte noch einmal aufnehmen. Risiken gibt es. Auf sie habe ich auch in meiner Einbringungsrede hingewiesen. Das gilt auch für ei- Ich möchte gegen Schluß des ersten Debattentages nige Punkte des Haushaltsentwurfs und die weiter in den Rednern der Koalitionsfraktionen, der CDU/CSU der Zukunft liegenden Perspektiven und Probleme. und FDP, dafür danken, daß sie das Konzept der Re- gierung in seinen wesentlichen Zielen und Punkten Aber ich glaube, der Hinweis auf Risiken wird ein bejaht und unterstützt haben. Das gilt, wie die Aus- bißchen entwertet, wenn man in die Kritik auch solche führungen von Herrn Kollegen Carstens, Herrn Kolle- Positionen einbezieht, in denen sie in dieser Form gen Weng, Herrn Kollegen Dr. Solms und Herrn Kol jedenfalls überhaupt nicht erkennbar sind. Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 89. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 6. September 1988 6107

Bundesminister Dr. Stoltenberg Ich nenne Beispiele. Der Kollege Wieczorek hat hier schlußreicher als die dann etwas verschwommenen gesagt, bei der Kokskohle bräuchten wir mindestens Kompromißtexte. eine halbe Milliarde mehr. Ich halte es sogar für mög- Da Sie eine solche Beschlußlage haben, können Sie lich, daß die Prüfungen im Haushaltsausschuß erge- uns eigentlich nicht ernsthaft vorhalten, daß unsere ben, daß man auf Grund der Wechselkursentwicklung wesentlich zurückhaltenderen Verbrauchsteuererhö- den Ansatz etwas reduzieren kann. Ich halte es für hungen Arbeitslose und Rentner in unvertretbarer möglich; ich will es heute nicht vorhersagen. Aber Weise belasten. Das ist ein fundamentaler Wider- eine halbe Milliarde Risiko ist überhaupt nicht er- spruch, der Ihnen nicht mehr abgenommen werden kennbar. kann. Herr Kollege Wieczorek hat nun gemeint, wir hätten (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) da 500 Millionen für Milchquoten an die EG nicht ein- gesetzt. Darüber gibt es eine intensive Debatte mit der Vizepräsident Cronenberg: Herr Bundesminister, EG. Nach dem heutigen Stand gibt es keinen Grund, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Beträge in diesem Zusammenhang einzusetzen. Ich Roth? sage das, ohne auf die Einzelheiten einzugehen. Er hat uns, was mich noch mehr überrascht hat Dr. Stoltenberg, Bundesminister der Finanzen: Ja. — alles im Manuskript nachlesbar — , vorgeworfen, daß wir durch die Entwicklung der Postabgabe dieses Vizepräsident Cronenberg: Bitte schön. wichtige Bundesunternehmen zu stark in Anspruch nähmen, zu stark zur Ader ließen. Ich bin sehr er- Roth (SPD): Sind Sie so liebenswürdig, zuzustim- staunt. Die Neuregelung der Postabgabe nach gelten- men, daß Herr Hauff vorgeschlagen hat, im gleichen dem Recht entsprach einer Initiative der sozialdemo- Umfang — die Zahlen sind korrekt — Entlastungen kratisch geführten Bundesregierung 1981, mit Ihrer bei der Lohnsteuer vorzunehmen? Zustimmung verabschiedet. Was wir jetzt im Haushalt einsetzen, ist die Folge Ihrer Gesetzgebung. Ich bin Dr. Stoltenberg, Bundesminister der Finanzen: Herr über solche Bemerkungen noch erstaunter, weil Sie Kollege Roth, ich hatte heute morgen darauf hinge- doch wissen müssen, daß wir in dem Reformgesetz für wiesen, allerdings in Verbindung mit den Ausführun- die Bundespost nach einer Übergangszeit eine Neure- gen von Herrn Spöri: Dann entfällt doch der Vorwurf, gelung vorsehen, die zu einer gewissen Entlastung daß durch eine Anhebung von Verbrauchsteuern der Bundespost führt. Da ein solches Gesetz dem Rentner und Arbeitslose, die kein Erwerbseinkom- Deutschen Bundestag zur Beratung vorliegt, ist es men haben, in unerträglicher Weise belastet werden. völlig unverständlich, daß wir zum einen wegen der Ihre Zwischenfrage unterstreicht doch eigentlich den Folgen einer sozialdemokratischen Gesetzgebung Widerspruch, auf den ich soeben eingegangen bin. kritisiert werden und zum anderen die Änderung hier- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) bei überhaupt nicht in die Betrachtung einbezogen wird. Da das heute nachmittag noch einmal so gesagt wurde, wie wir das seit einem Jahr hören, erlaube ich So kann man weitergehen, wenn ich von Über- mir noch einmal auf diesen Widerspruch hinzuweisen, zeichnungen und Übertreibungen rede. der durch Ihre Zwischenfrage eigentlich nur unterstri- chen wurde. Aber mir scheint noch schwerwiegender, daß vor allem in der Rede Ihres neuen finanzpolitischen Spre- Meine Damen und Herren, ich empfehle Herrn Kol- chers, des Herrn Kollegen Wieczorek, der im Augen- legen Wieczorek als dem neuen finanzpolitischen blick verhindert ist — ich sage das zu Protokoll, ich Sprecher, von den traditionellen Begriffen, in denen komme vielleicht am Freitag in seiner Anwesenheit wir Defizite berechnen, nicht abzuweichen. Es gibt doch über den Wechsel der Regierung hinaus eine noch einmal darauf zurück — , daß die bekannten Wi- gleichbleibende Staatspraxis. Das hat auch etwas Gu- dersprüche in der Steuerpolitik hier erneut sichtbar geworden sind. tes. So ist z. B. unbestritten, daß wir in die Defizitrech- nungen der öffentlichen Gebietskörperschaften Bund, Auf der einen Seite haben Sie sich in den Parteitags- Länder und Gemeinden hineinnehmen, aber nicht beschlüssen von Münster für eine erhebliche Erhö- Bahn und Post. Das haben meine Vorgänger nicht hung der Energiesteuern eingesetzt. Das ist in der getan, das tue auch ich nicht. Deswegen ist es nicht Sprache etwas verschwommener gegenüber den An- ganz förderlich und nicht ganz überzeugend — ich trägen. Der Antrag der Hauff-Kommission etwa, von will das ganz höflich sagen — , wenn nun plötzlich Herrn Hauff ja noch kurz vor Münster auf einer Pres- noch die Kreditaufnahme von Bahn und Post unserer sekonferenz vorgestellt, nennt ja auch die Größenord- Neuverschuldung aufgelastet wird. Nur so kann man nungen. Frau Will-Feld hat soeben darauf hingewie- zu der Zahl 75 Milliarden DM kommen. Ich halte sie sen; auch Herr Solms hat das angesprochen. Energie- auch für überhöht. steuern in der Größenordnung bis zu 4 % des Brutto- Der Finanzminister des Landes Rheinland-Pfalz, sozialprodukts wären über 80 Milliarden DM. Jetzt Carl-Ludwig Wagner, hat in der Sommerpause in ei- haben wir etwas über 40 Milliarden DM. Sie haben ner sehr interessanten Pressekonferenz in seiner Ver- das in der Tendenz beschlossen und wegen der hefti- antwortung Berechnungen vorgelegt, wie hoch denn gen Kritik die Prozentzahl herausgelassen. Aber Ma- etwa die Neuverschuldung von Bund, Ländern und terialien zur Gesetzgebung sind immer wichtig, um Gemeinden in diesem Jahr, vor allen Dingen vor dem den Willen des Gesetzgebers zu erkennen. Und Mate- Hintergrund der bei den Gemeinden in diesem Jahr rialien zu Parteitagsbeschlüssen sind manchmal auf- spürbar verbesserten, bei uns etwas verhalten verbes- 6108 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 89. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 6. September 1988

Bundesminister Dr. Stoltenberg serten Steuereinnahmen sein könnte. Er kam auf etwa sprochen haben als gewohnt. So bleiben mir also noch 60 Milliarden DM. Das ist eine gut überlegte Pro- ein paar Minuten übrig. gnose, mit einer gewissen Unschärfe natürlich. (Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: Sie Unterstellen wir einmal, daß es etwa 60 Milliarden hatten weniger zu sagen!) DM werden: Das wären dann 2,9 % des Bruttosozial- produkts. Anfang der 80er Jahre — Herr Kollege Nein, sie haben schneller gesprochen, lieber Harry. Solms hat daran erinnert —, in den letzten Jahren Aber ich will mich durch deinen lustigen Zwischenruf Ihrer Regierungstätigkeit, hatten wir eine Neuver- jetzt nicht davon abbringen lassen, noch ein paar schuldung von Bund, Ländern und Gemeinden von Dinge aufzugreifen, die der Bundesfinanzminister 4,9 % bzw. 4,5 %. — Meine Damen und Herren, wir hier angeschnitten hat. werden Freitag sicher Gelegenheit haben, das noch Herr Kollege Stoltenberg, daß Sie die Sprecher der einmal zu vertiefen. Wenn man wirklich exakt und Koalition loben, das verstehe ich ja gut. Es wäre ja überzeugend über vertretbare Neuverschuldung re- auch ganz merkwürdig gewesen, wenn Sie die geta- det, darf man doch die Entwicklung unseres Brutto- delt hätten. Insofern ist das vüllig überflüssig und nur sozialprodukts nicht außer acht lassen. Wir haben eine unnötige Inanspruchnahme von Redezeit gewe- nun ein um 40 % höheres Bruttosozialprodukt als sen. 1980/81. Und so darf man — bei aller Warnung, die ich heute morgen ausgesprochen habe, diese erhebliche (Beifall bei der SPD) Nettokreditaufnahme auf die leichte Schulter zu neh- Nur, Herr Kollege Stoltenberg, wenn Sie davon ge- men; sie ist mir auch in der Momentaufnahme und im sprochen haben — Wolfgang Weng hat in seiner lie- Trend zu hoch — die Frage, was vertretbar ist, nicht benswürdigen Art ja gesagt, es würde auf der Basis von der Entwicklung unserer Wirtschaftskraft abkop- des vorliegenden Regierungsentwurfs beraten wer- peln. Jedermann weiß: Wenn sich das Einkommen den; das war die neue Erkenntnis von heute nachmit- eines Bürgers in acht Jahren oder in zehn Jahren um tag — , daß an Erwartungen, die wir hatten, Spekula- 50 % erhöht, also z. B. von 100 000 auf 150 000 DM tionen zu knüpfen seien, sage ich Ihnen: Wer hat oder von 50 000 auf 75 000 DM, steigt seine Kreditfä- eigentlich in der Sommerpause vieles von dem in higkeit. Das ist ein Vorgang, den jeder selbst erleben Frage gestellt, was Sie auf den Weg gebracht haben? kann, wenn er für den Hausbau oder eine andere War das nicht Graf Lambsdorff? Waren das nicht an- Form wichtiger Investitionen einen Kredit aufnimmt. dere aus der Fraktion der FDP? Hatten die nicht ange- Deswegen müssen wir, wenn wir eine vertiefte De- kündigt, sie wollten gegen die Erdgassteuer Sturm batte führen — und alle von Ihnen, die hier sind, wis- laufen? sen das ganz genau — , die vertretbare Neuverschul- - Nun habe ich heute von Wolfgang Weng gehört: dung auch im Vergleich zu der früherer Zeiten an der Wir brauchen die für die Arbeitslosen. Entwicklung des Bruttosozialprodukts messen. Das ist Erdgassteuer Ich verkürze jetzt einmal sein Argument. Lieber Herr keine Bagatellisierung des zugrunde liegenden Pro- Bundesfinanzminister, waren Sie es nicht, der verfas- blems — ich brauche mich nicht zu wiederholen —, sungswidrig Bundesaufgaben in Milliardenhöhe bei aber es macht die Diskussion, wie ich glaube, etwas ergiebiger. der Bundesanstalt für Arbeit abgeliefert hat Meine Damen und Herren, vieles andere wird in der (Sehr wahr! bei der SPD) Diskussion der kommenden Tage zu vertiefen sein. und der auf diese Art und Weise dazu beigetragen hat, Freitagvormittag haben wir dann die Chance, noch daß das Defizit bei der Bundesanstalt für Arbeit erst einmal zu den wesentlichen finanzpolitischen und entstanden ist? haushaltspolitischen Themen zurückzukommen. Aber ich glaube, daß schon in dem, was hier gesagt (Beifall bei der SPD) wurde, bestimmte Alternativen zwischen der Koali- Sie haben doch der Bundesanstalt Aufgaben aufge- tion und der Opposition deutlich geworden sind. Ich bürdet, für die sie überhaupt nicht zuständig ist und glaube, daß wir vor allem nach den Ausführungen der für die die Arbeitnehmer und die Arbeitgeber über- Kolleginnen und Kollegen der Koalitionsfraktionen haupt keine Beiträge gezahlt haben! mit Zuversicht in die Ausschußberatungen gehen und dann einen Haushalt verabschieden können, der (Beifall bei der SPD und den GRÜNEN) wirklich Fortschritt für uns bedeutet. Wenn das so ist, können Sie doch jetzt nicht sagen: Vielen Dank. Weil ich der Bundesanstalt — auf verfassungsrecht- lich bedenkliche Weise — Aufgaben in Milliarden- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) höhe übertragen habe, muß jetzt die Erdgassteuer eingeführt werden. Sie sind doch der Verursacher die- ses Defizits bei der Bundesanstalt! Vizepräsident Cronenberg: Das Wort hat der Abge- Deswegen, lieber Kollege Weng, halte ich den Hin- ordnete Walther. weis „Weil wir Arbeitslose haben, die so teuer sind, müssen wir die Erdgassteuer einführen" für — ich sage es ganz zurückhaltend — sehr makaber. Walther (SPD): Herr Präsident! Meine Damen und (Frau Traupe [SPD]: Zumindest sehr seiltän Herren! Die Tatsache, daß ich hier noch ein paar Worte der Erwiderung auf den Bundesfinanzminister zerisch!) sagen darf, hängt damit zusammen, daß meine beiden Eine zweite Bemerkung, die Sie, Herr Bundesfi- Vorredner aus meiner Fraktion heute schneller ge nanzminister, eben gemacht haben, möchte ich gerne Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 89. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 6. September 1988 6109

Walther aufgreifen. — Vielleicht kann er einmal zuhören, da- haushalt 1988 nicht enthalten sind. Sie haben das hier mit er etwas lernt. an diesem Mikrofon vehement bestritten. (Zander [SPD]: Er packt gerade!) (Zustimmung bei der SPD) Ich vermute einmal, daß Sie quadrophonisch auch Vierzehn Tage später mußte dann der haushaltspoliti- nicht hören können. — Sie haben hier meinen Kolle- sche Sprecher der CDU/CSU-Fraktion, Manfred Car- gen Wieczorek angegriffen, indem Sie zu den hohen stens, einräumen, daß wir recht hatten und nicht Abgaben, die Sie auch in Zukunft von der Deutschen Sie. Bundespost erheben wollen, gesagt haben, dies sei zu Die Belastungen durch die EG sind ja nicht über unserer Zeit eingeführt worden. Das ist wahr. Das war Nacht über Sie hereingebrochen. Wir haben Ihnen im in einer schwierigen Zeit; ich komme darauf gleich Haushaltsausschuß jahrelang prophezeit, daß diese noch zurück. Nur, Sie sind damals gegen das, was wir Milliardenbeträge kommen würden. Sie haben sich beschlossen hatten, massiv Sturm gelaufen, und nun geweigert, Vorsorge dafür zu treffen. Nun kommen sage ich Ihnen: Seit 1982 sind sechs Jahre vergangen, Sie hierher und sagen: Weil uns die EG leider Milliar- und Sie hätten das korrigieren können, wenn Sie es den wegnimmt — von denen wir wußten, daß sie für so falsch gehalten hätten, wie Sie es damals hier schon lange aufgelaufen waren — , müssen wir nun vorgetragen haben. Verbrauchsteuererhöhungen beschließen. Dieser Zu- (Beifall bei der SPD) sammenhang ist logisch nicht herzustellen, Herr Bun- Warum haben Sie nicht korrigiert? Sie hatten sechs desfinanzminister. Jahre Zeit! Ein allerletztes Wort: Frau Kollegin Will-Feld und Sie selber haben hier auf ein Diskussionspapier hin- (Jungmann [SPD]: Mit der Bundesbank ist es gewiesen, das die zuständige Kommission beim Par- dasselbe!) teivorstand der SPD über den Zusammenhang zwi- Sie haben 50, 60 Milliarden für Steuerentlastungen schen Energieverbrauch und Energiesteuern erstellt — im wesentlichen für die Spitzenverdiener — ausge- hat. Sie haben gesagt, das sei Beschlußlage. Das ist ein geben und haben jetzt kein Geld, um der Post die Diskussionspapier. Mittel zu geben, die sie braucht, um sich im Wettbe- werb behaupten zu können. Sie wollen doch mehr (Zuruf des Bundesministers Dr. Stoltenberg) Wettbewerb für die Bundespost; dann müssen Sie — Nein, nein, Herr Bundesfinanzminister, ich habe auch weg von jenen Belastungen, die die Deutsche mitgeschrieben, was Sie hier gesagt haben. Sie haben Bundespost im Wettbewerb in Zukunft behindern gesagt, dies sei Beschlußlage des SPD-Parteitages ge- werden. Deshalb sage ich Ihnen: Auch da wird ein wesen. Ich sage: Es war ein Diskussionspapier. Daß neues Haushaltsrisiko auf Sie zukommen, insbeson-- wir darüber noch reden müssen, auch in der eigenen dere wenn Sie als Folge der Trennung von Hoheit und Partei, ist doch völlig klar, Frau Kollegin Will-Feld. Betrieb das halbe Bundespostministerium ab nächstes Nur, wir versuchen jetzt, durch ein eigenes Konzept Jahr aus dem Bundeshaushalt bezahlen müssen. Da- den Zusammenhang zwischen Wachstum und ökolo- für haben Sie auch keine Vorsorge getroffen. gischer Erneuerung herzustellen. Wenn man das Herr Bundesfinanzminister, ich will noch eine letzte marktwirtschaftlich machen will, dann muß man auch Bemerkung machen. Über Zahlen läßt sich ja trefflich das marktwirtschaftliche Instrument der Verteuerung streiten, und Zusammenhänge kann man herstellen, von Energieumwandlungskosten nutzen. wie man will. Sie haben auf den Zusammenhang zwi- (Zurufe von der CDU/CSU) schen Bruttosozialprodukt und öffentlicher Schul- — Entschuldigen Sie, darüber kann man doch lange denaufnahme abgehoben. Ich sage Ihnen: Das war in reden. Nur sollte man nicht heute sagen, das sei alles einer Zeit, in der wir auf dem Höhepunkt der weltwirt- falsch, obwohl Sie überhaupt nichts tun. schaftlichen Krise waren. In dieser Zeit war es ge- rechtfertigt, daß die öffentlichen Hände durch zusätz- (Dr. Meyer zu Bentrup [CDU/CSU]: Es ging liche Nachfrage verhindert haben, daß die Krise bei um die Höhe!) uns noch größer wurde. Sie erzählen uns aber seit — Darüber können wir noch lange miteinander disku- sechs Jahren, wie wunderbar die Wirtschaft hier läuft, tieren. und dann können Sie das doch nicht mit Zahlen ver- binden, die im Jahre 1981 aktuell waren. Sie müssen (Dr. Bötsch [CDU/CSU]: Erst wird strangu sich an Ihren eigenen Maßstäben messen lassen. liert, und dann wird diskutiert!) Wenn ich mir Ihre mittelfristige Finanzplanung der — Ja, natürlich; wir sind eine Partei, die diskutiert, letzten Jahre anschaue, stelle ich fest, daß Sie für jedes Herr Kollege Bötsch; Jahr, über das wir aktuell reden, erheblich weniger Nettokreditaufnahme vorgesehen hatten, als Sie dann (Beifall bei der SPD) tatsächlich gemacht haben. wir sind nicht die CSU, in der ein alter Herr befiehlt (Beifall bei der SPD) und die ganze Mannschaft inklusive Bötsch stramm- steht; das sind wir nicht. An Ihren eigenen Ansprüchen gemessen — nicht an unseren, Herr Bundesfinanzminister — , haben Sie (Dr. Bötsch [CDU/CSU]: Ich bin zu unbeweg selber das nicht eingehalten, was Sie der Offentlich- lich zum Strammstehen!) keit versprochen hatten. Wir sind eine demokratische Partei; bei uns werden Dann doch noch eine Bemerkung: Wir haben Ihnen Beschlüsse ausdiskutiert. im letzten Jahr gesagt, welche Risiken im Bundes (Zuruf des Abg. Dr. Bötsch [CDU/CSU]) 6110 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 89. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 6. September 1988

Walther — Ach, Herr Bötsch, reden Sie doch nicht immer da- schutz zu reden, sondern einmal darüber nachzuden- zwischen. Es ist doch sowieso unverständlich, was Sie ken, wie wir ihn endlich in Gang bringen. da sagen. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD und den GRÜNEN) (Dr. Bötsch [CDU/CSU]: Wer das Mikrofon hat, hat den Vorteil; das ist mir schon klar!)

Meine Damen und Her- Also warten Sie einmal ab. Wir werden mit einem Vizepräsident Cronenberg: ren, weitere Wortmeldungen für die heutige Sitzung vernünftigen Konzept überkommen. Daß dies ein er- liegen mir nicht vor. Ich kann also die Sitzung schlie- ster Diskussionsentwurf ist, Frau Kollegin Will-Feld, ßen und rufe die nächste Sitzung des Deutschen Bun- daß er manche Mängel hat, über die Sie selber gespro- destages für Mittwoch, den 7. September, um 9 Uhr chen haben, ist völlig unbestritten. Nur, fangen Sie ein. Ich wünsche ihnen einen angenehmen Abend. endlich an — Kollege Kleinert hat es ja zu Recht ge- sagt —, nicht nur, wie der Klaus Töpfer, über Umwelt- (Schluß der Sitzung: 17.58 Uhr) Deutscher Bundestag - 11. Wahlperiode - 89. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 6. September 1988 6111*

Anlage zum Stenographischen Bericht

Anlage Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich

Liste der entschuldigten Abgeordneten Oostergetelo 9. 9. Pfuhl 6. 9. Dr. Probst 9. 9. Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Rappe (Hildesheim) 9. 9. Dr. Riedl (München) 7. 9. Frau Saibold Dr. Ahrens* 9. 9. 6. 9. Dr. Becker (Frankfurt) 9. 9. Seidenthal 7. 9. Frau Terborg Böhm (Melsungen)* 9. 9. 7. 9. Dr. von Bülow 8. 9. Tietjen 9. 9. Toetemeyer Dr. Hauff 9. 9. 8. 9. Hiller (Lübeck) 9. 9. Vosen 6. 9. Frau Weiler Höpfinger 9. 9. 9. 9. Frau Hoffmann (Soltau) 9. 9. Westphal 9. 9. Frau Wilms-Kegel Ibrügger** 9. 9. 9. 9. Dr.-Ing. Kansy** 9. 9. Würtz 6. 9. Zierer * Frau Karwatzki 9. 9. 6. 9. Frau Kelly 8. 9. Kuhlwein 9. 9. Dr. Kunz (Weiden)** 9. 9. Lutz 7. 9. * für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versamm- lung des Europarates Dr. Mitzscherling 6. 9. ** für die Teilnahme an Sitzungen der Nordatlantischen Versamm- Niegel* 9. 9. lung