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Sendung vom 15.12.1998

Biblische Gestalten: David Ruth Lapide im Gespräch mit Walter Flemmer

Flemmer: Liebe Zuschauerinnen und Zuschauer, Grüß Gott und herzlich willkommen zu unserem Gespräch über König David. Im Studio begrüße ich herzlich Frau Ruth Lapide: Sie ist Historikerin und Judaistin. Wir werden uns mitten hinein begeben in diese grandiose Geschichte des ersten großen Königs in . Es ist die Geschichte von König David, aber wir müssen natürlich mit Samuel beginnen, mit einem Propheten, der dieses Königtum quasi schaffen mußte, weil die Israeliten ankamen und sagten: "Wir wollen auch einen König haben, wie alle Völker rings um uns herum." Aber er sagte daraufhin zunächst: "Wozu braucht ihr denn einen König? Euer König ist doch Jahwe." Es gab dann aber einen König mit dem Namen Saul. Eines Tages kam jedoch Jahwe zu Samuel und sagte zu ihm, er solle nach Bethlehem gehen. Was hatte Samuel in Bethlehem zu tun? Lapide: In Bethlehem wohnte ein Herr Ischai. Dieser Herr Ischai hatte sieben Söhne. Und Herr Ischai lebte eben ausgerechnet in Bethlehem: Hier fängt schon diese Tradition an, die wir bereits von Rahel und Jakob her kennengelernt haben. Diese Tradition setzt sich mit gewissen Sprüngen fort, aber man kann schon sagen, daß die Heilsgeschichte auf Bethlehem zentriert ist. Samuel ist natürlich von Anfang an gegen die Königsidee. Er wollte eigentlich – wenn man die Schrift ernst nimmt –, daß seine zwei Söhne die eigene Tradition fortsetzen. Da hat er aber Pech mit ihnen – wie das überhaupt eine Tragödie bei den großen Männern nicht nur in der Bibel, sondern bis heute ist. Mit den eigenen Söhnen klappte es nicht. Wie heißt es doch so schön: Pfarrers Kinder und Müllers Vieh gedeihen nie – oder so ähnlich. Flemmer: Bei allen stimmt es nicht, denn manchmal funktioniert es ja auch. Lapide: Jedenfalls ist es merkwürdig genug, daß diese großen Männer bei der Erziehung ihrer Söhne versagen: Bei Eli, dem Vorläufer von Samuel, war es schon der Fall, daß die Söhne nicht passend geraten waren. Die Söhne von Moses waren nicht passend. Die Söhne von Aaron sind nicht geeignet. Und auch bei David darf man wohl sagen – ich bitte Majestät da um Verzeihung –, daß er in der Erziehung total versagt. Wir werden darüber nachher sicher noch sprechen: Es gibt Mord, Totschlag und Vergewaltigung wegen der Nachfolge. Kurz, es geht drunter und drüber. Hinsichtlich Ischai standen nun zunächst einmal gesunde und gestandene Männer zur Verfügung. Samuel geht also dort hin, und Ischai stellt im traditionsgemäß seine Söhne dem Alter nach vor. Sie standen da wie die Orgelpfeifen: einer netter als der andere, einer begabter als der andere – aber Samuel schaut sie alle an und sagt dann, daß da noch einer sein müßte. Flemmer: Er fragt danach, ob ihm alle Söhne vorgestellt worden wären? Lapide: Ja, es fehlt einer. Flemmer: Einen gibt es noch. Lapide: Jawohl, und das ist der Kleinste, der draußen auf dem Feld bei der Herde ist und den sie gar nicht ernst genommen haben, weil er der Jüngste war. Er wird herbeigeholt, und er ist es dann: Er fällt schon deshalb auf, weil er blond ist. Wo gibt es denn das im Orient, daß einer blond ist? Außerdem ist er schön. Selten wird in der Bibel ein Mann als schön beschrieben. Frauen jedoch müssen schön sein. David ist also schön. Und Samuel salbt ihn. Flemmer: Der Prophet erkennt also: Der ist es! Er bekommt das aber auch gesagt. Lapide: Ja. Flemmer: "Der Herr schaut zu ihm..." Lapide: Nein, psst. Vorläufig wird ihm nichts gesagt. Flemmer: Das Merkwürdige ist, daß dann später von dieser Salbung gar nicht mehr die Rede ist – darauf werden wir auch noch zurückkommen –, und die Geschichte von David plötzlich wieder weggeht. Lapide: Ja, weil die Sache noch nicht reif ist. Flemmer: Und dann kommt Saul ins Spiel. Lapide: Ja, in der Zwischenzeit hat Saul seine Chance, aber er ist der Sache nicht gewachsen. Flemmer: Das ist der König, den Samuel gesalbt hat: Er herrscht und ist in einem ständigen Konflikt mit einem anderen Volk, nämlich mit den Philistern. Lapide: Jawohl, und zwar in einem schweren Konflikt. Die Philister haben die Oberhand: Sie besitzen – und das ist auch heute noch aktuell – schon Waffen aus Eisen: Es ist die beginnende Eisenzeit. Die Israeliten haben jedoch keinen Zugang zu Eisenwaffen. Daher haben die Philister die Oberhand, obwohl die Israeliten das Bergvolk sind. Die Philister besitzen unten im Tal fünf Städte – dort, wo sich heute Gaza befindet: Gaza, Gat, Ekron usw. Und zwischen den Philistern und den Israeliten herrscht fast schon eine Erbfeindschaft. Denn man hat ja beinahe Komplexe, wenn man in der Ebene sitzt und die anderen da oben auf dem Berg sind. Aber wegen der Ausrüstung haben die Philister eben zunächst die Oberhand. Flemmer: Wie kommt nun David zu diesem Saul? Lapide: Es entsteht wieder einmal eine große Panik, denn die Philister haben etwas Neues, nämlich einen Riesen. Ganz Israel ist außer sich vor Panik: Es sind Gerüchte im Umlauf, daß dieser Goliath mit ihnen endgültig Schluß machen wird. Es wird schnellstens eine Szene veranstaltet: David, der noch nie in seinem Leben eine Uniform anhatte und das Schwert, das sie ihm... Flemmer: Aber vorher ist er doch schon an den Hof von Saul gekommen. Er ist geholt worden, um dem eigentlich schwachen und auch von einem bösen Geist beherrschten König Saul zu helfen. Interessanterweise funktioniert das ja nicht mittels ärztlicher Hilfe, sondern er soll ihm mittels Musik aus dem Unglück helfen und ihn aufheitern. Er soll ihm also aufspielen. Dazu wird er geholt. Lapide: Ja, das ist eine Form von Musiktherapie. Es bleibt jedoch das Rätsel im Raum stehen, welches Instrument er gespielt hat. Es war ganz bestimmt keine Harfe, wie wir es bei Chagall oder anderen Malern sehen können. Es muß ein sehr primitives orientalisches Instrument gewesen sein. David kann dieses Instrument jedenfalls spielen. Flemmer: Und es beruhigt Saul. Lapide: Es beruhigt ihn völlig. Saul ist meiner Meinung nach dieser Last einfach nicht gewachsen: Es sind wilde Stämme, und er wird mit ihnen nicht fertig. Der König der Vereinigung wird David: Er wird mit dieser Sache fertig, aber Saul kann das nicht schaffen. Die zwölf Stämme sind also unter Saul noch nicht vereint. Flemmer: Saul befindet sich also im Krieg mit den Philistern und braucht Hilfe. Da kommt nämlich dieser Goliath, vor dem alle zittern. Und nun taucht dieses Büblein David auf und wird eingesetzt. Lapide: Goliath ist die Geheimwaffe der Philister, durch die es unter den Israeliten zu einer Panik kommt. David wird eigentlich gar nicht eingesetzt, im Gegenteil: er erregt Ärgernis. Man sagt, er sei ein Angeber, weil er behauptet, er könne Goliath bezwingen. Und er ist auch ein Angeber. Flemmer: Er legt die Rüstung weg und sagt: "Diese Rüstung paßt mir nicht, ich kann ja nicht einmal richtig gehen damit, also weg damit!" Lapide: Ja, er will sie nicht haben. Er ist wirklich ein Angeber: "Wenn mir in der Zeit, als ich Hirte war, ein Löwe oder ein Bär in die Quere kam, habe ich ihn gepackt und zerrissen. Da werde ich doch mit diesem Goliath erst recht fertig werden!" Er war also wirklich ein Angeber. Es kommt dann die Geschichte mit der Steinschleuder, und er wird wirklich fertig mit Goliath. Hier beginnt dann die Eifersucht Sauls: Man muß sich in diese Geschichte mit Sympathie hineinfühlen, und dann merkt man, daß sich der alternde König Saul als Versager fühlt, der nicht im Stande ist... Flemmer: David wird damit ja fast schon zu dem Feldherrn, zu dem er später sowieso ernannt wird. Lapide: Das Volk jubelt ihm sofort zu. Flemmer: Saul denkt sich natürlich: "Oh, Gott, der wird mir jetzt gefährlich!" Lapide: Vor allem die Frauen jubeln ihm zu, und die "Mägde tanzen um ihn herum". Saul versucht mit allen Mitteln, diesen jungen Mann zu stoppen. Andererseits ist er ihm aber verfallen. Dazu kommt noch – und das macht es erst zu einer Tragödie sondergleichen –, daß sein eigener Sohn Jonathan diesem Mann David traut. Zwischen diesen beiden entsteht eine echte Männerfreundschaft. Flemmer: Wenn man sich David so ansieht, könnte man auf den Gedanken kommen, daß er immer nur durch Begegnungen gekennzeichnet wird: durch Begegnungen mit Männern und schließlich auch durch Begegnungen mit Frauen. Er besitzt diese Beziehung zu Saul, die immer wieder auf und ab geht. Denn auch Saul schätzt ihn ja zunächst einmal: "Das ist ja wunderbar, und ich habe ihn nun hier am Hof." Dann kommt aber die Eifersucht. Im Verlauf der Geschichte Davids kommt es ja permanent zu Konflikten mit Saul. Können wir diese Konflikte ein wenig genauer kennzeichnen und auch sagen, warum David im Grunde nie der Feind Sauls wird? Lapide: Das liegt daran, daß David einfach Respekt vor dem König Israels hat: vor dem Messias des Herrn. Der Begriff "Messias" – der "Gesalbte" – kommt aus der damaligen Zeit: Das ist etwas Heiliges, etwas Zentrales. Jedenfalls wird uns David so vorgestellt, daß er Saul nichts wegnehmen will. Aber Saul spürt – er hat wohl ein Gespür dafür –, daß hier sein Ende vorgezeichnet ist. Flemmer: Ja, sicher, er hat sein Ende vor Augen. Aber es geschieht noch etwas. Es gibt diesen Respekt vor dem Gesalbten: "Den darf ich nicht anrühren, obwohl er mir in die Hand gegeben ist!" Saul fällt ihm ja geradezu ins Schwert – aber David macht das einfach nicht. Lapide: Es gibt da z. B. die berühmte Szene mit der Höhle. Saul bekommt immer wieder Anfälle – das muß man wohl wirklich so nennen. In diesen Anfällen mischt sich Verzweiflung und Wut. Er verfolgt damit David, der zu der Zeit noch gar nicht mächtig ist. Während einer Verfolgungsjagd geht Saul, wie es im Orient üblich ist, in eine Höhle, um dort seine Notdurft zu verrichten. Diese Höhlen in den Bergen zwischen und Tel Aviv gibt es heute noch. In dieser großen Höhle hat sich jedoch David mit seinen Getreuen versteckt. Es gibt also in dem Moment für David die Gelegenheit, ein für alle Mal Ordnung zu schaffen, indem er Saul hinterrücks ermorden könnte, ohne dabei erwischt zu werden. Das macht er jedoch nicht. Er schneidet ihm statt dessen ein Stück von seinem Mantel ab und zeigt es ihm dann als Beweis. Ich würde beinahe sagen, diese Geste ist der Beginn der Feindesliebe in der biblischen Tradition überhaupt. Er zeigt ihm dieses Stück, als er aus der Höhle herauskommt und sagt dann: "Siehst du! Was willst du eigentlich? Ich bin nur ein kleiner Floh, ich will dir doch gar nichts Böses." Und jedesmal bei diesen Gelegenheiten sagt Saul, fast schon wie ein Kind oder beinahe schon senil: "Um Gottes willen, ich mach' das nicht mehr, ich sehe es jetzt ein, und wir machen Frieden miteinander." Flemmer: Man hat beim Lesen immer das Gefühl, er würde ihm nunmehr entgegenkommen und hätte die ganze Sache verstanden. Lapide: Ja, er sagt: "Ich sehe ein, daß das Ganze nur ein Wahn von mir ist und daß David gar nicht böse ist usw." Es gibt also schon des öfteren solche Szenen, in denen David Saul umbringen könnte. Er macht das aber nicht. Andererseits glaube ich aber, daß David seiner Sache sowieso sehr sicher ist. Denn Samuel ist auf seiner Seite: Auch Samuel macht Saul die Sache schwer. Die Bibel ist ja voller Symbole, die dabei eine Rolle spielen. Der Mantel spielt z. B. eine große symbolische Rolle: Immer wieder – bis hinein ins Neue Testament – kommt der Mantel als Symbol vor. Samuel hat einen Mantel an, und Saul klammert sich an diesen Mantel. Samuel sagt dann: "Jawohl, Gott reißt dir das Gewand, den Mantel weg: Das Gewand des Regierens." Dasselbe Motiv mit diesem Mantel gibt es mit David in der Höhle, wie wir schon gehört haben. Auch später bei Jonathan kommt wieder der Mantel vor. Dann gibt es später, nicht weit davon entfernt, eine Szene, in der Elia dem Elischa bei der Himmelfahrt auch wieder den Mantel zuwirft. Es gibt also solche Symbole, die Saul die Macht entreißen. Er hat also einen Grund für seine Depressionen. Flemmer: Es ist so, daß Samuel im Grunde erkennen muß, daß Jahwe seine Hand von Saul zurückgezogen hat. Er sagt, er stünde nicht mehr unter dem Schutz des Gesalbten. Lapide: Zwischen Samuel und Saul stimmt es einfach nicht. Da geht es um einen Konkurrenzkampf. Samuel will absoluten Gehorsam. Es gibt manchmal Stellen in der Bibel, bei denen ein gewisser Zweifel besteht, wer eigentlich spricht: Gott oder Samuel. Es gibt eine berühmte Szene mit dem König Agag, in der Saul Mitleid mit diesem König der Amalekiter hat und ihn nicht umbringen will. Da habe ich aufgrund des hebräischen Textes das Gefühl, daß das Samuel sagt und nicht Gott. Es gibt in der Bibel mehrere solcher Fälle: Auch bei Elia ist das der Fall. Bei Elias großem Wutanfall auf dem Berg Karmel gegen die Baals-Priester ist es ja auch nicht der Auftrag Gottes, alle umzubringen. Flemmer: Saul bleibt einige Zeit König und begeht dann Selbstmord. Vorher geschieht jedoch noch etwas Seltsames: David nimmt eine Beziehung zum Hause von Saul auf, zu Jonathan, dem Sohn Sauls. Es heißt in der Bibel: "Er liebte ihn." Es entfaltet sich also geradezu eine Männerfreundschaft, die sich dann auch gegen den Vater von Jonathan richtet. Das heißt, Jonathan ist immer wieder auf der Seite Davids. Lapide: Ich finde jedoch, er ist sehr korrekt und elegant. Ich sehe also nichts Schlechtes, das er gegen seinen Vater unternehmen würde. Flemmer: Nein, korrekt ist er sicher. Lapide: Aber er ist natürlich gesund und jung. Und: Er will nicht König werden... Flemmer: Ja, aber er will doch immer wieder David helfen. Lapide: Er spürt das Unrecht in der andauernden Verfolgung von David durch Saul. Er glaubt David, er verläßt sich auf ihn, und er traut ihm. Das ist der große Unterschied. Und zwischen ihnen herrscht wirklich eine schöne Kameradschaft. Aber das Aufregende dabei ist, daß da noch eine Tochter, Michal, ins Spiel kommt. Flemmer: Sie verliebt sich in David. Lapide: Aber wie. Zunächst will Saul David für seine ältere Tochter interessieren. Wir haben hier - wie immer im Orient - das gleiche Motiv: Erst muß die ältere Tochter unter die Haube. Sie ist aber nicht so schön und nicht so reizvoll, David will diese Tochter nicht haben. Saul weiß sehr gut, daß es zwischen David und Michal bereits knistert. Flemmer: Er macht es David schwer. Lapide: Ja, er macht es ihm schwer, und zu seinen Ministern sagt er: "Jetzt kriegen wir ihn!" Flemmer: "Wir schicken ihn in den Krieg!" Lapide: Es geschieht nun etwas, das es später im Mittelalter auch noch gibt: Die eigene Tochter wird mißbraucht. Das sind natürlich furchtbare Szenen. David muß sich im Krieg – das ist fast so wie bei den Nibelungen – gegen die Philister auszeichnen und muß Saul hundert Vorhäute bringen. Flemmer: Er muß ihm hundert Vorhäute von erschlagenen Gegnern vorlegen. Er erschlägt dann aber gleich 200 Philister und kommt mit 200 Vorhäuten zurück zu Saul. Lapide: Bitte schön, für Michal macht er wirklich alles. Auf unser aseptisches Bewußtsein wirkt das natürlich alles sehr befremdlich. Man muß dazu aber die ganze Geschichte lesen. Der König von Ammon z. B. verlangt von jedem Israeliten ein Auge um des Friedens willen. So waren die Zeiten. Also gut, er bekommt Michal, und Saul ist hereingefallen, weil er geglaubt hatte, daß David das nicht schaffen würde und das der Sieg über ihn sei. Es ist aber nicht so, im Gegenteil. Und es tritt wieder ein altes Motiv auf, indem Michal ihre alten Hausgötter nach dem Motto "sicher ist sicher" mitbringt. Flemmer: Sie schützt David vor ihrem eigenen Vater Saul, der nun wirklich zum Gegner Davids geworden ist und eigentlich nur noch danach trachtet, diesen erfolgreichen Feldherrn endlich los zu werden. Sie schaltet sich ein und hintergeht damit im Grunde ihren eigenen Vater. Lapide: Das ist einwandfrei so, und das ist auf jeden Fall stärker als bei Jonathan der Fall. Gut, das ist ganz einfach eine griechische Tragödie: Diese Frau wird völlig zwischen ihrem Vater und ihrem Mann aufgerieben. Saul spielt sie wirklich sehr grausam aus. Er nimmt, um ihn zu strafen, David Michal weg und gibt sie einem anderen Mann. Dieser andere Mann, Palti, verliebt sich in sie. Als sie ihm dann wieder weggenommen wird, geht er weinend von dannen. Es sind wirklich schreckliche Verhältnisse. Flemmer: Es geht da wirklich fürchterlich zu. Lapide: David ist jedoch hart und hält das aus. Er liebt sie zwar, aber in einer der nächsten Szenen, als der Thoraschrein nach Jerusalem geholt wird, tanzt er dort mit den Mägden. Das kann nun jeder nach seiner eigenen Phantasie verstehen. Michal, die geborene Prinzessin, ist jedenfalls entsetzt. Flemmer: Sie wirft ihm vor, er hätte sich prostituiert. Lapide: Es schickt sich einfach nicht: Da ist sie dann wirklich die Prinzessin. Er sagt: "Du willst mir das verbieten? Aber das sind meine Leute, und mit denen zusammen werde ich das erreichen, was ich erreichen will." Die Bibel sagt dann wieder wie so oft sehr elegant: "Und Michal hatte keine Kinder mit David." Das heißt, es war aus zwischen ihnen. Flemmer: David ist jedoch ein richtiger Haudegen. Lapide: Ja, furchtbar. Flemmer: Das heißt, der Kampf zwischen den Israeliten und den Philistern geht die ganze Zeit weiter. Was macht aber David? Er wechselt die Front, er läuft über. Lapide: Er wechselt nicht die Front, entschuldigen Sie, er versteckt sich vor Saul. Flemmer: Ja, er muß fliehen. Lapide: Er kann nicht mehr weiter in der Höhle leben, und es gibt ja auch dauernd Verrat. Flemmer: Aber er schlüpft bei den Philistern unter - etwas anderes ist das doch nicht. Lapide: Er ist einmal fast am Verhungern und holt sich deswegen schon die Schaubrote aus dem Heiligtum beim Oberpriester. Es kommt dann eine andere Person mit hinzu, ein Edomiter. Es spielen da in der Bibel übrigens alle fremden Völker eine Rolle. Es ist nicht so, daß das eine rein jüdisch- israelitische Geschichte war. Es spielen nämlich auch die Hetiter und die Edomiter und die Ammoniter eine Rolle. Das schöne Wort "Krethi und Plethi" kommt ja aus dieser damaligen Zeit: Die Kreter und die Philister, die aus dem Mittelmeerraum kamen. Er findet also innerhalb des Reiches keine Zuflucht mehr und macht diesen Schritt. Er ist ja ein Tausendsassa: Er geht zu einem Stammesfürsten der Philister, und dieser nimmt ihn auch auf: Denn David stellt sich, als wäre er verrückt. Er kann also wirklich alles, er ist ein Schauspieler. Die Offiziere dieses Königs von Gat sagen noch: "Na ja, man weiß nicht so recht, woran man bei ihm ist. Vielleicht ist es doch besser, diese 'fünfte Kolonne' nicht herein zu lassen." Flemmer: Es ist so, daß ihn der Stammesfürst eigentlich haben will, aber die anderen warnen ihn und behaupten, daß damit ein Maulwurf ins Haus käme. Lapide: Ja, er ist ihnen nicht geheuer. David hört das und stellt sich eben verrückt: mit Speichel am Mund usw. Da sagt der König zu seinen Leuten: "Seht ihr, ich habe doch recht! Er ist verrückt, er ist meschuga!" Da kommt dieses Wort "meschugge", das wir im auch Deutschen kennen, das erste Mal in der Bibel vor. Und er sagt dann noch: "Als wenn es bei uns im Philisterreich nicht schon genug Meschuggene gäbe!" Das ist dann zu einem geflügelten Wort geworden. Da versteckt sich David also zunächst. Der König ist so gut zu ihm, daß er ihm gleich eine ganze Stadt schenkt. Und dort läßt sich dann der Freibeuter David – so muß man ihn einfach nennen – zunächst nieder. Flemmer: Söldnerführer, Freibeuter. Lapide: Wenn man das Kind beim Namen nennen will, dann muß man sagen, daß er nach heutigen Maßstäben wohl auch Schutzgeld oder so etwas Ähnliches genommen hat. Zu Nabal am Berg Karmel sagt er: "Ich beschütze dich" – es ist peinlich, aber so ist es -, "aber dafür will ich Essen haben von dir." Sie würden ansonsten tatsächlich verhungern. Nabal denkt aber gar nicht daran, das zu tun. Frau Nabal – man kann schon sehen, daß sich da etwas abspielt – geht ihm entgegen und bringt ihm das Essen. Und siehe da: Nabal wird krank – er war älter als sie – und stirbt. Flemmer: Er wird ganz einfach beseitigt, damit David wieder einen Schritt voran kommt. Lapide: Er stirbt. Das ist schon komisch: Bei den großen Frauen sterben die Männer immer früher. Der Ehemann von Golda Meir ist auch rechtzeitig abgetreten. Unsere Bürgermeisterin in , das darf man ja hier in Bayern sagen, hat auch keinen Mann mehr. Diese Männer wissen scheinbar, wann sie nicht mehr nötig sind. Flemmer: Aber muß man hier sagen, daß Jahwe diesen Mann beseitigt und David wieder einen Stein aus dem Weg geräumt hat? Lapide: Das glaube ich nicht, da hat jemand nachgeholfen. Diese Abigail verliebt sich in David und wird dann die Frau Nummer zwei bei David. Er hat mit der Zeit mehrere ganz verschiedene Frauen. Aber was soll's? In Österreich war es ja auch so: Da wurden politische und nicht-politische Liebesehen geschlossen. Unter anderem hat er eine Prinzessin aus Transjordanien, Maacha zur Frau, die Tochter des Königs von Geschur. Das sind wirklich ganz verschiedene Frauen. Diese Frauen produzieren auch ganz verschiedenartige Kinder. Flemmer: Er muß ja für die Frauen ein wirklich sehr interessanter Mann gewesen sein. Lapide: Ganz enorm. Flemmer: Er hat wohl von Kindesbeinen an bei den Frauen großen Eindruck gemacht: Sie haben sich um ihn gerissen. Lapide: Er muß wirklich sehr charmant gewesen sein. Ich sage Ihnen das als Frau. Er konnte ja wirklich alles: Er war ein Dichter, er war ein Diplomat, er konnte tanzen – es gab nichts, was dieser Mann nicht konnte. Er war ein Mann Gottes. Er war auch wiederum sehr nüchtern, als z. B. das Kind krank war – dieses aus der Sünde mit Bat Scheba geborene Kind. Dieses Kind stirbt, und die Leute sagen natürlich: "Seht ihr, das kommt von der Sünde!" Das machen die Leute ja heute auch noch so. Es ist nicht Gott, der das sagt, es sind die Menschen. Solange das Kind noch gelebt hat und krank war, hat er sich kasteit und hat gefastet, hat er sich gequält und hat gebetet. Als das Kind dann tot war, stand er auf und ging zum Alltag über. Das überzeugt die Leute. Flemmer: David - ein Feldherr, ein Söldnerführer, ein wenig bei den Philistern untergekommen. Der Krieg zwischen Israel und den Philistern geht ja weiter. Saul kommt in einem dieser großen Kämpfe um, bzw. es ist so, daß er sich eher in sein eigenes Schwert stürzt. Es gibt darüber wohl zwei Versionen: Er kommt entweder um, oder er wird umgebracht. Möglicherweise gibt es in diesem Buch Samuel sogar zwei Erzähler. Lapide: Mir leuchtet das schon ein. Diese Szene wird uns ja geschildert: Er sieht, daß die Sache aussichtslos ist, und er will eben kein Gefangener werden. Wir haben ja schon gesehen, wie man in jenen Tagen mit den Unterlegenen umgeht. Flemmer: Ja, die werden entweder geköpft oder an die Wand genagelt usw. Lapide: Er weiß also, was ihm blüht, und deshalb muß er selbst Schluß machen. Und deshalb macht es auch Sinn, so wie es uns geschildert wird. Flemmer: Jonathan kommt ja auch um. Dann geschieht etwas Merkwürdiges im Verhalten Davids. Eigentlich sollte er ja jubeln, denn er ist doch mit dem Tod Sauls seinen Widersacher los geworden. Aber nein, das Gegenteil ist der Fall. Lapide: Dazu ist er eben Diplomat genug, denn nun kommt der Diplomat ins Spiel. Im Gegenteil folgt zunächst einmal diese große herrliche Klage: Da kommt wirklich der große Dichter heraus. Das müssen wir auch rehabilitieren, weil es immer wieder mißverstanden wird. An einer Stelle besingt er nämlich Jonathan und sagt: "Deine Liebe ist mir wertvoller als die Liebe der Frauen." Dadurch entstand immer die Frage, ob die beiden homosexuell gewesen seien. Ich glaube, daß sie das ganz bestimmt nicht waren. Flemmer: Wobei das auch keine Rolle spielen würde. Aber es gibt wohl keinen Grund dafür, das anzunehmen. Lapide: Nein, es gibt keinen Grund, wenn man dieses ganze Verhältnis der beiden betrachtet. Es kommt dazu, daß die Männerfreundschaften im Orient einfach so aufgebaut waren: Man hat die Frauen im allgemeinen für dumm gehalten. Die Frauen waren ja – mit Ausnahme der uns geschilderten besonderen Frauen – gar nicht im Stande, am Gedankenaustausch und an den Gedichten teilzunehmen. Daher kam es, daß der Mann sich eben den Gedankenaustausch bei einem anderen Mann gesucht hat. Das war quer durch die Bibel der Fall. Ich sehe also keinen Grund, ihn als homosexuell einzustufen. Er betrauert also den Tod wirklich: vor allem bei Jonathan, den er sehr geliebt hat. Das merkt man aus dem ganzen... Flemmer: Und die Klage über Saul ist nur eine diplomatische? Lapide: Ich glaube schon, daß das eher diplomatisch gemeint ist. Er ist da einfach schon Staatsmann. Da kommen bereits alle möglichen Möchtegern- Günstlinge zu ihm. Sie, die Läufer, kommen ganz schnell herbei und berichten ihm: "Weißt du es schon?" Von Anfang an sagt er: "Bitte, damit kannst du keine Gunst bei mir erkaufen. Wenn mir der Tod des Messias, des Herren, mitgeteilt wird, dann ist das für mich ein Trauertag und kein Freudentag." Er läßt dann diejenigen – das ist ja auch in der griechischen Sage so –, die ihm diese Kunde überbringen, teilweise umbringen, weil das eben nicht seine Freunde sind. Und er hat auch recht damit, denn er darf sich ja nicht entblößen, weil der Kampf zwischen den Erben Sauls und seinen Leuten ja weitergeht. Flemmer: Da geht es erst los. Es heißt, er wird nicht einfach Nachfolger von Saul, sondern es entsteht ein Nachfolgestreit. Er wird ja auch zunächst nur für einen Stamm gesalbt. Lapide: Ja, er wird nur für den Stamm Juda in Hebron gesalbt. Er ist sieben Jahre lang nur in Hebron. Flemmer: Und hat deswegen Hebron zur Hauptstadt ernannt. Lapide: Ja, es wird dann sehr schwer und sehr bitter für ihn, denn Saul hatte ja einen General, wie wir heute sagen, Avner, Sohn des Ner, und die überlebenden Söhne, die Benjaminiter, hinterlassen. Und im Streit mit ihnen geht es um die Herrschaft über ganz Israel, um die Herrschaft über das ganze Land. Das ist sehr bitter und dauert sieben Jahre. Flemmer: Dabei gibt es ja auch jede Menge Intrigen. Da wird um die Vorherrschaft gekämpft. Lapide: Ja, und wie. Er kommt selbst ja aus einer "gesunden" Gesellschaft. Dieser Joab, der uns da geschildert wird, ist sein Neffe. Die Schwester von David heißt Zeruja und hat drei gestandene Männer, richtige Soldaten, als Söhne. Sie zusammen schaffen es also, und David kommt nach Jerusalem. Er ist, wie ich schon sagte, der Kanzler der Einheit. Ich will das aber jetzt nicht mit Deutschland vergleichen, denn die Folgen waren nicht gut: Es hat nur zwei Generationen lang gehalten. Flemmer: Na ja, er hat sich im Grunde bemüht, eine Gesamtherrschaft über Israel zu erlangen. Lapide: Ja, das war das Ziel. Flemmer: Das heißt, es geht darum, das Königtum für Israel wirklich zu etablieren. Das erste Mal gibt es also in der Geschichte Israels – nach Saul, der immer so eine wackelige Person gewesen war – wirklich das Königtum. Das setzt sich fort in der ganzen Bibel und geht bis in das Neue Testament hinein. Auch das ist ja eine ganz wichtige Geschichte. David wird eines Tages König von ganz Israel. Aber: Er muß dafür noch ein paar Proben bestehen. Da kommt er, wie ich meine, auch nicht immer ganz gut weg. Da müssen wir nun diese Geschichte mit Bat Scheba, die Sie vorhin schon angedeutet haben, ins Spiel bringen. Da ist er wohl ein Schürzenjäger, dieser David? Lapide: Ja, das ist er ganz enorm, obwohl "Schürzenjäger" eigentlich noch viel zu elegant ausgedrückt ist. Flemmer: Richtig, er nimmt sich, was er kriegen kann. Lapide: Gut, das verlangt zum Teil auch die Staatsräson, daß er wie die anderen Könige auch Frauen von hier und von dort, daß er Königstöchter und auch andere Frauen hat. Aber er ist einfach ein Draufgänger, das ist gar keine Frage. Ich muß aber sagen, daß ich ihn im Fall Bat Scheba ernsthaft in Schutz nehme. Denn sie hat ihn wirklich herausgefordert. Man kann darüber streiten. Flemmer: Na gut, er wandert da auf dem Dach hin und her... Lapide: Es war eben eine schwere Arbeit, und in Jerusalem kann es wirklich sehr heiß werden. Im August gibt es da einen Ostwind, der schon im Alten Testament erwähnt wird. Und ausgerechnet da – man kann ja auch heute in Friedenszeiten wieder auf diesen flachen Dächern spazierengehen – muß sie in fünf Meter Entfernung auf dem flachen Dach nackt ihr Bad nehmen. Mein Gott, da kann er nicht widerstehen, und er läßt sie kommen. Flemmer: Weil er sagt: "Die muß ich haben!" Lapide: Jawohl, und sie läßt sich auch gerne einladen. Sie wehrt sich nicht, im Gegenteil, es entsteht eine schreckliche Intrige. Ihr Mann ist nämlich einer seiner Offiziere und ein sehr treuer Offizier dazu. Flemmer: Das heißt, er nimmt sie sich auch gleich. Lapide: Sie ist sofort einverstanden damit. Flemmer: Und sie schlafen miteinander. Lapide: Sie ist einverstanden damit, und sie will das auch: Sie arbeitet darauf hin. Flemmer: Dann sagt aber David zu ihr: "Geh zurück in das Haus deines Mannes!" Lapide: Ja, er war ganz raffiniert. Er holt den Offizier, Urija, mit Absicht zurück, damit das Kind – daß sie schwanger ist, erzählt sie natürlich David sofort –, dem Urija untergeschoben werden kann. Dieser Urija ist aber sehr treu. Er sagt: "Nein, ich gehe nicht zurück zu meiner Frau, wenn meine Soldaten da draußen an der Front darben – im Dreck und im Blut. Da soll ich zur schönen Bat Scheba gehen? Oh Gott, nein!" David ist darüber natürlich entsetzt. Nun gut, jetzt geht es gar nicht mehr anders. Er schickt einen Brief, Urija wird an eine bestimmte Stelle an der Front geschickt und kommt dabei um. Flemmer: Das ist eine wirklich böse Intrige, denn David sagt: "Den schicke ich jetzt dorthin, wo er hundertprozentig umkommt. Dann ist er weg, und ich habe freie Bahn." Lapide: Ich frage Sie: Bat Scheba ist doch an dieser ganzen Entwicklung mit schuldig. Sie weiß das, und sie hat das provoziert. Flemmer: Das könnte sein. Lapide: Ich bin in dem Fall auf seiten Davids. Flemmer: Na, er hat Urija die Frau geklaut, hat ihn umbringen lassen, wie man sagen kann... Lapide: Und jetzt kommt der große Auftritt des Propheten Nathan. Er erzählt ihm eine Geschichte aus dem Volk, denn David bleibt nach wie vor ein Mann des Volkes. Nathan erzählt ihm: Ein Mann – das ist ja inzwischen weltberühmt geworden – hat eine Riesenherde, und ein anderer Mann hat nur ein Schäflein und dieses eine Schäflein muß ihm der reiche Landesherr auch noch wegnehmen! David springt auf und ruft: "Das ist ja ein Skandal, bring' ihn her zu mir, da wird er schon sehen, was passiert." Und da sagt dann Nathan: "Atah haisch", "du bist der Mann". Gut, und da nimmt dann die Tragödie ihren Lauf. Das Kind stirbt, wie wir schon erwähnt haben, aber er... Flemmer: Wer nimmt da nun Rache? Lapide: Es gibt keine Rache, es gibt keine Strafe. Das ist sehr wichtig. Denn... Flemmer: Aber der Prophet sagt ja: "Du hast gesündigt, und jetzt wird es für dich eng werden." Lapide: Der Witz bei David ist aber, und das wird ihm in der Tradition auch sehr hoch angerechnet, daß er öffentlich sagt: "Ich habe gesündigt!" Das ist viel für einen König in der Antike. Schon im Mittelalter ist es nicht mehr denkbar, daß der König sagt: "Mea culpa, ich habe gesündigt, ich bitte um Verzeihung!" Er geht zum Volk – und das wird im eben so hoch angerechnet –, und bittet um Verzeihung: er kasteit sich, er fastet usw. Man kann das von der Bibel her auch nicht so interpretieren, daß Gott das Kind strafen würde. Denn das Kind kann ja nun wirklich nichts dafür. Statt dessen sagen das die Menschen. Das ist heute ja auch noch nicht anders: "Das geschieht ihm recht!" Flemmer: David ist verzweifelt: Er wirft sich auf den Boden... Lapide: Ja, er macht das öffentlich als Monarch vor dem Volk. Das rechne ich ihm auch hoch an, denn selten geschieht das bei einem Politiker. Sie wissen ja, ich übertrage solche Dinge gerne auf unsere Zeit: Wann kommt es denn schon vor, daß ein Politiker dem Volk sagt, er hätte da oder dort einen Fehler gemacht? Das Kind stirbt also – und ich glaube nicht, daß das eine Strafe Gottes ist. Dann beginnt die ganze Sache von Neuem. Er liebt Bat Scheba scheinbar wirklich – im Gegensatz zu den Techtelmechtel-Affären mit den anderen Königinnen und mit seinem Harem. Und dann wird Salomon geboren. Wichtig ist: Inzwischen residiert er in Jerusalem und stärkt auch diese Festung Jerusalem. Und: Er möchte den Tempel bauen. Flemmer: Er hat auch die Bundeslade dorthin bringen lassen. Lapide: Ja, die ist inzwischen auch schon da – mit dem ganzen Drum und Dran. Es ist alles sehr dramatisch, bis es so weit ist. Aber er darf den Tempel dann nicht bauen. Das bereitet ihm großen Kummer. Das ist wichtig: Denn Gott will kein Blutvergießen in solchen Ausmaßen. Man könnte sagen, David hätte keine andere Wahl gehabt, aber es war eben sehr viel Blut vergossen worden. Und deshalb soll er bitte nicht den Tempel bauen, sondern Schlomo, der Friedliche, der Fürst des Friedens soll diesen Tempel bauen. Flemmer: David beginnt wirklich ein Gespräch mit Jahwe. Da fällt dann ein unglaublicher Satz, der später Mohammed in den Mund gelegt werden wird, in dem er Allah als den einzigen Gott preist. Das heißt, eigentlich war es David, der "Allah hu akbar" gesagt hat. Lapide: Auf jeden Fall. Die ganze Bibel ist voll davon: "Allah hu akbar." Flemmer: Wörtlich: Es gibt keinen Gott außer dir! Lapide: Selbstverständlich. Die Frage ist nur, ob ein Moslem, wenn Sie ihn fragen, unter Allah auch den Gott des Alten Testaments meint. Das ist eben die Frage. Flemmer: Das ist freilich eine andere Frage, aber die Formulierung gibt es da bereits. Lapide: Ja, diese Formulierung gibt es da bereits und nimmt den Moslems damit ihre Exklusivität. Mohammed war natürlich sehr beeinflußt durch die Bibel. Denn 637 beim Auftritt, beim Sturm des Islam in die Weltgeschichte, war das Judentum ja längst bekannt. Von Mohammed kommen ja auch die großen Komplimente: "am hasefer" – das Volk des Buches. Sämtliche Propheten werden von Mohammed akzeptiert. Er anerkennt sie alle. Der Islam sagt nur, daß Mohammed der letzte sei, der Siegel der Propheten. Alle Propheten werde akzeptiert, aber der schönste, der beste und der letzte in dieser Kette ist eben Mohammed. Flemmer: David muß büßen "für seine Sünden", aber es geht dann weiter – auch mit seinen Kindern. Lapide: Ja, Gott verzeiht ihm und akzeptiert ihn. Flemmer: Aber er hat dann auch ein schweres Problem mit seinen Kindern. Lapide: Ja, und wie. Aber ich würde das gar nicht Gott zuschreiben, sondern der Tatsache, daß er sein Haus nicht bestellt. Er ist dauernd unterwegs. Flemmer: Da geht viel schief. Lapide: Ja, das ist ganz furchtbar. Die Söhne erschlagen sich untereinander, und dann gibt es noch das Allerschlimmste, den großen Vergewaltigungsakt. Das ist auch ein politischer Akt, das ist keine Liebesgeschichte. Es ist eine wirklich merkwürdige Geschichte um diese Tamar. Es gibt Adonija, den Sohn der Haggit. Denn die haben ja alle eine andere Mutter. Dann gibt es Absalom: Er ist der Enkel eines Königs aus Transjordanien. Und Absalom hat eine Schwester namens Tamar. Zwischen den Söhnen gibt es natürlich eine Konkurrenz: zwischen Amnon und Absalom. Tamar wird in diese Nachfolgestreitigkeiten nur mit hineingezogen. Flemmer: ...und sehr böse behandelt. Lapide: Sehr böse, wirklich sehr böse. Es gibt dabei diese merkwürdige Szene, daß Amnon sie zuerst in die Falle lockt – sie ist wirklich ein unschuldiges Mädchen –, sie vergewaltigt und dann dieses häßliche Wort sagt. Er schickt sie weg, und dann steht geschrieben: "So sehr er sie vorher geliebt hat, so sehr haßt er sie nach der Vergewaltigung." Manche Psychologen – denn es sind ja schon Bücher darüber geschrieben worden – sagen, daß es so ein Syndrom gäbe. Das hatte jedenfalls nur politische Gründe: Er wollte Absalom provozieren und die Nachfolge an sich reißen, denn er war der Ältere. Absalom verzeiht ihm das natürlich nicht. Tamar versteckt sich dann Zeit ihres Lebens im Haus ihres Bruders Absalom. Es gab ja hier in Deutschland auch einmal eine Mode, bei der die Männer mit so furchtbar langen Haaren herumgelaufen sind. Da denke ich oft an Absalom. Absalom meutert dann gegen David auf eine sehr häßliche Art und Weise. Da gibt es dann Ahitofel, der Absalom schlecht berät. Das heißt, eigentlich berät er ihn gut. Aber ein anderer, Huschai, berät ihn schlecht, denn es gibt auch da eine "fünfte Kolonne", die auf seiten Davids steht. Was mich sehr berührt ist, daß in dem ganzen Elend folgendes geschieht: David ist auf der Flucht und in größtem Elend. Zu Hause aber hat er seinen Harem. Es gibt im Orient die schreckliche Sitte, daß ein Nachfolgerkönig eine Exempel statuiert und den Harem – nicht die Hauptfrau, aber den Harem – in Besitz nimmt. Und Absalom schämt sich nicht, das ebenfalls zu tun. Da berät ihn Ahitofel einfach schlecht, man nennt das bis heute den Rat des Ahitofel: "Zeig dem Volk, wer du bist und nimm den Harem in Besitz!" Das ist furchtbar. Nachher, als alles wieder gut wird, steht geschrieben: "Und David betrat den Harem nie mehr." Aber in dieser Situation auf der Flucht sagt David eben zu Joab, als sie sich endlich rüsten, um Ordnung zu schaffen und gegen Absalom zu ziehen: "Absalom, der Knabe! Wie geht es denn dem Knaben Absalom? Ach, der Knabe." Flemmer: Da möchte er ihn eigentlich lieber umarmen. Lapide: Na, wenn das keine Liebe ist. Also so etwas! Da staune ich schon manchmal: Dieser harte Kämpfer David ist doch schon alt geworden. Flemmer: David hat doch aber eigentlich seine Nachfolge schon geregelt, weil er doch Bat Scheba zugesagt hatte, daß Salomon sein Nachfolger werden soll. Sie fordert das auch ein. Lapide: Natürlich. Aber das ist auch so eine Sache, denn er ist ja bei weitem nicht der älteste Sohn. Die anderen sind ja auch gestandene Männer. Flemmer: In der normalen Erbfolge hätte er gar keine Chance. Lapide: Aber Bat Scheba – wenn ich sie richtig einschätze – hat natürlich dieses alte jüdische Traditionsgut eingebracht, daß Gott sich auch nicht immer den ältesten Sohn aussucht. Sie hat David bestimmt untergejubelt, daß er nicht einfach dem ältesten Sohn automatisch seine Nachfolge anvertrauen kann. Das ist das einzige Argument, denn ansonsten wären die anderen wirklich eher dran gewesen. Aber wie schon gesagt, sie wird auch mißbraucht. Und zuletzt kommt dann wieder eine Rebellion, diesmal von Adonija. Das ist schon wieder ein anderer Sohn. Amnon und Absalom sind schon weg. Dann gibt es einen Jubel in der Stadt, einen Riesenlärm und Trompeten sind zu hören usw. Da kommt Nathan, der ja von Anfang an dabei ist... Flemmer: Der spielt immer mit. Lapide: Jawohl, und er hat inzwischen Bat Scheba auch akzeptiert, weil David ja Buße getan hat. Er sagt zu ihm: "Hörst du nicht, was da los ist? Was ist mit deinem Sohn? Mach‘ jetzt endlich was!" Nathan, der sehr kluge Prophet, legt dann Bat Scheba, die selbst scheinbar nicht klug genug ist, die Worte in den Mund, die sie zum alten David sagen soll: "Es wurde uns doch zugesagt. Salomon ist es eben." Sie zwingt David damit fast – denn es ist ja schon peinlich, es ist dies ja nun bereits die dritte Revolution –, daß Salomon offiziell gekrönt wird. Und es muß noch am selben Tag geschehen – was dann auch so geschieht. Es wird berichtet, daß Adonija von seinen eigenen Leuten erzählt bekommt, daß bereits eine Krönung erfolgt und nichts mehr zu machen sei. Dieser Nachfolgestreit ist damit endlich zu Ende. Das ist so wie bei den alten Bauern meinetwegen auf dem Land in Bayern: Der alte Bauer gibt die Zügel nicht gerne aus der Hand. Das hat David eben auch nicht gewollt: Er hat die Zügel nicht hergeben wollen, bis es nicht mehr anders ging. Flemmer: Können wir am Schluß noch die Frage stellen, wie es denn dazu gekommen ist, daß David eigentlich als die Urfigur des Königtums und im Grunde in der Verbindung zum Messias gesehen wird? Lapide: Das kommt daher, weil er trotz all dieser harten Kämpfe und der Sünden ein Mann Gottes ist. Er ist imstande, öffentlich um Verzeihung zu bitten, öffentlich Wiedergutmachung zu leisten und sich öffentlich zu besinnen, einen besseren Weg zu gehen. Und er liebt Gott über alles. Er ist schließlich derjenige, dem die Psalmen zugeschrieben werden, er ist der Sänger, er ist der Dichter, er ist der Verkünder Gottes, und er ist der Festiger des Monotheismus. Der erste Verkünder des Monotheismus ist natürlich Abraham, aber derjenige, der das weitergeführt hat, der ihm einen gewissen Schutz gegeben und im mittleren Osten begonnen hat, die Botschaft hinaus zu tragen bis nach Elat oder bis hinauf nach Damaskus, ist David. Er weiß, daß alles von Gott kommt – bei all seiner Erdverbundenheit und seiner Gewalttätigkeit ist er ein Mann Gottes. Das ist das Große an ihm. Daher kommt von ihm die messianische Tradition. Flemmer: Das muß er ja schon als Kind gespürt haben, als ihn Samuel zum ersten Mal gesalbt hat. Lapide: Ja, "im Namen Gottes". Flemmer: Da heißt es, daß er von dem Augenblick an eigentlich verändert worden ist. Das hat ihn wohl auch sein ganzes Leben lang begleitet. Lapide: Das hat ihn ganz bestimmt geprägt. Flemmer: Im Grunde hört er dann ja, was er eigentlich zu tun hätte. Lapide: Das schönste Beispiel dafür ist, daß dieser Kämpfer den Tempelplatz, also den heutigen Tempelplatz, nicht mit Blut erobert, sondern gekauft hat. Das ist das gleiche Motiv wie bei Abraham in Hebron. Die Tenne des Jebusiters Arauna kauft er für bares Geld. Dort soll der Tempel stehen. Flemmer: Aber das ist ja immer wieder erstaunlich: Da gibt es auf der einen Seite den Heerführer, der nichts dabei findet, 200 Vorhäute zu liefern, und da gibt es auf der anderen Seite den David, der das Blutvergießen eigentlich gar nicht so gerne hat. Statt dessen hat er schon das Gefühl, daß er eigentlich auch für den Frieden sorgen müßte. Lapide: Dieser Widerspruch ist vorhanden. Flemmer: Er wird dann in diesem Bild auch zum Friedenskönig. Lapide: Im Ideal. Er kann den Frieden nämlich nicht liefern. Er möchte ihn liefern: Er ist sich der Sündhaftigkeit, der Verführung und der Versuchung bewußt, aber er kann nicht leisten, was er leisten möchte. Doch er bereitet den Boden für seinen Nachfolger. Das ist, wie ich denke, in diesem historischen Moment das Richtige. Flemmer: Dann gibt es ja in der gesamten Bibel die Rückschau auf David und auf Bethlehem. Daher kommt auch der Sproß Davids, also schließlich auch Jesus. Da geht es in die große Zukunft hinein. Die Tradition muß sich an diesem König unglaublich erbaut haben, wie man fast sagen kann. Lapide: Es ist auch tröstlich, und das wird auch immer wieder betont und unterstrichen, daß er wiederum der Geringste ist. Es wird uns nicht verheimlicht, daß er aus geringen Verhältnissen kommt. Flemmer: Ja, aber spielen diese geringen Verhältnisse wirklich eine Rolle? Lapide: Ich glaube schon, denn das wird immer betont. Denn wie es im ganzen Altertum der Fall war, wurde normalerweise der Thronerbe schon von Anfang an dazu getrimmt und mit einer großen Sicherheit im Auftreten ausgestattet. David hingegen ist der letzte kleine Hirte, der vom Feld hereingerufen wird. Flemmer: David ist der letzte kleine Hirte, aber er ist vor allem auch ein Mensch, der einem unglaublich nahe kommen kann: mit all seinen Fehlern und mit all seiner Großartigkeit. Lapide: Es war wohl deutlich, daß man die Gnade Gottes an ihm gespürt hat, so daß man sagen kann, er war ein begnadeter Mensch. Er muß die Menschen wirklich überzeugt haben, denn man hat ihm ja immer wieder sehr viel nachgesehen. Flemmer: Normalerweise müßten sich die Leute von ihm abgewendet haben. Statt dessen haben sie ihn akzeptiert, ihn geschätzt. Lapide: Er war der Begnadete. Flemmer: Sie haben vorhin von seinem Charme gesprochen, aber... Lapide: Ihm ist es gelungen, die Sehnsucht, die sich in der Bibel ausdrückt, zu stillen: Wir dürfen nicht vergessen, daß er die 12 Stämme zusammengeschmolzen hat. Denn diese 12 Stämme hatten sich bis dahin ja erbittert bekämpft: Das war wirklich eine Tragödie. Ihm ist also die Geburt Israels gelungen. Flemmer: Das war im Grunde die Geburt des großen Israel, des wirklichen Israel. Lapide: Das ist heute ein mißbrauchter Begriff, aber das ist die Wurzel des Judentums – im menschlichen Sinne. Ich spreche hier nicht von der Geographie. Er schafft es, die 12 Stämme zusammenzubringen. Aber schon bei seinem Enkel, dem Sohn des Salomon, der es selbst ja gerade noch geschafft hatte, ist es wieder auseinandergegangen. Deswegen sage ich: "Vorsicht bei der Vereinigung!" Flemmer: Vielen Dank für dieses Gespräch, unsere Gesprächszeit ist schon wieder zu Ende. Lapide: Ist es schon wieder vorbei? Ich hätte noch viel zu sagen. Flemmer: David hat uns dabei begleitet. Liebe Zuschauerinnen und Zuschauer, herzlichen Dank fürs Zuschauen und fürs Zuhören.

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