Plenarprotokoll 12/128

Deutscher

Stenographischer Bericht

128. Sitzung

Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1992

Inhalt:

Glückwünsche zum Geburtstag der Abge- Dr. Wolfgang Schäuble CDU/CSU . . . 11046A ordneten Dr. und Peter Conradi . 11039A Dr. F.D.P. 11048B, 11058C, 11073 A Verzicht des Abgeordneten Franz Müntefe- Dr. PDS/Linke Liste . . . . 11050A ring auf seine Mitgliedschaft im Deutschen Bundestag ...... 11039 B Ingrid Köppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 11052 C

Eintritt des Abgeordneten Walter Schöler , Bundesminister BMI . . . 11053C in den Deutschen Bundestag . . 11039 B Ingrid Köppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜ NEN 11054D, 11055A Erweiterung, Änderung und Abwicklung der Tagesordnung sowie Absetzung des SPD 11056A Tagesordnungspunktes 3d 11039 B CDU/CSU ...... 11058 C Absetzung des Tagesordnungspunktes 18 11039D, Cornelia Schmalz-Jacobsen F.D P 11060 C 11140 B Konrad Weiß (Berlin) BÜNDNIS 90/ Zusatztagesordnungspunkt 2: DIE GRÜNEN ...... 11061 D - Abgabe einer Erklärung der Bundes- Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, regierung Bundesministerin BMJ 11063 A Extremismus und zunehmende Gewalt- bereitschaft in Deutschland Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten CDU/ CSU ...... 11063 D in Verbindung mit Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast SPD . . . 11064 C Tagesordnungspunkt 13: , Parl. Staatssekretärin Beratung der Großen Anfrage der Abge- BMFJ ...... 11065 D ordneten Dr. Willfried Penner, Gerd SPD 11067 C Wartenberg (Berlin), , weiterer Abgeordneter und der Fraktion Günter Graf SPD 11067 D der SPD Rechtsextremismus, Ausländerfeind- Dr. Ulrich Briefs fraktionslos 11068D lichkeit und zunehmende Gewalt- CDU/CSU ...... 11070A bereitschaft in der Bundesrepublik Deutschland (Drucksachen 12/1729, Ortwin Lowack fraktionslos . . 11071A, 11073C 12/3074) Siegfried Vergin SPD 11072A Dr. , Bundeskanzler BK . . 11040A Freimut Duve SPD ...... 11073 B , Ministerpräsident des Saarlandes 0 ...... ...... 11043 B Dr. F.D.P...... 11073 C II Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 128. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1992

Tagesordnungspunkt 2: Mehrbelastung der Arbeiter und Angestell- ten gegenüber den Beamten und Selbstän- Fragestunde (Fortsetzung) digen bei der Finanzierung der Deutschen — Drucksache 12/3921 vom 4. Dezem- Einheit ber 1992 — MdlAnfr 31 Bedrohungsanalyse für die Anforderungen SPD an den von Bundesminister Volker Rühe Antw PStSekr Dr. Joachim Grünewald geplanten Kampf-Jet BMF ...... 1107 8 P MdlAnfr 4 ZusFr Ottmar Schreiner SPD ...... 11079 A Hans Wallow SPD Antw PStSekr Bernd Wilz BMVg . . . . 11074D Einrichtung eines Nothilfefonds Altlasten- sanierung in den neuen Bundesländern mit ZusFr Hans Wallow SPD ...... 11075A Hilfe der im Haushalt der Wismut AG ZusFr Dr. Karl-Heinz Klejdzinski SPD . . 11075C gestrichenen Mittel; weitere Förderung von Uran im Bergbaugebiet Königstein trotz der ZusFr Detlev von Larcher SPD . . . . . 11075D Gefahren für das Trinkwasserreservoir Geheime Verhandlungen mit der DDR MdlAnfr 34, 35 1986/87 über die Anerkennung der DDR Siegrun Klemmer SPD Staatsbürgerschaft und die Gewährung von Antw PStSekr Dr. Heinrich L. Kolb BMWi 11079D, Wirtschaftshilfen als Gegenleistung für die 11080 C Öffnung der Mauer ZusFr Siegrun Klemmer SPD . . . . 11080B, D MdlAnfr 14, 15 Detlev von Larcher SPD ZusFr Dr. Karl-Heinz Klejdzinski SPD . . 11081A Antw StMin BK 11076B Finanzierung der aktiven Arbeitsmarkt- ZusFr Detlev von Larcher SPD 11076B politik für die neuen Bundesländer aus Steuermitteln oder aus einer Arbeitsmarkt- Gewährleistung eines ausreichenden Ver- abgabe sicherungsschutzes bei Aufhebung der MdlAnfr 45 Verpflichtung zum Abschluß einer Kfz Ottmar Schreiner SPD -Versicherung Antw PStSekr Rudolf Kraus BMA . . . . 11081B MdlAnfr 16 CDU/CSU ZusFr Ottmar Schreiner SPD ...... 11081 D Antw PStSekr Dr. Reinhard Göhner BMJ 11076D Verzögerung der Eröffnung eines Goethe- Instituts in Südafrika ZusFr Renate Blank CDU/CSU . . . . . 11077 A MdlAnfr 64, 65 Ermittlungsverfahren gegen rechtsex tremi- Dr. Dietrich Mahlo CDU/CSU stische und -radikale Organisationen seit Antw StMin Helmut Schäfer AA 11082C, 11083A Jahresbeginn ZusFr Dr. Die trich Mahlo CDU/CSU . . . 11082D MdlAnfr 17 - Dr. Margret Funke-Schmitt-Rink F.D.P. Zusage der Bundesregierung für eine finan- Antw PStSekr Dr. Reinhard Göhner BMJ 11077C zielle Unterstützung Israels bei Waffenkäu- f en ZusFr Dr. Margret Funke-Schmitt-Rink F.D.P. ...... 11077 D MdlAnfr 67 Jürgen Koppelin F.D.P. Vorlage des 2. SED-Unrechtsbereinigungs- Antw StMin Helmut Schäfer AA . . . . 11083B gesetzes ZusFr Jürgen Koppelin F.D.P...... 11083 B MdlAnfr 18 Dr. Michael Luther CDU/CSU Initiativen der Bundesregierung für eine Antw PStSekr Dr. Reinhard Göhner BMJ 11077D gewaltsame Öffnung der Zugangswege nach Sarajewo zur Versorgung der Bevöl- ZusFr Dr. Michael Luther CDU/CSU . . 11078A kerung ZusFr Dr. Karl-Heinz Klejdzinski SPD . . 11078B MdlAnfr 68 Claus Jäger CDU/CSU Vorlage des Sachenrechtsbereinigungsge- setzes Antw StMin Helmut Schäfer AA . . . . 11083 D MdlAnfr 19 ZusFr Claus Jäger CDU/CSU . . . . . 11084 A Dr. Michael Luther CDU/CSU ZusFr Norbert Gansel SPD 11084 C Antw PStSekr Dr. Reinhard Göhner BMJ 11078C ZusFr Dr. Dietrich Mahlo CDU/CSU . . 11085A Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 128. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1992 III

Information des Auswärtigen Ausschusses Fraktion der CDU/CSU sowie der Abge- und des Verteidigungsausschusses des ordneten Dr. Otto Graf Lambsdorff, Deutschen Bundestages vor Genehmigung Burkhard Zurheide, Klaus Beckmann, von Rüstungsexporten nach Taiwan weiterer Abgeordneter und der Fraktion MdlAnfr 80 der F.D.P.: Keine protektionistische Norbert Gansel SPD europäische Regelung für die Einfuhr von Bananen (Drucksache 12/3959) . 11087 D Antw StMin Helmut Schäfer AA . . . , 11085 B ZusFr Norbert Gansel SPD 11085 C Tagesordnungspunkt 4: ZusFr Dr. Karl-Heinz Klejdzinski SPD . 11086A Abschließende Beratungen ohne Ausspra- ZusFr CDU/CSU 11086B che ZusFr Jürgen Koppelin F.D.P...... 11086 C b) Zweite und dritte Beratung des von den ZusFr Günter Klein (Bremen) CDU/CSU 11086D Abgeordneten Dirk Fischer (Hamburg), Heinz-Günter Bargfrede, Dr. Wolf ZusFr Karsten D. Voigt (Frankfurt) SPD 11087 A Bauer, weiteren Abgeordneten und der ZusFr CDU/CSU . . . . . 11087 B Fraktion der CDU/CSU sowie den Abgeordneten , Horst Tagesordnungspunkt 3: Friedrich, Roland Kohn. weiteren Abge- ordneten und der Fraktion der F.D.P. Überweisungen im vereinfachten Verfah- eingebrachten Entwurfs eines ren Gesetzes zur Verlängerung der Regelung über a) Erste Beratung des von der Bundesre- die Anmietung von Kraftfahrzeugen im gierung eingebrachten Entwurfs eines Werkverkehr nach dem Einigungsver- Gesetzes zur Änderung des Patentge- trag (Drucksachen 12/3577, 12/3967) setzes und anderer Gesetze (Drucksa- che 12/3630) c) Zweite Beratung und Schlußabstim- b) Erste Beratung des von der Bundesre- mung des von der Bundesregierung ein- gierung eingebrachten Entwurfs eines gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu Einführungsgesetzes zur Insolvenzord- dem Protokoll vom 9. Dezember 1991 nung (Drucksache 12/3803) zu der Vereinbarung vom 8. Oktober 1990 über die Internationale Kommis- c) Erste Beratung des von der Bundesre- sion zum Schutz der Elbe (Drucksachen gierung eingebrachten Entwurfs eines 12/2660, 12/3855) Zehnten Gesetzes zur Änderung dienst- rechtlicher Vorschriften (Drucksache d) Zweite und dritte Beratung des vom 12/3791) Bundesrat eingebrachten Entwurfs ei- nes Gesetzes zur Änderung des Wehr- in Verbindung mit pflichtgesetzes und des Zivildienstge- setzes (Drucksachen 12/1867, 12/3805) Zusatztagesordnungspunkt 3: e) Zweite und dritte Beratung des von der Erste Beratung des von der Abgeordne- Bundesregierung eingebrachten Ent- ten Christina Schenk und der Gruppe wurfs eines Gesetzes zur Gewährlei- BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN einge- stung der Geheimhaltung der dem Sta- brachten Entwurfs eines ... Strafrechts- tistischen Amt der Europäischen Ge- änderungsgesetzes — Verjährung von meinschaften übermittelten vertrauli- Sexualstraftaten an Kindern und Ju- chen Daten — SAEG-Übermittlungs- gendlichen (Drucksache 12/3825) schutzgesetz — (Drucksachen 12/2685, 12/3912) in Verbindung mit f) Beratung der Beschlußempfehlung und Zusatztagesordnungspunkt 4: des Berichts des Ausschusses für Ernäh- Erste Beratung des von den Fraktionen rung, Landwirtschaft und Forsten (10. der CDU/CSU und F.D.P. eingebrachten Ausschuß) zu dem Antrag der Abgeord- Entwurfs eines Gesetzes zur Heilung neten , Dr. Liesel Harten- des Erwerbs von Wohnungseigentum stein, Klaus Kirschner, weiterer Abge- (Drucksache 12/3961) ordneter und der Fraktion der SPD: Ver- besserung der Situation bei Tiertrans- in Verbindung mit porten (Drucksachen 12/2069, 12/ 3716) Zusatztagesordnungspunkt 5: g) Beratung des Antrags der Abgeordne- Beratung des Antrags der Abgeordne- ten Doris Odendahl, Josef Vosen, Eck- ten Jürgen Augustinowitz, Heribert hart Kuhlwein, weiterer Abgeordneter Scharrenbroich, Wolfgang Vogt (Dü- und der Fraktion der SPD: Stärkung der ren), weiterer Abgeordneter und der Wissenschafts- und Forschungsland- IV Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 128. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1992

schaft in den neuen Ländern und im n) Beratung der Beschlußempfehlung geeinten Deutschland (Drucksache des Petitionsausschusses: Sammelüber- 12/3815) sicht 81 zu Petitionen (Drucksache 12/3859) 11088B h) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Bil- Dr. Barbara Höll PDS/Linke Liste (Erklä dung und Wissenschaft zu dem Antrag rung nach § 31 GO) 11090C der Abgeordneten Do ris Odendahl, Josef Vosen, Eckart Kuhlwein, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Tagesordnungspunkt 11: Stärkung der Wissenschafts- und For- Beratung der Beschlußempfehlung und schungslandschaft in den neuen Län- des Berichts des Auswärtigen Ausschus- dern und im geeinten Deutschland ses (Drucksachen 12/1983, 12/2949) zu dem Antrag der Fraktionen der CDU/ j) Beratung der Beschlußempfehlung und CSU und F.D.P.: Menschenrechte des Berichts des Haushaltsausschusses zu dem Antrag der Gruppe BÜND- zu dem Entschließungsantrag der Abge- NIS 90/DIE GRÜNEN: VN-Menschen- ordneten Dr. Gregor Gysi, Dr. Barbara rechtsgerichtshof und Hochkommissar Höll und der Gruppe der PDS/Linke für Menschenrechte (Drucksachen Liste zur Beratung der Großen Anfrage 12/1753, 12/1715, 12/3904) der Abgeordneten Dr. Klaus-Dieter Feige, (Berlin) und der Friedrich Vogel (Ennepetal) CDU/CSU . 11091 C Gruppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Die Finanzierung der Einheit und die Volker Neumann (Bramsche) SPD . . . . 11093C Verteilung der Lasten (Drucksachen Gerhart Rudolf Baum F.D P 11094 D 12/2235, 12/2840, 12/3760)

k) Beratung der Beschlußempfehlung und Dr. PDS/Linke Liste . . . . . 11096 A des Berichts des Ausschusses für Raum- ordnung, Bauwesen und Städtebau zu Gerd Poppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 11096D der Unterrichtung durch die Bundesre- Heribert Scharrenbroich CDU/CSU . . . 11097D gierung: Mitteilung der Kommission Ersuchen um Zustimmung des Rates Freimut Duve SPD 11098C und Anhörung des EGKS-Ausschusses, nach Artikel 55 § 2 c) des EGKS-Ver- Dr. SPD 11099D trags zum Entwurf einer Entscheidung der Kommission betreffend Untersu- Jan Oostergetelo SPD 11100A chungen zur Ermittlung des Bedarfs und der Strategien im Bereich der SPD 11100B Wohnungen für Arbeitnehmer in den EGKS-Industriegebieten (Drucksachen Dr. Winfried Pinger CDU/CSU . . . . 11101D 12/2636 Nr. 2.17, 12/3762) Friedrich Vogel (Ennepetal) CDU/CSU 11102A l) Beratung der Beschlußempfehlung und - des Berichts des Finanzausschusses zu Dr. , Bundesminister AA . . 11102D der Unterrichtung durch die Bundesre- gierung: Vorschlag für einen Beschluß des Rates, mit dem die Kommission Tagesordnungspunkt 12: ermächtigt wird, die Europäische Inve- a) Beratung der Großen Anfrage der Abge- stitionsbank für Verluste zu entschädi- ordneten Dr. Edith Niehuis, Brigitte gen, die ihr aus Darlehen für Vorhaben Adler, Angelika Barbe und weiterer in bestimmten Ländern außerhalb der Abgeordneter: Lage der Menschen- Gemeinschaft entstehen (Drucksachen rechte von Frauen, Jugendlichen und 12/3240 Nr. 3.2, 12/3782) Kindern in Pakistan (Drucksachen 12/2340, 12/3203) m) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Ernäh- b) Beratung der Beschlußempfehlung und rung, Landwirtschaft und Forsten zu der des Berichts des Auswärtigen Ausschus- Unterrichtung durch die Bundesregie- ses zu dem Antrag der Abgeordneten rung: Vorschlag für eine Verordnung Dr. Eberhard Brecht, , Hans (EWG) des Rates zur Änderung der Koschnick, weiterer Abgeordneter und Verordnung (EWG) Nr. 1799/87 über der Fraktion der SPD: Gewährleistung die Sonderregelung zur Einfuhr von der Menschenrechte und Wiederher- Mais und Sorghum nach Spanien für stellung der Selbstverwaltung der Ko den Zeitraum 1987-1991 (Drucksa- (Drucksachen 12/2289,-sovo-Albaner chen 12/3182 Nr. 38, 12/3746) 12/3391) Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 128. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1992 V c) Beratung der Beschlußempfehlung und Karsten D. Voigt (Frankfurt) SPD . . . 11122 C des Berichts des Auswärtigen Ausschus- SPD . . . . 11123B, 11127A ses zu dem Antrag der Gruppe BÜND- Ursula Männle CDU/CSU ...... 11124 A NIS 90/DIE GRÜNEN: Internationale Rudolf Bindig SPD 11125 A Initiative zur Rettung bedrohter Men- schenleben Hartmut Koschyk CDU/CSU . . . . . 11126 A zu dem Antrag der Fraktion der SPD: Ulrich Irmer F D P 11126 D Internationale Initiative zur Rettung bedrohter Menschenleben (Drucksa- Norbert Gansel SPD 11127 C chen 12/3660, 12/3700, 12/3953) Dr. PDS/Linke Liste (Erklä- d) Beratung des Antrags der Fraktion der rung nach § 32 GO) 11128 A SPD: Konvention gegen Vertreibung Dr. F.D.P. (Erklärung nach (Drucksache 12/3369) § 32 G0) 11128C e) Beratung des Antrags der Abgeordne- ten , Rudolf Bindig, Helmuth Wolfgang Lüder F.D.P. (Erklärung nach Becker (Nienberge), weiterer Abgeord- § 31 GO) 11129A neter und der Fraktion der SPD: Lage Heinz-Jürgen Kronberg CDU/CSU (Erklä und Zukunft der Kurden (Drucksache rung nach § 31 GO) 11129 B 12/3720) Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg 11114C f) Beratung des Antrags der Abgeordne- ten Uta Zapf, Rudolf Bindig, Helmuth Namentliche Abstimmung Becker (Nienberge), weiterer Abgeord- neter und der Fraktion der SPD: Drin- Ergebnis 11134A gende humanitäre Hilfsmaßnahmen für die Kurden im Nord-Irak (Drucksache Tagesordnungspunkt 14: 12/3719) Beratung des Berichts des Innenaus- schusses gemäß § 62 Abs. 2 der in Verbindung mit Geschäftsordnung zu dem Antrag der Abgeordneten und der Tagesordnungspunkt 4 i: Gruppe der PDS/Linke Liste: Stiftung Beratung der Beschlußempfehlung und für die Opfer ausländerfeindlicher des Berichts des Auswärtigen Ausschus- Übergriffe (Drucksachen 12/2084, ses (3. Ausschuß) zu dem Antrag der 12/3715) Fraktion der SPD Ulla Jelpke PDS/Linke Liste ...... 11130 D Festhalten an den Beschlüssen des Deutschen Bundestages vom 15. und Dr. Burkhard Hirsch F.D.P. 11131C 23. Juni 1989 zu China (Drucksachen Martin Göttsching CDU/CSU . . . . . 11131 D 12/1536, 12/2871) Jochen Welt SPD 11132 C Dr. Edith Niehuis SPD ...... 11105C Cornelia Schmalz-Jacobsen F.D.P. . . . 11133 B Freimut Duve SPD . 11106D, 11113A, 11120A- Stefan Schwarz CDU/CSU . 11107D, 11114C Tagesordnungspunkt 15: Beratung des Berichts des Innenausschus- Uta Würfel F.D.P ...... 11109 D ses gemäß § 62 Abs. 2 der Geschäftsord- Gerd Poppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 11111A nung a) zu dem von demn Abgeordneten Konrad Dr. Barbara Höll PDS/Linke Liste . . . 11112D Weiß (Berlin) und der Gruppe BÜND- CDU/CSU ...... 11115 A NIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Regelung Dr. Eberhard Brecht SPD ...... 11115D der Rechte von Niederlassungsberech- tigten, Einwanderinnen und Einwande- Dr. Klaus Kinkel, Bundesminister AA . . 11118A rern (Drucksache 12/1714 [neu]) Claus Jäger CDU/CSU ...... 11119 C b) zu dem von der Gruppe BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurf -Hermann CDU/CSU 11120A eines Gesetzes über die Rechtsstellung Editha Limbach CDU/CSU ...... 11120B von Flüchtlingen (Flüchtlingsgesetz) (Drucksachen 12/2089, 12/3918) Herbert Werner (Ulm) CDU/CSU . . . 11120C Konrad Weiß (Berlin) BÜNDNIS 90/DIE Dr. Friedbert Pflüger CDU/CSU . . . . 11121A GRÜNEN 11136B CDU/CSU ...... 11121 C Wolfgang Zeitlmann CDU/CSU 11137 B VI Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 128. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1992

Jochen Welt SPD . . . . . ...... 11137 D Stefan Schwarz CDU/CSU 11141* D Dr. Burkhard Hirsch F.D.P. 11138 C Heinz-Adolf Hörsken CDU/CSU 11142* B Ulla Jelpke PDS/Linke Liste ...... 11139B Wolfgang Vogt (Düren) CDU/CSU . . . 11142* B Gerhard Reddemann CDU/CSU (Erklärung Hubert Hüppe CDU/CSU 11142* A nach § 27 GO) . . . . . . . . . 11140A

Tagesordnungspunkt 16: Anlage 4 a) Erste Beratung des von der Bundesre- Zu Protokoll gegebene Reden zu Tagesord- gierung eingebrachten Entwurfs eines nungspunkt 16 (Vertragsgesetz Suchtstoff Gesetzes zu dem Übereinkommen der übereinkommen 1988 und Ausführungsge- Vereinten Nationen vom 20. Dezember setz Suchtstoffübereinkommen 1988) 1988 gegen den unerlaubten Verkehr mit Suchtstoffen und psychotropen Stof- Dr. CDU/CSU . . . . . 11142 * D fen (Vertragsgesetz Suchtstoffüberein- Johannes Singer SPD ...... 11143 * C kommen 1988) (Drucksache 12/3346) b) Erste Beratung des von der Bundesre- Dr. Margret Funke-Schmitt-Rink F.D.P. . 11144* C gierung eingebrachten Entwurfs eines Ingrid Köppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 11145* C Gesetzes zur Ausführung des Überein- kommens der Vereinten Nationen vom Dr. Barbara Höll PDS/Linke Liste . . . . 11145' D 20. Dezember 1988 gegen den uner- Dr. Sabine Bergmann-Pohl, Parl. Staats- laubten Verkehr mit Suchtstoffen und sekretärin BMG ...... 11146 * B psychotropen Stoffen (Ausführungsge- setz Suchtstoffübereinkommen 1988) (Drucksache 12/3533) ...... 11140 B Anlage 5

Tagesordnungspunkt 17: Zu Protokoll gegebene Reden zu Tagesord- Beratung des Berichts des Rechtsaus- nungspunkt 17 (Entwurf eines Gesetzes zur schusses gemäß § 62 Abs. 2 der Ge- Änderung des Wohnungseigentumsgeset- schäftsordnung zu dem von den Abge- zes) ordneten Peter Conradi, Achim Groß- Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten CDU/ mann, Dr. Eckhart Pick, weiteren Abge- CSU ...... 11147 * B ordneten und der Fraktion der SPD ein- gebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Dr. Eckhart Pick SPD 11148* B Änderung des Wohnungseigentumsge- Dr. Ilja Seifert PDS/Linke Liste . . . . 11149* B setzes (Drucksachen 12/1856, 12/3945) 11140D

Nächste Sitzung ...... 11140D Anlage 6 Gesamtbetrag der Bonuszahlungen an lei- Anlage i tende Mitarbeiter der Treuhandanstalt, ein- schließlich der ehemaligen Mitarbeiter der DDR-Nomenklatura Liste der entschuldigten Abgeordneten- . 11141* A MdlAnfr 20, 21 Drs 12/3921 Anlage 2 Manfred Kolbe CDU/CSU SchrAntw PStSekr Dr. Joachim Grünewald Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten BMF 11149D Kersten Wetzel (CDU/CSU) zur Abstim- mung über die Beschlußempfehlung des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag Anlage 7 der Fraktion der CDU/CSU und der F.D.P. Wettbewerbspolitische Bedeutung der Pro- betr. Menschenrechte (Tagesordnungs- tokollerklärung des Rats und der Kommis- punkt 11) ...... 11141*C sion der EG zur Fertigung von Zigaretten aus Feinschnitt durch den Raucher Anlage 3 MdlAnfr 22, 23 Drs 12/3921 Martin Grüner F.D.P. Erklärungen nach § 31 GO zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktio- SchrAntw PStSekr Dr. Joachim Grünewald nen der CDU/CSU und der F.D.P. zur ver- BMF ...... 11150* A einbarten Debatte über Menschenrechte (Drucksache 12/3960) Anlage 8 Jörg Ganschow F.D.P...... 11142 * C Ausgleich der durch Währungsdisparität CDU/CSU ... . . . 11141* D (Zinsverteuerung der Altkredite) entstan- Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 128. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1992 VII

denen höheren Verbindlichkeiten der Anlage 14 Staatskreditschuldner der ehemaligen Dauer der Bearbeitung von Rentenanträ- DDR gen von Arbeitern und Angestellten durch MdlAnfr 26, 27 Drs 12/3921 die Rentenversicherungsträger Dr. Elke Leonhard - Schmid SPD MdlAnfr 41, 42 Drs 12/3921 Gerlinde Hämmerle SPD SchrAntw PStSekr Dr. Joachim Grünewald BMF ...... 11150* B SchrAntw PStSekr Rudolf Kraus BMA . . 11153* A

Anlage 9 Anlage 15 Kontrolle des Verbleibs der Transferrubel Personalausstattung der Arbeitsämter in -zahlungen den neuen Bundesländern MdlAnfr 28 Drs 12/3921 MdlAnfr 43, 44 Drs 12/3921 Ortwin Lowack fraktionslos Dr. - Ing. Rainer Jork CDU/CSU SchrAntw PStSekr Rudolf Kraus BMA . . 11153* D SchrAntw PStSekr Dr. Joachim Grünewald BMF ...... 11150* D Anlage 16 Umsetzung des Urteils Anlage 10 des Bundesverfas- sungsgerichts zur Arbeitslosenhilfe bei Zinsertrag des sog. Schulsparens eheähnlichen Gemeinschaften MdlAnfr 29, 30 Drs 12/3921 MdlAnfr 46 Drs. 12/3921 Ernst Hinsken CDU/CSU SPD SchrAntw PStSekr Dr. Joachim Grünewald SchrAntw PStSekr Rudolf Kraus BMA . . 11154* C BMF ...... 11151* B

Anlage 17 Anlage 11 Automatische Befreiung des Handels von der Rücknahme- und Pfandp fl Zusammenbruch des Osthandels mit der icht bei Erfül- lung des § 6 Abs. 3 S. 1 Verpackungsverord- GUS durch die Erschöpfung des Hermes- nung; Fehlen eines Vetorechts Kreditplafonds; Regelung der bereits be- der Kommu- nen gegen fürworteten, aber nicht mehr bedienten die Einführung des Dualen Systems in dieser Verordnung Anträge auf Ausfuhrbürgschaften MdlAnfr 58, 59 Drs 12/3921 MdlAnfr 36, 37 Drs 12/3921 Marion Caspers - Merk SPD Wolfgang Roth SPD SchrAntw PStSekr Dr. SchrAntw PStSekr Dr. Heinrich L. Kolb BMU ...... 11154* D BMWi ...... 11151*C

Anlage 18 Anlage 12 Intervention für die Stillegung des Kern- Kennzeichnung von ohne Kinderarbeit her- kraftwerks Tschernobyl angesichts der ho- gestellten Teppichen hen Konzentration von Americum 241 MdlAnfr 38 Drs 12/3921 MdlAnfr 60 Drs 12/3921 Horst Kubatschka SPD Horst Kubatschka SPD SchrAntw PStSekr Dr. Heinrich L. Kolb SchrAntw PStSekr Dr. Bertram Wieczorek BMWi ...... 11152*B BMU ...... 11155* B

Anlage 19 Anlage 13 Nutzung der Wiederaufarbeitungsanlage Britische Anzeigenkampagne zur Abwer- in Wackersdorf als Zwischenlager für bung von Investoren aus Deutschland Atommüll MdlAnfr 39, 40 Drs 12/3921 MdlAnfr 62 Drs 12/3921 Siegmar Mosdorf SPD Ludwig Stiegler SPD SchrAntw PStSekr Dr. Heinrich L. Kolb SchrAntw PStSekr Dr. Bertram Wieczorek BMWi ...... 11152* C BMU ...... 11155 * C VIII Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 128. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1992

Anlage 20 Anlage 26 Entsorgung der ab 1. J anuar 1993 in den Hilfen für die Opfer von Vergewaltigungen neuen Bundesländern verbotenen Pflan- im ehemaligen Jugoslawien bei Schw an zenschutzmittel -gerschaft MdlAnfr 63 Drs 12/3921 MdlAnfr 73 Drs 12/3921 (Darmstadt) CDU/CSU Susanne Kastner SPD Dr. Sissy Geiger SchrAntw StM Helmut Schäfer AA . . . 11157* B SchrAntw PStSekr Dr. Bertram Wieczorek BMU ...... 11155* C Anlage 27 Intervention gegen die Vergewaltigung von Frauen in Jugoslawien Anlage 21 Erteilung von Grundbuchauskünften an MdlAnfr 74 Drs 12/3921 deutsche Staatsangehörige über ihre Lie- Irmgard Karwatzki CDU/CSU genschaften in den Oder-Neiße-Gebieten SchrAntw StM Helmut Schäfer AA . . . 11157* C durch polnische Behörden Anlage 28 MdlAnfr 66 Drs 12/3921 Ortwin Lowack fraktionslos Ausmaß der Vergewaltigungen in Jugosla- wien, insbesondere durch Serben in Bos- SchrAntw StM Helmut Schäfer AA . . . 11156* B nien-Herzegowina MdlAnfr 75 Drs 12/3921 Ursula Männle CDU/CSU Anlage 22 SchrAntw StM Helmut Schäfer AA . . . 11157* D Aufnahme der Vergewaltigung als Kriegs- verbrechen in völkerrechtliche Konventio- Anlage 29 nen und Verbesserung der internationalen Strafverfolgung Ausbau der Hilfen der VN und anderer internationaler Organisationen für die Op- MdlAnfr 69 Drs 12/3921 fer der Vergewaltigungen in Jugoslawien CDU/CSU MdlAnfr 76 Drs 12/3921 SchrAntw StM Helmut Schäfer AA . . . 11156* C Gabriele Wiechatzek CDU/CSU SchrAntw StM Helmut Schäfer AA . . . 11158* A

Anlage 23 Anlage 30 Intervention gegen die Vergewaltigungen Ausstattung der deutschen Botschaften im in Jugoslawien Sonnengürtel der Erde mit Sonnenkollekto- ren und Photovoltaikanlagen mit Aus- MdlAnfr 70 Drs 12/3921 nahme der Botschaft in Brasilia Bärbel Sothmann CDU/CSU MdlAnfr 77 Drs 12/3921 SchrAntw StM Helmut Schäfer AA . . . 11156* D Monika Ganseforth SPD SchrAntw StM Helmut Schäfer AA . . . 11158* B

Anlage 24 Anlage 31 Vorgehen der EG gegen Vergewaltigung Souveräne Gestaltung der Rechtsverhält- als Mittel der Kriegsführung im ehemaligen nisse der Zivilbeschäftigten bei den ver- Jugoslawien bündeten Streitkräften und der Nutzung MdlAnfr 71 Drs 12/3921 der Liegenschaften Ortrun Schätzle CDU/CSU MdlAnfr 78 Drs 12/3921 Hans Wallow SPD SchrAntw StM Helmut Schäfer AA . . 11157* A SchrAntw StM Helmut Schäfer AA . . 11158* C

Anlage 25 Anlage 32 Hilfen für die aus ihren Familien ausge- Zusicherungen von Rußland und anderen schlossenen Opfer von Vergewaltigungen GUS-Staaten im Zusammenhang mit Wirt- im ehemaligen Jugoslawien schaftshilfen zur Zurückhaltung bei Rü- stungsexporten in Krisengebiete MdlAnfr 72 Drs 12/3921 MdlAnfr 81 Drs 12/3921 Siegrun Löwisch CDU/CSU Norbert Gansel SPD SchrAntw StM Helmut Schäfer AA . . . 11157* A SchrAntw StM Helmut Schäfer AA . . . 11158* D Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 128. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1992 IX

Anlage 33 dien- und wettbewerbsrechtliche Gesichts- Konzept für die Grenzschutzdienststellen in punkte Niedersachsen, insbesondere in Bad Bent MdlAnfr 87 Drs 12/3921 heim und Bunde, bei Wegfall der Grenz- Hans-Joachim Otto (Frankfurt) F.D.P. kontrollen; sozial verträgliche Regelung für die Bediensteten SchrAntw PStSekr BMI . 11160* B MdlAnfr 82, 83 Drs 12/3921 Günter Graf SPD Anlage 37 SchrAntw PStSekr Eduard Lintner BMI . 11159* B Zahl der rechtsextremistischen und -radi- kalen Organisationen MdlAnfr 88 Drs 12/3921 Anlage 34 Dr. Margret Funke-Schmitt-Rink F.D.P. Verteilung der 1985 vom Bundesamt für Verfassungsschutz herausgegebenen Bro- SchrAntw PStSekr Eduard Lintner BMI . 11160* D schüre „Ihre Verantwortung — unsere Sicherheit" mit überholten Darstellungen Anlage 38 der DDR an neue Mitarbeiter der Abgeord- neten Hissen der Reichskriegsflagge durch ein Mitglied des Präsidiums des Bundesver- MdlAnfr 84 Drs 12/3921 bandes der Deutschen Industrie; Zusam- Günther Friedrich Nolting F.D.P. menhang mit der Gedenkveranstaltung zum 50. Jahrestag des Abschusses der SchrAntw PStSekr Eduard Lintner BMI . 11159* C ersten V-2-Rakete in Peenemünde MdlAnfr 89, 90 Drs 12/3921 Anlage 35 Gernot Erler SPD Zahl der Bewerber beim Bundesamt für die SchrAntw PStSekr Eduard Lintner BMI . 11161* A Anerkennung ausländischer Flüchtlinge; geschätzte Bewerberzahl bei Inkrafttreten des Beamtenverwendungsgesetzes Anlage 39 MdlAnfr 85, 86 Drs 12/3921 Verhinderung der Abschiebung der in Heinz-Dieter Hackel F.D.P. Mecklenburg-Vorpommern und Thüringen beschäftigten von der ehemaligen DDR SchrAntw PStSekr Eduard Lintner BMI . 11160* A angeworbenen ausländischen Arbeitneh- mer

Anlage 36 MdlAnfr 91, 92 Drs 12/3921 Dr. Nils Diederich (Berlin) SPD Kooperationsvertrag des ZDF mit dem ame rikanischen Nachrichtensender CNN; me SchrAntw PStSekr Eduard Lintner BMI . 11161* B

-

Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 128. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1992 11039

128. Sitzung

Bonn, den 10. Dezember 1992

Beginn: 9.00 Uhr

Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Meine sowie der Abgeordneten Dr. Otto Graf Lambsdorff, Burk- hard Zurheide, Klaus Beckmann, weiterer Abgeordnete- Damen und Herren, die Sitzung ist eröffnet. rund der Fraktion der F.D.P.: Keine protektionistische europäische Regelung für die Einfuhr von Bananen — Zunächst einmal habe ich das Vergnügen, dem Drucksache 12/3959 — Kollegen zu seinem heutigen Dr. Alfred Dregger 6. Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und 72. Geburtstag herzlich zu gratulieren. F.D.P. eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Erleich- terung von Investitionen und der Ausweisung und Bereit- (Beifall) stellung von Wohnbauland (Investitionserleichterungs- und Wohnbaulandgesetz) — Drucksache 12/3944 — Auch dem Kollegen Peter Conradi, der heute sei- 7. Beratung des Antrags der Abgeordneten Dietmar Schütz, nen 60. Geburtstag feiert, möchte ich von dieser Stelle Michael Müller (Düsseldorf), Hermann Bachmaier, weiterer aus herzlich gratulieren. Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Beschleunigung von Planungs - und Genehmigungsverfahren im Umweltbe- reich — Drucksache 12/3948 — (Beifall) 8. Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschus- ses: Sammelübersicht 82 zu Petitionen — Drucksache Sodann habe ich Ihnen bekanntzugeben, daß der 12/3962 -- Abgeordnete Franz Müntefering am 8. Dezember 1992 auf seine Mitgliedschaft im Deutschen Bundes- 9. Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschus- ses: Sammelübersicht 83 zu Petitionen — Drucksache tag — aus bekannten Gründen — verzichtet hat. Als 12/3963 — sein Nachfolger hat der Abgeordnete Walter Schöler Die Beratung des Tagesordnungspunktes 12 soll am 8. Dezember 1992 die Mitgliedschaft im Deut- auch als „Vereinbarte Debatte zum Thema Men- schen Bundestag erworben. Ich begrüße den neuen schenrechte " geführt werden. Der Tagesordnungs- Kollegen herzlich und hoffe auf eine gute Zusammen- punkt 4i soll in diese Debatte einbezogen wer- arbeit. den. (Beifall) Des weiteren ist vereinbart worden, Tagesord- nungspunkt 18 — es handelt sich dabei um die Trink- Interfraktionell ist vereinbart worden, die verbun- wasserversorgung — vorzuziehen und bereits nach dene Tagesordnung zu erweitern. Die Punkte sind in Tagesordnungspunkt 15 aufzurufen. Tagesord- der Ihnen vorliegenden Zusatzpunktliste aufgeführt: nungspunkt 3 d soll abgesetzt und der Tagesord- nungspunkt 4 a erst am Freitag aufgerufen wer- 1. Aktuelle Stunde: Haltung der Bundesregierung zum fort- den. schreitenden Waldsterben (In der 127. Sitzung bereits erledigt) Ich frage das Haus, ob es mit diesen Vorschlägen einverstanden ist? — Das ist offensichtlich der Fall. 2. Abgabe einer Erklärung der Bundesregierung: Extremis- Dann kann ich das als beschlossen feststellen. mus und zunehmende Gewaltbereitschaft in Deutschland

3. Erste Beratung des von der Abgeordneten Christina Schenk und der Gruppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Ich rufe nunmehr Zusatzpunkt 2 und Punkt 13 der Entwurfs eines ... Strafrechtsänderungsgesetzes — Ver- Tagesordnung auf: jährung von Sexualstraftaten an Kindern und Jugendlichen ZP2 Abgabe einer Erklärung der Bundesregie- (. . . StrÄndG) — Drucksache 12/3825 — rung 4. Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und Extremismus und zunehmende Gewaltbereit- F.D.P. eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Heilung schaft in Deutschland des Erwerbs von Wohnungseigentum — Drucksache 12/3961 — 13. Beratung der Großen Anfrage der Abgeordne- ten Dr. Willfried Penner, Gerd Wartenberg 5. Beratung des Antrags der Abgeordneten Jürgen Augustino- witz, Heribert Scharrenbroich, Wolfgang Vogt (Düren), (Berlin), Angelika Barbe, weiterer Abgeordne- weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU ter und der Fraktion der SPD 11040 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 128. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1992

Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg Rechtsextremismus, Ausländerfeindlichkeit Wer dagegen verstößt, muß die volle Härte des und zunehmende Gewaltbereitschaft in der Gesetzes zu spüren bekommen. Die Brandanschläge Bundesrepublik Deutschland der letzten Tage und Wochen führen jedermann vor — Drucksachen 12/1729, 12/3074 — Augen, wie verhängnisvoll, ja menschenverachtend die Unterscheidung zwischen „Gewalt gegen Perso- Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für nen" und „Gewalt gegen Sachen" ist. Es darf keine die gemeinsame Aussprache nach der Regierungser- Nachsicht gegenüber jenen geben, die sich anmaßen, klärung zweieinhalb Stunden vorgesehen. Erhebt für sich selbst rechtsfreie Räume zu schaffen. sich dagegen Widerspruch? — Das ist offensichtlich nicht der Fall. Dann ist auch das beschlossen. (Beifall bei der CDU/CSU, der F.D.P. und der Zur Regierungserklärung liegt ein Entschließungs- SPD) antrag der Gruppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN vor. Um es noch einmal zu sagen: Es gibt keine Recht- Zur Großen Anfrage liegt ein Entschließungsantrag fertigung für Gewalt, für niemanden. Diejenigen, die der Fraktion der SPD vor. glauben, daß man über ein Klima der Einschüchte- Nun erteile ich zur Abgabe einer Regierungserklä- rung, der Furcht und der Angst unser Land verändern rung dem Bundeskanzler, Herrn Dr. Helmut Kohl, das könnte, täuschen sich. Die Bundesrepublik Deutsch- Wort. land ist eine wehrhafte Demokratie, und sie wird dies auch jetzt in dieser Herausforderung beweisen. Unser demokratischer Rechtsstaat sieht sich einer Dr. Helmut Kohl, Bundeskanzler: Herr Präsident! erheblichen Zunahme von Straftaten gegenüber. Die Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir alle Entwicklung — man muß es aussprechen — ist dra- sind gegenwärtig Zeugen einer erschreckenden matisch. Allein im ersten Halbjahr 1992 wurden fast Zunahme von Gewalttaten in der Bundesrepublik 3 Millionen Straftaten erfaßt. Bis zum Ende dieses Deutschland. Der mörderische Brandanschlag von Jahres werden es vermutlich an die 6 Millionen sein. Mölln ist ein besonders bedrückendes Beispiel dafür. Das hat Folgen für die Aufklärungsquote. Drei wehrlose Menschen fielen diesem Verbrechen Besonders erschreckend ist die Zunahme der Straf- zum Opfer. taten mit Schußwaffengebrauch und auch bei den Unser freiheitlicher Rechtsstaat ist bereit und, wenn Raubdelikten. Ich sage auch das noch einmal von wir wollen, in der Lage, mit allen ihm zu Gebote diesem Pult aus, was ich vor ein paar Tagen sagte: stehenden Mitteln Gewalt und extremistischen Terror Noch immer begreifen viel zu wenige, welch ernste zu bekämpfen. Bedrohung für die innere Sicherheit die Mafia und das (Beifall bei der CDU/CSU, der F.D.P. und der organisierte Verbrechen überhaupt darstellen. SPD) (Beifall bei der CDU/CSU, der F.D.P. sowie Ich bin sicher, die allermeisten Bürgerinnen und bei Abgeordneten der SPD) Bürger in Deutschland lehnen Gewalt ab, aus welchen Große Sorgen bereiten uns allen die von Rechtsex- Motiven auch immer sie verübt wird und gegen wen tremisten verübten Straftaten. Das Gewaltpotential auch immer sie sich richtet. Wir verurteilen jede Form steigt ständig. Die Zwischenbilanz ist erschreckend: von Fremdenhaß, Ausländerfeindlichkeit und Antise- Vom 1. Januar dieses Jahres bis heute wurden über mitismus. 2 000 Gewalttaten mit erwiesener oder zu vermuten- (Beifall bei der CDU/CSU, der F.D.P., der der rechtsextremistischer Motivation erfaßt. Die große SPD sowie der Abg. Ingeborg Philipp [PDS/ Mehrzahl der Täter ist zwischen 12 und 20 Jahren alt. Linke Liste]) Das ist für uns alle besonders bedrückend. Alle Demokraten, alle demokratischen Parteien in Bei diesen Straftaten wurden 17 Menschen getötet, Deutschland und alle führenden Repräsentanten davon acht Ausländer. Der Anteil der Brand- und unserer Bundesrepublik haben sich kategorisch Sprengstoffanschläge macht mit mehr als 650 An- gegen jedwede Anwendung von Gewalt gewandt. schlägen fast ein D rittel dieser Untaten aus. Bei über Die großen Demonstrationen am 8. November 1992 1 850 Anschlägen lag — so kann man vermuten oder in Berlin und am vergangenen Wochenende in Mün- weiß man — eine fremdenfeindliche Zielsetzung vor. chen mit vielen Hunderttausenden von Teilnehmern Die Gesamtzahl der gewaltbereiten und militanten haben der Welt deutlich gemacht, wie die große Rechtsextremisten muß heute auf über 6 000 Personen Mehrheit der Deutschen denkt. In ganz Deutschland geschätzt werden. sind weit über 1 Million Menschen auf die Straße Zu all dem kommt — auch das gehört ins Bild —, daß gegangen, um öffentlich gegen jede Form von Frem- der Linksextremismus nach wie vor ein gefährliches denhaß und Rassismus, von Extremismus und Gewalt Gewaltpotential darstellt. Es gibt in Deutschland zur zu demonstrieren. Und auch das gehört zum Bild des Zeit etwa 6 500 Mitglieder und Anhänger gewaltbe- Deutschland von heute: Es gibt viele, viele Beispiele reiter, anarchistischer und vergleichbarer Gruppie- spontaner Hilfsbereitschaft in der Bevölkerung rungen. Auch das ist mehr als noch im Vorjahr. Auch gegenüber den Opfern der Gewalt, und zwar überall hier nimmt die Gewaltbereitschaft zu. in Deutschland. Für den demokratischen Rechtsstaat ist die Ausein- Die Anwendung von Gewalt muß in unserer Gesell- andersetzung mit dem politischen Extremismus von schaft ein Tabu bleiben. links oder von rechts eine gleichermaßen wichtige (Beifall bei der CDU/CSU, der F.D.P. und der Aufgabe; denn beiden Extremen ist gemeinsam, daß SPD) sie wesentliche Grundprinzipien, ja Grundlagen der Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 128. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1992 11041

Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl Demokratie und damit die Demokratie an sich in Terroristen gehindert würde. Ein Staat, der das Recht Frage stellen. nicht mehr durchsetzt, verliert das Vertrauen seiner Bürger. Wo die Sicherheit der Bürger gefährdet ist, Wir beobachten darüber hinaus — die Geschichte steht immer auch ihre Freiheit auf dem Spiel. lehrt uns, hier besonders aufmerksam zu sein —, daß sich die Auseinandersetzungen zwischen Rechts- und Durch strenge Anwendung der bestehenden Ge- Linksextremisten verschärfen, daß sie gewalttätiger setze muß dem Recht der nötige Respekt verschafft, es werden und brutaler. muß durchgesetzt werden. Die Polizei und die Justiz brauchen im Kampf gegen den Extremismus die volle Wir alle wissen auch, daß sich die Zunahme von Unterstützung aller Demokraten, aller Bürger unseres Gewalttaten nicht auf Deutschland allein beschränkt. Landes. Dies ist eine Erscheinung, die wir leider auch bei unseren Nachbarn und in vielen anderen Ländern (Beifall bei der CDU/CSU, der F.D.P. und der beobachten müssen. SPD) Die tiefgreifenden Umwälzungen der vergangenen Dies gilt auch für die Verfassungsschutzbehörden Jahre, die zunehmenden Wanderungsbewegungen, des Bundes und der Länder. Sie dienen wahrlich nicht aber nicht zuletzt auch die nachlassende Kraft aner- der Ausspähung friedlicher Bürger, sondern der Ver- kannter moralischer Autoritäten haben nicht nur in teidigung unserer freiheitlichen Demokratie. Wer in Deutschland, sondern in großen Teilen der westlichen diesem Zusammenhang — lassen Sie mich das Welt bei vielen eine tiefe Verunsicherung bewirkt. sagen — von einer „neuen " spricht, der weiß nicht, wovon er redet. Eine Institution zur Bekämp- Vor dem Hintergrund der Geschichte dieses Jahr- fung der Todfeinde der Demokratie ist nicht das hunderts, vor allem der nationalsozialistischen Ge- gleiche wie eine Geheimpolizei zur Sicherung einer waltherrschaft, sind jedoch wir, die Deutschen, in totalitären Diktatur. einer ganz besonderen Weise gefordert, jedweder Gewalt Einhalt zu gebieten und den Schutz der (Beifall bei der CDU/CSU, der F.D.P. und der Menschenwürde und der Menschenrechte mit allen SPD) rechtsstaatlichen Mitteln zu gewährleisten. Nach unserer Verfassung verfügt nur der Staat über das Gewaltmonopol. Dieses Grundprinzip unserer (Beifall bei der CDU/CSU, der F.D.P. und der demokratisch-rechtsstaatlichen Ordnung darf nicht SPD) angetastet werden. Wer dies versucht, muß die volle Angesichts dieser Geschichte gilt unsere besondere Härte des Gesetzes zu spüren bekommen. Polizei, Solidarität den Bürgerinnen und Bürgern jüdischen Justiz und alle in unserem Lande müssen jetzt gemein- Glaubens. Das schulden wir der Erinnerung an die sam und entschlossen jeder Form von Gewalt entge- Opfer des Nationalsozialismus ebenso wie jetzigen gentreten. Ich füge hinzu — nicht, um Verantwortung und künftigen Generationen in Deutschland. wegzuschieben —, daß dies in der Bundesrepublik Ich darf zitieren, was ich am 21. April 1985 in meiner Deutschland eben nicht nur eine Aufgabe des Bundes Ansprache zum 40. Jahrestag der Befreiung der ist, sondern vor allem eine Aufgabe der Bundesländer, Gefangenen aus den Konzentrationslagern in Bergen- aber auch der Gemeinden. Hier steht auch die föde- Belsen gesagt habe: rale Ordnung in unserem Lande auf dem Prüfstand. Wer zuständig ist, der hat auch die Pflicht zum Es bleibt ein historisches Verdienst, daß sich auch Handeln. Die Bundesregierung wird alles tun, ihren nach 1945 jüdische Mitbürger wieder bereitfan- Beitrag zu leisten. den, tatkräftig und mit ihrem moralischen Wort Die Bundesregierung hat nach eingehender De- und Gewicht uns beim Aufbau der Bundesrepu- batte in der vergangenen Woche eine Sicherheitsof- blik Deutschland zu helfen. fensive gegen Gewalt beschlossen. Unter Leitung von Auch diese Erinnerung wollen wir bewahren, um Bundesminister Bohl werden die Ressorts erörtern, den Willen zur Gemeinschaft in einer besseren welche zusätzlichen Maßnahmen dem Bund möglich Zukunft zu stärken. Dafür ist es wichtig, der sind. Wir werden in ein paar Tagen beim Zusammen- heranwachsenden Generation vor Augen zu füh- treffen mit den Ministerpräsidenten der Länder auch ren, daß Toleranz, daß Aufgeschlossenheit für darüber zu sprechen haben, wo und an welcher Stelle den Nächsten unersetzliche Tugenden sind, ohne Verbesserungen und Veränderungen notwendig die kein Staatswesen, auch nicht das unsere, sind. gedeihen kann. Wo das gegenwärtig geltende Recht nicht ausreicht, (Beifall bei der CDU/CSU, der F.D.P. und der muß es verändert werden. Dies muß deutlich gemacht SPD) werden. Uns in diesem Wetts treit der Menschlichkeit zu (Beifall bei der CDU/CSU, der F.D.P. sowie üben ist die eindeutigste Antwort auf das Versa- bei Abgeordneten der SPD) gen in einer Epoche, die von Machtmißbrauch Wir dürfen z. B. nicht hinnehmen, daß nur 1 % der bei und Intoleranz bestimmt war. einer Demons tration begangenen Gewalttaten zu Die oft zu beobachtende Erosion des Rechtsbe- einer Verurteilung führt. Das Straf- und Haftrecht muß seine Schutzfunktion auch wirklich erfüllen können. wußtseins hat insbesondere auch dazu geführt, daß sich rechts- und linksextremistische Gewalttäter zur Dies sind wir nicht zuletzt auch unseren Polizeibeam- Konfrontation mit dem Staat ermutigt fühlen. Es wäre ten schuldig. ein falsches Verständnis von Liberalität, wenn der (Beifall bei der CDU/CSU, der F.D.P. sowie Rechtsstaat an der Verfolgung politisch motivierter bei Abgeordneten der SPD) 11042 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 128. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1992

Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl Wir sollten gemeinsam — Bundesregierung, auch Blick über unsere Staatsgrenzen überall in die Welt Landesregierungen — jetzt nicht zunächst nur über hinaus. Kompetenzen reden, sondern ein Höchstmaß an Wenn wir über dieses Thema sprechen, müssen wir aufbringen im Kampf nationaler Gemeinsamkeit auch sprechen über den verantwortlichen Umgang gegen die Bedrohung durch den Terror politischer mit dem Thema Gewalt im Bereich der Medien. Extremisten. An alle Bürgerinnen und Bürger unseres Landes richte ich den Appell, die Polizei, auch die (Beifall bei der CDU/CSU, der F.D.P. und der Justiz in ihrem Kampf gegen den Terror politischer SPD sowie der Abg. Ingeborg Philipp [PDS/ Extremisten nach Kräften zu unterstützen. Ich bleibe Linke Liste]) dabei: Wer abseits steht oder wegschaut, trägt dazu Das gilt vor allem für jene Medien, die über das Bild bei, Gewalttaten zu fördern. eine besondere Wirkung haben; ich spreche also vom Die Fahndungserfolge nach dem mörderischen Fernsehen. Die Medien dürfen ihre Einschaltquoten Brandanschlag von Mölln sind ein Signal der Ermuti- nicht durch ein immer brutaleres Unterhaltungspro- gung. Dieses Beispiel zeigt auch, daß extremistische gramm zu steigern versuchen. Sie haben allen Grund, Gewalttäter keine Chancen haben, wenn dieser Staat sich zu fragen, welche Wirkung die hemmungslose und seine Bürger zusammenstehen. Darstellung von Gewalt auf junge Menschen hat. (Beifall bei der CDU/CSU, der F.D.P. sowie Wir alle wissen — und wir sollten mehr darüber bei Abgeordneten der SPD) sprechen und dann danach handeln —: Was dort häufig an Grausamkeiten zu sehen ist, verschlägt Meine Damen und Herren, wir alle wissen aber einem die Sprache. Wie sollen auf einem solchen auch, daß die Androhung von Strafe allein nicht Boden Rechtsbewußtsein und Toleranz, Friedfertig- genügt, um Menschen zum rechtmäßigen H andeln zu keit und Offenheit für den Nächsten wachsen kön- bewegen. Wichtiger noch als das Strafrecht ist z. B. die nen? Stärkung jener Institutionen, die gerade auch jungen Leuten Halt und Orientierung geben können, die an Wir alle müssen uns klar sein, was auf dem Spiel Erziehung zur eigenverantwortlichen Persön- ihrer steht. Jeder einzelne muß sich bewußt machen, daß lichkeit mitwirken. Hier tragen die Familien, die die Menschenwürde unser höchstes Gut ist und nicht Schulen, die Kirchen eine besondere Verantwortung, angetastet werden darf. Wer dagegen verstößt, rührt die gar nicht hoch genug eingeschätzt werden an die Grundlagen unseres freiheitlichen und demo- kann. kratischen Staates. Auch deshalb darf uns Ausländer- feindlichkeit, in welcher Form auch immer, niemals Wir alle hören und lesen fast täglich Berichte aus gleichgültig lassen. dem Alltag vieler Schulen, bestürzende Berichte über die Anwendung von Gewalt. Wir alle — ich sage Ich will das wiederholen, was ich vor ein paar Tagen bewußt: wir alle; dies ist nicht die Stunde der Schuld- in der Generaldebatte über den Haushalt des Bundes- zuweisungen —, die Politiker ebenso wie Eltern, kanzlers hier gesagt habe: Wir Deutschen leben bis Lehrer und Schulbehörden, müssen uns fragen, ob wir auf wenige Ausnahmen friedlich und nachbarschaft- wirklich genug getan haben und genug tun, um dieser lich mit rund 6 Millionen Ausländern zusammen. Wir, Entwicklung Einhalt zu gebieten. die Deutschen, wissen, was wir ihnen verdanken. Wir vergessen nicht, daß wir sie selbst hierher geholt Wir müssen auch selbstkritisch die Frage stellen, ob haben, damit sie uns helfen. Von den fast 2 Millionen nicht viele der sogenannten Reformversuche im Bil- ausländischen Arbeitnehmern in den alten Bundes- dungswesen an Stelle des erhofften Ziels vielfach das ländern arbeiten rund 1 Million in der Indust rie, rund Gegenteil erreicht haben. 1/2 Million am Bau und im Handel. Die bei uns (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei- Abge lebenden und arbeitenden Ausländer leisten einen ordneten der F.D.P.) entscheidenden Beitrag zum Wohlstand der Deut- schen. Dies wissen wir, und wir sollten es immer Statt des „herrschaftsfreien Diskurses" erleben wir wieder deutlich sagen. jetzt immer mehr gewalttätige Auseinandersetzun- gen. (Beifall bei der CDU/CSU, der F.D.P. und der SPD) Wir wissen natürlich, daß die Radikalisierung jun- ger Leute vielfältige Ursachen hat. Zu diesen Ursa- Aber ich möchte auch sagen: Es hat mit Fremden- chen gehört ein verbreiteter Verlust an festen Wert- feindlichkeit nichts zu tun, wenn sich viele in unserem maßstäben, an Orientierung, an Toleranz, Hilfsbereit- Lande Sorgen machen wegen des massenhaften schaft und Rücksichtnahme. Zustroms von Asylbewerbern, die in ihrer Heimat Aber wir dürfen nicht verallgemeinernd sagen: d i e keine Zukunft sehen. Ich spreche dabei eben nicht — um es noch einmal klarzumachen — von jener junge Generation. Auch hier ist — gemessen an der großen, großen Mehrzahl von Jugendlichen — von Gruppe, die in unserer Verfassung besonders ange- einer Minderheit die Rede. sprochen ist, nämlich von jenen, die aus politischen, rassischen oder religiösen Gründen in ihrer Heimat (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. verfolgt werden. sowie bei Abgeordneten der SPD) Die Menschen in unserem Land erwarten jetzt von Aber wahr ist, daß wir einen Abbau von Hemm- uns — den Parlamentariern, der Regierung — schwellen und eine zunehmende Aggressivität beob- schnelle, wirksame Lösungen. Ich bin sicher — und achten. Wohin dies führen kann, zeigt die Geschichte will dies dankbar feststellen —, daß die Vereinbarung, unseres Volkes in diesem Jahrhundert, aber auch ein auf die sich CDU/CSU, F.D.P. und SPD vor wenigen Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 128. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1992 11043

Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl Tagen verständigt haben, diesem Ziel dienen wird. Die erste Frage, die wir uns stellen müssen, lautet: Wir sollten schnell handeln. Wie konnte es zu einer solchen Renaissance des (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Rechtsradikalismus kommen? Und die zweite: Wie werden wir damit fertig? Wir brauchen diese Grundgesetzänderung, um den Mißbrauch des Asylrechts einzudämmen, aber auch, Natürlich hat das Aufkommen des Rechtsradikalis- um vor aller Welt zu dokumentieren, daß in Deutsch- mus in Deutschland etwas zu tun mit den gesellschaft- land auch in Zukunft politisch, rassisch und religiös lichen und politischen Umbrüchen, aus denen die Verfolgten Asyl gewährt wird. Dies ist für uns eine Vereinigung der beiden deutschen Staaten hervor- wichtige, aber auch selbstverständliche historisch- ging. Vielerorts in Osteuropa wurde die Ideologie des moralische Verpflichtung aus der Zeit der Nazi- zusammengebrochenen Kommunismus durch die Barbarei; denn zu dieser Zeit fanden viele verfolgte Ideologie des Nationalismus ersetzt. Auch wenn sich Deutsche im Ausland Schutz. So werden wir auch in hinter nationalistischen Parolen oft nur der lang unter- Zukunft in der Bundesrepublik Deutschland verfolg- drückte Wunsch der Völker nach Freiheit und natio- ten Ausländern Zuflucht gewähren. naler Selbstbestimmung verbirgt, so läuft doch jeder Nationalismus, insbesondere dann, wenn er einen „Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu völkischen Hintergrund hat, Gefahr, sich wie auf dem achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatli- Balkan in blutigen Exzessen radikal zu verselbständi- chen Gewalt." So lautet der Art. 1 unseres Grundge- gen. setzes. Gemeinsam müssen wir, meine Damen und Herren, gerade in dieser Zeit alles tun, um diese Ich behaupte nicht, daß der osteuropäische Natio- Verpflichtung der Verfassung gewissenhaft zu erfül- nalismus auf Deutschland abgefärbt hat. Daß aber len. Deutschland völlig unbeeinflußt von der politischen Großwetterlage über Europa bleiben könne, wird (Anhaltender Beifall bei der CDU/CSU und wohl niemand behaupten wollen. der F.D.P. — Beifall bei der SPD sowie des Abg. Werner Schulz [Berlin] [BÜNDNIS 90/ Es war richtig, daß die deutsche Vereinigung ohne DIE GRÜNEN]) allzu großes nationalistisches Pathos gemacht und gleichzeitig die europäische Einigung vorangetrieben wurde. — Es ist jetzt aber auch vorrangige Aufgabe von uns allen, den deutschen Föderalismus zu stärken. Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Ich erteile — Wir waren gut beraten, auch nachher keine neue nunmehr dem Ministerpräsidenten des Saarlandes, deutsche Großmannsucht aufkommen zu lassen. Oskar Lafontaine, das Wort. Aber — auch daran will ich heute erinnern — noch immer gilt in Deutschland ein Nationenbegriff, der Ministerpräsident Oskar Lafontaine (Saarland): nicht auf eine gesellschaftliche oder staatliche Verfas- Herr Präsident: Meine sehr geehrten Damen und sung bezogen ist, sondern auf die Abstammung. Die Herren! „Der Schoß ist fruchtbar noch, aus dem das Erfahrung lehrt, daß sich nationalistischer Radikalis- kroch. " Mit diesen Worten hatte Be rt Brecht kurz nach mus dort am aggressivsten gebärdet, wo er sich auf dem Krieg vor einem Wiederaufleben des Nazismus in Blutsbande berufen kann oder durch einen religiösen Deutschland gewarnt. Fundamentalismus motiviert wird. Wenn wir auch in Deutschland wie in anderen westlichen Staaten, bei- Lange hatte es allerdings den Anschein, als sei spielsweise in Frankreich oder in den USA, zu einem dieser Schoß mit jedem weiteren Jahr gelebter und republikanischen Begriff der Nation kommen könn- verinnerlichter Demokratie unfruchtbarer geworden. ten, zu einem Begriff, der die Nation politisch als eine Um so mehr wurden wir alle vom Ausmaß und- von der Gemeinschaft von Menschen definiert, die sich zu blinden Wut des neuen Ausbruchs an Rechtsradikalis- denselben Zielen bekennen und zu denselben Werten mus in Deutschland überrascht. verpflichten, ohne dafür eine gemeinsame Abstam- Vor allem den Rechtsterrorismus haben wir unter- mung anführen zu können, dann hätten wir dem schätzt, weil er so merkwürdig sprachlos geblieben deutschen Rechtsradikalismus eine seiner in Deutsch- war. Er publizierte keine Bücher, er brauchte keine land immer noch zu wenig reflektierten Grundlagen Theorie, er erklärte sich nicht öffentlich. Er trat von entzogen. vornherein mit Stiefeln auf statt mit Argumenten. Er (Beifall bei der SPD, der F.D.P., der PDS/ war geistig nie richtig präsent. Das Nachäffen von Linke Liste und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜ Nazi-Attitüden wurde lange als Jugendsünde belä- NEN) chelt, als Trotzhaltung, der man durch bloßes Älter werden entwächst. Solange unser Grundgesetz die Zugehörigkeit zur Jetzt aber, wo die Trotzhaltung zur Tat schreitet und deutschen Nation auf die Abstammung zurückführt, sich organisiert, können wir dies nicht mehr als entbehrt es nicht einmal der Logik, daß sich der unpolitisch abtun. Neue rechte Parteien arbeiten deutsche Nationalismus gegen die Angehörigen daran, diesen Gefühlen eine Sprache zu verleihen und anderer Völker ausgrenzend verhält. sie in ihr Fahrwasser zu ziehen. Man darf diese Wer die Zuwanderung nach Deutschland in einem Parteien nicht totschweigen. Sie sollten aber auch europäischen Geist rechtlich steuern will, der muß nicht da, wo sie ohne gesellschaftliche Verankerung sich — wie alle anderen westlichen Demokratien — an sind, als Medienereignis wiederbelebt werden. einem anderen, an einem weniger ausgrenzenden Nationenbegriff orientieren. (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der F.D.P.) (Beifall bei der SPD) 11044 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 128. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1992

Ministerpräsident Oskar Lafontaine (Saarland) Auch für ein modernes Staatsbürgerrecht bis hin ihnen sagen und zeigen, daß Bonn nicht Weimar ist zum kommunalen Wahlrecht für EG-Bürger müssen und Berlin nicht Weimar werden wird; daß nicht der wir auf die republikanische Staatsidee setzen, wenn deutsche Staat oder deutsche Institutionen Men- wir konsequent sein wollen. Auf dem Weg in ein schenrechte verachten und Ausländer verfolgen; daß vereintes Europa haben wir inzwischen einen G ang es in der Bundesrepublik Deutschl and kein Militär als höher geschaltet. Schon deshalb müssen wir damit „Staat im Staate" gibt, keine Armee, die in ihren rechnen, daß diejenigen, die lieber nach hinten aus Reihen Feinde der Demokratie duldet; daß es keinen dem Rückfenster als nach vorne schauen, jenen natio- maßgeblichen Industriellen und keinen Wirtschafts- nalen Werten, die wir zurücklassen müssen, heftig verband gibt, der in nationalistischen oder gar rechts- nachtrauern werden. radikalen Kategorien denkt, daß es aber viele Demo- Wenn wir auch besorgt sind über die Auswirkungen kraten gibt in Deutschl and. Wir müssen zeigen, daß des rechten Terrorismus im Ausland: Es wäre fatal, sie mit den wenigen Volksverhetzern und Brandstif- wenn der Eindruck entstünde, wir Deutschen betrach- tern fertigwerden und nicht bereit sind, ihre Taten zu teten den Rechtsradikalismus in erster Linie als entschuldigen. außenpolitisches Problem. Gewiß steht außer Frage, (Beifall bei der SPD, der F.D.P. und dem daß die rechtsradikalen Mordbrenner und Volksver- BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abge hetzer dem Ansehen der Bundesrepublik Deutsch- ordneten der CDU/CSU) land im Ausland großen Schaden zufügen. Das aber ist nicht die erste Frage. Vor allem anderen geht es um Meine Damen und Herren, wir dürfen aber auch die die Menschenwürde und um die Demokratie in unse- Gefahr nicht unterschätzen, die darin liegt, daß natio- rem Lande. nalistische oder rassistische Stammtischparolen bei vielen Menschen verfangen, die nicht zur rechtsradi- (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der kalen Szene gehören. Hier müssen wir die Denkme- F.D.P. und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜ chanismen und Verhaltensweisen verstehen und NEN) erklären lernen, um an der richtigen Stelle richtig Als ich die Münchner Lichterkette im Fernsehen reagieren zu können. Zur wirklichen Gefahr für unser sah, als ich die Bilder von den unzähligen Schülerde- Staatswesen würden die Schlägerbanden und die monstrationen überall in Deutschland sah, da faßte ich Heil-Hitler-Kommandos, die Ausländer überfallen wieder Vertrauen, daß die Deutschen dies verstanden und Asylbewerberheime anzünden, erst dann, wenn haben. Die Rechtsradikalen haben ihr Überra- eine große rechtsradikale Volksbewegung ihre Gesin- schungsmoment ausgenutzt. Fortan werden sie uns nung teilte. vorbereitet finden. Sie werden sich noch wundern, Es ist ja nicht zu leugnen, daß wir derzeit mit großen welch demokratischen Behauptungswillen ihre Bruta- sozialen Problemen konfrontiert sind, die — wie wir lität in unserem Lande geweckt hat. alle wissen — einer Radikalisierung der Menschen (Beifall bei der SPD, der F.D.P. und dem Vorschub leisten. Kulturelle Liberalität erreicht dieje- BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abge nigen nicht, die sich existentiell bedroht fühlen. Das ist ordneten der CDU/CSU) der Unterschied zwischen früher und heute. Auch die Länder nehmen ihre Verantwortung bei Meine Damen und Herren, in der italienischen Stadt der Bekämpfung des rechten Terrors an. Sondergrup- Perugia steht auf dem zentralen Platz ein alter Brun- pen der Polizei wurden eingerichtet, um den rechten nen. Rundherum sind Eisenringe in ihn eingelassen, Terror zu bekämpfen. Der Polizei sind wir für ihre einer wie der andere. Jeder Ring gehörte einer alten Arbeit zum D ank verpflichtet. perugianischen Familie. Kam ein Fremder in die (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU,- der Stadt, band er sein Pferd an einen der Ringe. Ohne es F.D.P. und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜ zu wissen, hatte er damit eine Entscheidung ge troffen NEN) über die Familie, die ihn beherbergen durfte. Ich sage: durfte. Denn in Perugia war man auf den Einfall mit Auch hier gilt der Grundsatz: Principiis obsta. den Ringen nur deshalb gekommen, weil sich die Aus dem rechten Lager haben wir in der Vergan- Familien damals ständig stritten, wem nun die Ehre genheit oft den Vorwurf gehört, die sich zur histori- gebühre, einem Fremden das Gastrecht zu gewähren. schen Verantwortung bekennenden deutschen De- Der Fremde wurde als Bereicherung empfunden. mokraten neigten zur Selbstanklage und zur Nestbe- Und heute? Sind beispielsweise die Italiener Barba- schmutzung. Dieser Vorwurf wurde von dem Wunsch ren geworden oder Rechtsradikale? — Wir haben am begleitet, aus dem Schatten Hitlers so schnell wie Fernseher miterlebt, wie in der süditalienischen Stadt möglich herauszutreten. Bari die Fremden aus Albanien mit dem Polizeiknüp- Meine Damen und Herren, dem halte ich entgegen: pel auf ihre Schiffe zurückgetrieben wurden. Verste- Der 8. Mai 1945 war auch ein Tag der Befreiung für hen Sie mich an dieser Stelle nicht falsch. Wir haben uns Deutsche. Und es war die Fähigkeit zur Selbstkri- keine Veranlassung, den Zeigefinger anklagend in tik, die uns zu Demokraten gemacht hat. Wir müssen Richtung Italien zu heben. Bei uns passiert derzeit diese Fähigkeit bewahren, gleichsam als Versiche- Schlimmeres. Es geht mir nur um den Vergleich rung gegen uns selbst. zwischen Perugia einst und Bari heute. Es hilft uns, daß das Ausland uns auch kritisch Der Unterschied liegt in der Überforderung. Im gegenübersteht. Alle Völker, die in diesem Jahrhun- Einzelfall ist uns der Fremde immer noch eine wi ll dert unter deutschen Großmachtansprüchen gelitten -kommene Bereicherung. In der Masse aber wird er haben, sind zu Kritik berechtigt. Wir aber müssen von vielen als Bedrohung empfunden. Denjenigen, Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 128. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1992 11045

Ministerpräsident Oskar Lafontaine (Saarland) denen es gut geht, die eine schöne Wohnung haben, Meine Damen und Herren, wenn es die Zukunfts- die ein hohes Einkommen haben, wird dies vielleicht angst ist, die junge Menschen radikalisiert, dann nicht viel sagen. Aber für viele andere, denen es nicht müssen wir alles daransetzen, ihnen wieder eine so gut geht, die eine erschwingliche Wohnung suchen, optimistische Lebensperspektive zu geben. Perspek- die um ihren schlechtbezahlten Arbeitsplatz fürchten, tiven kann man nicht überbringen wie Geschenke. die täglich mit den Fremden um knappe Güter kon- Perspektiven muß sich jeder selber erarbeiten. Wenn kurrieren, für diese Menschen hat das Gefühl der ein junger Mensch aber eine Schule absolviert, erfolg- Bedrohung einen realen Hintergrund. Das Gefühl der reich eine Lehre bestanden hat und dann an Stelle Bedrohung löst im Verhalten der Menschen Abwehr- eines Arbeitsplatzes nur das Hohelied der Marktwirt- mechanismen aus. Dies ist die Grundlage, auf der sich schaft gesungen bekommt, dann kann man seine Wut die Fremdenfeindlichkeit derzeit in Deutschland aus- und sein Aufbegehren gegen diesen Staat zumindest breitet. Der Ausländer wird zum Sündenbock. verstehen. Arbeitslosigkeit und wachsende Wohnungsnot führen (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten dazu, daß in dem anderen nicht mehr der Mitmensch, der PDS/Linke Liste) sondern nur noch der Konkurrent um soziale Güter gesehen wird. Genauso ergeht es vielen Jugendlichen in Ost- deutschland, die derzeit keine Lehrstelle bekom- Durch die soziale Schieflage werden die Menschen men. verunsichert. Mit dem Gefühl der Verunsicherung oder gar der Bedrohung wächst das Bedürfnis der (Dr. Jürgen Rüttgers [CDU/CSU]: Das stimmt Menschen nach Sicherheit. Mit dem Bedürfnis nach doch überhaupt nicht!) Sicherheit wächst auch die Anfälligkeit für rechtsra- Ich könnte mir durchaus vorstellen, daß die west- dikale „law and order"-Parolen. Wer den Rechtstrend deutsche Industrie auf dem Wege der Selbstverpflich- stoppen will, darf das Bedürfnis der Menschen nach tung eine Ausbildungsgarantie für diejenigen über- Sicherheit nicht ignorieren, vor allen Dingen nicht das nimmt, die im Osten trotz aller Anstrengungen keine Bedürfnis nach sozialer Sicherheit. Lehrstelle bekommen. Vieles geschieht bereits in dieser Richtung, und wir sollten dies verstärken. (Beifall bei der SPD, der PDS/Linke Liste und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei der SPD) Solidarität ist schließlich keine staatliche, sondern In den östlichen Ländern haben die Menschen eine moralische Katego rie. wirklich Grund, verunsichert zu sein, und dies nicht nur, weil die momentane wirtschaftliche Lage desolat Keine Regierung wird glaubwürdig versprechen ist und weil die täglichen Berichte über drohende können, alle sozialen Probleme im vereinten Deutsch- globale ökologische Krisen kaum dazu angetan sind, land zu lösen. Jede Regierung wird aber darauf die Stimmung junger Menschen zu heben. Die Jugend drängen müssen, die Lasten so gerecht wie möglich zu in Ostdeutschland mußte die bittere Erfahrung verteilen. Nichts radikalisiert die Menschen so sehr machen, daß die gesellschaftlichen Leitbilder, die wie das Bewußtsein und die Erfahrung sozialer Unge- man ihnen als Kinder eingebleut hatte, Trugbilder rechtigkeit und mangelnder Teilhabe an den sie waren. Auch die neuen gesellschaftlichen Werte betreffenden Entscheidungen. erfahren sie zunächst einmal in Verbindung mit mate- (Beifall bei der SPD) rieller Enttäuschung. In dem Maße, wie sie in eine neue Gesellschaftsordnung „verpflanzt" wurden und Soziale Gerechtigkeit ist Sache des Gesetzgebers. Es sich mit einer neuen Lebensweise zurechtfinden muß- ist also unsere erste Pflicht, meine Damen und Herren, ten, fühlten sich viele Menschen in den neuen Län- durch die Herstellung der sozialen Gerechtigkeit und dern überfordert. Wer ohne Vergangenheit ist und durch den Ausbau der demokratischen Teilhabe dem keine Zukunft sieht, wird anfällig für radikale Verfüh- Rechtsradikalismus den Nährboden zu entziehen. rer. (Beifall bei der SPD) Wir Westdeutschen dürfen allerdings nicht der Herrschaftsfreier Diskurs heißt Ausbau der sozialen Selbsttäuschung erliegen. Die Anfälligkeit für rechte Gerechtigkeit, um soziale Sicherheit zu geben, und Politik ist nun wirklich keine Sache nur der Ostdeut- Ausbau der sozialen Demokratie. schen. (Beifall bei der SPD) (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Wenn dazu auch noch der in den 80er Jahren aufge- DIE GRÜNEN — Zustimmung bei der CDU/ zehrte Gemeinsinn der Gesellschaft wieder etwas CSU) wachsen würde, täte das uns allen gut. Viele verbrecherische Anschläge auf Leben und Wir leben in Deutschland in einer offenen Gesell- Gesundheit unschuldiger Menschen ereigneten sich schaft. Offene Gesellschaften sind nicht bequem. Sie in den alten Ländern. Nichts wäre verheerender, als orientieren sich nicht wie Diktaturen am Ziel der die Menschen glauben zu machen, rechte Tendenzen Konfliktfreiheit. Sie orientieren sich am Ziel des zivi- seien die Mitgift, die die neuen Länder in die Verei- lisierten Austragens von Kon flikten. Zu diesen zivilen nigung eingebracht hätten. Trotz der großen sozialen Grundsätzen, zu den zivilen Selbstverständlichkeiten Probleme in den neuen Ländern haben die rechten müssen wir zurückfinden, auch im Umgang mit aus- Rattenfänger dort, wie Umfragen belegen, geringere ländischen Mitbürgerinnen und Mitbürgern. Wir Chancen, zu einer größeren Volksbewegung zu wer- müssen denen unnachgiebig das Handwerk legen, den. die dazu nicht bereit sind. Denn offene Gesellschaft 11046 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 128. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1992

Ministerpräsident Oskar Lafontaine (Saarland) heißt nicht wehrlose Demokratie, sondern wehrhafte getan werden muß, damit es sich nicht fortsetzt, damit Demokratie. es besser wird. (Beifall bei der SPD) Meine Überzeugung, wenn wir nach Ursachen Meine Damen und Herren, es ist nach meiner fragen, hat mehr damit zu tun, daß sich die Menschen, Überzeugung nicht damit getan, daß wir alle über den junge Menschen zumal, in dieser Zeit, in der sich rechtsradikalen Terror Betroffenheit zeigen. Es soviel verändert, der Grundlagen unserer staatlichen kommt jetzt vielmehr darauf an, die sozialen und und nationalen Gemeinschaft nicht mehr sicher sind, kulturellen Nährwurzeln des Rechtsradikalismus und daß wir vielleicht mehr daran arbeiten müßten, abzuschneiden. Dazu brauchen wir zum einen einen die Grundlagen, die unsere freiheitliche Gemein- republikanischen Begriff der Nation, der Menschen schaft tragen, deutlicher zu machen. anderer Abstammung nicht ausgrenzt, und zum ande- ren eine Politik, mit der die soziale Gerechtigkeit und Ich denke nicht, daß wir die nationale Gemeinsam- die demokratische Teilhabe als Fundament unserer keit, die nationale Identität ausgerechnet Rechtsex- Gesellschaftsordnung weiter ausgebaut werden. tremisten überlassen sollten. Ein freiheitlicher Staat lebt von Voraussetzungen, die die Menschen freiwil- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten lig zusammenführen und zusammenhalten, die er gar des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) nicht selbst gewährleisten kann, für die man aber mehr tun kann, als es vielleicht in den zurückliegen- Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Das Wort den Jahrzehnten gelungen ist — in einer Zeit der hat nunmehr der Abgeordnete Dr. Wolfgang Teilung, in einer Zeit, in der die Brüche in unserem Schäuble. nationalen Schicksal durch zwei Weltkriege und die Nazi-Barbarei so ungeheuer groß gewesen sind. Viel- leicht haben wir uns in der Nachkriegszeit zunächst zu Dr. Wolfgang Schäuble (CDU/CSU): Herr Präsident! sehr auf das Nächstliegende, den wirtschaftlichen Meine Damen und Herren! Uns allen steht das Bild des Aufbau, konzentriert, was ja im Ergebnis nicht Hauses mit den geschwärzten Fensterhöhlen vor schlecht war, was aber vielleicht dazu geführt hat, daß Augen, in dem drei Menschen elend verbrannten, als wir uns zu sehr mit wirtschaftlichen und sozialen sie nichts ahnend in ihren Betten lagen. Sie wurden Besitzständen eingemauert haben und glauben, daß ermordet, nur weil sie aus der Türkei kamen, von der jede Veränderung im Grunde schon an die Grundla- Schwarzmeerküste, wo Tausende von Deutschen gen unserer Existenz rührt. ihren Urlaub verbracht hatten: eine 51jährige Frau, die seit ihrem 30. Lebensjahr bei uns in Deutschland (Beifall bei der CDU/CSU, der F.D.P. und lebte, ihre 10jährige Enkelin und ihre 14jährige dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Nichte, die für ein paar Wochen zu Besuch war. Abg. Dr. Peter Struck [SPD]) Die Mitschüler der kleinen Yeliz Arslan standen Und jetzt kommen auf die Deutschen wie auf die fassungslos vor ihrem Haus, in stummer Verzweife- Europäer mehr Veränderungen zu. Der Bundeskanz- lung, Kerzen in den Händen. Entsetzen, Trauer, Wut ler hat zu Recht darauf hingewiesen, daß es ja nicht bewegte die Bürger von Mölln, bewegt uns alle. Aber nur eine Entwicklung in Deutschland, sondern in ganz Trauer, Abscheu, Wut macht die Toten nicht lebendig. Westeuropa ist. Mölln ist kein Einzelfall, liegt auch nicht in Ost- deutschland. Vielleicht gehört neben diesen Ursachen auch Die Spur der Gewalt zieht sich quer durch unser hinzu, daß wir den großen Umbruch in den 60er Land, eine entsetzliche Folge von Haß und Gewaltbe- Jahren noch nicht hinreichend verarbeitet haben. reitschaft, Gewalttaten und Brandanschlägen, Terror Wahrscheinlich ist vieles von den sozialen Strukturen und Mord. 17 Menschenleben sind der Gewalt bereits noch aus der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg über die zum Opfer gefallen, und die Täter sind meist Jugend- beiden Weltkriege, die Zeit von Weimar und das Dritte liche unter 21 Jahren. Reich bis in die 50er Jahre hinein tradiert worden, und der Umbruch kam in den 60er Jahren. Deswegen war Deswegen sind wir für die Regierungserklärung der einschnitt tief. dankbar, die der Bundeskanzler abgegeben hat, und dafür, daß wir gemeinsam zum Ausdruck bringen und Vielleicht ist zwar der Abbau überlieferter Werte entschlossen sind, dieses entsetzliche Treiben nicht gelungen, aber der Aufbau neuer Werte, die an ihre weiter zuzulassen, gemeinsam zu handeln, gemein- Stelle treten sollten, noch nicht. Vielleicht haben wir sam den Rechtsstaat und das staatliche Gewaltmono- zuviel an Autorität verloren, vielleicht brauchen junge pol durchzusetzen. Menschen Autorität, Leitbilder. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) (Zuruf von der F.D.P.: G anz sicher!) Wir brauchen diese Entschlossenheit, wir brauchen die Unterstützung der Bürger und der politisch Ver- Vielleicht brauchen wir doch mehr als nur Ausbil- antwortlichen für die Polizei, und wir müssen auch dung, nämlich auch Erziehung. gemeinsam darüber nachdenken, welches denn die Ursachen dieser Entwicklung sind. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Ich glaube nicht, Herr Ministerpräsident Lafon- Ich glaube nicht, daß die wirtschaftlichen und taine, daß die Antworten, die Sie gegeben haben, sozialen Probleme die eigentliche Ursache dieser ausreichend erkären, wo die Ursachen für diese Ent- Entwicklung sind. Ganz abgesehen davon, Herr Mini- wicklung liegen, und ausreichend beschreiben, was sterpräsident Lafontaine: An Ausbildungsplätzen ist Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode -- 128. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1992 11047

Dr. Wolfgang Schäuble in Deutschland kein Mangel, weder in West noch in schwächer geworden sind. Wir haben in der vergan- Ost. genen Woche in der Haushaltsdebatte darüber gesprochen, was es wohl bedeuten muß, daß der (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Anteil junger Menschen in unserem Lande immer Zum Glück ist die Ausbildungsplatzgarantie der deut- geringer wird, daß wir gar nicht mehr so viele Kinder schen Wirtschaft auch für die jungen Menschen in den haben, wie man braucht, damit das Verhältnis von neuen Bundesländern nicht nur abgegeben, sondern jung und alt einigermaßen stabil bleibt. Verbirgt sich auch eingehalten worden. dahinter nicht ein Stück Zukunftsverweigerung? Da kann die Ursache nicht liegen, sondern sie muß Kann ein Land Zukunft haben, wenn es nicht an seine wohl mehr darin liegen, daß wir zu viele Entwicklun- Zukunft glaubt, wenn die Familien schwächer wer- gen zugelassen haben, in denen alle Tabus bewußt den, wenn die örtlichen Strukturen schwächer wer- gebrochen worden sind. Jetzt haben wir damit zu tun, den, wenn Vereine, Kirchen in ihren Bindungswir- daß selbst das letzte Tabu, die Ächtung des Nazi- kungen nachlassen? Vielleicht hat das mit dem zu tun, Barbarismus, offenbar gebrochen wird. Wer alle worüber wir heute klagen und was wir verändern Tabus verletzen darf, wird sich auch beim letzten nicht wollen. Deswegen sollten wir wieder mehr Gemein- mehr aufhalten. schaft stiften. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. (Zuruf von der SPD: Das ist eine Frage der sowie bei Abgeordneten der SPD) Gerechtigkeit!) Der Bundeskanzler hat von der Gewalt an Schulen — Mit der Gerechtigkeit hat das auch zu tun. gesprochen. Ich kann nicht begreifen — ich befürchte, (Zuruf von der SPD: Richtig!) daß ich nicht der einzige in diesem Lande bin --, warum es nicht möglich ist, das an Schulen zu ändern. Wenn unschuldige Menschen — Fremde und Einhei- Wir wollen uns wirklich nicht gegenseitig Vorwürfe mische, Minderheiten, Schwache — Opfer von Gewalt machen, weil es wichtig ist, daß wir gemeinsam das werden, dann ist das eigentlich die größte Ungerech- Menschenmögliche tun, um diese Entwicklungen zu tigkeit. Deswegen reden wir ja über diese Ungerech- Extremismus und Gewalt zu bekämpfen. Deswegen tigkeit. begrüße ich auch, daß nach dem Bundeskanzler als (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) erster Redner in der Debatte der Ministerpräsident Vielleicht sollten wir versuchen, unseren Staat zu eines deutschen Bundeslandes gesprochen hat. Viel- stärken. Vielleicht brauchen die Menschen doch das leicht, Herr Ministerpräsident, sollten die Ministerprä- Gefühl, daß dieser Staat in der Lage ist, sie zu sidenten aller 16 Bundesländer einmal gemeinsam schützen, nach innen das Recht durchzusetzen und darüber nachdenken, ob die Kultusminister nicht in nach außen den Frieden zu bewahren. der Lage sein könnten, dafür zu sorgen, daß Gewalt an den Schulen in Deutschland kein Thema mehr ist. Ich Herr Präsident, meine Damen und Herren, wir bitte herzlich darum. werden heute im Laufe des Tages über Menschen- rechte debattieren und über die entsetzlichen Verlet- (Beifall bei der CDU/CSU, der F.D.P., der zungen von Menschenrechten ganz in unserer Nähe, SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) deren Zeugen wir sind. Vielleicht gibt es einen Wie will ein Rechtsstaat, der das Gewaltmonopol Zusammenhang zu den Sorgen, die uns in dieser des Staates nicht mehr durchsetzt, der dies nicht Debatte bewegen. Die Menschen können nicht einmal an eigenen staatlichen Einrichtungen, in Schu- begreifen, daß wir als zivilisierte Europäer zusehen, len, durchsetzen kann, Kinder, junge Menschen zur daß mitten in Europa Menschen gequält, gefoltert und Gewaltfreiheit erziehen? gemordet werden und wir nichts dagegen tun. (Zuruf von der SPD) (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) — Ich glaube, es hat schon damit zu tun. Vielleicht müssen die Menschen wieder erfahren, Es ist schlimm, daß Menschen in Straßenbahnen, daß wir diesen Staat brauchen, in dem wir als Deut- auf öffentlichen Straßen wegsehen, wenn Gewalt sche vereint sind, damit er uns, seine Bürger, nach ausgeübt wird, daß sie den Opfern von Gewalt nicht außen und nach innen schützt. Sie müssen erfahren, beistehen, sondern möglichst wegsehen, weil man im daß es diesen Schutz nach außen und nach innen nicht Zweifel nur Ärger oder Scherereien bekommt. zum Nulltarif und nicht zu Billigpreisen gibt, sondern daß dazu auch von den Bürgern mehr gefordert wird. Müßte es nicht so sein, daß man Schutz vor Gewalt Vielleicht haben wir die jungen Menschen in den zuerst da, wo der Staat unmittelbar zuständig ist, in zurückliegenden Jahrzehnten zuwenig gefordert. Schulen, wo Kinder Gewalt unmittelbar erfahren, Vielleicht wollen sie mehr gefordert werden. verwirklichen bzw. lernen sollte? Vielleicht würden aus Kindern, die in der Schule erfahren, daß der Staat ( [CDU/CSU]: Richtig!) das Gewaltmonopol durchsetzt, Bürger werden, die Vielleicht wollen sie gar nicht nur ihre Rechte gelehrt mithelfen, daß auch außerhalb der Schule das Gewalt- bekommen, sondern auch ihre Pflichten. monopol durchgesetzt werden kann. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. Die gegenwärtige Entwicklung hat gewiß auch sowie des Abg. Wolfgang Thierse [SPD]) damit zu tun — wir können heute ja nur Fragen stellen und dann gemeinsam nachdenken, was weiter Ich finde, wir sollten ihnen das nicht verweigern. geschehen muß —, daß die sozialen Strukturen in Wir haben uns in den letzten Wochen endlich — viel unserem Lande, die Familien in ihrer Funktionskraft zu spät, aber besser als noch später — zusammenfin- 11048 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 128. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1992

Dr. Wolfgang Schäuble den können, um die Zuwanderung nach Deutschland ohne demokratische Gegenwehr so verschwinden besser steuern und begrenzen zu können, als es bisher — Sie haben das angemerkt, Herr Ministerpräsi- möglich war. Ganz gewiß erwarten die Menschen von dent — wie sie gekommen sind: leise, nahezu unbe- ihrem Staat, daß er in der Lage ist, auch insoweit seine merkt. Schutzfunktion wahrzunehmen, Nein; Demokratie darf nicht darauf vertrauen, daß (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) allein ihr guter Name und ihr beispielloser Erfolg als Ganz gewiß — das sage ich zu denjenigen, die sich mit toleranter und gerechter Regelmechanismus mensch- dem schwertun, was wir gemeinsam erarbeitet lichen Zusammenlebens Schutz genug gegen die haben — ist das eine Voraussetzung, um das Zusam- Demokratiefeinde sind. Denn das, was wir im Augen- menleben von deutschen und ausländischen Mitbür- blick in Deutschland am Werke sehen, sind nicht nur gern in Deutschland für die Zukunft wieder f riedlich Ausländerfeinde; es sind Demokratiefeinde. Hem- und freundlich zu sichern. mungslose Gewaltbereitschaft sucht sich ihr Ventil. Was sich früher in heimlichem Vandalismus gegen (Beifall bei der CDU/CSU und der Abgeord Telefonzellen und Fahrkartenautomaten äußerte, ent- neten Uta Würfel [F.D.P.]) lädt sich heute immer mehr in physischer Gewalt. Weit Wer den Menschen das Gefühl vermittelt, daß der über 4 000 Straftaten gegen Ausländer sind in diesem Staat in der Lage ist, sie zu schützen, das friedlich Jahr schon registriert worden. Ungezählt sind die freiheitliche Zusammenleben zu schützen, der schafft vielen Schmähungen des alltäglichen Fremdenhas- die Grundlage für Toleranz und für entspanntes ses, die von vielen Ausländern oft mit bewunderns- Miteinander von Deutschen mit vielen ausländischen werter Gelassenheit, aber sicher oft auch nur mit der Mitbürgern und mit vielen Nachbarn mitten in Faust in der Tasche ertragen werden. Die Gewalt trifft Europa. Deswegen lassen Sie uns gemeinsam auf Ausländer, Juden, Alte, Schwache, Behinderte. diesem Weg weiter vorangehen. Diese Gewaltbereitschaft potenziert sich. Gewalttä- Wir haben die Chance bekommen — nicht aus ter wollen sich messen, irgendwann auch mit dem eigenem Verdienst —, eine freiheitliche, stabile Staat, wenn Nachlässigkeit mit Toleranz verwechselt rechtsstaatliche Demokratie in einem in Frieden ver- wird. Es mag gerade aus dem Munde eines Liberalen einten Deutschland mitten in Europa auf dem Weg zur ungewöhnlich klingen, wenn er für kompromißlose Einheit Europas zu schaffen. Wir sollten vor den staatliche Unnachgiebigkeit und Härte plädiert. Aber Herausforderungen, diesen Weg friedlich, gewaltfrei es geschieht aus Sorge, daß unser Gemeinwesen weiterzugehen, nicht verzagen. Wir brauchen dazu ausgehöhlt und seine Grundfesten untergraben wer- einen Staat, der handlungsfähig ist. Innere Sicherheit den. Eine Demokratie, die sich nicht wehrt, wird zum ist nichts Altmodisches, sondern die Voraussetzung Spielball der Extreme. Deswegen ruft die F.D.P. zur für Freiheit und friedliches Zusammenleben. Offensive der Demokraten auf, zum Schutz der Demo- Deswegen sollten wir die schlimmen Ereignisse der kratie gegen Gewalt und gegen Fremdenfeindlich- letzten Wochen zum Anlaß nehmen, uns unserer keit. Grundlagen neu sicher zu werden und entschlossener zu handeln, als das bisher der Fall gewesen ist. Wir (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) dienen damit der Freiheit und dem inneren Frieden. Was Sie, Herr Schäuble, zur Gewalt an unseren Unsere Bürger sollen wissen: Wir sind entschlossen, Schulen — da liegt eine Aufgabe für unsere Kultusmi- das Recht, die Freiheit und den inneren Frieden zu nister —, zur Erziehung an unseren Schulen — Herr schützen. Klose hat in der Haushaltsdebatte die Frage gestellt — (Anhaltender Beifall bei der CDU/CSU und und im Hinblick auf die Jugend in Deutschland — Frau Schmalz-Jacobsen wird sich mit diesem der F.D.P. — Beifall bei Abgeordneten- der SPD) Thema beschäftigen —, aber vor allem zur Beziehung unserer Jugend zu unserem Staat gesagt haben, findet bei uns Unterstützung und Zustimmung. Ich erteile Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Meine Damen und Herren, gestern ist in Rudolstadt dem Abgeordneten Otto Graf Lambsdorff das Wort. der Neonazi Thomas Dienel, der sich u. a. wegen Volksverhetzung und Beleidigung verantworten Dr. Otto Graf Lambsdorff (F.D.P.): Herr Präsident! mußte, verurteilt worden. Erklärung vor Gericht: „In Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Mitte Auschwitz wurde niemand gezielt umgebracht, und des 19. Jahrhunderts hat er es uns aus Pa ris geschrie- ich sage klipp und klar: Leider wurde niemand umge- ben: bracht." Es verschlägt einem die Sprache. Die F.D.P. Denk ich an Deutschland in der Nacht, dann bin unterstützt die Absicht der Bundesregierung, Dienel ich um den Schlaf gebracht. und einem weiteren Neonazi durch eine Verfassungs- gerichtsentscheidung die Grundrechte zu entzie- Heinrich Heine war es. Wie viele Menschen sind hen. heute um den Schlaf gebracht, wenn sie an Deutsch- land denken? Wie viele Demokraten schlafen den (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU Schlaf der Gerechten, weil sie die vermeintliche sowie bei Abgeordneten der SPD) Unantastbarkeit der Demokratie für ein sanftes Ruhe- Das sind Menschen, denen weder das Leben noch kissen halten? die körperliche Unversehrheit anderer etwas bedeu- Meine Damen und Herren, ich warne davor, zu ten. Das sind Menschen, für die Gewalt und Terror glauben, Gewalt, Fremdenfeindlichkeit, Antisemitis- höher stehen als friedliches Zusammenleben, Demo- mus und Rechtsextremismus in Deutschland würden kratie und Gemeinsinn. Diese Menschen brüllen: Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 128. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1992 11049

Dr. Otto Graf Lambsdorff „Deutschland den Deutschen". — Nein, meine Wirtschaftspolitik und den Investitionen in Deutsch- Damen und Herren, den Deutschen bestimmt nicht. land. Selbst wenn uns das Ausland unbeachtet ließe, (Beifall bei der F.D.P., der CDU/CSU und der selbst wenn Investitionsquellen üppig sprudelten, SPD) wäre meine Sorge genauso groß. Es geht um den Erhalt von Toleranz und Recht und Menschenrechten Das sind diejenigen, die unser Land schon einmal bei uns. ins Unglück geführt haben. Das sind diejenigen, die mit ihrer ideologischen Verbohrtheit und intellektuel- (Beifall bei der F.D.P., der CDU/CSU, der len Beschränktheit unendliches Leid über die Welt SPD und der PDS/Linke Liste) gebracht haben und auf deren Fahnen Tod und Es geht um die Verteidigung der Demokratie als Wert Verfolgung standen. an sich. Und es geht um den Anstand in Deutschland. Unsere Demokratie ist stark. Unser Staat ist kein Ich frage auch: Haben wir nicht die sogenannten Nachtwächterstaat. Er ist auf der Hut, und er weiß sich Sekundärtugenden in den letzten Jahren etwas zu zu wehren. Das ist gut. Denn in manchen Früchten der stiefmütterlich behandelt? Demokratie steckt ein Wurm. Bekanntlich kann ein (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) fauler Apfel den ganzen Korb verderben. Das, was der Bundeskanzler über Gewaltdarstel- Deshalb ist konsequentes Handeln gefordert. Es lung in den Medien gesagt hat, ist voll berechtigt und genügt nicht, ein Gewaltmonopol zu haben; man muß findet unsere volle Zustimmung. Sie können ja abends es auch anwenden. die Programme durchtippen: Zwei Morde erwischen (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU Sie mit Sicherheit. Ich begrüße aber auf der anderen sowie bei Abgeordneten der SPD) Seite ausdrücklich — das will ich auch sagen —, daß die öffentlich-rechtlichen und die privaten Anstalten Hier sind harte und abschreckende Strafen notwen- mit Fernsehspots gegen Fremdenfeindlichkeit mobil dig. Zuwarten in der Hoffnung, der Rechtsextremis- machen. mus in Deutschland werde sich von allein erledigen, wäre fahrlässig und unver antwortlich. Ich sehe nie- Wenn Sie die ausländische Presse verfolgen — lesen manden in diesem Hause, der das wollte und so Sie diese Woche den „Economist" oder „William dächte. Menschen, die Özmir oder Rosenbaum hei- Pfaff" in der „International Herald T ribune" —, so ist ßen, müssen in Deutschland leben können, ohne die Berichterstattung über die Ereignisse in unserem Angst zu haben. Land weitgehend von Fairneß und Vertrauen in die demokratische Stabilität Deutschlands geprägt. (Beifall im ganzen Hause) Aber demokratische Wachsamkeit sind wir nicht Bundesregierung und Bundestag sollten aber nicht nur den Menschen schuldig, die bei uns als Ausländer übersehen, welch kritische Würdigung die Behand- leben. Sie gebietet auch der politische Anstand lung des Staatsangehörigkeitsrechts in Deutschland gegenüber unseren Nachbarn und internationalen bei unseren europäischen und amerikanischen Freun- Partnern, die langsam, aber sicher das Gefühl bekom- den erfährt. men, sie hätten mit ihrem Ja zur deutschen Einheit die Die F.D.P. hätte es gern gesehen, wenn sich im Büchse der Pandora geöffnet. Rahmen des Asylkompromisses mehr Offenheit in Jeder Brandanschlag auf ein Asylbewerberheim, dieser Frage gezeigt hätte. Die doppelte Staatsbürger- jede Gewalttätigkeit gegen Ausländer in Deutsch- schaft sollte diskutiert werden. land, jedes Wiederaufleben von Antisemitismus wird (Beifall bei Abgeordneten der SPD) als Beweis dafür empfunden, daß Deutschlands- Weg in Wahrheit nicht in die europäische Zukunft, sondern Aber die Argumentation, die Sie, Herr Ministerpräsi- in die deutsche Vergangenheit weist. Es gibt ein dent des Saarlandes, angeführt haben, vermag ich tiefsitzendes Mißtrauen im Ausland, wir könnten nicht nachzuvollziehen. Das hilft uns nicht. einem deutschen Deutschland den Vorzug vor einem ( [Wiesloch] [SPD]: O europäischen Deutschland geben. doch!) Kein Wunder, daß Berichte über Angriffe auf Asyl- — Nein, es geht um Erweiterung; es geht nicht um bewerberheime, daß Bilder von Skinheads mit Nazi- Einengung, die nach Ihrer Meinung vorgenommen Gruß auch zu massiven negativen Folgen für die werden soll. Das gibt keinen Sinn. Wirtschaft führen. Die Bilder von den Ausschreitun- gen in Deutschland gehen um die Welt. Wir sind froh, daß es am vergangenen Wochenende gelungen ist, zwischen den demokratischen Parteien Solange gewalttätige Aktionen Anlaß zu der Frage einen Kompromiß zur Lösung der Asylproblematik zu geben: Wohin geht Deutschland?, wird Geld aus dem erreichen. Aber wir warnen davor, unzulässige Ausland spärlicher in die fünf neuen Bundesländer Zusammenhänge zwischen dem Asylproblem und kommen. Ich habe nach den Rostocker Ereignissen dem Rechtsextremismus in Deutschland herzustel- auf diese Gefahr aufmerksam gemacht. Es müßte doch len. selbst in den Kopf eines Skinheads gehen, daß er damit den Ast absägt, auf dem er sitzt. (Beifall bei der F.D.P. sowie des Abg. Sieg- Aber — insofern teile ich die Anmerkungen des fried Vergin [SPD]) saarländischen Ministerpräsidenten — meine Sorge Die Lösung des Asylproblems löst nicht das Problem gilt nicht in erster Linie dem Deutschlandbild im des Rechtsextremismus. Ich warne vor dem Argu Ausland. Sie gilt noch nicht einmal vorrangig der ment, der Rechtsextremismus sei die zwangsläufige 11050 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 128. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1992

Dr. Otto Graf Lambsdorff ) Antwort auf den Zustrom der Menschen nach man sich eine linksextremistische Gewalttat geradezu Deutschland. wünscht, damit das Weltbild endlich wieder stimmt (Beifall bei der F.D.P., der CDU/CSU und der und damit auch der Vorwand da ist, um entsprechend SPD) nach links auszuholen. Für Mord und Totschlag und Brandstifung gibt es Aber wer Opfer schutzlos läßt — ich erinnere an den überhaupt keine Entschuldigung. Als Antwort darauf Brief von Giordano —, der muß sich dann auch mit gibt es nur das Gefängnis. entsprechenden Reaktionen abfinden und trägt auch Mitverantwortung dafür. (Beifall bei der F.D.P., der CDU/CSU und der SPD) Nun zum eigentlichen Thema, d. h. zur nationalen Entwicklung nach rechts. Auch hier muß man die Ich habe in der Vergangenheit das Wort von der Außenpolitik einbeziehen. Mit größter Sorge be- Gemeinsamkeit der Demokraten zu oft als Leerformel trachte ich die Bestrebungen der Bundesrepublik erlebt und es deshalb nie benutzt. Jetzt bin ich froh Deutschland, die Bundeswehr weltweit einzusetzen. darüber, feststellen zu können, daß es diese Gemein- Die Koalition will Blauhelm-Einsätze und -Kampfein- samkeit gibt. Wir haben sie weit über den Kreis der sätze, die SPD und zumindest Teile des Bündnisses 90 Politiker hinaus bei der Demonstration in Berlin, bei stimmen leider auch den Blauhelm-Einsätzen zu, der Lichterkette in München und in vielen anderen wobei ich sage: Es gibt heute keine Blauhelm deutschen Städten erlebt. Zivilcourage ist gefragt. Einsätze mehr, die keine Kampfeinsätze sind. Inso- Deshalb bitte ich die Bürger unseres Landes: Nehmt weit ist die Koalition wenigstens konsequent. Partei! Mischt euch ein! Zeigt der Welt, daß wir die Gebote von Demokratie, von Rechtlichkeit und (Beifall bei der PDS/Linke Liste — Co rnelia Humanität verstanden haben und daß wir sie gemein- Schmalz-Jacobsen [F.D.P.]: Die PDS will eine sam mit unseren ausländischen Mitbürgern in Nische!) Deutschland leben wollen! Aber wer hier die Tür einen Spalt aufmacht, der wird (Beifall bei der F.D.P., der CDU/CSU und der sie nicht wieder schließen können. Wenn man die SPD) Bundeswehr in die Welt schicken will, braucht man dafür Motivation. Man braucht Feindbilder, man braucht Angst und Haß. Dafür müssen seit Jahren die Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Das Wort Flüchtlinge herhalten. hat der Abgeordnete Dr. Gregor Gysi. Nicht nur wird hier mit falschen Zahlen operiert — ich habe schon einmal darauf hingewiesen, daß die Dr. Gregor Gysi (PDS/Linke Liste): Herr Präsident! Zuwanderungen in Deutschland zurückgehen —, i) Meine Damen und Herren! Ich glaube, die Art des auch die Sprache verrät die Brandstifter. Es ist nun Nationen-Begriffs hat auch etwas mit dem Problem zu einmal Tatsache, daß es nicht die Skinheads waren, tun, Herr Dr. Lambsdorff, mit dem wir uns hier sondern verantwortliche Politiker, die von einer „mul- beschäftigen. Es ist eine wichtige Frage, übrigens tikriminellen Gesellschaft", von einer „durchmisch- auch zur Regelung der Staatsbürgerschaftsfragen, ob ten und durchraßten Gesellschaft" sprachen, die man sich auf ein reines Abstammungsprinzip auch „asylantenfreie Zonen" forderten, die Asylanten am noch merkwürdiger völkischer Natur bezieht oder ob Kragen packen und herauswerfen wollten. Die These man einen republikanischen Nationen-Begriff ein- „Das Boot ist voll" macht angst. Worte wie „Schein- führt. Insofern kann ich dem Ministerpräsidenten nur asylanten" und „Asylmißbrauch" stellen Flüchtlinge zustimmen. als Betrüger dar. Das Wort „Wirtschaftsflüchtlinge" - Aber ich finde, bei aller Betroffenheit, die hier zum stellt sie zudem als gierig dar und soll die Angst Ausdruck gebracht wird, ist es auch erforderlich verbreiten, es ginge den Deutschen ans Portemon- — auch hier sollten wir etwas vorbildlicher herange- naie. Hier ist durch die Debatte, wie sie in den letzten hen —, über eigene Mitverantwortung und eigene Jahren geführt worden ist, eine große Mitverantwor- Mitschuld der Politik nachzudenken. tung gegeben. Die Große Anfrage der SPD lautet: „Rechtsextre- Die verbale Schlacht zeigt Wirkung. Die Geister, die mismus, Ausländerfeindlichkeit und zunehmende gerufen wurden, wird man so einfach nicht los. Gewaltbereitschaft in der Bundesrepublik Deutsch- Ich möchte Ihnen etwas zitieren: land", und der Bundeskanzler gibt eine Regierungs- erklärung zu dem Thema „Extremismus und zuneh- Über neunzig Prozent aller Asylanträge werden mende Gewaltbereitschaft in Deutschland" ab. Schon abgelehnt, aber nur jeder 15. abgelehnte Asylbe- hier fangen Mitschuld und Mitverantwortung an, werber wird abgeschoben. Wir sagen ja zum wenn man die Dinge nicht beim richtigen Namen grundgesetzlich geschützten Asylrecht; wir be- nennt. Es ist im Augenblick nun einmal der Rechtsex- kämpfen aber seinen Mißbrauch und fordern, daß tremismus, der diese großen Sorgen bereitet, und das Asylrecht wie die anderen Grundrechte mit nicht irgendein Extremismus. einem Gesetzesvorbehalt versehen wird. Es hilft auch nichts, immer wieder darauf hinzuwei- Im einzelnen fordern wir: kein Asylanspruch bei sen, daß der Linksextremismus genauso schlimm vorausgegangenem Aufenthalt in einem Staate, wäre, aber diese Form des Extremismus glücklicher- in dem keine Verfolgung drohte, oder bei bereits weise nicht in Erscheinung tritt. Man könnte bei den erfolgter Ablehnung in einem anderen Staat, Reden, die von Vertretern der Koalition gehalten Unterbringung in Gemeinschaftsunterkünften werden, manchmal fast den Eindruck haben, als ob während des Asylverfahrens zur Entlastung des Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 128. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1992 11051

Dr. Gregor Gysi Wohnungsmarktes, Sach- statt Geldleistungen habe sie nicht begrüßt — so verstanden, daß sie nicht sowie gemeinnützige Arbeit während des Asyl- eingeführt werden sollen. Nun sollen sie doch einge- verfahrens. Das Aslyverfahren ist zu beschleuni- führt werden. Außerdem soll die Parlamentsmehrheit gen. Abgelehnte Asylbewerber sind unverzüg- über die Länderlisten entscheiden können. Das heißt, lich abzuschieben. Kein Aufenthaltsrecht durch die SPD gibt an die gegenwärtige Regierungskoali- „Altfallregelungen" der Länder. tion die Befugnis ab, die Länderlisten zu fertigen. Woraus ich Ihnen soeben zitiert habe, ist das Pro- Damit wird es zu einem außenpolitischen Problem. gramm der Republikaner aus dem Jahre 1990. Es tut Oder glaubt jemand, daß die Bundesregierung der mir leid: ich muß Ihnen offen sagen, daß der soge- Türkei offen sagen wird, daß sie ein Verfolgerstaat ist und deshalb nicht auf diese Liste kommt? Das wird ein nannte Asylkompromiß, der zwischen CSU, CDU, F.D.P. und SPD vereinbart worden ist, diesen Teil des Handel zwischen den Außenministern. Programms der Republik aner aus dem Jahre 1990 Der Asylbewerber soll gegebenenfalls die Möglich- nicht nur erfüllt, sondern übererfüllt. keit bekommen, die Vermutung, daß er aus einem sicheren Land kommt, zu widerlegen. Wie soll er das (Johannes Gerster [Mainz] [CDU/CSU]: Das ist dummes Zeug!) real tun? Welche Möglichkeiten werden ihm nach dem 36. Mal verschärften Asylverfahrensgesetz dies- Möglicherweise glauben Sie allen Ernstes, daß m an bezüglich überhaupt noch gegeben? den Rechtsextremisten den Boden dadurch entziehen kann, daß man ihre Forderungen erfüllt. Aber warum Der Standard in Asylverfahren wird weiter herun- sollten die Leute dann nicht gleich das Original tergeschraubt, und die Rechtswegegarantie wird aus- wählen? gehöhlt. Die Sicherstellung der Anwendung der Gen- fer Flüchtlingskonvention in. einem Staat bildet nicht Herr Klose hat nach der Einigung mit der Koalition die geringste Garantie. Abgesehen von ihrer unter- in der Asylfrage erklärt, daß er sich vor drei Jahren schiedlichen Auslegung kennt sie kein materielles noch nicht hätte vorstellen können, daß er aus voller Asylrecht. Überzeugung zu einer solchen Regelung ja sagt. Er führte weiter aus: Nun will ich etwas zur Rechtsstaatlichkeit des Verfahrens sagen, weil ich abenteuerlich finde, was Aber auch Politiker sind nicht daran gehindert, dort vereinbart worden ist. Es fängt schon damit an, Realitäten zur Kenntnis zu nehmen. Und die daß das Verfahren auf Gewährung des einstweiligen Realität ist: Wir haben ein nicht mehr beherrsch- Rechtsschutzes vom Hauptverfahren zwingend ge- bares Mengenproblem. Überdies muß man trennt werden soll. sehen, daß ganz offenbar die Menschen in Deutschland mit dem Problem, so wie wir es (Zuruf des Abg. Dr. Wolfgang Freiherr von gegenwärtig gehandhabt haben, emotional über- Stetten [CDU/CSU]) fordert waren. — Das hat etwas damit zu tun, ob man den Forderun- Menschen als „Mengenproblem" zu begreifen ist gen der Rechtsextremisten auf diese A rt und Weise inhuman. Außerdem werden auch dort die abneh- nachkommt oder nicht. Es hat auch etwas damit zu menden Zuwanderungszahlen und damit die Ab- tun, ob man z. B. Rechtsstaatlichkeit in diesem nahme des „Mengenproblems" verschwiegen. Umfang abbaut. — Es reicht, wenn das Gericht darauf hinweist, daß die Begründung des Bundesamtes Die ganze Begründung ist gefährlich. Was würden stimmte. Es ist zu einer eigenen Begründung nicht Sie machen, wenn z. B. Juden oder Radfahrer zu mehr verpflichtet. Das Hauptsacheverfahren soll der einem „Mengenproblem" werden würden, wenn sich Betreffende von Somalia aus führen. Es ist eine völlig die Menschen in Deutschland dadurch „emotional unrealistische Vorstellung, die dahintersteckt. überfordert" fühlten? Sie würden das zurückweisen. Aber wo kann solche Argumentation enden? Dann kommt eine ganz kleine Zeile, die kaum jemandem auffällt. Mich hat das jedoch zutiefst Der angebliche Asylkompromiß schafft das Asyl- erschüttert. Das ist der Satz, daß die Richter ganz in recht und diesbezüglich auch die Rechtswegegarantie der Nähe entscheiden sollen, daß diese Richter über- praktisch ab. Damit haben die Rechtsextremisten, wiegend Asylverfahren machen sollen und daß ihnen damit hat die Straße auf diesem Gebiet gewonnen. für ihre Tätigkeit „zusätzliche Anreize geschaffen Ich will es hier nicht im einzelnen ausführen, aber werden können". Sie konstruieren hier erstmals einen Fakt ist: Wir schließen nach Osteuropa hin zu Polen Sonderrichter, der besonders bezahlt werden soll, und der Tschechoslowakei die Grenze für die gesamte weil er eine besondere Aufgabe hat. EG. Wir bauen noch eine innere Mauer um die Was verstehen Sie unter „zusätzlichen Anreizen"? Bundesrepublik Deutschland herum. Nach ihrem Was ist die Motivation dafür, daß ein Richter, der in Papier steht fest, daß praktisch sämtliche Nachbar- diesen Fällen entscheidet, besondere Anreize be- staaten der Bundesrepublik Deutschland als sichere kommt, im Unterschied zu einem Richter, der kompli- Drittstaaten gelten. Das heißt, zu Lande kann hier zierteste Mordfälle oder andere Dinge zu entscheiden überhaupt niemand hereinkommen, ohne daß er nicht hat? Ist es, weil es so viel Umgang mit Ausländern hat? sofort abgeschoben werden kann. Das ist die prakti- Ist es also ein rassistisches Motiv? Oder soll er dafür, sche Abschaffung des Asylrechts. Denn es bleibt nur daß es so langweilig ist, immer nur den Stempel noch der Fallschirmsprung in die Bundesrepublik „abgelehnt" zu verwenden, eine höhere Bezahlung Deutschland. bekommen? Ich würde die Motivation für materielle Länderlisten sollen eingeführt werden. Ich habe Anreize für Richter, die in diesen Verfahren zu ent- allerdings die Ergebnisse des SPD-Parteitages — ich scheiden haben, gern erfahren. 11052 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 128. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1992

Dr. Gregor Gysi Im gleichen Atemzug wird gesagt, daß die bisheri- sen uns auch selbst befragen, und wir müssen endlich gen Leistungen für Asylbewerberinnen und Asylbe- die Heuchelei in diesem Hause einstellen. werber deutlich zu senken sind — obwohl sie gerade (Beifall bei der PDS/Linke Liste) gesenkt wurden.

Der Bundesinnenminister wurde gefragt, wie er zu Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Ich erteile der Frage stehe, daß möglicherweise eine Verfas- nunmehr der Abgeordneten Ing rid Köppe das Wo rt. sungsklage gegen den geplanten Art. 16a eingereicht wird. Er gibt wörtlich zur Antwort: Ingrid Köppe (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Wenn wir ... mit den Stimmen der CDU/CSU, Präsident! Meine Damen und Herren! Als am Abend der F.D.P. und der SPD in den Art. 16a der des 9. Mai dieses Jahres 60 Skinheads eine Geburts- Verfassung hineinschreiben, was wir wollen tagsfeier in der Magdeburger Gaststätte „Elbterras- — was im übrigen auch der Erwartungshaltung sen" überfielen und dabei u. a. den 23jährigen Tor- der Öffentlichkeit entspricht —, dann kann ich sten Lambrecht erschlugen, sahen die bereits am mir nicht vorstellen, daß sich das Bundesverfas- Nachmittag um Schutz und Hilfe gebetenen Polizei- sungsgericht über diesen Willen des Parlaments beamten an Ort und Stelle tatenlos zu. hinwegsetzt. Als vom 22. bis 27. August allabendlich fremden- Maßstab ist nicht mehr das Grundgesetz, sondern der feindliche Menschenmengen vor der Zentralen Auf- Wille der politischen Mehrheit im Parlament. nahmestelle in Rostock-Lichtenhagen randalierten und durch Gewalttaten und Drohungen den Abtrans- Die Bekämpfung rechtsradikaler Gewalt und rassi- port der ausländischen Bewohner erzwangen, sahen stischer Vorurteile darf nicht auf dem Rücken der starke Polizeikräfte auch aus Westdeutschland zu. Opfer von Gewalt und Vorurteilen ausgetragen wer- Als am späten Abend des 24. August an gleicher den. Wir sind sehr dafür, daß, wie auch die SPD Stelle ein von Vietnamesen bewohntes Haus in Brand vorschlägt, breite Aufklärung bet rieben wird, daß sich gesetzt wurde und die Feuerwehr die Polizei um Hilfe die Bildungspolitik schwerpunktmäßig dieser Auf- bat, um den Löscheinsatz zu ermöglichen, erfolgte die gabe widmet. Wir sind nicht nur dafür, daß die notwendige Hilfe nicht. Bevölkerung über die wahre wirtschaftliche Situation aufgeklärt wird, sondern daß die Politik, die zu sozia- Als in den ersten Oktobertagen dieses Jahres Neo- lem Kahlschlag führt, radikal geändert wird. nazis mit Hitlergruß und „Sieg Heil!" -Rufen durch die Straßen Dresdens zogen, verhinderte oder verfolgte Der Appell im Antrag der SPD an alle Bürgerinnen die dabeistehende Polizei diese Straftaten nicht. Auch und Bürger dieses Landes, sich gegen Intoleranz, von einem späteren staatsanwaltlichen Ermittlungs- Rassismus, Antisemitismus und Gewalt zu wenden, verfahren ist mir nichts bekanntgeworden. muß sich zuallererst an dieses Haus richten. Der Diese Fälle stehen nur beispielhaft für viele andere. sogenannte Asylkompromiß ist intolerant, rassistisch Verantwortliche Entscheidungsträger haben in den und strukturelle Gewalt gegen Flüchtlinge. Der letzten Monaten von vorhandenen Möglichkeiten und innere Frieden in der BRD kann nicht durch eine Kapazitäten zur Abwehr fremdenfeindlicher Gewalt Kriegserklärung an die Flüchtlinge in dieser Welt oder neonazistischer Umtriebe oftmals keinen Ge- hergestellt werden. brauch gemacht. Auch in anderen Bereichen als dem Natürlich hat Rechtsextremismus viele Ursachen: polizeilichen werden meinem Eindruck nach beste- mangelndes Selbstwertgefühl von Menschen, eine hende Handlungsspielräume und Befugnisse gegen inzwischen immer breiter werdende rechte Kultur- rechts nicht ausgeschöpft. szene, die Schließung von Jugendfreizeiteinrichtun- Dem zum Trotz aber erweckt die öffentliche Debatte gen gerade in den neuen Bundesländern. Massenar- über Maßnahmen gegen Fremdenfeindlichkeit und beitslosigkeit und Wohnungsnot waren schon immer Rechtsentwicklung oft den Eindruck, als gebe es ein Nährboden für Rechtsextremismus. keine Erfahrungen und Instrumente, als müsse man bei Null anfangen. Dem aber ist nicht so. Wir haben Hier beginnt die Verantwortung der Bundesregie- ausreichende Strafvorschriften, die endlich nur kon- rung. Heute, zwei Jahre nach der Einheit, fordert der sequent angewandt werden müssen. Ich möchte dies Kanzler, die Industriekerngebiete im Osten zu erhal- hier auch noch einmal betonen: Im Strafgesetzbuch ten. Als die Chance dafür viel größer war, nämlich vor gibt es etliche Paragraphen zur Ahndung neonazisti- zwei Jahren, als wir und andere das forderten, wurde scher Delikte, wie z. B. die §§ 85, 86, 86a, 111, 126, es mit dem Hinweis abgelehnt, daß nur Privatisierung 130, 130a, 131, 140, 168, und auch zur Ahndung in Frage komme. Im sozialen Wohnungsbau passiert fremdenfeindlicher Delikte, wie z. B. die §§ 223 bis fast nichts. 227, 211, 212, die §§ 306 bis 308, die §§ 123 bis 125 a, So wird die Republik leider weiter nach rechts § 303, § 305 usw. usw. rücken. Aber zum Glück wird auch der Widerstand Dennoch wird in den letzten Wochen darüber dis- dagegen wachsen. Dafür gibt es immer mehr Zeichen kutiert, bestehende Strafvorschriften zu verschärfen in der Bundesrepublik Deutschland. Diese Zeichen bzw. neue Gesetze zu schaffen. Bei dieser Diskussion beruhigen mich zwar nicht, aber sie machen mir fällt auf, daß sich der weitaus größte Teil solcher Hoffnung, daß es möglich sein wird, diesen Rechts- Ratschläge auf ordnungspolitische und repressive ruck in der Bundesrepublik Deutschland doch zu Maßnahmen, Sicherheitspersonal, verschärfte Straf- stoppen. Aber wir müssen uns abgewöhnen, die bestimmungen usw. bezieht. Dies mag manchen der Verantwortung nur bei anderen zu suchen. Wir müs- Diskutanten als der geeignetste und schnellste Weg Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 128. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1992 11053

Ingrid Köppe erscheinen, sich der Probleme zu entledigen. Die Mißtrauen gegen verschärfte Polizeibefugnisse. Zum Probleme aber sind nicht mit einem Bündel von anderen aber — und das sage ich auch deutlich—muß Repressivmaßnahmen zu lösen. Wer die Aufmerk- die Polizei dort eingesetzt werden, wo sie gebraucht samkeit jetzt auf den Bereich solcher Reaktionsmuster wird. Bloß ist das in der Vergangenheit oftmals nicht konzentriert, läuft dabei Gefahr, in der Bevölkerung geschehen. falsche Erwartungen und Hoffnungen zu schüren, die Die Schlußfolgerung, die jetzt oftmals in Diskussio- notwendigerweise enttäuscht werden müssen. nen angeboten wird, nämlich „Unsere Gesellschaft ist Wir fordern, daß die bestehenden Strafvorschriften bedroht, also verschärfen wir die Gesetze", zieht angewandt werden, daß die Polizei nicht mehr taten- nicht; sie greift zu kurz und wird uns nicht weiterhel- los danebenstehen darf, wenn Übergriffe auf Auslän- fen. Eine Verschärfung der Gesetze und bestehender der oder andere Mitbürger geschehen. Außerdem Strafbestimmungen wird keine Entschärfung der sind wir der Meinung, daß wir unsere Phantasie und sozialen und politischen Spannungen in diesem Land unsere Aktivitäten viel stärker auf die sogleich bringen. genannten sozialen Problemfelder richten müssen, Ich danke Ihnen. auch wenn das keine kurzfristig sichtbaren Erfolge (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN verspricht. sowie bei Abgeordneten der SPD und der Erstens. Unverzichtbar erscheint uns, umfangreiche PDS/Linke Liste) schul- und jugendpolitische Initiativen zu ergreifen, die Jugendfreizeitangebote aus- statt abzubauen und die politische Bildung auszuweiten statt auszudün- Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Das Wort nen, mehr Lehr-, ABM- und feste Arbeitsplätze zu hat nunmehr der Bundesminister des Innern, Rudolf schaffen und andere langfristige Maßnahmen zu Seiters. ergreifen. Zweitens. Dem organisierten Rechtsradikalismus Rudolf Seiters, Bundesminister des Innern: Herr müssen die geistigen Grundlagen und der personelle Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe vor Zulauf entzogen werden. Hierfür bedarf es einer den Ereignissen in Rostock bei der Vorlage des breiten geistig-politischen Aufklärung besonders der Verfassungsschutzberichtes auf eine besorgniserre- Jugendlichen etwa über Ursprünge und Auswirkun- gende Entwicklung im Bereich des Rechtsextremis- gen des historischen Nationalsozialismus und auf den mus hingewiesen und dabei gesagt: gängigen Agitationsfeldern der Rechten. Ferner sind Nichts und niemand gibt in Deutschl and das für Jugendliche die Möglichkeiten alternativer Recht zu ausländerfeindlicher Hetze und zu Gemeinschaftserlebnisse auszubauen. Gewalt. Drittens. Alle Bürger und Bürgerinnen sind aufge- Wir haben erlebt, daß sich die Gewalttaten der rufen, verbalen und tätlichen Angriffen gegen Aus- vergangenen Wochen und Monate gegen wehrlose länder entschlossen und couragiert entgegenzutre- Menschen gerichtet haben, und dies gehört zu den ten. bittersten Erfahrungen dieser Zeit. Viertens. Die Länderpolizeien müssen die Unter- Wir Deutschen wissen aus dem leidvollen Teil künfte von Asylbewerbern und Asylbewerberinnen unserer Geschichte, daß Extremismus, Haß und sowie andere gefährdete Treffpunkte von Ausländern Gewalt immer ins Unglück geführt haben. Deshalb konsequent rund um die Uhr durch präsente oder muß sich unsere Demokratie — und das heißt ja wohl, mobile Streifenbewachungen schützen. wir alle — gegen ihre Feinde mit allen rechtsstaatli- chen Mitteln zur Wehr setzen. Fünftens. In Ost-, aber auch in Westdeutschland müssen Asylbewerberunterkünfte vorrangig mit Te- (Beifall bei der CDU/CSU) lefonanschlüssen versehen werden, damit Überfälle Seit Beginn dieses Jahres haben wir über 2 000 gemeldet werden können. Gewalttaten mit erwiesener oder zu vermutender rechtsextremistischer Motivation zu verzeichnen, Sechstens. Es muß sichergestellt werden — das ist rund 1 800 mit fremdenfeindlicher Zielsetzung. eigentlich eine Selbstverständlichkeit —, daß die 17 Menschen kamen durch diese Gewalttaten zu Polizei nach Notrufen von Ausländern und Auslände- Tode, darunter sieben Ausländer. rinnen unverzüglich in ausreichender Stärke zum Einsatz ausrückt und effektive Hilfe leistet. Meine Damen und Herren, dies ist eine Situation, die uns alle aufrütteln muß, zumal auch das Gewalt- Siebentens. Der kürzlich aufgebaute polizeiliche potential gestiegen ist. Es liegt bei den militanten Meldedienst „Fremdenfeindliche Straftaten" ist aus- Rechtsextremisten, insbesondere den rechtsextremi- zubauen und zu verfeinern. Bei den Meldungen ist stischen Skinheads, derzeit bei rund 6 400 Perso- besonderes Augenmerk auf organisatorische Verfesti- nen. gung unter den Tatverdächtigen zu richten. Vier Jahrzehnte lang hat unser Land intensiv und Zusammenfassend lassen Sie mich noch einmal erfolgreich daran gearbeitet, nach dem Ende des sagen: Wir wenden uns energisch gegen eine beab- nationalsozialistischen Unrechtsstaates ein stabiles, sichtigte Verschärfung von Gesetzen. Wir kommen demokratisches und rechtsstaatliches Staatswesen aus einem Staat, wo repressive Elemente außeror- aufzubauen, das nach innen und außen Frieden dentlich stark waren. Wir haben sehr intensive Erfah- gewährleistet. Wir dürfen nicht zulassen und werden rungen mit solchen repressiven Elementen gemacht es auch nicht zulassen, daß die Gewalttaten von und haben wahrscheinlich auch von daher ein tiefes Extremisten dieses Bild Deutschlands verdüstern. 11054 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 128. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1992

Bundesminister Rudolf Seiters Ich füge hinzu, daß diese Bilder ja nicht gleichbe- Deshalb habe ich am 27. November die „Nationalisti- deutend sind mit unserem Land. Der ganz überwie- sche Front" verboten. Heute morgen ist das Vereins- gende Teil der deutschen Bevölkerung ist ausländer- verbot gegen die „Deutsche Alternative" ausgespro- freundlich. Sechs Millionen Ausländer leben bei uns chen worden. Dieses Vereinsverbot wird zur Stunde in als Teil unseres Arbeits- und Gesellschaftssystems. Ich allen Bundesländern vollzogen. will auch wiederholen und daran erinnern, daß ange- (Beifall bei der CDU/CSU, der F.D.P. und der sichts der schrecklichen Ereignisse in Jugoslawien SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNIS eine Welle der Hilfsbereitschaft durch unser Land SES 90/DIE GRÜNEN) gegangen ist, die immer noch anhält. Ich möchte auch Darüber hinaus hat das Kabinett gestern beschlos- heute noch einmal der deutschen Bevölkerung für sen, gegen zwei Personen aus der rechtsextremisti- diese Welle der Hilfsbereitschaft ausdrücklich dan- schen Szene, die in besonders übler und menschen- ken. verachtender Weise gegen Ausländer, gegen Juden (Beifall bei der CDU/CSU, der F.D.P., der Agitation betreiben und sich vorgenommen haben, SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) die demokratische Ordnung in der Bundesrepublik Deutschland abzuschaffen, beim Bundesverfassungs- Wir sind uns einig, daß unsere Gesetze konsequent gericht einen Antrag nach Art. 18 auf Verwirkung der angewandt, alle Möglichkeiten zur Verhinderung Grundrechte zu stellen. und Ahndung von Straf - und Gewalttaten ausge- (Beifall bei der CDU/CSU, der F.D.P. und schöpft werden müssen und alle rechtsstaatlichen dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Möglichkeiten der Bekämpfung und Eindämmung von Ausländerfeindlichkeit konsequent zu nutzen Ich weiß, daß es hier um eine Abwägungsfrage geht. sind. Ich kenne auch die Argumente in der Frage, ob man von diesem Instrument wirklich Gebrauch machen Dies beginnt bei dem verstärkten Schutz der Asyl- sollte. Aber, meine Damen und Herren, wenn es uns bewerberunterkünfte, der operativen Arbeit von Poli- jetzt darum geht, deutliche Zeichen zu setzen, daß zei und Verfassungsschutz, dem zielgerichteten Ein- dieser Rechtsstaat entschlossen ist, dem widerwärti- satz nachrichtendienstlicher Mittel zur verbesserten gen Spuk rechtsextremistischer und fremdenfeindli- Erkenntnisgewinnung und endet nicht zuletzt bei der cher Gewalttäter ein Ende zu bereiten, dann müssen geistig-politischen Auseinandersetzung mit den Phä- wir von allen Möglichkeiten Gebrauch machen, die nomenen des Extremismus und der fremdenfeindli- uns unsere Verfassung zur Verfügung stellt. chen Gewalt. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. Ich begrüße nachdrücklich, daß sich die Justizmini- sowie bei Abgeordneten der SPD und des sterkonferenz und die Innenministerkonferenz auf ein BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) ganzes Bündel von Maßnahmen verständigt haben. Auch wenn den Sicherheitsbehörden keine Er- Sie betreffen den Einsatz der Bereitschaftspolizeien kenntnisse über eine zentrale Steuerung der Gewalt- und das Bereithalten von Spezialkräften zur Fest- taten vorliegen, ist unverkennbar, daß bestimmte nahme, Beweissicherung und Dokumentation von Gruppierungen durch ihre ausländerfeindliche Agita- Gewalttätern, den Einsatz von Sonderkommissionen tion diese anheizen. Ich hoffe, daß die entschiedenen und den von mir vorgeschlagenen aktuellen Sonder- Maßnahmen der Bundesregierung auch manchen, der meldedienst „Fremdenfeindliche Straftaten" zwi- sich bisher im Dunstkreis der Szene bewegte, jedoch schen Bund und Ländern als Instrument zur besseren noch im Hintergrund hielt, zur Besinnung bringen. Erkennung und Bekämpfung reisender Mehrfachtä- ter. Die Länder haben meinem Vorschlag zugestimmt, Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Herr Mi- eine Informationsgruppe zur Beobachtung- und nister, sind Sie bereit, eine Zwischenfrage der Abge- Bekämpfung rechtsextremistischer, auch rechtsterro- ordneten Frau Köppe zu beantworten? ristischer und fremdenfeindlicher Gewaltakte unter dem Vorsitz des Präsidenten des Bundesamtes für Rudolf Seiters, Bundesminister des Innern: Ja. Verfassungsschutz zu bilden, vergleichbar und ähn- lich der Koordinierungsgruppe „Terrorismus", die wir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr in früheren Jahren einmal mit Blick auf den Linksex- Ingrid Köppe tremismus und den Linksterrorismus gehabt haben. Minister, ist es nicht vielmehr so, daß sich in der Vergangenheit Verbote rechtsextremistischer Par- Das Bundesamt für Verfassungsschutz wurde früh- teien und Organisationen in der Altbundesrepublik zeitig angewiesen, die Beobachtung des Rechtsextre- — ich habe es mir ja nur angelesen —, z. B. in den 50er mismus zu verstärken. Der Personalabbau bei dieser Jahren, aber auch 1977 das Verbot der „Wehrsport Behörde ist gestoppt; die für die Beobachtungen des gruppe Hoffmann" und weitere Verbote in den 80er Rechtsextremismus zuständigen Arbeitseinheiten Jahren letztendlich als wirkungslos erwiesen haben, sind erheblich verstärkt worden. Im Bundeskriminal- weil deren Mitglieder nahtlos in andere Vereinigun- amt wurde eine neue Unterabteilung mit deutlicher gen übergewechselt sind? Personalverstärkung eingerichtet. Meine Damen und Herren, ich bin fest entschlossen, Rudolf Seiters, Bundesminister des Innern: Was die Vereinsverbote anbetrifft, so gilt ein Verbot gleichzei- das Mittel des Vereinsverbots, wo immer dies unter unseren rechtsstaatlichen Voraussetzungen möglich tig für Ersatzorganisationen. Das Vermögen wird al wird eingesammelt. und notwendig ist, konsequent anzuwenden. beschlagnahmt, Beweismate ri Was die Verwirkung von Grundrechten anbetrifft, so (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) ist es in der Tat richtig, daß in früheren Jahren zwei Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 128. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1992 11055

Bundesminister Rudolf Seiters Anträge vom Bundesverfassungsgericht nicht akzep- Bemühungen der Strafverfolgungsbehörden, aber tiert wurden. Wir haben aber, wie ich finde, eine auch die der Sicherheitsbehörden insgesamt bei der geänderte Situation, eine geänderte Faktenlage. Wir Bekämpfung rechtsextremistischer und ausländer- haben dem Bundesverfassungsgericht eine sehr sorg- feindlicher Straftaten dadurch zu unterstützen, daß sie fältige Begründung für den Verbotsantrag zugeleitet. auch über die Verurteilung der Täter verstärkt berich- Ich sage noch einmal: Es geht ja um ein Bündel von ten, um den Abschreckungseffekt zu erhöhen. Maßnahmen. Dieser Rechtsstaat soll nach dem Willen derer, die diese Verfassung geschaffen haben, und Ich will im einzelnen jetzt nicht auf das eingehen, was nach meiner Überzeugung und aus meiner Sicht nach unserem Willen eine wehrhafte Demokratie sein. Dann soll er bitte auch von allen Möglichkeiten bei der Verbesserung des gesetzlichen Instrumentari- Gebrauch machen, die ihm diese wehrhafte Demokra- ums — beim Strafgesetzbuch und bei der Strafprozeß- tie zur Verfügung stellt. ordnung — sinnvoll und notwendig wäre. Meine Position ist bekannt; ich habe sie auf der Innenmini- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge sterkonferenz und im Parlament bereits vorgetra- ordneten der F.D.P.) gen.

Ich will aber doch noch einmal sagen: Wer es mit der Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Sie möch- ten noch einmal nachfragen, Frau Köppe? — Bitte Bekämpfung rechtsextremistischer Organisationen sehr. ernst meint, muß versuchen, deren Aktivitäten bereits im Keime zu ersticken und die notwendigen Beweise für ein Verbot dieser Vereinigungen zu sichern. Wir Ingrid Köppe (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Mei- müssen das gesamte rechtsstaatliche Instrumenta rium nen Sie nicht, daß Sie mit solchen lediglich admini- nutzen, um Täter zur Rechenschaft zu ziehen und strativen Maßnahmen in der Bevölkerung vielleicht vorbeugend zu wirken gegen jede Art von Extremis- den falschen Eindruck erwecken könnten, daß die mus, Kriminalität und Gewalt — im Interesse der Probleme damit gelöst würden? Ist dies nicht lediglich politischen Kultur, der inneren Sicherheit und des eine Ersatzhandlung für eine intensive politische Ansehens unseres Landes, im Interesse der von uns Auseinandersetzung mit dem Problem? gewollten wehrhaften freiheitlichen Demokratie. (Dr. Wolfgang Schäuble [CDU/CSU]: Beides muß gemacht werden!) (Beifall des Abg. [CDU/CSU]) Gestatten Sie mir noch eine Zusatzbemerkung. Ich Zur weiteren Intensivierung der Aufklärung ge- denke, daß Verbote allein nicht ausreichen. Damit ist walttätiger und gewaltfördernder Bestrebungen ge- nicht gesichert, daß eine Auseinandersetzung stattfin- hört schließlich eine ausreichende Zahl von Polizeibe- det. Ich befürchte viel eher, daß sich Mitglieder amten. Das liegt mir nun nach vielen Erkenntnissen, solcher Parteien dann eben woanders organisieren, nach vielen Erfahrungen und nach vielen Gesprächen daß dies also nur eine Scheinlösung ist. vor Ort wirklich am Herzen. Wir haben alle miteinan- der auch eine moralische Verpflichtung, unseren Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Nun war Polizeibeamten, die nicht zu den Bestbezahlten in es fast eine Kurzintervention. diesem Staate gehören, die einen schwierigen Dienst im Interesse des inneren Friedens unseres Landes verrichten, politisch den Rücken zu stärken und ihnen Bundesminister des Innern: Frau Rudolf Seiters, zu sagen: Sie haben unsere volle Solidarität. Köppe, Sie stellen diese Fragen mitten in meiner Rede. Ich habe zu Beginn ausdrücklich auf die Notwendig- (Beifall bei der CDU/CSU, der F.D.P. und der keit einer geistig-politischen Auseinandersetzung- SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNIS mit Extremismus und Fremdenfeindlichkeit hinge- SES 90/DIE GRÜNEN) wiesen. Langfristig können fremdenfeindliche Gewalttaten (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) nur dann, Frau Köppe, eingedämmt werden, wenn wir Ich wollte auch gleich mit wenigen Sätzen noch darauf über die Intensivierung polizeilicher Schutzmaßnah- zu sprechen kommen. Ich stimme Ihnen ja absolut zu, men, die Strafverfolgung und die Vorfeldaufklärung daß Verbotsmaßnahmen, repressive Maßnahmen des hinaus die geistig-politische Auseinandersetzung ver- Staates allein nicht ausreichen, sondern daß wir frem- stärken. Insbesondere müssen wir junge Menschen denfeindliches Gedankengut durch Aufklärung und von der Ungerechtigkeit, der Schädlichkeit, der Inhu- durch eine vielfältige Tätigkeit schon im Keim erstik- manität und der Kriminalität solcher Ang riffe über- ken müssen, wobei wir allesamt gefordert sind. zeugen und mit Entschlossenheit jedem Trend zu (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Gewaltbereitschaft entgegentreten. Ich wollte in diesem Zusammenhang auch gerade Das Bundesinnenministerium jedenfalls führt — si- die vor zwei Wochen vom Generalbundesanwalt und cherlich machen das auch viele andere Gremien — im den Generalstaatsanwälten gefaßten Beschlüsse be- Rahmen der Aufklärungskampagne gegen Extremis- grüßen, wonach u. a. die Strafverfahren gegen rechte mus und Fremdenfeindlichkeit gegenwärtig eine Gewalttäter möglichst beschleunigt zum Abschluß ganze Reihe von Vorhaben durch, die hauptsächlich gebracht werden und gegen überführte Gewalttäter auf die Jugend abzielen: durch die Bereitstellung von durch die Staatsanwälte Anträge zur nachdrücklichen Unterrichtsmaterial für Schulen, Anzeigen mit the- Bestrafung gestellt werden sollen. menbezogenen Beiträgen in Jugendzeitschriften, die Ich unterstütze gleichzeitig auch den von diesem Erstellung von Postern, Plakaten und Fernsehspots. Gremium an die Medien gerichteten Appell, die Das Ziel ist die Aufklärung über Fremdenfeindlich- 11056 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 128. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1992

Bundesminister Rudolf Seiters keit, Rassismus und Antisemitismus als Elemente zung mit Todesfolge". Das Ge richt bewertete, wie das rechtsextremistischer Ideologie und Propag anda. die Skinheads in ihrer mörderischen Sprache nennen, Ich denke, daß alle gesellschaftlichen Gruppen, die das „Niederstiefeln" des Schwarzen aus Angola als Familien, die Schulen, die Vereine und die Jugend- „jugendtypische Verfehlung". Man stelle sich dies verbände, aufgefordert sind, die Werte und Normen vor! unseres Grundgesetzes im Sinne unserer freiheitli- (Günter Graf [SPD]: Ein Skandal!) chen und an der Würde des einzelnen Menschen orientierten Ordnung verstärkt zu vermitteln. Es war dies unerträglich. Alles in allem: Alle Menschen in unserem Lande, Es war doch auch unerträglich, daß m anche Politi- unabhängig von Nationalität, Hautfarbe und Konfes- ker die Ängste von Menschen, das Zuwanderungs- sion, müssen sich in Deutschland sicher fühlen kön- problem zu parteipolitischen und wahltaktischen nen. Die Bundesregierung wird gemeinsam mit den Zwecken mißbraucht haben. Bundesländern ihre Maßnahmen gegen Rechtsextre- mismus und Fremdenfeindlichkeit mit aller Konse- (Beifall bei der SPD) quenz fortsetzen. Wenn wir dies tun, bin ich auch Es war doch eine schlimme, falsche Sprache, die von sicher, daß wir diesem widerwärtigen Spuk ein Ende „Asylantenstrom" und von „SPD-Asylanten" gespro- bereiten werden. chen hat — bis hin zu jenem Wort vom „Beileidstou- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. rismus", ein Beileidstourismus, der dem Kanzler sowie bei Abgeordneten des BÜNDNIS fremd sei, wie der Regierungssprecher in einer fühl- SES 90/DIE GRÜNEN) losen Sprache sagte. Wo ist die Distanzierung des Bundeskanzlers von einer solchen zynischen Aus- Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Das Wort drucksweise bisher geblieben? ang Thierse. hat der Abgeordnete Wolfg (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der PDS/Linke Liste) Wolfgang Thierse (SPD): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Diese Debatte muß Es war doch unerträglich, daß lange schon — ich auch eine Stunde der Selbstkritik werden. Ich weiß habe das ja nur von außen beobachtet — rechtsradi- nicht, wie es Ihnen ergeht, aber für mich ist unser kale und neonazistische Propaganda in der Bundes- politisches Reden, ist der gewohnte politische Betrieb republik Deutschland möglich war und hingenommen kaum noch erträglich. Er scheint mir dem gänzlich wurde. Die „Deutsche National- und Soldaten-Zei- unangemessen, was um uns in Deutschland Nacht für tung" erhöht jährlich ihre Auflage. Diese Saat geht Nacht alltäglich geschieht: Haßausbrüche, Gewaltta- auf, und sie hat eine l ange Vorgeschichte. ten, Morde, Menschenverachtung und Gefährdung Wir müssen uns daran erinnern, damit wir begrei- der Demokratie, Wiederaufleben des schlimmsten fen, daß wir wirklich Anlaß zur Selbstkritik haben. In deutschen Ungeistes — als wäre alles umsonst gewe- diesem Zusammenhang sage ich dann auch: Es sen, die millionenfachen Opfer des deutschen besteht Anlaß zur Selbstkritik, wenn der Zusammen- Faschismus, die schrecklichste Erfahrung, die ein hang zwischen den Themen Asyl-, Zuwanderungs-, Volk gemacht haben kann, nämlich ein Volk voller Flüchtlingsproblem und Rechtsradikalismus allzu eng Täter gewesen zu sein, und dann auch die 40jährige formuliert wird, Herr Gysi. Wir reden heute über glückliche Geschichte im Westen und die unglückli- Rechtsextremismus. Sie haben auf eine eigentümli- che Geschichte im Osten unseres Vaterlandes. che Weise genau das bestätigt, was wir nicht tun Der Ungeist kommt wieder, Neonazis betreten sollten. wieder die deutsche Szene, sie erfahren- Echo; viele erscheinen wieder verführbar. Und wir? Seit einein- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten halb Jahren, seit Hünxe und Hoyerswerda, reden wir der CDU/CSU und der F.D.P.) mehr oder minder betroffen, wir streiten über das Ich bin sehr dankbar, Herr Lambsdorff, daß Sie und Asylproblem und erwecken den Eindruck, als würden auch Herr Lafontaine ausdrücklich darauf hingewie- wir den Gewalttaten damit nachgeben, als reagierten sen haben, daß das Wichtigste nicht unser Ansehen ist wir nur auf die Sprache der Gewalt — ein unerträgli- und daß das Wichtigste nicht die mögliche Beschädi- cher Eindruck, auch wenn ich ihn für falsch halte. gung unserer Wirtschaftskraft ist, sondern daß das Aber es war doch wirklich unerträglich, daß Nazi- Wichtigste die Verteidigung unseres Anstands ist. Aufmärsche in Begleitung der Polizei, gar unter Denn in den vergangenen anderthalb Jahren haben Polizeischutz in deutschen Städten stattgefunden Haß, Menschenverachtung, brutale Gewalttaten und haben, in Rudolstadt und Dresden; es war doch Mord ständig zugenommen und sind auf eine entsetz- unerträglich, daß Journalisten über rechtsradikale liche Weise zugleich vollkommen alltäglich gewor- Gewalt berichteten, als würden sie über Fußballereig- den. Zuerst wurden die Schwächsten und Fremdesten nisse berichten. Ich werde nie vergessen, wie ein zu Opfern gemacht, Asylbewerber, Sinti und Roma; Reporter auf einem Haus in Rostock st and und beun- dann folgte Sachsenhausen, die Gewalt gegen das ruhigt sagte: Es passiert noch gar nichts. Gedächtnis an Tote, an Ermordete; dann ermordeten Es war doch eine zögerliche Justiz, die in skandalös rechtsextremistische Verbrecher Mitbürger ausländi- niedrigen Urteilen und in noch schlimmeren Begrün- scher Herkunft, und inzwischen sind antisemitische dungen Mordtaten verharmlost hat. Das Tottreten Bedrohungen alltäglich geworden. Unsere jüdischen eines Schwarzen in Eberswalde kostete zwischen Mitbürger leben wieder in Angst, und nicht wenige zwei und vier Jahre Gefängnis wegen „Körperverlet- von ihnen wollen Deutschland verlassen. Der B rief Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 128. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1992 11057

Wolfgang Thierse von Ralph Giordano war doch ein Aufschrei, auf den Denn ich glaube nicht, daß nur der Einsatz staatlicher der Adressat allzu kühl reagiert hat, finde ich. Autorität notwendig ist — er ist notwendig —, sondern es ist auch das Angebot an unsere Mitbürger, Gleich- (Johannes Gerster [Mainz] [CDU/CSU]: Es berechtigung politisch, sozial und kulturell erfahren war auch eine ungerechte Schuldzuweisung zu können, notwendig. drin!) Es ist notwendig: Das Ende von Verharmlosung, von — Ein Aufschrei! Wer nicht in solcher Bedrohung ist, Wegsehen, von Verdrängen, des Mangels an Zivil- sollte solche Urteile über die Nöte und den Schrei der courage der Bürger und die unmißverständliche Ent- anderen nicht abgeben. schlossenheit der Parteien und auch die Einigkeit der (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Parteien. Selbstverständlich — ich brauche dies nicht der F.D.P.) zu sagen: Der Rechtsstaat hat sich mit aller Entschlos- senheit, mit allen Mitteln zu verteidigen, aber er Inzwischen sind längst auch Behinderte Opfer roher verteidigt sich nur dann und indem er die Schwäch- Gewalt geworden. Was ist das für eine Gesellschaft, in sten unter uns verteidigt und schützt: nur dann! In der Behinderte mit physischer, aber auch mit juristi- dieser Hinsicht wünsche ich mir jene Entschlossen- scher Gewalt attackie rt werden? Ich erinnere Sie an heit, die es in den 70er Jahren angesichts der Heraus- das skandalöse Urteil: Schadenersatz dafür, daß forderung durch Linksradikale, durch die RAF gege- jemand im Urlaub gemeinsam in einem Raum mit ben hat. Behinderten essen mußte. Das nenne ich juristische Apartheid! (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Dr. Jür gen Rüttgers [CDU/CSU]) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Es ist also unstrittig, daß es um den aller der CDU/CSU, der F.D.P., der PDS/Linke Einsatz Liste und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ polizeilichen Mittel, aller rechtsstaatlichen Mittel und NEN) die Anwendung der Gesetze in ihrer vollen Schärfe gehen muß. Selbstverständlich. Das ist gar kein Dis- Inzwischen ist die Gewalt unter Jugendlichen, in sens zwischen uns. Wir sind auch bereit, sehr nüchtern den Schulen, zwischen sogenannten rechten und zu prüfen, an welchen Stellen bestimmte gesetzliche sogenannten linken Gruppen und Szenen alltäglich Vorschriften nicht aureichen. Aber das Urteil darüber und allgegenwärtig. steht noch nicht fest. Dies muß geprüft werden. Ich bin Die Bilanz: 17 Ermorderte, Hunderte von Verletz- nur nicht so sicher, ob die Aberkennung von Grund- ten, Tausende von Straftaten, Angst und Angst und rechten nach Art. 18 eine angemessene und wirklich Angst und zum Glück auch Scham und Scham. Wir sinnvolle Maßnahme ist. Da bin ich nicht so sicher. sind lange schon eine gewalttätige Gesellschaft (Dr. Otto Graf Lambsdorff [F.D.P.]: Warum geworden. denn nicht?) Aber in den letzten Wochen hat endlich das Ende Über diese selbstverständliche, notwendige Ent- der Lähmung, das wirkliche Aufwachen der Demo- schlossenheit des Staates hinaus gilt es, die langfristi- kraten in diesem Lande stattgefunden. Viele Hundert- gen Aufgaben ins Auge zu fassen. Wir wissen doch, tausende Bürger sind auf die Straßen gegangen — in daß es eine langfristige Diskrepanz zwischen dem Berlin, Köln, Frankfurt, München und anderswo — Bedürfnis und dem Verlangen der Menschen nach und haben ein Zeichen gesetzt, sich gegenseitig ein ökonomischer, sozialer und menschlicher Sicherheit Zeichen gesetzt, daß wir unsere Angst überwinden in diesem Lande und den objektiven Möglichkeiten, können und daß wir entschlossen sind, unsere Demo- dies auch schnell zu befriedigen, geben wird. Diese kratie und die Menschlichkeit in diesem Lande- zu Diskrepanz ist der Konfliktstoff, der sich immer wieder verteidigen. neu entzünden kann, und die rechtsradikalen Ideolo- gen und Brandstifter sind unterwegs. In den letzten Wochen hat auch die Polizei stärker als zuvor begriffen, was sie zu tun hat; auch die Justiz. Die vorhandenen Ängste, eine tiefe Verunsiche- Das gestrige Urteil gegen den Neonazi Dienel ist rung, eine, nicht nur soziale, sondern wahrhaftig auch endlich ein angemessenes Urteil. Ich denke, auch die moralische, ideelle Entwurzelung, die macht die Men- Mehrzahl der Politiker hat beg riffen, was die Stunde schen verführbar. Die Jugendlichen, die agieren das, geschlagen hat. Ich begrüße ausdrücklich die Ver- die setzen das in die Sprache der Gewalt um, was ihre bote, die der Bundesinnenminister ausgesprochen Eltern an Konfliktfähigkeit nicht gewohnt sind, nicht hat. artikulieren, nicht in politisches H andeln umsetzen können. Deswegen, denke ich, ist über das, was den (V o r sitz: Vizepräsidentin ) Einsatz staatlicher Mittel betrifft, hinaus besonders Ich begrüße, daß endlich, nach anderthalb Jahren, wichtig, daß wir um die Jugend kämpfen. Ich appel- eine Regierungserklärung des Kanzlers stattgefunden liere an die Eltern, an die Erzieher und an die Freunde: hat. Ich hätte es allerdings auch gut gefunden, wenn Gebt keinen auf. Kämpft um jeden. Entreißt ihn den der Bundeskanzler nach Mölln gegangen wäre und Fängen rechtsradikaler Ideologen und Gewalttäter. ein Zeichen gesetzt hätte. Ich hätte es auch sehr gut Wir dürfen keinen von ihnen aufgeben. gefunden, wenn als eine der Reaktionen auf Mölln wir (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der miteinander das kommunale Wahlrecht für Mitbürger F.D.P. und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜ türkischer Herkunft hätten vorschlagen können. NEN) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Deswegen wird Jugendarbeit und wird Kulturar der F.D.P. und der PDS/Linke Liste) belt unendlich wichtig. Wenn Kommunalpolitiker 11058 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 128. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1992

Wolfgang Thierse jetzt noch nicht begreifen, daß sie von dem wahrhaftig Vizepräsidentin Renate Schmidt: Das Wort zu einer knappen Geld mehr Geld für Jugendarbeit, für Kurzintervention hat Graf Lambsdorff. Jugendklubs und für Kulturprojekte ausgeben müs- sen, dann haben sie nichts begriffen von der wirkli- chen Gefährdung der Jugend. Dr. Otto Graf Lambsdorff (F.D.P.): Vielen Dank, (Beifall bei der SPD und der PDS/Linke Liste Frau Präsidentin. Herr Kollege Thierse, Sie haben das sowie bei Abgeordneten der F.D.P.) Wort „Beileidstourismus", das der Regierungsspre- Es geht drittens um die Verteidigung von demokra- cher gebraucht hat, kritisiert. Sie haben eine Entschul- tischer Kultur, um die Erziehung zu friedlicher Kon- digung des Bundeskanzlers vermißt. Der Bundes- fliktfähigkeit. Ja, es ist doch eine Selbstverständlich- kanzler hat es nicht gebraucht. Der Bundeskanzler hat keit, daß es nicht nur um Bildung, sondern auch um sich deswegen nach meiner Überzeugung auch nicht Erziehung geht. Wer wird das je bestreiten? zu entschuldigen. (Dr. Wolfgang Schäuble [CDU/CSU]: Das (Zurufe von der SPD: Distanzierung!) war hier sehr umstritten! — Zurufe von der Der Regierungssprecher hat Ihrem Fraktionskolle- SPD: Wie?) gen Duve unter dem 8. Dezember einen B rief — Es kommt auf die Art dieser Erziehung an. Ich bin geschrieben, der mir vorliegt, in dem er erklärt, wie es nicht sicher, ob Ihr Ruf — ich weiß nicht, ob ich ihn so zu diesem Wort gekommen sei, und in dem er mit dem verstehen soll — nach Formen und Mustern autoritä- Schlußsatz endet: Daß man über die Angemessenheit rer Erziehung sinnvoll sein soll. Ich glaube nicht. Ich dieses Begriffs streiten kann, will ich gern zugeben. denke, es geht wirklich um Erziehung, (Zurufe von der SPD: Sehr wenig! Na! Na!) (Eduard Oswald [CDU/CSU]: So ist es!) um eine ganz langfristige Aufgabe, aber um eine Form von demokratischer Erziehung, die übrigens mit der - Vizepräsidentin Renate Schmidt: Als nächster Red- Theorie der herrschaftsfreien Kommunikation von ner erhält der Kollege Eduard Oswald das Wort. Jürgen Habermas genau gemeint war. Ich will das nur in Erinnerung bringen. (Dr. Jürgen Rüttgers [CDU/CSU]: Na! Na! Eduard Oswald (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Na! — Zuruf von der CDU/CSU: Dann war Meine sehr verehrten Damen und Herren! Meine der Zwischenruf doch berechtigt!) politischen Freunde und ich werden oft gefragt: Was kann das Christliche in der Politik noch bedeuten? Es geht auch um eine Verteidigung der demokrati- Die Antwort fällt in der Hektik und Vielfalt der schen Kultur, die darin besteht, daß wir der Gewöh- tagespolitischen Arbeit und Entscheidungen nicht nung an Gewalt widerstehen. Natürlich teile ich die immer leicht. Die Auseinandersetzung mit Gewalttä- Auffassung, daß es Tabus gibt, die unersetzlich sind tigkeit und Fremdenfeindlichkeit aber verdeutlicht für das menschliche Leben. Also appelliere ich z. B. an die fortwirkende Selbstverpflichtung auf das christli- Journalisten, an die Fernsehleute: Beginnt endlich mit che Menschenbild. Für einen Christen kann es keinen einer selbstkritischen Diskussion darüber, daß ein Teil Zweifel an der gleichen Würde aller Menschen geben. des Fernsehens zu einem Medium der Multiplikation Jeder Christ verurteilt Gewalt auf das schärfste. von Gewalt geworden ist. Es kann nicht oft genug wiederholt werden: Wir (Beifall bei der SPD und der PDS/Linke Liste müssen der Gewaltanwendung kompromißlos in all sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und ihren Erscheinungsformen entgegentreten und sie der F.D.P.) - bekämpfen. Aber machen wir es uns nicht zu einfach. Es geht nicht (Beifall bei der CDU/CSU und bei Abgeord um eine Journalistenschelte. Wir müssen endlich auch neten der F.D.P.) darüber debattieren, was das von Ihnen favorisierte und durchgesetzte Prinzip erbarmungsloser Konkur- Wo immer sie auftritt — als Christen und Demokraten: renz mit dem Fernsehen macht. Auch darüber haben Es gibt keine Rechtfertigung für Gewalt — nicht für wir zu reden. Gewalt gegen Menschen und auch nicht für Gewalt gegen Sachen. (Beifall bei der SPD) (Beifall bei der CDU/CSU) Zum Schluß: Es geht insgesamt um eine Wiederge- winnung der Politik. Damit ist ja gemeint die Vertei- Das Gewaltmonopol des demokratischen Staates digung unserer Polis. Das ist nicht nur eine polizeiliche muß geachtet werden. Kein noch so dringendes Pro- Aufgabe. Das ist eine Aufgabe, die den Pakt der blem und kein irgendwie gearteter möglicher Miß- Demokraten — seien sie Politiker oder Journalisten stand rechtfertigen in unserem demokratischen oder Künstler oder Wissenschaftler oder Gewerk- Rechtsstaat die Anwendung von Gewalt. Wer Gewalt schafter — insgesamt voraussetzt. Die Politiker haben ausübt, duldet oder ihr gar applaudiert, verläßt die allerdings die Verpflichtung, darin voranzugehen. Gemeinschaft der Demokraten. Danke. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge (Beifall bei der SPD, der PDS/Linke Liste und ordneten der SPD) dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Deshalb ist jede Gewalt gegen Ausländer auch ein Abgeordneten der CDU/CSU und der Angriff auf unsere freiheitliche Demokratie, auf die F.D.P.) wir zu Recht stolz sind. Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 128. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1992 11059

Eduard Oswald Die Debatte heute hat es gezeigt: Wir werden das werden über die Situation auf dem Balkan auch noch freiheitliche, weltoffene, toler ante Deutschland und zu diskutieren haben, wo wir es ja in anderer Form seine Demokratie, die wir in den alten Bundesländern sehen. Insofern ist das, was wir am Nachmittag in vierzig Jahren aufgebaut haben und zu der sich diskutieren werden, eigentlich eine logische Fortset- unsere Landsleute in der friedlichen Revolution des zung der Debatte des Vormittags. Jahres 1989 bekannt haben, gegen jeden Angriff entschlossen verteidigen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge ordneten der F.D.P.) (Beifall bei der CDU/CSU) Politischer Extremismus und Ausländerfeindlichkeit Die Wurzeln sind immer die gleichen. Deshalb werden auch künftig in Deutschland keinen Platz müssen wir uns immer wieder über die inneren haben. Und unsere Fraktion hat hier nie zwischen Zusammenhänge klar werden und hier die geistige rechts und links unterschieden. Auseinandersetzung suchen, und diese Debatte darf nicht die letzte zu diesem Thema sein, Herr Thierse. Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wirr- Der Geist, der heute in dieser Debatte weht, muß sich köpfe und Demagogen, die aus der Vergangenheit in andere Debatten hineintragen und muß sich fortset- nichts gelernt haben und die die Gegenwart nicht zen. verstehen wollen, dürfen uns nicht die Zukunft zerstö- ren! (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der F.D.P.) (Beifall bei der CDU/CSU) Rechtsextremistische Gewalt gibt es auch in ande- Für mich ist die Grundlage dieser Auseinanderset- ren europäischen Staaten. Diese Tatsache macht es zung das christliche Menschenbild mit der Unverletz- nicht weniger dringlich, sich damit bei uns konse- lichkeit der Würde der menschlichen Person, der quent auseinanderzusetzen. Aber es ist die Forde- Menschenwürde, die unteilbar gelten muß für alle, für rung, daß wir diesen Kampf für Demokratie und Kranke und Alte, für Deutsche und Ausländer glei- Freiheit mit unseren europäischen Partnern gemein- chermaßen. sam führen. Wir haben gute Chancen, die Herausforderungen Ich fürchte, daß manche sich über Hintergründe, erfolgreich zu bestehen, und wir sollen dies auch Zusammenhänge und Dimensionen der Entwicklung sagen, um der Propagandisten Herr zu werden. Die noch nicht ausreichend im klaren sind. Es sind heute Anschläge und Morde erfüllen uns und die überwäl- viele Einzelheiten und Feinheiten schon angespro- tigende Mehrheit der Menschen in unserem Land mit chen worden. Ich bin erschrocken über den Geist, der Entsetzen, Abscheu und Trauer. sich in bestimmten Kreisen, genauer: in Subkulturen, beispielsweise der Musikszene, breitmacht und so Wir müssen die Deutschen aber insgesamt gegen auch in die junge Generation hineingetragen wird, in jeden pauschalierenden Vorwurf der Fremdenfeind- Bereiche, in die wir mit der Sprache der Politiker lichkeit und des Ausländerhasses in Schutz nehmen, überhaupt nicht mehr hineinkommen. und wir lassen die großen Traditionen unseres Volkes nicht von Fanatikern mißbrauchen und in den (Beifall bei der CDU/CSU) Schmutz ziehen. Ich wünsche mir, daß die eindrucks- In den Texten einer dieser Gruppen, der Skin- vollen Bilder der Lichterkette mehrerer hundert- Rockgruppe „Störkraft", wird ein Zusammenhang tausend Menschen in meiner Landeshauptstadt Mün- sichtbar, der weit über das Thema Ausländer hinaus- chen in der Welt verbreitet werden genauso wie jene greift. Ich will diese menschenverachtenden, haßer- Bilder, die uns selbst so be troffen gemacht haben. füllten Texte an dieser Stelle nicht ein weiteres- Mal verbreiten helfen. Sie richten sich pauschal und brutal (Beifall bei der CDU/CSU, der F.D.P. sowie gegen Ausländer, aber beispielsweise auch gegen bei Abgeordneten der SPD) Behinderte. Ich bin dankbar, Herr Thierse, daß Sie Die hohe Verantwortung der Medien gilt, und sie muß auch dies in dem Gesamtzusammenhang dargestellt weiter gelten. haben. Heute sind es die Ausländer und Behinderten, und morgen sind es wir alle, meine sehr verehrten Wer unser Land kennt, weiß: Deutschland ist ein Damen und Herren. weltoffenes und ausländerfreundliches Land. Seit Deswegen müssen wir uns wirklich umfassend mit Jahrzehnten leben wir Deutschen friedlich und im den Hintergründen und Zusammenhängen auseinan- guten Miteinander mit rund 6 Millionen Ausländern dersetzen. Der Gewalt geht im Grunde die Herabwür- zusammen. Sie sind Nachbarn, Arbeitskollegen, Ver- digung der späteren Opfer voraus. Wo ein anderes einskameraden, gute Bekannte, ja — Gott sei Dank! — menschliches Leben geringer geschätzt, verhöhnt, Freunde. Weil das so selbstverständlich geworden ist, pauschal abgewertet wird, beginnt der Weg in die nehmen wir es häufig gar nicht mehr wahr. Das ist gut Gewalt gegen Mitmenschen. so. Um so mehr sollten wir uns heute bewußt werden, wie unentbehrlich sie sind, wie sie unser Land und uns Gewalt kann nur dort entstehen, wo differenziert selbst in vielfältiger Weise bereichern. wird in wertvolles und schützenswertes Leben und in weniger wertvolles und nicht schützenswertes Leben. In dieser Woche findet an unseren Hochschulen Dann gibt es natürlich die Steigerung bis in diese eine Aktionswoche gegen Fremdenhaß statt. Präsi- unglaubliche Sprache, bis zum „Untermenschen", bis dent Professor Berchem hat für die Aktion des Deut- zum „Abschaum"; ich will es gar nicht weiter darstel- schen Akademischen Austauschdienstes ein treffen- len, weil wir das alles so erschütternd ja erleben. Wir des Motto vorgestellt: „Ohne Ausländer wären wir 11060 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 128. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1992

Eduard Oswald ärmer, menschlich, wissenschaftlich, wirtschaftlich'. sichern politische Stabilität und die Sicherheit all der Es ist treffend gesagt. Menschen in unserem Lande. (Zuruf von der CDU/CSU: Sehr richtig!) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge ordneten der F.D.P.) Allen ist zu danken, die sich um das Zusammenle- ben mit Ausländern verdient gemacht haben und mit Vizepräsidentin Renate Schmidt: Nun hat die Kolle- ihren aktuellen Ak tionen der Fremdenfeindlichkeit gin Cornelia Schmalz-Jacobsen das Wort. Widerstand leisten.

Die Bekämpfung des Extremismus ist eine Aufgabe Cornelia Schmalz-Jacobsen (F.D.P.): Frau Präsi- aller gesellschaftlichen Gruppen. Durch eine eindeu- dentin! Meine Kolleginnen und Kollegen! Wir betrau- tige Haltung und insbesondere durch das Gespräch ern die Toten. Unser Mitgefühl gilt den Angehörigen. mit der Jugend kann jeder seinen Beitrag zur Ächtung Die Verletzten müssen mit unserer Hilfe rechnen und der Gewalt leisten. Es soll niemand sagen, das gehe sich darauf verlassen können. ihn nichts an! Nein, jeder braucht einen hellwachen Es ist selbstverständlich, daß den rechtsradikalen Bürgersinn gegen Gleichgültigkeit im Umgang mit Gewalttätern, wie allen Gewalttätern, entschieden der Gewalt. entgegengetreten werden muß. Man muß sie festhal- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge ten, damit sie nicht weitermachen können. Sie müssen ordneten der F.D.P.) eindeutigere Gerichtsverfahren bekommen, die eine Signalfunktion haben und die aufklärend wirken. Familie, Vereine, Schulen und Hochschulen — sie Es gibt die Anschläge, über die uns die Polizeibe- alle müssen mithelfen, zu unseren freiheitlichen und richte und die Medien unterrichten, und es sind rechtsstaatlichen Werten zu erziehen. Wie schwierig inzwischen weit über 3 000. Und es gibt etwas ande- die damit gestellte Aufgabe zu lösen ist, wird klar, res, es gibt die Beispiele alltäglicher Beschimpfung, wenn wir uns bewußt machen, daß die Institutionen Beleidigung und Quälerei, und das sind Hunderttau- der Erziehung, daß Familie und Schule heute in sende von Fällen, meine Damen und Herren, von Teilbereichen selbst Orte gestiegener Gewalttätigkeit denen man nur dann etwas erfährt, wenn m an Augen sind. Trotzdem: Nur eine stabile Familie ist in der und Ohren aufmacht und sich darum kümmert. Lage, dem jungen Menschen Geborgenheit, Heimat Ich denke an den jüdischen Schüler in Köln, den und Orientierung zu geben. Wir müssen uns Zeit seine Schulkameraden auf dem Schulhof festgehalten nehmen für unsere Kinder und Jugendlichen, Zeit haben und den sie nicht eher loslassen wollten, bevor nehmen zum Gespräch und zur Konfliktlösung. Und er nicht, den Arm zum Hitlergruß erhoben, zehnmal kein Lehrer unseres L andes darf sich nur als Stoff- „Heil Hitler" gesagt habe. Oder ich denke an die oder Wissensvermittler verstehen, sondern er muß türkische Schülerin in Hamburg, dort geboren und sich als Erzieher und Pädagoge begreifen. aufgewachsen, deren Mitschüler immer häufiger ekelhafte Türkenwitze erzählen und ihr gegenüber (Beifall bei der CDU/CSU) eine Schadenfreude an den Tag legen, die sie bis vor Zeit nehmen für die jungen Menschen, Stärkung der ein oder zwei Jahren nicht erlebt hat. Die Beispiele Familie — wir müssen übrigens auch das Ansehen von ließen sich fortsetzen, und sie verschlagen mir die Haus- und Familienarbeit unserer Frauen und Mütter Sprache. und die soziale Stellung mit verbessern; das ist eine Es ist ganz und gar unerträglich, meine Kolleginnen wichtige gesellschaftspolitische Aufgabe. und Kollegen, daß Menschen in unserem Land - bedrückt und verängstigt leben müssen. Vielen Dank, Herr Bundesminister Seiters, daß den (Beifall im ganzen Hause) Schulen mit Unterrichtsmaterialien geholfen wird. Das ist notwendig, um diese Diskussion auch in den Das Gift der Fremdenfeindlichkeit hat sich im Laufe Ländern und vor Ort weiterzuführen. der letzten zweieinhalb Jahre immer weiter und weiter ausgebreitet. Warnungen sind in den Wind Täuschen wir uns nicht, meine sehr verehrten geschlagen worden. Dieses Gift wieder wegzubekom- Damen und Herren: All die sozialen Fragen spielen in men, ist nicht allein durch repressive Maßnahmen zu vielen Fällen eine entscheidende Rolle. erreichen, es wird schwieriger und langwieriger sein. Ebensowichtig, meine sehr verehrten Damen und Offenbar hat es einen schleichenden Herren, ist die Frage nach der Abbau fester Lebensperspektive Normen gegeben. Viele Eltern wagen es kaum noch, junger Menschen. Jeder junge Mensch will gebraucht ihren Kindern Schranken zu setzen. In vielen pädago- werden, will seinen Platz haben in Staat und Gesell- gischen Institutionen und übrigens in vielen Berei- schaft, und daneben geht es auch noch um Werthal- chen der Jugendarbeit gibt es ein gebrochenes Ver- tungen. So wichtig wie Geborgenheit und das Gefühl, hältnis zu Grundregeln des Miteinanders, des Zusam- gebraucht zu werden, ist das Gefühl der Sicherheit. menlebens von Menschen. Wenn sich Menschen der Schutzfunktion des Staates nicht mehr sicher sind, wachsen Ängste und Unsicher- (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne heiten. Sie sind ein schlechter Nährboden für Toleranz ten der CDU/CSU, der SPD und des BÜND und entspanntes Miteinander mit anderen — Frem- NISSES 90/DIE GRÜNEN) den wie Minderheiten. Auch deshalb gilt: Nur eine Ich will hier nur die Stichworte nennen: Schule. Ich wehrhafte Demokratie und ein wehrhafter Staat weiß sehr gut, weil ich diese Anfragen bekomme, daß Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 128. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1992 11061

Cornelia Schmalz-Jacobsen es viele Initiativen einzelner Schulen gibt: Was kön- Meine Kolleginnen und Kollegen, Gewalt nimmt zu, nen wir machen? Aber ich frage hier noch einmal: Was wenn ihr mit stiller Sympathie einerseits und lediglich tun die Kultusminister? Was tun die Ministerpräsiden- öffentlicher Empörung andererseits begegnet wird. ten? Die wären wirklich aufgefordert, hier den Schu- (Beifall bei der F.D.P. und bei Abgeordneten len, den Lehrern und den Rektoren unter die Anne zu der SPD) greifen und auch deutlich zu machen, was hier ange- Gewalt nimmt ab, wenn das scheinbar gewaltfreie zeigt ist. Umfeld sich fragt, inwiefern haben wir dazu beigetra- Ein Stichwort ist die politische Bildung, meine gen, und dann auch entsprechend handelt. Damen und Herren. Die Angebote, die dort gemacht Lassen Sie mich aber vorsorglich ein Rezept als werden, müssen den Erfordernissen angepaßt wer- untauglich einstufen, das ich in den vergangenen den. Da gibt es eine Masse zu entrümpeln. Nur zu, das Wochen mehr oder weniger deutlich gehört und darf kein unbeweglicher Tanker sein, hier muß man gelesen habe — nicht in diesem Hause, das betone ich, sich anpassen! aber draußen. Nämlich, daß sich alles wieder leichter ins Lot bringen ließe und die Jugendlichen zur Räson, Angesichts der verbreiteten Abwehrhaltung ge- wenn die Frauen endlich von der Idee der Gleichbe- genüber Fremden wäre es aber zu kurz gegriffen, das, rechtigung abließen. was wir zur Zeit erleben, nur als ein Jugendproblem Liebe Kollegen, das kann kein Weg sein. Die zu begreifen. Ich befürchte, daß sich viele dieser Gleichberechtigung von Männern und Frauen, das ist Rechten durchaus in Übereinstimmung mit einem Teil einer jener neueren Werte, zu dem die Mehrheit der der Elterngeneration befinden. Bürgerinnen und Bürger sich doch bekennt. Die Ich möchte auch davor warnen, daß man glaubt, der Aufgabe, die es zu bewältigen gilt, die muß miteinan- Rechtsextremismus habe allein Rückhalt bei den der angegangen und gelöst werden. Das wird nicht sozial Schwächeren. Nein, meine Damen und Herren, auf dem Rücken der Frauen abgeladen werden. an unseren Universitäten braut sich etwas zusammen, (Beifall bei der F.D.P., der SPD, der PDS/ und das sind nicht die sozial Deklassierten. Man muß Linke Liste und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜ die Wirklichkeit sehen und sie zur Kenntnis neh- NEN sowie bei Abgeordneten der CDU/ men. CSU) Jeder von uns kann etwas tun durch persönliche Auch in einem anderen Punkt: Woher kommt Begegnungen und Erfahrungen, durch mehr Wissen eigentlich die Art, wie wir uns und andere definieren? und durch mehr Engagement, allein und gemeinsam. Wir, die Deutschen — die, die Ausländer, die aber Kinder bekommen es mit, wenn Erwachsene weg- häufig gar keine mehr sind. Woher diese Allergie schauen und höchstens im Kopf hilfsbereit sind. Wo allein schon gegen das Wort Einwanderung, obwohl zwei Leute Mut zeigen, da sind auch vier bereit, etwas das doch längst Realität und Normalität geworden ist? zu tun. Warum hüten wir unser Staatsbürgerschaftsrecht schier wie einen Gral? Was ist das für eine eigenartige (Beifall bei der F.D.P., der SPD und dem Tradition, meine Damen und Herren? Ich glaube, es BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) geht bei dieser Auseinandersetzung im tiefsten Und wo Hunderttausende sich aus der Lethargie Grunde auch um das Selbstverständnis der Bundesre- gelöst haben und auf die Straße gehen, da sollte es publik Deutschland. gelingen, dem schändlichen Spuk ein Ende zu berei- ten. (Beifall bei der F.D.P. und bei Abgeordneten (Beifall im ganzen Hause) der SPD) -

Aber wer die Zukunft gewinnen will, der muß sich Vizepräsidentin Renate Schmidt: Nun hat der Kol- dem Wandel öffnen und sich seinen Herausforderun- lege Konrad Weiß das Wort. gen stellen und darf nicht blockieren.

Parallel und gleichzeitig verwoben mit dem Anstieg Konrad Weiß (Berlin) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): von Fremdenfeindlichkeit gibt es eine erschütternde Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kol- Zunahme von Brutalität. Ich meine durchaus, daß die legen! Die gegenwärtige Debatte in Deutschl and über brutale Medienwirklichkeit ihren Anteil daran hat. Extremismus, Ausländerfeindlichkeit und zuneh- Filme, die ich vor fünf Jahren als Jugendsenatorin mende Gewaltbereitschaft halte ich für irreführend, zurückgewiesen und gegen die ich protestiert habe, weil sie unzulässig verkürzt. Nicht die Deutschen sind heute fast gang und gäbe und durchaus im sind ausländerfeindlich, extremistisch und zuneh- öffentlich-rechtlichen Fernsehen, meine Damen und mend gewaltbereit, sondern nur ein kleiner Teil der Herren. Das hat mit Neuigkeitswert häufig wenig zu Deutschen. tun, um so mehr mit voyeuristischer Sensationsma- Es ist richtig, daß von den anderen lange nichts zu che. hören und zu sehen war. Spätestens seit Rostock und den grausamen Morden von Mölln aber meldet sich (Beifall bei der F.D.P. und der SPD sowie bei das humanistische Deutschland zu Wort und prägt Abgeordneten der CDU/CSU) wieder zunehmend das Gesicht Deutschlands. Die Würde des Menschen bleibt dabei häufig auf der Niemand konnte die machtvollen Demonstrationen Strecke, und die Gewöhnung an Bilder der Gewalt für das friedliche Miteinander von Deutschen und dient gewiß nicht zum Friedenstraining. Ausländern, von Flüchtlingen, Asylsuchenden und 11062 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 128. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1992

Konrad Weiß (Berlin) Einwanderungswilligen übersehen. 300 000 in Berlin, nen und Bürger schnell zum Schutz von Ausländer- 150 000 in Bonn und am letzten Wochenende etwa und Asylbewerberheimen zusammenfinden können. 400 000 Menschen in München traten in das Licht der In Eberswalde bildet sich eine Selbsthilfegruppe Öffentlichkeit und bezeugten für jeden sichtbar, wo in von Ehefrauen von Ausländern, die vom „Zentrum für Deutschland die Mehrheiten zu finden sind. Gewaltfreiheit" und von den Bürgerbewegungen (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU unterstützt wird. sowie der Abg. Cornelia Schmalz-Jacobsen In Stuttgart betreut „Asyl-Pfarrer" Werner Baum- [F.D.P.]) garten Kroaten, Kurden und Eritreer und lädt sie zum Sie wissen, daß ich mich in den vergangenen gemeinsamen Adventstee ein. Wochen und Monaten von dieser Stelle aus und an Der runde Tisch „Hilfe für Ausländer und Auslän- vielen anderen Orten im Land mit den rechtsradikalen derinnen" in Willhöden ruft auf zum Schweigemarsch Gewalttaten auseinandergesetzt habe. Deshalb will im Gedenken an die Opfer rechter Gewalt unter dem ich heute nicht erneut von diesen Gewalttaten spre- Motto „Rassismus keine Ch ance". chen, sondern von den vielen Tausenden von Demon- strationen, Aktivitäten und Initiativen, die keine In Frankfurt an der Oder besuchen zahlreiche Schlagzeilen machen und die kaum in einer Zeitung Bürgerinnen und Bürger der Stadt einen Nige rianer, und auf dem Bildschirm Erwähnung finden und die der von Rechtsradikalen niedergestochen worden doch für das alltägliche Zusammenleben von so gro- war, im Krankenhaus und bringen ihm Blumen und ßer, nein: von entscheidender Bedeutung sind. Obst. Kinder bringen ihm selbstgemalte Bilder. (Beifall der Abg. Cornelia Schmalz-Jacobsen In erhält die seit einem Jahr bestehende [F.D.P.]) Initiative „Wir Brandenburger Schüler sagen NEIN zu Gewalt und Rassismus" die Theodor-Heuss-Me- Ich möchte einige solcher Aktivitäten aus den vergan- daille. genen Tagen einfach nur nennen und damit zugleich die vielen Menschen überall in Deutschland würdi- Unter dem Moto „Wir wollen nicht mehr hinneh- gen, die durch ihr Handeln Menschlichkeit bewiesen men, daß Ausländer in Deutschland beschimpft, und das Wort von der wehrhaften Demokratie wahr bespuckt und geschlagen werden" starteten Ehe- gemacht haben. frauen und Freundinnen der Zweitligafußballer von Mainz 05 vor wenigen Wochen eine bundesweite In Fürstenwalde in Brandenburg versammeln sich Solidaritätsaktion. Dazu gehört, daß am letzten Spiel- seit Ende August an jedem Donnerstag Bürgerinnen tag dieses Jahres — am kommenden Wochenende — und Bürger zu einer Mahnwache mit Kerzen; von alle Profiklubs den Slogan „Friedlich miteinander" Woche zu Woche kommen mehr Teilnehmer. auf dem Trikot tragen werden. Ende November bildet sich am Stuttgarter Mahn- Heute um 13 Uhr werden in Tübingen Schüler und mal für die Opfer des Faschismus ein Schweige- Schülerinnen gegen Rechtsradikale demonstrieren. kreis. In Köln werden sich wie an jedem Donnerstag auch In Hildesheim versammeln sich Schülerinnen und heute Menschen zum Protest vor der Antoniterkirche Schüler der Grund- bzw. Hauptschulen sowie der versammeln. Gymnasien der Stadt nach einem Sternmarsch auf dem Marktplatz zu einer Kundgebung. Heute werden Holländer und Deutsche gemeinsam in einem Fackelzug zwischen Nijmegen und Beek/ Am Nachmittag des Buß- und Bettages findet im Wyler gegen Fremdenfeindlichkeit demonst rieren. Berliner Stadtzentrum eine „Bußprozession für Aus- länderfreundlichkeit" statt. In der St.-Hedwigs-- In Krefeld werden sich ebenso wie im brandenbur- Kathedrale erinnert Dompropst Otto Riedel an Dom- gischen Fürstenwalde Bürgerinnen und Bürger zu propst Bernhard , einen „wahren Zeugen einer Mahnwache zusammenfinden. des Glaubens und Wahrer der Menschenwürde", der Ich muß an dieser Stelle abbrechen, denn wenn ich sich im Dritten Reich für die Menschenwürde der alles nennen wollte, würde die gesamte Redezeit Verfolgten und Bedrängten eingesetzt hat. dieser Debatte nicht ausreichen. In Neuruppin veranstalten Schüler nach einem (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Brandanschlag auf ein Übersiedlerheim eine Protest- bei der CDU/CSU, der SPD und der F.D.P. — demonstration. Cornelia Schmalz-Jacobsen [F.D.P.]: Schön, In Hamburg ruft der Inte rnationale Frauenladen zu daß Sie es genannt haben!) einer Demonstration mit schwarzen Kopftüchern Allein die Anzahl der Bürgerinnen und Bürger, die auf. an den genannten Aktionen beteiligt waren, über- In Dresden hat sich ein breites Bündnis von Jugend- steigt die Anzahl der gewalttätigen Radikalen um ein organisationen zur „Aktion Courage" zusammenge- Vielfaches. funden. Diese Aktion will den Dialog mit allen Auch das ist Deutschland im Herbst 1992, nein: Das Jugendlichen und zwischen allen Jugendlichen för- ist Deutschland im Herbst 1992. dern. Diese Aktion wird inzwischen bundesweit unterstützt. (Beifall im ganzen Hause) Seit Oktober 1991 gibt es in Fürstenwalde sowie in Nicht die Mordbrenner, die feigen Schläger, die zahllosen anderen deutschen Städten eine Telefon- Sprücheklopfer verdienen die Aufmerksamkeit der kette, über die sich bei Gefahr couragierte Bürgerin- Öffentlichkeit, sondern die vielen tapferen Bürgerin- Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 128. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1992 11063

Konrad Weiß (Berlin) nen und Bürger, auch Kinder und Jugendliche, die mehr ihre Aufgabe ist, der Welt und unseren Bürgern entschieden und mutig Widerstand leisten und ganz zu beweisen, daß sie weder rechts noch links blind einfach menschlich sind. sind. (Beifall im ganzen Hause) (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) Die Justiz in unserem Land ist sich klar, daß sie von aller Welt daran gemessen wird, ob sie den rechts- Vizepräsidentin Renate Schmidt: Jetzt hat das Wort die Bundesministerin der Justiz, Frau Sabine Leut- staatlich eingeräumten Handlungsspielraum in einer heusser-Schnarrenberger. der Bedeutung des Problems angemessenen Weise auszuschöpfen weiß. Sie wird es tun. Die Verfahren und auch die Entscheidungen aus den letzten Wochen Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Bundesmi- und Tagen unterstreichen dies. nisterin der Justiz: Frau Präsidentin! Liebe Kollegin- Mit der gleichen Härte und auch Unnachgiebigkeit, nen und Kollegen! Es ist entsetzlich und beklemmend, die die Justiz in den zurückliegenden Jahren gegen daß Menschen allein deshalb, weil sie nicht Deutsche den Terrorismus von links gezeigt hat, muß auch sind, daß Bürger unseres Staates ihrer religiösen gegen den Rechtsextremismus vorgegangen wer- Überzeugung wegen, daß Angehörige von Minder- den. heiten nur deshalb, weil sie anders als die meisten sind, in Deutschland Angst um Leben und Gesundheit (Beifall bei der F.D.P., der CDU/CSU, der haben. Es ist tröstlich und nicht nur für diese Men- SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) schen von Bedeutung, daß wir im Gegensatz zur Jedes Opfer fordert die Polizei und die Justiz heraus. Weimarer Republik heute mit Bestimmtheit sagen Wir können meiner Meinung nach aber guten Mutes können, daß in diesem Hause niemand ist, der diesen sein, daß es uns gelingen wird, die offene Gewalt in Zustand tolerieren will. Der Rechtsstaat ist herausge- unserem Land auf jenes Maß zu beschränken, das in fordert. Taten, die in Zahl, Brutalität und Menschen- einem Staat, wie wir ihn alle wollen, leider nicht zu verachtung unbegrei flich sind, werden wir nicht hin- unterschreiten ist. nehmen. Unser Rechtsstaat wird sich mit allen Mitteln, die ihm als Rechtsstaat zur Verfügung stehen, gegen Vizepräsidentin Renate Schmidt: Frau Ministerin, die Gewalt des rechten Extremismus wehren. gestatten Sie eine Zwischenfrage? Ich habe wiederholt darauf verwiesen, daß die Mittel unseres Straf- und Strafverfahrensrechts nach Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Bundesmi- Zahl und Qualität hinreichend und geeignet sind, dem nisterin der Justiz: Ja. rechten Terror ein Ende zu bereiten. Es sind Instru- mente, mit denen wir erfolgreich den linken Terror Vizepräsidentin Renate Schmidt: Bitte. bekämpft haben. Um die Strafverfolgung der radikalen Gewalttäter Stetten (CDU/CSU): Frau zu erleichtern, sind wir dabei, die Handhabbarkeit Dr. Wolfgang Freiherr von Ministerin, ist Ihnen bekannt, daß wir in der Frage der des Haftrechts zu verbessern Strafverschärfung nicht ganz übereinstimmen? Sie (Beifall des Abg. Dr. Wolfgang Freiherr von haben selbst davon gesprochen, daß wir das Haftrecht Stetten [CDU/CSU]) ändern oder verschärfen müssen, gegebenenfalls sowie die Strafbarkeit der Verwendung nationalso- auch Strafvorschriften. Sie sagten, es handele sich um zialistischer Symbole auch auf solche Fälle auszudeh- eine einhellige Meinung. nen, in denen sie verfremdet und verzerrt verwendet werden. Wir ziehen in Erwägung, das Evokations-- Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Bundesmi- recht des Generalbundesanwalts zu erweitern. Wir nisterin der Justiz: Ich habe erwähnt, daß es hier überlegen, ob die Strafrahmen bei bestimmten Delik- unterschiedliche Auffassungen gibt. Ich möchte mit ten verändert werden sollten. meinen Worten gerade zum Ausdruck bringen, daß Eine Rückentwicklung des Tatbestands des Land- für mich bei den Überlegungen nicht an erster Stelle friedensbruchs, die ja auch gefordert wird, halte ich steht, welche Gesetze verändert, verschärft oder dagegen nicht für nötig. Diese meine Ansicht wird angepaßt werden müssen, sondern daß wir mit den nicht nur von den allermeisten Praktikern, sondern Instrumenten, die wir haben und die sich bewährt auch von vielen rechtspolitischen Experten mitgetra- haben, handeln müssen. Über die offenen Punkte, die gen. In einer solchen Solidarität trägt es sich etwas es gibt, wird selbstverständlich, wie das unter uns leichter, wenn von anderer, juristisch äußerst kompe- üblich ist, diskutiert werden. Wir werden uns mit den tenter Seite mit wahrlich meisterhafter Wortgewalt Argumenten auseinandersetzen. Daß es hier und da dieser Auffassung „Libertinage" bescheinigt wird. unterschiedliche Auffassungen gibt, das, glaube ich, Meine Damen und Herren, wir haben rechtlich zeigt doch die lebendige Demokratie. alles, was wir brauchen, um des rechten Terrors Herr (Siegfried Vergin [SPD]: Lassen Sie sich von zu werden. Es kommt — darauf ist auch heute schon Ihrem Weg nicht abb ringen! Das leitet näm des öfteren hingewiesen worden — im wesentlichen lich nur in die verkehrte Richtung!) darauf an, die Möglichkeiten angemessen umzuset- 70 % der Gewalttäter und Randalierer sind junge zen, die das Straf- und Strafverfahrensrecht zur Ver- Menschen unter 21 Jahren, also Kinder, Jugendliche fügung stellt. und Heranwachsende. Lassen Sie uns daraus nicht Ich bin der festen Überzeugung, daß unsere Polizi- den Schluß ziehen, wie es teilweise geschieht, daß sten, Richter und Staatsanwälte wissen, daß es nun- jetzt eine Reform des Jugendstrafrechts notwendig 11064 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 128. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1992

Bundesministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger sei, damit es mehr Repression und Abschreckung lichkeit, denen demokratisch-liberale Werte eben gebe. Repression und Abschreckung sind auch schon höchste Werte sind. Dann ist mir nicht bang um nach unserem derzeitigen Jugendstrafrecht und unseren Staat. Jugendgerichtsgesetz möglich. Wir kurieren damit an Rechtsstaatliche Mittel gegen rechtsradikale Ver- Symptomen, erreichen aber nicht die Ursächlichkei- brechen einerseits und gemeinsame demokratische ten. Gerade in der Jugendgerichtsbarkeit — wir Gegenwehr andererseits können den rechten Virus haben an Entscheidungen aus den letzten Tagen besiegen. Mir macht es Mut, wenn in kleineren und gesehen, daß sehr wohl angemessen auf die gewalt- größeren Protestkundgebungen und Demonstratio- tätigen Ausschreitungen Jugendlicher reagiert wer- nen Tausende, ja Hunderttausende auf die Straße den kann — stellen wir fest, daß hinter den Taten und gehen und sich für unsere ausländischen Mitbürger Verfehlungen junger Menschen häufig gesellschaft- stark machen. In einem solchen Klima, das wir fördern liche Defizite stehen. sollten, wird die rechtsradikale Saat auf Dauer keine (Beifall des Abg. [SPD] — Wurzeln schlagen. Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten [CDU/ (Beifall bei der F.D.P., der CDU/CSU, der CSU]: Das ist richtig!) SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Letztlich, Kolleginnen und Kollegen, werden uns eben allein das Strafrecht und auch das Jugendstraf- recht nicht weiterhelfen. Wir müssen voller Sorge Vizepräsidentin Renate Schmidt: Jetzt hat die Kol- sehen, daß es ganz offensichtlich nicht nur wenige legin Cornelie Sonntag-Wolgast das Wort. sind; es sind bereits zu viele, die den nationalistisch rechtsextremen Virus in sich tragen und die offen oder im Verborgenen die Feindschaft gegen unseren demokratisch-liberal verfaßten Staat schüren. Diesen Dr. Comelie Sonntag-Wolgast (SPD): Frau Präsi- Feinden müssen wir mit anderen Mitteln beizukom- dentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Spätestens men suchen. die Morde von Mölln haben Klischees weggeräumt: Rechtsradikale Gewalt entsteht eben nicht nur in Ich möchte an dieser Stelle unterstreichen, was vor seelenlosen Großsiedlungen, sondern auch in idylli- mir schon Graf Lambsdorff und auch Wolfg ang schen, alten Städtchen. Ich will sagen, daß soziale Thierse gesagt haben. Wir dürfen nicht das Argument Analysen — mögen sie auch wichtig sein — nur gebrauchen, daß der mühsam und auch von meiner bedingt taugen. Seite aus — wenn auch mit Bedenken — hergestellte Asylrechtskompromiß das Instrument der Wahl sei, (Beifall der Abg. Cornelia Schmalz-Jacobsen um dem rechten Terror beizukommen. Diese Sicht ist [F.D.P.]) in meinen Augen falsch und bedenklich, weil sie die Vor allem aber: Noch so trübe Aussichten auf Gefahr nicht reflektiert, daß die guten Argumente für Ausbildung und Arbeit, noch so dürftige Freizeitange- den Kompromiß in den bornierten Hirnen rechter bote und ein trister Alltag, all dies darf eben nicht zur Extremisten zu Argumenten gegen Fremde umgedeu- Verharmlosung oder gar zur Entschuldigung solcher tet werden können. Taten herhalten. (Beifall bei der F.D.P. und der SPD) (Beifall im ganzen Hause) Es wird sich erweisen, daß die rechten Ex tremisten Wer auch nur den Hauch eines solchen Eindrucks den Haß auf alles, was ihnen nicht als deutsch erweckt, der macht sich mitschuldig; denn Rechtsra- erscheint, kaum danach bemessen werden, ob wir dikalismus ist in diesem Herbst ja nicht etwa vom viele oder nicht so viele Fremde bei uns- haben. Sie Himmel gefallen. Er war l ange vorhanden — das ist werden immer Minderheiten finden, die sie zum auch demoskopisch belegt —, aber er wurde als Zentrum ihres Hasses machen können. Deshalb soll- Randerscheinung abgetan, verharmlost, ignoriert. ten wir uns und unseren Bürgern eingestehen: Der Augenzwinkernde Gleichgültigkeit jedoch war der Parteienkompromiß war notwendig. Er mag für einige geeignete Nährboden. Die Saat ist wieder aufgegan- problematisch sein. Er ist nicht das Mittel, mit dem gen. Das Polster an Sympathie, das die Steinewerfer der rechte Extremismus in seinem Kern getroffen und Brandstifter noch immer schützt, der offene oder werden kann. heimliche Beifall, beides ist widerlich und empö- (Siegfried Vergin [SPD]: Hoffentlich begrei rend. fen das alle!) (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS Wir sollten, glaube ich, auch nicht Argumente 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten gebrauchen, daß Gründe für den Ausbruch rechter der F.D.P.) terroristischer Gewalt im Umgang unseres Staates mit Mich empören aber auch die vielleicht versehentli- der linken Terrorszene zu sehen seien. Wir sollten uns chen, vielleicht aber auch bewußten Versuche einer des Ernstes unserer Probleme wegen nicht dazu feinen Differenzierung. Was sollen z. B. Fragen wie verleiten lassen, die Gründe für die offene Gewalt von etwa diese: Warum ist gerade das Haus dieser Aus- rechts dort zu suchen, wo wir sie vielleicht eher suchen länder angezündet worden? Das sind doch alles Leute, möchten. Dazu ist die Situation zu ernst. die schon lange hier leben, nette Nachbarn und gute Steuerzahler. — Schwingt in dieser Frage vielleicht (Beifall bei Abgeordneten der SPD) der Gedanke mit, daß man mit Asylbewerbern, frisch Wir brauchen den Konsens mit allen Kräften der eingetroffen, weniger pingelig umgehen darf? Nein, Gesellschaft, denen Toleranz und Fremdenfreund liebe Kolleginnen und Kollegen, die Verurteilung von Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 128. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1992 11065

Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast Gewalt verträgt keine Abstufungen, sie ist unteil- wäre ein Crash-Programm für mehr soziale Gerech- bar. tigkeit und kulturelle Angebote. (Beifall bei der SPD, der F.D.P., dem BÜND Aber nicht nur Worte und Taten zur Abwehr sind NIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordne nötig, sondern auch positive Signale, und zwar an die ten der CDU/CSU) Adresse derjenigen, die betroffen und bedroht sind. Gerade jetzt eben brauchen wir das kommunale Auch wer als Zufluchtsuchender erst gestern bei uns Wahlrecht für Ausländer, gerade jetzt die doppelte eingetroffen ist, auch wer keine Steuern zahlt und Staatsbürgerschaft kein netter Nachbar ist, hat Recht auf Schutz für sein Leib und sein Leben sowie auf die Unantastbarkeit (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der Menschenwürde. der F.D.P. und der Abg. Dr. Dagmar Enkel mann [PDS/Linke Liste]) (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der als Zeichen gegen Fremdenhaß und für gute Nachbar- F.D.P. und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜ schaft zu Menschen anderer Hautfarbe, Nationalität NEN) und Kultur. Ich begreife nicht, warum die Koali tion Es ist jetzt offenbar notwendig, Selbstverständliches insgesamt entgegen anderslautenden Beteuerungen, so laut und deutlich zu sagen. Eigentlich ist es die ich auch heute wieder von der F.D.P. gehört habe, enttäuschend, daß man es noch erwähnen muß. diesen anhaltenden Widerstand gegen die doppelte Es hat ohnehin lange gedauert, bis in diesem L and Staatsbürgerschaft wieder hineingebracht hat, auch in die Vereinbarungen zum Asylrecht. das Gewissen auf die Bar rikaden ging. Herr Weiß hat das positiv hervorgehoben. Aber wer noch jetzt als Es ist gut und richtig, die schrecklichen Texte prominenter Politiker und Ministerpräsident die Ber- rassistischer Rock- und Popgruppen anzuprangern. Es liner Kundgebung als Schaufensterveranstaltung her- wäre besser und wich tiger, das böse und dumme Zeug abwürdigt oder die Eröffnung eines Weihnachtsmark- nicht erst in den Läden zu verkaufen. Es wäre noch tes für wichtiger hält als die Teilnahme an der großen besser, es ganz zu verbieten. Wir brauchen Abkom- Lichterkettenaktion von München, der stoppt, der men des Anstands, an denen sich auch Chefredak- schädigt die große und notwendige Offensive, die wir teure und Intendanten der großen Medien beteiligen alle gegen Intoleranz und Ausländerhaß führen müs- sollten. sen. Ich hätte mir dazu aus den Reihen der CDU/CSU (Beifall im ganzen Hause) und auch von Mitgliedern der Bundesregierung deut- Es muß doch möglich sein, in Absprache auf lichere Worte der Enttäuschung gewünscht. Berichte ausschließlich über Missetaten von Asylsu- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS chenden sozusagen in Serie zu verzichten, und es muß 90/DIE GRÜNEN) auch möglich sein, Wortführer rechtsradikaler Par- teien nicht mehr zu liebedienerischen Interviews und In den vergangenen Wochen habe ich auf öffentli- Talkshows einzuladen. chen Veranstaltungen über Rechtsextremismus und Fremdenhaß diskutiert: mit Lehrern, Eltern, Pastoren, (Beifall im ganzen Hause) Jugendlichen — darunter auch Skinheads — in mei- Liebe Kolleginnen und Kollegen, in einem Leser- nem schleswig-holsteinischen Wahlkreis. Ich gestehe, brief an den „Spiegel" heißt es: „Nazis lassen sich es ist schwer, deren Gebräu aus Vorurteilen und nicht aussitzen." Dem ist nichts hinzuzufügen. Aggressionen anzuhören. (Beifall bei der SPD, der F.D.P. und dem (Uta Würfel [F.D.P.]: Dummheit vor allen BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Dingen!) - Aber man muß mit ihnen reden; denn solange wir Vizepräsidentin Renate Schmidt: Jetzt spricht Frau reden, fliegen noch nicht die Steine und die Molotow- Staatssekretärin Cornelia Yzer. cocktails. Gewalt und Feindseligkeit entstehen in den Köpfen — nicht nur bei diesen Jugendlichen. Dort muß man sie bekämpfen. Wenn Fäuste und Baseball- Cornelia Yzer, Parl. Staatssekretärin bei der Bun- schläger erst einmal sprechen, dann haben wir alle desministerin für Frauen und Jugend: Frau Präsiden- schon eine wesentliche Chance verpaßt. tin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich bin beschämt über die gewalttätigen Ausschreitungen, die in den Diese 16- bis 19jährigen, mit denen ich sprach, letzten Wochen und Monaten in unserem Land statt- verstehen nicht alles. Wohl aber verstehen sie deutli- gefunden haben. Diese Gewaltakte zeichnen ein Bild che und harte Informa tionen darüber, was strafbar ist. der Deutschen in der Weltöffentlichkeit, das der Wir haben doch die Instrumente, um neonazistische, großen Mehrheit der Bevölkerung nicht gerecht wird. ausländerfeindliche Taten und Worte zu ahnden. Dies belegt die hohe Zahl derjenigen, die gegen Nutzen wir das doch. Hitler-Gruß und Nazi-Embleme Radikalismus und Gewalt eintreten, die sich für ein sind verboten. Wir sagen es ihnen vielleicht nicht friedliches Zusammenleben von Deutschen und Aus- deutlich genug. Böse Lieder und Gedichte gegen ländern einsetzen und die ihre Überzeugung, daß Minderheiten sind Volksverhetzung. Anschläge auf Gewalt kein Mittel der Auseinandersetzung sein Menschen sind Verbrechen. Wir brauchen vielleicht kann, durch Teilnahme an Demons trationen oder keine neuen Gesetze, sondern nur die konsequente anderen Aktionen öffentlich bekunden. Anwendung der bereits vorhandenen. Wir brauchen, wie ich meine, diese öffentlichen Dafür zu sorgen ist Pflicht der Bundesregierung. Mit Bekenntnisse, die öffentliche Absage an jegliche hilflosem Aktionismus ist wenig gewonnen. Nötig Form der Gewalt. Natürlich reagieren jetzt auch viele 11066 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 128. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1992

Pari. Staatssekretärin Cornelia Yzer Bürgerinnen und Bürger mit Sprachlosigkeit ange- Gemeinschaft finden, die ihnen andernorts fehlt. Hier sichts der grausamen Gewalttaten. Ich kann dies muß Jugendarbeit und Jugendsozialarbeit eingrei- verstehen; denn Angst macht oft stumm. Doch sollte fen. sich jeder vergegenwärtigen, daß sein Schweigen Die Bundesregierung hat ihre jugendpolitische Ver- mißverstanden und als Signal der Zustimmung gewer- tet werden kann. Gefordert ist jetzt der bekennende antwortung durch das Programm gegen Aggression und Gewalt sowie durch das Programm zum Aufbau Demokrat. freier Träger in den neuen Bundesländern wahrge- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge nommen. Hier wurden frühzeitig wich tige Schritte ordneten der F.D.P.) eingeleitet. Allerdings reichen in der gegenwärtigen Situation Schon jetzt zeigen erste Erfahrungen, daß die Eska- Erklärungen der Betroffenheit nicht aus. Der Staat lation von Gewalt durch gezielte Maßnahmen verhin- muß jetzt vor allem seine Handlungsfähigkeit und dert werden kann. Durch aufsuchende Jugendsozial- seine Problemlösungskompetenz unter Beweis stel- arbeit kann ein Beitrag geleistet werden, Gewaltbe- len. Dazu gehört, daß er die Gesetze konsequent reitschaft abzubauen und den Jugendlichen zu sinn- anwendet und mit Entschlossenheit dort Veränderun- voller Lebensgestaltung zu motivieren. Doch wir dür- gen vornimmt, wo sie zum Schutz der f riedfertigen fen uns auch nichts vormachen. Maßnahmen der Menschen in unserem L and geboten sind. Unsere Jugendarbeit brauchen Zeit. Deshalb werden wir Geschichte lehrt: Wir dürfen nicht tatenlos zusehen, auch künftig, ohne eine unmittelbare Erfolgsbilanz wie die Feinde der Demokratie die Freiheit dazu von großem Umfang ziehen zu können, in unseren benutzen, um sie zu beseitigen. Zu Demokratie und jugendpolitischen Anstrengungen nicht nachlassen Rechtsstaatlichkeit gehört Wehrhaftigkeit. Ich halte dürfen. Dabei appelliere ich insbesondere auch an die es z. B. für unerträglich, wenn in unserem Land Länder und Kommunen, ihre jugendpolitischen Neonazis durch die Straßen marschieren, Haken- Anstrengungen jetzt zu verstärken. Es darf nicht dazu kreuzfahnen mit sich tragen und die Hand zum kommen, daß in Zeiten knapper Finanzen jugend- Hitler-Gruß erheben. politische Aktivitäten vernachlässigt werden. Eine (Beifall bei der CDU/CSU, der F.D.P., der neue Prioritätensetzung ist erforderlich. Jetzt gerade SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) sind Maßnahmen für Jugendliche gefragt. Können wir uns tatsächlich darauf zurückziehen, (Beifall bei der CDU/CSU, der F.D.P., der ein unabhängiges Verwaltungsgericht habe diese SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) rechtsextremistische Demonstration genehmigt? Oder müssen wir nicht vielmehr klar sagen: Es gibt eindeu- Wir brauchen mehr Jugendarbeit, neue Ideen und viel tige Gesetze gegen das Tragen von nationalsozialisti- Phantasie. Jugendarbeit muß Jugendliche so in ihrer schen Emblemen? Diese Verbote müssen vollzogen Persönlichkeit stärken, daß sie den Gefahren des werden, unmittelbar und konsequent. Extremismus offensiv begegnen können. (Beifall bei der CDU/CSU, der F.D.P. und der Verstärken müssen wir allerdings auch unsere SPD) Bemühungen in der politischen Bildung. Dabei müs- Ein Staat, der sich nicht als handlungsfähig erweist sen wir von der Vorstellung Abschied nehmen, Bil- und seinem Anspruch auf Einhaltung der Gesetze dungsarbeit könne wertneu tral sein. Sie muß im nicht gerecht wird, verliert, so der Jurist Rudolf Gegenteil Werte vermitteln und damit einen gesell- Wassermann, bei immer mehr Bürgern Respekt, ja schaftlichen Grundkonsens schaffen, insbesondere wird verachtet. hin zu mehr Gemeinwohlorientierung. - Ich halte nach wie vor die tatnahe Ergreifung und Allerdings ist der Staat überfordert, wenn man es Verurteilung eines Gewalttäters nicht nur für eine ihm allein überläßt, den einzelnen Jugendlichen zu repressive Maßnahme, sondern auch für eine der stärken. Die Familie, die Eltern sind prägend für das wirksamsten Präventionsmaßnahmen, weil sie jedem Verhalten des jungen Menschen. Eltern müssen weiteren potentiellen Täter deutlich macht, daß sein ihrem Erziehungsauftrag gerecht werden und auf ihre geplantes Tun sanktioniert wird. Kinder eingehen. Frau Kollegin Schmalz-Jacobsen, ich bitte Sie, hier keinen Widerspruch zwischen Stär- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) kung der Familie und Gleichberechtigung der Frau zu Doch die Frage, wie wir der Gewalt Herr werden begründen. Es ist nicht nur so, daß viele Frauen nach können, richtet sich nicht nur an Polizei und Justiz. Wir wie vor ihre volle Entfaltung in der Familie sehen; müssen neue Wege gehen, um das Umfeld der Gewalt auch dort, wo die Frau außerhalb der Famile neue auszutrocknen und um zu verhindern, daß extremisti- Freiräume durch Emanzipation gewinnt, darf dies sche und gewaltbereite Potentiale entstehen. statt zu Lasten der Männer, wie das im Einzelfall ja Die Gewalttäter werden jünger. Schon 14jährige vorstellbar ist, nicht zu Lasten der Kinder gehen, nur begehen Gewalttaten. Ein großer Teil der Mitglieder weil sie die Schwächsten sind. extremistischer Gruppierungen ist jünger als 18 Jahre. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge Hier ist die Jugendpolitik gefordert, zumal viele der ordneten der F.D.P.) Jugendlichen, die radikalen Gruppen zuzuordnen sind, für sich sagen, sie seien nicht politisch motiviert. Ich räume deshalb der Familie einen so hohen Zahlreiche Jugendliche lassen sich von extremen Stellenwert ein, weil mangelnde Zuwendung der Kräften vereinnahmen, weil sie nach Orientierung Familie nicht durch den Staat ersetzt werden kann. suchen und bei diesen vermeintlich Halt in einer Deshalb appelliere ich gerade unter dem Aspekt der Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 128. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1992 11067

Parl. Staatssekretärin Cornelia Yzer Gleichberechtigung an Mütter und an Väter, ihren sam mit den Verfassungsschutzbehörden an der Indi- Erziehungsauftrag wieder stärker wahrzunehmen. zierung mitzuwirken. — Bitte, haben Sie Verständnis (Beifall bei der CDU/CSU) dafür, Herr Kollege, daß ich diesen Punkt zu Ende führen wollte. Allerdings steht auch die Schule in der Pflicht. Auch sie hat einen Erziehungsauftrag, den sie wahrnehmen muß. Dabei stellt sich zunächst nicht die Haushalts- Freimut Duve (SPD): Frau Staatssekretärin, Sie frage, sondern die Wertefrage. Toleranz und friedli- haben sehr eindrucksvoll die Verantwortung auch der che Konfliktbewältigung, die Auseinandersetzung Mitglieder von aufsichtsführenden Gremien in öffent- mit fremden Kulturen, das sind Themenbereiche, die lich-rechtlichen Rundfunk- und Fernsehanstalten in den Klassenzimmern nicht vernachlässigt werden herausgestellt. An welche Gremien hat die Bundesre- dürfen, die erst recht nicht fehlen dürfen. Jeder gierung durch Sie hier eben appelliert, die ähnliches dann bei den machen einzelne Lehrer muß seinen Schülern die Grundlagen privaten Fernsehveranstaltern einer freiheitlichen Gesellschaftsordnung nachhaltig sollen, die ja im wesentlichen die Mitsender und vermitteln. Er muß klarmachen, daß unsere Gesell- manchmal sogar Mittäter solcher Szenen sind, von schaft auf der grundsätzlichen Wertentscheidung denen Sie gesprochen haben? beruht, auf Gewalt zur Konfliktlösung zu verzich- ten. Cornelia Yzer, Parl. Staatssekretärin bei der Bun- desministerin für Frauen und Jugend: Bedauerlicher- Ich glaube, es ist nicht zuviel verlangt, daß sich ein weise ist hier der Einfluß auf die Privatsender gering. Lehrer der Auseinandersetzung mit seinen Schülern Wir haben deshalb von seiten des Ministeriums stellt, und ich habe kein Verständnis dafür, wenn mir unsere Appelle direkt an die privaten Sender ver- ein Lehrer auf die Frage, welche Werte er vermittelt, schickt. sagt, darüber müsse man einmal diskutieren. (Beifall bei der CDU/CSU) Wer als Jugendlicher ein humanistisches oder aus meiner Sicht besser noch ein christliches Menschen- Meine Damen und Herren, ein Abschlußsatz: Es ist bild verinnerlicht hat, für den sind Toleranz und keine Zeit für ein Gegeneinander der Demokraten. Achtung seiner Mitmenschen eine Selbstverständ- Lassen Sie uns miteinander, alle gemeinsam, auf allen lichkeit. Ebenen wirken, der Gewalt in unserem Land entge- genzutreten! (Beifall bei der CDU/CSU) (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Und letztlich: Dürfen wir uns über Gewalt als Mittel der Auseinandersetzung wundern, wenn in den Und nun spricht Medien Gewalt als probates Mittel der Sieger darge- Vizepräsidentin Renate Schmidt: der Kollege Günter Graf. stellt wird, wenn ein Jugendlicher beim Fernsehen Gewalt als ein Stück Normalität empfinden muß, wenn der Krimi nicht mehr ausreicht und die Reality- Günter Graf (SPD): Frau Präsidentin! Liebe Kolle- Show her muß, weil nur sie noch die Pulbikumszahlen ginnen und Kollegen! Die Welle der Gewalt gegen bringt, indem sie das Unglück einzelner Mitmenschen Ausländerinnen und Ausländer, gegen jüdische vermarktet? Friedhöfe und Gedenkstätten und nicht zuletzt die Morde in Mölln haben unser Land verändert. Frem- (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) denhaß durch Gewalt nicht nur gegen Ausländer Ich appelliere von hier aus an die Programmverant- haben sich krebsartig in unserer Gesellschaft ausge- wortlichen, aber auch an die Vertreter der gesell- breitet. Dies ist nicht zuletzt die Folge jahrelanger schaftlichen Gruppen in den Aufsichtsgremien der Verharmlosung und Verdrängung des rechten Ter- Medien, sich ihrer Verantwortung bewußt zu sein. rors in unserem Land. Freiheit ist nicht schrankenlos. Deshalb wird das Es gibt gegenwärtig 41 400 Mitglieder in rechtsex- Bundesministerium für Frauen und Jugend mit aller tremistischen Organisationen gegenüber 20 300 im Entschiedenheit gegen Songs rechtsradikaler Bands Jahre 1983. Was die neonazistischen Gruppierungen und sogenannte Fanzines vorgehen, mit denen rechts- angeht, so lag die Mitgliederzahl im Jahre 1983 bei radikales, gewaltverherrlichendes und rassistisches 1 130 und hat sich bis zum heutigen Tag auf 6 400 Gedankengut unter Jugendlichen verbreitet werden gesteigert. Was allerdings die Steigerung der Gewalt- soll. taten von Rechtsextremisten angeht, so ist diese noch Jugendgefährdende Schriften gehören auf den dramatischer verlaufen. 76 Gewalttaten im Jahre 1983 Index. stehen in diesem Jahr 2 084 gegenüber. Kolleginnen und Kollegen, diese Zahlen dürfen uns Vizepräsidentin Renate Schmidt: Frau Staatssekre- alle nicht überraschen, denn bereits im November des tärin, erlauben Sie eine Zwischenfrage? vergangenen Jahres hat der Präsident des Bundesam- tes für Verfassungsschutz vor dem Innenausschuß des Deutschen Bundestages in sehr eindringlicher Weise Cornelia Yzer, Parl. Staatssekretärin bei der Bun- auf diese Zahlen hingewiesen. desministerin für Frauen und Jugend: Ja, gern, wenn Kolleginnen und Kollegen, 17 Personen starben im ich diesen Absatz zunächst zu Ende führen darf. Jahre 1992 an den Folgen rechtsextremistischer Mein Haus hat in den vergangenen Wochen meh- Gewalttaten. Dies ist die höchste Zahl seit Bestehen rere Indizierungsanträge bei der Bundesprüfstelle für der Bundesrepublik Deutschland. Diese möderische jugendgefährdende Schriften gestellt. Ich fordere an Gewalt trägt dazu bei, das Bild vom häßlichen Deut- dieser Stelle die Landesjugendbehörden auf, gemein- schen im Ausland wiederzubeleben. Dies schadet den 11068 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 128. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1992 Günter Graf Interessen und dem Ansehen des wiede rvereinigten Was das heute schon mehrfach zitierte Verbot und größer gewordenen Deutschlands. rechtsextremistischer Organisationen und Parteien angeht, so ist dies sicherlich ein wirksames Mittel. Es reicht in dieser Zeit nicht mehr aus, zu sagen, Aber ich denke, man muß auch mit diesem Instrument Deutschland ist ein ausländerfreundliches Land. Viel- insoweit sehr sorgsam umgehen, als man sich über die mehr ist es notwendig, gemeinsam dafür Sorge zu Folgen im klaren ist, was im Einzelfall möglicherweise tragen, daß diesem Satz täglich neue Geltung ver- geschehen kann, wenn diese Gruppen in den Unter- schafft wird, und zwar nicht nur durch Reden, sondern grund, in die Illegalität getrieben werden. in erster Linie durch aktives Handeln. (Freimut Duve [SPD]: Dann sind sie krimi- (Beifall bei der SPD) nelle Vereinigungen!) Hierzu, Kolleginnen und Kollegen, wird mein Kollege Was die Notwendigkeit von Gesetzesverschärfun- Siegfried Vergin noch einige nähere Ausführungen gen angeht, so ist einiges dazu gesagt worden. Ich machen. sage für die Sozialdemokraten: Wir werden uns nicht Der mörderischen Gewalt von Rechtsextremisten verschließen, wenn es darum geht und wir erkannt muß mit der ganzen Härte des Gesetzes Einhalt haben, daß an bestimmten Stellen Veränderungen geboten werden. Die rechtsextremen Gewalttäter rüt- notwendig sind. Aber ich will auch ganz deutlich teln an den Grundfesten unserer demokratischen sagen, daß die konkrete Anwendung viel wichtiger Verfassung. Deshalb müssen sie als Verfassungs- ist. Und ich wiederhole das, was ich in der letzten feinde bekämpft und verurteilt werden. Woche im Rahmen der Haushaltsplanberatung gesagt habe: Wenn es beispielsweise in zehn Jahren nicht zu Zu dieser konsequenten Bekämpfung der fremden- einer einzigen Verurteilung wegen Landfriedens- feindlichen Kriminalität gehören unter anderem: bruchs gekommen ist, bei der eine Freiheitsstrafe von Erstens der Einsatz aller polizeilichen Mittel gegen 5 bis 10 Jahren ausgesprochen wurde, nicht ein rechtsextremistische Straftäter, insbesondere das Vor- einziger Fall, dann muß man darüber nachdenken und halten von Kräften, die ohne großen Zeitverzug als sich über die Folgen im klaren sein. geschlossene Einheit eingesetzt werden können, urn Kolleginnen und Kollegen! Es muß hier und heute präventive Wirkung zu erzielen bzw. Ausschreitun- unmißverständlich deutlich werden, daß in Deutsch- gen innerhalb kürzester Zeit zu beenden, soweit es land niemand andere mit Gewalt bedrohen oder ihnen sich um das massive Auftreten rechtsextremistischer Gewalt antun kann. Wir Politiker müssen den Rechts- Gruppierungen handelt. Der Einsatz spezieller zen- extremisten den Resonanzboden für ihre verhetzen- traler Organisationseinheiten, z. B. Sonderkommis- den Parolen entziehen. Insoweit stimmen wir der sionen, wie sie heute bereits vom Ministerpräsidenten Antwort der Bundesregierung auf die hier debattierte des Saarlandes angesprochen worden sind, sind zur Große Anfrage der SPD-Frak tion zu, in der sie unter wirksamen Bekämpfung fremdenfeindlicher Krimina- anderem ausführt, daß die Erfolge rechtsextremisti- lität zu schaffen. Weiterhin gehören dazu die Verbes- scher Parteien und Organisationen weniger auf frem- und der Ausbau serung des Informationsaustausches denfeindlichen Parolen beruhen als auf einer allge- der Meldedienste und der Meldewege zwischen den meinen Protesthaltung gegenüber Lösungsdefiziten Polizeien der Länder und des Bundes sowie die in den verschiedenen Politikbereichen. Dem habe ich konsequente APIS-Erfassung der extremistischen nichts hinzuzufügen außer Stichworte wie: wach- Gewalttäter und deren Umfeld, wie sie auf der stän- sende Arbeitslosigkeit, Arbeitsplatzunsicherheit, digen Konferenz der Innenminister der Länder vom Wohnungsnot, steigende Kriminalität und nicht 20. 11. 1992 beschlossen wurde. zuletzt eine unsoziale Steuer- und Finanzpolitik zum Zweitens. Hinsichtlich des besonderen Schutzes der Nachteil der unteren Gruppen in unserer Gesell- bei uns lebenden Ausländerinnen und Ausländer ist schaft. es notwendig, Ansprechpartner für Ausländer bei (Beifall bei der SPD) den Polizeidienststellen zu bestellen, in deren Dienst- Die SPD-Bundestagsfraktion fordert alle demokrati- bezirken sich Asylbewerberinnen und -bewerber oder schen Kräfte auf, weder stillschweigend noch offen Ausländerwohnheime befinden. Diese Maßnahme mit rechtsradikalen Parteien zu paktieren. Die SPD- dient der Herstellung von Kontakten zwischen Heim- Bundestagsfraktion appelliert an alle Bürgerinnen leitern, Wachpersonal und Ausländern einerseits und und Bürger in unserem Lande: Wehren Sie sich gegen der Polizei andererseits. Darüber hinaus ist die Benen- alle Anzeichen von Intoleranz, Rassismus, Antisemi- nung von Kontaktpersonen in den jeweiligen Unter- tismus und Gewalt! Zeigen Sie Zivilcourage! künften und die Sensibilisierung der Nachbarschaft anzustreben, um die Schutzmaßnahmen entschei- Dank schön. dend zu verbessern. Außerdem sind die Kommunika- (Beifall bei der SPD) tionsmöglichkeiten wie z. B. Notruftelefone zwischen Unterkünften und der Polizei zu verbessern sowie die Vizepräsidentin Renate Schmidt: Nun hat der Kol- Erstellung von Objektlisten und Einsatzplänen für den lege Dr. Ulrich Briefs das Wort. Schutz solcher konkreten Objekte vorzunehmen. Drittens. Die Beobachtung aller rechtsextremisti- Dr. Ulrich Briefs (fraktionslos): Frau Präsidentin! schen Parteien und Gruppen durch den Verfassungs- Meine Damen und Herren! Der angesichts des drän- schutz im Bund und in den Ländern ist zu intensivie- genden Themas eher zurückhaltenden Erklärung des ren, um insbesondere die von diesen Organisa tionen Bundeskanzlers ist ein in wesentlichen Aspekten ausgehende Fremdenfeindlichkeit besser bekämpfen vorwärtsweisender Beitrag des saarländischen Mini- zu können. sterpräsidenten gefolgt. In der Tat, in unseren westli- Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 128. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1992 11069

Dr. Ulrich Briefs chen Nachbarländern wird immer wieder Kritik geübt Lager, ihre Büros, ihre Infrastruktur, ihre Unterstüt- an unserem Verständnis von Nation und Vaterland. zerszene, ihre Publikationsorgane müssen ausgeho- Es wird immer wieder Kritik geübt daran, daß bei uns ben werden. Wo sie kriminell sind oder werden, die Abstammung, die Blutsabstammung darüber ent- müssen sie vor Ge richt und in die Gefängnisse scheidet, ob einer Deutscher ist oder nicht. In diesem gebracht werden. Prinzip ist eine wesentliche gesellschaftliche Wurzel Ich habe im niederländischen Fernsehen jüngst des deutschen Rechtsradikalismus zu sehen. einen Bericht gesehen, in dem, nicht zwei, sondern ca. Wenn die republikanische Verfassung, die der 20 Wortführer der Neonazis mit eindeutig antisemiti- Ministerpräsident des Saarlandes angesprochen hat, schen und völkerverhetzenden öffentlichen Äußerun- in der Zukunft auch die Möglichkeit umfassen soll, gen dokumentiert wurden. Warum nicht das sofortige z. B. mit der Geburt in Deutschland die deutsche Verbot aller rechtsradikalen Gruppen? Warum nicht Staatsbürgerschaft zu erwerben, gleichgültig, woher Einleitung des Verfahrens auf ein Parteienverbot, z. B. die Eltern stammen, dann ist dem zuzustimmen. Wenn gegen die NPD? Warum werden nicht gegen ca. 20 sie die Möglichkeit umfassen soll, eine doppelte oder 30 führende Neonazis sofort entsprechend wirk- Staatsbürgerschaft, z. B. die deutsche und die türki- same Maßnahmen veranlaßt, wie sie jetzt in zwei sche, zu haben, so ist dem zuzustimmen. Fällen, Herr Innenminister, veranlaßt worden sind? Volksverhetzung und Antisemitismus sind eben keine Die republikanische Verfaßtheit ist Grundlage der Gentleman-Delikte. multikulturellen Gesellschaft, von der gerade wir Deutschen profitieren. Der Kollege Stercken hat Die polizeiliche und gerichtliche Bekämpfung der jüngst erwähnt, daß in Paris inzwischen fast 100 000 Rechtsradikalen darf nicht tropfenweise wie jetzt, Deutsche leben. Für sie und viele andere im Ausland sondern muß umfassend und Schlag auf Schlag in lebende Deutsche sind eben der alte/neue deutsche einer konzertierten Ak tion von Bundes- und Landes- Nationalismus und der wieder aufkommende Natio- behörden erfolgen. nalsozialismus geradezu eine Bedrohung. Das dürfen Wer rechtsradikale Parolen äußert oder Aktionen wir nicht vergessen. Wir dürfen jedoch zugleich auch unterstützt, an der Theke, am Arbeitsplatz, auf dem nicht vergessen, daß dieses L and bisher fast keine Sportplatz, in der Schule oder Hochschule oder republikanische Tradition hat, außer in einigen Pha- sonstwo, muß geächtet werden, muß die Folgen, sen jener kurzen 15 Jahre der Weimarer Republik und insbesondere auch am Arbeitsplatz — insofern ist auch der immerhin vier Jahrzehnte Nachkriegsent- einigen gewerkschaftlichen Stimmen durchaus zuzu- wicklung in Westdeutschland. In einigen kurzen Pha- stimmen —, spüren. Die unnachgiebige polizeiliche sen dieser Entwicklung zumindest hat es diese Tradi- und juristische Bekämpfung des Rechtsradikalismus tion gegeben. ist notwendig. Die Hauptaufgabe ist und bleibt jedoch Dieses Land hat fast keine erfolgreiche Tradi tion eine umfassende gesellschaftliche Auseinanderset- bürgerlicher Rebellion und Revolution wie Frank- zung, die Bekämpfung und Achtung des Rechtsradi- reich, wie England, wie die Niederlande. Die deutsche kalismus, des Rassismus und des Antisemitismus. bürgerliche Gesellschaft hat vor den Mächtigen fast In diesem Zusammenhang muß eines klargestellt stets gekuscht, im „Untertan" von Heinrich Mann werden: Die Rassisten und Antisemiten in diesem geradezu beispielhaft literarisch beschrieben. Die Lande sind wie in der NS-Zeit vor allem die deutschen deutsche bürgerliche Gesellschaft, das Groß-, wie das Spießer, die im Grunde den autoritären starken Staat, Kleinbürgertum, hat insbesondere die größten politi- die autoritäre Erziehung, Ruhe und Ordnung, Gehor- schen Verbrechen der Menschheitsgeschichte, die sam und Anpassung im Staat, in der Gesellschaft, in Verbrechen des deutschen Nationalsozialismus, ge- den Schulen und in der Familie wollen. duldet, bejaht, unterstützt und deshalb mitzuverant- worten. (Zurufe von der CDU/CSU) Der liberale und zivilisierte Westen Europas hat Der Vandalismus, der hier angesprochen wurde, insofern eigentlich immer erst an der Maas bezie- z. B. die Zerstörung von Telefonzellen, ist seit langem hungsweise kurz davor und am Rhein begonnen. in den Niederlanden viel umfangreicher als in Auch deshalb: Wer jetzt auf eine andere Erziehung mit Deutschland. Da gibt es das viel stärker. Er hat dort einem Zurück zu traditionellen deutschen Werten trotzdem nicht zu rassistischen Pogromen geführt. setzt, setzt angesichts der deutschen Tradi tion völlig Spitzenreiter — leider, muß m an dazu sagen — bei falsch an. Nicht eine neoautoritäre Erziehung auf rassistischen Pogromen und Angriffen ist dieses „deutsche Werte" und sogenannte Sekundärtugen- Deutschland mit seinem so sehr auf Ruhe und Ord- den wie Gehorsam, Sichanpassen usw. kann Abhilfe nung hin orientierten Bürgertum. Das dürfen wir nicht schaffen. vergessen. Im übrigen — auch das ist eine sehr nachteilige (Karl Lamers [CDU/CSU]: Das fordert doch Folge der Entwicklung derzeit bei uns —, in den niemand!) Niederlanden zeigen sich jetzt erste Spurenelemente Veränderungen in der Erziehung wirken zudem nur von rassistischen Ang riffen, angestoßen allerdings langfristig. Das wird hier auch immer wieder verges- durch die Brandanschläge auf Asylbewerberheime sen. Wir können aber mit der Bekämpfung des alten und ihre Drahtzieher in Deutschland. Nicht eine neuen deutschen Nationalismus und Nationalsozialis- Wende hin zu einer neoautoritären Erziehung und mus nicht eine oder zwei Genera tionen warten. Gesellschaft sind die angebrachte gesellschaftliche Gehandelt werden muß jetzt und viel massiver als Antwort, sondern mehr Offenheit nach innen und bisher. Die rechtsradikalen Organisa tionen, ihre nach außen, mehr p rivate und öffentliche Liberalität, 11070 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 128. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1992

Dr. Ulrich Briefs mehr Zivilcourage, mehr Widerstandsgeist, mehr In dieser Situation stellen wir uns die Frage: Was Bereitschaft zum aktiven Widerstand und zum konse- können wir tun, was sollen wir tun, welche Gegen- quenten Eingreifen gegen die Rechtsentwicklung in maßnahmen müssen wir ergreifen? Eines steht fest: diesem Lande. Hysterische Reaktionen sind schädlich und bringen Im übrigen — abschließende Bemerkung —: Wer keinerlei Erfolg. versucht, die drängenden Probleme bei Arbeitsplät- Auch in diesem Zusammenhang müssen wir uns auf zen, bei Wohnungen, bei alleinerziehenden Frauen die Grundanforderungen rückbesinnen, die Max z. B. dadurch zu verdecken, daß er jetzt auf die Weber für die Politik formulierte: Notwendigkeit von Veränderungen hin zu alten/ neuen traditionellen deutschen Werten im Erzie- Leidenschaft, Verantwortungsgefühl und Augen- hungssystem setzt, der setzt genau an der falschen maß sind in unserem Handeln gefordert. Stelle an. Bei den sozialen Problemen muß insbeson- Selbstkritisch müssen wir uns, müssen sich die dere angesetzt werden und nicht bei diesen langfristi- Politiker und die Verantwortlichen in Bund, Ländern gen Veränderungen des Erziehungssystems. und Gemeinden täglich fragen: Erstens. Haben wir Ich danke Ihnen, Frau Präsidentin. Politiker bisher wirklich alles getan, um die gesetzli- chen Grundlagen für den Kampf gegen diese Verbre- chen in ausreichendem Maße zur Verfügung zu stel- Vizepräsidentin Renate Schmidt: Als nächster hat len? der Kollege Meinrad Belle das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU) Tun wir im parteiübergreifenden Konsens wirklich alles uns Mögliche, um den Nährboden, den Sumpf für (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine Meinrad Belle ausländerfeindliche Stimmung und extremistische Damen, meine Herren! Bestürzung, Entsetzen, Scham Gewalttaten auszutrocknen? und hilflose Wut befallen uns, wenn wir von den extremistischen Ausschreitungen und Verbrechen (Zustimmung bei der CDU/CSU) hören oder sehen. Wir trauern mit den Angehörigen Zweitens. Haben die Verantwortlichen der Verwal- der Opfer. Wir entschuldigen uns vor der Weltöffent- tungen in Bund, Ländern und Gemeinden tatsächlich lichkeit für diese schrecklichen Ereignisse in unserem sämtliche Möglichkeiten ausgeschöpft — der Unter- Vaterland. Wir entschuldigen uns auch für diejenigen, stützung der Polizei in allen Bereichen, des Verbots die selbst zwar keine Gewalt ausüben, die aber extremistischer Gruppen, der Zusammenarbeit aller klammheimlich oder offen Beifall bekunden. zuständigen Stellen —, um dieser gewaltigen Heraus- Der Extremismus, gleichgültig, ob von rechts oder forderung in der Bundesrepublik zu begegnen? von links, bekämpft den demokratischen Rechtsstaat und seine Einrichtungen. Wir alle sind aufgefordert, (Beifall bei der CDU/CSU) den Extremisten aller Schattierungen das Handwerk Drittens. Haben die Strafverfolgungsbehörden und zu legen. die Gerichte bisher wirklich alle Maßnahmen ergrif- (Beifall bei der CDU/CSU) fen, um die Straftäter zu verfolgen und unter Ausnut- zung des vollen Strafrahmens der gerechten S trafe Es kann für uns nicht tröstlich sein, daß nicht nur in zuzuführen? Die erfolgreiche Fahndung nach den Deutschland diese Geschehnisse zu beklagen sind. Tätern von Mölln, die Bildung der Bund-Länder- „In Europa droht ein Sturm des Fremdenhasses ", so Koordinierungsgruppe Rechtsextremismus und Ter- die Schlagzeile einer deutschen Tageszeitung. rorismus und erste Verbote von rechtsextremistischen Wir müssen zur Kenntnis nehmen, was uns der Organisationen sind wichtige Schritte am Beginn des amerikanische Fachmann und Psychotherapeut Barry langen Weges. Jeder Verantwortliche, jeder Bürger ist Goodfield prophezeit: in seinem jeweiligen Bereich gefordert, der jetzt Es wird noch schlimmer werden, es wird brutal erkennbaren Entwicklung entgegenzutreten. werden, es wird organisiert sein. Die Menschen Wer in schwankender Zeit auch schwankend brauchen Sündenböcke für alles, was schiefgeht, gesinnt ist, der vermehret das Übel und breitet es und die Rassisten liefern sie ihnen. weiter und weiter, Aus den Ländern Frankreich, Großbritannien, ja, sagt schon Johann Wolfgang von Goethe. selbst aus Schweden und den Niederlanden wird uns über Probleme durch den Fremdenhaß und über (Wolfgang Thierse [SPD]: Aber was ist eine Ausschreitungen berichtet. Aber nirgendwo ist ein „feste Gesinnung"?) derartiges Ausmaß an Gewaltausbrüchen zu bekla- Angesichts der gewaltigen Aufgabe ist für gegen- gen wie bei uns. In den ersten neun Monaten dieses seitige Vorwürfe kein Raum. Parteitaktische Süpp- Jahres sind bei uns insgesamt 3 107 fremdenfeindli- chen dürfen nicht gekocht werden. Es wäre mir lieb che Straftaten gemeldet worden. Dagegen wurden im gewesen, wenn wir eine gemeinsame Entschließung gesamten Jahr 1991 2 426 solcher Straftaten regi- aller demokratischen Parteien erreicht hätten. striert. (Beifall bei der CDU/CSU — Zustimmung bei Die Schamröte steigt mir ins Gesicht, wenn ich aus der F.D.P.) der Presse erfahren muß, daß sich sogar viele Juden in Deutschland erneut vom wachsenden Rechtsextre- Die Zeit des Taktierens und Lavierens ist vorbei. mismus so verunsichert fühlen, daß sie überlegen, Entschlossenes und vor allem gemeinsames Handeln nach Israel auszuwandern. ist das Gebot der Stunde. Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 128. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1992 11071

Meinrad Belle Ich bitte Sie, unserem Entschließungsantrag zuzu- nistischen Eigentumsschändung voll und ganz stimmen. erlegen. Der sogenannte Rechtsstaat — Bundes- Vielen Dank. republik Deutschland — versagt kläglich. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Ich darf weiter aus dem B rief zitieren: Inkonsequenz und Beschwichtigung helfen der Vizepräsidentin Renate Schmidt: Nun hat der Kol- alten Nomenklatura und richten sich vor allem lege Ortwin Lowack das Wo rt. gegen die CDU. Wer ist eigentlich deren Parteivorsitzender? — Ich Ortwin Lowack (fraktionslos): Frau Präsidentin! zitiere weiter: Meine Kolleginnen und Kollegen im Deutschen Bun- destag! Meine Damen und Herren! Eines der erschüt- Sehr geehrter Herr Bundeskanzler, in der Ex- terndsten Dokumente zur Situation in Deutschland ist DDR wurde der Raum Dresden früher ob man- das Interview mit sogenannten rechtsradikalen gelnder Möglichkeiten der umfassenden Kom- Jugendlichen in der letzten „Spiegel" -Ausgabe. Die munikation mit dem freien Teil Deutschlands Jugendlichen werden gefragt, was sie unter National- vom Volksmund als das „Tal der Ahnungslosen" sozialismus bzw. nationalen Jugendlichen verstehen, bezeichnet. Mittlerweile wird Bonn von den hier und sie antworten — ich zitiere —: in Mitteldeutschland lebenden Bürgern als im „Tal der Ahnungslosen" liegend bezeichnet. Volksverbundenheit, das Bestreben, das Beste für unser Volk zu erreichen ... zu einer Nation Ich zitiere weiter: gehören, in der zu leben sich lohnt! Die Geschundenen des SED-Regimes stehen fas- Sie werden weiter gefragt, was ihnen am bundes- sungslos ob des Geschehens wie gelähmt zwi- deutschen System mißfällt, und sie antworten: schen Schein und Wirklichkeit, während die In unserer Weltanschauung, die national und SED-Schergen in diesem Rechtsstaat ihre sozialistisch ist, haben ideelle Werte den Vorrang Pfründe in Sicherheit bringen. vor materiellen Werten. Diese Gesellschaft baut Ich zitiere weiter: dagegen fast ausschließlich auf materiellen Din- gen auf. Jeder ist bestrebt, sich Geld und damit Bilanzfälschungen gigantischen Ausmaßes wer- dicke Autos, Designerklamotten oder teure Woh- den staatlich abgesegnet und sanktioniert ... In nungen zu beschaffen. Das kann nicht so weiter- diesem Tollhaus, in dieser Orgie des Rechtsmiß- gehen und nicht der Sinn des Lebens sein. Kame- brauchs, der fortgesetzten Eigentumsmißachtung radschaft und Zusammengehörigkeit sind uns gedeihen Kräfte, die der Gesellschaft zum Ver- dagegen wichtiger. hängnis werden können. Ich werte diese Antworten vor allem auch als den (Freimut Duve [SPD]: Wie alt war der Schrei Aufschrei einer alleingelassenen, idealistisch orien- ber dieses Briefes, Herr Lowack?) tierten Jugend in Deutschland, die keinerlei Antwort aus der Politik, erst recht nicht von unseren verant- — Er ist vom 18. August dieses Jahres. wortlichen Spitzenpolitikern erhält. (Freimut Duve [SPD]: Nein, das Alter des Wenn ein sogenanntes rechtsradikales Mädchen Schreibers — weil Sie ja über Jugendliche sagt, es dürfe doch nicht sein — ich zitiere — sprechen!) daß Leute sich Kinder nicht mehr leisten kön- Die Zerstörung des Rechts im Inneren, aber leider nen, - auch im Äußeren — ich frage hier noch einmal: wie das bei uns durch die Diskriminierung der Familie Weshalb wurde den eigenen Menschen, den Heimat- üblich sei, so frage ich, wer hier eigentlich verrückt vertriebenen, nicht mehr zu ihrem Recht verholfen, als oder radikal ist: der junge Mensch, der diese völlig es notwendig war? —, die Stigmatisierung von natürliche Auffassung vertritt, oder eine Politik, die Jugendlichen, die für eine Vergangenheit, an der sie diesen Zustand herbeigeführt hat und die Menschen nicht beteiligt waren, nur deshalb haftbar gemacht ideell ihrem Schicksal überläßt. werden, weil sie Deutsche sind, haben den Boden für Pluralismus, hinter dem wir natürlich politisch ste- etwas bereitet, was wir alle zu Recht ablehnen. hen, heißt doch nicht die völlige geistige Leere in den Die Tatsache, daß linke Chaoten über Jahrzehnte Köpfen der Politiker, die Menschen beeinflussen öffentlich Straftaten begehen konnten, daß sie die könnten. Es darf auch nicht so sein. Demokratie herausgefordert haben, ohne daß die Ich möchte aus einem anderen Brief zitieren, den Demokratie in der Lage war, zu antworten, hat ent- ein engagiertes CDU-Mitglied schon vor etlichen scheidend dazu beigetragen, daß hier ein Umfeld Monaten an den Bundeskanzler geschickt hat. Es entstanden ist, das sie heute beklagen. heißt hier: Der Bundeskanzler hat es ja heute gebracht: die Die Bundesregierung ist aus Unkenntnis der sechs Millionen Straftaten, die dieses Jahr registriert historischen Gegebenheiten, in Unkenntnis der werden. Ich freue mich darüber, daß er das ausgespro- strategischen Zielsetzung der perversen men- chen hat. Aber es kommt noch mehr dazu: die Krimi- schenverachtenden kommunistischen Ideologie, nalisierung in den neuen Bundesländern. Beides fällt aus Verstrickung mit dem System der modrow doch in seine Regierungszeit. Das zu beklagen, ohne schen Strategie der Restauration kommunisti- zu sagen, was man tut, ist das, was wir ihm vorwerfen scher Missetaten und insbesondere der kommu- müssen. 11072 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 128. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1992

Ortwin Lowack Täuschen Sie sich nicht: Mit repressiven Mitteln und nicht durch einen B rief an einen Kollegen und allein werden sie das Problem nicht in den Griff durch eine Mitteilung darüber durch den Kollegen bekommen. Sie brauchen Vorbild und geistige Füh- Lambsdorff. rung. Beides hat diese Bundesregierung bisher, besonders in diesen Bereichen, nicht gezeigt und (Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten [CDU/ nicht bewiesen. CSU]: Er war nicht an Nazi-Gräbern, sondern auf einem Friedhof!) (Beifall bei der SPD — [CDU/ CSU]: Sie brauchen gar nicht zu klat Vorgestern habe ich einen Brief des deutschen schen!) Generalkonsuls in Mailand erhalten. Er ist zuständig für den deutschen Soldatenfriedhof Costermano in Norditalien. Dort liegen seit 25 Jahren neben Kriegs- opfern drei Naziverbrecher — Henker der italieni- Vizepräsidentin Renate Schmidt: Als nächster schen Juden — begraben. Bis vor wenigen Wochen spricht der Kollege Siegf ried Vergin. waren die Namen dieser Verbrecher mit Billigung der Bundesregierung im Ehrenbuch des Ehrenfriedhofs verzeichnet. Siegfried Vergin (SPD): Verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Jüdische Der Generalkonsul schreibt — ich zitiere —: Gemeinde zu Berlin hat vor wenigen Tagen den (Dr. Otto Graf Lambsdorff meldet sich zu Grundstein für die Heinz-Galinski-Schule gelegt. einer Zwischenfrage) Dies ist ein Zeichen dafür, daß die jüdischen Bürger darauf vertrauen, daß sie und ihre Kinder auch in — Lassen Sie mich dies bitte abschließen. — Ich zitiere: Zukunft hier leben können. Noch ist ihr Glaube daran nicht verloren, aber er beginnt zu bröckeln, es begin- Mölln wäre, so glaube ich fest, nicht möglich nen die Zweifel. gewesen, wenn man in Costermano und an allzu Im Kommentar der „Allgemeinen Jüdischen Wo- vielen Punkten, an denen sich uns Deutschen das chenzeitung" vom 3. Dezember 1992 wird die konse- Problem unserer Vergangenheit stellt, wirklich quente Durchsetzung des staatlichen Gewaltmono- klar und entschieden Stellung bezogen hätte. pols zum Schutze aller Menschen in Deutschland Statt dessen: nichts als faule Kompromisse .. . gefordert. Es heißt, man müsse endlich gegen den Was in Deutschl and wieder aufbricht, das ist nicht Extremismus von rechts vorgehen, so wie man gegen normale Kriminalität. den Linksextremismus vorgegangen ist. Ich glaube, (Dr. Otto Graf Lambsdorff [F.D.P.]: Son wir sind uns einig, daß gerade die jüdischen Bürger dern?) unseres Landes dieses Recht der Kritik und dieser Einforderung haben. Das ist das Böse schlechthin, das Böse, das ein gutes Gewissen hat, wenn es Kinder ver- Es ist mir unverständlich, daß der Sprecher der brennt .. . Bundesregierung formulieren kann — ich zitiere —: „Bei allem Verständnis für die Sorge Israels über Er schreibt weiter: neonazistische Erscheinungen in Deutschl and . " ... es ist ein Irrtum, zu glauben, man könne dem Wie sollen junge Menschen aus unserer Geschichte Teufel den kleinen Finger geben, und er werde lernen, wenn sich die Repräsentanten des Staates und sich damit begnügen. ihre Sprecher derart unsensibel äußern? Meine Damen und Herren, viel zu viele in Deutsch- (Beifall bei der SPD) - land haben dem Teufel den kleinen Finger gegeben Der Kanzler hat heute gesagt, dies sei nicht die und tun es noch heute. Zu lange haben viele wegge- Stunde der Schuldzuweisung. Aber die Stunde der sehen und weggehört. Wir müssen jetzt handeln, Betroffenheit und des Handelns sollte es sein. Leider schnell und effektiv. gibt es Belege für die Art des Fehlverhaltens, an die Die Probleme, mit denen wir fertig werden müssen, ich doch erinnern will: sind längst keine Randerscheinungen einer intakten Der Kanzler trifft persönlich Kurt Waldheim, aber Gesellschaft mehr. Die interdisziplinäre Zusammen- Ralph Giordano läßt er antworten, daß er dessen arbeit von Politik, Wissenschaft und Praxis muß die Beschuldigungen wegen der Untätigkeit der Regie- Grundlage für unser Handeln sein. Wir können es uns rung als „unerträglich" zurückweise. nicht mehr leisten, einzeln vor uns hin zu denken. Sehr Der Kanzler erweist persönlich Gräbern von Nazis schnell muß eine tragfähige Basis für das wirkungs- in die Ehre, volle Vorgehen gegen Gewalt und die menschenver- achtenden Ideologien geschaffen werden. Wichtig ist (Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten [CDU/ dabei, daß nicht nur das staatliche Gewaltmonopol im CSU]: Ach, ach, also jetzt hören Sie doch Blick ist, sondern genauso die staatliche Prävention auf!) und Therapie. aber hat bis heute das böse Wort vom Beileidstouris- Meine Damen und Herren, hierbei kommt der mus nicht zurücknehmen lassen. — Herr Bohl, ich bin Bildungspolitik eine besondere Verantwortung zu. Es der Auffassung, daß dies öffentlich geschehen muß ist gut, daß die Bundesregierung heute hier erklärt (Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten [CDU/ hat, sie habe Maßnahmen in dem Bereich ergriffen. Es CSU]: Hat er doch erklärt! — Weitere Zurufe wäre gut, Herr Bundesminister, wenn Sie die dafür von der CDU/CSU und der F.D.P.) zuständigen Ausschüsse darüber unterrichteten, da- Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 128. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1992 11073

Siegfried Vergin mit auch wir unsere Erfahrungen dort noch einbringen ist die Methode. Gegen diese Methode werden wir können. uns wehren. Aber wir brauchen auch Sensibilität und Die schlimme Fehlentscheidung, die im Zusammen- müssen dann diese Anmerkungen zum Aufmerksam hang mit der Haushaltsberatung im Bereich der poli- Sein für Jugendliche und für deren Alleingelassen tischen Bildung getroffen wurde, ist von mir scharf zu Sein ernst nehmen. kritisieren. Ich hoffe, daß dies im Nachtragshaushalt Danke. geheilt wird; denn wer in diesem und in anderen (Beifall bei der SPD und der PDS/Linke Bereichen spart, baut sich einen bald nicht mehr Liste) finanzierbaren gesellschaftlichen Reparaturladen auf. Dem müssen wir entgegentreten. Der Kollege Meine Redezeit ist abgelaufen. Zum Schluß möchte Vizepräsidentin Renate Schmidt: Lowack hat das Recht, selbst eine abschließende ich den Wunsch zum Ausdruck bringen, daß die Kurzintervention dazu zu machen. Sie haben das Jüdische Gemeinde zu Berlin ihre Schule beziehen Wort, Herr Kollege Lowack. kann, ohne sich eines Tages fragen zu müssen, ob es nicht besser gewesen wäre, diese Schule in einem anderen Land zu bauen. Helfen wir alle mit, daß dieser Ortwin Lowack (fraktionslos): Ich kann mich sehr Wunsch erfüllt werden kann! kurz fassen. (Beifall bei der SPD und der PDS/Linke Erstens. Herr Kollege Duve, Sie sind völlig falsch Liste) informiert. Zweitens. Was ich hier vortrage, trage ich unter Vizepräsidentin Renate Schmidt: Jetzt zwei Kurzin- Berufung auf mein Gewissen als Abgeordneter vor. terventionen, eine vom Kollegen Graf Lambsdorff und Nichts anderes. eine vom Kollegen Duve. Vizepräsidentin Renate Schmidt: Jetzt hat der Kol- Dr. Otto Graf Lambsdorff (F.D.P.): Frau Präsidentin! lege Burkhard Hirsch das Wort. Ich wollte dem Kollegen, der eine öffentliche Erklä- rung gefordert hat, nur sagen, daß ich die gerade Dr. Burkhard Hirsch (F.D.P.): Herr Kollege Lowack, vorhin hier abgegeben habe. Man kann ja der Mei- es ist Ihnen unbenommen, zu sagen, was Sie für richtig nung sein, daß wir im Bundestag, zumal im Plenarsaal, halten; aber inhaltlich muß m an der Kritik des Kolle- unter Ausschluß der Öffentlichkeit sprechen. Falls Sie gen Duve zustimmen. dieser Auffassung sind, verstehe ich Ihr weiteres Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Anmahnen. Es war aber öffentlich. Herren! Wenn man am Ende einer Debatte spricht, tut (Siegfried Vergin [SPD]: Sie sind doch nicht man gut daran, den Journalisten mitzuteilen, daß auch die Bundesregierung!) das geschriebene Wort gilt, und sich im übrigen auf wenige Bemerkungen zu beschränken. Vizepräsidentin Renate Schmidt: Nun eine Kurzin- (Freimut Duve [SPD]: Weil man die Neu- tervention auf den Kollegen Lowack vom Kollegen gierde der Journalisten voraussetzt!) Duve. Was in den letzten Wochen und Monaten in Deutschland geschehen ist, schädigt nicht nur unser Freimut Duve (SPD): Herr Kollege Lowack, ich Ansehen in der Welt. Die Verbrechen gegen Auslän- möchte auf Ihre kurze Rede antworten. — Sie haben in der, Brandfackeln gegen Flüchtlinge, Haß gegen alles den ersten zwei, drei Minuten Ihrer Rede mit richtigen - Fremde sind auch dann aufs schärfste zu verurteilen, Formulierungen durchaus eindrucksvoll die alleinge- wenn niemand außerhalb Deutschlands sie zur Kennt- lassene Jugend angesprochen. Sie haben dann im nis nähme. zweiten Drittel Ihrer Rede dieses Eingehen auf die Jugend in einer boshaften Weise zu allgemeinen, fast (Beifall bei der F.D.P., der CDU/CSU und der rattenfängerischen Pauschalangriffen auf die Bundes- SPD) republik, auf politische Vorgänge verschiedenster Gewalt gegen Minderheiten, ihre sprachliche Ver- Art, benutzt. niedlichung mit den Worten „aufklatschen" oder Ich habe mich gemeldet, um klarzumachen, in „abfackeln", der Versuch, Fremde zu Sündenböcken welcher Weise — Sie streben, wie ich höre, ja an, zu für eigene Probleme zu machen, verstößt gegen die den Republikanern zu gehen — hier argumentiert demokratische Kultur unseres Landes, gegen unsere wird, und zwar mit einer Sensibilität, die ich Ihnen Verfassung und gefährdet unsere Zukunft. persönlich abnehme, die ich von Ihnen kenne, die (Beifall bei der F.D.P. und des Abg. Dr. Uwe aber vermischt wird mit einem Pauschalangriff, zu Küster [SPD]) dem Sie die Jugendlichen, die Sie eben noch bemit- Ich möchte ein Wort an die schweigenden Mehrhei- leidet haben, sozusagen mit heranziehen wollen. Ich ten richten, die aufhören zu schweigen. Es ist in der will das, was Sie im einzelnen gesagt haben, gar nicht Tat richtig, daß man den Schutz unserer Verfassung bewerten. Das wird ja aus dem Protokoll hervorge- dem Staat nicht wie einem Dienstleistungsunterneh- hen. men übertragen kann, sich selber auf die Ränge setzt Ich will uns alle hier nur darauf aufmerksam und zusieht, wie die Herren da unten herumturnen. machen: Sensibilität, Jugendliche auch begeistern Darum ist es ein ermutigendes Zeichen, das immer können, auf der einen Seite und dann mit ihnen mehr Mitbürger für Tolerenz, für Demokratie, für die gemeinsam gegen Bonn auf der anderen Seite — das Integration und für das friedliche Zusammenleben mit 11074 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 128. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1992

Dr. Burkhard Hirsch Ausländern, für Menschenwürde auf die Straße gehen auf Drucksache 12/3968. Wer stimmt für diesen Ent- und demonstrieren, um unsere Demokratie zu erhal- schließungsantrag? — Gegenprobe! — Enthaltungen? ten. Darum brauchen wir unseren Staat und unsere — Damit ist dieser Entschließungsantrag bei vielen Gesellschaft nicht in eine waffenstarrende Festung zu Enthaltungen einstimmig angenommen. verwandeln, sondern können auch Vertrauen darauf Wir kommen nun zur Abstimmung über den Ent- setzen, daß die sonst so schweigsame Mehrheit schließungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksa- erkennt, in welcher Gefahr wir uns alle befinden, che 12/3952. Wer stimmt für diesen Entschließungs- wenn diese Mehrheit nicht erkennbar Partei ergreift antrag? — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Damit ist für Toleranz und für die Weltoffenheit, die wir uns in dieser Entschließungsantrag abgelehnt. den über 40 Jahren, die die Bundesrepublik besteht, Es ist beantragt worden, den Entschließungsantrag erkämpft haben. der Gruppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN auf Drucksa- Der Staat muß das Gesetz durchsetzen. Wenn die che 12/3954 zu überweisen, und zwar zur federfüh- Polizei dazu nicht in allen Bundesländern stark genug renden Beratung an den Ältestenrat und zur Mitbera- ist, muß sie mobiler werden und ihre Zusammenarbeit tung an den Innenausschuß. Sind Sie damit einver- verbessern. Zum Verfassungsschutz sagen wir, daß standen? — Dies ist der Fall. Dann ist die Überweisung die neuen Bundesländer, aber auch andere, bei ihrer so beschlossen. Gesetzgebung daran denken mögen, daß wir im Deutschen Bundestag mit breiter Mehrheit ein Gesetz Nun rufe ich Tagesordnungspunkt 2 auf: in der Erwartung verabschiedet haben, daß es für andere ein Muster wird, weil nur so die notwendige Fragestunde Zusammenarbeit erreicht werden kann. — Drucksache 12/3921 — Der Justiz sagen wir: Es kann nicht länger angehen, (Vorsitz: Vizepräsident Hans Klein) daß Rockgruppen in Liedern davon singen, man möge nicht die Zeit, sondern die Juden totschlagen, und Vizepräsident Hans Klein: Ich rufe den Geschäftsbe- man möge Türken aufhängen, und nichts geschieht. reich des Bundesministers der Verteidigung auf. Zur Wenn das nicht Volksverhetzung ist, dann weiß ich Beantwortung der Fragen steht uns der Parlamentari- nicht, was dieses Wort sonst für eine Bedeutung haben sche Staatssekretär Be rnd Wilz zur Verfügung. soll. Ich rufe die Frage 3 des Kollegen Koppelin auf. — (Beifall bei der F.D.P., der CDU/CSU und der Der Fragesteller ist nicht im Raum. Es wird verfahren, SPD) wie in der Geschäftsordnung vorgesehen. Die letzte Bemerkung muß ich an die Politik, an uns Wir kommen zur Frage 4 des Abgeordneten Wal- selber, richten. Wir dürfen uns nicht damit begnügen, low: nur die Symptome zu bekämpfen und nicht auch die Welche Bedrohungsanalyse liegt den konzeptionellen Anfor- Ursachen. Zu den Ursachen gehören sowohl fehlende derungen des von Bundesminister Volker Rühe geforderten Jugendarbeit in Schulen und Familie als auch unbe- Kampf-Jet (Projekt NEFA) zugrunde? wältigte Sorgen um Arbeitsplatz und Wohnung. Vor- Herr Parlamentarischer Staatssekretär, Sie haben urteile und fehlende verantwortliche Erziehung sind das Wort zur Beantwortung. der Nährboden für Aggressivität und Gewalt und für Rassismus. Dafür sind nicht nur die Politik und die Bernd Wilz, Parl. Staatssekretär beim Bundesmini- Politiker verantwortlich, aber auch. ster der Verteidigung: Herr Präsident! Ich antworte Ich habe schon einmal bei einer Debatte über das wie folgt: Die konzeptionellen Anforderungen basie- Asylrecht darauf hingewiesen, daß auch die Art unse- ren auf einer Studie der Generalstabschefs von Italien, rer Auseinandersetzung und die dabei gewählte Spra- Spanien, Großbritannien und Deutschland. Darin che eine der Ursachen dafür ist, daß Ausländer im werden die militärischen Anforderungen an ein neues Bewußtsein vieler unserer Mitbürger zu Südenböcken europäisches Jagdflugzeug aus einer in drei Schritten gestempelt werden. durchgeführten Analyse abgeleitet. (Detlev von Larcher [SPD]: Das ist wahr!) Erstens. In einer umfassenden militärpolitischen und -strategischen Lagebeurteilung wird die grundle- Jeder bösen Tat gehen böse Worte voraus. Auch diese gend veränderte sicherheitspolitische Situation analy- Mitverantwortung darf nicht länger verdrängt und siert. sollte nicht länger geleugnet werden. Wir sollten den Zweitens. Darauf aufbauend, wird eine detaillie rte Versuch unternehmen, bei den politischen Auseinan- Beurteilung des operationellen Umfelds eines künfti- dersetzungen auch in Kernfragen unserer Politik gen Jagdflugzeugs vorgenommen. Dabei wird von gegenseitig die Toleranz zu üben, die wir von unseren einer voraussichtlich deutlich verlangsamten techno- Bürgern verlangen. logischen Entwicklung von Luft- und Luftverteidi- (Beifall bei der F.D.P., der CDU/CSU und der gungsstreitkräften ausgegangen. Der möglichen Ent- SPD) wicklung und Proliferation moderner Waffensysteme wird dabei Rechnung getragen. Drittens. Schließlich werden die Konsequenzen der Vizepräsidentin Renate Schmidt: Weitere Wortmel- neuen sicherheitspolitischen Lage für das Konzept der dungen liegen nicht vor. Ich schließe die Ausspra- künftigen Luftverteidigung herausgearbeitet. Die che. Rolle und die Aufgaben von Jagdflugzeugen werden Wir kommen zur Abstimmung über den Entschlie- unter Berücksichtigung der anderen Komponenten im ßungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. Luftverteidigungssystem dargelegt. Die Studie bein- Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 128. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1992 11075

Parl. Staatssekretär Bernd Wilz haltet keine Bedrohungsanalyse, da sie nicht von Ich habe im Moment noch keinen abschließenden konkreten Szenarien ausgeht. Vielmehr werden aus Bericht von Bundesverteidigungsminister Volker potentiellen Risikoursachen und -formen nachvoll- Rühe erhalten. Er wird aber heute nachmittag eintref- ziehbare Schlüsse für eine angemessene Sicherheits- fen. Ab morgen können Sie einen entsprechenden vorsorge im Rahmen der künftigen Luftverteidigung Bericht bekommen. gezogen. Alle drei Abschnitte der Studie, Lagebeurteilung, Vizepräsident Hans Klein: Der Kollege Dr. Klejd- operationelles Umfeld und konzeptionelle Konse- zinki möchte eine weitere Zusatzfrage stellen. quenzen, werden von den Generalstabschefs der vier beteiligten Nationen einvernehmlich beurteilt. Dr. Karl-Heinz Klejdzinski (SPD): Herr Staatssekre- tär, da dieses Waffenprojekt lediglich auf einer Studie beruht, frage ich Sie, ob Sie mit mir darin übereinstim- Zusatzfrage, Herr Kol- Vizepräsident Hans Klein: men, daß dieser Umstand — insbesondere wenn man lege Wallow. darauf abstellt, was man mit diesem Projekt erreichen will — ein äußerst schwaches Argument ist. Hans Wallow (SPD): Herr Staatssekretär, ich habe das Gefühl, daß Sie mich gezielt mißverstanden Bernd Wilz, Parl. Staatssekretär: Verehrter Herr haben. Ich wollte keine formale Darstellung des Kollege, Sie wissen sehr genau, daß dieses Projekt Ablaufs, sondern eine inhaltliche Projektion. Das nicht nur auf einer Studie beruht, sondern daß Militär zeichnete sich ja früher dadurch aus, daß es uns zunächst einmal ein neues Jagdflugzeug entwickelt sehr genau sagen konnte, wo der böse Feind mit der worden ist, und zwar auf Grund einer ganz konkreten entsprechenden Bewaffnung steht. Daraufhin erfolgte Bedrohungsanalyse. Diese Bedrohungsanalyse ist eine Ziel-Mittel-Beurteilung. Gott sei Dank insofern nicht mehr zutreffend, als es keinen Warschauer Pakt mehr gibt. Insofern konnten Vizepräsident Hans Klein: Herr Kollege Wallow, Verbesserungen und Modifizierungen berücksichtigt unsere Geschäftsordnung sieht vor, daß in der Frage- werden. Dennoch müssen die Generalstabschefs, stunde Fragen gestellt und keine größeren Darlegun- wenn sie zu einer übereinstimmenden Bewertung gen gemacht werden sollen. kommen wollen, dies auch schriftlich niederlegen. Zu diesem Zweck ist zunächst eine Studie angefertigt Hans Wallow (SPD): Meine Frage ist nur verständ- worden. Die militärischen Anforderungen werden lich, wenn ich zwei Sätze vorwegschicke, Herr Präsi- noch sehr genau konkretisiert, und diese Konkretisie- dent. rung wird auch schriftlich vorgelegt. Ich frage Sie noch einmal: Welche Eigenschaften muß ein solches Flugzeug haben? Vizepräsident Hans Klein: Die nächste Zusatzfrage stellt der Kollege von Larcher. Bernd Wilz, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, vom „bösen Feind" haben wir nie gesprochen. Detlev von Larcher (SPD): Herr Staatssekretär, ist es denn so abwegig, die Schlußfolgerungen zu ziehen, (Hans Wallow [SPD]: Aber ich!) daß wenn es doch keine Bedrohungsanalyse gibt — — Das ist ja Ihr gutes Recht. — Wir haben in der Vergangenheit von einem potentiellen Gegner (Zuruf von der SPD: Es gibt doch eine! Das gesprochen. hat er doch gerade gesagt!) Im übrigen habe ich soeben auf Ihre Frage hin Er hat gesagt, es wurde auf Grund der damaligen ausgeführt, daß wir nicht von einer konkreten Bedro- Bedrohungsanalyse geplant, die Bedrohung sei hungsanalyse ausgehen, sondern zu Risikovorsorge jedoch weggefallen. Ist es dann abwegig, zu sagen: Da treffen haben. Im Hinblick auf diese Risikovorsorge es keine Bedrohung mehr gibt, muß man auch keinen werden militärische Anforderungen formuliert und neuen Jäger bauen. definiert. Diese Anforderungen sind gerade von den vier betroffenen Generalstabschefs neu formuliert Bernd Wilz, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, dies worden. Heute reden die vier betroffenen Verteidi- ist in der Tat abwegig, denn was sich geändert hat, ist, gungsminister genau über dieses Thema. Wenn sich daß wir in der Tat keine konkrete Bedrohung mehr die vier Minister verständigt haben, dann werden wir haben. Ich habe aber soeben sehr klar gesagt, daß wir damit auch an die Öffentlichkeit gehen. Risikovorsorge zu treffen haben. Sie können ferner nicht ausschließen, daß es in Europa — siehe das Vizepräsident Hans Klein: Zweite Zusatzfrage. ehemalige Jugoslawien — zu lokalen oder regiona- len Konflikten kommen kann und daß solche Kon- Hans Wallow (SPD): Vorhin kam in den Nachrich- flikte überschwappen könnten. Sie können nicht aus- ten, daß sich die beteiligten Länder geeinigt hätten, schließen, daß an den Rändern von Europa oder an dieses Flugzeug ohne Eigenschaften zu bauen. Trifft den Rändern des NATO-Gebiets irgendwelche das zu? Angriffshandlungen vorgenommen werden. Insofern ist es zwingend notwendig, daß wir vertei- Bernd Wilz, Parl. Staatssekretär: Zunächst einmal digungsfähig bleiben. Wer verteidigungsfähig blei- hat jedes Flugzeug Eigenschaften. Auch jedes künftig ben will und muß, muß natürlich auch eine Luftwaffe zu bauende Flugzeug wird Eigenschaften haben. besitzen. Dann braucht er zum Zwecke der Luftvertei- (Manfred Richter [Bremerhaven] [F.D.P.]: digung auch Jagdflugzeuge, und diese müssen z. B. Flugeigenschaften!) bestimmte Eigenschaften haben. 11076 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 128. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1992

Vizepräsident Hans Klein: Keine weiteren Zusatz- dazu genommen habe. Beispielsweise das behauptete fragen. Angebot, unter bestimmten Bedingungen eine Öff- Ich danke Ihnen, Herr Parlamentarischer Staatsse- nung der Mauer vorzusehen, hat es nicht gegeben. kretär. Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundeskanzlers Vizepräsident Hans Klein: Zweite Zusatzfrage. und des Bundeskanzleramts auf. Zur Beantwortung der Fragen ist der Staatsminister Anton Pfeifer Detlev von Larcher (SPD): War der damaligen erschienen. Bundesregierung bekannt, daß sich eine Fünfer- gruppe in der DDR, die aus Gerhard Schürer, Gerhard Ich rufe die Frage 14 des Herrn Abgeordneten Beil, Alexander Schalck-Golodkowski, Herta König Detlev von Larcher auf: und Werner Polze bestand, Überlegungen darüber Treffen Informationen der Zeitschrift „Wirtschafts-Woche" gemacht hat, im Tausch gegen die Übernahme der (Nr. 48 vom 20. November 1992 S. 34 ff.) zu, wonach 1986/87 durch eine „unter-der-Hand-Diplomatie" unter Mitwirkung des finanziellen Schwierigkeiten der DDR durch die Bun- damaligen Abteilungsleiters für Außen- und Sicherheitspolitik desregierung die Mauer zum Zeitpunkt des Besuchs im Bundeskanzleramt über die Anerkennung der DDR-Staats- von Erich Honecker in der Bundesrepublik zu öff- bürgerschaft und die Behebung der finanziellen Schwierigkei- nen? ten der DDR verhandelt und als Gegenleistung die Öffnung der Mauer angeboten wurde? Staatsminister: Herr Kollege, in wel- Bitte, Herr Staatsminister. Anton Pfeifer, chem Umfange der Bundesregierung Überlegungen Anton Pfeifer, Staatsminister beim Bundeskanzler: bekannt waren, die damals inte rn in der Regierung Herr Präsident! Herr Kollege von Larcher, ich wäre der DDR angestellt worden sind, müßte ich nachprü- dankbar, wenn ich die beiden von Ihnen eingereich- fen; das kann ich nicht aus dem Handgelenk sagen. ten Fragen wegen des Sachzusammenhangs zusam- men beantworten könnte. Vizepräsident Hans Klein: Dritte Zusatzfrage. (Detlev von Larcher [SPD]: Bitte schön!) Detlev von Larcher (SPD): Gab es Kontakte zur Bundesregierung mit dieser Gruppe oder mit Mittels- Der Fragesteller ist ein- Vizepräsident Hans Klein: männern dieser Gruppe? verstanden. Dann rufe ich auch Frage 15 des Herrn Abgeordneten Detlev von Larcher auf: Anton Pfeifer, Staatsminister: Nach meiner Kennt- Trifft es zu, daß diese Verhandlungen bereits vor dem Besuch nis in dem genannten Zusammenhang nicht. Honeckers in der Bundesrepublik Deutschland abgeschlossen waren und nur am Widerstand Honeckers gescheitert sind? Vizepräsident Hans Klein: Eine vierte Zusatzfrage Anton Pfeifer, Staatsminister: Herr Kollege von wird nicht gewünscht. Gibt es noch weitere Zusatzfra- Larcher, die in Ihren Fragen so bezeichnete „Unter- gen aus dem Kreis der Kolleginnen und Kollegen zu der-Hand-Diplomatie" unter Mitwirkung des damali- diesem Thema? — Das ist nicht der Fa ll. gen Abteilungsleiters für Außen- und Sicherheitspoli- Herr Staatsminister, ich danke Ihnen für die Beant- tik im Bundeskanzleramt hat es nicht gegeben. wortung der Frage. Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers Detlev von Larcher (SPD): War das die ganze der Justiz auf. Zur Beantwortung der Fragen steht uns Antwort? — Meine Fragen beziehen sich ja auf einen der Parlamentarische Staatssekretär Dr. Reinhard Artikel in der „Wirtschaftswoche". Darin wird auf ein Göhner zu Verfügung. Buch Bezug genommen, das vorgibt, wissenschaftli- chen Kriterien zu entsprechen. Die Informa tionen Ich rufe Frage 16 der Kollegin Renate Blank auf: gehen auf Gerhard Beil zurück, der bis Juni 1991 Welche Lösungswege faßt die Bundesregierung ins Auge, im Falle einer Aufhebung des Kontrahierungszwanges bei der Projektberater für die Sowjetunion im Krupp-Konzern Kfz-Versicherung — wie von der Koalitionsarbeitsgruppe De- war; er war vorher der Chef von Schalck-Golod- regulierung gefordert — sicherzustellen, daß jeder Verkehrsteil- kowski. nehmer einen ausreichenden Versicherungsschutz erhalten kann? Vizepräsident Hans Klein: Herr Kollege, das geht Bitte, Herr Parlamentarischer Staatssekretär. nicht! Wir können in der Fragestunde keine Zeitungs- artikel vorlesen! Dr. Reinhard Göhner, Parl. Staatssekretär bei der (Detlev von Larcher [SPD]: Das tue ich ja Bundesministerin der Justiz: Frau Kollegin Blank, die nicht!) Deregulierung des europäischen Versicherungs- Sie können eine Frage stellen, aber Sie können sie markts zum 1. Juli 1994, die auf Grund der EG- nicht auf diese umfangreiche Weise begründen. Richtlinien zum Versicherungsrecht notwendig ge- worden ist, erfordert in der Tat auch eine Umgestal- Detlef von Larcher (SPD): Dieser Informant sagt, es tung des bisherigen Kontrahierungszwanges in der habe ein Angebot an die Bundesregierung gegeben, KFZ-Haftpflichtversicherung. Nach Wegfall der Be- wie ich es in der Frage formuliert habe. Ich frage Sie: dingungs- und Tarifgenehmigung in der Kfz-Haft- Gab es ein solches Angebot? An wen richtete es sich? pflichtversicherung zum 1. Juli 1994 stehen Inhalt und Mit wem ist über dieses Angebot gesprochen wor- Preis einer Kfz-Haftpflichtversicherung nicht von den? vornherein und allgemein bei Antragstellung fest. Vor einer etwaigen Abschaffung des Kontrahie- Anton Pfeifer, Staatsminister: Herr Kollege, ich rungszwanges wird aber zu berücksichtigen sein, daß denke, daß ich in meiner Antwort eindeutig Stellung grundsätzlich jedem Autofahrer der Abschluß einer Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 128. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1992 11077

Parl. Staatssekretär Dr. Reinhard Göhner Kfz-Haftpflichtversicherung auch in Zukunft möglich Ich rufe dann die Frage 17 auf, die die Frau Kollegin sein und bleiben muß. Es kann nicht hingenommen Dr. Margret Funke-Schmitt-Rink gestellt hat: werden, daß bestimmte Gruppen von Versicherungs- Wie viele Ermittlungsverfahren laufen seit Jahresbeginn nehmern mit hohem Risiko in Zukunft Schwierigkei- gegen Personen aus der rechtsradikalen/rechtsextremen Szene ten haben, in Deutschl and einen Versicherer zu fin- (aufgeschlüsselt nach Alter, Geschlecht, Bildungs- und Ausbil- dungsabschlüsse, Erwerbstätigkeit bzw. Arbeitslosigkeit, Vor- den. Deshalb haben DIHT, BDI und ADAC zu Recht strafen der Tatverdächtigen), und um welche Tatbestände ernste Bedenken gegen den Wegfall des Kontrahie- handelt es sich im einzelnen? rungszwanges angemeldet. Es wird zu prüfen sein, ob der Kontrahierungszwang Dr. Reinhard Göhner, Parl. Staatssekretär: Verehrte in einer abgeschwächten Weise dergestalt beizube- Frau Kollegin, wir müssen Ihnen leider mitteilen, daß halten ist, daß die Versicherer, wenn sie einen Antrag vollständige Angaben über sämtliche Ermittlungsver- auf Abschluß einer Kfz-Haftpflichtversicherung zum fahren wegen rechtsradikaler/rechtsextremer Strafta- allgemeinen Unternehmenstarif wegen einer von ten aus dem laufenden Jahr noch nicht vorliegen. ihnen zu tragenden höheren Gefahr nicht abschließen Die Bundesregierung hat schon in der Fragestunde wollen, gehalten sind, ein wegen des erhöhten Risikos am 12. November 1992 Zahlen zu Verstößen gegen abweichendes verbindliches Angebot zu unterbrei- die §§ 86 und 86a StGB genannt. Auch die bezogen ten. Es ist dann Sache des Antragstellers, zu entschei- sich aber auf die Vorjahre. den, ob er ein solches Angebot annehmen oder sich an Es ist so, daß für einen umfassenden und systema- eine andere Versicherung wenden will. tischen Überblick über eingeleitete und abgeschlos- So könnte gewährleistet werden, daß in der Kfz sene Strafverfahren wegen rechtsextremistischer und Haftpflichtversicherung jedes Risiko einen Versiche- fremdenfeindlicher Straftaten zur Zeit im Gespräch rer findet, wenn auch natürlich zu teilweise deutlich mit den Ländern ein Meldeverfahren verabredet wird. höheren Prämien bei schlechteren Risiken. Ein entsprechender Fragebogen wird ausgearbeitet. Die Überlegungen sind noch nicht abgeschlossen. An Hand dieses Fragebogens sollen die Landesjustiz- Die zur Umsetzung der Versicherungsrichtlinien verwaltungen rückwirkend für das laufende Jahr 1992 erforderlichen Gesetzesänderungen werden gegen- und ab 1993 regelmäßig über entsprechende Verfah- wärtig vorbereitet. ren berichten. Ein spezieller Fragebogen dazu wird derzeit mit den Landesjustizverwaltungen erörtert. Es Vizepräsident Hans Klein: Eine Zusatzfrage, Frau kann keine Frage sein, daß wir schnellere und präzi- Kollegin. sere Angaben auf diesem Gebiet brauchen. Eine Zusatzfrage, Frau (CDU/CSU): Ist der Bundesregierung Vizepräsident Hans Klein: Renate Blank Kollegin. bekannt, daß es nach derzeitigem Recht ca. 400 000 bis 500 000 Autofahrer in der Bundesrepublik gibt, die (F.D.P.): Welche ohne Versicherungsschutz fahren? Daß Sie über Dr. Margret Funke-Schmitt-Rink Folgerung werden Sie ziehen, da m an davon ausge- Lösungsmöglichkeiten, die Sie aufgezeigt haben, noch einmal nachdenken werden, befriedigt mich hen kann, daß es sehr viele Ermittlungsverfahren sein werden? nicht. Dr. Reinhard Göhner, Parl. Staatssekretär: Die Fol- Dr. Reinhard Göhner, Parl. Staatssekretär: Frau gerung im Hinblick auf die Erfassung dieser Straftaten Kollegin, die Versicherungsrichtlinien sind zum 1. Juli wird sein, eine genauere Aufschlüsselung dieser 1994 umzusetzen. Die notwendigen gesetzlichen Straftaten zu bekommen. Denn die in Be tracht kom- Maßnahmen werden bis dahin durchzuführen- sein. menden Straftaten sollen ja auf die Motivation hin Überlegungen, eine Regelung zu finden, die bei einer gemeldet werden. Wenn Sie Gewalttaten, etwa Kör- Einschränkung oder Umgestaltung des Kontrahie- perverletzungen, danach einordnen wollen, ob sie rungszwanges gleichwohl für jeden Autofahrer die rechtsextremistisch sind, bedarf das besonderer Möglichkeit eröffnet, eine Haftpflichtversicherung zu Angaben. Darum bitten wir zur Zeit die entsprechen- bekommen, müssen natürlich Gegenstand eines sol- den Landesjustizverwaltungen. chen Gesetzgebungsverfahrens sein. Vizepräsident Hans Klein: Wird zu dieser Frage Vizepräsident Hans Klein: Zweite Zusatzfrage. noch eine Zusatzfrage gewünscht? — Das ist nicht der Fall. Renate Blank (CDU/CSU): Ist der Bundesregierung Dann rufe ich die Frage 18 auf, die der Kollege bekannt, daß es derzeit ca. 400 000 bis 500 000 Kraft- Dr. Michael Luther gestellt hat: fahrzeuge gibt, die nicht unter Versicherungsschutz Wann legt das Bundesministerium der Justiz das seit langem stehen? Diese Frage ist nicht beantwortet worden. versprochene 2. SED-Unrechtsbereinigungsgesetz vor? Bitte, Herr Parlamentarischer Staatssekretär. Dr. Reinhard Göhner, Parl. Staatssekretär: Ja. Frau Kollegin, die zuständigen Landesbehörden sind Dr. Reinhard Göhner, Parl. Staatssekretär: Herr darum bemüht, dieses strafbare Verhalten entspre- Kollege Luther, nach sehr umfänglichen rechtstat- chend zu ahnden und zu unterbinden. sächlichen Erhebungen und Vorarbeiten ist im Bun- desministerium der Justiz der Referentenentwurf Vizepräsident Hans Klein: Wird noch eine Zusatz- eines 2. SED-Unrechtsbereinigungsgesetzes erarbei- frage gewünscht? — Das ist nicht der Fall. tet worden. Das Gesetz soll, wie Sie wissen, die 11078 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 128. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1992

Parl. Staatssekretär Dr. Reinhard Göhner verwaltungsrechtliche und die berufliche Rehabilitie- Vizepräsident Hans Klein: Gibt es den Wunsch, dazu rung abschließend regeln. weitere Zusatzfragen zu stellen? — Der besteht Die Abstimmung mit den anderen Ressorts und mit nicht. den Ländern, insbesondere mit den neuen Ländern, Dann rufe ich die Frage 19 auf, die ebenfalls der konnte inzwischen weitgehend abgeschlossen wer- Kollege Dr. Michael Luther gestellt hat: den. Ich hoffe, daß die noch offenen Fragen rasch Wann legt das Bundesministerium der Justiz das dringend geklärt werden können und die Verabschiedung benötigte Sachenrechtsbereinigungsgesetz vor? eines Regierungsentwurfs durch das Bundeskabinett Bitte sehr. in Kürze möglich ist. Dr. Reinhard Göhner, Parl. Staatssekretär: Herr Vizepräsident Hans Klein: Eine Zusatzfrage, Herr Kollege Luther, auch für das in der Tat dringend Kollege. benötigte Sachenrechtsbereinigungsgesetz wird im Bundesministerium der Justiz mit Hochdruck an Dr. Michael Luther (CDU/CSU): Ich hatte die Frage einem Diskussionsentwurf gearbeitet, der zum Jah- deswegen gestellt, weil schon vor fast einem Jahr den reswechsel fertiggestellt und danach mit den Ländern Zwangsausgesiedelten gesagt wurde, daß ihre Fälle und den zahlreichen Verbänden erörtert werden soll. geklärt werden müßten, und zwar in diesem Gesetz. Die Ergebnisse der Besprechungen werden in einen Sehen auch Sie die Dringlichkeit, das relativ schnell Referentenentwurf einfließen, dessen Fertigstellung anzupacken? und Präsentation für März oder April kommenden Jahres ins Auge gefaßt ist. Vizepräsident Hans Klein: Herr Kollege, war das eine Frage oder nur die Begründung, warum Sie Ihre Vizepräsident Hans Klein: Eine Zusatzfrage? — Frage gestellt haben? Nein, auch nicht von anderen Kolleginnen oder Kol- Wir müssen langsam wieder zum Regelwerk kom- legen. Dann, Herr Parlamentarischer Staatssekretär, men: In der Fragestunde werden Fragen gestellt und, bedanke ich mich für die Beantwortung. wenn es geht, beantwortet. Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers der Finanzen auf. Zur Beantwortung steht uns der Dr. Michael Luther (CDU/CSU): Ich habe das sozu- Parlamentarische Staatssekretär Dr. Joachim Grüne- sagen mit Komma gesagt. Es war eine Frage. wald zur Verfügung. Die Fragen 20 und 21 des Abgeordneten Manfred Dr. Reinhard Göhner, Parl. Staatssekretär: Herr Kolbe sowie die Fragen 22 und 23 des Abgeordneten Kollege Luther, keine Frage: Auch wegen der Proble- Martin Grüner sollen schriftlich beantwortet werden. matik, die Sie angesprochen haben, ist das 2. SED Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt. Unrechtsbereinigungsgesetz dringend erforderlich. Ich rufe die Frage 24 des Kollegen Meckel auf. Er ist Nicht zuletzt wegen dieses Sachverhaltes gab es aber nicht im Saal. Somit wird bezüglich seiner Fragen 24 vorher sehr umfängliche Sachermittlungen. Wir und 25 nach der Geschäftsordnung verfahren. haben beim ersten Gesetz ja gesehen, daß die tatsäch- Die Fragen 26 und 27 der Abgeordneten Dr. Elke lichen Angaben, die man dazu braucht, um beispiels- Leonhard-Schmid, die Frage 28 des Abgeordneten weise präzise Kosten und Folgen klären zu können, Ortwin Lowack sowie die Fragen 29 und 30 des sehr umfangreich waren. Deshalb hat es, obwohl mit Abgeordneten Ernst Hinsken sollen ebenfalls schrift- Hochdruck daran gearbeitet worden ist, einige Zeit in lich beantwortet werden. Die Antworten werden als Anspruch genommen. Aber in Kürze werden wir Anlagen abgedruckt. diesen Gesetzentwurf vorlegen. - Es bleibt somit die Frage 31 des Kollegen Ottmar Schreiner: Vizepräsident Hans Klein: Herr Kollege Klejdzinski, eine Zusatzfrage, bitte. Teilt die Bundesregierung die Analyse des RWI und die Auffassung des Vorstandes der Bundesanstalt für Arbeit, daß bei der Finanzierung der deutschen Einheit eine erhebliche soziale Dr. Karl-Heinz Klejdzinski (SPD): Herr Staatssekre- Schieflage entstanden ist, weil Arbeiter und Angestellte weit tär, stimmen Sie mit mir darin überein, daß — soweit überdurchschnittlich, Beamte und Selbständige weit unter- mir bekannt — die materiellen Entschädigungen, die durchschnittlich belastet wurden? Sie vorgesehen haben, im Grunde genommen lächer- Herr Parlamentarischer Staatssekretär, ich bitte Sie liche Beträge sind? um Beantwortung.

Dr. Reinhard Göhner, Parl. Staatssekretär: Herr Dr. Joachim Grünewald, Parl. Staatssekretär beim Kollege Klejdzinski, wir werden auch mit diesem Bundesminister der Finanzen: Die Ergebnisse des RWI Gesetz sicher nicht in der Lage sein, das gesamte in können nicht bestätigt werden. der früheren DDR geschehene Unrecht wiedergutzu- Nach Modellrechnungen des Bundesministeriums machen. Das, worauf sich diese Gesetzgebung im der Finanzen deckt sich der Lastenanteil der einzel- Hinblick auf die verwaltungsrechtliche und berufliche nen Bevölkerungsgruppen weitgehend mit ihrem Rehabilitierung konzentriert, ist vor allem der Aus- Anteil am verfügbaren Einkommen. Sozialversiche- gleich fortbestehender Nachteile in diesem Bereich. rungspflichtige Arbeitnehmer tragen rechnerisch Wir müssen das in dem Bewußtsein tun, daß es uns einen Lastenanteil von rund 69 v. H., haben aber rund — ganz gleich, was wir machen werden — immer nur 67 v. H. des verfügbaren Einkommens. Selbständige gelingen wird, einen Teil des Unrechtes wiedergutzu- tragen rechnerisch rund 17 % der Lasten,. haben machen. dagegen rund 18 % des verfügbaren Einkommens. Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 128. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1992 11079

Parl. Staatssekretär Dr. Joachim Grünewald Beamte und Versorgungsempfänger tragen rechne- Dr. Joachim Grünewald, Parl. Staatssekretär: Die risch rund 14 % der Lasten, haben dagegen aber rund Bundesregierung hat sich, was die Frage nach mögli- 15 % des verfügbaren Einkommens. chen Einnahmeverbesserungen be trifft, noch nicht erklärt. Sie ist der Meinung, daß wir zunächst über alle Möglichkeiten der Konsolidierung über die Ausga- Eine Zusatzfrage, Herr Vizepräsident Hans Klein: benseite der öffentlichen Haushalte die Problemlö- Kollege Schreiner. sung angehen und gemeinsam zwischen Bund und Ländern den Transferbedarf für den Aufbau der Ottmar Schreiner (SPD): Herr Staatssekretär, wieso neuen Länder erst einmal festlegen müssen. Deswe- weicht die Bundesregierung bei der Beantwortung gen gibt es auch keine konkreten Vorstellungen etwa dieser Frage von dem bei Steuern üblichen Maßstab einer Wiederbelebung der Ergänzungsabgabe. ab, wonach die relative Belastung als Prozentanteil Die Vorstellungen des Sachverständigenrates, nach vom Einkommen für die Beurteilung der Verteilungs- denen Sie gefragt haben, weichen in diesem Einzel- wirkung maßgeblich ist? Das war auch der Gegen- punkt von den Vorstellungen der Bundesregierung stand der RWI-Untersuchungen, die nachzuweisen ab. Im übrigen sind, wie Sie wissen, in allen anderen versucht haben, daß der Arbeitnehmerhaushalt im Punkten der Sachverständigenrat und wir völlig einer Schnitt mit etwa 4 % belastet ist, während der Selb- Meinung, auch in dem Punkt, daß zunächst die ständigen- oder Beamtenhaushalt für die Finanzie- Konsolidierung über die Ausgabenseite der öffentli- rung der deutschen Einheit nur mit 1,5 % belastet chen Haushalte gesucht werden sollte. ist? Vizepräsident Hans Klein: Wünscht jemand dazu Dr. Joachim Grünewald, Parl. Staatssekretär: Ich eine Zusatzfrage zu stellen? — Dies ist nicht der Fall. durfte — ich glaube, es war eine Anfrage vom Kolle- Dann sind wir mit diesem Geschäftsbereich schon am gen Schröter — auf diese Studie des RWI schon näher Ende. Herr Parlamentarischer Staatssekretär, ich eingehen. Ich will das aber gern im Telegrammstil bedanke mich. wiederholen. Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers Den Ansatzpunkt der RWI-Studie teilen wir nicht. für Wirtschaft auf. Zur Beantwortung steht uns der Eine Vorbemerkung zur steuerlichen Situation: Parlamentarische Staatssekretär Dr. Heinrich Kolb zur 28,1 % der Lohn- und Einkommensteuerpflichtigen Verfügung. erbringen 71,8 % des Gesamtsteueraufkommens. Das Ich kann den Kollegen Dr. Protzner nicht entdek- ersehen Sie schon aus der Rubrik Steuereinnahmen. ken. Infolgedessen wird mit seinen Fragen 32 und 33 Im übrigen sind die Lasten auch durch Einsparungen nach der Geschäftsordnung verfahren. und Umschichtungen, die nicht zuzuordnen sind, und Dann rufe ich die Frage 34 der Kollegin Siegrun über eine erhöhte Nettokreditaufnahme, die die Steu- Klemmer auf: ifft und jedenfalls für die Zukunft auch erzahler be tr Welchen Umfang hat die für den Haushalt der WISMUT nicht ohne weiteres zuzuordnen ist, refinanziert. GmbH im kommenden Jahr gegenüber dem diesjährigen Haus- Jetzt zu dem Ansatz des RWI: Das RWI berechnet die halt geplante Streichung und bestätigt die Bundesregierung die Einschätzung, daß, angesichts der von ihr in ihrer Antwort auf Sozialversicherungsbeiträge zur Arbeitslosen- und eine Große Anfrage (Drucksache 12/3309, Vorbemerkung) zur Rentenversicherung in toto als Arbeitnehmeran- angegebenen 250 km 2 Verdachtsflächen, für die sie aus juristi- teil. Das ist falsch; denn Sie wissen ja, daß die hälftig schen Gründen die Haftung ablehnt, die für das nächste Jahr im getragen werden. Das RWI rechnet die Folgewirkun- WISMUT-Haushalt gestrichenen Summen in einem „Nothilfe- fonds Altlastensanierung" den Kommunen Ostdeutschlands zur gen aus der Verbrauchsteuererhöhung, etwa bei der Verfügung gestellt werden müssen, die andernfalls mit der Mineralölsteuer, in toto dem Arbeitnehmeranteil zu, Sanierung der auf ihren eigenen Liegenschaften befindlichen obgleich Sie wissen, daß wir gar nicht quantifizieren- Altlasten überfordert wären? können, in welchem Umfang sich das überhaupt in Bitte, Herr Parlamentarischer Staatssekretär, Sie Preisen niedergeschlagen hat und wie sich das aus- haben das Wort. wirkt. Daraus erklären sich die Differenzen zwischen dem RWI und unseren Berechnungen. Dr. Heinrich L. Kolb, Parl. Staatssekretär beim Ich wiederhole: Nach unserer Auffassung sind die Bundesminister für Wirtschaft: Frau Kollegin, ich sozioökonomischen Gruppen in etwa gleicher Weise beantworte Ihre Frage wie folgt: Der Bundeshaushalt belastet. 1992 sieht entsprechend dem Wirtschaftsplan der Wismut GmbH Ausgaben für Betrieb und Investitio- nen in Höhe von 968 Millionen DM vor. Insbesondere Eine weitere Zusatzfrage, Vizepräsident Hans Klein: infolge von Verzögerungen bei den Genehmigungs- Herr Kollege Schreiner. verfahren der zuständigen Landesbehörden wird die- ser Betrag aber nicht in voller Höhe abfließen. Der Ottmar Schreiner (SPD): Diese In-toto-Betrachtun- vom Deutschen Bundestag für das Jahr 1993 beschlos- gen sind wirklich völlig abwegig. sene Haushalt sieht demgegenüber nach Kürzung um Ich wollte Sie dennoch in Ruhe fragen, wie denn die 150 Millionen DM Mittel in Höhe von 774 Millionen Bundesregierung die Forderung des Sachverständi- DM vor. Der Differenzbetrag zum 1992er Ansatz liegt genrates und die Forderung der Arbeitgeberverbände somit bei 194 Millionen DM. nach einem Zuschlag von 7 % auf die Einkommen- Für die Schaffung eines Nothilfefonds „Altlasten- steuer und einer gleichzeitigen Absenkung des Bei- sanierung für uranbergbaulich bedingte Altlasten auf trages zur Bundesanstalt für Arbeit um 2 Prozent- Liegenschaften ostdeutscher Kommunen" sieht die punkte auf dann 4,5 % interpretiert. Bundesregierung derzeit keine Notwendigkeit. Un- 11080 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 128. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1992

Parl. Staatssekretär Dr. Heinrich L. Kolb beschadet der Rechtsauffassung der Bundesregie- Siegrun Klemmer (SPD): Habe ich Sie richtig ver- rung, wonach eine Haftung der Wismut GmbH in standen, Herr Staatssekretär, daß die Mittelkürzung diesen Fällen grundsätzlich nicht in Be tracht kommt, nicht zuletzt darauf zurückzuführen ist, daß die erscheint eine Bereitstellung entsprechender Mittel Genehmigungsverfahren in den beiden be troffenen derzeit auch deshalb nicht sinnvoll, weil laufende Ländern Sachsen und Thüringen nicht ordentlich oder Untersuchungen zur Ermittlung des hier bestehenden nicht in einem überschaubaren Zeitraum stattgefun- Sanierungsbedarfs noch nicht abgeschlossen sind. den haben? Das Projekt des Bundesamtes für Strahlenschutz „Radiologische Erfassung, Untersuchung und Bewer- Dr. Heinrich L. Kolb, Parl. Staatssekretär: Frau tung bergbaulicher Altlasten" ist auf einen Zeitraum Kollegin, ich vermag Ihre Einschätzung, was die bis 1996 angelegt. Nach dem Ergebnis der inzwischen Verfahren in den beiden in Rede stehenden neuen beendeten ersten Projektphase „Auswertung vorhan- Bundesländern anbelangt, nicht zu teilen. Ich kann dener Daten und Informationen" konnten die bisheri- nur feststellen, daß im Jahre 1992 Mittel in einer gen Verdachtsflächen von ca. 1 500 km2 auf Untersu- erheblichen Größenordnung nicht abgeflossen sind chungsgebiete in einer Größenordnung von insge- und daß daraufhin Ansätze im Bundeshaushalt 1993 samt ca. 250 km2 reduziert werden. Mit einer weiteren auch entsprechend angepaßt wurden. Reduzierung der Verdachtsflächen ist bei Fortgang der Arbeiten zu rechnen. Vizepräsident Hans Klein: Wünscht jemand, dazu noch eine Zusatzfrage zu stellen? — Das ist nicht der Aussagen über den Umfang erforderlicher Sanie- Fall. rungsmaßnahmen sind auf der derzeitigen Datenbasis jedoch ebenso wenig möglich wie fundierte Schätzun- Dann rufe ich die Frage 35 auf, die ebenfalls von der gen zu den dafür erforderlichen Kosten. Auch konnte Kollegin Klemmer gestellt wurde: bislang nicht bestätigt werden, daß über bereits Bestätigt die Bundesregierung die Angaben des Fernsehma- erfolgte Sicherungsvorkehrungen hinaus, z. B. Zu- gazins FAKT (Mittwoch, 11. November 1992, ARD 21.00 Uhr), denen zufolge die Bundesregierung keineswegs der Ansicht ist, gangsbeschränkungen, weitere kurzfristige Maßnah- daß die WISMUT für die weitere Förderung von Uran im men zur Gefahrenabwehr getroffen werden müssen. Bergbaugebiet Königstein die Unbedenklichkeit bezüglich Näheren Aufschluß hierüber werden erst die für 1993 möglicher Gefahren für das dortige Trinkwasserreservoir bewie- bis 1996 vorgesehenen vertieften Altlastenuntersu- sen habe und dennoch die WISMUT mit der Förderung von insgesamt 2 000 t Uran fortfahren will, die auf dem Weltmarkt chungen des genannten Projektes ergeben. verkauft werden sollen? Im übrigen können für Sanierungsmaßnahmen an Bitte, Herr Parlamentarischer Staatssekretär. uranbergbaulich belasteten Indust rie- und Gewerbe- flächen gegebenenfalls auch Mittel aus bundes- oder Dr. Heinrich L. Kolb, Parl. Staatssekretär: Frau landeseigenen Förderprogrammen in Anspruch ge- Kollegin, die möglicherweise aus bergsicherungs- nommen werden, soweit die jeweiligen Vorausset- technischen und ökologischen Gründen notwendige zungen gegeben sind. Fortführung des untertägigen In-situ-Laugungsberg- baus im Sanierungsgebiet Königstein der Wismut Vizepräsident Hans Klein: Eine Zusatzfrage, Frau GmbH ist Gegenstand eines derzeit anhängigen Kollegin. strahlenschutzrechtlichen Genehmigungsverfah- rens. Im Rahmen dieses Genehmigungsverfahrens Siegrun Klemmer (SPD): Herr Staatssekretär, könn- werden die Umweltauswirkungen insbesondere im ten Sie noch einmal ganz genau definieren, was in Hinblick auf den für die regionale Trinkwasserver- dem Zeitraum zwischen 1993 und 1996, in dem ja nach sorgung wichtigen dritten Grundwasserleiter einer Ihren Darstellungen noch genauere Untersuchungen vertieften Prüfung unterzogen. Die zuständige sächsi- über das, was denn nun wie saniert werden muß, sche Genehmigungsbehörde hat zu diesem Fragen- vorgenommen werden müssen, an Sanierungsmaß- kreis im Genehmigungsverfahren ein hydrogeologi- nahmen stattfinden wird und wie und in welcher Höhe sches Gutachten in Auftrag gegeben. Weitere Gutach- Sie sich die Finanzierung für diese vier Jahre vorstel- ten sind von der Antragstellerin Wismut GmbH vor- len? gelegt worden. Das strahlenschutzrechtliche Genehmigungsver- Dr. Heinrich L. Kolb, Parl. Staatssekretär: Frau fahren unterliegt der Aufsicht des Bundesumweltmi- Kollegin, zum einen ist festzustellen, daß — wie ich nisters, der seinerseits ebenfalls Fachberater hinzuge- dargestellt habe — in den Jahren 1993 bis 1996 zogen hat. Die Prüfungen dauern zur Zeit noch an. vertiefende Untersuchungen durchgeführt werden. Eine abschließende Bewertung kann erst im Rahmen Wir werden selbstverständlich nach dem jeweiligen der Entscheidung über den Genehmigungsantrag Fortschritt dieser Untersuchungen auch Maßnahmen, erfolgen. so sie geboten sein sollten, ergreifen. Zum anderen bitte ich um Verständnis, daß über Vizepräsident Hans Klein: Eine Zusatzfrage, bitte. den Haushalt 1993, der ja gerade erst vor anderthalb Wochen beschlossen wurde, noch keine Aussage Siegrun Klemmer (SPD): Ich möchte diese Zusatz- möglich ist, d. h. noch nicht gesagt werden kann, in frage eigentlich gar nicht als Zusatzfrage gewertet welchem Umfang in den Jahren 1994, 1995 und 1996 wissen, Herr Präsident, weil der wesentliche Teil Haushaltsmittel für Wismut zur Verfügung stehen meiner Frage von dem Herrn Staatssekretär nicht werden. beantwortet wurde. Die Frage war: Was hat es mit der beabsichtigten Vizepräsident Hans Klein: Die zweite Zusatzfrage. oder immer schon laufenden Förderung von Uran und Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 128. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1992 11081 Siegrun Klemmer seiner Vermarktung auf sich? Ich habe die Antwort Schreiner, zur Frage der Mittelaufbringung für die darauf vermißt oder überhört. aktive Arbeitsmarktpolitik aus Steuern weist die Bundesregierung darauf hin, daß der Bund bereits Dr. Heinrich L. Kolb, Parl. Staatssekretär: Sehr jetzt in erheblichem Umfang zur Finanzierung dieser geehrte Frau Kollegin, ich hatte eingangs meiner Leistungen beiträgt. Der Bund wird sich voraussicht- Antwort gesagt, daß derzeit ja ein strahlenschutz- lich in diesem Jahr an den Ausgaben der Bundesan- rechtliches Genehmigungsverfahren anhängig ist. Im stalt für Arbeit in einer Größenordnung von etwa übrigen hatte ich darauf hingewiesen, daß im Zusam- 13 Milliarden DM beteiligen. menhang mit diesem Verfahren derzeit Untersuchun- gen laufen, mithin abschließende Antworten noch Vizepräsident Hans Klein: Verzeihung, Herr Parla- nicht gegeben werden können. Sie müßten das mög- mentarischer Staatssekretär. Würden Sie freundli- licherweise konkretisieren. cherweise ein bißchen näher ans Mikrophon treten? (Staatsminister Helmut Schäfer: Das ist baye Vizepräsident Hans Klein: Die zweite Zusatzfrage. risch!)

Siegrun Klemmer (SPD): Können Sie ausschließen, Rudolf Kraus, Parl. Staatssekretär: Hinzu kommen daß zur Zeit Uran gefördert und auch vermarktet wird? Aufwendungen für das Vorruhestandsgeld in einer Können Sie — wenn Sie es nicht ausschließen — Größenordnung von 4,5 Milliarden DM 1992 sowie sagen, wohin, in welche Länder, und was passiert mit von rund 9 Milliarden DM für die Arbeitslosenhilfe, dem daraus gewonnenen Geld? die ausschließlich aus Bundesmitteln finanziert wird. Ab 1993 wird sich der Bund auch an den Aufwendun- Dr. Heinrich L. Kolb, Parl. Staatssekretär: Frau gen für das Altersübergangsgeld beteiligen. Kollegin, in bezug auf Ihre jetzt gestellte Frage liegen Darüber hinaus sind die beiden Mitte 1989 aufge- mir keine Erkenntnisse vor, ob gefördert wird, Uran legten Sonderprogramme der Bundesregierung zur mithin auch keine Erkenntnisse über eine mögliche Bekämpfung der Langzeitarbeitslosigkeit mit einem Vermarktung. Gesamtfinanzierungsvolumen von 3,33 Milliarden DM und das Gemeinschaftswerk Aufschwung Ost zu Vizepräsident Hans Klein: Eine Zusatzfrage, Dr. Klejdzinski. erwähnen, mit dem 1992 3 Milliarden DM für Arbeits- beschaffungsmaßnahmen aus Bundesmitteln zur Ver- fügung stehen. Dr. Karl-Heinz Klejdzinski (SPD): Herr Staatssekre- tär, habe ich Sie richtig verstanden, daß Sie im Ob es im Hinblick auf eine ausgewogene Lastenver- zuständigen Ministerium, wenn jemand behauptet, teilung einer Änderung der Finanzierungsgrundlagen daß 2 000 t Uran gefördert werden, davon nichts von Leistungen der Arbeitsmarktpolitik bedarf, ist wissen? eine Frage, die im Zusammenhang mit der Finanzie- rung der gesamten einigungsbedingten Lasten zu Dr. Heinrich L. Kolb, Parl. Staatssekretär: Sie haben sehen ist. Die Bundesregierung möchte gegenwärtig mich richtig verstanden, daß ich persönlich keine auch wegen der laufenden Gespräche zum Solidar Kenntnis davon habe. pakt hierzu nicht Stellung nehmen.

Vizepräsident Hans Klein: Gibt es weitere Zusatz- Vizepräsident Hans Klein: Eine Zusatzfrage, Herr fragen? — Das ist nicht der Fall. Kollege Schreiner. Für die Fragen 36, 37, 38, 39 und 40 ist um (SPD): Herr Staatssekretär, teilen schriftliche Beantwortung gebeten worden. Die Ant- Ottmar Schreiner - Sie die vor wenigen Minuten geäußerte Auffassung worten werden als Anlagen abgedruckt. Ihres Kollegen aus dem Bundesfinanzministerium, die Damit sind wir mit diesem Geschäftsbereich am Finanzierung der Einheitslasten sei sozial gerecht und Ende. Ich bedanke mich für die Beantwortung. ausgewogen? Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung auf. Zur Beantwortung Rudolf Kraus, Parl. Staatssekretär: Wenn der Kol- steht der Parlamentarische Staatssekretär Rudolf lege das gesagt hat, nehme ich an, daß er gute Gründe Kraus zur Verfügung. dazu hat. Die Fragen 41, 42, 43 und 44 werden schriftlich beantwortet. Ich darf vorab sagen, daß auch die Vizepräsident Hans Klein: Die zweite Zusatzfrage. Frage 46 schriftlich beantwortet werden soll. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt. Ottmar Schreiner (SPD): Teilen Sie denn die von Ihnen unterstellten guten Gründe? Der Kollege Schreiner rettet sozusagen die Ehre der Fragesteller. Ich rufe die Frage 45 des Kollegen Parl. Staatssekretär: Ich habe gute Schreiner auf: Rudolf Kraus, Gründe unterstellt. Ich bin der Meinung, daß er sicher Welche konkreten Vorstellungen hat die Bundesregierung im entsprechende Unterlagen zur Verfügung hat, um die Hinblick auf die vom Deutschen Bundestag aufgeworfene Frage, ob die Leistungen aktiver Arbeitsmarktpolitik für die neuen Untersuchungen zu untermauern, die er ausdrücklich Bundesländer nicht aus Steuermitteln oder einer Arbeitsmarkt- erwähnt hat. abgabe zu finanzieren sind? Ottmar Schreiner (SPD): Darf ich abschließend Rudolf Kraus, Parl. Staatssekretär beim Bundesmi- fragen, weil das ja eigentlich keine Zusatzfrage nister für Arbeit und Sozialordnung: Herr Kollege war? 11082 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 128. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1992

Vizepräsident Hans Klein: Eigentlich nicht, aber da Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers Sie der einzige in dieser Se rie sind, bitte. des Auswärtigen auf. Zur Beantwortung steht uns Staatsminister Helmut Schäfer zur Verfügung. Ottmar Schreiner (SPD): Herr Staatssekretär, kön- Ich rufe die Frage 64 des Abgeordneten Dr. Dietrich nen Sie mir denn sagen, welchen Sinn es gemacht Mahlo auf: haben soll, daß im Rahmen der Beratungen zur Worauf ist es zurückzuführen, daß die Eröffnung eines 10. Novelle des Arbeitsförderungsgesetzes die beiden Goethe-Institutes in Südafrika verzögert wird, bis dort eine Übergangsregierung im Amt ist, während eine große Zahl farbi- Koalitionsfraktionen CDU/CSU und F.D.P. diesem ger und weißer Südafrikaner darauf wartet, sich mit deutscher Haus einen Antrag vorgelegt haben — der dann auch Sprache und Kultur beschäftigen zu können? mehrheitlich beschlossen worden ist —, wonach aus- Bitte, Herr Kollege Schäfer. drücklich die Frage aufgeworfen wurde, ob es nicht sinnvoller wäre, die Finanzierung der Einheitslasten Staatsminister im Auswärtigen über eine Arbeitsmarktabgabe zu regeln, die zu mehr Helmut Schäfer, Amt: Herr Kollege, die Bundesregierung hat die sozialer Gerechtigkeit führen könnte, weil dann auch Absicht, allen interessierten Menschen in Südafrika, Selbständige und Beamte die Ch ance zur Solidarität insbesondere natürlich der schwarzen Bevölkerung hätten? — der Bevölkerungsmehrheit muß ich sagen —, mög- lichst bald durch die Eröffnung eines Goethe-Instituts Rudolf Kraus, Parl. Staatssekretär: Herr Schreiner, den Zugang zur deutschen Sprache und Kultur zu Sie wissen ganz genau, daß in den Koalitionsfraktio- ermöglichen. Wegen der schwierigen innenpoliti- nen, insbesondere aber in den Beratungen zum Soli- schen Situation im Land müssen die Rahmenbedin- darpakt diese Überlegungen natürlich eine ganz gungen für ein Tätigwerden des Goethe-Instituts große Rolle spielen. Sie wissen auch, daß in unserer allerdings durch eine Regierungsvereinbarung abge- Fraktion und in der Regierung überlegt worden ist, sichert sein, die von allen Bevölkerungsgruppen in welche verfassungsrechtlichen Bedingungen zu erfül- Südafrika mitgetragen wird. len sind. Das Ganze deutet darauf hin, daß m an sich Der Abschluß eines solchen Abkommens — eines darüber noch sehr intensiv unterhalten muß und allgemeinen Kulturabkommens und gegebenenfalls wird. einer Regierungsvereinbarung über den Austausch Wenn wir uns im Augenblick dazu sehr zurückhal- von Kulturinstituten — ist in der jetzigen Übergangs- tend äußern, bitte ich noch einmal um Verständnis. phase mit einer Regierung, die nur für die weiße Wir tun das deshalb, weil wir diese Gespräche, die wir Bevölkerung spricht, nicht angezeigt. für sehr wichtig halten, einfach nicht stören wollen. (Ottmar Schreiner [SPD]: Das Parlament Vizepräsident Hans Klein: Zusatzfrage, Herr Kol- kann doch nicht stören! Was ist das für ein lege Mahlo. Parlamentsverständnis?) Dr. Dietrich Mahlo (CDU/CSU): Herr Staatsminister Schäfer, ich habe Sie also richtig verstanden, daß die Vizepräsident Hans Klein: Herr Parlamentarischer Nichteröffnung eines Goethe-Instituts in Südafrika Staatssekretär, ich bedanke mich herzlich für die bisher nicht auf Rücksichtnahme oder auf Fragen der Beantwortung. Öffentlichkeitswirksamkeit in der Innenpolitik zu- Ich muß noch eine etwas unübliche Bemerkung rückzuführen ist? anfügen, weil Sie dort hinten das nicht hören konnten, ich aber wohl. Herr Staatsminister Schäfer hat eine - Helmut Schäfer, Staatsminister: Herr Kollege, abge- nicht allgemein hörbare Bemerkung über die Schön- sehen davon, daß die Nichteröffnung eines Goethe heit und den Wohlklang unserer bayerischen Mundart Instituts noch einen ganz anderen Grund hat, nämlich gemacht. den, daß der Haushaltsausschuß des Deutschen Bun- (Heiterkeit — Dr. Wolfgang Weng [Gerlin destages erst einmal Mittel für weitere Goethe-Insti- gen] [F.D.P.]: Es ist die Frage, ob es ernst tute zur Verfügung stellen oder die Schließung weite- gemeint war!) rer Bibliotheken von bereits bestehenden Goethe- Lieber Herr Weng, damit würden wir in eine Dialekt- Instituten anordnen müßte, wenn er weitere Goethe analyse eintreten. Institute mit den derzeitigen Haushaltsmitteln eröff- nen lassen will, ist es nicht angebracht, daß wir Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers Monate oder vielleicht ein Jahr vor der hoffentlich für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit auf. Zur Beantwortung ist der Parlamentarische Staatsse- zustande kommenden Wahl und der Schaffung einer kretär Dr. Bertram Wieczorek erschienen. Übergangsregierung in Südafrika bereits jetzt mit der alten Regierung noch ein Kulturabkommen verhan- Ich darf Ihnen mitteilen, daß die Fragen 58, 59, 60, deln, in das die Eröffnung eines Goethe-Instituts 62 und 63 schriftlich beantwortet werden sollen. Die natürlich einbezogen wäre. Ich glaube, das liegt auch Antworten werden als Anlagen abgedruckt. gar nicht im Sinne der alten, noch regierenden weißen Der Fragesteller der Frage 61, Kollege Dr. Klaus Minderheitsregierung, die ja selbst daran interessiert Kübler, ist nicht im Saal. Es wird verfahren, wie in der ist, die schwarze Mehrheit schon möglichst bald zu Geschäftsordnung vorgesehen. beteiligen. Damit, Herr Parlamentarischer Staatssekretär, ist Ihre Tätigkeit in diesem Zusammenhang beendet. Ich Vizepräsident Hans Klein: Ich rufe Frage 65 des bedanke mich herzlich. Abgeordneten Dr. Dietrich Mahlo auf: Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 128. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1992 11083

Vizepräsident Hans Klein Mißt die deutsche Außen- und Menschenrechtspolitik mit Jürgen Koppelin (F.D.P.): Herr Staatsminister, wie zweierlei Maß, wenn die Nichteröffnung des Institutes in Johan- können Sie mir dann erklären, daß der Generalin- nesburg als erzieherische Maßnahme sittlich und politisch ein Zeichen setzen soll, während das Institut in Peking zu keiner spekteur bei seinem letzten Besuch, der parallel zum Zeit, auch nicht nach dem Massaker an Studenten 1989, Opfer Besuch des Außenministers in Israel stattfand, laut ähnlicher Prinzipienfestigkeit geworden ist? Presse erklärt hat, daß die Wehrforschung mit Israel erheblich ausgebaut werden soll? Helmut Schäfer, Staatsminister: Herr Kollege, wie der Antwort auf die vorausgegangene Frage schon zu Staatsminister: Herr Kollege, wenn entnehmen war, ist die Tatsache, daß es bisher nicht Helmut Schäfer, ich Gelegenheit hätte, Sie als Verteidigungsexperten zu der Eröffnung eines Goethe-Instituts in Johannes- zu fragen, was Sie davon hielten, würde ich erleuch- burg gekommen ist, nicht — ich zitiere Sie jetzt — „als teter sein, als wenn ich Ihnen jetzt eine schlechte erzieherische Maßnahme " zu werten, die „sittlich und Antwort gäbe, denn sie sprechen den Generalinspek- politisch ein Zeichen setzen soll". teur und das Bundesverteidigungsministerium am Insofern besteht auch kein Anlaß, aus einem Ver- besten selbst an. gleich der Situation in Afrika und China abzuleiten, Ich kenne die Beweggründe nicht, glaube aber die deutsche Außen- und Menschenrechtspolitik nicht, daß die forschungspolitische oder, wie Sie es messe mit zweierlei Maß. Die Bundesregierung setzt nennen, Wehrforschungszusammenarbeit von uns in sich unterschiedslos weltweit mit großem Nachdruck irgendeiner Weise finanziert wird. Vielmehr werden für die Achtung der Menschenrechte ein. Ich gehe hier gewisse Traditionen fortgesetzt. Soviel bekannt davon aus, daß die Frage der Eröffnung des Goethe ist, gab es das schon früher. Instituts nichts mit der derzeit noch bestehenden Menschenrechtssituation zu tun hat, sondern mit der (Jürgen Koppelin [F.D.P.]: Aber ansonsten ganz anders gearteten politischen Situation in Süd- dürfen Sie mich fragen!) afrika. — Ich lasse mich im Anschluß an die Fragestunde gern informieren. Vizepräsident Hans Klein: Keine Zusatzfrage. (Günther Friedrich Nolting [F.D.P.]: Außer- Frage 66 des Abgeordneten Ortwin Lowack soll dem ist das nur landwirtschaftliches Gerät!) schriftlich beantwortet werden. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt. Vizepräsident Hans Klein: Ich rufe Frage 68 des Ich rufe Frage 67 des Abgeordneten Jürgen Koppe- Kollegen Claus Jäger auf: lin auf: Welche Initiativen und welche konkreten Anträge hat die Hat es in diesem Jahr Zusagen der Bundesregierung gegeben, Bundesregierung, die durch Staatsministerin Ursula Seiler- Israel finanziell, z. B. auch durch Kredite bei Waffenkäufen, zu Albring auf meine schriftliche Anfrage mitgeteilt hat, daß eine unterstützen? ausreichende Versorgung der Bevölkerung von Sarajewo bisher Bitte. lediglich im Monat August sichergestellt werden konnte und daß für eine gewaltsame Öffnung der Versorgungswege der Sicher- heitsrat der Vereinten Nationen zuständig sei (Antwort auf Helmut Schäfer, Staatsminister: Herr Kollege, Israel Frage 5 in Drucksache 12/3781), beim Sicherheitsrat allein oder wird in diesem Jahr von der Bundesrepublik Deutsch- zusammen mit anderen europäischen Regierungen im Hinblick land wie in den Vorjahren im Rahmen der Finanziel- auf eine gewaltsame Öffnung der Zugangswege zur Versorgung der vom Hungertod bedrohten Bevölkerung von Sarajewo und len Zusammenarbeit 140 Millionen DM — die Lauf- anderen bosnischen Städten gestellt? zeit dieses Abkommens, das aus dem Jahre 1967 rührt, Bitte, Herr Staatsminister. beträgt 30 Jahre — erhalten. Es handelt sich um zweckgebundene Mittel für den Trinkwasserversor- gungs- und Abwasserentsorgungsbereich. - Helmut Schäfer, Staatsminister: Herr Kollege, die Darüber hinaus hat es keine Zusagen gegeben und Bundesregierung arbeitet bei der Suche nach einer gibt es auch keine Zusagen der Bundesregierung, Lösung des Konflikts im ehemaligen Jugoslawien mit Israel finanziell zu unterstützen, auch nicht durch ihren Partnern, insbesondere der Europäischen Gemeinschaft, zusammen. Dies gilt für die Genfer Kredite bei Waffenkäufen. Jugoslawien-Konferenz und den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen. Vizepräsident Hans Klein: Zusatzfrage. In der Abstimmung über die Ausgestaltung des Jürgen Koppelin (F.D.P.): Herr Staatsminister, gibt Mandats trägt die Bundesregierung der Tatsache es andere Zusagen im Waffenbereich an Israel? Rechnung, daß sich Deutschland aus den verfassungs- rechtlichen Gründen, die Ihnen bekannt sind, nicht Helmut Schäfer, Staatsminister: Nein. Ich kann nur selbst mit Truppen an UNPROFOR beteiligt. Die sagen, daß es auch bei den Gesprächen, die zuletzt der Umsetzung des Mandats dieser Truppen der Verein- Bundesaußenminister in Israel geführt hat, solche ten Nationen ist bereits jetzt mit Lebensgefahr für die Absprachen nicht gegeben hat. Im übrigen wissen Sie dort stationierten UN-Soldaten verbunden. Bisher so gut wie ich, daß es in der Bundesrepublik eine haben schon 20 UNPROFOR-Soldaten ihr Leben ver- Rüstungsexportrichtlinie gibt, die solche Waffenliefe- loren. Solange sich Deutschland aus verfassungs- rungen nur in ganz ex tremen Sonderfällen ermögli- rechtlichen Gründen nicht mit Truppen an diesem chen würde. Ich sehe im Moment keinerlei Verhand- Unternehmen beteiligt, hält die Bundesregierung es lungen, aber auch keine Anfragen aus Israel nach für geboten, auch keine eigenen Initiativen zu einer Bereitstellung von Krediten für Waffenkäufe. gewaltsamen Öffnung der Versorgungswege zu ver- folgen. Bislang bestand im Sicherheitsrat der Verein- Vizepräsident Hans Klein: Zweite Zusatzfrage. ten Nationen keine Absicht, im Rahmen von UNPRO- 11084 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 128. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1992

Staatsminister Helmut Schäfer FOR und auf anderer Grundlage eine gewaltsame Im übrigen darf ich noch eines dazu sagen: Wir sind Öffnung von Zugangswegen durchzuführen. zusammen mit den Franzosen dabei, in Bihac, das auch beschossen wird, alles zu tun, damit die Men- Vizepräsident Hans Klein: Zusatzfrage, Herr Kol- schen dort den Winter unbeschadet überstehen. Zu lege Jäger. diesem Zweck wird an die Einrichtung von Winter- quartieren gedacht. Claus Jäger (CDU/CSU): Herr Staatsminister, sieht Noch einmal: Passivität ist im Zusammenhang mit denn die Bundesregierung angesichts der verzweifel- den Vereinten Nationen sicher nicht der richtige ten Situation der Bevölkerung des eingeschlossenen Ausdruck. Sarajevos überhaupt noch eine Alte rnative — um diese Menschen auch nur vor dem Hungertod zu Vizepräsident Hans Klein: Zusatzfrage des Kollegen bewahren — zu dem gewaltsamen Öffnen des Gansel. Zugangs für Transporte, die zur Zeit praktisch nicht mehr möglich sind? Norbert Gansel (SPD): Herr Staatsminister, da Sie die Zurückhaltung der Bundesrepublik bei Forderun- Staatsminister: Herr Kollege, wenn Helmut Schäfer, gen nach einer militärischen Inte rvention im ehema- Sie vom gewaltsamen Öffnen des Zugangs sprechen, ligen Jugoslawien mit verfassungsrechtlichen Re- meinen Sie in Wahrheit eine militärische Interven- striktionen begründen, möchte ich Sie fragen, ob es tion. Diese militärische Inte rvention würde nicht nur bei der Position der Bundesregierung bleibt, die der — aus den genannten Gründen — uns, sondern auch Bundeskanzler in diesem Saal in einer Debatte vor alle anderen Staaten vor große Schwierigkeiten stel- einem Jahr verkündet hat, daß nämlich selbst dann, len. Ich schließe nicht aus, daß die weitere Entwick- wenn es diese Restriktionen nicht gäbe, für die Bun- lung in Sarajevo — aber nicht nur dort — dazu führen desrepublik Deutschland aus historischen Gründen kann, daß auch die Vereinten Nationen ihre derzeitige ein Einsatz deutscher Soldaten im ehemaligen Jugo- Haltung ändern. Es gibt Anzeichen dafür, daß der slawien nicht in Frage kommt. Der Bundeskanzler hat Sicherheitsrat neue Erwägungen anstellen wird. Aber damals gesagt, eine solche Forderung sei bar jeder ich darf darauf hinweisen, daß wir von uns aus kaum politischen Vernunft. Steht die Bundesregierung noch Forderungen nach gewaltsamen Eingriffen im ehema- dazu? ligen Jugoslawien aufstellen können, wenn wir von vornherein sagen müssen, daß wir daran aus verschie- denen Gründen nicht teilnehmen können. Helmut Schäfer, Staatsminister: Herr Kollege, ich stelle mit Überraschung fest, daß in dem Unterton Vizepräsident Hans Klein: Zweite Zusatzfrage. Ihrer Frage eine deutliche Sympathie für die Äuße- rung des Bundeskanzlers zum Ausdruck kommt, Claus Jäger (CDU/CSU): Herr Staatsminister, da (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) Ihnen sicherlich bekannt ist, daß auch in der deut- was ich hier nur unterstützen kann. schen Bevölkerung an der überaus passiven Haltung (Norbert Gansel [SPD]: Das kann ja gelegent der Vereinten Nationen in dieser Frage massive K ritik lich mal vorkommen!) geübt wird und die Menschen nicht langer bereit sind, einfach so hinzunehmen, daß Menschen dort dem — Das freut mich natürlich, Herr Kollege. Aber wenn Hungertod preisgegeben werden: Kann sich die Bun- Sie mir erlauben, möchte ich jetzt die ins verfassungs- desregierung denn ausschließlich darauf hinausreden politische gehende Debatte noch urn einen Gedanken bereichern. und sagen, weil wir selber militärisch nicht- intervenie- ren können, stellen wir auch keine derartigen Anträge (Norbert Gansel [SPD]: Keine verfassungs an den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen? rechtliche Debatte!) — Nun, die Verfassung spielt bei solchen Fragen, die Helmut Schäfer, Staatsminister: Herr Kollege, ich Sie hier gestellt haben, immer eine Rolle. darf darauf hinweisen, daß es dem Ansehen der Ich möchte nur darauf hinweisen, Herr Kollege Bundesrepublik Deutschland sogar schaden würde, Gansel, daß ich mir wünsche, daß der Deutsche wenn wir unter dem Gesichtspunkt, daß unsere Ver- Bundestag in Zukunft jeweils über Einsatz oder Nicht- fassung es nicht erlaubt, in Jugoslawien militärisch einsatz der deutschen Bundeswehr politisch entschei- einzugreifen, die ganze Welt dazu auffordern, weil die det, dies möglicherweise dann in einer Situation, in deutsche Bevölkerung nicht mehr mit ansehen will, der wir uns nicht mehr auf unsere Verfassung zu daß die Welt nicht eingreift. Es müßte die deutsche berufen brauchen, weil wir endlich den Mut haben, Bevölkerung dann bereit sein, vielleicht darüber politische Entscheidungen zu treffen. nachzudenken, ob es nicht richtig wäre, unsere Hal- (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne tung im Deutschen Bundestag zu ändern. ten der CDU/CSU — Norbert Gansel [SPD]: Ich muß Ihnen in diesem Zusammenhang auch Wann kommt die Ini tiative der Bundesregie sagen, daß Ihre Bemerkung unzutreffend ist, die rung? Wo ist der Vorschlag der Bundesregie Vereinten Nationen seien überaus passiv. Im Gegen- rung?) teil, es gibt im früheren Jugoslawien bereits eine militärische Truppe zum Schutz der Hilfsgüter; sie ist angegriffen worden und hat bereits 20 getötete UN Vizepräsident Hans Klein: Bitte keine Dialoge! Soldaten zu beklagen. Also, von Passivität kann hier (Norbert Gansel [SPD]: Zwischenrufe sind nicht die Rede sein. erlaubt!) Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 128. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1992 11085

Vizepräsident Hans Klein Herr Kollege Mahlo, Sie haben das Wort zu einer — ich hatte Ihnen das in einer früheren Fragestunde Zusatzfrage. schon beantwortet, und zwar in Form einer schriftli- chen Antwort — negativ beschieden worden ist. Dr. Dietrich Mahlo (CDU/CSU): Herr Staatsminister, auf die Gefahr hin, als bar jeder politischen Vernunft Vizepräsident Hans Klein: Zusatzfrage. angesehen zu werden, frage ich Sie, ob sich die Bundesregierung — bei allen anerkennenswerten Norbert Gansel (SPD): Herr Staatsminister, ich habe Bedenken, die von Ihnen hier bereits vorgetragen in meiner Frage 80 — wenn Sie noch einmal hinein- worden sind — darüber im klaren ist, daß das, was im schauen würden — gefragt: ehemaligen Jugoslawien passiert und hier täglich Wie beurteilt die Bundesregierung die außenpoli- über die Bildschirme läuft, dazu führt, daß weder die tischen Implikationen des Verkaufs von U-Booten Verbreitung des europäischen Gedankens noch der und Fregatten an Taiwan, und ist die Bundesre- Glaube an die Managementfähigkeit der Politik in der gierung bereit, vor einer Genehmigung eines deutschen Bevölkerung zunimmt, und glauben Sie, solchen Rüstungsgeschäftes den Auswärtigen daß diese Überlegung in der Bundesregierung eine Ausschuß und den Verteidigungsausschuß zu Rolle spielt? informieren? Also, ich habe nach den außenpolitischen Implikatio- Helmut Schäfer, Staatsminister: Bei den Überlegun- nen gefragt, z. B. danach: Wie reagiert China darauf? gen der Bundesregierung und des Deutschen Bundes- Was bedeutet das für die Bestellung von Airbus tages — wenn ich es recht sehe, bei allen Fraktionen — Flugzeugen? Wie beurteilen Sie die Spannungssitu- haben von Anfang an große Sorge und große Betrof- ation zwischen China und Taiw an und in Südostasien fenheit über die Vorgänge im früheren Jugoslawien, überhaupt? die ja nicht wir ausgelöst haben und die wir nicht Die zweite Frage ist schlicht und einfach: Sind Sie verhindern konnten, eine Rolle gespielt. Aber, Herr bereit, den Auswärtigen Ausschuß vorher zu informie- Kollege, Sie wissen so gut wie ich, daß die Schuld ren? dafür — bei aller Betroffenheit auch in der deutschen Bevölkerung —, daß es bis heute noch nicht gelungen Vizepräsident Hans Klein: Verzeihung, ist das jetzt ist, diesen unsinnigen, grauenvollen Krieg zu been- noch die erste Zusatzfrage? Oder wollen Sie beide den, nicht bei den europäischen Staaten liegt, sondern Zusatzfragen auf einmal stellen? bei den Verursachern dieses Krieges zu suchen ist. Alle nur denkbaren Anstrengungen, die unternom- Norbert Gansel (SPD): Nein. Aber ich darf doch in men worden sind, um ihn zu beenden, blieben ohne einer Zusatzfrage zwei Fragen stellen. den gewünschten Erfolg. Was bleibt, ist — das haben Sie angedeutet — möglicherweise eine militärische Vizepräsident Hans Klein: Wir sind fast am Ende der Intervention. Aber darüber können nicht wir — zu- Fragestunde. Wenn Sie jetzt solche Fächerfragen mindest nicht allein — entscheiden, sondern dem stellen, Herr Kollege, dann wird es schwierig. müssen Entscheidungen der Vereinten Nationen vor- ausgehen. Ich halte sie nicht für ausgeschlossen. Norbert Gansel (SPD): Herr Präsident, die Bundes- regierung hat meine schriftlich gestellte Frage gar Vizepräsident Hans Klein: Die Fragen 69 bis 78 nicht beantwortet. Deshalb mußte ich sie noch einmal sollten allesamt schriftlich beantwortet werden. Die vorlesen. Antworten werden als Anlagen abgedruckt. Der Fragesteller der Frage 79, der Kollege Klaus Helmut Schäfer, Staatsminister: Herr Kollege, ich Kübler, ist nicht im Saal. Es wird verfahren, wie- in der darf darauf hinweisen, daß alle die Punkte, die Sie Geschäftsordnung vorgesehen. gerade aufgezählt haben, auf schwerwiegende Ich rufe die Frage 80 des Kollegen Norbert Gansel außenpolitische Implikationen eines solchen Geschäf- auf: tes schließen lassen. Daher wird die Bundesregierung über etwaige außenpolitische Folgen einer so weitge- Wie beurteilt die Bundesregierung die außenpolitischen Implikationen des Verkaufs von U-Booten und Fregatten an henden Entscheidung nachdenken. In dem Zusam- Taiwan, und ist die Bundesregierung bereit, vor einer Genehmi- menhang wird sie auch wirtschaftliche Konsequenzen gung eines solchen Rüstungsgeschäftes den Auswärtigen Aus- zu berücksichtigen haben. schuß und den Verteidigungsausschuß zu informieren? Bitte, Herr Staatsminister. Vizepräsident Hans Klein: Zweite Zusatzfrage.

Helmut Schäfer, Staatsminister: Herr Kollege, der Norbert Gansel (SPD): Verstehe ich Sie richtig, daß Bundesregierung liegt eine Voranfrage vom 25. No- die Bundesregierung eine solche außenpolitische vember 1992 zu der Ausfuhr von U-Booten nach Abwägung noch nicht vorgenommen hat? Taiwan vor. Diese Voranfrage wird derzeit von der Ich frage noch einmal: Sind Sie bereit, vor der Bundesregierung geprüft. Die Prüfung erfolgt im Genehmigung eines solchen Geschäfts den Auswärti- üblichen Genehmigungsverfahren. Ein Beschluß ist gen Ausschuß und den Verteidigungsausschuß des gegebenenfalls auf Kabinettsebene zu fassen. Eine Deutschen Bundestages zu informieren? Ich sage Entscheidung über die Genehmigung für kommer- nicht: die Genehmigung von seiner Entscheidung zielle Rüstungsexporte fällt in den Verantwortungsbe- abhängig zu machen. Ich frage schlicht und einfach, reich der Bundesregierung. ob Sie bereit sind, uns vor einer Entscheidung zu Ich verweise in dem Zusammenhang darauf, daß informieren, damit die nicht gefallen ist, wenn wir aus eine frühere Voranfrage aus Taiwan vom 14. Februar der Weihnachtspause zurück sind. 11086 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 128. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1992

Helmut Schäfer, Staatsminister: Herr Kollege, ich angedeuteten Entwicklung ändern, mildern will. Das kann mir nicht vorstellen, daß die Bundesregierung kann ich hier nicht beurteilen. die Ausschüsse in der Weihnachtspause informieren Ich kann nur sagen, daß wir gerade im Hinblick auf kann. Aber ich kann Ihnen mit Sicherheit sagen, daß dieses sogenannte Geschäft natürlich auch sehr genau die Exekutive, die hier das Vorrecht hat, Entscheidun- die Konsequenzen, die andere euorpäische Staaten gen zu treffen, alle Bedenken, die es gibt — und die auf Grund von Geschäften mit Taiwan bereits ziehen der Bundesregierung sehr wohl bewußt sind und ihr müssen, zu berücksichtigen haben. durch diese Fragestunde vielleicht noch bewußter werden, wenn sie ihr denn nicht schon bewußt Vizepräsident Hans Klein: Kollege Koppelin. wären — berücksichtigen wird. Ich gehe davon aus, daß die Prüfung der Bundesregierung auch die Auf- Jürgen Koppelin (F.D.P.): Herr Staatsminister, ist die fassung des Parlaments berücksichtigen muß. Aber es Bundesregierung bei ihrer Entscheidungsfindung ist ja nicht gesagt, daß die Prüfung zu einem positiven bereit, zu berücksichtigen, daß sich die SPD-Minister- Ergebnis führt, so daß die Beschäftigung der Aus- präsidenten Norddeutschlands also auch die Regie- schüsse dann ganz überflüssig wäre. rung Engholm, für dieses Geschäft mit Taiwan ausge- (Norbert Gansel [SPD]: Aber sonst werden sprochen haben? Sie uns informieren?) (Zurufe von der CDU/CSU: Hört! Hört! — Sehr gute Frage! — Also auch der SPD- Vizepräsident Hans Klein: Nächste Zusatzfrage, Vorsitzende!) Kollege Dr. Klejdzinski. Helmut Schäfer, Staatsminister: Herr Kollege, Herr Dr. Karl-Heinz Klejdzinski (SPD): Herr Staatsmini- Gansel sagt zwar, das sei nicht wahr. Aber wenn es ster, kann ich davon ausgehen, daß die Bundesregie- wahr wäre — und ich unterstelle, daß Sie das wissen, rung neben der sehr wichtigen und vorrangigen da Sie aus Norddeutschland kommen, Herr Kollege Beurteilung der Lieferung von U-Booten unter sicher- Koppelin —, kann ich nur sagen: Es wäre nicht neu; heitspolitischen Gesichtspunkten auch Überlegungen denn ich erinnere mich noch sehr wohl an das Zustan- darüber anstellen wird, wie sich eine solche Entschei- dekommen dieser Richtlinie in der früheren Regie- dung auf den einschlägigen Technologieerhalt und rung von SPD und F.D.P. Führende Persönlichkeiten den Schiffbau in Deutschl and auswirkt, u. a. in Kennt- der Sozialdemokratischen Partei aus Norddeutsch- nis der Tatsache, daß Mitbieter in diesem Geschäft land wollten den sogenannten Sonderschiffbau von WEU-Staaten und Schweden sind? Rüstungsexporten immer ausgenommen haben, und dazu zählten natürlich auch gewisse im Krieg ver- Vizepräsident Hans Klein: Wir haben die Zeit für die wendbare Marineeinheiten. Fragestunde bereits überschritten. Wenn Sie jetzt noch so breit angelegte Fragen stellen, dann kann ich Vizepräsident Hans Klein: Kollege Klein. den nachfolgenden Kollegen, die Zusatzfragen stellen wollen, das Wort nicht mehr geben. Ich bitte sie also, Günter Klein (Bremen) (CDU/CSU): Herr Staatsmi- sich jetzt ganz kurz zu fassen. nister, wird die Bundesregierung bei ihrer Entschei- dung auch berücksichtigen, daß dieses Projekt Teil Helmut Schäfer, Staatsminister: Herr Kollege, Sie eines Gesamtprojektes in einer Größenordnung von gehen schon einen Schritt weiter, indem Sie jetzt 12 Milliarden DM ist, das die taiwanesische Regierung sozusagen über die Nachsorge dieses Geschäftes für deutsche Werften vorgesehen hat, und daß damit sprechen, das noch gar nicht genehmigt ist. Von daher die Werftenkrise an der Nordsee- und Ostseeküste kann ich nur sagen: Wir sollten noch bei der ersten überwunden werden könnte? Wird die Regierung Stufe, nämlich den Ganselschen Fragen, bleiben, ferner berücksichtigen, daß sich im Falle einer ableh- welche die Überlegung, ob geliefert werden soll oder nenden Entscheidung britische, französische, nieder- nicht, einer kritischen Würdigung unterzogen. Sie ländische und schwedische Firmen als Auftragneh- gehen jetzt schon einen Schritt weiter und fragen: Wie mer für das Gesamtprojekt bereithalten? verhalten wir uns dann, wenn geliefert ist? Ich kann Ihnen das nicht beantworten. Helmut Schäfer, Staatsminister: Herr Kollege, wir werden alle Besorgnisse im Hinblick auf dieses noch Vizepräsident Hans Klein: Herr Kollege Uldall. nicht getätigte Geschäft, von dem ich gesagt habe, es wird erst einer Prüfung unterzogen, berücksichtigen, Gunnar Uldall (CDU/CSU): Herr Staatsminister, wird die Bundesregierung bei ihrer Entscheidungsfin- eine Güterabwägung vornehmen und dann entschei- dung berücksichtigen, daß schon heute, aber erst den. recht ab 1. Januar 1993, nach Beginn des Europäi- Ich muß darauf hinweisen, daß uns bekannt ist, daß schen Binnenmarktes, eine Wettbewerbsgleichheit Vorstellungen, die von einigen Abgeordneten des unter den EG-Staaten bei der Abgabe von Angeboten Deutschen Bundestages vertreten worden sind, die bestehen muß? Proteste Chinas seien nicht so ganz ernst zu nehmen, man habe sich in China inzwischen auch gegenüber Helmut Schäfer, Staatsminister: Herr Kollege, das Frankreich — trotz Lieferungen Frankreichs nach ist eine komplizierte Frage. Wir haben ja, wie Sie Taiwan -- einer freundlicheren Sprache bedient, wissen, bislang eine ganz besondere und historisch unzutreffend sind. Es hat beachtliche Konsequenzen bedingte Haltung in der Frage von Rüstungsexporten auf der chinesischen Seite gegeben. Wir müssen uns eingenommen. Es ist ja denkbar, daß das Haus diese darüber im klaren sein, welche Konsequenzen bei Richtlinien in Zukunft im Sinne einer von Ihnen einer solchen Entscheidung in bezug auf den China- Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 128. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1992 11087

Staatsminister Helmut Schäfer handel für — zum Teil norddeutsche — Unternehmen Helmut Schäfer, Staatsminister: Herr Kollege, jetzt zu gewärtigen wären. überschreiten Sie die Grenzen des Auswärtigen Amtes wirklich gewaltig. Vizepräsident Hans Klein: Nur als kleine Hilfskon- (Friedrich Vogel [Ennepetal] [CDU/CSU]: struktion, Herr Staatsminister: In der Bundespresse- Das stimmt!) konferenz gibt es diese fabelhafte Antwort-Methode, Ich würde diese Frage gern an meinen — nicht zu sagen: Hypothetische Fragen können nicht beant- anwesenden — Kollegen Möllemann bzw, seinen wortet werden. — Aber dies hier ist ein anderer Vertreter weitergeben, der das in der nächsten Frage- Fall. stunde sicher beantworten kann. (Dr. Wolfgang Weng [Gerungen] [F.D.P.]: (Friedrich Vogel [Ennepetal] [CDU/CSU]: Nicht jeder hat die Erfahrung des Herrn Sehr gut! Eine klare Antwort!) Präsidenten!) — Das ist richtig, Herr Weng. Herr Kollege Voigt, bitte. Vizepräsident Hans Klein: Herr Staatsminister, ich danke Ihnen. Karsten D. Voigt (Frankfurt) (SPD): Herr Staatsmini- Die Fragestunde ist geschlossen.*) ster, abgesehen davon, daß Ihre Unterstellungen in (Dr. Wolfgang Weng [Geringen] [F.D.P.]: bezug auf die norddeutschen SPD-Regierungschefs in Schade, war doch so schön! Hätten wir noch dieser Form so nicht zutreffen, ein bißchen fortsetzen können! — Gerhart (Zurufe von der CDU/CSU: Doch, doch!) Rudolf Baum [F.D.P.]: Es wurde gerade inter und abgesehen davon, daß Ihre anderen Antworten essant!) relativ unklar waren, möchte ich fragen, ob Sie wenig- — Das ist unsere Schwierigkeit, Herr Kollege Baum, stens auf die Frage des Kollegen Gansel klar antwor- daß wir es leider nicht nur nach „interessant" oder ten können, ob vor der Genehmigung eines solchen „uninteressant" einrichten können. Es täte uns allen Geschäftes der Auswärtige Ausschuß und der Vertei- manches Mal besser. digungsausschuß informiert werden. (Zuruf von der CDU/CSU: Ja, es ist nicht (Zuruf von der CDU/CSU: Das hat er doch verkehrt, wenn hier auch einmal etwas Inter gesagt!) essantes behandelt wird!) — Darauf gab es keine klare Antwort; deshalb frage ich noch einmal, ob Sie eine klare Antwort auf die Ich rufe den Tagesordnungspunkt 3 a bis c sowie die Frage nach der parlamentarischen Beteiligung geben Zusatzpunkte 3 bis 5 auf: können. 3. Überweisungen im vereinfachten Verfahren (Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [F.D.P.]: Die Antwort war klar, für den, der zugehört a) Erste Beratung des von der Bundesregie- hat!) rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes zur Änderung des Patentgesetzes und Helmut Schäfer, Staatsminister: Herr Kollege, ich anderer Gesetze habe bei meinen Antworten vielleicht nicht ganz Ihren — Drucksache 12/3630 Tonfall getroffen. „Sophisticated" — was ich ins —Überweisungsvorschlag: Deutsche mit „verfeinert" übersetzen würde, ist mög- Rechtsausschuß (federführend) licherweise nicht ganz Ihr Stil. Aber ich darf doch Ausschuß für Wirtschaft sagen: Es war ziemlich deutlich, auch im Unterton,- zu Ausschuß für Gesundheit hören, was die Bundesregierung an Besorgnissen des b) Erste Beratung des von der Bundesregie- Bundestages zu berücksichtigen hat, bevor sie eine rung eingebrachten Entwurfs eines Ein- Entscheidung in dem Taiwan-Geschäft fällt. Ich darf führungsgesetzes zur Insolvenzordnung Ihnen noch einmal sagen: Es ist noch gar nicht sicher, (EGInsO) daß die Bundesregierung überhaupt zu einem Ergeb- — Drucksache 12/3803 -- nis kommt, das Sie befürchten. Überweisungsvorschlag: Im übrigen darf ich darauf hinweisen: Nicht ich, Rechtsausschuß (federführend) sondern der Kollege Koppelin hat von den norddeut- Finanzausschuß schen Regierungschefs gesprochen. Ich dachte, was Ausschuß für Wirtschaft die seinerzeitigen Verhandlungen angeht, an Herrn Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung Bahr und andere SPD-Kollegen aus dem norddeut- c) Erste Beratung des von der Bundesregie- schen Raum, die hier 1982 eine ähnliche Haltung rung eingebrachten Entwurfs eines Zehnten eingenommen haben. Gesetzes zur Änderung dienstrechtlicher Vorschriften Vizepräsident Hans Klein: Kollege Adam. — Drucksache 12/3791 — Überweisungsvorschlag: Ulrich Adam (CDU/CSU): Herr Staatsminister, wie Innenausschuß (federführend) bewertet die Bundesregierung die Möglichkeit eines Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung Strukturhilfefonds für die Werften in Mecklenburg- Vorpommern, die im Zusammenhang mit dem Tai- *) Die nicht aufgerufenen Fragen werden schriftlich beantwor- wan-Auftrag stehen? tet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt. 11088 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 128. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1992

Vizepräsident Hans Klein ZP3 Erste Beratung des von der Abgeordneten lung über die Anmietung von Kraftfahrzeu- Christina Schenk und der Gruppe BÜNDNIS gen im Werkverkehr nach dem Einigungs- 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs vertrag eines ... Strafrechtsänderungsgesetzes — — Drucksache 12/3577 — Verjährung von Sexualstraftaten an Kindern und Jugendlichen (. . . StrÄndG) Beschlußempfehlung und Be richt des Aus- — Drucksache 12/3825 — schusses für Verkehr (16. Ausschuß) Überweisungsvorschlag: — Drucksache 12/3967 — Rechtsausschuß (federführend) Ausschuß für Familie und Senioren Berichterstattung: Ausschuß für Frauen und Jugend Abgeordneter Dr. Rolf Niese (Erste Beratung 117. Sitzung) ZP4 Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. eingebrachten Entwurfs c) Zweite Beratung und Schlußabstimmung eines Gesetzes zur Heilung des Erwerbs von des von der Bundesregierung eingebrach- Wohnungseigentum ten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Proto- — Drucksache 12/3961 koll vom 9. Dezember 1991 zu der Verein- barung vom 8. Oktober 1990 über die —Überweisungsvorschlag: Internationale Kommission zum Schutz der Rechtsausschuß (federführend) Elbe Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau ZP5 Beratung des Antrags der Abgeordneten Jür- — Drucksache 12/2660 — gen Augustinowitz, Heribert Scharrenbroich, Beschlußempfehlung und Be richt des Aus- Wolfgang Vogt (Duren), weiterer Abgeordne- schusses für Umwelt, Naturschutz und ter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Reaktorsicherheit (17. Ausschuß) Abgeordneten Dr. Otto Graf Lambsdorff, Burk- hard Zurheide, Klaus Beckmann, weiterer — Drucksache 12/3855 — Abgeordneter und der Fraktion der F.D.P. Berichterstattung: Keine protektionistische europäische Rege- Abgeordnete Wolfgang Ehlers lung für die Einfuhr von Bananen Dietmar Schütz Josef Grünbeck — Drucksache 12/3959 — (Erste Beratung 97. Sitzung) Überweisungsvorschlag : d) Zweite und dritte Beratung des vom Bun- Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit (federführend) desrat eingebrachten Entwurfs eines Geset- Ausschuß für Wirtschaft zes zur Änderung des Wehrpflichtgesetzes Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten und des Zivildienstgesetzes EG-Ausschuß — Drucksache 12/1867 — Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse Beschlußempfehlung und Bericht des Ver- zu überweisen. teidigungsausschusses (12. Ausschuß) Der Regierungsentwurf zur Änderung des Patent- — Drucksache 12/3805 — gesetzes und anderer Gesetze auf Drucksache 12/3630 soll noch dem Ausschuß für Gesundheit zur Berichterstattung: Mitberatung überwiesen werden. Die Überweisung- Abgeordnete Otto Hauser an die übrigen in der Tagesordnung aufgeführten (Esslingen) Ausschüsse ist bereits erfolgt. Dieter Heistermann (Erste Beratung 73. Sitzung) Sind Sie damit einverstanden? — Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Dann sind die Überwei e) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs sungen so beschlossen. eines Gesetzes zur Gewährleistung der Geheimhaltung der dem Statistischen Amt der Europäischen Gemeinschaften über- Ich rufe den Tagesordnungspunkt 4 b bis 4h und 4j mittelten vertraulichen Daten — SAEG- bis 4n auf: Übermittlungsschutzgesetz — Abschließende Beratungen ohne Aussprache — Drucksache 12/2685 — b) Zweite und dritte Beratung des von den Beschlußempfehlung und Be richt des In- Abgeordneten Dirk Fischer (Hamburg), nenausschusses (4. Ausschuß) Heinz-Günter Bargfrede, Dr. , — Drucksache 12/3912 — weiteren Abgeordneten und der Fraktion der CDU/CSU sowie den Abgeordneten Berichterstattung: Ekkehard Gries, Horst F riedrich, Roland Abgeordnete Meinrad Belle Kohn, weiteren Abgeordneten und der Johannes Singer Fraktion der F.D.P. eingebrachten Entwurfs Dr. Burkhard Hirsch eines Gesetzes zur Verlängerung der Rege- (Erste Beratung 97. Sitzung) Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 128. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1992 11089

Vizepräsident Hans Klein f) Beratung der Beschlußempfehlung und des mittlung des Bedarfs und der S trategien im Berichts des Ausschusses für Ernährung, Bereich der Wohnungen für Arbeitnehmer Landwirtschaft und Forsten (10. Ausschuß) in den EGKS-Industriegebieten zu dem Antrag der Abgeordneten Brigitte — Drucksachen 12/2636 Nr. 2.17, Adler, Dr. Liesel Hartenstein, Klaus Kirsch- 12/3762 — ner, weiterer Abgeordneter und der Frak- tion der SPD Berichterstattung: Verbesserung der Situation bei Tiertrans- Abgeordnete Dr.-Ing. Dietmar Kansy porten Dieter Maaß (Herne) — Drucksachen 12/2069, 12/3716 — 1) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichterstattung: Berichts des Finanzausschusses (7. Aus- Abgeordneter Meinolf Michels schuß) zu der Unterrichtung durch die Bun- g) Beratung des Antrags der Abgeordneten desregierung Doris Odendahl, Josef Vosen, Eckhart Kuhl- Vorschlag für einen Beschluß des Rates, mit wein, weiterer Abgeordneter und der Frak- dem die Kommission ermächtigt wird, die tion der SPD Europäische Investitionsbank für Verluste Stärkung der Wissenschafts- und For- zu entschädigen, die ihr aus Darlehen für schungslandschaft in den neuen Ländern Vorhaben in bestimmten Ländern außer- und im geeinten Deutschland halb der Gemeinschaft entstehen — Drucksache 12/3815 — — Drucksachen 12/3240 Nr. 3.2, 12/3782 — h) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichterstattung: Berichts des Ausschusses für Bildung und Abgeordneter Dr. Norbert Wieczorek Wissenschaft (21. Ausschuß) zu dem Antrag m) Beratung der Beschlußempfehlung und des der Abgeordneten Do ris Odendahl, Josef Berichts des Ausschusses für Ernährung, Vosen, Eckart Kuhlwein, weiterer Abgeord- Landwirtschaft und Forsten (10. Ausschuß) neter und der Fraktion der SPD zu der Unterrichtung durch die Bundesre- Stärkung der Wissenschafts- und For- gierung schungslandschaft in den neuen Ländern und im geeinten Deutschland Vorschlag für eine Verordnung (EWG) des Rates zur Änderung der Verordnung — Drucksachen 12/1983, 12/2949 — (EWG) Nr. 1799/87 über die Sonderrege- Berichterstattung: lung zur Einfuhr von Mais und Sorghum Abgeordnete Dr. nach Spanien für den Zeitraum 1987- Stephan Hilsberg 1991 Dr. — Drucksachen 12/3182 Nr. 38, 12/3746 — j) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichterstattung: Berichts des Haushaltsausschusses (8. Aus- Abgeordneter Rolf Koltzsch schuß) zu dem Entschließungsantrag der Abgeordneten Dr. Gregor Gysi, Dr. Barbara n) Beratung der Beschlußempfehlung des Peti- Hö11 und der Gruppe der PDS/Linke Liste tionsausschusses (2. Ausschuß) zur Beratung der Großen Anfrage der Abge- Sammelübersicht 81 zu Petitionen ordneten Dr. Klaus-Dieter Feige,- Werner Schulz (Berlin) und der Gruppe BÜNDNIS — Drucksache 12/3859 — 90/DIE GRÜNEN Es handelt sich um die Beschlußfassung zu Vorla- Die Finanzierung der Einheit und die Ver- gen, zu denen keine Aussprache vorgesehen ist. teilung der Lasten Tagesordnungspunkt 4 b: Zweite und dritte Bera- — Drucksachen 12/2235, 12/2840, tung des von der Fraktion der CDU/CSU und der 12/3760 — Fraktion der F.D.P. eingebrachten Entwurfs eines Berichterstattung: Gesetzes über die Anmietung von Kraftfahrzeugen im Abgeordnete Adolf Roth (Gießen) Werkverkehr, Drucksache 12/3577. Der Ausschuß für Dr. Wolfgang Weng (Gerlingen) Verkehr empfiehlt auf Drucksache 12/3967, den Helmut Wieczorek (Duisburg) Gesetzentwurf unverändert anzunehmen. Ich bitte k) Beratung der Beschlußempfehlung und des diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wol- Berichts des Ausschusses für Raumordnung, len, um das Handzeichen. — Gegenstimmen? — Bauwesen und Städtebau (19. Ausschuß) zu Keine. Enthaltungen? — Der Gesetzentwurf ist damit der Unterrichtung durch die Bundesregie- in zweiter Beratung angenommen. rung Wir treten in die Mitteilung der Kommission dritte Beratung Ersuchen um Zustimmung des Rates und Anhörung des EGKS-Ausschusses, nach ein und kommen zur Schlußabstimmung. Ich bitte Artikel 55 § 2 c) des EGKS-Vertrags zum diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wol- Entwurf einer Entscheidung der Kommis- len, sich zu erheben. — Gegenstimmen? — Enthaltun- sion betreffend Untersuchungen zur Er gen? — Der Gesetzentwurf ist angenommen. 11090 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 128. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1992

Vizepräsident Hans Klein Tagesordnungspunkt 4 c: Zweite Beratung und Tagesordnungspunkt 4j: Beschlußempfehlung des Schlußabstimmung des von der Bundesregierung ein- Haushaltsausschusses zu dem Entschließungsantrag gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu der Vereinba- der Gruppe PDS/Linke Liste zur Finanzierung der rung über die Internationale Kommission zum Schutz Einheit und zur Verteilung der Lasten, Drucksache der Elbe, Drucksache 12/2660. Der Ausschuß für 12/3760. Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit empfiehlt Dazu möchte die Kollegin Barbara Höll eine Erklä- auf Drucksache 12/3855, den Gesetzentwurf unverän- rung zur Abstimmung abgeben. dert anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die zustimmen wollen, sich zu erheben. — Gegenstimmen? — Enthal- tungen? — Der Gesetzentwurf ist einstimmig ange- Dr. Barbara Höll (PDS/Linke Liste): Herr Präsident! nommen. Meine Damen und Herren! Ich möchte eine persönli- Tagesordnungspunkt 4 d: Zweite und dritte Bera- che Erklärung zu meinem Abstimmungsverhalten tung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs abgeben, weil der Haushaltsausschuß am 12. Novem- eines Gesetzes zur Änderung des Wehrpflichtgesetzes ber in Abwesenheit des Vertreters der PDS/Linke und des Zivildienstgesetzes, Drucksache 12/1867. Der Liste, die begründet war und für die wir uns nicht zu Verteidigungsausschuß empfiehlt auf Drucksache rechtfertigen haben, über diesen Antrag der PDS/ 12/3805, den Gesetzentwurf abzulehnen. Ich lasse Linke Liste abgestimmt hat. über den Gesetzentwurf des Bundesrats abstimmen. Der dem Bundestag vorliegende Be richt des Haus- Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustim- haltsausschusses zum Entschließungsantrag der PDS/ men wollen, um das Handzeichen. — Wer stimmt Linke Liste ist jedoch geeignet, den Eindruck zu dagegen? — Wer enthält sich der Stimme? — Der erwecken, auch der Vertreter der Gruppe PDS/Linke Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung abgelehnt. Liste hätte im Haushaltsausschuß für die Ablehnung Damit entfällt nach unserer Geschäftsordnung die des Entschließungsantrags gestimmt. Die im Be richt weitere Beratung. erwähnte Einstimmigkeit im Ausschuß muß also Tagesordnungspunkt 4 e: Zweite und dritte Bera- unbedingt relativiert werden. Deshalb habe ich mich tung des von der Bundesregierung eingebrachten zu Wort gemeldet. Entwurfs eines Gesetzes zur Gewährleistung der Meine Ablehnung der Beschlußempfehlung des Geheimhaltung der dem Statistischen Amt der Euro- Haushaltsausschusses erfolgt nicht nur, weil ich den päischen Gemeinschaften übermittelten vertrauli- Antrag der Abgeordnetengruppe, der ich angehöre, chen Daten, Drucksachen 12/2685 und 12/3912. Ich ohne jede Einschränkung für richtig und notwendig bitte diejenigen, die diesem Gesetz in der Ausschuß- halte, sondern auch vor dem Hintergrund der Chem- fassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. — nitzer Erklärung der Kämmerer der kreisfreien Städte Gegenstimmen? — Enthaltungen? — Der Gesetzent- des Freistaates Sachsen vom 30. Oktober dieses Jah- wurf ist in zweiter Beratung angenommen. res. Wir kommen zur Die Kämmerer der Städte Chemnitz, Dresden, Gör- litz, Leipzig, Zwickau und Plauen haben, stellvertre- dritten Beratung tend für die ostdeutschen Kommunen, alle politisch und Schlußabstimmung. Wer zustimmen will, möge Verantwortlichen in Dresden und Bonn aufgefordert, sich bitte erheben. — Gegenstimmen? — Enthaltun- ihren Kommunen finanziell unter die Arme zu greifen. gen? — Der Gesetzentwurf ist angenommen. Angesichts der nicht nur aus ihrer Sicht zögernden und unzureichenden Finanzhilfen des Bundes zur Tagesordnungspunkt4 f: Beratung der Beschluß- Erneuerung und zum Ausbau der kommunalen Infra- empfehlung und des Berichts des Ausschusses für struktur fordern sie u. a. die mittelfristige Festlegung Ernährung, Landwirtschaft und Forsten zu dem einer Investitionspauschale als Voraussetzung dafür, Antrag der SPD zur Verbesserung der Situation bei daß die Kommunen endlich in die Lage versetzt Tiertransporten. Drucksachen 12/2069 und 12/3716. werden, perspektivische Investitionsentscheidungen Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? — Gegen- in eigener Kompetenz, also tatsächlich in Selbstver- probe? — Wer enthält sich der Stimme? — Die waltung zu treffen. Beschlußempfehlung ist angenommen. Ich weiß aus zahlreichen Gesprächen mit Kämme- Tagesordnungspunkt 4 g und 4 h: Antrag der Frak- rern anderer ostdeutscher Kommunen, daß die kom- tion der SPD zur Stärkung der Wissenschafts- und munale Investitionspauschale den besonderen Be- Forschungslandschaft in den neuen Ländern und im dürfnissen der ostdeutschen Gebietskörperschaften geeinten Deutschland, Drucksache 12/3815, sowie entsprach. Beschlußempfehlung des Ausschusses für Bildung Dem Deutschen Bundestag liegt seit dem 17. Juni und Wissenschaft zu dem entsprechenden früheren der Antrag vor, den ostdeutschen Gemeinden 1993 Antrag der SPD, Drucksachen 12/1983 und 12/2949. eine kommunale Investitionspauschale in Höhe von Der Antrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 6 Milliarden DM zur Verfügung zu stellen. Der 12/3815 ist wortgleich mit der Beschlußempfehlung Finanzausschuß lehnte diesen Antrag am 23. Septem- des Ausschusses für Bildung und Wissenschaft auf ber ohne Aussprache mit den Stimmen der SPD ab. Drucksache 12/2949. Ich lasse deshalb über beide Am 24. November scheiterte im Plenum ein Ände- gemeinsam abstimmen. Wer stimmt dafür? — Wer rungsantrag identischen Inhalts, der sich ausdrücklich stimmt dagegen? — Wer enthält sich der Stimme? — auf diese Chemnitzer Erklärung bezog, an den Der Antrag und die Beschlußempfehlung sind ange- Gegenstimmen der Koalitionsfraktionen und der SPD, nommen. ebenfalls ohne Aussprache. Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 128. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1992 11091

Dr. Barbara Höll Wer so wie die CDU/CSU, die F.D.P. und die SPD Ich rufe den Punkt 11 der Tagesordnung auf: abstimmt und jede Diskussion vermeiden will, und das Beratung der Beschlußempfehlung und des übrigens nicht nur in dieser Frage, der möchte offen- Berichts des Auswärtigen Ausschusses (3. Aus- bar verhindern, daß der Widerspruch zwischen dem schuß) zu dem Antrag der Fraktionen der CDU/ verbalen Bekenntnis zur besseren finanziellen Aus- CSU und F.D.P. stattung ostdeutscher Kommunen und der schnöden, Menschenrechte allein parteipolitisch und taktisch motivierten parla- mentarischen Realpolitik deutlich wird. Ich kann im zu dem Antrag der Gruppe BÜNDNIS 90/DIE Interesse der ostdeutschen Kommunen dieser Be- GRÜNEN schlußempfehlung des Haushaltsausschusses nicht VN-Menschenrechtsgerichtshof und Hoch- zustimmen. kommissar für Menschenrechte Ich danke Ihnen. — Drucksachen 12/1753, 12/1715, 12/3904 — Berichterstattung: (Beifall bei der PDS/Linke Liste) Abgeordnete Heribert Scharrenbroich Volker Neumann (Bramsche) Ulrich Irmer Gerd Poppe Vizepräsident Hans Klein: Es ist immer eine schwie- Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat ist für die rige Sache mit dem § 31. Wie soll man plausibel Aussprache eine Stunde vorgesehen. — Dagegen machen, daß jemand sein Abstimmungsverhalten erhebt sich kein Widerspruch. Es ist so beschlossen. begründet, das vollidentisch mit seiner Gruppe oder seiner Fraktion ist, und dann dazu einen Debatten- Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Kolle- beitrag leistet? Das ist keine Spezialität der PDS; das gen Friedrich Vogel das Wort. muß man fairerweise sagen. Aber die ungewöhnliche Friedrich Vogel (Ennepetal) (CDU/CSU): Herr Prä- Langmut des amtierenden Präsidenten hat die Sache sident! Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen! ja in diesem Fall zugelassen. Die Debatte des Bundestags heute vormittag zum (Zuruf des Abg. Dr. Wolfgang Weng [Gerlin Rechtsradikalismus — im Anschluß an die Regie- gen] [F.D.P.]) rungserklärung des Bundeskanzlers — hat uns vor Augen geführt, daß in der Welt um uns herum besorgt — Herr Weng, ich habe mich gelobt, um mir zu gefragt wird, ob das elementarste Menschenrecht, das ersparen, Sie alle loben zu müssen, weil Sie es ja alle Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit, für mit angehört haben. Ausländer in der Bundesrepublik Deutschland hinrei- Der Haushaltsausschuß empfiehlt, den Entschlie- chend gewährleistet ist. ßungsantrag der PDS/Linke Liste auf Drucksache (Unruhe — Heribert Scharrenbroich [CDU/ 12/2840 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschluß- CSU]: Findet die Debatte da oben statt?) empfehlung? — Gegenprobe? —Enthaltungen? — Die Beschlußempfehlung ist angenommen. Vizepräsident Hans Klein: Das bekommen wir so Tagesordnungspunkt 4 k: Beschlußempfehlung des schnell in die gegenwärtige Generation der Parla- Ausschusses für Raumordnung, Bauwesen und Städ- mentarischen Geschäftsführer nicht hinein, daß wir tebau zu einer Mitteilung der EG zu Wohnungen für Debattenwortmeldungen gern schon einen Tag oder Arbeitnehmer, Drucksache 12/3762. Wer stimmt für gar eine Woche vorher, was früher möglich war, diese Beschlußempfehlung? — Wer stimmt dagegen? vorliegen hätten. Das wird jetzt immer hier oben — Wer enthält sich der Stimme? — Die Beschlußemp- ausgemacht. Das hat auch seine Vorzüge, denn man - fehlung ist angenommen. kann es flexibler handhaben. Wenn allerdings die Gespräche darüber zu laut geführt werden, dann ist es Tagesordnungspunkt 41: Beschlußempfehlung des für den Redner fast unmöglich, sich akustisch ver- Finanzausschusses zu einem Vorschlag der EG zur ständlich zu machen. Entschädigung der Europäischen Investitionsbank, Ich bitte also darum, wenn Sie hier schon verhan Drucksache 12/3782. Wer stimmt für diese Beschluß- deln müssen, das mit gesenkter Stimme zu tun. empfehlung? — Gegenprobe? — Enthaltungen? — Die Beschlußempfehlung ist angenommen. (Karsten D. Voigt [Frankfurt] [SPD]: Das fällt allen Geschäftsführern per se schwer!) Tagesordnungspunkt 4 m: Beschlußempfehlung Herr Kollege Vogel, fahren Sie bitte fort. Wir geben des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Ihnen die Zeit zu. Forsten zu einem Vorschlag der EG zur Änderung der Verordnung über die Sonderregelung zur Einfuhr von Friedrich Vogel (Ennepetal) (CDU/CSU): Ich be- Mais und Sorghum, Drucksache 12/3746. Wer stimmt ginne noch einmal, weil ich Ihnen sonst den Zusam- für diese Beschlußempfehlung? — Wer stimmt dage- menhang der Rede nicht ausreichend nahebringen gen? — Wer enthält sich der Stimme? — Die Beschluß- kann. empfehlung ist angenommen. Die Debatte des Bundestages heute vormittag zum Tagesordnungspunkt 4 n: Beschlußempfehlung des Rechtsradikalismus — im Anschluß an die Regie- Petitionsausschusses auf Drucksache 12/3859. Das ist rungserklärung des Bundeskanzlers — hat uns vor die Sammelübersicht 81. Wer stimmt für diese Augen geführt, daß in der Welt um uns herum besorgt Beschlußempfehlung? — Wer stimmt dagegen? — gefragt wird, ob das elementarste Menschenrecht, das Wer enthält sich der Stimme? — Die Beschlußempfeh- Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit, für lung ist angenommen. Ausländer in der Bundesrepublik Deutschland hinrei- 11092 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 128. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1992

Friedrich Vogel (Ennepetal) chend gewährleistet ist. Wir kommen nicht darum in Abstimmung mit unseren europäischen Partnern herum, das am Tage der Menschenrechte heute mit in einen Vorschlag zur Verbesserung des Menschen- unsere Betrachtung hineinzunehmen. rechtsinstrumentariums der Vereinten Nationen zu Natürlich ist es ein gravierender Unterschied, ob erarbeiten, der folgenden Forderungen Rechnung Menschenrechtsverletzungen von staatlichen Orga- trägt: nen ausgehen — wie etwa Folter in Polizeigefängnis- Erstens. An der Spitze der Forderungen steht die sen — oder jedenfalls unter staatlicher Duldung Errichtung eines Menschenrechtsgerichtshofes nach geschehen oder ob sie ohne staatliches Hinzutun dem Vorbild des Europäischen Menschenrechtsge- Gewaltakte von Privatpersonen sind. richtshofes in Straßburg. (Gerhart Rudolf Baum [F.D.P.]: Sehr rich Zweitens. Seit langem ist der Vorschlag gemacht tig!) worden, bei den Vereinten Nationen nach dem Vor- bild des Hohen Flüchtlingskommissars einen Hohen Dennoch müssen wir uns die Frage gefallen lassen, ob Kommissar für Menschenrechte zu bestellen. Diesem der Staat bei uns seinen Schutzverpflichtungen könnte u. a. die Befugnis eingeräumt werden, Men- gegenüber den bei uns lebenden Ausländern genü- schenrechtsverletzungen vor den Menschenrechtsge- gend nachgekommen ist. richtshof zu bringen. (Beifall bei der CDU/CSU, der F.D.P., der (Dr. Eberhard Brecht [SPD]: Die haben ja SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN — nicht einmal genug Geld für das Menschen Karl Lamers [CDU/CSU]: Das ist leider rechtszentrum!) wahr!) Drittens. Wir schlagen darüber hinaus vor, alle Wenn jetzt bei uns über die Frage von Gesetzesver- bisherigen Menschenrechtsgremien der Vereinten schärfungen und wirksameren Gesetzen diskutiert Nationen, das Menschenrechtszentrum in Genf mit- wird, dann sollten wir das auch in diesem Zusammen- samt seinen Beratenden Diensten und das System der hang sehen. Sonderberichterstatter unter gleichzeitigem Ausbau Wichtiger scheint mir, daß uns die an uns gerichte- ihrer jeweiligen Kompetenzen dem UN-Menschen- ten Fragen Veranlassung sind, darüber nachzuden- rechtskommissariat zuzuordnen. Daß das auch ken, ob wir nicht manches Mal zu schnell und zu bedeutet, Herr Kollege Brecht, daß dann mehr Geld vollmundig Menschenrechtsverletzungen in anderen zur Verfügung gestellt werden muß und daß die Ländern anprangern, ohne uns mit der Gesamtheit Mitgliedsländer ihre Beiträge entsprechend gestalten der Umstände, unter denen sie geschehen, näher müssen, ist völlig richtig und von Ihnen soeben befaßt zu haben. zutreffend bemerkt worden. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) (Rudolf Bindig [SPD]: Aber die Koalition tut das nicht!) Sinn des Eintretens für den Menschenrechtsschutz überall in der Welt darf es ja nicht sein, es bei verbalen Viertens. Schließlich fordern wir die Errichtung Protesten bewenden zu lassen. eines Internationalen Strafgerichtshofs, der für die Ahndung besonders schwerer Menschenrechtsverlet- (Karl Lamers [CDU/CSU]: Sehr richtig!) zungen — ich nenne z. B. Völkermord, das, was wir Es muß immer darum gehen, einen Beitrag zur tat- gegenwärtig unter dem Stichwort „ethnische Säube- sächlichen und wirksamen Verbesserung des Men- rungen" im ehemaligen Jugoslawien erleben, sowie schenrechtsschutzes zu leisten. Vielfach ist das nur die massive Unterdrückung von Minderheiten — möglich, wenn das Bemühen eingebettet ist in eine zuständig wird. Politik des Dialogs und der Kooperation, -nicht zuletzt Niemand von uns gibt sich der Illusion hin, daß es auch im wirtschaftlichen Bereich. Es muß versucht leicht sein wird, diese Forderungen in den Vereinten werden, die Chance des Einflußnehmens herzustel- Nationen durchzusetzen. Aber wir verlangen, daß len. diese Zielsetzung zu einem festen, dauerhaften und Ein wichtiger Teil unseres Bemühens um wirksame- beharrlich verfolgten Bestandteil unserer Menschen- ren Menschenrechtsschutz ist unsere Mitarbeit an rechtspolitik, vor allem der Menschenrechtspolitik der einer Verbesserung und Schärfung der Instrumente, Bundesregierung, gemacht wird. die die Staatengemeinschaft mit der Allgemeinen (Rudolf Bindig [SPD]: Gemacht wird!) Erklärung der Menschenrechte und den großen Men- schenrechtspakten der Vereinten Nationen geschaf- Nicht nur das Menschenrechtsinstrumentarium der fen hat. Vereinten Nationen wollen wir verbessern; unsere Aufmerksamkeit gilt in gleicher Weise der Verbesse- Damit befaßt sich die zu dieser Debatte vorgelegte, rung der regionalen Menschenrechtsschutzsysteme. im Unterausschuß für Menschenrechte und Humani- Das uns besonders angehende Menschenrechts- täre Hilfe von den Fraktionen der CDU/CSU, der SPD und der F.D.P. sowie von der Gruppe BÜNDNIS 90/ schutzsystem des Europarats ist zweifellos das bisher DIE GRÜNEN erarbeitete und vom Auswärtigen Aus- wirksamste in der Welt. Seine Attraktivität kommt schuß zur Annahme empfohlene Beschlußempfeh- nicht zuletzt darin zum Ausdruck, daß immer mehr lung. Staaten den Beitritt zum Europarat beantragt haben oder voraussichtlich beantragen werden. Nach der Diese richtet den Blick auf die im Mai 1993 stattfin- Aufnahme von Ungarn, Polen, der CSFR und Bulga- dende Menschenrechtskonferenz der Vereinten Na- riens gehören inzwischen 27 Staaten dem Europarat tionen in Wien und fordert die Bundesregierung auf, an. Wir dürfen realistischerweise erwarten, daß die Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 128. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1992 11093

Friedrich Vogel (Ennepetal) Zahl der Mitglieder auf 40 oder mehr Staaten anwach- Volker Neumann (Bramsche) (SPD): Herr Präsident! sen wird. In der Parlamentarischen Versammlung des Liebe Kolleginnen und Kollegen! In diesem Jahr Europarats sind angesichts der Probleme, die sich scheinen mir am Tag der Menschenrechte leise und daraus ergeben, zwei wesentliche Forderungen bescheidene Töne angemessen. Anlaß der Debatte ist gestellt worden. die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte der Vereinten Nationen vom 10. Dezember 1948. In Erstens. Die Parlamentarische Versammlung hat Art. 14 dieser Allgemeinen Erklärung heißt es: „Jeder das Ministerkomitee des Europarats aufgefordert, ein Mensch hat das Recht, in anderen Ländern vor Ver- Zusatzprotokoll zur Europäischen Menschenrechts- folgungen Asyl zu suchen und zu genießen." Ich kann konvention zu beschließen, das die Grundsätze für nach der Praxis vergangener Jahre und den Debatten einen wirksamen Minderheitenschutz aufstellt. der letzten Tage nicht erkennen, daß wir diesem Zweitens. Sie hat darüber hinaus das Ministerkomi- Anspruch gerecht werden. tee aufgefordert, unverzüglich die notwendigen Während wir uns in den Debatten der letzten Jahre Schritte zur Reform des Kontrollmechanismus der vornehmlich mit der Menschenrechtssituation in zu dem Europäischen Menschenrechtskonvention, anderen Ländern beschäftigen mußten, sitzen wir nun vor allem die Menschenrechtskommission und der selber im Glashaus. Das hat zwangsläufig Auswirkun- Menschenrechtsgerichtshof in Straßburg gehören, gen auf Forderungen und Ansprüche, die wir gegen einzuleiten, damit der erreichte hohe Standard des andere erheben. Menschenrechtsschutzes auch in Zukunft gewahrt werden kann. (Gerhart Rudolf Baum [F.D.P.]: Ja!) Zu beiden Forderungen hat die Parlamentarische Bisher haben Menschenrechtsverletzungen nahezu Versammlung des Europarats detaillierte Vorstellun- ausschließlich im Ausland stattgefunden. Es gab und gen beschlossen. Ich kündige an, daß wir dazu gibt in zu vielen Ländern Folter und Unterdrückung, Anträge im Bundestag einbringen werden, in denen meist verübt durch diktatorische Regime. Heute aber wir die Bundesregierung auffordern werden, für die steht auf den Transparenten bei Demonstrationen in Verwirklichung dieser Forderungen nachdrücklich im unserem Land zu lesen: Menschenrechte in Deutsch- Ministerkomitee des Europarats einzutreten. land! Das, was seit geraumer Zeit direkt vor unserer Nase geschieht, sind Verletzungen der Menschen- Unser Eindruck in der Parlamentarischen Ver- rechte. sammlung des Europarats ist der, daß wir, wenn diese Forderungen weiter auf Beamtenebene und nicht auf (Beifall des Abg. Dr. Eberhard Brecht der politischen Ebene der Minister behandelt werden, [SPD]) noch lange auf die Verwirklichung warten müssen. Mit ungleich größerer Energie müssen wir dagegen (Zurufe von der CDU/CSU: Sehr richtig!) angehen, mehr als gegen die Menschenrechtsverlet- zungen im Ausland. Deshalb verlangen wir, daß diese Forderungen auf der politischen Ebene der Minister behandelt und ent- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten schieden werden. der CDU/CSU) Natürlich besteht ein grundsätzlicher Unterschied (Beifall bei der CDU/CSU, der F.D.P., der — Kollege Vogel hat bereits darauf hingewiesen — SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) zwischen Menschenrechtsverletzungen, die durch die Was andere regionale Menschenrechtsschutzsy- Staatsgewalt beg angen werden, und solchen, die sterne angeht, möchte ich Sie davon in Kenntnis durch Privatpersonen und Gruppen verübt werden. setzen, daß der Unterausschuß für Menschenrechte Erstere sind ungleich gravierender und systemati- und Humanitäre Hilfe beabsichtigt, Delegationen scher, die Situation für die Opfer ist viel auswegloser zum amerikanischen wie zum afrikanischen Men- und rechtloser. Aber die Morde von Mölln und andere, schenrechtsgerichtshof zu entsenden. Wir möchten die ihnen vorausgegangen sind und die folgten, diese regionalen Menschenrechtsschutzsysteme ge- müssen als schwere Menschenrechtsverletzungen nauer kennenle rnen und mit ihnen zu einem Gedan- betrachtet werden. kenaustausch darüber kommen, wie die regionalen Zugegeben, es ist eine schwierige Aufgabe, derma- Menschenrechtsschutzsysteme verbessert werden ßen heimtückischen Verbrechen vorzubeugen. Aber können. aus der Sicht der Opfer ist das Ergebnis das gleiche, Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen, wir nämlich Feuer und Mord, Körperverletzung und haben eine relativ kurze Zeit für diese Debatte. Aber Angst um die Existenz und das Leben. Es ist Aufgabe mir schien es wichtig, auf die relevanten Reformge- des Staates, die Bevölkerung vor Menschenrechtsver- sichtspunkte, Absichten und Zielvorstellungen hinzu- letzungen zu schützen. weisen. Ich wäre Ihnen sehr dankbar, wenn Sie In der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte möglichst einmütig der Beschlußempfehlung des Aus- hat sich auch die Bundesrepublik als Mitglied der wärtigen Ausschusses zustimmen würden. Vereinten Nationen verpflichtet, die Verwirklichung (Beifall bei der CDU/CSU, der F.D.P., der der Menschenrechte durchzusetzen. Dazu zählt auch SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) — offenbar muß man das immer wieder betonen — das in Art. 3 der Allgemeinen Erklärung der Menschen- rechte verbriefte „Recht auf Sicherheit der Person". Wir haben immer selbstzufrieden gesagt: Der Schutz, Vizepräsident Hans Klein: Das Wort hat der Kollege den ein Asylland den Verfolgten gewährt, ist der Volker Neumann. Indikator für die Menschenrechtssituation. Zur Zeit 11094 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 128. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1992

Volker Neumann (Bramsche) kann unser Staat diesen Schutz nicht in ausreichen- Anlaß und keine moralische Rechtfertigung dafür, die dem Maß gewähren. Sanktionen aufzuheben, solange die in dem Antrag Wir Menschenrechtspolitiker verweisen gern auf der Regierungskoalition erwähnten Veränderungen die Universalität der Menschenrechte. Diese Maß- in China nur wirtschaftlicher Natur sind. stäbe müssen auch bei uns angelegt werden. Men- Von der chinesischen Regierung eine Verbesserung schenrechte sind universal. Das heißt, sie gelten für der Menschenrechtslage zu erwarten und zu erhoffen Deutsche und Nichtdeutsche, sie gelten im Ausland reicht nicht aus. Es muß dabei bleiben: Die Bundesre- und in Deutschland gleichermaßen. publik darf zu Folterstaaten keine normalen Bezie- hungen haben. (Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/ CSU und der F.D.P.) (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Dr. Wolf gang Weng [Gerungen] [F.D.P.]) Wenn das israelische Parlament die rechtsextremi- Dialog ja, aber unmißverständlich müssen wir wie die stische Gewalt in Deutschland verurteilt, so ist das nur USA und andere demokratische Staaten eine Verbes- verständlich. Nicht nur aus israelischer Sicht trägt, wie serung der Menschenrechtslage zur Bedingung „Die Zeit" zutreffend schreibt, der Fremdenhaß die machen. Knospe des Antisemitismus. Wir begrüßen auch, daß der Menschenrechtsausschuß des türkischen Parla- Art. 1 der Allgemeinen Menschenrechtserklärung ments zu uns kommt. Aber wir hätten uns einen der Vereinten Nationen lautet: anderen Anlaß gewünscht. Die türkischen Kollegen Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und nehmen das gleiche Recht in Anspruch wie wir. Schon Rechten geboren. Sie sind mit Vernunft und oft haben wir mit ihnen über die Menschenrechtssitu- Gewissen begabt und sollen einander im Geiste ation in ihrem Land sprechen müssen, und wir werden der Brüderlichkeit begegnen. das weiter tun. Und sollen einander im Geiste der Brüderlichkeit Wir Sozialdemokraten haben in der Vergangenheit begegnen! Das gilt für die Staaten wie China, Irak, die Außenpolitik und die Menschenrechtspolitik Burundi, Birma und Iran. Zuallererst und in vorderster immer in engem Zusammenhang be trachtet. Linie gilt das aber für uns selber. (Ulrich Irmer [F.D.P.]: Alle!) Vielen Dank. Es stimmt: Unser Ansehen im Ausland ist durch die (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Vorfälle in unserem eigenen Land beschädigt. Aber DIE GRÜNEN) wir haben nach wie vor die Pflicht und die Verantwor- tung, weiterhin aktiv die Menschenrechtsdefizite in Vizepräsident Hans Klein: Ich erteile das Wo rt dem anderen Ländern anzuprangern. Kollegen . Das gilt nicht zuletzt für China. Nicht nur der gestern erschienene China-Bericht von amnesty inter- national zeigt, daß sich die Menschenrechtslage in Gerhart Rudolf Baum (F.D.P.): Herr Präsident! China in den letzten Jahren drastisch verschlechtert Meine Damen und Herren! Ich finde in dem gemein- hat. Die Brutalität der Folterer ist unvorstellbar. Dabei samen Antrag der Fraktionen und der Gruppen eine haben sie keinerlei Konsequenzen für ihr Tun zu gute Grundlage auch für meine Aufgabe als Leiter der befürchten. deutschen Delegation bei der Menschenrechtskom- mission der Vereinten Nationen. Er liegt auf der Linie, Ich hätte es nicht für möglich gehalten, daß die die von Außenminister Genscher und jetzt von Außen- Regierungskoalition zu dem nach meiner Einschät- minister Kinkel vertreten wird und die auch Gegen- zung ungeheuren Zynismus fähig ist, am- Internatio- stand unserer Vorstöße bei der Menschenrechtskom- nalen Tag der Menschenrechte angesichts der Men- mission ist. schenrechtslage in China den Antrag einzubringen, Ich habe mir auf der letzten Sonderkonferenz vor die Sanktionen gegen China aufzuheben. 14 Tagen, als ich wieder in Genf war, zu einer (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Konferenz zu Jugoslawien die Frage gestellt: Was ist DIE GRÜNEN) das eigentlich für ein Ins trument? Wie kann man damit arbeiten? Was bewirkt die seit 42 Jahren bestehende Herr Außenminister, wie verträgt sich eigentlich Ihr Kommission? Ich meine, es ist nicht viel, aber immer- Versprechen, die Menschenrechte zum Schwerpunkt hin ein Anfang, und er hat sich in den letzten Jahren Ihrer Politik zu machen, mit diesem Antrag? Ist Ihnen bewährt. Die Kommission kann die Wahrheit heraus- nicht bewußt, daß China seit ungefähr 15 Jahren finden. Das tut sie. Sie macht sie öffentlich, und sie wirtschaftliche Reformen durchführt und in dieser Zeit verurteilt die Menschenrechtsverletzer. Dies ist eine jede noch so geringere Verbesserung der Menschen- wichtige Funktion. Sie wird jetzt deutlich durch den rechtssituation ausgeblieben ist? Haben wir nicht Sonderberichterstatter für Jugoslawien, Herrn Mazo- gelernt, daß wirtschaftliche Reformen eben nicht wiecki. Die Berichte haben eine Wirkung. Ich nenne automatisch zur Verbesserung von Menschenrechts- nur die Berichte über die Lager oder über die Massen- situationen und demokratischen Prozessen führen? vergewaltigungen. Ich denke auch an andere Berei- Wer uns das glauben machen will, versucht, wahre che, an Kuba, Iran, China. Ich denke auch daran, Motive zu verbergen. Die bittere Wahrheit ist doch: welchen Einflüssen man auf der Konferenz ausgesetzt Wirtschaftliches Wachstum läßt sich bis zu einem ist, Verurteilungen abzumildern oder zu vermeiden. gewissen Grad sehr gut ohne Menschenrechte und Das moralische Gewicht ist vorhanden, und Sie müs- politische Freiheiten bewerkstelligen. Es gibt keinen sen einkalkulieren, daß jetzt der Westen und der Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 128. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1992 11095

Gerhart Rudolf Baum Osten gemeinsam beispielsweise Kuba verurteilen. mium, das sich am Zivilpakt orientiert. Es genügt eben Das ist auch eine Entwicklung, die vor drei Jahren nicht, nur die Völkerrechtsverletzungen und die Ver- noch nicht denkbar gewesen ist. letzungen in Form von Kriegsverbrechen festzuhal- ten. Wir brauchen daneben — das ist rechtlich eine verbessert werden? Wie kann das Instrumentarium andere Kategorie — auch Sanktionen für eigentliche Es muß verbessert werden. Es ist unvollkommen und Menschenrechtsverletzungen, über die wir ja heute zahnlos. Ich halte es für dringend erforderlich, daß wir reden. zunächst einmal die persönliche Verantwortung für Menschenrechtsverletzungen festhalten, jetzt — am (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne Beispiel Jugoslawien — diejenigen Leute namentlich ten der CDU/CSU und der SPD) feststellen, die Menschenrechtsverletzungen bege- hen — das ist möglich, das geschieht auch —, und daß Ich meine, daß wir noch in anderer Weise das wir ein internationales Register aufbauen, so daß die Instrumentarium schärfen müssen. Wir haben in der Verletzer, die Täter nicht davon ausgehen können, Kommission keinen Dringlichkeitsmechanismus. daß sie ungeschoren davonkommen, daß jedenfalls Was wir jetzt machen, zwei Sondersitzungen, in das, was sie getan haben, festgehalten wird. 42 Jahren die ersten überhaupt in diesem Jahr, Wir haben den Berichterstatter noch einmal ermun- geschieht nicht auf einer sehr festen rechtlichen tert, das jetzt insbesondere in bezug auf Jugoslawien Grundlage. Wir müssen mit diesem Ins trumentarium zu tun. Ich möchte auch hier noch einmal sagen, daß es schneller reagieren können. Wir brauchen also eine wichtig ist, die Flüchtlinge — wir haben ja 275 000 im Verbesserung des Dringlichkeitsmechanismus. Auch Lande — zu befragen, Herr Außenminister, um ein dies wird eine Aufgabe der Konferenz von Wien im System zu schaffen, diese Informationen zusammen- nächsten Jahr sein, die wir in enger Abstimmung mit zubringen. den Menschenrechtsorganisationen vorbereiten soll- ten. Denn eine Eigentümlichkeit der Kommission in Ohne ein solches Register wird auch der zweite Genf ist es, daß die Nichtregierungsorganisationen Vorschlag, den ich für sehr wichtig halte, nicht funk- vertreten sind, daß man immer wieder Debatten erlebt tionieren können, die Einrichtung eines internationa- zwischen den Vertretern der Opfer und den Vertre- len Strafgerichtshofs. tern der Staaten, die Menschenrechtsverletzungen (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne begehen. Es ist außerordentlich wichtig, daß dies ten der CDU/CSU und der SPD) geschieht, daß sich die Staaten diesem Forum stellen müssen. Hier sind die Vorbereitungen in der Völkerrechtskom- mission getroffen worden. Die Generalversammlung Auch ich möchte darauf hinweisen, meine Damen hat ein weiteres Mandat gegeben. Das geht langsam, und Herren, daß wir jetzt — ich habe das auch außerordentlich langsam. Ich erinnere mich an die persönlich gespürt —, aus der Sicht einer Reihe von Gespräche, die ich im Frühjahr in Genf geführt habe. Staaten in die Rolle des Angeklagten kommen. Mehr- Die kühle Ablehnung auch unserer westlichen fach geriet die deutsche Delegation in den Ausschüs- Freunde war unverkennbar. Durch Jugoslawien ist sen der Generalversammlung in diesem Jahr in eine diese Ablehnungsfront etwas aufgeweicht worden. Es Defensivposition, in der es notwendig wurde, die wird also nicht einfach sein, aber wir müssen diese negativen Entwicklungen in Deutschland objektiv Forderung stellen, damit wir ein Instumentarium darzustellen. Ich meine auch, daß es wichtig ist, dies schaffen, das die Täter zur Verantwortung zieht. zu sehen. Sollte es nicht gelingen, die fremdenfeind (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne lichen Aktionen zu beenden und ein anderes Klima in ten der CDU/CSU) unserem Lande herzustellen, dann wird unsere Rolle - sehr viel schwieriger werden. Daran ist gar kein Das alles ist möglich, das alles kann nach unseren Zweifel; das wird der Außenminister sicher bestäti- rechtsstaatlichen Vorstellungen geschehen. Die Vor- gen. bereitungen sind bestens gediehen. Weiterhin ist es wichtig, daß wir die Administration Es geht bei der Verteidigung der Menschenrechte, bei den Vereinten Nationen in ihrer Ausstattung meine Damen und Herren, um uns selbst und unsere verstärken. Der Berichterstatter über Jugoslawien ist zivilisatorischen Werte. Auch wenn wir wissen, daß nicht annähernd dafür ausgestattet, das, was wir von Menschenrechte nicht zum alleinigen Maßstab der ihm verlangen, auch auszufüllen. Wir unterstützen Beziehungen zwischen den Völkern gemacht werden ihn, aber das reicht nicht. Und es reicht eben nicht, nur können, darf jedoch niemals der Eindruck entstehen, einen Hohen Kommissar dahin zu setzen — ich halte daß sie hinter anderem, beispielsweise wirtschaftli- das für ganz wichtig —, wenn er nicht entsprechend chen Interessen, zurückstehen. Ich meine wie Sie, ausgestattet ist, wenn er nicht die Mittel hat, die Herr Kollege Vogel, daß wir unsere Beziehungen zu Erwartungen zu erfüllen, die wir an ihn richten. Das Staaten nutzen müssen, gerade auch für Menschen- heutige Sekretariat ist bisher gar nicht in der Lage, rechte einzutreten. seine Arbeit zufriedenstellend zu leisten. (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne Und schließlich der Menschenrechtsgerichtshof: ten der CDU/CSU) Wir stellen uns ein aus unabhängigen Richtern zusam- mengesetztes Gremium vor, bei dem Einzelpersonen Ich halte diesen Antrag für eine sehr wichtige Unter- Klage einreichen können wegen der Verletzung der stützung des Parlaments auf dem sicherlich sehr im Zivilpakt festgelegten Menschenrechte, also nicht schwierigen Weg, das Instrumentarium griffiger zu den Internationalen Gerichtshof, sondern ein Gre- machen, wirkungsvoller zu machen. Aber wir sollten 11096 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 128. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1992

Gerhart Rudolf Baum die Regierung ermutigen, mit allem Nachdruck auf des Mißbrauchs und der Instrumentalisierung des diesem Wege fortzuschreiten. Begriffs Menschenrechte in der internationalen und (Beifall bei der F.D.P., der CDU/CSU und bundesdeutschen Politik habe ich allerdings erhebli- dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei che Bedenken bei der Bewertung der vorliegenden Abgeordneten der SPD) Anträge. Die Achtung der Menschenrechte als wichtige Bedingung für die Vergabe von Vizepräsident Hans Klein: Ich erteile der Kollegin Entwicklungshilfe Dr. Ruth Fuchs das Wort. wurde in den letzten Monaten immer wieder betont. Parallel dazu werden aber genau diese Kriterien von der bundesdeutschen Außen- und Außenwirtschafts- Dr. Ruth Fuchs (PDS/Linke Liste): Herr Präsident! politik ignoriert und unterlaufen. Auf der Strecke Meine Damen und Herren! Eine Debatte zum Thema bleiben die Glaubwürdigkeit und der moralische Menschenrechte zu führen gibt es mehr als einen Anspruch der Bundesrepublik, in vornehmlich wirt- guten Grund. Der Tag der Menschenrechte als forma- schaftlich abhängigen Staaten auf die Einhaltung ler Anlaß und die aktuelle internationale Lage als völkerrechtlich verbindlicher Normen zu dringen. besorgniserregender Hintergrund machen es auch Auch die aktuellen in aus meiner Sicht mehr als notwendig, daß wir uns hier innenpolitischen Probleme diesem unseren Land sind im Moment nicht dazu mit diesen Problemen auseinandersetzen. Die vorlie- angetan, Deutschland besonders als Verteidiger von genden Anträge und Beschlußempfehlungen spre- Menschenrechten zu autorisieren. Was in den letzten chen ein dringendes Problem an. Ihre Lösungsansätze Monaten unter den Stichworten „Ausländerfeindlich- greifen jedoch zu kurz. keit", „Rassismus" und „Asyldiskussion" gelaufen ist, Lassen Sie mich erklären, wo aus meiner Sicht die fällt vielmehr durchaus unter den Begriff „Menschen- Probleme liegen. Die Beschlußempfehlung geht rechtsverletzungen". davon aus, daß die bisherigen Verfahren und Institu- Ein weiteres Manko der vorliegenden Anträge: Der tionen zur Achtung der Menschenrechte und zum Blick auf die Ursachen massiver Menschenrechtsver- Schutz von Minderheiten nicht ausreichen. Die letzungen in zahlreichen Ländern, ihre bedrohliche Lösung wiederum besteht in der Weiterentwicklung Zunahme und Eskalation bleibt ausgespart. Mit dieser Verfahren und Institutionen und der Einfüh- Strafe, Zwang und Einmischung wird Erscheinungen rung ihrer völkerrechtlichen Verbindlichkeit. unzureichend begegnet, werden Ursachen jedoch Der 1966 von der UNO-Vollversammlung verab- nicht berührt. Ich denke, auch das sollte man in schiedete Internationale Pakt über bürgerliche und Betracht ziehen. politische Rechte kann spätestens seit 1976 völker- rechtliche Verbindlichkeit für sich in Anspruch neh- Noch ein Wort zur geforderten Aufhebung des Prinzips der Nichteinmischung: men. Er wurde bis 1990 von 89 Staaten ratifiziert, Ich bin durchaus der darunter einige notorische Folterregime, von 75 Staa- Meinung, daß Einmischung im Sinne der Verteidi- ten noch nicht unterzeichnet und von 5 Staaten gung von Menschenrechten legitim und erforderlich sein kann. Allerdings ist bis jetzt nirgendwo verbind- unterzeichnet, aber nicht ratifziert. Ein ähnliches Bild bietet sich bei anderen internationalen Vereinbarun- lich fixiert, daß dieses Recht nicht nur von Nord nach gen und Konventionen. Das Problem sind also nicht Süd oder von West nach Ost oder von reich zu arm fehlende Vereinbarungen, sondern die Möglichkeiten funktionieren muß, sondern im Bedarfsfalle auch umgekehrt. ihrer Umsetzung. Die Schaffung neuer S trukturen innerhalb des bestehenden Systems internationaler Völlig ungeklärt ist, wie weit Einmischung gehen Organisationen stellt aus meiner Sicht keine sehr darf. Gewalt hat viele Formen. Militärische Gewalt ist perspektivreiche Lösung dar. nur eine, wenn auch die offensichtlichste Spielart. Was in erster Linie fehlt, ist der politische Wille, In diesem Zusammenhang sind viele Probleme einen Teil nationalstaatlicher Kompetenz an eine offen bzw. nicht zu Ende durchdacht und diskutiert. globale Struktur abzutreten, die in der Lage sein Das Anliegen der Verteidigung der Menschenrechte sollte, bestehende Völkerrechtsnormen ohne Rück- und des Schutzes von Minderheiten ist zu unterstüt- sichtnahme auf die wirtschaftliche, politische und zen. Die vorliegende Beschlußempfehlung wird den militärische Potenz der einzelnen betroffenen Länder angesprochenen Problemen aber nicht gerecht. durchzusetzen. Weder UNO noch UN-Sicherheitsrat Daher werde ich diesen Anträgen keine Zustim- sind in ihrer jetzigen Funktions- und Organisations- mung geben können und mich der Stimme enthal- weise für diese Aufgaben geeignet. Das ergibt sich ten. schon aus der Dominanz der wirtschaftlichen Groß- Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. mächte in diesen Strukturen. Kompetenzerweiterung ohne grundlegende Demokratisierung der Wirkungs- (Beifall bei der PDS/Linke Liste) weise macht also keinen Sinn. Dies gilt analog für die angeregte Schaffung eines UN- Menschenrechtsge- richtshofes und eines Hochkommissars für Menschen- Vizepräsident Hans Klein: Ich erteile dem Kollegen rechte. Gerd Poppe das Wort. Ich sage nicht, daß nicht mehr für die Durchsetzung der Menschenrechte aller drei Generationen getan Gerd Poppe (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr werden muß, wenn es auf Dauer ein friedliches Präsident! Meine Damen und Herren! Vor einem Jahr Zusammenleben in dieser einen Welt geben soll. ließ uns die Menschenrechtsdebatte im Deutschen Angesichts des Umgangs mit dem oder, besser gesagt, Bundestag hoffen, daß das oft beschworene Primat Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 128. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1992 11097

Gerd Poppe der Menschenrechte sowohl die außen- als auch die führen, wird auch durch häufige Wiederholungen innenpolitische Praxis stärker als in früheren Zeiten nicht zutreffender. bestimmen würde. Wir sahen uns trotz aller politi- (Beifall bei der SPD) schen Differenzen ermutigt, den hohen Stellenwert Sie widerspricht nicht nur jeder Erfahrung mit stalini- der Menschenrechte durch gemeinsame interfraktio- nelle Initiativen deutlich zu machen. stischen Diktaturen, sondern bedeutet zugleich eine Absage an eine aktive deutsche Menschenrechtspoli- Auch seitens der Bundesregierung gab es begrü- tik. ßenswerte Ansätze, z. B. durch den vom Minister für Diese Politik vermisse ich auch gegenüber der wirtschaftliche Zusammenarbeit verkündeten An- Türkei, um noch ein anderes Beispiel zu nennen. spruch, Entwicklungshilfe an Verbesserungen der Noch vor wenigen Monaten haben wir die dortigen Menschenrechtspolitik der Nehmerländer binden zu Bemühungen um eine Justizreform gewürdigt. Inzwi- wollen. schen ist auf Betreiben Özals und anderer Politiker, So fiel es unserer Gruppe z. B. überhaupt nicht die weiter auf das hergebrachte Muster von Terror schwer, unseren damals eingebrachten eigenen und Gegenterror setzen anstatt auf die Akzeptanz der Antrag zur Einrichtung eines Menschenrechtsge- Minderheitenrechte, das Kernstück dieser Reform richtshofes und eines Hochkommissariats für Men- zunichte gemacht worden. Es wird also während einer schenrechte bei den Vereinten Nationen mit den 15- bzw. 30tägigen Polizeihaft weiter gefoltert wer- entsprechenden Vorstellungen von Koalition und SPD den. Es wird weiter unaufgeklärte Mordanschläge auf zu einem gemeinsamen Antrag zusammenzufassen, kritische Journalisten geben. Dennoch spricht die über den ja der Kollege Vogel ausführlich berichtet Bundesregierung — einzig auf Ankündigungen und hat. von der Realität längst widerlegte Behauptungen der türkischen Regierung gestützt — von der Verbesse- Zu dieser Praxis, parteipolitische Barrieren zu über- rung der Lage. winden und durch einen hohen Grad an Gemeinsam- Glaubwürdigkeit in Menschenrechtsfragen wird keit eine effizientere Durchsetzung elementarer Men- allerdings nur erreichbar, wenn auch Verbündete von schenrechte zu ermöglichen, bekennen wir uns auch Kritik nicht ausgenommen werden. Das gilt natürlich weiterhin. Jedoch bietet die kritische Bestandsauf- gegenseitig, was spätestens seit Mölln offenkundig nahme eines Jahres genug Anlaß, am Erfolg solcher geworden ist. Wer menschenverachtenden Gewalttä- Bemühungen zu zweifeln, und dies nicht nur wegen tern nur zögerlich entgegentritt, sich angesichts natio- der dramatischen Zunahme terroristischer Gewaltta- nalistischer Tendenzen und rechtsextremistischer ten und kriegerischer Auseinandersetzungen, son- Aktivitäten opportunistisch verhält oder gar auf poli- dern auch wegen der Widersprüchlichkeit und Inkon- tischen Terraingewinn spekuliert, indem er Grund- sequenz der Politik der Bundesregierung. Der Spagat rechte im eigenen Land einschränkt, wird im Ausland zwischen Anspruch und Wirklichkeit ist für uns oft unglaubwürdig, wenn er dort die Einhaltung der nicht mehr nachvollziehbar. Menschenrechte einklagen will. Die Bemühungen des Bundesaußenministers um Die Zurücknahme von Sanktionen gegenüber Einzelfälle im Rahmen der sogenannten stillen Diplo- einem diktatorischen Regime und die Relativierung matie, z. B. in China, gehören zu den Selbstverständ- des Grundrechts auf politisches Asyl sind zwei lichkeiten seiner Amtsausübung. Ihr Vorgänger, Herr Bestandteile der gleichen Negativbilanz. Sie sind Minister Kinkel, hat sie über viele Jahre hinweg Indizien für den Rückschlag, den die deutsche Men- erfolgreich praktiziert, ohne sie als Durchbruch in schenrechtspolitik innerhalb eines Jahres erlitten Menschenrechtsfragen überzubewerten. hat. Ein hinreichender Beleg für eine glaubwürdige und (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der erfolgreiche Menschenrechtspolitik sind sie nicht, PDS/Linke Liste) zumal dann nicht — um beim Beispiel China zu bleiben —, wenn öffentlich festgestellt wird, die Vizepräsident Hans Klein: Herr Kollege Heribert Beziehungen seien normalisiert, obwohl sich die dor- Scharrenbroich, Sie haben das Wort. tigen Verhältnisse seit dem Massaker von 1989 nicht verbessert haben. Heribert Scharrenbroich (CDU/CSU): Herr Präsi- Wenn, wie zu erwarten ist, die Mehrheit dieses dent! Meine Damen und Herren! Terroristen müssen Hauses es ablehnen wird, an den seinerzeit beschlos- wissen, daß ihre Verbrechen unnachsichtig verfolgt senen Sanktionen festzuhalten, dann bedeutet das, und geahndet werden. Das ist eigentlich der Klam- daß die Interessen der deutschen Wirtschaft für die mersatz zwischen heute morgen und dem Thema Regierungskoalition von größerem Gewicht sind als heute nachmittag. Das gilt nämlich für Terro risten im die Leiden des chinesischen Volkes. Dann bedeutet Gewande staatlicher Machthaber im Ausland ebenso das auch, daß Folter und öffentliche Hinrichtungen, wie für die Cliquen der Rechtsterroristen, die zur Zeit die weitere Existenz der mit dem sowjetischen in unserem Land ausländischen Mitbürgern und Asyl- GULAG vergleichbaren Gefangenenlager sowie die bewerbern Angst und Schrecken einjagen und vor anhaltende Unterdrückung der Tibeter auf lange Mord nicht zurückschrecken. Sicht die Bestandteile der sogenannten Normalität des deutschen Verhältnisses zu China sein werden. Dazu hat sich heute in einer sehr nachdenklich stimmenden Rede der Bundeskanzler in seiner Regie- Die Behauptung, wirtschaftliche Liberalisierung rungserklärung geäußert, ebenso die Fraktionen die- würde zwangsläufig zum Ende der Unterdrückung ses Hauses. 11098 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 128. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1992

Heribert Scharrenbroich Ich gebe unumwunden zu, angesichts dieser Ver- leugnen ist, daß wir wenn wir jetzt die Türe zuließen brechen in unserem L ande ist es natürlich für deutsche oder gleich wieder zuschlagen würden, dann keinen Politiker schwieriger, sich für die Eindämmung von Einfluß mehr hätten. Eine engere Kooperation mit der Menschenrechtsverletzungen in anderen Ländern zu Volksrepublik China fördert meiner Ansicht nach engagieren. Und trotzdem sind wir dazu aufgerufen. eher die Respektierung der Menschenrechte und die Sicher müssen wir noch sensibler, aber nicht minder Gewährung von Rechtssicherheit. Herstellen werden eindeutig reagieren. Wir nehmen die Mahnungen aus wir sie dadurch nicht. dem Ausland ernst, aber wem geht es nicht so, daß wir (Beifall bei der CDU/CSU) natürlich manches auch als ungerecht empfinden, wenn einige ausländische Politiker oder Medien nur ein vergröberndes Bild von der Bundesrepublik zeich- Vizepräsident Hans Klein: Sind Sie bereit, eine nen, wenn sie nicht zur Kenntnis nehmen wollen, wie Zwischenfrage zu beantworten? die Bevölkerung und die demokratischen Kräfte sowie die Institutionen unseres Landes gegen diese rechts- Heribert Scharrenbroich (CDU/CSU): Bitte schön. terroristischen Anschläge auf die hier lebenden Men- schen und unseren Rechtsstaat vorgehen? Freimut Duve (SPD): Herr Kollege, Sie haben die Wir sollten, meine ich, für unser internationales immer notwendige Frage aufgeworfen, ob und wie Menschenrechtsengagement vor allem zwei Lehren vielen Menschen wir seinerzeit durch unseren Protest aus dem ziehen, was hier passiert und was uns jetzt geholfen haben. Ist es nicht in jedem Fall auch eine widerfährt: ungeheuer wichtige Hilfe, daß Menschen das Signal bekommen, daß andere von ihrem Elend oder ihrem Erstens müssen wir stärker nach den Ursachen für Menschenrechtsverletzungen fragen. Wir müssen uns Leid wissen? Ist dieses Wissen an sich — das ist meine bemühen, die Ursachen zu beheben, und dabei ande- Frage an Sie — nicht auch schon eine Hilfe für die — in ren Nationen helfen. diesem Fall in China — Unterdrückten? (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. Heribert Scharrenbroich (CDU/CSU): Es ist sicher- sowie bei Abgeordneten der SPD) lich, Herr Kollege, eine wichtige Hilfe für diejenigen, Wir haben uns als Europäer, glaube ich, manchmal die unsere Debatten verfolgen können. Aber für eine sehr verkürzte Menschenrechtsargumentation diejenigen, die in den Verliesen liegen und nichts von zugelegt, bei der wir schon zufrieden sind, wenn die dem erfahren, was wir hier sagen, ist das keine Hilfe. formalen juristischen Bedingungen erfüllt sind, wenn Ich muß differenzieren und abwägen. die positiven Gesetze eingehalten werden. Aber (Zuruf von der SPD: Das eine tun und das „Menschenrechte" bedeutet mehr; das hat auch andere nicht lassen!) etwas mit Stillen von Hunger und mit Beseitigung von Ich wiederhole meinen Eingangssatz: Terro risten Unrecht und Ungerechtigkeit zu tun. müssen wissen, daß ihre Verbrechen unnachsichtig Zweitens glaube ich — das sollte uns auch die verfolgt und geahndet werden. Ich wiederhole: Das jetzige Lage lehren —: Wir müssen stärker unterschei- gilt auch für Terror staatlicher Machthaber. Deswe- den, wo Regierungen und Machthaber Terror gegen gen unterstreiche ich besonders die Eingangssätze Menschen zulassen oder sogar verantworten und wo der Beschlußempfehlung, zu der ich Sie um Zustim- Regierungen es trotz großer Anstrengungen nicht mung bitte. Ich zitiere: schaffen, Rechtssicherheit, Rechtsstaatlichkeit und Die Universalität der Menschenrechte verlangt, Demokratie in ihrem Land herzustellen. daß die Forderung nach Achtung der Menschen- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) rechte und dem Schutz von Minderheiten nicht als Einmischung in die inneren Angelegenheiten Diese Regierungen bedürfen unserer Unterstützung, zurückgewiesen werden kann. Die internationale nicht unserer Ausgrenzung. Ich bitte die Bundesregie- Staatengemeinschaft muß das Instrumentarium rung, dies bei der Anwendung ihrer Kriterien für fortentwickeln, das eine Ahndung von Men- Entwicklungshilfe stärker in Rechnung zu stellen. schenrechtsverletzungen notfalls auch gegen den (Zustimmung bei Abgeordneten der CDU/ Willen des betroffenen Staates ermöglicht. CSU) Menschenrechte sind heute keine innerstaatliche Herr Neumann, ich glaube, es ist nicht zynisch, Angelegenheit mehr. Das ist eigentlich das Leitmotiv wenn wir hier heute über den China-Antrag debattie- der internationalen Menschenrechtspolitik. Die ren. Ich glaube, es ist ehrlich. Deswegen haben wir Nichtbeachtung von Minderheitenrechten und Men- über ihn auch gerade heute debattieren wollen. Es ist schenrechtsverletzungen, insbesondere hervorgeru- mir wichtig, daß wir mit gleicher Elle messen. Das fen durch Kriege und Bürgerkriege, wie sie zur Zeit im heißt aber nicht, daß wir bei jedem Land die gleiche ehemaligen Jugoslawien oder in Somalia stattfinden, Methode anwenden. Wir müssen — so richtig unsere lösen Vertreibung und Flüchtlingsströme großen Aus- Entschließungen nach dem Massaker auf dem Platz maßes aus. Die Lage in Somalia und Jugoslawien des Himmlischen Friedens waren — auch die Frage zeigt, daß die Problematik der Menschenrechtssitu- beantworten, wie vielen Menschen wir damit gehol- ation ein solches Ausmaß erreichen kann, daß sogar fen haben. Ich bin froh, daß wir damals diese klaren begrenzte militärische Aktionen zur Sicherung huma- Beschlüsse gefaßt haben. Aber in der jetzigen Phase nitärer Hilfsaktionen notwendig werden. müssen wir uns fragen: Wie können wir mehr Men- Für meine Fraktion sage ich: Es wird immer uner- schen helfen? Da glaube ich schon, daß es nicht zu träglicher, daß sich Deutschland auf Grund der bizar- Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 128. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1992 11099

Heribert Scharrenbroich ren und absurden Diskussion hierzulande nicht an für Europa, wie Mazowiecki sagt, wie lange es dauert, solchen Aktionen beteiligen kann. bis diese Gefangenenlager aufgelöst werden. (Beifall bei der CDU/CSU, der F.D.P., der (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. — SPD und beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜ Rudolf Bindig [SPD]: Legen Sie einmal einen NEN) Text für eine Grundgesetzänderung für den Auch das sollte ein Thema des Edinburgher Gipfels humanitären Bereich vor!) sein. Ich bin sicher, daß die Bundesregierung dies einführt. Wir setzen uns in allen internationalen Gremien für die Durchsetzung dieses Leitmotivs internationaler Wir stehen ohnmächtig vor Wut vor der Feststel- Menschenrechtspolitik ein: im Europarat, wie es Kol- lung, daß in UNO-Resolutionen Völkermord zum lege Vogel eben darstellte, in der KSZE, in der x-ten Mal verurteilt und richtigerweise sogar als Interparlamentarischen Union oder in den Vereinten Bedrohung des Weltfriedens definiert wurde, daß Nationen. Herr Bundesaußenminister Kinkel hat in dieser Völkermord aber im ehemaligen Jugoslawien seiner Antrittsrede in der letzten UNO-Vollversamm- zugelassen wird. lung auch diese unsere Botschaft verdeutlicht. Ich (Vorsitz : Vizepräsident Dieter-Julius Cro danke Ihnen, daß Sie sich vor den Vereinten Nationen nenberg) auch für die Schaffung der Institutionen eingesetzt Wir müssen die Frage beantworten: Wie viele Men- haben, die — diese Auffassung kommt auch in der schen müssen in Jugoslawien noch umgebracht wer- heute zu verabschiedenden Entschließung zum Aus- den, bis sich die Weltgemeinschaft endlich zu militä- druck, die ja schon lange in der Diskussion ist — zum rischen Aktionen aufrafft? Das fragen uns die Bürger Schutz der Menschenrechte neu werden eingerichtet draußen Tag für Tag. werden müssen. Sie sind hier bereits genannt worden: (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) der Menschenrechtsgerichtshof, ein Hoher Kommis- sar für Menschenrechte, ein Strafgerichtshof und ein Codex über Verbrechen gegen den Frieden und die Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Herr Ab- Sicherheit der Menschen. geordneter, sind Sie bereit, eine Zwischenfrage zu beantworten? Aber wir müssen genauso deutlich sagen: Den Menschen, die jetzt, während wir hier debattieren, Heribert Scharrenbroich (CDU/CSU): Nein. — ausgehungert werden — ich sage nicht „hungern" Jeder weiß, daß dieses Massaker nur durch militäri- oder „verhungern", sondern sie werden ausgehun- sche Inte rventionen beendet werden kann. Wir sind gert —, Menschen, die in dieser Stunde bestialisch sicher: Gestern war es Kroatien, heute ist es Bosnien- gefoltert werden, die in diesen Tagen von der Kriegs- Herzegowina, morgen ist der Sandschak oder der furie umgebracht werden, hilft das nicht mehr. Kosovo. Wie lange sollen wir noch warten? Ich füge hinzu: Wir Deutschen können diese Frage Die in diesen Tagen praktizierten massenweisen nur ganz leise stellen. Man glaubt uns nicht, wenn wir Vergewaltigungen von Frauen im ehemaligen Jugo- uns hinter unserem Grundgesetz verschanzen und nur slawien werden durch rein rhetorische Entschließun- die anderen zu einer militärischen Inte rvention auffor- gen nicht verhindert, auch nicht, wenn die Regierun- dern. Das ist wenig glaubwürdig. Genau das war im gen, die Vereinten Nationen die Anlage von Strafre- Hearing aus Anlaß der Massenvergewaltigung von gistern unterstützen, die eine spätere Strafverfolgung Frauen die immer wiederholte Frage von Menschen- derjenigen, die diese bestialischen Verbrechen bege- rechtsorganisationen, die gar nicht so sehr im rechten hen, ermöglichen. Das hält die Furie, die zur- „Säube- Spektrum angesiedelt sind: Wann ist die Weltöffent- rung" in Bosnien - Herzegowina systematisch einge- lichkeit und auch die Bundesrepublik endlich bereit, setzt wird, nicht auf, leider nicht. Trotzdem ist es hier zu intervenieren? notwendig, daß es gemacht wird. Wir hoffen, daß Menschen, die zu solchen Verbrechen fähig sind oder Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: War Ihre sich dazu verleiten lassen, künftig wissen, daß sie Absage, Fragen zu beantworten, eine grundsätzliche, irgendwann mit Namen registriert und bestraft wer- Herr Abgeordneter Scharrenbroich? den. Heribert Scharrenbroich (CDU/CSU): Nein, nur Natürlich danken wir der Bundesregierung und den bezogen auf die Passage. Bundesländern dafür, daß sie sich in beispielhafter Form bemühen, durch einen deutschen Beitrag und durch Mobilisierung der Weltgemeinschaft die Men- Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Bitte schön! schen aus den Kriegsgefangenenlagern herauszuho- len. Von den 6 600 Menschen in Kriegsgefangenenla- gern sollen, so wurde mir gestern berichtet, 1 000 nach Dr. Eberhard Brecht (SPD): Herr Ko llege, Sie haben Deutschland kommen. Großbritannien hat seine als Grund der deutschen Zurückhaltung die Grundge- Quote von 150 auf 1 000 erhöht. Ich bedanke mich für setzlage genannt. Sind Sie nicht mit mir der Auffas- die Diskussionen, die dafür notwendig waren, Herr sung, daß sich ein militärisches Eingreifen deutscher Minister. Aber 1 500 dieser Menschen, die bekannt- Soldaten in Jugoslawien aus historischen Gründen lich unter den unsagbarsten Umständen gefangenge- grundsätzlich verbietet? halten werden, haben noch kein Aufnahmeland, bis (Brigitte Baumeister [CDU/CSU]: Nein, über gestern jedenfalls nicht. Es ist in der Tat eine Schande haupt nicht!) 11100 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 128. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1992

Heribert Scharrenbroich (CDU/CSU): Erstens Bundeswehr für humanitäre Aktionen und zum würde ich dem grundsätzlich so nicht zustimmen. Schutz humanitärer Aktionen einsetzen kann. Wir Zweitens ist es zunächst einmal eine generelle Diskus- warten auf den Textvorschlag der Bundesregierung sion. Wir haben nicht das moralische Recht, von und der Koalition. anderen Ländern zu verlangen, daß sie ihre Söhne in diese Gefahr schicken, wenn wir uns hinter dem (Heribert Scharrenbroich [CDU/CSU]: Wir warten auf Ihre Bereitschaft, das Grundge Grundgesetz verschanzen. setz zu ändern! Dann ist das noch einfa (Beifall bei der CDU/CSU) cher!) Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Der Abge- Wenn wir uns am Tage der Menschenrechte mit der ordnete Oostergetelo hat noch einmal darum gebeten, Lage der Menschenrechte in der Welt und der Men- eine Zwischenfrage stellen zu dürfen. schenrechtspolitik der Bundesregierung beschäfti- gen, so liegen die Problemstrukturen heute ähnlich Heribert Scharrenbroich (CDU/CSU): Ja, bitte wie vor einem Jahr. Hinzugekommen sind vor allem schön. Menschenrechtsprobleme in unserem eigenen Land im Zusammenhang mit Aktionen gegen Ausländer Jan Oostergetelo (SPD): Herr Kollege, ich hatte und Asylbewerber. Hinzugekommen ist ein unvor- mich bei Ihrer vorigen Passage gemeldet. Ich teile Ihre stellbares Ausmaß an Menschenrechtsverletzungen Meinung, daß der Zustand schrecklich ist, den Sie in einem Krieg, der in Europa im ehemaligen Jugo- beschrieben haben. Außenpolitiker aus Polen, Frank- slawien herrscht. reich und Deutschland haben hier nach dem Vortrag des polnischen Ministerpräsidenten a. D. gesagt, man Geblieben ist vor allem das Mißverhältnis zwischen sollte sehr schnell dafür sorgen, daß etwas geschieht. durchaus anspruchsvollen völkerrechtlichen Normen Ich habe gestern und heute noch immer nicht in und der realen menschenrechtlichen Lage in vielen Erfahrung bringen können, ob diese von allen Par- Staaten mit Bürgerkriegen, Gewalt und Willkürherr- teien und von den drei Staaten gewollte Hilfe exeku- schaft, mit politischer Unterdrückung, mit Elend, tiert wird oder ob wir wieder bis nach Weihnachten Armut und Hungersnot. warten. Ich habe es nicht in Erfahrung bringen kön- Was den Ausbau und die Festigung des internatio- nen, obwohl man mir gestern gesagt hat, auch im nalen Menschenrechtsinstrumentariums angeht und Kabinett sei darüber geredet worden. Können Sie mir hier wieder die Mitwirkung Deutschlands, so sind da weiterhelfen? Denn ich teile die Sorgen, die Sie in zwei wichtige Anliegen aus dem vergangenen Jahr der vorigen Passage genannt haben. inzwischen erfüllt: Dieses Parlament hat die beiden Zusatzprotokolle zum internationalen Pakt über bür- (CDU/CSU): Ich glaube, Heribert Scharrenbroich gerliche und politische Rechte, zur Individualbe- dazu wird sich sicherlich der Herr Außenminister schwerde und zur weltweiten Ächtung der Todes- äußern, wobei ich dem Herrn Außenminister — si- strafe ratifiziert. Die Ratifikationsgesetze zum neun- cherlich auch in Ihrem Sinne, Herr Kollege — mit auf ten und zehnten Zusatzprotokoll zur Europäischen den Weg gebe: Wenn das stimmt, was ich heute in der Menschenrechtskonvention sind auf den Weg ge- Zeitung gelesen habe, nämlich daß man sich Mitte bracht. Januar mit den Fraktionen über dieses Thema unter- halten will, dann halte auch ich das für zu spät. Nach vorne richtete sich der Blick vor allem auf die (Beifall bei der CDU/CSU, der F.D.P., der zweite Weltmenschenrechtskonferenz der Vereinten SPD und beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜ Nationen im Juli 1993 in Wien. Hier erwarten wir, daß NEN) sich die Bundesregierung in besonderem Maße ver- - pflichtet fühlt, zum Gelingen dieser Konferenz beizu- Meine Damen und Herren, ich möchte schließen, tragen, nachdem sie mit der Einladung der Vereinten indem ich nicht nur an das erinnere, was zur Stunde in Nationen zu dieser Konferenz nach Berlin und der Skandinavien stattfindet, daß Frau Rigoberta Menchú späteren Ausladung die Konferenz im Vorfeld nicht den Friedensnobelpreis bekommt, und damit in die Weltöffentlichkeit gerät, welche Menschenrechtsver- gerade gefördert hat. letzungen gerade bei indigenen Völkern stattfinden, (Beifall bei der SPD — Gerhart Rudolf Baum sondern ich möchte voller Trauer auch daran erin- [F.D.P.]: Davon spricht kein Mensch mehr!) nern, daß wir uns im vergangenen Jahr für die damalige Nobelpreisträgerin Frau Aung San Suu sehr Auf dieser Konferenz geht es nicht mehr nur um die engagiert hatten und daß dieser Frau immer noch rhetorische Forderung nach der Schaffung eines Men- unter unmenschlichen Verhältnissen ihre Freiheit schenrechtsgerichtshofs und eines Hohen Kommissa- vorenthalten wird. Auch ihrer sollten wir an diesem riats der Vereinten Nationen für Menschenrechte, Tage gedenken. sondern um das frühzeitige Einbringen und das Vor- anbringen von operativen Vorschlägen für diese Insti- Danke schön. tutionen. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Bei dem UN-Menschenrechtskommissariat — so Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Das Wort fordern wir in unserem gemeinsamen Entschließungs- hat nunmehr der Abgeordnete Rudolf Bindig. antrag — sollen alle bisherigen Menschenrechtsaus- schüsse und Menschenrechtskommissionen, die bera- Rudolf Bindig (SPD): Herr Präsident! Herr Kollege, tenden Dienste und die Sonderberichterstatter neu wir warten natürlich noch auf Ihren Textvorschlag für geordnet, zusammengefaßt und ihre jeweiligen Kom- die Neufassung des Grundgesetzes, wie man die petenzen ausgebaut werden. Besonders wichtig sind Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 128. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1992 11101

Rudolf Bindig die Schaffung und Stärkung effektiver Überwa- Ministerrat aufgefordert, eine Reform des Kontroll- chungs-, Kontroll- und Durchsetzungsverfahren so- mechanismus der Europäischen Menschenrechts- wie eine wesentliche Stärkung der Verfahren zur konvention vorzunehmen. Ziel ist die Bildung eines Tatsachenermittlung. einzigen Gerichtshofs mit vollzeitbeschäftigten Rich- Natürlich wissen wir um die Schwierigkeiten, für tern anstelle des derzeitigen zweistufigen Kontrollsy- diese Projekte Unterstützung schon bei den EG stems. Mitgliedsländern und in der Gruppe der westlichen Hängen die Erfolge beim Ausarbeiten neuer Kon- Staaten zu finden und dann vor allem die anderen ventionen und der Schaffung effizienter Durchset- Ländergruppen hinter diese Projekte zu bringen. zungsmechanismen wesentlich von der Haltung und Entscheidung anderer Staaten ab, so gibt es natürlich Aber ähnlich wie die beharrlichen Forderungen auch den Bereich unmittelbarer Menschenrechtspoli- aus dem Parlament die Bundesregierung veranlaßt tik, der von einer Regierung direkt gestaltet werden haben, intensiver an konkreten Vorschlägen für einen kann. In diesen Bereichen offenbart sich besonders Menschenrechtsgerichtshof und einen Hohen Kom- die Ernsthaftigkeit und Glaubwürdigkeit einer konse- missar für Menschenrechte zu arbeiten, wird auch die quenten Menschenrechtspolitik. Beharrlichkeit der Bundesregierung in den Vorberei- tungsgremien ausschlaggebend für einen möglichen Besonders auffällig ist die Unabgestimmtheit der Erfolg sein. Politik der Bundesregierung in den verschiedenen Politikbereichen. Da gibt es einerseits im Bereich der (Beifall bei der SPD) Entwicklungspolitik erkennbare Bemühungen, men- Noch schwieriger gestalten sich die Arbeiten an der schenrechtliche Gesichtspunkte zu einem Entschei- Errichtung eines Internationalen Strafgerichtshofs dungsfaktor der entwicklungspolitischen Zusammen- und der Kodifizierung eines internationalen Straf- arbeit zu machen, aber es wird dieses Kriterium dann rechts. Immerhin haben die bisher erhobenen Forde- bei Ländern unterschiedlicher Größe und wirtschaftli- rungen auch durch die Bemühungen der Bundesre- cher Bedeutung unterschiedlich gewichtet, wie es sich gierung dazu geführt, daß ein solcher Strafgerichtshof am Beispiel Chinas oder Malawis zeigen läßt. Es beginnt, Formen anzunehmen. werden zum anderen solche Ansätze durch die Hal- tung in anderen Politikbereichen, z. B. der Rüstungs- Durch Beschluß des zuständigen Ausschusses der exportpolitik oder der Wirtschaftspolitik, konterka- UN-Generalversammlung ist die Völkerrechtskom- riert. mission gebeten worden, ein entsprechendes Statut auszuarbeiten. Ziel dieser Bemühungen ist es, gegen Wenn einem Land mit erheblichen inneren Span- die Täter schwerster internationaler Verbrechen nach nungen und schweren Menschenrechtsverletzungen dem Kodex von Verbrechen gegen den Frieden und wie der Türkei in erheblichem Umfang Militärhilfe in die Sicherheit der Menschheit ein Verfahren vor Form von Rüstungssonderhilfe, Materialhilfe, Nato- einem Gerichtshof in G ang zu bringen, ein Urteil zu Verteidigungshilfe und Ausstattungshilfe geliefert fällen und eine Vollstreckung zu ermöglichen. wird, so wird dadurch jede konstruktive Menschen- rechtsarbeit in diesem L and blockiert. Daß bei der Ausarbeitung neuer und effizienterer Instrumente der Menschenrechtspolitik die Arbeiten (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ der Bundesregierung allmählich anfangen, in DIE GRÜNEN) Schwung zu kommen und sogar erste Erfolge zu Die meisten unserer menschenrechtlichen Forde- tätigen, scheint mir erkennbar damit zusammenzu- rungen, welche wir heute, am Tag der Menschen- hängen, daß das Parlament durch die Schaffung eines rechte, diskutieren, beziehen sich darauf, den Men- besonderen Gremiums für Menschenrechte und schen frei von Angst, Verfolgung und Unterdrückung durch regelmäßige Menschenrechtsdebatten wie- am zu stellen. heutigen Tage seine Initiativ- und Kontrollfunktionen verbessert und verstärkt hat. Dieses wirkt sich arbeits- Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Herr Ab- fördernd und kreativ auf die Bundesregierung aus. geordneter, sind Sie bereit, eine Frage des Abgeord- (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der neten Professor Pinger zu beantworten? F.D.P. und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜ NEN) Rudolf Bindig (SPD): Bitte schön. Schade ist allerdings, daß die Bundesregierung unseren Vorschlag nicht aufgenommen hat, zur Vor- Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Bitte bereitung der UN-Menschenrechtskonferenz ein schön. nationales Vorbereitungskomitee einzuberufen, nach dem Vorbild eines entsprechenden Gremiums Dr. Winfried Pinger (CDU/CSU): Herr Kollege, im zur Vorbereitung der Weltumweltkonferenz in Rio. Hinblick auf die kritischen Bemerkungen zu China erlaube ich mir folgende Frage — ich gehe davon aus, (Gerhart Rudolf Baum [F.D.P.]: Also, das war daß Sie den Entschließungsantrag der CDU/CSU und so doll nicht!) der F.D.P., der vorliegt und wahrscheinlich nachher Auch auf anderer Ebene sind es die Parlamente, beschlossen wird, Drucksache 12/2960, gelesen welche die entsprechenden Regierungsinstitutionen haben —: Stimmen Sie mir zu, daß auf Seite 5 dieses in wichtigen Menschenrechtsbereichen zum Handeln Entschließungsantrages ausdrücklich darauf hinge- auffordern und zum Teil auch drängen müssen. So hat wiesen wird, daß hinsichtlich der entwicklungspoliti- die Parlamentarische Versammlung des Europarats schen Kriterien die Menschenrechtslage in China mit aktiver Beteiligung deutscher Teilnehmer den genauso beurteilt werden soll wie in anderen Län- 11102 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 128. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1992

Dr. Winfried Pinger dern, und daraus auch die entsprechenden Konse- Ich war gerade dabei darzulegen, daß sich die quenzen gezogen werden, indem hier ausdrücklich meisten unserer menschenrechtlichen Forderungen, auf die Ziffer 1 des früheren gemeinsamen Antrags zur welche wir am Tag der Menschenrechte diskutieren, Menschenrechtssituation Bezug genommen wird? darauf beziehen, den Menschen frei vor Angst, Ver- folgung und Unterdrückung zu stellen. Auf dieses Ziel Rudolf Bindig (SPD): Ich stimme Ihnen zu, daß dies hin sind auch unsere Forderungen zur Weiterentwick- so in dem Entschließungsantrag steht, aber genau hier lung des internationalen Menschenrechtsinstrumen- kommt eine merkwürdige Doppelhaltung zum Aus- tariums in dem Entschließungsantrag gerichtet. druck. In einem Bereich soll die Menschenrechtslage Es geht hier um den Schutz und die Gewährung der Kriterium sein, im andern nicht. Man kann es auch so bürgerlichen und politischen Menschenrechte. Die ausdrücken: in einem Bereich etwas für das Herz und Forderung nach dem Schutz der körperlichen Unver- im anderen Bereich etwas für die Kasse. sehrtheit des Menschen zeigt überdeutlich, daß zu (Beifall bei der SPD und beim BÜNDNIS 90/ den Menschenrechten auch das Freisein von Not DIE GRÜNEN — Karl Lamers [CDU/CSU]: gehört. Es geht um die wirtschaftlichen und sozialen Denken Sie an die Schiffe, Herr Kollege, von Menschenrechte. denen eben die Rede war! Seien Sie vorsich Auf der Welternährungskonferenz in Rom wurde tig!) dieser Tage die bittere Realität bekanntgemacht, daß trotz einer relativen Abnahme des Hungers in der Welt seit vielen Jahren noch immer 786 Millionen Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Das ver- anlaßt den Abgeordneten Vogel (Ennepetal), eine Menschen unterernährt sind. Jeden Tag sterben Frage zu stellen. — Bitte schön. 40 000 Kinder vor allem an den Folgen des Nahrungs- mangels. 2 Milliarden Menschen leiden unter stark einseitiger Ernährung. Friedrich Vogel (Ennepetal) (CDU/CSU): Herr Kol- lege Bindig, ehe wir hier in einen allzugroßen Streit Zur Menschenrechtspolitik gehört auch die Frage, kommen: Ich habe hier eine Meldung, die aus China wie wir uns gegenüber diesen erschreckenden Zahlen kommt, mit der Überschrift „Baden-Württembergs verhalten. Die Befriedigung der elementaren Grund- Wirtschaftsminister zu Gesprächen in China". bedürfnisse als Menschenrecht muß stärker als bisher in die menschenrechtliche Diskussion eingebracht (Brigitte Baumeister [CDU/CSU]: Wie heißt werden. Es geht dabei nicht um das Ausspielen der der denn?) einen Gruppe der Menschenrechte gegen die andere Wenn ich mich richtig erinnere, ist das unser früherer Gruppe der Menschenrechte, wie dies politisch gele- Kollege Spöri, der der SPD angehört. Ich könnte Ihnen gentlich geschieht; es geht nicht um Freiheit o der jetzt gleiches vorlegen aus dem Lande Rheinland- Brot, sondern um Freiheit und Brot, um Freisein von Pfalz, dessen Wirtschaftsminister, der zwar von der Angst und Not. F.D.P. gestellt wird, die aber zu einer SPD-geführten Gleichberechtigt neben unsere Forderungen nach Regierung gehört, ebenfalls zu Wirtschaftsgesprä- der Erfüllung und Gewährleistung der Menschen- chen in China ist. rechte der ersten Generation sollten wir unsere For- (Freimut Duve [SPD]: Schmerzt Sie das so derungen und unsere Aufmerksamkeit auf die Erfül- sehr, daß Sie das sogar in einer China lung der Menschenrechte der zweiten Generation Debatte fragen?) richten. Ebensowenig wie es angeht, mit dem Hinweis Deshalb frage ich, ob es nicht auch doppelbödig ist, auf nichterfüllte soziale Mindestrechte von der wenn hier so aufgetreten wird und da so gehandelt schmählichen Mißachtung der klassischen Schutz- wird. - rechte der Bürger abzulenken, kann es angehen, unter alleiniger Betrachtung der politischen Freiheits- (Freimut Duve [SPD]: Das ist doppelföderali rechte das soziale Elend Millionen Hungernder und stisch!) Unterernährter zu verdrängen. Beachtet man auch diesen Aspekt der Menschen- Rudolf Bindig (SPD): Herr Kollege, differenzierte rechte und sieht als Menschenrecht auch das Recht Probleme erfordern auch differenziertes politisches auf Teilnahme an Entwicklung, das Recht auf Frieden Vorgehen. und auf eine gesunde Umwelt an, so tritt noch schärfer (Beifall bei der CDU/CSU) als bei der Betrachtung der bürgerlichen und politi- Niemand ist der Auffassung, daß nicht normale Wirt- schen Menschenrechte hervor, daß wir wahrlich noch schafts- und Handelsbeziehungen mit China gepflegt nicht alles tun können, was wir tun könnten, um uns werden sollen. mit aller Kraft für die Verwirklichung der Menschen- (Unruhe bei der CDU/CSU — Brigitte Bau rechte einzusetzen. meister [CDU/CSU]: Was ist „normal"?) (Beifall bei der SPD und beim BÜNDNIS 90/ Es geht um die Frage, ob Handelsgeschäfte mit DIE GRÜNEN) diesem Land aus Steuermitteln besonders gefördert werden sollten oder nicht. Über diese Problematik Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Das Wort diskutieren wir bei der Aufhebung des Beschlusses hat nunmehr der Bundesminister des Auswärtigen, und nicht allgemein über die Frage der Handelsbezie- Dr. Klaus Kinkel, hungen. Es ist nämlich ein Unterschied, ob gehandelt wird oder ob aus Steuermitteln subventioniert wird. Dr. Klaus Kinkel, Bundesminister des Auswärtigen: (Beifall bei der SPD) Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 128. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1992 11103

Bundesminister Dr. Klaus Kinkel Abgeordneter Oostergetelo — jetzt ist er gerade gerecht werden wollen, dann darf uns für den Men- hinausgegangen —, ich kann Ihre Frage im Augen- schenrechtsschutz keine Anstrengung zuviel sein. blick nicht im einzelnen beantworten, weil ich nicht (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU genau verstanden habe, was Sie meinten. Wenn Sie sowie bei Abgeordneten der SPD) davon gesprochen haben sollten, daß es um diese 6 000 Lagerinsassen geht, dann kann ich Ihnen sagen, Gewiß, die Verbesserung der Menschenrechtslage daß auf meinen Druck hin diese 6 000 Lagerinsassen, ist ein mühsames Unterfangen, verlangt großes Enga- jedenfalls im europäischen Raum, gemeinsam mit den gement, langen Atem und eine wohlüberlegte Wahl Amerikanern untergebracht worden sind. Wir neh- der Mittel. Jedenfalls mit der Brechstange allein ist es men 1 000, die Amerikaner nehmen 1 000, die Spanier nicht getan. nehmen 1 000, die B riten nehmen 1 000, und den Rest Unsere eigene leidvolle Erfahrung mit zwei haben wir auf die übrigen L ander in der Gemeinschaft Unrechtsregimen bringt uns in der Menschenrechts- verteilt. Dies ist theoretisch geschehen. Ich habe mich frage in eine besondere, nicht immer einfache Lage. gestern noch einmal erkundigt und erfahren, daß bei Wir tragen eine besondere Verantwortung, aber als uns in der Bundesrepublik — nageln Sie mich jetzt gebrannte Kinder und nicht in erster Linie als Lehr- nicht genau fest — inzwischen 150 angekommen und meister. untergebracht sind und daß noch einmal 100 auf dem Weg sind. (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Es ist absolut selbstverständlich — wenn ich das hier Unsere unheilvolle Vergangenheit, auf die heute auch noch sagen darf —, daß wir, wenn es etwas mehr schon hingewiesen worden ist, verleiht auch den als 1 000 sein sollten, diese natürlich genauso aufneh- beschämenden Angriffen gegen Asylsuchende, den men, wie wir uns verpflichtet haben, die vergewaltig- Anschlägen auf jüdische Gedenkstätten eine beson- ten Frauen, wenn diese denn im Ausland Aufnahme dere Dimension. Sie treffen — ich habe es hier schon suchen, hier aufzunehmen. einmal gesagt — unser demokratisches Selbstver- ständnis im Kern. Daß sie uns nach drinnen und nach (Beifall bei der F.D.P., der CDU/CSU, der draußen großen Schaden gebracht haben, wird jeden SPD und beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜ Tag deutlicher. Sie alle, wir alle erleben es täglich NEN) durch die Medien. Meine Damen und Herren, heute vor 44 Jahren Hunderttausende von Menschen haben allerdings wurde die Allgemeine Erklärung der Menschen- in bewegender Weise gezeigt, daß die ganz große rechte verabschiedet. Dies geschah unter dem Ein- Mehrheit unserer Bürger den braunen Spuk einer druck der Schrecken des Nationalsozialismus und der kleinen verblendeten Minderheit zutiefst verab- verheerenden Zerstörungen und Menschenopfer des scheut. Dies muß auch der Staat jetzt zeigen. Er muß zweiten Weltkriegs. „Nie wieder" !, das war das Credo zeigen, daß wir eine wehrhafte Demokratie sind. der Verfasser der Erklärung. (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) Inzwischen ist die Allgemeine Erklärung zum meist Polizei, Justiz im repressiven Bereich und — ich zitierten Menschenrechtsdokument geworden. Es ist wiederhole es hier nochmals — natürlich auch ein umfassendes Netz von Konventionen und Institu- Medien, Schulen, Universitäten, Gewerkschaften, tionen entstanden, die alle dem Schutz und der Kirchen, die ganze Gesellschaft, sind aufgefordert zu Verwirklichung der Menschenrechte dienen. zeigen, daß wir nicht zulassen — auch das wiederhole ich —, daß mühsam aufgebaute demokratische Struk- Dennoch — das wurde heute schon mehrmals turen in unserem Land durch diesen braunen Minder- erwähnt — vergeht kaum ein Tag, an dem wir- nicht heitenpöbel in Gefahr geraten. mit erschreckenden Bildern der Menschenverach- tung konfrontiert werden. Die Vergewaltigung musli- Nach Übernahme des Amtes des Außenministers mischer Frauen — diese habe ich eben erwähnt — in habe ich von diesem Pult aus deutlich gemacht, daß Bosnien-Herzegowina haben der Unmenschlichkeit ich den Menschenrechten in der Außenpolitik einen eine neue, erschütternde Dimension hinzugefügt. besonderen Stellenwert einräume. Ich fühle mich — das sage ich aus einem ganz bestimmten Grund — (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU diesem Bekenntnis nach wie vor sehr verpflichtet. Ich sowie bei Abgeordneten der SPD) habe mich auch — ich werde in dem anderen Teil der Debatte nachher darauf eingehen — bei meinen Was sich in diesem Land heute ereignet, ist nur mit Gesprächen in Peking diesem Problembereich in dem Grauen des Zweiten Weltkriegs vergleichbar. besonderer Weise verpflichtet gefühlt und auch Die gequälten, geschundenen und ihrer Würde danach gehandelt, auch wenn in der Presse, zumin- beraubten Menschen brauchen unsere Hilfe. Für sie dest in einigen Organen, dies anders dargestellt ist unser Einsatz oft die letzte und einzige Hoff- wurde. Ich werde nachher darauf im einzelnen einge- nung. hen. Unser Grundgesetz bekennt sich zu den unverletzt Der internationale Menschenrechtsschutz beruht lichen und unveräußerlichen Menschenrechten als auf der gemeinsamen Anerkennung der dem Men- Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft, des schen innewohnenden Würde. Dies gilt universell, Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt. Wenn wir unabhängig von der Verschiedenheit der Kulturen. dem Anspruch, daß der Mensch im Mittelpunkt unse- Wir wollen unsere Wertmaßstäbe anderen nicht über- rer Politik, auch der Außenpolitik, stehen muß, stülpen, aber es gibt eben inte rnational und völker- 11104 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 128. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1992

Bundesminister Dr. Klaus Kinkel rechtlich verbindliche Mindeststandards, deren Ver- in Jugoslawien die Notwendigkeit eines effektiven letzung nicht mit andersartigen kulturellen Traditio- Minderheitenschutzes täglich deutlich vor Augen nen oder anderem ideologischen Überbau zu ent- führt. Im Rahmen der KSZE sind weitreichende Stan- schuldigen ist. dards und Mechanismen vereinbart worden. Beim Außenministertreffen der KSZE in Stockholm werden (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) wir das Amt des Hochkommissars für nationale Min- Der Satz „Die Würde des Menschen ist unantast- derheiten besetzen, und gleichzeitig unterstützen wir bar" gilt für alle Staaten, und jeder muß sich daran die bereits begonnenen Bemühungen um eine völker- messen lassen. Wir haben auch, wie vorhin schon rechtliche Absicherung des Minderheitenschutzes im gesagt wurde, niemals das Argument akzeptiert, das Rahmen des Europarats. Verbot der Einmischung in die inneren Angelegen- Ich möchte mit dem schließen, was ich vorhin schon heiten schließe den Schutz der Menschenrechte ein. angedeutet habe: Die weltweite Förderung und Stär- Die Praxis der Vereinten Nationen und die Entwick- kung der Menschenrechte muß und wird ein zentrales lung in der KSZE haben dieser Auffassung recht Anliegen jeder Bundesregierung sein. Wenn wir in gegeben. Im jüngsten Beschluß des Weltsicherheits- Menschenrechtsfragen mit dem Parlament besonders rats wird ausdrücklich festgestellt, daß eine menschli- eng zusammenarbeiten, was Gott sei Dank geschieht, che Tragödie, wie wir sie in Somalia erleben, eine kann das der Sache nur dienen. Dazu verpflichtet uns Bedrohung des Weltfriedens und der internationalen das Grundgesetz, in dem sich das deutsche Volk zu Sicherheit darstellt. Der Sicherheitsrat leitet daraus unverletzlichen und unveräußerlichen Menschen- nicht nur ein Recht, sondern eine Pflicht zur Ergrei- rechten als Grundlage jeder menschlichen Gemein- fung von Zwangsmaßnahmen nach Kapitel 7 der schaft, des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt UN-Charta ab. bekennt. Wo die Staatengemeinschaft in jüngster Zeit zugun- Ich danke Ihnen. sten von Menschen- und Minderheitenrechten einge- griffen hat, hat sich gezeigt, daß es nicht genügt, (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU Menschenrechte nur verbal einzufordern; sie müssen sowie bei Abgeordneten der SPD) notfalls auch verteidigt, notfalls auch erstritten wer- den. Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Meine (Beifall bei der CDU/CSU) Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen Diese Verpflichtung gilt auch für uns. Es ist eben nicht mir nicht vor, so daß ich die Aussprache schließen mehr möglich, sich die Weltlage nur von den Zuschau- kann. erbänken aus anzusehen oder auf die Rolle des Ich lasse jetzt über die Beschlußempfehlung des Zahlmeisters zu beschränken. Das ist auch oder Auswärtigen Ausschusses auf Drucksache 12/3904 gerade mit unserer Geschichte, aus der uns eine abstimmen. Hierzu liegt eine schriftliche Erklärung besondere Verantwortung erwachsen ist, nicht zu nach § 31 unserer Geschäftsordnung des Abgeordne- rechtfertigen. ten Kersten Wetzel vor, die wir zu Protokoll nehmen.* ) (Beifall bei der CDU/CSU) Wer stimmt für die Beschlußempfehlung? — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Die Beschluß- Die jüngste Aktion der Staatengemeinschaft in empfehlung ist bei Enthaltung der PDS/Linke Liste Somalia zeigt wieder auf deutliche Art und Weise, was vom Haus einstimmig angenommen worden. wir tun mußten, was wir tun müssen. Ich kann es nicht oft genug sagen: Wir müssen schnellstens zu einem normalen staatlichen Verhalten finden, wenn wir Meine Damen und Herren, ich rufe die Tagesord- nicht auf ganzer außenpolitischer Breite Schaden nungspunkte 12 a bis f und 4 i auf: nehmen wollen. 12. a) Beratung der Großen Anfrage der Abgeord- (Beifall bei der CDU/CSU und des Abg. neten Dr. Edith Niehuis, Brigitte Adler, Gerhart Rudolf Baum [F.D.P.]) Angelika Barbe und weiterer Abgeordne- Wir müssen auch berücksichtigen, daß sich der ter Charakter der UN-Aktionen im humanitären Bereich Lage der Menschenrechte von Frauen, unter dem Druck der Ereignisse zu verändern beginnt Jugendlichen und Kindern in Pakistan und die Vereinten Nationen gerade beim Schutz der — Drucksachen 12/2340, 12/3203 — Menschenrechte immer häufiger neue Wege ein- b) Beratung der Beschlußempfehlung und des schlagen, ja einschlagen müssen, die bisherige Grenz- Berichts des Auswärtigen Ausschusses ziehungen überholt erscheinen lassen. (3. Ausschuß) zu dem Antrag der Abgeord- Die Normalisierung unseres Handlungsspielraums neten Dr. Eberhard Brecht, Gernot Erler, muß allerdings in verfassungsrechtlich eindeutiger Hans Koschnick, weiterer Abgeordneter Weise vollzogen werden. Ich habe zu einem Gespräch und der Fraktion der SPD Anfang Januar eingeladen, auf das ich eine gewisse Gewährleistung der Menschenrechte und Hoffnung setze. Wiederherstellung der Selbstverwaltung Ich will mir ersparen, auf die schrecklichen Ereig- der Kosovo-Albaner nisse in Jugoslawien einzugehen. Ich nehme an, daß — Drucksachen 12/2289, 12/3391 — das im zweiten Teil der Debatte anschließend geschieht. Ich will nur sagen, daß uns die Entwicklung *) Anlage 2 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 128. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1992 11105

Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg Berichterstattung: Der Ältestenrat schlägt Ihnen für die Debatte eine Abgeordnete Friedrich Vogel (Ennepetal) Zeit von anderthalb Stunden vor. Ich frage das Haus Dr. Eberhard Brecht zunächst, ob es damit einverstanden ist. — Das ist Ulrich Irmer offensichtlich der Fall. c) Beratung der Beschlußempfehlung und des Ich eröffne die Debatte und erteile zunächst der Berichts des Auswärtigen Ausschusses Abgeordneten Frau Dr. Edith Niehuis das Wo rt. (3. Ausschuß) zu dem Antrag der Gruppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Internationale Initiative zur Rettung be- Dr. Edith Niehuis (SPD): Herr Präsident! Sehr drohter Menschenleben geehrte Kolleginnen und Kollegen! Wir alle leiden zu dem Antrag der Fraktion der SPD unter den tagtäglichen Grausamkeiten und schweren die aus dem Kriegsge- Internationale Initiative zur Rettung be- Menschenrechtsverletzungen, an die Öffentlichkeit drohter Menschenleben biet im ehemaligen Jugoslawien gelangen. Wir haben seit Monaten schon viel Leid — Drucksachen 12/3660, 12/3700, erfahren müssen, das Menschen angetan wird. Um so 12/3953 — mehr macht es mich be troffen, daß wir relativ spät das Berichterstattung: unsägliche Leid wahrgenommen haben, das Frauen Abgeordnete Karl Lamers zugefügt wurde und wird und das nur Frauen angetan Freimut Duve werden kann: Ich meine die Massenvergewaltigun- Ulrich Irmer gen insbesondere in Bosnien-Herzegowina. Gerd Poppe Leider ist es nicht das erste Mal, daß frauenspezifi- d) Beratung des Antrags der Fraktion der SPD sche Menschenrechtsverletzungen — und seien sie Konvention gegen Vertreibung noch so grausam — nur zögerlich wahrgenommen — Drucksache 12/3369 -- werden, und das, obwohl bekannt ist, daß Frauen Überweisungsvorschlag: häufig einer Doppelverfolgung ausgesetzt sind, Auswärtiger Ausschuß (federführend) sobald sie in Verhör- und Haftsituationen kommen. Rechtsausschuß Amnesty international schreibt dazu in dem 1991 e) Beratung des Antrags der Abgeordneten herausgegebenen Be richt „Frauen im Blickpunkt", Uta Zapf, Rudolf Bindig, Helmuth Becker der sich ausschließlich mit Menschensrechtsverlet- (Nienberge), weiterer Abgeordneter und zungen an Frauen beschäftigt: der Fraktion der SPD Anders als männliche Gefangene werden Frauen Lage und Zukunft der Kurden nicht nur als vermeintliche oder tatsächliche — Drucksache 12/3720 — Gegnerinnen des jeweils herrschenden Systems Überweisungsvorschlag: angegriffen, sondern auch in ihrer Identität als Auswärtiger Ausschuß Frauen, die einem sehr an männlichen Werten orientierten Militär- und Polizeiapparat ausgelie- f) Beratung des Antrags der Abgeordneten fert sind. Uta Zapf, Rudolf Bindig, Helmuth Becker Wissen Sie, was uns als Frauen und Sie als Männer (Nienberge), weiterer Abgeordneter und an dieser Feststellung von amnesty inte rnational auf- der Fraktion der SPD merksam und nachdenklich machen muß, ist der Dringende humanitäre Hilfsmaßnahmen Hinweis auf die männlichen Werte der Militär- und für die Kurden im Nord-Irak Polizeiapparate, die unter den außergewöhnlichen — Drucksache 12/3719 Bedingungen von Gefängnis, Lager und Krieg zu frauenspezifischer Folter, wozu Vergewaltigung, se- i) Beratung der Beschlußempfehlung—4. und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses xuelle Erniedrigung, Mißbrauch und Nötigung gehö- (3. Ausschuß) zu dem Antrag der Fraktion ren, führen. der SPD Für uns als Politikerinnen und Poli tiker bedeutet Festhalten an den Beschlüssen des Deut- dies nach meiner Meinung zweierlei. Erstens: Wir alle schen Bundestages vom 15. und 23. Juni zusammen sollten den heute vorliegenden Entschlie- 1989 zu China ßungsantrag zu Bosnien-Herzegowina unterstützen, um deutlich zu machen, daß wir helfen wollen. — Drucksachen 12/1536, 12/2871 — Berichterstattung: (Beifall bei der SPD und beim BÜNDNIS 90/ Abgeordnete Klaus-Jürgen Hedrich DIE GRÜNEN) Dr. Hartmut Soell Zweitens haben wir als Politikerinnen und Poli tiker Ulrich Irmer auch den Auftrag, das zu tun, was wir tun können, den Es handelt sich um eine vereinbarte Debatte und brutalen frauenspezifischen Menschenrechtsverlet- Beratung mehrerer Vorlagen zu den Menschenrech- zungen auf der Welt den Nährboden zu entziehen. ten. Die genauen Titel wollen Sie bitte freundlicher- Das bedeutet, daß wir nirgendwo — in der Bundesre- weise von der Tagesordnung ablesen. publik nicht und international nicht — patriarchali- Es liegen drei Entschließungsanträge und ein Ände- sche Systeme und männliche Werte hinnehmen dür- rungsantrag vor. Ich weise vorsorglich darauf hin, daß fen, die die Ungleichbehandlung und Unterdrückung über einen Entschließungsantrag der Fraktionen der von Frauen beinhalten. CDU/CSU und F.D.P. im Anschluß an die Debatte (Beifall bei Abgeordneten der SPD) namentlich abgestimmt wird. 11106 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 128. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1992

Dr. Edith Niehuis Wer die Erkenntnisse von amnesty international tungsweise behandelt wird. Ich möchte das unterstüt- ernst nimmt, muß gerade auch in Friedenszeiten zen, was Herr Baum heute gesagt hat. Er sagte: Die sagen: „Wehret den Anfängen!" und auf die Allge- Ausstattung des Sonderbeauftragten in Genf ist kata- meine Erklärung der Menschenrechte hinweisen, die strophal und müßte dringend verbessert werden. ausdrücklich für Männer und Frauen gilt. (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem Im Deutschen Bundestag sind in diesem Sinne von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Parlamentariern und Parlamentarierinnen aller Frak- Es muß gewährleistet sein, daß die Untersuchungen tionen so manche Initiativen angestoßen worden. Ich zumindest von jetzt an diesen seelischen und körper- erinnere an die Große Anfrage „Menschenrechtsver- lichen Verletzungen und Demütigungen von Frauen letzungen an Frauen" aus der letzten Legislaturpe- besondere Aufmerksamkeit widmen. Ich will in die- riode und an die Anfrage „Lage der Menschenrechte sem Zusammenhang nicht verhehlen, daß ich ent- von Frauen, Jugendlichen und Kindern in Pakistan" täuscht bin, daß UN-Organisationen wie der Hohe die neben anderem Grundlage der heutigen Men- Flüchtlingskommissar so wenig zu den Berichten über schenrechtsdebatte ist. Sie sind Ausdruck unseres die Vergewaltigungslager zu sagen haben, über Bemühens, immer wieder anzumahnen, die Men- deren Existenz nach so vielen glaubhaften Zeugin- schenrechte der Frauen zu respektieren. Dazu gehört nenberichten kein Zweifel mehr bestehen kann. auch ein Entschließungsantrag aus der letzten Legis- Anfang Dezember trat die UN-Menschenrechtskom- laturperiode zu Menschenrechtsverletzungen an mission in Genf zu einer Sondersitzung zusammen Frauen, der einstimmig angenommen wurde und und hat in einer Resolution die Menschenrechtsverlet- dessen Forderungen nach wie vor Gültigkeit haben, zungen einschließlich der Vergewaltigungen aufs aber leider noch nicht erfüllt sind. Angesichts der schärfste verurteilt und verlangt, daß alle Gefange- Schreckensbilder aus dem ehemaligen Jugoslawien nenlager im ehemaligen Jugoslawien geschlossen möchte ich zwei Forderungen aus diesem alten Ent- werden. Ich sage: Nicht nur alle Gefangenenlager, schließungsantrag noch einmal nennen. sondern auch alle Vergewaltigungslager jedweder Wenn Frauen — daran gibt es keinen Zweifel — Größe müssen umgehend aufgelöst werden. auch wegen ihres Geschlechts verfolgt werden, dann (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der ist es erforderlich, daß Verfolgungen wegen des F.D.P. und beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜ Geschlechts als Asylgrund anerkannt werden. NEN) (Beifall bei der SPD und beim BÜNDNIS 90/ Wenn die Expertenkommission zur Untersuchung DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der von Kriegsverbrechen Mitte Dezember erstmals in CDU/CSU) Genf zusammentritt, dann erwarten wir, daß auch die Vergewaltigungen als Kriegsverbrechen dort erfaßt Ich erinnere nur daran, daß sich der Bundestag schon werden. einmal einstimmig hinter diese Forderung gestellt hat. Wenn Sie die Meldungen von heute verfolgen, dann (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der werden Sie feststellen, daß auch der Bonner Vertreter F.D.P. und beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜ des Hohen Flüchtlingskommissars, Herr Koisser, dies NEN) heute noch einmal nachdrücklich gefordert und dar- auf hingewiesen hat, wie schwer die Menschenrechts- Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Frau Ab- verletzungen an Frauen — insbesondere beim sexuel- geordnete Dr. Niehuis, sind Sie bereit, eine Zwischen- len Mißbrauch — sind. frage des Abgeordneten Duve zu beantworten? Wir haben vor zwei Jahren auch gefordert, daß bei der UN-Menschenrechtskommission eine- Sonderbe- Dr. Edith Niehuis (SPD): Ja. richterstatterin zu Menschenrechtsverletzungen an Frauen bestellt wird. Ich denke, wir alle müssen bedauern, daß entsprechende Bemühungen bisher Freimut Duve (SPD): Frau Kollegin, Sie haben mit erfolglos gewesen sind. Darum greifen wir diese Recht die schlechte Ausstattung des Beauftragten, Forderung in dem heute vorliegenden Entschlie- Herrn Mazowiecki, dargestellt. Sind Sie mit mir einer ßungsantrag noch einmal nachdrücklich auf. Meinung, daß wir in diesem Zusammenhang gerade bei der Aufdeckung der Verbrechen an Frauen wür- (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der digen sollten, daß es insbesondere Journalistinnen F.D.P.) gewesen sind, die ins Land gegangen sind — oft unter Wer die Sachverständigenanhörung des Bundes- großer Bedrohung; wir haben ja viele Todesopfer tagsausschusses für Frauen und Jugend am Montag unter Journalisten zu betrauern — und als erste dieser Woche zu den Massenvergewaltigungen im gerade dieses besondere Verbrechen aufgedeckt und ehemaligen Jugoslawien, insbesondere in Bosnien- die Hinweise dafür geliefert haben? Herzegowina, verfolgt hat, kann keinen Zweifel mehr (Beifall bei der SPD) an der Notwendigkeit dieser Sonderberichterstatterin haben. Bei allem Respekt vor der Leistung des UN Sonderbeauftragten für die Menschenrechte im ehe- Dr. Edith Niehuis (SPD): Das ist richtig. Sie sind von maligen Jugoslawien, Herrn Mazowiecki — dieser uns, von der Öffentlichkeit viel zu spät wahrgenom- Respekt ist ernst gemeint —, kann man nicht überse- men worden. hen, daß in seinem letzten Bericht vom 17. November Die Forderung nach einem internationalen Strafge- 1992 das, was uns so bedrückt, nämlich die Massen- richtshof, die heute in mehreren Beiträgen immer vergewaltigungen, nur auf einer Drittelseite andeu- wieder erhoben wurde, muß, denke ich, auch in Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 128. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1992 11107

Dr. Edith Niehuis diesem Zusammenhang noch einmal nachdrücklich Länder verhindert, daß Frauen den Grausamkeiten unterstützt werden. entfliehen können, so gilt das andererseits auch für die immer noch bestehende Visumpflicht. Darum sollte (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten die Bundesrepublik Deutschland die Visumpflicht für der CDU/CSU und der F.D.P.) die Betroffenen aufheben, bis ein gesetzlicher Status Zu lange ist stillschweigend hingenommen worden, für Kriegs- und Bürgerkriegsflüchtlinge festgelegt ist. daß Vergewaltigungen angeblich zu Kriegen gehö- Leider ist es uns nicht gelungen, eine entsprechende ren. Ich denke, wir alle sind uns einig: Frauen sind Formulierung in den gemeinsamen Entschließungs- keine Kriegsbeute. antrag aufzunehmen. (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der Am allerwichtigsten aber ist, daß den Mädchen und F.D.P. und der PDS/Linke Liste) Frauen medizinisch und psychologisch geholfen wird. Solche seelischen und körperlichen Schmerzen, wie Doch das, was wir aus Bosnien-Herzegowina hören, sie diesen Frauen zugefügt wurden, können lange, geht allem Anschein nach noch weit über diese manchmal ein Leben lang nicht vergessen und verar- Feststellung hinaus. Es wird von Befehlen zu Verge- beitet werden. Sie brauchen unsere Hilfe. waltigungen berichtet, von systematischen Massen- Dazu gehört, daß wir unbürokratisch und schnell vergewaltigungen an Mädchen und Frauen allen Betreuungszentren vor Ort unterstützen. Priorität Alters vorwiegend muslimischer Herkunft durch ser- sollten die Selbsthilfeinitiativen von Frauen vor Ort bische Paramilitärs, vielleicht auch Militärs. Diese haben, die schon jetzt unter wid rigen Umständen zu Vergewaltigungen sind Teil der sogenannten ethni- helfen versuchen. schen Säuberung, Teil eines geplanten Völkermords. Das, was wir von den Frauen hören, übersteigt jede (Beifall im ganzen Hause) Vorstellungskraft. Es ist entsetzlich. Mädchen sterben Aber ich erwarte auch, daß die Regierungen vor Ort an den Folgen. Frauen begehen Selbstmord, werden unterstützend tätig werden. Ich muß Ihnen sagen: Es als Schwangere nach den Vergewaltigungen gefan- entsetzt mich, wenn ich hören muß, daß es dem gengehalten, um sie zum Austragen der Schwanger- Komitee Cap Anamur nicht möglich ist, ein zur schaft zu zwingen. Auf diese Weise soll die muslimi- Betreuung der Opfer gedachtes Haus anzumieten, sche Bevölkerung zerstört werden. weil sich die kroatische Regierung plötzlich sperrt. Ich Frauen werden als Kriegswaffen benutzt, um den appelliere an die kroatische Regierung, diese Behin- Kriegsgegner zu entmutigen, zu demoralisieren, zu derung zu unterlassen. Dafür haben wir kein Ver- erniedrigen. Frauen werden zerstört, um mit ihnen ständnis. ihre Stellung in der Familie zu zerstören. (Beifall im ganzen Hause — Freimut Duve [SPD]: Wir müssen Druck ausüben!) Die Filmemacherin Heike Sander beschreibt in ihrem Film „BeFreier und Befreite", der von den Ebenso wichtig wie die psychologische Betreuung Vergewaltigungen der Frauen im Zweiten Weltkrieg der Frauen ist ihre medizinische Behandlung. Viele bei uns handelt, die Reaktion der Angehörigen auf die Mädchen und Frauen haben schweren körperlichen Vergewaltigung mit dem Zitat: „Eine kaputte Tasse Schaden erlitten. Zur medizinischen Behandlung nimmt man nicht mehr. " — Dies geschah in unserem gehört auch, daß man ihnen den Schwangerschafts- Kulturkreis. Um wieviel verheerender werden die abbruch ermöglicht, wenn sie es wünschen und es Auswirkungen im muslimischen Kulturkreis sein? medizinisch verantwortbar ist. Es ist aufs höchste unmenschlich, Frauen, die diese Vergewaltigungen Diese Frauen brauchen unsere Hilfe. Sie brauchen durchlitten haben, Schwangerschaften aufzuzwin- die Hilfe der Bundesrepublik Deutschland, die Hilfe gen. aller EG-Staaten und auch die Hilfe der UN. (Beifall im ganzen Hause) (Beifall im ganzen Hause) Denn wir wissen: Wir müssen uns große Sorgen um die Es ist bedrückend, wenn, wie in der Sachverständi- Kinder machen, die unter diesen Umständen unge- genanhörung am Montag erneut zu hören war, wollt geboren wurden und noch werden. Auch sie beklagt wird, daß Lager nicht aufgelöst werden konn- bedürfen unserer Hilfe. ten, weil die europäischen Staaten nicht bereit waren, In der Bevölkerung ist eine große Bereitschaft zu genügend Kriegsopfer unterzubringen. Wenn Huma- spüren, den Frauen und den Kindern zu helfen. Das nität und Nächstenliebe nicht zu leeren Worthülsen Telefon im Büro des Ausschusses für Frauen und verkommen sollen, dann müssen wir bereit sein, diese Jugend steht nach der Anhörung nicht mehr still. Es ist Opfer, diese Frauen aufzunehmen. jetzt an uns als Parlament, unseren Willen zur Hilfe (Beifall bei der SPD, der F.D.P. und der ebenso deutlich zu machen. Ich würde mich freuen, PDS/Linke Liste) wenn der Entschließungsantrag mit großer Mehrheit angenommen würde. Wir dürfen auch nicht zögern, aber auch die anderen EG-Staaten dürfen nicht zögern. Ich erwarte vom (Beifall im ganzen Hause) Bundeskanzler, daß er in Edingburgh alle EG-Staaten darauf aufmerksam macht. Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Das Wort (Beifall bei der SPD, der F.D.P. und der hat nunmehr der Abgeordnete Stefan Schwarz. PDS/Linke Liste) Wenn einerseits festgestellt werden muß, daß die Stefan Schwarz (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine fehlende Aufnahmebereitschaft der europäischen lieben Kolleginnen und Kollegen! Dies ist meine erste 11108 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 128. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1992

Stefan Schwarz Bundestagsrede. Ich will Ihnen vorneweg sagen: Es gebunden hätten. Einer sei schließlich mit großer kommt nicht viel Freude über den Anlaß auf, über den Geschwindigkeit losgefahren. Der Mann sei ver- ich rede. Ich habe die freundliche Bitte, weil ich blutet. berichten will, daß Sie mir nach Möglichkeit in weiten Strecken zuhören. ... ein ... Bewacher (habe) einen anderen Mos- lem gefunden, auf dessen Vater er wütend gewe- Wir haben heute den Tag der Menschenrechte. Wir sen sei, und ihm deshalb befohlen, sein Gesicht in haben eine Reihe wichtiger Anträge vorliegen. Wir eine Abflußrinne im Betonboden zu stecken und haben heute morgen zum Thema Ausländer in Motoröl zu trinken. Anschließend habe er ihm Deutschland gesprochen. Wir haben über Menschen den Befehl gegeben, (eines anderen Gefange- in Deutschland gesprochen, die verbrannt worden nen) Hoden abzubeißen. „Die Schreie waren sind. unerträglich, und dann war plötzlich alles Ich will mit Ihnen zum Thema Menschenrechte über ruhig" ... Drei andere Männer, die die Kas tration die brutalste Form von Menschenrechtsverletzungen gesehen hätten, seien anschließend mit Metall- reden, die sich zur Zeit abspielen — in Bosnien- stangen erschlagen worden. Der Mann, der zur Herzegowina, vor unserer Haustür. Ich will Ihnen Kastration gezwungen worden sei, sei mit auch von brennenden Menschen berichten. Ich zitiere schwarzem Gesicht zurück in den Raum gekom- aus Dokumenten von Menschenrechtsorganisatio- men und habe 24 Stunden nicht sprechen kön- nen: nen. Ein Gefangener ... wurde bei lebendigem Leib Meine Damen und Herren, bei der Anhörung war es verbrannt. Dies sei Ende Juli uns nicht möglich, einen Zeitzeugen aus dem weltweit größten Dokumentationszentrum für Kriegsverbre- — dieses Jahres — chen in Bosnien-Herzegowina anzuhören, was ich geschehen, als die Gefangenen ihre Mittagsra- sehr bedaure. Er hat unter Lebensgefahr Dokumente tion erhielten, erzählt der 23jährige Augenzeuge herausgeschmuggelt, von denen ich einen Teil hier Nedjat Hadzic, der sich inzwischen nach Karlovac dabeihabe. Es ist eine computermäßig erfaßte Liste retten konnte. Der Mann sei gerade von einem von 500 Kriegsverbrechern, die gesichert sind, und Verhör gekommen, als die Bewacher ihn aufge- weiteren 4 000, die noch nach einem sehr s trengen fordert hätten, wegzulaufen. Sie hätten so getan, wissenschaftlichen Verfahren überprüft werden. Herr als wollten sie ihn erschießen. „Ihr Feiglinge, ihr Bundesaußenminister, ich wäre Ihnen sehr dankbar, könnt nichts anderes, als grausam sein", hätte der wenn Sie vor dem EG-Gipfel Gelegenheit nähmen, Mann die Wachen verhöhnt. Als sie ihn zu Boden mit diesem Mann zu reden. Denn ich finde, es ist in gestoßen hätten, hätte er ihnen ein Gewehr einem zusammenwachsenden Europa nicht gut, wenn entrissen. „Sie haben ihn überwältigt, ihm das wir uns in Europa benehmen, als seien wir im 19. Jahr- Gewehr wieder abgenommen und ihn zum ,wei- hundert, und nicht so, als hätten wir die Menschen- ßen Haus' geschleppt. Dort haben sie ihn mit rechtsfortschritte des 20. Jahrhunderts gegen eine Benzin übergossen und angezündet", erinnert solche Gruppe wie die Serben zu verteidigen. Es muß sich Hadzic. ein Europa aller Völker geben. Dazu gehören Men- schenrechte. Es kann uns nicht egal sein, wenn — so Meine Damen und Herren, Frau Niehuis hat in geht es aus der Dokumentation hervor — mindestens ausführlicher und eindrucksvoller Weise über Verge- 200 000 Tote — bisher sind 17 000 identifiziert —, waltigungen und Gewalt gegenüber Frauen als mindestens 60 lokalisierte Massengräber — darin System dieses Krieges gesprochen. Es sei mir erlaubt, liegen Tausende von Menschen —, vergewaltigte daß nach den mir vorliegenden Dokumenten zu bestä- Frauen, kastrierte Männer und zerstückelte Kinder im tigen. Es gibt klare Hinweise darauf, daß Vergewalti- Angesicht eines zusammenwachsenden EG-E uropas gungen auf Befehl geschehen. Zeuginnen haben vor unserer Haustür zu registrieren sind. sogar berichtet, daß die Vergewaltiger das ihnen gegenüber eingestanden haben. Sie hätten gesagt: Es Ich habe mir vorgenommen, folgendes zu sagen: ist besser, ich vergewaltige dich als die, die hinter mir Ich bin ein Kind des Nachkriegsdeutschland. Ich kommen, weil sie noch viel grausamer und schlimmer habe Humanität und Menschenrechte gelernt und bin sein werden. damit groß geworden. Ich frage uns, meine Damen Ich möchte mit Ihnen aber auch gern darüber reden, und Herren Abgeordneten des Deutschen Bundesta- daß die Schrecken dieses Krieges kein Frau-Mann- ges: Was muß nach allem, was wir hier hören, eigent- Thema, sondern ein Thema der Menschenrechte sind. lich noch passieren, bis wir uns dazu entschließen Ich möchte Ihnen deshalb nicht ersparen, etwas dar- können, nicht mehr nur zuzuschauen? über zu hören, was Männern geschieht: (Beifall bei der CDU/CSU, der F.D.P., der Einmal hätten die Wachen einem Gefangenen ein SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ohr abgeschnitten und anschließend einen ande- Wie kann man — so möchte ich fragen — zuschauen, ren Mann gezwungen, das Ohr zu essen... . wenn Menschen so abgeschlachtet werden? Doch gab es keine traumatischeren Erlebnisse für Ich will Ihnen noch etwas sagen, was ich bisher nur die Gefangenen als die Kas trationen. Ein Zeuge aus Wochenschauen und aus der unmittelbaren Nach- berichtete den Beamten der US-Botschaft, er kriegsberichterstattung kannte — es handelt sich um habe gesehen, wie einige Bewacher die Hoden den Einsatz von Gas —: eines Mannes mit einem Draht durchstochen und den Draht dann an das Ende eines Motorrades An einem Tag gegen Ende Juli Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 128. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1992 11109

Stefan Schwarz — dieses Jahres, meine Damen und Herren, vor finde, es ist eine antifaschistische Haltung, zu sagen: wenigen Monaten — Gerade weil wir es miterlebt haben, müssen wir etwas dagegen tun. sahen wir gegen 18 Uhr durch die halboffene Tür Ich möchte Ihnen abschließend etwas vorlesen, was der Halle, daß Leute aus Hambarin und Brdo der Vizepräsident von Bosnien und Herzegowina mir — das sind zwei Orte — auf meine Bitte hin heute um 13.41 Uhr ins Büro gefaxt hat: etwa 150 Menschen gebracht hatten. In die Halle, An das Parlament und die Regierung der Bundes- wo diese Menschen untergebracht waren, warfen republik Deutschland sie Tränengas. Als die ersten von Ihnen erstick- ten, öffneten sie die Hallentür und empfingen die Das dramatische Ansteigen der Aggression Fliehenden mit Maschinengewehrsalven. Die gegen die Republik Bosnien und Herzegowina Feuerstöße rissen den Menschen ganze Körper- geht weiter. An diesem Morgen finden neue teile ab. Das Ganze dauerte etwa eine halbe Angriffe auf die Städte Brcko, Gradacac und Stunde. So wurden mehr als 100 Menschen getö- Maglaj statt. Neu motorisierte Truppen aus Ser- tet. Zehn Leute der Gruppe verschonten sie, bien sind seit diesem Morgen dabei, in den damit diese die herumliegenden menschlichen Norden von Bosnien einzumarschieren. Körperteile einsammelten und in Lastwagen Sarajevo steht weiter unter Beschuß. Die Kran- luden. Davon kehrten dann auch sie nicht mehr kenhäuser sind überfüllt und stehen unter ständi- zurück. Solche Massentötungen geschahen täg- ger Bombardierung. In Sarajevo gibt es kein lich. Wir erfuhren davon, weil wir dann immer die Wasser, keine Elektrizität, keine Heizung und Schreie und Schüsse hörten. keine Nahrungsmittel. Schwadronen von Heli- coptern bringen neue Truppen des Aggressors in Meine Mutter hat mir erzählt, daß sie sich, als sie die Nähe von Sarajevo. 15 Jahre alt war — damals war der Zweite Weltkrieg zu Ende —, fast hat übergeben müssen, als sie die Bitte helfen Sie uns! Stoppen Sie die Aggression Bilder aus den KZs sah. Ich habe heute morgen der gegen Bosnien und Herzegowina, oder geben Sie Debatte aufmerksam zugehört. Ich sage im Anschluß uns wenigstens das Recht, uns selbst zu verteidi- an das, was der Fraktionsvorsitzende Schäuble gesagt gen. hat: Vielleicht ist es so, daß man die Menschen nicht Sarajevo, den 10. Dezember 1992 fordert. Vielleicht ist es auch so, daß die Menschen an Dr. Ejup Ganic, Vizepräsident der politischen Klasse deshalb verzweifeln, weil wir angesichts von solchen Tragödien fast nichts tun und Erlauben Sie mir, daß ich mit dem Brutalsten ende, behaupten, wir könnten nichts tun. Ich will Ihnen weil ich leider finde, daß es anders in Deutschland sagen: Wir sehen alles. Wir haben Journalistenbe- wahrscheinlich nicht geht. Ich zitiere: richte, Satellitenaufnahmen, wir haben Presse, Rund- Am ersten Tag warfen sie 15 Kinder, von den funk und Fernsehen. Wir wissen alles. Der Mann, der allerkleinsten bis zu fünfjährigen, in den Ofen. die Berichte gemacht hat, aus denen ich zitiert habe, Die Mütter drückten sie an sich und widersetzten ein amerikanischer Journalist, hat sein Büro hier in sich. Die, die den größten Widerstand leisteten, Bonn, direkt um die Ecke. Er hat Anfang August töteten sie sofort . . . darüber berichtet und damit ausgelöst, daß Fernseh- Wenn sie ein Kind in den Ofen steckten, schlossen teams nach Omarska gegangen sind. sie die Überwölbung, so daß die Kinder nicht Ich wiederhole, was ich gestern öffentlich gesagt brannten, sondern gebraten wurden. Die Kinder habe — ich sage das auch mit Bedacht vor dem schrien zuerst, dann schwiegen sie. Hintergrund von Grundgesetzdebatten —: Nach dem Meine Damen und Herren, ich bin dafür, daß wir Ende dieses Völkermordes kann sich niemand von eingreifen. Ich will nicht mehr schweigen. uns allen, die wir hier sitze, davonstehlen und sagen, (Anhaltender Beifall bei der CDU/CSU und man habe das Ausmaß nicht gekannt. Es ist abscheu- der F.D.P. und Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE lich. Gestern hat jemand gesagt: Wenn man ein Herz GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der im Leib hat, muß man doch eigentlich etwas tun. SPD) Ich will Ihnen noch etwas sagen. Wir haben jetzt Weihnachten. Eben war von Weihnachtsmärkten die Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Das Wort Rede. Kennen Sie das Lied „Kling Glöckchen, klinge- hat nunmehr die Abgeordnete Uta Würfel. lingeling"? Dort kommt vor: „Laßt mich nicht erfrie- ren, öffnet mir die Türen. " Nach UNICEF-Schätzun- gen werden Zehntausende von Kindern, während wir Uta Würfel (F.D.P.): Herr Präsident! Meine Kollegin- alle Weihnachten feiern, elendiglich krepieren, weil nen und Kollegen! Die heutige Menschenrechtsde- wir nichts tun, meine Damen und Herren. Ich sage das batte macht eines beschämend deutlich: Auf der vor dem Hintergrund, daß ich weiß, daß es Wenns und Schwelle zum 21. Jahrhundert gibt es immer noch Abers gibt. Das alles ist durchdiskutiert. Aber eines ist Menschenrechtsverletzungen an Kindern, Frauen auch klar: Wir können nicht mit Wenn und Aber und Männern. Weltweit sind sie zu beklagen, anzu- zusehen, wie Männer, Frauen, Moslems, Kroaten, prangern und zu ächten. Die Vorstellung, daß durch Italiener, Russen, Ukrainer, alle Nicht-Serben mas- die Verbreitung von zivilisierten Umgangsformen, die sakriert werden, wie es Hitler und die Nazis vorge- von Respekt und Achtung gegenüber jedem Mitmen- macht haben. Ich sage als Nachkriegsdeutscher: Ich schen geprägt sind, durch Vermittlung von Bildung 11110 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 128. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1992

Uta Würfel und durch technischen Fortschritt Gewalt und Krieg wir es öffentlich machen. Wir müssen es artikulieren; aus unserer Welt verbannt werden kann, war eine denn glaubhafte Angaben, daß mindestens 30 000 bis Vision, eine Vision nach den leidvollen Erfahrungen 50 000 Frauen in diesen Vergewaltigungslagern zweier vernichtender Weltkriege, und sie hat sich als gefangengehalten und systematisch vergewaltigt ein Trugschluß erwiesen. Aber auch der Aufbau werden, liegen uns ja vor. Täglich mehrmals — so internationaler Gremien und die Zunahme internatio- wurde uns im Ausschuß berichtet — werden sie unter naler Verflechtungen haben Kriege bis heute nicht Gewaltanwendung und Androhung von Folter sexuell verhindern können. Die Hoffnung auf ein friedvolles mißbraucht. Sie werden vor den Augen von Familien- Miteinander hat sich bis heute nicht erfüllt. angehörigen zum Geschlechtsverkehr mit ihren Peini- gern gezwungen oder müssen die öffentliche Verge- Wir sind alle zutiefst erschüttert über das, was sich waltigung von anderen miterleben. Sie werden bis zu Menschen gegenseitig antun, über die Anwendung ihrer vollständigen körperlichen und seelischen von Gewalt, über die Qualen, die sie sich zufügen, Erschöpfung gequält und erniedrigt. Wir haben es über die zahlreichen Formen von körperlichen Miß- gehört: Kleine Mädchen sind so mißhandelt worden, handlungen, Demütigungen und Einschränkungen daß sie verbluteten, weil sie medizinisch nicht ver- der persönlichen Freiheit, von denen eben so ein- sorgt wurden. drucksvoll mein Kollege berichtet hat. Körperliche Mißhandlungen, Folter, Elektro- Gezielt werden vor allem muslimische Frauen schocks, das Abtrennen von Gliedmaßen, Verbren- geschwängert und so l ange gefangengehalten, bis sie nungen und Vergewaltigungen sind die sichtbaren keine Abtreibung mehr vornehmen lassen können. Verletzungen. Systematische Demütigung, Benach- Sie sollen bewußt serbische Kinder gebären, und teiligung und Beschränkung der persönlichen Freiheit diese Kinder werden in der nächsten Zeit geboren. einer Gruppe durch staatliche Maßnahmen sind eben- Wir alle verurteilen diese infame Menschenverach- falls Menschenrechtsverletzungen. tung; denn damit werden Frauen auf ihren Körper Tiefe Erschütterung und Trauer erfüllt uns alle über reduziert; sie sind das symbolische menschliche diese unvorstellbaren Greueltaten an Frauen im Schlachtfeld, auf dem die Sieger den Besiegten ein- Kriegsgebiet des ehemaligen Jugoslawien. Das Aus- dringlich ihre Niederlage vor Augen führen. einanderbrechen des Vielvölkerstaates Jugoslawien hat eine Tragödie entfesselt. Mitten in Europa, vor Vergewaltigte Frauen sowie Frauen, die dadurch unserer Haustür, tobt ein Bürgerkrieg und geschieht schwanger geworden sind, haben aber auch von ihren täglich unermeßliches Leid. Für jeden von uns ist es eigenen muslimischen Landsleuten keinen Rückhalt unvorstellbar, was dort direkt vor unserer Haustür zu erwarten, weil in ihren Augen eine geschändete geschieht. Frau ehrlos geworden ist. Nach ihren Wertvorstellun- gen wird durch eine Vergewaltigung die Ehre des Unmittelbar, mit voller Härte wurde der Ausschuß Ehemannes und der ganzen Familie gravierend ver- für Frauen und Jugend vor wenigen Tagen mit dem letzt. Frauen und Mädchen werden zu Täterinnen Gesamtumfang des Grauens konfrontiert. gemacht, wo sie Opfer sind. Kaum jemand kümmert (Freimut Duve [SPD]: Das ist kein Bürger- sich um das Leid und die Demütigung, die die eigene krieg! — Abg. Stef an Schwarz [CDU/CSU] Frau, die Schwester, die Tochter durch die Vergewal- meldet sich zu einer Zwischenfrage) tigung erfahren hat. Viele gedemütigte Frauen bege- hen Selbstmord, weil sie die ihnen zugefügten seeli- — Ich bitte Verständnis dafür zu haben, Herr Schwarz, schen Verletzungen nicht verkraften und nicht verar- daß ich jetzt meine Ausführungen fortsetzen möchte. beiten können. Ich bin auch nicht auf einem Auge blind, wenn ich mich jetzt den Greueltaten an Frauen und- Mädchen Meine Damen und Herren, diese Vergewaltigun- besonders zuwende, falls das der Gegenstand Ihrer gen sind Mord auf Raten. Die Frauen und Mädchen, Frage sein sollte. die das Martyrium überleben, werden ihr weiteres Leben unter den traumatischen Erlebnissen leiden. (Stefan Schwarz [CDU/CSU]: Nein, das war Eine Partnerschaft einzugehen ist vielen nicht mehr nicht mein Gegenstand! — Freimut Duve möglich; denn das Erlebte kann nicht verdrängt wer- [SPD]: Es ging um den Beg riff „Bürger den. krieg" !) In diesem Krieg wie auch in jedem Krieg zuvor sind Herr Außenminister Kinkel, ich danke Ihnen für Ihr Mädchen und Frauen der ständigen Gefahr ausge- Engagement, und ich danke Ihnen für die Zusiche- setzt, vergewaltigt zu werden, von feindlichen Solda- rung, diesen Frauen helfen zu wollen. Was wir noch ten oder von paramilitärischen Einrichtungen. In die- tun müssen, was wir für unverzichtbar halten, entneh- sem Krieg auf dem Balkan — wir haben es gehört — men Sie bitte dem Antrag. Meine Kollegin Niehuis hat trifft es muslimische, bosnische und serbische bereits darauf hingewiesen, wie umfassend die Hilfen Frauen. sein müssen, die wir für diese Frauen und Kinder brauchen. Wir wollen uns alle engagieren. Auch ich Vergewaltigung als Begleiterscheinung von Krieg bitte darum, unserem Entschließungsantrag mit gro- und Vertreibung ist eine bekannte Tatsache; neu ßer Mehrheit zuzustimmen. jedoch für uns alle ist das Phänomen von Massenver- gewaltigungen in Lagern. Zynisch und menschenver- Ich fordere vor allen Dingen die Medien auf, diese achtend ist die Systematik, mit der vor allem die geschundenen Frauen in ihrem Wunsch nach Ruhe serbische Seite Tausende von Frauen Tag für Tag, und Anonymität zu respektieren und sie nicht erneut Nacht für Nacht sexuell mißbraucht. Deshalb müssen zu Opfern — dieses Mal der Sensationslust Dritter — Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 128. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1992 11111

Uta Würfel zu machen, sondern mitzuhelfen, daß diese Frauen an Neben dem unkontrollierten Einschmuggeln kriegs- Körper und Seele genesen können. wichtiger Güter über die östlichen Landesgrenzen (Beifall im ganzen Hause) nach Serbien wird das Embargo vor allem von Grie- chenland aus gebrochen. Damit verstößt Griechen- land nicht nur gegen geltende EG-Beschlüsse, son- Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Das Wort dern wirft wissentlich und möglicherweise auch aus hat nun mehr der Abgeordnete Gerd Poppe. Eigeninteresse — siehe Mazedonien — Funken in das Pulverfaß Balkan. Eine Staatengemeinschaft auf dem Weg zur politi- (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Gerd Poppe schen Union, die unfähig ist, ihre eigenen Beschlüsse Präsident! Meine Damen und Herren! Auf der Tages- zu achten und wenigstens für ihre eigenen Mitglieder ordnung stehen zehn verschiedene Anträge, und durchzusetzen, macht sich auch in den Augen der schon die bloße Aufzählung der unter diesem Tages- Überfallenen, deren Menschenrechte sie zu vertreten ordnungspunkt versammelten Probleme würde einen behauptet, unglaubwürdig. Großteil meiner Redezeit beanspruchen, nicht zu reden von jenen Themen, die mangels passender (Claus Jäger [CDU/CSU]: Sehr richtig!) Anträge gar nicht debattiert werden, wie beispiels- Wenngleich es inzwischen längst eine Illusion ist zu weise das Engagement für die Menschenrechte in glauben, eine Durchsetzung des Embargos könnte in Guatemala, um dessentwillen der diesjährige Frie- absehbarer Zeit den serbischen Eroberungskrieg und densnobelpreis an Rigoberta Menchu verliehen wird, damit das Leiden der Menschen in Bosnien-Herzego- was ich an dieser Stelle ausdrücklich würdigen wina beenden, muß doch nach wie vor diese Forde- möchte. rung aufrechterhalten werden. Allerdings sollten, da (Beifall im ganzen Hause) sie nicht mehr genügt, wir alle uns verpflichtet fühlen, Statt die einzelnen Themen angemessen zu behan- über unsere Hilflosigkeit hinaus ohne Denkverbote deln, entledigt sich der Bundestag sozusagen en nach Lösungen zu suchen. passant der Anträge, die sich ein Jahr lang angestaut (Karl Lamers [CDU/CSU]: Sehr gut!) haben, jedenfalls zum Teil. Dieses Verfahren provo- ziert mich zu einem Vergleich, den Sie bitte nicht Ich konnte sehr gut hören, lieber Stefan Schwarz, mißverstehen mögen. Es erinnert mich ein wenig an was Du zum Schluß hier gesagt hast. Das sind Über- an dem den Internationalen Frauentag in der DDR, legungen, die jeder von uns hat, der diese schreckli- einmal im Jahr alle männlichen Chefs all ihren weib- chen Bilder und Berichte sieht bzw. hört. lichen Untergebenen Kaffee kochten. Es gibt viele Vorschläge, über die man nachdenken (Heiterkeit bei der SPD) müßte, von Waffenlieferungen für die bosnischen Der Tag der Menschenrechte verdiente besser Verteidiger von Sarajevo über Militärblockaden bis behandelt zu werden. Ich sage dies als jemand, der in zur Intervention durch UNO-Truppen. Aber wer kann der DDR an solchen Tagen mit seinem Anliegen die wirklich sagen, ob der Preis nicht zu hoch wäre? Die Straße betrat, um wenige Minuten später für minde- Rufe nach Befreiung der Lager und Einrichtung von stens 24 Stunden von der Staatssicherheit eingefan- Schutzzonen z. B. sind nur zu verständlich. Wer dies gen zu werden. Dies geschieht mir und vielen anderen fordert, muß sich aber darüber im klaren sein, daß die heute zum Glück nicht mehr. Dennoch oder gerade dafür geeigneten Maßnahmen kaum andere als mili- deswegen, meine ich, sollten die Menschenrechte in tärische sein können. diesem Hause kontinuierlich und nicht nur einmal im (Karl Lamers [CDU/CSU]: Natürlich, lei Jahr angesprochen werden. - der!) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Schon oft wurde in diesem Hause über die Lage im bei der CDU/CSU und der SPD) Kosovo diskutiert. Noch herrscht dort kein Krieg, aber Jeder der vorliegenden Anträge verdient eine eigene die Menschen erwarten von der EG und ganz beson- Debatte. ders von Deutschland deutliche Signale und prakti- Zu dem fragwürdigen Umgang mit China habe ich sche Hilfe. Wenn dann ein Antrag, der nichts weiter mich vorhin schon geäußert. Zusätzlich möchte ich nur als einen Appell an die Bundesregierung enthält, sich noch meine Verwunderung darüber zum Ausdruck für die Rechte der Kosovo-Albaner einzusetzen, sage bringen, wie positiv die Koalition in ihrem Antrag den und schreibe neun Monate braucht, um hier im 14. Parteitag der Chinesischen Kommunistischen Par- Plenum beschlossen zu werden, ist das ein Armuts- tei sieht. Das überrascht mich wirklich. zeugnis. Seit mehreren Jahren ist immer wieder darauf hingewiesen worden, was sich im Kosovo Im folgenden möchte ich mich auf die schrecklichen anbahnt. Es ist fast ein Glücksfall, daß das Morden Ereignisse im ehemaligen Jugoslawien beschränken. Es fällt mir sehr schwer, gerade nach dem, was Stefan dort noch nicht begonnen hat. Immer deutlichere Zeichen aber gibt es, daß es unmittelbar bevorsteht. Schwarz hier vorgetragen hat. Deshalb sollten wir uns endlich auf vorbeugend wir- Daß der Krieg hemmungslos weitergeht und mitt- kende politische Entscheidungen für Kosovo einlas- lerweile auch zum Scheitern der Blauhelmaktion in sen. Bosnien geführt hat, ist u. a. auch eine Folge der inkonsequenten Embargopolitik der EG. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Wir hatten dazu auch Vorschläge gemacht, z. B. den und bei der SPD) Vorschlag, ob es nicht möglich wäre, Blauhelme 11112 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 128. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1992

Gerd Poppe vorbeugend im Kosovo zu stationieren. Solche Mög- planmäßigen Völkermordes. Nach meinem Empfin- lichkeiten müssen wenigstens geprüft werden. den stellt diese Ungeheuerlichkeit alles in den Schat- ten, was bisher schon an Brutalität entmenschter (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Banden in diesem Krieg bekanntgeworden ist. bei der CDU/CSU und der SPD) (Beifall im ganzen Hause) Da alle Bemühungen, den Krieg in Bosnien zu beenden, erfolglos waren, muß wenigstens die Hilfe Seit den systema tischen Vernichtungen durch die für seine Opfer verbessert werden. Vieles ist schon Nationalsozialisten hat es wenig gegeben, was dem geschehen, und die Bundesrepublik hat sich mehr als gleichkäme. andere Staaten daran beteiligt. Dennoch, wer die Dem vorliegenden Antrag, der all dies feststellt und Bilder aus den Konzentrationslagern in Bosnien gese- entsprechende Forderungen aufstellt, stimmen wir zu. hen hat, wer die Aussagen von Opfern und die Allerdings sind wir der Meinung, daß außer den Berichte von Augenzeugen der Verwüstung ganzer Opfern von Vergewaltigungen auch jenen Schutz Städte gehört hat, wußte von Anfang an, daß das gewährt werden muß, die in Gefahr sind, in Kürze zuwenig war. Für wen, wenn nicht für die von diesem Opfer zu werden. Zum anderen darf die Aufnahme Krieg Betroffenen, gelten die Grundsätze der Genfer von Frauen und Kindern nicht als Begründung dafür Flüchtlingskonvention? Die Hilfsbereitschaft vieler dienen, andere Opfer von Folter und Lagerhaft abzu- Bürgerinnen und Bürger, von Familien in der Bundes- weisen. Deshalb haben wir in einem Änderungsan- republik ist beeindruckend. Aber sie scheitert oftmals trag eine kleine Textänderung vorgeschlagen. an bürokratischen Verfahren zur Eindämmung der Wenn die reichen Staaten Europas schon außer- sogenannten Ausländerflut. stande sind, den Krieg zu beenden oder wenigstens Ausgerechnet von den Flüchtlingen aus dem zer- einzudämmen, sollten sie wenigstens a lles tun, um störten Bosnien werden Visa oder Nachweise von seinen Opfern zu helfen und ihr Leben zu retten. Dazu finanziell bürgenden Gastgeberfamilien verlangt. bedarf es nicht einmal des vorhin von mir geforderten Angesichts der Leiden zehntausender Menschen in Primats der Menschenrechte in der Politik, sondern den Lagern ist es ein Skandal, daß sogar jene, die nach das ist ein Gebot elementarer Menschlichkeit. schwierigen Verhandlungen freigelassen wurden, Vielen Dank. nicht selbstverständlich in Westeuropa aufgenommen (Beifall im ganzen Hause) werden. Statt dessen wurde innerhalb der EG über vergleichsweise geringfügige Quoten gestritten und riskiert, daß die halbverhungerten, gequälten Opfer in Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Das Wort die Vernichtungslager zurückgeschafft würden, wie hat nunmehr die Abgeordnete Frau Dr. Barbara es der bosnische Serbenführer angedroht hat. Noch Höll. immer ist nur ein Teil der vereinbarten Aufnahmekon- tingente erfüllt worden. (PDS/Linke Liste): Herr Präsident! Meine Damen und Herren, der während der Dr. Barbara Höll Meine Damen und Herren! Am Ende des 20. Jahrhun- gemeinsamen Sitzung der Auswärtigen Ausschüsse derts, nach zwei verheerenden Weltkriegen und einer Polens, Frankreichs und Deutschlands zustande Unzahl sogenannter begrenzter Konflikte in den gekommene Antrag zur unbegrenzten Aufnahme die- außereuropäischen Ländern hat der Krieg auch ser Menschen ist deswegen uneingeschränkt zu Europa wieder. Mit dem Krieg gehen die massenhaf- begrüßen. Daß er als unmittelbare Folge des Berichtes ten Verletzungen elementarer Menschenrechte, ins- eines prominenten Augenzeugen, des UN-Sonderbe- besondere des Rechts auf Leben, einher. obachters Tadeusz Mazowiecki, spontan- entstan- den ist, spricht für den nachhaltigen Eindruck, den Alle Kriege der uns bekannten Geschichte wurden authentische Schilderungen zu erwecken vermögen. durch Männer wegen der Durchsetzung der Interes- Unverständlich ist mir jedoch, daß dieser mittlerweile sen von Männern mit den Mitteln der Männer geführt. interfraktionelle Antrag mehrerer Anläufe und eines Eines dieser Mittel war zu allen Zeiten die Gewalt ganzen Monats bedurfte, um hier im Plenum verab- gegenüber Frauen. Was sich heute im Kampfgebiet schiedet zu werden. Wir sollten nicht, wie vorhin von Kroatien und Bosnien-Herzegowina abspielt und angegeben wurde, bis zum Januar warten, hier Tat- morgen vielleicht schon den Frauen und Mädchen in sachen zu schaffen. Kosovo oder Mazedonien droht, hat dennoch eine neue Dimension von Menschenrechtsverletzung er- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, öffnet. Erstmals werden von allen beteiligten Seiten bei der SPD sowie bei Abgeordneten der systematisch Massenvergewaltigungen als strategi- CDU/CSU) sche Waffe gegen den jeweiligen Feind eingesetzt. Meine Damen und Herren, ich möchte zum Schluß (Freimut Duve [SPD]: Das ist nicht richtig: kommen. Das, was hier mehrfach geschildert worden „von allen betgeiligten Seiten"!) ist, gehört zum Entsetzlichsten, was uns in jüngster Täter sind reguläre Soldaten, paramilitärische Grup- Zeit an Nachrichten aus Bosnien erreichte: die pen, Wächter in den Gefangenenlagern Berichte über die Vergewaltigungslager. Die Worte fehlen, um systema tische Massenvergewaltigung von (Freimut Duve [SPD]: Frau Kollegin, das ist Frauen und Kindern, die gezielt als Instrument zur nicht richtig: „von allen beteiligten Sei Herabwürdigung und Erniedrigung eines ganzen ten"!) Volkes eingesetzt wird, angemessen zu verurteilen. und Bordellkonzentrationslagern, Nachbarn aus der Dies sind schlimmste Kriegsverbrechen, ist Teil eines selben Straße und wahrscheinlich sogar Blauhelm- Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 128. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1992 11113

Dr. Barbara Höll Soldaten, kurzum, Männer aller Bevölkerungsschich- Obwohl sich diese Verbrechen bereits seit minde- ten und auch Nationalitäten. stens einem halben Jahr ereignen, schwieg die inter- nationale Öffentlichkeit bis vor kurzem unisono. Wie Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Frau sich in der Anhörung des Ausschusses für Frauen und Dr. Höll, Sie sind bereit, eine Frage des Abgeordneten Jugend am Montag dieser Woche herausstellte, wußte Duve zu beantworten? z. B. der Menschenrechtsbeauftragte der Vereinten Nationen, Herr Mazowiecki, seit langem von der Existenz der Dr. Barbara Höll (PDS/Linke Liste): Ja. Konzentrationslager für Frauen und Mädchen und den Verbrechen, die sich in ihnen abspielen. Daß er und andere Vertreter internationa- Freimut Duve (SPD): Frau Kollegin, glauben Sie ler Organisa tionen dazu so lange schwiegen, zeigt, nicht, daß es ein weiteres Unrecht ist, das man Opfern welchen Stellenwert die Menschenrechte von Frauen zumutet, wenn man eine politische Gleichsetzung trotz der schönen und wahren Floskel von der Unteil- dieses ungeheuren Verbrechens der systematischen, barkeit der Menschenrechte noch immer einneh- kriegszielorientierten Massenvergewaltigung von men. Frauen, für den es einen Urheber gibt, in einem Satz, in einem Nebensatz, wie Sie es gemacht haben, (Claus Jäger [CDU/CSU]: Wann hat denn vornimmt und sagt, genau dies täten alle beteiligten Ihre Partei dazu etwas gesagt!) Seiten? Ich bitte Sie sehr — wir haben uns schon Wichtig erscheint mir in diesem Zusammenhang einmal auseinandergesetzt —, daß auch Ihre Organi- auch ein Hinweis von amnesty interna tional auf die sation davon absieht, immer wieder diese diploma- seit Jahren festgestellten Massenvergewaltigungen tisch schreckliche Gleichsetzung in einem Fall von in Indien, Peru und Eritrea zu sein, die keinerlei Echo Völkermord vorzunehmen. Wir kommen sonst in eine in der Weltöffentlichkeit gefunden haben. schlimme sozusagen diplomatische Neutralität, die wir uns angesichts dieser Vorgänge nicht leisten (Beifall bei Abgeordneten der F.D.P.) können. Erst durch das Engagement von mutigen Frauen auch (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/ aus der Bundesrepublik konnte dieses Schweigen DIE GRÜNEN, der CDU/CSU und der gebrochen werden. F.D.P.) Interessanterweise verdrängen jetzt, wo dieses Thema in den Medien hohe Auflagen und Einschalt- Dr. Barbara Höll (PDS/Linke Liste): Herr Duve, ich quoten verspricht, die Journalisten immer mehr ihre komme in meinem nächsten Absatz zu einer Wertung Kolleginnen. Ich war einigermaßen verblüfft darüber, und auch Unterscheidung, welche Bevölkerungs- daß in der Anhörung bei den Sachverständigen eben- gruppen es im Moment besonders trifft. Aber m an falls die Männer überwogen. Subst antielles zur Sache muß auch feststellen — das kann in der Anhörung am hatten sie denn auch nicht in dem Maße zu bieten wie Montag gerade durch die Sachverständige aus Jugo- die anwesenden Frauen, aber es gab jede Menge slawien, die viel vor Ort gearbeitet und sich unwahr- guter Ratschläge, insbesondere an die Kolleginnen scheinlich engagiert hat, zum Ausdruck —, daß es der SPD, sich das mit den „out of area"-Einsätzen der verfehlt ist, hier Unterscheidungen zu treffen, die Bundeswehr angesichts der Massenvergewaltigun- vielleicht auf eine Freisprechung von Gruppen hin- gen in den Ländern des ehemaligen Jugoslawiens auslaufen, bei denen ebenfalls Massenvergewalti- doch noch einmal zu überlegen. Ich konnte mich gungen — nicht in so vielen Lagern und anders — hierbei des Eindrucks nicht erwehren, daß genau ausgeführt werden. wegen dieser brisanten innenpolitischen Problema tik (Freimut Duve [SPD]: Es geht um den Einsatz die offizielle Resonanz plötzlich derart groß ist. Oder als Kriegsmittel!) wie soll ich mir anders den Umstand erklären, daß die massenhafte Vergewaltigung von Frauen aus E ritrea Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Der Abge- die Bundesregierung zu keiner Aktivität veranlaßte? ordnete Stefan Schwarz wollte auch eine Zwischen- Ist diese in Ihren Augen vielleicht weniger schlimm als frage stellen. die von Europäerinnen? Das möchte ich dann aller- dings doch nicht glauben. Dr. Barbara Höll (PDS/Linke Liste): Nein, ich würde (Gerhard O. Pfeffermann [CDU/CSU]: Dann gern erst einmal weitersprechen. sagen Sie es auch nicht!) Die bisher bekanntgewordenen Opfer sind Frauen Was können wir jetzt alle tun, um die anhaltenden jeder Nationalität und jeden Alters, von zehnjährigen Menschenrechtsverletzungen gegenüber Frauen und Kindern bis zu dreiundachtzigjährigen Greisinnen. Mädchen zu beenden und den Opfern zu helfen? An Einen extrem hohen Anteil an den Opfern haben erster Stelle sollte meiner Meinung nach statt der muslimische Bosnierinnen, da auf ihrem Ter ritorium Entsendung weiterer Soldaten, der Krieg am heftigsten tobt. Die offiziellen Berichte die ja ebenfalls poten- tielle Vergewaltiger sind, aller kriegsführenden Seiten gleichen sich: Die eigene Beteiligung an derartigen Verbrechen wird geleug- (Karl Lamers [CDU/CSU]: Das ist unglaub- net, die Frauen der eigenen Nationalität, die Opfer lich, daß so etwas im Deutschen Bundestag von Vergewaltigungen geworden sind, instrumentali- zu Wort kommt! — Dr. Wolfgang Schäuble siert man, um mit ihrer Hilfe nationalistische Gefühle [CDU/CSU]: Die UNO-Kontingente als po- zu schüren und den Kampfeswillen der Soldaten zu tentielle Vergewaltiger zu bezeichnen, Herr stärken. Präsident, das kann man nicht zulassen!) 11114 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 128. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1992

Dr. Barbara Höll die sofortige Einstellung jedweder Waffenlieferungen Ich bitte Sie eindringlich, nicht noch mehr Zeit stehen, die ja auch aus t' er Bundesrepublik kom- ungenutzt verstreichen zu lassen. Sonst kommt für men. viele Opfer jede Hilfe zu spät. (Beifall bei der PDS/Linke Liste) Wie Ihnen bekannt sein dürfte, wurde ein hoher

Offizier der UNO - Blauhelme beschuldigt, ein gefan- genes minderjähriges Mädchen vergewaltigt zu Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Frau Ab- haben. Obwohl angeblich keine Beweise dafür gefun- geordnete Dr. Höll, die Äußerung und die generelle den werden konnten, wurde er nach Dänemark straf- These „Soldaten als potentielle Vergewaltiger" hier versetzt. Ich denke, dies spricht bereits eindeutig für zu vertreten, möchte ich aufs schärfste zurückweisen sich. und erteile Ihnen dafür eine Rüge. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. Auf internationaler Ebene sollte die Bundesrepu- sowie bei Abgeordneten der SPD und des blik mit dafür sorgen, daß Vergewaltigung als Kriegs- BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) verbrechen nicht nur formell anerkannt wird, Das Wort hat der Abgeordnete Stefan Schwarz zu (Dr. Wolfgang Schäuble [CDU/CSU]: Ent- einer Kurzintervention. zieht ihr das Wort!) Stefan Schwarz (CDU/CSU): Liebe Frau Kollegin! sondern vor dem Internationalen Gerichtshof ein Pro- Ich will mich zu ein, zwei Punkten dann doch zeß gegen das Verbrechen der Massenvergewalti- äußern. gung einschließlich der Verurteilung aller bekannten Täter durchgeführt wird. (Dr. Wolfgang Schäuble [CDU/CSU]: „Liebe Kollegin"?) (Dr. Wolfgang Schäuble [CDU/CSU]: Das — Geschätzte Frau Kollegin, Entschuldigung. — Sie Wort entziehen!) müssen schon etwas zur Kenntnis nehmen — ich habe es bewußt weggelassen, weil es um Massenvergewal- Würde sich Herr Kinkel mit derselben Intensität, mit tigung geht —: Ich könnte Ihnen die Photos zeigen von der er die neue Rolle der Bundesrepublik als Groß- kastrierten Männern, die von namhaft gemachten macht in den internationalen Gremien vorantreibt, Frauen mit zerschlagenen Flaschen die Genitalien abgeschnitten bekommen haben. Ich will Ihnen dies (Dr. Wolfgang Schäuble [CDU/CSU]: Stoppt auf die Art und Weise entgegnen, wie Sie im Unter- sie doch! — Eduard Oswald [CDU/CSU]: Es schied zu Ihren Vorrednerinnen versucht haben, sozu- ist schade, daß bei dieser Gelegenheit das sagen ein ganzes Geschlecht einem geschmacklosen Mikrofon nicht ausfällt!) Verdacht auszusetzen. Es geht nicht um die Frage um die Schließung der Frauenlager in Bosnien- Frau/Mann, sondern um menschlich/unmenschlich. Herzegowina kümmern, könnte das ebenfalls hilf- Dies ist das erste, was ich Ihnen sagen muß. reich sein. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Das zweite: Ich danke Ihnen für die Klarstellung. Schließlich sollten wir hier im Bundestag beschlie- Wissen Sie, es tut mir immer ganz gut, wenn man sieht, ßen, die Grenzen für die Frauen und Kinder aus den daß die SED geblieben ist, wie sie war, auch wenn sie Kriegsgebieten — ohne Visumspflicht und ohne das Firmenschild gewechselt hat. Nachweis einer individuellen Verfolgung — sofort zu öffnen. Das schließt auch ein unbeschränktes Aufent- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) haltsrecht für all die Frauen ein, denen- wegen der Die Frau, die Sie angeführt haben, die aus Jugosla- islamischen Tradition auch nach Beendigung des wien kommt — bekanntermaßen ist das Serbien Krieges Verstoßung durch ihre Familien oder ander- Montenegro —, kommt aus Zagreb, aus Kroatien. weitige Verfolgungen drehen. Vor Ort, besonders in Sehen Sie, Sie haben es bis heute nicht gelernt. Ich will Kroatien, müssen sehr schnell Zentren für die Betreu- Ihnen sagen: Die Gedankensplitter großserbischen ung der Opfer eingerichtet werden, die aus den Denkens, die bei Ihnen zum Ausdruck kommen, Lagern und Bordellen kommen und dringender medi- erinnern mich fatal an die Ausbildung, die die jugosla- zinischer und psychologischer Hilfe bedürfen. Die wische Bundesarmee, die da heute im serbischen Selbstmordrate ist bei den durch Vergewaltigungen Namen so herumwütet, im Namen der SED von der geschwängerten Frauen — das ist die überwiegende NVA und von anderen mitbekommen hat. Der Westen Mehrzahl der Opfer — erfahrungsgemäß sehr hoch. hat Geld hineingepumpt. Die DDR hat viel Ausbil- Deshalb müssen Möglichkeiten für ambulante dung gemacht. Eine der Auswirkungen sehen wir Schwangerschaftsabbrüche für die Frauen geschaf- jetzt. fen werden, die dies wünschen und bei denen es noch Ich finde Ihren Beitrag unerträglich und kann ihn möglich ist. Dies haben nach letzten Meldungen im deshalb nicht unkommentiert stehenlassen. übrigen selbst ranghohe islamische Geistliche gefor- (Beifall bei der CDU/CSU und bei Abgeord dert. Den Frauen, die auf Grund der fortgeschrittenen neten der F.D.P. sowie beim BÜNDNIS 90/ Schwangerschaft diese austragen müssen, und den DIE GRÜNEN) durch sie geborenen unschuldigen Kindern muß psy- chologischer Beistand über einen langen Zeitraum ermöglicht werden. Dazu sind materielle und finan- Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Ich erteile zielle Mittel erforderlich, die wir ebenfalls sofort nunmehr der Abgeordneten Frau Ilse Falk das beschließen sollten. Wort. Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 128. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1992 11115

Ilse Falk (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine Damen Wir dürfen nicht weiter die Bilder aus der Distanz und Herren! Ich will jetzt nicht diese Diskussion des Fernsehsessels be trachten und, wenn wir sie nicht fortsetzen, sondern noch einmal auf einen Punkt mehr ertragen können, abschalten. Die so gequälten kommen, der mir sehr wesentlich zu sein scheint — Frauen werden, wenn sie denn überleben, die Bilder unser Umgang mit Gewalt, unsere Wahrnehmung von in ihren Köpfen nie mehr abschalten können. Gewalt. Unser Entschließungsantrag enthält Forderungen, Wenn wir heute die Nachrichten einschalten, wenn die eine Hilfe sein könnten. Wir bitten die Bundesre- wir Tageszeitungen aufschlagen oder wenn wir uns gierung dringend, sich mit aller ihr zur Verfügung einfach einen gemütlichen Fernsehabend machen stehenden Macht für die Umsetzung dieser Forderun- wollen, eines ist uns immer sicher: Wir werden mit gen einzusetzen. Ich fordere uns alle auf, in unseren Gewalt konfrontiert. Wahlkreisen auf die Not der Frauen in Bosnien Da werden Menschen als Opfer von Kriegen, von aufmerksam zu machen und Initiativen zu unterstüt- Naturkatastrophen oder Verkehrsunfällen verstüm- zen, die direkte Hilfe leisten. melt und sterben, da werden Menschen gefoltert und Ich bin dankbar, daß die Bundesregierung schnell gequält, geprügelt, mißbraucht, ermordet — und und unbürokratisch Geld zur Verfügung stellt, damit immer können wir D ank moderner Großaufnahme- Hilfsmaßnahmen speziell für die be troffenen Frauen und Übertragungstechnik ganz nah dabeisein. Mal ist anlaufen können. Aber ich weiß auch, daß humanitäre es Berichterstattung aus irgendeinem Winkel dieser Aktivitäten politische nicht ersetzen können und frage Welt, mal aus unserer unmittelbaren Nachbarschaft, Sie deshalb: mal sind es sogenannte Unterhaltungsfilme oder auch Darf die internationale Staatengemeinschaft wirk- nur Comics. Mal ist es Schein, mal Wirklichkeit. lich weiterhin Völkermord und Vertreibung dulden Immer aber haben diese Bilder eine klare Abgren- und hilflose Menschen der Willkür der Angreifer zung — der Fernseher hilft uns, Distanz zu schaffen. aussetzen? Die schnelle Abfolge der Themen — ein bißchen Müßte nicht die europäische Politik wesentlich Somalia, ein bißchen Trennungsdrama im englischen entschlossener als bisher Konfliktunterbindung an Königshaus, ein bißchen Krieg in Bosnien und dann die Stelle von Konfliktbeobachtung und Konfliktbe- ein netter Western — setzt uns einem Wechselbad der grenzung setzen? Gefühle aus, und es kann uns nur schwer gelingen, (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. Schrecken und Entsetzen in Mitgefühl umzusetzen. sowie bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Vielleicht sind gut funktionierende Abwehrmechanis- DIE GRÜNEN) men sogar ein Selbstschutz, der uns davor bewahrt, am Mit-Leiden zu zerbrechen. Müssen wir wirklich handlungsunfähig einer Aus- weitung des Krieges womöglich auf Kosovo und Und dann kann es plötzlich passieren, daß einem Makedonien zusehen und wieder hinnehmen, daß Bilder näherrücken und Wirklichkeit werden und wir weitere 50 000 oder 80 000 oder vielleicht hundert- das Unangenehme einfach nicht mehr abschalten tausende Frauen, Mädchen und Jungen vergewaltigt können. In dramatischen Schilderungen haben wir werden, Männer verstümmelt oder gemordet wer- gerade eben von den grauenvollsten Menschen- den? rechtsverletzungen an Kindern, Frauen und Männern Meine Damen und Herren, ich habe zwei erwach- im Kriegsgebiet von Bosnien-Herzegowina gehört. sene Söhne, und so weiP ich, was die Antwort auf Betroffene haben uns ihre unvorstellbaren Leiden meine Fragen in Konsequenz bedeuten kann, aber ich geschildert. Sachverständige haben bei der Anhörung habe auch zwei Töchter, und ich stelle mir vor, sie am Montag die Situation dargestellt und ihre Hilflo- wären in ihrem bisher 27jährigen Leben oder in sigkeit. Zukunft irgendwann einmal solcher Brutalität ausge- Wenn wir Frauen heute — mit der vollen Unterstüt- setzt: Kann ich dann wirklich noch schweigen und zung unserer Fraktionen — in einem gemeinsamen geduldig sein und abwarten, ob dieser schreckliche Entschließungsantrag in besonderer Weise die Men- Krieg vielleicht irgendwann einmal von alleine auf- schenrechtsverletzungen an Frauen und — man hört? müßte ergänzen — an Mädchen und Jungen ange- (Anhaltender Beifall bei der CDU/CSU, der sprochen haben, wird das wohl jeder, der uns zuhört, F.D.P., der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE verstehen können. Hier werden Vergewaltigung, GRÜNEN) Empfängnis-Erzwingung als Kriegswaffen benutzt, um eine Gesellschaft und ein Volk zu zerbrechen. Ich glaube nicht, daß wir uns wirklich vorstellen können, Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Das Wort was den Frauen in den Vergewaltigungslagern täg- hat nunmehr der Abgeordnete Dr. Eberhard Brecht. lich und stündlich passiert. Nur eine völlig kranke Phantasie kann fähig sein, sich dieses auszumalen. Dr. Eberhard Brecht (SPD): Sehr geehrter Herr Aber das, was wir verstehen, reicht aus, es in alle Welt Präsident! Meine Damen und Herren! Ich kann mich hinauszuschreien, jeden Menschen aufzurütteln: an keine Menschenrechtsdebatte erinnern, die frei Wacht endlich auf! Helft uns helfen! Helft, den von Resignation war. Da stellt man einerseits befrie- fürchterlichen Krieg zu beenden! Kapiert endlich, daß digt fest, daß im Land X nicht mehr soviel gefoltert hier unmittelbar neben unserer gepflegten Haustür in oder gar nicht mehr gefoltert wird. Da gibt es ein Land einem Land, das ehemals ein bevorzugtes Urlaubs- Y, das man wieder neu in die Liste aufnehmen muß, in land der Deutschen war, Menschen sterben müssen dem sich die Menschenrechtssituation eher verschärft oder für ihr ganzes Leben gezeichnet werden! hat. 11116 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 128. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1992

Dr. Eberhard Brecht Besonders schmerzlich ist es dabei, wenn im Aus- wisierungspolitik durchzupauken. Besorgniserre- land angesichts der Ausschreitungen, die wir heute in gend sind vor allem die Versuche einer ethnischen Deutschland erleben, unser Land plötzlich in die Säuberung im Kosovo. Sie fallen nur deshalb nicht so Kategorie Y gestellt wird. besonders auf, weil die entsprechenden Vorgänge in Resignation macht sich aber auch breit, wenn Publi- Bosnien — bisher zumindest — in Art und Umfang zisten, wenn NGOs, wenn Politiker gegen die Verlet- noch viel schlimmer sind. zung der Menschenrechte angehen, wenn sie versu- Der Vorsitzende der radikalen serbischen Partei chen, durch Veröffentlichungen Druck auszuüben, z. B. macht gar kein Hehl daraus, die ethnische wenn sie Gespräche führen, Verhandlungen, wenn Struktur im Kosovo drastisch verändern zu wollen. So sie wirtschaft lichen und politischen Druck ausüben werden serbischen Flüchtlingen Grundstücke und und all das dann trotzdem ohne Erfolg bleibt. Um Gebäude zugewiesen, die man vorher Albanern kon- unsere bescheidenen Möglichkeiten wissend, ist es fiszierte. Auch Ackerland, Baugrundstücke und Wald- gleichwohl unsere moralische Pflicht, immer wieder gebiete wurden Serben zu Lasten albanischer Bewoh- gegen diese Vergehen gegen die Menschlichkeit ner zugeschoben. anzurennen. Besonders deutlich wird unsere Ohnmacht ange- Das alles trägt dazu bei, die schon vorhandenen ethnischen Spannungen weiter zu verschärfen. Auf sichts des Balkankonflikts, der hier in verschiedenen Redebeiträgen angesprochen wurde. Da werden Bür- solche Vorgänge zielt unser Antrag mit dem Titel ger Bosnien-Herzegowinas vertrieben, gefoltert, ge- „Konvention gegen Vertreibung". Damit die Völker- schlagen, verwundet, getötet und ausgehungert. gemeinschaft auf derartige Menschenrechtsverlet- Frauen werden systematisch vergewaltigt, und Kinder zungen und Kriegsverbrechen angemessener reagie- erleiden seelische Schäden, von denen sie sich ver- ren kann, fordern wir darin die Bundesregierung auf, mutlich ein Leben lang nicht erholen werden. Aber dem Deutschen Bundestag einen Entwurf für eine auch in einigen Regionen des früheren Jugoslawiens, Anti-Vertreibungs-Konvention zur Beratung vorzule- in denen derzeit kein offener Krieg tobt, werden die gen. Wir fordern die Bundesregierung weiterhin auf, Menschenrechte grob mißachtet. Besorgniserregend eine Initiative in den internationalen Gremien für eine solche Konvention zu ergreifen, damit die Vertrei- ist die Situation insbesondere im Kosovo. Seit der Aufhebung der Autonomierechte des Kosovo und der bung von Minderheiten und Bevölkerungsgruppen Auflösung des Parlaments und der Absetzung der völkerrechtlich und letztlich auch strafrechtlich Regierung in Prišdina, sehen sich die Kosovo-Albaner geahndet und bestraft werden kann. einer gesteigerten Repression durch die serbischen (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Behörden ausgesetzt, die mit permanenten Men- schenrechtsverletzungen einhergehen. Ich verweise Unter dem Regime von Vertreibungen und Men- hier auf die einschlägigen Berichte von amnesty schenrechtsverletzungen nimmt es nicht wunder, international, auf den Kosovo-Report und auf den im wenn sich mehr und mehr Kosovo-Albaner zur Flucht vergangenen Monat herausgegebenen Be richt von aus ihrer Heimat entschließen. In diesem Zusammen- Helsinki Watch über die Situation der Menschen- hang stellt sich mir die Frage, wie wir Deutschen uns rechte im Kosovo. künftig den Flüchtlingen aus dem Kosovo gegenüber Nachdem sich der Bundestag in einem gemeinsa- verhalten werden. men Entschließungsantrag im letzten Jahr, 1991, für Viele von ihnen sind inzwischen so verarmt, daß die Wiederherstellung der Menschenrechte im ihnen der Erwerb eines Flugtickets unmöglich ist. So Kosovo eingesetzt hat, hat es die aktuelle Situation werden sie also mehrheitlich auf dem Landweg zu uns erforderlich gemacht, daß wir in diesem Jahr als kommen und um Asyl nachsuchen. SPD-Fraktion einen erneuten Antrag einbringen muß- ten. An der deutsch-polnischen, deutsch-tschechischen Dieser Antrag hat zum Ziel, die Bundesregierung oder deutsch-österreichischen Grenze würden die dazu zu ermuntern, für die Gewährleistung der Men- Kosovo-Albaner nach Umsetzung des jetzt gefunde- nen Asylkompromisses zurückgewiesen, da einerseits schenrechte und die Wiederherstellung der Selbst- verwaltung der Kosovo-Albaner zu sorgen. Dabei im Kosovo kein offener Krieg oder Bürgerkrieg statt- haben wir nicht dem Drängen vieler Kosovo-Albaner findet, aber sie andererseits nach Abs. 2 des neuen auf eine Sezession von Restjugoslawien und auf eine Art. 16a des Grundgesetzes aus einem sicheren Dritt- anschließende Vereinigung mit Albanien gegen den staat einreisen. Willen der dort lebenden Serben nachgegeben. Sol- Mir fällt es sehr schwer, in diesem Zusammenhang che Forderungen würden einen Friedensprozeß von an Bekenntnisse zu Menschlichkeit und zur Men- vornherein ausschließen. schenrechtskonvention zu glauben, wenn eine ganze Es ist erfreulich, daß der Antrag im Auswärtigen Gruppe politisch Verfolgter nämlich praktisch keine Ausschuß die Zustimmung aller Fraktionen des Bun- Chance mehr auf ein Asylverfahren in Deutschland destages gefunden hat. Ich bedaure gleichwohl — wie hat. der Kollege Poppe —, daß es so lange gedauert hat, bis er auf die Tagesordnung gekommen ist. (Beifall bei der SPD, der PDS/Linke Liste und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Inzwischen gibt es leider eine neue Entwicklung. Der Internationale Bund Freier Gewerkschaften wies Ich kann daher den gefundenen Asylkompromiß in einer Dokumentation darauf hin, daß die serbischen nur dann mittragen, wenn gleichzeitig eine gerechte Behörden derzeit bemüht sind, eine intensive Resla- Quotierung der Flüchtlingsaufnahme mit unseren Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 128. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1992 11117

Dr. Eberhard Brecht europäischen Anrainerstaaten vertraglich vereinbart Zum Druck auf Serbien gehört auch die auf der wird. Londoner Konferenz beschlossene präventive Statio- nierung von Beobachtern in den explosiven Regionen (Dr. Wolfgang Schäuble [CDU/CSU]: Da Kosovo, Mazedonien, Vojvodina und Sandzak. Auch warten wie noch fünf Jahre!) könnte die KSZE-Langzeitkommission EG-Beobach- Heute müssen wir feststellen, daß alle internationa- ter aufnehmen und auf diesem Weg dafür sorgen, daß len Bemühungen für eine Befriedung des Kosovo ohne sie auch im Kosovo ihre Tätigkeit ausüben können. sichtbares Ergebnis geblieben sind. Alle Beteiligten (Karl Lamers [CDU/CSU]: Beobachter gibt es beschreiben nur die brennende Zündschnur am Pul- da genug!) verfaß des Kosovo, ohne in der Lage zu sein, sie zu löschen. Beklagenswert ist dabei — Herr Lamers, ich komme gleich zu unserem Manko — der völlig unzureichende Da wurde eine Langzeitkommission der KSZE zum deutsche Beitrag zu den EG-Monitoren. Kosovo-Konflikt installiert. Herr Mazowiecki und seine Kommission tun ihr Bestes. Die NATO beschäf- (Karl Lamers [CDU/CSU]: Das sind doch tigte sich jüngst mit dem eskalierenden Konflikt. Mit lächerliche Figuren geworden!) der Einsetzung des Lenkungsausschusses in Genf und Von den ca. 170 Monitoren der EG, die gegenwär- der sechs Arbeitsgruppen im Anschluß an die Londo- tig im Gebiet des früheren Jugoslawiens tätig sind, ner Konferenz ist es zwar gelungen, innerhalb der sind lediglich zwei deutsche. „Arbeitsgruppe über die ethnischen und nationalen Gemeinschaften und Minderheiten" eine sogenannte Wir fordern die Bundesregierung auf, sich hier mit Sondergruppe für die frühere autonome Provinz eigenen Monitoren stärker zu engagieren. Und ich Kosovo einzurichten; aber bewirken konnte sie bis- sage auch: Dies hat nichts mit einer gebotenen deut- lang nichts. schen Zurückhaltung in Jugoslawien zu tun. Im übri- gen begrüßen wir die Initiative des scheidenden Denn der serbische Präsident Milosevic behauptet Präsidenten Bush, US-Bürger an einer internationalen nach wie vor, daß der Konfliktherd Kosovo lediglich zivilen Monitor-Mission im Kosovo zu beteiligen. ein innerserbisches Problem sei. In der Konsequenz dieser Position hat er denn auch den Vorschlag einer (Karl Lamers [CDU/CSU]: Was wollen Sie mit internationalen Friedenskonferenz über den Kosovo den Zivilen machen?!) rundweg abgelehnt, und deshalb konnte im Sommer Als eine weitere präventive Maßnahme sollte die dieses Jahres die KSZE auch nur gegen den erklärten Stationierung von UNO-Blauhelmen im Kosovo und in Willen der serbischen Regierung den Beschluß fassen, Mazedonien erstritten werden. eine Untersuchungskommission auch in den Kosovo zu entsenden. (Beifall bei der SPD — Zurufe von der CDU/ CSU) Da einerseits Milosevic und seine Freunde an einer Dies ist auch eine Forderung der Übergangsregierung fairen Verhandlungslösung desinteressiert sind, an- des Kosovo. dererseits die Völkergemeinschaft vor dem hohen Blutzoll einer militärischen Intervention im ehemali- Herr Lamers, wir sollten wenigstens das ernst neh- gen Jugoslawien zurückschreckt, entsteht in der men, was die Kosovo-Albaner ja selbst fordern, und Öffentlichkeit der fatale Eindruck eines hilflosen dies ist es! — Auch Albanien und Mazedonien haben Aktionismus von UNO, EG und KSZE. ihre Bereitschaft erklärt, an ihren Grenzen UNO- Friedenstruppen zum Zwecke der vorbeugenden Dennoch: Es muß und kann gehandelt werden! War Konfliktabwehr aufstellen zu lassen. das vorrangige Ziel früherer internationaler Bemü- hungen die Austrocknung und Beendigung des Krie- Die Bundesregierung sollte nun innerhalb der EG ges in Kroatien und Bosnien-Herzegowina und die und der UNO ihren Einfluß geltend machen, damit Wiederherstellung der Menschenrechte dort allein, so diese Form der Prävention verwirklicht werden kann. müssen wir heute unsere Anstrengungen auch darauf Ich erinnere an die damals verspätete Stationierung konzentrieren, einen Flächenbrand auf dem Balkan der UNPROFOR-Truppen in Kroatien. Dies sollte uns zu verhindern. Eine solche Eskalation würde ihren zur Eile treiben. Ursprung vermutlich im Kosovo haben. (Zuruf von der CDU/CSU: Wir sollten die Wenn Europa oder die Vereinten Nationen auch nur anderen zur Eile treiben, haben Sie gerade die Spur einer Chance für eine Begrenzung des gesagt!) Balkankrieges haben wollen, so muß der Druck auf Schließlich sollten wir mehr als bisher die serbische die serbischen Machthaber erheblich verstärkt wer- Opposition stützen, die zwar differenziert, aber doch den. Dazu gehört die Botschaft, daß die NATO nicht mehrheitlich für einen Friedensprozeß eintritt. In zusehen wird, wie neben Albanien auch ihre Mit- diesem Zusammenhang ist die Sondergenehmigung gliedstaaten Griechenland und die Türkei in einen des UN-Sanktionsausschusses für den Ausbau des bewaffneten Konflikt hineingezogen werden. Oppositionssenders ausdrücklich zu begrüßen. (Karl Lamers [CDU/CSU]: Und was dann?) Falls es bei den in zehn Tagen abzuhaltenden Jüngste Berichte aus Brüssel verdeutlichen die Wahlen in Serbien Milosevic nicht gelingt, an die Interessenlage des Bündnisses. Regierung zu kommen, müßten sich die Oppositions- gruppen auf ein gemeinsames Regierungsprogramm (Karl Lamers [CDU/CSU]: Und dann beruft und auf einen von allen getragenen Spitzenkandida- die SPD einen Parteitag ein!) ten verständigen. Eine neue serbische Regierung 11118 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 128. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1992

Dr. Eberhard Brecht würde unserem Verständnis nach eher national orien- Denn mein Eindruck war bisher jedenfalls: Selbst tiert sein. Dennoch bestünde eher bei ihr die Hoffnung wenn wir in der verfassungsrechtlich-politischen auf Achtung der Menschenrechte und auf die Bereit- Frage einig wären, wäre in diesem Bundestag wohl schaft, in Genf den Weg des Friedens einzuschla- nur schwer eine Mehrheit für einen Einsatz deutscher gen. Soldaten in Jugoslawien zu finden. Meine Damen und Herren, viel Zeit bleibt uns nicht Ich sage das mit der notwendigen Zurückhaltung, mehr. Nutzen wir sie! aber ich sage es doch deutlich und klar, um auch Vielen Dank. darauf hinzuweisen, daß wir in besonderer Weise Verständnis dafür haben müssen, daß diejenigen, die (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ einen solchen Eingriff machen könnten, was die DIE GRÜNEN — Zuruf von der CDU/CSU: militärische Seite dieses Eingriffs anbelangt, außeror- Sie machen es sich sehr einfach!) dentlich zurückhaltend sind. Ich habe noch vor kurzem ein Gespräch mit dem amerikanischen Verteidigungsminister geführt und Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Ich erteile ihn gefragt: Bleibt es bei der bisherigen Einschätzung? nunmehr dem Bundesminister des Auswärtigen, — Eindeutig ja. Fragen Sie die Franzosen, fragen Sie Dr. Klaus Kinkel, das Wort. die Briten, alle haben Angst — das muß einmal ausgesprochen werden, auch in diesem Plenum —, daß sie wegen der geographischen Situation in einen Dr. Klaus Kinkel, Bundesminister des Auswärtigen: unsäglichen Guerillakrieg hineingezogen werden Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Was Herr könnten, bei dem alle Angst und Sorge haben, daß er Schwarz hier vorgetragen hat, war erschütternd, in nicht kalkulierbare Opfer auch auf der zivilen Seite jeder Beziehung erschütternd. Ich war wahrscheinlich mit sich bringen würde. nicht der einzige, der das so empfunden hat. Sie alle Dazu muß man sagen, wenn man sich die moralisch haben das empfunden. Das hat man auch gemerkt. ethische Seite der ganzen Sache ansieht, daß man Es war sozusagen mit dem Brennglas ein Aspekt natürlich besonders wütend wird, daß wir auf Grund herausgearbeitet — zugegebenermaßen einer der der Regeln des Waffenembargos, das wir ja unterstüt- schlimmsten — dieses schrecklichen Vorgehens und zen und für meine Begriffe auch unterstützen müssen, der schrecklichen Vorgänge im früheren Jugosla- das berechtigte Selbstverteidigungsrecht dieser zu wien. Aber ich glaube, es war wichtig, daß dieser Unrecht angegriffenen Menschen nicht dadurch Aspekt so herausgearbeitet worden ist, wie das erleichtern können, daß wir ihnen wenigstens helfen, geschehen ist. sich selbst verteidigen zu können. Trotzdem muß ich sagen: Natürlich ist es nur ein Aspekt. Ich bin jetzt sechs Monate Außenminister und Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Herr Bun- habe mit der mir zur Verfügung stehenden Kraft desminister, sind Sie bereit, eine Frage des Abgeord- versucht, mich ganz speziell auch dieses Problems neten Jäger (Wangen) zu beantworten? anzunehmen. Es ist so, daß die Hilflosigkeit und die überwältigenden Probleme einen wütend und traurig Dr. Klaus Kinkel, Bundesminister des Auwärtigen: zugleich machen. Wütend und traurig zugleich, weil Ich würde dies gern zu Ende führen. Ein bißchen die Völkergemeinschaft es bisher nicht fertiggebracht später, Herr Jäger, wenn Sie einverstanden sind. hat, dieses schreckliche Problem auch nur einigerma- Ich wollte einfach sagen: „Et respice finem" bei ßen in den Griff zu bekommen. allem, was wir hier miteinander besprechen und Ja, die Vereinten Nationen, der Sicherheitsrat,- die erörtern! Es ist in der Sache eben ungeheuer kompli- KSZE, die WEU, wir zwölf Europäer, die Ame rikaner ziert. bilateral, — wir alle haben uns gemeinsam bemüht. Nun hilft das alles nichts. In der Analyse sind wir uns Das Ergebnis ist beschämend, beschämend gering. einig. Die Therapie ist das Entscheidende. Deshalb Ich sage das in aller Deutlichkeit und in aller will ich versuchen, zur Therapie zwei Dinge zu sagen. Klarheit auch und gerade vor dem Gipfel in Edin- In der Analyse, wie gesagt, brauchen wir uns nicht burgh, zu dem ich heute abend mit dem Bundeskanz- weiter zu bewegen, aber in der Therapie. Da möchte ler fliege, wo dieses Thema wieder auf der Tagesord- ich zu dem letzten schrecklichen Problem, das ange- nung stehen wird, und auch vor der erneut einberu- sprochen worden ist, aus meiner Sicht sagen, was da fenen Konferenz am 16. Dezember in Genf, wo wir getan werden kann und getan wurde. nach der Londoner Konferenz und aller dazwischen- Erstens. Es müssen Häuser für Frauen in Not liegenden Bemühungen erneut versuchen wollen, das geschaffen werden, in denen die Frauen und Mäd- Problem in den Griff zu bekommen. chen medizinisch und psychologisch betreut werden. Man hat in der Tat den Eindruck, daß bisher alles Ein erstes dieser Häuser wird wohl in Zagreb eröffnet vergeblich war und daß eigentlich nur eines helfen werden. Wir sind daran. Das Auswärtige Amt und die könnte. Nur, bei aller Bedrückung, bei aller Hilflosig- Bundesregierung versuchen, da zu tun, was nur keit und bei aller Wut, ich habe in den sechs Monaten irgend geht. auch lernen müssen, und zwar bitter lernen müssen, Zweitens. Eine Kette örtlicher Beratungsstellen soll daß wir jedenfalls — es ist heute schon gesagt worden sowohl einen Anlaufpunkt für be troffene Frauen als — im Fordern dieses letzten Mittels vorsichtig sein auch für die Fachberatung von Krankenhäusern, Kli- sollten aus Gründen, die ich hier nicht wiederholen niken und frei praktizierenden Ärzten bilden. Wir sind will. dabei, das in die Praxis umzusetzen. Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 128. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1992 11119

Bundesminister Dr. Klaus Kinkel Drittens. Man muß klar sehen, daß das Maß an gewandt. Ich habe Montag und Dienstag nacht in Solidarität, das den betroffenen Frauen gegenüber langen Gesprächen dieses Thema mit den Zwölf inzwischen Gott sei Dank, wie sich in mancher Bezie- besprochen. Wir werden auf Initiative des Bundes- hung gezeigt hat, zum Ausdruck kommt, auch hilft, kanzlers morgen in Edinburgh diese Vergewalti- die Probleme zu bewältigen. Zum Teil sind vor Ort gungsproblematik zu einem Top-Punkt des Gipfels auch weitgehend intakte Großfamilien oder einzelne machen und darauf bestehen, daß auch die Zwölf mit Verwandte, die den Frauen Rückhalt geben kön- der Power, die sie gegenüber diesen Ländern haben, nen. versuchen, mitzuwirken, daß diese Dinge unterbun- Die Frauen sollten deshalb nur in Ausnahmefällen den werden. und nur auf besonderen persönlichen Wunsch aus (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne dieser Umgebung genommen werden. Soweit Sie das ten der CDU/CSU) wollen und wünschen, hat die Bundesregierung erklärt — und wir haben das personell zahlenmäßig Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Herr Bun- nicht beschränkt —, daß wir bereit sind, und zwar desminister, ich habe jetzt drei Wünsche nach Fra- sofort, diese Frauen hier aufzunehmen. Ich habe das gen. schon vorher gesagt. Dr. Klaus Kinkel, Bundesminister des Auswärtigen: (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) Ich bin bereit, diese Fragen zu beantworten, möchte Viertens. Frau Seiler-Albring wird nächste Woche aber, daß das nicht von meiner Zeit abgezogen wird. — ich habe angeregt, daß weibliche Mitglieder der Denn ich würde sehr gern noch etwas zu China sagen, Fraktionen an dieser Reise teilnehmen — dorthin weil das noch gar nicht zur Sprache gekommen ist. fahren. Bloß ist das äußerst schwierig. Ich habe gesagt, Wegen der Angriffe, die da gegen mich gestartet es hat keinen Sinn, eine Reise dorthin zu machen, worden sind, habe ich das Bedürfnis, zwei oder drei wenn man nicht die Chance hat, in diese 16 Verge- Sätze dazu zu sagen. waltigungslager, die es da angeblich gibt, hineinzu- kommen. Das heißt, ich muß erst die Voraussetzungen Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Herr Bun- dafür schaffen, daß wir jedenfalls die Ch ance haben, desminister, ich rechne Ihnen die Zeit nicht an. — in eines oder zwei dieser Lager hineinzukommen, weil Zunächst der Herr Abgeordnete Jäger (Wangen). eine Reise „for show" keinen Sinn hat. Wir sind dabei, es vorzubereiten. Claus Jäger (CDU/CSU): Herr Bundesminister, wenn ich davon ausgehe, daß in diesem Hause durch- Ich lade die Fraktionen ein, an dieser Reise teilzu- aus Verständnis für die Haltung der Bundesregierung nehmen. Ich glaube, daß das wirklich einmal ein ist, Zurückhaltung bei der Frage zu üben, wo es um Anlaß wäre, wo Exekutive und Parlament zusammen den Einsatz von Militär geht, so möchte ich Sie doch etwas unternehmen könnten. Denn ich sage, wir fragen, weshalb die Bundesregierung an ihrem Stand- müssen endlich raus aus dem ewigen Analysieren, wir punkt festhält, daß die Beibehaltung des Waffenem- müssen mal dorthin und sagen: Jawohl, so viele Lager bargos auch gegenüber den Opfern der Aggression gibt es dort, das haben wir gesehen. Und wir helfen noch ein sinnvolles Mittel ist, dort zu helfen, und vor Ort wie folgt. warum die Bundesregierung nicht umgekehrt bei den (Beifall bei der F.D.P., der SPD und dem Vereinten Nationen den Antrag stellt, dieses Waffen- BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abge embargo zugunsten der von der Aggression Betroffe- ordneten der CDU/CSU) nen, also vor allem der Bosnier, aufzuheben, damit sie sich endlich wenigstens selbst verteidigen können, Wir haben uns entschlossen, mit Herrn Pani zu ć wenn wir ihnen schon nicht helfen wollen oder glau- sprechen. Sie wissen das. Das ist mir wahrhaftig- ben, ihnen nicht helfen zu können. schwergefallen; das sage ich in diesem Haus. Ich habe mich über Wochen oder Monate hinweg gedrückt, (Beifall bei der CDU/CSU) auch noch bei der Londoner Konferenz. Ich habe Dr. Klaus Kinkel, Bundesminister des Auswärtigen: Herrn Panić unmißverständlich und deutlich gesagt, daß es nichts nützt, nur Worte zu machen, sondern daß Die Frage des Waffenembargos ist innerhalb der wir Taten sehen wollen und daß er als Ministerpräsi- Vereinten Nationen, vor allem auch unterhalb der dent auch und in erster Linie mit die Verantwortung Zwölf x-mal intensivst besprochen worden. Es spricht dafür trägt, daß solche Dinge geschehen. Er kann sich vieles für das, was Sie, Herr Jäger, sagen. Es spricht dort nicht nur hinstellen und sagen, er sei der Mini- aber, jedenfalls bisher, nach Meinung der überwie- sterpräsident dieses Landes und werde die Dinge in genden Mehrzahl der Mitglieder der Vereinten Natio- Ordnung bringen, und in der Praxis Nullkommanichts nen und der Zwölf, die sich Gedanken darüber bewegen. machen, vieles dagegen, das Waffenembargo in die- sem Sinne aufzuheben. Wir sind der Meinung, daß die (Beifall bei der F.D.P., der CDU/CSU und der Aufhebung letzendlich kontraproduktiver wäre als SPD) die Aufrechterhaltung. Das ist eine Abwägung. Ich habe Herr Mazowiecki hier gehabt und habe mir Man kann verschiedener Meinung sein; das räume ausführlich berichten lassen. Wir versuchen, ihn zu ich ein. Wir, die Bundesregierung, sind intensiv an den unterstützen, soweit es nur irgendwie möglich ist, Gesprächen beteiligt. Bisher haben wir uns dieser durch Manpower und Geld. Ich habe mich an Herrn Auffassung angeschlossen. Owen und an Herrn Vance gewandt und versucht, umzusetzen, was umzusetzen geht. Ich habe mich an Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Frau Herrn Douglas Hurd als derzeitige Präsidentschaft Steinbach-Hermann, bitte sehr. 11120 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 128. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1992

Erika Steinbach-Hermann (CDU/CSU): Herr Au- Im übrigen haben wir nicht vor, Sightseeingtouris- ßenminister, Sie haben angeregt, daß mit Abgeordne- mus zu betreiben, sondern vor Ort zu eruieren, welche ten eine Besichtigung der Vergewaltigungslager vor- Situation vorliegt, um helfen zu können. Der Vor- genommen wird. Haben Sie nicht die Befürchtung, schlag ist also gutgemeint; denn ich gehe davon aus daß dieser Sightseeinghumanismus anschließend — ein drittes Mal —, daß diejenigen, die die Reise wieder in einen unsäglichen Sprechblasenhumanis- unternehmen, dies so machen werden, daß der Ein- mus ausarten wird? Es werden Taten gefordert, druck, den Sie befürchten, nicht entstehen kann. zumindest die Hilfe zur Selbsthilfe mit der Möglich- keit, sich selbst zu verteidigen. Es ist eigentlich Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Herr Ab- unerträglich, wenn m an beachtet, was am Ende dann geordneter Werner. herauskommt. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Herbert Werner (Ulm) (CDU/CSU): Herr Bundes- außenminister, vorab erklärend, daß ich sehr dankbar Dr. Klaus Kinkel, Bundesminister des Auswärtigen: dafür bin, was Sie bisher in dieser Hinsicht unternom- Ich sehe das Problem, habe aber diese Sorge nicht, men haben — das schätze ich sehr —, weil ich von denen, die dorthin fahren, erwarte, daß (Beifall bei der F.D.P.) sie dies in der Form machen werden, wie man so etwas möchte ich gleichwohl den Eindruck vermitteln, daß machen muß, um der Weltöffentlichkeit zu zeigen, ich das, was Sie bisher gesagt haben, nur als Aus was dort unten los ist, um etwas zu bewirken. weich- und Ausfluchtsmanöver empfinden kann. Vor der Frage stehend, ob wir das von hier aus, Ich möchte Sie fragen, ob Sie denn bereit sind, uns wenn wir die Verhältnisse nicht genau kennen, kom- hier zu sagen, in welche Richtung Sie in Edinburgh mentieren oder ob wir uns vor Ort umsehen, um zu argumentieren wollen, und dort im Hinblick auf eine wissen, worüber wir reden, würde ich persönlich mich gemeinsame militärische Ak tion gegebenenfalls be- für das zweite entscheiden. reit sind, den Verbündeten zu erklären, daß, wenn es (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne hier schon unüberwindbare grundrechtliche Positio- ten der CDU/CSU und der SPD) nen gibt, wir als Deutsche bereit sein müssen, logisti- sche militärische Hilfe und auch finanzielle Hilfe zur Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Herr Ab- Verfügung zu stellen, so wie wir dies in einer anderen geordneter Duve. Krisenregion, nämlich am Golf, sehr wohl getan haben. Freimut Duve (SPD): Herr Bundesaußenminister, Sie haben die vielfachen Gespräche für das, was als Dr. Klaus Kinkel, Bundesminister des Auswärtigen: Vorbereitung für Edinburgh, auch im Rahmen der Zunächst einmal werden auf dem Gipfel morgen vor UNO, zu tun ist, erwähnt. Meine Frage: Ist in diesem allem die Regierungschefs sprechen und die Außen- Zusammenhang bereits davon gesprochen worden, minister nur assistierend dabeisein. Da ich diese bei einer möglicherweise noch dramatischeren Situa- Fragen mit dem Herrn Bundeskanzler ausführlich tion in Bosnien-Herzegowina dieses Gebiet unter zuletzt gestern bzw. heute morgen vorbesprochen UNO-Mandatsprotektion zu stellen? habe, bin ich sehr sicher, daß wir dort natürlich (Beifall des Abg. Karsten D. Voigt [Frankfu rt] erklären werden, daß wir mit allen uns auch rechtlich [SPD]) zur Verfügung stehenden Möglichkeiten unterstüt- zend mithelfen werden; da kann gar keine Frage Dr. Klaus Kinkel, Bundesminister des Auswärtigen: sein. Ja, dieses Thema ist erörtert worden, bisher- aber noch Wir haben bisher, was die gesamte Hilfe für das nicht mit einem Ergebnis. frühere Jugoslawien, für Somalia und für andere Krisengebiete auf dieser Erde anbelangt, wahrhaftig Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Frau Ab- viel getan. Wir brauchen unser Licht mit dem, was wir geordnete Limbach. getan haben, nicht unter den Scheffel zu stellen. Das muß nach draußen, auch hier im Deutschen Bundes- Editha Limbach (CDU/CSU): Herr Bundesaußenmi- tag, einmal deutlich gesagt werden. nister, haben Sie nicht die Befürchtung, daß bei einem Es wird aber immer wieder die entscheidende Frage offiziellen Besuch in solchen Menschenvernichtungs- an uns gestellt werden: Seid ihr denn, wenn es ernst lagern ein Ergebnis herauskommen könnte wie bei- wird, bereit, eure deutschen Soldaten dorthin zu spielsweise bei einem Besuch des Roten Kreuzes in schicken? Das ist die Kernfrage, um die wir uns nicht Theresienstadt? drücken können. (Heribert Scharrenbroich [CDU/CSU]: Was Dr. Klaus Kinkel, Bundesminister des Auswärtigen: sagen Sie dann?) Ich glaube nicht, daß das so sein wird. Ich sage noch einmal: Ich vertraue auf diejenigen, die dorthin fah- Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Meine ren. Damen und Herren, ich möchte das Haus darauf Im übrigen ist es so: Wir werden die Reise für die aufmerksam machen, daß ich Zwischenfragen zulas- Bundesregierung machen. Wenn sich die Frak tionen sen kann, nicht muß. Ich sage deswegen vorsorglich: des Bundestages nicht anschließen wollen oder kön- Ich lasse jetzt noch die Frage von Dr. Pflüger zu. Dann nen — aus Gründen, die ich akzeptiere —, dann ist das ist Schluß, damit der Bundesaußenminister seine Rede eine andere Sache. zu Ende führen kann. Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 128. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1992 11121

Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg Herr Dr. Pflüger. beigetragen, will Ihnen aber jetzt nicht die Zeit stehlen, weil der andere Punkt so lange gedauert Dr. Friedbert Pflüger (CDU/CSU): Herr Minister, ist hat. es angesichts der bewegenden Dinge, die wir von Ich bitte aber, mir abzunehmen, daß es so war, und Herrn Schwarz und anderen gehört haben, und ange- sage Ihnen zu, daß ich weiterhin in all den Ländern sichts des spürbaren Empfindens im ganzen Haus, daß und all den Bereichen, wo es Menschenrechtsfragen wir bisher angesichts der Brutalitäten in Jugoslawien anzusprechen gilt, kein Blatt vor den Mund nehmen, zuwenig getan haben, nicht wirklich beschämend, sondern klar und deutlich sagen werde, was wir von daß wir bisher nicht in der Lage gewesen sind, uns diesen Ländern in diesen speziellen Situationen wenigstens im Rahmen der UNO an Stop- und erwarten. Search-Aktionen zur Überwachung des Embargos zu Vielen Dank. beteiligen? Sollten wir innerhalb der Bundesregie- rung und auch darüber hinaus nicht endlich zu einer (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) klareren und deutlicheren Haltung kommen? Das wäre nach meinem Dafürhalten das einzige, was das Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Das Wort Gerede in normale Taten verwandelte. hat nunmehr der Abgeordnete Karl Lamers.

Dr. Klaus Kinkel, Bundesminister des Auswärtigen: Wie ich vorher gesagt habe, ist die Frage der Verge- Karl Lamers (CDU/CSU): Herr Präsident! Verehrte waltigungen ein Punkt des Konflikts im früheren Kolleginnen und Kollegen! Herr Minister, Sie haben Jugoslawien; ein Ansatzpunkt ist der Adriaeinsatz. Es gut daran getan, nicht Ihre vorbereitete Rede zu ist so, daß wir nach wie vor mit unseren Schiffen und halten. Auch ich will das nicht tun. unseren Flugzeugen teilnehmen, daß wir uns aber Ich will zu China nur soviel sagen: Erstens. Wir wegen unserer verfassungsrechtlichen Situation nur glauben Ihnen, daß Sie sich in China mit Nachdruck an Beobachtungs-, nicht an Durchsuchungsmaßnah- für die Verwirklichung der Menschenrechte einge- men beteiligen. So ist die derzeitige Kommandolage setzt haben. dem deutschen Schiff gegenüber. Ich glaube, daß Zweitens. Der einzige Sinn des Antrages, den die daran nichts geändert werden sollte. Koalitionsfraktionen heute dem Deutschen Bundestag vorlegen, ist, einen Wechsel in der Methode der Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: So, Herr Menschenrechtspolitik gegenüber China vorzuneh- Bundesaußenminister, Sie haben jetzt die Möglich- men, nicht aber, einen Verzicht auf Menschenrechts- keit, Ihre Rede zu beenden. politik gegenüber China auszusprechen.

Dr. Klaus Kinkel, Bundesminister des Auswärtigen: (Vorsitz: Vizepräsident Helmuth Becker) Ich habe ein wenig Hemmungen, nun den zweiten Ich muß sagen: Meine Befürchtungen, die ich schon Punkt anzusprechen, der noch zu dieser Debatte vor Beginn dieser Debatte hatte, daß wir nämlich in gehört, nämlich die China-Problematik. Ich will es auf Anbetracht eines sich vor unseren Augen abspielen- das beschränken, was mir wichtig ist. den Grauens reden würden, aber nicht wüßten, was Ich bin in China in einer schwierigen Situation wir als Antwort darauf sagen sollten, haben sich durch gewesen. Ich möchte dem Deutschen Bundestag das, was der Kollege Schwarz so eindrucksvoll vorge- sagen, so wie ich es gestern im Auswärtigen Ausschuß tragen hat, noch verstärkt. Deswegen finde ich es ganz und auch bei anderer Gelegenheit getan habe, daß ich natürlich, daß wir nun zu der Frage kommen: Was entgegen dem Bild, das nach draußen vermittelt denn tun? Es ist eben nicht damit getan, daß wir worden ist, in sämtlichen Gesprächen die Menschen-- Politiker ohnmächtig und wütend sind, sondern wir rechtslage in China, die ich zutiefst als unbefriedi- müssen sagen, was wir tun können, um das Grauen zu gend empfinde und die ich aus meiner Zeit als beenden. langjähriger Staatssekretär im Justizministerium und (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge als Bundesjustizminister sehr genau kenne, massivst ordneten der F.D.P.) angesprochen und mich nicht nur generell, sondern Ich stelle fest, daß sich von links — nicht ganz links auch in Einzelfällen eingesetzt habe. Ich möchte außen —, von dem Kollegen Voigt bis hin zu dem darauf hinweisen, daß ich mich zum Teil auf inständi- Kollegen Solms alle in diesem Hause einig sind: Es gen Wunsch der Betroffenen nach draußen nicht so reicht nur noch ein militärischer Einsatz, so gräßlich äußern konnte, wie ich es gerne getan hätte. wie das ist. Das ist die schreckliche Alternative, vor der Ich möchte jedem Mitglied des Deutschen Bundes- wir stehen. tages gegenüber versichern, daß ich bereit bin, ihm im (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU — einzelnen, wenn er es wünscht, zu sagen, wo, für wen Freimut Duve [SPD]: Soll das Deutschland und wie ich mich engagiert und welche Gespräche ich denn alleine machen? Was sagen die Franzo geführt habe. sen? Was sagen die Engländer?) Die Situation war so, daß ich es aus Gründen, die ich Diese Einsicht verbreitet sich im übrigen ja in der hier nicht im einzelnen darlegen kann, nach draußen nicht so darstellen konnte, wie ich es eigentlich gern ganzen Welt, und es werden konkrete Überlegungen getan hätte. Ich fand, daß ich ungerecht angegriffen angestellt. worden bin. Nun ist es richtig, Herr Kollege Duve, was der Die China-Debatte spielt heute eine wesentliche Minister gesagt hat: Rolle. Ich hätte gerne noch ein paar andere Dinge (Freimut Duve [SPD]: Eben!) 11122 Deutscher Bundestag -- 12. Wahlperiode — 128. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1992

Karl Lamers daß wir im Falle des früheren Jugoslawien natürlich in Bitte sehr. einer besonderen historischen Situation sind. Das ist wohl wahr. Vizepräsident Helmuth Becker: Herr Kollege Lamers, gestatten Sie die Zwischenfragen der Kolle- gen Voigt und Koschnick? Vizepräsident Helmuth Becker: Herr Kollege Lamers, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kolle- Karl Lamers (CDU/CSU): Ja. gen Voigt? Vizepräsident Helmuth Becker: Bitte, Kollege Voigt. Karl Lamers (CDU/CSU): Ja, aber zuerst möchte ich meinen Gedanken noch zu Ende führen. Karsten D. Voigt (Frankfurt) (SPD): Kollege Lamers, Aber, Herr Minister, solange wir diese geradezu würden Sie zum ersten bitte zur Kenntnis nehmen, daß bizarre, pseudojuristische Diskussion führen, solange Sie meine Meinung falsch wiedergegeben haben? wir nicht selber Klarheit haben über das, was wir wollen und auch nicht wollen, so lange können wir Karl Lamers (CDU/CSU): Ich habe Sie ja gar nicht doch nicht einmal einen Vorschlag machen oder uns zitiert! beteiligen, wenn andere den Vorschlag machen, daß (Heiterkeit bei der CDU/CSU) etwas geschieht. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Karsten D. Voigt (Frankfurt) (SPD): Sie haben Deswegen muß das Ganze ein Ende haben — nicht behauptet, daß ich für eine militärische Intervention irgendwann, sondern jetzt. in Bosnien-Herzegowina bin. Dies ist falsch. Es kann sein, daß eine solche Intervention moralisch Wir wissen alle — auch die Kollegen von der SPD —, daß das, was sie auf ihrem Parteitag beschlossen legitim ist. Aber wenn das humane Ziel mit militäri- schen Mitteln nicht erreicht wird, dann ist sie mora- haben, doch längst nicht mehr ausreicht. lisch und erst recht politisch nicht zu verantworten. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Aus diesem Grunde bin ich gegen eine solche Inter- Die Grenzen zwischen Blauhelm-Einsätzen und vention und besonders gegen eine deutsche Beteili- anderen sind doch überhaupt nicht mehr zu ziehen, gung. wie die Erfahrungen und auch die Überlegungen in (Stefan Schwarz [CDU/CSU]: Das ist eine der UNO zeigen. Da können Sie uns doch nicht Legalisierung von Völkermord!) zumuten, daß wir dieses Land jetzt ein für allemal nur Zweitens. Sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, auf Blauhelm-Einsätze durch eine verfassungsrechtli- Kollege Lamers, daß der Ausdruck der Empörung, den che Klarstellung festlegen. Das ist doch eine geradezu Sie hinsichtlich der Hilflosigkeit äußern, kein Ersatz zynische Aufforderung, die Sie an uns richten. für die Hilflosigkeit ist, die nicht von der SPD zu (Beifall bei der CDU/CSU) verantworten ist, sondern von der Bundesregierung, Sie wissen doch ganz genau, was wir wollen. die selber nichts tut, weil sie sich über nichts einigen kann? (Rudolf Bindig [SPD]: Sie wissen nicht, was Sie tun sollen! — Dr. Eberhard Brecht [SPD]: (Zustimmung bei der SPD — Widerspruch Sagen Sie das doch in Ihrer Koalition!) bei der CDU/CSU) Darf ich Sie bitten, zur Kenntnis zu nehmen, daß es, — Wir haben ungezählte Male gesagt, was wir wollen. Das ist ganz klar. Was wir wollen, ist eindeutig. Wir auch wenn Sie Ihre Rechtsauffassung haben — (Hans Koschnick [SPD]: Wer ist „wir"?)- Vizepräsident Helmuth Becker: Herr Kollege Voigt, wollen uns so bewegen können wie jedes andere Land das ist dann schon die dritte Frage. auf dieser Erde. Karsten D. Voigt (Frankfurt) (SPD): — entschuldigen (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. — Sie, ich bringe den Satz zu Ende —, es gehe ohne eine Rudolf Bindig [SPD]: Volle Freigabe wollen Verfassungsänderung, Ihre Aufgabe wäre, ihr erst in Sie!) der Bundesregierung zum Durchbruch zu verhelfen? — Volle Freigabe? Nein, ich will Ihnen etwas sagen: Das scheitert nicht an uns — ich bin anderer Mei- Wir sind bereit, uns auch verfassungsrechtlich zu nung —, sondern zuerst an Ihrem Koalitionspartner. binden, daß wir das nie alleine tun. Bewerfen Sie uns also bitte nicht, wenn Sie selber (Freimut Duve [SPD]: Die Koalitionsfraktio nicht handlungsfähig sind. nen sind sich doch nicht einig!) (Beifall bei der SPD — Zuruf von der CDU/ Ich finde, der Verbund, die Einheit mit den Europä- CSU: Scheinheilig!) em, mit den westlichen Mächten und/oder der UNO, ist doch die beste Garantie dafür, daß kein Mißbrauch Karl Lamers (CDU/CSU): Herr Kollege, zum ersten: mit dieser Möglichkeit geschaffen wird. Es gibt nie eine Gar antie in der Politik, und es gibt erst recht — dessen bin ich mir sehr wohl bewußt — keine (Beifall bei der CDU/CSU) Garantie bei Einsatz des militärischen Mittels. Deswe- Aber bei Ihnen befürchten einige, unsere engsten gen will ich mit allem Nachdruck sagen: Es fordert Partner könnten uns in Abenteuer verstricken. Das ist niemand — auch ich nicht — hier eine großangelegte die Wirklichkeit. Bodenoperation. (Beifall bei der CDU/CSU) (Zuruf von der SPD: Was denn?) Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 128. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1992 11123

Karl Lamers Niemand tut das. Es würden aber vergleichsweise erwartet? Warum sprechen Sie mit uns, solange Sie in sehr risikolose Einsätze reichen, um eine sehr gute der eigenen Regierung nicht eine gemeinsame Kon- Aussicht zu haben, die Situation in Bosnien-Herzego- zeption hinbekommen, über die wir uns unterhalten wina grundlegend zu ändern. können? (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge (Beifall bei der SPD) ordneten der F.D.P.) Sie wissen ganz genau — besser als viele andere Karl Lamers (CDU/CSU): Herr Kollege Koschnick, Kollegen, die hier sitzen —, daß das nicht nur meine ich habe schon einmal gesagt, daß ich die Verantwor- persönliche Meinung ist, sondern daß die Experten tung, und zwar auch die primäre Verantwortung der das längst wissen. Ich habe dazu übrigens einige ganz Regierung, gar nicht leugne. Sie und nicht die Oppo- konkrete Überlegungen angestellt. Niemand wird mir sition hat in der Tat den Schlüssel. Aber auf der widersprechen können, daß sie erfolgversprechend anderen Seite können Sie doch auch nicht leugnen, sind. daß Sie, wenn Sie wie wir den Konsens fordern, Zum zweiten: Ich rede für meine Fraktion. Ich will genauso eine Verantwortung haben und daß Sie eine überhaupt nicht leugnen, daß auch die Bundesregie- Position haben, die diesen Konsens nicht ermöglicht. rung hier eine Verantwortung hat. Ich will mich jetzt Denn diese Position — das wissen Sie und wissen viele nicht auf die Diskussion über die Notwendigkeit bzw. sehr genau; Sie haben es ja auch zum Ausdruck Nichtnotwendigkeit einer Verfassungsänderung ein- gebracht — kann dieses L and nicht übernehmen. lassen. Ich will nur mit allem Nachdruck sagen: Die (Beifall bei der CDU/CSU — Rudolf Bindig Union ist, obwohl wissend, daß es rechtlich nicht [SPD]: Dann beschimpfen Sie doch die notwendig ist, des Konsens wegen, den wir wollen, Regierung!) bereit, eine Verfassungsklarstellung vorzunehmen, — das haben wir immer gesagt —, (Dr. Wolfgang Schäuble [CDU/CSU]: Aber Vizepräsident Helmuth Becker: Gestatten Sie noch nicht eine Einschränkung!) eine weitere Frage des Kollegen Koschnick? — Bitte, aber nicht eine solche, die unter dem Vorwand, die Herr Kollege Koschnick. Einsatzmöglichkeiten deutscher Streitkräfte zu erwei- tern, sie in Wirklichkeit in einer für das Ansehen und Hans Koschnick (SPD): Ich verstehe Ihre Erregung, die Handlungsfähigkeit unseres Landes unerträgli- Herr Kollege Lamers. Dennoch bleibe ich dabei: Wann chen Weise einschränkt. beginnt die Regierung, eine Führungsfunktion mit (Beifall bei der CDU/CSU) Klarheit für das Parlament wahrzunehmen und zu Ich möchte uns alle abschließend noch folgendes sagen, dies möchten wir? Ich stelle mich der Diskus- fragen: Was in aller Welt sion. Aber solange Sie im eigenen Lager nicht fertig werden, beschimpfen Sie bitte nicht die Opposition. (Zuruf von der PDS/Linke Liste: In Ihrer Welt!) (Beifall bei der SPD) sollte unser Land, dieses Deutschland, veranlassen, eine in der Welt wirklich einzigartige Sonderstellung Karl Lamers (CDU/CSU): Herr Kollege Koschnick, einzunehmen? Was eigentlich sollte das sein? ich beschimpfe Sie schon einmal gar nicht, aber auch (Zuruf von der PDS/Linke Liste: Die nicht die SPD-Fraktion. Das ist kein Beschimpfen; das Geschichte!) wissen Sie auch. Mir liegt ungewöhnlich an einem Konsens in dieser für die Zukunft unseres Landes Lassen Sie uns darüber diskutieren, was wir -politisch wollen, dürfen und können, aber lassen Sie uns doch wirklich so entscheidenden Frage. Deswegen ist das nicht diese draußen wirklich überhaupt nicht mehr kein Beschimpfen, sondern das ist ein Appell. Ich verstandene Diskussion — die übrigens auch hierzu- finde, die heutige Debatte hat doch gezeigt, daß es so lande immer weniger verstanden wird — weiterfüh- nicht weitergeht. Ich appelliere in der Tat auch an die ren. Kein Mensch versteht sie mehr. Die Menschen Bundesregierung, sich ihrer besonderen Verantwor- spüren immer mehr: Wir müssen etwas tun. Niemand tung in dieser Frage durch eine größere Klarheit in in diesem Lande ist kriegslüstern. Ganz im Gegenteil: ihren eigenen Reihen bewußt zu werden. Wenn die Menschen in einem Lande gebrannt sind, (Beifall bei der CDU/CSU) dann die Deutschen. Verehrte Kolleginnen und Kollegen, ich bitte um Nachsicht. Ich hatte eigentlich ganz anders reden Vizepräsident Helmuth Becker: Herr Kollege wollen. Aber es war mir klar, nachdem der Kollege Koschnick hat jetzt eine Zwischenfrage. Bitte. Schwarz geredet hat und der Bundesaußenminister gottlob auch darauf eingegangen ist und nicht seine vorbereitete Rede gehalten hat, daß ich nur so reden Hans Koschnick (SPD): Herr Lamers, wir kennen konnte. Vielleicht hilft diese Debatte, daß wir uns Ihre Position und Ihre Haltung. Ich habe sie nur zu morgen ein wenig näher kommen und dieses schreck- respektieren; ich muß sie nicht teilen. Aber sind Sie liche Dilemma, in dem wir uns befinden, besser lösen nicht mit mir der Meinung, daß die für Außenpolitik können. verantwortlich handelnde Regierung, wenn wir in diesem Bundestag über politische Prinzipien sprechen Vielen Dank. müssen, uns deutlich machen muß, welche Position sie (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge hier gemeinsam vertritt und welche Hilfe sie von uns ordneten der F.D.P.) 11124 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 128. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1992

Vizepräsident Helmuth Becker: Meine Damen und Aber es reicht nicht aus, zu protestieren, sich mora- Herren, ich erteile jetzt das Wort unserer Kollegin Frau lisch zu entrüsten, die Greueltaten zu registrieren, zu Ursula Männle. dokumentieren und für die Zeit danach zu archivie- ren. Die internationale Staatengemeinschaft ist gefor- dert, konkrete Aktionen zu unternehmen, humanitäre — selbstverständlich — wie politische. Sicherlich ist Ursula Männle (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Was habt ihr jetzt vorrangig den Frauen und auch all den anderen, gewußt? Was habt ihr getan? Diese Fragen, unzählige Männern und Kindern, die zutiefst verwundet worden sind, unbürokratisch Male von vielen meiner Generation an die Elternge- medizinische und psychologi- neration gerichtet, werden morgen an uns gestellt. sche Hilfe zukommen zu lassen. Es müssen Zentren für die Opfer errichtet werden. Wir danken der Bun- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) desregierung, daß sie so schnell auf unsere Vor- Was antworten wir? Wir können uns nicht heraus- schläge eingegangen ist und daß auch sehr viele reden. Der Kollege Stefan Schwarz hat es heute sehr, Frauen aus den be troffenen Gebieten aufgenommen sehr deutlich gesagt. Die Medien übermitteln uns worden sind. täglich die Greueltaten der Welt. Wir alle wissen, was Alle finanziellen Mittel auf nationalstaatlicher, in den Krisengebieten der Welt geschieht. Trotzdem europäischer und internationaler Ebene müssen aus- dauert es oft Monate, bis veröffentlichte Informatio- geschöpft werden, um Hilfsprogramme zu erweitern. nen öffentlich registriert werden, bis öffentlich rea- Finanzielle und personelle Unterstüzungen sowie giert wird, bis Nachrichten Schlagzeilenwert erlangen Sachleistungen sind sicherlich unverzichtbar. Aber und die politische Maschinerie in Bewegung gerät. diese humanitären Maßnahmen sind nicht ausrei- Seit den Fernsehberichten über Massenvergewalti- chend. Unisono wurde in den vergangenen Wochen gungen, über sexuelle Gewalt gegen Kinder im ehe- gefordert, es müsse gehandelt werden, um end lich maligen Jugoslawien ist das Entsetzen in der Bundes- den Terror, die Greueltaten zu beenden. republik groß. Betroffene berichteten. Unvorstellba- Zu Recht hat die jüngere Genera tion in der Bundes- res wurde präsentiert. Die Reaktion: tiefe Entrüstung republik Deutschland kritische Fragen an die eigene oder Betroffenheit wie heute nachmittag. Bevölkerung und die politische Klasse des Auslandes Warum eigentlich erst jetzt? Die militärischen gestellt. Warum konnte Hitler bis zum Ende des Aktionen, das Morden, das Abschlachten, das Verge- Zweiten Weltkrieges seine Zerstörungsmaschinerie waltigen dauern schon seit Monaten an. Belege gibt es und die Konzentrationslager betreiben? Haben nicht zuhauf. Ist eine neue Eskalation der Gewalt erreicht? damals auch die Verfolgten auf die Rettung aus dem Krieg, Gewalt, Menschenrechtsverletzungen gehören Ausland gehofft und gewartet? Gerade dieser histori- für den Medienbürger zum Alltag, zum Fernsehalltag. sche Nachlaß verpflichtet uns, überall in der Welt die Kollegin Falk hat es deutlich gemacht. Der Zuschauer, Einhaltung der Menschenrechte einzufordern, aktiv ob alt, ob jung, entwöhnt sich, betroffen zu sein und zu für die Rechte und den umfassenden Schutz von reagieren. Gewalt wird zunehmend enttabuisiert. Minderheiten zu streiten, denen zu helfen, die Opfer Läßt uns eigentlich erst ein Mehr an Grauen aufhor- brutaler Gewalt sind. chen? Verwiesen wird jetzt auf die neue Dimension (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge des Krieges, auf das ungeheure Maß an Gewalt, an ordneten der F.D.P. und der SPD) Brutalität, auf neue Formen des Schreckens: systema- tische Vergewaltigung, Vergewaltigungslager, Vielen dienen unsere Geschichte und unser Grund- Frauen als Kriegswaffe, Vergewaltigung als Instru- gesetz dazu, eine Poli tik der gespaltenen Zunge zu ment der ethnischen Vernichtung. betreiben. Die Bundesrepublik Deutschland soll die - weltweite Achtung von Menschenrechten fordern, Manche glauben, Vergewaltigung sei Teil jedes sich aber nicht an internationalen Maßnahmen zur Krieges, gehöre zur Geschichte des Krieges. Daß es Durchsetzung von Menschenrechten beteiligen. Die immer geschehen ist, relativiert nicht das Verbreche- Rolle Deutschlands kann sich jedoch nicht darin rische der Tat. Daß in Jugoslawien Vergewaltigung erschöpfen, moralisch zu beurteilen, zu verurteilen, als Kriegswaffe und Kriegsstrategie eingesetzt wird, die Aktivitäten anderer mitzufinanzieren. Somalia ist eine neue Stufe der Perversion des Krieges, ein lehrt: Humanitäre Hilfe muß leider — so paradox dies neues Ausmaß an Kriegsverbrechen. ist — auch mit Waffengewalt durchgesetzt werden. Unser Protest kommt spät — für viele Frauen, für Deutschland muß seine internationale Verantwor- Männer, für Kinder im ehemaligen Jugoslawien leider tung neu definieren. Deutschland muß endlich zu zu spät. Der Mord auf Raten an Hunderten, an seinen Verpflichtungen aus dem Beitritt zu den Ver- Tausenden von Menschen geht jede Stunde weiter, einten Nationen stehen, auch jetzt, während wir diskutieren. (Beifall bei der CDU/CSU) Was können wir tun? Wir zeigen Betroffenheit, bringen unser Entsetzen zum Ausdruck, wir protestie- Internationale Friedensmissionen sind Teil aktiver ren in aller Entschiedenheit und aufs schärfste. Es Menschenrechtspolitik. Das Grundgesetz kann und besteht im Deutschen Bundestag Einigkeit: Den Men- darf nicht als Vorwand für politische Abstinenz miß- schenrechtsverletzungen im ehemaligen Jugosla- braucht werden. wien, vor allem in Bosnien-Herzegowina, muß Einhalt Wir alle haben heute betont, Menschenrechte sind geboten werden, der Aggressor Serbien muß unteilbar, sie gelten für alle, unabhängig von Haut- gestoppt, die ethnische Vernichtung, der Völkermord farbe, Religionszugehörigkeit, Nationalität oder Ge- an Muslimen muß beendet werden. schlecht. Frauen sind — dies belegen die Berichte aus Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 128. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1992 11125

Ursula Männle dem ehemaligen Jugoslawien — von Menschen- starres politisches System mit Unterdrückung und rechtsverletzungen in spezifischer Weise be troffen. Verfolgung der politischen Opposition. Politisch Natürlich gilt es, unverzüglich diesen Frauen im Andersdenkende können sich nicht frei äußern, müs- ehemaligen Jugoslawien zu helfen. sen mit willkürlicher Gefangennahme und Verschlep- Von besonderer Bedeutung ist jedoch: Die interna- pung in Arbeitslager zur Umerziehung rechnen. Viele tionale Staatengemeinschaft muß den Aggressor äch- Gefangene müssen wegen angeblicher konterrevolu- ten und die Kriegshandlungen stoppen. tionärer Tätigkeit in Haftlagern lange Strafen verbü- ßen und werden auch dann in Arbeitslagern festge- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge halten, wenn sie ihre eigentliche Haftzeit schon l ange ordneten der F.D.P.) hinter sich haben. Auch die Todesstrafe oder die angedrohte Todesstrafe wird in China weiterhin als Vizepräsident Helmuth Becker: Herr Kollege Bin- Mittel der Disziplinierung und Unterdrückung einge- dig, Sie haben jetzt das Wort. setzt. Ein aktueller Bericht von amnesty international legt Rudolf Bindig (SPD): Herr Präsident! Verehrte Kol- dar, daß die Folter an vielen Haftorten in China noch leginnen und Kollegen! Zur Gestaltung unseres poli- an der Tagesordnung sei. Die Folter werde trotz tischen Verhältnisses mit China legen die Koalitions- Verbots nach chinesischem Recht weiterhin dazu fraktionen gerade heute, am Tag der Menschen- benutzt, Geständnisse zu erzwingen sowie Gefangene rechte, einen Antrag vor, welcher auf eine Normali- einzuschüchtern und zu bestrafen. Das Ausmaß von sierung der Beziehungen zu China abzielt. Dies wird Foltern in chinesischen Gefängnissen sei nicht redu- damit begründet, daß die eingetretenen Veränderun- ziert worden, sondern es habe offensichtlich zuge- gen im Lande eine Überprüfung der bisherigen Rege- nommen. lungen für geboten erscheinen lassen. Nach dem geltenden Beschluß des Bundestages war Die chinesische Seite erklärt, wenn ihr diese Praxis und ist es bereits möglich, die entwicklungspolitische und diese Situation vorgehalten wird, daß China den Zusammenarbeit auf Maßnahmen auszudehnen, die Schwerpunkt auf die Entwicklung des Landes und die unmittelbar der Bevölkerung bzw. dem Schutz und sozialen Menschenrechte lege, daß sie ein spezielles der Erhaltung der Umwelt dienen sowie zur Reform Menschenrechtsverständnis habe und den kollekti- der chinesischen Wirtschaft beitragen. Da rein kom- ven Menschenrechten Vorrang vor den individuellen merzielle Handelsbeziehungen sowieso uneinge- Menschenrechten gebe, daß die Ausgestaltung ihrer schränkt möglich sind, geht es jetzt um eine Kreditab- inneren Ordnung für die Art der Gewährung der sicherung von Geschäften aller Art und vor allem um Menschenrechte in ihrem Land eine innere Angele- die Ermöglichung von mit Steuergeldern subventio- genheit sei, in die sich das Ausland nicht einmischen nierten Handelsgeschäften und Mischfinanzierun- solle. gen. In allen diesen drei Punkten ist den Machthabern in Der vorliegende Entschließungsantrag sieht prak- China deutlich zu widersprechen, und es ist ihnen das tisch ein zweigeteiltes Verfahren vor. Für subventio- internationale Menschenrechtsverständnis entge- nierte Handelsgeschäfte und Bürgschaften gibt es genzuhalten. Es geht nicht um soziale oder politische keinerlei einschränkende Regelungen mehr, wäh- Rechte, sondern um soziale und zivile Rechte. Auch rend für die Vereinbarungen von neuen Entwick- ein Land mit großem politischen Gewicht in der lungsprojekten die Grundsätze der Entwicklungszu- internationalen Staatengemeinschaft kann für sich sammenarbeit gelten, die auf die Beachtung der nicht ein spezielles Menschenrechtsverständnis re- Menschenrechte, die Beteiligung der Bevölkerung am klamieren. Der Universalitätsanspruch der Men- politischen Prozeß, die Gewährleistung von Rechtssi-- schenrechte ist einer der Grundpfeiler der Menschen- cherheit, die Schaffung einer marktfreundlichen und rechtspolitik überhaupt. sozialen Wirtschaftsordnung sowie die Entwicklungs- orientierung staatlichen Handelns abzielen. Bei der Schließlich ist es einer der großen Erfolge der entwicklungspolitischen Zusammenarbeit sollen die- internationalen Diskussion über Menschenrechte, se Gesichtspunkte weiterhin berücksichtigt werden, daß sich in der Völkergemeinschaft das Verständnis während sie bei den subventionierten Handelsbezie- durchzusetzen beginnt, daß es ein überstaatliches hungen unbeachtet bleiben sollen. Recht zur Respektierung und Achtung der Menschen- rechte gibt, welches die nationale Souveränität der Eine solche zweigeteilte Menschenrechtspolitik Länder überragt. wird wohl auch die chinesische Seite kaum verstehen; sie wird vor ihr keinen Respekt haben. Die menschen- Mit einem Land, das sich Grundtrends der interna- rechtliche Konditionierung der Entwicklungspo litik tionalen Menschenrechtsdiskussion entgegenstellt, zur Beruhigung des Gewissens, die volle Liberalisie- kann es keine volle Normalisierung der Beziehungen rung und die geförderten und subventionierten Han- geben. Wer sich so gravierend von den Normen des delsbeziehungen für das Geschäft — das ist der Völkerrechtes entfernt, kann auch keine Normalität Versuch zu bremsen und Gas zu geben zu gleicher erwarten. Zeit, geradeaus zu fahren und dennoch eine Kurve zu Da wir die Situation in China nicht als normal nehmen. ansehen, werden wir den Entschließungsantrag der Gibt es die im Entschließungsantrag behaupteten Koalitionsfraktionen ablehnen. eingetretenen Änderungen im Lande, die einen sol- chen neuen Kurs unserer China-Politik rechtfertigen? (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Die Volksrepublik China hat weiterhin ein absolut DIE GRÜNEN) 11126 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 128. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1992

Vizepräsident Helmuth Becker: Meine sehr verehr- Ich habe gestern abend mit jungen Menschen ten Damen und Herren, zur Geschäftslage: Wir haben gesprochen. Als ich es als einen gewissen Erfolg noch zwei Wortmeldungen und drei Erklärungen beschrieben habe, daß jetzt die internationale nach § 31 bzw. § 32 der Geschäftsordnung. Die Gemeinschaft auch handelt, um humanitäre Maßnah- namentliche Abstimmung, die dann folgt, wird in etwa men in Somalia notfalls mit Waffengewalt durchzuset- 25 Minuten stattfinden. zen, haben mir diese jungen Menschen gesagt, das (Unruhe) könne sie nicht mehr ermutigen. Es könne sie nicht mehr zufriedenstellen, wenn sie mit ansehen müßten, Ich erteile dem nächsten Redner das Wort, unserem wie wir zu einem grausamen Völkermord auf unse- Kollegen Hartmut Koschyk. rem europäischen Kontinent einfach schweigen wür- den. Ich fand es sehr ehrlich, daß Herr Lamers gesagt hat, Hartmut Koschyk (CDU/CSU): Herr Präsident! daß wir nicht nur an Sie, meine Damen und Herren Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen! Ich von der SPD, sondern auch an unsere Bundesregie- glaube, der Verlauf dieser heutigen Debatte aus rung appellieren sollten, in der Frage der Menschen- Anlaß des Tages der Menschenrechte zeigt, wie rechte endlich eine klare Haltung einzunehmen und komplex dieses Thema Durchsetzung von Menschen- zu sagen, rechten weltweit ist und wie sehr wir, je mehr wir über dieses Thema sprechen, eigentlich immer wieder in (Beifall bei der CDU/CSU) ein gewisses Dilemma geraten. Die Debatte zeigt daß Deutschland bereit ist, nicht nur zur Durchsetzung auch, wie sehr wir uns auch immer davor hüten der Menschenrechte in China und in Somalia, sondern müssen, Menschenrechtsprobleme auf dieser Welt auch zur Durchsetzung elementarer Menschenrechte stets aus einem besonderen deutschen Blickwinkel hier in Europa beizutragen. anzugehen. Wenn diese Debatte mit dazu beiträgt, daß sich jetzt Herr Bindig, in vielem, was Sie gerade zu China nicht jeder hinter seinem Lieblingsmenschenrechts gesagt haben, stimme ich Ihnen zu. Wir müssen aber thema verschanzt, sondern endlich damit anfängt, in auch erkennen, daß wir als Deutsche auf die Men- einem konkreten Fall, und zwar im Fall Bosnien- schenrechtssituation in China nur dann Einfluß neh- Herzegowina — das ist nur wenige hundert Kilometer men können, wenn wir zu einer Koordinierung inter- von hier entfernt —, seinen spezifischen Beitrag zur nationaler Politik gegenüber China kommen. Sie Durchsetzung von Menschenrechten zu leisten, dann wissen doch, wie die internationale Politik gegenüber war dies eine gute Debatte. China ist. Da macht es keinen Sinn, Herr Bindig, wenn (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) die deutsche Seite eine singuläre Rolle einnimmt, anstatt sich zu bemühen, im Rahmen der internatio- nalen Politik durch Dialog und durch Gleichziehen mit der internationalen Politik auf die Situation in China Vizepräsident Helmuth Becker: Meine Damen und Einfluß zu nehmen. Herren, letzter Redner in der Debatte ist unser Kollege Ulrich Irmer. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Wie ich, Herr Bindig, keine Singularisierung der deutschen Politik gegenüber China möchte, möchte Ulrich Irmer (F.D.P.): Herr Präsident! Meine Damen ich eben auch keine Singularisierung deutscher Poli- und Herren! Ich möchte zunächst den Versuch tik hinsichtlich der Durchsetzung der Menschen- machen, einer Legendenbildung entgegenzutreten, rechte auf unserem europäischen Kontinent.- die der Kollege hier versucht hat. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) Herr Bindig, mich stellt die bisherige Politik nicht In einem Teil Ihrer weitgefächerten Zwischenfrage mehr zufrieden. Ich will nicht das abwerten, was Sie an Herrn Lamers haben Sie, Herr Voigt, unterstellt, die gesagt haben, ich will nicht das abwerten, was andere Koalition sei in der Frage, welche Rolle deutsche heute hier gesagt haben. Aber ich habe das Gefühl, Soldaten in Zukunft in der Welt spielen müssen, daß wir uns dann, wenn wir vor Konsequenzen uneins. Ich sage Ihnen: Das ist nicht der Fall. Wir sind zurückschrecken — dazu gehört auch das, was wir an uns alle völlig darüber einig: Erstens müssen wir die hehren Haltungen beschwören —, immer im Morali- Möglichkeit haben, uns an Blauhelmeinsätzen zu sieren ergehen. beteiligen. Darüber hinaus müssen wir aber auch die (Rudolf Bindig [SPD]: Ich habe doch eine Möglichkeit haben, an friedensschaffenden Maßnah- ganz differenzierte Position vorgetragen!) men beteiligt zu sein, Herr Bindig, ich sage: Es wird keinen Sinn mehr (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) machen, in unserer Bevölkerung ein tieferes Bewußt- wenn dies als letzte Möglichkeit einer Konfliktlösung sein für Menschenrechtsverletzungen zu finden, unausweichlich ist und wenn dieses Haus mit der dafür, wie wir mit Menschenrechtsverletzungen „Kanzlermehrheit" im Einzelfall zustimmt. umzugehen haben, wenn unser Engagement immer Wir sind uns auch darüber einig, daß wir hierzu eine dann um so lauter wird, je weiter weg diese Men- verfassungsrechtliche Klarstellung brauchen. Keiner schenrechtsverletzungen von Deutschland und von von uns kann das Risiko übernehmen, daß wir solche Europa liegen. Aktionen durchführen und daß uns nachher das (Beifall bei der CDU/CSU) Bundesverfassungsgericht etwa bescheinigt, dies sei Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 128. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1992 11127

Ulrich Irmer nicht zulässig gewesen. Das Risiko kann keiner auf tung nicht drücken werden, wie das einige bei Ihnen sich nehmen. tun. (Beifall bei der F.D.P.) (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) Was Sie, Herr Voigt, hier betreiben, das ist nichts anderes als die Methode „Haltet den Dieb!" Vizepräsident Helmuth Becker: Kollege Irmer, (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) gestatten Sie noch eine Zwischenfrage des Kollegen Gansel? — Das ist dann aber auch die letzte. Wir haben nämlich auf Ihren Bundesparteitag gewar- tet. (F.D.P.): Ja. (Dr. Wolfgang Schäuble [CDU/CSU]: So ist Ulrich Irmer es!) Wir hatten gehofft, daß Sie endlich zur Kenntnis Vizepräsident Helmuth Becker: Bitte. nehmen, welche Verantwortung dem vereinten Deutschland zugewachsen ist und daß wir uns dieser Norbert Gansel (SPD): Herr Kollege Irmer, da die Verantwortung auch nicht entziehen dürfen. Regierungskoalition, die Bundesregierung und auch (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) wir daran interessiert sind, daß das Bundesverfas- sungsgericht möglichst bald eine Entscheidung über unsere Klage wegen des Adria-Einsatzes herbeiführt, Vizepräsident Helmuth Becker: Herr Kollege Irmer, möchte ich Sie fragen: Haben Sie eine Erklärung gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen dafür, warum die Bundesregierung es nicht geschafft Koschnick? hat, vor dem Bundesverfassungsgericht bis zum 1. De- zember fristgemäß auf unsere Klage zu erwidern? Ulrich Irmer (F.D.P.): Ja, gerne. Warum hat sich die Bundesregierung beim Bundes- verfassungsgericht eine Fristverlängerung bis zum 15. Januar ausgebeten? Liegt das daran, daß die Vizepräsident Helmuth Becker: Bitte, Kollege Koschnick. Bundesregierung noch nicht einmal in der Lage ist, ihre Rechtsposition gegenüber der Klage der SPD Bundestagsfraktion festzulegen, Hans Koschnick (SPD): Herr Kollege Irmer, ich will nicht darauf eingehen, wen Sie als Dieb bezeichnen, (Karsten D. Voigt [Frankfurt] [SPD]: Ein Eier wenn Sie die Fraktionen meinen. — Sie haben soeben tanz ist das! Armutszeugnis!) gesagt, Sie hätten auf uns gewartet, um sich eine und ist das nicht eine Verzögerung einer notwendigen eigene Meinung zu bilden, und zwar im Rahmen der Entscheidung, die rasch ergehen sollte? Koalition. Ist das richtig? (Beifall bei der SPD) (Widerspruch bei der F.D.P. und der CDU/ CSU) Ulrich Irmer (F.D.P.): Herr Kollege Gansel, ich sehe Ihnen diese Frage nach. Ulrich Irmer (F.D.P.): Herr Kollege Koschnick, ich (Lachen und Zurufe von der SPD) habe beanstandet, daß der Kollege Voigt hier so tut, — Er ist ja leider kein Anwaltskollege von mir; sonst als trüge die Koalition die Verantwortung dafür, daß wüßte er nämlich, daß die Bitte um Fristverlängerung wir unser Grundgesetz nicht entsprechend haben im Gerichtsbetrieb das Normalste ist, was überhaupt anpassen können. Das ist einfach albern. geschehen kann. (Rudolf Bindig [SPD]: Wer ist Außenminister,- (Lachen und Widerspruch bei der SPD — wer ist Bundeskanzler? — Freimut Duve Karsten D. Voigt [Frankfurt] [SPD]: Das war [SPD]: Herr Irmer, wer regiert denn? — die denkbar schlechteste Antwort!) Weitere Zurufe von der SPD) — Herr Kollege Voigt, schonen Sie doch Ihre Stimme! Herr Kollege Koschnick, wir werden alsbald, die Ich beantworte gerade eine Zwischenfrage des Kolle- Koalition wird alsbald die entsprechenden Vorlagen gen Gansel; Sie könnten sich ja auch melden. Ich präsentieren. Dann werden wir ja sehen, wie Sie sich verstehe Sie auch akustisch nicht, so laut Sie auch dazu verhalten. brüllen mögen, und es ist wirklich schlecht für Ihre (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) Stimme. Aber es ist doch so, daß Sie uns von vornherein Herr Kollege Gansel, es ist vorher klargestellt wor- durch Parteitagsbeschlüsse gesagt haben, was Sie den, daß sich die Entscheidung in keiner Weise nicht wollen. Sollen wir Ihnen denn dann in diese dadurch verzögern wird, daß für die Erwiderung Attrappenfalle laufen, wenn Sie uns von vornherein etwas mehr Zeit benötigt wird. sagen, was Sie nicht mitmachen? Im übrigen, meine Damen und Herren von der SPD, Herr Kollege Koschnick, ich will auf eines hinwei- lassen Sie uns doch in Ruhe, in Kollegialität und vor sen: Die SPD ist in diesem Punkt wesentlich besser, als allem in dem gebotenen Ernst über dieses Problem sie von manchen ihrer Führer gemacht wird. Es ist reden. Der Bundesaußenminister hat Gespräche nämlich so, daß wir in Ihrer Fraktion selbst eine ganze angeboten. Wir sind jederzeit — das glaube ich auch Reihe von Kollegen — ich bin davon überzeugt, daß es für die Kollegen von der CDU/CSU sagen zu dürfen so viele sind, wie wir als Ergänzung für unsere und nicht nur für die Kollegen von der F.D.P. — zu Mehrheit brauchen, um die Verfassung ändern zu Gesprächen bereit, weil wir nämlich wirklich vor der können — finden werden, die sich vor der Verantwor- Situation stehen, daß es sich unser Land international, 11128 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 128. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1992

Ulrich Irmer aber auch in der Verantwortung vor seinen eigenen genauso kritisch begleiten würden wie uns, um wirk- Bürgern nicht länger leisten kann, lich zu einem Dialog zu kommen. Beispiele und (Karsten D. Voigt [Frankfurt] [SPD]: Dann Auswirkungen dieser Politik brauche ich hier wohl beeilen Sie sich doch mal! Tun Sie doch nicht zu nennen; die aus der DDR sind bekannt. was!) Ich weise an dieser Stelle die Beleidigung unserer in Wut und Trauer, wie es Herr Kinkel ausgedrückt Sachverständigen, Frau Nina Kadic aus der Republik hat, zu verharren. Wir müssen zu diesen Entscheidun- Kroation, zurück. Diese Frau ist seit Monaten unter gen kommen. Ich bin ganz sicher, daß sich auch die Lebensgefahr vor Ort als Koordinatorin einer Frauen- SPD auf Dauer — „auf Dauer" heißt „sehr bald" — gruppe tätig, um Frauen aller Nationalitäten Hilfe und ihrer Verantwortung stellen wird. Beistand zu geben. Diese Frauengruppe informierte das Sonderkommissariat der UNO und den UNO- Ich danke Ihnen. Sonderbeauftragten bereits im Juli dieses Jahres über (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) die Existenz von 16 Massenvergewaltigungslagern; reagiert wurde nicht. Dafür sind wir wohl alle in diesem Hause mitverantwortlich. Vizepräsident Helmuth Becker: Meine Damen und Herren, ich schließe die Aussprache. (Beifall bei der PDS/Linke Liste und dem Es liegen jetzt noch vier Wortmeldungen zu Erklä- BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abge rungen gemäß § 31 bzw. gemäß § 32 unserer Ge- ordneten der SPD) schäftsordnung vor. Ich erteile zunächst der Kollegin Frau Dr. Fischer gemäß § 32 unserer Geschäftsordnung das Wort. Vizepräsident Helmuth Becker: Meine Damen und Herren, ich erteile jetzt dem Kollegen Dr. Hoyer gemäß § 32 unserer Geschäftsordnung das Wort. (PDS/Linke Liste): Herr Präsi- Dr. Ursula Fischer (Dr. Wolfgang Schäuble [CDU/CSU]: Disku dent! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich hoffe, daß tieren wir jetzt über Ordnungsrufe des Präsi Sie das, was ich zu sagen habe, nicht als Polemik denten?) auffassen. Ich verstehe nur teilweise Ihre Empörung über den Begriff, alle Soldaten sind potentielle Vergewaltiger; denn das ist nicht nur die Meinung meiner Kollegin Dr. Werner Hoyer (F.D.P.): Meine sehr verehrten Frau Dr. Höll, sondern dieser Begriff fiel auch in der Damen und Herren! Herr Präsident! Ich möchte nicht Anhörung des Ausschusses für Frauen und Jugend am zu der Frage sprechen, ob die Geschäftsordnung hier Montag zum Thema Massenvergewaltigungen — soeben mißbraucht worden ist oder nicht. übrigens ohne gerügt zu werden — auf seiten einer (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) renommierten Nichtregierungsorganisation. — So- Aber ich möchte dazu sprechen, daß damit indirekt weit zu dieser Richtigstellung. erneut auf eine unerträgliche Äußerung Bezug (Zurufe von der CDU/CSU: Herr Präsident, genommen worden ist, die vorhin hier gefallen ist. was ist da los? — Das darf doch nicht wahr (Dr. Wolfgang Schäuble [CDU/CSU]: Für die sein!) der Präsident eine Rüge erteilt hat!) Im übrigen möchte ich feststellen: Wir sind es — Die hat er zu Recht erteilt, Herr Kollege Schäuble. gewohnt, für alles, was in der DDR geschehen ist, verantwortlich gemacht zu werden. Wir sind auch — Sie ist eine infame Pauschalverunglimpfung derer, - die im Auftrag der Vereinten Na tionen den Men- bereit, uns dieser Verantwortung zu stellen, obwohl viele von uns, die in diesem Hause sitzen, persönliche schenrechten, über die wir heute diskutieren, Geltung Schuld mit großer Sicherheit nicht auf sich geladen verschaffen. haben. (Beifall bei der F.D.P., der CDU/CSU, dem (Dr. Wolfgang Schäuble [CDU/CSU]: Muß BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abge man sich das noch einmal anhören? Das ist ordneten der SPD) doch unerträglich!) und die, nebenbei bemerkt, hierfür — es sind zum Ich hoffe, daß sich alle hier im Hause gleichermaßen allergrößten Teil nicht Bürger dieses Staates — ihr zu ihrer ganz persönlichen Verantwortung bekennen, Leben riskieren. Eine solche Verunglimpfung hat um einen sachlichen Dialog zu ermöglichen. keiner dieser Soldaten verdient, seien es Ame rikaner, Nigerianer, Schweden oder eines Tages auch Deut- Einen Fakt muß ich hier allerdings richtigstellen, sche. ganz sachlich: Es wurden im Irak, in der Sowjetunion, in Ungarn, in Libyen Soldaten, Offiziere ausgebildet Schließlich: Auch diese Soldaten, auch die Angehö- — was ich übrigens nicht wußte —, aber nicht in rigen der deutschen Streitkräfte stehen unter dem Jugoslawien, Herr Kollege; Jugoslawien war ein Schutz der Menschenrechte, über die wir heute dis- blockfreies Land. kutieren. Auch für sie gilt der wichtigste Satz unseres Diese Feststellung dient übrigens nicht der Relati- Grundgesetzes, der in den letzten Wochen soviel vierung der Auswirkungen einer Politik, an der wir Bedeutung gewonnen hat: „Die Würde des Menschen ebenfalls vehemente Kri tik üben. Ich würde mich ist unantastbar. " Dagegen haben Sie mit Ihrer Äuße- freuen, wenn die Kollegen der CDU die Politik des rung verstoßen. Westens und der Bundesrepublik — früher und jetzt — (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 128. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1992 11129

Vizepräsident Helmuth Becker: Meine Damen und Bericht über die Lage der Menschenrechte in China Herren, der Ordnungsruf, der erteilt worden ist, steht vor. Es wird glaubhaft geschildet, daß sie so schlimm außer jeder Frage. wie noch nie zuvor ist. (Dr. Wolfgang Schäuble [CDU/CSU]: Und er Die Politik, auf wirtschaftliche Förderung zu setzen darf nicht kritisiert werden!) und so auf Verbesserungen im Bereich der Menschen- Nur, jemandem, der gemäß § 32 der Geschäftsord- rechte zu hoffen, wird im vorliegenden Antrag selbst nung das Wort zu einer tatsächlichen oder persönli- schon mit vielen Fragezeichen versehen; es ist die chen Erklärung außerhalb der Tagesordnung be- Rede von der Gefahr von Rückschlägen. Rückschläge gehrt, muß ich es erteilen. aber bedeuten Elend, Folter und Tod für die demokra- (Dr. Wolfgang Schäuble [CDU/CSU]: Aber er tische Opposition in China. kann da nicht dasselbe noch einmal Eine angestrebte Normalisierung der wirtschaftli- sagen!) chen Beziehungen, sogar eine Intensivierung des Nun wünscht unser Kollege Wolfgang Lüder das Handelsaustausches freut zwar die deutsche und auch Wort gemäß § 31 unserer Geschäftsordnung. Bitte. die chinesische Wirtschaft, diese Absichten sind aber ein Schlag ins Gesicht derer, die sich um eine konkrete Wolfgang Lüder (F.D.P.): Herr Präsident! Meine Verbesserung der innenpolitischen Situa tion in China sehr geehrten Damen und Herren! Der Verlauf der bemühen. Debatte hat den Eindruck erweckt, als stünde hier Eine Amnestie für die Mitglieder der Demokratie- alternativ das Ja oder Nein zum China-Antrag der bewegungen ist realis tischerweise ohne außenpoliti- Koalitionsfraktionen zur Diskussion, als ob diejeni- schen Druck nicht zu erwarten. Die vielen bereits gen, die für den Antrag seien, die Menschenrechts- vollstreckten Todesurteile Sprecher hier eine deutli- verstöße in Rotchina deckten oder nicht ernst genug che Sprache. nähmen. Die Bundesregierung und vor allen Dingen wir als Ich selbst bin engagiertes Mitglied des Parlamenta- Parlament haben die Aufgabe, auf die Achtung der rischen Freundeskreises Bonn—Taipeh. Ich respek- Menschenrechte in allen Staaten dieser Erde hinzu- tiere, schätze und freue mich über die demokratische wirken, und dies mit allen zur Verfügung stehenden Entwicklung, die auf Taiwan am 19. Dezember zu Mitteln. freien Wahlen führen wird. Die derzeitige Beschlußlage des Bundestages ist in Hier geht es nun nicht darum, den einen in die eine der momentanen Situation das einzige Mittel, um Ecke und den anderen in die andere zu stellen. Der erfolgreich eine demokratische Entwicklung in China Weg, den die Koalitionsfraktionen suchen, um den einzuklagen. Menschenrechten zum Erfolg zu verhelfen, verdient Der Mehrheitsbeschluß der Ausschüsse und der vielmehr unser aller Unterstützung. vorliegende Entschließungsantrag werden in der Deswegen sage ich als Freund Taiwans und Befür- Öffentlichkeit als Bankrotterklärung der deutschen worter der demokratischen Entwicklung in der Repu- Menschenrechtspolitik verstanden werden. Aus die- blik China ja zu unserer Resolution, weil dies ein Weg sem Grund kann ich unserem Antrag leider nicht ist, der hoffentlich dazu führt, mehr Rechte für die zustimmen. Menschen in Rotchina, in Festlandchina, durchzuset- zen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU sowie bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne DIE GRÜNEN) ten der CDU/CSU) - Vizepräsident Helmuth Becker: Meine Damen und Vizepräsident Helmuth Becker: Meine Damen und Herren, die letzte Wortmeldung gemäß § 31 unserer Herren, wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Geschäftsordnung hat der Kollege Heinz-Jürgen Entschließungsantrag der Frak tionen der CDU/CSU Kronberg abgegeben. Bitte sehr, Herr Kollege, Sie und der F.D.P. zu China auf Drucksache 12/3960. haben das Wort. Die Fraktion der SPD verlangt namentliche Abstim- mung. Ich bitte die Schriftführer, ihre Plätze einzuneh- Heinz-Jürgen Kronberg (CDU/CSU): Sehr geehrter men. — Dies ist geschehen. Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Am Tag der Menschenrechte befaßt sich der Deutsche Ich eröffne die Abstimmung. — Bundestag mit der Menschenrechtslage in China. Meine Damen und Herren, zu dem Thema Men- Leider sind die vorliegenden Anträge nicht sonderlich schenrechte finden nach Schluß dieser nament lichen hilfreich. Abstimmung weitere streitige Abstimmungen statt. An die SPD sei gerichtet: Es reicht nicht aus, nach Meine Damen und Herren, ich möchte fragen, ob zwei Jahren ohne eine erneute, der Situation ange- jetzt alle Mitglieder des Hauses ihre Stimmkarte messene Überprüfung einen Sanktionsbeschluß zu abgegeben haben. — Offensichtlich ist das der Fall. verlängern. Notwendig ist unter vorläufiger Beibehal- Ich schließe die Abstimmung und bitte die Schrift- tung der Sanktionen eine erneute parlamentarische führer, mit der Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis Behandlung des Themas, die auf eine sachgerechte der namentlichen Abstimmung wird etwas später Entschließung des Deutschen Bundestages abzielt. mitgeteilt, *) weil wir in der Tagesordnung fortfahren Aber dieses Ziel erfüllt auch der vorliegende Antrag wollen. meiner Fraktion leider nicht. Amnesty International legt in diesen Tagen einen sehr erschreckenden *) Seite 11134A 11130 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 128. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1992

Vizepräsident Helmuth Becker Zum Entschließungsantrag der Fraktionen der GRÜNEN zu einer Internationalen Initiative zur Ret- CDU/CSU und der F.D.P. liegen noch schriftliche tung bedrohter Menschenleben, Drucksachen Erklärungen nach § 31 unserer Geschäftsordnung vor: 12/3660, 12/3700 und 12/3953. Wer stimmt für diese eine gemeinsame schriftliche Erklärung der Abgeord- Beschlußempfehlung? — Gegenprobe! — Stimment- neten Pofalla und Stefan Schwarz sowie weitere haltungen? — Bei einigen Stimmenthaltungen ist schriftliche Erklärungen der Abgeordneten Hubert diese Beschlußempfehlung angenommen. Hüppe, Adolf Hörsken, Wolfgang Vogt und Jörg Tagesordnungspunkt 12d und e: Der Ältestenrat Ganschow. * ) schlägt Überweisung der Vorlagen auf den Drucksa- chen 12/3369 und 12/3720 an die in der Tagesordnung (Große Unruhe) aufgeführten Ausschüsse vor. Sind Sie damit einver- — Ich möchte die Beratungen jetzt gern fortsetzen. standen? — Ich höre und sehe keinen Widerspruch. Dazu ist allerdings erforderlich, daß Sie Platz nehmen. Dann ist die Überweisung so beschlossen. — Meine Damen und Herren, ich bitte Sie, Platz zu Tagesordnungspunkt 12 f : Antrag der Fraktion der nehmen, damit wir mit den Beratungen fortfahren SPD zu dringenden humanitären Hilfsmaßnahmen für können. die Kurden im Nord-Irak, Drucksache 12/3719. Bevor wir jetzt über weitere Entschließungsanträge Die Fraktion der CDU/CSU hat beantragt, die abstimmen, kommen wir zunächst zur Beschlußemp- Vorlage zur federführenden Beratung an den Auswär- fehlung des Auswärtigen Ausschusses zum Antrag tigen Ausschuß und zur Mitberatung an den Haus- der Fraktion der SPD zu den Beschlüsen des Bundes- haltsausschuß zu überweisen. Die Fraktion der SPD tages vom 15. und 23. Juni 1989 zu China. Das ist verlangt hingegen sofortige Abstimmung. Nach stän- Tagesordnungspunkt 4 i. Der Auswärtige Ausschuß diger Übung geht die Abstimmung über den Über- empfiehlt auf Drucksache 12/2871, den Antrag der weisungsvorschlag vor. Fraktion der SPD auf Drucksache 12/1536 abzuleh- Wer stimmt für den Überweisungsvorschlag? — nen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung des Gegenprobe! — Stimmenthaltungen? — Der Über- Ausschusses? — Gegenprobe! — Die Beschlußemp- weisungsvorschlag ist angenommen. Damit erübrigt fehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen sich die von der SPD verlangte sofortige Abstimmung gegen die übrigen Stimmen des Hauses angenom- in der Sache. men. Das Ergebnis der namentlichen Abstimmung liegt Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den noch nicht vor. Wir müssen noch einen Moment darauf gemeinsamen Entschließungsantrag der Fraktionen warten. der CDU/CSU, der SPD und der F.D.P. sowie der Jetzt frage ich Sie, ob wir mit Tagesordnungs- Gruppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zu Salman Rush- punkt 14 fortfahren können. die auf Drucksache 12/3957. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? — Gegenprobe! — Dieser Ent- (Zurufe: Ja!) schließungsantrag ist einstimmig angenommen. — Das ist der Fall. Wir kommen zum Entschließungsantrag der Frak- tionen der CDU/CSU, der SPD und der F.D.P. zu Ich rufe nunmehr Tagesordnungspunkt 14 auf: Vergewaltigungen in Bosnien-Herzegowina, Druck- Beratung des Berichts des Innenausschusses sache 12/3958. Dazu liegt auf Drucksache 12/3964 ein (4. Ausschuß) gemäß § 62 Abs. 2 der Geschäfts- Änderungsantrag der Gruppe BÜNDNIS 90/DIE ordnung zu dem Antrag der Abgeordneten Ulla GRÜNEN vor. Wer stimmt für diesen Änderungsan- Jelpke und der Gruppe der PDS/Linke Liste trag? — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Dieser Änderungsantrag ist mit den Stimmen der Stiftung für die Opfer ausländerfeindlicher Koalitionsfraktionen abgelehnt. Übergriffe — Drucksachen 12/2084, 12/3715 — Wer stimmt für den interfraktionellen Entschlie- ßungsantrag? — Gegenprobe! — Stimmenthaltun- Berichterstattung: gen? — Dieser interfraktionelle Entschließungsantrag Abgeordnete ist einstimmig angenommen. Jochen Welt Cornelia Schmalz-Jacobsen Tagesordnungspunkt 12 b: Beschlußempfehlung Im Ältestenrat ist dafür eine Fünf-Minuten-Runde des Auswärtigen Ausschusses zum Antrag der Frak- vorgesehen. Können wir so verfahren? — Ich höre und tion der SPD zur Gewährleistung der Menschenrechte Dann ist das so beschlos- und Wiederherstellung der Selbstverwaltung der sehe keinen Widerspruch. sen. Kosovo-Albaner, Drucksachen 12/2289 und 12/3391. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? — Gegen- Ich erteile als erster Rednerin das Wort unserer Frau probe! — Stimmenthaltungen? — Bei Stimmenthal- Kollegin Ulla Jelpke. tung der Gruppe PDS/Linke Liste ist die Beschluß- empfehlung angenommen. Ulla Jelpke (PDS/Linke Liste): Herr Präsident! Tagesordnungspunkt 12 c: Beschlußempfehlung Meine Damen und Herren! Eine kurze Vorbemer- des Auswärtigen Ausschusses zu den Anträgen der kung: Natürlich wäre es mir angesichts der Wichtig- Fraktion der SPD und der Gruppe BÜNDNIS 90/DIE keit dieses Antrags lieber gewesen, wenn er heute zur Abstimmung gekommen wäre. Aber ich muß zuge- ') Anlage 3 ben, daß mir die Geschäftsordnung in diesem Punkt Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 128. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1992 11131

Ulla Jelpke nicht klar war. Ich hatte nicht erkannt, daß auch wir Vizepräsident Helmuth Becker: Bitte, Herr Kollege dafür sorgen müssen, daß unsere Anträge im Aus- Hirsch. schuß auf die Tagesordnung kommen. Deswegen führen wir heute eine Zwischendebatte. Ich finde sie Dr. Burkhard Hirsch (F.D.P.): Frau Kollegin, ist nicht weniger wichtig. Aber es wäre, wie gesagt, Ihnen bewußt, daß das Opferentschädigungsgesetz besser gewesen, wenn wir über diesen Antrag bereits auf Ausländer Anwendung findet, sobald die Gegen- heute hätten beschließen können. seitigkeit verbürgt ist, also wenn Deutsche in dem Nichts charakterisiert die Verhältnisse in diesem betreffenden anderen Staat, falls sie dort einen sol- Land besser als die Tatsache, daß nach dem Anschlag chen Schaden erleiden, eine Entschädigung erhalten? von Mölln, wie der Presse zu entnehmen war, ein Halten Sie das für so unbillig? großer ausländischer Automobilhersteller den betrof- fenen Familien 50 000 DM spendete. Sicher war das nicht viel, aber es war immerhin eine Geste, eine Ulla Jelpke (PDS/Linke Liste): Darum geht es nicht. demonstrative Zurschaustellung der Tatsache, daß Es geht darum, daß das Opferentschädigungsgesetz ausdrücklich Ausländerinnen *) von einem Anspruch man sich mit den Opfern solidarisch fühlen muß. Der ausschließt. Wert dieser symbolischen Handlung steigt um so mehr, wenn m an bedenkt, daß die Bundesregierung (Zuruf von der F.D.P.: Das stimmt aber nicht! nichts, rein gar nichts für die Angehörigen und Betrof- — Zuruf von der CDU/CSU: Der Text ist wohl fenen an unbürokratischer Hilfe zur Verfügung nicht bekannt!) gestellt hat. Das wird hier eingeklagt, nicht mehr, Herr Kollege Am 24. April 1992 wird in Berlin ein vietnamesi- Hirsch. Sie können im übrigen das Petitum des Aus- scher Bürger auf offener Straße brutal niedergesto- wärtigen Ausschusses nachlesen. Dieser empfiehlt chen. Das Opfer erliegt den Verletzungen des rassi- dem Innenausschuß, das Opferentschädigungsgesetz stisch motivierten Anschlags. Der Fall sorgt für große dahin gehend zu ändern, daß auch Ausländerinnen* ) Aufregung und Bestürzung in der Öffentlichkeit. In diesen Anspruch haben. Das sollte der Innenausschuß einem Brief vom 27. April 1992 bittet die Berliner meiner Meinung nach auch schnellstens tun. Außenstelle der vietnamesischen Botschaft den Berli- Wir werden eine Gesetzesänderung einbringen, die ner Senat, eine Entschädigung für die Angehörigen die Ausgrenzung anderer Nationalitäten aufhebt und des Opfers zu erwirken. Hat die Bundesregierung die Gleichbehandlung der Menschen vor dem Gesetz Hilfe zugesichert? Aber nein; Fehlanzeige. wenigstens in dieser Frage endlich herstellt.

Am 23. August 1992 griffen in Rostock - Lichtenha- Allerdings sind wir nicht der Ansicht, daß durch eine gen Hunderte von Neofaschisten und Rassisten die derartige Änderung die von uns vorgeschlagene Stif- dortige ZAST und Familien vietnamesischer Vertrags- tung überflüssig wird. Klar ist, daß nicht alle Schäden arbeiter an. Menschen wurden gejagt und wären fast versicherungstechnisch ersetzt werden. Die Bundes- verbrannt, Wohnungseinrichtungen wurden demo- regierung muß hier ganz deutlich ein Signal setzen. liert. Entschädigungszahlungen haben die Opfer des Sie muß zeigen, daß sie es nicht hinnimmt, das Pogroms vom Staat nicht erhalten. Viele Einzelver- Ausländern aus rassistischen Übergriffen Nachteile bände und Menschenrechtsorganisationen haben entstehen können. Sie muß zeigen, daß sie die Fürsor- statt dessen in Rostock versucht, das Leid dieser gepflicht speziell für durch rassistische und neofaschi- Menschen mit Spenden wenigstens materiell auszu- stische Gewalt Geschädigte ernst nimmt. gleichen. Danke. Es ist nicht Knickerigkeit und Geiz, was die Bundes- (Beifall bei der PDS/Linke Liste) regierung dazu veranlaßt, selbst Menschen in- größter Not ohne Hilfe zu lassen. Im Opferentschädigungsge- setz werden Ausländerinnen explizit von Hilfeleistun- Vizepräsident Helmuth Becker: Meine Damen und gen ausgeklammert. Der Weiße Ring bezeichnete Herren, die nächste Wortmeldung ist die des Kollegen dieses Gesetz jüngst in einer Presseerklärung als Martin Göttsching. Er erhält jetzt das Wort. diskriminierend und als einen Skandal. Die Hilfsorga- nisation wies darauf hin, daß die Forderung nach einer Martin Göttsching (CDU/CSU): Herr Präsident! Änderung bisher stets in den Wind geschlagen wor- Meine Damen und Herren! Verehrte Frau Kollegin den sei und daß angesichts der Übergriffe gegen von der PDS, wenn ich die Empfehlung des Auswär- Ausländerinnen ein gleichberechtigter Rechtsan- tigen Ausschusses richtig lesen kann, steht da, ob die spruch überfällig sei. wenigen nicht gedeckten Fälle, die bisher nicht erfaßt Im Auswärtigen Ausschuß wurde unsere Forderung sind, nicht berücksichtigt werden können. Ich lese in nach einer Stiftung damit abgelehnt, daß der feder- diesem Bericht nichts von einer geschlechtsspezifi- führende Innenausschuß die Anwendung des Opfer- schen Auslegung einer Empfehlung. entschädigungsgesetzes überprüfen soli. (Zurufe von der PDS/Linke Liste: „Auslän der! ") Wir haben heute darüber zu befinden, ob wir diese Vizepräsident Helmuth Becker: Frau Kollegin Stiftung einrichten wollen oder nicht. Damit hier keine Jelpke, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abge- ordneten Dr. Hirsch? *) Die Abg. Ulla Jelpke hat mitgeteilt, daß sie mit dieser Formulierung Ausländerinnen und Ausländer gemeint habe und deshalb in ihrem Redemanuskript die Schreibweise „Aus- Ulla Jelpke (PDS/Linke Liste): Ja. länderinnen" verwendet habe 11132 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 128. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1992

Martin Göttsching Mißverständnisse aufkommen, möchte ich gleich zu Jochen Welt (SPD): Herr Präsident! Meine sehr Beginn sagen, daß Gewalt gegen Ausländer keines- verehrten Damen und Herren! Mit den Ereignissen wegs toleriert oder auch nur bagatellisiert werden von Rostock und den Morden von Mölln sind die darf. Ich verurteile das aufs schärfste. Diejenigen, die bislang schon schrecklichen Dimensionen des rechten dies tun, handeln nicht gesetzeskonform. Diese Terrors sicherlich erneut gesprengt worden. Wir sind grundlegende Haltung, in der wir uns sicher einig uns sicherlich auch einig in der Auffassung, daß es sind, darf jedoch nicht dazu führen, daß wir mit einer nicht reicht, Bestürzung zu äußern, Trauer zu zeigen Art Sondergesetzgebung für Ausländer diese gegen- und die eigene Abscheu vor diesen Gewalttaten über anderen Bürgern unseres Landes privilegieren. deutlich zu machen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Uns muß klar sein, daß die Ankündigung des Bereits sehr früh hat die Bundesrepublik Deutsch- Einsatzes einer bewaffneten Schutztruppe, wie dies jetzt durch den Präsidenten des Türkisch-Deutschen land mit dem Opferentschädigungsgesetz und dem Unternehmervereins in Niedersachsen und Bremen, Opferschutzgesetz Gesetze verabschiedet, die die Situation der Opfer von Gewalttaten verbessert. Der Güler, geschehen ist, keine Hilfe und erst recht kein Staat hat mit diesen Gesetzen eine Einstandspflicht für Beitrag zur Lösung des Problems ist. Ausländische wie deutsche Bürger müssen ausreichend unter dem Gesundheitsstörungen und den Tod von unschuldi- Schutz des Staates stehen. Er allein hat das gen Opfern. Versorgung nach dem Opferentschädi- Gewalt- monopol. gungsgesetz erhält, wer eine gesundheitliche Schädi- gung infolge eines vorsätzlichen, rechtswidrigen oder Der Schutz unserer ausländischen Mitbürgerinnen auch tätlichen Angriffs gegen seine oder eine andere und Mitbürger und ein Ausgleich für das ihnen Person erlitten hat. Dies gilt für Gesamtdeutschland zugefügte Leid müssen umfassend gewährleistet sein. und auch für die in Deutschland lebenden Auslän- Mit diesem Problem dürfen nicht die sozialen und der. karitativen Organisationen und Verbände oder Pri- vatpersonen und Gemeinden alleingelassen wer- Die gesundheitlichen Schäden sind das eine, mate- den. rielle Schäden sind das andere. Ich will nicht vom Tisch wischen, daß es Fälle geben mag, in denen die Die SPD-Fraktion hat bereits am 25. September materielle Entschädigung von den zur Zeit geltenden 1990 in ihrer Anfrage zur Situation der Opfer von Gesetzen her nicht gesichert ist. Diese Fälle müssen Straftaten den Ausländern ganz besondere Aufmerk- meiner Ansicht nach erfaßt und daraufhin überprüft samkeit gewidmet. Wir haben schon damals die werden, ob Handlungsbedarf besteht. Bundesregierung aufgefordert, Herr Kollege Hirsch, den Opferschutz auf alle hier lebenden Bevölkerungs- Grundsätzlich kann es jedoch nur darum gehen, ob gruppen auszudehnen. das Opferentschädigungsgesetz in dem einen oder anderen Paragraphen geändert oder erweitert wer- (Beifall bei der PDS/Linke Liste) den müßte. Eine Stiftung ins Leben zu rufen, um Die Bundesregierung bestätigte damals in ihrer eventuell vorhandene gesetzliche Unzulänglichkei- Antwort die Kritik der SPD, daß das Opferentschädi- ten zu kaschieren, halte ich schon vom Grundsatz her gungsgesetz und das Opferschutzgesetz lediglich auf für den falschen Weg. deutsche Staatsangehörige angewandt werden kann. Einen weiteren Gedanken halte ich für wichtig: Wir mahnen heute ausdrücklich die Aufnahme der Welches Signal setzen wir eigentlich für das Ausland, ausländischen Mitbürger in den Anwendungsbereich wenn wir eine solche Stiftung in der Bundesrepublik des Opferschutzgesetzes an. Deutschland installieren? Nach unserer Meinung reicht es nicht aus, sich jetzt (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) im Rahmen einer Stiftung für die Opfer ausländer- feindlicher Übergriffe engagieren zu wollen. Dies Wir schaffen praktisch eine Instanz, die jedem vor wäre nach meiner Auffassung nur ein Feigenblatt; ich Augen führen würde, daß Deutschland nicht einmal möchte schon sagen: es wäre Aktionismus. mehr in der Lage ist, Ausländer vor systematischen — ich betone: systematischen — Übergriffen zu schüt- (Dr. Peter Struck [SPD]: Sehr wahr!) zen. Das kann nicht Sinn unserer Gesetzgebung Die SPD-Fraktion sieht in den Vorschlägen zur sein. Schaffung einer Stiftung für die Opfer ausländerfeind- Eine letzte Bemerkung: Kein noch so ausgeklügel- licher Übergriffe keinen ausreichenden und geeigne- tes Gesetzeswerk und auch keine noch so gut funktio- ten Lösungsansatz. Im übrigen hat der Innenausschuß nierende Stiftung ersetzen im Ernstfall die Solidarität diesen Antrag noch nicht beraten. Bei den Beratungen der Menschen mit den Opfern von Gewalt, handle es im Innenausschuß werden wir uns insbesondere mit sich um ausländerfeindliche Aktionen oder nicht. der Anwendung bzw. der Erweiterung des Opfer- Gerade hinsichtlich unserer ausländischen Mitbürger schutzes zu beschäftigen haben. ist die Solidarität ein politisch wichtiges Signal. Dies An dieser Stelle komme ich nicht daran vorbei, mich sollten wir in diesem Hohen Haus wissen. mit der Art und Weise der Vergangenheitsbewälti- Die Fraktion der CDU/CSU lehnt den Antrag ab. gung der Antragsteller auseinanderzusetzen. Mehr Selbstkritik in der Gruppe PDS/Linke Liste ist nach (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) meiner Einschätzung notwendig. Es hat sich ja im nachhinein gezeigt, daß die Verleugnung von Rechts- radikalität, publizistische Schönfärberei und das Vizepräsident Helmuth Becker: Ich erteile jetzt Negieren von Ausländerfeindlichkeit in der Ex-DDR unserem Kollegen Jochen Welt das Wort. eine gefährliche Selbsttäuschung waren, die sich Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 128. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1992 11133

Jochen Welt heute unter anderen gesellschaftlichen Umständen sich die Decke über den Kopf zieht, damit wir alle das entlädt. nicht merken sollen. Wer sich aus seiner eigenen geschichtlichen Ver- (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) antwortung ausblendet, der hat nicht nur Kreide gefressen, sondern der handelt wenig glaubwürdig Aber an die Märchen und an die Verkleidung glauben und unseriös. nur noch wenige, und es werden nur wenige darauf hereinfallen. — Diese Bemerkung dient der inneren Die Bekämpfung des rechten Terrors ist eine wich- Hygiene. tige, eine große Aufgabe, die wir nur gemeinsam bewältigen werden. Dies hat auch die Bundesregie- Das Ziel Ihres Antrags, den Opfern fremdenfeindli- rung bei ihren jüngsten Schritten erkannt. Sie hat cher motivierter Gewalt zu helfen, wird, glaube ich, allerdings, was auch im Ausland heftig bemängelt von niemandem in diesem Haus angezweifelt. Ich wurde, viel zu lange gezögert. glaube allerdings nicht, daß hier der richtige Weg eingeschlagen wird. Nach neuesten Umfragen sind das Verständnis und gar die Sympathie für den Rechtsextremismus in der Die Gründung einer Stiftung ist zuallerletzt Sache Bevölkerung zurückgegangen. Großdemonstrationen des Staates, dem hier ja irgendwie auch eine Art Hunderttausender von Menschen zeigen Wirkung. Hauptschuld zugeschoben werden soll, die nicht Ich denke, es darf jetzt nicht voreilig Entwarnung gegeben ist. Die Gründung einer Stiftung — wir haben gegeben werden. „staatliche" Stiftungen — ist in erster Linie eine Sache bürgerschaftlichen Engagements. Der Staat muß Wir alle müssen — trotz dieser ermutigenden Reak- gesetzliche Grundlagen schaffen. Er sollte klare tionen der bislang schweigenden Mehrheit unserer Rechtsansprüche formulieren. Das ist Sache des Staa- Bürger — offen und ehrlich sagen: Die Gefahr ist erst tes. Er sollte Haushaltsmittel auch nicht gewisserma- dann wirklich gebannt, wenn wir den rechten Parolen ßen parzellieren und aus dem normalen Haushalt den kulturellen und sozialökonomischen Nährboden herausnehmen. entzogen haben. Es ist also besser und wichtiger, das soziale Klima in unserer Republik zu verändern. Wer Was nun das bürgerschaftliche Engagement bet rifft, Bestürzung und Abscheu über ausländerfeindliche so kann ich dem Hohen Hause mitteilen, daß die Übergriffe nicht heuchelt, der muß dafür sorgen, daß Gründung eines Vereins, einer Vereinigung in Vor- Wohnungsnot, Arbeitslosigkeit, Perspektivlosigkeit bereitung ist, die den Opfern fremdenfeindlich moti- und soziale Ängste beseitigt werden. Leider sind die vierter Gewalt helfen soll. Ich finde, es ist ermutigend, Bundesregierung und die sie tragende Koalition zu erfahren, daß sich eine ganze Reihe von Spendern offensichtlich weder willens noch in der Lage dazu. meldet. Ich bin dankbar dafür. Die einzige dauerhafte und wirkungsvolle Bekämp- Ich möchte bei dieser Gelegenheit aber auch ein fung des Rechtsextremismus verlangt eine grundle- Wort in Richtung Bundesregierung sagen. Nach Sinn gende Umkehr der Politik in unserem Lande. Hierzu, und Zweck des Opferentschädigungsgesetzes müß- verehrte Kolleginnen und Kollegen, sind wir alle in ten gerade die Opfer ausländerfeindlich motivierter diesem Hause aufgerufen. Gewalttaten Leistungen nach diesem Gesetz erhalten. (Beifall bei der SPD — Ulla Jelpke [PDS/ Nicht umsonst heißt es in der Begründung dieses Linke Liste]: Wo bleibt Ihre Selbstkrititk?) Gesetzes — ich zitiere —: „Wenn es der staatlichen Gemeinschaft trotz ihrer Anstrengung zur Verbre- chensverhütung nicht gelingt, Gewalttaten völlig zu verhindern, so muß sie wenigstens für die Opfer dieser Vizepräsident Helmuth Becker: Ich erteile jetzt Straftaten einstehen." unserer Frau Kollegin Cornelia Schmalz-Jacobsen- das Wort. Dennoch können viele diese Entschädigung nicht erhalten. Einbegriffen sind die EG-Bürger, die Uni- onsbürger; ansonsten gilt das Prinzip der Gegenseitig- keit. Ich halte zwar viel vom Prinzip der Gegenseitig- Cornelia Schmalz-Jacobsen (F.D.P.): Herr Präsi- keit, aber man muß doch auch einmal fragen, ob es dent! Meine Kollegen und Kolleginnen! Ich muß richtig ist, daß beispielsweise der türkische Tou rist schon sagen: Wenn die Nachfolgeorganisation der demjenigen gleichgestellt wird, der seit 25 Jahren bei SED einen Antrag stellt, in dem die Forderung erho- uns lebt. ben wird, sich um die Opfer ausländerfeindlicher Übergriffe zu kümmern, dann kann ich nicht umhin, (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU unwillkürlich an die Opfer des DDR-Regimes zu sowie bei Abgeordneten der SPD) denken, In vielen Fällen ist es so, daß wir nicht nur unterschei- (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) den sollten, wer Unionsbürger ist und wer nicht, sondern daß wir. auch fragen sollten: Wer lebt hier die nicht einmal die Chance hatten, zur Kenntnis schon sehr lange und dauerhaft, und wer ist nur genommen zu werden, geschweige denn rehabilitiert vorübergehend hier? Ich bitte die Bundesregierung, oder entschädigt zu werden. Wenn sie Glück hatten, das noch einmal zu prüfen. wurden sie verkauft. Es kommt mir vor wie in Grimms Märchen: Einige (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne von Ihnen — ich will hier differenzieren — sind so wie ten der CDU/CSU) der Wolf, der die sieben Geißlein verschlungen hat, Ich weiß — das möchte ich bei dieser Gelegenheit sich jetzt als Rotkäppchens Großmutter verkleidet und auch gar nicht verschweigen —, daß es mit den 11134 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 128. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1992

Cornelia Schmalz-Jacobsen Rechten der Deutschen, die in der Türkei leben, nicht Dr. Grünewald, Joachim Dr. Mayer (Siegertsbrunn), gut bestellt ist. Ich denke vor allen Dingen an die Günther (Duisburg), Horst Martin Frhr. von Hammerstein, Meckelburg, Wolfgang vielen deutschen Frauen, die mit türkischen Ehemän- Carl-Detlev Meinl, Rudolf nern verheiratet sind. Die gewisse Schwerhörigkeit Harries, Klaus Dr. Meseke, Hedda der türkischen Regierung sollte uns jedoch nicht Haschke (Großhennersdorf), Dr. Meyer zu Bentrup, veranlassen, das auf dem Rücken und zu Lasten der Gottfried Reinhard Haschke (Jena-Ost), Udo Michalk, Maria fast zwei Millionen türkischen Menschen in der Bun- Hasselfeldt, Gerda Michels, Meinolf desrepublik auszutragen. Haungs, Rainer Dr. Möller, Franz Hauser (Esslingen), Otto Dr. Müller, Günther Hilfe ist notwendig. Der Weg dazu muß gefunden Hedrich, Klaus-Jürgen Müller (Kirchheim), Elmar werden. Ich wiederhole meine Bitte an die Bundesre- Heise, Manfred Müller (Wadern), gierung, hier noch einmal zu prüfen. Bürgerschaftli- Dr. Hellwig, Renate Hans-Werner ches Engagement besteht. Der vorliegende Antrag Dr. h. c. Herkenrath, Adolf Müller (Wesseling), Alfons scheint mir der falsche Weg zu sein. Hinsken, Ernst Nelle, Engelbert Hintze, Peter Neumann (Bremen), Bernd Vielen Dank. Hörster, Joachim Nitsch, Johannes Dr. Hoffacker, Paul Nolte, Claudia (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) Hollerith, Josef Dr. Olderog, Rolf Dr. Hornhues, Karl-Heinz Ost, Friedhelm Hornung, Siegfried Oswald, Eduard Vizepräsident Helmuth Becker: Meine Damen und Jaffke, Susanne Dr. Päselt, Gerhard Herren, wir sind am Schluß der Aussprache. Damit ist Jagoda, Bernhard Dr. Paziorek, Peter Dr. Jahn (Münster), Petzold, Ulrich der Tagesordnungspunkt 14 erledigt. Friedrich-Adolf Pfeffermann, Gerhard O. Ich gebe jetzt das von den Schriftführerinnen und Janovsky, Georg Pfeifer, Anton Jeltsch, Karin Pfeiffer, Angelika Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Dr. Jobst, Dionys Dr. Pfennig, Gero Abstimmung zum Entschließungsantrag der Fraktio- Dr. Jüttner, Egon Dr. Pinger, Winfried nen der CDU/CSU und der F.D.P. auf der Drucksache Jung (Limburg), Michael Dr. Pohler, Hermann 12/3960 bekannt. Er betrifft China. Abgegebene Stim- Junghanns, Ulrich Priebus, Rosemarie Dr. Kahl, Harald Dr. Probst, Albert men: 543. Ungültige Stimmen: keine. Mit Ja haben Kalb, Bartholomäus Raidel, Hans gestimmt: 323 Abgeordnete. Mit Nein haben Kampeter, Steffen Dr. Ramsauer, Peter gestimmt: 197 Abgeordnete. Es hat 23 Enthaltungen Dr.-Ing. Kansy, Dietmar Rau, Rolf gegeben. Karwatzki, Irmgard Rauen, Peter Harald Kauder, Volker Rawe, Wilhelm Keller, Peter Reichenbach, Klaus Kiechle, Ignaz Reinhardt, Erika Kittelmann, Peter Repnik, Hans-Peter Endgültiges Ergebnis Büttner (Schönebeck), Klein (Bremen), Günter Dr. Rieder, Norbert Hartmut Klein (München), Hans Riegert, Klaus Abgegebene Stimmen: 540; Buwitt, Dankward Klinkert, Ulrich Dr. Riesenhuber, Heinz davon: Dehnel, Wolfgang Köhler (Hainspitz), Ringkamp, Werner Dempwolf, Gertrud Hans-Ulrich Rode (Wietzen), Helmut ja: 321 Deres Karl Dr. Köhler (Wolfsburg), Rönsch (Wiesbaden), Deß, Albert Volkmar Hannelore nein: 196 Diemers, Renate Kolbe, Manfred Romer, Franz enthalten: 23 Dörflinger, Werner Kors, Eva-Maria Dr. Rose, Klaus Doss, Hansjürgen Koschyk, Hartmut Rossmanith, Kurt J. Dr. Dregger, Alfred Kossendey, Thomas Roth (Gießen), Adolf Rother, Heinz Echternach, Jürgen Kraus, Rudolf Ja Dr. Krause (Bonese), Dr. Ruck, Christian Ehlers, Wolfgang Rudolf Karl Jürgen Ehrbar, Udo Dr. Rüttgers, CDU/CSU Krause (Dessau), Wolfgang Sauer (Salzgitter), Helmut Eichhorn, Maria Krey, Franz Heinrich Sauer (Stuttgart), Rol and Engelmann, Wolfgang Dr. Ackermann, Else Kriedner, Arnulf Scharrenbroich, Heribert Adam, Ulrich Eppelmann, Rainer Dr.-Ing. Krüger, Paul Schätzle, Ortrun Dr. Altherr, Walter Franz Eylmann, Horst Krziskewitz, Reiner Dr. Schäuble, Wolfgang Augustinowitz, Jürgen Eymer, Anke Lamers, Karl Schemken, Heinz Austermann, Dietrich Falk, Ilse Dr. Lammert, Norbe rt Scheu, Gerhard Bargfrede, Heinz-Günter Dr. Faltlhauser, Kurt Lamp, Helmut Schmalz, Ulrich Dr. Bauer, Wolf Fischer (Unna), Leni Lattmann, Herbert Schmidt (Mülheim), Andreas Baumeister, Brigitte Fockenberg, Winfried Laumann, Karl-Josef von Schmude, Michael Bayha, Richard Francke (Hamburg), Klaus Lehne, Klaus-Heiner Dr. Schneider (Nürnberg), Belle, Meinrad Frankenhauser, Herbert Dr. Lehr, Ursula Oscar Dr. Bergmann-Pohl, Sabine Dr. Friedrich, Gerhard Dr. Lieberoth, Immo Dr. Schockenhoff, Andreas Bierling, Hans-Dirk Fritz, Erich G. Link (Diepholz), Walter Dr. Scholz, Rupert Dr. Blank, Joseph-Theodor Fuchtel, Hans-Joachim Dr. Lippold (Offenbach), Frhr. von Schorlemer, Blank, Renate Ganz (St. Wendel), Johannes Klaus W. Reinhard Dr. Blens, Heribert Geiger, Michaela Dr. Lischewski, Manfred Dr. Schreiber, Harald Bleser, Peter Dr. Geiger (Darmstadt), Sissy Löwisch, Sigrun Schulhoff, Wolfgang Böhm (Melsungen), Wilfried Geis, Norbert Lohmann (Lüdenscheid), Dr. Schulte (Schwäbisch Börnsen (Bönstrup), Wolfgang Dr. von Geldern, Wolfgang Wolfgang Gmünd), Dieter Dr. Bötsch, Wolfgang Gerster (Mainz), Johannes Louven, Julius Schulz (Leipzig), Gerhard Bohlsen, Wilfried Gibtner, Horst Lummer, Heinrich Schwalbe, Clemens Borchert, Jochen Glos, Michael Dr. Luther, Michael Dr. Schwarz-Schilling, Brähmig, Klaus Dr. Göhner, Reinhard Maaß (Wilhelmshaven), Erich Christian Breuer, Paul Götz, Peter Männle, Ursula Dr. Schwörer, Hermann Brudlewsky, Monika Dr. Götzer, Wolfgang Magin, Theo Seehofer, Horst Brunnhuber, Georg Gres, Joachim Marschewski, Erwin Seesing, Heinrich Bühler (Bruchsal), Klaus Grotz, Claus-Peter Marten, Günter Seibel, Wilfried Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 128. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1992 11135

Vizepräsident Helmuth Becker Sikora, Jürgen Kohn, Roland Dr. von Bülow, Andreas Odendahl, Doris Skowron, Werner H. Dr. Kolb, Heinrich L. Bulmahn, Edelgard Oostergetelo, Jan Dr. Sopart, Hans-Joachim Dr.-Ing. Laermann, Karl-Hans Burchardt, Ursula Opel, Manfred Sothmann, Bärbel Dr. Graf Lambsdorff, Otto Bury, Hans Martin Ostertag, Adolf Spilker, Karl-Heinz Lühr, Uwe Caspers-Merk, Marion Dr. Otto, Helga Dr. Sprung, Rudolf Dr. Menzel, Bruno Conradi, Peter Paterna, Peter Steinbach-Herm ann, Enka Nolting, Günther Friedrich Dr. Diederich (Berlin), Nils Dr. Penner, Willfried Dr. Stercken, Hans Dr. Ortleb, Rainer Diller, Karl Peter (Kassel), Horst Dr. Frhr. von Stetten, Paintner, Johann Dr. Dobberthien, Marliese Dr. Pfaff, Martin Wolfgang Peters, Lisa Dreßler, Rudolf Pfuhl, Albert Stockhausen, Karl Dr. Pohl, Eva Duve, Freimut Dr. Pick, Eckhart Dr. Stoltenberg, Gerhard Richter (Bremerhaven), Dr. Eckardt, Peter Reimann, Manfred Strube, Hans-Gerd Manfred Dr. Ehmke (Bonn), Horst von Renesse, Margot Stübgen, Michael Rind, Hermann Eich, Ludwig Rennebach, Renate Susset, Egon Dr. Röhl, Klaus Ewen, Carl Reschke, Otto Tillmann, Ferdi Schmidt (Dresden), Arno Ferner, Elke Reuschenbach, Peter W. Dr. Uelhoff, Klaus-Dieter Dr. Schmieder, Jürgen Formanski, Norbert Reuter, Bernd Uldall, Gunnar Dr. Schnittler, Christoph Fuchs (Köln), Anke Rixe, Günter Verhülsdonk, Roswitha Schüßler, Gerhard Fuchs (Verl), Katrin Schaich-Walch, Gudrun Vogel (Ennepetal), F riedrich Schuster, Hans Fuhrmann, Arne Schanz, Dieter Dr. Voigt (Northeim), Sehn, Manta Ganseforth, Monika Scheffler, Siegfried Hans-Peter Seiler-Albring, Ursula Gansel, Norbert Schily, Otto Dr, Waffenschmidt, Horst Dr. Semper, Sigrid Gleicke, Iris Schloten, Dieter Graf von Waldburg-Zeil, Alois Dr. Solms, Hermann Otto Graf, Günter Schmidbauer (Nürnberg), Dr. Warnke, Jürgen Dr. Starnick, Jürgen Großmann, Achim Horst Dr. Warrikoff, Alex ander Dr. von Teichman, Cornelia Haack (Extertal), Schmidt (Aachen), Ursula Werner (Ulm), Herbert Dr. Thomae, Dieter Karl Hermann Schmidt (Salzgitter), Wilhelm Wiechatzek, Gabriele Timm, Jürgen Habermann, Michael Schmidt-Zadel, Regina Dr. Wieczorek (Auerbach), Türk, Jürgen Hacker, Hans-Joachim Dr. Schmude, Jürgen Bertram Walz, Ingrid Hämmerle, Gerlinde Dr. Schöfberger, Rudolf Wilz, Bernd Dr. Weng (Gerlingen), Hampel, Manfred Schöler, Walter Dr. Wisniewski, Roswitha Wolfgang Hanewinckel, Christel Schreiner, Ottmar Wissmann, Matthias Wolfgramm (Göttingen), Dr. Hartenstein, Liesel Schröter, Gisela Dr. Wittmann, Fritz Torsten Hasenfratz, Klaus Schütz, Dietmar ri Wittmann (Tännesberg), Würfel, Uta Heistermann, (Hameln), B gitte Simon Zurheide, Burkhard Hilsberg, Stephan Dr. Schuster, R. Werner Wülfing, Elke Zywietz, Werner Horn, Erwin Schwanhold, Ernst Würzbach, Peter Kurt Ibrügger, Lothar Schwanitz, Rolf Yzer, Cornelia Iwersen, Gabriele Seidenthal, Bodo Jäger, Renate Seuster, Lisa Zeitlmann, Wolfgang PDS/Linke Liste Zierer, Benno Janz, Ilse Sielaff, Horst Dr. Janzen, Ulrich Simm, Erika Zöller, Wolfgang Dr. Heuer, Uwe-Jens Jaunich, Horst Singer, Johannes Dr. Keller, Dietmar Dr. Jens, Uwe Dr. Skarpelis-Sperk, Sigrid SPD Jung (Düsseldorf), Volker Dr. Soell, Hartmut Jungmann (Wittmoldt), Horst Dr. Sonntag-Wolgast, Cornelie Fraktionslos Esters, Helmut Kastner, Susanne Sorge, Wieland Kirschner, Klaus Dr. Sperling, Dietrich Fischer (Homburg), Lothar Henn, Bernd Koschnick, Hans Klappert, Marianne Steiner, Heinz-Alfred Kuessner, Hinrich Dr. Klejdzinski, Karl-Heinz Dr. Struck, Peter Roth, Wolfgang Klemmer, Siegrun Tappe, Joachim Dr. Knaape, H ans-Hinrich Dr. Thalheim, Gerald Nein Körper, Fritz Rudolf Thierse, Wolfgang Kolbe, Regina Titze, Uta F.D.P. CDU/CSU Kolbow, Walter Urbaniak, H ans-Eberhard Koltzsch, Rolf Vergin, Siegfried Albowitz, Ina Hörsken, Heinz-Adolf Dr. Küster, Uwe Verheugen, Günter Beckmann, Klaus Hüppe, Hubert Kuhlwein, Eckart Dr. Vogel, Hans-Jochen Bredehorn, Günther Jäger, Claus Lambinus, Uwe Voigt (Frankfurt), Karsten D. Cronenberg (Arnsberg), Kronberg, Heinz-Jürgen Lange, Brigitte Wallow, Hans Dieter-Julius Limbach, Editha von Larcher, Detlev Walter (Cochem), Ralf Eimer (Fürth), Norbert Pofalla, Ronald Lennartz, Klaus Wartenberg (Berlin), Gerd Engelhard, Hans A. Schwarz, Stef an Lohmann (Witten), Klaus Dr. Wegner, Konstanze van Essen, Jörg Vogt (Düren), Wolfgang Dr. Lucyga, Christine Weiler, Barbara Dr. Feldmann, Olaf Wetzel, Kersten Maaß (Herne), Dieter Weisheit, Matthias Friedhoff, Paul K. Wonneberger, Michael Mascher, Ulrike Weißgerber, Gunter Friedrich, Horst Matschie, Christoph Welt, Jochen Funke, Rainer Dr. Matterne, Dietmar Dr. Wernitz, Axel Dr. Funke-Schmitt-Rink, Mattischeck, Heide Wester, Hildegard Margret SPD Meckel, Markus Westrich, Lydia Gallus, Georg Mehl, Ulrike Wettig-Danielmeier, Inge Gries, Ekkehard Adler, Brigitte Meißner, Herbert Dr. Wetzel, Margrit Grünbeck, Josef Andres, Gerd Dr. Mertens (Bottrop), Dr. Wieczorek, Norbert Grüner, Martin Antretter, Robert Franz-Josef Wieczorek-Zeul, Heidemarie Günther (Plauen), Joachim Bachmaier, Hermann Dr. Meyer (Ulm), Jürgen Wiefelspütz, Dieter Dr. Guttmacher, Karlheinz Becker (Nienberge), Helmuth Müller (Schweinfurt), Rudolf Wimmer (Neuötting), Hackel, Heinz-Dieter Becker-Inglau, Ing rid Müller (Völklingen), Jutta Hermann Hansen, Dirk Bernrath, Hans Gottfried Müller (Zittau), Christian Dr. de With, Hans Dr. Haussmann, Helmut Beucher, Friedhelm Julius Neumann (Bramsche), Volker Wittich, Berthold Heinrich, Ulrich Bindig, Rudolf Neumann (Gotha), Gerhard Wohlleben, Verena Dr. Hoyer, Werner Bock, Thea Dr. Niehuis, Edith Wolf, Hanna Irmer, Ulrich Dr. Böhme (Unna), Ulrich Dr. Niese, Rolf Zapf, Uta Kleinert (Hannover), Detlef Dr. Brecht, Eberhard Niggemeier, Horst Dr. Zöpel, Christoph 11136 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 128. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1992

Vizepräsident Helmuth Becker F.D.P. Rahardt-Vahldieck, Susanne zur Lösung jener Probleme, die objektiv vorhanden Reddemann, Gerhard sind und die, den politischen Willen vorausgesetzt, Ganschow, Jörg Dr. Schmidt (Halsbrücke), Joachim längst hätten angegangen werden können. Schmidt (Spiesen), Trudi Ich habe nicht die Illusion — das gestehe ich gern PDS/Linke Liste zu —, daß unsere Vorschläge allein die vielfältigen Dr. Enkelmann, Dagmar SPD Probleme der Immigration lösen könnten. Aber das, Jelpke, Ulla was die Koalition und die SPD als sogenannten Philipp, Ingeborg Gilges, Konrad Asylkompromiß ausgehandelt haben, bleibt weit hin- Dr. Schnell, Emil ter unserem realistischen Lösungsansatz zurück. Waltemathe, Ernst BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Dieser Asylkompromiß ist ein fauler Kompromiß. Der neue Art. 16 a, so wie Sie ihn formuliert haben, ist Köppe, Ingrid F.D.P. Poppe, Gerd ein Asylverhinderungsartikel. Ihr Kompromiß ist Schenk, Christina Baum, Gerhart Rudolf nicht vom Willen bestimmt, möglichst vielen Men- Schulz (Berlin), Werner Dr. Blunk (Lübeck), Michaela schen in Deutschland Zuflucht und eine neue Heimat Dr. Ullmann, Wolfgang Dr. Hirsch, Burkhard Weiß (Berlin), Konrad zu geben, sondern von der Absicht sie abzuweisen. Sie Koppelin, Jürgen wollen die Zuwanderung nicht menschenwürdig Wollenberger, Vera Schmalz-Jacobsen, Cornelia regeln und gestalten. Sie wollen sie unterbinden. Fraktionslos Damit kann jeder, ob er nun asylberechtigt ist oder PDS/Linke Liste nicht, an der Grenze abgewiesen werden. Das ist die Dr. Briefs, Ulrich Lesart des bayerischen Innenministers Stoiber. Er hat Dr. Fischer, Ursula Dr. Fuchs, Ruth recht. Deutlicher kann auch ich es nicht sagen. Enthalten Dr. Gysi, Gregor Damit würde entgegen allen Versicherungen und Dr. Höll, Barbara entgegen dem Parteitagsbeschluß der SPD der Art. 16 CDU/CSU Lederer, Andrea Dr. Modrow, Hans Abs. 2 Satz 2 unseres Grundgesetzes — „Politisch Göttsching, Martin Dr. Schumann (Kroppenstedt), Verfolgte genießen Asylrecht. " — nicht ergänzt, son- Dr.-Ing. Jork, Rainer Fritz dern de facto gestrichen. Dr. Mahlo, Dietrich Dr. Seifert, Ilja Der Asylkompromiß verstümmelt das Grundrecht Damit ist der Entschließungsantrag angenommen. auf Asyl bis zur Unkenntlichkeit. Er setzt auf Europa, ohne daß eine europäische Lösung auch nur ange- Nun, meine Damen und Herren, rufe ich den dacht wäre. Was mich be troffen macht, ist die Unver- Punkt 15 der Tagesordnung auf: frorenheit, mit der versucht wird, diese einfache Beratung des Berichts des Innenausschusses Wahrheit zu verschleiern. Ihre Parteien werden (4. Ausschuß) gemäß § 62 Abs. 2 der Geschäfts- dadurch ebenso Schaden nehmen wie die Demokratie ordnung in unserem Land. a) zu dem von den Abgeordneten Konrad Weiß Die Verfasser des Asylkompromisses wollen im (Berlin) und der Gruppe BÜNDNIS 90/ Alleingang ihre Art von europäischer Harmonisierung DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurf eines betreiben. Das wird zur Folge haben, daß vor allem die Gesetzes zur Regelung der Rechte von osteuropäischen Staaten, die demokratieunerfahren Niederlassungsberechtigten, Einwande- und mit ethnischen und nationalistischen Problemen rinnen und Einwanderern befaßt sind, den Flüchtlingsstrom auffangen müßten. — Drucksache 12/1714 (neu) — Angesichts der desolaten Wirtschaftssituation, die die b) zu dem von der Gruppe BÜNDNIS 90/ Unrechtsregime des Ostens hinterlassen haben, ist der DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurf- eines Knall, also die urzivile gewalttätige Lösung, praktisch Gesetzes über die Rechtsstellung von programmiert. Da nützt auch das Gerede von der Flüchtlingen (Flüchtlingsgesetz) europäischen Lastenverteilung nichts. Denn diese ist — Drucksachen 12/2089, 12/3918 — zur Zeit nicht in Sicht. Der gefundene Kompromiß ist egoistisch und gegenüber den osteuropäischen Staa- Berichterstattung: ten schlicht unverantwortlich. Abgeordnete Wolfgang Zeitlmann Gerd Wartenberg (Berlin) Der Botschafter der Republik Polen hat inzwischen Dr. Burkhard Hirsch klargestellt, daß der Asylkompromiß für sein Land keine Verbindlichkeit hat. Ich frage auch: Was ist das (Erste Beratung 79. Sitzung) für ein politischer Stil, in einer so gewichtigen Frage Es war noch nicht ganz geklärt, ob zu diesem über andere Staaten zu entscheiden, ohne dies auch Tagesordnungspunkt geredet werden soll. — Der nur zu befragen? Das ist unerträgliches Großmachtge- Herr Kollege Weiß nickt. Wir reden also. Im Ältesten habe. Ich distanziere mich davon entschieden. rat ist eine Fünf-Minuten-Runde vereinbart. Statt dessen wäre eine Politik nötig gewesen, die die Herr Kollege Weiß, bitte sehr. komplexen Probleme nach dem Ende des Kalten Konrad Weiß (Berlin) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Krieges nicht leugnet, sondern die Realitäten und Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Am 22. Ja- damit die unumkehrbare Tatsache der Einwanderung nuar 1992 hat die Gruppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN anerkennt. Die Asylpolitik muß an der Selbstver- ein Einwanderungsgesetz und am 13. Februar 1992 pflichtung der Gesellschaft zur Solidarität gegenüber ein Flüchtlingsgesetz sowie ein Gesetz zur Änderung Flüchtlingen festhalten. Es geht darum, endlich ein des Staatsbürgerbegriffs in den Deutschen Bundestag zeitgemäßes Staatsbürgerrecht zu verabschieden, das eingebracht. Das waren und sind unsere Vorschläge von dem Anachronismus Abschied nimmt, daß Deut- Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 128. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1992 11137

Konrad Weiß (Berlin) scher nur der ist, in dessen Adern deutsches Blut gleich, ob in selbständiger oder in nichtselbständiger fließt. Arbeit. Die Parteien des Asylkompromisses sind nicht Viertens. Sie wollen ein Ministerium für Einwande- bereit, hier essentielle Verbesserungen zu vereinba- rung, Flucht und multikulturelle Angelegenheiten. ren. Statt dessen ist die Lüge schon wieder eingebaut, Fünftens. Sie wollen sogar eine Gruppenanerken- wenn der bestehende Regelanspruch in einen Rechts- nung einführen, also für bestimmte Flüchtlingsgrup- anspruch umgewandelt, die 15-Jahres-F rist aufgeho- pen, etwa Landsmannschaften, generelle und pau- ben und das als großer Sieg gefeiert wird. Entschei- schale Regelungen treffen und dann jede Einzelprü- dend sind aber die liberale Handhabung von Mehr- fung unterlassen. staatlichkeit bei Einbürgerung und die Aufgabe des All das, glaube ich, kann derzeit nicht geprüft Jus sanguinis zugunsten des Jus soli. werden. Wer die Realität mit den überhöhten Zahlen Wir haben in unserem Gesetz eine Quote für an Zugängen sieht, die wir haben — heuer sind es Einwanderinnen und Einwanderer vorgesehen, aller- 450 000 —, der kann im Ernst nicht davon ausgehen, dings demokratisch abgefedert durch das Erfordernis daß man mit solchen Mitteln und Methoden zur der Entscheidung im Parlament. Ihr Asylkompromiß Beruhigung und zur Klärung der Sache beiträgt. überantwortet die Entscheidung über die Aufnahme Deswegen sage ich Ihnen ganz offen: Wer solche von Flüchtlingen aus Kriegs- und Bürgerkriegsgebie- Gesetze vorschlägt und vorlegt, darf nicht erwarten, ten ausschließlich dem Bundesinnenminister und den daß sie in der derzeitigen Lage ernstlich geprüft Innenministern der Länder. werden. Deswegen gehe ich davon aus, daß wir Ihren Noch ist eine Rückkehr zur praktischen Vernunft Gesetzentwurf ablehnen werden, aber mit dem inter- möglich. Wenn sich aber eine Mehrheit für Ihr Asyl- fraktionell Vereinbarten doch eine akzeptable Lösung verhinderungsgesetz finden sollte, wird es das indivi- vorlegen werden, die sicherstellt, daß der wirklich duelle und einklagbare Recht auf Asyl nicht mehr Verfolgte sein Verfahren bekommt und daß nur dort, geben. Ich wünsche mir endlich eine ernsthafte Bera- wo wir Mißbräuche haben, diese verhindert werden. tung unseres Vorschlags für ein Einwanderungsge- Ich meine, dies ist dann für uns alle wirklich eine setz. tragbare und sichere Basis und eine Lösung der zukünftigen Probleme. Dieser Gesetzesvorschlag hält am Konzept der offe- nen zivilen Gesellschaft fest, die es heute erstmals Herzlichen Dank. nach mehr als vierzig Jahren ernsthaft wieder zu (Beifall bei der CDU/CSU) verteidigen gilt. Ich denke, die kurze Debatte heute sollte auch Anlaß sein, um über den Stil nachzuden- Vizepräsident Helmuth Becker: Nächster Redner ist ken, wie mit Gesetzentwürfen, die seit mehr als zehn unser Kollege Jochen Welt. Monaten im Deutschen Bundestag eingebracht sind, umgegangen wird. Jochen Welt (SPD): Herr Präsident! Meine sehr Vielen Dank. verehrten Damen und Herren! Der Ruf, die langwie- (Beifall bei der PDS/Linke Liste) rige Diskussion zu beenden und endlich in der Zuwan- derungsfrage zum Handeln zu kommen, hat sicherlich auf dem Hintergrund der heute diskutierten Ereig- Vizepräsident Helmuth Becker: Ich erteile jetzt dem nisse seine Berechtigung. Aber ich glaube, daß dieser Kollegen Wolfgang Zeitlmann das Wort. Ruf nicht zur politischen Agitation und zu einem nicht eingeordneten Aktionismus führen darf. Deswegen ist es für meine Fraktion mehr als eine Hoffnung, wenn Wolfgang Zeitlmann (CDU/CSU): Herr Präsident! sich am letzten Wochenende die Parteien der Regie- Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir disku- rungskoalition und die SPD auf gemeinsame Eck- tieren ein Flüchtlingsgesetz — auf das will ich mich punkte in Fragen der Zuwanderung geeinigt haben. konzentrieren —, das die Gruppe BÜNDNIS 90/ Ein Teil unserer Beratungen über das Gesamtpaket DIE GRÜNEN eingebracht hat, das bisher wegen wird sich auch mit dem Status derjenigen Menschen fehlender Voten noch nicht behandelt wurde und das beschäftigen, die schon lange hier bei uns in der sinngemäß wohl auch in die Behandlung der kom- Bundesrepublik Deutschland sind. Der Parteienkom- menden Asylgesetzgebung hineinfällt. Ich will ein promiß des vergangenen Wochenendes weist hier auf paar Punkte herausgreifen, von denen ich glaube, daß einige Änderungen und Vereinfachungen zur Einbür- sie dafür sprechen, Ihr Gesetz nicht anzunehmen. gerung im Rahmen des Staatsangehörigkeitsrechtes hin. Ich wäre allerdings zufriedener, wenn hier wei- Erstens. Sie wollen den Geltungsbereich erweitern. tere Maßnahmen zur Integrationsförderung, z. B. die Sie wollen den Kreis derer, die ein Recht auf Bleibe, Erlangung der Doppelstaatsangehörigkeit, erreicht ein Recht auf Anerkennung, ein Recht auf Genehmi- werden könnten. gung des Aufenthalts erhalten sollen, wesentlich erweitern. Sie nehmen weitere Gesichtspunkte der Beim Arbeitsgespräch mit türkischen Mitbürgern, Flüchtlingseigenschaft als Grundlage an. das ich als Bürgermeister meiner Heimatstadt Reck- linghausen am Tag nach Mölln geführt habe, wurden Zweitens. Sie wollen jedem Antragsteller vom die Sorgen und natürlich auch die persönlichen Äng- Beginn seiner Antragstellung an bis zum Ende des ste sehr wohl deutlich. Aber es wurde auch ein hohes Verfahrens eine Aufenthaltsgenehmigung erteilen. Maß an Solidarität, insbesondere aus den Betrieben Drittens. Sie wollen jedem Flüchtling von der heraus, erkennbar, Solidarität, die auch wieder Mut Antragstellung an eine Arbeitserlaubnis einräumen, macht: Telefonketten, gemeinsame Gesprächskreise, 11138 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 128. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1992

Jochen Welt der Wunsch nach mehr Zusammenarbeit von deut- Vizepräsident Helmuth Becker: Meine Damen und schen und türkischen Mitbürgern. Gemeinsamkeit Herren, ich erteile jetzt unserem Kollegen Wolfgang gibt Schutz. Gemeinsamkeit macht stark. Deshalb ist Lüder das Wort. es auch nur logisch, daß bei diesem Gespräch in (Dr. Peter Struck [SPD]: Burkhard Hirsch!) Recklinghausen gefordert wurde, Ausländer, Zuwan- — Uns ist der Kollege Wolfgang Lüder angemeldet derer stärker einzubinden, sie auch politisch teilneh- worden. Wenn nun der Kollege Dr. Burkhard Hirsch men zu lassen, ihre und unsere gemeinsamen Pro- das Wort wünscht, dann bekommt er es. — Bitte sehr. bleme stärker zum Gegenstand der politischen Dis- kussion werden zu lassen. Die Forderung nach einem kommunalen Wahlrecht für ausländische Mitbürger Dr. Burkhard Hirsch (F.D.P.): Herr Präsident! Meine ist hier ein weiterer, konsequenter Schritt. Damen und Herren! Wir haben getauscht, und ich werde versuchen, meinen Kollegen Lüder würdig zu Ich denke, die Verfassungskommission muß auf vertreten. dem Hintergrund der gegenwärtigen gesellschafts- politischen Situation einen Schritt nach vorne tun und (Dr. Jürgen Rüttgers [CDU/CSU]: Ob Sie das eine entsprechende Wahlrechtsänderung verfas - wohl schaffen?) sungsrechtlich möglich machen, um so allen Auslän- Herr Kollege Weiß, das Flüchtlingsgesetz, das Sie dergruppen, die zum Teil schon über Generationen in vorlegen, vermischt in der Tat den Beg riff der Armuts- der Bundesrepublik wohnen, eine aktive Teilnahme flüchtlinge mit dem der Flüchtlinge aus politischen zu ermöglichen. Gründen. Darum glaube ich, daß dieser Entwurf nicht tragfähig ist. Ich möchte hier der Versuchung wider- Wir Sozialdemokraten haben im Rahmen unseres stehen, im Fünf-Minuten-Takt über den Asylkompro- Gesamtzuwanderungskonzeptes darauf hingewie- miß zu sprechen, mit dem ich selber meine Probleme sen, daß wir uns unseres Status als faktisches Einwan- habe, der aber Anfang nächsten Jahres in die parla- derungsland bewußt sein müssen und daß wir hierzu mentarische Behandlung geraten wird. Dann werden entsprechende gesetzliche Möglichkeiten schaffen wir sicherlich über das Pro und Kontra ausführlich müssen. Das Parteienpapier des vergangenen Wo- reden können. chenendes geht auf diese Fragen ein. Es bleibt zu Ich möchte darum etwas zu dem Einwanderungsge- wünschen, daß es auch hier zu praktikablen Lösungen setz sagen, das Sie auch vorlegen. Es leben in der kommt; denn ohne eine legale Chance der Einwande- Bundesrepublik über sechs Millionen Menschen ohne rung in die Bundesrepublik werden die illegalen deutsche Staatsangehörigkeit, die als Einwanderer in Zutrittsmöglichkeiten in die Bundesrepublik sicher- die Bundesrepublik gekommen sind oder als zweite lich stärker genutzt werden als im gegenwärtigen Generation hier geboren und aufgewachsen sind. Wir Zeitraum. haben einen großen Teil von ihnen aus wirtschaftli- chen Gründen in die Bundesrepublik geholt. Wir Wir nehmen den Antrag des BÜNDNISSES 90/DIE haben uns selber zu einem Einwanderungsland GRÜNEN zu den genannten Punkten mit Interesse zur gemacht und können uns von den Folgen nicht Kenntnis. Vorbehaltlich der noch stattfindenden Bera- deswegen losschwören, we il wir sie nicht bedacht tungen im Innenausschuß muß ich aber für meine haben. Fraktion darauf hinweisen, daß wir eine isolierte Viele dieser Einwanderer sind Deutsche ohne deut- Beratung dieser Fragen, die Sie auch genannt haben, schen Paß geworden. Wir können sie aus Handwerk nicht für sinnvoll halten. und Industrie nicht mehr wegdenken. Sie zahlen weit mehr an Steuern und an Sozialbeträgen, als sie (Dr. Peter Struck [SPD]: Richtig!) herausbekommen — ein Tatbestand, den wir unseren Diese Überlegungen müssen eingebettet sein in das Mitbürgern nicht verschweigen sollten. genannte Zuwanderungspaket, das auch in Einklang (Dr. Peter Struck [SPD]: Sehr wahr!) zu bringen ist mit den jeweiligen Bedingungen der Also müssen wir weit mehr tun, um diese Menschen zu Bundesrepublik, mit den sozialen Komponenten, den integrieren. Wir müssen ihnen den Erwerb der deut- Arbeitsplätzen, den Wohnungen, den Sozialeinrich- schen Staatsangehörigkeit drastisch erleichtern. Wir tungen und den Integrationsmöglichkeiten der sollten rationale Regelungen für die Zuwanderung in Gemeinden. die Bundesrepublik Deutschland formulieren und begreifen, daß ein erheblicher Teil unserer Schwierig- Meine Damen und Herren, der Begriff Einwande- keiten daher rührt, daß die deutsche Politik glaubt, rung ist für viele ein Reizwort. Wir sollten mit kühlem das Problem dadurch lösen zu können, daß seine Kopf davon ausgehen, daß es sie als Fakt gibt und Existenz bestritten wird. auch weiter geben wird, legal oder illegal. Wir müssen lernen, mit dieser Einwanderung umzugehen, sie (Beifall der Abg. Cornelia Schmalz-Jacobsen sozial verträglich zu gestalten und sie zu steuern. Es ist [F.D.P.]) an der Zeit, es auch einmal positiv zu formulieren: Wir Die vorgelegten Vorschläge sind aber eben keine sollten auch verstärkt an den Nutzen dieser Einwan- Lösung dieser Probleme, denn Ihr Entwurf will darauf derung denken, der nicht unbedingt nur ökonomisch hinaus, die Einwanderung drastisch zu erleichtern begründet sein muß. und dann jeden Einwanderer, der sich fünf Jahre rechtmäßig in der Bundesrepublik aufgehalten hat, Ich danke Ihnen. praktisch und rechtlich dem deutschen Inländer gleichzustellen. Das ist gut gemeint und würde uns (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Cornelia in ein Chaos führen. Die Verwaltung würde alles tun, Schmalz-Jacobsen [F.D.P.]) um einen Ausländer daran zu hindern, die fünf Jahre Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 128. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1992 11139

Dr. Burkhard Hirsch vollzubekommen. Wir würden überdies nicht nur mit Innenminister Seiters rechnet mit 80 % der heutigen der Aufnahmebereitschaft der deutschen Bevölke- Asylbewerber und Asylbewerberinnen, die auch rung kollidieren, sondern uns obendrein den Vorwurf schon an den Grenzen abgewiesen werden können, einhandeln, daß wir viele Völker ihrer aktiven, wenn der Kompromiß Wirklichkeit wird. beweglichen Intelligenz berauben, während wir doch eigentlich mehr dafür tun müßten, Menschen zu Der sogenannte Kompromiß klopft aber auch die Eckpfeiler der bisherigen motivieren und es ihnen auch tatsächlich zu ermögli- völkischen Zuwanderungs- politik fest. Bis zu 220 000 deutschstämmige Aussied- chen, in ihrer Heimat eine sinnvolle wirtschaftliche Zukunft zu suchen und zu finden. ler und Aussiedlerinnen sollen jährlich aufgenommen werden, und der ökonomische Faktor ist mit der Quote Einwanderung setzt Aufnahmebereitschaft und von 100 000 Werksvertragsarbeitern und -arbeiterin- Integration voraus — Arbeitsmöglichkeiten, Wohn- nen berücksichtigt. Erhalten bleiben ebenfalls — mit raum, Bildungsangebote —, ohne daß die hier lebende geringfügigen Erleichterungen — die völkischen und deutsche Bevölkerung das Gefühl bekommen müßte, schikanösen Einbürgerungs- bzw. Staatsbürger- in ihren eigenen Lebenserwartungen ernsthaft schaftsregelungen. Diese und weitere Regelungen bedroht zu sein. Ich bin mit Ihnen der Überzeugung, des sogenannten Kompromisses zerschlagen alle daß wir ein beachtliches Maß an Einwanderung in die Hoffnungen darauf, daß eine Mehrheit in den großen Bundesrepublik brauchen, schon aus eigenem Inter- Parteien die Realität eines Einwanderungslandes BRD esse, nicht nur wegen der wirtschaftlichen Verflech- akzeptieren könnte. tungen, in denen wir leben, sondern auch um unsere Sozialsysteme in absehbarer Zeit überhaupt noch Abschottung und Verweigerung der vollen politi- wirksam und funktionsfähig zu erhalten. Ich glaube, schen, sozialen und kulturellen Gleichberechtigung daß die Politik mehr tun muß, um dafür Verständnis in für die hier schon lebenden Ausländer und Auslände- der deutschen Bevölkerung zu erwecken. rinnen sind zwei Seiten derselben Medaille. An dem Trotzdem: Dieser Gesetzentwurf ist zwar wohlge- Hochpeitschen der Asylfrage und der absehbaren meint, verzichtet aber auf die notwendigen Abwägun- Entscheidung durch den Kompromiß wird an der gen. Er hat zwar einen richtigen Ansatzpunkt, führt Flüchtlingsfrage die Herausforderung der BRD verän- aber nicht zur Lösung der Probleme, sondern würde dert. Illegalisierung der Einwanderung in einem für sie nach unserer Meinung vermehren. Deswegen die BRD bislang unbekannten Ausmaß sowie die können wir ihm nicht zustimmen. entsprechenden sicherheitspolitischen, sprich: poli- zeilichen und paramilitärischen Reaktionen werden (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne die Folge sein. Die Konsequenzen werden sich auf alle ten der CDU/CSU und der SPD) Ausländer und Ausländerinnen und auf alle Deut- schen auswirken. Vizepräsident Helmuth Becker: Die letzte Rednerin zu diesem Tagesordnungspunkt ist die Kollegin Ulla Die zur Debatte stehenden Gesetzesanträge vom Jelpke. BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN repräsentieren in großen Teilen humane und demokratische Alternativen zur Ulla Jelpke (PDS/Linke Liste): Herr Präsident! Mehrheitspolitik in diesem Hause. Das gilt vor allem Meine Damen und Herren! Die Regierungskoalition für das Gesetz über die Rechtsstellung von Flüchtlin- und die SPD haben mit ihrem sogenannten Asylkom- gen. Sowohl die Erweiterung der Asyl- und Flucht- promiß ein Paket geschnürt. Das Asylrecht wurde in gründe als auch die frühestmöglichen Integrations- die Anrainerstaaten verbannt, die Rechtsweggarantie möglichkeiten, wie Aufenthalts- und Arbeitserlaub- genauso. Der Individualanspruch ist praktisch nur nis, wären eine enorme Verbesserung zur jetzigen, noch für gutbetuchte Reisekünstler reserviert, die es - noch mehr zur zukünftigen Situation. schaffen, auf ihrer Flucht alle Unterzeichnerstaaten der Genfer Konvention zu umgehen. Da mit dieser Dasselbe gilt für die Niederlassungsregelung. Die Aufgabe der Landweg schon ausgeschlossen ist, müs- bei der Entstehung der Gesetzentwürfe vielfach von sen noch die Schleusen für Menschen sogenannter den Autoren geäußerten Hoffnungen, mit Quoten der Drittländer auf Flug- und Seehäfen überwunden wer- Einwanderung und einer jährlichen Kontingentie- den, die bis 1993 umgebaut werden, um den Anforde- rung bestimmter Flüchtlinge die Zerstörung des rungen des Schengener Abkommens gerecht zu wer- Grundrechts auf Asyl abmildern zu können oder gar den. dessen Anwendung ausweiten zu können, sind späte- stens mit dem sogenannten Kompromiß auf absehbare Im Grunde genommen wird auch die von der Zeit hinfällig. Bundesrepublik unterzeichnete Genfer Konvention in der BRD außer Kraft gesetzt, denn ihre wesentliche Ich halte es nicht für einen Zufall, daß die Asylde- Voraussetzung ist doch immer noch, daß Flüchtlinge batte ausschließlich zur Behandlung eines Mengen- hier überhaupt Schutz suchen, d. h. den Boden betre- problems, wie der Kollege Klose das nennt, miß- ten können. Für die Bundesrepublik liefert sie nur braucht und verfälscht wurde. Die Quotierung und noch den Vorwand für Abschiebung und Zurückwei- Sortierung der Einwanderer in der Gesetzesvorlage sung in sichere Drittstaaten oder sogenannte verfol- spiegelt das in gewisser Weise wider. Die vollständige gungsfreie Länder. politische Gleichstellung von Immigranten und hier Herr Stoiber spricht jetzt schon t riumphierend lebenden Ausländern und Ausländerinnen kann und davon, daß alle abgeschoben werden können, ob sie darf nicht Abschottung und Ausgrenzung anderer zur asylberechtigt sind oder nicht. Bedingung haben. (Zuruf von der CDU/CSU: Das sagt er Um wirkliche Integration und Gleichstellung zu nicht!) erreichen, bedarf es keiner Quoten, sondern der 11140 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 128. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1992

Ulla Jelpke Entrümpelung der Staatsbürgerschafts- und Einbür- Übereinkommen der Vereinten Nationen vom gerungsgesetze. Doppelstaatsbürgerschaften müssen 20. Dezember 1988 gegen den unerlaubten zugelassen werden, und das Abstammungsprinzip Verkehr mit Suchtstoffen und psychotropen muß durch das Prinzip des Geburtsorts und des Stoffen (Vertragsgesetz Suchtstoffüberein- Lebensmittelpunktes ersetzt werden. kommen 1988) All das ist in den vorliegenden Entwürfen der — Drucksache 12/3346 Gruppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN enthalten. Es ist —Überweisungsvorschlag: aber, wie gesagt, leider mit den Quoten verbunden, Ausschuß für Gesundheit (federführend) und damit habe ich erhebliche Schwierigkeiten. Ich Innenausschuß hoffe aber, wir können darüber noch diskutieren. Rechtsausschuß Danke. b) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Vizepräsident Helmuth Becker: Der Kollege Redde- Ausführung des Übereinkommens der Verein- mann möchte das Wort nach § 27 der Geschäftsord- ten Nationen vom 20. Dezember 1988 gegen nung. den unerlaubten Verkehr mit Suchtstoffen und psychotropen Stoffen (Ausführungsgesetz Suchtstoffübereinkommen 1988) Gerhard Reddemann (CDU/CSU): Herr Präsident! Herr Kollege Weiß hat Kritik an den Vereinbarungen — Drucksache 12/3533 — über das Asylrecht geübt, indem er darauf hinwies, Überweisungsvorschlag: daß es noch keine europäische Regelung gibt. Ich darf Ausschuß für Gesundheit (federführend) den Herrn Kollegen Weiß darauf aufmerksam Innenausschuß machen, daß eine europäische Regelung bisher daran Rechtsausschuß gescheitert ist, daß kein anderer europäischer Staat Finanzausschuß bereit war, eine solche Regelung herbeizuführen, Die Redner wollen ihre Reden zu Protokoll geben. * ) solange wir bei unserer bisherigen Asylregelung Ich hoffe, es erhebt sich kein Widerspruch. — Dann ist geblieben sind. es so beschlossen. Ich darf deswegen den Herrn Kollegen Weiß bitten, Der Ältestenrat schlägt die Überweisung der einen Moment darüber nachzudenken, ob nicht viel- Gesetzentwürfe auf den Drucksachen 12/3346 und leicht die jetzt angestrebte neue Gesetzgebung jene 12/3533 an die in der Tagesordnung aufgeführten Chance der europäischen Regelung bietet, die not- Ausschüsse vor. Gibt es dazu noch andere Vor- wendig ist, damit wir dieses Problem auf eine mensch- schläge? — Das ist nicht der Fall. Dann sind die liche Weise regeln können. Überweisungen beschlossen. Ich darf eine zweite Bemerkung machen, Herr Präsident. Die Frau Kollegin Jelpke hat in der ihr eigenen Art interveniert. Ich glaube, es gibt viele Ich rufe nunmehr den Tagesordnungspunkt 17 Menschen in Deutschland, die sich daran erinnern, auf: daß die Partei, der sie sich jetzt angeschlossen hat, über Jahrzehnte das Thema Aus- und Einreise mit Beratung des Berichts des Rechtsausschusses Maschinengewehren, mit Stacheldraht, mit Selbst- (6. Ausschuß) gemäß § 62 Abs. 2 der Geschäfts- schußanlagen und Minen zu regeln versucht hat. ordnung zu dem von den Abgeordneten Peter Deswegen meinen viele Menschen, daß Ihnen, Frau Conradi, Achim Großmann, Dr. Eckhart Pick, Kollegin, das moralische Recht auf eine solche Inter- weiteren Abgeordneten und der Fraktion der vention, wie Sie sie eben gebracht haben, nicht SPD eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur zusteht. Änderung des Wohnungseigentumsgesetzes (Ulla Jelpke [PDS/Linke Listel: Das wird — Drucksachen 12/1856, 12/3945 — langsam langweilig! — Gegenruf von der Berichterstattung: F.D.P.: Nein, es ist zutreffend!) Abgeordneter Dr. Wolfgang Freiherr von Stet- ten Vizepräsident Helmuth Becker: Meine Damen und (Erste Beratung 91. Sitzung) Herren, damit sind wir am Schluß der Beratungen über den Tagesordnungspunkt 15. Auch hier wollen die Redner ihre Ausführungen zu Protokoll geben. * * ) Ich hoffe, es besteht Übereinstim- Interfraktionell ist vereinbart, daß der Tagesord- mung, daß wir so verfahren können. — Das ist offenbar nungspunkt 18 abgesetzt wird. Es h andelt sich um die der Fall. Somit ist auch dieser Punkt erledigt. Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Gesundheit zu den Anträgen der Wir sind damit am Schluß unserer heutigen Tages- Fraktion der SPD sowie der Fraktionen der CDU/CSU ordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deut- und der F.D.P. zur Trinkwasserversorgung in den schen Bundestages auf morgen, Freitag, den 11. De- neuen Bundesländern und um einen Änderungsan- zember 1992, 9 Uhr ein. trag, den die SPD-Fraktion eingereicht hat. Die Sitzung ist geschlossen. (Schluß der Sitzung: 18.49 Uhr) Wir kommen zu Punkt 16 der Tagesordnung: a) Erste Beratung des von der Bundesregierung *) Anlage 4 eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem *) Anlage 5 Deutscher Bundestag - 1 2. Wahlperiode --- 128. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1992 11141*

Anlagen zum Stenographischen Bericht

Anlage 1 Anlage 2 Liste der entschuldigten Abgeordneten Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Kersten Wetzel (CDU/CSU) zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung entschuldigt bis Abgeordnete(r) des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag einschließlich der Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. Berger, Hans SPD 10. 12. 92 betr. Menschenrechte (Tagesordnungspunkt 11) Dr. Böhmer, Maria CDU/CSU 10. 12. 92 Die politische Situation in China ist nach wie vor Brandt-Elsweier, Anni SPD 10. 12. 92 durch die kommunistische Diktatur geprägt. Wenn Büchler (Hof), Hans SPD 10. 12. 92 ' gegenwärtig die Führungsfunktionäre der Kommuni- Büttner (Ingolstadt), Hans SPD 10. 12. 92 stischen Partei Chinas versuchen sich ein neues, Carstensen (Nordstrand), CDU/CSU 10. 12. 92 demokratischeres Gesicht zu geben, dann bewerte ich Peter Harry dies mit meinen Erfahrungen, die ich in der Deutschen Demokratischen Republik machen mußte. Von Propa- Dr. Däubler-Gmelin, SPD 10. 12. 92 ganda und „Tapetenwechsel" allein sollten wir uns in Herta unseren Entscheidungen nicht leiten lassen. Dr. Fell, Karl H. CDU/CSU 10. 12. 92 Mir geht es dabei nicht um eine blinde Verlänge- Fischer SPD 10. 12.92 rung unseres vor zwei Jahren gefaßten Beschlusses. (Gräfenhainichen), Vielmehr sollten wir unseren damals gefaßten Sank- Evelin tionsbeschluß angemessen überprüfen und erneut im Gattermann, Hans H. F.D.P. 10. 12. 92 Parlament behandeln. Nur so können wir den demo- Dr. Geißler, Heiner CDU/CSU 10. 12. 92 kratischen Kräften in China helfen und gleichzeitig ein wichtiges Instrumentarium zum Kampf gegen die Genscher, Hans-Dietrich F.D.P. 10. 12. 92 Menschenrechtsverletzungen in China wirksam ein- Gröbl, Wolfgang CDU/CSU 10. 12. 92 setzen. Heyenn, Günther SPD 10. 12. 92 Ich kann deshalb dem Antrag meiner Fraktion, der Hiller (Lübeck), Reinhold SPD 10. 12. 92 CDU/CSU, und der F.D.P.-Fraktion auf Drucksache Dr. Holtz, Uwe SPD 10. 12. 92 12/3960 nicht zustimmen. Homburger, Birgit F.D.P. 10. 12. 92 Dr. Laufs, Paul CDU/CSU 10. 12. 92 Lenzer, Christi an CDU/CSU 10. 12. 92 ' Anlage 3 Marx, Dorle SPD 10. 12. 92 Erklärungen nach § 31 GO Mischnick, Wolfgang F.D.P. 10. 12. 92 zur Abstimmung über den Entschließungsantrag Dr. Müller, Günther CDU/CSU 10. 12. 92 e der Fraktionen der CDU/CSU und der F.D.P. Müller (Pleisweiler), SPD 10. 12. 92 zur vereinbarten Debatte über Menschenrechte Albrecht (Drucksache 12/3960) Oesinghaus, Günther SPD 10. 12. 92 Otto (Erfurt), Norbert CDU/CSU 10. 12. 92 Ronald Pofalla und Stefan Schwarz (CDU/CSU): Wir möchten das Mittel der Geschäftsordnung nutzen, Rempe, Walter SPD 10. 12. 92 um zu erläutern, warum wir dem gemeinsamen Ent- Roitzsch (Quickborn), CDU/CSU 10. 12. 92 schließungsantrag unserer Fraktion und der F.D.P.- Ingrid Fraktion zu den Menschenrechten in der Volksrepu- Dr. Scheer, Hermann SPD 10. 12. 92 blik China nicht zustimmen. Schmidbauer, Bernd CDU/CSU 10. 12. 92 Noch immer werden in China die Menschenrechte Graf von CDU/CSU 10. 12. 92 mit den Füßen getreten, Noch immer ist die Anwen- Schönburg-Glauchau, dung der Todesstrafe alltäglich. Noch immer wird Joachim versucht, von politischen Gefangenen mit Folter und Gewalt ein vermeindliches Geständnis zu erpressen. Steen, Antje-Marie SPD 10. 12. 92 Ein Bruch der von China selbst mit unterzeichneten Dr. Süssmuth, Rita CDU/CSU 10. 12. 92 Anti-Folter-Konvention der UNO ist in China auch Dr. Töpfer, Klaus CDU/CSU 10. 12. 92 heute leider noch an der Tagesordnung. Voigt (Frankfurt), SPD 10. 12. 92 Die Bundesregierung hat in der letzten Zeit zu Recht Karsten D. Entwicklungshilfeleistungen an die Einhaltung der Vosen, Josef SPD 10. 12. 92 Menschenrechte gekoppelt. Was für Leistungen der Wieczorek (Duisburg), SPD 10. 12. 92 Entwicklungshilfe gilt, muß auch für die Aufhebung Helmut der Beschränkungen von Wirtschaftszusammenarbeit gelten. Die dank des Entwicklungshilfekonzepts von

* für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versamm- Bundesminister Spranger gewonnene Glaubwürdig- lung des Europarates keit deutscher Entwicklungshilfepolitik darf gerade 11142* Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 128. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1992 am heutigen Tag, dem Tag der Menschenrechte, nicht die chinesische Wirtschaft. Diese Absichten sind aber aufs Spiel gesetzt werden. eine Schlag ins Gesicht derer, die sich um eine Deshalb stimmen wir dem Entschließungsantrag konkrete Verbesserung der innenpolitischen Situa- der Koalitionsfraktionen nicht zu. tion in China und um Hilfe für die vielen politischen Gefangenen kümmern. Eine Amnestie für die Mitglie- der der Demokratiebewegung ist realistischerweise Hubert Hüppe (CDU/CSU): Dem o. g. Entschlie- ohne außenpolitischen Druck nicht zu erwarten. Die ßungsantrag, der u. a. die Forderung zur Normalisie- vielen bereits vollstreckten Todesurteile sprechen rung der wirtschaftlichen Beziehungen zur Volksre- eine deutliche Sprache. publik China beinhaltet, kann ich nicht zustimmen. Die Bundesregierung und dieses Parlament haben Dies möchte ich wie folgt begründen: die Aufgabe, auf die Achtung der Menschenrechte in Die Bundesrepublik hat die Beziehungen gegen- allen Staaten dieser Erde hinzuwirken — und dies mit über der Volksrepublik China im Jahre 1989 auf den ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln. Die Grund der blutigen Niederschlagung der Demokra- derzeitige Beschlußlage im Bundestag ist in der tiebewegung drastisch eingeschränkt. Inzwischen momentanen Lage das einzige Mittel, um erfolgreich gibt es zwar in der Volksrepublik China verschiedene eine demokratische Entwicklung in China einzukla- Reformen auf wirtschaftlicher Ebene, jedoch werden gen. Der Mehrheitsbeschluß der Ausschüsse und der weiterhin Menschenrechte in erschreckender Weise vorliegende Entschließungsantrag werden in der mißachtet. Dies bestätigt u. a. ein aktueller Bericht Öffentlichkeit als Bankrotterklärung der deutschen von amnesty international (ai). Der o. g. Antrag ist aus Menschenrechtspolitik verstanden werden. meiner Sicht also unter dem Thema „Menschen- Wir können deshalb dem Antrag unserer Fraktion rechte" unangebracht. nicht zustimmen und fordern auch die Mitglieder Mit Recht hat die Bundesregierung in der Vergan- unserer Fraktion auf, ihn bei der Abstimmung abzu- genheit auch die wirtschaftlichen Beziehungen als lehnen. Druckmittel für die Verbesserung von Menschenrech- ten genutzt (z. B. Nicaragua). Wenn wir aber glaub- würdig sein wollen, dürfen wir dies nicht nur tun, Jörg Ganschow (F.D.P.): Ich kann und werde dem Entschließungsantrag der Koalition zu China nicht wenn es sich um Staaten handelt, zu denen die Bundesrepublik Deutschland kaum wirtschaftliche zustimmen. Kontakte besitzt, sondern auch, wenn eigene Interes- Wer den Bericht von amnesty international zur Lage sen betroffen sind. der Menschenrechte in China kennt, kann nicht darüber hinwegsehen. Ich halte eine solche Entschlie- Heinz-Adolf Hörsken und Wolfgang Vogt (Düren) Bung am heutigen Tag der Menschenrechte für ein (CDU/CSU): Am Tag der Menschenrechte befaßt sich falsches Signal. der Deutsche Bundestag mit der Menschenrechtslage Die Verletzung von Menschenrechten in Rotchina in China. Leider sind die vorliegenden Anträge nicht wird nicht dadurch weniger grausam, daß dies ein sonderlich hilfreich. An die Adresse der SPD sei großes Land mit vielen Menschen und Märkten ist gesagt: Es reicht nicht aus, nach zwei Jahren ohne oder daß es ein Land mit einem ständigen Sitz im eine erneute, der Situation angemessene Überprü- UNO-Sicherheitsrat ist. fung einen Sanktionsbeschluß zu verlängern. Not- wendig ist, unter vorläufiger Beibehaltung der Sank- Mit der Lockerung von Sanktionen ist bisher noch tionen, eine erneute parlamentarische Behandlung kein Land zur Einhaltung der Menschenrechte des Themas, die auf eine sachgerechte Entschließung bewegt worden. Ich stelle mich weiterhin auf die Seite des Deutschen Bundestages abzielt. der oppositionellen Kräfte in Rotchina und stimme deshalb einer Abschaffung oder Lockerung von Sank- Aber dieses Ziel erfüllt auch der vorliegende Antrag tionen nicht zu. meiner Fraktion nicht. Amnesty international legt in diesen Tagen einen erschütternden Bericht zur Situa- tion in China vor. Dieser Bericht zeigt, wie sehr die Menschenrechte in der sogenannten „Volksrepublik" mit Füßen getreten werden. Die Situation dort ist, glaubwürdigen Berichten zufolge, schlimmer als vor Anlage 4 zwei Jahren. Der Besuch des Bundesaußenministers hat zudem international eine stabilisierende Funktion Zu Protokoll gegebene Reden für das Regime Li Peng gehabt. Die Politik, auf zu Tagesordnungspunkt 16 wirtschaftliche Förderung zu setzen und dabei auf (Vertragsgesetz-Suchtstoffübereinkommen 1988 vielleicht folgende Verbesserungen im Bereich der und Ausführungsgesetz Menschenrechte zu hoffen, wird ja auch im vorliegen- Suchtstoffübereinkommen 1988) den Antrag mit vielen Fragezeichen versehen. Es ist klar die Rede von der „Gefahr von Rückschlägen"; Else Ackermann (CDU/CSU): Wer über Drogen gemeint sind Folter, Elend und Tod für die demokra- spricht, spricht über Sucht, und wer Sucht meint, tische Opposition. denkt an Beschaffungskriminalität. Die Beschaffung Eine angestrengte „Normalisierung der wirtschaft- von Drogen ist für Süchtige zwangsläufig, und sie wird lichen Beziehungen" und sogar eine „Intensivierung kriminell, wenn das Suchtmittel nicht legal beschafft des Handelsaustausches" freut zwar die deutsche und werden kann. Wer süchtig ist, sucht nicht irgend Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 128. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1992 11143* etwas, sondern siecht, ist also krank, und wer krank genden Alternativen geboten wurden. So wird weiter ist, hat Anspruch auf medizinische Behandlung. verbraucht und deshalb weiter angebaut, ein ver- hängnisvoller Kreislauf, der sich nur durch einen Es gibt Suchtmittel mit einer hohen Akzeptanz in drastischen Rückgang der Nachfrage mit einer spür- unserer Gesellschaft und Suchtmittel, die verteufelt baren Preissenkung für Drogen durchbrechen läßt. werden. Aber allen Suchtmitteln liegt ein gemeinsa- Auch im Drogengeschäft gelten die Marktgesetze, die mer Mechanismus zugrunde. Alle Suchtformen haben sich wie überall in der Wirtschaft nicht durch dirigisti- eine milieubedingte Ursache, aber auch eine geneti- sche Maßnahmen aushebeln lassen. sche Anlage. Nicht jeder Suchtmittelmißbrauch endet zwangsläufig in einer krankhaften Abhängigkeit. Das Profitgier war schon immer eine Triebfeder krimi- ist nur ein schwacher Trost, denn die gesellschaftliche neller Handlungen. Deshalb sind Gesetze zu ihrer Dimension der Suchterkrankungen ist in allen hoch- Eindämmung unverzichtbar. Aber Gesetze beseitigen zivilisierten Leistungsgesellschaften, also auch in nicht die Ursache der Profitgier und schon gar nicht Deutschland, besorgniserregend. Die Zahl der Dro- von Krankheiten wie die Sucht. Die Suchtforschung gentoten hat sich innerhalb von zehn Jahren verfünf- auf molekularbiologischer Ebene weist uns bereits facht, aber 100 000 Abhängigen von illegalen Rausch- den Weg zur Entwicklung von endogenen Substan- giften stehen 800 000 Medikamentenabhängige ge- zen, sogenannten Anticravingsubstanzen, die mögli- genüber, und der Alkohol produziert sogar 2,5 Millio- cherweise Antisuchtmittel werden können. Aber die nen Alkoholkranke. Diese Zahlen addieren sich zu Suchtforschung ist in Deutschland unterentwickelt. einer Summe von 3,4 Millionen Abhängigen in Sie bedarf einer ermutigenden Förderung durch das Deutschland, d. h. 5 % der Bevölkerung sind von BMFT, damit wir bei der Bekämpfung des Suchtpro- diesem Problem betroffen. blems bei den Süchtigen ansetzen und die Nachfrage nach Suchtmitteln drosseln. Um so unverständlicher ist es, daß bislang noch kein Ruf nach Ursachenforschung oder innovativen Thera- Unsere Aufgabe muß also vorrangig darin bestehen, piestrategien laut wurde. Schließlich sind die Auswir- die Drogenabhängigen und die ausgebeuteten Klein- kungen der Suchterkrankungen auch für unsere bauern der Drogenexportländer durch Hilfe zu entkri- Gesellschaft erheblich, denn der volkswirtschaftliche minalisieren, die Drogenhändler dagegen mit allen Schaden wird auf 18 Milliarden DM geschätzt. zur Verfügung stehenden und noch neu zu schaffen- den rechtlichen Instrumenten zu bekämpfen. Was kann man weltweit tun, um dieser Entwicklung über nationalstaatliche Grenzen hinweg Einhalt zu (SPD): Wir befassen uns heute in gebieten? Johannes Singer erster Lesung mit dem Vertragsgesetz und dem Aus- Vorrangig für den Gesetzgeber ist die systematische führungsgesetz zum Suchtstoffübereinkommen der Bekämpfung der organisierten Drogenkriminalität. Vereinten Nationen von 1988. Hierbei muß sich die Mit dem 3. Übereinkommen gegen den unerlaubten Bundesregierung zunächst die Frage gefallen lassen, Verkehr mit Suchtstoffen und psychotropen Stoffen warum sie von der Unterzeichung am 19. Januar 1988 vom 20. Dezember 1988 haben die Vereinten Natio- fast vier Jahre gebraucht hat, um das Übereinkommen nen die dafür notwendigen Weichen gestellt. Die dem Bundestag zuzuleiten. Diese nachlässige und einzelnen Vertragspartner haben die Aufgabe, die säumige Handlungsweise ist zwar kennzeichnend für entsprechenden gesetzlichen Voraussetzungen zu die gesamte Drogenpolitik der Bundesregierung, schaffen, damit die Vorschriften dieses Übereinkom- wirkt aber hier besonders entlarvend, weil Bestim- mens zur Anwendung kommen können. Diese stehen mungen in dem Ausführungsgesetz, mit dem die hier heute zur Debatte. Einzelvereinbarungen des UN-Übereinkommens in innerstaatliches Recht umgesetzt werden sollen, zu Bereits 1990 hatte Bundeskanzler Kohl auf der einem beträchtlichen Teil schon überholt sind. So wird Nationalen Drogenkonferenz darauf verwiesen, daß zum Beispiel eine umfangreiche eigene Bestimmung der finanzielle Profit aus dem Drogengeschäft die zur Strafbarkeit der Geldwäsche aufgeführt, obwohl Haupttriebfeder des illegalen Drogenhandels ist. Tat- wir eine solche Vorschrift schon am 4. Juni dieses sächlich beläuft sich der reine Gewinn aus diesem Jahres bei der Verabschiedung des Gesetzes zur unsauberen Geschäft für Westeuropa und die USA auf Bekämpfung der organisierten Kriminalität verab- jährlich 200 Milliarden DM. Aus diesem Grund sind schiedet haben. Dabei müssen sich allerdings Bundes- die hier vorliegenden Gesetzesinitiativen unerläßlich, regierung und Koalitionsfraktionen die Frage gefallen denn sie schaffen u. a. die rechtlichen Voraussetzun- lassen, warum das von ihnen als wichtige, unbedingt gen, um der Drogenmafia den finanziellen Profit notwendige Ergänzung bezeichnete Gewinnaufspü- wenigstens zu erschweren, z. B. durch die Strafbarkeit rungsgesetz bis heute nicht beschlossen worden ist. der Geldwäsche. Immer wieder ist von Ihnen darauf hingewiesen So positiv die Gesetzesvorlage auch einzuschätzen worden, daß eine wirksame Bekämpfung der Geldwä- ist, so können wir die Augen nicht davor verschließen, sche ohne die Möglichkeit, die Ströme illegaler Dro- daß damit die Suchtsituation nicht grundsätzlich ver- gengelder aufzuspüren, zu kontrollieren und festzu- bessert wird. Wenn man den illegalen Drogenhandel stellen, nicht möglich ist. Gleichwohl können Sie sich wirksam bekämpfen will, muß man eine Doppelstra- bis heute nicht einigen. Sie versagen bei der Bekämp- tegie entwickeln mit dem Ziel, Angebot und Nach- fung der organisierten Kriminalität und drücken sich frage von Drogen zu verringern. Eine Verbotspolitik vor einer wirksamen Unterbindung des Drogenhan- ist fragwürdig, weil die Süchtigen durch Verbote nicht dels. Im neuen Jahr werden wir uns in den Ausschüs- abstinent werden und weil den Bauern in den meist sen mit den beiden Gesetzen zum Suchtstoffüberein- armen Exportländern keine vergleichbar gewinnbrin- kommen befassen. Dabei weise ich jetzt schon darauf 11144 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 128. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1992 hin, daß einige Punkte durchaus unsere Zustimmung einen erheblichen Preisanstieg bemerkbar machen finden. Die Verbesserung der internationalen Rechts- müssen. Dies ist jedoch nicht der Fall. Sie können hilfe, die demnächst die Vollstreckung ausländischer hieran erkennen, daß das, was sichergestellt wird, nur Strafurteile in Deutschland auch hinsichtlich Neben- einen geringen Bruchteil der Mengen ausmacht, die strafen wie zum Beispiel der Gewinnabschöpfung tatsächlich auf dem Markt sind und inzwischen nicht ermöglicht, ist ein wesentlicher Fortschritt. Die Erwei- nur Großstädte, sondern auch das platte L and über- terung der Möglichkeiten im Seeaufgabengesetz, schwemmen. Schiffe, die im Verdacht stehen, Rauschgifttransporte Wir wissen alle, daß es den Königsweg zur Lösung durchzuführen, in erleichtertem Maße aufzubringen, des Drogenproblems nicht gibt und die drogenfreie zu durchsuchen und zu beschlagnahmen, wird von Gesellschaft eine Illusion bleiben wird. Unsere Auf- mir ebenfalls ausdrücklich begrüßt. Das gleiche gilt gabe besteht darin, das Problem einzugrenzen, für die vorgesehene Erfassung von Chemikalien, die zurückzudrängen und Drogen sowohl der illegalen zur Rauschgiftherstellung benötigt werden. wie der legalen Art gesellschaftlich zu ächten und Was wir jedoch nicht wollen, und hierzu kündige ich unsere Jugend so stark zu machen, daß sie ihre jetzt schon einen Änderungsantrag bei den Ausschuß- Probleme ohne Drogen lösen kann. beratungen an, ist, die Strafbarkeit für den reinen oder überwiegenden Drogenkonsumenten uneinge- Dr. Margret Funke-Schmitt-Rink (F.D.P.): Um eine schränkt aufrechtzuerhalten. Sie müssen sich doch effiziente Drogenbekämpfung zu gewährleisten, ist es einmal ehrlich die Frage beantworten, was das Straf- notwendig, das rechtliche Instrumentarium im Rah- recht in der Drogenpolitik bewirken kann und bewir- men einer internationalen Gesamtstrategie zu verbes- ken soll. Sicherlich ist es notwendig, mit aller Härte sern. Diesem Zwecke kommt das Übereinkommen der und Unnachsichtigkeit gegen die internationalen Kar- Vereinten Nationen von 1988 gegen den unerlaubten telle und Drogenhändlerringe, die sich an der Zerstö- Verkehr mit Suchtstoffen und psychotropen Stoffen rung der Gesundheit von Tausenden eine goldene entgegen, das die Bundesrepublik Deutschland 1989 Nase verdienen, vorzugehen. Jedoch verliert das unterzeichnet hat. Das Ausführungsgesetz zum Sucht- Strafrecht seine abschreckende Wirkung vollständig stoffübereinkommen, das heute zur Entscheidung beim reinen Drogenkonsumenten. Es macht keinen vorliegt, dient dem Ziel, dieses Übereinkommen Sinn, Polizei und Justiz hinter jedem Junkie, Fixer innerstaatlich umzusetzen. oder Hascher hinterherzuhetzen. Hier werden wert- volle Ressourcen bei Polizei und Justiz vergeudet und Es ist dringend erforderlich, alle noch bestehenden Kräfte gebunden, die in anderen Bereichen der Krimi- Lücken zu schließen und alle Anstrengungen darauf nalitätsbekämpfung dringend gebraucht werden. Wir zu verwenden, um den unerlaubten Betäubungsmit- sollten dem niederländischen Beispiel folgen und telverkehr umfassend zu bekämpfen mit allen damit nicht nur den Konsum, sondern auch den Besitz eines zusammenhängenden kriminellen Tätigkeiten, den Wochenvorrats weicher oder harter Drogen, das spielt Anbau zu verhindern und den Handel zu unterbinden. gar keine Rolle, für straflos erklären. Die Holländer Ziel ist also die Bekämpfung des immer stärkeren haben hiermit gute Erfahrungen gemacht. Man sollte Zustroms von illegalen Betäubungsmitteln. gelegentlich auch vom Nachbarn lernen. Dieses Vorhaben erfordert eine enge internationale Der entscheidende Unterschied in der Drogenpoli- Zusammenarbeit. Die Staaten, die dieses Abkommen tik zwischen uns und Ihnen besteht jedoch in der unterzeichnet haben, sagen der Drogenmafia den Setzung der Prioritäten. Für uns steht nicht die Re- Kampf an. Wirksam? Wir sollten mit den anvisierten pression, das heißt die polizeiliche und justitielle Maßnahmen nicht aus den Augen verlieren, daß nicht Behandlung des Problems im Vordergrund, sondern der Anbau und die Herstellung, sondern die Nach- Prävention, Aufklärung und Prophylaxe. Hier hat die frage der Auslöser der Drogenproblematik ist. Bundesregierung wenig vorzuweisen. Es werden Am Beispiel Kolumbiens wird sichtbar, daß die zwar einige TV-Werbespots demnächst angekündigt. Haupt-Herkunftsländer, zumal bei kartellartig orga- Jedoch hat sich die Bundesregierung zum Beispiel bis nisierter Rauschgiftproduktion, -vertrieb und -handel, heute nicht mit dem Gutachten des Instituts für einen hoffnungslosen Abwehrkampf führen, wenn sie Therapieforschung in München auseinandergesetzt, international nicht unterstützt werden. Die weit ver- das von der Bundeszentrale für gesundheitliche Auf- breitete Korruption in diesen Staaten und die von der klärung in Köln in Auftrag gegeben worden ist. In Drogenmafia aufgebaute personelle Infrastruktur diesem Gutachten werden einige Kampagnen der reicht bis in die höchsten Kreise von Politik, Armee, Bundesregierung, so zum Beispiel „Keine Macht den Banken und Industrie hinein. Drogen", geradezu zerrissen. Vor zwei Jahren ist uns im Nationalen Rauschgiftbekämpfungsplan ein For- Sicher ist eine kontinuierliche und gezielte Ent- schungsprojekt zur Prävention versprochen worden. wicklungshilfe, die darauf ausgerichtet ist, die Wirt- Man erklärte uns, daß man zunächst eine Bedarfsana- schaft dieser Länder aufzubauen und zu stabilisieren, lyse erstellen und anschließend ein Konzept erarbei- die beste Hilfe. Diese Länder kämpfen mit Problemen ten wolle. Hiervon ist bis heute nichts zu sehen. wie Landflucht, Slumbildung, Arbeitslosigkeit und Umweltproblemen von geradezu unvorstellbarem In den vergangenen Jahren haben wir feststellen Ausmaß. Dabei ist häufig ein demokratisches Poten- müssen, daß noch so große Erfolge der Polizei, zum tial vorhanden, das freilich ständig in Gefahr ist, durch Beispiel bei der Sicherstellung von Drogen, uns kaum Militär oder Diktatoren ausgeschaltet zu werden. weitergebracht haben. Normalerweise hätten sich die Entwicklungspolitische Maßnahmen müssen vor al- großen Sicherstellungsmengen auf dem Markt durch lem langfristig angelegt werden, in Verhandlungen Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 128. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1992 11145* mit den Drogenproduzentenländern, um diese durch Ingrid Köppe (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das wirtschaftliche Maßnahmen in ihrem Kampf gegen UN-Suchtstoffübereinkommen von 1988 ist maßgeb- die Drogenmafia zu unterstützen (Ersatzanbau, Infra- lich auch auf Betreiben der Bundesregierung struktur-Maßnahmen, Öffnung der Märkte für Pro- zustande gekommen. Es schreibt die undifferenziert dukte aus diesen Ländern). repressive Linie der Single Convention von 1961 gegenüber kulturfremden Drogen fest. Aus den Erfah- Mit dem Ausführungsgesetz Suchtstoffüberein- rungen während der dazwischen liegenden 27 Jahre, kommen 1988 ist ein wichtiger Schritt in Richtung daß nämlich mit diesem Vorgehen die wirklichen eines ersten erfolgversprechenden Wegs zur Rausch- Probleme nicht gelöst wurden und vielmehr trotz giftbekämpfung get an. Dies ist an der Zeit. Der weltweiten Drogen-Kriegs" noch zunahmen, sind in Drogenhandel verzeichnet in den vergangenen Jah- dem neuen Abkommen keine Konsequenzen gezogen ren in der Bundesrepublik Zuwachsraten, die — so worden. eine neuere Untersuchung des Max-Planck-Instituts Sofern das Übereinkommen der nationalen Gesetz- für ausländisches und inte rnationales Strafrecht — mit gebung vor allem strafrechtliche Maßstäbe vorgibt, jährlich 1,5 Milliarden DM ansonsten nur im illegalen verengt es die drogenpolitischen Spielräume in den Waffenhandel erzielt werden. Weltweit wird der Unterzeichnerstaaten. Damit werden zugleich Wege Umsatz auf rund 800 Milliarden DM geschätzt. Wir heraus aus der Sackgasse des Drogenkriegs versperrt. erhoffen uns von dem Ausführungsgesetz eine ver- Dies gilt vor allem für Art. 3 Abs. 2 des Abkommens, besserte Rauschgiftbekämpfung, daß vor allen Din- der grundsätzlich auch die Strafbarkeit des Drogen- gen die Geldwäsche und die Abzweigung von Che- umgangs zum eigenen Gebrauch vorschreibt. mikalien für die unerlaubte Herstellung von Betäu- Deshalb treten wir für eine Modifizierung des bungsmitteln unter Strafe gestellt werden sowie die Abkommens ein und fordern weiterhin folgende Nutzung von Verbrechensgewinnen erschwert wird. Änderungen des Betäubungsmittelrechts und der Natürlich können wir keine Gegen-Mafia bilden, Drogenpolitik: denn im Rechtsstaat kann es keine „Waffengleich- heit" mit dem organisierten Verbrechen geben, es sei 1. Straflosigkeit des Umgangs mit Drogen in gerin- denn, um den Preis von staatlich (mit-)organisierter gen Mengen zum eigenen Gebrauch. Klare Definition Kriminalität, von staatlicher Machtkonzentration zu der Mengengrenze. Handel mit diesen Mengen bleibt Lasten der Bürgerrechte. Machen wir uns nichts vor: grundsätzlich weiter strafbar. Auch mit diesem Gesetz wird der Drogenkonsum und 2. Erweiterung der Möglichkeiten, u. a. bei Klein- -handel nicht sofort eingedämmt werden. Könnte es handel oder geringer Beschaffungskriminalität Ab- aber effektiv umgesetzt werden, wäre es ein wichtiger hängiger von Bestrafung abzusehen. Mosaikstein in einer neuen, mutigen Drogenpolitik, 3. Erweiterung des Prinzips „Therapie vor Strafe" die den Drogenbossen Zähne zeigt, auch wenn dies und der Strafaussetzung zur Bewährung. ein Kampf David gegen Goliath sein wird. Eine nationale Teil-Legalisierung von bestimmten Drogen 4. Ausweitung der Möglichkeiten und Kapazitäten — wie sie oft auf diesem Hintergrund diskutiert wird zur Methadon-Vergabe. — wäre nur eine Scheinlösung, denn der organisierte 5. Verbot der Tabak- und Alkoholwerbung und Rauschgifthandel würde neben dem massiven Aus- entsprechender Automaten. bau des legalen Marktes auch illegale Schwarzmärkte Wir werden diese Anliegen in der weiteren Bera- aufbauen. tung vorbringen und hoffen auf Ihre Unterstützung!

Einen Aspekt in diesem Gesetzentwurf möchte ich Dr. Barbara Höll (PDS/Linke Liste): Wir begrüßen, zum Schluß herausgreifen: Artikel 3 (Straftaten und daß mit diesen beiden Gesetzen endlich die Voraus- Sanktionen) des Vertragsgesetzes zum Suchtstoff- setzungen für die Ratifizierung des „Übereinkom- übereinkommen sieht vor, dem Grundsatz Therapie mens der Vereinten Nationen vom 20. Dezember 1988 vor Strafe, wie er im Betäubungsmittelgesetz seinen gegen den unerlaubten Verkehr mit Suchtstoffen und Niederschlag gefunden hat, stärker Rechnung zu psychotropen Stoffen" gegeben sind. tragen. Dieses Prinzip kann aber nur dann zur Geltung kommen, wenn genügend Therapieplätze zur Verfü- Die PDS/Linke Liste fordert jedoch aus diesem gung stehen. Etwa 4 000 Plätze reichen nicht aus, wir Anlaß — dem wirksameren Vorgehen gegen die benötigen angesichts der monatelangen Wartezeiten internationale Drogenmafia — die Bundesregierung in allen Bundesländern mindestens doppelt so viele. erneut auf, endlich — auch international beispielge- Wir müssen wirksame Wege für eine Anti-Sucht- bend — eine neue, andere Drogenpolitik einzuschla- Politik finden. Sucht ist eine Krankheit, die durch das gen. Strafrecht nicht geheilt werden kann. Auch die uns gestern zugegangene Antwort der Bundesregierung zur Umsetzung des Nationalen Fazit: Auf der einen Seite ist die Drogenepidemie Rauschgiftmittelplanes zeigt wieder den fruchtlosen nur zu bekämpfen, wenn das organisierte Verbrechen Ansatz: alles dreht sich um die Droge, nicht um den angegriffen wird, wenn Kartelle und kriminelle Menschen in seiner Gefährdung durch gesellschaftli- Ersatzgeschäfte getroffen werden. Daher stimmt die che Bedingungen. F.D.P. dem Ausführungsgesetz in seiner jetzigen Fas- In den Leitlinien zur Suchtprävention zeigt sich das sung zu. Auf der anderen Seite muß der Schwerpunkt exemplarisch. Wenn dort genannt sind: totale Absti- unserer Anti-Sucht-Politik weiterhin bei Prävention, nenz von illegalen Drogen, selbstkontrollierter Um- Therapie und Nachsorge liegen. gang mit legalen Suchtmitteln, bestimmungsgemäßer 11146* Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 128. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1992

Gebrauch von Medikamenten, kann ich nur sagen: Das Übereinkommen richtet sich gegen alle Aktivi- Thema verfehlt! Alles, was nicht zu einer Gesell- täten des illegalen Drogenverkehrs, angefangen vom schafts- und insbesondere Jugendpolitik führt, die an Anbau des Opiummohns, des Kokabuschs und der den Wurzeln des Übels anpackt, wird nicht die Cannabispflanze über die Lieferung von Chemika- gewünschte Wirkung bringen. lien, die Geldwäsche, die Drogenproduktion und den Drogenschmuggel bis hin zu Handel und Verteilung Mit Genugtuung las ich zunächst, daß erkannt in der Drogenszene. wurde, daß Abschreckung und Information allein wenig bewirken und die Entstehungsbedingungen Die meisten Vorschriften des neuen Übereinkom- für Sucht bis zur Perspektivlosigkeit gefaßt wurden. mens sind durch die deutsche Gesetzgebung bereits Die Schlußfolgerungen allerdings ließen meine Hoff- hinreichend abgedeckt. Das gilt insbesondere für den nungen schwinden. Da soll der Lernprozeß gefördert Straftatenkatalog des Übereinkommens. Hier sind nur werden, der jungen Menschen hilft, die Verantwor- wenige Ergänzungen nötig. Die wichtigste, nämlich tung für ihren Körper und ihre geistig-seelische Ent- die Strafbarkeit der Geldwäsche, ist bereits im Gesetz wicklung zu erkennen und selbst zu übernehmen. Um über die Bekämpfung der organisierten Kriminalität selbstgetroffenen Handlungsalternativen nachgehen erfolgt. zu können, sollen Maßnahmen durchgeführt werden, Jetzt kommt es darauf an, den Rechtshilfeverkehr die der Selbstwertstabilisierung dienen sowie Pro- neu zu regeln. Wir brauchen bessere Möglichkeiten, blemlösungs- und Kommunikationsfähigkeiten ent- um ausländische Strafurteile zu vollstrecken, z. B. um wickeln. Und damit kann der einzelne dann Perspek- das Bankkonto eines ausländischen Drogenhändlers tivlosigkeit überwinden? in Deutschland einzuziehen. Perspektivlosigkeit als Massenerscheinung hat Und wir brauchen auch bessere Möglichkeiten, um doch wohl reelle, nämlich gesellschaftliche Ursachen Schiffe aufzubringen, die des Drogenschmuggels ver- und die kann der einzelne kaum mit „Überlebenstrai- dächtig sind. Das gilt sowohl für die Durchsuchung ning" beheben. Da ist schon der Staat gefragt. Aber von Schiffen durch deutsche oder ausländische Voll- wie allerorts in dieser Gesellschaft zieht sich der Staat zugsbeamte als auch für die Regelung von Entschädi- mehr und mehr aus der Verantwortung für die soziale gungsansprüchen im Falle einer unberechtigten Auf- Lage seiner Bürgerinnen und Bürger heraus und bringung eines Schiffes. Diese Regelungskomplexe deklariert diese als Individualproblem. machen eine tiefgreifende Reform der betroffenen Dieser Bundesrepublik fehlen keine „Kampagnen Gesetze notwendig. zur Herausbildung eines ,Lebensstils' ohne Drogen", Bei den Ausschußberatungen im Bundesrat ist von sondern ein solides Umdenken, um an die wirklichen einigen Ländern die Befürchtung geäußert worden, Ursachen von Drogenmißbrauch heranzukommen. daß durch die Ratifizierung dieses Übereinkommens Das sollte die vornehmste Aufgabe des Nationalen angeblich eine notwendige Korrektur der deutschen Drogenrates (man beachte die Bezeichnung!) sein, Drogenpolitik verhindert wird. Es wurde darauf hin- wenn er kommendes Jahr seine Tätigkeit aufnimmt. gewiesen, daß eine unterschiedliche strafrechtliche Natürlich bedürfte die Ursachenbeseitigung eines Behandlung von Drogenkonsumenten einerseits und Umdenkens; die Brisanz der gegenwärtigen nationa- Drogenhändlern andererseits erfolgen müsse. len und internationalen Entwicklung sollte Anlaß sein, Diese Einschätzung des Übereinkommens ist falsch. es zu tun. Das Betäubungsmittelgesetz enthält schon lange einen Straftatenkatalog, der dem neuen Übereinkom- Dr. Sabine Bergmann-Pohl, Parl. Staatssekretärin men entspricht, und zwar einschließlich der Strafbar- im Bundesministerium für Gesundheit: Der Bundestag keit von Besitz und Erwerb illegaler Drogen zum soll heute über ein sehr wichtiges gesundheitspoliti- Eigenkonsum. Daran ändert das Suchtstoffüberein- sches Thema beraten, nämlich zwei Gesetzentwürfe kommen gar nichts. Es sorgt vielmehr für einen zur Ratifizierung und Umsetzung des jüngsten Sucht- einheitlichen Standard in der Welt. Das ist ein großer stoffübereinkommens der Vereinten Nationen. Dieses Fortschritt. Konsumdelikte müssen im übrigen schon Übereinkommen richtet sich gegen den unerlaubten nach den beiden von Deutschland ratifizierten Über- Verkehr mit Suchtstoffen und psychotropen Stoffen, in einkommen von 1961 und 1971 als Straftaten behan- Deutschland auch kurz „Betäubungsmittel" ge- delt werden. nannt. Dies schließt aber nicht aus, daß auch bei uns Die starke weltweite Zunahme dieses unerlaubten Drogenkonsumenten und Abhängige unter bestimm- Verkehrs schlägt sich auch bei uns Jahr für Jahr in ten Voraussetzungen trotzdem nicht bestraft werden. neuen erschreckenden Zahlen nieder. Die Zahl der Außerdem wenden wir die erweiterten Vorschriften erfaßten Erstkonsumenten nimmt zu. Die Zahl der über „Therapie vor Strafe" für Betäubungsmittelab- Drogentoten steigt. In den ersten zehn Monaten dieses hängige an. Und im September dieses Jahres ist das Jahres sind 1 769 Menschen durch Drogenkonsum Änderungsgesetz zum Betäubungsmittelgesetz in gestorben. Ein weiteres Ansteigen ist zu befürchten. Kraft getreten. Damit werden die Möglichkeiten einer Entkriminalisierung verstärkt. Diese Maßnahmen Deshalb müssen wir alles tun, um den Drogenzu- werden durch das neue Übereinkommen und das strom aus dem Ausland noch wirksamer als bisher Ausführungsgesetz nicht im geringsten beschnitten, einzudämmen. Das Suchtstoffübereinkommen ist ein sondern sogar ausdrücklich bestätigt. wichtiger Schritt in diese Richtung. Denn damit wird die internationale Zusammenarbeit erheblich verbes- Das Übereinkommen schafft vielmehr einen Aus- sert. gleich zwischen den Drogenherkunftsländern und Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 128. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1992 11147* den Konsumländern. Wenn wir von diesen Ländern baurechtlichen oder bauordnungsrechtlichen Vor- die Vernichtung der Rauschgiftkulturen verlangen, schriften vermengt werden dürfe. Der Gemeinsame müssen wir selbst alles dafür tun, um die Nachfrage Senat hat so mit Beschluß vom 30. Juni 1992 entschie- einzudämmen. den, der leider erst jetzt vor wenigen Tagen uns Deshalb können wir auch nicht auf die Strafandro- schriftlich vorlag. hung für alle Rauschgiftdelikte verzichten. Es bleibt Wir stehen nun vor der Situation, zu prüfen, ob von dabei: Der Besitz und Erwerb von Drogen zum Eigen- Gesetzes wegen eingegriffen werden muß, um konsum muß unter Strafe gestellt bleiben. Wie sollen Umwandlungen im größeren Umfang zu verhindern, wir sonst der skrupellosen Drogenhändler habhaft weil durch die Umwandlung und die dadurch mögli- werden, die nicht davor zurückschrecken, Kinder auf che Kündigung der Wohnungseigentümer Mieter Schulhöfen trickreich in eine Drogenabhängigkeit zu nach einer Karenzzeit von fünf Jahren zuzüglich bringen. Hier ist die volle Härte des Gesetzes gerecht- Kündigungszeit und gegebenenfalls Räumungs- fertigt. schutzfrist die zu Wohnungseigentum umgewandelte Meine Damen und Herren, helfen Sie mit, dem Wohnng räumen müssen, weil ein potentieller Käufer Vertragsgesetz und dem Ausführungsgesetz zu die- und Eigentümer diese Wohnung beziehen will. Diese sem Übereinkommen den Weg zu ebnen! Durch diese Frage kann nicht nur aus rein rechtlichen Gründen Gesetze werden keine Bar rieren für künftige Ände- geprüft werden, sondern muß das soziologische und rungen des Betäubungsmittelgesetzes aufgebaut. das persönliche Umfeld von Altwohnungen mit berücksichtigen, insbesondere auch Wohndauer und Mit der Unterschrift unter diese Gesetze erfüllt Alter der Bewohner. Es besteht überhaupt kein Zwei- Deutschland seine Verpflichtung, gemeinsam mit den fel daran, daß insbesondere in Ballungsgebieten es bisherigen 70 Vertragsstaaten den illegalen Drogen- durch die verstärkte Nachfrage zu einer Wohnungs- verkehr wirksam zu bekämpfen. Deshalb müssen wir problematik gekommen ist. Nur fragt es sich, ob diese jede Verzögerung vermeiden. dadurch gelöst werden kann, daß man die Abge- schlossenheitsbescheinigung für einige Jahre aus- setzt. Oberstes Ziel der CDU/CSU-Fraktion ist es, insbesondere auch im Hinblick auf die neuen Bundes- länder, mehr als bisher Wohnungseigentum zu schaf- Anlage 5 fen und insbesondere Wohnungseigentum für die zu schaffen, die bisher Mieter in dieser Wohnung sind. Zu Protokoll gegebene Reden Dies kann dadurch geschehen, daß von einem zu Tagesordnungspunkt 17 (Entwurf eines Gesetzes Umwandlungsverbot diejenigen Wohneinheiten aus- zur Änderung des Wohnungseigentumsgesetzes) genommen sind, bei denen sich eine qualifizierte Mehrheit von Mietern für die Umwandlung in Woh- Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten (CDU/CSU): Die nungseigentum entschließt, aber auch durch Anreize, Behandlung der Frage der Umwandlung von Miet- Zinsverbilligung oder Steuerpräferenzen für bishe- wohnungen in Wohnungseigentum gibt Gelegenheit, rige Mieter im Gegensatz zu sonstigen Erwerbern von nochmals auf den gesamten Komplex einzugehen. umgewandelten Wohnungen oder auch durch eine Zunächst ist es falsch, wenn hier von der einen oder Art Ankaufsrecht, gegebenenfalls zu einem Markt- anderen Seite von Blockadepolitik oder Verzöge- werte, auf eine gewisse Zeit für den bisherigen Mieter rungstaktik gesprochen wird, sondern es ist ganz nach Umwandlung in Wohnungseigentum. einfach ein sehr schwieriger Themenkomplex, der ohne Hektik und Emotionen behandelt werden sollte. Flankierend zu der einen oder anderen Lösung Wir haben auf der einen Seite die berechtigten sollte in jedem Fall der Versuch unternommen wer- Belange von Mietern, auf der anderen Seite die den, eine strafrechtliche Bestimmung ins Strafgesetz- berechtigten Belange von Wohnhauseigentümern, buch aufzunehmen, die unredlichen sogenannten die miteinander koordiniert werden sollen. Das „Umwandlungshaien" oder auch „Entmietern" mit ursprüngliche, nahezu absolute Verbot der Umwand- drastischen Strafen androht. Für die Erschwerung der lung von Altbauwohnungen in Wohnungseigentum Umwandlung liegen verschiedene Gesetzentwürfe durch hochgeschraubte baurechtliche Erfordernisse einzelner Länder und nun des Bundesrates vor, die an Schall- und Wärmevorschriften wird so von nie- durch Aufnahme von Ausnahmebestimmungen z. B. mandem mehr gefordert. Zur Debatte steht — und hier für leerstehende Häuser, Erbengemeinschaften oder sind ernstzunehmende Gründe vorgetragen —, daß Eigentümern, die aus wirtschaftlichen Gründen bei für einen vorübergehenden Zeitraum in Ballungsge- der Renovierung von Mietshäusern auf den Verkauf bieten, in denen die Wohnraumnot besonders groß ist, einzelner Wohnungen zur Finanzierung angewiesen die Umwandlung vorübergehend ausgeschlossen sind, verbessert werden können. werden soll oder einer besonderen Genehmigung Entscheidend ist aber bei all diesen Maßnahmen, unterliegen soll. genaue Unterlagen darüber zu bekommen, ob der Ich erinnere dabei an die Debatte vom 7. Mai 1992, jetzige Antragsboom nicht nur ein Antragsstau aus in der ich schon ausführte, daß voraussichtlich der den vergangenen zwei, drei Jahren ist, in denen die Gemeinsame Senat die Praxis der Verwaltungsge- Abgeschlossenheitsbescheinigung nicht gegeben richte, baurechtliche, — d. h. öffentlich-rechtliche — oder restriktiv gehandhabt wurden. Hier liegen Anforderungen an die Abgeschlossenheitsbescheini- schlichtweg zu wenig Zahlen vor, auch wird teilweise gung zu stellen, aufheben werde, weil Zivilrecht des noch nicht unterschieden zwischen Anträgen auf BGB und des Wohnungseigentumsgesetzes nicht mit Abgeschlossenheitsbescheinigung für Neubauwoh- 11148* Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 128. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1992 nungen und für Altbauwohnungen und auch die ruhigung der Mieter zur Folge. Wer z. B. schon Jahr- Unterlagen über die vertriebenen Mieter sind sehr zehnte in einer preiswerten Altbauwohnung gelebt unterschiedlich. Beispiele, die einem die Haare zu hat, fürchtet nun nicht zu Unrecht, daß eine solche Berge stehen lassen, werden zwar in Zeitungen und Eigentumswohnung — seine Wohnung — auch veräu- Zeitschriften abgedruckt, sind aber mindestens nach ßert wird. Denn Aufteilung ist ja nicht das Ende, den vorliegenden, vorsichtig zu behandelnden Zahlen sondern irgendwann will der Umwandler Geld sehen. die Ausnahme und könnten über eine Strafrechtsbe- Er verkauft — mit Gewinn — an einen Interessenten, stimmung minimiert werden. der oft selbst Interesse am Bezug hat. Und dann beginnt erst das eigentliche Drama. Der Umwand- Wenn München z. B. 1983 7 800, 1984 9 000 lungsspekulant seinerseits ist dabei außen vor, schon Anträge aufzuweisen hat und im ersten bis dritten längst dem nächsten Objekt zugewandt und hat Quartal 1992 7 600 Anträge, so ist dies sicher kein Mieter und Wohnungseigentümer das Feld überlas- Boom, andererseits, verglichen mit den Jahren 1989, sen. Der Mieter muß sich jetzt mit jemandem ausein- 1990 und 1991, wo es im Durchschnitt 1 100 Anträge andersetzen, der seinerseits auf die Wohnung — aus waren, eine Vervielfachung, aber wohlgemerkt unter seiner Sicht zu Recht — reflektiert. Über dem Mieter der Voraussetzung der fast regelmäßigen Nichtertei- schwebt ein Damoklesschwert, er weiß, daß er späte- lung für Altbauwohnungen. stens innerhalb von drei Jahren — in extremen Fällen Bei Hamburg liegen die Zahlen ähnlich: 1983 5 900, fünf Jahren — zur Räumung z. B. wegen Eigenbedarfs 1984 7 400, in den ersten drei Quartalen 1992 um verpflichtet ist. Das ist aber nicht die einzige Proble- 6 000 — auch hier wieder enorm hohe Zahlen nur matik. Ich komme wieder auf das Münchner Beispiel gegenüber 1989, 1990, 1991, wo nur 866, 463 bzw. zurück. Inzwischen sind von den ursprünglich 2 000 674 Anträge eingingen. Mietern rund zwei D rittel dort nicht mehr wohnhaft. Eigentümer oder auch neue Mieter sind an ihre Stelle In Hannover scheinen die Anträge sogar abgenom- getreten. Das Mietpreisniveau in diesem Bereich ist men zu haben. Hier ist es bedauerlich, daß man mit inzwischen um 54 % im Durchschnitt gestiegen! Schätzungen und ungefähren Zahlen operieren muß, weil wenige oder ungenaue Zahlen vorliegen. Diese Die negativen Folgen bestehen also erstens in einer sind aber Voraussetzung für entsprechende gesetzli- Zerstörung von preiswertem Wohnraum. che Vorschriften und werden nachdrücklich von den Zweitens wird der Druck auf die Mieter, auszuzie- Kommunen angefordert. Ziel muß es sein — und ich hen, dadurch verstärkt, daß eine sogenannte mieter- glaube, hier stimmen wir nahezu in allen Parteien freie Wohnung mit einem Schlag 50 000 bis 100 000 überein —, alte Menschen vor Wohnungshaien zu DM mehr beim Verkauf einbringt als eine vermietete. bewahren, aber auch den Altbestand an Wohnungen Also versucht der Vermieter mit allen Mitteln, den vor dem Verfall zu schützen und zu verhindern, daß Mieter zum Auszug zu veranlassen. Wohnraumnot zu Vertreibungsorgien aus den Innen- städten führt. Drittens ändern sich damit auch sehr schnell die sozialen Strukturen in einem Quartier und in einem Die CDU/CSU-Fraktion, die hier noch um eine Stadtteil. Eine Tatsache, die die Städte in besonderem gemeinsame Entscheidung ringt, fordert die beteilig- Maße trifft. ten Ministerien, die Länder und Kommunen auf, möglichst umgehend und schnell das notwendige Viertens wird die Nachfrage nach noch verbliebe- Zahlenmaterial zur Verfügung zu stellen, damit der nen preiswerten Altbauwohnungen noch größer. Um Deutsche Bundestag gegebenenfalls kurzfristig not- immer weniger preiswerte Mietwohnungen wird der wendige Entscheidungen treffen kann. Verteilungskampf härter. - Und deshalb ist es kein Wunder, daß auch der Dr. Eckhart Pick (SPD): Ich hätte mir meinen Beitrag Deutsche Städtetag nach einer Eindämmung der zu diesem Thema einfach machen können. Ich hätte Umwandlungsflut ruft. Denn das ist ja das zentrale die Ausführungen des Bürgermeisters der Stadt Mün- Problem der Umwandlung: Sie findet vornehmlich in chen sehr ausführlich zitieren können, die er gestern Gebieten mit angespanntem Wohnungsmarkt—näm- in der Anhörung des Rechtsausschusses zum Gesetz- lich den Ballungsgebieten — statt. entwurf der SPD zur Wiederherstellung eines sozialen Ich habe diesen Fall aus München geschildert, um Mietrechts gemacht hat. Ich will ihn in der Tat nicht die Dramatik der Entwicklung deutlich zu machen. des längeren wörtlich zitieren. Aber er hat sehr Und dies ist kein Einzelfall. Die Umfrage des Bundes- anschaulich geschildert, daß die Umwandlungspro- ministeriums für Raumordnung, Bauwesen und Städ- blematik das brennende Problem des Wohnungs- tebau hat ergeben, daß eine Umwandlungswelle marktes ist. urgebremst über die Republik rollt, gespeist aus einer Mischung von Geschäft und Spekulation. Ich möchte das Problem anhand eines Falles deut- lich machen. In den 80er Jahren hat es in München Vor diesem Hintergrund ist es kaum zu begreifen, einen Fall der Umwandlung einer Anlage mit Woh- daß die Bundesregierung und die Koali tion nicht in nungen gegeben, bei dem mit einem einzigen Antrag der Lage sind, steuernd einzugreifen. Die Koali tion ist auf Erteilung der Abgeschlossenheitsbescheinigung wieder einmal gelähmt, weil die koalitionsinterne auf einen Schlag aus 2 000 Mietwohnungen 2 000 Kraftprobe zwischen CDU/CSU einerseits und der Eigentumswohnungen wurden! Was bedeutet dies? F.D.P. andererseits dazu führt, daß nichts passiert. Im Die Umwandlung allein hat zwar nur eine sachen Rechtsausschuß ist das Thema zum wiederholten rechtliche Wirkung und ändert zunächst an dem Male ohne ein Ergebnis auf Antrag der Koali tion Mietverhältnis nichts. Aber sie hat bereits eine Beun- vertagt worden. Begründung: man habe noch Bera- Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 128. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1992 11149* tungsbedarf! Seit nunmehr einem Jahr liegen die Voraussetzung für eine kommunale Wohnungspolitik Vorschläge der SPD zur Änderung des Rechts der zur Lösung sozial dringlicher Wohnungsprobleme. sogenannten Abgeschlossenheitsbescheinigung auf 2. Die PDS ist nicht grundsätzlich gegen die Schaf- dem Tisch des Hauses, schon lange vor der Entschei- fung von Wohneigentum. Wer ausreichend Vermögen dung des Gemeinsamen Senats der Obersten hat und für sich eine Wohnung bzw. ein Einfamilien- Gerichtshöfe in dieser Sache am 30. Juni 1992. Das haus kaufen will, soll das tun. Der Kauf muß freiwillig Makabre dabei ist, daß die Selbstblockade der Koali- sein; niemand darf gezwungen sein, letzte Ersparnisse tion auf dem Rücken Hunderttausender von Mietern einzusetzen oder sich gar zu verschulden. Tatsache und Mieterinnen ausgetragen wird! ist, daß die Mehrzahl der Menschen in Ostdeutsch- Im dritten Quartal 1992 sind z. B. in Duisburg 1 582, land, aber auch viele in der ehemaligen BRD, mit in Frankfurt a. M. 3 208, in Hannover 974, in Karlsruhe einem Wohnungskauf finanziell überfordert wären. 1 016, in Köln 3 252, in Mannheim 1 475, in Nürnberg 3. Durch die Umwandlung von Miet- in Eigentums- 3 586 und in München 7 613 Anträge auf Erteilung der wohnungen werden keine neuen Wohnungen ge- Abgeschlossenheitsbescheinigung gestellt worden! schaffen, Wohnungsprobleme nicht gelöst. Deswegen Das besagt aber noch nichts über die Zahl der Woh- sind wir gegen steuerliche Begünstigungen für den nungen, denn die Anträge beziehen sich jeweils auf Kauf von Wohnungen aus dem Bestand. Wenn über- Objekte mit mindestens zwei und bis zu mehreren haupt Wohnungsverkauf, dann nur an die bisherigen Hundert Wohnungen. Man muß die Zahlen mit einem Nutzer, und zwar zu Vorzugsbedingungen. Vielfachen multiplizieren, um einen ungefähren Ein- druck von der Größe des Problems zu erhalten. 4. Das Vorhaben der Bundesregierung, den gesam- ten DDR-Wohnungsbestand in den freien Wohnungs- Wir appellieren an die Bundesregierung und die markt zu überführen und zu privatisieren, ist in seinen Koalition: Handeln Sie endlich! Sitzen Sie das Problem Folgen noch nicht in vollem Umfang absehbar. Mei- nicht länger aus! Seien Sie sich endlich darüber im nes Erachtens kann das in eine sozial- und wohnungs- klaren, daß eine der Wurzeln des Rechtsradikalismus politische Katastrophe führen. Um so dringlicher ist in der Tatsache begründet ist, daß die Wohnungs- und die Lösung der sogenannten Altschuldenproblematik Mietenpolitik dieser Bundesregierung ein einziges im Sinne des Antrages der PDS/Linke Liste. Desaster ist, daß sie mit ein Grund für eine tiefgrei- fende Verunsicherung der Bevölkerung ist! Zum Schluß möchte ich Sie nochmals auffordern, dahingehend mitzuwirken, daß durch schnelle Bear- Und wenn Sie schon der Opposition nicht folgen beitung und Annahme der Anträge der SPD und des wollen, dann folgen Sie endlich der großen Mehrheit Bundesrates ein Stoppsignal gegen die Umwandlung des Bundesrates einschließlich der von CDU und CSU von Miet- in Eigentumswohnungen gesetzt wird. geführten Bundesländer, die genau in die Richtung geht, die wir Ihnen aufgezeigt haben. Die große Wählerschar der Mieterinnen und Mieter wird es Ihnen danken. Anlage 6 Dr. lija Seifert (PDS/Linke Liste): Wie wichtig dem Antwort Deutschen Bundestag der ausreichende Schutz von Mieterinnen und Mietern vor Kündigungen durch des Parl. Staatssekretärs Dr. Joachim Grünewald auf Wohnungsumwandlungen ist, läßt sich auch am Bear- die Fragen des Abgeordneten Manfred Kolbe (CDU/ beitungstempo des vorliegenden Antrages messen. CSU) (Drucksache 12/3921 Fragen 20 und 21): Am 17. Dezember 1991 von der SPD eingereicht,- am Wie hoch ist der Gesamtbetrag, den die Treuhandanstalt 7. Mai 1992 in erster Lesung behandelt und heute nur bisher in 1992 im Rahmen ihres sogenannten Bonussystems an ein Zwischenbericht. Dies ist meines Erachtens aber leitende Mitarbeiter ausgezahlt hat? nicht dem Unvermögen der Koalitionsfraktionen In welcher Höhe hat die Treuhandanstalt Bonusprämien an die geschuldet, sondern dem ideologisch behafteten 104 Mitarbeiter gezahlt, die laut Be richt des Bundesministeriums Unwillen zu notwendigen Entscheidungen. Die der Finanzen vom 8. September 1992 der ehemaligen DDR- Marktwirtschaft pur ist nicht in der Lage, das Men- Nomenklatura angehörten und noch immer für die Treuhandan- stalt im Dienst sind bzw. darüber hinausgehend an ehemalige schenrecht auf bezahlbare Wohnung für alle zu Mitarbeiter, die dieser Nomenklatura angehörten und bereits gewährleisten. Statt angesichts wachsender Woh- ausgeschieden sind? nungsnot, Obdachlosigkeit und explodierender Wohnkosten grundlegende Veränderungen herbei- zuführen, wird am bisherigen Kurs festgehalten; die Zu Frage 20: Schaffung von Wohneigentum aus dem Bestand wird Die Zahlung erfolgsabhängiger Vergütungen an weiterhin großzügig gefördert. leitende Mitarbeiter der Treuhandanstalt erfolgt auf der Grundlage von Zielvereinbarungen für das Jahr Die Grundpositionen der PDS/Linke Liste zum Wohneigentum möchte ich mit folgenden Punkten 1992. Da der Zielerreichungsgrad erst nach Jahres- ende festgestellt werden kann, können Boni für 1992 skizzieren: naturgemäß auch erst 1993 berechnet und ausgezahlt 1. Das Grundrecht auf angemessene und bezahl- werden. bare Wohnung ist nicht an den Besitz von Wohneigen tum zu binden. Benötigt wird eine Vielfalt von Wohn- Zu Frage 21: eigentum, Genossenschaften, aber auch ausreichend, d. h. mindestens 30 %, kommunale Wohnungen als Es sind keine Bonuszahlungen erfolgt. 11150* Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 128. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1992

Anlage 7 Standpunkt der Bundesregierung ausführlich darge- Antwort legt. des Parl. Staatssekretärs Dr. Joachim Grünewald auf Die Kreditnehmer werden durch die Verträge zur Deutschen Einheit nicht unangemessen belastet. Bei die Fragen des Abgeordneten Martin Grüner (F.D.P.) (Drucksache 12/3921 Fragen 22 und 23): den seinerzeit angestellten Überlegungen zum Um- stellungsverhältnis st and vor allem auch die Frage der Welche wettbewerbspolitische Bedeutung hat die Ratsproto- kollerklärung vom 15. Oktober 1992: „Der Rat und die Kommis- Auswirkung auf die Wettbewerbssituation der betrof- sion erklären, daß auf ein oder mehrere Papiere aufgebrachte fenen Unternehmen, insbesondere ihre Schulden- Tabakwaren, die erst geraucht werden können, wenn der dienstfähigkeit, im Vordergrund. Von einer erhebli- Verbraucher den Tabak preßt und das Papier rollt und klebt, chen Verteuerung der Altkredite kann daher aus nicht als ,Zigaretten' angesehen werden"? folgenden Gründen keine Rede sein. Durch die Wäh- Von welchem Mitgliedstaat ist diese Protokollerklärung bean- rungsumstellung wurden die Verbindlichkeiten der tragt worden, und aus welchen Gründen hat die Bundesregie- rung dieser Erklärung zugestimmt? Unternehmen halbiert. Demgegenüber haben sich die Zinsen auf Marktzinsniveau erhöht. Der daraus resul- Zu Frage 22: tierende Gesamteffekt dürfte die Schuldendienstbela- stung insgesamt nicht oder nur unwesentlich erhöht Durch die Protokollerklärung des Rates zu Artikel 2 haben. Eine weitergehende Abwertung von Altschul- Nr. 3 der Richtlinie über die Struktur der Verbrauch- den hätte zu einer nicht mehr vertretbaren Erhöhung steuern auf Tabakwaren vom 15. Oktober 1992 soll der Ausgleichsforderungen mit entsprechenden Fi- klargestellt werden, daß Zigaretten, die sich der nanzierungslasten für die öffentliche Hand geführt. Verbraucher aus „losem" Feinschnittabak selber dreht, nicht als Zigaretten im Sinne der genannten Richtlinie angesehen werden. Diese Klarstellung Zu Frage 27: erschien zweckmäßig, weil künftig Tabakstränge, die Die Bundesregierung hat bereits in den Verträgen durch einen einfachen nicht industriellen Vorgang in zur deutschen Einheit und den darauf beruhenden eine Zigarettenpapierhülse geschoben werden oder Rechtsvorschriften Maßnahmen zur Abwendung wirt- mit einem Zigarettenpapierblättchen umhüllt wer- schaftlicher Nachteile bei den von der Umstellung den, als Zigaretten gelten. betroffenen Unternehmen vorgesehen. Eine pau- schale Streichung der Altschulden ist jedoch nicht Zu Frage 23: möglich. Dies habe ich bereits in meiner Antwort vom Die Protokollerklärung wurde von Spanien bean- 2. Juni d. J. auf die schriftliche Frage des Kollegen tragt. Die Bundesregierung hat dieser Erklärung Schröter (Drucksache 12/2773 vom 5. Juni 1992 zugestimmt, weil sie sachgerecht und zweckmäßig Nr. 51) unter Hinweis auf einen abgelehnten Antrag erscheint. der Fraktion der SPD zur „Entschuldung der Treu- hand-Unternehmen" betont. Das DM-Bilanzgesetz räumt sanierungsfähigen Anlage 8 Treuhand- Unternehmen eine Ausgleichsforderung gegen die Treuhandanstalt ein. Damit wird eine unter Antwort anderem aufgrund hoher Altkredite drohende bilan- des Parl. Staatssekretärs Dr. Joachim Grünewald auf zielle Überschuldung beseitigt. Dieser Anspruch steht die Fragen der Abgeordneten Dr. Elke Leonhard- nach dem Vermögensgesetz auch reprivatisierten Schmid (SPD) (Drucksache 12/3921 Fragen 26 Unternehmen zu. Die Treuhandanstalt übernimmt und 27): ferner nach positivem Prüfungsergebnis der Sanie- Wie bewertet die Bundesregierung die bisher- von ihr vertre- rungsfähigkeit einzelner Unternehmen Altkredite, tene Rechtsauffassung, bei den Verbindlichkeiten der Staatskre- um die Grundlage für die Durchführung von Sanie- ditschuldner der ehemaligen DDR handele es sich zweifelsfrei rungskonzepten zu schaffen. Im Ergebnis werden die um rechtsgültige Schuldverhältnisse, angesichts der Tatsache, Unternehmen von ca. 70 % ihrer Kreditverbindlich- daß diese früheren Verbindlichkeiten in Mark der DDR mit systembedingtem Niedrigzins durch die mit der Währungsunion keiten entlastet werden. festgelegte Währungsdisparität im Rechtssinne durch staatli- Durch den Einsatz dieses Instrumentariums konnte chen Eingriff derart umgestaltet wurde, daß die Schuldner bei Vertragstreue durch die erhebliche Verteuerung der Altkredite erreicht werden, daß bisher noch keine Privatisierung in ihrer wirtschaftlichen Existenz bedroht sind? oder Sanierung eines Treuhand-Unternehmens an Welche Maßnahmen plant die Bundesregierung, um die den Altschulden gescheitert ist. Die gesamtwirtschaft- wirtschaftlichen Auswirkungen der Hochbewertung von Spar- liche Bedeutung dieses Konzepts ergibt sich daraus, und Geschäftskonten in Mark der DDR auf I laben-Basis auf die daß der weitaus größte Teil der Altschulden der im gleichen Umfang belasteten Staatskreditschuldner durch früheren DDR-Wirtschaft auf Unternehmen der Treu- entsprechende Ausgieichsforderungen im Verhältnis zur wirt- schaftlich feststellbaren Disparität im Faktor 6,5 sicherzustel- handanstalt entfällt. len?

Zu Frage 26: Die Bundesregierung hält an ihrer Rechtsauffas- Anlage 9 sung fest, daß es sich bei den umgestellten DDR Antwort Altschulden um rechtsgültige Schuldverhältnisse handelt. In meiner Antwort vom 2. Juni 1992 auf die des Parl. Staatssekretärs Dr. Joachim Grünewald auf schriftliche Frage des Kollegen Schröter (Drucksache die Frage des Abgeordneten Ortwin Lowack (frak- 12/2773 vom 5. Juni 1992 Nr. 52) habe ich den tionslos) (Drucksache 12/3921 Frage 28): Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 128. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1992 11151*

Wie kontrolliert die Bundesregierung, wohin die sogenannten Die Bundesregierung würde es begrüßen, wenn die Transferrubelzahlungen im einzelnen laufen bzw. gelaufen Kultusminister der Länder neben den Sparkassen sind? auch andere Kreditinstitutsgruppen zum Schulsparen Die Fortführung des Transferrubel-Verrechnungs zuließen. systems bis Ende 1990 war die praktische Umsetzung des im ersten und zweiten Staatsvertrag zugesicher- Zu Frage 30: ten Vertrauensschutzes für die „gewachsenen außen- wirtschaftlichen Beziehungen der DDR, insbesondere Im Rahmen des Schulsparens werden nur sehr für bestehende vertragliche Verpflichtungen gegen- geringe Beträge eingezahlt. Für diese ist das Sparbuch über den RGW-Ländern". Hierdurch sollten auch die geeignete Anlageform. Es ist davon auszugehen, Arbeitsplätze in der vom Ostexport abhängigen ost- daß die Kreditinstitute, wenn die Sparsumme ange- deutschen Industrie gesichert werden. wachsen ist, auf zinsgünstigere Anlageformen hin- weisen. Diese gibt es bereits für kleine Betsäge. Der Die Auszahlung der DM-Gegenwerte für die Bundesschatzbrief ist z. B. schon ab 50,— DM (Typ B) Transferrubelerlöse der Unternehmen erfolgte durch bzw. ab 100,— DM (Typ A) erhältlich. die mit der Durchführung des Zahlungsverkehrs Im übrigen wäre zu wünschen, daß die Kreditinsti- beauftragten Banken. tute den durch die Aufhebung der „Sparbuchvor- Als erkennbar wurde, daß wegen des hohen schriften" gewonnenen Handlungsspielraum gerade Antragseingangs und bekanntgewordener Mißbräu- hier positiv nutzen würden. che die ordnungsgemäße Durchführung des Transfer- rubel-Verrechnungsverkehrs gefährdet war, wurde im Oktober 1990 eine „Prüfgruppe Transferrubel" eingerichtet. Hierdurch wurden ungerechtfertigte Anlage 11 Konvertierungen, Betrügereien in Form von Luftge- schäften, Reexporten und Streckengeschäften in gro- Antwort ßem Umfang verhindert. Zugleich entstand durch die des Parl. Staatssekretärs Dr. Heinrich L. Kolb auf die Einrichtung der Prüfgruppe eine hohe Präventivwir- Fragen des Abgeordneten Wolfgang Roth (SPD) kung. Die Prüfgruppe hat insgesamt 86 000 Anträge (Drucksache 12/3921 Fragen 36 und 37): mit einem Gesamtvolumen von 10 Mrd. DM geprüft. Ist der Bundesregierung bewußt, daß mit der Erschöpfung des Die Transferrubel-Geschäfte der Unternehmen in den Hermes-Kreditplafonds für die GUS ein Zusammenbruch des neuen Bundesländern werden auch weiterhin im Osthandels mit den GUS droht, und damit zahlreiche Arbeits- Rahmen von gezielten Außenwirtschaftsprüfungen plätze insbesondere in den neuen Bundesländern in Gefahr sind, geprüft. Bei Feststellung ungerechtfertigter Konver- wenn nicht unmittelbar eine finanzielle Anschlußlösung entwe- der durch Aufstockung des Kreditplafonds oder in anderer Form tierungen werden die zu Unrecht ausgezahlten gefunden wird, und was gedenkt die Bundesregierung in dieser Beträge von den Unternehmen zurückgefordert und Hinsicht zu tun? bei Verdacht auf Betrug die Strafverfolgungsbehör- Wie gedenkt die Bundesregierung, entsprechend den Ankün- den eingeschaltet. digungen des Bundesministers für Wirtschaft in der Sitzung des Deutschen Bundestages vom 23. September 1992, in den Fällen zu verfahren, in denen Unternehmen der Bundesrepublik Deutschland für Ausfuhren in die GUS bereits vor Erschöpfung des Kreditplafonds Anträge auf Ausfuhrbürgschaften gestellt haben und für diese Anträge bereits eine positive Stellung- nahme für die Entscheidung des Bürgschaftsausschusses der Anlage 10 Hermes-Kreditversicherungs AG vorliegt, und wie hoch ist die Anzahl derartig befürworteter Anträge aus den neuen Bundes- Antwort - ländern, die seit Erschöpfung des Kreditplafonds nicht mehr bedient worden sind? des Parl. Staatssekretärs Dr. Joachim Grünewald auf (CDU/ die Fragen des Abgeordneten Ernst Hinsken Zu Frage 36: CSU) (Drucksache 12/3921 Fragen 29 und 30): Die Bundesregierung ist sich der sehr ernsten Aus- Wird in allen Bundesländern, wie z. B. in verschiedenen wirkungen bewußt, die sich aufgrund der nach wie vor Regionen des Freistaates Bayern, das sogenannte „Schulspa- ren" nur über die jeweils örtlichen „Sparkassen" mit einem bestehenden einseitigen Orientierung vieler Unter- durchschnittlichen Zinssatz von 2,5 % durchgeführt, oder sind nehmen auf Exporte in die GUS für Arbeitsplätze in auch andere Kreditinstitute einbezogen? den neuen Bundesländern ergeben müßten, wenn es Teilt die Bundesregierung die veröffentlichte Meinung ver- zu keiner Anschlußregelung bei den Hermesdeckun- schiedener Presseorgane, daß es jeder ökonomischen Vernunft gen für GUS-Staaten kommt. Sie wird deshalb inner- widerspricht und zur objektiven Entwertung des angelegten halb des haushaltsrechtlich Zulässigen alles unter- Geldes führt, wenn Kinder ihr Geld im „Sparbuch" anlegen, dessen Zinsertrag nicht einmal die Inflationsrate ausgleicht? nehmen, um Ausfuhren aus den neuen Bundeslän- dern auch in die Staaten der GUS weiter zu fördern, soweit dies für eine Übergangszeit bis zur Umstellung Zu Frage 29: auf Westmärkte notwendig und vertretbar ist. Die rechtliche Ausgestaltung des Schulsparens, Zusätzliche Ansatzpunkte hierfür bieten besondere insbesondere die Frage, welche Kreditinstitute zum Formen der Zusammenarbeit unter Hermesdeckung. Schulsparen zuzulassen sind, gehört zur Zuständig- Hierzu gehören Gegengeschäfte, Projektfinanzierun- keit der Länder. Die Bundesregierung hat keinen gen und Geschäfte mit entstaatlichten Betrieben. umfassenden Überblick über die Handhabung des Parallel dazu kann auch die Zusammenarbeit mit Schulsparens. Diese dürfte unterschiedlich sein. privaten GUS-Banken neue Ansatzpunkte bieten. 11152* Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 128. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1992

Die Bundesregierung berät intensiv über die Mög- dem Gesichtspunkt des lauteren Wettbewerbs keine lichkeit einer Anschlußregelung nach der Erschöp- Bedenken bestehen. fung des 5 Milliarden DM-Rahmens. Dabei sind aber schwierige haushaltsrechtliche Fragen zu klären, ins- besondere die Frage, ob der Bund GUS-Risiken noch ohne besondere Sicherheiten übernehmen kann. Die Prüfung und Diskussion dieser Fragen ist innerhalb Anlage 13 der Ressorts noch nicht abgeschlossen. Antwort des Parl. Staatssekretärs Dr. Heinrich L. Kolb auf die Zu Frage 37: Fragen des Abgeordneten Siegmar Mosdorf (SPD) Alle sogenannten Grundsatzzusagen (positive Stel- (Drucksache 12/3921 Fragen 39 und 40): lungnahmen, die der interministerielle Ausschuß für Sieht die Bundesregierung in der breit angelegten Anzeigen Ausfuhrgewährleistungen auf Antrag schon während Kampagne in renomierten Wirtschaftsmagazinen wie z. B. der des Stadiums der Verhandlungen über die Export- „Wirtschaftswoche" Nr. 47 vom 13. November 1992 und Nr. 48 vom 20. November 1992, mit der die englische Regierung und Finanzierungsverträge abgibt), sind ausdrücklich Investoren aus Deutschland abwerben wi ll, eine Art von Pirate- und schriftlich unter den Vorbehalt gestellt worden, rie im gemeinsamen europäischen Haus? daß im Zeitpunkt einer endgültigen Entscheidung Welche Standortfaktoren Deutschlands wird die Bundesregie- über die Hermesdeckung noch ausreichend Raum rung den englischen Argumenten entgegenhalten, und wie innerhalb des 5 Milliarden DM-Rahmens ist. Mit der fördert sie diese Faktoren? vollen Belegung dieses Rahmens wurden diese Grundsatzzusagen also gegenstandslos. Dies ist allen Zu Frage 39: betroffenen Antragstellern mitgeteilt worden. Eine Deckung dieser Geschäfte ist nur möglich, wenn es zu Nein, die Bundesregierung sieht das Werben der einer Anschlußregelung kommt. Die Zahl der Grund- britischen Regierung um Investoren aus Deutschland nicht als eine Art Pirateri satzzusagen für ostdeutsche Ausfuhren, die nicht e im gemeinsamen europäi- schen Haus an. innerhalb des 5 Milliarden DM-Rahmens berücksich- tigt werden konnten, beträgt 625, das Volumen der So wie die Bundesregierung im europäischen Aus- Auftragswerte hierfür be trägt ca. 14 Milliarden DM. In land für die Plazierung von Investitionen in Deutsch- etwa 113 Fällen (Volumen 2,24 Milliarden DM) liegen land wirbt, muß es auch der britischen Regierung die Voraussetzungen vor, die nach dem bisherigen erlaubt sein, ihrerseits die Vorzüge des Standortes Verfahren eine endgültige Entscheidung ermöglicht Großbritannien in den Vordergrund zu stellen. hätten, wenn der Rahmen nicht erschöpft gewesen wäre. Falls die Bundesregierung eine Anschlußrege- Zu Frage 40: lung beschließen sollte, werden die hier angesproche- nen Vorhaben nach den sachlichen Kriterien aus dem Im internationalen Wettbewerb der Investitions- Kabinettbeschluß vom 23. September 1992 im Einzel- standorte sieht die Bundesregierung für die alten fallverfahren entschieden. Bundesländer insbesondere folgende posi tive Stand- ort- und Wettbewerbsfaktoren: Ein hohes Ausbil- dungsniveau der Arbeitskräfte, eine gut ausgebaute Infrastruktur, ein hohes Maß an sozialem und politi- schem Frieden, einen modernen Produktionsapparat, Anlage 12 eine differenzierte und regional breitgestreute For- Antwort schungslandschaft. - des Parl. Staatssekretärs Dr. Heinrich L. Kolb auf die Um den Standort Ostdeutschland für nationale und Frage des Abgeordneten Horst Kubatschka (SPD) internationale Investoren attraktiver und wettbe- (Drucksache 12/3921 Frage 38): werbsfähiger zu machen, verfolgt die Bundesregie- rung drei zentrale Ziele und Aufgaben: Erstens, den Wie beurteilt die Bundesregierung Initiativen, Teppiche, die Auf- und Ausbau der Infrastruktur sowie die Sanie- garantiert ohne den Einsatz von Kinderarbeit hergestellt wur- den, durch ein Gütesiegel besonders zu kennzeichnen, und ist rung von Umweltschäden, zweitens, die Effizienzstei- die Bundesregierung bereit, eventuell bestehende juristische gerung der Verwaltung und drittens die Unterstüt- Hürden für die Einführung eines solchen Gütezeichens in der zung der wirtschaftlichen Erneuerung. Insbesondere Bundesrepublik Deutschland zu beseitigen? die Investitionsförderung auf hohem Niveau durch Zuschüsse, Zulagen, Darlehen und Steuervergünsti- Der Begriff „Gütesiegel" bezieht sich üblicherweise gungen soll noch bestehende Standortnachteile kom- auf die Qualität eines Produkts, weniger auf die Art pensieren und Investoren zu einem Engagement ver- seiner Herstellung. Abgesehen davon ist die Bundes- anlassen. regierung nicht davon überzeugt, daß die Markierung Die Bundesregierung sieht wie der Sachverständi- von Teppichen der beschriebenen Art einen effekti- genrat die Qualitätspflege des Standorts Bundesrepu- ven Beitrag zur Beseitigung von Kinderarbeit leisten blik als Daueraufgabe an. Sie hat breit angelegte könnte. Andererseits wäre nichts dagegen einzuwen- Initiativen ergriffen zur Beseitigung von Standort- den, wenn von pri vater Seite eine Kennzeichnung nachteilen bei einer Vielzahl von Einflußfaktoren. organisiert würde. Stichworte sind: Konsolidierung der öffentlichen Juristische Hürden für die Einführung eines solchen Haushalte, Reform der Unternehmensbesteuerung, Gütezeichens von privater Seite sind nicht ersichtlich, Flexibilisierung der Arbeitszeit, Vereinfachung, Be- wobei die Bundesregierung davon ausgeht, daß unter schleunigung und stärkere Berechenbarkeit von Pla- Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 128. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1992 11153* nungs- und Genehmigungsverfahren, Bereitstellung rungsträgern die Erstellung grundlegend neuer Ren- einer leistungsfähigen Infrastruktur. tenberechnungsprogramme auferlegt. Die Erarbei- tung solcher Programme erfordert in der Regel min- Die im internationalen Vergleich hohen deutschen Arbeitskosten zeigen deutlich, wie wich tig für die destens ein Jahr. Dem Gesetzgeber war dies bewußt. Er hat die sich daraus ergebende vorübergehend Sicherung des Standortes Deutschl and eine moderate längere Rentenbearbeitungsdauer jedoch in Kauf und an den gesamtwirtschaftlichen Möglichkeiten genommen, um die Vergünstigungen des westdeut- orientierte Lohnpolitik ist. Dies gilt auch für die Personalzusatzkosten, bei denen wir einsamer Spit schen Rentenrechts zeitgleich mit dem Inkrafttreten des Rentenreformgesetzes auch den Mitbürgern der tik müssen-zenreiter sind. Tarifpartner und Poli hier gemeinsame Anstrengungen unternehmen, um ei- neuen Bundesländer zugute kommen zu lassen, wobei er für diesen Personenkreis zusätzlich noch nem weiteren Anstieg entgegenzuwirken. besondere Vertrauensschutzregelungen geschaffen hat. Die damit verbundene zusätzliche Programmier- arbeit betraf alle Programmierkreise der Rentenversi- cherung, vornehmlich aber die Programmierkreise Anlage 14 derjenigen Träger, die die Bevölkerung in den neuen Antwort Bundesländern betreuen. des Parl. Staatssekretärs Rudolf Kraus auf die Fragen Zu Ihrer zweiten Frage bemerke ich folgendes: der Abgeordneten Gerlinde Hämmerle (SPD) (Druck- Diese Frage betrifft die Rentenbearbeitungsdauer bei sache 12/3921 Fragen 41 und 42): der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte. Ist der Bundesregierung bekannt, daß die Träger der Renten- Auch hier ist die der Frage zugrundeliegende versicherung der Arbeiter bisher offensichtlich nicht in der Lage Annahme nicht mehr zutreffend. Die Bundesversiche- sind, Rentenansprüche aus nach dem 31. Dezember 1991 einge- rungsanstalt für Angestellte ist seit Anfang November tretenen Versicherungsfällen endgültig festzustellen, und wie in der Lage, endgültige Bescheide nach dem VI. Buch bewertet sie ggf. diese Situation auch vor dem Hintergrund, daß seit der Verabschiedung des Rentenreformgesetzes 1992 im Sozialgesetzbuch zu erteilen. Das geschieht auch. Für November 1989 bereits drei Jahre vergangen sind? die Fälle, in denen eine Vergleichsberechnung nach Hat die Bundesregierung Erkenntnisse darüber, daß dies auch früherem DDR-Recht in Be tracht kommt, wird durch für die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte gilt, und einen entsprechenden Zusatz in dem Bescheid ver- welche Maßnahmen wird sie ggf. ergreifen, um einerseits den merkt, daß sie nach Vorliegen des hierfür erforderli- Rentenversicherungsträgern insgesamt eine stärkere Beachtung ihrer Sorgfaltspflicht gegenüber ihren Versicherten aufzuerle- chen zusätzlichen Rentenberechnungsprogramms gen und andererseits den Rentenantragsstellern eine unzumut- alsbald nachgereicht wird. bar lange Unsicherheit über ihre Rentenansprüche zu neh- men? Dementsprechend hat die Bundesversicherungsan- stalt für Angestellte inzwischen mit der Aufarbeitung der aufgelaufenen Rückstände begonnen. Bis zur Die erste Frage betrifft die Rentenbearbeitungs- vollen Aufarbeitung wird sie — ebenso wie die Lan- dauer bei den Trägern der Rentenversicherung der desversicherungsanstalten — vorübergehend auch Arbeiter. bei Neuanträgen weiterhin nur Vorschüsse oder vor- Sie geht von der Annahme aus, daß diese allgemein läufige Renten zahlen können. Diese Leistungen wer- noch nicht in der Lage seien, Rentenbescheide nach den jedoch auf Antrag schnell und unbürokra tisch dem ab 1. Januar 1992 geltenden neuen Recht zu und in einer Höhe gezahlt, die dem endgültigen erteilen. Das ist so nicht richtig. Rentenzahlbetrag ziemlich nahe kommt. Die west- und süddeutschen Landesversicherungs- Wie sich hieraus ergibt, sind sich die Rentenversi- anstalten können bereits seit Juli bzw. August dieses cherungsträger ihrer Verantwortung gegenüber den Jahres endgültige Rentenbescheide nach neuem Rentenantragstellern voll bewußt. Die Mitarbeiter der Recht erteilen. Rentenversicherungsträger — vor allem auch der Die von Ihnen angesprochenen Probleme beschrän- Bundesversicherungsanstalt für Angestellte — haben ken sich weitgehend auf die Landesversicherungsan- mit unzähligen Überstunden und teilweise mit Nacht- stalten in den neuen Bundesländern. Doch auch diese arbeit mehr geleistet, als man erwarten durfte. Hinter Träger werden noch in diesem Monat mit der Ertei- dem bisher Erreichten steht ein gewaltiger Arbeits- lung endgültiger Rentenbescheide nach neuem Recht aufwand und Arbeitseinsatz. Es ist daher zu erwarten, beginnen können. daß sich die Verhältnisse bald normalisieren. Grund für die Verzögerungen waren Schwierigkei- Bei dieser Sachlage sind zusätzliche Initiativen der ten bei der Erstellung der Rentenberechnungspro- Bundesregierung zur Verkürzung der Rentenbearbei- gramme. Bei der Verabschiedung des Rentenreform- tungsdauer bei den Rentenversicherungsträgern gesetzes im November 1989 konnte noch niemand nicht angezeigt. den Zeitpunkt der Herstellung der staatlichen Einheit und deren Folgen absehen. Um der staatlichen Einheit so schnell wie möglich auch die soziale Einheit folgen zu lassen, waren daher noch vor dem Inkrafttreten des Anlage 15 neuen Rentenrechts am 1. Januar 1992 umfangreiche Antwort Änderungen dieses Rechts erforderlich, die im Ren- tenüberleitungsgesetz vom 31. Juli 1991 getroffen des Parl. Staatssekretärs Rudolf Kraus auf die Fragen wurden, das Ende 1991 noch einmal geändert wurde. des Abgeordneten Dr.-Ing. Rainer Jork (CDU/CSU) Damit hatte der Gesetzgeber den Rentenversiche- (Drucksache 12/3921 Fragen 43 und 44): 11154* Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 128. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1992

Hält es die Bundesregierung für angebracht, daß die Perso- Anlage 16 nalausstattung der Arbeitsämter in den neuen Bundesländern unter den gleichen Gesichtspunkten wie in den alten Bundes- Antwort ländern, also in Relation zur Bevölkerungsstruktur erfolgt oder sind Zuschläge in Anbetracht der aktuellen Arbeitsmarktlage in des Parl. Staatssekretärs Rudolf Kraus auf die Frage den neuen Bundesländern über die Möglichkeiten der Nutzung des Abgeordneten Ludwig Stiegler (SPD) (Drucksa- von ABM auch bei der Beschäftigung auf Arbeitsämtern hinaus che 12/3921 Frage 46): vorgesehen? In welcher Weise wird die Bundesregierung die Vorgabe des jüngsten Karlsruher Urteils zur Gestaltung der Arbeitslosenhilfe Wie wird für eine Übergangszeit bis zu einer vergleichbaren bei Ehepaaren und Paaren von Lebensgemeinschaften umset- Situation auf dem Arbeitsmarkt in den neuen Bundesländern, zen, und bis wann ist mit entsprechenden Initiativen zu rech- bezogen auf die Situation in den alten Bundesländern, die nen? Personalausstattung auf den Arbeitsämtern in den neuen Bun- desländern vorgesehen und wird eingeschätzt, daß diese Aus- stattung dem Bedarf entspricht? Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Urteil vom 17. November 1992 die sogenannte verschärfte Bedürftigkeitsprüfung bei der Arbeitslosenhilfe für verfassungswidrig erklärt. Es hat außerdem angeord- Anhaltspunkte für die Personalausstattung in den net, daß bis zu einer Neuregelung durch den Gesetz- Arbeitsämtern der alten Bundesländer hat in der geber die Einkommensanrechnung bei nicht dauernd Vergangenheit u. a. das Personalbemessungssystem getrennt lebenden Ehegatten und Partnern einer der Bundesanstalt für Arbeit gegeben, das z. Z. von eheähnlichen Gemeinschaft in der Form der individu- der Bundesanstalt für Arbeit in Zusammenarbeit mit ellen Bedürftigkeitsprüfung vorzunehmen ist. Das dem Bundesrechnungshof überarbeitet wird. bedeutet, daß kein Schwebezustand bis zu einer gesetzlichen Neuregelung besteht. Für die Personalausstattung der Arbeitsverwaltung Zur Beseitigung der Verfassungswidrigkeit stehen in den neuen Bundesländern hat man im Jahr 1990 als dem Gesetzgeber mehrere Möglichkeiten zur Verfü- ersten Anhaltspunkt einen Vergleich zu der Personal- gung. Die Prüfung, welche verwirklicht werden soll, ausstattung der Arbeitsverwaltung im Landesarbeits- wird einige Zeit in Anspruch nehmen. Falls die vom amtsbezirk Nordrhein-Westfalen gezogen, der hin- Bundesverfassungsgericht angeordnete individuelle sichtlich der Einwohnerzahl und der Zahl der Arbeits- Bedürftigkeitsprüfung nicht beibehalten werden soll, ämter mit den neuen Bundesländern vergleichbar ist. ist mit einer entsprechenden Initiative der Bundesre- Mit Rücksicht auf die sich verschlechternde Lage auf gierung im Laufe des Jahres 1993 zu rechnen. dem Arbeitsmarkt und der damit verbundenen stei- genden Arbeitsbelastung der Arbeitsverwaltung in den neuen Bundesländern wurden bereits im Jahr 1991 zusätzliche Planstellen genehmigt. Im Jahr 1992 Anlage 17 wurden diese noch einmal aufgestockt. Von ursprüng- Antwort lich 17 099 erhöhte sich die Zahl der Planstellen auf 21 472. Zusätzlich sind im Jahresdurchschnitt des Parl. Staatssekretärs Dr. Bertram Wieczorek auf 1992 rd. 2 000 Kräfte aus den alten Bundeslän- die Fragen der Abgeordneten Marion Caspers - Merk dern in die Arbeitsämter der neuen Bundesländer (SPD) (Drucksache 12/3921 Fragen 58 und 59): abgeordnet. Durch rd. 3 000 Ermächtigungen für Teilt die Bundesregierung die Rechtsauffassung eines Gut- ri achtens von Prof. Dr. Hans-Ulrich Gallwas, nach der die Befrei- bef stet zu beschäftigende Arbeitnehmer konnte ung des Handels von der Rücknahme- und Pfandpflicht nach der eine weitere Verbesserung der Personalausstattung Verpackungsverordnung (VerpackV) automatisch eintritt, so- bewirkt werden. Tatsächlich sind z. Z. 27 100 Ar- bald die Voraussetzungen des § 6 Abs. 3 Satz 1 VerpackV erfüllt beitnehmer in den Arbeitsämtern der neuen Bun- sind, da die Freistellungserklärung durch die jeweilige Landes- regierung lediglich eine rechtssichernde Funktion habe, eine desländer (einschl. Arbeiter und Nachwuchskräfte Befreiung von der Pfand- und Rücknahmepflicht mithin auch ohne abgeordnete Arbeitnehmer aus dem Westen) dann wirksam würde, wenn die Landesregierung die Freistel- beschäftigt. lung nicht oder nicht rechtzeitig erklärt, und wenn ja, hat die Bundesregierung eine derartige Rechtsauffassung mit der For- mulierung der VerpackV gewollt? Eine Nutzung der ABM-Förderung zur Beschäfti- Teilt die Bundesregierung die in demselben Gutachten darge- gung von Arbeitnehmern in den Arbeitsämtern schei- legte Rechtsauffassung, daß die entsorgungspflichtigen Körper- det aus, da Pflichtaufgaben öffentlich-rechtlicher Kör- schaften gegenüber dem Dualen System insoweit keine eigen- perschaften nicht über ABM gefördert werden kön- ständige Rechtsposition haben, als diese Körperschaften kein nen. Vetorecht gegen die Einführung des Dualen Systems haben, wenn das Duale System objektiv darlegen kann, daß es die Belange der jeweiligen Kommune berücksichtigt hat und wenn Die Bundesregierung wird der besonderen Arbeits- ja, hat die Bundesregierung eine derartige Rechtsauffassung mit marktsituation in den neuen Bundesländern bei der der Formulierung der VerpackV gewollt? Genehmigung des Personalhaushalts der Bundesan- stalt für Arbeit für das Jahr 1993 nach Maßgabe der Zu Frage 58: hierzu verabschiedeten Entschließung des Haushalts- Dem Bundesumweltministerium ist die gutachtliche ausschusses vom 5. November 1992 Rechnung tragen. Stellungnahme zu Fragen nach § 6 Abs. 3 VerpackV Dabei erkennt sie die Unterstützung der Beschäftigten von Prof. Dr. Hans-Ulrich Gallwas, die im Auftrag der der Arbeitsverwaltung der alten Bundesländer für die Landeshauptstadt München und des Landkreises Für- neuen Bundesländer ausdrücklich an. Sie geht da- stenfeldbruck erstellt wurde, bekanntgemacht wor- von aus, daß eine Hilfestellung auch weiterhin er- den. Eine umfassende rechtliche Bewertung dieser folgt. Stellungnahme ist noch nicht abgeschlossen. Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 128. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1992 11155*

Unabhängig hiervon kann aber festgehalten wer- Die in der Sperrzone beschäftigten Personen wer- den, daß die Bundesregierung die in der Stellung- den durch Atemschutzmaßnahmen, die seit dem nahme zum Ausdruck gebrachte Auffassung, die Unglück in Anwendung sind, gegen diese erhöhte Allgemeinverfügung nach § 6 Abs. 3 Satz 6 VerpackV Belastung geschützt. habe lediglich deklaratorische Bedeutung, nicht teilt. Die Bundesregierung tritt nach wie vor für die Satz 7 des § 6 Abs. 3 VerpackV regelt eindeutig, daß Stillegung vom KKW Tschernobyl ein und erwartet, die Freistellung nach Satz 1 vom Zeitpunkt der öffent- daß die Entscheidung des ukrainischen Parlaments, lichen Bekanntmachung — gemeint ist der Allge- Tschernobyl 1993 stillzulegen, nicht revidiert wird. meinverfügung — an wirksam wird. Unabhängig von dieser Fragestellung bleibt die Frage, ob ein Antragsteller einen Rechtsanspruch auf eine Feststellung nach § 6 Abs. 3 VerpackV hat, wenn Anlage 19 die Feststellungsvoraussetzungen vorliegen. Antwort Zu Frage 59: des Parl. Staatssekretärs Dr. Ber tram Wieczorek auf die Frage des Abgeordneten Ludwig Stiegler (SPD) Ja. Die Bundesregierung ist ebenfalls der Rechts- (Drucksache 12/3921 Frage 62): auffassung, daß entsorgungspflichtige Körperschaf- ten aus § 6 Abs. 3 VerpackV kein irgendwie geartetes Treffen Pressemeldungen zu, wonach die Kernenergiewirt- schaft in Abstimmung mit der Bundesregierung beabsichtigen Vetorecht gegen die Einführung eines Systems gemäß soll, das Brennelemente-Eingangslager der inzwischen aufge- § 6 Abs. 3 VerpackV haben. gebenen Wiederaufarbeitungsanlage in Wackersdorf künftig als Zwischenlager für Atommüll zu nutzen, und wie ist nach den Die Bestimmung bezweckt, daß bei der Einrichtung Informationen der Bundesregierung der Stand der Planungen eines privatwirtschaftlichen Erfassungssystems für zur Verwirklichung einer solchen Absicht? gebrauchte Verkaufsverpackungen diejenigen, die dieses System einrichten, in den Kommunen vorhan- Die genannten Pressemeldungen treffen in keiner dene Sammel- und Verwertungssysteme möglichst in Weise zu. ihr System integrieren sollen. Insoweit hat eine Abstimmung mit den Kommunen zu erfolgen. Den Kommunen wird damit aber nicht die Rechtsposition eingeräumt, darüber zu entscheiden, ob die Einrich- Anlage 20 tung sog. Dualer Systeme erfolgen kann oder nicht. Dies ist auch mit der Verpackungsverordnung so Antwort beabsichtigt. Die Feststellung der Errichtung Dualer des Parl. Staatssekretärs Dr. Bertram Wieczorek auf Systeme soll jeweils landesweit ge troffen werden, die Frage der Abgeordneten Susanne Kastner (SPD) damit einerseits landesweit ein und dieselbe Rechts- (Drucksache 12/3921 Frage 63): lage gilt und andererseits eine flächendeckende Wie wird sichergestellt, daß die ab 1. Januar 1993 in den neuen Errichtung solcher Systeme ermöglicht wird. Bundesländern verbotenen Pflanzenschutzmittel nicht mehr in Verkehr gebracht und umweltverträglich entsorgt werden, und welche Möglichkeiten sieht die Bundesregierung den neuen Ländern zu helfen, daß Umwelt- und Gesundheitsschäden durch die in den neuen Ländern lagernden, seit langem bzw. ab Anlage 18 1. Januar 1993 verbotenen Pflanzenschutzmittel möglichst schnell vermieden werden? Antwort des Parl. Staatssekretärs Dr. Bertram Wieczorek auf Nach Maßgabe des Einigungsvertrages (Anlage I, die Frage des Abgeordneten Horst Kubatschka (SPD) Kapitel VI, Sachgebiet A, Abschnitt III, Nr. 6) endet die (Drucksache 12/3921 Frage 60): Möglichkeit der Anwendung der nach den Vorschrif- ten der ehemaligen DDR zugelassenen Pflanzen- Wie beurteilt die Bundesregierung die Berichte ukrainischer Wissenschaftler, wonach in der Sperrzone um das Atomkraft- schutzmittel in den neuen Bundesländern am 31. De- werk Tschernobyl besorgniserregende Konzentrationen des zember 1992, es sei denn, das Inverkehrbringen im Elements Americum 241 festgestellt wurden, und wird die Beitrittsgebiet wird im Einzelfall über den 31. Dezem- Bundesregierung in Konsequenz daraus ihre Bestrebungen zu ber 1992 hinaus durch die Biologische Bundesanstalt einer endgültigen Stillegung von Tschernobyl verstärken? für Land- und Forstwirtschaft genehmigt. Die Bundes- regierung hatte deshalb bereits im Juli 1992 die für die Der Bundesregierung ist bekannt, daß durch radio- Entsorgung zuständigen Länderbehörden darauf hin- aktiven Zerfall von Plutonium 241, das aus dem gewiesen, daß nach dem 31. Dezember 1992 zusätz- havarierten Block 4 des KKW Tschernobyl stammt, lich zu den bisher erfaßten Pflanzenschutzmittelabfäl- Americium 241 entsteht. len weitere Pflanzenschutzmittel als Abfall zu entsor- Hierduch wird in der Sperrzone (30 km —Radius um gen seien und zur Vorbereitung der Entsorgung dieser das Kraftwerk), in der das Plutonium 241 praktisch Pflanzenschutzmittel unverzüglich Maßnahmen ein- ausschließlich abgelagert ist, die Bodenstrahlung zuleiten seien. auch in den nächsten Jahren um deutlich weniger als Als Hilfestellung hatte die Bundesregierung ein 1 % verändert. Konzept zur endgültigen Entsorgung der Pflanzen- Gegenüber Plutonium 241 ist das Inhalationsrisiko schutzmittel-Reste erarbeitet und den für die Umset- durch Americium 241 allerdings um den Faktor 2 bis 3 zung zuständigen Umweltministern der neuen Länder größer. zur Anwendung empfohlen. Damit soll insbesondere 11156* Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 128. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1992 auch einem illegalen Export derartiger Stoffe durch Artikel 33 des deutsch-polnischen Nachbarschafts- die Länder vorgebeugt werden. Das Konzept berück- vertrages gewährt kein subjektives Recht auf Ertei- sichtigt u. a. die Ergebnisse eines Forschungsvorha- lung von Grundbuchauskünften. Durch diese Vor- bens aus 1989, die als Bericht des Umweltbundesam- schrift verpflichten sich die Vertragsparteien lediglich tes „Einsatz und Beseitigung von Pflanzenschutzmit- zur Weiterentwicklung, Intensivierung und Vereinfa- teln sowie Erstellung einer Konzeption zur umwelt- chung des Rechtshilfeverkehrs. Wie diese Ziele freundlichen Beseitigung von Pflanzenschutzmittelre- erreicht und durch welche subjektiven Rechte für die sten" vorgelegt wurden. betroffenen Bürger sie noch konkret ausgefüllt wer- den sollen, läßt der Vertrag offen. Für die Pflanzenschutzmittel mit fester Konsistenz sieht das Konzept die Untertagedeponierung im Salz- gestein entsprechend TA Abfall, Teil 1, für die Pflan- zenschutzmittel mit flüssiger Konsistenz die Verbren- nung bzw. die chemisch-physikalische Behandlung als Entsorgungsweg vor. Anlage 22 Auf Initiative der Bundesregierung hatten der Antwort Betreiber der Untertagedeponie Herfa-Neurode (Hes- sen) sowie die Aufsichtsbehörden die Annahme der des Staatsministers Helmut Schäfer auf die Frage der festen Pflanzenschutzmittel nach geeigneter Vorbe- Abgeordneten Maria Michalk (CDU/CSU) (Drucksa- handlung zugesagt. che 12/3921 Frage 69): Weiterhin hat die Bundesregierung den Vollzugs- Unterstützt die Bundesregierung die Forderung, Vergewalti- gung als Kriegsverbrechen in völkerrechtliche Konven tionen behörden Maßnahmen zur Sicherstellung der Pflan- aufzunehmen und die institutionellen Möglichkeiten der inter- zenschutzmittel empfohlen, durch die sich die Gefähr- nationalen Strafverfolgung zu verbessern? dungspotentiale kurzfristig reduzieren ließen. Der Bundesregierung ist bekannt, daß die zuständi- Die berichteten grauenhaften Vergewaltigungen gen Länder mit Nachdruck an der Entsorgung ent- an Mädchen und Frauen in Bosnien und Herzegowina sprechend den Empfehlungen des Konzepts arbei- durch serbische Truppen oder Freischärler sind ten. bereits nach den geltenden Normen des Völkerrechts Hinzuweisen ist in diesem Zusammenhang auch auf verboten und als Kriegsverbrechen zu beurteilen. einen Gesetzesantrag des Landes Thüringen, den der Eine institutionalisierte „internationale Strafverfol- Bundesrat am 27. November 1992 beschlossen hat gung" gibt es im herrschenden Völkerrechtssystem (BRat-Drucksache 725/90). generell noch nicht. Der Antrag sieht vor, daß die Übergangsfristen der noch anwendbaren Pflanzenschutzmittel aus der ehe- maligen DDR unter Beachtung des Gesundheits- und Umweltschutzes noch bis Ende 1994 verlängert wer- den. Die Bundesregierung erkennt das Anliegen des Anlage 23 Bundesrates im Grundsatz an, eine Verlängerung des Antwort Inverkehrbringens und der Anwendung dieser Pflan- zenschutzmittel zu erwirken, da noch erhebliche des Staatsministers Helmut Schäfer auf die Frage der Mengen in den neuen Bundesländern lagern, die Abgeordneten Bärbel Sothmann (CDU/CSU) (Druck- unter vorrangiger Berücksichtigung der Vorschriften sache 12/3921 Frage 70): der Pflanzenschutz-Anwendungsverordnung zur An- Sieht die Bundesregierung die Möglichkeit, daß die Vereinten wendung kommen könnten. Nationen und Interna tionale Hilfsorganisationen wegen der systematischen Vergewaltigung von Frauen im ehemaligen Eine Stellungnahme der Bundesregierung zu dem Jugoslawien intervenieren, wenn ja, was gedenkt die Bundes- Gesetzesantrag wird z. Z. vorbereitet und anschlie- regierung zu tun, um solche Interventionen zu initiieren? ßend zusammen mit dem Gesetzesantrag dem Deut- schen Bundestag zur Beschlußfassung zugeleitet. Die VN-Menschenrechtskommission hat am 30. No- vember und 1. Dezember 1992 in Genf getagt. Auf diesem Treffen wurden die bosnischen Serben wegen ihrer Politik der ethnischen Säuberung und anderen Verletzungen der Menschenrechte verurteilt. Der Anlage 21 Sonderberichterstatter der VN zu Menschenrechtsfra- Antwort gen, Herr Tadeusz Mazowiecki, hat in seinem Be richt auch auf die Vergewaltigungen von Frauen hingewie- des Staatsministers Helmut Schäfer auf die Frage des sen. Nach Auffassung von Bundesminister Kinkel Abgeordneten Ortwin Lowack (fraktionslos) (Druck- bedarf es jedoch dringend einer noch eingehenderen sache 12/3921 Frage 66): Untersuchung dieser grauenhaften Vorwürfe. Er hat Was wird die Bundesregierung unternehmen, damit die Ver- deshalb am 2. Dezember 1992 einen B rief an Herrn pflichtung Polens gemäß Ar tikel 33 des Nachbarschaftsvertrages Mazowiecki gerichtet mit dem er ihn gebeten hat, auf von polnischen Behörden eingehalten und es damit deutschen die Problematik der systematischen Vergewaltigung Staatsbürgern ermöglicht wird, Grundbuchauskünfte über die in ihrem Eigentum stehenden Liegenschaften in den Oder-Neiße- von Frauen zukünftig ein besonderes Augenmerk zu Gebieten zu erhalten? richten. Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 128. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1992 11157*

Anlage 24 sondere in Fällen, in denen die Be troffenen von ihren Antwort Familien ausgeschlossen werden sollten. Bei medizi- nischer und psychologischer Be treuung wird selbst- des Staatsministers Helmut Schäfer auf die Frage der verständlich auf die zusätzlichen Probleme, verur- Abgeordneten Ortun Schätzle (CDU/CSU) (Drucksa- sacht durch erzwungene Schwangerschaften, einge- che 12/3921 Frage 71): gangen. Ein Arzt des Gesundheitsdienstes des Aus- Beabsichtigt die Bundesregierung, Initiativen zu ergreifen, wärtigen Amtes ist in der vergangenen Woche nach damit die Europäischen Gemeinschaften gegen Vergewaltigung Zagreb gereist, wo sich eine wachsende Zahl der als Mittel der Kriegsführung im ehemaligen Jugoslawien gemeinsam vorgehen? Betroffenen befindet. Gemeinsam mit Ärztinnen vor Ort werden die schnellst- und in der Kürze der Zeit Systematische Vergewaltigungen von Frauen, auf bestmöglichen Maßnahmen vorbereitet. Die Arbeit die sich die Hinweise verdichten, sind ein besonders dieser ersten Anlaufstelle soll möglichst noch diese grausamer Bestandteil der Terrorisierung vor allem Woche beginnen. Weitere Schritte und Maßnahmen der Zivilbevölkerung. Bundesminister Kinkel hat sich sollen folgen, sobald feststeht, was im Hinblick auf die deshalb am 2. Dezember 1992 an den britischen Notlage der Frauen und Mädchen sinnvoll und wirk- Außenminister Hurd gewandt, damit Großbritannien sam ist. in seiner Funktion als EG-Präsidentschaft die Zwölf zu gemeinsamer Hilfe für die be troffenen Frauen und Mädchen auffordert. Anlage 27 Antwort Anlage 25 des Staatsministers Helmut Schäfer auf die Frage der Antwort Abgeordneten Irmgard Karwatzki (CDU/CSU) des Staatsministers Helmut Schäfer auf die Frage der (Drucksache 12/3921 Frage 74): Abgeordneten Sigrun Löwisch (CDU/CSU) (Drucksa- Was gedenkt die Bundesregierung zu unternehmen, damit die che 12/3921 Frage 72): systematische Vergewaltigung von Frauen, die Verbrechen an Frauen im ehemaligen Jugoslawien, sofort eingestellt wer- Wie wird die Bundesregierung den Opfern von Vergewalti- den? gungen im ehemaligen Jugoslawien, die aus ihren Familien ausgeschlossen werden, helfen? Die Bundesregierung hat keine Möglichkeit, unmit- Die Bundesregierung bereitet die Einrichtung eines telbar auf die Kriegsgeschehnisse in Bosnien-Herze- Hauses in Zagreb für „Frauen in Not" zur medizini- gowina einzuwirken. schen und psychologischen Betreuung der Mädchen Bundesminister Kinkel hat dem Ministerpräsiden- und Frauen vor. Dies schließt alle Frauen ein, insbe- ten der „Bundesrepublik Jugoslawien" mitgeteilt, daß sondere in Fällen, in denen die Be troffenen von ihren er dessen Regierung für die schweren Menschen- Familien ausgeschlossen werden sollten. Ein Arzt des rechtsverletzungen, also auch für die Vergewaltigung Gesundheitsdienstes des Auswärtigen Amtes ist in der von Frauen, politisch mitverantwortlich macht und hat vergangenen Woche nach Zagreb gereist, wo sich ihn aufgefordert, für eine sofortige Beendigung dieser eine wachsende Zahl der Be troffenen befindet. menschenverachtenden Praktiken zu sorgen. Gemeinsam mit Ärztinnen vor Ort werden die schnellst- und in der Kürze der Zeit bestmöglichen Der Bundesminister hat zudem angekündigt, daß er Maßnahmen vorbereitet. Die Arbeit dieser ersten sich persönlich für eine strafrechtliche Verfolgung der Anlaufstelle soll möglichst noch diese Woche begin- Täter einsetzen wird. nen. Weitere Schritte und Maßnahmen sollen folgen, sobald feststeht, was im Hinblick auf die Notlage der Frauen und Mädchen sinnvoll und wirksam ist. Der Bundeskanzler hat sich dafür ausgesprochen, daß die Anlage 28 Bundesrepublik Deutschland, soweit dies möglich ist, Antwort einem Teil der Frauen Aufnahme gewährt. des Staatsministers Helmut Schäfer auf die Frage der Abgeordneten Ursula Männle (CDU/CSU) (Drucksa- Anlage 26 che 12/3921 Frage 75): Liegen der Bundesregierung gesicherte Informa tionen über Antwort das Ausmaß von Vergewaltigungen im „jugoslawischen Kriegs- des Staatsministers Helmut Schäfer auf die Frage der gebiet", vor allem durch serbische Truppen in Bosnien-Herze- gowina, vor? Abgeordneten Dr. Sissy Geiger (Darmstadt) (CDU/ CSU) (Drucksache 12/3921 Frage 73): Der Bundesregierung liegen derzeit keine gesicher- Sind von der Bundesregierung besondere Hilfsangebote für Frauen geplant, die auf Grund von Vergewaltigungen im ten, durch eine unabhängige Internationale Organisa- ehemaligen Jugoslawien schwanger sind? tion geprüften und bestätigten Zahlen vor. Bisherige Zeugenaussagen sind nur als Indizien zu we rten und Die Bundesregierung bereitet die Einrichtung eines ergeben noch kein schlüssiges Gesamtbild über den Hauses in Zagreb für „Frauen in Not" zur medizini- gesamten Umfang der Vergewaltigungen. Die Frage schen und psychologischen Betreuung der Mädchen der Vergewaltigungen ist vor allem für viele der und Frauen vor. Dies schließt alle Frauen ein, insbe- betroffenen Frauen ein tabuisiertes Thema, was eine 11158* Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 128. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1992 rasche Datenerhebung sehr erschwert. Der verständ- 3. In Brasilia besteht angesichts der günstigen Ta rife liche Wunsch nach genauerer Information, darf nicht und bisher problemlosen Energieversorgung zur Zeit zu Lasten der be troffenen Frauen verwirklicht wer- keine Veranlassung, Mittel für Sonnenkollektoren den. einzusetzen. Die Bundesregierung war als erste intensiv darum 4. Das Auswärtige Amt wird auch in Zukunft darauf bemüht, über die deutschen Vertretungen und das achten, daß bei den in Frage kommenden Auslands- Büro „Deutsche Humanitäre Hilfe" in Zagreb zusätz- bauvorhaben jede sich bietende Gelegenheit zur lich juristisch haltbare Beweise zu sammeln. Die Erprobung erneuerbarer Energien genutzt wird. gleichen Bitten hat auch BM Kinkel an den VN- Sonderberichterstatter Mazowiecki gerichtet.

Anlage 31 Antwort Anlage 29 Antwort des Staatsministers Helmut Schäfer auf die Frage des Abgeordneten Hans Wallow (SPD) (Drucksache des Staaatsministers Helmut Schäfer auf die Frage der 12/3921 Frage 78): Abgeordneten Gabriele Wiechatzek (CDU/CSU) Welche Anstrengungen hat die Bundesregierung bisher (Drucksache 12/3921 Frage 76): unternommen, um über das Zusatzabkommen zum NATO Wird die Bundesregierung darauf hinwirken, daß die Hilfen Truppenstatut die volle Souveränität der Bundesrepublik der Vereinten Nationen und Internationaler Organisationen für Deutschland sowohl bei der Gestaltung der Rechtsverhältnisse die Opfer von Vergewaltigung im ehemaligen Jugoslawien von Zivilbeschäftigten bei den NATO-Streitkräften als auch bei ausgebaut werden? der Verfügungsgewalt der Bundesrepublik Deutschland über die Nutzung, Entsorgung und Verwertung der Liegenschaften, die die NATO-Streitkräfte in Besitz haben, zu erreichen? Bundesminister Kinkel hat bereits mit B riefen an die britische EG-Präsidentschaft und an VN-Sonderbe- Die Bundesregierung führt seit September 1991 richterstatter Mazowiecki die Vereinten Nationen und Verhandlungen zur Überprüfung des Zusatzabkom- die Europäische Gemeinschaft eingeschaltet. Die mens zum NATO-Truppenstatut. Ein wesentliches Bundesregierung selbst ist, wie schon früher gesagt, Ziel der Verhandlungen ist es, das Zusatzabkommen als erste zur Be treuung der Opfer von Vergewaltigun- von 1959 an die gegenwärtigen Erfordernisse anzu- gen aktiv. passen. Die Verhandlungen sind noch nicht abge- schlossen. Es scheint aber, daß sie einem Ergebnis zugeführt werden können, das in fast allen Bereichen zufriedenstellend ist. Zu den schwierigeren Mate rien, Anlage 30 die noch nicht völlig gelöst sind, gehört dabei die Antwort Gestaltung der Rechtsverhältnisse der örtlichen Zivil- des Staatsministers Helmut Schäfer auf die Frage der beschäftigten bei den Streitkräften der Entsendestaa- Abgeordneten Monika Ganseforth (SPD) (Drucksa- ten. Hier finden derzeit Kontakte auf Ministerebene che 12/3921 Frage 77): statt. Fragen im Zusammenhang mit den den alliierten Streitkräften zur Nutzung überlassenen Liegenschaf- Hält die Bundesregierung die gezielte beispielhafte Ausstat- tung der deutschen Botschaften im Sonnengürtel der Erde mit ten sind demgegenüber weitestgehend verhandelt. Sonnenkollektoren und Photovoltaikanlagen für einen Beitrag Einzelheiten können im derzeitigen Stadium noch zur notwendigen Umstrukturierung der Energieversorgung, und nicht mitgeteilt werden. aus welchem Grund werden beispielsweise bei -der neugebauten deutschen Botschaft in Brasilia keine Sonnenkollektoren zur Erwärmung des Brauchwassers verwendet?

1. Mit Rücksicht auf die gesetzlichen Vorgaben der Anlage 32 Bundeshaushaltsordnung kann eine gezielte beispiel- Antwort hafte Ausstattung deutscher Vertretungen mit Son- des Staatsministers Helmut Schäfer auf die Frage des nenkollektoren und Photovoltaikanlagen erst erwo- Abgeordneten Norbert Gansel (SPD) (Drucksache gen werden, wenn sowohl deren Leistungsfähigkeit 12/3921 Frage 81): als auch deren Wirtschaftlichkeit außer Frage ste- hen. Wie beurteilt die Bundesregierung die Rüstungsexporte von Rußland und anderen GUS-Staaten in Krisengebiete, und hat es 2. Das Auswärtige Amt verfolgt die Forschung, Zusicherungen im Zusammenhang mit Wirtschaftshilfen an die Entwicklung und Einsatzerprobung von erneuerba- Sowjetunion und die GUS-Staaten gegeben, daß sich diese Staaten bei Rüstungsexporten zurückhalten würden? ren Energien mit großer Aufmerksamkeit. Gerade auch auf Grund der Tatsache, daß an vielen Dienstor- ten in der dritten Welt die Zuverlässigkeit der örtli- Die Bundesregierung nutzt alle Möglichkeiten, um chen Energieversorgung stetig abnimmt. Ein konkre- die Regierungen der Staaten der ehemaligen Sowjet- tes Vorhaben zur Einsatzerprobung war bereits auf union zu drängen, eine ähnlich restriktive Rüstungs- Initiative des Auswärtigen Amtes für den Neubau exportpolitik wie Deutschland zu verfolgen. einer Botschafterresidenz in N'Djamena baufachlich Das Thema konventionelle Rüstungsexporte spielte genehmigt, mußte jedoch wegen einer Statusände- in den Gesprächen der G 7-Staats- und Regierungs- rung der Auslandsvertretung in eine Außenstelle der chefs mit Präsident Jelzin nach dem Weltwirtschafts- Botschaft Jaounde aufgegeben werden. gipfel in München eine wichtige Rolle. Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 128. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1992 11159*

Die Bundesregierung hatte schon vor dem Münch- Zu Frage 83: ner Gipfel mit anderen G 7-Partnern eine hochrangige Delegation in acht Nachfolgestaaten der Sowjetunion Die veranschlagte Personalstärke der Dienststellen entsandt, um die Regierungen dieser Staaten auf die Bad Bentheim/BAB und Bunde ermöglicht es, daß alle Wichtigkeit von Exportkontrollen für Waffen und Stammbeamten an ihrem bisherigen Dienstort weiter- sensitive Güter zu verpflichten, sie zum Beitritt zu den verwendet werden können, solange die Restorganisa- internationalen Nichtverbreitungsregimen aufzufor- tion des Bundesgrenzschutzes an den Binnengrenzen dern und um die bereits praktizierten Exportkontrol- besteht. len zu analysieren. Im Bereich der BAT-Kräfte lassen sich Veränderun- Die Gefährlichkeit von Rüstungsexporten ist diesen gen indes nicht vermeiden. Die beiden Dienststellen Staaten bewußt. Sie sind alle Mitglieder der KSZE. Die verfügen bei einer derzeitigen Beschäftigungszahl KSZE-Staaten haben auf AM-Ebene am 30./31. Ja- von insgesamt zehn Arbeitnehmern lediglich über nuar 1992 eine „Erklärung über Nichtverbreitung und jeweils zwei BAT-Stellen. Waffentransfer" verabschiedet. Den Angestellten, die nicht in andere Funktionsbe- Sie haben darin ihre Verpflichtung erklärt, „sich mit reiche übernommen werden können, werden Um- der Gefahr einer übermäßigen Anhäufung konventio- schulungsangebote zur Vorbereitung auf einen Über- neller Waffen auf der Grundlage der Prinzipien der tritt in die Wirtschaft oder zu anderen Verwaltungen Transparenz, Konsultation und Zurückhaltung zu unterbreitet. Außerdem erhalten sie die Möglichkeit, befassen und sich verpflichtet, Verantwortungsbe- insbesondere bei nahegelegenen Bahnpolizeidienst- wußtsein zu zeigen, insbesondere im Hinblick auf den stellen unterzukommen. Waffentransfer in Staaten, die eine solche übermäßige Anhäufung betreiben, sowie in Spannungsgebiete". Zusicherungen im Zusammenhang mit wirtschaftli- cher Hilfe an die Nachfolgestaaten der Sowjetunion, daß sich diese Staaten bei Rüstungsexporten zurück- halten, sind der Bundesregierung nicht bekannt. In Anlage 34 diesem Zusammenhang wird an die Komplexität der Antwort Konversion der Rüstungsindustrie erinnert. des Parl. Staatssekretärs Eduard Lintner auf die Frage des Abgeordneten Günther Friedrich Nolting (F.D.P.)(Drucksache 12/3921 Frage 84):

Hält es die Bundesregierung für zeitgemäß, daß zwei Jahre Anlage 33 nach Herstellung der deutschen Einheit an wissenschaftliche Mitarbeiter von Abgeordneten nach erfolgter Sicherheitsüber- Antwort prüfung die vom Bundesamt für Verfassungsschutz im Auftrag des Bundesministers des Innern 1985 herausgegebene Bro- des Parl. Staatssekretärs Eduard Lintner auf die Fra- schüre „Ihre Verantwortung — unsere Sicherheit", 3. Auflage gen des Abgeordneten Günter Graf (SPD) (Drucksa- Juni 1988, verteilt wird, in der unter anderem die DDR und ihr Staatssicherheitsdienst als die Hauptgegner der Bundesrepublik che 12/3921 Fragen 82 und 83): Deutschland und „Der Weg eines Einreiseantrages durch die Welche Konzeption verfolgt die Bundesregierung vor dem DDR-Instanzen" dargestellt werden? Hintergrund des Wegfalls der Grenzkontrollen zum 1. Januar 1993 (Schengener Abkommen) hinsichtlich der Grenzschutz dienststellen im Bereich des Landes Niedersachsen,- und welche Die Bundesregierung hält es nicht für zeitgemäß, personellen Folgerungen ergeben sich daraus? die für jedermann erkennbar überholte Broschüre Beabsichtigt die Bundesregierung, die Grenzschutzstellen „Ihre Verantwortung — unsere Sicherheit" z. B. bei Bad Bentheim/BAB und Bunde aufzulösen, und in welcher Form Ermächtigungen zum Zugang zu Verschlußsachen ist daran gedacht, das vorhandene Personal sozialverträglich umzusetzen? nach erfolgter Sicherheitsüberprüfung an Be troffene auszuhändigen. Aus diesem Grunde haben die Bun- desressorts diese Broschüre durch aktuelle Informa- Zu Frage 82: tionen ersetzt. Das Bundesministerium des Innern Nach der Inkraftsetzung des Schengener Durchfüh- verwendet bei Ermächtigungen, Beauftragungen u. ä. rungsübereinkommens vom 19. Juni 1990, mit der im Anlässen die von ihm verfaßten „Informa tionen für Laufe des Jahres 1993 zu rechnen ist, werden die Geheimnisträger und Mitarbeiter in sicherheitsemp- Personenkontrollen an den Binnengrenzen der findlichen Bereichen" . Schengener Vertragsstaaten vollständig entfallen. Im konkreten Fall ist der wissenschaftliche Mitar- Dennoch wird der Bundesgrenzschutz dort vorläu- beiter des Abgeordneten bei der Aushändigung der fig mit einer Teilorganisation präsent bleiben. Er wird Broschüre ausdrücklich darauf hingewiesen worden, fortbestehende Serviceaufgaben wahrnehmen sowie daß den Umstellungsprozeß zur Herbeiführung der Kon- — die Passagen, die die ehemalige DDR be treffen, trollfreiheit absichern und auf seine Auswirkungen überholt seien und hin beobachten. Entlang der Binnengrenzen sind zehn Dienststellen vorgesehen, von denen zwei — die Aushändigung nur wegen der im übrigen — Bad Bentheim/BAB und Bunde — im Bereich des anschaulichen Ausführungen über den personel- Landes Niedersachsen liegen. len und materiellen Geheimschutz erfolge. 11160* Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 128. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1992

Anlage 35 Anstalt des öffentlichen Rechts in der Trägerschaft der Antwort Länder errichtet worden. Es hat den Auftrag, ein Fernsehvollprogramm für Deutschland zu veranstal- des Parl. Staatssekretärs Eduard Lintner auf die Fra- ten. Entsprechend der Rechtsprechung des Bundes- gen des Abgeordneten Heinz-Dieter Hackel (F.D.P.) verfassungsgerichts seit dem ersten Fernsehurteil aus (Drucksache 12/3921 Fragen 85 und 86): dem Jahre 1961 gibt es keine Kompetenz des Bundes, Wie viele Bewerber haben sich far offene Positionen beim die sich auf das ZDF erstreckt. Der Bund war weder an Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge in der Errichtung des ZDF beteiligt, noch ist er zur Zirndorf und die Außenstellen gemeldet, und wie viele sind bisher eingestellt worden? Ausübung der Rechtsaufsicht über das ZDF befugt. Die Rechtsaufsicht obliegt vielmehr gemäß § 31 des Mit wie vielen Bewerbern rechnet die Bundesregierung für das Bundesamt und seine Außenstellen bei Inkrafttreten des ZDF-Staatsvertrages ausschließlich den Landesregie- Beamtenverwendungsgesetzes? rungen, die sie in zweijährigem Wechsel nach der alphabetischen Reihenfolge der L ander ausüben. Mit dem Haushalt 1992 wurde der Stellenbestand des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Die Bundesregierung hat in Bezug auf das ZDF Flüchtlinge (BAFl) von 1 176 auf 3 599 erweitert. Im lediglich das Recht, drei Vertreter in den Fernsehrat und einen Vertreter in den Verwaltungsrat der Anstalt Haushalt 1993 ist eine weitere Zunahme um 1 950 zu entsenden. Einstellungsmöglichkeiten vorgesehen. Mit Inkraft- treten des Haushalts 1993 hat sich damit das Stellen- Angesichts dieser eindeutigen Rechtslage enthält volumen seit 1991 nahezu vervierfacht. Dem BAFl sich die Bundesregierung einer Beurteilung des vom sind bis zum 1. Dezember 1992 rd. 15 000 Bewerbun- ZDF geplanten Kooperationsvertrages mit dem ame- gen zugegangen. Diese Bewerbungen beziehen sich rikanischen Nachrichtensender CNN. Da die Mitglie- auf vom BMI veranlaßte Ausschreibungen in regiona- der des Fernsehrates und des Verwaltungsrates len und überregionalen Zeitschriften, aber auch auf gemäß §§ 21 Abs. 9 und 24 Abs. 5 des ZDF-Staatsver- Ausschreibungen der Länder, die diese Vermittlung trages an Weisungen nicht gebunden sind, hätte die teilweise als Erfüllung ihrer Verpflichtung, dem Bund Bundesregierung auch mittels ihrer Vertreter in den 500 als Einzelentscheider geeignete Mitarbeiter zu Gremien keine Handhabe, auf das vom ZDF geplante benennen, betrachten. Vorhaben Einfluß zu nehmen. Zum 1. Dezember 1992 konnten auf der Grundlage der vom BAR und dem BMI getroffenen Personalaus- wahlen 1 910 Stellen besetzt werden. Darüber hinaus wurden 1 196 schriftliche Einstellungszusagen erteilt. Vorbehaltlich ihrer Realisierung, die maßgeblich auch von den personalabgebenden Einrichtungen und den Anlage 37 Betroffenen selbst bestimmt ist, ist auf der Grundlage Antwort des Haushalts 1992 von rd. 500 Vakanzen auszuge- hen, die sich unter Berücksichtigung des Haushalts des Parl. Staatssekretär Eduard Lintner auf die Frage 1993 auf rd. 2 450 erweitern werden. der Abgeordneten Dr. Margret Funke-Schmitt-Rink (F.D.P.) (Drucksache 12/3921 Frage 88): Die Gewinnung qualifizierten Personals gestaltet sich schwierig. Die Asylmaterie wird von vielen Ange- Wie viele rechtsradikale/rechtsextreme Organisationen sind hörigen des öffentlichen Dienstes als unat traktiv emp- bekannt, und wie ist der Organisationsgrad (Strukturierungen funden. Die Konkurrenz zu Verwendungen in den und Bewertungen) dieser Gruppierungen? Verwaltungen des Beitrittsgebiets ist ebenso spürbar wie die Endlichkeit des Personalpotentials vor allem Zur Zeit gibt es in der Bundesrepublik Deutschland im gehobenen Dienst und Schreibdienst. Mittelfristig 77 rechtsextremistische Organisationen und sonstige wird jedoch auch im Hinblick auf das sich aus dem Personenzusammenschlüsse. Dabei wird unterschie- Verwendungsförderungsgesetz ergebenden Bewer- den zwischen militanten Rechtsextremisten, insbe- berpotential mit einer Entspannung auf dem Personal- sondere rechtsextremistischen Skinheads in zahl- sektor des BAFl gerechnet werden können. reichen, meist strukturarm ausgestalteten Perso- nenzusammenschlüssen auf regionaler und lokaler Ebene, nicht gewaltbereiten neonationalsozialisti- Anlage 36 schen Gruppen, „national-freiheitlichen" („Deutsche Volksunion"/DVU), „nationaldemokratischen" („Na- Antwort tionaldemokratische Partei Deutschland "/NPD) und des Parl. Staatssekretärs Eduard Lintner auf die Frage sonstigen Organisationen (z. B. „Deutsche Liga für des Abgeordneten Hans-Joachim Otto (Frankfurt) Volk und Heimat" , „Gesellschaft für freie Publizistik" (F.D.P.) (Drucksache 12/3921 Frage 87): und „Wiking-Jugend e. V."). Wie beurteilt die Bundesregierung den vom ZDF geplanten Wegen der Struktur dieser Personenzusammen- Kooperationsvertrag mit dem amerikanischen Nachrichtensen- der CNN unter medien- und wettbewerbsrechtlichen Gesichts- schlüsse und der in Einzelfällen bestehenden Zusam- punkten? menarbeit untereinander wird auf den Verfassungs- schutzbericht 1991 verwiesen. Anhaltspunkte für eine Das Zweite Deutsche Fernsehen ist durch Staatsver- zentrale Steuerung der Gewalttaten mit erwiesener trag der Länder vom 6. Juni 1961, novelliert durch oder zu vermutender rechtsextremistischer Motiva- Artikel 3 des Staatsvertrages über den Rundfunk im tion durch neonationalsozialistische Organisationen vereinten Deutschland vom 31. August 1991, als liegen nicht vor. Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 128. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1992 11161*

Anlage 38 d. h. wird sie die Initiative des Landes Brandenburg im Bundes- rat aufgreifen, und stimmt die Bundesregierung mit mir überein, Antwort daß diese Menschen, die von Deutschen ins Land geholt worden sind, grundsätzlich ähnlich zu behandeln sind, wie die „Gastar- des Parl. Staatssekretärs Eduard Lintner auf die Fra- beitnehmer", die die alte Bundesrepublik Deutschl and, insbe- gen des Abgeordneten Gernot Erler (SPD) (Drucksa- sondere in den 50er und 60er Jahren nach Deutschland einge- che 12/3921 Fragen 89 und 90): laden hat? Welche Auswirkungen für das internationale Ansehen der Billigt die Bundesregierung die Verhaltensweisen des Landes Bundesrepublik Deutschland wird es nach Meinung der Bundes- Mecklenburg-Vorpommern und auch des Landes Thüringen, regierung haben, daß im Vorstand des größten deutschen auch Arbeitnehmer, die in Lohn und Brot stehen und offenkun- Rüstungskonzerns ein Mitglied sitzt, das es für richtig hält, auf dig benötigt werden, am Ende des Jahres 1992 abzuschieben? seinem Grundstück die Reichskriegsflagge, inzwischen „Sym- bol der Gewalt von Skinheads und Neonazis" („Badische Zeitung", 2. Dezember 1992), aufzuziehen, und daß nach Zu Frage 91: Bekanntwerden dieses Verhaltens derselbe Mann in das Präsi- dium des Bundesverbandes der Deutschen Indust rie (BDI) Im Rahmen der Verhandlungen zu Asyl und Zuwan- gewählt worden ist? derung am 5./6. Dezember 1992 haben die Fraktionen Sieht die Bundesregierung einen Zusammenhang zwischen beschlossen, die Regierungschefs von Bund und Län- der Initiative des genannten Managers und neuen Mitgliedes der zu bitten, sich mit der Lage der Vertragsarbeitneh- des BDI-Präsidiums, eine Gedenkveranstaltung zum 50. Jahres- tag des Abschusses der ersten deutschen V-2-Rakete in Peene- mer der ehemaligen DDR zu befassen, um eine münde vorzubereiten, sowie dem p rivaten Hissen der Reichs- humanitäre Lösung unter Berücksichtigung der Auf- kriegsflagge, und welche praktischen Schlußfolgerungen zieht enthaltsdauer und der tatsächlich erreichten Integra- die Bundesregierung gegebenenfalls aus solchen Erkenntnis- tion dieses Personenkreises zu finden. sen?

Die Fragen sprechen einen Vorgang im nichtregie- Zu Frage 92: rungsamtlichen Bereich an; die Bundesregierung sieht sich nicht veranlaßt, dazu Stellung zu nehmen. Die ausländerrechtlichen Bestimmungen werden Allerdings zeugt es nicht von Besonnenheit und im Bundesgebiet nach Artikel 83 Grundgesetz von Verantwortungsbewußtsein, wenn Persönlichkeiten den Ländern als eigene Angelegenheit ausgeführt. des öffentlichen Lebens von Neonazis als Ersatzsym- Der Kabinettbeschluß des Landes Mecklenburg-Vor- bol benutzte Zeichen oder Gegenstände in der Öffent- pommern vom 7. Oktober 1992, daß der Aufenthalt der lichkeit verwenden. ehemaligen DDR-Vertragsarbeitnehmer entspre- chend der geltenden Rechtslage fristgerecht beendet Im übrigen wird der Vertreter der Bundesregierung wird, ist deshalb nicht zu beanstanden. in der Ältestenratssitzung dieser Woche die Zulässig- keit derartiger Fragen ansprechen. Das Aufenthaltsrecht der ehemaligen DDR-Ver- tragsarbeitnehmer ist derzeit in 11 Abs. 2 und 3 Arbeitsaufenthalteverordnung (AAV) geregelt. Da- nach erhält dieser Personenkreis eine Aufenthaltsbe- willigung, die nur bis zum Ablauf der ursprünglich Anlage 39 vorgesehenen Beschäftigungsdauer (im allgemeinen Antwort fünf Jahre) verlängert werden darf. Eine Aufenthalts- erlaubnis darf nur denjenigen erteilt werden, die am des Parl. Staatssekretärs Eduard Lintner auf die Fra- 1. Januar 1991 bereits länger als acht Jahre in gen des Abgeordneten Dr. Nils Diederich (Berlin) Deutschland waren. (SPD) (Drucksache 12/3921 Fragen 91 und 92): Das gleiche gilt für die Entscheidung des Landes Was gedenkt die Bundesregierung zu tun, um Arbeitsimmi- Thüringen, die Abschiebung dieser ausreisepflichti- granten der ehemaligen DDR (z. B. Vietnamesen, Mosambika- ner, Angolaner) zu ermöglichen, sich über 1992 hinaus in gen Personen nur noch bis zum 31. Januar 1993 Deutschland aufzuhalten, falls die Be troffenen dies wünschen, auszusetzen.