Teil A: Lobbyismus: Ein Überblick Aus Verschiedenen Perspektiven 1 Lobbyismus Im Medialen Diskurs – Ein Streifzug Durch Die Vergangenen Zehn Jahre
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Otto Brenner Stiftung OBS-Arbeitsheft 70 – Marktordnung für Lobbyisten – ONLINETEIL Andreas Kolbe, Herbert Hönigsberger, Sven Osterberg Teil A: Lobbyismus: Ein Überblick aus verschiedenen Perspektiven 1 Lobbyismus im medialen Diskurs – Ein Streifzug durch die vergangenen zehn Jahre Ein Vorschlag der Otto Brenner Stiftung Frankfurt/Main 2011 TEIL A: LOBBYISMUS: EIN ÜBERBLICK AUS VERSCHIEDENEN PERSPEKTIVEN Teil A: Lobbyismus: Ein Überblick aus verschiedenen Perspektiven 1 Lobbyismus im medialen Diskurs – Ein Streifzug durch die vergangenen zehn Jahre1 Vor dem Regierungsumzug von Bonn nach Ber- gistrierten Verbände und deren Vertreter“ aus lin ist „Lobbyismus“ in der Presseberichterstat- dem Jahr 1972 als Beleg dafür gewertet, dass es tung kaum ein Thema, jedenfalls nicht in der eine Art Registrierungspflicht für Lobbyisten negativen Konnotation, die gegenwärtig domi- bereits gäbe.3 Ansonsten konzentriert sich die niert. Ab 1999 werden die meisten Lobbyismus- Berichterstattung bis Ende des Jahres 2000 Artikel zunächst mit einer Erklärung eingelei- eher deskriptiv auf Verbände und Unterneh- tet, was Lobbyismus ist, woher das Wort stammt mensrepräsentanzen, die nach Berlin gezogen und was es bedeutet. Der Fokus liegt auf der sind. Die Aufmerksamkeit gilt den millionen- Berichterstattung über Lobbyismus in Brüssel. schweren Kontaktvermittlungen von Agnes Das erste Fallbeispiel von „Lobbyeinfluss“ und Hürland-Büning und dem Gebaren des Rüs- „Lobbymacht“ in Deutschland ist die BSE-Krise tungslobbyisten Karlheinz Schreiber. Hin und und die Rolle des Bauernverbandes.2 Dieser wieder wird auch die Rolle von Abgeordneten „Skandal“ zieht eine strukturelle Veränderung in Aufsichtsräten hinterfragt. in der Organisation der Ministerien nach sich. Durch diverse Korruptionsskandale im Jahr Der Ruf nach einem Bundesministerium für Ver- 2001 rückt der „Lobbyismus“ in die Schmier- braucherschutz wird lauter, und Rot-Grün geld- bzw. „Schmattes“-Ecke,4 wie das bei den kommt ihm im Jahr 2001 nach. Forderungen Nachbarn in Österreich heißt. Das Jahr beginnt nach gesetzlichen Maßnahmen, die den Lobby- mit der Berichterstattung über Steuergeschen- ismus transparenter machen sollen, werden ke des neu gewählten US-Präsidenten Bush für noch nicht laut. Nur vereinzelt wird „mehr Großspender, den Lobbyismus der Tabakkon- Transparenz“ angemahnt. Stattdessen wird die zerne und der Gegner des Dosenpfandes. Im „Öffentliche Liste über die beim Bundestag re- Zentrum des Interesses stehen die Privatisie- 1 Die Darstellung beginnt im Januar 1999 und schließt mit den Atomdeals zwischen Bundesregierung und Ener- giewirtschaft im Herbst 2010. Die Begrenzung des Zeitraums hat arbeitstechnische Gründe. Ausgewertet wur- den ca. 2500 Artikel aus: Badische Zeitung, Berliner Kurier, Berliner Morgenpost, Berliner Zeitung, Bild, Bör- sen-Zeitung, Bremer Zeitung, Cicero, Das Parlament, Der Freitag, Der Spiegel, Der Tagesspiegel, die tageszei- tung, Die Welt, Die Zeit, Financial Times Deutschland, Focus, Frankfurter Allgemeine Zeitung, Frankfurter Rund- schau, General-Anzeiger, Hamburger Abendblatt, Handelsblatt, Hessische Allgemeine, Kieler Nachrichten, Köl- ner Stadt-Anzeiger, Leipziger Volkszeitung, Mannheimer Morgen, Mitteldeutsche Zeitung, Neue Osnabrücker Zeitung, Neue Zürcher Zeitung, Neues Deutschland, Nürnberger Nachrichten, Ostsee-Zeitung, Passauer Neue Presse, Rheinische Post, Rheinischer Merkur, Saarbrücker Zeitung, Sächsische Zeitung, Stuttgarter Zeitung, Süddeutsche Zeitung, Thüringer Allgemeine, Westdeutsche Allgemeine Zeitung und Wirtschaftswoche. 2 Kritisiert wurde in dem Zusammenhang, dass der Bauernverband wider besseres Wissen nicht vor BSE gewarnt hatte. 3 http://www.bundestag.de/dokumente/parlamentsarchiv/sachgeb/lobbyliste/index.html 4 Die lautmalerische Nähe zu Kohls „Bimbes“ ist offenkundig. 2 LOBBYISMUS IM MEDIALEN DISKURS – EIN STREIFZUG DURCH DIE VERGANGENEN ZEHN JAHRE rung von Leuna, die Eigentumsübertragung an auch Cem Özdemir in der von der Presse so be- Elf Aquitaine und in diesem Zusammenhang die zeichneten „Hunzinger-Falle“. Dies löst eine Aussageverweigerung von Dieter Holzer, der Debatte über die Abhängigkeit bzw. Unabhän- zeitweise als einflussreichster Lobbyist gigkeit von Politikern aus. Beiden politischen Deutschlands gilt. Gleich zwei Schatzmeister Akteuren wird jedoch von Seiten der Presse der CDU geraten unter den Verdacht, Rüstungs- auch eine gewisse Naivität unterstellt. Die wird lobbyisten zu sein: Walter Leisler Kiep und Bri- auch damit entschuldigt, dass Lobbyismus gitte Baumeister. hierzulande noch kein wichtiges Thema sei. 2002 wird nicht nur von Renate Künasts Die Frage nach Bestechung und Korruption wird Kampf gegen die Bauern-Lobby und vom Futter- ebenso tiefgründig erörtert wie die Frage, ob mittelskandal berichtet. Philip Morris lädt ei- unsere Abgeordneten und Spitzenpolitiker zu nen großen Teil der Abgeordneten ins Restau- schlecht bezahlt sind. Im Zuge der Bonusmei- rant Käfer ein; der Geschäftsführer des Winter- lenaffären im Sommer des Jahres 2002 beginnt garten-Variétés in Berlin begrüßt einen Groß- eine Diskussion über die Transparenz von Ne- teil der Parlamentarier zu einer exklusiven beneinkünften der Mitglieder des Deutschen Sondervorstellung und bedankt sich so für die Bundestages. Rot-Grün fordert sie, Union und Änderung der Ausländereinkommensbesteue- FDP lehnen ab. rung. Bis Mitte des Jahres werden noch Land- Zu Beginn des Jahres 2003 schaltet sich der wirtschaft, Kohle, Pharma und Rüstung als die Präsident des Bundesverfassungsgerichtes, wichtigsten Lobbygruppen genannt. Nun gilt Professor Hans-Jürgen Papier, erstmals öffent- die Aufmerksamkeit vermehrt auch den Lobby- lich in den Diskurs ein. Er konstatiert einen zu- tätigkeiten von Anwälten. Mittlerweile, so die nehmenden Bedeutungsverlust der Parlamente durchgängige Meinung in der Berichterstat- durch den Einfluss von Interessengruppen, tung, soll der EU-Ministerrat die Hauptadresse Bündnissen und Kommissionen und fordert sein. eine „Reform an Haupt und Gliedern“.5 In- Der PR-Berater Moritz Hunzinger gerät zu- zwischen tummeln sich in Berlin immer mehr sammen mit Rudolf Scharping in negative Lobbyisten, von 3000 ist die Rede. Das erste Schlagzeilen. Im Hintergrund soll die Rüs- Vertretungsbüro der türkischen Industrie in tungslobby aktiv sein. Hunzinger wird von den Deutschland wird eröffnet, und in Brüssel kann übrigen Lobbyisten zum schwarzen Schaf der man professionelle Lobbyseminare belegen. Branche ernannt. Man selbst habe weiße Wes- Die schlagzeilenträchtigen „Einzelfälle“ ten, behaupten sinngemäß andere PR-Berater des Jahres 2003 sind das Verhältnis von Leo in verschiedenen Interviews. Kurzzeitig sitzt Kirch und Helmut Kohl sowie die „Abgeordne- 5 Vgl. u. a. FAZ: http://www.faz.net/artikel/C30190/systemkritik-papier-kritisiert-entmachtung-des- bundestages-30088422.html 3 TEIL A: LOBBYISMUS: EIN ÜBERBLICK AUS VERSCHIEDENEN PERSPEKTIVEN tenliste“ um Letzteren herum. Auf der stehen isten geprägt, die immer häufiger – so ist zu eine Reihe seiner Ex-Minister, die hoch dotier- lesen – Lobbyismus auf Kosten der Patienten te Beraterverträge mit Leo Kirch geschlossen betreiben. Dabei fällt immer wieder der Name hatten: Theo Waigel (CSU), Wolfgang Bötsch Cornelia Yzer (CDU), ehemalige Parlamentari- (CSU), Rupert Scholz (CDU), Jürgen Möllemann sche Staatssekretärin und von 1997 bis 2011 (FDP). Journalistischer Konsens besteht darü- Hauptgeschäftsführerin des Verbandes for- ber, dass die Pharma- und Ärztelobby einmal schender Arzneimittelhersteller (VFA). Der mehr über die Patienten gesiegt habe. Schließ- Kampf der Pharmalobbygruppen unter- und lich gerät auch Hans Eichel in die Schlagzeilen, gegeneinander geht nun so weit, dass die Pres- da in seinem Ministerium verdeckter Lobbyis- se berichtet, wie sich die Verbände gegenseitig mus vermutet wird. Denn eine Juristin des Bun- bei der Regierung anschwärzen. Die Lobby der desverbandes Investment und Asset Manage- Autohersteller verlangt lautstark weniger Re- ment e. V. arbeitet daran, die Hedgefonds in gulierung auf ihrem Sektor. Zum ersten Mal Deutschland zuzulassen. werden „Thinktanks“ und ihr Einfluss aufs Korn Einige Zeitungen beginnen erstmals aus- genommen. Die Presse selbst bleibt in diesem führlich darüber zu berichten, dass mittels des Jahr auch nicht vom Lobbyismus-Vorwurf ver- Verlangens nach „Reformen“ verdecktes Lob- schont: Lobbyisten nehmen Einfluss auf die Be- bying betrieben werde, vor allem vom BDI, dem richterstattung im Spiegel. Wegen dessen Ti- BDA und dem DIHK. Wellen schlägt der 1,3-Mil- telstory „Der Windmühlen-Wahn“ kündigt Re- lionen-Euro-Etat, den die Berliner PR-Agentur dakteur Harald Schumann.6 Die meisten Lobby- WMP vom Chef der Bundesanstalt für Arbeit, Artikel, die in der deutschen Presse veröffent- Florian Gerster, bekommen hat. Die Nebenjobs licht werden, beschäftigen sich nach wie vor der Abgeordneten rücken stärker ins journalis- mit dem Lobbyismus auf EU-Ebene, begleitet tische Visier. Erste PR-Meldungen werden von von wiederholten Verweisen auf Nebulösität der „Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft“ und Geheimniskrämerei. Vereinzelt tauchen (INSM) als vermeintlich normale Nachricht nun kritische Berichte über Lobbyaktivitäten übernommen. Das Buch „Die fünfte Gewalt“ von der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft Thomas Leif und Rudolph Speth erscheint; da- auf, die im Gewand des Journalismus versucht, rin vertreten beide die These, dass der Lobby- Meinung zu machen. Der CDU-Politiker Elmar einfluss auf die Politik noch nie so stark gewe- Brok schafft es dann auch noch