Otto Brenner Stiftung

OBS-Arbeitsheft 70 – Marktordnung für Lobbyisten – ONLINETEIL

Andreas Kolbe, Herbert Hönigsberger, Sven Osterberg

Teil A: Lobbyismus: Ein Überblick aus verschiedenen Perspektiven 1 Lobbyismus im medialen Diskurs – Ein Streifzug durch die vergangenen zehn Jahre

Ein Vorschlag der Otto Brenner Stiftung Frankfurt/Main 2011 TEIL A: LOBBYISMUS: EIN ÜBERBLICK AUS VERSCHIEDENEN PERSPEKTIVEN

Teil A: Lobbyismus: Ein Überblick aus verschiedenen Perspektiven

1 Lobbyismus im medialen Diskurs – Ein Streifzug durch die vergangenen zehn Jahre1

Vor dem Regierungsumzug von Bonn nach Ber- gistrierten Verbände und deren Vertreter“ aus lin ist „Lobbyismus“ in der Presseberichterstat- dem Jahr 1972 als Beleg dafür gewertet, dass es tung kaum ein Thema, jedenfalls nicht in der eine Art Registrierungspflicht für Lobbyisten negativen Konnotation, die gegenwärtig domi- bereits gäbe.3 Ansonsten konzentriert sich die niert. Ab 1999 werden die meisten Lobbyismus- Berichterstattung bis Ende des Jahres 2000 Artikel zunächst mit einer Erklärung eingelei- eher deskriptiv auf Verbände und Unterneh- tet, was Lobbyismus ist, woher das Wort stammt mensrepräsentanzen, die nach Berlin gezogen und was es bedeutet. Der Fokus liegt auf der sind. Die Aufmerksamkeit gilt den millionen- Berichterstattung über Lobbyismus in Brüssel. schweren Kontaktvermittlungen von Agnes Das erste Fallbeispiel von „Lobbyeinfluss“ und Hürland-Büning und dem Gebaren des Rüs- „Lobbymacht“ in Deutschland ist die BSE-Krise tungslobbyisten Karlheinz Schreiber. Hin und und die Rolle des Bauernverbandes.2 Dieser wieder wird auch die Rolle von Abgeordneten „Skandal“ zieht eine strukturelle Veränderung in Aufsichtsräten hinterfragt. in der Organisation der Ministerien nach sich. Durch diverse Korruptionsskandale im Jahr Der Ruf nach einem Bundesministerium für Ver- 2001 rückt der „Lobbyismus“ in die Schmier- braucherschutz wird lauter, und Rot-Grün geld- bzw. „Schmattes“-Ecke,4 wie das bei den kommt ihm im Jahr 2001 nach. Forderungen Nachbarn in Österreich heißt. Das Jahr beginnt nach gesetzlichen Maßnahmen, die den Lobby- mit der Berichterstattung über Steuergeschen- ismus transparenter machen sollen, werden ke des neu gewählten US-Präsidenten Bush für noch nicht laut. Nur vereinzelt wird „mehr Großspender, den Lobbyismus der Tabakkon- Transparenz“ angemahnt. Stattdessen wird die zerne und der Gegner des Dosenpfandes. Im „Öffentliche Liste über die beim re- Zentrum des Interesses stehen die Privatisie-

1 Die Darstellung beginnt im Januar 1999 und schließt mit den Atomdeals zwischen Bundesregierung und Ener- giewirtschaft im Herbst 2010. Die Begrenzung des Zeitraums hat arbeitstechnische Gründe. Ausgewertet wur- den ca. 2500 Artikel aus: Badische Zeitung, Berliner Kurier, Berliner Morgenpost, Berliner Zeitung, Bild, Bör- sen-Zeitung, Bremer Zeitung, Cicero, Das Parlament, Der Freitag, Der Spiegel, Der Tagesspiegel, die tageszei- tung, Die Welt, Die Zeit, Financial Times Deutschland, Focus, Frankfurter Allgemeine Zeitung, Frankfurter Rund- schau, General-Anzeiger, Hamburger Abendblatt, Handelsblatt, Hessische Allgemeine, Kieler Nachrichten, Köl- ner Stadt-Anzeiger, Leipziger Volkszeitung, Mannheimer Morgen, Mitteldeutsche Zeitung, Neue Osnabrücker Zeitung, Neue Zürcher Zeitung, Neues Deutschland, Nürnberger Nachrichten, Ostsee-Zeitung, Passauer Neue Presse, Rheinische Post, Rheinischer Merkur, Saarbrücker Zeitung, Sächsische Zeitung, Stuttgarter Zeitung, Süddeutsche Zeitung, Thüringer Allgemeine, Westdeutsche Allgemeine Zeitung und Wirtschaftswoche. 2 Kritisiert wurde in dem Zusammenhang, dass der Bauernverband wider besseres Wissen nicht vor BSE gewarnt hatte. 3 http://www.bundestag.de/dokumente/parlamentsarchiv/sachgeb/lobbyliste/index.html 4 Die lautmalerische Nähe zu Kohls „Bimbes“ ist offenkundig.

2 LOBBYISMUS IM MEDIALEN DISKURS – EIN STREIFZUG DURCH DIE VERGANGENEN ZEHN JAHRE

rung von Leuna, die Eigentumsübertragung an auch Cem Özdemir in der von der Presse so be- Elf Aquitaine und in diesem Zusammenhang die zeichneten „Hunzinger-Falle“. Dies löst eine Aussageverweigerung von Dieter Holzer, der Debatte über die Abhängigkeit bzw. Unabhän- zeitweise als einflussreichster Lobbyist gigkeit von Politikern aus. Beiden politischen Deutschlands gilt. Gleich zwei Schatzmeister Akteuren wird jedoch von Seiten der Presse der CDU geraten unter den Verdacht, Rüstungs- auch eine gewisse Naivität unterstellt. Die wird lobbyisten zu sein: Walter Leisler Kiep und Bri- auch damit entschuldigt, dass Lobbyismus gitte Baumeister. hierzulande noch kein wichtiges Thema sei. 2002 wird nicht nur von Renate Künasts Die Frage nach Bestechung und Korruption wird Kampf gegen die Bauern-Lobby und vom Futter- ebenso tiefgründig erörtert wie die Frage, ob mittelskandal berichtet. Philip Morris lädt ei- unsere Abgeordneten und Spitzenpolitiker zu nen großen Teil der Abgeordneten ins Restau- schlecht bezahlt sind. Im Zuge der Bonusmei- rant Käfer ein; der Geschäftsführer des Winter- lenaffären im Sommer des Jahres 2002 beginnt garten-Variétés in Berlin begrüßt einen Groß- eine Diskussion über die Transparenz von Ne- teil der Parlamentarier zu einer exklusiven beneinkünften der Mitglieder des Deutschen Sondervorstellung und bedankt sich so für die Bundestages. Rot-Grün fordert sie, Union und Änderung der Ausländereinkommensbesteue- FDP lehnen ab. rung. Bis Mitte des Jahres werden noch Land- Zu Beginn des Jahres 2003 schaltet sich der wirtschaft, Kohle, Pharma und Rüstung als die Präsident des Bundesverfassungsgerichtes, wichtigsten Lobbygruppen genannt. Nun gilt Professor Hans-Jürgen Papier, erstmals öffent- die Aufmerksamkeit vermehrt auch den Lobby- lich in den Diskurs ein. Er konstatiert einen zu- tätigkeiten von Anwälten. Mittlerweile, so die nehmenden Bedeutungsverlust der Parlamente durchgängige Meinung in der Berichterstat- durch den Einfluss von Interessengruppen, tung, soll der EU-Ministerrat die Hauptadresse Bündnissen und Kommissionen und fordert sein. eine „Reform an Haupt und Gliedern“.5 In- Der PR-Berater Moritz Hunzinger gerät zu- zwischen tummeln sich in Berlin immer mehr sammen mit in negative Lobbyisten, von 3000 ist die Rede. Das erste Schlagzeilen. Im Hintergrund soll die Rüs- Vertretungsbüro der türkischen Industrie in tungslobby aktiv sein. Hunzinger wird von den Deutschland wird eröffnet, und in Brüssel kann übrigen Lobbyisten zum schwarzen Schaf der man professionelle Lobbyseminare belegen. Branche ernannt. Man selbst habe weiße Wes- Die schlagzeilenträchtigen „Einzelfälle“ ten, behaupten sinngemäß andere PR-Berater des Jahres 2003 sind das Verhältnis von Leo in verschiedenen Interviews. Kurzzeitig sitzt Kirch und sowie die „Abgeordne-

5 Vgl. u. a. FAZ: http://www.faz.net/artikel/C30190/systemkritik-papier-kritisiert-entmachtung-des- bundestages-30088422.html

3 TEIL A: LOBBYISMUS: EIN ÜBERBLICK AUS VERSCHIEDENEN PERSPEKTIVEN

tenliste“ um Letzteren herum. Auf der stehen isten geprägt, die immer häufiger – so ist zu eine Reihe seiner Ex-Minister, die hoch dotier- lesen – Lobbyismus auf Kosten der Patienten te Beraterverträge mit Leo Kirch geschlossen betreiben. Dabei fällt immer wieder der Name hatten: (CSU), Wolfgang Bötsch (CDU), ehemalige Parlamentari- (CSU), (CDU), Jürgen Möllemann sche Staatssekretärin und von 1997 bis 2011 (FDP). Journalistischer Konsens besteht darü- Hauptgeschäftsführerin des Verbandes for- ber, dass die Pharma- und Ärztelobby einmal schender Arzneimittelhersteller (VFA). Der mehr über die Patienten gesiegt habe. Schließ- Kampf der Pharmalobbygruppen unter- und lich gerät auch in die Schlagzeilen, gegeneinander geht nun so weit, dass die Pres- da in seinem Ministerium verdeckter Lobbyis- se berichtet, wie sich die Verbände gegenseitig mus vermutet wird. Denn eine Juristin des Bun- bei der Regierung anschwärzen. Die Lobby der desverbandes Investment und Asset Manage- Autohersteller verlangt lautstark weniger Re- ment e. V. arbeitet daran, die Hedgefonds in gulierung auf ihrem Sektor. Zum ersten Mal Deutschland zuzulassen. werden „Thinktanks“ und ihr Einfluss aufs Korn Einige Zeitungen beginnen erstmals aus- genommen. Die Presse selbst bleibt in diesem führlich darüber zu berichten, dass mittels des Jahr auch nicht vom Lobbyismus-Vorwurf ver- Verlangens nach „Reformen“ verdecktes Lob- schont: Lobbyisten nehmen Einfluss auf die Be- bying betrieben werde, vor allem vom BDI, dem richterstattung im Spiegel. Wegen dessen Ti- BDA und dem DIHK. Wellen schlägt der 1,3-Mil- telstory „Der Windmühlen-Wahn“ kündigt Re- lionen-Euro-Etat, den die Berliner PR-Agentur dakteur Harald Schumann.6 Die meisten Lobby- WMP vom Chef der Bundesanstalt für Arbeit, Artikel, die in der deutschen Presse veröffent- , bekommen hat. Die Nebenjobs licht werden, beschäftigen sich nach wie vor der Abgeordneten rücken stärker ins journalis- mit dem Lobbyismus auf EU-Ebene, begleitet tische Visier. Erste PR-Meldungen werden von von wiederholten Verweisen auf Nebulösität der „Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft“ und Geheimniskrämerei. Vereinzelt tauchen (INSM) als vermeintlich normale Nachricht nun kritische Berichte über Lobbyaktivitäten übernommen. Das Buch „Die fünfte Gewalt“ von der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft Thomas Leif und Rudolph Speth erscheint; da- auf, die im Gewand des Journalismus versucht, rin vertreten beide die These, dass der Lobby- Meinung zu machen. Der CDU-Politiker Elmar einfluss auf die Politik noch nie so stark gewe- Brok schafft es dann auch noch in die Schlag- sen sei wie zu diesem Zeitpunkt. zeilen, da seine Rechtfertigung für seine Ne- Der Lobbydiskurs im Jahr 2004 ist vor allem bentätigkeiten irritiert: „Politik ist keine Ar- durch die Debatte über die Gesundheitslobby- beit, sondern Hobby.“

6 Der Spiegel, Nr. 19, 29.03.2004; Der Vorwurf: Einseitige Berichterstattung zulasten der regenerativen Energien unter Verwendung der Lobbysprache konventioneller Stromanbieter.

4 LOBBYISMUS IM MEDIALEN DISKURS – EIN STREIFZUG DURCH DIE VERGANGENEN ZEHN JAHRE

Das Jahr 2005 beginnt mit den „Doppelver- Buch der Journalisten Cerstin Gammelin und diener-Affären“ um die Bundestagsabgeordne- Götz Hamann „Die Strippenzieher“ erscheint ten Hermann Josef-Arentz (CDU), Ulrike Flach im Sommer 2005 und belebt die Debatte um il- (FDP), (CDU) und Hans Jürgen legitime Einflussnahme. Vier Verbände der En- Uhl (SPD). Die unangenehmen Vorhalte für die ergiewirtschaft – der Bundesverband der deut- Parlamentarier lauten: Nebenverdienste, Ne- schen Gas- und Wasserwirtschaft (BGW), der beneinkünfte, Doppelverdiener, nebulöse Verband der Verbundunternehmen und Regio- Zweitjobs. Die Diskussion über Verhaltensre- nalen Energieversorger in Deutschland (VRE), geln beginnt, wird aber nach kurzer Zeit von der Verband der Netzbetreiber (VDN) und der Seiten der Politik mit dem Argument abge- Verband der Elektrizitätswirtschaft (VDEW) – würgt, wenn alle weiteren Tätigkeiten verboten schließen sich zu einer neuen Energielobby wären, säßen im Parlament nur noch Beamte. zusammen. Am Ende des Formierungsprozes- Vor allem Union und FDP lehnen schärfere Ge- ses steht im Jahr 2007 der Bundesverband der setze für mehr Transparenz ab. Mehr als die Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW). Der Hälfte der MdB hat einen anzeigepflichtigen Trend des Jahres: Immer mehr Konzerne verber- Nebenjob; besonders interessiert wird auf den gen international ihre Absichten hinter blumi- „fleißigsten“ MdB geschaut: of- gen, wohlklingenden Namen. Die sogenannten fenbart 18 Nebenjobs. Auch der Name Hilde- „Business-NGOs“ rücken mit ihren Namen in gard Müller (CDU), Staatsministerin im Bun- die Nähe von Umweltschutzorganisationen und deskanzleramt, ist immer häufiger im Zusam- versuchen, deren Popularität für eigene Zwe- menhang mit Lobbyismus zu lesen, ebenso die cke zu nutzen. Tatsächlich verfolgen sie ganz Namen Hansgeorg Hauser und Reinhardt andere Ziele, wie beispielsweise die „Alliance Klimmt. Ex-Staatsminister Ludger Volmer ge- to Save Energy“, deren Ziel es ist, die Decke- steht Lobbyarbeit für die Bundesdruckerei ein. lung des CO2-Ausstoßes zu verhindern. Plötzlich ist auch Moritz Hunzinger wieder da. 2006 greift erneut Verfassungsgerichtsprä- Er hat für eine Rede 19.999 sident Hans-Jürgen Papier in die Debatte ein. Er Euro bezahlt. Und obwohl das Honorar legal als sieht die Unabhängigkeit des Abgeordneten Spende deklariert wird, beflügelt der Name auf eine „harte Probe“ gestellt. Papier warnt Hunzinger die Skandalisierung. Zunehmend mit Namensbeiträgen und Interviews vor den versuchen Lobbyisten für ihre Tätigkeit die Be- Folgen eines unkontrollierten und unregulier- zeichnung „Politikberatung“ einzubürgern. ten Lobbyismus. Die Debatte um die Trennung Der ADAC und die Autobranche verstärken und zwischen Journalismus und PR nimmt wieder professionalisieren ihre Lobbyaktivitäten. Das etwas an Fahrt auf. Eine neue Studie7 belegt,

7 „German Tobacco Industry’s Successful Efforts to Maintain Scientific and Political Respectability to Prevent Re- gulation of Secondhand Smoke“, in Auftrag gegeben von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) und dem Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ) in Heidelberg.

5 TEIL A: LOBBYISMUS: EIN ÜBERBLICK AUS VERSCHIEDENEN PERSPEKTIVEN

dass die Tabak-Lobby besonders in Deutsch- Linkspartei will nun verbieten, dass externe land viel Einfluss hat, nicht zuletzt durch massi- Mitarbeiter aus Wirtschaft und Verbänden in ve Beeinflussung der Forschung. Der „Aufre- Ministerien sitzen. Das Jahr endet für die Bun- ger“ des Jahres ist jedoch Gerhard Schröders desregierung mit einem Rückschlag beim bun- neuer Job bei Gazprom. Vermehrt wird über den desweiten Rauchverbot. Wieder einmal steht „schleichenden Einfluss“ von Lobbygruppen die Tabak-Lobby als Gewinner da. berichtet, auch und immer wieder im Zusam- Im Jahr 2007 mehren sich in der Presse For- menhang mit der INSM. Die Schleichwerbung derungen nach neuen Regelungen. Lobbyisten ist plötzlich Gegenstand von Diskussionen, ge- sollen wieder in der Lobby bleiben, also eine meint ist neben Product Placement auch Stim- gewisse Distanz einhalten. Der Bundesrech- mungs- und Meinungsmache. Der beabsichtig- nungshof sieht die Neutralität der Bundesbe- te Wechsel des parlamentarischen Geschäfts- hörden durch die Beschäftigung zahlreicher führers der CDU, Norbert Röttgen, zum BDI Lobbyisten gefährdet und beginnt damit, ein- stößt auf enorme Kritik und kommt deshalb zelne Ministerien genauer zu überprüfen. Fer- nicht zustande. Um den Politiker Reinhard Göh- ner wird kritisiert, dass bei der Gesetzgebung ner (CDU) entbrennt ebenfalls eine Diskussion im EU-Vergleich deutsche Lobbyisten kaum be- über Interessenkonflikte, da er neben seinem helligt werden. Das Buch von Johann Günther Bundestagsmandat parallel Hauptgeschäfts- König „Die Lobbyisten. Wer regiert uns wirk- führer des Arbeitgeberverbandes war. In die- lich?“ erscheint und vertritt die Kernthese, Lob- ser Funktion lehnte er das seinerzeitige Anti- byismus sei undemokratisch. Nach dem Amok- diskriminierungsgesetz ab, obwohl seine Par- lauf in Erfurt werden Forderungen nach einem tei und seine Fraktion dafür waren. Schließlich verschärften Waffengesetz erhoben, aber die verzichtet er im Jahr 2007 auf sein Bundestags- Presse berichtet, dass Schäuble vor der Waf- mandat. Das Buch „Der Deutschland Clan“ des fenlobby eingeknickt sei. Die Tabak-Lobby bie- Journalisten Jürgen Roth erscheint. Die Tabak- tet derweil Abgeordneten Freikarten für Spiele und die Pharmaindustrie stehen weiterhin in des FC Bayern an. Ein Vorstoß der SPD-Fraktion der Kritik. Die Studie „Die zweite Welle der zielt darauf, dass politisch aktive Verbände Wirtschaftskampagnen“ des Wissenschaftlers ihre Finanzen offenlegen. Rudolf Speth, gefördert von der Hans-Böckler- Im Januar 2008 fordert Günter Grass ein Stiftung, zeigt, wie die Wirtschaftslobby Stim- Hausverbot für Lobbyisten. Während des Hessi- mung macht und das gesellschaftliche Diskurs- schen Wahlkampfes sorgt Wolfgang Clement klima bestimmen will. Ende 2006 sorgt noch ein für Schlagzeilen. Ihm wird unterstellt, er be- Fälschungsskandal für Unruhe im Gesundheits- treibe Wahlkampf gegen seine eigene Partei wesen: Die PKV wird verdächtigt, Briefe mit und zugunsten der Interessen von RWE. Gleich- Unterschriften ihrer Patienten gefälscht und an zeitig stößt er damit eine Debatte über den so- die Bundesregierung gesandt zu haben. Die genannten „Drehtür-Effekt“ an. Der Wechsel

6 LOBBYISMUS IM MEDIALEN DISKURS – EIN STREIFZUG DURCH DIE VERGANGENEN ZEHN JAHRE

der Grünen-Politikerin Marianne Tritz in die Ta- schränkt den zeitlichen Einsatz externer Mitar- bak-Lobby sorgt ebenfalls für Aufsehen: Aus beiter in den Ministerien, doch von der Opposi- dem Verband der Cigarettenindustrie e. V. tion, NGOs und Journalisten wird nach wie vor (VdC) wird der Deutsche Zigarettenverband mangelnde Transparenz der neuen Regeln be- (DZV). Mit Frau Tritz möchte er sich ein gänzlich klagt.8 In der Presse werden Hildegard Müller neues Gesicht geben, so wird der Wechsel kom- (CDU, bis 2008 Staatsministerin im Bundes- mentiert. Der Bundesrechnungshof beklagt er- kanzleramt) und Margareta Wolf (Die Grünen, neut den Einfluss von Lobbyisten auf die Regie- ehemalige parlamentarische Staatssekretärin rung und mahnt eindringlich Regeln an. Journa- im Bundesumweltministerium) als prominente listen fordern nun verstärkt, dass die Politik „Überläuferinnen“ zur Lobby genannt. Die wissen müsse, welche Lobbyisten an einem Ge- schwedischen Grünen nominieren Vattenfall setzesentwurf mitgearbeitet haben. Als unab- für den Preis „Schlimmster EU-Lobbyist 2008“. hängige Bürgerinitiative getarnt, macht sich Den Preis gewinnt jedoch das „Malaysian Pal- der Lobbyverein „Bürger für Technik“ für die moil Council“. Der SPD-Bundestagsabgeordne- Atomkraft stark. Mutmaßlich steckt die Kern- te Ditmar Staffelt wird Cheflobbyist bei EADS. technische Gesellschaft dahinter. Der EU-Kom- Zum ersten Mal werden aus der Branche selbst missar Siim Kallas fordert, durch „Fußabdrü- Forderungen nach mehr Transparenz erhoben. cke“ von Lobbyisten deren Einfluss in Gesetzen Die Deutsche Gesellschaft für Politikberatung sichtbar zu machen, und zusätzlich ein Lobby- (degepol) fordert zusammen mit der Antikor- register auf freiwilliger Basis. Das EU-Parla- ruptionsorganisation Transparency Internatio- ment stimmt für ein verpflichtendes Register, nal gegen Ende des Jahres verbindliche Verhal- allerdings gibt es auch hier noch Lücken: An- tensregeln und ein Register der in Berlin akti- wälte, die „Rechtsratschläge“ geben, dürfen ven Lobbyisten. Der „Lobby-Planet“ erscheint, nicht als Lobbyisten etikettiert werden. In ein Stadtführer von LobbyControl, der erklärt, Deutschland scheut man vor härteren Regeln wo welche Lobby in der Hauptstadt arbeitet. Ei- noch zurück und will lediglich mehr „Transpa- nige SPD-Politiker um Christian Lange fordern renz“ erreichen. Das Buch „Der gekaufte einen Verhaltenskodex für Minister, der unter Staat“ der Journalisten Sascha Adamek und anderem vorsieht, dass Regierungsmitglieder Kim Otto erscheint und rückt die Externen in keine Honorare annehmen sollen und keine der Bundesverwaltung in den Fokus der Be- Nebenjobs ausüben dürfen. richterstattung. Die Linke bringt einen Antrag Zu Beginn des Jahres 2009 verlangt Trans- zur Einrichtung eines verpflichtenden Lobbyre- parency International Deutschland zusammen gisters ein – und scheitert. Die Regierung be- mit Vertretern der Oppositionsparteien im Bun-

8 Vgl. „Allgemeine Verwaltungsvorschrift zum Einsatz von außerhalb des öffentlichen Dienstes Beschäftigten (ex- ternen Personen) in der Bundesverwaltung“ vom 17.07.2008.

7 TEIL A: LOBBYISMUS: EIN ÜBERBLICK AUS VERSCHIEDENEN PERSPEKTIVEN

destag, dass sich die Bundesregierung ein Vor- einmal eine Rechtsanwaltskanzlei. Als Haupt- bild an US-Präsident Obama nehmen solle, der grund für das Versagen benennt Jorgo Riss von strenge Standards im Umgang mit Lobbyisten Alter-EU die Freiwilligkeit des Registers. eingeführt hat, z. B. Karenzzeiten für den In Deutschland feiert die Atomlobby ihren Wechsel von Regierungsmitgliedern in die 50. Geburtstag. spricht vor Wirtschaft sowie dessen Genehmigung durch dem Atomforum in Berlin ein Grußwort, wes- einen Kontrollausschuss. Der zweite Bericht wegen Umweltschützer in der Öffentlichkeit über „Externe“ in den Ministerien des Bundes- protestieren. Joschka Fischers Berater-Job für innenministeriums stellt sich als lückenhaft RWE sorgt für Aufsehen. Die INSM zieht nach heraus, nicht alle Mitarbeiter werden darin Berlin. Im August stellt sich heraus, dass fünf aufgeführt. Die Waffenlobby setzt sich erfolg- Abgeordnete – (SPD), reich gegen ein verschärftes Waffengesetz (FDP), Gerd Höfer (SPD), Johannes Kahrs (SPD), durch, und die Atomlobby verlangt neue Ver- Jörn Thießen (SPD) – ihre Mitwirkung in Verei- handlungen über den mit Rot-Grün vereinbar- nen verheimlicht haben, die der Rüstungslob- ten Ausstiegsbeschluss. Neu in den Schlagzei- by nahestehen. Mittlerweile sind beim Bun- len sind nun die deutschen Bierbrauer, die an- destag nach offiziellen Angaben etwa 4500 geblich die Drogenbeauftragte der Bundesre- Lobbyisten gemeldet – sieben bis acht pro Ab- gierung entmachten und Gesetze gegen den Al- geordneten! Nachdem Wirtschaftsminister zu koholmissbrauch verhindern wollen. Auch die Guttenberg inmitten der Wirtschafts- und Fi- Bahn sorgt für negative Presse. LobbyControl nanzkrise einen Gesetzesentwurf zur Banken- enthüllt, dass sie verdeckte Werbung und PR- rettung von der international operierenden Aktionen in großem Umfang veranlasst und be- britischen Kanzlei Linklaters, die auch einen zahlt hat. Immer wieder fallen in diesem Zu- Sitz in Berlin hat, ausarbeiten ließ, entbrennt sammenhang die Namen European Public Poli- eine Diskussion um den Autoritätsverlust der cy Advisers GmbH (EPPA) und berlinpolis. Mit Ministerien. Der SPD-Bundestagsabgeordne- ähnlichen Methoden – manipulierten Textbei- te Peter Friedrich fordert „legislative Foot- trägen, unter verschiedenen Pseudonymen prints“, also Angaben über Berater-Mitwir- Meinungsmache in Internetforen – gerät wenig kung. Justizministerin Zypries fordert nun später auch der Deutsche Bauernverband in die auch ein umfassendes Lobbyistenregister. Die Schlagzeilen. Derweil kommt auf EU-Ebene deutsche Atomlobby versucht, den Bundes- eine Studie der Organisation Alliance for Lob- tagswahlkampf „minutiös“ zu planen. Politi- bying Transparency and Ethics Regulation (Al- ker und Journalisten sollen positiv über die ter-EU) zu dem Ergebnis, dass das Lobbyregis- Verlängerung der Restlaufzeiten der Atom- ter fehlgeschlagen ist. Nicht einmal jeder vier- kraftwerke reden bzw. schreiben, die Unter- te Lobbyist hat sich eingetragen, 2 von 64 in nehmensberatung PRGS erstellt zu diesem Brüssel ansässigen Thinktanks und gerade Zweck ein 109-seitiges Gutachten. Darin ste-

8 LOBBYISMUS IM MEDIALEN DISKURS – EIN STREIFZUG DURCH DIE VERGANGENEN ZEHN JAHRE

hen mehrfach die Wörter „E.ON“ und „Auf- res 2010 und löst eine Debatte über die Käuf- trag“, doch sowohl E.ON als auch die PRGS be- lichkeit der Politik aus. Seitdem über Politik streiten, dass es sich hierbei um einen Auftrag und Lobbyismus geschrieben wird, hat kein an- gehandelt habe. Das Jahr 2009 endet mit der deres Thema ein solches Aufsehen erregt und Senkung des Mehrwertsteuersatzes für Hotel- für so viele Artikel gesorgt. Nebenbei werden besitzer auf sieben Prozent. Vorangegangen die CDU-Politiker Volker Hoff Lobbyist bei Opel ist eine Großspende der Düsseldorfer Sub- und Dieter Althaus Lobbyist beim Autozuliefe- stantia AG, die als „Mövenpick-Spende“ dem rer Magna. Im Landtagswahlkampf von Nord- politischen Sprachgebrauch noch lange erhal- rhein-Westfalen wird der amtierende Minister- ten bleiben sollte. Von nun an gilt die FDP als präsident „zum Kauf“ angeboten: Für eine die Lobby- und Klientelpartei per se. Der neue großzügige Spende gibt es die Möglichkeit zum Gesundheitsminister Philipp Rösler beruft den Vieraugengespräch. Im Juni 2010 stoppt die EU bisherigen Spitzenmanager des Verbandes die Lebensmittel-Ampel nach erheblichen Pro- der Privaten Krankenversicherung, Christian testen der Industrie. Der ehemalige hessische Weber, zum Abteilungsleiter für Grundsatzfra- Ministerpräsident Roland Koch (CDU) wird Vor- gen. Um der Forderung nach einem Lobbyis- standsvorsitzender beim Baukonzern Bilfinger tenregister Nachdruck zu verleihen, übergibt Berger. Im September werden sogenannte „Ge- LobbyControl einen von rund 8700 Bürgern un- heimdeals“ zwischen Bundesregierung und terzeichneten Appell an den Vizepräsidenten den Energiekonzernen veröffentlicht. Die des Bundestags, (FDP). schwarz-gelbe Bundesregierung beschließt Die Mehrwertsteuersenkung für Hoteliers den Ausstieg aus dem rot-grünen Ausstiegs- im sogenannten „Wachstumsbeschleunigungs- konsens, dem die Koalitionsparteien am gesetz“ empört in den ersten Monaten des Jah- 28. Oktober 2010 im Bundestag zustimmen.

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