„Da Muss Was Kommen“ Der Streit in Der SPD Um Eine Rasche Und Umfassende Gesundheitsreform Wird Immer Heftiger
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Wirtschaft F. HELLER / ARGUM HELLER F. Bundesgesundheitsministerin Schmidt*: Zaudern und Durchwursteln GESUNDHEITSPOLITIK „Da muss was kommen“ Der Streit in der SPD um eine rasche und umfassende Gesundheitsreform wird immer heftiger. Noch blocken Gesundheitsministerin Ulla Schmidt und SPD-Generalsekretär Franz Müntefering auf Weisung des Kanzlers ab. Gerhard Schröder will Ruhe bis zur Wahl 2002. lla Schmidt wähnte sich, mitten im sie auf die kletternden Beiträge zur ge- te, feuerte Behördenchef Frank-Walter noblen Starnberg, unter die Räu- setzlichen Krankenversicherung für Bür- Steinmeier umgehend den Fachmann aus Uber gefallen. Mit gestrenger Miene ger und Arbeitgeber. seinem Stab – dass es sich um einen Ge- hatte die Ministerin vergangenen Mittwoch Die Ministerin, bestens versorgt mit Vor- nossen handelte, änderte daran nichts. versucht, für ihre Gesundheitspolitik zu ausberechnungen der Statistiker ihrer Auch der parteilose Bundeswirtschafts- werben. „Wir tun viel mehr“, dozierte sie, Behörde, weiß längst Genaueres. Vergan- minister Werner Müller bekam am vor- „als alle behaupten.“ gene Woche gestand sie erstmals öffent- vergangenen Wochenende den Zorn und Doch selbst hier, in einem auf SPD-Ein- lich ein, sie könne „nicht ausschließen, dass die Nervosität der sozialdemokratischen ladung erschienenen Zirkel, nahm ihr das die Beiträge weiter steigen“. Anti-Reformtruppe zu spüren, nachdem er kaum jemand ab. Ein Augenarzt forderte Die schlechte Stimmung wird zur Ge- sich für eine Teilprivatisierung der Kran- mehr Honorar für seine Kassenpatienten. fahr für die Regierung von Gerhard Schrö- kenversicherung ausgesprochen hatte (sie- Die Vertreterin eines Pflegedienstes ver- der. Eine neue Emnid-Umfrage sorgte in he Seite 74). Der Reihe nach pressten ihm langte eine bessere Entlohnung ihrer Ver- der SPD-Parteizentrale vergangene Woche Ulla Schmidt, Kanzleramtschef Steinmeier waltungstätigkeiten. Eine Apothekerin für gehörige Aufregung. Darin fordern und SPD-Generalsekretär Franz Müntefe- drängte darauf, ihre Zunft stärker an poli- mehr als zwei Drittel der Befragten, die ring das Versprechen ab, einen Rückzieher tischen Entscheidungen zu beteiligen. Ein drängenden Probleme im Gesundheits- zu machen. Ehemann moserte, seine Frau müsse die wesen noch vor der Bundestagswahl im „Jeder kann über gewisse Dinge nach- Untersuchung zur Krebsvorsorge aus der Herbst nächsten Jahres anzupacken. 71 denken“, kommentierte Müntefering eigenen Tasche bezahlen. Überall gehe es Prozent glauben, dass die Regierung die schmallippig den ungelegenen Müller-Vor- nur um „Geld, Geld, Geld“, seufzte die ge- notwendige Reform aus wahltaktischen stoß. „Doch die Sommerpause wäre ruhi- nervte Rheinländerin. Gründen verzögert. ger, wenn wir nicht diese Debatte führen Wo die angeschlagene Ministerin hin- Der Verdacht trifft zu. Statt die Energi- müssten.“ kommt, schlägt ihr derzeit Unmut entgegen en in eine rasche und kraftvolle Reform Mit der knallhart exekutierten Politik des – sogar in der eigenen Partei. Hinter vor- zur Senkung der Gesundheitskosten zu „Schnauze halten“ steigert die SPD-Spitze gehaltener Hand halten immer mehr Sozi- stecken, würgen Kanzleramt und SPD-Par- indes nur Unruhe und Verunsicherung in aldemokraten ihre Friedensmission an der teizentrale mit aller Macht die in den ei- den eigenen Reihen. Führende Politiker der Ärztefront für gescheitert. Bange blicken genen Reihen aufkeimenden Debatten zur Regierungsparteien glauben, dass sich die Zukunft des Gesundheitswesens ab. Als im Strategie des Zauderns und Durchwurstelns * Am Donnerstag vergangener Woche bei einem Besuch Juni ein entsprechendes Strategiepapier in der Gesundheitspolitik bis zur Bundes- im Regensburger Uni-Klinikum. aus dem Kanzleramt an die Presse gelang- tagswahl 2002 nicht durchhalten lässt. „Je- 72 der spiegel 30/2001 • Der rheinland-pfäl- eine rasche einschneidende Reform – zische Sozialminis- Zielmarke: Senkung der Beiträge von ter Florian Gerster knapp 14 auf 12 Prozent des Bruttolohns. (SPD) würde die Dafür müssten bestimmte Leistungen in Ärzte am liebsten der Krankenversicherung entfallen und noch in dieser eine geringe Selbstbeteiligung an den Be- Wahlperiode ge- handlungskosten für Patienten eingeführt setzlich verpflich- werden. ten, Kassenpatien- „Die Versicherten müssen zur Eigenleis- ten Belege über tung bereit sein wie in der Rente“, ver- ihre Behandlung langte Gerster in der Runde der Länderge- auszustellen, da- sundheitsminister. Psychotherapien oder mit die Versicher- den Besuch beim Kiefer-Orthopäden dür- ten den Medizi- fe es nur noch in Ausnahmefällen auf Kran- nern genauer auf kenschein geben. Neben den Arbeitgebern, die Finger schauen so das Argument der Befürworter, hätten und Abrechnungs- daran auch die Gewerkschaften ein Inter- Schwindlern auf esse: Niedrige Lohnnebenkosten führten die Schliche kom- schließlich zu mehr Arbeitsplätzen und sei- men können. en das beste Mittel gegen Schwarzarbeit. • Auf Initiative der Sogar in der Regierungszentrale finden SPD-regierten Län- solche Pläne einflussreiche Befürworter. CHIODI / DPA der fordert der Der Staatsminister im Kanzleramt, Hans- Urlauber Schröder*: Zu Hause schlechte Stimmung Bundesrat alle Kas- Martin Bury (SPD), räumt unumwunden senärztlichen Ver- ein: „Auch in der Gesundheitspolitik wer- der weiß, dass da was kommen muss“, heißt einigungen auf, Pflichtberatungsstellen den wir zu einer neuen Balance von Ei- es zum Beispiel in der Spitze der SPD-Bun- für die niedergelassenen Ärzte aufzu- genverantwortung und kollektiver Sicher- destagsfraktion. „Ohne weitere Reformen bauen. Nachdem die Arzneimittelaus- heit kommen müssen.“ Die Vorschläge von kommen wir nicht über die Wahlen, und je gaben im ersten Quartal um fast zehn Wirtschaftsminister Müller lehnte er ver- länger Ulla Schmidt nichts sagt, desto Prozent in die Höhe schnellten, müssten gangene Woche nicht aus inhaltlichen größer wird der Druck für sie.“ die Mediziner systematisch auf Spar- Gründen ab, sondern aus machttaktischen Mindestens einige symbolische Maß- möglichkeiten durch das Verschreiben Überlegungen: Sie könnten missbraucht nahmen müssten her, die die Reformbe- von billigeren Präparaten und den Ver- werden, um „die bekannten Abwehrrefle- reitschaft der Koalition belegen, wird in zicht auf umstrittene Medikamente auf- xe gegen Veränderung zu provozieren“. der Bundestagsfraktion gefordert. „Jede merksam gemacht werden. Beinahe könnte man glauben, Bury Maßnahme, die zu mehr Transparenz • Der SPD-Abgeordnete Eike Hovermann meinte damit seine Parteifreunde Ulla führt, ist vernünftig“, sagt SPD-Fraktions- kämpft darum, das Apotheken-Monopol Schmidt, Steinmeier und Müntefering. chef Peter Struck. Die Versicherten aufzubrechen. Etwa 1,7 Milliarden Mark „Eine große Gesundheitsreform kann we- müssten endlich Einsicht haben in die Ef- könnten Krankenkassen und Patienten der sofort noch auf Dauer alle Probleme lö- fizienz des Systems. An Vorschlägen man- sparen, dürften sie sich einen Teil der sen“, wehrte die Gesundheitsministerin gelt es nicht: verschreibungspflichtigen Medikamente Anfang des Monats in einem Brief an die bei einer Internet-Apotheke besorgen. Genossen im Bundestag ab. Bei einer Kon- * Am Montag vergangener Woche mit dem Maler Bruno Doch plädieren sozialdemokratische Ge- ferenz der SPD-Gesundheitsminister er- Bruni an seinem Urlaubsort im italienischen Falconara. sundheitsexperten intern längst auch für klärte sie ihren verdutzten Amtskollegen Muss die Kasse alles zahlen? Für die Krankenkassen erstellte Streichliste des Instituts für Gesundheitssystem-Forschung Leistungen Vorschlag mögliche Einsparung pro Jahr in Millionen Mark Streichung der Leistung Vorsorgekuren 1800 Zahnersatz keine Angabe Selbstbeteiligung Gesundheitsförderung 356 Psychotherapeutische Selbsthilfegruppen 71 Behandlung 240 Sterbegeld 1600 Gruppenprophylaxe Arznei- und Krankengeld vor Zahnerkrankungen 62 Verbandmittel 6200 bei Erkrankung Erhöhung der des Kindes 183 Mutterschaftsgeld 1300 Heilmittel Zuzahlung 350 Medizinische Vor- Hilfsmittel Ausweitung der keine Angabe Fahrkosten 463 sorge und Rehabili- Zuzahlung tation für Mütter 827 Krankenhaus- Förderung von behandlung 1500 Verbraucher- und Vorsorge- Patientenberatung 10 untersuchungen 783 Haushaltshilfe 535 Empfängnisverhütung, Rehabilitations- Unterstützung Schwangerschafts- maßnahmen 128 der Versicherten abbruch und Soziotherapie 125 bei Behandlungs- fehlern 0,2 Sterilisation 290 Hauswirtschaftliche Entbindungsgeld 35 Versorgung 14 Künstliche keine Angabe Krankengeld Kürzung 1900 Quelle: IGF, Kiel, F. Beske Befruchtung der spiegel 30/2001 73 Wirtschaft „Da sind finstere Mächte am Werk“ Soll der Arbeitgeberanteil an der Krankenversicherung abgeschafft werden? s war eine Aktion so recht nach cherte, Unternehmen und Sozialversi- raum ergebe sich ja noch nicht allein Werner Müllers Geschmack. Kurz cherungen? dadurch, dass künftig der Arbeitnehmer Evor Beginn seines Urlaubs in Rich- Antworten auf diese Fragen blieb Mül- die zusammengezählten Beiträge an die tung Schwarzwald und Schweiz lebte der ler in seinem Bericht weitgehend schuldig. Sozialversicherung überweist. Am Fi- parteilose Wirtschaftsminister Anfang ver- Ganze 25 Zeilen macht die Passage in dem nanzbedarf der Sozialversicherungen än- gangener Woche wieder einmal seine Nei- 72 Seiten starken Dokument aus. Ein dere sich durch die bloße Umleitung der gung zu kalkulierter Provokation aus. komplettes Konzept habe er nicht im An- Geldströme nichts. In seinem Wirtschaftsbericht, den er gebot, räumte der Minister ein. Er habe Müllers Idee mache deshalb nur