Utopie 213/214

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Utopie 213/214 utopie 213-214-D 11.06.2008 12:39 Uhr Seite 1 Monatliche Publikation, herausgegeben von der 213/214 . Juli/August 2008 Rosa-Luxemburg-Stiftung Gastkolumne 581 Essay FRIGGA HAUG Politische Subjekte im Neoliberalismus 583 Gesellschaft – Analysen & Alternativen MICHAEL WOLF Die Reform der Hartz-IV-Reform: Verfolgungsbetreuung plus 594 1968 KARL-HEINZ GRÄFE Prager Frühling 1968: letzter sozialistischer Erneuerungsversuch? 617 AYHAN BILGIN Die 68er Bewegung in der Türkei 628 Hannah Arendt MARIO KESSLER Zwischen Paria-Existenz und jüdischem Commonwealth. Hannah Arendt über Antisemitismus und Zionismus 646 ALFRED LOESDAU Politisch denken und historisch sehen. Hannah Arendts Verhältnis zu linken Intellektuellen 656 utopie 213-214-D 11.06.2008 12:39 Uhr Seite 2 Interview ERHARD SCHERNER Die Fronten gingen durcheinander … Ein Interview zu den Auskünften Ludwig Kroeber-Keneths aus Kronberg über seine und Alfred Kurellas Reise 1919 nach Sowjetrußland 662 Nachhaltigkeitsdebatte MARKO FERST Plädoyer für eine ökologische Zeitenwende 691 HUBERT FETZER Klimawandel und Sozialismus 699 Standorte DETLEF KANNAPIN Im Garten der Beliebigkeit. Krise und Zerfall der spätimperialistischen Philosophie 708 Konferenzen & Tagungen PETER SCHÄFER Die Rückkehr des Viktor Agartz Tagungsbericht 732 VIOLA SCHUBERT-LEHNHARDT Mit unserer Gesundheit Kasse machen? 736 Festplatte WOLFGANG SABATH Die Wochen im Rückstau 742 Bücher & Zeitschriften Rainer Ferchland (Hrsg.): Sozialberichte: Was sie benennen und was sie verschweigen. Studie des Institutes für Sozialdatenanalyse e.V. Berlin – isda. Texte der Rosa-Luxemburg-Stiftung 38 (HANSGÜNTER MEYER) 744 Norbert Frei: 1968. Jugendrevolte und globaler Protest (BERND HÜTTNER) 752 Stefania Maffeis: Zwischen Wissenschaft und Politik. Transformationen der DDR-Philosophie 1945-1993 (INGO STÜTZLE) 753 Rolf Haubl, Volker Caysa: Hass und Gewaltbereitschaft. Philosophie und Psychologie im Gespräch (KONSTANZE SCHWARZWALD) 755 utopie 213-214-D 11.06.2008 12:39 Uhr Seite 3 Rainer Funk: Erich Fromms kleine Lebensschule (JÜRGEN MEIER) 759 Ulrich Mählert, Bernhard H. Bayerlein, Horst Dähn, Bernd Faulenbach, Erhart Neubert, Peter Steinbach, Stefan Troebst, Manfred Wilke (Hrsg.): Jahrbuch für Historische Kommunismusforschung 2008 (MARCEL BOIS) 761 Summaries 764 An unsere Autorinnen und Autoren Impressum 768 utopie 213-214-D 11.06.2008 12:39 Uhr Seite 4 utopie 213-214-D 11.06.2008 12:39 Uhr Seite 581 Gastkolumne Es ist Frühsommer und Zeit für den ersten Parteitag der LINKEN in Cottbus – Oskar Lafontaine heizt den Delegierten in seiner Rede ein. Er nimmt sich den finanzmarktgesteuerten Kapitalismus zur Brust und kritisiert aus dieser Perspektive die herrschende Gesell- schaft. Und sagt sehr viel Wahres in rhetorisch ansprechender Form, zitiert Marx, Luxemburg, Benjamin, Adorno und Horkheimer. Der LINKEN, Lafontaine und vielen anderen, gebührt Respekt und Dank dafür, dass die herrschende Standortlogik in den Medien eben nicht mehr unwidersprochen bleibt. Ihretwegen dürfen die in Deutschland verarmenden Menschen auch in der öffentlichen Dis- kussion wahrnehmen, dass sie an ihrer Situation nicht selbst schuld sind, sondern der Kapitalismus. Rhetorik ist wichtig, denn sie er- reicht die Menschen. Es gilt aber weiterhin das zu erstreben, was Peter von Oertzen der WASG anlässlich der Parteineugründung aufgab: eine gesellschaft- lich verwurzelte, programmatisch seriöse und authentische links- sozialistische Partei zu werden. Eine zweite SPD, so von Oertzen, wäre kein Fortschritt. Gesellschaftliche Verwurzelung erreichen bedeutet mehr als den erreichten Stamm an Mitgliedern sowie an Wählerinnen und Wäh- lern zu pflegen oder sogar auszuweiten. Das nämlich geht mit Rhe- torik, Medienpräsenz und parlamentarischen Initiativen, vor allem auch, indem man die SPD vorführt. Symptomatisch hierfür ist eine Argumentationsfigur aus der Rede Lafontaines: Wer die Demokratie retten will, muss die alleinige Verfügung der Unternehmenseigner und Finanzinvestoren über Gewinn, Investitionen und Kapital in Frage stellen. Richtig. Seine Waffe – die Bundestagsfraktion DIE LINKE präsentiert einen Gesetzentwurf zur paritätischen Mitbe- stimmung – ist allerdings stumpf. Rhetorik wird erst dann zu Theorie und Parlamentarismus, erst dann zu politischer Praxis, wenn diese Forderungen in einer gesell- schaftlichen Bewegung verwurzelt sind, wenn nicht Medienpräsenz sondern die Herausforderung neoliberaler gesellschaftlicher Hege- monie wort- und handlungsleitend werden. Echte Verwurzelung bedeutet, dass die Menschen zu Subjekten der Veränderung ihres gesellschaftlichen Kontextes werden, ihren Alltag verändernde, am Solidaritätsprinzip orientierte politische Ziele ent- wickeln und dazu die Partei als eine Institution der bürgerlichen Po- litik nutzen. Somit ist auch der Zusammenhang zur programmati- schen Seriosität gegeben. Seriös ist die Programmatik der LINKEN utopie 213-214-D 11.06.2008 12:39 Uhr Seite 582 582 dann, wenn sie an realen gesellschaftlichen Widersprüchen und Kämpfen ansetzt und gesellschaftlich realisierbare Handlungs- schritte formuliert, die auch die Menschen in ihrem Alltag handelnd einbeziehen. Das zusammen ergibt eine scharfe Waffe gegen Unter- nehmermacht. Am Problem, dass sich in der Tarifpolitik strukturell kampfstarke Gruppen verselbständigen und neben beziehungsweise gegen DGB- Gewerkschaften eigenständig Tarifkämpfe erfolgreich führen, möchte ich dieses Argument entfalten. Denn es fällt den DGB-Gewerk- schaften ja schwer, diese Gruppen wieder für den »Solidarzusammen- hang Einheitsgewerkschaft« zu begeistern. Das liegt zu einem großen Teil daran, dass die DGB-Gewerkschaften das Solidarprinzip selbst nicht überzeugend vorleben: Ihre eigene Tarifstruktur ist zusehends zersplittert und orientiert sich immer noch zu sehr an Regelarbeits- verhältnissen, die nicht mehr die Regel sind; die Arbeits(stellen)- losenarbeit führt ein Schattendasein. Der DGB wurde durch die Einzelgewerkschaften weiter geschwächt und hat sich als allgemein- politischer Akteur an vielen Orten weitestgehend zurückgezogen. Hier zeigt sich die Bedeutung einer seriösen Analyse für die ge- sellschaftliche Verfußung der Linken. Solidarität bedarf der Begrün- dung, Menschen aus verschiedenen Alltagsrealitäten müssen verste- hen, warum sie zusammenhalten sollen und auch gegen wen sich dieser Zusammenhalt richtet. Das muss nun die Linke überhaupt, nicht nur die Partei, leisten. Ansonsten verharrt die Politik in einer Form der paternalen Betreu- ung, in der die Granden in Partei und Gewerkschaften die Sache für die Menschen richten. Auf Dauer führt das bestenfalls zu einer zwei- ten Sozialdemokratie. Ein Symptom in Cottbus: Die Reizthemen der vergangenen Wo- chen schienen keiner Diskussion mehr würdig. Sie lieber nicht auf die öffentliche Bühne bringen, schien der Konsens der Delegierten. Mehrere Stunden Zeit nahm sich der Parteitag für die Diskussion des Leitantrages. Etliche Änderungsanträge modifizierten hier ein Sätzchen oder fügten dort etwas hinzu, so dass gegen Ende der De- batte keiner mehr so genau wusste, was eigentlich schon enthalten ist und was nicht. Als die Versammlung jedoch zu der Passage kam, in der das Zukunftsinvestitionsprogramm gefordert wurde, ent- brannte keine Debatte. Dabei war das Programm im Vorfeld höchst kontrovers diskutiert worden. Die großen Debatten führt die Partei also außerhalb des Parteitages, in ihren Zirkeln und in den Medien. Das darf nicht so bleiben. CLAUS-DIETER KÖNIG utopie 213-214-D 11.06.2008 12:39 Uhr Seite 583 UTOPIE kreativ, H. 213/214 (Juli/August 2008), S. 583-593 583 FRIGGA HAUG Politische Subjekte im Neoliberalismus »Politische Subjekte« zu thematisieren und nicht einfach Subjekte, wie mir aufgetragen war, hat einen doppelten Grund. Es gibt mir die Möglichkeit, zugleich auch von der neuen Partei zu sprechen, die ja auch ein Subjekt ist, und in organischer Verschränkung von der Wechselwirkung der individuellen Subjekte nicht nur mit dem Neo- liberalismus, also wie sie von ihm betroffen sind, sondern auch wie sie von einer Linkspartei betroffen sein könnten, bzw. an sozialisti- scher Perspektive mitarbeiten, wenn es eine solche geben könnte, also wahrhaft politische Subjekte sind. Während des letzten Wahlkampfs redete ich mit vielen unter- schiedlichen Menschen, mit alternativen Gruppen, mit Initiativen, mit Lehrern, also mit allen, die ich gerade traf, um sie für die Links- partei zu gewinnen. Dabei hatte ich sogar gehofft, Handwerker in der Stadt, in der ich jetzt lebe, Esslingen, anzurühren – aber sie Frigga Haug – Jg. 1937, kannten nicht mal den Namen Linkspartei, so war der Weg zu weit. Prof. em. Dr., Mitheraus- Das war natürlich anders bei einer alternativen Uni in Potsdam, die geberin der Zeitschrift mich aufrührerisch eingeladen hatte. Jedoch wollten diese zu meiner »Das Argument«, Redak- teurin des »Historisch- Überraschung diese Partei auf keinen Fall wählen – wegen der Er- kritischen Wörterbuchs des fahrungen in Berlin. Die Lehrer, auch alternative, die zur Weiterbil- Marxismus« sowie von dung, auch zur politischen gekommen waren, bekannten sich zur »Forum Kritische Psycho- Wahlabstinenz. Rührige, um die politische Kultur verdiente Men- logie«; Forschungsschwer- schen gestanden, ganz gegen das Parteisystem zu sein und andere, punkte: Frauensozialisation ebenfalls aus dem linksalternativen Wissenschaftsspektrum, arbeite- und -politik, Arbeit. Zuletzt in UTOPIE kreativ: ten gar an einer weiteren Parteigründung, nachdem sie schon aus der Kampagne. Ein HKWM- WASG ausgetreten waren, weil sie zur Einsicht gelangt waren, dass Stichwort,
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