Stadt – Mann – Universität

Hamburg, und ein Jahrhundert-Lebenswerk Teil 1: Der Mann und die Stadt von Myriam Isabell Richter Mäzene für Wissenschaft

hg. von Ekkehard Nümann

Gefördert von der Behörde für Wissenschaft, Forschung und Gleichstellung und von der Hermann Reemtsma Stiftung

Den Familien gewidmet, die durch ihre hochherzigen Stiftungen vor 109 Jahren die Gründung der Hamburgischen Wissenschaftlichen Stiftung ermöglicht und den Grundstein dafür gelegt haben, dass die Stiftung auch heute noch Forschung, Lehre und Bildung fördern kann.

Inhalt

Vorwort des Herausgebers ...... S. 3 1. Quellenlage ...... S. 4 2. Der Familien- und Firmengründer Georg Friedrich Vorwerk . . S. 6 3. Zur Kindheit und Jugend der Vorwerk-Brüder ...... S. 15 4. Eine Reise von Augustus Friedrich nach Nordamerika und Kuba ...... S. 23 5. Die Firmen in Chile und ...... S. 28 6. Friedrich, Adolph und deren Ehefrauen in den Erinnerungen dreier Enkel ...... S. 44 7. „Villa Josepha“ und „Haupthaus“ ...... S. 54 8. Gustav Adolph als Bau- und Gartengestalter ...... S. 60 9. Entwicklungen nach dem Tod der Brüder ...... S. 67 10. Anhänge ...... S. 70 11. Literatur ...... S. 72 12. Namensregister ...... S. 74 Alte Treue bewahr’t, doch ehret nicht Alles, was alt ist, […] Königlich nenn’ ich den Kaufmann, der nicht mit klingendem Gold nur, Der durch Leben und Geist Schönes befördert und schützt. Heinrich Geffcken1

Und doch – was würde aus all unserm Bemühen, die Geschichte der Menschheit zu erfassen, kämen uns nicht als „Leitmuscheln“ ihres Entwicklungsganges die Monumente zu Hilfe? Ein jedes Denkmal, ob es äußerliche Schicksale erfährt oder nicht, ist ein Meilenzeiger der Geschichte, das kleinste selbst eine Fackel, die ein Stück Weges erhellt. Darum hüte man sich vor dem Fluch, der nach der Volkssage die trifft, die Meilensteine verrücken oder Leuchtfeuer auslöschen; man achte das Recht der Geschichte – und man achte auch das Recht der Denkmäler selbst. Richard M. Meyer2

Das ist das Leben! Plötzlich küßt ein Hauch Des Glücks die volle Knospe auf. Die Blüte Erschließt sich, lacht, und – welkt! Karl Leberecht Immermann3

| 3 | „Bekleiden Sie gefälligst das von mir gelieferte dürre Gerippe mit Fleisch, Mark u. Blut, und flößen Sie ihm Leben und Geist ein.“ 4

Werner von Melle im Schattenriss

| 4 | Inhalt

Vorwort des Herausgebers ...... 6 Grußwort der Zweiten Bürgermeisterin der Freien und Hansestadt Hamburg ...... 7 1. Prolog in 3D ...... 10 Atemlos vom Ende an – mit einem Hauch von Ewigkeit ...... 10 ,Leitmuscheln‘ der Geschichte ...... 13 ,Federgewandt und ideenreich‘ oder ,unheilbar krank‘? 10° Ost . . . 15 2. Bedenkenswertes ...... 22 Auftakt: Ein Mann hat eine Vision – mit Konsequenzen für ein (zu schreibendes) Leben ...... 22 Kontakt-Linse ...... 25 Literarisiert vermittelte Wirklichkeit: Mustermänner und -frauen . . . 26 Panoramische Fähigkeit – ihre Quellen und ihre Folgen ...... 32 3. Lebensdaten I ...... 36 Der Mann: Werner von Melle (1853–1877) ...... 36 Setting ...... 37 Der Grieche ...... 48 Der Johanniter ...... 50 Didaskalia! – innerhalb und außerhalb der Schule ...... 54 Schule im Krieg – und das Leben danach ...... 55 Rollenwechsel ...... 58 Civis academicus – der (akademische) Bürger ...... 62 Ortswechsel ...... 64 Die Stadt: Hamburg (1877–1891) ...... 100 Kopf oder Zahl ...... 102 Patriot und Vereine ...... 105 Advokat und Heidelberger Club ...... 128 Privatier/pater familias ...... 145 Schriftsteller und Journalist ...... 178 Homo politicus ...... 253 4. Epilog I ...... 295 Manu propria: Ein Mann blickt zurück ...... 295 5. Anhänge ...... 336 Gelehrtenschule Johanneum: Auszug aus den Jahresberichten . . . 336 Stammtafel (Auszug) ...... 340 Werner von Melles Lebensdaten im Überblick ...... 342 6. Quellen, Literatur und Bildnachweis ...... 343 7. Namensregister ...... 355

| 5 | Vorwort des Herausgebers

Im Jahre 2007 beschloss die Hamburgische Wissenschaftliche Stiftung eine Rück- schau besonderer Art: eine eigene Schriftenreihe erkundet seitdem Motive, Vor- bereitung, Gründungsakt, Ausgestaltung und Wirkungsradius der 100 Jahre zu- vor ins Leben gerufenen Institution. Aus immer neuen Blickwinkeln präsentiert die Reihe Hamburger und Hamburgerinnen, die mit ihren Ideen, ihrem Vermö- gen, ihrem persönlichen Engagement im Kuratorium der Stiftung dafür sorgten, dass in ihrer Heimatstadt eine Universitätsgründung realisiert werden konnte. Inzwischen ist die Reihe bei Band 18 angelangt – und damit beim strategischen Kopf, bei dem Anstifter der gesamten Unternehmung, bei dem Hamburger Senator und Bürgermeister Werner von Melle.

Sein diplomatisches Geschick, seine Kommunikationsfähigkeit, sein zähes Durch- haltevermögen, sein Sinn für Bedeutsames und für Machbares ließen ihn zu einem der wichtigsten Gestalter des Hamburger Bildungswesens werden. Die Gründung der Hamburgischen Universität im Jahre 1919 war nicht zuletzt sein „Jahrhundert-Lebenswerk“, dem er bis an sein Lebensende auch als Präsident der Hamburgischen Wissenschaftlichen Stiftung treu verbunden blieb.

Dass Hamburg heute eine attraktive Universität hat, ist dem Einsatz, der Kreati- vität und dem Gestaltungswillen unzähliger Menschen zu verdanken. Besonders dankbar sind wir dem spiritus rector Werner von Melle, dass er das Projekt der Hochschulgründung über drei Jahrzehnte so hartnäckig vorangetrieben hat. Unser Dank mag zugleich als Aufforderung an alle folgenden Generationen for- muliert sein: dass wir uns an seiner Wachsamkeit, seinem Anspruch und seiner Überzeugungskraft ein Beispiel nehmen.

Ekkehard Nümann

| 6 | Grusswort der Zweiten Bürgermeisterin der Freien und Hansestadt Hamburg

Liebe Leserinnen, liebe Leser, wie gern hätte ich meinen Amtsvorgänger Werner von Melle kennengelernt. Mög- lich ist es aber, sich an seine Fersen zu heften und seine Spuren durch die Zeiten bis in die Gegenwart zu verfolgen. Das unternimmt der vorliegende Band. Vor- nehmlich geht es dabei um die Stadt, um unsere Stadt. – Genauer: um einen (noch jungen) Mann und seine Stadt und darum, wie er sie erforschte, umwarb und eroberte. Wie gestaltete er Hamburg als Advokat, als Journalist, als Schrift- steller zwischen 1876 und 1891?

Ich war überrascht, wie modern der Einsatz der Mittel anmutet, mit denen der juristisch versierte Pressemann damals seine Ziele verfolgte. Sein Gespür für den richtigen Moment, das richtige Wort und das richtige Format ist beeindruckend. Werner von Melle besaß das, was die Autorin treffend als „panoramische Fähig- keit“ bezeichnet. Sie speiste sich aus der Verankerung seiner Familie in der Stadt und deren Engagement über mehrere Generationen hinweg – es sind diese Er- fahrungen des jungen Werner von Melle, die uns hier vor Augen geführt werden. Dass er als privilegierter Patrizier ein ‚Kind seiner Zeit‘ war, lässt sich nicht leug- nen und soll auch gar nicht verschwiegen werden: Seine martialischen, ja ge- radezu plumpen Bemerkungen über die Sozialdemokratie im Hamburg der Kaiserzeit und seine ambivalente Einstellung zum Kolonialismus sind hervor- stechende Beispiele.

Als Wissenschaftssenatorin streite ich tagtäglich für ein stolzes Selbstverständnis Hamburgs als Wissenschafts- und Universitätsstadt. Daher bin ich besonders auf den zweiten Band der Biographie gespannt („Der Mann und die Universität“), steht doch 2019 das 100-jährige Jubiläum der Universität Hamburg bevor: Fast 30 Jahre lang hat Werner von Melle das Projekt ihrer Gründung verfolgt: als Syndikus, Senator und als Begründer der Hamburgischen Wissenschaftlichen Stiftung, als Zweiter Bürgermeister und Erster Bürgermeister. Er war nicht der Erste und auch nicht der Einzige, aber wahrscheinlich der Hartnäckigste: Jede Professur, jedes Institut, jedes Baugrundstück musste er mit seinen Unterstützern

| 7 | der kaufmännisch geprägten Bürgerschaft einzeln ‚abringen‘ – immer unter der Beteuerung, dies sei kein Präjudiz für die Gründung einer Universität. Zwei formelle Anträge zur Universitätsgründung wurden von der nach Klassenwahl- recht zusammengesetzten Bürgerschaft abgewiesen. Zu teuer, zu abgehoben, nicht hamburgisch: Die sprichwörtlichen Pfeffersäcke fürchteten um ihre Führerschaft im Gemeinwesen und beschworen die „geniale Einseitigkeit“ Hamburgs als Hafen- und Handelsstadt. Es war der ersten frei gewählten Bürgerschaft in der ersten deut- schen Demokratie vorbehalten, endlich den Weg freizumachen.

Politiker wie Werner von Melle sind beindruckend. Er hat mit Ausdauer, Weit- blick und strategischem Geschick Großes für die Freie und Hansestadt Hamburg geschaffen, denn er wusste: Einseitigkeit ist nie genial. Eine internationale Hafen- und Handelsstadt wie Hamburg muss ihre reichentfaltete Geisteskultur in eine angemessene Form bringen. Ihm war klar: Wer hier etwas bewegen will, muss das Handel treibende, das kaufmännische Hamburg mit ins Boot holen. Auch einhundert Jahre später sind Stiftungen und Mäzene wichtige Verbündete der hamburgischen Wissenschaft. Das Zusammenführen von Geist und Geld hat in Hamburg eine lange Tradition, die bis heute lebendig ist. Werner von Melle kann in diesem Zusammenhang mit Fug und Recht als ‚Anstifter‘ bezeichnet wer- den – als jemand, der im Hamburg der Jahrhundertwende ganz entscheidend das Zusammenspiel zwischen Stiftern und Akteuren aus Politik, Verwaltung, Fürsorge,Wissenschaft und Kultur prägte.

Es ist wichtig, in diesem Sinne zu wirken und weiter für das inspirierende Bünd- nis zwischen dem akademischen und dem merkantilen Hamburg zu werben. Was könnte hierzu einen wichtigeren Beitrag leisten als eine Biographie? Mein herzlicher Dank geht an die Autorin Myriam Isabell Richter und an die Hamburgische Wissenschaftliche Stiftung.

Zweite Bürgermeisterin Katharina Fegebank

| 8 | Z 10: Grabstätte der Familie von Melle auf dem Ohlsdorfer Friedhof, von hinten

| 9 | [1]

Prolog in 3D

Atemlos vom Ende an – mit einem natssyndikus Friedrich Heinrich Geffcken – Hauch von Ewigkeit zuvor hanseatischer Ministerresident in Ber- ··································································· lin, diplomatischer Vertreter der Hanse- Z 10. – Umsäumt von hohen Bäumen be- städte in London, später Professor für Völ- findet sich auf dem Ohlsdorfer Friedhof die unauffällige Grabstelle einer Hamburger Se- natorenfamilie.5 Die in grauen Granitstein gemeißelten Namen führen wie Nervenen- den historischer und symbolischer Neural- giepunkte mitten ins Gedächtnis der Stadt: Die älteste Inschrift beschließt das Leben des Kaufmanns und Senators Emil von Melle im Jahre 1891, der das Geheimnis sei- ner Verfasserschaft vom 1859 herumgeistern- den ,Anti-Humbug‘ mit ins Grab nahm.6 Darunter die Stanzen seiner 1912 gestorbe- nen Gattin Marie geb. Geffcken. ··································································· Als Tochter von Senator Heinrich Geff- cken – er kämpfte 1814 in der Hanseatischen Legion um die Befreiung Hamburgs von den Franzosen und wurde später als han- delspolitischer Experte und Freihändler zu einem der Wegbereiter von Hamburgs Ent- wicklung zum Welthandelsplatz,7 nach ihm ist die Geffckenstraße benannt – und Eli- sabeth (Betty) geb. Merckel8 war sie die Nichte von Kaufmann Friedrich Merckel, jenem Merckel, dem Heinrich Heine aus Dankbarkeit für die gemeinsame Arbeit am Buch der Lieder den Zyklus Die Nordsee Z 10: Kreuz- und gemeinsamer Grabstein von „freundschaftlichst zugeeignet“ hatte.9 Se- Emil und Marie von Melle

| 10 | Z 10 / AA10: Familien(ge)schichten: Urenkel von Bürgermeister Mönckeberg im Angesicht seines Vorfahren kerrecht und Staatswissenschaft in Straß- Nicht nach ihm aber, der an schwerer burg und verheiratet mit Karl Immermanns Krankheit inmitten der über 8.000 Opfer Tochter Caroline – war Maries jüngerer der letzten Hamburger Cholera-Epidemie Bruder.10 Den Namen ihrer Erstgeborenen im Jahre 1893 starb, sondern nach vorge- Antonie sucht man hier vergebens, er findet nanntem Vetter Johann Georg wurde 1908 sich im schräg benachbarten Ensemble eines eine der Hauptverkehrsadern der neuen weiteren imposanten Grabmals, des der City benannt, an deren Planung er, der sei- Familie Mönckeberg. In dessen Zentrum, nerzeit Erste Bürgermeister12 (im Volks- vis-à-vis zur roten Sandsteinstele, auf der in mund ,Bürgermeister Pfennigfuchser‘), in weißem Marmor ein Porträtmedaillon des Reaktion auf die hygienische Katastrophe Stammvaters Senator Johann Georg prangt als Vorsitzender der Finanzdeputation einen – zu Grabe getragen am ersten Tage des ver- nicht eben geringen Anteil hatte. heerenden Hamburger Brands im Jahre ··································································· 184211 –, steht der Stein seines berühmtes- An dieser Stelle und schon mit einigen Fä- ten Enkels, des Bürgermeisters gleichen Na- den mehr in der Hand schnell wieder zu- mens, brüderlich flankiert von dem eines rück zum Familiengrab von Melle: Unter- anderen Enkels, des Bürgerschaftsmitglieds brachen die Umstände der Cholera und des Rudolf, und in der Nähe von dem jenes plötzlichen Todes von Otto Mönckeberg Enkels, der mit Antonie geb. von Melle ver- auf dramatische und zerstörerische Weise heiratet gewesen und noch im Jahr vor sei- sowohl Lebenslauf als auch -entwurf seiner nem Tode vom Präsidentenamt der Ham- Frau Antonie, der ältesten Tochter Emil und burger Bürgerschaft in den Senat gewählt Marie von Melles – wurden sie, die Um- wurde: von Otto Wilhelm Mönckeberg. stände, ihrem jüngeren Bruder, der nach

| 11 | Z 10: Familien-Grabstätte von Melle, von vorn (oben); Grabsteine von Werner von Melle und Emmy geb. Kaemmerer (unten) freudloser Anwaltstätigkeit als ,Partner‘ des maßen zur Voraussetzung für lang ersehn- genannten Rudolf Mönckeberg und nach te Wirkungsräume:13 Seine Berufung in erfüllteren Jahren als Zeitungsredakteur 1891 die 1892 eingesetzte Cholera-Kommission14 in die Politik gewechselt war, paradoxer- lässt sich als eine Art Auftakt werten für die weise auf einer anderen Ebene gewisser- politische Sichtbarkeit und spürbare Ein-

| 12 | flussnahme, die Werner von Melle von da an fand Emilias Grabstein einen Platz zwischen in der und für die Stadt zu entfalten begann; denen der Geschwister ihres Vaters: zur Lin- das voll ausbuchstabierte Alphabet eines ken der Stein ihrer unverheiratet gebliebe- langen Lebens und Wirkens findet erst hier, nen Tante Magdalene, die knapp das Ende im Planquadrat Z (10) des Ohlsdorfer Fried- des Ersten Weltkriegs überlebte, und zur hofs, buchstäblich zum Ende und weist Rechten der ihres mit nicht einmal 37 Jah- doch, mit biblisch-unerschütterlicher Ge- ren verstorbenen Onkels Erwin von Melle – wissheit, mit den steinernen Lettern sogar Erbauer der Hamburger Apostelkirche19 –, noch über das physische hinaus: „Die Liebe der mit seinem unerwarteten Tod 1898 eine höret nimmer auf | 1 Kor. 13,8“.15 junge Frau und zwei kleine Töchter hinter- ··································································· ließ. Weitere Verästelungen der Familie lie- Im rechten Winkel zum Familienkreuz mit ßen sich über andere Quellen bis in die Ge- dieser Grabinschrift liegen sie beieinander, genwart hineinverfolgen,20 doch soll hier die Steine von Senator und Bürgermeister der Weg in die entgegengesetzte Richtung Werner von Melle und seiner Frau Emmy eingeschlagen werden: Das steinerne Ende geb. Kaemmerer. ist einer der Ausgangspunkte für die Frei- ··································································· legung tiefer liegender Hamburger Lebens- Über gemeinsam versehene politische Äm- (ge)schichten. Ein anderer erfordert den ter beider Väter und Großväter (im Senat abrupten Szenenwechsel vom größten Park- und in den verschiedenen Deputationen) friedhof der Welt zum Von-Melle-Park in- hinaus hatten zwischen den Elternhäusern mitten der Stadt. „von jeher […] nähere Beziehungen bestan- ··································································· den“16: Emmys Großvater mütterlicherseits ›Leitmuscheln‹ der Geschichte war Senator und Bürgermeister Hermann ··································································· Goßler und ihr Großvater väterlicherseits VMP. – Umsäumt von Philosophenturm, Kaufmann Georg Heinrich Kaemmerer Audimax, Studentenhaus und Mensa, (nach dem 1907 das Kaemmererufer in Staats- und Universitätsbibliothek, WiWi- Winterhude benannt wurde). Letzterer ge- Bunker und dem Pädagogischen Institut hörte in den 1850er Jahren genauso zur so- stellt der Von-Melle-Park seit Mitte des genannten ,Neunerkommission‘, die der 20. Jahrhunderts eines der Herzstücke der neuen Hamburger Verfassung von 1860 – Hamburger Universität dar. Der Name des und damit der Trennung von Justiz und gepflasterten Campus ist Ausdruck für die Verwaltung, von Staat und Kirche sowie Dankbarkeit einem Mann gegenüber, der der Gewährleistung individueller Freiheits- sich in den Kopf gesetzt hatte, der Freien rechte – den Weg ebnete, wie der oben er- und Hansestadt Hamburg eine ihr ange- wähnte Großvater ihres Mannes, Heinrich messene Stätte des Geistes zu schaffen.21 Geffcken.17 Als letztes Familienmitglied Seine in Bronze gegossenen Züge sind an wurde hier 1958 schließlich die jüngste der symbolischer Stelle sicht- und sogar ertast- drei Töchter von Werner und Emmy von bar: Rücken an Rücken mit dem Stifter des Melle bestattet: 13 Jahre nach ihrem in den einstigen Vorlesungs-, jetzt Hauptgebäudes letzten Tagen des Zweiten Weltkriegs ver- der Universität, steht im Foyer der Ed- storbenen Mann Dr. Hermann O. Jäger18 mund-Siemers-Allee 1 die Büste des schon

| 13 | VMP. Wegweiser im Schnittpunkt von Moorweidenstraße/Schlüterstraße/ Ernst-Cassirer-Park/Rothenbaumchaussee genannten Werner von Melle. Sie zeigt ihn weitere Bronze zum Vorschein brachte – ein in der Amtstracht des Bürgermeisters, d. h. bewusstes Statement hingegen waren der im altertümlich (spanischen) „Rathshabit“22 Spendenaufruf des Universitätspräsidenten mit einer Halskrause, die noch heute als so- für einen neuen Abguss und die Aufstellung genanntes ,Mühlrad‘ den Hals der Hambur- auf dem alten Sockel im September 1979. ger Hauptpastoren ziert. Ähnlich dem Inau- Gerade weil sie keine ,Ausgabe letzter Hand‘ gurator Universitatis hat auch dessen Abbild und damit bei Weitem nicht ähnlich fein bewegte Zeiten hinter sich. Entführt, zer- ausgearbeitet ist wie die erste, hält sie in schlagen, eingeschmolzen, in Waffen für ei- ihrer ,Rohfassung‘ stets die Erinnerung an nen Befreiungskampf umgemünzt, existiert den rohen Gewaltakt wach und daran, es nicht mehr in der einstigen Form.23 Im welch (un-)beabsichtigte und unkalkulier- Abstand von über drei Dekaden möchte bare Wirksamkeit Denk-Male im öffent- man meinen: das Kunstwerk (nebenbei: ei- lichen Raum zu entfalten vermögen: als nes in der NS-Zeit verfolgten Hamburger Stichwortgeber, als Provokation, als Sym- Bildhauers24) sei einem grotesken Missver- bol, als Projektionsfläche, als Identitätsstif- ständnis zum Opfer gefallen.25 ter. Solange Vergangenheit gegenwärtig im ··································································· Bewusstsein gestaltend weiterlebt, ist sie vi- Der Mann, dessen Abbild 1977 als „Impe- rulent. Am Geheimnis der unergründlichen rialistenidol“ verunglimpft wurde, hat ein Interaktion zwischen Lebenden und längst Anrecht darauf, vor dem Hintergrund, den Vergangenen partizipiert die Büste damit Vorstellungen und Lebensentwürfen seiner und in jedem weiteren Akt einer wachen Be- eigenen Zeit erkundet zu werden.26 Dass der gegnung auf Augenhöhe mit den Studieren- ,Bildersturm‘ letztlich nicht gegen das ,Ori- den, Beschäftigten, Besuchern und Besu- ginal‘ anzukommen vermochte, zeigt ein- cherinnen der Hamburger Universität, die mal mehr, wie schwerwiegend und zugleich ihr Hauptgebäude – Sitz der Hamburgi- doch flüchtig festgefügte Urteile und daraus schen Wissenschaftlichen Stiftung „für alle erwachsende zerstörerische Aktionen sein Zeit“27 – betreten. können: Zwar war es eher Zufall, der eine ···································································

| 14 | Von der Denkstätte führt der Weg über das brachte. Wie unermesslich viele Buchstaben Denkmal bis hin zu Prozess und Produkt und Worte mögen dieser Feder entflossen des Denkens selbst: die dritte Annäherung sein, die dann ihren Weg in die Welt ange- folgt der literarischen Spur. treten haben: in Form von Manuskripten, ··································································· Berichten, Briefen, Protokollen, als Konzept ›Federgewandt und ideenreich‹ für die Rede, als Kopie für die Schublade oder ›unheilbar krank‹? 10° Ost oder umgewandelt in Druckerschwärze. ··································································· Selbst den Konzepten noch ist die spontane Eintauchen, abstreifen, abtropfen lassen, Druckreife, der unmittelbare Ausdrucks- den Bruchteil einer Sekunde innehalten, an- Wille zu entnehmen. Angesichts der Masse setzen und schon kratzt eine Feder über das des von einer Person überlieferten bzw. zum Papier und hinterlässt energisch-kantig Druck beförderten Materials gewinnt der schwarze Tintenzüge, die über den Bogen komische Stoßseufzer des Verfassers, „daß pulsieren; erregt und erregend ergießen sie Schriftstellern […] eine unheilbare Krank- sich zu einer gezackten Gedankenspan- heit ist“28 – durchaus eine gewisse Plausibi- nungskurve gleich einem Kardiogramm. lität. Neu eintunken, abwarten, neu ansetzen und ··································································· weiter. Ein ganzes, langes Leben lang – bis Nicht nur die (Hand-)Schrift ist unver- zum Jahre 1937. Wie oft mag diese Hand das kennbar; auch der Stil ist es, und das durch- Schreibgerät ins Tintenfass getaucht haben, aus unabhängig von der Gattung, nicht aber bevor die Neuerung ,Füllfederhalter‘ et- losgelöst von jener Zeit, aus der er stammt. was mehr Gleichmaß in den Schreibfluss Wie viel wohl übrig bliebe, zöge man den

Schulterschluss im Foyer: Zwei Ehrendoktoren (1919/2015) der Philosophischen bzw. Fakultät für Geisteswissenschaften der Hamburger Universität

| 15 | „Daß … auch unsere Küche und die Weine von manchen gelobt wurden, beachtete ich möglichst wenig. Hatte Hamburg doch allzusehr den Ruf einer materiellen Stadt …“

Schriftprobe

| 16 | schweren Vorhang literarischer und stilisti- Hoffnungen und Vorhaben, seiner Gestal- scher Muster weg, anhand derer er sich he- tungskraft und Vernetzungskunst, seinem rausbildete – doch wie sollte das gehen? Und Tatsachensinn, Problembewusstsein und machte es überhaupt Sinn – kann man doch beharrlichem Einsatz der Mann die Stadt. nicht anders als auf, aus und mit dem Stoff Das treffendste Sinnbild liefert dafür in vie- der Vergangenheit Neues zu formen. So lau- lerlei Hinsicht die Architektur: tet(e) ja schließlich über beinah zwei deut- ··································································· sche Jahrhunderte der Bildungs-Auftrag: 10° Ost. – Der 10. Längengrad (östlich von über Aneignung der Welt die eigenen Kräfte Greenwich bei London) ist einer der Meri- zu einer sich selbst bestimmenden Indivi- diane, die gemeinsam mit den horizontalen dualität und Persönlichkeit zu entfalten. Breitengraden ein imaginiertes Koordina- ··································································· tengitter ergeben, das in Atlanten oder an- Nicht also kann es hier darum gehen, aus deren Darstellungsformen die Erdkugel den vorliegenden Schriften aufzuspürende umspannt. An ihnen sind die Weltzeitzonen Vorbilder abzuziehen, sondern gerade um ausgerichtet und einer von ihnen, jener 10°- das Gegenteil: erst der offensive Umgang Meridian, verläuft senkrecht durch Ham- mit ihrer Mehrstimmigkeit öffnet den Blick burg. Sichtbar in den Steinboden eingelas- auf den geistigen Resonanzraum, der hier sen kreuzt er die heutige vierspurige Brücke, aufgerufen wird. Der Verfasser ist sich über- die 1953 zur Entlastung der alten Lombards- wiegend der Quellen bewusst, aus denen er brücke als Neue Lombardsbrücke errichtet schöpft, seine professionell geschulte Ar- und 1963 (im Gedenken an den ermordeten beitsweise ist vertrauenerweckend, überdies US-amerikanischen Präsidenten) in „Ken- liefert er nachprüfbare Dokumentation und nedybrücke“ umbenannt wurde. Hölzerne Angaben meist mit. Doch gerade diese Er- Stege und Brückenkonstruktionen, die bis kenntnis befördert eine erhöhte Wachsam- Mitte der 1860er Jahre den Alsterlauf an die- keit im Umgang mit den Fallen, gegen die ser schmalen Stelle (zwischen Außen- und keine Biographin gefeit ist. Die im Folgen- Binnenalster) überquerten, markierten in den dargelegten Bedenken und methodi- Verlängerung der Wallanlagen den alten schen Vorüberlegungen sind daher keines- Verlauf der Hamburger Stadtbefestigung. wegs Selbstzweck, sondern nehmen die Spätestens der Bau einer Verbindungsbahn Einladung an, sich in ein (getextetes) Leben zwischen Altona und Hamburg erforderte zu begeben und tastend heranzuschreiben – eine stabile, eine steinerne Brücke, die seit trotz jenes Unbehagens, das womöglich An- 1865 als Lombardsbrücke die früheren Ge- teil an dem merkwürdigen Umstand hat, meinden und späteren Stadtteile Rother- dass sich dieser Versuch tatsächlich an- baum und St. Georg miteinander verbindet. schickt, die erste ,Biographie‘ über Werner Wie oft mag Werner von Melle, über 20 von Melle, genauer: über ihn im Wechsel- Jahre Bewohner erst des einen, dann des spiel mit der freien und Hansestadt Ham- anderen Stadtteils, diese Brücke überquert burg zu werden. Denn in ihrer geogra- haben? phisch-räumlichen, historisch-politischen, ··································································· kulturellen und sozialen Dimension prägte In einer wasserreichen Stadt, die vielerorts die Stadt den Mann – mit seinen Ideen, als ,Venedig des Nordens‘ gilt, ist sie ein Bei-

| 17 | Außenalster mit Lombardsbrücke (Charles Fuchs, 1862) spiel für die insgesamt über 2.500 architek- reichtum und ansprechender Präsentation tonisch konkreten Brückenschläge; doch professionalisierenden Aufbereitung von Ju- Brückenschläge gibt es bekanntlich auch im biläen in Form von Ausstellungen, Feier- übertragenen Sinne: zwischen verschiede- lichkeiten, Festschriften und Preisverleihun- nen Zeiten, (geographischen) Räumen, ge- gen sind in Hamburg, besonders in den sellschaftlichen Bereichen, Institutionen, letzten Jahren, forcierte Brückenbau-Aktivi- Disziplinen, Menschen. Eine Lebensschau täten zwischen Forschenden, Initiativen, wie die hier ausgeführte wäre freilich ohne Projekten, Institutionen, Archiven, Gesell- den immensen Fundus traditionell hansea- schaften, Vereinen, Korporationen und Stif- tischer Erinnerungskultur, ohne das seit tungen zu beobachten. Diese Entwicklung Jahrhunderten Gesammelte, Gedachte und von flexibel ineinandergreifenden Koopera- Geschriebene, Gelebte und Vermittelte tionsformen unterschiedlichsten Formats nicht denkbar. Werner von Melle gehört zu ermöglicht eine reichhaltige und kulturge- denjenigen, die dafür eine Grundlage ge- schichtlich inspirierte Metropolforschung schaffen haben, auf der die nachkommen- im besten Sinne. Sei es die Vernetzung über den Generationen die ausgelegten Fäden einen losen, aber weitgefassten Forschungs- weiterspinnen konnten. Abgesehen von ei- verbund29 oder das unentbehrliche ,Ge- ner sich allein schon in Folge der Digitali- dächtnis‘ der Universität Hamburg30 in dem sierungsmöglichkeiten in Dichte, Inhalts- markanten Gebäude, das sinnbildlich für

| 18 | die Aktivitäten der Hamburgischen Wissen- ausgesprochen und an die Kräfte, in deren schaftlichen Stiftung von Beginn an steht: Händen die Gestaltung der Verhältnisse Ohne Gleichgesinnte, die mit nicht erlah- Hamburgs liegt, ein Wunsch adressiert: Mö- mendem Forschungsdrang in diesem Um- gen die in den vergangenen hundert Jahren feld ein Erbe sichtbar zu machen und zu be- des Bestehens der Universität Hamburg – wahren suchen, ohne all jene, die nicht nur dank auch der im Folgenden zu rekonstru- in gedruckter Form (u. a. dokumentiert im ierenden Bestrebungen und Investitionen – Literaturverzeichnis) so bereitwillig ihr Wis- mühsam errungenen Bande zwischen Wirt- sen, ihre Entdeckungen, ihre Ideen, Ideale schaft, Wissenschaft, Gesellschaft, Recht und Vorstellungen mitteilen, mitgeben, ver- und Kultur dieser Stadt in ihrer Vielfalt und schenken, und last but not least ohne finan- Inspirationskraft noch stärker und enger zielle Unterstützung wäre der Boden für werden und auch zukünftig expansionsfähig dieses biographische Unterfangen nicht be- bleiben. reitet.31 Im Kollektiv sei ihnen allen Dank

·············································································································································· 1 Distichen zur Einweihung der neuen Börse, 1841, gedichtet von Heinrich Geffcken (1792–1861), Präses der Commerz-Deputation im Jahre 1844 (Nachbildung der Votivtafel im Haupttreppenhaus der Handels- kammer am Adolphsplatz). 2 Meyer, Denkmäler, S. 715. 3 Zitiert nach Immermann, Karl Immermann, S. 180. ·············································································································································· 4 Der Archivar Otto Beneke an Werner von Melle (in allen weiteren Anmerkungen: WvM), Begleitschreiben vom 8. März 1887 zum erfragten (und gelieferten) Archiv-Material über Gustav Heinrich Kirchenpauer, das so endet: „Ich ersuche Sie nun, geehrter Herr Doctor, das vorstehende Material nach Belieben zu verwenden, aber nicht zu einem allzu knappen Zeitungsartikel.“ (SUB Hbg., NvM: HS: Beneke, Otto Adalbert). Im Jahr darauf legte von Melle eine 459 Seiten umfassende Biographie vor. ·············································································································································· 5 Grabstelle Zentralfriedhof Ohlsdorf, Koordinate: 533731.24 N 0100220,78 O, Plan-Quadrat Z 10, 14–23: Der Grabbrief (Nr. 2613) wurde am 10. Oktober 1885 ausgestellt. „Das Grabmal war standunsicher und liegt deshalb in Teilen am Boden“, erläutert ein Friedhof-Führer den Zustand, in dem es sich bis vor Kurzem befand. Vgl. Leisner; Schoenfeld, Ohlsdorf-Führer, S. 91. 6 Es wurde erst nach dem Tod Jahrzehnte später von seinem Sohn gelüftet; zur Geschichte der drei 1859 anonym veröffentlichten und in mehreren Auflagen nachgedruckten satirischen Flugblätter vgl. (noch ohne Namensnennung): Melle, Kirchenpauer, S. 410, Anmerkung 1 und (mit der Auflösung): Melle, Jugend- erinnerungen, S. 59 f. 7 Melle, Geffcken; Möhring, Geffcken. 8 Die romantische Liebesgeschichte zwischen Heinrich Geffcken und Johanna Lucia Elisabeth Merckel bahnte sich im schwärmerisch-philantropischen Freundeskreis der seit 1811 bis etwa 1814 bestehenden „Sternen- gesellschaft“ an, vgl. dazu die Schilderungen in Hauschild-Thiessen: Heinrich Geffcken und die „Sternen- gesellschaft“, denen in der Hauptsache autobiographische Aufzeichnungen und Briefe Geffckens zugrunde- liegen. Bettys frühverstorbene Eltern waren der Lüneburger Pastor Johann Gottlieb Merckel und seine Frau Johanna Sophie Maria, geb. Winckler (1755–1804), eine Tochter des Hamburger Theologen Johann Dietrich

| 19 | 19 Winckler (1711–1784) – Absolvent des Hamburger Johanneums, später Professor am Akademischen Gymnasium, schließlich Hauptpastor sowie Senior des Geistlichen Ministeriums der Hansestadt. Getraut wurden Heinrich Geffcken und Elisabeth Merckel übrigens am 20. September 1816 in St. Jacobi (Auszug aus dem Kirchenbuch St. Jacobi 1816: Nr. 112, Privatbesitz). 19 Vgl. Heine, Gesamtausgabe 3,1, S. 102 sowie zur Entstehungsgeschichte der Nordseegedichte und zur Widmung: ders., Gesamtausgabe, 1,2, S. 994–1008; Melle, Jugenderinnerungen, S. 38. 10 Pöls, Geffcken. – Das seit 1436 bestehende Syndikat vereinigte ursprünglich als Amtseinrichtung die Ämter des Stadtschreibers, Archivars, Notars und Gesandten. Dem Senat waren vier Syndici zugeordnet, die zwar in senatu, aber nicht de senatu als unabhängige Ratgeber fungierten (vgl. u. a. Ipsen, Verfassungsentwick- lung, S. 119). 11 Er starb am 30. April und wurde am 5. Mai auf einem der alten Hamburger Friedhöfe begraben, vgl. Beneke, Mönckeberg, S. 164 f. Erst 1885, wenige Jahre nach Eröffnung des neuen Park-Friedhofs (1877), ließ Familie Mönckeberg die klassizistische Sandsteinstele nach Ohlsdorf übertragen und auf einem breiten Sockel mit Eckpfeilern neu aufstellen. 12 Zur Terminologie: Die Verfassung von 1879 behandelt den Senat als Kollegium und den Ersten Bürger- meister als primus inter pares. Erster und Zweiter Bürgermeister amtierten aufgrund Art. 17 jeweils nicht länger als für zwei aufeinanderfolgende Jahre. 13 Nach den (strengen) Bestimmungen, die Art. 8 Abs. 2 der hamburgischen Verfassung vom 13. Oktober 1879 hinsichtlich der verwandtschaftlichen Beziehungen regelte, hätten die Schwäger Otto Mönckeberg und WvM nicht gleichzeitig Senatoren werden dürfen; vgl. auch Ahrens, Werner von Melle und die Ham- burgische Universität, S. 69. 14 Vgl. dazu allgemein im Staatsarchiv Hamburg den Bestand 352-4 Cholerakommission des Senats (Organi- sation, Verwaltung, Statistik, Information und Schriftverkehr) und in diesem Buch die Transkription der Lebenserinnerungen von WvM: Epilog, Kapitel 3: „Die Choleraepidemie von 1892“, S. 298–307 (im Manuskript, S. 21–31; StA Hbg., 622-2/7 Borchling, 25). 15 Grabinschrift des Familiengrabs von Senator Emil von Melle (Friedhof Ohlsdorf, Z 10). Im Zusammen- hang lautet das Zitat aus dem Hohelied der Liebe (1. Korinther-Brief 13): „8 Die Liebe höret nimmer auf, so doch die Weissagungen aufhören werden und die Sprachen aufhören werden und die Erkenntnis auf- hören wird. 9 Denn unser Wissen ist Stückwerk, und unser Weissagen ist Stückwerk. 10 Wenn aber kom- men wird das Vollkommene, so wird das Stückwerk aufhören. 11 Da ich ein Kind war, da redete ich wie ein Kind, dachte wie ein Kind, urteilte wie ein Kind; da ich aber ein Mann ward, tat ich ab, was kind- lich war. 12 Wir sehen jetzt durch einen Spiegel in einem dunkeln Wort; dann aber von Angesicht zu Angesicht. Jetzt erkenne ich stückweise; dann aber werde ich erkennen, gleichwie ich erkannt bin. 13 Nun aber bleibt Glaube, Hoffnung, Liebe, diese drei; aber die Liebe ist die größte unter ihnen.“ 16 Melle, Jugenderinnerungen, S. 181. 17 Ebd., S. 47; ders., Kirchenpauer, S. 360 f.; Seelig, Entwicklung, S. 143–156 (V, 18: Die Neuner-Kommission 1849–1859). 18 Der Syndikus der Hansischen Universität, überzeugter Nationalsozialist, nahm sich selbst das Leben. 19 Entwurf vom Architekturbüro Jürgensen & von Melle. 20 Vgl. die Auszüge der Stammtafel im Anhang; Maria von Melle, verh. Behrmann, wurde 1963 in Bergedorf neben ihrem 1958 gestorbenen Mann Pastor Georg Behrmann bestattet. 21 Standort und Vorgeschichte des ehemaligen Bornparks ausführlich in Holtmann, Universität Hamburg, S. 90–96. 22 Zur Beschreibung der historischen Amtstracht und ihrer Geschichte vgl. den (ungekennzeichneten) Artikel von WvM: Die Amtstracht des Senats, in: Hamburger Nachrichten 55 (04. 03. 1888): Hamburgische An- gelegenheiten: „Diese Amtstracht des Senats […] besteht aus dem sogen. Staltrock, einem schwarzsammete- nen, über den Schultern mit reicher Posamentirarbeit verzierten, im Winter vorne mit einem Besatz aus Astrachan-Pelz (der sog. Romunée) versehenen Gewande, einer kreisrunden, gefalteten Halskrause, schwar- zen Kniehosen, schwarzseidenen Strümpfen mit Schnallenschuhen und einem schwarzen, hohen, tellerarti-

| 20 | gen Hut von gewaltigen Dimensionen. Unter dem vorne offenen Staltrock wird ein schwarzer Rock mit schmalem Stehkragen und einer Knopfreihe getragen, dessen Aermel nur über dem Oberarm durch den reichverzierten, breiten, aber kurzen Aermel des Staltrockes verdeckt werden. An die Halskrause schließt sich in der Regel ein gefalteter Hemdeinsatz (Jabot), dem ähnlich gefaltete Manchetten entsprechen. Die Farbe der Handschuhe ist nach der Versicherung eines erfahrenen Kenners des alten Senatsceremoniells con- trovers. Doch werden jetzt allgemein grauseidene oder graue Glacéhandschuhe getragen. Der hohe, breite, mit einem mächtigen cocardenartigen Knopf verzierte Hut, dessen heutige Façon nur durch die Perrücken- mode des 18. Jahrhunderts möglich geworden, läßt sich nach Beseitigung jener Mode kaum noch auf den Kopf setzen. Er wird daher jetzt nur noch in der Hand getragen. Als Kopfbedeckung aber dient, wo eine solche nothwendig oder wünschenswerth erscheint, ein Barett oder Käppchen aus schwarzem Sammet.“ (Orthographie unverändert; Hervorhebung im Original). 23 Die ,Bilderstürmer‘ der linksradikalen Sozialistischen Studentengruppe (SGG) ,entführten‘ die Büste im Mai 1977, in Form eines ,Happenings‘ sollte sie ursprünglich eingeschmolzen und der Erlös aus dem Ver- kauf der bewaffneten Befreiungsbewegung von Zimbabwe zur Verfügung gestellt werden; es folgte statt- dessen (in Ermangelung eines passenden Ofens) eine Zertrümmerung in einzelne Stücke, die zu einem ,Solidaritätspreis‘ von je fünf Mark verkauft wurden. Eine erste (gefärbte) ,Dokumentation‘ von Flug- blättern und der ,Aktion‘ wie auch der hämischen Präsentation der Reaktionen innerhalb und außerhalb der Universität findet sich in: Sozialistische Studenten-Gruppe Hamburg, Von Melle – Imperialistenidol; zur soliden Aufarbeitung vgl. Ahrens, Werner von Melle und die Gründung der Universität sowie ders., Werner von Melle und die Hamburgische Universität. 24 Je ein Abguss der Büste, die Albert Broschek 1924 der Universität schenkte, wurde 1929 im Universitäts- Hauptgebäude und im Hamburger Rathaus aufgestellt. Ihr von den Nationalsozialisten verfolgter Schöpfer, Friedrich Wield, beging 1940 Suizid – zuvor hatte er noch erleben müssen, wie seine Heine-Büste zertrüm- mert wurde; die 40 Jahre später vorgenommene Zerstörung eines weiteren seiner Werke wiederholt damit pikanterweise den barbarischen Akt aus der Zeit nationalsozialistischen Terrors. Vgl. Sieker, Bildhauer Wield und zu Leben und weiteren Werken Bruhns, Kunst in der Krise, S. 412. 25 Ahrens, Werner von Melle und die Gründung der Universität, S. 15. – Hiermit soll weder die skandalöse und bigotte Untat einerseits noch die berechtigte Kritik an den ausbeuterischen Zügen der ,imperialen‘ Nationalstaaten des 19. Jahrhunderts andererseits verharmlost werden, denen nicht zuletzt ,der Westen‘ wie auch die florierende Hafenstadt Hamburg das Fundament für Stabilität und Reichtum verdanken. Vgl. zur Geschichte von Kolonialinstitut und -wissenschaften in Hamburg vor allem Ruppenthal, Kolonialis- mus sowie zum Komplex insgesamt die Forschungen, Vorhaben und Unternehmungen der 2015 gegründe- ten Hamburger Forschungsstelle: Hamburgs (post-)koloniales Erbe / Hamburg und die frühe Globalisie- rung. 26 Ahrens, Werner von Melle und die Hamburgische Universität, S. 64. 27 Gerhardt, Siemers, S. 142. 28 Und hiermit einen Schriftsteller (Goethe) zitierend, der wie kein anderer auf die deutsche Literatur der letzten Jahrhunderte musterprägend gewirkt hat, in: Melle, Jugenderinnerungen, S. 130. 29 Seit 2007 existiert ein in Vernetzung, Aktivitäten, Veröffentlichungen zwischen Universität und Stadt ver- mittelnder Forschungsverbund zur Kulturgeschichte Hamburgs (FKGHH); vgl. Hamburger Abendblatt 266 (14. 11. 2007). 30 Die Hamburger Bibliothek und Arbeitsstelle für Universitätsgeschichte (HBfUG; unter der Leitung von Rainer Nicolaysen und Eckart Krause) und die Arbeitsstelle für Hamburgische Geschichte (AHG; unter der Leitung von Dirk Brietzke und Franklin Kopitzsch). Bis zur Einrichtung eines bis dato fehlenden Universitätsarchivs deckt einen Teil seiner Aufgaben vor allem die – auf Initiative von dem jüngst für seine Verdienste von der Universität geehrten Krause (Dr. h. c.; vgl. Abbildung S. 15) gegründete – HBfUG ab. 31 Hamburgische Wissenschaftliche Stiftung sowie Hermann Reemtsma Stiftung und die Behörde für Wissen- schaft, Forschung und Gleichstellung. ··············································································································································

| 21 | [2]

Bedenkenswertes

Auftakt: Ein Mann hat eine len Ausgestaltung dürfte es immer schon Vision – mit Konsequenzen für unzählige Ideen und Ansätze gegeben haben ein (zu schreibendes) Leben und immer noch und sogar mehr denn je ··································································· geben (werden). Die Realisierung eines Ide- Ein Mann hat(te) eine Vision und in An- als bedeutet per definitionem den Verrat an sätzen wurde diese Vision zur Wirklichkeit. diesem, sodass auch die geglückteste Umset- Wenn hier von einem Mann (im Sinne von zung nur Kompromiss sein kann, oder, et- ,man‘) die Rede ist, so ist damit das Ge- was milder ausgedrückt: Eingeständnis an schlecht festgelegt, zunächst aber nicht das die Zukunft, es unter den gegebenen Um- Individuum. ‚Ein‘ Mann kann hier als na- ständen nicht besser gekonnt zu haben. Un- menloser Stellvertreter für die vielen einzel- ter den prominenten Hamburgensien ge- nen gelten, die im Hamburg des 18., 19. und hört ,der Universitätsgedanke‘ zu einem die- 20. Jahrhunderts eine bestimmte, auf die ser Ideale und sicher zu den hartnäckigsten Zukunft bezogene innere Vorstellung teilten Wiedergängern. Mal spukte er verlockend, bzw. diese – im Alleingang oder konzertiert mal bedrohlich, mal kurz vor der Gestalt- – in immer neuen Anläufen anhand kurz- werdung, mal schemenhaft oder bis zur Un- wie auch langfristig ausgerichteter Strate- kenntlichkeit verzerrt, mal als glühendes gien zu realisieren versuchten.32 Werner von Auflodern oder zwischen Aktendeckeln er- Melle war mit seiner ,Vision‘ selbstverständ- kaltet durch die Jahrhunderte, bis das Ende lich nicht der Erste und auch keineswegs der von vierjährigem Mord und Totschlag auch Letzte, wohl aber einer der Realisatoren; diesen Bann löste und eine blitzschnelle Im- derjenige nämlich, dem es „vergönnt“33 war, provisation ermöglichte: Erst der demokra- den Grundriss des durch Eingaben, Ent- tische ,Geist von 1919‘ gab pragmatisch und würfe und Beschwörungen vorangegange- unvermittelt die von Generationen langer- ner Generationen angereicherten inneren sehnte Antwort auf eine Kette unermüdli- Bildes zu realisieren, das heißt seine klare cher Vorbereitung und zahlloser enttäusch- Vorstellung von einer allgemein reichentfal- ter Hoffnungen auf eine Universität – das ist teten Geisteskultur in eine für die Stadt jetzt beinahe 100 Jahre her und elementarer Hamburg annehmbare Form zu überfüh- Bestandteil vorliegender Lebenserzählung. ren. Bezüglich jener (diffusen) Vision hat Zeigt sich schon in dieser Skizze ein hohes sich von jeher schnell Einigung erzielen las- Maß an Kontingenz, so folgt daraus für die sen, bezüglich ihrer konkreten institutionel- Konzeption der Darstellung, dass jene un-

| 22 | berechenbaren, erklärungsbedürftigen Er- hörde bestellt. Für die Kalenderjahre 1914 eignisse genauso wenig als logische Kon- und 1917 bekleidete er das Amt des Zweiten sequenz gewertet werden sollen wie der und für 1915 und 1918 turnusgemäß des Ers- Eintritt des Senatoren-Enkels und -Sohns ten Bürgermeisters. Symbolische Anerken- Werner von Melle in die offizielle Politik- nung fanden Werner von Melles hochschul- laufbahn seiner Vater- und Mutterstadt. Um politische Bestrebungen in seiner Heimat- also dem unzutreffenden Narrativ der te- stadt in zweierlei Hinsicht: Dem aus seinen leologischen Erfolgsgeschichte zumindest Ämtern scheidenden 67-Jährigen wurde kurzfristig zu entgehen, gilt es – für den ers- 1921 als „Doktor beider Rechte, Ehrendok- ten Teil dieser Biographie –, den immer wie- tor der Theologie und der Philosophie, Prä- der beschworenen Visionär, Realpolitiker sident der Hamburgischen Wissenschaftli- und Universitätsgründer nicht gleich über chen Stiftung, dreißig Jahre hindurch Mit- den Heranwachsenden überzustülpen. Eine glied des Senats, der Freien und Hansestadt solche Geschichte ist schnell (und wurde Hamburg, auch Bürgermeister und Präsi- schon oft) in verschiedenen Formaten er- dent des Senats“ die Auszeichnung eines zählt und wird gleich hier zur Orientierung Rector magnificus honoris causa verliehen.37 nach dem Muster ausgewählter Stationen Sichtbaren Ausdruck fand die höchste Ehre, eines klassischen Lebenslaufs noch einmal die die junge Hamburgische Universität nur geboten. Sie lautet in Anlehnung an ver- dieses eine Mal vergab, in der Aufnahme ei- schiedene (Lexikon-)Artikel34 etwa so: ner Medaille mit von Melles Konterfei in die ··································································· mehrgliedrige, alle Fakultäten abbildende Das Leben des promovierten Juristen und Rektorkette, die so eine ,Unlösbarkeit jener wachen Journalisten Werner von Melle, der Verbindung‘ symbolisierte. Als Symbol der im ausgehenden 19. Jahrhundert in den po- zu repräsentierenden Universität wurde sie litischen Ämtern seiner Vaterstadt zu einem beim Amtsantritt jedem neuen Rektor um bedeutsamen Wissenschaftsorganisator und den Hals – und erst mit dem umgreifenden Gestalter des Bildungswesens werden konn- Reformprozess Ende der 1960er/Anfang der te, umfasst eine Spanne von beinahe 84 Jah- 1970er Jahre beiseite – gelegt. ren. Er wurde 1853 geboren, besuchte die ··································································· ,gelehrten Bildungsanstalten seiner Vater- Anlässlich seines Todes am 18. Februar stadt‘35, studierte Jura in Heidelberg, Straß- 1937 gedachten treue Mitglieder der inzwi- burg, Leipzig und Göttingen mit Promo- schen ,gleichgeschalteten‘ und umbenann- tion zum juris utriusque doctor (kurz: ten Hansischen Universität in besonderer J.U.D., d. h. Doktor beider Rechte36), arbei- Weise ihres Mentors; der Afrikanist Carl tete zehn Jahre als selbstständiger Advokat, Meinhof sprach von „Hamburgs Trauer um anschließend sechs Jahre als Redakteur bei einen seiner großen Männer, einen unge- den Hamburger Nachrichten, wurde am 17. wöhnlichen und doch so stillen Mann, der Juni 1891 zum Senatssyndicus gewählt, im mit Fürsten, Heerführern und Staatsmän- selben Jahr zum Mitglied des Präsidiums nern, mit Künstlern und Gelehrten des In- der Oberschulbehörde ernannt, am 26. Sep- und Auslandes enge Berührung gehabt, ei- tember 1900 in den Hamburger Senat beru- nen großen Kreis von Fachwissenschaftlern fen und 1904 zum Präses der Oberschulbe- nach Hamburg gezogen und selbst vielfältig

| 23 | Hauptglied einer Amtskette: Medaille mit Werner von Melles Konterfei (Richard Luksch) 38

| 24 | und fruchtbar und nachhaltig in das Ge- weitestgehend ausgespart und einer künfti- schehen seiner Vaterstadt eingegriffen hat“.39 gen (lohnenden) Familienbiographie über- Der Volks- und Altertumskundler Otto Lauf- lassen.41 Anders verhält es sich mit den An- fer, Direktor des Museums für Hamburgi- fängen in Hamburg. Sie werden im Folgen- sche Geschichte, schloss seinen Abschied den ähnlich schlaglichtartig beleuchtet wie mit dem Hinweis auf die von Tacitus über- das Engagement der in die hiesige Stadtent- lieferte germanische Totenehrung: „Weinen wicklung und -politik verwobenen Vorfah- und Klagen nimmt bald ein Ende, aber ren mütterlicherseits sowie entsprechende lange dauert eine dankbare Erinnerung.“40 Aktivitäten des Vaters – insbesondere wäh- Beigesetzt wurde der Hochverdiente und rend der sogenannten Verfassungskämpfe -geehrte, dreifache Vater und mehrfache zur Mitte des 19. Jahrhunderts. Dies ge- (Ur-)Großvater neben seiner schon 1931 ver- schieht vor allem, weil sich der interessierte storbenen Frau auf dem Ohlsdorfer Fried- und historisch bewanderte Nachgeborene hof in Hamburg. Namensgebungen, Portu- verschiedentlich in Worten und Werken als galöser, die Aufstellung der Büste, ein von Bewahrer und engagierter Sachwalter von der Hamburgischen Wissenschaftlichen Erlebnissen und Erinnerungen seiner Vor- Stiftung verliehener Preis bewahren die Er- fahren erweist. Es liegt auf der Hand, dass innerung an einen bemerkenswerten Sohn eine im familiären Rahmen direkt (münd- der Stadt. lich oder schriftlich) erfolgte und per Au- ··································································· gen- und Ohrenzeugenschaft von Eltern Kontakt-Linse und Großeltern beglaubigte Überlieferung ··································································· den individuellen Erfahrungsraum gewis- Diese aussagekräftige Darstellung der Le- sermaßen ,generationell‘ erweitert. Ein solch bensstationen einer öffentlich wirksamen unmittelbar und sinnlich fassbarer sprachli- Persönlichkeit lässt sich durch verschiedene cher Akt präfiguriert fast unmerklich das mehr oder minder bekannte Abbildungen Moment einer Aneigung und geheimnisvol- noch weiter illustrieren, schürft letztlich len Überlagerung memorialer Schichten, aber an der faktengesicherten und weithin sprich: den qualitativen Switch des mittel- bekannten Oberfläche. Um dem „unge- bar Wahr-Genommenen zur quasi-eigen ge- wöhnlichen und doch so stillen Mann“ in machten Erfahrung.42 Hinsichtlich einer Zivil persönlich näher zu treten, gilt es, ihm sich in diesem Sinne unbewusst vollziehen- die Amtstracht abzustreifen und etwas mehr den ,Inkarnation‘ oder ,Enkulturation‘ von des Ausgesparten zu erhaschen. Melles sind Textproben aus verschiedensten ··································································· Bereichen und Zeiten aufschlussreich. Sie Die Geschichte seiner Vorfahren väterli- reichern bereits bekannte Vorgänge und cherseits, die Werner von Melle in einer aus- Konstellationen der Vergangenheit mit kon- führlichen (und soliden) Rekonstruktion im texterweiternden Hintergrunddetails an, die Westfälischen des 13. Jahrhunderts anfangen auf eine exklusive Kenntnis von zumeist und informationsreich zwischen dem 17. nicht überlieferten, privaten Quellen zu- und beginnenden 19. Jahrhundert vorerst in rückgehen und (Leit-)Motive, Argumenta- Lübeck, der Geburtsstadt seines Großvaters, tionslinien und Standpunkte des Juristen, verharren lässt, bleibt in dieser Biographie des Journalisten, des Historikers, des Ratge-

| 25 | bers und Politikers Werner von Melle profi- ihre Kehrseite. Denn freilich verortet auch lieren. Ziel ist letztlich, dessen spezifisches die Umwelt den Nachgeborenen unweiger- Selbstgefühl herauszufiltern, das sich aus lich im Gespinst seiner Vorfahren. Nutzte dem Bewusstsein über eine entsprechende der Advokat einerseits jede Gelegenheit, de- Herkunft herleitet – mit Rück-Sicht auf ren Worte, Werte und Werke ins rechte eine illustre Familienreihe von Pastoren und Licht zu setzen und immer wieder in den ak- Gelehrten43, Kaufleuten, Senatoren und tuellen Diskurs einzuspeisen, so blieb ande- Bürgermeistern; mit Anknüpfungspunkten rerseits nicht aus, dass ihn die Genealogie an die verschiedenen Sphären hanseatischer zur Zielscheibe für Stellvertretergefechte Stadtkultur in einer Zeit, in der Staat und machte. Um diese Gemengelage besser in Kirche noch nicht voneinander getrennt den Griff zu bekommen, um also die ver- waren: von Literatur, Wissenschaft, Politik schiedenen Schichten sichtbar zu machen, bis hin zur Architektur, Religion und Kul- voneinander zu separieren und dadurch zu tur. Denn dieses Selbstgefühl ist gleichsam ermöglichen, Werner von Melle nicht nur in eine Art seelische Kontakt-Linse, die in der Fortschreibung seiner Familientradition, spezifischen Brechung der eigenen (Fami- sondern aus seinem eigenen Werdegang he- lien-)Anschauung, Auslegung und (erzähl- raus zu verstehen, werden auch kulturhisto- ten) Erfahrung einen direkten ,Kontakt‘ risch eher weniger beachtete Zeugnisse aus stiftet zu überindividuellen historischen Er- seiner Kindheits- und Adoleszenzphase in eignissen wie der Franzosenzeit, den Befrei- Augenschein genommen. Dabei liegt so- ungskämpfen, dem Brand von 1842, der wohl eine recht figurennahe wie zeitgebun- anschließend von Familienmitgliedern mit- dene Perspektive auf der Hand: Wenn oben unterzeichneten Reform-Petition; dem Wie- Wert auf die Festlegung des Geschlechts so- deraufbau nach städtebaulichen Grundsät- wie das Selbstverständnis gelegt wurde, so zen, die noch heute das Stadtbild entschei- hat auch dieses nicht nur aus pragmatischen dend prägen; dem erwähnten Ringen um Gründen Einfluss auf eine daran orientierte eine neue Verfassung; der handelspoliti- Darstellung, die sich in eine quellenbedingt schen und wirtschaftlichen Entwicklung weitgehend unhinterfragte ,Männerwelt‘ zwischen ,schützendem Zoll‘ einerseits und einschreibt und daher ebenfalls eine kurze auf dem Prinzip der Freiheit beruhendem Erläuterung erfordert. Handel andererseits. Es geht folglich um ··································································· das schwierige Erfassen einer charakteristi- Literarisiert vermittelte schen Haltung, Geläufigkeit und eines Ha- Wirklichkeit: Mustermänner bitus, die sich als individuelle Mentalitäts-, und -frauen Wahrnehmungs- und Identifikationsmuster ··································································· an der Schnittstelle von Bedingungen, Ein- Bekanntermassen wurde bis ins 20. Jahr- flüssen und persönlicher Disposition heraus- hundert hinein nur wenigen Frauen die bilden und überhaupt erst entsprechende Möglichkeit gegeben, im öffentlichen Raum Resonanz-, Handlungs- und Verhaltens- zu agieren. Die Zuständigkeit für die Privat- spielräume eröffnen. Doch die privilegierte sphäre des Haus- und Familienlebens und Ausgangsposition mit den vielen Kontakt- allenfalls nach außen eine gelungene Reprä- Stellen und Anknüpfungspunkten hat auch sentation all dessen findet eine Entspre-

| 26 | chung sowohl in der Abwesenheit (alle Freunden) und von Töchtern aus der nähe- ,wichtigen‘, politischen Bereiche betref- ren Verwandt- und Nachbarschaft; die einer fend) wie auch in der Anwesenheit (in ge- Betreuerin oder Lehrerin der Vorschulzeit; nau definierten Räumen) über stereotype im besten Falle gibt es eine Großmutter, Formeln, Redeweisen und Erzählmuster in Tante oder nähere Bekannte nach dem Mus- Bild- und Schriftzeugnissen. Ungeachtet der ter der weltgewandten ,Salondame‘, die komplexen Vielschichtigkeit von tatsächlich (semi-)öffentlich im wohlsituierten Haus gelebten Beziehungen bildete der Sprachge- ihres gesellschaftlich angesehenen Mannes brauch des 18. und 19. Jahrhunderts für be- empfängt oder auch in anderen Salons ver- stimmte bürgerliche Lebenskonstellationen kehrt und dort angeregt und anregend nach auch in Hamburg eine ,Typologie‘ des allen Regeln der gebildeten Konversation männlichen und weiblichen Rollenver- mit den Eliten aus Kunst, Wissenschaft, ständnisses aus, die nicht nur in literari- Wirtschaft, Kultur und Politik geselligen schen Texten des Realismus und offiziellen Umgang pflegt. Der ,normale Schulverlauf‘ Verlautbarungen (Ratgeberliteratur und in eines Jungen dieser Zeit sieht kein koedu- den moralischen, religiösen, medizinischen, katives Bildungserlebnis vor: weder in der psychologischen und philosophischen Dis- Knabenschule, noch auf dem Gymnasium, kursen) gleichermaßen stereotyp propagiert noch an der Universität mit ihrer männer- und durchgespielt wurde, sondern wort- bündischen Geselligkeit.45 Dem Studenten wörtlichen Niederschlag auch im individua- eröffnen üblicherweise Einladungen von lisierten, privaten Schreiben fanden (Auto-/ Professoren-Gattinnen oder Salonnièren Biographien, Briefe, Erinnerungsliteratur). ,gemischtgeschlechtliche‘ Räume und Be- Eines dieser literarisch ausdifferenzierten gegnungsmöglichkeiten. Darüber hinaus Erzählmodelle bürgerlicher Familie fußt auf steht für die Phase ,Jünglingszeit‘ noch der dem Ideal einer erfüllten Liebe, die in der Typus einer (meist verheirateten) lebensklu- Komplementarität polarisierter Geschlechts- gen und ,reiferen‘ Vertrauten bereit, die ein charaktere begründet liegt, in denen sich freundschaftlich-intimes, niveauvolles Ge- das Auseinandertreten von Berufs- und Er- spräch (in direkter Begegnung und gemein- werbssphäre auf der einen Seite, Haushalts- samen Unternehmungen oder ausgedehnter und Familiensphäre auf der anderen spie- Korrespondenz) zu unterhalten in der Lage gelt: etwa in dem Bild der warmherzigen, ist; die Rolle der Ratgeberin ermöglicht eine bescheidenen, musisch und sprachbegab- unbefangene Fortführung dieser Freund- ten, liebevollen und zartbesaiteten Mutter schaft auch im Ehestand, im anderen Fall (zuständig fürs Seelisch-Moralische) im stehen abfedernde Formeln – wie: einander Kontrast zu dem im wirtschaftlichen und ,treues Angedenken zu bewahren‘ – zur Ver- öffentlichen Leben erfolgreichen, umsichti- fügung. Neben den üblichen geselligen und gen, pflicht- und verantwortungsbewussten, Lesezirkeln46 hielt das (romantische) 19. autoritären sowie elastischen Vater (zustän- Jahrhundert auch für die Anbahnung und dig fürs Geistig-Intellektuelle).44 Neben der den Verlauf von Verlöbnis und Ehe ein wirk- hingebungsvollen Mutter stehen in diesem mächtiges poetisches Konzept bereit. Die Setting weitere weibliche Positionen bereit: sogenannte ,Kinderliebe‘ trifft auf Paare zu, die einer Schwester (inklusive der von die als Kinder Spielgefährten, Kameraden,

| 27 | Nachbarn oder Vertraute waren und später Geffcken)53 sowie Professoren-Gattinnen zu Eheleuten wurden.47 Vorgeformte Mus- der verschiedenen Universitätsorte bis hin ter der Wahrnehmung und des Arrange- zur, dem skizzierten Muster der ,Kinder- ments lauten etwa so: nach absolvierter Aus- liebe‘ entsprechenden, (Wieder-)Begeg- bildung an verschiedenen Orten inklusive nung,54 Verlobung und Vermählung mit der Bildungsreise ins Ausland, der Rückkehr in Tochter eines guten Freundes des Vaters, die Heimatstadt und an der Schwelle zum „die mein häusliches Glück begründete“,55 Berufsleben begegnet der in den öffentli- wirkt die literarisierte Erinnerungsbühne chen Raum strebende junge Mann dem aus bevölkert von einem weiblichen Ensemble, der Kindheit bekannten Mädchen, das in wie es ein realistischer Roman kaum voll- der Zwischenzeit zur jungen Frau/Schön- ständiger abbildet. Auch wenn Abweichun- heit etc. erblüht ist. Aus der Vertrautheit gen in Nebenbemerkungen und -rollen als wird über freundliche Annäherung eine (im Ausnahme eher die Regel eines in kollektiv besten Fall) erfüllte Liebe und Elternschaft. geprägten Formeln befangenen Sprachge- Aus dem wirtschaftlich und sozial abgesi- brauchs bestätigen, so wäre doch jede daraus cherten Familienstand heraus ergeben sich abgeleitete Aussage über die Qualität des je dann wiederum neue Beziehungsmuster subjektiven Erlebens anmaßend. Dass von zum weiblichen Geschlecht (zu Künstlerin- den etwa 450 Namen des Namensregisters nen, Schriftstellerinnen, Regentinnen etc., der Jugenderinnerungen gerade einmal 44 Töchtern), deren ,Design‘ größtenteils von weiblich sind, ist nicht weiter überraschend. Position, Stellung und Amt des ,Protagonis- Genauso wenig wie der Umstand, dass die ten‘ bestimmt ist. etwas über 400 männlichen Charaktere ··································································· ebenfalls literarisierten Darstellungsmecha- Protagonist in dieser Erzählung ist Wer- nismen unterliegen, die allerdings eine aus- ner von Melle – und die Darstellung der differenziertere Charakterisierungsskala und Mädchen und Frauen seiner gedruckten Ju- einen größeren, autonomen Wirkungskreis genderinnerungen deuten bis ins Wortmate- der Individuen bereitstellen. Unter ihnen rial hinein auf ein Denken und Erleben, das ragt eine Gestalt hervor: die des Vaters, der sich wie ein Löschblatt vollgesogen zeigt von zwar Attribute des genannten Schemas be- der Tinte besagter Literatur:48 Von der dient, sich aber offenbar in der außerge- durch nervliche Angegriffenheit oft abwe- wöhnlich liebevollen und zeitlich intensiven senden,49 poetisch und musisch begabten Zuwendung, Fürsorge, individuellen Förde- Mutter50 und einer in Berliner Salonkreisen rung seiner Kinder bis ins Erwachsenenalter (Rahel Varnhagen von Ense) sozialisierten von dem erwartbaren Rollenmuster der Zeit und kultivierten Großmutter51 über meh- abhebt (vgl. dazu ergänzend die abgebilde- rere, ein offenes Haus führende, verheiratete ten frühen Daguerreotypien auf den folgen- Tanten und kaum weiter individualisierte den Seiten, die ihn sehr vertraut mit seinen eigene Schwestern bzw. der von Freunden52 beiden Ältesten zeigen): „Was mein Vater und Cousinen, (kurzfristige) Erzieherinnen für mein Leben bedeutet hat“, gesteht Wer- der ersten Schulzeit und eine innig-vertraute ner von Melle rückblickend, „läßt sich und zugeneigte, etwas ältere Freundin (Ca- kaum in Worte fassen. Von Jugend auf war roline geb. Immermann, Frau des Onkels er mir der sorgsamste Berater, der beste

| 28 | Freund, dem meine Interessen soviel wie die eigenen, ja mehr als diese galten. Sein Vor- bild war mir ein Leitstern und sein Einfluß auf mich ein großer, wobei ihm andererseits durchaus verständlich war, daß ich, schon als Vertreter einer jüngeren, unter zum Teil anderen Voraussetzungen aufgewachsenen Generation, nicht in allen Punkten mit ihm übereinstimmen konnte.“56 – Es ist das sel- tene Bild einer harmonischen, einer sensib- len und liebenswürdigen Persönlichkeit, das der dankbare Sohn verschiedentlich an cha- rakteristischen Lebens- und Wirkmomen- ten seines Vaters veranschaulicht und damit einer Nachwelt bewahrt.57 Und wenn es bei- spielsweise über Emil von Melles Jugendzeit heißt: „Es war eine poetische und gemüt- volle Zeit, die noch nach Jahrzehnten in den reizvollen, mit vielfachen Dichterzita- ten geschmückten Tischreden meines Vaters nachklang“,58 so verweist Werner von Melle Babette Helene Henriette von Melle, geb. Victor auch hier wie in der getreuen Überlieferung der seinerzeit und in verschiedenen Zirkeln ··································································· offenbar leidenschaftlich betriebenen Lek- Vor diesem Hintergrund lässt sich der türe – der ,Dichterheroen von Weimar‘ Name als Allegorie zeitgenössischer Auf- (Goethe und Schiller), von Jean Paul, der fassungen von ,Kindheit‘, ,offener Erzie- Romantik, des Jungen Deutschland (Heine hung‘, ,uneingeschränkter Bewegungsfrei- und Gutzkow) – auf eine poetische Über- heit‘, ,Entwicklung zu einer individuell wölbung, für die schon an der Wiege der ausgeprägten, starken Persönlichkeit‘ verste- Grundstein gelegt worden war. Dass sein hen, die Anziehungskraft auch auf die fol- Vater auf den Namen Emil getauft wurde – genden Generationen ausübte und noch zwar ,deutsch‘ buchstabiert, aber ,franzö- Werner von Melle selbst zum Vater einer sisch‘ betont, d. h. auf der zweiten Silbe Emilia werden ließ. – Vielleicht genügen nach dem Vorbild des berühmten Romans diese Beispiele, um anzudeuten, wie es bei Émile oder Über die Erziehung (1762) von diesem Sujet beinahe unmöglich ist, dem Jean-Jacques Rousseau –, interpretiert von Spiel der literarischen Muster zu entfliehen Melle als Widerschein einer ästhetisch-phi- – das Kenntlichmachen verborgener poeto- lanthropischen Salonkultur, wie sie seine logischer Regeln und Elemente mag zu- Großmutter Babette Helene Henriette Vic- nächst wie hilflose Notwehr wirken, doch tor in Berlin kurz nach Gründung der Fried- scheint dies der einzig mögliche Weg, zu- rich-Wilhelms-Universität erlebt haben mindest dem Schriftsteller von Melle auf dürfte.59 Texthöhe zu begegnen.

| 29 | Kaufmann Emil von Melle mit einem seiner Kinder – vermutlich Werner von Melle, mit dem auch für Knaben bis Anfang des 20. Jahrhunderts noch üblichen Kleid (Daguerreotypist unbekannt, um 1855)

| 30 | Kaufmann Emil von Melle und seine Kinder Antonie und Werner; erst ab dem 5. oder 6. Lebensjahr schlüpften Knaben in (meist kurze) Hosen (Daguerreotypist unbekannt, um 1857/58)

| 31 | ··································································· einer Lebens-Beschreibung näher zu kom- Panoramische Fähigkeit – ihre men? Quellen und ihre Folgen ··································································· ··································································· Hervorstechendste Eigenschaft Wer- Was lässt sich aus diesen Überlegungen für ner von Melles scheint eine Art panorami- die Darstellung gewinnen? Zunächst doch scher Fähigkeit zu sein. Eine nach allen dies: Die Person ist nie unmittelbar zu ha- Richtungen hin, nahezu universell geöffnete ben. Nicht einmal in einem Fall wie diesem, Empfänglichkeit, gepaart mit der Gabe, den da an autobiographischen Schriften gedruckt Dingen auf den Grund zu sehen und zu ge- 243 Seiten Jugenderinnerungen und mehr als hen. Womit auch immer er sich beschäf- 1500 Seiten über 30 Jahre Hamburger Wissen- tigte: von Melle vermochte stets die für das schaft (1891‒1921) 60 als persönlicher Rück- jeweilige Gebiet grundlegenden Strukturen blick auf das öffentliche Leben vorliegen. zu erkennen; das prädestinierte ihn für ein Auch die beiden Tagebücher aus den Zeiten zielorientiertes Problemlösungsverhalten. der Cholera in Hamburg (1892/93),61 die Fundierte Bildung, ein feines Sensorium, Zeitungsberichte62 und Monographien über geistige Elastizität und eine anspruchsvolle hamburgische und überregionale Angele- Umgebung waren zwar Voraussetzung, ste- genheiten63, die ungeheure Masse an Kor- tes wechselvolles ,Training‘ und aus ihm ge- respondenz64 sowie ein weiteres, unveröf- schöpfte Erfahrung jedoch die eigentlichen fentlichtes autobiographisches Manuskript Garanten für eine daraus erwachsende Pro- im Hamburger Staatsarchiv, das nahtlos an fessionalität. Wie von Melle sie in seinem die Jugenderinnerungen anknüpft,65 und langen Leben je einsetzte, welche Bedingun- nicht zu vergessen die Sammlung mit ein- gen er vorfand – und welches die Kehrsei- zigartigem Fotomaterial in der Universitäts- ten davon waren –,versucht die Quellenaus- und Staatsbibliothek Hamburg verstärken wertung stichprobenhaft nachzuvollziehen. eher den Eindruck von Distanz. All diese Dafür sieht die (chronologische) Anlage Hinterlassenschaften einer intellektuellen zwei Teile vor: stützt sich der erste insbeson- persona offenbaren: ein diplomatisches Ge- dere auf die Wahrnehmungs- und Darstel- schick, eine hohe Kommunikations- und lungsmuster der Hauptperson, kommen im (modern gesprochen) ,Vermarktungskom- zweiten (die) andere(n) Stimmen zur Gel- petenz‘, ,Nachhaltigkeit‘ im Verfolgen eigener tung. Dahinter steht die Idee, für eine An- Ziele, den Sinn für historisch Bedeutsames, näherung an die ersten vier Jahrzehnte zu- einen entsprechenden Dokumentationswil- nächst einmal die einer Biographie typische len und ein ausgeprägtes ,Nachlassbewusst- narrative „Zielspannung“66 auszusetzen bzw. sein‘. Aus diesen Eigenschaften resultiert herauszuzögern. Auf den Punkt gebracht: jene immense Produktivität – und para- Nicht also soll es darum gehen, in dem zwar doxerweise entschwindet gerade in der zielgerichteten, aber diesbezüglich keines- Überfülle die fassbare Kontur. Wie nun also wegs erfolgsgarantierten Lebensverlauf von verfahren, um der Persönlichkeit jenes par- vornherein nur nach Anzeichen für die spä- teilosen, konservativ einzuschätzenden Poli- teren (weithin bekannten) Tätigkeiten zu tikers, dessen Einfluss auf seine Stadt unbe- suchen. Der erste Teil nutzt vielmehr das stritten sein dürfte, irgendwie doch in Form Privileg, unbefangen einige Lebens- und

| 32 | Sozialisationsmomente eines Hamburgers Vollständigkeit, gewählt wird ein Vorgehen, aus der Nähe zu belauschen, der wild ent- das vielleicht den Eindruck erweckt, die schlossen nach einer ihm gemäßen Funk- Darstellung verweile an eher unbedeutend tion in der geliebten Vaterstadt suchte, um scheinenden Stellen und vernachlässige da- seine Ideen und konkreten Vorstellungen für wichtigere. Dieses Risiko geht der erste für die „alte Kultstätte des Nordens“67 in die Teil über ein Kind dieser Stadt ein. Dafür Tat umzusetzen. Die Auswahl der in den Fo- setzt Teil zwei dann klassisch mit dem öf- kus der Erzählung rückenden Begebnisse fentlichen Wirken Werner von Melles aus beruht auf ihrer Aussagekraft über mögliche bürgerlich-gesicherter Position (auf Lebens- Einflüsse, Strategien oder kulturhistorisch zeit) ein und konzentriert sich auf markante bzw. (bildungs-)wissenschaftlich Bedeutsa- Knoten- und Wendepunkte, die den Weg mes. Nirgends besteht der Anspruch auf zur Universitätsgründung ebneten.

·············································································································································· 32 Vgl. zur Vorgeschichte und den vielen Versuchen, in Hamburg eine Universität zu gründen, Nicolaysen, Wissenschaft ohne Zentrum. 33 Melle, Jugenderinnerungen, S. 243. 34 U. a. Bolland, Gründung; Ahrens, Werner von Melle und die Hamburgische Universität, S. 64–66; ders., Melle, S. 20 f.; Hering, Melle, Werner von. 35 So ein gängiger und von WvM selbst verwendeter Topos, vgl. z.B. Melle, Art. Klefeker, in: ADB 16 (1882), 76–77. 36 Die Kombination aus weltlichem (Zivil-)Recht und kanonischem Kirchenrecht verliehen nur bestimmte Universitäten. 37 Vgl. die Abbildung der Urkunde in: Bolland, Gründung, S. 88. 38 Die Medaille wurde anlässlich der Universitätseröffnung von dem Bildhauer Richard Luksch gestaltet, der auf einen früheren Entwurf (der hamburgischen Staatspreismedaille von 1914) zurückgreifen konnte. Darin liegt die Erklärung dafür, dass sie den Bürgermeister auch 1919 noch in der altspanischen, seit der Revolution abgelegten Senatstracht zeigt (vgl. Ahrens, Werner von Melle und die Hamburgische Univer- sität, S. 85). 39 Meinhof, zitiert nach Scholz, In memoriam, S. 10. 40 Lauffer, zitiert nach ebd., S. 10. 41 Das Modell der Familienbiographie erlebt aktuell in Praxis und Theorie einen Aufschwung, vgl. im Über- blick Willer, Biographie (bes.: 6.2. Generation und Genealogie in Kollektivbiographien), S. 92–94. – Beispielhaft aus dem 20. Jahrhundert ist das Familienprojekt von dem Hamburger Historiker Percy E. Schramm: Neun Generationen. – Materialien (u. a. Zeitungsausschnittsammlungen) zu den Eltern von WvM verwahrt das Hamburger Staatsarchiv; WvM selbst beruft sich in seinen Jugenderinnerungen ver- schiedentlich auf eine ihm vorliegende, handschriftliche Familienchronik. Gemeint ist damit vermutlich die Übersetzung der Notitia Majorum (= Kenntnis der Vorfahren) aus dem Jahre 1707, die WvM 1853 zur Taufe geschenkt bekam und die sich im Besitz seines Urenkels, Pastor Georg Behrmann (Hamburg), an- fand. Behrmann stellte in über 20 Jahre lang währender, entsagungsvoller Recherche-Arbeit familienge- schichtliche Informationen, Dokumente, Stammbäume, Abbildungen in einem noch unveröffentlichten, umfangreichen Typoskript zu einer beeindruckenden, im historischen Kontext verorteten Familienchronik zusammen – im Zentrum die Familien Behrmann und von Melle –, die ich einsehen durfte. 42 Die psychoanalytisch orientierte Traumaforschung operiert mit dem Begriff ,transgenerationale Weitergabe‘ und versteht darunter die eher als Verdrängungsprozess entlarvte Variante des Phänomens solch unbewuss-

| 33 | ter Übertragung (nach Sigmund Freud: ,Gefühlserbschaft‘) mitsamt den dynamischen Mechanismen und weitreichenden, auch negativen, Folgen. 43 Vgl. dazu die Ausführungen zu den Vorfahren Merckel/Winckler in Anmerkung 8 und zur Deszendenz der Familie von Melle Anmerkung 384. 44 Vgl. u. a. Trepp, Männlichkeit. 45 Vgl. zu diesem ganzen Komplex Frevert, Ehrenmänner. 46 Auch: Leseklub oder Lesegesellschaft; vgl. zu Organisation und Funktion dieser „genossenschaflichen Selbst- hilfe […], die zugleich gesellige Bindungen stiftete und förderte“, Freudenthal, Vereine, S. 88; und zur Rolle der Literatur zur Zeit der Aufklärung in Hamburg als „eine bestimmende Kraft im Leben der Lesen- den, ein Faktor der Sozialisierung, des Hineinfindens und der Orientierung in Gesellschaft und Welt, und der Sozialibilität, der Vereinsbildung und Sozietätsbewegung im Übergang von der ständisch geprägten Ordnung Alteuropas zur modernen Gesellschaft“ wie auch als „Medium sozialer Kommunikation“, Ko- pitzsch, Sozietäten, S. 132 – das Fazit lautet: „Lektüre, Diskurs und Assoziation in Lesezirkeln, Lesegesell- schaften und Bildungsvereinen trugen im 19. Jahrhundert zur Emanzipation der Volksschullehrer und der Arbeiter bei, waren Vor- und Anfangsstufen politischer Bewegungen, die das Erbe der Aufklärung antra- ten.“ (Ebd.) 47 Susteck, Kinderlieben. 48 In Abwandlung zu einer Metapher von Walter Benjamin. 49 Vgl. zum möglichen Auslöser ihrer Schwermut Seite 45 in diesem Buch. Den für die Familie sehr belasten- den Zustand der Mutter bezeichnete WvM später als „häufig wiederkehrende Nervenkrankheit“, die in Abständen dazu führte, dass sie für einige Zeit „das Haus verlassen“ musste (Melle, Jugenderinnerungen, S. 72 f. – überliefert sind weder die Dauer noch genauere Informationen zu etwaigen Sanatorien, Behand- lungs- und Aufenthaltsorten). 50 Als einen „echte[n] Typus althamburgischer Vornehmheit in seiner einfachen Größe“ charakterisierte Neffe Johannes Geffcken seine Tante Marie (zitiert nach ebd., S. 68) und Enkelin Alida schrieb über ihre „Groß- mama von Melle“: sie „hatte ein sehr weiches, zartbesaitetes Gemütsleben, und es wurde von ihr gesagt, daß sie es ganz besonders gut verstand, auf die seelischen Sorgen und Nöte ihrer Mitmenschen einzugehen, ihnen Trost und Hilfe zu geben. Dann besaß sie auch ein Talent, durch das sie viele ihrer Verwandten und Freunde immer aufs neue erfreut hat – sie konnte dichten. Und zwar richtig dichten, nicht die üblichen, so beliebten Knüttelverse, die man so oft als Ersatz nimmt, wenn einem die echte Gabe versagt ist. Nein, ihre Verse flossen so schlicht und einfach dahin, als könnte es überhaupt nicht anders heißen. Ein Verstoß an Rythmus [!] oder Reim war bei ihr undenkbar. Unsere Eltern konnten ja auch reizende, formvollendete Gedichte machen, aber das so aus dem Ärmel schütteln konnte doch wohl nur Großmama.“ (Borchling, ERINNERUNGEN!, S. 12 f.) 51 Babette Helene Henriette Victor, „eine Frau von seltenen Gaben des Geistes und des Herzens, die, vielseitig angeregt und anregend, immer lebhaft, heiter und weltgewandt, auf ihre Kinder und später auch auf ihre Enkel einen großen, vielfach bestimmenden Einfluß ausgeübt hat“ (Melle, Jugenderinnerungen, S. 31), war Tochter des vermögenden Posener Bankiers Joseph Victor (†1821) und Sophie geb. Meyer. Von ihren vielen Schwestern heiratete die ältere Ernestine (1894–1846) Moritz Robert-tornow (weitere Namen: Robert, Moritz; Robert, Heinrich; Levin, Meier; 1785–1846), den Bruder von Rahel Varnhagen von Ense; in den Briefen zwischen den Mitgliedern der Familie Levin/Robert-tornow/Varnhagen ist Babette mehrfach er- wähnt, zum ersten Mal als 14-jährige Schwägerin, die im Sommer 1811 gemeinsam mit dem Vater das junge Ehepaar Robert-tornow nach Berlin begleitete: als „Bewunderer des Theaters und besonders Lapins“ (das ist August Wilhelm Iffland). Buzzo/Barovero, Rahel Levin Varnhagen, S. 268 f., vgl. u. a. auch S. 279 und 637. – Der zeitgenössischen Lübecker Verwandtschaft allerdings erschloss sich die Geistesart der neuen Schwägerin offenbar weniger, wie die Briefe von Johannes von Melle, dem älteren Bruder Theodors, zeigen, wenn er am 3. September 1821 von seinem Hamburg-Aufenthalt schreibt: „Denkt Euch ja keine Schönheit. Wer hat uns so hohe Ideen in den Kopf gesetzt? Der verliebte Bräutigam! Die Liebe soll blind sein. Ich bleibe dabei, daß [Babette] von Herzen gut ist, aber was den hohen Geistesflug betrifft, so ist es damit auch gar

| 34 | nicht so weit her. Sie hat eine gar oberflächliche französische Bildung erhalten und damit konnte sie in dem kleinen Nest von Militärs, Krämern und kleinen Beamten umgeben wohl brillieren.“ (Johannes von Melle an Sina von Melle, von den 1942 verbrannten Originalen existieren nur noch Abschriften; in Privatbesitz). 52 Erwähnt wird die gemeinsam verbrachte Zeit des Gymnasiasten mit seiner älteren Schwester Toni (Melle, Jugenderinnerungen, S. 99), die nächstjüngere Magdalene kommt in den Jugenderinnerungen gar nicht vor (findet hingegen Erwähnung in Briefen, etwa im Zusammenhang mit einer Gesellschaft, bei der sie re- zitieren soll, vgl. Brief von Marianne Wolff an WvM, 1886: SUB Hbg., NvM: HP: Wolff, Marianne, 1–2; zu Zuschnitt und Ausstattung der Wolff’schen Geselligkeit vgl. Wolff, Bahnhof, S. 86 f.); die ältere Schwes- ter von Freund Walther Mutzenbecher, WvMs Cousine Clara Adele, verh. Röpe, wird erwähnt, aber ohne Namen (Melle, Jugenderinnerungen, S. 83); freundlich erinnert wird schließlich an „die junge, anmutige und liebenswürdige Schwester meines Schwagers, Olga Mönckeberg […], die mir auch nach ihrer späteren Heirat, wie ich ihr, eine freundschaftliche Gesinnung bewahrt hat“ (ebd., S. 99 f.) etc. – Sogar die eigenen Töchter bleiben in dem Text namenlos (S. 183). 53 Vgl. zum Wesen der Freundschaft WvMs Charakterzeichnung der verehrten 33-Jährigen in Melle, Jugend- erinnerungen, S. 109 f. – dort auch eine Strophe aus dem zur Geffcken’schen Silberhochzeit selbstverfassten Festgedicht: „Ja diese Frau, die wie mit letztem Strahle / Des Vaters Dichtersonne zart umglüht, / Die im- mer für das wahrhaft Ideale / Den reinen Sinn bewahrte im Gemüt, / Die, immer jugendfrisch, begeistert Jung und Alt, / Sie ist der Poesie verkörperte Gestalt.“ – Vgl. ebd., S. 120–123. 54 „Nach diesen drei Jahren [Studium] – in denen sie zum jungen Mädchen heranwuchs […] – erhielt ich im Juni 1876 den ersten großen Eindruck von ihr […] Entzückt von dem liebreizenden Bild […], wie überhaupt das mich so freudig überraschende plötzliche Zusammentreffen mit ihr, gerade in einem für mein Leben so wichtigen Zeitpunkt, ist mir hernach noch oft als ein besonders glückverheißendes Omen erschienen. Aus den ersten lebhaften Empfindungen für sie […] erwuchs später in Hamburg eine innige Liebe, die bei ihr eine ebenso herzliche Erwiderung fand.“ (Ebd., S. 181 f.) 55 So endet der letzte Satz der Jugenderinnerungen (ebd., S. 243). 56 Ebd., S. 67. 57 Vgl. dazu auch die zeitgenössische Charakterisierung etwa des Amtskollegen Johann Georg Mönckeberg, Anmerkung 376. 58 Ebd., S. 53; Emil von Melle gehörte verschiedenen Zirkeln und Freundschaftskreisen an: er verkehrte durch enge Freundschaft mit dem gleichaltrigen Alfred Beneke regelmäßig im Hause des Oberaltensekretärs Fer- dinand Beneke (siehe auch Kapitel 3: „Schriftsteller und Journalist“, S. 211), der schon Heinrich Geffcken aus der Zeit der Freiheitskämpfe freundschaftlich verbunden war (vgl. Hauschild-Thießen, Sternengesell- schaft, S. 251 f., dort auch abgedruckte Briefe von Geffcken an Beneke und dessen sehr positive Äußerungen über den wesentlich Jüngeren). Und er war Teilnehmer des monatlich stattfindenden „neuen gemischten ,Leseclubb[s]‘ bei Senator [Johann Carl Gottlieb] Arning“, dessen Sitzungen hinsichtlich Lektüre-Auswahl, Verteilung der Rollen etc. alternierend einer Leitung („Direction“) von je einer Frau und einem Mann übertragen wurden. (Trepp, Männlichkeit, S. 384; Melle, Jugenderinnerungen, S. 52 f.) 59 Vgl. Anmerkung 51 und Melle, Jugenderinnerungen, S. 51. 60 Melle, Jahre 1 und 2. 61 Melle, Tagebücher (StA Hbg., 622-2/7 Borchling, 26). 62 Vgl. die von Singhka Grabowsky im Rahmen dieses Projekts erstellte Ersterfassung und digitalisierte Sammlung der Melle zuschreibbaren Artikel aus dem Hamburgischen Correspondenten und den Ham- burger Nachrichten zwischen 1883 und 1891. 63 Melle, Entwicklung; ders., Hamburgisches Staatsrecht. 64 SUB Hbg., vgl. zur Briefsammlung von über 2.000 Stücken die Einträge im Katalog HANS (= Hand- schriften, Autographen, Nachlässe und Sonderbestände). 65 Melle, Lebenserinnerungen (StA Hbg., 622-2/7 Borchling, 25). 66 Ein Begriff aus der Biographieforschung, vgl. u. a. Scheuer, Biographie, S. 65. 67 Melle, Jugenderinnerungen, S. 32. ··············································································································································

| 35 | [3]

Lebensdaten I

Der Mann: nie zur Entfaltung hätte bringen können. Werner von Melle (1853–1877) Da der Verfasser mithilfe einer kunstvoll ··································································· ausgeführten Montagetechnik Textmaterial Die Informationen über Kindheit und Ju- aus verschiedenen Erzähl- und Zeitschich- gend Werner von Melles basieren im We- ten wie auch Aufzeichnungsintentionen sentlichen auf seinen Jugenderinnerungen, und -Zusammenhängen ineinanderwob, ist die 1928 in den Druck gingen. Das war zu die Entschlüsselung seines Erinnerungs- einer Zeit, als der Großteil der hier als sol- buchs eine interessante und zugleich kniff- che apostrophierten ,Freunde‘ nicht mehr lige Herausforderung: Belege aus Briefen, lebte. Der Schreiber war insofern nur sei- privaten Aufzeichnungen, Tagebüchern, Zei- nem eigenen Ethos verpflichtet. Da zu- tungsartikeln, Nekrologen, Reden, Vorträ- nächst einmal Selbstwahrnehmung und gen, Gesprächswiedergaben, Protokollen, -präsentation Werner von Melles nicht wei- gedruckter Erinnerungsliteratur, wissen- ter hinterfragt werden sollen, folgt die Dar- schaftlichen Abhandlungen und Lexikonar- stellung mit mehr oder weniger Distanz tikeln aus einem Zeitraum von gut einem dem Vor-Geschriebenen. Sie wird die Ju- Jahrhundert (und mehr) legitimieren den genderinnerungen nicht noch einmal nacher- Stoff, aus dem die Jugenderinnerungen (ge- zählen, sondern versuchen, beispielhaft ein macht) sind. Nun stellt sich folgendes Pro- paar Auszüge mit größeren Linien zu ver- blem: Aus dem daraus entstandenen, recht binden, an vertrauten Wissensbeständen zu homogenen Ganzen spricht als sinngeben- kratzen (die damals noch ganz neu, erst im der Arrangeur ein etwa 75-Jähriger, der na- Werden begriffen oder knapp in Sichtweite turgemäß trotz aller transparenter Absiche- waren) und etwas kulturhistorisches Kolorit rung von seiner Warte aus den Blick auf den mit herüberzunehmen. Auf diese Weise las- jungen Werner von Melle verfälscht. Ist es sen sich Namen von Personen einfädeln, die also unmöglich, ,authentische‘ Aussagen entweder situationsgebunden Erwähnung über dessen Kindheit und Jugendzeit oder fanden oder sich im Lauf der Jahre zu belast- anders: über die jeweils zeitgebundenen Er- baren Schnittstellen innerhalb eines immer zähl-Horizonte des Werner von Melle der dichter werdenden Kommunikationsge- verschiedenen Lebensalter zu treffen? Die flechts des von Melle herauszubilden began- einzige Chance scheint, nachträglich ver- nen, ohne welches er – und daraus machte wischte Konturen aufzuspüren und unter er selbst kein Hehl – seinen furor politicus so Heranziehung legitimierender Literatur

| 36 | (zeitgenössischer Aussagen, Adress- und Elise. Staatsbücher, Zeitungen, Zeitschriften, his- Wie wär’ das auszuführen? – Wir sind drei torischer Abhandlungen, Memoirenlitera- Mädchen nur, tur, Archivmaterial, Vorlesungsverzeich- Uns fehlt der kühne Ritter, der muntre nisse, Festschriften, Manuskripte, Brief- Troubadour. wechseln, Fotos, Gemälde und – von Melles […] eigener Schriften) neu zu kontextualisieren. Agnes. Dabei fällt besonders hinsichtlich Werner Romantisch wär nicht übel. Und fehlt der von Melles Kindheit auf, wie wenig Konkre- Troubadour, tes sich vom alltäglichen und geselligen Le- Man kommt ja jetzt den Ahnen leicht ben der Familie erhaschen lässt. Diesbezüg- wieder auf die Spur. lich sind gerade vor der Folie ihres überwie- Heiß’ ich umsonst von Melle? – In mir gend wirtschaftspolitischen Charakters die fließt adlig Blut. Briefe des Großvaters, Senator Heinrich Gebt mir nur Schwert und Mantel, dazu Geffcken, an seinen in den 1850er Jahren be- den Federhut; ruflich in Paris und Berlin weilenden Sohn Der Schnurrbart darf nicht fehlen: so steh eine punktuell überraschend ergiebige ich da als Held Quelle. Weitere szenische Einblicke verdan- Und schwöre, daß Marie die schönste ken sich besonderen (Erzähl-)Anlässen, für Braut der Welt. den Frühsommer 1873 etwa der Verlobungs- […] zeit von Schwester Antonie mit Otto Mön- Susanne. ckeberg, die auch für Werner von Melle als Schwer ist Manches zu erlangen, ,jüngstem Herrn‘ zu „einer Reihe von Ge- Denn gar eigen ist das Herz; sellschaften in dem fröhlichen Vaterhause Leicht wirst Du zum Ziel gelangen, meines Schwagers und anderen verwandten Führt das Wort für Dich der Scherz. und befreundeten Familien“ Anlass gab und Du, Marie, zum Genossen anknüpfend „an das Lesen von Jordans ,Ni- Nimm ihn in Dein Haus nur ein! belungen‘“ zu einem vom Erzähler selbst- Ist der Mann einmal verdrossen, verfassten und am Polterabend präsentier- Wird er Dir ein Helfer sein; […] ten „Stabreim-Festspiel ,Aus Walhalls Hö- Du auch halte ihn auf’s Beste, hen‘“ mit lebenden Bildern führte, in dem Bruder, wie den Freund vom Haus, ein Freund seines „Schwagers als Wodan, Gern dann gehen Deine Gäste Olga Mönckeberg als Freia und ich selbst als Fröhlich bei Dir ein und aus. […] Thor auftrat“.68 Nimm ihn mit zu Deinem Glück; ··································································· Auf die Reise zum Begleiter, Setting Immer heiter geht’s dann weiter ··································································· Und so führt er Dich zurück. Susanne. Grüßt Dich wieder an der Schwelle; Antik ist nicht mehr Mode. Romantisch Auch Marie ist schon nah. sei der Witz, Schmeichelnd spricht sie: ‚Ach, von Melle, Das trifft die zarten Herzen und zündet ,Herzensmann, schon wieder da?‘ wie der Blitz. […]

| 37 | Arabesk verzierter Umschlag für das Programm zum Polterabend von Emil und Marie von Melle (1850)

| 38 | Agnes. Ich nähte Brautgedanken: Das Eine ist’s. was stets aufs Neue – Viel Liebe – in den Saum! Dem Scherze, wie der Lieb’ und Treue Laß mich Dich warm umranken, Den Zauberglanz des Reizes lieh; Sey Du mein starker Baum! Drum schenk’ ich Euch, Ihr muth’gen Zecher, Sey Du mein Halt im Leben; Hochschäumend in den Lebensbecher Ich lehne mich an Dich! Den Götterwein der Poesie.69 Du willst mir alles geben!! ··································································· Und ich? – Ich liebe Dich!!! Hamburg, 13. März 1850, Polter-Abend von Marie Geffcken und Emil von Melle: Deine Marie Zu Ehren des Bruders und seiner Braut füh- ··································································· ren die Schwestern Agnes, Elise und Su- Der erste Sohn von Marie und Emil von sanne von Melle einem Kreis von Freunden Melle kam am 18. Oktober 1853 in den und Verwandten ein launiges Versspiel vor, Hohen Bleichen 39 zur Welt und wurde am dessen geistreiche und liebevolle Wünsche 2. Dezember in St. Michaelis von Pastor den Beginn eines Lebensbundes bestäuben. Dr. Johannes Geffcken, seinem Großonkel, Vom Scherz ist da die Rede, von Lieb’ und der von 1829 bis 1864 am Michel wirkte, auf Treu’, Herzensmann und Zauberglanz, Göt- den Namen Werner getauft. Die Patenschaft terwein und Poesie. Vor allem letztere blieb übernahmen laut Taufregisterauszug vier den Liebenden hold und war von Anfang an ein ständiger Begleiter. „Bei einem Taschen- tuch, das ich genäht und gezeichnet“, so lautet etwa die erläuternde Notiz zu ver- blichenen Tintenzügen in Versform, die ein Vierteljahr früher entstanden:70 ··································································· Am Tage unserer Verlobungsfeier. – —–– den 2ten December 49. —–– Für Emil

Ich kann Dir ja nichts schenken, Gedanken nur sind mein! Und all mein Thun und Denken, Das ist für Dich allein! –

Ich geb mich Dir zu eigen, Und bin es ganz und gar, Mutter und Tochter: Frau Senator Das kann Dein Name zeigen Elisabeth Geffcken (rechts) und Marie (links) Gestickt mit meinem Haar! (Daguerreotypie: Carl Ferdinand Stelzner, um 1848)

| 39 | Freundesbund der Sternengesellschaft um 1811 (Heinrich von Bergen, 1811): Heinrich Geffcken (obere Reihe, 3. von links) und Betty Merckel (untere Reihe, 2. von links)

Heinrich Geffcken im Profil, 1811 Elisabeth Merckel im Profil, 1811

| 40 | „Gevattern“, allesamt auch sie mit dem ··································································· Täufling verwandt:71 Als zweites Kind wuchs Werner von Melle ··································································· mit seinen drei Geschwistern, einer älteren 1) „Herr Pastor Johannes Carl Joseph von und einer jüngeren Schwester und einem Melle, Lübeck“ (Großonkel; Bruder von Bruder, in der Neuen Gröningerstraße 9 Großvater Theodor von Melle, dessen Tauf- auf.73 Schon die Eltern waren in derselben geschenk die Übertragung einer Familien- Straße und nur wenige Hausnummern von- chronik, der Notitia Majorum, war72) einander entfernt im Schatten eines der äl- 2) „Herr Senator Heinrich Geffcken“ (Groß- testen Bauwerke der Stadt groß geworden,74 vater; älterer Bruder von Pastor Johannes der aus dem 13. Jahrhundert stammenden Geffcken) Hauptkirche Sankt Katharinen. Unter den 3) „Herr Pastor Johann Diederich Merckel Adressbucheinträgen der frühen Bewohner in Lüneburg“ (Großonkel; Bruder von der Neuen Gröningerstraße, die erst in den Großmutter ‚Betty‘ Geffcken) Jahren zwischen 1821 und 1824 angelegt wor- 4) „Herr Gustav Eduard Nolte“ (Onkel; den war und als Querstraße zum Kathari- Ehemann von Marie von Melles Schwes- nenkirchhof, Beim Zippelhaus und zu der ter Minna; Inhaber der Herold’schen alten Gröningerstraße lag,75 finden sich die Buchhandlung). Namen beider Großväter seit 1827 (Kauf-

Geffcken, v.[on] Melle und die Nachbarn: Einträge im Hamburger Adress-Buch 1833, 1853 und 1865

| 41 | Heinrich Geffcken: Kaufmann, Jurat und seit 1845 Rathsherr bzw. Senator mann Theodor von Melle, „Th. L. F. von milie79 so sehr in Anspruch genommen, dass Melle no 9“76) und seit 1833 (Kaufmann ihm abgesehen von der obligatorischen Bür- Heinrich Geffcken, „unt. d. Firma Lipman germilitär-Pflicht für Ehrenämter in den et Geffcken no 2“,77 bis dahin wohnhaft nächsten Jahren wenig Zeit blieb. Für Hein- „Catharinenkirchhof no. 42“78). Als Firmen- rich Geffcken hingegen begann das politi- gründer war Theodor von Melle durch die sche Engagement mit der Wahl zum Bank- Geschäfte und Versorgung seiner bis 1831 bürger direkt im Jahr vor seinem Umzug in immerhin auf fünf Kinder (eigentlich sechs, die Neue Gröningerstraße, wo die kinder- aber die dritte Tochter war 1828 im Alter von reiche Familie – das neunte Kind kam 1840 drei Jahren gestorben) angewachsenen Fa- zur Welt – bis 1861 lebte.80 Als ein, nach Aus-

| 42 | sage seines Enkels, tiefreligiöser Mensch war milie im ersten Stock als auch dem väterli- Geffcken Jurat, also einer der ,Kirchväter‘ chen Kontor, das sich als Theodor von Melle (Kirchenvorsteher) der Katharinenkirche.81 & Sohn klassischerweise bis 1879 im Erdge- 1844 wurde er Präses der Commerzdeputa- schoss befand – die Lagerräume waren un- tion und im Jahr darauf in den Hamburger ter dem Dach –, den (Viertelstunden-)Takt. Rath gewählt (seit 1860: Senat), dem er bis Für die Monate Mai bis September miete- zu seinem Tod angehörte. ten von Melles zeitgemäß bis Ende der ··································································· 1860er Jahre eine Sommerwohnung, meist Auch 20 Jahre später noch schlug die mit Garten, in den ländlichen Gebieten vor Kirchturmuhr sowohl der wachsenden Fa- der Stadt.

Katharinenkirchhof mit St. Katharinen (rechts) vom Fleet aus gesehen; im Hintergrund St. Nikolai

| 43 | Andere Blickrichtung, andere Zeiten. Die Neue Gröningerstraße von der Stadt aus gesehen: Nachkriegszeit mit ihren Zerstörungen: stehen gebliebenes Gebäude vor der Ruine von St. Katharinen …

… Architektur-Mix 2015: St. Katharinen mit neuem Turm, dahinter die Elbphilharmonie im Bau …

| 44 | gende Rückzug aus der Sommerwohnung in die Stadt zehrte an ihren Kräften, sie fühlte sich dem Alltag nicht mehr gewachsen. Die enge und fürsorgliche Nachbarschaft der (Groß-)Eltern erwies sich dabei als Segen: „Mein theurer Heinrich“, so beginnt ein Schreiben Heinrich Geffckens vom 26. Sep- tember 1856 an seinen fernab weilenden Sohn, Maries Bruder Friedrich Heinrich: „für Deine Glückwünsche zu unserem 40jährigem Hochzeitstag sage ich Dir den herzlichsten Dank. Emil und Marie konn- ten den Mittag leider nicht bei uns sein, Emil mußte mit seinem Fuß das Haus hü- ten und Marie besorgte das Hereinziehen vom Garten. […] Emil ist fast wieder her- gestellt, er hat schon die Börse besucht. Ma- rie ist leider noch immer angegriffen, es geht mir durch die Seele sie so angegriffen zu se- hen.“82 Im Hinblick auf „Emils Character“, der nach Geffckens Einschätzung „zu Hy- pochondrie hinneigt“, sei „es um so wichti- … links ein Parkhaus, in der Mitte St. Katharinen, ger, daß Marie wieder geistig frisch wird, rechts der Neubau von Haus Nummer 9 Emil hat durchaus nicht die rechte Weise sie aufzurichten“.83 Sorgen sowohl um den ··································································· Schwiegersohn, vor allem aber um „die 1856 brachte den Bewohnern der Neuen geliebte Tochter“ mit ihrem „energischen Gröningerstraße an freudigen Familien- Character“84 trieben Geffcken unverändert ereignissen Betty und Heinrich Geffckens auch in den folgenden Briefen, die einen 40. Hochzeitstag und die Geburt eines wei- Blick hinter die Kulissen gewähren, um: teren Enkels: Max Theodor, drittes Kind „die arme kleine Frau leidet recht sehr unter und zweiter Sohn von Marie und Emil von diesem beängstigendem Nervenübel und Melle. Doch war dies Grund nicht bloß zur ich habe recht viel Mühe Emil aufzurich- Freude, denn Marie von Melle erlitt eine ten“.85 Dass dessen aufgeklärtes Verständnis Wochenbettpsychose bzw. postpartale De- von Religion sehr von dem abwich, was des pression, von der sie sich nur zögerlich er- Kirchvorstehers Tochter Herzensbedürfnis holte. Sie wurde immer wieder von Angst- war, wurde in der angespannten Lage zum zuständen heimgesucht, zumal als sich ihr Problem. Der vorsichtig zwischen den Fa- Mann auch noch im September einer klei- milienmitgliedern vermittelnde Vater be- nen Fußoperation unterziehen und entspre- richtet: „Augenblicke traten ein, wo sie chend das Haus hüten musste – der folglich anfing sich um religiöse Dinge zu quälen. in der Hauptsache von ihr zu bewerkstelli- Z. B., daß sie mit ihrem Pfunde nicht recht

| 45 | gewuchert habe etc. Dabei war es eine die Lebenskraft der Kinder sie überwindet Klippe, daß gerade diese Skrupel Emil zu ei- steht bei Gott. Marie hält sich bis jetzt gut, ner noch freieren Richtung trieben und daß auch Emil; Emil hat bis 3 Uhr die Nacht, die liebe Mutter diesen gewiß zu beachten- Marie von da an gewacht, auch die beiden den Punkt zu bedenklich ansah. Ich habe Dienstmädchen abwechselnd. / Mutter ist gesucht nach allen Seiten hin ausgleichend die ganzen Tage bei Marie, sie ist sehr zu wirken, ich habe Emil mit Ernst zur Ge- von dem Zustand der Kinder ergriffen; duld ermahnt und ihn darauf hingewiesen, aber doch wohl.“89 Die fünfjährige Anto- wie er grade jetzt alles vermeiden müsse, nie überstand die Krankheit nach kurzer was einen Zwiespalt in Marie hervorrufen Zeit vergleichsweise gut, der Säugling Max könne, weil grade für solche Zustände das Theodor starb, der zweijährige Werner Positive wohlthätig sei, ich habe auch | ge- überlebte knapp: „Vorgestern erklärten die sucht Marie zu beruhigen und Mutter gebe- Aerzte, daß sie hofften, ihn durchzubringen. ten das Sprechen mit Emil über diesen Ge- Er ist recht matt und liegt noch stille zu genstand mir zu überlassen“,86 denn mit Bette, allein das Entzündliche ist beseitigt „Emil muß ich natürlich den Weg einschla- und er hat gestern etwas Wassersuppe und gen, daß ich nur, wo es sich ungesuchter Kartoffelmuß genossen, der Husten kommt Weise giebt auf religiöse Gegenstände etwas seltener. Als Werner die Pulver nicht komme. Du hast sehr Recht, daß Emil in einnehmen wollte hat Mutter ihm eine diesen Dingen noch unklar ist und zu Blume versprochen, er ist hernach mit der sehr nur von dem Geistreichen angezogen Blume in der Hand eingeschlafen.“90 Gegen wird.“87 Die Situation verschlimmerte sich Schmerz und Trauer kam dieser friedliche im Jahr der großen Hamburger Finanzkrise; kleine Moment freilich nicht an: „Die Bli- im Januar 1857 erwähnte der an Influenza er- cke des kleinen Max am letzten | Tage wer- krankte Senator zwischen all seinen politi- den mir unvergeßlich sein, es lag etwas so schen, strategischen und ökonomischen geistiges darin, das es nicht zu beschreiben Überlegungen, dass zu allem Überfluss bei ist“,91 schrieb der Großvater bewegt, der den „drei kleinen von Melles“88 der Keuch- selbst zwei Söhne und eine Tochter im husten wütete. Über den dramatischen Ver- Kleinkindalter verloren hatte:92 „Emil ist lauf zwischen dem 11. Januar und Mitte Feb- recht angegriffen, wenn nur Marie gut ruar informierte Geffcken seinen Sohn bleibt; so wird sich das schon geben. […] beinahe täglich. Den Briefen ist zu entneh- Der Tod des kleinen Max und die Gefahr men, dass die Kinder ärztlich von ihrem worin Werner schwebte, besonders aber die Onkel, Dr. Franz Matthias Mutzenbecher, Sorge um unsere Marie haben meine Stim- betreut wurden. Als dieser aus Vorsicht noch mung recht herabgedrückt. […] Die Blicke den Kollegen Gustav Bülau hinzuzog, seines des sterbenden kleinen Max konnte ich Zeichens Hospitalarzt und ärztlicher Di- nicht wieder vergessen, sie standen mir im- rektor des Allgemeinen Krankenhauses St. mer vor Augen. Und wie wunderbar, noch Georg, schrieb Geffcken alarmiert: „wüßte hat der kleine Werner nicht nach Max ge- ich nicht, daß Mutzenbecher ein ängstlicher fragt, dagegen hat er in den ersten Tagen Arzt ist, so würde mich das noch besorgter nach dessen Tode mehrere Male mit der machen. Die Gefahr ist unverkennbar, ob Hand abwinkend gerufen: ,Geh’ weg Du

| 46 | kleines Kind‘ / Mußte uns da nicht sein, als staltet Eingang in die Jugenderinnerungen ob der Bruder ihn riefe und ist es nicht bei gefunden haben, von bisher aufgespürten solchen Erlebnissen als ob sich das Geister- Einträgen in Tagebüchern Dritter – etwa in reich aufthue?“93 Erst Ende Februar wurde dem der befreundeten und entfernt ver- Entwarnung gegeben. „An Emil und Marie wandten Emma Mutzenbecher, deren Sohn habe ich Deine Grüße überbracht“, vermel- Hermann Franz Matthias knapp zwei Jahre dete Geffcken, „es geht ihnen Gottlob gut jünger als Werner von Melle war98 – und ei- und auch mit Werner geht es immer bes- nigen hier präsentierten Fotos gibt es an All- ser“.94 Dass Emil allerdings „die letztere tagszeugnissen aus der Kindheit ansonsten Zeit nicht wohl gewesen, er hatte gestern ei- relativ wenig. nen Magenkrampf“ war Geffcken noch im ··································································· Mai untrügliches Anzeichen dafür, dass Emil von Melle führte das Kaufmanns- bzw. noch nicht alles ausgestanden sei und sein sogenannte Kommissionsgeschäft nicht mit Schwiegersohn „nothwendiger Weise ein- Leidenschaft, aber sowohl während der im mal heraus“ müsse.95 Mangels Vertretung November in Hamburg ausbrechenden ließ sich das jedoch nicht einrichten – und Krise als auch danach solide weiter, es war war dann wohl auch nicht mehr erforder- einträglich, aber auch nicht mehr.99 Als lich; das Unwohlsein des 35-Jährigen erwies „eine der besten Seiten des Kaufmannsstan- sich als ein vorübergehendes und beendete des“, so überliefert der Sohn aus nicht mehr den krisenhaften Dauerzustand, in dem sich erhaltenen Aufzeichnungen seines Vaters, die Familie seit knapp einem Jahr befand. In habe derselbe „es immer betrachtet, daß die- aller Besorgnis um die weltpolitische Lage ser Beruf dem Manne – vornehmlich in und eine sich abzeichnende wirtschaftliche Hamburg – noch für die Wirksamkeit im Krise kann der Senator Ende Mai zumindest öffentlichen Leben vielfache Gelegenheit an einem Punkt aufatmen: „Ich habe Dir und auch eine vorzugsweise Befähigung von hier wenig zu berichten. Wir sind Gott- gibt“.100 Entsprechend früh begann er, sich lob wohl, Emil ist wieder hergestellt und ehrenamtlich zu engagieren und über lange auch heiter.“96 Jahre verschiedene Ämter wahrzunehmen, ··································································· für kurze Zeit sogar als Reichstagsabgeord- Das Familienleben der Melles pendelte sich neter in Berlin, bis er am 9. Dezember 1867 nach den bedrückenden Monaten, die einen zum Senator gewählt wurde. Emil von Schatten auf das Gemüt Maries und leider Melle trat das Amt am 16. Dezember an, auch auf die folgenden Jahre warfen, all- ohne vorerst sein Geschäft aufzugeben.101 mählich wieder in die vertrauten Rhythmen Kurz darauf zog die Familie in ein neu er- ein. Wie immer bereiteten sich von Melles worbenes Haus Alsterterrasse 7, in die di- für den Umzug in die Sommerwohnung rekte Nachbarschaft des Advokaten und vor, die sich drei Jahre später zum letzten Kollegen im Senat, .102 Mal in einem „Landhause am Rotenbaum, Die Gegend „vor dem Dammthor“ war unweit der jetzigen Werderstraße“ befand, nicht nur vornehmer, sie rückte die Familie wo der kleine Werner seinen Drachen durch auch wieder näher an die inzwischen in der die Luft tanzen ließ.97 Abgesehen von klei- Esplanade wohnende (Schwieger-)Mutter neren Erinnerungsfetzen, die narrativ ge- Betty Geffcken. Am 18. März 1869 wurde

| 47 | hatte in der Hamburger Schullandschaft der 1860er und -70er Jahre einen respektablen Ruf und ordnete sich mit drei Elementar- klassen in eine Reihe von „vornehmsten Knabenvorschulen in Damenhänden“ ein, wie es in einer Festschrift aus dem Jahre 1896 heißt.107 Der hier erteilte Unterricht sollte den Anschluss für die Schulen des Johan- neums bzw. andere höhere Privatschulen gewährleisten,108 doch Werner von Melle wurde schon ein Jahr nach der Einschulung in eine private höhere Knabenschule gege- ben, die der ,idealistische‘ Dr. Heinrich Schleiden seit 1842 leitete.109 Als junger Kandidat hatte Schleiden im Anschluss an sein Studium der Theologie und Philoso- phie110 an verschiedenen Hamburger Lehr- anstalten unterrichtet und noch Ende der 1830er Jahre dem etwa 15-jährigen Emil von Melle Privatunterricht erteilt111 – dies bil- dete den Grundstein für einen lebenslang freundschaftlichen Umgang112 und über 20 Jahre später für die Einschulung des Mel- 151 Werner von Melle im Alter von ⁄2 Jahren le’schen Sohnes Werner in das inzwischen (Ostern 1869) auf etwa 200 Schüler angewachsene Lehrin- stitut Schleidens am Glockengießerwall der 15-jährige Senatorensohn Werner von 21.113 Zu seinen Klassenkameraden zählte Melle konfirmiert und schickte sich an, Werner von Melle u. a.114 Alfred Beit, Do- Gymnasiast zu werden. nat de Chapeaurouge, Wilhelm Danzel und ··································································· seinen Vetter und engsten Freund, den zwei Der Grieche Tage älteren Walther Mutzenbecher115. Mit ··································································· Letzerem konnte er offenbar seine früh ge- Die Schulzeit begann für Werner von Melle weckten Interessen für Literatur, Ge- in der privaten Vorschule von „Tante Ro- schichte, Kunst, seine Sammelleidenschaft scher“.103 Die Elementarschule Wwe. Georg für Dichterausgaben und Hamburgensien Friedrich Roscher war „in Auseinanderset- leidenschaftlich ausleben: „wir brachten auf zung mit liberalen und freisinnigen Erzie- einem Puppentheater Nachbildungen be- hungsbestrebungen“104 der Revolutionszeit kannter Dramen sowie auch selbstangefer- 1848 gegründet worden und wurde gemein- tigte Stücke zur Aufführung“, erinnerte sich sam von Eleonore und Betty Roscher105 in der 75-Jährige in einer Mischung aus Amü- dem auch als Wohnung genutzten Haus sement und Stolz, „und wir gaben in der Hohe Bleichen 32 geführt.106 Das Institut Zeit vom August 1867 bis Mai 1868 eine von

| 48 | Werner von Melle als 11-Jähriger (A. Siegmund) uns selbst handschriftlich in zwei Exempla- stand, dass der angestrebte Abschluss das ren hergestellte Zeitschrift ,Hammonia‘“ für Abitur sein würde, besuchte von Melle die „freilich nur einen kleinen, kaum über die Privatschule, so lange es ging.117 Unabhän- nächste Familie hinausreichenden Kreis von gig von der besonderen persönlichen Bezie- Abonnenten“ heraus, für die im Stile der hung des Vaters zu Schleiden und dem Wis- Familienzeitschriften Gartenlaube und Da- sen um die Qualität des von diesem vertre- heim immerhin wöchentlich vier Quartsei- tenen Bildungskonzepts war eine solche ten mit unterschiedlichen Textsorten (No- Schullaufbahn für einen Spross des Ham- vellen, Aufsätzen, einer Rubrik „Verschiede- burger Bürgertums Anfang der 1860er Jahre nes“ etc.) zu füllen waren; gelegentlich nichts Ungewöhnliches; auch waren die in- wurde dafür auch Freund Wilhelm Danzel dividuell stark ausgeprägten Schulformen herangezogen.116 – Obgleich außer Frage sektoral einigermaßen durchlässig. Auf gute

| 49 | Privatschulen ging zwar in erster Linie, wer sich auf den künftigen Kaufmannsberuf vorbereiten wollte und deshalb nicht unbe- dingt eine gymnasiale Ausbildung benö- tigte. Für die Schüler, die ein Studium an- strebten, war hier gleichwohl gesorgt:118 Die vornehme119 Dr. Schleiden’sche Schule zu Hamburg beispielsweise hielt in den drei obersten Klassen für die (sogenannten) „Griechen“120 einen exklusiven griechischen und lateinischen Unterricht vor, den zu je- ner Zeit der spätere Direktor der Hambur- ger Stadtbibliothek Meyer Isler erteilte – ein ,Johanniter‘121, wie Schleiden selbst und bald auch Werner von Melle.122 ··································································· Der Johanniter ··································································· In den späten 1860er Jahren war die ge- samte Hamburger Schulpolitik im Um- bruch. Um die unübersichtlich vielen und unterschiedlichen (privaten und freien bzw. öffentlichen) Schulformen zu einem sinn- Werner von Melle als 12-Jähriger (1865) voll geordneten Unterrichtsangebot zu for- men,123 sollte gemäß der Hamburger Verfas- Danzel und Walther Mutzenbecher traf er sung von 1860124 eine Grundlage für die hier auf Mitschüler, die entweder schon seit Schaffung eines staatlichen Schulwesens mit der Sexta (heute: 5. Klasse) Johanniter wa- allgemeiner Schulpflicht vorbereitet wer- ren oder aber, wie er, etwas später von einer den. Als dafür zuständige Organisation war der vielen privaten Schulen Hamburgs ka- unter dem Vorsitz des Ersten bzw. Zweiten men.126 Unter Nummer 4067 weist das Al- Bürgermeisters Friedrich Sieveking das alte bum der Gelehrtenschule folgenden Eintrag Scholarchat bereits 1863 von einer Interimis- aus: tischen Oberschulbehörde abgelöst worden; ··································································· Sieveking zog sich 1869 aus dem Senat zu- Eintrag: 9. [4067]: von Melle, Werner | 1853 rück,125 sodass unter der Ägide seines Nach- | 18. October | Hamburg | Emil von Melle | folgers in der Schulpolitik, Gustav Heinrich Kaufmann, Senator | Neue Gröningerstr. 9 Kirchenpauer, die gesamte Gymnasialzeit | Ev.-Luth. | [Classe] 2b | [früherer Unter- Werner von Melles stand, der als Unterse- richt] Schleidensche Schule kundaner Ostern 1869 in guter Familientra- ··································································· dition an das Johanneum am Speersort Um etwas mehr Einblick in den tatsächli- wechselte. Gemeinsam mit den dort etwas chen Gymnasialbetrieb des 19. Jahrhunderts früher bzw. später eingeschulten Wilhelm zu bekommen und besser einschätzen zu

| 50 | können, auf welche Bereiche er fokussierte statistische Bilanzen in jedweder Hinsicht bzw. auf welches Menschenbild und Bil- enthalten: sie reichen von der Dokumenta- dungsziel hin die Unterrichtspraxis orien- tion der Zu- und Abgänge, Lehrpläne, An- tierte, lohnt das Blättern in den gedruckten schaffungen, Diskussionen, Informationen Schulberichten, die jeweils am Ende eines für die Eltern bis hin zur Auflistung der Schuljahres in gebundener Form vorlagen Abiturienten. So informierte der langjährige und sowohl wissenschaftliche Abhandlun- Direktor Johannes Classen in seinem Jahres- gen von Lehrern als auch allgemeine schul- bericht am Ende von Melles erstem Johan- politische oder -interne Informationen bzw. neums-Schuljahr über einige, den allgemei-

Album der Gelehrtenschule des Johanneums (Ostern 1869)

| 51 | nen Unterricht betreffende Neuerungen: In schen dadurch in unsern Schülern die Er- „wiederholten Berathungen unserer Lehrer- kenntniss lebendig zu erhalten, dass eine conferenzen“, heißt es da, seien der „Zusam- Abweichung vom Rechten nach einer Seite menhang und die Grenzen der verschiede- hin zu einem ungünstigen Urtheil über die nen Lehrgegenstände im Fortschritt von ganze sittliche Gesinnung und Haltung ei- Classe zu Classe“ neu bestimmt und fest- nes Schülers berechtigt. Sodann haben wir gesetzt worden, „um auf der einen Seite an die Stelle der Rubrik ,Fortschritte‘ die der Ueberladung, auf der andern Lücken im ,Leistungen‘ treten lassen, damit der Erfolg Unterricht zu vermeiden“.127 Werner von der Bemühungen, deren subjectives Ver- Melles Jahrgangsstufe betraf diese, für ein dienst wir unter ,Aufmerksamkeit und Fleiss‘ humanistisches Gymnasium bemerkens- abschätzen, in dem objectiven Verhältniss werte, leichte Verschiebung in der zeitlichen zu den Forderungen der Classe, bestimmter Fremdsprachen-Aufnahme nicht mehr; da- als es bisher geschehen, ins Licht trete. Drit- für aber das neue kunstgeschichtliche Ange- tens aber haben wir die Reihe der bisher ge- bot für höhere Klassen im Vortragsformat, wöhnlich angewandten Prädikate beschränkt das im Winter 1870/71 ausprobiert wurde und vereinfacht. Indem wir namentlich für und über die nächsten Jahre mit Exkursio- das Betragen der Schüler das Prädikat gut als nen und Besichtigungen ausgebaut werden das höchste ertheilen, wünschen wir einer- sollte.128 Als weitere, alle Schüler angehende seits dieses einfache Wort in der vollen Be- Neuerung vermeldete die Bilanz von Direk- deutung uneingeschränkter Pflichterfüllung tor Classen im Jahr darauf, dass endlich nun aufgefasst zu sehen, andrerseits aber daran auch das lang ersehnte Turnen „in den Kreis zu erinnern, dass auch der beste Schüler des regelmässigen Unterrichtes aufgenom- durch ein in jeder Beziehung lobenswürdi- men“ und vom Schulhof in einen neu ein- ges Verhalten nur seine Pflicht erfüllt und gerichteten „Turnsaal mit den nöthigen Ap- sich nicht auf besondre Auszeichnung An- paraten“ verlagert worden sei;129 darüber spruch erwirbt.“130 hinaus gibt eine neue Zensurpraxis (gerade ··································································· aus heutiger Perspektive interessanten) Ein- Diese wohlbedachten Entscheidungen fie- blick in das Verständnis der zeitgenössischen len in die Zeit der zähen Verhandlungen um Leistungs-/Bewertungs-Kultur: „Als ein Er- das Gesetz, betreffend das Unterrichtswesen,131 gebniss der Berathungen in unsern Lehrer- das nicht zuletzt die Einrichtung einer 1871 conferenzen, welches für die Eltern und An- geschaffenen Oberschulbehörde132 zur Folge gehörigen unsrer Schüler von Interesse ist“, hatte. Ihre vier Sektionen unterteilten sich berichtet Classen, „dass wir in den Zeug- in die 1. Sektion für die Wissenschaftlichen niss-Formularen für die Schulcensuren ei- Anstalten, die 2. Sektion für das Höhere nige Aenderungen vorgenommen haben. Schulwesen (und ab 1874 auch für das Pri- Zuerst wird künftig die Bezeichnung des vatschulwesen), die 3. Sektion für das Volks- Betragens nicht mehr von den einzelnen schulwesen einschließlich der Lehrersemi- Lehrern ertheilt, sondern nach einem Ge- nare und die 4. Sektion für das Landschul- sammtbeschluss aller in einer Classe unter- wesen (bis 1874 für das Privatschulwesen).133 richtenden Lehrer in einem gemeinsamen Auch basierte auf dieser Grundlage fortan Urtheil zusammengefasst werden. Wir wün- die Unterscheidung in vier ,öffentliche

| 52 | Schulformen‘: allgemeine Volksschule, mitt- Gesangsunterricht konfrontiert wurden.138 lere Volks- oder Bürgerschulen, höhere Volks- Unterrichtet wurden sie von Lehrern, die in schulen sowie Realschulen; die Gymnasien der Hauptsache promoviert, zumeist so- wurden gesondert behandelt.134 Entspre- genannte Gymnasialprofessoren waren und chend wurde nach Paragraph 4 des Gesetzes, erwartungsgemäß regelmäßig eigene For- dem Bericht des Direktors folgend, eine schungen entweder in den Schulprogram- „Section für die Schulen des Johanneums“ men oder in gelehrten Zeitschriften publi- gebildet, bestehend aus: „Bürgermeister zierten. Für heutige Ohren klingen die Kirchenpauer Dr. Praeses, Syndicus Geff- angegebenen ,Themen‘, besonders die des cken, Dr. Pastor Röpe, Director Dr. Classen, Deutschunterrichts, eher nach universitären Director Dr. Bertheau, Schulrath Harms, Se- Veranstaltungstiteln, etwa für die Unterse- nator Th. Müller Dr. und Dr. Jur. Gustav kunda des Schuljahres 1869/70: „Geschicht- Hertz.“135 – Vielleicht nicht uninteressant, liche Uebersicht des Entwickelungsganges dass es sich bei dem genannten Senats-Syn- der deutschen Sprache und der deutschen dikus Friedrich Heinrich Geffcken um den Literatur von den ältesten Zeiten bis zur eingangs schon vorgestellten Onkel Werner Mitte des sechszehnten Jahrhunderts. 1 St.“. von Melles handelte, der im darauffol- Aufschlussreich für Unterrichtspraxis wie genden Jahr dem Ruf auf eine neue Profes- Arbeitsvolumen sind Zusätze wie dieser: sur für Völkerrecht und Staatswissenschaft „Rückgabe der corrigirten, alle 3 Wochen an die am 1. Mai 1872 neugegründete deut- angefertigten deutschen Aufsätze. 1 St.“. An- sche Reichs-Universität Straßburg136 folgen ders sah es mit dem Arrangement des Lehr- sollte, während Georg Heinrich Röpe, seit stoffs in der Obersekunda aus, der auf zwei 1863 Pastor der St. Jacobi-Kirche und seit große Komplexe ,klassischer‘ Literaturge- 1870 Mitglied in der Oberschulbehörde, schichte verteilt wurde: „Im Sommer freie seit etlichen Jahren mit Werner von Melles Vorträge über Stoffe aus den Schriften Cae- Cousine Clara geb. Mutzenbecher verheira- sars, im Winter Lectüre von Lessings Minna tet war, der älteren Schwester seines Freun- v. Barnhelm und von ausgewählten Stücken des Walther.137 der Hamburgischen Dramaturgie.“ Anga- ··································································· ben wie „Aufsätze, Declamationen. 2 St.“ le- Ausser den übergeordneten bzw. allgemei- gen nahe, dass das Augenmerk in den höhe- nen Belangen sind den jährlichen Schulbe- ren Klassen verstärkt auf die, wie man heute richten recht detaillierte Informationen sagen würde: praktische Einübung verschie- über den vermittelten Lernstoff, Methoden dener Präsentationsformate gelegt wurde. und Aufgabenstellungen, die Lehrverant- Ergänzt wurden Literaturgeschichte und wortlichen und sogar das Stundenkontin- Grammatik schließlich um ein weiteres Ele- gent des Lehrangebots zu entnehmen, mit ment praktischer Einübung: In den Schul- dem Werner von Melle und seine Klassen- jahren 1871/72 und 1872/73 traten zu dem kameraden von der Untersekunda an durch- Stoff der Unterprima („Uebersicht der Lite- gehend bis zur Oberprima in den Fächern ratur des Mittelalters: Elemente der mhd. Latein, Griechisch, (fakultativ: Hebräisch), Grammatik und Lectüre des Nibelungenlie- Deutsch, Französisch, Englisch, Religion, des“) und Oberprima („Die höfische Poesie Geschichte, Mathematik, Physik, Zeichnen, des Mittelalters. Lectüre aus dem Nibelun-

| 53 | genliede“) in Aufsatz- bzw. Deklamations- auch weitere, ein halbes Jahrhundert später form die im Sommer der Obersekunda dokumentierte Beispiele und Verweise auf schon eingeführten ,Freien Vorträge‘ (2 St.). Anregungen, welche durch die naturwissen- ··································································· schaftlichen, völkerkundlichen und histori- Werner von Melles Einschätzung aus dem schen Sammlungen des Johanneums und Jahre 1928, dass sich die Gelehrtenschule des des Akademischen Gymnasiums, durch die Johanneums „damals vor anderen deut- alte Stadtbibliothek144 – und die von Classen schen Gymnasien dadurch auszeichnete, 1865 eingerichtete und seit 1866 mit einem daß sie den Schülern, und insbesondere den kleinen Budget ausgestattete Schulbiblio- älteren, große Freiheit gewährte“,139 trifft thek145 – gegeben wurden, belegen, welch sich mit ähnlichen Aussagen nachmals pro- prägenden Einfluss von Melle der Schule für minenter Johanniter.140 Die individuelle seinen weiteren Lebensweg beimaß; dazu Freiheit ging so weit, dass im Gegensatz zu gehört nicht zuletzt das von ihm selbst als dem später durch Preußen beinflussten Sys- Anekdote überlieferte spöttische Zitat seines tem nicht einmal der Schulbesuch regelmä- Lehrers Adolph Kießling: „Elbflorenz ist be- ßig zu sein hatte: „Nicht Reglementierung kanntlich nicht Hamburg, sondern Dres- und Zwang, sondern Anregung zu eigenem den“ – ob es wirklich so stark „dazu mitge- Denken und wissenschaftlichen Arbeiten, wirkt [hat], meinen starken hamburgischen hieß das Rezept, dessen Erfolg offenbar Ehrgeiz auch auf geistige Bestrebungen hin- nicht gering war.“141 Angesichts moderner zulenken“, sei dahingestellt.146 Entwicklungen in der Bildungs- und Hoch- ··································································· schulpolitik scheinen die Argumente des »Didaskalia!« – innerhalb und ,Für und Wider die Freiheit‘ im schulischen außerhalb der Schule Unterricht bedenkenswert: „Das mag mit ··································································· manchen Nachteilen verbunden gewesen Am Johanneum gab es, ähnlich wie an an- sein“, so von Melle rückblickend, „daneben deren humanistischen Gymnasien,147 einen aber hatte es für die Tüchtigeren jedenfalls von Schülern selbst organisierten Wissen- große Vorteile. Es wurden nicht alle über ei- schaftlichen Verein von 1817. Die Mitglieder nen Kamm geschoren; der einzelne konnte beschäftigten sich sehr ernsthaft unter dem mehr seinen persönlichen Neigungen nach- Gesichtspunkt einer Erziehung zu selbst- gehen und seine individuelle Begabung ständigem Denken sowie zur Pflege des erproben“.142 Ganz in diesem Sinne hatte freien Ausdrucks in der Muttersprache mit Werner von Melle 1905 in seiner Begrü- verschiedensten Themen, die sie in Vortrag ßungsrede vor Hunderten deutscher Philo- und kommentierender Gegenrede vor- logen und Schulmänner, deren 50. Ver- brachten.148 Von diesem regen Austausch sammlung explizit dem Verhältnis des zeugen ein gedrucktes Verzeichnis149 und Unterrichts von Schule und Hochschule ge- eine ungewöhnliche Überlieferung der ori- widmet war, aufmunternd zu Protokoll ge- ginalen eingereichten Schriften, Gegen- geben: „Könnten wir dahin gelangen, daß es schriften und Sitzungsprotokolle.150 – Über- hieße: ,Mehr Können als Wissen!‘ und raschenderweise sucht man Werner von ,Mehr Persönlichkeit als Dutzendmensch!‘, Melles Namen in den Listen vergeblich; die so würde mich das sehr freuen.“143 Diese wie Erklärung findet sich in einem von ihm und

| 54 | Empfang des aus Frankreich zurückkehrenden Hanseatischen Infanterie-Regiments 76 durch Senat und Bevölkerung vor der Börse (heute: Rathaus und Rathausmarkt) seinem Freund und Vetter Walther Mutzen- Gymnasiasten, sondern auch nach Weiter- becher außerhalb der Schule begründeten bildung strebende Kaufleute an den mit ei- ,wissenschaftlichen Verein‘, dem außer dem nem geselligen Zusammensein endenden eng befreundeten Otto Krogmann „unter Sitzungen teilnahmen“.152 Eine bereichern- anderen noch angehörten: der etwas jüngere de und das politische Hamburg im Kleinen Eduard Arning, später hochgeschätzter Der- zitierende Konstellation, die Werner von matologe am St. Georger Krankenhaus“, Melle von jeher aus dem Umfeld und den der frühere Klassenkamerad und spätere Aktivitäten seines Vaters vertraut war.153 „Kaufmann Donat De Chapeaurouge, der ··································································· Buchhändler Waldemar Kawerau und der Schule im Krieg und das Leben Sänger Hermann von der Meden“. Auch in danach „diesem Verein, der unter dem Namen ,Di- ··································································· daskalia‘ bis zu meinem Abgang zur Univer- Der Deutsch-Französische Krieg zog frei- sität fortbestand, wurden Aufsätze geschrie- lich auch am Betrieb der Gelehrtenschule ben, freie Vorträge gehalten und allgemein nicht spurlos vorüber: Werner von Melles interessierende Fragen aufgeworfen und dis- Jahrgang war noch nicht involviert,154 gleich- kutiert“.151 Charakteristisches Unterschei- wohl betraf ihn persönlich ein in seiner Be- dungsmerkmal zu dem seit 1817 bestehen- sonderheit äußerst tragischer Fall unter den den Gymnasiasten-Verein war, dass an Di- ,Verlusten‘, die Direktor Classen im Ab- daskalia (= Lehre; Belehrung) „nicht nur schlussbericht für das Schuljahr 1870/71

| 55 | unter den (freiwillig) eingezogenen Schü- einem Tragkorb in das Haus seiner Eltern. lern beklagte: „Neben diesen Jünglingen, Erst am nächsten Morgen erhielt ich die welche ihr Leben dem Vaterlande zum Trauerkunde. Tief erschüttert stand ich nun Opfer gebracht haben, nenne ich mit weh- an dem Bette meines Freundes, auf dem müthiger Trauer einen lieben Schüler, wel- dieser ganz unverändert, wie sanft schla- cher mitten in der Freude über unsere Siege fend, lag. Es war mir, als habe der Tod, der durch einen jähen Tod dahingerafft ist. Wal- ihn so jäh, fast an meiner Seite dahingerafft, ther Mutzenbecher, seit Ostern 1870 Ober- auch meine Schulter mit seiner eisigen secundaner, durch seine trefflichen Eigen- Hand berührt.“156 schaften seinen Lehrern und Mitschülern ··································································· gleich lieb, starb in freudiger Erregung über Für Werner von Melle blieb es bei der Be- die Nachricht von dem Falle von Paris am rührung; das (Schul-)Leben ging weiter, bis Abend des 27. Januar an einem Herzschlag. der Abschlussbericht von 1873 die anste- An seiner Bestattung am 31. Januar hat un- hende Maturitätsprüfung von 23 Kandida- sere Schule sich mit herzlicher Theilnahme ten ankündigte – darunter von Melle und betheiligt.“155 Welch dramatischen Schock seine befreundeten Klassenkameraden Wil- dieses Ereignis bei dem 17-jährigen von helm Danzel, Otto Krogmann und Max Melle verursacht haben mochte, der seinen Predöhl157 –, „welche nach Abfassung der Freund nichtsahnend im gemeinsamen Be- schriftlichen Arbeiten“ an zwei Tagen im geisterungstaumel nur wenige Augenblicke März abgehalten werden sollte. Den hand- vor dessen plötzlichem Hinscheiden erlebt schriftlichen Notizen zum Abitur-Verlauf 158 hatte, offenbart noch das Nachzittern in der ist zu entnehmen, dass die Prüflinge in eine ein halbes Jahrhundert später vorgenomme- Elfer- und eine Zwölfergruppe unterteilt nen Schilderung aus seiner Perspektive: wurden; während die Freunde Danzel und ··································································· Predöhl schon am 27. März ihre mündliche „Mein Vetter und ich gingen, als wir […] Prüfung hinter sich bringen konnten, wurde abends die Nachricht von der Kapitulation Werner von Melle in der zweiten Gruppe erhalten hatten, noch zusammen nach der am 29. März, an einem Sonnabend, gemein- Börse, wo immer die neuesten Depeschen sam mit Arthur Barwasser, Oscar Detmer, angeschlagen waren, und sodann mit einer Karl Gottsche, Otto Krogmann, Manfred freudig erregten Menschenmenge nach dem Piehler, Ernst Schmaltz, Hugo Schultze, Stadthause, um den beliebten Polizeiherrn, Otto Sierich, Otto de la Camp und Hein- Senator Petersen, mit einem Hoch zu begrü- rich Rabe geprüft.159 ßen. Von da zurückkehrend, trennten wir ··································································· uns auf dem Nachhausewege an der Ecke Der zeitliche Ablauf sah für den 29. März des Neuenwalls und des Jungfernstiegs. 1873 folgendes Programm vor: Mein Vetter, der in der Ferdinandstraße 9–10. Lateinisch (Cicero) Dr. Wagner wohnte, erreichte aber sein Haus nicht 10–11. Griechisch (Pindar) Prof. Herbst 3 mehr. In der Straße Alstertor sank er, von 11–11 4⁄ Mathematik Prof. Bubendey einem Herzschlag getroffen, tot zu Boden. Pause 3 Man brachte ihn zuerst in einen Wirt- 12–12 4⁄ Geschichte Dir. Classen. schaftskeller am Alstertor und dann mit ···································································

| 56 | Notizen zum Abitur-Verlauf aus dem „Protocolle der Section für die Schulen des Johanneums“ (26. April 1873)

| 57 | Der Reihe nach wurden die Kandidaten bimmelt und bammelt, hinter uns haben“, drangenommen und ihre Leistungen proto- freute sich der Absolvent in dem schon er- kollarisch so vermerkt, dass der gesamte Ab- wähnten Brief und frolockte: „Aus dem Pen- lauf der Interaktion wie in einer Art Dreh- nal kroch der Maulesel hervor, und der Bru- buch konserviert vorliegt. Zu Werner von der Studio steht in Aussicht!“163 Melle hier nur einiges Abgelauschte: ··································································· ··································································· Rollenwechsel Lateinisch: „… zögert zu übersetzen“ ··································································· Griechisch: „von Melle liest d. erste Anti- Mit diesem erfolgreichen Abgang blieb Wer- strophe und übersetzt fließend und ge- ner von Melle das Erlebnis des über den wandt“ Schulbetrieb des Johanneums hinausgehen- Geschichte: „… nicht präcis“ den Kulturwechsels in der Direktion er- Mathematik: „… leitet […] richtig ab.“ spart, denn der Altphilologe Johann Clas- ··································································· sen, der die Primaner als Ordinarius durch Die Gesamtbewertung entsprach in etwa das letzte Jahr begleitet hatte, legte erst dem, was sich aus der Beschreibung des am Ende des darauffolgenden Schuljahres Kandidaten, (nach eigener Aussage) unmit- 1873/1874 sein Amt nach zehn Jahren nieder. telbar nach erfolgter Prüfung, an seinen „Es geht damit“, so erklärte er in seinem Vater entnehmen lässt: „Wir mußten von 9– letzten Jahresbericht, „der Wunsch in Erfül- 1 Uhr schwitzen. Ich hoffe, daß ich mich lung, welchen ich bei meiner Berufung, da nicht ganz schlecht gemacht habe.“160 Zur ich damals im 59. Lebensjahre stand und 32 Erstklassigkeit reichten die unten aufgeliste- Amtsjahre hinter mir lagen, offen aussprach: ten Einzelergebnisse zwar nicht, aber diesen dass es mir gestattet sein möge, mich in Ehrgeiz hatte von Melle offenbar auch gar den Ruhestand zurückzuziehen, sobald ich nicht,161 denn anerkannter „Primus unserer meine Kräfte nicht mehr für die volle und Klasse“ war seit jeher der als Freund apostro- erfolgreiche Wahrnehmung aller meiner phierte Max Predöhl. „[A]ber nicht“, so be- Amtspflichten ausreichend erachten würde. eilte sich von Melle in Ergänzung seiner Mit innigem Danke gegen Gott erkenne ich Charakteristik rückblickend zu betonen, es, dass es mir über mein Verhoffen ver- „wie mancher andere Primus, ein pedanti- gönnt gewesen ist, diese 10 Jahre auch in scher Schulfuchs, sondern bereits damals höherem Lebensalter in fast ungestörter Ge- eine unverkennbar originelle Persönlichkeit, sundheit für das Gedeihen der Schule, der ein feiner ideenreicher Kopf von vorsichti- ich selbst meine Jugendbildung verdanke, gem, aber tiefschürfendem Urteil“, mit dem nach bestem Wissen und Wollen zu wir- ihm später im Senat und Bürgermeisteramt ken.“164 Die Entscheidung der Oberschul- noch viele Jahre gemeinsamer Arbeit be- behörde, den „Director des Gymnasiums zu schieden sein sollten.162 Von den 23 Kommi- Elberfeld, Herrn Dr. Richard Hoche“ zum litonen erhielten im April fast alle das Zeug- Nachfolger zu bestimmen, wurde vom Se- nis der Reife. nat bestätigt und von Classen mit dem ··································································· frommen Wunsch versehen: „Wir sehen „Jetzt sind wir natürlich höchst fidel, daß dem Eintritt des neuen Directors zu Ostern wir Schule, Schulleben und alles, was daran d. J. mit dem innigen Wunsche entgegen,

| 58 | Betragen Fleiß Lateinisch Griechisch Hebräisch Deutsch Französisch Englisch Mathematik Physik Geschichte

14. Werner sehr gut sehr gut gut gut –––– gut befriedi- gut befriedi- befriedi- gut gut von Melle gend gend gend

Die Reifeprüfung und der Berufswunsch: Jurisprudenz in Heidelberg

| 59 | dass alle an seine Berufung geknüpften num – trat indes die Behörde nur selten zu- Hoffnungen zum Segen der Schule in frohe sammen. Durchweg arbeitete sie in vier von Erfüllung gehen mögen.“165 einander ganz unabhängigen und auch dem ··································································· Senat direkt unterstellten Sektionen, der Werner von Melle erlebte diesen folgenrei- ersten Sektion (für die Wissenschaftlichen chen Personalwechsel nicht mehr aus der Per- Anstalten), der zweiten (für das höhere spektive eines Schülers;166 wie er aber fast 20 Schulwesen), der dritten (für das Volks- Jahre später die Begegnung mit dem ,System schulwesen) und der vierten (für das Land- Hoche‘167 – in Gestalt jenes Altphilologen schulwesen). Ich gehörte – zunächst neben Richard Hoche und der sich aus seiner Beru- dem Präses der Behörde Senator Stammann fung ans Johanneum entwickelnden Konse- – der ersten und der zweiten Sektion an und quenzen – aus der Perspektive eines politi- zeitweise auch der, bezüglich ihrer Senats- schen Akteurs wahrnahm, schildert das achte mitglieder in Personalunion mit der Ober- Kapitel seiner handschriftlich hinterlassenen schulbehörde stehenden Verwaltung des Erinnerungen. Es setzt 1891 mit von Melles Gewerbeschulwesens. Meine Haupttätig- Übergang in die Unterrichtsverwaltung ein keit fiel in das Gebiet der I. Sektion, von und wird hier wortwörtlich wiedergegeben, dem weiter unten die Rede sein wird. Doch um die schon skizzierten, nicht gerade über- hatte ich auch für die II. Sektion und für die sichtlichen behördlichen Strukturen aus Gewerbeschulverwaltung Referate zu über- erster Hand besser kennenzulernen:168 nehmen und manche ihrer Beschlüsse im ··································································· Senat zu vertreten. [S. 75] Da Senator Stammann den Vorsitz in allen 8. In der Unterrichtsverwaltung vier Sektionen und während der nächsten a Höheres Schulwesen, Gewerbeschulwesen Jahre auch in der Gewerbeschulverwaltung hatte, so war er der leitende Chef des gesam- Die Oberschulbehörde, in die ich neben ten hamburgischen Unterrichtswesens. In dem Präses Senator Dr Stammann und dem der II. Sektion aber, für die er sich wohl am kaufmännischen Senator Charles De Cha- meisten interessierte, peaurouge als Präsidialmitglied eintrat, war [S. 76] anders zusammengesetzt als die meisten der stand ihm als ungewöhnlich starke und ein- Verwaltungs-Deputationen. Ihr gehörten flußreiche Persönlichkeit der Schulrat für nämlich außer den 3 Delegierten des Senats das höhere Schulwesen Professor Hoche zur und 6 von der Bürgerschaft gewählten Mit- Seite. So angenehm und reibungslos stets gliedern noch an: zwei Pastoren als Depu- mein geschäftlicher Verkehr mit Senator tierte des sogenannten Geistlichen Ministe- Stammann war (mit dem ich schon seit riums, zwei Schulräte (für das höhere und längerer Zeit in persönlichen Beziehungen für das Volksschulwesen), je ein vom Senat stand und der auch meinen Eintritt in seine ernannter Vertreter des Gelehrten- und des Behörde lebhaft gewünscht hatte) so wenig Realschulwesens, der Seminardirektor und sympathisch war mir von vornherein der bei zwei von der Schulsynode (einem allgemei- ihm in hohem Ansehen stehende Schulrat nen Lehrerparlament) erwählte Mitglieder. Hoche, dieser war nicht lange nach meinem In ihrer Gesamtheit – als sogenanntes Ple- Abgang zur Universität von Elberfeld nach

| 60 | Hamburg gekommen, um hier zunächst Vorgehen Hoches zugegangen seien. Und an Stelle des in den Ruhestand getretenen dieser viel angefeindete Direktor wurde humanen Professor Classen das Direktorat dann, bald nachdem Senator Stammann das der Gelehrtenschule des Johanneums zu Präsidium in der Oberschulbehörde über- übernehmen. In wieweit es – mit Rücksicht nommen hatte, zum Schulrat ernannt. „Der auf die Unterrichtsgestaltung im übrigen Senat“, so sagt Professor Kelter in seiner Ge- Deutschland – notwendig war, an diesem schichte des Johanneums [Edmund Kelter, Gymnasium ein strengeres Regiment einzu- Hamburg u. sein Johanneum, 1928, S. 196.], führen, mag hier dahingestellt bleiben. „hatte trotz aller Jedenfalls aber rief die schroffe und rück- [S. 77] sichtslose Art, in der von dem neuen Direk- Schwierigkeiten und Unbequemlichkeiten, tor die Zügel straffer angezogen wurden, die dieser harte und unbeugsame Mann ihm nicht nur bei den Nächstbeteiligten, son- bereitet hatte, Hoches bedeutendes Organi- dern auch in weiteren Kreisen starke Entrüs- sationstalent schätzen gelernt und berief ihn tung hervor. Man nannte Hoche „einen ge- auf den höchsten Verwaltungsposten, den scheiten, aber barschen und bureaukratisch er im Schulwesen zu vergeben hatte.“ In der gerichteten Preußen“ [Julius v. Eckardt, Le- energischen Weiterentwicklung des Ham- benserinnerungen, 1910, Bd 2, S. 31], klagte burger höheren Schulwesens und insbeson- über den von ihm in der Schule eingeführ- dere in dem Aufbau einer Reihe staatlicher ten „Kommandoton“ [Bürgermeister C. A. Realschulen hat sich dann auch das Organi- Schröder, Aus Hamburgs Blütezeit, 1921, sationstalent Hoches, wie sein Eifer, seine S. 26.], und sagte, „das Ganze schmecke zu- Umsicht und seine Menschenkenntnis be- viel nach preußischer Unteroffiziersschab- währt. Doch „c’est le ton, qui fait la musi- lone“. So lasse sich Hoche z. B. von jedem que“, und der Ton, den er den Schulen, der Lehrer aufschreiben, wieviel Verse Ovid Lehrerschaft und dem Publikum, gegenüber oder Abschnitte Cäsar er im Jahre lesen anschlug, war ein herrischer, grober, durch- wolle, und er erhöhe, wo es ihm nötig er- aus unhamburgischer. Auch angenehme scheine, die Zahl, „als ob es auf multo und Dinge vermochte er den Beteiligten meist nicht multum ankomme.“ [Professor Her- nicht in angenehmer Form mitzuteilen. Die mann Diels, in Hermann Diels u. Carl Ro- einzelnen Lehrer bezeichnete er in den Ak- bert von Otto Korn, 1927, S. 53. Diels be- ten als „der p.p.X“ und „der p.p.Y“, und zeichnete die Jahre, die er als Lehrer unter wenn sie an Offiziers-Reserveübungen teil- Hoche verbrachte, als „ein Martyrium“.] zunehmen wünschten, suchte er ihnen oft Ein kurz vor mir vom Johanneum abgegan- ohne Not den erforderlichen Urlaub zu ver- gener Hamburger, der Direktor des Berliner sagen. Auch mir gegenüber trat er, wenn ich Gymnasiums zum Grauen Kloster Ludwig Senator Stammann in dessen Abwesenheit Martens erwiderte mir später einmal auf als Präses zu vertreten hatte oder auch wenn meine Frage, warum er seiner Zeit in den ich Einwendungen in den Sitzungen mach- preußischen und nicht in den hamburgi- te, zuerst sehr von oben herab entgegen, bis schen Schuldienst getreten sei, ihn und an- er einsehen mußte, daß ich mir das nicht ge- dere hätten dazu die ungünstigen Urteile fallen ließ [Ein Schulfreund von mir, Profes- veranlaßt, die ihnen aus Hamburg über das sor Klammer in Elberfeld, schrieb mir ein-

| 61 | mal: „daß Du mit Hoche nicht aufs beste gab vom Senator Stammann ihm vorgelegte ausgekommen bist, kann ich mir denken. Erwiderungen der II. Sektion der Ober- Ich habe einmal ein Gespräch mit ihm ge- schulbehörde und Hoches auf diese Be- führt; dabei nannte er unseren allverehrten schwerden an den bürgerschaftlichen Aus- Professor Mumssen einen Schwätzer. Damit schuß weiter mit dem Bemerken, daß er die hatte ich genug. Was mir Professor Reins- fraglichen Beschwerden, wie die Oberschul- torff auf einer Philologenversammlung von behörde, für unbegründet erachte, lehnte dem Verkehr zwischen Hoche und den Leh- aber wiederholt die gewünschte Vorlage von rern erzählte, klang erschrecklich.“]. Ein Aktenmaterial der Oberschulbehörde aus Wunsch, in dem mehrere bürgerliche Mit- prinzipiellen Gründen ab. Schließlich be- glieder der Behörde mit mir zusammentra- dauerte die Bürgerschaft in einem Beschluß fen, ging dahin, das harte Regiment Hoches vom 29. November 1899, daß sie kein Ak- hie und da etwas zu mildern, insbesondere tenmaterial erhalten habe, das zu verlangen die Lehrer tunlichst gegen ihre nicht er- sie ihres Erachtens berechtigt gewesen wäre. wünschten Versetzungen an andere Schulen Im Uebrigen aber beschränkte sie sich auf zu schützen und geborene Hamburger ge- die Erklärung, daß ihr auch der Bericht der gen die oft wenigstens behauptete Zurück- Oberschulbehörde nicht zur vollständigen setzung hinter von auswärts Berufene. Sena- Widerlegung der erhobenen Beschwerden tor Stammann trat uns bei diesen unseren ausreichend erscheine. Nicht lange danach, Bemühungen auch keineswegs entgegen; im im Jahre 1900 ward der nunmehr fast 66jäh- Gegenteil war ihm solche Kontrolle nicht rige Schulrat Hoche auf seinen Antrag pen- unerwünscht. Auch wußte er Hoche, wenn sioniert und an seine Stelle trat der vortreff- dieser sich einen Uebergriff gegen uns er- liche Schulrat Brütt. laubte, in seine Schranken zurückzuweisen. ··································································· Doch der Unwille über das rücksichtslose »Civis academicus« – Vorgehen des Schulrats – „das System Ho- der (akademische) Bürger che“, wie man es nannte – wuchs mehr und ··································································· mehr. Es kam zu heftigen persönlichen An- Doch zurück in das Jahr 1873. Obwohl es griffen gegen ihn in der Bürgerschaft, die zu auf dem Papier noch bestand und eine Im- längeren Erörterungen zwischen einem von matrikulation möglich gewesen wäre, trat dieser eingesetzten Prüfungsausschuß und Werner von Melle nach dem Abitur nicht dem Senate führten. Es handelte sich dabei mehr in das Akademische Gymnasium ein um allerlei Beschwerden bezüglich der Be- – er hätte sonst vielleicht die Ehre gehabt, handlung einzelner die allerletzte Matrikel einer 270-jährigen [S. 78] Geschichte zu erhalten. Diese blieb jedoch Lehrer, über die Bewilligung oder Nicht- dem Altonaer Karl Christian Gottsche vor- gewährung von Stipendien und Freistellen behalten, der als letzter von 3.708 Studenten und überhaupt über ein rigoroses Vorgehen das große Kapitel mit seinem Eintrag am Hoches, wobei auch die freilich unzutref- 1. Mai 1873 abschloss.169 Gleichwohl erleb- fende, aber doch nicht uncharakteristische te von Melle noch als Primaner Momente Behauptung aufgestellt wurde, er habe ge- jener Gelehrtenkultur, die er nicht zuletzt sagt: „Ueber mir ist nur Luft.“ Der Senat in den etwas besser besuchten abendlichen

| 62 | (öffentlichen) und in den nicht öffentlichen den Briefen an seine Eltern akribisch hin- Nachmittags-Kursen beim dort lehrenden sichtlich aller Vor- und Nachteile von Pro- Historiker Adolf Wohlwill vorfand.170 „So vinz und Großstadt auswertete und ausführ- lernte ich denn bei einem Meldungsbesuche lich gegen die hamburgischen Verhältnisse in seinem Hause zuerst den liebenswürdigen abwog.176 Nach der in Göttingen erfolgten und bescheidenen Mann kennen“, erinnerte Promotion zum Doktor beider Rechte be- er sich, dessen Fähigkeit darin bestanden stand er im Oktober 1876 das juristische habe, durch „seine sorgfältig vorbereiteten Staatsexamen vor einer dreiköpfigen Prü- Vorträge […] bei vielen seiner Zuhörer den fungskommission des Oberappellationsge- historischen Sinn zu wecken gewußt“ zu richts in Lübeck. Die Zulassung zur Advo- haben.171 Seinen Dank für die erste Ein- katur war seit Dezember 1870 für Hamburg sichtnahme in Methode und Quellen histo- die notwendige Voraussetzung jeder juristi- rischer Forschung bei Wohlwill dokumen- schen Laufbahn, ganz gleich ob als Richter, tierte von Melle verschiedentlich,172 doch Staatsanwalt oder höherer Verwaltungsbe- wählte er nicht Geschichtswissenschaft zu amter – denn das Hamburgische Oberlan- seinem Studienfach, sondern die Jurispru- desgericht existierte noch gar nicht.177 Von denz. Mit diesem Studienziel vor Augen ver- Melle musste deshalb für das Lübecker Prü- lor er in Hamburg keine Zeit, sondern fungsverfahren eine Woche einplanen, denn schlug den klassischen Weg der Lehr- und auf die Einsendung eines kurzen Aufsatzes Wanderjahre eines Studenten der Rechte über ein selbstgewähltes, rechtswissen- ein. Die eingangs erwähnte Route lautete: schaftliches Thema hatte sich jeder Kandi- Heidelberg (SS 1873), Straßburg (SS 1874; dat an einem Montag bei der Prüfungskom- mit einem ,Militärdienst‘-Intermezzo), Leip- mission vorzustellen; er schrieb am Diens- zig (WS 1874/75), Göttingen (SS 1875– tag und Mittwoch je eine Klausur (dafür WS 1875/76) und – nach einem Abschied war der gesamte Tag zwischen 9 und 9 Uhr „mit Achtung aber nicht mit Rührung“173 – möglich), hatte den Donnerstag zur freien im Sommer 1876 wieder Einlauf in den Verfügung und wurde am Freitag zwischen ,Heimathafen‘ Hamburg. 12 und 15 Uhr mündlich geprüft.178 Damit ··································································· hatte der 23-Jährige seine juristische Ausbil- Zusätzlich zu den juristischen Vorle- dung innerhalb von drei Jahren abgeschlos- sungen belegte der junge civis academi- sen. In hanseatischer Kaufmannstradition cus174 Veranstaltungen in der Literatur- und folgte ein Auslandsaufenthalt (in Liverpool Kunstgeschichte sowie Philosophie und Ge- und London), bevor sich von Melle als Ad- schichtswissenschaft. Ausgestattet mit den vokat in seiner Heimatstadt selbstständig Empfehlungsschreiben (einflussreicher) Ver- machte. Ein Eintrag im Verzeichnis Staats- wandter und Bekannter175 besuchte der angehörigkeitsaufsicht A I e 40 Bd. 10 Bür- aufgeschlossene Student Professoren- und gerregister 1876‒1896, L–Z (Staatsarchiv Kaufmannshäuser, gesellige Zirkel, Kultur- Hamburg) dokumentiert die dafür nötige und Theaterveranstaltungen und machte Grundvoraussetzung, die bis 1896 ,erkauft‘ auch außerhalb der Universität ,Prominen- werden musste: „5886 Dr. jur. Werner von ten‘ seine Aufwartung. Er sammelte in den Melle | Datum des Erwerbs des Bürger- verschiedenen Städten Eindrücke, die er in rechts: 30. 6. 1876.“

| 63 | ··································································· Mentalitäten und Gepflogenheiten kennen- Ortswechsel zulernen, um eine für das spätere Leben ··································································· nützliche Weltläufigkeit zu erlangen und Nimmt man eine Biographie zur Hand, so um möglichst viel des Investierten und Ein- richtet sich die berechtigte Neugier eher auf gesammelten zum Besten der Stadt nach den eigentlichen Wirkungsradius einer ein- Hause zu bringen. Der Zusammenhang ge- drucksvollen Persönlichkeit (öffentlichen wisser Hamburger Berufs- und Gesellschafts- Interesses) als auf die Details vorbereitender strukturen erklärt sich am besten über das, Phasen. Diese lassen sich im Fall eines civis was sich dem Außenstehenden naturgemäß academicus der ,klassischen‘ Universitäten entzieht und außerhalb Hamburgs irgend- des 19. Jahrhunderts gemeinhin deshalb – wo in Übermut und Albernheit der jungen wie im vorigen Kapitel – als geraffte Jahre zwischen Bierseligkeit und Ehrgeplän- Marschroute von Ausbildungsstationen ab- kel anzusiedeln ist, worin Rollen, Sprech- handeln, weil bei Leserin und Leser unge- weisen, Regeln, Codes eingeübt werden und fähre ,Kenntnisse‘ über den üblichen Studi- für ein Leben lang Bestand haben, sofern enverlauf entweder aus eigener Anschauung niemand die Fäden kappt. Den studenti- oder durch Berichte Dritter vorausgesetzt schen Verbindungen (farbentragend, schla- werden dürfen. Doch ein Kratzen an der gend oder keines von beiden), die ursprüng- Oberfläche gerade solcher formelhaften lich landsmannschaftlich organisiert waren, (Ge-)Schichten hat so manches Mal erst ver- kam hierbei, auch für die spätere Karriere, mutete Zusammenhänge bestätigt oder un- im 19. Jahrhundert eine besondere Bedeu- erwartete Verbindungslinien zum Vorschein tung zu. gebracht, die neuen Aufschluss über Alt- ··································································· bekanntes ermöglichen. Zu diesem Zweck Werner von Melle wurde in der kurzen könnte es sich als fruchtbar erweisen, an die- Zeit von drei Jahren an vier der im Durch- ser Stelle der Ordnungskoordinate ,Zeit‘ das schnitt von hanseatischen Studenten der Strukturierungselement ,Raum‘ hinzuzufü- Rechtswissenschaft bevorzugten Universi- gen:179 Zur Erschließung des Wirkungs- tätsorten immatrikuliert – was keineswegs raums ,Hamburg‘ nämlich bedarf es des ungewöhnlich war.180 Die gründliche Vor- Blickes auf andere Orte und die interaktiven bildung und seine persönliche Disposition Reflexe zwischen ihnen – und eben Ham- ermöglichten ihm, nicht nur als civis acade- burg. Denn so wie angehende Hamburger micus erfolgreich die ,Juristerey‘, sondern als Kaufleute immer schon ihre Stadt verlie- civis temporarius offenbar sehr intensiv auch ßen, war auch, wer ein Studium absolvieren die lokalspezifische Kultur und Sozialstruk- wollte, gezwungen, auszuziehen: da Ham- tur der jeweiligen Stadt zu studieren; die burg keine Universität hatte, blieb ohnehin Übersichtlichkeit der Orte tat ihr Übriges: keine Wahl. Ob Kaufmann oder Akademi- waren doch die Städte im Vergleich zu heu- ker, für beide ging es darum, den Horizont tigen Dimensionen kleiner, die Schichten zu erweitern, die Persönlichkeit durch neue exklusiver, die Kulturträger überschaubar, Begegnungen in neuen Umgebungen zu bil- die Namen bekannter, die Informationsflut den, das Urteilsvermögen zu schärfen, Kon- noch beherrschbar. Da er finanziell hinrei- takte zu knüpfen, andere Sprachen, andere chend ausgestattet, gut vorbereitet, infor-

| 64 | miert und bestens eingeführt war, bewegte zu einem besseren Verständnis der intellek- sich der Student also im Sinne eines kalku- tuellen Deutungsrahmen, die er zu erkun- lierten Risikos in der Fremde in recht abge- den begann. Die vielen Namen sind hier sicherten Verhältnissen. also eher als Stellvertreter für semantisch- ··································································· diskursive Felder zu verstehen, sie bezeich- Wie aber kam es dann zur Ortswahl? Ein nen die Koordinaten für den Stand einer Ranking der 21 Universitäten des Deutschen Disziplin und der allgemeinen politischen Reiches gab es im heutigen Sinne nicht, oder gesellschaftspolitischen Diskussionen wohl aber Schwerpunkte und, abgesehen in den von Melle angestrebten Tätigkeitsbe- von den unabhängigen Landesuniversitä- reichen. Ähnlich stellvertretend erfüllt schon ten, ein nach Reichsgründung großflächig das ,name dropping‘ seiner Jugenderinne- von Preußen aus kontrolliertes Wissen- rungen mehrere Funktionen: zum einen schaftssystem. Wollte man eine interne Rang- wird rein berichtend gezeigt, von welch be- folge aufstellen, so kämen als Kriterien für deutenden Persönlichkeiten ein (Hambur- den Ortsentscheid etwa in Betracht: 1.) Zeit/ ger) Jura-Student im letzten Drittel des 19. Dauer/Tradition (Heidelberg/Leipzig) vs. Jahrhunderts unterrichtet und ausgebildet Innovation und Aufschwung (Straßburg), wurde. Zugleich färbt der Glanz der Namen 2.) Ortszuschnitt: kulturelle Metropole vs. auf den Erzähler selbst ab. Er, als der viel beschauliche Kleinstadt, 3.) Lehrerpersön- Jüngere, der naturgemäß den größten Teil lichkeiten (das galt vor allem für die soge- seiner Professoren überlebt hat, konnte ge- nannten ,Pandektisten‘181), 4.) Traditionen lassen und in aller Bescheidenheit darauf des heimischen Umfeldes / der Geselligkeit. hinweisen, ihnen als (nahezu) namenloser Gerade was den letzteren Punkt betrifft, Student persönlich begegnet und von ihnen lässt sich über die Hamburger (vor allem wahrgenommen worden zu sein, bevor sie in Juristen) sicherlich sagen, dass sie sehr klar der Funktion von Gastdozenten Jahrzehnte zu bestimmten Orten tendierten, so auch später seiner offiziellen Einladung nach Werner von Melle: Für seine Promotion Hamburg folgten, die von ihm aus der Rolle entschied er sich wie viele Jurastudenten für eines Amtsträgers der Stadt ausgesprochen Göttingen. Göttingen und Heidelberg wa- wurde. Dass er, als Senator und Bürgermeis- ren besonders beliebt „nicht nur wegen der ter der Freien und Hansestadt Hamburg so- hervorragenden Rechtslehrer, sondern auch wie als ,Gründer‘ ihrer Universität selbst zu deshalb, weil hier keine schriftliche Disser- höchstem Ansehen gelangt, so zahlreiche, tation erforderlich war“.182 Was (und wer) für die deutsche Kulturentwicklung bedeut- sonst noch zur Entscheidungsfindung bei- same Menschen für das Wohl der Stadt und getragen haben mag, folgt für von Melle an der Wissenschaft bzw. Universität nicht al- Ort und Stelle. Dass das nächste Kapitel in lein zu gewinnen vermocht, sondern sie alle diesem Zusammenhang die (Lehrer-)Per- persönlich empfangen und auch in seinem sönlichkeiten so detailliert berücksichtigt, Hause bewirtet hat, mag Werner von Melle die der Student größtenteils doch nur für so (zu recht) mit stiller (und doch mitteilens- kurze Zeitspannen wie ein Semester erlebte werter) Genugtuung erfüllt haben. Hunder- und die deshalb kaum unmittelbar auf ihn te von Briefen, Autographen und signierten individuell hatten einwirken können, dient Kabinett-Porträtbildern dokumentieren es.183

| 65 | Und die Jugenderinnerungen bieten dazu mir besonders herzliche Grüße an Dich auf. den Kommentar. Dieser enthält noch dazu Ich wünsche Dir volle Gesundheit u. ein an einigen Stellen mehr oder weniger ver- heiteres FuchsSemester. steckte, autobiographisch motivierte Bot- Dein Onkel Ernst.185 schaften, die sich womöglich der eigenen ··································································· Situation verdanken, in der sich der Auto- Heidelberg: Universitätsstadt biograph Ende der 1920er Jahre befand, die (SS 1873) aber über die im Buch erwähnten konkre- ··································································· ten Individuen hinauszielen – etwa wenn Die älteste Universität Deutschlands, die der 75-jährige, nunmehr in den Ruhestand Ruperto Carola Heidelberg, war von jeher versetzte Verfasser das Porträt eines zu seiner Anziehungspunkt für Studenten aus Ham- Studienzeit damals 78-jährigen, noch im burg, von denen manche in die Burschen- Lehrbetrieb aktiven Professors in Leipzig schaft Frankonia186 oder in die Corps Vanda- mit einem Seitenhieb auf die offensichtlich lia und Guestphalia eintraten. 1868 beka- dahingehend veränderte Erzähl-Gegenwart men diese allerdings Konkurrenz in der versah: „Man dachte aber damals glückli- Hamburger Gesellschaft – einer sogenannten cherweise noch nicht daran, ihn, der eine der schwarzen, d. h. in den Anfängen weder far- ersten Zierden der Universität war, wegen bentragenden noch schlagenden, innerhalb seines Lebensalters ,abzubauen‘.“184 kürzester Zeit jedoch ziemlich einflussrei- ··································································· chen Verbindung.187 In dieser ,feinen Ge- München, 5. Mai 73. sellschaft‘ verbrachte Werner von Melle sein Lieber Werner! erstes Semester nicht nur gemeinsam mit Glück auf zur fröhlich betreten [!] Laufbahn weiteren Johannitern wie Wilhelm Danzel, eines deutschen Studenten. Gehst Du sicher Max Predöhl und Gustav Theodor Tes- und […] unbefangen auf ihr voran, so sam- dorpf; eine „Freundschaft fürs Leben“188 melst Du Erinnerungen, die Dein ganzes entwickelte sich vor allem zu dem (in Bre- künftiges Leben durchleuchten u. durch- men geborenen) Hamburger Johann Hein- wärmen werden. rich Burchard189, außerdem zu Carl von Deinem Wunsche zu genügen lege ich hier Holstein und Otto Hübener sowie zu Ru- eine Empfehlung an Geh. Rath Windscheid dolf Havenstein (dem späteren Reichsbank- ein, die Du mit freundschaftlichen Grüßen präsidenten), Georg Freiherr von Rheinba- von mir übergeben magst. ben (nachmalig preußischer Innenminister) Nach Deines Vaters Mitteilung schwankt er und Ernst Zitelmann (aus Bonn).190 Wie in Betreff einer Ortswahl für Dein Militär- andere Verbindungen und Studentenschaf- Jahr zwischen München u. Straßburg. Die ten tagten auch die beiden Hamburger Ver- Verhältnisse von Straßburg sind mir gänz- einigungen Frankonia und Hamburger Ge- lich fremd; über München habe ich mög- sellschaft in der ,Hamburger Stube‘ des be- lichst ausführlich berichtet. Daß wir uns rühmten Gasthauses Zum Roten Ochsen, das freuen würden, Dich ein Jahr lang in unsrer sich seit rund 175 Jahren im Besitz der Fami- Nähe zu haben u. den Aufenthalt hier Dir lie Spengel befindet. Unter den bis heute an gern angenehm machen würden, brauche holzvertäfelten Wänden hängenden, knapp ich nicht zu versichern. Tante Agnes trägt 400 gerahmten Bildern (Fotos, Zeichnun-

| 66 | Kramer, Michaellis, v. Holstein, Hübener, Cuntz, O. Lahrmann, von Melle, Dreves, Müller, Lange, Würzler, Gösch, Burchard

Hamburger Gesellschaft SS 1873 – im Ausschnitt: Werner von Melle (Mitte) mit einem Füllhorn hinter Lahrmann (links) und Dreves (rechts)

| 67 | gen und Lithographien), ergänzen drei ge- gemaltem Hintergrund: in der Natur und diegene Foto-Arrangements aus verschiede- vor der verblichenen Kulisse des Heidelber- nen Jahren plastisch von Melles Schilderun- ger Schlosses.193 gen der legendären Aktivitäten, Ausflüge ··································································· und ausgelassenen Zusammenkünfte im Melle kneipte nicht nur, er wohnte auch traditionellen Kneiplokal: das erste aus dem direkt im Roten Ochsen in der Östlichen Jahre 1873 zeigt – Zufall? – 13 Jünglinge in Hauptstr. 89, bei besagtem „Gastwirth Spen- ikonographischer Abendmahl-Szenerie ,auf gel“.194 Er belegte Veranstaltungen bei dem der Kneipe‘; unter ihnen auch die oben er- bedeutenden Juristen Bernhard Windscheid wähnten Kommilitonen. Auf den Tischen (Pandektenrecht195), zu dessen Haus und so- stehen (nachkolorierte) Bierkrüge, auf dem genannter ,Pandektenbowle‘ ihm das im zi- Boden liegen zwei stattliche Hunde und am tierten Brief erwähnte Empfehlungsschrei- linken Tisch spielen Carl Kramer, Carl von ben seines Onkels Ernst Joachim Förster Holstein und Otto Lahrmann eine Partie Zugang verschaffte.196 Und er besuchte er- Skat, während der dahinter stehende Ferdi- wartungsvoll die hochfrequentierten Vorle- nand Michahelles ein beschriebenes Blatt sungen des 39-jährigen Historikers Hein- Papier in der Hand hält, das er zu redigieren rich von Treitschke – der kurz darauf einem scheint. Auffallend sind die beiden Trink- Ruf nach Berlin folgte –, von dessen Auftre- bzw. Füllhörner – in dieser Inszenierung als ten der Student jedoch zunächst enttäuscht Sinnbild von Wissenschaft und Muse? –, war: „Dazu trug zunächst seine Sprechweise von denen das eine bezeichnenderweise der bei. Sein Organ hatte einen dumpfen, we- in der Mittelachse des Bildes aufrecht ste- nig angenehmen Klang, und infolge seiner hende Werner von Melle in der Hand hält, starken Schwerhörigkeit stieß er zwischen während das zweite auf dem Tisch vor dem den Sätzen und den einzelnen Satzteilen, rechts außen sitzenden Heinrich Burchard wohl ohne daß er es selbst wußte oder ver- liegt.191 hindern konnte, eigentümliche Guttural- ··································································· laute aus, die sehr störend wirkten. Außer- Das zweite Bild zeigt ein Gruppenporträt dem befremdete mich der grimmige, ja ver- von 46 Mitgliedern zum zehnjährigen Stif- ächtliche Ton, mit dem er so vieles, was in tungsfest im Jahre 1878: es handelt sich um der deutschen Geschichte nicht preußisch eine Fotomontage aus Porträts auf gemal- war, zu behandeln liebte. Erst später, als ich tem Hintergrund, der (angedeutet) die Ost- die Gelegenheit hatte, seine Abschiedsrede fassade des Heidelberger Schlosses zeigt.192 in Heidelberg und einen feurigen Trink- Auch hier sind an typischen Kneipen-,Re- spruch beim Heidelberger Universitätsjubi- quisiten‘ zu sehen: Bierfässer, -Krüge und läum [1886] von ihm zu hören, hat mich die das Füllhorn. hinreißende Gewalt seiner patriotischen ··································································· Leidenschaft gepackt. Da vergaß man die Das dritte wurde 1886 anlässlich des 500- Eigenart und die Unebenheit der Sprache jährigen Jubiläums der Universität Hei- bei dem brausenden Donnerton, der über delberg angefertigt und zeigt wieder ein sie hinwegrauschte, da sah und hörte ein je- Gruppenporträt, diesmal von 75 (teils ein- der: Das war eine Kampfnatur, eine starke montierten) Mitgliedern und ebenfalls vor Persönlichkeit, der Mann, der das Wort ge-

| 68 | Stiftungsfest 1878 – im Ausschnitt: Werner von Melle (Mitte) zwischen den Brüdern Max (links) und Paul Crasemann (rechts unten) und Fr. Cuntz (rechts oben) sowie R. Hohnhof (links unten)

| 69 | Zum halben Jahrtausend 1886 – im Ausschnitt: Werner von Melle (Nr. 55) zwischen Th. Gruner (53), C. Kramer (56), E. Frhr. v. Wolf (52), C. Gösch (54), Paul Crasemann (61), F. Rötger (63), M. Mutzenbecher (69) – im Vordergrund ein Korb mit Bierkrügen und ein Füllhorn

| 70 | prägt hat: ,Männer machen die Geschich- witweten Historienmaler, Dichter, Kunst- te.‘“197 Melle hörte außerdem bei dem im schriftsteller und -historiker Ernst Joachim Jahr zuvor nach Heidelberg berufenen Phi- Förster201, Verfasser des zitierten Briefes, losophen Kuno Fischer ein Kolleg über Kant und die jüngere Susanne mit dessen Sohn und auch dessen öffentliche Vorlesung über aus erster Ehe: dem Oberstleutnant und Goethes Faust.198 Obwohl er nur ein kurzes Geographen Brix Förster. Sommersemester hier studierte, bewahrte er ··································································· sich an den semantisch aufgeladenen, auf- Für Straßburg sprach als Anlaufstelle die grund der langen Geschichte mythischen Familie des 1872 dorthin berufenen Onkels Studenten-Ort eine geradezu poetische Bin- mütterlicherseits, des schon mehrfach er- dung, die nicht zuletzt Ausdruck fand in wähnten Friedrich Heinrich Geffcken.202 seinem Artikel zum 500-jährigen Jubilä- Vielleicht gab der (Schul-)Freund Wilhelm um, der mit literarischen Reminiszenzen an Danzel, vielleicht auch die attraktive Auf- Goethe und die Romantiker (Tieck, Görres) bruchstimmung der zum nächsten Stu- einsetzt und gleichsam in einer Art ,Wort- dienort auserkorenen benachbarten jungen zauber‘ verharrt: „Ein Hauch der Romantik Reichsuniversität letztlich den Ausschlag für schwebt noch heute über dem alten Musen- die (väterliche?) Entscheidung für das seit sitze, und er ist es, der insbesondere die 1871 in Straßburg stationierte Schleswig- Söhne der Alma mater immer wieder von Holsteinische Ulanenregiment Nr. 15, in das neuem entzückt und begeistert.“199 Werner von Melle gemeinsam mit Wilhelm ··································································· Danzel am 1. Oktober 1873 eintrat. Aus dem In der Schwebe angedachten Jahr wurde für Werner von ··································································· Melle allerdings aufgrund schlechter ge- Der eingangs des Kapitels zitierte Brief von sundheitlicher Verfassung und einer Dienst- ,Onkel Ernst‘ an den Studienanfänger er- untauglichkeitseinstufung vom Oberstabs- weist einmal mehr die väterliche Fürsorge arzt nur eine kurze Episode, die dazu führte, Emil von Melles und legt darüber hinaus dass er schon im Sommersemester 1874 an nahe, dass auch die Wahl der Studienorte die Universität zurückkehren konnte.203 des Sohnes in enger Absprache mit dem Va- ··································································· ter, wenn nicht gar auf dessen Initiative er- Straßburg: Universität als folgte. Dieser hatte, wie im Brief geschildert, Experiment (SS 1874) noch im Frühsommer 1873 „in Betreff […] ··································································· für Dein Militär-Jahr“, das im Oktober be- Für einen Jura-Studenten bot die Univer- ginnen sollte, zwischen München und Straß- sität Straßburg zu dieser Zeit etwas im burg geschwankt.200 Zu diesem Schwanken Deutschen Reich Einzigartiges:204 die Schaf- trugen sicher auch familiäre Gründe bei. fung einer eigenen Rechts- und Staatswis- Für München sprach die Anbindung zu den senschaftlichen Fakultät führte zu einer durch literarisch-künstlerische Geselligkeit neuen und bald an verschiedenen Univer- ausgezeichneten Häusern der Schwestern sitäten nachgeahmten Verbindung des ju- Emil von Melles, also Werners Tanten: ristischen mit dem wirtschaftswissenschaft- Agnes war verheiratet mit dem vormali- lichen Bereich.206 ,Gründungsordinarien‘ gen Schwiegersohn Jean Pauls, dem ver- dieser Fakultät waren der Strafrechtler Karl

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Familienfoto 1913 in Starnberg: Goldene Hochzeit von Brix (5) und Susanne Förster (4) mit Clara Röpe (2), ihrem Bruder Matthias Mutzenbecher (11) und Toni Mönckeberg geb. von Melle (24)205

Binding (nach einem Jahr allerdings schon recht inne hatte.“207 Von Melle besuchte er- wieder wegberufen nach Leipzig) „und der neut ein Kolleg zum Pandektenrecht (bei Kirchenrechtler Rudolf Sohm, die beide aus Albert Koeppen) und hörte Vorlesungen Freiburg kamen, [Heinrich] Brunner als über das Verhältnis von ,Staat und Kirche‘ Vertreter des Faches Deutsches Recht, der bei seinem Onkel Geffcken, dessen beson- zuvor in Prag war, die Pandektisten Albert dere Mischung aus Gelehrsamkeit und jour- Koeppen aus Würzburg und Franz Peter nalistischer Begabung – die in den vielen Bremer aus Kiel, der Prozeßrechtler August Aufsätzen und tagespolitischen Stellung- Sigmund Schultze, vorher Richter in Straß- nahmen in Tagespresse und Zeitschriften- burg, der Staatsrechtler Paul Laband aus Kö- wesen, etwa in den Preußischen Jahrbüchern, nigsberg, Friedrich Heinrich Geffcken […], zutage trat – er bewunderte: „Selten ist mir der Völkerrecht und Finanzwissenschaft las, in meinem Leben jemand begegnet, der sowie Friedrich-Theodor Althoff, der ein über ein so umfangreiches und ihm stets Extraordinariat für französisches Zivilrecht, präsentes Wissen verfügte“ und „eine glän- Römisches Recht und preußisches Land- zende Feder führte“.208 Nicht minder beein-

| 72 | Werner von Melle als Ulan in Uniform

| 73 | druckt zeigte sich der Student von den Kol- ten verleugnete, wenn das begriffliche Sys- legs der jungen Professoren (beide Jahrgang tem dafür keine Systemstelle vorsah. Was 1838) Paul Laband über Privatrecht und die gesellschaftliche Ordnung als Rechts- Gustav Schmoller zur Volkswirtschaftslehre. wirklichkeit anzuerkennen hat, werde dem- Labands wissenschaftlicher Ausgangspunkt nach nicht von Rechtsbegriffen bestimmt, war die deutsche Rechtsgeschichte, zu der sondern umgekehrt: die Begriffe seien Ab- zunächst das Handelsrecht hinzutrat, wäh- leitungen der ,Wirklichkeit‘ des Rechts, ent- rend später das Staatsrecht zu seinem ei- sprechend sei der seinerzeit herrschenden gentlichen Arbeitsgebiet wurde. Sein Haupt- Auffassung von Rechtswissenschaft als ge- werk – Das Staatsrecht des Deutschen Reichs schlossenem begrifflichem System entge- (1876–1882, 4 Bände) – war zwar 1874 noch genzuarbeiten. Jherings 1868 in diesem nicht geschrieben (auch die einflussreiche Sinne folgerichtig aufgeworfene Frage seiner juristische Fachzeitschrift Archiv für öffent- Wiener Antrittsvorlesung: Ist die Jurispru- liches Recht gründete er erst zehn Jahre spä- denz eine Wissenschaft?, dürfte durch die ter), aber die Grundzüge seiner ,juristischen Entwicklungen der Folgejahre als positiv be- Methode‘ zeichneten sich schon 1870 in der antwortet gelten: In Orientierung an der Abhandlung Das Budgetrecht nach den Be- Entwicklung im Zivilrecht gehörte allen stimmungen der Preußischen Verfassungsur- voran Laband zu denjenigen, die als selbst- kunde unter Berücksichtigung der Verfassung beschreibende Reflexionsebene logisch-for- des Norddeutschen Bundes und 1873 im Fi- maler System- und Begriffsbildung auch nanzrecht des Deutschen Reichs ab. Es ist da- für das Strafrecht eine juristische Methode von auszugehen, dass von Melle wie in an- konzipierten (wie in anderen positivistisch deren Fällen diese und weitere prominente ausgerichteten Wissenschaften jener Zeit Schriften studiert hat, bevor er die Veran- eine Art Zauberwort).212 Indem sie für die staltungen besuchte, die den Methoden- Rechtsdogmatik des 19. Jahrhunderts zum wandel von der früheren ,Historischen Garanten von Wissenschaftlichkeit wurde, Schule‘ zum Wissenschafts- und Gesetzes- eröffnete die universitäre Ausbildung auch positivismus sowohl im Zivil- als auch im den Rechtsstudenten den Schritt von einer öffentlichen Recht der Zeit nachvollzo- praxisbezogenen Rechtsgelehrsamkeit hin gen.209 Mit den auf dem Gebiet richtung- zu einer Schulung in autonomer Rechtswis- weisenden Schriften von Rudolf von Jhering senschaft.213 setzte sich von Melle im Vorfeld interessiert ··································································· auseinander, etwa mit der aktuellen Ab- Ähnlich wie Laband war Schmoller, der handlung über den Kampf um’s Recht (1872), bislang mit seinen Forschungen zu Grund- aber auch mit dem Geist des römischen Rechts problemen der Gewerbepolitik und neuar- aus dem Jahre 1858,210 dessen zweiter Teil als tigen Ansichten zur sogenannten Arbeiter- „wohl bekannteste[s] literarische[s] Mani- frage hervorgetreten war, in Straßburg als fest deutscher Begriffsjurisprudenz“211 zu ei- Gründer des staatswissenschaftlich-statisti- ner ,Theorie der juristischen Technik‘ gilt schen Seminars214 eine kommende Größe und einem ,Cultus des Logischen‘ Einhalt der historischen Nationalökonomie. Im gebot, der die rechtliche Relevanz prakti- Sommersemester 1874 hatte er sein Haupt- scher Ungereimtheiten und Ungerechtigkei- werk noch nicht geschrieben, er steckte al-

| 74 | lenfalls in den Vorbereitungen zu einer (zwei Einkommensverhältnissen und gegen den Jahre später gegründeten und bald führen- extremen ,Manchesterliberalismus‘, ande- den) Reihe Staats- und sozialwissenschaftliche rerseits an die Historiographie nach einer Forschungen; Herausgeber des einflussrei- Sozialgeschichtsschreibung, die Bildungs- chen Jahrbuchs für Gesetzgebung, Verwaltung stand und Entwicklung von Talenten inner- und Volkswirtschaft im Deutschen Reich (1871 halb einer Klasse nicht als Ursache, sondern unter anderem Namen gegründet von Franz als Ausdruck der sozialen Zustände aufzu- von Holtzendorff, das ab 1913 offiziell fassen habe –, provozierten Treitschke zu ei- Schmollers Jahrbuch hieß) wurde er ebenfalls ner harschen Reaktion im selben Blatt: erst 1881 – doch nutzte er dieses Jahrbuch Seine Polemik Der Socialismus und seine schon früher selbst als Publikations-Platt- Gönner 219 unterstellte Schmoller Ansätze form, etwa für eine sowohl hier als auch in zum Umsturz der bestehenden Sozialord- den Preußischen Jahrbüchern ausgetragene nung und verwahrte sich gegen das Über- heftige Kontroverse mit Treitschke, die Wer- greifen der Nationalökonomie auf das Feld ner von Melles Aufenthalt in Straßburg der Geschichtswissenschaft. Daraufhin druck- überdauerte und ihn vermutlich sehr inte- te das Jahrbuch für Gesetzgebung, Verwaltung ressierte, da hier um sozialpolitische The- und Volkswirtschaft im Deutschen Reich men gerungen wurde, die in seinem Eltern- Schmollers Offenes Sendschreiben an Herrn haus seit längerem aufmerksam verfolgt Professor Dr. Heinrich von Treitschke: über wurden. Auch Vater Emil von Melle hatte zu einige Grundfragen des Rechts und der Volks- dem geladenen (erweiterten) Kreis der sozi- wirtschaft 220 – in dem er ein starkes Plädoyer alpolitisch engagierten akademischen Na- für die schrankenziehende Funktion von tionalökonomen, Beamten, Publizisten und Recht, Sitte und ethischen Grundsätzen im Journalisten gehört – aufgrund der vielen Wirtschaftsleben angesichts einer so „stür- Professoren ,Kathedersozialisten‘ genannt –, mischen Entwicklung von Technik, Ver- die sich 1872 in Eisenach zur Besprechung der kehr, Banken, Arbeit, Fabrikwesen und der socialen Frage versammelten.215 Eröffnungs- damit einhergehenden entsprechenden Ge- redner (oder vielmehr: Programmredner216) setzgebung“ hielt.221 war der liberal-konservative Schmoller. Er ··································································· wurde in der Folge zu einem der engagier- Schmoller war in Straßburg freilich nicht testen Mitglieder des aus der Versammlung der einzige Lehrende, der mit seiner Arbeits- hervorgegangenen, 1873 gegründeten Ver- weise zwischen Nationalökonomie, Rechts- eins für Socialpolitik, der sich bald zum füh- und Staatswissenschaften sowie Geschichte renden Fachverband der deutschsprachigen Disziplingrenzen überschritt, teils auch ein- Nationalökonomen entwickeln sollte.217 In ebnete. Ein weiterer war der mit Schmoller Fortführung dieser Bestrebungen stand befreundete Germanist Wilhelm Scherer. auch Schmollers Anfang 1874 in Berlin ge- Gemeinsam mit seinem Freund, dem Jo- haltener und in den Preußischen Jahrbüchern hanniter Philipp Strauch, der bei Scherer abgedruckter Vortrag über Die sociale Frage studierte, besuchte von Melle neben zahlrei- und der preußische Staat.218 Die in ihm ent- chen Hörern aus allen Fakultäten voller Be- haltenen Forderungen – einerseits an den geisterung die unkonventionell und unter Staat nach sozialen Reformen, gerechteren wirtschafts- und sozialgeschichtlicher Per-

| 75 | spektive vorgetragene deutsche Literatur- ··································································· geschichte des jüngsten und bald Furore Die Folge daraus sei – und dies ist eine der machenden Professors Straßburgs.222 Aufre- meistzitierten Aussagen über Textinterpre- gend war nicht nur dessen Versuch, ökono- ten – bildlich gesprochen: „Alle Anhänger mische Theoreme der Produktionslehre als eines Propheten spalten sich in Secten; die Erklärungsmuster für die Entwicklung der Secten bekämpfen sich; und im Kampfe Poesie fruchtbar zu machen (,Logik des werden die Unterscheidungslehren das Tauschhandels‘ als Erklärung zur Wertent- wichtigste, während das Andenken des Pro- wicklung; ,Angebot und Nachfrage‘ als pheten selber verblaßt. Nun denn: jeder Rahmenbedingung individueller Bewusst- Philolog ist eine Secte für sich. […] Nie hat seinsbildung), sondern auch der noch unge- ein Schriftsteller eine so bunte Jüngerschaar wohnte, streng wissenschaftliche Umgang gehabt wie Goethe. […] Kein Wunder, daß mit der Gegenwartsliteratur, den von Melle die Meinungen dann weit auseinanderge- eigens hervorhob. Überzeugend und inspi- hen, daß jeder seinen eigenen Goethe hat rierend müssen auch auf angehende Juris- und daß diese mehreren Goethes die aller- ten, Philosophen und Historiker die Aus- verschiedensten Gesichter zeigen und die al- führungen zur Notwendigkeit einer, analog lerverschiedensten, manchmal wunderbars- zu den Naturwissenschaften zu entwickeln- ten Dinge verrichten.“224 Über Methode den, spezifisch ,philologischen Methode‘ für und Geschäft der Philologen (bzw. der Text- das „Verständniß geistiger Erscheinungen“ interpreten allgemein) hinaus reflektierte gewirkt haben. Für sie (die Erscheinungen) Scherer außerdem in seinen literatur- und könne es per se „keine exacte Methode“ ge- wissenschaftsorganisatorischen Betrachtun- ben, betonte Scherer, denn hier gäbe es gen die offizielle Erwartungshaltung an die „keine Möglichkeit unwidersprechliche Be- Hochschullehrer und deren, an der Univer- weise zu führen; es hilft keine Statistik, es sität wie in der Forschung, real zu erbringen- hilft keine Deduction a priori; es hilft kein den und erbrachten Leistungen. Dabei ging Experiment. Der Philolog hat kein Mikro- er von empirischen Befunden aus und stellte skop und kein Scalpell; er kann nicht ana- hinsichtlich des sich fortentwickelnden Fä- tomisiren, er kann nur analysiren. Und er cherkanons bildungspolitische Überlegun- kann nur analysiren, indem er sich assimi- gen an, die auch von Melle während seiner lirt. Aber die Assimilationsfähigkeit der Studienzeit immer wieder beschäftigen soll- Menschen hat tausenderlei Abstufungen, ten: und so kann ein Poet auf eben so viele Ar- ··································································· ten verstanden werden, als er Menschen um „Der Gang unserer nationalen Bildung hat sich versammelt. Ein jeder findet in ihm et- dem Professor die Pflicht auferlegt, Lehrer was anderes; zu jedem spricht er eine beson- und Redner, Forscher und Schriftsteller zu dere Sprache; jedem theilt er Geheimnisse sein: er vereinigt in sich nicht weniger als mit; und vielleicht jeder wird von ihm un- vier Berufe: müssen sich diese nicht gegen- wissentlich belogen: wie sollen sich diese seitig stören? Ist nicht z. B. die mangelhafte dann unter einander einigen, wenn sie ihre schriftstellerische Fähigkeit so vieler tüchti- wirklichen oder vermeintlichen Kenntnisse gen Gelehrten eine handgreifliche Folge da- austauschen?“223 von? Wie selten kann ein Professor die

| 76 | glückliche Concentration des Dilettanten Leesen227 verbrachten, Straßburger Semes- erlangen, die Versenkung in den Gegen- ters wohnte von Melle in der Reichsstrasse 13, stand, das Aufgehen in den Sachen, das die III. Et.228 und pflog geselligen Umgang au- Phantasie gefangen nimmt und alle seine ßer im anregenden Geffcken’schen Haus Kräfte dem einen Zwecke dienstbar macht, auch – auf Empfehlung seines Vaters – – wenn er innerhalb zweier oder dreier Jahre im Schmoller’schen.229 Die in den ersten über alle Theile seines Faches Vorlesungen Semestern seit Gründung der ,Reichsuni- und Uebungen halten muß, die natürlich versität‘ an Zahl noch überschaubaren Stu- dem neuesten Stande der Forschung ent- dierenden wurden gemeinsam mit ihren sprechen sollen! Dennoch, wie die Dinge Lehrern zu Zeugen der experimentierfreudi- einmal liegen, können sich die Universitä- gen, vergleichsweise noch transparenten Or- ten den Aufgaben nicht entziehen, welche ganisation eines in mehrfacher Hinsicht un- ihnen durch die Wandlungen unseres öf- ter besonderen Bedingungen institutionell fentlichen Lebens immer neu gestellt wer- erst im Entstehen begriffenen, auf verschie- den. Daß der philologische Betrieb der denen Ebenen neu geordneten wissenschaft- neueren Literatur dazu gehört, ist nicht lichen Kosmos.230 Insofern bot sich hier die mehr Gegenstand der Discussion. Die maß- einmalige Chance, an ,geistig‘ neukonzi- gebenden Unterrichtsverwaltungen deut- pierten wie an räumlich und materiell sich scher Nation scheinen darin einig“, denn: erst entwickelnden Seminaren gleichsam im „Alle Gründe, welche für den Betrieb der mehrfachen Sinne Machart und Werden modernen politischen und der modernen universitärer ,Architektur‘ zu studieren. Kunstgeschichte angeführt werden können, ··································································· sprechen auch für den Betrieb der neueren Leipzig: Universität in der Stadt Literaturgeschichte“.225 (WS 1874/75) ··································································· ··································································· In diesem energetischen Umfeld moderner Im Wintersemester 1874/75 wechselte der Wissenschafts- und evolutionärer Disziplin- Student nach Leipzig an die Alma Mater auffassungen, die ,geistvoll‘ und „mit star- Lipsiensis. Die 1409 gegründete und damit kem Temperament“, gelegentlich sogar „in drittälteste Universität des Deutschen Rei- Hemdsärmeln und offener Weste“ von ei- ches wurde erst um 1850 von den Ham- nem „jugendfrischen“ 33-jährigen Professor burger Rechtsstudenten ,entdeckt‘. In den vorgetragen wurden,226 genoss von Melle 1870er Jahren waren an der Juristenfakultät eine Aufbruchstimmung, von der die Kom- mit ihren je neun ordentlichen und außer- militonen, die er hier kennenlernte, ebenso ordentlichen Professoren mehr Studierende fasziniert waren wie er; dazu gehörten unter als in Berlin und in München eingeschrie- den Nachwuchswissenschaftlern Rudolf ben.231 Hier traf von Melle wieder auf be- Henning und – als kongenialer Schüler und kannte Gesichter aus Hamburg und Heidel- Nachfolger Scherers – der mit Melle gleich- berg: auf Max Predöhl und Gustav Tesdorpf, altrige Erich Schmidt. Otto Krogmann, Heinrich Jaques, Ferdi- ··································································· nand Wulff und auf den Frankfurter Medi- Während dieses, gemeinsam mit den be- zinstudenten Otto Fester, auch er ein Mit- freundeten Wilhelm Danzel und Paul von glied der Hamburger Gesellschaft.

| 77 | ··································································· Reichsgründung mit Veröffentlichungen – Über Akzente der dortigen juristischen beispielsweise zur Vereinheitlichung eines Ausbildung geben nicht nur die Namen von Strafgesetzbuchs für den norddeutschen Bund renommierten oder sich gerade etablieren- (1869) – hervorgetreten und hatte im Vor- den Rechtslehrern Auskunft, prägend dürf- feld, mehr noch seit der Veröffentlichung ten auf das rechtsstaatliche Verständnis der der StPO verschiedentlich auch öffentlich (daran interessierten) Studenten auch die Stellung zu dem von ihm als „Stück- und justizpolitischen Debatten gewirkt haben, Flickwerk“ kritisierten Gesetz bezogen. Zwar die in den 1870er Jahren auf Reichsebene erkannte er an, dass das Gesetz die Errun- den Wechsel von dem tradierten Rechtssys- genschaften von Öffentlichkeit und Münd- tem zu einer kodifizierten Rechtsordnung lichkeit des Verfahrens, von Geschworenen- durch eine entsprechende Reichsjustizgesetz- gerichten und der gestärkten Stellung des gebung vorbereiteten. Des Studenten Auf- Angeklagten berücksichtige, bemängelte merksamkeit wurde hier besonders auf zwei aber, dass doch nur eine „häßliche Bastard- Bereiche gelenkt: zum einen auf das Straf- form“ zwischen Inquisitions- und moder- recht, vertreten von Karl Binding, der erst im nem Parteienprozess234 dabei herausgekom- Jahr zuvor von Straßburg nach Leipzig be- men sei. rufen worden war; bei ihm absolvierte von ··································································· Melle ein strafrechtliches ,Praktikum‘,232 das Der zweite Leipziger Rechtsschwerpunkt, er rückblickend den Vorwehen zur (1877 dem sich Werner von Melle zugewandt hat- verkündeten und 1879 in Kraft getretenen) te, war das Kirchenrecht, das vor dem Hin- Strafprozeßordnung (StPO) zuordnete. tergrund des seit 1871 ausgetragenen ,Kul- ··································································· turkampfes‘ ebenfalls von aktueller Brisanz In modifizierter Form gilt diese erste mo- war. Er hörte die beiden prominenten Kir- derne reichsweite Kodifikation des Strafver- chenrechtler Otto Stobbe und Emil Fried- fahrensrechtes übrigens bis heute; sie hatte berg, letzterer seines Zeichens seit 1864 He- den formalen Ablauf von Strafverfahren im rausgeber der Zeitschrift für Kirchenrecht. gesamten Deutschen Reich zu regeln und Friedberg war maßgeblich an der Ausarbei- zu gewährleisten, dass es am Ende zu einem tung der Kirchengesetze von 1872 beteiligt gerechten, meint: fairen, Urteil kommen und hatte die 1873 publizierte Schrift Die konnte. In einem mehrjährigen Findungs- preußischen Gesetze über die Stellung der Kir- prozess, der sich ziemlich genau über den che zum Staat verfasst. Ausgerechnet im Zeitraum von von Melles Ausbildung er- Wintersemester 1874/75 bot er allerdings zu streckte, wurden unter Berücksichtigung von Melles Bedauern ,nur‘ Veranstaltungen der unterschiedlichen Gesetze der Einzel- zu dem (den Studenten gleichwohl interes- staaten die seit 1873 vorgelegten (und teil- sierenden) Handelsrecht an. Bei dem „größ- weise veröffentlichten) Entwürfe in den ver- ten lebenden Juristen“237 Carl Georg von schiedenen Gremien zwischen Reichstag, Waechter, der – inzwischen 78-jährig – noch Bundesrat und Justizkommissionen heiß immer in Leipzig Straf- und Pandektenrecht diskutiert und bis Anfang 1877 mehrfach er- lehrte, studierte von Melle zwar nicht, er- heblich überarbeitet.233 ,Rechtsprofessor‘ lebte ihn dafür aber im privaten Rahmen Binding war diesbezüglich schon vor der und bei einem der „von Studenten gerühm-

| 78 | Besuchte Veranstaltungen der Leipziger Juristenfakultät im WS 1874/75: Einträge mit Zeitangaben aus dem Vorlesungsverzeichnis …235

257. | von Melle […] Pandecten practicum, Prof. Dr. Müller Deutsche Staats- u. Rechtsgeschichte, Handels-, Wechsel- u. Seerecht, Prof. Dr. Friedberg Kathol. u. evangel. Kirchenrecht, Prof. Dr. Stobbe Deutsche Strafprocesse [Kolleg], Prof. Dr. Binding

… und aus dem sogenannten ,Sittenzeugnis‘ 236

| 79 | ten, aber etwas steifen ,Champagnerdiners‘“, zu dem ihm das vom Hamburger Ober- gerichtsrat Hermann Baumeister, einem Schwager von Waechter, ausgestellte Emp- fehlungsschreiben den Zutritt verschaffte.238 ··································································· Vor allem aus Werner von Melles Schil- derungen der Studienzeit geht hervor, dass die eingangs erwähnte panoramische Fähig- keit mit einer hohen Empfänglichkeit und einem früh schon ausgeprägten Sinn für die Form korrespondierte. Die an privatem Vorbild – am Beispiel eines formbewuss- ten und im Auftreten würdevollen,239 rede- gewandten und schreibenden Vaters, eines diplomatisch tätigen, wissenschaftlich wie journalistisch publizierenden Onkels (Geff- cken), einer poetisch begabten Mutter, einer in Kunstdingen bewanderten Großmutter, einer großstädtischen Theaterkultur – he- rangebildeten Stilvorstellungen wurden in den von ihm besuchten Schultypen offenbar so kultiviert und geschärft, dass von Melle gar nicht umhin konnte, auch im Studium die Vermittlungsformen und (performativ Babette von Melle, geb. Victor, im Alter eingesetzten) Medien des Wissens aufmerk- sam zu registrieren und brieflich zu rekapi- konnte. Doch warum eigentlich gerade an tulieren. Die Kunst der Rede und Deklama- einem Kunsthistoriker? Nun, wie schon an- tion, kurz: das alte Ideal der ,Beredsamkeit‘ gedeutet, machte von Melle an allen Stu- (heute eher: Rhetorik), war freilich wesent- dienorten Gebrauch von dem Privileg des licher Bestandteil des juristischen Berufs- alten deutschen Universitätssystems, in an- bildes – und wurde (im besten Fall) in der dere Fakultäten und vor allem: in sich neu Ausbildung erlernt. Darüber hinaus berück- formierende Disziplinen ,hineinschnup- sichtigte aber von Melle für seine gelunge- pern‘ zu dürfen: nach Philosophie und Ge- nen Fingerübungen in klassischer, litera- schichtswissenschaft (Heidelberg), Natio- rischer Charakterisierungskunst mannig- nalökonomie und deutscher Literaturge- fache weitere Phänomene von Text, Schrift, schichte (Straßburg) erkundete er in Leipzig Sprachstil (schriftlich und mündlich) über das noch im Werden begriffene Fach Kunst- Stimme, Körperbeherrschung bis hin zum geschichte.240 In gewisser Weise agierte er sinnvollen ,Medieneinsatz‘ im Unterricht, ganz im Sinne seiner „unermüdlich nach wie er es beispielsweise an dem Leipziger dem Wahren, Edlen und Schönen streben- Kunsthistoriker Anton Springer studieren den“,241 belesenen, kultivierten und weitge-

| 80 | reisten (Italien!) Großmutter Babette He- in der Schriftstellerei machen ließen: Die lene Henriette von Melle, die am 19. Januar Döringfeier in Leipzig sandte er unaufgefor- 1875, also noch vor Ablauf des Leipziger Se- dert an den Hamburgischen Correspondenten mesters, in ihrem 75. Lebensjahr starb: „Ihr und sah sich kurz darauf (mit der Chiffre müßt, wo ihr könnt, Kunst sehen“, überlie- „M.“) im Feuilleton „zum ersten Male ge- fert der Enkel Ihre eindringliche Mahnung: druckt“, was noch dazu versüßt wurde „Nur dadurch gewinnt ihr mit der Zeit ein durch ein „mir natürlich nicht unwillkom- selbständiges Urteil und wahre Freude an menes Honorar“ und die Anerkennung sei- echter Kunst.“242 nes Vaters.245 ··································································· ··································································· Als Professor für die Geschichte der Mitt- Noch eine andere (anekdotische) Berüh- leren und Neueren Kunst vertrat Springer, rung mit Literatur verdankte von Melle der der ebenfalls vorher in Straßburg unterrich- Buchstadt Leipzig, in der neben der Univer- tete, das neue Fach in Leipzig seit 1873 und sität und dem Buchhandel nicht nur die sorgte vor allem durch neue Methoden für durch den Kaufleutestand betriebene Biblio- frischen Wind. In einer Zeit, in der zu An- philie und Sammelleidenschaft von Kunst schauungszwecken üblicherweise gedruckte florierten. Hier lebte auch der Germanist, Abbildungen im Auditorium von Hand zu Kulturhistoriker und vielgelesene Autor des Hand gingen, fiel seine abweichende Unter- bürgerlichen Realismus, Gustav Freytag, richtspraxis allein schon durch den ge- dem der Studiosus seine Aufwartung mach- schickten Einsatz lebensgroß projizierter te. Der liberale Journalist, ehemalige He- Lichtbilder in einem „aufgetreppten Hör- rausgeber der Grenzboten und zwischen saal der medizinischen Fakultät“ aus dem 1870 und 1873 Mitarbeiter der Nachfolge- akademischen (Demonstrations-)Rahmen – Zeitschrift Im neuen Reich – der Wochen- was der Student interessiert vermerkte.243 schrift für das Leben des deutschen Volkes in ··································································· Staat, Wissenschaft und Kunst –, in der gele- Studienzeit ist nicht nur eine Zeit des gentlich auch Emil von Melle publizierte,246 Empfangens, sondern auch des Ausprobie- war gleichzeitig mit Letzterem nationallibe- rens. In der von geistiger und kultureller raler Reichstagsabgeordneter gewesen. Mit Vielfalt geprägten Atmosphäre in Leipzig einem Empfehlungsschreiben seines Vaters erwachte in dem 21-jährigen von Melle ein ausgestattet,247 hatte Werner von Melle al- Ausdrucksbedürfnis, das er durch private lerdings nicht allzu viel Chancen, mehr über Korrespondenz offenbar nicht mehr in einer den berühmten Zeitgenossen zu erfahren, ihm selbst genügenden Weise befriedigen denn Freytag, der „nach allen Seiten hin konnte. So war es diese Stadt, waren es die seine kulturhistorischen Fühler“248 auszu- im ,Olymp‘244 erlebten, großstädtischen Kon- strecken schien, nutzte seinerseits recht un- zert- und Theaterveranstaltungen (nicht so geniert die Gelegenheit, den jungen Han- sehr das Publikum, das er im Vergleich zu seaten so intensiv nach seinen Vorfahren in Hamburger Verhältnissen eher als provin- Hamburg und Lübeck auszufragen, dass zu ziell beurteilte), war es vielleicht sogar die dessen Vergnügen im studentischen Freun- Freiheit der Fremde, die Werner von Melle deskreis die sichere Überzeugung entstand, zur Feder greifen und seine ersten Schritte Freytags berühmter Generationen-Roman-

| 81 | zyklus Die Ahnen – die ersten Bände waren als ,primitiv‘. Dafür brachte ihn die zuwei- gerade erschienen – würde schließlich auf len ungewollte Situationskomik dazu, sich Werner von Melle zulaufen …249 brieflich in stilistisch schmissigen und wit- ··································································· zigen Schilderungen zu ergehen. Hier ein In der nach Abschluss des Semesters gezo- Beispiel für eine der typischen Szenerien: genen Bilanz hielt zwar die Kaufmannsstadt „Da nicht so gut gespielt wird, daß irgend Leipzig letztlich dem Vergleich zur Freien jemand wirklichen Kunstgenuß daran ha- und Hansestadt Hamburg nicht stand; über ben könnte, so sind der Lärm und die lau- die Geselligkeit der ,ersten Kaufmanns- ten Unterbrechungen der Schauspieler ganz kreise‘ urteilte der junge Kaufmannssohn amüsant. Verspricht sich einer, wird lebhaft denn auch etwas distanziert: „Leipzig ist geklatscht; tragische Stellen werden mit ei- doch furchtbar kleinstädtisch, und diese nem mitleidigen ,Oh, oh!‘ begleitet, bei Kreise sind trotz ihrer Theater- und Kon- langweiligen Persönlichkeiten heißt es: ,Ab- zertabonnements nicht sehr angeregt.“250 schwimmen!‘ usw.“252 Die Ausnahme bestä- Doch konnte wiederum Hamburg in einer, tigt bekanntlich die Regel, und von Melles schon dem Studenten wichtigen Sache nicht Urteil über die Göttinger Schauspielkunst mithalten: im Stolz über die Blüte einer kommt durch nichts deutlicher zum Aus- Universität. Als für die Leipziger undenkbar druck als durch die beiden folgenden Sätze berichtet von Melle, was für Hamburg über in Reaktion auf ein Gastspiel aus Hannover: eine lange Dauer galt: dass „man von kauf- „Zum erstenmal eigentlich in Göttingen männischer Seite das Vorhandensein einer fühlte ich mich als gebildeter Sohn des 19. Universität in einer großen Handelsstadt für Jahrhunderts, als ich nach beendigter Vor- überflüssig oder gar für schädlich erachten stellung mein Opernglas ins Etui steckte. Es könne“.251 war der erste schöngeistige Genuß.“253 ··································································· ··································································· Göttingen: Stadt in der Göttingen war also gerade das rechte Universität (SS 1875–WS 75/76) Umfeld, um zu ernsthaftem Lernen überzu- ··································································· gehen. Werner von Melle arbeitete nach ei- Von der pulsierenden, aber doch im End- genen Angaben tagsüber in seiner ,Bude‘ in effekt als „furchtbar kleinstädtisch“ erlebten der Weender Straße oder in der Bibliothek, Großstadt Leipzig ging es für Werner von Ablenkung und Entspannung fand er mit- Melle zum Abschluss des Studiums, d. h. für tags oder abends nach 22 Uhr in vertrauter ein Jahr zum ,Pauken‘ schließlich in die Runde beim Bier (zum Erstaunen des Ham- beschauliche Wissenschaftsstadt Göttingen burgers aus Flaschen, nicht vom Fass), denn mit ihrer Garantie auf nicht allzu viel verlo- zur selben Zeit studierten hier auch einige ckende Ablenkung. Aus Sicht des stolzen Mitglieder der Hamburger Gesellschaft: die Städters mit den berühmten Namen Lessing Brüder Max und Paul Crasemann – mit und Friedrich Ludwig Schröder im (Thea- Letzterem, dem jüngeren Paul, schloss von ter-)Rücken und unter dem frischen Ein- Melle enge Freundschaft –, Carl von Hol- druck von Glanzmomenten der Leipziger stein, Paul von Leesen, Robert des Arts so- Bühne fand von Melle für den hiesigen wie Hermann Ludwig Wilhelm Rettich, de- ,Tempel der Kunst‘ keinen anderen Begriff nen sich einige andere Hansestädter aus

| 82 | Lübeck und Bremen anschlossen – darunter das tut, ob für sich allein, ob mit Kommili- Clemens Buff254 und Henry Theodor Hen- tonen oder in einem Privatrepetitor, ist seine schen, mit dem von Melle über einen lan- Sache.“257 Hierin komme die so segensrei- gen Zeitraum gemeinsam ,repetierte‘.255 che akademische Freiheit – mit all ihren Ri- Zum regelmäßigen Rhythmus der Lernen- siken258 – zum Ausdruck. den gehörte das Kneipenleben mit Ausflü- ··································································· gen in ,Bierdörfer‘ und am späten Sonntag- Dass es für von Melle auch im juristischen vormittag ins ,Bierkonzert‘ im Wirtshaus Bereich auf sprachlichen Stil ankam, zeigt oder im Garten, von dort aus zog man di- sein Brief an den Vater, in dem er über den rekt ins Theater. In von Melles Schilderun- „hervorragenden Vertreter des Handels- gen von universitärer Praxis und Habitus rechts, Johann Heinrich Thöl“, der „als ge- der Lehrenden sind es wieder die mit präg- borener Lübecker ein besonderes Interesse nantem Strich erfassten markanten Eigen- und Verständnis für hanseatische Rechtsfra- schaften wie auch die Nebenschauplätze, gen besaß“,259 berichtete: in Thöls Handels- welche die differenzierte Aufnahmefähigkeit recht komme „eine Unzahl Sätze“ vor, „de- und einen in Beobachtung und Reflexion ren Stil haarsträubend ist“. Überhaupt sei es geschulten Blick offenbaren. Ging es in die- unbegreiflich „wie wenig Leute einen ver- ser späten Studienphase in erster Linie um nünftigen Stil“260 schrieben und wie viele das zielgerichtete Stofflernen, so scheint „ihre schöne Muttersprache mißhandel- doch der Student keine Gelegenheit ausge- ten“.261 Hiervon hebe sich dagegen wohltu- lassen zu haben, fürs Leben zu lernen, Cha- end der unangefochtene „Meister“ (auch des raktere zu studieren, sich Gedanken um deutschen Stils) Rudolf von Jhering ab, eine sprachlichen Stil, um Betrieb und Organi- „geistsprühende“ Persönlichkeit, ein großer sation des Studiums, um Sinn und Unsinn Gelehrter und „im besten Sinne des Wortes eines Repetitoriums zu machen. Das Repe- ein produktiver Jurist“, bei dem von Melle titorium, das von Melle besuchte, veranstal- (allerdings ,nur‘) hospitierte.262 Besagte tete Professor Wolff, den von Melle in einem Briefe geben darüber hinaus auch kulturhis- Brief an seine Eltern als „kleines Männchen torisch und ,praxeologisch‘ interessanten mit schiefen Beinen, großem Kopf, buschi- Aufschluss sowohl über Routinen des Lehr- gen Augenbrauen und maliziösem Aus- betriebs der Zeit (etwa das „diktierte Vor- druck“ beschreibt; er galt ihm aber auch als lesungsheft“ von Gustav Hartmann) oder Ab- „geistreichen Kerl, sehr interessant“. Man weichungen bzw. Neuerungen desselben (dass lerne etwas bei ihm und zwar nicht nur Exa- z. B. Studenten, statt sich selbst zu melden, menswissen, „sondern überhaupt juristi- von dem Dozenten aufgerufen wurden und schen Geist“.256 Den Sinn des Repetitori- das Halten von Plädoyers und Verfassen von ums sah von Melle nicht in dem erstmaligen Urteilen – ähnlich wie in heutigen Seminar- Erlernen des Stoffes, sondern in dessen Auf- veranstaltungen – einzuüben hatten).263 frischung. Deshalb hielt er es auch nicht für ··································································· richtig, wie andere meinten, das Repetito- Das beigefügte Abgangszeugnis listet fünf rium in das Universitätsstudium zu inte- besuchte Veranstaltungen auf, darunter grieren: „Gelerntes repetieren wird mehr Straf- bzw. Kriminalrecht bei Karl Ziebarth oder weniger jeder Student müssen. Wie er und Reichs- und Staatsrecht bei Georg

| 83 | Mejer, bei dem von Melle seine Kenntnisse verwahrte Geldsumme, an die sich niemand vertiefen konnte; ergänzt um die zeitlichen erinnert, so dass das Geld herrenlos gewor- Angaben aus den Vorlesungsverzeichnissen den ist.‘ Ausgangspunkt der Überlegungen inklusive hospitierter Vorlesung bei Jhering von Melles war die von ihm erkannte, an ergibt sich so etwa folgender ,Stunden- Beispielen demonstrierte Vieldeutigkeit des plan‘:264 juristischen Schatzbegriffes. Er stellte fest, ··································································· dass selbst in juristischen Texten teilweise SS 75 der Begriff ,Schatz‘ so unscharf verwendet Jhering, Rudolf von würde, wie es sich aus dem allgemeinen Institutionen und Geschichte des Sprachgebrauch ergebe. Zur Lösung des röm. Rechts Problems bot von Melle Kriterien an, die er- | 5x wöchtl. von 9–11 Uhr füllt sein müssten, um von einem Schatz Thöl, Johann Heinrich sprechen zu können. Die Durchführung er- Handelsrecht und Wechselrecht folgte auf Grundlage breiter historischer | 5x wöchtl. von 7–8 Uhr und rechtsvergleichender Untersuchungen Hartmann, Gustav (Römisches und gemeines Deutsches Recht) Theorie des Civilprocesses einerseits und der konkreten Überprüfung | 4x wöchtl. von 5–6; der lexikalischen Deutungsebene – d. h. der Mi von 4–5, 5–6 Uhr am ,Wortlaut‘ orientierten – andererseits. Ziebarth, Karl Am Ende lautete das Fazit dieser systemati- Gemeines deutsches Criminalrecht sierenden ,Schatz‘-Suche, dass für die Ver- | 6-std. 11 Uhr wendung auch im juristischen Verständnis WS 75/76 nicht ein grundlegender, der Definition in Mejer, Georg den Pandekten entsprechender, als Regel zu Deutsches Reichs- und Staatsrecht bezeichnender Begriff vorliege, von dem | 5x wöchtl. von 12–1 Uhr265 Abweichungen die Ausnahmen markierten, Ziebarth, Karl sondern dass die festgestellten Unterschiede Deutsches Strafrecht in den „allgemeinen Grundsätzen“ zu su- | 4-stg. 4 Uhr chen seien – eine implizite Aufforderung an Hartmann, Gustav die Rechtswissenschaft, die so hervorgetre- Civilprocesspracticum tenen Lücken zu schließen.267 Die Qualität | Mo u. Do von 4–6 Uhr der Dissertation mag hier dahinstehen; of- ··································································· fenbar hielt der Verfasser die Arbeit selbst Obwohl sie in Göttingen keine Vorausset- nicht für so bedeutsam, dass er sie in Druck zung für die Promotion war, legte von Melle gab – die Statuten schrieben das ohnehin zum Ende seines Studiums eine Disserta- nicht vor. Das 50 Seiten umfassende und tionsschrift vor. Ihr Titel lautet Zur Lehre mit Randbemerkungen der Gutachter ver- vom Schatz. Der Begriff des Schatzes wird in sehene handschriftliche Original wird als den Pandekten so definiert: „Thesaurus est Teil des gesamten Promotionsvorgangs im vetus quaedam depositio pecuniae, cuius Göttinger Universitätsarchiv verwahrt.268 non extat memoria, ut iam dominum non Enthalten sind in ihm auch die Doktor- habeat“266, zu deutsch: ,Ein Schatz ist eine urkunde und der lateinische Doktoreid, mit

| 84 | Sommer 75 Handels= u Wechselrecht bei GJR Thöl, der Civilproceß bei GR Hartmann, gemeines deutsches Criminalrecht bei Professor Ziebarth Staatsrecht bei GJR Mejer, Winter 75/76 das Civilproceß=Praktikum bei GJR Hartmann,

Abgangszeugnis mit den von Werner von Melle belegten Veranstaltungen im SS 1875 und WS 1875/76

| 85 | Promotionsschrift: Titelblatt und erster Satz

| 86 | Schriftprobe mit gutachterlichem Bleistift-Vermerk: „Woher hier die Theilung zu gleichen Theilen kommen soll, sehe ich nicht ein!“

| 87 | (Lateinischer) Doktoreid und Doktorurkunde (Ausschnitte)

| 88 | dessen Unterzeichnung Werner von Melle Melle zur praktischen Umsetzung führte: am 17. Juni 1876 nach erfolgreich bestande- Unvorbereitet und direkt am Folgetag der ner mündlicher Prüfung – feierlich in Verteidigung traf der nämlich auf den ,ei- „Frack und weiße[r] Halsbinde“269 – vor ei- gentlichen‘ Schatz seines Lebens in Gestalt ner fünfköpfigen Kommission unter dem der ersten Gratulantin – und damit fand Vorsitz von Dekan Jhering gewissermaßen eine jener vorerwähnten ,Kinderlieben‘ ihre den Schlussstrich unter sein Studium zog. Fortsetzung.274 Nach dem Muster der kon- ··································································· trafaktischen Imagination drängen sich un- Schatzsuche(r) willkürlich Fragen des „was wäre wenn“ auf: ··································································· was, wenn Emmy Kaemmerer nicht am „Wie wir Deutschen im allgemeinen unser Fenster des Göttinger Hotels Gebhardt ge- Wort ,Schatz‘ gebrauchen, um etwas Werth- standen hätte, in dem sie zufällig mit ihrer volles, Theures“ – jemand hat hinzugefügt: Mutter Zwischenstation gemacht hatte, und „Liebes oder Süßes“ – „im weitesten Sinne an dem Werner von Melle just vorbeikam; zu bezeichnen, so hatte auch bei den Rö- was, wenn Werner von Melle – im Hoch- mern der Ausdruck ,thesaurus‘ eine ziem- gefühl seiner erfolgten Promotion und voll lich vielumfassende Bedeutung.“270 Dieser freudiger Überraschung über ein bekanntes Einstiegssatz der Dissertation provozierte Gesicht – nicht übermütig in das Haus ge- Karl Ziebarth bei von Melles offizieller Auf- stürmt wäre; was, wenn sich die beiden erst wartung (mit Zylinder!) zu dem überliefer- wieder im normalen Alltag Hamburgs be- ten Ausruf: „Sie sind also der Meinung, daß gegnet wären – hätten sie sich dann ,er- schon der alte Römer zu seiner Geliebten kannt‘? Oder bedurfte es dazu des ,Settings‘ sagte: ,O thesaura!‘“. Das hatte von Melle al- eines dritten Ortes, einer ,Fremde‘, die die lerdings nicht behauptet, wie er eigens an- vormals Bekannten gleichsam im ersten merkte,271 doch ließ auch er sich nicht in Moment zu Vertrauten werden lässt? Solche einem Brief an seine Eltern den verlocken- nüchternen Fragen sind natürlich müßig den Reiz der Doppeldeutigkeit des Wortes angesichts einer oftmals so viel romantische- entgehen: „Mein Thema wird ,der Schatz‘ ren Wirklichkeit. Werner von Melle jeden- werden“, hatte er geschrieben, und gleich falls beschrieb ein halbes Jahrhundert später hinzugefügt: „natürlich nicht im schönsten noch gerührt dieses Ereignis so: „Entzückt Sinne des Wortes, als Bezeichnung eines von dem liebreizenden Bild […], wie über- weiblichen Wesens, sondern im streng juris- haupt das mich so freudig überraschende tischen.“272 – Doch mit der „recht trocke- plötzliche Zusammentreffen mit ihr, gerade nen Arbeit“273 war das Thema noch nicht er- in einem für mein Leben so wichtigen Zeit- ledigt, denn bekanntlich erzeugt das Leben punkt, ist mir hernach noch oft als ein be- zuweilen die schönsten Pointen: Wie das sonders glückverheißendes Omen erschie- Studium insgesamt die theoretische Vorbe- nen. Aus den ersten lebhaften Empfindun- reitung auf die praktische Berufsausübung gen für sie […] erwuchs später in Hamburg sein sollte, so möchte man fast meinen, dass eine innige Liebe, die bei ihr eine ebenso erst die theoretische Erfassung des (zumin- herzliche Erwiderung fand. Das Glück, das dest im Titel so poetisch vielversprechend sie dem jungen Doktor in Göttingen als ers- angelegten) Doktor-Themas Werner von ter persönlicher Gratulant aus der lieben

| 89 | Emmy Kaemmerer (Mitte/Ende der 1870er Jahre)

| 90 | Heimat gewünscht hatte, ward so – sie möglich, daß ich bis zum Februar in Eng- selbst.“275 Dieser zukunftsträchtigen Kreu- land bleibe, jedoch ebenso möglich, daß ich zung von Lebenslinien folgte jedoch zu- Weihnachten in Hamburg feiere. nächst ihr Auseinandertreten: Hatte von Ich darf sagen, daß der mir väterlicherseits Melle noch während seiner Ausbildung von gewährte Aufenthalt in fernem Lande nicht dem etwas älteren und entsprechend früher vergeblich gewesen ist, indem ich in der examinierten Johann Heinrich Burchard ei- Lage bin, recht fließend Englisch zu spre- nen Brief aus Cherbourg (Normandie) er- chen und mit einer gewissen Leichtigkeit halten, der vom glücklichen Aufenthalt „in englische Briefe zu schreiben. Ich liebe Eng- fernem Lande“ (Großbritannien) mit er- land, seine Bevölkerung und seine Sitten wünschtem Erfolg berichtet, … und Eigenthümlichkeiten sehr und habe ··································································· mich rasch eingelebt. […] Mein lieber Werner, Mit herzlichen Gruße in treuer Freund- […] Ich habe in letzter Zeit wenig oder gar schaft Dein Nichts von Hamburg gehört, abgesehen von Burchard276 den Briefen meiner Eltern, weiß deßhalb ··································································· auch nicht, ob Du in Hamburg oder in Göt- … war nun die Reihe an ihm: Er bestieg tingen bist, ob P. von Leesen zur Advocatur ein Schiff und setzte über nach Großbritan- zugelassen ist oder noch nicht u.s.w. Von nien – den ,verengländerten‘ Hamburgern Carl v. H.[olstein] habe ich seit Jahrhunder- von jeher sehr vertraut277 –, um seine Kennt- ten kein Wort gehört; wo er ist, was er ist, nis der englischen Sprache zu vertiefen, das was er treibt, Gott weiß es. […] Eine düs- englische Recht und die britische Handels- tere Ahnung sagt mir, daß er seine blühende geschichte kennenzulernen. Mit der letzten Jugend in Göttingen verpaukt. […] Etappe der bis dahin so vorbildlich ausge- Daß ich Dir von hier aus schreibe und nicht stalteten ,Bildungsstationen‘ bewegte sich von Fowey, hat seinen Grund. Du wirst sa- Werner von Melle in ähnlichen Bahnen wie gen, der Grund ist, weil ich Fowey verlassen 30 Jahre zuvor sein Vater Emil, der „nach habe. Exactly that. Jedoch nur für kurze Erlernung des kaufmännischen Geschäfts- Zeit. Der Grund ist folgender: Der Schwie- betriebs […] behufs seiner ferneren com- gervater meines clergyman besitzt eine Yacht. merziellen Ausbildung, 1843 und 1844 in […] Diese Yacht ist ein reizendes Segelboot, London, sodann bis zum Herbst 1846 in 60 tons groß, bemannt mit einem Capitain New York“ verweilte.278 und 4 Matrosen, ist allerliebst eingerichtet ··································································· und wie geschaffen für Ausflüge von einigen Liverpool/London Wochen. […] ··································································· Daß ich in Schottland für fast 3 Wochen Dr. Rud. Moenckeberg war, hast Du möglicherweise gehört. Es ist Hamburg schön, aber kostspielig. Mehr will ich darü- 5. 12. 76 ber nicht sagen, indem ich nicht die Absicht Mein lieber Werner, habe, eine Reisebeschreibung zu ediren. | Du hast einen doppelten Anspruch auf mei- Wann ich nach Hamburg zurückkommen nen Dank – einmal für die freundliche werde, ist nicht bestimmt. Es ist nicht un- Gratulation [zur erfolgreichen Übernahme

| 91 | der Vertretung der Berlin-Hamburger Ei- das Salz auf die Butter, mit der uns die tüch- senbahn-Gesellschaft279], andrerseits für das tige Kuh Advocatur versorgt. famose Bild aus der vielgeliebten Studien- Auch weiß ich den Satz von der Bedeutung stadt. Wie sehr ich noch immer für Hei- des Unterrocks in der Weltgeschichte viel zu delberg schwärme, sagt mir jeder Augen- gut zu würdigen, um nicht die wenigen zar- blick, wo ich meine alte Roßhaarbude pho- ten Verhältnisse, die mir die Heimat be- tographirt betrachte + es war wahrlich eine schieden, zu cultiviren. nette Idee von Dir mir diese Erinnerung Ad notam gutes Verhältniß – was ist das mit zu verschaffen, wenn ich auch an die an- den beiden Töchtern, od. wie gebliche „Vergeßlichkeit“ nicht glaube, die Du sonst willst? Dich erst post festum damit herausrücken Bitte laß Dich von Deinem Solicitor einmal ließ. | über die Spontalien nach englischem Rech- Deine freundlichen Grüße aus Liverpool te instruiren; versuche anstatt mit den Un- freuen mich um so mehr, als ich erfahre, daß tiefen + Haverein der Meerfahrt, diejenigen es Dir gut geht + Du Dich nach Kräften in des Verhältnißes der beiden schönen Ge- die Tiefen, resp. Abgründe sog. englischen schlechter in Dich aufzunehmen (das heißt Rechtes | versenkest. Es scheint Dir aber ge- ins Hirn, nicht ins Herz, + sei vorsichtiger glückt zu sein + das bleibt ja die Hauptsa- wie die Schlangen). che – „gieb mir sein Glück, das Andere will Dieses zu allen übrigen Genüssen der amü- ich wagen“ sagt Wallenstein od. Nathan der santesten Stadt der Welt Dir wünschend Weise od. sonst Jemand. Und wenn Du Dein viel geplagter meine bisherigen Erfahrungen in der Ham- Freund Moenckeberg281 burger Advocatur ansiehst, kannst Du ge- ··································································· trost dasselbe sagen. Erneut, diesmal sogar durch direkte Ver- Das bisschen Concurrenz hat meinen colle- mittlung, gaben verwandtschaftliche Bezie- gialischen Verhältnissen übrigens nicht ge- hungen den Ausschlag für die Wahl des Aus- schadet – Stammann invitirt mich soeben landsaufenthaltsortes für Werner von Melle. sogar zum Ball (– „ich spiel ihm auf “) + für Es war schon die Rede von der ,Verenglän- Heinsen habe ich nach wie vor eine kl. Lei- derung‘ des Hamburger Bürgertums, die denschaft. Wenn man bedenkt, daß er von nicht selten auch aufgrund der Handels- Berlin aus poussirt wurde, allein seiner und Bankhäuser in eine ,Verschwägerung‘ Tüchtigkeit + wissenschaftlichen Thätigkeit mit britischen Familien mündete. Werner auf Juristentagen usw., wegen, so könnte von Melles Großonkel Christian Wilhelm, man sagen victrix | Causa deis placuit sed der jüngste Bruder des Großvaters Theodor victa Catoni280 – womit ich übrigens nicht von Melle, dem er zunächst nach Hamburg sagen will, daß mir schliesslich die Götter gefolgt war, gehörte zu denen, die sich im nicht doch noch lieber wären als Cato. Bitte ersten Drittel des 19. Jahrhunderts als Kauf- bestelle aber auch meiner Tante gelegentlich leute in London niedergelassen haben und meinen Dank für ihren Glückwunsch! Die dort ein Geschäft und eine Familie gründe- freundliche Theilnahme intelligenter Frauen ten. Seine Witwe Caroline, eine geborene bringt ja den Schmalz der Poesie ins ge- Engländerin, lebte inzwischen in der Nähe schäftliche Leben, die Blume in den Wein + von Liverpool (Rockferry), wo ihr Sohn

| 92 | Charles ebenfalls kaufmännisch tätig war. Er Carl Johann Heinsen283 teilte. Die Frage war es denn auch, der 1876 seinem Neffen nach den „beiden Töchter[n]“ spielt auf das zweiten Grades als ,Volontär‘ eine Art vier- ,Ensemble‘ jener Pension an, d. h. genauer monatiges Praktikum bei der Firma Dun- und in von Melles Worten: „Ihre Inhaberin, can, Hill & Dickinson in Liverpool vermit- Mrs. Goodall, hatte zwei Töchter, Miß telte. Viel ,mitarbeiten‘ konnte Werner von Goodall und Miß Fanny, die als Kopistin- Melle freilich in der Kanzlei nicht, erstens, nen in einem Versicherungsbureau arbeite- wie er selbst einräumte, weil ihm die „Kennt- ten“, „Mrs. Goodall […] ist liebenswürdig nis des ganz eigenartigen und nicht kodifi- und sorgsam, und ihre Töchter, die etwa im zierten englischen Rechts“ fehlte, dann aber Anfang der 20er stehen, sind recht anzie- vor allem, weil die Firma offenbar doch ein hend, besonders Miß Fanny (übrigens ganz gewisses Misstrauen gegenüber dem Deut- ungefährlich).“284 Die Beschreibungen der schen hegte und ihm somit keinen Einblick typischen Tages-und-Abend-Abläufe in der in die ,Geschäftsgeheimnisse‘ gewährte. „So kauzigen Pension tragen romaneske Züge, beschränkte ich mich denn darauf, soweit so berichtet der Briefschreiber: „Abends bil- mir möglich, englisches Recht und engli- det sich ein großer Kreis vor dem Kamin. sches Gerichtsverfahren kennenzulernen Ehe ich mich jetzt zum Schreiben am Tisch und mich, nicht nur im Bureau der Solici- niedersetzte, streckten wir alle, also Mrs. tor-Firma, sondern auch anderweitig im Goodall, ihre Töchter, drei Pensionäre und Englisch-Sprechen und -Schreiben zu ver- dazu noch eine zufällig zum Besuch gekom- vollkommnen, sowie mich nach verschiede- mene Cousine, in verschiedenen Lehnstüh- nen Richtungen hin über englisches Leben len oder Sophas sitzend, dem Feuer unsere und englische Sitten zu orientieren.“282 Da- Füße zu, die die beiden kleinen Hunde, Jack für mietete er sich als sogenannter ,boarder‘ und Dandy, als willkommene Turnapparate in einer Familienpension ein, aus der er, zu benutzen pflegen. Jeder der Gesellschaft ähnlich wie zu Studienzeiten, launige und hat eine Zeitung oder ein Buch vor sich. Ge- gehaltvolle Briefe gen Heimat sandte – und legentliche Unterhaltung unterbricht das von dort empfing. Der oben zitierte fröhlich- Stillschweigen. Ein ergiebiges Thema für anzügliche Brief des befreundeten Rudolf solche sind die Hunde.“285 Hier werden pro- Mönckeberg ist einer von ihnen und vermit- tokollierte ulkige Einwürfe der eigenwilli- telt atmosphärisch einen Vorgeschmack auf gen britischen Damen eingestreut. – Die den Arbeitszusammenhang nach dem Aus- Erlebnisse des halben Jahres in den Jugend- landsaufenthalt. Von Melle konnte nämlich erinnerungen sind so lesenswert, aufschluss- zu seiner England-Exkursion in der freudi- reich, so amüsant arrangiert und geschil- gen Gewissheit aufbrechen, im Anschluss an dert, dass jede Nacherzählung Gefahr läuft, sie reibungslos und unter guten Bedingun- farbloses Echo zu werden; es folgen daher gen in die Hamburger Berufswelt zu starten, nur wenige Versuche, sie in Auszügen, hoch- da ihm Mönckeberg nach dem Examen das verdichtet und mit Anekdoten gespickt Angebot gemacht hatte, in der Anwaltspra- darzubieten. Die wie an anderen Stellen xis mitzuarbeiten, in die er sich mit einem auch hier eingewobenen Briefausschnitte an der bekanntesten Hamburger Anwälte, dem die Eltern enthalten von den mit gewohnt im Brief erwähnten, knapp 20 Jahre älteren sicherem Strich und situativ erfasster Komik

| 93 | reichenden Beobachtungen am abendlichen Gebaren der zum Gerichtsverfahren aus Kamin bis hin zu Schilderungen der Ge- London angereisten und in „langwallenden samtsituation interessante Einschätzungen schwarzen Mänteln und weißen Perücken“ über die rechtlichen, geschäftlichen, politi- auftretenden ,barristers‘ seiner effektvoll- schen und kulturellen Verhältnisse, über Bi- humoristischen Berichterstattung einen bliotheken, Versammlungswesen und Ver- echten Leckerbissen: „Die Gewänder waren kehr, Stadtbild und Soziales, Tagesausflüge freilich meistens recht abgeschabt, und die in Städte wie Chester und Manchester. Mit Perücken mit ihren drei steifen Lockenrei- professionellem Interesse wahrgenommene hen und dem obligaten Zopf hatten mit der Besonderheiten und Begebnisse luden von Zeit eine schmutziggraue Farbe angenom- Melle erzählerisch dazu ein, Teile des briti- men. Auch schienen ihre Träger nicht gro- schen Rechtssystems zu analysieren bzw. ßes Gewicht darauf zu legen, wie ihnen die- den Hamburger Adressaten zu erklären, so ser seltsame Schmuck auf dem Kopfe saß, zum Beispiel den Unterschied zwischen bei- und wie er zu ihrem Gesichte paßte. Braune den (bis heute bestehenden) Anwaltsformen und schwarze Haarbüschel guckten vorne (barristers, solicitors)286 oder das Gerichtsver- und hinten heraus oder auch an der einen fahren vom „Kriminalgericht der Assisen Seite, wenn die Perücke im Eifer der Unter- (Crown Court) wie in ihrem Zivilgericht haltung oder des Plaidoyers mit der Hand (Nisi Prius Court)“287. Dem scharfsichtigen nach der anderen Seite hinübergeschoben Beobachter, der an stilvolles Auftreten und wurde. Und manch dunkler Bart kontrastier- Beachten der Gesamtwirkung gewöhnt war, te merkwürdig mit dem grauen Haupt.“288 boten die nachlässige Amtstracht und das Auch hier genügten dem Wortjongleur die

Beginn des Assisen-Artikels: Hamburgischer Correspondent Nr. 302 vom 21. Dezember 1876

| 94 | Nachbarschaft „Im neuen Reich“: Scherers „Goethe-Philologie“ (links) und von Melles „Seeunfälle“ (rechts) privaten Briefe als Ausdrucksmedium nicht: suchung von Seeunfällen, die übrigens im Die Studien und Erfahrungen, die von selben Band erschien wie Wilhelm Scherers Melle auf der grünen Insel gesammelt hat, bereits zitierte Programmschrift Goethe- fanden literarischen Niederschlag in (kul- Philologie 291 – wurde Werner von Melle von turhistorischen) Aufsätzen289 und (wissen- seinem Vater unterstützt. Emil von Melle schaftlichen) Artikeln290. schrieb seinem Sohn nach anerkennender ··································································· Lektüre des Assisen-Aufsatzes folgenden klu- Nicht allein bei der Wahl von überregio- gen Rat ins Stammbuch: „Vermeiden mußt nalen Publikationsorganen wie der Zeit- Du aber, daß Zeitgenossen und Ältere etwa schrift Im neuen Reich – für seine Unter- ein Vordrängen, eine Anmaßung und ein zu

| 95 | großes Selbstbewußtsein, als meintest Du Thema zurückzukommen, den unschlagba- Besonderes zu bieten, aus ihnen folgern. ren Wert deutscher akademischer ,Freiheit‘: Nichts können die Leute weniger vertragen, „Das im Vergleich mit Deutschland weit ge- als wenn sie denken, daß jemand sich zu viel ringere Niveau der erzielten wissenschaftli- zutraue. Habe das Selbstbewußtsein, aber chen Bildung (das Ergebnis der sogenannten zeige es nicht – wer es zeigt, dem wird zur Gentleman-Erziehung), der schulmäßige Achillesferse, was ihm sonst Wappen und Aufzug des Ganzen mit seinen vielfachen Schild wäre.“292 Kontrollen der Studenten, die gemeinsamen ··································································· Wohn-, Schlaf- und Speiseräume in den ver- Ausser im Haus seiner Verwandten und schiedenen Colleges – das alles mußte den, deren Umfeld verkehrte von Melle in ,Ham- der den wissenschaftlichen Geist und die burger‘ Kreisen293 – der englischen Zweige akademische Freiheit der deutschen Univer- beispielsweise der Familien Sieveking294 und sitäten kennen und schätzen gelernt hatte, Mönckeberg: die von Rudolf im Brief er- befremden.“297 Von Oxford aus ging es für wähnte Tante war die in Liverpool lebende den letzten Monat zum Höhepunkt und Sophia Franziska, genannt ,Fanny‘ Kun- Abschluss des England-Aufenthaltes: in die hardt, die Schwester seiner Mutter Johanna Hauptstadt des britischen Empires, nach Louise. Ins gastfreundliche Haus des „dort London mit all seinen Sehenswürdigkeiten seit Jahren ansässigen Hamburger Ehe- und bemerkenswerten Institutionen. Von paar[s] Wilhelm Kunhardt und Fanny gebo- Melle berichtet von seinen Besuchen bei renen Schröder“295 wurde von Melle oft zu dem deutschen Botschafter Graf Georg abwechslungsreichen kulturellen (z. B. zu Herbert zu Münster und dem Generalkon- Leseabenden) und kulinarischen („Ham- sul Victor von Bojanowski, der ihn an einen burger Heißweck-Frühstück“) Zusammen- ,barrister‘ empfahl, um Einblick in die juris- künften gebeten. Seinen Eltern schrieb er tischen Institute (Gefängnisse etc.) nehmen kurz vor seiner Abreise: „Gestern Abend ver- zu können. Das klassische Touristen-Pro- abschiedete ich mich bei Kunhardts. Beide gramm schloss die Besichtigung der Parla- waren ungeheuer herzlich. Es tut mir leid, mentsgebäude in Westminster (House of dies freundliche und angenehme Haus zu Commons, House of Lords), der Museen, verlassen, in dem ich zuletzt fast wie ein na- Galerien und üblichen Sehenswürdigkeiten her Verwandter verkehrte.“296 wie London Bridge, Strand, Viadukte, die ··································································· zu der Zeit ungeheuer eindrucksvolle ,un- Den Bericht über die sich daran anschlie- derground railway‘ (zum Vergleich: die Ham- ßende Stippvisite in dem „poesiedurchwo- burger U-Bahn wurde erst 1912 in Betrieb bene[n] Traumbild aus dem Reiche der Ro- genommen) und royale Wohnsitze ein: „Bei mantik“, soll heißen: in der altehrwürdigen einem Besuch in Windsor, dem Lieblings- Universitätsstadt Oxford, wo er Colleges be- schloß der Königin, sah ich auch Her Gra- sichtigte und ein Bier kostete, „das eine cious Majesty, als sie gerade von London aus köstliche Blume hatte, wie sie mir sonst nie eintraf.“ Doch der erhebende Eindruck vorgekommen ist“, nutzte von Melle, um blieb aus und wich der Ernüchterung – la- nach eingehender Beschäftigung mit dem konisch vermeldet der Berichterstatter: „Sie englischen Universitätssystem auf sein altes sieht aber sehr gewöhnlich aus.“298 Konzert-

| 96 | und Krankenhäuser wurden besichtigt, die Schottland und Irland)303 und Anfang 1886 berühmten Kirchen und Parks und natür- verbrachte er einige Zeit in Berlin bei sei- lich das pulsierende Wirtschaftszentrum der nem Bruder Erwin, der am Polytechnikum Stadt: „Als Hanseaten interessierte mich be- Architektur studierte.304 sonders der Londoner Hafen mit seinen ··································································· durch Schleusen abgeschlossenen Bassins – Die daraus entstandenen Publikationen, ein Beispiel, das erfreulicherweise in Ham- die wie kleine Marksteine den Pfad säumen, burg nicht nachgeahmt ist – und der Admi- den von Melle zurücklegte, führen fort, was rality Court, wo ich einen der angesehensten schon die Briefe über die Art seines Vorge- Richter, Sir Robert Philimore mit großer hens und sein geistiges Koordinatensystem amtlicher und persönlicher Würde fungie- erkennen lassen. Mit prüfendem Blick sam- ren sah.“ Über seine Eindrücke aus dem melte und ordnete der Reisende eine Fülle Kulturleben, insbesondere der besuchten von Informationen zu einem Panoramabild, Theater berichtete von Melle ebenfalls und vor dessen Hintergrund sich erst ortskenn- hob verschiedene Stücke, einzelne Textpas- zeichnende Charakteristika, Desiderate oder sagen aus ihnen, Inszenierungen, Schauspie- ,interlokale‘ Ähnlichkeiten ausmachen lie- ler und deren Schauspielkunst (als zuweilen ßen. Die dafür geeigneten und bevorzugt etwas „overdone“) in ähnlichen Statements begutachteten ,Leitmotive‘ – Beredsamkeit, wie diesem hervor: „Der etwas derbe, uns (Re-)Präsentation, Politik, Nationalcharak- Niederdeutschen nicht unsympathische eng- ter; Wirtschaft, Handel, Verkehr; Architek- lische Humor, den wir ja schon bei Shake- tur, technische Modernität, Tradition; Kultur speare finden, zeigte sich auch in der Bur- und Universität; Identität und Bewerbung/ leske ,Trial by Jury‘, die ich im Strand-Thea- Reklame – dienten von Melle im steten Ver- ter sah.“299 gleich zu den deutschen, insbesondere den ··································································· Alles in allem scheint für Werner von Melle nach den akademischen Studien in den deutschen Universitätsstädten Heidel- berg, Straßburg, Leipzig, Göttingen mit ih- ren je unterschiedlichen Traditionen, Men- talitäten und Themenspektren die Auszeit eines in Großbritannien selbstbestimmten ,Studiums‘ von fremder Sprache, Rechtswe- sen, Land und Leuten eine an Erfahrungen und überhaupt (lehr-)reiche gewesen zu sein. Vergleichbare Bildungsreisen, die er größtenteils publizistisch verarbeitete, un- ternahm er nachfolgend nur noch in gerin- gerem Umfang: im Herbst 1879 beispiels- 300 weise für einen Monat nach Paris, 1884 in Politik der lauten und leisen Töne – Beginn des die Niederlande301 und nach Wien302, 1890 Artikels über englische Politik-Verhältnisse: nochmals nach Großbritannien (England, Hamburgischer Correspondent Nr. 172 (22. Juli 1877)

| 97 | Österreichisches Gerichtsverfahren, Skizze III: Hamburgischer Correspondent Nr. 344 (11. Dezember 1884)

Hamburger Verhältnissen dazu, diese ins waren zu der Zeit laut Adressbuch knapp rechte Licht zu setzen. Von Melles Sache war 100 eingetragen).305 Seine Städtetour durch die gründliche ,Besichtigung‘ wörtlich ge- die Niederlande inspirierte von Melle zu je- nommen, man könnte auch sagen: eine ner beinahe wissenschaftlichen Reisestudie, prinzipiell alle Gesellschaftsbereiche betref- die unter Beigabe von etlichen Illustratio- fende, begutachtende Inspektion. So inspi- nen in den renommierten Westermanns Mo- zierte er neben den Sehenswürdigkeiten der natsheften erschien.306 Das charakteristische Stadt Wien vor allem das hier praktizierte, ,Kulturgemälde‘ von den einzelnen Städten, österreichische Rechtssystem und ließ sich Institutionen, Besonderheiten des Kunst-, (und mittelbar die Leserschaft des Hambur- Kultur-, Gewerbe-, Handels- und Rechts- gischen Correspondenten) durch einen Ge- wesens brachte dem Verfasser sogar das eh- währsmann im Justizpalast über die vom renvolle und mit Sicherheit lukrative Ange- deutschen System abweichenden Aspekte bot ein, für einen Leipziger Verlag ein informieren – sei es über die noch ausste- „zweibändiges, allgemein belehrendes Buch hende „Civilprozeßordnung“, sei es über die über Holland und Belgien zu schreiben“.307 beträchtliche Dauer der Vorbereitungszeit Doch von Melle lehnte ab; vermutlich da für Advokaten (inklusive vierjährigem Stu- der Zweck der Ausarbeitung hinlänglich er- dium insgesamt elf Jahre!) und deren Anzahl füllt war – er hatte erfahren, was er wissen in Wien (700; zum Vergleich: in Hamburg wollte. Dazu bedurfte es im Falle der deut-

| 98 | Städtebilder – im Vergleich zu Hamburg: Amsterdam, Haarlem, Leyden, Haag, Delft: Westermanns Monatshefte Nr. 56 (1884)

| 99 | schen Reichshauptstadt keiner publizierten (Inkrafttreten der Reichsgesetze). Als ver- Schriftfassung; nach eigener Aussage nutzte dichtete Stellvertreter für relevante Verände- von Melle den Aufenthalt in Berlin in erster rungen im familiären Lebensbereich von Linie, um – wie früher schon früher in Werner von Melle, die in Reaktion auf das Großbritannien – „bei einem häufigeren Be- politische Geschehen eintraten, hat diese suche des Reichstages parlamentarische Stu- Darstellung schon folgende Jahre als geeig- dien zu machen“.308 net hervorgehoben oder wird es im nächs- ··································································· ten Kapitel tun, nämlich: 1867 (Emil von Die hier zu erzählende Geschichte von ei- Melle wird Senator), 1870/71 (Deutsch-Fran- nem (noch jungen) Mann und seiner Stadt zösischer Krieg311), 1877 (Rückkehr nach – wo beginnt sie eigentlich nach allem bis- Hamburg; Eintritt in Verein und Club312), her Dargestellten? In dem kindlichen Be- 1881/82 (Zollanschluss) und 1888 (Freiha- wusstsein des heranwachsenden Sprösslings fen313), 1891 (Tod des Vaters; Wahl zum Syn- eines bürgerlich-kaufmännischen ,Patrizier- dikus), 1892/93 (Cholera). hauses‘? In der Fremde, deren Studium ei- ··································································· nerseits das am Horizont liegende Ham- Die Stadt: Hamburg (1877–1891) burg als Bezugsgröße voll zum Bewusstsein ··································································· bringt und andererseits erst im Erlebnis der Die bisher erschienenen acht Hamburger Differenz vorher unbeachtete Facetten der Bände des Deutschen Geschlechterbuchs Heimatstadt offenbart? Oder markieren sind ein in sich geschlossenes Werk, wie es Rückkehr und offizieller Eintritt des jungen keine andere deutsche Stadt aufzuweisen Erwachsenen ins städtische Berufsleben den hat. Sie erfassen eine eng in sich verfloch- Wendepunkt von einer als selbstverständ- tene soziale Schicht, die allerdings nur einen lich erlebten Umwelt hin zu einem eigen- kleinen, aber doch wichtigen Sektor der ständig zu erforschenden, zu umwerbenden, Hamburger Bevölkerung in Vergangenheit aktiv zu erobernden und mitzugestaltenden und Gegenwart ausmacht. Soziologisch ge- Terrain? Die skizzierten Publikationen ent- sehen sind die Hamburger Bände so wert- halten von alledem etwas – und besonders voll, weil die darin vorkommenden Perso- die Zeugnisse aus den 1880er Jahren verwei- nen in erster Linie Träger der kulturellen sen auf ein Spektrum historischer Bezüge, und wirtschaftlichen Entwicklung des Stadt- dessen Unschärferelation sich der anfangs staates Hamburg sind und als Kaufleute, erwähnten ,Kontakt-Linse‘ verdankt.310 Der Reeder, Bankiers und Juristen Förderer ih- wirkmächtige, dem bloßen Auge fast un- rer Stadt gewesen sind. Zahlreiche Personen sichtbare Resonanzraum lässt sich gleich- aus diesen Hamburger Geschlechtern haben wohl auch aus heutiger Perspektive zumin- als Senatoren an der Regierung des Stadt- dest im Ansatz rekonstruieren; das Gerüst staates teilgenommen oder haben in der bilden die markanten Daten der gesell- Bürgerschaft als Vertreter der Bevölkerung schaftspolitischen und Rechtsgeschichte am Gedeih ihrer Vaterstadt mitgewirkt.314 Hamburgs: 1842 (Brand und Reformzeit), ··································································· 1848–1850 (Revolution und Verfassungs- Um die Lebensfäden des nach insgesamt kämpfe), 1857 (Wirtschaftskrise), 1859 (alte/ vier Jahren ,Ausbildung‘ aus London zu- neue Bürgerschaft), 1860 (Verfassung), 1879 rückgekehrten Dr. jur. Werner von Melle im

| 100 | April 1877 möglichst nahtlos in seiner Vater- meinsame Ziel verbunden, in der Vaterstadt stadt wieder aufnehmen zu können, ist wirken und sie in ihrem Sinne besser gestal- zweierlei zu berücksichtigen: zum einen die ten zu wollen, wie auch durch dieselbe Aus- von ihm vorgefundene Konstellation, zum gangssituation: das ,Hansische Recht‘ hatte anderen der unausgegorene Status des sich an der Universität bis dahin nicht als Rückkehrers. War von Melle einerseits gra- abgegrenzt kodifizierter Rechtsbereich stu- duiert – so doch andererseits Berufsanfän- dieren lassen. Noch eine halbe Generation ger; einerseits prominenter Sohn eines der früher gab es für junge Advokaten mangels (kaufmännischen) höchsten Würdenträger moderner Verfassung keine Alternative zum der Stadt – andererseits unbekannter und Selbststudium der „Hamburger Statuten unerfahrener Advokat; damit einerseits zwar von 1603/5, die vom Verein für Hamburgi- Angehöriger eines angesehenen Berufsstan- sche Geschichte einige Jahre zuvor (1842) des – andererseits angewiesen auf das freund- neu herausgegeben worden waren, und liche Anerbieten von renommierten Anwäl- überdies [der] zahlreichen Bände der ham- ten, die kostenintensive Infrastruktur (Mie- burgischen Verordnungen, soweit sie damals te, Schreiberhonorar, Materialkosten)315 noch praktische Bedeutung hatten“.318 Im ihres Büros im ersten Stock Neuerwall 93 Gegensatz dazu gründete Hamburgs Rechts- mitnutzen und deren anfallende Rechtssa- leben seit einigen Jahren auf der Verfassung chen mitbearbeiten zu dürfen. Wie sonst von 1860, doch die Rechtslage, auf die sich hätte er Berufspraxis gewinnen und erste die Berufsanfänger beziehen mussten, blieb Schritte in Richtung einer finanziellen Un- bis zur Einführung der Reichsjustizgesetze abhängigkeit gehen können, die sich so 1879 kompliziert und bestand noch immer leicht keineswegs von selbst einstellte: Bis aus einer Kombination aus Gewohnheits- zum Jahre 1879 mindestens, bis zu dem Zeit- recht, Rezessen und Besonderheiten, die punkt, da Emil von Melle sein Geschäft auf- sich erst in der Praxis und Zu(sammen)ar- gab, das er noch zwölf Jahre neben seiner Se- beit mit erfahrenen Kollegen erschloss. Ka- natorentätigkeit weitergeführt hatte, wäre men die jungen, in Theorie und Methode wohl davon auszugehen, dass Werner von geschulten Doktores vollgepumpt mit er- Melle, der bis 1880 bei seinen Eltern lebte, lerntem Wissen, neuen Eindrücken, Erleb- von ihnen auch finanziell unterstützt wur- nissen, Bildern und Erfahrungen zurück, so de.316 Verkompliziert wurde die Situation hatten sie sich nun anderen Realitäten eines dadurch, dass er freilich nicht der einzige Alltags zu stellen, der weder Universität junge Advokat war; mit ihm und in den Jah- noch Gelehrtenrepublik, sondern Stadtre- ren vor und nach ihm erhielten viele seiner publik im Zeichen des Handels war, in der Coaetanen die Zulassung und wurden so ei- sich die Rückkommer zunächst einmal in nander zu Konkurrenten im ,wahren Le- ihrem eigenen Berufsstand einen eigenen ben‘: in Bezug auf Stellen, auf Aufgaben, auf Namen zu machen hatten. Es ist sicher nicht Klienten, auf Ressourcen317. Doch auch falsch, anzunehmen, dass die besondere Si- wenn dem Wiedersehen und den regelmä- tuation eines solchen ersten, eigenen Rol- ßigen Treffen der Schul- und Studien- lenentwurfs die Chance bot, den vertrauten freunde somit etwas Ambivalentes anhaf- Ort auch über das konkrete Arbeitsfeld tete, waren sie nach wie vor durch das ge- hinaus noch einmal ganz neu kennenzuler-

| 101 | nen. Dagegen steht die Vermutung, dass die sammengeht, hier aber kurz nur berücksich- generationenübergreifenden Deutungsmus- tigt werden kann: die des Sprachgebrauchs ter doch ein stärkeres Beharrungsvermögen am Beispiel des Niederdeutschen einerseits haben als die individuelle Umwertung oder und des schon angeklungenen Begriffs der ein Aufbegehren dagegen. Um zu erkun- hamburgischen Vaterstadtliebe andererseits. den, welchen Spielraum Werner von Melle Drei Epochen und drei verschiedene For- in diesem Spannungsfeld hatte und inwie- men dieses hamburgischen Patriotismus fern er ihn ausschöpfte, wird es in diesem (wenn nicht noch mehr) lassen sich dem Kapitel um die Verschränkung zwischen Generationengedächtnis der Familie von Vertrautem und Neuem gehen. Welche Per- Melle entnehmen, an dem sich Werner von sonen waren Werner von Melle von früh auf Melle nachgewiesenermaßen orientierte. geläufig – als Bekannte des Hauses; als Gäste ··································································· der legendären Hamburger ,Herrendiners‘, Kopf oder Zahl die auch in der Alsterterrasse 7 stattfanden ··································································· und als informelle Treffen für die politische 9er, 60er, 180er. – Zahlen-, Kirch- oder Meinungsbildung und Entscheidungspro- Wortspiel? Sogar in der Nomenklatur poli- zesse womöglich relevanter waren als die Be- tischer Gremien hatte in der Handelsstadt ratungen der Bürgerschaft;319 als Lehrer Hamburg die Zahl das Wort. Sprich: setzte oder als Verfasser einschlägiger (juristischer) sich ein Kirchspiel (die Hamburger Verwal- Werke und Mitarbeiter an verfassungsrecht- tungseinheit) zusammen aus den 3 Ältesten lichen Bestimmungen beziehungsweise Mit- (Oberalten), 9 Diakonen und 24 Sub-Dia- streiter in vertrauten vaterstädtischen Be- konen, so ergaben sich aus der Addition der strebungen – und auf welche gewachsenen 5 Kirchspiele (St. Jacobi, St. Katharinen, St. Sozial-Zusammenhänge konnte er entspre- Michaelis, St. Nikolai und St. Petri) die bür- chend zu(rück)greifen? Davon sollen die gerlichen Kollegien der offiziell so genann- nächsten Abschnitte eine Vorstellung geben, ten Sechziger (15 Oberalte plus 45 Diakone) die verschiedene Zeit-Räume genauer unter und Hundertachtziger (Sechziger plus 120 die Lupe nehmen. Gefahndet wird sowohl Sub-Diakone). Diese waren verpflichtet, an in Richtung der Familiengeschichte als auch den Versammlungen der Bürger, den soge- in Richtung eines städtischen Vereinslebens, nannten Konventen, teilzunehmen, wäh- das sich insbesondere im 19. Jahrhundert rend die übrigen weit über tausend Mitglie- entfaltete, schon in der Schulzeit und Stu- der der ,Erbgesessenen Bürgerschaft‘ – das dienzeit hier und andernorts eingeübt wur- war die (nichtgewählte) durch Grundbesitz de und in der Heimatstadt seine Fortfüh- ausgezeichnete und mit politischen Rechten rung fand. Dahinter steht die Neugier, wel- versehene Bevölkerungsminorität, die ge- che Diskussionen wo und von wem geführt meinsam mit dem Rat bzw. Senat die Regie- werden, in welchem Grade sie sich als ,ge- rung bildete – daran teilnehmen durften, sellig‘ bezeichnen lassen, ab wann sie poli- aber nicht mussten. Die auf einem solchen tisch werden – oder ob sie es nicht eigent- Rat- und Bürgerkonvent vorgelegten Propo- lich doch immer schon sind. Schließlich sitiones Senatus wurden hier mit einer zu- tritt zu den genannten Kategorien von Raum stimmenden oder ablehnenden Resolutio und Zeit noch eine dritte, die mit beiden zu- civium beantwortet. Diese ergab sich aus

| 102 | Flugblatt „Der alte Iacob mit der neuen Mütze“. Nach Abriss des spätgotischen und Erneuerung des St.-Jacobi-Turms (1827/28). Humoreske Darstellung der fünf Kirchspiele St. Petri, St. Nikolai, St. Katharinen, St. Michaelis, St. Jacobi

| 103 | Mehrheitsverhältnissen der einzelnen Bera- genden, hergebrachten, feierlichen Begrü- tungen der fünf Kirchspiele, die unter Aus- ßung: „Wohlgeborne, Hochgelahrte, Groß- schluss der Öffentlichkeit tagten. Erst Mitte achtbare, Wohlehrenveste, Wohlfürnehme des 19. Jahrhunderts setzte auch in Hamburg Herren und Freunde, Vielgeliebte Mitbür- ein Modernisierungsprozess ein: Die im ein- ger!“322 Ein Anflug von Wehmut durchzieht leitenden Kapitel schon erwähnte 9er-(oder diese wortwörtliche Überlieferung wie über- auch Neuner-)Kommission wurde nach haupt das gesamte Erinnerungsblatt an jene dem Scheitern der Verfassungsvorlage der letzte denkwürdige Sitzung der Erbgesesse- ersten gewählten Konstituante (der verfas- nen am 24. November 1859, die den histori- sunggebenden parlamentarischen Versamm- schen Wendepunkt markiert: von der – not- lung) im Jahre 1849 einberufen. Sie sollte gedrungen in ,freiwilliger‘ Selbst-Auflösung im gemäßigt-liberalen Sinne vermittelnden begriffenen – privilegierten zu einer durch Einfluss auf die das Staatsleben grundlegend (Zensus- bzw. Klassen-)Wahl der Repräsen- verändernden Neuerungen nehmen, die je- tanten in neuem Zahlenverhältnis zu kon- doch erst ganze zehn Jahre später umgesetzt stituierenden Bürgerschaft. wurden. „Wir heißen dieselben vertrauend ··································································· willkommen und wünschen, daß auch diese Damit waren die 9er, 60er und 180er abge- neuen Formen der alte Hamburgische Bür- schafft, die Kirchspiele hatten ihre politische gersinn – die wahre und uneigennützige Bedeutung verloren und die neue Formel Liebe zur Vaterstadt – durchdringen möge!“, lautete fortan: 84:48:60 = 192 (ab 1879: 160), frohlockte diesbezüglich 1859 ein Zeitge- d. h. von den 192 Bürgerschaftsabgeordne- nosse in einer anonym gedruckten Schrift.320 ten gingen 84 aus den allgemeinen ,Zensus- Sie erschien kurz vor dem Inkrafttreten der wahlen‘ hervor, 48 (mit Vertretern eigentlich schließlich ausgehandelten neuen Verfas- 54) wurden von den ,Erbgesessenen‘ in der sung und gewährt Einblick in den geheim- letzten Versammlung bestimmt und 60 von nisvoll anmutenden, formalisierten Ablauf den inoffiziell sogenannten ,Notabeln‘, also eines solchen Konvents und damit in die von den Mitgliedern der Verwaltungsdepu- eigenwillige Choreographie und die sonder- tationen und Gerichte.323 Daraus konstitu- baren Riten einer, wenn auch überkomme- ierte sich am 6. Dezember 1859 unter dem nen, so doch immerhin knapp 400-jährigen Vorsitz ihres Präsidenten Johannes Vers- und fortan nicht mehr existenten Hambur- mann die erste gewählte Bürgerschaft. Ihr gensie: „Die Formen, in denen diese Ver- gehörten unter den gewählten neun jüdi- handlungen sich bewegten“, gab jener Chro- schen Abgeordneten die Juristen Gabriel nist zu, „sind theilweise veraltet und zu um- Riesser und Isaac Wolffson an sowie – in sei- ständlich geworden für die vielgeschäftige ner Funktion als deputiertes Mitglied des Jetztzeit, aber sie enthalten doch unleugbar Niedergerichts – auch der 37-jährige Emil vieles Gute und Schöne und gar ehrwürdig von Melle, dessen Sohn Werner sich als weht uns aus ihnen der edle und patriarcha- Dreikäsehoch von sechs Jahren gerade ir- lische Geist einer glücklichen Vergangenheit gendwo auf dem Wege zwischen Roscher’- entgegen.“321 Zur Eröffnung, so wird hier schem und Schleiden’schem Institut befand überliefert, gehörte eine Art Thronrede mit und wenig ahnte von dem, was da um ihn der schon für damalige Ohren gediegen klin- herum passierte und inwiefern gerade jetzt

| 104 | plattdeutschen Bürgereid ab, der bis 1845 von allen ,ausländischen Einwohnern‘ ge- fordert wurde, die, um hier Geschäfte be- treiben zu dürfen, per Bürgerbrief die Voll- bürgerschaft erlangen wollten (die Gewer- befreiheit wurde erst 1865 eingeführt). Sprachlich dürfte dieser Akt für den ,Nie- derdeutschen‘ kein Problem gewesen sein, der hier inzwischen unter seinem Namen eine Firma begründet und Eigentum erwor- ben hatte. Nach erledigter Zahlung des Bür- gergeldes war der 34-jährige Kaufmann Großbürger der Stadtrepublik und gehörte fortan als solcher zu ihrer Erbgesessenen Bürgerschaft.324 Auf den Erstgeborenen (und einzigen Sohn) Emil325 folgten im Abstand von wenigen Jahren die Töchter Agnes (*1823), Luise Babette (*1825), Adele Theodora (*1826), Elise Dorothea (*1829) und Susanne Pauline (*1831) sowie ein Um- zug aus der Dienerreihe 19 in das Haus Grö- ningerstraße 9; die Sommer verlebte die Fa- milie auf dem (gepachteten) Gutshof Wen- Der Anonymus von 1859: demuth bei Wandsbek. Emil von Melles „Erinnerungsblatt“ ··································································· Vom Vater zum Kaufmann bestimmt, trat für seine eigene Zukunft die Weichen ge- der junge Emil von Melle schon während stellt wurden oder vielmehr: schon längst seiner Ausbildungszeit an die Öffentlich- gestellt worden waren. Denn dass Emil von keit, indem er seit 1841 „für die vaterstädti- Melle 1859 überhaupt Bürgerschaftsmitglied schen Blätter“, die von 1834 an als „belletris- in seiner Vaterstadt werden konnte, hatte tisch-literarische Beilage“ der Hamburger mit einem Eid zu tun, den ein Lübecker Nachrichten erschienen, „im Interesse seiner Kaufmann 37 Jahre früher vor einem Hohen Berufsgenossen“ Artikel verfasste.326 Nach Rat bzw. Senat geleistet hat. erfolgter fünfjähriger Lehrzeit im Kontor ··································································· Hinck & Co. und noch vor Antritt einer Patriot und Vereine mehrjährigen Reise durch England, die ·································································· USA und Kanada gründete er gemeinsam Hamburg im Jahre 1822: Zehn Tage vor mit etwa 100 jüngeren ,Kontoristen‘ am der ersten Niederkunft seiner Frau legte der 1. Januar 1842 eine Hamburger Union und im Jahr zuvor aus Lübeck hergezogene wurde deren erster Vorsitzender. Diese an ei- Kaufmann Theodor Lorenz Friedrich von nem bremischen Vorbild orientierte Vereini- Melle vor dem Hamburger Senat jenen gung zur geistigen und wissenschaftlichen

| 105 | 1483 eingeführter niederdeutscher Hamburger Bürger-Eyd – der neue „Groß-Bürger“ von 1825 war Werner von Melles Onkel 327

| 106 | Fortbildung entstand in Hamburg nicht im Turn- und Gesangsvereine, denen sich bald luftleeren Raum, sondern war eingebettet in auch Bürger- und politische Vereine zuge- einen weiteren akademischen Rahmen von sellten: An erster Stelle der St. Pauli Bürger- aufklärerisch-orientierten Bildungsbestre- Verein (1843) und, im Zusammenhang mit bungen. Emil von Melles früherer Privatleh- den Verfassungskämpfen, die 1848 gegrün- rer Heinrich Schleiden, der kurz darauf (zu deten Parteiungen: der Deutsche Klub333, Ostern) seine Privatschule ins Leben rief, der im Bündnis mit den liberalen Vereinen auf die viele Jahre später auch Werner von das Liberale Wahlkomitee bildete („Wüh- Melle gehen sollte, gehörte gemeinsam mit ler“)334, und der Patriotische Verein („Heu- dem künftigen Schwager Christian Fried- ler“)335. rich Wurm zu den aktiven Unterstützern ··································································· und Vortragenden.328 Aufgrund der Gym- Der Patriot: Heinrich Schleiden nasialordnung von 1833, die den Professoren ··································································· des Akademischen Gymnasiums auferlegte, Das gesellige und gemeinnützige Vereins- durch öffentliche Vorträge zur Verbreitung wesen der 1840er Jahre speiste sich in einigen wissenschaftlichen Interesses in weiteren Bereichen noch immer aus dem Erlebnis Kreisen beizutragen, war Wurm ohnehin nicht nur als publizistischer Meinungsträ- ger,329 sondern vor allem als Professor für Geschichte und führendes Mitglied der Pa- triotischen Gesellschaft von 1765 sowie des 1839 gegründeten Vereins für Hamburgische Geschichte seit geraumer Zeit im allgemei- nen Vortragswesen der Stadt präsent. Wei- tere graduierte ,Notabilitäten‘ der Stadt und reformorientierte Akteure der bewegten 1840er Jahre und ihrer Folgezeit engagierten sich für die wissbegierigen jungen Kauf- leute, darunter die genannten Juristen Bau- meister und Kirchenpauer, Riesser und Wolffson.330 Mit ihnen trat der 20-jährige Vorsitzende Emil von Melle entsprechend früh schon in ersten direkten Kontakt – an- dere Verbindungen wie die zu einem weite- ren Schwager Schleidens, dem Aktuar des Zehntenamts, Johann Gottfried Hallier, er- gaben sich aus dem gemeinsamen Besuch des Turnbodens,331 der viele Jahre zuvor viel- leicht auch die erste Begegnungsstätte mit Schleiden war332. Die Hamburger Union je- denfalls fügte sich ein in einen Zusammen- hang der sich mehrenden Lese-, Gewerbe-, Heinrich Schleiden

| 107 | eines deutschen Patriotismus der Befrei- terung fürs Nationale, sondern fand ebenso ungskriege. Heinrich Schleiden, der ,ver- Ausdruck in einer spezifisch hamburgischen krachte‘ Kandidat – seit er im Hamburger Variante bildungspolitischen Engagements, Theologenstreit zwischen Orthodoxen und das er mit auch überregional bekannteren Rationalisten Ende der 1830er Jahre in meh- Vertretern der Politik teilte. „Er ist ein guter reren Schriften Partei gegen die Dogmatiker Sohn seiner Vaterstadt gewesen und hat sich und für die Liberalen genommen hatte, für die dem Gemeinwohl dienenden Bestre- scharf attackiert wurde und fortan selbst auf bungen jederzeit finden lassen“,339 betonte eine Pastoren- oder Predigerstelle verzich- Spörri, und Werner von Melle erinnert da- tete –,336 kann hier als stellvertretendes Bei- ran, „daß er im Jahre 1847, zusammen mit spiel für all jene gelten, die von diesem Baumeister, Heckscher, Rießer, Voigt, Wurm patriotischen Gefühl bis ins hohe Alter u. A., eifrig für die Begründung einer Uni- durchdrungen waren: „Mit gleichstreben- versität in Hamburg resp. für die Umbil- den Genossen in der Burschenschaft verei- dung des Akademischen Gymnasiums in nigt, hat auch er den Traum der Einheit und eine solche eintrat“, mit dem Hinweis: „Der Freiheit des Vaterlands geträumt. Aber es 1847 gedruckte ,Bericht der provisorischen war nicht ein Träumen bloß, sondern ein Comité‘ [!] für diese Angelegenheit ist von edler Wetteifer in ernster Zucht des Leibes ihm verfaßt. Leider sind die in demselben und des Geistes“, betonte Anfang 1890 Pas- mit großer Zuversichtlichkeit ausgesproche- tor Hermann Spörri am Grabe seines Freun- nen Hoffnungen nicht in Erfüllung gegan- des.337 Oder, in den Worten von Werner von gen, wozu, abgesehen von anderen, sehr er- Melles Nekrolog: „Schon in den Tagen sei- heblichen Schwierigkeiten, auch die bald ner Jenaer Burschenzeit war er ein begeister- folgenden aufregenden Ereignisse des Jahres ter deutscher Patriot. Später als Candidat in 1848 beigetragen haben mögen.“ Nach al- Hamburg ward er ein eifriger Besucher des lem, was hier bisher aus Melles schriftlichen damals einen gewissen deutschnationalen Äußerungen, von seinen privaten Briefen Charakter tragenden Turnbodens, und ge- bis hin zu den Zeitungs- und Zeitschriften- gen Ende der dreißiger Jahre hielt er einst aufsätzen, präsentiert worden ist, ist charak- am Tage der Schlacht bei Leipzig von den teristisch, was er an dieser Stelle vor dem für das hernach zu entzündende Freuden- Vergessen bewahrt und – mehr noch – in ein feuer bestimmten Theertonnen herab eine Element von Dauer überführt: begeisternde Ansprache an die patriotische ··································································· Jugend Hamburgs. In gleicher Weise suchte „Die Anregung aber, welche die nicht zu er stets auch auf seine Schüler einzuwirken, Stande gekommene Universität für das geis- von denen sich noch heute Manche entsin- tige Leben Hamburgs bieten sollte, wußte nen werden, wie er oft das Schicksal des mit Schleiden zusammen mit gleichgesinnten Frankreich vereinten Elsaß beklagte, und Freunden wenigstens für einen engeren wie er hernach mit jugendlicher Begeiste- Kreis zu schaffen. Seine Schwäger, die bei- rung die Wiedererwerbung desselben und den talentvollen Maler Erwin und Otto den mächtigen Aufschwung Neudeutsch- Speckter und der geistvolle Professor Wurm lands begrüßte.“338 Schleidens Patriotismus hielten in treuer, gegenseitig anregender äußerte sich aber nicht nur in seiner Begeis- Freundschaft fest zusammen, und zu den

| 108 | Genannten gesellte sich eine naturgemäß auch ihn selbst obdachlos machte und das im Laufe der Jahre wechselnde Zahl anderer Gebäude der neuen Schule in der Paulstraße namhafter Männer, von denen hier nur die zerstörte. Zur Überbrückung unterrichtete Namen Riesser, Aegidi, Jürgen Bona Meyer, er in seinem Elternhaus, „bis er 1846 ein Ruths und Spörri Erwähnung finden mögen. neues, für ihn und seine Schule im ,goti- In diesem Kreise einfacher aber geistvoller schen Backsteinstil‘ errichtetes Gebäude am Geselligkeit, in dem es an Leseabenden, Glockengießerwall beziehen konnte. Der Vorträgen und interessanten Discussionen Architekt war Theodor Bülau (1800-1861), nicht fehlte, war Schleiden recht eigentlich der [parallel] auch das Haus der Patrioti- in seinem Element. […] So war sein Haus schen Gesellschaft gebaut hat.“343 Es ist ver- bis in die jüngste Zeit ein Brennpunkt des lockend, diese kurze Vorstellung mit einem geistigen Lebens.“340 kleinen Aperçu abzuschließen, das etwas ··································································· Charakteristisches dieses aufklärerischen In religiösem Bekenntnis Rationalist, rich- Geistes erfassen mag, indem es den Bogen tete der Goethe-Liebhaber, der auch der schlägt vom großen Brand zum Brennpunkt Gegenwartsliteratur gegenüber ungewöhn- des geistigen Lebens. lich aufgeschlossen war,341 seine „mannig- ··································································· fachen wissenschaftlichen, schöngeistigen Der Patriot: Emil von Melle und menschlichbürgerlichen Interessen“342 ··································································· somit nicht ausschließlich auf die von ihm Die Feuersbrunst kam der Neuen Grönin- gegründete und bis 1872 geführte Schule, gerstraße gefährlich nahe, die Katharinen- sondern auf sein geselliges Umfeld und auch kirche, die schon Feuer gefangen hatte, auf die praktische Politik: 1859 bis 1863 war konnte nicht zuletzt durch den Einsatz von er Mitglied der Bürgerschaft, er nahm an Heinrich Geffcken, einem ihrer Juraten, ge- den Bestrebungen des Protestanten-Vereins rettet werden,344 und auch das nahe liegende teil und arbeitete, nachdem er zur refor- Wohnhaus samt Kontor in Nummer 9 blieb mierten Kirche übergetreten war, im Vor- verschont. Als nicht unmittelbar Betroffe- stand der reformierten Realschule. Unter ner gehörte Theodor von Melle gleichwohl seinen Schriften, zu denen auch das Lieder- zu den Unterzeichnern der Reform-Petition buch für die Glieder des unsichtbaren Got- im Juni 1842. Seinen Sohn Emil schickte er tesreiches (1873) gehört, in dem neben Tex- im Jahr darauf „behufs seiner ferneren com- ten seines Korrespondenzpartners Theodor merziellen Ausbildung“ auf Reisen.345 Erste Storm und anderer bedeutender deutscher Station war für über ein Jahr England. Im Autoren verschiedener Jahrhunderte auch Herbst 1844 reiste Emil von Melle weiter in wenige eigene Gedichte untergebracht sind, die USA, wo er knapp zwei Jahre verbrachte, dürfte das bedeutendste Werk sein Versuch insonderheit in New York. Die letzte Etappe einer Geschichte des großen Brandes in Ham- seines Auslandsaufenthaltes führte ihn im burg sein, das ihn noch heute als Historio- Herbst 1846 wieder nach England – London graphen des Hamburger Brandes auszeich- und Liverpool – und schließlich zurück net. 1843 schon lag das Buch vor, das en nach Hamburg.346 Damit waren dem aus détail die vorjährige Katastrophe zwischen der ,neuen Welt‘ Zurückgekehrten große dem 5. und dem 8. Mai dokumentierte, die Teile des Reformprozesses und dessen Rück-

| 109 | drängung entgangen; verpasst hatte er auch chentlich erschien. Für dieses von dem spä- den von der noch 1842 eingesetzten Rat- teren Senatssekretär G.[ustav] A.[dolph] und Bürgerdeputation347 koordinierten Wie- Gobert redigierte Organ galten die Libera- deraufbau des architektonisch radikal um- len mit ihrer Forderung nach einer demo- gestalteten Zentrums seiner Heimatstadt. Er kratischen Republik als eine gefährliche, die trat ins väterliche Geschäft ein, knüpfte an bestehende Ordnung und Stellung Ham- sein früheres Engagement an und beteiligte burgs bedrohende Gruppe.349 Da bei der sich aktiv an den Reformbestrebungen der publizistischen Auseinandersetzung „die Um- und Aufbruchphase der 1848er-Bewe- Demokraten den Vorteil [hatten], daß sie gung. Wie in anderen Teilen Deutschlands ein genaues, populäres Parteiprogramm auf- hatte deren revolutionäre Entwicklung auch weisen konnten, während die Patrioten nur in Hamburg die allgemeinen Wahlen zu der ganz allgemein für ,Ordnung‘ und ,Freiheit schon erwähnten Konstituante zur Folge, mit Maß‘“350 – so ihr nachmaliger Wahl- für die sich Kandidaten unter anderem aus spruch – eintraten, griffen Patrioten wie den genannten Parteiungen – Deutscher Emil von Melle zur Feder. Mit schmissigen, Klub, Patriotischer Verein und Liberaler der Weltliteratur entlehnten Parolen, etwa Wahlverein – zur Verfügung stellten. Der dem titelgebenden, offensichtlich von Shake- Patriotische Verein, an „dessen Spitze Dr. speare und Heine eingeflüsterten Volk, Du Heinichen, der spätere Bürgermeister Dr. schläfst! 351, appellierte er mehrfach an das Petersen und Dr. Knauth standen“, forderte vom Verein vertretene politische Bewusst- auf Vorschlag des Letzteren, „der konstitu- sein im (lokal-)patriotischen Stil. Angesichts ierenden Versammlung einen Eid aufzuerle- der in Hamburg, aber auch in anderen gen, der sie verpflichtete“, „die Feststellung deutschen Städten vorgefallenen allgemei- der künftigen hamburgischen Verfassung nen Unruhen, Gräuel, Übergriffe und sogar […] zu fördern“, dabei aber, und das war das tödlichen Randale geht das Pamphlet mit Entscheidende, bis zu ihrem Inkrafttreten einem der seinerzeit überstrapazierten Lieb- „die bestehenden gesetzgebenden Gewalten lingsbegriffe schwer ins Gericht: „Du schö- und alle sonstigen Behörden und Einrich- ner Traum an die Größe des Volkes, du tungen zu ihrer verfassungsmäßigen Wirk- mußtest zerrinnen, wie so mancher andere, samkeit anzuerkennen“.348 Gegen diesen Ei- den Jugend und Begeisterung träumen!“352 desvorschlag, der kurz darauf tatsächlich als Doch keine schwermütige Elegie folgt, son- Propositio Senatus im Rat- und Bürgerkon- dern der rhetorische Kniff einer Umdefini- vent genehmigt wurde, liefen die demokra- tion, auf die sich der Autor besinnt, wenn er tisch-liberalen Vereine Sturm. Entsprechend das poetische Klagen unterbricht und seinen heftig war, so die Überlieferung, der „Kampf Leser, den Leser des Patrioten, unmittelbar zwischen dem Patriotischen Verein oder, wie zum Mitdenken auffordert: „Doch halt! Ge- man kurzweg sagte, den Patrioten einerseits hören wir denn nicht auch zum Volke, – und den vereinigten sieben demokratischen Du, der Du dies liest und ich, der ich es Vereinen andrerseits“, der den Wahlen zu schreibe? Billigen wir es denn und billigt es der Konstituante vorausging. Eine wichtige die größere Zahl unserer Nachbarn und Rolle spielte dabei Der Patriot, der von Sep- Freunde?“ Die Frage ist natürlich eine rhe- tember 1848 bis Dezember 1850 zweimal wö- torische; spitzfindig meint der Patriot, den

| 110 | „Irrthum“ und „Grundfehler so vieler Ver- liste“ mit 23 Namen getreuer ,Patrioten‘. irrungen unserer Zeit“ an einer Begriffsver- Von Melles sich daran anschließender sug- schiebung dingfest machen zu können: „wir gestiver Leitfaden zum Wahlverhalten zielt scheinen vergessen zu haben, wer eigentlich weniger auf das „wen“ der titelgebenden das Volk ist. Wir Alle sind das Volk, wir Alle, Frage, als auf das „wie“ ab, denn, so wird groß und klein, vornehm und gering, reich dem Leser noch einmal vor Augen geführt, und arm, wir Alle haben Theil an den heili- „es ist doch eine wichtige Sache und eine gen Pflichten des Volkes und wir sollten große Verantwortung für uns Wähler und nicht erlauben, daß eine kleine Zahl uns wir wissen dabei mit solchen Dingen noch diese Recht raubt und sie sich allein an- gar nicht recht Bescheid, weil es uns noch et- maßt. Es ist dies aber nicht unser Wille, der was Neues ist“, aber: „Es soll ja eine Verfas- jetzt geschieht, es ist nicht unsere Stimme, sung gemacht werden“.355 Dafür splittet der die Alles überschreit, es ist der Wille, es ist Patriot den Entscheidungsprozess der Wahl- die Stimme jener kleinen Zahl.“ Doch wie, Agenda in einzelne Schritte auf, angefangen fragt der Autor weiter, habe es so weit kom- bei Ratschlägen zum sinnvollen Umgang men können? „Nur dadurch“, so die Bilanz, mit den drei bis vier zugeschickten „Can- „daß die Meisten ganz schweigen, daß sie didaten-Listen“ – etwa indem man sich ei- ganz zu vergessen scheinen, daß sie auch genständig nach dem „Charakter und den zum Volk gehören, nur dadurch, daß so Lebensverhältnissen der verschiedenen Can- Viele – und gerade so viele der Ordnung lie- didaten“ zu erkundigen habe, um heraus- benden wohlgesinnten Glieder des Volkes – zubekommen, „was denn die Candidaten an den allgemeinen Ereignissen keinen Ant- verstehen, die man mir empfiehlt“. Der Ver- heil nehmen und im politischen Schlafe lie- fasser argumentiert mit einer Art gesundem gen.“ Das ist das Stichwort und so führt die Volksverstand: „tüchtige Kaufleute“ sollten Diagnose den literarisch gebildeten Verfas- darunter sein, da der Handel „doch einmal ser zu einem der prominentesten Schläfer in Hamburg die Hauptsache“ sei, „wir Alle, der Weltgeschichte – emphatisch endet der Groß und Klein, leben von ihm, direkt oder Artikel unter Verweis auf den Cäsarenmör- indirekt, und wenn der Handel stockt und der Brutus mit dem Appell: „So mögte ich wir Alle nichts verdienen, so wird uns Brodt Dir zurufen, mein Volk, so mögte ich es Je- und Fleisch auch ohne alle Accise zu theuer dem von uns, wo er auch stehe, in das Ohr sein, und was nützt mir alle Freiheit, wenn raunen, daß es ihn zur Besinnung bringe, ich nichts zu beißen habe!“356 „Dann sehe daß es ihn wecke: ,Volk, erwache, Volk, Du ich mich nach einigen andern Gewerbetrei- schläfst!‘ “353 benden, tüchtigen Handwerkern, meinetwe- ··································································· gen auch Arbeitern um, denn es ist recht und Im Vergleich zu diesem Weckruf kommt der billig, daß alle Stände vertreten werden. Aber zehn Tage früher gedruckte Aufmacher Wen bei zweierlei Leuten, da will ich sehr vorsich- will ich wählen? 354 eher als eine harmlose tig sein“357: Das seien zum einen die soge- Hilfestellung für die „Wähler des 5ten Dis- nannten „Literaten“: „So ein Mann mag tricts“ daher. Die 19. Ausgabe des Patrioten ganz gut Bescheid wissen mit der Deutschen erschien einen Tag vor der Wahl und präsen- Grammatik, auch wohl schöne Phrasen tierte an erster Stelle „unsere Candidaten- drechseln können, aber was kennt er denn

| 111 | von Staatsverwaltung und allen den Din- dies um des Glückes der Nachbleibenden gen? Jeder Geschäftsmann, jeder Arbeiter willen geschehen.‘ – Das ist aber doch eine ist praktischer als so ein Zeitungsschreiber, schlimme Sache für die 10,000, und wer der gemeiniglich glaubt, die Zusammenstel- weiß denn, daß er der Nachbleibenden und lung einer Verfassung sei eine ebenso leichte Genießenden einer sein wird! Solche Leute Sache, wie die Zusammenstellung von Al- werden allerdings klug mit der Zeit, und für lerlei, die er wöchentlich ein oder zweimal ihre eigene Entwickelung ist es recht gut, dem Publikum auftischt.“ Und zum zweiten wenn wir sie in die constituirende Ver- „werde ich mich mit den sogenannten sammlung schicken, aber für uns, für das Schwärmern und Theoretikern sehr in Acht Volk, ist es schlimm, sehr schlimm, denn sie nehmen“, die Erklärung folgt sogleich: werden auf unsere Kosten klug und wir müs- ··································································· sen das Lehrgeld bezahlen.“358 „Das sind keine schlechten Leute, aber sie ··································································· sind doch sehr gefährlich. Sie wollen uns be- Diese an der Oberfläche so naiv, uneigen- glücken, aber sie vergessen, daß sich nicht nützig und volksnah daherkommende Hand- Alles so leicht einrichten läßt, wie man es reichung, die in ihrer unbestechlichen Logik hinspricht – auch gehen sie häufig von dem geradezu zwangsläufig bei den Abgeordne- Grundsatze aus, ,die vielen Millionen Men- ten des Patriotischen Vereins landet, endete schen müssen glücklich werden, und wenn mit dem in diesem Sinne zuversichtlichen das nicht anders geht, als daß erst Zehntau- und merkantil inspirierten Vivat auf Ham- send verhungern und verderben, so muß burg: „und so, wie oben beschrieben, so

Der (anonyme) Patriot: Emil von Melle als Verfasser von „Wen will ich wählen“ – Der Patriot Nr. 19 (1. November 1848)

| 112 | werde ich es machen, wenn ich zur Wahl vollziehende dem Rat, die richterliche den komme und machen Alle es so, da müssen Gerichten übertragen werden, darüber hi- die rechten Leute gewählt werden und un- naus die 300 Abgeordneten der künftigen sere gute, alte Stadt Hamburg wird nach wie Bürgerschaft „in allgemeiner, direkter und vor floriren und groß und glücklich sein. geheimer Wahl gewählt werden. Der Rat als Die gute, alte Stadt Hamburg hoch! dreimal oberste Verwaltungsbehörde sollte auf neun hoch!“359 Mitglieder beschränkt und von der Bürger- ··································································· schaft auf sechs Jahre bestellt werden“.361 Doch weder das Aufrütteln noch die po- Doch offenbar war die Stadt noch nicht reif pulistisch-didaktische, vielleicht doch etwas für so viel Demokratie und repräsentativen zu durchsichtige ,Hilfestellung‘ zur (unge- Parlamentarismus; sie war es – lässt man wohnt) selbstverantwortlichen Wahl der 188 Werner von Melle als Kronzeugen gelten – Deputierten aus 472 Kandidaten von 16 auch 40 Jahre später noch nicht. In seinem Wahlvereinen brachte ein erfolgreiches Er- 1888 publizierten Buch über das Leben Kir- gebnis im ,patriotischen‘ Sinne. Das Libe- chenpauers, der seinerzeit als Senator und rale Wahlkomitee setzte sich mit großer Bundestagsgesandter in Frankfurt, wenig Mehrheit gegen die Patrioten durch; neben später als Mitglied der Neunerkommission den Juristen Baumeister, Wolffson und Sieg- aktiv am Geschehen beteiligt war, insze- fried Albrecht, dem späteren Präses des nierte sich der Biograph in der Überliefe- Handelsgerichts und Präsidenten des Lan- rung jener Ereignisse als ausgesprochen desgerichts, war auch der 28-jährige Vers- nüchterner Rationalist bzw. Realist. Mit mann als Vertreter des St. Pauli Bürger-Ver- dem abgeklärten Blick des Historikers ur- eins in die Konstituante gewählt worden teilte er nach ausgiebigem Quellenstudium und sogar zeitweilig ihr Vizepräsident. Ihr über das Verfassungswerk und die es flankie- Alterspräsident, der Bleideckermeister und renden, ausführlich beigegebenen Denk- Blitzableiter-Experte David Christopher schriften, dass sie allesamt „auf einem mit Mettlerkamp, eröffnete die erste Versamm- optimistischer Zuversicht über alle bedenk- lung am 14. Dezember 1848, und schon im lichen Konsequenzen der aufgestellten abs- Mai 1849 legte die Konstituante eine uner- trakten Theorien hinwegblickenden poli- hört demokratische Verfassung des Freistaa- tischen Doktrinarismus [basierten]. Die tes Hamburg vor, über die ihr Vorsitzender Verfasser meinten“, so gestand es der fami- Baumeister nach einigen Revisionen zuver- lienbedingt vielleicht doch nicht ganz un- sichtlich im Juli 1849 urteilte: „sie wird und parteiische von Melle etwas gönnerhaft zu, sie soll ausgeführt werden“.360 In einem „einen den ,ewigen Gedanken der Gerech- Guss sollte diese Verfassung die zahlreichen tigkeit‘ verwirklichenden vollkommenen Rezesse und ungeschriebenen Gewohnheits- Staat konstruiert zu haben und verteidigten rechte ersetzen und das gesamte Staats- und denselben mit dem Brustton der Überzeu- Rechtswesen bindend regeln. Die radikalen gung und nicht ohne dialektisches Ge- Neuerungen betrafen vor allem die Gewal- schick“, doch hätten sie „ganz den Unter- tenteilung, das demokratische Wahlrecht schied zwischen Ideal und Wirklichkeit, und die Wahl der Senatoren. Die gesetzge- zwischen Philosophie und Politik“ ver- bende Gewalt sollte der Bürgerschaft, die kannt: „Sie sahen von vornherein, was sie

| 113 | sehen wollten, und sie übersahen schlank- weg, was sie nicht zu sehen wünschten.“362 Diese Einschätzung geht auf die vom Vor- stand des Patriotischen Vereins am 11. Juli 1849 publizierte Denkschrift zurück, die in dem vorgelegten Ergebnis der Konstituante „die enge Verbindung eines klaren und scharfen Urteils mit einem in seiner theo- retischen Träumerei befangenen, für die Wirklichkeit im Leben aber tauben und blinden Vorurteil“ zu erkennen meinte – und sich durch die weiteren Entwicklungen, ausgelöst durch einen (unsauber) blockie- renden Antrag des Senats unter Zustim- mung der Bürgerschaft, bestätigt sah.363 Die gewählte Konstituante, die ihren Auftrag, eine Verfassung zu erarbeiten, erfüllt hatte, stand infolgedessen machtlos den noch im- mer einflussreichen althergebrachten Staats- organen gegenüber, eine Verständigung schien unmöglich. Aus diesem „Verfassungs- dilemma“ sollte jene Rats- und Bürgerdepu- tation der Neun einen Ausweg weisen, die (Anonymes) Flugblatt: Emil von Melles „Wort an noch im September 1849 zusammentrat. Sie meine Mitbürger“ (Zur nächsten Bürgerschaft, 1859) bestand aus vier Senats- und fünf Bürger- schaftsmitgliedern – darunter die ,Patrioten‘ darauf in das Kirchenkollegium St. Michae- Georg Heinrich Kaemmerer und Senator lis gewählt364 und offizieller Geschäftspart- Geffcken, Theodor von Melles Nachbar aus ner der Firma Theodor von Melle & Sohn. der Neuen Gröningerstraße, außerdem fe- Doch schon die kurz darauf erfolgten Ge- derführend: die Juristen Kirchenpauer (Se- burten seiner Enkelkinder Antonie und nat) und Karl Friedrich Petersen (Bürger- Werner erlebte der Firmengründer nicht schaft). Die Neunerkommission legte we- mehr. Er verschied noch im November 1850 nige Monate später einen überarbeiteten im Alter von 62 Jahren, 7 Monaten und 26 Verfassungsentwurf vor. Tagen (wie es im Sterberegister von St. Ka- ··································································· tharinen akribisch vermerkt ist). Die Er- Mit wie viel Anteilnahme Kaufmann Theo- schütterungen der großen Handelskrise von dor von Melle die sich daran anschließen- 1857 und ihrer Nachbeben in den darauffol- den (letztlich erfolglosen) Verfassungsver- genden Jahren – die das Geschäft allerdings handlungen zwischen Senat und Bürger- weitgehend schadlos überstand365 – blieben schaft des Jahres 1850 verfolgen konnte, lässt ihm so erspart. Und erspart blieb ihm, dem sich schwer sagen: Sein Sohn Emil heiratete Erbgesessenen, auch das Erlebnis der unver- am 16. März Marie Geffcken, wurde bald meidlich freiwilligen Auflösung jener Erb-

| 114 | gesessenen Bürgerschaft, deren Abgesang Eben weil die Aufregung da ist, spreche ich: sein Sohn verfassen sollte.366 beruhiget uns. Die beste Beruhigung, so- ··································································· bald für das Nächste gesorgt ist, wird sein, Wenige Tage vor dem März-Konvent des daß endlich geschieht, was längst hätte ge- Jahres 1859 erschien das anonyme Flugblatt schehen sollen. Die Zeit, in welcher die Bür- Zur nächsten Bürgerschaft. Ein Wort an meine ger-Deputation von 1814 eingesetzt ward, Mitbürger. Der in guter Hamburger Tradi- war auch eine Zeit der Aufregung. Was ih- tion stehende Untertitel367 verwies unver- nen aufgetragen war, das haben sie voll- kennbar auf eine Schrift des wenige Monate bracht, mit Anstrengung, mit Ruhm, und zuvor verstorbenen Christian Friedrich der Stadt zum Heil. […] Wie, wenn wir Wurm. Als engagierter ,Patriot‘ hatte dieser wieder eine Deputation hätten, das Werk in 1842 kurz nach der Brandkatastrophe ent- demselben patriotischen Sinn aufzunehmen schieden Kritik an den zu schwerfälligen und fortzuführen? Ich sage nicht, es zu Ende und geradezu dysfunktionalen Staats- und zu bringen. Denn es handelt sich nicht da- Verwaltungsorganen geübt – und sich hier- rum, eine Verfassung zu machen, aus einem bei sowohl im Argumentationsgang als auch Stück, von A bis Z. […] Um so weniger im rhetorischen Duktus an die 1814 von kann ein starrer Buchstabe uns verhindern, Amandus A. Abendroth aus dem Kieler Eins nach dem Andern vorzunehmen, und ,Exil‘ geäußerten legendären Wünsche bei neu einzurichten, was einer neuen Einrich- Hamburgs Wiedergeburt 368 für die Zeit nach tung bedarf. Eins nach dem Andern; aber der französischen Besetzung angelehnt, die nach einem überlegten Plan, ebenmäßig die Schrift in Auszügen rekapituliert. Wurms wie der Neubau unserer verschütteten Stra- mit Verve vorgetragenes Wort an meine Mit- ßen.369 Wurm hatte geendet mit: Endlich bürger konnte der Flugblatt-Verfasser aus laßt uns bedenken, daß die Verfassung es dem Jahre 1859 bei seinen Zeitgenossen of- nicht allein thut. – Nicht die Verfassung fenbar noch als bekannt voraussetzen. Das macht gute Bürger, sondern gute Bürger dürfte sich im Lauf der Zeit geändert haben müssen da sein, um eine gute Verfassung zu – umso erstaunlicher führt folgendes Zitat machen, und sie unverdorben zu erhalten. vor, wie wenig dieser erruptive Text Wurms […] Und somit, zu jedem besten Entschluß, von seiner vitalen Kraft und Modernität bis zu jedem Werk der Pflicht und Liebe für die auf den heutigen Tag eingebüßt hat: Vaterstadt, Glück auf!370 ··································································· ··································································· Und sage mir Keiner, man müsse nicht an Seitdem waren 17 Jahre unerquicklicher den Formen rütteln in solcher Zeit. Rütteln Auseinandersetzungen um durchgreifende – wer rüttelt denn? Die Zeit eben rüttelt, das Reformen und um die Verfassung ins Land Ereigniß rüttelt, und die allgemeine, nicht gezogen, deren Hergang der Anonymus, niederzuwerfende, nicht zu sprengende sprich: Emil von Melle, in seinem Flugblatt Ueberzeugung, daß es in manchen Stücken vom 9. März 1859 umfänglich rekonstru- anders werden muss. Sage mir auch Keiner, ierte. Mit geballter Informationsfaust und man müsse in solcher Zeit nicht aufregen. wohldosiertem Pathos forderte der Verfasser Den möcht’ ich sehen, der nicht blind ist für den nächsten Konvent von den Erbge- und nicht taub und doch nicht aufgeregt. sessenen Toleranz, Bürgertugenden, aber

| 115 | richts realisiert. Der Senat war nicht nur Exe- kutive, sondern zugleich Teil der legislativen Gewalt, da die Gesetzgebung weiterhin ge- teilt blieb zwischen Senat und Bürgerschaft. ··································································· Nach jenem ersten Intermezzo war Emil von Melle mehrmals (1863–1866; 1867) ge- wähltes Mitglied der Bürgerschaft, „in der er“, so steht es im Nachruf der Hamburger Nachrichten, „insbesondere seit 1865 eine nicht unbedeutende Rolle spielte. Er ge- hörte wiederholt, zuletzt als Präses, dem Budgetausschusse an, und es gelang ihm fer- ner, durch einen glücklich formulirten, fast einstimmig angenommenen Antrag die durch fortgesetzte Stimmenthaltung der Linken hervorgerufene Calamität bei den Siegelmarke (bis 1875) Deputationswahlen zu beseitigen.“ Als er 1867 „dann auf Grund eines zwischen den auch einen Reformwillen mit Augenmaß: gemäßigten Liberalen und der Fortschritts- „Möge der 14. März ein Tag sein, den die partei abgeschlossenen Compromisses als Geschichte unserer Vaterstadt als einen für Vertreter des ersten hamburgischen Wahl- sie segensreichen zu bezeichnen hat, ein Tag, kreises in den Reichstag des Norddeutschen der uns dem Ziele, welches wir uns doch alle Bundes entsandt“ wurde, trat er „der natio- gesteckt haben, – der gedeihlichen und für nalliberalen Fraktion bei; doch ward seiner alle segensreichen Entwickelung unserer öf- parlamentarischen Thätigkeit schon nach fentlichen Zustände – näher bringt!“371 Die- wenigen Monaten – am 9. December 1879 ses Mal war das Ergebnis des Konvents und – durch die Wahl in den Senat ein Ziel ge- der ihm folgenden im erhofften Sinne und setzt.“372 Damit war er einer der kaufmän- so konnte noch vor Ende des Jahres die erste nischen Senatoren – denn auch in der neuen gewählte Bürgerschaft, in der bekanntlich Verfassung blieb die Besonderheit bestehen, auch von Melle ein kurzes Gastspiel gab, zu- dass sich das nunmehr 18-köpfige Gremium sammentreten und im Jahr darauf endlich aus neun Juristen und mindestens sieben die neue, eine gemäßigte (Repräsentativ-)Ver- Kaufleuten zusammensetzte. In Hinblick fassung vorlegen. Danach wurde die Bürger- auf Werner von Melles Informationsstand, schaft von den steuerzahlenden und grund- Sozialisierung und grundsätzliches Ver- besitzenden Bürgern sowie den Notabeln ständnis für innerstädtische Prozesse dürfte gewählt und der Senat (unter eigener Betei- es aufschlussreich sein, an dieser Stelle kurz ligung) von der Bürgerschaft auf Lebenszeit; noch die Positionen zu nennen, die sein die Trennung der exekutiven von der judika- Vater in diesen Jahren ausfüllte, sowie den tiven Gewalt wurde durch die Einrichtung Einfluss anzudeuten, den er auf die Senats- eines vom Senat unabhängigen Oberge- geschäfte nehmen konnte. Er war 1874 bis

| 116 | Senator Emil von Melle (1875)

| 117 | Emil von Melle im ,Rathshabit‘ (W. Höffert, um 1890)

| 118 | Zeitungsartikel zum Ausscheiden aus dem Senat (1890)

| 119 | 1876 (letzter) Präses der Bankdeputation nalfragen, so Mönckeberg, habe von Melle und im Anschluss (erster) Präses der neuen „jahrelang zu den einflußreichsten Mitglie- Kommission für die Münzstätte373. Über dern des Senats [gehört], sobald es sich um sechs Jahre – zwischen 1878 und 1884 – prä- Wahlen handelte“. sidierte er der Baudeputation und zeichnete ··································································· als Mitglied der Senats- und Bürgerschafts- Anlässlich der Amtsniederlegung Ende kommission, der ebenfalls Petersen, O’Swald 1890 schloss Mönckeberg mit Bedauern: und Versmann angehörten, für den Gene- „Der Senat verliert in ihm einen hochge- ralplan und den Generalkostenanschlag für schätzten Kollegen, dessen selbständige und die Ausführung des Anschlusses Hamburgs bedeutende Wirksamkeit in den verschie- an das deutsche Zollgebiet mitverantwort- densten Verwaltungszweigen verdiente An- lich.374 Wegen eines Augenleidens wechselte erkennung in den weitesten Kreisen gefun- er als Präses u. a. zum Waisenhauskollegium den hat und dessen reges Interesse für alle und Kirchenrat, bis er Ende 1890, obwohl dem Senate vorliegenden Fragen, dessen auf Lebenszeit gewählt, aus Gesundheits- wahrhaft humane Gesinnung und dessen gründen ganz aus dem Senat ausschied. Sein warmherziger Patriotismus uns allen unver- (studierter) Senatskollege Johann Georg geßlich sein wird.“377 Eine ähnliche Formu- Mönckeberg attestierte ihm „eine für einen lierung findet sich wenig später an anderer Kaufmann ungewöhnlich vielseitige Bil- Stelle: „Wer je persönlich mit ihm in Berüh- dung“ und Beredsamkeit:375 „Sein Urteil rung gekommen, der wird in ihm nicht nur über die verschiedenartigsten, im Senat vor- den klarblickenden, edlen Patrioten, son- kommenden Fragen war oft ein überra- dern auch den warm fühlenden und wahr- schend treffendes; wie er denn zu der Zahl haft human denkenden Menschen erkannt kaufmännischer Senatoren gehörte, welche und verehrt haben.“378 sich nicht auf bestimmte Fächer beschrän- ··································································· ken, sondern bei allen beteiligen und alle Se- Es sei dahingestellt, ob in den aufgerufenen natsgeschäfte mit Interesse verfolgen. Mit Begriffen wie Humanismus und Patriotis- großer Freude verwaltete er das St.-Pauli- mus eher anlassbezogenes pathetisches (zeit- Patronat, weil die bunte Mannigfaltigkeit bedingtes) Wortgeklingel ertönt oder sich der daselbst zu entscheidenden Fragen sei- hinter dieser beinahe global anmutenden nem lebhaften Geist immer neue Anregung (und so wohl nicht gemeinten) Kennzeich- brachte.“376 nung doch eine individuellere Charakteri- ··································································· sierung verbirgt. Die vorangegangenen Ka- Diese Einschätzungen fügen sich in das pitel haben schon versucht, sich einer bisher erschriebene Bild von Emil von Gedankenfigur zu nähern, bei der es sich of- Melle. Die Aufzeichnungen von Möncke- fenbar um eine besondere ortsbezogene, berg bieten darüber hinaus einen neuen hamburgische Variante des Patriotismus- Aspekt, der vielleicht nicht unwesentlich be- Gedankens handelt, der eben nicht nur na- teiligt war sowohl an den Hemmnissen als tional angelegt, sondern „sich gerade im auch an den entscheidenden Glücksmo- Umfeld der Frühaufklärung auch auf andere menten in der weiteren Laufbahn seines räumliche und gesellschaftliche Einheiten Sohnes: Mit lebhaftem Interesse für Perso- wie die Stadt, die Region, die Sprache, eine

| 120 | gemeinsame Geschichte oder bestimmte ausgehende 19. und (mehr noch) begin- Wertvorstellungen beziehen konnte“379 und nende 20. Jahrhundert unter ,niederdeutsch‘ mehrfach etwa in Bezug auf Schleiden an- – oder, anders gefragt: auf welche weitere klang. ,Patriotismus‘ meint in Rückverfol- kollektive Identität nahm von Melle damit gung der Traditionslinie auf etwa 1700 das Bezug? ,Nur‘ auf die geographische Eintei- Bemühen um das Gemeinwohl im allge- lung der niederen, nördlicheren Landen? meinen Sinne, also um die Verbesserung der Das (historische) Sprachgebiet der (auf La- Bildung, die Bekämpfung der Armut und teinisch:) lingua Saxonica, einer westgerma- um wirtschaftlichen Wohlstand; das Ideal nischen Sprache, die sich als Niederdeutsch eines Staatsbürgers wurde – das durchzieht wie das Englische und Friesische aus dem in unterschiedlichen Varianten die folgen- Altsächsischen entwickelt haben soll, er- den Jahrhunderte – der entsprechend han- streckte sich immerhin zeitweilig über den delnde, tugendhafte Patriot. In diesem lo- gesamten norddeutschen Raum von der kalspezifischen Zusammenhang drängt sich Nordseeküste bis nach Estland (und um- ein kurzer, aufschlussreicher Ausflug in den fasste auch das Niederländische). Bei dem charakteristischen Sprachgebrauch geradezu lübischen Niederdeutsch, der lingua franca auf: Dieses Kapitel begann mit einem „Eyd“ des Nord- und Ostseeraumes, handelte es in niederdeutscher Sprache, den Werner von sich um die seit dem 12. Jahrhundert gespro- Melles Großvater ablegte – folgende Erzäh- chene vornehme Verkehrssprache der Deut- lung geht in Anknüpfung daran noch ein schen Hanse, die bis zum 16. Jahrhundert als paar Generationen im Familiengedächtnis bedeutende Schriftsprache in Geltung war. zurück und setzt dafür die Melle’sche Kon- (Mittel-)Niederdeutsche Bücher, Urkunden takt-Linse ein. und Gesetzestexte, die sich auf Handel, Re- ··································································· ligion, Wissenschaft oder Alltag bezogen, Niederdeutscher existierten gleichrangig neben lateinischen; Sprachpatriotismus auch in theologischen Schriften wurde Nie- ··································································· derdeutsch verwendet, sogar mehrere Bibel- Für das heutige, an den plattdeutschen übersetzungen entstanden, wie sich über- Ohnsorg-Klang380 gewöhnte Ohr und Ver- haupt niederdeutsche Drucke in der Refor- ständnis mag das Zusammendenken von mationszeit großer Beliebtheit erfreuten. ,niederdeutsch‘ mit dem Nationalheros der Entsprechend verfasste der ,geistliche Ge- englischen Literatur- und Theatergeschichte sandte‘ Martin Luthers, Johannes Bugenha- zunächst einmal überraschen. Mit dem im gen, auf Niederdeutsch Der Erbarn Stadt vorigen Kapitel zitierten Ausspruch: „Der Hamborch, Christlike Ordeninge / to denste etwas derbe, uns Niederdeutschen nicht un- dem hilgen Euangelio / Christliker leue / tucht sympathische englische Humor, den wir ja / frede unde einicheit 382 und ,stiftete‘ damit schon bei Shakespeare finden“,381 beschwor der Stadt Hamburg 1529 nicht nur eine Werner von Melle über die Sprachver- (evangelisch-lutherische) Kirchenordnung, wandtschaft hinaus eine tiefer liegende Ver- sondern parallel in dem Gebäude des inzwi- bundenheit mit der englischen Mentalität schen säkularisierten alten St. Johannis- und markierte sein Selbstverständnis als Klosters die erste Latinsche Schole, die Ge- ,Niederdeutscher‘. Was aber verstand das lehrtenschule Johanneum. – Zwei Jahre spä-

| 121 | ter bekam auch Lübeck mit Der keyserliken schen Geschichtsverein, und noch im selben Stadt Lübeck christlike Ordeninge eine Lübe- Jahr begann man mit der Publikation eines cker Kirchenordnung in derselben Sprache, Niederdeutschen Jahrbuchs, das – neben dem in die Bugenhagen kurz darauf sogar den seit 1876 erscheinenden Korrespondenzblatt druckfrischen ,Urtext‘ der deutschen Lu- für wissenschaftliche Miszellen und Materi- ther-Bibel zu übertragen begann (1533/34; alsammlungen sowie kleineren Arbeiten mit die Luther’sche Gesamtausgabe lag vollstän- populärem Charakter – zum zentralen wis- dig erst 1534/45 vor). Sprechen diese Zeug- senschaftlichen Publikationsorgan für Nie- nisse für die Relevanz des Niederdeutschen derdeutsch wurde. Daneben gab es weitere im ,normalen‘ und ,offiziellen‘ Sprachge- Vereinigungen, Blätter und Zeitschriften, brauch, so deutet doch schon der Umweg ei- die eher dem bildungsbürgerlichen Sektor ner Übertragung aus dem ,hochdeutschen‘ der Heimatkunstbewegung zugehörten und Referenztext der Heiligen Schrift auf ein sich – wie der 1904 (noch unter anderem Phänomen, das als ,Eindringen der hoch- Namen gegründete) Quickborn – zum Ziel deutschen Sprache‘ zu einem geläufigen setzten, die niederdeutsche Sprache und Li- Topos und Untersuchungsgegenstand der teratur aktiv zu pflegen. Dass diese Vereini- germanistischen Sprachwissenschaft des aus- gung von Freunden der niederdeutschen Spra- gehenden 19. und beginnenden 20. Jahrhun- che und Literatur (heute unter Wegfall der derts wurde. Gemeint ist damit der im 16. Freunde bloß: Vereinigung der Niederdeut- Jahrhundert einsetzende Prozess der Ablö- schen Sprache und Literatur) 1912 Werner sung des Niederdeutschen durch das Hoch- von Melle zu ihrem Ehrenmitglied wählte, deutsche. Im Zuge der zunehmenden Dif- ist hier insofern bemerkenswert, als er der ferenzierung der Geisteswissenschaften im Ur-Ur-Ur-Ur-Enkel des Lübecker Haupt- 19. Jahrhundert und der Herausbildung der pastors und ,Polyhistors‘ Jacob von Melle Germanistik als eigener Wissenschaft wuchs war,384 der – bekannt für seine numisma- das Interesse für Sprach- und Sprachge- tischen, historischen und theologischen schichtsforschung allgemein, für ihren Teil- Schriften – im 17. Jahrhundert ein Lexicon bereich Dialektologie und damit auch für linguae veteris Teutonicae, quae vulgo de das Niederdeutsche und seine Literatur im Platt=Dudesche Sprake vocatur vorlegte. Von Besonderen.383 den nicht ganz 20.000 Wörtern des hand- ··································································· schriftlichen Exemplars präsentierte das Als Werner von Melle im Sommersemester Niederdeutsche Jahrbuch zu Lebzeiten Wer- 1875 gerade dabei war, sich im niedersächsi- ner von Melles einen kleinen Ausschnitt. schen Göttingen für das letzte Universitäts- Doch lagen ihm die beiden in der Lübecker jahr einzurichten, fand in Hamburg die Stadtbibliothek verwahrten Exemplare im erste (Pfingst-)Tagung des 1874 gegründeten Original vor, sodass er in Übersetzung der Vereins für Niederdeutsch statt. Erklärtes lateinischen Vorrede zu Beweggründen und Ziel der Vereinsarbeit war es, die nieder- Vorgehensweise seines Vorfahren erklärte: deutsche Sprache in ihrer ganzen sprachkul- „die Mißachtung, mit welcher der nieder- turellen Erscheinungsvielfalt zu erforschen. deutschen Zunge überall begegnet werde, Von Beginn an kooperierte der Verein mit bekümmere ihn tief, und er wünsche festzu- dem vier Jahre früher gegründeten Hansi- stellen, daß seine Muttersprache dem Hoch-

| 122 | ler und politischer Zerrissenheit zu stel- len.389 Mit aktiven Versuchen, niederdeut- sche Sprache als Literatursprache salonfähig zu machen, reagierte auch das Hamburg des ausgehenden 17. Jahrhunderts auf den regis- trierten Bedeutungsverlust eines nieder- deutschen Idioms und produzierte damit eine Schnittstelle von niederdeutschen und patriotischen Bestrebungen in der Grün- dung der Teutsch=übenden Gesellschaft und der ersten Patriotischen Gesellschaft. Zu den letzten Übriggebliebenen aus beider Kern- gruppe gehörten 1769 ebenso Ratssyndikus Klefeker, Herausgeber der bedeutendsten Sammlung von Hamburger Gesetzen, wie dessen ehemaliger Lehrer Michael Richey, Professor am Akademischen Gymnasium.390 Wenn sich Werner von Melle als Nieder- deutscher bezeichnet, so schwingt in dieser geographischen Verortung im Hintergrund ein Regionalbezug mit, der beispielsweise Senior Jacob von Melle. Epitaph des Hauptpastors durch das Idioticon Hamburgense von Ri- in St. Marien, Lübeck (zerstört) 385 chey geschaffen wurde, der sich seinerzeit mit Jacob von Melle in engem Austausch be- deutschen durchaus das Wasser reiche“.386 fand. Das zwischenzeitlich durch Kriegswirren für ··································································· in der Sowjetunion verschollen gehaltene, Hamburgischer ›Kultur- längst zurückerstattete Werk ist bis heute Patriotismus‹: Der Verein für nicht gedruckt, wurde aber um die Jahrtau- Kunst und Wissenschaft sendwende einer Untersuchung unterzo- ··································································· gen387 und in den historischen Kontext der Eine andere Art von ,Kultur-Patriotismus‘ niederdeutschen Lexikographie des 17./18. erwachte in Hamburg, als Werner von Melle Jahrhunderts eingeordnet: 1700 erteilte die noch auf dem Schleiden’schen Institut war Preußische Akademie der Wissenschaften und sich in Heidelberg die studentische den Auftrag, ein vollständiges deutsches Hamburger Gesellschaft konstituierte. Am Wörterbuch zu erarbeiten, und initiierte 16. Oktober 1868 wurde in Hamburg in damit eine Diskussion um Wörterbuchpro- Abstimmung mit der Patriotischen Gesell- gramme, entfachte geradezu eine Lexiko- schaft auf Initiative von Adolf Wilhelm graphie-Sucht,388 die einerseits dem Sprach- Theobald ein Verein für Kunst und Wissen- gebrauch verpflichtet war, sich andererseits schaft gegründet, der seinen Sitz im Erd- dem patriotischen Wunsch verdankte, eine geschoss des Gebäudes der Patriotischen sprachliche Einigung an die Stelle nationa- Gesellschaft hatte. Zu den hochrangigen

| 123 | Hamburger Bürgern des Gründungskreises schaft und mehrmals – zuerst 1863–65, zu- gehörten unter anderen zwei Pädagogen letzt von 1869 bis zu seinem Todesjahr 1877 vom Johanneum, Johannes Classen und und auch 1868, also zur Zeit der Vereins- Adolf Wohlwill, die Juristen Isaak Wolffson gründung – ihr Präsident. Zu seinem Nach- (1861–63 Präsident der Bürgerschaft, 1877 folger im Vorstand des Vereins für Kunst Mitglied in der Hamburger gemischten und Wissenschaft wurde 1877 Spörri ge- Kommission, 1875/76 in der Reichstags- wählt, der Baumeister in dieser Position kommission für die Justizgesetze; seit 1890 schon 1870 und 1872 vertreten hatte. Das Mitglied der Kommission für das Bürgerli- vom Vorsitzenden verantwortete rege Vor- che Gesetzbuch; Vorsitzender der hanseati- tragswesen bestritten die Mitglieder über- schen Anwaltskammer391), Johann Georg wiegend selbst, viele der zeitgenössisch be- Mönckeberg und Bürgermeister Friedrich deutenden Vorträge beispielsweise über die Sieveking, außerdem Justus Brinckmann Entwicklung der Stadt Hamburg fanden (seit 1868 Advokat, Kunstreferent des Ham- im Rahmen von Vereinsversammlungen burgischen Correspondenten und erster Vor- statt, die im ersten Winterhalbjahr noch in sitzender des neugegründeten Kunstgewer- der Aula des Johanneums abgehalten wur- be-Vereins, 1877 erster Direktor des Staatli- den. Zu dem inhaltlichen ,Programm‘ ge- chen Technikums und Museums für Kunst und hörten die Erörterung wissenschaftlicher Gewerbe), die Theologen Pastor Hermann und künstlerischer Fragen (denen verschie- Spörri und Schulleiter Heinrich Schleiden dene Donnerstage gewidmet waren) sowie sowie dessen Schwager, der Künstler Otto im Winter 1869/70 eine Ausstellung von Bil- Speckter392. Bereits im Gründungsjahr des dern, Zeichnungen und künstlerischen Skiz- Vereins stieg die Anzahl von 150 auf 500 zen. Der Ausbruch des Deutsch-Französi- Mitglieder.393 Vorsitzender war mit einer schen Krieges führte zu einer Steigerung der Unterbrechung von zwei Jahren bis zu sei- Mitgliedsaktivitäten in den Vereinsräumen, nem Tode Obergerichtsrat Baumeister, der- die auch zum Mittelpunkt für die Bespre- selbe, dessen Empfehlungsschreiben Wer- chung der im Abonnement gehaltenen und ner von Melle später in Leipzig Zutritt zu ei- hier direkt einsehbaren telegraphischen De- nem der ,Champagnerdiners‘ Carl Georg peschen des Reuter’schen Büros wurden. von Waechters verschaffen sollte.394 Als Die 1872 vollzogene Eingliederung des Ver- Präsident der Konstituante war Baumeister eins als eine Sektion in die Patriotische federführend an der Modernisierung der Gesellschaft hatte die Erweiterung ihres Hamburger Verfassung beteiligt, sein „1856 ,Gesamtzwecks‘ zur Folge: zur Beförderung erschienenes Lehrbuch des hamburgischen des Gemeinwohls, Pflege von Kunst, Wissen- Privatrechts“ wurde nach Ansicht von Mel- schaft und nützlicher Gewerbe. Geselligkeit les ein „von den Vertretern der deutschen nahm in Form von Tanz- und Kostümfesten Rechtswissenschaft vielfach mit Anerken- neben der Vortrags- und künstlerischen Aus- nung genanntes Werk, für die praktischen stellungstätigkeit im Verein breiten Raum Juristen Hamburgs nicht nur ein unent- ein, außerdem wurden zahlreiche weitere behrliches Nachschlagebuch, sondern auch Vereins- und Bildungsinitiativen der Stadt eine Autorität ersten Ranges“.395 Seit 1859 (etwa der Verein für Volksbildung) unter- war er Mitglied der Hamburger Bürger- stützt.396 1869 erfolgte sogar die Gründung

| 124 | einer „germanisch-literarischen Sektion“, turkritiker Georg Brandes, der die erfolg- „die am 15. September die Genehmigung reichen Hauptströmungen der Literatur des des Vorstandes erhielt und später mit dem, 19. Jahrhunderts beschrieben hatte.402 Es fügt 1875 unter wesentlichem Mitwirken Theo- sich ins Bild seiner damaligen Interessen- bald’s gestifteten, Verein für Niederdeutsche lage, dass von Melle hier in erster Linie nicht Sprachforschung verschmolzen wurde, ohne Vertreter aus Politik, Wirtschaft oder dem dabei den Charakter einer besonderen Sek- geistigen Stand nennt, sondern zwei Lite- tion des Vereins zu verlieren“.397 Theobald rarhistoriker. Hettner gehörte mit seinem überwies dem Verein für niederdeutsche literaturgeschichtlichen Konzept, das neben Sprache eine nicht unbedeutende Summe, der historischen vor allem eine ästhetische die zur Vermehrung einer Sammlung sprach- Dimension enthielt, zu den bedeutenden wissenschaftlicher Werke gedacht war398 Kunsthistorikern und Ästhetikern seiner und über Jahrzehnte als Theobald-Stiftung Zeit.403 Genau das hatte ihn zur Zielscheibe zu einem nachhaltig festen Bestandteil der von Wilhelm Scherers Kritik gemacht, der Etablierung niederdeutscher Studien in als Vertreter einer philologischen ,For- Hamburg wurde. schungs‘wissenschaft Hettner und dessen ··································································· ästhetisch-spekulativ fundierter Ideenge- Werner von Melle als Mitglied schichte nicht nur eine teleologische Ge- ··································································· schichtsbetrachtung vorwarf, sondern auch Im Bestreben, Hamburg „mit den geistigen das Bestreben, durch eine ansprechende Strömungen des Vaterlandes in engere Ver- Darstellung ein Defizit empirischer For- bindung zu bringen“,399 wurden vom Verein schung zu kaschieren. „Litteraturgeschichte für Kunst und Wissenschaft überregional muß aber darauf ausgehen, ein lebendiges „hervorragende“ Persönlichkeiten zu wis- Bild der Individualität der einzelnen Dich- senschaftlichen Vorträgen und den anschlie- ter zu geben“,404 lautete das Postulat des For- ßenden „angeregten Gespräch[en] im klei- schers Scherer. Damit forderte er eine, der nen Kreise“ beim „üblichen Abendtrunk im Literaturgeschichtsschreibung vorgelagerte, Vereinslokal“ geladen.400 Solche Vorträge empirische Materialsichtung und -aufberei- besuchte Werner von Melle schon als Prima- tung, bevor mithilfe der Ästhetik große er- ner und verstärkt nach seiner Rückkehr aus zählende Linien gezogen werden könnten. England. Im Jahre 1877, in dem die Höchst- Entsprechend lag seit Beginn der 1870er zahl von 1263 Mitgliedern erreicht wurde, Jahre die literaturwissenschaftliche Einzel- trat er dem Verein bei, zu dessen Vorstands- untersuchung unter Scherers ,Schülern‘ im mitgliedern neben Wohlwill und Wolffson Trend, die bislang unveröffentlichtes Mate- seit 1872 auch der verschwägerte Otto und rial philologisch fundiert sichteten und so- seit 1874 der befreundete Rudolf Möncke- lide für die weitere Forschung aufbereiteten. berg zählten.401 Von Melles Jugenderinne- Aus einer brieflichen Anfrage Hettners aus rungen heben unter den ,namhaften‘ Vortra- dem Jahre 1874 geht denn auch hervor, dass genden den Literarturhistoriker Hermann Hettner selbst als Exponent einer bestimm- Hettner, Verfasser der vielgelesenen Litera- ten Richtung von Literaturgeschichtsschrei- turgeschichte des 18. Jahrhunderts, hervor und bung Thema in den Straßburger Vorlesun- (etliche Jahre später) den dänischen Litera- gen war, die auch Werner von Melle zu der

| 125 | tisch unter die Lupe genommen und war neben aller Bewunderung, besonders für den europäischen Standpunkt und die „pa- ckende Genialität des großen Dänen“ (vgl. Ausschnitt 1), doch auf einige Schwächen gestoßen, die er als Kenner der biographi- schen Methode unnachsichtig bloßlegte (vgl. Ausschnitt 2).407 Die kurze Korrespon- denz, die sich im Anschluss an die Zusen- dung seiner Kritik an den Biographen ent- wickelte, führte sogar zu einem Besuch von Brandes in Hamburg, der allerdings nicht den erwünschten Austausch zur Folge hatte. Brandes’ Unbekümmertheit um methodi- sche Standards und seine Neigung, im Dienste der Lesbarkeit und Spannung ein- fach hinzuzudichten, stießen auf von Melles (der Wahrheit verpflichtetes) philologisches Ethos – die grundsätzlichen Auffassungsun- terschiede ließen eine ersprießliche Verstän- digung nicht zu.408 Literaturgeschichte im Kontext 1 – ··································································· Der Dramatiker Georg Brandes: Hamburgischer Das Vortragsprogramm zwischen 1878 und Correspondent Nr. 213 (7. September 1879) 1890 stellte der Vorstand des Vereins für Kunst und Wissenschaft unter dem Vorsitz Zeit bei Scherer besucht hatte.405 Durch die von Hermann Spörri zusammen, der als Straßburger Diskussionen und eigene Lek- promovierter (schweizerischer) Theologe türe bestens vorbereitet, war es dem immer dazu auch selbst einige Vorträge beisteu- noch an historischer Methode interessierten erte.409 Als Vorsitzender hatte Spörri zuwei- von Melle wenige Jahre später eine willkom- len auch öffentlich aufzutreten, so etwa 1881 mene Gelegenheit, den berühmten Hettner einmal im Rahmen des Vereinsprogramms als Redner zu erleben und im Anschluss zu sprechen. ··································································· Zu Brandes hingegen hatte es schon vor der Lesung einen direkten Kontakt gegeben: Melle hatte dessen Biographie von Benja- min Disraeli, Earl of Beaconsfield – den er selbst übrigens in England verpasst hatte, Literaturgeschichte im Kontext 2 – wie er seinerzeit enttäuscht nach seinem Be- Der Kritiker von Melle: Hamburgischer such im House of Lords vermeldete406 –, kri- Correspondent Nr. 213 (7. September 1879)

| 126 | bei der Enthüllung des „hiesigen Denkmals für Lessing“, dessen Errichtung am Gänse- markt „in den Kreisen von Mitgliedern des Vereins angeregt“ worden war:410 1876 hatte der Verein beim Hamburger Senat einen Antrag gestellt und den schließlich gekürten Entwurf von Fritz Schaper mit etlichen Geldspenden unterstützt, die in ähnlicher Höhe auch zu verschiedenen anderen Anläs- sen größeren und kleineren Organisationen zugute kamen.411 ··································································· Besagter Spörri erfuhr eine besondere Auszeichnung des Vereins noch zu Lebzei- ten: 1890 wurde er zum (neunten) Ehren- mitglied ernannt – unter den ,honorigen‘ Vorgängern findet sich 1882 auch der Stadt- bibliothekarsvorsteher Dr. Isler, Werner von Melles ehemaliger Lateinlehrer am Schlei- den’schen Institut. Von Melle selbst trat mit Hermann Spörri: Prediger und Vorsitzender Spörri Anfang der 1880er Jahre in engeren des Vereins für Kunst und Wissenschaft Kontakt, allerdings nicht in dessen Funk- tion als Vereinsvorsitzender, sondern als Pre- prominent sind wie die beiden üblicher- diger der Hamburger Deutsch-Reformier- weise mit den kulturellen Bestrebungen as- ten Gemeinde412 – der 1873 auch Heinrich soziierten und nicht zuletzt immer wieder Schleiden beigetreten war und bald als Vor- von Melle selbst hervorgehobenen Vor- standsmitglied (der Ältesten) und Präses der standsmitglieder auch des Vereins für Kunst Schul-Verwaltung angehörte.413 und Wissenschaft: die schon genannten Jus- ··································································· tus Brinckmann (im Vorstand seit 1868) und Der Verein für Kunst und Wissenschaft ist Alfred Lichtwark (als erster Direktor der nur einer der Sammelpunkte und Um- Kunsthalle im Vorstand seit seinem Amtsan- schlagplätze, einer der vielen sozialen Kno- tritt Anfang Oktober 1886).414 Vielleicht ten, die das hamburgische Kultur- und Ver- wird dadurch etwas plastischer, was Werner einsnetz zusammenhielten. Es wären noch von Melle an Impulsen und Bemühungen so viele andere Gruppierungen vorzustellen, zur Hebung des geistigen Lebens seiner Hei- doch birgt ein Nachspinnen all dieser Fäden matstadt hat vorfinden und aufnehmen die Gefahr, sich in zu viel synchron erlebter können. Bevor jedoch sein eigenes Engage- ,Echtzeit‘ zu verheddern. Exemplarisch ment als aktives Mitglied im älteren St. Pauli dürfte gleichwohl dadurch etwas mehr Licht Bürger-Verein und später im Kunstverein in jene Periode Hamburger Lebens sickern wie auch im Verein für Kunst und Wissen- und ihre Vorkämpfer und Mitstreiter her- schaft beleuchtet wird, verlohnt es, das vortreten lassen, die nicht (mehr) alle so Augenmerk zu richten auf eine recht unbe-

| 127 | kannte, weil niedrigschwellige, ,berufsstän- dische‘ und damit sehr exklusive Gesellig- keit im Club-Format. ··································································· Advokat und Heidelberger Club ··································································· Im selben Jahr, in dem Werner von Melle dem Verein für Kunst und Wissenschaft bei- trat, wurde er in einen geselligen Club der Hamburger Gesellschaft aufgenommen, de- ren Mitglieder in der Matrikel der Hambur- ger Advokaten alle recht dicht aufeinander folgen:415 ··································································· 100 Dr. Peter Christian Gustav Schaumann geb. 1849 | prom. 1873 in Göttingen 101 Dr. Matthias Mutzenbecher geb. 1849 | prom. 1873 in Leipzig 103 Dr. Theodor Wilhelm Gruner geb. 1847 | prom. 1872 in Heidelberg 104 Dr. Cipriano Francisco Gaedechens geb. 1848 | prom. 1873 in Göttingen 105 Dr. Hermann Jacubowski Titelblatt: Protokollbuch vom geb. 1848 | prom. 1873 in Göttingen Heidelberger Club 1874 106 Dr. Carl Ferdinand Michahelles geb. 1849 | prom. 1873 in Heidelberg 123 Dr. Max Predöhl […] geb. 1854 | prom. 1876 in Leipzig416 110 Dr. Johann Heinrich Burchard 124 Dr. Hermann Ludwig Wilhelm Rettich geb. 1852 | prom. 1874 in Heidelberg geb. 1853 | prom. 1876 in Göttingen 111 Dr. Otto Hübener 125 Dr. Werner v. Melle geb. 1851 | prom. 1874 in Göttingen geb. 1853 | prom. 1876 in Göttingen […] 131 Dr. Max Crasemann 114 Dr. Otto Carl Isaak Dehn geb. 1852 | prom. 1877 in Göttingen geb. 1852 | prom. 1875 in Göttingen 132 Dr. Paul Crasemann 116 Dr. Heinrich Theodor David Jaques geb. 1855 | prom. 1877 in Göttingen geb. 1852 | prom. 1875 in Leipzig ··································································· 117 Dr. Paul Waldemar von Leesen Viele von ihnen kannten sich von frühauf geb. 1852 | prom. 1875 in Göttingen oder, wie angedeutet, seit der Studienzeit; die […] Zugehörigkeit zum relativ jungen ,Freun- 120 Dr. Carl Christoph v. Holstein deskreis‘ der Hamburger Gesellschaft stiftete geb. 1851 | prom. 1875 in Göttingen einen über das Studium und die Generation […] (d. h. die jeweiligen Konsemester) hinausge-

| 128 | henden Zusammenhang, der nicht über-, Schon in seiner Benennung schloss der aber bezogen auf Hamburg auch keinesfalls Heidelberger Club an eine ältere Tradition an unterschätzt werden sollte. Immerhin fan- – jedoch weniger orientiert an dem 1859 ge- den sich hier Jura- und Medizinstudenten, gründeten, bis heute bestehenden Aca- d. h. ,Vertreter‘ einer gewissen Gesellschafts- demischen Club zu Hamburg (A. C.), der schicht zusammen, die einander unterstüt- inhaltlich und stilistisch stark den überlie- zen konnten und absehbar auch im Berufs- ferten Umgangsformen des Verbindungswe- leben miteinander zu tun haben, womöglich sens entsprach und einem „seit langer Zeit voneinander abhängig sein, einflussreiche unter den in Hamburg weilenden ehemali- Positionen der Stadt einnehmen würden. gen Korpsstudenten sich fühlbar machen- Dass dieser gesellige Zusammenhang von den Bedürfnisse einer regelmäßigen, an die den nach Hamburg zurückgekehrten Mit- akademische Zeit erinnernden geselligen gliedern und in der Hauptsache wohlbe- Zusammenkunft in befriedigender Weise stallten Advokaten als relevant und pfle- Abhülfe“ verschaffen sollte.418 Vorbild war genswert erachtet wurde, zeigt die Grün- vielmehr das ältere, von Hamburger Stu- dung jenes Hamburger Gegenstücks, des denten in Heidelberg gegründete Corps mit typisch-hanseatischer Note in anglo- Hanseatia (1841 erloschen) und sein Ham- phoner Tradition benannten Heidelberger burger Gegenstück, der Anfang der 1830er Clubb (das zweite „b“ verschwand bald) in Jahre zur Erinnerung an die Studienzeiten dem die ehemaligen Studenten nach ein- ins Leben gerufene Heidelberger Klub, des- stimmig angenommener Aufnahme dann sen monatliche mehr oder weniger frequen- als sogenannte ,Alte Herren‘ verkehrten. tierten Treffen bis Anfang der 1870er Jahre Aufgrund der spärlichen Überlieferung las- hinein im Nienstedtener Restaurant Jacob sen sich schwer konkrete Aussagen darüber an der Elbchaussee stattfanden. Ein solches treffen, welchen Stellenwert die Hamburger Treffen von ,Hamburger Honoratioren‘ der Advokaten (und Mediziner) dem Club bei- früheren Generation wurde 1847/48 von maßen, über den bislang nur wenig mehr dem Lithographen Otto Speckter (dem schon bekannt ist, als dass die Mitglieder an den mehrfach erwähnten Schwager von Schlei- jeweils ersten Dienstagen eines Monats zu den und Wurm) bildlich festgehalten, zu se- sogenannten Club-Abenden in Etablisse- hen sind darauf auch die späteren Bürger- ments wie dem Hotel Bellevue oder Meyer’s meister Carl Friedrich Petersen und Gustav Hotel417 und zu besonderen Diners oder Heinrich Kirchenpauer (der allerdings kein Feierlichkeiten auch samstags zusammen- Mitglied der Hanseatia war).419 trafen. So sucht man in von Melles Jugend- ··································································· erinnerungen Hinweise auf den Club ver- Zu dem Bestand des Heidelberger Clubs von geblich, obwohl er nachweislich an Treffen 1874, der aus dem Nachlass eines der Mit- und Feiern teilnahm und in diesem geselli- glieder, des Neurologen Max Nonne, an das gen Rahmen sogar ,auf Montage‘ war, d. h. Hamburger Staatsarchiv gelangte, gehört sich für die nachträglich zusammengestell- ein Manuskript von Nonnes Schwiegersohn ten Gemeinschaftsbilder abkonterfeien ließ, Geert Seelig420 über eine erste Auswertung (vgl. Kapitel 3: „Ortswechsel“, S. 70). der Club-Geschichte auf Grundlage der er- ··································································· haltenen Unterlagen:421 eines Protokoll- und

| 129 | eines Cassabuchs, eines Briefwechsels wegen Heidelberg kneipten“. Als Zweck des Clubs Satzungsänderungen (aus denen sich ein- wurde „die Förderung des Zusammenhal- zelne Paragraphen der leider nicht erhalte- tens der Universitätsfreunde und die Pflege nen Statuten ableiten lassen) und kurioser- academischer Erinnerungen“ angegeben. In weise der Abrechnung über ein Fest von Anbetracht dessen, „daß auch namentlich insgesamt 337 Mark 20 von Meyer’s Hotel eine gewisse.Abgeschlossenheit der persön- (Inhaberin: ,Witwe Milatz‘). Die Anzahl der lich unter sich näher bekannten und be- Gedecke (leider fehlt die Menü-Karte) weist freundeten Mitglieder unzweifelhaft den bei darauf hin, dass hier am 21. Oktober 1905 Gründung des Clubs herrschenden Inten- nahezu vollzählig und feuchtfröhlich das tionen entspricht und auch den Zwecken ,Stiftungsfest‘ begangen wurde: pro Kopf des Clubs wesentlich dienlich sein dürfte, kostete das gesamte Diner etwas über 20 indem durch das völlig ungenirte Zusam- Mark, die Rechnung listet an genossenen mensein die persönlichen Beziehungen der Getränken Champagner (mit 12,50 Mark Mitglieder unter einander am Leichtesten über das Doppelte so teuer wie das Essen), zum Ausdruck gelangen und am besten ge- Riesling, Bordeaux, Likör, Bier und Kaffee pflegt werden können, wie auch solche an- auf, an zusätzlichen Ausgaben einen Kellner, gemessene Exclusivität durch das statuten- Blumen und ein Telegramm: gemäße Erforderniß der Einstimmigkeit al- ··································································· ler in Hamburg anwesenden Mitglieder im Tit. Heidelberger Club Falle der Aufnahme neuer Mitglieder indi- z. Hd. des Herrn Dr. A. Kämmerer. rect als sehr wünschenswerth gekennzeich- Hamburg. Börsenhof. net werden“, wurde 1878 ein Antrag auf Sat- zungsänderung eingebracht, der für eine 18 Diners a M 6.– M 108 kontrollierte Erweiterung des Mitglieder- 10 Fl. Chat La Louviere a M 104 kreises plädierte und eifrig diskutiert wur- 6 – Smith Haut, Lafitte, – 6 de.422 Dem (Formulierungs- und Argumen- 3 – Wehlener Nonneberg – 4 tations-)Aufwand ist der Wert zu entneh- 9 – Moet Chandon – 112,50 men, den der Kreis junger Hamburger auf 8 Liquere – ,75 seine Exklusivität legte, und dass gerade 1 Kellner 5 diese Abgeschlossenheit gegen andere eines Blumen 3 der wesentlichen Distinktionsmerkmale 16 Tassen Kaffee – ,25 war. Der Club wird so zu einem Paradebei- 32 Bier – ,25 spiel für die oben skizzierten, für Außen- Telegramm 102,70 stehende schwer erreichbaren und damit, insg.: 337.20 betrachtete man lediglich die Oberfläche, ··································································· gewissermaßen ,unsichtbaren‘ oder auch Seinen Stiftungstag datierte der Club auf ,intransparenten‘ Faktoren, die ohne die Be- den 14. Oktober 1874, Paragraph 1 der (er- rücksichtigung jener im obigen Sinne der schlossenen) Statuten begrenzte „die Mit- räumlichen Interaktion mit Hamburg kor- gliedschaft des Clubs auf Studiengenossen respondierenden Orte schwerlich in den der Mitglieder jener Gesellschaft […], wel- Blick geraten und doch vermutlich nicht che seit Frühjahr 1868 im rothen Ochsen in unerheblich zum relativ guten Einverneh-

| 130 | Mitglieder des Heidelberger Clubs auf der Elbterrasse des Jacob (Lithographie von Otto Speckter, 1847), von links nach rechts: Alfred Schädtler, Joachim Hübener, Ernst Goßler, Gustav Niebuhr, Robert Herzfeld, Julius Dallmer, Gerhard von Hoßtrup, Diedrich Eckmeyer, Hermann Gernet, Carl Hermann Merck, Carl Petersen, Julius des Arts und Gustav H. Kirchenpauer men zwischen Advokaten, Richtern, Beam- sen“ in Heidelberg beschlossen oder auch die ten, Senatoren und Bürgermeistern in den Finanzierung eines Drucks von Liederbü- wichtigen staatlichen Gremien bis weit in chern zur Gesangstafel von Heidelberger die Zeit der seit 1879 in Hamburg geltenden Stiftungsfesten aus der Club-Kasse.423 War Reichsjustizgesetze beigetragen haben wer- der primäre Zweck des Protokollbuchs die den. Die mehr oder weniger ausführlichen Dokumentation, so scheint es darüber hi- Einträge des Protokollbuchs, das fein säu- naus auch für einige Protokollanten die berlich sämtliche zwischen 1878 und 1882 re- Funktion einer Vorübung für die berufliche gelmäßig erfolgten Treffen, die Teilnehmer, Praxis eines Advokaten gehabt zu haben: Inhalte und Aktivitäten dokumentiert und hier konnten der Umgang mit Formalia und mit dem Club-Abend vom 8. Dezember 1889 deren korrekte Darstellung erlernt werden, endet, geben Auskunft über Beschlüsse vor etwa die Wiedergabe von Wahlen zum ,Vor- Ort und allgemeine Angelegenheiten auch stand‘ mit minutiöser, forensischer Genau- der Hamburger Gesellschaft zu Heidelberg; igkeit. Dabei wurden alle Mitglieder, die hier wird beispielsweise ein Gedenkbuch für sich doch offenbar sehr gut kannten und Papa Spengel, den Gastwirt des „Roten Och- untereinander duzten, formell als Dr. be-

| 131 | zeichnet. Die Wichtigkeit von auf Sitzungen 5. gefassten Beschlüssen wurde beachtet und Dienstag 1. Mai abwesenden Mitgliedern per Circular darü- Beschlossen: Dr. Mutzenbecher und ber Auskunft erteilt. Für das zukünftige Ver- v. Leesen zur Commission für d. fassen von Protokollen bei Versammlungen Burchardsche Hochzeitsgeschf. erwählt; von Handelsgesellschaften und Reedereien Dr. von Melle zur Wahl vorgeschlagen. war eine solche Einübung eine gute Vorbe- – Statuten vertheilt – reitung. Dr. T. Gruner ··································································· Etliche Namen der Stammbesetzung aus 6. dem Jahre 1877 dürften aus den vorigen Ka- Dienstag 5. Juni 1877 piteln schon bekannt sein, in der fünften Gegenwärtig: Dres Gaedechens, Philippi, Sitzung, in der die Statuten verteilt wurden, v. Holstein, v. Leesen, Rettich, Schaumann, wird von den Mitgliedern auch Werner von Gruner, Michahelles, Mankiewitz Melle zur Wahl vorgeschlagen und in der Präsidium: Dr Gaedechens sechsten der Beschluss gefasst, ihn aufzu- Beschlossen: Aufnahme von Dr. v. Melle nehmen; zur Anschauung werden folgend aus Dr. F. Gruner dem Protokollbuch einige stichworthafte […] Einträge zitiert, darunter der überhaupt al- lererste und weitere von Melle betreffende Clubabend am 5ten November 1889 sowie einer der letzten, der einen Club- Anwesend: Dres. Jacubowsky, Kramer, Abend im November 1889 dokumentiert: Gaedechens, Kramer, Michahelles, Mutzen- ··································································· becher, von Leesen, Hübener, von Melle, Protokoll des Heidelberger Clubbs. Paul Crasemann, Max Crasemann, (Stiftungstag d. 14 October 1874.) F. Philippi, A. Kaemmerer, G. Albrecht, Dienstag den 2.Januar 1877. Nonne, Paschen, Arning, Beselin, Lehmann 1rster.offizieller Abend. verreist: Burchard, Schramm, Möring Gegenwärtig: Dres Gaedechens, Hübener, verhindert: Semper, Behn, Müller, Hirse- v. Leesen, v. Holstein, Michahelles und korn. Philippi. ··································································· Beschlossen: Die Anwesenden erklären Bis ins Kurpfälzische Museum Heidelberg sich der Aufnahme Dris Rettich zustimmig schaffte es schließlich im 20. Jahrhundert Präsidium: Dr. Michahelles sogar dieses luzide Utensil, dessen profanere ,Verwandten‘ auf keinem Bild der Hambur- Dienstag 6. Febr. ger Gesellschaft fehlen durften (siehe die Ab- 2ter.offizieller Abend. bildungen Kapitel 3: „Ortswechsel“, S. 67 ff.); Gegenwärtig: Dres Gaedechens, Hübener, eine Ahnung ,kristallisierter‘ Hamburger v. Leesen, v. Holstein, Philippi, Gruner, (Heidelberger) Geschichte(n) verfängt bei be- Schaumann, Mutzenbecher, Burchard, sonderem Lichteinfall im Schimmer der bei- Cramer und Dr. Rettich nahe durchsichtigen Ziselierungen. Aufnahme: Dr. Rettich ··································································· […] Der Berufseinstieg schlug 1877 also in Wer-

| 132 | Gläsernes Trinkhorn (links) mit Hamburger Wappen (rechts) und ziselierter Aufschrift (Mitte): „in dankbarer Erinnerung der Hamburger Kneipe in Heidelberg“ ner von Melles (imaginärem) Hamburg- anders ausgehen können: Von Melle hätte Buch wie auch in seinen Jugenderinnerungen zum Beispiel gemäß seinen historischen und ein neues Kapitel auf. Sein Werdegang bis immer stärker hervortretenden schriftstelle- zum Eintritt in den Advokatenberuf – an- rischen Neigungen ein anderes Fach wählen gefangen in der Privatschule des Dr. Hein- können, doch entsprach die Rechtswissen- rich Schleiden und der Gelehrtenschule des schaft vielleicht am ehesten seiner panora- Hamburger Johanneums über den Status ei- mischen Empfänglichkeit und öffnete über- nes zwar nicht inskribierten, wohl aber zu- dies den Zugang zu verschiedenen Tätig- gelassenen Hörers am Akademischen Gym- keitsfeldern (und Ämtern in der Stadt). Die nasium bis hin zu den Universitätsorten, Stadtrepublik räumte zwar prinzipiell jedem dem Auslandsaufenthalt und zur Rückkehr unbescholtenen und angesehenen Bürger in die Heimatstadt mit Aufnahme alter die Möglichkeit ein, ehrenamtlich zu wir- (Verbindungs-)Fäden – erinnert in seiner ken; wer aber die öffentlichen Belange zu mustergültigen Vorbereitung auf die Anfor- seinem Beruf machen und einen der weni- derungen des Lebens ungemein an die Stu- gen (höheren) Verwaltungsposten bekleiden fenfolge nach dem literarischen Modell von wollte, tat gut daran, Recht zu studieren Bildungsromanen. Die einzelnen Entwick- und eine Advokatenzulassung zu erlangen. lungsschritte wirken (und wurden) bedacht, Und auch aus der Vorgabe einer altherge- nicht aber erzwungen. Es hätte auch ganz brachten Besonderheit, dass nämlich das

| 133 | Verhältnis zwischen Kaufleuten und Rechts- vollziehbar keine gute Erfahrung;424 aller- gelehrten auf allen Ebenen von Senat, Bür- dings teilte er sie mit all den unzähligen an- gerschaft, Deputationen wenn nicht gar pa- deren Hamburgern, die keinen klingenden ritätisch, so doch einigermaßen ausgewogen Namen trugen. Immerhin begann Werner zu sein hatte, erklärt sich der von jungen von Melle (zwar im abgesicherten Rahmen Hamburgern wie Werner von Melle und und in Rücksprache mit größtenteils gut etlichen seiner ähnlich begabten Schulka- informierten Ratgebern wie seinem Vater), meraden und Freunde bevorzugte Ausbil- Eigeninitiative in der ungeliebten Selbst- dungsweg. Auf halber Strecke in Heidel- vermarktung zu zeigen.425 Die Akquise von berg, Straßburg, Leipzig oder Göttingen ins Klienten lag ihm aber offenbar nicht. Und akademische juristische Fach zu wechseln, fehlte es ihm auch nicht an der Begabung wäre für von Melle durchaus in Frage ge- für das „mündliche Plädieren vor den Straf- kommen – das intellektuelle Profil, der his- richtern und Geschworenen“ – die Auffor- torische Sinn, juristische Phantasie sowie derung des Oberstaatsanwalts Theodor Bra- schnelles Erfassen und Verfertigen von Tex- band, in die Staatsanwaltschaft zu wechseln, ten, das Durchhaltevermögen beim Bear- lehnte er aus der Sorge vor Einseitigkeit beiten von Problemen und Durchdringen ab426 –, so entwickelte er doch keinen Ehr- vorgegebener Literatur, detailversessene Ge- geiz in der anwaltlichen Tätigkeit. Doch nauigkeit, Dokumentationswille, die stilsi- woraus bestand sie eigentlich in dem dama- chere Feder, kompositorisches Geschick etc. ligen Metier, das der Memoirenschreiber sei- etc. waren ihm gegeben. Und doch, auch nen Angaben zufolge sehr wohl beherrschte, wenn er schreiben ,musste‘: seine leiden- nicht aber liebte? schaftlichen Interessen lagen nicht in der ··································································· Forschung, sondern in der Auseinanderset- An ihrem Beginn standen zunächst einmal zung mit ihren Ergebnissen im Bereich des Antrittsbesuche: Der frisch zugelassene Ad- praktischen Handelns. Den schon einge- vokat musste sich den (bekanntesten) Rich- führten furor politicus hatte der Senatoren- tern und Kollegen des Rechtslebens vorstel- Sohn gewissermaßen mit der Muttermilch len. Für das Tagesgeschäft hatte man sich eingesogen, nun musste sich erweisen, an dann möglichst schnell in das für die Han- welcher Stelle im Gemeinwesen seine ausge- sestadt so wichtige Handelsrecht einzuarbei- bildeten Fähigkeiten am besten zum Einsatz ten, dafür war es sinnvoll, die öffentlichen kommen konnten – doch das dauerte län- und mündlichen Verhandlungen des Han- ger und war mit mehr Rückschlägen ver- delsgerichts zu besuchen, für erfahrenere bunden, als dem darauf Drängenden lieb Advokaten Schriftsätze anzufertigen oder sie war. Darf man wohl behaupten, dass Wer- auch hin und wieder selbst im Gerichtssaal ner von Melle, um sich alle Optionen inklu- zu vertreten. Arbeiten zu Strafrechts- und sive der Politik offen zu halten, in seinem Armensachen, die meist (unentgeltlich) Ausbildungsgang eigentlich alles richtig ge- übernommen werden mussten, konnten die macht hatte, so war die mehrfache Ableh- jungen Anwälte zur Übung und Sammlung nung seiner Bewerbungen um verschiedene von Erfahrungen nutzen oder als willkom- Verwaltungsämter für einen im Stadtgefüge mene Gelegenheit, die eigenen Fähigkeiten eigentlich Privilegierten gewiss und nach- in schriftlichem Gutachten oder mündli-

| 134 | Zylinder-Pflicht: Bilder von der Hamburger Börse

| 135 | chem Plädoyer unter Beweis zu stellen.427 zes bezeichnete. Hier waren die Namen der- Da die Presse im Gegensatz hierzu ungleich jenigen zu finden, für die ein Börsenbesuch höhere Honorare bot und darüber hinaus praktisch und lohnend war. Der Börsenbe- tiefere Einblicke „in hamburgische Angele- such gab den Advokaten die Möglichkeit, genheiten und in die hamburgische Verwal- sich kurz mit ihren Klienten zu besprechen tung“ gewährte, besserten etliche Hambur- oder neue Klienten und Mandate zu erhal- ger Advokaten ihren Verdienst durch das ten. Es bestand so auch die Möglichkeit, mit regelmäßige Schreiben für hamburgische Hausmaklern Grundstücks- und Hypothe- Zeitungen auf428 – von diesen Möglichkei- kengeschäfte zu erledigen, die im Zusam- ten machte auch Werner von Melle Ge- menhang mit der Verwaltung von Nachläs- brauch, der bis Mitte der 1880er Jahre immer sen äußerst wichtig waren. Auch dringliche häufiger im Hamburgischen Correspondenten Schiffahrtssachen konnten besprochen wer- veröffentlichte.429 Wie man sich den kon- den. Außerdem erfuhr man hier zuerst alle kreten Tagesablauf eines Rechtsanwalts im Neuigkeiten“, da von der Börsenhalle sämt- letzten Drittel des 19. Jahrhunderts vorzu- liche wichtige internationale Zeitungen und stellen hat, fasst eine Geschichte der Hambur- Journale gehalten und alle Depeschen sofort gischen Anwaltschaft von 1815‒1879 detailliert öffentlich gemacht wurden. „Die Bürozeit zusammen: „Die Bürozeit begann damals wurde nochmals zwischen 17.30 und 19 Uhr regelmäßig um 8.30 Uhr. Mittags wurde ein unterbrochen, um zu Hause das Dinner ein- zweites Frühstück eingenommen, das heu- zunehmen. Anschließend wurde die Arbeit tige Mittagessen. Dies nahmen die hambur- fortgesetzt, und der Arbeitstag endete erst gischen Kaufleute und Advokaten an einem gegen 22 Uhr oder sogar später. Auch sonn- festen Frühstückstisch ein, und zwar so abends wurde genauso lange gearbeitet wie rechtzeitig, daß sie danach noch an die Bör- an Werktagen.“432 se gehen konnten.“430 Dort erschienen sie ··································································· mit Zylinder, im übrigen trugen sie „dunkle, Dass Werner von Melle die klassische An- zumeist schwarze Anzüge, einen sogenann- waltstätigkeit letztlich als ungeliebtes Ve- ten Rock mit langen Schößen, schwarzen hikel auf dem Weg zu einer juristischen Paletot“ und „selbst in den mündlichen Tätigkeit im Dienste des Gemeinwesens Verhandlungen des Handelsgerichts keine auffasste, zeigen die schon genannten frü- Robe“.431 hen Bewerbungen. Infolge der Ablehnun- ··································································· gen sah er das zunächst offene Angebot der „Aufgrund der in Hamburg von jeher en- vielen denkbaren Möglichkeiten bald im gen Verbindung zwischen den Advokaten Schwinden begriffen; vermehrt publizierte und Kaufleuten“ hatten die Advokaten so- er in der Tagespresse, in Fachblättern, sogar gar „in der Börse einen besonderen Stand. in dem renommierten Handbuch des Völker- In einer der Hallen befand sich die soge- rechts433 umfangreiche, wissenschaftlich fun- nannte runde Bank, die Advokatenbank, bei dierte Beiträge, die die rechtliche Organisa- der die Rückenlehne den Innenkreis bildete tion der Stadt im weitesten Sinne historisch und die Sitze nach außen gerichtet waren. und vergleichend kontextualisierten und in Über jedem Sitz befand sich ein kleines ihrer Eigenart und gegenwärtigen Erschei- Schild, welches den Inhaber des Börsensit- nungsform präsentierten. Solche Arbeiten

| 136 | wie die seit 1882 im fortlaufenden Druck zu- Versmann, einem gebürtigen St. Paulianer, erst im Hamburgischen Correspondenten und angetragen,437 der in Berlin intensiv und 1883 als eigenständige Monographie erschie- epochemachend über eben jene Zollangele- nene Entwicklung des öffentlichen Armenwe- genheiten verhandelte, gegen die sich die sens der Stadt entstanden aus den sich meh- vom Verein in Auftrag gegebene Eingabe an renden Nebenbeschäftigungen. In Folge der den Bundesrat gerichtet hatte, in dem Vers- gescheiterten Bewerbungen um einen höhe- mann als Hamburger Bevollmächtigter seit ren Verwaltungsposten hatte Werner von 1880 saß. „Männer machen die Geschichte“, Melle nämlich von 1880 an einige bürgerli- begann Werner von Melle seinen journalis- che Ehrenämter übernommen und (be- tischen Geburtstagsgruß an den ihm schon zahlte wie unbezahlte) gutachterliche und aus Kindheitstagen bekannten Kollegen sei- Protokolltätigkeiten als stellvertretender Se- nes Vaters im Jahre 1890 und erläuterte: kretär verschiedener Deputationen und Ver- ··································································· waltungseinrichtungen (Handel und Schiff- „Auch in einem republikanischen Ge- fahrt unter dem Präsidium der Senatoren meinwesen wie dem hamburgischen liegt Kirchenpauer und William O’Swald; See- das Wohl der Gesamtheit wesentlich in den mannsamt; Eisenbahnkommissariat unter Händen der leitenden Persönlichkeiten, dem Präses Johann Chr. E. Lehmann; Ar- hängt viel, wenn nicht alles davon ab, daß menkollegium unter dem Präses Karl W. hier der richtige Mann an die richtige Stelle Cropp)434 wie auch sozial-politischer Grup- tritt – der Mann, der seine Zeit versteht und pierungen ausgeübt. Dazu gehörte etwa eine doch mit klarem Kopfe und weitreichen- Eingabe an Reichskanzler Otto von Bis- dem Blicke über sie und ihre Tagesmeinun- marck, die der St. Pauli Bürger-Verein in gen hinausblickt –, der Mann, der ein Ver- Reaktion auf die Entwicklungen in der ständnis für die historische Entwicklung der Schutzzollpolitik bei ihm in Auftrag gab.435 Dinge besitzt, aber zugleich auch die Initia- Auf die Vorgeschichte der Verbindung zwi- tive und den Mut, soweit erforderlich, die schen dem jungen Advokaten und dem alten ausgefahrenen Geleise zu verlassen – 1843 gegründeten, deutschlandweit ältesten der Mann, der mit staatsmännischem Ge- Bürgerverein, der sich im Verbund mit den schick und unerschütterlicher Energie das sechs weiteren demokratischen Vereinen einmal als richtig Erkannte, ungeachtet des insbesondere während der Verfassungs- anscheinend noch so mächtigen Widerstan- kämpfe politisch hervorgetan hatte und des Andersdenkender, durchzuführen und noch immer in Belangen der Lokalpolitik mit schöpferischem Geiste zu gestalten ver- sehr umtriebig war, verweisen einige, hier mag. […] Ein solcher Mann […] war und kurz zu erwähnende Eckdaten. Letzter Pa- ist für das Hamburg der letzten Jahrzehnte tron der Vorstadt war zwischen 1870 und und der Gegenwart Bürgermeister Vers- 1875 Senator Emil von Melle.436 Der Verein mann.“438 verlieh ihm aus Dankbarkeit für die gute ··································································· Zusammenarbeit im Jahr darauf die Ehren- Da sich dieser Einschätzung zufolge Vers- mitgliedschaft. Eine solche wurde 1881 auf- manns individuelle Wirksamkeit ähnlich grund des Jahrzehnte andauernden Engage- wie die von Kirchenpauer, Petersen und ments auch seinem Senatskollegen Johannes Mönckeberg etwas deutlicher von dem

| 137 | Senat als Ganzem abhob, da Versmann für in die Politik strebende junge Advokaten wie die befreundeten Heinrich Burchard und Werner von Melle politisches Vorbild war und überdies für beider weitere Karriere bedeutsam werden sollte439 – in den Jugend- erinnerungen stellt der Erzähler die Vermu- tung an, Versmann habe eventuell mit sei- nem Vater Emil von Melle „über Pläne gesprochen, die er wohl schon damals be- züglich meiner Zukunft erwog“440 –, soll obige Charakterskizze noch um einige Nu- ancen bereichert werden, die sowohl das be- Porträt im Rathaus: Johannes Versmann sondere Engagement Versmanns für die Vorstadt St. Pauli als auch für das Gemein- See-, Handels- und Verwaltungsrecht ham- wesen Hamburg – intern und bezogen auf burgischer Bevollmächtigter bei den auf An- das Deutsche Reich – berücksichtigen. regung des Deutschen Bundes stattfinden- ··································································· den Seerechtskonferenzen und war an der Der St. Paulianer: Johannes Schaffung der entsprechenden Bestimmun- Versmann und der Freihandel gen des Allgemeinen Deutschen Handelsge- ··································································· setzbuchs beteiligt. 1861, im Jahr nach der Im September 1845 wurde der 25-jährige Verabschiedung der neuen Verfassung, wur- Apothekersohn und Advokat in den St. de er in den Senat gewählt und gehörte Pauli Bürger-Verein aufgenommen und da- fortan verschiedenen Verwaltungsgremien durch zu einem „allgemeinen Vertrauens- der Stadt an; beteiligt war er besonders an mann in der Vorstadt“, der in rechtlichen der Neugestaltung der Handels- und Ver- Angelegenheiten die „Grundeigentümer der waltungsgesetze. Bedeutende Reformen und Reeperbahn, die Kleidermacher der Reeper- Neuerungen gehen nicht zuletzt auf seine bahn, die Vereinigten Gewürzkrämer von Initiativen zurück: als Mitglied der Interi- St. Pauli, die Bewohner des Pinnasberges, mistischen Oberschulbehörde von 1862 bis die konzessionierten Schlachter von St. Pau- 1878 (Sektion für Volksschulwesen) setzte er li“ vertrat.441 Der vom Verein in die Konsti- sich insbesondere für das Gewerbeschulwe- tuante entsandte Abgeordnete konnte in der sen ein und engagierte sich sowohl für die kurzen Zeit ihres Bestehens Ende der 1840er Ausgestaltung des Schulgesetzes 1870 als Jahre (als ihr Vize-, zeitweilig sogar als ihr auch für die Ordnung des Volksschulwe- Präsident) maßgeblichen Einfluss auf eine sens. Sein Name ist mit der Gründung und verfassungsgemäße Erneuerung der Verwal- Inbetriebnahme wichtiger weiterer Einrich- tung sowie auf weitere Entwicklungen neh- tungen Hamburgs verknüpft, dazu gehört men, die schließlich 1859 zur Auflösung der der Zentralschlachtviehmarkt in der Stern- Erbgesessenen und Wahl einer neuen Bür- schanze (1867) genauso wie der Ohlsdorfer gerschaft unter seiner Präsidentschaft führ- Friedhof (1877). Außerdem arbeitete Vers- ten.442 Zu dieser Zeit war der Experte für mann an den Hamburger Gesetzen zur Ein-

| 138 | führung der Reichsjustizgesetze 1879 mit sicher kein Zufall und auch nicht nur auf und an den Verhandlungen, die zu einer die Familienbande zurückzuführen, dass es Verfassungsrevision im selben Jahr führten. Werner von Melle war, der diesen Auftrag Vor allem aber gehörte er zu den Ersten, die erhielt, denn er hatte sich vorher schon ein- für einen Eintritt in den Zollverband unter gehend mit den auf Hamburg und das bestmöglichen Bedingungen waren: Als Reich bezogenen handelspolitischen Ent- Kommissar des Senats in Zollvereinsangele- wicklungen und Bismarcks dazu im Kon- genheiten der 1860er Jahre betrieb er den trast stehender Schutzzollpolitik beschäf- Anschluss Hamburgs an den Norddeut- tigt, was in verschiedenen Stellungnahmen schen Bund443 und wurde als Nachfolger seinen publizistischen Niederschlag fand. des ,Freihändlers‘ Kirchenpauer, der sein ··································································· Amt aus Protest niederlegte – „nachdem er „Alles ist schon einmal dagewesen“ – so noch eine historisch-staatsrechtliche Denk- beginnt etwa der satirische Dreiteiler Der schrift über ,die Freiheit der Elbeschifffahrt‘ Handelsminister auf 6 Stunden. Ein Traum veröffentlicht“444 hatte –, Bundesratsbevoll- von Adam Riese dem Jüngeren, Buchhalter am mächtigter in Berlin, als der er nach zähem 29. April 1879 im Hamburgischen Correspon- und geschicktem Verhandeln das im End- denten.448 Der Verfasser „v. M. Dr.“ – un- effekt diplomatische Geniestück von einem schwer als Werner von Melle identifizierbar für die Handelsstadt annehmbaren Zollan- – analogisiert die aktuell entbrannte Diskus- schluss an das Reich mit der Schaffung sion um Freihandel versus Schutzzoll mit eines Freihafens für Hamburg vollführte. der schon einmal geführten zur Jahrhun- ··································································· dertmitte, indem er fortfährt: „Dieser Worte Im Vorfeld zu diesen Verhandlungen war in Ben Akiba’s muß man unwillkürlich geden- Form einer vom Reichskanzler geschickt ken, wenn man sieht, wie die jetzt zu Guns- lancierten Pressekampagne – die halboffi- ten von Schutzzöllen ins Feld geführten Ar- ziöse Norddeutsche Allgemeine Zeitung trat gumente schon vor Jahren in gleicher Weise 1878 mit ihren Angriffen auf Hamburgs geltend gemacht und widerlegt wurden.“ Freihafenstellung eine in der Presse breit ge- Mit einem besonderen Akzent historisch- führte Diskussion los – eine Drohkulisse literarischer Tiefenschärfe, die sich erst nach aufgebaut worden.445 Ihren Höhepunkt er- Einsatz jener familiären Kontakt-Linse ein- reichte diese, als im April 1880 Preußen den stellt, wird auf zwei Schriften aus der Zeit Zollanschluss von (dem preußischen) Al- Bezug genommen: zum einen auf die schon tona, einem Teil St. Paulis und der Unter- einmal vom Hamburgischen Corresponden- elbe beantragte, die bis dahin als ein in Ver- ten in Erinnerung gerückte, „alte Hambur- längerung des offenen Meeres zollfreies gische Denkschrift über das Differential- Gewässer galt. In dieser sich dramatisch zu- zollsystem“ von 1847, die als bloß „ein – spitzenden Situation beauftragte der St. allerdings besonders bedeutungsvolles – Pauli Bürger-Verein den Advokaten Werner Schriftstück aus der umfangreichen Streitli- von Melle – der erst 1888, also etliche Jahre teratur jener Tage“ bewertet wird449 (hier später, als Redakteur der Hamburger Nach- urteilt immerhin der Enkel über die Schöp- richten in den Verein eintreten sollte446 – mit fung seines Großvaters Geffcken und dessen dem Verfassen einer Protesteingabe.447 Es ist Freundes Kirchenpauer450): „Auch damals

| 139 | verwandte man Waffen der verschiedensten die verlockenden Gestalten, denen sie im Art und was die Denkschrift auf Grund Traume nachgejagt, im hellen Lichte des Ta- statistischer Nachweise und eingehender ges und der Wirklichkeit ganz anders aus- Erörterungen mit staatsmännischer Bered- schauen.“452 samkeit auseinandersetzte, das ward von an- ··································································· derer Seite im leichten Gewande harmloser Ein weiteres (Neben-)Produkt der Ausei- Erzählung nicht minder überzeugend dar- nandersetzung mit den Entwicklungen in gethan“, womit auf die namentlich nicht zu- der Reichspolitik, die Hamburg in seinem geordnete, zweite Schrift über den Traum ei- souveränen Verfügungsradius zu beeinträch- nes Buchhalters vom (kurzfristigen) Dasein tigen drohten, war die betont von allen als Handelsminister angespielt ist, die we- „staatsrechtlichen und handelspolitischen nige Jahre später von dem Nationalökonom Erörterungen“ absehende Darlegung der John Prince-Smith vorgelegt wurde, einem angeblich „thatsächlichen Verhältnisse“ der bekanntesten Populisten der Handels- über Die Unterelbe „und ihre nunmehr vom und Gewerbefreiheit und nachmalig Mitbe- Bundesrathe beschlossene, doch noch nicht gründer der preußischen Fortschrittspartei: zur Ausführung gebrachte Einverleibung in „Eins der besten Werke der letzteren Art das Zollgebiet“, die 1880 in der Zeitschrift […] ist der 1851 vom Hamburgischen Ver- Im neuen Reich erschien.453 Auch wenn sich ein für Handelsfreiheit durch einen Preis die Studie in der Einleitung bescheiden als ausgezeichnete ,Traum Adam Riese des Jün- Orientierung über die „recht eigentlich[e] geren‘, und wir hoffen daher bei dem allsei- Lebensader Hamburgs“454 gab, ließ der Ver- tigen Interesse, welches gegenwärtig die fasser weder in der Vorbemerkung noch im Zollfragen in Anspruch nehmen, nicht fehl- letzten Satz Zweifel an seinem eigenen zugreifen, wenn wir auch diese humor- und Standpunkt der Ablehnung dieser in Aus- geistvolle Schrift unverdienter Vergessenheit sicht stehenden Maßnahme. Seine Darle- zu entreißen versuchen.“451 Jene dann in gungen sind in ihrer Tendenz eindeutig. Fortsetzungen dargebotene Nacherzählung Nach einer geschichtlichen Darstellung des mündet erwartbar schließlich in eine wenig Verhältnisses Hamburgs zur Unterelbe verklausulierte Stellungnahme gegen die schreibt er: „Hamburg ist durch seine aus- zeitgenössischen Gegner des bedrohten gesucht glückliche Lage die natürliche Ver- Freihandelprinzips: „So träumte der Buch- mittlerin zwischen Fluß- und Seeschifffahrt, halter Adam Riese vor einem Menschenal- und gerade dieser Umstand hat neben der ter. Sein Traum war ein kurzer. Er erwachte Energie und dem Unternehmungsgeiste der und freute sich, daß er nur die Nachtgebilde Kaufleute sein Emporblühen zum Welthan- der eigenen regen Phantasie geschaut hatte. delsplatze ermöglicht. […] [S]ie ist sein Zu- – Gar Manche träumen gegenwärtig von gang vom Meere, die breite Fahrstraße, wel- goldnen Bergen, die das Schutzzollsystem che den Seeplatz mit der eigentlichen See ihnen bringen soll. Ihr Erwachen aber verbindet. Der Schwerpunkt des Hambur- dürfte, wenn es nicht bald erfolgt, kein so gischen Handels liegt in seinen übersee- freudiges sein wie das unseres braven Buch- ischen Verbindungen, durch die Hamburg halters. Entsetzt werden sie sich vielleicht ein Weltmarkt geworden, und die immerhin die Augen reiben, wenn sie erkennen, daß zahlreichen Schiffe der Oberelbe müssen

| 140 | doch zurückstehen vor der stolzen Handels- vorstehend zitierten Ausführungen auf der flotte, die täglich vom Meere kommend und Hand, mit denen sich der Verfasser als dorthin auslaufend die Unterelbe passirt.“ kämpferischer Verteidiger der bestehenden, Daraus leitet er dann als Schlussfolgerung in jahrhundertelanger Entwicklung heraus- ab: „Aus alledem geht hervor, daß Hamburg gebildeten Verhältnisse präsentiert. Dage- unbestrittenermaßen ein umfangreiches gen heißt es selbstkritisch, ja man könnte Aufsichts- und Hoheitsrecht über das ge- fast sagen: geläutert, zehn Jahre später in sammte Gebiet der Unterelbe ausübt. Hin- dem oben zitierten Geburtstagsgruß: „Vers- zugefügt mag noch werden, daß nach viel- mann aber blickte schärfer und weiter als die fachen gerichtlichen Entscheidungen be- Vertreter dieser, jahrzehntelang als ein unan- züglich aller Collisionen auf der Unterelbe tastbares Dogma betrachteten Anschauung. die Hamburgische Jurisdiction begründet Er erkannte, daß es notwendig sei, mit ei- ist. Diese Entscheidung der Gerichte stützt nem, wenn auch vielleicht an sich nicht ge- sich ausdrücklich auf den Umstand, daß das nügend berechtigten, so doch ungemein Fahrwasser der Unterelbe unter Aufsicht der starken und allgemeinen politisch-nationa- Hamburgischen Behörden stehe und inso- len Wunsche des gesamten übrigen Deutsch- fern als zum Revier des Hamburgischen Ha- land zu rechnen, und er fand andererseits in fens gehörig anzusehen sei. Die Befugnis der Schaffung eines ganz neuen kleineren Hamburgs, auf der Unterelbe frei zu schal- Freihafens einen für beide Teile gangbaren ten und zu walten, ist übrigens auch schon Ausweg – eine Befriedigung des politischen in frühester Zeit durch kaiserliche Privile- Verlangens Neudeutschlands, nicht nur gien ausdrücklich anerkannt“455 – und wie- ohne eine Schädigung des hamburgischen derholt bestätigt worden, wie der Autor an- Welthandels, sondern sogar mit der Eröff- hand in jüngerer Zeit gegebener Garantien nung einer ganz neuen, vielversprechenden für die Souveränität Hamburgs über die Un- Perspektive für ihn“, die – so zeigt es der terelbe zeigt: „Der König von Hannover Rückblick auf die Dekade zwischen 1880 aber, dessen Rechtsnachfolger nunmehr und 1890 – innerhalb kurzer Zeit zur Reali- Preußen geworden ist, verpflichtete sich da- tät wurde: „Schon nach wenigen Jahren ließ mals ausdrücklich allen mitcontrahirenden sich ein überraschender Umschwung der Mächten gegenüber“. Dramaturgisch ge- öffentlichen Meinung, insbesondere in den schickt schließt von Melle mit folgender Kreisen der hamburgischen Kaufmann- Volte: „Durch diese in einem internationa- schaft, konstatieren, und als dann das große len Vertrage feierlich ertheilten Zusicherun- Werk vollendet war, ertönte von allen Sei- gen schien die unbeschränkte Freiheit der ten ein Beifall, wie ihn sich der leitende Unterelbe für alle Zeiten gewährleitet, bis hamburgische Staatsmann nicht größer und sich durch die Ereignisse dieses Sommers nicht allgemeiner hätte erträumen können. solche Annahme als eine Illusion erwies.“456 Man erkannte, daß mit Eröffnung der Hatte es einleitend geheißen: „Etwaige Fol- neuen, nach genialem Plan mit allen tech- gerungen, die aus dem hier Mitzutheilenden nischen Mitteln der Gegenwart hergestell- gezogen werden könnten, werden ja dem ten Freihafenbauten eine neue aufsteigende scharfsinnigen Leser unbenommen blei- Epoche des hamburgischen Welthandels ben“,457 so liegen diese in der Tat nach den und der hamburgischen Geschichte über-

| 141 | haupt ihren Anfang nehme.“458 Die große Bewunderung, die Werner von Melle dem Strategen zollte, den er – in den Worten Ju- lius von Eckardts – mit jenem „sechsten Sinn“ ausgestattet sah, „der bei keinem wirklichen Politiker fehlen darf: die Witte- rung für das Mögliche und Erreichbare“,459 fand ein Echo in dem Interesse und der An- erkennung, die Versmann seinerseits dem aufstrebenden jungen Mann entgegenzu- bringen begann, denn er verfolgte offenbar aufmerksam insbesondere dessen fachliche Publikationen, die mit Handelsverträgen und Verwaltungsreformen befasst waren, und testete in Abständen immer mal wieder von Melles juristische Expertise, indem er ihn wie beiläufig zu Stellungnahmen, Gut- achten, Vorlagen oder Vorschlägen heran- zog.460 ··································································· Der »Deus ex machina«: Emil Hartmeyer und die Hamburger Nachrichten ··································································· Emil Hartmeyer, Herausgeber der Trotz der hier nur skizzierten neu erschlos- „Hamburger Nachrichten“ senen Tätigkeitsfelder und Aktivitäten, dazu ließe sich auch die Teilnahme an den 1885 in ihrerseits in eine Gemengelange von über- Hamburg stattfindenden Verhandlungen kommenen Positionen, Fronten, Allianzen, des Vereins für Reform und Kodifikation des Überzeugungen und Einstellungen ein, an Völkerrechts unter der Leitung Friedrich Sie- deren Herausbildung weniger er selbst, son- vekings, des ersten Präsidenten des Hansea- dern vielmehr seine Altvorderen: Heinrich tischen Oberlandesgerichts, rechnen, war es Geffcken und Emil von Melle, durch ihr für Melle sicher nicht ganz einfach, ange- jahrzehntelanges politisches Wirken im Se- sichts der erfahrenen Enttäuschungen nicht nat entscheidend beteiligt waren.461 Mitte zu resignieren. Auch galt es, nicht in den der 1880er Jahre schien die Situation für eigenen Vorurteilen oder Unterstellungen Werner von Melle verfahren; der nicht ein- (beispielsweise in Bezug auf die vermeintlich mal Mittdreißiger fühlte sich wie auf ein antizipierbare Haltung und negative Einstel- Nebengleis gestellt und es bedurfte eines lung einflussreicher Teile der Bürgerschaft Anstoßes von außen, um einen dritten, für ihm gegenüber) befangen zu bleiben: Die einen bestimmten Zeitabschnitt vielleicht sehr wohl spürbaren Vorbehalte gegen den sogar den einzig passgenauen Weg einschla- etwas über 30-jährigen Anwalt fügten sich gen und beschreiten zu können. Der deus ex

| 142 | machina erschien in Gestalt von Dr. jur. winnen.467 Mindestens ebenso überlieferns- Emil Hartmeyer, dem Juristen, Verleger und wert ist im Gegenzug, mit welchem Selbst- Chefredakteur der Hamburger Nachrichten. verständnis und welcher Souveränität der ··································································· Umworbene diesen beruflichen Wechsel zur Ende 1885 und Anfang 1886 sandte Werner Tagespresse vollzog, denn genau genommen von Melle Artikel, die entgegen den bishe- befand sich das journalistische Berufsfeld zu rigen Usancen vom Hamburgischen Corres- jener Zeit noch immer in seiner Professio- pondenten abgelehnt wurden, an die (eher) nalisierungsphase und begann sich allmäh- nationalliberalen Nachrichten,462 die sie so- lich erst auch in Deutschland in Richtung fort und ohne jeden redaktionellen Eingriff einer „vierten Gewalt“ zu entwickeln.468 abdruckten. Auf diesen Umstand wies der „Neben ihrer Funktion als Aufklärungsor- Chefredakteur des 1792 gegründeten Blattes gan und öffentliches Diskussionsforum im voller Anerkennung den Verfasser eigens hin liberalen Sinn“, so die gängige Meinung, und nahm in seinem Schreiben von Melles habe die Presse dann zwar sehr schnell Anregung, hamburgische Angelegenheiten „Techniken der Meinungssteuerung und als eine eigene Rubrik einzurichten, sofort Massenbeeinflussung, die in der aufkom- begeistert auf: „Vielleicht geben Sie mir in menden Partei- und Massenpresse und in nächster Zeit Gelegenheit, mit Ihnen diese den bürgerlichen Zeitungen herkömmli- Angelegenheit eingehend zu besprechen, es chen Stils angewendet wurden“, ausgebil- würde mich sehr freuen“,463 schrieb Hart- det; für Hamburg lässt sich aber immerhin meyer am 8. Januar 1886 und konnte schon festhalten, dass seine „Zeitungen […] in den knapp zwei Wochen später verkünden, dass achtziger Jahren nicht im Dienst der offiziel- ein weiterer Text von Melles am folgen- len Reichspolitik [standen]“.469 Vor dem den Tag – wieder unverändert und zwar als Hintergrund der wohl doch tiefer empfun- Leitartikel464 – erscheinen würde, was aufs denen Fehlschläge in Bezug auf die Bewer- Schönste bewiese, „dass wir genau auf dem- bungen um das Amt eines Sekretärs der selben politischen Standpunkt stehen“.465 Commerzdeputation, der Bürgerschaft und Ohne Umschweife warb er um die Mitar- des Senats, sind die günstigen Konditionen beit des jungen Anwalts. Die sich anschlie- beachtlich, die Werner von Melle für sich ßende Verhandlung über die vom Chef- heraushandelte: angefangen beim geforder- redakteur unterbreiteten Vorschläge und die ten und bewilligten Gehalt (das über dem von Werner von Melle geforderten Bedin- eines Senatssekretärs lag) über die reduzierte gungen sind in den Jugenderinnerungen so Anwesenheitspflicht im Büro („nicht über plastisch geschildert, dass dies hier nicht die ersten Nachmittagsstunden hinausge- noch einmal nacherzählt werden soll.466 hend“) bis hin zur Möglichkeit, „wie bisher Überliefernswert ist freilich der ausdrückli- als Anwalt, so nunmehr im Interesse der che Wunsch des Werbenden, in Werner von Zeitung“ die Börse besuchen zu können, Melle für die Redaktion einen zweiten ,Leit- um so an dem für Informationen zentralen artikler‘ – die Formulierung lautete: eine Umschlagplatz der Stadt aus vertrauter ers- seiner „beiden Primadonnen“ – mit der Zu- ter Quelle schöpfen zu können. Auf diese ständigkeit für England, das Ausland und Weise blieb ihm genügend Freiraum für die hamburgischen Angelegenheiten zu ge- seine ausgiebigen Studien in Geschichte,

| 143 | Politik, Staats- und Verwaltungsrecht und daß sie Alles verstehen, während doch jeder anderer neuerer Entwicklungen. Triftiges weiß, daß tadeln immer leichter ist, als bes- Argument für diese Art von Berufsauffas- ser machen“473 –, so hielt es der Sohn eher sung und Arbeitsökonomie war: „wer stän- mit dem früheren Bremer Bürgermeister Jo- dig geistig ausgeben solle, müsse auch im- hann Smidt. Dessen Behauptung: „Wer der mer wieder geistig einnehmen“470 – und Kunst, eine Zeitung gut zu redigieren, eini- damit lag von Melle auf einer Linie mit sei- germaßen mächtig ist, darf sich’s leise geste- nem Onkel Friedrich Heinrich Geffcken, hen, daß er nicht ohne Anteil an der Welt- der dem Neffen nicht nur überzeugt zu der regierung ist“, stimmte er insofern zu, als er neuen und ihm seiner Meinung nach sehr „Weltregierung“ nicht als die „große, son- „viel mehr“ zusagenden Berufswahl gratu- dern in erster Linie [als] eine kleine, oft lierte, sondern ihm als „alte[r] Praktiker in recht kleine Welt“, also eines Stadtstaates Deinem künftigen Fache noch einen per- wie Hamburg beispielsweise, verstanden sönlichen Rat“ mit auf den Weg gab, „näm- wissen wollte. Die Presse, der „Sekundenan- lich den, Dir neben Deiner journalistischen zeiger der Geschichte“, sei als Instrument Tätigkeit eine bestimmte wissenschaftliche für die „Gestaltung der Zukunft“ einzuset- zu begründen […]. Man sammelt sich da- zen, das „dieser, indem sie Neues anregt, rin von der Zersplitterung, welche die Ta- weitere Ziele zu stecken“ vermöge und gespolitik unvermeidlich mit sich bringt, gleich handelnden Politikern „wenigstens und legt selbst den Grund zu umfassender im Reich der Gedanken, ,das stolze Vorrecht Behandlung der Politik.“471 Gesagt – getan: der Initiative‘“ besitze und „dadurch die Werner von Melle, der dieses Mal zur eige- Möglichkeit, zu den Mitschaffenden zu ge- nen Genugtuung „nicht der Begehrende, hören“.474 Hierin stimmte Werner von sondern der Begehrte“ gewesen, durfte sich Melle auch mit Versmann überein, den er endlich mit aller Kraft und allem Recht 1886, also unmittelbar vor seinem Dienstan- „nunmehr ausschließlich mit öffentlichen tritt als Redakteur, während des schon er- Angelegenheiten beschäftigen und ein, wähnten Aufenthaltes in Berlin aufsuchte, wenn auch nur bescheidenes Wort in ihnen wo dieser als hamburgischer Bevollmächtig- mitsprechen“.472 Hatte sein Vater 1848 noch ter zum Bundesrat residierte. Von Melle be- mit dem weitverbreiteten Misstrauen den richtet über die Begegnung mit Versmann: ominösen „Literaten“ gegenüber im Patrio- „Wie Kirchenpauer hatte ja auch er als jün- ten argumentiert – oder vielmehr kokettiert: gerer Mann an der Redaktion eines Ham- „Es ist ja ein ganz schöner Lebensberuf, öf- burger Blattes teilgenommen. In Hamburg, fentlich die Feder zu führen und seine Mit- so sagte er, habe man noch immer nicht ge- bürger zu belehren, und ich selbst pfusche nügend eingesehen, eine wie große Macht gleichsam den Herren Literaten ins Hand- die Presse sei, und wieviel auch für die werk, indem ich dies hier schreibe, aber ich Beurteilung, die uns im deutschen Bin- bleibe dabei, ,den Literaten, denen traue ich nenlande und im Auslande zuteil werde, nicht immer ganz.‘ Sie schreiben doch so darauf ankomme, was unsere Hamburger viel in den Tag hinein, was sie gar nicht ver- Presse sage. Diese könne uns sehr nützen antworten können, und regen die Leute auf und viel schaden.“ Was blieb dem frisch ge- und machen sie unzufrieden und meinen, kürten Zeitungsmann da anderes, als erfreut

| 144 | zu „erwidern, daß das ganz meiner Auffas- man sagen in ,Vermarktung‘, erprobter Po- sung entspreche“.475 Der elegant vollzogene litiker wusste der auf sein Leben zurückbli- Berufswechsel vom schreibenden Juristen ckende Memoirenschreiber selbstverständ- zum juristisch gebildeten Journalisten, vom lich um die manipulativen Mechanismen ,Bureau‘ am Neuen Wall in die Redaktion von bewusst eingesetzter Sprache einerseits am Speersort,476 löste so mit einem Hand- und um deren Realität schaffende Wirkkraft streich den Bann politischer Untätigkeit, andererseits. Daher rührte von Melles Ge- der auf dem nach Mitgestaltung drängen- wohnheit, alle Aussagen in seinen Schriften den Mann lastete und sich weder durch möglichst buchstabengetreu und wasser- fachliches und geselliges Engagement in ver- dicht zu belegen und Sachverhalte sauber schiedenen Vereinen, noch durch Austausch und objektiv nachprüfbar zu dokumentie- und Teilhabe am Heidelberger Club oder ren, um deren Rezeption nicht zu gefährden mithilfe der sich mehrenden Ehrenämter in (vielmehr durch eine überzeugende Einbet- Deputationen und Verwaltungseinrichtun- tung dann doch subtil im eigenen Sinne zu gen hatte durchbrechen lassen. Der neuen lenken). Die Ursache für das Trompe-l’œil, Tätigkeit jedenfalls widmete er sich für die dieses paradoxe Phänomen der merkwürdi- nächsten Jahre nach eigener Aussage „mit gen Blickdichte bei gleichzeitig maximal- Eifer und Liebe“.477 bestechender Transparenz liegt so weniger in ··································································· dem Bedürfnis zu vertuschen und damit Privatier / »pater familias« eine Mit- oder Nachwelt zu täuschen. Es ··································································· gründet in der mehrfach beschriebenen poe- Wie zu Beginn angekündigt, ist es aufgrund tischen Durchformung einer Narration von der wenigen ,ungefilterten‘ Quellen nicht so definierter Warte aus. Und das, was nach einfach, den Protagonisten dieser Lebenser- seinem Tode auf Grundlage des schriftlich zählung ,privat zu erleben‘. Im Leben(stext) niedergelegten Willens als Nachlass an die des Werner von Melle lässt sich oberfläch- Hamburger Staats- und Universitätsbiblio- lich betrachtet lesen wie in einem offenem thek gelangte, hat Werner von Melle selbst Buch. Das legen seine Schriften vor allem sorgfältig gesichtet, geordnet, verwahrt – dort nahe, wo aufgrund der Überlieferungs- und damit eine Vorentscheidung dafür ge- lage ausnahmsweise verschiedene (Vor- und troffen, als ,öffentliche Person‘ oder Person Nach-)Bearbeitungsschichten erhalten sind, öffentlichen Interesses rezipiert zu werden, die nachprüfbar vom Konzept zum Brief bis deren Intimsphäre sich unbefugten Blicken zum Druck, vom Tagebuch- zum Memoi- entzieht.478 So kommt es, dass bis auf we- reneintrag oder vom Artikel zur wiederhol- nige Ausnahmen Briefe oder Zeugnisse aus ten Einarbeitung in neue Texte reichen und dem engsten Familienkreis fehlen, also einen zuverlässigen Umgang mit Quellen an/von Eltern, Geschwister/n, Ehefrau, bezeugen. Als wissenschaftlich geschulter Töchter/n; nur die Ausschnitte, die der Ver- Jurist und in Gutachten wie Plädoyers geüb- fasser selbst für den Druck seiner Jugend- ter Advokat, als versierter Pressemann und erinnerungen verarbeitet und damit überlie- ein über Jahrzehnte durch verschiedene Funk- fert hat, geben von Stil, Umgang, Inhalt tionen und Ämter dieser Stadt in positiver und Form eine Vorstellung. In Ergänzung Popularisierung und Reklame, heute würde zu diesen, freilich nicht nachprüfbaren,

| 145 | Werner von Melle

| 146 | Korrespondenzen geben die vorhandenen, Am 25.Aug Nachmittags kehrte ich mit mei- ‚öffentlichen‘ Briefschaften den Blick frei ner Frau von einer längeren Erholungsreise auf eine überwiegend erstaunlich vertraute, durch das Salzkammergut zurück. Wir hat- freundschaftliche, zugewandte Interaktion ten uns zuletzt in Wien und Dresden aufge- und Aufmerksamkeit – sowohl im (weite- halten und an beiden Orten ungewöhnlich ren) Familien- als auch im Freundeskreis, große Hitze gehabt. In den Zeitungen las wie es beispielhaft die im Wortlaut zitierten man von einer drohenden Choleragefahr; Briefe von Förster479, Geffcken480, Bur- doch glaubte wohl Niemand, daß Deutsch- chard481 und Rudolf Mönckeberg482 bele- land schon in nächster Zeit ernstlich gefähr- gen. Das, was darüber hinaus an unvermu- det sei. Weit eher schien eine Epidemie in tetem Orte im Hamburger Staatsarchiv als Oesterreich zu befürchten. Aus Hamburg autobiographisches Schriftgut überdauert hatten wir gehört, daß auch dort außeror- hat, zielt ebenfalls in erster Linie auf den dentlich große Hitze sei.484 Mann im öffentlichen Raum, auf den ··································································· ,Mann in der Stadt‘. Zwar kommentierte Dass dieser Eintrag als eine Mitteilung mit von Melle seit Mitte der 1880er Jahre als potenziell öffentlichem Charakter zu lesen Journalist offiziell Tag für Tag das Gesche- ist, deutet die offizielle, einleitende Wen- hen in Hamburg und der Welt – ein passio- dung „ich mit meiner Frau“ an. Adressat nierter Diarist im strengen Sinne wie die dieses Tagebuchs ist wohl die Nachwelt mit prominenten Politiker Kirchenpauer, Vers- ihrem antizipierten Bedürfnis nach authen- mann und Johann Georg Mönckeberg war tischen Quellen von zeitgenössischen Ak- er hingegen keineswegs.483 Regelmäßige, teuren. Berichtet werden zwar auch private private Notizen machte er sich offenbar spä- Dinge, etwa ein Ansteckungsfall im eigenen ter erst in Zeiten der Cholera, wie es der Hause, Anfang September 1892: erste Tagebuch-Eintrag als Senatssyndikus ··································································· aus dem Jahre 1892 bekennt. Doch auch Auch unsere Köchin erkrankte wie ich hier hier wird nicht das eigene Reflexionsbedürf- gleich bemerken will – jedoch erst einige Tage nis als Impulsgeber angeführt, sondern der später und nur an Cholera. Nach einigen Schreibprozess durch ein nicht näher spezi- Tagen ward sie, mit 2 Cholerakranken zusam- fiziertes allgemeineres ,Interesse‘ motiviert: men, nach dem Eppendorfer Krankenhaus ·································································· befördert, von wo sie 8Tage später wieder ent- Hamburg d 15–18 Sept. 1892 lassen wurde. Wir ließen sie dann auf ihren In diesen Tagen kam mir der Gedanke, daß Wunsch zunächst zur Erholung nach Haus es vielleicht von Interesse sein möchte, über reisen. Ob sie wiederkommt, wenn die Epi- das, was ich in dieser ereignißreichen Zeit demie noch länger fortdauert, bezweifle ich.485 erlebt, gesehen und gehört, etwas nieder- ··································································· zuschreiben, und zwar wo möglich täglich. Aber letztlich handelt es sich um abgefe- Ich hätte damit gleich nach Ausbruch der derte Aussagen einer öffentlichen Person im Choleraepidemie beginnen sollen. Da dies Stenogramm-Stil. Eine Ausnahme bilden aber nicht geschehen, will ich zunächst kurz die geschilderten Umstände und Reaktio- einen Rückblick auf die letzten Wochen nen auf den eingangs erwähnten Tod des werfen. Schwagers Senator Otto Mönckeberg:

| 147 | ··································································· ten Genugtuung acht Jahre später ein zwei- Sonntag d 25 Juni 93. ter aus dem engsten Freundeskreis – „Don- Am 14 Juni starb mein Schwager Otto nerstag 6.Juli 93. Am 26 Juni wurde mein Mönckeberg nach etwas mehr als 5 wö- alter Freund Dr. Predöhl zum Senator ge- chentlicher Krankheit. Am 8 Mai ward er in wählt. Der Senat gewann damit eine bedeu- der Senatssitzung von starken Schmerzen tende juristische Capacität.“487 – … und der befallen. Er winkte mir gegen Ende der Sit- Senatssyndikus, so ließe sich der Gedanken- zung, bat mich sofort eine Droschke zu be- gang fortführen, einen weiteren Mitstreiter stellen u mit ihm nach Hause zu fahren. Die im Streben auf ein gemeinsames Ziel hin, Schmerzen schienen sehr stark, ließen aber für welches das Fundament schon in der Ge- in den nächsten Tagen nach. Die Aerzte lehrtenschule gelegt worden war. Parallel sprachen zuerst von Gallensteinen. Die hatten die gleichaltrigen Kaufmannssöhne Krankheit nahm jedoch mit der Zeit einen Werner von Melle und Max Predöhl die üb- immer ernsteren Charakter an. Es traten lichen ,Rites de Passage‘ durchlaufen: als verschiedene bedenkliche Symptome auf, es Klassenkameraden, Studienfreunde, Kom- stellten sich Lungen- u Rippenfellentzün- militonen der Rechtswissenschaft in Heidel- dung ein, dann wieder vorübergehende berg und Leipzig, im selben Jahr Promo- Herzschwäche und endlich in der Nacht vierte und zur Advokatur Zugelassene und vom 14 Juni machte ein Lungenschlag plötz- nebenher journalistisch Tätige (Predöhl war lich u schmerzlos dem Leben des noch nicht von 1881 an als Mitredakteur am Beiblatt der 50jährigen, anscheinend so kräftigen u. bis- Handelsgerichtszeitung beteiligt). Zwar war her stets gesunden Mannes ein Ende! Wir der junge Predöhl weder Mitglied der Ham- waren alle tief erschüttert, ebenso seine vie- burger Gesellschaft noch des Heidelberger len Freunde d. Senat u. die weitesten Kreise. Clubs, doch pflegte er enge Beziehungen zu Seine Beerdigung fand gestern vor 8 Ta- beiden Vereinigungen. Im Gegensatz zu von gen unter ungeheurer Theilnahme statt. Er Melle führte er als Rechtsanwalt in Partner- selbst ahnte nicht, daß er so schwer krank schaft mit David Schlüter und Otto Moritz war. Wilhelm Brandis seine Advokatur bis zur Gegenüber diesem tieftragischen Ereigniß, Ernennung in den Senat durchgehend fort. durch das vor allem meine Schwester so Der neidlos bewunderte „feine[] ideenrei- schwer betroffen, trat in der letzten Zeit Al- che[] Kopf von vorsichtigem, aber tief- les Andere zurück.486 schürfendem Urteil“,488 war wohl der kon- ··································································· genialste Freund Werner von Melles. Auch Gewissermassen als Kontrapunkt zu die- wenn der nach zwei Jahren Syndikus-Dasein sem Eintrag zeigt der unmittelbar darauffol- vermutlich selbst gern zum Senator ernannt gende über den gewählten Nachfolger des worden wäre: mit Burchard, Predöhl und verstorbenen Schwagers im Senat eine gera- von Melle wirkten nun schon drei gleichge- dezu idealtypische Verquickung von persön- sinnte Coaetanen an der Arbeit und den licher Teilnahme mit öffentlichem Interesse: Entscheidungen des Senats mit – doch von Nach Johann Heinrich Burchard, seit 1884 dieser zukunftsgerichteten Dimension gibt Mitglied der Bürgerschaft und 1885 schon in der aufs Wesentliche konzentrierte Eintrag den Senat gewählt, schaffte es zu des Diaris- nichts preis. Predöhl, der Experte, und Wer-

| 148 | ner von Melle sein Vertrauter: das ist die Alle Fotos und gezeichneten oder gemal- Funktion dieser Mitteilung. ten Bilder zeigen einen ernsten, schlanken, ··································································· elegant gekleideten Mann – Seitenscheitel Entsprechend zeigt sich das vorliegende im gut frisierten Haar, Schnurr- bzw. ge- Textmaterial selbst solch spontan wirkender pflegter Vollbart –, dessen Gesicht in jungen autobiographischer ,Statements‘ wie auch Jahren einen zwar durchaus energischen, der „zum Teil auf persönlichen Aufzeich- zuweilen aber etwas erschöpften und ein- nungen“ beruhenden, später aufnotierten gefallenen, später eher zähen und durch- Lebenserinnerungen489 immer schon als li- gearbeiteten Eindruck macht. Seltener sind terarisch gemustert und adressatenorien- Frontalaufnahmen, überwiegend ist von tiert. Sogar das überlieferte Bildmaterial ist Melle im (Halb-)Profil abgebildet oder nicht mit unmittelbaren Momentaufnah- blickt in eine andere Richtung als direkt in men zu verwechseln: So ist einerseits dem die Kamera, wohl wegen der asymmetri- technischen Stand der Zeit geschuldet, dass schen Achse seiner umschatteten Augen. die erhaltenen Gemälde, Zeichnungen, Da- Charakteristisch ist der undurchdringliche guerreotypien und Fotos mehr oder weniger Blick unter meist schweren und halbge- stilisiert und inszeniert sind. Andererseits schlossenen Lidern, mit einem Ausdrucks- zeigen darunter doch auch einige von Melle Spektrum von gelassen, heiter und gütig nicht nur als Amtsträger oder Repräsentan- über abwartend-aufmerksam bis hin zu lau- ten der Stadt, sondern durchaus in anderen ernd oder auch sinnend … Aussagen zu sei- Rollen: als Schüler, als Ulanen in Uniform, ner Stimmlage und -führung, zu seinem als jungen Mann in Zivil – Advokat oder Sprechverhalten gibt es kaum. Den Bildern Redakteur (siehe Abbildung S. 146) – als nach zu urteilen trug Werner von Melle Ehemann, als Familienmensch, als pater gleich seinem Vater nur einen Ehering. Kei- familias. nes zeigt ihn mit einem Siegelring; das Fa- ··································································· milienwappen benutzte er hingegen bei- Was sich – ohne indiskret zu werden – auf spielsweise für sein Briefpapier.490 dieser Grundlage dem einerseits überbor- ··································································· denden Text- und dem andererseits sehr aus- Die Glasplattenaufnahmen wurden in der gesuchten Bild-Konvolut an Mitteilenswer- Hauptsache von den eher prominenten Ate- tem abgewinnen lässt über das private, das liers mit Prädikat-Auszeichnung in Auftrag häusliche Dasein des Werner von Melle in gegeben: E. Bieber (Königl. bayer. & her- den ersten gemeinsamen Jahren mit Emmy zogl. sächsische Hof-Photographin; u. a. Kaemmerer, versuchen folgende Überlegun- Hamburg: Neuer Jungfernstieg 20. I. Eta- gen und Beschreibungen aufzuspüren. Da ge), Benque&Kindermann (Hofphotogra- der Protagonist selbst offenbar den Be- phen; Große Bleichen 30, seit 1888 Espla- schluss gefasst hat, diesen Teil seiner Exis- nade 2), W. Breuning (Wwe; das ist die tenz neugierigen Blicken zu entziehen, nä- verwitwete Sophia Auguste Breuning, die hern sie sich der Familie nur bis zur das Atelier ihres 1872 verstorbenen Mannes Bildoberfläche oder dem, was sich anhand Wilhelm bis 1895 weiterführte; Steindamm von Gedrucktem herausfiltern lässt. 144, mit Filialen Gr. Drehbahn 45 – 1866– ··································································· 1871 –, Steindamm 151 – 1880–1888 – und

| 149 | Geprägtes Wappen/Siegel und Briefpapier-Monogramm

Bergstr. 26 – 1891–1895), Rudolph Dührkoop Biow: Neuerwall 24).491 Auf dem ältesten (Ferdinandstraße 43, mit Filialen in der Gro- gemeinsamen Bild, das Werner und Emmy ßen Bäckerstraße 26, Hopfenmarkt 18, Jung- als junges Ehepaar zeigt, wirken beide sehr fernstieg 34), W. Höffert (Hof-Photograph; jung, beinahe noch kindlich, und doch war Jungfernstieg 12), F. Huss (Hofphotograph; Emmy darauf etwa 22 Jahre alt, in ein hoch- Uhlenhorsterweg 12, 1. 2. 3. Etg., „Specia- geschlossenes Kleid gewandet und trug – lität: Kinder-Aufnahmen“), A. Siegmund wie auf allen Bildern (mit einer Ausnahme) (Sillem’s Bazar 16) sowie Stelzner & Biow – ihr Haar mit einem durchgezogenen Mit- (Caffamacherreihe 32; später Carl Ferdi- telscheitel und zwei enganliegenden kurzen nand Stelzner: Jungfernstieg 11; Hermann Pony-Haarlocken streng zurückgebunden.

| 150 | Das junge Paar: Emmy und Werner von Melle (um 1880)

| 151 | ··································································· Magdalena (*1862) und Susanne (*1864), Emmy letztere durch Heirat verschwägert mit ··································································· Werner von Melles Freund, dem Kaufmann Wie Werner von Melle war auch die fünf Otto Eduard Westphal492; darauf Julia Jahre jüngere Emmy (Helene) Kaemmerer (*1868) und schließlich als jüngste Helene das zweite Kind aus einer Reihe mehrerer (*1869)493. Geschwister: Georg Heinrich (*1856), später ··································································· Direktor der Norddeutschen Bank in Ham- Über den familiären und schulischen Hin- burg, war der älteste Bruder, der ihr nächst- tergrund ist bislang nicht viel mehr bekannt jüngere war Ami (*1861), Johanniter und als als das, was sich den Zeilen Werner von Advokat Mitglied der Hamburger Gesell- Melles, den Erinnerungen seiner Töchter schaft und des Heidelberger Clubs, enger Maria und Alida, dem Hamburger Geschlech- Freund des Verwandten Max Schramm und terbuch und (meist in Abschrift vorliegen- Sozius von Max Predöhl. Dann folgten den) Einträgen aus verschiedenen (Zivil-

Emilie H. Kaemmerer, geb. Goßler inmitten ihrer Kinderschar: Georg Heinrich, Ami, Susanne, Magdalena und Emmy

| 152 | stands- und Kirchen-)Registern (= Trau-, Geburten-, Tauf-, Sterberegister) entneh- men lässt. Im April 1855 heirateten Emmys Eltern, der 31-jährige Kaufmann (Georg) Heinrich Kaemmerer und die 18-jährige Senatoren-Tochter und -Enkelin Emilie He- lene Goßler, in der Hauptkirche St. Jacobi an der Steinstraße.494 Gleich ihrer Mutter Emilie Goßler geb. Albert wurde auch die junge Ehefrau Kaemmerer seit ihrer Kind- heit Emmy genannt und muss „in der Jugend eine sehr reizvolle Erscheinung ge- wesen sein, groß und schlank, mit feinen Zügen und welligem, kastanienbraunen Haar“.495 Ihr Mann war gemeinsam mit sei- nem Bruder Wilhelm Heinrich erfolgrei- cher Mitinhaber des seit etwa 1750 bestehen- den Familienbetriebs (G. H. Kaemmerer Söhne), zudem u.a. Mitbegründer und Auf- sichtsratsmitglied der Vereinsbank zu Ham- burg und – gleich seinem Schwiegervater Der Großvater: Senator Hermann Goßler Dr. jur. Hermann Goßler – Verwaltungs- ratsmitglied der 1843 gegründeten Berlin- kleinem Stadtgarten) lebende Familie bald Hamburger Eisenbahn-Gesellschaft. Kaem- der Deutsch-Reformierten Kirche in der merer, „eine bedeutende, sehr sympathische benachbarten Ferdinandstraße an.497 Mit Persönlichkeit“, war zwei Jahre jünger als deren Prediger Spörri war die eher ,freiden- der ihm gut befreundete Emil von Melle496 kende‘ Mutter befreundet und auch ihrer und engagierte sich wie dieser seit Mitte der Tochter Emmy war der Geistliche laut von 1850er Jahre ehrenamtlich in der Hambur- Melles Angaben ,Lehrer und Freund‘.498 ger Kommunalpolitik. Etwa zeitgleich wa- Den Sommer verbrachte die Familie „im ren beide am Niedergericht tätig (Kaemme- Elternhaus draußen in Horn“, in der Hor- rer: 1855–57, von Melle: 1856–60) – 1858–60 ner Landstraße 46, wo Emmy „mit ihren war er Handelsrichter (von Melle: 1864–67), Geschwistern ein frohbeschwingtes Jugend- 1861–66 gehörte er der Finanz-Deputation leben führen konnte, behütet von treuen an und verschiedenen anderen Verwaltun- Händen, erzogen in der schlichten, herzli- gen, u. a. dem Armenkolleg, 1863–66 der chen Geradheit der guten alten Hamburger Bau-Deputation – Anfang der 1860er Jahre Art“.499 Das änderte sich jäh mit der Erkran- saßen beide in der Bürgerschaft. kung ihres Vaters Anfang der 1870er Jahre, ··································································· da war Emmy gerade einmal 13. Für das Obwohl evangelisch-lutherisch getauft ge- Familienleben brach eine schwere Zeit an, hörte die winters in der Brandstwiete 28 als sich Kaemmerers gesundheitlicher Zu- (später im Eigentum am Holzdamm 30 mit stand so verschlimmerte, dass er „in eine

| 153 | Die Eltern: Heinrich und Emmy Kaemmerer

Nervenheilanstalt nach Göttingen gebracht werdenden Familie. Sie war sozial engagiert werden“ musste, sodass seine Frau kurzer- und hegte eine „große Vorliebe für Ge- hand „ihre 5 älteren Kinder unter Verwandte sellschafts- und Gartenspiele“ (Halma bei- und Freunde“ verteilte und „mit den zwei spielsweise oder das legendäre Boccia an Kleinsten für 2 Jahre nach Göttingen“ zog: Familientagen in Borstel, das sie den Enkel- „Da hat sie jeden Nachmittag ihren Mann kindern mit Gewinnen schmackhaft mach- im Wagen abgeholt, und sie fuhren dann in te, die in einem „Geschenkkasten“ aufbe- Begleitung eines Wärters spazieren. Nur für wahrt wurden)502; kulturell interessiert hielt 6 Wochen fuhr sie im Sommer wieder nach sie „im Schauspielhaus, seit dasselbe besteht, Hause zu ihren älteren Kindern.“500 und früher im Stadttheater den Winter über ··································································· jeden Dienstag Abend Abonnements auf Als Werner von Melle und Emmy einan- zwei Plätze“ und nahm „für die philharmo- der 1876 in Göttingen (wieder-)begegneten, nischen Konzerte […] jeden Winter Abon- lebte Heinrich Kaemmerer nicht mehr; er nements“, besuchte aber auch andere Kon- war am 5. Juni im Jahr nach seiner Rückkehr zerte, etwa „des Lehrergesangvereins, denn nach Hamburg im Alter von nur 51 Jahren von der Musik war Großmama der Gesang gestorben,501 seine Witwe überlebte ihn um das liebste“.503 Dass sich die eher altmodi- 35 Jahre und wurde mit ihrer Vitalität zum sche als „moderne Frau“ nach Aussage ihrer emotionalen Zentrum der immer größer Enkelin besonders für die „Frauenfrage“

| 154 | Emmy Kaemmerer, geb. Goßler (1910)

| 155 | | 156 | Geertz’scher Pinselstrich: Helene Kaemmerer (links: Julius Geertz, 1882) und Werner von Melle (rechts: Henry Geertz, 1907)

| 157 | interessierte, offenbart liberale Züge einer ··································································· manischen Zeitungsleserin, deren Interes- Ein Band anderer Art zwischen den Fami- senkreis eben so weit reichte, „daß sie sich lien Kaemmerer und von Melle bewahrt die auch für die neuesten Fortschritte und For- bildende Kunst: Julius Geertz malte Anfang schungen interessierte. […] Sie hielt am al- der 1880er Jahre Emmys jüngste Schwester ten fest und konnte doch die Strömungen Helene und sein Sohn Henry konterfeite der neuen Zeit verstehen. […] Wenn wir ei- Werner von Melle ein Vierteljahrhundert nen Rat gebraucht haben, hat sie ihn uns ge- später: das Porträt gehört zum Bestand der geben; sie hat uns aber nie ihre Meinung Arbeitsstelle für Hamburgische Geschichte aufgedrängt. Und das war es ja gerade, was der Universität Hamburg und hängt seit uns unsere Großmama so nahe rückte, das Oktober 2015 im sogenannten ,Historischen Verstehen und Mitfühlen mit allem, was Rektorzimmer‘, einer musealen Einrichtung uns bewegte.“504 Ihren Enkelinnen blieb sie im Hauptgebäude der Universität. Das 1882 im Gedächtnis als die „Großmama“, die „in gemalte Bild von Helene Kaemmerer befin- ihren Anschauungen oft ihrer Zeit erheblich det sich im Museum für Hamburgische Ge- voraus war“.505 schichte.506 Es zeigt die 13-Jährige in kulti-

„Der Hamburgische Correspondent“: Handschriftliche Fassung des Gedichts (erste und letzte Seite)

| 158 | vierter Natur – auf einem Sandweg vor dem Als Morgengast komm’ ich Tag aus Tag ein, Stamm einer Kastanie, an der linken Hand In des Tages Geschäfte Euch einzuweihn. hängt am Band ein Strohhut mit bunt ka- riertem Band herab, die andere gleitet durch Ich theile Euch mit, was in Nord und Süd hohes Gras. Nur irgend von Bedeutung geschieht. ··································································· Zurück zum Ausgangspunkt des in mehr- Die ganzen Nächte muß ich mich quälen, facher Hinsicht weichenstellenden Jahres Um morgens Neues Euch zu erzählen. 1876. Auf jene verheißungsvolle Göttinger Wiederbegegnung im Sommer folgte am 12. Im Lauf der Jahre ward grau mein Haar. Oktober 1880 die Einlösung in Hamburg: Im Amte ward ich schon Jubilar. Werner von Melle und Emmy Kaemmerer gaben sich im Standesamt 3 (Neuerwall 20, I) Jedoch besonders in Gunst ich steh’ das Ja-Wort. Christlich getraut wurden sie Beim Herrn dieses Hauses; nicht schmeckt von Pastor Spörri, dem Freund der Familie. der Café Als Vorsitzender des Vereins für Kunst und Ihm bis er aus meinen Spalten gesehn, Wissenschaft und, wichtiger noch, als ,Ver- Was Tags zuvor in der Welt geschehn – treter des theologischen Liberalismus‘ dürfte der Geistliche auch dem Bräutigam genehm Drum mag ich es, heut’ in sein Haus gewesen sein, der nach Aussage von Tochter zutreten Alida im Gegensatz zur streng orthodoxen Zur Abendstunde, ganz ungebeten, Glaubensrichtung seines Großvaters Geff- Denn ich höre, daß heut’ man ein cken und seiner Mutter Marie „in diesen Brautpaar fêtirt, Dingen ganz frei dachte, ohne dabei aber Das ganz besonders mich interessiert. je die Achtung und Ehrfurcht vor anderen Glaubensweisen zu verlieren“.507 Ein hand- Zwar sind ja, Ihr wißt es wohl, für die schriftliches Konvolut aus der Familien- Presse überlieferung bewahrt die Erinnerung an Brautleute immer von Interesse, den 10. October 1880, an den zwei Tage zuvor Denn mein Amt ist’s ja, sie einzuführen, gefeierten Polterabend.508 Der gereimte Mit- Sie als Verlobte zu declariren. – telteil der Darbietung bringt mit Zeitkolo- rit und informativem Unterhaltungswert Doch that ich dies hier mit besonderer augenzwinkernd einen der ,Hauptinforman- Freude, ten‘ des Melle’schen Hauses zum Sprechen: Denn keine Fremde waren mir Beide. ··································································· Der Hamburgische Correspondent Der Bräutigam, wie schon lange bekannt, Als Helfer oftmals zur Seite mir stand. Ihr kennt mich Alle, seid meist Abonenten[!] Bei mir, dem Hamburger Correspondenten. Ja, einmal, da half er aus großer Noth, Und das vergeß’ ich ihm nicht bis zum Tod! Ja, Zutritt hab’ ich in jedem Haus, Denn ich war in großer Verzweiflung schon – Man weist mich niemals zur Thür hinaus. Nichts hatt’ ich zu füllen das Feuilleton.

| 159 | Da ward mir zur rechten Zeit noch gesandt Gewiß, der ward früher von mir schon Ein Artikel aus Leipzig von seiner Hand, genannt. Den er als Studiosus dort hatte geschrieben. Den konnte ich rasch in die Lücke schieben. Und als ich ein wenig noch nachgedacht, Da war mir’s, als hätt’ ich bekannt einst Und es schien mir, das Blatt wurde gerne gemacht, gelesen, Daß eine Tochter bei Kaemmerers geboren Denn es ist der Verkauf ein sehr reger Das mußt’ ja die Braut sein, die er sich gewesen. erkoren.

Da dachte ich bei mir: solch’ junge Kräfte, Auch habe ich Manches zu hören Die kannst Du wohl brauchen in Deinem bekommen, Geschäfte. Was besonders mich hat für sie eingenommen. Drum gern nahm ich auf den Bescheid vom Senat, So hat eine Dame mir anvertraut, Daß er zugelassen als Advocat. Die nahe befreundet der jungen Braut, Daß sie mir schon immer sehr zugethan Und mit Freuden hab’ später ich inserirt, war; daß er sich als Anwalt hier etablirt. Denn von meinen Blättern ein Exemplar Ich unter den Werthpapieren entdeckte, Als Mitarbeiter empfing ich ihn froh, Die sie ängstlich vor ihren Geschwistern Willkommene Stütze für mein Bureau. versteckte.

Denn viele Sorge oft macht es im Stillen, Wenn ein Mädchen also in Ehren mich hält, Die großen Seiten täglich zu füllen – Ist’s da wohl ein Wunder, daß sie mir gefällt?

Aus England schon sandte er manche Besonders, da von den Damen allen Sachen, Nur wenige finden an mir Gefallen.– die trefflich in meinen Blättern sich machen Auch hier ging er später mir oft zur Hand, Nein gegen die Wahl ist nicht Klage zu Wenngleich er nicht immer als Autor führen. genannt – Zu so gutem Geschmack kann ich nur Drum mußt’ es besonders mich gratuliren interessiren, (Ja ich, der Hamburger Correspondent, Jüngst seine Verlobung zu declariren. Den man den „unpartheiischen“ nennt).

Ja zweimal druckt’ ich’s an sichtiger Stelle, Und dazu eben bin unverweilet „Emmy Kaemmerer und Dr. Werner von Ich heute Abend hierher geeilet; Melle.“ Denn aus dem Aufgebot hab’ ich ersehn, Und „Kaemmerer“, der Name war mir Daß man bald will die Hochzeitsfeier bekannt, begehn. –

| 160 | Doch möchte ich bitten, wenn’s nicht zu vermessen, Mich über die Frau auch nicht ganz zu vergessen.

Ich hör’, nach Italien lenkt Ihr Eure Schritte. Verzeiht, wenn ich da wage die Bitte, Nach glücklicher Ankunft am Lago magiore, Wenn Ihr etablirt Euch dort ganz con amore, Mir einige kleine Artikel zu senden, Die ich könnte in meinen Blättern Das erste stille Glück … verwenden. typie auszulösen vermag. So wird man ge- Und wenn Ihr dann hier Eure Wohnung rade bei den Ausführungen zur Hochzeits- bezogen, reise das Gefühl nicht los, diese Worte und Bleib der Ehemann ferner auch mir gefügten Formeln („meine geliebte junge gewogen. Frau […] mit temperamentvoller Begeiste- rung“, ein „junges glücklich liebendes Paar“, Dafür versprech’ ich auch, jeden Morgen das „erste stille Glück“) schon x-mal genau Für seine Lectüre beim Kaffee zu sorgen. – so gelesen zu haben. Wieder so ein Trompe- l’œil, dessen kodierte Oberfläche den Blick Doch jetzo darf ich nicht länger weilen, aufs ,Eigentliche‘ geschickt verstellt. Muß schnell’ zurück an die Arbeit eilen. ··································································· Der Reisemonat ist entschwunden, Denn niemals Ruhe und Rast sich gönnt Wir kehren heim – zum erstenmal. Der vielgeplagte Correspondent. Was wir gesehn, gehört, empfunden ··································································· In schönen Stunden ohne Zahl, Der ,Vielgeplagte‘ verriet es: Das Brautpaar Das wird noch oft in unserm Leben verbrachte seine Hochzeitsreise (zeitgemäß In unsern Herzen leis’ erklingen, und) auf pastorale Empfehlung – Spörris In trüben Stunden uns erheben, Frau stammte aus dem lombardischen Ber- Uns Grüße aus Italien bringen! gamo509 –, im Sehnsuchtsland Italien. Zur Es wird uns stets an das erinnern, Beschreibung einer offenkundig liebevollen Was täglich wir aufs neu empfinden: Beziehung wählte von Melle eine Sprache, – Lass’ andere Leute weise lächeln – die von der angesprochenen Person (die Ju- ,Der Honigmond kann nie entschwinden!‘“ genderinnerungen sind „Meiner lieben Frau (Emmy von Melle, 1880)510 gewidmet“) als Maximum an emotionalem ··································································· Ausdruck wahrgenommen werden konnte Während das junge Paar seinen ,Honig- und zugleich bei einem neutralen Leser (der mond‘ genoss, dürften Eltern und Schwie- Druckfassung) den Eindruck hoher Stereo- germutter in althergebrachter Weise die

| 161 | Umzug – in der Alfredstraße 31 erblickten im Abstand von vier Jahren zwei weitere Töchter das Licht der Welt, sodass noch im ersten Ehe-Jahrzehnt die Familie ,komplett‘ war: 1881 wurde die oben angezeigte Maria geboren, 1885 Alida und 1889 Emilia. ··································································· Über das ihm privat „jetzt in so reichem Maße erblühende[] Glück“513 dieser ersten zehn Jahre – denen fünf Jahre eines unerfüll- ten und fünf eines erfüllteren Berufslebens gegenüberstanden – breitete von Melle selbst einen Schleier, den nur wenige foto- grafische Momentaufnahmen und private Erinnerungen seiner Töchter lüften. Den auf Glasplatte bzw. Papier gebannten ,leben-

Adressbuch-Eintrag 1882 erste gemeinsame Miet-Wohnung bezugs- fertig eingerichtet haben. Sie befand sich in einem Etagenhaus in Sankt Georg und da- mit im selben, erst seit 1868 zum Hambur- ger Stadtgebiet gehörenden Stadtteil, der auch Hauptsitz von Familie Kaemmerer war: Der Adressbuch-Eintrag: „von Melle, W., Dr., Rechtsanwalt, Neuerwall 93, I., Wohn. Kirchenallee 23, II“ (Sprechstunde: 1 „3–4 ⁄2“ Uhr),511 weist die Wohnung zudem als Arbeitssitz aus. Und hier auch gebar Emmy von Melle „am dritten August des Jahres tausend acht hundert achtzig und ein, Vormittags um neun ein halb Uhr ein Kind weiblichen Geschlechts“.512 ··································································· Im Jahr darauf wohnte die Kleinfamilie mit Säugling schon in der Parallelstraße Holz- damm 35, nun in nächster Nähe zu Kaem- merers. Hier und – nach einem weiteren Vaterfreuden: Werner und Maria von Melle (1883)

| 162 | Mutterglück: Emmy und Maria von Melle (1881)

| 163 | Werner von Melle und den anderen Famili- enmitgliedern auch fünf Jahre später wenig (sichtbare) Berührung zu geben scheint. Die Eltern sitzen auf versetzt angeordneten Stüh- len, beide Kinder sind unmittelbar vor dem am tiefsten im Raum befindlichen Vater ar- rangiert, der seinen Hut gelockert in den Nacken geschoben hat und – den linken Arm auf seinem Bein abgestützt, den rech- ten über die Rückenlehne gelegt – heiter vor sich hinzusinnen scheint. Die kleine Alida sitzt am weitesten vorne auf einem Hocker oder Stuhl, mit zu einer Raute zusammen- gelegten Händchen und schaut frontal in die Kamera, die ältere Maria steht leicht ver- setzt hinter ihr, blickt mit einem angedeute- ten Lächeln ebenfalls in die Kamera und

Kurze Haare und Blumenkörbchen: Maria von Melle (1884) den Bildern‘, etwa jenem aus dem Urlaub am Atelier-Strand vor einer Meeresszenerie aus Stoff (S. 167), lassen sich schwerlich De- tails über die Familienkonstellation oder von Melles Vater-Rolle in ihr ablesen. Schon auf dem Bild mit seiner kleinen Tochter Ma- ria, deren Arm zwar vertraulich auf seinem Bein abgelegt ist, wirkt der Dreißigjährige seltsam steif (S. 162), und wieder auf dem et- was späteren Familienbild fällt im Vergleich zu den Aufnahmen eines auch in der Kör- perhaltung seinen Kindern ungewöhnlich souverän zugewandten Emil von Melle aus den 1850er Jahren auf (S. 30 f.), dass es, ob- wohl das gestellte Foto eine gewisse Nähe und (für die Atelier-Situation relativ) ent- spannte Atmosphäre vermittelt, zwischen Kindertracht: Maria von Melle mit Puppe

| 164 | lieferung der Schwestern aus Kindheitsta- gen die gemeinsamen oder Einzel-Abbil- dungen der beiden älteren, die jüngste ist fast nur auf Gruppenbildern zu entdecken. So zeigt ein Freilichtfoto aus dem Jahre 1895 beispielsweise die 14-jährige Maria mit ihren Eltern im „innig und heiß geliebten“ „Bors- teler Garten“ (S. 170).514 Er war seit 1890 Sommersitz von Großmutter Kaemmerer, nach der Veräußerung des sehr viel größe- ren Horner Familienbesitzes, den bewusst kennen zu lernen eigentlich nur noch Ma- ria als ältestes Enkelkind die Gelegenheit hatte, die hier im Alter von acht Jahren „zum letzten Mal den Sommer“ verlebte.515 Sowohl Maria als auch Alida schwelgen in

Große Schwester, kleine Schwester: Maria und Alida von Melle hält in der rechten Hand lose den Stiel eines Spatens, während ihre linke Hand auf der Schulter ihrer Schwester über der rechten Hand der Mutter ruht. Emmy von Melle, mit malerisch drapiertem Kleid und einem geschlossenen Schirm in der Linken, wirkt, als wolle sie die Kinder gerade auf etwas auf- merksam machen. ··································································· Weitere Familien-Aufnahmen aus späte- ren Jahren – sowohl spontane als auch pro- fessionell arrangierte – lassen sich aus Privat- besitz noch beisteuern, die Emmy und Werner von Melle einmal mit allen drei Töchtern, ansonsten mit jeweils einer oder Kleine Schwester, große Schwester: zweien zeigt; dabei überwiegen in der Über- Alida und Maria von Melle

| 165 | Alida von Melle (um 1889)

| 166 | Maritimes Familienidyll im Studioformat (um 1887/88): Emmy und Werner von Melle mit den Töchtern Maria und Alida in Schleswig

| 167 | Zwischen Apfel und Geschenkkasten: Die Großmutter Kaemmerer glücklichen Erinnerungen an Groß Borstel, Mittagsschlaf hielten, und ihr Mittagessen wohin die Melle-Töchter so manchen haben wollten, sobald sie ausgeschlafen hat- Sonntag „mit dem Wagen“ oder „dem Po- ten. Da waren die Schulkinder, die früh- nywagen“ kutschiert wurden, und offenbar stückten, wenn sie aus der Schule kamen. viele Sommer und Ferientage (meist) ohne Da waren die Dienstboten, die immer eine die Eltern in der Obhut von Großmutter ganze Gesellschaft ausmachten, da jede Fa- und Tanten verbrachten: „Großmama milie, die bei Großmama wohnte, gewöhn- [hatte] fast den ganzen Sommer das Haus lich noch ihr eigenes Kindermädchen mit- voll von Kindern und Enkeln. Und sie selbst brachte. Da war endlich Großmama mit war von früh bis spät für ihren großen Haus- ihren Kindern und den erwachsenen Enkeln, halt tätig“, überliefert Maria als knapp 30- die wieder zu einer anderen Zeit aßen.“ Jährige ein Stück Familiengeschichte: ··································································· „Dann besprach sie mit der Köchin, was den Dieses Arrangement nicht zuletzt der Kin- Tag über gekocht werden sollte. Das war derbetreuung verschaffte den jungen Fami- nämlich garnicht so einfach. Bei Großmama lien oder vielmehr den Eltern sowohl im mußten oft drei Mittagessen und ebenso Alltags- als auch Ferienrhythmus gewisse viele Frühstück- und Abendessen an einem Freiräume und dadurch auch flexiblere Ar- Tage gekocht werden. Da waren die Kleins- beits- und Reisemöglichkeiten. Das in Bors- ten, die frühstücken mußten, ehe sie ihren tel aufgenommene Foto zeigt freilich, dass

| 168 | Das älteste Enkelkind: Maria von Melle

| 169 | Borsteler Garten: Maria, Emmy und Werner von Melle (1. September 1895)

| 170 | Interieur mit Sonnenblume: Werner, Maria und Emmy von Melle (Ende der 1890er Jahre) auch Werner und Emmy von Melle zu Gast nierten Fragmenten auch nur wenig darüber waren in der idyllischen Parklandschaft mit Hinausgehendes abzulesen, vermitteln sie altem Großbaumbestand und Gartenkunst, doch immerhin eine Ahnung vom Interieur: einem im 18. Jahrhundert angelegten See, Zu sehen ist hier beispielsweise Werner von Gewächshaus, Gemüsegarten und einem Melles geräumiges, nach eigenen Angaben verspielten Gartenpavillon. „besonders reizvolle[s] Arbeitszimmer“,516 ··································································· das er von seinem Bruder Erwin für den Einen kleinen Einblick in die Melle’sche Anbau im Graumannsweg hatte entwerfen häusliche Umgebung wiederum gewährt lassen. Dessen Attraktion war ein (im Hin- eine in Hohenfelde arrangierte Innenauf- tergrund sichtbares) „Sonnenblumen-Glas- nahme, wohin die fünfköpfige Familie samt fenster“517, das jedoch im Hause verbleiben Bediensteten von St. Georg aus in ihr eige- musste, als die Familie später nach Eppen- nes Haus gezogen war. Die professionell er- dorf/Winterhude weiterzog. Erwähnens- stellte Fotografie (Rudolph Dührkoop) zeigt wert sind vielleicht noch die beiden Stiche die eben genannten drei Familienmitglieder an der Wand, der eine zeigt die alte Nach- wenige Jahre später: Werner (eine Zigarre barschaft: eine Ansicht von St. Katharinen rauchend), Emmy und Maria von Melle, le- mit der Reimersbrücke, wohl vom Nicolai- send jeweils in ein Buch bzw. eine Broschüre fleet aus; der andere die (satirisch?) leicht vertieft. Ist diesen familienidyllisch kompo- variierte Campagne de France des Napoleon

| 171 | Marie von Melle auf der Veranda, Alsterterrasse 7: in zeittypischer schwarzer Witwenkleidung, mit Spitzenhäubchen, aber ohne Tuchbeutel

| 172 | nach dem berühmten Gemälde von Ernest sie sich schon äußerlich „durch ihre kleine Meissonnier. Figur und das schneeweiße, glattgescheitelte ··································································· Haar“ unterschied. Ihre Enkelinnen „um- Atmosphärisch ertragreicher sind die gab sie mit wärmster Liebe und Fürsorge schon genannten Erinnerungen der Töchter und dachte sich immer irgend eine Freude aus den 1910er und 1950er Jahren. Sie ent- für uns aus. Mal war es eine Wagenfahrt halten eine Fülle kulturhistorisch interes- zum Bäcker nach Teufelsbrück. Da tranken santer Details, etwa über das (nicht sehr am- wir Chokolade, und aus Großmamas gro- bitionierte) Klavierspiel oder den Gesang ßem schwarzen Tuchbeutel, den sie immer der Mädchen, über typische Beschäftigun- am Arm trug, kamen die schönsten Kuchen gen oder die Beschaffenheit der Räumlich- = resp. Klöbenvorräte heraus. […] Sobald keiten, über ritualisierte Tagesabläufe und eine von uns krank war, erschien Groß- traditionell begangene Feste (Weihnach- mama sofort, setzte sich an unser Bett und ten), und geben darüber hinaus Aufschluss holte – wieder aus dem großen schwarzen über den zeitintensiven alltäglichen Kon- Beutel – eine Menge der schönsten Sachen takt der Enkelinnen zur im Holzdamm heraus: eine Flasche Saft, ein Glas selbst ein- anfangs direkt benachbarten Großmutter gemachten Apfelgelee, Keks und noch man- Kaemmerer: „Unsere Schulen waren alle ches andere“.519 nahe bei Großmamas Winterhaus, teils in ··································································· derselben Straße; daher wurde es uns von Zu dem relativ engen und regelmäßig ge- klein auf zur Gewohnheit, zu jeder Zeit pflegten Umgang der Familie gehörten die schnell einmal zu Großmama zu laufen“, Geschwister Werner von Melles mit ihren berichtet beispielsweise Maria: „Vor Anfang Partnern und Kindern. Die älteste Schwes- der Schule, wenn ich noch ein paar Minu- ter Toni Mönckeberg, „klug und lebhaft“, ten Zeit hatte, lief ich zu gern hinauf und die jüngere Magdalene, „die liebevollste und saß einen Augenblick bei ihr am Kaffee- rührendste der Tanten“, der fröhliche On- tisch. Wenn eine Stunde ausfiel, oder wenn kel Erwin, der seinen Nichten das Stelzen- man auf eine Schwester warten mußte, ver- gehen beibrachte, und seine schauspiele- brachte man die Zeit bei Großmama. […] risch talentierte Frau, die „reizende und So manches Mal hat Großmama auch un- lustige Tante Auguste“ mitsamt den beiden seren Eltern eine unserer Tanzstunden ab- Töchtern Margaretha (Gretchen) und Ger- genommen und sie in ihrem Hause gehabt. trud.520 Erwins Familie wohnte auf der ge- Mir hat sie sogar einmal einen Kinderball genüberliegenden Alsterseite, zunächst Heim- gegeben“ – eine der schönsten Kindheits- huderstraße 11, dann im eigenen Haus in erinnerungen, wie die Enkelin betont.518 der Blumenstraße 12.521 Bei diesen geselli- ··································································· gen Zusammenkünften im Hause „las Va- Die Erinnerungen von Alida trotzen auch ter“, also Werner von Melle, „dann abends der Alsterterrasse 7 und ihrer verwitweten vor, Goethe war besonders beliebt. Ich erin- Bewohnerin einige plastische Momente ab: nere mich noch an verschiedene Faustsce- „Großmama von Melle“ sei „innerlich leb- nen, die er ausgezeichnet vortrug. […] Aber haft, dabei aber äußerlich viel ruhiger als auch in der Alsterterrasse fand sich oft ein Großmutter Kaemmerer“ gewesen, von der größerer Kreis zusammen, denn Großmama

| 173 | Die Schwester: Magdalene von Melle

| 174 | Der Bruder: Erwin von Melle (1890er Jahre)

| 175 | ··································································· Das alles sind Momentaufnahmen, Einbli- cke, Schlaglichter, die eine Andeutung von dem privat-persönlichen Bereich vermit- teln. Letztlich aber bleibt es dabei, dass sich die intime Familiensphäre dem öffentlichen Zugriff entzieht, und das ist vielleicht auch gut so. Selbst Emmy von Melle lässt sich in den gedruckten Erinnerungen als ,Haus- frau‘ zwar, darüber hinaus aber kaum als in- dividuelle und eigenständige Akteurin fas- sen – weder in ihrem Entwicklungs- und Bildungsgang noch in ihrer Gedanken-, Ge- fühls- und Erlebniswelt. Sei es nun aus Zeit- gebundenheit, Genderspezifik oder aus be- wusster Überzeugung und konzeptioneller Überlegung eines Memoirenschreibers he- raus: Der Verfasser schrieb als ehemaliger Der Vetter: Johannes Geffcken (1924) Amtsträger der Stadt in der Hauptsache von sich selbst, von seinen Jugenderinnerungen lud sehr gern auch Mitglieder der weiteren und von seinen Empfindungen, insbeson- Familie und Freunde ein. Da war z. B. Pa- dere in Hinblick auf die öffentlichen Ange- pas Vetter Johannes Geffcken, der länger in legenheiten, deren Entwicklung er nicht Hamburg als Lehrer am Wilhelm Gymna- bloß registrieren und kommentieren wollte. sium war, ein gern gesehener und anregen- Im Buch legt er Zeugnis ab, wie es ihm ge- der Gast, mit dem Papa sich glänzend un- lang, sie an entsprechenden Stellen mitzu- terhielt. Uns Kinder erfreute er schon durch lenken und zu gestalten. Als notwendigen sein dröhnendes Lachen, das man auch sehr Rückhalt für seine Gestaltungskraft und deutlich hörte, wenn die Herren nach dem diesen öffentlichen Lebensentwurf oder Essen in der oberen Etage rauchten. Dann vielmehr als emotionales Zentrum und kam auch manchmal seine Schwester Eva „Sonne unseres Hauses“ inszenierte er in von Eckardt, die kluge Tochter ihrer geist- dieser Anordnung seine 1928 „noch immer reichen Mutter Caroline Geffcken mit ih- in ihrer großen Lebhaftigkeit jugendlich rem klugen aber nicht sehr sympatischen [!] denkende und handelnde Frau“, die „un- Gatten. Mit dieser Kusine neckte Papa sich endliche Liebe ausstrahlend, auch, wenn gern. Oft kam auch Papas Vetter Otto Förs- einmal dunkle Wetter am Himmel aufzie- ter“, als Sohn von Brix Förster ein Enkel des hen, hell leuchtend ,durch Wolken bricht‘“.523 Schriftstellers Jean Paul, „ein langer, gut aus- ··································································· sehender aristokratisch wirkender Mann Ein Abglanz davon schimmert aus dem Er- von ritterlichem Wesen, mit seiner lebhaf- innerungsbuch, das ihr gewidmet ist, her- ten, lustigen Wiener Frau, mit der wir aber vor. Eben dieses Bild „von dem, der allein es nie recht warm werden konnten“.522 schreiben durfte“,524 griff Pastor Rudolf

| 176 | Die drei Melle-Töchter in den 1890er Jahren: Emilie, Alida, Maria

| 177 | Hermes am 16. Juli 1931 während der Trau- Richtige“. – Von dieser postumen Charak- erfeier anlässlich ihres Todes auf. Ihr Leben terschilderung aus dem Jahre 1931 nun wie- (im Glauben), so Hermes, sei eines gewesen, der zurück zu den Veränderungen in den „in dem sich Freude an der Natur begegnete frühen Jahren der gemeinsamen Geschichte mit Freude an den Menschen, häusliche Ge- von Werner und Emmy von Melle mit ih- meinschaft mit froher Geselligkeit. Wie fein ren drei Töchtern. Ein Adressbucheintrag bewegt floß ihr Leben dahin, wieviel An- nämlich dokumentiert jenen 1889 erfolgten regungen kamen herein, wieviel Interessen, Umzug unter Melle, „Dr., Rechtsanwalt, wie lag die Sonne darüber mit hellem Mitredacteur ,Hamb. Nachrichten‘, Grau- Schein!“525 Der Redner erinnerte an ihr „le- mannsweg 30a“528.Damit folgte Werner von bendiges Temperament“, ihre „innere Wär- Melle der einmal gegen den Uhrzeigersinn me“, den großen „Kreis ihrer Interessen“, eingeschlagenen Route (mit Sprung über der alles umfasst habe, „was Menschen an- den 10°-Meridian) vom Stadtteil Rother- ging und menschliches Leben im Großen baum am Westufer über St. Georg nach und im Kleinen“. Daran, wie sie „fröhlich Borg- und Hohenfelde in Richtung Ostufer in die Literatur hinübergriff“ und „nicht an der Alster, der er auch später weiter treu blei- den Grenzen stehen[blieb], sondern […] in ben sollte. das fremdländische hinein[schritt], in den ··································································· Geist und in die Art des fremden Volkes – Schriftsteller und Journalist was sie da interessierte, das nahm sie mit ··································································· schneller Hand heraus und schob das andere Schleswig 27/6 81 kurzweg beiseite mit der Energie, die in ihr Geehrtester Herr! lebte, den Faden weiterzuspinnen, wie es ihr Besten Dank für Ihre Sendung vom 15. d. M., am Herzen lag“.526 Emmy von Melles Le- mit der Sie meine Bitte wegen der K freund- bensfaden, poetisch durchzogen von Versen lich erfüllt und Ihr Pensum für das K vor- in „schalkhaftem Ernst, fein und zart, wie sie trefflich gelöst haben. Ich las die kleinen selber war“, habe manchmal allerdings Arbeiten mit vielem Vergnügen, hab mich „auch etwas Herbes und Schroffes in ihrem besonders an Karpfanger und meinem alten Wesen“ zum Vorschein gebracht. Dafür Freund Kniphof ergötzt. – Wegen des bra- machte Hermes einerseits jenes Tempera- ven Klose haben Sie Recht: requiescat in ment verantwortlich, das „hin und her auch pace! – Herrn Dr. Voigt bitte ich unseren einmal auf Widerstand stoßen mußte, […] Dank gefälligst auszusprechen. – Daß Be- auf Hindernisse und Mißverständnisse“, und neke noch immer leidend ist, betrübt mich verschwieg andererseits nicht, dass Emmy wahrhaft. von Melle „manchmal mit den Kleinigkei- Ihr hochachtungsvoll ergebner ten nicht recht fertig werden konnte“, ins- RvLiliencron529 besondere in späteren Jahren: „der drängen- ··································································· den Jugend gegenüber, wo sich denn auch War Werner von Melle in seinem Advoka- der Unterschied der Generationen geltend ten-Metier einerseits nicht so recht vom machte“527 – doch, so das ausgleichende Fleck gekommen, so hatte ihm die unge- Resümee des Geistlichen: „wenn es darauf liebte (Un-)Tätigkeit andererseits, wie dar- ankam, dann traf sie sicher und klar das gestellt, genügend Freiraum geboten, sich

| 178 | Gegen den Uhrzeigersinn

| 179 | Werner von Melle (1899) sowohl in das Hamburger Rechtsleben ein- disparaten Themen bis hin zu umfangrei- zuarbeiten als auch seine wissenschaftlichen chen Rezensionen besonders biographischer Studien fortzuführen, seinen schriftstelleri- Schriften. schen Neigungen zu folgen und darüber hi- ··································································· naus: sich die ersten Sporen im Interesse des Der Biograph Allgemeinwohls zu verdienen. Hier soll es ··································································· darum gehen, sein Autorenprofil etwas Relativ früh lässt sich eine gewisse Vor- deutlicher zu konturieren. Einiges Charak- liebe für das reflektierte Einüben und Be- teristische klang in den vorigen Kapiteln je dienen der unterschiedlichen Klein-, Mit- nach Zusammenhang und in Hinblick auf tel- und Groß-Formate des biographischen die durchgehend glückliche Verbindung Genres beobachten. Hatten schon die Brie- von juristisch geschultem Blick und histori- fe erste Fingerübungen in literarischen schem Sinn schon an. Erwähnt wurden die Porträts, kleineren Charakteristiken und anlassbezogenen Berichte aus Leipzig und biographischen Studien enthalten, so er- die literarische Verwertung der Studien oder möglichten längere Artikel eine Reflexion Erlebnisse aus Großbritannien wie auch moderner Biographik und Biographiefor- von anderen Reisen, die Beschäftigung mit schung, wie sie auch im Kreis um Wilhelm

| 180 | Scherer geübt wurde.530 Eine besondere bio- Band 8 (erschienen: 1878) den Artikel über graphische Kleinform, die des Lexikon-Ar- seinen Schwiegervater Heinrich Geffcken tikels (mit Handbuch-Charakter), erprobte verfasste. von Melle zunächst an historischen Persön- ··································································· lichkeiten, indem er sich auf Veranlassung Briefe von Beneke an Werner von Melle des Archivars Otto Beneke an der Allgemei- geben eine ungefähre Vorstellung von dem nen Deutschen Biographie beteiligte. Das Verlauf solcher Anfragen und Zeitvorgaben Mammutprojekt einer biographischen Ver- zur Ablieferung der ADB-Artikel: Ver- messung des deutschsprachigen Raums der schickt wurden üblicherweise ‚vorläufige‘ letzten Jahrhunderte war auf Antrag des Namensverzeichnisse, in die potenzielle Historikers Leopold von Ranke im Jahre Mitarbeiter ihre Wünsche oder Ergänzun- 1868, also noch vor Gründung des Deut- gen eintragen konnten – so gibt über die schen Reiches, von der Historischen Com- vorgesehenen Artikel der L-Strecke Benekes mission bei der Königlichen Akademie der Brief vom 4. Februar 1882 Auskunft, über Wissenschaften (München) gegründet wor- die M-Strecke sein Brief vom 16. Juli 1883: den. Doch schon die Erstellung einer Liste „Lieber Herr Dr. von Melle! / Für die deut- der Persönlichkeiten, die in dieses (national-) sche Biographie sind in Lit. M. folgende biographische Nachschlagewerk aufzuneh- Personen zu skizzieren, deren Namen nicht men waren, erwies sich als eine Herkules- im gedruckten Verzeichniß stehen, aber auf Arbeit von über fünf Jahren (1869–1874). meinen Vorschlag von Herrn v. Liliencron Dass der Leiter Rochus Freiherr von Lilien- approbirt sind.“532 Versehen mit dem Kom- cron trotz der aufwendigen Anlage, eigener mentar, „diese Artikel wird vielleicht Secr. Artikel-Produktion (über 150) und redaktio- Merck liefern“,533 folgen an erster Stelle der neller Betreuung der zugesandten Arbeiten Auflistung: 1. Syndikus Merck und 2. Ernst so aufmerksam und individuell auf einzelne Merck; danach die Namen, für die noch kein Mitarbeiter einzugehen vermochte, wie es Bearbeiter gewonnen worden war: 3. Mett- obige Zeilen an Werner von Melle zeigen, lerkamp, 4. Bürgermeister Meurer, 5. Dom- ist angesichts des Pensums zutiefst beein- herr Meyer, 6. Joachim Moller, 7. Prediger druckend. Der ursprüngliche Plan des Ge- Morgenweg, 8. Bürgermeister Murmester. meinschaftsunternehmens sah vor, in einem „Wenn Sie diese Personen 3–8 biographisch Zeitraum von zwölf Jahren rund 40.000 skizzieren möchten“, so der archivarische Biographien in 20 Bänden zum Abdruck zu Bittsteller weiter, „würden Hr. v. Liliencron bringen, doch wich man bald von dieser u. ich Ihnen sehr dankbar sein. Ich selbst Zielvorgabe ab, da sich die Artikel in dem je habe außer den genannten noch einige an- zubemessenen Umfang als nicht aussage- dere seelig. | Gelegentlich reden wir wohl kräftig genug erwiesen. 1875 erschien Band 1 noch hierüber, Herr v. L. wünscht die Ein- und 1899 lagen schon 45 Bände vor, deren sendung nicht vor November od. Dec. Ich 23.273 Namen unter der Beteiligung von werde Ende dieses Monats auf 4–6 Wochen insgesamt 1418 Mitarbeitern erarbeitet wur- verreisen. Mit besten Grüßen und Wün- den.531 Zu ihnen gehörte auch Emil von schen der Ihrige Dr. Otto Benecke“. Von Melle, der, basierend auf seinem Nekro- Melle, der seine ersten Artikel offenbar zur log im Hamburgischen Correspondenten, für Zufriedenheit der Auftraggeber schon für

| 181 | Band 9 abgeliefert hatte (erschienen 1879),534 und beschreiben, wie es zur Beteiligung kam auch dieser und weiteren Aufforderun- Hamburgs an der „allgemeinen deutschen gen nach, sodass von ihm mit Erscheinen Wechselordnung des seerechtlichen Theiles von Band 23 (1886) insgesamt 22 Artikel des allgemeinen deutschen Handelsgesetz- über Persönlichkeiten der Hamburger Ge- buches“ kam (Halle547). Am Beispiel der schichte vorlagen. Darunter waren der Kauf- zehn Advokaten beleuchtet der Verfasser die mann und Bankier Salomon Heine, der so- Entwicklung des Rechts- und Gerichtswe- genannte ,Rothschild Hamburgs‘, der vor sens bis hin zur juristischen Ausbildung und allem als städtischer Wohltäter und (etwas Ausübung zu unterschiedlichen Zeiten in widerwilliger) Förderer seines Neffen Hein- ihren vielfältigen Varianten. Die promi- rich Heine in die Annalen der Stadt ein- nenten Amtsträger aus „Rath“ und Senat, ging;535 ferner der Ratssyndikus und Diplo- Bürgermeister (H. A. und J. A. Heise,548 mat Johann Klefeker, Mitglied sowohl der Lengerke,549 Lipstorp550 und Murmester), Teutsch=übenden wie auch der ersten Patrio- Syndici (Klefeker, Lipstorp) und einfluss- tischen Gesellschaft von 1765, dem die Stadt- reiche Kaufleute (Kirchhof), konnten als geschichte die sorgfältig kommentierten his- Vehikel dienen, gegenwärtige Hamburg- torischen Gesetzessammlungen verdankt.536 spezifische Einrichtungen, Aufgaben- und ··································································· Tätigkeitsfelder in Politik und Verwaltung Unter dem Kürzel „W. v. Melle“ oder „W. historisch rückzubinden: „Läßt man doch in von Melle“ tastete sich dieser entlang der Hamburg seit alter Zeit mit Vorliebe vieler- Hamburger Geschichten und Sagen – so der fahrene und weitblickende Großkaufleute Titel eines als Quelle dankbar genutzten Bu- in hervorragender Weise an der Regierung ches von Beneke537 – aus der Vergangenheit und Verwaltung des Freistaates Theil neh- vom Mittelalter über die Frühe Neuzeit an men.“551 Die Gruppe der ’48er dürfte dem das 19. Jahrhundert heran. Die Artikel er- in dieser Zeit bewanderten Verfasser beson- zählen aus der Zeit der Hanse von Seeräu- ders am Herzen gelegen haben: der Ham- bern (Kniphoff 538) und ihren Häschern burger Abgeordnete der Frankfurter Natio- (Kohl: Bürgermeister, Admiral539); sie be- nalversammlung etwa (Heckscher552) oder richten von Entwicklungen in Kirche und die Akteure der Konstituante, Neunerkom- Wohlfahrt (Lorenz Meyer: Domherr und mission und anderer Ausschüsse, die mit Sekretär der Patriotischen Gesellschaft540), den Reformbemühungen um eine neue im Bankwesen (Kirchhof: Mitbegründer der Verfassung, Verwaltung und (Handels-)Ge- Patrioten, Reformator in Bezug auf die setzgebung befasst waren (H. A. Heise, Hei- Hamburger Bank und ihren Wechsel zu nichen553). Mit David Christopher Mettler- Silberbarren-Valuta541; Moller: Rathsherr542) kamp, dem Kommandeur der ,Hanseati- oder in der Kultur (Hübner: Schauspieler schen Bürgergarde‘, der sich 1814 auch von am Thaliatheater543) und Architektur (Kuhn: Melles Großvater Geffcken angeschlossen Görtzisches Palais; „Patricier- und Kirchen- hatte, stellte er schließlich einen der ,Patrio- bauten“544). Sie nehmen die Gründungsmo- ten‘ aus der Zeit der französischen Beset- mente von Sammlungen und Instituten der zung vor, auf dessen Initiative 1822 die Stadt in den Blick (Murmester: Stadtbiblio- Gründung des Hamburger Kunstvereins zu- thek545; Morgenweg: „Gemäldegallerie“546) rückging und der noch 1848 Alterspräsident

| 182 | der Konstituante wurde.554 Kurzum: mit sei- tierten Schriftkundigen wie Werner von nen biographischen Skizzen wies der Verfas- Melle bewusst waren. Im Gegensatz zu den ser jedem erinnerungswürdigen Akteur, der Toten konnten die Lebenden selbst Stellung ihm unter die Feder kam, seinen Platz im beziehen, eine harmlose Würdigung konnte Stadtgeschehen innerhalb des großen natio- – gerade in Hinblick auf Persönlichkeits- nalen Kulturgemäldes zu. rechte – zu einer riskanten Angelegenheit ··································································· werden und musste deshalb besonders gut Die schriftliche Ehrbezeugung namhaften abgesichert sein. Der Aufbau seiner schrift- Hamburgern gegenüber führte Werner von lichen Porträts folgte der Maxime, die Per- Melle auch in den Folgejahren fort, die ihn sönlichkeit kontextuell in den allgemeinen in der Eroberung weiterer biographischer (will sagen: Hamburg-spezifischen) histori- Formate mehr und mehr auch der eigenen schen Hergang einzubetten: „Wenn man Gegenwart annäherten. Immer häufiger be- sich nur halbwegs einen Begriff von einem zogen sich seine sporadisch in der Tages- Menschen machen will, so muß man vor presse abgedruckten Porträts auf Zeitgenos- allen Dingen sein Zeitalter studieren“, zi- sen – meist aus unmittelbarer Anschauung tiert von Melle sein Vorbild Goethe und bekannte jüngst Verstorbene oder sogar leitet daraus für die Charakterisierung eines noch Lebende. Im Gegensatz zu der ,Natio- Hamburgers ab: „Sein Lebensgang und nalbiographie‘ ADB, die auf (eine relative) seine Entwicklung können daher nur dann Dauer angelegt war, wurden der in kurzer verständlich sein, wenn man stets auch das Reaktionszeit gewissermaßen noch am sel- Hamburg seiner Zeit vor Augen hat.“556 Ge- ben Tag erstellte Nekrolog und die Wür- nau hier aber sitzt der Haken, denn von digung zu Geburtstag, Jubiläum, Auszeich- Melle (wie schon andere vor ihm) muss kon- nung oder anderen Leistungen und Ereig- statieren, dass die „neuere Entwicklungsge- nissen in dieser medial flüchtigen Umge- schichte dieser Stadt […] bisher verhältnis- bung zu einer Nachricht für den Tag – mit mäßig wenig erforscht und dargestellt“ sei: dem Potenzial, ihn zu überdauern. Der das „größere Publikum in Hamburg weiß (oder auch damals schon: die) ,Feder-Füh- davon kaum mehr als das, was der einzelne rende‘ nahm eben nicht nur für den Mo- noch selbst mit erlebt oder was er aus den ment der Niederschrift und die jeweilige Erzählungen älterer erfahren. Bezüglich des Tagesausgabe, sondern auch für jede weitere übrigen Deutschlands aber darf man wohl mögliche (Re-)Lektüre eine gewisse Deu- sagen, daß Hamburg dort eine der unbe- tungshoheit für sich und über andere in kanntesten Städte des Reiches ist.“557 Letz- Anspruch – und möge er oder sie noch so teres zu ändern und die Dimensionen der redlich auf das berühmte Ranke-Wort be- Hansestadt im Format eines kulturge- harren, mit der Darstellung nur zeigen zu schichtlichen Panoramas sichtbar zu ma- wollen, „wie es eigentlich gewesen“555. Inso- chen, war ein erklärtes Ziel gerade der Ge- fern haften auch diesem Genre die typischen neration von Hamburgern, der Werner von Begleiterscheinungen, die Gefahren, Risi- Melle angehörte. Daraus folgte als Aufgabe ken und einkalkulierten wie unkalkulierba- einer jeden neuen biographischen Studie ren Nebenwirkungen aller gedruckten Stel- nicht nur das Erschreiben der hervortreten- lungnahmen an, die freilich einem so reflek- den Person, sondern gerade aus der spezifi-

| 183 | schen Akteursperspektive heraus auch die Zeugnis, wie oben schon am Beispiel des plastische Ausmalung und Ausleuchtung Verfassungskonflikts ausgeführt (vgl. Kapi- der historischen Folie sowie die Neuakzen- tel 3: „Patriot und Vereine“, S. 113 ff.). Sie tuierung bestimmter Aspekte und ihre An- fußt auf Melles im Jahr zuvor in den Ham- reicherung mit Insider-Informationen. burger Nachrichten gedrucktem Nekrolog ··································································· und führt nicht von ungefähr den Unterti- Als Mann der Presse und Mitglied ver- tel einer panoramischen Umschau (im Goe- schiedener Gruppierungen hatte von Melle the’schen Sinne): Ein Lebens- und Zeitbild. Zugriff auf historische Zeitungsbestände An Hand dieses und all der zuvor erwähn- einzelner Redaktionen, auf ,literarische Aus- ten weiteren Leben und Zeiten arbeitete kunftsbureaus‘, auf Sammlungen der Ver- und schrieb sich der junge Autor also in die eine, die sich unter dem Dach des Hauses Geschichte(n) seiner Stadt ein – sie gleich- der Patriotischen Gesellschaft befanden, so- sam ,inkorporierend‘. wie auf allgemein zugängliches Material und ··································································· die Hamburgensien des Staatsarchivs sowie Dass sich 1874 der Student übrigens traute, der Stadt- und Commerzbibliothek;558 auf ohne Rücksprache mit dem Vater seinen Antrag war auch die Einsichtnahme in Ak- ersten Artikel an den berühmten Hambur- ten von Senat und Bürgerschaft möglich, gischen Correspondenten zu schicken, und das wurde jedoch aus personenrechtlichen dass dieser die Erstlingsarbeit abdruckte,560 Gründen nicht immer bewilligt.559 Dies al- hing sicherlich auch mit dem guten Verhält- les als günstige Faktoren in Anschlag ge- nis zusammen, das zwischen dem langjähri- bracht zeichnet sich indes das Gros seiner gen Chefredakteur, Julius von Eckardt, und gedruckten Texte durch einen überdurch- Senator Emil von Melle, der selbst immer schnittlichen Grad von Informiertheit aus, wieder für das Blatt schrieb, bestand.561 Von der sich vornehmlich wohl den besonderen Eckardt wechselte noch im selben Jahr als Eigenschaften jener Familien-Kontakt-Lin- Sekretär in den Senat; sein Nachfolger se verdankt, die zugleich die Sehschärfe in wurde Carl Heinrich Preller, der auch in den der historischen Weitsicht zu erhöhen als Folgejahren etliche der sowohl hamburgi- auch einer zu starken Kurzsichtigkeit im sche als auch überregionale Angelegenheiten aktuellen Geschehen entgegenzuwirken ver- behandelnden Artikel des jungen Advoka- mochte. Schon aufgrund der familiären ten annahm und setzen ließ.562 Doch schrieb Umstände und der skizzierten gesellschaft- Werner von Melle in der Folgezeit nicht nur lichen Verwobenheit in bestimmte Kreise für den Tag und auch nicht nur in lokalen politisch Verantwortlicher verfügte der Ver- Blättern wie etwa noch in der Hamburger fasser zweifelsohne über mehr oder weniger Börsenhalle. Westermanns Monatshefte, die gefärbte erstklassige Quellen und exklusive Berliner Gegenwart 563, Im neuen Reich564 Kenntnisse von Interna, die ihn in die und die Augsburger Allgemeine Zeitung ge- glückliche Lage versetzten, kompetente Ein- hörten zu den einschlägigen, überregio- ordnungen und Folgeabschätzungen vor- nal wahrgenommenen Publikationsorga- nehmen zu können. Die umfangreiche und nen, die ihre Spalten dem schriftstellernden beeindruckende Biographie zu Gustav Hein- Juristen öffneten. Parallel dazu konzipierte rich Kirchenpauer (1888) ist dafür beredtes er bald auch selbstständige Arbeiten, die

| 184 | zunächst im juristischen Gebiete angesie- ··································································· delt waren, vermehrt aus der praktischen Das vorliegende Lexikon enthält in alpha- Tätigkeit erwuchsen und zumeist histori- betisch geordneter Zusammenstellung die sche Institute der Stadt zum Gegenstand Bestimmungen der am 1. Oktober d. J. in hatten. Kraft tretenden Reichsgesetze über das Ci- ··································································· vilprozeß- und Konkursverfahren. Diese Der Lexikograph Zusammenstellung ging hervor aus dem ··································································· Wunsche, den praktischen Juristen sowie Lexikon der Civilprozess- und Konkurs- Allen, die an der Rechtspflege im Deutschen Gesetzgebung des Deutschen Reichs (1879) Reiche direkt oder indirekt betheiligt sind ··································································· oder Interesse nehmen, zur allgemeinen Die erste eigenständige, wissenschaftlich Orientirung sowohl wie zum täglichen Ge- fundierte Veröffentlichung unternahm Wer- brauche ein möglichst übersichtlich geord- ner von Melle in handfest pragmatischer netes Hand- und Nachschlagebuch zu lie- Absicht (und noch dazu gewissermaßen in fern. alter Familientradition565): Von A wie Ab- In erster Linie haben der die Civilgerichts- kürzung bis Z wie Zwangsvollstreckung prä- barkeit betreffende Theil des Gerichtsverfas- sentierte das Lexikon der Civilprozess- und sungsgesetzes, die Civilprozeßordnung, die Konkurs-Gesetzgebung des Deutschen Reichs Rechtsanwaltsordnung und die Konkurs- erschöpfend einen wesentlichen Teil der ordnung nebst den vom Reiche erlassenen Reichsgesetzgebung pünktlich im Jahr ihres Einführungsgesetzen Aufnahme gefunden. offiziellen Inkrafttretens (1879). Damit lässt Bei deren Wiedergabe sind die Motive sowie sich die Publikation einreihen in die teils in die vortrefflichen Commentare von Struck- hamburgischen, teils in überregionalen mann und Koch zur Civilprozeßordnung Blättern publizierten Stellungnahmen des und von Wilmowsky zur Konkursordnung Verfassers zur neuen Reichs(schutzzoll)poli- vielfach zu Rathe gezogen und, wo es für tik in ihrem Verhältnis zu dem besonderen nöthig erachtet wurde, auch im Texte citirt. Status Hamburgs (gesetzlich zugesicherte Außerdem sind die civilprocessualischen Freihandelszone und Zuständigkeit für die Vorschriften der früheren Reichsgesetze (wie Unterelbe566) sowie zur Hamburger Selbst- z. B. die der Seemannsordnung, der Stran- verwaltung 567, deren zugrundliegendes dungsordnung, des Gesetzes über den Un- Konzept eine Art Schlüssel zu von Melles terstützungswohnsitz, des Gesetzes über die staatspolitischem Denken darstellt und des- Beschlagnahme des Arbeits- und Dienst- halb gesondert Gegenstand des nächsten lohn’s u. a.), soweit es für den Zweck dieses Kapitels ist. Zunächst soll es darum gehen, Buches erforderlich schien, an entsprechen- eine Vorstellung von der sorgsamen Arbeits- der Stelle eingereiht worden. weise und dem weiten Horizont zu gewin- Bei der Abfassung der Justizgesetze sind die nen, vor dem der praktische Rechtsgelehrte Gesetzgeber ersichtlich bestrebt gewesen, stets agierte. Das Vorwort zum Lexikon lie- die mehr oder weniger bei uns eingebürger- fert diesbezüglich interessante Aufschlüsse ten termini technici des römischen und ge- und wird deshalb ausnahmsweise im vollen meinrechtlichen Prozesses durch deutsche Wortlaut wiedergegeben: Ausdrücke zu ersetzen. Da letztere aber, we-

| 185 | nigstens zuerst, dem Ohre Vieler noch un- minologisch das Neue in die gewohnten Be- gewohnt und befremdlich klingen mögen, griffe des Alten oder das Alte in die unge- so ist auch auf die bisher übliche Termi- wohnten neuen Begriffe übersetzt. nologie durch Verweisung auf die unter ··································································· den deutschen Ausdrücken rubricirten Ab- Der Historiker und schnitte thunlichst Rücksicht genommen. Staatsrechtler Es lag nicht in der Absicht des Unterzeich- ··································································· neten, zur Erklärung oder Interpretation der Wie eben angedeutet schrieb von Melle Justizgesetze irgend welches neues Material nicht nur biographische Artikel für Zeitun- an die Hand zu geben. Sollte es ihm jedoch gen und die ADB. In überregionalen Publi- gelingen, durch die bisher seines Wissens kationsorganen wie in der Berliner Wochen- nicht versuchte alphabetische Anordnung schrift Gegenwart und in der viel gelesenen und die angestrebte übersichtliche Gruppi- Wochenschrift für das Leben des deutschen rung des Stoffes hie und da den so überaus Volkes in Staat, Wissenschaft und Kunst (= Im schwierigen Uebergang zu einem ganz neuen Neuen Reich) bezog er Stellung zu aktuellen und von dem bisherigen in so vielfacher Be- handelspolitischen wie auch rechts- und ziehung grundverschiednen Civilprozeß- staatswissenschaftlichen Themen gemäß ei- und Konkursverfahren in etwa zu erleich- ner juristischen Auffassung, die er vor allem tern, so würde er die auf die Zusammenstel- in Straßburg kennengelernt hatte, und die lung dieses bescheidenen Buches verwandte noch 1891 bestimmend wurde für die (über- Mühe reichlich belohnt sehen. haupt erste) Zusammenschau des Hambur- Hamburg, im Juli 1879 gischen Staatsrechts aus seiner Feder.569 Hier Werner von Melle Dr. zeigt sich von Melle als ,Schüler‘ des sowohl ··································································· auf den Gebieten der Rechts- und Handels- Stolz ließ der Verfasser seine Publikation geschichte als auch des Staatsrechts aus- an alle Welt schicken – Stichproben der gewiesenen Straßburger Professors Paul überlieferten Dankesschreiben ist die Laband – des vor allem durch die epoche- (reichs-)weite Streuung an juristische und machenden Schriften der Folgejahre wohl politische Prominenz zu entnehmen.568 einflussreichsten deutschen Staatsrechtlers Doch auch nach Abzug dieser Exemplare seiner Zeit.570 Labands zwischen 1876 und legt der hohe Absatz die Vermutung nahe, 1882 erschienenes Staatsrecht des Deutschen dass das Lexikon tatsächlich zeitweilig ei- Reichs war die erste Gesamtdarstellung des nem gewissen Bedürfnis entsprochen haben neuen Reichsstaatsrechts, das nach Werner mag: Es erlebte gleich noch eine zweite Auf- von Melles Aussage dadurch „erst seine feste lage, die sich aber schon nicht mehr ganz juristische Grundlage erhalten hatte“.571 Zu verkaufte. Unverhüllt trat hier das Pro- den Aufgaben des Werks gehörten „die Ana- gramm zutage, das auch den späteren lyse der neu entstandenen öffentlich recht- Schriften von Melles zu Grunde lag, indem lichen Verhältnisse“, die „Feststellung der ein praxisorientiertes Vorhaben (a) Phäno- juristischen Natur derselben“ und „die Auf- mene der Gegenwart an Entwicklungen der findung der allgemeineren Rechtsbegriffe, Vergangenheit rückbindet, (b) inhaltlich das denen sie untergeordnet sind“.572 Denn die Alte mit dem Neuen vermittelt und (c) ter- wissenschaftliche Behandlung des Rechts,

| 186 | so Laband 1876 im programmatischen Vor- „Civilprozeß- und Konkursverfahren“ ab- wort, bestehe „eben darin, daß sie die Er- deckte, konnte vor allem denen, deren aka- scheinungen des Rechtslebens nicht nur be- demisches Rechtsstudium schon länger schreibt, sondern erklärt und auf allgemei- zurücklag, eine Hilfestellung für die klassi- ne Begriffe zurückführt“, zudem müssten schen Übergangsprobleme der erzwunge- „auch die, aus den gefundenen Principien nen Anpassung an ein eben auch termino- sich ergebenden Folgerungen entwickelt“ logisch neues, durchreguliertes (Prozess-) sowie „ihre Uebereinstimmung mit den Verfahrenswesen bieten. Für die Nachwelt thatsächlich bestehenden Einrichtungen dokumentiert diese Fleißarbeit des 26-Jäh- und den positiven Anordnungen der Ge- rigen darüber hinaus vor allem eines: die in- setze dargethan werden“.573 tensive und produktive Beschäftigung mit ··································································· den seinerzeit aktuellen Rechtsentwicklun- Den ersten Band eröffnete ein chronologi- gen und den sie flankierenden Erkenntnis- scher Überblick über die Entstehungsge- sen der zugehörigen Wissenschaften insbe- schichte des Deutschen Reiches, gefolgt von sondere hinsichtlich der Verschiebungen einer Einführung in dessen „eigentliche und Klärungen auf Begriffsebene. rechtliche Struktur […], sein juristisches ··································································· Wesen, seine Grundlagen und seine Orga- Die Hamburgische Selbstverwaltung (1880) nisation“; im Jahr nach seiner Rückkehr aus ··································································· England konnte sich Werner von Melle Zur Rezeption aktueller rechtswissen- schon in Band 2 über die „Regeln, welche schaftlicher Debatten gehörte auch der die Lebensthätigkeit des Reiches in formel- Nachvollzug einer „positivistische[n] Ausei- ler und materieller Hinsicht beherrschen“,574 nandersetzung mit dem Begriff der Selbst- informieren; zwei Jahre später präsentierte verwaltung“575, der Mitte der 1870er Jahre Band 3.1 die Organisation und Gliederung auftauchte und – nicht zuletzt durch La- der „bewaffneten Macht des Reiches“, und bands Ausführungen – zu einem folgen- mit der Darstellung des Gerichts- und Fi- reichen Schlagwort auch im politischen Dis- nanzwesens, der Finanzwirtschaft, des Bud- kurs wurde. Im ersten Band seines Staats- getrechts und einem umfassenden Sachre- rechts hatte Laband einen „eindeutigen gister schloss Band 3.2 das Gesamtwerk im juristischen Begriff“ zu entwickeln versucht, Jahre 1882 ab, das somit parallel – und das- der Selbstverwaltung als „ein öffentlich selbe kommentierend – zur verfassungsmä- rechtliches Subject“ definiert, „das zwischen ßig angeordneten Vereinheitlichung eines den Staat und den Einzelnen gestellt ist und reichsweit einheitlichen Rechtspflegesys- das vom Staat zur Durchführung seiner Auf- tems erschien. gaben verwendet wird“.576 Es ging ihm da- ··································································· bei weniger um den Partizipationsgedanken, Die flächendeckende Einführung jener der den früheren Selbstverwaltungskonzep- Reichsjustizgesetze brachte erwartungsge- tionen des 19. Jahrhunderts als eigentliche mäß nicht nur Erleichterungen mit sich. Triebfeder der Selbstverwaltung galt (im Werner von Melles Lexikon, das bewusst Sinne einer Möglichkeit allgemeiner Teil- ,nur‘ den (allerdings großen) Komplex der habe an der Verwaltung durch eigenes Tä- am 1. Oktober 1879 in Kraft getretenen tigwerden oder durch die Wahl von Reprä-

| 187 | sentanten). Laband diente der Selbstverwal- durch den Staat selbst, sondern durch ihm tungsbegriff – ähnlich wie der der Souverä- zwar untergeordnete, aber innerhalb ihres nität – dazu, „eine spezifische Form der Un- Wirkungskreises selbständige Korporatio- terordnung der Einzelstaaten unter das nen oder Einzelpersonen versehen wer- Reich dogmatisch zu erklären“,577 entspre- de“,579 also eine verselbstständigte Form von chend stehen seine diesbezüglichen Ausfüh- Staatsverwaltung. Entscheidend war hier- rungen nicht im Abschnitt über klassische nach, „dass gerade der betreffende Selbstver- Verwaltungskörper, sondern im Kapitel waltungskörper selbst verwaltet, nicht aber über das Verhältnis des Reichs zu den Ein- etwa die im Selbstverwaltungskörper orga- zelstaaten. Dort heißt es, „dass die Einzel- nisierte betroffene Personengruppe“. Daher staaten dem Reich unterworfen seien, teils sei unerheblich, ob „die Verwaltung durch als Bestandteile, in denen sich die Reichs- besoldete Berufsbeamte oder durch unbe- gewalt unmittelbar betätige, teils als Selbst- soldete Inhaber von Ehrenämtern besorgt verwaltungskörper, welche die Durchfüh- werde“ – für die bis dahin geltende politi- rung und Handhabung der Reichsgewalt sche Auffassung war Kriterium für die Iden- nach den vom Reich gegebenen Normen tifizierung von Selbstverwaltung, dass sie und unter Aufsicht des Reiches vermittel- von Personen praktiziert wurde, die aus dem ten, teils als autonome (nicht souveräne) Staatsdienst nicht ihren Lebensberuf mach- Staaten“578. ten, wie es zum großen Teil in Hamburg der ··································································· Fall war. Daraus folgt, dass Selbstverwal- Aufschlussreich waren diese neuen tung gerade nicht mit einer freien Tätigkeit staatstheoretischen Konstruktionen und ju- der einzelnen Bürger zu verwechseln sei, da ristischen Begriffsklärungen für einen Ham- sich in ihr eben „nicht die natürliche Frei- burger Juristen nicht nur unter dem Ein- heit des Einzelnen“ betätige, sondern – pa- druck der dargelegten Entwicklungen in radoxerweise – „die staatliche Herrschaft, Richtung Schutzzollpolitik und des hart der obrigkeitliche Zwang über den Einzel- umkämpften Zollanschlusses der (zugesi- nen“.580 chert) freien und Hansestadt Hamburg an ··································································· das Reich, wozu sich von Melle wie bekannt Das Schlagwort war zu der Zeit keineswegs mehrfach publizistisch äußerte. Vor dem exklusiver Gegenstand juristischer Überle- Hintergrund einer ,Totalrevision‘ der Ham- gungen. Auch die Vertreter der Wirtschaft burger Verfassung vom 13. Oktober 1879, die diskutierten das Selbstverwaltungsprinzip vor allem deshalb notwendig geworden war, im Hinblick auf die Ausgestaltung der sie weil Bestimmungen der alten Verfassung organisierenden Einrichtungen. Vorschläge von 1860 teilweise der Reichsgesetzgebung des 1860 gegründeten Deutschen Handels- widersprachen, interessierte ihn konkret die tags (DHT) zielten beispielsweise nach fran- juristische Interpretation von politischer zösischem Vorbild auf eine reichseinheitli- Selbstverwaltung bezogen auf den jeweils che Regelung des Handelskammerwesens, einzelnen, selbstständigen Staat (wie Ham- das einem volkswirtschaftlichen Senat un- burg). Selbstverwaltung als das Gegenteil tergeordnet sein sollte. Sie wurden zwar von Verwaltetwerden hatte Laband als „ob- bald ad acta gelegt,581 doch die Debatten rigkeitliche Verwaltung“ definiert, „die nicht um eine reichsweite Einführung einheit-

| 188 | licher Wirtschaftskammern rissen damit tuellen politischen Prozessen eigenständig nicht ab. verhalten und schnelle Folgeabschätzungen ··································································· vornehmen zu können, reale oder visionäre Im Gefolge der protektionistischen Wende Alternativen vorzustellen und auf überregio- in der Handelspolitik – 1879 mit Einfüh- nalem Parkett den staatsrechtlich geschulten rung des (Schutz-)Zollgesetzes vollzogen – Sachverstand geschickt im Interesse des konzentrierten sich um 1880 die Bestrebun- Hamburger Gemeinwesens einzusetzen: gen in Richtung eines Volkswirtschaftsrats „Nachdem in Preußen die Wünsche nach (zunächst verwirklicht nur in Preußen), der einer größeren Selbstverwaltung der Städte als gemeinsame, staatlich verankerte Spit- und Communen durch die neuerdings an zenorganisation die unterschiedlichen Inte- die Kammern gelangten Vorlagen ihrer Ver- ressen der Wirtschaft bündeln sollte, um die wirklichung näher getreten sind, dürfte ein (berufsständische) Selbstverwaltung insge- Blick auf die eigenartige Organisation der in samt enger an den Staat zu binden.582 Ent- den freien Hansestädten seit alter Zeit beste- sprechende Verwaltungsformate wurden eif- henden und in gesunder Fortentwicklung rig auch in der Presse diskutiert. In der ausgebildeten Selbstverwaltung auch für Februar-Ausgabe der Berliner Gegenwart weitere Kreise nicht ohne Interesse sein“, meldete sich dazu eine Stimme zu Wort, die heißt es einleitend.584 Um diese verwal- mit dem ,Hamburger Modell‘ stellvertre- tungsstrukturelle ,Hamburgensie‘ gewisser- tend eine funktionierende Selbstverwaltung maßen aber nur mit ,einem Blick‘ zu strei- eines großen Gemeinwesens propagierte. fen, hätte es wohl nicht unbedingt eines Ab- Auch wenn der Verfasser die Darlegung je- drucks in der weitverbreiteten Wochenschrift ner „auf vielfachen Erfahrungen und prak- für Literatur, Kunst und öffentliches Leben be- tischen Erwägungen beruhende[n] Gestal- durft. Das hier unterbreitete Angebot einer tung“ mit dem Anspruch begründet, sie erprobten hanseatischen Alternative wirkt halte trotz aller über Jahrhunderte hin- daher eher wie ein Vehikel, um Hamburg als weg gewachsener Regionalspezifik durchaus „größte Handelsstadt Deutschlands“ und „auch für anders geartete Verhältnisse man- „ersten Seeplatz des Continents“585 samt sei- ches Lehrreiche und Nachahmenswerthe“ nem traditionell bestehenden Anspruch auf bereit,583 so liegt doch vermutlich der ei- Souveränität im politischen Gespräch zu gentliche Beweggrund für die Publikation halten und im allgemeinen Bewusstsein – von Hamburger Eigenart an so prominen- im Bewusstsein zumindest einer ,gebildeten ter Stelle in einer latent vorhandenen und Minorität‘, wie Herausgeber Paul Lindau durch Berliner Drohgebärden stets von den Leserkreis seiner Zeitschrift etikettierte. Neuem befeuerten Sorge vor einer über- Insofern liest sich diese Publikation eines mächtigen Reichspolitik. tendenziell Bismarck-freundlichen Blattes ··································································· als eine Antwort auf die dramatisch reale Werner von Melle war Urheber dieser Drohkulisse der reichspolitischen Bühne; Stellungnahme und sie kann als geradezu weitere Antworten gab der Verfasser an an- musterhafte Umsetzung seines generellen deren Orten bekanntermaßen seit 1878 und Anspruchs gelten, sich auf Grundlage eines noch im selben Jahr des Erscheinens der solide erarbeiteten Diskussionsstands zu ak- Berliner Publikation mit seinen Veröffentli-

| 189 | chungen über die Schutzzolldiskussion, gebende Gewalten: Senat und Bürgerschaft; über das weitere Schicksal der Unterelbe Senat zugleich als „Inhaber der vollziehen- und per Eingabe über das Gutachten für den Gewalt“ wie auch als Vertreter des Staa- den St. Pauli Bürger-Verein. Der Eindruck tes im Verhältnis zum Deutschen Reich und eines inneren Zusammenhangs dieser Ar- zum Ausland sowie oberste Verwaltungsbe- beiten, zu denen von Melle durch verschie- hörde mit Oberaufsicht über die Verwal- dene Anlässe angeregt wurde, ist wohl un- tungscollegien).587 Im Speziellen folgen dann strittig. Denn in jeder einzelnen beleuchtet dichtgedrängte Informationen über Struk- und analysiert er die verschiedenen Facetten tur und Organisation der „in neun größere des ihn interessierenden Fragenkomplexes Departements“ aufgeteilten hamburgischen der Selbstverwaltung als Schnittstelle des Verwaltung (Finanzen, Handel und Ge- Verhältnisses zwischen dem Reich und den werbe, Bauwesen, Militärwesen, Unterrichts- Ländern. Der komprimierte Artikel in der wesen, Justizwesen, Polizei und innere An- Gegenwart, der durchaus als Propaganda- gelegenheiten, öffentliche Wohltätigkeit Schrift gewertet werten kann, lässt von Mel- und auswärtige Angelegenheiten). Die de- les Verständnis des titelgebenden Selbst- tail- und kenntnisreiche Darstellung er- verwaltungsbegriffs in der Nachfolge Paul streckt sich keineswegs nur auf jene Depu- Labands (auch ohne Namensnennung) tationen und Abteilungen, denen etwa der deutlich erkennen: Vater des Verfassers früher oder just zur Be- ··································································· richtszeit vorstand (u. a. Baudeputation), Der Verfasser rekonstruiert mit Bremen oder die von Melle selbst durch eigene Aus- und Lübeck im Gepäck das althergebrachte hilfstätigkeiten kannte (u. a. das Armenwe- hanseatische Verständnis von Selbstverwal- sen). Wie es sich gehörte, führte er als „erste tung zunächst als „Ehrenpflicht“ im allge- und wichtigste“ die Finanzdeputation auf, meinen Sinne einer „Theilnahme an der um sich dann der „hochwichtigen Deputa- Verwaltung“, „für welche die dazu berufe- tion für Handel und Schifffahrt“ zuzuwen- nen Bürger keinerlei Vergütung erhalten, den und schließlich der Deputation „für das der sie jedoch bisweilen fast ausnahmslos Unterrichtswesen“ mit der Oberschulbe- mit patriotischem Eifer und regem Interesse hörde, zuständig für Bildung und Unter- zum Wohle des Staates nachgekommen richt, sowie den eigens hervorgehobenen sind“.586 (Aus der damals in Hamburg gel- wissenschaftlichen Anstalten und Museen, tenden staatsrechtlichen Definition des Be- der Kunsthalle, der Stadtbibliothek, der griffs ,Bürger‘ als jener kleinen Minderheit Sternwarte.588 der Männer, die im Besitz des Bürgerrechts ··································································· waren, ergibt sich freilich, dass Arbeiter- Das „in Hamburg consequent durchgeführ- schaft und das Proletariat von dieser Parti- te[] Princip, daß einer wechselnden Reihe zipation ausgeschlossen waren.) Da nach angesehener Bürger eine erhebliche Mitwir- von Melles Auffassung der Begriff der Ham- kung in allen Zweigen der Verwaltung ob- burgischen Selbstverwaltung untrennbar an liegt“, sei nicht nur im Vergleich zu einem die Hamburger Staatsverfassung von 1860 komplexen Beamtenapparat ein attraktiver, geknüpft ist, charakterisiert er diese einlei- weil kostenneutraler Faktor, sondern führe tend in ihren „Hauptelementen“ (gesetz- im Gemeinwesen auch zu einer höheren

| 190 | Verbindlichkeit, welche die Einzelnen in Bürgerschaft wirklich ein zu Opfern an Zeit den jeweiligen Aufgabenfeldern weder über- und Arbeitskraft stets bereiter Gemeinsinn noch unterfordere, die „zunächst und aus herrscht, wie dies in den Hansestädten der weitem Kreise in weniger wichtige Verwal- Fall ist. Nicht Ehre und Auszeichnung vor tungen berufen“ würden. Da überdies auch Andern zu erringen, sondern Jeder an seiner die Senatsmitglieder, „einerlei, ob sie Juris- Stelle Einer von vielen Tüchtigen zu sein, ten oder Nichtjuristen sind, oft successive das war von Alters her in Hamburg der den verschiedensten Zweigen der Verwal- wahre Bürgerruhm. Diesem selbstvergesse- tung“ angehörten, würden sie „dieser wech- nen und sich willig der Gesammtheit unter- selnden Beschäftigung, welcher in den meis- ordnenden Bürgersinn der Hamburger“ ten Fällen noch eine von ihnen früher als habe „einst Friedrich Perthes anerkennende bürgerlichen Mitgliedern der Verwaltungs- Worte gewidmet“.589 Mit der Wiedergabe collegien ausgeübte Thätigkeit vorangegan- jener hehren Worte eines patriotisch gesinn- gen ist, große Geschäftsgewandtheit und ten Hanseaten schließt der Artikel – und einen weitern Gesichtskreis“ verdanken. unterschlägt vornehm die einer derartigen Noch dazu ergebe sich aus der Verbindung Organisation innewohnenden Schwerfällig- von Verwaltung und Kaufmannschaft ge- keiten und Reibungsverluste, die interessan- wissermaßen eine ,Win-win-Situation‘, die terweise gerade Werner von Melle immer hier allerdings sehr optimistisch gedacht ist, wieder zur Kritik reizten und ihn in den wenn es einerseits heißt: der Verwaltung Folgejahren dazu brachten, zunehmend käme zugute, dass die „bürgerliche[n] Mit- deutlicher auf (Verwaltungs-)Reformen zu glieder zum größten Theil Kaufleute sind, drängen, in deren Zentrum die Schaffung d. h. Chefs der Großhandlungshäuser, denn eines (höheren) Verwaltungsbeamtentums nur diese werden in Hamburg als Kaufleute stand. bezeichnet“, deren „vielfach durch großar- ··································································· tige Handelsverbindungen mit allen Welt- Zur Entwicklungsgeschichte des theilen und häufig auch durch längeren Auf- Hamburgischen Armenwesens (1882) enthalt im Auslande erworbenen Kennt- ··································································· nisse und Erfahrungen“ sie (im Idealfall) für Das für Popularisierungszwecke arrangierte das Gemeinwesen zu unabhängigen Bür- Selbstverwaltungsmodell, mit dem von Melle gern machten. „Andererseits aber lernen hier die Hamburger Verhältnisse für eine all- auch die kaufmännischen Deputationsmit- gemeine Diskussion über Verwaltung und glieder in der Schule der Verwaltung Man- Wirtschaft anschlussfähig zu machen ver- ches, was ihren Blick erweitert, und was suchte, ist freilich – wie alle Modelle – ideal- dann später zur Hebung ihres eigenen Ge- typisch. Es verdankt sich dem merkwür- schäftes und indirect zur Förderung des digen Gemisch aus einer nüchtern-realis- Hanseatischen Handels beitragen kann.“ In tischen Zustandsbeschreibung mit einer entsprechend positivem, man könnte auch durch juristische und verwaltungsrechtliche sagen: idealistisch gestimmten Ton bilan- Expertise aus der Praxis gewonnenen Abs- ziert der Artikel: „Freilich sind derartige traktion. Und war die Konstellation der hier Folgen sowie alle anderen Vortheile der exemplarisch propagierten hamburgischen Selbstverwaltung nur denkbar, wenn in der Selbstverwaltung vielleicht doch etwas zu

| 191 | speziell und umständlich, waren ihre Struk- vor noch nach von Melles Veröffentlichung turen zu sehr historisch gewachsene, als dass in der Gegenwart besondere Beachtung in sie hätten reibungslos adaptiert werden kön- den reichsweit auch theoretisch heftig ge- nen, so blieb ihr zweifelsohne zumindest das führten und am Beispiel von Schmoller historische Verdienst, auf dem Sektor der öf- und Treitschke schon erwähnten Debatten fentlichen Armenfürsorge mit der 1788 ge- um eine tragfähige Sozialgesetzgebung: Ne- gründeten Armenanstalt etwas hervorge- ben den ,Sozialstaat‘-Verfechtern, die eine bracht zu haben, das in den Anfängen mo- Durchsetzung sozialer Reformen und Ge- derner Sozialpolitik zu einer Art Leitbild für rechtigkeit auf dem Wege der Gesetzgebung Reformen in anderen Städten Deutschlands forderten, gab es auf der progressiven Seite und Europas hatte werden können (abgelöst die Anwälte eines (unterschiedlich ausgeleg- bald allerdings von dem in den 1850er Jah- ten) ,Socialismus‘, der seit 1875 parteipoli- ren eingerichteten Elberfelder System, vgl. tisch von der Sozialistischen Arbeiterpartei Abschnitt 7 über die Armen- und Waisen- (SAP) vertreten wurde – einem Zusammen- haus-Verwaltung in von Melles Lebenserin- schluss des Allgemeinen Deutschen Arbei- nerungen, S. 66a und 67, S. 328 f. im Epi- tervereins (ADAV; gegründet von Ferdinand log).590 Lassalle) mit der Sozialdemokratischen Ar- ··································································· beiterpartei (SDAP; gegründet von August Zu den innovativen Maßnahmen, die zu Bebel und Wilhelm Liebknecht). Seinen dem durchschlagenden Erfolg der Hambur- Sitz hatte der Parteivorstand beziehungs- ger Armenanstalt in den ersten Jahren ihres weise das Zentralwahlkomitee seitdem in Bestehens geführt hatten, gehörten die Neu- Hamburg, in der von Bebel proklamierten konzeption einer Arbeitsverpflichtung ar- „Hauptstadt des deutschen Sozialismus“,592 mer Bevölkerungsschichten, die Einfüh- wo doch die erstarkende Arbeiterbewegung rung durchgehender Ehrenamtlichkeit in allein schon aufgrund des besonderen Wahl- die Armenpflege und eine Aufteilung der rechts von politischer Teilhabe ausgeschlos- Stadt in Armenbezirke und -quartiere unter sen war. Galten nach offizieller Doktrin der Obhut und Selbstverantwortung einzel- sozialistische Aktivitäten als revolutionäre ner Armenpfleger. Insofern stellte die bald Bestrebungen und gesellschaftliche Um- hundertjährige Hamburger Einrichtung sturzversuche, so lieferten allgemeine soziale eine Art Vorstufe zu der sich Ende der Unruhen und zwei Attentatsversuche auf 1870er Jahre auch in der Reichspolitik all- Kaiser Wilhelm I., die man wider besseres mählich durchsetzenden Auffassung dar, im Wissen den Sozialdemokraten anlastete, als- Prinzip der Selbstverwaltung (im Sinne bald der Reichsregierung unter Bismarck staatlicher Herrschaft bei Laband) ein geeig- den willkommenen Anlass für eine flächen- netes Instrument nicht zuletzt zur Bewälti- deckende Einführung unverhältnismäßig gung der ,socialen Frage‘ zu erblicken, um hart durchgreifender Maßnahmen. Gebün- die seit Anfang des Jahrzehnts verschiedene delt wurden sie im Ende 1878 verabschie- Gruppierungen rangen, allen voran der 1873 deten Gesetz wider die gemeingefährlichen gegründete Verein für Socialpolitik.591 Bestrebungen der Sozialdemokratie, welches ··································································· durch mehrfache Verlängerung als soge- Indes fand jenes ,Hamburger Modell‘ weder nanntes ,Sozialistengesetz‘ bis Oktober 1890

| 192 | in Geltung blieb und das Zerschlagen sozi- der Hinsicht als geeignet erachtete) Ent- aldemokratischer, sozialistischer und kom- scheidungsrechte auf die Selbstverwaltungs- munistischer Strukturen und insbesondere gremien“ verteilte,594 realisierte die So- der Gewerkschaften legalisierte. Gleich ei- zial(versicherungs)politik der 1880er Jahre nem Parteiverbot hinderte es einerseits die das Prinzip der Selbstverwaltung in Form ei- (organisierte) Arbeiterschaft an selbstbe- ner mittelbaren Staatsverwaltung gleichsam stimmter politischer Partizipation und brand- als Gegenstück zur fortschreitenden politi- markte andererseits die politische Linke als schen Entrechtlichung und Repression der inneren Staatsfeind.593 Diese Auffassung Arbeiterschaft.595 Aus dieser Perspektive er- entwickelte sich in der Folgezeit zu einer weist sich das, was zum konstitutiven Merk- Art mentalitätsdynamischer Konstante der mal des modernen, deutschen Sozialstaats bürgerlichen Gesellschaft, die zwar für die werden sollte und zwischen 1883 und 1889 an nächsten Jahrzehnte den politischen Dis- Stelle von politisch durchgreifenden Re- kurs bestimmte, nicht aber verhindern formen seine Umsetzung in einer staatlich konnte, dass sowohl die Hetze gegen die verordneten, immerhin einigermaßen um- Sozialdemokratie als auch die Verfolgung fassenden Sozialgesetzgebung fand, als si- ihrer Anhänger nun erst recht eine Solidari- tuationsbezogenes Nebenprodukt und ist sierung mit der einzigen Interessensvertre- offensichtlich weniger der Erkenntnis einer tung der Arbeiterschaft vorantrieben. Pflicht zur Fürsorge und sozialen Absiche- ··································································· rung existenzbedrohter Schichten zu dan- Vereinfacht gesprochen reagierte die ken und damit auch keiner kontinuierli- Bismarck’sche Sozialpolitik darauf mit ei- chen Entwicklungslinie von der klassischen nem Strategiewechsel von der sprichwörtli- Armenpflege zur kommunalen und dann chen ,Peitsche zum Zuckerbrot‘. Ziel war zur sozialstaatlichen Aufgabe. nun, der sozialdemokratischen Bewegung ··································································· die Basis, d. h. die Grundlage für ihre po- Anfang 1882, also noch im Vorfeld zu die- litischen Forderungen zu entziehen, die ser neuen Sozialgesetzgebung, lieferte der krassen Unterschiede zu Unternehmern Hamburgische Correspondent historisches und staatlichen Instanzen zumindest an der Anschauungsmaterial zur Orientierung über Oberfläche abzuschwächen und die Arbei- jene „jetzt einen wichtigen Zweig der Staats- terschaft – hier kommt das Prinzip der verwaltung“ bildende Armenpflege.596 Die Selbstverwaltung ins Spiel – über die Selbst- im Wesentlichen referierende Artikelserie597 verwaltungsorgane der Sozialversicherun- ist nicht namentlich gekennzeichnet, kann gen gewissermaßen zu korrumpieren und in aber unschwer einem Insider zugeordnet die öffentlichen Angelegenheiten mit einzu- werden: engagierter Verfasser war denn auch binden. Indem der Staat „die materielle Si- Werner von Melle, Sekretär in der kommu- cherung eines Teils der lohnarbeitenden Be- nalen Sozialfürsorge und seit seiner Zulas- völkerung in von ihm eigens gegründeten sung zur Advokatur überdies schon von Amts oder politisch überformten, öffentlich- wegen mit der Materie vertraut – wurden rechtlichen Institutionen“ erzwang und doch die jungen und noch nicht etablierten „gleichzeitig (politisch tolerierbare und in Anwälte anfangs vor allem mit der Vertre- gesellschaftsintegrativ-sozialdisziplinieren- tung der Straf- und Armensachen betraut.

| 193 | ··································································· den, der jedenfalls u. in Hamburg ganz si- Der Sekretär und cher in grellem Contrast zu den Genüssen Vertragsrechtler der Pflegebefohlenen steht, so sträubt sich ··································································· dagegen ein natürliches Schicklichkeits-Ge- München 15. Oct. 83 fühl, wenigstens das meine. Mein lieber Neffe Werner! […] [M]it bestem Gruß an Deine liebe Du hast uns mit der Übersendung Deines Frau, an Vater, Mutter u. Schwestern – küsse Buches über das Armen-Versorgungs- auch die liebe Nachkommenschaft! – und Wesen eine große Freude gemacht, nicht mit fröhlichem Glückauf! für Dich Dein nur weil uns der Gegenstand im Allgemei- Dich liebender Onkel nen Beachtung verdient, sondern ganz be- Ernst Förster598 sonders darum, weil wir daraus ein klares ··································································· und achtungswerthes Bild Deiner Seelen- u. Entwicklungsgeschichte des Hamburgischen Geistesrichtung, Deines Könnens und Wol- Armenwesens (1883) lens schöpfen. Wir haben nach dem Lesen ··································································· einiger Abschnitte alsbald erkannt, wie Du Von Melles im fortlaufenden Druck publi- Deines Stoffes Herr die Thatsachen verstän- zierte Entwicklungsgeschichte des Hamburgi- dig u. sehr verständlich zur Anschauung schen Armenwesens beruhte neben umfang- bringst, so daß man Beginn u. Fortschritt, reichem Literatur- und Quellenstudium auf u. mit beiden die culturgeschichtlichen der Ausarbeitung eigener Gutachten und Motive u. somit zugleich die Abhängigkeit Protokolle für das Armenkollegium, auf socialer Thätigkeit von herrschenden reli- den seit 1788 erscheinenden Nachrichten an giösen Vorstellungen und Lehrmeinungen, Hamburg’s wohlthätige Einwohner über den als auch von der leichten Verführbarkeit Fortgang der Armen=Anstalt, auf den Berich- menschlicher Natur hell u. beschämend ten über die Verwaltung der Allgemeinen wahr vor die Augen bekommt. Armen-Anstalt bis Anfang der 1880er Jahre Was die Ausführung Deiner Ansichten be- und auf einem Jahresbericht aus dem Jahre trifft bin ich nicht überall Deiner Meinun- 1833, „der sich nicht nur auf die Geschäfts- gen. Wenn König Ludwig I von Bayern zum thätigkeit der letzten beiden Jahre, son- Gedächtniß an die Befreiungsschlacht bei dern auf das ganze erste halbe Jahrhundert Leipzig am 18 October eine Stiftung ge- der Allgemeinen Armenanstalt bezog“.599 macht, | und testamentarisch versichert hat, Erstellt hatte jene „Art Festschrift“ ein Mit- nach welcher alljährlich (für ewige Zeiten) glied der damaligen großen Arbeitsde- am 18. October sämmtliche Armen einer putation, der (Armen-Bezirks-)Vorsteher bayrischen Stadt (abwechselnd) ein reichli- Kirchenpauer. „Der ihm übertragene Jahres- ches Festessen erhalten, so kann diese Ver- bericht“, so von Melle später in seiner Kir- fügung nur Dank u. theilnehmende Freude chenpauer-Biographie, „gab ihm die Veran- hervorrufen; wenn aber die Mitglieder des lassung, sich mit der älteren Geschichte der Armenpflegschaftrathes einer Stadt als sol- 1788 von dem Nationalökonomen Professor che zur Feier etwa des Verwaltungs-Jahres- Büsch, Caspar Voght und anderen Patrioten schlusses, oder bei einer ähnlichen Veranlas- ins Leben gerufenen Armenanstalt zu be- sung sich zu einem Schmaus zusammenfin- schäftigen, eines Instituts, dessen Gründung

| 194 | in der Geschichte des deutschen Armenwe- rer Drastik noch überhaupt im Bewusstsein sens von epochemachender Bedeutung ge- der führenden Schicht angekommen war. wesen und dessen Verwaltungsgrundsätze Dazu der einigermaßen fassungslose Be- seiner Zeit auch im Auslande Nachahmung richterstatter über hundert Jahre später: gefunden hatten.“600 „Wie wenig aber bisher auch einsichtsvollere ··································································· Männer diesen schrecklichen Zustand ge- Mit dem Ziel, „ein Kapitel aus der Ham- ahnt hatten, geht wohl daraus hervor, daß burgischen Verwaltungsgeschichte“ und da- der als Diplomat viel in der Welt herumge- mit „auch ein Stück Hamburgischer und kommene und mit den Hamburgischen Deutscher Culturgeschichte vor Augen“ zu Verhältnissen sonst auf das Genaueste be- führen, um zu erweisen, „daß auch hier die kannte Syndicus Klefeker“, den von Melle Vergangenheit zum besseren Verständniß gerade für seinen ADB-Artikel unter der Fe- der aus ihr hervorgegangenen Gegenwart der gehabt hatte, „noch 1765 in seiner histo- dienen kann“,601 erschien die Sammlung der rischen Einleitung der Hamburgischen Ar- fortlaufenden Artikel-Serie im Jahr darauf men-Verfassung schreiben konnte: ,Die noch einmal im eigenständigen Druck (das Stadt Hamburg ist als eine Pflegerin der Ar- Vorwort datiert April 1883) und löste damit muth in der ganzen Welt längstens berühmt die Ankündigung der Redaktionsnotiz zum gewesen‘“.605 Erst 1788 sei der entscheidende ersten Erscheinen ein.602 Wie 1879 das Lexi- Wendepunkt durch die Gründung einer kon der Civilprozess- und Konkurs-Gesetzge- „Allgemeinen Armen-Anstalt“ eingetreten. bung des Deutschen Reichs sollte im Jahre Als nächste wesentliche Entwicklungsstufe 1883 dieser „Überblick über die Entwicklung wertet der Verfasser die seiner Ansicht nach und die Satzungen der verschiedenen städ- während der 1860er Jahre erfolgreich vollzo- tischen Fürsorgeeinrichtungen und deren gene Säkularisierung.606 Weitere Schübe Organen auch ein praktisches Hilfsmittel an seien durch äußere Veränderungen veran- die Hand“ geben.603 Darüber hinaus fügte lasst worden, 1867ff. durch die Gesetzge- von Melle damit den historischen Schrift- bung des Norddeutschen Bundes und monumenten über Einrichtungen der Stadt 1871ff. durch die des Deutschen Reiches, die (etwa über die Commerzdeputation samt von Melle insbesondere im Bereich der Börse) ein weiteres hinzu.604 Civilprozess-Ordnung für sein Lexikon ge- ··································································· nauestens studiert hatte. Weichenstellend Die ersten Kapitel skizzieren die Einrich- schließlich seien für die jüngste Entwick- tungen der Hamburger Armenfürsorge, die lung noch zwei hamburgische, 1870 in Kraft seit dem Mittelalter von der Kirche betrie- getretene Gesetze gewesen: das Gesetz, be- ben wurden, und informieren über ihre treffend (1) das Unterrichtswesen sowie (2) die Ausprägungen wie auch negativen Aus- Oberaufsicht über die milden Stiftungen. wüchse beziehungsweise Versäumnisse oder ··································································· Fehleinschätzungen bis zum ausgehenden Der Schaffung einer soliden Informations- 18. Jahrhundert, als sich schließlich die 1765 basis sollte die kenntnisreiche Aufbereitung gegründete Patriotische Gesellschaft der der umfangreichen historischen Material- hoffnungslosen Situation annahm, die of- sammlung für eine breitere Öffentlichkeit fenbar, bitter genug, bis dahin weder in ih- dienen. Ein Anhang, der die „wichtigeren

| 195 | jetzt geltenden Bestimmungen über die öf- gebenden Probleme – 1883 die Bestandsauf- fentliche Armenpflege in Hamburg“ ent- nahme jener gegenwärtigen ,Mischkalkula- hielt, ist den dreizehn historisch-erzählen- tion‘ aus privaten und staatlichen Initiativen den Kapiteln beigegeben, von denen Kapitel im Vergleich zu früheren Jahrhunderten als XIII insbesondere im Hinblick auf von Mel- ein „recht erfreuliches Gesammtbild“ dar- les spätere Zuständigkeiten in politischen stellte, lässt aufmerken: Bei allem objektiven Kommissionen und Gremien aufschluss- Dokumentationsstreben und dem Interesse reich ist (vgl. dazu: Melle, Lebenserinne- an einer Verbesserung der Zustände bleibt rungen, S. 66a, im Epilog S. 328): es enthält die kompakte Gesamtdarstellung letztlich einen Überblick über „die bedeutenderen doch einem recht unreflektierten sozialpoli- oder ein besondres Interesse bietenden tischen Denken verhaftet, das patriarcha- Schöpfungen der gegenwärtig zur Ergän- lisch-wohlfahrtsstaatlich perspektiviert ist, zung der öffentlichen Armenpflege dienen- d. h. eine in soziale Gruppen hierarchisierte den [hamburgischen] Privatwohlthätig- Gesellschaftsordnung als selbstverständlich keit“, die „in mancher Beziehung Aufgaben (voraus)setzt, die Hilflose und Schutzbe- erfüllt, welche ohne ihre Thätigkeit dem dürftige der Fürsorge einer im besten Falle Staate zufallen würden“.607 Dazu gehört verantwortungsbewussten Eliteschicht zu- auch das wohltätige und grundsätzlich po- ordnet oder besser: anempfiehlt. Dieses sitiv gewertete Engagement der religiösen Muster findet sich zeitgleich rhetorisch auf Vereinigungen, unter denen am besten die die Spitze getrieben in der pervertierten Jüdische Gemeinde abschneidet und neben Konstruktion von ,Schutzgebieten‘ einer ihr überraschenderweise die „deutsch-refor- unter diesem Label operierenden deutschen mirte Gemeinde“, mit welcher der Verfasser Kolonialpolitik und -propaganda: dass in nicht zuletzt durch seine Frau in nähere Be- diesem Dispositiv die ,Unzivilisierten‘, also rührungen kam. Sie übe, betonte von Melle, die einer (europäischen) Moderne (hilflos) „durch ihre bürgerlichen Kirchenvorsteher ausgelieferten Bewohner jener weit entfern- eine Armenpflege aus, die dem Vorbilde der ten und letztlich zur Ausbeutung bestimm- ersten Christengemeinden und der ersten ten Länder zu ,Schutzbefohlenen‘ von teils Hamburgischen Gotteskasten-Ordnung in marodierenden ,Schutztruppen‘ werden mancher Beziehung“ entspräche. Und zeig- konnten, ist nach wie vor eine schwer fass- ten sich auch „die übrigen religiösen Genos- bare Ungeheuerlichkeit;609 die bezeichnen- senschaften […] bemüht, in der einen oder derweise unter Zuhilfenahme von ,Tierfän- anderen Weise für ihre armen Glaubensge- gern‘ seit Mitte der 1870er Jahre von Carl nossen Sorge zu tragen“, so sei eben darin Hagenbeck aus aller Welt nach Hamburg geradezu „musterhaft aber […] von jeher die importierten ,Völkerschauen‘ enthüllen von Armenpflege der jüdischen Gemeinde“ ge- dieser Haltung, von dem ,kolonialen Blick‘ wesen.608 eine beschämende weitere Variante, in der ··································································· die Inszenierung von ,Primitiven-Darstel- Dass sich dem zuversichtlichen Verfasser – lern‘ den Abstand der ursprünglich belasse- ungeachtet der virulenten, auch in Ham- nen, ,primitiven Vorformen‘ zur hiesigen burg noch immer ungelösten ,sozialen ,zivilisierten Kultur‘ offenbaren sollten, wo- Frage‘ und der sich hieraus zunehmend er- von im Zusammenhang mit den Universi-

| 196 | tätsplänen im zweiten Teil der Biographie Zustände verweist er gleichwohl und führt noch die Rede sein wird.610 unter konkret benannten Monita exempla- ··································································· risch die jahrelang erfolglos aufgestellte For- Doch zurück zur Bewältigung der ,sozia- derung der Krankenhausverwaltung nach len Frage‘. Wurde eben betont, dass sich einem modernen, staatlichen Krankenhaus von Melles Denken auf diesem Sektor im „im Vororte Eppendorf“ auf, das „in Zu- patriarchalisch-wohlfahrtsstaatlichen Rah- kunft die Unterbringung einer erheblich men bewegt, so lässt sich damit erklären – größeren Zahl von Kranken und Siechen“ wenn auch nicht entschuldigen –, warum ermöglichen sollte (und 1883 bewilligt wur- auch er speziell den einen Gedanken nicht de).611 „Für die nothwendigsten Bedürfnisse logisch bis zu Ende durchdenken konnte: der Armen“, so von Melles zufriedenes Fa- Dass in dem dargestellten Konstrukt sowohl zit, sei „zur Zeit fast nach allen Seiten hin in das Proletariat (= die Armen, die Fürsorge- entsprechender Weise gesorgt“. Etwas zu- Empfänger) als auch die durch das Sozialis- rückhaltender folgt mit einer gewissen Ein- tengesetz drangsalierte Arbeiterschaft von schränkung dann die Prophezeiung, es wer- realer Integration und politischer Partizipa- de für diese, „wenn der Geist der Hambur- tion ausgeschlossen blieben, während doch gischen Armenverwaltung derselbe bleibt, auf der anderen Seite die durchgesetzte Ver- trotz der sich stetig vergrößernden Zahl des besserung des Schulwesens und die Öffent- Proletariats gewiß auch in Zukunft bestens lichkeit der parlamentarischen Beratungen gesorgt werden“.612 Denn, so das Resümee größere Kenntnisse und Bildungsmöglich- des Realisten: „Die Entwicklungsgeschichte keiten vermittelten, sodass daraus berech- des Armenwesens ist […] selbstverständlich tigte Forderungen nach Mitspracherecht weder jetzt noch etwa in späterer Zeit als und politischer Betätigung erwuchsen, wird eine abgeschlossene anzusehen. […] Auch weder thematisiert noch hinterfragt. Der hier ist kein Stillstand sondern nur eine Vor- gleichsam natürliche Zustand wird unkom- wärts- oder Rückwärtsbewegung denk- mentiert als Garant für Stabilität akzeptiert bar.“613 und deshalb strukturell nicht angerührt, ··································································· sondern am ehesten noch mit dem auf so Die Reaktionen auf diese erschöpfende Zu- ungutem Grund erbautem Wohl- und Kul- sammenstellung waren überwiegend posi- turstand, der doch letztlich allen zugute tiv; die frühen Sendungen an Laband und käme, gerechtfertigt. Schmoller hatten jeweils einen persönlichen ··································································· Dank614 und Gratulationen „zu Ihrem flei- Nicht gerade überheblich, aber doch er- ßigem dankenswerthen Buche“ zur Folge, staunlich zuversichtlich ist der Verfasser mitsamt der Ankündigung von Letzterem, überzeugt, dass ein „so trauriger Verfall der dass „eine eingehende Anzeige im Heft 1 öffentlichen Armenpflege wie der im 16., 17. 1884 meines Jahrbuches von meinem Assis- und 18. Jahrhundert vorgekommene […] tenten“ erscheinen würde.615 Das Januar- bei der besseren Organisation der sich nach Heft des Jahrbuchs für Gesetzgebung, Verwal- Kräften in die Hände arbeitenden staatli- tung und Volkswirthschaft im Deutschen chen Wohlthätigkeitsanstalten nicht mehr Reich brachte tatsächlich die ausführliche, denkbar“ wäre. Auf verbesserungswürdige sehr anerkennende Besprechung von Theo-

| 197 | dor Laves, der einleitend das Zeitgemäße men und Arbeiten der Folgejahre als zu- der Publikation hervorhob: „Vielen dürfte sammenhängende Teile einer planvollen die vorliegende geschichtliche Arbeit über Ausführung eines in Grundzügen früh auf- Armenpflege sehr willkommen sein. Be- gestellten Programms erweisen, das eine schäftigen sich doch gegenwärtig weitere solide, auf umfassenden systematischen Kreise als die praktisch in der Armenpflege Sammlungen und erschließenden Vorarbei- thätigen mit der Frage, ob und inwieweit ten beruhende Datenbasis zum Ziel gehabt unsere deutsche Armenpflege zu reformiren hätte. Den übersichtlichen Umfang der Ge- sei. Die Beantwortung der Frage Woher? samtanlage bzw. die Konzentration auf „das vermag da manchen Fingerzeig für die rich- sogenannte Verfassungsrecht und die allge- tige Lösung der Frage Wohin? zu geben.“ meinen Grundsätze des Verwaltungsrechts“ Und sei „das Buch auch speziell nur für jedenfalls motivierte das genannte Vorwort Hamburger geschrieben worden, so kann es Ende 1890 wie folgt: „Für eine eingehendere doch auch allen denen warm empfohlen Behandlung der für die einzelnen Verwal- werden, die den Fragen der inneren Orga- tungszweige geltenden Specialbestimmun- nisation der Armenpflege in mittleren und gen fehlte es zur Zeit noch an den erforder- größeren Städten ihre Aufmerksamkeit zu- lichen Vorarbeiten. Nur für einzelne Verwal- gewandt haben, allerdings auch hier in hö- tungsgebiete – nämlich für das Unterrichts-, herem Maße wieder demjenigen, der prak- das Medizinal- und das Armenwesen – sind tisch inmitten der Armenpflege steht, als bisher eingehendere Zusammenstellungen dem Theoretiker, der sich nur gelegentlich der einschlägigen Gesetze, Verordnungen, diesem Gebiete zuwendet.“616 Instruktionen etc. veröffentlicht.“618 Und ··································································· für (mindestens) eine davon zeichnete der Eine Formulierung des sieben Jahre später Verfasser mit seiner Entwicklungsgeschich- fertiggestellten Hamburgischen Staatsrechts te und Materialsammlung über das ham- legt nahe, dass von Melle früh schon die Ab- burgische Armenwesen selbst verantwort- sicht hatte, in der Nachfolge (und hier in lich. den Worten) Labands „eine Lücke in unse- ··································································· rer staatsrechtlichen Litteratur aus[zu]fül- Handels- und Schifffahrtsverträge len, die [in] der Darstellung von Wolffsohn (1885/1887) im Marquadsen’schen Handbuch doch et- ··································································· was zu kurz ausgefallen ist“,617 sodass nicht Uhlenhorst, 2. kleine Schulstrasse. nur der hanseatischen Tradition mehr 24. Sept. [1883] reichsdeutsche Aufmerksamkeit verschafft, Lieber Werner, sondern vor allem des modernen Rechtszu- Prof. v. Holtzendorff in München beabsich- standes in der Hamburger Stadt/Staat-Ent- tigt im Verein mit den ersten Vertretern der wicklung endlich in einer angemessenen Völkerrechts ein großes Handbuch der Völ- schriftlichen Form Rechnung getragen kerrechts herauszugeben, von dem ich eine würde. Womöglich zeigt sich unter dieser bedeutenden Teil übernommen habe. Der- Perspektive Werner von Melles vielfältige selbe besuchte mich gestern um mit mir Publikationstätigkeit dieser Zeit in einem über Manches Rücksprache zu nehmen und neuen Licht, sollten sich die Projekte, The- sagte mir bei der Gelegenheit, er sei in gro-

| 198 | ßer Verlegenheit gekommen, in dem der tematischen Arbeit über den umfangreichen bairische Ministerialrat von Völderndorff, und anspruchsvollen Komplex der interna- der die Handels- und Schifffahrtsverträge tionalen Handels- und Schifffahrtsverträge behandeln sollte, ihm abgeschrieben habe, für die erste Auflage eines Handbuchs des auch für die Münzverträge habe er noch Völkerrechts an.620 Geffcken, der selbst an Niemand, ob ich ihm nicht Jemanden dafür dem wissenschaftlich-renommierten Unter- empfehlen könne? Ich nannte Dich und er nehmen mitarbeitete,621 konnte dem hän- sagte, wenn ich Dich empfehle und Du be- deringend nach Ersatz suchenden Heraus- reit seiest, so werde er Dich gerne accepti- geber Franz von Holtzendorff in seinem ren. Ich stelle es Dir nun anheim, ob Du die Neffen einen Mitarbeiter empfehlen, der Arbeit unternehmen willst, sie wird in durch seine juristischen Interessen, bisheri- Jahren nicht klein sein als Du ziemliche Stu- gen historischen Vorarbeiten, Artikel, Ein- dien zu machen haben wirst, deren Ergeb- gaben und Publikationen für eine solche niß auf geringem Raum zusammenfassen ist Aufgabe bestens präpariert war. Die schon und das Honorar wird nicht groß sein. Aber Ende 1885 abgegebene, über hundert Seiten das worauf ich Gewicht lege ist, daß Dein starke Ausarbeitung erschien im dritten Name als Mitarbeiter eines großen Werkes Band (aufgrund der üblichen Verzögerung neben den ersten Autoritäten Deutschlands solcher Großprojekte erst) im Jahre 1887. erscheint, und Du nach dieser Seite hier be- ··································································· kannt wirst. Im Uebrigen steht Dir mein Recherche und Disposition auf dem wei- Rath in meiner Bibliothek zur Verfügung. ten Feld des öffentlichen, Handels- und Willst Du auf die Sache eingehen, so rathe Schifffahrtsrechts, Völker-, Staats- und in- ich Dir Prof. v. Holtzendorff (Alsterhotel) ternationalen Vertragsrechts sowie der all- morgen Dienstag Früh zu besuchen und das gemeinen Handelsgeschichte blieben dem Nähere zu besprechen. Abends reist er ab. Er Autor weitgehend selbst überlassen; den interessiert sich sehr für Armenwesen, ich Aufbau gliederte er in zwei Großkapitel, de- zeigte ihm Dein Buch und er sagte, er wolle ren insgesamt 19 Paragraphen auf mehrere es sich anschaffen, es wird eine gute Einfüh- Abschnitte verteilt waren: Das erste Kapitel rung sein, wenn Du ihn dessen überhebst, skizziert unter der Überschrift Geschichtli- indem Du es ihm bringst. Solltest Du noch ches die „Entwicklung von den uns durch wünschen mich vorher zu sprechen, so fin- Polybius erhaltenen Verträgen zwischen dest Du mich um 2 Uhr im Lesezimmer der Rom und Karthago bis auf die neuesten Börsenhalle oder Abends nach 8 zu Haus. Handels-, Schiffahrts- und Freundschafts- Mit freundlichem Gruß verträge“.622 Die Paragraphen 38 und 39 (in Dein Onkel Heinrich619 fortlaufender Zählung des Handbuchs) des ··································································· ersten Abschnitts umfassen den Zeitraum Noch im Erscheinungsjahr der Entwick- vom Westphälischen Frieden bis zum Ende des lungsgeschichte des Armenwesens folgte von 18. Jahrhunderts. In sechs Paragraphen prä- Melle der Empfehlung seines Onkels Hein- sentiert der zweite Abschnitt dann das (zur rich Friedrich Geffcken, der seit Kurzem Berichtszeit noch andauernde) 19. Jahrhun- wieder in Hamburg lebte, und nahm den dert, das den Ausführungen unter Allgemei- ehrenvollen Auftrag zu einer historisch-sys- nes (§ 40) zufolge den „modernen Cultur-

| 199 | staaten“ – in Abgrenzung zu den „uncivili- träge, welche von den Culturstaaten unseres sierte[n] Völker[n]“ – eine „hohe Blüthe“ Jahrhunderts mit Persien, China, Japan und im Zeichen der Industrialisierung gebracht anderen von der modernen Civilisation habe: Dampf, Elektrizität und Kanalbauten mehr oder weniger unberührt gebliebenen (Suezkanal, 1869; der im Bau befindliche Pa- Ländern abgeschlossen wurden, und deren namakanal, 1881–1889) seien hauptsächlich Hauptzweck dahin geht, den internationa- verantwortlich für eine Zunahme des Ver- len Handelsverkehr mit diesen, das Völker- kehrs einerseits, der Auswanderung in trans- recht des Europäisch-Amerikanischen Staa- atlantische Länder andererseits sowie für tensystems noch nicht principiell anerken- eine enorme Beschleunigung des Welthan- nenden Ländern erst rechtlich zu schaffen dels (im Zeitmaß einer „Weltumrundung in resp. sicher zu stellen.“625 70 Tagen“623). Eine Folge dieser Verände- ··································································· rungen sei auch ein neues Vertragsverständ- Großkapitel zwei unternimmt anschlie- nis. Entsprechend mochte zwar noch immer ßend in 11 Paragraphen eine „eingehende „in manchen Fällen ein vortheilhafter Han- Erörterung des Handels- und Schifffahrts- delsvertrag als ein Meisterstück der Diplo- Vertragsrechts der Gegenwart an der Hand matie angesehen werden“, doch gelte, vom der einzelnen Verträge, wobei die Meist- Verfasser als Errungenschaft hervorgeho- begünstigungsklausel“, so der Verfasser im ben, „als vortheilhaft meist nicht mehr eine Rückblick, „die Schmoller damals als den Knechtung, Lahmlegung oder Beschrän- völkerrechtlichen Eckpfeiler aller neueren kung des andern Contrahenten, sondern Handelsverträge bezeichnet hatte und die ja eine auf offenem, liberalen Entgegenkom- noch heute von der größten Bedeutung ist, men von beiden Seiten beruhende Forträu- besondere Berücksichtigung fand“626. Das mung oder doch Verminderung der den Inhaltsverzeichnis führt auf: Arten, Über- Handels- und Schifffahrtsverkehr im Aus- einstimmung, Dauer und Abschluss der lande noch treffenden Lasten und Beschrän- Verträge (§ 46 + 47); die rechtliche Stellung kungen“.624 der Kontrahenten im Kriegsfall (§ 48); die ··································································· schon erwähnte Meistbegünstigungsklausel Diesen allgemeinen Überlegungen folgen (§ 49); die Ausnahmestellung von Auslän- ein Überblick über die Napoleonische Epo- dern bzw. ihre Gleichstellung mit Inländern che (§ 41) und den Deutschen Zollverein (§ 50 + 51); Bestimmungen über die Ein-, (§ 42) sowie eine Zusammenschau der Han- Aus- und Durchfuhr von Waren (§ 52); dels- und Seeschifffahrtsverträge bis zur Informationen über Eisenbahnen und sons- Gegenwart, unterteilt in die beiden Pha- tige Landverkehrswege (§ 53), über die sen: von 1815–1860 (§ 43) und von 1860–1885 Flußschifffahrt (§ 54) sowie die See- und (§ 44). Der Abschnitt Freundschaftsverträge Küstenschifffahrt (§ 55); der letzte Para- (§ 45), heute würde man wohl eher von Part- graph ist schließlich der Sprache, Form nerschaftsverträgen sprechen, beschließt das und Interpretation der Verträge gewidmet erste Kapitel; hierbei handelt es sich um eine (§ 56). „besondere Kategorie der neueren Handels- ··································································· verträge, die sog. Freundschafts- oder Han- Die Methode und eine für von Melle cha- dels-, Schifffahrts- und Freundschaftsver- rakteristische Art, diesen Themenkreis wis-

| 200 | senschaftlich zu durchdringen, zeigen sich rect an den fraglichen Interessen betheilig- vor allem darin, dass er die Bedeutung ak- ten, inmitten des praktischen Erwerbslebens tuell-moderner Entwicklungen hervorhebt stehenden Personen eruirt wird.“627 und ihnen besondere Aufmerksamkeit zu- ··································································· teil werden lässt. Beispiele hierfür sind un- Seien einerseits die Einflussmöglichkeiten ter anderem die Hinweise (1) auf die mei- der Parlamente „auf den festzustellenden In- nungsbildende Presse, deren zunehmende halt eines Handelsvertrages wenn auch nicht Wichtigkeit von Melle hellsichtig erkennt, rechtlich, so doch thatsächlich in mancher (2) auf die unter dem Aspekt der Einfluss- Beziehung beschränkt“, so hätte anderer- nahme problematische parlamentarische seits die Regierung vor und nach diploma- Behandlung der Verträge, (3) auf (durch tischen Verhandlungen immer noch die Mög- vorgefasste Meinungen und eigene Interes- lichkeit, den Entwurf eines Vertrages einem sen) verfälschte Urteile – sowohl von ein- einzusetzenden „Staatsrath oder Volkswirth- ander gegenüberstehenden Vertretern der schaftsrath zu unterbreiten“. Darüber hinaus Volkswirtschaftstheorie als auch von ver- aber liege „nunmehr eine neue, nicht zu schiedenen Interessentengruppen in der unterschätzende Schwierigkeit in dem Um- Praxis –, und (4) auf die mit gebotener Vor- stande, daß das weitschichtige, vielgestal- sicht zu rezipierende Statistik als Erkennt- tige Material nicht leicht zu übersehen ist nisquelle, der gegenüber der Verfasser eine und auch nicht immer ganz zuverlässig er- grundsätzlich kritische Haltung einnimmt. scheint“,628 zumal sich durchaus „mit Hülfe Hinsichtlich der „gründlichen Vorbereitun- der Statistik bei geschickter Gruppirung der gen, welche heutzutage in der Regel dem Zahlen sehr verschiedene Dinge beweisen Abschlusse eines Handelsvertrages voraus- lassen“. Daraus folgt ein hoher Anspruch, gehen, der Vorlage desselben an die Volks- der an dieser Stelle wohl auch etwas über das vertretung, der Besprechung durch die Selbstbewusstsein desjenigen preisgibt, der Presse u.s.w.“ sowie der sorgfältigen Vorer- ihn formuliert: „Es kann daher ohne eine mittlungen und des „Orientirungsmate- Kenntnisse, Intelligenz und Erfahrung er- rial[s]“ zeigt sich von Melle bestens infor- fordernde Prüfung und Sichtung des Mate- miert und erläutert: „Dieses Material setzt rials ein der Wirklichkeit und den wahren sich zusammen aus den allgemein zugängli- Interessen des Landes entsprechendes Resul- chen Resultaten einer eingehenderen wis- tat nicht gewonnen werden“.629 senschaftlichen Erforschung der National- ··································································· ökonomie, aus den Ergebnissen der in den Interessant ist, dass aus von Melles Dar- einzelnen Staaten oft mit peinlicher Sorgfalt stellung hervorgeht, inwieweit Themen und durchgeführten, sich auf alle Gebiete des Argumente, die im Jahre 2016 in der kon- wirthschaftlichen Lebens erstreckenden Sta- trovers geführten Diskussion über das tistik, aus den sachverständigen Gutachten Transatlantische Freihandelsabkommen (offi- von Handels- und Gewerbekammern, volks- ziell: Transatlantische Handels- und In- wirthschaftlichen, Handels-, Gewerbe-, In- vestitionspartnerschaft bzw. Transatlantic dustrie- und nautischen Vereinen sowie aus Trade and Investment Partnership: TTIP) dem, was bei speciellen Enqueten der Be- diskutiert werden, schon damals eine Rolle hörden durch eingehende Befragung der di- spielten. Im Zusammenhang mit Vertrags-

| 201 | bestimmungen, die im Falle von Ausle- nal einschlägigen Literatur (darunter deut- gungs- oder Verständigungsproblemen die sche, englische, französische, italienische), Möglichkeit einer „Commission von Schieds- Quellen und Vertragssammlungen. Unter richtern“630 vorsehen (so im beispielhaft an- den Gewährsleuten finden sich Klassiker geführten Belgisch-Italienischen Handels- und ,alte Bekannte‘; auf prominente Pub- vertrag von 1882), heißt es, es sei schwerlich likationen von Büsch (Versuch einer Ge- „im Interesse der contrahirenden Staaten“, schichte der Hamburgischen Handlung, 1797), sich von „vornherein für alle Eventualitäten dem Gewährsmann auch für seine Ge- den Chancen eines Schiedsspruches auszu- schichte des Armenwesens, bezieht sich von setzen. Gerade in wirthschaftlichen Dingen Melle ebenso wie auf grundlegende Arbei- kann es sich leicht um Fragen von vitaler Be- ten seines Hochschullehrers von Schmoller deutung für den Staat handeln, bezüglich (vor allem auf dessen aktuelle Schriften im derer man nicht das Heft aus den Händen Jahrbuch für Gesetzgebung und Volkswirth- geben und sich ohne Weiteres dem Aus- schaft im Deutschen Reich) und solche des spruch Dritter unterwerfen sollte“.631 So sei einflussreichen Staats- und Verwaltungsju- auch Zurückhaltung angebracht gegenüber risten Georg Meyer. Berücksichtigt werden Schiedssprüchen, die von einer (per Losver- Berichte über die aktuellen politischen Dis- fahren ausgewählten) „Centralamerikani- kussionen und neueste internationale Ent- schen oder einer anderen Regierung des wicklungen. Unter den Aspekt der „Schutz- Amerikanischen Continents abgegeben wer- und Freundschaftsverträge, welche das in den“.632 Unter Verweis auf die Verschieden- neuester Zeit eine eifrige Colonialpolitik be- heit der Rechtssysteme leitet der Jurist da- treibende Deutsche Reich mit verschiede- raus eine begründet skeptische Haltung ab: nen Potentaten vereinbart hat“,633 wird bei- „Ob freilich die hier in letzter Eventualität spielsweise Bezug genommen auf die just Platz greifende Entscheidung durch das stattgehabten Verhandlungen des von Bis- Loos angemessen und praktisch erscheinen marck einberufenen „Kongo-Kongresses“ kann, wird zum mindesten zweifelhaft er- (1884/85), zu dem von Melle offenbar noch scheinen müssen. Noch weniger aber dürfte keine rechte Haltung gewonnen hatte – die Art, wie […] eventuell der Schiedsrich- transportiert doch das Adjektiv ,eifrig‘ (noch) ter gewählt werden soll, Beifall verdienen. eine gewisse Skepsis einer Kolonialpolitik Einmal nämlich können unter Umständen gegenüber, die 1879, also seit dem ersten Zweifel darüber entstehen, wer denn bei Jahr nach Inkrafttreten des Sozialistengeset- einem zwischen zwei Staaten entstandenen zes, einsetzte und sich in den 1880er Jahren Conflict der beleidigte Theil ist. Sodann rasant und erschreckend erfolgreich durch- aber ist leicht denkbar, daß keiner der von zusetzen begann.634 Und während von Melle der anderen Partei vorgeschlagenen drei in seinem Beitrag dabei war, das stets in Be- Schiedsrichter dem anderen Theil accepta- wegung befindliche internationale Vertrags- bel erscheint.“ gefüge chronologisch zu erfassen und syste- ··································································· matisch so aufzuschlüsseln, dass auch die Die Ausarbeitung beruht auf einer soliden aktuellen Entwicklungen mit aufgenom- Recherche und Durchdringung der inklu- men werden konnten, folgten auf die erste sive bis Ende 1885 erschienenen internatio- kolonialpolitische Vorlage, die Samoa-Vor-

| 202 | lage, die 1880 in den Reichstag eingebracht nischen Handelsstädten als machtvolles worden war, in immer kürzeren Abständen Handelsmonopol gegenüber den „uncivili- weitere Eingaben – 1884/85 etwa die ersten sierten“ Staaten (wie z. B. China, weil nicht Dampfersubventionsvorlagen, die die staat- „cultiviert, wohlhabend und mächtig ge- liche Subventionierung privater Postdampf- nug“), die erst im Mittelalter das „schimpf- schiffslinien nach Ostasien, Australien und liche[] Handelsjoch der fremden Kaufleute“ Afrika zum Ziel hatten –, aber auch heftige hätten abschütteln können.637 Präsentiert Diskussionen und umjubelte bzw. umstrit- wird eine nicht uninteressante Mischung tene Bewilligungen. Entsprechend wurden aus referierenden und kritisch betrachten- zu der Zeit auch die ersten deutschen Kolo- den, wertenden Teilen. Die Steigerung des nien – Deutsch-Südwestafrika und Neugui- Konsums, das Entstehen einer grenz- und nea – ,erworben‘, denen bald der ,Erwerb‘ staatenüberschreitenden Diplomatie wer- von Kamerun, Togoland und Ostafrika den ebenso als Folgen der großen Auswan- folgte. Vor dem Hintergrund der aktuellen derungsbewegungen in die Betrachtung Forschungen zur Kolonialgeschichte Ham- miteinbezogen wie die Verhältnisse in weit burgs wäre es sicherlich aufschlussreich, ein- entfernten geographischen Regionen, etwa mal von Melles Zeitungsartikel der späten auf den Samoa-Inseln, von denen, davon 1880er Jahre über die weiteren Entwicklun- war schon die Rede, Werner von Melle spä- gen in den Kolonialgebieten in einer Zu- ter als Redakteur noch mehrfach berichten sammenschau zu untersuchen; dies auch sollte. Überhaupt dürfte der Fundus an perspektiviert auf seine lange Bekanntschaft Kenntnissen, den er sich durch diese Arbeit mit dem ,königlichen‘ Kaufmann Adolph angeeignet hat, seinem Urteilsvermögen Woermann, seines Zeichens Reeder (Woer- und seiner journalistischen Tätigkeit zugute mann-Linie), Politiker (seit 1880 Mitglied gekommen sein. Überdies gelang es ihm der Bürgerschaft, seit 1884 nationalliberaler auch in dieser Publikation, das von ihm Vertreter Hamburgs im Reichstag) und (seit schon oft traktierte Thema des für seine 1884) Präses der Handelskammer, der sich Heimatstadt so folgenreichen Übergangs aktiv – und man muss bei heutigem Kennt- zur Schutzzollpolitik wieder in die überre- nisstand sagen, leider unrühmlich – seit 1883 gionale Wahrnehmung einzuschreiben, näm- um die Einrichtung deutscher Kolonien lich organisch an der Stelle, die ihn im Rah- vor allem in Westafrika ,verdient‘ gemacht men der Rekonstruktion der Auswirkungen hat.635 des politischen Zusammenschlusses des ··································································· Deutschen Zollvereins auf die drei Hanse- Von Melles Arbeit über das Vertragsrecht städte Bremen, Lübeck und Hamburg und bietet also einerseits einen umfassenden und ihren Freihafenstatus (von Lübeck 1867 zu- sinnvoll geordneten Überblick über interna- rückgewiesen) eingehen lässt. War Ham- tionale Vereinbarungen und Usancen.636 burg und Bremen nach 1871 „in der Verfas- Andererseits bezieht der Verfasser aber im- sung (Art. 34) das Recht vorbehalten, als mer wieder deutlich Stellung zu ihn selbst Freihäfen so lange außerhalb des Zollgebiets besonders interessierenden Themen: Ham- so bleiben, bis sie ihren Anschluß beantrag- burg, seine Verhältnisse und seine Unter- ten“, so „steht jetzt der Zollanschluß beider nehmen; dann die Hanse, neben den italie- Städte nahe bevor“.638 Anmerkung 8 liefert

| 203 | die komprimierte Erläuterung der kompli- der eigene Handel und die eigene Pro- zierten Rechtskonstruktion zwischen Stadt- duction nicht besser als durch eine Erleich- staat und Reich, die von Melle offenkundig terung des Verkehrs der Nationen unter ei- nachhaltig auch in einem wichtigen juristi- nander gefördert werden können“.641 War schen Referenzwerk und damit im Bewusst- Preußen unter Bismarck 1875 noch für Zoll- sein der Nachwelt verankert wissen wollte: freiheit, hätten letzteren „financielle“ und „Hamburg ist im Vertrage vom 25. Mai 1881 wirtschaftliche Erwägungen schon zwei der an die Stadt gränzende Theil der Nor- Jahre später zu Zolltarif (15. Juli 1879) und derelbe mit einem größeren Bezirk an bei- Schutzzollsystem geführt.642 So lautet des den Ufern als Freihafengebiet belassen. Auf Verfassers Urteil über die gegenwärtige dieses Freihafengebiet, welches indeß keine Reichspolitik: „Daß man sich dadurch, Wohnungen enthalten darf, findet der Art. ganz abgesehen von sonstigen Bedenken, 34 der Reichsverfassung auch ferner Anwen- auf eine abschüssige Bahn begeben hat, zei- dung. Mit dem Anschluß, der 1888 erfolgen gen schon die vielfachen auf weitere Erhö- soll, übernimmt Hamburg selbst die Zoll- hung der Schutzzölle gerichteten Anträge, verwaltung. Das Reich hat die Hälfte der die in den letzten Jahren wie Pilze aus der mit dem Anschluß verbundenen Kosten Erde geschossen und zum Theil auch von (Terrainveränderungen, Umgestaltung des der Reichsregierung berücksichtigt sind.“ neuen Freihafengebiets, Brückenbauten etc.) Und er konstatiert nüchtern: „Welche Re- bis zur Höhe von 40 Millionen Mark über- sultate die neueste Schutzzollbewegung nommen. Den übrigen, thatsächlich weit ferner erzielen und wie lange sie noch an- größeren Theil der Kosten trägt Hamburg dauern wird, läßt sich zur Zeit nicht sa- selbst.“639 Und wie für Hamburg gelte Ähn- gen.“643 liches auch für Bremen. ··································································· ··································································· Die Welt als Aktionsfeld der handelnden Noch eine argumentative Spitze gegen die Nationen und Menschen (heute sprechen Schutzzollpolitik brachte von Melle dann an wir in diesem Kontext von Globalisierung), anderer Stelle unter, wo es heißt: Das – ab- der grenzenüberschreitende Handel, inter- gesehen von Russland, Spanien, den Verei- nationale Verträge, die Schifffahrt, der Sta- nigten Staaten und der Türkei – in den tus als In- oder Ausländer: das sind die The- 1860er und 70er Jahren zwischen allen „Cul- men, die im Fokus der Betrachtungen über turstaaten“ gesicherte internationale Han- das ,internationale Vertragsrecht‘ stehen, delsvertragsrecht „beruhte auf handelsfrei- das nicht mehr und nicht weniger als eine heitlicher Grundlage und schien in seiner Summe zwischenstaatlicher Vereinbarungen allmählichen Fortentwicklung naturgemäß bezeichnet und damit „der Natur der Sache immer liberaleren Zielen entgegenzugehen, nach nicht ein für alle Nationen gemeinsa- bis 1879 durch den Uebertritt Deutschlands mes und gleichlautendes“ sei, „denn es be- zur Schutzzollpolitik ein Rückschlag gegen ruht ja auf einer großen Reihe verschiedener diese seit 1860 so siegreich und allgemein Verträge, die unter Berücksichtigung der je- fortschreitende Handelsvertragsbewegung desmaligen besonderen Umstände und Ver- erfolgte“,640 deren Großartigkeit „in der ihr hältnisse unter den einzelnen Staaten verein- zu Grunde liegenden Erkenntniß [lag], daß bart sind“.644 Der Grund für die – angesichts

| 204 | vereinbarter Vertragsdauern zwischen 3 und mäß nicht nur an einem für heutige Ohren 28 Jahren – stillschweigenden Anpassungen typisch zeitgenössischen Sprachgebrauch – und differenzierenden Auslegungen läge in mit einer Neigung zu pathetischem Ton – den sich gegenüber dem Zeitpunkt des Ver- Anteil haben, sondern meist auch im Auf- tragsabschlusses geänderten Verhältnissen bau einem ähnlichen Muster folgen. Der der Handels- und Zollpolitik, der Produk- Journalist hatte früh Gefallen gefunden an tion, des Konsums (der ,Consumtion‘), des dem schon mehrfach genannten Vorgehen Handels und Gewerbes oder des Ver- nach dem Prinzip einer wechselseitigen Er- kehrs.645 hellung, sprich daran, in der Beschäftigung ··································································· mit gegenwärtigen Erscheinungen das je- Von 1860 an bis in die Gegenwart, also vom weils historische Institut durchschimmern Inkrafttreten der Verfassung bis zur Nieder- zu lassen, um auf diese Weise gleich alle schrift bzw. Drucklegung des Handbuches beide auf einen Streich darzustellen und ih- reicht die Zeitspanne des letzten Abschnitts, nen in der gegenseitigen Spiegelung eine der offenbar in der auf juristischem Sachver- plastische Mehrdimensionalität zu verlei- stand gründenden Darbietung und Inter- hen. Dieses im Kontext von Politik und Ge- pretation gegenwärtiger Entwicklungen auch schichtsschreibung, von Beredsamkeit und einen Handelsrecht-Spezialisten wie Johan- Publizistik oft anzutreffende Verfahren einer nes Versmann überzeugte, denn „wenn ich historisierenden Vergegenwärtigung / verge- ihn gelegentlich in einer Gesellschaft traf“, genwärtigten Historisierung scheint beson- so von Melle rückblickend, „[hat er] wieder- ders für Hamburgs ,Eigensinn‘ mehr zu bie- holt mit mir sehr eingehend über dieses ten als bloß eine dankbar und flexibel Thema“ gesprochen.646 einsetzbare Formel; mit ihr lassen sich gleich ··································································· einem konzeptionellen Schlüssel die über Der Journalist und Nekrologist Jahrhunderte gewachsenen Selbstverwal- der Gegenwart: Zeitungsartikel tungs-, Rechts- und Bildungsinstitute ver- zwischen 1886 und 1891 stehen und erklären. Unter Verweis auf hier ··································································· schon mehrfach ewähnte Vorbilder, den Verwaltungsexpertise Publizisten und Historiker Christian Fried- ··································································· rich Wurm etwa, wurde Melle nicht müde Die Auswahl der bisher vorgestellten Arbei- zu betonen, dass sich viele Dinge eben nicht ten legt nahe, dass Werner von Melle wäh- auf Anhieb von selbst oder als Resultat einer rend seiner Anwaltszeit neben all den aufge- augenscheinlich vernünftigen Entscheidung führten Tätigkeiten offenbar Zeit genug verstehen ließen, sondern erst in der histo- hatte (oder sich nehmen konnte), um er- rischen Herleitung und unter Berücksichti- schöpfend ausrecherchierte Sachverhalte in gung der jeweiligen Bedingungen ihren ei- sorgfältig ausgearbeiteten Schriften unter- gentlichen Sinn, ihre ursprüngliche Absicht schiedlichen Formats zu veröffentlichen; das oder eine durch Missverständnisse womög- lässt sich erst recht für die Redakteurszeit lich verfehlte gegenwärtige Rezeption offen- festhalten.647 Dabei fällt auf, dass von den legten. Aus dieser Einsicht resultieren viele unstrittig professionell und geläufig ge- seiner Jubiläumsschriften und Nekrologe schriebenen Artikeln einige erwartungsge- inklusive der großen Biographie über Kir-

| 205 | chenpauer – die im Werkkontext üblicher- daß man jene Theorie auch officiell aufgiebt weise als seine „umfänglichste und beson- und sich zu einer Theilung der Verwaltungs- ders wegen ihrer gründlichen Erfassung der geschäfte zwischen dem präsidirenden Se- zeithistorischen Zusammenhänge wert- natsmitgliede einerseits und dem Plenum vollste Darstellung“648 gewertet wird – und der Deputation andererseits entschließt. einer historisch-systematischen Zusammen- Wie solche Theilung im Einzelnen zu be- schau des bis dato fehlenden Hamburgischen schaffen, und ob sie für alle Verwaltungs- Staatsrechts – „das wohl wichtigste Buch“649 zweige in gleichem Maaße durchzuführen des Verfassers. Dass sie zusammengenom- wäre, das sind Fragen, die sich nur auf men die auf zwei Darstellungsarten kompo- Grund eines alles dafür vorhandene Material nierte Synthese einer kontinuierlichen Be- benutzenden, eingehenden Specialstudiums schäftigung mit Themen ergeben, die von unseres bisherigen Verwaltungsmechanis- Melle seit Studienbeginn, spätestens seit Er- mus einigermaßen zutreffend beantworten scheinen des Laband’schen Reichsrechts lassen. Wir verkennen gewiß nicht die umtrieben, dürfte obige ,Werkschau‘ ver- Schwierigkeit einer sachgemäßen Beant- deutlicht haben; auch und gerade im Stre- wortung dieser Fragen, doch können wir an- ben nach einer ,Justizpflege‘ im besten dererseits nicht glauben, daß es sich hier um Sinne: Die schon vorgestellten eigenständig eine geradezu unlösbare Aufgabe handeln erschienenen Schriften sowie die noch zu sollte.“650 Bis von Melle fünf Jahre später in besprechenden, die in immer kürzer wer- drei (im Februar und März 1891 gedruckten) denden Abständen erschienen und immer Artikeln, die sich gewissermaßen als Ab- stärker ineinander griffen, erweisen sich so schiedszeugnis seines politischen Gastspiels betrachtet als Vorarbeiten zu einem Pro- auf der Pressebühne lesen lassen,651 dem ak- gramm, das auf die möglichst erschöpfende tuellen Hamburger Rechtszustand eine ge- Erfassung der hamburgischen Verwaltung radezu vernichtende Diagnose ausstellte, und Verfassung(sgeschichte) im historisch- kam er immer wieder auf die Lieblingsthe- systematischen Zusammenhang zielte. Da- men ,Verwaltungsreformen‘ und die Forde- für gab im ersten Jahr seiner Redaktionstä- rung nach mehr ,höheren Verwaltungsstel- tigkeit ein im November 1886 erschienener len‘ zurück. Der Gesetzentwurf, betr. das Artikel zur Erörterung des Problems einer höhere Schulwesen wurde ihm zum Anlass, „theilweise[n] Umgestaltung unserer Ver- 1887 über das Verwaltungswesen, die Depu- waltung“ gewissermaßen den Startschuss, tationen und das Verhältnis Beamter zu „dessen sachgemäße Lösung, wie wir glau- Deputationen am Beispiel der Besetzung ben, eine Aufgabe der Zukunft ist“. Befund: der Oberschulbehörde beziehungsweise des Die Schwerfälligkeit der hamburgischen „Schulraths“ zu diskutieren, der „nicht nur Verwaltung offenbare einen „Zwiespalt zwi- ein Mitglied der ihm vorgesetzten Behörde, schen der noch officiell aufrecht erhaltenen sondern auch gleichzeitig der College der Theorie, daß Alles von dem Plenum der ihm unterstellten Directoren der höheren Deputation abhängig sein soll, und der nach Lehranstalten ist. Damit wird die nachwen- Sachlage allein möglichen Geschäftspraxis“. dige Beamtenhierarchie geradezu auf den Lösungsvorschlag: „Dieser Zwiespalt aber Kopf gestellt. Weshalb aber, fragen wir wei- muß u. E. früher oder später dazu führen, ter, sitzen denn gerade die drei Eingangs er-

| 206 | wähnten Schuldirectoren und nicht auch wieder virulent und in der Diskussion hiel- die Vorsteher der anderen Lehrinstitute und ten. Selbst das Erscheinen eines neu ge- der sog. wissenschaftlichen Anstalten in der druckten Nachtragkatalogs der Commerz- Oberschulbehörde? Man wird uns antwor- bibliothek nahm von Melle zum Anlass, ten, daß die Zulassung Aller nicht möglich Ordnung und Bedeutung der Institution sei. Was aber dem Einen recht ist, wäre doch für Hamburg allgemein, für das Hamburger dem Andern billig. Der Director der Stadt- Rechtsleben am Beispiel des juristischen bibliothek oder des Naturhistorischen Mu- Sammlungsbereichs im Besonderen zu do- seums ist an sich dem Seminardirector min- kumentieren und offenbarte damit zugleich destens gleichgestellt. Dadurch aber, daß eine beachtliche Expertise im Bibliotheksge- dieser Mitglied der Oberschulbehörde ist schäft, im Publikationswesen und in seinem und jener nicht, gewinnt der Erstere ganz genuinen Fachgebiet: „Während der letzten unberechtigter Weise dem Letzteren gegen- Jahrzehnte hat sich nun die Literatur über- über an Ansehen und Einfluß.“652 haupt und insbesondere gerade auf man- ··································································· chen der Commerzbiliothek zugewiesenen Der Rückblick auf das Jahr 1888 nimmt Gebieten in früher kaum geahnter Weise den Komplex mehrfach angemahnter Ver- vergrößert. Bibliotheken untergeordneter waltungsreformen noch einmal auf: „Auch Art werden sich in Folge dessen vielfach, von anderen Verwaltungsreformen war viel- theils nothgedrungen, theils freiwillig, auf fach die Rede. Ein Ausschuß der Bürger- eine Auswahl der wichtigeren Bücher be- schaft berieth das ganze Jahr hindurch über schränken, – eine Bibliothek ersten Ranges eine Reorganisation der Oberschulbehörde. aber, wie die Commerzbibliothek ist und Das Amencollegium, das am 1. November bleiben muß, darf sich mit einer solchen das 100jährige Jubiläum der altberühmten theilweisen Zusammenfassung der in ihr Allgemeinen Armenanstalt feiern konnte, Bereich fallenden Literatur nicht begnügen; zog gleichfalls, unbeschadet der Festhaltung sie muß – vielleicht von dem wenigen ganz an den Grundprincipien von 1788, Aende- Werthlosen abgesehen – Alles umfassen.“ rungen im Detail der Verwaltung in Erwä- Diesem Anspruch sei die Bibliothek in der gung. Der Senat aber wies auf die Nothwen- letzten Zeit nicht nachgekommen. „Insbe- digkeit der Schaffung einer größeren Anzahl sondere wissen wir, daß auf den Gebieten höherer Verwaltungsstellen hin […]. Hof- der Staatswissenschaften und der Geschich- fentlich wird die vom Senat angedeutete te manche bedauernswerthe Lücken beste- Reform recht bald in entsprechender Weise hen. So glaubte man sich z. B. bezüglich des zur Ausführung gelangen, denn, wie wir Staatsrechts der deutschen Einzelstaaten im wiederholt hervorgehoben, ist es dringend Wesentlichen auf die in Marquardsen’s nothwendig, einen Theil der bisherigen Ge- Handbuch des öffentlichen Rechts enthal- schäfte der Senats- und Deputations-Mit- tenen, verhältnißmäßig kurzen Abhandlun- glieder, auf höhere, selbstständiger gestellte gen beschränken zu können, so hat man juristische Beamte abzuwälzen“.653 Diesem ferner die Commentare zu manchen wich- Appell vom Beginn des Jahres 1889 folgten tigeren Reichsgesetzen nicht angeschafft weiter noch im selben Jahr654 wie auch in und die historisch-biographische Literatur den darauffolgenden, die das Thema immer nicht immer genügend berücksichtigt. Auch

| 207 | ist vielfach – so z. B. bei Georg Meyer’s niß desselben förmlich zu coquettiren. Das Lehrbuch des deutschen Staatsrechts und Staats- und Verwaltungsrecht aber sowie die bei Schönberg’s Handbuch der Politischen Nationalökonomie und die Finanzwissen- Oeconomie – eine neue umgearbeitete Auf- schaft und das neuerdings immer wichtiger lage nicht acquirirt, weil man bereits eine gewordene Gebiet der Socialpolitik sind frühere besaß, während doch gerade die auch in ihren allgemeinen Grundbegriffen, neuesten Auflagen derartiger Werke für die den Meisten fast unbekannt. Man sieht in die Bibliothek Benutzenden von besonde- diesen Disciplinen in der Regel nur ein rem Werthe sein müssen. Der Privatmann mehr oder weniger überflüssiges Beiwerk ist in der Regel nicht in der Lage, sich jede der Jurisprudenz, hört auf der Universität neue Auflage der ihn interessirenden Bü- die betr. Collegien kaum und sucht sich cher anzuschaffen; ihm genügt auch in vie- eventuell für die Examina nur ganz noth- len Fällen die ältere [Literatur]“, doch an- dürftig nach diesen Richtungen hin zu ori- ders verhielte es sich mit den professionell entieren.“ Die Entwicklungen der kom- tätigen Juristen, deren Kenntnisstand für menden Jahre lösten ein, was von Melle eine gute Rechtsprechung notwendig dem 1891 hoffnungsvoll aussprach: „die Zeit, wo aktuellsten entsprechen sollte. Entsprechend Hamburger Juristen ohne eingehendere lautet das Plädoyer schlicht und ergreifend: staatsrechtliche und staatswissenschaftliche „Das Budget der Bibliothek muß sich nach Kenntnisse auskommen zu können glaub- dem vorliegenden Bedürfniß richten. Ist die ten, geht wohl ihrem Ende entgegen“, die für Neuanschaffungen zu Gebote stehende „betreffende Verwaltungsreform ist bereits Summe nicht ausreichend, so muß sie in auf einzelnen Gebieten mehr oder weniger Zukunft erhöht werden.“ Denn finanzielle angebahnt, und ihre vollständige Durchfüh- Erwägungen dürften niemals der Grund für rung kann wohl nur noch als eine Frage der eine sachlich und inhaltlich nicht zu recht- Zeit angesehen werden. […] Bei dieser fertigende Beschränkung beispielsweise auf Sachlage wird nun die Frage von Tag zu Tag einem für das Gemeinwesen so sensiblen dringender, wie wir am besten dafür Sorge Bereich wie dem der Rechtspflege sein. tragen können, daß uns für die über kurz ··································································· oder lang in größerer Zahl zu besetzenden Mit konkreten Umsetzungsvorschlägen zur höheren Verwaltungsstellen ein genügend Schaffung einer neuen Verwaltungscarriere be- vorgebildetes und befähigtes Beamtenmate- schäftigten sich 1891 zwei an aufeinanderfol- rial zu Gebote stehe.“ Viele der sehr konkre- genden Tagen gedruckte Artikel, die nach ten konzeptionellen Überlegungen und über zehn Jahren eingeführter Reichsgesetz- Vorschläge, die der Verwaltungsexperte von gebung eine alarmierte Einschätzung vom professioneller Pressewarte aus in den öf- Zustand des Hamburger Rechtslebens ga- fentlichen Diskurs einzuspeisen begann und ben:655 „Das Civilrecht und der Civilprozeß später als Senatssyndikus in die (Gesetzes-) bilden hier mehr als wohl irgendwo anders Tat umsetzen konnte, gingen tatsächlich in das A und das O des juristischen Wissens. die Verwaltungsreform des Jahres 1896 ein Selbst das Strafrecht findet nur bei Wenigen (vgl. die Darstellung in von Melles Lebens- eingehendere Beachtung; ja manche unserer erinnerungen, S. 32–37 und S. 307–311 im Anwälte lieben es sogar, mit ihrer Unkennt- Epilog).

| 208 | ··································································· nur etwa zwei bis vier Sekunden dauert,660 2 Sekunden archivierte Ewigkeit: ist Gegenwart also nur ein winziger Mo- Geburtshelfer und Archivare ment in den ,medialen Durchlauferhitzern‘ ··································································· der Zeit, die abgesehen von Ankündigungen In seiner Eigenschaft als Redakteur nutzte oder der Antizipation von Zukünftigem von Melle, wie oben angedeutet, ausgiebig immer schon ausschließlich Vergangenes die Gelegenheit, sich zwischen 1886 und transportieren, selbst im aktuellsten, kurz- 1891 nahezu erschöpfend mit den aktuellen fristigsten Erscheinungstakt des digitalen (und vergangenen) Problemlagen und Be- Zeitalters. Insofern waren und sind Journa- langen des „kleinen, republikanischen Staats- listen per se Historiker, allerdings im Ge- wesens“656 Hamburg auseinanderzusetzen, gensatz zur Zunft solche eines besonderen dezidierte Standpunkte zu entwickeln, Mei- Zuschnitts: in den zeitgeschichtlichen Deu- nungen zu lancieren. Unter Verwendung tungsdebatten übernehmen sie die tragende seiner eigenen Formulierung von der Presse Rolle der im besten Sinne „kurzsichtige[n] als Sekundenanzeiger657 lässt sich wohl be- Historiker“661. Durch die Fokussierung haupten, er habe im großen Stellwerk des nämlich auf bestimmte Personen, Ereignisse allgemeinen Geschehens gleichsam im Se- und Entwicklungen synchronisieren sie im kundentakt Hamburger Geschichte(n) auf- ausdifferenzierten und Aktualität verspre- gespürt und notiert und das im wortwörtli- chenden Lokal-, Jubiläums-, Rückblicks- chen Sinne. Dabei reflektierte er beiläufig und Gedenktagsjournalismus der Presse ge- auch das janusköpfige Zeitmaß des journa- wissermaßen das kollektive historische Ge- listischen Erforschens und Darstellens von dächtnis mit dem öffentlichen Interesse. vergangener Zukunft beziehungsweise zu- Und externer Speicher für die Bestände je- künftiger Vergangenheit: „Sie [= die Presse] nes kollektiven historischen Gedächtnisses, berichtet und erläutert nicht nur, was ge- also konkreter Aufbewahrungsort der als schehen ist, gleich dem Historiker“, hieß es historisch, kulturell, rechtlich oder politisch ja in den Jugenderinnerungen, „sie arbeitet für bedeutsam erachteten (öffentlichen) auch zu ihrem, freilich oft nur bescheidenen Urkunden, Akten, Dokumente, Bilder etc. Teil mit an der Gestaltung der Zukunft und ist in der europäischen Überlieferung das vermag dieser, indem sie Neues anregt, wei- Archiv, das als kirchliches, kommunales tere Ziele zu stecken“.658 Folgerichtig findet oder staatliches im Laufe der Jahrhunderte das gleichsam programmatische Bild vom sehr verschieden geartete Erscheinungsfor- Journalisten als Geburtshelfer Anwendung, men ausgebildet hat. entnommen einem dreiteiligen (satirischen ··································································· Erziehungs-)Roman des ,jungdeutschen‘ In Hamburg reicht die Tradition der Ver- Schriftstellers, Redakteurs (und Journalis- wahrung städtischer Urkunden weit ins ten) Karl Gutzkow aus dessen Hamburger 13. Jahrhundert zurück, doch erst in Folge Zeit (1838–1843). Der anzitierte Satz lautet der „Herausbildung des modernen Staates vollständig im Original: „Die Journalisten mit seiner eigenständigen, auf dem Prinzip sind die Geburtshelfer und Todtengräber der Schriftlichkeit gegründeten Verwaltung“, der Zeit.“659 Da das aufmerksame Erleben hatte die wachsende Unübersichtlichkeit der Jetztzeit nach heutigem Wissensstand der Schriftzeugnisse im Jahre 1710 dazu

| 209 | geführt, am Ratsarchiv einen hauptamt- dessen Vorsitzender er bis 1865 war, wie sei- lichen Archivar anzustellen. Im Gegensatz nen Nachfolger Otto Beneke, dessen Arbei- zu Staatsarchiven dienten jene Rats- oder ten hier schon zur Sprache kamen. Senatsarchive noch – „modern gesprochen ··································································· – der Speicherung von ,Herrschaftswissen‘. Der jüngste Impuls für eine staatlich neu Die dort verwahrten Unterlagen galten in einzurichtende Archivform ging während der Regel als geheim“ und waren weder ein- Werner von Melles Redaktionszeit von Ber- sehbar für „die verfassungsmäßig eingesetz- lin aus, genauer gesagt: Auslöser war ein Ar- ten bürgerlichen Kollegien“ noch für Histo- tikel, der im Jahre 1889 in der literarisch wie riker, geschweige denn für den einzelnen auch wissenschaftlich wohl einflussreichs- Bürger.662 Das änderte sich erst im Gefol- ten deutschen Monatszeitschrift erschien. ge der Freiheitskriege und Errichtung des Die Deutsche Rundschau druckte die Schrift- Deutschen Bundes. Die Archive wurden ge- fassung eines Vortrags über wissenschaftli- öffnet, das Archivgut nach sinnvollen Ord- che Archive der Literatur, mit dem der Phi- nungskategorien gesichtet, verzeichnet und losoph (und Scherer-Freund) Wilhelm Dil- seit Mitte des 19. Jahrhunderts auch von ei- they im Januar 1889 die „Zusammenkünfte ner sich methodisch daran schulenden, his- einer Gesellschaft für deutsche Literatur torisch-kritischen Geschichtswissenschaft eröffnete, welche sich Förderung und Ver- editorisch erschlossen. Dieser Entwicklung breitung literarischer Forschung zum Zwe- einher ging ein Wandel des beruflichen cke gesetzt hat“664. Vor dem Hintergrund Selbstverständnisses der Archivare von der der vielbeschworenen politischen Einigung bewahrenden Verwaltungsposition zum His- und im Vergleich zu den anderen (europäi- toriker-Archivar zum verwaltenden Kultur- schen Nationen) definierte der Verfasser für beamten. Wer über die ordnende und ver- Deutschland neue Anforderungen, „die sich waltende ,Service-Funktion‘ hinausgehend auf Erhaltung, Sammlung und zweckenspre- beträchtliche eigene Forschungsleistungen chende Eröffnung der Quellen beziehen“. erbrachte wie beispielsweise Johann Martin Der „von den Regierungen den Geisteswis- Lappenberg, seit 1823 Hamburger Staats- senschaften anerzogenen Bescheidenheit“ archivar und überregional bedeutender His- setzte er die Forderung nach „Geldmittel[n]“ toriker und Hanseforscher, bewegte sich in entgegen, die „nicht beträchtlicher als die einem „Spannungsverhältnis von Verwal- für eine der größeren naturhistorischen tung und Wissenschaft. Denn daß Staatsrai- Sammlungen“ seien. Kurzerhand erklärte son und Wissenschaft, daß die Loyalität des er die systematische Sammlung und Er- Archivars gegenüber seinem Dienstherrn schließung handschriftlicher Nachlässe von auf der einen Seite und wissenschaftliches Schriftstellern zur staatlichen Aufgabe: „Nur Streben nach Wahrheit auf der anderen Seite Archive ermöglichen die Erhaltung der in Konflikt miteinander geraten können, Handschriften, ihre angemessene Vereini- liegt durchaus in der Natur der Sache be- gung und ihre richtige Verwerthung. Wir gründet.“663 Lappenberg hinderte das eben- müssen also einen weiteren Schritt in der so wenig an seiner Forschung und an dem Organisation unserer Anstalten für histori- Engagement für den von ihm mitbegründe- sche Forschung thun. Neben die Staats- ten Verein für Hamburgische Geschichte, archive, auf deren Verwerthung jetzt alle

| 210 | politische Historie beruht, müssen Archive Dass von Melle nicht nur, wie schon an- für Literatur treten.“665 Entsprechend lautet gedeutet, eifriger Nutzer von Bibliotheken die Vision: „Wie aus der Natur der politi- und Archiven war,669 sondern konzeptio- schen Papiere das Staatsarchiv seinen Cha- nelle Neuerungen und organisatorische Ver- rakter und den besonderen in ihm wirken- änderungen auch auf diesem Sektor interes- den Geist erhielt, so wird in diesen neuen siert begleitete, nicht zuletzt als Mitglied Räumen gleichsam ein genius loci sich aus- auch der 1885 gegründeten Goethe-Ge- bilden; aus der Natur des Nachlasses bedeu- sellschaft, verdeutlichen entsprechende Re- tender Schriftsteller wird der Charakter und flexionen und Ausarbeitungen in seinem das Gesetz der Archive sich entwickeln, die Artikelkosmos. Paradebeispiele sind dafür ihnen gewidmet sind. Ein eigener Geist insbesondere die folgend vorzustellenden muß in den Räumen wehen, die das vertrau- Artikel, die Anfang der 1890er Jahre „[u]n- liche und intime Leben der ersten Schrift- serem würdigen Archivar“ gewidmet sind, steller unseres Volkes umschließen; eine dem ihm persönlich bekannten Beneke. eigene Art von Beamten muß für solche Ar- ··································································· chive sich ausbilden. Das ist eben der Begriff Zur Erinnerung: Großvater Heinrich Geff- von Archiven, daß die eigenthümliche Na- cken war seit der Zeit der Freiheitskämpfe tur der Handschriften, die Lebensbedürf- dem wesentlich älteren Ferdinand Beneke, nisse derselben den Beamten, dem Regle- nachmals Oberaltensekretär in Hamburg, ment, der Anordnung und Benutzung einen freundschaftlich verbunden, in dessen Haus bestimmten Charakter aufdrücken. Archive später auch der junge Emil von Melle ver- der Literatur: hier wie überall in dieser Dar- kehrte, ein enger Freund wiederum von Be- legung ist der Ausdruck Literatur im weites- nekes jüngstem Sohn Alfred.670 Alfreds um ten Sinne genommen. Er bezeichnet alle zehn Jahre älterer Bruder war Otto Beneke, dauernd werthvollen Lebensäußerungen der sich nach dem klassischen Hamburger eines Volkes, die sich in der Sprache darstel- Bildungsweg (Besuch des Johanneums, Aka- len: also Dichtung wie Philosophie, Histo- demischen Gymnasiums und verschiedener rie wie Wissenschaft.“666 Diesen Archivtyp Universitäten) als Advokat in Hamburg nie- wollte Dilthey als ein „Hülfsmittel der Ge- derließ, 1840 an das Hamburger Staatsarchiv schichtswissenschaft“ verstanden wissen, unter Lappenbergs Leitung wechselte und „das den politischen Archiven nicht gleich- 1863 als Archivar und ,Senatssecretär‘, d. h. werthig, doch aber nahestehend wäre“.667 (nicht stimmberechtigtes) Mitglied des Ham- Seinen programmatischen Vorstoß, der burger Senats, zu dessen Nachfolger wurde. 1891, also wenig später schon, die Gründung Ihm, so von Melles dankbare Grußadresse einer ersten Litteraturarchiv-Gesellschaft und in den Hamburger Nachrichten zum 50. kurz darauf der ersten Literaturarchive zur Dienstjubiläum, sei aus seiner Archivarbeit Folge hatte, motivierte er 1889 wie folgt: so manche „lebenskräftige“ Schrift, so man- „Mit dem Interesse der zeitlosen Wissen- cher „Archivarbericht“ zu verdanken, „die schaft verknüpfte sich in diesen Vorschlägen den, der ,des trockenen Tones‘[!] in unserer das an der Pflege unseres nationalen Be- Hamburgensienliteratur satt ist, stets aufs wußtseins.“668 Neue erfrischen“.671 Am Beispiel des Jubi- ··································································· lars wird die „stille Arbeit eines Archivars“

| 211 | als Gegenentwurf zum emsigen Tagesjour- scharfen Blick und schnelle Fassungsgabe“, nalismus propagiert, da sie in ganz anderer Attribute, die sowohl dem längst verstorbe- Weise für das sinnvolle Zusammenspiel von nen Lappenberg zuzusprechen seien als Geschichte und Gegenwart stehe: „Bilden auch dem zu ehrenden Beneke, dem der doch die Archive nicht nur eine Fundquelle Journalist noch ein langes Wirken in diesem für den Historiker, sondern in erster Linie Sinne wünschte. ein ebenso wichtiges wie unumgänglich ··································································· nothwendiges Hülfsmittel für die Führung Doch schon ein halbes Jahr später gab Be- der Staatsgeschäfte der Gegenwart“, hebt nekes Tod der Zeitung erneut Anlass, auf der kundige Zeitungsmann hervor und be- das angerissenene Sujet (Archiv als Ver- eilt sich, anzufügen: „Zumal in Hamburg, räumlichung der Zeiten) zurückzukom- wo so manches im Staats- und Verwaltungs- men: „In einer rührigen Handelsstadt wie leben auf Tradition und Herkommen be- Hamburg“, so beginnt der Nachruf auf den ruht“ (und bekanntlich sehr spät erst auf ei- vier Tage zuvor Verstorbenen, „nimmt er- ner kodifizierten Fassung), sodass, wenn klärlicher Weise die lebendige Gegenwart, einmal „auch die Erfahrung der ältesten und die Tag für Tag so vielfache Ansprüche an gewiegtesten Praktiker nicht“ ausreiche, die Arbeitskraft des Einzelnen wie der Ge- „die letzte Hoffnung das aufklärende Ergeb- sammtheit stellt, das Interesse der großen niß einer Nachforschung im Archiv“ sei.672 Mehrzahl der Bevölkerung fast ausschließ- Folglich sei dringend erforderlich, dass der lich in Anspruch.“ Von der „bedeutsamen dafür verantwortliche, in den Ordnungs- Gegenwart“ geht der Schwenk zur „rühmli- prinzipien und -logiken der Aufbewahrung che[n] Vergangenheit“ Hamburgs, „der von geschulte Archivar die Übersicht über die einem kleinen Kreise von Gebildeten stets „Unzahl von Actenfascikeln“ behalte, um die gebührende Aufmerksamkeit geschenkt „aus ihr mit kundigem Blick das Gewünsch- ist. Sie, mit liebevollem Verständniß für die te ans Licht“ ziehen zu können. Eigenart verklungener Zeiten und vergange- ··································································· ner Geschlechter, immer mehr zu ergründen Offenbar setzte von Melle bei der Leser- und zu erforschen, ist von jeher eine Lieb- schaft der Hamburger Nachrichten wenig bis lingsaufgabe vieler hamburgischer Gelehr- keine Archiverfahrung voraus, denn das, ten gewesen“ – so auch des jüngst verstor- was nun im Sinne einer Aufklärung folgt, ist benen Beneke. Er, ein „geistvoller und der Versuch, eine plastische Einführung in würdiger Archivar“ mit „seinen originellen, die Grundlagen des Tätigkeitsbereichs zu von Geist und sinnigem Humor durchweh- geben: „Es giebt eine besondere Wissen- ten Archivarberichten – die meist nur in schaft, die Archivwissenschaft, welche sich engeren Kreisen bekannt geworden“,673 war damit beschäftigt, Grundsätze über die gleichsam das Gegenmodell zur hastenden zweckmäßigste Einrichtung, Anordnung und lärmenden Neuzeit. Und wenn es und Verwaltung der Archive aufzustellen. heißt: „Alles, was er schrieb, auch jedes […] Doch diese Specialwissenschaft bildet Wort, das er sprach, trug den Stempel sei- nur einen kleinen Theil der mannigfalti- ner so scharf und originell ausgeprägten In- gen Kenntnisse, deren ein Archivar bedarf“. dividualität“, so ist damit auch eine gewisse Die Tätigkeit erfordere „praktischen Sinn, Einseitigkeit angesprochen, die dem „Lau-

| 212 | dator temporis acti“ zu eigen gewesen sei. spann eines Films, letztlich dazu gedacht, Nicht unerwähnt ließ von Melle die „über- „dem Leser kurz das ja von ihm selbst Mit- lebte politische Auffassung“ des Alt-Ham- erlebte wieder in’s Gedächtniß zurück[zuru- burgers, eine Voreingenommenheit moder- fen]“675 Dramaturgie und Aufbau der vom nen Entwicklungen gegenüber – und das Tages-Chronisten wahrgenommenen posi- „nicht nur in politischen, auch in aestheti- tiven und negativen Highlights der vergan- schen und literarischen Dingen“. Doch genen 365 Tage wechseln: da sein Fadennetz schenkte er dem Andenken ein in mildes aus so unübersichtlich vielen Koordinaten Licht getauchtes Bild des Verstorbenen und besteht – zwischen denen sich, zumal bei zu- beschwor noch einmal den verklärenden sätzlichem Einsatz der Melle’schen Kontakt- Nimbus und stillpoetischen Reiz einer ver- linse, auch eine biographische Darstellung sonnenen Tätigkeit herauf, die nicht mehr allzu leicht verheddern kann –, ergibt sich recht zeitgemäß schien, deren Früchte und eine Menge an komprimierter Information, Qualitäten der Nekrologist aber zumindest die das noch unbeschriebene Blatt eines je- angemessen bewahrt wissen wollte: „Wenn den neuen Jahres auf engbemessenem Raum er über den vergilbten Papieren der Vergan- mit Druckerschwärze überzieht. Die Wie- genheit saß, dann träumte er sich mit histo- derholung der ursprünglichen Nachricht für rischem Verständniß und schöpferischer den Tag weist ihr im neuen Kontext eines Phantasie in längst entschwundene Zeiten solchen Datenkontinuums eine besondere zurück“.674 Bedeutung zu und verleiht ihr nicht nur et- ··································································· was mehr Nachdruck und eine zumindest in Nekrologe das nächste Jahr reichende längere Haltbar- ··································································· keit, sondern im besten Fall nachhaltiges Werner von Melles Totenliste ist lang. Als Wirkungspotenzial. Hinzu kommt noch ein Anwalt gleichsam der Lebenden und Toten weiteres: es ist ja nicht nur von Melles pa- spielte er das Thema der Endlichkeit an der noramische Disposition, die ihn in die Lage Schwelle von Gegenwart und Vergangen- versetzt, eine solche Informationsmenge heit literarisch in unzähligen Varianten aufzunehmen und (schreibend) zu verarbei- durch. Seine Nachrufe bilanzieren vergan- ten. Je mehr sich aus der Distanz von über gene Leben sowohl von legendären Gestal- einem Jahrhundert das Wissen um seinen ten wie auch von historisch verbürgten Per- Wirkradius, seine verwandt- und freund- sonen, von kurzzeitigen Erscheinungen und schaftlichen Bande, seine verschiedenen Le- besiegelten Institutionen wie von vollende- bensstationen und Aufenthaltsorte, um sei- ten Jahren: von 1887 an bis einschließlich ne Interessen, seinen Literaturhorizont und 1891 bot die jeweils erste Ausgabe im Januar die Themen seiner Veröffentlichungen und einen umfassenden Rückblick auf das zu- Korrespondenzen, um Personen, Bilder, Ein- rückliegende Jahr. Im Vergleich zu den eher drücke, Erzählungen und kulturhistorische breiten Zeitungsartikeln, mit denen der Kontexte erweitert, desto feiner, aber auch Journalist im Laufe des Jahres die Zeitungs- komplexer wird das Rezeptionsraster, mit spalten füllte, muten diese Jahresrückblicke dessen Hilfe sich die Muster und Cluster wie eine Art wohldisponiertes Daumenkino identifizieren lassen, die seinen Formulie- an oder wie der vorbeirauschende Text-Ab- rungen zugrundeliegen, die seine Aussagen

| 213 | und Verknüpfungen motivieren, auf deren Hand gezeichnet ist.“ Dass eine Frau in Grundlage sich Vermutungen und Erklä- diese Totenliste geraten konnte, hat viel- rungen dafür finden, warum er was wie er- leicht nicht in erster Linie mit ihrer wie wähnt und eingeordnet und in welcher Be- auch immer gearteten ,Intelligenz‘ zu tun. ziehung für wichtig (genug) gehalten haben Als junge Witwe mit einer kleiner Tochter mag. Wurde schon mehrmals die These ge- heiratete sie 1847 in Hamburg den weitläu- äußert, dass seiner Schaffenskraft auch eine fig verwandten Kaufmann Julius Guido gewisse programmatisch-gestalterische Wil- Wolff, den Direktor der im Jahr zuvor eröff- lenskraft zu eigen war, die einen differen- neten Berlin-Hamburger Eisenbahn. Zeit- ziert intellektuellen Kosmos organisiert, so gleich mit Heinrich Geffcken war auch er bieten die Jahresbilanzen dafür eine beispiel- Jurat der St. Katharinen-Kirche und mit hafte Bestätigung. Sie bestehen aus ähn- diesem bald durch Heirat der (Stief-)Kinder lich wiederkehrenden Elementen einzelner verwandt, denn Geffckens Sohn Friedrich „Hauptmomente“676, die dem Jahr seine Heinrich heiratete Marianne Wolffs Tochter spezifische Signatur verliehen: „Das jetzt aus erster Ehe: Caroline geb. Immermann, hinter uns liegende Jahr 1886“, so ein typi- die später vertraute Freundin Werner von scher Einstieg, „ist nicht nur für die politi- Melles. Ihre kultivierte Mutter war engagiert sche und Culturentwicklung ganz Deutsch- in der Hamburger Armen- und Kranken- lands, sondern auch für den engeren Kreis pflege, im Frauenverein und in der Mäd- des sich speciell in Hamburg abspielenden chenerziehung; außerdem war sie eine im öffentlichen und geistigen Lebens nach ver- Hamburger Kunst- und Kulturleben be- schiedenen Richtung hin nicht ohne Be- kannte Gastgeberin: „Ihr erweiterter Kreis deutung gewesen“. Doch sei es zunächst oder der stillere Familientisch, beides war „eine Pflicht der Pietät, hier der in weiteren gleich interessant, und kein Mensch hat sich Kreisen bekannten und geschätzten Männer wohl jemals bei Wolffs gelangweilt.“678 zu gedenken, die uns im letzten Jahre durch ··································································· den Tod entrissen worden“. Die einer Öf- Reiche Ernte für eine reichlich pathetisch fentlichkeit ,interessanten‘ Verstorbenen aufgeladene Totenlese brachte das ,Dreikai- werden dann namentlich aufgeführt und serjahr‘ 1888: „Auch Hamburg ist in dem meist mit kurzen Notizen versehen – übri- nunmehr hinter uns liegenden Jahre durch gens „hervorragendere[] oder bekanntere[] den Tod des Heldenkaisers Wilhelm’s I. und hamburgische Persönlichkeiten“677 aus- durch die schwere Leidenszeit seines ihm so schließlich männlichen Geschlechts. Die bald in die Ewigkeit nachgefolgten Sohnes, einzige Ausnahme steht in der ersten Zei- Kaiser Friedrich, auf’s tiefste bewegt wor- tungsnummer von 1887: „An alle diese den. Um dem allgemeinen, die ganze Bevöl- schließt sich dann endlich noch als eine her- kerung durchziehenden Schmerzgefühl ei- vorragende Vertreterin weiblicher Intelli- nen würdigen Ausdruck zu verleihen, sind genz Frau Marianne Wolff geb. Niemeyer, nationale Trauerfeiern veranstaltet, und um die geistvolle Biographin ihres ersten Gat- die Erinnerung an die allgeliebte, allbewun- ten, des Dichters Karl Immermann, deren derte Persönlichkeit des machtvollen Be- Lebens- und Charakterbild schon bald nach gründers des Deutschen Reiches in künstle- ihrem Tode in diesen Blättern von kundiger rischer Form für alle Zeiten festzuhalten, ist

| 214 | von unseren gesetzgebenden Körpern, Senat digen Schilderungen des Lebensganges und und Bürgerschaft, die Errichtung eines mo- der Persönlichkeit des Verstorbenen abzu- numentalen Reiterstandbildes Kaiser Wil- runden. Die Freude, die ich an solcher bio- helms I. auf öffentlichem Platze im Herzen graphischen Arbeit fand, veranlaßte mich unserer Stadt beschlossen worden.“ Pathos nach dem Tode von Bürgermeister Kirchen- und Euphorie der in beide Richtungen an- pauer, diesem Manne, der in dem politi- wendbaren Inkorporationsfigur verdecken schen, wirtschaftlichen und geistigen Leben letztlich nicht die rhetorische Funktion: Hamburgs eine erhebliche Rolle gespielt Die offizielle Erhebung von Reichsange- hatte, in einer besonderen Schrift eine legenheiten zur Herzensangelegenheit der eingehende Lebensbeschreibung zu wid- freien und Hansestadt erkaufte ihr letztlich men.“679 Am Anfang stand eine Zeitungs- in Fortführung der Freihafen-Diplomatie notiz am 4. März 1887; wer die Hamburger einen Handlungsspielraum – symbolisch Nachrichten aufschlug, konnte darin von den katapultierte die Durchdringung der deut- sonderbaren Umständen lesen, in denen schen und hamburgischen Interessen Ham- Kirchenpauer aufgefunden wurde: „Der- burg im Konzert der deutschen Länder so- selbe hatte noch gestern einer Sitzung der gar punktuell an erste Stelle. „Wie das übri- Geographischen Gesellschaft präsidirt und ge Deutschland, so hat aber auch Hamburg sich dann in gewohnter Weise – er arbeitete dem jugendkräftigen Kaiser Wilhelm II. in der Regel bis 2 Uhr Nachts – an den entgegengejubelt, als er mit starker Hand Schreibtisch gesetzt. Um 8 Uhr Morgens das Reichscepter ergriff, als er, umgeben von fand man ihn dort todt auf seinem Arbeits- den Souverainen und Vertretern aller deut- stuhle sitzend, eine Bleifeder in der Hand schen Einzelstaaten, in feierlicher Weise den und ein Senatsprotokoll vor sich liegend. Reichstag eröffnete, als er mit der stolzen Ein Herzschlag hatte seinem Leben inmit- deutschen Flotte gen Norden und Osten ten rastloser Thätigkeit zum Besten der Va- zog, als er in herzlichster Weise seine hohen terstadt ein plötzliches Ende bereitet.“680 Bundesgenossen in Wien und Rom be- Schon diese erste Notiz brachte gleichsam grüßte, und – vor allem – als er im October im Staccato die wichtigsten Stationen des in unserer Stadt erschien, um hier den Lebenslaufs: Bundestagsgesandter in Frank- Schlußstein in die Bauten des neuen Frei- furt; Sekretär der Patriotischen Gesellschaft, hafengebiets zu fügen.“ Seine Nachrufe die in „einer Zeit, in der es noch keine öf- zählte von Melle rückblickend selbst zu „den fentlich tagende Volksvertretung und nur mehr referierenden Aufsätzen in der Rub- wenige Vereine in Hamburg gab, den Tum- rik ,Hamburgische Angelegenheiten‘“, und melplatz der jüngeren, strebsamen Geister erläuterte sein biographisches Vorgehen: der Stadt“ darstellte; einer der Gründungs- „Diese Nekrologe mußten, wie alles, was väter der Reformära: „Unsere jetzige Verfas- die Tagespresse an Aktuellem zu behandeln sung ist in ihren wesentlichen Theilen sei- hatte, schnell geschrieben werden. Doch ner Feder entflossen“; Fazit: „Vom Scheitel war ich bemüht, sie auf Grund meiner eige- bis zur Sohle ein Gentleman, ein Freund al- nen Kenntnis und des in wenigen Tagen les Guten, Schönen und Großen und ein herbeizuschaffenden sonstigen Materials zu echter Hamburgischer Bürgermeister, hat er möglichst eingehenden und zugleich leben- sein ganzes Leben und seine ganze Kraft bis

| 215 | zum letzten Athemzuge den Staatsgeschäf- formvollendeten officiellen Reden zuzuhö- ten und der Wissenschaft geweiht.“681 Vier ren, unvergeßlich bleiben. Die hohe, Tage später gingen aus dem Staatsarchiv die schlanke, achtunggebietende Gestalt, der fein vom Archivar herausgesuchten „Daten u. geschnittene, von weißem Haar und Ba- Notizen über des verewigten B.Mstr Kir- ckenbart eingerahmte Kopf mit der hohen chenpauers amtliche Wirksamkeit“ an Stirn und den klugen, klar blickenden Au- „Herrn Dr. W. von Melle / Wohlgeboren“, gen, die einfach vornehme Haltung und der für einen ausführlichen Nachruf in den jede Affectation oder Uebertreibung ver- Hamburger Nachrichten mit dem Zusatz: meidende, ruhiggemessene Vortrag, dies al- „Ich ersuche Sie nun, geehrter Herr Doctor, les, zusammen mit dem gehaltvollen Inhalt das vorstehende Material nach Belieben zu der Rede, fesselte in seltener Weise das Auge, verwenden, aber nicht zu einem allzu knap- das Ohr und das Herz der Zuhörer.“683 pen Zeitungsartikel. Bekleiden Sie gefälligst ··································································· das von mir gelieferte dürre Gerippe mit Dem Nachfolger Kirchenpauers, der bis zu Fleisch, Mark u. Blut, und flößen Sie ihm seiner Berufung in den Senat „das verant- Leben und Geist ein.“682 Von Melle tat, wie wortungsreiche und dornenvolle Amt eines ihm geheißen und schon vier Tage darauf er- Oberstaatsanwaltes“ bekleidete, in dem ihn schien die vom Umfang her gerade eben von Melle als junger Advokat kennengelernt noch Zeitung-taugliche, wohldisponierte hatte, musste Letzterer noch am Ende des- und -formulierte Lebensbeschreibung. Um selben Jahres 1887 einen Nachruf schreiben, von der inzwischen gereiften Charakterisie- an dessen Beginn des Journalisten Wahl- rungskunst eine Kostprobe zu geben, hier kampagne zunächst für eben jenen Braband ein Abschnitt: als Reichstagskandidat stand: „Bereitwillig, ja ··································································· mit freudigem Patriotismus stellte er sich für „Seitdem widmete er seine Hauptthätig- einen von vornherein fast ganz hoffnungs- keit den höheren wissenschaftlichen An- losen Wahlkampf zur Verfügung, und als er stalten und dem schon seit 1869 von ihm in diesem Kampfe ruhmvoll unterlegen, trat geführten Präsidat der diesen wie dem ge- er mit wo möglich noch größerm Eifer für sammten Schulwesen vorgesetzten Ober- die dann in der Stichwahl glücklich durch- schulbehörde. Von jeher ein Freund und Be- gesetzte Erwählung seines Mitcandidaten förderer aller geistigen Bestrebungen, war er Woermann im dritten Wahlkreise ein. In je- ein besonders passender Vertreter der vielfa- nen Tagen erwarb sich der liebenswürdige, chen, zum Ressort jener Behörde gehörigen unerschrockene und von echtem Patrio- Bildungsstätten unserer Stadt. Daneben tismus durchglühte Mann herzliche Zunei- aber fungirte er schon seit 1868 in regelmä- gung in den weitesten Kreisen unserer Be- ßigem Turnus als erster resp. zweiter Bürger- völkerung und anerkennende Achtung auch meister. Mit welcher wahrhaft edlen Wür- in den Reihen seiner politischen Gegner.“684 de, mit welchem staatsmännischen Takt und ··································································· mit welch’ liebenswürdiger Anspruchslosig- Hier lässt ein Wort aufmerken, dessen in- keit er dieses hohen Ehrenamts gewaltet, flationäres Vorkommen eine auffallende Be- wird Allen, die je das Glück hatten, einer sonderheit der Melle’schen Nekrologe ist: seiner fein durchdachten, geistreichen und die Besungenen teilen allesamt die Gemein-

| 216 | samkeit, gute Patrioten (gewesen) zu sein. ··································································· Dafür gibt es zwei Erklärungsangebote: Ent- Der Kommentator hamburgischer weder sie waren es tatsächlich in ihrer Ge- Angelegenheiten sinnung oder als Mitglied der Patriotischen ··································································· Gesellschaft – oder sie wurden es (unge- Öffentlicher Raum fragt) unter dem Federstrich Werner von ··································································· Melles. Zusammengenommen ergeben die- Ob nun ADB-Artikel oder Nekrolog, ob se Totengesänge ,hervorragender hamburgi- Behandlung von staatsrechtlichen oder ar- scher Persönlichkeiten‘ jedenfalls gewisser- chitektonischen Fragen: der Verfasser suchte maßen auf einer höheren Ebene eine patrio- in allen seinen Schriften die Gegenstände in tische Gesellschaft seligen Angedenkens. ihren historischen Zusammenhängen auf Selbst ein Zugezogener, dem „das öffentli- und fasste mögliche Anschluss- und ,Sys- che Leben der alten Hansestadt […] lange temstellen‘ ins Auge. Die Zeitungsartikel vor der Verfassungsrevision von 1859 […] führen vor, wie der nicht namentlich zeich- recht seltsam und über die Maßen altväte- nende Redakteur pflichtbewusst und durch- risch vorkommen mochte“, schaffte es in aus lustvoll sein reflektiertes Verständnis von den illustren Kreis. Voraussetzung dafür war Presse-Arbeit, das er später ausführlich in Max Theodor Hayns bedingungsloser Ein- den Jugenderinnerungen erläutern sollte,687 satz für das Wohl der ihn beheimatenden in die Textspalten übersetzte, indem er kon- Stadt: „Wir würden den Leser ermüden, tinuierlich Neues anzustoßen versuchte,vi- wollten wir an der Hand von mehr als 30 sionäre Vorstellungen entwickelte, konkrete Staatskalendern alle die verschiedenen, grö- Zielvorgaben entwarf, auf Mängel und Be- ßeren und kleineren Aemter aufzählen, die darfe hinwies. er im Wechsel der Jahre bekleidet“ – mit ··································································· sämtlichen Zwischenstufen von der Baude- Den Ausführungen zum ,öffentlichen putation über die Finanzdeputation bis zur Raum‘ lag jenes schon mehrfach erwähnte „Militärcommission“685 – heißt es da. Und charakteristische Selbstbewusstsein des ei- weiter: „Er scheute nicht die Mühe, sich in nerseits in der Stadtgeschichte Verankerten, dies eigenartige Verfassungs- und Verwal- andererseits qua Stellung zum Chronisten tungsleben hineinzufinden, denn er hatte und Kommentator Bestellten zu Grunde, seine zweite Vaterstadt lieb gewonnen und“, dem die Druckerschwärze des etablierten jetzt kommt das Stück staatskundlicher Nachrichtenblattes eine gewisse Deutungs- Nachhilfe mit einem Appell in Richtung hoheit verlieh. Als Schöpfer und Autor der bürgerlicher Rechte und Pflichten in der Rubrik „Hamburgische Angelegenheiten“, hanseatischen Selbstverwaltung, die sich der die er Hartmeyer (in Nachahmung einer Nekrologist dann doch nicht verkneifen gleichlautenden Rubrik im Hamburgischen konnte: „er gehörte nicht zu denen, welche Correspondenten) noch vor seiner Festanstel- die Vortheile unseres Gemeinwesens gern lung vorgeschlagen hatte und die ein- bis entgegennehmen, sich aber engherzig zu- zweimal die Woche in dem Blatt erschien, rückziehen, wo es gilt, auch mit Zeit und unterbreitete von Melle Vorschläge bei- Kräften an den Lasten, die es dem Bürger spielsweise zur Gestaltung des öffentlichen auferlegt, theilzunehmen“.686 Raums. Darunter finden sich Überlegungen

| 217 | zur Umgestaltung der Alsterufer 688 genauso enden: sollten „von sachverständiger Seite wie solche zur Schaffung Oeffentliche[r] Park- Bedenken entgegenstehen, so bescheiden anlagen689, die der ungeduldige Zeitungs- wir uns gern“ – meist gefolgt von einer an- mann im sich eher zögerlich der Moderne deren Formel: „Bestimmte Vorschläge in öffnenden Hamburg gerade im (internatio- dieser Angelegenheit zu machen, ist ja auch nalen) Vergleich zu anderen modernen Me- unsere Sache nicht. Nur möchten wir den tropolen schmerzlich vermisste und deshalb Wunsch aussprechen, daß die große Bedeu- der Stadt unter argumentativer Vorweg- tung öffentlicher Parkanlagen, wie sie in an- nahme aller Einwände als dringendes De- deren Städten bestehen und ein Segen für siderat ins Stammbuch schrieb: „Doch, so die Bevölkerung sind, bei uns nicht ganz au- wird man uns vielleicht entgegnen, ange- ßer Acht gelassen werden“.690 nommen, das sei Alles richtig, was hilft es ··································································· darüber zu klagen, da es doch nicht möglich Gestaltung des öffentlichen Raums ist, einen öffentlichen Park und noch dazu ··································································· einen großen öffentlichen Park bei uns zu Bei dem oben angesprochenen Oberinge- schaffen? Wir entgegnen darauf, das dies nieur handelte es sich um Andreas Meyer, freilich recht schwer, aber doch wohl nicht der zwischen 1872 und 1901 maßgeblich das gradezu unmöglich wäre.“ So wäre beispiels- Erscheinungsbild von Hamburg prägte – weise „immerhin denkbar, daß in etwas wei- Vetter übrigens der Meyer-Brüder Eduard terer Entfernung von der Stadt ein entspre- (Althistoriker) und Kuno (Keltologe). Sei- chendes Stück Land reservirt oder erworben ner „besonderen Verdienste“ gedachten die werden könnte, etwa auf dem Wege nach Hamburger Nachrichten wenige Monate zu- dem ja schon jetzt durch eine Pferdebahn vor „bei Gelegenheit seines Amtsjubilaeums und vermuthlich später auch durch eine auch an dieser Stelle mit Ehren“.691 Außer- Eisenbahn mit der Stadt verbundenen Cen- gewöhnliches, betont der Artikel über Ober- tralfriedhof in Ohlsdorf“. Andernfalls be- ingenieur F. Andreas, habe der Johanniter in stünde ja auch die Möglichkeit, „doch we- seiner Vaterstadt geleistet, die allerdings ih- nigstens einige der in der nächsten Um- rerseits auch ihm viel geboten hätte, „denn gebung der Stadt gelegenen Wiesenflächen, für einen unternehmungslustigen Inge- anstatt dieselben allmählig zu Bauzwecken nieur, der, wie er, auch die umfangreichen zu verwenden, durch Anpflanzung von Bäu- Gebiete des Hoch- und vor allem des Was- men in kleinere Parks um[zu]wandeln“. Bei- serbaues mitbeherrschte, mußten der Hafen nahe beiläufig brachte der Autor eine „ziem- des ersten Seeplatzes auf dem Continent, die lich öde, das Auge wenig erfreuende Fläche“ alte von zahlreichen Wasserläufen durchzo- aus nächster Nachbarschaft ins Spiel, die gene Stadt mit ihren mehr als 100 Brücken „von einer geschickten Hand wie der unse- und die sie in weitem Kreise umgebenden, res Oberingenieurs ohne allzu große Kos- mit ihr allmählich zu einer modernen Groß- ten“ gestaltet werden könnte – gemeint war stadt zusammenwachsenden Vororte ein be- das „Wiesenterrain vor dem Lübeckerthor“. sonders interessantes und vielseitiges Ar- Dieser Art Rhetorik eignet ein Bescheiden- beitsfeld“ werden. Unter den vielen Strom-, heitsgestus, mit dem fast alle fordernden Hafen-, Straßen- und Brückenbauten sowie Texte über Hamburgische Angelegenheiten Gartenanlagen, „die er hervorgezaubert“

| 218 | und „Festdecorationen, die unter seiner Durchführung dieser Arbeiten in erster Li- Anleitung entstanden“ seien, feiert diese nie verdankt, zeigt sich aber nicht nur im Laudatio besonders zwei schöpferische Ta- neuen Freihafengebiet, sie tritt auch überall ten: „die landschaftliche und künstlerische in der inneren Stadt und ihrer nächsten Umgestaltung unserer öffentlichen Anlagen Umgebung, in den zahlreichen Brücken, und Plätze und die großartigen Zollan- Gittern, Candelabern, Wartepavillons, den schlußarbeiten“, die den Laudator dazu ver- geschmackvollen Anlagen an der Außenals- leiten, noch einmal grundsätzlich zu werden: ter, an dem Wall und an anderen Orten her- „Der Zollanschluß wird voraussichtlich eine vor. Wohl hat Hamburg ein Recht, auf diese neue Epoche in der Entwicklung Ham- Leistungen und ihren Schöpfer, den genia- burg’s eröffnen. Um ihn durchzuführen, be- len Oberingenieur Andreas Meyer, stolz durften und bedürfen wir noch heute her- zu sein. Ist es doch auf diesem Gebiete in vorragender Männer – eines alle Interessen den letzten Jahrzehnten anderen Großstäd- unseres Handels sorgfältig erwägenden und ten mit rühmlichem Beispiel vorangegan- berücksichtigenden Staatsmannes wie Bür- gen.“693 germeister Dr. Versmann, der, unterstützt ··································································· von dem sachkundigen Senats-Secretär Roe- Bautätigkeit: Rathaus, Museen, Brücken, loffs, nicht nur die Verhandlungen mit dem Speicherstadt Reiche geleitet, sondern auch die Grund- ··································································· züge der auf den verschiedensten Gebieten Zur boomenden Bautätigkeit der 1880er vorzunehmenden Veränderungen vorge- Jahre, über die von Melle regelmäßig von zeichnet – und eines genialen Technikers journalistischer Warte aus berichtete, ge- wie Andreas Meyer, der zusammen mit sei- hörte selbstverständlich auch alles, was sich nen Collegen vom Hoch- und Wasserbau an „baulichen Arbeiten an beiden Seiten der die ihm gestellten baulichen Aufgaben in Elbe“ tat. „Je näher der Zeitpunkt für den glänzender Weise zu lösen verstand.“692 Das Zollanschluß Hamburgs heranrückt – als drei Jahre später ausgerichtete Treffen der solcher ist bekanntlich ein vom Bundesrathe „deutschen Architecten und Ingenieure“ in festzusetzender Tag nach dem 1. October Hamburg bot dem Berichterstatter erneut 1888 in Aussicht genommen“, informierte eine Gelegenheit, am Beispiel der „umfang- 1886 ein Artikel ausführlich und detailgetreu reichen Wasser- und Ingenieurbauten, wel- über die Vorbereitungen für den Zollan- che der commercielle und maritime Auf- schluß,694 „desto mehr muß sich das Inte- schwung Hamburgs nach sich gezogen hat“, resse des Publikums den bis dahin zu erledi- auf Meyer und die schon immer eng mit der genden umfangreichen Vorarbeiten zuwen- politischen Entwicklung verzahnte Bedeu- den“, die eben nicht nur baulicher Natur tung der Hamburger Stadtarchitektur hin- seien. Die „Hauptaufgabe der seiner Zeit zuweisen: „Hier handelt es sich anerkann- vom Bundesrath für den Zollanschluß termaßen um Leistungen ersten Ranges, die Hamburgs niedergesetzten Vollzugscom- insbesondere bei dem Binnenländer wohl mission“ bestehe in der „Aus- resp. Umar- Staunen zu erregen vermögen. Die geschick- beitung verschiedener, die zollamtliche Be- te Hand und das feine Kunstverständniß des handlung des Verkehrs von und nach dem Mannes, dem Hamburg die musterhafte Freihafengebiet, die Privatläger, die Organi-

| 219 | sation des Zollabfertigungsdienstes u.s.w. erfolg“ gewesen. „Es fragt sich jetzt nur, was betreffender Regulative“. weiter zu geschehen hat. Das Ausstellungs- ··································································· gebäude […] verunziert nicht nur die Ge- Lag der Sinn dieser Berichte über bauliche gend, sondern [die Ruine] setzt uns gera- Pläne und Veränderungen einerseits darin, dezu den unsere Stadt besuchenden Frem- die Bevölkerung über das Gemeinwesen be- den gegenüber in Verlegenheit […]. Das treffende Umstände bzw. Ausgaben aufzu- große Publikum und insbesondere die in der klären, mithin zur Meinungsbildung beizu- Umgegend der Moorweide Wohnenden tragen, boten sie andererseits eine öffentli- verlangen nun bekanntlich die Niederrei- che Plattform zur Auseinandersetzung und ßung der Ausstellungshalle, doch ist solche Meinungslenkung und damit Möglichkei- nach einem Senatsantrage, mit welchem ten, die entscheidenden Gremien unter sich die Bürgerschaft demnächst zu beschäf- Handlungsdruck zu setzen. So etwa gesche- tigen hat, nur mit einem beträchtlichen hen hinsichtlich der im Mai 1885 ausge- Geldopfer (72,000 M.) zu beschaffen. Soll brannten Ausstellungshalle 695, die für die diese Summe aufgewandt werden, nur um nächsten viereinhalb Jahre als Bauruine auf das Gebäude verschwinden zu lassen?“ Der der Moorweide stehen blieb. Über das von Kommentator plädierte für die Prüfung Beginn an verfehlte Projekt urteilte von durch einen bürgerschaftlichen Ausschuss Melle: „Die Ausgaben waren größer, die und verlieh seiner Hoffnung Ausdruck, Einnahmen geringer, als man geglaubt hat- „daß der bisherige Mißerfolg nicht weitere te. Ueberdies aber begann die Ausstellung- Pläne zur Befriedigung dieses Bedürfnisses halle schon vor ihrer Fertigstellung eine verhindert“, sondern „der Staat früher oder große Umpopularität im hiesigen Publikum später bereit sein wird, ein solches gemein- zu genießen, die sich dann mit der Zeit im- nütziges Unternehmen zu unterstützten“. mer mehr steigerte und später, nachdem das In einem zweiten Artikel versah von Melle Gebäude durch einen Brand theilweise zer- seine erneute Forderung nach einer Ausstel- stört worden, geradezu zu dem Verlangen ei- lungshalle größeren Stils für gewerbliche ner Niederreißung desselben führte. Die Ausstellungen in einer Großstadt wie Ham- hochgradige Unpopularität“ sei „eine von burg mit den Vergleichsdaten anderer, dem den Leitern des Unternehmens nicht ganz „Deutschen Bauhandbuch“ entnommenen unverschuldete“ gewesen, da nicht „etwas Ausstellungsbauten in den Metropolen Neues und wirklich in jeder Beziehung München (Glaspalast), Paris (Palais de l’in- Zweckentspechendes“ errichtet, sondern dustrie); Sydenham bei London (Crystal- „ein Theil des Palastes der Pariser Welt-Aus- Palace); Stuttgart (Gewerbehalle): „Auch stellung acquirirt“ und in Hamburg wieder hier liegt ein Bedürfniß“ vor, für das „die aufgebaut wurde. „Das Resultat“, klagte der Räume unseres Gewerbemuseums ebenso- Kommentator, sei als „Flickwerk“, als „Bau, wenig ausreichen wie die der Kunsthalle für der weder originell noch schön war und sich größere Gemäldeausstellungen. Für Letztere inmitten der großen Wiese, auf welcher wünscht, wie wir hören, Herr Director Dr. man ihn errichtet, doppelt seltsam aus- Lichtwark dringend entsprechende Räum- nahm“, sowohl in künstlerischer wie in pe- lichkeiten […]. Ferner wünscht der Garten- kuniärer Hinsicht „ein entschiedener Miß- bauverein eine große Gartenbauhalle, Ha-

| 220 | genbeck ein großes Local für die Vorfüh- legung des neuen Rathauses während der rung fremder Volkstypen, und ist sogar frü- Rathausfeier und Sitzung der Bürgerschaft 698 her schon an eine Verlegung des sog. Domes berichtet, über das Fortschreiten des Neu- (unseres Weihnachtsmarktes) in die Halle baus und der Fassaden des Naturhistorischen gedacht worden. […] All das läßt sich in ver- Museums 699 und über weitere Entwicklun- hältnißmäßig einfacher Weise erreichen, gen bezüglich der Gebäudenutzung der wenn es gelingt“ – jetzt folgt ein Name, der „Alten Post“, die nach dem Umzug der offenbart, wer als ehemaliger Präses der Bau- hamburgischen Postverwaltung 1887 in die deputation die zuverlässige Quelle für diese neue Oberpostdirektion am Stephansplatz ganzen Einzelheiten gewesen sein mochte, in den Besitz der Freien und Hansestadt „das Gebäude nach dem von Melle’schen Hamburg überging und als Justizgebäude in oder einem anderen Plane zweckentspre- Hamburg 700 in Aussicht genommen wurde: chend umzubauen.“696 „Der vom Senat an die Bürgerschaft gerich- ··································································· tete Antrag betr. die Umwandlung des alten Ähnlich detailreich klärte der Kommen- Postgebäudes am Gänsemarkt in Gerichts- tator hamburgischer Angelegenheiten über localitäten veranlaßt uns, zunächst kurz an weitere, der Allgemeinheit weniger bekann- die verschiedenen seit dem vorigen Jahrhun- te Einrichtungen und deren maßgebliche dert in Hamburg ganz oder theilweise zu Förderer auf. So gerieten beispielsweise 1887 Justizzwecken verwandten Gebäude zu erin- in dem Artikel Bürgermeister Kirchenpauer nern“. Die Entscheidungsfindung läge und die Commerzbibliothek 697 sowohl Auf- schließlich bei der „Bürgerschaft und vo- bau, Struktur und Funktion jener besonde- raussichtlich in erster Linie eines von ihr ren Hamburgensie als auch einer ihrer frü- niederzusetzenden Ausschusses […]. Solche heren Bibliothekare in den Fokus: „Wer in Prüfung aber ist um so nothwendiger, als der Lage ist, die Commerzbibliothek zu be- sich gegen den Antrag des Senats noch an- nutzen, der wird sich leicht von der Richtig- dere Bedenken geltend machen lassen“. keit der bei Aufstellung ihres Kataloges Auch der bauliche Sprung über die Elbe adoptirten Principien überzeugen. Trotz der wird 1887 optimistisch begrüßt: „Nicht lan- mehr als 50,000 Bände, welche diese, von ge wird es mehr dauern, so wird sich in den Einheimischen und Fremden viel in An- neuen Anlagen an beiden Seiten ein reges spruch genommene Bibliothek jetzt um- Leben entfalten und ein lebhafter Verkehr faßt, kann man sich leicht in den gedruck- herüber- und hinüberfluthen. Dann wird ten Katalogen orientieren, und erhält man man die große Bedeutung der neuen Elb- meist überraschend schnell das Gewünsch- brücke, durch die die Inseln drüben ge- te. Ist Letzteres mit ein Verdienst des jetzi- wissermaßen zu einem Theil der Stadt gen Leiters der Bibliothek, Dr. Matsen, und Hamburg geworden sind, erst recht erken- seiner wohlgeschulten Hülfskräfte, so haben nen, und wer sich dann, auf jener Brücke wir Ersteres, wenn auch nicht allein, so doch stehend, der Zeiten des vorigen Jahrhun- wohl in erster Linie Kirchenpauer zu ver- derts erinnert, der mag über den Wechsel danken.“ staunen, der sich seitdem an den Ufern des ··································································· Elbstromes vollzogen hat.“701 Apropos: von Im Mai 1886 wurde über die Grundstein- der Elbe zur Alster – den Verkehrsmitteln

| 221 | Hamburgs 702 widmete die Rubrik kurze Zeit dem Harvestehuder Ufer vor. Die große Flä- später einen eigenen Artikel, dessen Einstieg che der Außenalster, so schön sie ist, und so in seiner poetischen Qualität eher einen sehr sich Jeder täglich an derselben erfreuen Städtereisebericht im Stile der Schilderungen wird, trennt die Bewohner der an den bei- aus Holland erwarten lässt als eine Bestands- den Ufern befindlichen Vororte in recht aufnahme der Hamburger Verkehrssitua- empfindlicher Weise von einander. Kann tion: man nun aus ästhetischen und anderen ··································································· Gründen wohl keine Brücke von einem ,Communication‘ und Verkehr Ufer zum anderen schlagen, so muß min- ··································································· destens für einen prompten Verkehr herüber „Seit Jahrzehnten ist Hamburg in die und hinüber gesorgt werden, was sich vo- Reihe der modernen Großstädte getreten. raussichtlich am besten, wie in der Inselstadt Weit über die ehemaligen Festungswälle hi- Stockholm, durch kleine, permanent mit naus hat das städtisch bebaute Terrain sich größter Schnelligkeit hin und herschie- ausgedehnt; Vorort reiht sich an Vorort, und ßende Dampfböte beschaffen ließe.“ Der immer größer werden die Entfernungen, Verfasser – Sohn des bis einschließlich 1884 welche die Wohnung des Einzelnen von der Baudeputation Vorsitzenden – zeigt sich dem Geschäftsviertel wie von den Wohnun- als skeptisch, aber gut informiert, wenn er gen Anderer trennen. Es ist dies ein noth- im Folgenden auf die Vorgeschichte einer wendiger Nachtheil jeder Großstadt, den Bahnlinie anspielt, die als Dampfbahn 1883 man bei den erheblichen Vortheilen, welche im ersten Entwurf von Oberingenieur letztere in anderer Beziehung bietet, wohl Meyer und der Hamburger Baudeputation mit in den Kauf nehmen kann. Indeß ist es angelegt war, während im zweiten Entwurf andererseits gewiß nicht unberechtigt, wenn – 1884 war der Konkurrenz-Vorschlag einer man den Wunsch ausspricht, daß diesem Hängebahn (Schwebebahn) eingereicht Nachtheil mehr, als es bisher in Hamburg worden – eine Ring-Bahn projektiert wurde geschehen, durch Verbesserung der Com- (die 1912, nach sechs Jahren Bauzeit zwi- municationsmittel entgegenwirkt werden schen Barmbek und Rathausmarkt als dritte möge. Unsere öffentlichen Verkehrsmittel, U-Bahn des Deutschen Kaiserreichs eröff- die Droschken, Pferdebahnen, Omnibusse, net werden sollte): „Ob Hamburg früher Dampfschiffe, genügen nach verschiedenen oder später die Communication zwischen Richtungen hin den an sie zu stellenden An- den verschiedenen Stadttheilen und Voror- forderungen noch nicht.“703 „Insbesondere“ ten auch durch Eisenbahnen zu vermitteln – hier scheint von Melle in eigener Sache versuchen wird, steht zur Zeit noch dahin; zu argumentieren, bezeichnen doch die ge- doch hoffen wir, daß mit der Zeit eine mög- nannten Koordinaten die Wohnorte der lichst practisch angelegte Ring-Hochbahn, jungen Familie von Melle (Holzdamm/ die man ja jetzt einer unterirdischen, wie der St. Georg) und der der Eltern (Alsterterras- Londoner, allgemein vorzuziehen scheint, se/Rotherbaum am Harvestehuder Ufer) – geschaffen werden wird; denn nur durch ein „liegt ein dringendes Bedürfniß für eine solches schnelles Verkehrsmittel würde den oder eigentlich für zwei ständige Fährver- jetzigen Communicationsschwierigkeiten bindungen zwischen dem St. Georger und in unserer Stadt radical abgeholfen.“

| 222 | ··································································· Hamburgische Geschichte, so mag derselbe Vereinswesen einer glücklichen Zukunft entgegensehen.“ ··································································· ··································································· Zu den hamburgischen Angelegenheiten Kunsthalle gehörte auch das, was sich im städtischen ··································································· Vereinswesen tat; berichtet wird über ent- Zum Ausgangspunkt für einen Modernisie- scheidende Gelenkstellen: Feierlichkeiten, rungsschub der Kunsthalle wurde der Tod Neuerwerbungen, Wahlen und Jubiläen, des ehemaligen Kunsthändlers und Verwal- etwa Zum 50jährigen Jubiläum des Vereins ters des Kupferstichkabinetts, Inspektor für Hamburgische Geschichte 704. Auf das Christian Meyer. Am 26. Februar 1886 traf übliche Muster einer Darstellung der (im die Kommission für die Verwaltung der Vormärz einsetzenden Vereins-)Geschichte Kunsthalle die Entscheidung, einen haupt- folgte eine Erläuterung bisheriger und zu- amtlichen wissenschaftlichen Direktor ein- künftiger Aufgaben. Von Melle stellte recht zustellen und veranlasste eine öffentliche präzise Ansprüche und programmatische Stellenausschreibung. Im Dezember 1886 Erwartungen an den neu zu wählenden Vor- resümieren die Hamburger Nachrichten zu- sitzenden: „Ein solcher würde voraussicht- frieden und stolz zur Wiedereröffnung der lich die geeigneten Kräfte für die wün- Kunsthalle: „Das Jahr 1886 wird in der Ge- schenswerthen Detailforschungen um sich schichte unserer Kunsthalle wie der Ham- zu gruppiren vermögen und zugleich dafür burgischen Kunstpflege überhaupt stets mit Sorge tragen, daß nicht allzu einseitig die Ehren verzeichnet werden, denn in ihm Zeiten der Hanse und die topographischen ward unserer bisher außerhalb Hamburgs Forschungen, sondern daß auch die neueren kaum beachteten städtischen Gallerie die Zeitalter und daß vor allem das Gesammt- überaus werthvolle, auf dem Continente bild und die Hauptzüge unserer hamburgi- geradezu ein Unicum bildende Gemälde- schen Entwickelung in’s Auge gefaßt wür- sammlung neuerer englischer Meister ein- den. Ein Gelehrter allein genügt jedenfalls verleibt, die wir der Großmuth unseres nicht; es muß ein Mann sein, der seine Ge- nunmehrigen Ehrenbürgers Schwabe in lehrsamkeit zu popularisiren versteht, der London verdanken“.705 Hier finden sich zu- nicht nur in einer fernen Vergangenheit zu sätzlich Informationen über den im Jahr zu- Hause ist, sondern der auch mit beiden Fü- vor erweiterten Aus- und Umbau und über ßen inmitten des modernen Lebens der Ge- die jüngst „erfolgte Berufung eines kunstge- genwart steht, von dem da gilt, was einst an lehrten Direktors“. Auch dieser Artikel folgt dem Sarge Wurms gesprochen worden: ,Er dem wohlbekannten historischen Muster: verstand es die Wissenschaft in das Leben „An einem solchen denkwürdigen Tage“, einzuführen und für das Leben fruchtbar zu „mit dem zugleich auch die eigentliche Thä- machen; die gelehrte Quellenforschung ge- tigkeit des vor kurzem hierher übergesiedel- nügte ihm nicht; Urkunden und Chroniken ten Director Dr. A. Lichtwark beginnt“, „ge- boten ihm nur den Stoff, den sein Scharf- ziemt es sich wohl, zunächst einen Blick in blick zu durchdringen, sein Geist zu beleben die Vergangenheit zu werfen, auf die vier verstand.‘ […] Tritt über kurz oder lang ein Jahrzehnte umfassende Geschichte unserer solcher Mann an die Spitze des Vereins für städtischen Gallerie“, die einen typischen

| 223 | Entwicklungsverlauf von einer privaten Ini- mehr als bisher auf die Reize unserer Stadt tialzündung (1815: ein Kreis „kunstsinniger“ und ihr aufstrebendes Kunstleben zu len- Männer; 1822: Gründung des Kunstvereins) ken. Endlich aber wird diese Sammlung spä- bis hin zur Übernahme einer erfolgreichen teren Zeiten ein werthvolles Material für die Institution in die Obhut des Staates (1866) Kenntniß unserer so schnell zu Vergangen- nachzeichnet: „Die öffentliche Gemälde- heit werdenden Gegenwart sein. Wie wür- sammlung Hamburgs verdankt, wie so den wir uns glücklich schätzen, besäßen wir manches Andere, was hier im Laufe der Zeit ähnliche Bilder aus früheren Jahrzehnten. in’s Leben gerufen ist, ihre Entstehung nicht Sorgen wir also dafür, daß unseren Nach- staatlicher Munificenz, sondern der Initia- kommen ein anschauliches Bild unserer Zeit tive wohlhabender, patriotisch gesinnter erhalten bleibe, ein Bild, das diese Zeit in Bürger.“ An verschiedenen Stellen und noch mancher Beziehung lebensvoller und cha- in den Jugenderinnerungen legte von Melle rakteristischer wiederspiegeln [!] mag, als seine Überzeugung dar, im März 1886 durch noch so viele trockene Notizen in überdies den Artikel Die Zukunft unserer Kunst- dem großen Publikum vielleicht unzugäng- halle 706 selbst eine entscheidende Rolle bei lichen Archivakten.“ der Einrichtung einer zu bewilligenden Di- ··································································· rektorstelle und der Berufung Lichtwarks Der stolze Patriot gespielt zu haben – somit ein nicht unwich- ··································································· tiges Rädchen im Schaltgetriebe der Ham- Dass die lokalen Angelegenheiten dem Ver- burger Kulturgeschichte gewesen zu sein:707 fasser der Rubrik am Herzen lagen, ist den „Als vor etwas mehr als drei Jahren der bis- einzelnen Berichten über die höchsten Gre- herige erste Beamte unserer Kunsthalle ver- mien der Stadt, über Entscheidungen, Ge- storben war, betonten wir, daß es aus einer setze, Diskussionen, Veränderungen, die Reihe von Gründen nothwendig sei, an die den Senat und die Bürgerschaft betrafen, Spitze dieses Kunstinstituts nunmehr einen über die Entwicklungen der (wissenschaft- kunstgelehrten Director zu stellen. Von ver- lichen) Institute und Institutionen, über schiedenen Seiten ward uns zunächst wider- Gebäude, Museen, Sammlungen und Ver- sprochen. Doch wurde dann auf das Betrei- eine, über Würdigungen von Senatoren und ben der Kunsthallenverwaltung ein unseren Prominenten abzulesen, die – eingebettet in Wünschen entsprechender Senatsantrag ge- den politisch erweiterten Kontext und man- stellt und von der Bürgerschaft bereitwillig nigfach aufeinander verweisend – zusam- genehmigt. Wie folgenreich dieser Beschluß mengenommen ein recht homogenes und von Senat und Bürgerschaft gewesen, das ist aufschlussreiches Zeitmosaik ergeben. Die allen Kunstverständigen und Kunstlieben- Dokumentation ist zuverlässig, der einge- den in unserer Stadt bekannt“, heißt es bei- nommene (patriotische) Standpunkt nicht spielsweise 1889 in einem Artikel über eine verschleiert, auch vergaß der Chronist nie Ausstellung Hamburger Landschaftsgemäl- die (selbstgestellte) Aufgabe, den Staat an de.708 Nach Einschätzung des Berichterstat- seine, die Hamburger Bürger an ihre Aufga- ters werde die Sammlung von Hamburger ben und Pflichten zu gemahnen, was in im- Landschaftsmalerei mit „dazu beitragen, die mer wiederkehrenden Schlagworten, Paro- Aufmerksamkeit auch der Nichthamburger len und Erklärungen geschah. Der Artikel,

| 224 | Spitz-Verdachungs-Figuren am Hamburger Rathaus: Bürgerschaftspräsident Otto Mönckeberg (links) mit Glocke und Gesetzesvorlage und Bürgermeister Carl Petersen (rechts) als Schutzheiliger mit der Miniatur des Regierungshauses im Arm der Anfang Mai 1886 unter dem Titel Rath- den ganzen Rathhausmarkt und die angren- hausfeier und Sitzung der Bürgerschaft 709 bei- zenden Straßen erfüllenden Menge das von spielsweise „die Legung des Grundsteines dieser erwartete Zeichen für ein allgemeines, für das neue Rathhaus“ zum „Hauptereig- donnerndes Hoch auf Hamburg gab. Ein niß der letzten Woche“ erklärte, brachte in solches Hoch würde allerdings ein trefflicher verschiedenen Wendungen wieder einmal volksthümlicher Abschluß der Feier gewe- das Verhältnis von Hamburg zum Reich sen sein.“ Weiter heißt es über den Verlauf: aufs Tapet: „Der Hamburgische Patriotis- „Dem würdigen Präsidenten und zweitältes- mus, der, wie es sich gebührt, stets neben ten Mitgliede des Senats gegenüber vertrat dem Reichspatriotismus seinen Platz be- der nach ihm das Wort ergreifende Präsi- hauptet hat, fand hier einmal wieder eine dent der Bürgerschaft, Dr. Mönckeberg“, günstige Gelegenheit, um mehr als es sonst des Berichterstatters Schwager, „die jüngere in unserer vielgeschäftigen Stadt üblich ist, Generation. Er erklärte mit großem Nach- in den Vordergrund zu treten“ – wenn auch druck, daß die Bürgerschaft der soeben an nicht ganz ungetrübt, wie der Berichterstat- sie ergangenen ernsten Mahnung zur Ein- ter etwas missbilligend mit Seitenblick auf tracht stets eingedenk sein werde, und legte die Organisation des Ereignisses vermerkte, dann ,Angesichts der neuen Generation, die indem er das „lebhafte Bedauern“ doku- heranwachsen wird‘ das Gelöbniß ab, auch mentierte, „welches Viele darüber empfan- in Zukunft die althamburgischen Bürgertu- den, daß man nicht vom Festplatz aus der genden als Erbtheil zu bewahren. Gleichzei-

| 225 | Architektonisch „eingeschriebene Patrioten“ – Medaillons in der Hamburger Rathaus-Diele: Hermann Baumeister, Justus Brinckmann, Johannes Bugenhagen, Johann Klefeker, Johann Carl Knauth, Alfred Lichtwark, Michael Richey, Gabriel Riesser, Isaac Wolffson und Christian Friedrich Wurm tig aber betonte er anderseits auch mit Recht rüber zu berichten) pflegte, um ein gewisses die Nothwendigkeit einer freiheitlichen Maß an Transparenz aufrechtzuerhalten, das Fortentwickelung. ,Bemühen wir uns‘, sagte durch die seit der Verfassungsform gewähr- er, ,auf der Basis unserer Verfassung für eine leistete öffentliche Debatte, Protokollierung gesunde freiheitliche Entwicklung unserer der Geschäftsgänge und die Berichterstat- Vaterstadt zu sorgen und unter Festhalten tung in der Presse über die Sitzungen und ihrer Eigenart den wechselnden Anforde- das Abstimmungsverhalten erzeugt wurde.710 rungen der Zeit gerecht zu werden.‘ In die- ··································································· sen Worten ist die von Hamburg zu verfol- Der konservative Patriot: Hetze gende Politik sehr richtig vorgezeichnet.“ gegen die Sozialdemokratie Dieser zufriedenen Bekräftigung folgte noch ··································································· eine kurze Zusammenfassung von der im Die politische Orientierung eines Teils der Anschluss öffentlich abgehaltenen Bürger- großbürgerlichen Wirtschaftskreise Ham- schaftssitzung, welcher der Redakteur bei- burgs änderte sich in der Zeitspanne zwi- wohnte, wie er es sonst auch zu tun (und da- schen 1871 und 1886 etwa analog zur zeitglei-

| 226 | chen Entwicklung in den Hamburger Nach- ab, der im Mai 1878 dem Bundesrat vorlag richten: „Seit Gründung des Reichs war die (und bekanntlich scheiterte), unter anderem Zeitung gegen den hamburgischen Parti- mit Verweis auf den Ausnahmegesetzcha- kularismus aufgetreten. Bis 1879 war das rakter und Zweifel an der Wirksamkeit und Blatt linksnationalliberal und freihändle- Spekulation über den eigentlichen Zweck. risch. Nach Inaugurierung der Schutzzoll- Noch lautete zwar das Urteil der Hambur- politik und nach Eintritt des politischen Re- ger Nachrichten, man werde „außer auf der dakteurs Dr. Hermann Hofmann tendierte conservativen Rechten keinen politisch den- das Blatt weiter nach rechts, so daß es in den kenden Kopf finden, der sich von einer sol- 80er Jahren rechtsnationalliberal-freikonser- chen Rechtlosmachung einer Partei“ Erfolg vativ war.“711 Vormals freihändlerischer Strei- verspreche; der Hamburgische Correspondent ter für die Hamburger Souveränität, in- setzte nach und fragte unter Bezug auf die zwischen überzeugter Anhänger der Freiha- Gesetzesvorlage wegen der darin festgeleg- fen-Konstruktion und Vermittler zwischen ten Kompetenzen nach der Selbstständig- hamburgischem Partikularismus und dem keit der Einzelstaaten: „Fällt die Zwischen- Reichsgedanken, hatte Werner von Melle instanz der Landesbehörden dabei ganz 1886 als neues Redaktionsmitglied der re- weg?“713 – er befürchtete als Reaktion auf nommierten Zeitung freilich auch der Unterdrückung einen (nicht intendierten) parteipolitischen Erwartungshaltung ihrer Solidarisierungseffekt mit der Partei. Beide Abonnenten Rechnung zu tragen. Dies Zeitungen lehnten Versammlungs-, Presse- scheint von Anfang an und selbst in Bezug und Vereinsverbote ab, da sie einerseits die auf den zunehmend rigider werdenden Um- Wirksamkeit der angedrohten Repressionen gang mit der Sozialdemokratie keineswegs bezweifelten, andererseits vermuteten, dass seinen eigenen Interessen widersprochen zu ohnehin gerade nicht der Kampf gegen die haben. Parallel zum wirtschaftspolitischen Sozialdemokratie, sondern Bismarcks Ab- Kurswechsel der Reichspolitik in Richtung sicht, „mit den Liberalen zu brechen, um Schutzzoll und damit zu einer Abkehr vom mit den Konservativen zusammen eine wirt- wirtschaftlichen und politischen Liberalis- schaftspolitische Wende herbeizuführen, da mus – seit Mitte 1878 offensiv betrieben mit beide dem liberalen Prinzip die Schuld an den über die Presse lancierten Vorstößen in der gegenwärtigen Depression aufbürde- Richtung der freien Hafenstädte Hamburg ten“, heimlicher Grund für die Vorlage sei. und Bremen – gewann der innenpolitische Die erste Ablehnung wurde von den Zeitun- Kampf gegen die als ,unberechenbar‘ und gen entsprechend als Sieg des Rechtsstaates ,revolutionär‘ ausgemachte sozialdemokra- gefeiert, selbstbewusst wurden die ,falschen‘ tische Gefahr zunehmend an Kontur. Auch Mittel zur Bekämpfung des Sozialismus ge- wenn sich die Hamburger Nachrichten im ächtet – doch dann passierte das zweite At- Gegensatz zur Reform und zu dem Hambur- tentat auf den Kaiser: Die Hamburger Nach- gischen Correspondenten in direkter Reaktion richten folgten den ausgestreuten Gerüch- auf die Attentate gegen die Partei ausspra- ten, indem sie zwischen dem Täter und den chen,712 lehnten doch alle drei Zeitungen sozialdemokratischen Ideen einen morali- Repressivmaßnahmen wie den Gesetzent- schen Zusammenhang herstellten;714 der wurf zur Bekämpfung der Sozialdemokratie Hamburgische Correspondent schlug eben-

| 227 | falls neue Töne an. Die Reichstagsauflösung einem der wichtigen Zentren der sozialisti- wiederum wurde geschlossen von den Ham- schen Arbeiterbewegung wurde und bis burger Zeitungen als Vorwand für Bismarcks zum Einbruch der ,Großen Depression‘ und Suche nach neuen parlamentarischen Mehr- Inkrafttreten der Sozialistengesetze auch heiten im Sinne der angedeuteten wirt- Sitz der meisten Gewerkschafts(vereini- schaftspolitischen Wende gewertet.715 Der gungs)vorstände war, lässt sich durch die Hamburgische Correspondent befand sich im komplexe Unternehmens- und Gewerbe- Zielkonflikt: „Die liberale Abneigung gegen struktur im Hamburger Hafen erklären Ausnahmegesetze ist voll berechtigt; aber (Schiffbauindustrie und Baugewerbe; harte das realpolitische Denken kann es doch nur Arbeitskämpfe im Hafenbetrieb). Auch naturgemäß finden, daß exceptionelle Er- wenn Hamburg 1875 bei dem ersten Partei- scheinungen auch exceptionell behandelt tag in Gotha um die 17 Prozent der reichs- werden“,716 und gab andererseits zu beden- weiten Mitgliedschaft stellte, verwundert ken, dass die „Niederhaltung der socialen die Entscheidung, den Vorstand der Sozia- Revolution auf die Dauer nur möglich sein listischen Arbeiterpartei ausgerechnet in ei- wird, wenn sie mit der socialen Reform ner Stadt zu lokalisieren, in der, wie schon Hand in Hand geht“.717 Dagegen vermie- erläutert, die Arbeiterschaft aufgrund des den die Hamburger Nachrichten „jede grund- beschränkten Wahlrechts keine politische sätzliche Diskussion um ein Ausnahme- Stimme hatte (und somit bis 1901 keinen so- gesetz“ und konzentrierten sich auf die zialdemokratischen Bürgerschaftsabgeord- „Sammlung der bürgerlich-liberalen Kräfte neten). Der Hamburger Staat hatte aus ver- gegen die Feinde von links und rechts unter schiedenen Gründen ein – im Vergleich zu Hintanstellung aller Differenzen in Einzel- anderen Bundesländern – recht differenzier- fragen“. Taktisch-integrierendes Bindemit- tes Verhältnis zur Arbeiterbewegung. Der tel war das viel beschworene, gemeinsame gemeinsame Gegner Preußen und die ,Ge- Eintreten für den Fortbestand der freiheitli- fahr der Verpreußung‘ führten sogar zu chen Grundordnung. – Diese (nationallibe- zeitweiligen Allianzen. Eine gewisse Rolle rale) Orientierung war auch zehn Jahre spielte dabei das zeitlich offenbar zufällige später noch erkennbar, inzwischen aber stär- Aufeinandertreffen von (preußischen) Be- ker nach rechts gewendet. Die Hamburger gehrlichkeiten (1) im Schlepptau von Bis- Nachrichten, allen voran der neue Redakteur marcks Hinwendung zur Schutzzollpolitik, Werner von Melle, bekämpften energisch welche die Aufgabe von Hamburgs Stellung die sozialistischen Ideen der Zeit. Doch wie forderte, und (2) in der Bekämpfung gegen kam es eigentlich dazu und welche Motiva- die Sozialdemokratie bezogen auf den Erlaß tion(en) hatte der Mitdreißiger? der Ausnahmeregel eines im Rahmen des ··································································· Sozialistengesetzes geforderten ,Kleinen Be- Hamburg und die Sozialdemokratie lagerungszustands‘ Hamburgs. Aus der Per- ··································································· spektive von Hamburger Partikularisten Hamburg und die Sozialdemokratie – of- stellten sich diese Parallelstränge als ein fenbar eine bemerkenswerte Liaison von Be- kombinierter, strategischer Versuch dar, ginn an. Dass gerade die wohlhabende von verschiedenen Seiten her in die inne- Kaufmannsstadt Anfang der 1870er Jahre zu ren Angelegenheiten eines, ihres, Bundes-

| 228 | landes einzugreifen; diese argumentative dieser auch vergleichsweise milde ange- Verschränkung konnte wiederum die Arbei- wandt, so ermöglichte er als ordnungs- terbewegung für sich nutzen. Kampagnen politische Maßnahme im Rahmen des So- gegen Hamburgs Zollanschluss, in denen zialistengesetzes die Ausweisung von 333 die partiell interessengeleitete Unterstüt- Sozialdemokraten, deren Familien zurück- zung der Wirtschaftspolitik des Senats bleiben mussten. Andererseits führte kurz durch die Sozialdemokratie zum Ausdruck darauf der 1882 einsetzende Beginn der Zoll- kam, führten zu einer punktuellen Annähe- anschlussbauten zu einem Aufschwung der rung von sozialdemokratischen sowie natio- gewerkschaftlichen ,Fachvereine‘, deren gut nalliberalen und fortschrittlichen Kreisen. verdienende Mitglieder enorme Summen Insofern lässt sich oberflächlich betrachtet für die verbotene Partei aufbrachten. Die wohl behaupten, dass hier bezogen auf die Hamburger Arbeiterbewegung, die im letz- allgemeine politische Verfolgung zu Zeiten ten Drittel des 19. Jahrhunderts dement- des Sozialistengesetzes ein – relativ – gemä- sprechend immer mehr Zulauf bekam, ßigtes politisches Klima herrschte, das sogar wurde damit zur finanziellen Stütze der So- Phänomene zeitigte wie im Februar 1885, als zialdemokraten im ganzen Reich – blieb dem Leichenzug von Senator Karl Cropp, aber weiterhin durch das lokale Wahlrecht der sich um die Krankenversicherung Ver- von der politischen Partizipation an der dienste erworben hatte, auch in seiner Kommunalpolitik ausgeschlossen. Trotz- Funktion als erster Präses der von ihm auf- dem nahmen die Stimmen bei den Reichs- gebauten Behörde für Krankenversiche- tagswahlen in allen drei Hamburger Wahl- rung, Tausende von Arbeitern folgten und kreisen für die ,illegale Gruppe‘ kontinuier- ein Sozialdemokrat am Grabe des Verehrten lich zu, da die Reichskandidatur nicht über sprach.718 Im Vergleich zu Preußen agierte die Partei, sondern über die Person lief. mit Georg Ferdinand Kunhardt hier ein Während also einerseits das politische Inte- eher liberaler Polizeisenator, der sich der resse der Arbeiter wuchs, sank es anderer- Reichsregierung gegenüber distanziert ver- seits beim Mittelstand. Grund dafür war die hielt und offenkundig vermittelnde Spiel- mangelnde Attraktivität des Bürgerrechts, räume auszunutzen versuchte. Damit ist weil dessen Erwerb nicht mehr Vorausset- keineswegs eine Verharmlosung des (repres- zung dafür war, in Hamburg ein Geschäft siven) Treibens der Kriminalpolizei (oder betreiben zu können. Überlegungen, das auch der politischen Polizei) gemeint. Auch Wahlrecht mit einer Wahlpflicht zu verbin- die Hamburger Überwachung existierte, es den, erwiesen sich als problematisch, da gab Haussuchungen und Vereinsschließun- zahlreiche Bürger zu einem „Mittel gegrif- gen sowie Prozesse gegen Partei- und Ge- fen“ hätten, „das einzelne schon benutzten, werkschaftsmitglieder, sodass Partei und um die Annahme eines bürgerlichen Ehren- Gewerkschaften gezwungen waren auf Er- amts vermeiden zu können; sie blieben in satzorganisationen (z. B. ,Fachvereine‘) aus- ihrer Einkommensteuer grundsätzlich einen zuweichen. Noch dazu ließ der Senat auf Taler im Rückstand und ließen diesen Be- Betreiben von Preußen im Herbst 1880 den trag dann pfänden, so daß sie wegen des Kleinen Belagerungszustand über Hamburg Steuerrückstandes weder wählbar noch wahl- und Umgebung verhängen. Und wurde berechtigt waren“.719 In dieser merkwürdi-

| 229 | gen Gemengelage führten die drei während liert Austarierte sein Maß und in Teilen auch von Melles Redaktionszeit erfolgten Reichs- das ihm natürlich gewordene Differenzie- tagswahlen (1887 gleich zweimal und 1890) rungsvermögen. Doch das hieße, etwas sehr regelmäßig zu heftigen Wahlkämpfen und Wesentliches auszublenden. Das unerfreuli- Tumulten, die nichts daran änderten, dass che Freund/Feind-Bild, das Werner von die Sozialdemokraten einen Wahlkreis nach Melle in einer plakativen und martialischen, dem andern eroberten, bis die Wirtschafts- teils plumpen Sprache propagierte, war von metropole Hamburg 1890 schließlich drei der eingenommenen Warte aus betrachtet sozialdemokratische Abgeordnete nach Ber- relativ simpel: Reichstreue versus Umsturz; lin entsandte. Aus der Perspektive der zah- ehrbarer Großkaufmann versus (wegen po- lenmäßig kleinen politisch-führenden Schicht litischer Umtriebe) Inhaftierte; ordnungs- des Bildungs- und Wirtschaftsbürgertums liebender, patriotischer Bürger versus fana- war diese Entwicklung katastrophal, da die tischer Umsturzapostel; Vaterland versus Arbeiterschaft als ungebildeter Mob wahr- Verrat an die Internationale. genommen wurde, der mit seinen sozialen ··································································· Forderungen das so schön geordnete Ge- Doch auch hier ist zu berücksichtigen, dass meinwesen mit revolutionärem Umsturz der 33-Jährige Kind seiner Zeit war, vollge- bedrohte. Entsprechend hoch und mit Ge- sogen mit den Lebensgeschichten seiner töse schlugen die Wogen der Wahlagitatio- Stadt, gewohnt, ihren Pulsschlag in einem nen in Versammlungen verschiedener Ver- anderen Zeitmaß wahrzunehmen, in der eine, auf der Straße (Plakatträger, Ausrufer, Lage, die – wenn auch langsame – Entwick- Zettelverteiler), in Wahllokalen und – in lungsgeschichte des Gemeinwesens liebevoll der Presse. Seit Ende 1886 ergossen über mit all ihren kauzigen Auswüchsen und kul- diese ,Hamburgischen Angelegenheiten‘ turellen wie wirtschaftspolitischen Errun- auch die Hamburger Nachrichten eindeutig genschaften zu überblicken. Dass ihm das positioniert eine Kaskade von Hetz-Artikeln arbeitsame, verantwortungsvolle und ehren- in den großen Strom der Wahlagitation.720 amtlich engagierte und selbstbestimmte – ··································································· darum eben privilegierte – bürgerliche Sein Der erhitzte Berichterstatter machte kein in der über Jahrhunderte entstandenen Hehl aus seiner Nähe zum Reichstagswahl- Ordnung natürlich und liebgeworden war, verein 1884, der „liberale[n] Sammlungsbe- wer kann es ihm verdenken, zumal unter so wegung nationalliberal-konservativer Aus- vielen Gleichgesinnten. Die diffus geschürte richtung“721 – ja, von Melle, denn um ihn Angst vor Gewalt und Anarchie, davor, dass handelte es sich, bot ihm offenbar aus tiefs- ein unberechenbares, entfesseltes Volk eine ter Überzeugung publizistisch Stimme und prinzipien- und gesetzeslose, wenn nicht gar Plattform und wurde sogar in dessen Vor- blutige Herrschaftsform etablieren könnte, stand aktiv. Für die Biographin ist dieses Ka- war tief in der Gesellschaft verankert und pitel ein ungemütliches, es wäre ihr lieber, bedrängte ganz offensichtlich auch den ju- darüber einen ähnlichen Schleier zu breiten ristisch geschulten Autor, der es doch auf- wie von Melle es selbst über sein Privatleben grund seiner Berührung mit Sozialrefor- getan hat, denn in puncto sozialdemokrati- mern und Vordenkern wie Schmoller und sche Umtriebe verlor der sonst so kontrol- von Eckardt eigentlich hätte besser wissen

| 230 | oder zumindest die ,soziale Frage‘ hätte dis- Zur Reichstagswahl 723 am 21. Februar, „wird tanzierter bedenken können sollen. Die un- es mit Freuden begrüßt haben, daß der säglichen Artikel im Zeichen der Wahlen ,Reichstagswahlverein von 1884‘ nunmehr sind aus ähnlichem Stoff wie die Publizistik in zwei Wahlkreisen Candidaten aufgestellt der ’48er-Revolution, die von Melle aus der hat, die in jeder Beziehung als würdige Re- Familienüberlieferung und vertiefter Be- präsentanten unserer Stadt bezeichnet wer- schäftigung in der Kirchenpauer-Biographie den müssen“. Einer der beiden Kandidaten genauestens kannte. Wieder war eine bevor- war der Nationalliberale Adolph Woer- stehende Wahl Auslöser für eine entspre- mann. Er, der durch sein den westafrikani- chende Agitation, und wieder wurden Wäh- schen Handel beherrschendes Geschäft, lerschichten angesprochen, deren Stimme seine Plantagen, seine Reederei-Unterneh- im ,normalen‘ Politikbetrieb nicht zählte mungen in der Kolonialpolitik mitmischen- und denen deshalb didaktisch die Hand zur de, international erfolgreiche Kaufmann, ,richtigen‘ Wahlentscheidung geführt wer- welcher den Kommissionshandel einst bei den musste. Und wieder ging es um den Emil von Melle erlernt hatte, wird den rhetorischen Kniff des begrifflich ,richti- Lesern mit viel Aplomb als „Mitglied der gen Verständnisses‘ von Größen wie Volk, Bürgerschaft, der Handelskammer und der Patriotismus und Existenz-sicherndem Han- Deputation für Handel und Schifffahrt“ del. eingeführt, der „einen großen Theil seiner ··································································· Zeit und seiner Arbeitskraft den öffentli- Die Kampagne setzte Ende 1886 mit der chen Angelegenheiten Hamburgs gewid- Aufstellung der Kandidaten für den Wahl- met“ und seit 1884 als Abgeordneter „im kampf und die Reform 722 ein: „Es gilt jetzt Al- Reichstage die Interessen der ersten Han- les daran zu setzen, um den Aufgestellten die delsstadt Deutschlands auf’s Beste vertre- Stimmen aller reichstreuen Wähler zu ver- ten“ habe. „Mögen fortschrittliche Blätter“, schaffen. Der Reichstagswahlverein hat sich heißt es weiter, „versuchen, seine aufop- an die Spitze der Agitation gestellt. Er wird fernde Thätigkeit zum Besten Hamburgs jedenfalls das Seinige thun, um das mit pa- und des Reichs zu bemängeln, keiner unse- triotischem Eifer begonnene Werk würdig rer Kaufleute, keiner der Vielen, deren Inte- zu Ende zu führen, aber er bedarf der Un- ressen mit denen unserer Kaufmannschaft terstützung der weitesten Kreise, um alle mehr oder weniger eng verknüpft sind, wird reichstreuen Wähler, um Alle, denen an der sich darüber täuschen, daß Herr Woermann Erhaltung der Wehrhaftigkeit Deutschlands im Reichstage der rechte Mann am rechten und der Sicherung des Friedens gelegen ist, Platze war. […] Wenn Herr Woermann um seine Fahnen zu versammeln, um die über commercielle Angelegenheiten das Lauen und Trägen, deren es leider in Ham- Wort ergreift, so kann er wenigstens sicher burg nur zu viele giebt, zum Kampfe gegen sein, dass er von den Collegen im Reichstage den gemeinsamen Feind, zum festen Zu- gehört wird. Schon sein Name allein nützt sammenhalten am Tage der Entscheidung dort ihm und der Stadt, die er vertritt. Da aufzufordern.“ „Jeder patriotische Hambur- er nun ferner ein ebenso intelligenter wie ge- ger“, so eröffneten im Januar 1887 die Ham- bildeter und erfahrener Mann und ein burgischen Nachrichten den Countdown schlagfertiger Redner ist, so wird man wohl

| 231 | schwerlich einen besseren Candidaten fin- unerschütterlich wie in irgend einem an- den können.“ Dem kämpferischen Aufruf dern Theile Deutschlands. […] So ist denn Zur Wahlbewegung724, der dieser Lobes- die reichstreue Bevölkerung Hamburgs in hymne in der Woche darauf mit viel pathe- gleicher Weise wie ihr bisheriger Abgeord- tischer Beschwörung des Gründungsmy- neter Woermann es in seiner patriotischen thos und der Abhängigkeit vom Reich folgt, Rede am Donnerstag gezeigt, entrüstet über ist die agitatorisch inzwischen angeheizte das Vorgehen jener Reichsmajorität“, die Atmosphäre abzulesen: „Die allgemeine Be- den Ausgaben für das Militär nur unter Ein- geisterung, mit welcher am Donnerstag schränkungen zugestimmt hatte, „und so Abend die nach Tausenden zählenden Mit- hat sie denn auch denjenigen Männern, die, glieder des ,Reichstagswahlvereins von 1884‘ wenn sie in den Reichstag gewählt werden, die beiden für den 1. und den 3. Wahlkreis der Armeevorlage ihrem ganzen Umfange aufgestellten nationalliberalen Candidaten nach zuzustimmen bereit sind, mit einem begrüßten, war ein erfreuliches Zeichen Enthusiasmus entgegengejubelt, der in einer dafür, daß man auch in Hamburg die außer- Stadt wie Hamburg, der man so oft eine gewöhnliche Bedeutung der bevorstehen- nüchterne, rein geschäftsmäßige Denkungs- den Wahlen nicht unterschätzt. Eine ähnli- art vorzuwerfen liebt, doppelt bemerkens- che, wie mit der unwiderstehlichen Macht werth ist.“ Schließlich kommt es zur Patrio- einer Naturgewalt stets auf’s Neue hervor- ten-Verschwörung: „Wohl wissen wir, daß brechende und Alles mit sich fortreißende die am Donnerstag im Sagebiel’schen Saale Begeisterung haben wir hier seit den großen versammelten Männer nur ein verhältniß- Tagen der Jahre 1870 und 71 nicht erlebt. 16 mäßig kleiner Bruchtheil der hamburgi- Jahre sind seit jenen Tagen vergangen, 16 schen Reichstagswähler sind, doch wir glau- Jahre, in welchen Hamburg Gelegenheit ge- ben, es aussprechen zu dürfen, daß die nug gehabt hat, die Segnungen des neuen gesammte, nicht hoffnungslos in Parteivor- Deutschen Reichs, den mächtigen Schutz, urtheilen befangene Hamburgische Bevöl- den ihm dasselbe daheim und – was grade kerung hinter ihnen steht, daß jeder gute für uns besonders wichtig ist – auch in fer- Patriot gerade so denkt und empfindet wie nen Landen gewährt, vollauf schätzen zu sie. […] ,Sollte die Zeit an uns die Auffor- lernen. […] Hinter dem einzelnen Deut- derung bringen, für das ganze Vaterland schen steht jetzt ein großes, mächtiges Zeugniß abzulegen, so möge unser Blick Vaterland, dessen Name Jedermann auch weit genug sein, um uns als echte Söhne des am fernsten Ende der Welt mit Achtung Vaterlands zu bethätigen.‘ Diese Worte, die nennt.“ So geht es in einem fort, trotzdem der jetzige Bürgermeister Dr. Versmann 1859 noch ein paar Beispiele dieser heroischen vom Präsidentensitze der Bürgerschaft aus Rhetorik: „Das ist die Frucht der Siege, die sprach, zu einer Zeit, in der man noch nicht unsere Brüder 1870 und 71 auf den Schlacht- wußte, ob der Traum von einem mächtigen feldern errungen. Das damals Erworbene geeinigten Deutschland jemals in Erfüllung aber gilt es seitdem mit gleicher Kraft zu ver- gehen würde, diese Worte mögen uns jetzt, theidigen. Kein Opfer, das dafür erforder- wo es gilt, das inzwischen Errungene zu lich, dürfen wir scheuen, diese Ueberzeu- behaupten, als Mahnung dienen, auf daß gung ist in Hamburg ebenso stark, ebenso Jeder, vom Vornehmsten bis zum Gerings-

| 232 | ten, in einer ernsten Stunde seine Pflicht gen Partei angefeindet und verleumdet. thue. Die Zeit hat jetzt, wie 1870 und 71, die Rein aus der Luft gegriffene Vorwürfe und Aufforderung an uns gebracht, für das große Beschuldigungen werden, obgleich sie von Vaterland Zeugniß abzulegen. Sei denn Woermann selbst auf das Schlagendste wi- auch Jeder bedacht mit aller Energie dahin derlegt sind, noch immer von gegnerischer zu wirken, daß wir uns wie vor anderthalb Seite aufrecht erhalten und wiederholt.“ Jahrzehnten als echte Söhne des Vaterlandes Nach einer Analyse des Aufbaus und einzel- erweisen!“ Doch das erwies sich als ein ner Bestandteile des Wahlblatts: „Nicht um schwieriges Unterfangen, weshalb es in der die Bewilligung der Militärvorlage handle es Folge bei Woermanns Kandidatur immer sich, sondern um ,Volksvertretung oder mehr zur Sache ging – ein bisschen ähnlich Dictatur‘“, erfolgt eine Umsemantisierung der 40 Jahre früheren Schlammschlacht zwi- der dort verwendeten Begriffe und ein Ver- schen den unterschiedlichen Lagern der teidigungsschwall in Richtung Reichspoli- ,Heuler‘ und ,Wühler‘ (Vgl. Kapitel 3, S. 107 tik: „Dictatur! Wie kann man von Dictatur und 109–113. sprechen in einem Augenblicke, da gerade ··································································· das Volk aufgerufen wird über das Wohl Es ist sicher kein Zufall, dass Werner von und die Zukunft Deutschlands an der Melle nach einem Muster, das auch sein Va- Wahlurne zu entscheiden. Der Kaiser und ter dem Flugblatt Volk, du schläfst unterlegt die verbündeten Regierungen – zu denen ja hatte, in dem nächsten Artikel der Hambur- auch unser hamburgischer Senat gehört – ger Nachrichten den rhetorischen Kniff einer sie sind keine Dictatoren, und sie zeigen das Neubestimmung des „Volk“-Begriffs an- gerade dadurch, daß sie durch neue Wahlen wendet. Nicht ging es jetzt um die Einnor- dem Volke die Gelegenheit geben, in deut- dung der Wähler des 5. Distrikts auf die licher Weise seinen Willen auszusprechen. Kandidaten des Patriotischen Vereins für die […] Doch kommen wir zur Hauptsache, Konstituante, sondern um die des 3. Wahl- den directen Angriffen gegen unseren allver- kreises (Vororte und Landherrenschaften) ehrten Abgeordneten Woermann“, gegen für die siebte Reichstagswahl zu einem Zeit- die dessen hehrer Opfermut gestellt wird: punkt, da die Sozialdemokraten die ersten denn „Mühe, Arbeit und Angriffe der nied- beiden Wahlkreise in Hamburg (Neustadt, rigsten Art sind unserem hochverdienten St. Pauli: August Bebel und Altstadt, St. Abgeordneten Woermann durch sein Reichs- Georg, Hammerbrook: Johann Heinrich tagsmandat in reichem Maße erwachsen. Wilhelm Dietz) erobert hatten und Woer- […] Wäre er lediglich seiner persönlichen mann als Abgeordneter noch allein die na- Neigung gefolgt, hätte er sein eigenes per- tionalliberale Stellung hielt. Die Nachrich- sönliches Interesse im Auge gehabt, so hätte ten reagierten empört auf die „persönliche er sich wahrlich nicht wieder als Candidat Verunglimpfung“ des Abgeordneten durch aufstellen lassen. Wenn er es dennoch ge- ein Flugblatt: „In geradezu unerhörter Wei- than, so geschah es nur, weil er es für seine se wird einer der geachtetsten Bürger unse- Pflicht hielt, die Vaterstadt und das Vater- rer Stadt, unser bisheriger hochverdienter land nicht in einer schweren Stunde zu ver- Abgeordneter Adolph Woermann, von den lassen, weil er wie ein tapferer Soldat auf Vorkämpfern der hiesigen deutsch-freisinni- seinem Posten ausharren wollte. Dafür ge-

| 233 | bührt ihm der Dank jedes patriotischen henden gesprochen, in den Ofen und sorge Hamburgers, und dieser Dank ist ihm dafür, daß jeder Wähler des 3. Wahlkreises auch“, hier wird an die Versammlung we- am 21. Februar unserem bisherigen thatkräf- nige Tage zuvor erinnert, „mit Begeisterung tigen, uneigennützigen, in jeder Beziehung gespendet“. Auch der folgende Verweis auf vortrefflichen Abgeordneten Woermann „die erste Handelsstadt des Deutschen seine Stimme gebe.“725 Reichs“, die „nicht besser, nicht würdiger im ··································································· Reichstage vertreten sein [kann], als durch Nur zwei Tage später erschien in Reaktion einen ihrer Großkaufleute“, erinnert an den auf Ein neues Wahlflugblatt die nächste Stel- Argumentationsaufbau Emil von Melles: lungnahme726, die drastischer noch den na- „Haben doch diese Großkaufleute, ihr Un- tionalliberalen Standpunkt verteidigt, in- ternehmungsgeist und ihre unermüdliche dem der Autor allerdings nun wieder etwas Thätigkeit Hamburg erst zu dem gemacht, geschickter und gemessener vorgeht und die was es ist. Wir freuen uns daher, daß unser Sozialdemokratie unaufgeregt als krimina- Candidat im 3. Wahlkreise ein Großkauf- listische Vereinigung diffamiert, während mann ist, denn nur er und nicht ein Klein- die sozialdemokratische Wählerschaft raffi- kaufmann, ein Krämer, kennt und vertritt niert als ernstzunehmender und zu umwer- die großen, weitverzweigten Handelsinte- bender Faktor integriert wird. Durchge- ressen unserer Vaterstadt, nur er weiß, was spielt wird hier wieder das ,billige‘ Stereotyp Hamburgs Großhandel frommt, von dessen einer Gegenüberstellung von abgehobenen Blüthe – darüber kann sich doch Niemand ,Theoretikern‘ und realpolitischen ,Prakti- täuschen – das Wohl auch des Kleinkauf- kern‘, womit auch die Flugblätter Mitte des manns und unserer ganzen Stadt abhängig Jahrhunderts gern argumentierten. Unum- ist.“ Schließlich wird dem letztem Vorwurf wunden und ungebrochen fällt hier folgen- entgegengehalten: „Daß endlich unser Ab- der Satz: „Das Socialistengesetz können wir geordneter Woermann ein schwankendes zur Zeit wenigstens noch nicht entbehren“ Rohr sein soll, wird Jeder der ihn kennt, nur (1887!), denn – und hier wird unter Verken- belächeln können. Herr Woermann weiß nung der Verhältnismäßigkeit und damit fürwahr sehr gut, was er will, und er weiß unter falschen Voraussetzungen wieder an seinen Standpunkt schneidig zu vertreten, den ,gesunden Menschenverstand‘ appel- davon haben seine Gegner doch in den letz- liert: „Es ist ein berechtigtes Ausnahmege- ten Tagen genügende Proben erhalten. Er ist setz, da der Staat das Recht und die Pflicht ein Mann, der seine Anschauungen und hat, sich und seine Angehörigen gegen Die- Ueberzeugungen nicht wie einen Rock aus- jenigen, die den Umsturz unserer ganzen zieht, sondern der fest bei dem beharrt, was Staats- und Gesellschaftsordnung predigen, er als richtig erkannt, ein Mann, auf den sich soweit möglich, zu schützen. Wer das nicht jeder Wähler felsenfest verlassen kann, und einzusehen vermag, den können wir nicht der stets nur das Wohl seiner Vaterstadt und als einen verständigen Politiker betrachten, ihres liberalen Bürgerthums im Auge haben sondern als einen Theoretiker, der die ihn wird.“ Der Appell ist klar: „Wer es daher mit umgebende Wirklichkeit nicht sieht oder seiner Vaterstadt gut meint, der werfe das nicht sehen will.“ Und nun folgt die Pointe: Schmäh-Flugblatt, von dem wir im Vorste- „Wer aber, fragen wir endlich, sind denn

| 234 | eigentlich die socialdemokratischen Wähler Tübinger Geschichtsprofessors) und im Ge- Hamburgs, die vielen Tausende, die bei der stus einer objektiven Analyse diejenigen zu letzten Wahl für Bebel, Dietz oder Heinzel entlarven (und zu diskreditieren) versucht, stimmten, drei ihnen persönlich unbekann- die zum Klassenkampf aufriefen und zum te, Männer, die gegenwärtig sämmtlich im ,Krieg der Paläste‘ (Bebel: „zur Schande Gefängnisse sitzen? Gehören alle diese Wäh- Hamburgs“ Reichstagskandidat des ersten ler der internationalen Umsturzpartei an, Wahlkreises). Aufhänger ist ein langes Zitat wünschen sie, daß wir auch in Deutschland, von Franz Mehring, dem Historiker der So- wie 1871 in Paris, die blutige Schreckensherr- zialdemokratie, das selbige im Reichstage schaft einer Commune erhalten? Nein, ge- als „ein gar wunderliches und wüstes Capi- wiß nicht.“ Es seien solche, „die nur mit der tel“ bezeichnet: „Die vorstehenden Sätze“, einen oder anderen Institution unzufrieden so der triumphierende von Melle, „werden sind“. Und die Moral von der Geschicht’? genügen, um der Hamburgischen Bevölke- Hier ist sie: „Welch’ ein gefährliches, gewis- rung die Zwecke und Mittel der Socialde- senloses Spiel aber treiben diese Wähler, in- mokratie auf’s Klarste vor Augen zu führen. dem sie durch die Wahl von Umsturzapos- Wie reimt es sich aber damit, daß jetzt in teln den Frieden und die Sicherheit des Staa- fortschrittlichen Versammlungen socialde- tes in Gefahr bringen! Schämen sich diese mokratische Redner behaupten wollen, ihre kurzsichtigen, gedankenlosen Wähler nicht, Partei wolle ihre Zwecke nur mit gesetzli- sich zu denen zu zählen, die durch das chen Mitteln erreichen, und wie ist es mög- Socialistengesetz jedem ordnungsliebenden lich, daß diese unrichtige Behauptung noch Bürger gegenüber gebrandmarkt dastehen? von einer deutschfreisinnigen Versammlung Mögen sie endlich in sich gehen, mögen sie beklatscht wird? Wollen die Herren vom bedenken, daß ein Umsturz aller Verhält- Freisinn sich wirklich so stellen, als kennten nisse auch ihr Leben und ihre Existenz in sie die Socialdemokraten nicht besser?“ Zur Frage stellt.“ Da sich jene Einkehr freilich „weiteren Charakterisirung dieses gefährli- nicht einstellte, setzten die Hamburger chen Umsturzapostels“, Bebel, wird außer- Nachrichten auch in den nächsten Tagen dem noch vor Augen geführt, „was eine ganz ihre zürnend zündelnde Berichterstattung unpolitische Quelle – Meyer’s Conversa- fort. Unter dem Titel Freisinnige Redner 727 tions-Lexicon (4. Auflage 1885) – über den- folgen zunächst einmal drei Tage später selben sagt“, mit dem empörten Ausruf: spöttelnd-polemische Kommentare wie die- „Wer wollte, wer könnte einem solchen ser: „Nachdem die hiesige deutsch-frei- Manne oder einem seiner blinden Parteige- sinnige Presse die Parole der persönlichen nossen seine Stimme geben!“ Verunglimpfung unseres hochverdienten ··································································· Abgeordneten Woermann ausgegeben, wett- Noch eine Woche weiter liest sich Der eifern ihre Parteigenossen förmlich darin, Kampf gegen die Socialdemokratie 729 eher wie dieser kläglichen Parole zu folgen.“ Wäh- ein Sportbericht: „Noch einmal soll im drit- rend am Tag darauf der Artikel Bebel und die ten Wahlkreise der Wahlkampf entbrennen. Socialdemokratie 728 wieder mit einer ande- Diesmal aber wird der Schlachtruf sein: Für ren, literaturgesättigten Strategie aufwartet, oder wider die Socialdemokratie!“ Und die auf Grundlage von Literatur (eines noch eine Parole: „Daß ihnen bei diesem

| 235 | Kampfe kein Mittel zu schlecht ist, wissen „Ihr Siegeslauf ist unterbrochen; ihre Fana- wir Alle. Es ist daher unsere Pflicht, dem ge- tiker finden bei der großen Masse nicht fährlichen Gegner, so weit irgend möglich, mehr den Glauben“. Die Propaganda ist auf die Finger zu passen.“ Es „wimmelte“ in letztlich hilflos und die protzende Prognose, der Stadt nur so vor Plakatträgern und wie sich kurze Zeit später erwies, eine totale Stimmzettelverteilern, Agitatoren und ge- Fehleinschätzung – doch hatte sich der Au- heimen, kriminellen Machenschaften, die tor vorsichtshalber ein Hintertürchen offen verhindert werden müssten; gefordert wird gehalten: „Hoffen wir, daß sich das jetzt eine Observation, „um diesen gefährlichen schon zeigt“, klingt schon weniger zuver- Terrorismus im Wahllocale zu brechen und sichtlich und erfordert die Unterstützung ei- unseren Gesinnungsgenossen in den Arbei- ner maritimen Geste: „Sollte aber auch diese terkreisen die Freiheit der Wahl zu sichern“. Hoffnung nicht in Erfüllung gehen, können Ganz im Stile des früheren raunt vertraulich wir aus dem einen oder anderen Grunde nun der moderne Patriot seinem Leser zu: nicht den Sieg erringen, so könnten wir „Es sei daher jeder Wähler auf seiner Hut. dann doch nur in dem Bewußtsein Trost Niemand gebe einen Zettel ab, den er sich finden, daß wir ungeachtet des Aufgebots nicht vorher genau angesehen. Am besten aller unserer Kräfte mit Ehren unterlegen ist’s, wenn Jeder sich des ihm zugesandten sind. Drum alle Mann auf Deck!“ Stimmzettels bedient.“ Auch der Werbe- ··································································· block bleibt schließlich nicht aus: „Will er Die Rhetorik der Beschwörungsformeln, dies aber nicht, so findet er vor seinem der herabsetzenden und beleidigenden An- Wahllocal Vertreter des Reichstagswahlver- würfe und polemischen Zuschreibungen eins, die Stimmzettel für Woermann bereit begleitete auch die Wahl zum 8. Reichstag halten.“ Mit den Schlachtrufen und über- 1890 und findet seinen abgeklärten Wider- haupt mit der ganzen Propaganda richtet schein im Januar 1891730 noch im letzten sich der Verfasser insgesamt letztlich an ,Nekrolog‘ auf das vorangegangene Jahr: Gleichgesinnte: „Die Wahlen in Sachsen „Im Anfange des Jahres unternahm das haben gezeigt, daß es möglich ist, die So- hamburgische Bürgerthum, dem allein un- cialdemokratie aus ihren ältesten Sitzen zu sere Stadt ihre Blüthe und Bedeutung ver- verdrängen. Sollten wir, die ordnungslie- dankt, auf’s Neue den schweren Wahlkampf benden Bürger Hamburgs, da nicht im gegen die immer übermüthiger gewordene Stande sein, sie an der Erwerbung eines Socialdemokratie. […] Zusammen mit den neuen Sitzes in unserer Stadt zu verhindern? rührigen Leitern des Vereins […] thaten die Möge sich Keiner durch den Mißerfolg der Candidaten, was nur irgend möglich war, ersten Wahlen entmuthigen lassen.“ Von um Hamburg vor dem traurigen Schicksal „Kampf“ ist die Rede, der „kein aussichtslo- einer Vertretung durch drei Socialdemokra- ser“ sei, da eingefahrene „Niederlagen […] ten zu bewahren, – aber leider vergeblich. die bisher so siegesgewisse Socialdemokra- Auch dem hochverdienten Abgeordneten tie“ zermürben würden. Gleichzeitig wir- Woermann ward zum Schmerze der patrio- ken die Parolen wie ein letzter Aufbegehr, tischen Bevölkerung Hamburgs sein bis zumal angesichts der realen Situation und zum letzten Augenblick so mannhaft ver- sich abzeichenden Mehrheitsverhältnisse: theidigtes Reichstagsmandat entrissen. Es

| 236 | war ein schwerer Schlag für die Sache unse- Jahres nicht nur um einzelne mehr oder we- res Bürgerthums; doch zweifeln wir nicht niger ungerechtfertigte Forderungen der Ar- daran, daß dieses auch in Zukunft den beiter, sondern um ihre eigene Autorität Muth nicht sinken lassen und bei günstige- und um ihre Existenz handelte, leisteten ren Verhältnissen auch wieder den Sieg er- durchweg einen entschlossenen Widerstand ringen wird.“ In letzter Konsequenz konnte und zwangen in den meisten Fällen die Ar- man sich damit trösten, dass es eben aus- beiter zum Nachgeben. Sie haben bei dieser schließlich die primitive, drückende quan- Gelegenheit gezeigt, über eine wie erhebli- titative Überzahl gewesen, der sich die eh- che Macht sie bei festem Zusammenhalten renhafte, patrizische Minderheit geschlagen verfügen, und die Erkenntniß von dem Um- geben musste, wie es folgende Analogie am fange dieser Macht, der sich auch die ver- Beispiel eines als sonderbar opferbereit stili- ständigeren Arbeiter nicht verschließen sierten Fackelzuges für Bismarck vorführt: können, wird hoffentlich dazu beitragen, „Alt und Jung drängte sich heran, um an diese in Zukunft von ähnlichen Kraftpro- dem Zuge teilzunehmen, und die Tausende, ben, wie den im letzten Jahre versuchten, die dann mit der Fackel in der Hand unter abzuhalten. Daß andererseits auch die Ar- begeisterten Hochrufen in Friedrichsruh an beitgeber auf eine Besserung in der Lage der dem Fürsten vorbeidefilirten, bildeten – im Arbeiter, so weit eine solche wünschens- Gegensatz zu dem Gefolge der Socialdemo- werth und durchführbar, bedacht sind, ha- kratie, das kurz vorher bei den Wahlen sein ben dieselben im letzten Jahre vielfach und numerisches Uebergewicht geltend gemacht insbesondere durch die Begründung eines hatte – eine imponirende Repräsentation diese Ziele mit besonderem Nachdruck ver- der Intelligenz, des Unternehmungsgeistes folgenden Vereines gezeigt.“ und der jederzeit opferbereiten Vaterlands- ··································································· liebe des hamburgischen Bürgerthums. So Der Aufklärer lange unsere Stadt über eine solche vielköp- ··································································· fige geistige Ehrengarde verfügt, kann es Zurück in ruhigere Gewässer und zu den auch in schwerer Zeit getrosten Muthes der gemäßigten, mehrfach schon genannten Zukunft entgegenblicken.“731 Etwas unbe- ,Hauptwerken‘ des Enddreißigers. Das, was herrscht gibt der Berichterstatter noch ein die zum Teil grenzwertigen Verbal-Attacken weiteres Mal seinem Bedürfnis Ausdruck, der politischen Agitation ausführlich dar- die sozialdemokratischen Bestrebungen ins bieten, lässt sich als negative Seite, als über- Unernste und Lächerliche zu ziehen, indem spannte, angstbesetzte, heftige Entgleisung er beiläufig erwähnt: „Der schon bei den einer Auffassung lesen, die neben allen an- Wahlen hervorgetretene Uebermuth [!] der deren Aufgaben Presse-Arbeit als Element Socialdemokratie führte dann weiter zu eines Erziehungsprogramms zu mündigen, den bekannten Arbeiterdemonstrationen verantwortungsbereiten und von Gemein- am 1. Mai und einer Reihe größerer Strikes.“ geist beseelten Staatsbürgern versteht. Nach Doch dann zeigt sich noch einmal der abge- diesem Verständnis wären Journalisten auch klärte und ordnungsliebende Patrizier: „Die immer Übersetzer und Interpreten, Aufklä- Arbeitgeber, welche richtig erkannt hatten, rer und Erzieher. Auf letzterem Aspekt je- daß es sich bei der Strikebewegung dieses doch lag vermutlich von Melles eigentliche

| 237 | Begabung weniger. In der nüchternen, sach- Übersetzer und Interpret wird der Verfasser lich klaren Darstellungsweise war er un- nicht müde, diese Botschaft wie ein Mantra schlagbar; stilsicher im Einfädeln poetisch sowohl in den Haupt- wie in sämtlich ver- gelungener und geistreich inspirierter Ele- fügbaren Paratexten (also: in Vorworten, mente. Das didaktische Moment hingegen Einleitung, Danksagungen) immer wieder kippte zu schnell bei ihm ins Moralisie- explizit zu betonen. Entsprechend wirbt die rende. Und obwohl er alle stilistischen und erste Zusammenschau des Hamburgischen journalistischen Kniffe kannte, fehlte ihm Staatsrechts 1890/1891 genauso für die be- doch hier so manches Mal der eine wesent- sagte – auch rechtlich als eine solche verstan- liche, den er gleichwohl zu imitieren ver- dene – Eigenart des Organismus einer Han- suchte: der einer gewissen tänzelnden Leich- sestadt wie schon die 1888 gedruckte Biogra- tigkeit und satirischen Ader, die beispiels- phie über Kirchenpauer. Dass Werner von weise sein Vater besaß. Werner von Melle Melle hiermit in bestimmten Kreisen ge- zeigte sich in solchen Fällen doch als eher teilte Auffassungen aufgriff, verdeutlichen wortgewaltiger Vertreter einer gewissen nicht nur ähnlich lautende Slogans und Pa- Schicht, der seine Anliegen relativ wenig ka- rolen verschiedener Drucksachen oder Sat- schierte. Zwar schrieb er auch hier, wie auf zungen von zeitgenössischen Vereinen (etwa allen anderen Gebieten, gleichbleibend ge- die des Vereins für Kunst und Wissen- läufig, nicht aber leichtfüßig; zwar mit Witz, schaft), sondern auch unmittelbare Reaktio- aber doch angezogener Handbremse; mit nen auf seine Bücher wie folgende, geradezu (zu) viel Botschaft, (zu) viel historischem musterhafte Äußerung des Freundes und – Odem; (zu) viel Didaxe; etwas beckmesse- seit knapp drei Jahren – Senators Johann risch, etwas sehr absichtsvoll, eine Spur zu Heinrich Burchard: pathetisch. Und dann diese gerade vernom- ··································································· menen Schlagworte: Terrorismus! Diktatur! Lieber Melle, Umsturz! Verunglimpfung! Ich danke Dir von Herzen für das vorzüg- ··································································· liche Buch „Kirchenpauer“, welches ich, Sowohl die Briefe als auch Artikel und nunmehr in steter Besserung begriffen, mit selbstständige Schriften halten freilich auch großem Interesse lese. Ich möchte der Hoff- Topoi bereit, welche die oben genannten nung Ausdruck geben, daß die interessante Aufgaben eines Journalisten (Übersetzung, Biographie auch außerhalb unserer Vater- Interpretation, Aufklärung) adäquater be- stadt einen größeren Leserkreis finden mö- dienten. Die meisten wurden schon in den ge, weil dieselbe trefflich geeignet erscheint, vorigen Kapiteln genannt und sind inzwi- den nichthamburgischen Deutschen unsere schen weidlich bekannt: etwa das Bild vom Hamburgischen Verhältnisse näher zu brin- wieder und wieder diskutierten Verhältnis gen und sie über unsere Eigenart aufzuklä- und der Fühlungnahme der ,ersten Han- ren. delsstadt des Deutschen Reiches‘ zur restli- Herzlichst chen Welt mit dem zugrundeliegenden Dein Burchard732 Selbstverständnis einer Hamburger Eigen- ··································································· art, die nach außen hin einer Übersetzung Zum Vorschein kommt dies auch in der bedürfe. In seiner Eigenschaft als ein solcher dankbaren Reaktion eines Senators aus der

| 238 | älteren Riege, dem als Altersgenossen und Lebensbeschreibungen, die ich kenne.‘“735 Mitstreiter des Biographierten die Lektüre Von Melles Erklärungsversuch dazu lautete: eine „wehmütige, aber große und nachhal- „die Schuld daran lag an Hamburg selbst, tige Freude“ gewesen sei, die „lebendige Er- das sich zwar wirtschaftlich, aber nicht ge- innerungen“ wachgerufen habe: „Sie haben nügend und geistig zu Geltung zu bringen sich“, so lautet des Hamburger Bürgermeis- gewußt hatte“.736 Vielleicht hatte er recht ters Carl Friedrich Petersen Ritterschlag, damit. Andererseits hätte Marcks durchaus „durch dieses Buch ein nicht geringes und auf das Buch aufmerksam werden können, bleibendes, nicht nur geschichtliches, son- denn das Archiv für öffentliches Recht bei- dern auch gemeinnütziges Verdienst um die spielsweise befand: „Dem Buche ist eine Vaterstadt und weit über ihre Grenzen hi- gute Stelle in unserer an Biographien so ar- naus erworben.“733 Zwar wurde von ver- men Fachliteratur gesichert, denn das in schiedener Seite für eine überregionale Ver- ihm fesselnd geschilderte Leben Kirchen- breitung gesorgt – von Melles Vetter Walter pauers ist Schritt für Schritt mit der Rechts- Robert-tornow etwa, der Archivar der Kgl. und Staatsentwicklung Deutschlands aufs Hausbibliothek im Berliner Schloss, schrieb innigste verflochten. Das Persönliche ist es nach Eingang und Lektüre des Buches im aber was überall das Interesse wachruft und Februar 1889: „Der würdige Kirchenpauer erhellt. […] Die Stellung der Hansestädte tritt mir in seinem Wesen und Wirken nun zur Frage der Bundesreform gewinnt neue menschlich nahe durch Ihren pietätsvollen Lichter und die wirtschaftsgeschichtliche Fleiss“ und kündigte an: „Wenn mein ver- Bedeutung des Zollanschlusses für Ham- ehrter Freund, der Minister Delbrück, der ja burg selbst wird uns hier von mancher Seite mit Kirchenpauer mehrfach zusammen offenbar.“737 Der Verfasser, ein „gründlicher tagte, wieder hergestellt ist, werde ich ihm Kenner des Staatsrechts Hamburgs und sei- das Buch schicken, damit es in den Kreisen nes wechselvollen Entwicklungsganges“, Anklang finde, für die es eigentlich ge- habe „in dem vorliegenden Werke ein vor- schrieben ist.“734 Der Verfasser selbst hinge- treffliches Lebensbild des im März 1887 ver- gen urteilt rückblickend nüchterner: „Im storbenen Bürgermeisters Kirchenpauer, des übrigen Deutschland hat es, glaube ich, Mannes vor Augen geführt, der an dem Aus- nicht die von mir gewünschte Beachtung bau des öffentlichen Rechts der mächtigen gefunden. Als ich es elf Jahre später an Pro- Hansestadt während eines Zeitraums von fessor Erich Marcks geschickt hatte“, der 55 Jahren hervorragenden Antheil hatte“.738 1907 auf Betreiben von Melles Hamburgs Besonders wird von Melle gefreut haben, erster Stiftungsprofessor für Geschichte was der Rezensent abschließend hervorhob: wurde, „erwiderte mir dieser: ,Ich bin be- „Aber von allen lehrreichen Details abgese- troffen gewesen, wie es möglich war, daß hen greift die Lektüre des Buches wiederholt mir Ihre Biographie Kirchenpauers nicht in jene Tiefen unseres Gemüthslebens ein, längst bekannt geworden ist. Sie hat mich in die sonst bei unserer streng fachlichen im höchsten Maße interessiert und ange- Arbeit kaum je der sonnige Lichtstrahl des regt. Es ist eine der für die deutsche Ge- rein Menschlichen fällt.“739 schichte des jetzt endenden Jahrhunderts ··································································· und insbesondere seiner Mitte ergiebigsten Ist hiermit eine besondere Qualität biogra-

| 239 | phischer Darstellungskunst angesprochen, ··································································· so lenkt ein Dankesschreiben des Verwand- Argumentum ab auctoritate ten Gustav Wilhelm Kaemmerer, seines Zei- ··································································· chens frisch bestallter Amtmann von Ritze- Meinte man bisher in von Melles politi- büttel und damit einer der Amtsnachfolger schem Profil etliche Indizien einer Art Imi- von Kirchenpauer, die Aufmerksamkeit noch tationsgestus zu erkennen, lautete also eine auf einen weiteren Aspekt. Die im letzten unterschwellige Frage: Wie viel Kirchen- Absatz geäußerte sensible Beobachtung gibt pauer steckt in dem Eigenentwurf seines den Blick frei auf die Ebene versteckterer Bewunderers? So lässt sich vielmehr mit Funktionen des Schreibens, die der Verfas- Gustav Kaemmerer fragen: Wie viel Kir- ser speziell in dieser Biographie bediente chenpauer steckt im Kirchenpauer? Oder, und einlösen konnte: noch deutlicher: Wie viel von Melle steckt ··································································· eigentlich im propagierten Kirchenpauer? Ritzebüttel, d. 11.3.1892 Ohne Zweifel handelt es sich bei der Biogra- Lieber Werner, phie wie bei allen seinen Schriften um den Deine Lebensbeschreibung von Kirchen- geschickt disponierten und auch erzähle- pauer, die ich hier in den letzten Wochen an risch beeindruckenden Ausfluss eines um- einsamen Abenden gelesen habe, will ich fassend fundierten Quellenstudiums, dessen doch nicht aus der Hand legen, ohne Dir für Erzähler sich zunächst einmal als zurück- manche genußreiche Stunde, die mir die haltender Arrangeur und uneigennütziger Lectüre verschafft hat, zu danken. Sein Le- Bewahrer verhält. Stimme, Diktion und die ben und die in engstem Zusammenhang da- spezifische Art der Rede Kirchenpauers mit stehende Geschichte Hamburgs in den noch im Ohr – im Zeitungsnachruf hieß es: 40–50ger Jahren hat mich lebhaft interes- „Sein Genre der Beredsamkeit war die sorg- siert; ich muß leider gestehen, daß ich über fältig vorbereitete, nach allen Seiten hin Hamburgs Entwickelung gerade in jenen wohlerwogene Staatsrede, bezüglich der er, beiden wichtigen Jahrzehnten bisher nichts wie bei allen seinen Arbeiten, die höchsten gelesen habe; auch erfüllt es mich natürlich Anforderungen an sich stellte“ –, wird der ebenso mit Genugthuung, daß mein Groß- jüngst Verblichene mittels Einträgen in vater zum guten Theile | als Mitglied der Tagebüchern, Briefen und Publikationen Neuner Kommission an der Verfassung von möglichst selbst zum Sprechen gebracht; ein 1859 mitgewirkt hat, wie Dich die Erinne- Verfahren, das einen genrespezifischen An- rung an die hervorragenden Eigenschaften spruch biographischen Schreibens einlöst, Deines Großvaters Geffcken nicht minder nämlich das Herstellen von Authentizität erfreuen wird. und Vertrauenswürdigkeit. Bei genauerer Zudem spricht ja aus fast jeder Zeile Deines Betrachtung allerdings drängt sich eine an- Buches, daß Du eine gleiche Geistesrich- dere Vermutung auf. Der Verfasser scheint tung und demgemäß einen ähnlichen Le- hier vielmehr geschickt die rhetorische Stra- bensweg genommen hast; nur die naturwis- tegie des argumentum ab auctoritate einzu- senschaftliche Seite von Kirchenpauer hat setzen, d. h. einen anderen, in diesem Falle Dir wohl ein Verständniß nicht entgegen- eine anerkannte Autorität, für sich sprechen bringen können.740 zu lassen, in dessen Windschatten die eige-

| 240 | nen Botschaften und Vorhaben unbehelligt, genauere Analyse entlarvt die verschiedent- schneller und augenfälliger als aus eigener lich immer wieder zitierte Selbstaussage, Kraft über das Meer der Worte, Ideen, Ent- von Melle sei erst durch die biographische würfe und Visionen gleiten. Zu dieser Stra- Beschäftigung mit „Kirchenpauers Wirken tegie gehört, dass die einmal gesetzte Auto- in der Hamburger Wissenschaftsverwaltung rität in erneuten Sprechakten als eine solche selbst auf deren Entwicklung gelenkt“ wor- immer wieder bestätigt wird. Und in der Tat den,741 als so nicht ganz den Tatsachen ent- wird von Melle bei gleichzeitig ausgepräg- sprechend (gleichwohl als eine bis heute tem Selbstbewusstsein bis an sein Lebens- äußerst wirksame Parole). Vergegenwärtigt ende nicht müde, bescheiden zu behaupten, man sich beispielsweise noch einmal von er sei bloß als Verwalter und Ausführender Melles Artikel zur hanseatischen Selbst- in die Fußstapfen eines Größeren getreten, verwaltung der Gegenwart aus dem Jahre um dessen weitsichtige Pläne in die Realität 1880,742 welcher der Kirchenpauer-Biogra- umzusetzen. Selbst die Jugenderinnerungen phie immerhin acht Jahre vorausliegt, so ist erwecken bei Leser_innen, die die 40 Jahre augenfällig, wie fertig schon hier die Grund- zurückliegende Kirchenpauer-Biographie züge der Melle’schen Auffassung ausgebildet kennen, den Eindruck, von Melle habe bis sind, wie kenntnisreich über die einzelnen in Details seines Lebenslaufs dem Vorbild neun Verwaltungsbereiche berichtet wird nachzueifern versucht, so frappierend ist die und wie viel Aufmerksamkeit nicht nur in Übereinstimmung mit der Kirchenpauer- dieser Schrift besonders den Institutionen Biographie bis in einzelne Formulierungen des Ressorts über Unterrichts-, Wissen- hinein. Doch könnte es sich nicht gerade ge- schafts- und Kulturangelegenheiten gewid- nau anders herum verhalten haben? Der Ge- met wird. Nun mag man einwenden, dies danke klingt kühn, da er nach landläufiger sei kein Wunder, da der Advokat in seiner Auffassung ein Richtungsverstoß gegen den ehrenamtlichen Funktion als Protokollant ehernen Zeitverlauf scheint. Nicht aber um Kirchenpauer als den ihm vorsitzenden Prä- das gelebte Leben geht es hier, sondern um ses des Öfteren unmittelbar erlebte. Doch schriftliche Entwürfe möglicherweise so trifft das nicht den Punkt. Es ist eine triviale oder ähnlich verlaufender Leben – und zwar Einsicht, dass jede_r Nachgeborene Vorgän- in zweierlei Richtung: sowohl bezogen auf ger hat und nicht anders kann als mit und das vergangene als auch auf das zukünftige. an dem vorgefundenen Material weiterzu- Die These, von Melle habe die Narration basteln – oder es zu verwerfen; hier geht es von Kirchenpauers Leben nach den eigenen um eine andere Ebene. Die ins Auge fallen- Maßstäben vorgenommen, anerkennt die den Analogien beider Lebenswege – uner- Crux von Biographik, die wie letztlich alles füllte Advokatenpraxis, Engagement in der wissenschaftliche Schreiben Fremderzäh- Presse, enttäuschende Ablehnungen bei Be- lung ist und doch ein Maximum an Nähe werbungen um höhere Verwaltungsstellen, bei gleichzeitig kontrollierter (und kontrol- historische Aufarbeitung der einflussneh- lierbarer) Distanz, die Vorstellungs- und Ein- mend in die Gegenwart reichenden Institute fühlungsvermögen erfordert, das letztlich der Vaterstadt, kenntnisreiches Schrifttum immer abhängig bleibt von dem eigenen Er- in den Bereichen von Handel, Wirtschaft lebnis- und Erkenntnishorizont. Schon eine und Nationalökonomie, Impulsgeber für

| 241 | Neuerungen – lassen sich spontan als Nach- folgte „mit lebhaftem Interesse der Entwi- eifern abtun, erweisen sich jedoch bei ge- ckelung der großen Weltbegebenheiten. nauerer Betrachtung als milieubedingt mehr Von jeher geneigt, in einer ihn interessieren- oder weniger zufällig ähnlich. Denn als den Angelegenheit zur Feder zu greifen, die Werner von Melle die Biographie schrieb, er – mit einem ungemein feinen Stilgefühl hatte er diese Stadien längst durchlaufen, begabt – schon früh in meisterhafter Weise sein Advokatentum hinter sich gelassen und zu führen verstand, ward er so gleichsam von war seit etlichen Jahren Redakteur bei den selbst im Jahre 1833“, hier wäre für den Bio- Hamburger Nachrichten. Er hatte Abstand graphen Mitte der 1870er Jahre einzusetzen, genug, um über den für ihn glücklichen „zur journalistischen Thätigkeit geführt“, Wechsel zu reflektieren und diese Reflexio- „ohne darum seine Advokatur ganz aufzu- nen auch einem anderen Leben zu unterle- geben“.744 gen und mit entsprechendem Erfahrungs- ··································································· wert anzureichern. In frühen Schriften wie Die Biographie erschien im ,Dreikaiser- diesen (er-)findet Werner von Melle offen- jahr‘, das dominiert wurde durch einen star- kundig die Formeln, mit denen er sein eige- ken Reichskanzler; die Regierungsgeschäfte nes Programm und sich selbst später immer hatte gerade ein Kaiser angetreten, der mit wieder beschreiben wird. Eine davon ist das seinen 29 Jahren jünger als der Mittdreißi- (im Rechtsstreit auftauchende) ,Mein und ger Werner von Melle war; die sogenannte Dein‘, das weder Kirchenpauer noch von ,Wilhelminische Epoche‘ begann überhaupt Melle als einer der Hauptverhandlungsge- erst Gestalt anzunehmen. Von Melle ge- genstände in ihrer jeweils kurzen anwaltli- hörte seit Kurzem dem Komitee der Vor- chen Tätigkeit sonderlich behagte. „[W]eit tragsabende des St. Pauli Bürger-Vereins an, mehr als die Lehren des Privatrechts“, heißt der fleißig Spenden für ein Denkmal für es über Kirchenpauer in der (in gewisser Kirchenpauer sammelte – dem schon zum Weise also heimlichen Auto-)Biographie, 50-jährigen Doktorjubiläum eine Votivtafel „interessierten den jungen Juristen die man- überreicht worden war.745 Die auf der Votiv- nigfachen Rechtsverhältnisse des öffentli- tafel verewigten Verse (von Goethe) stellte chen Lebens: die Politik, das Staatsrecht, die Werner von Melle seiner Biographie voran: Nationalökonomie und die anderen Zweige „Weite Welt und breites Leben, / Langer der Staatswissenschaften“.743 Und das aus Jahre redlich Streben, / Stets geforscht und verschiedenen Gründen ähnlich schleppend stets gegründet, / Nie geschlossen, oft gerün- anlaufende Anwaltsgeschäft führte sowohl det, / Altestes bewahrt mit Treue, / Freund- bei dem Biographierten wie seinem Bio- lich aufgefaßtes Neue, / Heitern Sinn und graphen in dieselbe Richtung, sodass sich reine Zwecke: / nun! man kommt wohl eine folgende Charakterisierung Kirchenpauers Strecke.“746 Neben der Ehrbezeugung ge- ohne Abstriche auch als Selbstbeschreibung genüber dem Leben und Wirken eines tief lesen lässt: „Die unfreiwilligen Mußestun- verehrten Zeitgenossen war es von Melle den aber, welche ihm das Fehlen der Klien- offenbar mit der Biographie ein über das ten verschaffte, verwandte er mit der Zeit Individuum hinausgehendes Anliegen, das immer mehr zu Studien auf den verschiede- von Kirchenpauer in Ausschnitten repräsen- nen Gebieten des öffentlichen Rechts“ und tierte kollektive Erbe einer Epoche und der

| 242 | 1889–1940: Kirchenpauer-Denkmal am ehemaligen Steinthorplatz

Bestrebungen so vieler anderer zu verwah- Petersen, mit bewegter Stimme des ihm und ren, deren Geschichten die Kirchenpauer- Hamburg unvergeßlichen Todten geden- Biographie wie nebenher in den Anmerkun- kend, die Worte sprach: ,Einem besseren gen erzählt (und die auch die vorigen Kapi- Manne ist niemals ein Denkmal gesetzt tel dieses Buches bevölkern). Für die daran worden!‘“747 anknüpfende eigene Arbeit und die der zu- ··································································· künftigen Generationen in der Hansestadt Hanseatisches Recht: ,missing link‘ der war damit ein schriftliches Fundament ge- staatsrechtlichen Literatur schaffen, das viele der steinernen, etwa das ··································································· Kirchenpauer-Denkmal am Steintorplatz, Wie für seine anderen Publikationen – überdauern sollte. Zur „Einweihung des insbesondere für die Kirchenpauer-Biogra- ihm zu Ehren auf dem Platze vor dem Ge- phie 748 – erhielt von Melle auch für sein werbemuseum errichteten Monumentes“ kurz darauf publiziertes Staatsrecht eine Reihe schrieb von Melle: „Es war ein ergreifender von Danksagungen aus berufenem, aus Moment, als nach der würdigen Festrede des prominentem Munde, die der Nachlass be- Vorsitzenden des Denkmalcomité’s, Geh. wahrt.749 Von der Lücke war schon die Rath Dr. Neumayer, der langjährige Freund Rede, die Laband mit diesem Werk ausge- und College Kirchenpauer’s, Bürgermeister füllt sah, das er gewissermaßen als ,missing

| 243 | link‘ „mit dem größten Interesse“ begrüßte. ben.“753 Von diesem Urteil unberührt blie- „Hoffentlich habe ich Gelegenheit, öffent- ben die anerkennenden Zugeständnisse: lich über ihr Werk mich auszusprechen“, „Was das M.’sche Buch als Ganzes angeht, so schrieb er vorsichtig, und setzte erklärend gibt es uns eine außerordentlich klare hinzu: „vorläufig muß ich allerdings meine Darstellung der Verfassung und der allge- ganze Zeit auf den endlichen Abschluß der meinen Grundsätze des Verwaltungsrechts zweiten Auflage meines Staatsrechts u. eini- des hamburgischen Staatswesens aus Ge- ge andere dringende Arbeiten concentrie- schichte und Gegenwart.“754 Der Rezensent ren“.750 Die Rezension blieb aus. Stattdessen zeigte sich durchaus aufgeschlossen für die erschien in der Kritischen Vierteljahresschrift Besonderheiten des hanseatischen Rechts, für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft zwei die von Melle Jahre zuvor schon in dem Auf- Jahre später eine umfangreiche, wenn auch satz über die Selbstverwaltung hervorgeho- etwas verhaltene Besprechung (immerhin ben hatte. Sie griff die Rezension im Zusam- fünfeinhalb Seiten) von dem Staatsrechtler menhang mit den Selbstverwaltungs-Colle- Hermann Rehm. Schon der etwas eigenwil- gien auf.755 Als „mit am interessantesten“ lige Einstiegssatz macht hellhörig: „Die schien Rehm bezeichnenderweise die im Lectüre vorstehenden Buches ist praktisch Stadtstaat realisierte Gleichsetzung des Bür- zeitgemäß.“751 War das als Kompliment ge- gerrechts mit der Bürgerpflicht. Ausgerech- meint? Der weitere Verlauf bestätigt trotz ei- net er, der in verfassungspolitischen Fragen nigen Lobes den Eindruck, als würde der ein Verfechter der deutschen konstitutionel- von universitärer Warte aus urteilende Wis- len Monarchie war, die er vorbehaltlos auch senschaftler kundtun müssen, dass er hier ei- später noch als die den westeuropäischen nen ,Praktiker‘ bespreche. Darauf lässt be- parlamentarischen Demokratien überlegene sonders eine Stelle schließen, in der er sich Staatsform betrachtete,756 betonte „[v]on mit einer falschen Information verrät: „Der der Verfolgung der allmählichen Zunahme Verf. ist hamburgischer Senator. Er kennt der demokratischen Bestandtheile in der die Nachtheile aus eigener Anschauung“.752 hamburgischen Verfassung abgesehen“ die War Rehm einfach schlecht informiert? Ver- Erkenntnis, „wie weit im hamburgischen wechselte er Senatssyndikus Werner mit Se- Staatsleben und zwar schon in früherer Zeit nator Emil von Melle (der allerdings 1893 der Gedanke entwickelt ist, daß die Theil- nicht mehr lebte) – oder war dem Experten nahme des Staatsangehörigen an der Staats- fürs Staatsrecht der Unterschied zwischen verwaltung nicht bloß die Bedeutung einer einem dem Senat zugeordneten Syndikus rechtlichen Befugnis, sondern auch die einer und einem Senator schlichtweg entgangen? rechtlichen Verpflichtung hat“.757 Seine Kri- Der Marburger (außerordentliche) Profes- tik entzündete sich noch an verschiedenen sor jedenfalls urteilte über die Einschätzung Details, so etwa an der Darstellung der rich- des promovierten Juristen und Hamburger terlichen Amtsenthebung, hob aber zum Journalisten zur Stellung des Senates: „In „Abschluß“ etwas gönnerhaft noch „eine seinen wissenschaftlichen Ausführungen, in sehr ansprechende Deduction über das Voll- welchen er sich nebenbei bemerkt, eng an zugsverordnungsrecht“758 hervor. Damit en- Laband’sche Grundanschauungen anschließt, dete die Schrift, die einleitend mit der vor- dürfte der Verf. einige Male fehlgegriffen ha- geformten Gedankenfigur einsetzte, dass

| 244 | sich in Hamburg erst eine Katastrophe Exemplar einer soeben von mir veröffent- ereignen müsse, bevor tiefgreifende Refor- lichten Arbeit über Hamburgisches Staats- men tatsächlich umgesetzt würden. Gleich recht ganz ergebenst zu überreichen. Mein einem Paukenschlag erinnerte Rehm an das Wunsch war, in dieser Arbeit mehr zu geben Schicksalsjahr 1842 mit dem Ereignis des als ein handliches Nachschlagebuch für die Hamburger Brandes als Auslöser für die tägliche Praxis.“761 Versmann zeigte sich neue Verfassung, um analog dazu drama- schon im Vorfeld von der nahenden „Ur- turgisch geschickt die exakt ein halbes Jahr- laubslektüre“ überzeugt, „daß Sie sich mit hundert später gerade eingedämmte Cho- dem Buche ein wirkliches Verdienst um un- lera-Katastrophe von 1892/93 als (fast) aus- seren Staat erworben haben. Namentlich bei schließliche Motivation für eine zeitgemäße den hierhergezogenen fremden Beamten ist Verfassungsänderung zu markieren. Das ist in Betreff unserer Staatsangelegenheiten die nicht falsch, wird jedoch dem Anliegen des Unkunde ebenso groß wie der aufrichtige rezensierten Buches aus dem Jahre 1891 resp. Wunsch sich zu orientiren. Da kommt dann 1890 – das Vorwort datiert „Ende Novem- Ihr Werk gerade zu rechter Zeit und keines- ber 1890“759 – nicht ganz gerecht. Die insge- wegs ist es gleichgültig, in welchem Namen samt etwas den Kern verfehlende Rezension das Buch geschrieben ist, welchen jene Her- des Nichthamburgers wird von Melle nicht ren ohne Zweifel als Autorität betrachten sonderlich befriedigt, in seinem intellektu- werden.“762 ellen Anspruch jedoch auch nicht ernstlich ··································································· erschüttert haben. Dafür führte er zu lange Das Hamburgische Staatsrecht, das ihm also schon kontinuierlich die Feder und hatte „weithin Anerkennung eintrug, auch in auch im Staatsrecht immer wieder auf seine Hamburg selbst“,763 bot einerseits einen Ab- eigenen Ausarbeitungen und systematisch riss der hamburgischen (und hanseatischen, erstellten Materialsammlungen zurückgrei- d. h. im Vergleich zur bremischen und lübi- fen können. Wichtiger war schließlich die schen) Verfassungsentwicklung seit dem Einschätzung der Experten vor Ort: Wohl- Mittelalter und andererseits eine souverän wollend dankte beispielsweise im Dezember disponierte, historisch-systematische Dar- 1890, also noch kurz vor den Festtagen, stellung der hamburgischen Verfassung und Mönckeberg: „es wird durch dasselbe einem der Institutionen der (Selbst-)Verwaltung. oft empfundenen Bedürfniß abgeholfen Dabei galt ein besonderes Augenmerk der […] und ich zweifle nicht daran, daß Ihr an Laband orientierten staatsrechtlichen Er- Staatsrecht allen denjenigen, welche in un- klärung und Konstruktion der einzelnen serem öffentlichen Leben thätig sind, als Organe des Staatswesens und ihrer wesent- Quelle vielfacher Belehrung und als Autori- lichen Befugnisse einerseits bezogen auf tät in Zweifelsfragen hoch willkommen sein Hamburg selbst, andererseits in Relation wird. Mit ausgezeichneter Hochachtung / zum Reich, denn eine „Darstellung des Ihr ergebener / JG Mönckeberg“.760 Tags hamburgischen Staatsrechts wäre ohne eine darauf bestätigte auch der verehrte Bürger- stete Berücksichtigung des so vielfach in meister Versmann den Eingang der Schrift, dasselbe eingreifenden Reichstaatsrechts der folgende Verfassernotiz beilag: „Euer nicht denkbar“.764 Vor allem unternahm Magnificenz / erlaube ich mir beif. ein von Melle hier den Versuch, endlich einmal

| 245 | das Verhältnis zwischen Senat und Bürger- für den Leipziger Verlag übernommen schaft juristisch schärfer zu fassen. Aus heu- hätte? Wenn anstandslos alle seine Artikel tiger Perspektive hatte er „zwar nicht un- vom Correspondenten weiter gedruckt wor- recht, wenn er in dem vom Hauptrezeß 1712 den wären, der doch von fortlaufenden Ar- hergestellten Gleichgewicht von Rat/Senat tikelserien profitierte, die sich wie die Ge- und Bürgerschaft das faktische Übergewicht schichte des Armenwesens über mehrere des ersteren erkannte; aber daß er den Rat Nummern erstreckten. Was, wenn von Mel- als ,in Wahrheit die Regierung, die Obrig- le eben die vom Correspondenten abgelehn- keit oder das Staatsoberhaupt‘ bezeichnete“, ten Artikel – der Grund für die Ablehnung führte nicht nur zu Widerspruch innerhalb blieb übrigens bislang verborgen – nicht un- der Bürgerschaft – auch der oben bespro- aufgefordert bei den Hamburgischen Nach- chene Rezensent erklärte sich damit als richten eingesandt hätte? Oder das nachfol- nicht einverstanden –, sondern wurde „hö- gende Angebot vom Herausgeber ausgeblie- heren Orts beifällig registriert“.765 ben oder aber erst gar kein Artikel zum ··································································· Druck befördert worden wäre? Und was, Der Syndikus wenn Werner von Melle wunschgemäß in ··································································· den 1880er Jahren in der Bürgerschaft seinen Werner von Melles Herkunft, Auffas- Platz in der Fraktion der konservativen so- sungsgabe, juristische Bildung und Bewäh- genannten Rechten – nach seiner Auskunft rung in öffentlichen Ämtern, die in seinen „in mancher Beziehung liberaler“ als die Schriften zum Ausdruck kommende „ange- Linke und „das Linke Zentrum“767 – hätte messene Sicht zurückliegender Konflikte einnehmen dürfen, wie es über Generatio- und der historisch-rechtlichen Stellung des nen der (kommunal-)politischen Stufenlei- Senats“766 prädestinierten ihn für die prak- ter, heute würde man vielleicht eher sagen: tischen Belange der Hamburger Politik, Professionalisierungskarriere bis hinauf in wenn nicht gar idealtypisch für eine Senats- den Senat im Hamburger Gemeinwesen karriere. Doch gab es Hemmnisse, die sich entsprach. Vielleicht wären die dann began- nicht so leicht aus dem Wege räumen ließen. genen Wege anders, klarer oder verschlun- Im Sinne eines Ritardandos soll das Spiel gener gewesen, vielleicht wäre es im Endef- mit der kontrafaktischen Imagination ein fekt doch auf dasselbe hinausgelaufen; viel- letztes Mal vor Augen führen, an welchen leicht aber auch hätte es dann (bis heute) Weggabelungen Werner von Melle hätte ab- in Hamburg weder ein seit 1895 reformier- biegen oder vom Pfad abgebracht werden tes Allgemeines Vorlesungswesen noch die können: Was, wenn ihm der Übergang in nicht mehr wegzudenkende Universität ge- eine Hamburger Anwaltssozietät erfolgrei- geben … cher geglückt wäre; was, wenn er in der noch ··································································· relativ neuen Staatsanwaltschaft erfolgreich Gegen die Macht des Faktischen ist freilich reüssiert hätte oder eine seiner Bewerbun- in einer biographischen Erzählung kein gen um einen höheren Verwaltungsposten, Ankommen. Die in alter Familientradition beispielsweise die um eine Sekretärsstelle bei übernommenen politischen Ehrenämter der Bürgerschaft, akzeptiert worden wäre? seiner mäßig erfolgreichen Advokatenzeit Wenn er die Erstellung eines Reiseführers ersetzte der gut situierte Redakteur 1886

| 246 | durch ein, das kommunale (und Welt-)Ge- lich ,wusste man‘ in der noch recht über- schehen kommentierendes und interpretie- schaubaren lokalen Medienlandschaft, wer rendes Voice-over, das ihn einerseits als Ge- über was schrieb; geübte Leser_innen beka- neralisten im besten Sinne auszeichnete, men (und bekommen) anhand des einmal zugleich aber auch dem Auftrag an die erfassten Individualstils auch ohne nament- Presse gerecht wurde, Vierte Gewalt im liche Kennzeichnung schnell heraus, welche Staatswesen zu sein. Doch was verbirgt sich Artikel aus wessen Feder stammen, zumal eigentlich hinter dieser Aussage? Sie sugge- wiederkehrende Rubrizierungen als entspre- riert, dass es im System der Gewaltenteilung chende Indikatoren gewertet werden kön- (Exekutive, Legislative und Judikative) jene nen. In diesem Punkt zeichnen sich gerade weitere, die drei anderen kontrollierende die Artikel der Rubrik Hamburgische Ange- vierte gibt, die zwar keine politisch-adminis- legenheiten durch erschöpfende Recherche, trativen Befugnisse besitzt, wohl aber durch kenntnisreiche historische Kontextualisie- Berichterstattung und öffentliche Diskus- rung, durch geistreiche Verknüpfungen und sion Einfluss auf das politische Geschehen sinnvolle Winke, Forderungen, Vorschläge nehmen kann. Fraglich ist jedoch, ob der aus. Sie boten (und bieten noch) so viele re- Begriff an dieser Stelle überhaupt sinnvoll levante und stichwortgebende Argumente, gewählt ist, wenn hier statt einer kollekti- dass sich einflussreiche Kreise kaum leisten ven, virtuelle Gewalt ausübenden Körper- konnten, sie zu ignorieren oder in Bezug auf schaft oder eines Gremiums das Autoren- die öffentliche Meinungsbildung zu unter- profil von einer einzelnen Person im Fokus schätzen. Diese Berichte, Analysen und Ein- steht? In Bezug auf von Melle und die schätzungen wurden auch von den politi- Hamburgischen Nachrichten ist der Begriff schen Gremien aufmerksam gelesen und durchaus am Platze, da das Blatt die geistige ausgewertet;768 gewiss wird hin und wieder Urheberschaft der anonymisierten Artikel auch mit Irritation zur Kenntnis genommen nicht offenlegte. Autorisierter Sprecher ist worden sein, dass da jemand Umtriebiges, durchgehend die Redaktion der Zeitung, der in hamburgischen Angelegenheiten das Kollektiv, ein – in den Artikeln immer seine Argusaugen offenbar und sujetun- wieder auftauchendes – „wir“. In puncto abhängig überall zu haben schien, vom Zuordbarkeit ist die Nachwelt in diesem Schreibtisch aus mit Federstrich und Blei- Fall der Mitwelt gegenüber insoweit im Vor- satz, erhobenem Zeigefinger und prüfen- teil, als Werner von Melle in seinen Jugend- dem Blick Politik betrieb, und zwar eine Po- erinnerungen recht umfassende Hinweise litik, die tendenziell – wenn auch nicht auf die Zuständigkeitsbereiche und Themen kritiklos – der des Senats entsprach, ande- seiner Autorschaft gegeben hat. Auch, wenn rerseits aber positiv auch aufs Genaueste die in den Kreisen des maßgebenden Hamburg Zusammensetzung, Arbeit, Leistungs- wie bekannt war, wer in den Redaktionen der Durchsetzungsfähigkeit der Bürgerschaft etablierten Zeitungen arbeitete: Die schrei- kommentierend begleitete. benden Redakteure und Autoren konnte ein ··································································· Zeitgenosse ohne entsprechende ,Legende‘ In dieser Zeit eignete sich von Melle ein nicht ohne Weiteres aus der ihm vorliegen- profundes Wissen an und genoss seine, im den Zeitungsnummer entschlüsseln. Sicher- Vergleich zu den korporativen politischen

| 247 | Gremien komfortable und relativ unabhän- die ,internationale Umsturzpartei‘ nicht zu- gige, d. h. weitgehend kompromissfreie Stel- letzt als Vorstandsmitglied im (quasi) natio- lung, die es ihm ermöglichte, alles ihm nalliberalen Reichstagswahlverein 1884 seine Wichtige an- und auszusprechen. Die Kehr- Stimme. Dass der Journalist nicht unum- seite davon ist freilich stets die Gefahr einer stritten war, vielleicht von verschiedenen In- ungezügelten Subjektivität. Die Stellung er- stanzen sogar in seinem Rollenverständnis möglichte ihm, kurzfristig auf Neuerungen angefeindet wurde, überrascht nicht. Dass zu reagieren, intelligente, visionäre und er sich mit seinen (wissenschaftlichen) Auf- auch unbequeme Vorschläge zu machen, fassungen und konkreten Vorschlägen zum nicht locker zu lassen in der Einforderung Hamburgischen Staatsrecht einer rechtsbera- pragmatischer Problemlösungen. Wie sein tenden Position im Umfeld, wenn nicht gar Vater 1859 sowohl der Erbgesessenen Bür- im Senat selbst als Idealbesetzung empfahl, gerschaft als auch 1861 dem Schwiegervater ebenfalls nicht. Für Werner von Melle folgte Senator Geffcken Nachrufe schrieb, so er- daraus jedoch vorläufig – nichts. wies der Sohn sämtlichen seit den 1880er ··································································· Jahren verblichenen Senatsmitgliedern und Erst in Folge eines persönlichen Verlustes auch Hamburgensien – etwa dem Akademi- wurden die Karten neu gemischt. Auf die schen Gymnasium – die letzte Ehre, be- glücklichen privaten und beruflich durch- glückwünschte die Stadt aber auch in hun- aus erfüllenden Umstände fiel ein Schatten, derten von ,Geburtsanzeigen‘ zu Entwick- als sich der Gesundheitszustand von Emil lungen, Errungenschaften, Institutionen von Melle so verschlechterte, dass er sich im und neuen Konstellationen, für die er uner- Dezember 1890 gezwungen sah, nach 23 müdlich nach Patenschaften und Förderern Jahren von seinem Senatorenamt zurückzu- Ausschau hielt. Der konservativ Verankerte treten; die letzten Amtshandlungen konnte propagierte das alte Patriotenschlagwort der er nur noch im Liegen, seiner Tochter dik- ,Reformen mit Maß‘. Anlässlich eines Arti- tierend, vornehmen: zum Verlust des Au- kels über solch angemahnte Reformen und genlichts war in den letzten Monaten eine das Verhältnis von Senat und Bürgerschaft durch Rückenprobleme verursachte totale vertrat er die Auffassung, dass der Senat der Lähmung der Beine hinzugetreten, die ihn Bürgerschaft gegenüber gewissermaßen das praktisch handlungsunfähig machte.769 Se- konservative Prinzip zu vertreten habe. Die natskollege Petersen schrieb an Werner von überraschend heftige Reaktion, mit der sich Melle: „Können Sie nicht dazu thun, daß der Journalist gegen die Partizipation von nach dem mir überaus schmerzlichen Aus- Arbeitern an der Kommunalpolitik wandte scheiden Ihres Herrn Vaters bei uns ein ei- und polemisch vor den (von der Reichsre- nigermaßen gleichwerthiger Mensch und gierung) geschürten Gefahren warnte, die Staatsmann gewählt werde?“770 Wie diese angeblich von der ,umstürzlerischen‘ Sozial- Frage zu verstehen ist, bleibt offen. Richtet demokratie ausgingen, dokumentiert seine sich die Botschaft an Werner von Melle als Beheimatung im privilegierten Bildungs- den Mann der Presse, der einen geeigneten und Wirtschaftsbürgertum. Seiner darin Kandidaten ausfindig machen möge, oder verwurzelten Generation verlieh der Redak- an ihn als Sohn eines befreundeten Kolle- teur mit einer beispiellosen Agitation gegen gen, dem man sein Mitgefühl ausdrücken

| 248 | möchte, oder ist dies etwa eine implizite verkennen, wie es in derselben nicht nur auf Aufforderung an den kommenden Politi- die Entscheidung von Rechtsfragen“ an- ker, der sich darauf vorzubereiten habe, das komme, sondern, und hier folgt das ent- Erbe seines Vaters anzutreten …?771 Fakt ist: scheidende Alleinstellungsmerkmal von Eine politische Melle-Ära ging mit diesem Melles, sich auch um „ein selbständigeres, ,Abschied‘ zu Ende – Fakt ist auch: er stellte von höheren Gesichtspunkten ausgehendes zugleich die Weichen für den Beginn einer Schaffen innerhalb des den betreffenden neuen. Erst das Ausscheiden des Vaters aus Organen von der Gesetzgebung gewährten dem Amt nämlich – dem am 17. Januar 1891 Spielraums, also um ein Stück produktive der Tod folgte772 –, hatte dem Sohn den Weg Thätigkeit und eigene Initiative erheischen- frei gemacht für die angestrebte Laufbahn in der praktischer Staatspolitik handelt“.774 der Politik, die er seit Jahren aufmerksam im Die Unterredung mit dem Bürgermeister Visier hatte, und die ihn immer stärker ins brachte eine große Übereinstimmung in Visier zu nehmen begann. den Auffassungen und für Werner von ··································································· Melle die erlösende Frage, „ob ich eigentlich Im April 1891 erhielt Werner von Melle ei- nicht Neigung hätte, in den hamburgischen nen Brief vom amtierenden Bürgermeister Staatsdienst zu treten“. Zwar überrascht, Versmann: „Wenn ich mich in der An- aber doch wohl nicht unvorbereitet antwor- nahme nicht irre, daß die Artikel ,Schaffung tete dieser selbstbewusst, dass das früher an- einer juristischen Verwaltungskarriere‘ Ihrer gestrebte und nun in Aussicht gestellte Amt Feder entstammen, würde es mir von Inte- eines Senatssekretärs für ihn, der als selbst- resse sein, den Gegenstand eingehender mit verantwortlicher Redakteur mit einem ge- Ihnen zu besprechen.“773 Natürlich irrte der wissen Gestaltungs- und Wirkungsraum in- Erste Bürgermeister nicht; recht unverhoh- zwischen weit mehr verdiente, keinen Reiz len rechnete der Verfasser darin mit Blick mehr hätte; „Ehre und Freude“ hingegen auf eine zukünftige Verwaltungsreform mit wäre es ihm, „wenn der Senat mir das Amt einigen Auswüchsen des alten Hamburger eines seiner Syndici übertragen wollte“775. Advokatentums ab – „traditionelle Vorliebe Dieser (erwartete?) Vorstoß sei von seinem für die Advocatur, die in einer Welthandels- Gesprächspartner mit Wohlwollen aufge- stadt nicht nur besonders interessante Auf- nommen worden, berichtet von Melle, an gaben, sondern auch große Chancen auf pe- den im Gegenzug der Auftrag erging, eine cuniairen Gewinn bieten, und endlich eine konkrete Gesetzesvorlage plus den Antrag seltsame Unterschätzung des öffentlichen des Senats an die Bürgerschaft sowie ein Rechts und der Aufgaben der Verwaltung Protokoll über den im Senat darüber zu hal- im Vergleich mit denen der Justiz“ – und tenden Vortrag auszuarbeiten, was er sofort ließ im Gegensatz dazu deutlich durchbli- voller Eifer in Angriff nahm.776 „Innerhalb cken, wes Geistes Kind er war: „Die noth- der nächsten 14 Tage brachte ich“, so von wendige Folge solcher einseitigen Ausbil- Melle rückblickend, „zumeist in den Abend- dung aber ist dann […], daß das Staatsleben stunden, die Sache zu Papier, um sie dann gewissermaßen als ein großer Civilproceß sogleich dem Bürgermeister zu übersenden angesehen wird, und daß auch die in der mit dem Hinzufügen, daß ich zu etwaiger Verwaltung beschäftigten Juristen vielfach weiterer Rücksprache über die Arbeit jeder-

| 249 | zeit zur Verfügung stehe. Es vergingen da- Verlangen. Versmanns Antwort auf seine rauf Wochen und Wochen, ohne daß ich Dankesbezeugung überliefert von Melle mit etwas von Bürgermeister Versmann hörte.“ dem lapidaren Satz: „Es ist gut, daß die Erst der am 7. Juli eingetretene Tod des Sache nun in Ordnung ist.“ Überschweng- 48-jährigen, schwerkranken Syndikus Carl licher waren die Reaktionen von anderer Hermann Jasper Merck brachte Bewegung Seite. Abgesehen von dem „nach damaliger in die Sache. „Eine Syndikusstelle wurde Sitte“ üblichen Prozedere, „in unserer Woh- frei, und gerüchtweise verlautete, daß an- nung den Besuch der sämtlichen Mitglieder dere Juristen für ihre Besetzung in Frage ka- des Senats [zu empfangen], die mit ihren men. Da wurde ich allmählich besorgt, daß Damen kamen“, und denen sich die höhe- die bevorstehende Wahl im Senat anders ren Beamten, Rechtsanwälte und Bürger- ausfallen werde, als ich hoffte.“777 So kurz schaftsmitglieder anschlossen, „um meiner vor dem Ziel und nicht zuletzt in Ermange- Frau und mir ihre Glückwünsche auszu- lung väterlicher Fürsprache wurde der bis sprechen“,779 bezeugen zahlreiche Briefe die dato eher zurückhaltende Werner von Melle herzliche Anteilnahme auch im engeren Fa- nun aktiv in eigener Sache. Allein schon um milien- und Freundeskreis. Die mit je eige- seine Stellung nicht zu gefährden, hatte er nem Akzent versehenen, individuellen Gra- bislang jeglichen Austausch – mit seinem tulationsschreiben führen eines deutlich vor ,Chef‘ Hartmeyer oder einem der Senats- Augen: Hier äußern sich Menschen, die – mitglieder – über die mögliche Option, in sei es aus unmittelbarer oder abgeleiteter Er- die Politik zu wechseln, vermieden. Statt- fahrung heraus – eine realistische Vorstel- dessen suchte er erneut Versmann auf, um lung von dem Wahl-Prozedere und Profil von der quälenden Ungewissheit loszukom- dieser Stellung hatten. Die den achtbaren men. Doch der Wink blieb aus, er wurde Karrieresprung keineswegs als selbstver- weiter auf die (Gedulds-)Probe gestellt, ständlich aufnahmen, sondern einem Zu- denn es waren noch einige Wochen bis zur sammenspiel eigener Leistungen in glückli- Wahl.778 Die erhoffte, die willkommene chen, aber kontingenten Umständen zu- Nachricht erreichte ihn schließlich am 17. rechneten und in dem neuen Tätigkeitsfeld Juli 1891: etwas erkannten, das Werner von Melles Fä- ··································································· higkeiten sehr zu entsprechen schien. Als ei- „Mit diesem Tage begann für mich ein ner der (kurzzeitigen) Amtsvorgänger seines neuer Lebensabschnitt“, resümiert von Mel- Neffen im Syndikat freute sich beispiels- le den entscheidenden beruflichen Wende- weise Onkel Geffcken mit, „daß Du in eine punkt in seinem 38. Lebensjahr. Die Gele- regelmäßige Beamtentätigkeit gekommen genheit, der über fünfjährigen, produktiven bist, für welche Dein letztes Buch Dir wohl Tätigkeit als Zeitungsmann ein Ende zu set- gute Dienste geleistet hat“.780 In höherem zen und endlich aus der definierten Position Ton und sehr einfühlsam reagierte Geff- eines politischen Amtes heraus den Aktions- ckens Gemahlin, Werner von Melles Freun- radius zu erweitern und sein erworbenes din Caroline: „Ehrenvoll und Dir besondere Wissen, seine Energie und Gestaltungskraft Aufgaben stellend ist diese Deine Wahl, bei zum Besten seiner Vater- und Mutterstadt der Du ja in gewisser Weise die Erbschaft bündeln zu können, stillte ein sehnendes Deines heimgegangenen Vaters antrittst.“

| 250 | Während Bürgermeistertochter EmmyKaem- den Hamburger Nachrichten. Von Melle merer geb. Goßler, seine Schwiegermutter, schrieb Ende Juli mit mehr oder weniger ihrer Freude in charakteristisch angemesse- Zuversicht an Versmann: „Ew. Magnificenz ner Form ebenfalls Ausdruck verlieh mit ei- erlaube ich mir ganz ergebenst mitzutheilen, nem Verweis auf von Melles Selbstanteil an daß Herr Dr. Hartmeyer sich bisher nur be- dieser Entwicklung: „Ich denke mir, daß es reit erklärt hat, mich zum 15 September d. J. eine Ihnen ganz und gar zusagende Tätig- freizulassen. Indeß ist es nicht unmöglich, keit ist […]. Daß Sie nun schon so bald zu daß ich schließlich doch noch zum 1 Sep- dieser hohen Staatsanstellung gekommen tember meiner Redactionsverpflichtungen sind, ist wohl sehr viel Ihr eigenes Verdienst entledigt werde. Für den Monat August und wird Ihnen eine große Befriedigung werde ich mich wohl leider jedenfalls dem sein, was Einem aber doch nicht immer zu- Senate noch nicht zur Disposition stellen teil wird.“781 Aus Pyrmont schrieb Vetter können“,785 aber die andere Option klappte: Gustav Eduard Nolte:782 „Lieber Werner / Am 1. September trat der neue Syndikus Aus der Zeitung ersehe ich zu meiner sehr sein Amt an. Damit schied von Melle aus großen Freude, daß Du zum Syndikus er- der Redaktion der Hamburger Nachrichten wählt worden bist; ich beeile mich, Dir dazu zu einem Zeitpunkt, als sich die persönliche meinen und Getruds herzlichsten Glück- Einflussnahme Bismarcks auf das Blatt als wunsch zu sagen. Du bist damit in eine Stel- Sprachrohr des 1890 Entlassenen und damit lung gekommen, welche in gleicher Weise politisch Kaltgestellten gerade erst zu entfal- Deinen Fähigkeiten wie Deinen / Interessen ten begann. Die Anfänge der immer deutli- durchaus zusagt, und ich freue mich ganz cher gefärbten Behandlung von Fragen der außerordentlich darüber.“783 Und aus dem deutschen Innen- und Außen-Politik im Hotel Royal Victoria im italienischen Aosta Nebenressort wie auch die mit Hingabe er- ließ sich Rudolf Mönckeberg vernehmen: folgten Expeditionen seines Kollegen zu „Selbst in diesen abgelegenen, übrigens wun- und Begegnungen mit dem Reichskanzler derhübschen Ort ist die Nachricht von Dei- a. D. bekam von Melle noch persönlich mit. ner Beförderung gedrungen + sage ich Dir Und gleich anderen (durchaus nüchternen) herzliche Glückwünsche dazu! / Möge Dir Zeitgenossen786 hat auch er sich letztlich die neue Stelle wohl gefallen. Deinem ver- nicht dem Sog der Bismarck-Begeisterung ehrten H. Vater hätte es gewiß Freude ge- entziehen können – obwohl diese Kanzler- macht. / Ich denke in […] 14 Tagen wieder schaft gerade den Hamburgern insbeson- in H. zu sein + Dir und der Frau Syndica dere durch den schlingernden Kurs zwi- dann persönlich zu gratuliren. Möchtet Ihr schen Freihandel und Schutzzoll einigen nur eben so herrliches Wetter haben, wie ich Verdruss und genügend Anlass gegeben bisher fast überall, zu Wasser u zu Lande. / hatte, skeptisch, wenn nicht gar ablehnend Also, lieber Werner, nochmals beste Wün- auf den ,Eisernen Kanzler‘ zu reagieren. sche für Gegenwart + Zukunft / Dein alter Dass sich von Melle in der Vergangenheit Freund+College / Rud. Mo.“784 diesbezüglich mehrmals kritisch zu Wort ge- ··································································· meldet hatte,787 bevor sich der Erfolg des Nun war nur noch eine Hürde zu nehmen: Freihafen-Coups für Hamburg abzeichnete, die Aufhebung des Arbeitsverhältnisses mit hinderte ihn, den Verfechter der Laband’-

| 251 | schen Auffassung vom Verhältnis des über- trat Werner von Melle am 1. September sein legenen (preußisch Deutschen) Reichs zu Amt an und wurde damit zu einem der vier den untergeordneten Einzelstaaten (Ham- Syndici des Hamburger Senats, der zusam- burg), keineswegs an tiefer Verehrung für mengesetzt war aus den Juristen: Johann den ,Reichseiniger‘ – in von Melles Worten: Heinrich Burchard, Gerhard Hachmann, ein „genialer Ausnahmemensch“788. Ganz Gustav Ferdinand Hertz, Friedrich Alfred im Gegenteil: obwohl er nicht in die Natio- Lappenberg, Johannes Lehmann, Johann nalliberale Partei eintrat, positionierte sich Georg Mönckeberg, Carl Friedrich Peter- der Sohn eines ehemaligen nationalliberalen sen, Johann Otto Stammann, Johannes Reichstagsabgeordneten publizistisch und Versmann und den Kaufleuten: Charles de als Vorstandsmitglied des Reichstagswahl- Chapeaurouge, Adolph Ferdinand Hertz, vereins 1884 ganz in deren konservativem Alexander Kähler, Carl Möring, William (patriotischem) Sinne bei den Wahlen der Henry O’Swald, Eduard Heinrich Roscher, Jahre 1887 und 1890. Die postum anwach- Rudolph Roosen, Hermann Schemmann, sende Bewunderung für den großen Zeitge- Johann Sthamer – 18 Senatoren also, die nossen und Nachbarn Hamburgs, die 1906 dem Neuankömmling „übrigens alle per- auf der Elbhöhe in einer überdimensionier- sönlich bekannt waren“792. Neun waren in ten Bismarck-Statue als „Markstein deut- den Jahren zwischen 1885 und 1890 neu in scher Kraft und deutschen Könnens“789 den Senat gewählt worden, mindestens sechs ihren monumentalen Ausdruck fand, tat ihr der durch Krankheit (zuletzt: Emil von übriges, sodass von Melle noch Jahrzehnte Melle) oder Tod ausgeschiedenen Senatoren später, inmitten der sachlichen Weimarer hatte der neue Senatsyndikus noch als Jour- Republik, als Endsiebziger in seinen Jugend- nalist mit einem Nachruf in das Stadt- erinnerungen den köstlichen Moment einer gedächtnis eingeschrieben. Zu den Nach- längst versunkenen Zeit en détail nach- folgern der in Klammern Aufgeführten schmeckte, da er anlässlich eines vom Reichs- wurden 1885: Hachmann (für Octavio Schroe- tagswahlverein organisierten Fackelzuges der), Burchard (für Karl W. Cropp793) und in Friedrichsruh den Fürsten aus nächster Schemmann (für Peter Großmann794); 1886: Nähe hatte erleben dürfen.790 Stammann (für Hermann Weber795); 1887: ··································································· Hertz (für Theodor Braband796); 1888: Lap- Ab dem Jahre 1891 jedenfalls brauchte sich penberg (für Georg Ferdinand Kunhardt), der scheidende Redakteur zur weiteren Ent- Kähler (für Carl Rapp) und Roscher (für wicklung im ,Bismarck-Blatt‘ nicht mehr Max Theodor Hayn797); 1890: Roosen (für publizistisch zu verhalten, dessen Ausrich- Emil von Melle798). tung er selbst sowohl mit seinem gegen die ··································································· Sozialdemokratie gerichteten, agitatorischen Werner von Melle, als kommentierender Propagandafeldzug als auch mit den Berich- Beobachter bei der Grundsteinlegung zum ten über die pro-Bismark’schen Aktivitäten Rathaus im April 1886 noch gewissermaßen des Reichstagswahlvereins vorzubereiten die Stimme der Vierten Gewalt, hatte es ge- mithalf. Er war endlich angekommen, wo- schafft: Ein Gemälde von Hugo Vogel zeigt hin es ihn seit Langem zog. Mit einem Jah- den ehemaligen Redakteur eine Dekade spä- resgehalt zwischen 16.000 und 18.000 Mark791 ter als Amtsträger und einen derjenigen, die

| 252 | Einzug des Senats in das neue Rathaus 1897 (Hugo Vogel, 1901/04) als Repräsentanten der Ersten und Zweiten Kummer verwehrt geblieben war – noch Gewalt würdevoll, barhäuptig und in schwe- nachträglich trauerte er dem angepeilten rem Ornat, angetan mit weißer Halskrause, Platz auf der Rechten im Parlament hinter- Glacéhand- und Schnallenschuh sowie dem her –, saßen an Bekannten, Freunden und spanischen Hut unterm Arm oder in der Verwandten u. a. Wilhelm Danzel und Max Hand in den Senatstrakt des fertiggestellten Predöhl, außerdem ein Onkel seiner Frau: Rathauses einzogen. Sich dezent im Hinter- Wilhelm Heinrich Kaemmerer sowie sein grund beinahe der Bildmitte haltend blickt Vetter Nolte und der lang vertraute Adolph der Syndikus bemerkenswerterweise als ei- Woermann, für dessen Reichstagswahlkan- ner der wenigen heraus aus dem Bild und didatur im dritten Wahlkreis er vor Kurzem damit gleichsam aus der Vergangenheit di- noch in den Hamburger Nachrichten die rekt in den Bürgermeistersaal einer jeden Werbetrommel geschlagen hatte.800 Schließ- neuen Gegenwart hinein.799 lich als ihrer aller Präsident: von Melles ··································································· Schwager Otto Wilhelm Mönckeberg. Die »Homo politicus« Häufung ist bemerkenswert, zumal sich mit ··································································· den neugewählten Bürgerschaftsmitgliedern Als Werner von Melle seinen Fuß auf die im Jahr darauf auch noch der langjährige Hauptbühne der Politik setzen durfte, wa- Sozius Rudolf Mönckeberg und von Melles ren viele andere schon da: in der Bürger- Freund Otto Eduard Westphal einfanden.801 schaft, der zuzugehören ihm zu seinem Doch bildeten diese fortan nicht die pri-

| 253 | märe Bezugsgruppe des Syndikus, der eben – als Vorsitzender der Commission des Mu- nicht der Bürgerschaft, sondern dem Senat seums für Völkerkunde (S. 74); als unabhängig beratender ,Beamter‘ – in se- – als Mitglied der Verwaltung der Allgemei- natu, aber nicht de senatu802 – zugeordnet nen Gewerbeschule und der Schule für Bau- war. Eine noch bemerkenswertere, geradezu handwerker (S. 84); explosionsartige Häufung (von Ämtern) – gemeinsam mit Senator Conrad Hermann wird andernorts von einem Jahr zum nächs- Schemmann im Präsidat der Armen-An- ten dokumentiert: Rubriziert der Staats-Ka- stalt in der Vorstadt St. Pauli (S. 138). lender auf das Jahr 1891 „Werner von Melle, ··································································· J. U. Dr.“ einmalig als einen der „Rechtsan- Wie das im Einzelnen vor sich ging, welche wälte beim Hanseatischen Oberlandesge- Tätigkeitsfelder also der 38-Jährige im Senat richte mit Wohnsitz in Hamburg“803, zeigt vorfand, wem er und was ihm begegnete der Staats-Kalender auf das Jahr 1892 „Syn- und wie er es erlebte, soll hier nicht para- dicus Werner von Melle“ qua Amt in den phrasiert oder zusammengefasst, sondern Schaltzentren Hamburger Bildungs- und aus der Rückschau gleichsam im Director’s Kulturpolitik platziert, die ihm nun eine Cut von ihm selbst erzählt werden. direkte Einflussnahme in den Bereichen er- ··································································· möglichten, für die er früher nur hatte schrei- Die folgend wiedergegebenen Ausschnitte bend wirken können: einer (1) direkten Aufforderung des Bürger- ··································································· meisters Johannes Versmann an Syndikus – als Verantwortlicher unter Senator Ale- von Melle und (2) dessen (im Konzept über- xander Kähler in den Senats-Commissio- lieferte) Antwort bilden das Präludium für nen für die Kirchen-Angelegenheiten der die oben skizzierte Aufgabenverteilung. Sie christlichen, nicht lutherischen Religionsver- geben Aufschluss über kurze Wege und ge- wandten (darunter fällt auch die Deutsch- läufige Umgangsformen in Hamburg, über Reformirte Gemeinde mit ihrem, von Melle Entscheidungsprozesse hinter den Kulissen wohlbekannten Prediger Hermann Spörri, sowie über Vertrauen, Fremd- und Selbst- S. 42) und für den Israelitischen Cultus einschätzung und einen fürsorglich voraus- (S. 43), in denen über lange Zeit auch schauenden Förderer:804 Emil von Melle den Vorsitz geführt hatte; ··································································· – als Mitglied der I. und II. Section der (1) Johannes Versmann an Werner von Melle, Oberschulbehörde in der Verwaltung- 29. Oktober 1891: Abtheilung für das Unterrichtswesen un- Geehrter Herr Syndicus! ter dem Vorstand von Senator Johann Am nächsten Mittwoch tritt die Geschäfts- Otto Stammann (S. 72); gemeinsam mit vertheilungs-Commission zusammen. Falls Hauptpastor Georg Heinrich Röpe, dem Sie, nachdem Sie den Sitzungen des Senats Mann seiner Cousine Clara (geb. Mutzen- nunmehr während zweier Monate beige- becher); wohnt, besondere Wünsche haben, so bitte – als Vorsitzender der Bibliothek-Commis- ich mir dieselben vertraulich mitzutheilen. sion (S. 73); Dieser Wunsch bezieht sich nicht nur auf – als Präses der Commission des Naturhisto- die Mitgliedschaft von Deputationen, son- rischen Museums (S. 74); dern auch auf Referate.

| 254 | Unaufhaltsam: Der Marsch Werner von Melles in die Kommissionen

(2) Werner von Melle an Versmann, Ent- zelner Referate zu fragen, so möchte ich mir wurf: erlauben zu bemerken, daß ich staatsrecht- Eure Magnificenz lichen, politischen, wirthschaftlichen […] erlaube ich mir auf das geehrte Schreiben und damit in Zusammenhang stehenden vom 29ten ganz ergebenst zu erwidern, daß Gesetzgebungsfragen stets ein besonderes ich \wenn es mir erlaubt ist, einen Wunsch Interesse entgegengebracht habe, auch bei zu äußern,/ unter gegenwärtigen Umstän- den Fragen des Bebauungsplanes und der den in erster Linie wünschen würde, in die Kommission des Baupolizeigesetzes, die mir Oberschulbehörde delegirt zu werden. […] bisher ferner gelegen, deren große Bedeu- Am meisten interessieren wiederum mich, tung ich jedoch vollauf zu würdigen weiß, soweit ich die Sache zur Zeit zu beurtheilen würde ich stets gerne nach Kräften mitzu- vermag, […] die Mitgliedschaft in den wirken bereit sein. Dagegen glaube ich mich Commissionen für die Angelegenheiten der für Referate über rein technische Fragen des Nichtlutherischen christlichen Religions- Canal- und Wasserbaus weniger geeignet. verwandten u. der Israeliten. Daß ich übrigens stets jeder Aufgabe, die Da Ew Magnificenz die Güte gehabt haben, man mir zu übertragen für gut befindet auch nach meinen Wünschen bezüglich ein- nach Kräften gerecht zu erfüllen bemüht

| 255 | sein werde, und daß ich den dringenden […] so manches Rüstzeug für das, was ich Wunsch habe, mich soviel wie möglich später zu erstreben und zu leisten hatte; sie nützlich zu machen, brauche ich wohl kaum schenkte mir ein so reiches Maß geistiger hinzuzufügen. Anregungen und persönlicher Beziehungen ··································································· und vor allem die Liebe meiner Frau“.806 Die Einträge im Hamburger Staats-Kalen- Die Jugenderinnerungen sind beredtes Zeug- der dokumentieren die Erfüllung der von nis dafür, dass die aus niedergeschlagenem Werner von Melle – ähnlich wie in den Ver- Gemütszustand poetisch mit einem Zitat handlungen bei Antritt der Redakteursstelle aus Schillers Wallenstein zum Ausdruck ge- (S. 143 f.) – frei und selbstbewusst geäußer- brachte Überzeugung: „Auf sich selber steht ten Wünsche: als zweites Präsidialmitglied er da ganz allein“,807 die den Verfasser nach der hamburgischen Oberschulbehörde wur- dem Tode seines Vaters überkam, so ganz de er für die nächsten Jahre der 1. Sektion nicht stimmte. Von Melle stand inzwischen (für die Wissenschaftlichen Anstalten) und aus eigener Kraft, und er hatte (noch) für- 2. Sektion (für das höhere Schulwesen) zu- sorgliche Schirmherren aus der älteren Ge- geordnet: „Ich war daher erfreut“, pointiert neration an seiner Seite; es war an der Zeit, er auch in seinem Rückblick auf Dreißig Gleichgesinnte und selbstgewählte Ratge- Jahre Wissenschaft, „daß sich mir jetzt die ber aufzuspüren und zu installieren, den Gelegenheit bot, ja daß es mir eine amtliche lang entwickelten Überzeugungen und Pflicht wurde, für die Förderung der Wis- Ideen im mühsamen Tagesgeschäft korpora- senschaft und der Vorbedingungen ihrer tiver Politik eine reale Gestalt zu verleihen. Leistungsfähigkeit an leitender Stelle – in ··································································· der Behörde und im Senat – nachdrücklich Emil von Melle fand im Ohlsdorfer Sena- einzutreten.“805 Mit der langersehnten An- torengrab Z 10 zur ewigen Ruhe. Schillers kunft im „Regierungs- und Verwaltungszen- Erster Kürassier aus dem anzitierten Reiter- trum der großen Handelsstadt, die zugleich lied sprengte los. Und Werner von Melle, Gliedstaat – oder, wie man jetzt sagt, ein dem zwar ohne Beschädigung der äußeren Land – des Deutschen Reiches ist“, hatte er Verankerung und Binnenstruktur ein ele- „nunmehr an leitender Stelle mitzuwirken mentarer Sicherheitsfaden gerissen war, fuhr bei den wachsenden Aufgaben staatlicher fort, beharrlich an einem Gewebe zu spin- und kommunaler Politik“. Aus der Perspek- nen, dessen Ausläufer früh schon überregio- tive des neuen Lebensabschnitts „Mannes- nal angelegt waren und das unmittelbar un- jahre“, bedient sich der Memoirenschreiber ter der Oberfläche wie ein unsichtbares bei der Einschätzung seiner „Jugendzeit“ als Nervenkostüm die Körperschaften der Stadt Phase der „Vorbereitung“ wieder eines klas- zu überziehen begann. sischen literarischen Musters: „Sie bot mir

| 256 | ·············································································································································· 68 Melle, Jugenderinnerungen, S. 99 f.; Olga (später verh. Köpcke, vgl. Grabstein des Mönckeberg-Ensembles in Ohlsdorf) war die jüngste Schwester von WvMs Schwager Otto. 69 Zum Polter-Abend von Emil von Melle und Marie Geffcken. Den 13. März 1850; Prolog und Nachspiel [gedruckt, o. S.] von den Schwestern Agnes, Elise und Susanne von Melle, S. 9, 10 und 12, Privatbesitz. 70 Verse von Marie Geffcken an Emil von Melle, 02. 12. 1849, Privatbesitz. 71 Abschrift aus den Taufregistern der Kirche St. Michaelis zu Hamburg vom Jahre 1853. Pag. 143, Nr. 1424, Privatbesitz. 72 1853 von Johannes von Melle angefertigte Übersetzung der Notitia Majorum des Jacob von Melle (1707), in Privatbesitz; Quelle für WvMs spätere Familiengeschichte in den „Jugenderinnerungen“ vgl. Anmer- kung 41. 73 Zum Tod des dritten, 1856 geborenen Kindes vgl. die ergreifenden Schilderungen des Großvaters Heinrich Geffcken in seinen Briefen an Friedrich Heinrich Geffcken (StA Hbg. 622-1/26 II Fasc. 4) und S. 45–47. 74 Für den 29. April 1849 steht im Bürgerregister unter von Melle [Emil]: „27 Jahre alt | Kaufmann | 21. Dezember 49 | 13232“ (StA Hbg. 332-7 Staatsangehörigkeitsaufsicht A I e 40 Band 7 [Bürgerregister 1845– 1875, L-R]). – Marie Elisabeth Geffcken und Emil von Melle heirateten am 16. März 1850 – im selben Jahr, in dem Theodor von Melle starb. 75 Seit Mitte der 1950er Jahre ein Teilabschnitt der Ost-West-Straße, seit 2005 umbenannt in: Willy-Brandt- Straße. 76 Hamburgisches Adressbuch 1827, S. 275; vorher wohnhaft als „Associé von Hanssen et von Melle, Neuen- weg, Dienerreihe, no 19, dem Brookthore gegenüber“; einen Eindruck der repräsentativen Wohnverhältnisse geben Beschreibungen des Bruders: „Die Zimmer sind groß und prächtig decoriert. Die Waschkummen von Silber, die Becher gleichfalls, innen vergoldet, usw.“ (Johannes von Melle an seine Sina von Melle, 28. 08. 1821, Abschrift in Privatbesitz). – Der 34-jährige Kaufmann war seit dem 19. April 1822 Hamburger Bürger (Nr. 186; StA Hbg. 332-7 Staatsangehörigkeitsaufsicht A I e 40 Band 3 Bürgerregister 1799–1844, L–R); zehn Tage später kam Emil von Melle auf die Welt. Vgl. Kapitel 3: „Patriot und Vereine“, S. 105. 77 Hamburgisches Address-Buch 1833, S. 81. 78 Davor lautete die langjährige Adresse der Familie von „Geffcken Wwe. Hinr.[ich]“ und der Firma: (alte) „Gröningerstraße No. 123“. Hamburgisches Adressbuch 1813, S. 81. 79 Die Namen sind aufgeschlüsselt im Kapitel 3: „Patriot und Vereine“, vgl. S. 105. 80 Fünf Töchter und ein Sohn erreichten das Erwachsenenalter: Alwine, verh. Küster (1820–1872), deren 1842 geborener Sohn Alfred Heinrich nach erfolgter juristischer Promotion Bibliothekar in Hamburg wurde; Minna, verh. Nolte und Marie Elisabeth, verh. von Melle; Friedrich Heinrich; Agnes Marianne (1834– 1858) und Klara Henriette (1840–1899). – Nach Heinrich Geffckens Tod (1861) zog seine Witwe von der Elbe an die Alster, d. h. in die Anfang der 1830er Jahre zwischen Dammtor und Neuer Jungfernstieg /

| 257 | 181 Lombardsbrücke angelegte Prachtstraße Esplanade: auf dem Grundstück Nr. 14 befindet sich noch immer das in klassizistischem Stil erbaute und seit dem Zweiten Weltkrieg unter Denkmal stehende Haus (vgl. Denkmalliste Hamburg, S. 317, Nr. 13858 (http://www.hamburg.de/kulturbehoerde/denkmalliste/; 14. Juni 2016). Einträge in den Hamburgischen Adressbüchern ab 1863. 181 Melle, Jugenderinnerungen, S. 41 und 43. 182 Heinrich Geffcken an Friedrich Heinrich Geffcken, 26. 09. 1856 (StA Hbg. 622-1/26 II Fasc. 4). 183 Ders., 23. 11. 1856 (ebd.). 184 Ders., 07. 12. 1856 (ebd.). 185 Ders., 30. 11. 1856 (ebd.). 186 Ders., 07. 12. 1856 (ebd.). 187 Ders., 14. 12. 1856 (ebd.). 188 Ders., 11. 01. 1857 (ebd.). 189 Ders., 19. 01. 1857 (ebd.). 190 Ders., 24. 01. 1857 (ebd.). 191 Ebd. 192 Der Erstgeborene Hermann Heinrich (1818–1822), das vierte Kind Emma (1824–1825) und das fünfte Kind (1826–1828), das im Jahr vor Maries Geburt zur Welt kam (Vgl. Art. Geffcken, S. 172 f.). 193 Heinrich Geffken an Friedrich Heinrich Geffcken, 01. 02. 1857 (StA Hbg. 622-1/26 II Fasc. 4). 194 Ders., 25. 02. 1857 (ebd.). 195 Ders., 21. 05. 1857 (ebd.). 196 Ders., 26. 05. 1857 (ebd.). 197 Melle, Jugenderinnerungen, S. 72. 198 Vgl. zu den aufgefundenen Tagebuch-Einträgen und der verwandtschaftlichen Einordnung: Schröder, Mutzenbecher, S. 13–14. 199 Als bekannteste ,tüchtige‘ Kaufleute, die als Lehrlinge in seinem Geschäft ausgebildet wurden, nennt WvM Heinrich von Ohlendorff und Adolph Woermann (ebd., S. 56). Zu ersterem vgl. Schröder, Ohlen- dorff, zu der besonderen Beziehung zu Woermann im Kontext der Reichstagswahlen vgl. Kapitel 3: „Schriftsteller und Journalist“, S. 231‒237. 100 Ebd., S. 57. 101 Sein Kommissionsgeschäft betrieb Emil von Melle bis 1879. – Mit dem 1851 erfolgten Eintritt in das Michaelis-Kirchen-Kollegium wurde er Mitglied der Erbgesessenen Bürgerschaft, es folgten 1856 die Wahl zum Mitglied des Niedergerichts, 1861 zum Provisor am Allgemeinen Krankenhaus, 1864 zum Handels- richter; Mitte der 1860er Jahre wurde er Mitglied der ,neuen‘ Bürgerschaft, in der er sich mit einem An- trag zur Beschlussfähigkeit des Hauses hervortat, dem sogenannten Senatusconsultum Melleianum; 1867 wurde er als Mitglied der Nationalliberalen Partei in den Reichstag des Norddeutschen Bundes nach Ber- lin entsandt, bis er am 9. Dezember zum Senator gewählt wurde (Melle, Jugenderinnerungen, S. 57 und 61; Heyden, Bürgerschaft, S. 81).– Zu den Ritualen, die mit der Annahme zur Wahl als Senator verbun- den waren (angefangen mit der heimlich zum Haus des neuen Senators ausgeschickten Wache, die den „Andrange Unberufener“ zu steuern hatte, über die Aufwartung des Senatsdieners, der die Bestätigung überreichte, dem Erscheinen des jüngsten Senatorenpaares, das die Honneurs zu machen hatte, bis hin zur Cour von Gratulanten der Bürgerschaft und des im Ornat erscheinenden Senats sowie der anschlie- ßenden Vereidigung im Rathaus), vgl. Melle, Kirchenpauer, S. 156–158 und Schramm, Neun Generatio- nen 2, S. 434–436 sowie Melle, Jugenderinnerungen, S. 240 f. 102 Versmann wohnte in der Nr. 5; weder die Gebäude noch die Flurmarken der genannten Grundstücke existieren heute noch. Eine Auswertung der ungefähr zu dieser Zeit (Anfang 1869) verkauften Grund- stücke nennt als Verkaufspreis für ein ,Garten- und anderes Luxushaus‘ in der Alsterterrasse: 51.000 Spe- ciesthaler (vgl. Statistik, S. 134) – zum Vergleich: das Senatorengehalt belief sich auf 25.000 (Juristen) bzw. 12.000 (Kaufleute) Mark (Angaben bei Melle, Staatsrecht, S. 66 und Ipsen, Verfassungsentwicklung, S. 118).

| 258 | 103 Melle, Jugenderinnerungen, S. 73. 104 Hoffmann, Schule, S. 56. 105 Zu Eleonore Agnes Sophie Roscher und ihrer (adoptierten) Tochter Georgine Betty Elise Roscher sowie deren Umfeld vgl. genauer: ebd., S. 49 ff.; Betty Roscher hatte einen pädagogischen Lehrkursus bei Amalie Sieveking und Charlotte Graeve besucht (ebd., S. 55). 106 Ebd., S. 53 f. 107 Rüdiger, Geschichte, S. 123; vgl. auch Hoffmann, Schule, S. 53 f. 108 Ebd. 54. 109 Vgl. zu Schleiden auch Kapitel 3: „Der Grieche“, S. 48 ff. – WvM beschreibt ihn als den Mann, der „in seinen Reden am Schlusse des Schuljahres der andächtig lauschenden Jugend leuchtenden Auges den Weg in das Reich der Ideale wies. In der vielfach recht nüchternen Handelsstadt war dieser zu einer durchgeis- tigteren Lebensauffassung hinleitende Einfluß für die Schüler von großer Bedeutung.“ Melle, Jugenderin- nerungen, S. 73; vgl. auch zu dem engen Freund von Theodor Storm und Emanuel Geibel den ADB- Artikel von Hoche, Schleiden, S. 416 f. und den Nekrolog, den WvM verfasste: Dr. Heinrich Schleiden, in: Hamburger Nachrichten 6 (07. 01. 1890) – außerdem die Einleitung zu Vorwerk, Klassenreise, mit einem Schleiden-Porträt in mittlerem Alter (abgebildet in Kapitel 3, S. 107) sowie die Edition des Briefwechsels Storm – Schleiden, mit biographischer Einleitung und einem Foto von Schleiden und seiner Frau Ida, geb. Speckter aus den 1880er Jahren (Abb. 2): Theodor-Storm-Gesellschaft, Storm-Briefwechsel. 110 In Göttingen, Berlin (u. a bei Friedrich Schleiermacher) und Jena (u. a. Karl von Hase). 111 Nach Angabe des Sohnes wäre ohne das eine Jahr Privatunterricht sonst für Emil von Melle mit Absolvie- rung der „Privatschule von Dr. Gebauer“ im 15. Lebensjahr die Schulbildung zu Ende gewesen (Melle, Jugenderinnerungen, S. 52). 112 Etwa zeitgleich mit der Gründung der Schleiden’schen Schule wurde Emil von Melle 1842 Mitbegründer des Vereins „Hamburger Union“ (und ihr erster Präsident), dem „etwa 100 Jünglinge (meist Comptoiris- ten), deren Local die vormalige von Hoßtruppsche Börsenhalle war“, angehörten und dessen wissenschaft- liche Zwecke durch Vortragende wie Schleiden und Christian Friedrich Wurm vom Akademischen Gymnasium gefördert wurden (Art. Lewis; Art. Melle, Emil von). Die bis 1848 existierende Hamburger Union hatte sich am ,Vorbild‘ des 1795 in Bremen hauptsächlich durch Kaufleute gegründeten, bürger- lichen Vereins ,Union‘ orientiert, dessen ursprünglicher Akzent auf Bildung und Geselligkeit, auf lehr- reicher und zugleich unterhaltender Kommunikation zwischen gleichgesinnten, gebildeten Bürgern lag; eine Art ,Sozialisationsanstalt des kaufmännischen Nachwuchses‘, die sich Anfang der 1830er Jahre zu einem schlagkräftigen Verein der oppositionellen Kaufmannschaft entwickelte (vgl. dazu Schulz, Vormund- schaft, S. 124–126). – Über 40 Jahre später noch wirkten Schleiden und Emil von Melle beispielsweise 1882 als gemeinsame Testamentsvollstrecker des wohlhabenden Hamburger Kaufmanns Christian Goerne zusammen, der „ein beträchtliches Kapital zur Errichtung eines Hospitals für arme Kranke oder einer Krankenkasse“ ausgesetzt hatte (vgl. Melle, Entwicklung, S. 238, Anmerkung). Mitte der 1880er Jahre veranlassten sie die Gründung einer Christian-Goerne-Stiftung, die als Unterstützungskasse für Kranke auch Trägerin einer neu errichteten Kinderheilstätte in Duhnen war, das wie Cuxhaven bis 1937 zum Amt Ritzebüttel gehörte, dem hamburgischen Außenposten an der Elbmündung. Auf der Einweihungs- feier am 1. August 1887 hielt Emil von Melle als Hamburger Senator eine der Festreden (vgl. Die Kinder- heilstätte, S. 7). Sowohl die Goernestraße (1899) als auch -brücke (1910) sind nach dem Wohltäter benannt. 113 Vgl. u. a. Art. Schleiden, Karl Heinrich. 114 Mangels Schulunterlagen für diese Zeit muss die Darstellung den Spuren folgen, die WvM rückblickend ausgelegt hat: Statistiken und Lehrpläne sind in dem Bestand „361-2 II Oberschulbehörde, B 131“ des Staatsarchivs Hamburg leider nur für die Zeit nach WvMs Schulbesuch erhalten. 115 Sohn von Emil von Melles Schwester Adele Theodora und ihrem Mann, dem Arzt Franz Mutzenbecher; Abbildungen beider befinden sich im Art. Mutzenbecher, zwischen S. 280 und 281. 116 Leider ließ sich bisher keine der 44 Nummern aufspüren, deren vier Quartseiten in Anlehnung an die klassischen Familienzeitschriften „Daheim“ und „Die Gartenlaube“ laut von Melle mit verschiedenen,

| 259 | selbstverfassten Genres und sogar Federzeichnungen eines Zeichenlehrers namens E. Früauff versehen waren, vgl. Melle, Jugenderinnerungen, S. 77 f. 117 Als „Progymnasium und höh. Bürgerschule“ bot es verteilt auf 10 Klassen: „3 Real- u. 3 Gymnkl., 3 Mit- tel- u. 4 Elementarkl.“ (Schulgeld: 120–200 „Mark Cour.“) und seit 1869 auch eine „kaufm. Selekta f. Sch. v. 16 u 17 J.“ (250–300 Mark). (Deutscher Universitäts- und Schul-Kalender, S. 270). 118 Vgl. auch Rüdiger, Geschichte, S. 134: „In manchen Schulen wurde auch mit Rücksicht auf die, welche später in eine der beiden Johanneumsschulen gehen wollten, Lateinisch gelehrt, oder es wurde für eine kleinere Anzahl von Knaben eine sog. ,Gelehrtenabteilung‘ errichtet. Sie versäumten dann in ihrer Klasse solche Stunden, die für sie nicht so wichtig waren.“ 119 So bezeichnet in ebd., S. 126. 120 Melle, Jugenderinnerungen, S. 74. 121 So die korrekte und bis heute gültige Bezeichnung für Abgänger der Gelehrtenschule des Johanneums. 122 Damit knüpfte er an die Anfang des 19. Jahrhunderts durch seinen Großvater Heinrich Geffcken begon- nene Traditionslinie an – der im Interesse der Familie und Firma allerdings schon mit 14 Jahren die Schule verlassen musste –, die zunächst von dessen jüngeren Brüdern Eduard (Apotheker in Lübeck; Mit- glied der Bürgerschaft) und Johannes (Pastor, St. Michaelis) sowie von seinem Sohn Friedrich Heinrich in den 1840er Jahren fortgeführt wurde. 123 Noch im Februar 1872 führt die Schulstatistik lediglich zwanzig Staatsschulen auf (darunter auch das Johanneum; eine höhere Mädchenschule wurde erst 1872 gegründet); 19 Schulen waren Kirchenschulen und 202 Privatschulen (darunter wurden auch die ,Kurse‘ für den Armenunterricht gezählt), vgl. Oelkers, Anmerkungen, S. 272. 124 In Artikel III heißt es: „Der Staat übt die Oberleitung und Oberaufsicht über das gesamte Unterrichts- wesen aus. Das Nähere bestimmt das Gesetz.“ Zitiert nach ebd., S. 271, Anmerkung 14. 125 Bibliotheca Johannei: Bericht 1870, S. 28. 126 Max Predöhl z. B. hatte mit den Melle befreundeten Otto Westphal und Carl Ferdinand Laeisz die „Bü- lausche Privatschule“ besucht (Melle, Jugenderinnerungen, S. 82) – nach dem Zeugnis von Rüdiger eben- falls „eine der angesehendsten Knabenschulen“ (vgl. zu ihr und ihrem Leiter Rüdiger, Geschichte, S. 135 f.). 127 Bibliotheca Johannei: Bericht 1870, S. 31. 128 Ebd., S. 32. – Für von Melles Jahrgang in der Ober-Prima 1872/73 wurde alle zwei Wochen zu: „Mittel- alterliche[r] Kunst romanischer und gothischer Periode vorgetragen. Für Architectur gaben die gegen- wärtigen kirchlichen und anderen öffentlichen Bauten (St. Nicolaithurm, Norderkirche in Altona, Pariser Bahnhof) Gelegenheit, das in Abbildungen Gesehene durch die Wirklichkeit verständlicher zu machen. Ausstellungen von plastischen Arbeiten (Werderschild, Denkmal für die Gefallenen von 1870) und von Gemälden hervorragender Künstler (grosse Ausstellung in der Kunsthalle, Makart, Kaulbach) wurden besucht, um das Kunstverständniss für die Gegenwart zu wecken. Die Theilnahme der Schüler war lebhafter als in früheren Jahren.“ Vgl. auch die Lehrpläne im Anhang, S. 336–339. 129 Bibliotheca Johannei: Bericht 1871, S. 35. 130 Ebd., S. 34 f. – Hervorhebungen im Original gesperrt. Interessanterweise findet sich dennoch beispiels- weise in WvMs Abschlusszeugnis unter der Rubrik „Betragen“ ein „sehr gut“ (vgl. S. 59). 131 Vom Senat am 11. November 1870 verkündet, vgl. Gesetzsammlung 1870, S. 117–132. 132 Die Oberschulbehörde bestand aus „3 Mitgliedern des Senats, 6 von der Bürgerschaft gewählten Mit- gliedern, von denen nicht mehr als 2 dem Lehrerstand angehören dürfen, 2 Deputierten des geistlichen Ministeriums, je einem vom Senat ernannten Vertreter des Gelehrtenschulwesens, dem Schulrat, dem Seminardirektor und zwei aus der Zahl der Leiter von öffentlichen oder Privatschulen erwählten Depu- tierten der Synode“ (Rüdiger, Geschichte, S. 142). 133 1874 war Hamburg damit der letzte deutscher Kleinstaat, der eine staatliche Schulordnung einführte. (Vgl. u. a. Bergeest, Bildung, S. 384). 134 Oelkers, Anmerkungen, S. 271. 135 Bibliotheca Johannei: Bericht 1871, S. 33 (Hervorhebungen im Original).

| 260 | 136 Seit 1877: Kaiser-Wilhelms-Universität Straßburg. 137 Bertheau, Röpe. 138 Vgl. Anhang: Unterrichtet wurde von Melle von den Altphilologen Johannes Classen, Louis Ferdinand Herbst, Ernst Wilhelm Fischer, Adolph Kießling, Wilhelm Wagner (Latein und Englisch), Johann Fried- rich Bubendey (Mathematik), Friedrich Stock (Geschichte), Wilhelm Mumssen (Religion, Hebräisch, Deutsch), Ernst Reinstorff (Französisch), M. Micolei (Französisch), Klapproth (Gesang), Koch (Zeich- nen), Bolau (Physik). Vgl. die kurzen Charakterisierungen in: Melle, Jugenderinnerungen, S. 78–80. 139 Ebd., S. 78 – so fast wortwörtlich der eigenen Rede zur Begrüßung der Versammlung der deutschen Philo- logen und Schulmänner 1905 entnommen, vgl. Dissel; Rosenhagen, Verhandlungen, S. 3. 140 U. a.: Meyer, Antrittsrede, S. 1014 f.; Martens, Erziehung, S. 641–647. 141 Hoffmann, Selbsterziehung, S. 213. 142 Melle, Jugenderinnerungen, S. 78. 143 Melle, Begrüßung, in: Dissel; Rosenhagen, Verhandlungen, S. 3. 144 Melle, Jugenderinnerungen, S. 97. 145 Handbuch der historischen Buchbestände, S. 223. 146 Melle, Jugenderinnerungen, S. 79. 147 Zu dem Altonaer Wissenschaftlichen Verein der Selektaner und dem 1882 gegründeten Altonaer wissen- schaftlichen Primanerverein Klio am Christianeum vgl. Hansen, Primanerverein, S. 77 f. und 225–230, siehe auch Anmerkung 441. 148 Vgl. Meyer, Geschichte, S. 17 und das eigenständig gedruckte Verzeichnis der gehaltenen Aufsätze, Koreferate und Mitglieder. 149 Ebd. 150 Überlieferung in den historischen Beständen der Bibliotheca Johannei. 151 Melle, Jugenderinnerungen, S. 81. 152 Ebd. 153 Vgl. die in Anmerkung 112 vorgestellte Vereinsgründung der ,Hamburger Union‘. 154 Im Gegensatz beispielsweise zu dem des etwas älteren Johann Heinrich Burchard. 155 Bibliotheca Johannei: Bericht 1871, S. 32 (Hervorhebung im Original gesperrt). 156 Melle, Jugenderinnerungen, S. 82 f. 157 Bibliotheca Johannei: Bericht 1873, S. 52. Gemeinsam mit WvM meldeten sich und steuerten die Uni- versität an: Arthur Barwasser, Otto de la Camp, Wilhelm Danzel, Oscar Detmer, Oscar Gobert, Carl Gottsche, Heinrich Hahn, Wolfgang Herschel, Carl Jaffè, August Kalkmann, Hermann Klammer, Otto Krogmann, Fritz Krönig, Adalbert Paulsen, Manfred Piehler, Max Predöhl, Heinrich Robe, Ernst Schmaltz, Hugo Schultze, Otto Sierich, Wolfram Wolf, Waldemar Zahn. – Der Bericht des darauffolgen- den Jahres informiert darüber, dass bis auf zwei Kandidaten allen am 4. April 1873 das Reifezeugnis erteilt werden konnte. Bibliotheca Johannei: Bericht 1874, S. 54 f. 158 Notizen zum Abitur-Verlauf (Bibliotheca Johannei: Protocolle der Section für die Schulen des Johanneums, 26. April 1873). 159 de la Camp und Rabe bestanden nicht. 160 Zitiert nach Melle, Jugenderinnerungen, S. 100. 161 An einer Stelle ließ WvM durchblicken, dass sein Vater offenbar „meist ehrgeiziger für mich war als ich selbst“, vgl. ebd., S. 153. 162 Zitiert nach ebd., S. 100. 163 Ebd. 164 Bibliotheca Johannei: Bericht 1874, S. 37 f. und 39. – Vgl. auch von Melles Charakterisierung von Classen als ein „Mann von wahrhaft humaner Gesinnung und noch im Alter von großer geistiger Frische und temperamentvoller Lebendigkeit“, dem die Schüler ihre „Anhänglichkeit über die Schulzeit hinaus bewahrten“ (Melle, Jugenderinnerungen, S. 78 f.). 165 Bibliotheca Johannei: Bericht 1874, S. 39.

| 261 | 166 Vgl. hingegen die unbehaglichen Erinnerungen des einstigen Primaners Carl August Schröder, Hamburgs Blütezeit, S. 26, welcher der „althamburgische[n] Tradition in der Art des Unterrichtens“ der Claassen- Ära nachtrauerte; von WvM übrigens in dem Manuskript ebenfalls als Referenzquelle angegeben. 167 Eine Analogiebildung zu dem berühmt-berüchtigten ,System Althoff‘, womit das unbürokratische und oft Ressortgrenzen überschreitende Vorgehen des preußischen Kulturpolitikers Friedrich Althoff gemeint ist. Vgl. Brocke, Wissenschaftsgeschichte. 168 Melle, Lebenserinnerungen, S. 75–78 (StA Hbg., 622-2/7 Borchling, 25). – Verschreibungen und Durch- streichungen – etwa in der Überschrift, die zuerst lautete „8. In der Oberschulbehörde / a Sektion für das höhere Schulwesen“ – wurden stillschweigend gelöscht bzw. korrigiert, Randergänzungen zur besseren Les- barkeit in eckigen Klammern in den Text eingerückt, der Wechsel von der Kurrentschrift zu lateinischen Buchstaben (meist Namen) aufgelöst, die jeweils rechts oben vermerkte Zählung der Seiten in eckigen Klammern vermerkt. 169 Vgl. Die Matrikel, S. 201. 170 Zu Wohlwill vgl. Bippen, Wohlwill; Grolle, Hamburg; Lorenz, Wohlwill. 171 Melle, Jugenderinnerungen, S. 98. 172 Ebd., S. 99. 173 Ebd., S. 144. 174 Das ,akademische Bürgerrecht‘, d. h. den Schutz der Universitätsprivilegien, erwarb der Student durch die Immatrikulation; damit war seine Rechtsstellung eine andere als die des normalen Stadtbürgers. Sein ,Herr‘ und ,Richter‘ war der Rektor. 175 U. a. von Hermann Baumeister, Ernst Förster, Heinrich Geffcken, Johannes Versmann und Emil von Melle. 176 Vgl. Melle, Jugenderinnerungen, besonders die zitierten Briefstellen auf S. 127–131. 177 Bis das Hanseatische Oberlandesgericht im Oktober 1879 in Hamburg seinen Betrieb aufnahm, war das Lübecker zuständig für die vier Freien Städte des Deutschen Bundes. Von Melle erhielt am 1. November die Advokatenmatrikel-Nummer 125 (neue Zählung seit 1861, infolge der Einführung der neuen Ver- fassung von 1860; vgl. Schmidt, Geschichte, S. 53 f., 359 und 372; Commichau, Juristenausbildung). 178 Schmidt, Geschichte, S. 53; Schröder, Hamburgs Blütezeit, S. 51. 179 Vgl. allgemein zu den strukturierenden Elementen und Koordinaten eines biographischen Ordnungs- systems die Überlegungen von Richter; Hamacher, Kern. 180 So besuchten einige sogar bis zu sechs verschiedene Universitäten (z. B. Eduard A. Stemann, Erlangen, Leipzig, Heidelberg, München, Berlin, Jena): „Von diesen 447 Advokaten studierten 258 in Heidelberg, 245 in Göttingen, 128 in Berlin, 6 in Leipzig, 59 in Jena, 52 in Bonn, 28 in Kiel, jeweils elf in Halle und München, sechs in Tübingen, fünf in Straßburg, vier in Marburg, drei in Zürich, zwei in Rostock, zwei in Freiburg und jeweils einer in Gießen, Erfurt, Erlangen, Greifswald, Dijon, Dorpat, Wien und Helm- stedt.“ Von 499 Advokaten, die ein Doktordiplom erwarben, bevorzugten 191 Göttingen, 159 Heidelberg, 35 Jena, 32 Leipzig, 11 Kiel, 7 Berlin, 5 Halle, 3 Tübingen. Schmidt, Geschichte, S. 21. 181 Das Pandektenrecht galt in Deutschland als gemeines (Zivil-)Recht bis zur Einführung des BGB 1896/1900. Es beruht auf der spätantiken Zusammenstellung aus den Werken römischer Rechtsgelehrter (= Pandekten), die den wichtigsten Teil der Überlieferung des römischen Rechts bilden (Corpus iuris civilis) und gehörte zum breiten Kernbestand des juristischen Studiums (vgl. Schäfer, Juristenausbildung, S. 92). Eine hohe Anziehungskraft hatte in dieser Hinsicht beispielsweise die juristische Fakultät Heidel- berg, an welcher der ,Pandektist‘ Bernhard Windscheid, Verfasser eines Lehrbuchs des Pandektenrechts (1862–1870, 3 Bände), lehrte (vgl. auch Anmerkung 195). 182 Schmidt, Geschichte, S. 22 f. und 385 f. (= Anhang VII: Promotionsordnungen der verschiedenen von den hamburgischen Studenten zur Promotion bevorzugten juristischen Fakultäten, Göttingen); vgl. auch die Auflistung in Kapitel 3: „Advokat und Heidelberger Club“, S. 128. 183 Zur Entstehung und Bedeutung dieser Sammlung vgl. von Melles unveröffentlichte Lebenserinnerungen: „Erwähnen möchte ich noch, daß die auswärtigen und auch manche der Hamburger Dozenten auf

| 262 | meine Bitte so freundlich waren mir zur Erinnerung ihre Photographie mit eigenhändiger Namensunter- schrift zu verehren. So entstand im Laufe der Jahre eine Bildnissammlung, die wegen ihres Umfangs und ihrer Bedeutung viel Interesse bei meinen Gästen zu finden pflegte und in die aufgenommen zu werden auch jeder auswärtige Dozent gern bereit war. Ein Professor sagte mir einmal, nachdem er die Sammlung durchgesehen: ,Sie kennen ja mehr Professoren als ich.‘“ (Melle, Lebenserinnerungen, im Manuskript S. 107; StA Hbg., 622-2⁄7 Borchling, 25). Die Handakte der Hamburger Staats- und Universitätsbiblio- thek zu von Melles Nachlass enthält testamentarische Verfügungen mit umsichtigem Bezug (1) auf die Briefe und (2) auf die Foto-Sammlung: „1) In meinem Besitz befindet sich eine grosse Anzahl von an mich gerichteten Privatbriefen aus alter und neuer Zeit von Gelehrten, Kaufleuten, Politikern, Dichtern, Künstlern usw. (auswärtigen sowohl wie Hamburgern), die ich in verschiedenen Mappen gesondert auf- bewahrt habe. Ich habe den Wunsch, dass sie nach meinem Tode der Hamburger Staats- und Universi- tätsbibliothek überwiesen werden, die ich bitte, das, was ihr darunter von dauerndem Interesse erscheint, zu behalten, das übrige aber zu vernichten oder meiner Familie zurückzugeben. Manches ist dabei viel- leicht schon für die Autographensammlung der Bibliothek von Bedeutung. Eine Einsicht und Benutzung dieser Briefe (insbesondere wo es sich um noch lebende Persönlichkeiten handelt) dürfte natürlich nur mit besonderer Vorsicht gestattet werden. 2) Ich besitze ferner eine grosse Sammlung von Kabinetphotogra- phien mehr oder weniger bedeutender Persönlichkeiten, meist mit eigenhändiger Unterschrift. Sie sind in 5 Lederkästen enthalten (Erster Kasten: auswärtige Dozenten des Hamburger Vorlesungswesens; zweiter: Hamburger Dozenten des Vorlesungswesens; dritter: Mitglieder des Hamburger Senats; vierter: andere Hamburger; fünfter: andere auswärtige Persönlichkeiten). Ich möchte, dass diese Photographien, wie auch eine Mappe mit Photographien von Professoren der Hamburgischen Universität, die mir geschenkt wurde, entweder auch der Hamburger Staats- und Universitätsbibliothek oder dem Museum für Hamburgische Geschichte überwiesen werden. Ich denke, dass die Direktoren dieser beiden Staatsinstitute sich darüber einigen werden, wer die Photographien erhalten soll. Eine Entscheidung der Hochschulbehörde (bezw. Landesunterrichtsbehörde) darüber wünsche ich nicht. Eventuell würde einer meiner Schwiegersöhne wohl die Entscheidung übernehmen.“ Die Entscheidung fiel offenbar zugunsten der Bibliothek. 184 Melle, Jugenderinnerungen, S. 125 (Hervorhebung von M.I. R.); zu dem hier gemeinten Carl Georg von Waechter vgl. Anmerkung 237. 185 Ernst Joachim Förster an WvM, 05. 05. 1873 (SUB Hbg., NvM: AG: Förster, Ernst Joachim); der Aus- druck ,Fuchs‘ meint in der Tradition der Studentenverbindungen ein junges Nachwuchsmitglied, einen Studenten in den ersten Semestern; vgl. zu dem Pandektisten Windscheid Anmerkung 181 und 195. 186 Mitglieder waren u.a. die Mönckeberg-Brüder Johann Georg (1839–1908), seit 1862 Advokat in Ham- burg, 1871 Bürgerschaft (Fraktion der Rechten), seit 1876 Senator, seit 1890 mehrfach Erster Bürgermeister (1890, 1892–93, 1896, 1899, 1902) und Rudolf (1846–1917), seit 1869 in Hamburg Anwalt, seit 1892 in der Hamburger Bürgerschaft (Fraktion der Rechten). (Art. Mönckeberg, S. 250–253). 187 Im Heidelberger Universitätsarchiv gibt es umfangreiche Akten, die sich allerdings nur auf Disziplinar- fälle beziehen und auf je 200 bis 300 Seiten Auseinandersetzungen zwischen Mitgliedern der Hamburger Gesellschaft und andere Verbindungsstudenten dokumentieren (freundliche Auskunft von Sabrina Zinke, UA Heidelberg); vgl. den kleinen Bestand im Hamburger Staatsarchiv: 614-1/30 Heidelberger Club, 1–3, hier auch ein gedrucktes Verzeichnis der Mitglieder der Hamburger Gesellschaft. Aufgestellt Ostern 1914 und die Angaben in Schramm, Neun Generationen 2, S. 433. 188 Melle, Jugenderinnerungen, S. 107. 189 Die Zusammenarbeit im Senat betrug 21 Jahre; beide waren früh schon einig im Bestreben, „den nicht- hamburgischen Deutschen unsere Hamburgischen Verhältnisse näher zu bringen und sie über unsere Eigenart aufzuklären“ (Johann Heinrich Burchard an WvM im Dankesschreiben für die Kirchenpauer- Biographie, 02. 01. 1889; SUB Hbg., NvM: HS: Burchard, Johann Heinrich, 3). 190 Vgl die Einträge im Matrikelbuch der Universität Heidelberg: Winter-Semester 1872/73 bis Winter- Semester 1894/95 Heidelberg, 1872–1895 (UA Heidelberg); online: http://digi.ub.uni-heidelberg.de/diglit/ matrikel1872/0016?sid=359541edb70c8fd76e7cb3612265a529; 16. Juni 2016.

| 263 | 191 Ebd., Bildarchiv – Studentenlokal „Zum Roten Ochsen“. Inv.Nr./Signatur: Dig 00676, HeidICON-ID 385822; (24,5 x 16 cm); Aufschrift, von links nach rechts: „Kramer, Michahelles, v. Holstein, Hübener, Cuntz, O. Lahrmann, von Melle, Dreves, Müller, Lange, Würzler, Gösch, Burchard; i/l C. Spengel; z. f. E.; 18 S.S. 73.“ 192 Ebd. – Studentenlokal „Zum Roten Ochsen“; Dig 01064, HeidICON-ID 386210 (72,5 x 55 cm); Auf- schrift: „Zur Erinnerung / an das 10 jährige Stiftungsfest / Pfingsten 18 RC 78“: 1. R. Jürgensen, 2. P. Dreves, 3. W. Mertens, 4. Dr. J. Reincke, 5. E. Freiherr v. Wolf, 6. G. Grimm, 7. Dr. C. v. Holstein, 8. Dr. A. Sickermann, 9. Dr. O. Creizenach, 10. G. Krieger, 11. H. Waechter, 12. G. Stricker, 13. Fr. Phi- lippi, 14. R. Hohnhof, 15. H. Stratz, 16. E. Esmarch, 17. A. Loerbroks, 18. Fr. Keil, 19. Dr. C. Gösch, 20. O. Dyckhoff, 21. G. Meyer, 22. L. Glaser, 23. Dr. J. H. Burchard, 24. Dr. P. v. Leesen, 25. Dr. C. Siemerling, 26. A. de Myttenaere, 27. Dr. Schaumann, 28. Dr. C. Kramer, 29. Dr. F. Michahelles, 30. Dr. T. Gruner, 31. Dr. E. Hirsekorn, 32. A. Clemm, 33. Fr. Nasse, 34. E. Hanhart, 35. G. Mumm von Schwarzenstein, 36. A. Cuntz, 37. L. Harz, 38. E. Arning, 39. Dr. M. Crasemann, 40. Dr. W. v. Melle, 41. Dr. P. Crasemann, 42. Dr. Fr. Cuntz, 43. Dr. M. Mutzenbecher, 44. Dr. Fr. Friedleben, 45. Dr. E. Dreves, 46. Dr. O. Fester. 193 Ebd. – Studentenlokal „Zum Roten Ochsen“. Dig. 01065, HeidICON-ID 386211 (87 x 58 cm); Auf- schrift: „Jubilaeums-Semester 1886.“ – 1. K. Lehmann, 2. G. Möring, 3. C. Frhr. v. Wolf, 4. F. v. Hanse- mann, 5. A. Kämmerer, 6. M. Schramm, 7. G. Clemm, 8 O. Rössler, 9. E. Krogmann, 10. A. Rötger, 11. O. Dennemann, 12. M. Fränkel, 13. E. Gartenschläger, 14. W. Bloem, 15. E. Saurenhaus, 16. G. Schul- ze, 17. A. Schenck, 18. F. H. Behn, 19. C. v. Holstein, 20. O. Creiznach, 21. A. Semper, 22. Fr. Osann, 23. H. Becker, 24. H. Schlieben, 25. Ch. Horsfall, 26. M. Saurenhaus, 27. W. Stoll, 28. P. Dreves, 29. Ch. Schabbel, 30. O. Embden, 31. W. v. Chelius, 32. L. Knöhr, 33. A. Steinmetz, 34. O. Reissner, 35. H. Jacubowsky, 36. A. Meder, 37. V. Stegemann, 38. C. Jacob, 39. O. Hübener, 40. P. Lafrenz, 41. E. Dreves, 42. O. Lange, 43. O. Dykhoff, 44. F. Michahelles, 45. M. Jensen, 46. M. Crasemann, 47. C. Fränkel, 48. F. A. Philippi, 49. O. Fester, 50. F. Philippi, 51. G. Stricker, 52. E. Frhr. v. Wolf, 53. Th. Gruner, 54. C. Gösch, 55. W. v. Melle, 56. C. Kramer, 57. G. Grimm, 58. H. Waechter, 59. H. Mittermaier, 60. R. Reissner, 61. P. Crasemann, 62. R. Jürgensen, 63. F. Rötger, 64. W. Merk, 65. R. Rötger, 66. K. J. Locher, 67. L. Glaser, 68. M. Ludewig, 69. M. Mutzenbecher, 70. A. Weber, 71. F. Cuntz, 72. F. Müller. 194 Adreßbuch, S. 19; vgl. auch das von den Hamburgern gestaltete „Gedenkbuch für Papa Spengel, den Gastwirt des ,Roten Ochsen‘ in Heidelberg“ (1878–1924) im Bestand des Hamburger Staatsarchivs: 614-1/30 Heidelberger Club, 2 sowie das Gästebuch im Besitz des heutigen Gastwirts. 195 Vgl. zum Pandektenrecht Anmerkung 181 und zu Försters Empfehlung an Windscheid Anmerkung 185. 196 Vgl. Ernst Joachim Förster an WvM, 05. 05. 1873 (SUB Hbg., NvM: AG: Förster, Ernst Joachim) und Melle, Jugenderinnerungen, S. 103. 197 Ebd., S. 10 f. 198 Ebd., S. 105. 199 Zitiert nach ebd., S. 101 f. (Hervorhebung Antiqua statt Fraktur); dieser Zeitungsartikel ließ sich bislang allerdings weder im „Hamburger Fremdenblatt“, noch in den „Hamburger Nachrichten“ oder im „Ham- burgischen Correspondenten“ nachweisen; vgl. dazu die als Faksimile digitalisierte Überlieferung: Das 500jährige Jubiläum der Heidelberger Universität im Spiegel der Presse. Bereitgestellt von: Heidelberger historische Bestände – digital (UB Heidelberg): Hamburger Fremdenblatt, 1886 (http://digi.ub.uni- heidelberg.de/diglit/unihd1886_hamburger_fremdenblatt); Hamburger Nachrichten, 1886 (http://digi.ub. uni-heidelberg.de/diglit/unihd1886_hamburger_nachrichten); Hamburgischer Correspondent, 1886 (http://digi.ub.uni-heidelberg.de/diglit/unihd1886_hamburgischer_correspondent); 16. Juni 2016. 200 Da 1868 das alte Hamburger Bürgermilitär aufgelöst worden war, mussten die Hamburger bei preußi- schen Truppen eine einjährige Dienstpflicht ableisten. 201 Ernst Joachim Förster hatte zunächst Theologie und Philosophie in Jena und Berlin studiert, bevor er auf die Malerei umsattelte und recht erfolgreich Fresken und Porträt-Zeichnungen erstellte, beispielsweise von

| 264 | Jean Paul oder von den Enkelsöhnen Goethes, in dessen Haus er 1825 freundlich aufgenommen wurde (vgl. dazu Försters rührende Schilderung: Förster, Besuch). Später war er hauptsächlich schriftstellerisch und herausgeberisch tätig, vor allem in Bezug auf den Nachlass Jean Pauls. Neben bedeutsamen Schriften zur deutschen Kunstgeschichte, die ihm den Doktortitel der Universität Tübingen einbrachten (Beiträge zur neuern Kunstgeschichte, 1836; Das Deutsche Volk in Vergangenheit und Gegenwart, 1851–1860; Denk- male deutscher Kunst von Einführung des Christenthums bis auf die neueste Zeit, 1855), vollendete er die Übersetzung von Giorgio Vasaris Leben der ausgezeichnetsten Maler, Bildhauer und Baumeister (Stutt- gart 1843–1849, 6 Bände), verfasste Biographien, Reiseberichte, Kataloge, die mit Zeichnungen von eige- ner Hand versehen waren und andere Vermischte Schriften (1862). Er gehörte der Münchener Gesellschaft der Zwanglosen an und gebot „über einen klangvollen, gewinnenden Vortrag“, wie es in einem Lexikon- artikel heißt: „Im höheren Lehramt hätte F. mit seinem Enthusiasmus alle Zuhörer gepackt und hin- gerissen. Leider blieb ihm eine solche Wirksamkeit an der Universität verwehrt, weil damals die Kunst- wissenschaft ebenso wie die deutsche Litteraturgeschichte nur mit classischer Philologie und Archäologie verbunden, immer aber aschenbrödelhaft behandelt wurde. Einem jungen Besitzer des Doctorgrades, wel- cher sich gerade vor fünfzig Jahren für diese Fächer als armer Privatdocent bewerben wollte, wurde da- mals noch von maßgebender Seite bedeutet, daß, wenn man auf so untergeordnete Disciplinen Rücksicht nehmen wollte, die Universität alsbald von einem wahren ,Docenten-Proletariat‘ ,überschwemmt‘ werde!“ (Vgl. Holland, Förster). 202 Auch hier passt zu der schon mehrfach betonten literarischen Folie, dass WvM in seiner Darstellung beide Familien über die Herkunft der Frauen mit der deutschen Literaturgeschichte verknüpft: War Förster in erster Ehe mit Emma, der ältesten Tochter des Dichters Jean Paul Fr. Richter verheiratet, so Geffcken mit Caroline, der einzigen Tochter von Karl (Leberecht) Immermann. – Zur Witwe Wilhelmine Marianne, die den Kaufmann und Direktor der Berlin-Hamburger Eisenbahn-Gesellschaft Julius Guido Wolff ge- heiratet hatte und in Hamburg „gastfreundlich“ lebte (vgl. Heinrich, Niemeyer), bestand geselliger Kon- takt (vgl. z. B. den Dankesbrief Marianne Wolffs aus dem Jahre 1886 an WvM anlässlich der Silberhoch- zeit ihrer Tochter Caroline und Friedrich Heinrich Geffcken, auf der WvMs Schwester Magdalene die von ihm selbst verfassten Verse zur „Einführung der Bilder“ zum Vortrag bringen sollte [SUB Hbg., NvM: HP: Wolff, Marianne, 1–2], ein paar Gedichtzeilen sind in Melles Jugenderinnerungen zitiert, vgl. S. 110; kurz darauf, am 17. Februar 1886, starb Wolff). 203 Melle, Jugenderinnerungen, S. 111 f. 204 Ebd., S. 111. 205 Außerdem zu sehen u. a. (1) Emilia von Melle; (6) Otto Förster, der Sohn von Brix und Mann von (18) Margarethe (Gretel) geb. Steinitz; (7) WvM; (9) Magdalene von Melle; (12) Alida von Melle; (23) Emmy von Melle; Zuordnung von Gertrud von Lacroix, Hamburg 1982. 206 Vgl. den historischen Überblick über Einrichtung und Anfänge der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät in Straßburg, die im übrigen Deutschen Reich noch Teil der Philosophischen Fakultät war, in Schäfer, Lehre, S. 10–15; dazu auch die hier zitierte, 1871 erschienene Denkschrift: Straßburg als Deutsche Reichsuniversität und die Neugestaltung des juristischen und staatswissenschaftlichen Studiums (ebd., S. 11). In der Durchdringung der „tatsächlichen Lebensverhältnisse“ erst durch Staats- und Volkswirt- schaftslehre und der daraus zu gewinnenden „verständigen Rechtsanwendung und -fortbildung“ sahen die Verfasser in der Neugründung Straßburg die Chance zur Schaffung einer „Musteranstalt für das Deutsche Reich“ (ebd.). 207 Ebd. S. 12. 208 Melle, Jugenderinnerungen, S. 118 f. 209 Vgl. dazu auch Stolleis, Geschichte, S. 330. 210 Vgl. zur Lektüre Melle, Jugenderinnerungen, S. 139, und zu WvMs Studium (u. a. bei Jhering) in Göttingen Anmerkung 262. 211 Müller, Verwaltungsrecht, S. 163. 212 Friedrich, Laband, S. 362.

| 265 | 213 An dieser Wissenschaftlichkeit mussten sich in Zukunft auch weitere Rechtszweige messen lassen, so etwa die im Entstehen begriffene Verwaltungswissenschaft, vgl. Müller, Verwaltungsrecht, 163 f. 214 Vgl. Brocke, Bevölkerungswissenschaft, S. 43–45. 215 Vgl. zu den Planungen und Einladungen den Bericht des Chefredakteurs des Hamburgischen Correspon- denten und späteren Senatssekretärs Julius von Eckardt, der zum vorbereitenden Ausschuss gehörte: „Während Schmoller, Wagner, Brentano und Engel die in Eisenach zu haltenden Vorträge unter sich ver- teilten, erbat ich mir den Auftrag, die Einladungen besorgen und die Liste derselben eventuell zu vervoll- ständigen. Mir war daran gelegen, Männer der verschiedensten arbeiterfreundlichen Richtungen unserem Unternehmen zu gewinnen und demselben dadurch die Einseitigkeiten des professoralen und politischen Parteiwesens nach Möglichkeit fernzuhalten – ein Vorhaben, bei welchem Schmoller und Brentano mich verständnisvoll unterstützten. […] Ich hatte mir angelegen sein lassen, den Leiter der hamburgischen Stadtmission Jasper von Oertzen, den hamburgischen Pastor Roepe, den Senator von Melle und andere Vertreter positiv-kirchlicher Tendenzen einzuladen und außerdem meinen Freund Mittelstädt und den Kollegen von der ,Börsenhalle‘ Heinrich Dannenberg mitzubringen.“ Eckardt, Lebenserinnerungen 1, S. 276 u. 278. Bemerkenswerterweise streifte WvM diese symbolisch wichtige Veranstaltung, auf der Emil von Melle auch mit Schmoller zusammentraf, nur als eine „sozialpolitische Tagung“, ohne sie namentlich zu nennen. (Melle, Jugenderinnerungen, S. 115). – Vgl. allgemein zu Haltung und Engagement von Pro- fessoren wie Schmoller: Gramley, Propheten, S. 270–272. 216 Gedruckt wurde die Rede (über Arbeitseinstellung und Gewerkvereine) mit weiteren Referaten von Lujo Brentano (über Fabrikgesetzgebung) und Ernst Engel (über die Wohnungsnot) in: Verhandlungen. 217 Borchard, Schmoller, S. 261. 218 Schmoller, Frage. 219 Treitschke, Socialismus. 220 Schmoller, Sendschreiben. 221 Mohnhaupt, Verhältnis, S. 159. 222 Vgl. die ausführliche, plastische und literaturgesättigte Beschreibung u.a. in Melle, Jugenderinnerungen, S. 116 f.; Wilhelm Scherer erwies sich in seiner Straßburger Zeit (1872–77) – „nach dem einhelligen Urteil der Scherer-Schüler die erfolgreichste im akademischen Leben Scherers“ – als begnadeter Lehrer und Wissenschaftsorganisator; er gründete hier ein modernes Germanisches Seminar und wurde nach seinem Weggang nach Berlin zum Begründer des Faches ,neuere deutsche Literaturgeschichte‘; vgl. u. a. Müller, Scherer, S. 87 f. und ders.; Nottscheid, Scherer. 223 In der etwas später gedruckten programmatischen Schrift: Scherer, Goethe-Philologie, S. 161 – vgl. zu dem Aufsatz von WvM im selben Band der Zeitschrift Anmerkung 290. 224 Scherer, Goethe-Philologie, S. 161 f. (Orthographie unverändert). 225 Ebd., S. 164. 226 Alle Zitate: Melle, Jugenderinnerungen, S. 116 f. 227 Melle nennt noch Stephan zu Putlitz und August Sartorius von Waltershausen (Nationalökonom), vgl. ebd., S. 112. 228 Blecher, Matrikel, S. 377. 229 Melle, Jugenderinnerungen, S. 115 – dort auch der erstaunlicherweise nicht weiter ausgeführte Verweis auf das Kennenlernen von Emil von Melle und Schmoller während einer nicht näher bezeichneten „sozial- politischen Tagung“, womit das wirkmächtige erste Eisenacher Treffen des späteren Vereins für Socialpoli- tik gemeint ist (vgl. dazu Anmerkung 215). 230 Vgl. zur Straßburger Universitätsgeschichte insgesamt Roscher, Kaiser-Wilhelms-Universität Straßburg und zu ihrer Bedeutung für das Deutsche Kaiserreich Schlüter, Reichswissenschaft. 231 Krause, Alma mater Lipsiensis, S. 135. 232 Dazu Schäfer, Juristenausbildung, S. 97: „Die Vorbereitung auf die Berufspraxis wurde von sogenannten Praktika abgedeckt, in denen die Studenten das Anfertigen von prozessualen Schriftsätzen üben konnten. Wie die Literatur nachgewiesen hat, nahm die Anzahl der Praktika während des Verlaufs des 19. Jahr-

| 266 | hunderts wegen des geänderten Verständnisses der Jurisprudenz immer mehr ab. Die Rechtswissenschaft wollte anders als die alte Rechtsgelehrsamkeit die Praktiker nicht mehr unmittelbar an die Hand nehmen. An die Stelle der traditionellen Praktika rückten zunehmend Übungen zum materiellen Recht, wie sie heute bekannt sind. Auch boten die Rechtsfakultäten Repetitorien bzw. Examinatorien zur unmittelbaren Vorbereitung auf das erste Examen an.“ 233 Rieß, Die Strafprozessordnung, S. 46–48. 234 Müller, Wahrheit, S. 12: Damit brandmarkte Binding die ,Instruktionsmaxime‘, d. h. die im Gesetz festgeschriebene Verpflichtung des Gerichts, die Beweisaufnahme – zwar unter Mitwirkung der Parteien (Anklage/Verteidigung), letzten Endes aber doch in der richterlichen Aufgabenakkumulation von Ver- fahrensleitung, Verhör der Angeklagten und Zeugen, Zusammenfassung der Beweisaufnahme, Formulie- rung der Fragen an die Geschworenen sowie, gemeinsam mit übrigen Berufsrichtern, in der Strafzumes- sung – obrigkeitlich vorzunehmen. Indem die Voruntersuchung in einem geheimen und gleichsam inqui- sitorischen Verfahren einer ,Examinierung‘ von Angeklagten und Zeugen stattfände, so der Vorwurf, unterlaufe dieses Vorverfahren die proklamierte Mündlichkeit der öffentlichen Hauptverhandlung, die damit nichts anderes sei als „eine Suggestion der in der Voruntersuchung gegebenen Antworten“ (Koch, Reform, S. 545). 235 Ausschnitte aus dem Vorlesungsverzeichnis der Universität Leipzig, Juristische Fakultät: UB Leipzig, Vorlesungsverzeichnisse 1814–1935; online: http://ub.uni-leipzig.de; 16. Juni 2016. 236 Verzeichniss der als gehört bescheinigten Vorlesungen (UB Leipzig: Rep. I/XVI/VII – C 36, Band 1), dort angegeben der „Tag der Ausstellung des Sittenzeugnisses“ unter Nr. „257, am 25. 3. 1875, per Post am 2. 4. 75 ausgehändigt“. 237 Ein geflügeltes Wort, das auch WvM zitiert: Melle, Jugenderinnerungen, 125; auf ihn bezieht sich der Verweis auf die berufliche Tätigkeit bis ins hohe Alter hinein (vgl. Anmerkung 184). 238 Ebd., S. 124 f. 239 Vgl. WvMs Charakterisierung seines Vaters: „Und wie er in der Ratsstube stets darauf hielt, daß auch das äußere Ansehen des hamburgischen Staates und des Senates gewahrt werde, so legte er auch im gewöhn- lichen Leben und Verkehr Wert darauf, der Würde eines hamburgischen Senators nie etwas zu vergeben. Nichts lag ihm dabei ferner als ein unnatürliches, gespreiztes Wesen. Das ,noblesse oblige‘, das für ihn in der Senatorenwürde lag, bestand vielmehr darin, daß er überall in seinem Auftreten und in seinen Reden die geistige Bedeutung der höchsten Regierungsbehörde gebührend zu repräsentieren bestrebt war.“ (Melle, Jugenderinnerungen, S. 66). 240 Vgl. zum Ansehen der Kunstgeschichte auch Anmerkung 201. 241 Der Pastor und Freund Gotthard Ritter am Sarge der Verstorbenen, zitiert nach Melle, Jugenderinnerun- gen, S. 34. 242 Ebd., S. 33. 243 Dazu ebd., S. 126. 244 Als ,Olymp‘ wurde im Theater des 18./19. Jahrhunderts der oberste Rang mit den billigsten Sitz- und Stehplätzen bezeichnet; von Melle bezahlte für so ein „unnummeriertes Galeriebillet“ 7 1/2 Groschen und hatte dann bisweilen unter „barbarischer Hitze“ zu leiden. Ebd., S. 129. 245 Ebd., S. 129. 246 Unter den Autoren finden sich auch Wilhelm Scherer und sogar WvM; vgl. Anmerkungen 223 und 290. 247 Vgl. Sprengel, Liberalismus. 248 Melle, Jugenderinnerungen, S. 131. 249 Ebd., S. 132; die Geschichte über fiktive Schicksale von zwei deutschen Familien reichte von der germani- schen Zeit bis zur damaligen Gegenwart und wurde in acht Teilen (sechs Bänden) erzählt; der erste Band erschien 1872, der letzte 1880. 250 Melle, Jugenderinnerungen, S. 33. 251 Ebd., S. 131. 252 Ebd., S. 134.

| 267 | 253 Melle, Jugenderinnerungen, S. 136. – Vgl. dagegen die Beschreibung der prägenden Theatererlebnisse in Hamburg (ebd., S. 92–96). 254 Der spätere Bremer Bürgermeister, vgl. Vagts, Buff. 255 Melle, Jugenderinnerungen, S. 133. 256 Ebd., S. 140. 257 Ebd., S. 141. 258 Von Melle beschreibt, wie ein ahnungsloser Student im juristischen Examen diesen Risiken zum Opfer fiel: auf die Frage nach den Möglichkeiten einer Besitzstörung habe er „statt der alten lateinischen Formel ,vi, clam, precario‘ (mit Gewalt, heimlich, bittweise) schlankweg erwider[t]: ,Cli, clang, clario.‘“ Von Melles Kommentar hierzu: „Er hatte die Worte ganz verständnislos falsch gehört und ebenso wieder- gegeben.“ (Ebd., S. 141). 259 Ebd., S. 136. 260 Ebd., S. 137. 261 Ebd, S. 138. 262 Als „Meister“ wurde Jhering von seinen Studenten betitelt, vgl. ebd., S. 139; zu Jherings rechtswissen- schaftlicher Bedeutung vgl. Anmerkung 210. 263 Melle, Jugenderinnerungen, S. 139. 264 UA Göttingen, Vorlesungsverzeichnisse, online: http://gdz.sub.uni-goettingen.de/en/dms/load/toc/?PPN= PPN654655340; 16. Juni 2016. 265 Das hier aufgeführte Staatsrecht wurde vermutlich im Abgangszeugnis falsch einsortiert, denn im Sommer- semenster 1875 bot Mejer laut Vorlesungsverzeichnis nur Englisches Verwaltungsrecht sowie Evangelisches und katholisches Kirchenrecht an. 266 Zitiert nach dem Manuskript von WvM, UA Göttingen, Jur. Prom. 0,2192 Akten betr. die Promotion des stud. Jur. Werner von Melle: Dekanat 1876/78, S. 1. 267 Ebd., S. 50. 268 Ebd. 269 Melle, Jugenderinnerungen, S. 142. 270 Melle, Dissertationsschrift, S. 1; interessanterweise brachten die nächsten vier Dekaden an unterschied- lichen Orten jeweils wieder eine Dissertation zu diesem Thema hervor, vgl.: Fritz André, Die Lehre vom Schatz nach römischem und gemeinem Recht. Berlin 1884; Walter Müller, Zur Lehre vom Schatz nach römischem Recht und nach dem Recht des bürgerlichen Gesetzbuchs für das deutsche Reich. Köln 1898 und (etwas anders) Alexander Schneider, Schatz oder Fund? Ein Beitrag zur Lehre von der rechtlichen Behandlung historischer Funde. Leipzig 1905. 271 Melle, Jugenderinnerungen, S. 142. 272 Ebd., S. 142. 273 Ebd. 274 Susteck, Kinderlieben; vgl. Anmerkung 47. 275 Melle, Jugenderinnerungen, S. 181 f. 276 SUB Hbg., NvM: HS: Burchard, Johann Heinrich, 1–2. 277 Vgl. zur Überlieferung dieses Begriffs und dem Versuch, die Bedeutung von „England als Kulturfaktor“ für gebildete Hamburger Haushalte zu erfassen, d. h. nicht nur als umgangssprachlichen Stichwortgeber (u. a.: Chef, Pantry, Sideboard, Citybag, Tailor made), Sach- bzw. Stoff- und Modelieferant (Liberty und Tweed; Orientierung am ,Gentleman‘-Ideal), sondern auch „als geistige[n] und künstlerische[n] Anreger“ vor allem über englische Literatur und Presse-Erzeugnisse (bis hinein in die Kinderstube: u. a. ,Humpty- Dumpty‘ etc.): Schramm, Neun Generationen 2 (Teil IV, Kapitel 23e: Die Hamburger und die englische Kultur vor 1914, S. 463–467), Zitat: S. 463. – Zur Prägung Hamburgs als „englischste Stadt des Konti- nents“ – auch in technischer Hinsicht (Anlage des Eisenbahn- und Sielnetzes sowie Architektur/Wieder- aufbau nach dem Brand unter dem Ingenieur William Lindley) – siehe außerdem Hinz, Planung, S. 18 f. 278 Art. Melle, Emil von; EvMs Stammalbum, das er von März 1842 an seinen Freunden vorlegte und ent-

| 268 | sprechend auch im Ausland bei sich führte, gibt interessanten Aufschluss über das soziale Umfeld und die geselligen (meist hamburgischen) Kreise, in denen er sich an den jeweiligen Orten bewegte, in New York etwa im gastfreien Haus von der Schriftstellerin, Übersetzerin und Professoren-Gattin Therese Albertine Louise Robinson, geb. von Jacob (1779–1870); zu London vgl. auch Anmerkung 294 (StA Hbg., 622-1/397 Melle). – Eine Edition dieses besonderen Dokuments wird von Johanna Sahling und Johannes Schröder vorbereitet. 279 Als Syndikus, vgl. Christians, Börsenpapiere, S. 609. Zu den über 30 Mitgliedern des „Verwaltungsraths“ gehörten u.a. Bürgermeister Carl Petersen und Emil von Melle (ebd.). 280 Sinngemäß: Die obsiegende Sache hat den Göttern gefallen, aber die besiegte/unterlegene dem Cato. 281 Rudolf Mönckeberg an WvM, 05. 12. 1876 (SUB Hbg., NvM: HS: Mönckeberg, Rudolf). 282 Melle, Jugenderinnerungen, S. 146 f. – Zeugnisse über von Melles Englischkenntnisse gibt es nicht, doch dürften sie wohl in etwa dem entsprechen, was Burchard in dem Brief ein Jahr zuvor über seine eigenen geurteilt hatte, vgl. Anmerkung 276. 283 1828‒1895, seit 1868 Redakteur der Hamburger Handelsgerichtszeitung und 1885 Mitbegründer der Gesellschaft Hamburger Juristen, wurde 1879 zum Sprecher der Rechtsanwälte betreff die Probleme mit der neuen Justizorganisation gewählt, vgl. Schmidt, Geschichte, S. 351. 284 Melle, Jugenderinnerungen, S. 147 und 157. 285 Ebd., S. 158. 286 Vgl. ebd., S. 145 f. Ein ,solicitor‘ ist mit der Vorbereitung eines Prozesses und dem Plädieren in unter- geordneten Gerichten, der ,barrister‘ ausschließlich mit dem Plädieren in höheren Gerichten befasst. 287 Vgl. ebd., S. 150. 288 Vgl. ebd., S. 149 f. 289 Winter-Assisen in Liverpool I–III, in: Hamburgischer Correspondent 302 (21. 12. 1876); 303 (22. 12. 1876); 304 (23. 12. 1876); M-e (das ist WvM): Im englischen Parlament. I-II, in: Hamburgischer Correspondent 172 (22. 07. 1877); 174 (25. 07. 1877). 290 WvM: Die Untersuchung von Seeunfällen, in: Im neuen Reich. Wochenschrift für das Leben des deut- schen Volkes in Staat, Wissenschaft und Kunst 7, 2 (1877), S. 441–453. – Neben Gustav Freytag gehörte auch Emil von Melle hin und wieder zu den Autoren der liberalen Zeitschrift. 291 Scherer, Goethe-Philologie, S. 161–178; vgl. zu dem berühmten Methoden-Zitat Anmerkung 223. 292 Melle, Jugenderinnerungen, S. 153. 293 Vgl. zu den deutschen Ansiedlungen Mitte des 19. Jahrhunderts insgesamt und den einzelnen Familien, Handelshäusern und ihrem sozialen Leben (Kirchengemeinde- wie Vereins-, Bildungs- und Pressewesen) in Liverpool und London im Besonderen: Kirchberger, Aspekte. 294 Schon im Stammalbum (Poesie-Album) von Emil von Melle findet sich 1844 aus der Zeit seines Aufent- halts in London ein Eintrag von Frau Luise Sieveking (das ist Emerentia Louise Franziska geb. [Lorenz-] Meyer), verh. mit Eduard Heinrich Sieveking, Bruder von Amalie Sieveking, Wohnung: Stamford Hill; Kontor: 60 Mark Lane (Eintrag 8; StA Hbg., 622-1/397 Melle). 295 Melle, Jugenderinnerungen, S. 160: der Kaufmann Martin Wilhelm Kunhardt und Sophia Franziska Schröder. 296 Ebd., S. 160. 297 Ebd., S. 161. 298 Ebd., S. 164. 299 Ebd., S. 165. 300 v. M., Dr. (das ist WvM): Léon Gambetta I-III, in: Hamburgischer Correspondent 283 (28. 11. 1879); 285 (30. 11. 1879); 287 (03. 12. 1879). 301 WvM: Schilderungen aus Holland, in: Westermanns Monatshefte 56 (1884), S. 237–256. 302 Ders.: Skizzen aus Wien I–IV, in: Hamburgischer Correspondent 342 (09. 12. 1884); 343 (10. 12. 1884); 344 (11. 12. 1884). 303 Melle, Jugenderinnerungen, S. 213.

| 269 | 304 Das ,Polytechnikum‘ war 1879 als Königlich Technische Hochschule Charlottenburg aus dem Zusammen- schluss der Berliner (Schinkel’schen) Bauakademie mit der Berliner Gewerbeakademie hervorgegangen (heute: Technische Universität Berlin). 305 WvM: Skizzen aus Wien (wie Anmerkung 302; Hamburgisches Adressbuch 1884, 5. Abschnitt, S. 732. 306 WvM: Schilderungen aus Holland, in: Westermanns Monatshefte 56 (1884), S. 237–256. 307 Melle, Jugenderinnerungen, S. 194. 308 Ebd., S. 202. 309 M-e (das ist WvM): Im englischen Parlament. I–II, in: Hamburgischer Correspondent 172 (22. 07. 1877); 174 (25. 07. 1877). 310 Vgl. Kapitel 2: „Kontakt-Linse“, S. 25 f. 311 Vgl. Anmerkungen 154, 155 und 156. 312 Vgl. Kapitel 3: „Patriot und Vereine“, S. 125 und „Advokat und Heidelberger Club“, S. 128–132. 313 Vgl. Kapitel 3: „Advokat und Heidelberger Club“, S. 138–142. 314 Marchthaler, Bedeutung, S. 23. 315 Zur genaueren Auflistung der Bürokosten, die sich im Durchschnitt in den 1870er Jahren auf ca. 2350 Mark beliefen, siehe im Vergleich zu Kaufkraftschätzungen: Schmidt, Geschichte, S. 76 f. 316 Melle, Jugenderinnerungen, S. 54. 317 Nicht zuletzt der Ressource Aufmerksamkeit: Einem Brief John Hargreaves vom 24. Mai 1877 ist zu ent- nehmen, dass von Melle seinen neuesten Aufsatz (Die Untersuchung von Seeunfällen, vgl. Anmerkung 290) direkt dem Sekretär der Deputation für Handel und Schifffahrt hatte zukommen lassen, der diesen mit einer ausführlichen Kritik, die über die Ankündigung einer Note hinausging, würdigte: „Die Darstellung der englischen Verhältnisse […] in Bezug auf die Untersuchung von Seeunfällen scheint mir vollständig zutreffend. Nur eine Bemerkung möchte ich mir gestatten […].“ (SUB Hbg., NvM: HP: Hargraeves, John). 318 Wohlwill, Versmann, S. 190. 319 Ein Herrendiner für den 4. Dezember 1883 bei Senator von Melle kündigt beispielsweise Heinrich Schlei- den in einem Brief an Theodor Storm an, vgl. Theodor-Storm-Gesellschaft, Storm-Briefwechsel, S. 44, Br. 21 (29. 11. 1883); als relevant wurden solche Diners auch noch 1913 eingeschätzt, vgl. u. a. in Wiegand, Notabeln, S. 206, Anmerkung 560. 320 Anonymus (das ist Emil von Melle), Die letzte Versammlung, S. 18 (Hervorhebung im Original). 321 Ebd., S. 17. 322 Ebd, S. 8 und Melle, Kirchenpauer, S. 55–57. 323 Vgl. allgemein zur Geschichte dieser besonderen Vertreter innerhalb der Bürgerschaft die reichhaltige Darstellung von Wiegand, Notabeln. 324 StA Hbg., 332-7 Staatsangehörigkeitsaufsicht A I e 40, Band 3 (Bürgerregister 1799–1844, L-R), Nr. 186; siehe auch Anmerkung 76. Die Kosten des Großbürgerrechts für Fremde beliefen sich bis 1834 auf etwa 150 Mark (danach auf 750 Mark), vgl. die Auflistung bei Vitzthum, Herkunft, S. 68. – Welche geselligen (und finanziellen) Verpflichtungen mit dem Stand verbunden waren, den der Kaufmann in Hamburg anstrebte, deutet ein Brief des älteren Bruders an, der seiner Frau Sina (das ist Henrietta Luise Euphro- sina, geb. Federau, 1797–1883) von seinem Antrittsbesuch berichtet: „Morgen mittag, d. h. um 5 Uhr, gibt Theodor eine Mahlzeit bei Reinvilles, wo ich und einige Freunde sein werden. Mich dauern die Kosten, doch Wilhelm sagt mir, daß es ihm sehr würde verdacht werden, wenn er es nicht täte. Im Hause ist er dazu noch nicht hinreichend eingerichtet.“ (Johannes von Melle an Sina von Melle, 31. 08. 1821; Abschrift in Privatbesitz). 325 Am 12. Mai 1822, also knapp ein Jahr nach der Hochzeit von Theodor und Babette (22. Mai 1821), erfolgte die Taufe in St. Katharinen (Auszug aus dem Taufregister 1822, Nr. 140; Privatbesitz). 326 Heyden, Bürgerschaft, S. 80. 327 Original des Hamburger Bürgers Wilhelm von Melle vom 16. September 1825; der jüngere Bruder von Theodor ersuchte im August 1848 um Entlassung aus dem Bürgerstand, da er sich wieder in Lübeck niederlassen wollte (später ging er nach England). Das Dokument liegt den von Theodor von Melle als

| 270 | Bürge aufgesetzten Papieren bei (StA Hbg., 111-1 58698: 19, Supplicate betr. Entlassungen ec nexa civico, de Anno 1848, 12; alte Signatur: Cl. VII Lit. B c Nr. 7 c Fasc. 34, No. 3208, 12). – Die „Sammlung der Hamburgischen Gesetze und Verfassungen“ (1765–1773) des Ratssyndikus Johannes K. Klefeker bietet einen umfassenden Überblick über die vom Hamburger Rat bis in die zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts hinein erlassenen Verordnungen und enthält darüber hinaus auch umfangreiches Material zur hambur- gischen Schul- und Armenpolitik. Vgl. dazu Krieger, Patriotismus, S. 69 und 116 sowie in diesem Buch Anmerkung 389. 328 Schleiden heiratete am 16. Juli 1842 Ida Speckter (1809–1894), eine Schwester der Maler Erwin und Otto sowie der seit 1832 mit Wurm verheirateten Hermine Speckter. 329 Er redigierte u. a. Mitte der 1830er Jahre die „Kritischen Blätter der Börsenhalle“. 330 Art. Lewis; Art. Melle, Emil von; Melle, Jugenderinnerungen, S. 53 f. 331 Unter dem Eintrag 64 des 25. April 1843 heißt es diesbezüglich in EvMs Stammalbum (StA Hbg., 622- 1/397 Melle): „Erinnere Dich zuweilen unsres Beisammenseins im Turner-Verein, wo wir oft in unsern Betrachtungen zusammentragen, wenn einer anderen Freiheit etwas zu laute Huldigung gewidmet wurde.| J. G. Hallier“. – Hallier war verheiratet mit Marie Caroline geb. Schleiden, Art. Schleiden, S. 398. 332 „Meine Liebe, bester Emil“, begann Schleiden seinen Stammalbum-Eintrag am 26. Mai 1843, „die ich dem Knaben schon, als er zuerst lernbegierig zu mir herantrat, schenkte und die ich dem frischen, jugendlich strebenden und für Alles Gute empfänglichen Jüngling unverkümmert erhalten habe bis auf diese Tage, in denen sein naher Abschied es auch mir zum vollen Bewußtsein wieder bringt, wie viel ich von ihm halte, – meine Liebe giebt mir das Recht auch Dich zu fragen: was ist Dein Ernst und worauf zieht unverwandt | Dein Leben zu? […] Du ziehst hinaus in’s Leben, fröhlich und frisch; ich bleibe von engen Banden des Berufs umschlossen in der Heimath; aber Dich begleitet mein Gedanke, wohin Du auch gehst und in der Vaterstadt bleibt Dir ein treues, Dir innig befreundetes Herz, an das Du vertrau- ensvoll Dich wenden magst, was Dir auch begegnen sollte. | Der Deinige | H. Schleiden Dr“ (StA Hbg., 622-1/397 Melle, 54). 333 Das Programm des Deutschen Klubs unter Führung von Baumeister datiert vom 3. Juli 1848; aus ihm geht hervor, dass an erster Stelle „die Beratung über allgemeine vaterländische Angelegenheiten, die Erhaltung und Förderung der Verbindung ähnlicher Vereinigungen in ganz Deutschland“ stünde, an zweiter als „spezielle Aufgabe für Hamburg“ die Zusammenrufung einer Konstituante. (Obst, Geschichte, S. 26). 334 Das Liberale Wahlkomitee setzte sich als Vertretung der ,Bürger des Mittelstands‘, d. h. der Liberalen, gemäßigten Demokraten und einer kleinen Gruppe gemäßigter Sozialisten (vgl. u. a. Bergeest, Bildung, S. 256) zusammen aus dem Bürgerverein, der Vereinigung zur Hebung des Gewerbestandes, dem Bildungs- verein für Arbeiter, der Gesellschaft für politische und soziale Interessen der Juden, dem Bürgerverein von St. Pauli, dem Deutschen Club und der Assoziation. 335 Als Vertretung der „liberale[n] Mittelpartei“ wurde der – im Volksmund – „Chamäleonsverein“ (Obst, Geschichte, S. 27) 1848 von engagierten Mitgliedern der Patriotischen Gesellschaft (aus der „Vaterstädti- schen Sektion“) und Mitgliedern des Vereins Hamburger Juristen gegründet und vertrat die Interessen der Konservativen und gemäßigt Liberalen, d. h. des Handels und der Börse; zu Hochzeiten hatte er um die 800 Mitglieder, u. a. führend: Knauth, Kaemmerer, Kirchenpauer, Voigt; auch Emil von Melle trat bei. Schon im Juni 1850 löste sich allerdings der Verein wieder auf. Vgl. in Anlehnung an Freudenthal, S. 138 f. Bergeest, Bildung, S. 256 und genauer, wenn auch etwas gefärbt: Melle, Kirchenpauer, S. 531 f. 336 Hoche, Schleiden. 337 Spörri, Hermann: Zur Erinnerung an Heinrich Schleiden Dr. – Reden gesprochen bei der Feier seiner Bestattung am 8. Januar 1890, S. 1–10, zitiert nach: Theodor-Storm-Gesellschaft, Storm-Briefwechsel, S. 80–87, S. 81. 338 WvM: Dr. Heinrich Schleiden, in: Hamburger Nachrichten 6 (07. 01. 1890); vgl. Anmerkung 109. 339 Spörri, Hermann: Zur Erinnerung an Heinrich Schleiden Dr. – Reden gesprochen bei der Feier seiner

| 271 | Bestattung am 8. Januar 1890, S. 1–10, zitiert nach: Theodor-Storm-Gesellschaft, Storm-Briefwechsel, S. 80–87, S. 83. 340 WvM: Dr. Heinrich Schleiden, in: Hamburger Nachrichten 6 (07. 01. 1890). 341 Theodor-Storm-Gesellschaft, Storm-Briefwechsel, S. 52; zu dem selbst in den 1870er Jahren noch unerhört neuen Phänomen einer akademischen Beschäftigung mit Gegenwartsliteratur am Beispiel Scherers vgl. Kapitel 3: „Ortswechsel“, S. 76 f. 342 Art. Schleiden, Karl Heinrich. 343 Vorwerk, Klassenreise, S. 121; dort auch eine Abb. des 1939 leider abgebrochenen Schulhauses. – Theodor Bülau war übrigens der Bruder des Mediziners Gustav Bülau, den von Melles 1856 zur Behandlung der Keuchhusten-Erkrankung von Antonie, Werner und Max Theodor hinzuzogen, vgl. Kapitel 3: „Setting“, S. 46 f. 344 Nach Aussage seines Enkels: Melle, Kirchenpauer, S. 99, Anmerkung 1; ders., Jugenderinnerungen, S. 43. 345 Art. Melle, Emil von; Melle, Jugenderinnerungen, S. 54. 346 Rekonstruktion anhand der Einträge im Stammalbum EvMs (StA Hbg., 622-1/397 Melle). 347 Ihr gehörte als Mitglied auch Heinrich Geffcken an, der nach der Übernahme einer Reihe von städtischen Ämtern (u. a. als Präsident des „Kommerziums“) 1845 in den Senat kooptiert wurde. 348 Alle Zitate: Melle, Kirchenpauer, S. 331 f. 349 Vgl. zu Inhalt und Adressaten des sogenannten „Volksfreunds“ das „Programm“ der ersten Nummer: „Der Patriot schreibt zunächst für das Volk, er möchte das Vertrauen desselben gewinnen. […] Oberster Grundsatz des Patrioten ist ,Freiheit‘, die wahre, die ächte Freiheit; nicht die Freiheit, basirt auf Will- kühr, sondern die Freiheit auf Grundlage von Moral, Vernunft und Recht. Seine Richtschnur bildet das demokratische Princip: Gleichheit aller Staatsangehörigen, basirt auf allgemeine Menschenwürde ohne Unterschied des Standes, des Reichthums, der Religion. Das Blatt adoptirt die politische Glaubenslehre des Patriotischen Vereins.“ (Der Patriot 1, 06. 09. 1848, S. 1, Sp. 1 f.; Hervorhebung im Original gesperrt). – Das von dem politischen Journalisten, radidal-demokratischen Linken und späteren Anarchisten Wilhelm Marr herausgegebene satirische Witzblatt „Mephistopheles“ spottete über die erste Nummer und den Redakteur des „Patrioten“: „Unsere Leser wissen bereits, daß der Heulerklub in Hamburg s. Z. die Ab- sicht aussprach eine ,Zeitung mit Wahrheit‘ zu gründen. Sie ist nunmehr erschienen diese Zeitung, die erste Nummer liegt in jungfräulicher Verschämtheit vor uns, und wir können unsere Leser auf das Be- stimmteste versichern, daß unter der neuesten Literatur der Gespenstergeschichten uns kein Produkt so wirklich schurigen Inhalts bekannt ist als der ,Patriot‘. […] Der Patriot, lieber Leser, wird redigirt von Herrn Dr. Gobert, einem jungen Heuler, dem zu einem bedeutenden Schriftsteller weiter nichts fehlt, als daß er nicht so schön schreibt als er ,schön‘ schreibt. Herr Dr. Gobert besitzt dagegen andere Eigenschaf- ten, die ihn bei seiner Partei zum Helden des Tages stempeln müssen. Er ist ein Tänzer, mit dem selbst Bürger Octavio Schröder nicht in die Schranken treten darf; seine Taille kann einem preußischen Garde- lieutenant die Gelbsucht zuziehen und im Bostonspiel ist er eben so stark wie Metternich in der Politik. Alcibiades Gobert – so wollen wir ihn nennen – hat seine Ritterspornen auf dem Felde politischer Thätig- keit bereits vor einem Jahre verdient, durch einen Aufsatz, der auf der Tafel eines Millionärs zwischen Gänseleberpasteten und Ananastorten zu prangen verdiente, der aber leider aus Versehen in die Journalis- tik gerith, wo sein Haut-goût von den Proletariern der Tageslitteratur nicht anerkannt wurde. – Alcibia- des Gobert hat beim Tanz eine neue Tour erfunden, indem er den linken Arm weit von sich streckt und mit dem rechten die Taille seiner Dame umschlingend, diese fest an seine für alles Schöne, Wahre und Edle klopfende Brust drückt. – / Ja, es ist wahr, eine Partei, deren Koryphäen ihr im Polkaschritt auf der Bahn des Ruhmes vorangesehen, hat eine Zukunft!! – – / Ritter Alcibiades Gobert! Du wirfst uns den Glacéhandschuh vor die Füße, ich hebe ihn auf! / Ritter Alcibiades Gobert! Ich berühre deinen Schild und forder dich auf – zu einer Extra-Tour! / Ritter Alcibiades Gobert! Der Contre-Tanz beginnt! En avant-deux! Chaine anglaise! U.s.w. / Ritter Alcibiades Gobert Sieger oder besiegt – wenn wir den Frei- heitsbaum an die Stelle der Wache auf dem Gänsemarkte aufschlagen, da sollst du uns die Carmagnole vortanzen. / O lassen Sie ab von Ihrem unheilvollen Beginnen die Tagespresse unsicher zu machen!“

| 272 | Literarisch-politisches Curiosum. Der Patriot. (Eine Zeitschrift von und für Heuler), in: Mephistopheles 24 (10. 09. 1848), S. 4. 350 Melle, Kirchenpauer, S. 333; vgl. zu den Programmen auch Vitzthum, Herkunft, S. 52–55. 351 M. (das ist Emil von Melle), Volk, Du schläfst!, S. 95. Der Titel lässt sich unschwer als abgewandeltes, die Situation geradezu umkehrendes Shakespeare-Zitat aus „Julius Cäsar“ II,1 identifizieren: „Brutus, thou sleep’st: awake!“ („Brutus, Du schläfst. Erwach und sieh dich selbst!“), steht in einem Brief, den der vor Mord zunächst noch zurückschreckende Brutus aus dem Volk erhält. – Die charakteristische Abwandlung erfuhr dieses Bild in Heines berühmten (Zeit-)Gedicht „Zur Beruhigung“, in dem er 1844 die politische Lethargie der Deutschen ironisierte: „Wir schlafen ganz wie Brutus schlief – / Doch jener erwachte und bohrte tief / In Caesars Brust das kalte Messer; / Die Römer waren Tyrannenfresser.“ (Heine, Gesamtaus- gabe 2, S. 125 f., S. 125, Zeile 1–4.) – In ähnlichem Duktus begann Ende 1847 auch die bekannte Rede zur Einweihung des neuen Gebäudes der Patriotischen Gesellschaft an der Trostbrücke von ihrem Sekretär Wurm: „Der Deutsche träumt noch immer; aber es ist ein Wandel gekommen über den Geist seines Trau- mes. Er wird erwachen; Willenskraft und Einsicht werden festhalten, was die Phantasie seinem inneren Auge heraufgeführt. Es ist ein Ringen nach Einheit, wie keine frühere Zeit es erlebt hat. Zunächst auf dem Gebiet der materiellen Interessen macht es sich geltend, dass gemeinsame Angelegenheiten gemeinsam beraten sein wollen“, denn „über den materiellen Interessen schwebt die Idee der Nationalität“ – eine Feststellung, die mit einem dreifachen Hoch auf das deutsche Vaterland quittiert wurde. (Patriotische Gesellschaft, 165 Jahre, S. 41–48, S. 41 f.). – Noch eine satirische Variante des Heine’schen Bildes bot „Mephistopheles“ (möglicherweise in direkter Reaktion auf EvMs Weckruf im „Patrioten“): „Das deutsche Volk ist ein Wickelkind, das deutsche Parlament die Wiege, der Zeitgeist die Amme, welche die Wiege von der Rechten zur Linken, von der Linken zur Rechten wirft, um das Wickelkind wach zu halten; dies ver- steht es falsch, und – schläft oft ein!“ (–m.: Bummler-Ideen, in: Mephistopheles 35, 26. 11. 1848, S. 6.) In einer etwas späteren Nummer wird nochmals auf das Heine-Gedicht Bezug genommen unter dem Titel „Beruhige Dir, Reaktion!“, das wie folgt endet: „Noch giebts der Ketten und der Flinken und der Flinten viele, / Australiens Auen für die Wühler blüh’n: / Drum nicht verzagt, ob liebliche Servile, / Wenn toll- kühn Wühler auch von Leder zieh’n!“ (Jul. Bummler: Beruhige Dir, Reaktion!, in: Mephistopheles 38, 17. 12. 1848, S. 4.) 352 Wie alle folgenden Zitate: M. (das ist Emil von Melle), Volk, Du schläfst!, S. 95; Hervorhebungen im Original gesperrt. 353 Alle Zitate in ebd., S. 95. 354 Anonymus (das ist Emil von Melle), Wen will ich wählen?, S. 81 f. (Hervorhebung im Original gesperrt). 355 Ebd., S. 81 (Hervorhebung im Original). 356 Ebd. (Hervorhebung im Original). 357 Ebd., S. 82 (Fettdruck unverändert; Hervorhebungen im Original gesperrt). 358 Ebd. (Hervorhebung im Original gesperrt). 359 Ebd. (Hervorhebung im Original). 360 Überliefert von Heinrich Chr. Lüdemann in: Hamburgs Verfassungskämpfe, zitiert nach Melle, Kirchenpauer, S. 342; vgl. dort auch die ausführliche Analyse des Vertragswerks; siehe auch Mönckeberg, Geschichte, S. 493. 361 Eckardt, Herrschaft, S. 24. 362 Melle, Kirchenpauer, S. 350. 363 Ebd., S. 351. 364 Noch in den 1860er Jahren gehörte Emil von Melle zum Kollegium der „Hundert und Achtziger“, vgl. die Auflistung in Geffcken, Michaeliskirche, S. 103. 365 Melle, Jugenderinnerungen, S. 56. 366 Vgl. Anmerkung 320. 367 Vgl. z. B. die bekannte öffentliche Verteidigungsschrift von Georg Heinrich Sieveking: An meine Mit- bürger (Hamburg 1793), zu der sich der aufklärerische Kaufmann in Reaktion auf eine persönliche Be-

| 273 | drohungslage gezwungen sah. Der Veranstalter des berühmten ,Harvestehuder Freiheitsfestes‘ (am ersten Jahrestag des Pariser ,Sturms auf die Bastille‘, 1790), an dem sowohl Adolph Freiherr von Knigge als auch Gottlieb Klopstock teilgenommen hatten, geriet in Folge der Guilletonierung des französischen Königs Ludwig XVI. im Januar 1793 schwer unter Druck und den Verdacht, ein Jakobiner zu sein. Dies bestritt er ebenso vehement, wie er sich gegen die Auswüchse (nicht aber die aufklärerischen Grundsätze) der Revolution wandte. 368 Amandus Augustus Abendroth: Wünsche bey Hamburgs Wiedergeburt im Jahre 1814. Seinen patrioti- schen Bürgern gewidmet (Kiel 1814). – Die Denkschrift des früheren „Maire“ (frz. für Bürgermeister) aus der Zeit der Verbannung in Kiel enthielt praktische und fortschrittliche Vorschläge zur Reformierung des Hauptreceß von 1712 (u. a. die Trennung der Justiz von der Verwaltung und die Öffnung der bürger- lichen Kollegien für alle Konfessionen). 369 Wurm, Wort S. 12 f. 370 Ebd., S. 16. 371 Anonymus (das ist Emil von Melle), Zur nächsten Bürgerschaft, S. 18. – Zur Aufnahme der Schrift be- richtet Schwiegervater Geffcken nach Berlin: „Emil hat mich mit seiner kleinen trefflichen Schrift förm- lich überrascht, ich habe kein Wort davon gewußt bis sie gedruckt vor mir lag. Die Schrift findet großen Beifall, indessen ist die Zeit \für sie/ vielleicht zu kurz um | eine recht durchschlagende Wirkung zu haben.“ Geffcken an Friedrich Heinrich Geffcken, 13. 03. 1859 (StA Hbg. 622-1/26 II Fasc. 5). 372 WvM: † Senator von Melle, in: Hamburger Nachrichten 24 (28. 01. 1891). 373 Die Hamburgische Münze prägt auch heute noch Zahlungsmittel (als eine der fünf staatlichen Münzan- stalten prägt sie einen Teil der Euro-Münzen der BRD, ausländische Währungen wie auch Sonder- und Sammlermünzen und Medaillen). Sie besteht seit dem 9. Jahrhundert und gehört zu den ältesten Münz- stätten im Gebiet östlich des Rheins. 374 In der Kommission waren außerdem neun Bürgerschaftsmitglieder. Frank M. Hinz hebt bezüglich der ge- nannten vier Senatoren hervor: „Die Wahl genau dieser Senatoren war richtungsweisend. Die Gegner des Kehrwieder/Wandrahm-Projekts, die schon genannten Senatoren Mönckeberg, Kirchenpauer, Schroeder und Sthamer, wurden nämlich nicht berücksichtigt“ (Hinz, Planung, S. 112). 375 Zitiert nach Melle, Jugenderinnerungen, S. 65. 376 Zitiert nach der ausführlichen Charakterisierung in Hauschildt-Thiessen, Bürgermeister Mönckeberg, S. 83 f. – Das vor den Toren Hamburgs gelegene Gebiet der ehemaligen Landherrenschaft Hamburger Berg wurde 1833 unter dem Namen ,St. Pauli Vorstadt‘ unter städtische Verwaltung gestellt; hauptverant- wortlich für die Leitung der Verwaltung und Gerichtspflege war der vom Senat auf jeweils sechs Jahre gewählte ,Patron‘ (vgl. Obst, Geschichte, S. 19). Das Patronat, das zuletzt Emil von Melle seit 1870 inne hatte (vgl. hier S. 137), wurde am 31. Dezember 1875 aufgehoben, dazu heißt es in dem Protokoll des St. Pauli Bürger-Vereins von der ersten Januar-Generalversammlung 1876: „Der Vorsitzende Herr Witt berichtet, daß der Gesamtvorstand sich am Morgen des 31. Dezembers zu dem Patron Herrn Senator von Melle begeben, um demselben, jetzt bei seinem Abgange, den Dank des Vereins abzustatten für die vielen Beweise des Wohlwollens, die er stets dem Verein entgegengebracht hat; gleichzeitig sei dem Herrn Senator die Frage vorgelegt, ob er geneigt sei, ein Ehrendiplom des Vereins entgegenzunehmen. Derselbe wäre sichtlich erfreut gewesen und hätte die Annahme der Ehrenmitgliedschaft zugesagt. Hierauf erfolgte die einstimmige Aufnahme des Herrn Senators von Melle als Ehrenmitglied.“ Bendix, Geschichte, S. 59 und 79, vgl. auch die Überlieferung zum Patronat im Bestand: StA Hbg., 411-2 Patronat St. Pauli. 377 Zitiert nach Heyden, Bürgerschaft, S. 82; Hauschildt-Thiessen, Bürgermeister Mönckeberg, S. 83 f. 378 WvM: † Senator von Melle, in: Hamburger Nachrichten 24 (28. 01. 1891). 379 Krieger, Patriotismus, S. 12: die erschöpfende Untersuchung rekonstruiert das von den städtischen Eliten getragene intellektuelle Konstrukt bzw. den ,kulturellen Akt‘ anhand früher institutionalisierter Personen- netzwerke auf Grundlage eines allgemeinen Wertesystems, mit dessen Hilfe einerseits gesellschaftliche Inte- gration im Inneren und andererseits die Herausbildung einer kollektiven Identität erreicht werden sollte. Krieger konzentriert sich allerdings auf die Zeit von 1710 bis 1740, d. h. weniger auf die Politisierung, die

| 274 | die Geisteshaltung in den 1840ern bestimmte, und die eher praktisch-ökonomische Ausrichtung, die auch heute noch von der ,zweiten‘ Patriotischen Gesellschaft gepflegt wird. 380 Das Ohnsorg-Theater wurde 1902 durch Richard Ohnsorg als niederdeutsche Bühne unter dem Namen „Dramatische Gesellschaft Hamburg“ gegründet. Es wurde 1906 in „Gesellschaft für dramatische Kunst“ und 1920 in „Niederdeutsche Bühne Hamburg e.V.“ umbenannt. 381 Melle, Jugenderinnerungen, S. 165. 382 Die Staats- und Universitätsbibliothek stellt auf ihren Seiten ein Digitalisat zur Verfügung: Johannes Bugenhagen’s Kirchenordnung für die Stadt Hamburg vom Jahre 1529. Im Auftrage der Bürgermeister Kellinghusen’s Stiftung hrsg. von D. Carl Bertheau. Hamburg 1885; online: http://ppn.sub.uni-hamburg.de/ goobi/ppn633212865; 12. Juli 2016. 383 Vgl. dazu in Richter, Teske, insbesondere S. 203–209 sowie als Aufsatzthema am Johanneum Kapitel 5: Anhang, S. 339, 1b. 1. 384 Jacob von Melle (Magister und Hauptpastor an der Lübecker Marienkirche, Senior und Vorsitzender des lübischen ,Geistlichen Ministeriums‘, Verfasser der Notitia Majorum, vgl. Anmerkung 41) zeugte Samuel Gerhard (1690–1733; Magister Theologiae und Prediger an der Lübecker Ägidienkirche), und der zeugte Johann Jacob (1721–1752; Magister Theologiae und Prediger der Lübecker Jacobikirche; Mitglied der Teutschen Gesellschaft in Jena und der Königlichen Großbritannischen Gesellschaft in Göttingen; ,hinrei- ßender‘ Kanzelredner und gewiefter Rhetorik-Experte; von der Universität Erfurt ausgezeichnet mit dem Diplom eines Kaiserlich gekrönten Poeten [1744]; außer Theologie befasst mit Geschichte, Topographie, Genealogie, Heraldik, Numismatik, Archäologie, [vergleichender] Sprachforschung und Naturkunde). Johann Jacob zeugte Johann Hermann (1750–1815; Studium der Theologie in Göttingen, Greifswald und Leipzig als Schüler Gellerts; in Lübeck ,Schullehrer an St. Catharinen‘; zweiter Bibliothekar an der Stadtbibliothek; Mitglied der Deutschen Gesellschaft in Göttingen und Preisträger der Haager Gesell- schaft zur Verteidigung des Christentums) und dessen Sohn Theodor Lorenz Friedrich zeugte Emil von Melle, den Vater WvMs. (Vgl. Melle, Jugenderinnerungen, S. 14–29; zu Jacob von Melle: Michelsen, Melle – Spies, Melle sowie Möller, Wörterbuch). 385 Die überlieferte Schwarz-weiß-Fotografie des Epitaphs (das Original existiert nicht mehr) gewinnt durch WvMs ausführliche Beschreibung an Farbe und Plastizität: „Sein Name ist in den gelehrten Kreisen nicht nur seiner Vaterstadt unvergessen, und sein Bildnis in Amtstracht mit weißem Kragen und dunkler Alongeperücke – gemalt von Jürgen Matthias von der Hude – hat einen würdigen Platz an einem Chor- pfeiler der Marienkirche in Lübeck gefunden, umrahmt von einem mächtigen architektonisch-plastischen Aufbau im Rokokogeschmack der Zeit. An der linken Seite eines den Hintergrund bildenden purpurfar- bigen Baldachins schwebt ein Engel empor, der eine sich in den Schwanz beißende Schlange als Sinnbild der Ewigkeit in der Hand hält. Zur Rechten steht eine trauernde weibliche Gestalt, die die Lebensfackel senkt. Neben dieser sind unter dem Bildnis Globus, Zirkel, Bücher und Muscheln aufgebaut als Zeichen der vielseitigen Gelehrsamkeit. Darunter steht auf einer herabhängenden Schriftrolle in großen Buchsta- ben der Name des Dargestellten, und ganz unten an der Spitze des sich verjüngenden Unterbaues sieht man das alte Wappen der Familie: drei rote Schrägrechtsbalken in silbernem Felde mit einem Hermelin- Freiviertel im linken Obereck.“ (Melle, Jugenderinnerungen, S. 20 f.). 386 Melle, Jugenderinnerungen, S. 17 f.; dort auch in Anmerkung 2 der Hinweis auf die genannte Veröffent- lichung von Schumann, Wörterbuch. 387 Nach der Bombardierung Lübecks wurden die wertvollen Bestände der Stadtbibliothek Lübeck, darunter die Wörterbücher von Melles, 1942 in einem Salzbergwerk bei Bernburg/Anhalt in Sicherheit gebracht und 1946 von dort in die Sowjetunion transportiert – seitdem galten sie als verschollen. 1989/90 erst wurden sie wieder mit anderen (kriegskonfiszierten) Büchern in die Stadtbibliothek zurückgeführt (vgl. Möller, Wörterbuch, S. 9). 388 Vgl. ebd., S. 24. 389 Vgl. ebd,, S. 25. 390 Vgl. Anmerkung 317 und Krieger, Patriotismus, S. 69 und 116.

| 275 | 391 Schmidt, Geschichte, S. 348 f.; Wolffson verfasste für den 1884 erschienenen dritten Band des Handbuchs des öffentlichen Rechts der Gegenwart in Monographien den 88 Seiten langen Artikel über das „Staats- recht der Freien und Hanse-Städte Hamburg, Lübeck, Bremen“, der sich hauptsächlich auf die Darstel- lung des seinerzeitigen Rechtszustands in Hamburg konzentrierte. 392 Vgl. zu Speckter die in Kapitel 3: „Advokat und Heidelberger Club“, S. 131 reproduzierte Lithographie des Heidelberger Clubs. 393 Voigt, Gedenkblätter, S. 8 f. 394 Vgl. Anmerkung 236. 395 Melle, Kirchenpauer, S. 65. 396 Bergeest, Bildung, S. 297; Voigt, Gedenkblätter. 397 Ebd., S. 11. 398 Ebd., S. 17. 399 Ebd., S. 21. 400 Melle, Jahre 1, S. 594; Freudenthal, Vereine, S. 182–187. 401 Voigt, Gedenkblätter, S. 23 f. – Von Melle war von 1901 bis 1909 selbst Vorsitzender des Vereins. 402 Melle, Jahre 1, S. 594 f. 403 Schlott, Hettner, S. 261. 404 Scherer, zitiert nach ebd., S. 262 f. 405 Hermann Hettner an Erich Schmidt, 17. 11. 1874: „Da ich nun weiß, daß Sie in jüngster Zeit viel über diese Dinge gearbeitet haben und auch wohl im Straßburger Seminar manches Bezügliche zur Sprache gekommen ist, so erlaube ich mir die Bitte, mir recht ausführlich und wohl aufrichtig zu sagen, welche Fehler und Ungenauigkeiten Ihnen in meinem Buch aufgestoßen sind und gegen welche Thatsachen und Urtheile Sie Bedenken hegen.“ Zitiert nach ebd., S. 263. 406 An seinen Vater hatte er geschrieben: „Ich war ferner im House of Lords, wo ich den Earl of Derby und den Duke of Richmond (beide Minister), aber leider nicht Lord Beaconsfield sprechen hörte“, vgl. Melle, Jugenderinnerungen, S. 164. 407 WvM: Lord Beaconsfield. Ein Charakterbild von Georg Brandes, in: Hamburgischer Correspondent 213 (07. 09. 1879), Beilage: Kunst, Literatur und Wissenschaft. 408 Vgl. zur Schilderung der Begegnung Melle, Jugenderinnerungen, S. 170 und ders., Wissenschaft 1, S. 594 f. 409 Z. B. sogar gedruckt: Spörri, Zwingli. 410 Voigt, Gedenkblätter, S. 22. – Spörri, Rede. 411 Beispielsweise 1887 in Veranlassung der Jungius-Feier oder 1891 zum 25-jährigen Bestehen des „Vereins zur Unterstützung unbemittelter Studirender“, vgl. Voigt, Gedenkblätter, S. 22. 412 Spörri leitete die Gemeinde zwischen 1868 und 1898, vgl. Hamburgischer Staats-Kalender 1892, S. 42. – Vgl. auch Kapitel 3: „Privatier / pater familias“, S. 151. 413 Vgl. Theodor-Storm-Gesellschaft, Storm-Briefwechsel; WvM: Dr. Heinrich Schleiden, in: Hamburger Nachrichten 6 (07. 01. 1890); Hermann Spörri: „Nicht umsonst hat auf den Lippen des Sterbenden jenes dreizehnte Capitel des ersten Corintherbriefes geschwebt, jenes hohe Lied der Liebe, die Alles trägt und hofft und duldet, die da bleibt, wo Erkenntniß und Weissagung aufhören, die in das Stückwerk unseres Daseins das Gefühl des Ganzen und Vollendeten senkt. Diese Liebe war in ihm zunächst die wohlwol- lende, gefällige, hilfbereite, nie sich versagende Theilnahme; aber sie war viel mehr als das. Sie war die schöpferische, belebende Kraft seines Gemüts nach den verschiedenen, ja entgegengesetzten Richtungen ihrer Bethätigung“. Spörri, Hermann: Zur Erinnerung an Heinrich Schleiden Dr. – Reden gesprochen bei der Feier seiner Bestattung am 8. Januar 1890, S. 1–10, abgedruckt in: Theodor-Storm-Gesellschaft, Storm-Briefwechsel, S. 80–87, S. 82 (Schreibung so im Original); so auch die Grabinschrift des Familien- grabs Senator Emil von Melle: „Die Liebe höret nimmer auf | 1 Kor. 13,8“; vgl. Anmerkung 15. 414 Vgl. zum Verhältnis beider zueinander, das sich über die Jahre von ursprünglicher Mentorschaft hin zu einer „respektvollen Freundschaft“ entwickelte, Junge-Gent, Lichtwark, S. 45–47 und 716. Brinckmann hatte den neun Jahre jüngeren Volksschulehrer bei dem Entschluss, sich 1880 für Cameralwissenschaften

| 276 | zu immatrikulieren, gefördert und auch weiterhin unterstützt; an der Leipziger Universität belegte Licht- wark nachweislich allerdings nur kunstgeschichtliche Veranstaltungen bei Anton Springer, den etliche Jahre früher schon WvM gehört hatte (vgl. Anmerkung 243). 415 Mit den Angaben der Promotion nach dem annotierten Verzeichnis von Schmidt, Geschichte, S. 370–373. 416 Max Predöhl war nicht wirkliches Mitglied, gehörte aber sowohl in Heidelberg als auch in Hamburg zum Umgang. 417 Hotel Bellevue: Esplanade 32; Meyer’s Hotel: Stephansplatz 10/12. Vgl. z. B. S. 130. 418 Freudenthal, Vereine, S. 230. 419 Vgl. Dirksen, Jahrhundert, S. 208; Freudenthal, Vereine, S. 229 f.; Melle, Kirchenpauer S. 17 f.; Eckardt, Lebenserinnerungen 2, S. 10 f. 420 Als Nonnes Tochter Louise Geert Seelig ehelichte, ging in Hamburg das Wort um: die erste Nonne, die durch Heirat se(e)lig geworden sei. 421 Seelig: „Hamburger Gesellschaft“ (StA Hbg., 614-1/30 Heidelberger Club, 3). 422 StA Hbg., 614-1/30 Heidelberger Club, 2 (Heidelberger Club von 1874. Circular [1878] und Protokoll- buch; Vorschläge für Satzungsänderungen, Austritte von Mitgliedern, Angelegenheiten der Hamburger Gesellschaft zu Heidelberg und deren Auflösung, „Gedenkbuch für Papa Spengel, den Gastwirt des ,Roten Ochsen‘ in Heidelberg“ [1878–1924]). 423 Ebd., das Gedenkbuch befindet sich noch im Besitz der Familie. 424 WvM bewarb sich früh um die Stelle eines Sekretärs der Handelskammer (1877), als Grund für die Absage überliefert er die wenig befriedigende und „schmeichelhafte“ Erklärung von Carl Refardt: „man befürchte […], daß ich in der Handelskammer lediglich die Ansichten meines Vaters vertreten werde“ (Melle, Jugend- erinnerungen, S. 169 f.); 1882 bemühte er sich um die Stelle eines Senatssekretärs und der letzte Versuch datiert auf das Jahr 1885, als sich WvM vergebens um die Stelle eines Sekretärs der Bürgerschaft bewarb. 425 WvM überliefert beispielsweise zur Situation der Vorstellung im Bürgerausschuss (vgl. vorige Anmerkung) seine im folgenden Satz gebündelte Offensivstrategie: „Es steht mir, wie ich weiß, entgegen, daß ich der Sohn eines Senators bin“– ergänzt um entsprechende Kommentare bzw. Vermutungen, die von der Bürgerschaftsseite geäußert wurden und offenbar an seiner Wahl hinderten. Ebd., S. 197. 426 Hamburg war (wie Bremen) einer der letzten Staaten, der (nach einer neunjährigen legislatorischen Vor- bereitung) 1869 erst den reformierten Strafprozess und die mit den Strafprozessordnungen einhergehende Institution der Staatsanwaltschaft einführte. Danach hatte der Staatsanwalt die Aufklärung des Verdachts zu übernehmen, alle Straftaten von Amts wegen zu verfolgen und grundsätzlich das Anklagemonopol inne. 1876, also im selben Jahr, in dem WvM zur Advokatur zugelassen wurde, übernahm der damalige Oberstaatsanwalt Braband, „nachdem sein bisheriger Chef, der jetzige Reichsgerichtsrath Dr. Mittelstädt, in das Obergericht eingetreten war, das wichtige, verantwortungsreiche und dornenvolle Amt eines Ober- staatsanwalts“, als der er „sich den Ruf eines ebenso humanen wie energischen Mannes zu erwerben ge- wußt hat, eines Mannes, von dem Jeder wußte, daß er das Herz auf dem rechten Fleck habe. Vgl. WvMs Nachruf auf den Nachfolger von Kirchenpauer im Senat: † Senator Dr. Braband, in: Hamburger Nach- richten 287 (03. 12. 1887). 427 Schmidt, Geschichte, S. 72. 428 So z. B. der etwas jüngere Carl August Schröder, der zwei Jahre lang (1879–1881) für die „Hamburgischen Nachrichten“ Berichterstatter über die wöchentlichen Bürgerschaftsverhandlungen war, vgl. ebd., S. 75. 429 Vgl. die Ausführungen Kapitel 3: „Schriftsteller und Journalist“, S. 184. 430 Schmidt, Geschichte, S. 79. 431 Ebd., S. 78 f. 432 Ebd. 433 1883 erging der Auftrag, 1884 reichte WvM das fertige Manuskript ein, 1887 erschien die Abhandlung: Melle, Handels- und Schifffahrtsverträge. 434 Vgl. beispielsweise den Brief von Petersen an WvM vom 21. 07. 1883 (SUB Hbg., NvM: HS: Petersen, Carl Friedrich): „Sehr geehrter Herr Doktor! Sie haben die Güte gehabt, die Zusammenstellung der

| 277 | Hamburgischen Verordnungen […] zu bearbeiten. Erlauben Sie – ich bin Referent in der Sache – mei- nen ergebenen Dank für die trefflich bewirkte Arbeit abzustatten und demselben in den beifolgenden M 200 materiellen Ausdruck zu geben.“ – Ähnlich lautet das Dankschreiben von O’Swald für die Bereit- schaft, allen Wünschen der Deputation nachzukommen mit einem Bericht über das, was WvM im vori- gen Jahr erledigt hat (Protokollführung, Übertrag von Eintragung und Tilgungen etc.) und der Bitte darum, ein Honorar zu nennen. (O’Swald an WvM, 02. 01. 1887; SUB Hbg., NvM: HS: O’Swald, William Henry). 435 Melle, Jugenderinnerungen, S. 172 und Anmerkung 447. 436 Vgl. Anmerkung 376. 437 Vgl. zu Engagement und Ehrenmitgliedschaft beider Bendix, Geschichte sowie Anmerkung 376 (Melle) und 441 (Versmann). 438 WvM, Versmann zum 70. Geburtstag [1890], zitiert nach Melle, Jugenderinnerungen, S. 190 – darauf be- zog sich Burchards Information, die er am 22. Dezember 1890 seinem Freund brieflich zukommen ließ: „Deinen Artikel über Brgerm. Versmann habe ich durch Behändigung desselben an einen der Bairischen Bundesraths-Bevollmächtigten weitere Verbreitung gegeben. […] In der Hoffnung Dich morgen früh in der Kunsthalle begrüßen zu können / Herzlich Dein Burchard Dr.“ (SUB Hbg., NvM: HS: Burchard, Johann Heinrich, 4–5); vgl. außerdem WvM, Senator Dr. Versmann [25jähriges Amtsjubiläum], in: Hamburger Nachrichten 298 (16. 12. 1886); vgl. über Versmann als den Exponenten einer „neuen Zeit“ im „Senate der Jahre 1874–1882“: Eckardt, Lebenserinnerungen 2, S. 16 f. 439 Anlässlich von Versmanns Tod bestätigte Burchard die Einschätzung seines Freundes hinichtlich des Ver- hältnisses: „Du hast Recht: Ich habe unserem Bürgermeister Versmann nahegestanden, näher als manche Andere, und ich verliere in ihm einen treuen, ich möchte sagen, väterlichen Freund, der mir stets nur Liebes und Gutes erwiesen hat, und mit welchem in vertrauter Weise zu verkehren und mich aussprechen zu können für mich von höchstem Werthe gewesen ist. Ich verdanke dem Heimgegangenen an geistiger Anregung und Förderung Viel, und will der Hoffnung Ausdruck geben dürfen, daß der jahrelange intime Verkehr mit ihm nicht ganz bedeutungslos gewesen sein möge.“ Burchard an WvM, 03. 08. 1899 (SUB Hbg., NvM: HS: Burchard, Johann Heinrich, 12–13; Orthographie wie im Original). 440 WvM: Versmann zum 70. Geburtstag [1890], zitiert nach Melle, Jugenderinnerungen, S. 190. 441 Wohlwill, Versmann, S. 191 und zum weiteren Engagement Versmanns die entsprechenden Protokoll-Ein- träge in Bendix, Geschichte, ab S. 4 (Eintrag vom 6. September 1845). Eine ausführliche Schilderung zur Herkunft und in St. Pauli verlebten Kindheit und Jugend in ebd., S. 167–169: seine Schulzeit absolvierte Versmann „in der Knabenschule des Herrn Stübe“ und auf dem Altonaer humanistischen Gymnasium, dem Christianeum, zu dessen wissenschaftlichem Verein er gehörte – zeitgleich mit Theodor, Tycho und August Mommsen (vgl. zu den Hamburger Schülervereinen Anmerkung 147); 1839–1840 besuchte er das Akademische Gymnasium, ging 1840 zum Studium der Medizin nach Jena, wechselte dann zum Studium der Jurisprudenz nach Göttingen und Heidelberg (1842–1844). 442 Vgl. u.a. Wohlwill, Die Hamburgischen Bürgermeister, S. 57–63 und 131–172. 443 Sehr ausführlich ebd., S. 131–172. 444 Melle, Kirchenpauer und Hamburger Nachrichten 61 (12. 03. 1887). 445 Blatt, Hamburger Zeitungen, S. 90. 446 Mit dem auf der Generalversammlung am 2. August 1888 erteilten Mandat beteiligte sich WvM fortan an der Zusammenstellung des Vereinsvortragswesens, dort heißt es: „Für die Vorträge wurden 500 Mk. bewilligt. Die neugewählte Vortragskommission bestand aus den Herren C. Halben, Rohde, Bendix, Dr. v. Melle, J. Lambert, Harbeck und Thiele.“ Bendix, Geschichte, S. 140. 447 Vgl. Melle, Jugenderinnerungen, S. 102 und den Bericht des Bürger-Vereins während der Generalver- sammlung am 4. Mai 1880 über die „Maßregel gegen den geplanten Zollanschluß von Süd-St. Pauli“: Georg „Bendix rekapitulierte, wie hier eines Tages plötzlich wie ein Blitz aus heiterm Himmel uns die alarmierende Nachricht traf, das südliche St. Pauli soll getrennt von der Vaterstadt dem Zollverein ein- verleibt werden. Indem mit allergrößter Eile vorgegangen werden mußte, wäre es ihm, Bendix, unmöglich

| 278 | gewesen, sich einen Auftrag oder ein Mandat vom Bürgerverein geben zu lassen, um im Namen desselben eine Volksversammlung einzuberufen. Demnach habe er als Privatmann mit Gesinnungsgenossen vorge- hen müssen. Dieses sei zunächst durch Einberufung einer großen öffentlichen Versammlung geschehen, wobei welcher jedoch das Ansehen des Vereins gewahrt sei, indem der Direktion Platz auf der Tribüne des Vorstandes eingeräumt und Bendix die Leitung übertragen sei. Der Zweck dieser Versammlung sei bekanntlich gewesen, eine Petition gegen dieses Vorgehen an den Senat zu erlassen, unterzeichnet solle die- selbe werden von den Bewohnern des bedrohten Teils unserer Vorstadt. Die Petition, welche in eingehen- der Weise die Gefahr schilderte, war verfaßt von Herrn Dr. W. v. Melle, welcher sich auch dem Komitee angeschlossen hatte. Die überaus zahlreiche Versammlung, in welcher wohl alle politischen Parteien vertreten waren, hatte einen einmütigen Verlauf. Die Petition fand einstimmige Annahme, man erwar- tete die Uebermittelung derselben durch den Senat an den Bundesrat. Zahlreich war die Anmeldung zur Beschaffung der Unterschrift, und es ergab sich denn auch als Resultat, daß in den paar Tagen die Peti- tion mit 6032 Unterschriften bedeckt wurde.“ (Bendix, Geschichte, S. 98) An anderer Stelle wurde 1913 noch einmal diese Eingabe als Initialzündung des Engagements von WvM für den Bürger-Verein hervor- gehoben, das schließlich auch zu dessen Ehrenmitgliedschaft führte. Der Vorsitzende Bendix ließ am 7. März 1913 zum 70-jährigen Stiftungsfest in den Sagebiel’schen Räumen verlauten: „Herr Senator Dr. Werner von Melle, der 25 Jahre unserm Verein als Mitglied angehört, hat demselben in mannigfacher Weise seine Sympathie bewiesen, er war seinerzeit selbst ein tätiges Mitglied, interessierte sich sehr für unsere Bibliothek; hervorragend war aber seine Wirksamkeit im Jahre 1880, als uns die alarmierende Nachricht traf, daß das südliche St. Pauli von der Vaterstadt getrennt dem Zollverein einverleibt werden sollte. Der Vorsitzende Bendix berief wegen der großen Eile ein freiwilliges Komitee zusammen, eine große Versammlung wurde anberaumt, in der die einstimmige Annahme einer Eingabe an den Senat zur Uebermittelung an den Bundesrat erfolgte. In kürzester Zeit war die Eingabe mit 6032 Unterschriften versehen. Der Verfasser dieser mit Erfolg belohnten Eingabe war hier unser neu ernanntes Ehrenmitglied Herr Senator Dr. von Melle“. (Ebd., S. 266.) 448 v. M. Dr. (das ist WvM): Der Handelsminister auf 6 Stunden. Ein Traum von Adam Riese dem Jüngeren, Buchhalter. I–III, in: Hamburgischer Correspondent, Feuilleton: 101 (29. 04. 1879); 102 (30. 04. 1879); 103 (01. 05. 1879); erster Teil: Ausgabe 101 (29. 04. 1879), so auch die folgenden Zitate. 449 Ebd., der Nationalökonom Theodor Barth zählte die Denkschrift „zu dem Bedeutendsten“, „was über- haupt jemals in Deutschland in handelspolitischen Dingen publiziert ist“ (Melle, Jugenderinnerungen, S. 45). 450 In WvMs Kirchenpauer-Biographie heißt es zur Schrift „Das Differentialzollsystem nach den bei mehre- ren Nordseestaaten Deutschlands zur Erörterung gekommenen Vorschlägen für die Errichtung eines Deut- schen Schiffahrts- und Handelsvereins“, sie sei Ergebnis der „Kommission des Senats, der außer Kirchen- pauer noch Geffcken, Haller, Banks u.a. angehörten. In die Hauptarbeit aber teilten sich Kirchenpauer und Geffcken. Dem ersteren fiel die wissenschaftliche Begründung und die Redaktion des Ganzen zu, während der letztere die einzelnen handelspolitischen Ausführungen seines Kollegen durch Verwertung seiner reichen kaufmännischen Sachkenntnisse, sowie durch die Herbeischaffung und sachgemäße Be- nutzung eines umfangreichen statistischen Materials zu unterstützten wußte.“ (Melle, Kirchenpauer, S. 172 f.) 451 v. M. Dr. (das ist WvM): Der Handelsminister auf 6 Stunden. Ein Traum von Adam Riese dem Jüngeren, Buchhalter. I–III, in: Hamburgischer Correspondent, Feuilleton: 101 (29. 04. 1879); 102 (30. 04. 1879); 103 (01. 05. 1879). – John Prince-Smith war Gründer des Deutschen Freihandelsvereins (1846), des Zen- tralbunds für Handelsfreiheit, 1858 beteiligt an der Gründung des Volkswirtschaftlichen Kongresses und des Nationalvereins (als Sammlung des auf nationale Einigung bedachten politischen Liberalismus), vgl. Hentschel, Prince-Smith, John. 452 v. M. Dr. (das ist WvM): Der Handelsminister auf 6 Stunden. Ein Traum von Adam Riese dem Jünge- ren, Buchhalter. I-III, in: Hamburgischer Correspondent, Feuilleton: 101 (29. 04. 1879); 102 (30. 04. 1879); 103 (01. 05 1879); dritter Teil: Ausgabe 103 (01. 05. 1879).

| 279 | 453 WvM: Die Unterelbe, in: Im neuen Reich 10, 2 (1880), S. 223–228, S. 223. Vgl. dazu Krause, Rezension, 56, 1․2: WvM „lieferte historische Angaben über die Leistungen Hamburgs für die Unterlebe und die Rechte der Stadt auf dies Stromgebiet. Tendenz schimmert nur soweit durch, als aus den Ausdrücken der Aktenstücke über die Ablösung des Stader Zolls, 22. Juni 1861, eine Gewährleistung der ,unbeschränkten Freiheit der Unterelbe für alle Zeiten‘ geschlossen und zu den Reichszollmassregeln in Bezug gesetzt wird.“ 454 WvM: Die Unterelbe, in: Im neuen Reich 10, 2 (1880), S. 223–228, S. 224. 455 Ebd., S. 226 f. 456 Ebd., S. 227. 457 Ebd., S. 223. 458 WvM: Versmann zum 70. Geburtstag; zitiert nach Melle, Jugenderinnerungen, S. 191 f. 459 Eckardt, Lebenserinnerungen 2, S. 16; von WvM eigens in einer Anmerkung hervorgehoben, vgl. Jugend- erinnerungen, S. 192 – WvMs Cousine Eva, eine Tochter von Heinrich und Caroline Geffcken, war seit 1893 mit Julius von Eckardts ältestem Sohn Felix verheiratet (Art. Geffcken, S. 177). 460 Melle, Jugenderinnerungen, S. 192 f. 461 Ebd., S. 168 f. 462 Die Orientierung an Bismarcks konservativ-nationalliberaler Politik erfolgte gegen Ende 1888. 463 Hartmeyer an WvM, 08. 01. 1886 (SUB Hbg., NvM: HP: Hartmeyer, Emil Heinrich, 3–4). 464 Vgl. WvMs Ausführungen zu dem Textformat „Leitartikel“ in: Melle, Jugenderinnerungen, S. 213–215. 465 Hartmeyer an WvM, 20. 01. 1886 (SUB Hbg., NvM: HP: Hartmeyer, Emil Heinrich, 7–8). 466 Vgl. Melle, Jugenderinnerungen, S. 199–201. 467 Ebd., S. 200. 468 Vgl. zum Konzept der „Fourth Estate“: Requate, Journalismus, S. 44–49. 469 Blatt, Hamburger Zeitungen, S. 63. 470 Melle, Jugenderinnerungen, alle Zitate S. 200. 471 Ebd., S. 201 f. 472 Ebd., S. 201. 473 Anonymus (das ist Emil von Melle), Wen will ich wählen?, S. 82. Vgl. zum Zusammenhang das Kapitel 3: „Patriot und Vereine“, S. 110–113. 474 Alle Zitate: Melle, Jugenderinnerungen, S. 207 f. 475 Ebd., S. 206. 476 Vgl. zur Beschreibung der Räume, des kollegialen Umgangs und üblichen Ablaufs im Redaktions-Betrieb mit angeschlossener Setzerei und Druckerei ebd., S. 212 f. 477 Ebd., S. 206. 478 Auch wenn WvM der Staats- und Universitätsbibliothek anheim gestellt hat, ,,das, was ihr“ von seiner Hinterlassenschaft von „dauerndem Interesse erscheint, zu behalten, das übrige aber zu vernichten oder meiner Familie zurückzugeben“ (vgl. den betreffenden Ausschnitt in Anmerkung 183), darf allein schon auf Grundlage von seiner Aufzählung der Verfasser-Gruppen – Briefe von „Gelehrten, Kaufleuten, Politikern, Dichtern, Künstlern usw. (auswärtigen sowohl wie Hamburgern)“ – davon ausgegangen werden, dass es sich hierbei um eine bewusste Auswahl handelte. Allerdings müssen wie andere Bestände der Universitäts- und Staatsbibliothek seit Kriegsende wohl auch Teile des Nachlasses als verschollen gelten. 479 Vgl. in diesem Buch S. 66. 480 Vgl. in diesem Buch S. 198 f. 481 Vgl. in diesem Buch S. 91. 482 Vgl. in diesem Buch S. 91 f. 483 Zu Kirchenpauers Aufzeichnungen vgl. Melle, Kirchenpauer, insb. S. V und das Zitat aus Kirchenpauers Tagebuch auf S. 29: „So lange man keine Frau hat, muß man wenigstens ein Tagebuch haben“; zu Möncke- bergs Aufzeichnungen vgl. Carl Mönckeberg, Bürgermeister Mönckeberg und Hauschild-Thiessen, Mön-

| 280 | ckeberg, S. 38; zu Versmann vgl. die Aufzeichnungen im StA Hbg., 622-1 Versmann, VI und die Charak- terisierung in Hinz, Planung, S. 6 f. 484 Melle, Tagebücher 1, S, 1 (StA Hbg., 622-2/7 Borchling, 26). 485 Ebd., S. 7 f. 486 Ders., Tagebücher 2, S. 44 (StA Hbg., 622-2/7 Borchling, 26). – Johann Heinrich Burchard, seit 1884 Mitglied der Bürgerschaft, gehörte schon seit 1885 dem Senat an. 487 Ebd., S. 44 (Hervorhebung im Original). 488 Zitiert nach Melle, Jugenderinnerungen, S. 100, vgl. auch Anmerkung 162. 489 Die Aufzeichnungen, die WvM beispielsweise im Umfeld der Nordostseekanal-Feier im Juni 1895 „auf Wunsch von Bürgermeister Versmann gemacht“ hat, sind nicht erhalten. Vgl. ders., Lebenserinnerungen, S. 59 (StA Hbg., 622-2/7 Borchling, 25). 490 WvM selbst beschreibt „das alte Wappen der Familie“ so: „drei rote Schrägrechtsbalken in silbernem Felde mit einem Hermelin-Freiviertel im linken Obereck“, ebd., S. 20 f. (vgl. Anmerkung 385); abgesehen von einer Abweichung („Hermelin-Freiviertel im rechten Obereck“) plus Ergänzung („Auf dem Schilde eine Edelkrone“) so auch in J. Siebmacher’s grosses und allgemeines Wappenbuch, S. 14 und Tafel 14. 491 Gemäß den Angaben der Bildrücken. 492 Westphal wurde etwas früher, aber im selben Jahr in den Senat gewählt wie WvM. 493 Mutter des späteren Direktors der Kunsthalle, Carl Georg Heise. 494 Wie Geffckens und von Melles gehörte Familie Goßler ursprünglich zum Kirchspiel St. Katharinen; hier ehelichte der Oberalten-Enkel, Senatoren-Sohn und Advokat Hermann Goßler am 17. Januar 1832 Emi- lie Albert (Kirchenregister 1832, Nr. 2; Abschrift, Privatbesitz) und hier wurde am 15. April 1837 beider Tochter Emilie Helene aus der Taufe gehoben (ebd., Nr. 118). Seit 1853 Mitglied des Rates bzw. Senates wurde Goßler bald Kirchspielsherr von St. Nikolai, Patron der Vorstadt St. Georg und St. Pauli (wie auch der Heiligen Dreieinigkeitskirche und der Kirche St. Pauli) und war zwischen 1861 und 1877 Vor- sitzender der Senatskommission für die Kirchen-Angelegenheiten der christlichen nicht-lutherischen Religionsverwandten, des Großen Armen-Collegiums und deren Vermögensverwaltung; mit der Kirchen- verfassung von 1870 wurde er zum Präses des ersten Kirchenrates (vgl. Daur, Rehhoff). 495 Borchling, ERINNERUNGEN!, S. 3. 496 Melle, Jugenderinnerungen, S. 181. 497 Für den 30. Juni 1858 vermerkt das Taufregister der evang.-luth. Kirche St. Georg den Täufling „Kaem- merer Emmy Helene“ (Nr. 395; beglaubigte Abschrift, Privatbesitz); in der dritten Generation war der Spitzname so zum offiziell beglaubigten Eigennamen geworden. 498 Über ihre lebhafte und lesefreudige Großmutter schreibt die Enkelin Alida später im Vergleich zur Mut- ter: „Sie hatte ein starkes Interesse für Religion, war aber sehr freidenkend, mehr als unsere Mutter. […] Großmama hatte sehr viel Verständnis für die Jugend und nahm weitgehend und weitherzig an unseren Interessen teil. […] Sie war auch absolut nicht ängstlich oder gar prüde in Bezug auf das, was wir sehen und lesen durften und unterschied sich darin wesentlich von unserer doch so viel jüngeren Mutter.“ Borchling, ERINNERUNGEN!, S. 6 f. 499 Zum Gedächtnis von Frau Emmy von Melle geb. Kaemmerer. Rede von Pastor R. Hermes bei der Trauer- feier am 16. Juli 1931 [S. 2], Privatbesitz. 500 Borchling, ERINNERUNGEN!, S. 3; weitere Angaben aus dem Hamburger Geschlechterbuch 5, Art. Kaemmerer, S. 73–75 und Heyden, Bürgerschaft, S. 58 f.; Emmy von Melles Großmutter mütterlicherseits, Emilie (Emmy) Goßler geb. Albert starb 1868 im Alter von 59 Jahren. 501 In geistiger Umnachtung, wie es in den Erinnerungen der Urenkelin heißt. Borchling, ERINNERUNGEN!, S. 4. 502 Behrmann, Großmutter, S. 9, Seitenzahlen im Folgenden eingerückt. 503 Ebd., S. 17. 504 Ebd., S. 19; zu der Zeitungslektüre gibt es noch einen Nachsatz: „Die gelesenen Zeitungen faltete sie immer ganz fein und sorgfältig zusammen und ordnete sie am Ende der Woche oder des Monats in regel-

| 281 | mäßige Haufen, die zusammengebunden auf dem Boden weggepackt wurden. Wie oft, wenn es in mei- nem Elternhause an Papier zum Feueranzünden mangelte, wurde zu Großmama geschickt, denn dort fand man auf dem Boden immer noch schön verpackte ganze Jahrgänge von Zeitungen.“ (Ebd., S. 14 f.) 505 Borchling, ERINNERUNGEN!, S. 18. 506 Museum für Hamburgische Geschichte, Inv.-Nr. 1968, 29. 507 Borchling, ERINNERUNGEN!, S. 13. Vgl. auch: Heiratsurkunde (Abschrift vom 24. 11. 1944; Privat- besitz) und Hamburgisches Adressbuch 1880, S. 28. Die Standesämter waren in Hamburg im Jahre 1876 eingeführt worden. Standesamtsbezirk 1 war zuständig für die Altstadt und St. Georg; Standesamtsbezirk 2 für die Neustadt und die Vorstadt St. Pauli; Standesamt 3 für die von der Stadt verwalteten Vororte wie Harvestehude (vgl. Reichsgesetz). 508 „Zur Erinnerung an den 10. October 1880“, an die Polterabend-Feier, ist ein launiges Spiel von ca. 14 handbeschriebenen Seiten überliefert (Ein Herr und eine Dame, Der Hamburgischer Correspondent, Epilog; Privatbesitz Familie Lührs; in Kopie auch vorhanden in der Hamburger Arbeitsstelle für Uni- versitätsgeschichte, überlassen von Almuth Rangs geb. Borchling an Prof. Gerhard Ahrens). Die Ortho- graphie ist unverändert übernommen. 509 Mavius, Gemeinden, S. 86. 510 Emmy von Melle, zitiert nach Melle, Jugenderinnerungen, S. 182 f. 511 Adressbucheinträge aus den Jahre 1882 und 1884. Das Haus wurde übrigens 1866 nach dem Entwurf von J. H. Ahrens fertiggestellt und steht heute unter Denkmalschutz (Denkmalliste Hamburg, S. 2567, ID: 13882, http://www.hamburg.de/kulturbehoerde/denkmalliste/; 14. Juni 2016). 512 Geburts-Urkunde von Maria von Melle vom 9. August 1881 (Privatbesitz). 513 Melle, Jugenderinnerungen, S. 138. 514 Zur Beschreibung des Familienbesitzes in Borstel – gelegen an der Kreuzung: Borsteler Bogen (früher: Borsteler Chaussee), Papenreye (früher: Weg in die Marsch) und Spreenende (früher: Weg beim Jäger) – vgl. Borchling, ERINNERUNGEN!, S. 5 f. und Behrmann, Großmutter, S. 7–11. – Ergänzende Beschrei- bungen und Abbildungen enthält Matthes-Walk, Lustgärten. In direkter Nachbarschaft zum Frustberg- park, den knapp 100 Jahre zuvor Elisabeth Berenberg-Goßler erworben und „durch zahlreiche Festlich- keiten berühmt gemacht hatte“ (ebd., S. 58), kaufte deren Urgroßenkelin Emmy Kaemmerer geb. Goßler 1890 das als „Pehmöllers Garten“ bekannte Grundstück, das seit 1910 auch ihre Asche birgt. Nach ihrem Tod fiel das Erbe an Emmy von Melles jüngeren Bruder Ami, dessen Familie hier bis 1976 lebte. Damit spannt sich der Bogen über drei Generationen Kaemmerer(-Zahn) in beinahe 90 Jahren. 1992 stufte der Hamburger Senat in Würdigung der gartenhistorischen Bedeutung „Pehmöllers Garten“ vom „Industrie- gebiet zum Gewerbegebiet zurück und legte fest, dass Teile des Parks erhalten bleiben“ bzw. wieder her- gestellt werden sollten (ebd. S. 73). Offenbar aufgrund der hohen Verfallsstufe ließ sich das gesamte, ca. 19.000 m2 große Areal zum Ende des 20. und Beginn des 21. Jahrhunderts nicht mehr unter Denkmal- schutz stellen; das Lusthaus wurde schon 1971 abgerissen, der Pavillon 2006. Im September 2015 kaufte die Stadt Hamburg das Gelände für knapp 8 Mio. Euro einem Investor ab, der darauf ein Hotel hatte er- bauen wollen, um dort Flüchtlingsunterkünfte zu errichten. 515 Behrmann, Großmutter, S. 6 f; nach den Angaben der sich noch schwach erinnernden, jüngeren Schwester Alida bestand der Landbesitz aus „einem einfachen aber geräumigen Landhaus mit großem schönen Garten mit angrenzenden Wiesen“ (Borchling, ERINNERUNGEN!, S. 5). 516 Melle, Jugenderinnerungen, S. 202. 517 Borchling, ERINNERUNGEN!, S. 11. 518 Behrmann, Großmutter, S. 16. 519 Borchling, ERINNERUNGEN!, S. 9 f. 520 Ebd., S. 10 f. 521 Nach dem frühen Tode ihres Mannes heiratete Auguste von Melle 1901 den ebenfalls verwitweten Kauf- mann (Franz) Rudolf Philippi (1860–1941), Mitinhaber des Bankhauses J. Magnus & Co. (John Magnus et Co., Kaufl. B. Cto. J. F. Magnus et F.A. H. Philippi), und zog mit ihren beiden Töchtern in dessen

| 282 | gegenüberliegendes und nur wenige Nummern entferntes Haus in der Blumenstraße 23; 1902 wurde ihr gemeinsamer Sohn Rudolf Eduard geboren. 522 Margarethe geb. Steinitz, vgl. den Stammbaum der Familie von Melle (Privatbesitz) und Borchling, ERINNERUNGEN!, S. 11 f. – Verblüffend ist die Familienähnlichkeit zwischen WvM und seinem Cousin Johannes Geffcken (siehe Abbildung S. 176), dem Sohn von Heinrich und Caroline Geffcken, der nach dem Schuldienst in Hamburg, wo er auch am Allgemeinen Vorlesungswesen wirkte, von 1907 bis 1933 ordentlicher Professor der Klassischen Philologie in Rostock war. 523 Melle, Jugenderinnerungen, S. 183. 524 Zum Gedächtnis von Frau Emmy von Melle geb. Kaemmerer. Rede von Pastor R. Hermes bei der Trauer- feier am 16. Juli 1931, o. S. [S. 4], Privatbesitz. 525 Ebd., [S. 2]. 526 Zum Gedächtnis von Frau Emmy von Melle geb. Kaemmerer. Rede von Pastor R. Hermes bei der Trauer- feier am 16. Juli 1931 [S. 3]. 527 Vgl. auch die in Anmerkung 498 zitierten Andeutungen ihrer Tochter Alida. 528 Hamburger Adress-Buch 1891, S. 296. 529 Rochus von Liliencron an WvM, 27. 06. 1881 (SUB Hbg., NvM: AG: Liliencron, Rochus von). – Der auszurichtende Dank an Johann Friedrich Voigt, (Leipziger) Reichsoberhandelsgerichtsrath a. D., der seit 1879 wieder in Hamburg lebte, bezieht sich auf dessen ADB-Artikel zu Johann Carl Knauth (Voigt, Knauth) – WvM war weitläufig mit Voigt verwandt über dessen Schwiegertochter Pauline Luise geb. Geffcken, eine Cousine der Mutter (die 1866 geschlossene Ehe mit dem Verwaltungsjuristen und Lokal- historiker Johann Friedrich Voigt [jun.] war allerdings nur von kurzer Dauer, da Pauline mit Anfang 30 schon im Jahr nach der Hochzeit an Kindbettfieber verstarb). Mit „Klose“ meinte Liliencron vermutlich den Artikel über Karl Rudolf Wilhelm Klose (1804–1873; Mitarbeiter der Stadtbibliothek und Lehrender an der Realschule des Johanneums, Hrsg. der Bände 4 und 5 des Lexikons der hamburgischen Schrift- steller), aufgenommen in die ADB, Verfasser unbekannt (Kürzel = I.u.): Art. Klose. Benekes Leiden be- zieht sich vermutlich auf seinen schlechten Zustand nach einem Schlaganfall im selben Jahr, in dessen Folge er bis zu seinem Tode teilweise gelähmt war. 530 Exemplarisch in der Rezension zu Brandes’ Biographie, vgl. in Kapitel 3: „Patriot und Vereine“, S. 126. 531 Vgl. Hockerts, Denkmal. 532 Otto Beneke an WvM, 16. 07. 1883 (SUB Hbg., NvM: HS: Beneke, Otto Adalbert); übrigens wurde auch Beneke selbst zweimal – anlässlich seines 50-jährigen Jubiläums im Staatsarchiv (1890) und nach seinem Tode (1891) – zum Gegenstand von WvMs Charakterisierungskunst: Dr. Otto Beneke, in: Hamburger Nachrichten 150 (26. 06. 1890); † Archivar Dr. Otto Beneke, in: Hamburger Nachrichten 38 (13. 02. 1891). 533 Ebd.; gemeint ist Carl Hermann Jasper Merck, seit 1872 einer der vier Senatssecretaire. 534 Das galt längst nicht für alle Mitarbeiter; offenbar war das Gros der eingehenden biographischen Skizzen so „schwach und hilfsbedürftig“, dass Beneke, der sich diesbezüglich in Hamburg auf recht einsamem Posten fühlte, „lieber die Artikel selber schrieb“ und „Lebensläufe gewissermaßen am laufenden Band produzierte; daß er hineinstopfte an Hamburgern, was nur irgend hineinging in ,Herrn von Liliencrons Walhalla!‘ (20. 10. 76), längst Verblichene, die hier eine Wiederauferstehung erlebten, ebenso wie Zeit- genossen, die kaum der grüne Rasen deckte“, kurzum: lauter „Rettungen“. Aus solchen und ähnlichen Motivationen heraus entwickelte sich die ADB schließlich zu einem Flickenteppich, der den Intentionen der Macher zuwiderlief: „[N]irgends wohl feierte der Partikularismus so fröhliche Urständ wie in diesem Nationalwerk des geeinten Deutschen Reiches, in dem von der Konzeption her alle Lokalgrößen ausge- schlossen bleiben sollten.“ (Hauschild-Thiessen, Beneke, S. 169). 535 WvM: Art. Heine, Salomon, in: ADB 11 (1880), S. 359–361. 536 Ders.: Art. Klefeker, Johann, in: ADB 16 (1882), S. 76–77. 537 Vgl. zur 1853 erschienenen Sammlung, die in 125 „Geschichten und Sagen“ die Hamburger Entwicklung von 805 bis 1750 umfasst, Hauschild-Thiessen, Beneke, S. 162. 538 WvM: Art. Kniphoff, Claus, in: ADB 16 (1882), S. 291–293.

| 283 | 539 Ders.: Art. Kohl, Ditmar, in: ADB 16 (1882), S. 422–423. 540 Ders.: Art. Meyer, Friedrich Johann Lorenz, in: ADB 21 (1885), S. 574. 541 Ders.: Art. Kirchhof, Nicolaus Anton Johann, in: ADB 16 (1882), S. 8–11. 542 Ders.: Art. Moller, Joachim, in: ADB 22 (1885), S. 125. 543 Ders.: Art. Hübner, Julius, in: ADB 13 (1881), S. 279-280. 544 Ders.: Art. Kuhn, Johann Nicolaus, in: ADB 17 (1883), S. 340. 545 Ders.: Art. Murmester, Hinrich, in: ADB 23 (1886), S. 66. 546 Ders.: Art. Morgenweg, Joachim, in: ADB 22 (1885), S. 234. 547 Ders.: Art. Halle, Christian Hermann Adolf von, in: ADB 10 (1879), S. 418–419. 548 Ders.: Art. Heise, Johann Arnold, in: ADB 11 (1880), S. 669–671; ders.: Art. Heise, Heinrich August, in: ADB 11 (1880), S. 669. 549 Ders.: Art. Lengerke, Peter von, in: ADB 18 (1883), S. 255. 550 Ders.: Art. Lipstorp, Clemens Samuel, in: ADB 18 (1883), S. 746. 551 Ders.: Art. Kirchhof, Nicolaus Anton Johann, in: ADB 16 (1882), S. 8–11, S. 10. 552 Ders.: Art. Heckscher, Johann Gustav, in: ADB 11 (1880), S. 215–218. 553 Ders.: Art. Heinichen, Eduard, in: ADB 11 (1880), S. 366–367. 554 Ders.: Art. Mettlerkamp, David Christopher, in: ADB 21 (1885), S. 527–528. 555 Ranke, Geschichten, S. VII. Der Satz aus Rankes Erstlingswerk lautet: „Man hat der Historie das Amt, die Vergangenheit zu richten, die Mitwelt zum Nutzen zukünftiger Jahre zu belehren, beigemessen: so hoher Aemter unterwindet sich gegenwärtiger Versuch nicht: er will blos zeigen, wie es eigentlich ge- wesen“. Pate für diese Sichtweise stand schon Thukydides. 556 Melle, Kirchenpauer, S. VI f. 557 Ebd. 558 Allerdings schrieb er Anfang 1891 diesbezüglich alarmiert: „Leider aber wird neuerdings, wie es scheint, auf die Hamburgensienabtheilung in beiden öffentlichen Bibliotheken [= Stadt- und Commerzbiblio- thek, M. I. R.] nicht mehr so großer Werth gelegt wie früher.“ Gegen diesen Schlendrian setzt er das histo- rische Gedächtnis: „Würde man […] den Hamburgensien in Zukunft etwas mehr Fürsorge zuwenden, so würde man damit nicht nur späteren Forschern die Arbeit ungemein erleichtern, sondern auch das Andenken an Manches, was sonst sicher der Vergessenheit anheimfallen muß, künftigen Generationen er- halten.“ WvM: Die Commerzbibliothek, in: Hamburger Nachrichten 30 (04. 02. 1891). 559 Dass selbst für Wissenschaftler noch im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts „Archive keineswegs Stätten freier Forschung waren“, belegt Gerhard Ahrens an einem Beispiel: „So erhoben Ende der 1870er Jahre sowohl der Hamburger als auch der Lübecker Senat heftige Bedenken gegen die schrankenlose Benutzung der Archivakten durch den hamburgischen Historiker Adolf Wohlwill.“ (Ahrens, Archive, Sp. 173). – Be- stätigt wird das geradezu idealtypisch durch die überdimensionierte Stellungnahme Benekes vom 9. Feb- ruar 1888 auf das „Gesuch des Hrn D.r von Melle um Gestattung der Benutzung einiger Archivalacten zu der von ihm bearbeiteten Biographie des verstorbenen Herrn Bürgermeister Dr Kirchenpauer“ (so der Aktentitel des Vorgangs im StA Hbg., 111-1 57551; alte Signatur: Cl VII Lit AG Nr. 4 Vol 5 Fasc 4c Inv. 6). Da es sich nach Meinung des Archivars um eine ,Principienfrage‘ für das Archiv handelte, holte er weit aus: „Zunächst darf ich anführen, daß bisher noch niemals Biographien der Nekrologe verstorbener Se- natsmitglieder auf Grund und mit Benutzung archivalischer Quellen verfaßt und publicirt worden sind. Die bis vor einigen Decennien den p. A. Rectoren unseres vormaligen akademischen Gymnasii obliegen- den Lebensbeschreibungen der in ihrem Amtsjahre verstorbenen Bürgermeister, Protoscholarchen und ältesten Syndiker sind allezeit ohne archivalisches Material verfaßt, zuletzt noch die im Jahre 1852 er- schienene s. g. Memorie des im Jahre 1842 verstorbenen Bürgermeisters Abendroth, vom Professor Wurm. Ob man vormals Senatsseitig für solche Zwecke die Benutzung von Staatsacten für unpassend und nicht schicklich hielt, muß dahin gestellt bleiben. – / Uebrigens hat Herr Senator von Melle vor wenigen Jahren das Leben und Wirken des Herrn Senator Geffcken für die Allgemeine Deutsche Biographie | eingehend dargestellt, ohne dazu Archivalacten zu gebrauchen.“ (Ebd., S. 6) Beneke teilte nicht die in WvMs

| 284 | Schreiben geäußerte Ansicht, dass „die Ereignisse von 1848/49 und überhaupt die der Zeit vor 1866 bereits der Geschichte angehören, was natürlich nicht ausschließt, daß bei deren Wiedergabe immerhin hie und da noch mit Vorsicht und Takt zu verfahren ist“ (ebd., S. 2), „da, meines Erachtens, mehr als ein Men- schenalter erforderlich ist, um die Schilderung von Ereignissen und Personen historisch, d. h. parteilos darstellbar, zu machen. Erst wenn alle Zeitgenossen einer bewegten Epoche verstorben sind, können Perso- nen und ihre Thaten der geschichtlichen Darstellung völlig anheimgefallen erachtet werden.“ (Ebd., S. 6) Das Gutachten empfiehlt, die Einsichtnahme nur in Teilen zu gestatten – dies könne wie in dem – von Ahrens geschilderten – Falle von Wohlwills Recherchen in der Stadtbibliothek geschehen, oder, sollte sich „der jetzige Herr Bibliotheks-Director mit einem ähnlichen Arrangement nicht einverstanden sein“, so würde sich nach Benekes Meinung „auch kein Bedenken dagegen erheben, wenn Herrn Dr. von Melle, falls der Senat ihm die Benutzung der Acten überhaupt gestattet, auch erlaubt würde, dieselbe (freilich gegen die ArchivOrdnung) in seine Wohnung zu nehmen – nur nicht“, dieser Nachsatz ist in Bezug auf die Einschätzung des modernen Pressebetriebs vielsagend, „in sein Redactionsbüreau der Hamburger Nachrichten“ (ebd., S. 6). 560 Vgl. das Gedicht vom Polterabend, Anmerkung 508. 561 Vgl. im Zusammenhang mit der Vorbereitung zur 1872 in Eisenach zusammengetretenen Versammlung Eckardts Schilderung über die Einzuladenden in Anmerkung 215. Zu ihnen gehörte auch J. F.H. Dan- nenberg (1833–1887), Mitglied der Bürgerschaft (1874–1887), Schriftleiter der „Börsenhalle“ (vgl. Hinz, Speicherstadt, S. 192) und als Redakteur des „Correspondenten“ zuständig für WvMs Artikel. 562 Einer Gruppenaufnahme (vermutlich Abitur, Ostern 1849) ist die freundschaftliche Nähe von Preller zu WvMs Onkel Friedrich Heinrich Geffcken zu entnehmen (außerdem auf dem Bild: Jürgen Bona Meyer, Johann Nikolaus Bartels; in: Kempe, Dewitz, Daguerreotypien, S. 200, Nr. 70, Inv. PD 1911.68). 563 U. a. WvM: Die Hamburger Selbstverwaltung, in: Gegenwart. Wochenschrift 1, 6 (07. 02. 1880), S. 81–83. Vgl. dazu den Kommentar in: Krause, Rezension, 55, 4; WvM: Das englische Regiment in Helgoland, in: Gegenwart. Wochenschrift 29, 24 (1886), S. 372–373. 564 Ders.: Die Unterelbe, in: Im neuen Reich 10, 2 (1880), S. 223–228 (vgl. Anmerkung 453). 565 Vgl. Kapitel 3: „Patriot und Vereine“, S. 122 f. 566 v. M. Dr. (das ist WvM): Der Handelsminister auf 6 Stunden. Ein Traum von Adam Riese dem Jüngeren, Buchhalter. I-III, in: Hamburgischer Correspondent, Feuilleton: 101 (29. 04. 1879); 102 (30. 04. 1879); 103 (01 .05. 1879). 567 Ders.: Die Hamburger Selbstverwaltung, in: Gegenwart. Wochenschrift 1, 6 (07. 02. 1880), S. 81–83. 568 Ein paar Beispiele mögen genügen: am 29. August 1879 bedankte sich (Noch-)Senator Ernst Friedrich Sieveking (er wurde im Monat darauf, am 30. September 1879, in das neu geschaffene Amt des Präsiden- ten vom Hanseatischen Oberlandesgericht eingeführt): „Geehrter Dr. v. Melle / Bei flüchtiger Durchsicht scheint mir dasselbe ein für die Praxis recht brauchbares Buch zu sein […] bes. im Anfang, wo wir Alle auf große gegenseitige Nachsicht zu rechnen haben, wird das Büchelchen ein willkommenes Hilfsmittel sein.“ (SUB Hbg., fälschlicherweise abgelegt unter NvM: HS: Sieveking, Friedrich Christian); und am 1. Oktober 1879 schrieb der frisch gekürte Präsident des 1877 eingerichteten Reichsgerichts und Diszipli- narhofs in Leipzig, Eduard (von) Simson – ehemals Präsident der Frankfurter Nationalversammlung (1848), des Erfurter Parlaments (1849), des preußischen Abgeordnetenhauses (1859), des Norddeutschen Reichstags (1867), des Deutschen Zollparlaments (1868): „Eu. Hochwohlgeboren / spreche ich meinen ver- bindlichen Dank für das so eben […] bei mir eingehende Exemplar Ihres Lexikons der Civilprozeß- und Konkurs-Gesetzgebung des Reichs / Hochachtungsvoll und ergebenst aus. / Präs. Simson.“ (Ebd., NvM: Pol: Simson, Eduard von; preußischer Adel seit 1888). 569 Melle, Staatsrecht. 570 WvM bezeichnet ihn als den „hervorragendste[n] Vertreter des Reichsstaatsrechts“. Melle, Staatsrecht, S. 19; vgl. zu Laband auch Kapitel 3: „Ortswechsel“, S. 74. 571 Melle, Jugenderinnerungen, S. 221. 572 Laband, Staatsrecht, S. VI.

| 285 | 573 Ebd., S. VII. 574 Ebd., S. VIII. 575 Will, Selbstverwaltung, S. 51. 576 Laband, Staatsrecht, S. 101 f. 577 Will, Selbstverwaltung, S. 48 und 51. 578 Ebd., S. 53, Anmerkung 269. 579 Ebd., S. 53. 580 Ebd., S. 53. 581 Ebd., S. 284. 582 Ebd., S. 285; der Preußische Volkswirtschaftsrat wurde am 17. November 1880 begründet. 583 WvM: Die Hamburger Selbstverwaltung, in: Gegenwart. Wochenschrift 1, 6 (07. 02. 1880), S. 81–83, S. 81. 584 Ebd. 585 Ebd. 586 Ebd., S. 82; eine der (stadt)bekannt gewordenen Ausnahmen war Ernst Friedrich Sieveking (vgl. dazu Schröder, Sieveking, S. 46–49), der die Wahl zum Senator im Hauptberuf zugunsten seiner Advokatur gern ausgeschlagen hätte, tatsächlich aber wenige Monate vor Erscheinen dieses Aufsatzes nach nur zwei- jähriger Amtszeit aus dem ungeliebten Senatorenamt ausscheiden durfte, um erster Präsident des neu eingerichteten Hanseatischen Oberlandesgerichts zu werden. 587 WvM: Die Hamburger Selbstverwaltung, in: Gegenwart. Wochenschrift 1, 6 (07. 02. 1880), S. 81. 588 Ebd., S. 83. 589 Ebd., S. 83; Schreibung so im Original. 590 Zum Kontext in der Armenfürsorge allgemein Brietzke, Hamburg. 591 Vgl. Anmerkung 215. 592 Im vollen Wortlaut: „Ist Berlin die Hauptstadt des deutschen Reiches, so ist Hamburg die Hauptstadt des deutschen Sozialismus.“ Zitiert nach Herrmann, Bebel, S. 42. 593 Am 25. Januar 1890 lehnte der Reichstag das Sozialistengesetz ab. Die von Franz Osterroth und Dieter Schuster erarbeitete Chronik der deutschen Sozialdemokratie beziffert eindrücklich, welche Folgen das Gesetz in den zwölf Jahren seines Bestehens gezeitigt habe: u. a. „das Verbot von 155 periodischen und 1200 nicht periodisch erscheinenden Drucksachen bzw. -schriften, darunter die umfangreiche Broschürenlitera- tur, rund 900 Ausweisungen, davon 500 Familienväter, 1.000 Jahre Gefängnis, zu denen 1500 Personen verurteilt waren“. Online: http://library.fes.de/fulltext/bibliothek/chronik/. (Electronic ed. Bonn 2001; basierend auf der 2., neu bearbeiteten und erweiterten Auflage von Band 1: Bis zum Ende des Ersten Weltkrieges, Berlin 1975; 14. Juni 2016). 594 Lamping, Selbstverwaltung, S. 84. 595 Vgl. ebd., S. 77. 596 Zitiert nach Melle, Entwicklung, Vorwort [o. S.] – datiert auf April 1883. 597 Hamburgischer Correspondent 12 (12. 01. 1882); 13 (13. 01. 1882); 14 (14. 01. 1882); 17 (17. 01. 1882); 18 (18. 01. 1882); 19 (19. 01. 1882); 20 (20. 01. 1882); 22 (22. 01. 1882); 24 (24. 01. 1882); 25 (25. 01. 1882); 26 (26. 01. 1882); 27 (27. 01. 1882); 31 (31. 01. 1882); 33 (02. 02. 1882); 34 (03. 02. 1882); 39 (08. 02. 1882); 45 (14. 02. 1882); 62 (03. 03. 1882); 63 (04. 03. 1882); 66 (07. 03. 1882); 74 (15. 03. 1882); 76 (17. 03. 1882). 598 Förster (Dankesschreiben für die Übersendung des Buches) an WvM (SUB Hbg., NvM: AG: Förster, Ernst Joachim); zum hier kritisierten und seit dem 17. Jahrhundert belegten, jährlichen „Schmaus […] bei Ablegung der Gotteskasten-Rechnung“ vgl. die Ausführungen und Stellungnahme in Melle, Entwick- lung, S. 21–23: „Weshalb soll denn ein alljährlicher Schmaus die ehrbaren Diaconen an der gewissenhaf- ten Besorgung ihrer Amtsgeschäfte verhindert haben? Feierte doch zur selben Zeit und noch lange hernach selbst E. E. Rath regelmäßig seine Petri- und Matthiaemahlzeiten, bei denen es nach den uns erhaltenen Aufzeichnungen recht hoch herging, ohne daß man ihm darum den Vorwurf hätte machen können, er habe über das solenne Essen und Trinken seine hochwichtigen Amtsgeschäfte vernachlässigt.“ Die Tradi-

| 286 | tion besteht übrigens – in Form der Matthiaemahlzeit oder des offiziellen ,Jahresessens‘ beispielsweise der 1585 gegründeten Niederländischen Armen-Casse – in Hamburg noch immer. 599 Aus Kirchenpauers Familienbuch, zitiert nach Melle, Kirchenpauer, S. 54. 600 Ebd., S. 54 (Hervorhebung von M.I.R). 601 Ders., Entwicklung, Vorwort [o. S.]. 602 „Wir geben in dieser und einer Reihe folgender Nummern einzelne Abschnitte einer vielleicht später im Zusammenhange zu veröffentlichenden Darstellung des Entwicklungsganges des Hamburgischen Armen- wesens“. Ders: Zur Entwicklungsgeschichte des Hamburgischen Armenwesens, in: Hamburgischer Corres- pondent, Feuilleton: 12 (12. 01. 1882). 603 Ders., Kirchenpauer, S. 73–75 und 85 f. 604 Vgl. zu diesen Projekten auch Postel, Bürgermeister, S. 113 f. – Die 1841 anlässlich der Einweihungsfeier der neuen Börse vorgelegte Programmschrift zu einem Kapitel hamburgischer Handelsgeschichte – „Die alte Börse, ihre Gründer und Vorsteher. Ein Beitrag zur hamburgischen Handelsgeschichte“ –, verfasste der damalige (Bibliothekar und) Protokollist der Commerzdeputation Kirchenpauer. WvM schrieb über dessen Position: „Führte er auch den bescheidenen Titel eines Protokollisten, so war er doch in Wahrheit der juristische Konsulent und überhaupt der wissenschaftlich gebildete Beistand und Ratgeber der Be- hörde“, denn hier handelte es sich „um ein Amt, dessen Bedeutung wesentlich davon abhing, wie viel oder wie wenig sein Inhaber aus ihm zu machen verstand.“ (Melle, Kirchenpauer, S. 76.) 605 Ders., Entwicklung, S. 62. 606 Am 1. Februar 1865 trat auch das „Gesetz betreffend die Verhältnisse der Israelitischen Gemeinden“ in Kraft. WvM weist darauf hin, dass genaugenommen erst von diesem Zeitpunkt an die Rede von einer im Wortsinne Allgemeinen Armen-Anstalt sein könne, da fortan auch jüdische Hilfsbedürftige vollwertig unterstützt wurden. Ebd., S. 176. – Über die Säkularisierung und positive bzw. negative Folgen für das Armenwesen schreibt WvM: „Der Satz, daß der Staat unabhängig von der Kirche und der Privatwohl- thätigkeit für alle seiner Hülfe Bedürftigen in gleicher Weise einzutreten habe, war endlich in seinen letzten Consequenzen durchgeführt. Hatte sich dadurch gewissermaßen das Gebiet der staatlichen Armen- pflege erweitert, so wurden andrerseits einzelne Zweige der Thätigkeit, welche die Allgemeine Armen- Anstalt im letzten Jahrzehnt des 18. Jahrhunderts ausgeübt hatte […] nunmehr definitiv aufgegeben und der sich ihrer eifrig annehmenden Privatwohlthätigkeit überlassen.“ Ebd., S. 191 f. 607 Ebd., Vorwort (o. S.). 608 Ebd., S. 234. 609 Und wird allmählich erst in seinen ganzen Ausmaßen und mit der Stadtgeschichte verwobenen Dimen- sionen aufgedeckt und ausgearbeitet, vgl. dazu den Auftrag der in Anmerkung 25 genannten Arbeitsstelle. 610 Verstärkt im Nachgang der maßstabsetzenden Berliner Gewerbeschau 1896; vgl. Kirschnick, Tausend und ein Zeichen; Richter, Voßstraße 16, S. 142–145 und allgemein Thode-Arora: Für fünfzig Pfennig. 611 Melle, Entwicklung, S. 216. – Dass WvM die einmal angerissenen Themen im Blick behielt und weiter- verfolgte, zeigt sein Rückblick auf das Jahr 1888. Befriedigt konnte er verkünden: „Am großartigsten aber sind die umfangreichen Gebäude des Neuen Krankenhauses in Eppendorf, das jetzt […] durch seine vortrefflichen Einrichtungen europäische Berühmtheit erlangen wird.“ Hamburger Nachrichten 1 (01. 01. 1889). 612 Ders., Entwicklung, S. 224. 613 Ebd., S. 225. 614 „Hochgeehrter Herr Rechtsanwalt!“, begann das Dankesschreiben Labands an WvM, 09. 10. 1883 (SUB Hbg., NvM: AG: Laband, Paul); vgl. auch das spätere Dankesschreiben von Meyer an WvM, 26. 01. 1885 (ebd., NvM: AG: Meyer, Georg). 615 Schmoller an WvM, 03. 12. 1883 (ebd., NvM: AG: Schmoller, Gustav). 616 Laves, Melle, Dr. W. von, S. 286. 617 Laband an WvM, 04. 01. 1891 (SUB Hbg., NvM: AG: Laband, Paul). 618 Melle, Staatsrecht, S. VI.

| 287 | 619 Geffcken an WvM, 24. 09. 1883 (SUB Hbg., NvM: AG: Geffcken, Friedrich Heinrich, 6–7). 620 Melle, Handels- und Schifffahrtsverträge. 621 Als Experte für den diplomatischen Dienst (als Legationssekretär, hanseatischer Ministerresident, diplo- matischer Vertreter der Hansestädte in London, Syndikus in Hamburg) bearbeitete Geffcken u.a. die Abschnitte über Garantie- und Bündnisverträge, Gesandtschaftsrecht, diplomatische Verkehrsformen, Intervention, Seekriegsrecht und Neutralität. 622 Ebd., S. 188. 623 Ebd., S. 159; sonderbar ist die Anzahl der hier genannten Tage, denn die bekannteste ,literarisierte‘ Welt- reise, die 1870 ein gewisser George Francis Train unternahm, dauerte 10 Tage länger und inspirierte Jules Verne zu dem berühmten Roman Reise um die Erde in 80 Tagen (1873 auf Deutsch erschienen). 1890 konnte sich Train mit seiner zweiten Weltreise auf 67,5 Tage steigern, bis seine dritte im Jahre 1892 nur noch 60 Tage andauerte. – Inzwischen hatte auch eine ,erste Deutsche Gesellschaftsreise um die Erde‘ stattgefunden, organisiert von dem Berliner Reise-Bureau Carl Stangen. Außer wohlhabenden Berlinern gehörten zu den Teilnehmern Gelehrte, Künstler, hohe Staatsbeamte, Offiziere und Fürsten. Durch Ver- mittlung des Reichskanzlers erhielt die Unternehmung, die über Nordamerika, Japan, China, Indien und Ägypten führte, Unterstützung der deutschen Konsuln in den jeweiligen Staaten. Viel beachtet und in der Presse besprochen war Stangens 1880 erschienene Dokumentation: Eine Reise um die Erde 1878– 1880, die von Melle bekannt gewesen sein dürfte. Vgl. Alina Dittmann: Carl Stangen – der deutsche Thomas Cook aus Schlesien. Online: www.kulturforum.info/de/startseite-de/1019554-themen/1019693- biografien/6479-1020490-carl-stangen-der-deutsche-thomas-cook-aus-schlesien; 14. Juni 2016. 624 Melle, Handels- und Schifffahrtsverträge, S. 160 – Hervorhebung von M.I.R. 625 Ebd., S. 179. 626 Ebd., S. 188 f. 627 Ebd., S. 200 f. 628 Ebd., S. 201. 629 Ebd., S. 202. 630 Ebd., S. 253. 631 Ebd., S. 254. 632 Ebd., S. 256, Anmerkung 4. 633 Ebd., S. 187. 634 Diese, hier anfänglich zum Ausdruck kommende Skepsis bewegt sich vermutlich in einer ähnlichen Argu- mentationslinie, die auch WvMs Vater dazu bewog, einige Jahre später in einer Senatsdiskussion um die Beteiligung Hamburgs an der Reichsverwaltung der Kolonien sich weniger aus ideologischen, denn mehr aus rein pragmatischen Gründen vehement gegen eine deutsche Kolonialpolitik auszusprechen. Die Sit- zung am 7. Oktober 1889 war anberaumt, um zu einer Stellungnahme des Senats zu einem von Bismarck unterbreiteten Plan zu gelangen, der vorsah die Bearbeitung der Kolonialangelegenheiten aus dem Aus- wärtigen Amt zu lösen und Hamburg bzw. Hamburg und Bremen an der Verwaltung der Kolonien zu beteiligen. Im Protokoll heißt es dazu: „Herr Senator von Melle erklärt, daß man seiner Ansicht nach auf die Sache nicht eingehen könne. Die konstitutionelle Frage der Gestaltung des Verhältnisses zum Reich werde zwar Schwierigkeiten kaum bieten und auch die geeigneten Persönlichkeiten würden sich schon finden. Er sei jedoch der Ansicht, daß das ganze bisherige Vorgehen in bezug auf die Gründung von Kolo- nien auf einer falschen Basis stehe und daß Unmögliches angestrebt werde. Er weise auf England und andere Kolonialmächte hin, welche erst nach langwierigen Kriegen und großen Opfern sich den Besitz der Kolonien gesichert hätten. Man würde unter solchen Umständen eine in sich unrichtige Sache und so- mit eine höchst undankbare Rolle übernehmen. Die Position des Senats würde übrigens jetzt eine günsti- gere sein, wenn er, entsprechend seiner inneren Überzeugung, von vornherein vor der Kolonialpolitik ge- warnt hätte. Wie die Sache nun einmal stehe, werde ja Deutschland die Kolonien nicht ohne weiteres abschütteln können; er könne jedoch die Übernahme der Verwaltung durch Hamburg nicht für richtig halten, habe vielmehr lediglich den Wunsch, daß Hamburg in irgend einer Weise die Möglichkeit ge-

| 288 | wahrt bleibe, einen Einfluß auf die Kolonialpolitik auszuüben, was tunlich sei, wenn man – etwa nach Art des Bundesrats-Ausschusses für Auswärtige Angelegenheiten eine Organisation treffe, in welcher Ham- burg vertreten sei.“ Vgl. Nirrnheim, Hamburg, S. 6. 635 Schon 1879 hatte Woermann Kolonialisierungsvorschläge für Westafrika befürwortet. 636 Melle, Handels- und Schifffahrtsverträge, S. 160. 637 Ebd., S. 144. 638 Ebd., S. 167 f. 639 Ebd., S. 169. 640 Ebd., S. 176. 641 Ebd., S. 178. 642 Ebd., S. 177. 643 Ebd., S. 178. 644 Ebd., S. 193. 645 Melle, Jugenderinnerungen, S. 189 bzw. 192. 646 Melle, Handels- und Schifffahrtsverträge, S. 193. 647 „Geehrter Herr Doctor!“, beginnt Heinrich Spörri ein Dankschreiben nach Erhalt der Kirchenpauer-Bio- graphie, das mit einem Ausdruck der Bewunderung endet für von Melles „gesammelten Fleiß, mit dem Sie Ihrer wahrlich nicht kleinen Tagesarbeit immer noch so viel Muße zu freier literarischer Thätigkeit abzugewinnen wissen“. Spörri an WvM, 21. 12. 1888 (SUB Hbg., NvM: AG: Spörri, Hermann, 1–2). 648 Postel, Bürgermeister, S. 115. 649 Ebd., S. 115. Vgl. dazu auch die Bezeichnung als „Hauptwerk“ von Krause und Nirrnheim, II § 37, 266, 24. 650 WvM: Die Zusammensetzung der Oberschulbehörde, in: Hamburger Nachrichten 277 (21. 11. 1886). 651 WvM: Die Commerzbibliothek, in: Hamburger Nachrichten 30 (04. 02. 1891); ders.: Die Schaffung einer juristischen Verwaltungscarriere I+II, in: Hamburger Nachrichten 74 (27. 03. 1891) und Hamburger Nachrichten 75, MA (28. 03. 1891). 652 WvM: Der Gesetzentwurf, betr. das höhere Schulwesen, Hamburger Nachrichten 252 (20. 10. 1887). 653 WvM: Das Jahr 1888, in: Hamburger Nachrichten 1 (01. 01. 1889); vgl. dazu auch: ders.: Die Stellung des Justizsecretairs, in: Hamburger Nachrichten 43 (19. 02. 1888). 654 Ders.: Verwaltungs- und richterliche Beamte in Hamburg, in: Hamburger Nachrichten 26 (30. 01. 1889). 655 Ders.: Die Schaffung einer juristischen Verwaltungscarriere I+II, in: Hamburger Nachrichten 74 (27. 03. 1891) und Hamburger Nachrichten 75 (28. 03. 1891). 656 Ders.: Oberingenieur F. Andreas Meyer, in: Hamburger Nachrichten 80 (03. 03. 1887). 657 Vgl. Anmerkung 474; zum historischen Zeitmaß (der Presse als Sekundenanzeiger der Geschichte) lässt sich auch ein historisches Raummaß denken, etwa im Denkmal (als „Meilenzeiger der Geschichte“), vgl. dazu das dem Buch vorangestellte Motto des Scherer-Schülers Richard M. Meyer in Anmerkung 2. 658 Melle, Jugenderinnerungen, S. 207 f. 659 Gutzkow: Blasedow und seine Söhne (1838: II, 212 f.). 660 Vgl. Hömberg, Aktualität, S. 15. 661 Vgl. ebd. 662 Ahrens, Archive, Sp. 171 f. 663 Ebd., Sp. 173. 664 Dilthey, Archive, S. 360, Anmerkung 1. 665 Ebd., S. 366. 666 Ebd., S. 367. 667 Ebd., S. 368. 668 Ebd., S. 375. 669 Im Mai 1888 etwa gingen WvM zwei Notizen aus dem Senat zu, die seine Anfragen bezüglich (1) der Be- nutzung der „Kirchenpauerschen Berichte aus 1848“ positiv (Versmann an WvM, 01. 05. 1888; SUB Hbg., NvM: HS: Versmann, Johannes Georg Andreas) und (2) „gewisser Archivalien für eine von Ihnen zu ver-

| 289 | fassende Biographie des verstorbenen Bürgermeister Kirchenpauer: mit Einschränkungen“ gestattete (Vers- mann an WvM, 06. 05. 1888; SUB Hbg., NvM: HS: Versmann, Johannes Georg Andreas; vgl. auch das ausschnitthaft wiedergegebene Gutachten in Anmerkung 559). 670 Vgl. Anmerkung 58. 671 WvM: Dr. Otto Beneke, in: Hamburger Nachrichten 150 (26. 06. 1890). 672 Ebd. 673 Seine Recherchen zu Kirchenpauer führten dazu, dass WvM auch einmal zum Gegenstand eines solchen gediegenen Archivarberichts wurde (der eigentlich eine begutachtende Stellungnahme hätte sein sollen), vgl. Anmerkung 559. 674 WvM.: † Archivar Dr. Otto Beneke, in: Hamburger Nachrichten 38 (13. 02. 1891). 675 Ders.: Das Jahr 1890, in: Hamburger Nachrichten 1 (01. 01. 1891). 676 Ders.: […] auf das Jahr 1886, Hamburger Nachrichten 1 (01. 01. 1887). 677 Ders.: Das Jahr 1890, Hamburger Nachrichten 1 (01. 01. 1891). 678 Wolff, Leben und Briefe, S. 52 und ders., Bahnhof, S. 29–34 (biographische Skizze: 1819–1947), S. 37–40 („Bedeutung und Wesen“), S. 74–93 (Wolffs Haus im Kontext anderer Familien, des Vorlesungswesens etc. – als Gegenbeweis zur These des „Hamburger Materialismus“. 679 Melle, Jugenderinnerungen, S. 217 f. 680 Ders.: † Bürgermeister Dr. Kirchenpauer, in: Hamburger Nachrichten 54 (04. 03. 1887). 681 Ebd. 682 Beneke an WvM, 8. März 1887 (SUB Hbg., NvM: HS: Beneke, Otto Adalbert). 683 WvM: Bürgermeister Kirchenpauer, in: Hamburger Nachrichten 61 (12. 03. 1887). 684 Ders.: † Senator Dr. Braband, in: Hamburger Nachrichten 287 (03. 12. 1887); vgl. auch Anmerkung 426. 685 Ders.: † Senator Hayn, in: Hamburger Nachrichten 148 (23. 06. 1888). 686 Ebd. 687 Vgl. Anmerkung 474. 688 WvM: Umgestaltung der Alsterufer Hamburger Nachrichten 104 (02. 05. 1886). 689 WvM: Oeffentliche Parkanlagen Hamburger Nachrichten 234 (02. 10. 1887). 690 Es dauerte noch fast 20 Jahre, bis für die um 1900 anlaufenden Planungen zu einem Stadtpark ein Stand- ort gefunden war, sodass das Projekt Gestalt annehmen konnte. In der 1904 eingesetzten Senatskommis- sion saßen O’Swald, Lappenberg, Roscher, Predöhl und von Melle; als Berater befanden sich unter den vier Gutachtern Brinckmann und Lichtwark; 1908 wurde ein öffentlicher Gestaltungswettbewerb durch- geführt, 1909 wurden zwei Projekte vorgelegt, 1910 folgte ein weiterer Entwurf, 1914 war die Eröffnung, der 1918 begonnene weitere Ausbau wurde 1928 fertiggestellt. 691 WvM: Oberingenieur F. Andreas Meyer, in: Hamburger Nachrichten 80 (03. 04. 1887). 692 Ebd. 693 Ders.: Die deutschen Architecten und Ingenieure in Hamburg, in: Hamburger Nachrichten 201 (24. 08. 1890). 694 Ders.: Vorbereitungen für den Zollanschluß, in: Hamburger Nachrichten 99 (25. 04. 1886). 695 Ders.: Die Ausstellungshalle I, in: Hamburger Nachrichten 144 (19. 06. 1887). 696 Ders.: Die Ausstellungshalle II, in: Hamburger Nachrichten 282 (27. 11. 1887). 697 Ders.: Bürgermeister Kirchenpauer und die Commerzbibliothek Hamburger Nachrichten 91 (17. 04. 1887). 698 Ders.: Rathausfeier und Sitzung der Bürgerschaft, in: Hamburger Nachrichten 110 (09. 05. 1886). 699 Ders.: Die Fassaden des Naturhistorischen Museums, in: Hamburger Nachrichten 136 (09. 06. 1886). 700 Ders.: Justizgebäude in Hamburg, in: Hamburger Nachrichten 288 (04. 12. 1887). 701 Ders.: Elbbrücke, in: Hamburger Nachrichten 186 (7. August 1887). 702 Ders.: Die Verkehrsmittel Hamburgs, in: Hamburger Nachrichten 306 (25. 12. 1887). 703 Der erste Alsterdampfer, Alina, wurde übrigens erstmals am 15. Juni 1859 als Fähre eingesetzt (vgl. Hanke, Eppendorf, S. 12).

| 290 | 704 WvM: Zum 50jährigen Jubiläum des Vereins für Hamburgische Geschichte, in: Hamburger Nachrichten 85 (09. 04. 1889). 705 Ders.: Zur Wiedereröffnung der Kunsthalle, in: Hamburger Nachrichten 292 (09. 12. 1886). 706 Ders.: Die Zukunft unserer Kunsthalle, in: Hamburger Nachrichten 69 (21. 03. 1886). 707 Melle, Jugenderinnerungen, S. 208 – die jüngste Biographie über Lichtwark widerspricht dieser Annahme übrigens nicht, vgl. dazu Junge-Gent, Alfred Lichtwark, S. 104; weitere Informationen über die Kunst- halle u.a. in WvM: Das neue Programm der Kunsthallenverwaltung, in: Hamburger Nachrichten Nr. 295 (12. 12. 1886). 708 WvM: Hamburger Landschaftsgemälde, in: Hamburger Nachrichten 107 (05. 05. 1889). 709 Ders.: Rathhausfeier und Sitzung der Bürgerschaft, in: Hamburger Nachrichten 110 (09. 05. 1886). 710 Die Abbildung einer Bürgerschaftssitzung aus dem Jahre 1876 im Saal des Gebäudes der Patriotischen Gesellschaft (L. Jansen / J. Schöpel) zeigt die Pressetribüne an der Schmalwand, die Publikumstribüne an der Längswand und vorn rechts die Senatsloge; u. a. als Titelblatt in Wiegand, Notabeln. 711 Böhm, Überseehandel, S. 18. 712 Blatt, Hamburger Zeitungen, S. 67. 713 Ebd., S. 68. 714 Ebd., S. 70. 715 Ebd., S. 71. 716 Hamburgischer Correspondent: Der Kampf gegen die Socialdemokratie, zitiert nach Blatt, Hamburger Zeitungen, S. 74. 717 Ebd. 718 Bolland, Bürgerschaft, S. 60. 719 Ebd., S. 61; dieses Phänomen wurde auch von den „Hamburger Nachrichten“ wahrgenommen und the- matisiert; mehrere Artikel gehen darauf im Kontext von Selbstverwaltung und (als neue, argumentativ der heutigen verwandte Dimension) von Sicherheit und Datenschutz ein. Konkret betraf dies z. B. das „Gesetz betreffend das Einwohner-Meldewesen“ (vom 6. Mai 1891), das eine grundsätzlich allen geltende Meldepflicht verfügte (am 1. Februar 1892 in Kraft getreten), die in Form einer polizeilichen Anmeldung bis dahin nur für Personen mit einer fremden Staatsangehörigkeit gegolten hatte. Die im Vorfeld vor allem in der Bürgerschaft heftig und unter Anrufung der Freiheitsrechte – „Wir wollen nicht unter Poli- zeiaufsicht gestellt werden!“ – geführte Diskussion war von WvM beschwichtigend aufgenommen und über die argumentative Herleitung in ein nüchterneres Fahrwasser gelenkt worden, vgl. WvM: Das Ein- wohner-Meldebureau und die Hamburger Bürger, in: Hamburger Nachrichten 66 (18. 03. 1891). 720 Ders.: Zur Reichstagswahl, in: Hamburger Nachrichten 26 (30. 01. 1887); ders.: Zur Wahlbewegung, in: Hamburger Nachrichten 32 (06. 02. 1887); ders.: Adolph Woermann, in: Hamburger Nachrichten 38 (13. 02. 1887); ders.: Ein neues Wahlflugblatt, in: Hamburger Nachrichten 39 (15. 02. 1887); ders.: Frei- sinnige Redner, in: Hamburger Nachrichten 42 (18. 02. 1887); ders.: Bebel und die Socialdemokratie, in: Hamburger Nachrichten 43 (19. 02. 1887); ders.: Der Kampf gegen die Socialdemokratie, in: Hamburger Nachrichten 50 (27. 02. 1887). 721 Wiegand, Notabeln, S. 204. 722 WvM: Der Wahlkampf und die Reform, in: Hamburger Nachrichten 309 (30. 12. 1886). 723 Ders.: Zur Reichstagswahl, in: Hamburger Nachrichten 26 (30. 01. 1887). 724 Ders.: Zur Wahlbewegung, in: Hamburger Nachrichten 32 (06. 02. 1887). 725 Ders.: Adolph Woermann, in: Hamburger Nachrichten 38 (13. 02. 1887). 726 Ders.: Ein neues Wahlflugblatt, in: Hamburger Nachrichten 39 (15. 02. 1887). 727 Ders.: Freisinnige Redner, in: Hamburger Nachrichten 42 (18. 02. 1887). 728 Ders.: Bebel und die Socialdemokratie, in: Hamburger Nachrichten 43 (19. 02. 1887). 729 Ders.: Der Kampf gegen die Socialdemokratie, in: Hamburger Nachrichten 50 (27. 02. 1887); die Namensgleichheit mit einem Artikel aus der Anfangsphase des Sozialistengesetzes ist sicher kein Zufall, vgl. Der Kampf gegen die Socialdemokratie, in: Hamburgischer Correspondent 147 (22. 06. 1878); die

| 291 | Artikel der Hamburger Nachrichten aus der Zeit trugen Titel wie: Die conservative Partei und die Be- kämpfung der Socialdemokratie, in: Hamburger Nachrichten Nr. 174 (24. 07. 1878). 730 WvM: Das Jahr 1890, in: Hamburger Nachrichten 1 (01. 01. 1891). 731 Ebd. 732 Burchard an WvM, 02. 01. 1889 (SUB Hbg., NvM: HS: Burchard, Johann Heinrich 3). 733 Robert-tornow an WvM, 16. 02. 1889 (ebd., NvM: AG: Walter Robert-Tornow). 734 Petersen an WvM, 26. 11. 1888 (ebd., NvM: HS: Petersen, Carl Friedrich). 735 Melle, Jugenderinnerungen, S. 220 f. 736 Ebd. 737 Storck, Kirchenpauer, S. 168. 738 Ebd., S. 167. 739 Ebd., S. 168. 740 Gustav Kaemmerer an WvM, 11. 03. 1892 (SUB Hbg., NvM: HJ: Kaemmerer, Gustav). 741 Melle, Jahre 1, S. 6. 742 Ders.: Die Hamburger Selbstverwaltung, in: Gegenwart. Wochenschrift 1, 6 (07. 02. 1880), S. 81–83. 743 Ders., Kirchenpauer, S. 27. 744 Ebd., S. 29. 745 Zu WvMs Engagement vgl. Anmerkung 446 und 447. 746 Goethe, Gedichte 1800-1832, S. 489. 747 WvM: Das Jahr 1889, in: Hamburger Nachrichten 1 (01. 01. 1890); 1889 vollendete Engelbert Peiffer das Denkmal, das als Büste – in Nischenbau auf Granitsockel – auf dem damaligen Steinthorplatz (heute etwa am Kreuzungspunkt Steintorplatz/Steintordamm am Museum für Kunst und Gewerbe) aufgestellt (und 1940 entfernt) wurde. (Hervorhebung im Original gesperrt.) 748 Vgl. die bewundernde Aussage von Syndikus Merck nach der Lektüre: „Ich verhehle nicht, Ihnen hier- durch meinen verbindlichsten Dank dafür auszusprechen, nachdem ich das Buch mit dem größesten[!] Interesse durch-|gelesen habe. Es ist wirklich ein Stück Hamburgische Geschichte in demselben dargestellt, und zwar trotz der Nähe der behandelten Periode in sehr erschöpfender Weise und mit bewundernswert- her Umgehung der Klippe, welche die Schilderung zeitgenössischer Ereigniße ohne Zweifel in sich birgt. Dazu ist die Persönlichkeit Kirchenpauer’s in treffendster Weise gekennzeichnet, und | tritt überall so scharf aus dem Rahmen des Ganzen heraus, daß man den Hauptzweck des Buches immer vor Augen behält.“ Merck an WvM, 21. 12. 1888 (SUB Hbg., NvM: HS: Merck, Carl Hermann Jasper). 749 Darunter wieder die Staatsrechtler Laband und Meyer; vgl. Laband an WvM, 04. 01. 1891 (SUB Hbg., NvM: AG: Laband, Paul) und Meyer an WvM, 12. 01. 1891 (ebd., NvM: AG: Meyer, Georg). 750 Laband an WvM, 04. 01. 1891 (ebd., NvM: AG: Laband, Paul). 751 Rehm, Staatsrecht, S. 447. 752 Ebd., S. 446. 753 Ebd., S. 450 (Hervorhebung im Original gesperrt). 754 Ebd., S. 448. 755 Ebd., S. 447. 756 Friedrich, Rehm, S. 282–283. 757 Rehm, Staatsrecht, S. 449. 758 Ebd., S. 452. 759 Melle, Staatsrecht, S. VII. 760 Mönckeberg an WvM, 21. 12. 1890 (SUB Hbg., NvM: HS: Mönckeberg, Johann Georg). 761 WvM an Versmann, ohne Datum (ebd., NvM: HS: Versmann, Johannes Georg Andreas; Konzept). 762 Versmann an WvM, 22. 12. 1890 (ebd., NvM: HS: Versmann, Johannes Georg Andreas). 763 Postel, Bürgermeister, S. 116. 764 Melle, Staatsrecht, S. IV. 765 Postel, Bürgermeister, S. 116; vgl. auch Rehm, Staatsrecht.

| 292 | 766 Postel, Bürgermeister, S. 116. 767 Melle, Jugenderinnerungen, S. 229; vgl. zur Herausbildung der Fraktionen als lose Interessensgemein- schaften zu politischen Parteiungen Wiegand, Notabeln, S. 199 f. 768 Exemplarisch sei hier auf den regen und in beide Richtungen verlaufenden Informationsaustausch zwi- schen Carl Hermann Jasper Merck und WvM verwiesen, der sich der Korrespondenz aus den Jahren 1887 und 1888 entnehmen lässt (SUB Hbg., NvM: HS: Merck, Carl Hermann Jasper); „vertraulich“ werden dem Redakteur vom Syndikus (dessen Stelle WvM später einnehmen sollte) einerseits Informationen zu- gespielt, Fragen beantwortet, Hinweise gegeben – andererseits ihm gegenüber hin und wieder aber auch Kritik an dessen Berichterstattung geäußert. 769 EvM an einen hohen Senat, 13. 12. 1890 (StA Hbg., 111-1 55099 / Cl VII Lit Aa Nr. 1 Vol 2 Fasc 30: 1a). 770 Petersen an WvM, 23. 12. 1890 (SUB Hbg., NvM: HS: Petersen, Carl Friedrich). 771 Im Sinne der legendären Wendung, die der präsidierende Bürgermeister Nicolaus Ferdinand Haller bei der Einführung EvMs in den Senat als „der würdige Sohn seines würdigen Vaters“ in Anspielung auf dessen Schwiegervater Geffcken gebrauchte. (Zitiert nach Melle, Jugenderinnerungen, S. 63.) 772 „[S]olcher Männer giebt es nicht Viele“, schrieb Petersen im Jahr vor dem eigenen Tod in seinem Kondo- lenzbrief (SUB HH, NvM: HS: Petersen, Carl Friedrich). – Den Nekrolog für die „Hamburger Nach- richten“ verfasste WvM (24; 28. 02. 1891). 773 Versmann an WvM, 02. 04. 1891 (SUB Hbg., NvM: HS: Versmann, Johannes Georg Andreas). Gemeint war WvM: Die Schaffung einer juristischen Verwaltungscarriere I+II, in: Hamburger Nachrichten 74 (27. 03. 1891) und Hamburger Nachrichten 75 (28. 03. 1891). 774 WvM: Die Schaffung einer juristischen Verwaltungscarriere I, in: Hamburger Nachrichten 74 (27. 03. 1891). 775 Melle, Jugenderinnerungen, S. 238. 776 Ebd., S. 239. 777 Ebd.; im Rundschreiben des Präsidenten an die Mitglieder des Senats heißt es dazu: „Die Besetzung des erledigten Syndicats dürfte demnächst zu erfolgen haben. Außer den Senatssecretairen, welche als geborene Candidaten zu betrachten sein werden, kommen, soweit mir bekannt, die folgenden in alphabetischer Reihenfolge genannten Personen in Betracht, welche sich mir gegenüber zu der Annahme einer etwa auf sie fallenden Wahl bereit erklärt haben, nämlich: Dr. Danzel, / Dr. Gütschow, / Dr. Kellinghusen, / Dr. von Melle, / Dr. Petersen. Wenn nicht etwa abweichende Wünsche geäußert werden sollten, werde ich mir erlauben, die Wahl als letzten Gegenstand in die Tagesordnung von Mittwoch, den 8. d. M. aufnehmen zu lassen. Versmann.“ (StA Hbg., 111-1 56484; alte Signatur: Cl VII Lit Ab Nr. 2 Fasc 35 Inv. 6, 2). 778 Ebd., S. 240. 779 Ebd. 780 Ebd., S. 241. 781 Ebd., S. 241 f. – Von Emmy Kaemmerer ist überliefert, dass sie „von ihren Dienstboten nur mit ,Madam‘ und in der 3. Person Einzahl angeredet“ wurde, „z. B. ,hat Madam geklingelt?‘ Nach alter Sitte redete sie auch ihre Schwiegersöhne mit Vornamen aber mit ,Sie‘ an, und die mußten dann natürlich auch ,Mama‘ und ,Sie‘ sagen.“ Borchling, ERINNERUNGEN!, S. 7. 782 Der promovierte Jurist Nolte, Jahrgang 1850 (Advokaten-Matrikel: 99, vgl. Schmidt, Geschichte, S. 370), war Sohn des Buchhändlers Gustav Eduard Nolte und seiner Frau Minna, geb. Geffcken, einer Schwester von WvM’s Mutter Marie. Er war mit (Laura) Gertrud Mutzenbecher verheiratet (vgl. Art. Geffcken, S. 173. 783 Nolte an WvM, 20. 07. 1891 (SUB Hbg., NvM: HS: Nolte, Gustav Eduard). 784 Rudolf Mönckeberg an WvM, 26. 07. 1891 (ebd., NvM: HS: Mönckeberg, Rudolf). 785 WvM an Versmann, 28. 07. 1891 (StA Hbg., 111-1 56484, 6; alte Signatur: Cl VII Lit Ab Nr. 2 Fasc 35 Inv. 6), die Akte ist überschrieben mit: „Syndicat. Ableben des Herrn Syndicus Dr. Carl Hermann Jasper Merk am 7. Juni 1891 und Wahl des Herrn Dr. juris Werner von Melle am 17. Juli 1891“.

| 293 | 786 Vgl. Poschinger, Bismarck, besonders Kapitel 6: „Bürgermeister Dr. Mönckeberg“; Johann Georg Möncke- berg trat in ein freundschaftliches Verhältnis zu Bismarck, der mit seiner Gattin zu verschiedenen Diners in der Hamburger Rabenstraße erschien – festgehalten auf einem ebd., S. 43 abgedruckten Bild. 787 Vgl. dazu das Kapitel 3: „Advokat und Heidelberger Club“, S. 139–142. 788 Vgl. dazu in Epilog I die Transkription der nachgelassenen Lebenserinnerungen, Zitat: S. 315 (im Manu- skript, S. 42; StA Hbg., 622-2/7 Borchling, 25); die politische Gegnerschaft von WvMs Onkel, Friedrich Heinrich Geffcken, zu Bismarck mündete 1888 in die sogenannte „Geffcken-Affäre“. „Im Oktober-Heft der ,Deutschen Rundschau‘ von 1888 hatte G. Teile aus dem Kriegstagebuch Kaiser Friedrichs aus der Reichsgründungszeit veröffentlicht, in deren Mittelpunkt der von Friedrich vertretene zentralistische Standpunkt gegenüber dem bundesstaatlich-föderativen Denken des Kanzlers steht. Der von Bismarck inszenierte Prozeß hat G.s letzte Hoffnung auf eine eigene preußische Karriere nun unter dem jungen Kaiser endgültig zerstört.“ Geffcken wurde unter Anklage des Landesverrats inhaftiert, ins Moabiter Gefängnis verbracht und – nach Niederlegung der Anklage – 1889 wieder freigelassen. (Pöls, Geffcken). 789 Dr. Johann Heinrich Burchard, in: Hamburger Nachrichten 383 (02. 06. 1906), zitiert nach Alings, Monument, S. 543. 790 Melle, Jugenderinnerungen, S. 230–235; Wiegand, Notabeln, S. 204. 791 Zum Vergleich: 1892 betrug das Jahresgehalt der kaufmännischen Senatoren 12.000 und der juristischen (Vollzeit-)Senatoren 25.000 Mark, vgl. Evans: Tod, S. 45 – dort wird das 1888 zum Überleben erforder- liche Mindesteinkommen auf 1040 Mark pro Jahr geschätzt, mit dem Befund, dass um 1890 ca. 70 Pro- zent der arbeitenden Bevölkerung Hamburgs weniger als 900 Mark im Jahr verdient hätten, ebd., S. 108. 792 Melle, Jugenderinnerungen, S. 240. 793 Vgl. WvM: † Herr Senator Dr. Cropp, in: Hamburgischer Correspondent 49 (18. 02. 1885), S. 1. 794 Ders.:, Senator Grossmann, in: Hamburger Nachrichten 235 (03. 10. 1886). 795 Ders.: Bürgermeister Weber, in: Hamburger Nachrichten 220 (16. 09. 1886). 796 Ders.:, † Senator Dr. Braband, in: Hamburger Nachrichten 287 (03.12.1887). 797 Ders.:, † Senator Hayn, in: Hamburger Nachrichten 146 (21. 06. 1888) und ausführlich Hamburger Nachrichten 148 (23. 06. 1888). 798 Ders.: † Senator von Melle, in: Hamburger Nachrichten 24 (28. 01. 1891). 799 Von der Betrachterseite aus rechts von WvM schauen noch die vor der Säule stehenden Carl Möring und Senatssekretär Anton Bernd Carl Hagedorn aus dem Bild heraus. 800 Siehe die Zitate des vorigen Kapitels aus einer ganzen Reihe von Artikeln der Rubrik „Hamburgische Angelegenheiten“ von WvM: Zur Reichstagswahl, in: Hamburger Nachrichten 26 (30. 01. 1887); ders.: Zur Wahlbewegung, in: Hamburger Nachrichten 32 (06. 02. 1887); ders.: Adolph Woermann, in: Hamburger Nachrichten 38 (13. 02. 1887); ders.: Ein neues Wahlflugblatt, in: Hamburger Nachrichten 39 (15. 02. 1887); ders.: Freisinnige Redner, in: Hamburger Nachrichten 42 (18. 02. 1887); ders.: Der Kampf gegen die Socialdemokratie, in: Hamburger Nachrichten 50 (27. 01. 1887). 801 Hamburgischer Staats-Kalender 1892, S. 26 f. 802 Vgl. Anmerkung 10. 803 Hamburgischer Staats-Kalender 1891, S. 87. 804 Beides: SUB Hbg., NvM: HS: Versmann, Johannes Georg Andreas. 805 Melle: Jahre 1, S. 4. 806 Alle Zitate: Ders., Jugenderinnerungen, S. 242 f. 807 Das Zitat lautet im Kontext des „Reiterliedes“ in Wallensteins Lager, vorgetragen vom Kürassier und einem Soldatenchor: „Da tritt kein anderer für ihn ein, / Auf sich selber steht er da ganz allein … / Der dem Tod in’s Angesicht schauen kann, / Der Soldat allein ist der freie Mann. / […] Drum frisch, Came- raden, den Rappen gezäumt! / Die Brust im Gefechte gelüftet! / Die Jugend brauset, das Leben schäumt: / Frisch auf! eh’ der Geist noch verdüftet. / Und setzet ihr nicht das Leben ein, / Nie wird euch das Leben gewonnen sein“. (Schiller, Wallenstein, Montage aus dem 11. Auftritt.) ··············································································································································

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Epilog I »Manu propria«: Ein Mann blickt zurück1

Inhalt

Aus den Jahren 1891–1900

11. Der Senat, Fünf Bürgermeister. S. 1–16 12. Senatsreferate S. 17–20 13. Die Choleraepidemie von 1892. S. 21–31 14. Die Verwaltungsreform von 1896 S. 32–37 15. Teilnahme am Zollbeirat und Wirtschaftlichem Ausschuß in Berlin 1893–1900 S. 38–58 16. Nordostseekanalfeier in Hamburg 1895 S. 59–66 17. In der Armen- und Waisenhaus-Verwaltung S. 66a–74 18. In der Unterrichtsverwaltung a. Höheres Schulwesen, Gewerbeschulwesen S. 75–81 b. Wissenschaftliche Anstalten und Vorlesungswesen S. 82–112 19. Aenderungen in der Zusammensetzung des Senats 10. Meine Wahl zum Senator S. 113–119

–––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––– 1 Editorische Notiz: Handschriftliche Lebenserinnerungen von Werner von Melle für den Zeitraum 1891–1929 (ohne Datum, vor 1933, mit späteren Ergänzungen; StA Hbg., 622-2/7 Conrad Borchling, 25): lose Blattsammlung, einseitig beschrieben mit breitem Rand; durchnummeriert; zwischen zwei Akten- deckeln mit dem Titel (fett = gedruckt): Hamburgische / Wissenschaftliche Stiftung LEBENSERINNE- RUNGEN / Seiner Magnifizenz / Herrn Bürgermeister Dr. von Melle Dezernent: [Name ausgemerzt] handschriftliche Ergänzung: „aus d. Nachlaß C. Borchlings“. Folgend eine (unkommentierte) Teiltran- skription der Kapitel 2 bis 5 und 7; zur Transkription von 8a vgl. oben Kapitel 5, S. 60–62; die Seitennum- merierung wurde vermerkt, die am Seitenrand notierten Anmerkungen übernommen und mit eigener Zählung ans Seitenende gerückt, der unregelmäßige Schriftwechsel (hauptsächlich bei Namen und teils bei Orten) durch Kursivierung angezeigt, Durchstreichungen stillschweigend weggelassen.

| 295 | Die folgenden Blätter enthalten eine Fort- ten und Verhandlungen, auch auf Reisen, setzung meiner im Jahre 1928 veröffentlich- falls solche von mir verlangt werden sollten, ten „Jugenderinnerungen“. Sie schildern willig und unweigerlich verwenden zu las- insbesondere meine Erlebnisse als Syndikus sen“. Die Worte „auch auf Reisen“ klangen und als Mitglied des Hamburger Senats in mir dabei besonders angenehm in den Oh- der Zeit seit dem Jahre 1891. Ein Teil meiner ren. Die in ihnen liegende Verheißung ist amtlichen Tätigkeit in diesen Jahrzehnten auch später nicht unerfüllt geblieben. ist bereits eingehend in meinem Buche Sodann ward auf Vorschlag der Geschäfts- „Dreißig Jahre Hamburger Wissenschaft“ verteilungskommission des Senats, der ne- behandelt. Trotzdem konnte ich mich nicht ben dem Präsidenten des Senats und meh- entschließen, ihn hier zu übergehen, da reren Senatoren immer auch ein Syndikus dadurch eine wesentliche Lücke in meinen angehörte, der Kreis der von mir zu über- Lebenserinnerungen entstanden wäre. Doch nehmenden Amtsgeschäfte festgestellt. habe ich, im Vergleich mit jener früheren Auf die mir danach zufallende Verwaltungs- Behandlung meiner Beziehungen zur Wis- tätigkeit werde ich im weiteren Verlauf mei- senschaftspflege Hamburgs, den Stoff kür- ner Darstellung zurückkommen. Neben ihr zer und prägnanter zusammengefaßt unter waren ebenso wichtig, ja vielleicht zunächst Fortlassung vieler Details und, soweit tun- noch wichtiger die mir zuerteilten Senatsre- lich, alles mich nicht direkt Betreffenden. ferate. Als mich Bürgermeister Versmann in Auch freundliche Beurteiler meines zweibän- einem freundlichen Schreiben ersucht hatte, digen Buches „Dreißig Jahre Hamburger ihm meine Wünsche auch bezüglich der Re- Wissenschaft“ haben dieses schwer lesbar ge- ferate mitzuteilen, hatte ich ihm erwidert, funden, weil ich darin das Werden des neuen daß ich staatsrechtlichen, politischen und wissenschaftlichen Hamburgs unter Wieder- wirtschaftlichen Fragen stets ein besonderes gabe vieler Aktenstücke und anderen Materi- Interesse entgegengebracht habe. als nach allen Seiten hin möglichst klarzustel- Infolgedessen erhielt ich manche Referate len bemüht war. Ja, man hat mich im Scherze aus diesen Gebieten, die oft von einer über gefragt, ob ich nicht einen Führer durch mein den aktuellen Einzelfall hinausgehenden all- Buch schreiben könne. Auch deshalb erschien gemeinen Bedeutung waren. mir eine, wie ich hoffe, leichter lesbare Dar- Besonders freute es mich, wenn ich bei sol- stellung der betreffenden Begebenheiten, chen Referaten meine bei früheren staats- soweit sie zu mir in persönlicher Beziehung rechtlichen Studien gewonnenen Kennt- standen oder die Voraussetzung meiner Tätig- nisse verwerten konnte. Dies geschah vor keit waren, nicht überflüssig. Uebrigens ist hie allem bei vielfachen Erwiderungen auf Mo- und da auch eine neue Nuance hinzugefügt. nituren des Bürgerausschusses gegen eine vermeintliche Verfassungs- oder Gesetzes- [S. 17] verletzung durch den Senat oder eine der 2. Senatsreferate ihm unterstellten Verwaltungsbehörden. Ge- In der ersten Sitzung des Senats, der ich bei- legentlich gab der Senat, wenn die Sache für wohnte, hatte ich den Syndikuseid zu leis- ihn ungünstig lag ten, in dem ich mich verpflichtete, „mich zu [S. 18] allen vom Senat mir aufgetragenen Geschäf- oder zu unwichtig war, auf meinen Rat

| 296 | nach. Meist aber konnte dem Bürgeraus- nicht die geeigneten Kräfte für die neuen schuß entgegnet werden, daß seine Monitur höheren Beamtenstellen zu gewinnen seien, nach dem hamburgischen oder Reichs- so kam es zunächst zur Einsetzung einer für Staatsrecht unbegründet sei. Er pflegte dies den Fall „beharrlichen Meinungsverschie- dann wohl nicht ohne Weiteres zuzugeben, denheit“ in der Hamburger Verfassung vor- ließ aber die Angelegenheit doch nach wei- gesehenen Vermittlungsdeputation. Nach- terem Schriftwechsel, soweit ich erinnere, dem diese aber unter dem Vorsitz von Bür- schließlich immer auf sich beruhen, statt germeister Petersen ohne Ergebnis getagt durch einen Appell an die Bürgerschaft hatte, handelte es sich jetzt um die Frage: diese gegen den Senat mobil zu machen. Sollte der Senat nachgeben, oder sollte er es Zuweilen handelte es sich auch um die Stel- noch mit dem letzten Auskunftsmittel derVer- lungnahme des Senats gegenüber andauern- fassung, einer sogenannten Entscheidungs- den Meinungsverschiedenheiten zwischen deputation versuchen, d. h. der in dringli- ihm und der Bürgerschaft. Einen solchen chen Fällen zulässigen endgiltigen Entschei- Fall, der zusammenhing mit der von Sena- dung durch ein Kollegium von je acht durch tor Hachmann eingeleiteten Reorganisation das Loos bestimmten Mitgliedern des Se- der Polizeibehörde, fand ich bereits bei mei- nats und der Bürgerschaft, die sich vor nem Eintritt in den Senat vor. Man hatte [S. 19] sich zwar über die sehr notwendige, ja drin- ihrem Zusammentreten eidlich verpflichten gende Reorganisation im übrigen geeinigt, mußten, „bei ihrer Abstimmung und ihrem doch bestand noch ein Streit über die Amts- Ausspruche nur das allgemeine Beste vor bezeichnung des bisherigen Polizeirats und Augen zu haben.“ Der Senat entschied sich der drei ihm nun zu unterstellenden juristi- für die ultima ratio der Verfassung und rich- schen Beamten. Der Senat wollte den Poli- tete einen entsprechenden, von mir redi- zeirat nunmehr „Oberregierungsrat“ und die gierten Antrag an die Bürgerschaft. anderen drei „Regierungsräte“ nennen; die Da es seit Jahrzehnten nicht zu einer Ent- Bürgerschaft aber bestand hartnäckig auf ei- scheidungskommission gekommen war, so nem „Oberpolizeirat“ und drei „Abteilungs- erregte dieser Schritt des Senats großes Auf- direktoren“. An der Amtsbezeichnung „Re- sehen. Die Bürgerschaft aber, die wohl etwas gierungsrat“ und „Oberregierungsrat“ nahm mehr Aussicht als der Senat hatte, bei einer unser Parlament wohl hauptsächlich des- Entscheidungsdeputation den Kürzeren zu halb Anstoß, weil es den Senat nicht als Re- ziehen, lehnte den auf die Einsetzung der gierung anerkennen wollte, was er doch, wie Deputation gerichteten Senatsantrag ab, in- jetzt allgemein zugegeben, sowohl damals dem sie behauptete, die Entscheidung über war,2 wie auch heute (nach 1918), unter in die Amtsbezeichnungen sei nicht eine dring- mancher Beziehung veränderten politischen liche, die, wie es in der Verfassung hieß, Verhältnissen, noch ist. Da der Senat anderer- „ohne wesentlichen Nachteil für das Ge- seits der Meinung des Polizeiherrn beitrat, meinwesen nicht ausgesetzt werden dürfte.“ daß ohne die in anderen deutschen Staaten Damit war, da die Zustimmung der Bürger- all gemein üblichen Amtsbezeichnungen schaft notwendig war, die Sache auf ein –––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––– 2 Anm. Ich hatte dies schon in meinem Staatsrecht hervorgehoben.

| 297 | totes Geleise geschoben. Der Senat wieder- Reichsregierung zu, auch wenn sich gegen holte zwar seinen Antrag und ließ ihn auch diese einmal Wünsche aus Kreisen der Ham- in einer Sitzung der Bürgerschaft durch Bür- burger Protestanten zur Geltung zu bringen germeister Versmann und Senator Burchard suchten. Ganz gleichgültig war natürlich für vertreten. Doch begann Versmann, der mit Hamburg die Frage, wer in dem kleinen Recht die für den Senat hoffnungslos gewor- Fürstentum Lippe-Detmold zu regieren be- dene Sache nicht auf die Spitze zu treiben rechtigt war. Daß man über diese Frage sehr wünschte, schon in oder gleich nach dieser verschiedener Ansicht sein konnte, zeigten Bürgerschaftssitzung, in der die Entschei- die von einander abweichenden, auch dem dung schließlich noch ausgesetzt war, per- Senat in großer Zahl übersandten Gutach- sönliche Verhandlungen mit einflußreichen ten der deutschen Staatsrechtslehrer, unter Bürgerschaftsmitgliedern, die zu einem vom denen sich zwei Parteien gebildet hatten, die Senate gutzuheißenen Vergleiche führten, eine geführt von dem Straßburger Professor demzufolge statt „Oberregierungsrat“ „Poli- Laband, die andere von dem später nach zeidirektor“ und statt „Regierungsräte“ ein- Berlin berufenen Professor Kahl. So sehr fach „Räte“ gesagt wurde. Die Amtsbezeich- mich dieser Streit persönlich interessierte; nung „Regierungsrat“ war indes damit in ich brauchte dem Senat nicht viel über ihn Hamburg nicht dauernd von der Bildfläche vorzutragen, sondern konnte nur empfeh- verschwunden. Nach einer Reihe von Jahren len, sich ganz neutral zu verhalten und, wurden auf einen weiteren Antrag des Se- wenn die Angelegenheit an den Bundesrat nats aus den einfachen „Räten“ „Regie- kam, dort der Auffassung der Reichsregie- rungsräte“, und zu der wachsenden Zahl der rung nicht zu opponieren. Ich machte mir Regierungs- und Oberregierungsräte in al- indes das Vergnügen in meinem Vortrage len Verwaltungen kamen in neuerer Zeit darauf hinzuweisen, daß das „Lippische noch die Regierungsdirektoren. Die dama- Volk“, von dem in den Eingaben und in lige ablehnende Haltung der Bürgerschaft der Presse so vielfach die Rede war, an Grö- ist daher jetzt kaum noch verständlich. ße etwa der damaligen Bevölkerung unse- Mehrfach hatte ich ferner im Senat über res Hamburger Vorortes Eimsbüttel ent- Fragen der Reichspolitik zu referieren, so sprach. z. B. über die Aufgabe einzelner Bestim- mungen des Jesuitengesetzes und über den [S. 21] Lippischen Erbfolgestreit. Jesuiten gab es 3..Die Choleraepidemie von 1892 damals, soviel sich wenigstens ermitteln Eine besondere, interessante, aber auch an- ließ, in Hamburg überhaupt nicht. Wir hat- strengende und in mancher Beziehung auf- ten somit kein Interesse an der Sache regende Tätigkeit erwuchs mir durch die [S. 20] Hamburger Choleraepidemie von 1892. Der und stimmten daher, entsprechend der von Senat delegierte mich nämlich neben den Versmann inaugurierten Hamburger Reichs- Senatoren Hachmann und Lappenberg und politik im Bundesrat den Anträgen der meinem älteren Kollegen Syndikus Roeloffs –––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––– 3 Anm. Das Nachfolgende beruht im wesentlichen auf privaten Aufzeichungen, die ich mir damals ausnahmsweise über die wichtigeren Ereignisse gemacht habe.

| 298 | als viertes Mitglied in die von ihm einge- lich der Entstehung und Verbreitung der setzte Cholerakommission3 Cholera ein Anfänger. Der im Gegensatz Die Ende August 1892 in Hamburg zum zu der neuen Theorie von Koch stehenden Ausbruch gelangte Choleraepidemie war Auffassung des hervorragenden Münchener nach der Erklärung des maßgebenden Ber- Hygienikers Professor von Pettenkofer 5 un- liner Bakteriologen Professor Robert Koch geachtet aber hätte er die in Berlin auf Ver- die Folge einer Infektion der Wasserleitung, anlassung von Professor Koch ergriffenen die die Stadt mit aus der Elbe geschöpftem oder in Aussicht genommenen Maßnahmen Trinkwasser versorgte. Zu einer solchen un- nicht außer Acht lassen dürfen; denn, wenn heilvollen Infektion hätte es nicht kommen auch das Reich als solches noch nicht offi- können, wenn die damals noch im Bau be- ziell eingegriffen hatte, so mußte er sich griffenen zentralen Sandfilteranlagen bereits doch sagen, daß die Einzelstaaten in so in Betrieb gewesen wären. Man warf daher wichtigen Fragen der Volksgesundheit nicht Hamburg vor, daß diese auch von Profes- eine Sonderpolitik treiben konnten, sondern sor Koch für genügend erklärten Filteranla- sich nach der Stellungnahme des Reichs- gen nicht früher in Angriff genommen sei- gesundheitsamts in Berlin in jeder Bezie- en, was ja auch gewiß sehr bedauerlich war.4 hung zu richten hatten: Im Uebrigen wären [S. 22] auf eine so große Epidemie wie die Ham- Andere Vorwürfe, die damals in der deut- burger von 1892 damals auch wohl andere schen Presse gegen Hamburg erhoben wur- deutsche Städte und Staaten nicht genügend den, wie die, daß man für die Bekämpfung vorbereitet gewesen, sodaß es unbillig war, einer großen Epidemie nicht genügend vor- in dieser Beziehung über Hamburg herzuzie- gesorgt habe und daß der Ausbruch der Epi- hen. Selbst die schärfsten auswärtigen Kri- demie nicht rechtzeitig, insbesondere nach tiker aber mußten anerkennen, daß das gro- Berlin hin kundgegeben sei, waren jeden- ße, neue und modern eingerichtete Eppen- falls nur zum Teil begründet. In letzterer Be- dorfer Krankenhaus eine Musteranstalt zu ziehung war der leitende Beamte des Medi- nennen war, wenn es sich auch erklärlicher zinalkollegiums Medizinalrat Krauss nicht Weise für die Unterbringung der ihm durch korrekt und schnell genug vorgegangen. die Epidemie zuströmenden Kranken als Doch konnte von einer Absicht, die Sache räumlich nicht ausreichend erwies. zu vertuschen, weder bei ihm, noch bei dem Gleich nach Beginn der Epidemie bean- Medizinalkollegium oder gar dem Senat die tragte der Senat bei der Bürgerschaft die Rede sein. Der Medizinalrat, der bereits das Bewilligung der zunächst M 500,000 zur 70ste Lebensjahr überschritten hatte, war Bestreitung der durch die Epidemie verur- ferner – was damals noch erklärlich – bezüg- sachten Kosten (für Barackenbau, Verstär- –––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––– 4 Anm. Der Senat hatte die zentralen Sandfilteranlagen bereits im September 1887 – also 5 Jahre vor Aus- bruch der Cholera – beantragt. Die umfangreichen Bauten konnten jedoch erst beginnen, nachdem man sich im Sommer 1890 mit der Bürgerschaft über das Projekt geeinigt hatte. 5 Anm. Professor Virchow sagte beim ersten Anblick der Kochschen Cholerabazillen unter dem Mikro- skop: „Es ist unmöglich, solche bunte Kommachen machen keine Seuche. Pettenkofer hat eine ganze Bakterienkultur als Brühe geschluckt und hat nicht einmal Diarrhoe bekommen.“ (Carl Ludwig Schleich, Besonnte Vergangenheit, 1930 S. 195)

| 299 | kung der Transportmittel, Erweiterung der nur auf das Staatswohl bedacht, fand er sich Leichenhäuser, Desinfektionsmittel u.s.w.). in jeder, auch der verwickeltsten Situation Der Senat schlug dabei vor, die Verwendung schnell zurecht und packte dann zu. Für des Geldes im Einzelnen abhängig zu ma- seine Untergebenen war er das Ideal eines chen von der Mitgenehmigung einer zu Vorgesetzten. Sie wußten immer, woran sie wählenden Bürgerschaftskommission. Die mit ihm waren, und er besaß in hohem Bürgerschaft erwiderte indes, daß sie die Grade die Fähigkeit, die für die Staatsver- Verwendung der sofort von ihr bewilligten waltung von so großer Bedeutung ist, sich Summe nicht selbst in der Fülle der Einzelarbeit zu [S. 23] verlieren, sondern andere für sich arbeiten dem Senat überlasse. Der Senat konnte hier- zu lassen, ihnen Spielraum für die Betäti- mit nur einverstanden sein, übertrug aber gung ihrer Eigenart zu lassen und doch da- nunmehr, da die in Betracht kommenden bei immer das Heft in den Händen zu be- Dinge für eine Entscheidung im Plenum halten.“ Da Hachmann überdies in den nicht geeignet waren, alles Weitere der be- Sachen, die er angriff, oft eine glückliche reits erwähnten Senatskommission. Hand gezeigt hatte und da er sich als frühe- Diese Cholerakommission des Senats trat rer Präsident der Bürgerschaft in dieser wie hierauf in den ersten Wochen täglich, spä- in weiteren Kreisen großer Popularität und ter ein um andern Tag zu einer längeren Sit- weitgehenden Vertrauens erfreute, so war er zung zusammen, in der alles, was direkt oder gewiß besonders geeignet, an die Spitze des indirekt mit der Epidemie zusammenhing, verantwortungsvollen Kampfes gegen die erörtert und, soweit möglich auch erledigt Epidemie zu treten. wurde. Nur in besonders bedeutsamen Fäl- Den impulsiven Hachmann unterstützte in len ward eine schleunige Entscheidung des diesem Kampfe der ruhige und besonnene Senats oder seines Präsidenten eingeholt. Im Chef der Krankenanstalten Senator Lappen- Uebrigen beschränkte man sich auf kurze berg, eine ebenso entgegenkommend=lie- Berichte über den Gang der Ereignisse in benswürdige wie innerlich vornehme Per- den Sitzungen des Senats. sönlichkeit. Und neben diese beiden trat als Die wichtigste Persönlichkeit in der Kom- dritter der kluge und mission war ihr Vorsitzender Senator Hach- [S. 24] mann, der, immer schnell entschlossen und vielerfahrene Syndikus Roeloffs, der schon energisch, die ihm in erster Linie zufallende vor Jahren an einer Cholerakommission teil- Bekämpfung der Epidemie bereits vor Ein- genommen und auch im Jahre 1871 eine setzung der Kommission mit großem Ge- Pockenepidemie mitbekämpft hatte. Aus schick eingeleitet hatte. kleinen Anfängen hatte sich Roeloffs – wie Mit Recht sagte von ihm einer seiner frühe- bereits erwähnt, als Schüler Versmanns – zu ren Mitarbeiter in der Polizeibehörde, Syn- einer hochbedeutenden Stellung im Senat dikus Albrecht 6: „Frei von jeder bureaukra- emporgearbeitet. Zuerst ein einfacher Schrei- tischen Engherzigkeit, durch politische und ber im Handelsgericht, war er dort als un- persönliche Vorurteile nicht belastet, immer gewöhnlich begabt dem damaligen Präses –––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––– 6 Anm. Dr. Ernst Albrecht, Bürgermeister Dr. Gerhard Hachmann, 1922, S. 11 f.

| 300 | des Gerichtes Versmann aufgefallen und diesem Zweck gebildete lokale Gesundheits- dann von diesem nach seiner Wahl zum Se- kommissionen. nator in den Verwaltungsdienst übernom- Alle diese und andere durch die Not der Zeit men. Hier hatte er, mit Eifer und Geschick hervorgerufenen Maßnahmen erforderten seine Schulkenntnisse erweiternd, schon weitere große Summen, die im Gesamtbe- bald eine vielseitige Allgemeinbildung und trage von mehreren Millionen, meist ohne eine ausgebreitete Kenntnis der hamburgi- [S. 25] schen Verwaltung erlangt, die ihm bei seiner daß die Finanzdeputation auch nur befragt hervorragenden Intelligenz und diplomati- war, vom Senat und Bürgerschaft bewilligt schen Gewandheit ermöglichten, zunächst wurden und über die die Cholerakommis- in der Deputation für indirekte Steuern so- sion auf Grund der ihr erteilten außerge- wie später in den Zollanschlußverhandlun- wöhnlichen Machtbefugnisse in freiester gen und in der Zollverwaltung die rechte Weise disponierte. Hand Versmanns zu werden.7 Auch hatte er Dem Medizinalrat Krauss war schon in den als Reichskommissar seiner Zeit den Ham- ersten Tagen der Epidemie die von ihm er- burger Zollanschlußvertrag vor dem Reichs- betene Entlassung erteilt. Seine Funktionen tage vertreten. übernahm dann, zunächst vertretungsweise Auf die einzelnen von der Cholerakommis- Physikus Reincke, der zusammen mit sei- sion durchgeführten oder veranlaßten Maß- nem jüngeren Kollegen Physikus Deneke nahmen kann hier nicht näher eingegangen regelmäßig an den Sitzungen der Cholera- werden. Selbstverständlich geschah alles, kommission teilnahm. Beide waren vortreff- was nur irgend möglich war, um die Kran- liche Verwaltungsbeamte, die sich den von kenhäuser und Epidemiebaracken sowie die ihnen zu erledigenden Aufgaben mit Eifer Desinfektionsanstalten und Leichenhäuser und Geschick widmeten. Auch der hochbe- durch schnell errichtete Hilfsbauten oder gabte und temperamentvolle, aber zuweilen die Anmietung geeigneter Räume zu erwei- allzu selbstherrliche Oberingenieur Andreas tern. Daneben galt es, den umfangreichen Meyer stellte sich mehrfach zu den Sitzun- Kranken= und Leichen=Transport und den gen ein, um über den mit Riesenschritten Beerdigungsbetrieb auf dem Zentralfried- fortgeführten Bau der zentralen Elb-Filter- hof in Ohlsdorf zu regeln. Zur Ergänzung anlagen und die in großer Zahl begonnenen der vorhandenen Krankenwagen hatte Se- Brunnenbohrungen zu berichten. nator Hachmann schon in den ersten Tagen Andere kamen mit Fragen und Wünschen. der Epidemie, da niemand sein Fuhrwerk So auch gelegentlich Bürgermeister Vers- für diesen Zweck vermieten wollte, 30 Land- mann, der wie kein anderer die Arbeiten der auer kurzweg angekauft. Weiter hatte die Kommission mit sorgendem Sinn verfolgte Kommission Sorge zu tragen für die Erboh- und sich dauernd von mir über die wichti- rung von zahlreichen Brunnen, die Räu- geren Vorgänge mündlich oder schriftlich mung verseuchter Wohnungen, die Beob- orientieren ließ. Zuweilen erschien schon achtung Choleraverdächtiger und die Kon- am frühen Morgen ein Bote von ihm bei mir trolle in den einzelnen Bezirken durch zu mit einer Droschke, die ich benutzen sollte, –––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––– 7 Anm. Vgl über ihn auch Julius von Eckardt, Lebenserinnerungen 1910, Bd 2, S. 59 f.

| 301 | um sofort in seinem Namen eine Angele- seren Bahnhöfen schon bald eine ärztliche genheit mit Senator Hachmann oder dem Kontrolle aller Abfahrenden eingeführt Präsidenten des Senats zu besprechen. wurde, eine sehr weitgehende. Die kleine Den Vorsitz im Senat führten damals an Stadt Teterow in Mecklenburg erließ in Stelle des schon vor einiger Zeit schwer Hamburger Blättern eine große Anzeige, in erkrankten Bürgermeister Petersen, der der- der verkündet ward, daß kein Hamburger zeitige zweite Präsident Bürgermeister Mön- die Stadt betreten dürfe. Aber auch in grö- ckeberg. Dieser vertrat den Senat bei ver- ßeren Städten verweigerten die Hotels an- schiedenen erregten Auseinandersetzungen, fänglich Hamburgern oft die Unterkunft die in der Bürgerschaft über die Epidemie oder ließen sie im günstigsten Falle nur stattfanden, mit überlegener Ruhe und gro- heimlich zu. So ward Frau Bürgermeister ßer dialektischer Gewandtheit. Einen glän- Versmann, die ihre Enkel nach Frankfurt zu- zenderen und überzeugenderen Anwalt hät- rückbrachte, in Cassel – trotz ihres Protes- ten sich die hamburgischen Behörden bei tes – als Frau Vermehren aus Braunschweig dieser Gelegenheit garnicht wünschen kön- in die Fremdenliste eingetragen. In anderen nen. Und mit gleicher Geschicklichkeit Orten mußten die dort eintreffenden Ham- führte er auch den Vorsitz in einer auf An- burger zunächst baden, während gleichzei- trag der Bürgerschaft niedergesetzten Se- tig ihre Kleider desinfiziert wurden. Erst nats- und Bürgerschaftskommission zur später ward durch einen Preußischen Minis- Prüfung der sanitären Verhältnisse Ham- terialerlaß ein Teil dieser übertriebenen burgs. Im Uebrigen hielt er sich, soweit Maßnahmen wieder aufgehoben, zu deren nicht eine Entscheidung von ihm oder vom Erklärung freilich hervorgehoben ward, daß Senat gewünscht wurde, persönlich sehr zu- so viele Hamburger damals die Stadt verlas- rück. Auch nahm er die während der ersten sen hätten. Hinzufügen möchte ich noch, Wochen daß in Bonn die Namen derer, die Waaren [S. 26] aus Hamburg bezögen, veröffentlicht wer- auswärts getroffenen Absperrungsmaßre- den sollten. geln wie die gegen die hamburgischen Be- Zu den Absperrungsmaßregeln kamen be- hörden besonders in der auswärtigen Presse leidigende Aeußerungen in den auswärtigen gerichteten Angriffe nicht allzu tragisch. Blättern, die sich meist direkt oder indirekt Der ganz anders geartete Bürgermeister Vers- gegen den Senat richteten. So schrieb die mann konnte dies nicht begreifen und „Post“: „Seitens der Hamburger Behörden meinte daher, Mönckeberg verhalte sich zu geschieht so gut wie nichts zur Unterdrü- sehr als Gletscher. Andererseits sagte mir Se- ckung der Gefahr. Es steht niemand über nator Hachmann einmal, als ich ihm Wün- diesem plutokratischen Rattenkönig, des- sche von Bürgermeister Versmann zu über- sen Mitglieder die Zeit damit verbringen, bringen hatte: Wäre ich so nervös wie sich gegenseitig hochzuachten, Rotwein zu Versmann, würde ich garnicht durch meinen trinken und Gehalt nachzuzählen.“ Ferner vollbesetzten Tag kommen.“ brachten die Berliner „Lustigen Blätter“ ein Die von der allgemeinen Cholerafurcht dik- großes koloriertes Bild: ein Choleragerippe, tierte Absperrung gegen die von Hamburg das einem Senator in Amtstracht die Schlaf- kommenden Reisenden war, obwohl an un- mütze vom Kopf reißt. Darunter stand:

| 302 | „Der asiatische Gast zu dem Hamburger unserem Hamburger Historiker Professor Ratsherrn: „Herunter mit der Schlafmütze!“ Adolf Wohlwill im „Schwäbischen Merkur“ Besonders drastisch war auch ein vom und von dem späteren Senatssyndikus Dr. „Hannoverschen Courier“ abgedruckter Albrecht in den „Grenzboten“ orientierende Brief, der angeblich von einem nach Schlie- Aufsätze erschienen. ßung der Schulen geflüchteten Hamburger Die Redaktionen des „Hamburgischen Cor- Oberlehrer herrührte. Das betreffende Zei- respondenten“ und der „Hamburger Nach- tungsblatt ward überdies dem Senat über- richten“ suchte ich persönlich auf, wobei ich sandt unter Hinzufügung der Worte: „Quo- von Dr. Hartmeyer erfuhr, daß er auf An- usque tandem Senatus miserabilis et infamis frage in Varzin vom Fürsten Bismarck die abutere Antwort erhalten habe, er solle den Ham- [S. 27] burger Behörden keine Schwierigkeiten be- patientia nostra? Schufte, wann wollt Ihr ab- reiten. Bald darauf (den 11. Sept) sprach danken?“ Ob dieser Brief wirklich von ei- auch der Fürst in einem erst später bekannt nem Hamburger Lehrer herrührte, ließ sich gewordenen vertraulichen Schreiben an den freilich durch die von dem Präses der Ober- kranken Bürgermeister Petersen8 sein Be- schulbehörde Senator Stammann angestell- dauern aus, daß Hamburg „der vis Major der ten Ermittlungen nicht feststellen. anonymen Seuche, eines ungreifbaren Fein- Infolge der mancherlei irrigen und beleidi- des, gegenüber stehe“, und zugleich seine genden Mitteilungen, besonders in auswär- Genugtuung, daß „die pharisäische Kritik tigen Blättern ward mir von der Cholera- gegen Hamburg anfange der Beschämung kommission eine Beobachtung der Presse über die feige und gesetzwidrige Boykot- übertragen. Vom Bureau der Kommission, tierung leidender Mitbürger Platz zu ma- wo die hamburgischen und verschiedene chen.“9 In Uebereinstimmung mit diesem auswärtige Zeitungen gehalten wurden, er- Briefe des Fürsten ward in einem späteren hielt ich täglich die nach meiner Anweisung Artikel der „Hamburger Nachrichten“ der geordneten Zeitungsausschnitte sowie die „Kundgebungen von Pharisäismus gegen ergänzenden Ausschnitte zweier literarischer Hamburg“ gedacht und daran anknüpfend Auskunftsbureaus über das Thema „Ham- weiter ausgeführt: Es erscheine sehr fraglich, burger Choleraepidemie“, worauf ich dann, ob, wenn die Cholera anderswo als in Ham- soweit erforderlich, mündlich oder schrift- burg in so heftiger und plötzlicher Weise lich der Kommission und besonders Bürger- zum Ausbruch gelangt wäre, man sich dort meister Versmann berichtete. Zugleich legte ebenso schnell zurecht gefunden hätte wie ich, wenn es mir nötig schien oder ge- hier, obwohl die Bedingungen zur Bekämp- wünscht wurde, die Entwürfe von Entgeg- fung der Epidemie in jeder anderen deut- nungen vor. Auch veranlaßte ich, daß von schen Stadt entschieden günstiger längen als

–––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––– 8 Anm. Abgedruckt bei Adolf Wohlwill, Bürgermeister Petersen, 1900, S. 223 f. 9 Anm. Auch Poschinger berichtet von einem Besuch bei Bismarck im Oktober 1892: „Man sprach von dem schweren Unglück, von dem Hamburg durch die Choleraepidemie betroffen war, und Bismarck zeigte sich entrüstet über das Unrecht, das den Hamburgern von so manchen Seiten zugefügt worden war.“ (Bismarck, Gesammelte Werke 1 Aufl, Bd 9; Gespräche, Okt 3, 1926. S. 256. Vgl. auch ebenda S. 264.

| 303 | gerade in Hamburg mit seinem übersee- benswürdigkeit. Immer bereit, den Wün- ischen Welthandelsverkehr. schen Hamburgs, soweit irgend möglich, ent- [S. 28] gegenzukommen und erforderlichen Falls Die erste, die Hamburg in dieser schweren geschickt zu vermitteln, war und blieb er da- Zeit ihre Teilnahme aussprach und ihre bei der Vertrauensmann seines Herrn und Hilfe anbot, war die Prinzessin Heinrich Meisters Koch, dessen ärztlichen Anforde- von Preußen. Ihr dankte das von der Ham- rungen er stets zu dessen voller Zufrieden- burger Handelskammer gebildete Hilfsko- heit gerecht zu werden verstand. mitee in warmen Worten „für diese erste [S. 29] Kundgebung der Sympathie von auswärts.“ Schließlich kam es sogar so weit, daß als sich Dem so gegebenen Beispiele folgten dann im nächsten Jahre Cholerafälle in Berlin bald andere. Eine Anfrage aus Berlin, ob zeigten, Koch uns seinen Berlinern als nach- man dort einen Aufruf erlassen solle, ward ahmenswertes Muster vorhielt. Was in Ham- freilich dankend abgelehnt. Doch kamen burg gemacht sei – so sagte er damals – auch ohne dies Gaben von allen Seiten zur müsse auch in Berlin geschehen können; er Ergänzung der in Hamburg selbst gesam- habe sich auch schon die erforderlichen For- melten sehr erheblichen Hilfsgelder. mulare aus Hamburg verschrieben. Ferner erschien der Direktor des Reichsge- Als ich mit Professor Gaffky eines Tages den sundheitsamtes Köhler mit Professor Koch in mir von ihm für die Presse gelieferten ärzt- Hamburg, um hier an Beratungen teilzu- lichen Bericht besprach und dabei auch nehmen. Sie sprachen auch in einer Sitzung über die noch immer nicht ganz verstum- der Cholerakommission vor, und wir hör- menden Angriffe in der auswärtigen Presse ten, wie der sehr gewandte und liebenswür- klagte, erwiderte er mir: wir sollten die Sa- dige Direktor Köhler zu Senator Hachmann che doch nicht so tragisch nehmen, aus- sagte: er sei ausdrücklich beauftragt, Ham- wärts messe man solchen Artikeln garnicht burg die Sympathie des Reiches mit seinem große Bedeutung zu. Bürgermeister Vers- schweren Unglück auszusprechen und zu mann, dem ich das erzählte, war jedoch an- erklären, daß in Hamburg alles zur Bekämp- derer Ansicht, und ich mußte ihm zustim- fung der Epidemie geschehen sei. men. Wie ich vor zwei Jahren im Vorwort Besonders wichtig war dann, daß auf zu meiner Biographie Bürgermeister Kir- Wunsch von Koch sein Schüler Professor chenpauers hervorgehoben hatte, war Ham- Georg Gaffky aus Giessen für einige Monate burg damals im deutschen Binnenlande eine nach Hamburg kam, der als erfahrener Bak- der unbekanntesten Städte des Reiches, das teriologe und sachverständiger Beirat der in hatte sich in der Cholerazeit besonders deut- Betracht kommenden Behörden auch an lich gezeigt. Man ahnte nicht, wie es bei uns allen Sitzungen der Cholerakommission teil- aussah, und man traute uns daher, zumal nahm. Koch und Gaffky waren sehr verschie- wenn es uns nicht gut ging, alles mögliche dene Persönlichkeiten. Koch, der große Ge- Schlechte zu. Das war die traurige Folge un- lehrte mit dem bohrenden Forscherblick, serer von mir schon oft beklagten geistigen war meist schroff in seinem Auftreten und Isolierung. Es war daher, wie Bürgermeister wenig geneigt, Rücksichten zu nehmen. Versmann und ich meinten, empfehlens- Gaffky dagegen gewann alle durch seine Lie- wert, neben der Erwiderung auf bestimmte

| 304 | Angriffe auch allgemeiner gehaltene Artikel Vorwurf einer Verheimlichung des Aus- über Hamburg in die auswärtige Presse zu bruchs der Cholera mit vor Unwillen leuch- bringen. tenden Augen zurückgewiesen. Entsprach Da Professor Lichtwark von seinem längeren auch das Ergebnis dieser Preßkampagne Aufenthalte in Berlin her über die dortigen nicht ganz unseren Wünschen, so war doch Preßverhältnisse gut orientiert war und der ihr zu Grunde liegende Gedanke ein überdies immer geschickt und findig, so be- nicht unrichtiger. Er ward später in anderer sprach ich die Sache mit ihm. Er meinte Form – von Lichtwark durch die Aufgaben, schließlich, am besten sei, wenn ein nam- die er namhaften auswärtigen Künstlern in hafter möglichst unabhängiger Literat per- Hamburg stellte, und von der Vorlesungs- sönlich nach Hamburg komme, um dann kommission der Oberschulbehörde durch auf Grund eigener Anschauung berichten zu Berufung hervorragender auswärtiger Pro- können. Geeignet erschien ihm für diesen fessoren zu Vorlesungskursen – in erfolgrei- Zweck der bekannte Historiker und Redak- cher Weise durchgeführt. teur der „Preußischen Jahrbücher“ Professor Zu den besonderen Maßregeln, die der Be- Hans Delbrück, ferner auch Friedrich Dern- kämpfung der Cholera dienten, kamen wei- burg, der zurzeit als Feuilletonist für das ter dauernde neue Einrichtungen auf dem „Berliner Tageblatt“ schreibe und früher als Gebiete des Gesundheitswesens, für die ich Begleiter des Kronprinzen auf dessen Reise als Mitglied der Cholerakommission das nach Spanien interessante Berichte veröf- Referat im Senat übernahm. Es handelte fentlicht habe. Im Einverständnis mit Bür- sich dabei neben einem Neuaufzug des vom germeister Versmann und mir nahm dann Medizinalrat geleiteten ärztlichen Dienstes Lichtwark mit beiden Herren in Berlin per- und einer Aerzteordnung, um die Errich- sönlich Rücksprache und fand sie nicht ab- tung eines Hygienischen Instituts und die geneigt, worauf ihnen zu ihrer Orientierung Schaffung einer geregelten ärztlichen Beauf- verschiedene Bücher über Hamburg, darun- sichtigung des gesamten Hafengebietes ein- ter auch mein Hamburgisches Staatsrecht schließlich aller von der See und dem obe- [S. 30] ren Stromgebiet herkommenden Schiffe, und meine Biographie Kirchenpauers, über- Kähne und sonstigen Fahrzeugen. Nach Ge- sandt wurden. Professor Delbrück kam nehmigung der betreffenden Anträge durch schließlich nicht persönlich, sondern schick- die Bürgerschaft waren dann drei für die te nur einen seiner Mitarbeiter, von dem ei- Durchführung der Hygiene wichtige Posten nige Artikel in den „Preußischen Jahrbü- zu besetzen, die des Medizinalrats, des Di- chern“ erschienen. Auch Dernburg kam auf rektors des Hygienischen Instituts und des zwei Tage und besichtigte hier vielerlei. Er an der Spitze einer Reihe ärztlicher Assisten- war im allgemeinen von dem, was er gese- ten die Ueberwachung des Hafens leitenden hen und von maßgebenden Persönlichkei- Hafenarztes. Schon im politischen Interesse ten gehört hatte, befriedigt und schrieb für erschien es wünschenswert, bei diesen drei das Feuilleton des „Berliner Tageblatts“ ver- Wahlen im Einverständnis mit den Profes- schiedene wohlwollende, aber wenig wir- soren Gaffky und Koch vorzugehen, und dies kungsvolle Aufsätze. Ueber einen Besuch gelang dann auch in erfreulicher Weise. Der bei Versmann berichtete er: Dieser habe den Hamburger Dr. Reincke ward oder eigent-

| 305 | lich blieb Medizinalrat; das neue Hygieni- Krankenmaterial vorhanden sein würde, so sche Institut wurde Dr. Dunbar, einem As- ward an der Durchführung des Hamburger sistenten von Professor Gaffky in Giessen, Plans unter gewisser, nicht erheblicher Be- unterstellt und das Amt des Hafenarztes er- teiligung des Reiches festgehalten.10 hielt Auch an der Errichtung des Tropenhygieni- [S. 31] schen Instituts – das später für das Koloni- der Marinearzt Dr. Bernhard Nocht, der alinstitut und die Universität von so großer von 1887–1890 unter Koch Assistent am Hy- Bedeutung wurde – war ich als Senatsrefe- gienischen Universitätsinstitut in Berlin ge- rent mitbeteiligt. Die Seele aber dieser Un- wesen war. Für das sich unter der geschick- ternehmung wie aller anderen hygienischen ten Leitung von Professor Dunbar schnell Reformen, die damals durchgeführt wur- und glücklich entwickelnde Hygienische den, war Senator Hachmann, dem Ham- Institut ward schon bald ein stattlicher Um- burg so neben der Reorganisation der Poli- bau errichtet. Und aus einer Abteilung für zeibehörde auch die zeitgemäße Neuord- innere Krankheiten der Seeleute im Kran- nung seines Medizinalwesens verdankte, kenhause St. Georg, die dem Hafenarzt Pro- eine Umordnung, der von sachkundiger fessor Nocht zunächst überwiesen war, er- Seite hohe Anerkennung zuteil geworden wuchs nach mehreren Jahren des anfänglich ist. Schrieb mir doch Professor Gaffky, nach- im alten Seemannshause und einer Baracke dem er im Jahre 1901 mit einer Reihe hessi- am Hafen und dann auch in einem großen scher Medizinalbeamten die sanitären Ein- Neubau daselbst untergebrachte Institut für richtungen Hamburgs besichtigt hatte: „Was Schiffs- und Tropenkrankheiten, das unter Hamburg im letzten Jahrzehnt auf dem Ge- seinem genialen direkten Professor Nocht biete der öffentlichen Gesundheitspflege Weltruf erlangte. Die Errichtung dieses, geleistet hat, ist in der Tat bewunderungs- recht eigentlich aus der Seelage Hamburgs würdig. In solchem Umfange, wie es der Fall heraus so mächtig entwickelten Instituts war, Mustergültiges zu sehen, hatte wohl stieß auch zuerst insofern auf Schwierigkei- kein Teilnehmer der Reise erwartet.“ ten, als sich zeigte, daß die Kolonialabtei- [S. 31a] lung des Auswärtigen Amtes für eine Verle- Schon vorher, als ich im August 1900 ver- gung nach Berlin eintrat. Da aber bei einer reist war, schrieb mir Syndikus Roeloffs: Verhandlung mit dem Kolonialdirektor von „Daß der Pestfall, den wir hier hatten, Buchka, an der als Vertreter Hamburgs Se- glücklicherweise ohne weitere Folgen ge- nator Hachmann, Senator Lappenberg und blieben ist, haben Sie aus den Zeitungen ge- ich teilnahmen, Professor Nocht in überzeu- sehen. Ich kann Ihnen dazu mitteilen, daß gender Weise darlegte, daß in dem von der namentlich der ärztliche Apparat ganz vor- See entfernten Berlin nicht das erforderliche trefflich sich bewährt hat. Alle Beteiligten

–––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––– 10 Anm. Im Jahre 1907 konnte bei den Verhandlungen über die Errichtung des Kolonialinstituts er- klärt werden: „Es ist bekannt, daß das hamburgische Institut für Schiffs- und Tropenkrankheiten die Malaria-Ausstriche für sämtliche deutschen Universitäten und auch für das Berliner Institut für Infek- tionskrankheiten liefert, ohne welche weder wissenschaftliche Forschung noch der Unterricht möglich sein würden.“

| 306 | arbeiteten mit einer Ruhe und Energie, daß sungsreform, indem er sagte: als Lissabon das Zusammenarbeiten eine Freude war. durch das bekannte große Erdbeben zerstört Unsere hafendienstliche Organisation hat worden, habe doch niemand daran gedacht, sich so vortrefflich bewährt und in Berlin so die Verfassung von Portugal zu ändern. Es viel Aufsehen gemacht, daß nacheinander kam denn auch nur auf Antrag der Bürger- zuerst Professor Pfeiffer als Kommissar des schaft nur zur Niedersetzung einer Senats- Kultusministers, dann Geheimrat Schmidt- und Bürgerschaftskommission, die sich mit mann als Dezernent für Seuchenangelegen- der Frage einer Verwaltungsreform zu be- heiten, und zwei Tage darauf der Kultusmi- schäftigen hatte. Eine Abänderung einzelner nister selbst mit einem Rat hier gewesen Paragraphen der Verfassung sollte dabei nur sind. Pfeiffer hat beim Abschied sein Urteil insoweit in Frage kommen, als das eventu- dahin zusammengefaßt: „Ich habe in den ell für die vorzuschlagenden Aenderungen letzten drei Tagen mehr gelernt als in den in der Verwaltung erforderlich wäre. Auch drei letzten Jahren zusammen.“ Und das will für die damit zur Beratung verstellte Verwal- bei dem früheren ersten Assistenten von tungsreform war indes die Choleraepidemie Koch und Gaffky doch etwas sagen.11 Ich nur die äußere Veranlassung. Das ist mit denke, daß es auch Ihnen Freude machen Recht in dem später von der Senats- und wird, zu hören, daß die Einrichtung der Bürgerschafts-Kommission erstatteten Be- Hafenkontrolle, für die Sie sich früher so richt besonders hervorgehoben. wesentlich bemüht haben, so gute Früchte „Als im Herbst des Jahres 1892“ – so sagt die- trägt.“ ser Bericht – „die über Hamburg hereinge- –––––––––––––– brochene Choleraepidemie die Bewilligung [S. 32] außerordentlicher Geldmittel erforderte 4. Die Verwaltungsreform von 1896 und mancherlei Einrichtungen und Organi- Eine Folge der Choleraepidemie war auch, sationen, welche außerhalb des regelmäßi- daß in der Bürgerschaft Wünsche nach ei- gen Ganges der Verwaltung lagen, ins Leben ner Verfassungs- und Verwaltungsreform gerufen werden mußten, machte sich in der laut wurden. Bürgermeister Versmann, der Bürgerschaft, wie in weiteren Kreisen der mit mir und anderen der betreffenden Bür- Bevölkerung, die Ansicht geltend, daß die gerschaftssitzung in der Senatsloge bei- Hamburgische Verwaltung den an sie ge- wohnte, sagte zu mir, als er das Wort „Ver- stellten Ansprüchen überhaupt nicht mehr fassungsreform“ hörte: „Unser Trinkwasser zu genügen vermöge. Die meisten Vor- ist schlecht, natürlich muß die Verfassung würfe, welche zu jener Zeit von vielen Sei- geändert werden!“ und dann, als ein Teil der ten gegen die Behörden erhoben wurden, Tribüne wegen befürchteter Ueberfüllung erscheinen jetzt lediglich als ein Symptom geräumt werden mußte: „Was, die Tribüne der hochgradigen Erregung, welche sich da- in der Bürgerschaft ist nicht mehr sicher, da mals der Gemüter bemächtigt hatte und muß allerdings die Verfassung geändert wer- welche – wie es in Zeiten schweren Mißge- den.“ Auch ein Mitglied der Bürgerschaft, schicks nur zu häufig der Fall ist – die Ursa- Dr. Lavy spottete über die verlangte Verfas- che des Unglückes, welches die Stadt betrof- –––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––– 11 Anm. Professor Richard Pfeiffer war seit 1899 Professor der Hygiene in Königsberg.

| 307 | fen hat, in einem Verschulden, sei es einzel- Erst allmählich war in letzter Zeit auch eine ner Personen, sei es der Behörden zu finden immer noch kleine Zahl höherer, juristi- trachtete. Aber ganz abgesehen von derarti- scher Verwaltungsbeamten hinzugekom- gen unbegründeten Vorwürfen und jenem men. Damit aber hatte eine Entwicklung unmittelbarem Zusammenhang mit der begonnen, der – bei dem steten Wachsen Epidemie und ihren Folgen, wurde der Stadt und ihrer staatlichen wie kommu- [S. 33] nalen Aufgaben, – wie von mir wiederholt auch von einsichtigen Mitbürgern die Ueber- hervorgehoben war, die Zukunft gehören zeugung ausgesprochen, daß Hamburgs mußte. Verfassung und Verwaltung, die für kleinere Die bürgerlichen Deputationsmitglieder, Verhältnisse zweckmäßig gewesen, bei gänz- deren Teilnahme an der Verwaltung ein un- lich veränderter Sachlage den Aufgaben nicht besoldetes Ehrenamt war und bleiben sollte, mehr gerecht zu werden vermöge, welche mußten in erster Linie ihren Berufsgeschäf- heutzutage an ein Gemeinwesen gestellt ten nachgehen. Sie konnten daher in der Re- werden, das gleichzeitig ein selbständiger gel nur ein- oder höchstens zweimal in der Staat im Deutschen Reiche und eine mo- Woche mit ihren Senatskollegen zu Sitzun- derne, in hervorragendem Maße dem Han- gen zusammentreten. Infolge dessen hatte delsverkehr dienende Großstadt ist.“ sich mit der Zeit immer mehr die Praxis he- Wie diese Eingangsworte im Bericht der rausgebildet, daß von dem der Deputation Senats- und Bürgerschafts-Kommission zei- präsidierenden Senatsmitgliede eine Reihe gen, war der Kommission, an deren Bera- dringender und unbedeutenderer Geschäfte tungen auch ich teilnahm, eine für Ham- selbständig erledigt wurde – eventuell unter burg wichtige Aufgabe gestellt. Und diese dem Vorbehalt einer nachträglichen Geneh- mußte mich ganz besonders interessieren, migung durch die Deputation. da ich mich zu ihr bereits vor meinem Ein- „Offenbar besteht jetzt“ – so hatte ich in tritt in den Senat sowohl in Aufsätzen der meinem Staatsrecht gesagt – „ein Zwiespalt „Hamburger Nachrichten“ wie in meinem zwischen der noch offiziell aufrecht erhalte- 1890 erschienenen „Hamburgischen Staats- nen Theorie, daß alles von dem Kollegium recht“ geäußert hatte. der Deputation abhängig sein soll, und der Die Hamburgische Verwaltung lag seit alter nach Sachlage allein Zeit – abgesehen von einzelnen Verwal- [S. 34] tungszweigen, die lediglich Senatskommis- möglichen Geschäftspraxis. Dieser Zwie- sionen oder einem Senatskommissar unter- spalt aber wird voraussichtlich früher oder standen (z. B. auswärtige Angelegenheiten, später dazu führen müssen, daß man jene Justiz und Polizei) – in den Händen soge- Theorie auch offiziell aufgibt und sich zu ei- nannter Deputationen, die sich aus Dele- ner sachgemäßen Teilung der Verwaltungs- gierten des Senats und von der Bürgerschaft geschäfte zwischen dem präsidierenden Se- gewählten, sogenannten bürgerlichen Mit- natsmitgliede einerseits und dem Kollegium gliedern zusammensetzten. Anfänglich un- der Deputation andererseits entschließt. – terstanden den einzelnen Behörden, soweit Eine Folge aller solcher (auch wohl im Inte- zu ihrem Ressort nicht höhere technische resse der bürgerlichen Deputationsmitglie- Beamte gehörten, nur Subalternbeamte. der liegenden) Kompetenzverteilung würde

| 308 | jedenfalls eine umfangreichere Unterstüt- ter Beamter der Landherrenschaften), eine zung der Senatsmitglieder durch höhere, ju- würdige Titulatur und überhaupt eine selb- ristisch und staatswissenschaftlich gebildete ständigere und würdigere Stellung dem Pu- Verwaltungsbeamte sein. Kommt es zu die- blikum und insbesondere ser, so können die Senatoren trotz der ihnen [S. 35] ein größeres Schaffensgebiet zuweisenden auch den Verwaltungschefs und den Depu- neuen Kompetenzverteilung, von manchen, tationen gegenüber gegeben werden. Nur sie jetzt ungebührlich belastenden unbedeu- dann würde man eine größere Anzahl tüch- tenderen Verfügungen und anderen, nicht tiger Verwaltungsbeamten erhalten; nur dann für die Verwaltungschefs geeigneten Ge- würde auch in Hamburg die eigentümliche, schäftsdetails befreit werden. Ihnen würde in anderen Staaten kaum verständliche Auf- nur die allgemeine Leitung, die Beaufsichti- fassung verschwinden, daß ein Richter weit gung und die Entscheidung in höherer In- mehr zu bedeuten habe als ein höherer Ver- stanz zukommen; unter ihnen aber würden waltungsbeamter.“ die ihnen als vortragende Räte oder Dezer- Endlich hatte ich ebenfalls vor meinem Ein- nenten beigeordneten Beamten eine teils sie tritt in den Senat in einem Aufsatz der unterstützende, teils auch ganz selbständige „Hamburger Nachrichten“ die Schaffung Tätigkeit entfalten.“ einer höheren juristischen Verwaltungskar- Auch der Senat hatte bereits 1889 in seinem riere behandelt und dabei bezüglich der Vor- von Bürgermeister Versmann veranlaßten bildung vorgeschlagen: Erstes juristisches Antrag, betr. die Anstellung von ständigen Examen zusammen mit den Gerichtsjuris- Hilfsarbeitern des Senats auf die Geschäfts- ten, dann Tätigkeit in der Verwaltung, Ver- überlastung in den leitenden Stellen der Ver- waltungsexamen und Verwaltungs-Assesso- waltung hingewiesen und zur Beseitigung rat. Auch hatte ich damals auf Wunsch von dieses Uebelstandes eine gründliche Reform Bürgermeister Versmann diesem den Ent- des gesamten Verwaltungsdienstes und ins- wurf eines entsprechenden Gesetzes vorge- besondere die Begründung einer der Justiz- legt. karriere analogen höheren Verwaltungskar- In der Senats- und Bürgerschafts-Kommis- riere als notwendig bezeichnet. Daran an- sion tauchten alle diese von mir früher er- knüpfend hatte ich in meinem „Staatsrecht“ wogenen Dinge als aktuell gewordene Fra- weiter bemerkt: „Es müßte außerdem eine gen wieder auf, und daß ihre Erledigung im gewisse juristische, resp. staatswissenschaft- Wesentlichen meinen Wünschen entspre- liche Qualifikation für alle höheren Verwal- chen werde, war schon bald nach Beginn der tungsstellen vorgeschrieben werden (wobei Verhandlungen vorauszusehen. Von den bür- ja die Möglichkeit der ausnahmsweisen He- gerschaftlichen Mitgliedern der Kommis- ranziehung eines besonders begabten Nicht- sion hatte sich der Vertreter der Rechten juristen offen gelassen werden könnte); es Dr. Albert Wolffson bereits vorher in diesem müßte ferner den Beamten, die jetzt zum Sinne geäußert, und ihm trat nach kurzer Teil höchst altfränkische, ihren Leistungen Zeit die Mehrzahl seiner Kollegen bei. Un- nicht entsprechende Titel führen (z. B. Se- ter den Senatsmitgliedern der Kommission kretär der Deputation für indirekte Steuern, aber waren insbesondere Bürgermeister Erster Beamter des Stempelkontors und Ers- Versmann, Senator Hachmann und Senator

| 309 | Burchard von vornherein der gleichen Auf- schen Beamtenstellen bei den einzelnen Be- fassung. Zweifelhaft war anfänglich eigent- hörden besetzt werden, deren Inhaber nun- lich nur die Stellungnahme des Vorsitzen- mehr allgemein als Räte bezeichnet wurden, den Bürgermeister Mönckeberg. Dieser be- da der Widerstand gegen den „Regierungs- stritt zuerst lebhaft, daß die Senatsmit- rat“ noch nicht gebrochen war. glieder oder wenigstens er, überlastet seien. Wichtig war ferner die Kompetenzvertei- Nach einiger Zeit jedoch sah er von solchen lung zwischen den Deputationen, ihrem Bedenken ab, und da er ersichtlich den Vorsitzenden und ihren Räten. Da sich all- Wunsch hatte, die Sache schnell zu Ende zu gemeine Vorschriften über diese schwer for- führen, so legte er dann der Kommission mulieren ließen, so ward im Gesetze nur einen mit gewohntem Geschick ihren Wün- gesagt: „Durch Beschluß der einzelnen Be- schen gemäß redigierten Gesetzentwurf hörden wird bestimmt, welche Geschäfte vor, der mit der ebenfalls von ihm ent- von den Beamten selbständig zu erledigen, worfenen Motivierung von der Kommis- welche dem vorgesetztem Senatsmitgliede sion genehmigt wurde und, nur in wenigen zur Entscheidung vorzulegen, und welche Nebenpunkten abgeändert, im Jahre 1896 bei den kollegialisch organisierten Behörden als neues Verwaltungsgesetz publiziert wer- in den Sitzungen vorzutragen und zu ent- den konnte. scheiden sind. Gegenstände von erheblicher In diesem Gesetz ward zunächst für die Wichtigkeit, Entscheidungen von prinzi- juristischen Beamten des höheren Verwal- pieller Bedeutung und für den Senat be- tungsdienstes eine besondere Verwaltungs- stimmte Vorlagen unterliegen der Beschluß- karriere geschaffen. Von einem Verwaltungs- fassung der Behörden.“ Damit war die examen ward jedoch abgesehen, bisherige Praxis sanktioniert und jeder ein- [S. 36] zelnen Behörde die Möglichkeit für eine weil man es wohl mit Recht für wünschens- sachgemäße Erweiterung gegeben. Interes- wert erachtete, einen späteren Uebergang sant war mir zu sehen, daß die Kompetenz- von der Verwaltungs- zur Gerichtslaufbahn verteilung in den Behörden auch dreißig und von dieser zu jener nicht zu erschweren. Jahre später in dem nach der Revolution er- Vorbedingung für den Eintritt in die juris- lassenen Verwaltungsgesetz von 1926 in der tischen Verwaltungskarriere ward aber ne- gleichen Weise – nur unter noch stärkerer ben dem Bestehen der zweiten juristischen Hervorhebung der dem praesidierenden Se- Prüfung eine dieser vorausgehende oder natsmitgliede zustehenden Amtsgewalt – nachfolgende mindestens einjährige prakti- geregelt wurde. sche Arbeit in einer Verwaltungsbehörde. Weitere Bestimmungen des Verwaltungsge- Ferner ward in einer Senatskommission für setzes von 1896 brachten eine wesentliche den höheren Verwaltungsdienst eine Zen- Aenderung für die Arbeiten des Senats. Schon tralinstanz geschaffen, der die vom Senat zu vorher hatte dieser bestimmte Angelegen- ernennenden Verwaltungsassessoren unter- heiten, wie z. B. die ihn in ihrer Fülle erdrü- stellt und von der sie an die verschiedenen ckenden Gnadensachen und bestimmte ju= Behörden zur Beschäftigung überwiesen [S. 37] wurden. Aus der Zahl der Verwaltungsasses- ristische Fragen, zur Entscheidung oder soren sollten dann in der Regel die juristi- Vorberatung an besondere aus seiner Mitte

| 310 | gebildete Kommissionen verwiesen. Diese von allgemeinerem Interesse entsprechende Einrichtung wünschte insbesondere Bürger- Mitteilungen zugegangen. Auch die in Ham- meister Versmann weiter auszubauen. Doch burg vertretene auswärtige Presse ist dabei war er dabei früher auf den Widerspruch von mir mitberücksichtigt. Freilich unaus- von Bürgermeister Mönckeberg gestoßen.12 gereifte Pläne und Zukunftsphantasien vor- Da dieser in der Kommission aufgegeben zeitig der Presse mitzuteilen empfiehlt sich, wurde, so kam es jetzt zur Bildung von drei abgesehen von besonderen Ausnahmefällen, Senatsabteilungen, die, in der Regel gleich- gewiß nicht, da jede Behörde Wert darauf zeitig vor dem Beginn der Plenarsitzung ta- legen muß, sich tunlichst nach allen Seiten gend und im kleineren Kreise gründlicher hin ihre Bewegungsfreiheit zu wahren. und schneller arbeitend, auf den ihnen überwiesenen, sachlich getrennten Gebieten [S. 38] Wichtigeres vorzuberaten und Unwichtige- 5. Teilnahme am Zollbeirat und res zu entscheiden hatten. Wirtschaftlichem Ausschuss in Berlin Erwähnen möchte ich schließlich noch, daß Eine längere Abhandlung von mir über die [!] Vorbesprechungen über das zu erlas- Handels- und Schiffahrtsverträge, die 1887 sende Verwaltungsgesetz, die im Hause von im dritten Bande von Holtzendorffs Hand- Bürgermeister Versmann unter Teilnahme buch des Völkerrechts veröffentlicht war, von Senator Burchard, Senator Lappenberg veranlaßte den Senat, mich im Herbst 1893 und Syndikus Roeloffs stattfanden, von mir zu vorbereitenden Verhandlungen für einen auch die Gründung eines staatlichen Preße- Handelsvertrag mit Rußland nach Berlin zu bureaus bei der Senatskanzlei vorgeschlagen entsenden, damit begann für mich eine wurde. Bürgermeister Versmann stimmte Reihe von Missionen gleicher Art, die mich mir zu; er und die anderen meinten aber – wenn auch mit dazwischen liegenden län- schließlich, daß die Sache zurzeit nicht er- geren Unterbrechungen – neun Jahre hin- reichbar sei. Auch später überwogen im Se- durch recht häufig nach Berlin führten und nat w immer wieder die Bedenken, und erst mir die Gelegenheit boten, dort mit man- nach der Revolution ist es zur Errichtung ei- chen interessanten Persönlichkeiten in Be- ner dem Senat direkt angegliederten staatli- rührung zu kommen. chen Pressestelle gekommen, einer Einrich- Als der Senat mich zum ersten Mal nach tung, die sich, wie es scheint, bewährt hat. Berlin schickte, handelte es sich um die vom Uebrigens sind von einzelnen Behörden im- Reich und natürlich auch von den Hanse- mer, so insbesondere auch von mir in der städten gewünschte Beendigung des dama- Oberschulbehörde, der gesamten Hambur- ligen Zollkrieges mit Rußland. Die mir da- ger Presse über manche Angelegenheiten bei vom Senat zu erteilende Instruktion

–––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––– 12 Anm. Dieser Wunsch Versmanns stammte nicht etwa erst aus den letzten Jahren. Julius von Eckardt berichtet in seinem sich auf die Jahre 1874–82 beziehenden Senatserinnerungen: „Versmanns Vorschlag, die minderwichtigen Angelegenheiten durch dazu eingerichtete Senatsabteilungen erledigen zu lassen, galt den laudatoribus temporis acti für unannehmbar.“ (Lebenserinnerungen 1910, Bd 2, S. 7.) Bürgermeister Mönckeberg hatte zu meiner Zeit einmal im Senat gesagt: wenn man nicht von allen Dingen erführe, könnte man nicht mehr Senator sein.

| 311 | hing im Einzelnen wesentlich mit ab von bekannten Bremer Familie angehörende Se- der Stellungnahme der Kaufmannschaft. Es nator Achelis zeichnete sich durch die Un- fand daher unter dem Vorsitz des liebens- befangenheit und die scharfe Klugheit sei- würdigen Präses der Handelskammer Ru- nes Urteils aus. dolph Crasemann eine Vernehmung zahlrei- In Berlin angekommen, fanden wir drei uns cher Interessenten statt, an der auch ich als sogleich zusammen. Wir warfen zunächst Senatskommissar teilnahm, da ferner Bür- unsere Karten beim Reichskanzler Caprivi germeister Versmann immer Wert darauf und einigen Ministern ab und nahmen so- legte, daß die drei Hansestädte tunlichst in dann an der ersten Besprechung der ver- Berlin gemeinsam auftreten,13 so wurden schiedenen Regierungsvertreter im Reichs- die Kommissare der beiden anderen Städte amt des Innern teil. In der Mitte des langen Senator Achelis aus Bremen und Senator Sitzungstisches praesidierte dort als Vertre- Wolpmann aus Lübeck, ersucht, zu einer ter des Reichskanzlers der Staatsminister vorherigen Besprechung nach Hamburg zu von Bötticher. An ihn schlossen sich rechts kommen. Sie entsprachen gern dieser Bitte, und links zunächst erst die Vertreter der worauf dann nach einer Erörterung zwi- größeren Bundesstaaten an und dann „die schen ihnen, Senator O’Swald und mir und andern secundum ordinem“. Da nun die einem Essen bei Bürgermeister Versmann Hansestädte in der damaligen offiziellen die festgestellten gemeinsamen Wünsche Rangordnung an letzter Stelle standen14, so von Senator Wolpmann und mir redigiert waren ihre von beiden Seiten her den Kreis und zur Mitnahme nach Berlin in den abschließenden Plätze, gerade gegenüber Druck gegeben wurden. dem Vorsitzenden, eigentlich die besten. Dieses kleine Vorspiel in Hamburg trug we- Gleich zu Beginn der Sitzung, deren Verlauf sentlich dazu bei, daß zwischen den Kom- ein mehr formaler war, reichte uns der Mi- missaren der beiden anderen Hansestädte nister über den Tisch hinüber seine wohlge- und mir von vornherein kameradschaftliche füllte Zigarrentasche mit den Worten: „Bitte Beziehungen entstanden, die sich dann bei nehmen Sie“. Es war nämlich in Berlin Sitte, der längeren gemeinsamen Tätigkeit in Ber- daß bei allen amtlichen Verhandlungen, lin mehr und mehr zu freundschaftlichen auch im Bundesrat, geraucht wurde. ausgestalteten. Die Vertreter von Lübeck und Am nächsten Tage fand im Sitzungssaale des Bremen waren beide erfahrene Kaufleute. Reichstages eine große Versammlung von Senator Wolpmann erwies sich wegen seiner am Handelsvertrag mit Rußland interessier- Lübecker Handelsbeziehungen zu Rußland ten Persönlichkeiten aus ganz Deutschland [S. 39] statt, deren lebhaften Debatten über die als besonders sachverständig, und der einer Mißstände des Zollkrieges wir Regierungs-

–––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––– 13 Anm. Dies betonte Versmann auch einmal in einem Schreiben an den Lübecker Senator Plessing. (Georg Fink, Diplomatische Vertretungen der Hanse, in den Hansischen Geschichtsblättern, 56 Jahrgang, 1932, S. 144) 14 Anm. Bismarck sagte 1884 zu dem Altonaer Justizrat Philipp: Hamburg sei in der Tat bedeutender als mancher andere deutsche Staat, „immerhin doch etwa wie ein Großherzogtum“. (Bismarck – Gespräche mit Justizrat Ferdinand Philipp, 3 Aufl. 1928, S 44).

| 312 | vertreter auf den Bundesratsplätzen zuhör- und zwar der in seinen Forderungen am we- ten. Schließlich ward auf Wunsch der Reichs- nigsten weitgehende erschienen war. Die regierung eine Anzahl von Vertretern der beiden anderen waren verhindert und hat- Landwirtschaft, der Industrie und des Han- ten die Geltendmachung ihrer Wünsche dels gewählt, die nunmehr zusammen mit dem Kollegen übertragen. Dieser sprach den Regierungsvertretern eine ganz neue, dann auch über das, was sie verlangten, eine beratende Instanz, den Zollbeirat, bilden Stunde lang. Als er aber den darauf bezügli- sollten. chen Teil seines Vortrages mit den Worten Dieser Zollbeirat trat dann alsbald zu einer abschloß: „Das billige ich persönlich nicht“, längere Zeit hindurch fortgesetzten Reihe da unterbrach ihn der Minister schnell, in- von Sitzungen zusammen, in denen auch dem er sagte: „Sie billigen es nicht, wir Alle noch viele andere Spezialsachverständige für auch nicht; somit ist die Sache erledigt und die einzelnen im Betracht kommenden Ge- die Sitzung geschlossen.“ Bestürzt packte biete ihr Urteil abgaben und ihre Wünsche der Vertreter der Landwirtschaft, während mitteilten. Den Vorsitz führte bei allen Ver- wir lachten, seine Akten zusammen. Das handlungen, immer geschickt und liebens- ungewöhnlich schroffe Verfahren des Mi- würdig, der Minister von Bötticher, der nisters war erklärlich, da wir bereits genü- durch sein ungewöhnliches Präsidialtalent gend orientiert waren über die Forderungen die Debatten da, wo es nottat, gewandt ab- der Agrarier, die überdies jetzt der Politik des zukürzen verstand und dabei durch seinen Reichskanzlers von Caprivi, des „Mannes erfrischenden Humor alle Anwesenden in ohne Ar und Halm“, scharfe Opposition zu guter Laune zu erhalten wußte.15 machen begannen. Im Hamburger Senat wa- Die Sitzungen begannen um 10 Uhr mor- ren wir übrigens, das möchte ich bei dieser gens und erstreckten sich oft bis spät in Gelegenheit bemerken – der Mahnung Bür- den germeister Versmanns folgend, stets bemüht, [S. 40] soweit unsere vitalen Handelsinteressen das Abend hinein. In der Mitte der Zeit wurde irgend gestatteten, auch den Wünschen der eine längere Frühstückspause gemacht. „Ge- für Deutschland so wichtigen Landwirt- nügen dreiviertel Stunden für den gebilde- schaft weitgehend Rechnung zu tragen. ten Europäer zum Frühstück, oder soll die Die Sachverständigen der Industrie begnüg- Pause länger dauern?“ so hatte Minister von ten sich nicht mit mündlichen und schrift- Bötticher am ersten Tage gefragt. Sehr weit- lichen Ausführungen, sondern brachten gehend waren die Zollwünsche der Agrarier. auch häufig mehr oder weniger interessante Nachdem man diese schon wiederholt be- Produkte ihrer Fabriken mit, die, wenn sie sprochen hatte, sollte zu ihrer Erörterung zur Allgemeinen Besichtigung auf den Tisch noch einmal eine besondere Sitzung statt- des Hauses gelegt wurden, dem Minister finden. Bei der aber zeigte sich, daß von den von Bötticher Anlaß zu allerlei faulen Wit- drei Vertretern der Landwirtschaft nur einer zen boten. So zum Beispiel sagte er bei –––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––– 15 Anm. „Der tatsächliche Leiter des Bundesrats“ – so schreib der badische Gesandte von Jagemann – „war der arbeitsame, zugängliche und munteres Staatsminister von Bötticher“ (Eugen v. Jagemann, 75 Jahre des Erlebens und Erfahrens, 1925, S. 108)

| 313 | einem Kinderspielzeug: „Das wünsche ich oder weniger regelmäßig an den Beratungen mir zu Weihnacht“, und als bei verschie- des Zollbeirats teil, die eine Zeit lang im denen vorgezeigten Buntdruckbildern auf Mittelpunkt des politischen Interesses stan- eine Landschaft ein gefälliger Mädchenkopf den. So der auf sozialem Gebiet bewanderte, folgte: „Auch eine schöne Gegend.“ Beson- aber persönlich nicht besonders hervortre- ders wirksam war die Industrie im Zoll- tende Handelsminister Freiherr von Ber- beirat vertreten, durch zwei einflußreiche lepsch, der Kriegsminister von Kaltenborn, Mitglieder, den klugen und humorvollen vor allem aber der damalige Staatssekretär Kommerzienrat Vogel aus Chemnitz und des Reichsschatzamts Graf von Posadowsky- den späteren preußischen Handelsminister Wehner und der Staatssekretär des Auswär- von Möller. Der Letztere, allgemein „der tigen Freiherr Marschall von Bieberstein. lange Möller“ genannt, hatte sich durch flei- Von dem damals und später viel genannten ßige und umsichtige Tätigkeit im Reichs- Grafen Posadowsky entwirft der Schauspiel- tage hervorgetan. Ihm unterstanden große direktor Max Grube in seinen Erinnerungen Fabrikbetriebe in Westfalen. Er war aber zu- ein Jugendbildnis.16 „Bei uns in Breslau“, so gleich Kaufmann und hatte als solcher bei sagt er, „verkehrte viel ein junger Assessor der Firma Woermann in Hamburg, mit de- mit einem prächtigen römischen Profil, aus- ren Inhabern er auch verwandt war, seine drucksvollen Augen und einem wunderba- Lehrzeit absolviert. Infolgedessen fehlte es ren großen blonden Bart. Dieser junge Mann ihm nicht an Verständnis für hanseatische sprach mit edellautendem Organ und er- Interessen, die er, wenn wir ihn darum ba- zählte mit schönem Redeflusse von seinen ten, immer gern, soweit er vermochte, zu Reisen. Ich hätte stundenlang zuhören mö- fördern bereit war. Diese Interessen vertrat gen.“ Dieser Schilderung aber natürlich in erster Linie mein sachver- [S. 42] ständiger Hamburger Kollege im Zollbeirat, entsprach im Wesentlichen auch die ein- der auf Vorschlag unserer Handelskammer drucksvolle Persönlichkeit des nunmehri- berufene Kaufmann Ludwig Sanders. Ich gen Staatssekretärs; nur daß sein schöner hatte ihn schon vor Jahren kennen gelernt Bart bereits grau zu werden begann. In bei einer gemeinsamen Tätigkeit im Vorstand schneller Verwaltungslaufbahn zum Landes- unseres Reichstagswahlvereins. Jetzt war er hauptmann der Provinz Posen aufgerückt, Mitglied der Handelskammer,später wurde er war er vor einigen Monaten als besondere Finanzdeputierter, wie das die fast regelmä- Kapazität sozusagen vom Kaiser entdeckt, ßige, oft auch im Senat mündende öffentli- der, wie man sich erzählte, bei einem Besuch che Laufbahn vieler unserer intelligenten von Posen die Erfolge der Verwaltung des Kaufleute war. Gut orientiert, schnell auf- Grafen und seiner Finanzpolitik gesehen fassend und geschickt in dem, was er vor- und ihn infolgedessen an die Spitze des trug, erfreute er sich des besten Ansehens Reichsschatzamts gestellt hatte. So war er unter seinem damaligen Berliner Kollegen. damals erst vor kurzem als neuer Stern am Außer dem vorsitzenden Minister von Böt- politischen Himmel Berlins aufgegangen – ticher nahmen auch weitere Minister mehr oder, wie man auch wohl sagte als „Marquis –––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––– 16 Anm. Max Grube, Jugenderinnerungen eines Glückskindes, 1917, S. 55

| 314 | Posa“ erschienen – und ward ihm schon [S. 43] deswegen allseitig große Beachtung ge- Hand und Fuß. Wirkten sie auch zuweilen schenkt. Da er bekanntlich nach nicht mehr hinter den Kulissen, so war durchweg langer Zeit der Nachfolger Böttichers im doch ihr Einfluß ein großer. Und mit ihrer Reichsamt des Innern wurde und als solcher auf reicher Erfahrung beruhenden Sach- auch den Vorsitz im Zollbeirat übernahm, kenntnis und ihrem starken Verantwor- bin ich in den nächsten Jahren noch häufig tungsgefühl waren und blieben sie unter mit ihm in Berührungen gekommen. häufig wechselnden Ministern das eigentli- Auch Marschall von Bieberstein, der früher che Rückgrat der Verwaltung, der ruhende Staatsanwalt in Baden und dann badischer Pol in der Erscheinungen „Flucht“. Wir Bundesratsbevollmächtigter gewesen, war Hanseaten kamen häufig auch außerhalb noch nicht lange in seinem Reichsamt, in der Sitzungen mit dem einen oder anderen das er nach der Entlassung Bismarcks beru- von ihnen zusammen und haben da man- fen wurde. Ein lebhafter Süddeutscher, ches von ihnen gehört und gelernt, was wir frisch und gewandt im Auftreten und ge- sonst nicht gewußt hätten. Und da sie uns winnend in seinen Formen, wußte er die In- vertrauen durften, sprachen sie sich auch teressen des Auswärtigen Amtes bei den Ver- ganz offen uns gegenüber aus. So erinnere handlungen des Zollbeirats gebührend zur ich mich, daß uns einmal der Geheimrat Geltung zu bringen: So auch später als er Mosler vom Preußischen Handelsministe- den Handelsvertrag mit Rußland und die rium sagte: „Mein Minister hat heute in der weiteren Verträge im Reichstage zu vertreten Sitzung etwas ganz Verkehrtes gesagt; ich hatte. Schließlich aber ward er eben wegen konnte ihm nicht widersprechen, aber ich dieses seines Eintretens für eine liberale muß dafür sorgen, daß das später redressiert Handelspolitik von den Agrariern gestürzt. wird.“ Lange hat er dann noch als Botschafter in Endlich erschienen noch häufig in unseren Konstantinopel und zuletzt in London eine Sitzungen als die Diplomaten, die mit den zwar verschieden beurteilte, aber jedenfalls nach Berlin gekommenen Russen über den bedeutende Rolle gespielt. abzuschließenden Vertrag verhandelten, der Zu den Ministern kam in den Sitzungen des damalige preußische Gesandte in Hamburg Zollbeirats noch eine Reihe von Räten aus Freiherr von Thielmann und die General- den Preußischen Ministerien und den konsule Baron von Lamesan und Pritsch. Reichsämtern. Es ist viel über die Berliner Freiherr von Thielmann, der mir schon von Geheimräte geklagt worden, nicht nur von Hamburg her bekannt war, hatte sich in ei- Bismarck, der als genialer Ausnahmemensch ner wechselreichen diplomatischen Lauf- in ihrer systematischen, streng geregelten bahn, die ihn nach Kopenhagen, Brüssel, Arbeit oft nur das Werk pedantischer Bu- Paris, Konstantinopel, Sofia, Washington reaukraten sah. Ich muß doch sagen, daß ich und auch mehrmals nach St Petersburg in Berlin gelernt habe, vor diesen Geheim- führte, eine umfassende Länder- und Men- räten großen Respekt zu haben. Was sie zur schenkenntnis erworben und außerdem die Vorbereitung unserer Verhandlungen geleis- Ergebnisse größerer Reisen in den Werken tet hatten, war mustergültig, und was sie in „Vier Wege durch Amerika“ und „Streif- den Sitzungen vortrugen, hatte immer züge im Kaukasus, in Persien und in der

| 315 | asiatischen Türkei“ auch literarisch verwer- den im Reichstag war wohl weniger seine tet. Er war ein feingebildeter Aristokrat, mit Sache, zumal sein nicht sehr klangvolles Or- dem ich mich gelegentlich gern über russi- gan dafür nicht recht ausreichte. sche Zustände unterhielt, von denen ja in Recht verschieden von ihm war der zweite unseren Sitzungen überhaupt viel die Rede Unterhändler auf deutscher Seite, der dama- war und über die ich auch manches gelesen lige Generalkonsul in Antwerpen Baron von hatte. Als ich dabei erwähnte, daß ich in Lamesan. Er hatte im Kriege von 1870/71 ein dem Werke von Leroy-Beaulieu „Das Reich Bein verloren, was man aber kaum be- der Zaren und die Russen“ den originellen merkte, da er sich mit dem künstlichen Er- Satz gefunden habe: „Beim Volke gilt es für satz sehr geschickt zu bewegen wußte. Ein feststehend, daß in Rußland jedermann lebhafter Bayer, erzählte er gern von seinem stiehlt und daß Christus selbst stehlen wür- Erlebnissen in Persien und auf anderen exo- de, wenn seine tischen Posten. Noch vor Beginn unserer [S. 44] Sitzungen sagte er uns Hanseaten: der Han- Hände nicht ans Kreuz genagelt wären“, er- delsvertrag mit Rußland muß zustande widerte er, das sei zwar kraß ausgedrückt, kommen. Sonst ist die Stellung des Reichs- aber doch kaum übertrieben. Sehr lobte er kanzlers gefährdet. „Man denke, welche Ge- dann das ja auch mir bekannte, in vielen fahr!“ Der Vertrag ward geschlossen, aber Auflagen anonym erschienene Buch „Aus nach einem Jahre war Caprivi von der poli- der Petersburger Gesellschaft“, dessen Au- tischen Bildfläche verschwunden. tor, wie man mit Recht annahm, unser frü- Bei meinem Berliner Aufenthalt, der zuwei- herer Hamburger Senatssekretär Dr. Julius len durch in Hamburg verbrachte Tage un- von Eckardt war. Das vielgelesene Buch, terbrochen wurde, wohnte ich in dem an sagte er, habe seinen großen Erfolg verdient, der Ecke der Wilhelmstraße und der Linden denn seine Schilderungen seien, wenn auch belegenen Hotel Royal, wo von der russischen Regierung übel ver- [S. 45] merkt, durchweg zutreffend, und alles sei sich sozusagen das Hauptquartier der zeit- flott und amüsant erzählt. weilig nach Berlin gekommenen Vertreter In unseren Sitzungen trat Herr von Thiel- des Hamburger Senats befand. Es war ein al- mann selten besonders hervor. Oft schien er, tes, vornehmes Haus, in dem kein starker in den Genuß seiner Zigarette vertieft, kaum Verkehr, sondern angenehme Ruhe herrsch- zuzuhören. Doch entging ihm, wie gele- te. Bürgermeister Versmann hatte dort ein gentliche kurze Zwischenbemerkungen zeig- kleines, noch sehr primitives in einem Kof- ten, kein Wort des Vorgetragenen. Still- fer aufbewahrtes Arsenal von Schreibmate- schweigend orientierte er sich schnell über rial, Handbüchern u.s.w. angelegt, das ich alles, was für ihn als Verhändler von Bedeu- bei Abfassung meiner an ihn nach Hamburg tung sein konnte. „Diplomaten“, so meinte gesandten Berichte benutzen konnte. Diese Börne einmal, „sehen alles mit den Ohren.“ Berichte, die sich nicht nur auf den Verlauf Vielleicht war Thielmann selbst nicht be- der Sitzungen, sondern auch auf das sonst sonders erfreut, als er einige Jahre später der von mir in Berlin auf politischem Gebiet Nachfolger Posadowskys im Reichsschatzamt Gesehene und Gehörte erstreckten, sandte wurde. Denn vieles und eindrucksvolles Re- ich, da mir keine Schreibkraft zur Verfü-

| 316 | gung stand, im Original ab, worauf ich dann Stintbratens hielt und dem die beiden Ba- eine in Hamburg ausgefertigte Abschrift für denser wie ich mit dem größtem Interesse meine Akte erhielt. zuhörten. Abends aßen wir Hanseaten meist mit Möl- [S. 46] ler, Vogel und anderen Kollegen aus dem An einem anderen Abend war großer gesell- Zollbeirat in verschiedenen Hotels, beson- schaftlicher Empfang der Mitglieder des ders oft in den schönen Räumen des „Bris- Zollbeirats im Reichsamt des Innern, wo der tol“, das sich der Vorliebe der Hamburger Minister und Frau von Bötticher ihre Gäste erfreute, da es in der ersten Zeit unserer mit verbindlicher Liebenswürdigkeit be- Choleraepidemie vor zwei Jahren das einzige grüßten. Ganz besonders wurde dabei, wie Haus war, das Gäste aus Hamburg auf- ich zufällig beim Kommen hörte, der Graf nahm. In meinem Hotel Royal ging es auch Posadowsky als neuer Kollege willkommen abends so ruhig zu, daß ich dort eines Tages geheißen. Er hoffe, so fügte Herr von Böt- Bürgermeister Versmann nebst Frau und ticher hinzu, er werde das Vergnügen haben, Tochter allein im Speisezimmer vorfand den Grafen noch oft hier in seinem Hause und daß darauf die in Berlin verheiratete zu sehen. Beide Minister ahnten damals Tochter, unsere liebenswürdige Freundin wohl nicht, daß dieses Haus nach wenigen Frau Annie Schütte mir sagen konnte: „Es Jahren die Amtswohnung des Grafen Posa- ist ganz gemütlich hier in meinem Berliner dowsky sein würde. Vaterhaus.“ Zum ersten und einzigen Male sah ich an je- Einmal, als Syndikus Roeloffs ebenfalls in nem Abend inmitten der sich lebhaft unter- Berlin war, nahm dieser mich mit in die be- haltenden Gesellschaft den Reichskanzler reits früher erwähnte Bundesratskneipe in Grafen von Caprivi. Als er, eine Weile nach der Leipzigerstraße, wo wir zwar nicht eine den anderen, mir unerwartet, in die Tür große politische Corona, aber doch zwei in- trat, erinnerte er mich in seiner äußeren Er- teressante Gäste, den badischen Finanzmi- scheinung – der hohen Gestalt, der kahlen nister Buchenberger und den badischen Stirn und dem starken Schnurrbart – un- Gesandten von Jagemann trafen. Der Erste- willkürlich an seinen großen Vorgänger. re galt allgemein als großer Finanzmann, Auch trug er, wie dieser so oft, den Interims- war daneben auch als volkswirtschaftlicher rock der Kürassiere, doch war das nur ein Schriftsteller hervorgetreten und machte in erster, vorübergehender, Eindruck. Es fehlte seiner ruhig-vornehmen Art schon auf den das leuchtende Auge und es fehlte so man- ersten Blick einen bedeutenden Eindruck. ches andere, was der großen Persönlichkeit Herr von Jagemann, wie sein badischer des Fürsten Bismarck ihren ganz besonderen Landsmann von Marschall früher Staats- Reiz verlieh. Er war und blieb – so erschien anwalt und dann Gesandter, ward später es auch mir damals – der verdiente General, Honorarprofessor in Heidelberg. Ein echt der auf einen hohen politischen Posten ab- süddeutscher Typus, war er lebhaft, entge- kommandiert war, obwohl das eigentliche genkommend und verbindlich. Den eigent- Wesen der Politik seiner soldatischen Natur lichen Mittelpunkt des Abends aber bildete sehr fern lag.17 Was er uns an jenem Abend, mein Kollege Roeloffs, der einen langen Vor- nachdem wir ihm vorgestellt waren, auf un- trag über die Entwicklung des Hamburger sere Fragen über die Aussichten des russi-

| 317 | schen Handelsvertrages sagte, war nicht von nen großen Eindruck gemacht. Diesen wie- besonderer Bedeutung, konnte es freilich dergebend, sagte ich 1896 in einem Nekrolog, auch wohl den vorliegenden Umständen den ich auf Wunsch des „Hamburgischen nach nicht sein. Er hoffte jedenfalls, den Correspondenten“ für dieses Blatt schrieb:18 Vertrag durchzusetzen, und das ist ihm „Schon in seinem Aeußeren bot der schlanke, dann auch, unterstützt von dem gewandte- stattliche Mann mit der auch in den letzten ren Staatssekretär von Marschall gelungen. Jahren kaum vom Alter gebeugten Gestalt, Doch ist er dann noch früher als dieser den mit dem feinen, schneeweißen Haar, dem Angriffen der erzürnten Agrarier erlegen. jugendlich leuchtenden Auge und dem ge- Noch einen von den damaligen Gästen des winnenden Lächeln um den von dichtem Herrn von Bötticher möchte ich hier beson- weißen Schnurrbart beschattetem Mund ders hervorheben, unsern hanseatischen Ge- das Bild eines Aristokraten im besten Sinne sandten Dr. Krüger, der später im Bundesrat des Wortes, bei dem wahre Vornehmheit der Referent für den russischen Handelsver- in Auftreten und Gesinnung wie einfache, trag wurde. Ein geborener Lübecker, echte Herzensgüte deutlich hervortraten.“ [S. 47] „Das große Bild Anton von Werners, das die hatte er bereits dem Erfurter Parlament und Eröffnung des ersten Reichstages unter Kai- dem Frankfurter Bundestage angehört, ehe ser Wilhelm II darstellt, zeigt Krüger hoch- er 1867 das nunmehr von ihm ein Viertel- aufgerichtet in voller Diplomatenuniform, jahrhundert hindurch mit diplomatischem eine imponierende Erscheinung mit bedeu- Geschick geführte Amt eines Vertreters der tendem, geistvollem Kopf. Den nicht un- Hansestädte in Berlin übernahm. Selbstver- berechtigten Stolz der Hansestädte auf so ständlich hatte ich ihm, als ich zuerst nach manches ruhmvolle Blatt ihrer vielhundert- Berlin kam, sogleich meinen Besuch ge- jährigen Geschichte wußte der Hanseati- macht, den zu wiederholen sich in der Folge- sche Gesandte bei solcher Gelegenheit in zeit mancherlei Gelegenheit bot. Immer wie- der würdigsten Weise mit der begeisterten der hat er mir dabei, wenn ich ihm in seinem Liebe zu Kaiser und Reich, die sein ganzes schönen, mit erlesenem Geschmack ausge- Wesen erfüllte, zu vereinigen. Im gewöhnli- stattetem Arbeitszimmer gegenübersaß, ei- chen Leben aber, im amtlichen und persön-

–––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––– 17 Anm. Bismarck sagte einmal von seinem Nachfolger: „Es geschehen viele Dinge, für welche Caprivi die Verantwortung nur übernimmt, indem er die Hacken zusammenschlägt.“ (Gesammelte Werke, Bd 9, Gespräche, 1926, S. 396) 18 Anm. Im Bundesrat widmete ihm, wie sein Nachfolger Klägmann berichtete, der Minister von Bötticher einen Nachruf, „wie er wohl noch keinem Mitglied des Bundesrats zuteil geworden ist.“ (Georg Fink, Diplomatische Vertretungen der Hanse, in den Hansischen Geschichtsblättern, 56 Jahrgang, 1932, S. 148) 19 Anm. Wenn Marie von Bunsen in ihren Erinnerungen (Die Welt, in der ich lebte, 1929, S 42) ihrer Beurteilung Krügers: „Aristokratische, nordwestdeutsche Rasse, klug“ die Worte hinzufügt: „Aber kalt“, so vermag ich dem nicht zuzustimmen. Anna von Helmholtz schildert Krüger als „sehr angenehm und anre- gend.“ (Ein Lebensbild in Briefen, herausgegeben von Ellen von Siemens-Helmholtz, 1929, Bd 1, S. 150.) Frau Professor Elisabeth Lepsius sagt von ihm: „Aeußerst gescheut, sehr talentvoll, singt und zeichnet.“ (Bernhard Lepsius, Das Haus Lepsius, 1933, S. 291)

| 318 | lichen Verkehr trat er jedem, auch dem ge- Aufstellung eines autonomen deutschen ringsten, in freundlicher, wohlwollendster Zolltarifs, der die Grundlage für weitere spä- Weise entgegen.19 ter abzuschließende Handelsverträge bilden „Und sein gastliches Haus in der Victoria- sollte. straße am Tiergarten“, – so sagte ich weiter Im Wesentlichen blieb die Zusammenset- – „war der Schauplatz eines reichen geselli- zung der Versammlung in dieser Zeit die- gen Lebens. Hervorragende Männer jeder selbe. Vor allem übten der lange Möller und Berufsart, Diplomaten, Minister, Offiziere, Vogel als Vertreter der Industrie nach wie vor Gelehrte, Künstler und andere Koryphäen einen großen, vielfach ausschlaggebenden des Geistes pflegte er mit Vorliebe um sich Einfluß aus. Auch der Hamburger Ludwig zu versammeln, und eine der größten Le- Sanders gehörte noch eine Zeit lang dem bensfreuden war es ihm, mit ihnen über die Ausschuß an, bis gegen das Ende des Jahr- verschiedensten politischen, wissenschaftli- zehnts, als er Mitglied der Finanzdeputation chen und künstlerischen Themata zu disku- geworden war, an seine Stelle der spätere tieren.“ Präses unserer Handelskammer Edmund Zur Illustration der vielseitigen persönli- Bohlen trat. Auch er war stets eifrig bemüht, chen Beziehungen Krügers möchte ich noch das Interesse des Hamburger Handels ge- die folgende kleine Geschichte hinzufügen. bührend zur Geltung zu bringen, dieses In- [S. 48] teresse aber ging, wie immer wieder hervor- Als Krüger einmal dem alten Bürgermeister trat, durchweg in erster Linie dahin, eine Petersen unvermutet in Berlin auf der Straße längere Vertragsdauer und das Recht der traf, machte er diesem Vorwürfe darüber, Meistbegünstigung zu erlangen. Daneben daß er so ganz unangemeldet gekommen kam die Höhe der einzelnen Zölle, über die sei. Er, der Gesandte, hätte ihn doch so gern von den Industriellen und Landwirten oft mit einigen interessanten Persönlichkeiten lange und erbittert gekämpft wurde, – so- Berlins zu sich eingeladen. „Ach“, sagte da- weit es sich dabei nicht um Prohibitionszölle rauf Petersen, „die Leute, die ich wohl sehen handelte – weit weniger in Betracht, so sehr möchte, hätte ich bei Ihnen doch nicht ge- man natürlich an sich geneigt war, für mög- troffen.“ „Und die wären?“ fragte Krüger. lichst geringe Zölle einzutreten. Eine tun- „Nun“, meinte Petersen, „z. B. Moltke und lichst freihändlerische Handelspolitik lag ja Helmholtz.“ „Gut“, erwiderte sogleich Krü- erklärlicher Weise im Interesse der großen ger, „wollen Ew. Magnificenz morgen mit Welthandelsstadt, wenn diese auch sehr diesen beiden bei mir essen?“ Petersen schüt- wohl wußte, daß neben ihren eigenen auch telte etwas ungläubig den Kopf; aber am andere wohlberechtigte nationale Bedürf- nächsten Tage konnte er in der Tat bei Krü- nisse Berücksichtigung erheischten. Der ge- ger an einem kleinen Diner zu vieren mit wiß weitblickende Moltke und Helmholtz teilnehmen. [S. 49] –––––––––––––– Kaufmann Adolph Woermann sagte mir Weitere Verhandlungen des Zollbeirats oder, einmal: „Wenn ein Hamburger im Reichs- wie er später genannt wurde, des Wirtschaft- tag aufträte, der nicht Freihändler wäre, so lichen Ausschusses – betrafen Handelsver- würde man sagen: ,Der Mann kennt seine träge mit Portugal und Japan und ferner die eigenen Interessen nicht.‘“

| 319 | [S. 49a] inländischen Bedarf deckte, in Ueberein- Natürlich mußte ich Wert darauf legen, daß stimmung mit der Kaufmannschaft und unsere hamburgischen Sachverständigen den damals in der deutschen Wissenschaft auch immer gebührend gehört wurden. In- herrschenden Lehre, prinzipielle Freihänd- des erinnere ich mich nur eines Falles, in- ler gewesen. Als aber später Deutschland dem es für mich notwendig war, in dieser einer stetig wachsenden Einfuhr ausländi- Beziehung einzugreifen. Als nämlich über schen Getreides bedurfte, traten sie erklärli- den Handelsvertrag mit Japan beraten wer- cher Weise im Bunde mit der Industrie für den sollte, war der dafür zum Sachver- steigende Schutzzölle ein. Graf Kanitz hatte ständigen ernannte Hamburger Kaufmann nun im Interesse der deutschen Landwirt- Rohde seltsamer Weise nicht geladen. Ich schaft noch einen anderen Weg einzuschla- brachte ihn trotzdem von Hamburg mit gen versucht. Als Mitglied der deutsch-kon- nach Berlin und verlangte nun durch Ver- servativen Partei des Reichstags hatte er in mittlung des einflußreichen Möller seine dem Aufsehen erregenden „Antrag Kanitz“ Zulassung. Zuerst wollte man sich zu dieser verlangt, die Regierung solle, um den Ge- nicht entschließen. Als ich dann aber Möl- treidepreis in der Hand zu haben, das zur ler mitteilte: wenn Herr Rohde nicht nach Ergänzung der deutschen Produktion vom geladen werde, sei ich genötigt, in der auf Ausland zu beziehende Quantum Getreide den nächsten Tag anberaumten Sitzung das ihrerseits erwerben und sodann zu einem Befremden des Hamburger Senats auszu- angemessenen Durchschnittspreis wieder sprechen, verhandelte er über die Sache verkaufen. Der Antrag,– von dem unter Be- noch einmal mit der maßgebenden Instanz. zugnahme auf eine damalige Flottenvorlage Nach einiger Zeit kam er dann wieder zu gesagt war: „Ohne Kanitz keine Kähne“–, mir mit der Entscheidung: Herr Rohde sei ward nach längeren Debatten, wie zu erwar- zugelassen, wenn ich auf seine förmliche ten, vom Reichstag abgelehnt; natürlich Ladung verzichten wolle. Das war eine Er- aber interessierte es mich, den viel genann- ledigung, mit der ich einverstanden sein ten Grafen kennen zu lernen. Dieser zeigte konnte, wenn mir auch der Grund sowohl sich indes in unserer Mitte nicht, wie viel- für die frühere wie für die jetzige Nichtla- leicht manche vorher meinen mochten, als dung unverständlich blieb. Vermutlich han- ein politischer Heißsporn oder ein verbohr- delte es sich um einen Uebergriff der Berli- ter Theoretiker, der „aufrechte, kenntnisrei- ner Bureaukratie, dem weiter nachzugehen che Agrarier“, wie ihn der Staatssekretär ich keine Veranlassung hatte. Wermuth mit Recht genannt hat20, war in [S. 49] allem, was er, nicht nur über landwirtschaft- Ein neues bedeutendes Mitglied des Wirt- liche Fragen, vortrug oder gelegentlich äu- schaftlichen Ausschusses war in der späteren ßerte, durchaus sachgemäß und dabei ein Zeit meiner Teilnahme an den Verhandlun- vornehmer Gentleman, der ohne jeden An- gen der bekannte Agrarier Graf von Kanitz- flug von Ueberhebung uns allen immer mit Podangen. Unsere Landwirte waren ja, so- der gleichen, ich möchte sagen kamerad- lange die deutsche Getreideproduktion den schaftlichen Liebenswürdigkeit entgegen –––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––– 20 Anm. Adolf Wermuth, Ein Beamtenleben, 1922, S. 196

| 320 | kam. So war es erklärlich, daß er sich in Bedeutung dieser Beziehungen hervor und unserem Kreise auch bei denen, die ihm in betonten dabei übereinstimmend, von wie manchen Dingen nicht zustimmten, ganz unheilsvoller Wirkung ein etwaiger deutsch- besonderer persönlicher Hochachtung er- englischer Zollkrieg für beide Länder sein freute. würde.21 Die Gefahr eines wirklichen Krie- Fast hätte ich ihn sogar einmal, als ich in ges von England gegen Deutschland war in dieser Zeit eine Sommerreise an den deut- jener Zeit noch eine sehr fernliegende, und schen daß in einem Kriegsfalle England eine Hun- [S. 50] gerblockade über Deutschland verhängen Ostseeküsten entlang bis nach Königsberg und sich, entgegen seinem eigenen Inter- und Memel hinauf unternahm, in dem, wie esse, in brutalster Weise an deutschem ich hörte, vortrefflich von ihm verwalteten Eigentum vergreifen würde, – das hätte da- Majoratsgut Podangen besucht. Als ich ihm mals niemand von uns für möglich gehal- das bei unserer nächsten Zusammenkunft ten. erzählte, bedauerte er, daß ich es nicht ge- Wie Graf Kanitz stand auch der Hambur- tan habe. „Aber“, so fügte er hinzu, „ich bin ger Redner an jenem Tage im Vordergrund wirklich erstaunt und sehr erfreut darüber, des allgemeinen Interesses. Hatte er doch, daß Sie, ein Hansestädter, zu uns in den fer- wie mir viele Aeußerungen aus der Ver- nen Osten gekommen sind. „O bitte“, erwi- sammlung zeigten, durch seine großzügige derte ich darauf, „das alte Kolonialland der Auffassung, sein kluges, entschiedenes Ur- Hanse im Osten haben wir immer gern auf- teil und seine urwüchsige Beredsamkeit ei- gesucht und es war auch mir sehr wertvoll nen großen Eindruck gemacht. Der mir von es endlich kennen zu lernen.“ „Aber Sie, Jugend auf bekannte Carl Ferdinand Laeisz Herr Graf“, meinte ich weiter, „sollten doch leitete damals zusammen mit seinem Vater einmal, um das besser kennen zu lernen, aus Carl Laeisz das große Reedereiunterneh- Ihrem Osten zu uns nach Hamburg kom- men, das sein einst als Hutmacherlehrling men.“ Er versprach das dann auch, doch mit wenigen Pfennigen in der Tasche nach weiß ich nicht, ob es später geschehen ist. Hamburg gekommener Großvater begrün- Als eines Höhepunktes in den Verhandlun- det hatte. Die beiden derzeitigen gen des Wirtschaftlichen Ausschusses erin- [S. 51] nere ich mich des Tages, an dem in unserem Chefs der weltbekannten Firma waren, wie noch durch die Hinzuziehung weiterer ihr Begründer, scharf ausgeprägte Originale, Sachverständigen vergrößerten Kreise nach die kein Blatt vor den Mund zu nehmen einander zuerst Graf Kanitz und dann der liebten. Der freigebigen Hand des Aelteren Hamburger Reeder Carl Ferdinand Laeisz von ihnen und seiner ebenfalls höchst origi- eingehende Vorträge über die Handelsbezie- nellen Frau, deren Bildnis mein Vetter Pro- hungen zwischen Deutschland und Eng- fessor Walter Geffcken für unsere Kunsthalle land hielten. Beide Redner hoben die große gemalt hat, verdankte Hamburg seine statt- –––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––– 21 Anm. „Man wußte in England, daß Deutschland unter allen fremden Ländern der beste Käufer Englands war, ein um so besserer Käufer, je reicher es wurde. England und Deutschland waren handels- politisch sozusagen verheiratet.“ (Prof. Johannes Haller, Die Aera Bülow, 1922, S. 45)

| 321 | liche Musikhalle. Von seinem schlagfertigen „Was haben Sie in Hamburg für intelligente derben Humor waren mancherlei launige Kaufleute!“ Dieses für mich sehr erfreuliche Geschichten in Umlauf. So erzählte man Urteil, das ich mehrfach aus dem Munde sich, er habe mit seinen Enkeln ein Affen- von Kollegen im Wirtschaftlichen Ausschuß theater besuchen wollen und daher eine hörte, bezog sich auch auf drei weitere Sach- gleichzeitige Aufsichtsratssitzung mit den verständige aus Hamburg, die zu einzelnen Worten abgelehnt: er habe sich leider schon Sitzungen hinzugezogen wurden. – Den für ein anderes Affentheater verpflichtet. Reeder Eduard Bohlen und die Vertreter des Ein andermal sollte er seinem Freunde Bal- Weinhandels Holthusen und Patow. lin nach Amerika telegraphiert haben: „Die Mit Bohlen, dem Schwager und Socius des Einfuhr von Ochsen ist verboten; Sie dür- großen Kolonialpioniers Adolph Woermann, fen noch zurückkommen.“ war ich schon früher in vielfache freund- Er litt übrigens nicht an Selbstüberschät- schaftliche Berührung gekommen, Er ge- zung, sondern sagte gelegentlich in übertrei- hörte nämlich dem Vorstande des Hambur- bendem Scherze, er sei eigentlich früher nur ger Kunstvereins an, dessen Vorsitzender ich der Sohn seines Vaters gewesen und später in diesen Jahren war, und hatte mit mir und nur der Vater seines Sohnes. Sehr stolz war anderen gegen die damals im Verein hervor- er auf den ihn an persönlicher Bedeutung getretene einseitige Verurteilung der soge- überragenden Sohn, dem schon in jungen nannten neuen Richtung in der Malerei, ener- Jahren der Vorsitz in der Handelskammer gisch Front gemacht. Auch mit Gottfried übertragen war und der auch gewiß als ei- [S. 52] ner der besten Köpfe Hamburgs in den Se- Holthusen war ich zuerst durch jene aufge- nat gekommen wäre, wenn ihn nicht eine regten Verhandlungen im Kunstverein be- tückische Krankheit im frühen Mannesalter kannt geworden, bei denen ich die Gelegen- dahingerafft hätte. Nach seinem Tode im heit hatte, sein ungemein feines, von der August 1900 schrieb mir mein vielerfahrener jeweiligen Tagesmeinung ganz unabhängi- Kollege Syndikus Roeloffs: „Er läßt eine Lü- ges Verständnis für jedes Erzeugnis echter cke in unserem kaufmännischen Leben und Kunst schätzen zu lernen. Schon 1897 ward in unserer kaufmännischen Vertretung in er Senator und in den folgenden Jahren ein Berlin, die auf lange Zeit unausgefüllt blei- mir sehr nahestehender Freund, mit dem ben wird. Ich habe seine außerordentliche mich vielfache gemeinsame Interessen, ins- Tüchtigkeit und Voraussicht bei manchen besondere auf geistigem Gebiet verbanden. geschäftlichen Verhandlungen kennen ge- Im Wirtschaftlichen Ausschuß fanden da- lernt und habe früher oft in Berlin Gelegen- mals seine geschickten und dabei vornehm heit gehabt, zu hören, mit welcher hohen gehaltenen Ausführungen über die Bedürf- Achtung und Anerkennung man von Laeisz nisse und Interessen des deutschen Wein- sprach.“ Und noch viele Jahre später sagte handels eine sehr aufmerksame Zuhörer- von ihm der sachkundige Biograph Albert schaft. Und dasselbe kann ich nur von den Ballins, er habe „zu den seltenen wirklich nie späteren Referaten seines ebenso sachkundi- ersetzten Menschen gehört.“22 gen Kollegen Otto Patow sagen, den ich –––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––– 22 Anm. Bernhard Huldermann, Albert Ballin, 1922, S. 385

| 322 | auch in der Folgezeit zu meinen Freunden mentvolle Frau gefiel meiner Frau und mir, zählen durfte und der mich als wohlunter- als wir sie bei einem gemeinsamen Aufent- richtetes Mitglied der Finanzdeputation halt in Berlin sahen. Eine vollendete Welt- und der Bürgerschaft mehrfach durch sei- dame, war sie zugleich nen klugen Rat unterstützt hat. Seine nach [S. 53] dem Weltkriege als Manuskript gedruckten auf den verschiedensten Gebieten geistiger Erinnerungen, die den bescheidenen Titel Kultur wohlbeschlagen und besonders eine „Aus dem Leben eines Alltagsmenschen“ genaue Kennerin der zeitgenössischen schö- tragen23, zeigen auf mancher Seite, daß er nen Literatur des In- und Auslandes. Mehr- kein Alltagsmensch war, sondern ein Mann, fach haben wir im „Café Bauer“ unter den der sich über das Niveau und die nüchter- Linden mit dem liebenswürdigen Bremer nen Bestrebungen des Alltages zu erheben Ehepaar zusammen gesessen in angeregten verstand. Mein Wunsch, ihn auch als Kolle- Gesprächen, an die ich noch heute gerne zu- gen im Senat begrüßen zu können, ist leider rückdenke. nicht in Erfüllung gegangen. Den Vorsitz im Wirtschaftlichen Ausschuß Den Lübecker und Bremer Senat vertraten führte nunmehr Graf Posadowsky, der, im Wirtschaftlichen Ausschuß gegen Ende wie erwähnt, der Nachfolger Böttichers im des Jahrzehnts die Senatoren und späteren Reichsamt des Innern geworden war. Zu- Bürgermeister Johann Hermann Eschenburg weilen aber vertrat ihn der Direktor im und Dr. Victor Marcus, der Erstere war Chef Reichsamt des Innern. Dieser, ein Adolf einer großen Holzhandelsfirma in Lübeck Wermuth, kluger und selbständig denkender und zugleich Besitzer des Ritterguts Bansin Beamter, war bereits Reichskommissar bei in Mecklenburg. Er vermochte daher nicht den Weltausstellungen in Melbourne und nur über die kaufmännischen, sondern auch Chikago [!] gewesen. Später ward er be- über die landwirtschaftlichen Interessen kanntlich Leiter des Reichsschatzamts und und Wünsche ein sachkundiges Urteil ab- zuletzt Oberbürgermeister von Berlin. Daß zugeben. Sein Bremer Kollege Marcus, ein er ein sich über die Routine erhebender Po- geborener Rheinländer, hatte vor seiner litiker war, zeigen die nach Abschluß seiner Wahl in den Senat das Amt eines Syndikus amtlichen Tätigkeit von ihm veröffentlich- der Bremer Handelskammer bekleidet und ten Erinnerungen, in denen sich neben in- mehrere Schriften über wirtschaftliche Fra- teressanten Ausführungen über die Aufga- gen veröffentlicht. Um seine zweite Vater- ben der Finanzverwaltung auch der Satz stadt hat er sich, neben seiner politischen findet: „Regieren heißt nicht, sich vom Tätigkeit, als Stifter einer Lesehalle und frei- Strome treiben lassen, nicht nur die Schwie- gebiger Beförderer anderer gemeinnütziger rigkeiten der Gegenwart leidlich überwin- Bestrebungen verdient gemacht. Vielseitig den, es heißt, über die Gegenwart in die Zu- gebildet, lebhaft und interessant in der Un- kunft hineingreifen.“24 terhaltung, war er mir eine sympathische Endlich nahm auch noch an unseren Persönlichkeit. Auch seine kluge, tempera- Sitzungen gelegentlich der Präsident des –––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––– 23 Anm. Aus dem Leben eines Alltagsmenschen, eine Sonntagsarbeit von Otto Patow, 1918/20. 24 Anm. Adolf Wermuth, ein Beamtenleben 1922, S. 277 u. 399.

| 323 | Reichstages Graf von Ballestrem teil, der, ei- Kollegen zu, um nur hie und da ein kurzes, ner begüterten Adelsfamilie Schlesiens ent- oft sarkastisches Wort dazwischen zu wer- stammend, zuerst ein schneidiger Reiterof- fen.25 Von den anderen Anwesenden erin- fizier gewesen war und dann als langjähriges nere ich mich nur der lebhaften Persönlich- eifriges Mitglied des Zentrums eine angese- keit des Grafen von Posadowsky, dessen wohl hene Stellung in seiner Partei wie im Parla- oft allzugroßen Eifer der Parteiführer durch mente erlangt hatte. Für seine Verdienste einen gelegentlichen kalten Wasserstrahl um die katholische Kirche war ihm der Ti- oder eine humoristische Bemerkung zu tel eines Päpstlichen Kämmerers verliehen, dämpfen suchte. Als dann der Graf erzählte, und die preußische Regierung hatte ihn daß er von einem später sehr radikal gewor- zum Wirklichen Geheimen Rat ernannt. denen Lehrer Unterricht gehabt habe, sagte Doch lasteten Amt und Würden nicht all- Bennigsen nur mit bedeutungsvollem Lä- zuschwer auf diesem – von Lebenslust und cheln: „So, darum.“ Humor übersprudelnden Manne, dessen Ein besonders interessantes, ja vielleicht das meist in burschikosem Ton vorgebrachten interessanteste Erlebnis meiner Berliner Witze oft allgemeine Heiterkeit anregten. Tage war ein Diner beim Reichskanzler Und dabei schonte er auch seine Reichstags- Fürsten von Hohenlohe. In den histori- kollegen nicht. So sagte er einmal zum Gra- schen Räumen an der Wilhelmstraße, die fen Posadowsky, als dessen geschickte einst Fürst Bismarck bewohnte, versam- [S. 54] melte sich ein größerer Kreis von Gelade- Leitung unserer Verhandlungen gerühmt nen, unter ihnen mehrere Minister und an- war: „Ach Exzellenz, das ist hier bei Ihnen ja dere Würdenträger. Als letzter erschien der gar keine Kunst. Da habe ich es im Reichs- Gastgeber, eine kleine, schmächtige, vom tag nicht so leicht. Sie haben doch nur mit hohen Alter gebückte Gestalt, die unter vernünftigen, anständigen Leuten zu tun.“ einem breiten, die Brust bedeckenden Or- Von dem Führer der nationalliberalen Par- densbande fast verschwand. Nach kurzer tei des Reichstages Rudolf von Bennigsen Begrüßung der Gäste ging es dann sogleich hatte ich bereits vor Jahren eine eindrucks- zu Tisch. volle Rede gehört. Es freute mich, ihn jetzt Der Reichtum des Fürsten zeigte sich in dem durch Vermittlung des langen Möller auch kostbaren Tafelgerät, den erlesenen Weinen persönlich kennen zu lernen. An dem eifri- und der großen Zahl der galonierten Die- gem Gespräch einiger Parteifreunde, die ich ner, die, geräuschlos auf dem weichen Tep- mit ihm zusammen in dem Separatzimmer pich hin und her gleitend, die Speisen prae- eines Hotels antraf, beteiligte er sich verhält- sentierten und die Gläser füllten. Mein nismäßig wenig. Mit überlegener Ruhe [S. 55] hörte er den Auseinandersetzungen seiner Tischnachbar zur Rechten war der Staats-

–––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––– 25 Anm. Jul. von Eckardt sagte von ihm: „Bennigsen übte im persönlichen Verkehr eine Anziehungs- kraft aus, welche die seines rednerischen Talents weit übertraf. Hinter anspruchslosen Formen verbarg sich die Ueberlegenheit des bedeutenden Kopfes und die Sicherheit des vornehmen Mannes, der sich nicht erst geltend zu machen braucht, um seiner vollen Bedeutung nach geschätzt zu werden. Den Parteimann merkte man ihm nicht an.“ (Lebenserinnerungen, 1910, Bd 1, S. 266).

| 324 | sekretär des Reichspostamts und spätere stehe mich ja auch ganz gut mit ihm. Man Landwirtschaftsminister von Podbielski, – muß ihn nur zu behandeln wissen, nicht vor ein Sohn des Generalquartiermeisters von ihm bange sein und immer seine Meinung 1870, dessen lakonische Kriegsdepesche geradeheraus sagen. Und wenn mein Etat „Vor Paris nichts Neues“ zum geflügelten im Reichstag drankommt, dann bin ich im- Wort geworden ist. Der Sohn, ein ungemein mer zur Stelle. Dann hindert mich auch lebhafter, nach allen Seiten hin viel und laut kein Podagra, und wenn es nicht anders ge- sprechender Herr, widmete sich trotz Kor- hen sollte, laß ich mich in den Sitzungssaal pulenz und Podagra, über dessen Beschwer- hineintragen.“ den er mir beweglich klagte, den Freuden Nach Tisch hatte ich die Gelegenheit, mich der reichbesetzten Tafel mit besonderem Be- mit dem Finanzminister von Miquel zu un- hagen. terhalten, wohl der bedeutendsten Persönlich- Unser Gespräch landete bald bei Angelegen- keit unter den damaligen Gästen des Reichs- heiten der Post und seinem großen Vorgän- kanzlers. Noch deutlich erinnere ich mich ger Stephan. „Ja“, sagte er, „da spricht man aus der Zeit meiner Redaktionstätigkeit immer von meinem bedeutenden Vorgän- [S. 56] ger. Als ich aber mein Amt übernommen des großen Eindrucks, den es in ganz hatte, sah ich bald, daß der mir viel zu tun Deutschland hervorrief, als er 1887 zusam- übrig gelassen hat. Ueberall gilt es, zu bes- men mit Bennigsen von neuem an die Spitze sern und Reformen durchzuführen. (In der der nationalliberalen Partei im Reichstage Tat hat Podbielski, wie allgemein anerkannt trat. Wesentlich verschieden von dem im- ist, auf dem Gebiete des Postwesens manche mer ruhigen und gemessenen Bennigsen, zeitgemäße Aenderungen veranlaßt.) „Und war Miquel „die Beweglichkeit selbst.“26 „Es dann“, so fuhr der Staatssekretär fort, „wenn zirkulierte in ihm“ – so hat Schmoller ge- ich was Neues beginnen wollte, dann sagten sagt#)27 „eine glückliche Mischung von fran- mir meine Beamten: „wie, das geht so noch zösischem und niedersächsischem Blut. Er nicht; erst muß der Reichstag zustimmen. war ein Mann ganz großer Ideale und Anders hat Stephan es nie gemacht.“ Nun schwungvollen Geistes, und daneben so frage ich Sie, was kümmert mich der Reichs- kühl und so nüchtern und so praktisch und tag? Seine Majestät der Kaiser hat mich er- so findig in der Auswahl der Mittel, in der nannt; ihm bin ich verantwortlich und nicht Benutzung der Situationen, daß man oft dem Reichstag. Mache ich es Majestät nicht nicht begriff, wie diese verschiedenen Dinge recht, natürlich, dann muß ich gehen, sonst in einer Seele wohnen können.“ „Von sei- aber nicht.“ Als ich darauf einwandte, daß nem schwungvollem Geiste“ habe auch ich der Reichstag doch in vielen Dingen nicht „einen Hauch verspürt.“ Nicht nur seine zu umgehen sei, erwiderte er: „Na ja, ich Worte imponierten mir, sondern auch die

–––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––– 26 Anm. Adolf Varrentrapp, Drei Oberbürgermeister von Frankfurt a/M., 1915, S. 9 27 Anm. Gustav Schmoller, Charakterbilder, 1913, S. 91 28 Anm. Anna von Helmholtz nennt ihn „einen dämonisch berückenden, klugen und angenehmen Causeur, der nicht umsonst französisches Blut in den Adern hat.“ (Ein Lebensbild in Briefen, heraus- gegeben von Ellen von Siemens-Helmholtz, 1929, Bd 2, S. 40)

| 325 | lebhafte Sprache seiner leuchtenden Augen, man ihm solche Schlagkraft und solche po- die wie forschend auf mir ruhten.28 Und als litische Reiterkünste jedenfalls nicht mehr ein feiner Menschenkenner erwies er sich recht zu. Doch auch in Berichten über seine durch das Lob, das er unserem Syndikus frühere Zeit werden übereinstimmend seine Roeloffs spendete „An dem“, sagte er, „haben vorsichtige Zurückhaltung, die ihm man- Sie einen ganz hervorragenden Kollegen, auf gelnde Initiative und Energie und über- den Hamburg stolz sein kann.“ haupt das mehr Passive seiner Natur hervor- Weiter galt mein besonderes Interesse natür- gehoben, Eigenschaften, die ihn mehr zum lich unserem Gastgeber, dem Fürsten Ho- Diplomaten als zum kampfbereiten bayeri- henlohe. Als ich zu dem Kreise hinzutrat, schen Minister und Reichskanzler geeignet der ihn umgab, merkte ich bald, daß die machten.30 Uebrigens schrieb er selbst als dort sich abspielende Unterhaltung eine ziem- Reichskanzler im Jahre 1896: „Der Zweck lich einseitige war. Denn der Fürst machte meines Daseins im Reichskanzlerpalais ist bei ihr von der diplomatischen Kunst des doch kein anderer, als übereilte Beschlüsse Schweigens einen starken Gebrauch. Oft hintanzuhalten. Ein unabhängiges Regi- bekundete nur ein feines Lächeln, ein Ach- ment, bei welchem der Kaiser gewisserma- selzucken oder ein leichtes Neigen des Kop- ßen als Besiegter nebenher geht, ist bei die- fes, daß er nicht ohne Teilnahme angehört sem Herrn nicht denkbar, das ist auch wider hatte, was ihm vorgetragen war. Auch direkte meine Natur, selbst wenn es ausführbar Fragen beantwortete er nur mit wenigen, er- wäre. Und man soll nicht Dinge unterneh- sichtlich sehr vorsichtig abgewogenen Wor- men, die man nicht durchführen kann.“31 ten. An seinen klugen Augen erkannte man Erwähnen möchte ich noch, daß eine Zei- wohl, daß ein Staatsmann vor uns stand, der tung damals seine Stellung mit der eines auf eine bedeutende Laufbahn zurückbli- Sitzredakteurs verglich.32 cken konnte. Aber in dem Ausdruck dieser Nur eine bedeutsame Bemerkung hörte ich Augen wie in der ganzen Erscheinung des im Laufe der Unterhaltung vom Fürsten nunmehr Achtzigjährigen lag doch etwas Hohenlohe. Als nämlich die Rede auf die unendlich Müdes. Vor Jahren, als er noch politische Stimmung im Elsaß kam, sagte er Botschafter in Paris war, hatte er zu dem spä- ganz ruhig, als wenn es sich dabei um etwas teren Fürsten Bülow gesagt29: Selbstverständliches handelte: „Wir haben [S. 57] einen großen Fehler gemacht, die Begrün- ein Minister müsse eine ordentliche Portion dung der Universität Straßburg.“ Und als Entschlußfreudigkeit und Schlagkraft in man darauf erstaunt fragte: „Wirklich, sich haben und auch gelegentlich gegen eine Durchlaucht?“, fuhr er fort: „Wir haben uns hohe Hürde anreiten können. Jetzt traute damit selbst unsere politischen Gegner

–––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––– 29 Anm. Fürst von Bülow, Deutsche Politik, 1916, S. 248 30 Anm. Vgl. Alexander von Müller, Bayern im Jahre 1866, 1909, S 95 ff. W. Schüssler, Bismarcks Kampf um Süddeutschland 1867, 1929, S. 36 ff. u. Alexander von Hohenlohe, Aus meinem Leben 1925, S. 236 u 283 31 Anm. Fürst Chlodwig zu Hohenlohe-Schillingsfürst, Denkwürdigkeiten der Reichskanzlerzeit, herausgegeben von Karl Alexander von Müller, 1931, S. 182. 32 Anm. A. a. O. S. 583

| 326 | großgezogen. In den Universitäten des alten trug dieser vielbesprochene von oben her Deutschland und ihrer nationalen Umge- verhinderte Schillerpreis wesentlich dazu bung würde die akademische Jugend der bei, dem im Grunde sehr formlosen Drama Reichslande zu besseren Deutschen gewor- immer wieder volle Häuser zu verschaffen. den sein.“ Diese Bemerkung überraschte Uebrigens verdiente diese in gewandten uns damals sehr33 Ob sie zutreffend ist, mag Versen leicht dahin fließende, von Humor dahin gestellt bleiben. Jedenfalls ist dieselbe und einer an Raimund erinnernden Mär- Behauptung später auch von anderer Seite chenpoesie umwobene Dichtung diesen aufgestellt oder wenigstens als diskutabel be- großen Erfolg, der sich auch in zahlreichen zeichnet.34 Auflagen der Buchausgabe kundgab. Nicht [S. 57a] mit Unrecht hat, wie ich meine, ein bekann- Nicht leicht war es, den schweigenden Fürs- ter Literarhistoriker von dem „Talisman“ ge- ten auf die Dauer in einer seiner Stellung sagt, daß er das Beste sei, was Fulda geschrie- und Bedeutung angemessenen Weise zu un- ben habe35. Ein anderes damals viel ge- terhalten. Es löste sich daher einer nach dem gebenes Stück, die Posse „Charleys Tante“ anderen aus dem Kreis der ihn umgebenden fand den lebhaften Beifall des Kaisers, der es Herren. Eine kurze Weile stand ich ihm so- sich noch einmal besonders vorführen ließ, gar allein gegenüber, bis dann wieder neue worauf Lichtwark in seinen als Manuskript Kräfte hinzutraten, die auch mir gestatteten, gedruckten Briefen an die Hamburger Kunst- mich allmählich zurückzuziehen. hallenverwaltung sagte: man könne dieses –––––––––––––– Stück nur einmal sehen, „allerhöchstens Schließlich möchte ich noch erwähnen, daß zweimal“. ich, wenn ich in Berlin war, auch häufig die Eine interessante Vorstellung, die ich mit Gelegenheit benutzte, die dortigen, viel Gu- meiner Frau besuchte, war ferner die Erst- tes bietenden Theater zu besuchen, insbe- aufführung von Paul Lindaus Schauspiel sondere das Schauspielhaus, das Deutsche- „Der Andere“. Das Thema – ein Staatsan- und das Lessing-Theater. Unter anderem walt führt in den Nachtstunden ein traum- sah ich von Ludwig Fulda, den ich später haftes Nebenleben als Verbrecher, von dem auch in Hamburg persönlich kennen lernte, er am nächsten Morgen nichts mehr weiß – das manche politische Anspielungen enthal- war höchst eigenartig und wenig glaubwür- tende Märchendrama „Der Talisman“, dem dig, aber, einmal zugegeben, daß so etwas 1893 der Schillerpreis erteilt wäre, wenn möglich ist, mit großem dramatischem Ge- nicht der Kaiser dem schick durchgeführt. Das Stück fand denn [S. 58] auch starken Beifall, der den im Hause an- Beschluß der Sachverständigenkommission wesenden Verfasser – eine nicht eben impo- seine Bestätigung versagt hätte. Natürlich sante, wenig sympathische Erscheinung –

–––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––– 33 Anm. In den Denkwürdigkeiten des Fürsten (auch in den beiden ersten, 1906 erschienenen Bänden) findet sie sich nicht, wohl aber in den Erinnerungen seines Sohnes Alexander, a. a. O. S. 207) 34 Anm. Vgl. Richard Graf du Moulin Eckard, Geschichte der deutschen Universitäten, 1929, S. 446. Anderer Meinung ist Professor G. A. Aurich, in „Das Akademische Deutschland“, Bd I, 1930, S. 383. 35 Anm. Richard M. Meyer, Die deutsche Literatur des 19. Jahrhunderts, 1900, S. 861.

| 327 | veranlaßte, wiederholt dankend auf der lung der deutschen Armenpflege gespielt Bühne zu erscheinen. und ist zum Teil auch im Auslande nachge- Mit viel spöttischem Lachen war sah [!] man ahmt worden. Diese auch für Hamburg damals in Berlin die in Hamburg spielende grundlegend gebliebene Armenreform von Posse „Der Herr Senator“ (das Wort „Sena- 1788 machte damals überall einen um so tor“ wurde dabei in Uebertreibung der ham- größeren Eindruck, als ihre Ergebnisse in burgischen Mundart als „Zenator“ ausge- der ersten Zeit geradezu glänzende waren. sprochen). Der bekannte Komiker Engels, Nicht nur der erste Eifer in der Begeisterung der die Titelrolle mit viel Humor gab, er- für die neue Sache, auch außergewöhnlich regte ganz besonders die Heiterkeit des Ber- günstige wirtschaftliche Verhältnisse trugen liner Publikums, wenn er zu einem Herren, dazu bei. Ein Rückschlag war unvermeid- der ihm mitteilte, daß er aus Berlin sei, ach- lich; er würde auch eingetreten sein, wenn selzuckend sagte: „Na ja, irgendwoher muß nicht die große Handelskrisis von 1799 und eins ja auch szein.“ Als mich einige meiner die schwere, lange Franzosenzeit gefolgt wä- Kollegen im Zollbeirat mit malitiösem Lä- ren. Nur langsam erholte sich Hamburg von cheln fragten, wie mir denn das Stück gefal- der politischen und wirtschaftlichen Not zu len, erwiderte ich: Der in der Posse darge- Anfang des 19. Jahrhunderts; aber auch als stellte Senator sei ein Spießbürger. Solche wieder normale, ja günstige Verhältnisse Menschen gebe es, wie überall, natürlich eingetreten waren, wandte sich dem Armen- auch in Hamburg. Aber wir pflegten sie wesen Jahrzehnte hindurch nicht wieder die nicht in den Senat zu wählen. frühere allgemeine Teilnahme zu. Man übte ———— zwar die Armenpflege mehr oder weniger im [S. 66a] alten Sinn weiter, doch man schritt nicht ge- 7. In der Armen- und Waisenhaus- nügend mit der sich ändernden Zeit und Verwaltung. den Bedürfnissen der wachsenden Groß- Da ich früher mehrere Jahre Sekretär des Ar- stadt fort. Andere deutsche Städte, vor allem menkollegiums gewesen war und 1883 eine Elberfeld, traten nunmehr an die Spitze ei- Schrift über die Entwicklung des Hambur- ner neuen von Hamburg bei seiner dama- ger Armenwesens veröffentlicht hatte, ward ligen geistigen Isolierung nicht genügend ich – neben Senator Hachmann und dem beachteten Bewegung für zeitgemäße Ar- kaufmännischen Senator Schemmann – Prae- menpflege und gegen die der Gegenwart sidialmitglied des Armenkollegiums. Auch entsprechenden Schlußfolgerungen aus dem erhielt ich den Vorsitz in zwei dem Armen- grundlegenden Gedanken der großen Ham- kollegium unterstellten, im wesentlichen burger Armenreform von 1788. Wie sehr aber selbständigen Behörden – der Sektion Hamburg tatsächlich auf diesem sozial so für das Werk- und Armenhaus (das jetzige wichtigen Gebiet in den Rückstand gekom- Versorgungsheim) und der Aufsichtsbe- men war, hörde für die milden Stiftungen. [S. 67] Die 1788 in Hamburg errichtete Allgemeine zeigte erst im weitere Kreise überraschen- Armenanstalt hat durch ihre neuen sowohl dem Lichte das Ergebnis der allgemeinen rationellen wie humanen Grundsätze eine deutschen Armenstatistik von 1885. Um die- nicht unerhebliche Rolle in der Entwick- selbe Zeit aber trat in Senator Hachmann

| 328 | eine energische und großzügige Persönlich- Professor Schmoller einmal erzählte, auf des- keit an die Spitze des Hamburger Armen- sen Rat das Armenwesen als Spezialstudium kollegiums, die dafür Sorge trug, daß, wie gewählt, war dann auf diesem Gebiete lite- auf dem Gebiete der Polizeiverwaltung, so rarisch und praktisch tätig gewesen und auch auf dem des Armenwesens eine zeitge- hatte sich auch vielfach in den Verhandlun- mäße Reorganisation in Angriff genommen gen des deutschen Vereins für Armenpflege wurden. und Wohltätigkeit beteiligt. So war er in Bei dieser Reorganisation – deren Grund- noch jungen Jahren eine anerkannte Auto- lage das neue Armengesetz von 1892 bildete rität auf seinem Spezialgebiet – handelte es sich neben einer Vereinigung [S. 68] der bisher noch gesonderten Armenpflege in geworden, die sich auch in Hamburg bes- der Stadt, der ehemaligen Vorstadt St. Pauli tens bewährte. Seine Stellung war hier wäh- und den Vororten, vor allem um eine noch rend seiner dreiundeinhalbjährigen Tätig- größere Individualisierung der Armenpflege keit eine ganz außergewöhnliche. Tatsächlich unter starker Vermehrung ihrer ehrenamtli- Direktor des öffentlichen Armenwesens, chen Organe und um eine Verlegung der hatte er doch, auch abgesehen von seiner Bewilligungen in die unteren Instanzen, nur vorübergehenden Anstellung, weder durch die der Zentralinstanz – dem Armen- bestimmt abgegrenzte amtliche Befugnis- kollegium – die Möglichkeit gegeben ward, se noch eine Amtsbezeichnung erhalten. sich ausgiebiger als bisher mit den grund- Scherzend erinnerte er gern an die Ge- sätzlichen Fragen einer rationellen Armen- schichte von dem Major, dem sein Bursche pflege zu beschäftigen. auf die Frage, wie es ihm im Zoologischen In dem neuen Armengesetz war indes nur Garten gefallen habe, skeptisch erwiderte: der äußere Rahmen der zukünftigen Ar- „Ach Herr Major, solche Tiere gibt es ja gar menverwaltung festgelegt. Die gesamten nicht.“ Dasselbe, fügte er dann hinzu, müsse materiellen Bestimmungen der Armenpfle- eigentlich auch von ihm gelten. Jedenfalls ge, die Direktiven für alle einzelnen Organe sei er in amtlicher Beziehung ein ganz be- und überhaupt die ganze praktische Durch- sonderes Ausnahmetier. führung der in Aussicht genommenen Re- In Hamburg, wo immer der Mann mehr ge- formen bildeten eine weitere wichtige Auf- golten hat als das Amt, kamen solche for- gabe. Und da für diese in Hamburg eine mellen Bedenken wenig in Betracht. Die sachkundige leitende Kraft nicht vorhanden persönliche Bedeutung Münsterbergs, seine war, so veranlaßte Senator Hachmann, daß Sachkenntnis und sein Organisationstalent ein auf dem Gebiete der Armenpflege erfah- gaben ihm ohne weiteres die ihm gebüh- rener auswärtiger Sachverständiger auf drei rende Stellung in der Verwaltung. Man sah Jahre nach Hamburg berufen wurde. Wie ein, daß von ihm auf seinem Spezialgebiet bei manchen anderen Gelegenheiten, so viel zu lernen sei, und fügte sich gern seinen hatte Senator Hachmann auch bei der Aus- Wünschen. Einzelne von diesen, die das Ar- wahl des so nach Hamburg gekommenen menkollegium allein nicht erledigen konnte Sachverständigen eine glückliche Hand. Dr. – wie die Anstellung weiterer Beamten und Emil Münsterberg, der bisher Bürgermeister Armenärzte und die Errichtung eines Neu- der Stadt Iserlohn war, hatte sich, wie mir baus für die Armenverwaltung in der ABC-

| 329 | Straße – hatte ich im Senat als ständiger die zuerst aus verhältnismäßig unbedeuten- Referent für Armen-Angelegenheiten zu den Anlässen entstanden, allmählich zu ei- vertreten und zu motivierten Anträgen an ner starken Opposition gegen ihn und sein die Bürgerschaft zu verarbeiten. Auch in den Verbleiben in der bisherigen einflußreichen vorerwähnten mir direkt unterstellten Be- Stellung angewachsen war. Vielleicht wirkte hörden der Armenverwaltung zog ich im- dabei eine auch sonst wohl damals in Ham- mer Münsterberg zu den Sitzungen hinzu, burg hervorgetretene engherzige Abneigung und auch hier verdankten wir seiner Mitwir- gegen die Heranziehung auswärtiger Kräfte kung oder – für manche Dinge wohl richti- mit. Da Senator Hachmann wohl mit Recht ger gesagt – seiner Führung viel. So z. B. bei annahm, daß eine andere Stellungnahme der Aufsichtsbehörde für die milden Stif- der Bürgerschaft auch bei einer Wiederho- tungen die Einrichtung einer bald stark be- lung des Senatsantrages nicht zu erwarten nutzten „Auskunftsstelle für Wohltätigkeit“, war, so verließ Münsterberg im April 1896 die es jedem ermöglichte, durch eine vielfa- Hamburg. Mit dem Armenkolleg und dem che Anfrage bei der Behörde zu ermitteln, Senat bedauerten insbesondere Senator Hach- ob und eventuell in welcher Weise ein Bitt- mann und ich das sehr. Auf unseren Wunsch steller bereits von anderer Seite unterstützt sprach daher der Senat in einem von mir wurde. Auch die erst gegen Ende des Jahr- verfaßten Schreiben Münsterberg seinen be- zehnts von uns begonnene teilweise Verle- sonderen Dank aus, wobei er hervorhob, gung des Werk- und Armenhauses nach dem daß dieser es verstanden habe „unter glück- damaligen Walddorf Farmsen ward, wenn licher Ueberwindung mannigfacher Schwie- ich nicht irre, von ihm zuerst angeregt. rigkeiten, mit kräftiger und doch zugleich Es war erklärlich, daß nach einiger Zeit im schonender Hand die Verwaltung unseres Armenkolleg der Wunsch hervortrat, einen Armenwesens in die ihr durch das Gesetz so hervorragenden, auch außerhalb Ham- von 1892 und die reichen Erfahrungen an- burgs als Autorität angesehenen Sachkundi- derer deutscher Städte gewiesenen Bahnen gen wie Dr. Münsterberg durch eine feste hinüberzuleiten.“ „Möge Ihnen“ – so schloß Anstellung dauernd für Hamburg zu gewin- das Schreiben – „wenn Sie jetzt zum Bedau- nen. Der Senat ern des Senats das Feld Ihrer hiesigen Tätig- [S. 69] keit verlassen, die Ueberzeugung Befriedi- stimmte diesem, von Senator Hachmann gung gewähren, daß Sie sich, wie von allen und mir lebhaft befürworteten Wunsche zu Seiten anerkannt wird, hervorragende Ver- und beantragte demgemäß im Februar 1896 dienste um die Umorganisation des Ham- die Schaffung der Stelle eines Direktors des burgischen Armenwesens erworben haben öffentlichen Armenwesens mit einem der und daß Ihr Name mit dieser Umorganisa- Bedeutung Münsterbergs Rechnung tragen- tion und mit der Geschichte des Hambur- den persönlichen Gehalt von M. 12000. Die- gischen Armenwesens für alle Zeit auf das ser Antrag wurde aber leider von der Bürger- Engste verknüpft bleiben wird.“ schaft im April desselben Jahres abgelehnt. Auch Bürgermeister Versmann sprach sich Es stellte sich dabei heraus, daß in einzelnen sehr ungehalten darüber aus, daß man so ei- in der Bürgerschaft vertretenen Kreisen eine nem verdienten Manne nach mehrjähriger Mißstimmung gegen Münsterberg vorlag, erfolgreicher Tätigkeit zu unserem Wohle

| 330 | nun einfach den Stuhl vor die Tür setzen ganz fern. Er habe bei uns nicht nur sehr müsse. Und er befürchtete dabei noch ins- viele ihm besonders sympathische Persön- besondere, daß Münsterberg lichkeiten gefunden, sondern auch unsere [S. 70] Stadt in ihrer scharf ausgeprägten Eigenart bei seiner großen Federgewandtheit und sei- achten und lieben gelernt und werde sie nen vielfachen Beziehungen zur deutschen nicht die Mißgunst und Torheit einiger ih- Presse den berechtigten Aerger über die ihm rer Söhne entgelten lassen. zuteil gewordene Behandlung an Hamburg Münsterberg hat nicht lange danach die von auslassen und dessen Ansehen im deutschen ihm gewünschte leitende Stellung im Berli- Binnenlande erheblich schädigen könnte. ner Armenwesen erhalten. Auch ist er spä- Da nun Versmann wußte, daß ich Münster- ter als besoldeter Stadtrat Mitglied des Ber- berg persönlich näher getreten war und daß liner Magistrats geworden. Wiedergesehen ich mich mit dem fein und vielseitig gebil- habe ich ihn nur einmal bei einer flüchtigen deten Manne nicht nur über sein Spezialge- Begegnung im Harz. Doch habe ich noch biet, sondern auch über andere Dinge oft gelegentlich Briefe mit ihm gewechselt. Als und gern unterhalten hatte, so ersuchte er er den Vorsitz in der Armen-Direktion von mich doch alles, was ich vermöge, zu tun, Berlin übernommen hatte, schrieb er mir: um aussöhnend auf den Fortgehenden zu „Die Arbeit wird hier viel schwieriger sein wirken und ihn von uns nachteiligen Aeu- als in Hamburg, wo speziell für eine Reform ßerungen in der Presse oder sonstwie in des Armenwesens ungewöhnlich günstige der Oeffentlichkeit abzuhalten. Ich machte Verhältnisse gerade in der Münsterberg dann auch, ehe er Hamburg [S. 71] verließ, einen langen Abschiedsbesuch und Eigenart der Hamburger Verwaltung gege- fand ihn dabei weniger verärgert, als ich ge- ben waren. Die riesige Ausdehnung Berlins, fürchtet hatte. Als ich ihn nach einer nach- die ungemeine Verschiedenheit der Wohn- maligen eingehenden Erörterung der gan- bevölkerung in den verschiedenen Stadtge- zen bedauerlichen Angelegenheit fragte, was genden erschweren die Reformarbeit, die al- er nun beginnen werde, antwortete er mir, lerdings notwendig ist, in hohem Maße. daß er das noch gar nicht wisse. Wie mir zur Aber ich blicke gerade jetzt mit lebhaftem Genüge bekannt sein werde, könne man Dank auf die Hamburger Zeit zurück, die vom gelegentlichen Artikelschreiben allein mir reiche Erfahrungen gebracht hat.“ So nicht leben. Ganz zur Presse überzugehen fanden die so jäh abgebrochenen Beziehun- wünsche er aber nicht. Er sei indes nicht gen Münsterbergs zu Hamburg noch einen ganz unvermögend und könne daher die Sa- versöhnlichen Abschluß. Sein fortdauerndes che wohl eine Weile mit ansehen. Inzwi- freundliches Interesse für Hamburg bekun- schen hoffe er sich eine neue Stellung auf dete Münsterberg noch 1908 – wenige Jahre seinem Spezialgebiet an einem anderen vor seinem allzufrühen Tode – indem er mir Orte, vielleicht in Berlin zu schaffen. Auf schrieb: „Immer wieder drängt sich mir bei meine sehr vorsichtigen Andeutungen über Betrachtung der hamburgischen Verhält- das von Bürgermeister Versmann Befürch- nisse die in meiner Hamburger Tätigkeit be- tete, bemerkte er noch, auf Hamburg etwa festigte Empfindung auf, welch ein Glück es nachträglich Steine zu werfen, liege ihm für Deutschland gewesen ist, daß Hamburg

| 331 | seine Selbständigkeit bewahren konnte. Nie Hamburgs verhindernden Beziehungen zu würden die großen Arbeiten zunächst auf anderen Armenverwaltungen und zum dem Gebiete des Handels- und Seewesens deutschen Verein für Armenpflege und mit solcher Schnelligkeit und Großzügig- Wohltätigkeit aufrecht erhalten und weiter keit ins Leben gerufen worden sein, wenn ausgebaut. eine die Interessen zahlreicher konkurrie- [S. 72] render Städte abwägende Staatsregierung Nicht abhängig vom Armenkolleg, sondern das letzte Wort zu sprechen gehabt hätte. wie dieses direkt dem Senat unterstellt war Immer wieder dürfen wir Binnenländer Sie das Waisenhaus-Kollegium, dem ich eben- um eine Regierung beneiden, die nicht in falls angehörte und zwar neben dem kauf- zahllose Instanzen zerlegt ist, sondern mit männischen Senator Köhler als zweites Prä- einer Körperschaft zu rechnen hat, der bis- sidialmitglied. her die besten Kräfte nicht gefehlt haben. Die Tätigkeit dieser Behörde, die sich frü- Und wenn es zuweilen etwas lange gedauert her im wesentlichen auf die Verwaltung des hat, bis man sich zu Reformen entschloß, staatlichen Waisenhauses beschränkte, ward war einmal das Bedürfnis erkannt, so mach- gerade um die Zeit, als ich in sie eintrat, auf te man ganze Arbeit mit weitem Blick und die Fürsorge für alle bedürftigen Minderjäh- reichen Mitteln. Dafür ist der neueste Be- rigen ausgedehnt, die ihrer großen Mehr- weis Ihre Wissenschaftliche Stiftung.“ zahl nach (wie bisher von der Armenanstalt) Nach dem Fortgange Münsterbergs konnte bei Kosteltern zumeist auf dem Lande, un- jedoch Hamburg einen Direktor seines öf- tergebracht wurden. Ferner ward dem Wai- fentlichen Armenwesens nicht entbehren. senhaus-Kollegium durch ein Gesetz von Nachdem zunächst ein Mitglied des Armen- 1896, das sich besonders gegen die soge- kollegs, der damalige Landrichter und spä- nannte Engelmacherei richtete36, auch die tere Landgerichtsdirektor Dr. Goverts mit Beaufsichtigung des gesamten privaten freundlicher Bereitwilligkeit die Funktionen Kostkinderwesens übertragen. Eine Folge eines solchen provisorisch übernommen aber solcher Kompetenzerweiterung war, hatte, wurde bereits im September 1896 von daß nunmehr, wie für die Armen, so auch Senat und Bürgerschaft eine entsprechende für die Waisen- und Kostkinderpflege ört- feste Stelle unter Herabsetzung des vorher lich abgegrenzte Kreise und Bezirke mit be- für Münsterberg persönlich zugeschnittenen sonderen ehrenamtlichen Verwaltern ge- Gehaltes geschaffen, die dann der bisherige bildet wurden und daß damit die ganze Hamburger Staatsanwalt und spätere Staats- Verwaltung, ähnlich der des Armenwesens, rat Dr. Baehl, übrigens auch kein geborener einen großen, weitverzweigten Umfang er- Hamburger, erhielt. Unter ihm und seinen hielt. Nachfolgern sind die Traditionen Münster- Der Präses des Waisenhaus-Kollegiums Se- bergs auf dem Gebiete der Hamburger Ar- nator Köhler war ein liebenswürdiger, hu- menverwaltung mit Umsicht und Geschick man denkender Mann, der der Waisenhaus- fortgeführt und auch die eine Isolierung verwaltung sein lebhaftes Interesse zuwandte –––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––– 36 Anm. Für dieses Gesetz, mit dessen Gegenstand ich mich schon früher als Sekretär des Armen- kollegiums beschäftigt hatte, war ich der Senatsreferent (Vgl. meine Jugenderinnerungen, 1928, S. 185)

| 332 | und dem Hause täglich seinen Besuch ab- freund, dem schon die Herzen der Kleins- stattete, um sich persönlich von dem Ge- ten wie dem Rattenfänger von Hameln deihen der Anstalt und ihrer Zöglinge zu ohne Weiteres zufielen und der die Größe- überzeugen. Und neben ihm wirkten im ren durch sein kluges, begeistertes Wort zu gleichen Sinn mehrere der bürgerlichen fesseln und mit einem Blick seines seelen- Mitglieder des Kollegiums, von denen ich vollen Auges zu lenken verstand. Da er von hier nur den von uns wegen seiner geradezu Haus aus Theologe war und als solcher auch vorbildlichen Tätigkeit besonders geschätz- das Recht erworben hatte, die Kanzel zu be- ten, vormaligen Offizier J. C. August Jauch steigen, so pflegte er von diesem Rechte bei nennen möchte. Die eigentliche Seele des Verhinderung des Anstaltsgeistlichen beson- Waisenhauses und seiner vielseitigen Ver- ders gern Gebrauch zu machen, um in be- waltung war aber sein hervorragender Di- redter, dem jugendlichen Verständnis seiner rektor Stalmann. Als vor seiner Wahl im Zuhörerschaft angepaßter Auslegung der Jahre 1889 die neu geschaffene Direktorstelle Bibelworte auf die Gemüter der seiner Lei- öffentlich ausgeschrieben war, hatten sich tung anvertrauten Kinderschaar einzuwir- über hundert Bewerber gemeldet, unter de- ken. Und wie über den erzieherischen Ernst, nen sich indes Stalmann nicht befand. Auf so gebot er auch über einen köstlichen Hu- ihn, der sich bereits als Landschulinspektor mor, der bei manchen kleinen Veranstaltun- sehr bewährt hatte, ward mein Vater, der da- gen im Waisenhaus, an denen auch die Mit- mals den Vorsitz im Waisenhauskolleg führ- glieder des Waisenhaus-Kollegiums vielfach te, erst durch meinen klugen Vetter Haupt- teilnahmen, wie bei dem sogenannten „Wai- pastor Röpe hingewiesen, der ihm mitteilte, sengrün“ (dem an Stelle eines früheren Um- Stalmann habe sich zwar nicht melden wol- zuges durch die Stadt getretenen Ausfluge in len; doch sei von ihm eine vertrauliche An- die Hamburger Berge) besonders zum Aus- frage erwidert: es werde druck gelangte. Der hohe Idealismus aber, [S. 73] mit dem er sein Amt auffaßte und durch- wenn man ihn wählen sollte, der größte führte, hinderte ihn nicht, auch den prakti- Wunsch seines Lebens in Erfüllung gehen. schen Aufgaben der neu zu organisierenden, Nachdem mein Vater dann Stalmann per- stetig wachsenden Verwaltung in muster- sönlich kennen gelernt hatte, konnte bald hafter Weise gerecht zu werden. Nur allzu- kein Zweifel mehr darüber bestehen, daß viel mutete er sich dabei zu, indem er vom hier der rechte Mann für die nicht leichte frühen Morgen bis zum späten Abend un- neue Stellung gefunden war. Es zeigte sich ermüdlich tätig war, ohne sich im Drange bei dieser Gelegenheit, was auch ich später der Geschäfte die nötige Erholungszeit zu manches Mal bei der Besetzung von wichti- gönnen, und das war auch schließlich wohl geren Aemtern erfahren habe, daß sich oft mit der Grund zu der Katastrophe, durch die Geeignetsten, ja zuweilen die geradezu die sein verdienstvolles Leben einen so tra- Gegebenen nicht selbst melden, sondern gischen Abschluß erhielt. erst mit Umsicht herausgefunden und he- Eines Morgens wurde ich durch die Nach- rangeholt werden müssen. richt erschreckt, daß Direktor Stalmann ge- Direktor Stalmann war ein großer, warm storben sei, nachdem er sich selbst auf dem mit der Jugend empfindender Kinder- Boden des Waisenhauses die Pulsadern auf-

| 333 | geschnitten habe. Ich eilte sogleich in das Erwähnte Namen Waisenhaus, wo ich mit Senator Köhler zu- sammentraf, von dem ich erfuhr, daß am Achelis, Johannes Christoph Albrecht, Adolph Ernst Hermann Tage vorher im Waisenhause vom Revisi- onsbureau der Finanzdeputation eine Kas- Baehl senrevision vorgenommen sei, bei der sich Ballestrem, Franz Graf von ein verhältnismäßig unbedeutender, Ballin, Albert [S. 74] Bennigsen, Rudolf von zunächst von Stalmann nicht aufzuklären- Berlepsch, Hans Hermann Frhr. von Bismarck, Otto Fürst von der Fehlbetrag ergeben habe. In unbegreif- Bohlen, Edmund licher, ersichtlich krankhafter Ueberschät- Börne, Ludwig zung dieser Sachlage sei dann Stalmann der Bötticher, Karl-Heinrich von Meinung gewesen, sie bedeute einen Fle- Bötticher, Sophie, geb. Berg cken auf seiner Ehre, den er nicht überleben Buchenberger, Adolf könne. „Wäre er nur zu mir gekommen“, so Buchka, Gerhard von Bülow, Bernhard Fürst von fügte Senator Köhler hinzu, „dann hätte ich Burchard, Johann Heinrich ihm sofort jede von ihm gewünschte Summe vorgeschossen. Daß irgend ein Verdacht der Caprivi, d. i. Caprivi de Caprera de Montecuccioli, Veruntreuung von Staatsgeldern auf ihn fal- Leo Graf von len könnte, ist ja für jeden, der ihn kannte, Crasemann, Rudolph ausgeschlossen.“ Dieser Ansicht war auch Delbrück, Hans ich, und es stellte sich dann auch durch eine Deneke, Theodor weitere Prüfung heraus, daß das aufschei- Dernburg, Friedrich nende Defizit, wenn einzelne noch nicht in Dunbar, William Philipps die Bücher eingetragene Posten mit heran- Eckardt, Julius von gezogen würden, garnicht vorhanden war. Engels, Georg Das stetig anwachsende weitverzweigte Rech- Eschenburg, Johann Hermann Fulda, Ludwig nungswesen war eben dem überlasteten Di- rektor, der alles selbst in der Hand behalten Gaffky, Georg wollte, über den Kopf gewachsen. Infolge Geffcken, Walter des traurigen Vorganges kam es dann auch Goverts, Ernst Friedrich zu Aenderungen in der Dienstorganisation des Waisenhauses, die eine von Stalmann Hachmann, Gerhard Hartmeyer, Emil früher immer nicht gewollte Entlastung sei- Helmholtz, Hermann von nes Nachfolgers bewirkten. Bei der Bestat- Hohenlohe-Schillingsfürst, Chlodwig Fürst von tungsfeier Stalmanns trat die allgemeine Holthusen, Gottfried Teilnahme an dem großen Verluste, den sein Tod für die Waisenpflege Hamburgs bedeu- Jagemann, Eugen von Jauch, J. C. August tete, noch einmal in ergreifender Weise her- vor. Kahl, Wilhelm Kaltenborn, d. i. Kaltenborn-Stachau, Hans Karl Georg von

| 334 | Kanitz-Podangen, Hans Wilhelm Alexander Pfeiffer, Richard Graf von Podbielski, Victor Adolf Theophil von Koch, Robert Posadowsy-Wehner, Arthur Adolf Graf von Köhler, Karl Preussen, Irene Prinzessin von, geb. Prinzessin Krauss, d. i. Kraus, Caspar Theodor von Hessen-Darmstadt Krüger, Daniel Christian Friedrich Pritsch, Rudolph

Laband, Paul Reincke, Johann Julius Laeisz, Carl Roeloffs, Hugo Amandus Laeisz, Carl Ferdinand Rohde, Carl Lamesan, Baron von, d. i. Lamezan, Ferdinand Röpe, Georg Heinrich Frhr. von Lappenberg, Friedrich Alfred Sanders, Ludwig Lavy, Charles Schemmann, Conrad Hermann Lichtwark, Alfred Schmidtmann, Adolf Schmoller, Gustav Marcus, Victor Schütte, Annie, geb. Versmann Marschall von Bieberstein, Adolf Frhr. von Stalmann, Carl Gustav Adolf Hermann Ernst Meyer, Andreas Stammann, Johann Otto Miquel, Johannes von Stephan, Heinrich von Möller, Theodor Adolf von Moltke, Helmuth Johannes Ludwig, Graf von Thielmann, Max Franz Guido von Mönckeberg, Johann Georg Mosler, Eduard [?] Versmann, Johannes Georg Andreas Münsterberg, Emil Versmann, Thekla, geb. Stammann Vogel, Hermann Nocht, Bernhard Wermuth, Adolf O’Swald, William Henry Woermann, Adolph Wohlwill, Adolph Patow, Otto Wolffson, Albert Petersen, Carl Friedrich Wolpmann, Emil Pettenkofer, Max von

| 335 | [5]

Anhänge

Gelehrtenschule Johanneum: Hebräisch. Lautlehre. Uebungen im Lesen. Auszug aus den Jahresberichten Aus der Formenlehre nach Naegelsbach’s ··································································· Grammatik die Verba, Pronomina und Suf- Lehrplan 1869–1872 fixa. Uebersetzt und erklärt aus Gesenius’ ··································································· Lesebuch bis pag. 47. Einzelne Abschnitte Ostern 1869–70: Unter-Secunda. Ordina- memorirt. 2 St. Mumssen. rius: Professor Dr. Fischer. Deutsch. Geschichtliche Uebersicht des Ent- Lateinisch. Uebersetzt und erklärt wurden wickelungsganges der deutschen Sprache Vergil. Aen. lib. I, II, III und IV. 2 St. Ci- und der deutschen Literatur von den ältes- cero Orat. pro Secto Roscio Amerino, die ten Zeiten bis zur Mitte des sechszehnten Prationes in Catilinam I, II, III und IV., und Jahrhunderts. 1 St. Rückgabe der corrigir- die Orationes Philippicae I und II. 2 St. Sal- ten, alle 3 Wochen angefertigten deutschen lust de Cconiur. Catilinae und de bello Ju- Aufsätze. 1 St. Prof. Dr. Fischer. gurthino und Livius lib. I. 2 St. Aus der Französisch. Gelesen wurde aus Plötz’ Ma- Grammatik wurde die Lehre vom Gebrau- nuel: Bruchstücke aus Voltaire, Molière und che der Verba und der Partikeln und die Corneille. Regelmässige Schreibübungen. Lehre vom Periodenbau durchgenommen 2 St. Dr. Reinstorff. und in wöchentlichen schriftlichen Exerci- Englisch. Gelesen wurde aus Herrig: Histo- tien und Extemporalien (Berger stilistische rische Bruchstücke von Mackintosh, Lin- Vorübungen, Abschnitt 4, 5 und 6 eingeübt. gard, d’Israeli und Macaulay; Christmas Ausserdem metrische Uebungen: zusam- Carol von Dickens; poetische Stücke von men 3 St. Professor Dr. Fischer. Gray, Goldsmith etc. 2 St. Dr. Reinstorff. Griechisch. Gelesen und erläutert aus den Religion. Combinirt mit Ober-Secunda. Atticis die Abschnitte aus Xenophon XVIII 2 St. Mumssen. [Einleitung ins Neue Testa- bis XXI. Schriftliche Exercitien alle 14 Tage ment. Im Urtexte gelesen und erklärt die aus Cornelius Nepos’ Lysander und Alcibia- evangelischen Perikopen. 2 St. Mumssen] des. Beim Durchgehen der Correctur wur- Geschichte. Orientalische und Griechische den die grammatischen Regeln durchge- Geschichte bis zur Schlacht bei Chäronea. nommen und eingeübt. 2 St. Dir. Classen. 2 St. Prof. Kiessling. Herodot B. VII und der Anfang von B. VIII. Mathematik. Geometrie: Erster Abschnitt 2 St. Prof. Kiessling. Homer II. I, II, III, IV. der Stereometrie und Abschnitt VI der Pla- 2 St. Prof. Herbst. nimetrie, nach dem Lehrbuche. Algebra:

| 336 | Uebungen in der Auflösung von Aufgaben, Hugo. Ferner Molière: Le Misanthrope. die auf Gleichungen des ersten und zweiten Wöchentliche Exercitia und Extemporalien. Grades führen. 3 St. Prof. Bubendey. 2 St. Dr. Micolei. Physik. Lehre vom Magnetismus, der Elect- Englisch. Lectüre aus Herrig: Milton, Parlia- ricität und dem Galvanismus. Wiederho- mentary Orators, Tennyson Mündliche und lungen. 2 St. Dr. Bolau. schriftliche Uebersetzungen aus Jaep. 2 St. Zeichnen und Gesangsunterricht s. Prima Dr. Wagner. [Zeichnen nach der Natur (Anatomie), Religion. Einleitung ins Neue Test. Im Grund- zum Theil Aquarelliren. 2 St. Koch. | Scala- texte gelesen und erklärt die epistolischen Uebungen mehrstimmiger Solfeggien, Perikopen. 2 St. Mumssen. Uebungen im vierstimmigen Männerge- Geschichte. Römische Geschichte mit beson- sang, gemischten Chören und Motetten. derer Berücksichtigung der geographischen 2 St. Klapproth] Verhältnisse. 3 St. Dr. Stock. ··································································· Mathematik. Planimetrie, Abschnitt VI, Ostern 1870–71: Ober-Secunda. Ordina- VII, VIII. Stereometrie, Abschnitt I–V des rius: Prof. Dr. Kiessling. [nach Ostern 1870: Lehrbuches. Unbestimmte Gleichungen. 31; nach Michaelis 1870: 29 Schüler] 3 St. Prof. Bubendey. Lateinisch. Cic. or. pro Milone; in Verrem Zeichnen und Gesang. Siehe Ober-Prima. Act. H lib. IV 1–58. V. 2 St. Prof. Kiessling. [Zeichnen nach der Natur (Anatomie), zum Terent. Heautontimor., Phormio, Adel- Theil Aquarelliren. 2 St. Koch. | Zeichnen phoe, 2 St. Dr. Wagner. Livius liber 1, XXI, nach der Natur, zum Theil Aquarelliren. 2 XXII. 2 St. Prof. Fischer. Wöchentliche Ex- St. Koch | Scala-Uebungen mehrstimmiger temporalien, Exercitien aus Nägelbach, freie Solfeggien, Uebungen im vierstimmigen Aufsätze und Wiederholung einzelner Ab- Männergesang, gemischten Chören und schnitte der Grammatik. 3 St. Prof. Kiessling. Motetten. 2 St. Klapproth] Griechisch. Homer. Ilias V, VI, VII, VIII, ··································································· XIII. 2 St. Prof. Herbst. Herodot. lib I. II bis Ostern 1871–72: Unter-Prima. Ordinarius: Cap. 80, 2 St Prof. Fischer. Abschnitte aus Prof. Dr. Herbst den Atticis (Lysias, Isocrates, Demosthenes), Lateinisch. Gelesen und erklärt: Von Tacitus Plato; Laches. Alle 14 Tage Exercitia aus das erste Buch der Annalen und der Agri- Caes. d. bell. gall. lib. II. 2 St. Dr. Wagner. cola, zum Theil privatim. Dir. Classen. Cic. Hebräisch. Grammatik nach Naegelsbach. Epp. in Auswahl; orat. Phl. II. 2 St. Von Ho- Gelesen Gesenius’ Lesebuch. Pros. und ratius die vier Bücher der Oden in Auswahl. Poet. Theil. 2 St. Mumssen. 2 St. Wöchentliche Exercitien aus Seyfferts Deutsch. Im Sommer freie Vorträge über Palaestra. Cic., Extemporalia und freie Auf- Stoffe aus den Schriften Caesars, im Winter sätze. 2 St. Prof. Herbst Lectüre von Lessings Minna v. Barnhelm Griechisch. Gelesen das zweite Buch des und von ausgewählten Stücken der Ham- Thukydides bis zur Pest in Athen. Exercitien burgischen Dramaturgie. Aufsätze, Decla- aus Sall. b. Catil. 2 St. Dir. Classen. Soph. mationen. 2 St. Prof. Kiessling. Electra und Philoctet., II. XVI. Aus Buch- Französisch. Lextüre aus Ploetz’ Manuel: Ra- holz’ Anthologie die erste Abtheilung. 3 St. cine, Guizot, Aug. Thierry und Victor Prof. Herbst. Demosthenes, die 3 Olynth.,

| 337 | die 1. bis 3 philipp. Rede, die Rede über den ··································································· Chers. 2 St Prof. Kiessling. Ostern 1872–73: Ober-Prima. Ordinarius Hebräisch. Combinirt mit Ober-Prima. Dir. Dr. Classen. 2 St. Oberl. Mumssen. [Gelesen Jeremias Lateinisch. Gelesen und erklärt: Von Tacitus Cap. 30–52. Einzelne Psalmen. Wöchent- Ann. I, 75– II, 26 und die auf Germanien liche Exercitien aus Schröder’s Uebungsbu- bezüglichen Stellen des zweiten und elften che. Repetition der Grammatik.] Buches; sodann die Germania. Nach Neu- Deutsch. Uebersicht der Literatur des Mit- jahr Juvenal, sat. 3 und 8. 2 St. Dir. Classen. telalters: Elemente der mhd. Grammatik Cicero Tuscc. dispp. I und V; de finn. I 2 St. und Lectüre des Nibelungenliedes. Freie Prof. Herbst. Horaz Satiren in Auswahl; Vorträge, Aufsätze, Declamationen. 2 St. Epist. lib. I ganz. 2 St. Dr. Wagner. Wö- Oberl. Mumssen. chentliche Exercitia nach Süpfle und aus Französisch. Gelesen wurde Mignet’s Histo- Goethe und Lessing. Extemporalia, Cor- rie de la Révolut. fr. bis Chap. V. Mündli- rectur der freien Aufsätze. 2 St. Prof. Herbst. che Uebersetzungen und Rückgabe der cor- Griechisch. Gelesen und erklärt Thukydides rigirten alle vierzehn Tage aus Schillers I, 1–23, 88–117, 139–145. II, 59–65, 71–80 u. dreissigjährigem Krieg angefertigten Exerci- III, 21–25. Exercitia alle vierzehn Tage aus tia. 2 St. Dr. Micolei. Sallust. Jug. 2 St. Dir. Classen. Sophokles Oe- Englisch. Marlowe’s Edward II. Shake- dipus tyr. und Antigone; griechische Lyri- speare’s King John. Mündliche und 14tägige ker: das zweite Buch der Buchholz’schen schriftliche Uebersetzungen aus Schillers Anthologie. 3 St. Prof. Herbst. Plato: Gor- Abfall der Niederlande. 2 St. Dr. Wagner. gias. Trendelenburg Elementa log. Aristote- Religion. Kirchengeschichte, mit specieller licae. 2 St. Prof. Mumssen. Berücksichtigung der geschichtlichen Ent- Hebräisch. Gelesen und erklärt ausgewählte wickelung der Hauptdogmen 2 St. Oberl. Psalmen. Exercitien aus Schröder’s Periko- Mumssen. pen. Repetition der Grammatik. 2 St. Prof. Geschichte. Mittlere Geschichte bis zu den Mumssen. Hohenstaufen. 2 St. Dir. Classen. Deutsch. Die höfische Poesie des Mittel- Mathematik. Wiederholung und Fort- alters. Lectüre aus dem Nibelungenliede. setzung der Stereometrie. Logarithmen. Freie Vorträge, Aufsätze, Declamationen. Ebene Trigonometrie nach dem Lehrbuch 2 St. Prof. Mumssen. von Matthias. 3 St. Prof. Bubendey. Französisch. Guizot Historie de la civilisa- Physik. Optik; Magnetismus und Elektri- tion en Europe VI–XI, grammatische Repe- cität, Akustik. 2 St. Oberl. Kiessling. titionen, alle 8 Tage schriftliche Uebungen. Zeichnen. Combinirt mit Ober-Prima [Zeich- 2 St. Im Sommer Dr. Reinstorff; im Winter nen nach der Natur, zum Theil Aquarelli- Dr. Dickmanns. ren. 2 St. Koch.] Englisch. Shakespeare’s Tempest. Kinglake’s Gesang. Combinirt mit Ober-Prima. [Scala- Invasion of the Crime, vol. 1, zweite Hälfte Uebungen mehrstimmiger Solfeggien, Ue- bis zu Ende. Freie Ausarbeitungen und bungen im vierstimmigen Männergesang, Extemporalien. 2 St. Dr. Wagner. gemischten Chören und Motetten. 2 St. Religion. Im Grundtexte gelesen und erklärt, Klapproth] der erste Corintherbrief. I St. Religionsphi-

| 338 | losophische Besprechung der Hauptstücke stimmigen Männergesang, gemischten christlicher Lehre an der Hand des Luther’- Chören und Motetten. 2 St. Klapproth. schen Katechismus. 1 St. Prof. Mumssen. ··································································· Geschichte. Die zweite Hälfte des achtzehn- Aufsatzthemen 1875/76 ten Jahrhunderts. Repetition der mittleren ··································································· und neueren Geschichte. 2 St. Dir. Classen. Beispiele für Anspruch und konkrete inhalt- Mathematik. Beendigung der sphärischen liche Ausgestaltung des Deutschunterrichts Trigonometrie, sowie fortgesetzte Uebun- – inklusive Niederdeutsch, vgl. 1b. 1 – an- gen in der ebenen. Elemente der analyti- hand der „Themata der in den oberen Klas- schen Geometrie und Kegelschnitte. 3 St. sen angefertigten Aufsätze“ (entnommen Prof. Bubendey. dem Jahresbericht 1875/76, S. 70): Physik. Elemente der sphärischen Astrono- 1a 1) Pallas Athene in der Odyssee. – 2) Wer mie und später Wiederholungen aus ver- nit kan sagen ja vnd neyn Der hab den scha- schiedenen Kapiteln der Physik. 2 St. Prof. den jm allein (Seb. Brant.) – 3) Wate und Bubendey. Hagen. – 4) In welchen Punkten und aus Zeichnen. Combinirt mit Unter-Prima und welchen Gründen hat Lessing in der Emilia Secunda: Zeichnen nach der Natur, zum Galotti die Erzählung von der Virginia um- Theil Aquarelliren. 2 St. Koch I. gestaltet? – 5) Was gelten soll, muss wirken Herr Günther Genseler berichtet über seine und muss dienen (Göthe, Tasso). Clausur- auch im vorigen Jahre zu unserm aufrichti- arbeit. – 6) Iphigenia bis zur Ankunft des gen Danke alle vierzehn Tage gehaltenen Orestes auf Tauris (nach Göthe’s Iph.) – Vorträge: „Mittelalterliche Kunst romani- 7) Die Beschäftigung mit den Wissenschaf- scher und gothischer Periode wurde vorge- ten, nach der Schluss-Strophe in Schiller’s tragen. Für Architectur gaben die gegenwär- „Ideale“ – 8) Sei nicht allzugerecht und tigen kirchlichen und anderen öffentlichen nicht allzuweise, dass du dich nicht verder- Bauten (St. Nicolaithurm, Norderkirche in best (Pred. Sal.). – 9) Lebenslauf. – 10) Der Altona, Pariser Bahnhof) Gelegenheit das in Abiturientenaufsatz. Abbildungen Gesehene durch die Wirklich- 1b. 1) Der Sieg des Hochdeutschen über das keit verständlicher zu machen. Ausstellun- Plattdeutsche. – 2) Analyse des Prologs zum gen von plastischen Arbeiten (Werderschild, Wallenstein. – 3) Aristides und Themistok- Denkmal für die Gefallenen von 1870) und les, eine Parallele. – 4) Was gelten soll, muss von Gemälden hervorragender Künstler wirken und muss dienen (Clausurarbeit). – (grosse Ausstellung in der Kunsthalle, Ma- 5) Göthe’s Spruch: Liegt dir gestern klar und kart, Kaulbach) wurden besucht, um das offen u.s.w. – 6) Welche wichtigen Folgen Kunstverständniss für die Gegenwart zu we- hatte der Untergang der Armada? – 7) Die cken. Die Theilnahme der Schüler war leb- Bedeutung des Teiresias in der Antigone. – hafter als in früheren Jahren.“ 8) Ueber Schiller’s Spaziergang. – 9) Nicht Gesangunterricht. Combinirt mit Unter- nur Verdienst, auch Treue wahrt uns die Per- Prima und Secunda: Scala-Uebungen mehr- son. – 10) Das Thema des Abiturientenauf- stimmiger Solfeggien, Uebungen im mehr- satzes (Clausurarbeit).

| 339 | ·············································································································································· Stammtafel (Auszug) ··············································································································································

Johannes Carl Theodor Lorenz Babette Henriette Joseph von Melle Friedrich von Melle Victor (1782–1860) (1788–1850) OO (1797–1875)

Agnes von Melle Susanne Pauline Adele Theodora 2 weitere Kinder Emil (1823–1884) von Melle von Melle von Melle OO Ernst Joachim (1831–1916) (1826–1895) (1822–1891) Förster OO Brix Förster OO Franz OO (1800–1885) (1836–1918) Matthias Sohn Brix aus Sohn von Ernst Mutzenbecher 1. Ehe (1817–1891)

Clara Matthias Walther Esdras Antonie (Toni) Werner Mutzenbecher Mutzenbecher Mutzenbecher von Melle von Melle (1847–1933) (1849–1933) (1853–1871) (1851–1930) (1853–1937) OO Heinrich Röpe OO Magdalena OO Otto Wilhelm OO Emmy (1836–1896) Ohlendorff Mönckeberg Kaemmerer (1864–1897) (1843–1893) (1858–1931)

Maria Alida Emilia von Melle von Melle von Melle (1881–1963) (1885–1967) (1889–1958) OO Georg OO Conrad OO Hermann O. Behrmann Borchling Jäger (1877–1958) (1872–1946) (1887–1945)

Georg Werner Richard Maria Almuth Fritz Behrmann Behrmann Borchling Borchling Borchling (1906–1943) (1907–1945) (1914–1987) (1916–2003) (1919–1945) OO Olga Kuhrke OO Elfriede OO Karl Rangs OO Elsemaria (1900–1992) Stutenmund (1912–1993) Soltau

| 340 | Heinrich Elisabeth (Betty) Johann Diederich Friedrich Geffcken Merckel Merckel Merckel (1792–1861) OO (1798–1889) (1795–1859) (1786–1846)

Marie Elisabeth Minna Friedrich 6 weitere Kinder Geffcken Geffcken Heinrich (1827–1912) (1823–1886) Geffcken OO OO Gustav (1830–1896) Eduard OO Caroline Nolte Immermann (1812–1985) (1840–1909)

Max Thedor Magdalene Erwin u. a. u. a. von Melle von Melle von Melle Gustav Eduard Johannes (1856–1857) (1858–1919) (1861–1898) Nolte Geffcken OO Auguste (1850–1912) (1861–1935) Henriette OO Antonie Heinichen Schultz (1872–1921) (1863–1903)

Margarethe Gertrud von Melle von Melle (1894–1989) (1895–1984) OO Werner OO Theodor Fontaine Ruth (1881–1962) (1896–1959)

| 341 | ·············································································································································· Werner von Melles Lebensdaten im Überblick ·············································································································································· 18. Oktober 1853 Geboren in Hamburg ab 1869 Besuch der Gelehrtenschule des Johanneums in Hamburg 1873 Abitur; Studium der Rechte in Heidelberg, Straßburg, Leipzig und Göttingen 1876 Promotion; Advokatur-Zulassung; Aufenthalt in Liverpool und London; Advokat in Hamburg 1880 Verlobung (März) und Hochzeit (Oktober) mit Emmy Kaemmerer; Stellvertreter des Sekretärs der Deputation für Handel und Schiffahrt; Sekretär des Armenkollegiums 1881 Geburt von Maria; Stellvertretender Vorsitzender des Hamburger Seeamtes 1885 Geburt von Alida 1886 Redakteur Hamburger Nachrichten 1889 Tod des Vaters; Senatssyndicus; Mitglied des Präsidiums der Oberschulbehörde 1892 Mitglied in der Cholera-Kommission 1893 Teilnahme am Zollbeirat und Wirtschaftlichen Ausschuß in Berlin 1895 Reformierung Allgemeines Vorlesungswesen 1900 Senator 1904 Präses der Oberschulbehörde; Hochzeit der ältesten Tochter Maria mit Pastor Georg Behrmann (Sohn von Senior Behrmann) 1907 Gründung Hamburgische Wissenschaftliche Stiftung 1908 Gründung Kolonialinstitut 1912 Tod der Mutter; Plan zur Rumpfuniversität; Ehrenmitglied der Vereinigung von Freunden der niederdeutschen Sprache und Literatur 1913 Hochzeit von Tochter Alida und Conrad Borchling; Ehrenmitglied St. Pauli Bürgerverein 1914 Hochzeit von Tochter Emilia und Hermann O. Jäger 1914/1917 Zweiter Bürgermeister (parteilos) 1915/1918 Erster Bürgermeister 1919 Bürgermeister (mit SPD); Gründung Hamburgische Universität; erster Ehrendoktor; Dr. h. c. theolog. Göttingen 1921 „Rector magnificus honoris causa“ (Ehrenrektor, eine in Deutschland einmalige Auszeichnung) 1923/24 Dreißig Jahre Hamburger Wissenschaft 1928 Universitätsmedaille in Gold; Jugenderinnerungen 1931 Tod von Emmy Kaemmerer 1933/34 Fortsetzung der Lebenserinnerungen (Manuskript) 18. Februar 1937 Gestorben in Hamburg

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Quellen, Literatur und Bildnachweis

Unveröffentlichte Quellen: Jacobi a Melle, Notitia Majorum, ins Deutsche ··································································· übertragen von J. C. J. v. Melle 1853 [Manuskript Bibliotheca Johannei (Historische Bestände): mit Dedikation: „An Werner von Melle an seinem Einzeleinträge in: Tauftage d. 2t Dec. 1853 von seinem Gevatter u. Album der Gelehrtenschule des Johanneums 1869 Großoncle in Lübeck.“] Abiturakte mit Prüfungsaufgaben, Protokollen Johannes von Melle an Sina (Henrietta Luise und kleinen Gutachten Euphrosina) von Melle [Abschrift: 28. 08. 1821, Protocolle der Section für die Schulen des 31. 08. 1821, 03. 09. 1821] Johanneums, 26. April 1873 Kirchenbuch-, Geburts- und Sterbe-, Trau- und Schulprogramme der Gelehrtenschule des Johan- Taufregistereinträge [Auszüge/Abschriften: ge- neums 1869–1880 nauer Nachweis in der jeweiligen Anmerkung] Bericht 1870: Jahresbericht und Schulnachrichten Marie Geffcken an Emil von Melle, 2. Dezember vom Director 1849, Verse Bericht 1871: Jahresbericht und Schulnachrichten Stammbaum der Familie von Melle vom Director Zum Polter-Abend von Emil von Melle und Bericht 1873: Jahresbericht und Schulnachrichten Marie Geffcken. Den 13. März 1850; Prolog und vom Director Nachspiel von den Schwestern Agnes, Elise und Bericht 1874: Jahresbericht und Schulnachrichten Susanne von Melle [gedruckt, o. S.] vom Director Zum Gedächtnis von Frau Emmy von Melle geb. ··································································· Kaemmerer. Rede von Pastor R. Hermes bei der Museum für Hamburgische Geschichte Trauerfeier am 16. Juli 1931, o. S. [Drucksache] (MHG): Zur Erinnerung an den 10. October 1880 [Polter- Einzelblattsammlung (Hamburgensiensammlung abend von Emmy und Werner von Melle]; Spiel von Ebba Tesdorpf) von ca. 14 handbeschriebenen Seiten: Ein Herr Inv.-Nr. 1968, 29 und eine Dame, Der Hamburgischer Correspon- Sammlung Weimar dent, Epilog [in Kopie auch vorhanden in der ··································································· Hamburger Bibliothek für Universitätsgeschichte, Privatbesitz: überlassen von Almuth Rangs geb. Borchling an Behrmann, Georg: Chronik der Familie Behr- Prof. Gerhard Ahrens] mann, unveröffentl. Typoskript, o. S. ··································································· Behrmann, Maria: Unsere Großmutter. [Meinen Staatsarchiv Hamburg (StA Hbg.): lieben Schwestern und Vettern und Cousinen! 111-1 Senat, 55099 [alte Signatur: Cl VII Lit Aa Erinnerungsblatt. Mailand, Weihnacht 1910], Nr. 1 Vol 2 Fasc 30: 1a (EvM an einen hohen Senat)] Hamburg 1910 111-1 Senat, 56484, 6 [alte Signatur: Cl VII Lit Ab Borchling, Alida: Eine Handvoll ERINNERUN- Nr. 2 Fasc 35 Inv. 6 (Syndicat)] GEN! für Maria Behrmann zum 3. August 1951, 111-1 Senat, 57551 [alte Signatur: Cl VII Lit AG unveröffentl. Manuskript Nr. 4 Vol 5 Fasc 4c Inv. 6]

| 343 | 111-1 Senat, 58698, 12 [alte Signatur: Cl. VII Lit. B HJ: Kaemmerer, Gustav [11. 03. 1892] c Nr. 7 c Fasc. 34, No. 3208 (Wilhelm von Melle)] HP: Hargraeves, John [24. 05. 1877] 332-7 Staatsangehörigkeitsaufsicht, A I e 40, Band HP: Hartmeyer, Emil Heinrich: 3–4 [08. 01. 1886], 3 [Bürgerregister 1799–1844, L–R], Band 7 [Bür- 7–8 [20. 01. 1886] gerregister 1845–1875, L–R] und Band 10 [Bürger- HP: Wolff, Marianne: 1–2 [1886] register 1876–1896, L–Z] HS: Beneke, Otto Adalbert [16. 07. 1883 und 352-4 Cholerakommission des Senats 08. 03. 1887] 361-2 II Oberschulbehörde II, B 131 [Heinrich HS: Burchard, Johann Heinrich, 1–2 [13. 10. 1875], Schleiden’sche Schule] 3 [02. 01. 1889], 4–5 [22. 12. 1890], 12–13 [03. 08. 411-2 Patronat St. Pauli 1899] 614-1/30 Heidelberger Club, 1–3 [darin: HS: Merck, Carl Hermann Jasper [24. 12. 1888] Seelig, Geert: Die „Hamburger Gesellschaft“ in HS: Mönckeberg, Johann Georg [21. 12. 1890] Heidelberg und der „Heidelberger Club von HS: Mönckeberg, Rudolf [05. 12. 1876 und 1874“ in Hamburg. Rohentwurf eines 1977 ver- 26. 07. 1891] faßten, aber verworfenen Exkurses zur Geschichte HS: Nolte, Gustav Eduard [20. 07. 1891] der Anwaltssozietät des Verfassers; HS: O’Swald, William Henry [02. 01. 1887] Protokollbuch H. Club 1874] HS: Petersen, Carl Friedrich [21. 07. 1883, 622-1/397 Melle [Emil von Melle: Stammbuch] 26. 11. 1888, 23. 12. 1890] 622-1/26 II Fasc. 4 [Heinrich Geffcken an Fried- HS: Sieveking, Friedrich Christian [29. 08. 1879] rich Heinrich Geffcken aus den Jahren 1856 und HS: Versmann, Johannes Georg Andreas [01. 05. 1857] und 5 [1859] 1888, 06. 05. 1888, 22. 12. 1890, 02. 04. 1891 und 622-2/7 Borchling, 25 [Handschriftliche Lebens- 29. 10. 1891] erinnerungen von Werner von Melle für den Pol: Simson, Eduard von [01. 10. 1879] Zeitraum 1891–1929, ohne Datum, vor 1933, mit NvM von Werner von Melle: späteren Ergänzungen] und 26 [Werner von HS: Versmann, Johannes Georg Andreas [o. D.] Melle: Tagebücher] ··································································· 720-1 Plankammer, 215 Me 262, 271 und 282 Universitätsarchiv Göttingen ··································································· (UA Göttingen): Staats- und Universitätsbibliothek UAG, Jur. Prom. 0,2192: Akten betr. die Promo- Hamburg (SUB Hbg.): tion des stud. jur. Werner von Melle; Dekanat Die Staats- und Universitätsbibliothek Hamburg 1876/78; Referent: Hartmann verwahrt eine über 2.000 teils amtliche, teils Vorlesungsverzeichnisse: http://gdz.sub.uni-goet- private Schreiben umfassende Briefsammlung tingen.de/en/dms/load/toc/?PPN=PPN654655340 Werner von Melles. Außerdem befinden sich dort ··································································· etwa 200 großformatige „Cabinett-Photogra- Universitätsarchiv Heidelberg phien“ bedeutender Briefpartner und Lehrender (UA Heidelberg): des Allgemeinen Vorlesungswesens. Bildarchiv – Studentenlokal „Zum Roten Och- Teil 1 zitiert aus folgenden Briefen: sen“, Inv.Nr./Signatur: Dig 00676, HeidICON- NvM an Werner von Melle: ID 385822 AG: Förster, Ernst Joachim [05. 05. 1873 und Matrikelbuch der Universität Heidelberg: Winter- 25. 10. 1883] Semester 1872/73 bis Winter-Semester 1894/95 – AG: Geffcken, Friedrich Heinrich: 6–7 Heidelberg, 1872–1895; online: [24. 09. 1883] http://digi.ub.uni-heidelberg.de/diglit/matrikel AG: Laband, Paul [09. 10. 1883 und 04. 01. 1891] 1872/0016?sid=359541edb70c8fd76e7cb3612265a529 AG: Liliencron, Rochus von [27. 06. 1881] ··································································· AG: Meyer, Georg [26. 01. 1885 und 12. 01. 1891] Universitätsbibliothek Leipzig AG: Robert-Tornow, Walter [16. 02. 1889] (UB Leipzig): AG: Schmoller, Gustav [03. 12. 1883] Verzeichniss der als gehört bescheinigten Vorle- AG: Spörri, Hermann: 1–2 [21. 12. 1888] sungen, Rep. I/XVI/VII – C 36, Band 1

| 344 | Vorlesungsverzeichnisse 1814–1935; online: Hamburg, in: Senior D. Georg Behrmann, seine http://ubimg.ub.uni-leipzig.de/ Persönlichkeit und sein Wirken: Eindrücke und ··································································· Erinnerungen, gesammelt von seinen Freunden, Arbeiten Werner von Melles nach Er- Hamburg, S. 279–288 scheinungsjahr geordnet (Auswahl; die Zeitungs- 1917: Reise an die Westfront, Hamburg und Zeitschriftenartikel sind an Ort und Stelle 1918: Reise nach dem Osten, August 1918, Hamburg angeführt): 1919: Hamburgische Universität. Reden, gehalten ADB-Artikel (1879–1886) bei der Eröffnungsfeier am 10. Mai 1919 in der Grote, August Otto Graf von Musikhalle von Bürgermeister Dr. Werner von Halle, Christian Hermann Adolf von Melle und Professor Dr. Karl Rathgen, erster Heckscher, Johann Gustav Direktor der Universität, Hamburg Heine, Salomon 1923⁄24: Dreißig Jahre Hamburger Wissenschaft Heinichen, Eduard 1891–1921. Rückblicke und persönliche Erinne- Heise, Heinrich August rungen, 2 Bände, Hamburg Heise, Arnold 1925: Vom Akademischen Gymnasium zur Hübner, Julius Hamburgischen Universität, in: Hamburg in Karpfanger, Berend Jacobsen seiner wirtschaftlichen und kulturellen Bedeutung Kirchhof, Nicolaus Anton Johann für Deutschland. Festschrift für die deutsche Klefeker, Johann Lehrerversammlung in Hamburg 1925, hg. von Klingenberg, Paul von der Gesellschaft der Freunde des vaterländischen Kniphoff, Claus Schul- und Erziehungswesens, Hamburg S. 124– Kohl, Ditmar 131 Kuhn, Johannes Nicolaus 1928: Jugenderinnerungen. Mit einer familien- Lengerke, Peter von geschichtlichen Einleitung, Hamburg Lipstorp, Clemens Samuel 1929: Kolonialinstitut und Hamburgische Uni- Mettlerkamp, David Christopher versität, in: Deutsche Handelsschul-Warte 9, 10 Meyer, Friedrich Johann Lorenz (15. Mai 1929), Leipzig, S. 112–113 Moller, Joachim von ··································································· Morgenweg, Joachim Literatur und veröffentlichte Quellen: Murmester, Hinrich ··································································· 1879: Lexikon der Civilprozess- und Konkurs- Abendroth, Amandus A.: Wünsche bey gesetzgebung des Deutschen Reiches, Hamburg Hamburgs Wiedergeburt im Jahre 1814. Seinen 1883: Die Entwicklung des öffentlichen Armen- patriotischen Bürgern gewidmet, Kiel 1814 wesens. Mit einem Anhang enthaltend die wichti- ADB: Allgemeine Deutsche Biographie. geren jetzt geltenden Bestimungen über die öffent- Auf Veranlassung Seiner Majestät des Königs von liche Armenpflege in Hamburg, Hamburg Bayern herausgegeben durch die historische Com- 1887: Handels- und Schifffahrtsverträge, in: Holt- mission bei der Königl. Akademie der Wissen- zendorff, Franz von (Hg.): Handbuch des Völker- schaften, 56 Bände, Leipzig 1875–1912 [Nach- rechts. Auf Grundlage Europäischer Staatspraxis, druck: Berlin (West) 1967–1971; online: www. Band 3: Die Staatsverträge und die internationa- deutsche-biographie.de/index.html] len Beziehungen, Hamburg, S. 143–256 Adressbuch der Ruprecht-Carls-Uni- 1888: Gustav Heinrich Kirchenpauer. Ein Lebens- versität in Heidelberg. Sommer-Halbjahr und Zeitbild, Hamburg, Leipzig 1873, Heidelberg 1873 1891: Das Hamburgische Staatsrecht, Hamburg, Ahrens, Gerhard: Werner von Melle und die Leipzig Gründung der Universität, in: Uni HH 8, 4/5 1915: Trauerfeier für Justus Brinckmann im Ham- (1977), S. 8–10, 15 burgischen Museum für Kunst und Gewerbe am Ders.: Werner von Melle und die Hamburgische 12. Februar 1915, Hamburg Universität, in: Zeitschrift des Vereins für Ham- 1916: Senior Behrmann und die Wissenschaft in burgische Geschichte 66 (1980), S. 63–93

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| 350 | Oelkers, Jürgen: Anmerkungen zum Ver- Beiträge zur Wissenschaftsgeschichte; 19), hältnis von pädagogischer Historiographie und S. 195–227. Bildungsgeschichte am Beispiel der deutschen Dies.: Voßstraße 16. Im Zentrum der (Ohn-) „Einheitsschule“, in: Casale, Rita; Tröhler, Daniel; Macht, Köln 2011 Oelkers, Jürgen (Hg.): Methoden und Kontexte. Dies.; Hamacher, Bernd: Im Kern des Bio- Historiographische Probleme der Bildungsfor- graphischen: Das ,Biosem‘. Prospekt einer Ele- schung, Göttingen 2006, S. 263–298 mentarlehre der Biographik, in: Unseld, Melanie; Patriotische Gesellschaft von 1765: Zimmermann, Christian von (Hg.): Anekdote – 165 Jahre Patriotische Gesellschaft. Ein hamburgi- Biographie – Kanon: Zur Geschichtsschreibung sches Jahrbuch, Hamburg 1930 in den schönen Künsten, Köln 2013, S. 47–58 Pöls, Werner: Art. Geffcken, Friedrich Hein- Rieß, Peter (Hg.): Die Strafprozessordnung rich, in: NDB 6 (1964), S. 127–128 und das Gerichtsverfassungsgesetz: Großkom- Poschinger, Heinrich Ritter von: mentar/Löwe-Rosenberg. Band 1: Einleitung; Fürst Bismarck und seine Hamburger Freunde, §§ 1 bis 71, Berlin, New York 251999 (Großkom- Hamburg 1903 mentare der Praxis) Postel, Rainer: Hamburger Bürgermeister als Roscher, Stephan: Die Kaiser-Wilhelms-Uni- Historiker, in: Zeitschrift des Vereins für Ham- versität Straßburg 1872–1902, Frankfurt am Main burgische Geschichte 74/75 (1989), S. 109–129 u. a. 2006 (Europäische Hochschulschriften; 1003) Raabe, Paul (Hg.): Handbuch der historischen Rüdiger, Otto: Geschichte des hamburgischen Buchbestände in Deutschland, Band 1: Schleswig- Unterrichtswesens [Festschrift für die Deutsche Holstein, Hamburg, Bremen. Bearbeitet von Lehrer-Versammlung Pfingsten 1896 zu Ham- Alwin Müller-Jerina, Register von Karen Kloth, burg], Hamburg 1896. Hildesheim, Zürich, New York 1996 Ruppenthal, Jens: Kolonialismus als „Wissen- Ranke, Leopold von: Geschichten der roma- schaft und Technik“. Das Hamburgische Kolo- nischen und germanischen Völker von 1494 bis nialinstitut 1908 bis 1919, Stuttgart 2007 (Histori- 1535, Leipzig und Berlin 1824 sche Mitteilungen; 66) Rehm, Hermann: Das Hamburgische Staats- Schäfer, Frank L.: Grundlegung der Juristen- recht [Rez.], in: Kritische Vierteljahresschrift für ausbildung im 19. Jahrhundert, in: GreifRecht 8, Gesetzgebung und Rechtswissenschaft 35 [= N. F. 16 (2013), S. 91–98 Bd. 16] (1893), S. 447 Schäfer, Herwig: Juristische Lehre und Reichsgesetz über die Beurkundung des Forschung an der Reichsuniversität Straßburg Personenstandes und die Eheschließung vom 1941–1944, Tübingen 1999 (Beiträge zur Rechts- 6. Februar 1875 und die zur Ausführung desselben geschichte des 20. Jahrhunderts; 23) erlassenen Verordnungen, sowie Nachweis der 18 Scherer, Wilhelm: Goethe-Philologie, in: Im Standesämter im hamburgischen Staate und der neuen Reich. Wochenschrift für das Leben des zu denselben gehörenden Straßen und Ortschaf- deutschen Volkes in Staat, Wissenschaft und ten: Mit einer Karte im Farbendruck und einem Kunst 7, 2 (1877), S. 161–178 alphabetischen Straßenregister, Hamburg 1876 Scheuer, Helmut: Art. Biographie, in: Lam- Requate, Jörg: Journalismus als Beruf. Entste- ping, Dieter: Handbuch der literarischen Gattun- hung und Entwicklung des Journalistenberufs im gen, Stuttgart 2009 19. Jahrhundert. Deutschland im internationalen Schiller, Friedrich: Wallenstein-Trilogie, in: Vergleich, Göttingen 1996 (Kritische Studien zur Sämtliche Werke, Auf Grund der Originaldrucke Geschichtswissenschaft; 109) herausgegeben von Gerhard Fricke und Herbert Richter, Myriam: Hans Teske – ein national- G. Göpfert in Verbindung mit Herbert Stuben- sozialistischer Germanist, in: Richter, Myriam; rauch, Band 1–5, 3. Auflage, München 1962 Nottscheid, Mirko (Hg.) in Verbindung mit Schlott, Michael: Hermann Hettner. Idealis- Hans-Harald Müller und Ingrid Schröder: 100 tisches Bildungsprinzip versus Forschungsimpera- Jahre Germanistik in Hamburg. Traditionen und tiv. Zur Karriere eines „undisziplinierten“ Gelehr- Perspektiven, Berlin, Hamburg 2011 (Hamburger ten im 19. Jahrhundert, Tübingen 1993 (Studien

| 351 | und Texte zur Sozialgeschichte der Literatur; 39) Seelig, Geert: Die geschichtliche Entwicklung Schlüter, Bernd: Reichswissenschaft: Staats- der Hamburgischen Bürgerschaft und die ham- rechtslehre, Staatstheorie und Wissenschaftspolitik burgischen Notabeln, Hamburg 1900 im Deutschen Kaiserreich am Beispiel der Reichs- Sieker, Hugo (Hg.): Bildhauer Wield 1880– universität Straßburg, Frankfurt am Main 2004 1940. Ein Gedenkbuch, Hamburg 1975 (Studien zur europäischen Rechtsgeschichte; 168) Sieveking, Georg H.: An meine Mitbürger, Schmidt, Gerrit: Die Geschichte der Ham- Hamburg 1793 burgischen Anwaltschaft von 1815–1879, Hamburg Sozialistische Studenten-Gruppe Ham- 1989. burg (Hg.): Von Melle – Imperialistenidol. In Schmoller, Gustav von: Die sociale Frage Sachen Kolonialpolitik und Unterdrückung, und der preußische Staat, in: Preußische Jahr- Hamburg 1977 bücher 33 (1874), S. 323–342 Spies, Hans-Bernd: Art. Melle, Jacob von, in: Ders.: Offenes Sendschreiben an Herrn Profes- NDB 17 (1994), S. 19–20 sor Dr. Heinrich von Treitschke: über einige Spörri, Hermann: Rede bei der Enthüllung Grundfragen des Rechts und der Volkswirtschaft, des Lessing-Denkmals in Hamburg, den 8. Sep- in: Jahrbuch für Gesetzgebung, Verwaltung und tember 1881, Hamburg 1881 Volkswirtschaft im Deutschen Reich 23 (1874), Ders.: Ulrich Zwingli. Vortrag gehalten im Ver- S. 225–349 und 24 (1875), S. 81–119 ein für Kunst und Wissenschaft zu Hamburg den Scholz, G. H. J.: In memoriam unseres Ehren- 23. Januar 1882, Hamburg 1882 mitgliedes Werner von Melle, in: Quickborn 30 Sprengel, Peter: Der Liberalismus auf dem (1936/37), S. 9–13 [18. Februar 1937] Weg ins ,Neue Reich‘: Gustav Freytag und die Schramm, Percy E.: Neun Generationen. seinen 1866–1871, in: Amann, Klaus; Wagner, Dreihundert Jahre deutscher „Kulturgeschichte“ Karl (Hg.): Literatur und Nation. Die Gründung im Lichte der Schicksale einer Hamburger Bürger- des Deutschen Reiches 1871 in der deutschspra- familie (1638–1948). Erster Band. Göttingen 1963. chigen Literatur, Wien u. a. 1996 (Literatur in der Ders.: Neun Generationen. Dreihundert Jahre Geschich-te, Geschichte in der Literatur; 36), deutscher „Kulturgeschichte“ im Lichte der S. 153–181. Schicksale einer Hamburger Bürgerfamilie (1642– Statistik des Hamburgischen Staats. Be- 1948). Zweiter Band. Göttingen 1964. arbeitet vom statistischen Bureau der Deputation Schröder, Carl A.: Aus Hamburgs Blütezeit. für direkte Steuern 4 (1872) Lebenserinnerungen, Hamburg 1921 Stolleis, Michael: Geschichte des öffentli- Schröder, Hans Joachim: Hermann Franz chen Rechts in Deutschland, Band 2: Staatsrechts- Matthias Mutzenbecher. Ein Hamburger Versi- lehre und Verwaltungswissenschaft 1800–1914, cherungsunternehmer, Hamburg 2008 (Mäzene München 1992 für Wissenschaft; 4) Storck, Felix [Rez.]: W. von Melle, Gustav Ders.: Ernst Friedrich Sieveking. Erster Präsi- Heinrich Kirchenpauer. Ein Lebens- und Zeit- dent des Hanseatischen Oberlandesgerichts, bild. Mit dem Bildnis Kirchenpauers. Hamburg Hamburg 2009 (Mäzene für Wissenschaft; 7) 1888, Voss, in: Archiv für öffentliches Recht 7, 1 Ders.: Heinrich Freiherr von Ohlendorff. Ein (1892 [1891]), S. 167–168 Hamburger Kaufmann im Spiegel der Tagebücher Susteck, Sebastian: Kinderlieben. Studien seiner Ehefrau Elisabeth (Mäzene für Wissen- zum Wissen des 19. Jahrhunderts und zum schaft; 15) deutschsprachigen Realismus von Stifter, Keller, Schulz, Andreas: Vormundschaft und Protek- Storm und anderen, Berlin, New York 2010 tion: Eliten und Bürger in Bremen 1750–1880, (Studien und Texte zur Sozialgeschichte der München 2002 (Stadt und Bürgertum; 13) Literatur; 120) Schumann, Colmar: Das Lübische Wörter- Theodor-Storm-Gesellschaft (Hg): buch des Jacob von Melle, in: Jahrbuch des Storm-Briefwechsel, Band 14: Theodor Storm – Vereins für niederdeutsche Sprachforschung 35 Heinrich Schleiden: Briefwechsel, hg. von Peter (1909), S. 17–30 Goldammer, Berlin 1995

| 352 | Thode-Arora, Hilke: Für fünfzig Pfennig um Willer, Stefan: Biographie – Genealogie – die Welt: die Hagenbeckschen Völkerschauen, Generation, in: Klein, Christian (Hg.) Handbuch Frankfurt am Main 1989 Biographie. Methoden, Traditionen, Theorien, Treitschke, Heinrich von: Der Socialismus Weimar 2009, S. 87–94 und seine Gönner, in: Preußische Jahrbücher 34 Wohlwill, Adolf: Die Hamburgischen (1874), S. 67–110 Bürgermeister Kirchenpauer – Petersen – Vers- Trepp, Anne-Charlott: Sanfte Männlichkeit mann, Hamburg 1903 und selbständige Weiblichkeit. Frauen und Ders.: Johannes Versmann. Zur Geschichte Männer im Hamburger Bürgertum zwischen 1770 seiner Jugendjahre und seiner späteren Wirksam- und 1840, Göttingen 1996 (Veröffentlichungen keit, in: Zeitschrift des Vereins für Hamburgische des Max-Planck-Instituts für Geschichte; 123) Geschichte 15 (1910), S. 166–252 Vagts, Erich: Art. Buff, Clemens Carl, in: Wolff, Felix (Hg.) in Verbindung mit Walter Historische Gesellschaft Bremen, Staatsarchiv Birnbaum: Marianne Wolff geborene Niemeyer, Bremen (Hg.): Bremische Biographie 1912–1962, die Witwe Karl Immermanns. Leben und Briefe, Bremen 1969, S. 82–84 Hamburg 1925 Verhandlungen der Eisenacher Ver- Ders.: Auf dem Berliner Bahnhof. Das Leben sammlung zur Besprechung der Socialen Frage einer Hamburger Familie um 1860, Hamburg am 6. und 7. October 1872. Auf Grund der steno- 1925 (Hamburgische Hausbibliothek; 25) graph. Niederschrift von Heinrich Roller in Ber- Wurm, Christian F.: Ein Wort an meine lin hrsg. vom ständigen Ausschuß, Leipzig 1873 Mitbürger, Hamburg 1842 Verzeichnis der im Wissenschaftlichen ··································································· Verein von 1817 gelieferten Aufsätze und ihrer Bildnachweis: Beurteiler nebst einem Mitgliederverzeichnis Trotz sorgfältiger Nachforschungen konnten nicht 1817–1903, Hamburg [1903] für alle Abbildungen die Rechteinhaber ermittelt Vitzthum, Karl-Heinz: Die soziale Herkunft werden. Sollte jemand in urheberrechtlicher der Abgeordneten der Hamburger Konstituante Beziehung Rechte geltend machen, so möge er/sie 1848, in: Zeitschrift des Vereins für Hamburgische sich an die Hamburgische Wissenschaftliche Geschichte 54 (1968), S. 51–76 Stiftung wenden. Voigt, Johann F.: Art. Knauth, Johann Carl, Anonymus [Emil von Melle]: Wen will ich wäh- in: ADB 16 (1882), S. 274–275 len?, in: Der Patriot 19 (1. November 1848), S. 81 Ders.: Gedenkblätter zum 25jährigen Bestehen (S. 112) des Vereins für Kunst und Wissenschaft in Ham- Anonymus [Emil von Melle]: Die letzte Ver- burg am 10. November 1893. Den Mitgliedern sammlung der Erbgesessenen Bürgerschaft. Ein gewidmet, Hamburg 1893 Erinnerungsblatt, Hamburg 1859 (S. 105) Vorwerk, Adolph: Eine Klassenreise anno Anonymus [Emil von Melle]: Zur nächsten 1854 mit Dr. Heinrich Schleiden, in: Hamburgi- Bürgerschaft. Ein Wort an meine Mitbürger, sche Geschichts- und Heimatblätter 13, 5 (1994), Hamburg 1859 S. 114) S. 120–125 Art. Kaemmerer, in: Deutsches Geschlechterbuch, Wiegand, Frank-Michael: Die Notabeln. Genealogisches Handbuch bürgerlicher Familien, Untersuchungen zur Geschichte des Wahlrechts Band 27 (Hamburgisches Geschlechterbuch; 5), und der gewählten Bürgerschaft in Hamburg Görlitz 1914, Einlage zwischen S. 72 und 73 1859–1919, Hamburg 1987 (Beiträge zur Ge- (S. 154) schichte Hamburgs; 30) Art. Wagner, in: Deutsches Geschlechterbuch, Will, Martin: Selbstverwaltung der Wirt- Genealogisches Handbuch bürgerlicher Familien, schaft. Recht und Geschichte der Selbstverwal- Band 23 (Hamburgisches Geschlechterbuch; 4), tung in den Industrie- und Handelskammern, Görlitz 1913, Einlage zwischen S. 388 und 389 Handwerksinnungen, Kreishandwerkschaften, (S. 40 oben) Handwerkskammern und Landwirtschafts- Bibliotheca Johannei, Foto: Myriam Isabell kammern, Tübingen 2010 (Jus publicum; 199) Richter (S. 51, 57, 59)

| 353 | Daur, Georg: Andreas Rehhoff und Hermann Privatbesitz (S. 29, 48 f., 50, 72, 116, 125, 166, 168, Gossler – Senior und Bürgermeister der siebziger 170, 172, 175) Jahre, in: 100 Jahre Trennung von Staat und Kirche Privatbesitz, Foto Benque & Kindermann (S. 164 in Hamburg: 1870–1970. Bearbeitet von Ernest oben) Buschendorf, hg. vom Landeskirchenamt Ham- Privatbesitz, Foto G. J. Koch (S. 167) burg. Hamburg [1970], S. 75 (S. 153) Privatbesitz, Foto Myriam Isabell Richter (S. 38, Der Tag (20. Februar 1902), S. 10 (S. 142) 42, 150, 158) Dirksen, Victor: Ein Jahrhundert Hamburg 1800– Privatbesitz, Foto Rudolph Dührkoop (S. 155, 171, 1900. Zeitgenössische Bilder und Dokumente, 180) München 1926, S. 285 (S. 253) Privatbesitz, Foto Thea Warncke (S. 90) Foto A. Siemund (S. 73) Privatbesitz, Foto W. Breuning (S. 152) Foto Myriam Isabell Richter (S. 9–13, 15, 26 unten, Privatbesitz, Foto W. Breuning Wwe (S. 164 unten, 44 unten, 45, 138, 157, 364) 165 oben) Foto Rainer Rump (S. 226 oben) Privatbesitz, Foto W. Höffert (S. 18, 162 unten, Foto UHH/Sukhina (S. 24) 163, 169, 174) Hamburgischer Correspondent [verschiedene Schramm, Percy E.: Neun Generationen. Drei- Ausgaben] (S. 94, 97 f., 126) hundert Jahre deutscher „Kulturgeschichte“ im Hamburgisches Adress-Buch [verschiedene Jahr- Lichte der Schicksale einer Hamburger Bürger- gänge] (S. 41, 162 oben) familie (1648–1948), zweiter Band, Göttingen Im neuen Reiche. Wochenschrift für das Leben 1964, Tafel 4 und 51 (S. 55, 133) des deutschen Volkes in Staat, Wissenschaft und Staatsarchiv Hamburg (S. 4, 16, 106, 119, 128, 146) Kunst 7, 2 (1877) (S. 95) Universitätsarchiv Göttingen (S. 85) Jaacks, Gisela: Hamburg in Zeichnungen und Universitätsarchiv Göttingen, Foto Myriam Isabell Aquarellen des 19. Jahrhunderts, Hamburg 1980, Richter (S. 86 ff.) S. 181 (S. 40 unten) Universitätsarchiv Heidelberg und Studentenlokal Kurpfälzisches Museum Heidelberg (S. 133) „Zum roten Ochsen“ (S. 67, 69) Mavius, Götz: Die Evangelisch-reformierten Ge- Universitätsarchiv Heidelberg und Studentenlokal meinden in Stade, Hamburg und Altona. Ihre „Zum roten Ochsen“, Foto G. Pauli & Cie, Pastoren und Kirchen 1588–2007. Hg. und bearb. Heidelberg (S. 70) von Andreas Flick, Jennifer Kaminski, Dorothee Universitätsarchiv Rostock, Foto Paul Moennich Löhr, Bad Karlshafen 2007 (Geschichtsblätter der (S. 176) Deutschen Hugenotten-Gesellschaft e.V.; 41), Universitätsbibliothek Leipzig (S. 79) S. 86 (S. 127) Vorwerk, Adolph: Eine Klassenreise anno 1854 Melle, Werner von: Jugenderinnerungen. Mit mit Dr. Heinrich Schleiden, in: Hamburgische einer familiengeschichtlichen Einleitung. Ham- Geschichts- und Heimatblätter 13, 5 (1994), S. 120 burg 1928, S. 128 (S. 161) (S. 107) Meyer-Veden, Hans: Hamburg. Historische Westermanns Monatshefte 56 (1884), S. 237 (S. 99) Photographien 1842–1914, Berlin 1995 (S. 24) www.Hamburg-Bildarchiv.de (S. 44 oben, 243) Museum für Hamburgische Geschichte – Stiftung Historische Museen Hamburg (S. 30 f., 39, 43, 103, 135, 156)

| 354 | [7]

Namensregister

Verzeichnet sind die Namen von natürlichen Bismarck, Otto Fürst von (1815–1898) 137, 139, Personen und Firmen aus den Kapiteln 1 bis 3. 192, 202, 204, 227, 228, 237, 242, 251, 252 Anmerkungen bleiben unberücksichtigt, ebenso Bojanowski, Victor von (1831–1892) 96 der Name Werner von Melle. Ein * verweist da- Borchling, Alida (1885–1967) 152, 159*, 162, 164, rauf, dass auf der angegebenen Seite (auch) ein 165*, 166*, 167*, 171, 177* Bild der jeweiligen Person bzw. der Name des Braband, Theodor (1843–1887) 134, 216, 252 Künstlers erscheint. Einige Lebensdaten konnten Brandes, Georg (1842–1927) 125, 126 nicht ermittelt werden. Brandis, Otto Moritz Wilhelm 148 ··································································· Bremer, Franz Peter 42, 72 A. Siegmund (Foto-Atelier) 10 Breuning, Sophie Auguste 149 Abendroth, Amandus Augustus (1767-1842) 115 Brinckmann, Justus (1843–1915) 124, 127, 226* Aegidi, Ludwig (1825–1901) 109 Brütt, Maximilian Dohrn (1850–1928) 62 Akiba ben Josef (50/55–135) 139 Brutus (85–42) 111 Albert, Emilie (Emmy) (siehe Goßler, Emilie) Brunner, Heinrich (1840–1915) 72 Albrecht, Siegfried (1819–1885) 113 Bubendey, Johann Friedrich 56 Althoff, Friedrich-Theodor (1839–1908) 72 Bülau, Gustav (1799–1857) 46 Arning, Carl Gottlieb (1786–1852) 55, 132 Bülau, Theodor (1800–1861) 109 Arning, Eduard (1855–1936) 55 Büsch, Johann Georg (1728–1800) 194, 202 Arts, Julius Adolph des (1808–1869) 131* Buff, Clemens (1853–1940) 83 Arts, Robert Alfred des (1853–1902) 82 Bugenhagen, Johannes (1485–1558) 121, 226* ··································································· Burchard, Friedrich Wilhelm (1824–1892) 91 Barwasser, Arthur 56 Burchard, Johann Heinrich (1852–1912) 66, 67*, Baumeister, Hermann (1806–1877) 80, 107, 113, 68, 91, 128, 132, 138, 147, 148, 238, 252, 253* 124, 226* Burchard, Marianne, geb. Goßler (1830–1908) 91 Bebel, August (1840–1913) 192, 233, 235 ··································································· Behrmann, Maria von, geb. von Melle (1881–1963) Caesar, Gaius Iulius (100–44) 53, 61 152, 154, 162*, 164*, 165*, 167*, 168, 169*, Camp, Otto de la 56 170*, 171*, 173, 177* Cato der Jüngere (95–46) 92 Beit, Alfred (1853–1906) 48 Chapeaurouge, Charles de (1830–1897) 60, 252 Beneke, Alfred (1822–1890) 211 Chapeaurouge, Donat de (1853–1920) 48, 55 Beneke, Ferdinand (1874–1848) 211 Classen, Johannes (1805–1891) 51, 52, 53, 54, 55, Beneke, Otto (1812–1891) 178, 181, 182, 210, 211, 212 56, 58, 61, 124 Benque & Kindermann (Foto-Atelier) 149 Cramer 132 Bergen, Heinrich von (1792–1836) 40* Crasemann, Max (1852–1925) 69*, 82, 128 Bertheau, Carl (1806–1886) 53 Crasemann, Paul (1855–1918) 69*, 70*, 82, 128 Binding, Karl (1840–1921) 72, 78, 79 Cropp, Karl Wilhelm (1830–1885) 137, 229, 252 Biow, Hermann (1810–1850) 150 Cuntz, Friedrich 67*, 69*

| 355 | ··································································· Geffcken, Caroline, geb. Immermann (1840–1909) Dallmer, Julius (geb. 1812) 131* 11, 28, 176, 214, 250 Danzel, Wilhelm (1854–1902) 48, 49, 50, 56, 66, Geffcken, Emma (1824–1825) 47 71, 77, 253 Geffcken, Eva Marianne Victoria von (siehe Dehn, Otto Carl Isaak (1852–1925) 128 Eckardt, Eva Marianne Victoria von) Delbrück, Rudolph von (1817–1903) 239 Geffcken, Friedrich Heinrich (1830–1896) 10, 11, Detmer, Oscar 56 28, 37, 45, 53, 71, 72, 80, 144, 147, 199, 214, Dietz, Johann Heinrich Wilhelm (1843–1922) 250 233, 235 Geffcken, Heinrich (1792–1861) 10, 13, 37, 40*, Diels, Hermann (1848–1922) 61 41, 42*, 43, 45, 46, 47, 109, 113, 139, 142, 159, Diestel, Arnold Friedrich Georg (1857–1924) 253* 181, 182, 211, 214, 240, 248 Dilthey, Wilhelm (1833–1911) 210, 211 Geffcken, Hermann Heinrich (1818–1822) 46 Disraeli, Benjamin (Lord Beaconsfield) (1804–1881) Geffcken, Johanna Lucia Elisabeth gen. Betty, 126 geb. Merckel (1798–1889) 10, 39*, 40*, 41, Dreves, P. 67* 45, 46, 159 Dürbig, Klara Henriette (1840–1899) 42 Geffcken, Johannes (1803–1864) 39, 41 Duncan, Hill & Dickinson (Liverpool) 93 Geffcken, (Karl Heinrich) Johannes (1861–1935) ··································································· 176* Eckardt, Eva Marianne Victoria von, Geffcken, Klara Henriette (siehe Dürbig, Klara geb. Geffcken (1870–1947) 176 Henriette) Eckardt, Julius von (1836–1908) 61, 142, 184, 230 Geffcken, Marie (siehe Melle, Marie von) Eckmeyer, Diedrich (1808–1871) 131* Geffcken, Minna (siehe Nolte, Minna) ··································································· Gernet, Hermann 131* F. Huss (Foto-Atelier) 150 Gobert, Gustav Adolf (1816–1895) 110 Fester, Otto 77 Görres, Joseph von (1776–1848) 71 Fischer, Kuno (1824–1907) 71 Gösch, Carl 67*, 70* Fischer-Appelt, Peter (geb. 1932) 14 Goethe, Johann Wolfgang (von) (1749–1832) 29, Förster, Agnes, geb. von Melle (1823–1884) 37, 39, 71, 76, 173, 183, 242 41, 66, 71, 105 Goodall, Miß 93 Förster, Brix (1826–1918) 71, 72*, 176 Goodall, Miß Fanny 93 Förster, Ernst Joachim (1800–1885) 66, 68, 71, Goodall, Mrs. 93 147, 194 Goßler, Emilie (Emmy), geb. Albert (1809–1868) Förster, Margarethe, geb. Steinitz (1885–1948) 153 72*, 176 Goßler, Emilie (Emmy) Helene (siehe Kaemmerer, Förster, Otto (1872–1951) 176 Emilie) Förster, Susanne Pauline, geb. von Melle (1831–1916) Goßler, Ernst 131* 37, 39, 42, 71, 72*, 105 Goßler, Hermann (1802–1877) 13, 153* Fontaine, Margaretha (Gretchen) von, Goßler, Marianne (siehe Burchard, Marianne) geb. von Melle (1894–1989) 173 Gottsche, Karl Christian (1855–1909) 56, 62 Freytag, Gustav (1848–1870) 81 Großmann, Peter Heinrich Wilhelm (1807–1886) Friedberg, Emil (1837–1910) 78, 79 252 Friedrich III. (Kaiser) (1831–1888) 214 Gruner, Theodor Wilhelm (geb. 1847) 70*, 128, 132 Fuchs, Charles (1803–1874) 18* Guse, Eleonore (siehe Roscher, Eleonore) ··································································· Gutzkow, Karl (1811–1878) 29, 209 G. H. Kaemmerer Söhne 153 ··································································· Gaedechens, Cipriano Francisco (1848–1927) Hachmann, Gerhard (1838–1904) 252, 253* 128, 132 Hagedorn, Anton Bernhard Carl (1856–1932) 253* Geertz, Henry Ludwig (geb. 1872) 157*, 158 Hagenbeck, Carl (1844–1913) 196, 220/21 Geertz, Julius (1837–1902) 157*, 158 Halle, Christian Hermann Adolf (1798–1866) 182

| 356 | Hallier, Johann Gottfried (1804–1882) 107 Jaques, Heinrich Theodor David (geb. 1852) Harms, Gerhard Heinrich Lorenz 53 77, 128 Hartmann, Gustav (1835–1894) 83, 84, 85 Jhering, Rudolf von (1818–1892) 74, 83, 84, 89 Hartmeyer, Emil (1820–1902) 142*, 143, 217, Jordan, Wilhelm (1819–1904) 37 250, 251 ··································································· Havenstein, Rudolf 66 Kähler, Alexander (1832–1907) 252, 253*, 254 Hayn, Max Theodor (1809–1888) 217, 252 Kaemmerer, Ami (1861–1926) 130, 152*, 154 Heckscher, Johann Gustav (1797–1865) 108, 182 Kaemmerer, Emilie (Emmy) Helene, geb. Goßler Heine, Heinrich (1797–1856) 10, 29, 110, 182 (1838–1910) 152*, 153, 154*, 155*, 158, 165, Heine, Salomon (1767–1844) 182 168*, 173, 250, 256 Heinichen, Auguste Henriette (siehe Melle, Kaemmerer, Emmy (siehe Melle, Emmy von) Auguste Henriette von) Kaemmerer, Georg Heinrich (geb. 1856) 152*, 154 Heinichen, Eduard (1801–1859) 110, 182 Kaemmerer, Georg Heinrich (1824–1875) 13, 114, Heise, Heinrich August (1792–1851) 182 153, 154* Heise, Johann Arnold (1747–1834) 182 Kaemmerer, Gustav Wilhelm (1857–1942) 240 Heinsen, Carl Johann 92, 93 Kaemmerer, Helene (siehe Hesse, Helene) Heinzel, Stephan (1841–1899) 235 Kaemmerer, Julia (geb. 1868) 152* Henning, Rudolf (1852–1930) 77 Kaemmerer, Magdalena (siehe Kochen, Magdalena) Henschen, Henry Theodor (1853–1917) 83 Kaemmerer, Susanne (siehe Westphal, Susanne) Herbst, Louis Ferdinand 56 Kaemmerer, Wilhelm Heinrich (1820–1905) Hermes, Rudolf (1871–1947) 178 153, 253 Hertz, Adolph Ferdinand (1831–1902) 252, 253* Kant, Immanuel (1724–1804) 71 Hertz, Gustav Ferdinand (1827–1914) 53, 252, 253* Karpfanger, Berend Jacobsen (1622/23–1683) 178 Herzfeld, Robert 131* Kawerau, Waldemar (1854–1898) 55 Hesse, Helene, geb. Kaemmerer, verh. Heise Kelter, Eduard Marcellus Edmund (1867–1942) 61 (1869–1957) 152, 156* Kießling, Adolph (1837–1893) 54 Hettner, Hermann (1821–1882) 125, 126 Kirchenpauer, Gustav Heinrich (1808–1887) 50, Hinck & Co. 105 53, 107, 113, 114, 129, 131*, 137, 139, 144, 147, Hoche, Richard (1834–1906) 58, 60, 61, 62 184, 194, 206, 215, 216, 221, 238, 239, 240, Hofmann, Hermann (1850–1915) 227 241, 242 Hohnhof, R. 69* Kirchhof, Nicolaus Anton Johann (1725–1800) 181 Holstein, Carl Christoph von (geb. 1851) 66, 67*, Klammer (Professor) 61 68, 82, 91, 128, 132 Klefeker, Johann (1698–1775) 123, 182, 195, 226* Holthusen, Gottfried August Heinrich (1848–1920) Klingender, Caroline (siehe Melle, Caroline von) 253* Klose, Karl Rudolf Wilhelm (1804–1873) 178 Holtzendorff, Franz von (1829–1889) 75, 198, 199 Knauth, Johann Carl (1800–1876) 110, 226* Hoßtrup, Gerhard von (1813–1876) 131* Kniphoff, Claus (1500–1525) 178, 182 Hübener, Joachim 131* Koch, Richard 185 Hübener, Otto (geb. 1851) 66, 67*, 128, 132 Kochen, Magdalena, geb. Kaemmerer (geb. 1862) Hübner, Rudolf (1838–1878) 182 152*, 154 ··································································· Koeppen, Albert (1822–1890) 72 Immermann, Caroline (siehe Geffcken, Caroline) Kohl, Ditmar (1525–1563) 182 Immermann, Karl (1796–1840) 11, 214 Korn, Otto (1850–1922) 61 Isler, Meyer (1807–1888) 50, 127 Kramer, Carl (1807–1895) 67*, 68, 70* ··································································· Krause, Eckart (geb. 1943) 15* Jacubowski, Hermann (geb. 1848) 128 Krogmann, Otto Wilhelm 55, 56, 77 Jäger, Emilia, geb. von Melle (1889–1958) 13, 29, Kuhn, Johannes Nicolaus (gest. 1744) 182 162, 163*, 177* Kunhardt, Georg Ferdinand (1824–1895) 229, 252 Jäger, Hermann O. (1887–1945) 13 Kunhardt, Martin Wilhelm (1821–1886) 96

| 357 | Kunhardt, Sophia Franziska (Fanny), geb. Schröder Melle, Babette Henriette von, geb. Victor (geb. 1825) 96 (1797–1875) 29*, 80*, 81 ··································································· Melle, Caroline von, geb. Klingender 92 Laband, Paul (1838–1918) 72, 74, 186, 187, 188, Melle, Charles von 93 190, 192, 197, 198, 206, 243, 244, 245, 251 Melle, Christian Wilhelm von (1796–1854) 92, 106 Lahrmann, Otto 67*, 68 Melle, Elise Dorothea von (1829–1878) 37, 39, Lange 67* 42, 105 Lappenberg, Friedrich Alfred (1836–1916) 252, 253* Melle, Emil von (1822–1891) 10, 11, 28, 29, 30*, Lappenberg, Johann Martin (1794–1865) 210, 31*, 37, 38, 39, 41, 42, 43, 45, 46, 47, 48, 49, 211, 212 55, 58, 63, 71, 75, 80, 81, 83, 89, 91, 95, 100, Lassalle, Ferdinand (1825–1864) 192 101, 104, 105, 107, 109, 110, 111, 112*, 114, 115, Lauffer, Otto (1874–1949) 25 116, 117*, 118*, 119*, 120, 137, 138, 142, 144, Laves, Theodor 198 149, 153, 181, 184, 211, 231, 234, 244, 248, 249, Leesen, Paul Waldemar von (1852–1914) 77, 82, 251, 256 91, 128, 132 Melle, Emilia von (siehe Jäger, Emilia) Lehmann, Johannes Christian Eugen (1826–1901) Melle, Emmy von, geb. Kaemmerer (1858–1931) 137, 252, 253* 12, 13, 25, 28, 89, 90*, 149, 150, 151*, 152*, Lengerke, Peter von (1651–1709) 182 154, 157, 159, 160, 161, 162, 163*, 165, 167*, Leo, Carl Ludwig 253* 170*, 171*, 176, 178, 196, 251, 252 Lessing, Gotthold Ephraim (1729–1781) 53, 82 Melle, Erwin von (1861–1898) 13, 41, 97, 173, 175* Levin, Rahel (siehe Varnhagen von Ense, Rahel) Melle, Gertrud von (siehe Ruth, Gertrud) Lichtwark, Alfred (1852–1914) 127, 220, 223, Melle, Jacob von (1659–1743) 122, 123* 224, 226* Melle, Johannes Carl Joseph von (1782–1860) 41 Liebknecht, Wilhelm (1826–1900) 192 Melle, Luise Babette von (1825–1828) 42, 105 Liliencron, Rochus von (1820–1912) 178, 181 Melle, Magdalene von (1858–1919) 13, 41, 173, 174* Lindau, Paul (1839–1919) 189 Melle, Margaretha von (siehe Fontaine, Lipman et Geffcken 42 Margaretha) Lipsdorp, Clemens Samuel (1696–1750) 182 Melle, Maria von (siehe Behrmann, Maria) Lorenz-Meyer, Friedrich Johann (1760–1844) 182 Melle, Marie von, geb. Geffcken (1827–1912) 10, Lucksch, Richard (1872–1936) 24* 11, 28, 39*, 41, 43, 45, 46, 47, 63, 80, 89, 114, Ludwig I. (König) (1786–1868) 194 172*, 173 Luther, Martin (1483–1546) 121 Melle, Max Theodor (1856–1857) 45, 46 ··································································· Melle, Susanne Pauline von (siehe Förster, Marcks, Erich (1861–1938) 239 Susanne Pauline) Martens, Ludwig 61 Melle, Theodor Lorenz Friedrich von (1788–1850) Matsen, Hermann Otto 221 25, 41, 42, 92, 105, 109, 113, 114, 121 Meden, Hermann von der 55 Merck, Carl Hermann (1809–1880) 131* Mehring, Franz (1846–1919) 235 Merck, Carl Hermann Jasper (1843–1891) 181, 250 Meinhof, Carl (1857–1944) 23 Merck, Ernst Freiherr von (1811–1863) 181 Meissonnier, Ernest (1815–1891) 173 Merckel, Friedrich (1786–1846) 10 Mejer, Georg (1818–1893) 84, 85 Merckel, Johann Diederich (auch: Dietrich; Melle, Adele Theodora von (siehe Mutzenbecher, 1795–1859) 41 Adele Theodora) Merckel, Johanna Lucia Elisabeth gen. Betty Melle, Agnes von (siehe Förster, Agnes) (siehe Geffcken, Johanna Lucia Elisabeth) Melle, Alida von (siehe Borchling, Alida) Mettlerkamp, David Christopher (1774–1850) Melle, Antonie (Toni) von (siehe Mönckeberg, 113, 181, 182 Antonie) Meurer, Heinrich (1643–1690) 181 Melle, Auguste Henriette von, geb. Heinichen Meyer, Andreas (1837–1901) 218, 219, 222 173 Meyer, Christian (1811–1886) 223

| 358 | Meyer, Eduard (1855–1930) 218 Nolte, Gustav Eduard (Dr. jur.; 1850–1912) 251, 253 Meyer, Friedrich Johann Lorenz (1760–1844) 181 Nolte, Minna, geb. Geffcken (1833–1886) 41 Meyer, Georg (1841–1900) 202, 208 Nonne, Max (1861–1959) 129, 132 Meyer, Jürgen Bona (1829–1897) 109 ··································································· Meyer, Kuno (1858–1919) 218 O’Swald, William Henry (1832–1923) 120, 137, Michahelles, Carl Ferdinand (geb. 1849) 67*, 68, 252, 253* 128, 132 Ovid (43–17 n. Chr.) 61 Milatz (Witwe) 130 ··································································· Mönckeberg, Antonie (Toni), geb. von Melle Paul, Jean (1763–1825; eigtl. J. P. Friedrich Richter) (1851–1930) 11, 31*, 37, 41, 46, 72*, 114, 29, 71, 176 148, 173 Perthes, Friedrich Christoph (1772–1843) 191 Mönckeberg, Johann Georg (1766–1842) 11 Petersen, Carl Friedrich (1809–1892) 56, 110, 114, Mönckeberg, Johann Georg (1839–1908) 11, 120, 120, 129, 131*, 137, 225*, 239, 243, 248, 252 124, 137, 147, 245, 252, 253* Philimore (eigtl. Phillimore), Sir Robert Mönckeberg, Johanna Louise, geb. Schröder (1810–1885) 97 (1812–1897) 96 Philippi, F, 132 Mönckeberg, Olga (1855–1898) 37 Piehler, Manfred 56 Mönckeberg, Otto Wilhelm (1843–1893) 11, 37, Polybius (200–120) 199 125, 147, 148, 225*, 253 Predöhl, Max (1854–1923) 56, 58, 66, 77, 128, 148, Mönckeberg, Rudolf (1846–1917) 11, 12, 91, 92, 152, 253* 93, 96, 125, 147, 251, 253 Preller, Carl Heinrich (1830–1890) 184 Möring, Carl (1818–1915) 252, 253* Prince-Smith, John (1809–1874) 140 Moller, Joachim (1521–1588) 181, 182 ··································································· Morgenweg, Joachim (1666–1730) 181, 182 R. Dührkoop (Foto-Atelier) 150 Müller, Friedrich Theodor (1821–1880) 53, 79 Rabe, Heinrich 56 Münster, Georg Herbert Graf zu (1820–1902) 96 Ranke, Leopold von (1795–1886) 181 Mummsen, Wilhelm (1835–1882) 62 Rapp, Carl Friedrich Theodor (1834–1888) 252 Murmester, Hinrich (1435–1481) 181, 182 Refardt, Carl (1843–1907) 253* Mutzenbecher, Adele Theodora, geb. von Melle Rehm, Hermann (1862–1917) 244 (1826–1895) 42, 105 Reinstorff (Professor) 62 Mutzenbecher, Clara (siehe Röpe, Clara) Rettich, Hermann Ludwig Wilhelm (geb. 1853) Mutzenbecher, Emma Maria, geb. Schlüter 82, 128, 132 (1826–1916) 47 Reuter Büro 124 Mutzenbecher, Franz Matthias (1817–1898) 46 Rheinbaben, Georg Freiherr von (1855–1921) 66 Mutzenbecher, Hermann Franz Matthias Richey, Michael (1678–1761) 123, 226* (1855–1932) 47 Riese, Adam (1492/93–1559) 140 Mutzenbecher, (Laura) Gertrud (siehe Nolte, Riesser, Gabriel (1806–1863) 104, 107, 108, [Laura] Gertrud) 109, 226* Mutzenbecher, Matthias (1849–1933) 70*, 72*, Robert, Carl (1850–1922) 61 128, 132 Robert-tornow, Walter (1852–1895) 239 Mutzenbecher, Walther (1853–1871) 48, 50, 53, Roeloffs, Hugo (1844–1928) 219, 253* 55, 56 Röpe, Clara, geb. Mutzenbecher (1836–1896) 53, ··································································· 72*, 254 Napoleon I. (Kaiser) (1769–1821) 171 Röpe, Georg Heinrich (1836–1896) 53, 72, 254 Neumayer, Georg (1826–1909) 243 Rötger, F. 70* Niebuhr, Gustav 13 Roosen, Rudolph (1830–1907) 252, 253* Nolte, (Laura) Gertrud, geb. Mutzenbecher Roscher, Eduard Heinrich (1838–1929) 252, 253* (1857–1909) 251 Roscher, Eleonore, geb. Guse (1796–1887) 48 Nolte, Gustav Eduard (1812–1885) 41 Roscher, Georgine Betty Elise (1831–1905) 48

| 359 | Rousseau, Jean-Jacques (1712–1778) 29 Stobbe, Otto (1831–1887) 78, 79 Ruth, Gertrud, geb. von Melle (1895–1984) 173 Storm, Theodor (1817–1888) 109 Ruths, Valentin (1825–1905) 109 Strauch, Philipp (1852–1934) 75 ··································································· Struckmann, Johannes (1829–1899) 185 Schädtler, Alfred (geb. 1808) 131* ··································································· Schaper, Fritz (1841–1919) 127 Tesdorpf, Gustav Theodor (1851–1933) 66, 77 Schaumann, Peter Christian Gustav (geb. 1849) Theodor von Melle & Sohn 43 128, 132 Theobald, Adolf Wilhelm (1836–1882) 123, 125 Schemmann, Conrad Hermann (1842–1910) 252, Thöl, Johann Heinrich (1807–1884) 83, 84, 85 253*, 254 Tieck, Ludwig (1873–1853) 71 Scherer, Wilhelm (1841–1886) 75, 76, 77, 95, 125, Treitschke, Heinrich von (1834–1896) 68, 75, 192 126, 181, 210 ··································································· Schiller, Friedrich (1759–1805) 29, 256 Varnhagen von Ense, Rahel, geb. Levin Schleiden, Heinrich (1809–1890) 48, 49, 107*, (1771–1833) 28 108, 109, 121, 124, 127, 133 Versmann, Johannes Georg Andreas (1820–1899) Schlüter, David 148 47, 104, 113, 137, 138*, 141, 142, 144, 147, 205, Schmaltz, Ernst 56 219, 232, 245, 249, 250, 251, 252, 253*, 254 Schmidt, Erich (1853–1913) 77 Victor, Babette Henriette (siehe Melle, Babette Schmoller, Gustav (1838–1917) 74, 75, 192, 197, Henriette von) 200, 202, 230 Victoria (Queen) (1819–1901) 96 Schönberg, Gustav von (1839–1908) 208 Völderndorff und Waradein, Otto von Schramm, Max (1861–1928) 152 (1825–1899) 199 Schröder, Carl August (1855–1945) 61 Vogel, Hugo (1855–1934) 252 Schröder, Friedrich Ludwig (1744–1816) 82 Voght, Caspar (1752–1839) 194 Schröder, Johanna Louise (siehe Mönckeberg, Voigt, Johann Friedrich (1806–1886) 108 Johanna Louise) Voigt, (Johann) Friedrich (1833–1920) 178 Schröder, Sophia Franziska (Fanny) (siehe ··································································· Kunhardt, Sophia Franziska) W. Breuning (Foto-Atelier) 149 Schroeder, Octavio Hermann (1822–1903) 252 W. Höffert (Foto-Atelier) 118*, 150 Schultze, August Sigmund (1833–1918) 72 Waechter, Carl Georg von (1797–1880) 78, 80, 124 Schultze, Hugo 56 Wagner, Wilhelm 56 Schwabe, Gustav Christian (1813–1897) 223 Weber, Hermann Anthony Cornelius (1822–1886) Shakespeare, William (1564–1616) 97, 110, 121 252 Sierich, Otto 56 Westphal, Otto Eduard (1853–1919) 152, 253 Sieveking, Arnold (geb. 1936) 11* Westphal, Susanne, geb. Kaemmerer (geb. 1864) Sieveking, Friedrich (1798–1872) 50, 124, 142 152*, 154 Smidt, Johann (1773–1857) 144 Wield, Friedrich (1880–1940) 14 Sohm, Rudolf (1841–1917) 72 Wilhelm I. (Kaiser) (1797–1888) 192, 214, 215, 227 Speckter, Erwin (1806–1835) 108 Wilhelm II. (Kaiser) (1859–1941) 215, 242 Speckter, Otto (1807–1871) 108, 124, 129, 131* Wilmowski (Wilmowsky), Gustav Karl Adolf 185 Spengel [Familie/Gastwirt] 66, 68 Windscheid, Bernhard (1817–1892) 68 Spörri, Hermann (1838–1904) 108, 109, 124, 126, Woermann, Adolph (1847–1911) 203, 216, 231, 127*, 153, 159, 161, 254 232, 233, 234, 235, 236, 253 Springer, Anton (1825–1891) 80, 81 Wohlwill, Adolf (1843–1916) 63, 124, 125 Stammann, Johann Otto (1835–1909) 60, 61, 62, Wolf, Eugen Freiherr von 70* 92, 252, 253*, 254 Wolff, C. W. 83 Steinitz, Margarethe (siehe Förster, Margarethe) Wolff, Julius Guido (1803–1880) 214 Stelzner, Carl Ferdinand (1805–1894) 39*, 150 Wolff, Marianne, geb. Niemeyer, verh. Immermann Sthamer, Johann (1819–1896) 252 (1819–1886) 214

| 360 | Wolffson, Isaac (1817–1895) 104, 107, 124, 125, Zellmann, Carl F. (1855–1915) 253* 198, 226* Ziebarth, Karl (1836–1899) 83, 84, 85, 89 Wützler 67* Zitelmann, Ernst (1852–1923) 66 Wulff, Ferdinand 77 ··································································· Wurm, Christian Friedrich (1803–1859) 63, 107, drei Pensionäre (Liverpool) 93 108, 115, 205, 223, 226* Cousine (Familie Goodall) 93 ··································································· Jack und Dandy (Hunde) 93

| 361 | Aus der Reihe „Mäzene für Wissenschaft“ sind bisher erschienen:

Band 1 Die Begründer der Hamburgischen Wissenschaftlichen Stiftung Band 2 Sophie Christine und Carl Heinrich Laeisz. Eine biographische Annäherung an die Zeiten und Themen ihres Lebens Band 3 Eduard Lorenz Lorenz-Meyer. Ein Hamburger Kaufmann und Künstler Band 4 Hermann Franz Matthias Mutzenbecher. Ein Hamburger Versicherungs- unternehmer Band 5 Die Brüder Augustus Friedrich und Gustav Adolph Vorwerk. Zwei Hamburger Kaufleute Band 6 Albert Ballin Band 7 Ernst Friedrich Sieveking. Erster Präsident des Hanseatischen Oberlandesgerichts Band 8 Franz Bach. Architekt und Unternehmer Band 9 Alfred Beit. Hamburger und Diamantenkönig Band 10 Hermann Blohm. Gründer der Werft Blohm & Voss Band 11 Gustav Amsinck. Ein Hamburger Großkaufmann in New York Band 12 Henry P. Newman. Hamburger Großkaufmann und Mäzen Band 13 Adolph Lewisohn. Kupfermagnat im „Goldenen Zeitalter“ Band 14 Johannes August Lattmann. Sozial und liberal im vordemokratischen Hamburger Senat Band 15 Heinrich Freiherr von Ohlendorff. Ein Hamburger Kaufmann im Spiegel der Tagebücher seiner Ehefrau Elisabeth Band 16 Edmund Siemers. Unternehmer und Stifter Band 17 „Es muß besser werden!“ Aby und Max Warburg im Dialog über Hamburgs geistige Zahlungsfähigkeit Band 18 Stadt – Mann – Universität: Hamburg, Werner von Melle und ein Jahrhundert- Lebenswerk, Teil 1: Der Mann und die Stadt

In Vorbereitung sind: Teil 2: Der Mann und die Universität Julius Carl Ertel. Ein Hamburger Industrieller

| 362 | Impressum Produktion: Elbe-Werkstätten GmbH, Hamburg, Deutschland, http://www.elbe-werkstaetten.de Bibliografische Information der Deutschen Grundgestaltung: Peter Schmidt Group, Hamburg Nationalbibliothek Layout: Michael Sauer Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet Redaktion, Koordination und Lektorat: diese Publikation in der Deutschen National- Dr. Johannes Gerhardt bibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind Herausgeber: Dr. Ekkehard Nümann im Internet über https://portal.dnb.de abrufbar. Die Online-Version dieser Publikation ist auf der Hamburgische Wissenschaftliche Verlagswebsite frei verfügbar (open access). Die Stiftung Deutsche Nationalbibliothek hat die Netzpubli- Edmund-Siemers-Allee 1, Raum 113 kation archiviert. Diese ist dauerhaft auf dem 20146 Hamburg Archivserver der Deutschen Nationalbibliothek http://h-w-s.org verfügbar.

Frei verfügbar über die folgenden Webseiten: Hamburg University Press – http://hup.sub.uni- hamburg.de http://hup.sub.uni-hamburg.de/purl/Hamburg UP_MfW18_1_Melle

Archivserver der Deutschen Nationalbibliothek – Recherche und Zugriff unter https://portal.dnb.de

ISBN 978-3-943423-41-9 (Gesamtwerk) ISBN 978-3-943423-42-6 (Teil 1) ISSN 1864-3248

© 2016 Hamburg University Press, Verlag der Staats- und Universitätsbibliothek Hamburg Carl von Ossietzky, Deutschland

Alle Abbildungen und Fotos laut Bildnachweis: Alle Rechte vorbehalten.

Der Text steht, soweit nicht anders gekennzeichnet, unter der Creative-Commons-Lizenz Namens- nennung – Keine Bearbeitungen 4.0 (CC BY ND 4.0). Das bedeutet, dass er vervielfältigt, verbrei- tet und öffentlich zugänglich gemacht werden darf, auch kommerziell, sofern dabei stets die Urheberin, die Quelle des Textes und o. g. Lizenz genannt werden, deren genaue Formulierung Sie unter https://creativecommons.org/licenses/ by-nd/4.0/legalcode nachlesen sollten. Die Bild- rechte liegen bei den Urhebern.

| 363 | Ich möchte mich bedanken! Namentlich bei den Ini- bei den klugen Köpfen für die Diskussionen unseres tiatoren des Projekts, den Herren Doktores Ekkehard Zentrums für Biographik (ZetBi); bei den ,An- Nümann und Johannes Gerhardt von der Hambur- dockern‘ des Forschungsverbunds zur Kulturgeschichte gischen Wissenschaftlichen Stiftung für die lebhafte Hamburgs (FKGHH), die mich in den letzten Unterstützung und (un)endliche Geduld; bei Singkha Jahren in gemeinsamen Projekten zur Universitäts-, Grabowsky für zuverlässige Recherchearbeit und Wissenschafts- und Kulturgeschichte in Gesprächen hilfreiche Aufbereitung von Datenmassen; bei Michael und Austausch und mit parallel erscheinenden Sauer für die kreative Übersetzung (fast) aller Publikationen umgaben, und besonders natürlich – kniffligen Wünsche in die passende Gestalt; bei den bezogen auf die inspirierende Zusammenarbeit vor finanziellen Ermöglichern (Hermann Reemtsma allem in der germanistischen Fachgeschichte, mit der Stiftung und Behörde für Wissenschaft, Forschung alles anfing: beim Hamburgischen Forschungskon- und Gleichstellung); bei Ines Domeyer und Kai tor; bei Joist Grolle für seinen unbestechlichen Sinn; Schröder von der Bibliotheca Johannei (Hamburg) bei Peter Stein für den Gedanken beflügelnden für ihr unkompliziertes Entgegenkommen; bei den RAUM. – G. Volkert Vorwerk legte in Form von Mitarbeiter_innen vom Hamburgischen Staatsarchiv Stammbäumen und ersten Kontakten die Spur zu (insbesondere der Bildabteilung) und bei dem Team von Melles Nachfahren, das Hamburger Kunst- der Handschriftenabteilung der Hamburger Staats- antiquariat Joachim Lührs wurde zum Code, den und Universitätsbibliothek Carl von Ossietzky für E. Nümann knackte: so darf ich mich herzlich stete Hilfsbereitsschaft; bei Dr. Ulrich Hunger vom bedanken bei den Familien Lührs (bei Tee und Universitätsarchiv Göttingen; bei Sabrina Zinke japanischem Keks) und Behrmann für ihre Auf- und Dr. Michael Schwarz vom Universitätsarchiv geschlossenheit, Mitteilsamkeit und das Vertrauen Heidelberg; bei Petra Hesse vom Universitätsarchiv zur Einsichtnahme in bemerkenswerte Dokumente Leipzig; bei Prof. Dr. Ingrid Schröder, der Vorsitzen- der Familienüberlieferung sowie die großzügige den des Vereins für niederdeutsche Sprachforschung; Überlassung von Bildern. Dankbar bin ich schließ- bei Dr. Olaf Matthes vom Museum für Hamburgi- lich dem An- und Identitätsstifter Eckart Krause, sche Geschichte; bei Hinrich Berntzen, dessen Auf- der das ,Herz vom Gedächtnis‘ ist. Und glücklich trag zur Rathaus-Ausstellung anlässlich des 200-jäh- kann sich schätzen, wer überdies zwischen Hamburg rigen Jubiläums Nurnotariat in Hamburg dazu und Lüneburg Menschen geistigen Formats zur Seite führte, dass ich 2011 gemeinsam mit Anton F. Guhl hat, deren feinsinniges Stilgefühl, (historisches und das im besten Sinne eigenartige Rechtswesen der Text-)Verständnis sowie eine bewundernswerte Über- Stadt zu erkunden begann, und bei Rudolf Klever, setzungsgabe Licht in jedes (Text-)Dunkel bringen: der mir dazu einen wesentlichen Zugang eröffnete; HHM, Kieke und dem Russ’ sei Dank.

Lauschender Faun. – Eine der sechs Bronzefiguren am Fuße des Hygieia-Brunnens im Innenhof des Hamburger Rathauses (1895/96). Zur Erinnerung an die Cholera-Epidemie 1892

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