Plenarprotokoll 12/140

Deutscher

Stenographischer Bericht

140. Sitzung

Bonn, Donnerstag, den 11. Februar 1993

Inhalt:

Vor Eintritt in die Tagesordnung: rung des Patentgesetzes und ande- rer Gesetze (Drucksachen 12/3630, Verzicht des Abgeordneten Bernhard Ja- 12/4309) goda auf die Mitgliedschaft im Deutschen b) Zweite Beratung und Schlußabstim- Bundestag sowie Erwerb der Mitgliedschaft mung des von der Bundesregierung im Deutschen Bundestag des Abgeordne- eingebrachten Entwurfs eines Ge- ten Erhard Niedenthal ...... 12061 A setzes zu der Akte vom 17. Dezem- ber 1991 zur Revision von Artikel 63 Erweiterung und Abwicklung der Tages- des Europäischen Patentüberein- ordnung sowie Absetzung des Tagesord- kommens (Drucksachen 12/3537, nungspunktes 13 12061B 12/4310) c) Beratung der Beschlußempfehlung Tagesordnungspunkt 3: und des Berichts des Petitionsaus- Überweisung im vereinfachten Ver- schusses zu der Unterrichtung durch fahren das Europäische Parlament: Ent- Erste Beratung des von der Bundesre- schließung zu den Beratungen des gierung eingebrachten Entwurfs eines Petitionsausschusses im parlamen- Gesetzes zu der Konstitution und der tarischen Jahr 1991 bis 1992 (Druck- Konvention der Internationalen Fe rn sachen 12/3128, 12/4194) (Druck--meldeunion vom 30. Juni 1989 sache 12/4134) d) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Forschung, Technologie und Tech- in Verbindung mit nikfolgenabschätzung zu der Unter- richtung durch die Bundesregierung: Zusatztagesordnungspunkt 2: Vorschlag für eine Entscheidung des Beratung des Antrags des Bundesmini- Rates über die Aufstellung eines sters der Finanzen: mehrjährigen Programms zur Ent- Einwilligung gemäß § 64 Abs. 2 der wicklung von Gemeinschaftsstatisti- Bundeshaushaltsordnung zur Veräuße- ken über Forschung, Entwicklung rung der bundeseigenen Liegenschaft und Innovation (Drucksachen in O-1561 Potsdam, Bauhofstraße 2-8 12/2867 Nr. 2.21, 12/3975) (Drucksache 12/3149) 12061 C e) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Verteidigungs- Tagesordnungspunkt 4: ausschusses zu der Unterrichtung Abschließende Beratungen ohne Aus- durch die Bundesregierung: sprache Bericht der Bundesregierung zum a) Zweite und dritte Beratung des von Gesetz über die Verminderung der der Bundesregierung eingebrachten Personalstärke der Streitkräfte Entwurfs eines Gesetzes zur Ände- (PersStärkeG) II Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 140. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Februar 1993

und zum Gesetz zur Anpassung der zu dem Antrag der Abgeordneten Horst Zahl der Beamten im Geschäftsbe- Sielaff, Dr. Gerald Thalheim, Hinrich reich des Bundesministers der Ver- Kuessner, weiterer Abgeordneter und teidigung an die Verringerung der der Fraktion der SPD: Richtlinie für die Streitkräfte (BwBAnpG) (Drucksa- Durchführung der Verwertung und chen 12/2206, 12/4248) Verwaltung volkseigener land- und forstwirtschaftlicher Flächen (Druck- f) Beratung der Beschlußempfehlung sachen 12/2126, 12/2545, 12/3563) und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft zu der Verordnung der c) Beratung der Großen Anfrage der Abge- Bundesregierung: Aufhebbare Ver- ordneten (Berlin), ordnung zur Änderung der Vierund- Dr. Klaus-Dieter Feige und der Gruppe zwangzigsten Verordnung zur Än- BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Lage und derung der Außenwirtschaftsver- Zukunft der Landwirtschaft in den ordnung (Drucksachen 12/3445 neuen Bundesländern (Drucksachen [neu], 12/4230) 12/2324, 12/2837) g) Beratung der Beschlußempfehlung Dr. Gerald Thalheim SPD 12063D des Petitionsausschusses: Sammel- F.D.P. . . , . 12064B, 12078A übersicht 87 zu Petitionen (Druck- sache 12/4260) Gudrun Weyel SPD . . . . 12064D, 12079 C h) Beratung der Beschlußempfehlung Reinhard Freiherr von Schorlemer CDU/ des Petitionsausschusses: Sammel- CSU 12065D übersicht 88 zu Petitionen (Druck- Ulrich Junghanns CDU/CSU 12066 C sache 12/4261) Dr. Gerald Thalheim SPD . . 12067C, 12070 D in Verbindung mit Günther Bredehorn F.D P 12070A

Zusatztagesordnungspunkt 3: Ulrich Heinrich F.D.P. . . . 12073B, 12084 A Beratung der Beschlußempfehlung und Dr. Fritz Schumann (Kroppenstedt) PDS/ des Berichts des Rechtsausschusses Linke Liste 12073D zu den dem Deutschen Bundestag zuge- Georg Gallus F D P 12075D leiteten Streitsachen vor dem Bundes- verfassungsgericht 2 BvR 2134/92 und Edwin Zimmermann, Minister des Landes 2 BvR 2159/92 (Drucksache 12/4304) Brandenburg 12076C CDU/CSU ...... 12079A in Verbindung mit Hinrich Kuessner SPD 12081 C Zusatztagesordnungspunkt 4: Joachim Graf von Schönburg-Glauchau Beratung der Beschlußempfehlung und CDU/CSU 12082B des Berichts des Rechtsausschusses Hans-Ulrich Köhler (Hainspitz) CDU/CSU 12084C zu der dem Deutschen Bundestag zuge- Egon Susset CDU/CSU (nach § 28 GO) . 12086B leiteten Streitsache vor dem Bundes- verfassungsgericht 2 BvE 1/93 (Druck- Hinrich Kuessner SPD (nach § 28 GO) . . 12086C sache 12/4305) 12061D Tagesordnungspunkt 6: Tagesordnungspunkt 5: Erste Beratung des von der Bundes- a) Beratung des Antrags der Abgeordne- regierung eingebrachten Entwurfs ten Horst Sielaff, Dr. Gerald Thalheim, eines Gesetzes zur Änderung des Ge- , weiterer Abgeordneter setzes über die Verbreitung jugend- und der Fraktion der SPD: Struktur- und gefährdender Schriften (Drucksache sozialverträgliche Verwertung volks- 12/4195) eigener land- und forstwirtschaftlicher CDU/CSU 12087 B Flächen in den neuen Ländern durch- führen (Drucksache 12/3476) Wilhelm Schmidt (Salzgitter) SPD . . . 12089A b) Beratung der Beschlußempfehlung und Dr. Margret Funke-Schmitt-Rink F.D.P. 12090C des Berichts des Ausschusses für Ernäh- Petra Bläss PDS/Linke Liste 12091 C rung, Landwirtschaft und Forsten zu dem Antrag der Abgeordneten Josef Hollerith CDU/CSU 12092 C Dr. Gerald Thalheim, Brigitte Adler, Erika Simm SPD 12093 C Hans Gottfried Bernrath, weiterer Abge- Dr. , Bundesministerin ordneter und der Fraktion der SPD zum BMFJ Siedlungskauf-Modell der Bundesre- 12095B gierung in den neuen Bundesländern SPD 12096 C Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 140. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Februar 1993 III

Tagesordnungspunkt 7: Graf Lambsdorff, Burkhard Zurheide, Beratung des Antrags der Fraktionen Klaus Beckmann, weiterer Abgeordne- der CDU/CSU, SPD und F.D.P.: Reform ter und der Fraktion der F.D.P.: Keine des Kontrollmechanismus der Euro- protektionistische europäische Rege- päischen Menschenrechtskonvention lung für die Einfuhr von Bananen (Drucksache 12/4324) (Drucksachen 12/3959, 12/4264) Friedrich Vogel (Ennepetal) CDU/CSU 12097 C Jürgen Augustinowitz CDU/CSU . . . . 12109D SPD 12098C Dr. Ingomar Hauchler SPD 12110 C Dr. Cornelia von Teichman F.D.P 12099D Brigitte Adler SPD 12111B Gerd Poppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 12100C Burkhard Zurheide F.D.P. 12112 B Angela Stachowa PDS/Linke Liste . . . 12101B Dr. PDS/Linke Liste . . 12113B Helmut Schäfer, Staatsminister AA . . 12101 C Konrad Weiß (Berlin) BÜNDNIS 90/DIE Freimut Duve SPD 12101D GRÜNEN 12114 A Friedrich Vogel (Ennepetal) CDU/CSU (zur , Bundesminister BML 12114D GO) 12102D Tagesordnungspunkt 10: Angela Stachowa PDS/Linke Liste (zur Beratung des Antrags der Abgeordne- GO) 12102D ten Dietmar Schütz, Dr. , Michael Müller (Düsseldorf), weiterer Tagesordnungspunkt 8: Abgeordneter und der Fraktion der SPD: a) Beratung der Großen Anfrage der Abge- Notwendige Maßnahmen zur Vermei- ordneten Hans Büchler (Hof), Freimut dung von Öltankerunfällen und deren Duve, Arne Börnsen (Ritterhude), weite- katastrophalen Folgen für Mensch und rer Abgeordneter und der Fraktion der Natur (Drucksache 12/4267) SPD: Das Interesse an der deutschen Sprache in den Staaten Mittel-, Südost- in Verbindung mit und Osteuropas (Drucksachen 12/2242, 12/2780) Zusatztagesordnungspunkt 5: b) Beratung der Beschlußempfehlung und Beratung des Antrags der Abgeordne- des Berichts des Ausschusses für Bil- ten Dr. Maria Böhmer, Wilf ried Bohlsen, dung und Wissenschaft zu dem Antrag Dr. Rolf Olderog, weiterer Abgeordneter der Abgeordneten und der Fraktion der CDU/CSU sowie (Wiesloch), Karsten D. Voigt (Frankfurt), der Abgeordneten Manfred Richter Hans Gottfried Bernrath, weiterer Abge- (Bremerhaven), , Ekke- ordneter und der Fraktion der SPD: hard Gries, weiterer Abgeordneter und Zusammenarbeit mit den Nachfolge- der Fraktion der F.D.P.: Prävention und staaten der Sowjetunion und den mittel- Bekämpfung von Öltankerunfällen und osteuropäischen Staaten in Bil- (Drucksache 12/4307) dung, Wissenschaft und Kultur (Druck- Dietmar Schütz SPD 12115 D sachen 12/3368, 12/4159) Bärbel Sothmann CDU/CSU 12117 D Freimut Duve SPD 12103B Ingeborg Philipp PDS/Linke Liste . . . 12118C Dieter Schloten SPD ...... 12104 B Birgit Homburger F D P 12118D Dr. Volkmar Köhler (Wolfsburg) CDU/ CSU 12104B Wolfgang Börnsen (Bönstrup) CDU/CSU 12119C Dr. Volkmar Köhler (Wolfsburg) CDU/ Horst Peter (Kassel) SPD 12120A CSU 12104D Tagesordnungspunkt 2: Dirk Hansen F.D.P. 12106 C Fragestunde (Fortsetzung) Angela Stachowa PDS/Linke Liste . . 12107B — Drucksache 12/4295 vom 15. Februar Gert Weisskirchen (Wiesloch) SPD . . 12108A 1993 — Helmut Schäfer, Staatsminister AA . . 12108D Sanierung der durch die Tätigkeit der Wis- Tagesordnungspunkt 9: mut AG kontaminierten, nicht der Wismut gehörenden Grundstücke und Gebäude Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für wirt- MdlAnfr 19 schaftliche Zusammenarbeit zu dem SPD Antrag der Abgeordneten Jürgen Augu- Antw PStSekr Dr. Reinhard Göhner stinowitz, Heribert Scharrenbroich, BMWi 12120D Wolfgang Vogt (Düren), weiterer Abge- ordneter und der Fraktion der CDU/ ZusFr Christoph Matschie SPD 12121A CSU sowie der Abgeordneten Dr. Otto ZusFr Siegrun Klemmer SPD 12121 B IV Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 140. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Februar 1993

Schaden der bundeseigenen Wismut AG Besuch des Bundesministers für Wirtschaft durch kriminelle Machenschaften von und des PStSekr Wolfgang Gröbl in Taiwan; Scheinfirmen im Zusammenhang mit der Intervention des Auswärtigen Amtes gegen Abnahme von Kohleasche aus Kraftwer- ein Treffen mit dem Präsidenten und dem ken; Erstattung von Strafanzeigen Außenminister MdlAnfr 20 MdlAnfr 47 Siegrun Klemmer SPD Ortwin Lowack fraktionslos Antw PStSekr Dr. Reinhard Göhner Antw StM Helmut Schäfer AA 12128B 12121C BMWi ZusFr Ortwin Lowack fraktionslos . . . 12128C ZusFr Siegrun Klemmer SPD 12121 D Nutzung von Schwimmbad und Sauna und ZusFr Christoph Matschie SPD 12122B anderen Räumen des Gästehauses Peters- Entsendung von Sanitätseinheiten nach berg in Königswinter durch Staats- und Somalia; Beteiligung von Wehrpflichtigen private Gäste MdlAnfr 23, 24 MdlAnfr 48, 49 Bernd Reuter SPD Werner Ringkamp CDU/CSU Antw PStSekr Bernd Wilz BMVg 12122C, 12123 C Antw StM Helmut Schäfer AA 12128D, 12129A ZusFr Bernd Reuter SPD . . 12122D, 12123 C ZusFr Werner Ringkamp CDU/CSU . . . 12129A ZusFr Christoph Matschie SPD 12123B Kosten für den Bund durch den Betrieb des ZusFr Horst Kubatschka SPD 12123B Gästehauses „Petersberg" in Königswinter; Verminderung dieser Kosten durch Zulas- ZusFr Helmut Schäfer (Mainz) F.D.P. . 12124A sung einer Drittnutzung Verbot der Einfuhr von aus England stam- MdlAnfr 50 mendem Schlachtrindfleisch aus den Nie- CDU/CSU derlanden wegen Gefahr einer BSE-Ver- Antw StM Helmut Schäfer AA 12129B seuchung MdlAnfr 32, 33 Kosten für den Bund durch den Betrieb des Karl Stockhausen CDU/CSU Gästehauses Petersberg in Königswinter; vaten Nut- Antw PStSekr'in Dr. Sabine Bergmann- Zulassung einer stärkeren p ri Pohl BMG 12124C zung ZusFr Karl Stockhausen CDU/CSU . . 12124D MdlAnfr 51, 52 Dr. Rolf Olderog CDU/CSU Zusammenhang von geringeren Tempera- Antw StM Helmut Schäfer AA 12129C turen in Warmwasseranlagen und dem ver- mehrten Auftreten der „Legionella pneu- ZusFr Dr. Rolf Olderog CDU/CSU . . . 12130A mophila" -Bakterien Aufrechterhaltung der BGS-Standorte Rat- MdlAnfr 34 zeburg und Schwarzenbek Horst Kubatschka SPD MdlAnfr 55 Antw PStSekr'in Dr. Sabine Bergmann- Eckart Kuhlwein SPD Pohl BMG 12125B Antw PStSekr Eduard Lintner BMI . . 12130B ZusFr Horst Kubatschka SPD 12125C ZusFr Eckart Kuhlwein SPD 12130B Regionalisierung der Bundesbahnstrecke Sande-Esens; Demontage von Gleisanla- Schließung von Katastrophenschutzschu- gen auf zu regionalisierenden Strecken len, insbesondere in Rendsburg MdlAnfr 40, 41 MdlAnfr 56, 57 Gabriele Iwersen SPD Ulrike Mehl SPD Antw PStSekr M anfred Carstens BMV 12126A, C Antw PStSekr Eduard Lintner BMI . . . 12130C, 12131 C ZusFr Gabriele Iwersen SPD . . . . 12126A, C ZusFr Ulrike Mehl SPD . . . . 12130D, 12131D Radioaktive Verseuchung weiter Teile Ruß- ZusFr Eckart Kuhlwein SPD ...... 12131 B lands; Hilfen der Bundesregierung MdlAnfr 44 Tagesordnungspunkt 11: Siegrun Klemmer SPD a) Beratung der Beschlußempfehlung und Antw PStSekr Dr. des Berichts des Auswärtigen Ausschus- BMU ...... 12127 B ses zu dem Antrag der Fraktion der SPD: Keine weiteren israelischen Siedlun- ZusFr Siegrun Klemmer SPD 12127 C gen in den besetzten Gebieten (Druck- ZusFr Dr. Liesel Hartenstein SPD . . . 12128A sachen 12/824, 12/2425) Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 140. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Februar 1993 V b) Beratung der Beschlußempfehlung und SPD 12153 D des Berichts des Ausschusses für Wirt- Dr. Hedda Meseke SPD 12155B schaft zu dem Antrag der Fraktion der SPD: Maßnahmen gegen Israel-Boy- Wolf-Michael Catenhusen SPD 12156A kott-Verpflichtungen deutscher Fir- Heinrich Seesing CDU/CSU 12156D men bei Verträgen mit Drittländern (Drucksachen 12/554, 12/4145) Dr. Marliese Dobberthien SPD 12157 C c) Beratung des Antrags der Abgeordne- (Nordstrand) CDU/ ten Dr. Ursula Fischer, Dr. Hans CSU 12158D Modrow, Dr. und der Gruppe der PDS/Linke Liste Nächste Sitzung 12159D Zu den Verhandlungen fiber eine Frie- denslösung im Nahen Osten (Drucksa- Anlage 1 che 12/3237) Liste der entschuldigten Abgeordneten . 12161* A Dr. Hans Stercken CDU/CSU 12132C Dr. Elke Leonhard-Schmid SPD 12134A Anlage 2 Dr. F.D.P. 12135C Eingrenzung des staatlichen Engagements Freimut Duve SPD ...... 12136 C im Reisemarkt; Entsorgung von gewerbli- chem Verpackungsmüll durch die Duales Konrad Weiß (Berlin) BÜNDNIS 90/DIE System GmbH GRÜNEN 12136D MdlAnfr 21, 22 — Drs 12/4295 — Dr. Ursula Fischer PDS/Linke Liste . . 12138A, Simon Wittmann (Tännesberg) CDU/CSU 12139B SPD 12139A SchrAntw PStSekr Dr. Reinhard Göhner BMWi 12161* C Helmut Schäfer, Staatsminister AA . . 12139C Dr. Christoph Zöpel SPD 12141B Anlage 3 Peter Kittelmann CDU/CSU 12143B Ausnahmegenehmigung für den Export Dr. Ulrich Briefs fraktionslos 12144 C von 39 Kriegsschiffen der ehemaligen NVA Freimut Duve SPD (zur GO) 12145A und von 3 U-Booten nach Indonesien MdlAnfr 25, 26 — Drs 12/4295 — Tagesordnungspunkt 16: Dr. Elke Leonhard-Schmid SPD Beratung der Beschlußempfehlung und SchrAntw PStSekr Be rnd Wilz BMVg . . 12162* B des Berichts des Ausschusses für Wirt- schaft zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Fritz Schumann (Kroppenstedt), Anlage 4 Dr. Gregor Gysi und der Gruppe der Empfänger der 39 Kriegsschiffe der ehema- PDS/Linke Liste: Wettbewerbsfähige ligen NVA in Indonesien Arbeitsplätze im produzierenden Ge- werbe in den neuen Bundesländern MdlAnfr 27 — Drs 12/4295 — schaffen (Drucksachen 12/1909, Norbert Gansel SPD 12/3252) SchrAntw PStSekr Be rnd Wilz BMVg . . 12162* D Dr. Hermann Pohler CDU/CSU 12145D Herbert Meißner SPD 12146 C Anlage 5 Jürgen Türk F.D.P. 12146D Konditionen für die Abgabe von Waffen und Munition der ehemaligen NVA an den Dr. Reinhard Göhner, Parl. Staatssekretär Waffenhändler Karl-Heinz Schulz; Verhin- BMWi 12147D derung des Einsatzes dieser Waffen in Kri- Dr. Fritz Schumann (Kroppenstedt) PDS/ sengebieten Linke Liste 12148B MdlAnfr 28, 29 — Drs 12/4295 — Zusatztagesordnungspunkt 6: Ingrid Köppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Aktuelle Stunde betr. Haltung der Bun- SchrAntw PStSekr Be rnd Wilz BMVg . . 12163* A desregierung zur Patentvergabe des Europäischen Patentamtes (EPA) auf Anlage 6 genmanipulierte Lebewesen Kosten der Auflösung des Kreiswehrersatz- Dr. Ursula Fischer PDS/Linke Liste . . . 12149B amtes Freiburg und Übertragung der Auf- Klaus-Heiner Lehne CDU/CSU 12150C gaben auf das Ersatzamt Lörrach Margot von Renesse SPD 12151A MdlAnfr 30, 31 — Drs 12/4295 — Dr. Christoph Schnittler F.D.P. . . . . 12152B SPD , Parl. Staatssekretär BMJ 12153A SchrAntw PStSekr Be rnd Wilz BMVg . . 12163* B VI Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 140. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Februar 1993

Anlage 7 Umsetzung der Beschlüsse der UNCED- Umwelt und Entwicklung in Rio Bereitstellung nicht betriebsnotwendiger Konferenz anläßlich des Besuchs von Bundesminister Liegenschaften von Bundesbahn und Töpfer in Indien und Pakistan Reichsbahn bis Juli 1993 für Investitionen Dr. Klaus MdlAnfr 45, 46 — Drs 12/4295 — MdlAnfr 38, 39 — Drs 12/4295 — Dr. Klaus Kübler SPD Dr. Wolfgang Weng (Gerlingen) F.D.P. SchrAntw PStSekr Dr. Bertram Wieczorek SchrAntw PStSekr BMU 12164* C BMV 12163* C Anlage 10 Anlage 8 Absprachen zwischen den damaligen Vorbereitung einer EG-Richtlinie über die Westmächten und der ehemaligen Sowjet- ausschließliche Verwendung von schwer union über den Bau der Berliner Mauer entflammbaren, Antimon enthaltenden MdlAnfr 53 — Drs 12/4295 — Stoffen für Polstermöbel; Entsorgung der Jürgen Augustinowitz CDU/CSU Möbel als Sondermüll SchrAntw StM Helmut Schäfer AA . . . 12165* C MdlAnfr 42, 43 — Drs 12/4295 — Uta Würfel F.D.P. Anlage 11 SchrAntw PStSekr Dr. Ber tram Wieczorek Nichtbeantwortung eines Schreibens des BMU 12164* A portugiesischen Außenministers vom Juli 1992 an Bundesminister Dr. im Zusammenhang mit der Genehmigung des Anlage 9 Exports von Kriegsschiffen nach Indone- Berücksichtigung von Rissen im Leitungs- sien system des Kernkraftwerks Biblis in der MdlAnfr 54 — Drs 12/4295 — Risikostudie B als mögliche Störfälle; letzt- Norbert Gansel SPD malige Überprüfung; Vereinbarung über eine verstärkte Zusammenarbeit bei der SchrAntw StM Helmut Schäfer AA . . . 12165* C Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 140. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Februar 1993 12061

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Beginn: 9.00 Uhr

Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Meine Damen und Von der Frist für den Beginn der Beratung soll bei Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich wün- Tagesordnungspunkt 4 a und b abgewichen wer- sche einen guten Morgen. Die Sitzung ist eröffnet. den. Ich teile zunächst mit: Der frühere Kollege Bernhard Weiter ist vereinbart worden, Tagesordnungs- Jagoda hat am 7. Februar 1993 auf seine Mitglied- punkt 13, Suchtstoffübereinkommen, abzusetzen und schaft im Deutschen Bundestag verzichtet. Sein Nach- Tagesordnungspunkt 16 bereits am Donnerstag nach folger, der Abgeordnete Erhard Niedenthal, hat am Tagesordnungspunkt 11 zu beraten. 8. Februar 1993 die Mitgliedschaft im Deutschen Bundestag erworben. Ich begrüße den neuen Kolle- Sind Sie damit einverstanden? — Das ist der Fa ll. gen ganz herzlich und wünsche gute Zusammenar- Dann verfahren wir so. beit. (Beifall) Ich rufe Tagesordnungspunkt 3 und Zusatzpunkt 2 Nun zur Parlamentsarbeit: Nach einer interfraktio- auf: nellen Vereinbarung soll die verbundene Tagesord- 3. Überweisung im vereinfachten Verfahren nung erweitert werden. Die Punkte sind in der Ihnen vorliegenden Zusatzpunktliste aufgeführt: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu der 1. Aktuelle Stunde: Haltung der Bundesregierung zur aktuel- Konstitution und der Konvention der Interna- len Lage in der Stahlindustrie und ihren regionalen Aus- wirkungen (In der 139. Sitzung bereits erledigt.) tionalen Fernmeldeunion vom 30. Juni 1989 2. Beratung des Antrags des Bundesministers der Finanzen: — Drucksache 12/4134 — Einwilligung gemäß § 64 Abs. 2 der Bundeshaushaltsord- Überweisungsvorschlag: nung zur Veräußerung der bundeseigenen Liegenschaft in Ausschuß für Post und Telekommunikation O-1561 Potsdam, Bauhofstraße 2-8 — Drucksache 12/3149- ZP2 Beratung des Antrags des Bundesministers der 3. Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Finanzen Rechtsausschusses zu den dem Deutschen Bundestag zuge- Einwilligung gemäß § 64 Abs. 2 der Bundes- leiteten Streitsachen vor dem Bundesverfassungsgericht haushaltsordnung zur Veräußerung der bun- 2 BvR 2134/92 und 2 BvR 2159/92 — Drucksache 12/4304 — deseigenen Liegenschaft in O-1561 Potsdam, Bauhofstraße 2-8 4. Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Rechtsausschusses zu der dem Deutschen Bundestag zuge- — Drucksache 12/3149 — leiteten Streitsache vor dem Bundesverfassungsgericht Überweisungsvorschlag: 2 BvE 1/93 — Drucksache 12/4305 — Haushaltsausschuß 5. Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Maria Böhmer, , Dr. Rolf Olderog, weiterer Abgeordneter Es handelt sich um Überweisungen im vereinfach- und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten ten Verfahren ohne Debatte. Manfred Richter (Bremerhaven), Horst F riedrich, Ekkehard Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen Gries, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der F.D.P.: Prävention und Bekämpfung von Öltankerunfällen an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse — Drucksache 12/4307- zu überweisen. Sind Sie auch damit einverstanden? — 6. Aktuelle Stunde: Haltung der Bundesregierung zur Patent- Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so vergabe des Europäischen Patentamtes (EPA) auf genma- beschlossen. nipulierte Lebewesen 7. Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Peter Conradi, Dr. Eckhart Pick, Achim Großmann, weiteren Ich rufe den Tagesordnungspunkt 4 a bis h sowie die Abgeordneten und der Fraktion der SPD eingebrachten Zusatzpunkte 3 und 4 auf: Entwurfs eines Gesetzes zur Anderung des Baugesetzbuchs — § 22a —- Drucksachen 12/3626, 12/4317 4. Abschließende Beratungen ohne Aussprache 8. Aktuelle Stunde: Verhältnis zu den osteuropäischen Nach- a) Zweite und dritte Beratung des von der barstaaten Bundesregierung eingebrachten Entwurfs 12062 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 140. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Februar 1993

Präsidentin Dr. Rita Süssmuth eines Gesetzes zur Änderung des Patentge- und zum Gesetz zur Anpassung der Zahl setzes und anderer Gesetze der Beamten im Geschäftsbereich des Bun- — Drucksache 12/3630 — desministers der Verteidigung an die Ver- (Erste Beratung 128. Sitzung) ringerung der Streitkräfte (BwBAnpG) — Drucksachen 12/2206, 12/4248 — Beschlußempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses (6. Ausschuß) Berichterstattung: — Drucksache- 12/4309 Abgeordnete Brigitte Schulte (Hameln) Johannes Ganz (St. Wendel) Berichterstattung: Abgeordnete Joachim Gres f) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft (9. Ausschuß) zu der Verordnung der Bun- b) Zweite Beratung und Schlußabstimmung desregierung des von der Bundesregierung eingebrach- Aufhebbare Verordnung zur Änderung der ten Entwurfs eines Gesetzes zu der Akte Vierundzwanzigsten Verordnung zur Än- vom 17. Dezember 1991 zur Revision von derung der Außenwirtschaftsverordnung Artikel 63 des Europäischen Patentüber- — Drucksachen 12/3445 (neu), 12/4230 — einkommens — Drucksache 12/3537 — Berichterstattung: Abgeordneter Peter Kittelmann (Erste Beratung 117. Sitzung) Beschlußempfehlung und Bericht des g) Beratung der Beschlußempfehlung des Peti- Rechtsausschusses (6. Ausschuß) tionsausschusses (2. Ausschuß) — Drucksache 12/4310 — Sammelübersicht 87 zu Petitionen Berichterstattung: — Drucksache 12/4260 — Abgeordnete Joachim Gres h) Beratung der Beschlußempfehlung des Peti- Ludwig Stiegler tionsausschusses (2. Ausschuß)

c) Beratung der Beschlußempfehlung und des Sammelübersicht 88 zu Pe titionen Berichts des Petitionsausschusses (2. Aus- — Drucksache 12/4261 — schuß) zu der Unterrichtung durch das Euro- ZP 3 Beratung der Beschlußempfehlung und des päische Parlament Berichts des Rechtsausschusses (6. Ausschuß) Entschließung zu den Beratungen des Peti- zu den dem Deutschen Bundestag zugeleiteten tionsausschusses im parlamentarischen Streitsachen vor dem Bundesverfassungsge- Jahr 1991 bis 1992 richt 2 BvR 2134/92 und 2 BvR 2159/92 — Drucksachen 12/3128, 12/4194 — — Drucksache 12/4304 — Berichterstattung: Abgeordneter Dr. Gero Pfennig Berichterstattung: Abgeordneter d) Beratung der Beschlußempfehlung und des ZP 4 Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Forschung, Berichts des Rechtsausschusses (6. Ausschuß) Technologie und Technikfolgenabschät- zu der dem Deutschen Bundestag zugeleiteten zung (20. Ausschuß) zu der Unterrichtung Streitsache vor dem Bundesverfassungsge- durch die Bundesregierung richt 2 BvE 1/93 Vorschlag für eine Entscheidung des Rates — Drucksache 12/4305 — über die Aufstellung eines mehrjährigen Programms zur Entwicklung von Gemein- Berichterstattung: schaftsstatistiken über Forschung, Ent- Abgeordneter Horst Eylmann wicklung und Innovation Es handelt sich um die Beschlußfassung zu Vorla- — Drucksachen 12/2867 Nr. 2.21, 12/3975 — gen, zu denen keine Aussprache vorgesehen ist. Berichterstattung: Ich beginne mit Tagesordnungspunkt 4 a: Einzelbe- Abgeordnete Dr. Martin Mayer (Siegerts- ratung und Abstimmung über den von der Bundesre- brunn) gierung eingebrachten Entwurf zur Änderung des Siegmar Mosdorf Patentgesetzes, Drucksachen 12/3630 und 12/4309. Dr.-Ing. Karl-Hanz Laermann Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschußfassung zustimmen wollen, um das Hand- e) Beratung der Beschlußempfehlung und des zeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Berichts des Verteidigungsausschusses Damit ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung (12. Ausschuß) zu der Unterrichtung durch einstimmig angenommen. die Bundesregierung Wir treten in die Bericht der Bundesregierung zum Gesetz dritte Beratung über die Verminderung der Personalstärke ein und kommen zur Schlußabstimmung. Ich bitte der Streitkräfte (PersStärkeG) diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wol- Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 140. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Februar 1993 12063

Präsidentin Dr. Rita Süssmuth len, sich zu erheben. — Der Gesetzentwurf ist einstim- gen? — Die Beschlußempfehlung ist bei zwei Gegen- mig angenommen. stimmen angenommen.

Tagesordnungspunkt 4 b: Einzelberatung und Schluß- Ich rufe den Tagesordnungspunkt 5 auf: abstimmung über den von der Bundesregierung ein- gebrachten Vertragsgesetzentwurf zum Europäi- a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Horst schen Patentübereinkommen, Drucksache 12/3537. Sielaff, Dr. Gerald Thalheim, B rigitte Adler, Der Rechtsausschuß empfiehlt auf Drucksache 12/ weiterer Abgeordneter und der Fraktion der 4310, den Gesetzentwurf unverändert anzunehmen. SPD Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustim- Struktur- und sozialverträgliche Verwertung men wollen, sich zu erheben. — Wer stimmt dagegen? volkseigener land- und forstwirtschaftlicher — Enthaltungen? — Keine. Der Gesetzentwurf ist Flächen in den neuen Ländern durchführen einstimmig angenommen. — Drucksache 12/3476 — Überweisungsvorschlag: Tagesordnungspunkt 4 c: Beschlußempfehlung des Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten (feder- Petitionsausschusses zu der Entschließung des Euro- führend) päischen Parlaments zu den Beratungen seines Peti- Rechtsausschuß tionsausschusses in den Jahren 1991 und 1992, Druck- Haushaltsausschuß sache 12/4194. Wer stimmt für diese Beschlußempfeh- b) Beratung der Beschlußempfehlung und des lung? — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Damit ist Berichts des Ausschusses für Ernährung, L and- diese Beschlußempfehlung bei zwei Enthaltungen wirtschaft und Forsten (10. Ausschuß) angenommen. zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Gerald Thalheim, Brigitte Adler, Hans Gottfried Bern- Tagesordnungspunkt 4 d: Beschlußempfehlung des rath, weiterer Abgeordneter und der Fraktion Ausschusses für Forschung, Technologie und Tech- der SPD nikfolgenabschätzung zu dem Vorschlag der EG zur Aufstellung eines Programms der Entwicklung von Zum Siedlungskauf-Modell der Bundesregie- Gemeinschaftsstatistiken, Drucksache 12/3975. Wer rung in den neuen Bundesländern stimmt für diese Beschlußempfehlung? — Gegen- zu dem Antrag der Abgeordneten Horst Sielaff, probe! — Enthaltungen? — Die Beschlußempfehlung Dr. Gerald Thalheim, Hinrich Kuessner, weite- ist bei zwei Enthaltungen angenommen. rer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Richtlinie für die Durchführung der Verwer- Tagesordnungspunkt 4 e: Beschlußempfehlung tung und Verwaltung volkseigener land- und des Verteidigungsausschusses zu dem Bericht der forstwirtschaftlicher Flächen Bundesregierung zum Personalstärkegesetz und — Drucksachen 12/2126, 12/2545, 12/3563 — Bundeswehrbeamtenanpassungsgesetz, Drucksache 12/4248. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? Berichterstattung: — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Die Beschluß- Abgeordneter Siegf ried Hornung empfehlung ist bei zwei Gegenstimmen angenom- c) Beratung der Großen Anfrage der Abgeordne- men. ten Werner Schulz (Berlin), Dr. Klaus-Dieter Feige und der Gruppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Tagesordnungspunkt 4 f: Beschlußempfehlung des NEN Ausschusses für Wirtschaft zur Änderung der Außen- Lage und Zukunft der Landwirtschaft in den wirtschaftsverordnung, Drucksache 12/4230. Wer neuen Bundesländern stimmt für diese Beschlußempfehlung? — Gegen- probe! — Enthaltungen? — Die Beschlußempfehlung — Drucksachen 12/2324, 12/2837 — ist bei zwei Enthaltungen angenommen. Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat sind für die gemeinsame Aussprache anderthalb Stunden vorge- Tagesordnungspunkt 4 g und 4 h: Beschlußempfeh- sehen. — Dagegen sehe ich keinen Widerspruch. lungen des Petitionsausschusses auf den Drucksachen Ich eröffne die Aussprache. Es beginnt der Abge- 12/4260 und 12/4261. Das sind die Sammelübersich- ordnete Dr. Gerald Thalheim. ten 87 und 88. Wer stimmt für diese Beschlußempfeh- lungen? — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Die Beschlußempfehlungen sind bei zwei Enthaltungen Dr. Gerald Thalheim (SPD): Verehrte Frau Präsiden- angenommen. tin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Mit der politischen Wende in der ehemaligen DDR stand fest, Zusatzpunkt 3: Beschlußempfehlung des Rechts- daß die Verwertung der sogenannten volkseigenen ausschusses zu Streitsachen vor dem Bundesverfas- Flächen eine der wichtigsten Entscheidungen im sungsgericht. Wer stimmt für diese Beschlußempfeh- Zusammenhang mit der deutschen Einheit werden lung? — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Die Be- würde. schlußempfehlung ist bei zwei Enthaltungen ange- Die überwiegende Zahl der Aktivisten der Wende, nommen. bis hin zu den Parlamentariern der ersten frei gewähl- - ten Volkskammer, hatte das Ziel, dieses Bodeneigen- Zusatzpunkt 4: Beschlußempfehlung des Rechts- tum vor allem für den Aufbau wettbewerbsfähiger ausschusses zu einer weiteren Streitsache vor dem Landwirtschaftsbetriebe in den neuen Ländern einzu- Bundesverfassungsgericht. Wer stimmt für diese setzen. Dieser Landbesitz sollte primär den ortsansäs- Beschlußempfehlung? — Gegenprobe! — Enthaltun sigen Landwirten zugute kommen, unabhängig 12064 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 140. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Februar 1993

Br. Gerald Thalheim davon, in welcher Betriebsform sie das L and bewirt- — Herr Gallus, ich werde in meiner Rede noch darauf schaften wollten. eingehen. Sie waren bis vor kurzem Mitglied der Deshalb war es folgerichtig, daß die SPD-Bundes- Bundesregierung. Heute steht u. a. auch eine Große tagsfraktion den Vorschlag unterbreitete, das Land Anfrage des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN mit zur Diskussion. Die Verfasser haben der Bundesregierung Siedlungsgesellschaften zu übereignen, die unter Berücksichtigung der regionalen Belange für die in Frage 6 den Vorwurf gemacht, sie habe das Karls- Verwertung zuständig sein sollten. Das Ziel war, die ruher Urteil umgangen. Die Bundesregierung beant- Siedlungsgesellschaften unter die Kontrolle der Län- wortet Frage 6 dieser Großen Anfrage mit dem lapi- derparlamente zu stellen — wohlgemerkt, unter die daren Satz: „Der Vorwurf ist unbegründet." von vier CDU-dominierten Länderparlamente. (Egon Susset [CDU/CSU]: So ist es! — Wei Dieses komplizierte Problem sollte im Rahmen eines terer Zuruf von der CDU/CSU: Das müssen demokratischen Verfahrens geklärt werden. Wir muß- Sie zur Kenntnis nehmen!) ten jedoch sehr bald erkennen: So viel Demokratie — Lesen Sie sich bitte noch einmal diese Anfrage war an dieser Stelle nicht gewünscht. In Bonn hatte durch. man ganz andere Absichten. Herr Thalheim, der Trotz Einigungsvertrag und Karlsruher Urteil wur- Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Abgeordnete Gallus hat noch eine Zusatzfrage. den die Befürchtungen der Menschen in den ländli- chen Regionen der ehemaligen DDR bestätigt. Nicht (SPD): Ja, bitte. ihr Schicksal, nicht ihre Zukunft war es, die die Dr. Gerald Thalheim Politiker von CDU und F.D.P. am Rhein bewegte, Georg Gallus (F.D.P.): Herr Kollege, verstehen Sie sondern die Frage, wie in Umgehung des Karlsruher das Urteil des Bundesverfassungsgerichts eigentlich Urteils eine „Wiedergutmachung in Land" und nicht so, daß eine Entschädigung nur in Geld und nicht auch nur eine Entschädigung, wie es das Karlsruher Urteil in Form von Grund und Boden erfolgen kann? ausdrücklich zuläßt, durchzusetzen ist. (Hans-Ulrich Köhler [Hainspitz] [CDU/CSU]: Dr. Gerald Thalheim (SPD): Herr Gallus, im weiteren Sowohl als auch!) Verlauf meiner Rede werde ich genau auf den Punkt Meine Damen und Herren, ich gebe zu, als Neupar- noch einmal eingehen. lamentarier mußte ich in diesem Hause sehr vieles dazulernen. Ich hatte z. B. kaum Vorstellungen, was Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Herr Thalheim, Lobbyismus bedeutet. gestatten Sie noch eine Zwischenfrage der Abgeord- neten Weyel? (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Und was Eigentum ist!) Dr. Gerald Thalheim (SPD): Ja, bitte. In einer in der Parlamentsgeschichte der Bundesrepu- blik Deutschland beispiellosen Aktion habe ich erken- Gudrun Weyel (SPD): Herr Kollege, es ist ja sicher nen müssen, was Lobbyismus eigentlich bedeutet. Die dem ganzen Hause bekannt, daß die Frage der Verbände der bis 1949 Enteigneten haben auf allen Enteignungen vor Gründung der eigenständigen Wegen versucht, ihre Interessen durchzusetzen. deutschen Staaten nach dem Krieg auch im Zusam- (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Sie sind also menhang mit den Zwei-plus-Vier-Gesprächen gese- nach wie vor gegen Eigentum?!) hen werden muß und daß bei diesen Festlegungen internationale Vereinbarungen eine Rolle spielten. Am 26. Juni des vergangenen Jahres, Herr Hor- Ich glaube, aus der damaligen Situation heraus war nung, wurde eine Richtlinie zur Verwertung des das eine notwendige Entscheidung. Ob man sie Landes im Besitz der Treuhandanstalt verabschie- irgendwann revidieren kann, weiß ich nicht, denn es det. sind ja internationale Vereinbarungen.

Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Herr Thalheim, Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Was war jetzt die gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Frage? Gallus? (Gudrun Weyel [SPD]: Ich wollte wissen, ob das bekannt ist!) Dr. Gerald Thalheim (SPD): Ja, bitte. Dr. Gerald Thalheim (SPD): Frau Kollegin, ich setze das als bekannt voraus. (F.D.P.): Herr Kollege, sind Sie der Georg Gallus Wer damals glaubte, es würden endlich langfristige Auffassung, daß die Enteignung der ehemaligen Grundbesitzer durch die Kommunisten in der DDR Pachtverträge abgeschlossen — Sie, werte Kollegin- — wenn auch vielleicht auf Geheiß von Moskau — nen und Kollegen, haben das ja auch im Ernährungs ausschuß gefordert —, sah sich getäuscht. Obwohl richtig war? diese Richtlinie in enger Zusammenarbeit zwischen dem Bundesfinanzministerium und der Treuhandan- Dr. Gerald Thalheim (SPD): Herr Gallus, Sie wissen, stalt erarbeitet worden war, kam sie nicht zur Anwen- darum geht es hier nicht. - dung. Diese Richtlinie hatte einen Mangel: Die Anlie- (Lebhafter Widerspruch bei der CDU/CSU gen der Alteigentümer, vor allem derjenigen — das und der F.D.P. — Günther Bredehorn betone ich ausdrücklich —, die selbst nicht Landwirt- [F.D.P.]: Es geht um das Eigentum dieser schaft betreiben wollten, waren darin nicht genügend Menschen!) berücksichtigt. Seit dieser Zeit versuchten die Vertre- Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 140. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Februar 1993 12065

Dr. Gerald Thalheim ter der Alteigentümer in unzähligen Diskussionsrun- nannte pauschalierte Verfahren ehemalige Landei- den im Kanzleramt unter Leitung von Herrn Gerster, gentümer wesentlich besser bedient werden sollen, ihre Interessen durchzusetzen, als wenn der Verkehrswert zugrunde gelegt würde. — (Siegfried Hornung [SPD]: Jeder in diesem Herr Gallus, ich komme jetzt auf den Ihre Frage Haus muß Vertreter von Eigentümern betreffenden Teil zu sprechen. — Das bedeutet, daß sein!) ein Subventionstatbestand zugunsten dieser Gruppe geschaffen wird. Schlimm ist, daß Gesellschafter von was ihnen auch weitgehend gelungen ist. Vor allem Kapitalgesellschaften von dem Siedlungskaufpro- haben sie den Abschluß langfristiger Pachtverträge gramm ausgeschlossen werden. um ein Jahr hinausgeschoben, was die Perspektive vieler Betriebe enorm verschlechterte und in der (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Mit ein paar Landwirtschaft der neuen Länder zum Investitions- Mark Eigenkapital große Gewinne einschie hemmnis wurde. ben!) Letzteres ist besonders fragwürdig. Nach der jetzt vorliegenen Ergänzung der Richtli- nie erhalten die zwischen 1945 und 1949 Enteigneten Während in diesem Haus unwürdig um eine ange- eine Vorrangstellung vor allen Mitbewerbern. Das messene Entschädigung der Opfer des SED-Regimes, wird mit dem schwammigen Begriff „Interessenaus- die jahrelang im Gefängnis gesessen haben, gestritten gleich" kaschiert. wurde, weil angeblich kein Geld vorhanden war, während noch immer ungeklärt ist, ob Aussiedler aus (Dr. [CDU/CSU]: Das sind die den ehemaligen Ostgebieten zumindest 4 000 DM Eigentümer!) erhalten sollen, während Kreispachtgeschädigte, die Der jetzige Bundeswirtschaftsminister Rexrodt hat als ähnlich schlimme Enteignungen wie die Opfer der Vorstandsmitglied der Treuhandanstalt die Katze aus Bodenreform erleiden mußten, bis heute keine Mark dem Sack gelassen. Nach seiner Auffassung stellt zu erwarten haben, soll lediglich der Gruppe der diese Regelung eine „Priorität der Priorität" dar. Alteigentümer, die oftmals in der Bundesrepublik (Zuruf des Abg. Egon Susset [CDU/CSU]) Lastenausgleich erhalten hat und wesentlich besser — Wohlgemerkt, Herr Susset, damit ist nicht die gestellt ist, ein erhebliches Geschenk gemacht wer- Priorität vor Nachfolgebetrieben ehemaliger LPGs auf den. der Bewerberliste gemeint, sondern die Priorität vor (Hans-Ulrich Köhler [Hainspitz] [CDU/CSU]: anderen Wieder- und Neueinrichtern aus den neuen Herr Dr. Thalheim, das ist doch billige Pole Bundesländern. „Priorität der Priorität" : Herr Gallus, mik!) das ist der erste Teil der Antwort auf Ihre Frage. Reden Auch hier klafft eine riesige Gerechtigkeitslücke, Sie mit Ihrem Kollegen Rexrodt. Herr Köhler. Noch verhängnisvoller für die Bewerber aus Ost- deutschland ist die Tatsache, daß der Begriff „exi- Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Herr Thalheim, stenzbedrohender Flächenentzug" nicht geklärt ist. gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Abge- Obwohl die genannte Treuhandrichtlinie alle Fragen ordneten von Schorlemer? bis ins Detail regelt, wurde ausgerechnet diese Begriffsbestimmung ausgespart. Es ist also zu Dr. Gerald Thalheim (SPD): Ja, bitte. befürchten, daß Alteigentümer den Zuschlag erhal- ten, egal, wie viele Arbeitsplätze in noch existieren- Reinhard Freiherr von Schorlemer (CDU/CSU): den oder neugegründeten Betrieben verlorengehen. Herr Kollege, Sie haben vorhin von dem Unrecht der Dafür könnten individuelle Beispiele nachgeliefert Bodenreform gesprochen. Würden Sie die Frage des werden. Kollegen Gallus, ob die brutale Bodenreform von 1945 (Zurufe von der CDU/CSU und der F.D.P.) bis 1949 ein Unrecht war, jetzt einmal klar mit Ja oder Nein beantworten? Jetzt muß ich doch Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: (SPD): Selbstverständlich war kurz unterbrechen. Dr. Gerald Thalheim es ein Unrecht. Herr von Schorlemer, das Problem (Franz Romer [CDU/CSU]: Es ist ja furchtbar, besteht doch ganz klar darin — das habe ich hier was er sagt!) darzulegen versucht —, daß sich Entschädigung und — Es mag ja sein, daß es für Sie furchtbar klingt, aber Wiedergutmachung auch für diese Gruppe daran man muß den Redner noch verstehen können. orientieren müssen, was vergleichbare Gruppen, die ihren Wohnsitz in der ehemaligen DDR haben, an Entschädigung bekommen. Ich habe ganz klar auf das Dr. Gerald Thalheim (SPD): Ja, es ist in der Tat Defizit aufmerksam gemacht: Diejenigen, die im furchtbar, aber es ist leider die Wahrheit. Gefängnis gesessen haben, und diejenigen, die von Eine Regelung, wo und nach welchen Kriterien eine Kreispachtverträgen betroffen waren — das sind ent- Überprüfung der Entscheidung vorgenommen wer- eignungsgleiche Tatbestände —, haben keine Mark den muß, ist jedenfalls nicht getroffen worden. Ohne zu erwarten. Denen müssen Sie einmal erklären, Belang scheint zu sein, wieviel Altschulden- solche warum einzig und allein die Gruppe der Alteigentü- Betriebe zu bedienen haben und wie hoch die Vermö- mer — allen ist gleichermaßen Unrecht widerfahren — gensansprüche ausgeschiedener Mitglieder sind. bessergestellt worden ist. Im Siedlungs- und Landerwerbsprogramm ist eine (Beifall bei der SPD und der PDS/Linke Regelung gefunden worden, nach der über das soge Liste) 12066 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 140. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Februar 1993

Dr. Gerald Thalheim Ich lade Sie gern einmal zu einem Gespräch ein. Ich Unsere weiteren Forderungen sind: Selbstbewirt- bin gespannt, wie Sie denjenigen, die 1953 von ihrem schaftung der Flächen und kein existenzbedrohender Hof vertrieben wurden und heute unter die Kreispach- Flächenentzug sowie ein Siedlungskauf, der auch tregelung fallen, erklären wollen, warum sie weniger Gesellschafter juristischer Personen mit einbezieht. als diejenigen bekommen sollen, die vier Jahre vorher (Beifall bei der SPD und der PDS/Linke vom gleichen Schicksal betroffen waren. An einem Liste) solchen Gepräch wäre ich sehr interessiert. (Beifall bei der SPD und der PDS/Linke Liste Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Als nächster spricht — Hans-Ulrich Köhler [Hainspitz] [CDU/ der Abgeordnete Ulrich Junghanns. CSU]: Auch darüber wird noch verhandelt, Herr Dr. Thalheim!) Ulrich Junghanns (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Unsere Kritik an diesem Vorgehen der Bundesre- Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn gierung wird von seiten der Regierungsparteien oft auch die heute vorliegenden Anträge und Anfragen mit dem Hinweis abgetan, wir würden für die ehema- älteren Datums sind — die Gesamtthematik „Agrar- ligen LPGs Partei ergreifen. Dabei wird so get an, als wirtschaft in den neuen Bundesländern" bleibt poli- wäre die Herkunft eines Betriebes — sprich: ehema- tisch, wirtschaftlich und sozial brisant. lige LPG — Entscheidungskriterium für Gut und Böse. Eine vielseitig strukturierte, leistungsfähige und Oft genug ist eine ganz andere Herkunft die Tren- umweltverträgliche Landwirtschaft in Mecklenburg- nungslinie. Was manche Geschäftsführer von ehema- Vorpommern, Brandenburg, Sachsen-Anhalt, Thürin- ligen LPGs im Rahmen der Umwandlungsbeschlüsse gen und Sachsen, die nachhaltig im Wettbewerb mit den ehemaligen Inventar- und Landeinbringern besteht, ist unser Ziel. Ich bin sehr dankbar, daß das sowie Mitgliedern gemacht haben, ist schlimm. Was unser neuer Bundesminister für Landwirtschaft, Herr manche Westberater und Glücksritter unternommen Jochen Borchert, mit aller Deutlichkeit bekräftigt hat. haben, ist dagegen kriminell. Der in der Januaraus- Um dem Gestalt zu geben, war, gemessen an der gabe der „Deutschen Landwirtschaftszeitung" be- Kompliziertheit des Vorhabens, bis dato wenig Zeit. schriebene Fall in der Gemeinde Gallin ist leider kein Dennoch werden nach zweieinhalb Jahren die Kontu- Einzelfall. ren davon für jedermann schon deutlich. Die gegenwärtige Situation ist geeignet, die Kluft Eingebettet in den tiefgreifenden Reformprozeß der zwischen Ost und West eher zu vertiefen, als sie zu europäischen Landwirtschaft werden zweifelsfrei vermindern. Dafür trägt die Bundesregierung mit scharfe Zäsuren in allen Dörfern abverlangt, aber ihren Entscheidungen erhebliche Mitverantwor- auch gleichzeitig echte wirtschaftliche Chancen auf- tung. gezeigt, die sich die Bauern in den neuen Bundeslän- dern bestimmt nicht nehmen lassen. (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Das ist ein (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Bei den bißchen zu billig, was Sie jetzt sagen!) Sozialdemokraten gibt es nie Chancen! — Unser Ziel ist das Gegenteil. Das wird nur erreicht, Horst Sielaff [SPD], zu Abg. Siegfried Hor wenn die Menschen in den neuen Ländern ihre nung [CDU/CSU] gewandt: Dummschwät Chance erhalten. zer! Dummes Geschwätz! — Reinhard Frei Bezogen auf die Vergabe von Land im Besitz der herr von Schorlemer [CDU/CSU], zu Abg. Treuhandanstalt sind wir bescheiden geworden, Herr Horst Sielaff [SPD] gewandt: Herr Diakon, Hornung. Wir fordern nichts anderes als die Umset- etwas ruhiger!) zung der Richtlinie der Treuhandanstalt vom 26. Juni Eine solche Gesamtsicht wird erst legitim, wenn 1992 ohne die aktuellen Zusätze. man sich auch tabulos den Problemen dieses gewalti- gen Umstrukturierungsprozesses zuwendet. Ja, wir (Horst Sielaff [SPD]: Herr Hornung kennt das haben Erfahrungen sammeln können, die die vorbe- gar nicht und hat das gar nicht gelesen! — haltlosere Diskussion um den Strukturwandel der Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Jetzt neh deutschen Landwirtschaft insgesamt angestoßen ha- men Sie doch einmal das, was schon Gesetz ben. Andererseits sind wir auch mit Fehlentwicklun- ist!) gen und Defiziten konfrontiert, die dargestellt und Also: Keine Bevorzugung der Alteigentümer bei der politisch bewertet werden müssen, um sie gegebe- Verpachtung des L andes, sondern Vergabe des Pacht- nenfalls rechtzeitig korrigieren zu können. zuschlags an jene, die das beste Betriebskonzept (Hinrich Kuessner [SPD]: Die der Regierung? besitzen. Oder welche Fehlentwicklungen meinen (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Das ist Sie?) genau das, was wir gefordert haben!) In diesem Sinne möchte ich Ihnen zu drei Problem- kreisen meine Meinung sagen: Wir Agrarpolitiker der — Herr Kollege, denken Sie einmal an den Fall Hohen Koalition sind uns darin einig, daß der notwendige Wangelin. Dort erhält ein jetziges Mitglied der Bun- Strukturwandel in der ostdeutschen Landwirtschaft deswehr ohne fachliche Qualifikation den Zuschlag. letztlich nur solide, d. h. tragfähig wird, wenn die In der Richtlinie steht aber, es werde nach fachlicher - damit verbundenen Vermögensauseinandersetzun- Qualifikation entschieden. Dieser junge Mann hat gen ohne Verzug nach den geschaffenen rechtlichen noch nicht einmal studiert; er will erst noch studieren. Grundlagen vollzogen werden. Aber genau daran Das ist seine fachliche Qualifikation. mehren sich die Zweifel. Unüberhörbar sind die (Zuruf von der CDU/CSU) zahlreichen Hinweise auf Vergehen und Vorwürfe Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 140. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Februar 1993 12067

Ulrich Junghanns hinsichtlich Duldungen gerade in diesen, naturgemäß Ulrich Junghanns (CDU/CSU): Natürlich. die Emotionen der Beteiligten schürenden Fragen der Vermögensregelung. Untersuchungen aller neuen Gerald Thalheim (SPD): Herr Kollege Junghanns, Länder geben Beleg dafür. Auch die Arbeitsgruppe warum hat die Bundesregierung erst im Dezember Landwirtschaft der CDU/CSU-Fraktion hat sich bei diese Arbeitsanweisung zum Landwirtschaftsanpas- einem Termin mit Betroffenen in Salzwedel über die sungsgesetz vorgelegt, obwohl Ihnen bekannt war, Situation in Sachsen-Anhalt informiert. daß zu dem Zeitpunkt alle Fristen verstrichen waren, Aus Überprüfungen von ehemaligen LPGs nach und Ihnen zudem bekannt war, daß wir bereits im § 70 Abs. 3 des Landwirtschaftsanpassungsgesetzes Frühjahr vergangenen Jahres mit einer Kleinen stellt sich der Sachverhalt bis dato wie folgt dar: Anfrage auf die Mängel der Vermögensauseinander- 248 Anträge zur Überprüfung von 181 Unternehmen setzung aufmerksam gemacht hatten? Sie haben sind zu bearbeiten. Von den 200 bereits geprüften damals die Meinung geäußert, daß darauf nicht zu Eingaben konnte nur die Hälfte ohne Beanstandung reagieren sei. abgeschlossen werden. Die vertiefte Überprüfung der anderen Hälfte ergab: In ca. einem Drittel der weiter- Ulrich Junghanns (CDU/CSU): Ich weiß nicht, wann gehend geprüften Fälle wurden Verstöße gegen das ich die Meinung geäußert haben soll, die Sie hier Landwirtschaftsanpassungsgesetz bzw. strafbare schildern. Im vergangenen Jahr ist mit der Heraus- Handlungen festgestellt. gabe der Erläuterung zum Landwirtschaftsanpas- sungsgesetz klargestellt worden, daß im Grunde (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Das sind die genommen die rechtliche Basis für die Vermögens- Dinge, die bremsen und verzögern!) auseinandersetzung gegeben ist und auf dieser Basis Trotz formeller Umwandlungsmängel besteht in ein Vollzugsdefizit insbesondere unter den hauptver- vielen Fällen keine rechtliche Handhabe für eine antwortlich Handelnden — darauf komme ich noch zu Revision oder Nachbesserung, insbesondere weil die sprechen —, den Ländern, zu verzeichnen ist. betroffenen Personen die erforderlichen rechtlichen (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Bis in die Schritte nicht oder in unzureichender Form ergriffen obersten Spitzen hinein!) haben. Dieser Sachstand war uns Veranlassung, Hilfestel- Bei schwerwiegenden Einzelfällen erfolgt eine lung durch eine solche Erläuterung zu geben. An der Abgabe an die Staatsanwaltschaft. Bisher liegen noch gesetzlichen Grundlage hat sich im Grunde genom- keine Ergebnisse vor. men nichts geändert, aber die Hilfestellung gegen- Bei diesen Überprüfungen stieß man auf folgende über den hauptverantwortlich Handelnden, den Län- Vorgehensweisen: Zum einen gibt es das Bestreben, dern, ist auf diese Weise erfolgt. Abfindungsansprüche ausscheidender Mitglieder durch Bewertung nach Liquidationsbilanz oder durch Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Der Kollege Thal- Unterbewertung zu kürzen oder zu vereiteln. heim hat noch eine Zusatzfrage. (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Da wird schamlos Eigentum mißbraucht!) Dr. Gerald Thalheim (SPD): Teilen Sie die Auffas- sung — heute geht es ja um die Frage der Landver- Zweitens ist das Bestreben deutlich, durch unver- gabe durch die Treuhandanstalt —, daß, wenn den tretbare Rückstellungen, z. B. für unerkannte Bau- Betrieben Flächen entzogen werden, natürlich die mängel oder sogar für Lohnzahlungen, diese Vermö- Vermögensauseinandersetzung auf einer geringeren gensauseinandersetzung zu erschweren. Fläche erfolgen muß und für die Bet riebe deshalb um Drittens wird offenkundig: Ausnutzung des eigenen so schwieriger wird? oder erkauften Wissensvorsprungs — Partner sind oftmals Anwälte aus den alten Bundesländern; da Ulrich Junghanns (CDU/CSU): Die Auffassung, daß gebe ich meinem Kollegen Thalheim recht — in die Vermögensauseinandersetzung durch den Um- Rechts- und Bilanzfragen aus althergebrachter Lei- fang der Landbewirtschaftung beeinflußt wird, teile tungsposition bei der Anwendung der Gesetzesvor- ich. schriften gegen die ausscheidenden Mitglieder, (Beifall bei Abgeordneten der SPD — Horst etwa Verfahrensausgrenzung oder auch Einschüchte- Sielaff [SPD]: Und auch, daß das schwieriger rung. wird?) (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Und das Ich bekräftige auf Grund der dargestellten Sach- sind keine Einzelfälle!) stände noch einmal die Erwartung unserer Arbeits- Verständlich wird da die zunehmende Unzufrie- gruppe gegenüber dem BML, umgehend alle Hand- denheit über die Praxis der Eigentumsauseinander- lungsmöglichkeiten zur Überwindung solcher Un- setzungen. Hiervon gehen nach unserer Auffassung in rechtstatbestände auszuloten und zu ergreifen. hohem Maße Gefahren für den Umstrukturierungs- Wir gehen davon aus — das muß ich in aller prozeß aus. Deutlichkeit sagen —, daß das geschilderte Vorgehen Verstöße gegen das Landwirtschaftsanpassungsge- setz sind, die keine Duldung erfahren dürfen. In diesem Sinne ist die Hilfestellung gegenüber den Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Herr Junghanns, hauptverantwortlich Handelnden, den Ländern, beim gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Abbau des Vollzugsdefizits zu verstehen: Verstär- Thalheim? kung der Beratungs- und Informationsaktivitäten bis 12068 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 140. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Februar 1993

Ulrich Junghanns hin zum Rechtsbeistand, schneller Aufbau der Land- Diese Vorwürfe — das halte ich für das politisch wirtschaftsgerichte und straffere Bindung aller För- Verwerfliche in dieser Sache — bezüglich der Pacht- derinstrumente an den Vollzug der Vermögensaus- entscheidungen treffen eigentlich die örtlichen einandersetzung. Bodenkommissionen. Zum zweiten zur Verwertung ehemals volkseige- (Dr. Gerald Thalheim [SPD]: Herr Jung ner Flächen. Der Kollege Uli Köhler wird im einzelnen hanns, die Tatsachen sind es!) darauf eingehen. Das gestattet mir, zwei politische — Ich unterhalte mich über jeden Fa ll differenzie- Fragen in diesem Zusammenhang besonders anzu- rend. sprechen. Ich meine, daß es in dieser Situation, in der wir uns Massiv halten sich die Vorwürfe — Herr Dr. Thal- befinden, sehr viel besser ist, uns für die Unterstüt- heim hat das heute bekräftigt —, das sogenannte zung dieser komplizierten Arbeit einzusetzen und Gerster-Papier laufe der Struktur- und Förderpolitik nicht diese Fragestellung in den politischen Verriß zu in unseren Ländern zuwider. Zunächst wollte man das geben. Das ist das Gefährliche. Eigentlich geht es uns an der Prioritätenliste, dann am Verfahren nachwei- darum, daß diese Pachtverträge jetzt schnellstmöglich sen. Wie ich selber immer wieder erleben konnte, abgeschlossen werden. nähren sich solche Auffassungen, wenn sie nicht politisch motiviert sind, aus nachweisbar verbreiteter (Hinrich Kuessner [SPD]: Das hätte schon Unkenntnis des Inhalts des Konzepts. längst passieren müssen!) Zweitens ist die Verwertung der Treuhandflächen, Ich möchte zur helfenden Klarstellung folgendes die ja ihren Ursprung in den Enteignungen auf besat- erfolgt auf der sagen. Die Vergabe der Pachtverträge zungsrechtlicher Grundlage haben, ein Feld, auf dem Grundlage der eingereichten Betriebskonzepte. Das sich alle jene profilieren wollen, die die Alteigentümer beste, gekoppelt mit der Betriebsleiterbefähigung, aufs Korn genommen haben. Das hat ja vorhin eine wird den Zuschlag bekommen. Erst wenn mehrere Rolle gespielt. gleichwertige Anträge respektive Betriebskonzepte vorliegen, greift die mit allen neuen Ländern abge- Ich meine: Wenn sich in einer Pachtkonkurrenz der stimmte Rangfolge für die Verpachtung. ortsansässige Wiedereinrichter gegen die Rückkehr eines Alteigentümers erklärt, ist das vielleicht nach- Wenn der Pachtpreis — auch das müssen wir mit vollziehbar. aller Deutlichkeit hervorheben — auf Grund der unterschiedlichen Vermögenssituation in Ost und Es muß uns aber alle hellwach machen und gemein- West ein untaugliches Entscheidungskriterium ist sam aufbringen, wenn der Landwirtschaftsminister — ich glaube, das erkennen wir ja an —, kann es trotz von Brandenburg — und ich finde es gut, daß Sie heute aller Mängel und Ermessensspielräume, die damit da sind, Herr Zimmermann — am 28. Oktober 1992 — verbunden sind, nur auf das Betriebskonzept ankom- vor dem Landtag so geschehen — für seine Rede men. natürlich gegen unser Konzept der Flächenverwer- tung Beifall mit der Äußerung einholen will — ich darf Im übrigen halte auch ich es für geboten, die Sie zitieren, Herr Zimmermann —: „Zum Schluß örtlichen Neueinricher im ersten Rang einzubeziehen, möchte ich Ihnen heute versichern: Ich werde nicht wobei aber allen mit der Materie Vertrauten stets klar der Agrarminister von Baronen und Grafen." gewesen ist, daß mit einer Anhäufung immer neuer Bewerbergruppen im selben Rang die Entscheidung (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. — zwischen den Betriebskonzepten immer schwieriger Horst Sielaff [SPD]: Das ist in einer Demokra wird. tie aber doch ganz gut! Oder wollen Sie zurück zu Kaiser Wilhelm?) Logischerweise ergeben sich daraus Verfahrens- In einer Zeit, die uns alle lehrt, daß wirtschaftliche prämissen. Konkurrierende Betriesbskonzepte kön- und soziale Einheit in hohem Maße davon abhängt, nen — auch das ist für das politische Verständnis wie bei den Menschen in Ost und West Verständnis dieses Konzeptes wichtig — nur von Fachleuten vor füreinander geschaffen wird, belastet eine derartige Ort, in den Landkreisen von den Bodenkommissionen Verschärfung der Auseinandersetzung um dieses bewertet und entschieden werden. Auf deren Vor- Land das Zusammenwachsen in unvertretbarer und schläge muß sich die BVVG stützen. Wenn sie dem unverantwortbarer Weise. nicht folgt — das steht eindeutig drin —, muß eine Einigung mit dem zuständigen Landesminister — ich (Siegfried Hornung [SPD]: Vielleicht ist das sehe Sie gerade, Herr Zimmermann — gemeinsam gewollt! — Zuruf des Abg. Horst Sielaff erarbeitet werden. [SPD]) Schon dieser Abriß des Inhalts und des Verfahrens — Das ist nicht eine rhetorische Frage, Herr Sielaff. Ich beschreibt, daß de facto die fachliche Entscheidungs- kann nicht nachvollziehen, mit welchem Ziel, wenn kompetenz für die Vergabe des Bodens bei den nicht mit dem Interesse an Trennung und Diffamie- Landesbehörden liegt. rung, solche Kampagnen gefahren werden. Für uns möchte ich folgendes erklären. Natürlich (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Wo sollte - steht für uns die breitgestreute Eigentumsbildung in sie denn sonst sein?) den neuen Bundesländern im Vordergrund. Aber —Ja, wo sollte sie denn sonst sein? Und jetzt frage ich: gerade gestützt auf die Eigentumsregelungen zum Was bleibt da an Vorwurf gegen die Bundesregierung Einigungsvertrag und auf das einschlägige Bundes- im Umgang mit diesem Verfahren übrig? verfassungsgerichtsurteil werden wir auch keine Aus- Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 140. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Februar 1993 12069

Ulrich Junghanns grenzung der durch die Bodenreform enteigneten fungspolitik zu betreiben. Die harte Marktsituation Alteigentümer zulassen. und die vergleichbar schlechte Einkommenslage, die (Horst Sielaff [SPD]: Das wollen auch wir auch der jüngste Agrarbericht ausgewiesen hat, nicht!) schließen ein solches Ansinnen aus. — Was denken Sie, wenn solche wichtigen Doku- Unsere Möglichkeit, mit der Gemeinschaftsaufgabe mente in so einer Auseinandersetzung auf diese Art „Agrarstruktur und Küstenschutz" hier Abhilfe zu und Weise gefahren werden! Schauen Sie sich in den schaffen, ist anerkennenswert. Die eingesetzten Sum- Dörfern um! men sind horrend. Aber diese Aufgabenstellung allein führt uns nicht aus der Misere in den Dörfern her- (Dr. Gerald Thalheim [SPD]: Selbstbewirt aus. schaftung!) Es ist — das sei zur Erläuterung noch gesagt — das (Horst Sielaff [SPD]: Das ist richtig!) Prinzip der Selbstbewirtschaftung in Verbund mit der Unumgänglich ist es deshalb, meine ich, den ländli- Wahrung des Eigentums der Bodenreformbegünstig- chen Raum und die Dörfer unmittelbar und mehr als ten und der örtlichen Pachtinteressen, das diese Posi- bisher in die Wirtschaftsförderung direkt einzubezie- tion für jedermann ausreichend begründet. hen. Ich sage das mit aller Deutlichkeit zum einen (Beifall bei der CDU/CSU — Horst Sielaff deshalb, weil ich mit aller Konsequenz gegen Speku- [SPD]: Das soll die Regierung endlich lationen diesbezüglich auftrete, und zum anderen, machen!) weil ich aus eigenem Erleben erfahren konnte, daß entgegen der verbreiteten Angstschürerei von diesen Die Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur aufgenommenen Landwirtschaftsbetrieben viele als Gemeinschaftsaufgabe ist damit unser Ansatz- wirtschaftliche Impulse und Motivationen für die punkt. Dorfentwicklung ausgehen. Nicht unfruchtbare Kon- Wir haben folgendes aufzunehmen. Die stadtfernen frontation, sondern nutzbringendes Miteinander ha- ländlichen Räume werden für eine wirtschaftliche ben wir als Politiker in dieser sehr sensiblen Frage zu Ansiedlung erst dann attraktiv, wenn die Städte aus transportieren. den Nähten platzen oder zu teuer werden. An diesem (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Punkt sind wir noch nicht, und darauf kann bei uns keiner warten. Die Konsequenz daraus ist die Korrek- Wir Schließlich noch zur Situation in den Dörfern. tur der Konditionen der Gemeinschaftsaufgabe Wirt- wissen, daß die Beschäftigungsbilanzen in den Dör- schaftsstruktur. fern gerade für Frauen besonders schlecht sind. Arbeitslosenzahlen von über 50 % sind dort verbreitet. Ich sage das an dieser Stelle, weil gerade in diesem Zu Recht wird da besondere Hilfe angemahnt. Jahr über diese Konditionen neu für den Zeitraum ab 1994 befunden wird. Weil es eine Bund-Länder- (Zuruf des Abg. Georg Gallus [F.D.P.]) Angelegenheit ist, möchte ich die Agrarpolitiker aller — Herr Gallus, in dieser Frage ist mein Bezugspunkt Fraktionen dafür gewinnen, mitzuhelfen, daß die bei dem Vergleich ein anderer als Ihrer. neuen Bundesländer weiterhin eine besondere För- (Beifall bei der CDU/CSU) derpräferenz erhalten und die Konzentration auf die Davon gehe ich aus, und davon habe ich in meiner strukturschwächsten Gebiete erfolgt. politischen Arbeit auszugehen. (Horst Sielaff [SPD]: Sagen Sie das mal Ihren (Georg Gallus [F.D.P.]: Wollen Sie, daß Fraktionsmitgliedern!) Frauen hundertprozentig beschäftigt wer Dazu sollten die Förderkriterien stärker auf die den?) Einwohnerdichte, das Bruttoinlandsprodukt der Re- — Ich gehe doch nicht von 100 % aus. Ich gehe davon gion, die Infrastrukturversorgung und die Belange des aus, daß im Rahmen dieses Umstrukturierungsprozes- zweiten Arbeitsmarktes ausgerichtet werden. Ange- ses die Frauen aus einer Arbeit herausgegangen sind; bracht erscheinen mir auch Bonuspunkte für Projekte das ist der Bezugspunkt. im ländlichen Raum und in Rand- und Grenzregionen. Der Bund und die Länder sollen bei der Vergabe aller (Horst Sielaff [SPD]: Das versteht Herr Gallus strukturwirksamen Mittel und Aufträge nicht weiter nicht! — Hinrich Kuessner [SPD]: Sie müssen ausschließlich nach dem Bedarfsprinzip gehen, son- sich einmal mit Herrn Gallus darüber unter dern strukturschwache Räume — insbesondere unse- halten! — Dr. Gerald Thalheim [SPD]: Seine rer Länder — bevorzugen. Frau mußte noch nie mitarbeiten! — Zuruf des Abg. Georg Gallus [F.D.P.]) Ich bin der Auffassung, mit einem solchen Rücken- wind durch die Gemeinschaftsaufgabe Wirtschafts- struktur werden sich auch die Selbsthilfekräfte in den Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Herr Gallus hat die ländlichen Räumen besser mobilisieren lassen. Möglichkeit einer Zwischenbemerkung. Ich danke dafür, daß Sie zugehört haben. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Ulrich Junghanns (CDU/CSU): Herr Gallus- soll das dann erläutern. Ich möchte noch einmal mit aller Deutlichkeit sagen — auch an die neuen Bundesländer gerichtet —: Mit Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Als nächster spricht der Landwirtschaft selbst ist keine Arbeitsbeschaf der Abgeordnete Günther Bredehorn. 12070 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 140. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Februar 1993

Günther Bredehom (F.D.P.): Frau Präsidentin! Liebe eigentümern Interessenwahrung gewährt und deren Kolleginnen und Kollegen! Die beiden Schwerpunkte Aufbauwille im Osten mobilisiert werden. dieser Debatte, die Privatisierung der landwirtschaft- (Horst Sielaff [SPD]: Sie sagten: „sollte"!) lichen Flächen und die Entwicklung der Ostlandwirt- schaft, stehen in einem sehr engen Zusammenhang. Die Konzepte aus der sogenannten Laufs- und Ger- Daß es bei der Umstrukturierung der Ostlandwirt- ster-Kommission haben dem und der dahinterstehen- schaft weiterhin knirscht, liegt zum Teil auch daran, den Eigentumsidee sehr weit Rechnung getragen. daß dieser Zusammenhang bei den praktischen Ent- Bei dieser Debatte hat die SPD kaum eine Rolle scheidungen zuwenig Berücksichtigung gefunden gespielt. Sie hatte und hat — das haben wir heute hat. wieder gehört — kein eigenes Konzept. Sie hat sich im vorigen Jahr darauf beschränkt, unsere Vorschläge Die Jahrespachtverträge der Treuhandanstalt ha- durch die sozialistische B rille zu betrachten und ben keine Bewirtschaftungssicherheit geschaffen. abzulehnen. Neue Arbeitsplätze und Einkommen entstehen nur durch Investitionen. Investiert wird jedoch nur dort, (Lachen bei der SPD — Horst Sielaff [SPD]: wo die Eigentumsverhältnisse gesichert sind. Das ist ja unter Niveau!) Wir haben heute morgen Herrn Thalheim gehört. (Horst Sielaff [SPD]: Richtig!) Seine Rede hat das noch einmal erschreckend deut- Klare Eigentumsregeln sind Voraussetzung für die lich gemacht. Ich muß fragen, ob denn diese Posi tion, Funktionsfähigkeit einer Marktwirtschaft. Nur Eigen die Herr Thalheim hier vertreten hat, auch die Posi tion tum schafft Verantwortung. der SPD ingesamt zum Eigentum ist. (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU — (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU — Horst Sielaff [SPD]: Da hat die Regierung das Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Das ist das falsche Konzept gehabt!) Entscheidende!) Wenn das so sein sollte, sind wir und unsere Bürger Die F.D.P. hat sich stets zur Garantie des privaten heute sehr viel klüger geworden. Eigentums bekannt. Zusammen mit zahlreichen Kol- leginnen und Kollegen meiner Fraktion habe ich Auch der hier zitierte Landwirtschaftsminister Zim- anläßlich der Zustimmung zum Einigungsvertrag zu mermann hat da schon einiges zum besten gegeben. Protokoll gegeben, daß die getroffenen Regelungen Gut, ich will hier keine Schärfe hineinbringen. für die Enteignungen in den Jahren 1945 bis 1949 auf 40 Jahre haben sich natürlich ausgewirkt. Aber eines dem Gebiet der DDR als Festschreibung von Unrecht muß ich Ihnen sagen, Herr Minister: Bei uns in nicht unkorrigiert hinnehmbar seien und es dem Norddeutschland, in meiner Heimat, in Niedersach- gesamtdeutschen Parlament vorbehalten bleiben sen und Schleswig-Holstein, könnten Sie nicht Land- müsse, abschließende Entscheidungen über staatli- wirtschaftsminister werden, dann da ist der Landwirt- che Ausgleichsleistungen zu treffen. Wir hatten schaftsminister auch für die Deichgrafen zuständig. damals formuliert, daß als Ausgleichsleistungen nicht (Heiterkeit und Beifall bei der F.D.P. und der nur Geldzahlungen, sondern auch Vorkaufsrechte, CDU/CSU) Pachtrechte und Teilrückgabe von Grund und Boden in Frage kämen. Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Herr Bredehorn, (Beifall bei der F.D.P.) gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Thalheim? Das Unrecht der Enteignung 1945 bis 1949 läßt sich natürlich nicht voll wiedergutmachen. Wir sollten aber doch versuchen — das sehe ich als unsere Günther Bredehorn (F.D.P.): Gern. Verpflichtung an —, einen Teil Wiedergutmachung zu leisten. Dieses Ziel bestätigte -- das ist etwas anderes als das, was Herr Thalheim formuliert hat — Dr. Gerald Thalheim (SPD): Herr Kollege Bredehorn, auch das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß die vom April 1991. Es wies darauf hin, daß es im Bundesrepublik Deutschland — ich meine die Bun- Einzelfall von der Interessenlage angezeigt sein desregierung — bei den sogenannten Mauergrund- könne, den von den unrechtmäßigen Enteignungen stücken und bei den Grundstücken, die auf Enteig- Betroffenen den Rückerwerb ihres ehemaligen Eigen- nungen zu DDR-Zeiten zurückgegangen sind, über- tums einzuräumen. haupt keine Probleme hat, den ehemaligen Besitzern Entschädigungen zu verweigern, also hier durchaus (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Diesen Teil DDR-Unrecht zu ihren Gunsten hinnimmt? liest die SPD überhaupt nicht!) (Horst Sielaff [SPD]: Eine sehr gute Frage!) Das war für uns die rechtliche Grundlage, um durch eine rasche Privatisierung durch Verkauf der Treu- handflächen die offenen Eigentumsfragen zügig zu Günther Bredehorn (F.D.P.): Herr Kollege, wir in entscheiden. Das war ja unser Ziel. unserer Fraktion haben damit durchaus erhebliche - Probleme. Aber es gibt Gerichtsurteile, die das durch- (Horst Sielaff [SPD]: So zügig ging das aber aus anders entschieden haben; ich kann nur sagen: nicht!) leider. Damit sollte Investitionssicherheit geschaffen, die (Horst Sielaff [SPD]: Machen Sie doch eine Agrarumstrukturierung gefördert und auch den Alt Initiative, damit das geändert wird!) Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 140. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Februar 1993 12071

Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Es wird eine weitere einrichter, die LPG-Nachfolgeunternehmen und nicht Zusatzfrage gewünscht. ortsansässige Neueinrichter bewerben. Grundsätzlich wird der Zuschlag nach dem Betriebskonzept ein- Dr. Gerald Thalheim (SPD): Ihre Haltung ändert aber schließlich der beruflichen Qualifikation des Antrag- nichts an meiner Bewertung der Bundesregierung. stellers erteilt. Nur wenn mehrere gleichwer tige Angebote vorliegen, kommt es zu einer Rangfolgeent- Die zweite Frage: Sind Sie bereit, zur Kenntnis zu scheidung, bei der zunächst die Wiedereinrichter mit nehmen, daß die ehemaligen volkseigenen Güter, die und ohne Restitutionsanspruch und ortsansässige ja auch auf die Enteignung bis 1949 zurückgehen, zu Neueinrichter — hier gibt es also keine Benachteili- über 50 % — das zeigen die ersten Unterlagen vom gung, wie es in Ihrem Antrag teilweise noch steht —, BMF — an ihre ehemaligen Eigentümer zurückgegan- dann die LPG-Nachfolgeunternehmen und dann die gen sind, wobei es von uns kein Wort der Kritik nicht ortsansässigen Neueinrichter berücksichtigt gegeben hat? werden. Mit den Grundsätzen für ein Landerwerbsprog- Günther Bredehorn (F.D.P.): Ich kann den Wahr- heitsgehalt dieser 50 % jetzt nicht prüfen. ramm beginnt zeitversetzt im Wirtschaftsjahr 1995/96 die Privatisierung. Dabei sollen frühere Eigentümer (Horst Sielaff [SPD]: Es ist schon eine ganze landwirtschaftlicher Flächen, die wegen der Enteig- Menge in der kurzen Zeit!) nung in den Jahren 1945 bis 1949 Ausgleichs- oder Meine Zahlen sind etwas anders. Trotzdem: Wenn es Entschädigungsansprüche haben, die Möglichkeit so ist, ist das ja zu begrüßen. Ich meine, wir sollten erhalten, diese Leistungen statt in Geld durch Über- versuchen, dieses Unrecht ein klein bißchen wieder- eignung landwirtschaftlicher Flächen zu erhalten. Die gutzumachen. Ausgleichsleistungen in Natur sollen sich, ohne daß Die Quintessenz meiner Ausführungen ist: Ich habe ein Rechtsanspruch besteht, auf das ehemalige land- den Eindruck, ginge es nach der SPD-Fraktion, würde wirtschaftliche Grundvermögen der Berechtigten überhaupt nicht privatisiert. erstrecken. Der Wert der Erwerbsflächen muß wert- mäßig der Geldentschädigung nach dem Entschädi- (Horst Sielaff [SPD]: Das ist doch Unsinn! Was gungsgesetz entsprechen. Damit sollen die Alteigen- soll denn dieser Unsinn? Ich hatte Sie ein tümer, denen durch die entschädigungslose Enteig- bißchen intelligenter eingeschätzt! — Hin nung großes Unrecht widerfahren ist, ein kleines rich Kuessner [SPD]: Haben Sie den Antrag Stück Wiedergutmachung erhalten. überhaupt gelesen?) Anders kann ich die Ablehnung des Siedlungs- und In einem zweiten Schritt der Privatisierungsphase Landerwerbsprogamms durch die SPD nicht interpre- soll es zu einem Siedlungsprogramm kommen. Der tieren. Wert der Flächen wird dann staatlich gefördert. Die Konditionen dafür liegen noch nicht im einzelnen (Beifall bei Abgeordneten der F.D.P.) fest. Daß am Anfang unseres jetzt vorliegenden Kon- zepts die langfristige Verpachtung steht und es erst Unter den genannten Einschränkungen bedeutet danach zur eigentlichen Privatisierung kommt, ist auf dieses Konzept mehr Bewirtschaftungssicherheit für einen politischen Kompromiß zurückzuführen. Ich bin die Landwirtschaft in den neuen Bundesländern, eine die ganze Zeit bei diesen Gesprächen in dieser kleine Wiedergutmachung und eine Beförderung der Kommission dabeigewesen Idee des Eigentums. Die Sicherheit der Verfügung über Grund und Boden steigt. Die Kreditfähigkeit der (Horst Sielaff [SPD]: Bei den Geheimgesprä Landwirtschaft wird gesichert. Insgesamt ist das Kon- chen!) zept, wie ich schon sagte, ein Kompromiß zwischen und muß hier auch ein Wort des Dankes an die sehr weit auseinanderliegenden Interessen. Kolleginnen und Kollegen aus den neuen Bundeslän- dern sagen. Wir waren sehr weit auseinander und sind Ich fordere die Bundesregierung auf, das im Entwurf aufeinander zugegangen. Nur so kann man zu diesem jetzt vorliegende Entschädigungsgesetz im Kabinett Kompromiß kommen. zu verabschieden und uns dann vorzulegen. Ich weiß, daß es dort sehr unterschiedliche und widers treitende (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) Interessen gibt. Aber ich meine, wir sollten es in den Es bedurfte besonderer politischer Anstrengungen, Fraktionen und in den Ausschüssen jetzt beraten. um wenigstens Teile des ursprünglichen Privatisie- rungskonzepts zu retten. Nach langwierigen, zähen (Horst Sielaff [SPD]: Einigen Sie sich jetzt und schwierigen Verhandlungen auch unter Einbe- einmal in der Koalition!) ziehung der Landwirtschaftsminister der neuen Bun- — Wir brauchen es jetzt — da sind auch Ihre Mitarbeit desländer haben wir ein Wiedereinrichterprogramm und Ihre Vorschläge gefordert —, damit Klarheit und zur Verwertung ehemals volkseigener landwirtschaft- Sicherheit einkehren und die Entwicklung positiv und licher Flächen vorgelegt, das einen großen Teil der vernünftig in den neuen Ländern weitergehen bestehenden Unsicherheiten besei tigt. Die BVVG ist kann. angewiesen, dieses Konzept jetzt umzusetzen. - (Hinrich Kuessner [SPD]: Späte Erkennt An seinem Anfang steht die langfristige Verpach- nis!) tung — in der Regel auf zwölf Jahre — der bisher volkseigenen Flächen. Um die Pacht der Flächen Kürzlich schrieb ein Kommentator der „Frankfurter können sich neben den Wiedereinrichtern mit und Allgemeine Zeitung" über die Gutsherrenart der alten ohne Restitutionsanspruch die ortsansässigen Neu Kader. Mit spitzer Feder, aber eingeengtem Blickwin- 12072 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 140. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Februar 1993

Günther Bredehorn kel hat dieser eigentlich kompetente Kommentator einer Durchschnittsfläche von 300 ha. Es gibt mehr als einen einseitigen und nicht ausreichend recherchier- 1 500 eingetragene Genossenschaften mit durch- ten Artikel verfaßt. Aus der Praxis höre ich vielmehr, schnittlich rund 1 500 ha. Des weiteren gibt es über daß die große Masse der Alteigentümer pragmatische 1 600 GmbHs und andere Kapitalgesellschaften mit Entscheidungen trifft und es in den allermeisten durchschnittlich 1 400 ha. Fällen zum Interessenausgleich kommt. Die Unzufrie- Wichtig ist aber auch, zu wissen, daß über 75 % der denheit, so wird versichert, sei Bleichverteilt. Es gebe landwirtschaftlichen Flächen in der Hand sogenann- sie bei den Wiedereinrichtern, den LPG-Nachfolgeun- ter juristischer Personen sind. ternehmen, den Neueinrichtern und bei den Alteigen- tümern. (Georg Gallus [F.D.P.]: Sehr richtig! Und das verfestigt sich! Das ist das Problem! — Horst Ferner stimmt nicht, daß Rückerwerb ausgeschlos- Sielaff [SPD]: Lassen Sie doch den Gallus sen ist, wenn die Treuhand eine Verpachtung abge- einmal reden! Der fetzt immer dazwischen! lehnt hat. Das Landerwerbs- und Siedlungsprogramm Der braucht gar keine Redezeit mehr! — eröffnet Kaufmöglichkeiten, auch wenn an Dritte Georg Gallus [F.D.P.]: Der Herr Bredehorn verpachtet worden ist. Im übrigen läuft die langfristige macht das gut!) Verpachtung im Augenblick gut an. Bis Mitte dieses Jahres sollen mehr als die Hälfte der Bewirtschaf- Nur knapp 25 % sind in der Hand natürlicher Perso- tungszusagen in langfristige Pachtverträge umge- nen. wandelt sein. Damit ist eine Entwicklung eingetreten, die ich im Frühjahr 1990, als wir hier den Agrarbericht debattier- Es muß sich allerdings noch herausstellen, wie sich ten, vorhersagte. Die Strukturen von Ost und West die Kündigungsklausel auswirkt, die in die Verträge werden sich aufeinander hin entwickeln. Das ist gut aufgenommen werden soll. Danach ist die Kündigung so. Ich meine, wir sollten das — da appelliere ich auch der verpachteten Flächen vorgesehen, für die ein an die Berufskollegen in den alten Bundesländern — rechtskräftiger Rückübertragungsbescheid vorliegt. als gemeinsame Chance begreifen. Die Bewirtschaftungssicherheit wird dann nicht ein- geschränkt, wenn diese Möglichkeit am besten (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Zum Schluß gründlich vor Ort geprüft wird und eventuell auch werden wir wissen, was der bessere Weg vom Investitionsvorranggesetz Gebrauch gemacht ist!) wird. Die sowieso starken Impulse für den Strukturwan- Diese schrittweise Privatisierung, die wir jetzt del werden um den Aspekt der Unternehmerland- angehen, ist, wie ich meine, besser als gar keine wirtschaft zunehmen. Es wird sich die Erkenntnis Privatisierung. Sie wird die Umstrukturierung der ausbreiten, daß auch unter veränderten Rahmenbe- Landwirtschaft in den neuen Bundesländern voran- dingungen nach der EG-Agrarreform und einer bringen. Die strukturelle Entfaltung kann also mit GATT-Einigung die Landwirtschaft in geeigneten verbesserten Rahmenbedingungen weitergehen. Den Strukturen durchaus Zukunftschancen hat. Der Grundstein hierfür haben wir mit der Koalitionsver- Angleichungsprozeß hin auf ein effizienteres und einbarung für diese Legislaturpe riode gelegt. Damals vom Staat und seinen Subventionen unabhängigeres habe ich zusammen mit meinen Kollegen durchge- Niveau wird sich fortsetzen. setzt, daß unsere Zielvorstellung eine bäuerlich struk- Dabei sind die bereits vollzogenen Anpassungen in turierte Landwirtschaft mit Bet rieben in unterschied- den neuen Bundesländern außerordentlich hoch. Von licher Rechtsform ist. den rund 850 000 Arbeitskräften in der DDR-Land- (Georg Gallus [F.D.P.]: So sind wir!) wirtschaft, von denen allerdings über 150 000 nicht direkt in der Landwirtschaft, sondern im sozialen Diese Rahmensetzung war richtig. Es war eine der Bereich, in Baukolonnen usw. waren, sind bis heute besten Entscheidungen, die im Zusammenhang mit rund 600 000 ausgeschieden. Gut 250 000 von ihnen dem Einigungsprozeß ge troffen worden sind. sind in den Vorruhestand gegangen oder beziehen (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU — Altersübergangsgeld oder werden in andere Berufe Horst Sielaff [SPD]: Hier werden Selbstver umgeschult. Der Anteil der Arbeitslosen und derer, ständlichkeiten beklatscht!) die sich mit AB-Maßnahmen zufriedengeben müssen, Denn sie gibt einer grundsätzlich vorteilhaft struktu- überwiegt. Nur die wenigsten konnten normal in rierten Landwirtschaft in den neuen Bundesländern Rente gehen. hervorragende Startbedingungen für den Wettbe- (Horst Sielaff [SPD]: So ist das!) werb im Binnenmarkt. Nicht durch die Einengung, Das sind sehr harte und nur schwer erträgliche sondern durch die Vielfalt der Strukturen haben die Einschnitte, zu deren Linderung allerdings sehr hohe unternehmerischen Landwirte gute Chancen, sich am Summen für das Arbeitslosengeld, das Altersüber- Markt mittelfristig durchzusetzen. gangsgeld, das Kurzarbeitergeld und die AB- sowie Die Umstrukturierung zu wettbewerbsfähigen Be- die Umschulungsmaßnahmen aus dem Bundeshaus- trieben hält in den neuen Bundesländern an. Die halt aufgewendet wurden und weiterhin aufgewendet Anzahl der Existenzen steigt. werden, damit dieser harte Wechsel einigermaßen Zur Statistik: Dort sind über 20 000 Be-triebe vorhan- sozialverträglich ablaufen kann. den. Davon sind rund 17 000 Be triebe Familienbe- (Dr. Helga Otto [SPD]: Wo ist denn da die triebe; so würden wir sie hier nennen. Überwiegend Wiedergutmachung? — Dr. Gerald Thalheim geschieht dies allerdings im Nebenerwerb. Es gibt [SPD]: Die Menschen wollen kein Geld, son aber auch immerhin 6 500 Haupterwerbsbetriebe mit dern Arbeitsplätze!) Deutscher Bundestag - 12. Wahlperiode — 140. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Februar 1993 12073

Günther Bredehorn Es gibt eine Reihe weiterer Anpassungsprobleme. Günther Bredehorn (F.D.P.): Ich habe hier noch Auf alle will und kann ich hier nicht eingehen. einmal ganz eindeutig dazu aufgefordert. Man muß Hervorzuheben sind allerdings die Mißstände, die sicher sehen, daß es teilweise schwierig wird, entspre- es bei der Vermögensauseinandersetzung im Zusam- chend qualifizierte Bürger dafür zu finden. M an kann menhang mit dem Landwirtschaftsanpassungsgesetz nur mit Nachdruck fordern — es gibt ja diese Men- immer wieder zu beklagen gibt. Die teilweise vorhan- schen dort durchaus —, hier die Verantwortung der dene Manipulation der Bilanzen, wodurch den Länder wahrzunehmen und diese Gerichte zu beset- Anspruchsberechtigten Vermögen entzogen wird, zen, so daß sie ihre Arbeit aufnehmen können, damit muß aufhören. Auch die Länder selber müssen hier die Menschen auf den Dörfern im ländlichen Raum ihr schärfer kontrollieren und ihre Verantwortung wahr- Recht bekommen. nehmen. Die Betroffenen dürfen nicht zögern, ihre Ich hatte Ihnen gesagt, daß natürlich die Schäden Sorgen zu artikulieren. Die Landwirtschaftsgerichte einer jahrezehntelangen Planwirtschaft in den neuen vor Ort müssen endlich funktionsfähig und in Gang Bundesländern noch nicht überwunden sind. Aber gebracht werden. durch gezielte Investitionsförderung entstehen in den neuen Bundesländern wettbewerbsfähige landwirt- Die Chancen der unternehmerischen Landwirt- schaft und der Ernährungswirtschaft in den neuen schaftliche Unternehmen in unterschiedlichen Bundesländern sind für die Zukunft, wie ich meine, Rechtsformen, die schon in naher Zukunft vielen gut. Die mit erheblichen Bundesmitteln geförderten bäuerlichen Betrieben in Westdeutschland überlegen neuen, sehr modernen und schlagkräftigen Verarbei- seien und gute Marktchancen haben werden. tungsbetriebe — denken Sie an die neuen Molkereien Nach den agarpolitischen Entscheidungen zur Ent- und die entstehenden Käsereien, Schlachthäuser, wicklung der Landwirtschaft in den neuen Bundeslän- Kartoffelverarbeitungsbetriebe und den Obst- und dern, die wir hier gemeinsam, teilweise aber auch Gemüsebereich — haben ihre Produktion aufgenom- kontrovers, im Bundestag getroffen haben und die die men bzw. werden sie aufnehmen, um hochwertige Bundesregierung umsetzt, sehe ich die Zukunft der Qualitätsprodukte oder regionale Spezialitäten auf Ost-Landwirtschaft sehr zuversichtlich. Ich bin davon dem kaufkräftigen europäischen Markt anzubieten. überzeugt, die Landwirtschaft in den neuen Bundes- Die Landwirtschaft im Osten Deutschlands hat die ländern wird sich in Produktion, Verarbeitung und Schäden einer jahrzehntelangen Planwirtschaft na- Vermarktung zu einer Spitzenregion in Europa ent- türlich noch nicht überwunden. wickeln. Daran sollten wir alle mitarbeiten. Ich bedanke mich.

Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Herr Bredehorn, (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Heinrich? Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Als nächster Redner spricht der Abgeordnete Dr. Fritz Schumann. (Reinhard Freiherr von Schorlemer (CDU/ Günther Bredehorn (F.D.P.): Aber gerne. CSU): Jetzt kommt der mit der Groß-LPG!)

Ulrich Heinrich (F.D.P.): Herr Kollege Bredehorn, Dr. Fritz Schumann (Kroppenstedt) (PDS/Linke Sie haben vorhin gesagt, die Landwirtschaftsgerichte Liste): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! müßten installiert werden und ihre Arbeit aufnehmen. Ein sensibles Thema bewegt uns heute früh. Wenn es Heißt das im Klartext, daß derzeit drüben in weiten um Eigentum geht, schlagen Emotionen immer hoch. Bereichen ein sogenannter rechtsfreier Raum be- Das ist bekannt. Noch viel stärker ist dies der Fall, steht? wenn es um Bodeneigentum geht, weil ein Bauer natürlich ganz andere Beziehungen zu seinem Boden hat als vielleicht jeder andere zu Eigentum. Das ist Günther Bredehorn (F.D.P.): Ich hoffe nicht, daß ein rechtsfreier Raum besteht. Aber es gibt ja erhebliche auch gut so, denn sonst würde die Landwirtschaft Schwierigkeiten. Wir wissen das. Das ist natürlich nicht funktionieren. Man muß das so betrachten. auch aus der Geschichte heraus zu verstehen. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Die Ge Meine Damen und Herren der Koalition, Herr richte müssen sachgerecht besetzt wer Thalheim und ich sind auf einem Bauernhof geboren den!) und groß geworden. Wir haben 1960 die Zwangskol- erlebt. Ich sage das heute so. Wir waren — Man muß die Gerichte mit qualifizierten und lektivierung zwar noch jung an Jahren, aber wir haben das erlebt. befähigten Personen besetzen. Das muß so laufen, wie Deshalb brauchen wir keine Belehrungen über Eigen- wir es hier kennen. tumsbeziehungen und Eigentumsbegriffe. Das (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: An Prakti möchte ich hier eindeutig sagen, weil auch wir mit kern fehlt es!) diesen Fragen etwas zu tun hatten. (Beifall bei der PDS/Linke Liste und der Ulrich Heinrich (F.D.P.): Ich habe eine Nachfrage.- SPD) Woran liegt es denn, daß nach so l anger Zeit die Eine zweite Bemerkung: Herr Junghanns und Herr Länder bisher nicht in der Lage waren, die Gerichte Bredehorn, ich stimme mit vielen Teilen Ihrer Reden entsprechend einzurichten und auch die Beisitzer zu überein, und zwar vor allem, was wettbewerbsmäßig bestellen? stark strukturierte Landwirtschaft anbelangt. Das muß 12074 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 140. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Februar 1993

Dr. Fritz Schumann (Kroppenstedt) ein Ziel sein, das wir gemeinsam angehen. Ich bin sehr nahmen rund 300 Teilnehmerinnen und Teilnehmer dafür. So habe ich auch die Rede von Herrn Thalheim aus 14 ost-, zentral- und westeuropäischen Staaten verstanden. Die Chancengleichheit, für die wir von teil, unter ihnen die Vorsitzende des Agrarausschus- Anfang an sorgen müssen, sehe ich gefährdet. Die ses der Parlamentarischen Versammlung des Europa- sehe ich mit dem, was gegenwärtig gemacht wird, arg rates, der Erste Vorsitzende des Landwirtschaftsaus- gefährdet. schusses des Europaparlaments, Brandenburgs Ju- stizminister, Europa-, Bundes- und Landtagsabgeord- (Beifall bei der PDS/Linke Liste und der SPD nete verschiedener Fraktionen sowie Wissenschaftler — Reinhard Freiherr von Schorlemer [CDU/ und Praktiker. CSU]: Aber Ihre LPG ist doch ein Chancen vorteil! Sagen Sie einmal etwas zu Ihrer Allgemeiner Konsens dieser Beratung bestand LPG!) darin, daß der Boden als nicht vermehrbares Gut keine — Das sehe ich nicht so. Ich komme in meinen Ware sein darf — das haben wir dort gemeinsam weiteren Ausführungen dazu, Herr von Schorlemer. festgestellt —, dafür aber die reale Verfügungsgewalt Ich werde noch etwas dazu sagen, wie das funktio- über den Boden im Interesse der Allgemeinheit aus- niert. geübt werden sollte. (Egon Susset [CDU/CSU]: Bei uns kriegen Dazu sollten die Gemeinden stärker an einer neuen Betriebe wie Ihrer mit über 2 000 Hektar kein Bodenordnung beteiligt werden. Konkret wurde die Geld vom Staat! —Georg Gallus [F.D.P.]: Der nicht neue Forderung erhärtet, daß die Gemeinden schwimmt doch im Geld!) selbst Eigentümer des ehemaligen volkseigenen Bodens werden sollten Ich darf mich aber zunächst vielleicht einmal den vorliegenden Anträgen zuwenden. (Beifall bei der PDS/Linke Liste und der SPD) (Erneuter Zuruf des Abg. Egon Susset [CDU/ CSU]) bzw. eine regionale Treuhand oder Kommunen über — Herr Susset, auch bei solchen Betrieben müßten Sie den Verkauf von Nutzungsrechten, Verpachtung, einmal nachprüfen, wieviel Geld vom Staat in die Erbpacht und ähnliche Möglichkeiten diesen Boden Landwirtschaft fließt. Leider kommt ganz wenig bei verwerten sollten. den Bauern an. Das wissen auch Sie. Das Geld bleibt Das heißt: Wir haben überhaupt nichts dagegen, ganz woanders. daß der Boden privat genutzt wird. Das sollte auch die (Georg Gallus [F.D.P.]: Was?!) Eigentumsverhältnisse in keiner Weise einschränken. Es geht doch um die p rivate Nutzung des Bodens. — Herr Gallus, nur 30 % der staatlichen Zuwendun- gen kommen bei den Bauern an. Das ist das Problem. (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Nein, nein, Darüber sollten wir einmal reden. das ist ein großer Unterschied!) (Reinhard Freiherr von Schorlemer [CDU/ Dies kann man genausogut mit Erbpacht, mit Ver- CSU]: Wer eine Milchquote von über 2 Mil pachtung von Nutzungsrechten und auch mit vererb- lionen hat, bei dem kommt richtig was an!) baren Nutzungsrechten erhalten. Dazu gibt es übri- Ich würde jetzt gern zum Thema kommen und über gens eine Menge interessanter Beispiele. Bei vorhan- die Anträge der SPD zur Verwertung der ehemals denem politischen Willen bestünde dafür nach wie vor eine reale Chan volkseigenen landwirtschaftlichen Flächen reden, die ce, zumal bisher nur ein Bruchteil der ehemals volkseigenen Fläche verkauft wurde. ich als ein Minimum des unbedingt Notwendigen betrachte. Angesichts der Mehrheitsverhältnisse ist Die Übertragung ehemals volkseigener Flächen in das leider vielleicht auch das maximal Mögliche. Das das Eigentum der Kommunen hätte mehrere Vorteile. ist sehr bedauerlich, weil damit wohl eine einmalige Erstens erhielten sie zwar bescheidene, dafür aber Chance für eine Bodenpolitik vergeben wird, die dauerhafte Einnahmen. Zweitens würde verhindert, tatsächlich dem Anspruch des Grundgesetzes hin- daß ehemals volkseigenes Bodeneigentum wieder in sichtlich der Sozialpflichtigkeit des Eigentums die Hände von Privateigentümern gelangt, die es gerecht würde. nicht selbst bewirtschaften, sondern es lediglich als (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Quelle von arbeitslosem Einkommen nutzen würden. Dagegen verwahren wir uns. In vielen deutschen Städten, darunter auch Bonn, gibt es zwar Straßen, die den Namen des Vorsitzenden (Beifall bei der PDS/Linke Liste und der des Bundes deutscher Bodenreform, Professor SPD) Dr. Adolf Damaschke, tragen — er lebte vor ungefähr 100 Jahren —, aber von seinen Ideen will offenbar Es geht doch nicht darum, daß — wie im Falle heute keiner mehr etwas wissen. Auch in vielen meines Dorfes — der Enkel desjenigen, der 1945 westdeutschen Städten gibt es diesen Straßennamen. enteignet wurde, zurückkommt und wieder wirtschaf- Er scheint also offenbar anerkannt zu sein. tet. Mit dem haben wir von Anfang an eine enge - Kooperation gemacht. Der tankt seinen Traktor bei Ende Januar fand in Seelow, im Wahlkreis des uns, der preßt bei uns das S troh, und wir legen ihm die Herrn Junghanns, ein dreitägiges Symposium unter Rüben. Das funktioniert hervorragend. — Der ist dem Motto "Entstaatlichung der Landwirtschaft und zurückgekommen. Dagegen ist gar nichts einzuwen- ländliche Entwicklung in Osteuropa" statt. Daran den. Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 140. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Februar 1993 12075

Dr. Fritz Schumann (Kroppenstedt) Es geht aber darum, daß wieder Leute in Berliner Unsere Forderung lautet deshalb: Gleichberechti- Offizierskasinos Skat spielen und die Landarbeiter ihr gung aller im Osten ansässigen Interessenten. Hinter Land bewirtschaften. Dagegen haben wir etwas. diesen haben lediglich nicht ortsansässige Neuein- richter zu rangieren, was in der Praxis den Vorrang der (Beifall bei der PDS/Linke Liste und der SPD kapitalschwachen ostdeutschen Bewerber bedeutet. — Reinhard Freiherr von Schorlemer [CDU/ CSU]: Das ist Quatsch! — Weiterer Zuruf von Zweitens bitten wir dringend darum, Regelungen der CDU/CSU: Das ist der falsche Ton!) zu finden, die auch bei Ansprüchen restitutionsbe- rechtigter Alteigentümer dem jewei ligen langfristi- — Sagen Sie nicht so laut „Quatsch" ! Dann beweisen gen Pächter maximale Sicherheit geben. Sollte diese Sie bitte, daß das wirklich Quatsch ist! Dann gehen wir mittels Investitionsvorrangverfahren möglich sein, da mit. Ich habe gesagt, wie unser Standpunkt dazu hätten wir keine Einwände dagegen. Auf jeden Fall ist. brauchen die Betriebe ausreichende Garantien, damit Drittens wäre für die Kommunen die Frage der sie nicht Gefahr laufen, ins Blaue hinein zu investie- Vergabe von Bauland für Eigentumswohnbauten ren. Niemand ersetzt ihnen nämlich bei Flächenent- kein Problem mehr, der Bodenspekulation würde zug bereits getätigte Investitionen. Ohne Investitio- weitgehend die Grundlage genommen, und die nen — da befinde ich mich sicherlich in voller Über- öffentlichen Mittel für den Bau von Sozialwohnungen einstimmung mit dem ganzen Haus — sind eben auch und anderen würden tatsächlich zu mehr Wohnraum in der Landwirtschaft keine wettbewerbsfähigen führen als unter heutigen Bedingungen, unter denen Arbeitsplätze möglich. Das müssen wir sicherlich so ein großer Teil von Bodenerwerb ja nicht den Boden- deutlich sagen. eigentümern zufließt. Die wenigsten Bauern können Drittens lehnen wir, ebenso wie die SPD-Fraktion, ja Bauland zu horrenden Preisen verkaufen. Auch Sie ein Landerwerbsprogramm für nichtrestitutionsbe- wissen, daß dazwischen meistens eine ganze Menge rechtigte Alteigentümer entschieden ab. Damit Spekulanten sind, die zum Schluß das Geld einkassie- würde die Bodenreform de facto einfach umgewor- ren. Es sind also nicht die Bauern. fen. (Zurufe von der CDU/CSU) Viertens fordern wir die gleichberech tigte Einbe- Daß das natürlich auch Einfluß hat auf die weitere ziehung von Anteilseigentümern der Genossenschaf- Verbesserung der Arbeitsverhältnisse und daß das ten und anderen Gesellschaftern juristischer Personen vielleicht zusätzliche Arbeit schaffen könnte, will ich in das Siedlungsprogramm sowie den Ausschluß von nur am Rande erwähnen. nichtrestitutionsberechtigten Alteigentümern, die Land nicht zur Selbstbewirtschaftung, sondern ledig- Zur derzeitigen Konzeption der Verwertung der lich zur Verpachtung mit der später immer noch ehemals volkseigenen landwirtschaftlichen Grund- möglichen Option des Verkaufs subventioniert stücke möchte ich die Posi tion unserer PDS/Linke bekommen sollen. Diesen Subventionstatbestand Liste zusammenfassen. wollen wir nicht haben. Erstens bestehen wir auf Einhaltung des Gesetzes Auf die Antwort der Bundesregierung zur Großen vom 22. Juni 1990 der letzten Volkskammer über die Anfrage — — Übertragung des Eigentums und die Verpachtung volkseigener landwirtschaftlich genutzter Grund- Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Herr Schumann, stücke an Genossenschaften, Genossenschaftsmit- Ihre Redezeit ist beendet. glieder und andere Bürger, das laut Einigungsvertrag nach wie vor fortgeltendes Recht ist. Dr. Fritz Schumann (Kroppenstedt) (PDS/Linke Dieses Gesetz korrigierte die vorher gesetzlich Liste): Vielen Dank, Frau Präsidentin. Die Zeit ist geregelte Privilegierung der LPG. Das war tatsächlich immer sehr knapp. — Ich bedanke mich. so. Diese mußte korrigiert werden — das ist völlig (Beifall bei der PDS/Linke Liste und der SPD richtig; einverstanden damit —, um allen Eigentums- — Zuruf von der SPD: Der Abgang war und Wirtschaftsformen Chancengleichheit im Wettbe- gut!) werb zu eröffnen. Das entspricht auch dem § 2 des Landwirtschaftsanpassungsgesetzes. Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Zur Kurzinterven- Die Prioritätenliste der Treuhandanstalt bei der tion hat das Wort der Abgeordnete Gallus. langfristigen Verpachtung, nach der die juristischen Personen im Konkurrenzfall, also bei gleichwertigen Georg Gallus (F.D.P.): Ich kann auch warten, bis Betriebskonzepten mehrerer Interessenten, hinter Minister Zimmermann gesprochen hat. nichtrestitutionsberechtigten Alteigentümern sowie ortsansässigen Wieder- und Neueinrichtern rangie- Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Jetzt sind Sie ren, widerspricht diesem Gesetz. dran! (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Das ist nicht (Zuruf von der SPD: Jetzt will er gar nicht wahr!) reden!) Es ist eine Privilegierung mit umgekehrtem Vorzei- chen. Genauso inakzeptabel ist die Bevorzugung der Georg Gallus (F.D.P.): Doch, doch! — Frau Präsiden- durch die Bodenreform Enteigneten bzw. ihrer Erben tin! Folgendes möchte ich hier sagen: innerhalb der bereits privilegierten Gruppe — Herr Es liegt mir fern, hier eine gewisse Schärfe reinzu- Thalheim hat das richtig gesagt — als Priorität der bringen. Auch wenn Herr Schumann bei der PDS ist Prioritäten. und ich sein Programm über Eigentum nicht kenne, so 12076 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 140. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Februar 1993

Georg Gallus habe ich ihn mit den fachlichen Vorstellungen, die er gewissermaßen mit Gewalt aufrechterhalten werden hat, immer geachtet. sollen. Es ist nicht einfach, die Angleichung des Ostens an (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU — den Westen auch im agrarischen Bereich zu vollzie- Zuruf von der SPD: Da sind wir uns einig!) hen.

(Zuruf von der SPD: Sehr gut!) Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Als nächster hat das Wort der Minister für Landwirtschaft des Landes Das brauchen wir uns hier nicht gegenseitig vorzuhal- Brandenburg, Herr Zimmermann. ten. (Zuruf von der SPD: Richtig!) Minister Edwin Zimmermann (Brandenburg): Ver- Eine Sorge, die ich habe und die ich hier noch einmal ehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! In zum Besten geben möchte, ist allerdings folgende: der brandenburgischen Landwirtschaft greift eine Zum ersten hat die Bundesregierung im Koalitionsab- stille Krise um sich. Keine Massenkundgebungen und kommen Betriebe unterschiedlicher Rechtsform fest- Proteste begleiten bislang den Verlust der Mehrzahl gelegt. Ich habe mich ganz bestimmt entscheidend ländlicher Arbeitsplätze. Stärker ist die Stimmung dafür eingesetzt. Dafür habe ich in vielen anderen geprägt von Ratlosigkeit, Resignation und zuneh- Gebieten der Bundesrepublik Prügel bekommen. mend auch von Verbitterung. Zu den unterschiedlichen Rechtsformen, zu der Viele Mitglieder ehemals landwirtschaftlicher Pro- Sorge, die ich habe, kann ich nur sagen, daß ich duktionsgenossenschaften haben ihr Vermögen, ih- geglaubt habe, daß ein Wettbewerb der Strukturen ren Arbeitsplatz, ihren bisherigen Lebensinhalt verlo- stattfinden würde. Jetzt sehe ich, daß in bezug auf den ren. Knapp 40 000 von vormals 189 000 Beschäftigten einzelnen bäuerlichen Privatbetrieb eine Verhärtung in der Landwirtschaft Brandenburgs sind übriggeblie- auf der Basis von 75 % stattfindet. ben. Die Arbeitslosigkeit auf dem Lande ist erdrückend. (Zuruf von der CDU/CSU: Richtig!) Viele Menschen sagen mir, daß es ihnen insgesamt Das ist meine große Sorge, und zwar deshalb, weil wir schlechter geht als vor der Wende. einen Fehler gemacht haben in bezug auf die Alt- (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Da haben schuldenregelung. sie einige ganz wichtige Dinge nicht einbe Da muß ich Ihnen, Herr Thalheim, radikal wider- zogen!) sprechen. Die ist nämlich bei den Be trieben, die — in Ich glaube es ihnen, und ich füge hinzu: Wehe unseren unterschiedlicher Rechtsform — gut geführt werden, Politikern, wenn unsere Menschen im Osten den so gut, daß sie keine Gewinne machen sollen. Sie letzten Hoffnungsschimmer verlieren und sich von der verdienen aber Geld. Das sehen wir auch jetzt im Politik nur noch verschaukelt fühlen! Grünen Bericht. Und was tun sie? — Sie treiben die (Beifall bei der SPD und der PDS/Linke Liste Löhne hoch. Die Löhne sind nämlich im Agarbereich — [CDU/CSU]: Bei sol zum Teil schon höher als im Westen. Das ist das chen Reden! — Siegf ried Hornung [CDU/ erste. CSU]: Sie haben es doch mit in der Hand, Hinzu kommt, was absolut verwerflich ist: Sie trei- Herr Minister!) ben die Pachtpreise in die Höhe, gehen jetzt rum bei Der zweifellos notwendige Umstrukturierungspro- denen, die privat gepachtet haben, zeß in der Landwirtschaft wird von vielen Menschen in seiner Brutalität oftmals nicht beg riffen. Ich möchte (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Und ma das an zwei Beispielen deutlich machen. chen sie fertig!) Erstes Beispiel: Das Kreisgericht Neuruppin — bei und animieren die Leute, ihre Pacht zu kündigen, uns arbeiten die Kreisgerichte; entgegen dem, was damit das alles wieder zum großen Haufen kommt. hier behauptet wird, daß in den neuen Bundesländern die Landwirtschaftsgerichte nicht arbeiten — verur- (Zuruf von der SPD: Warum haben Sie nicht teilte kürzlich mehrere Landwirte dazu, an sie bereits mit der Regierung geredet?) ausgezahlte Inventarbeiträge aus ihrer ehemaligen Das ist eine Entscheidung, die meines Erachtens sogar LPG-Liquidation an den Konkursverwalter zurückzu- revidiert werden muß. zahlen. (Zuruf von der SPD: Das ist die Altschulden Sie können sich also jetzt nicht hinstellen und sagen, regelung; das ist das Problem! — Gegenruf wir hätten nichts getan, um die größeren Bet riebe in des Abg. Georg Gallus [F.D.P.]) den unterschiedlichen Rechtsformen nicht entspre- chend zu stützen. Daß es dort auch Bet riebe gibt, Durchaus Rechtens, werden Sie vielleicht sagen. Der deren Betriebsleitung nichts taugt, wissen wir auch. Personenkreis, um den es hier geht, besteht aber zu 80 % aus Rentnern, die zum Teil in sehr hohem Alter Ich habe geglaubt, das würde mehr -Bewegung sind. Sie wurden großteils Anfang der 60er Jahre geben hin zum privaten Betrieb. Aber da scheint mir gezwungen, ihr Inventar in die LPG einzubringen. eine Verhärtung einzutreten. Wir müssen aufpassen, Heute zwingt sie ein Gericht, den Gegenwert ihrer daß das nicht der Fall ist. Es dürfen nicht Situationen Kühe, Maschinen und Geräte, also die Inventarbei- geschaffen werden, in denen die alten Strukturen träge, zugunsten des Hauptgläubigers ihrer alten Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 140. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Februar 1993 12077

Minister Edwin Zimmermann (Brandenburg) LPG, einer westdeutschen Großbank, zurückzuzah- verdient, häufig mit mehr als fragwürdigen Metho- len. den. (Zuruf von der CDU/CSU: Wer hat denn die (Zuruf von der SPD: Genau!) Schulden gemacht?) Dies war die Konsequenz des totalen Zusammen- Von den Betroffenen werden beide Entscheidungen bruchs ihrer Märkte, und es war ihre erste Erfahrung als Unrecht erlebt, jedoch mit einem Unterschied. mit einer Marktwirtschaft und einem Rechtsstaat, der (Anhaltende Zurufe von der CDU/CSU — sie weder nach dem 1. Juli 1990 noch heute geschützt Gegenrufe von der SPD) hat. Meine Damen und Herren, in Brandenburg, wie Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Jetzt hören wir wohl auch in anderen ostdeutschen Ländern, ist ein Herrn Zimmermann zu, und jeder, der fragen möchte, gigantischer Verteilungskampf um Kapital, verblei- kann Fragen stellen. bende Arbeitskräfte und — das ist das Thema von heute — Boden im Gange. Meine Aufgabe ist es, Ihnen Minister Edwin Zimmermann (Brandenburg): nahezubringen, wo verantwortbare Agrarpolitik zu Danke schön. — Damals, in den 60er Jahren, war die stehen hat. Verantwortbare Agrarpolitik kann für Zwangskollektivierung die Entscheidung eines Un- meine Landesregierung und mich nicht heißen, gegen rechtsstaates, dessen Ende sie herbeigesehnt haben; Alteigentümer, gegen westdeutsche Bürger oder heute ist es die Entscheidung eines Rechtsstaates, den gegen fremde Staatsangehörige zu Felde zu ziehen. sie sich so nicht vorstellen können. (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Was haben Das, meine Damen und Herren von der Regierungs- Sie denn vorhin gesagt?) koalition, sind die Auswirkungen des Landwirt- schaftsanpassungsgesetzes, das Sie mit Ihrer Mehr- Uns sind grundsätzlich alle willkommen, die sich in heit gegen viele Bedenken beschlossen haben. Ich den Aufbau unserer Wirtschaft und Landwirtschaft hätte mir gewünscht, wir hätten zugunsten der Betrof- einbringen, investieren, für Arbeitsplätze sorgen und fenen in dieses Gesetz noch einige Änderungen zum Erhalt des ländlichen Raums beitragen. einbringen können. (Beifall bei der SPD — Siegf ried Hornung (Egon Susset [CDU/CSU]: Ihr habt es doch im [CDU/CSU]: Gute Erkenntnis!) Bundesrat verschlechtert!) Dieses Gesetz wird noch viel Leid und Unverständnis Gerade deshalb stehe ich auch fest an der Seite im ländlichen Raum bringen. Das ist allein Ihr unserer Landwirte, die über 40 Jahre keine Chancen Werk. hatten, Eigentum zu erwerben, und die heute chan- cenlos sind, wenn sie beim Bodenerwerb oder bei der Zweites Beispiel. Im Landkreis Beeskow steht zur Verpachtung von Gütern und sonstigen landwirt- Zeit ein ehemals volkseigenes Gut zur Privatisierung schaftlichen Flächen mit privilegierten Konkurrenten an. An der öffentlichen Ausschreibung durch die mithalten sollen. Treuhandanstalt beteiligten sich zwei Brandenburger Landwirte, Vater und Sohn, die den Betrieb gemein- Wir wollen verhindern, daß aus Resignation und sam in Form einer Gesellschaft des bürgerlichen Verbitterung Ablehnung und Haß entstehen, wenn Rechtes bewirtschaften wollen. Selbstverständlich die bereits erkennbaren Ansätze einer inneren Kolo- unterliegen sie im Wettbewerb. Sie konnten in der nisation überzogen werden. Vergangenheit nicht, wie ihre westdeutschen Kon- kurrenten, ausreichend Kapital bilden. Die öffentli- (Beifall bei der SPD — Siegfried Ho rnung chen Fördermittel im Rahmen der Gemeinschaftsauf- [CDU/CSU]: Sie haben da doch die Verant gaben würden gerade zur Finanzierung des Besatz- wortung als zuständiger Minister!) vermögens ausreichen, nicht aber zusätzlich für den — Wir nicht! Für mich ist das Prinzip der breiten Kauf des Bodens. Diese Landwirte fragen: Warum Eigentumsstreuung und auch der langfristigen Ver- wird das Gut nicht an uns verpachtet? Warum tauchen pachtung eine Form der Vermögensbildung, kein auf den Anbieterlisten der Treuhandanstalt immer bloßes Lippenbekenntnis. Daher frage ich die Bun- wieder die Namen wohlbekannter Viehhändler aus desregierung, ob sie sich diesem in jedem Zielkapitel Westdeutschland auf? des Agrarberichts nachzulesenden Prinzip wirklich (Zuruf von der SPD: Das nennt man dann verschrieben hat, wenn sie mit Stolz verkündet — wie Chancengleichheit! — Siegf ried Hornung heute schon erwähnt —, von 150 inzwischen privati- [CDU/CSU]: Das ist doch gar nicht sympto sierten Gütern sei die Mehrzahl an Alteigentümer matisch, was Sie sagen!) übergegangen, Güter, meine Damen und Herren, Diese haben nach der Wende — — deren Durchschnittsgröße über 1 000 ha liegt. Wir Brandenburger fordern Chancengleichheit auf Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Herr Minister Zim- allen Feldern der Agrarpolitik ein, auch wenn wir mermann, gestatten Sie eine Zwischenfrage der damit beim Bund vielleicht auf Granit stoßen, Abgeordneten Priebus? - (Zuruf von der CDU/CSU: Sie können doch mithelfen, Herr Minister!) Minister Edwin Zimmermann (Brandenburg): Ich möchte bitte zu Ende reden. Diese haben nach der Chancengleichheit in der Förderungspolitik, die uns Wende am Ausverkauf der Viehbestände Millionen hartnäckig verweigert wird, Chancengleichheit bei 12078 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 140. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Februar 1993

Minister Edwin Zimmermann (Brandenburg) der Verteilung der rund 6,5 Milliarden DM Bundes- briefte Landesaufgaben im Bereich der Strukturpoli- mittel für die agrarsoziale Sicherung, tik notfalls gegen Landesinteressen wahrzuneh- (Zuruf von der CDU/CSU: Herr Minister, men — nehmen Sie doch Ihren Aufgabenbereich in (Beifall bei der SPD — Siegf ried Hornung der Landschaftspolitik wahr! — Weitere [CDU/CSU]: Aber wenn Sie zu diesem Zurufe von der CDU/CSU) Grundsatz stehen, müssen Sie auch zum Chancengleichheit erst recht im Verteilungskampf anderen Grundsatz des Eigentums stehen! — um den wichtigen Produktionsfaktor Boden. Gegenruf von der SPD: Eben, genau!)

Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Herr Minister, das alles außerhalb des parlamentarisch-demokrati- gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten schen Raums auf der Grundlage von Richtlinien, die Gallus? quasi im Wege der dienstaufsichtsrechtlichen Wei- sung durch Beamte des Bundesfinanzministeriums Minister Edwin Zimmermann (Brandenburg): Ja. der Treuhandanstalt verordnet werden. — Wie lange lassen Sie sich als Abgeordnete dieses Hohen Hauses Georg Gallus (F.D.P.): Herr Minister können Sie diesen Zustand überhaupt noch bieten, meine Damen wirklich aus Überzeugung hier vor dem Deutschen und Herren? Bundestag hinstehen und sagen, Diese zwei Sätze möchte ich nachdrücklich unter- (Zuruf von der SPD: Noch pathetischer!) streichen, und sie sollten alle Parlamentarier des daß der Osten, was die Landwirtschaft anbetrifft, in Bundes und der Länder, egal, wo sie stehen, zur der Förderung gegenüber dem Westen benachteiligt Besinnung herausfordern. Es darf nicht sein, daß worden ist? Richtlinien über Art und Weise der Verwertung dieses größten land- und forstwirtschaftlichen Grundbesitzes (Zurufe von der SPD: Das hat er gar nicht — zumindest in Europa — an allen Parlamenten und gesagt! — Gudrun Weyel [SPD]: Wo leben erst recht an den betroffenen Bundesländern vorbei Sie denn? — Zuruf von der CDU/CSU: Das letztlich durch dienstaufsichtsrechtliche Anweisung klingt wie Hohn!) von Bonner Ministerien Bestandskraft erlangen. Können Sie das mit gutem Gewissen behaupten und mit Zahlen belegen? (Beifall bei der SPD — Georg Gallus [F.D.P.]: Nicht ohne Zustimmung der Ländermini Minister Edwin Zimmermann (Brandenburg): Herr ster!) Gallus, ich erkenne es hoch an, wie im Osten auch im Wir Brandenburger werden uns leidenschaftlich landwirtschaftlichen Bereich geholfen wird. Wenn ich hier über Chancengleichheit rede, dann rede ich über dagegen wehren, daß bestimmte Gruppen von Land- erwerbern im Rahmen eines Entschädigungsgesetzes die Möglichkeiten, die ich gerade benannt habe, und Privilegien zugesprochen werden sollen. Aber wir eine davon ist — unser heutiges Thema — die chan- wünschen uns diese Auseinandersetzung in unseren cengleiche Teilhabe an der Verwertung und Verwen- Parlamenten in einem demokratischen Verfahren und dung von Grund und Boden. Dies müssen Sie nicht in einem Schattenboxen gegen „ Gerster-Kom- sehen. mission "oder „Bohl-Papiere", Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Herr Gallus hat noch (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Jetzt wird er eine Zusatzfrage, Herr Minister. polemisch! Jetzt verlassen Sie wieder die sachliche Bahn!) Minister Edwin Zimmermann (Brandenburg): Darf ich vielleicht fortfahren? deren Rechtswirksamkeit je nach Lust und Laune bejaht oder bestritten werden kann. Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Wenn Sie nein (Beifall bei der SPD) sagen, dann muß er sich damit abfinden. Aber wir sind auch kompromißfähig. Wir haben Minister Edwin Zimmermann (Brandenburg): Ich dem Bund und der Treuhandanstalt schon vor einem möchte gern fortfahren. Jahr angeboten, die Verwaltung und Verwertung (Beifall bei der SPD — Georg Gallus [F.D.P.]: dieser Flächen unbeschadet der unterschiedlichen Ich stelle fest, daß meine Frage nicht beant Rechtspositionen im Wege eines Geschäftsbesor- wortet worden ist!) gungsvertrags durch Landeseinrichtungen selbst vor- zunehmen. Wir sind jüngst noch einen Schritt weiter In Brandenburg hält die Treuhandanstalt mit rund gegangen. Wir haben dem Bund sogar den Erwerb 400 000 ha landwirtschaftlicher Nutzfläche rund ein dieser Flächen durch unser L and vorgeschlagen, Drittel, d. h. jeden dritten Hektar, landwirtschaftlicher damit beim Bund wenigstens die Kasse stimmt, sollte Fläche in treuhänderischem Eigentum, von knapp er, was wir nicht hoffen, im Rechtsstreit obsiegen. 600 000 ha Waldflächen ganz zu schweigen. Wir bestreiten dem Bund die von ihm behaupteten Rechte Auf alle diese Angebote haben wir außer „nein" als Treuhandgeber für diesen enormen -Bodenfonds. und Schweigen nichts gehört. Wer wollte uns da den Wir bestreiten dem Bund seinen politisch skandalösen Argwohn verübeln, der Bund bereite sich insgeheim Eigentumsanspruch auf das ehemals preußische auf eine Revision der Bodenreform vor, auf die Grundvermögen. Wir bestreiten dem Bund auch das Revision einer der elementaren Bestandteile des Recht, mit diesem Bodenfonds grundsätzlich ver deutsch-deutschen Einigungsvertrags! Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 140. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Februar 1993 12079

Minister Edwin Zimmerm ann (Brandenburg) Ich sehe an Ihrer Diskussion, meine Damen und kann ich Ihnen nur sagen: Tun Sie als Landesminister Herren, daß sich die Reise hierher gelohnt hat, und ich was in Ihrem Land! hoffe, daß sie auch fruchtet. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. — Danke. Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Er ist zustän (Beifall bei der SPD und der PDS/Linke dig, aber nicht in der Lage!) Liste) Sie haben viele Möglichkeiten, um hier einiges dazu beizutragen. Wir meinen, daß es da bei Ihnen gele- Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Als nächster spricht gentlich hapert. der Abgeordnete Richard Bayha. (Zuruf von der SPD: Sagen Sie das dem Kohl auch mal!) Richard Bayha (CDU/CSU): Frau Präsidentin! An diesen Feststellungen ändert sich auch nichts Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die deut- dadurch, daß hier ständig herumlamentiert wird, sche Einheit, über die wir uns vor zwei Jahren alle so polemisiert wird und kritisiert wird. Ich rate allen, die sehr gefreut haben, ist sicherlich eine Aufgabe für nur diese drei Begriffe kennen: Krempeln Sie doch Generationen und erfordert von uns allen große mal die Ärmel hoch, und tun Sie was! Anstrengungen, vor allem — das glaube ich jedenfalls (Zuruf von der CDU/CSU: Sehr gut!) — einen gegenseitigen Lernprozeß. Dann kommen wir auch im Bereich der Landwirt- Ich möchte gern das Wort Toleranz gegen Polemik schaft weiter. setzen. Das gilt ganz besonders, meine ich, wenn wir uns mit dem sehr sensiblen Thema Eigentum und Eigentumsangelegenheiten beschäftigen. Das Wort Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Herr Bayha, gestat- Eigentum eignet sich für Polemik überhaupt nicht. ten Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten Eine der Grundlagen der sozialen Marktwirtschaft, Weyel? mit der wir im Westen Deutschlands wieder groß geworden sind, ist z. B. der Begriff Eigentum. Eine der Richard Bayha (CDU/CSU): Bitte sehr. Grundlagen einer vernünftigen Agrarpolitik ist eben- falls der Begriff Eigentum. Deshalb habe ich es nicht (SPD): Herr Kollege Bayha, stimmen gern, wenn hier darüber polemisiert wird. Gerade Gudrun Weyel Sie mir zu, daß „Ärmel hochkrempeln" manchmal dieses Haus, der Deutsche Bundestag, eignet sich schwierig ist, wenn man einen kapitalstarken Gegner dafür am wenigsten. hat und man gegen dieses Kapital konkurrieren Unserer Generation ist es beschieden, das histori- soll? sche Werk der Wiedervereinigung zu gestalten, die Weichen zu stellen und die ersten mühsamen Aufbau- arbeiten zu leisten. Dabei müssen wir natürlich auch Richard Bayha (CDU/CSU): Frau Weyel, ich stimme gelegentlich Rückschläge hinnehmen können, müs- Ihnen uneingeschränkt zu. Genau bei einer solchen sen auch bereit sein, persönliche Opfer zu bringen. Angelegenheit muß man dann nämlich auch von allen Wenn ich das Wort Opfer hier erwähne, muß ich auch Seiten mit viel Gefühl, Anstand und Würde an die sagen: Ich stelle in den Diskussionen der letzten Jahre Lösung der Probleme herangehen. immer wieder fest, daß zwar vom Opferbringen gere- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) det wird, daß aber dann, wenn es darum geht, wirklich Ich verweise hier noch einmal auf das Problem des Opfer zu bringen, und die Regierung sich erdreistet, Eigentums. Ich habe mich im Bereich der jungen einmal Opfer vom Volk zu verlangen, Widersprüche Bundesländer sehr engagiert, weil ich an der Lösung von allen Seiten kommen, insbesondere natürlich der Probleme mithelfen will, nicht deshalb, weil ich auch aus der Opposition in diesem Hause. Wie paßt mir dort etwas unter den Nagel reißen wollte; daran das eigentlich zusammen? denke ich überhaupt nicht. (Beifall bei der CDU/CSU und bei Abgeord (Beifall bei Abgeordneten der SPD) neten der F.D.P. — Gudrun Weyel [SPD]: Weil ich persönlich dort engagiert bin, weiß ich auch, Auch aus Ihren Reihen, lieber Herr Kol daß es möglich ist, in den Eigentumsfragen durchaus lege!) für beide Seiten befriedigende Lösungen zu finden, Aber ebenso, meine Damen und Herren, dürfen wir wenn man das Problem mit Toleranz angeht. Das ja auch erste erfreuliche Entwicklungen unseres empfehle ich allen, die sich mit diesen Fragen gemeinsamen Bemühens erleben. Was in diesen beschäftigen. 28 Monaten — man muß sich einmal vergegenwärti- (Zuruf von der SPD: Daran fehlt es aber gen: es ist ja erst 28 Monate her — in den neuen oft!) Bundesländern an verfassungsrechtlichen, an verwal- tungstechnischen Aufbauarbeiten, an ersten Infra- — Das habe ich auch heute gemerkt. Wenn ich die strukturmaßnahmen, an Existenzgründungen bereits Aussagen von Herrn Thalheim noch einmal Revue geschaffen und geleistet worden ist, kann sich durch- passieren lasse, dann muß ich sagen: Ich habe in der aus sehen lassen, und ich lasse mir das nicht gern Tat den Eindruck, daß einiges an Toleranz fehlt vermiesen. - (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Und auch Verehrter Herr Minister Zimmermann, wenn Sie der Minister war nicht konstruktiv!) beklagen, daß in Ihrem Land einiges an verwaltungs- und daß in den Gehirnwindungen noch einiges an oder auch verfassungsrechtlichen Dingen nicht umge- altem Denken drin ist, was jetzt eigentlich einmal setzt und an Aufbauarbeit nicht geleistet wird, dann herauskommen sollte. 12080 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 140. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Februar 1993

Richard Bayha Meine Damen und Herren, es sollte uns aber auch investieren kann. Investieren kann ich aber nur, wenn Ansporn sein, weiterhin tatkräftig an dieser großen ich Geld habe. Gemeinschaftsleistung far die nachfolgenden Gene- Da kommt den Landwirten und der Landwirtschaft rationen mitzuwirken. Großen Herausforderungen insgesamt in den jungen Bundesländern etwas entge- hatte und hat sich insbesondere auch die Landwirt- gen, worüber heute kaum noch gesprochen wird, schaft zu stellen, die mit der Umwandlung der land- nämlich der Geldumtausch im Verhältnis 1:1, bei den wirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften in an- Betrieben 1 : 2. Wäre dieses Verhältnis nicht gewesen, dere Rechtsformen oder in Wiedereinrichter die erste dann wäre in den meisten ehemaligen LPGs, bei Hürde im Umstrukturierungsprozeß genommen hat. denen stattliche Beträge umgestellt worden sind, das Dieser Prozeß ist zwar noch lange nicht abgeschlos- Geld für eine Änderung weder in gesellschaftsrecht- sen, hat aber hinsichtlich der Betriebsgrößen, des licher Form noch in privatrechtlicher Form überhaupt Arbeitskräftebesatzes, der Ausgliederung nichtland- möglich gewesen. wirtschaftlicher Betriebszweige, der Wiederzusam- menlegung von Tier- und Pflanzenproduktion schon (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Richtig, das enorme Strukturveränderung bewirkt. war eine riesige Hilfe!) Die Auffassung, die aus den Anträgen und Großen Dazu kommen beträchtliche Unterstützungen seitens Anfragen, die heute hier behandelt werden sollen, des Bundes in den letzten zwei Jahren. Wenn Sie hervorgeht, das gehe alles zu langsam, kann ich durch die jungen Bundesländer mit offenen Augen jedenfalls nicht teilen. gehen, dann sehen Sie auch, daß sich in der Landwirt- (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Richtig!) schaft eine durchaus positive Entwicklung sehr rasch vollzogen hat. Von den 4 500 ehemaligen genossenschaftlichen Großbetrieben haben sich etwa drei Viertel in deutlich (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) kleinere eingetragene Genossenschaften bzw. Kapi- Zu verzeichnen ist auch ein erheblicher Produkti- talgesellschaften umgewandelt. onsrückgang — das ist gar kein Gegensatz zu dem, (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Trotz Voll was ich gerade gesagt habe —: in der pflanzlichen bremsung durch die Genossen!) Produktion vor allem als Folge verringerter Anbauflä- Sie bewirtschaften zur Zeit rund 75 % der landwirt- chen und veränderter Anbaustrukturen, in der tieri- schaftlichen Fläche. Das ist auch nach meiner Auffas- schen Produktion auf Grund des radikalen Abbaus der sung noch zuviel, und das wird sich noch ändern. 24 % Tierbestände. Hier verlief die Entwicklung wegen der der landwirtschaftlichen Fläche werden von den rund negativen Auswirkungen auf die Verarbeitungsbe- 5 500 landwirtschaftlichen Einzelunternehmen im triebe in den letzten Jahren geradezu besorgniserre- Haupterwerb — das ist eine stolze Zahl, insbesondere gend angesichts der Tatsache, daß der Nebenerwerb in (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Weil die dieser Zahl nicht enthalten ist — und 930 Personen- Bürger im ersten Jahr das eigene Produkt gesellschaften, die in der Regel Vater-Sohn-Betriebe. nicht mehr wollten!) sind und die diesen Haupterwerbsbetrieben gleichzu- setzen sind, bewirtschaftet. — das kommt dazu —, scheint aber jetzt zum Stillstand gekommen zu sein, weil man den Verzehr der eigenen Diese umstrukturierten Betriebe sind deutlich grö- Produkte wiederentdeckt hat. ßer als in den alten Bundesländern. Insgesamt kann man aber feststellen, daß der öko- ung [CDU/CSU]: Logisch!) (Siegfried Horn nomische und ökologische Anpassungsprozeß, der So beträgt die durchschnittliche Betriebsgröße der mit umfangreichen Maßnahmen und beträchtlichen Einzelunternehmen im Haupterwerb 135 ha — mit finanziellen Mitteln, insbesondere auch zur sozialen steigender Tendenz —, die der Personengesellschaf- Flankierung, von der Bundesregierung unterstützt ten rund 400 ha, die der eingetragenen Genossen- wird, schon erheblich weit fortgeschritten ist. Ich schaften etwa 1 500 ha und die der Kapitalgesellschaf- meine, daß wir im Bereich der Land- und Ernährungs- ten 1 000 ha, wobei für die beiden letzteren für die wirtschaft sogar schon einen beträchtlichen Schritt Größe sinkende Tendenz gilt. Dies begrüße ich und weiter sind als in anderen Wirtschaftsbereichen, ins- halte ich auch für richtig. Wir brauchen keine Mam- besondere viel weiter als in der Industrie. mutunternehmen; sie waren auch in der alten DDR nicht die besten. (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Richtig!) Gleichzeitig erfolgt ein drastischer Arbeitskräfteab- Dort sind die großen Probleme, nicht in der Landwirt- bau, so daß der Arbeitskräftebesatz je Hektar land- schaft, nicht beim Handwerk und schon gar nicht im wirtschaftlicher Fläche heute im Durchschnitt sogar ländlichen Raum. In den Städten liegen die großen schon niedriger ist als in den alten Bundesländern, Probleme. während er 1989, zu Zeiten der ehemaligen DDR, um Hervorzuheben ist in diesem Zusammenhang, daß ein vielfaches höher lag. Ich kenne viele Fälle, wo er die Privatisierung der Ernährungsindustrie durch die um ein Zehnfaches höher lag. Ich muß den Betriebs- Treuhandanstalt ebenfalls weit fortgeschritten ist, - leitern und all denen, die sich dort in den jungen nämlich voraussichtlich Ende dieses Jahres abge- Ländern engagiert haben, ein Kompliment machen. schlossen sein wird, Denn gerade dies ist eine Gratwanderung. Man muß Personal abbauen, und das geht nur dann, wenn ich (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Auch mit moderne Maschinen und Einrichtungen kaufen, also erheblichen öffentlichen Mitteln!) Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 140. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Februar 1993 12081

Richard Bayha — auch mit erheblichen staatlichen Förderungen. Am Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Herr Bayha, es ist Ende dieses Prozesses werden Betriebe stehen, die zu Schluß! den wettbewerbsfähigsten und modernsten in der Europäischen Gemeinschaft, teilweise wahrschein- Richard Bayha (CDU/CSU): —, die ja in den Anträ- lich sogar zu den besten in der Welt gehören wer- gen zum Ausdruck kommt, der Strukturwandel sei zu den. schlecht, teilen wir nicht. Deshalb lehnen wir sie (Zuruf von der CDU/CSU: Sehr richtig!) ab. Meine Damen und Herren, ein wesentlicher Impuls (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) für die weitere Entwicklung der Landwirtschaft wird von der nun begonnenen Neuordnung des Bodens Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Als nächster spricht ausgehen. Im Juli vergangenen Jahres ist die Verwer- der Abgeordnete Hinrich Kuessner. tung der Treuhandflächen angelaufen, bei der zur Wahrung der Chancengleichheit die Verpachtung dem Verkauf vorgeschaltet ist. Die Pachtverträge Hinrich Kuessner (SPD): Frau Präsidentin! Meine sollen in der Regel auf zwölf Jahre angelegt werden, Damen und Herren! Am Anfang der Überlegungen um den Landwirten mehr Sicherheit für Investitionen zur Gestaltung der Einheit Deutschlands stand das und die wirtschaftliche Entwicklung der Betriebe zu Geld. Dieses Thema hat uns nie verlassen. Die Frage geben. Allerdings wird auch die Neuordnung des der Kosten wurde immer drückender. Bodens ein langwieriger Prozeß werden, nicht nur Manches wurde beim Einigungsprozeß von der wegen vielfach noch zu klärender Eigentumsverhält- Bundesregierung falsch eingeschätzt. So ging man nisse, sondern auch weil Flächenaustausch und Flur- beim Abschluß des Einigungsvertrages noch davon bereinigungen in diesen Ländern demnächst notwen- aus, daß der Abschluß des operativen Geschäftes der dig sind. Treuhandanstalt einen Gewinn bringen wird. Mit diesen agrarstrukturellen Maßnahmen, bei Aber der eigentliche Fehler ist nicht diese Fehlein- denen auch infrastrukturelle und ökologische Be- schätzung; der eigentliche Fehler ist aus meiner Sicht, lange berücksichtigt werden müssen, wird ein weite- daß das wirklich vorhandene Kapital in den neuen rer wichtiger Schritt zum Aufbau der effizienten Ländern nicht genutzt wurde. Ich meine das Human- Landwirtschaft getan. Im Hinblick auf die Verbesse- kapital, die Menschen. Die Bundesrepublik hat einen rung der Wettbewerbsfähigkeit werden gegenwärtig Zuwachs von rund 16 Millionen Menschen erhalten. auch die Förderkonzepte überprüft — zumindest hin- Dieses Humankapital wurde verschleudert. Die Bun- sichtlich der Förderobergrenzen —, urn sie den Bedin- desregierung hat nicht ernsthaft darüber nachge- gungen in den neuen Bundesländern anzupassen. Es dacht, wie es genutzt und entwickelt werden kann. ist anzunehmen, daß demnächst weitere Förder- Bei der Umstrukturierung haben die Überlegungen, grundsätze überprüft und geändert werden, die allzu wie die Menschen in den neuen Ländern zum Motor sehr vom agrarpolitischen Leitbild des kleinen bäuer- für den Aufbau Ost werden können, nur eine unter- lichen Familienbetriebs in Westeuropa, natürlich auch geordnete Rolle gespielt. Das hat dem Wirtschafts- in Westdeutschland geprägt sind. standort Deutschland geschadet. Meiner Ansicht nach werden die sich hier abzeich- Auch bei der Umstrukturierung der Landwirtschaft nenden Strukturen einen ganz entscheidenden Ein- ist das so. Es wurde nicht überlegt, was getan werden fluß auf zukünftige agrarstrukturpolitische Zielvor- muß, damit die Landwirte aus dem Osten in der stellungen des Bundes nehmen und sich auch auf die Marktwirtschaft bestehen können; an erster Stelle westdeutschen Strukturen auswirken. stand das Bestreben, die vorhandenen Betriebsstruk- Über eine grundlegende Reform der Agrarstruktur- turen zu beseitigen und möglichst Besitzverhältnisse politik — — zu schaffen, wie sie vor 1949 bestanden. (Zuruf von der SPD: Sehr richtig! — Hans Ulrich Köhler [Hainspitz] [CDU/CSU]: Ge Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Herr Bayha, Ihre nau das stimmt nicht, das ist unwahr!) Redezeit ist beendet. Die Zeit dazwischen wollte man ungeschehen machen. (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Herr Kuess Richard Bayha (CDU/CSU): — Gestatten Sie mir ner, wollen Sie das alte System wieder?) noch einen kurzen Schlußsatz. Bei diesem Konzept vergaß m an aber, daß Geschichte Ziel muß eine im Binnenmarkt und im weltweiten nicht zurückzudrehen ist. Agrarhandel konkurrenzfähige deutsche Landwirt- (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Wollen Sie schaft sein, d. h. auch eine Agrarwirtschaft, die wieder wirklich das alte System?) mehr an den marktwirtschaftlichen Prinzipien ausge- richtet ist und die es tüchtigen Landwirten ermöglicht, Die Menschen haben inzwischen in den Dörfern die Einkommen aus der Produktion zu erwirtschaften gelebt und gearbeitet. — Ich will nicht das alte System und nicht abhängig zu sein von staatlichen Transfer- wieder, aber ich will, daß beachtet wird, daß dort leistungen, die letztlich ungewiß sind, nicht- nur weil Menschen leben und in der DDR gelebt haben, nicht die Staatskassen eines Tages leer sein könnten, son- nur Kommunisten. dem auch weil sie dem Wandel politischer und (Beifall bei der SPD) gesellschaftlicher Strömungen unterworfen sind. Bei allem, was geschieht, müssen diese Menschen Die Auffassung der Opposition — — berücksichtigt werden. 12082 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 140. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Februar 1993

Hinrich Kuessner Die Landwirtschaftspolitik in Bonn nach der Einheit Eine Frage: Können Sie mir ehrlich zugeben, daß hier wurde — das haben wir hier schon diskutiert — durch eine Polemik gegen Alteigentümer falsch ist und daß die Lobby der Großgrundbesitzer bestimmt. wir hier alle bemüht sind, das Beste zu erreichen, daß (Beifall bei der SPD — Lachen bei der wir sogar versuchen, zu akzeptieren, daß wir die F.D.P.) größten Opfer bringen sollen? Aber dann möchten wir wenigstens so viel Verständnis erwarten, daß wir nicht Trotz Einigungsvertrag und Karlsruhe nimmt die noch diffamiert werden. Hier stehe ich, lieber Kollege Bundesregierung auf sie so viel Rücksicht, daß bis Thalheim. heute vernünftige Lösungen verhindert werden. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Ich glaube, die Frage ist gestellt. In den verschiedenen Betriebsformen wollten viele Landwirte aus dem Osten nach der Wende privatwirt- schaftlich arbeiten. Aber die entscheidende Voraus- Hinrich Kuessner (SPD): Meine Uhr geht aber weiter. setzung wurde ihnen nicht gewährt. Immer wieder hat die SPD angemahnt, daß langfristige Pachtverträge von der Treuhandanstalt auszureichen sind. Von den Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Entschuldigung, die halte ich an. 3 293 Pachtanträgen in Mecklenburg-Vorpommern sind jetzt erst 49 mit einer Vereinbarung von 12 Jahren unterschrieben. Hinrich Kuessner (SPD): Danke. Ich gehe gern darauf ein. Ich habe mir auch vorge- (Dr. Nils Diederich [Berlin] [SPD]: Hört! nommen, das in meiner Rede differenzierter darzu- Hört!) stellen. Sie werden dazu noch einiges hören. Wer so arbeitet, verhindert den Aufbau Ost in den (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Bisher war Dörfern. es nicht differenziert!) (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Wer macht — Sie müssen nur etwas länger zuhören und dürfen das denn? Doch nicht der Bund!) nicht immer schon vorher rufen. Dies ist nicht nur unsere Meinung, diese Meinung hat (Zuruf von der F.D.P.: Sie waren vorher auch der CDU-Landwirtschaftsminister B rick aus ziemlich unverschämt in Ihren Äußerungen! Schwerin massiv vertreten. Das ist allerhand!) In Übereinstimmung mit allen Parteien in Mecklen- burg-Vorpommern und mit allen Agrarministern aus Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Also jetzt antwortet den neuen Ländern haben wir am 6. Mai 1992 der Abgeordnete dem Grafen Schönburg-Glauchau. verlangt, daß die langfristige Verpachtung landwirt- schaftlicher Flächen zumindest gleichberechtigt ne- Hinrich Kuessner (SPD): Ich halte das für sehr ben den Verkauf der Flächen gestellt wird. wichtig. Wir sind ja beide, als diese Diskussion hier in Bonn aufkam, in einem Gespräch mit Alteigentümern (Dr. Nils Diederich [Berlin] [SPD]: Sehr rich gewesen. Da waren eigentlich nur drei Abgeordnete tig! Sehr gut!) anwesend. Ich will es mal sagen: Wer war da? Dieser Aber das Interesse der Regierungskoalition war Kollege, dann der Kollege von der PDS und ich. Da einzig und allein, die Alteigentümer zu bedienen. Am waren keine Abgeordneten der F.D.P. dabei, da war 24. Juni und am 7. Oktober 1992 waren Sie von der kein weiterer Abgeordneter. Koalition noch dagegen, den Kreis der Begünstigten (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Ich war bei eines Förderprogramms über den Kreis der Alteigen- vielen Veranstaltungen, aber da war keiner tümer hinaus auszuweiten. Nachzulesen ist dies in der von der SPD dabei!) Drucksache 12/3563. Dies konnten Sie zum Glück Das war die erste grundlegende Diskussion zu diesem nicht durchhalten, weil Ihnen Ihre eigene Gefolg- Thema. Ich denke, daß wir damals eine gute Diskus- schaft im Osten hier nicht gefolgt ist. sion gehabt haben. Wir haben unsere gegenseitigen Enttäuschend empfinde ich, daß sich die CDU- Positionen ernsthaft dargestellt. Mein Anliegen war Bundestagsabgeordneten aus Ostdeutschland dem damals, daß sich die Alteigentümer deutlich machen, Diktat der Alteigentümer gegen die Interessen der daß die Geschichte weitergegangen ist und daß man Menschen bei uns weithin gebeugt haben. wirklich berücksichtigen muß, daß inzwischen in den Dörfern vieles entstanden ist. (Beifall bei der SPD — Zurufe von der CDU/ CSU) Ich bin aus Ostpreußen. Wenn ich jetzt fordern würde, ich will dort, wo meine Eltern 1945 oder 1944 Immer wieder haben Sie die Diskussion verschleppt. Ostpreußen verlassen haben, unbesehen weiterma- — Bitte sehr. chen, dann geht das so nicht. (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Dort ist nicht Deutschland!) Joachim Graf von Schönburg-Glauchau (CDU/ Das geht so nicht! Die Geschichte ist weitergegangen. CSU): Herr Kollege, bitte nehmen Sie zur Kenntnis: - Sie ist auch in Mecklenburg-Vorpommern weiterge- Hier steht ein Alteigentümer. Wir haben nichts, keine gangen. Das muß wesentlich differenzierter betrach- Vorteile erreicht, auch wir Alteigentümer nicht, tet werden, und wir müssen zu einem Konsens kom- soweit wir hier mitarbeiten. men. Das ist das Problem. Diesen Konsens müssen wir (Zuruf von der SPD: Eine Frage!) gemeinsam erreichen. Dazu kann m an aber nicht, wie Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 140. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Februar 1993 12083

Hinrich Kuessner Sie, alles stillhalten. Bei uns geht langsam alles kaputt, und hat das Amt für Landwirtschaft übernommen. Er und Sie vergessen, hat den besten Boden für seinen Sohn ausgesucht. Der (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Das ist doch Sohn wollte, da er es mit Papieren nicht durchsetzen gar nicht wahr! Genau das Gegenteil ist der konnte, Fakten schaffen. Fall!) (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Hat er recht daß in dieser Zeit wichtige Entscheidungen die Vor- gekriegt?) aussetzung sind, daß auch die Einheimischen eine Mein Anliegen ist, daß die Eigentümer in diesem Fall Chance bekommen. Wenn diese Entscheidungen ganz klar Farbe bekennen und sagen: Das ist eine nicht positiv vorangetrieben werden, dann passiert, Sache, die wir nicht dulden. was ich befürchte, daß durch Verschleppen der Unter- schrift unter langfristige Pachtverträge Einheimische (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Hat er recht — die sowieso wenig Kapital haben, die dann Kapital gekriegt?) nicht aufnehmen können — keine Chance haben, in — Es ist noch nicht aufgearbeitet. Es ist im Dezember Mecklenburg-Vorpommern, in Brandenburg, in Thü- vorigen Jahres passiert. ringen, in Sachsen und Sachsen-Anhalt künftig wirk- lich Landwirt zu sein. Das ist das Problem. (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Sehen Sie, darum sollte man ein solches Beispiel nicht (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Wer soll es nennen!) denn sein?) — Natürlich muß man so ein Beispiel nennen. Es passiert nämlich nichts. Die Treuhand hat erst rea- Es gibt eine Zusatz- Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: giert, als die Leute massiv Stellung genommen hatten frage. und die Gefahr bestand, daß Gewalt ausbricht. Ein anderer Fall. Sie sagen immer, daß Konzepte Joachim Graf von Schönburg-Glauchau (CDU/ CSU): Eine Zusatzfrage: Herr Kollege, würden Sie und Ausbildung eine Rolle spielen. Gucken Sie sich Hohen Wangelin an: Ein 21jähriger Bundeswehrsol- dann statt der Diffamierung zugeben, daß wir gemein- sam daran arbeiten, daß jeder seine Chance kriegt, dat erhält den Zuschlag. aber daß wir dann auch gemeinsam dabei sind, daß Das sind leider keine Einzelbeispiele. Ich will Ihnen nicht neue Juden entstehen, daß nicht eine kleine ein weiteres aus Sachsen-Anhalt nennen: von der Schar bleibt, die wegen ihrer Geburt oder wegen ihres Agrargenossenschaft Börde" in Rottmersleben/ Namens oder wegen ihres alten Eigentums völlig Schackensleben. Durch die Entscheidung der Treu- ausgeschlossen wird? Geben Sie mir zu, daß wir handanstalt und durch das rücksichtslose Vorgehen gemeinsam daran arbeiten, daß jeder, auch die Land- der Alteigentümer, die dort agieren und für das wirte, bei uns zu Hause ihre Chance bekommen? Aber Pachten hohe Preise zahlen, besteht die Gefahr, daß nicht gegen mich spielen! dieser Agrargenossenschaft 1 000 Hektar entzogen werden. Hier werden durch Entscheidungen der Treuhand westdeutsche Alteigentümer den einheimi- Hinrich Kuessner (SPD): Ich bin dazu gerne bereit, ich möchte Sie dann aber auch auffordern, daß die schen Landwirten vorgezogen. Es wird mit allen negativen Beispiele, die im Osten leider eine erhebli- Tricks gearbeitet. Es kommt sogar dazu, daß Alteigen- che Rolle spielen, genauso aufgearbeitet und angefaßt tümer Rechnungen in Höhe von 20 000 DM verschlep- werden. Ich werde hier noch einmal drei Beispiele pen. Die umstrukturierte LPG kommt in der Tat in nennen. Es ist schon erschreckend, daß diese Bei- wirtschaftliche Schwierigkeiten. spiele im Grunde nicht richtig aufgegriffen werden Bekennen wir uns bei diesen negativen Beispielen und die Alteigentümer auch ganz klar Farbe beken- gemeinsam dazu, daß wir so etwas nicht dulden! Nur nen und sagen: Dies sind nicht die Leute, die wir für dann werden wir eine Chance haben. die richtigen halten. Dann distanzieren Sie sich (Beifall bei der SPD und der PDS/Linke Liste davon. — Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Aber neh (Beifall bei Abgeordneten der SPD) men Sie Einzelbeispiele nicht als die Mehr Ich will ein Beispiel aus meinem Wahlkreis im heit!) Landkreis Demmin nennen. Ich denke, das ist eine — Wenn es Einzelbeispiele sind, bekennnen wir uns entscheidende Frage. Dort herrschen Verhältnisse, doch gemeinsam dagegen! die ich als Wildost bezeichne. Dort hat der Nach- komme eines Alteigentümers 70 Hektar unter den (Hans-Ulrich Köhler [Hainspitz] [CDU/CSU]: Pflug genommen und Getreide ausgesät, ohne daß er Wir haben genauso Gegenbeispiele!) ein Stück Papier in der Hand hatte, ohne daß er dieses Dann können wir dieses Problem grundsätzlich Land gekauft oder gepachtet hätte. anders beseitigen. (Hans-Ulrich Köhler [Hainspitz] [CDU/CSU]: Das ist für mich genauso verwerflich — ich muß das Aber daran ist der Bund nicht schuld!) deutlich sagen — wie rechtsextremistische Ausschrei- Er hatte eine Zusage aus der Treuhandanstalt. In der tungen. Denn ein solches Handeln ist Ursache für Treuhandanstalt sitzt ein Verwandter von ihm.- Ganz Gewalt und Extremismus. In meinem Wahlkreis las- uneigennützig ist sein Vater gleich nach der Einheit in sen sich die Menschen solche H andlungen nicht mehr diesen Landkreis gekommen länger gefallen. Bei Wiederholung dessen, was in (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Ich kann Demmin passiert ist, wird das nicht mehr so einfach Ihnen andere Seilschaften zitieren!) hingenommen, wie mir viele Leute in den Dörfern 12084 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 140. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Februar 1993

Hinrich Kuessner gesagt haben, sondern es wird zu gewalttätigen müssen die einheimischen Landwirte zuerst eine Auseinandersetzungen kommen. Chance bekommen. (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Das klingt Alteigentümer, die in den neuen Ländern selber wie eine Drohung!) wirtschaften und investieren wollen, sind uns will- Dann werden wir in Politik und, Öffentlichkeit alle kommen. Aber sie dürfen keine Vorrangstellung wieder das helle Entsetzen bekommen. Mit Ihren erhalten. Die Qualifikation des Bewerbers und das politischen Vorgaben verursachen Sie solche Kon- vorgelegte Betriebskonzept müssen über den Zu- flikte. schlag entscheiden. Die Bauern im Osten wollen keine Bevorzugung, sondern eine Gleichbehandlung, nicht Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Herr Kuessner, mehr und nicht weniger. Das müssen wir ihnen auch gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Abge- politisch gewähren. ordneten Heinrich? Der Aufbau Ost wird nur mit den Menschen in Ostdeutschland gelingen. Wer sie jetzt entmündigt, Hinrich Kuessner (SPD): Gern. wird über immer längere Zeiten Geldtransfers von West nach Ost zur Verfügung stellen müssen. Das muß die Bundesregierung endlich verstehen lernen. Noch Ulrich Heinrich (F.D.P.): Herr Kollege, Ihre Beispiele läßt sich auf dem Lande vieles vernünftig regeln. Aber sind sehr beeindruckend. wer es jetzt nicht macht, legt einen weiteren sozialen (Zuruf von der SPD: In der Tat!) Sprengsatz in Ostdeutschland. Ich möchte Sie aber bitten, auch solche Beispiele Ich danke Ihnen. anzuführen, wo sich Agrargenossenschaften weigern, (Beifall bei der SPD und der PDS/Linke Wiedereinrichtern L and zur Verfügung zu stellen. Liste) Auch das wird laufend praktiziert. (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Das ist die Mehrheit!) Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Als nächster spricht Was Sie hier berichten, ist ausgesprochen einseitig der Abgeordnete Hans-Ulrich Köhler. und tendenziös. (Dr. Fritz Schumann [Kroppenstedt] [PDS/ Hans-Ulrich Köhler (Hainspitz) (CDU/CSU): Frau Linke Liste]: Die haben gute Vorbilder! — Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Reinhard Freiherr von Schorlemer [CDU/ Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte mich zu CSU]: Sie sind gut weggekommen! Seien Sie Anfang meiner Rede den Ausführungen des Kollegen ruhig ! ) Bayha anschließen. Auch ich distanziere mich ganz klar von polemischen Äußerungen. Denn mit Polemik Hinrich Kuessner (SPD): Es ist ganz richtig, daß es können wir dieses Problem nicht lösen. auch auf der anderen Seite negative Beispiele gibt. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Meine Praxis ist, daß ich diesen Beispielen genauso nachgehe. Ich will die Diskussion nicht undifferen- Wir diskutieren heute darüber, wie die Bundesre- ziert führen. Das ist überhaupt nicht mein Anliegen. gierung Treuhandflächen an Landwirte in den neuen Ich werde jetzt in meinem Konzept fortfahren. Sie Bundesländern verteilen soll. Richtig ist, daß wir im werden feststellen, daß ich in bezug auf die Alteigen- Landwirtschaftsanpassungsgesetz zugelassen haben, tümer differenzie rter denke. daß landwirtschaftliche Betriebe in allen Rechtsfor- men geführt werden können. Das ist die erste Chan- Wir sind nicht dagegen, daß Alteigentümer bei der cengleichheit, Bodenverwertung berücksichtigt werden. Aber wir wollen keine Bevorzugung dieser Gruppe. Es gibt (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Ohne Wenn gute Beispiele, wo man sich vor Ort geeinigt hat und und Aber!) wo man gut nebeneinander wirtschaftet. die wir ohne Wenn und Aber eingeräumt haben. Bei konkurrierenden Bewerbungen sind die Ent- (Beifall bei Abgeordneten der F.D.P.) scheidungen nicht einfach. An vielen Stellen leisten Das bedeutet, daß die Nachfolgeunternehmen der Mitarbeiter der Treuhandanstalt, der BVVG, der LPGen und ehemaligen volkseigenen Güter als Päch- Landwirtschaftsämter und der Bodenkommissionen ter nicht nur die Flächen der Grundeigner, sondern bis gute Arbeit. Sie kommen zu vernünftigen Entschei- zur Wende auch 100 % der Treuhandflächen bewirt- dungen. All diesen Mitarbeitern gilt unser Dank. Aber schaftet haben. die politischen Vorgaben stimmen noch immer nicht. (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Das ist die (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Doch! Das Wahrheit!) Gesetz ist in Ordnung! Die Umsetzung Daraus kann und darf aber kein Gewohnheitsrecht stimmt nicht!) werden. Das nutzen einige skrupellos aus und verderben alles, Für die Umstrukturierung der Landwirtschaft in wenn ihnen nicht schnell Einhalt geboten wird. den neuen Ländern ist es unabdingbar, daß sich Die langfristige Verpachtung hätte längst abge- hinsichtlich der volkseigenen Flächen die Bewirt- schlossen werden müssen. Das Entschädigungsgesetz schaftungsverhältnisse ändern. muß endlich auf den Tisch des Parlaments. Beim (Beifall des Abg. Hans-Joachim Fuchtel Förderprogramm — wie immer Sie es auch nennen — [CDU/CSU]) Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 140. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Februar 1993 12085

Hans-Ulrich Köhler (Hainspitz) Derjenige, der bisher volkseigene Flächen bewirt- higer privater Be triebe und ist die Grundlage einer schaftet hat, wird Teile dieser Flächen abgeben müs- geordneten Bodenpolitik. sen. Zieht man diese Konsequenz nicht, dann findet Ich will mich hier und heute nur mit dem besonde- der Strukturwandel nur bei den ehemals nichtvolksei- ren Problem der langfristigen Verpachtung und der genen Flächen, nicht aber bei den Treuhandflächen dazugehörigen Richtlinie beschäftigen. Die in der statt. Das wäre ein Ergebnis, meine Damen und Regel zwölfjährige Verpachtung ist nicht nur Grund- Herren, das keiner von uns wünschen kann. lage für einen geordneten späteren Verkauf der Rund 1,3 Millionen Hektar landwirtschaftlich Flächen, sondern auch Basis für eine vernünftige genutzter Flächen aus der Enteignung im Zuge der Kalkulation in den Be trieben. Bodenreform 1945/49 müssen privatisiert werden, Um sicherzustellen, daß auch tatsächlich existenz und zwar in einer Weise, daß bäuerliche Einzelbe- fähige Betriebe entstehen, ist es richtig, daß das triebe wieder existenzfähig werden. Betriebskonzept und die berufliche Qualifikation des Wenn Sie, meine Damen und Herren, mit Wieder- Antragstellers oder Betriebsinhabers in erster Linie einrichtern oder auch Existenzgründern im Bereich Grundlagen für den Zuschlag von Pachtflächen sind. der Landwirtschaft in den neuen Ländern reden, Wenn diese Qualitätsmerkmale erfüllt sind, dann ist es werden Sie dort kaum auf Verständnis stoßen, wenn auch gerechtfertigt, daß bei gleicher Qualität des juristische Personen bevorzugt werden sollen, wie das Konzeptes und bei gleichwertigen Geboten Wieder- in gewissem Umfang von der SPD gefordert wird, einrichter und Bodenreformopfer sowie andere frü- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) here selbständige Landwirte und deren Erben sowie am 3. Oktober 1990 ortsansässige Neueinrichter den vor allem deshalb nicht, weil diese juristischen Perso- Vorrang vor LPG-Nachfolgeunternehmen haben. nen häufig direkte Nachfolger der LPGen sind, bei denen die jetzigen GmbH-Geschäftsführer mit den (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) damaligen LPG- oder Kooperationsvorsitzenden iden- An dritter Stelle stehen vor der Wende nicht ortsan- tisch sind. sässige Neueinrichter, wenn sie bisher noch keine (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU — Treuhandflächen gepachtet haben. Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Es sitzen ja Im Sinne eines Interessenausgleiches ist es auch einige hier!) gerechtfertigt, daß bei Konkurrenz innerhalb der Wir stehen bei der Bodenpolitik nicht nur vor Gruppe der Wiedereinrichter und der ortsansässigen politischen und wirtschaftlichen Problemen der Neueinrichter — also der Neueinrichter — das möchte gerechten und sozialverträglichen Durchführung der ich noch einmal ausdrücklich betonen —, die zum Verwertung und Verwaltung ehemaliger volkseige- Zeitpunkt der Wende noch auf dem Gebiet der ehe- ner land- und forstwirtschaftlichen Flächen, sondern maligen DDR gelebt haben, Bodenreformopfer auch vor einem emotionalen Problem. Viele fühlen zumindest insoweit berücksichtigt werden, als sie in sich von den LPG-Nachfolgeorganisationen über den keinem Fall leer ausgehen. Dies wäre ein Teilbeitrag Tisch gezogen. zur Wiedergutmachung. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) der F.D.P. — Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Sie mögen die Festlegung einer Rangfolge kritisie- Und getreten!) ren. Wenn man aber die Niederlassungen der Boden Es war deshalb ein guter und richter Weg, daß eine verwertungs- und -verwaltungs GmbH, die über die Sonderkommission im Bundeskanzleramt, an der Vergabe der Pachtverträge entscheiden, und die Abgeordnete der Koalitionspartner sowie die Treu- Landwirtschaftsämter, die zur Vorbereitung von Ent- hand und die Bodenverwertungs- und -verwaltungs scheidungen Empfehlungen abgeben sollen, nicht GmbH beteiligt waren, ein Programm erarbeitet hat, alleine lassen will, muß man für den Fall gleichwerti- das einvernehmlich mit den Agrarministern der fünf ger Gebote Rangfolgen festlegen; anderenfalls läßt Bundesländer verabschiedet wurde. man die Entscheider allein. Daß die LPG-Nachfolge- organisationen bei einer solchen Rangfolge an zwei- (Vorsitz : Vizepräsident Helmuth Becker) ter Stelle stehen müssen, ist selbstverständlich, wenn Eine sinnvolle Verwertung wird es nur bei größtmög- man eine Umstrukturierung auch bei den ehemals lichem Konsens zwischen allen Be troffenen geben. volkseigenen Flächen ernsthaft befürwortet. (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Die Wahr (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Manche heit ist immer: Man hat nicht mitgestimmt!) wollen das aber nicht!) Das ist richtig. Herr Minister Zimmermann, Sie sind Gleichzeitig ist bei der Verpachtung zu berücksich- heraus. Entschuldigung. tigen, daß bestehende Betriebe nicht durch Entzug In diesem Programm wurde festgelegt, daß die von bisher von ihnen bewirtschafteten Flächen in Privatisierung wegen des anhaltenden strukturellen ihrer Existenz gefährdet werden. Von hier aus wieder Umbruchs in der Landwirtschaft der jungen Bundes- eine Chancengleichheit. Diese Regelung ist auch länder in drei Stufen vollzogen wird: die erste Stufe in deshalb notwendig, weil eine Reihe von ortsansässi- der Form der langfristigen Verpachtung, die- zweite gen Nachfolgeunternehmen einen nicht unbeträchtli- Stufe Landerwerbs- und Siedlungsprogramm, die chen Teil der Altschulden und sozialen Verpflichtun- dritte Stufe Verkauf zum Verkehrswert, Verwertung gen übernommen haben. der Restflächen. Dieses Drei-Stufen-Modell sichert Was die LPG-Nachfolgeunternehmen angeht, so ist nach unserer Auffassung den Aufbau wettbewerbsfä zusätzlich darauf hinzuweisen, daß diese durch das 12086 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 140. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Februar 1993

Hans-Ulrich Köhler (Hainspitz) Land, das ihren Mitgliedern gehört, in a ller Regel über 25 000 DM bekommen kann, soweit es eine gute einen Grundstock verfügen, während Neueinrichter Landesregierung gibt, d. h. soweit die Länder den fast ausschließlich auf die Pacht fremder Flächen Anteil bezahlen. angewiesen sind. (Siegfried Ho rnung [CDU/CSU]: Was bei der (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Auch das SPD nicht der Fall ist!) stimmt!) Hier haben Sie nicht dazu beigetragen, Chancen- Nicht zu kritisieren ist auch, daß die Pächter zur gleichheit für die Landwirte in Brandenburg herbei- Selbstbewirtschaftung verpflichtet sind und nur in zuführen, weil Sie nicht bereit waren, die 35 % Län- wenigen Ausnahmefällen und nur für eine Über- deranteil aufzubringen. gangszeit aus triftigen Gründen eine Unterverpach- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) tung zugelassen wird. Nur so läßt sich Bodenspekula- Ich meine, Herr Minister Zimmermann, wir sollten, tion zumindest einschränken. Ich hoffe, daß in der Zwischenzeit das Skatspielen im Offizierskasino dann wenn wir Vergleiche anstellen, tatsächlich auch im beendet ist. Deutschen Bundestag darum besorgt sein, daß nicht falsche Meldungen nach außen gehen. Die Förderung (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Das sind die ist zu Recht in den neuen Bundesländern großzügiger negativen Beispiele!) als in den alten Bundesländern. Aber das sollte dann Diese wichtigen Grundlagen der Richtlinie sind für auch zum Ausdruck kommen. die Arbeit der Bodenverwertungs- und -verwaltungs Nun habe ich noch einen Satz zum Kollegen Kuess- GmbH verbindlich. ner zu sagen. Herr Kollege Kuessner, ich habe ins Meine sehr verehrten Damen und Herren, vom Handbuch geguckt und gelesen: Theologie, Beruf Gesetzgeber wurde ein Instrumentarium geschaffen, Pfarrer. Ich möchte Ihnen empfehlen: Auch wenn man das eine vernünftige Bodenpolitik in den Bundeslän- in der Politik ist, ist es die Aufgabe des Theologen, zu dern ermöglicht. Mit der Richtlinie wird versucht, versöhnen und nicht zu verhetzen. zwischen den unterschiedlichen Interessen auszuglei- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) chen und das wirtschaftlich Notwendige und Vernünf- tige nicht aus den Augen zu verlieren. (Dr. Fritz Schumann [Kroppenstedt] [PDS/ Vizepräsident Helmuth Becker: Zu einer weiteren Linke Liste]: Glauben Sie das denn selbst, Zwischenbemerkung hat jetzt Herr Kollege Hinrich Herr Köhler?) Kuessner das Wort. Das Instrumentarium ist ausreichend, um Miß- brauch und Spekulation zu verhindern. Aber es muß Hinrich Kuessner (SPD): Ich möchte die Bemerkung auch angewandt werden. Hier ist jeder von uns des Kollegen zurückweisen, daß ich hier „verhetzt" gefordert. Wenn wir in Bonn Gesetze machen und habe. nicht dafür sorgen, daß sie in den Ländern umgesetzt (Beifall bei der SPD — Zurufe von der CDU/ werden, dann können wir hier strampeln, wie wir CSU: Natürlich!) wollen, dann passiert nichts. Mein Anliegen habe ich, so denke ich, auch in dem Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit. Gespräch mit dem Vertreter der Alteigentümer in (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. — einer differenzierten Äußerung deutlich gemacht. Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Das ist das Wenn Sie hingehört haben, haben Sie das auch Entscheidende!) mitbekommen. (Zuruf von der CDU/CSU: Das war nicht zu Vizepräsident Helmuth Becker: Meine Damen und hören!) Herren, zu einer Zwischenbemerkung gemäß § 28 der Ich würde Ihnen wirklich empfehlen: Führen Sie die Geschäftsordnung erteile ich unserem Kollegen Egon Gespräche einmal direkt; dann wären Sie auch diffe- Susset das Wort. renzierter in der Beurteilung. Den Ausdruck Verhetzung finde ich schon sehr Egon Susset (CDU/CSU): Die Ausführungen von beleidigend. Herrn Minister Zimmermann haben mich bewogen, (Beifall bei der SPD) doch zwei Sätze zu der falschen Aussage, die Sie hier Ich würde Sie bitten, bei dieser Beurteilung differen- machten, zu sagen. Sie sprachen von der Chancen- zierter vorzugehen. gleichheit bei der Förderung. Wir haben bewußt — vorhin hat Kollege Gallus schon darauf Bezug (Beifall bei der SPD — Dr. Nils Diederich genommen — die Förderung der Landwirtschaft in [Berlin] [SPD]: Das können die aber nicht!) den neuen Ländern im Vergleich zur Förderung der Landwirtschaft in den alten Ländern verbessert. Vizepräsident Helmuth Becker: Meine Damen und (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Erheb Herren, ich schließe die Aussprache. lich!) Der Ältestenrat schlägt Überweisung des Antrages Wir haben davon gesprochen, was hier -bei uns auf der Fraktion der SPD zur Struktur- und sozialverträg- Grund der EG-Effizienzverordnung gilt: daß bei- lichen Verwertung volkseigener land- und forstwirt- spielsweise ein Betrieb keine Förderung erhalten schaftlicher Flächen in den neuen Ländern auf Druck- kann, der über 60 Milchkühe hat, daß ein Bet rieb im sache 12/3476 an die in der Tagesordnung aufgeführ- soziostrukturellen Einkommensausgleich nur bis zu ten Ausschüsse vor. Sind Sie damit einverstanden? — Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 140. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Februar 1993 12087

Vizepräsident Helmuth Becker Ich höre und sehe keinen Widerspruch. Dann ist das so Solche Medien sind Filme, Liedtexte oder Schriften, beschlossen. die verrohend wirken, zu Gewalttätigkeiten, Verbre- Wir kommen nun zur Abstimmung über die chen oder Rassenhaß anreizen und den Krieg verherr- Beschlußempfehlung des Ausschusses für Ernährung, lichen. Es sind Filme und Schriften, in denen Frauen- Landwirtschaft und Forsten auf Drucksache 12/3563. diskriminierung und Pornographie die Handlung Der Ausschuß empfiehlt unter Nr. 1, den Antrag der bestimmen. Indizierte Medien werden im Bundesan- Fraktion der SPD zum Siedlungskauf-Modell auf zeiger von der Bundesprüfstelle bekanntgegeben und Drucksache 12/2126 abzulehnen. Wer stimmt für unterliegen damit bestimmten Abgabe-, Verbrei- diese Beschlußempfehlung? — Gegenprobe! — tungs-, Vertriebs- und Werbebeschränkungen. Stimmenthaltungen? — Mit den Stimmen der Koali- Ebenfalls dem Schutz von Kindern und Jugendli- tionsfraktionen ist der Antrag der SPD abgelehnt. chen dienen sollen die §§ 131 — Gewaltverherrli- Wer stimmt nunmehr Nr. 2 der Beschlußempfeh- chung — und 184 — Pornographie — des Strafgesetz- lung des Ausschusses zu, den Antrag der Fraktion der buches sowie das Gesetz zum Schutz der Jugend in SPD zu einer Richtlinie für die Durchführung der der Öffentlichkeit. Und auch der Rundfunkstaatsver- Verwertung und Verwaltung volkseigener land- und trag vom 31. August 1991 verweist auf diese strafge- forstwirtschaftlicher Flächen auf Drucksache 12/2545 setzlichen Bestimmungen und führt in seinem § 3 abzulehnen? — Wer stimmt dagegen? — Enthaltun- Abs. 2 aus: „Sendungen, die geeignet sind, das gen? — Mit den gleichen Mehrheitsverhältnissen wie körperliche oder seelische Wohl von Kindern und eben ist auch dieser Antrag der SPD abgelehnt. Jugendlichen zu beeinträchtigen, dürfen nicht ver- Damit ist dieser Tagesordnungspunkt erledigt. breitet werden, es sei denn ...". Und dann folgt die Aufzählung der Bedingungen, unter denen eben doch eine Sendung erlaubt ist. Ich rufe Tagesordnungspunkt 6 auf: Wo also liegt das Problem, wenn es doch eine Fülle Erste Beratung des von der Bundesregierung von Gesetzen und Verordnungen gibt, die unsere eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Töchter und Söhne schützen? Änderung des Gesetzes fiber die Verbreitung jugendgefährdender Schriften Zum einen ist da das sogenannte Elternprivileg in — Drucksache 12/4195 — Art. 6 unseres Grundgesetzes. Dort heißt es dem Sinn Überweisungsvorschlag: nach hoffnungsvoll: Über die Rechte und Pflichten der Eltern bei der Pflege und Erziehung der Kinder wacht Ausschuß für Frauen und Jugend (federführend) Rechtsausschuß die staatliche Gemeinschaft. Aber wie? Hinter der Ausschuß für Familie und Senioren Haustür ist die Bedienung von Fernsehern, Videore- Innenausschuß cordern, CD-Playern und Computerspielen kinder- Nach einer Vereinbarung des Ältestenrates ist für leicht im wahrsten Sinne des Wortes, auch nach die Aussprache eine Stunde vorgesehen. — Ich höre 23 Uhr. In Klammern sei dazu vermerkt: Hinter und sehe keinen Widerspruch. Dann ist auch das so derselben Haustür werden im übrigen alljährlich beschlossen. allein laut amtlicher Statistik mehr als 23 000 Kinder Ich eröffne die Aussprache und erteile zunächst von Eltern und Verwandten mißhandelt; die Dunkel- unserer Kollegin Ilse Falk das Wort. ziffer liegt wahrscheinlich noch viel höher. Zum zweiten: Wen erreicht die verdienstvoll arbei- Ilse Falk (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine Damen tende Bundesprüfstelle mit ihrer Liste der indizierten und Herren, die Sie übrig geblieben sind! Vor dem Medien? Insider und Fachleute aus dem Jugendbe- Frühstück die Computerspiele „Golden Axe" und reich, denen der Bundesanzeiger zugänglich ist, und „Fantasy", nach der Schule die Broschüren „Endsieg" diejenigen, denen nach dem Gesetz die Entscheidun- Nr. 2 und 3, dazu die CD der Gruppe „Störkraft" gen der Bundesprüfstelle zugestellt werden müssen, „Dreckig, kahl und hundsgemein" und schließlich am also das Bundesministerium für Frauen und Jugend, Abend „Drei Lederhosen in St. Tropez", „Zombie 3" die Länder, soweit möglich die Verfasser und Verleger oder aber — ein Wunschfilm deutscher Fernsehzu- der Schrift sowie andere am Verfahren beteiligte schauer — „Katharina, die nackte Zarin". Behörden, Verbände und Personen. Also a ll diejeni- gen, die ohnehin schon sensibilisiert sind. Kommen so unsere Kinder und Jugendlichen gut über den Tag? Entspricht dieses vielfältige Medien- Und vor allem: Was kann die Bundesprüfstelle bei angebot unserer Vorstellung einer Erziehung zum Verstößen tun? Wenig. Eine Indizierung ist keine mündigen Bürger oder zur mündigen Bürgerin? Errei- Zensur. Sie hat nicht das generelle Verbot eines chen wir mit diesen Mitteln Achtung vor der Würde Mediums zur Folge. Und Strafen greifen natürlich erst, des Menschen, Solidarität mit Älteren, mit Schwäche- wenn Verstöße überhaupt der Bundesprüfstelle ren, gegenseitige Toleranz und Anerkennung? bekannt werden. Alle eben genannten Medien standen, zum Teil seit Also schauen die Erwachsenen eben weiter nach längerem, auf der Liste der indizierten Medien der 23 Uhr indizierte Filme an, zum Teil zwar um einige Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften. der schrecklichsten Sequenzen gekürzt, aber dieses Geprüft wird auf Antrag von Jugendämtern, Landes- dann nur auf Grund freiwilliger Selbstkontrolle der jugendbehörden oder des Bundesministeriums für Sender und nicht etwa als Konsequenz des Indizie- Frauen und Jugend, ob ein Film oder Computerspiel, rungstatbestandes. Oder die lieben Kleinen nehmen eine Zeitschrift oder CD als jugendgefährdend einge- solche Filme halt selber auf Video auf, können sie stuft werden muß. doch häufig viel besser als wir mit der Technik 12088 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 140. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Februar 1993

Ilse Falk umgehen. Das weitere können Sie sich dann ausma- Benutzung von CDs und Computerspielen unter Kin len. dern und Jugendlichen überhaupt keine Kontrolle möglich ist, wenn jugendlichen Gewalttätern bei Ich komme auf die Ausnahmeregelungen im Rund- Übergriffen auf Menschen und Sachen Beifall gespen- funkstaatsvertrag zurück. § 3 besagt dort, daß indi- det wird, wenn das Verantwortungsbewußtsein von zierte Filme zwischen 22 bzw. 23 und 6 Uhr ausge- Video-Produzenten und TV-Veranstaltern mit Um- strahlt werden dürfen, weil der Veranstalter anneh- satzzahlen und Einschaltquoten korreliert. men darf, daß Kinder und Jugendliche unter 16 bzw. 18 Jahren die Sendungen zu dieser Zeit „üblicher- Angesichts der Flut an gefährdenden Einflüssen weise" nicht wahrnehmen. Dazu Zahlen: Bis zu durch Filme, Spiele, Liedtexte, Bücher und Zeitschrif- 500 000 sechsjährige — ich betone: sechsjährige — bis ten müssen die Anforderungen eines umfassenden 13jährige Mädchen und Jungen sitzen nach 23 Uhr Jugendschutzes einer sorgfältigen Prüfung unterzo- vor dem Bildschirm. Man kann sich jetzt trefflich gen werden. Einzellösungen werden weder dem darüber streiten, ob es wirklich 500 000 oder „nur" veränderten Medienangebot noch der tatsächlichen 100 000 sind. Aber ich denke, jedes einzelne Kind ist Nutzung durch die jugendlichen Konsumenten zuviel. gerecht. Für einen wirksamen Jugendschutz müssen Mord und Totschlag schon in den Nachrichten, Blut- Fachleute aus dem Jugendbereich, Erzieher und Leh- und Ekelfilme, Gewaltverherrlichung, Pornographie rer, die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende und Schmuddelsex: Unseren Kindern und Jugendli- Schriften und nicht zuletzt die Vertreter der Medien chen bietet sich alltäglich im öffentlich-rechtlichen zusammenarbeiten. Fernsehen und bei den p rivaten Sendern ein Cocktail, der seine Fortsetzung im wirklichen Leben findet. Zudem sollten verstärkt Informationen über den „Batman" und „Karate-Kid" schlagen im Kindergar- Gang des Verfahrens veröffentlicht werden, d. h. wie ten zu. In der Schule erpressen mafiose Banden Bürger mithelfen können, ein offensichtlich jugend- Mitschülerinnen und Mitschüler. Mitbringsel auf gefährdendes Medium einem Prüfungsverfahren Teenager-Partys sind Messer, Schlagstöcke, Reizgas zuzuführen. So ist wenig bekannt, daß die Prüfstelle und Revolver. Skin-Songs auf CDs und Computer- nur auf Antrag tätig werden darf und daß nur die spiele runden diese Medienlandschaft ab. obersten Jugendbehörden der Länder, die Landesju- gendämter, die Jugendämter und die Bundesministe- Immer mehr Eltern, Erzieher- und Lehrerverbände rin für Frauen und Jugend antragsberechtigt sind. prangern dieses zweifelhafte „Angebot" an, weil sie Insgesamt sind das in der Bundesrepublik etwa zu Recht Schäden in der geistigen und seelischen 800 Stellen, an die sich Bürgerinnen und Bürger Entwicklung ihrer Kinder fürchten und schwere wenden sollten, wenn ihnen Erkenntnisse über Beeinträchtigungen des Wohles von Mädchen und gefährdende Schriften vorliegen. Jungen voraussehen. Denn direkt kann man sie ja meist nicht wahrnehmen. In Kommentaren und Pres- Im einzelnen ist zudem notwendig, die Kompeten- seberichten, die derzeit zu lesen sind, werden zur zen der Bundesprüfstelle u. a. im Bereich der Fern- Abhilfe oftmals Gesetzesverschärfungen verlangt, sehanstalten und des Btx zu erweitern. Darüber hin- wird der Ruf nach Indizierung solcher Medien lau- aus ist denkbar, daß sich die TV-Veranstalter und ter. Video-Produzenten in einer Freiwilligen Selbstkon- trolle analog der Freiwilligen Selbstkontrolle der Aber nicht um eine Verschärfung des Gesetzes über Filmbranche zusammenschließen. Bestehende Sank- die Verbreitung jugendgefährdender Schriften geht tionsvorschriften müssen in bezug auf ihre Durchsetz- es in der heutigen Diskussion, sondern allein um eine barkeit in der Praxis geprüft werden. Ergänzung der Regelungen über die Auswahl von Beisitzern. Das mag gut und wichtig sein. Immerhin Informationsveranstaltungen in Kindergärten und wird damit einer Forderung des Bundesverfassungs- Schulen können Eltern helfen, das Medienverhalten gerichts Rechnung ge tragen. ihrer Kinder zu hinterfragen und sich bewußt mit den Ich begrüße es auch, daß uns die Aussicht auf die angebotenen Programmen auseinanderzusetzen. In Verabschiedung eines Bundesgremiengesetzes im Schulen sind darüber hinaus z. B. Projektwochen für Zusammenhang mit dem Gleichberechtigungsgesetz Schülerinnen und Schüler zu Gewalt in den Medien Anlaß zu der Hoffnung gibt, daß in Zukunft mehr denkbar. Frauen der Bundesprüfstelle als Beisitzerinnen ange- hören werden. Meine Damen und Herren, ich denke, es ist deutlich geworden, daß der wichtigen und wirklich verdienst- Ich frage mich aber, ob dieses schon der Weisheit vollen Arbeit der Bundesprüfstelle für jugendgefähr- letzter Schluß sein kann, wenn die Bundesprüfstelle dende Schriften viele Grenzen gesetzt sind und wir für Fernsehanstalten und Btx nicht zuständig ist, wenn uns auch an dieser Stelle klarmachen müssen, daß alle Antragsverfahren bis zu 4 Monate dauern können, staatlichen und gesetzgeberischen Maßnahmen wir- wenn Medien, die der Kunst oder der Wissenschaft kungslos bleiben müssen, solange wir als Eltern zugeordnet werden, von der Indizierung ausgenom- unsere Aufgabe nach Art. 6 des Grundgesetzes, näm- men sind, wenn Hochglanzzeitschriften, die z. B. Seite lich die „Pflege und Erziehung der Kinder", nur als - um Seite nackte Kinder darstellen, nicht indiziert Recht und nicht als Pflicht begreifen und andere werden können, weil es sich um „saubere" Darstel- Instanzen für die persönliche Entwicklung unserer lungen handelt — und doch jeder weiß, wie sehr auch Töchter und Söhne verantwortlich machen. solche Hefte den Konsum von Kinderpornographie anregen können —, wenn über die Verbreitung und (Beifall im ganzen Hause) Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 140. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Februar 1993 12089

Vizepräsident Helmuth Becker: Ich erteile nun Allerdings zeichnen sich die nächsten Dimensionen unserem Kollegen Wilhelm Schmidt das Wort. in diesem heiß umkämpften Markt schon jetzt ab: Vom europäischen Ausland werden per Satellit demnächst möglicherweise — wie sie heißen — Hardcore-Pornos Wilhelm Schmidt (Salzgitter) (SPD): Herr Präsident! gesendet, die zu jeder Tages- und Nachtzeit in die Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kol- deutschen Wohnstuben flimmern können. Wer weiß, leginnen und Kollegen! Es ist gut, daß wir die Gele- daß Kinder heutzutage — Frau Falk hat es angedeutet; genheit nutzen können, bei diesem Gesetzesvorha- auch mir persönlich geht es übrigens so — den meisten ben nicht nur über den eigentlichen, sehr engen Eltern im Gebrauch von Decodern, Videorecordern Zweck zu sprechen, sondern auch über den allgemei- und ähnlichen Geräten weit überlegen sind, der weiß nen Kinder- und Jugendmedienschutz. Ich bin der auch, daß einem ungehinderten Konsum dieser Mach- Kollegin Falk auch dankbar, daß sie das für ihre werke bei der jüngeren Generation damit kaum Fraktion schon einbezogen hat. Deswegen werde Bremsen gesetzt sind. auch ich mein Schwergewicht in meiner Rede darauf legen; meine Kollegin Simm wird dann mehr auf den Hinzu kommt offensichtlich mit großen Schritten eigentlichen Ursprung des heutigen Anlasses einge- eine neue Entwicklung am Computermarkt. Ich habe hen. letztens gelesen, daß es Disketten gibt, auf denen bei ganz unverfänglicher Aufmachung von außen die Wir haben nämlich nicht nur über das Gesetz zu härtesten Computerpornos, -Spiele oder wie immer sprechen, das einen sehr eng begrenzten Rahmen man das bezeichnen soll, enthalten sind. setzt, sondern wir haben darüber zu sprechen, daß es im gesamten Kinder- und Jugendmedienschutz große Rundfunkstaatsvertrag, Gesetz über die Verbrei- qualitative Lücken gibt. Insofern ist die heutige tung jugendgefährdender Schriften, europäische Debatte ein guter Anlaß, hierauf aufmerksam zu Fernsehrichtlinie, die wir übrigens Gott sei Dank machen. Gleichwohl sage ich, daß mir einfach noch demnächst im Hause diskutieren werden, alles ist zuwenig aufgearbeitet ist, was auf diesem Feld statt- mehr als unzulänglich, geradezu hilflos ausgestaltet, findet und wie man dem begegnen kann. wenn es darum geht, die Sendung solcher gefährden- Machen wir uns nichts vor: Es sind längst nicht mehr der Filme zu verhindern. Der Handlungsbedarf ist nur noch die Probleme von Pornoheften oder Po rno- groß, wenn man aus gesellschaftspolitischer Überzeu- videos allein, die nach wie vor mehr oder weniger gung und vor allem im Interesse des Wohls der Kinder versteckt in den Handel kommen, obwohl dem gegen diese Entwicklungen wirksam angehen will. Betrachter der Szene neben den harten Sachen die Will das diese Bundesregierung überhaupt? Frau subtil angelegten Produkte wie die angebliche FKK- Merkel mag man diesen Willen noch einigermaßen Zeitschrift „Sonnenfreunde" ebenfalls einiges Kopf- abnehmen. Aber sonst? War es nicht diese Regierung, zerbrechen bereiten. war es nicht dieser Kanzler, der mit 25 Milliarden DM Die Bundestags-Kinderkommission, deren Spre- an Subventionen aus Steuermitteln dafür gesorgt hat, cher ich zur Zeit bin, hat fraktionsübergreifend gerade daß durch die Verkabelung dieser Republik der Weg heute morgen im Rahmen der Vorlage ihres Zwi- in diese Entwicklung überhaupt erst bereitet worden schenberichts vor der Bundespressekonferenz ihre ist, und der es, obwohl viele, viele Warnende seiner- besondere Sorge darüber zum Ausdruck gebracht, zeit schon darauf aufmerksam gemacht haben, nicht daß es insbesondere bei den elektronischen Medien wahrhaben wollte, daß Entwicklungen, wie in den kaum noch ein Halten bei der Programmauswahl in USA schon lange vorgezeichnet, auch bei uns eintre- bezug auf Gewalt, Horror und Sex gibt. Leider sind ten werden. Kinder, die am Tag im Durchschnitt zwei auch die öffentlich-rechtlichen Fernsehanstalten nicht Stunden und mehr vor dem Fernsehapparat sitzen frei davon, wenngleich sie im Vergleich mit den — in verkabelten Haushalten eine halbe Stunde privaten Sendern noch einigermaßen zivile Pro- mehr —, sind ein warnendes Signal auch für die gramme fahren. Dimension, die sich dahinter verbirgt. Ich mache auf die Zahlen aufmerksam, die durch Nun hat in diesen Tagen die CDU, wie man lesen mehrere Untersuchungen in den letzten Wochen und konnte, die Schaffung eines Mediengewissens in Monaten der Öffentlichkeit bekanntgegeben worden Form einer Konvention der Verantwortlichkeit vorge- sind: Pro 7 mit einem Gewalt-, Horror- und Sexanteil schlagen. Ein solcher Verhaltenskodex nach Art einer von fast 10 % am Gesamtprogramm, 4 000 Fernsehlei- freiwilligen Selbstkontrolle muß — Frau Falk, Sie und chen wöchentlich auf den deutschen TV-Kanälen Ihre Kollegen will ich dabei direkt ansprechen — den oder 132 indizierte Filme, also verbotene Filme, in den immer weiter fortschreitenden Entwicklungen auf Privatsendern zwischen Januar und August 1992. Das dem Mediensektor aber wohl völlig hilflos gegen- alles ist eine deutliche Warnung für uns alle. überstehen, weil rein die kommerziellen Interessen Aber wir müssen dann auch handeln, wir müssen den Ablauf des Sendeprogramms bestimmen. Die konkret etwas dagegen unternehmen. Ich persönlich Landesmedienanstalten versagen bei dieser Aufgabe habe bereits im Februar 1992 gegen den Fernsehsen- doch jetzt schon, weil ihnen die rechtliche Handhabe der SAT 1 ein Strafverfahren in Gang gebracht, um die nicht gegeben worden ist. Was soll dann wohl eine Ausstrahlung eines damals nach dem GjS indizierten freiwillige Selbstkontrolle nach dieser Art ausrich- Filmes klären zu lassen. Ich denke, wir müssen auch ten? die Verantwortlichen in den Ländern, die die Überwa- Natürlich muß man sich die Frage stellen, ob die chung der Rundfunk- und Fernsehprogramme vorzu- aufgezeigten notwendigen Reaktionen nicht nur dem nehmen haben, stärker als bisher auf ihre Verantwort- übertriebenen Denken einiger weniger Eiferer ent- lichkeit aufmerksam machen. springen. Dazu sage ich ein entschiedenes Nein. 12090 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 140. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Februar 1993

Wilhelm Schmidt (Salzgitter) Immer mehr Untersuchungen haben das Fernsehver- ferenz vorgestellten Zwischenbericht der Kinder- halten von Kindern durchleuchtet; ich habe einige kommission zu überreichen. Zahlen eben schon genannt. Wenngleich auch die (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der Wirkungsforschung noch in einigem Streit lebt F.D.P. und der PDS/Linke Liste) — auch das muß man wohl zugeben —, ist es inzwi- schen doch wohl unumstritten, daß Gewalt, Horror und Sex in einem Maß auch Kinderseelen beeinflus- Vizepräsident Helmuth Becker: Meine Damen und sen, wie es nun nicht mehr verniedlichend hingenom- Herren, ich erteile jetzt das Wort unserer Frau Kollegin men werden kann. Dr. Margret Funke-Schmitt-Rink. In diesem Zusammenhang möchte ich wieder ein- mal an das Endgutachten der Gewaltkommission Dr. Margret Funke-Schmi tt-Rink (F.D.P.): Herr Prä- erinnern. Ich tue das immer sehr gern, wenn ich in sident! Meine Herren! Meine Damen! Das Gesetz diesem Hause zu solchen Themen rede; denn das steht über die Verbreitung jugendgefährdender Schriften offenbar wohlbehütet in manchen Bücherschränken ist gerade 40 Jahre alt. Noch 1973 galten Schriften, die bei uns in Abgeordnetenbüros und wird überhaupt mit Bildern für Nacktkultur warben, als „offenbar nicht mehr beachtet und für solche Zwecke herausge- schwer jugendgefährdend". Heute können wir dar- holt. Ich empfehle Ihnen, noch einmal nachzulesen, über nur lachen. Heute erhitzen brutale Videos, harte wie schon Ende der 80er Jahre diese hochkarätige Pornos und rassistische Computerspiele noch nicht Kommission, von der Bundesregierung berufen, auf einmal die Gemüter von Kindern. die schwerwiegenden Folgen für Kinder und Jugend- Ein unübersehbares Angebot — Fernsehen, Videos, liche aufmerksam gemacht hat. Btx, Computerspiele, Bücher, Zeitschriften, Comics, Gerade die sehr selten erfolgende Aufarbeitung von Schallplatten und Tonkassetten — überflutet den Fernseherlebnissen zwischen Kindern und Eltern Markt — und dies wahrlich nicht vom Feinsten. Es ist bringt doch erhebliche seelische Beeinflussungen bei heute unbestritten, daß ständiger Konsum von den Kindern — das ist mittlerweile unumstritten —, Gewaltdarstellungen abstumpft. Sind wir uns eigent- zumal dann, wenn sie mit anderen Faktoren zusam- lich der Spirale bewußt? mentreffen, die im familiären Umfeld heute bedauer- Im Rahmen einer präventiven Jugendarbeit wurde licherweise nicht sehr selten anzutreffen sind, nämlich im Mai 1954 als weisungsungebundene Bundesober- Schulstreß, Elternprobleme, Spiel- und Bewegungs- behörde die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende mangel, Orientierungslosigkeit in Freizeit und Ausbil- Schriften ins Leben gerufen. Sie ist mit gerichtsähnli- dung, Wohnungsprobleme. Sie sind Gefahren für eine chen Funktionen ausgestattet und kann Indizierungs- Übernahme von Handlungsmustern aus diesem Fern- verfahren bei Mediendarstellungen und gewaltver- seh- und Computergenre. herrlichenden Schriften einleiten, die Kinder und Das System Elternhaus/Schule schafft es jedenfalls Jugendliche sittlich gefährden, also — ich zitiere — eindeutig nicht mehr, dem Überangebot negativ wir- „unsittliche, verrohend wirkende, zu Gewalttätigkeit, kender elektronischer Produkte wirkungsvoll entge- Verbrechen und Rassenhaß anreizende und den Krieg genzuwirken. Zu schnell sind die Entwicklungen auf verherrlichende Schriften". diesem Riesenmarkt. Wir brauchen tatsächlich wir- Durch die Indizierung werden Verlage zur Selbst- kende gesetzliche Regelungen. Wir dürfen nicht kontrolle und zur Umstellung der Produktion veran- davor zurückschrecken, gegen diese Tendenzen mas- laßt. Überdies dürfen Schriften, die in der Liste siv anzugehen. Wenn wir das nicht schaffen, werden bekanntgemacht sind, nicht im Einzelhandel, im Ver- wir uns nach meiner Auffassung sehr erschrecken, sand, in Leihbüchereien, an Kiosken oder anderen was Rassenhaß, grausame Gewalttätigkeiten, die Verkaufsstellen vertrieben, verbreitet oder verliehen Menschenwürde verletztende Darstellungen, Porno- werden. graphie und Kriegsverherrlichung in nächster Zeit in Die Bundesprüfstelle kann nur auf Antrag der den Köpfen unserer Kinder und durch die tatsächli- Obersten Jugendbehörden der Länder, der Landesju- chen Handlungen, die daraus folgen, noch anrichten gendämter, der Jugendämter und der Bundesministe- können. rin für Familie und Jugend tätig werden. Das monat- Ich fordere deswegen nicht nur aus meiner Sicht, lich zusammentretende Zwölfergremium, das sich sondern auch aus der Sicht der Kinderkommission des aus einer/einem Vorsitzenden der Bundesprüfstelle, Bundestages eine schnelle Aufarbeitung der Möglich- acht Gruppen- und drei Länderbeisitzern zusammen- keiten und damit auch eine schnelle Umsetzung für setzt, entscheidet, von Ausnahmen abgesehen, dauer- einen wirksameren Kinder- und Jugendschutz im haft über eine Indizierung. Aber auch die Indizierung Zusammenhang mit den Medien in Deutschland. hat nicht ein generelles Verbot zur Folge. Ebensowe- Natürlich haben wir dabei die Grenzen der Informa- nig gehören Beschlagnahmen und die Einbeziehung tionsfreiheit und der Zensur zu beachten. Ich meine von Medien zum Tätigkeitsbereich der Bundesprüf- aber auch, daß wir den Handlungsbedarf schon jetzt stelle. Aber Programme, die in der Videofassung sehr deutlich erkennen können. Wir sollten uns im indiziert sind, dürfen laut Rundfunkstaatsvertrag erst Rahmen dieses Gesetzes, aber auch weit darüber nach 23 Uhr gesendet werden. Nur, was nützt es, hinaus, schnellstens an die Aufarbeitung- begeben. wenn auch noch dann Hunderttausende von Kindern Damit die beteiligten Ministerien, die Frau Merkel vor dem Fernseher sitzen? Wo sind die Eltern? Schon heute hier vertritt, künftig noch mehr als bisher an die im Bett? Kinder denken, wollte ich die Gelegenheit nutzen, (Heiterkeit — Wolfgang Roth [SPD]: Hoffent Frau Merkel, Ihnen den heute der Bundespressekon lich!) Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 140. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Februar 1993 12091

Dr. Margret Funke-Schmitt-Rink Ziel des vorliegenden Gesetzentwurfs ist, verfah- Frauen die Opfer von Gewalt und sadistischer Sexu- rensrechtliche Verbesserungen für die Durchführung alität — und dies nicht nur in Hartpornos. des Gesetzes über die Verbreitung jugendgefährden- Danke. der Schriften, insbesondere für die Ernennung von Beisitzern, zu erreichen; denn vom Bundesverfas- (Beifall bei der F.D.P., der CDU/CSU, der sungsgericht ist 1990 die Auswahl der Beisitzer als SPD und der PDS/Linke Liste) verfassungsrechtlich unzulänglich angemahnt wor- den. Wünscht man sich also schnelle Entscheidungen hinsichtlich einer Indizierung von Medien jugendge- Vizepräsident Helmuth Becker: Nächste Rednerin fährdenden Inhalts, so ist zu begrüßen, daß die Perso- ist jetzt unsere Frau Kollegin Pe tra Bläss. nengruppen und Verbände, die Beisitzer vorschlagen, z. B., aus Kunst, Literatur, Buchhandel, Jugendarbeit, Lehrerschaft und Religionsgemeinschaften, laut Ge- Petra Bläss (PDS/Linke Liste): Herr Präsident! setzentwurf künftig im Gesetz näher bestimmt werden Meine Damen und Herren! „So weit ist es gekommen: sollen. Auch für die Anbieter von Videoprogrammen Jeder dritte Berliner Schüler bewaffnet." Meldungen und die im Bildträgervertrieb Tätigen soll es eine klare wie diese über die alarmierend hohe Gewaltbereit- Rechtsgrundlage für ihre Beteiligung geben. schaft unter Jugendlichen haben sich in der letzten Um ein unverzügliches H andeln bei offenbar Zeit gehäuft. Von den Kultusministerien in Sachsen- schwer jugendgefährdenden Medien zu garantieren Anhalt und Mecklenburg-Vorpommern in Auftrag und den Vertrieb schnellstmöglich zu unterbinden, ist gegebene und vor kurzem veröffentlichte Studien es vielleicht auch dringend notwendig, daß die Bun- belegen, daß Gewalt in der Schule mittlerweile zum desprüfstelle im Dreiergremium, also Vorsitzende Alltag gehört und Jugendliche immer mehr ihren bzw. Vorsitzender und zwei weitere Mitglieder, auch Ausweg rechts suchen. im vereinfachten Verfahren Maßnahmen einleiten Das Kölner Institut für empirische Psychologie kam kann — so ist es bisher im Gesetzentwurf nicht nach einer repräsentativen Befragung von Jugendli- vorgesehen — und die Be troffenen gegen die hier chen in Ost- und Westdeutschland zu dem Ergebnis, gefaßte Entscheidung nicht mehr Beschwerde einle- daß fast jeder dritte Jugendliche als konsequent gen können. ausländerfeindlich eingestuft werden müsse. Als Leit- Die im Gesetzentwurf festgelegten Verfahrensre- bilder für Gewalt nehmen Kinder und Jugendliche an geln sind also im Sinne stringenter Jugendschutzbe- erster Steller Rechtsradikale und Skins sowie Film- stimmungen als positiv zu bewerten. Das Instrumen- und Fernsehhelden, die sich mit brutaler Gewalt tarium zum Verbot sittlich gefährdender Schriften für durchsetzen. Kinder und Jugendliche muß effizienter gestaltet Diese überaus besorgniserregende Entwicklung werden. Der Bundesprüfstelle, der auf diesem Gebiet macht ein offensives Handeln der Bundesregierung eine große Verantwortung zukommt, muß der Rücken erforderlich. Der Jugendpolitik neue Akzente zu gestärkt werden. geben heißt auch, gesetzliche Grundlagen, die Jugendfragen be treffen, den neuen Erfordernissen Fazit: Es gibt zu viele Gewaltdarstellungen in den anzupassen. Dazu zähle ich auch das heute zur Medien. Bei allen gesellschaftlichen Gruppen muß ein Debatte stehende Gesetz über die Verbreitung radikales Umdenken einsetzen. Hohe Einschaltquo- jugendgefährdender Schriften. ten dürfen nicht das letzte Ziel von Fernsehmachern sein, und Eltern müssen öfter den Abschaltknopf bei Die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Fernsehen und Videos bedienen. Am wirkungsvoll- Schriften trägt eine große Verantwortung. Um so sten wäre es allerdings, wenn es endlich eine gemein- unverständlicher ist es mir, warum die Bundesregie- same ständige „Abrüstungskonferenz" der öffent- rung die hierfür vom Bundesrat gemachten Vor- lich-rechtlichen und der privaten Medien gäbe. Ich schläge ablehnt. Der Bundesrat fordert, daß Frauen wiederhole es — vielleicht bleibt der Appell doch und Männer bei der Berufung in die Bundesprüfstelle nicht ungehört —: Ich meine eine gemeinsame stän- zu gleichen Anteilen berücksichtigt werden. Außer- dige „Abrüstungskonferenz" der öffentlich-rechtli- dem will er in dem Gesetz festgeschrieben wissen, daß chen und der p rivaten Medien. als Vorsitz der Prüfstelle für mindestens jede zweite Amtszeit eine Frau von der zuständigen Ministerin Im Bereich von gewaltverherrlichenden Schrift-, benannt wird. Bild- und Tonträgern ist es zwingend, nicht mehr liberal, sondern restriktiv gegen die Hersteller und Ich halte das für eine Selbstverständlichkeit; Vertreiber vorzugehen. Es ist notwendig, in die Ent- schließlich ist mehr als die Hälfte der Bevölkerung scheidungsgremien der Bundesprüfstelle durch die weiblich und sind Frauen leider noch immer vorrangig Länder und durch die gesellschaftlichen Gruppen und häufig sogar allein für die Heranwachsenden gezielt Frauen zu entsenden. Hier setzt im übrigen das zuständig. vorgesehene Bundesgremienbesetzungsgesetz im Ich denke, das qualifiziert sie zusätzlich für die Entwurf eines Zweiten Gleichberechtigungsgesetzes Mitarbeit in einer solchen Bundesprüfstelle, die dar- an, wonach der Bund darauf hinzuwirken hat, daß über befindet, welche Schriften jugendgefährdend eine angemessene Repräsentanz von Frauen in den sind. öffentlichen Gremien geschaffen wird. Die Tatsache, daß Gewalt gegen Frauen und Por- Frauen müssen in der Diskussion über die Eindäm- nographie in den Medien eine furchtbare Dimension mung jugendgefährdender Darstellungen mehr Ein- bekommen haben, muß sich auch in der Besetzung fluß bekommen; denn in den meisten Fällen sind eines solchen Gremiums niederschlagen. 12092 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 140. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Februar 1993

Petra Blass Die gleichberechtigte Teilnahme von Frauen — Das GjS, das hier zur Änderung ansteht, stammt aus eine Selbstverständlichkeit? Offenbar nicht. dem Jahre 1961. Es legt fest, welche Medieninhalte Solange Frauen diese Einflußmöglichkeiten auf jugendgefährdend sind. Das sind insbesondere — ich die Gestaltung der Gesellschaft nur in verschwin- zitiere § 1 GjS — „unsittliche, verrohend wirkende, zu dend geringer Zahl wahrnehmen können, ist ihr Gewalttätigkeiten, Verbrechen und Rassenhaß anrei- Anspruch auf gleichberechtigte Teilhabe am zende sowie kriegsverherrlichende Medien". politischen, gesellschaftlichen und kulturellen Unter Schriften im Sinne des GjS fallen auch alle Leben nicht tatsächlich verwirklicht. Daraus folgt übrigen Medien, z. B. Computerspiele und Videos. die Notwendigkeit, Maßnahmen zu ergreifen, die diese Teilhabe verbessern und damit der Ver- Es ist die Aufgabe der Bundesprüfstelle, die Kinder wirklichung des verfassungsrechtlichen Gleich- und Jugendlichen vor jugendgefährdenden Medien heitsgebotes dienen. zu schützen. Im Rahmen des Gesetzes ist die Bundes- prüfstelle diesem Auftrag seit Jahrzehnten gerecht Diese Sätze stammen nicht von mir. Ich entnahm sie geworden. dem Bericht der Bundesregierung über die Berufung von Frauen in Gremien, Ämter und Funktionen. Dort Die eigentliche Problematik liegt allerdings darin, kommt die Bundesregierung immerhin auch zu der daß letztendlich nicht die Bundesprüfstelle entschei- bemerkenswerten Erkenntnis, daß eine Verbesserung det, was jugendgefährdend ist, sondern der Zeitgeist. der Lage nicht von selbst und ohne weiteres Zutun Dieser ist bekanntlich dem Wandel unterworfen. eintritt. In der heutigen Zeit wird die Jugend mit Medien- Doch wie sieht es in der Praxis aus? Goodwill- impulsen überflutet. Die Sendemöglichkeiten ebenso Erklärungen zur Überwindung der eklatanten Unter- wie die Empfangsmöglichkeiten haben sich verviel- repräsentanz von Frauen sind das eine. In dem facht. Der Kampf um die Einschaltquoten, um den besagten Gremienbericht kündigt die Bundesregie- Verkauf der Werbezeiten hat sich entsprechend ent- rung Maßnahmen an, die verantwortliche Stellen wickelt. dazu anhalten, sich aktiv um die Einbeziehung von Der Auftrag der Bundesprüfstelle muß heute des- Frauen zu bemühen. Dazu sollten die bestehenden halb über die Ausblendung jugendgefährdender Regelungen und Gesetze, die für die Besetzung von Schriften hinaus auf die Gewinnung von Medienqua- Gremien gelten, auf ihre Wirksamkeit hin überprüft lität abzielen. Medienqualität, Medienpädagogik, werden. der richtige Umgang mit Medien, das ist heute eine Ausdrücklich betont wird die Notwendigkeit der gesamtgesellschaftliche Aufgabe geworden. gesetzlichen Verankerung einer „Frauen-Berück- sichtigungsklausel" in einem „übergreifenden Gre- Grundlage für den Gesetzentwurf der Bundesregie- mien-Gesetz oder aber konkret in den einzelnen rung ist eine Entscheidung des Bundesverfassungsge- Gesetzen". Wir haben aber bis jetzt weder das eine richts vom 27. November 1990 zum pornographischen noch das andere. Roman „Josefine Mutzenbacher", in der u. a. Inhalt und Umfang der Regelung über die Auswahl der Was das Gesetz über die Verbreitung jugendge- Beisitzer für die Bundesprüfstelle für jugendgefähr- fährdender Schriften bet rifft: Ein Schritt voran wäre dende Schriften verfassungsrechtlich als unzulänglich die Festschreibung, daß die Entscheidungen in der und nachbesserungsbedürftig gerügt wurden. Dem Bundesprüfstelle künftig mindestens zu 50 % von Gesetzgeber wurde daher aufgegeben, bis 1994 die Frauen getroffen werden. Gremienbesetzung neu zu regeln. Meine Damen und Herren, die Praxis hat gezeigt, Die Zielsetzung des Gesetzentwurfes der Bundesre- daß Regelungen mit bloßem Appellcharakter nicht gierung ist daher die verfahrensrechtliche Verbesse- geeignet sind, den Anteil von Frauen in Gremien rung zur Durchführung des Gesetzes über die Ver- tatsächlich zu erhöhen. Die PDS/Linke Liste unter- breitung jugendgefährdender Schriften, insbeson- stützt deshalb die Forderung des Bundesrates nach dere bei der Ernennung von Beisitzern. Konkret geht einer verbindlichen gesetzlichen Regelung. es also im wesentlichen um die Regelungstechnik für Ich bin fest davon überzeugt, daß eine aktive die Gremienbesetzung. Frauenpolitik einen Beitrag dazu leisten kann, die Jugendpolitik effizienter zu machen. Die Lösung läßt sich in vier Punkten zusammenfas- sen: Erstens. Innerhalb der acht aus § 9 Abs. 2 GjS Ich dan ke. ersichtlichen Kreise — das sind Kunst, Literatur, (Beifall bei der PDS/Linke Liste sowie bei Buchhandel, Verlegerschaft, Jugendverbände, Ju- Abgeordneten der SPD) gendwohlfahrt, Lehrerschaft und Kirchen — werden nunmehr jeweils auch die Personengruppen und Ver- bände im Gesetz bestimmt, die für die Entsendung Vizepräsident Helmuth Becker: Meine Damen und von Beisitzern in Be tracht kommen. Herren, jetzt hat unser Kollege Josef Holle rith das Wort. Die jetzt namentlich bestimmten und in den § 9 Abs. 2 GjS bezeichneten Gruppen zugeordneten Organisationen entsprechen denjenigen Verbänden, Josef Hollerith (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine die — nach aktuellem Stand — schon bisher Beisitzer sehr verehrten Damen und Herren! Uns liegt der gestellt und damit die Aufgabenerfüllung der Bundes- Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes prüfstelle für jugendgefährdende Schriften mit getra- über die Verbreitung jugendgefährdender Schriften gen haben. Diese Organisationen sind nach ihrem auf Bundestagsdrucksache 12/4195 vor. Erscheinungsbild so bedeutend und in ihrem Fortbe- Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 140. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Februar 1993 12093

Josef Hollerith stand gesichert, daß es sachgerecht erscheint, sie im das Schweigen gebrochen und in der Öffentlichkeit Gesetz zu erwähnen und ihnen je ein eigenes Vor- Sensibilität für dieses ernste Problem geweckt wird. schlagsrecht für einen Beisitzer und einen stellvertre- (Zustimmung bei der CDU/CSU, der F.D.P. tenden Beisitzer zuzuordnen. und der SPD) Sie werden um diejenigen Organisationen ergänzt, Wir sind uns in diesem Hause Gott sei Dank einig über die von ihrer fachlichen Ausrichtung und gesellschaft- die Problematik und über die Notwendigkeit des lichen Bedeutung her zwar ebenfalls zur Mitarbeit in Handelns. der Bundesprüfstelle berufen sind, sich an deren Wie wichtig der Schutz der Kinder und der Jugend Entscheidungstätigkeit jedoch noch nicht bzw. nicht ist, zeigt auch der Vorschlag der Kinderkommission mehr beteiligt haben. des Deutschen Bundestages. So hat die Kinderkom- Zweitens. Die Regelungen über die Auswahl von mission kurz vor Weihnachten der Gemeinsamen Beisitzern werden ferner mit dem Ziel ergänzt, die in Verfassungskommission vorgeschlagen, bei der Neu- den beteiligten Kreisen vertretenen Auffassungen gestaltung des Grundgesetzes mit aufzunehmen, daß zumindest tendenziell vollständig zu erfassen. jedes Kind ein Recht auf Entwicklung und Entfaltung hat und daß die staatliche Gemeinschaft die Rechte Drittens. Zugleich wird auch eine klare Rechts- des Kindes zu schützen und zu fördern hat. grundlage für die Beteiligung der Verbände der Kinder sind uns anvertraut. Sie vor Verletzung ihrer Anbieter von Videoprogrammen sowie der im Ver- Menschenwürde zu schützen ist in erster Linie die trieb von Bildträgern Tätigen in das Gesetz aufge- nommen. Pflicht ihrer Eltern, aber auch die Aufgabe der staat- lichen Gemeinschaft insgesamt. Ich bitte Sie: Stellen Wegen des in den letzten Jahren zu einem erhebli- wir uns gemeinsam diesem Anliegen, um bestmögli- chen Marktvolumen angewachsenen Videomarktes che Lösungen zu erzielen. spielt auch die Indizierung von Videoprogrammen Herzlichen Dank. bei der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften eine erhebliche Rolle und hat einen (Beifall bei der CDU/CSU, der F.D.P., der beträchtlichen Anteil an deren Tätigkeitsfeld. SPD und der PDS/Linke Liste) Es ist daher eine Klarstellung angebracht, daß zum Buchhandel und zur Verlegerschaft in vergleichbarer Vizepräsident Helmuth Becker: Jetzt hat unsere Weise auch am Videomarkt Beteiligte gehören. Diese Frau Kollegin Erika Simm das Wort. Kreise haben damit Gelegenheit, als Gruppenbeisit- zer an der Spruchtätigkeit der Bundesprüfstelle mit- zuwirken. Erika Simm (SPD): Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Viertens. Schließlich wird klargestellt, daß die Kollegen! Anlaß für den heute zu beratenden Gesetz- Anrufung des Zwölfergremiums nach § 15 Abs. 4 GjS entwurf zur Änderung des Gesetzes über die Verbrei- gegen eine Entscheidung des Dreier-Gremiums keine tung jugendgefährdender Schriften ist eine Entschei- Verfahrensvoraussetzung für eine Klage gegen nach dung des Bundesverfassungsgerichts vom 27. Novem- § 15a Abs. 1 GjS ergangene Entscheidung des Dreier- ber 1990, mit der das Verfahren zur Auswahl der Gremiums darstellt. Beisitzer für die Bundesprüfstelle als unzureichend Neues und höchst b risantes Aufgabenfeld der Bun- geregelt und deswegen als verfassungsrechtlich man- desprüfstelle heute ist die Bekämpfung rechtsradika- gelhaft befunden wurde. Es ist schon gesagt worden: ler Medien. So liegen nach Aussage der Vorsitzenden Diese Entscheidung erging zum Roman „Josefine der Bundesprüfstelle derzeit 40 Anträge auf Überprü- Mutzenbacher". Ich denke, die Tatsache, daß dies so fung rechtsradikaler Fan-Magazine und Rockmusik ist, zeigt vielleicht auch schon ein gewisses Dilemma vor. 20 rechtsradikale Magazine wurden bisher schon auf, nämlich die Kluft zwischen dem, worüber in die Liste aufgenommen. Gerichte entscheiden, und unseren wirklichen Proble- men im Bereich des Medienjugendschutzes. Zunehmend hat sich die Bundesprüfstelle auch mit Das Bundesverfassungsgericht hat die derzeit gel- jugendgefährdenden Darstellungen auf dem Compu- tende Regelung — es handelt sich um § 9 Abs. 2 GjS — z. B. KZ-Spiele; ein trauriges Beispiel dafür ist ter — zwar nicht für verfassungswidrig erklärt, jedoch ihre der sogenannte Nintendo Game Boy — zu beschäfti- Anwendbarkeit auf die Zeit bis zum Ende des Jahres gen, die in letzter Zeit äußerst brutal sind und insbe- 1994 beschränkt und dem Gesetzgeber damit den sondere Kinder ansprechen. Auftrag erteilt, alsbald eine Neuregelung zu treffen. Problematisch ist, daß, seit die Bundesprüfstelle Diesem Auftrag kommen wir zur Zeit mit der Beratung nicht mehr für Btx zuständig ist, die Verbreitung von des Gesetzentwurfs nach. Kinderpornographie in diesem Bereich leider wieder Die Bundesprüfstelle, deren Aufgabe es ist, über zugenommen hat. Kinderpornographie ist auch ein den jugendgefährdenden Charakter von Schriften Thema, das leider viel zu lange stark tabuisiert war. — dazu zählen auch Bildträger — zu befinden, trifft (Gerlinde Hämmerle [SPD]: Das stimmt!) ihre Entscheidung in Gremien, an denen Beisitzer - beteiligt sind, die neben den Bundesländern aus acht — Das stimmt leider, Frau Kollegin. — Angesichts der festgelegten Gruppen ausgewählt werden. Diese großen Schädigungen, die die betroffenen Kinder und Gruppen wiederum sollen für die Beurteilung des Jugendlichen durch sexuelle Mißhandlungen erfah jugendgefährdenden Charakters oder der künstleri- ren, ist es jedoch notwendig und richtig, daß nunmehr schen Bedeutung von Schriften besonders qualifiziert 12094 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 140. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Februar 1993

Erika Simm sein; so hat es jedenfalls das Bundesverfassungsge- Frauenbeteiligung — insbesondere auch in den Gre- richt ausgelegt und definiert. mien des Bundes — ein, ist aber nicht bereit, durch verbindliche Regelungen zur Gremienbesetzung die Während die vom Verfassungsgericht beanstandete Parität auch wirklich sicherzustellen. Ihre Hoffnung, noch geltende Regelung die acht Gruppen, aus denen gutgemeinte Appelle und die Zeit würden das schon die Beisitzer zu benennen sind, nur allgemein regeln, ist unbegründet. bezeichnet, zählt der vorliegende Entwurf, den Vor- gaben des Bundesverfassungsgerichts entsprechend, Man muß sich nur vor Augen halten, wie die bei den einzelnen Gruppen nun jeweils die Organisa- Entscheidungsgremien der Verbände und Organisa- tionen, Verbände und Körperschaften, die ein Vor- tionen, welche die Vorschläge für die Beisitzer in der schlagsrecht haben, ausdrücklich auf. Außerdem ist Bundesprüfstelle machen, normalerweise besetzt vorgesehen, daß auch nicht genannte Gruppen künf- sind. Auch dort sind die Frauen in der Regel ja nur tig Vorschläge machen können, um das ganze Mei- schwach vertreten. Das mag bei einer der Gruppie- nungsspektrum mit einzubeziehen. rungen, die Beisitzer an die Bundesprüfstelle entsen- Des weiteren enthält der Gesetzentwurf, den wir den sollen, beim Verein katholischer deutscher Leh- beraten, Festlegungen für das Auswahlverfahren bei rerinnen, anders sein, aber ich denke, daß das Kom- den Beisitzern und die Verfahrensregelung bei Kla- missariat der deutschen Bischöfe üblicherweise keine geerhebung, die hier bereits dargestellt worden ist. Frauen entsenden wird. Daß Männergremien vorwie- Ich erspare es mir, noch weiter darauf einzugehen. gend Männer in die Bundesprüfstelle entsenden, vermag nicht zu verwundern. So wird ein Zustand Der Bundesrat hat in seiner Stellungnahme Einwen- perpetuiert, den wir meiner Meinung nach nur ändern dungen gegen diese Regelungen nicht geltend können, indem wir, wie vom Bundesrat vorgeschla- gemacht, jedoch darauf hingewiesen, daß die Beteili- gen, verbindliche Regelungen festlegen, die eine gung von Frauen in der Bundesprüfstelle bisher sehr gleiche Besetzung der Entscheidungsgremien der gering war. Er hat Vorschläge zum Vorschlags- und Bundesprüfstelle mit Männern und Frauen sicherstel- Auswahlverfahren unterbreitet, die eine Besetzung len. der Entscheidungsgremien der Bundesprüfstelle mit (Beifall bei der SPD und der F.D.P.) Männern und Frauen in jeweils gleicher Zahl gewähr- leisten würden. Ich meine, wir sollten den Bedenken Sie ist um des Jugendschutzes willen sachlich gebo- des Bundesrates bei den weiteren Beratungen des ten. Gesetzentwurfes Rechnung tragen. Die in der Gegen- Ich verweise auf eine Parallele, an die m an nie denkt äußerung der Bundesregierung dagegen vorgebrach- und wo es eine solche Quotierung aus dem gleichen ten Argumente vermögen jedenfalls mich nicht zu Gesichtspunkt, nämlich dem der Sachkunde und der überzeugen. Beurteilungsmöglichkeit, die gerade Frauen zusätz- Die Bundesprüfstelle soll schließlich durch ihre lich einbringen können, schon gibt: Das ist das Besetzung gewährleisten, daß in ihre Entscheidungen Jugendschöffengericht, für das das JGG verbindlich einerseits die Sachkunde der im Medienbereich und vorschreibt, daß einer der beiden Schöffen eine Frau für den Jugendschutz relevanten Verbände und Orga- sein muß. nisationen, andererseits aber auch die Auffassungen Wir sollten die Beratung dieses ja eher marginalen und Wertvorstellungen in der Pluralität, wie sie in Gesetzentwurfs meines Erachtens auch zum Anlaß unserer Gesellschaft bestehen, einfließen können. Ich nehmen, Aufgabenstellung, Arbeitsweise und Effi- denke, dies erfordert nicht nur eine Beteiligung der zienz der Bundesprüfstelle einer kritischen Betrach- relevanten Gruppen, Organisationen und Verbände, tung zu unterziehen. Der Ausschuß für Frauen und sondern auch eine gleiche Beteiligung von Männern Jugend hat dies kürzlich im Rahmen einer Unterrich- und Frauen im Entscheidungsprozeß, denn Frauen tung getan. Dabei ist eine Reihe von Problemen, die bewerten auf Grund ihrer immer noch andersartigen die Prüfstelle hat, zutage ge treten, deren wir uns Sozialisation gerade Gewalt und Pornographie durch- annehmen sollten. Nur am Rande sei erwähnt: Auch aus anders als Männer. Noch immer sind es vorwie- die Leiterin der Bundesprüfstelle, Frau Monssen- gend Frauen, die in unserer Gesellschaft die Kinder Engberding, hat es durchaus als Mangel be trachtet, betreuen und im Zweifel den engeren alltäglichen daß die Frauen nicht stärker in den Gremien vertreten Kontakt zu Kindern und Jugendlichen haben und von sind. daher genauer wissen, womit sich Kinder in der Freizeit beschäftigen und wie sich dies auf ihr Verhal- Um einen effektiven Jugendschutz zu gewährlei- ten und ihre Entwicklung auswirkt. sten, sollten die Entscheidungen der Bundesprüfstelle rasch ergehen. Diesbezüglich kann die jetzige Ver- Die von der Bundesregierung gegen die Vorschläge fahrensdauer von drei bis vier Monaten im Zwölfer- des Bundesrates geltend gemachten Bedenken sind in gremium und von zwei bis drei Monaten im Dreier- meinen Augen nicht stichhaltig. Es sind die altbe- gremium nicht zufriedenstellen. Ich habe den Ein- kannten Argumente, die man immer zu hören druck, daß die gegenwärtige Verfahrensdauer auch bekommt, wenn man, um eine gleichgewichtige Frau- mit der personellen Ausstattung der Prüfstelle zu tun enbeteiligung zu erreichen, Regelungen ins Gespräch hat, denn die inhaltliche Arbeit, so insbesondere die bringt, die den Geruch der Quotierung haben. Abfassung der Entscheidungen, muß dort gegenwär- Die Position unserer Frauenministerin, Frau Mer- tig von nur zweieinhalb Juristinnen geleistet werden. kel, hierzu ist ja hinlänglich bekannt. Nach dem Motto Außer der Vorsitzenden sind im Regelfall alle anderen „Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht naß" tritt Mitglieder der Entscheidungsgremien Laien. Daß es sie in ihren Sonntagsreden zwar vehement für mehr sich um Juristinnen handelt, hat etwas damit zu tun, Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 140. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Februar 1993 12095

Erika Simm daß es in dieser Behörde praktisch keine Aufstiegs- Diese Bereiche werden ergänzt um Organisationen, chancen gibt. die von ihrer fachlichen Ausrichtung und gesellschaft- Es müßte im Personalbereich etwas geschehen. Wir lichen Bedeutung her ebenfalls geeignet sind, an der sollten in diesem Zusammenhang aber auch darüber Entscheidungstätigkeit mitzuwirken. Insofern ist das nachdenken, ob es wirklich das Gelbe vom Ei ist, die Beratungsgremium sicherlich vielfältiger geworden. Entscheidungsgremien mit Ausnahme der Vorsitzen- den ausschließlich mit Laien zu besetzen. Ich muß aber auch sagen, daß die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts uns sicherlich richtige Was den Zuständigkeitsbereich der Bundesprüf- Vorgaben gibt, auf der anderen Seite aber auch stelle betrifft, scheint es mir ein großes Problem zu deutlich macht, wie schwer es oft ist, in den Fragen des sein, daß die Bundesprüfstelle keinerlei Zuständigkeit Jugendmedienschutzes, wenn es zu richterlichen Ent- für die Bereiche Rundfunk und Fernsehen hat und daß scheidungen kommt, voranzukommen und an der es auch keine institutionalisierte Zusammenarbeit Sache zu arbeiten und nicht immer wieder in formalen zwischen diesen Bereichen gibt. So fehlt es beispiels- Fragen steckenzubleiben. weise an einer Verpflichtung der Sender, vor Aus- strahlung eines Films bei der Bundesprüfstelle anzu- Ich möchte an dieser Stelle zuallererst den Mitar- fragen, ob nicht bereits zwischenzeitlich eine Indizie- beiterinnen und Mitarbeitern der Bundesprüfstelle rung vorliegt. ganz herzlich für ihre Arbeit danken. Die Vielfalt der Für gerade sinnwidrig halte ich es, daß es zulässig Medien und damit auch ihr Einfluß haben zugenom- ist, nach 23 Uhr indizierte Sendungen auszustrahlen, men. Sie haben sich in einem fast revolutionären denn schließlich kann heute jedes Kind mit einem Tempo verändert. Insofern hat auch die Arbeit der Videogerät umgehen. Dadurch wird meiner Meinung Bundesprüfstelle ein ganz anderes Gesicht erhalten. nach der Jugendschutz voll unterlaufen und die Bun- Video, Computer und Btx haben in den letzten Jahren desprüfstelle als bloße Alibiveranstaltung diskredi- völlig neue Möglichkeiten eröffnet. Insofern sind tiert. natürlich auch die Möglichkeiten des Mißbrauchs Diese Gesetzesvorlage könnte ein Anlaß sein, über gewachsen. Die Quantität der Medien hat zugenom- den Jugendmedienschutz in unserem Land grund- men; das kann man nicht immer von der Qualität sätzlich zu diskutieren. Wir sollten diese Gelegenheit sagen. Gewalt in den Medien ist unverkennbar leider nutzen. fast alltäglich und allgegenwärtig, ob in Computer- spielen, in denen auf p rimitive Weise die Verfolgung (Beifall bei der SPD und der PDS/Linke und Tötung von Menschen simuliert wird, ob auf Liste) Schallplatten, in denen zur Gewalt gegen Ausländer aufgefordert wird — wir haben das in den letzten Monaten in erschreckender Weise erlebt —, ob in Vizepräsident Helmuth Becker: Meine Damen und Horror-Videos mit geradezu bestialischen Szenen — Herren! Zum Schluß dieser Debatte erteile ich jetzt der jeder, der die Bundesprüfstelle einmal besucht hat, Frau Ministerin für Frauen und Jugend, Dr. Angela wird das bestätigen können — oder ob in Kinofilmen Merkel, das Wort. oder Fernsehsendungen, in denen Gewalt verklärt, verharmlost oder als dramaturgisches Mittel häufig, zu häufig eingesetzt wird. Dr. Angela Merkel, Bundesministerin für Frauen und Jugend: Herr Präsident! Meine Damen und Her- Wir sollten aber angesichts dieser Debatte auch ren! In der Tat denke ich, daß diese Gesetzesänderung keine pauschale Medienschelte betreiben. Medien eine Gelegenheit ist, über den Jugendmedienschutz sind in unserer modernen Gesellschaft natürlich eine zu debattieren. Wir haben eben allerdings fast mehr Chance. Sie sind gerade für heranwachsende Kinder über Frauenpolitik debattiert, was zwar auch wichtig und Jugendliche eine Chance, auf andere Art, als wir und richtig ist, aber der Anlaß dieser Gesetzesände- heutigen Erwachsenen es getan haben, zu lernen, rung ist eben weniger ein frauenpolitischer, zumal die Informationen aufzunehmen. Ich betone das aus- Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften, drücklich. Es geht nicht um Zensur oder Verbote. Frau Simm, immerhin von einer Frau geleitet wird. Dieser Vorwurf an die Politiker geht völlig an der Dies hätte m an auch einmal sagen können, wenn m an Realität vorbei. Dies ist nicht bezweckt und dies ist schon zehn Minuten über den Frauenanteil in der nicht gewollt. Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften spricht. Ich glaube, daß wir die Frage des Frauenan- Herr Schmidt — er ist nicht mehr da — hat darauf teils im Beisitzergremium der Bundesprüfstelle nicht hingewiesen, daß es die CDU gewesen sei — dieses anhand des heute zu beratenden Gesetzes regeln Argument kommt immer wieder —, die dafür gesorgt sollten sondern generell. Ich habe dazu im Gremien- habe, daß es eine vernünftige Vielfalt an Medien gibt. gesetz Vorschläge unterbreitet. Damit möchte ich Es glaubt ja wohl niemand in diesem Lande, daß die diesen Teil erst einmal beenden. Pluralität der Medien — dazu gehören auch p rivate Wir haben im Gesetzentwurf Änderungen im Anbieter — in einem aufgeklärten, demokratischen Zusammenhang mit den Vorgaben des Bundesverfas- europäischen Land auf Dauer zu verhindern wäre. Es sungsgerichts gemacht und den Vorgaben entspro- ist natürlich richtig gewesen, diese Vielfalt zuzulassen chen. In der Neufassung sind jene Organisationen aus und gesetzlich zu regeln. Aus meiner DDR-Erfahrung acht Bereichen aufgeführt, die je einen Beisitzer kann ich nur sagen: Viele waren froh, daß es RTL plus haben sollen und die die nötige Vielfalt garantie- schon gab, als die Öffentlich-Rechtlichen auf der Insel ren. Usedom und anderswo entlang der polnischen Grenze 12096 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 140. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Februar 1993

Bundesministerin Dr. Angela Merkel noch nicht zu empfangen waren. Es war eine Berei- Vizepräsident Helmuth Becker Frau Ministerin, cherung des Informationsangebots. gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Duve? (Zuruf von der SPD: Das ist ein dolles Argu ment!) Freimut Duve (SPD): Sie wissen, daß ich Ihre Initia- tiven in Sachen Gewalt im Fernsehen und Formen der — Daß Sie enttäuscht sind, kann ich mir vorstellen. Sie Fernsehpornographie unterstütze. Gerade deswegen mußten ja wahrscheinlich auch nicht so viele Jahre stelle ich an Sie die Frage: Ist es sinnvoll, ein in den ohne ARD und ZDF leben. letzten Generationen immer wieder umstrittenes lite- rarisches Buch wie das, das Sie eben zitiert haben, Aber das hält uns nicht davon ab, klar hervorzuhe- sozusagen anzulegen auf die schreckliche Wirklich- ben, daß Gewaltdarstellungen in Medien ganz keit von heute? Ich glaube, niemand tut das. Keiner unzweifelhaft auch gewaltfördernde Auswirkungen der Leser dieses Buches hat es nötig, daraus solche haben können. Die Diskussion, ob es bis ins Detail Praxis zu holen, sondern wir haben auch eine ganz wissenschaftlich nachweisbar ist, in welcher Weise andere grauenvolle Wirklichkeit, die mit diesem Buch welche Gewaltdarstellung welche Wirkung hervor- nichts, aber auch gar nichts zu tun hat. Ich wäre Ihnen ruft, ist wirklichkeitsfremd. Wenn wir unsere Kinder dankbar, wenn Sie künftig in Ihrem berechtigten Zo rn und Jugendlichen verantwortungsvoll erziehen wol- nicht gerade mit diesem Buch argumentieren würden; len, sind wir verpflichtet, Gefährdungen, wo sie reali- denn dann würden wir in literarische Dimensionen stisch und möglich erscheinen, abzuwenden, auch geraten bis hin zum Dreißigjährigen Krieg, wo eine ohne daß wir das letzte Forschungsergebnis und die ganze Reihe von Jugendlichen und Kindern berührt letzte direkte Verquickung erkennen können. sein würden. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Dr. Angela Merkel, Bundesministerin für Frauen und Jugend: Ich bleibe dabei, daß ich es für sinnvoll Schon der Gewaltbericht der Bundesregierung hat diesem Beispiel die Indizierung erneut gezeigt, daß es unter bestimmten Prädispositionen halte, auch an durchzuführen. Das hält uns nicht davon ab, daß an natürlich eine Wirkung zwischen gewaltdarstellen- den Medienereignissen und der Handlung von Kin- schlimmeren, modernen, neueren Beispielen diese Indizierung selbstverständlich auch durchgeführt dern gibt. Was mir besonders Sorgen macht, ist immer wird. Aber ich halte diese meine Meinung für richtig. wieder die lebensnah gezeigte Gewalt, wo sich Rea- Ansonsten freue ich mich, daß Sie generell meine lität und im Medium erlebte Realität miteinander vermischen und es so erscheint, als ob bestimmte Anliegen unterstützen. Das wird uns jetzt nicht aus- Gewaltdarstellungen dazu geeignet sind, Lösungen einanderbringen. für Konflikte im Leben des Kindes zu bieten. (Freimut Duve [SPD]: Aber hier sind wir ganz und gar auseinander!) Ich bin überrascht, wie trotz aller Pressefreiheit, die Ich halte es für richtig. Sie haben mich ja gefragt, ob ich befürworte und für richtig halte, mit großer Selbst- ich es für richtig halte. verständlichkeit immer wieder Meinungs-, Presse- Die Bundesprüfstelle und die Freiwillige Selbstkon- und Kunstfreiheit auch für jugendgefährdende trolle der Filmwirtschaft in Wiesbaden sind die wich- Schriften und Filme reklamiert werden. Das ist erst tigsten Kontrollinstanzen, wenn es um Jugend- kürzlich wieder deutlich geworden, als es um den Fall, medienschutz geht. Daneben gibt es noch die Landes- der die Gesetzesinitiative ausgelöst hat, nämlich das medienanstalten. Es ist heute hier mit Recht gesagt Buch „Josefine Mutzenbacher", ging. Die Bundes worden, daß die Kooperation zwischen diesen ver- prüfstelle hatte auf Grund der veränderten Bedingun- schiedenen Einrichtungen sicherlich verbessert wer- gen die Indizierung erneut vorgenommen. Diese Indi- den könnte. Angesichts der Herausforderungen, die zierung hat tatsächlich wieder Kritik hervorgerufen. es heute gibt, werde ich mich in meiner Tätigkeit als Die Kritiker sind mit keinem Wort darauf eingegan- Jugendministerin um eine solche verbesserte Koope- gen, daß es sich bei diesem Buch um die Lebensge- ration auch immer wieder bemühen, weil die Jugend- schichte eines Mädchens in der Zeitspanne vom lichen und natürlich auch die Eltern nicht fragen, fünften bis zum 13. Lebensjahr handelt, das zur welche Instanz nun gerade für welche Sorte Medium Kinderprostitution und zur Kinderpornographie ge- wann zuständig ist, sondern mit Recht erwarten, daß zwungen wurde. In „Josefine Mutzenbacher" wird solche Kontrollinstanzen miteinander kooperieren, nicht etwa ein Leidensweg, sondern ein erstrebens- zusammenarbeiten. Dieses kann verbessert werden. werter Lebensweg dargestellt. Ich will aber noch einmal sagen, daß seit 1980 die Jeder, der mit sexuellem Mißbrauch von Kindern zu Bundesprüfstelle, die sicherlich nur indizieren kann, tun hat — wir diskutieren ja gerade Gesetzesänderun- wie heute hier gesagt wurde, doch immerhin 2 200 gen am Beispiel des § 184 des Strafgesetzbuches— , Filme als jugendgefährdend eingestuft hat. 146 Vi- wird wissen, welche Wirkungen solche Bücher haben deos waren es allein seit 1992. Dazu kamen 180 können. Ich halte es für einen Teil der oft sehr indizierte Computerspiele seit 1985. Ich glaube, dies zweigleisig geführten Diskussion in unserer Gesell- sind doch wirklich bemerkenswerte Ausmaße, die uns schaft, daß auf der einen Seite Kinderpornographie- noch einmal zeigen, wie viele indizierungsfähige angeprangert wird, auf der anderen Seite aber solche Machwerke auf dem Markt sind. Indizierungen auch wieder kritisiert werden. Wir Wir müssen natürlich im Auge behalten — und das müssen schon geradlinig argumentieren, wenn wir in erschwert die Arbeit der Bundesprüfstelle sicherlich diesem Bereichen vorankommen wollen. an vielen Stellen —, daß die technische Entwicklung Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 140. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Februar 1993 12097

Bundesministerin Dr. Angela Merkel in großem Tempo voranschreitet. Es gibt jetzt in Reform des Kontrollmechanismus der Euro- Amerika bereits sogenannte Laser-Video-Disketten. päischen Menschenrechtskonvention Diese machen es möglich, daß sich der Zuschauer — Drucksache 12/4324 — eines Videofilmes über Computer selbst in brutale Überweisungsvorschlag: Handlungen mit einbringen kann. Das verschärft Auswärtiger Ausschuß (federführend) dann diese Vermischung von Realität und Fiktion Rechtsausschuß noch in herausragender Weise. Wir haben Hinweise darauf, daß diese Disketten auch schon zum nächsten Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat ist für die Weihnachtsfest in der Bundesrepublik Deutschland Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. — Ich höre erhältlich sein werden. Wir müssen uns auf diese und sehe keinen Widerspruch; dann ist das so technischen Entwicklungen vorbereiten, damit wir beschlossen. nicht von ihnen beherrscht werden. Dazu muß die Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort Bundesprüfstelle natürlich auch in die Lage versetzt zunächst unserem Kollegen Friedrich Vogel. werden. Es gibt eine Reihe von Tricks, mit denen Programm- macher immer wieder versuchen, die bestehenden Friedrich Vogel (Ennepetal) (CDU/CSU): Herr Prä- Regelungen — auch die Rundfunkstaatsverträge — sident! Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen! zu umgehen, indem versucht wird, indizierte Teile aus Die Besonderheit des Antrags, der Ihnen vorliegt, Filmen herauszuschneiden und dann in einer neuen besteht darin, daß der Deutsche Bundestag aufgefor- Fassung den Film doch wieder zu senden. Auch dies dert wird, eine Initiative der Parlamentarischen Ver- erschwert sehr die Kontrollmöglichkeiten. sammlung des Europarates zu unterstützen. Ich werde am Schluß dazu noch eine Bemerkung machen. Ich möchte an dieser Stelle doch noch sagen, daß ich alle Versuche der Selbstregulierung, der Selbstkon- Die Parlamentarische Versammlung des Europara- trolle der Medien begrüße. Ich begrüße, daß sich die tes hat am 6. Oktober 1992 fast einstimmig einen Verantwortlichen in den öffentlich-rechtlichen Sen- Bericht zur Reform des Kontrollmechanismus der deanstalten klar gegen Gewalt und Frauen herabwür- Europäischen Menschenrechtskonvention verab- digende Darstellungen ausgesprochen haben; aber schiedet. Sie hat darin die dringliche Notwendigkeit ich glaube, es gibt niemanden in diesem L and, der für einer Reform dieses Kontrollmechanismus, der aus Medien verantwortlich ist, der das Recht hat, sich von dem Ministerkomitee, der Menschenrechtskommis- der Frage „Wieviel Gewalt gibt es in den Medien?" sion und dem Menschenrechtsgerichtshof besteht, von vornherein zu verabschieden und zu sagen: Mich betont. Außerdem empfiehlt die Parlamentarische geht das nichts an. Ich finde die Diskussion an Versammlung dem Ministerkomitee bestimmte Vor- manchen Stellen schon etwas bemerkenswert; aber stellungen für diese Reform. Der Ke rn dieser Empfeh- ich denke, wir müssen auch vermehrt — das soll heute lung ist, an Stelle des bisherigen zeitaufwendigen nicht der Hauptaspekt dieser Debatte sein — darüber Kontrollmechanismus — ich wiederhole: Ministerko- nachdenken, wie wir Eltern und Lehrern dabei helfen mitee, Menschenrechtskommission, Menschen- können, mit den Medien verantwortlich umzugehen rechtsgerichtshof — soll nach den Vorstellungen der und die Kinder so zu erziehen, daß sie nicht von den Parlamentarischen Versammlung lediglich ein Ge- Medien beherrscht werden. Es geht darum, Medien richtshof und dieser mit vollzeitbeschäftigten Richtern wie z. B. Computerspiele — so zu kaufen und zu treten. Wir sprechen vom Single-Court-System in der benutzen, daß sie für die Entwicklung der Kinder und Sprache des Europarats. der Jugendlichen förderlich sind und nicht etwa die Die Entwicklung des Europarates, vor allem die Gewaltbereitschaft unterstützen. Diese Verantwor- Erhöhung der Zahl der Mitgliedstaaten auf derzeit 26 tungsbereitschaft wird aus meiner Sicht auch nicht — es waren schon einmal 27; dadurch, das sich die immer so wahrgenommen, wie ich mir das als Jugend- CSFR aufgelöst hat, sind es 26, es werden aber wohl ministerin wünsche. Auch hier müssen unsere bald 28 sein; 1950, als die Europäische Menschen- Anstrengungen fortgesetzt werden. rechtskonvention beschlossen wurde, waren es 15 — Vielen Dank. und die Zunahme der Inanspruchnahme der Men- schenrechtsinstitutionen der Europäischen Men- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) schenrechtskonvention, vor allem nach der Eröffnung des Individualzugangs zur Kommission und zum Vizepräsident Helmuth Becker: Meine Damen und Gerichtshof, hat dazu geführt, daß die Behandlung Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich eines Einzelfalls inzwischen im Durchschnitt fünf bis schließe die Aussprache. sechs Jahre in Anspruch nimmt. Dazu muß man bedenken, daß die Straßburger Institutionen erst Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzent- angerufen werden können, nachdem der nationale wurfes auf Drucksache 12/4195 an die in der Tages- Rechtsweg erschöpft ist, der seinerseits in aller Regel ordnung aufgeführten Ausschüsse und zusätzlich an mehrere Jahre dauert. Ein Bürger also, der seine den Innenausschuß vorgeschlagen. Gibt es dazu noch Menschenrechte geltend macht, muß heute ein halbes anderweitige Vorschläge? — Das ist nicht der Fall; Leben lang darum kämpfen. dann ist die Überweisung so beschlossen. Das, meine Damen und Herren, ist unerträglich. Die Europäische Menschenrechtskonvention ist längst ein Ich rufe nunmehr Tagesordnungspunkt 7 auf: Opfer ihres eigenen Erfolges geworden. Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/ Die Situation wird sich noch verschlimmern, wenn CSU, SPD und F.D.P. weitere Staaten in den Europarat aufgenommen wer- 12098 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 140. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Februar 1993

Friedrich Vogel (Ennepetal) den. Man rechnet mit bis zu über 40 Mitgliedstaaten. hier werden wir das gleiche Anliegen in einem Antrag Erforderlich ist deshalb eine radikale Reform, wie sie vorbringen. von der Parlamentarischen Versammlung des Europa- Ich habe zwei Minuten von meiner Redezeit gespart rates vorgeschlagen wird. und hoffe, daß sie nicht von anderen beansprucht Adressat der Empfehlung der Parlamentarischen werden. Versammlung ist das Ministerkomitee des Europara- (Beifall im ganzen Hause) tes, das seit Jahren über eine Reform diskutiert, aber bislang nichts entschieden hat. Auch die hier bean- Vizepräsident Helmuth Becker: Meine Damen und tragte Unterstützung richtet sich letztlich an das Herren, in dieser mehr öffentlichen Ausschußsitzung Ministerkomitee des Europarates. Die Bundesregie- — ich glaube, das kann man wohl so sagen — erteile rung, an die wir uns um Unterstützung wenden, hat ich als nächstem Redner unserem Kollegen Rudolf eine wichtige Stimme im Ministerkomitee, und Bindig das Wort. Außenminister Kinkel hat ja dankenswerterweise in einem Brief an mich bereits seine Unterstützung der Rudolf Bindig (SPD): Herr Präsident! Meine Damen Vorschläge der Parlamentarischen Versammlung und Herren! Wollen wir hoffen, daß es uns gelingt, zugesagt. wenn die Quantität nicht da ist, es auf die Qualität zu Mit großer Befriedigung habe ich auch das gemein- konzentrieren. same Kommuniqué der deutschen Justizministerin (Beifall bei Abgeordneten der F.D.P.) und des französischen Justizministers vom 4. Dezem- Das europäische regionale Menschenrechtsschutz ber 1992 zur Kenntnis genommen, in dem sich beide system bietet bereits derzeit im Vergleich zu den für eine baldige und grundlegende Reform und für wesentlich schwächeren Instrumenten im UN-System einen ständig tragenden Gerichtshof unter Verzicht den wichtigsten förmlichen Mechanismus zum Schutz auf die Vorprüfung durch eine Kommission ausge- der Menschenrechte. Das europäische System ist sprochen haben. etabliert, es ist anerkannt, und es hat sich in den Nicht der einzige, aber der größte Widerstand letzten Jahren auch durchaus bewährt. Allerdings gegen diese Reform kommt noch aus der britischen droht dieses System zum Opfer des eigenen Erfolgs zu Administration. Ich halte es für gut, dies auch klar zu werden. Es gibt eine Reihe von Strukturproblemen in benennen. Deshalb habe ich die dringende Bitte an diesem System, die von Anfang dort angelegt die Bundesregierung, die Beratungen über die Reform waren. auf der politischen Ebene des Ministerkomitees zu Es gab bei der Einrichtung des Systems eine Diskus- führen und insbesondere auf möglichst hoher Ebene sion, ob man mehr ein Verwaltungsverfahren wählen mit der britischen Regierung über das Reformziel zu solle oder ein rechtsförmliches Verfahren eines reden. Solange Vertreter der Adminis tration diesen Gerichtshofes. Man hat sich damals für ein Mischsy- Gegenstand behandeln, rechne ich nicht damit, daß es stem entschieden. Es gab eine Reihe Länder, die ein Ergebnis gibt. Dies müssen die politisch Verant- Bedenken hatten, die Urteile eines Gerichtshofes wortlichen entscheiden, und das ist die Bitte, mit der anzuerkennen. Sie haben gesagt, daß sie bereit seien, wir es heute zu tun haben. Verwaltungsverfahren anzuerkennen, und sie haben vor allen Dingen auch gehofft, daß bestimmte Verfah- Wenn die grundlegende Reform nicht kommt — und ren vertraulich behandelt werden könnten. Es wurde das kann man unschwer voraussagen —, wird die deshalb ein Mischsystem geschaffen, in dem Einzel- Qualität des europäischen Menschenrechtsschutzes fälle also zunächst in ein Verwaltungsverfahren hin- abnehmen. Dies, meine ich, wäre nicht zu verantwor- eingehen und nur unter bestimmten Regeln an den ten. Bisher stehen wir mit dem europäischen Men- Gerichtshof weitergegeben werden; sie wechseln schenrechtsschutz einzig in der Welt da, und dies soll damit aus einem vertraulichen in ein öffentliches auch so bleiben. Verfahren. Zwischen den beiden Verfahren hat es Ich habe am Anfang gesagt, daß ich noch einmal auf immer dadurch eine Brücke gegeben, daß durch die Besonderheit dieses Antrages zurückkommen fakultative Erklärungen gesagt werden konnte, man werde, mit dem wir eine Initiative der Parlamentari- akzeptiere den rechtsförmlichen Weg. Im Laufe der schen Versammlung des Europarates unterstützen. Gültigkeit des europäischen Systems haben immer Ich glaube, es wäre gut, wenn wir daraus eine Übung mehr Staaten diese Bereitschaftserklärung abgege- werden ließen, Initiativen, die von der Parlamentari- ben. Das war eine gute Methode, Staaten, die schen Versammlung des Europarates kommen, auch zunächst noch gezögert haben, allmählich an den hier zu behandeln, und ich kündige jetzt schon an, daß Rechtsweg und das rechtsförmliche Verfahren heran- ich einen ähnlichen Antrag zum europäischen Min- zuführen. derheitenschutz einbringen werde. Trotz oder gerade wegen der vorhandenen Akzep- tanz des Menschenrechtsschutzsystems gibt es jetzt (Rudolf Bindig [SPD]: Bei uns ist er schon Probleme. Es staut sich eine Vielzahl von Fällen auf. geschrieben!) Im Dezember 1991 gab es 2 433 anhängige Verfah- ren. 1 670 davon waren noch nicht einmal von der — Ja, dann sind Sie diesmal schneller gewesen,- Herr Kollege Bindig, aber im Anliegen sind wir uns Kommission behandelt worden. Die Zahl der Fälle, die einig. an den Gerichtshof überwiesen werden, hat erheblich zugenommen. Es waren im Jahre 1991 345 Fälle. In Die Parlamentarische Versammlung hat eine Emp- den Jahren vorher bewegte sich das immer nur in der fehlung zum Minderheitenschutz verabschiedet, und Größenordnung von 20 bis 30 Fällen. Das zeigt, daß Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 140. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Februar 1993 12099

Rudolf Bindig mit dem Bekanntwerden dieses Verfahrens dann auch Es ist doch bemerkenswert, daß wir aus diesem die Zahl so zugenommen hat, daß es zu dem Stau Land immer wieder Berichte über erhebliche Men- gekommen ist, den es jetzt zu überwinden gilt. schenrechtsverletzungen haben. Die inte rnationale Kommission gegen Folter hat jetzt einen erschrecken- Wenn man bedenkt, daß sich demnächst noch zwei den Bericht vorgelegt. Trotzdem kommen aus diesem Zusatzprotokolle zur Menschenrechtskonvention aus- Land sehr wenig Fälle vor die europäischen Instanzen. wirken werden, die es möglich machen, weitere Fälle Dies zeigt, daß auch hier eine Notwendigkeit besteht, vor den Gerichtshof zu bringen, nämlich das Protokoll, weiter über eine Reform auch des Zugangsmechanis- daß jetzt auch der Beschwerdeführer vor den mus nachzudenken. Auch wenn das im Moment noch Gerichtshof gehen kann — bisher konnten es nur der nicht Gegenstand unseres Antrags ist, gilt es dieses betroffene Staat oder die Menschenrechtskommis- hier einzubringen. sion —, wird der Stau noch größer werden. Wie könnte der Zeitplan aussehen, wenn effektiv an Die Zahl der Europaratsmitglieder wird zunehmen, dieser Frage auf europäischer Ebene gearbeitet wird? die Zahl der Fälle wird überproportional zur Bevölke- Es müßte gelingen, noch dieses Jahr das Zusatzproto- rung steigen, weil in den neuen Mitgliedsländern koll soweit voranzubringen, daß es im Herbst bei dem dieses ein wichtiges Element zur Einführung der Gipfeltreffen der Staats- und Regierungschefs der Grundrechte ist. Außerdem sollen die Verfahren ja Europaratsmitglieder in Wien fertig ausgearbeitet auch für Nichtmitgliedsländer geöffnet werden. vorliegt. Zwei Wege wären denkbar, das derzeitige Verfah- (Zuruf von der CDU/CSU: Schön wäre es!) ren zu reformieren. Der eine Weg wäre, zu versuchen, Die Ratifizierung könnte nächstes Jahr erfolgen. Das das bestehende System noch effizienter zu machen, Protokoll könnte, wenn ich einmal von einem optima- Kammern zu bilden, was ja schon versucht worden ist, len Zeitplan ausgehe, 1995 in Kraft treten. Wenn es um nicht alle immer in die Beratung einzubeziehen. dann gelingt, alle neuen Fälle gleich in diesem neuen Der zweite Weg wäre eine grundsätzliche Reform, Gremium zu behandeln, also in dieses rechtsförmige indem das bisherige zweistufige Verfahren aufgege- Verfahren einzubringen, bestünde die Möglichkeit, in ben wird und indem zu dem einen rechtsförmlichen den nächsten Jahren den Berg der aufgestauten Verfahren eines einheitlichen und einzigen Gerichts- Altfälle abzuarbeiten. hofes übergegangen wird, der die jetzige Kommission Wir können nur hoffen, daß die Hindernisse, die es und den Gerichtshof für Menschenrechte ersetzen in anderen Staaten gegen die Reform der Kontrollme- soll. Dieser Gerichtshof müßte dann mit einigen Kam- chanismen noch gibt, überwunden werden und daß es mern arbeiten, um effektiv zu sein, wobei das Inter- der Bundesregierung durch aktives Tätigwerden im esse des jeweils betroffenen Staates dadurch berück- Ministerrat gelingt, diese Vorschläge voranzubrin- sichtigt werden kann, daß ein Mitglied des betroffe- gen. Der ganze Deutsche Bundestag wenigstens nen Staates in dieser Kammer sitzt. unterstützt das, was von der Parlamentarischen Ver- Diese Reform wird von einer großen Mehrheit der sammlung des Europarates ausgearbeitet und vorge- Mitglieder der Parlamentarischen Versammlung des legt worden ist. Europarates und auch von einer großen Mehrheit (Beifall im ganzen Hause) dieses Hauses ge tragen. Wir alle sind der Auffassung, daß die Reform in dieser Richtung in Gang gebracht Vizepräsident Helmuth Becker: Frau Kollegin werden sollte. Deshalb hat die Bundesregierung star- Dr. Cornelia von Teichman, Sie haben jetzt das ken Rückenwind, wenn sie sich in dieser Frage Wort. engagiert und in diesem Sinne im Ministerrat tätig wird. Dr. Cornelia von Teichman (F.D.P.): Herr Präsident! Wir haben ja erlebt, daß der Ministerrat und auch Meine Damen und Herren! Wieviel Divisionen hat der die Kommission aus sich heraus nicht in der Lage Europarat? Das könnte man in Anlehnung an das waren, eine solche Reform in Gang zu bringen. Es bekannte Wort Stalins über den Papst fragen. Die bedurfte der parlamentarischen Initiative im Europa- Antwort „keine" würde hier wie dort mit ihrem rat, und hier im Bundestag verstehen wir es als eine scheinbaren Realismus über die Realität hinwegtäu- Aufforderung an die Bundesregierung, in diesem schen. Denn die Arbeit des Europarates für die Sinne tätig zu werden. Menschenrechte hat in den letzten 40 Jahren beacht- Ich meine, daß über diese Reform, über die wir hier liche Erfolge erzielt, auch ohne jede militärische oder diskutieren, hinaus noch eine weitere Reformüberle- sonstige Machtentfaltung. Die Verwirklichung der gung in diesem Mechanismus anstünde. Ich erinnere Menschenrechte in den Mitgliedstaaten ist einer stän- an die Hürde, daß ein Fall erst auf die europäische digen, präzisen und für die betroffenen Staaten oft- Ebene kommt, wenn der innerstaatliche Rechtsweg mals peinlichen Kontrolle unterworfen worden — mit ausgeschöpft worden ist. Diese Hürde bedürfte wohl nachhaltigem Effekt nicht nur bei denen, die vorüber- auch einmal einer Diskussion. gehend vom Pfade der Tugend abgewichen sind und sich im Europarat vor aller Welt an den Pranger Es gibt eine Reihe von Ländern, in denen die gestellt sahen — ich erinnere an die schlimme Zeit der innerstaatlichen Verfahren so wenig gesichert sind, Obristendiktatur in Griechenland —, sondern auch daß kaum Fälle auf die europäische Ebene gelangen. mit nachhaltigem Effekt bei den klassischen Demo- Gerade diese Länder sind natürlich die problemreich- kratien des Westens, die sich oft genug durch den sten Länder; ich denke hier vor allem an die Tür- Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte haben kei. belehren lassen müssen, daß es im einzelnen noch 12100 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 140. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Februar 1993

Dr. Cornelia von Teichman haperte mit der Einhaltung der Konvention. Dem Ich sehe auch unsere Debatte heute als ein solches Europarat und seinen Institutionen gebührt Dank für Zeichen. Es steht Deutschland gut an, bei der Durch- diese Arbeit, setzung der Menschenrechte in Europa und der Stär- kung der Institutionen des Europarates eine beson- (Beifall des Abg. Freimut Duve [SPD]) ders aktive Rolle zu spielen: vor dem Hintergrund deren Wirkung ja übrigens weit über Europa hinaus- unserer Geschichte, deren schrecklichstes Kapitel vor reicht. 60 Jahren begann, vor dem Hintergrund der friedli- Unser heutiger Antrag soll dazu dienen, diese chen Revolution in Ostdeutschland, die uns Verpflich- Arbeit noch wirkungsvoller zu gestalten; denn der tung sein sollte zur Unterstützung der Freiheit und Gerichtshof ist in eine Art Erfolgsfalle geraten, weil er Menschenrechte überall in Europa, vor dem Hinter- immer wieder bewiesen hat, daß es sich lohnt, ihn grund der jüngsten menschenrechtswidrigen Über- anzurufen. Deswegen geschieht das auch immer hä u- griffe in unserem Lande. figer — mit dem Ergebnis, daß der Gerichtshof heute Der Ihnen vorliegende Antrag bekundet das fort- total überlastet ist und an seinem eigenen Erfolg zu dauernde tiefe Bekenntnis des Deutschen Bundesta- ersticken droht. ges zur Europäischen Menschenrechtskonvention und ihrer Durchsetzung. Ich bitte Sie um Ihre Zustim- Dem wollen wir abhelfen durch die Schaffung eines mung zu diesem Antrag. einzigen, mit vollzeitbeschäftigten Richtern besetzten Gerichtshofs an Stelle des jetzigen doppelgleisigen Ich danke Ihnen. Systems von Kommission und Gerichtshof. (Beifall bei der F.D.P., der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Der Gerichtshof würde dadurch nicht nur in den Stand versetzt, seine jetzt schon vorhandene große Arbeitsbelastung zu bewältigen, sondern auch, sich Vizepräsident Helmuth Becker: Herr Kollege Gerd den gewaltigen Aufgaben zu stellen, die im künftigen Poppe, Sie sind der nächste Redner. Bitte sehr. Europa auf ihn warten.

Zwar hat die friedliche Revolution der Jahre Gerd Poppe (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr 1989/90 große Fortschritte bei der Durchsetzung der Präsident! Meine Damen und Herren! Vor wenigen Menschenrechte in Europa gebracht, und wir Deut- Monaten wurde an dieser Stelle die Ratifizierung des schen — das möchte ich an dieser Stelle einmal Fakultativprotokolls zum Zivilpakt der Vereinten betonen — haben Grund, stolz darauf zu sein, daß Nationen beschlossen. Vorausgegangen war dem ein unsere Mitbürger in den neuen Bundesländern an der jahrzehntelanges Lavieren der jeweiligen Bundesre- Spitze dieser Revolution gestanden haben. Das wollen gierungen und Parlamentsmehrheiten. Häufig ge- wir doch über all dem Hickhack und Kleinklein des schah dies mit dem Argument, mit einem minder deutschen Einigungsprozesses nicht vergessen! qualifizierten Individualbeschwerdeweg auf UNO- (Beifall im ganzen Hause) Ebene könnte der anerkannt hohe Standard der entsprechenden Regelungen im Rahmen der Europäi- Aber diese historische Rolle verpflichtet auch. Sie schen Menschenrechtskonvention ausgehöhlt und verpflichtet zur Wachsamkeit gegenüber den vielfäl- unterlaufen werden. tigen Gefahren, die gerade in der veränderten politi- schen Landschaft Europas den Menschenrechten dro- Auch während der Ratifizierungsdebatte im Okto- hen, insbesondere den Rechten der Minderheiten, der ber wurde von allen Beteiligten immer wieder darauf Flüchtlinge, der Frauen und der Behinderten, und hingewiesen, wie wichtig die Bewahrung und der zwar nicht nur in manchen Staaten des ehemaligen Ausbau eines überzeugenden Menschenrechtsschut- Ostblocks, wo nationalistische und rassistische Kräfte zes auf europäischer Ebene sei — gerade jetzt, wo sich das friedliche Zusammenleben der Völker gefährden, die meisten der in Ost- und Mitteleuropa entstehen- sondern auch bei uns, wo die schändlichen ausländer- den jungen Demokratien anschicken, sich auf Europa feindlichen Übergriffe der letzten Monate für viele im und seine Institutionen zuzubewegen. In- und Ausland die Frage wieder aufgeworfen haben, Inzwischen wird die Wirksamkeit der Kontrollme- ob die Deutschen denn gar nichts dazugelernt chanismen und damit die Überzeugungskraft der haben. Europäischen Menschenrechtskonvention durch ebendiese, an sich erfreuliche Entwicklung in Frage Hunderttausende haben dagegen ein Zeichen gestellt. gesetzt, durch Lichterketten und friedliche Demon- strationen aller Art. Es waren keine Berufsdemon- Der der Empfehlung der Parlamentarischen Ver- stranten und Dauerprotestierer, sondern ganz nor- sammlung zugrunde liegende Bericht des Menschen- male Mitbürger, von denen die meisten wahrschein- rechtskomitees des Europarats — Berichterstatter war lich zum erstenmal in ihrem Leben an einer Demon- damals unser Kollege Vogel — läßt überdeutlich stration teilgenommen haben. Auch wenn jetzt man- werden, wie belastet die bestehenden Strukturen — cherorts versucht wird, diese Aktionen ins Lächerliche im wesentlichen Kommission und Gerichtshof — sind, zu ziehen — ich sage: Sie haben bewirkt, daß die insbesondere seit die Zahl der Mitgliedsländer des Stimmung in diesem Lande wieder umgeschlagen ist Europarats auf zur Zeit 26 gestiegen ist. und die Rechtsradikalen gemerkt haben, daß ihre Die durchschnittliche Dauer der insgesamt rund dummen und menschenverachtenden Sprüche kei- 2 400 anhängigen Verfahren ist mittlerweile auf über neswegs wieder salonfähig geworden sind. Auch für sechs Jahre angewachsen. Dabei sind über 1 500 unsere Freunde im Ausland ist das ein wichtiges dieser Verfahren noch nicht einmal auf der Ebene der Zeichen gewesen. Kommission angekommen, wo erfahrungsgemäß ein Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 140. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Februar 1993 12101

Gerd Poppe großer Prozentsatz der Beschwerden endgültig beteiligt sind, nicht zum erstenmal. Es mag dringende beschieden wird. Fälle geben, wo Abweichungen von § 78 Abs. 5 nötig Und es werden täglich mehr. Einige der neuen sind. Ich glaube nicht, daß es in diesem Fall dringlich Mitgliedsländer haben die Europäische Menschen- und nötig war. rechtskonvention noch nicht ratifiziert. Es ist zu erwar- Ich möchte hier Schlichtweg um Fairneß und Kolle- ten, daß sich — nach erfolgter Ratifizierung — die gialität bitten. Anzahl der Beschwerden noch einmal deutlich erhö- Ich stimme der Beschlußvorlage zu, möchte aber hen wird, gerade weil in diesen Ländern neu erkannte heute nicht dazu sprechen. Menschenrechtsgefährdungen wie z. B. mangelnder Schutz von Minderheitenrechten besonders großes Vizepräsident Helmuth Becker: Meine Damen und Gewicht haben. Herren, als letzter Redner in dieser Debatte hat jetzt Die personell und materiell unzureichend ausge- der Herr Staatsminister im Auswärtigen Amt, Helmut stattete Menschenrechtskommission kann ihren Schäfer, das Wort. wachsenden Aufgaben nicht mehr gerecht werden und verkommt damit zusehends zu einer Klagemauer, Helmut Schäfer, Staatsminister im Auswärtigen die immer länger wird. Amt: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich eingangs sagen, daß die Bundesre- Die Reformvorschläge liegen mit der Empfehlung gierung den hier vorliegenden Antrag der beiden der Parlamentarischen Versammlung in dem heute Regierungsfraktionen ausdrücklich begrüßt. Die seit hier debattierten Antrag klar auf dem Tisch. Natürlich langen Jahren steigende Zahl der Beschwerden in wird ein einheitlicher Gerichtshof mit vollzeitbe- Straßburg — allein eine Verdreifachung in den letzten schäftigten Richtern und Mitarbeitern arbeiten müs- 15 Jahren — hat zu einer unzumutbaren Verlänge- sen, ohne die an eine Bewältigung der sprunghaft der Verfahrensdauer geführt. wachsenden Anforderungen einfach nicht mehr zu rung denken ist. Nur schnell muß es geschehen. Durch den möglichen Beitritt weiterer Staaten zu dieser Konvention halten Experten eine weitere Ver- Selbst wenn alle Konventionsmitglieder jetzt han- dreifachung für denkbar. Die Europäische Menschen- deln und die vorgeschlagenen Verbesserungen rechtskonvention, ursprünglich für zehn bis zwölf beschließen, wird es vielleicht noch bis zum Jahr 2000 Staaten konzipiert, droht somit zum Opfer des eigenen dauern — ich bin nicht ganz so optimistisch wie Erfolgs zu werden. Kollege Bindig —, bis die unvermeidliche Übergangs- phase abgeschlossen ist. Die Bundesregierung hält die Europäische Men- schenrechteskommission und den Europäischen Ge- Lassen Sie uns gemeinsam darauf hinwirken — und richtshof in Straßburg für ganz wesentliche Institutio- dies auch vor allem durch eine überzeugende aktive nen. Sie sind das einzige internationale Kontrollsy- Menschenrechtspolitik der Bundesrepublik Deutsch- stem, das es Einzelpersonen ermöglicht, vor einem land —, daß das bislang bewährte europäische System internationalen Gericht Handlungen oder Unterlas- zum Schutze der Menschenrechte bis dahin keinen sungen ihres eigenen Staates im Hinblick auf eine Infarkt erleidet und an sich selbst erstickt, sondern internationale Menschenrechtskonvention überprü- schleunigst reformiert und ausgebaut wird. fen zu lassen. Dieses System hat sich bewährt und in über 40 Jahren das Vertrauen der Bürger erworben. Vizepräsident Helmuth Becker: Frau Kollegin Nunmehr wird die Konvention eine wichtige zusätz- Angela Stachowa, Sie haben jetzt das Wort. liche Rolle spielen, und zwar beim Schutz der Men- schenrechte in den bereits beigetretenen und beitritts- willigen Staaten in Mittel- und Osteuropa. Wir haben Angela Stachowa (PDS/Linke Liste): Herr Präsi- daher erst recht die Verpflichtung, die Funktionsfä- dent! Meine Damen und Herren! Obwohl mir nur drei higkeit dieses wichtigen menschenrechtlichen Instru- Minuten Redezeit zur Verfügung stehen, gestatten Sie mentariums zu erhalten. mir an dieser Stelle in eigener Sache eine kurze Bemerkung zur Geschäftsordnung des Deutschen Vizepräsident Helmuth Becker: Herr Staatsminister, Bundestages bzw. zum Umgang mit dieser Geschäfts- gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten ordnung. Darin heißt es in § 78 Abs. 5, daß „die Duve? Beratungen der Vorlagen frühestens am dritten Tage nach Verteilung der Drucksachen" beginnen. Jene, Helmut Schäfer, Staatsminister im Auswärtigen um die es jetzt geht, erreichte mich nach mehrmaligen Amt: Herr Duve, das ist ja furchtbar nett. Das Problem dringlichen Anfragen bei der Bundestagsverwaltung ist nur: Ich habe jetzt schon drei Minuten von fünf per Fax gestern abend nach 19 Uhr. Minuten, die mir zugeteilt wurden, verbraucht. (Freimut Duve [SPD]: Hört! Hört! So geht es nicht!) Freimut Duve (SPD): Ich werde dafür kämpfen, daß Für diese „Abendpost" dem Absender trotzdem noch Ihnen diese Frageminute nicht angerechnet wird, meinen Dank. Herr Staatsminister. (Friedrich Vogel [Ennepetal] [CDU/CSU]: Vizepräsident Helmuth Becker: Bitte, Kollege Was meinen Sie, wie das geht, wenn es erst Duve. die neuen Postleitzahlen gibt!) Dies erlebe ich als Mitglied der Gruppe PDS/Linke Freimut Duve (SPD): Herr Staatsminister, Sie haben Liste, wenn wir nicht am Einbringen der Vorlage das Engagement der Bundesregierung für diesen Ge- 12102 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 140. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Februar 1993

Freimut Duve richtshof dargestellt. Ich möchte Sie fragen: Wie stark Bei all unseren Bemühungen dürfen wir allerdings ist das Engagement der Bundesregierung für den von nicht außer acht lassen, daß eine sinnvolle Reform nur allen Seiten immer wieder geforderten und diskutier- im Einvernehmen aller 26 Vertragspartner möglich ten Strafgerichtsfhof der UNO in Sachen Völkermord- ist. Eine Reform erfordert vor allem auch eine Ände- konvention der Vereinten Nationen? rung der Konvention einschließlich Ratifizierung durch sämtliche nationalen Parlamente. Daß dies kein einfaches Unterfangen sein wird, brauche ich Ihnen nicht zu erklären. Helmut Schäfer, Staatsminister im Auswärtigen (Rudolf Bindig [SPD]: Wenn wir es jetzt nicht Amt: Das ist heute eigentlich nicht das Thema, aber machen, wird es nie etwas!) Sie wissen, daß der auf einen Vorschlag des früheren Außenministers Genscher zurückging. Insofern kann Die Diskussion wird also mühsam bleiben. Wir müssen das Engagement der Bundesregierung gar nicht stark in diesem Jahr — ich bin mit Ihnen völlig einig, Herr genug sein. Bindig — zumindest sicherstellen, daß sich alle Staa- ten wenigstens auf die Grundzüge einer Reform (Rudolf Bindig [SPD]: Diese Logik ist in sich einigen. Dies sollte spätestens bis zum Wiener Euro- nicht schlüssig! Herr Genscher hat vieles pagipfel der Regierungschefs im Herbst dieses Jahres vorgeschlagen und nicht umgesetzt!) erreicht werden. Er hätte dann zumindest eine kon- Seit Jahren werden im Europarat in Straßburg zwei krete Beschlußlage. Wir hatten ja gegen die Konfe- Reformmodelle diskutiert, nämlich das von der Bun- renz an sich Bedenken, denn wir haben gesagt: Es desregierung unterstützte Fusionsmodell, bei dem müssen ja dann auch Ergebnisse zustande kommen. Kommission und Gerichtshof zu einem einzigen — Hier wäre ein solches Ergebnis. — Wir müssen uns Gericht vereint werden sollen, sowie ein von Schwe- aber leider darüber im klaren sein, daß bis zu einem den und den Niederlanden favorisiertes Modell, nach endgültigen Inkrafttreten einer solchen Reform leider dem das Kontrollsystem zu einem Gerichtshof mit noch Jahre vergehen werden. zwei Instanzen ausgebaut werden soll. Die Bundesregierung wird sich jedenfalls — seien Sie sicher — mit Engagement für eine Reform einset- Die Bundesregierung setzt sich nachhaltig für das zen. Sie wird dem Bundestag, wie in der Entschlie- Fusionsmodell ein. Lassen Sie mich noch einmal kurz ßung erbeten, regelmäßig über den Fortgang der die wichtigsten Argumente zusammenfassen. Verhandlungen berichten. Erstens. Die internationale Menschenrechtskon- Vielen Dank. trolle ist subsidiär gegenüber dem nationalen Rechts- schutz. Wir brauchen daher nicht zwei inte rnationale (Beifall bei der F.D.P., der CDU/CSU und der Instanzen, nachdem die Einzelfälle national bereits SPD) von mehreren Gerichten überprüft worden sind. Vizepräsident Helmuth Becker: Meine Damen und Zweitens. Die internationale Kontrolle muß schnell Herren; der Einwand der Frau Kollegin Stachowa ist und effektiv sein. Ein einziger Gerichtshof ermöglicht berechtigt. Wir haben heute morgen zwar beschlos- kürzere Verfahren als zwei Instanzen. sen, daß wir von den Regelungen für die Beratung von Drittens. Eine Instanz ist für den Beschwerdeführer Vorlagen abweichen, aber nur für die Tagesord- kostengünstiger und auch insgesamt finanziell trag- nungspunkte 4 a und 4 b. Ich gehe trotzdem davon aus, barer. daß Sie nicht verhindern wollen, daß wir die Beratun- gen nach dieser ersten Lesung in den Ausschüssen in Das Fusionsmodell wird von etwa der Hälfte der Gang setzen. Mitgliedstaaten des Europarates befürwortet, damn- ter Österreich, Schweiz, Frankreich. Dagegen gibt es Wir werden die Angelegenheit im Ältestenrat zur eine größere Zahl von Staaten — dazu zählen Groß- Sprache bringen, damit Ihre Ch ance bei den weiteren britannien, Schweden, die Niederlande und Italien —, Beratungen gewahrt bleibt. die gegen eine Fusion sind. Sie bevorzugen die Meine Damen und Herren, der Ältestenrat schlägt Umwandlung zu einem Gericht mit zwei Instanzen. die Überweisung der Vorlage auf Drucksache 12/4324 Einige haben sich allerdings noch nicht festgelegt. Im an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse Expertenausschuß des Europarates war eine Einigung vor. Sind Sie damit einverstanden? — bislang nicht zu erzielen. Friedrich Vogel (Ennepetal) (CDU/CSU): Die Frage (Friedrich Vogel [Ennepetal] [CDU/CSU]: ist, ob wir den Antrag, da er von allen unterstützt wird, Sie wird auch nicht erzielt!) hier nicht gleich verabschieden können. Ich möchte — Das haben wir allerdings auch in der letzten Sitzung diesen Antrag stellen, Herr Präsident. des Ministerrates feststellen können, in der ich noch einmal für unser Modell eingetreten bin. Vizepräsident Helmuth Becker: Dann müssen wir Das Auswärtige Amt hat bei einer Reihe von Mit- Frau Stachowa fragen, ob sie mit dieser Vorgehens- gliedstaaten des Europarates demarchiert, um für das weise einverstanden ist. Fusionsmodell zu werben. Die Antworten sind unter- (Friedrich Vogel [Ennepetal] [CDU/CSU]: schiedlich, aber durchaus ermutigend. In der- vergan- Wie ich sie kenne, ist sie damit einverstan genen Woche haben Konsultationen zwischen den den!) Leitern der Rechtsabteilungen des britischen Außen- ministeriums und des Auswärtigen Amtes in Bonn Angela Stachowa (PDS/Linke Liste): Ich habe, ausschließlich zu diesem Thema stattgefunden. glaube ich, gesagt: Ich stimme der Beschlußvorlage Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 140. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Februar 1993 12103

Angela Stachowa zu. Ich möchte auf Grund der Tatsachen, die hier Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Mutterspra- vorliegen, nur nicht dazu sprechen. Ist das eindeu- che eint uns rascher und leichter als das Vaterland. Bei tig? unserem geliebten Deutsch sind wir uns auf allen Seiten des Hauses rasch einig. Es ist wunderbar. Man Vizepräsident Helmuth Becker: Ja, danke. kann es leider oft verhunzen. Unser Umgang mit ihm Meine Damen und Herren, wenn Einverständnis hier im Parlament ist oft umgekehrt proportional der herrscht — ich sehe nicht, daß jemand widerspricht —, Wertschätzung, die wir unserer deutschen Mutter- dann können wir über den vorliegenden Antrag so sprache entgegenbringen. abstimmen. Wer stimmt diesem Antrag zu? — Gegen- Allzu leichtfertig mißhandeln wir, was wir lieben. probe! — Stimmenthaltungen? — Dieser Antrag ist Stellen Sie sich vor, der Name unserer Einrichtung dann einstimmig verabschiedet. Parlament — das Wort hat ja etwas mit der Sprache zu tun — wäre seinerzeit eingedeutscht worden, und wir Meine Damen und Herren ich rufe Tagesordnungs- würden „Sprechament" heißen und wären danach punkt 8 auf: „Sprechamentarier" und hätten lauter „sprechamen- a) Beratung der Großen Anfrage der Abgeordne- tarische Anfragen" und „sprechamentarische Staats- ten Hans Büchler (Hof), Freimut Duve, Arne sekretäre". Um wieviel sorgfältiger würden wir mit Börnsen (Ritterhude), weiterer Abgeordneter dem kostbaren Gut umgehen, dessen wohltuende und der Fraktion der SPD Wärme uns eint und dessen verletzende Schärfe uns oft trennt. Das Interesse an der deutschen Sprache in den Staaten Mittel-, Südost- und Osteuropas Anders als beim Vaterland haben wir mit der — Drucksachen 12/2242, 12/2780 — Muttersprache keine Grenzprobleme. Wir können uns die Muttersprachen anderer aneignen, ohne sie b) Beratung der Beschlußempfehlung und des jemandem wegzunehmen. Und umgekehrt können Berichts des Ausschusses für Bildung und Wis- sich andere unserer Sprache bemächtigen, ohne daß senschaft (21. Ausschuß) zu dem Antrag der wir uns entmachtet vorkommen müssen. Unsere Spra- Abgeordneten Gert Weisskirchen (Wiesloch), che ist ein kostbares Gut, das trotz aller Widerstands- Karsten D. Voigt (Frankfurt), H ans Gottfried kraft sorgsam behandelt werden will. Bernrath, weiterer Abgeordneter und der Frak- tion der SPD Fast 100 Millionen Menschen in aller Welt sprechen Deutsch, die meisten davon in Deutschland. Derzeit Zusammenarbeit mit den Nachfolgestaaten lernen in aller Welt 18 Millionen Menschen Deutsch der Sowjetunion und den mittel- und osteuro- außerhalb Deutschlands, davon 12 Millionen in Mit- päischen Staaten in Bildung, Wissenschaft und tel-, Ost- und Südosteuropa. Es ist eine große Aufgabe Kultur und eine große Verantwortung. Wir finden nicht, daß — Drucksachen 12/3368, 12/4159 — Aufgabe und Verantwortung von der Bundesregie- Berichterstattung: Abgeordnete Werner Ring- rung in jedem Moment der letzten drei Jahre nach kamp Wegfall des Eisernen Vorhangs angemessen gewür- Dr. Peter Eckardt digt worden sind. Aber wir verkennen nicht die Dirk Hansen ungeheuren Anstrengungen der letzten Jahre und Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat ist für die wollen die damit Befaßten in der Bundesregierung Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. — Ich ausdrücklich loben. Aber ich erinnere mich an die sehe keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlos- Haushaltsdebatten im Jahre 1991, als erst der Auswär- sen. tige Ausschuß das Auswärtige Amt hat antreiben müssen, um ein Konzept vorzulegen und mehr zu tun Ich eröffne die Aussprache und erteile jetzt das Wort unserem Kollegen Freimut Duve. als bisher. Wichtig ist, daß wir uns in einigen Grund- fragen einig bleiben, denn wir bewegen uns auf sensiblem Gelände. Freimut Duve (SPD): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Damen und Herren auf der Besu- Erstens. Die Förderung der deutschen Sprache ist chertribüne! Da wir so wenige sind, beziehe ich Sie in kein Mittel irgendwelcher Machtpolitik. Wir wollen unsere Beratungen ein. das einander Verstehen und Verständigen erleichtern und natürlich auch das Verstehen und Verständigen (Gerlinde Hämmerle [SPD]: In die Beratun zwischen Fraktionsmitgliedern, Regierung und Parla- gen nicht!) ment, Frau Kollegin, nicht erschweren.

Vizepräsident Helmuth Becker: Herr Kollege Duve, Zweitens. Wir empfinden uns nicht als Teilnehmer wir können leider unsere zahlreichen Gäste auf der einer Sprach- und Kulturolympiade im Wettbewerb Besuchertribüne nicht in die Beratungen einbeziehen. mit anderen europäischen Freunden. Das ist nicht möglich. (Beifall des Abg. Gert Weisskirchen [Wies (Reinhard Freiherr von Schorlemer [CDU/ loch] [SPD]) CSU]: Sie können auch keine Zwischenfra Im Gegenteil. Wir würden uns freuen, wenn wir eines gen stellen!) - Tages gemeinsam mit Franzosen, Italienern und Eng- — Und sie können keine Zwischenfragen stellen. ländern Sprachschulen in Osteuropa fördern könn- ten, so daß das Gemeinsame des bisherigen Westeu- Freimut Duve (SPD): Ich danke für den völlig kor- ropa stärker als ein Kulturwettbewerb zum Ausdruck rekten Hinweis, Herr Präsident. kommt. 12104 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 140. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Februar 1993

Freimut Duve Drittens. Wir sind skeptisch, ob die oft salopp dieser angeblichen Rechnungshof- und Rechnungs- formulierte Vermutung stimmt, Sprachexport fördere prüfungsausschußentscheidung und das wirkliche den Wirtschaftsexport. Die Japaner und Koreaner Interesse mancher Beteiligter, auch in den hier zur hätten auf dem Weltmarkt keine Chancen. Im Gegen- Rede stehenden Institutionen, an dieser Entscheidung teil. Gerade die Exporteure dieser beiden Länder darzustellen. Ich bräuchte dazu eine halbe Stunde. wissen genau, daß ihr Export wenig Chancen hätte, Aber ich bin der Sache auf der Spur. wenn sie ihrerseits nicht andere Sprachen erlernen (Beifall bei der SPD — Dr. Volkmar Köhler würden. Genau das war bisher auch die Stärke der [Wolfsburg] [CDU/CSU]: Eine finstere Ka deutschen Wirtschaft. Da wird häufig etwas salopp bale!) formuliert. Also: kein Sprachexport, sondern Mitwir- kung am Knüpfen eines gesamteuropäischen Kultur- Zum Schluß möchte ich sagen: Liebe Kollegen, wir netzes, das in diesem 20. Jahrhundert auf so schreck- haben unsere Große Anfrage mit Bedacht „Das Inter- liche Weise immer wieder zerrissen und zerfetzt esse an der deutschen Sprache in den Staaten Mittel-, wurde. Südost- und Osteuropas" genannt. Wir haben nicht vom Bedarf gesprochen. In der Antwort wird immer Ich will besonders das Programm, das der Börsen- vom Bedarf gesprochen. Ich bin übrigens — das verein des Deutschen Buchhandels mit Unterstützung möchte ich hier ausdrücklich sagen — unserem Kolle- des Parlaments aufgestellt hat, erwähnen. Dieses gen Hans Büchler und seinem Mitarbeiter sehr dank- Programm ist von außerordentlicher Bedeutung, denn bar, der die wichtige Vorarbeit zum Erstentwurf dieser da geht es auch um die Mittel der Kulturverständi- Großen Anfrage gemacht hat. Ich möchte mit diesem gung. Es geht um Bücher. Es geht um Programme für Dank an meinen Kollegen, der leider heute nicht das Loch, das nach dem Ausfall der DDR-Buchliefe- anwesend sein kann, meine Rede beenden und mich rungen entstanden war. Ich finde dieses Programm sehr herzlich für die Aufmerksamkeit bedanken, die hervorragend und freue mich auch, daß der Börsen- Sie ihr gezollt haben. verein des Deutschen Buchhandels Vertreter zu dieser Debatte heute geschickt hat. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der F.D.P. und der Abg. (Beifall des Abg. Gert Weisskirchen [Wies Angela Stachowa PDS/Linke Liste) loch] [SPD])

Vizepräsident Helmuth Becker: Herr Kollege Duve, Vizepräsident Helmuth Becker: Meine Damen und gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Schlo- Herren, ich erteile jetzt das Wort unserem Kollegen ten? Dr. Volkmar Köhler.

Freimut Duve (SPD): Bitte schön. Dr. Volkmar Köhler (Wolfsburg) (CDU/CSU): Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Frei- Dieter Schloten (SPD): Herr Abgeordneter Duve, muth Duve hat eben die Bundesregierung gelobt und wie beurteilen Sie in diesem Zusammenhang die getadelt. Ich möchte die SPD-Fraktion loben, daß sie Schließung von Bibliotheken von Goethe-Instituten diese Große Anfrage gestellt hat, und ihr schwaches im Ausland durch die Bundesregierung? Gedächtnis tadeln, denn vor gerade eben drei Jahren haben namhafte, diesem Parlament aber nicht mehr Freimut Duve (SPD): Ich habe in meiner Eigenschaft angehörende Mitglieder dieser Fraktion den Be- als Mitglied der Versammlung des Goethe-Institutes schlußempfehlungen im Auswärtigen Ausschuß be- diese Maßnahme sehr scharf kritisiert, gemeinsam mit treffend eine verstärkte Förderung der deutschen meinem hier anwesenden Kollegen Dr. Köhler von der Sprache aus der Furcht vor Kulturimperialismus und CDU. Sprachimperialismus nicht zustimmen können. Mög- (Beifall bei der SPD und der PDS/Linke licherweise sind wir auf dem Weg zur Erkenntnis, daß Liste) es hier gar nicht um unsere Befindlichkeit geht, Wir werden dieses hier auch im Parlament zur Sprache sondern um eine Nachfragesituation auf der Welt, die bringen. Es geht nicht an, daß es künftig Goethe wir gar nicht erzeugt haben, die da ist und auf die wir Institute ohne Bibliotheken gibt. intelligente und wirksame Antworten finden müssen. Das, was in dieser Anfrage gefragt ist, fördert nicht Vizepräsident Helmuth Becker: Gestatten Sie noch alles zutage, über was wir hier reden müssen, sondern eine Zwischenfrage des Kollegen Köhler? — Bitte. eigentlich nur den Teil, der sich der unmittelbaren Unterstützung durch die Bundesrepublik und durch Dr. Volkmar Köhler (Wolfsburg) (CDU/CSU): Herr die entsprechend verantwortlichen Stellen der Regie- Kollege Duve, könnten Sie, da wir gemeinsam fech- rung und der Mittlerorganisationen erfreut. ten, den Kollegen Schloten darüber aufklären, daß In Wahrheit ist das, was in der Frage der deutschen diese Schließung nicht auf Beschlüsse der Bundesre- Sprache weltweit geschieht, noch vielmehr, und ent- gierung, sondern auf den Bundesrechnungshof, den sprechend unklar ist auch die Zahlenbasis. Nach Rechnungsprüfungsausschuß und andere parlamen- wissenschaftlichen Untersuchungen — ich beziehe tarische Gremien zurückzuführen ist? mich auf die Studien von Professor Glück von der (Dieter Schloten [SPD]: Der Aufklärung- Universität Bamberg — werden allein 2,5 Millionen bedarf es nicht!) Schüler in der Europäischen Gemeinschaft von 30 500 Deutschlehrern in der deutschen Sprache unterrichtet Freimut Duve (SPD): Herr Kollege Dr. Köhler, ich — interessanterweise eine Zahl, die sich durch eine habe nicht die Zeit, um die wirklichen Hintergründe gewisse Stagnation auszeichnet. Für Osteuropa und Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 140. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Februar 1993 12105

Dr. Volkmar Köhler (Wolfsburg) die Gemeinschaft Unabhängiger Staaten gehen die Menschen, der Deutsch erlernt, weil er Rilke lesen gleichen Schätzungen — dabei ist allerdings Vollstän- will, und dann plötzlich in die Fallstricke des Kapitals digkeit nicht gegeben — von 73 000 Lehrern und 13,2 gerät, weil ihm jemand anbietet, sein Deutsch auch für Millionen Schülern aus. Bisher war eine gängige Zahl, wirtschaftliche Zwecke zu nutzen, und er schwach daß wir bis 1989 als Bundesrepublik 10,2 Millionen genug ist, es zu tun, und, verführt vom Mammon, Schüler auf der Welt, die Deutsch als erste Fremdspra- diesen Spuren folgt? Werden wir ihn zur Strafe von che lernten, zu betreuen hatten. Nun liegt diese Zahl den Einladungslisten des Goethe-Instituts streichen erheblich über 20 Millionen. wollen? — Es ist lächerlich, das, was ein Mensch mit erworbenen Fähigkeiten tut, so vorplanen zu wollen Noch wichtiger ist dabei aber die enorme Dynamik, und ihn so vereinnahmen zu wollen. die in diesem Feld zu beobachten ist und uns täglich vor neue Aufgaben stellt. Die deutsche Sprache steht, wie wir inzwischen In den Grundschulen der Tschechoslowakei haben wissen, in der Interessensskala im allgemeinen welt- im Schuljahr 1989/90 50 % der Schüler Deutsch als weit an zweiter Stelle, und zwar nach dem Englischen. erste Fremdsprache gewählt. Auf 40 Studienplätze für Das gilt übrigens auch z. B. für die sprachlichen Germanistik an der Prager Universität bewarben sich Anforderungen, die bei Stellenausschreibungen der 1 000 Interessenten. In Polen sind bis Anfang 1992 Wirtschaft in der EG gestellt werden. Wir sollten dabei 20 000 Stellen von Russischlehrern gestrichen wor- nicht vergessen, daß wir beim Englischen eben nicht den. 6 000 dieser Lehrer sollen künftig eine westliche nur vom Vereinigten Königreich sprechen, sondern Sprache unterrichten. Nach amtlichen Angaben feh- auch von Australien, von Kanada, von den Vereinig- len in Polen 10 000 bis 12 000 Deutschlehrer, in der ten Staaten usw. Aber Deutsch steht deutlich an bisherigen Tschechoslowakei 8 000, in Ungarn zweiter Stelle, und das ist eine ungeheure Chance und 6 000. Aufgabe, die uns in Zukunft noch viel Mühe machen wird; denn der Aufwuchs der deutschen Auslands- (Reinhard Freiherr von Schorlemer [CDU/ schulen, vor allem im Raum östlich der Oder, steht uns CSU]: Genauso ist es!) ja noch bevor und ist im Etat überhaupt noch nicht Dies setzen wir einmal in Relation zu der Zahl von entscheidend wirksam geworden. Da sind es bisher 150 Programmlehrern, die von den Bundesländern die Stipendien, da sind es die Goethe-Institute. — Ich entsandt worden sind, und der Zahl von weiteren 150 glaube, daß wir eine Menge mehr tun müssen. solcher Lehrer, die vom Bund entsandt worden sind — die Zahl steigt jetzt allerdings —, um zu zeigen, wie Nach dem gestrigen Gespräch des Unterausschus- gewaltig die Dimension des Bedarfs ist und wie wenig ses für auswärtige Kulturpolitik mit der Kultusmi- wir leider tun können. nisterkonferenz möchte ich Dank sagen und wirklich mit Bewunderung hervorheben, in welchem Maße Zur Pflege des Deutschen geschieht auf der Welt dort Arbeit geleistet wird: durch Stipendien, durch unendlich viel. Wenn wir eine adäquate Bezahlung Einladungen von Deutschlehrern oder von Schülern, leisten müßten, meine Damen und Herren, würden die Deutsch erlernen, zu entsprechenden Fachtagun- uns wirklich die Augen übergehen. gen, zu entsprechendem Austausch. Das geht über die Was wir für den sprachlichen Bereich beim Goethe Entsendungsprogramme weit hinaus. Wir wünschen institut, beim DAAD, bei den deutschen Auslands- uns alle, daß in demselben Maße, in dem unsere schulen usw. aufwenden, beziffert sich auf wenig Schulen und Hochschulen im Laufe der Jahrzehnte mehr als eine halbe Milliarde DM. Die knapp 200 000 intensive Kontakte und Beziehungen zu korrespon- Deutschlehrer, die es im nichtdeutschen Sprachraum dierenden Einrichtungen in der westlichen Welt auf- gibt, würden schon bei einem Jahresdurchschnittsge- gebaut haben, dies nun auch nach Osten hin halt von 18 000 DM 3,6 Milliarden DM kosten. Das ist geschieht. das Dreifache des gesamten Haushalts für auswärtige (Beifall im ganzen Hause) Kulturpolitik. Würden sie wie deutsche Studienräte bezahlt, dann wären es 15 Milliarden DM. Von den Dies wäre eine Leistung, die unsere staatlich finan- gesamten Sachkosten habe ich dabei überhaupt noch zierten Programme noch weit übertreffen könnte. nicht gesprochen. Ich möchte an dieser Stelle auch darum bitten, daß Wozu — darüber hat Kollege Duve soeben ja auch unser redliches Bemühen, die neuen Bundesländer nachgedacht — dient dies alles? Was ist der Zweck? hier mit einzubeziehen, dort noch stärker aufgegriffen Inwieweit ist es kulturelles Geschehen? Inwieweit ist wird. Wenn auch Sachsen-Anhalt im Rahmen der es wirtschaftliches Interesse? — Nun ist die Sprache vorhandenen Quote Lehrer zur Verfügung stellt, so zweifellos ein ganz entscheidender Teil des Human- bleibt auf der anderen Seite doch festzustellen, daß kapitals, aber natürlich auch ein ganz wichtiges Kom- Thüringen nur zwei Lehrer und Mecklenburg-Vor- munikationsmittel bei wirtschaftlichen Entscheidun- pommern sogar nur einen Lehrer gefunden hat, die gen. Die Beispiele, die Sie gewählt haben, nämlich nach Mittelosteuropa und in die russische Föderation Korea und Japan, ziehen hier nur zum Teil. entsandt werden können. Das kann eigentlich nicht Ich halte die Diskussion, die an manchen deutschen das letzte Wort sein. Instituten geführt wird, nämlich darüber, ob- Sprache zu einem ganz überwiegenden Prozentsatz der Ü ber- Ich verbinde mit dieser Bemerkung sehr wohl eine mittlung von Kultur zu dienen habe oder wozu sie hohe Anerkennung für die Lehrerinnen und Lehrer, eigentlich diene, für eine äußerst künstliche Diskus- die bereit sind, diese Aufgabe zu übernehmen; denn sion. Was machen wir eigentlich mit einem jungen dies ist kein Zuckerschlecken, und die Lebensum- 12106 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 140. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Februar 1993

Dr. Volkmar Köhler (Wolfsburg) stände sind schwer. Sie leisten uns einen großen Vizepräsidentin : Als nächster Dienst, für den wir dankbar sein sollten. spricht der Kollege Dirk Hansen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und Dirk Hansen (F.D.P.): Frau Präsidentin! Meine der SPD) Damen und Herren! Ich glaube, man muß die Debatte Es ist interessant, daß in den Staaten östlich der über die deutsche Sprache in Mittel- und Osteuropa Oder die Nachfrage nach Deutsch mit 20,10 % — hin- vor dem Hintergrund des deutschen Herbstes 1992 ter Englisch mit 54,88 % — doppelt so hoch ist wie betrachten. Die Deutschen und damit natürlich auch nach Französisch, daß Spanisch, Italienisch erst viel die deutsche Sprache haben dadurch einen neuen später kommen, daß in Ungarn die Nachfrage nach Hintergrund bekommen. Ich glaube, wir müssen mit Deutsch sogar an allererster Stelle, in Polen knapp Stichworten wie Ausländerfeindlichkeit, Rassismus, hinter Englisch an zweiter Stelle liegt. ja sogar Antisemitismus — Begriffe, von denen wir glaubten, sie seien, auf uns bezogen, eigentlich über- (Dr. [CDU/CSU]: Hört! wunden — doch wieder umgehen lernen. Insofern, Hört!) denke ich, ist es richtig, in einer solchen Debatte Wenn wir dies alles sehen, müssen wir erkennen: nachdenklicher zu sein hinsichtlich des Exports von Daraus erwachsen enorme Verpflichtungen und deutscher Sprache, gerade auch in die Staaten Mittel-, enorme Möglichkeiten. Südost- und Osteuropas, (Beifall des Abg. Gert Weisskirchen [Wies Worin besteht eigentlich die Chance einer Sprache loch] [SPD]) im weltweiten Konzert? — Da gibt es eine Reihe von wichtigen Kriterien: und hinsichtlich der Möglichkeiten der Zusammenar- beit zwischen Deutschland und den Staaten des Da ist einmal der Ausbaugrad der Sprache zu ehemaligen Warschauer Paktes. beachten, d. h. in wie vielen Funktionen sie verwend- Es sind ja gerade diese Europäer, die darauf bar ist. schauen, was die deutsche Politik in diesem Bereich (Vorsitz : Vizepräsidentin Renate an Kooperation und Vermittlung deutscher Sprache Schmidt) und Kultur zu bieten hat. Deswegen ist es, glaube ich, Da ist weiter die Frage nach der Größe der Sprach- richtig, davon zu sprechen, daß auswärtige Kultur- gemeinschaft zu stellen, die diese Sprache trägt. Diese politik nur dann gedeihen kann, Herr Staatsminister, Sprachgemeinschaft ist inzwischen — wenn wir ein- wenn eine geistige Atmosphäre geschaffen ist, die ein mal die nichtdeutschen deutschsprachigen Länder Aufeinanderzugehen möglich macht. außer acht lassen — auf 80 Millionen Menschen Theodor Heuss — es sei erlaubt, ihn zu zitieren — angestiegen. Das muß bewußtgemacht werden. hat vor vielen Jahren zu Recht davon gesprochen, daß bei der auswärtigen Kulturpolitik ein „freudiges Weiter spielt die Attraktivität einer Sprache als Fremdsprache eine Rolle. Hier liegt Deutsch als eine Geben und ein freudiges Nehmen" sich entsprechen relativ komplizierte Sprache nicht übermäßig gut, müßten. Erst der Geist der Toler anz, der gegenseiti- aber auch nicht übermäßig schlecht. gen Akzeptanz und auch der Neugierde aufeinander wird ein friedliches Zusammenleben der Völker mög- Eine entscheidende Rolle spielt weiter, wie eine lich machen, und erst auf dieser geistigen Grundlage Sprachgemeinschaft mit ihrer Sprache umgeht, was werden sich dann politische und auch wirtschaftliche sie in die Pflege dieser Sprache investiert. Das ist das Beziehungen ausbauen lassen. Zurverfügungstellen von Wörterbüchern für die wich- Dabei ist es sicherlich sekundär, wenn die heutige tigsten und meisten Sprachen der Welt, mit denen wir Debatte auch im Hinblick darauf geführt wird, daß der korrespondieren. Das ist auch die Übersetzung fremd- Aufbau der politischen und wirtschaftlichen Bezie- sprachiger Literatur in unsere Sprache. Das alles hungen — oder man sollte besser sagen: der Wieder- gehört dazu, wenn es darum geht, unserer Sprache die aufbau verlorengegangener Beziehungen, die gerade gewünschte Bedeutung zu geben. auch die damalige DDR mit Osteuropa hatte — ein Des weiteren gehört der Bildungswert der Sprache Aufgabenfeld ist, das neu gesehen werden muß. Ich dazu, und es gehört auch der wirtschaftliche Wert in betone hier ausdrücklich, das ist eine sekundäre der internationalen Kommunikation dazu. Betrachtungsweise. Die Antwort der Bundesregierung auf die Große Dies alles zusammen macht die Chance einer Spra- Anfrage macht deutlich, daß, bezogen auf Ost-, Mit- che aus. Schauen wir auf diese Skala, dann erkennen tel- und Südosteuropa, bei der Vermittlung der deut- wir, daß Deutsch in den meisten Punkten gute und schen Sprache eine besondere Aufgabenstellung wichtige Voraussetzungen erfüllt, besteht. Von ca. 18 Millionen Deutschlernenden welt- (Beifall bei der CDU/CSU) weit — Herr Köhler meint, es seien sogar 20 Millio- nen — leben ca. zwei Drittel allein in den Ländern Voraussetzungen, die uns die Chance geben — wir Mittel-, Ost- und Südosteuropas. wollen ja nicht die Ersten sein; wir machen keine Der Bildungsausschuß ist im Mai des vergangenen aggressive Sprachpolitik —, erstklassig zu sein. Das Jahres in Warschau, in Prag und im Baltikum gewe- entspricht den wahren Interessen sowie- der wirt- schaftlichen und politischen Rolle, die diesem Land sen. Da stellt sich vor Ort tatsächlich die Frage, wie die dort artikulierten weltweit zukommt. Bedürfnisse erfüllt werden kön- nen: Entsendung von Deutschlehrern, Einsatz von Danke. Büchern und Lehrmaterialien, Fortbildung der einhei- (Beifall im ganzen Hause) mischen Deutschlehrer, verstärkter Ausbau deutscher Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 140. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Februar 1993 12107

Dirk Hansen Auslandsschulen und nicht zuletzt auch Ausbau wei- Leistungen der ehemaligen DDR auf dem Gebiet der terer Goethe-Ins titute in diesen Ländern. In Riga ist Unterstützung der deutschen Sprache kompensiert das ja Gott sei Dank erfolgreich gelungen. Tallinn und werden müßten. Immerhin waren beispielsweise 1989 Vilnius warten gewissermaßen noch; leider ist es im 121 Lektoren aus der DDR — im Vergleich zu nur Moment nicht sofort machbar. 27 Lektoren aus der BRD — an Universitäten dieser Es soll nicht beckmesse risch nachgekartet werden, Länder tätig. 1991 belief sich die Zahl der aus Mitteln wie lange es gedauert hat, etwa das Goethe-Institut in des geeinten Deutschlands geförderten Lektoren auch Prag einzurichten, das erst vor wenigen Tagen eröff auf nur 87. Sollte die deutsche Sprache eventuell zu net worden ist. Die administrativen Schwierigkeiten einer der Amtssprachen der EG werden, so wird sie als auf unserer Seite und die wohl dort vorhanden gewe- Fremdsprache noch attraktiver. senen organisatorischen Schwierigkeiten sind nicht Meine Damen und Herren, die Antwort der Bundes- zu verkennen. Dieses Goethe-Institut ist — wie viele regierung in der Drucksache 12/2780 auf die Große andere auch — Brückenkopf oder Pfeiler. Ich denke, Anfrage der Abgeordneten der SPD-Fraktion zeigt bei sie müssen eher tiefgegründet sein; denn flachwur- gründlichem Durchlesen, daß ungeachtet bestimmter zelnd fallen sie leicht um und haben keinen Erfolge noch nicht alles so läuft wie gewünscht. Bestand. Wer von Ihnen Länder Osteuropas in jüngster Ver- Herr Köhler hat mit ein paar Zahlen, die Interes- gangenheit besucht und sich mit Fragen der deut- sierte im übrigen nachlesen mögen, darauf hingewie- schen Sprache befaßt hat, der muß ganz einfach aus sen, daß es immer noch zu wenige sind, die sich auf ein den Schlußfolgerungen der Praxis eingestehen, daß Abenteuer Ost einlassen wollen. Aber auch die Zah- die Zahlen über die Mittel der Bundesregierung zur len seitens des Bundes und der Länder sind reduziert Förderung der deutschen Sprache nur eine Seite der worden. Dennoch verdeckt dies nicht den Bedarf, der Medaille sind. Was mich an dem äußerlich so gut artikuliert wird. klingenden und mit vielen finanziellen Spritzen ver- Wir müssen trotz aller bekannten Haushaltsschwie- sehenen Programm der Bundesregierung stört, ist das rigkeiten gerade auf diesem Felde doch noch energi- — ich wage es so zu sagen — Unpersönliche. Lehrer- scher und engagierter dazu beitragen, daß das gegen- ausbildung, Lehrerfort- und -weiterbildung sind seitige Verstehen gefördert wird, das ja erst auf der sicher unbestreitbar wich tig. Aber die Zahl der Stätten Basis von Kenntnissen möglich wird. Bei dem Einsatz der Begegnung von Menschen, die Deutsch sprechen, von Mitteln zur Völkerverständigung handelt es sich Kunst und Literatur kennenle rnen wollen, ist nach um weitgreifende Zukunftsinvestitionen. Welches meiner Kenntnis noch zu gering. Sogar vor dem bessere Mittel kann man sich vorstellen als die Wandel in Osteuropa sehr aktive Einrichtungen wie Sprachvermittlung? Denn von der Sprache geht alles das Goethe-Institut haben nach meinen Erkenntnis- aus; Sprache drückt unser Denken aus. Erst wenn wir sen, z. B. in Ungarn, in ihren Aktivitäten nachgelas- uns verständigen können, können wir uns auch ver- sen, bzw. geplante Außenstellen sind aus Kostengrün- stehen und dann auch häufiger und näher zusammen- den nicht eröffnet worden. Die in den Zeiten der DDR tions- kommen. geschaffenen sogenannten Kultur- und Informa zentren sind leider in der Regel zusammen mit der (Beifall im ganzen Hause) DDR untergegangen. Sie waren nicht nur sogenannte Ich bitte alle Fraktionen, dieses zu unterstützen. ideologische Vorposten des Sozialismus, sondern in (Beifall im ganzen Hause) großem Maße auch tatsächliche Begegnungsstätten. Lassen Sie mich eine letzte Bemerkung machen. Den Verweis auf begrenzte finanzielle Mittel im Vizepräsidentin Renate Schmidt: Nun spricht die Vergleich zu den Anforderungen kann ich verstehen, Kollegin Angela Stachowa. muß aber wiederholen, was ich an dieser Stelle in einem anderen Zusammenhang bereits einmal gesagt Angela Stachowa (PDS/Linke Liste): Frau Präsiden- habe. Warum mußten ganze Paletten frischgedruckter tin! Meine Damen und Herren! Die Sprache ist die Lesebücher vernichtet werden, wenn zugleich viele Seele der Völker. Fremdsprachen beherrschen eint Schulen und Bibliotheken in den Ländern Osteuropas die Menschen unterschiedlicher Völker mehr, als über einen Mangel an Büchern in deutscher Sprache jeder Dolmetscher zu helfen vermag. Insofern ist der klagen? Wunsch vieler Menschen, eine Fremdsprache zu (Brigitte Baumeister [CDU/CSU]: Wegen des erlernen, nur verständlich und zu begrüßen. Daß die Inhalts!) deutsche Sprache in Europa zu denjenigen gehört, die — Ich bin noch nicht fertig. — Ein kleiner Anhang, als Bindeglied zwischen den Menschen fungiert, ist z. B. mit entsprechenden Hinweisen auf Aktualisie- eine Tatsache, die niemand leugnen kann. rung, so hätte mit wenig Mitteln viel erreicht werden Um so verständlicher ist, daß gerade das geeinte können. Und gerade Lesebücher für die unteren Deutschland mit seiner Wirtschaftskraft Erwartungen Klassenstufen wären meines Erachtens dort sehr wi ll weckt und eine große Verantwortung trägt. Daß die -kommen gewesen. Mittel zur Förderung der deutschen Sprache in den genannten Ländern von 6,7 Millionen DM im Jahre Frau Kollegin, 1989 auf knapp 37 Millionen DM im Jahre 1992- erhöht Vizepräsidentin Renate Schmidt: würden Sie bitte zum Schluß kommen. wurden, ist tatsächlich beachtlich. Sie werden aber, wie es Fachleute einschätzen, in der Zukunft nicht ausreichen; denn zu berücksichtigen ist, daß der Angela Stachowa (PDS/Linke Liste): Der Beschluß- Bedarf wachsen wird, und zwar u. a. dadurch, daß die empfehlung in der Drucksache 12/4159 gebe ich 12108 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 140. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Februar 1993

Angela Stachowa meine Zustimmung in der Hoffnung, daß der gefor- ideologisch oderkulturell die Mauern und die Brüche, derte Bericht nicht erst zu Weihnachten vorliegt. die es ja gibt zwischen Ost und West, selbst neu (Beifall bei der PDS/Linke Liste sowie bei verfestigen, indem wir West-Rom gegen Ost-Rom Abgeordneten der SPD) stellen, dann allerdings sehe ich die große Gefahr, daß wir den Autismus, in dem sich Osteuropa verfangen kann, selbst noch kulturell untermauern. Es wäre Vizepräsidentin Renate Schmidt: Und nun spricht hochgradig gefährlich, wenn wir diese Debatte, wie der Kollege Gert Weisskirchen. Jean Willms sie richtig angestoßen hat, im gleichen Tenor noch verlängern oder vertiefen würden. Gert Weisskirchen (Wiesloch) (SPD): Frau Präsiden- Ich kann nur hoffen und wünschen — der Antrag, tin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das, den wir heute gemeinsam verabschieden werden, und was wir jetzt miteinander erörtern, erörtern wir der Bericht, den dann die Bundesregierung vorlegen ebenso wie den vergangenen Tagesordnungspunkt wird, wären ja ein schöner Anreiz dazu —, daß neu im Konsens, weil es sich nicht lohnt, fundamental überlegt wird, was wir alles tun können, um Kultur, darüber zu streiten, welche Hilfen wir den Nachfolge- Bildung und Wissenschaft zu fördern, um die Einrich- staaten der Sowjetunion und den mittel- und osteu- tungen, die vorhanden sind, zu unterstützen, um die ropäischen Staaten geben. Aber es lohnt sich, zu engen Verknüpfungen, die es zwischen den Schulen versuchen, das, was Bund, Länder und Gemeinden und Universitäten gibt, zu vertiefen und Städtepart- und übrigens auch die EG machen, zu erörtern und nerschaften zwischen Riga und Bremen, Moskau und gemeinsam zu verstärken. Das ist das Wichtige, was Berlin oder Freiburg und Lwiw weiterhin intensiv zu hinter der Philosophie, der Grundüberlegung dieses pflegen. Antrages steht. Da können staatliche Förderinstrumente immer nur Zu der Debatte, die gegenwärtig — zaghaft erst — Initialzündungen sein. Das, was die Menschen unter- über die Entwicklung in den Nachfolgestaaten der einander besser machen können, sollen sie tun. Wir Sowjetunion begonnen hat, hat Johannes Willms, der werden sie dabei ermutigen. kürzlich zum Feuilleton-Chef der „Süddeutschen" avanciert ist, in der letzten Wochenendausgabe Herzlichen Dank. — lesen Sie es bitte nach, Herr Staatsminister, es ist (Beifall im ganzen Hause) ganz interessant — einen Artikel veröffentlicht, des- sen Überschrift heißt: „Alte Frontlinien, neue Bruch- Vizepräsidentin Renate Schmidt: Und nun spricht stellen". der Staatsminister Helmut Schäfer. Willms versucht, wie viele nach dem Fall der Mauer, einen neuen Begriff für Europa, unseren alten Kontinent, zu finden. Ich finde, das ist das eigentlich Helmut Schäfer, Staatsminister im Auswärtigen Spannende, das sich dahinter verbirgt: Endlich verlas- Amt: Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es sen wir, so hoffe ich, das Ghetto der Siegerpose — wir ist hier ganz interessant gewesen: Herr Kollege Duve, im Westen — und das Ghetto des Selbstmitleids — wie Sie haben die Verhunzung der deutschen Sprache zu viele im Osten. Wir hatten uns nach dem euphorischen Recht angesprochen; vielleicht darf ich den Hinweis Jahr 1989 alle allzu schnell, Ost wie West, zurückge- geben, daß die Gefahr einer weiteren Verhunzung zogen auf uns selbst, auf den eigenen Egoismus, den durch eine in einigen Teilen sehr merkwürdige „sacro egoismo" — und der grenzt verdammt eng an Rechtschreibreform droht. Vielleicht kann man das Chauvinismus. einmal im zuständigen Ausschuß besprechen; sonst müssen wir weitere Lesebücher, Frau Kollegin, ein- Endlich wird die Frage konkret gestellt: Was also stampfen. Wir finden eine „Verdeutschung" von — so fragt Willms — ist Europa? Er meint, um ihn noch Begriffen, an die wir uns als Europäer sehr gewöhnt einmal zu zitieren, die Antwort läge in der Tradition haben, gar nicht gut. der westlichen Aufklärung. Und er spitzt zu — ich zitiere —: „Die Annahme, Rußland gehöre zu Europa, Herr Kollege Weisskirchen, Sie haben gerade Ruß- war seit je irrig." Seine Argumentationsfigur führt, land angesprochen. Ich bin Ihnen sehr dankbar, daß anders als er selbst glaubt, zurück in das alte Schisma, Sie das getan haben. Ich glaube, man muß langsam das unseren Kontinent allzu lange auseinanderriß, wegkommen von der Vorstellung, daß Rußland immer fällt weit hinter die Aufklärung zurück. Europa redu- nur Gefahr bedeutet. Es wäre ja denkbar, daß ein ziert sich auf West-Rom, auf die atlantisch geprägte neues Rußland eine neue Chance für Europa bedeu- Zivilisation, schreibt er. ten könnte. Es ist wahr: Mit der Wiedergeburt Rußlands können (Beifall im ganzen Hause) auch ungeheure Gefahren das Licht der Gegenwart Im übrigen muß unseren baltischen Freunden, Frau erblicken. Und es ist wahr: Rußland wird sich in seinen von Teichman, gelegentlich auch klar gemacht wer- verschütteten kulturellen Werten erst mühsam wie- den, daß östlich ihrer Grenze nicht Asien beginnt, was derentdecken. Rußland kann sich auch verlieren in man dort immer wieder hört. diesem schwierigen Prozeß der neuen Aneignung auf Ich will nur einige Bemerkungen zu dem machen, der Suche nach der Selbstverständigung. was heute hier von allen Fraktionen übereinstimmend Aber — und ich nenne Rußland ganz exemplarisch angesprochen worden ist, und sagen, daß sich die für die gesamte Entwicklung im Osten unseres Konti- Bundesregierung der Herausforderung natürlich be- nents — wenn wir Rußland und die übrigen neuen wußt ist — der Deutsche Bundestag desgleichen —, Nationalstaaten alleine lassen auf ihrem mühseligen daß die Nachfrage, die wir derzeit gerade aus den Weg zur Selbstverständigung und wenn wir auch östlichen Nachbarstaaten erleben, was Bildung, Wis- Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 140. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Februar 1993 12109

Staatsminister Helmut Schafer senschaft, deutsche Sprache, Aus- und Weiterbildung, Kontinent letztlich nur dann stabilisiert und auf Dauer Programmarbeit des Goethe-Ins tituts betrifft, so groß erhalten werden kann, wenn der kulturelle Austausch ist, daß wir noch nicht in der Lage sind, darauf so zu ganz erheblich zunimmt. Wir sollten den Wert eines reagieren, wie wir es natürlich gerne möchten. solchen Austausches nicht unterschätzen in einer Zeit, in der eben andere Werte in den Vordergrund gerückt Die Bundesregierung versucht — und das tut sie sind. schon mit einem gewissen Erfolg —, das bewährte Instrumentarium der deutschen kulturellen Außen- Vielen Dank. politik jetzt auch im Osten einzusetzen und anzu- (Beifall im ganzen Hause) knüpfen an — man kann schon sagen jahrhunderte- alte Traditionen einer kulturellen Zusammenarbeit. Vizepräsidentin Renate Schmidt: Weitere Wortmel- Gleichzeitig wollen wir damit auch einen Beitrag dungen liegen nicht vor. Ich schließe die Ausspra- leisten zur Unterstützung und Entwicklung der neuen che. Demokratien dort. Ich glaube, daß dieser Raum — ge- Wir kommen zur Abstimmung über die Beschluß- rade weil Deutsch in diesen Ländern immer beliebt empfehlung des Ausschusses für Bildung und Wissen- war und weil, wie Herr Köhler schon gesagt hat, 13 schaft zu dem Antrag der Fraktion der SPD: Zusam- von 20 Millionen Menschen, die weltweit Deutsch menarbeit mit den Nachfolgestaaten der Sowjetunion, lernen, in diesem Raum leben — einen Schwerpunkt Drucksache 12/4159. Der Ausschuß empfiehlt, den unserer Arbeit ausmachen muß. Antrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 12/3368 in der Ausschußfassung anzunehmen. Wer stimmt für Wir haben versucht, mit der verstärkten Entsen- diese Beschlußempfehlung? — Gegenprobe! — Stim- dung von Lektoren und Lehrern, mit intensivierten menthaltungen? — Damit ist diese Beschlußempfeh- Fortbildungsprogrammen für Lehrer, mit Lehrmittel lung einstimmig angenommen. spenden, mit Fernlehrangeboten, aber auch mit der Weiterführung der intensiven Spracharbeit der frühe- Wir kommen zum Punkt 9 der Tagesordnung: ren DDR — allerdings nicht immer mit den Lese- büchern, die sie uns dort hinterlassen hat — zu rea- Beratung der Beschlußempfehlung und des gieren. Berichts des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit (22. Ausschuß) zu dem Antrag Wir haben auch, beginnend im laufenden Haus- der Abgeordneten Jürgen Augustinowitz, Heri- haltsjahr, ein dreijähriges Sonderprogramm zur För- bert Scharrenbroich, Wolfg ang Vogt (Dünen), derung der deutschen Sprache in dieser Region auf- weiterer Abgeordneter und der Fraktion der gelegt, das mit einem Volumen von zunächst 42 Mil- CDU/CSU sowie der Abgeordneten Dr. Otto lionen DM zusätzliche Akzente setzen wird. Aber auf Graf Lambsdorff, Burkhard Zurheide, Klaus mittlere Sicht reicht es eben nicht aus, die Nachfrage, Beckmann, weiterer Abgeordneter und der die wir von allen Seiten — Sie haben darauf hinge- Fraktion der F.D.P. wiesen — immer wieder erfahren, abzudecken. Keine protektionistische europäische Rege- Was wir deshalb zunächst machen müssen ist größt- lung für die Einfuhr von Bananen mögliche multiplikatorische und strukturverbes- — Drucksachen 12/3959, 12/4264 — sernde Wirkung zu entfalten, d. h. die Ausbildung von Berichterstattung: Ausbildern und Lehrbuchautoren und den Aufbau Abgeordnete Jürgen Augustinowitz von Lehrerausbildungsstätten und andere Maßnah- Burkhard Zurheide men zu fördern, die mittelfristig das Ziel der Selbst- Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat ist für die versorgung verfolgen. Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. Gibt es Der Bildungs-, Hochschul- und Wissenschaftsbe- Widerspruch? — Das ist nicht der Fall. Es ist so reich ist angesprochen worden. Hier gibt es die beschlossen. Möglichkeit, aus dem Gesamtkonzept zur Beratungs- Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kol- hilfe beim Aufbau von Demokratie und Sozialer lege Jürgen Augustinowitz. Marktwirtschaft in den Ländern Mittel- und Osteuro- (Rudolf Bindig [SPD]: Der bananenpolitische pas sowie in den neuen unabhängigen Staaten einiges Sprecher der CDU/CSU!) zur Verfügung zu stellen. Hier waren insgesamt 427 Millionen für 1992 vorgesehen. Wir haben 1993 Jürgen Augustinowitz (CDU/CSU): Frau Präsiden- 530 Millionen zur Verfügung. Mehr als ein Drittel tin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es gibt dieser Summen entfällt auf Maßnahmen in den Kollegen, denen bei diesem Thema vor allem der Song genannten Bereichen. „Ausgerechnet Bananen" einfällt. Aber wenn man Ich darf zum Schluß sagen, meine Damen und sich der Sache ein wenig mehr zuwendet, kommt m an Herren, daß sich die haushaltsmäßigen Voraussetzun- zu der Erkenntnis, daß ein bißchen mehr dahinter- gen für eine, wie ich meine, anständige Pflege unserer steckt. auswärtigen Kulturpolitik leider nicht verbessert Die EG-Staaten hatten im Dezember 1992 gegen die haben; wir alle wissen das. Aber ich glaube, daß die Stimmen Deutschlands und Dänemarks ein neues Bundesregierung entschlossen bleibt, die- sich vor Einfuhrregime für Bananen beschlossen, das ab 1. Juli allem in Osteuropa bietenden Möglichkeiten im Rah- 1993 die bislang zollfreien Importe nach Deutschland men dessen, was wir tun können, zu nutzen und damit unmöglich machen würde. Es sieht vor, das Einfuhr- einen ganz entscheidenden Beitrag dazu zu leisten, kontingent von sogenannten Dollarbananen auf was wir alle wollen: den Frieden, der auf diesem 2 Millionen t festzulegen. Von diesem Kontingent 12110 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 140. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Februar 1993

Jürgen Augustinowitz entfielen zwei Drittel auf traditionelle Dollarbananen- Für die Verbraucher in Deutschland bedeutet der importeure und ein Drittel auf AKP-Bananen und Vorschlag eine unnötige und unsinnige Verteuerung andere. Zusätzlich würden für dieses Kontingent der Bananen. An den Hauptumschlagsplätzen in den gemeinsame Außenzölle in Höhe von 20 % und für die Küstenländern, z. B. in Bremen, würden Arbeitsplätze Menge über 2 Millionen t sogar von 170 % aufgeschla- verlorengehen. Strukturschwache Gebiete würden so gen, um damit die Marktchancen der teurer produ- zusätzlich belastet. zierten Bananen aus Überseegebieten der EG zu verbessern. Vizepräsidentin Renate Schmidt: Herr Kollege Augustinowitz, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Bislang führt Deutschland 1,4 Millionen Tonnen Kollegen Hauchler? Dollarbananen pro Jahr ein. Dank der Geduld Konrad Adenauers, der 1957 die Unterzeichnung des Proto- (CDU/CSU): Wenn es nicht kolls zwei Wochen verzögert hatte, Jürgen Augustinowitz angerechnet wird: Gerne. (Reinhard Freiherr von Schorlemer [CDU/ CSU]: Da war der Redner noch gar nicht Vizepräsidentin Renate Schmidt: Einem bananen- geboren!) politischen Sprecher selbstverständlich nicht. war die gesunde Frucht zollfrei und somit verbrau- Dr. Ingomar Hauchler (SPD): Herr Kollege, Sie cherfreundlich preisgünstig. sprechen von Verbraucherfreundlichkeit. Ist Ihnen Schon als der erste Vorschlagsentwurf im letzten bekannt, daß die wirtschaftlichen und sozialen Kata- Jahr bekannt wurde, hatte die CDU/CSU ihre Ableh- strophen, die sich in vielen Entwicklungsländern nung ausgedrückt und einen Antrag in die parlamen- abspielen, weitgehend darauf zurückzuführen sind, tarischen Beratungen eingebracht, der diese protek- daß die Preise für Rohstoffe und Agrargüter in der tionistische europäische Regelung für die Bananen- Dritten Welt gegenüber Produkten aus den Industrie- einfuhr ablehnte. Wir sind den Bundesministern ländern im Trend gefallen sind, daß also fallende Spranger, Kiechle und Borchert besonders dankbar, terms of trade praktisch eine wesentliche Basis für daß sie sich in den Verhandlungen vehement gegen dieses Problem bilden? Je billiger Bananen und Kaffee diesen EG-Vorschlag eingesetzt haben. sind, um so schlimmer ist die Situation gerade für Kleinbauern in bestimmten Gebieten der Dritten Welt. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Man kann also nicht undifferenziert auf totale Libera- Heute nacht gab es im EG-Agrarrat Gott sei Dank lisierung setzen. Wie erklären Sie sich eigentlich, daß keine Einigung. Für morgen ist ein neues Ministertref- die Bundesrepublik bei Fertigtextilien und bei Weizen fen angesetzt. Deutschland, Dänemark, Belgien und auf Abschirmung des deutschen und des europäi- die Niederlande hielten ihre Blockade gegen die schen Marktes setzt, bei Bananen jedoch eine totale Vorschläge der EG-Kommission zur zukünftigen Liberalisierung will? Importregelung aufrecht. Diese vier Staaten verfügen im Ministerrat gemeinsam über eine Sperrminorität. Jürgen Augustinowitz (CDU/CSU): Herr Kollege, wir reden heute nicht über Textilien, sondern über Wir finden diesen EG-Vorschlag inakzeptabel. Wir Bananen. stellen uns gegen ihn, weil er nicht für weniger, (Zustimmung bei der CDU/CSU) sondern für mehr Protektionismus eintritt. Wir sind gegen diesen EG-Vorschlag, weil er in laufende Zweitens will ich Ihnen dazu sagen: Machen Ihnen Verträge eingreift. Wir können dem EG-Vorschlag nicht die Proteste der süd- und mittelamerikanischen Länder Sorgen, die sich gegen diese EG-Bananenre- auch deshalb nicht zustimmen, weil das künstliche gelung wenden und deren neun Präsidenten heute Hochtreiben der Preise zu einer starken Verteuerung zusammengekommen sind? für den Verbraucher in Deutschland führen würde, was sinnlos wäre und nur den Ärger über Brüssel (Dr. Ingomar Hauchler [SPD]: Es sind aber verstärken würde. nur die Großproduzenten, die protestieren, nicht die Kleinbauern!) Wir lehnen ihn ab, weil die süd- und lateinameri- — Im Moment antworte ich auf Ihre Frage, Herr kanischen Staaten, die Bananen anbauen, Entwick- Kollege. — Es geht nicht darum, in diesem kleinen lungsländer sind. Sie haben genügend strukturelle, Punkt die Welt zu verbessern. Es geht ganz speziell wirtschaftliche und soziale Probleme. Es ist abzuse- um die Einführung dieser EG-Bananenregelung. Die hen, daß durch diesen EG-Vorschlag Hunderttaus- lehnen wir aus wohlüberlegten Gründen ab. ende von Bewohnern der Bananenanbaustaaten von Arbeitslosigkeit direkt oder indirekt betroffen wä- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) ren. Es ist auch zu fragen, Herr Kollege Hauchler, warum sich die SPD-Fraktion im Deutschen Bundestag im (Dr. Ingomar Hauchler [SPD]: Reden Sie von Wirtschaftsausschuß, im Landwirtschaftsausschuß Kleinbauern?) und im Europaausschuß für unseren Antrag ausge- Seriöse Schätzungen sprechen von Einnahmeverlu- sprochen hat, während sie im originär zuständigen sten von über 500 Millionen DM für diese Länder. Ausschuß für wirtschaft liche Zusammenarbeit das Außerdem besteht die große Gefahr, Herr Kollege ablehnt. Sie bieten hier das gleiche Bild wie sonst Hauchler, daß die Landbevölkerung eine Alternative auch: Sie wissen selbst nicht, was Sie wollen. zum Bananenanbau im Drogenanbau sieht. Auch so (Dr. Ingomar Hauchler [SPD]: Bei uns geht es würde dieser EG-Vorschlag auf uns zurückfallen. parlamentarisch zu!) Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 140. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Februar 1993 12111

Jürgen Augustinowitz Die lateinamerikanischen Bananenproduzenten wie es im Antrag der Koalitionsfraktionen gefordert beraten bereits heute über Maßnahmen gegen die wird. Europäische Gemeinschaft. Der politische und wirt- schaftliche Schaden wäre groß, wenn es so käme. Es Wir müssen davon ausgehen, daß diese Marktorga- wäre gut, wenn wir bei der bevorstehenden 9. San- nisation erneut Unruhe in die sich hinschleppende José-Konferenz in S an Salvador, wo es um den Frie- Uruguay-Runde des GATT bringen wird. Besonders densprozeß in Mittelamerika geht, mit einem guten die amerikanischen Verhandlungspartner werden die Ergebnis aufwarten könnten. Es ist gut, daß sich die Interessen ihrer betroffenen multinationalen Handels- Bundesregierung betont gegen den EG-Vorschlag unternehmen verteidigen. Der Bananenhandel, der gewandt hat. ursprünglich aus der laufendenden Uruguay-Runde ausgeklammert war, kann so zum Stolperstein wer- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. den. Diese Gefahr sehen wir. Wir teilen diesbezüglich sowie des Abg. Freimut Duve [SPD]) die Kritik, die in dem Antrag zum Ausdruck kommt. Denn so kann sie als angesehener Partner der Ent- wicklungsländer im Rahmen der Gespräche mitwir- (Jürgen Augustinowitz [CDU/CSU]: Dann ken. können Sie ja zustimmen!) Im Vorschlag der Kommission sind auch rechtliche Weiterhin muß festgestellt werden, daß die protek- Verstöße enthalten. Er bedeutet eine Diskriminierung tionistische Ausrichtung der Kommissionsvorschläge, des Handels. Er ist durch eine Unverhältnismäßigkeit die sowohl die Bananenerzeugung in einigen AKP- der Mittel gekennzeichnet. Die Europäische Gemein- Staaten als auch EG-Bananen schützen sollen, nicht schaft hat auf diesem Gebiet einen Selbstversor- geeignet sind, die wirtschaftliche Abhängigkeit der gungsgrad von lediglich 20 %. Des weiteren verstößt betroffenen AKP-Länder mittel- und langfristig zu er gegen GATT-Prinzipien. verringern. Das Gegenteil könnte der Fall sein. Uner- Unser Vorschlag besteht aus rechtlichen und ent- wünschte Monostrukturen könnten festgeschrieben wicklungspolitischen Gründen darin, daß die Rege- und sinnvolle Diversifikationsmaßnahmen verzögert lung des EG-Markts für Bananen GATT-konform werden. gestaltet und in die laufenden Verhandlungen der Aus den genannten Gründen kann die SPD-Bun- Uruguay-Runde einbezogen wird, daß keine die süd- destagsfraktion der Beschlußempfehlung des Aus- amerikanischen und mittelamerikanischen Erzeuger- schusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Ent- länder schädigende Forderung in Kraft tritt, daß kein wicklung zustimmen — entgegen dem Votum, das die diskriminierender Verteilungsmechanismus etabliert Arbeitsgruppe der SPD im Ausschuß abgegeben hat. wird, daß der Bananenhandel nicht durch staatliche Dieses Votum im Ausschuß enthielt nicht die Zustim- Einwirkung erschwert werden soll und daß die Hilfe, mung zu den Vorschlägen der EG-Kommission. die es für EG-AKP-Bananenerzeuger geben soll, innerhalb der bestehenden Instrumente eingesetzt (Jürgen Augustinowitz [CDU/CSU]: Das wird. hätte aber so wirken können!) Wir lehnen diesen Vorschlag der Europäischen Dies wurde in den Beratungen ausdrücklich hervor- Gemeinschaft aus ökonomischen, außenwirtschaftli- gehoben. Vielmehr war es damit begründet, daß aus chen, entwicklungspolitischen und verbraucherpoliti- entwicklungspolitischer Sicht eine Bananeneinfuhr- schen Gesichtspunkten ab. Das Parlament — es ist gut, regelung andere Schwerpunkte setzen sollte. daß wir heute darüber reden, Herr Minister Borchert; gestern wurde es abgelehnt, und heute reden wir In diesem Zusammenhang ist zunächst die Situation darüber — stärkt unserem Minister Borchert den in den von einer Freihandelsregelung besonders Rücken für morgen, 18 Uhr, wenn erneut der EG-Rat betroffenen AKP-Staaten zu betrachten. Die Struktur zusammenkommt, und wir hoffen, daß wir letztlich der Bananenerzeugung in diesen Ländern ist zum Erfolg haben und daß Dänemark nicht, weil es im größten Teil durch kleinbäuerliche Betriebe mit ver- Moment die Präsidentschaft hat, in die Versuchung gleichsweise hohen Produktionskosten gekennzeich- kommt, der Sache trotzdem zuzustimmen. net. Ohne eine Form des Protektionismus wären diese (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Erzeuger auf dem Weltmarkt nicht wettbewerbsfähig. Die Folge einer liberalen Einfuhrregelung wäre zwangsläufig der Verlust dieser Existenzgrundlage. Vizepräsidentin Renate Schmidt: Nun hat die Kolle- Dieser Protektionismus besteht ja zur Zeit. gin Brigitte Adler das Wort. Wir kennen dieses Problem in der EG sehr genau. Die Erhaltung der Lebensfähigkeit unserer Landwirt- Brigitte Adler (SPD): Frau Präsidentin! Verehrte schaft, die nur eingeschränkt auf dem Weltmarkt Kolleginnen und Kollegen! In der bisherigen Diskus- wettbewerbsfähig ist, funktioniert ebenfalls nur über -sion über die Einführung einer einheitlichen EG einen milliardenschweren Protektionismus. Bananenimportregelung standen vor allem wettbe- (Beifall des Abg. Dr. Ingomar Hauchler werbs- und verbraucherpolitische Aspekte im Vorder- [SPD]) grund. Es wird zu Recht beklagt, daß die geplante Marktorganisation für Bananen einen dirigistischen Aus diesen guten Gründen können wir diese Eingriff in den Bananenmarkt, vor allem in der Schutzmaßnahmen zumindest teilweise rechtfertigen. Bundesrepublik, darstellt: Qualitätsnormen, Aus- Wir haben das Glück, über die notwendigen finanzi- gleichszahlungen, Einfuhrkontingente, Vorschriften ellen Mittel zu verfügen. Die AKP-Staaten sind dazu für Bananenimporteure etc., die wir ebenso ablehnen, nicht in der Lage. 12112 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 140. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Februar 1993

Brigitte Adler Aus entwicklungspolitischer Verantwortung müs- Der Vorschlag der EG-Kommission, die Einfuhr sen wir dieser Tatsache Beachtung schenken. Über- von Bananen aus Nichtmitgliedsländern zu erschwe- dies erscheint es fragwürdig, wenn der Projektionis- ren, ist nichts anderes als unverblümter, bl anker mus der anderen kritisiert, der eigene aber mit vitalen Protektionismus und im übrigen GATT-widrig. Allei- Interessen gerechtfertigt wird. niges Ziel ist es, die in einigen Mitgliedsländern der Wir sollten hier zukünftig etwas ehrlicher sein und Europäischen Gemeinschaft produzierten Bananen zu der Notwendigkeit stehen, daß in bestimmten konkurrenzlos zu stellen. Situationen Schutzmaßnahmen hier, aber auch in (Freimut Duve [SPD]: Sehr richtig!) anderen Regionen und Ländern unumgänglich sind; Da diese Produkte auf dem Markt, der für Bananen denn wir sollten uns nichts vormachen: Einseitige gstens in Deutschland noch besteht, wegen ihres Freihandelsstrategien lösen eben nicht alle Pro- weni Preises und anderer Kriterien nicht konkurrenzfähig bleme. sind, soll nun etwas nachgeholfen werden, und die (Rudolf Bindig [SPD]: Richtig!) erheblich günstigeren Bananen aus Ländern der Drit- Die Bananenerzeugung in den Ländern Süd- und ten Welt sollen so verteuert werden, daß sie ihre Mittelamerikas hat ein völlig anderes Gesicht. Die Konkurrenzfähigkeit verlieren. Produktion wird meist auf Großplantagen durchge- führt, die in den letzten Jahren ausgeweitet wurden. Dies soll von der auch aus marktwirtschaftlichen Diese Entwicklung führte zu einem erheblichen Raub- Gründen äußerst „überzeugenden" Bestimmung be- bau an der Natur, wovon vor allem Regenwälder nicht gleitet werden, auch noch Einfuhrkontingente festzu- unberührt blieben. Wenn man die Notwendigkeit der legen. Wenn es eines weiteren Beweises für den Erhaltung der tropischen Regenwälder ernst nimmt, zumindest partiellen Irrsinn des europäischen Agrar- kann man dies nicht einfach übergehen. Ernstzuneh- marktes bedurft hätte, er stünde hier und heute zur men sind ebenso kritische Berichte über die Arbeits- Beratung an. und Lebensbedingungen vieler Plantagenarbeiterin- Nun gibt es sonnige Gemüter, die meinen, es könne nen und -arbeiter. ja wohl nicht schädlich sein, wenn nunmehr auch das In Anbetracht dieser Mißstände stimmt es bedenk- „Marktsegment Bananen" vollständig geschlossen lich, daß in der bisherigen Diskussion an keiner Stelle würde, da die Europäische Gemeinschaft ihren Agrar- die Frage gestellt wurde, warum die mittel- und markt doch auch ansonstigen schon nahezu abge- südamerikanischen Länder am kostengünstigsten schottet habe. Nein, die Verhinderung einer europäi- produzieren. Auch an dieser Stelle muß aus entwick- schen Bananenmarktordnung muß der Impuls für die lungs- und globalökologischer Sicht auf Defizite auf- Öffnung des europäischen Agrarmarkts für Produkte merksam gemacht werden. aus der Dritten Welt sein. Wir sollten mit unserer so oft beschworenen Forderung E rnst machen, die wirksam- Die Ausgestaltung einer EG-Bananeneinfuhrrege- ste Entwicklungshilfe sei ein freier H andel. Dies wird lung hat deshalb gravierende Auswirkungen, egal, ob nicht von heute auf morgen und auch nicht überall sie mehr liberalis tisch, wie es sich die Bundesregie- gehen; aber man sollte anfangen und nicht noch eine rung vorstellt, oder mehr protektionistisch nach dem Entscheidung in die falsche Richtung treffen. Strickmuster der EG-Kommission ausfällt. Als welt- weit wichtigster Bananenimporteur hätte die EG rea- Aber die Bananendebatte in der Europäischen listische Chancen, die bestehenden sozialen und öko- Gemeinschaft hatte einen zweiten Höhepunkt. Als logischen Mißstände einerseits und die entwicklungs- man erkannt hatte, daß es nicht gelingen konnte, die politischen Notwendigkeiten andererseits in einem Interessen der Dollarbananen exportierenden L ander ausgewogenen Handelskonzept in Einklang zu brin- einfach vom Tisch zu wischen, wurde ein Schweige- gen. Hier wäre die Möglichkeit gegeben, einen Inter- geld ausgelobt. Die EG-Kommission verstieg sich essenausgleich zwischen den unterschiedlich betrof- zudem von einer gehörigen Portion Arroganz nicht fenen Erzeugerländern herzustellen. ganz freien Vorschlag, die angestrebte Bananenord- nung auch noch dadurch zu flankieren, daß man Eine ausgewogene Handelsvereinbarung, die ent- rn, die Dollarbananen wicklungspolitische, soziale und ökologische Aspekte denjenigen Entwicklungslände berücksichtigt, fände mit ziemlicher Sicherheit auch exportieren, zum Ausgleich Geld zahlen will, damit diese, wie es hieß, ihre Produktion diversifizieren, im die Zustimmung der Verbraucher. Klartext: etwas anderes anbauen, können. (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Dr. Win fried Pinger [CDU/CSU]) Es ist grotesk, wenn in den Entwicklungsländern die Vorzüge der Marktwirtschaft gepriesen werden und dann dafür gesorgt wird, daß intakte Produktionspro- zesse, in denen auch noch konkurrenzfähige Produkte Vizepräsidentin Renate Schmidt: Als nächster hergestellt werden, zerstört werden. Warum eigent- spricht der Kollege Burkhard Zurheide. lich werden nicht die hochentwickelten europäischen Agrarproduzenten zur Diversifizierung ihrer Produk- tion gedrängt, wenn konkurrenzunfähige Produkte Burkhard Zurheide (F.D.P.): Frau Präsidentin! wie Bananen hergestellt werden? Und welche Pro- Meine Damen und Herren! Der Gegenstand der dukte sollen denn anstelle von Bananen in den latein- - Debatte, die wir heute führen, ist bestenfalls halb so amerikanischen Ländern angebaut werden? Ko- lachhaft, wie es auf den ersten Blick erscheint. Es geht kain? nämlich nicht nur um eine Frucht und die Zuneigung einer ganzen Nation zu ihr; es geht um ganz grund- Nein, die Europäische Gemeinschaft muß von ihrem sätzliche, elementare Fragen. bananenpolitischen Irrweg herunterkommen. Die Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 140. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Februar 1993 12113

Burkhard Zurheide angestrebte Bananenmarktordung ist heller Wahn- destiniert, sich zu dem jüngsten europäischen Zank- sinn. apfel, der Banane, zu äußern? Ich habe die Mitglieder der SPD im Ausschuß für (Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der wirtschaftliche Zusammenarbeit nicht verstanden, als PDS/Linke Liste und der SPD) sie den Antrag der Koalition abgelehnt haben. Ich Wir sind es nicht deswegen, weil wir von der Leitfrucht höre aber heute mit Freude, daß sich bei der SPD eine des bundesrepublikanischen Obstes oder vom Ge- Meinungsänderung vollzogen hat. Natürlich kann schäft mit ihr besonders viel verstehen, sondern weil man darüber nachdenken, wie die Arbeitsverhält- wir in der dabei sind, der Grund- nisse derjenigen verbessert werden können, die auf ehemaligen DDR bedürfnisbefriedigung mit einem Rekordverzehr von den Bananenplantagen arbeiten. Nur, liebe Kollegin- ca. 25 kg Bananen pro Kopf der Bevölkerung — in den nen und Kollegen, würde die Verordnung in Kraft alten Bundesländern 14 kg — mit allem Nachdruck treten, so bräuchten wir uns um die Verbesserung der gerecht zu werden. Arbeitsbedingungen der Bananenpflücker überhaupt keine Gedanken zu machen, weil diese nämlich ihren (Jürgen Augustinowitz [CDU/CSU]: Das ist Arbeitsplatz verlieren würden. sehr gesund!) (Jürgen Augustinowitz [CDU/CSU]: So ist In diversen entwicklungspolitischen Debatten ha- es!) ben wir die Abschaffung des bisher praktizierten Welche sozialen Folgen dies für die Familien dieser europäischen Protektionismus gegenüber den Län- Menschen hätte, brauche ich Ihnen wohl nicht aus- dern der Dritten Welt gefordert. Der vorliegende drücklich zu sagen. CDU-Antrag, scheinbar gegen Protektionismus, ent- spricht jedoch nicht unseren Intentionen. Aus unserer Die Verhandlungsposition der Bundesregierung, Sicht soll hier lediglich eine Form des Protektionismus die erfreulicherweise starken Widerstand, und zwar in durch eine andere oder eine bestehende ersetzt wer- toto, gegen den Vorschlag der Kommission geleistet den. Auf der Strecke bleiben in dem einen wie in dem hat und die auch gestern einen ersten Teilerfolg anderen Fall die Kleinproduzenten in den Ländern der erzielen konnte, wird natürlich erheblich stärker und Dritten Welt. erheblich besser, wenn sie in die weiteren Verhand- lungen mit einem nahezu einstimmigen Beschluß des Selbst wenn im Antrag der CDU/CSU die Gefahr Bundestages gehen kann, den wir glücklicherweise massiver Arbeitsplatzverluste in den bananenprodu- erwarten dürfen. zierenden Ländern erwähnt wird, liegt der Hauptbe- weggrund für diesen Antrag doch wohl eindeutig auf Ich freue mich daher, daß die Sozialdemokraten den nationaler Ebene: Hafen- und Lagerwirtschaft z. B. in Beschlußvorschlag doch noch mittragen wollen. Das Hamburg und Bremen, Verbraucherinteressen etc. konnte man vorgestern schon erahnen, als ihre stell- vertretende Fraktionsvorsitzende Matthäus-Maier in (Jürgen Augustinowitz [CDU/CSU]: Das ist einer Pressemitteilung verkündete, die verbraucher- überhaupt nicht wahr! Unglaublich!) feindliche Bananensteuer — nicht Bananensteuer Hinterfragt werden muß auch, wer letzten Endes in lüge — müsse gestoppt werden, und damit das richtige den Entwicklungsländern die Nutznießer einer Auf- Signal gab, nämlich daß es auch im Interesse der rechterhaltung des bisherigen Status quo im Bana- deutschen Verbraucher notwendig ist, diesen Unsinn nengeschäft sind. Augenscheinlich sind es die Groß- zu stoppen. produzenten, die auf immer mehr erweiterten Anbau- Die F.D.P. unterstützt daher die Bundesregierung flächen unter massivem Einsatz von Pestiziden und ausdrücklich in ihrem Bestreben, diese Bananen- miserablen Arbeitsbedingungen für die Beschäftigten marktordnung zu verhindern. Wenn diese Bemühun- auf Kosten der Umwelt und der Menschen die in gen fehlschlagen sollten, so muß geprüft werden, ob Deutschland so beliebten Billigbananen produzieren. ein Rechtsbehelf, etwa eine Klage zum Europäischen Das ist ein entwicklungspolitisch sehr fragwürdiger Gerichtshof, in Be tracht kommt. Selbst wenn dies Zustand, dem der vorliegende Antrag Kontinuität zu auch nur ansatzweise Aussicht auf Erfolg hätte, sollte verleihen versucht. es unternommen werden, weil, wie ich denke, dieses Genauso fragwürdig ist allerdings die geplante Thema auch in der Öffentlichkeit so wichtig genom- entgegengesetzte Protektionierung von sogenannten men wird, wie es angemessen ist. Kolonialbananen, die für Volkswirtschaften der bana- Der Europäische Binnenmarkt darf nicht zu mehr, er nenexportierenden Länder unabsehbare Folgen ha- muß zu weniger Protektionismus führen. ben wird. Vielen Dank. Die PDS/Linke Liste unterstützt dagegen die Über- (Beifall bei der F.D.P., der CDU/CSU und legungen des sogenannten Bananenbündnisses aus dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Agrar- und Dritte-Welt-Gruppen, das statt Import- höchstmengen garantierte Exportquoten fordert, die für alle Bananenproduzenten nach aktuellen Markt- Vizepräsidentin Renate Schmidt: Das Wort hat die anteilen festgelegt werden müßten. Frau Kollegin Ursula Fischer. Die Bananenmarktordnung ist zutiefst ungerecht, - ebenso wie die derzeitige Weltwirtschaftsordnung, und nur ein exemplarisches Beispiel für diese Art, die Dr. Ursula Fischer (PDS/Linke Liste): Frau Präsiden- Welt zu ordnen. Das Problem besteht nicht darin, dem tin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wer, wenn nicht ohnehin ziemlich verwöhnten bundesdeutschen Ver- Abgeordnete aus den neuen Bundesländern, ist prä braucher Niedrigstpreise zu sichern. Langfristig wich- 12114 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 140. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Februar 1993

Dr. Ursula Fischer tiger ist es, allen Bananenproduzenten Absatzmög- Auf diesen Zusammenhang hat — auch ich will es lichkeiten offenzuhalten und gleichzei tig z. B. über erwähnen — das „ Bananenbündnis 92", das sich im Zölle Mittel aufzubringen, die in den be treffenden vergangenen Jahr gebildet hat, hingewiesen. Entwicklungsländern die Umstellung auf andere, (Jürgen Augustinowitz [CDU/CSU]: Ist es mit umweltverträglichere und doch absetzbare Agrarpro- dem BÜNDNIS 90 verwandt?) dukte ermöglichen. Es geht also um weniger überche- misierte Großplantagen und um mehr ökologisch — Es ist nicht mit uns verwandt, aber ich wollte den verträglichen Anbau durch selbständige Bauern und Namen doch aus Sympathie noch einmal erwähnen. Kooperativen. Wir sehen in der Tat das Problem ähnlich wie dieses „Bananenbündnis 92". Was die so erzeugten Bananen mehr kosten, sollte Wir kommen allerdings zu einer anderen Schlußfol- uns unsere Umwelt in der vielbeschworenen „Einen Welt" wert sein. gerung und unterstützen ausdrücklich den Antrag der Koalition. Denn wir sind der Überzeugung, daß pro- (Zuruf des Abg. Jürgen Augustinowitz tektionistische Maßnahmen die Situa tion in Latein- [CDU/CSU]) amerika nicht verbessern würden. Im Gegenteil, der — Warum nicht LPGs? Die sind zum Teil effizient Zwang, noch billiger zu produzieren, würde die Lage gewesen. der Landarbeiterinnen und Landarbeiter nur ver- schlechtern bzw. zur Arbeitslosigkeit führen. (Beifall bei der PDS/Linke Liste — Jürgen Notwendig ist es, in allen Produktionsländern Augustinowitz [CDU/CSU]: Das sehen wir arbeits- und sozialrechtliche Bestimmungen durchzu- heute!) setzen, die eine angemessene Entlohnung und men- schenwürdige Lebensbedingungen ermöglichen. Das ist durch einfachen Protektionismus nicht zu errei- Vizepräsidentin Renate Schmidt: Ich hoffe, ich habe chen. das alles richtig verstanden: daß uns irgendwelche Da also die Verbraucher so und so künftig für die bananenpolitischen Irrwege zu bananenpolitischen geliebte Banane mehr bezahlen müssen, ist es ent- Bündnissen führen. — Ich erteile dem Kollegen Kon- wicklungspolitisch sinnvoller, einen gerechten rad Weiß das Wort. Marktpreis für Bananen aus Lateinamerika und der Karibik zu zahlen, als EG-Produzenten zu subventio- nieren. Vielen Dank. Konrad Weiß (Berlin) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Ausgerechnet Bananen sind in aller (Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Munde. und bei Abgeordneten der SPD) (Jürgen Augustinowitz [CDU/CSU]: Nein, eben nicht!) Vizepräsidentin Renate Schmidt: Minister Jochen Borchert hat das Wort. 40 Kilo verzehrte jeder Deutsche 1992. Angesichts der Streitigkeiten in der EG sollten wir den Beg riff „Zank- (Christoph Matschie [SPD]: Er kämpft für die apfel" aus dem deutschen Wortschatz streichen und Ernährung der Landwirtschaft!) künftig von „Zankbananen" reden. Vielleicht hingen im Paradies ja wirklich Bananen am Baum. Jochen Borchert, Bundesminister für Ernährung, Doch im Ernst: Die geplante Abschottungspolitik Landwirtschaft und Forsten: Frau Präsidentin! Liebe der EG gegenüber den sogenannten Dollarbananen Kolleginnen und Kollegen! Der Ministerrat hat in den und die beabsichtigte Förderung der EG-Bananen- beiden vergangenen Tagen in sehr schwierigen Ver- produzenten mit 12 500 DM pro Hektar aus Mitteln handlungen die sogenannte Formalisierung des Rats- der Europäischen Gemeinschaft ist weder ökono- beschlusses über eine EG-Bananenregelung vom misch noch entwicklungspolitisch sinnvoll. Eine Quo- 17. Dezember 1992 beraten. Dabei konnte keine tenregelung für Bananen brächte für Lateinamerika Einigung erzielt werden. Die Ministerratssitzung ist in einen Verlust von, so sagen unsere Experten, jährlich der vergangenen Nacht unterbrochen worden. Sie 350 Millionen Dollar — Sie sagten: 500 Millionen DM wird morgen fortgesetzt. Bis dann werden insbeson- — und würden mindestens 170 000 Arbeitsplätze dere die belgische und die niederländische Regierung kosten. ihre Haltung noch einmal beraten. Ich hoffe, daß wir dann zu einer einvernehmlichen Lösung kommen Andererseits würde die völlige Freigabe des Han- können. dels die Existenz der Kleinbauern in den AKP-Staaten Die Verhandlungen über eine zukünftige europäi- bedrohen, die sich gegen die Konkurrenz der Multis in sche Bananenregelung haben sich von Anfang an sehr Lateinamerika nicht durchsetzen können. schwierig gestaltet, und es ging auf beiden Seiten um Zu Recht werden die ökologischen und sozialen berechtigte Interessen: Interessen der europäischen Bedingungen, unter denen die Dollarbananen produ- Verbraucher, der Drittlandproduzenten, und zwar der ziert werden, beklagt. Den Preis für diese billigen AKP-Länder und der lateinamerikanischen Länder, Bananen bezahlen die Plantagenarbeiter und -arbei- und des Handels. Auf der anderen Seite stehen die terinnen Lateinamerikas in Form von niedrigen Löh- ebenso berechtigten Interessen der europäischen nen, von gesundheitsgefährdenden Arbeitsbedingun- Bananenproduzenten. Ich habe sowohl im Rat als gen und der Vergiftung ihrer Umwelt durch übermä- auch in zahlreichen bilateralen Gesprächen mit dem ßigen Einsatz von Pestiziden. dänischen Ratspräsidenten, mit dem Agrarkommissar Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 140. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Februar 1993 12115

Bundesminister Jochen Borchert Steichen sowie mit anderen Kollegen im Rat die Vielen Dank. Haltung der Bundesregierung unmißverständlich (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) deutlich gemacht. Ich darf mich hier sehr herzlich für die Unterstützung heute durch das Parlament bedan- ken; sie wird für die weiteren Beratungen sicher Vizepräsidentin Renate Schmidt: Weitere Wortmel- förderlich sein. dungen liegen mir nicht vor. Sie wissen, daß diese Haltung der Bundesregierung Wir kommen damit zur Abstimmung über die schon im Entstehungsstadium eines EG-Kommission Beschlußempfehlung des Ausschusses für wirtschaft- Vorschlags von der Bundesregierung, insbesondere liche Zusammenarbeit und Entwicklung zu dem vom Bundeskanzler in einem persönlichen Schreiben Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und der F.D.P. an den Kommissionspräsidenten Delors dargestellt zu einer europäischen Regelung für die Einfuhr von worden ist. Das Bundeskabinett hat zuletzt in der Bananen, Drucksache 12/4264. Der Ausschuß emp- Kabinettsitzung am 17. Dezember 1992 diese Haltung fiehlt, den Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und bestätigt. Die Bundesregierung wird diese Haltung der F.D.P. auf Drucksache 12/3959 anzunehmen. Wer auch bei den weiteren Verhandlungen mit Nachdruck stimmt für diese Beschlußempfehlung? Gegenprobe! vertreten. Ich darf diese Position deshalb hier noch — Enthaltungen? — Die Beschlußempfehlung ist einmal wiederholen: damit mit deutlicher Mehrheit angenommen. Die Einfuhrregelung für Dollar-Bananen muß GATT-konform sein und darf die Lieferinteressen der Ich rufe Tagesordnungspunkt 10 und Zusatztages- lateinamerikanischen Länder nicht beeinträchtigen. ordnungspunkt 5 auf: Das heißt, das bisherige Liefervolumen von ca. 10. Beratung des Antrags der Abgeordneten Diet- 2,4 Millionen t muß aufrechterhalten werden und mar Schütz, Dr. Margrit Wetzel, Michael Müller entsprechend dem Verbrauchszuwachs steigen kön- (Düsseldorf), weiterer Abgeordneter und der nen. Diese Einfuhrmengen dürfen nur mit dem im Fraktion der SPD GATT gebundenen Zoll von 20 % belastet werden. Notwendige Maßnahmen zur Vermeidung von Darüber hinausgehende Importe dürfen nicht mit Öltankerunfällen und deren katastrophalen einem prohibitiven Zoll von 850 Ecu/t — das ent- Folgen far Mensch und Natur spricht einem Zollsatz von 180 % — belastet werden. — Drucksache 12/4267 — Allenfalls wäre nach der Uruguay-Runde in dem Tarifizierungsmodell ein Zoll von 50 bis 70 % denkbar, Überweisungsvorschlag: der aber dann innerhalb von sechs Jahren wieder Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (federführend) weitgehend abzubauen wäre. Mit einer derartigen Ausschuß für Wirtschaft Einfuhrregelung könnten sich nach meiner Einschät- Ausschuß für Verkehr zung die lateinamerikanischen Entwicklungsländer ZP5 Beratung des Antrags der Abgeordneten einverstanden erklären. Dr. Maria Böhmer, Wilfried Bohlsen, Dr. Rolf Gestern haben diese Länder gegen die — jetzt Olderog, weiterer Abgeordneter und der Frak- schon — bestehenden Einfuhrbeschränkungen Fran- tion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten kreichs, Großbritanniens und Spaniens ein sogenann- Manfred Richter (Bremerhaven), Horst F ried- tes Panel-Verfahren beim GA TT eröffnet. Bliebe es rich, , weiterer Abgeordneter beim derzeitigen Kompromiß, würde auch die Uru- und der Fraktion der F.D.P. guay-Runde Gefahr laufen, auf der Bananenschale Prävention und Bekämpfung von Öltankerun- auszurutschen. Der Verteilungsschlüssel für das Zoll- fällen kontingent muß die bestehenden Handelsströme berücksichtigen, er darf nicht zu einer Benachteili- — Drucksache 12/4307 — gung der Dollar-Bananen-Händler führen. Nach dem Überweisungsvorschlag: Dezember-Kompromiß würde das Handelsvolumen Ausschuß für Verkehr (federführend) halbiert. Wir lehnen Ausschuß für Wirtschaft der Dollar-Bananen-Händler Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit diese Verteilung ab; sie ist eindeutig diskriminierend und damit vertragswidrig. Wir haben vorgeschlagen, Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat ist für die den traditionellen Importeuren 90 % des Kontingents Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. Gibt es zuzuteilen- und 10 % für Händler mit EG- und AKP dazu anderweitige Vorstellungen? — Das ist nicht der Bananen bzw. andere neue Händler bereitzustellen. Fall. Dann ist das so beschlossen. Die Bundesregierung war sich der schwierigen Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem Situation der EG- und AKP-Länder stets bewußt und Kollegen Dietmar Schütz. ist auch bereit zu helfen, etwa durch eine Verbesse- rung von Produktion, Qualität und Marketing. Die Dietmar Schütz (SPD): Frau Präsidentin! Meine Bundesregierung hat sich auch bereit erklärt, für eine Damen und Herren! Spätestens nach den dicht aufein- Übergangszeit direkte Einkommenshilfen zu gewäh- anderfolgenden großen Tankerhavarien der „Regen ren. Damit könnte ein Interessenausgleich zwischen Sea", „Braer" und zuletzt der „Maersk Navigator" um AKP-Ländern und lateinamerikanischen Ländern die Jahreswende 1992/93 kann es für uns keine möglich sein, und es könnten soziale, ökologische- und Ausrede mehr geben, die parlamentarische Ausein- Verbraucherinteressen berücksichtigt werden. Bleibt andersetzung mit den Ursachen und Folgen dieser es bei dem restriktiven Dezember-Beschluß, sind Öltankerkatastrophen auf die lange B ank zu schie- derartige Hilfen und die damit verbundenen EG- ben. Wir müssen den parlamentarischen Druck auf die Ausgaben nicht zu rechtfertigen. zuständigen Ressorts der Bundesregierung und auch 12116 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 140. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Februar 1993

Dietmar Schütz der zuständigen Gremien außerhalb unseres politi- geschehen, bis endlich gehandelt wird? Was steht schen Einflußbereichs erhöhen. Es muß endlich kon- beispielsweise einer schnellen Ausweisung von Rou- kret gehandelt werden, damit weitere Unfälle, ten für Öltanker oder europäischen Hafenzufahrts- womöglich in der Nord- und Ostsee, vermieden wer- beschränkungen entgegen? Warum ist eine Verschär- den. Die SPD hat deshalb jetzt, vorbereitet durch die fung der Hafenstaatenkontrollen bis heute nicht Arbeitsgruppen Umwelt und Verkehr, einen Antrag gelungen? Betrachtet man die Zögerlichkeit der vorgelegt, in dem klar die Richtung aufgezeigt wird, in Regierungen in dieser Frage, drängt sich der Eindruck der die Bundesregierung tätig werden muß. Dieser auf, daß nur auf öffentlichen Druck etwas geschieht Antrag kann noch ergänzt werden, er zeigt aber auch und es erst einer noch größeren Anzahl von Katastro- auf, wohin wir wollen. phen bedarf, damit die notwendigen Schritte zügig angegangen werden. Ein zusätzlicher Beschleuni- Wir begrüßen es auch, daß der Verkehrsausschuß gungsfaktor in Form eines weiteren Unfalls, womög- auf unsere Initiative hin schon sehr bald eine Anhö- lich vor der deutschen Nordseeküste, sollte spätestens rung zu den im Antrag angesprochenen Problemen seit dem Unglück der „Braer" nicht mehr nötig durchführt, um sachverständig unser, ich denke, sein. gemeinsames Anliegen einer konzeptionellen Weiter- entwicklung in der Tankersicherheit und der Sicher- Im Zusammenhang mit der Forderung nach einer heit des Transports von Öl zu unterstützen. effektiven Unfallprävention wird häufig darauf ver- Öltankerhavarien sind keine sporadischen Un- wiesen, daß etwa 80 % aller Unfälle auf menschliches zurückzuführen sind, was dann den Schluß glücksfälle, die gleichsam mit der Unabwendbarkeit Versagen von Naturkatastrophen über Mensch und Umwelt nahelegen könnte, daß alle Verbesserungsbemühun- gen ohnehin nur sehr begrenzten Erfolg haben wür- hereinbrechen. Im Gegenteil, oftmals werden diese den. Ich halte aber diese Argumentation für irrefüh- Unfälle erst möglich, weil zahlreiche seit langem rend, ja, für sehr gefährlich. bekannte notwendige Maßnahmen zur Minderung der Risiken der Öltankerschiffahrt bis heute nicht Der pauschale Hinweis auf den Risikofaktor umgesetzt sind. Hält man sich vor Augen, daß gegen- Mensch wird der jeweiligen Unfallsituation oft nicht wärtig rund 3 000 Tanker jährlich 1,4 Milliarden t 01 gerecht. Am Beispiel der „Braer" läßt sich exempla- über das Meer transportieren, dann sind in Anbetracht risch zeigen, daß eine Verbesserung der Rahmenbe- des mangelhaften Zustands zahlreicher Schiffe, der dingungen der Öltankerschiffahrt die Wahrschein- unzureichenden Qualifikation der Besatzungen und lichkeit eines Unfalls erheblich reduziert hätte, bevor der vielfach ungenügenden Sicherheits- und Haf- das individuelle Fehlverhalten des Kapitäns wirksam tungsbestimmungen Tankerunglücke geradezu vor- werden konnte. Vor dem Hinweis, daß der Kapitän programmiert. viel zu spät Hilfe angefordert hat, muß die Frage Ein Blick auf die jüngere Entwicklung zeigt, daß stehen, warum das Schiff schlagartig manövrierunfä- sich in den letzten 15 Jahren allein elf große Tanker- hig werden konnte. Die Vermutung liegt nahe, daß unglücke ereignet haben — von den kleineren Unfäl- das Schiff bereits mit gravierenden technischen Män- len will ich gar nicht sprechen —, bei denen sich etwa geln unterwegs war. 1 Million t 01 ins Meer ergossen haben. Wären schärfere Sicherheitsinspektionen und kon- Es ist zwar richtig, daß von den 3,2 Millionen t Rohöl, tinuierlich strengere Hafenstaatenkontrollen durch- die jährlich ins Meer gelangen, das meiste durch die gesetzt worden, wie dies unser Antrag fordert, hätte Förderung und den Abfall und die Abwasserversor- ein derartiger Maschinenschaden vielleicht vermie- gung verursacht wird und nur ein Bruchteil, nämlich den werden können. Wir müssen mit effektiveren nur 5 %, auf Öltankerunfälle zurückzuführen ist. Den Inspektionen künftig für mehr Sicherheit sorgen. dringenden Handlungsbedarf in Sachen Öltankerun- Dazu gehört auch, daß bei Nichteinhaltung der Auf- fälle mit ihren besonders katastrophalen Auswirkun- lagen künftig konsequent Anlauf- bzw. Auslaufver- gen verringert dieses Größenverhältnis jedoch nicht. bote ausgesprochen werden müssen. Die tägliche Ölverschmutzung sollte uns vielmehr Ferner stellt sich die Frage, ob die Qualifikation der dazu führen, in MARPOL etwas mehr zu tun. Besatzung und insbesondere die Kommunikationsfä- Obwohl bereits jeder einzelne Unfall Anlaß genug higkeit zwischen griechischem Kapitän, polnischem gewesen sein sollte, politisch eine schnelle und umfas- Ingenieur und philippinischer Besatzung wirklich den sende Verbesserung der Sicherheitsvorkehrungen zu Anforderungen entsprochen haben, die eine Krisensi- veranlassen, sind entsprechende Schritte von der tuation mit sich bringt. Notwendig sind eine Aus- und Bundesregierung und den EG-Partnern insbesondere Weiterbildung der Besatzungen gemäß dem techni- auf IMO-Ebene immer wieder hinausgezögert wor- schen Fortschritt und die Schaffung einer einheitli- den. Seit langem arbeitet beispielsweise die EG- chen Arbeitssprache. Ich weiß, daß diese Forderun- Kommission an dem Problem, wie die bisher in der gen auch Bestandteil des Katalogs der zuständigen IMO vereinbarten Sicherheitsstandards erzwungen EG-Minister sind. Einer schnelleren Umsetzung sollte und die Hafenstaatenkontrollen verbessert werden deshalb nichts im Wege stehen; sie sollten damit könnten. Ebenso wie der Ministerrat scheut auch sie anfangen. sich jedoch, auf die Beschlußkompetenz zurückzu- Ein weiteres Beispiel: Warum ist die enge und bei greifen. Schlechtwetter schwierige Passage zwischen den Was, so müssen sich die Bundesregierung und die Shetlands und der schottischen Festlandküste nicht EG insbesondere mit Blick auf das energische Han- für Öltanker gesperrt bzw. diese Sperre nicht lücken- deln der USA fragen lassen, muß eigentlich noch los überwacht worden? Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 140. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Februar 1993 12117

Dietmar Schütz Meine Kolleginnen und Kollegen, wir müssen in zwei Gesellschaften in New York als Reeder beauf- Zukunft sicherstellen, daß Öltankerschiffe und son- tragt hat. Gechartert wurde der T anker von der stige Schiffe mit erheblichem Gefährdungspotential US-Gesellschaft Ultra-Mar. durch Festlegung von internationalen Schiffahrtsrou- Ich glaube, diese Konstruktionen zeigen, daß wir ten von Küsten, insbesondere von ökologisch emp- vor allem Rechtsinstrumente schaffen müssen, die findlichen oder gefährlichen Küsten, ferngehalten haftungsrechtlich und versicherungsrechtlich die werden. Verantwortlichkeiten festschreiben. Die Versiche- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) rungsgesellschaften dürfen Versicherungen nicht mehr abschließen, wenn derartige „Wegtauchmög- Das Befahren dieser Routen — das ist richtig — muß lichkeiten" — bei Tankern ist Abtauchen ja schwer mit einer Meldepflicht gekoppelt und durch land- und denkbar; aber sie tauchen haftungsrechtlich weg — satellitengestützte Überwachungssysteme endlich ef- bei der Haftungsfrage auftreten können. Je kompe- fektiv kontrolliert werden. Dies sind alles Faktoren, tenzloser der Flaggenstaat im Standard der Technik die längst hätten verbessert werden können und und in der Überwachung der Qualifikation der Mann- müssen, um diese konkrete Havarie zu vermeiden. schaft ist, desto höher muß die Versicherungsprämie Darüber hinaus müssen grundsätzliche Rahmenbe- ausfallen. Wer Mindeststandards nicht erfüllt, darf dingungen geändert werden. Wie in der Verkehrs- nicht fahren, weil Versicherungsschutz nicht gewährt politik und in der Energiepolitik gilt auch für die wird. Ölförderung und den Öltransport: Jeder Liter 01, den (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der wir nicht fördern und transportieren, belastet unseren F.D.P.) CO2-Haushalt weniger und erzeugt keine Gefahren Die Flaggenstaaten müßten in die Haftungs- und beim Transport. Wir verfeuern den kostbaren Rohstoff Schadenersatzfonds einbezogen werden. Die Scha- Öl in Millionen Tonnen, die wir in Gefahrguttranspor- densersatzpflicht muß sich dabei auf alle Folgen des ten übers Meer heranholen. Jeder Fortschritt in der Unfalls erstrecken. Konkret heißt das, sowohl die Energiepolitik, der den Ölverbrauch reduziert, ist Bekämpfung der Umweltschäden als auch die Sanie- also auch ein Fortschritt in der Vermeidung von rung der be troffenen Regionen und der Aufbau neuer Gefährdungspotentialen und in der Vermeidung von Existenzen müssen künftig von den Versicherungen Gefahrguttransporten. abgedeckt werden. Wenn wir gleichwohl in absehbarer Zeit nicht auf Gerade die hohe Zahl veralteter T anker, die dem die Anlandung von Öl verzichten können, sollten wir technischen St andard nicht mehr entsprechen, stellt auch die Art des Transportes untersuchen. Die Ölver- einen Risikofaktor dar. Wir müssen versuchen, diese sorgung der niederlausitzer pe trochemischen Indu- alten Schrottlauben von den Meeren zu verbannen. strie kann z. B. durch Ölpipelines von Wilhelmshaven Wenn wir dies schaffen, ist das gleichzeitig ein ent- sichergestellt werden. Warum müssen wir mit Ölgroß- scheidender Impuls für unsere Werftenprogramme. tankern noch durch die Ostsee fahren? Das wäre Wir brauchten nicht zu subventionieren, sondern wir vermeidbar. könnten Tanker bauen. Das durchzusetzen ist ein Schließlich noch ein Blick auf die versicherungs- Gebot der Stunde. rechtlichen und gesellschaftsrechtlichen Rahmenbe- Ich danke Ihnen, meine Kolleginnen und Kolle- dingungen, unter denen die Welt-Öltankerflotte fährt. gen. Sie ist nahe an mafiaähnlichen Strukturen. Auf der (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der Basis des Lloyd-Registers of Shipping hat die „Zeit" in F.D.P.) ihrer jüngsten Ausgabe dargestellt, daß Libe ria, jetzt ein Land ohne Rechtsstrukturen und mit einer Rate von 61 % Analphabeten, an der Spitze der Tankerna- Vizepräsidentin Renate Schmidt: Als nächste tionen steht. Über 20 % der weltweiten Tankerton- spricht die Kollegin Bärbel Sothmann. nage fahren unter liberianischer Flagge. Der Reiz für die Schiffseigner an diesen Billigflaggen liegt in den (CDU/CSU): Frau Präsidentin! niedrigen Steuern, fehlenden Tarifrechten, laschen Bärbel Sothmann Meine Damen und Herren! In der Aktuellen Stunde Sicherheitsauflagen und nicht vorhandenen Rechts- am 14. Januar haben wir uns mit dem Tankerunglück standards. vor den Shetland-Inseln befaßt. Der Rohöltransport Diese Strukturen, die die Verantwortlichkeit für auf See bleibt ein brisantes Thema. Die Serie der eine Tankerhavarie aushebeln, werden von Reedern großen Tankerunfälle reißt nicht ab. Nur kurze Zeit und Eignern durch Eigentumsschachteln noch unter- nach der letzten Katastrophe verseuchte der unter stützt, die eine Haftung für eingetretene Schäden liberianischer Flagge fahrende Supertanker „Maersk vollends verhindern. Navigator" in der Straße von Malakka das Meer mit Die bei den Shetland-Inseln verunglückte „Braer" 40 000 t Rohöl. Auch hier wieder die bekannten gehört dem in London lebenden Norweger A rvid Ursachen: Billigflaggen und menschliches Versa- Bergwall und Michael Huttner aus den USA. Dort, im gen. Staat Connecticut, hat die Firma Bergwall & Huttner Meine Damen und Herren, die Bundesregierung Ship-Management ihren Sitz. Betrieben wurde das hat bereits umfangreiche Initiativen zur Vermeidung Schiff von der in Liberia registrierten Tochtergesell- und Bekämpfung von Öltankerunfällen auf nationaler schaft Braer-Corporation der Bergwall & Huttner wie auch internationaler Ebene ergriffen. Ich möchte Holding. Die Braer-Corporation hat den T anker an besonders den Fünf-Punkte-Plan und die Einsetzung eine Gesellschaft auf den Bermudas ausgeliehen, die der interministeriellen Arbeitsgruppe hervorheben, 12118 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 140. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Februar 1993

Bärbel Sothmann von der bereits in der nächsten Woche der erste Ingeborg Philipp (PDS/Linke Liste): Frau Präsiden- Bericht zu erwarten ist. tin! Meine Damen und Herren! Notwendige Maßnah- Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion begrüßt aus- men zur Vermeidung von Öltankerunfällen und deren drücklich diese Maßnahmen der Bundesregierung. katastrophalen Folgen sollten zu einem Umsteuern in Wir sind jedoch der Meinung, daß die angestrebten der Energiepolitik führen. Ein niedriger Ölpreis kann Verbesserungen bei der Sicherheit des Tankerver- eben nur auf Kosten von Menschen und Umwelt kehrs noch immer nicht ausreichen. Wir sind darüber erhalten werden. hinaus der Meinung, daß sich weitere Überlegungen 1986 gab es durch den Ölpreisverfall einen neuen auch verstärkt auf den Bereich der Nord- und Ostsee Verbrauchsschub. Anstatt dem durch Preisverfall völ- konzentrieren müssen. Unsere Strategien müssen sich lig falschen Marktsignal durch eine Importabgabe auf in erster Linie auf die Unfallverhütung konzentrieren, Mineralöl, Gas und Drittlandskohle entgegenzuwir- aber auch auf Schadensbegrenzungen erstrecken. ken, unternahm die Bundesregierung nichts, um den In dem Koalitionsantrag der Fraktionen von CDU/ ansteigenden Ölimporten entgegenzuwirken. Dieser CSU und F.D.P. fordern wir bessere Vorsorge- und Vorwurf muß auch der EG-Kommission gemacht wer- Entsorgungseinrichtungen an Nord- und Ostseekü- den. Mit dieser Importabgabe könnten Energieeffi- ste. Wichtig ist es, insbesondere den Abtransport von zienzverbesserungen, Energieeinsparungsmaßnah- kontaminiertem Mate rial sicherzustellen. Wir brau- men, die Nutzung regenerativer Energiequellen und chen darüber hinaus die Ausweisung und besondere auch die volkswirtschaftlich sinnvolle Stützung heimi- Sicherung von Renaturierungszellen; denn „saubere scher Energieträger, wie der Steinkohle, finanziert Inseln" beschleunigen die Wiederbesiedlung. Wir werden, natürlich auch ein effizientes Verkehrssy- fordern ferner für den Bereich der Nord- und Ostsee stem. die Schaffung einer ständigen Einrichtung „Umwelt- Energienutzung hat immer einen Preis. Entweder schutz und Seeverkehr", um eine schnelle Diagnose sorgen wir auf Kosten von Menschen durch Minimal- über die Auswirkungen von Öltankerunfällen zu löhne und bei hohen Unfallquoten für billiges Erdöl, gewährleisten. Darüber hinaus sind bessere Sicher- Erdgas und Welthandelskohle — parallel dazu wird in heitsstandards für den Bau und die Ausrüstung der der Regel die Umwelt ruiniert —, oder wir wählen den Öltanker unabdingbar, Stichwort: Doppelhüllenbau- sanfteren Weg: Wir minimieren die Ölimporte durch weise. Der Wettbewerb darf sich nicht länger am zielgerichtete Importabgabe und Umsteuerung auf geringsten Sicherheitsstandard orientieren. Die Über- heimische Energie träger. Dann gibt es mehr Arbeits- gangsregelungen für Alttanker müssen auf maximal plätze bei uns und weniger gefährliche und men- 15 Jahre verkürzt werden. schenunwürdige Arbeitsplätze in den erdölexportie- renden Drittweltländern, außerdem ein niedrigeres Zu unseren übrigen verkehrstechnischen Forderun- Gefahrenpotential auf den Weltmeeren. gen, meine Damen und Herren, wird mein Kollege Börnsen noch Stellung nehmen. Unsere Welt braucht einen entscheidenden Hoff- nungsimpuls. Wir müssen vom Vorteildenken weg- Die Vorstellungen der SPD decken sich in vielen kommen und Gemeinwohldenken praktizieren. Dar- Punkten mit den unseren. Sie sind jedoch teilweise auf kommt es an, und diesen Weg müssen wir nicht realisierbar. Dies betrifft insbesondere die gehen. Punkte 2.2, 2.3 und 2.4 Ihres Antrages. Hier fordert die Danke. SPD beispielsweise die Einbeziehung der Flaggen- staaten in die Schadensersatz- und Haftungsfonds, die (Beifall bei der PDS/Linke Liste) Hinterlegung von 20 000 DM pro Tonne verlorener Ladung nach einem Unfall sowie die Verkürzung der Vizepräsidentin Renate Schmidt: Als nächste Laufzeit nicht nachrüstbarer Tanker auf höchstens spricht die Kollegin Birgit Homburger. fünf Jahre. Birgit Homburger (F.D.P.): Frau Präsidentin! Meine Meine Damen und Herren der Opposition, Maxi- Damen und Herren! Die Häufung von Tankerunfällen malforderungen, wie Sie sie aufstellen, scheinen in den letzten sieben Wochen zeigt uns deutlich, daß angesichts der ökologischen und ökonomischen Kata- die bisher beschlossenen Maßnahmen, die gerade strophen nach Tankerunfällen wünschenswert. Sol- auch von der Bundesregierung ergriffen wurden, zur che Maximalforderungen bergen allerdings die Prävention noch nicht ausreichen. Es ist eine Reihe Gefahr, die Durchsetzung notwendiger Maßnahmen weiterer Maßnahmen nötig, um Tankerunfälle wir- zur Sicherheit der Seeschiffahrt inte rnational zu ver- kungsvoll zu verhindern. Das haben wir von den zögern. Internationale Akzeptanz ist allerdings eine Koalitionsfraktionen aus unserer Sicht in dem entspre- unabdingbare Voraussetzung für einen sicheren chenden Antrag dargelegt. Rohöltransport auf See. Das Vorsorgeprinzip muß dabei absolute Priorität Bis Juni müssen konkrete Vorschläge der EG zur haben. Das gilt bei allen internationalen Bemühun- besseren Sicherheit der Seeschiffahrt auf den Tisch. gen, aber das gilt natürlich ganz besonders für die Ein gemeinsames Vorgehen der Bundestagsfraktio- Nord- und Ostseeküste. nen tut jetzt not. Das heißt, wir müssen alle an einem Besonders wichtig ist dabei die Weiterentwicklung Strang ziehen. und Koordinierung von Know-how. Dazu soll die (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Datensammlung, Beratung und Forschung bei Wis- senschaft, Industrie und Verwaltung koordiniert wer- den. Es geht dabei nicht etwa um die Schaffung einer Vizepräsidentin Renate Schmidt: Nun spricht die weiteren Behörde, sondern um die vernünftigte Koor- Kollegin Ingeborg Philipp. dinierung der Arbeit. Durch eine solche Bündelung Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 140. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Februar 1993 12119

Birgit Homburger des Wissens kann dann im Falle eines Unfalls eine Meine Damen und Herren, wir werden noch eine schnelle und realistische Diagnose über die Auswir- ganze Reihe von Gelegenheiten haben, uns mit die- kungen gemacht werden. Die schiffahrtstechnischen sem Thema auseinanderzusetzen, insbesondere in Aspekte müssen dabei stärker mit ökologischen den Ausschüssen. Meine Fraktion wird für Überwei- Aspekten in Einklang gebracht werden. sung in den Verkehrsausschuß plädieren. Da bei uns zwischen den Umwelt- und den Verkehrspolitikern Wir haben diesem Umstand in unserem Antrag keinerlei inhaltliche Differenzen bestehen, redet bei dadurch Rechnung getragen, daß wir das Hoheitsge- uns die Umweltpolitik. biet in Koordination mit anderen Nord- und Ostseean- rainerstaaten auf 12 Seemeilen erweitern wollen. Danke. Dadurch werden Überwachungskompetenzen der (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) einzelnen Staaten ausgeweitet. Darüber hinaus fordern wir von der Bundesregie- Vizepräsidentin Renate Schmidt: Nun spricht der rung eine Übersicht über die sachlichen und personel- Kollege Wolfgang Börnsen zu uns. len Mittel, die für die Vorsorge und Bekämpfung von Ölunfällen zur Verfügung stehen. Wolfgang Börnsen (Bönstrup) (CDU/CSU): Frau In diesem Zusammenhang erwarten wir eine Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Es Bewertung des Mitteleinsatzes hinsichtlich der zeitli- ist gut, daß sich nicht nur die Regierung dieser chen Dimension, aber auch der Wirksamkeit, auch Thematik annimmt, sondern auch das Parlament. Ich unter Berücksichtigung der besonderen Wetterlagen, bedanke mich für die sehr sachliche Einführung durch urn festzustellen, ob weitere Maßnahmen in diesem meinen Kollegen. Dadurch ist deutlich geworden, wie Bereich erforderlich sind. wichtig uns dieses Thema ist und wie sehr es uns auf den Nägeln brennt. Über die international nötigen Maßnahmen besteht Öltanker sind schwimmendes Dynamit auf unseren in einigen Punkten Einigkeit auch mit der SPD, so z. B. Meeren. Öltanker führen, wenn sie havarieren, zu bei der Festlegung küstenferner Routen und bei dem einer Ölkatastrophe. Fauna und Flora werden zerstört. ausgesprochen wichtigen Punkt einer einheitlichen Wir Menschen werden dabei um einen Teil der Arbeitssprache auf den Schiffen. Zu den anderen Schöpfung betrogen. Punkten, in denen zwischen unseren Anträgen Diffe- renzen bestehen, hat die Kollegin von der CDU gerade Als 1967 mit der „Torrey Canon" das erste große Stellung genommen. Öltankerunglück passierte, begann man in jedem Land, am Sicherheitsstandard zu arbeiten und ihn zu Es wird geschätzt, daß ca. 80 % der Unfälle auf verbessern. 25 Jahre später läßt sich feststellen: Es hat menschliches Versagen zurückzuführen sind; der weitere 27 große Öltankerunfälle gegeben. Die Kollege Schütz hat das vorhin bereits ausgeführt. Abstände sind immer kürzer geworden. Die bisherige Deshalb sind für uns vor allen Dingen Verbesserun- Strategie der Risikominderung hat versagt. Das bishe- gen im Schiffsmanagment und bei der Ausbildung der rige Sicherheitsinstrumentarium reicht offensichtlich Besatzung dringend erforderlich. nicht aus, weil nationale Alleingänge nur punktuelle Erfolge erzielen. Die Seeschiffahrt ist international. Die Sicherheit der Tanker kann durch verschiedene Nur ein weltweit abgestimmtes Öltankersicherheits- Maßnahmen erhöht werden. Von fünf europäischen programm mit verbindlich einzuhaltenden Auflagen Werften wurde z. B. der sogenannte E-3-Tanker ent- für die Reeder und mit empfindlichen Strafen hat wickelt, der nach Ansicht der Germanischen Lloyd Aussicht, die Serie der Schreckensmeldungen zu derzeit ein Optimum an Sicherheit bieten würde. beenden. Dabei ist die Pufferzone zwischen Schiffs- und Tank- wand doppelt so groß, wie z. B. von der IMO gefordert. So greift auch das, wie ich finde, sehr vorbildliche Zusätzlich wird der Tanker in weitere Einzeltanks Oil Pollution Act der USA zu kurz; denn schon unterteilt. Weitere Verbesserungen dieser neuen Tan- beginnen Schiffahrtsunternehmen, amerikanische kerkonstruktion zeigen, daß auch die Ingenieure aus Häfen zu meiden. Das darf nicht der Weg sein. den letzten Katastrophen gelernt haben und dieses zur Der Trend zur Billigflagge hat in den vergangenen Erhöhung der Sicherheit umgesetzt haben. zwei Jahren rapide zugenommen. Die Einsparungen gehen auf Kosten der Sicherheit und führen dazu, daß Der Bau solcher hochentwickelten und sicheren unter Billigflagge jeder zweite Öltanker älter ist als Tanker muß weiter gefördert werden, indem nach 15 Jahre. Ältere Schiffe machen dabei 82 % aller einer angemessenen Umrüstungszeit, die wir auf Schiffsverluste aus. Nur eine eindeutige Altersbe- maximal 15 Jahre begrenzen wollen, nur noch Tan- grenzung und ein weltweites Kontrollsystem können ker, die dem IMO-Standard entsprechen, in den dazu beitragen, daß nicht noch der letzte rostige EG-Häfen und in den Häfen der Nord- und Ostseean- „Seelenverkäufer" zu einer Goldgrube wird. rainerstaaten entladen werden dürfen. Die Bundesre- gierung ist hier aufgefordert, auf eine internationale Auslaufen dürfen nur Tanker, die technisch intakt Vereinbarung hinzuwirken. sind, mit qualifizierter Crew, einem verläßlichen nau- tischen Rückgrat, einer gemeinsamen Bordsprache, Als Mittel zur Förderung der Sicherheit sieht die die eine Sicherheitsroute, die ihnen vorgegeben wor- F.D.P.-Fraktion auch die Maßnahme einer gemein- den ist, und auch die Lotsenpflicht einhalten. Reeder, schaftlichen Erhöhung der Hafengebühren für Tan- Ladungseigner und Charterfirmen müssen in Zukunft ker, die nicht von anerkannten Klassifizierungsgesell- mit wirtschaftlich knallharten Auflagen rechnen, schaften überprüft wurden. wenn sie sich nicht an diese Vorschriften halten. 12120 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 140. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Februar 1993

Wolfgang Börnsen (Bönstrup) Öltanker der alten Generation, die keine Sicherheit mando bis hin zu den großen Überwachungsorganisa- garantieren, gehören international geächtet. Gefahr- tionen, ein Gutteil dazu beitragen, daß wir hinsichtlich gut gehört nicht unter die Billigflagge. Europa muß der Verhinderung der Ölverschmutzung in Nord- und damit beginnen. Die EG ist einer der größten Ölkun- Ostsee vorbildlich sind. den der Welt. Sie kann die Kraft zu einem Sicherheits- Herzlichen D ank. diktat aufbringen. Das Fünf-Punkte-Programm der Bundesregierung ist, wie ich finde, ein guter Ansatz- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) punkt für eine neue Sicherheitsstrategie und auch zur Entwicklung des EG-Sicherheitstankers; dessen Ent- Vizepräsidentin Renate Schmidt: Weitere Wortmel- wicklung in Bremen und Kiel muß noch schneller und dungen liegen mir nicht mehr vor. Damit schließe ich entschlossener vorangebracht werden. die Aussprache. Nur: Technische Perfektion ist nicht alles. Unser Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen Kollege Schütz hat schon gesagt: Das menschliche auf den Drucksachen 12/4267 und 12/4307 an den Versagen spielt dabei eine ganz große Rolle. Zu 90 % Ausschuß für Verkehr zur federführenden Beratung ist es für Tankerunglücke ursächlich. Dort müssen wir und an den Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und ansetzen. Wir müssen dafür sorgen, daß es nicht mehr Reaktorsicherheit sowie an den Ausschuß für Wirt- zu diesem menschlichen Versagen kommt. schaft zur Mitberatung zu überweisen. Sind Sie damit einverstanden? — Dies scheint der Fall zu sein. Dann Vizepräsidentin Renate Schmidt: Kollege Börnsen, sind die Überweisungen so beschlossen. der Kollege Peter möchte gerne eine Zwischenfrage stellen. Ich rufe nun Punkt 2 der Tagesordnung auf: Wolfgang Börnsen (Bönstrup) (CDU/CSU): Gerne. Fragestunde — Drucksache 12/4295 — Horst Peter (Kassel) (SPD): Herr Kollege Börnsen, Wir kommen zuerst zum Geschäftsbereich des Bun- darf ich Sie so verstehen, daß Sie sich in bezug auf den desministers für Wirtschaft. Zur Beantwortung der ganzen Katalog von Maßnahmen, die Sie überprüft Fragen steht Herr Parlamentarischer Staatssekretär haben wollen, auch mit dem Gedanken tragen, das Dr. Reinhard Göhner zur Verfügung. zweite Schiffsregister, das uns ja vor das Problem des Ich rufe Frage 19 des Abgeordneten Christoph Ausflaggen gestellt hat, mit in diesen Katalog aufzu- Matschie auf: nehmen? In welcher Form soll die Sanierung der durch die Tätigkeit der (Beifall bei der SPD) WISMUT kontaminierten oder anderweitig in Mitleidenschaft gezogenen Gebäude, Wohnbereiche und Grundstücke erfolgen, Wolfgang Börnsen (Bönstrup) (CDU/CSU): Herr die nicht zum Eigentum der WISMUT GmbH gehören? Kollege, wir müssen in diesem Zusammenhang viel Herr Staatssekretär, Sie haben das Wort. intensiver über ein europäisches Schiffsregister bera- ten. Das zweite Schiffsregister bei uns hat teilweise zu Erfolgen geführt, indem es die Ausflaggung gehemmt Dr. Reinhard Göhner, Parl. Staatssekretär beim hat. Aber wir sehen heute, daß die nationalen Zweit- Bundesminister für Wirtschaft: Frau Präsidentin! Herr register — auch das von Norwegen und Dänemark — Kollege, die Untersuchungen zur Ermittlung des nur eine beschränkte Wirkung gehabt haben. Wir Sanierungsbedarfs von Liegenschaften, die auf müssen zu einem gemeinsamen europäischen Schiffs- Grund früherer Wismut-Tätigkeit kontaminiert sind, register kommen, damit die Reeder nicht in die heute aber eben nicht mehr im Eigentum der Wismut Billigflaggenländer gehen. Das ist das eigentliche stehen, sind noch nicht abgeschlossen. Insbesondere Problem. Darüber sind wir uns auch hoffentlich das Projekt des Bundesamtes für Strahlenschutz „Ra- einig. diologische Erfassung, Untersuchung und Bewertung bergbaulicher Altlasten" ist auf einen Zeitraum bis Ich möchte gerne zum Schluß kommen. Wir von der 1996 angelegt. Union räumen der Prävention bei Tankerunfällen ersten Rang ein. Wir sind für besondere Schutzmaß- Nach Auffassung der Bundesregierung sind die nahmen im Bereich von Nord- und Ostsee. Wir halten jeweiligen Rechtsträger für etwaige Sanierungsmaß- Sofortmaßnahmen für notwendig, sind aber gegen nahmen verantwortlich, für die im übrigen in geneh- Aktionismus und Utopien. migungsrechtlicher Hinsicht grundsätzlich die glei- chen Anforderungen gelten wie für die im Eigentum Wir müssen uns auch von dem Glauben befreien, der Wismut GmbH befindlichen Flächen. Eine Haf- verehrte Kolleginnen und Kollegen, wenn wir Hava- tung des Verursachers oder des Rechtsfnachfolgers rien von Ölriesen verhindern, dann sei die Meeresver- könnte lediglich dann in Betracht kommen, wenn die schmutzung durch Öl auch gestoppt. Weit gefehlt! Rückübertragung nach den seinerzeit geltenden Eines muß man wissen: Nur 5 % der jährlichen Mee- Rechtsvorschriften nicht rechtmäßig erfolgte. Unbe- resverschmutzung werden durch die großen Unfälle schadet davon haftet die Wismut allerdings für Berg- von Öltankern verursacht. Viel schlimmer sind die schäden, die durch den Uranbergbau der sowjetisch heimlichen, die versteckten Einleiter. Wenn wir Ernst - deutschen Aktiengesellschaft Wismut außerhalb des machen wollen mit dem Abbau der Meeresver- Betriebsgeländes entstanden sind oder entstehen. schmutzung, dann müssen wir uns besonders um diese versteckten, heimlichen Einleiter kümmern. Da müssen wir ansetzen. Ich finde, daß unsere Institutio- Vizepräsidentin Renate Schmidt: Zusatzfrage, Herr nen, angefangen vom Glücksburger Flottenkom Kollege. Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 140. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Februar 1993 12121

Christoph Matschie (SPD): Herr Staatssekretär, es Sie auch aus der Sicht der betroffenen Länder versu- liegen ja auch schon erste Ergebnisse dieser Untersu- chen, den Bund in Anspruch zu nehmen. Dies ist chungsprogramme vor. Ich verweise jetzt nur auf die allerdings eine Frage, die man unabhängig von den Radonmessungen in Wohngebäuden. Dabei wurden öffentlich-rechtlichen Körperschaften als die gene- teilweise Werte festgestellt, die um den Faktor 1 000 relle Rechtsfrage sehen muß, wer sanierungspflichtig über den Grenzwerten liegen. Die Bürger sind dar- ist. über informiert worden. Es gibt aber keine Kenntnis Es ist nach unserer Rechtsauffassung grundsätzlich darüber, inwieweit hier Sanierungsmaßnahmen so, daß der jeweilige Eigentümer, soweit es sich nicht durchgeführt werden sollen und wer die Kosten für um Bergschäden handelt, nach der jetzigen gesetzli- diese Sanierung trägt. Können Sie darüber Auskunft chen Regelung sanierungspflichtig ist. Würde man geben? davon abweichen, dann müßte man möglicherweise eine generell abweichende Regelung treffen. Das Dr. Reinhard Göhner, Parl. Staatssekretär: Herr hätte finanzielle Folgen, die man natürlich genau zu Kollege, es ist grundsätzlich so, daß der Eigentümer bedenken hätte. Aber ich sage noch einmal: Die sanierungspflichtig ist. In einem Gutachten wird dar- dahinterstehende Rechtsfrage ist durchaus umstritten. über hinaus die Rechtsauffassung vertreten, daß es Die Bundesregierung befindet sich auch noch in auch andere Haftungsregelungen geben könnte. Die Gesprächen im Hinblick auf die Sanierungspflich- Bundesregierung ist jedoch der Auffassung, daß dies ten. grundsätzlich die Sache des jeweiligen Eigentümers ist. Soweit eigene Flächen der Wismut betroffen sind, Weitere Zusatz- wäre diese sanierungspflichtig. Vizepräsidentin Renate Schmidt: fragen liegen nicht mehr vor. Vizepräsidentin Renate Schmidt: Zweite Zusatz- Wir kommen zu Frage 20 der Abgeordneten Sieg- frage, Herr Kollege. run Klemmer: Wie hoch ist der Schaden, der der bundeseigenen WISMUT Christoph Matschie (SPD): Stimmen Sie mir zu, daß GmbH durch kriminelle Machenschaften von Scheinfirmen, die Sanierung des Wismut-Gebietes eine nationale teilweise von WISMUT-Mitarbeitern gegründet, im Zusammen- Aufgabe darstellt und daß es von daher fraglich ist, ob hang mit der Abnahme von Kohleasche aus Kraftwerken ent- standen ist, und gedenkt das zuständige Bundesministerium für beispielsweise den Hauseigentümern oder den Woh- Wirtschaft Strafanzeige zu erstatten bzw. bei der geschädigten nungseigentümern zugemutet werden kann, die WISMUT GmbH personelle Konsequenzen zu ziehen? Kosten für eine Sanierung von Kontaminationen, die durch die Tätigkeit der Wismut entstanden sind, selbst Dr. Reinhard Göhner, Parl. Staatssekretär: Frau zu übernehmen? Kollegin Klemmer, über die Höhe des Schadens, der der Wismut GmbH durch Veruntreuung über die Dr. Reinhard Göhner, Parl. Staatssekretär: Herr Einschaltung von Drittfirmen bei der Abnahme von Kollege, die Rechtsfragen, die hinter Ihrer Frage Asche aus Kraftwerken entstanden ist, kann die stehen, sind umstritten. Soweit es sich um Flächen Bundesregierung zum derzeitigen Stand des staatsan- handelt, die noch im Eigentum der Wismut stehen, ist waltschaftlichen Ermittlungsverfahrens noch keine es eindeutig, daß der Eigentümer sanierungspflichtig genauen Angaben machen. Nach Auskunft der ist. zuständigen Staatsanwaltschaft dürfte es sich jedoch (Christoph Matschie (SPD]: Es geht um die um mehrere Millionen DM h andeln. Wohngebäude, also um private Gebäude!) Auf Veranlassung des Bundeswirtschaftsministeri- Soweit dies außerhalb der vom Bund im Rahmen der ums hat die Geschäftsführung der Wismut GmbH im Sanierung geförderten Projekte geht, ist es grundsätz- Frühjahr des vergangenen Jahres Strafanzeige bei der lich Angelegenheit der jeweiligen Grundstückseigen- Staatsanwaltschaft Chemnitz erstattet. Das Ermitt- tümer, es sei denn, es handelt sich um Bergschä- lungsverfahren ist noch nicht abgeschlossen, hat aller- den. dings zwischenzeitlich dazu geführt, daß im Novem- ber und Dezember 1992 gegen zwei Personen, davon Vizepräsidentin Renate Schmidt: Zusatzfrage, Kol- ein Wismut-Mitarbeiter, Haftbefehle erlassen wurde. legin Klemmer. Die Geschäftsführung der Wismut GmbH hat entspre- chend dem Stand des Ermittlungsverfahrens die erfor- Siegrun Klemmer (SPD): Herr Staatssekretär, da Sie derlichen personellen Konsequenzen gezogen. gerade dargestellt haben, daß die jeweiligen Eigentü- mer für Sanierungsmaßnahmen zuständig sind, frage Zusatzfrage, Frau ich Sie: Meinen Sie nicht, daß die Eigentümer in den Vizepräsidentin Renate Schmidt: Kollegin. Fällen, in denen die Länder Sachsen und Thüringen oder aber Städte und Gemeinden Eigentümer dieser Liegenschaften sind, in bezug auf das, was wir an Siegrun Klemmer (SPD): Herr Staatssekretär, kön- — einem internationalen Standard angemessener — nen Sie Angaben darüber machen, wann und durch Sanierung erwarten können, zumindest für die näch- wen genau Ihr Ministerium von diesen Unregelmäßig- sten zehn Jahre finanziell völlig überfordert sind und keiten erfahren hat, oder haben Sie nur durch Einrede daß es sich von daher eigentlich von selbst versteht, von Konkurrenten davon erfahren, oder sind Ihre daß der Bund auch finanziell als Sanierungsträger Informationen auf eigene Ermittlungen zurückzufüh- eintreten muß? ren?

Dr. Reinhard Göhner, Parl. Staatssekretär: Frau Dr. Reinhard Göhner, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin, ich verstehe grundsätzlich Ihr Anliegen, daß Kollegin, ich nehme an, daß Sie auf einen aktuellen 12122 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 140. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Februar 1993

Parl. Staatssekretär Dr. Reinhard Göhner Presseartikel in dieser Angelegenheit Bezug nehmen. Wir kommen zur Frage 23 des Kollegen Bernd Ich kann Ihnen nur sagen, daß das Bundeswirtschafts- Reuter. ministerium Ende 1991 aus zum Teil anonymen Hin- Beabsichtigt die Bundesregierung, Sanitätseinheiten nach weisen Kenntnis von möglichen Unregelmäßigkeiten Somalia zu entsenden? beim Bezug der Kraftwerksasche durch die Wismut GmbH erhalten hat. Daraufhin haben wir das in Bernd Wilz, Parl. Staatssekretär beim Bundesmini- solchen Fällen einzig Mögliche getan, nämlich die ster der Verteidigung: Frau Präsidentin! Ich beant- Wismut GmbH gebeten, die Staatsanwaltschaft einzu- worte die Frage wie folgt: schalten; und das ist geschehen. Das Bundeskabinett hat am 17. Dezember 1992 beschlossen, die humanitäre Hilfe durch verstärkten Vizepräsidentin Renate Schmidt: Eine weitere Einsatz von Transportflugzeugen der deutschen Luft- Zusatzfrage, Frau Kollegin. waffe fortzusetzen und den Vereinten Nationen anzu- bieten, zur Unterstützung ihrer friedenserhaltenden Siegrun Klemmer (SPD): Herr Staatssekretär, mei- Maßnahmen in Somalia — UNOSOM — innerhalb nen Sie nicht, daß diese Unregelmäßigkeiten auch befriedeter Regionen ein verstärktes Nachschub- deshalb möglich sind, weil es das Ministerium bisher /Transportbataillon der Bundeswehr für humanitäre versäumt hat, in der personellen Spitze der Wismut Aufgaben einzusetzen. GmbH eine stärkere strukturelle Veränderung vorzu- Die deutschen Soldaten sollen nur zu ihrer Selbst- nehmen, die es bestimmten Mitarbeitern dort, die verteidigung bewaffnet sein und im Rahmen von über ein großes Insiderwissen und alte Kontakte UNOSOM II in einem sicheren Umfeld - „secure verfügen, nicht länger ermöglicht und erleichtert, environment" — eingesetzt werden. solche Unregelmäßigkeiten vorzunehmen? Das Angebot wurde den Vereinten Nationen über- mittelt. Eine Rückäußerung dazu steht noch aus, Dr. Reinhard Göhner, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin, es geht hier um kriminelle Machenschaften, ebenfalls das erforderliche M andat. Erst aus dem und auf Grund der Hinweise aus dem Bundeswirt- Mandat wird sich die Zusammensetzung des vorge- schaftsministerium an die Geschäftsführung der Wis- schlagenen deutschen Unterstützungsverbands erge- mut ist die Staatsanwaltschaft eingeschaltet worden. ben. Auch die personellen Konsequenzen sind unverzüg- Unabhängig von Art und Stärke des Kontingents lich eingeleitet worden. Ich sehe hier auch bei der wird die sanitätsdienstliche Versorgung der einge- Wismut GmbH keine Versäumnisse, erst recht nicht setzten Soldaten durch Sanitätspersonal sichergestellt dort, wo die anonymen Hinweise eingegangen sind. werden. Ob dazu eine gesamte Sanitätseinheit erfor- derlich ist, kann derzeit noch nicht beurteilt wer- Vizepräsidentin Renate Schmidt: Eine weitere den. Zusatzfrage, Herr Kollege Matschie. Vizepräsidentin Renate Schmidt: Zusatzfrage, Herr Christoph Matschie (SPD): Herr Staatssekretär, sind Kollege. Sie bereit, zuzugeben, daß eventuell schon zu einem früheren Zeitpunkt personelle Konsequenzen hätten Bernd Reuter (SPD): Herr Staatssekretär, Soldaten gezogen werden müssen und daß die Bundesregie- haben die Frage an mich herangetragen, wie es mit rung hier in der Verantwortung gestanden hat? dem Versicherungsschutz aussieht. Viele Soldaten haben Lebensversicherungen abgeschlossen und mir Dr. Reinhard Göhner, Parl. Staatssekretär: Herr dargelegt, daß die Versicherer Kriegsfälle ausdrück- Kollege, das ist ein arbeitsrechtliches Problem. Allein lich ausschließen. Was gedenken Sie zu tun, um denen auf Grund eines Verdachts sind arbeitsrechtliche zu helfen, die einen solchen Auslandseinsatz machen Maßnahmen, z. B. eine Kündigung, noch nicht mög- müssen? lich, wohl aber eine Beurlaubung. Erhärten sich diese Verdachtsmomente, sind weitergehende Schritte Bernd Wilz, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich möglich. Diese sind in dem vorliegenden Fall auch habe eben vorgetragen, daß bisher überhaupt noch erfolgt. Ich meine daher, daß jedenfalls nach den uns nicht entschieden ist, ob und wann und in welchem vorliegenden Erkenntnissen konsequent vorgegan- Umfang Sanitätspersonal nach Somalia geht. Sollte gen wurde, um diese Machenschaften zu beenden. Sanitätspersonal dorthin gehen, würde auch die ver- sorgungsrechtliche Frage eindeutig geklärt sein. Im Vizepräsidentin Renate Schmidt: Weitere Zusatz- Grundsatz gilt das, was wir für Kambodscha verein- fragen liegen nicht vor. bart haben, u. a. daß die Frage der Lebensversiche- Die Fragen 21 und 22 des Kollegen Simon Wittmann rung eindeutig geklärt ist und für die Frage der (Tännesberg) werden schriftlich beantwortet. Die Unfallversicherung, weil diese mit dem Unfallversi- Antworten werden als Anlagen abgedruckt. cherer noch nicht klar geregelt ist, eine Garantieer- Damit sind wir am Ende dieses Geschäftsbereichs klärung der Bundesregierung vorliegt. Insofern wären angekommen. Herzlichen Dank, Herr Staatssekre- die Soldaten eindeutig gesichert. tär. Darüber hinaus werden wir demnächst einen Wir kommen jetzt zum Geschäftsbereich des Bun- Gesetzentwurf im Deutschen Bundestag eingebracht desministeriums der Verteidigung. Zur Beantwortung haben. Es wird der Entwurf eines Auslandsverwen- steht Herr Parlamentarischer Staatssekretär Bernd dungsvorsorgegesetzes — AVVG — sein, Wilz zur Verfügung. (Dr. Peter Struck [SPD]: Klasse!) Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 140. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Februar 1993 12123

Parl. Staatssekretär Bernd Wilz mit dem auch alle sonstigen Kriterien — ebenfalls für Im übrigen gibt es natürlich auch unmittelbare das zivile Personal — eindeutig geklärt werden. Kontakte zwischen Vertretern der UNO und der Bundesregierung. Aus alledem heraus ist die Bundes- Vizepräsidentin Renate Schmidt: Eine zweite regierung zu diesem Angebot gekommen. Zusatzfrage, Herr Kollege. Vizepräsidentin Renate Schmidt: Weitere Zusatz- Bernd Reuter (SPD): Wenn, wie Sie schildern, bisher fragen zu dieser Frage liegen nicht vor. noch nichts geklärt ist, möchte ich Ihnen die Frage Wir kommen zu Frage 24 des Kollegen Reuter: stellen, warum bereits jetzt Sanitätsfahrzeuge in Hil- Sollen hierbei auch Wehrpflichtige beteiligt werden? desheim mit Tarnanstrichen versehen werden? Bernd Wilz, Parl. Staatssekretär: Ich beantworte die Bernd Wilz, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, Frage wie folgt: Berufssoldaten und Soldaten auf Zeit natürlich ist geklärt, was wir angeboten haben und würden grundsätzlich an der genannten Aufgaben- was wir zu tun bereit wären. Aber da noch kein stellung beteiligt. Grundwehrdienstleistende und Mandat erteilt ist und die UNO noch keine entspre- Reservisten würden nach dem Prinzip der Freiwillig- chende Beschlußlage herbeigeführt hat, stellt sich keit ausgewählt. diese Frage im Moment konkret nicht. (SPD): Ist ein solcher Einsatz mit dem Wenn Fahrzeuge bereits mit Tarnfarben versehen Bernd Reuter Gelöbnis und mit dem Eid, den die Soldaten geleistet sind, so müssen Sie dies vor folgendem Hintergrund haben, in Einklang zu bringen? Ich frage deshalb, weil sehen: Es gab im Dezember das Angebot der Bundes- mir die Soldaten erklärt haben, daß sie den Eid regierung an die UNO und in Verbindung damit die geleistet hätten, das Territorium der Bundesrepublik Überlegung, ein Vorauskommando nach Somalia zu zu verteidigen, aber nicht den, irgendwo in der Welt schicken, das dort Erkundungen vornehmen sollte. Im Zusammenhang damit hat das deutsche Heer, sozusa- eingesetzt zu werden. gen vorausplanend, einige Fahrzeuge mit Tarnfarbe Bernd Wilz, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, versehen. Dies hat aber überhaupt keine Bedeutung zunächst muß man mal unterscheiden, über wen wir für die Frage, ob oder wann solche Fahrzeuge nach hier miteinander sprechen. Berufssoldaten und Zeit- Somalia gehen würden. soldaten leisten einen Eid, während Wehrpflichtige (Konrad Weiß [Berlin] [BÜNDNIS 90/ das öffentliche Gelöbnis ablegen. In dem einen Fall DIE GRÜNEN]: Wer bezahlt das?) heißt es: „Ich schwöre. " In dem anderen Falle heißt es: „Ich gelobe, der Bundesrepublik Deutschland treu zu Vizepräsidentin Renate Schmidt: War das eine dienen, das Recht und die Freiheit des deutschen Zusatzfrage, Herr Kollege Weiß? — Jetzt noch eine Volkes tapfer zu verteidigen." Wenn man dies als Zusatzfrage des Kollegen Matschie. Wehrpflichtiger so gelobt, dann heißt das: Ich gelobe, der Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch die Christoph Matschie (SPD): Herr Staatssekretär, Bundesregierung, zu dienen — die Politik wird durch geschahen diese Aktivitäten — so würde ich es mal die Bundesregierung festgelegt — und im übrigen den nennen — auf Anfrage von seiten der UNO, oder Rechtsstatus der Deutschen wahrzunehmen. Insofern wurde hier von der Bundesregierung selbst ein Ange- deckt sich das absolut, entweder auf der freiwilligen bot an die UNO unterbreitet, solche Einsätze eventuell Basis für Wehrpflichtige und Reservisten oder auf der vorzunehmen? Grundlage des normalen dienstlichen Auftrags für Berufs- und Zeitsoldaten. Bernd Wilz, Parl. Staatssekretär: Die erste Feststel- lung dazu ist, daß es einen dauerhaften Kontakt der Vizepräsidentin Renate Schmidt: Eine Zusatzfrage, Bundesregierung zur UNO gibt. Zweitens haben wir Kollege Reuter. selber Offiziere in New York, nämlich zwei. Drittens hatte sich die UNO zum Somalia-Einsatz eindeutig Bernd Reuter (SPD): Gab es am 23. Dezember einen festgelegt. Im Rahmen dessen hat dann die Bundesre- Erlaß oder einen Brief an die Soldaten, in welchem der gierung vorausschauend auf der Grundlage des von Auftrag, den sie zu erfüllen haben, neu definiert mir eben Erwähnten ein Angebot unterbreitet. wurde, und sind Sie nicht mit mir der Meinung, daß es doch von Bedeutung ist, daß ein Soldat, sei er nun Vizepräsidentin Renate Schmidt: Eine weitere Wehrpflichtiger oder Zeitsoldat, der ein Gelöbnis oder Zusatzfrage des Kollegen Kubatschka. einen Eid leistet, zunächst davon ausgehen konnte, daß er auf der Grundlage des Grundgesetzes zur Horst Kubatschka (SPD): Herr Staatssekretär, Sie Verteidigung unseres Landes eingesetzt wird, und ist waren sehr wortreich, haben die Frage aber eigentlich das, was jetzt von seiten der Bundesregierung geplant nicht beantwortet. Gab es eine Aufforderung der UNO und beabsichtigt ist, nicht eine Abweichung von an die Bundesrepublik, Einheiten zu stellen? diesem von dem Soldaten zu leistenden Auftrag?

Bernd Wilz, Parl. Staatssekretär: Es gab dies nicht in Bernd Wilz, Parl. Staatssekretär: Zunächst habe ich dem Sinne, daß eine formale Aufforderung erging, festzustellen, Herr Kollege, daß alles, was wir tun, in etwa: „Ihr Deutschen müßt etwas stellen. " Aber es gab Einklang mit dem Grundgesetz steht. eine eindeutige Festlegung, was die UNO insgesamt Zweite Aussage: Das Bundeskabinett hat im erwartet, in welchen Schritten sie vorgehen würde Februar letzten Jahres eine eindeutige Beschlußlage und wollte. Das ist eine Aufforderung an alle UNO- darüber herbeigeführt, was wir tun oder nicht tun. Partner. Dies versteht sich von selbst. Darüber hinaus hat das Bundesministerium der Ver- 12124 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 140. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Februar 1993

Parl. Staatssekretär Be rnd Witz teidigung im Herbst letzten Jahres verteidigungspoli- verstanden sind, würde ich die beiden Fragen des tische Richtlinien erarbeitet und herausgegeben. Dar- Abgeordneten Karl Stockhausen gern im Zusammen- aus geht eindeutig hervor, was wir zu leisten haben, hang beantworten. nämlich Landesverteidigung, erweiterte Landesver- teidigung — das ist das, was wir Bündnisverteidigung Vizepräsidentin Renate Schmidt: Wenn der Herr nennen —, humanitäre Hilfe. Dies ist zunächst einmal Kollege damit einverstanden ist — er ist es —, dann eindeutig und klar. Alles andere kennen Sie aus der gerne. Also rufe ich auch die Frage 33 des Abgeord- Diskussion, in die wir, d. h. die Koalitionsparteien und neten Stockhausen auf: die Sozialdemokraten, miteinander ge treten sind. Treffen die in den Medien geäußerten Befürchtungen zu, daß hierdurch mit einer Gefährdung der Bundesbürger gerechnet Vizepräsidentin Renate Schmidt: Eine Zusatzfrage werden muß? des Kollegen Helmut Schäfer. Dr. Sabine Bergmann-Pohl, Parl. Staatssekretärin: Helmut Schäfer (Mainz) (F.D.P.): Herr Kollege Wilz, Die Bundesregierung kann keine einseitigen Maß- sind Sie, nachdem Sie und ich die Gelegenheit hatten, nahmen ergreifen, um die Einfuhr von Kalbfleisch aus diensttuende Bundeswehrsoldaten in Kambodscha, den Niederlanden, das von britischen Kälbern Somalia, aber auch im ehemaligen Jugoslawien bei stammt, zu unterbinden, da die Einfuhr von lebenden der Durchführung humanitärer Hilfsmaßnahmen zu Kälbern aus Großbritannien, deren Mast und Schlach- sprechen, mit mir nicht vielleicht auch der Meinung, tung in den Niederlanden im Einklang mit dem daß festzustellen ist, daß sich diese Soldaten vielleicht einschlägigen Gemeinschaftsrecht stehen. Die ge- mehr, als ich es hier je von Soldaten in Deutschland meinschaftsrechtlichen Vorschriften lassen die Ein- gehört habe, außerordentlich hoch motiviert fühlen fuhr von Kälbern aus Großbritannien in alle Mitglied- angesichts dieser humanitären Leistungen, deren staaten, also auch in die Bundesrepublik Deutschl and, Ergebnis sie jeden Tag selbst beobachten können? zu. Nach einer Stellungnahme des wissenschaftlichen Bernd Wilz, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Schä- Veterinärausschusses der Europäischen Gemein- fer, ich bin Ihnen sehr dankbar für diese Frage. Ich schaft, der die Grundlage für die politische Entschei- möchte sie eindeutig mit Ja beantworten und hinzu- dung des Agrarrates war, ist eine Erkrankung von fügen, daß das, was die Soldaten in Phnom Penh Kälbern bis zu einem Alter von sechs Monaten an BSE leisten, ein Vorbild für die Deutschen in aller Welt ist, nicht zu erwarten. Eine Übertragung von BSE über das daß dort die zivile Bevölkerung begeistert ist von dem Fleisch dieser Kälber ist somit auszuschließen. Aus durch die Deutschen eingerichteten Hospital; denn diesem Grunde treffen die in der Fernsehsendung wir helfen auch der Zivilbevölkerung. Es ist auch WISO geäußerten Befürchtungen nicht zu. großartig, was unsere Besatzungen nach Sarajewo oder nach Somalia an Hilfsgütern geliefert haben. Ich Vizepräsidentin Renate Schmidt: Eine Zusatzfrage, glaube, dies hat unsere Soldaten exzellent motiviert. Herr Kollege Stockhausen. Wir befinden uns, Herr Kollege Schäfer, auf einem hervorragenden Niveau. Karl Stockhausen (CDU/CSU): Frau Staatssekretä- rin, würden Sie mir zustimmen, daß gerade in unserer Vizepräsidentin Renate Schmidt: Weitere Zusatz- Bevölkerung ein großes Mißtrauen gegenüber dem fragen liegen nicht vor. besteht, was allgemein von offizieller Seite erklärt Wir kommen dann zu den weiteren Fragen 25 und wird, und daß die Tatsache, daß man hier von Holland 26 der Kollegin Dr. Elke Leonhard-Schmid. Sie wer- aus mit Fleisch versorgt wird, zu einem vergrößerten den schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Mißtrauen unserer Bürger gegenüber der EG und Anlagen abgedruckt. Das gilt ebenso für die Frage 27 auch gegenüber dem Europa von Maastricht führt? des Abgeordneten Norbert Gansel, für die Fragen 28 und 29 der Kollegin Ing rid Köppe sowie für die Dr. Sabine Bergmann-Pohl, Parl. Staatssekretärin: Fragen 30 und 31 des Kollegen Gernot Erler. Die Öffentliche Darstellungen könnten dazu führen, daß Antworten werden als Anlagen abgedruckt. in der Tat die Bevölkerung verunsichert wird. Ich kann Damit sind wir am Ende dieses Geschäftsbereichs hier aber versichern, daß der BSE-Erreger bisher nicht angekommen. Herzlichen Dank, Herr Staatssekre- auf Kälber übertragen wurde und somit auch eine tär. Erkrankung der Kälber bis zum sechsten Monat aus- Wir kommen zum nächsten Geschäftsbereich, dem zuschließen ist. Außerdem haben die EG-Richtlinien des Bundesministeriums für Gesundheit. Zur Beant- bestimmt, daß Rindfleisch oder Kälber nur aus BSE- wortung steht Frau Parlamentarische Staatssekretärin freien Beständen exportiert werden dürfen. Dr. Sabine Bergmann-Pohl zur Verfügung. Zweite Zusatz- Wir kommen zur Frage 32 des Kollegen Karl Stock- Vizepräsidentin Renate Schmidt: frage, Herr Kollege. hausen: Was will die Bundesregierung unternehmen, damit Impo rte (CDU/CSU): Würden Sie mir von geschlachtetem Rindvieh aus den Niederlanden, die aus Karl Stockhausen importierten Kälbern aus England stammen, wegen der do rt zustimmen, daß bei unserer Bevölkerung ein großes - herrschenden Rinderseuche BSE unterbunden werden? Mißtrauen herrscht in bezug auf die Kontrollierbarkeit in einigen anderen EG-Mitgliedstaaten und daß es Dr. Sabine Bergmann-Pohl, Parl. Staatssekretärin von daher von den Bürgern nicht so abgenommen beim Bundesminister für Gesundheit: Herr Kollege wird, wie es offiziell von der Regierung oder der EG Stockhausen, Frau Präsidentin, wenn Sie damit ein festgestellt wird? Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 140. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Februar 1993 12125

Dr. Sabine Bergmann-Pohl, Parl. Staatssekretärin: in den DIN-Normen für Warmsprudelbecken und für Herr Kollege Stockhausen, es gibt ganz klare Vor- raumlufttechnische Anlagen sowie für die Wasserver- schriften zur Kontrolle von Lebensmitteln. Diesen Kon- sorgung durch den Deutschen Verein des Gas- und trollen unterliegen auch die anderen EG-Staaten. Wasserfaches e. V. Einen weiteren Handlungsbedarf sieht die Bundesregierung derzeit nicht. Vizepräsidentin Renate Schmidt: Eine dritte Zusatz- frage, Herr Kollege. Vizepräsident Hans Klein: Herr Kollege Ku- batschka, bitte. Karl Stockhausen (CDU/CSU): Erlauben Sie viel- leicht eine Frage zu den gesundheitlichen Risiken. Ich Horst Kubatschka (SPD): Frau Staatssekretärin, weiß nicht, ob es nun selbsternannte oder tatsächliche über den Kausalzuammenhang zwischen geringeren Experten sind, die diese Aussage gemacht haben, die Temperaturen und der Krankheit haben Sie aber Sie gegeben haben und die von der EG festgestellt nichts ausgesagt. Das war ja meine Frage. worden ist, daß also Kälber bis zu sechs Monaten Dr. Sabine Bergmann-Pohl, Parl. Staatssekretärin: keine Gefahr bedeuten; aber es ist so, daß diese Die niedrigeren Temperaturen können zur Vermeh- Aussage von diesem Personenkreis bestritten und rung der Legionella pneumophila führen. Darum wird gesagt wird, daß die Krankheit eine Langzeitwirkung empfohlen, diskontinuierlich das Wasser auf minde- habe und es heute keine gesicherten Erkenntnisse stens 70 °C zu erhitzen und damit auch die Leitungen gebe, daß dies nicht der Fall sei. zu spülen, damit diese Keime abgetötet werden.

Dr. Sabine Bergmann-Pohl, Parl. Staatssekretärin: Vizepräsident Hans Klein: Sie sind sich darüber im Herr Kollege, dieser Erreger ist bisher nur im Gehirn klaren, daß wir alle im Gegensatz zur Frau Parlamen- von erkrankten Rindern festgestellt worden, d. h., der tarischen Staatssekretärin kein Medizinstudium hin- Erreger ist nie im Muskelfleisch isoliert worden. Der ter uns haben. Erreger selbst ist ja auch nicht bekannt. Die Erkran- Bitte die nächste Frage, Herr Kollege. kung ist also nie in das Muskelfleisch übergegangen, so daß vom Veterinärausschuß ganz klar gesundheit- Horst Kubatschka (SPD): Das ist aber auch für einen liche Bedenken ausgeschlossen werden können. Nichtmediziner interessant. Frau Staatssekretärin, ist die Tendenz dieser Krank- Vizepräsidentin Renate Schmidt: Weitere Zusatz- heit steigend oder fallend? Wie viele Menschen wer- fragen liegen nicht vor. Dann rufe ich die Frage 34 des den im Jahr in der Bundesrepublik von dieser Krank- Kollegen Kubatschka auf: heit befallen? Hält die Bundesregierung einen Kausalzusammenhang zwi- schen geringeren Temperaturen in Warmwasseranlagen und Dr. Sabine Bergmann-Pohl, Parl. Staatssekretärin: dem vermehrten Auftreten der „Legionella pneumophila"- Man nimmt an, daß es ca. 3 000 bis 5 000 Erkrankun- Bakterien, die die „Legionärskrankheit" verursachen, für mög lich, und falls ja, welchen Handlungsbedarf sieht sie? gen gibt. Die genaue Zahl kann nicht ermittelt wer- den, weil diese Pneumonien recht gut auf Tetracycline Dr. Sabine Bergmann-Pohl, Parl. Staatssekretärin: ansprechen. In der Regel beginnt die Behandlung Herr Kollege Kubatschka, Legionellen sind typische früher, d. h. ehe der Keim isoliert und angezüchtet Feucht- und Wasserkeime und finden sich natürli- wird. cherweise in allen Oberflächengewässern außer im Wünscht sonst jemand Salz- und Seewasser. Ihre optimale Vermehrungstem- Vizepräsident Hans Klein: eine Zusatzfrage? — Nein. Dann, Frau Doktor, danken peratur liegt etwa zwischen 35 °C und 42 °C, jedoch wir Ihnen. können auch 50 °C sehr lange Zeit toleriert werden. (Heiterkeit im ganzen Hause) Die Infektion erfolgt üblicherweise durch die Inha- lation kontaminierter Aerosole und kann dann zu Damit ist der Geschäftsbereich des Bundesministers schweren Lungenentzündungen führen. Als wichtig- für Gesundheit abgearbeitet. ste Maßnahme zur Prävention kann nur auf die Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers sachgerechte Temperaturführung in den Warmwas- für Verkehr auf. Zur Beantwortung steht uns der sersystemen hingewiesen werden. Parlamentarische Staatssekretär Manfred Carstens (Vorsitz: Vizepräsident Hans Klein) zur Verfügung. Das Bundesgesundheitsamt hat bereits mehrfach Der Fragesteller der Frage 35 ist nicht im Saal. Stellung zu dem Problem bezogen und Empfehlungen Deshalb wird die Frage nach der Geschäftsordnung sowohl für Ärzte und Krankenhäuser als auch für die erledigt. Allgemeinheit ausgesprochen. Zur Weiterentwick- Herr Parlamentarischer Staatssekretär, die Fra- lung der Diagnostik und Überwachung der Infektio- gen 38 und 39 sollen schriftlich beantwortet werden. nen durch Legionellen ist außerdem beabsichtigt, am Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt. Bundesgesundheitsamt ein nationales Referenzzen- Ich rufe die Frage 40 auf, die unsere Kollegin trum für Legionellose einzurichten. Gabriele Iwersen gestellt hat: In die Trinkwasserverordnung wurde 1990 eine Verfolgt die Bundesregierung noch immer das Ziel, die - Regelung aufgenommen, wonach das Gesundheits- Bahnstrecke Sande-Esens zu regionalisieren, und wenn ja, weshalb vermindert sie die Attraktivität der Strecke durch amt bereits im Verdachtsfall Untersuchungen auf Herabstufung des Bahnhofes Jever zu einem eingleisigen Hal- diesen Keim anordnen kann. Auch im technischen tepunkt bei gleichzeitigem Abbau des zweiten Gleises, welches Bereich wurden entsprechende Empfehlungen zur für den Begegnungsverkehr unerläßlich ist? Minderung des Legionellenrisikos ausgesprochen, so Bitte, Herr Parlamentarischer Staatssekretär. 12126 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 140. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Februar 1993

Manfred Carstens, Parl. Staatssekretär beim Bun- ligten Stellen im Lande Niedersachsen und der Deut- desminister für Verkehr: Frau Kollegin Iwersen, kon- schen Bundesbahn zu Fortschritten zu kommen, die für krete Absichten eines Dritten, die Bahnstrecke Sande die Region eine bestmögliche Regelung bringen. - Esens zu übernehmen, sind weder dem Bundesmi- nister für Verkehr noch der Deutschen Bundesbahn Vizepräsident Hans Klein: Wünscht zur Frage 40 bekannt. Die Umwandlung des Bahnhofes Jever in noch jemand eine Zusatzfrage zu stellen? — Das ist einen Haltepunkt bedeutet keine Verschlechterung nicht der Fall. des Reisezugangebotes, da Begegnungen von Reise- Herr Parlamentarischer Staatssekretär, dann bitte zügen im Bahnhof Jever selbst bei einem Stundentakt ich um Ihre Antwort auf die Frage 41 der Abgeordne- nicht erforderlich sind. ten Gabriele Iwersen: Warum werden bei Streckenabschnitten der Deutschen Bun- Vizepräsident Hans Klein: Eine Zusatzfrage. desbahn, die zur Regionalisierung vorgesehen sind, entgegen einer Vereinbarung zwischen Bund und Ländern Gleisanlagen Gabriele Iwersen (SPD): Herr Staatssekretär, voraus- demontiert mit dem Ergebnis, daß auf der sonst eingleisigen gesetzt, das Konzept der Bundesbahn wird umgesetzt, Strecke Zugbegegnungen auch in Zukunft verhindert wer- den? wonach Strecken dieser Größenordnung eben doch zur Regionalisierung vorgesehen sind — nach meiner Manfred Carstens, Parl. Staatssekretär: Der Bun- Ansicht hat es auch bereits Gespräche zwischen dem desregierung sind keine Fälle bekannt, in denen die Land Niedersachsen und der Bundesbahn in dieser Deutsche Bundesbahn bei konkreten Übernahmeab- Hinsicht gegeben —, muß man damit rechnen, daß sichten Dritter solche Gleisanlagen demontiert, die für diese kleinen Strecken Teil eines ÖPNV-Netzes zur Zugbegegnungen im Rahmen des Betriebskonzeptes Versorgung der ländlichen Fläche sein werden. Man des übernehmenden Betreibers erforderlich wären. kann dann nicht mehr unbedingt am Stundentakt Zwischen Bund und Ländern gibt es keine Vereinba- festhalten, sondern muß auf das Gesamtnetz abstellen. rung, die den Rückbau entsprechender Gleisanlagen Dabei ist sehr wohl ein Begegnungsverkehr wün- behandelt. schenswert, wenn man zum Beispiel die Strecke mit kleineren Zugeinheiten oder mit Leichttriebwagen in Vizepräsident Hans Klein: Eine Zusatzfrage. einem kürzeren Zeittakt befährt. Halten Sie es für Gabriele Iwersen (SPD): Herr Staatssekretär, kön- wahrscheinlich, daß sich die Deutsche Bundesbahn von nen Sie mir Zahlen nennen, wie hoch der Gewinn für dieser Strecke gar nicht trennen wi ll? die Bundesbahn ausfällt, wenn sie z. B. 100 m Gleis Manfred Carstens, Parl. Staatssekretär: Es ist in der abbaut, natürlich Lohnkosten eingeschlossen? Es muß Tat so, daß es eine Rahmenvereinbarung zwischen der ja einen Grund haben, daß derartig gehandelt wird. Deutschen Bundesbahn und dem Lande Niedersach- Manfred Carstens, Parl. Staatssekretär: Das möchte sen gibt, nach der Überlegungen darüber angestellt, ich Ihnen auf Anhieb lieber nicht beantworten. Aber werden sollen, wie in Zukunft eine Regionalisierung damit könnten Sie auch nicht sehr viel anfangen. Ich aussehen könnte, über die wir ja jetzt allgemein in möchte lediglich Ihnen und auch den anderen Kolle- Deutschland verstärkt reden. Es ist natürlich unser ginnen und Kollegen zum Ausdruck b ringen, daß man Interesse, gemeinsam mit den Ländern zu überzeu- bereits seit 1985 keine planmäßige Begegnungen von genden Lösungen zu kommen. Deswegen werden Reisezügen auf dieser Strecke mehr hat. Vom Güter- dort im Moment Untersuchungen angestellt, die aber verkehr wurde mitgeteilt, der Tarifpunkt Jever müsse keine negativen Wirkungen haben sollen, sondern die aufgegeben werden; und das alles immer nur aus Voraussetzungen dafür bringen sollen, daß sich Bahn Wirtschaftlichkeitserwägungen. Alles, was man sei- und Land später einigen können. tens der Bundesbahn auf dieser Strecke unternommen hat, war nie gegen die Region gerichtet, sondern war Vizepräsident Hans Klein: Zweite Zusatzfrage. marktgerecht, dem Angebot angepaßt und einfach Gabriele Iwersen (SPD): Ich kann es sehr gut verste- notwendig, um nicht übertriebene Ausgaben zu hen, daß die Herabstufung zum Haltepunkt im machen. Dem Bedarf konnte m an dabei immer Augenblick zu vertreten ist. Aber stimmen Sie mit mir gerecht werden. darin überein, daß der tatsächliche Abbau eines Herr Parlamentarischer Gleises bereits eine Tatsache schafft, die auf Dauer Vizepräsident Hans Klein: Staatssekretär, eine ausweichende Antwort ist selbst- negative Auswirkungen haben wird? verständlich zulässig. Nur, die Feststellung, daß Sie Manfred Carstens, Parl. Staatssekretär: Über ein lieber nicht antworten, ist in diesem Hause eigentlich Gleis, das nicht mehr da ist, kann man in Zukunft nicht ungebräuchlich. Die Frau Kollegin hatte eine ziemlich fahren. Das ist eine Feststellung, die wir sicherlich konkrete Frage gestellt. Ich kann mir vorstellen, daß gemeinsam treffen können. die Antwort nicht sozusagen aus der Tasche zu ziehen ist. Aber vielleicht kann die Antwort auf die Frage Vizepräsident Hans Klein: Unwiderlegbar. wenigstens schriftlich nachgereicht werden. Zweite Zusatzfrage. Manfred Carstens, Parl. Staatssekretär: Unwider- legbar. Gabriele Iwersen (SPD): Eine letzte Frage, Herr Aber es wird Ihnen um diese Bestätigung- nicht gehen. Staatssekretär: Halten Sie es für möglich, daß der In der Tat ist es so, daß das, was bislang auf dieser augenblickliche Abbau des Gleises eine A rt Druck- Strecke geschehen ist und was noch geplant ist, ledig- mittel darstellt, damit die Landesregierung schneller lich Wirtschaftlichkeitsgründe hat. Insofern wäre es an zu Verhandlungen mit der Bundesbahn über die der Zeit, nun möglichst schnell auch zwischen den betei Zukunft dieser Strecke bereit ist? Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 140. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Februar 1993 12127

Manfred Carstens, Parl. Staatssekretär: Nein. ihren Radioaktivitätsgehalt untersucht. Die Ergeb- In Ergänzung der anderen soeben angesprochenen nisse werden den ausgemessenen Menschen schrift- Frage möchte ich noch sagen, Herr Präsident, daß man lich mitgeteilt. Das Forschungszentrum Jülich hat natürlich auch die Nachhaltigkeit einer Frage gewich- diese Meßergebnisse in einem der Öffentlichkeit ten muß; denn zu beantworten, was durch Stillegung zugänglichen Bericht zusammengestellt. einer Strecke von 100 m eingespart wird, kann man Das Bundesamt für Strahlenschutz hat in den Mona- nicht auf Anhieb zum Ausdruck bringen. Insoweit ten August und September 1992 mit Voruntersuchun- biete ich, auch unter Zuhilfenahme Ihres Angebotes, gen in der Süduralregion begonnen, um im Jahre 1993 Herr Präsident, eine schriftliche Beantwortung der Ganzkörpermessungen durchführen zu können. Die Frage an. Kosten dieses Projekts betragen mehr als 2 Millionen (Gabriele Iwersen [SPD]: 100 m war auch nur DM. eine Mengenangabe! Es können auch 500 m sein!) Vizepräsident Hans Klein: Eine Zusatzfrage, Frau Kollegin.

Vizepräsident Hans Klein: Vielleicht läßt sich eine Siegrun Klemmer (SPD): Herr Staatssekretär, mei- Bruchrechnung unter Annahme einer längeren nen Sie, daß das, was Ihrem Ministe rium an Erkennt- Strecke ausführen. nissen vorliegt, dem tatsächlichen Sachstand ent- (Heiterkeit im ganzen Hause) spricht? Wenn Sie meinen, daß die Gefährdungspo- Gibt es dazu weitere Zusatzfragen? — Das ist nicht tentiale größer sind als das, was Sie wissen, frage ich der Fall. Sie: Was werden Sie unternehmen, um zu Gesamter- kenntnissen zu kommen? Herr Parlamentarischer Staatssekretär, ich bedanke mich für die Beantwortung. Dr. Bertram Wieczorek, Parl. Staatssekretär: Frau Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers Kollegin Klemmer, wir müssen natürlich eindeutig für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit auf. zwischen den zwei kontaminierten Gebieten unter- Die Fragen wird der Parlamentarische Staatssekretär scheiden. Um Tschernobyl herum ist das Raster schon Dr. Bertram Wieczorek beantworten. relativ eng. Es liegt auch ein erster Untersuchungsbe- Herr Parlamentarischer Staatssekretär, die Fra- richt mit Ergebnissen der Meßaktion vor, und zwar in gen 42 und 43 sollen schriftlich beantwortet werden. dem Bereich der Hauptrichtung der Verbreitung der Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt. radioaktiven Wolke nach dem dortigen Unfall. Ich rufe die Frage 44 auf, die die Kollegin Siegrun Zum Südural gibt es eine erste Veröffentlichung der Klemmer gestellt hat: Gesellschaft für Reaktorsicherheit, die ich Ihnen gerne auch, wenn Sie sie noch nicht haben sollten, Ist die Bundesregierung bereit, wegen des großen öffentlichen Interesses und im Interesse einer möglichst raschen Hilfelei- übergeben möchte, und zwar zu dem Ereignis, auf das stung an die betroffenen Menschen, Erkenntnisse zu veröffent- Sie abstellen, nämlich dem nuklearen Unfall im lichen, die ihr nach Angaben der Presse zur radioaktiven südlichen Ural im Jahre 1957. Dieser Bericht macht Verseuchung weiter Teile Rußlands vorliegen, und hat die sehr detaillierte Aussagen zur Strahlenbelastung Bundesregierung erste Konsequenzen aus diesen Erkenntnissen gezogen, etwa in Form eines Hilfsangebots, das zunächst in Hilfe sowie zu durchgeführten Untersuchungsprogrammen zur wissenschaftlichen Erfassung des Schadensumfangs beste- und Langzeitbeobachtungen der damaligen Sowjet- hen könnte? regierung. Bitte, Herr Parlamentarischer Staatssekretär. Selbstverständlich wird die Bundesregierung be- müht sein, das Untersuchungsprogramm im Südural — wenn sich herausstellt, daß auf Grund der Transpa- Dr. Bertram Wieczorek, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reak- renz der Behörden dort weitere Erkenntnisse objekti- torsicherheit: Frau Kollegin Klemmer, die Bundesre- viert werden können — aufzustocken. gierung hat Erkenntnisse aus Presseberichten und Bitte, Frau Kollegin. Berichten der Internationalen Atomenergieorganisa- Vizepräsident Hans Klein: lion über radioaktive Kontaminationen in Rußland, Siegrun Klemmer (SPD): Herr Staatssekretär, mei- die durch den Reaktorunfall in Tschernobyl und durch nen Sie, daß das, was Sie soeben an Zahlen in bezug die Tätigkeit der Produktionsvereinigung Majak im auf die finanzielle Unterstützung vorgetragen haben, Südural verursacht wurden. Insbesondere im letztge- und das, was Rußland alleine an finanziellen Mitteln nannten Kontaminationsgebiet ist von einer erhebli- aufzubringen in der Lage ist, ausreicht, oder sehen Sie chen Belastung der dort lebenden Menschen und der die Notwendigkeit, daß die Bundesregierung eventu- Umwelt auszugehen. Die zugänglichen Erkenntnisse ell über die EG-Schiene und die dort aufgelegten sind bereits veröffentlicht. Programme versucht, zusätzliche finanzielle Mittel Auf Ersuchen der russischen Regierung führt der zur Beseitigung dieser Schäden aufzubringen? Bundesminister für Umwelt seit dem Jahre 1991 im Rahmen humanitärer Hilfeleistungen Radioaktivi- Dr. Bertram Wieczorek, Parl. Staatssekretär: Sie tätsmessungen in den vom Reaktorunfall in Tscherno- haben vollkommen recht. Zum einen dienen die byl kontaminierten Gebieten Rußlands durch. Die Hilfsmaßnahmen auch als Hilfe zur Selbsthilfe für die technische Durchführung des Projekts liegt beim russische Regierung. Ich möchte in diesem Zusam- Forschungszentrum Jülich. Die Kosten dieses Projekts menhang noch ausführen, daß der russischen Regie- betragen ca. 13 Millionen DM. Bisher wurden bei rung auch einige Meßfahrzeuge zum Zwecke weiterer diesem Projekt in Rußland ca. 220 000 Menschen auf Untersuchungen geschenkt wurden. 12128 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 140. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Februar 1993

Parl. Staatssekretär Dr. Be rtram Wieczorek Zum zweiten kann natürlich die Bundesrepublik u. a. durch den Parlamentarischen Staatssekretär Deutschland nicht alleine diese Meßprogramme Gröbl hat Bundesminister Möllemann selbst entschie- durchführen und finanzieren. Das hat auch Kapazi- den. tätsgründe. Ich verweise ganz besonders nicht nur auf EG-Maßnahmen, sondern auch auf den sich jetzt Vizepräsident Hans Klein: Eine Zusatzfrage, Herr füllenden Fonds der G 7, die ja im letzten Jahr bei dem Kollege Lowack. Treffen im Sommer in München vereinbart hatten, einen solchen Hilfsfonds, der nicht nur zur Verbesse- Ortwin Lowack (fraktionslos): Sehr verehrter Herr rung der Sicherheit von Kernreaktoren dienen soll, Staatsminister, da Sie eine Teilabstimmung einräu- sondern auch zu weiteren Untersuchungen, bereitzu- men, würde mich interessieren, ob mit dem Auswär- stellen, um diese Programme durchzuführen. tigen Amt auch abgestimmt war, daß Gesprächspart- ner der damalige Ministerpräsident Hau, ein Vertreter Vizepräsident Hans Klein: Bitte, Frau Hartenstein. der konservativen Kreise innerhalb der Kuomintang, Dr. Liesel Hartenstein (SPD): Herr Staatssekretär, war, der jetzt nach den Wahlen zum Legislativ-Yuan, kann die Bundesregierung bestätigen oder aber läßt die weitgehend nach deutschem Vorbild erfolgt sind, sie nachprüfen, ob Pressemeldungen zutreffen, zurückgetreten ist, weil er durch die Schwächung der wonach in Rußland zwei Fünftel der Fläche nicht nur Kuomintang glaubte, diesen Schritt vollziehen zu auf Grund der Tschernobyl-Katastrophe, sondern müssen. auch auf Grund früherer Atomunfälle und auf Grund fahrlässigen Umgangs mit Atommüll radioaktiv ver- Helmut Schäfer, Staatsminister: Herr Kollege, ich seucht seien? hatte soeben gesagt, daß über den Programmablauf, der bei dem Besuch von Herrn Möllemann in Taiwan Dr. Bertram Wieczorek, Parl. Staatssekretär: Frau erfolgt ist, keinerlei Abstimmungen mit dem Auswär- Kollegin Hartenstein, einerseits gibt es über die Inter- tigen Amt erfolgt sind, sondern Herr Möllemann in nationale Atomenergieorganisation solche Recher- eigener Regie entschieden hat, mit wem er sich dort chen. Andererseits stellt die Bundesregierung solche trifft und aus welchen Gründen er diese, aber nicht Recherchen im Rahmen der bilateralen Beziehungen jene Persönlichkeit sehen will. an. Ich möchte Sie darauf hinweisen, daß unmittelbar ein Besuch des Bundesumweltministers in Rußland Vizepräsident Hans Klein: Bitte, Herr Lowack. ansteht und diese Frage dort ein ganz wichtiger Punkt der Gespräche und der Festlegung weiterer Maßnah- Ortwin Lowack (fraktionslos): Herr Staatsminister, men sein wird. sind Sie bereit entgegenzunehmen, daß mir von Beteiligten — auch soweit ich hier Namen genannt Vizepräsident Hans Klein: Weitere Zusatzfragen? — habe — ausdrücklich das Gegenteil mitgeteilt wurde, Das ist nicht der Fall. wonach nämlich das Auswärtige Amt in einer ähnli- Die Fragen 45 und 46 sollen schriftlich beantwortet chen Form, wie ich sie dargestellt habe, interveniert werden. Die Antworten werden als Anlagen abge- hat? druckt. Damit sind wir am Ende dieses Geschäftsbereichs. Helmut Schäfer, Staatsminister: Herr Kollege, ich Ich bedanke mich für Ihre Antworten, Herr Parlamen- kann nur wiederholen, daß das Auswärtige Amt in der tarischer Staatssekretär. Frage der Programmgestaltung nach meinen Kennt- Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers nissen nicht interveniert hat. des Auswärtigen auf. Staatsminister Helmut Schäfer steht uns zur Beantwortung der Fragen zur Verfü- Vizepräsident Hans Klein: Wünscht jemand eine gung. weitere Zusatzfrage zur Frage 47 zu stellen? — Das ist Ich rufe die Frage 47 des Abgeordneten Lowack nicht der Fall. auf: Herr Staatsminister, ich rufe die Frage 48 auf, die Trifft es zu, daß der Taiwan im letzten Herbst besuchende der Kollege Werner Ringkamp gestellt hat: Bundesminister für Wirtschaft und der ihn begleitende Parla- Ist es richtig, daß Schwimmbad und Sauna des Gästehauses mentarische Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr, „Petersberg" von Staatsgästen fast nicht genutzt werden, gleich- Wolfgang Gröbl, aufgrund einer Inte rvention des Auswärtigen wohl aber eine Nutzung durch p rivate Gäste des „Petersberg" Amtes bei ihrem Aufenthalt in Taipeh weder mit dem Präsiden- bisher nicht zugelassen worden ist? ten der Republik China, dem in Taiwan geborenen, in der Bevölkerung hoch angesehenen Lee Deng-hui, noch mit dem Staatsminister: Herr Kollege, die Außenminister Fred rick Chien, einem in den USA ausgebildeten Helmut Schäfer, Wirtschaftsfachmann zusammengetroffen sind, und zu welchem Gästehaus Petersberg GmbH hat die Bundesregie- Zweck diente ggf. diese Intervention? rung darauf hingewiesen, daß Schwimmbad und Herr Kollege Schäfer, ich bitte um ihre Beantwor- Sauna von Staatsgästen relativ selten benutzt werden. tung. Es wird zur Zeit geprüft, unter welchen Voraussetzun- gen diese Räumlichkeiten für eine Drittnutzung frei- Helmut Schäfer, Staatsminister im Auswärtigen gegeben werden können. Amt: Herr Kollege, der frühere Bundesminister für Wirtschaft hat seine Reise nach Taiwan im vergange- Vizepräsident Hans Klein: Keine Zusatzfrage, Herr nen Herbst nicht in offizieller Funktion unternommen. Kollege Ringkamp? — Dann rufe ich die Frage 49 des Dem privaten Charakter seiner Reise entsprechend Kollegen Ringkamp auf: hat es bei der Programmgestaltung keine Detailab- Welche sonstigen Räume des „Petersberg" dürfen ausschließ- stimmung seitens der Bundesregierung gegeben. lich von Staatsgästen genutzt werden, in welchem Umfang ist Über das Programm in Taiwan und seine Begleitung das im einzelnen bisher geschehen? Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 140. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Februar 1993 12129

Helmut Schäfer, Staatsminister: Die Räume des sein, die sich — ohne den Bundeszuschuß —1990 auf sogenannten Südflügels des Gästehauses Petersberg 2,4 Millionen DM, 1991 auf 8 Millionen DM und 1992 stehen zur ausschließlichen Nutzung durch die deut- auf 8,5 Millionen DM beliefen. schen Verfassungsorgane und ihre Gäste zur Verfü- gung. Es handelt sich um fünf Gesellschaftsräume, Vizepräsident Hans Klein: Herr Kollege Lamp, wol- sieben Suiten und 14 Zimmer. len Sie nachfragen? — Nein. Seit Eröffnung des Gästehauses im August 1990 Ich rufe die Frage 51 des Kollegen Dr. Rolf Olderog haben 5 844 Übernachtungen und 512 Veranstaltun- auf: gen durch Staatsgäste überwiegend im Südflügel In welchem Umfang ist das Gästehaus der Bundesregierung stattgefunden. In diesem Zeitraum ist bei Übernach- auf dem Petersberg in Königswinter seit seiner Eröffnung in tungen 54mal auch der kommerziell genutzte Teil des seinen einzelnen Teilen von Staatsgästen genutzt worden, und Gästehauses einbezogen worden. inwieweit hat im Rahmen einer Öffnung für die Barger eine private Nutzung im einzelnen stattgefunden? Vizepräsident Hans Klein: Eine Zusatzfrage. Helmut Schäfer, Staatsminister: Seit Eröffnung des Gästehauses im August 1990 haben — ich sagte es Werner Ringkamp (CDU/CSU): Geben die bisheri- schon einmal — 5 844 Übernachtungen und 512 Ver- gen Erfahrungen des staatlich genutzten Teils des anstaltungen durch Staatsgäste überwiegend im Petersberges Anlaß zu Überlegungen, eventuell neue Staatsgästetrakt stattgefunden. Bei Übernachtungen Nutzungsmöglichkeiten anzudenken? Denn der Aus- wurde 54mal auch der kommerziell genutzte Teil des lastungsgrad, gemessen an üblichen Hotelübernach- Gästehauses einbezogen. Die private Nutzung durch tungen, scheint doch sehr gering zu sein. Bürger umfaßt Übernachtungen und Veranstaltungen aller Art vom Restaurantbesuch bis zu Kongressen. Helmut Schäfer, Staatsminister: Herr Kollege, m an muß davon ausgehen, daß es sich nicht um ein Vizepräsident Hans Klein: Keine Zusatzfrage, Herr übliches Hotel handelt, sondern um eine von der Kollege Olderog? — Dann rufe ich die Frage 52 des Bundesregierung nach den Beschlüssen des Deut- Kollegen Rolf Olderog auf: schen Bundestages, speziell des Haushaltsausschus- Ist die Bundesregierung bereit, zukünftig den Beschlüssen des ses, zunächst einmal für die Nutzung durch Staatsgä- Bundestages zu entsprechen und in größerem Umfang eine ste in Bonn endlich zur Verfügung stehende Räum- private Nutzung zuzulassen, und wie soll dieses zukünftige lichkeit, die im Vergleich zu anderen Hauptstädten Nutzungskonzept im einzelnen aussehen? der Welt relativ spät geschaffen werden konnte. Ich glaube nicht, daß der Bundestag und der Haushalts- Helmut Schäfer, Staatsminister: Das bestehende ausschuß eine dreistellige Millionensumme zur Verfü- Nutzungskonzept entspricht bereits jetzt in vollem gung gestellt hat, um ein Hotel direkt zu fördern. Das Umfang den Beschlüssen des Bundestages. Der Haus- war nicht die Absicht. haltsausschuß des Deutschen Bundestages hat in (Zuruf von der CDU/CSU: Sehr gut!) seiner Sitzung vom 19. Juni 1985 die bestehenden Haushaltssperren für den Petersberg unter der Auf- lage aufgehoben, das Gästehaus Petersberg der Nut- Vizepräsident Hans Klein: Keine weitere Zusatz- frage. zung durch Private zu öffnen, soweit es nicht für Staatsgäste oder staatliche Veranstaltungen benötigt Kollege Lamp ist inzwischen auch eingetroffen. Ich wird. Dieser Auflage ist dadurch entsprochen worden, rufe die Frage 50 des Kollegen Lamp auf: daß nur ein kleiner Teil des Petersberges ausschließ- Welche Kosten sind dem Bund bisher durch den laufenden lich staatlicher Nutzung vorbehalten bleibt, sein über- Betrieb des Gästehauses „Petersberg" insgesamt entstanden, wiegender Teil jedoch uneingeschränkt der Öffent- und inwieweit konnten diese durch Drittnutzung vermindert werden? lichkeit zugänglich ist. Es geht weiterhin um den Petersberg, Herr Staats- Eine umfassende Freigabe des gesamten Komple- minister. Bitte sehr. xes für die Drittnutzung würde nicht nur grundlegen- den Sicherheitserfordernissen widersprechen, son- dern den Charakter des Petersbergs als Gästehaus der Staatsminister: Herr Kollege, durch Helmut Schäfer, Bundesregierung aufheben. den laufenden Be trieb des Gästehauses Petersberg sind dem Bund in den Haushaltsjahren 1990, 1991 und Ich habe schon darauf hingewiesen, daß der Haus- 1992 je 4,8 Millionen DM, zusammen also 14,4 Millio- haltsausschuß die Mittel für den Umbau des Peters- nen DM, an Kosten entstanden. Diese wurden in Form bergs in dreistelliger Millionenhöhe diesem Gäste- eines in dieser Größenordnung veranschlagten und in hauszweck gewidmet hat, nicht aber einer p rivaten den Haushalt eingestellten Bundeszuschusses an die Betreibergesellschaft ein Hotel errichten wollte. Gästehaus Petersberg GmbH gezahlt. Für 1993 ist ein Unabhängig davon werden derzeit im Hinblick auf sogar verringerter Zuschuß in Höhe von 4,53 Millio- die gegenwärtige Haushaltslage intensive Überle- nen DM veranschlagt. gungen angestellt, ob und wie der für ein staatliches Wie hoch die Kosten des Bundes gewesen wären, Gästehaus stets erforderliche Bundeszuschuß durch wenn das überwiegend drittgenutzte Gästehaus eine Erweiterung der Drittnutzung auf Teile des Petersberg ausschließlich für Staatsgäste zur Verfü- Staatsgästetraktes zusätzlich reduziert werden gung gestanden hätte, läßt sich nicht sagen. Anhalts- kann. punkte für die Größenordnung mögen die Umsätze der Betreibergesellschaft, d. h. der Steigenberger AG, Vizepräsident Hans Klein: Eine Zusatzfrage, bitte. 12130 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 140. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Februar 1993

Dr. Rolf Olderog (CDU/CSU): Herr Staatsminister, fallen ist, wie Sie es eben vorgetragen haben, bereit, wann erwarten Sie das Ergebnis dieser Prüfung? dies den BGS-Beschäftigten in Ratzeburg und Schwarzenbek förmlich und offiziell mitzuteilen, um Helmut Schäfer, Staatsminister: Das ist schwer vor- die unerträgliche Unsicherheit abzubauen, die dort auszusagen, da ich nicht sicher bin, welche einzelnen dadurch entstanden ist, daß Sie als Parlamentarischer Überlegungen angestellt werden müssen. Ich darf Staatssekretär von einem Kollegen einen B rief aber darauf hinweisen, daß in einer der vielen Fragen bekommen haben, in dem die Auflösung von Stand- zum Petersberg die Nutzung des Schwimmbades orten des BGS im Kreis Herzogtum Lauenburg vor- angesprochen worden ist. Um dieses Schwimmbad geschlagen worden ist? nutzen zu können, muß man auf bestimmte Sicher- heitsvorkehrungen Rücksicht nehmen, weil es nur Eduard Lintner, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege vom Regierungsflügel aus erreichbar ist. Das macht Kuhlwein, ich glaube nicht, daß der dortige Komman- die Situation etwas schwierig. Deshalb kann ich Ihnen deur über die Haltung des Bundesinnenministeriums auch nicht voraussagen, was an Möglichkeiten im Zweifel sein kann. Wir haben lediglich auf ein besteht, die Nutzung zu verbessern und anderen Anschreiben reagiert. Es hat ein Gespräch dazu statt- Hotelgästen den Zugang zu öffnen, weil bestimmte gefunden, in dem wir unsere Positionen nicht verän- Voraussetzungen geschaffen werden müssen. dert haben. So gesehen besteht gar kein Anlaß zur Unruhe. Vizepräsident Hans Klein: Eine weitere Zusatz- frage. Vizepräsident Hans Klein: Keine weitere Zusatz- frage. Dr. Rolf Olderog (CDU/CSU): Herr Staatsminister, darf ich das Auswärtige Amt bitten, mich schriftlich zu Ich rufe die Frage 56 der Kollegin Ulrike Mehl unterrichten, wenn diese Prüfung abgeschlossen ist, auf: und mir das Ergebnis der Prüfung mitzuteilen? Warum beabsichtigt die Bundesregierung vorhandene Kata- strophenschutzschulen zu schließen, u. a. Rendsburg, ohne daß sie ein neues Ausbildungskonzept für den erweiterten Katastro- Helmut Schäfer, Staatsminister: Selbstverständlich, phenschutz erarbeitet hat, was bereits vor Jahren vom Bundes- Herr Kollege, nehme ich diese Bitte gern entgegen rechnungshof unter heftiger Kritik des bestehenden Konzeptes und gebe sie weiter. angemahnt worden ist?

Vizepräsident Hans Klein: Wünscht jemand von den Eduard Lintner, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin Kolleginnen und Kollegen zu diesem Fragenkomplex Mehl, in seiner Stellungnahme vom 25. Juli 1989 zu eine weitere Zusatzfrage zu stellen? — Das ist nicht der Mitteilung des Bundesrechnungshofes über die der Fall. Prüfung der Organisation des Zivilschutzes, Teilbe- Da die Fragesteller der beiden Fragen, die jetzt noch richt Aus- und Fortbildung vom 22. Februar 1989, hat kämen und die nicht mit Sauna und Südflügel zu tun der Bundesminister des Innern die Bemerkung des haben, nicht um schriftliche Beantwortung gebeten Bundesrechnungshofes zur Konzeption für die Ausbil- haben, bedanke ich mich für Ihre Antworten. Der dung in den einzelnen Zivilschutzbereichen zurück- Geschäftsbereich des Bundesministers des Auswärti- gewiesen. Mit Weitergeltung der bestehenden gen ist damit abgeschlossen. Rechtslage für die Erweiterung des Katastrophen- Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers schutzes ist die Konzeption für die Ausbildung der des Innern auf. Zur Beantwortung steht uns der Helfer, Funktionsträger und Führungskräfte durch die Parlamentarische Staatssekretär Eduard Lintner zur Allgemeine Verwaltungsvorschrift über die zusätzli- Verfügung. che Ausbildung des Katastrophenschutzes vom 27. Februar 1972 vorgegeben. Ich rufe die Frage 55 des Abgeordneten Eckart Kuhlwein auf: Neben den Katastrophenschutzschulen in Burg an der Mosel (Rheinl and-Pfalz) und Johannisburg (Hes- Ist die Bundesregierung bereit, die Standorte Ratzeburg und Schwarzenbek des Bundesgrenzschutzes auf absehbare Zeit zu sen) ist auch die Schule Rendsburg in den Prüfungs- garantieren, oder gibt es Pläne der Bundesregierung, einen der vorschlag zur Rationalisierung der Schulkapazität Standorte oder beide im Zusammenhang mit einer künftigen einbezogen worden, da sich hier rein rechnerisch die Nutzung des Bundeswehrstandortes Lanken/Elmenhorst durch Möglichkeit einer Zusammenlegung z. B. mit der den BGS aufzuheben? Katastrophenschutzschule des Landes Niedersachsen Bitte sehr, Herr Parlamentarischer Staatssekretär. in Bad Nenndorf anbietet. Parl. Staatssekretär beim Bundes- Eduard Lintner, Vizepräsident Hans Klein: Zusatzfrage, Frau Kolle- minister des Innern: Herr Kollege Kuhlwein, die gin Mehl. Bundesregierung beabsichtigt nicht, die Standorte Ratzeburg und Schwarzenbek der Bundesgrenz- Ulrike Mehl (SPD): Können Sie mich einmal darüber schutzabteilung Nord I und Nord II aufzugeben. Es aufklären, was gilt? Es gibt eine Anfrage des Kollegen wird lediglich geprüft, ob eine Nutzung des Übungs- Koppelin zu genau dieser Frage. Darin heißt es: platzes der Bundeswehr in Elmenhorst/Lanken durch „Gedacht ist im übrigen aber nicht an eine kurzfristige den Bundesgrenzschutz in Frage kommt. Auflösung der kleinen Katastrophenschutzschulen, - sondern an eine organisatorische Anbindung als Vizepräsident Hans Klein: Eine Zusatzfrage, Herr Kollege Kuhlwein. Außenstelle." In dem Schreiben von Staatssekretär Priesnitz an Eckart Kuhlwein (SPD): Herr Staatssekretär, ist die den Innenminister des Landes Schleswig-Holstein Bundesregierung, wenn ihre Entscheidung so ausge — das ist vom 8. Januar — heißt es: „Die Randlage Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode - 140. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Februar 1993 12131

Ulrike Mehl Rendsburgs im Norden des Bundesgebietes und die berücksichtigen, daß gerade in solchen Randlagen vorgegebenen Einzugsbereiche der Katastrophen- Bundeseinrichtungen besonders dringend erforder- schutzschulen in Bad Nenndorf ... lassen die Beibe- lich sind? haltung des Schulstandortes Rendsburg wirtschaft lich kaum vertretbar erscheinen." Eduard Lintner, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Aus dem Erstgenannten ist eine große Pressemel- Kuhlwein, Sie sprechen mir als einem Abgeordneten dung entstanden, in der es hieß: Rendsburg wird nicht aus einem Wahlkreis in einer früheren Randlage aus dichtgemacht, sondern wird als Außenstelle angebun- dem Herzen, kann ich nur sagen. den. In dem zweiten Schreiben heißt es, es sei sehr (Dr. Peter Struck [SPD]: Sehr gut; endlich unwahrscheinlich, daß die Schule bestehenbleibe, einmal etwas Produktives von euch!) obwohl sie erst 1989 eingerichtet wurde, also nagel- neu ist. Vizepräsident Hans Klein: Jetzt rufe ich noch die Frage 57, die ebenfalls die Kollegin Mehl gestellt hat, Vizepräsident Hans Klein: Es gibt Fälle, in denen auf: man so etwas wirklich aufgliedern muß. Ich glaube, Aufgrund welcher Kriterien kam es zu der im Bericht der das ist hier so ein Fall. Gleichwohl lassen Sie mich Bundesregierung an den Innenausschuß im Oktober 1992 daran erinnern, daß die Fragen in der Fragestunde genannten Überlegung, die Schule in Rendsburg aufzulösen, und in welcher Weise wurde die dort genannte Prüfung tatsäch- kurz sein sollen. lich durchgeführt? Bitte, Herr Parlamentarischer Staatssekretär. Ich bitte um Beantwortung.

Eduard Lintner, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin Eduard Lintner, Parl. Staatssekretär: Nach dem Mehl, ich führe das darauf zurück, daß wir uns in Bericht an den Innenausschuß des Deutschen Bundes- einem Prüfungsvorgang befinden und gerade auf dem tages zur zukünftigen Organisationsstruktur des Bun- Sektor des Zivilschutzes und des Katastrophenschut- desamtes für Zivilschutz vom 30. September 1992 soll zes Veränderungen vorgenommen werden. Gültig ist geprüft werden, ob drei kleinere Katastrophenschutz in jedem Fall die Auskunft, die ich Ihnen jetzt erteilt schulen schrittweise aufgelöst werden können. Krite- habe, nach der eben diese Schule mit in die Prüfung rium für diesen Prüfungsvorschlag war, daß vor dem einbezogen ist, aber ein endgültiges Ergebnis dazu Hintergrund der besonderen Haushaltslage sowie der noch nicht mitgeteilt werden kann. im Rahmen der Aufstellung des Bundeshaushalts 1993 vorgegebenen Absenkung der mittelfristigen Finanz- Ulrike Mehl (SPD): Vielleicht können Sie mir trotz- planung für die Titelgruppe „Erweiterung des Kata- dem erklären, wie Herr Priesnitz zu der Einschätzung strophenschutzes" mit der Zusammenlegung von kommt, daß Rendsburg „wirtschaftlich kaum vertret- Schulen Haushaltsmittel eingespart werden können. bar" ist. In dem Schreiben heißt es auch noch, daß So haben auch schon die Berichterstatter für den nach der Prüfung, die Sie gerade erwähnt haben, Einzelplan 36 im Haushaltsausschuß des Deutschen voraussichtlich im Sommer dieses Jahres mit den Bundestages den Titelansatz für die jährliche Ländern gesprochen werden soll. Ich kann Sie nur Durchführung der Ausbildung an den Katastrophen- fragen: Wissen Sie, was es vor Ort bedeutet, wenn schutzschulen bei Kapitel 36 04 Titel 525 41 in dem solche Briefe dort ankommen? vom Bundeskabinett beschlossenen Haushaltsent- wurf 1993 um 2 Mio. DM auf 16,3 Mio. DM Eduard Lintner, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin gekürzt. Mehl, ich bin Abgeordneter und habe auch einen Die Prüfung für die Zusammenlegung soll nach Wahlkreis. Deshalb kann ich mir schon vorstellen, was haushaltsrechtlicher Genehmigung der Neukonzep- so etwas bedeutet. tion für die Erweiterung des Katastrophenschutzes in Sie werden mir aber auch zugeben müssen, daß Abstimmung und unter Beteiligung der be troffenen Prüfungsvorgänge dynamische Prozesse sind. Das Länder durchgeführt werden. heißt, die jeweilige Momentaufnahme muß noch nicht identisch sein mit dem Prüfungsergebnis. Deshalb Vizepräsident Hans Klein: Ich kann nur sagen: alles bitte ich schlicht und einfach darum, daß wir vom klar! Innenministerium alle Gesichtspunkte, die eine Rolle spielen — einen davon haben Sie aus dem Brief Ulrike Mehl (SPD): Ich weiß schon, warum ich nicht zitiert —, prüfen dürfen, um dann zu einem fundierten Haushaltspolitikerin bin. — Die Sätze waren sehr fachlichen Ergebnis zu kommen. gezirkelt. Aber ich werde das noch einmal nachlesen können. Vizepräsident Hans Klein: Eigentlich wären wir jetzt schon am Ende der Fragestunde. Aber ich schlage vor, Vizepräsident Hans Klein: Vielleicht können wir daß wir die Zusatzfrage des Kollegen Kuhlwein und dem Herrn Parlamentarischen Staatssekretär den Rat die zweite Frage der Kollegin Mehl noch mit behan- mit auf den Weg geben, den Damen und Herren deln. Mitarbeitern zu sagen, daß sie ein solches wohl Bitte, Herr Kollege Kuhlwein. korrekt und rechtlich feuerfest verfaßtes Stück noch - ins Deutsche übersetzen mögen. Eckart Kuhlwein (SPD): Herr Staatssekretär, wird (Beifall bei der SPD) die Bundesregierung in dem von Ihnen für die Stand- orte angekündigten Prüfungsprozeß die Randlage Ulrike Mehl (SPD): Ich möchte trotzdem noch einmal Rendsburgs und Schleswig-Holsteins auch insoweit nach den Kriterien fragen, und zwar auch im Anschluß 12132 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 140. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Februar 1993

Ulrike Mehl an die Frage von eben, weil in dem genannten Brief ja Zur Beschlußempfehlung des Auswärtigen Aus- auftaucht, daß ein Kriterium für die Verlegung oder schusses zum Antrag der Fraktion der SPD zu den die Schließung der Schule die Randlage Schleswig- israelischen Siedlungen in den besetzten Gebieten Holsteins ist. Es müßte ja genau umgekehrt sein. liegt ein Änderungsantrag der Fraktionen der CDU/ Welches ist denn in diesem Fall das Kriterium, und CSU, der SPD und der F.D.P. vor. welches sind die darüber hinausgehenden Krite- Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat ist für die rien? gemeinsame Aussprache eine Stunde vorgesehen. Ich sage auch, warum ich das frage: weil ich von — Dagegen erhebt sich kein Widerspruch. Dann ist denen, die diese Arbeit vor Ort machen, die Informa- das so beschlossen. tion habe, daß mindestens der bisherige Ausbildungs- Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem bedarf weiterhin vorhanden ist — es ist sogar ein Kollegen Dr. Hans Stercken. erweiterter Bedarf gegeben — und überhaupt nicht zu begreifen ist, warum eine Fahrerei nach Hamburg oder sonstwohin geplant wird, statt die Schule dort zu lassen, wo sie sich seit zwei Jahren befindet. Dr. Hans Stercken (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn eine Bundestagsde- Eduard Lintner, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin batte Einfluß auf die Entwicklung politischer Prozesse Mehl, Sie nennen jetzt eine ganze Reihe von Gesichts- nehmen will, dann sollte sie hilfreich und konstruktiv punkten, die alle ihr Gewicht haben. Sie werden sein. Das gilt insbesondere für eine Außenpolitik, die sicherlich auch entsprechend bedacht werden. Am zur Lösung der Probleme anderer Völker und Länder Ende muß dann eine Entscheidung stehen, die ich beitragen will. nicht vorwegnehmen kann. Ich kann Ihnen nur versi- Ich bedauere bei dieser Gelegenheit einmal, daß so chern, daß all das, was Sie vortragen oder uns in häufig die eigene Vorstellungswelt zum Maß aller Schreiben und dergleichen schon vorgetragen haben, Dinge gemacht wird und daß die Partner in der Welt in den Entscheidungsprozeß ernsthaft einbezogen oft einer vermeintlich pädagogischen Kur unterwor- wird. fen werden, bei der weniger mit Einsichten als mit (Dr. Peter Struck [SPD]: Hoffentlich, kann dem Zeigefinger gearbeitet wird. man da nur sagen bei dieser Regierung!) Daß viele Beobachter in aller Welt in diesen Tagen auch ihre Schwierigkeiten mit der Bewertung der Vizepräsident Hans Klein: Herr Parlamentarischer Lage in Deutschl and, mit seiner Stabilität, mit der Staatssekretär, ich bedanke mich für die Beantwor- Glaubwürdigkeit seines Willens zur sicherheitspoliti- tung. Damit sind wir am Ende der Fragestunde. schen Integration haben, sollte bei unseren Empfeh- Ich rufe den Tagesordnungspunkt 11 auf: lungen für andere eine bestimmende Rolle spielen. Dabei müssen wir uns an verbindlichen Werten und a) Beratung der Beschlußempfehlung und des Normen orientieren, die eine allgemeine Anwendung Berichts des Auswärtigen Ausschusses (3. Aus- finden können. schuß) zu dem Antrag der Fraktion der SPD Es gibt viele gute Gründe — historische, moralische, Keine weiteren israelischen Siedlungen in den politische —, die mich veranlaßt haben, in vier Jahr- besetzten Gebieten zehnten Solidarität mit dem Volk des Staates Israel zu — Drucksachen 12/824, 12/2425 — üben. Diese Zuwendung hat sich vielfach sogar zur Berichterstattung: Freundschaft entwickelt. Abgeordnete Auf der Grundlage solcher Empfindungen kann mir Reinhard Freiherr von Schorlemer niemand meine Enttäuschung verdenken, wenn die Katrin Fuchs (Verl) einleuchtende Resolution 799 zur Einstellung der Ulrich Irmer Siedlungsaktivitäten nur eine sehr begrenzte Respek- b) Beratung der Beschlußempfehlung und des tierung gefunden hat, obwohl jedermann weiß, daß Berichts des Ausschusses für Wirtschaft (9. Aus- dies die laufenden Verhandlungen ebenso beein- schuß) zu dem Antrag der Fraktion der SPD trächtigt wie die Ausweisung nicht nur in terroristi- Maßnahmen gegen Israel-Boykott-Verpflich- sche Aktivitäten verstrickter Araber. tungen deutscher Firmen bei Verträgen mit Wenn wir uns das Bemühen Israels zu eigen Drittländern machen, einen sicheren Frieden im Nahen Osten zu — Drucksachen 12/554, 12/4145 — unterstützen, dann dürfen wir auch unseren Sorgen Berichterstattung: Ausdruck verleihen, daß höhere Zielsetzungen Abgeordnete Dr. Elke Leonhard-Schmid dadurch gefährdet werden. Einen dauerhaften Frie- c) Beratung des Antrags der Abgeordneten den wünschen wir Israel und allen seinen Nachbarn. Dr. Ursula Fischer, Dr. , Dr. Gre- Gäbe es keine anderen Probleme in der Region, so gor Gysi und der Gruppe der PDS/Linke wäre dies schon ein für alle demokratischen Sympa- Liste thisanten ausreichendes Ziel. Zu den Verhandlungen über eine Friedenslö- Doch Friede in und für Israel ist mehr. Der Konflikt sung im Nahen Osten im Irak war nur die Spitze eines Eisbergs nuklearer, chemischer, bakteriologischer und raketentechni- — Drucksache 12/3237 — scher Anstrengungen zwischen Nordkorea und Überweisungsvorschlag: Auswärtiger Ausschuß (federführend) Libyen, in denen sich kräftige Ambitionen nach poli- Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit tischer Macht und Einwirkung erkennen lassen. Diese Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 140. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Februar 1993 12133

Dr. Hans Stercken Bedrohung betrifft Isrealis und Araber gleicherma- letzten Endes auch um die Entwicklung von Massen- ßen. vernichtungswaffen. Wer will dem Betroffenen die Auf einem Seminar der Vereinten Nationen in Gegenwehr versagen, wenn er diesen gigantischen Lissabon habe ich mich kürzlich mit Israelis und Waffenhandel nicht einzuschränken vermag? Palästinensern darüber unterhalten können. Wer über Der Abbau der Ost-West-Spannungen hat das Inter- das übliche Szenario hinausdenkt, weiß längst, daß esse an Lieferungen und Investitionen drastisch redu- die Bedrohung der Sicherheit keinen Unterschied ziert. Dabei gehört nach unseren Vorstellungen zu mehr zwischen Israelis und seinen arabischen Nach- einem erweiterten Sicherheitsbegriff auch die Stabili- barn machen wird. Das weiß Gott nicht beiläufige tät, die ohne wirtschaftliche Konsolidierung über- Projekt eines KSZM-Prozesses im Mittelmeer beruht haupt nicht zustande kommt. ja auf der zutreffenden Vermutung, daß die weltweite An solchen Problemen hat es in der Region wirklich Veränderung politischer Kraftfelder auch hier die keinen Mangel und man erinnert sich an Nahum bisherigen Abhängigkeiten und damit die Einord- Goldmann, der in der wirtschaftlichen Zusammenar- nung in bestimmte Systeme beendet hat. beit eine Chance sah, Spannungen abzubauen und Ich begreife das als eine Chance, die ja schon in Vertrauen zu schaffen. einer erfolgreichen amerikanischen Politik genutzt Solche Konzepte, meine Damen und Herren, haben wurde, die schließlich zur Madrider Friedenskonfe- in Europa die Grundlage für unsere Gemeinschaft renz geführt hat. Die bekannten Einstellungen von gelegt. Das sind die Erfahrungen einer erfolgreichen Ministerpräsident Rabin und Außenminister Peres Bewältigung von Konflikten, die sich abwandeln las- sind für diesen Prozeß förderlich und bestärken das sen können, um im Sinne von Nahum Goldmann Vertrauen. Dies sollte Veranlassung zu größerer Fle- einem anderen Umfeld angepaßt zu werden. xibilität geben. Endlich werden solche Gedanken Bestandteil eines Die Vereinten Nationen, meine Damen und Herren, bi- und multilateralen Gesprächs. Die Knesseth hat sind nicht mehr das Schlachtfeld im Ost-West-Kon- nämlich durch ein Gesetz das Gesprächsverbot mit flikt. Ihre Resolutionen können daher auch nicht mehr Palästinensern aufgehoben, so gewertet werden, wie wir es früher einmal gehalten (Dr. Olaf Feldmann [F.D.P.]: Eine sehr gute haben, als wir manchen bestärkten, sich auch nicht Entscheidung!) kollektivem Zwang zu unterwerfen, wenn der Kom- promiß eher ein Alibi als eine Lösung darstellte. Heute mit dem viele Freunde Israels l ange gehörige Schwie- sind wir für jede Autorität dankbar, die für Beschlüsse rigkeiten hatten. Die Freiheit des Gesprächs stärkt der Völkergemeinschaft erzielt werden kann. Viele demokratische Überzeugung. wünschen sich sogar mit Recht mehr als das, was (Beifall bei der CDU/CSU, der F.D.P. und der heute etwa zur Lösung des Konflikts in Bosnien SPD) Herzegowina angeboten wird. Wenn es aber unsere gemeinsame Politik ist, die Wirkungsmöglichkeiten Dabei ist für Israel gerade seine Demokratie die der Vereinten Nationen auszubauen, dann können stabilste Grundlage für seine Selbstbehauptung. wir im Einklang mit unseren Überzeugungen nicht (Beifall des Abg. [SPD]) wahlweise verfahren, wenn wir unsere Glaubwürdig- Es ist mir aber auch nicht entgangen, daß die keit wiederherstellen wollen. Vertretung der Palästinenser am Verhandlungstisch (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) repräsentativ sein dürfte für den Willen, demokrati- sche Prozesse zu entwickeln, um dadurch den Wert Politik im Golf, Nahostpolitik und Politik für die künftiger Vereinbarungen zu unterstreichen. Wir soll- Menschen im ehemaligen Jugoslawien können nur ten, denke ich, in dieser Stunde Forderungen nicht nur unter diesen Voraussetzungen erfolgreich sein. Wir an die Bundesregierung und an Israel, sondern auch brauchen sicher auch eine größere Entschlossenheit an uns selbst richten. der Weltgemeinschaft gegen Extremismus, Rassismus und Fundamentalismus. In den anfälligen Regionen Wird unsere Politik über das verbale Zeugnis nicht stehen solche Bewegungen dem demokratischen hinauslangen, dann werden wir nicht viel bewirken, Rechtsstaat im Wege. Als Deutsche wissen wir, wovon allenfalls ein Alibi nachweisen. Mehr Einsatz und wir sprechen. Und dies an die Adresse aller Stören- mehr Identifikation scheinen mir erforderlich, wenn friede, und zwar von dieser Stelle: Es gibt keinen wir zu tragfähigen und verantwortbaren Kompromis- Heiligen Krieg, es gibt nur unheilvolle Kriege! sen ermuntern. Alte Leerformeln reichen dazu nicht aus; das habe ich im nächtlichen Gespräch mit Israelis (Beifall bei der CDU/CSU, der F.D.P. und der und Palästinensern beim UNO-Seminar in Lissabon SPD) erfahren. Wer vom Heiligen Krieg gerade auch in diesen Tagen Mit unserem heutigen Beschluß nehmen wir uns und noch am heutigen Tag spricht, muß wissen, daß er auch als Parlament in die Haftung für ein offenes und nicht immer Partner, auch nicht unser Geschäftspart- in die Zukunft weisendes Mitwirken. ner sein kann. (Beifall bei der CDU/CSU, der F.D.P. und der (Beifall bei der CDU/CSU, der F.D.P.,- der SPD) SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Nicht jeder Handelsmann, meine Damen und Herren, denkt so. Doch Regierung und Parlament sollten Vizepräsident Hans Klein: Frau Kollegin Elke Leon- denjenigen, die so denken, dies verleiden. Es geht hard-Schmid, Sie haben das Wort. 12134 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 140. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Februar 1993

Dr. Elke Leonhard-Schmid (SPD): Herr Präsident! Irak zum Ausgleich der Lasten des UN-Embargos am Meine Damen und Herren! Wenn in der Vergangen- Ende des Golfkrieges nicht an die Besei tigung des heit in diesem Hohen Hause oder in der Öffentlichkeit Anti-Israel-Boykotts gekoppelt? Die Bundesregierung das Thema Israel Mittelpunkt des Interesses war, hatte alle Trümpfe in der Hand. Auch gegenüber den schwang stets eine emo tionale Komponente mit. Hardlinern hätte sie damit eine starke Verhandlungs- Anders gesagt: Empfindlichkeiten im Verhältnis zwi- position gehabt. schen deutschen und israelischen Staatsbürgern (Gerhard Reddemann [CDU/CSU]: Provinz, waren jederzeit wahrnehmbar. Provinz!) Lassen Sie mich daher ohne Umschweife sagen: Wir Vielleicht war es Redlichkeit, vielleicht aber auch haben kein Recht, unsere Geschichte zu verdrängen. etwas anderes. Die Bundesregierung hat den Umgang Nach der grausamen, verbrecherischen Vernichtung mit — ich möchte jetzt nicht den Beg riff Doppelstra- der Juden und des Judentums auf deutschem Boden durch Deutsche kann und darf unser Verhältnis zum tegien verwenden — Instrumenten auf dieser Ebene wohl nie richtig begriffen — und das ist Provinz. Staate Israel niemals frei und unbelastet sein. Es ist kein Feld für Belastungsproben. Über Jahre wurde das israelische Deutschlandbild (Beifall bei der SPD) nicht nur von der deutschen Außenpolitik, sondern auch dadurch geprägt, daß die Indust rie eine in Wir tragen in uns die Verpflichtung, mit Entschie- arabischen Staaten entwickelte AuBenwirtschafts- denheit dafür einzutreten, daß sich Vergangenes politik mitgetragen hat. Ich denke, wir haben hier niemals wiederholen wird. etwas gutzumachen. Es ist zu Beginn dieser Debatte festzustellen: Wir Eli Soreq, einem engagierten Hamburger Bürger, sind an die Seite Israels verpflichtet. Gerade das haben wir es zu verdanken, daß dieses Thema in die Beispiel Israel verdeutlicht, daß in der Vergangenheit Öffentlichkeit getragen und zur Entscheidung ge- Außenpolitik und Außenwirtschaftspolitik nicht sel- bracht wurde. ten getrennte Wege gingen. Der freie Handel findet die absolute Grenze dort, wo er die deutsche Außen- (Freimut Duve [SPD]: Sehr richtig!) politik belastet und ihren Zielen zuwiderläuft. Aus So können wir heute der Empfehlung des Wirtschafts- diesem Grundsatz lebt das deutsche Außenwirt- ausschusses zustimmen, den Antrag der SPD-Bundes- schaftsrecht. tagsfraktion zum Verbot des Anti-Israel-Boykotts für Unsere besondere Beziehung zu Israel hat nicht erledigt zu erklären, da er mit der 24. Verordnung zur verhindern können, daß sich in den letzten 40 Jahren Änderung der Außenwirtschaftsverordnung voll und deutsche Firmen an einem Anti-Israel-Boykott betei- ganz übernommen wurde. Der Deutsche Bundestag ligten. Seit über 40 Jahren zwangen einige Staaten hat heute morgen formell auf sein Aufhebungsrecht der Arabischen Liga Unternehmen, die mit ihnen verzichtet. Ab 1. Mai werden Boykott-Erklärungen, kooperierten, auf geschäftliche Beziehungen mit wie sie deutsche Firmen gegenüber Israel abgegeben Israel zu verzichten. Diese langjährige Praxis steht im haben, in der Bundesrepublik verboten sein — Widerspruch zum freien Wettbewerb und untergräbt Boykott-Erklärungen, die den Staat Israel im übrigen die Grundsätze der freien Marktwirtschaft. 45 Milliarden US-Dollar gekostet haben. (Beifall bei der SPD) Sicherlich hätten wir das Verbot lieber — wie es im ursprünglichen Entwurf der Verordnung vorgesehen Diese Praxis hat den Staat Israel diskriminiert und war — zu einem früheren Zeitpunkt in Kraft gesehen. ihm wirtschaftlich geschadet. Es ist allen Regierungen Im September 1991 war die Verordnung fertig; man gleichermaßen anzulasten — ich vergesse nicht, daß höre und staune: im September 1991. Dreimal wurde auch wir zwölf Jahre regiert haben —, daß sie 40 Jahre sie von der Tagesordnung des Bundeskabinetts gestri- lang nichts gegen diesen Boykott unternommen chen, um nun endlich — mit der ungeheuren Verspä- haben. tung von fast zwei Jahren — Wirklichkeit zu werden. (Beifall bei der SPD) Das Aussitzen dieser Frage — mit welchen Motiven Von der Bevölkerung weitgehend unbeachtet auch immer — hat die Vertrauenskomponente mit haben deutsche Finnen Verträge mit arabischen Part- Sicherheit nicht gestärkt. Es schmerzt regelrecht, mit nern unterzeichnet und damit stillschweigend dem ansehen zu müssen, wie wenig zielstrebig die Bundes- Handel mit Israel abgeschworen. regierung hier gehandelt hat. Der wirtschaftliche Hintergrund dieses Boykotts (Peter Kittelmann [CDU/CSU]: Welche Bun liefert eine Erklärung: So verzeichnet die deutsche desregierung meinen Sie denn? Die Schmidt Industrie einen Gesamtumsatz von etwa 10 Milliarden Regierung?) DM pro Jahr mit den Staaten der Arabischen Liga, die den Boykott getragen haben. Von Unternehmern — Herr Kittelmann, machen Sie den Mund zu, dann erwarte ich nicht moralisches Verhalten und auch sehen Sie charmanter aus und auch seriöser. nicht unbedingt ein ethisches Fundament; von uns (Beifall bei der SPD — Peter Kittelmann allerdings schon. [CDU/CSU]: Ich habe Ihnen eine Zwischen frage getellt! ) (Dr. [CDU/CSU]:- Aber auch kein unmoralisches, oder?) Aber es ist nicht das einzige Beispiel, das entlarvt, Ich frage mich deshalb in diesem Zusammenhang: wie schwer sich die Bundesregierung tut, Außenpoli- Warum eigentlich hat die Bundesregierung ihre tik und Außenwirtschaftspolitik in Gleichklang zu Zuwendungen an die arabischen Nachbarstaaten des bringen. Wirtschaftliche Schutzinteressen sind als Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 140. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Februar 1993 12135

Dr. Elke Leonhard-Schmid Grundlage der Außenpolitik ungeeignet; dies um so Vizepräsident Hans Klein: Meine Damen und Her- mehr, als sich zwischenzeitlich zeigte — hören Sie zu, ren, folgendes muß ich schnell sagen: Manchmal ist es das ist für Sie wichtig —, daß die Lösung schon immer sehr laut, sehr aggressiv im Saal — meistens wird das greifbar war. vom Redner ein bißchen provoziert —, dann muß ich (Zurufe von der CDU/CSU) dazwischengehen. Sie haben das nicht getan; aber ich kenne einen Kollegen der dann vom Rednerpult Wie wir mit Befriedigung hören — Herr Präsident, zurücktritt, beleidigt auf den Präsidenten schaut und können Sie für ein bißchen mehr Ruhe sorgen? —, sind von ihm erbittet, daß Ruhe hergestellt wird. Das finde die gemäßigten Staaten der Arabischen Liga bereit — ich nicht in Ordnung. So gut muß ein Redner mit dem Publikum zurechtkommen, daß er bei einiger Unruhe selber wieder für Ruhe sorgt. Wenn es wirk lich laut wird und stört, dann gehe ich dazwischen. Vizepräsident Hans Klein: Frau Kollegin, seien Sie nicht so zimperlich. (Hans Koschnick [SPD]: Sonst wie im bayeri schen Bierzelt!) (Heiterkeit) Sie wissen, daß das alles aus Sympathie geschieht, Frau Kollegin. Ich hielt es für notwendig, dies zu sagen, um Ihnen meine Bemerkung zu erklären. Dr. Elke Leonhard-Schmid (SPD): — ich werde jetzt nicht sagen, daß ich mich bemühen will —, auf (Freimut Duve [SPD]: Seien Sie nicht so Boykott-Erklärungen zu Lasten Israels zu verzichten. zimperlich, Herr Präsident!) Dies beweist, daß mittels einer geradlinigen Außen- Ich erteile das Wort dem Kollegen Dr. Olaf Feld- und Außenwirtschaftspolitik dieses Problem schon mann. früher hätte gelöst werden können. (Zuruf von der CDU/CSU: Sie weiß alles!) Dr. Olaf Feldmann (F.D.P.): Herr Präsident, ich Meine Damen und Herren, lassen Sie mich bedanke mich für die beruhigenden Einführungs- abschließend noch eines hinzufügen: Die ausdrückli- worte. Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen che Bejahung der besonderen Beziehung zwischen und Kollegen! Ich hoffe, daß ich keine Aggressionen Deutschland und Israel entbindet uns nicht von der provoziere. gesetzlichen Verpflichtung zur Kontrolle von Rü- Unsere heutige Beschlußempfehlung ist keine Ein- stungsexporten, von der Verpflichtung, sensiblen Pro- mischung in die inneren Angelegenheiten Israels. dukten, insbesondere aus dem nukleartechnischen Hier geht es um die Verletzung elementarer Grund- Bereich, die Ausfuhr zu verweigern. und Menschenrechte. Deutsche Politik, deutsche (Zuruf von der SPD: Und übrigen Waffen!) Außenpolitik, Frau Kollegin, ist geradlinig, aber nicht Isreael wird in der Länderliste H genannt, der Liste wertfrei. Sie ist wertorientiert, orientiert an den Men- jener Staaten, die durch ABC-Waffen- und Raketen- schenrechten und auf einen friedlichen Interessen- programme oder durch sonstige übermäßige Rüstung ausgleich gerichtet. auffallen. Solange Massenvernichtungsprogramme in Wir können und wollen als deutsches Parlament zu dieser Region gegeneinander entwickelt werden, der völkerrechtlichen Siedlungs- und Vertreibungs- muß dies auch so bleiben. Unsere ethische Verpflich- politik der israelischen Regierung hier nicht schwei- tung darf nicht zur Worthülse degene rieren. Wir gen. Wir sind durchaus selbstkritisch. Schon die Sozialdemokraten haben nie einen Beitrag zu Krieg, zurückhaltende Sprache der Beschlußempfehlung — Elend und Vertreibung geleistet und werden auch nie wenn Sie sie aufmerksam gelesen haben, dann wer- einen Beitrag dazu leisten, auch keinen indirekten den Sie dies festgestellt haben — zeigt, daß es hier durch Rüstungsexporte. nicht darum geht, Israel an den Pranger zu stellen. (Beifall bei der SPD) Frau Kollegin, niemand will hier eine Belastungs- probe. Dieser Beschluß ist ein Appell von Parlament zu Damit keine Zweifel aufkommen, will ich in aller Parlament. Abschiebung und Deportation dürfen Deutlichkeit wiederholen: Wenn wir uns hier ent- kein Mittel eines demokratischen Rechtsstaates sein. schieden gegen einen Anti-Israel-Boykott ausspre- Ich hoffe, da sind wir uns einig. chen, so kann dies keine Liberalisierung im Rüstungs- (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne handel oder in der wehrtechnischen Zusammenarbeit ten der SPD) bedeuten. Dies liegt nicht an Israel, sondern — im Gegenteil — einzig und allein an unserer tiefen Eine solche Kollektivstrafe widersp richt den Grund- Überzeugung, daß deutsche Exporte grundsätzlich sätzen demokratischer und freiheitlicher Staaten, zu ziviler Natur sein sollten. Eine auf Frieden und Aus- denen sich Israel zählt. Das schließt nicht aus, gegen gleich angelegte Außenpolitik, besonders im Nahen Gewalt und Terror mit rechtsstaatlichen Mitteln vor- Osten, darf nicht mit Waffen im Handgepäck auftre- zugehen. Israel ist stolz auf seinen demokratischen ten. Rechtsstaat. Dann muß es sich aber auch an diesen Maßstäben messen lassen. Von dieser Einsicht ausgehend — ich wiederhole: Durch das Festhalten an der Abschiebungspraxis nur von dieser Einricht ausgehend — können- wir zur Aufrüstung und zur Siedlungspolitik in dieser Region verliert Israel weltweit an Sympathie. Israel muß sich Stellung nehmen. fragen lassen, ob die Abschiebung nicht mehr schadet als nutzt. Die Radikalisierung droht zu eskalieren, und Ich danke Ihnen. Gewalt erzeugt Gegengewalt. Selbst viele Israelis (Beifall bei der SPD) stellen die Frage nach dem Selbstverständnis der 12136 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 140. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Februar 1993

Dr. Olaf Feldmann eigenen Demokratie und nach dem Stellenwert der Freimut Duve (SPD): Herr Präsident! Meine Damen Menschenrechte. Wir wünschen der israelischen und Herren! Wer mehrfach in Tunis in den letzten Regierung den Mut, sich aus dieser Selbstblockade zu Jahren mit der PLO und in Israel mit Politikern über befreien. die Konflikte gesprochen hat, der sieht sich zu folgen- der Bemerkung veranlaßt: Die Nahostpolitik der Bundesrepublik steht auf der Grundlage gemeinsamer europäischer Positionen. Dieser Antrag zu den Boykottmaßnahmen, die von Die wichtigsten Elemente sind das Existenzrecht Isra- den verschiedenen Regierungen der Bundesrepublik els in sicheren und anerkannten Grenzen sowie das über viele, viele Jahrzehnte geduldet worden sind, ist Selbstbestimmungsrecht des palästinensischen Vol- von mir im Januar vorigen Jahres geschrieben wor- kes und der Gewaltverzicht. den. Er ist dann im Mai eingebracht worden und steht heute hier auf der Tagesordnung. Wir haben das Selbstbestimmungsrecht des palästi- nensischen Volkes in den Vereinten Nationen als Das heißt, es hat ein zögerliches Umgehen mit dem erstes europäisches Land seit 1974 immer unterstützt. Antrag auch deswegen gegeben, weil man sich auf Für uns hat die Formel „Land für Frieden", wie sie in sehr sanfte Weise sozusagen in den Binnenmarkt den UN-Resolutionen 242 und 338 festgeschrieben hineinbegeben wollte, um politisch mit der Wirtschaft wurde, nach wie vor Gültigkeit. Es kann auf Dauer keine Probleme zu haben. Hier war man also relativ nicht gut gehen, wenn israelische Regierungen immer gut im Umgang damit; in Norddeutschland sagt man wieder UN-Beschlüsse völlig ignorieren. manchmal „schlau" . (Zuruf von der CDU/CSU: Was hat sich nun Für uns Europäer ist der Nahe Osten eine Nachbar- geändert?) region. Stabilität und Frieden dort sind auch für Europa von hoher Bedeutung. Unsere Sicherheit ist Dem Gegenstand ist aber jede Schläue unangemes- mit der Sicherheit im Nahen Osten verbunden. Des- sen. halb müssen sich die Europäische Gemeinschaft und Dies muß ich sagen, weil wir im Zusammenhang mit ihre Mitgliedstaaten stärker für den Frieden in der der Ausweisung der Hamasleute in der Lage waren, in Nahostregion einsetzen. Die EG muß durch konstruk- wenigen Wochen, nein, in wenigen Tagen einen tive Vorschläge zur Lösung des Nahostkonflikts bei- Antrag in den Deutschen Bundestag zu bringen. Ich tragen. Die Bundesregierung bleibt aufgefordert, im will dies nur gegeneinanderstellen, um uns alle zu Rahmen der EPZ und in direktem Kontakt mit der warnen, allzusehr Selbstgerechtigkeit mit Gerechtig- israelischen Regierung auf die Einstellung der israeli- keit an diesem Gegenstand zu verwechseln. schen Siedlungsaktivitäten und die Beachtung der Danke schön. UN-Resolution 799 hinzuwirken. (Beifall bei der SPD — Zurufe von der CDU/ Die politische Ausgestaltung des Selbstbestim- CSU: Es sprach der Selbstgerechte! — Was mungsrechts der Palästinenser bleibt das Kernpro- sollte das?) blem. Wir begrüßen die Aufhebung des Kontaktver- bots zur PLO durch das israelische Parlament und Vizepräsident Hans Klein: Ich erteile das Wo rt dem sehen darin eine Chance zur Förderung des Nahost- Kollegen Konrad Weiß. friedensprozesses. Dies ist ein wichtiger Schritt. Herr Kollege Stercken hat als Ausschußvorsitzender darauf schon hingewiesen. Konrad Weiß (Berlin) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Dem Die Bundesregierung sollte den Beschluß der Knes- Deutschen Bundestag liegen mehrere Anträge vor, seth aber zum Anlaß nehmen, ihre eigene Haltung zur die sich auf durchaus unterschiedliche Weise mit PLO zu überprüfen. Ich meine, es ist an der Zeit. Israel beschäftigen. Aus einem Antrag der SPD mit (Beifall bei der F.D.P. und der SPD) dem Titel „Keine weiteren israelischen Siedlungen in den besetzten Gebieten" wurde der Antrag „Förde- Auch die israelische Regierung sollte in direkte rung des Friedensprozesses im Nahen Osten", der nun Verhandlungen mit der PLO eintreten, denn nur auch von der CDU/CSU und der F.D.P. mitgetragen gemeinsam kann der Nahostfriedensprozeß vorange- wird. trieben werden. Nur durch ein Zusammenwirken aller Beteiligter kann es Frieden in Nahost geben, Frieden Die Mehrheit der Gruppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- für Israelis und Frieden für Palästinenser. NEN unterstützt diesen Antrag nicht. Die seltsame Metamorphose dieses Antrages kann nicht verschlei- Ich bedanke mich für die Ruhe und die Aufmerk- ern, daß er einseitig Forderungen an Israel, an einen samkeit. Partner des Friedensprozesses, richtet. Ich glaube (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) nicht, daß dies besonders hilfreich ist. Wer einmal in Israel war, weiß, wie verhärtet die Fronten auf beiden Seiten sind, bei Israelis und Palästinensern. Um sich näherzukommen, müssen Vizepräsident Hans Klein: Meine Damen und Her- sich beide Seiten bewegen. ren! Der Kollege Freimut Duve hat sich zu einer Israel hat in jüngster Zeit immer wieder seinen Kurzintervention gemeldet, die wir normalerweise guten Willen bewiesen. Ich erinnere an den Verzicht erst nach der ersten Runde zulassen. Nur, ich glaube, der Israelis, sich trotz der irakischen Angriffe nicht am es würde nicht viel Sinn machen, wenn ich jetzt noch Golfkrieg zu beteiligen und sich auf reine Defensiv- die beiden nächsten Redner abwarten ließe. Deshalb: maßnahmen zu beschränken. Ich erinnere an die Bitte, Herr Kollege Duve. Bereitschaft, trotz Hunderttausender Zuwanderer aus Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 140. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Februar 1993 12137

Konrad Weiß (Berlin) Rußland und Osteuropa die Errichtung von Siedlun- befördert und für Israelis oder Palästinenser hilfreich gen in den besetzten Gebieten erheblich zu begren- ist. Es wäre besser gewesen, auf einen derartigen zen. Ich erinnere daran, daß Israel trotz fortgesetztem Antrag zu verzichten. arabischen Terror gesprächsbereit geblieben ist. Israel braucht unsere kritische Solidarität, nicht Allein im Januar 1993 hat es 26 bewaffnete Ang riffe aber diese kaltherzige Diplomatie. Das Verhältnis auf Israelis gegeben. Seit Dezember wurden minde- zwischen Deutschen und Juden wird für alle Zeiten stens neun Juden von palästinensischen Terroristen ein besonderes Verhältnis sein. Das mögen wir anneh- getötet. men wollen oder nicht. Es ist so. Menschenrechte sind (Zuruf von der F.D.P.) unteilbar. Das gilt für Deutsche und gilt für Israelis und Darüber steht in den Anträgen der Fraktionen nichts. gilt für Palästinenser. Israel ist, anders als seine Wir alle kennen die Zahlen von getöteten Palästinen- arabischen Nachbarn, ein demokratischer Staat. Die sern. Sie stehen täglich in jeder Zeitung. Von der meisten seiner jüdischen und arabischen Bewohner anderen Seite hören wir nichts. Deswegen habe ich wachen selbst über die Einhaltung der Menschen- diese andere Seite hier zitiert. rechte und wollen in Frieden miteinander leben. Viele Israelis setzen sich entschieden für die f riedliche (Zuruf von der F.D.P.: Wir müssen beides Lösung des Palästinenserproblems ein. Sie brauchen tun!) unsere Bevormundung nicht, zumal in Deutschland Statt dessen werden in Ihren Anträgen ausschließlich wieder Fremde verfolgt oder ausgewiesen werden Forderungen an Israel gerichtet. und bei uns friedfertige Bewohner schutzlos dem Terror von Extremisten ausgesetzt waren. Ich halte es für ganz und gar unerträglich, daß in einem Antrag des Deutschen Bundestages von einer Der andere Antrag, Maßnahmen gegen Israel- — ich zitiere — „Deporta tion von Palästinensern Boykott-Verpflichtungen deutscher Firmen, soll nach durch die israelische Regierung" gesprochen wird. der Empfehlung des Wirtschaftsausschusses für erle- digt erklärt werden, weil eine derartige Verordnung (Freimut Duve [SPD]: Das steht nicht d rin!) der Bundesregierung ergangen sei. Das mag zutref- Auch ich halte die Ausweisung — — fen. Aber mit der Wirklichkeit hat es nichts zu tun. Der Sprecher des israelischen Außenministeriums hat (Freimut Duve [SPD]: Es steht nicht so drin, es soeben Daten vorgelegt, die beweisen, daß arabische steht ein anderes Wort drin!) Länder trotz entgegengesetzter Zusicherungen nach — Herr Kollege Duve, ich werde Ihnen diesen Antrag wie vor den Boykott von Israel verlangen. So hat z. B. — — Dann habe ich von der Bundestagsverwaltung Kuwait im vergangenen Jahr fast 3 000mal von ame- einen anderen Antrag bekommen, als er gestellt rikanischen Firmen die Aufgabe von Geschäftsver- worden ist. bindungen mit Israel verlangt. Während sich immer mehr amerikanische Firmen diesem Ansinnen ver- Auch ich halte die Ausweisung der Hamas-Aktivi- weigern, akzeptieren deutsche Unternehmen nach sten für einen Fehler. Aber dafür den Beg riff „Depor- wie vor die diskriminierenden Bedingungen arabi- tation" zu gebrauchen, ist unsensibel, wie das auch scher Geschäftspartner. die deutsche Presse get an hat und wie auch Sie das Vor allem Franzosen, Deutsche und Briten sprin- eben in Ihrer Rede getan haben. Das ist unsensibel gen in jede Nische. und muß jeden Juden auf der Welt schockieren. So zitierte in dieser Woche die „FAZ" den Chef der (Zuruf von der CDU/CSU: „Abschiebung" israelischen Handelskammer, Danny Gillermann. wird gesagt! — Dr. Elke Leonhard-Schmid Angesichts dessen kann die Bundesregierung nicht [SPD]: Zuerst st and das Wort „Depo rta aus der Verpflichtung entlassen werden, wirksam tion"!) gegen deutsche Unternehmen vorzugehen, die sich Denn das deutsche Wort „Deporta tion" ist für alle Zeit zum Handlanger arabischer Regierungen haben verbunden mit Begriffen wie Auschwitz und Shoa. machen lassen. Ich fordere die Bundesregierung auf, dem Parlament und der deutschen Öffentlichkeit eine Ich vermisse im Antrag der CDU/CSU, der SPD und Liste derjenigen Unternehmen bekanntzugeben, die F.D.P. jeden Hinweis darauf, daß es sich bei den Boykottmaßnahmen gegen Israel akzeptiert haben. ausgewiesenen Palästinensern mehrheitlich um Akti- visten der Hamas h andelt, jene Organisation radikaler Fanatiker, die durch fortgesetzte Terrorakte den Frie- Vizepräsident Hans Klein: Herr Kollege Weiß, Sie densprozeß behindern und die die eigenen palästi- haben Ihre Redezeit sehr weit überschritten. nensischen Landsleute erpressen und schikanieren. (Dr. Olaf Feldmann [F.D.P.]: Mit einigen Konrad Weiß (Berlin) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Irrtümern dabei!) Einen Satz bitte noch, Herr Präsident. — Denn es kann nicht sein, daß 60 Jahre nach dem „Kauft nicht bei Dennoch, ich wiederhole es: Der richtige Weg wäre Juden" nun ein „Verkauft nicht an Juden" sang- und gewesen, sie vor Gericht zu stellen und zu verurteilen, klanglos hingenommen wird. nicht aber sie auszuweisen. Vielen Dank. Der vorliegende Antrag aber vermeidet eine- klare (Beifall bei der SPD) Stellungnahme, so als versuche das deutsche Parla- ment, sich hinter UN-Resolutionen und EG-Erklärun- gen zu verstecken. Ich glaube nicht, daß dieses Vizepräsident Hans Klein: Ich erteile das Wort der Lavieren den Friedensprozeß in irgendeiner Weise Kollegin Dr. Ursula Fischer. 12138 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 140. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Februar 1993

Dr. Ursula Fischer (PDS/Linke Liste): Herr Präsi- Wir fordern die Bundesregierung auf, sich für die dent! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Wiederholt sofortige Einstellung aller Handlungen einzusetzen, hat sich der Bundestag auch in dieser Legislaturpe- die den Friedensprozeß im Nahen Osten bereits seit riode mit der äußerst sensiblen Krisenregion des Jahrzehnten ernsthaft gefährden. Man kann nicht die Nahen Ostens beschäftigt. Man möchte annehmen, Gewaltpolitik der israelischen Regierung tole rieren dies geschah, weil immer mehr Deutsche spätestens und den Kampf gegen sie als Terrorismus im allge- seit dem Golfkrieg begriffen haben, daß der Nahe meinen verunglimpfen. Diese Doppelmoral der Bun- Osten inzwischen viel näher ist, als gewöhnlich ange- desregierung muß aufhören. Mehr denn je kommt es nommen wurde. Die umfangreichen Energiequellen darauf an, sich für die sofortige Einstellung der Sied- dieser Region erweisen sich als unverzichtbar für den lungspolitik ebenso einzusetzen wie gegen Auswei- Wohlstand und die verschwenderische Konsumge- sungen, Ausgangssperren, Zerstörung des Kultur- sellschaft dieses Landes. Aber auch die sicherheitspo- und Bildungswesens sowie des Gesundheitswesens litische und ökologische Dimension dieser Region sind und viele andere Formen der kollektiven Bestrafung nähergerückt. Die Ereignisse im Nahen Osten gehen durch die israelischen Behörden. Ich war in Israel. Ich uns somit sehr wohl etwas an. war auch im Gaza-Streifen. Ich weiß, wovon ich Meine Damen und Herren, aus historischer Verant- rede. wortung und angesichts aktueller Herausforderungen (Dr. Andreas Schockenhoff [CDU/CSU]: Die hätten wir Deutsche allen Grund, mit einer überzeu- sen Eindruck hat man aber nicht!) genden Politik zur Lösung des Nahost-Konflikts bei- Wo bleibt die unüberhörbare Stimme der Bundesre- zutragen, nicht nur verbal. Ich bezweifle, daß das gierung, die sich gegen die menschenrechtsverlet- ernsthaft geschieht. zende und menschenunwürdige Zwangsausweisung Ich möchte in Erinnerung rufen: Bereits am 6. No- von über 400 Palästinensern ausspricht? Es kann wohl vember 1973 haben die EG-Staaten in einer Nahost nicht bestritten werden, daß die gewaltsame Sied- Erklärung in Brüssel auf die Unannehmbarkeit von lungspolitik in besetzten arabischen Gebieten eben- Gebietserwerbungen durch Gewalt und darauf ver- sowenig dazu dient, eine Atmosphäre zu schaffen, die wiesen, daß es für Israel notwendig ist, die Besetzung zu einer gerechten, umfassenden und dauerhaften arabischen Territoriums zu beenden. Das Gipfeltref- Lösung des Nahost-Konflikts beiträgt wie die Vergel- fen der EG erneuerte in einer weiteren Erklärung am tungspolitik der israelischen Behörden durch Mas- 13. Juni 1980 in Venedig diese Feststellung. Die senausweisungen, eine Atmosphäre im übrigen, die Teilnehmer stellten zugleich fest, „sie sind zutiefst auch nicht den Interessen der israelischen Bevölke- überzeugt, daß die israelischen Siedlungen den Frie- rung dient. densprozeß im Nahen Osten ernsthaft behindern" . Sie Wenn die Chance, von der die Empfehlung des bezeichneten die Siedlungen nach Völkerrecht als Auswärtigen Ausschusses ausgeht, tatsächlich ge- ungesetzlich. Das sind zutreffende Erkenntnisse seit nutzt werden soll, um den israelisch-arabischen Kon- vielen Jahren. Es gilt also unzweideutige Erklärungen flikt und die Palästinafrage umfassend zu lösen, dann seitens der EG, von zahlreichen Resolutionen des müssen die Siedlungspolitik und die Massenauswei- Sicherheitsrats und der UN-Vollversammlung ganz sungen unverzüglich eingestellt werden. Ohne dem abgesehen. ist der Friedensprozeß undenkbar, und die Friedens- Meine Damen und Herren, wir übersehen keines- gespräche sind von vornherein zum Scheitern verur- wegs Ansatzpunkte in der Beschlußempfehlung des teilt. Auswärtigen Ausschusses vom 2. April 1992 zum Wir hoffen, daß die Bundesregierung ihre Verant- Antrag der SPD-Fraktion. Auch die PDS/Linke Liste wortung wahrnimmt, damit die Chancen für Aussöh- begrüßt den in Madrid eingeleiteten Verhandlungs- nung zwischen Juden und Arabern, für Frieden und prozeß. Auch wir erwarten eine umfassende, gerechte Zusammenarbeit nicht wie so oft vertan werden. und dauerhafte Lösung des Nahost-Konflikts. Der Antrag der SPD und die Beschlußempfehlung ent- Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit. sprechen unseres Erachtens jedoch nicht den Erfor- (Beifall bei der PDS/Linke Liste) dernissen der Zeit und bleiben beträchtlich selbst hinter den obengenannten Erklärungen der EG zurück. Vizepräsident Hans Klein: Der Kollege Hans Koschnick hat darum gebeten, eine Zwischenbemer- Namens der Bundestagsgruppe PDS/Linke Liste kung machen zu dürfen. fordere ich die Bundesregierung auf, die Abgeordne- ten, die deutsche und die inte rnationale Öffentlichkeit Ich erlaube mir an dieser Stelle einen Hinweis an die darüber aufzuklären, was sie in den letzten Jahren im SPD-Fraktion. Wenn zwei Kollegen wie der Kollege Rahmen der EG und auf bilateraler Ebene im Sinne Duve und Sie, die zu einem Thema Gewichtiges zu der zitierten Erklärungen effektiv unternommen hat, sagen haben, da sind, sollten sie auf die normale damit der Konflikt einer Lösung näherrückt, und Rednerliste gesetzt werden. Denn das Instrument der warum sie neuerdings allein auf eine Einstellung der Kurzintervention ist dazu gedacht, auf Äußerungen israelischen Siedlungspolitik hinwirken will und über des Vorredners eingehen zu können. Sie, Herr Kollege die selbst nach Meinung der EG völkerrechtswidrigen Koschnick, haben antizipiert, was Ihre beiden Vorred- Siedlungen vergangener Jahrzehnte, die- den Frie- ner sagen werden, und sich vorsichtshalber schon drei densprozeß im Nahen Osten ernsthaft behindern, Redner vorher gemeldet. Die Kurzintervention ist an keine Silbe mehr verliert, ja, sie sieht in der Siedlungs- sich nicht so gedacht. Sie soll der Dialogfähigkeit des politik lediglich die Gefahr der Belastung des Frie- Parlaments dienen. densprozesses. Ich erteile Ihnen das Wort. Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 140. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Februar 1993 12139

Hans Koschnick (SPD): Zur Geschäftsordnung habe Vizepräsident Hans Klein: Herr Kollege Duve, was ich gebeten, nach Abschluß der ersten Runde einige war das für eine Wortmeldung? Darf ich das feststel- Sätze sagen zu dürfen. Sie haben dem entsprochen. len ? Danke schön. (Freimut Duve [SPD]: Ich habe eine persönli Ich bin mit Konrad Weiß einer Meinung, mit einer che Erklärung nach § 31! — Zuruf von der einzigen Ausnahme: Wir sollten von der Bundesregie- CDU/CSU: Ihr habt schon so viele persönli rung keine Liste von den Firmen anfordern, die sich an che Erklärungen abgegeben; ihr seid dabei, den Boykott gehalten haben. Denn das wäre das Mißbrauch damit zu treiben!) Register des Deutschen Industrie- und Handelstages. — Verzeihung, eine Erklärung nach § 31 kommt nach Es würde genügen, die Firmen zu benennen, die sich Schluß der Debatte. nicht daran gehalten haben. Das wäre kürzer. Ich erteile das Wort dem Staatsminister im Auswär- (Beifall des Abg. Konrad Weiß [Berlin] tigen Amt, Herrn Helmut Schäfer. [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Zweite Bemerkung. Wenn ich eben höre, was über Helmut Schäfer, Staatsminister im Auswärtigen die armen Menschen im Nahen Osten gesagt worden Amt: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Vor ist — ich teile manches —, dann bitte ich ein wenig genau zwei Jahren haben wir in diesem Hause schon nachzudenken. Wir, die wir dagegen sind, daß in ein einmal, aber über eine andere Frage diskutiert, näm- fremdes Land abgeschoben wird, wir, die wir dafür lich über den Krieg am Golf und die Bedrohung, die sind, daß vor Gericht gestellt wird, wissen aber, daß von diesem Krieg auf die arabischen Nachbarstaaten, diejenigen, die politische Gefangene in Bautzen ein- aber auch auf Israel ausgeht. Kaum jemand konnte gesperrt haben, früher unter ganz anderen Bedingun- sich damals vorstellen, daß nur relativ kurze Zeit gen mit ihnen umgesprungen sind, als im Nahen danach durch die Nahostfriedenskonferenz in Ma- Osten miteinander verkehrt sind. Sie sollten schwei- drid ein Verhandlungsprozeß eingeleitet worden ist, gen. bei dem erstmals alle Konfliktparteien miteinander (Beifall bei der CDU/CSU — Abg. Freimut sprechen. Auf allen Seiten waren dazu politischer Mut Duve [SPD] meldet sich zu Wort) und Weitsicht erforderlich. Es war entscheidend dafür, daß der Nahostfriedensprozeß seither greifbarere For- men angenommen hat. In der Zwischenzeit haben acht Runden direkter Vizepräsident Hans Klein: Verzeihung, Herr Kol- lege Duve — — bilateraler Verhandlungen über Fragen der regiona- len Zusammenarbeit im Nahen Osten zwischen Israel (Freimut Duve [SPD]: Ich wollte eine Erklä und seinen unmittelbaren Nachbarn und zwei rung abgeben!) Gesprächsrunden multilateraler Verhandlungen — Ja gern; aber zunächst einmal hat nach der stattgefunden. Israelis — und das war neu — haben Geschäftsordnung die Kollegin Fischer das Recht, zusammen mit Palästinensern, Syrern, Jordaniern, kurz auf diese Bemerkung zu antworten. Libanesen und anderen Arabern an einem Tisch Einzelheiten einer Friedensregelung für die Region erörtert. Dr. Ursula Fischer (PDS/Linke Liste): Herr Kollege, Obwohl noch kein Durchbruch erzielt worden ist, ich weiß nicht, wie Sie dazu kommen, mir hier haben diese Verhandlungen die politische Entwick- Schweigen aufzuerlegen. Das muß ich an dieser Stelle lung im Nahen Osten entscheidend verändert. Auch wirklich einmal sagen. Wer sich in irgendeinem straf- in der jetzigen sehr schwierigen Lage hat keine der rechtlichen Sinne vergangen hat, sollte vor Gericht Verhandlungsparteien den Abbruch der Gespräche gestellt werden — aber von beiden Seiten. Das muß gefordert. Vielmehr sind sich alle einig, daß der ich hier wirklich betonen. Verhandlungsprozeß bilateral wie multilateral mög- lichst bald fortgesetzt werden muß. Ich habe auch mit vielen Israelis gesprochen — z. B. mit den „Frauen in schwarz" oder von der Friedens- Die Bundesregierung hat diesen Prozeß zusammen bewegung —, die genauso denken wie ich, und die mit ihren europäischen Partnern von Anfang an auf würden das hier wahrscheinlich auch aussprechen. allen Ebenen unterstützt. Sie hat sich bei ihrer Mitar- beit von den Prinzipien leiten lassen, die der nieder- Ich habe in der Dritten Welt gearbeitet, und ich war ländische Außenminister van den Broek im Namen im Gaza-Streifen, und ich muß sagen: Ich bin so der Zwölf bereits bei der Konferenz in Madrid hervor- entsetzt; ich habe so etwas — auch unter hygienischen gehoben hat: die Entschließungen des Sicherheitsra- Gesichtspunkten — noch nie erlebt. tes Nr. 242 und Nr. 338, der Grundsatz „Land für Ich kann Ihnen dazu nur eines noch sagen: ich kam Frieden", das Recht aller Staaten der Region ein- aus dem Holocaust-Museum, tief beeindruckt, und ich schließlich Israels, in sicheren und anerkannten Gren- war in Ostjerusalem und habe beobachten müssen, zen zu leben, aber auch das Selbstbestimmungsrecht wie junge Frauen mit langen Haaren mit Maschinen- des palästinensischen Volkes. Mit unseren Partnern pistolen in der Hand Palästinenser aus den Autos teilen wir die Überzeugung, daß es dabei um eine gezerrt haben, junge Palästinenser an die- Wand abschließende Gesamtlösung für diesen Konflikt gestellt haben usw. gehen muß — im Interesse aller Betroffenen. Ich möchte Sie wirklich bitten, hier wirklich ein Die Bundesregierung hat sich darüber hinaus bißchen objektiver zu sein und nicht einfach pauschal besonders dafür eingesetzt, die multilateralen Ver- andere Leute anzugreifen. handlungen über Fragen der regionalen Zusammen- 12140 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 140. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Februar 1993

Staatsminister Helmut Schäfer arbeit im Nahen Osten zu einem Schwerpunkt der Bundesregierung, dem Beispiel der israelischen europäischen Mitwirkung zu machen. Sie hat sich Regierung folgend, eine gewisse Zurückhaltung bei dabei von der Überzeugung leiten lassen, daß Europa der Begegnung mit Vertretern der Palästinenser in — insbesondere aus den Erfahrungen der KSZE — bei Zukunft ablegen kann. Sie scheint mir durch den Fragen wie Rüstungskontrolle und regionale Sicher- Beschluß der Knesseth in dieser Frage bei ihrer heit, regionale wirtschaftliche Entwicklung — Was- Rücksichtnahme auf Israel nicht mehr ganz so unter ser, Umwelt, Flüchtlinge — substantielle Beiträge lei- Zwang zu stehen wie in der Vergangenheit. sten kann. (Zuruf von der SPD: Ist das die Haltung der (Dr. Olaf Feldmann [F.D.P.]: Wie wäre es mit ganzen Bundesregierung?) einem Gespräch mit der PLO?) — Ich habe das, was Herr Feldmann hier gesagt hat, Dabei sind wir Deutsche besonders gefordert. aufgegriffen, und er wird sicher für die Fraktion der Gerade bei den wirtschaftlich geprägten Themen wie F.D.P. und für die der F.D.P. angehörigen Minister regionale Zusammenarbeit im Nahen Osten richten diese Forderung vielleicht noch etwas erweitern kön- sich Erwartungen an uns, die mit unserer Position bei nen. der internationalen wirtschaftlichen Zusammenarbeit verbunden sind. Bundesminister Kinkel hat bei seinem Besuch in Israel am 18. November des vergangenen Jahres den Wir haben seit Madrid eng mit den Kosponsoren Mut und die Entschlossenheit der israelischen Regie- England und Rußland zusammengearbeitet. Vor rung gewürdigt. Auch die Palästinenser und die allem unsere amerikanischen Partner — hier sei beteiligten arabischen Staaten haben durch ihre posi- Außenminister a. D. Baker noch einmal erwähnt — tive Haltung zur Intensivierung der Gespräche beige- haben sich große Verdienste um das Zustandekom- tragen. men und die Fortsetzung der Verhandlungen erwor- ben. Für die Bundesregierung begrüße ich, daß Präsi- Annäherungen in wichtigen Teilbereichen konnten dent Clinton von Anfang an keinen Zweifel an seiner erzielt werden. Israelis und Palästinenser verhandel- Entschlossenheit gelassen hat, den in Mad rid einge- ten substantiell, wenn auch kontrovers über die leiteten Verhandlungsprozeß konsequent fortzufüh- Umrisse einer künftigen Interims-Seibstregierung für ren. die israelisch besetzten Gebiete. Wir unterstützen den Vorschlag demokratischer Wahlen in den besetzten Der arabisch-israelische Konflikt und der Streit Gebieten — ich betone: demokratischer Wahlen — zwischen Israelis und Palästinensern um das eine und hoffen, daß über die Modalitäten in absehbarer Land sind alt, tief und voller Emotionen. Jeder, der den Zeit Einvernehmen erreicht werden kann. Nahen Osten kennt, wußte daher, daß die Verhand- lungen schwierig, voller Hindernisse und daher lang- Im Verhältnis zwischen Syrien und Israel erkannte wierig sein würden und daß Rückschläge nicht aus- Israel die Anwendbarkeit der Sicherheitsratsresolu- bleiben würden. tion Nr. 242 für den Golan an. Syrien sprach daraufhin von der Möglichkeit eines mutigen Friedens. Israel Um so wichtiger ist es, die verbesserte Verhand- und Jordanien einigten sich über den Entwurf einer lungsatmosphäre und die Fortschritte nicht gering zu Tagesordnung mit dem Ziel einer Friedensrege- schätzen, die allmählich erreicht wurden. Im Sommer lung. des vergangenen Jahres hat die Regierungsüber- nahme durch Ministerpräsident Rabin dazu geführt, Mit großer Sorge mußten wir zugleich immer wieder den Friedensprozeß auf eine neue Grundlage zu feststellen, daß der Friedensprozeß im Nahen Osten stellen. Der von Rabin sofort verfügte teilweise Sied- auch Gegner, ja, Feinde hat. Es sind die Extremisten lungsstopp ist überall nachdrücklich begrüßt worden, auf allen Seiten, Frau Kollegin Fuchs; vollkommen auch wenn er hinter der von der internationalen richtig! Es sind diejenigen, die im Nahen Osten und in Gemeinschaft seit Jahren immer wieder bekräftigten den besetzten Gebieten Gewalt üben, Maximalvor- Forderung nach einem vollständigen Stopp der völ- stellungen verbreiten und die es bewußt darauf anle- kerrechtswidrigen Siedlungsaktivität — das ist voll- gen, den Friedensprozeß zu stören. kommen richtig, sie war von Anfang an völkerrechts- Ich möchte jetzt nicht alle Einzelheiten der Vor- widrig, keine dieser Aktionen ist jemals interna tional kommnisse der letzten beiden oder drei Wochen gebilligt worden — deutlich zurückbleibt. aufzählen. Es würde fast zu weit führen und könnte Die israelische Regierung hat durch weitere posi tive Herrn Kollegen Weiß vielleicht doch in irgendeiner Schritte — ich nenne in diesem Zusammenhang auch Weise beeindrucken, was ich hier gar nicht versuchen die Entschärfung des sogenannten PLO-Kontaktver- will. Ich kann nur sagen, daß der Mord an einem botgesetzes ihrer Vorgängerregierung — israelischen Soldaten die Entscheidung der israeli- schen Regierung ausgelöst hat, im Widerspruch zum (Dr. Olaf Feldmann [F.D.P.]: Welche Schluß Völkerrecht 400 Palästinenser auszuweisen. Ich folgerung zieht die Bundesregierung?) möchte das jetzt hier auch nicht vertiefen, weil, meine — ich komme sofort dazu — auch für die anderen Damen und Herren, schon sehr viel in der Weltöffent- Konfliktparteien sichtbar unterstrichen, wie ernst sie lichkeit dazu gesagt worden ist. es damit meint, die für die Verhandlungen nötigen - Wir sehen in dem Beschluß der israelischen Regie- Kompromisse zu finden. rung vom 2. Februar, die Ausweisung von 100 Palä- Herr Kollege Feldmann, ich bin außergewöhnlich stinensern rückgängig zu machen und die Auswei- dankbar, daß Sie heute und gerade jetzt durch zwei sungsdauer generell zu verkürzen, ein posi tives Zwischenrufe wieder darauf verwiesen haben, daß die Signal. Wir hoffen und wünschen, daß durch diese Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 140. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Februar 1993 12141

Staatsminister Helmut Schäfer Entscheidung ein Gesamtprozeß in G ang gesetzt Die konkrete Thematik heute beschäftigt sich mit wurde, der zur schrittweisen Rücknahme der Aus- den weiterhin zentralen Problemen jeglicher deut- weisungsverfügung führen wird. Es kann aber kein schen und europäischen Politik gegenüber dieser Zweifel daran bestehen, daß die Autorität des Sicher- Weltregion. heitsrates und die Geltung seiner Resolutionen auch in schwierigen Situationen beachtet werden müs- Herr Kollege, verzeihen sen. Vizepräsident Hans Klein: Sie, daß ich Sie einen Moment unterbreche. Ich wäre (Dr. Olaf Feldmann [F.D.P.]: Sehr richtig!) sehr dankbar, wenn wir die Hintergrundkonferenz Im gleichen Sinne bleibt Israel verpflichtet — und entweder nach draußen verlegen oder beenden. wir weisen heute nicht zum ersten Mal darauf hin —, die Menschenrechte der Bevölkerung der besetzten Christoph Zöpel (SPD): Herzlichen Dank, Herr Prä- Gebiete und die Bestimmungen der vierten Genfer sident. Konvention zu beachten. Es geht um das Thema, das immer noch zentral ist Meine Damen und Herren, es ist jetzt entscheidend, für das Verhältnis Europas und auch Deutschlands daß sich alle Kräfte darauf konzentrieren müssen, die gegenüber dieser Region und für die Region selbst, mit den jüngsten Entwicklungen verbundenen Risi- um das Verhältnis zwischen den arabischen Staaten ken und Gefahren für den Nahostfriedensprozeß und Israel. möglichst bald zu überwinden. Minister Kinkel hat in der letzten Woche der amerikanischen Regierung in Wir haben — das ist nicht zu bestreiten bei aller Washington zugesichert, daß wir unsererseits zusam- unterschiedlichen Bewe rtung des Engagements men mit unseren europäischen Partnern nach Kräften Deutschlands und anderer Länder in der Kuwait- dazu beitragen wollen. Krise — danach in der Tat mit dem Friedensprozeß von Madrid Hoffnung erlebt und erleben sie noch. Nach Ich glaube, daß auch die heutige Debatte bei aller dem Regierungswechsel in Israel ist die Hoffnung Emotionalität, die sie ausgelöst hat, einen sinnvollen durch die Beendigung der Besiedlung in den besetz- Beitrag leistet, und ich darf dazusagen, daß unsere ten Gebieten und in jüngster Zeit durch die Aufhe- Bemühungen, auch im Rahmen der multilateralen bung des Kontaktverbots zur PLO weiter gestiegen. Verhandlungen etwas dazu zu tun, fortgesetzt wer- den. Wir könnten uns vorstellen, daß z. B. die multila- Daß wir jetzt die Ausweisung von rund 400 Palästi- terale Arbeitsgruppe „Regionale wirtschaftliche Ent- nensern sehr schnell zu einem Beratungsthema hier wicklung", wie von uns vorgeschlagen wurde, in machen, hat sicherlich auch etwas mit Enttäuschung Deutschland tagt. Das würden zugleich die ersten zu tun, mit enttäuschten Hoffnungen, die durch die Verhandlungen im Rahmen des Nahost-Friedenspro- Beendigung der Besiedlung und die Aufhebung des zesses auf deutschem Boden sein. Das wird hoffentlich Kontaktverbots zu Recht genährt worden waren. nicht zu neuerlichen Sensibilitäten führen. Herr Kol- Dennoch, Herr Kollege Weiß, die Frage, ob und in lege Weiß, wir können unser Verhältnis zu diesem welcher Tonlage wir hier über Israel diskutieren, halte Raum eben nicht ausschließlich und immer wieder auf ich für berechtigt. Es macht, glaube ich, Sinn, dazu zu die Bewältigung unserer eigenen Vergangenheit argumentieren, wenn man es bejaht, wie Sie dazu reduzieren. Es geht darum, Frieden herzustellen, und argumentiert haben, der Sie — für mich sehr ernst zu zwar fair, gerecht und mit Rücksichtnahme auf die nehmende — Zweifel haben. Dieses Argumentieren Interessen all derer, die dann gemeinsam in einer hat damit zu tun, daß man über Israel nicht sprechen Region — so hoffen wir — in Zukunft miteinander kann, ohne an deutsche Geschichte zu denken und zu leben können. sagen, welche Konsequenzen man zieht, welche Kon- Vielen Dank. sequenzen man aus der deutschen und israelischen oder der deutschen und jüdischen Geschichte für das (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) Verständnis für Israel ziehen kann. Ich will beides benennen. Vizepräsident Hans Klein: Herr Kollege Dr. Chri- Die deutsche Konsequenz aus dieser Geschichte ist stoph Zöpel, Sie haben das Wort. für mich ein deutsches Höchstmaß an Friedfertigkeit und Ablehnung von Gewalt. Das ist für mich die Konsequenz daraus, und sie gilt dann überall. Dr. Christoph Zöpel (SPD): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sie, Herr Staatsminister, haben Umgekehrt verstehe ich vollständig, wenn Israel darauf hingewiesen, daß es einige Zeit her ist, daß sich aus diesem Abschnitt der Weltgeschichte die Konse- der Bundestag das letzte Mal mit den politischen quenz zieht, in einem Höchstmaß verteidigungswillig Entwicklungen im Nahen und Mittleren Osten zu sein. Es gibt Unterschiede hinsichtlich der Konse- beschäftigt hat. quenzen, die beide L ander ziehen. Es ist schwierig, Maßstäbe dafür zu haben, was Weil ich aber für mich diese Konsequenz ziehe, die wichtig ist von dem, was wir hier im Bundestag israelische Haltung zu respektieren und zu verstehen, besprechen. Aber bei diesem Problembereich der für die deutsche Haltung ein Höchstmaß an Friedfer- Weltpolitik beschleicht mich schon das Gefühl, daß tigkeit und Ablehnung von Gewalt zu formulieren, ist wir mit einer gewissen — so kann man vielleicht es, glaube ich, aus dieser Sicht berechtigt, wenn sagen — Hilflosigkeit auf Entwicklungen, Lagen, die Israelis und Deutsche sich gegenseitig auch kritisch sich verändern, auf neue Gefahren schauen. Wir begegnen. wissen nicht so recht, was wir tun sollen. Das mag In einem Brief, den ich zusammen mit meinem teilweise auch zum Verdrängen führen. Fraktionskollegen Rudolf Dreßler an den Generalse- 12142 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 140. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Februar 1993

Christoph Zöpel kretär der israelischen Arbeiterpartei, Nissin Zvili, in Deutschland sehen konnten. Aber wir müssen geschrieben habe, haben wir ausdrücklich und dieses Netzwerk mit allen arabischen Ländern auf- bedacht geschrieben: Wir haben es für notwendig bauen. gehalten, daß aus Israel Kritik an den Ausschreitun- Denn es gibt Gefahren. Einer unterliegen wir gen gegen Ausländer in Deutschland und hinsichtlich manchmal selbst. Es gab einen kurzen Disput zwi- der Gefahr neuen Antisemitismus hier geübt wurde. schen meinem Freund Hans Koschnick und Frau Wir glauben, auf der gleichen Basis können wir uns Fischer über die Schärfe von Ang riffen. Ich möchte das kritisch zu der Ausweisung der Palästinenser äußern. an uns alle richten. Ich glaube, wir gehen in unseren Das, finde ich, ist die Basis, hierüber zu sprechen. Resolutionen mit anderen Ländern — ob sie der Auf dieser Basis gelingt es auch, in einen Dialog mit Bundestag als Ganzes verabschiedet oder ob nur Israelis einzutreten, bei dem es — wenn auch nur einzelne Parteien oder Fraktionen oder Sprecher von begrenzt, wie das auf internationalen Konferenzen einzelnen Gruppen in den Parteien sich dazu entspricht — dann doch möglich ist, zu Erfolgen zu äußern — oft in einer Art und Weise verbal-radikal kommen. um, die das Entstehen von echten Beziehungen ver- Ich war bis gestern in Athen auf der Ratstagung der hindert. Sozialistischen Internationale. Dort haben wir mit den (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Stimmen der beiden der Sozialistischen Interna tionale der CDU/CSU, der F.D.P. und der PDS/Linke angehörenden israelischen Regierungsparteien, der Liste) Arbeiterpartei und der Mapam, festgestellt: „Die Ausweisung" — ich nehme jetzt das englische Wo rt, Ich muß sagen, das erschüttert mich. Ich rede jetzt weil darüber viel gestritten wird: expulsion — „ist überwiegend sogar von dem, was ich näher beob- gegen das Völkerrecht und eine Verletzung der Men- achte; das ist meine eigene Partei. Dem sollte m an schenrechte. " an insgesamt Rechnung tragen, denn nur dann kann m Netzwerke ausbauen, und das müssen wir gegenüber (Zuruf des Abg. Dr. Olaf Feldmann den Arabern tun. Denn eine Gefahr taucht inzwischen [F.D.P.]) zumindest in der europäischen Presse auf: Hier ist ein — Herr Kollege Feldmann, wenn man einen Fort- neues Feindbild, der Islam, das ist offenkundig. Viel- schritt erzielt und dann sofort fragt, warum m an vorher leicht sollten wir alle ein wenig darüber nachdenken, noch nicht so fortschrittlich war, kann man ihn gefähr- wie Feindbilder entstehen. Daß Abgrenzung — wir den. Das gilt für alle Parteien. diskutieren ja, seitdem die große Grenze durch die Weiter haben wir mit Zustimmung dieser Parteien Welt gefallen ist, über neue Abgrenzungen; ich halte festgestellt: „Israel sollte alle Forderungen der Reso- das nicht für hilfreich — immer wieder Feindbilder lution 799 des Sicherheitsrates der Vereinten Natio- gebiert, ist offenkundig. Wir haben diese Debatte; es nen erfüllen und die Rückkehr aller ausgewiesenen wäre schrecklich, wenn es zu einem Feindbild Islam Palästinenser erlauben. Die Entscheidung der israeli- käme. Bei den Verurteilungen der Araber müssen wir schen Regierung vom 1. Februar dieses Jahres ist ein sehr vorsichtig sein, wenn wir alle uns als Europäer Schritt in die richtige Richtung, aber nicht genug. " Ich begreifen. Durch den Bosnien-Konflikt ist offenkun- glaube, hier zeigt sich, daß es doch Sinn macht, auch dig geworden, daß, wenn die Religion als Kriterium kritisch, Herr Kollege Weiß, mit Freunden in Israel zu genommen wird, die Araber als Muslime mehr Recht sprechen. haben, von gefährlichen Europäern zu sprechen als umgekehrt; ich will das hier einmal deutlich feststel- Damit bin ich bei einem Punkt, den ich für wich tig len. Wir reagieren darauf mit Hilflosigkeit. Von daher halte: Daß man so zwischen Israelis und Deutschen müssen wir so, wie wir mit Israel sprechen, auch mit sprechen kann und manchmal in dem Rahmen, den den Arabern sprechen. Das geht über die Politik der internationale Konferenzen bilden, zu Fortschritten Regierung hinaus. Es bedeutet für mich verbale Abrü- kommt, hat damit zu tun, daß wir zwischen Israel und stung, Bemühungen zu sprechen, mit jedem zu spre- Deutschland ein Netzwerk an Beziehungen aufbauen chen; ich sage ganz bewußt: mit jedem in der islami- konnten, ein vielfältiges Netzwerk, das nicht zu Ein- schen Welt zu sprechen, was kein Verstoß dagegen ist, seitigkeiten verführen darf, das aber hält. Das fehlt daß unsere Positionen in bezug auf Menschenrechte uns aber gegenüber den meisten, ich möchte sagen: und Pluralismus deutlich sind. Aber solange unsere fast allen arabischen Ländern. Hier liegt meine Wirtschaftsunternehmen, wie wir eben diskutiert Sorge. haben, bei den Arabern den Eindruck erwecken: (Zustimmung des Abg. Helmut Schäfer Kapitalisten reden im politischen Bereich vielleicht [F.D.P.]) nach ihren Prinzipien, aber wenn sie H andel treiben, Sie wird noch verstärkt, wenn es nicht gelingt, sich dann halten sie sich nicht daran — das kann man ja gegenüber der PLO anders einzustellen. Es bringt ja nicht ganz leugnen — — nichts, dieser Bundesregierung zu sagen: Es war (Gerhard Reddemann [CDU/CSU]: Denken schon manchmal etwas verkrampft, wenn wir kram- Sie da nicht an einen Ministerpräsidenten in pfiger waren als die, für die wir „Krampften". Niedersachsen? — Zuruf von der SPD: Das (Dr. Olaf Feldmann [F.D.P.]: Prinzipiell!) verurteilen wir genauso!) Gut, wenn sich das jetzt lockert. Es ist sinnvoll, daß — Die Reaktion der SPD auf diese Entwicklung in wir mit der PLO reden können, weil hier vielleicht am Niedersachsen kennen Sie. Auf der anderen Seite ehesten ein Netzwerk da ist. Es war ja schön, daß wir halten wir uns doch besser alle mit dem Zurechnen fast alle führenden Vertreter der Palästinenser bei den zurück, wann welcher deutsche Minister oder Mini- Friedensverhandlungen in den letzten Monaten hier sterpräsident auch in der Verfolgung von aus deut- Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 140. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Februar 1993 12143

Christoph Zöpel scher Sicht berechtigten wirtschaftlichen Interessen Seit Jahren ist es ein Ärgernis, zu sehen, wie sich engagiert hat. deutsche Unternehmen bei Aufträgen von arabischen Erklärungen abzuge- (Gerhard Reddemann [CDU/CSU]: Ich wollte Staaten genötigt worden sind, ben, daß sie mit Israel keine Wirtschaftsbeziehungen Sie nur darauf aufmerksam machen, was die unterhalten dürfen. So wie deutsche Firmen werden Kapitalisten tun!) auch andere europäische und amerikanische Firmen — Herr Kollege Reddemann, vielleicht merken Sie, zur Abgabe dieser Erklärung gedrängt. Auch hier, daß ich bei diesem Problembereich, bei dem wir alle Frau Leonhard-Schmid, darf ich daran erinnern, daß manchmal hilflos sind, bisher darauf verzichtet habe, diese Praxis seit der Gründung des Staates Israel irgendeine Regierung anzugreifen. besteht. Die Bemühungen in Ihrer Rede, Schuldzu- (Katrin Fuchs [Verl] [SPD]: Das kann er nicht weisungen in Richtung der jetzigen Regierung vorzu- unterscheiden!) nehmen, sind schon deshalb falsch, weil es gerade — Frau Kollegin Fuchs, es geht um Lernprozesse. diese Regierung ist, die es abgestellt hat. Das genannte Bild vermittelt sich in arabischen (Dr. Elke Leonhard-Schmid [SPD]: Das habe Ländern schon; sie erzählen uns das manchmal ich ausdrücklich nicht get an ! Sie haben nicht zynisch. Wir sollten dies ein wenig mehr berücksich- zugehört!) tigen. Sie glauben uns nicht, daß wir wirklich für Dies ist als erfreulich anzusehen. Erfreulich finde ich Menschenrechte und Pluralismus sind, wenn der auch, daß, wenn man genau zugehört hat, zwischen Exportauftrag allemal wichtiger ist als die Durchset- Ihnen und Herrn Zöpel gewisse Welten gelegen zung dieser Positionen. haben. Aber es ist auch nicht schlecht, wenn innerhalb Noch einmal: In dem Raum südlich von Europa einer Fraktion verschiedene Meinungen zum Aus- treten Entwicklungen auf, für die wir noch keine druck kommen. Rezepte haben. Auch das ist für mich ein Grund, dann Die Fraktionen waren sich im Wirtschaftsausschuß nicht immer zu sagen: Die Regierung hat nicht ... — und auch im Auswärtigen Ausschuß einig, daß die Die Regierung ist nun einmal nicht viel schlauer als andauernde diskriminierende Praxis einiger arabi- die Opposition. Wenn die Opposition es nicht weiß, scher Staaten abgelehnt werden muß. Es wurde Zeit, dann muß sie sich zurückhalten. Alle europäischen im gemeinsamen Interesse geeignete Regelungen zu Länder gemeinsam müssen in ihrem Bemühen zu den finden, die diesen Boykottbemühungen entgegenwir- arabischen Staaten neue Schritte gehen. Dies ist zu ken. Die neue Verordnung, die die Bundesregierung einer der wichtigsten Aufgaben europäischer Außen- beschlossen hat, verbietet deutschen Unternehmen, politik geworden. im Außenwirtschaftsverkehr Erklärungen abzuge- Danke schön. ben, durch die sich das Unternehmen an einem (Beifall bei der SPD) Boykott gegen einen anderen Staat beteiligt. Dies gilt in Zukunft grundsätzlich und nicht nur im Verhältnis der arabischen Staaten zu Israel. Das steht übrigens, Vizepräsident Hans Klein: Es ist immer so mißlich. Herr Duve, in keinem Zusammenhang mit dem Bin- Wenn man glaubt, der Redner ist am Ende, und man nenmarkt. Seit dem 1. Januar 1993 haben wir den ihm dann nicht ins Wort fallen will, weil das rote Licht Binnenmarkt. Wenn Ihre Zwischenfrage begründet schon eine Weile blinkt dann glaubt der Redner, er gewesen wäre, müßte es so sein, daß sich bei der hätte noch viel Zeit. Außenwirtschaftsverordnung, die jetzt in Kraft tritt, mit dem Binnenmarkt etwas verändert. Nein, dies (Dr. Christoph Zöpel [SPD]: Ich danke für Ihr geschieht leider deshalb nicht, weil die EG-Staaten es Verständnis! — Dr. Wolfgang Weng [Gerlin größtenteils ablehnen, einer Harmonisierung in dieser gen] [F.D.P.]: War auch eine gute Rede!) Frage zuzustimmen. Ich erteile das Wort dem Kollegen Peter Kittel- Die Bundesregierung hat enorme Anstrengungen mann. unternommen, um einheitliche EG-Regelungen her- beizuführen. Die EG-Präsidentschaft, die EG-Kom- mission sind über die Verordnung, die jetzt in Kraft (CDU/CSU): Herr Präsident! Peter Kittelmann tritt, unterrichtet worden. Bisher waren wir nicht in der Meine Damen und Herren! Unser Verhältnis zu Israel Lage, eine EG-weite Regelung durchzusetzen. Ich ist erfreulicherweise seit Jahren zunehmend von darf die Bundesregierung auffordern, in diesen Bemü- gegenseitiger Achtung und großer Sympathie beglei- hungen nicht nachzulassen. Wir brauchen eine ein- tet. Unabhängig von dem geschichtlich begründeten vernehmliche Regelung, denn wenn wir jetzt den besonderen Verhältnis ist dies ein erfreuliches Ergeb- Schritt zum gemeinsamen Europa gemacht haben, nis unserer gemeinsamen Beziehungen. Dieses ehrli- hilft es uns wenig, wenn wir Regelungen dieser A rt im che Bemühen um gegenseitiges Verstehen wird — das deutschen Recht umsetzen und im europäischen weiß ich — in Israel mehr geschätzt als Sprechblasen Recht nicht verwirklichen können. Deshalb darf die Aussagen, die immer wieder zu vernehmen sind. Ich EG aus ihrer Verpflichtung nicht entlassen werden, sage das deshalb, weil derjenige, der seit vielen hier ebenfalls eine gemeinsame Regelung zu finden, Jahren Israel regelmäßig besucht und auch in den - daß Boykottandrohungen dieser Art aus jedem inter- arabischen Staaten ist, weiß, wie viele Politiker in nationalen Vertrag zu verschwinden haben. Israel von uns Deutschen qualitativ zunehmend auch anderes erwarten, als nur Rücksicht auf die geschicht- Ein deutscher Sonderweg bei Maßnahmen im liche Vergangenheit zu nehmen, die gerade Deutsch- Israel-Boykott bleibt also problematisch, aber wir land tragisch belastet. werden ihn gehen. Wir werden erleben, daß es 12144 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 140. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Februar 1993

Peter Kittelmann Versuche von einzelnen arabischen Staaten geben Dr. Ulrich Briefs (fraktionslos): Herr Präsident! wird, deutsche Firmen zu isolieren, und es kann auch Meine Damen und Herren! Im Dezember 1992 hat sich zu einseitigen Belastungen und Benachteiligungen zum fünftenmal der Beginn der Intifada gejährt. der deutschen Wirtschaft kommen. Ich weiß, daß auch Dieser Volksaufstand, der fast täglich Tote und Ver- Israel nicht daran interessiert ist, daß es keine gemein- letzte, Inhaftierte und Ausgewiesene kostet, ist ein same Regelung gibt. Um so erfreulicher ist es, daß bewundernswertes Beispiel von Mut und Kraft, aber arabische Staaten von dieser Regelung, die seit vielen auch von Not und Verzweiflung im Kampf um men- Jahren besteht, immer stärker abweichen und nicht schenwürdige Lebensbedingungen und um Men- mehr auf Vertragsklauseln dieses Inhalts bestehen. schenrechte. (Dr. Elke Leonhard-Schmid [SPD]: Mit wem Chaim Weizmann hat, kurz bevor er zum Präsiden- haben Sie denn verhandelt? — Weiterer ten Israels gewählt wurde, gesagt: Zuruf von der SPD: Das stimmt doch gar Ich bin sicher, daß die Welt den jüdischen Staat nicht!) danach beurteilen wird, wie wir die Araber — Wenn man informiert ist, weiß man, daß es behandeln. stimmt. Daraus ist seitens der in Israel herrschenden Kräfte (Dr. Elke Leonhard-Schmid [SPD]: Dann bisher nicht die entscheidende Konsequenz gezogen sagen Sie es doch bitte, wenn Sie so infor worden, nämlich Beendigung der völkerrechtswidri- miert sind!) gen Besetzung arabischer Territorien und Gewähr- Mit der Ausnahme im Falle von Syrien und Libyen leistung des Selbstbestimmungsrechts der Palästi- haben die Gespräche — darüber ist doch im Wirt- nenser ebenso wie die berechtigte Reklamierung des schaftsausschuß gesprochen worden, Sie saßen doch Rechts Israels auf Frieden, Souveränität und Existenz dabei — ergeben, daß man dabei ist, ein immer in gesicherten Grenzen. Zu beenden, und zwar bedin- größeres Verständnis zu finden. gungslos, ist insbesondere die israelische Siedlungs- politik in den arabischen Territorien. Dem SPD- (Dr. Elke Leonhard-Schmid [SPD]: Was ist Antrag ist hierin und in der Forderung nach deutscher denn herausgekommen? Wo ist etwas gestri Hilfe für die arabische Bevölkerung auf der Westbank chen?) und im Gazastreifen voll und ganz zuzustimmen. Meine Damen und Herren, ich freue mich auch, daß Wir können Forderungen wie die nach einem eige- die Bundesregierung, um nachteilige Auswirkungen nen palästinensischen Gemeinwesen, das mit Israel bei der Umstellung der Wirtschaftsbeziehungen weit- souverän seine eigenen Wege der Zusammenarbeit gehend zu vermeiden und die Anpassung an die sucht, nur unterstützen, wenn wir uns auch gegen den Neuregelung zu erleichtern, bereit war, den Terror gegen israelische Bürger und Bürgerinnen und ursprünglichen Termin 1. November 1992 auf den gegen die Menschenrechtsverletzungen in zahlrei- 1. Mai 1993 zu verschieben. Im Wirtschaftsausschuß chen arabischen Ländern wehren. fand dies breite Zustimmung. Es hat mittlerweile eine ganze Reihe arabischer Staaten ihre Bereitschaft Insbesondere der Begriff des Jihad, des heiligen erklärt, ihre Boykottklauseln abzuändern. Krieges, sollte aus dem politischen Denken und aus dem politischen Handeln verbannt werden. Die Poli- Meine Damen und Herren, wir alle wissen, daß die tik des Westens gegenüber der arabischen Welt aller- wirtschaftlichen Beziehungen zwar eine hervorra- dings fördert diejenigen, die den Jihad predigen. Die gende Bedeutung haben, sie sich aber der grundsätz- arabischen Völker haben ein anderes Zusammenge- lichen Beziehung zwischen zwei Staaten unterordnen hörigkeitsgefühl als z. B. die slawischen Völker oder müssen. Deshalb danke ich auch der Wirtschaft, daß das deutsche Volk, deren Panslawismus bzw. All- sie in dieser Frage das notwendige Verständnis auf- deutschtum zu den großen politischen und militäri- bringt, sich in dem angesprochenen Sinne unterord- schen Katastrophen dieses Jahrhunderts beigetragen net, mit uns gemeinsam nach Wegen sucht, um haben. Boykottklauseln in dieser Form in der Zukunft nicht mehr zu unterschreiben, und außerdem dafür sorgt, Die Bevölkerungen der arabischen Länder nehmen daß diese Boykottklauseln von den arabischen Staa- sich schon über die gemeinsame schöne, ausdrucks- ten auch nicht mehr gefordert werden. reiche Sprache als Angehörige der großen arabischen Kulturwelt wahr, ohne daran die Forderung nach Die CDU/CSU fordert die Bundesregierung auf, sich nationaler Einheitsstaatlichkeit zu knüpfen. Um so weiterhin mit größtem Nachdruck für eine europäi- mehr werden sie gegenwärtig durch die Sanktions- sche und internationale gemeinsame Regelung einzu- spaziergänge der Golfkriegsmächte gegen den Irak setzen. Die CDU/CSU appelliert außerdem an die gedemütigt, die vor allem die Bevölkerung treffen. betroffenen arabischen Staaten, ihre, soweit noch Gedemütigt werden sie zugleich durch die Gleichgül- vorhanden, diskriminierende Haltung aufzugeben. tigkeit, mit der der Westen die fortlaufende Verlet- Sie schadet letztlich den Arabern selber. zung von Menschenrechten auch in Palästina dul- Schönen Dank. det.

(Beifall bei der CDU/CSU) - Der ungeheuren historischen Schuld Deutschlands und seiner Bevölkerung gegenüber den jüdischen Menschen in aller Welt wird, glaube ich, am besten Rechnung getragen, wenn wir uns Menschenrechts- Vizepräsident Hans Klein: Ich erteile dem Abgeord- verletzungen, wo immer sie praktiziert werden, ent- neten Dr. Ulrich B riefs das Wort. gegensetzen und wenn wir hier bei uns den unerbitt- Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 140. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Februar 1993 12145

Dr. Ulrich Briefs lichen politischen und strafrechtlichen Kampf gegen rungsantrag? — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Rassisten und Antisemiten sowie alt- und neudeut- Der Änderungsantrag ist angenommen. sche Volksverhetzer und Leugner des Völkermordes Wer stimmt für die Beschlußempfehlung in der an den Juden aufnehmen. soeben geänderten Fassung? — Gegenprobe! — Ent- Herr Präsident, ich danke Ihnen. haltungen? — Die Beschlußempfehlung ist angenom- (Beifall bei der PDS/Linke Liste) men. Wir stimmen jetzt über die Beschlußempfehlung des Ausschusses für Wirtschaft zu dem Antrag der Frak- Vizepräsident Hans Klein: Herr Kollege Duve, es ist, was den Ablauf angeht, immer geschickt, erst nach tion der SPD zu Maßnahmen gegen Israel-Boykott- den Abstimmungen eine persönliche Erklärung abzu- Verpflichtungen deutscher Firmen auf Drucksache geben. Da aber das Verfahren in diesem Hause 12/4145 ab. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag der inzwischen so ist, daß am Ende einer Abstimmung ein Fraktion der SPD auf Drucksache 12/554 für erledigt Schichtwechsel stattfindet, halte ich es für richtig, daß zu erklären. Wer stimmt für diese Beschlußempfeh- Sie vor der Abstimmung gemäß § 31 der Geschäftsord- lung? — Wer stimmt dagegen? — Wer enthält sich der Stimme? — Die Beschlußempfehlung ist angenom- nung sprechen. men. Der Antrag der Gruppe PDS/Linke Liste zu den (SPD): Da der amtierende Präsident Freimut Duve Verhandlungen über eine Friedenslösung im Nahen des Deutschen Bundestages mich und auch meinen Osten auf Drucksache 12/3237 soll an die in der Kollegen Hans Koschnick vorhin in einer Zwischen- Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse überwiesen bemerkung angesprochen hat, möchte ich gerne eine werden. Sind Sie damit einverstanden? — Dies ist kurze Erklärung abgeben. offensichtlich der Fall. Dann ist das so beschlossen. Ich war sehr froh, daß wir vor einiger Zeit, in der vorigen Legislaturpe riode, das Instrument der Kurzin- Ich rufe den Tagesordnungspunkt 16 auf: tervention in unsere Geschäftsordnung eingebracht haben. Ich glaube, daß das sehr sinnvoll ist. Deshalb, Beratung der Beschlußempfehlung und des Herr Präsident: Wenn jedenfalls ich mich hier zu einer Berichts des Ausschusses für Wirtschaft Kurzintervention melde, dann geschieht das aus- (9. Ausschuß) zu dem Antrag der Abgeordne- schließlich aus dem Ablauf der Debatte heraus und hat ten Dr. Fritz Schumann (Kroppenstedt), nichts mit der Zuteilung der Redezeit, die Sie ange- Dr. Gregor Gysi und der Gruppe der PDS/Linke sprochen haben, zu tun. Ich war froh über die beiden Liste Reden zu diesem Gegenstand, die von meiner Frak- Wettbewerbsfähige Arbeitsplätze im produ- tion hier vorgetragen worden sind. Ich will betonen: Es zierenden Gewerbe in den neuen Bundeslän- waren Kurzinterventionen, die sich aus der Debatte dern schaffen heraus ergeben haben. — Drucksachen 12/1909, 12/3252 — (Dr. Andreas Schockenhoff [CDU/CSU]: Berichterstattung: Herr Duve, es hat ihn überrascht, daß Sie sich Abgeordneter Herbert Meißner vorher melden!) (Dr. Jürgen Rüttgers [CDU/CSU]: Schicht — Nein, ich habe mich vorher gar nicht gemeldet. wechsel!) — Sie sehen, Herr Kollege Rüttgers, was ich mit Vizepräsident Hans Klein: Herr Kollege Duve, Sie „Schichtwechsel" gemeint habe. sind ein erfahrener Parlamentarier, und Sie wissen, daß das Instrument der persönlichen Erklärung nach Im Ältestenrat ist für die Aussprache eine Fünf- § 31 eigentlich nicht dazu da ist, um eine Entschei- Minuten-Runde vereinbart worden. — Dagegen dung des Präsidenten zu kommentieren. Aber ich erhebt sich kein Widerspruch. habe Ihnen nicht unterstellt, daß sich Ihre Fraktion Jetzt bitte ich, die Konferenz auf der Regierungs- sozusagen Redezeit ertricksen wollte. Das habe ich bank zu beenden, Herr Staatsminister. Ich bitte die Ihnen nicht unterstellt. Kollegen, die sich an der Debatte zu diesem Tages- ordnungspunkt nicht beteiligen wollen, den anderen (Dr. Olaf Feldmann [F.D.P.]: So etwas macht Kollegen Gelegenheit zu geben, mitzumachen. Duve nicht! Da muß ich ihn in Schutz neh men!) Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Kolle- gen Dr. Hermann Pohler das Wort. — Moment, ich habe nur darauf hingewiesen, daß zwei Kollegen, die zu solcher Frage Gewichtiges zu sagen haben, vernünftigerweise von ihrer Fraktion Dr. Hermann Pohler (CDU/CSU): Sehr geehrter auf die Rednerliste gesetzt werden und nicht das Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Instrument der Kurzintervention nutzen. Aber wir Schwierigkeiten auf dem Arbeitsmarkt, also der hohe wollen dies jetzt bitte nicht weiter diskutieren. Anteil von Arbeitslosen insbesondere im Osten Wir kommen zur Abstimmung, und zwar zunächst Deutschlands, sind unumstritten. Unumstritten ist über die Beschlußempfehlung des Auswärtigen Aus- auch die Notwendigkeit von unterstützenden Maß- - schusses zu dem Antrag der Fraktion der SPD zu nahmen durch Bund und Länder für die Erhaltung und israelischen Siedlungen in den besetzten Gebieten, Schaffung von rentablen bzw. wettbewerbsfähigen Drucksache 12/2425. Dazu liegt ein Änderungsantrag Arbeitsplätzen. der Fraktionen der CDU/CSU, SPD und F.D.P. auf So weit kann man dem Antrag der PDS/Linke Liste Drucksache 12/4313 vor. Wer stimmt für diesen Ände sogar folgen. Doch die weiteren Ausführungen des 12146 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 140. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Februar 1993

Dr. Hermann Pohler Antrages beinhalten neben einigen bereits praktizier- werden in der Regel von außen in die Betriebe ten Maßnahmen vor allem Vorschläge, die aus der getragen. Zeit des Dirigismus der sozialistischen Planwirtschaft Nicht uninteressant ist in diesem Zusammenhang stammen. Es lohnt nicht, näher auf diese einzuge- auch das Eingeständnis eines hohen Vertreters der IG hen. Metall, der die Befürchtung äußerte, daß bei Nicht- Daß es durchaus nicht eines Antrages der PDS durchsetzung der Forderung mit einem Mitglieder- bedarf, um die Entwicklung der Wirtschaft und damit schwund zu rechnen ist. Daß man dies seitens der die Sicherung von Arbeitsplätzen zu fördern, sollen Gewerkschaft nicht ohne weiteres hinnehmen folgende Beispiele zeigen: möchte, ist verständlich. Die angestrebte Sicherheit und die Schaffung neuer Arbeitsplätze können so Zur Förderung des ostdeutschen Mittelstandes allerdings nicht erreicht werden. wurde bekanntlich die Investitionszulage auf 20 % Das trifft auch für den vorliegenden Antrag der PDS erhöht. Zur Verbesserung der Eigenkapitalhilfe wer- zu. Er wird daher von uns abgelehnt. den zusätzliche Verpflichtungsermächtigungen bis 2,4 Milliarden DM bereitgestellt. Danke schön. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Die Treuhandanstalt und die Bundesvermögensver- waltung haben zur Förderung ostdeutscher Existenz- gründer Mietkauf, Mietpacht und Kaufpreisstundun- Vizepräsidentin Renate Schmidt: Als nächster gen vorgesehen. Nun ist es unsere Aufgabe, dafür spricht der Kollege Herbert Meißner. Sorge zu tragen, daß dies in entsprechendem Maße realisiert wird. Herbert Meißner (SPD): Frau Präsidentin! Liebe Nicht unerwähnt bleiben sollen die von der Indu- Kolleginnen und Kollegen! Herr Pohler, Sie haben strie für 1993 in den neuen Ländern vorgesehenen vieles, was zu diesem Antrag zu sagen ist, gesagt. Herr Investitionen in Höhe von 130 Milliarden DM, und das Schumann, Sie haben bei den Beratungen im Aus- zu einer Zeit, in der die Wirtschaft in Richtung schuß teilweise mitgearbeitet und haben gesehen, wie Rezession geht. die Lage ist. Ihr Antrag ist vom 9. Januar 1992 datiert, er ist also Ich glaube, die Bemühungen zur Schaffung neuer, wahrlich zeitlich überholt, wobei die inhaltliche Seite produktiver Arbeitsplätze sind offensichtlich. grundsätzlich als richtig zu beurteilen ist. Dennoch In diesem Zusammenhang muß allerdings auch gibt es in Ihrem Antrag eine ganze Reihe Dinge, die so etwas zur Lohnpolitik gesagt werden: Bei allem nicht akzeptiert werden können. Verständnis für eine Lohnangleichung zwischen Ost Die Beschlußempfehlung vom 15. September 1992 und West sollte und muß die Sicherung von Arbeits- sagt aus, daß es nach gründlicher Beratung der plätzen im Vordergrund stehen. Arbeitsproduktivität Aktivitäten der Regierungskoalition, aber auch vieler und Entlohnung stehen nun einmal in engem Zusam- Aktivitäten der Sozialdemokraten zu ausführlichen menhang. und weitergehenden Anträgen gekommen ist, die dem Antrag der PDS/Linke Liste entgegenstehen. Aus Auch dazu ein Beispiel: In einem Thüringer Treu- seiner Untergliederung wird übrigens klar, daß inhalt- handbetrieb der Landmaschinenindustrie wird eine lich vieles den Anträgen der SPD entnommen ist. Arbeitsproduktivität von 50 % des Westniveaus aus- gewiesen. Die Löhne liegen bei 65 %. Damit liegen die Vordergründig steht in Ihrem Antrag vieles, was mit Lohnstückkosten in einem Bereich, der zur Sicherung unseren Forderungen in Übereinstimmung steht. Lei- des Absatzes keine Steigerung zuläßt. der fehlen aber grundsätzliche Aussagen zu der Finanzierung dessen, was Sie vorschlagen. Das ist die Sollte die durch die Gewerkschaft geforderte größte Problematik an Ihrem Vorschlag, Herr Kollege 26%ige Lohnsteigerung jetzt realisiert werden, sollten Schumann. wir also ein Lohnniveau von ca. 90 % erreichen, dann Ich möchte ohne jede Polemik weiterhin feststellen, sind die roten Zahlen wieder Realität, und die ange- daß einige Elemente in Ihrem Antrag enthalten sind, strebte Privatisierung rückt in weite Ferne — es sei die der staatlichen Planwirtschaft sehr nahekommen. denn, Arbeitsplätze werden in größerem Umfang Das wollen wir natürlich nicht. Da in Ihrem Antrag abgebaut; denn kein Unternehmen kann bei so einer aber auch wichtige Elemente für den Arbeitsmarkt in Diskrepanz erfolgreich geführt werden. Ostdeutschland aufgeführt sind, empfehle ich meiner (Vorsitz : Vizepräsidentin Renate Fraktion Enthaltung. Ich selber lehne ihn aber ab. Schmidt) Danke. Die Auffassung, die Treuhand wird schon zahlen, (Beifall bei der CDU/CSU) erinnert doch stark an die Mentalität in den ehemali- gen volkseigenen Betrieben, bei denen der Staat im Vizepräsidentin Renate Schmidt: Als nächster Endeffekt für alles aufkam. spricht der Kollege Jürgen Türk. Interessant ist übrigens die Feststellung, daß der Zusammenhang zwischen Lohnkosten und Arbeits- Jürgen Türk (F.D.P.): Frau Präsidentin! Meine platzerhaltung bei den Arbeitnehmern in den neuen Damen und Herren! Der Antrag vom 9. Januar 1992 ist Bundesländern durchaus bekannt ist und trotz allem natürlich überholt, insbesondere auch deswegen, weil verständlichen Bestreben nach höheren Löhnen wei- die Bundesregierung eine Reihe der geforderten Maß- testgehend akzeptiert wird. Andere Diskussionen nahmen realisiert hat und weil bei manchem, wenn Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 140. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Februar 1993 12147

Jürgen Türk man es täte, genau das Gegenteil der Zielvorgabe ralsekretär der CDU Nordrhein-Westfalens, Reul, eine einträte, nämlich nicht die Schaffung von wettbe- Überforderung der alten Bundesländer befürchten. Ist werbsfähigen, sondern von unsicheren Arbeitsplät- die Wiedervereinigung nun noch die wichtigste zen. gemeinsame Aufgabe, oder ist sie es nicht mehr? So können z. B. nicht von vornherein Bundesunter- (Dr. Olaf Feldmann [F.D.P.]: Jawohl, sie ist nehmen das Ziel sein. Das Ergebnis einer solchen es!) Politik dürfte noch aus DDR-Zeiten bekannt sein. Vor allem jedoch, so meine ich, müssen die vorhan- Gleichwohl ist der Titel des Antrages „Wettbe- denen Möglichkeiten genutzt werden. Ein günstiger werbsfähige Arbeitsplätze im produzierenden Ge- Standortfaktor sind die in großem Umfang zur Verfü- werbe in den neuen Bundesländern schaffen" noch gung stehenden sogenannten nicht betriebsnotwen- immer aktuell, und das wird wahrscheinlich noch digen, aber voll erschlossenen Flächen und Immobi- einige Zeit so bleiben. lien der Treuhandunternehmen, bei denen die Eigen- tumsverhältnisse meist geklärt sind. Ich glaube, wettbewerbsfähige Arbeitsplätze kön- nen nur wie folgt geschaffen werden: (Wolfgang Mischnick [F.D.P.]: Sehr richtig!) Warum also sollte man nicht diejenigen nehmen, bei Erstens. Die Privatisierung muß zügig fortgesetzt denen das klar ist? Wir sollten der Treuhand-Liegen- werden. Dazu gibt es keine Alternative. Das bedingt schaftsgesellschaft mehr Spielraum zur verbilligten eine kompetente Geschäftsleitung. Nur ein erstklassi- Abgabe dieser bundeseigenen Liegenschaften ver- ges Management mit genügend unternehmerischem schaffen. Handlungsspielraum ist in der Lage, tragfähige Kon- zepte zu entwickeln und umzusetzen. Hier besteht (Dr. Olaf Feldmann [F.D.P.]: Dazu gehören Nachholbedarf. Verbotsstatute der Treuhandanstalt auch die Betriebsferienheime!) sind kein geeignetes marktwirtschaftliches Instru- Das ist das Gemeinnützigste, was wir tun können. ment. Wichtig ist, daß schnell günstige Voraussetzungen Dabei kann es nicht vorrangiges Ziel sein, überkom- für alternative Gewerbe - und Industrieansiedlungen mene Strukturen um jeden Preis — im wahrsten Sinne geschaffen werden. Das sollte übrigens für Ost- und des Wortes! — zu erhalten. Vielmehr müssen die Westdeutschland gelten. Das nutzt auch dem Fiskus, finanziellen Mittel für Produktumstellungen und denn nur arbeitende Arbeitnehmer und gewinnbrin- damit für einen neuen Anfang eingesetzt werden. gende Unternehmen bringen Steuereinnahmen. Wir müssen die vor Ort vorhandenen Möglichkeiten bes- Zweitens. Das privatisierte bzw. in Privatisierung ser nutzen. Das bedingt Entscheidungen vor Ort — der befindliche Unternehmen muß im Interesse der Wett- Region, der Treuhand, der Unternehmen und Investo- bewerbsfähigkeit einen Großteil der Arbeitsplätze ren. Aber wir sollten dabei bedenken: Zu viele Köche wegrationalisieren; das ist nun einmal nötig. Damit verderben den Brei und wettbewerbsfähige Arbeits- eröffnet sich Spielraum für die Schaffung neuer Dau- plätze. erarbeitsplätze. Schönen Dank. Aber die Schaffung von entsprechenden Rahmen- (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) bedingungen für alternative Gewerbe- und Industrie- ansiedlungen einschließlich Fremdenverkehr, Pro- duktion und Vermarktung landwirtschaftlicher Pro- Vizepräsidentin Renate Schmidt: Nun spricht Herr dukte Parlamentarischer Staatssekretär Reinhard Göhner. (Dr. Olaf Feldmann [F.D.P.]: Dienstleistun gen!) Dr. Reinhard Göhner, Parl. Staatssekretär beim — Dienstleistungen —, Herr Schumann, muß vom Bundesminister für Wirtschaft: Frau Präsidentin! Staat unterstützt werden; das sage ich hier ganz Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Pohler, Herr bewußt. Ob und wie entsprechend den vorhandenen Meißner und Herr Türk haben zu Recht schon darauf und geschaffenen Rahmenbedingungen und der hingewiesen, daß sich der Antrag der PDS weitge- Absatzlage Ansiedlungen erfolgen, ist allein Sache hend erledigt hat und überholt ist, denn zur Investi- der Unternehmen, der Investoren. tionsförderung, Regionalförderung, zur Förderung des Absatzes von Ost-Produkten und zum Ausbau der Drittens. Die Schaffung günstiger Standortbedin- Infrastruktur sind entscheidende Weichenstellungen gungen kann sich nicht nur auf die finanzielle Unter- erfolgt. Im Rahmen des Föderalen Konsolidierungs- stützung beschränken, zumal Geld, wie wir jetzt programms sind neue Initiativen vorgesehen, z. B. immer wieder merken, nicht unbegrenzt vorhanden auch im Zuge der von Herrn Türk soeben angespro- ist, auch weil an anderer Stelle nicht ausreichend chenen Umschichtung der Mittel der Gemeinschafts- gespart wird. Gleichwohl gehe ich davon aus, daß aufgabe zugunsten der neuen Länder. zumindest die angedachte Aufstockung der Gemein- Natürlich bleibt die Lage in vielen Betrieben der schaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirt- ostdeutschen Industrie prekär. Vor allem die sich noch schaftsstruktur" um 2,5 Milliarden DM auf einen im Besitz der Treuhandanstalt befindlichen Unterneh- Bewilligungsrahmen von 6,85 Milliarden DM in den - men benötigen zweifellos weitere wirksame Hilfe. Mit Nachtragshaushalt 1993 eingestellt wird, zumal der dem von der Bundesregierung und der Treuhandan- Bedarf um einiges höher liegt. Das ist das mindeste. stalt ausgearbeiteten Konzept zur Sicherung und Um so unverständlicher ist es, wenn z. B. Nieder- Erneuerung der industriellen Kerne werden aber sachsens Ministerpräsident Schröder und der Gene auch neue Akzente gesetzt, wenngleich deutlich 12148 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 140. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Februar 1993

Parl. Staatssekretär Dr. Reinhard Göhner gesagt werden muß: Eine Bestandsgarantie für Unter- wäre nicht erforderlich, wenn die Maßnahmen, die nehmen oder einen vollständigen Entlassungsstopp beschlossen worden sind, auch tatsächlich gegriffen gibt es darin ebensowenig wie einen Verzicht auf das hätten. Die Tatsachen sehen jedoch anders aus. Ziel der Privatisierung. Die Zahlen sind Ihnen bekannt. Allein im letzten Ich möchte in diesem Zusammenhang aber auch auf Jahr waren im Durchschnitt 1,18 Millionen Arbeits- etwas hinweisen, was Herr Kollege Pohler schon lose zu konstatieren, darunter 66 % Frauen. Es sind angesprochen hat. Weder durch die Anstrengungen aus unserer Sicht leider keine Tendenzen des Aufhol- der Treuhandanstalt noch durch generelle Transfer- prozesses zu erkennen. Ich habe unseren neuen leistungen von West nach Ost können die notwendi- Bundeswirtschaftsminister Rexrodt in der gestrigen gen Voraussetzungen zur Schaffung von wettbe- Fragestunde danach gefragt, welches die Parameter werbsfähigen Arbeitsplätzen im produzierenden Ge- sind, an denen man den Aufholprozeß erkennen kann, werbe geschaffen werden. Die eigentlich doch recht aber er konnte mir leider auch keine hinreichende dramatische Gefährdung für den industriellen Neu- Antwort geben. aufbau Ostdeutschlands und auch die Gefährdung der Bemühungen um den Erhalt industrieller Kerne liegt Das von den Gewerkschaften erkämpfte Instrumen- in dem Tempo der Lohnanpassung, das auf die tarium aktiver Arbeitsmarktpolitik wäre gefordert, unterschiedliche wirtschaftliche Leistungsfähigkeit um für weitere Abhilfe zu sorgen. Statt der erforderli- der Branchen und Unternehmen keinerlei Rücksicht chen Ausweitung der Steuerungsmöglichkeiten wer- zu nehmen bereit ist, jedenfalls bisher. den in der augenblicklichen Politik seitens der Bun- desregierung Gedanken genau in der umgekehrten Dieser Aspekt wird in dem Antrag der PDS leider Richtung laut. Auf Grund von Haushaltslücken wird völlig vernachlässigt. Meine Damen und Herren, die aktive Arbeitsmarktpolitik kurzsichtig einge- zuerst verteilen und dann die dazugehörende Produk- schränkt und damit der gegenwärtig vielleicht letzte tion herbeikommandieren: Das ist schon einmal unter Strohhalm für fast 1,7 Millionen Menschen weiterhin der SED gescheitert. Lohnstückkosten, die mit über gefährdet. 70 DM je 100 DM Bruttoinlandsprodukt im Osten die entsprechenden Kosten im Westen von etwas über Aber auch eine aktive Arbeitsmarktpolitik ist nur 40 DM um mehr als 60 % übersteigen, müssen alles ein Zwischenschritt. Ohne eine Ausweitung öffentli- gefährden, was die Wirtschaftspolitik zur Erhaltung cher Investitionen und Absatzförderung sowie Ab- und Erneuerung der Indust rie in den neuen Bundes- satzsicherung, ohne die Förderung privater Investitio- ländern leisten kann. nen — da befinde ich mich sicher in Übereinstimmung Es muß daher die Möglichkeit gegeben sein, auch mit breiten Kreisen hier im Haus — ist die immense schon einmal vereinbarte Lohnsteigerungen zu revi- Zerstörung der gesellschaftlichen Reproduktions- dieren oder mit Tariföffnungsklauseln zu versehen. grundlage nicht zu beseitigen. Dem Deindustrieali- Nur eine solche differenzierte, den Knappheitsver- sierungsprozeß in den neuen Ländern muß endlich hältnissen Rechnung tragende Entwicklung der mit wirksamen Mitteln begegnet werden. Das können Löhne eröffnet die notwendigen Wachstums- und wir zur Zeit leider nicht erkennen. In dem Maße, in Beschäftigungschancen. Sie kommt damit den betrof- dem eine weitere Deindustrialisierung zugelassen fenen Arbeitnehmern eher zugute als ein paar Lohn- wird, werden alle Steuerzahler über viele Jahre die prozentpunkte mehr. Man kann deshalb nur hoffen, Folgen der verfehlten Politik tragen. daß die laufenden Revisions- und Schlichtungsver- Während in den alten Ländern von 1 000 Einwoh- handlungen in dieser Frage Erfolge bringen. nern 114 in der Industrie beschäftigt sind — im Osten (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) waren es 1989 150 —, sind es in den neuen Ländern Eine ausreichende Zahl wettbewerbsfähiger Ar- jetzt nur noch 62. In Mecklenburg-Vorpommern kom- beitsplätze in Ostdeutschland kann letztendlich aber men auf 1 000 Einwohner 30, die in der Indus trie auch nur dann geschaffen werden — Herr Kollege beschäftigt sind. In Schleswig-Holstein sind es immer- Türk, ich glaube, das war es auch, was Herr Reul hin mehr als doppelt soviel, obwohl Schleswig- gemeint hat —, wenn ein länger anhaltender kon- Holstein sicherlich auch ein Agrarland ist. junktureller Einbruch in Westdeutschland verhindert In Mecklenburg-Vorpommern gibt es 18 Kreise, in wird. Auch deshalb brauchen wir den Solidarpakt, der denen von 1 000 Einwohnern weniger als 20 im ein Pakt für mehr Wachstum und Beschäftigung in produzierenden Gewerbe beschäftigt sind. In drei ganz Deutschland sein muß. Das ist notwendig, um die Kreisen — Greifswald, Grimmen und Röbel — arbei- Arbeitsplätze auch zur Erhaltung industrieller Kerne ten sogar weniger als 10 von 1 000 Einwohnern im in den neuen Ländern zu sichern. produzierenden Gewerbe. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Um keine Mißverständnisse aufkommen zu lassen: Es geht nicht um die Großindustrie, sondern es geht Vizepräsidentin Renate Schmidt: Das Wort hat der um das produzierende Gewerbe insgesamt, also ein- Kollege Dr. Schumann. schließlich aller kleinen Handwerksbetriebe. Wie sol- len unter diesen Bedingungen wirtschaftliche Kreis- läufe in Gang kommen? Wie sollen Kommunen und Dr. Fritz Schumann (Kroppenstedt) (PDS/Linke Liste): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Länder ihre Steuereinnahmen realisieren können? Meine Vorredner haben es bereits zum Ausdruck Die gesellschaftliche Vernunft würde die Förderung gebracht: Der Antrag ist vor mehr als einem Jahr im gesellschaftlich notwendiger Arbeitsplätze gebieten. Bundestag eingebracht worden. Wir wären froh dar- Es wäre dringend geboten, eine Politik zum Erhalt von über, ihn heute nicht mehr diskutieren zu müssen. Das Betrieben der gewerblichen Wirtschaft einzuleiten. Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 140. Sitzung. 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Dr. Fritz Schumann (Kroppenstedt) Angekündigt wurde sie ja lange genug, und es wur- Patentierung menschlicher, tierischer und pflanzli- den immer neue Begriffe dafür erfunden. Die Erhal- cher Gene durch das Europäische Patentamt in Mün- tung industrieller Kerne z. B. wird seit Oktober gera- chen. dezu beschwörend angekündigt. Es bleibt die Frage, wann es denn nun losgeht. Unmittelbarer Anlaß ist das Ende der Einspruchs- Man muß jetzt hören, daß das Land Thüringen keine frist gegen die sogenannte Krebsmaus. Es handelt sich um eine Maus, der ein Gen eingeschleust wurde, Listen der Betriebe vorlegen wird, die zum industriel- len Kern gehören, vielleicht mit der berechtigten durch das sie mit hoher Wahrscheinlichkeit an Krebs erkrankt. Die US-amerikanische Firma du Pont hatte Begründung, daß es Todeslisten für die anderen dieses Patent beantragt und bekam es am 13. Mai Betriebe sind, wenn ein Teil der Betriebe zum indu- vergangenen Jahres zugesprochen. striellen Kern erklärt wird. Mecklenburg-Vorpom- mern wird auch keine Liste einreichen. Es gibt dort Dankenswerterweise haben zahlreiche Verbände noch ganze 20 Betriebe mit mehr als 200 Beschäftig- und Einzelpersonen gegen dieses Patent, welches sich ten, die zur Treuhand gehören. Welche Liste sollen sie in Wahrheit nicht nur auf Mäuse, sondern auf alle von diesen Firmen noch vorlegen? — Das ist die Säugetiere der Welt bezieht, Einspruch erhoben. Realität. Leider muß bezweifelt werden, daß das Europäische Wissen Sie, uns — oder vielleicht besser gesagt, Patentamt diesen Einsprüchen stattgibt, da es sich in mich — schreckt auch die Liquidation eines Betriebes der Vergangenheit weder um ethische Bedenken überhaupt nicht ab. Sie glauben nämlich immer, daß gegenüber solchen Patenten noch um gesetzliche und wir mit planwirtschaftlichen Ansätzen alles erhalten völkerrechtliche Verbote der Patentierung geküm- wollen. Wenn eine Liquidation konstruktiv erfolgt, mert hat. Denn, meine Damen und Herren, dieses d. h., wenn es tatsächlich um Betriebe geht, die so Krebsmauspatent ist nur eines von vielen tausend erkrankt sind, daß Heilung nicht mehr möglich ist, Gentechnikpatenten, die das Europäische Patentamt dann kann durch eine beherzte Liquidation bei gleich- in den letzten Jahren genehmigte. Es befinden sich zeitiger Neugründung von Be trieben ein durchaus darunter Patente auf Pflanzen genauso wie solche auf positiver Effekt erreicht werden. menschliche Gene, z. B. eines auf einen Abschnitt des Doch das erfordert eben Strukturpolitik, an die Sie menschlichen Hormons Interleukin. vielleicht nicht heranwollen. Es erfordert großzügige Mit seinen Genehmigungen setzt sich das Europäi- Investitionshilfen genauso wie die Nutzung von fach- sche Patentamt bewußt über geltende Richtlinien lichem und intellektuellem Potential der Menschen im hinweg. Sowohl im deutschen Patentrecht als auch im Osten. Es gab und es gibt sie immer noch: eine große Europäischen Patentübereinkommen steht deutlich Motivation der Menschen. Sie sollten sie nicht weiter geschrieben, daß allein Erfindungen patentierbar sind ausgrenzen. Darm läßt sich sicher mit den Menschen und keineswegs Entdeckungen. Die Beschreibung auch über Löhne reden und gemeinsam etwas anfan- und Entschlüsselung von Genen stellt jedoch maximal gen. eine Entdeckung und auf keinen Fall eine Erfindung Danke. dar. Diese Position wird im übrigen auch vom Präsi- (Beifall bei der PDS/Linke Liste) denten des Deutschen Ärztebundes, Karsten Vilmar, vertreten. Vizepräsidentin Renate Schmidt: Weitere Wortmel- Eigentlich sieht das Europäische Patentüberein- dungen liegen mir nicht mehr vor. Damit schließe ich kommen darüber hinaus ein Verbot der Patentierung die Aussprache. von Pflanzensorten und Tierarten vor. Mit abenteuer- Wir kommen zur Abstimmung. Der Ausschuß für lichen Begründungen unterläuft das Europäische Wirtschaft empfiehlt, den Antrag der Gruppe PDS/ Patentamt jedoch diese Bestimmungen, Linke Liste abzulehnen. Wer stimmt für diese Be- schlußempfehlung? — Wer stimmt dagegen? — Das Patent auf die „Krebsmaus" wurde genehmigt, Stimmenthaltungen? — Damit ist diese Beschlußemp- weil sich der Patentanspruch nicht nur auf die Maus, fehlung mehrheitlich angenommen. sondern auf alle Säugetiere der Welt bezog. Da in dem vorliegenden Fall keine Tierart, sondern eine sehr viel größere Gruppe von Tieren gemeint war, kam das Ich rufe nun den Zusatzpunkt 6 auf: Europäische Patentamt zu dem Schluß, daß Patent sei Aktuelle Stunde zulässig. Haltung der Bundesregierung zur Patentver- Dieses abenteuerliche Konstrukt soll es ermögli- gabe des Europäischen Patentamtes (EPA) auf chen, Patente auf Tiere grundsätzlich positiv zu genmanipulierte Lebewesen bescheiden. Ähnlich verhält es sich mit der Patentver- Zu dem Thema hat die Gruppe PDS/Linke Liste eine gabe auf Pflanzen. Auch diese Patente werden geneh- Aktuelle Stunde verlangt. migt, weil sie sich nicht auf eine Pflanzensorte, son- Als erste Rednerin spricht die Kollegin Dr. Ursula dern auf eine Vielzahl von Nutzpflanzen beziehen. Fischer zu uns. Übertrage ich diese Argumentation auf einen ande- ren Bereich, hieße das, Diebstahl wird nur dann Dr. Ursula Fischer (PDS/Linke Liste): Frau Präsiden- bestraft, wenn der Dieb in nur einem Geschäft gestoh- tin! Kolleginnen! Kollegen! Meine Gruppe hat diese len hat. Tut er dies jedoch gleich in mehreren Läden, Aktuelle Stunde beantragt, um auf eine folgen- ist er freizusprechen. Dies kann ja wohl keine vernünf- schwere Entwicklung aufmerksam zu machen: die tige Rechtsposition sein. 12150 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 140. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Februar 1993

Dr. Ursula Fischer Das Europäische Patentamt hat nach jahrelangem Klaus-Heiner Lehne (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Hin und Her die „Richtlinie über biotechnologische Meine Damen und Herren! Die Thematik berührt ein Erfindungen" verabschiedet. In der Öffentlichkeit gravierendes moralisches und ethisches Problem, wurde — auch von Abgeordneten des Europäischen nämlich den Umgang der Menschen mit dem Leben Parlaments und des Bundestages — der Eindruck und der Schöpfung und die Grenzen dieses erweckt, nun seien alle Probleme im Bereich der Umgangs. Patantvergabe bei gentechnisch manipulierten Orga- Zu Beginn will ich deshalb gleich sagen, daß für die nismen gelöst. Das Gegenteil ist der Fall. Diese CDU/CSU-Bundestagsfraktion die Patentierung von Richtlinie verbietet weder die Patentierung menschli- Erfindungen, die Genmanipulation an Tieren und cher noch tierischer Gene. Die Patentierung mensch- Menschen zum Gegenstand haben, grundsätzlich licher Gene wird im Zusammenhang mit medizini- nicht in Betracht kommt. Insbesondere der Mensch, schen Erwägungen sogar ausdrücklich erlaubt. Meine aber auch das Tier, als Mitgeschöpf in dem neuen Damen und Herren, ich vermag jedoch nicht einzuse- § 103a BGB durch den Gesetzgeber ausdrücklich so hen, warum für die Gesundheitsfürsorge Patente bezeichnet, darf grundsätzlich nicht zum Objekt benötigt werden. gewerblicher Schutzrechte gemacht werden. Hintergrund dieser Richtlinie ist das Interesse der (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Pharma- und Saatgutindustrie, die wirtschaftliche Verwertung der Gentechnologie zu ermöglichen. Dem werden im Grundsatz das Europäische Patent- 75 % aller Gentechnikpatente werden von wenigen abkommen und die in Vorbereitung befindliche großen Chemieunternehmen beantragt. Allein für ein Richtlinie auch gerecht, indem sie die Patentierung einzelnes Patent hat der Sandoz-Konzern 400 Millio- von Tierarten prinzipiell ausschließen und im übrigen nen Dollar geboten, ein Vorzeichen für die giganti- auch auf das allgemein übliche und verbindliche schen Gewinne, welche die Industrie in diesem Gebot der Einhaltung der guten Sitten und der öffent- Bereich erwartet. lichen Ordnung verweisen. Damit ist bzw. wird durch die neue Richtlinie ein rechtliches Instrumentarium Beim Europäischen Patentamt liegen Anträge für geschaffen, das meines Erachtens den moralischen genmanipulierte Schafe, Stiere, Hunde, Katzen und und ethischen Grundvorstellungen, von denen ich zu vieles andere mehr vor. Sollen wir zusehen, meine Beginn gesprochen habe, entspricht. Damen und Herren, wie Gene Privatbesitz werden? — Nein, meine Damen und Herren, es steht weder Vor diesem Hintergrund lehne ich es aber ab, die Menschen noch Unternehmen zu, die Natur unter sich noch nicht rechtskräftige und möglicherweise nur aufzuteilen. vorläufige Entscheidung des Europäischen Patentam- tes pauschal zu verurteilen. Ich kenne die Gründe für Westliche Konzerne werden mit ihren Patenten eine die Entscheidung des Europäischen Patentamtes im starke Machtposition gegenüber Ländern des Südens einzelnen nicht, bekommen. Der Gipfel dieser Entwicklung ist erreicht, wenn — wie geschehen — die Firma Merck (Wolf-Michael Catenhusen [SPD]: Das wäre für eine Million DM das gesamte genetische Material aber besser gewesen!) z. B. Costa Ricas aufkauft. unterstelle jedoch, daß sich die verantwortlichen Ent- Die genetische Vielfalt der Länder des Südens wird scheidungsträger in verantwortlicher Weise mit der nicht ökologisch bewirtschaftet und erhalten. Sie wird Wirkung und den Gefahren, dem Leiden der Tiere in Genbanken gesammelt, deren Aufbau die Welt- und dem Tierwohl einerseits und den Vorteilen für die bank mit 300 Millionen Dollar fördert und auf die sich Menschheit, z. B. bessere Krebstherapien, anderer- der Norden den Zugriff ermöglicht. Eine perverse seits vor dem Hintergrund des Gebots der Einhaltung Situation entsteht. der guten Sitten und unserer moralisch-ethischen Grundsätze auseinandergesetzt haben. Meine Damen und Herren, wir müssen mit allem schreitet mit enor- Nachdruck auf das Europäische Patentamt einwirken, Im übrigen gilt: Die Gentechnik damit es die Patentierung von menschlichen, tieri- men Schritten voran. Diese Entwicklung läßt sich findet statt, wenn nicht schen und pflanzlichen Genen sofort stoppt. Sie ist nicht aufhalten. Die Forschung rechtswidrig und ethisch nicht zu verantworten. bei uns in Deutschland, dann auf jeden Fall woanders Zudem sollten alle bereits erteilten Patente erneut auf der Welt. überprüft werden. Dabei sollten auch die Strukturen (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: So ist es!) des Europäischen Patentamtes einmal durchleuchtet Dabei gibt es natürlich immer auch verwerfliche werden, um Fehlleistungen dieses Amtes für die Forschung, die im Einzelfall betrieben werden kann Zukunft auszuschließen. und sicherlich auch betrieben wird. Das ist schwer zu Menschen, Tiere und Pflanzen dürfen nicht wie kontrollieren. Gegenstände behandelt werden. Leben darf nicht Vor dem Hintergrund des menschlichen Wohls gibt patentierbar sein. es aber auf der anderen Seite auch immer eine ethisch Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit. und moralisch verantwortliche und verantwortbare Forschung. Sie liegt im Interesse unserer Gesellschaft (Beifall bei der PDS/Linke Liste) und muß sowohl geschützt als auch gegenüber Miß- brauchsforschung ausdrücklich privilegiert werden. Dazu dient auch das Patentrecht. Vizepräsidentin Renate Schmidt: Als nächster Mißbrauch gibt es im übrigen nicht nur bei der spricht der Kollege Klaus-Heiner Leime. Genforschung. Traditionelle Züchtungsmethoden Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 140. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Februar 1993 12151

Klaus-Heiner Lehne und deren Ergebnisse können genauso verwerflich Nur, man kann das, was jetzt in München passiert ist sein wie übrigens auch andere Erfindungen in ganz oder vielleicht eines Tages rechtskräftig passieren anderen Bereichen. wird, auch so definieren — Juristen haben das allemal Vor diesem Hintergrund erwarte ich von der Euro- gelernt —, daß, indem die Gensequenz oder das Gen päischen Behörde eine verantwortungsvolle Anwen- in dem einzelnen Tier und in seiner Nachkommen- dung der rechtlichen Bestimmungen und einen sorg- schaft — in seiner Nachkommenschaft bis ins hundert- fältigen Umgang mit ihnen im Rahmen unserer ethi- ste Glied — mit den ganzen Abhängigkeitspyrami- schen und moralischen Grundsätze im Interesse des den, die dazu gehören, dem Eigentumsrecht einzelner Lebens und der Schöpfung. unterstellt wird. Damit kann man praktisch den Beg riff Tierart, der nicht patentierbar ist, unterlaufen. Das Abschließend will ich noch einmal ganz klar sagen: könnte geschehen. Die Patentierung von gentechnischen Erfindungen am Menschen darf es nicht geben. Dies muß die (Hans Büttner [Ingolstadt] [SPD]: So ist es!) EG-Richtlinie ausdrücklich und für jedermann un- Es ist, wie wir alle wissen, grundsätzlich möglich, zweifelhaft festlegen. Der Mensch darf nicht zum daß ein einzelnes Tier patientiert wird. Darüber sind Objekt gewerblicher Schutzrechte werden. sich manche nicht im klaren. Das ist bisher nur ein Danke schön. theoretischer Fall, da ein wirtschaftliches Interesse (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) des Erzeugers am Verwertungsmonopol nicht für das individuelle Exemplar, sondern nur für die gesamte Nachkommenschaft eines solchen Produkts exi- Vizepräsidentin Renate Schmidt: Es spricht die stiert. Kollegin Margot von Renesse. Wird indessen das spezielle Gen, mit dem ein Tier durch mikrobiologische Verfahren verändert wurde, Margot von Renesse (SPD): Sehr verehrte Frau auch noch in der Nachkommenschaft zum geistigen Präsidentin! Meine Damen und Herren! Mancher mag Eigentum des Patentinhabers erklärt, so wird die für es ja seltsam finden, daß sich das Parlament, wo wir das Patentrecht wesentliche Unterscheidung zwi- doch vor Bergen von Problemen politischer Art stehen, schen Erfindung und Entdeckung aufgegeben und eine Aktuelle Stunde lang mit einer Maus beschäf- damit eine der zentralen Wertentscheidungen des tigt. Gesetzgebers im Patentrecht überholt. Aber dieses Mäuslein aus München ist vielleicht der Kann man ein Gen, eine Gensequenz erfinden und Vorbote einer kopernikanischen Wende und könnte geistiges Eigentum daran begründen? Es h andelt sich uns, wenn es schlechtgeht, geradezu einen Berg neuer doch vielleicht um Materie, die sich in der Natur Probleme schaffen, die unversehens in Frage stellen, bereits vorfindet und wahrscheinlich ebenso wenig was bisher Wertkonsens in unserer Gesellschaft war: patentierbar sein darf wie der Erdteil Amerika für der austarierte Konsens und die Interessenabwägung Christoph Columbus. zwischen dem Verwertungsinteresse des Erfinders, (Beifall bei der SPD und der PDS/Linke Liste dem Wert der geistigen Leistung, dem öffentlichen sowie des Abg. Heinrich Seesing [CDU/ Interesse auf der einen Seite und dem Wert oder der CSU]) Betrachtung des Lebens und der leblosen Materie und dessen, was das gewerbliche Urheberrecht darüber zu Diese Unterscheidung war dem Gesetzgeber ja sagen hat, auf der anderen Seite. nicht irgenwie beliebig, sondern sie war ihm wichtig. Damit keine Mißverständnisse auftreten: Wir in der Und warum? Weil der Reichtum der Natur allen SPD führen keinen fundamentalistischen Feldzug Menschen, den Forschern, den Züchtern und natür- gegen Wissenschaft und Technik, auch nicht gegen lich auch unternehmerischen Interessen gleichartig Biotechniken und Gentechnologie. Im Gegenteil, wir zur Verfügung stehen soll, nicht aber aufgeteilt und sind an jedem Fortschritt im menschlichen Können parzelliert werden soll wie das Eigentum an Grund und menschlichen Wissen interessiert. Wir anerken- und Boden. nen auch die Leistung des Erfinders, die durch das Wollen wir diese Grundentscheidung aufgeben, die Patentrecht mit dem wirtschaftlichen Verwertungs- dem menschlichen Geist Freiheit gewährt? Ich meine, monopol belohnt wird. Aber im guten Sinne wertkon- das sollte man nicht tun. servativ, wie es wahrscheinlich nur Linke sein kön- nen, Kein Zweifel, ein mikrobiologisches Verfahren ist ebenfalls patentierbar, damit sind es nach § 9 des (Lachen bei der CDU/CSU — Bartholomäus deutschen und Art. 64 des europäischen Patentrechts Kalb [CDU/CSU]: Wertkonservativ? Ver auch die daraus hervorgehenden unmittelbaren schlafen!) Erzeugnisse. erinnern wir an die Wertentscheidungen, die jedem Aber was sind die unmittelbaren Erzeugnisse eines Recht, auch ausdrücklich dem deutschen und euro- Verfahrens, wenn ich die Definition des Verfahrens, päischen Patentrecht — Herr Lehne hat einige Zitate nämlich die zielgerichtete Kette menschlicher H and- daraus gebracht — zugrundeliegen. Wir mahnen die lungen, erst einmal übernehme? Die unmittelbaren Einhaltung dieser Werte an. Darum geht es. - Erzeugnisse — so steht es im Recht — können bei Dazu gehört nach § 2 des deutschen und Art. 53 des gentechnologischen Eingriffen in Zellen doch nur die europäischen Patentrechts die Nichtpatentierbarkeit damit veränderten Zellen sein. Ein ganzes Tier wie von Tierarten. Das ist unstreitig. Herr Lehne, auch Sie dessen Nachkommenschaft sind Ergebnisse weiterer, haben es ja betont. hinzutretender Geschehensabläufe, insbesondere der 12152 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 140. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Februar 1993

Margot von Renesse dem Leben eigentümlichen Dynamik der Fähigkeit kann und daß dieses Ziel nach menschlichem Ermes- zur Selbstvermehrung. Diese Lebensdynamik hat sen auf keinem anderen Weg erreichbar ist. unzweifelhaft mit Naturgesetzen zu tun, läuft aber (Edelgard Bulmahn [SPD]: Dazu braucht m an nicht als eine vom Menschen zielgerichtet gestaltete kein Patentrecht!) Handlungskette, eben als ein Verfahren ab, sondern steuert sich auf komplexe Weise selber. Ich verstehe jeden Tierfreund, der hier Bedenken hat, und ich verstehe ihn auch dann noch, wenn er Als unmittelbares Verfahrenserzeugnis scheidet seiner Katze das Mäusefangen durchaus nicht verbie- deshalb bei strenger juristischer Auslegung ein gan- ten will. Aber wenn er solche Versuche generell zes Tier mit seiner Nachkommenschaft schon aus; es ablehnt, so kann ich ihm auch die Frage nicht erspa- kann also nicht patentierbar sein, wenn wir an den ren, ob er eigentlich mitverantworten kann, daß bisherigen Grundentscheidungen des Patentrechts in weiterhin jeder vierte Mensch an Krebs stirbt, und Europa und in Deutschland festhalten. eben nicht nur Greise, sondern auch Kinder und Die kopernikanische Wende, die in München ein- Jugendliche. Ich bitte alle diejenigen, die Tierschutz- geleitet worden ist und sich möglicherweise fortsetzt bestimmungen weiter verschärfen wollen, sich sorg- mit dem Entwurf der EG-Richtlinie, ist etwas, was wir fältig zu fragen: nicht wollen, und ist etwas, was wir auch in der Stellungnahme der Bundesregierung als bedrohlich (Margot von Renesse [SPD]: Kommen Sie erkennen. doch zum Thema!) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten — Ich komme noch auf Ihr Thema! — Wird nicht der PDS/Linke Liste) womöglich der bessere Schutz der Tiere mit dem schlechteren Schutz von Menschen, insbesondere von Hier sind wir alle aufgerufen, den Sinn des Wert- Kranken, erkauft? konsenses in unserer Gesellschaft zu erhalten. (Beifall bei Abgeordneten der F.D.P.) Ich danke Ihnen. Die Krebsmaus verstößt nicht gegen die guten (Beifall bei der SPD und der PDS/Linke Sitten. Und jetzt bin ich bei dem Thema dieser Liste) Anfrage: Daher ist eine Patenterteilung durchaus möglich. Ob man ein Tier überhaupt patentieren soll, darüber kann man sehr wohl nachdenken. Die Juri- Vizepräsidentin Renate Schmidt: Als nächster sten sind durchaus der Meinung — und wir werden spricht der Kollege Professor Dr. Christoph Schnitt- das noch hören —, daß das möglich ist, und es gibt gute ler. Gründe dafür. (Margot von Renesse [SPD]: Rabulistik! Das haben wir als Juristen gelernt! — Dr. Mar Dr. Christoph Schnittler (F.D.P.): Frau Präsidentin! liese Dobberthien [SPD]: Über der Rabulistik Meine Damen und Herren! In der alten Bundesrepu- steht die Ethik!) blik Deutschland war im Jahre 1989 jeder vierte Im vorliegenden Fall — hören Sie bitte zu! — ist Todesfall auf Krebs zurückzuführen. Damit ist Krebs expressis verbis das gar nicht geschehen. Das Patent heute die zweithäufigste und wohl dazu die heimtük- ist nicht auf einen Säuger erteilt worden, dessen kischste Todesursache. In der DDR rangierte der Zellen eine aktivierte Onkogensequenz enthalten, Krebstod zwar nicht ganz so weit vorn, doch war das sondern patentiert wurde — ich lese Ihnen das jetzt vielleicht nur eine Folge der niedrigeren Lebenser- vor — wartung. das Verfahren zur Erzeugung eines transgenen Das Problem der Krebsentstehung und -behand- nichtmenschlichen Säugers mit erhöhter Nei- lung ist nach wie vor ungelöst; aber man weiß heute, gung zur Entwicklung von Neoplasmen, bei dem daß es einen solchen Lösungsweg gibt: die Erfor- spätestens im Achtzellenstadium eine aktivierte schung der molekularen Mechanismen bis hinab auf Onkogensequenz in einen nichtmenschlichen die Genomebene. Dazu sind Expe rimente nötig. Zell- Säuger eingeschleust wird. kulturen allein reichen nicht aus. Das Tierexperiment ist unverzichtbar. Schönes Beamtendeutsch! Patentiert wurde das Ver- fahren, nicht die Maus selbst. In den USA ist 1985 eine Maus gentechnisch mit einer aktivierten Onkogensequenz versehen worden. Daran, daß solche wissenschaftlichen Leistungen, Sie entwickelt daher Tumore, die denen des Men- obwohl sie nicht Erfindungen im klassischen Sinne schen vergleichbar sind, und ist deshalb ein ideales sind, patentfähig sein müssen, kann es wohl keinen Versuchstier für die Krebsforschung. Der Preis: Die Zweifel geben; denn neue Entwicklungen in der Maus wird sehr rasch an Krebs zugrundegehen, und Gentechnologie erfordern einen enormen geistigen die Maus muß leiden. wie auch materiellen Aufwand, und der ist zu einem Darf der Mensch so etwas tun? Das ist wohl die erheblichen Teil eben nur durch die freie Wirtschaft zu eigentliche Frage in dieser Aktuellen Stunde. Hierauf erbringen. Er muß sich mithin lohnen, und ohne eine muß, meine ich, jeder seine eigene Antwort- finden. patentfähige Absicherung ist das schlicht nicht Meine Antwort ist eindeutig: Ja, er darf es, in der erreichbar. wohlbegründeten Hoffnung, daß damit letztlich Es bleibt allerdings die Tatsache, daß mit der menschliches Leid in einem kaum vorstellbaren Aus- Gentechnik die Klärung tiefliegender ethischer und maß vermieden oder zumindest gelindert werden rechtlicher Fragen notwendig wird. Der in den USA Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 140. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Februar 1993 12153

Dr. Christoph Schnittler immer noch schwelende Streit, ob Gensequenzen des Renesse hat schon darauf hingewiesen, daß dieses menschlichen Genoms patentfähig sind, zeigt das möglich ist. Nur für Tierarten ist es nicht möglich. wohl noch eindrucksvoller als das Beispiel der (Margot von Renesse [SPD]: Genau das ist Maus. es!) Lassen Sie uns also — das ist mein Anliegen — über Damit befinden wir uns in Übereinstimmung mit der diese Fragen weiter gemeinsam nachdenken, aber deutschen Rechtsprechung, mit dem Brüsseler Vor- eben nachdenken und nicht nur nachfühlen ! schlag für eine Biotechnologie-Richtlinie, dem Votum des Europäischen Parlaments dazu und der Rechtsauf- fassung in allen oder jedenfalls nahezu allen Staaten Vizepräsidentin Renate Schmidt: Herr Abgeordne- auf dieser Erde und im übrigen mit allen Staaten der ter, Sie sind längst am Ende Ihrer Redezeit ange- EG. Das entbindet vor der Erteilung eines Patents langt! allerdings nicht von einer sorgfältigen Prüfung, was im konkreten Fall patentiert werden soll. Dabei ist im speziellen Fall vor allem zu berücksichtigen, daß Dr. Christoph Schnittler (F.D.P.): Lassen Sie uns Tieren kein Leid zugefügt werden darf, soweit es nicht gemeinsam diese Fragen rechtlich besser regeln! Das wirklich unvermeidbar ist. Patentrecht ist dafür nicht der richtige Platz. Lassen Sie mich zum Schluß noch auf einen Punkt (Beifall bei der F.D.P.) hinweisen, der in der öffentlichen Diskussion aus meiner Sicht immer unter den Tisch fällt: Die Erteilung eines Patents gibt ja keinen Freibrief für die Benut- Vizepräsidentin Renate Schmidt: Der Herr Parla- zung einer Erfindung. Ob sie gestattet ist, hängt von mentarische Staatssekretär Funke hat das Wo rt. den allgemeinen Gesetzen ab, hier insbesondere vom Gentechnikgesetz und vom Tierschutzgesetz; aber auch von einer Reihe anderer Gesetze, sowohl was Rainer Funke, Parl. Staatssekretär bei der Bundes- den Pflanzenschutz, als auch was den Tierschutz ministerin der Justiz: Frau Präsidentin! Meine Damen angeht. und Herren! Die Erteilung von Patenten auf Leben jeder Art, wie sie zu Recht viele Menschen heute Die Einhaltung dieser Vorschriften wird im Patent beschäftigt und berührt, ist für uns alle, glaube ich, ein erteilungsverfahren nicht geprüft und darf im übrigen sehr sensibler Bereich. Das haben die Beiträge dabei nicht geprüft werden. Das Patenterteilungsver- gezeigt. Dies gilt natürlich erst recht, wenn es sich wie fahren ist mithin kein umfassendes öffentlich rechtli- im Fall der sogenannten Harvard-Maus oder Krebs- ches Genehmigungsverfahren. maus um Tiere handelt und wahrscheinlich auch Ein erteiltes Patent gibt damit lediglich ein zeitlich handeln wird. begrenztes Verbietungsrecht gegenüber Dritten, bei- Das Problem ist in dieser Form erst mit der Gentech- spielsweise Mitbewerbern, begründet aber keinerlei nik entstanden. Wer nämlich ein Patent haben will Rechte gegenüber dem Staat etwa auf tatsächliche — das ergibt sich aus dem Patentgesetz —, muß seine Nutzung dieses Patents. Auch deshalb ist im Grunde Erfindungen nämlich so beschreiben, daß sie ein genommen das Patentrecht nicht der richtige Ort, die Fachmann beliebig oft und mit dem gleichen Ergebnis notwendige gedankliche Auseinandersetzung über wiederholen kann. Das war bei den klassischen Züch- Sinn und Zweck, Chancen und Risiken der Gentech- tungsverfahren mit durchaus divergierenden Resulta- nologie zu führen. ten gar nicht möglich. Deswegen hat es in der Ver- Das, meine Damen und Herren von der PDS, mag gangenheit darauf natürlich keine Patente geben emotional richtig sein, aber von der rechtlichen Seite können. ist dies hier im Grunde genommen nicht der richtige (Peter Harry Carstensen [Nordstrand] [CDU/ Platz. CSU]: Aber Sortenschutz hat es gegeben!) Die äußerste Grenze für die Erteilung eines Patents ist die Sittenwidrigkeit der Erfindung. Hierauf hat — Vielen Dank, daß Sie mir schon vorgesagt haben, Herr Lehne zu Recht hingewiesen. Ob diese Grenze was ich im nächsten Satz sagen wollte. überschritten ist, ist sicher auch bei gentechnischen Das Europäische Patentamt hat in den letzten Jah- Erfindungen eine Frage der Prüfung des Einzelfalls. ren etliche Patente auf gentechnisch veränderte Wer solche Erfindungen macht und sie zum Patent Pflanzen erteilt. Im Mai 1992 hat es zum ersten Male anmeldet, muß sich bewußt sein, daß er sich eine hohe, ein Tier, nämlich die Harvard-Maus, patentiert. Es hat auch moralisch hohe Verantwortung aufgeladen dabei den Leiden, die diese Tiere erdulden müssen, hat. den Nutzen für die Menschheit gegenübergestellt und Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. entschieden, daß dieser Nutzen, also die bessere Erforschung einer der schwersten Krankheiten über- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) haupt, diese Leiden der Tiere rechtfertigt. Diese Entscheidung wird jetzt im Einspruchsverfahren vor dem Europäischen Patentamt und später im übrigen Vizepräsidentin Renate Schmidt: Nun hat die Kolle- auch noch von den nationalen Gerichten unter- dem gin Edelgard Bulmahn das Wort. Gesichtspunkt zu überprüfen sein, ob die Erfindung gegen die guten Sitten verstößt. Edelgard Bulmahn (SPD): Sehr geehrte Herren und Dabei steht fest: Lebende Materie, auch Pflanzen Damen! Rechtsnormen spiegeln gesellschaftliche und Tiere, ist grundsätzlich patentierbar. Frau von Normen und Werte wider; jedes Recht ist werthaltig. 12154 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 140. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Februar 1993

Edelgard Bulmahn Deshalb ist die Frage der Patentierbarkeit von Lebe- Craig Venter meldete 337 Gehirngene vorsorglich wesen, die in einer ganz entscheidenden Weise auch zum Patent an. Australische Mediziner ließen sich die eine Frage des Wertes ist, den wir Lebewesen in Verwendung des Gens patentieren, das bei schwan- unserer Gesellschaft zumessen, keine Frage, über die geren Frauen die Ausschüttung des Hormons Relaxin Patentbeamte entscheiden können. und damit den Geburtsvorgang steuert. Die Frage nach der Patentfähigkeit von Tieren Aber auch damit noch nicht genug: Menschliche berührt die ethischen Grundlagen unserer Gesell- Gene seien chemische Verbindungen und patentier schaft. Sie bedarf deshalb einer breiten öffentlichen bar, wenn sie einem chemischen Verfahren dienen, Diskussion und einer eindeutigen gesetzlichen sagte der Sprecher des Präsidenten des europäischen Grundlage. Patentamtes. Tiere, meine Damen und Herren, sind mehr als eine Meine Herren und Damen, wenn wir zulassen, daß beliebige Ansammlung von chemischen Substanzen, menschliche Gene patentierbar sind, dann bedeutet die zufällig in der Lage sind, sich zu vermehren und zu dies in der Summe die Zulassung der Patentierung des entwickeln und deshalb schrankenlos der menschli- Menschen. Dies widersp richt in fundamentaler Weise chen Verfügungsgewalt unterworfen werden kön- den Wertvorstellungen und den Normen unserer nen. Gesellschaft. (Peter Harry Carstensen [Nordstrand] [CDU/ (Beifall bei der SPD und der PDS/Linke CSU]: Das gilt auch beim § 218!) Liste) Der Respekt und die Verantwortung für Tiere, wie es Kein Mensch kann einem anderen Menschen das auch im Tierschutzgesetz niedergelegt ist, verbieten Recht auf eine schrankenlose Zurverfügungstellung meines Erachtens eine solche Einstellung. Tiere seiner Gene oder seiner Erbanlagen geben. Kein haben ein eigenes Lebensrecht Ihr Leben und Wohl- Mensch kann einem anderen Menschen ein schran- befinden stehen — daran kann und darf es keinen kenloses Recht über einen anderen Menschen geben. Zweifel geben — unter dem Schutz des Gesetzes. Deshalb brauchen wir hier eine klare defini tive natio- Leben ist keine patentfähige Erfindung des Men- nale und auch eine klare und defini tive europäische schen. Rechtsprechung, die dies unmöglich macht und unter- sagt. (Beifall bei Abgeordneten der PDS/Linke Liste) Mit seiner Entscheidung vom 14. Juli 1989 auf Abweisung der Patentanmeldung für die sogenannte Die vollständige Verdinglichung von Tieren durch Krebsmaus hatte die Prüfungsabteilung des Europäi- eine grundsätzliche und schrankenlose Patentierbar- schen Patentamtes dann auch im Einklang mit der keit und ihre Reduzierung auf einen genetischen herrschenden Rechtsauffassung festgestellt, daß Baukasten müssen weiterhin ausgeschlossen blei- Art. 53 b des Europäischen Patentübereinkommens ben. einen Patentschutz für Tiere als solche nicht nur dann Bisher war dies stets die Auffassung von Bundestag ausschließt, wenn eine bestimmte Tierart beansprucht und Bundesrat, aber auch der Rechtsprechung. wird, sondern generell. Mit anderen Worten: Das Nahezu gleichlautend bestimmen das deutsche Europäische Patentübereinkommen geht von einem Patentgesetz und das Europäische Patentüberein- generellen Patentierungsverbot für Tiere aus. kommen, daß Patente für Tierarten und im wesentli- (Wolfgang Mischnick [F.D.P.]: Tierarten!) chen biologische Verfahren zur Züchtung von Tieren nicht erteilt werden. ' Die Beschwerdekammer des gleichen Amtes hat am 3. Oktober 1990 dieser Auffassung jedoch widerspro- Ich sehe keinen Grund, diese Position nunmehr chen, und zwar mit einer, wie ich meine, schon recht aufzugeben. Keinen Zweifel kann und darf es daran abenteuerlichen Begründung: Es seien nicht Tiere als geben, daß eine Patentierbarkeit von menschlichen solche gemeint, sondern Tierarten; eine Patentierung Genen und des Menschen selber unter allen Umstän- könne insofern nur dann abgelehnt werden, wenn den ausgeschlossen ist und bleiben muß. Die Diskus- Patentschutz für eine Tierart begehrt werde, nicht sion über die Patentfähigkeit von Tieren darf auch aber, wenn es sich um einen Patentschutz für Tiere an nicht dazu mißbraucht werden, über den Umweg sich handele. einer Zulassung der Patentierung von Tieren der Patentierbarkeit von menschlichem Erbgut Vorschub (Bartholomäus Kalb [CDU/CSU]: Was ist zu leisten, wie es in einem Antrag, der dem Europäi- denn Ihre Meinung zu den Beiträgen des schen Patentamt München vorliegt, geschieht. Kollegen von der F.D.P.?) (Beifall bei der SPD und der PDS/Linke Für eine solche Sprachakrobatik habe ich kein Ver- Liste) ständnis. Der Antrag, der sich im wesentlichen auf die Paten- Nun will ich nicht bestreiten, daß der Wortlaut des tierung tierischer Gene bezieht, läuft in den Punk- europäischen Patentgesetzes nicht eindeutig ist, ten 18 und 19 darauf hinaus, für die Brustdrüse der zumal in der englischen und der französischen Fas- Frau ein Patent zu verlangen, um mittels- Einschleu- sung Begriffe verwendet werden, die allem Anschein sung eines Fremdgens ein bestimmtes Protein in der nach Synonyme für den deutschen Beg riff „Tierart" Muttermilch zu produzieren. sind. Leider, meine Damen und Herren, ist dies nicht das Wenn das aber so ist, dann sind wir als Gesetzgeber einzige Beispiel. Der amerikanische Wissenschaftler aufgerufen, für die notwendige Klarstellung zu sorgen Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 140. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Februar 1993 12155

Edelgard Bulmahn und zwar im deutschen und im europäischen Patent- Mein Herr Kollege, wir kommen nämlich zu einem recht. wichtigen Punkt. Die ganze Angelegenheit ist sehr (Beifall bei der SPD und der PDS/Linke viel weiter gediehen, als Sie überhaupt denken. Wenn Liste) Sie sich einmal die Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage ansehen, dann können Sie darin Alle wesentlichen Entscheidungen — und um solche lesen, daß die Bundesregierung schon gesagt hat, daß geht es in dieser Frage — müssen in einer Demokratie sie — ich zitiere — im Sinne der Auslegung des vom Parlament ge troffen werden. Sie können nicht Europäischen Patentübereinkommens bei der EG auf Beamte oder Patentämter abgeschoben werden. In weiter verhandelt. Das heißt: Sie hält auf EG-Ebene dieser Verantwortung stehen wir. Dieser Verantwor- — das ist freilich noch nicht rechtsgültig — die Ertei- tung müssen wir auch gerecht werden. lung von Patenten für Tiere für denkbar und für Bei der Frage, wie wir uns entscheiden, müssen wir rechtlich möglich. abwägen. Bei der Abwägung der Fragen, ob bzw. in welchem Umfang, aus welchen Gründen oder unter ( [SPD]: Das sind mir schöne welchen Umständen Tiere patentierbar sein könnten, Christen!) dürfen neben ethischen Bedenken auch die mögli- Das ist der zentrale Punkt, den m an zur Kenntnis chen Auswirkungen nicht außer acht gelassen wer- nehmen sollte. den. Aber wir müssen hier in diesem Parlament eine Denn, meine Damen und Herren, wenn das recht- Entscheidung treffen. Wir dürfen sie uns von nieman- lich so ist, dann stellen sich die Fragen: Was mache ich dem abnehmen lassen. mit einem solchen Patent? Wie begrenze ich ein Ich bitte die Regierung und die Koalitionsfraktio- solches Patent? Denn ein solches Patent auf ein Tier ist nen, dieser Verantwortung, die wir haben, und die uns mit Sicherheit ein anderes Patent — inhaltlich zumin- niemand abnehmen kann, auch gerecht zu werden. dest für mich — als das für eine unbewegliche (Beifall bei der SPD und der PDS/Linke Sache. Liste) Ich möchte Sie dazu aufrufen, daß wir uns insbeson- dere im Rechtsausschuß mit dieser Frage befassen. Es geht damm, was wir eigentlich im Patentgesetz Vizepräsidentin Renate Schmidt: Nun spricht die ändern müssen, wenn wir dazu kommen, daß wir eine Kollegin Dr. Hedda Meseke. europäische Richtlinie des Inhalts, wie ich sie mir (Otto Schily [SPD]: Sie können sich auf einen vorstelle und wie sie wahrscheinlich kommt, ins Satz beschränken: „Ich schließe mich dem deutsche Recht übernehmen werden. an."!) (Hans Büttner [Ingolstadt] [SPD]: Wieso muß das denn sein?) Dr. Hedda Meseke (SPD): Sehr geehrte Frau Präsi- — Ich sage Ihnen einfach, wie ich das rechtlich sehe. dentin! Meine Damen und Herren! Lieber Kollege, Da ich Erfahrungen in Verhandlungen mit der EG gleich zu Anfang: Ich biete Ihnen das Gegenteil an. Sie habe, sage ich Ihnen voraus: Wir werden eine solche kriegen das Kontrastprogramm. Richtlinie bekommen. Ich bedaure außerordentlich, daß wir dieses diffizile (Margot von Renesse [SPD]: Das kommt doch Thema hier im Rahmen einer Aktuellen Stunde auf- nicht wie eine Naturkatastrophe!) greifen. Das einzige, was davon wirklich aktuell ist, ist nämlich das Datum des 13. Februar, zu dem die Dann werden wir darüber diskutieren. Mein Anliegen ist, so früh wie möglich zu diskutieren, was wir mit Einspruchsfrist abläuft. Ich hätte mir gewünscht, wir hätten uns zuerst in einem geordneten Verfahren in einem solchen Patent inhaltlich machen. Das ist in meinen Augen sehr viel wichtiger, als die Frage zu den zuständigen Ausschüssen mit dem Thema befas- sen können; diskutieren, ob ein Tier überhaupt patentrechtlich geschützt sein kann; denn das ist eigentlich nur ein (Wolf-Michael Catenhusen [SPD]: Also Begriff, nicht aber der Kern der Sache. doch!) (Hans Büttner [Ingolstadt] [SPD]: Was ist denn es ist außerordentlich diffizil. denn ein Tier? Ist das etwa kein Lebewe Ich möchte, wenn ich das sage, nicht vergessen sen?) lassen, daß es natürlich zahlreiche ethische und mora- Damit ich richtig verstanden werde, möchte ich lische Probleme gibt, die schon das Beispiel dieser zusätzlich sagen: Ich bin zutiefst der Auffassung, daß Krebsmaus aufwirft; denn allein der Begriff Krebs- man nicht an Begriffen aufhören sollte, zu denken, maus weckt irgendwie schon Aversionen, und m an sondern daß man die Inhalte dessen, was m an schüt- fragt sich, ob dies überhaupt nötig ist. Aber wenn Sie zen wird, analysieren muß. sich vorstellen, welche Schwierigkeiten wir bei der Bekämpfung der modernen Krankheiten haben, und (Beifall des Abg. Heinrich Seesing [CDU/ daß 70 % der Krankheiten heute mit den herkömmli- CSU]) chen Mitteln nicht bekämpfbar sind — — Die Fragen sind: Wo sind die Grenzen? Wo sind die (Zuruf des Abg. Otto Schily [SPD])- richtigen Grenzen? Hier sind z. B. die zentralen Fra- — Das ist erlaubt. Oder? gen: Wie lange kann ein solcher Patentschutz dauern? Wie ist er auszugestalten? Kann es wirklich sein, daß (Otto Schily [SPD]: Ja, das ist erlaubt!) es 20 Jahre lang durch das Patent verboten wird, ein — Wunderbar; dann wiederhole ich das nicht. solches Tier weiter zu vermehren, und daß ich dafür 12156 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 140. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Februar 1993

Dr. Hedda Meseke Lizenzen einnehmen kann? Ist das denn richtig? Oder objektiv die Freiheit der Forschung. Die Forschung müßte es vielmehr so sein, daß hier zum Schutz der kann doch gar kein Interesse an dieser Entwicklung Weiterentwicklung unserer Forschung neue Grenzen haben. gezogen werden? (Beifall bei der SPD und der PDS/Linke (Zuruf von der SPD: Da kommen wir uns Liste) schon näher!) Es ist doch wichtig, festzustellen, daß in Frankreich, in — Sehen Sie, das freut mich. Großbritannien und in Deutschland — hier die Bun- (Beifall bei der CDU/CSU) desärztekammer — gesagt worden ist: Wir wollen diese Entwicklung hin auf den Menschen nicht. Das ist auch nicht im Interesse der Wissenschaft. Die Paten- Vizepräsidentin Renate Schmidt: Als nächster tierung geschieht doch nicht im Interesse der Wissen- spricht der Kollege Wolf-Michael Catenhusen. schaftler, die diese Maus manipuliert haben, sondern im Interesse von Monsanto, die damit Geld verdienen will. Um nichts anderes geht es. Wolf-Michael Catenhusen (SPD): Frau Präsidentin! Ich möchte einen zweiten Gesichtspunkt anschnei- Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich kann meiner den. Ich spreche mich gegen die Patentierung dieser Vorrednerin nur darin zustimmen, daß man bei Begrif- Krebsmaus aus und sage deutlich: Man kann hier sehr fen nicht aufhören soll zu denken. Aber wenn die schön Scheindifferenzierung vornehmen. Aber wenn bislang klaren Inhalte eines Begriffs auf einmal in ihr das Verfahrenspatent dann auch das Produkt, nämlich Gegenteil verkehrt werden, muß man doch stutzig die Krebsmaus und alle ihre Nachkommen, umfaßt, ist werden und sich fragen: Was ist eigentlich in dieser es faktisch ein Patent über ein Tier geworden. Das Gesellschaft los? kann man nicht mehr formal auseinanderdivideren. 1980 ist in Amerika zum erstenmal eine Bakterie (Beifall bei der SPD) patentiert worden. In der Begründung dieses Urteils ist ausdrücklich festgeschrieben worden, daß dies mit Man sollte in der Diskussion auch deutlich anspre- der Patentierung von Lebewesen im klassischen chen: Die Züchtung einer solchen transgenen Maus Sinne, von Tieren und Pflanzen, nichts zu tun habe. für die biomedizinische Forschung ist meiner Ansicht nach unter bestimmten Zielsetzungen nicht grund- Einige Jahre später hatte der Patentschutz die sätzlich verboten oder inakzeptabel. Wenn z. B. Gene Pflanzen erreicht, drei Jahre später die Säugetiere. des Menschen in ein Versuchstier hineingeschleust Mittlerweile liegen Patentanträge vor, Gene und Gen- werden, damit aus der Reaktion eines veränderten, sequenzen des Menschen patentieren zu lassen. dem Menschen angenäherten Immunsystems — bei- Was wir erleben, ist, daß eine technische Innova tion spielsweise der Reaktion dieser Maus auf ein HIV- — das, was wir unter „Patent" traditionell verstanden Virus — neue Erkenntisse über die Entstehung und haben, worauf auch das Patentrecht aufgebaut hat, den Verlauf von Aids gewonnen werden, so ist das daß es nämlich um eine Erfindung des Menschen, um eine Zielsetzung, die auch bei einer Prüfung unter eine Sache geht — durch Rechtsprechung, nicht Tierschutzgesichtspunkten eine Abwägung zugun- einmal durch einen Akt des Gesetzgebers, so umin- sten dieser Forschung im Einzelfall möglich machen terpretiert wird, daß wir uns fragen müssen, was da muß. eigentlich passiert ist. Auch der Versuch, menschenähnliche Krebsformen Diese Aktuelle Stunde hat den Sinn, daß wir einmal in einem Tier zu modellieren, um diese Grundlagen- überlegen, ob das eine Entwicklung ist, die wir so forschung, wie ein solcher Krebs entsteht und verläuft, laufen lassen können, bei der im Grunde genommen nicht nur am Patienten durchführen zu müssen, son- große Investitionsinteressen, die sich neuerdings auf dern schon am Tiermodell erproben zu können, zeigt, einmal auch auf Lebewesen konzentrieren, in völlig daß hier auch legitime Interessen der Forschung, der selbstverständlicher Weise Patentschutz zur Folge biomedizinischen Grundlagenforschung, an solchen haben. Hat Patentschutz überall dort Platz, wo es um Tierversuchen bestehen. große Gewinne geht? Oder gibt es auch noch andere Schönen Dank. Gesichtspunkte, die eine Rolle spielen müssen, wenn es um die Frage geht, wie weit Patentschutz ausge- (Beifall bei der SPD) dehnt werden kann? (Zuruf von der F.D.P.: Gesundheit!) Vizepräsidentin Renate Schmidt: Min spricht der Kollege Heinrich Seesing. Meine Damen und Herren, die Harvard-Krebsmaus ist nur ein Tier, das für die Grundlagenforschung hergestellt worden ist; m an muß sagen „hergestellt". Heinrich Seesing (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Nur muß man in der Diskussion zwei Dinge unter- Meine Damen und Herren! Im Grunde ist es keine scheiden. Ich kann vielem von dem, was mein Kollege Frage der Gentechnologie, wenn wir über die soge- Schnittler gesagt hat, zustimmen. Es geht hier aber gar nannte Krebsmaus streiten. Es geht vielmehr um die nicht darum, ob Krebsmäuse gentechnisch manipu- grundsätzliche Frage nach der Patentierbarkeit von liert hergestellt werden sollen, sondern darum, ob Leben. Denn man könnte ja auch mit Hilfe anderer diese Maus patentiert werden darf. Ich meine, daß die Methoden Änderungen in einem Lebewesen herbei- Patentierung der Harvard-Krebsmaus ebenso wie führen, die so bedeutend sind, daß der — jetzt muß besonders die Patentierung von Gensequenzen von man sich fragen: Was ist er eigentlich? — Forscher, der Pflanzen, Tieren oder des Menschen nicht nur eine Erfinder, der Techniker oder der Züchter sein Werk ethische Frage darstellt. Diese Entwicklung behindert für sich und von sich genutzt sehen möchte. Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 140. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Februar 1993 12157

Heinrich Seesing Eines ist klar. Gentechnische Verfahren wirken Krebsforschung fortschreitet, desto häufiger werden schneller, genauer und sicherer. Am Ergebnis der wir vor Abwägungsprobleme gestellt werden. Krebsmaus — wenn man das so kurz gefaßt sagen Wenn ich persönlich auch grundsätzliche Vorbe- darf — kann man es sehen. halte gegen eine Patentierbarkeit von Pflanzen, Tie- Da gelingt es also den Forschern, ein menschliches ren und erst recht von Teilen des Menschen und von Krebsgen in Mäuseembryonen einzuschleusen. Ich Teilen des menschlichen Genoms anmelde, so kann will jetzt nicht in eine Untersuchung eintreten, ob das ich mir im Einzelfall durchaus einen Gewissenskon- aus Sicht des Tierschutzes zu dulden ist oder nicht. Ich flikt vorstellen. Vielleicht sind durchschlagende will einfach einmal voraussetzen, daß eine solche Erfolge in der Krebs- und Aidsbehandlung nur dann Forschung aus vielerlei Gründen ethisch zu verant- möglich, wenn ein bestimmtes, mühselig erarbeitetes worten ist. Ob die beiden Forscher selbst auf die Idee Verfahren auch geschützt wird. Ich weiß es nicht. gekommen sind, ihre krebskranke Maus patentrecht- Ein Trost in der ganzen Diskussion ist, daß der lich zu schützen, weiß ich nicht. Dafür sorgte aber auf Mensch nicht in der Lage ist, absolut neues Leben zu jeden Fall der US-Chemiekonzern DuPont. Er nahm schaffen. Der Mensch muß immer auf das bereits die Forscher unter Vertrag und meldete im Jahre 1984 Vorhandene zurückgreifen. Er greift also vielfältig in nicht nur das gentechnische Verfahren zur Herstel- die Natur, in die Umwelt ein. Er wird das immer tun lung von Krebsmäusen, sondern auch das Tier als müssen, um leben zu können. Und wir? Wir müssen solches in den USA zum Patent an. 1987 erklärte das denken, nachdenken — wie es vorhin gefordert amerikanische Patentamt, daß a lles unter der Sonne, wurde —, wie weit wir die Dinge treiben lassen was vom Menschen geschaffen werde, patentierbar wollen. Die Entscheidung eines Patentamtes ist die sei. 1988 erhielt DuPont das Patent in den USA. Im eine Seite, die ethische Bewertung aber unsere Auf- Jahre 1989 bissen die Antragsteller beim Europäi- gabe. Und wir können das schon bei den Vorlagen tun, schen Patentamt in München noch auf Granit. die wir in den Ausschüssen zu beraten haben. Die Ablehnung war wohlbegründet. Nach dem Herzlichen D ank. Europäischen Patentübereinkommen ist eine Paten- (Beifall bei der CDU/CSU) tierung von Tierarten verboten. Die recht tüchtigen Rechtsanwälte von DuPont konnten die Ungenauig- keit der Sprache zum Anlaß nehmen, die Beschwer- Vizepräsidentin Renate Schmidt: Nun spricht die dekammer des Europäischen Patentamtes anzurufen. Kollegin Dr. Marliese Dobberthien. Ich gebe Ihnen recht, daß wir uns mit diesen Sprach- regelungen auseinandersetzen müssen. Die Be- Dr. Marliese Dobberthien (SPD): Frau Präsidentin! schwerdekammer legte den Beg riff „Tierart" — mit Meine Damen und Herren! Verglichen mit der Har- meinen Worten gestaltet — so aus: Es soll nicht die vard-Krebsmaus ist ,,Tracy" vermutlich das glückli- Tierart Maus patentiert werden, sondern lediglich ein chere Tier. Tracy ist ein Schaf, wird aber als biologi- Tier, das nach einem ganz bestimmten, auch paten- sche Fabrik benutzt. Ihr wurde ein menschliches Gen tierbaren Verfahren hergestellt wurde und eine ins Erbgut geschmuggelt. Seither produzieren Tracys bestimmte Eigenschaft in sich trägt, die andere Mäuse Drüsen nicht nur Milch, sondern auch das Enzym nicht haben. Alpha-1-Antitrypsin, Grundlage eines Medikaments Das Hauptproblem stellt aber nicht diese Krebs- gegen ein Lungenleiden. Der britische Hersteller maus dar, sondern vielmehr die Tatsache, daß alle verspricht sich ein Riesengeschäft. Säugetiere und ihre Nachkommen, denen durch Wieviel unglücklicher ist hingegen die Krebsmaus, bestimmte gentechnische Verfahren krebsauslösende vom Menschen erschaffen, einzig und allein zu dem Gene ins Erbgut gesetzt werden, unter den Patent- Zweck, schnell und sicher tödliche Tumore zu bil- schutz fallen können. Wenigstens habe ich das so den. verstanden. Deswegen ist die Unruhe bei vielen Tier- Der „Sündenfall" begann vor zwölf Jahren. Das und Umweltschützern so groß. US-Patentamt erteilte das weltweit erste Patent auf ein Diese Unruhe wird noch größer werden, wenn man Lebewesen, ein Bakterium. Fortan galt „anything registriert, daß in diesen Tagen in den USA drei under the sund made by man" prinzipiell als patent- weitere Patente auf Mäuse erteilt worden sind. Davon fähig, und dank der Vermehrungsfähigkeit auch alle sind zwei für die Forschung in der Humanmedizin Nachkommen. gedacht. Eine Maus soll aber nun der Erforschung und Aber es blieb nicht bei Bakterien. Tomaten, Au- Heilung von Tierkrankheiten dienen. In den USA gibt stern, Schafe folgten. Die Entwicklung rast in beäng- es zur Zeit über 180 Anträge auf Patentierung eines stigender Geschwindigkeit voran. Längst geht es um gentechnisch veränderten Lebewesens. Aller Wahr- Patente für menschliche Erbinformationen. Mensch- scheinlichkeit nach wird also der Druck auf das liche Gene stehen schon länger im Fadenkreuz der Europäische Patentamt noch stärker werden. Forschung. 1981 wurde in Europa ein Patent für ein Der Deutsche Bundestag hat sich seit der Arbeit der Polypeptid mit der Aminosäuresequenz des menschli- Enquete-Kommission „Chancen und Risiken der Gen- chen Interferons angemeldet. Für das menschliche technololgie" mehrfach mit dieser Problematik befaßt Hormon Relaxin, bedeutsam für die Geburt, bean- und bisher die Patentierbarkeit von Tieren verneint. tragte ein australisches Institut in Europa ein Ich gehe davon aus, daß letztlich das Bundespatent- Patent. gericht feststellen muß, ob die Patentierung einer Was steht am Ende einer solchen Entwicklung? — Maus durch das Europäische Patentamt national Noch wurde einem US-Hersteller für eine haarlose rechtlich gültig ist oder nicht. Je weiter z. B. die Mäuseart — für Glatzentests — die Patentwürdigkeit 12158 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 140. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Februar 1993

Dr. Marliese Dobberthien aberkannt. US-Ablehnung auch gegenüber dem Es protestieren aber auch jene, zu deren Wohl die Begehren, menschliche Erbanlagen unbekannter Gentechnik angeblich entwickelt wird, nämlich Men- Funktion zu patentieren. schen aus Ländern der Dritten Welt. Mit der Patentierung von Lebewesen sind komplexe Wer die Patentierung von Tieren und Pflanzen sche Ressourcen, bisher ethische Fragen verbunden, die mir sehr zu schaffen gestattet, läßt zu, daß gene ti machen. Bedeutet nicht jede Patenterteilung für ein Menschheitsgut, zum Privatbesitz und Privileg von lebende Organismen, daß qua Gentechnik das Erbe Patentinhabern werden. Das sind in der Regel die der Natur in den Privatbesitz von Unternehmen über- multinationalen Konzerne der Industriestaaten. Vor führbar wird? — Sowenig wie Luft und Wasser jedoch allem die vielfältigen gene tischen Ressourcen und Privatbesitz sind, sowenig sollte die Genvielfalt dieser Reserven der Dritten Welt mit ihrem Artenreichtum Welt zum Eigentum weniger kapitalstarker Unterneh- sind der Begehrlichkeit des reichen Nordens ausge- men werden dürfen. setzt. Wie soll aber die Dritte Welt, die heute nicht einmal ihre ökologischen Kostbarkeiten wie den (Beifall bei der SPD und der PDS/Linke Regenwald vor kommerzieller Ausbeutung und Zer- Liste) störung schützten kann, die Ausbeutung und Privati- sierung genetischer Ressourcen verhindern kön- Wenn das Patent für die Krebsmaus rechtskräftig nen? würde, dann hieße das: Nur der US-Konzern DuPont und seine Lizenznehmer dürfen Mäuse gentechnisch Und was sagt die Bundesregierung? — Lange hat sie manipulieren, diese Tiere vermarkten und mit karzi- sich vor klaren Stellungnahmen gedrückt. Vor einem nogenem Material testen; nur DuPont gehören alle Jahr weigerte sie sich, zur Patentierung eines mensch- natürliche Nachkommen und alle weitere Generatio- lichen Gens aus dem Eierstockgewebe einer Frau ein nen und Chromosomen dieser Geschöpfe. deutliches Wort zu sagen. „Nicht zuständig", hieß es. Erst neuerdings sind deutlichere Worte zu hören. Das Unbeantwortet sind für mich auch ethische Fragen. „gene-pharming", durch das mit der Muttermilch Wer gibt Menschen das Recht, eine Tierart einzig und — auch bei Frauen — ein pharmazeutischer Wirkstoff allein zu erschaffen — zu produzieren wie ein Auto —, produziert werden soll, hält sie immerhin — so heißt es um sie als Versuchstiere zu mißbrauchen und dem Tod nun — für einen „Verstoß gegen die guten Sitten". zu weihen? Während bei den bisherigen Versuchen Ich halte es für unverzichtbar, daß sich die Bundes- mit Tieren jedes einzelne Individuum immerhin noch regierung- in der Auseinandersetzung um die EG die Chance besitzt, nicht Versuchsopfer zu werden, Patentierungsrichtlinie dafür einsetzt, daß Säugetiere wird mit der Krebsmaus nämlich eine ganze Tierart oder menschliche Gene niemals patentierungsfähig ausschließlich menschlichem Zweckdenken unter- werden dürfen. worfen. Das einzelne Lebewesen verliert jede Identi- tät. Seine einzige Realität ist seine DNS. Eine Tierart (Beifall bei der SPD) wird damit beliebig manipulierbar, austauschbar, erweiterbar, variierbar und wegwerfbar. Mich schau- dert vor einem solchen seelenlosen Nützlichkeitsden- Vizepräsidentin Renate Schmidt: Frau Kollegin, wir ken gegenüber der belebten Natur und vor der Hybris sind in der Aktuellen Stunde. Da wären eigentlich fünf des Menschen, sich als Ersatzschöpfer aufzuspielen. Minuten angemessen. So sehen es auch andere Christenmenschen: Dr. Marliese Dobberthien (SPD): Ja. — Die Verfü- Wenn gentechnisch veränderte Lebewesen pa gungsgewalt über Lebewesen besitzt Grenzen, die tentfähig werden, zeigt dies, daß Menschen mit nicht überschritten werden dürfen. Lebewesen umgehen wie heute mit Maschinen. Machen wir es dem Europäischen Parlament nach, So protestieren Ökumene-Leute in ihrer Hannover- das heute einen Beschluß gefaßt hat, der die Rück- schen Erklärung. nahme der Münchner Entscheidung verlangt! In krassem Gegensatz dazu steht die Unterschrift (Beifall bei der SPD und der PDS/Linke des höchsten deutschen katholischen Kirchenreprä- Liste) sentanten, Bischof Lehmann, der die Deregulierungs- kampagne der deutschen Gentechniklobby aktiv unterstützt. Vizepräsidentin Renate Schmidt: Nun spricht der Kollege Peter Harry Carstensen. (Dr. Martin Mayer [Siegertsbrunn] [CDU/ CSU]: Gott sei Dank! — Heinrich Seesing [CDU/CSU]: Ein vernünftiger Mann!) Peter Harry Carstensen (Nordstrand) (CDU/CSU): Diese Kampagne weckt mit Simplifizierungen und Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Das vollmundigen Versprechungen unerfüllbare Hoff- Thema dieser Aktuellen Stunde führt uns deutlich vor nungen dahin gehend, mittels Gentechnik Hunger Augen, daß die Biotechnologie schon längst das oder Krankheit besiegen zu können. Als ob der Stadium von „nur Forschung" verlassen hat und Hunger ein technisches Problem sei und- nicht ein inzwischen ein wichtiger Faktor im wirtschaftlichen Verteilungsproblem! Bereich geworden ist. Diese Entwicklung ist durch das Aussprechen möglichst vieler Verbote nicht zum Still- (Beifall bei der SPD und der PDS/Linke stand zu bringen. Das mag man bedauern wollen, das Liste) ist aber nicht mehr zu ändern, insbesondere nicht Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 140. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Februar 1993 12159

Peter Harry Carstensen (Nordstrand) dadurch, daß man die Bundesrepublik Deutschland in pragmatisch abzuwägen. Natürlich ist es begrüßens- eine gentechnologisch weiße Zone verwandeln will. wert, wenn sich durch den Einbau von Resistenzen in das genetische Gefüge von Pflanzen der Einsatz von (Wolf-Michael Catenhusen [SPD]: Das ist Pflanzenschutzmitteln zur Bekämpfung von Krank- doch Schattenboxen! — Weitere Zurufe von heiten erübrigt. Hier bieten sich auch Möglichkeiten der SPD) für neue Erzeugnisse und Produkte. Die Bedeutung Das, so wissen wir, hat noch niemals in der der Gentechnik für den Pflanzenbau der Dritten Welt Geschichte der Forschung und Technik funktioniert. ist sicherlich nicht zu unterschätzen. Vielmehr gilt es — entsprechend dem Motto bei der (Zurufe von der SPD: Quatsch! — Unsinn!) Abfassung des Gentechnikgesetzes —, die Chancen und Risiken abzuwägen. Aber die rechtlichen Probleme dieser neuen Produkte, meine Damen und Herren, bedürfen schnell einer (Wolf-Michael Catenhusen [SPD]: Man sucht sauberen und, so glaube ich, auch breit akzeptierten sich seine Buhmänner, wie man sie haben Regelung. will!) Die Europäische Kommission überprüft derzeit Zweifellos stellt sich hier bei der Gentechnik im ihren Richtlinienvorschlag über den Schutz biotech- Vergleich zur herkömmlichen Technik eine beson- nologischer Erfindungen. Das ist gut so. Wir unterstüt- dere Herausforderung, weil sich Biotechnik naturge- zen unsere Bundesregierung bei ihrer Einflußnahme mäß mit lebender Materie beschäftigt. Insbesondere auf diese Richtlinie. stellen sich bei der Vergabe von Patenten auf Tiere und Pflanzen völlig neue Fragen. Lassen Sie mich zum Schluß nur noch auf eine Stellungnahme des Rates der Evangelischen Kirche Wenn erhebliche Forschungskosten — das sind Deutschlands hinweisen. Darin heißt es: Risiken — auf dem Spiel stehen und wenn erhebliche Wirtschaftsgewinne — das sind Chancen — auf dem Die Alternative zwischen einem unumschränkten Spiel stehen, dann muß man anerkennen, daß bio- Ja und einem unumschränkten Nein zur Gen- technologische Erfindungen ebenso wie die in ande- technik führt nicht weiter. ren Technikbereichen einen wie auch immer gearte- (Otto Schily [SPD]: Thema verfehlt! — Wei ten Schutz genießen müssen. tere Zurufe von der SPD) (Wolf-Michael Catenhusen [SPD]: Auch bei Solche pauschalen Urteile erwecken den fälschli- Menschen! — Weitere Zurufe bei der SPD) chen Eindruck, als ginge es bei der Gentechnik Der Anlaß für die heutige Diskussion ist die soge- um die Entscheidung zwischen Heilsweg und nannte Krebsmaus. Ich gebe zu, mir fällt es schwer, Katastrophe. Aber bei der Beurteilung der Gen- diesen Fall zu werten und objektive Kriterien, z. B. technik handelt es sich nicht um die Wahl zwi- was den Tierschutz angeht, hier anzuwenden. Aber schen Weiß und Schwarz, sondern es kommt auf man muß, glaube ich, auch anerkennen, daß es sich die Abstufungen, Differenzierungen und Grenz- auch das Europäische Patentamt bei der ethischen ziehungen an. Abwägung dieser Frage nicht leichtgemacht hat. Ich (Wolf-Michael Catenhusten [SPD]: Sehr glaube, seine Entscheidung ist auch nachvollziehbar. wahr! — Weitere Zurufe von der SPD) Die Krebsmaus erhöht wohl eindeutig die Erfolgsaus- sichten bei der Krebsforschung. Dem ist nichts hinzuzufügen. (Zurufe von der SPD) Danke schön. Mir scheint — Sie merken, wie vorsichtig ich formu- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) lieren möchte —, auch die objektiv vorhandenen Leiden der bisher verwendeten Versuchstiere werden verringert werden können. Aber keinesfalls rede ich einem Freibrief für das Patentieren von Tieren das Wort. Eine solch schwere Entscheidung muß jeweils Vizepräsidentin Renate Schmidt: Weitere Wortmel- für jeden Einzelfall getroffen werden können. dungen, liebe Kollegen, liebe Kolleginnen, liegen mir nicht mehr vor. Damit ist die Aktuelle Stunde beendet (Zuruf von der F.D.P.: Richtig!) und gleichzeitig die heutige Tagesordnung abgehan- delt. Tiere dürfen nicht beliebig als genetisch konstru- ierte Versuchsobjekte patentiert werden, ebensowe- Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bun- nig als Produktionsstätte irgendwelcher chemischer destages auf morgen, Freitag, 12. Februar 1993, Verbindungen. Immer ist zwischen dem Befinden des 9.00 Uhr ein. Tieres und dem Nutzen für den Menschen abzuwä- Ich wünsche einen schönen Abend. gen. Die Sitzung ist geschlossen. Die Situation bei der Patentierung oder bei einem irgendwie anders gearteten Schutz von Pflanzen- ist (Schluß der Sitzung: 18.22 Uhr)

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Anlagen zum Stenographischen Bericht Anlage 1 Anlage 2 Liste der entschuldigten Abgeordneten Antwort des Parl. Staatssekretärs Dr. Reinhard Göhner auf die Abgeordnete(r) entschuldigt bis Fragen des Abgeordneten Simon Wittmann (Tännes- einschließlich berg) (CDU/CSU) (Drucksache 12/4295 Fragen 21 Adam, Ulrich CDU/CSU 11. 2. 93 und 22): Dr. Böhmer, Maria CDU/CSU 11. 2. 93 Wie beurteilt die Bundesregierung die Tatsache, daß sich mehrheitlich im Besitz der öffentlichen Hand befindliche Unter- Brandt-Elsweier, Anni SPD 11. 2. 93 nehmen oder deren Tochtergesellschaften am Konzentrations- Clemens, Joachim CDU/CSU 11. 2. 93 geschehen im touristischen Bereich massiv beteiligen, und wie Eich, Ludwig will die Bundesregierung dieses staatliche Engagement im SPD 11. 2. 93 Reisemarkt verringern? Eymer, Anke CDU/CSU 11. 2. 93 Wie beurteilt die Bundesregierung die Tatsache, daß die Formanski, Norbert SPD 11. 2. 93 Duales System GmbH sich in letzter Zeit verstärkt auch bei der Frankenhauser, Herbert CDU/CSU 11. 2. 93 Entsorgung von gewerblichem Verpackungsmüll (Umverpak- kungen und Transportverpackungen) engagiert, und wie will Gansel, Norbert SPD 11. 2. 93 die Bundesregierung verhindern, daß durch dieses Engagement Gattermann, Hans H. F.D.P. 11. 2. 93 die Duales System GmbH eine Monopolstellung zum Schaden Dr. Gautier, Fritz SPD 11. 2. 93 des hier bisher engagierten gewerblichen Mittelstandes erhält? Dr. Geißler, Heiner CDU/CSU 11. 2. 93 Gerster (Mainz), CDU/CSU 11. 2. 93 Zu Frage 21: Johannes Es ist unverkennbar, daß sich auch im Reisemarkt Hasenfratz, Klaus SPD 11. 2. 93 die Konzentrationstendenzen verstärkt haben. Die Dr. Haussmann, Helmut F.D.P. 11. 2. 93 Situation in diesem Bereich unterscheidet sich inso- Ibrügger, Lothar SPD 11. 2. 93* fern nicht von der in anderen Branchen, wo die Kolbe, Regina SPD 11. 2. 93 Konzentration z. T. wesentlich weiter fortgeschritten Dr. Lieberoth, Immo CDU/CSU 11. 2. 93 ist. Marx, Dorle SPD 11. 2. 93 Die Bundesregierung und das Bundeskartellamt Müller (Düsseldorf), SPD 11. 2. 93 verfolgen die Entwicklung des Wettbewerbs in die- Michael sem Bereich mit großer Aufmerksamkeit und werden Nelle, Engelbert CDU/CSU 11. 2. 93 in gegebenen Fällen - wie Beispiele zeigen - das Dr. Neuling, Christian CDU/CSU 11. 2. 93 kartellrechtliche Instrumentarium einsetzen. Nitsch, Johannes CDU/CSU 11. 2. 93 Die Bundesregierung kann vor dem Hintergrund Oesinghaus, Günther SPD 11. 2. 93 des Binnenmarktes den Unternehmen, die sich ganz Otto (Frankfurt), F.D.P. 11. 2. 93 oder teilweise im öffentlichen Besitz befinden, grund- Hans-Joachim sätzlich nicht verwehren, sich ebenfalls auf die neuen Pesch, Hans-Wilhelm CDU/CSU, 11. 2. 93 Wettbewerbsverhältnisse des vergrößerten Marktes Pfuhl, Albert SPD 11. 2. 93 einzustellen. Es gibt jedoch keine Anhaltspunkte dafür, daß die Unternehmen im Einflußbereich des Rempe, Walter SPD 11. 2. 93 Bundes eine Vorreiterrolle im Konzentrationsgesche- Roitzsch (Quickborn), CDU/CSU 11. 2. 93 hen spielen. Ingrid So hat die Deutsche Bundesbahn sich bisher im Dr. Schneider CDU/CSU 11. 2. 93 wesentlichen darauf beschränkt, ihre Beteiligungen (Nürnberg), Oskar im Reisebürosektor nach unternehmerischen Ge- Dr. Schnell, Emil SPD 11. 2. 93 sichtspunkten neu zu ordnen. Weitergehende Vorstel- Schulte (Hameln), SPD 11. 2. 93* lungen, z. B. bezüglich der Neugestaltung der Ver- Brigitte kaufsstellen in den Bahnhöfen, befinden sich noch in Schulz (Berlin), We rner BÜNDNIS 11. 2. 93 der Planungsphase. 90/DIE Die Bundesregierung wird im Rahmen der ihr GRÜNEN gegebenen Möglichkeiten darauf hinwirken, daß bei Dr. Schwarz-Schilling, CDU/CSU 11. 2. 93 der Realisierung der Vorstellungen der Deutschen Christian Bundesbahn auf die berechtigten Interessen ihrer Spranger, Carl-Dieter CDU/CSU 11. 2. 93 bisherigen Geschäftspartner im mittelständischen Dr. Stoltenberg, Gerhard CDU/CSU 11. 2. 93 Reisebürogewerbe Rücksicht genommen wird. Thiele, Carl-Ludwig F.D.P. 11. 2. 93 Im Zuge der Bahnreform wird die zukünftige Deut- Timm, Jürgen F.D.P. 11. 2. 93 sche Bahn AG ebenfalls nach unternehmerischen Dr. Waigel, Theodor CDU/CSU 11. 2. 93 Gesichtspunkten zu entscheiden haben, ob und ggf. Welt, Jochen SPD 11. 2. 93 welche Beteiligungen aufrechterhalten werden. Wollenberger, Vera BÜNDNIS 11. 2. 93 Für die Deutsche Lufthansa AG, die noch stärker in 90/DIE den internationalen Wettbewerb eingebunden ist, gilt GRÜNEN grundsätzlich das gleiche. * für die Teilnahme an Sitzungen der Nordatlantischen Versamm- Im übrigen wird die Bundesregierung ihr Privatisie- lung rungskonzept weiter verfolgen und ihre Beteiligun- 12162* Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 140. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Februar 1993 gen unter Anlegen s trenger Maßstäbe auf das wich- Welche Abwägungen hat die Bundesregierung bei der Beur- teilung der Menschenrechtslage im Ost-Timor-Konflikt in Anbe- tige Bundesinteresse überprüfen. tracht des Umstandes vorgenommen, daß nach ihren rüstungs- Sie beabsichtigt außerdem, die Monopolkommis- exportpolitischen Grundsätzen „eine ausnahmsweise Genehmi- sion zu bitten, eine Sonderuntersuchung zur Konzen- gung" nicht in Betracht kommt, wenn die innere Lage des betreffenden Landes dem entgegensteht? trationsentwicklung in der Tourismusbranche durch- zuführen. Zu Frage 25: Zu Frage 22: Aufgrund besonderer politischer Erwägungen hat Die Bundesregierung sieht die Tendenz zur Aus- die Bundesregierung in den achtziger Jahren weitung der Geschäftstätigkeit der Duales System beschlossen, die ASEAN-Staaten — hierzu gehört Deutschland GmbH (DSD) über die haushaltsnahe auch Indonesien — beim Rüstungsexport im wesent- Erfassung verbrauchter Verpackungen hinaus unter lichen wie NATO-Staaten zu behandeln. wettbewerbs- und mittelstandspolitischen Gesichts- Die Bundesregierung hat die Lieferung von punkten mit Sorge. Diese Tendenz ist nicht zuletzt 39 Kriegsschiffen der ehemaligen Nationalen Volks- dadurch ausgelöst worden, daß die Umweltminister armee (davon 23 in teildemilitarisiertem Zustand) der Länder in ihren Freistellungsverfügungen nach § 6 zugestimmt. Abs. 3 der Verpackungsverordnung der DSD-GmbH zur Auflage gemacht haben, Konzepte für die Entsor- Für die 3 U-Boot-Neubauten wurde die Baugeneh- gung von Verkaufs- und Transportverpackungen, die migung am 2. Oktober 1992 erteilt, nachdem die bei gewerblichen Verbrauchern anfallen, vorzulegen. Bundesregierung dem Vorhaben zugestimmt hatte. Die Bundesregierung wird die mit dem Vollzug der Die Exportgenehmigung wird in beiden Fällen jeweils Verpackungsverordnung und der Entsorgung durch zu einem ausfuhrnahen Zeitpunkt erteilt werden. Duale Systeme zusammenhängende Probleme und die dadurch auf dem Entsorgermarkt eingeleitete Zu Frage 26: Entwicklung mit den Ländern, u. a. auch im Rahmen der Wirtschaftsministerkonferenz, erörtern. Die Bundesregierung hat ihre rüstungsexport-poli- tischen Bedenken im Hinblick auf den Export von In der Bündelung der Nachfrage nach Entsorgungs- Schiffseinheiten insofern zurückgestellt, als die mit leistungen im Rahmen der DSD sieht das Bundeskar- diesen Einheiten ausgerüsteten Marinestreitkräfte tellamt eine gegen das Kartellverbot des Gesetzes den Schutz der Küsten Indonesiens sowie internatio- gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) versto- naler Wasserstraßen (hier insbesondere der „Straße ßende Beeinträchtigung des Wettbewerbs zu Lasten von Malakka") zur Aufgabe haben. Die „Straße von der dort zur Zeit tätigen, meist mittelständischen Malakka" ist immer wieder Ort von Pirate rie. Unternehmen. Das Bundeskartellamt hat daher gegen die DSD-GmbH nach § 1 GWB in Verbindung mit Außerdem soll durch bessere Überwachung dem § 37 a GWB ein Verfahren eingeleitet, dessen Ziel es nicht unerheblichen internationalen Drogenhandel in ist, der DSD zu verbieten, Leistungsverträge mit der Region entgegengewirkt werden. Das Interesse Entsorgungsunternehmen abzuschließen oder zu der indonesischen Regierung, gegen Pirate rie und praktizieren, die die Erfassung von Verkaufs- und ggf. Drogenhandel anzugehen, ist für die Bundesregie- Transportverpackungen bei großgewerblichen und rung auch angesichts der guten Beziehungen zwi- industriellen Anfallstellen zum Gegenstand haben. schen beiden Ländern unterstützungswürdig. Für die Das Bundeskartellamt sieht sich an der Durchführung Bewertung der Menschenrechtslage hat die Bundes- des Verfahrens durch die genannten Auflagen der regierung das Ergebnis der hierfür eingesetzten EG- Umweltbehörden der Länder nicht gehindert. Sonderkommission herangezogen. Zur Sicherung wettbewerblicher Strukturen achtet das Bundeskartellamt darüber hinaus im Rahmen der -Fusionskontrolle darauf, daß auf den Entsorgungs und Verwertungsmärkten keine marktbeherrschen- den Stellungen entstehen oder verstärkt werden. Anlage 4 Antwort des Parl. Staatssekretärs Bernd Wilz auf die Frage des Abgeordneten Norbert Gansel (SPD) (Drucksache Anlage 3 12/4295 Frage 27): Antwort Wer ist auf indonesischer Seite Empfänger der 39 Kriegsschiffe der ehemaligen NVA, deren Expo rt die Bundesregierung des Parl. Staatssekretärs Bernd Wilz auf die Fragen genehmigt hat, und welche indonesische Stelle hat Zahlungen in der Abgeordneten Dr. Elke Leonhard-Schmid (SPD): diesem Zusammenhang an die Bundesrepublik Deutschland (Drucksache 12/4295 Fragen 25 und 26): geleistet? Aufgrund welcher „vitalen Interessen der Bundesrepublik Deutschland" (politische Grundsätze der Bundesregierung für Empfänger der 39 Kriegsschiffe der ehemaligen den Export von Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgütern) hat NVA auf indonesischer Seite ist der Generalstabschef sich die Bundesregierung für eine „ausnahmsweise Genehmi- gung" für den Export von 39 Kriegsschiffen der ehemaligen der Indonesischen Marine in Cilangkap, Jakarta. NVA und von 3 U-Boot-Neubauten an Indonesien ausgespro- chen, und zu welchem Zeitpunkt hat sie die Bau- und Expo rt Zahlungen hat die indonesische Seite an die Bun- -genehmigungen für die Kriegsschiffe erteilt? desrepublik Deutschland noch nicht geleistet. Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 140. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Februar 1993 12163*

Anlage 5 dienstverweigerung" in Freiburg verbleiben. Die Ver- legung der übrigen Fach- und Sachgebiete nach Antwort Lörrach ist aufgrund vorhandener Raumreserven des Parl. Staatssekretärs Be rnd Wilz auf die Fragen unproblematisch und verursacht keine Baukosten. der Abgeordneten Ingrid Köppe (BÜNDNIS 90/ Nach Abschluß der Zusammenlegung der KWEA DIE GRÜNEN) (Drucksache 12/4295 Fragen 28 und Freiburg und Lörrach werden die Betriebskosten für 29): das Dienstgebäude in Freiburg (ca. DM 38 000 pro Welche Waffen und Munition hat der Waffenhändler Karl- Jahr) und rund 30 Dienstposten eingespart. Heinz Schulz (Firma BEIJMA) zu welchen Konditionen und Preisen aus den Bestanden der ehemaligen NVA erhalten (vgl. Presseerklärungen des BND vom 5. November 1992 und vom Zu Frage 31: 19. Januar 1993)? Die Zusammenlegung der Kreiswehrersatzämter Kann sichergestellt werden, daß diese Waffen und Munition nicht in Spannungs- und Krisengebiete gelangten? Freiburg und Lörrach führt zu dauerhaften Einsparun- gen von Dienstposten und somit zu einer Entlastung Zu Frage 28: des EPl 14. Für die Zusammenlegung in Lörrach sprechen u. a. strukturpolitische Gesichtspunkte. Vor dem 3. Oktober 1990 hat das Ministe rium für Abrüstung und Verteidigung der ehemaligen DDR mit der Firma BEIJMA einen Vertrag über Verkauf von Wehrmaterial abgeschlossen, mit dem diese überwie- gend Kriegswaffen, Waffen und Munition erwerben Anlage 7 sollte. Der Bundesminister der Verteidigung hat nach Antwort dem 3. Oktober 1990 die Erfüllung dieses Vertrages abgelehnt. des Parl. Staatssekretärs Manfred Carstens auf die Von der VEBEG hat BEIJMA fünf Minensuchboote Fragen des Abgeordneten Dr. Wolfgang Weng (Ger- der KONDOR-Klasse (ehemalige NVA) erworben. Sie lingen) (F.D.P.) (Drucksache 12/4295 Fragen 38 und wurden nach Vorschrift des „Bundesamtes für Wehr- 39): technik und Beschaffung" (BWB) demilitarisiert, Auf welche Weise gedenkt die Bundesregierung sicherzustel- len, daß die Deutschen Bahnen noch innerhalb der ersten Hälfte jedoch nicht ausgeliefert. 1993 abschließend darlegen, welche ihrer Liegenschaften Von der Bundeswehr hat die Firma BEIJMA keine betriebsnotwendig sind und welche nicht? Waffen und Munition aus Beständen der ehemaligen In welcher Weise wird die Bundesregierung auf die Deutschen Nationalen Volksarmee erhalten. Bahnen Einfluß nehmen, daß diese ihre nicht betriebsnotwendi- gen Liegenschaften in planerischer Kooperation mit den betref- fenden Kommunen für — auch p rivate — Investitionen zur Zu Frage 29: Verfügung stellen? Die Beantwortung der zweiten Frage erübrigt sich mit der Antwort auf die Frage 28. Zu Frage 38: Die in der Frage Nr. 38 angesprochene Aufteilung der Liegenschaften von DB/DR ist Gegenstand der P nlage 6 Strukturreform der Bundeseisenbahnen. Danach sol- Antwort len die nicht betriebsnotwendigen (nicht bahnnot- wendigen) Liegenschaften beim Bundeseisenbahn- des Parl. Staatssekretärs Bernd Wilz auf die Fragen vermögen verbleiben und die bahnnotwendigen auf des Abgeordneten Gernot Erler (SPD) (Drucksache die Deutsche Bahn AG übertragen werden. Für die 12/4295 Fragen 30 und 31): zahlreichen Grundstücke, die jeweils in Teilbereichen Welches sind die tatsächlichen Kosten für die Auflösung des beiden Kategorien zugehören, ist nach dem jetzigen Kreiswehrersatzamtes (KWEA) Freiburg und die Übertragung seiner Aufgaben auf das KWEA Lörrach, einschließlich der damit Entwurfsstand des Eisenbahnneuordnungsgesetzes verbundenen Baumaßnahmen und der künftig erhöhten ein Aufteilungs- und Übergabeverfahren vorgesehen, Betriebskosten für die Tätigkeit des KWEA Lörrach? dessen Abwicklung einige Zeit in Anspruch nehmen Wie begründet es der Bundesminister der Verteidigung, daß wird. er, angesichts einer Finanzsituation, die ihn zum vorläufigen Stopp aller Rüstungsvorhaben für die Bundeswehr zwingt, nicht Innerhalb der ersten Hälfte 1993 ist eine abschlie- auch getroffene Standortentscheidungen, wie z. B. die zur Auf- ßende Darstellung schon angesichts des großen Volu- lösung und Verlegung des KWEA Freiburg, einer s trikten mens von über 200 000 Grundstücken nicht mög- Kostenüberprüfung unterzieht mit dem Ziel, die kostengünstig- lich. sten Lösungen anzustreben?

Zu Frage 30: Zu Frage 39: Das Konzept zur Neuorganisation der Territorialen Deutsche Bundesbahn und Deutsche Reichsbahn Wehrverwaltung sieht vor, das Kreiswehrersatzamt stellen bereits heute nicht betriebsnotwendige Lie- Freiburg mit dem Kreiswehrersatzamt Lörrach in genschaften in erheblichem Umfang in planerischer Lörrach zusammenzulegen. Hierfür reichen die z. Z. Kooperation mit Städten und Gemeinden für kommu- vorhandenen Raumkapazitäten in Lörrach -nicht aus. nale und private Investitionen zur Verfügung. Dabei Die Umbaukosten betragen nach Berechnungen sind allerdings das Wirtschaftlichkeitsgebot des Bun- des Staatlichen Hochbauamtes Radolfzell ca. DM desbahngesetzes (§ 28) sowie die Regelungen der 1,3 Millionen. Als Zwischenlösung werden der „Psy- Bundeshaushaltsordnung zu beachten. Mitentschei- chologische Dienst" und der „Ausschuß für Kriegs dend für den Umfang ist damit vor allem auch die 12164* Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 140. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Februar 1993

Bereitschaft der Kommunen, für solche Flächen eine Anlage 9 planerische Ausweisung vorzunehmen. Antwort Nach der Bahnstrukturreform wird das Bahnsonder- des Parl. Staatssekretärs Dr. Ber tram Wieczorek auf vermögen verstärkt auf eine Veräußerung der nicht die Fragen des Abgeordneten Dr. Klaus Kübler (SPD) betriebsnotwendigen Bahngrundstücke hinwirken. (Drucksache 12/4295 Fragen 45 und 46): Sind Risse im Leitungssystem in der Risikostudie B für das Kernkraftwerk Biblis als mögliche Störfälle berücksichtigt wor- den, und mit welchen Prüfergebnissen wurde in den Blöcken A und B des KKW Biblis zuletzt auf Rißbildungen, insbesondere in Schweißnähten, geprüft? Anlage 8 Wurden beim Besuch des Bundesministers für Umwelt, Natur- schutz und Reaktorsicherheit in Pakistan und Indien konkrete Antwort Vereinbarungen über eine verstärkte Zusammenarbeit bei der Umsetzung der Beschlüsse der UNCED-Konferenz Umwelt und des Parl. Staatssekretärs Dr. Bertram Wieczorek auf Entwicklung in Rio vom Juni 1992 durch organisatorische, die Fragen der Abgeordneten Uta Würfel (F.D.P.) methodische und technische Hilfen z. B. zur Aufstellung und (Drucksache 12/4295 Fragen 42 und 43): Koordinierung von CO2-Reduktionsverpflichtungen, Zeitplänen und Instrumenten im Sinne von Nord-Süd-Umweltpartnerschaf- Trifft es zu, daß auf EG-Ebene z. Z. eine neue Richtlinie ten getroffen, und wurde im Rahmen seines Besuches auch das erarbeitet wird, nach der Polstermöbel nur noch mit schwer Thema einer deutsch-indischen Umweltpartnerschaft erörtert? entflammbaren Stoffen bezogen werden dürfen und somit Natur-Materialien wie Seide, Leinen oder Baumwolle keine Zu Frage 45: Verwendung mehr finden dürfen? Ja. Dabei wurde ein Rißspektrum angenommen, das Trifft es zu, daß die zur Herstellung notwendigen Flamm- von Anrissen bis zum doppelendigen Abriß von Rohr- schutzmittel das schwer giftige ANTIMON enthalten und die Polstermöbel demnach zu „Sondermüll" bei der Entsorgung leitungen reicht. würden? Hinsichtlich der Ergebnisse von Prüfungen in den Blöcken A und B des Druckwasserreaktors Biblis ist Zu Frage 42: festzustellen, daß Prüfungen im Rahmen des behörd- lichen Aufsichtsverfahrens über den Betrieb des Kern- Die EG-Kommission hat am 12. März 1990 einen kraftwerks anhand des im Prüfhandbuch festgelegten Vorentwurf für eine Richtlinie zur Angleichung der Prüfumfangs erfolgen. Die jeweiligen Prüfungen wur- Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitglied- den bei den jährlich stattfindenden Revisionen, staaten über das Brennverhalten von Polstermöbeln, zuletzt im Jahre 1992, vorgenommen. vergleichbaren Gegenständen und Bestandteilen vor- Im Bedarfsfall werden darüber hinausgehende Prü- gelegt. fungen durchgeführt. Die Bundesregierung hat sich in den Beratungen Die Frage zielt offensichtlich erneut auf die zur Zeit gegen diesen Richtlinien-Entwurf ausgesprochen. in den Medien diskutierten Risse in austenitischen Rohrleitungen des Siedewasserreaktors Brunsbüttel. Der Richtlinien-Entwurf regelt nicht den Einsatz Die Problematik ist in der Aktuellen Stunde des bestimmter Flammschutzmittel, sondern stellt Prüfan- Bundestages am 3. Februar 1993 ausführlich disku- forderungen an die Entflammbarkeit der verwende- tiert worden. ten Materialien auf. Hier darf ich daran erinnern, daß die durch den Die in Ihrer Frage genannten Natur-Materialien Bundesumweltminister initiierten Weiterleitungs- dürften ohne eine Behandlung mit Flammschutzmit- nachrichten der GRS vom 10. März 1992 und 12. Au- teln diesen Anforderungen nicht entsprechen. Inso- gust 1992 alle Aufsichtsbehörden der Länder über die weit liegen allerdings noch keine gesicherten Prüfergebnisse von Rißbefunden im Kernkraftwerk Erkenntnisse vor. Würgassen informiert haben und Anlaß für die Durch- Bei den Beratungen über den Entwurf wurde führung eines Prüfprogramms sowohl am Kernkraft- schließlich Einigkeit darüber erzielt, daß zunächst werk Brunsbüttel als auch an den anderen Kernkraft- wissenschaftliche Studien durchgeführt werden soll- werken gewesen sind. ten, die mögliche Probleme — die durch die Verwen- Der Hessische Minister für Umwelt, Energie und dung von Flammschutzmitteln entstehen könnten — Bundesangelegenheiten (HMUB) hat mir am vergan- untersuchen. Es ist noch nicht absehbar, wann diese genen Montag, dem 8. Februar 1993 seine Ergebnisse Studien abgeschlossen sein werden. über die Überprüfung von austenitischen Rohrleitun- gen in den Blöcken A und B des Kernkraftwerks Biblis (Druckwasserreaktoren) mitgeteilt. Zu Frage 43: Ich zitiere zu Prüfungen in der Revision 1991: Es trifft zu, daß Flammschutzmittel für Textilien z. T. „Bei den durchgeführten Prüfungen wurden aus- ANTIMON enthalten. schließlich herstellungsbedingte Befunde wie Nach der geltenden Abfallbestimmungs-Verord- Poren, Schlacken, kleine Bindefehler und örtlich nung zählen Polstermöbel nicht zu den besonders begrenzte Wurzelrückfälle festgestellt; jedoch überwachungsbedürftigen Abfällen. Von den für die keine vergleichbaren rißartigen Befunde wie im Abfallentsorgung zuständigen Landesbehörden wäre KKW Würgassen." jedoch im Einzelfall zu prüfen, ob eine Entsorgung als und in der Folge: besonders überwachungsbedürftiger Abfall erforder- „Weiterhin erfolgte durch den Gutachter eine lich ist. Nachbewertung der Prüfergebnisse aus der Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 140. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Februar 1993 12165'

Errichtungsdokumentation sowohl von Block A Laufe dieses Jahres zu entsprechenden Veranstaltun- als auch von Block B mit dem Schwerpunkt der gen einladen. Detektion rißartiger Befunde. Der Gesamtumfang Konkrete Vereinbarungen der in der Frage ange- der nachbewerteten Filme erfaßte ca. sprochenen Art wurden nicht ge troffen. 800 Schweißnähte in Rohrleitungen des TH- und TA-Systems sowie der Druckhaltersprühleitun- gen YP und der Volumenausgleichsleitung YP. In den nachbeurteilten Schweißnähten wurden keine Risse bzw. rißähnliche Anzeigen festge- Anlage 10 stellt. Die Qualität der Aufnahmen und die örtli- Antwort chen Gegebenheiten an den Schweißnähten sind des Staatsministers Helmut Schäfer auf die Frage des geeignet, um Risse im Wurzelbereich der Abgeordneten Jürgen Augustinowitz (CDU/CSU) Schweißnähte in einer mit den Befunden im KKW (Drucksache 12/4295 Frage 53): Würgassen vergleichbaren Größenordnung si- cher aufzufinden. Vereinzelt zeigten sich bei der Welche Erkenntnisse liegen der Bundesregierung über Absprachen zwischen den damaligen Westmächten und der Nachbeurteilung herstellungsbedingte Fehlstel- ehemaligen Sowjetunion bezüglich des Baues der Berliner len, wie z. B. Bindefehler und Wurzelkerben mit Mauer am 13. August 1961 vor? geringer Längenausdehnung. Zur Untermaue- rung des Prüfergebnisses wurden diese Schweiß- Der Bundesregierung liegen keine derartigen nähte einer Nachprüfung in den Revisionen 1992 Erkenntnisse vor. von Block A und B unterzogen. Dabei wurde keine Veränderung festgestellt." In den Revisio- nen 1992 von Block A und B wurden nochmals zusätzliche Prüfungen an den Rohrleitungen der bereits genannten Systeme durchgeführt. Anlage 11 Hierzu wird von Hessen festgestellt: Antwort „Insgesamt erfolgten an weiteren ca. des Staatsministers Helmut Schäfer auf die Frage des 180 Schweißnähten Prüfungen nach dem Ultra- Abgeordneten Norbert Gansel (SPD) (Drucksache schall- und Durchstrahlungsverfahren. Bei den 12/4295 Frage 54): Prüfungen ergaben sich keine Hinweise auf Riß- Trifft es zu, daß der portugiesische Außenminister im Juli befunde. Bei allen festgestellten Befunden han- vergangenen Jahres wegen des beabsichtigten Exports von delte es sich nach derzeitiger Erkenntnislage Kriegsschiffen aus der Bundesrepublik Deutschland nach Indo- ausschließlich um herstellungsbedingte Fehler, nesien dem Bundesminister des Auswärtigen, Dr. Klaus Kinkel, einen Brief geschrieben hat, der noch nicht beantwortet ist, und die im Betrieb kein Wachstum erfahren haben." wie hat Portugal auf die Exportgenehmigungen der Bundesre- Diesen Zitaten füge ich nichts hinzu. gierung reagiert?

Zu Frage 46: Es ist richtig, daß die portugiesische Regierung die Bundesminister Töpfer hat in Pakistan und Indien Frage der Lieferung von NVA-Schiffen an Indonesien den mit den Umweltministern beider Staaten anläß- gegenüber der Bundesregierung aufgegriffen hat. lich der UN-Konferenz Umwelt und Entwicklung Der portugiesische Außenminister hat sich in einem begonnenen Meinungsaustausch über Umweltfragen Schreiben an Bundesminister Kinkel Ende Juli ver- von gemeinsamem Interesse fortgesetzt. Mit beiden gangenen Jahres wegen des Ost-Timor-Konflikts Staaten wurden ein verstärkter Informationsaus- gegen die Lieferung der Schiffe an Indonesien ausge- tausch und Gespräche auf Expertenebene mit dem sprochen. Bundesumweltministerium über Abfallwirtschaft, In seiner Antwort hat der Bundesminister des Aus- Nutzung sauberer und alternativer Energien, Maß- wärtigen erklärt, daß die Bundesregierung die Bitte nahmen zur Flußsanierung sowie über umweltver- Indonesiens sorgfältig geprüft und hierbei auch die trägliches Management städtischer Ballungszentren sich aus der besonderen Problematik des Ost-Timor- vereinbart. Das Bundesumweltministerium wird im Konflikts ergebenden Fragen berücksichtigt hat.