Plenarprotokoll 13/90

Deutscher

Stenographischer Bericht

90. Sitzung

Bonn, Freitag, den 1. März 1996

Inhalt:

Begrüßung einer Delegation des Parla- Tagesordnungspunkt 11: ments des Königreichs Nepal 7996 D Antrag der Fraktion der SPD: Moderni- sierung der Bundesverwaltungen als Tagesordnungspunkt 15: Projekt (Drucksache 13/3582) . . . . 7993 A Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und in Verbindung mit F.D.P. eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Zusatztagesordnungspunkt 5: Sechsten Buches Sozialgesetzbuch Antrag der Abgeordneten Dr. Antje (Rentenberechnung Ost) (Drucksachen Vollmer, Franziska Eichstädt-Bohlig, 13/3697, 13/3907) 7979 A Oswald Metzger und der Fraktion CDU/CSU 7979 B BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Umzug Ulrike Mascher SPD 7981 A nach Berlin als Chance für eine Re- form der Bundesverwaltung und für (Berlin) BÜNDNIS 90/DIE ein zukunftsweisendes Personalkon- GRÜNEN 7982 D zept (Drucksache 13/3902) 7993 B Uwe Lühr F.D.P 7983 C Fritz Rudolf Körper SPD 7993 B Petra Bläss PDS 7984 A Dietmar Schlee CDU/CSU . . . . 7994 D, 7997 A Dr. Norbert Blüm, Bundesminister BMA 7985 A SPD 7996 D Tagesordnungspunkt 16: Dr. BÜNDNIS 90/DIE GRÜ NEN 7997 B, 7998 D Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und Hans-Ulrich Klose SPD 7998 C F.D.P. eingebrachten Entwurfs eines Dr. F D P. 7999 B Gesetzes zur Förderung der beruf- Maritta Böttcher PDS 8000 B lichen Aufstiegsfortbildung (Aufstiegs-- Dr. Horst Waffenschmidt, Parl. Staatsse fortbildungsförderungsgesetz) (Druck- kretär 8000 D sachen 13/3698, 13/3914, 13/3915) . 7986 A Dr. Antje Vollmer BÜNDNIS 90/DIE Werner Lensing CDU/CSU 7986 B GRÜNEN 8001 B Franz Thönnes SPD 7987 C Elisabeth Altmann (Pommelsbrunn) BÜND Tagesordnungspunkt 12: NIS 90/DIE GRÜNEN 7990 A Antrag der Abgeordneten Dr. Günther Dr. F.D.P. . . . 7991 A Maleuda, Eva Bulling-Schröter, Dr. , Dr. und der Maritta Böttcher PDS 7991 C Gruppe der PDS: Privatisierung von Dr. Jürgen Rüttgers, Bundesminister Wald in Naturschutzgebieten (Druck- BMBF 7992 B sache 13/2905) 8002 C II Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 90. Sitzung. Bonn, Freitag, den 1. März 1996

Eva Bulling-Schröter PDS 8002 C Tagesordnungspunkt 14: CDU/CSU 8003 C Antrag der Abgeordneten Christoph SPD 8004 D Matschie, Ernst Bahr, weiterer Ab- geordneter und der Fraktion der SPD: BÜNDNIS 90/DIE GRÜ Umweltverträglichkeitsprüfung bei NEN 8006 B Wismut-Sanierungsprojekten (Druck- Günther Bredehorn F.D.P. 8007 A sache 13/2651) 8014 B SPD 8014 B Tagesordnungspunkt 13: Ulrich Petzold CDU/CSU 8015 D Erste Beratung des von den Abgeord- Christoph Matschie SPD . . . . 8016 D, 8020 A neten Marina Steindor, Manfred Such, Vera Lengsfeld BÜNDNIS 90/DIE GRÜ Monika Knoche und der Fraktion NEN 8017 B BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN einge- brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Uwe Lühr F.D.P 8018 B Sicherung und Wahrung der Vertrau- Eva Bulling-Schröter PDS 8019 A (Druck- lichkeit von Patientendaten Dr. Heinrich L. Kolb, Parl. Staatssekretär sache 13/3669) 8008 A BMWi 8019 D Marina Steindor BÜNDNIS 90/DIE GRÜ NEN 8008 A Nächste Sitzung 8021 C Wolfgang Zöller CDU/CSU 8009 A Petra Ernstberger SPD 8010 A Anlage 1 Jürgen W. Möllemann F.D.P...... 8011 D Liste der entschuldigten Abgeordneten 8023* A Dr. PDS 8012 B Dr. Sabine Bergmann-Pohl, Parl. Staats- Anlage 2 sekretärin BMG 8012 D Amtliche Mitteilungen 8023* C

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90. Sitzung

Bonn, Freitag, den 1. März 1996

Beginn: 9.00 Uhr

Vizepräsident Hans Klein: Die Sitzung ist eröffnet. lich um die Umstellung des Rentenanpassungsver- fahrens geht. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 15 auf: Aber auch dieses eigentlich unspektakuläre Zweite und dritte Beratung des von den Frak- Thema wurde benutzt, um Angst, insbesondere in tionen der CDU/CSU und F.D.P. eingebrach- den neuen Bundesländern, zu schüren, mit dem Er- ten Entwurfs eines gebnis, daß das Vertrauen der Rentenversicherten Zweiten Gesetzes zur Änderung des Sech- nachhaltig erschüttert wurde. Eine Studie unter ost- sten Buches Sozialgesetzbuch (Zweites deutschen Bürgern bestätigt die schlimmen Auswir- SGB VI-Änderungsgesetz - 2. SGB VI ÄndG) kungen der aktuellen Rentenverunsicherungsdiskus- (Rentenberechnung Ost) sion. Danach fühlen sich 90 Prozent der älteren Ost- deutschen durch die Rentendiskussion verunsichert. - Drucksache 13/3697 - Viele rechnen damit, daß sie die Angleichung ihrer (Erste Beratung 87. Sitzung) Renten an das Westniveau nicht mehr erreichen wer- den. Jeder zweite ist der Meinung, daß seine Rente Beschlußempfehlung und Bericht des Aus- nicht seiner Lebensarbeit entspricht. schusses für Arbeit und Sozialordnung (11. Ausschuß) Meine Damen und Herren, wer solche Meinungen und Eindrücke durch bewußte Desinformation und - Drucksache 13/3907 - Stimmungsmache aus politischem und wahltakti- Berichterstattung: schem Kalkül heraus fördert oder hervorruft, betätigt Abgeordnete Ulrike Mascher sich als Brandstifter an unseren sozialen Systemen Dazu liegt ein Änderungsantrag der Gruppe der und damit am Gesellschaftssystem. PDS vor. Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Im Zusammenhang mit dem vorliegenden Gesetz- Dagegen erhebt sich kein Widerspruch. Dann ist das entwurf von Rentenlüge oder gar parlamentarischer so beschlossen. Sauerei zu sprechen, ist in höchstem Maße unredlich, und es ist Politik auf dem Rücken unserer Rentner; Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Kolle- denn die Wahrheit ist: Nach insgesamt zwölf Renten- gen Manfred Grund das Wo rt. anpassungen seit dem 1. Juli 1990 mit teilweise zwei- stelligen Rentensteigerungsraten sind die Renten- auszahlungen von 16,7 Milliarden Mark der Deut- Manfred Grund (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Der vorliegende schen Demokratischen Republik 1989 um 437 Prozent auf 73 Milliarden DM 1996 gestiegen, wobei Gesetzentwurf verfolgt zwei Ziele: Zum einen soll 16 Milliarden DM als Finanztransfer, als Ausgleich, das Verfahren der Rentenanpassung in den neuen Bundesländern zum 1. Juli 1996 umgestellt werden; von West nach Ost fließen. zum anderen wird im Gesetzentwurf die abstrakte Betrachtungsweise bei Renten wegen verminderter (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU Erwerbsfähigkeit für zwar leistungsgeminderte, aber und der F.D.P.) noch vollschichtig einsatzfähige Versicherte festge- schrieben. Die ausgezahlte Nettorente in den neuen Bundes- ländern beträgt bei den Männern 97 Prozent der ver- Mit dem ersten Schwerpunkt des Gesetzes, der fügbaren Versichertenrenten im Westen, bei den Umstellung des Verfahrens der Rentenanpassung in Frauen sind es sogar 135 Prozent. Das heißt, daß im den neuen Bundesländern, sind wir heute morgen Moment in den neuen Bundesländern im Durch- mitten in der aktuellen Rentendiskussion, obwohl es schnitt 105 Prozent der Durchschnittsrente West aus- nicht um die Umstellung der Renten, sondern ledig- gezahlt werden. In welchem anderen Bereich wurde 7980 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 90. Sitzung. Bonn, Freitag, den 1. März 1996

Manfred Grund so schnell eine tatsächliche Angleichung zwischen Dabei wird die Rentenerhöhung vom 1. Januar 1996 West und Ost erreicht? um 4,38 Prozent dynamisch weiterwirken. Zukünftig werden wir also ein einheitliches Rentenberech- (Beifall bei der CDU/CSU) nungsverfahren in Deutschland haben und damit ein Wer angesichts dieser erfreulichen Entwicklung Stück mehr Normalität. Bis zur Angleichung des von Rentenlüge, sogar von Rentenkürzungen und Lohn- und Gehaltniveaus wird die Rentenentwick- Ungerechtigkeit spricht, dem geht es nicht um kon- lung West aber auf der Nettoentgeltentwicklung struktive Mitarbeit zum Wohle der Menschen, son- West basieren, wogegen in den neuen Bundeslän- dern um eine bewußte Verschlechterung des politi- dern die dortige Lohn- und Gehaltsentwicklung die schen Klimas in diesem Lande. Höhe der Rentenanpassung vorgeben wird. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge Bei der Anhörung im Ausschuß für Arbeit und So- ordneten der F.D.P.) zialordnung zu diesem Thema wurde deutlich, daß es bei sich ändernder Entgeltentwicklung für die Richtig ist, daß die Eckrente Ost das Niveau der Rentner in den neuen Bundesländern vorteilhaft sein Eckrente West noch nicht erreicht hat. Richtig ist kann, das Rentenberechnungsverfahren zum gegen- aber auch, daß die Renten in den neuen Bundeslän- wärtigen Zeitpunkt umzustellen. Deshalb wurde dern bis zur Angleichung der Eckrenten an das durch einen Vertreter des Deutschen Gewerkschafts- Westniveau weiter dynamisch steigen werden, auch bundes bei dieser Anhörung die Umstellung des Be- nach der Umstellung des Rentenanpassungsverfah- rechnungsverfahrens zum 1. Juli 1996 auch unter rens. Dabei ist der Begriff Eckrente eine statistische Würdigung des gegenläufigen Abschmelzens der Größe der Rentenversicherung. Wichtig und ent- Auffüllbeträge als - wörtlich - sinnvoll und sozialpoli- scheidend für die Rentner ist jedoch, was sie am tisch vertretbar bezeichnet. Zahltag zur Verfügung haben. Lassen Sie mich zum zweiten Schwerpunkt dieses Wenn bereits heute die verfügbare Versicherten- SGB VI-Änderungsgesetzes etwas sagen, und zwar rente Ost höher als die in den alten Bundesländern zu der Änderung im Bereich der Renten wegen ver- ausfällt, so hat das nichts mit Berechnungsfehlern minderter Erwerbsfähigkeit. Unabhängig von der und nichts mit Geschenken zu tun, sondern ist Aus- grundsätzlich erforderlichen Neuordnung der Renten druck einer anderen Erwerbsbiographie. Das ist der wegen verminderter Erwerbsfähigkeit soll zum jetzi- Lohn dafür, daß die Menschen im Osten länger im gen Zeitpunkt eine Gesetzesänderung erfolgen, die Erwerbsprozeß bleiben mußten und daß insbeson- einer Ausweitung der sogenannten konkreten Be- dere die Frauen intensiver und oftmals härter in der trachtungsweise auf leistungsgeminderte, aber noch Produktion eingesetzt wurden. So waren ostdeutsche vollschichtig einsatzfähige Versicherte entgegen- Frauen im Durchschnitt 39 Jahre berufstätig. Weil wirkt. Die Frage, ob und gegebenenfalls in welchem unser Rentensystem gerecht und zudem Ausdruck Umfang die jeweilige Arbeitsmarktlage für die Beur- eines selbst erarbeiteten Anspruches ist, aber auch teilung der Erwerbsminderung zu berücksichtigen weil die Einkommensentwicklung in den neuen Bun- ist, wird für die künftige Rechtslage von entscheiden- desländern weiterhin dynamisch verlaufen wird, der Bedeutung sein und bedarf deshalb der gesetzli- werden die Renten weiter dynamisch steigen. chen Regelung. Ich weise darauf hin, daß in den letzten Wochen Die CDU/CSU-Fraktion geht davon aus, daß es mit Tarifverträge abgeschlossen worden sind, die bereits den im Gesetz gefundenen Formulierungen zu kei- für die nächsten ein bis zwei Jahre 100 Prozent des ner Verschlechterung der Rechtslage kommt, auch Tariflohnes West festschreiben, was sich sehr positiv nicht in den sogenannten Seltenheitsfällen. Dies auf die Rentenentwicklung im Osten auswirken wurde bei der Anhörung deutlich und im wesentli- wird. Das ist fürwahr ein gutes Ergebnis. Das haben chen auch von den Sachverständigen so gesehen. bei der Anhörung im Sozialausschuß die Vertreter Deutlich wurde aber auch etwas anderes: Es wird des Deutschen Gewerkschaftsbundes, des VdK und bei einer grundlegenden Neuregelung der Renten des Reichsbundes zum Ausdruck gebracht. wegen Erwerbs- und Berufsunfähigkeit darauf an- Daß es nun an der Zeit und angebracht ist, das bis- kommen, das gemischte Risiko der Erwerbs- und Be- herige Rentenanpassungsverfahren Ost umzustellen, rufsunfähigkeit besser zu regeln. hat Gründe, die sich unter anderem aus dem Jahres- steuergesetz 1996 erklären. Zum ersten- ist mit der Vizepräsident Hans Klein: Ihre Redezeit! Regelung des Jahressteuergesetzes 1996 das voraus- sichtliche Nettoentgelt nicht mehr hinreichend ge- (CDU/CSU): Herr Präsident, ich nau vorauszuschätzen. Zum zweiten gewährleistet Manfred Grund komme zum Ende. nur das Ex-post-Verfahren hinsichtlich der Wirkun- gen des im Januar 1996 eingeführten Familienlei- Es wird die Frage zu beantworten sein, ob ein lei- stungsausgleiches eine Gleichbehandlung in Ost stungseingeschränkter Versicherter aus dem Arbeits- und West. prozeß herausgedrängt werden muß und dann sozial abzusichern ist oder ob nicht ein seinem Restarbeits- Wie sich die Löhne und Gehälter im Osten entwik- vermögen angemessener Arbeitsplatz zur Verfügung kelt haben, wird durch das Statistische Bundesamt gestellt werden kann. bis Ende März ermittelt werden, so daß es zum 1. Juli dieses Jahres eine nochmalige, also zweite, Renten- Das ist eine gesamtgesellschaftliche Herausforde- erhöhung in den neuen Bundesländern geben wird. rung; denn hier stellt sich die Frage nach Schonar- Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 90. Sitzung. Bonn, Freitag, den 1. März 1996 7981

Manfred Grund beitsplätzen, nach Teilzeitarbeitsplätzen und auch Jahres realisiert werden sollten. Es ist also keine nach Behindertenarbeitsplätzen. Deshalb war diese überraschende Situation, auf die rasch reagie rt wer- Frage auch ein Thema der Kanzlerrunde mit Arbeit- den muß. gebern und Arbeitnehmern. Warum also diese nervöse Hast? Sollen die Abge- Wir haben heute über das SGB VI-Änderungsge- ordneten nicht sorgfältig beraten können, was be- setz abschließend zu beraten. Die Fraktion der CDU/ schlossen werden soll? Sollen die Bürgerinnen und CSU wird dem Gesetz ihre Zustimmung geben. Bürger in Ostdeutschland nicht so genau merken, Ich danke Ihnen. was gespielt wird? Ist es der Regierungsfraktion und dem Arbeitsminister egal, ob die Bereitschaft der (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) SPD, wie bisher im Rentenrecht auch ganz schwie- rige Entscheidungen mitzutragen, durch dieses ha- stige Verfahren verspielt wird? Vizepräsident Hans Klein: Wir haben unsere De- battenlängen sehr knapp berechnet. Deshalb sind Wie wollen Sie, Herr Arbeitsminister, und Sie, ver- auch die einzelnen Fraktionsanteile sehr klein. Die ehrte Kolleginnen und Kollegen der CDU aus den Regel ist - ich versuche es zunächst so diskret und neuen Bundesländern, dieses Ergebnis gegenüber leise wie möglich zu machen -, daß, wenn der Präsi- den Rentnerinnen und Rentnern, die das schöne Ver- dent sagt, die Redezeit ist abgelaufen, dann nur noch sprechen von der raschen Angleichung, von der ein Satz folgen darf. Bitte lesen Sie dann nicht mehr raschen Aufholjagd der Renten noch in den Ohren eine ganze Seite zu Ende. Ich muß darauf immer wie- haben, glaubwürdig vertreten? Das Jonglieren mit der hinweisen. Es tut mir leid, aber bei der knappen Ex-ante- und Ex-post-Anpassung, mit aktuellem Zeit ist es nicht anders möglich. Rentenwert West und Ost, mit der Eckrente und der Ich gebe der Kollegin Ulrike Mascher das Wort. Durchschnittsrente, mit den Berechnungsproblemen des Statistischen Bundesamtes, wie es von den Ex- perten in der Anhörung vorgeführt wurde, macht Ulrike Mascher (SPD): Herr Präsident! Liebe Kolle- den Vorgang der Änderung bei der Rentenanpas- ginnen! Liebe Kollegen! Am Freitag der letzten Sit- sung für den interessie rten und betroffenen Bürger zungswoche, am 9. Februar, wurde dieser Gesetzent- nicht transparent. wurf zur Änderung des Verfahrens bei der Rentenan- passung in den neuen Bundesländern und zur Ände- Ist es wirklich nur eine rein verfahrenstechnische rung des Rechts der Erwerbs- und Berufsunfähig- Veränderung, eine Vereinfachung und größere Zu- keitsrente im Bundestag eingebracht. In der laufen- verlässigkeit bei der Berechnung der Rentenanpas- den Sitzungswoche ging es dann im Zeitraffer wei- sung? Wird die Anpassung der Rentenwerte in den ter: Montag Anhörung; Dienstag abend Vorlage des neuen Bundesländern wirklich fortgesetzt? Ist es nur Protokolls der Anhörung - ich bedanke mich dafür eine kleine Delle, wie Herr Professor Ruland in der ausdrücklich bei den Kollegen und Kolleginnen des Anhörung ausführte, die im nächsten Jahr durch den Stenographischen Dienstes -; höheren Anpassungssatz wettgemacht wird?

(Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie Ich habe mich redlich bemüht, meinen Kollegin- bei der PDS) nen und Kollegen in der Fraktion und interessie rten Mittwoch vormittag Einführung, Beratung und Ab- Bürgern und Bürgerinnen am Telefon das Rentenchi- schluß im Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung. nesisch zu übersetzen. Aber letztlich konnte ich Heute, am Freitag, findet bereits die dritte Lesung keine konkreten Schätzungen über die künftige Ren- statt, und das mit einer sehr knappen Debattenzeit. tenentwicklung vorlegen, weil sowohl die Rentenex- perten der Bundesversicherungsanstalt und des VDR (Dr. Uwe Küster [SPD]: Durchgepeitscht!) als auch die Vertreter der Gewerkschaften und der Arbeitgeber auf die entsprechenden Fragen nur ant- Nun handelt es sich bei den Fragen, die in diesem worten konnten: Die neuesten Zahlen gibt es erst im Gesetz geregelt werden, nicht um Dinge, die der gu- März, manchmal auch erst später. Aber für die Zu- ten Ordnung halber in einem zügigen Ablauf ge- kunft kommt es darauf an, wie sich die Gehälter in schäftsmäßig erledigt werden können, sondern bei Ostdeutschland entwickeln. Das kann sich natürlich den Themen - das Rentenanpassungsverfahren in abflachen; aber sicher wird es Steigerungen geben, den neuen Bundesländern und der Vorgriff auf eine vielleicht nicht so hoch wie in der Vergangenheit. - künftige Reform der Erwerbs- und Berufsunfähig- Sie alle wissen jetzt sicher ganz genau, wie sich die keitsrente - geht es um Regelungen, die für die Be- Renten in Ostdeutschland entwickeln werden. troffenen ganz erhebliche und existentielle Auswir- kungen haben können. Warum also dieser Schweins- (Beifall bei der SPD und der PDS) galopp - um es einmal salopp auszudrücken -, der jede sorgfältige Beratung unmöglich macht? Aber eines hatten alle Kollegen und Kolleginnen (Beifall bei der SPD und der PDS) und viele Bürger und Bürgerinnen gelesen oder ge- hört: In einem Entwurf des Arbeitsministers vom Das atemberaubende Tempo ist auch deshalb so 26. Januar zur Änderung des Anpassungsverfahrens ärgerlich, weil beide Vorhaben seit Herbst im Ar- standen 700 Millionen DM Einsparungen für 1996. beitsministerium in Vorbereitung waren und eigent- Das Mißtrauen, daß die schöne Vereinheitlichung der lich - wenn ich die Absichten des Ministeriums rich- Rentenanpassung in Ost und West vielleicht doch tig verstanden habe - bereits zum 1. Januar dieses nur ein schnödes Sparmanöver ist, bleibt, auch wenn 7982 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 90. Sitzung. Bonn, Freitag, den 1. März 1996 Ulrike Mascher diese Zahl nicht mehr im jetzt vorliegenden Gesetz- den jetzigen Zeitpunkt für die Vereinheitlichung des entwurf steht. Verfahrens für grundfalsch gehalten haben. Damit ich mir jetzt nicht den Vorwurf einhandle, Beim Versuch, kritische Einwände aus der Anhö- alles falsch verstanden zu haben und hier eine Diffa- rung bei der Festschreibung des Status quo bei der mierungskampagne in Gang setzen zu wollen, was Berufs- und Erwerbsunfähigkeitsrente umzusetzen, mir wirklich fern liegt, zitiere ich mit Erlaubnis des sind wir endgültig gescheitert. Es gab keine Formu- Präsidenten eine Antwort von Professor Ruland auf lierung, die für uns zuverlässig ausgeschlossen hat, meine Frage nach der möglichen Entwicklung der daß wirklich nur der Status quo festgeschrieben Rentenausgaben: wird, ohne daß eine Verschlechterung gegenüber Entscheidend für die Frage der Anpassung in den dem geltenden Recht eintritt und eine falsche Wei- neuen Bundesländern ist die Relation der Netto- chenstellung für die große Reform der Berufs- und quoten in West und Ost. Erwerbsunfähigkeitsrenten erfolgt. - Soweit verständlich. Ich kann nicht entscheiden, ob nur der Zeitdruck verhindert hat, daß gemeinsam eine befriedigende Wenn wir einmal davon ausgehen, daß die Netto- Formulierung gefunden werden konnte, oder ob die quote im Westen bei 65,2 und im Osten bei Regierungskoalition jetzt auch die Rentenpolitik 69,9 Prozent liegt, dann gibt es Einsparungen von nach der Methode „Augen zu und durch" exekutie- 0,4 Milliarden DM im Vergleich zur Grundrech- ren will. nung, die wir auf der Basis der Ex-post-Anpas- sung vorgenommen haben. Die Abgeordneten der Regierungskoalition bitte ich zu prüfen, ob wir alle als gewählte Abgeordnete Variiert man diese Werte, indem man etwa im wirklich nur noch Teilnehmer einer Gesetzgebungs- Westen eine Nettoquote von 64,2 und im Osten maschine sein wollen: Freitags wird der Gesetzent- eine von 69,9 annimmt, ergeben sich praktisch wurf in die Maschine eingespeist, und nach einer Werte von einer Milliarde DM. Nimmt man im knappen Sitzungswoche ist das Gesetz schon fertig. Westen 64,2 und im Osten 70,9, ergeben sich Glauben Sie denn, daß dadurch gerade in den neuen 1,5 Milliarden DM. Wenn man die Zahlen variiert, Bundesländern das Vertrauen in unsere parlamenta- kommen immer wieder andere Werte heraus. rische Arbeit gestärkt wird? Glauben Sie, daß gerade - Klar? bei schwierigen Entscheidungen die Akzeptanz auch von schmerzhaften Einschnitten befördert wird? Wenn wir Ihnen eine konkrete Antwort geben sollen, müßten wir wissen, was die Bundesregie- Da wir in den nächsten Wochen vor weiteren sol- rung in einem Monat schätzen wird, und das wis- cher schwierigen Entscheidungen in der Sozialpolitik sen wir im Moment nicht. Deshalb kann man nur stehen, fordere ich Sie alle auf, uns wenigstens noch sagen: Wenn das und das eintritt, wird die und die Chance einer sachgerechten und verantwor- die finanzielle Konsequenz eintreten. Aber wel- tungsvollen Entscheidung zu lassen. che der vielen Konsequenzen das tatsächlich ha- ben wird - das hängt ja von mehreren Parametern Danke. ab -, wissen wir nicht; es tut uns leid. (Beifall bei der SPD und bei der PDS sowie (Zuruf von der CDU/CSU: Jetzt weiß jeder bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ Bescheid!) DIE GRÜNEN) Auf dieser Grundlage Entscheidungen zu treffen und diese Entscheidungen den Bürgerinnen und Vizepräsident Hans Klein: Frau Kollegin Andrea Bürgern zu vermitteln - das sehe ich als meine, das Fischer, Sie haben das Wort. sehe ich als unsere Aufgabe an - ist ziemlich schwie- rig, vor allem, wenn man als Mitglied der Opposition (Berlin) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- das natürliche Urvertrauen der Regierungsfraktionen Andrea Fischer NEN): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! in die Weisheit der Entscheidungen der Regierung Ich möchte mich dem, was die Kollegin Mascher ge- nicht so ganz haben kann. rade gesagt hat, vorbehaltlos anschließen. Auch ich (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ habe mich darüber geärgert - nein, ich finde es sogar DIE GRÜNEN - Zuruf von der CDU/CSU: wirklich empörend, daß wir keine Gelegenheit hat- Das ist schade!) ten, diesen Gesetzentwurf in der Form zu beraten, die angemessen gewesen wäre. Das ist für uns der Nun braucht sich die Opposition nicht den Kopf zu wesentliche Grund, ihm nicht zuzustimmen. Beide zerbrechen, wenn die Regierung ihr Vertrauenskapi- Vorhaben, die der Gesetzentwurf enthält sind nicht tal zum Beispiel bei den Rentnerinnen und Rentnern im Grundsatz abzulehnen. Zum einen soll das Ver- in Ostdeutschland immer mehr auszehrt. Aber wenn fahren der Rentenanpassung in Ost- und West- es um das Vertrauen in die Rentenversicherung deutschland angeglichen werden. Das ist im Prinzip geht, halte ich als Sozialdemokratin wenig von Stra- sinnvoll und auch notwendig, und je länger die Ein- tegien à la Sonthofen. Deswegen waren wir hier wie heit voranschreitet, desto mehr steht das auf der Ta- bei anderen Entscheidungen zur Rentengesetzge- gesordnung. bung bereit, durch eine breite Zustimmung das Ver- trauen in die Rentenversicherung zu stärken, auch Außerdem haben Sie natürlich auch recht, daß es wenn meine ostdeutschen Kollegen und Kolleginnen sinnvoller ist, die Anpassungen auf der Grundlage Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 90. Sitzung. Bonn, Freitag, den 1. März 1996 7983 Andrea Fischer (Berlin) von festgestellten Zahlen anstatt von geschätzten Aus diesem Grund erhalten Sie auch aus den Rei- Zahlen durchzuführen. hen von Bündnis 90/Die Grünen ein deutliches Nein zu Ihrem Vorschlag. Wir als Abgeordnete - das hat die Kollegin Ma- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN scher gerade ausführlich dargelegt - können einem sowie bei Abgeordneten der SPD und der solchen Verfahren nur zustimmen, wenn wir Klarheit über die Konsequenzen haben, und da ist die Frage PDS) des Zeitpunktes wirklich entscheidend. Vizepräsident Hans Klein: Das Wort hat der Kol- Wir haben in diesem Jahr das Problem, daß mit lege Uwe-Bernd Lühr. dem Abschmelzen der Auffüllbeträge begonnen wird, und in diesem Zusammenhang ist die Frage, in Uwe Lühr (F.D.P.): Herr Präsident! Meine Damen welchem Ausmaß die Renten in Ostdeutschland er- und Herren! Spätestens nach der Anhörung am Mon- höht werden, von Bedeutung dafür, wie viele Perso- tag dieser Woche sollten die anfangs noch gehegten nen überhaupt noch eine Rentenerhöhung bekom- Vorbehalte gegen die Umstellung des Rentenanpas- men werden. Solange wir das nicht abschätzen kön- sungsverfahrens abgelegt werden können. Was die nen, können wir uns auch nicht an einem prinzipiell Rentenanpassung Ost angeht, ist klargeworden, daß sinnvollen Vorhaben beteiligen. es in den neuen Bundesländern in diesem Jahr eine Rentensteigerung gibt, die erheblich höher als die Auch der zweite Punkt, um den es in diesem Ge- Anpassung in den alten Ländern sein wird, und daß setzentwurf geht, ist grundsätzlich sinnvoll. Dabei auf Grund der Nettolohn-(Ost)-Bezogenheit der Auf- geht es nämlich darum, das Risiko der Rente wegen holprozeß auch in Zukunft ungeschmälert weiter- Arbeitslosigkeit vom Risiko der Rente wegen Alters geht. deutlich voneinander abzugrenzen und sie dem je- weils zuständigen System zuzuordnen. Aber in der Nach Aussage der Fachleute, zum Beispiel Profes- Anhörung war auch offen, was die Konsequenzen sor Dr. Ruland vom Verband Deutscher Rentenversi- dieser klaren Abgrenzung sind. cherungsträger, wird die Anpassung im Jahr 1997 deutlich höher als nach dem alten Verfahren sein. In Ich möchte in Erinnerung rufen: Wir reden hier einer Zeit, meine Damen und Herren, in der viele über ältere Erwerbstätige, die auf Grund einer Er- darüber nachdenken, ob die Rentenhöhe an andere werbsminderung nur noch eingeschränkt einsatz- Indizes als an die Entwicklung der Nettolöhne ge- fähig sind und ein extrem großes Problem auf dem knüpft werden muß, da es ja immer weniger Beschäf- Arbeitsmarkt haben. Es gibt immer weniger Arbeits- tigte gibt, die immer mehr Renteneinkommen finan- plätze für diese eingeschränkt erwerbsfähigen Perso- zieren müssen, sollte es sich eigentlich verbieten, nen. Wenn wir die Möglichkeit der Erwerbs- und Be- über die jetzt vorzunehmende Anpassung zu lamen- rufsunfähigkeitsrenten verschließen, ergibt sich als tieren. Konsequenz, daß diese Menschen auf die Arbeits- Einige Worte zu den vorgeschlagenen Änderun- losenversicherung verwiesen sind. gen im Bereich der Renten wegen verminderter Er- werbsfähigkeit: Bisher ist es weder der Wissenschaft Das Zusammentreffen des Vorhabens, die Er- noch der Administration oder der Politik gelungen, werbs- und Berufsunfähigkeitsrenten zu verschlie- den Begriff der versicherungsfremden Leistungen ßen, mit den vorgesehenen Veränderungen bei der konsensfähig zu definieren. Das führt dazu, daß die Arbeitslosenversicherung erweckt auch bei uns den Bandbreite der Schätzungen der sogenannten versi- Verdacht, daß es hier um ein Kürzungsmanöver auf cherungsfremden Leistungen heute zwischen 25 und dem Rücken der Betroffenen geht, denn in der Ar- 45 Prozent der Gesamtausgaben der Rentenversiche- beitslosenversicherung sind gleichzeitig Kürzungen rungen liegt. geplant, und zwar sowohl, was das Niveau der Ar- beitslosenversicherung anbelangt, als insbesondere Verständigung sollte allerdings in diesem Hause auch die Dauer des Bezugs des Arbeitslosengeldes. darüber herzustellen sein, daß es sich bei der hier zur Es war bislang möglich, daß ältere Arbeitslose das Beratung anstehenden Regelung bezüglich der Er- Arbeitslosengeld für längere Zeit als üblich bekom- werbsunfähigkeits- bzw. Berufsunfähigkeitsrenten, men. Es steht gerade zur Diskussion, diese Verlänge- die mit Verweis auf den unzugänglichen Arbeits- rungsmöglichkeit für ältere Arbeitslose zu beschnei- markt gezahlt werden, um eine zwar notwendige Ab- den. federung von Arbeitsmarktrisiken, aber damit auch zumindest teilweise um rentenversicherungsfremde Leistungen handelt. Beide Effekte zusammen sind hochproblematisch. Außerdem hat die Kollegin Mascher darauf hinge- Anstatt die Instrumentarien der Arbeitsverwaltung wiesen, daß in der Anhörung nicht zu klären war, ob im Interesse der Betroffenen intensiv einzusetzen, damit nur der Status quo gesichert wird oder ob das wird hier die Arbeitslosigkeit aus den bekannten nicht weiterreichende Konsequenzen hat. Bei der Gründen vor der Rentenkasse „geparkt" . Ich bin mir Geschwindigkeit dieses Verfahrens - die Kollegin dabei bewußt, wie schwierig der Arbeitsmarkt für Mascher hat ja außerordentlich eindringlich darge- eingeschränkt Arbeitsfähige ist. Aber schnelle Resi- stellt, über welchen Parcours wir gejagt worden gnation ist schon im Interesse der Betroffenen nicht sind - war es uns nicht mehr möglich, die Konse- zu akzeptieren. Auch die in der Anhörung abgegebe- quenzen unseres Handelns abzuschätzen. nen einschlägigen Stellungnahmen haben recht 7984 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 90. Sitzung. Bonn, Freitag, den 1. März 1996 Uwe Lühr deutlich gemacht, daß der vorliegende Gesetzent- nicht vollständig angeglichenen Löhne und Gehälter wurf ein notwendiger kleiner Schritt ist, um den der- denken. zeitigen Status quo festzuschreiben und uns dennoch (Anhaltende Zurufe von der CDU/CSU und alle Möglichkeiten offenzuhalten, um möglichst zü- der F.D.P.) gig zu einer umfassenden Reform der Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit zu gelangen. Aber es gibt auch mehr und mehr Tarifabschlüsse, die auf 100 Prozent gehen. Warum sollen dann aus- Die Anhörung hat hierzu bemerkenswerte Ansätze gerechnet Ältere mit einem begrenzten Lebensrah- gebracht. Vielleicht münden sie in ein Modell ein, men auf den Durchschnitt warten, zumal es mit dem das aufzeigt, wie diese Arbeitsmarktrisiken zwischen Durchschnitt sowohl der Renten als auch der Ein- Bundesanstalt für Arbeit und Rentenversicherung kommen so eine Crux ist? Viele beruhigen sich und aufzuteilen sind. Wir, die F.D.P.-Fraktion, erwarten andere damit, das ungleiche Rentenniveau sei hin- die zugesagten Vorschläge der Bundesregierung und nehmbar, weil sich in den neuen Bundesländern werden dann sorgfältig prüfen, welche Vorschläge durch längere Zeiten der Berufstätigkeit sowieso hö- auch ordnungspolitischen Gesichtspunkten genügen here Renten ergeben. und in die Praxis umzusetzen sind. Herr Kollege Grund, ich bin der festen Überzeu- Die F.D.P.-Fraktion stimmt dem vorliegenden Ge- gung, daß die meisten Menschen in den neuen Bun- setzentwurf zu. desländern, vor allem die Frauen, diese andere Er- (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) werbsbiographie eben nicht als Zwang verstanden haben. (Beifall bei der PDS) Vizepräsident Hans Klein: Frau Kollegin Petra Bläss, Sie haben das Wort. Das stimmt zwar, ist aber nur zum Teil die Wahr- heit. Der andere Teil der Wahrheit ist, daß durch die Einbeziehung aller in die gesetzliche Rentenversi- (PDS): Herr Präsident! Liebe Kollegin- Petra Bläss cherung in die Berechnung der Ost-Durchschnitts- nen und Kollegen! Ohne jegliche Datenbasis über renten auch viele Gutverdienende eingehen, die im die möglichen Auswirkungen soll heute mit diesem Westen außen vor bleiben, weil sie in der Beamten- Gesetz die Umstellung des Rentenanpassungsverfah- versorgung oder in den berufsständischen Versor- rens Ost abgeschlossen werden. Und dann reden Sie, gungswerken stecken. Damit verschleiert der Durch- Herr Minister Blüm, davon, wir sollten das Vertrauen schnitt eben die Tausende, die in der DDR, gerade der Bürgerinnen und Bürger in den neuen Bundes- die Frauen, in der Textilindustrie oder im Handel we- ländern in die Rentenversicherung stärken helfen. nig verdienten und heute ihre wenigen Entgelt- Mir ist das nach einer solchen Vorgehensweise im punkte mit 37 DM statt mit 46 DM multipliziert be- Gesetzgebungsverfahren nicht möglich. kommen. (Dr. [F.D.P.]: Das hat Es ist sozialpolitisch unhaltbar, dies bis weit jen- auch keiner von Ihnen erwartet!) seits der Jahrhundertwende schleppen zu wollen. Damit die Verunsicherung endlich beendet wird, Viel zuoft wird vergessen, daß viele Ältere in der al- fordert die PDS eine sofortige Angleichung des Ren- ten Bundesrepublik nicht allein auf die Rente ange- tenniveaus Ost an das Niveau West. Gründe dafür wiesen sind, da ihre Alterseinkommen aus drei Säu- gibt es genug. len gespeist werden. All das wird vergessen bzw. weggelassen, wenn eine Neiddiskussion „West ge- (Zurufe von der CDU/CSU, der SPD und genüber Ost" befürchtet und angestachelt wird. der F.D.P. - Gegenrufe von der PDS) Bezüglich der durchschnittlichen Lohn- und Ge- Nach der nicht erfüllten Voraussage, daß die Auf- haltsentwicklung Ost möchte ich hervorheben, daß holjagd bei den Einkommen 1995 abgeschlossen sein die über eine Million Pendler hier gar nicht berück- wird, gehen Expertinnen und Experten, wie wir am sichtigt werden. Diese zumeist Gutverdienenden Montag hören konnten, jetzt von einer Rentenanglei- werden nach dem Arbeitsortsprinzip im Westen regi- chung im Jahre 2013 aus. striert. Damit tragen sie nicht zur rascheren Entwick- (Unruhe) lung des Einkommensdurchschnitts Ost bei und spei- sen zudem noch die Sozialversicherungskassen - Ich weiß gar nicht, warum Sie das so aufregt.- - Sie West. müssen sich das einmal in praxi vorstellen: Rentne- rinnen und Rentner, die zum Tag der Einheit 1990 (Andrea Fischer [Berlin] [BÜNDNIS 90/DIE 60 Jahre alt waren, wären dann 83. GRÜNEN]: Haben Sie schon mal mitge kriegt, daß es keine Mauer mehr gibt?) (Dr. Hermann Otto Solms [F.D.P.]: Was haben die damals für eine Rente bekom Das alles sind Ungereimtheiten, die ein gesondertes men?) Rentengebiet Ost nicht länger rechtfertigen. Die damals 70jährigen wären dann 93. Viele werden Nicht nur die Umstellung der Rentenanpassung also ein gleiches Rentenniveau in Ost und West gar wird von der PDS aus all diesen Gründen abgelehnt, nicht mehr erleben können. sondern auch der zweite Regelungsgegenstand die- ses Gesetzes. Die Anhörung hat gezeigt, wie umstrit- Eine sofortige Rentenangleichung könnte auch die ten das Unterbinden von sogenannten Arbeitsmarkt- Bedenken bei denen zerstreuen, die an die noch renten ist. Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 90. Sitzung. Bonn, Freitag, den 1. März 1996 7985

Petra Bläss Unüberhörbar war der Ruf, diesen Fakt im Zusam- meiner Sicht gegenüber dem bisherigen Verfahren menhang mit der generellen Neuordnung der Be- ein Stück Vertrauenssicherung für die Rente. rufs- und Erwerbsunfähigkeitsrenten später zu re- geln. Aus all diesen Gründen lehnen wir den Gesetz- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) entwurf ab. In der Wahl des Zeitpunktes sind wir nicht frei, Frau Mascher. Wir können nicht mehr schätzen, er- Ich erinnere an das von uns eingebrachte Renten- moratorium. Die PDS lehnt momentan Schne ll stens, weil die Lohnentwicklung sehr differenzie rt -schüsse in der Gesetzgebung SGB VI ab, ist, und zweitens, weil die Steuergesetzgebung in ih- - rer Wirkung auf die Nettolöhne nicht mehr exakt be- stimmbar ist. Deshalb ist der Zeitpunkt vorgegeben. Vizepräsident Hans Klein: Frau Bläss! Was die Festschreibung des Rechtes auf Erwerbs- und Berufsunfähigkeit anbelangt: Wir sichern nur Petra Bläss (PDS): - notwendig aber bleibt die das Recht gegen eine Rechtsprechung, die das Ar- überfällige Korrektur der Rentenüberleitung Ost. beitsmarktrisiko in die Rentenversicherung verlagert. Das kann Ihr und unser Interesse nicht sein. Ich danke. (Beifall bei der PDS) Für die Rentner im Osten halte ich fest: Der Aufhol- prozeß wird nicht gestoppt. Die Renten im Osten bleiben an die Löhne gekoppelt. Da die Löhne noch Vizepräsident Hans Klein: Ich erteile dem Bundes- minister für Arbeit und Sozialordnung, Dr. Norbert hinter den Westlöhnen sind, holen auch die Rentner Blüm, das Wort. mit dem Steigen der Löhne auf. Der Aufholprozeß wird damit nicht gestoppt. Wie der Kollege Grund schon gesagt hat, ist er beispiellos. Die Eckrente liegt Dr. Norbert Blüm, Bundesminister für Arbeit und bei 82 Prozent, und die Durchschnittsrente liegt so- Sozialordnung: Herr Präsident! Meine Damen und gar höher. Mit den Worten des Kollegen Grund sage Herren! Es geht bei dem heute zu verabschiedenden ich: Dies ist kein Geschenk an die Rentner im Osten. Gesetz um zwei Regelungskomplexe, um die Renten- Das entspricht unserem Rentensystem. Beitrags- anpassung Ost und um die Klarstellungen im Bereich zeiten und Lohnentwicklung entscheiden über die der Erwerbs- und Berufsunfähigkeit. Löhne. Deshalb ist das ein ganz normales Verfahren. Nach dieser halben Stunde will ich einmal festhal- Ich möchte die Gelegenheit nutzen, noch einmal ten, daß sowohl Frau Mascher wie auch Frau Fischer ein Stück Vertrauenswerbung für unsere Rentenver- nicht prinzipiell gegen diese Neuregelungen Ein- sicherung zu machen. Es gibt, Frau Bläss, nichts wände erhoben haben, daß sie also die Sinnhaftig- Schlimmeres für die Rentner als das alte DDR-Ren- keit nicht in Zweifel gezogen haben, wofür ich ihnen tensystem, in dem die Rente nach Kassenlage be- dankbar bin. stimmt wurde, nach der guten Laune der Regierung. Gott sei Dank sind wir darüber hinaus. In Ost und (Ulrike Mascher [SPD]: Die Frage ist doch, West steigen die Renten wie die Löhne. wann!) (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) - Richtig, Sie haben die Frage nach dem Zeitpunkt gestellt. Darauf will ich auch zu sprechen kommen. Die Alten sitzen mit den Jungen in einem Boot, und dabei bleibt es auch. Deshalb bitte ich um die Zu- Zunächst einmal: Beide Themen sind nicht vom stimmung für dieses Gesetz. Himmel gefallen, sondern werden seit langer Zeit diskutiert. Mit der Opposition haben darüber schon (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) im Herbst Gespräche stattgefunden. Frau Mascher, ich würde mir wie Sie wünschen, daß wir für die par- Vizepräsident Hans Klein: Ich schließe die Aus- lamentarische Beratung noch mehr Zeit hätten. So ist sprache. es aber nun einmal: Wir haben viele Probleme zu lö- sen. Die Probleme suchen wir uns nicht aus. Wir kommen zur Abstimmung über den von den Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. eingebrachten Nun zur Rentenanpassung. Es war von Anfang an Gesetzentwurf zur Änderung des Sechsten Buches klar, daß der derzeitige Mechanismus Rentenanpas- Sozialgesetzbuch, Drucksache 13/3697. Der Aus- sung Ost nur vorübergehend eingesetzt ist. Es wurde schuß für Arbeit und Sozialordnung empfiehlt auf nie bestritten, daß sich die Rentenanpassung Ost nur Drucksache 13/3907, den Gesetzentwurf unverän- vorübergehend nach den geschätzten Löhnen rich- dert anzunehmen. tet. Es liegt ein Änderungsantrag der Gruppe der PDS Nur, wann ist der Zeitpunkt für den Umstieg gege- auf Drucksache 13/3919 vor, über den wir zuerst ab- ben, Frau Mascher? Im Zeitpunkt sind wir nicht frei; stimmen. Wer stimmt für den Änderungsantrag der denn das alte Schema läßt sich nicht mehr durchfüh- PDS? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der ren. Schon im Herbst hatten wir große Schwierigkei- Änderungsantrag ist abgelehnt. ten, verläßliche Zahlen zu schätzen. Wollen Sie Ren- tenunsicherheit durch Schätzungen, die immer um- Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zu- stritten sind? Oder wollen Sie Sicherheit, indem die stimmen wollen, um das Handzeichen. - Gegen- Renten im Osten an die Lohnentwicklung des Vor- probe! - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist da- jahres gebunden werden? Die Neuregelung ist aus mit in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koaliti- 7986 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 90. Sitzung. Bonn, Freitag, den 1. März 1996

Vizepräsident Hans Klein onsfraktionen gegen die Stimmen der Opposition an- in die zweite und dritte Lesung zu begleiten. Haben genommen. sich doch hier Konsequenz, Nervenstärke, langer Atem und vor allem die Qualität der Argumente Wir kommen zur durchgesetzt. dritten Beratung (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge und Schlußabstimmung. Ich bitte die Kolleginnen ordneten der F.D.P. - Lachen bei der SPD) und Kollegen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich von Ihren Plätzen zu erheben. - Gegen- Erst recht ist dies aber ein Tag der Freude für all die probe! - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist an- Handwerksgesellen, Techniker und zukünftigen genommen. mittleren Führungskräfte, die schon immer auf die Koalitionsfraktionen gesetzt und auf die Durchsetz- Ich habe die Bitte, daß diejenigen Kolleginnen und barkeit des sogenannten Meister-BAföG vertraut ha- Kollegen, die an der Beratung über den nächsten Ta- ben. gesordnungspunkt nicht teilnehmen wollen oder können, den Raum möglichst schnell verlassen, da- (Beifall bei der CDU/CSU - Widerspruch mit wir mit den Beratungen fortfahren können. bei der SPD - Zuruf von der SPD: Das ist ein Sprücheklopfer!) Ich rufe den Tagesordnungspunkt 16 auf: Sie alle werden nicht enttäuscht. Dies gilt insonder- Zweite und dritte Beratung des von den Frak- heit für diejenigen, die als Verheiratete, als Eltern tionen der CDU/CSU und F.D.P. eingebrach- oder Alleinerziehende demnächst auf die Bereitstel- ten Entwurfs eines Gesetzes zur Förderung lung zusätzlicher finanzieller Mittel zurückgreifen der beruflichen Aufstiegsfortbildung können. (Aufstiegsfortbildungsförderungsgesetz - (Zurufe von der SPD) AFBG) Deswegen ist das AFBG eine sinnvolle Zukunftsinve- - Drucksache 13/3698 - stition zugunsten unserer Gesellschaft und Wi rt (Erste Beratung 87. Sitzung) -schaft.

a) Beschlußempfehlung und Bericht des Aus- Nur eines muß ich immer wieder sagen, und das schusses für Bildung, Wissenschaft, For- scheint mir die SPD überhaupt nicht beg riffen zu ha- schung, Technologie und Technikfolgenab- ben: Wir verabschieden heute ein Bildungsförde- schätzung (19. Ausschuß) rungsgesetz und kein Arbeitsförderungsgesetz. Die SPD verwechselt beides. Insofern wird nicht - das - Drucksache 13/3914 - darf ich Ihnen noch einmal mit Rücksicht auf den Berichterstattung: Entschließungsantrag sagen - durch ein AFG, son- Abgeordnete Werner Lensing dern gerade durch das Ausbildungsförderungsgesetz Franz Thönnes der Rechtsanspruch auf finanzielle Förderung gesi- Elisabeth Altmann (Pommelsbrunn) chert. Dr. Karlheinz Guttmacher Dr. Ludwig Elm Dieser Hinweis mag als Antwort auf den heute von der SPD unverständlicherweise noch eingebrachten b) Bericht des Haushaltsausschusses (8. Aus- Entschließungsantrag ausreichen, zumal ich diesen schuß) gemäß § 96 der Geschäftsordnung Antrag ohnehin primär als ein Dokument der Unzu- - Drucksache 13/3915 - friedenheit der SPD-Fraktion mit Herrn Schröder aus Hannover interpretiere. Berichterstattung: Abgeordnete (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Steffen Kampeter Kristin Heyne Heute ist ein Tag der Freude, weil die Bundeslän- Jürgen Koppelin der nunmehr ihre verfassungsgemäße Zuständigkeit für den Vollzug dieses Gesetzes akzeptiert haben Dazu liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion und dabei zugleich auf die wirksame Unterstützung der SPD vor. des Bundes rechnen dürfen. Es freut mich geradezu Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat- ist für die für die Länder, daß deren Länderhoheit und Souverä- Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Dage- nität respektiert und ihnen daher die Freiheit der gen erhebt sich kein Widerspruch. Dann ist es so be- Entscheidung gelassen wird, welche Behörden kon- schlossen. kret alle anfallenden Maßnahmen durchführen sol- len. Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Kolle- gen Werner Lensing das Wort. (Zuruf von der SPD: Eine echte Feier stunde!) Werner Lensing (CDU/CSU): Herr Präsident! Freilich sollte dies auch, so denke ich, nicht zuletzt Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Heute für die Opposition, die Sie ja hier schon so munter ist für uns ein Tag der Freude, für ein Mitglied der dazwischenreden, ein Tag der Freude sein, CDU/CSU-Bundestagsfraktion ohnehin, weil es Ver- gnügen bereitet, diesen unseren Gesetzentwurf bis (Widerspruch bei der SPD) Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 90. Sitzung. Bonn, Freitag, den 1. März 1996 7987

Werner Lensing weil es ihr mit der angekündigten Zustimmung ge- Und ein Letztes. Wir werden nach Ablauf von zwei lungen ist, auf einen Zug zu springen, der ansonsten Jahren wiederum einen Tag der Freude erleben, auch ohne sie abgefahren und im Zielbahnhof ange- kommen wäre. (Lachen bei der SPD) dann nämlich, wenn die Bundesregierung mit der ihr (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. - gebotenen Objektivität dem Deutschen Bundestag Anhaltende Zurufe von der SPD) einen Erfahrungsbericht zu diesem Gesetz vorlegen Die von Ihnen hierbei entwickelte Schnelligkeit war und zur Beratung zur Verfügung stellen wird. Wir zwar nicht gerade rasant, der heute erkennbare werden diesem Ergebnis der Evaluation mit freudi- Weitblick längere Zeit durch eine ideologisch ge- ger Erwartung entgegensehen. färbte B rille durchaus getrübt - ich nenne nur einmal Schließlich - das ist begründet - würdigt bereits das Stichwort „Bundesanstalt für Arbeit" -, doch der heute der Zentralverband des Deutschen Handwerks Außendruck der Verbände und der Wunsch, an dem den vorliegenden Kompromiß als einen willkomme- erfolgreichen Zustandekommen dieser so wichtigen nen Beitrag zur Förderung der Selbständigkeit und Förderung der Aufstiegsfortbildung teilhaben zu als ein höchstwillkommenes Instrument zur notwen- wollen, führte bei Ihnen zum Einlenken. Das freut digen Bekämpfung der Arbeitslosigkeit. -mich für die SPD. Wenn nun ausgerechnet GEW Chef Dieter Wunder diese Einigung, die doch vom Ich danke allen, vor allen Dingen den Damen und SPD-Fraktionsvorsitzenden als ein „im Grundsatz Herren von der Opposition, daß sie mir mit dieser vernünftiger Kompromiß" bewertet wurde, so scharf Aufmerksamkeit und diesem Wohlwollen zugehört und hämisch kritisiert, spricht dies für die Qualität haben. unserer Gesetzesvorlage. Vielen Dank. Und heute ist auch ein Tag der Freude, denke ich, (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) für den zuständigen Ressortminister Dr. Jürgen Rütt- gers, (Lachen bei der SPD) Vizepräsident Hans Klein: Das Wort hat der Kol- lege Franz Thönnes. dem laut „Frankfurter Rundschau" vom 28. Februar 1996 die Anerkennung für ein besonders gelungenes Franz Thönnes (SPD): Herr Präsident! Meine sehr „Meisterstück" nicht verwehrt wird. geehrten Damen und Herren! Es ist ja erstaunlich, (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Herr Lensing, wie man Ihnen eine Freude bereiten kann, Insofern bedarf Ihre Frage, Herr Kollege Thönnes, (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ gestellt in der Bundestagssitzung am 9. Februar DIE GRÜNEN) 1996, heute keiner Antwort mehr. Gleichwohl darf ich daran erinnern. Sie lautete: zumal, wenn man weiß, daß Sie diese Freude im Ab- lauf des gesamten Verfahrens auch viel früher hätten Merken Sie, Herr Minister Rüttgers, eigentlich haben können. nicht, wie isoliert Sie dastehen? (Beifall bei der SPD) Das Gegenteil ist heute der Fall. Daß die SPD hinge- gen über das Verhalten des niedersächsischen Mini- Sie sind sozusagen ein Freudenverzichter; denn es ist sterpräsidenten weniger glücklich ist, vermag ver- viel zuviel Zeit ins Land gegangen, ehe der heutige ständlicherweise meine Freude kaum zu trüben. Tag gekommen ist und ein Kompromiß möglich wurde. Es hat sich bestätigt, was ich in den vergan- (Heiterkeit bei der CDU/CSU und der genen Debatten immer wieder gesagt habe, daß letz- F.D.P.) ten Endes der Minister und die Koalitionsfraktion die Länder für einen Kompromiß benötigen. Das haben Wir in der CDU/CSU-Bundestagsfraktion haben halt Sie ja durch Ihre Vorgehensweise bislang immer als Vertrauen zu unserem Zukunftsminister. Absurdum hingestellt. Es hat sich nun in der Praxis bewahrheitet; Sie sind an den Ländern nicht vorbei- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. - gekommen. Zurufe von der SPD) (Beifall bei der SPD) Meine sehr verehrten Damen, meine Herren, ich merke, wie munter Sie werden, wie fröhlich das hier Es ist eine zynische Freude, die Sie hier äußern, alles ist, wenn Sie das auch so begreifen wie ich, als wie Sie nun die Verzinsung zu beschreiben versu- einen Tag der Freude. chen. Sie bedeutet im Klartext nichts anderes, als daß man, wenn man von den Regelungen des Meister- (Heiterkeit bei der CDU/CSU) BAföG Gebrauch machen will, Zinsen aufnehmen und Schulden machen muß, so daß man Ende der Ich will Ihnen diese Freude nun nicht zerreden, des- Ausbildung, wenn man eine Existenz gründen will, wegen verzichte ich bewußt darauf, auch noch den mit Schulden dasteht. gleichzeitig beschlossenen Einstieg in die Verzin- sung der geplanten Bildungskredite im Detail zu (Zuruf von der SPD: Das ist eine zynische würdigen. Freude!) 7988 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 90. Sitzung. Bonn, Freitag, den 1. März 1996

Franz Thönnes - Das ist eine zynische Freude. Für die Verzögerung, die entstanden ist, tragen einzig und allein die Bundesregierung und die Koali- (Beifall bei der SPD) tionsfraktionen die Verantwortung. Es ist ebenfalls eine zynische Freude - ich werde Ihnen das nachher noch einmal darlegen -, wenn Sie (Zuruf von der F.D.P.: Das stimmt so nicht!) nun glauben, hiermit den Einstieg in die Verzinsung Der Minister - ich habe ihm das oft genug gesagt - von anderen BAföG-Leistungen gefunden zu haben. ist hergegangen und hat immer weitere Hürden auf- Das wird mit der SPD nicht gehen. gebaut. Man muß sich erinnern, daß, als Sie diese Konzeption im März letzten Jahres verkündet haben, Vizepräsident Hans Klein: Herr Kollege Thönnes, von einer Mitfinanzierung der Länder überhaupt gestatten Sie eine Zwischenfrage? noch nicht die Rede war. Es ist erst im weiteren Ver- fahren, bei der Gesetzesvorlage im September, auf Franz Thönnes (SPD): Nein, ich gestatte Herrn den Tisch gekommen, daß Sie eine 35prozentige Mit- Lensing keine Zwischenfrage; ich will ihm nicht noch finanzierung wollen. eine Freude bereiten. Erst im weiteren Verfahren, als die Arbeitsamtslö- (Heiterkeit und Beifall bei der SPD - Chri sung diskutiert wurde, zu der sich alle Sachverstän- stian Lenzer [CDU/CSU]: Seien Sie doch digen bekannt haben, und als der Kompromißvor- nicht so mißgünstig, Herr Thönnes!) schlag mit den CDU-Stimmen aus dem Vermittlungs- ausschuß vorlag, ist diese verfassungsbedenkliche - Wissen Sie, das einzige, was eine Freude bereitet, Sichtweise des Ministe riums aufgekommen, daß das ist, daß das Tauziehen endlich ein Ende hat. Wenn Verfahren über das Arbeitsamt angeblich nicht ge- Sie sagen, heute sei ein Tag der Freude, dann ent- hen würde. Das war rein ideologisch begründet. Wir gegne ich: Es war ein Tag der Trauer, als diese Regie- bleiben dabei: Die Bundesanstalt für Arbeit darf rung die Aufstiegsfortbildung aus dem AFG gestri- nicht zu einer Bundesanstalt für Arbeitslose gemacht chen hat. werden. Weiterbildung und Bildung bleiben auch (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ weiterhin eine arbeitsmarktpolitische Aufgabe. DIE GRÜNEN sowie Abgeordneten der Für die Ablehnung des Kompromisses, der im Ver- PDS) mittlungsausschuß getroffen wurde, haben die Teil- Damit wir das einmal deutlich machen: Sie freuen nehmerinnen und Teilnehmer an Weiterbildungs- sich über ein Reparaturgesetz, weil Sie erkannt ha- maßnahmen, haben das Handwerk und der Mittel- ben, wie dringend notwendig es für dieses Land, für stand kein Verständnis gehabt. Das zeigen die das Handwerk und für den Mittelstand ist, endlich Briefe, das zeigen die Einschätzungen der Gesprä- wieder eine Aufstiegsfortbildung zu installieren. che, die geführt worden sind. (Zuruf von der SPD: Falsch war die dama Es bleibt auch - da kann man sehr genüßlich die lige Entscheidung!) „Frankfurter Rundschau" zitieren - das wahr, was - Falsch war die damalige Entscheidung. Das ist so- am 24. November in der „Frankfurter Allgemeinen zusagen der Beweis dafür, was es mit diesem gesam- Zeitung" stand: „Es ist noch kein Meisterstück." Es ten Gesetzesverfahren auf sich hat. Es ist ja gut, daß ist richtig, wenn derjenige, der den Kommentar ge- Sie das erkannt haben. schrieben hat, am Ende seines Artikels anführt: „Man hätte beizeiten verhandeln sollen, anstatt vor- Wir müssen schlichtweg immer wieder in Erinne- schnell hier Hoffnungen zu wecken." rung rufen, daß seit der Abschaffung der Aufstiegs- fortbildungsförderung im AFG die Zahl der Teilneh- Der jetzt vorliegende Kompromiß beinhaltet die im merinnen und Teilnehmer, um die Sie immer so sehr Gesetzgebungsverfahren von der SPD geforderten bemüht sind, um 100 000 zurückgegangen ist. Die Verbesserungen wie die Senkung der Mindeststun- Lücke und den Bedarf haben Sie im Prinzip selbst denzahl, um die Teilnehmerkreise, um die Betroffe- mit Ihrer damaligen Vorgehensweise erzeugt. nenkreise zu vergrößern. Er beinhaltet die von uns angesprochene Verbesserung bei der Übernahme (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ der Kinderbetreuungskosten für die Alleinerziehen- DIE GRÜNEN) den und die Teilzeitbeschäftigten, die Sie in einem Wenn die SPD heute diesem Kompromiß- zustimmt, ersten Verfahren nur als Darlehen gewähren wollten. dann tut sie dies im Interesse der Arbeitnehmerinnen Wir halten weiterhin an der Position fest, daß die und Arbeitnehmer, die aufstiegswillig sind und sich Arbeitsämter eigentlich die kompetenteren und die weiterbilden wollen; sie tut dies im Interesse des geeigneteren Institutionen für eine schnelle Umset- Handwerks und im Interesse des Mittelstandes, nach zung des Gesetzes gewesen wären. den vielen Diskussionen, die wir auch mit den Hand- werkern und auch mit den Vertretern des Mittel- ( [CDU/CSU]: Das verstehe stands geführt haben. Wenn Sie sich das Ergebnis ich nicht!) der Anhörung sehr genau anschauen, dann werden auch Sie feststellen, daß dieses Gesetz heute immer Auch die Sachverständigen sagen das. Die Auffas- noch eine Menge an Mängeln beinhaltet, die es mög- sung der Bundesregierung, dies sei verfassungs- licherweise in einem weiteren Verfahren nachzubes- rechtlich nicht möglich, wird von uns nach wie vor sern gilt. bezweifelt. Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 90. Sitzung. Bonn, Freitag, den 1. März 1996 7989

Franz Thönnes Wir respektieren aber die jetzt gefundene Lösung, zu bringen haben, eine bessere Qualität haben und nach der die Länder eigenverantwortlich über die mit mehr Kompromißbereitschaft sowie in einem mit der Durchführung des Gesetzes zu beauftragen- schnelleren Verfahren mit den Ländern hier auf den den Behörden entscheiden, um den Kompromiß zu Tisch kommen. ermöglichen. Die 22prozentige Beteiligung der Län- der an der Finanzierung unterstreicht deren Bereit- Sie sollten eigentlich ein bißchen danach trachten, schaft zur Mitverantwortung für die Herstellung der als einer der Ersten selbst in diesem Rahmen eine Gleichwertigkeit von allgemeiner und beruflicher Meisterausbildung zu machen. Dann könnten wir se- Bildung. hen, ob dieses Gesetz am Ende auch auf der Mini- sterbank Wirkung zeigen würde. Ob es die Qualität Gleichwohl - was wir auch in unserem Antrag ge- eines Gesellenstücks erreicht, wird sich zeigen müs- schrieben haben - bleibt in dem Gesetz eine Fülle sen. Dies werden wir uns nach zwei Jahren an- von qualitativen Mängeln erkennbar. Das Finanzvo- schauen. lumen ist noch immer unzureichend. Ich will zwei Zahlen in Erinnerung rufen: Mit 800 Millionen DM Bei all dem, was wir in diesem Zusammenhang dis- pro Jahr ist die AFG-Förderung für den Bereich der kutiert haben, haben wir immer nur die Zielgruppe Aufstiegsfortbildung damals finanziert gewesen; mit der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer im Auge 163 Millionen DM steigt man in diesem Jahr in eine gehabt. Wir müssen uns darüber im klaren sein, daß Wiederbelebung ein. es in den Bereichen der Beschäftigten weiteren Handlungsbedarf gibt, Weiterbildungsmöglichkei- Wir teilen auch weiterhin die kritische Position des ten für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zu Deutschen Industrie- und Handelstages zur Förder- entwickeln. Dies sollten wir auch weiterhin hier in systematik. Er sagt deutlich: Die Konzentration auf diesem Hause diskutieren. die Förderung der Vollzeitmaßnahmen ist bildungs- politisch, arbeitsmarktpolitisch kontraproduktiv. Es Ich denke dabei insbesondere an die fünf bis sechs wäre sinnvoller, diejenigen stärker zu bezuschussen, Millionen an- und ungelernten Arbeitnehmerinnen die sich in Teilzeitmaßnahmen befinden, die sich be- und Arbeitnehmer in der Bundesrepublik. Hierzu rufsbegleitend - und dadurch mit einem Mehrauf- sagt der Arbeitsminister selbst: Die Hälfte der Ar- wand neben ihrer Arbeitszeit - weiterbilden wollen. beitsplätze, die diejenigen heute innehaben, werden Bei dieser Konzentration besteht die große Gefahr, in den nächsten vier bis fünf Jahren wegfallen. Ich daß die Arbeitsplätze derjenigen, die sich weiterbil- denke an die Frauen, die einen Wiedereinstieg in das den wollen, aufgegeben werden müssen. Berufsleben wollen. Ich denke an die fünf bis sechs Wir halten die Verzinsung der Darlehen weiterhin Millionen Arbeitslosen in diesem Lande. für falsch. Weiterbildung muß für uns in einem rohstoffarmen (Zustimmung bei der SPD) Land einer der wesentlichsten Innovationsfaktoren Ich wiederhole: Wir lassen es nicht zu - sollten Sie und einer der zentralen Investitionsfaktoren sein. bei den weiteren Beratungen über das BAföG auf diesen Gedanken kommen -, unsere heutige Zustim- (Christian Lenzer [CDU/CSU]: Da hat er mung zu diesem Kompromiß als präjudizierendes recht!) Element zu betrachten, wenn es darum geht, auch Der Kompromiß, dem wir heute zustimmen, ist ein beim BAföG eine Verzinsung einzuführen. Fortschritt für das Handwerk, für den Mittelstand (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne und für die weiterbildungswilligen Arbeitnehmerin- ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN nen und Arbeitnehmer. und der PDS) (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der Wir werden keine Verschlechterung in anderen För- F.D.P.) derungsbereichen akzeptieren. Er ist deswegen ein Fortschritt, weil Sie 1993 die Auf- Wir wollen auch, daß dieses Gesetz nach zwei Jah- stiegsfortbildung leider Gottes gestrichen haben. Wir ren durch unabhängige Sachverständige - so ist das stimmen zu, damit in der Bundesrepublik wieder ein auch in unserem Antrag enthalten - evaluiert wird. Stück Gerechtigkeit und ein Stück Gleichwertigkeit Wir wollen, daß mit den Verbänden, die wir in der von allgemeiner und beruflicher Bildung umgesetzt Anhörung hatten, in eine kritische Debatte- darüber werden kann. Es ist ein kleiner Schritt und es ist kein eingetreten wird, wie dieses Gesetzesvorhaben Meilenstein auf dem Weg in die Gleichwertigkeit wirkt. von allgemeiner und beruflicher Bildung, Herr Mi- Ein Meisterwerk ist weder der Weg des Zustande- nister. kommens der jetzigen Lösung noch das Gesetz (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ selbst. Dies muß dem Minister deutlich in das DIE GRÜNEN) Stammbuch geschrieben werden. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsident Hans Klein: Frau Kollegin Elisabeth Altmann, Sie haben das Wort. Wenn es denn eines wäre, könnte man ihm ja mit sol chen Dingen eine Freude machen. Ich will nur hof (Christian Lenzer [CDU/CSU]: Vielleicht fen, daß andere Gesetze, die Sie noch auf den Weg werden wir jetzt einmal gelobt!) 7990 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 90. Sitzung. Bonn, Freitag, den 1. März 1996

Elisabeth Altmann (Pommelsbrunn) (BÜNDNIS 90/ wir auch zur Studierenden-BAföG-Verzinsung ja sa- DIE GRÜNEN): Herr Präsident! Meine Damen und gen. Das wollen wir einfach nicht. Herren! Herr Lensing, wenn Sie schon die „Frank- furter Rundschau" zitieren, dann müßten Sie das ei- Meine Damen und Herren, entgegen aller Ver- gentlich vollständig machen. Es heißt hier nämlich: nunft - das ist hier eben schon betont worden - hat die Koalition in der AFG-Novelle von 1993 die beruf- Dem Zukunftsminister Dr. Jürgen Rüttgers ist zu liche Aufstiegsförderung gestrichen. Herr Lensing, gratulieren. Wie er Gerhard Schröder bei der hierüber haben sich die Handwerker bestimmt nicht staatlichen Ausbildungsförderung politisch aus- gefreut; Sie brachten ja eben die Freude der Hand- getrickst hat, ist wahrlich meisterlich. werkskammer zum Ausdruck. (Zurufe von der CDU/CSU und der F.D.P.: Die Folgen bekamen nämlich die aufstiegswilligen Hört! Hört! Hört!) jungen Leute in den letzten Jahren deutlich zu spü- ren: Die Anmeldungen zu den Meisterkursen sind Hier geht es nicht mehr um Ausgleich von Sta rt um bis zu 30 Prozent zurückgegangen. -unterschieden und Abbau von sozialen Hürden, sondern darum, sich mit Risikofreuden für die (Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Stimmt nicht!) Ausbildung kräftig zu verschulden. Viele Menschen konnten sich eine Aufstiegsfortbil- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) dung gar nicht mehr leisten. Aber gerade in Zeiten hoher Arbeitslosigkeit ist es wichtig, neue berufliche Auch andere Magazine befassen sich mit dem Initiativen zu entwickeln und sich selbständig zu ma- Thema. Im Leitartikel in der aktuellen Nummer der chen. Das wird durch den Kompromiß verwirklicht. „Deutschen Universitäts-Zeitung" wird zum Beispiel gesagt: Das Verfahren der Gesetzesberatung ist hef- (Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Das ist richtig!) tig zu kritisieren. Wörtlich heißt es do rt: Das müssen wir fairerweise feststellen. Herr Rüttgers scheint die recht einfachen Regeln (Zurufe von der CDU/CSU: Aha!) politischen und überhaupt zwischenmenschli- chen Umgangs ... nicht zu kennen oder bewußt Es ist auch wichtig, daß Weiterqualifikationen und zu torpedieren. lebensbegleitendes Lernen gewährleistet bleiben und daß den Frauen gleichberechtigte Chancen der Hauptpunkt der Kritik ist der Verfahrenstrick, mit beruflichen Bildung eröffnet werden. Daß die Min- dem Sie, Herr Rüttgers, die Mitbestimmung der Bun- deststundenzahl auf 400 Stunden reduziert wird und desländer auskoppeln wollten und letztlich auch aus- daß ein Kinderbetreuungszuschuß für Alleinerzie- gekoppelt haben. hende in Höhe von 200 DM eingeführt wird, bedeu- Der jetzige ausgehandelte Kompromißvorschlag tet für die Frauen eine spürbare Verbesserung und sieht vor, daß seit der Diskussion von vor zwei Wo- Entlastung. Helferinnen- und Pfegerinnenberufe so- chen der Länderfinanzierungsanteil von 24,9 Prozent wie kaufmännische Berufe werden damit verstärkt in auf 22 Prozent abgesenkt wird. Das bedeutet für die die Förderung einbezogen. Länder eine Entlastung von knapp 5 Millionen DM Endlich kommt mit diesem Vorschlag die berufli- im Jahre 1996 und 7,5 Millionen DM im Jahre 1997. che Aufstiegsförderung in die Gänge. Wir wollen uns Das könnte ja noch in Ordnung gehen. dieser erzielten Einigung nicht in den Weg stellen. Die Länder akzeptieren im Gegenzug, daß die Das machen wir, Bündnis 90/Die Grünen, mit der Durchführung des Gesetzes von den Ausbildungs- Enthaltung bei der Abstimmung klar. ämtern der Studentenwerke oder der Kommunen er- (Zuruf von der CDU/CSU: Was?) folgt. Welche zusätzlichen Kosten damit auf die Län- der oder Kommunen zukommen, ist noch nicht fest- Wir wollen die Verabschiedung des Meister-BA- gestellt worden. Das weiß man nicht. Es bedeutet föG-Gesetzes, sind aber nicht damit einverstanden, darüber hinaus: Zuständigkeiten müssen erst geklärt daß sich Fortbildungswillige für ihre Ausbildung werden. Dies wird bei der Ausführung erschwerend kräftig verschulden müssen. wirken. Die fachlichen Voraussetzungen sind bei die- sen Ämtern nicht gegeben. Die Arbeitsämter sind Vizepräsident Hans Klein: Frau Kollegin! die eigentlich kompetenten Anlaufstellen. Was für uns, Bündnis 90/Die Grünen, jedoch wich- Elisabeth Altmann (Pommelsbrunn) (BÜNDNIS 90/ tiger ist: Die eben genannte Maßnahme ist das Ein- DIE GRÜNEN): Einen Satz noch: Gerade in Bildung stiegstor zur Verzinsung parallel zum Studierenden- und Ausbildung muß investiert werden für eine zu- BAföG. Hier können Sie mit Bündnis 90/Die Grünen kunftsorientierte, sozial und ökologisch ausgerich- nicht rechnen. Da machen wir nicht mit! tete Gesellschaft. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Dann müssen Da wird auch erheblicher Protest von den Betroffe- Sie zustimmen! Das ist inkonsequent, was nen auf Sie zukommen. Sie hier machen!) Für uns gilt: Schulische, berufliche und akademi- sche Bildung sind gleichwertig. Wenn wir jetzt zur Vizepräsident Hans Klein: Das Wort hat der Kol- Meister-BAföG-Verzinsung ja sagen, dann müssen lege Dr. Karlheinz Guttmacher. Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 90. Sitzung. Bonn, Freitag, den 1. März 1996 7991

Dr. Karlheinz Guttmacher (F.D.P.): Sehr geehrter Meine Damen und Herren, mit diesem Gesetz ha- Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und ben wir einen wichtigen Schritt in die Richtung der Herren! Wir werden jetzt in der zweiten und dritten Herstellung der Gleichwertigkeit von beruflicher Lesung die berufliche Aufstiegsfortbildungsförde- und akademischer Bildung getan. Dies war ein Koa- rung mit einem Gesetz verabschieden, das heute mit litionsauftrag, und den erfüllen wir heute durch die unnötiger zeitlicher Verschiebung auf den Weg ge- Verabschiedung dieses Gesetzes. bracht werden muß. (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) (Widerspruch bei der SPD)

Junge Menschen unseres Landes warten händerin- Vizepräsident Hans Klein: Das Wort hat die Kolle- gend auf ein Förderinstrument, so wie wir es den Stu- gin Maritta Böttcher. denten seit Jahren zubilligen.

(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) Maritta Böttcher (PDS): Sehr geehrter Herr Präsi- Wir haben Grund zur Freude - Herr Lensing, da dent! Meine Damen und Herren! Herr Lensing hat gebe ich Ihnen recht -, daß wir heute sagen können: den Saal ja in ein regelrechtes Freudenhaus verwan- Jetzt haben die jungen Menschen in der beruflichen delt. Eine Freude haben Sie mir und den Betroffenen Aufstiegsfortbildung einen Rechtsanspruch auf eine heute allerdings nicht gemacht. Förderung, den sie im AFG nicht hatten. (Heiterkeit - Uwe Lühr [F.D.P.]: Das ist aber (Doris Odendahl [SPD]: Und deshalb habt eine despektierliche Bemerkung!) ihr es abgeschafft? Toll! Das ist eine Logik!) - Schlimm, wer Böses dahinter vermutet. Darauf sollte hier noch einmal hingewiesen werden. (Unruhe) (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) In dem Gesetzentwurf - das sollte man an dieser Vizepräsident Hans Klein: Entschuldigung, Frau Stelle noch einmal sagen - wird den sich Weiterbil- Kollegin, darf ich Sie für einen Moment unterbre- denden eine Maximalförderung bis zu 1 045 DM ge- chen? Selbstverständlich kann ich zu dem Wo rt in währt. Die jungen Menschen, die sich zu Meistern, diesem Zusammenhang nur die positive Interpreta- zu Technikern und zu mittleren Führungskräften tion geben, daß Herr Lensing versucht hat, Freude zu weiterqualifizieren wollen, bekommen, wenn sie ver- verbreiten. heiratet sind, darüber hinaus einen Zuschuß von (Heiterkeit und Beifall) 420 DM und einen Kinderzuschlag von 250 DM. Wenn sie Kinder zu betreuen haben - darauf wurde hingewiesen -, gibt es noch einen zusätzlichen Zu- Maritta Böttcher (PDS): Selbstverständlich! Herr schuß von 200 DM für jedes Kind. Präsident, ich danke Ihnen. Genau so war es ge- meint. Meine Damen und Herren, damit ist die finanzielle Grundlage gegeben, daß sich die jungen Menschen Worum geht es hier eigentlich? Vorgestern wurde weiterqualifizieren können. Unsere deutsche Wi rt den Abgeordneten im Ausschuß von den Vertretern -schaft braucht diese weiterqualifizierten jungen der Koalitionsfraktionen erklärt, daß sich Herr Rütt- Menschen. gers und Herr Schröder in einigen strittigen Fragen geeinigt haben und daß es nun keine Probleme mehr (Beifall bei der CDU/CSU - Zuruf von der gibt. Durch die Nachrichten schwirrte hier und da so- CDU/CSU: Sehr dringend!) gar etwas über einen Bund-Länder-Kompromiß. In Die Verwaltungskompetenz - dies haben wir hier die Hand bekamen die Abgeordneten kurz vor der mehrfach festgestellt - liegt nach dem Grundgesetz Abstimmung im Ausschuß einen Antrag der SPD- eindeutig bei den Ländern. Ich bin Ihnen, Herr Bun- Fraktion und einen Änderungsantrag der Koalitions- desminister Rüttgers, sehr dankbar, daß Sie und Ihr fraktionen zum Gesetzentwurf, einen Antrag, der Haus die Zusage gemacht haben, daß Sie die Länder zwar nichts wesentliches ändert, aber dafür ist er mit bei der sofortigen Umsetzung des heute zu verab- Herrn Schröder abgestimmt. Nun soll die SPD nicht schiedenden Gesetzes unterstützen werden. Ich mehr nein sagen dürfen; denn - Herr Thönnes hat freue mich auch darüber - Herr Lensing, wir empfin- das noch einmal betont - wer jetzt noch dagegen ist, den immer nur Freude -, daß dieses Gesetz rückwir- hat die Betroffenen auf dem Gewissen. kend zum 1. Januar 1996 in Kraft treten soll. (Dr. Karlheinz Guttmacher [F.D.P.]: Das ist (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) richtig!) Die Finanzierung wird nach letzten Verhandlun- Ist das die Art, wie Gesetze in einer Demokratie gen zu 78 Prozent beim Bund und zu 22 Prozent bei verabschiedet werden? Ich glaube, ja wohl nicht. den Ländern liegen. Dies bedeutet für 90 000 Weiter- Ausgearbeitet werden sie im Ministe rium unter dem zubildende, daß wir für 1996 ein Finanzvolumen von Diktat des Finanzministers, eingebracht ins Parla- 169 Millionen DM auflegen werden, wobei der Bund ment über die Koalitionsfraktionen, und wenn das 132 Millionen DM und die Länder 37 Millionen DM Ganze trotzdem noch nicht so läuft, wie es soll, löst aufbringen werden. man es unter vier Augen. 7992 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 90. Sitzung. Bonn, Freitag, den 1. März 1996

Maritta Böttcher So kommt eine Situation zustande, in der im Eil- Ich möchte mich aber auch sehr, sehr herzlich bei tempo zu- bzw. abgestimmt werden muß und sich die der SPD-Opposition und insbesondere beim Kolle- Debatte nur noch um Nebensachen dreht, während gen Thönnes bedanken. die grundlegenden Probleme des Gesetzentwurfes nach wie vor bestehen, aber kaum noch thematisiert (Zuruf von der CDU/CSU: Aber nicht so werden, obwohl auch dazu in der Sachverständigen- viel!) anhörung Klarheit herrschte. Er hat ja hier heute eine äußerst schwierige Rolle ge- habt. Er mußte begründen, daß er eigentlich alles für An erster Stelle ist hier die Finanzierung über ver- falsch hält, zinste Darlehen zu Lasten der Betroffenen zu nen- nen. Damit hätte das BAföG-Finanzierungsmodell (Franz Thönnes [SPD]: „Alles" ist eine des Zukunftsministers zum erstenmal den Bundestag Unterstellung!) passiert, und er kann sich ab sofort auf sogenannte aber am Schluß trotzdem zustimmt. Daß Sie dazu die fördersystematische Gründe oder im Interesse der Kraft gehabt haben, finde ich gut. Deshalb will ich Gleichwertigkeit von allgemeiner und beruflicher dies auch nicht werten und kommentieren. Bildung bei allen weiteren Fragen der Bildungsförde- rung darauf beziehen. Das wird mit uns nicht mög- Eines, lieber Herr Kollege Thönnes, möchte ich al- lich sein. lerdings klarstellen: Es hat keinerlei Verzögerungen (Beifall bei der PDS) gegeben. Dieses Gesetz tritt zum 1. Januar dieses Jahres in Kraft. Die angehenden Meister können ihre Es bleibt am Ende der Eindruck, daß es sich bei Anträge rückwirkend stellen. Deshalb gibt es keine den Auseinandersetzungen, die vorher um wesent- Verzögerungen, und deshalb hat dies für die Betrof- liche Punkte des Gesetzentwurfes geführt wurden, fenen keine Auswirkungen. tatsächlich nur um ein politisches Possenspiel gehan- delt hat. Von den Forderungen der Sachverständigen (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) ist nur sehr wenig übriggeblieben. Wir haben ein sehr interessantes Gesetzgebungs- verfahren erlebt. Im Die SPD-Parlamentarier haben ihren begründeten Vermittlungsausschuß hatten die Standpunkt gegen Muster für Formblätter, Datenver- Länder noch versucht, eine verfassungswidrige arbeitungsprogramme und Auslegungshilfen ver- Lösung zu beschließen. Dies ist abgewehrt worden. kauft oder - etwas gelinder ausgedrückt - verkaufen Es ist schon sehr bedeutsam, wenn man dann fest- lassen. Das ist zu wenig. Das tut mir in Anbetracht stellt, daß die Standfestigkeit der Koalitionsfraktio- der Diskussionen, die in der Anhörung, in Ausschüs- nen sofort Reaktionen zur Folge hatte. Denn unmit- sen und anderen Beratungen geführt wurden, ein telbar nachdem hier im Deutschen Bundestag die er- bißchen weh. ste Lesung dieses neuen Gesetzgebungsverfahrens durchgeführt worden war, haben die Ministerpräsi- Wir bleiben deshalb bei der Ablehnung des denten der SPD-geführten Landesregierungen in der Gesetzentwurfes und vor allem bei der Ablehnung Ministerpräsidentenkonferenz darum gebeten, er- einer solchen Verfahrensweise. Das war wirklich neut in Gespräche eintreten zu dürfen. kein Meisterstück. (Zuruf von der SPD: Hört! Hört!) (Beifall bei der PDS) Das Ergebnis steht heute hier zur Abstimmung. (Doris Odendahl [SPD]: Das steht hier aber Vizepräsident Hans Klein: Ich erteile dem Bundes- minister Dr. Jürgen Rüttgers das Wort. anders drin!) Dies ist gut; denn es dient den Menschen. Ich bin (Doris Odendahl [SPD]: Noch eine Freude! - froh, daß damit das wahrscheinlich einzige Lei- Christian Lenzer [CDU/CSU]: Ein weiterer stungsgesetz dieser Legislaturpe riode jetzt in das Ge- Grund zur Freunde! - Franz Thönnes [SPD]: setzblatt kommt. Ein Freudenminister! - Ch ristian Lenzer [CDU/CSU]: Auf daß eure Freude vollkom Deshalb schließe ich: Es ist nicht nur ein Tag der men sei!) Freude; es ist ein guter Tag für die Meister, und es ist vor allen Dingen ein guter Tag für die Gleichwertig- keit von beruflicher und akademischer Ausbildung. Dr. Jürgen Rüttgers, Bundesminister für- Bildung, Wissenschaft, Forschung und Technologie: Herr Prä- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) sident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Es ist heute nicht nur ein Tag der Freude, sondern auch ein Tag Vizepräsident Hans Klein: Ich schließe die Aus- des Dankes. Ich möchte ein herzliches Wo rt des Dan- sprache. Wir kommen zur Abstimmung über den von kes den Koalitionsfraktionen sagen, die diesen Ge- den Fraktionen der CDU/CSU und der F.D.P. einge- setzentwurf eingebracht und dieses Gesetzgebungs- brachten Gesetzentwurf zur Förderung der berufli- verfahren begleitet haben. Ich danke sehr, sehr herz- chen Aufstiegsfortbildung auf den Drucksachen 13/ lich Christian Lenzer und Werner Lensing und auch 3698 und 13/3914. dem Kollegen Guttmacher, die bei diesem nicht ganz einfachen Verfahren dafür gesorgt haben, daß jetzt Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der ein gutes Ende gefunden worden ist. Ausschußfassung zustimmen wollen, um das Hand- zeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Ge- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) setzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 90. Sitzung. Bonn, Freitag, den 1. März 1996 7993

Vizepräsident Hans Klein Stimmen der Fraktionen von CDU/CSU, F.D.P. und wiesen worden. Beide Anträge gehören in der Sache SPD gegen die Stimmen der Gruppe der PDS und bei zusammen. Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen an- genommen. Was ist das Ziel unseres heutigen Antrags? Mit die- sem Antrag schlagen wir die Einsetzung eines selb- Wir kommen jetzt zur ständigen Modernisierungsstabs vor; dieser soll von drei Persönlichkeiten aus den Bereichen der Wi rt dritten Beratung -schaft, des öffentlichen Dienstes und der Gewerk- und Schlußabstimmung. Ich bitte die Kolleginnen schaften geleitet werden. und Kollegen, die dem Gesetzentwurf zuzustimmen (Joachim Hörster [CDU/CSU]: Und mit gedenken, sich von ihren Plätzen zu erheben. - Ge- 100 Leuten ausgestattet werden und vier genprobe! - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist Jahre beraten!) angenommen. Da eine effektive Reform nur unter Beteiligung der Wir kommen zur Abstimmung über den Entschlie- Betroffenen gelingen kann, muß der Stab durch ein ßungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache Beraterteam unterstützt werden, in dem die Bundes- 13/3916. Wer stimmt für diesen Entschließungsan- verwaltung, die Länder, die Personalräte und die Ge- trag? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich der werkschaften vertreten sind. Aufgabe und Auftrag Stimme? - Der Entschließungsantrag ist abgelehnt. des Stabes soll es sein, konkrete Vorschläge zur Mo- Bevor ich den nächsten Tagesordnungspunkt auf- dernisierung vorzulegen und umzusetzen. rufe, darf ich die Bitte äußern, daß die Kolleginnen Die Eckpunkte der Reform sollen auf der Grund- und Kollegen, die an der Debatte über diesen Tages- lage eines Zwischenberichts der Bundesregierung, ordnungspunkt nicht teilnehmen werden, den Raum der dem Bundestag vorgelegt werden soll, diskutiert möglichst rasch verlassen, damit wir mit den Bera- und beschlossen werden. tungen fortfahren können. (Joachim Hörster [CDU/CSU]: Wie viele Ich rufe den Tagesordnungspunkt 11 und den Zu- Planstellen sind dafür erforderlich?) satzpunkt 5 auf: - Lieber Herr Hörster, Sie haben schon qualifiziertere Beratung des Antrags der Fraktion der SPD Zwischenrufe gemacht als heute morgen. Könnte es sein, daß Sie noch nicht ausgeschlafen haben? Modernisierung der Bundesverwaltungen als Projekt (Joachim Hörster [CDU/CSU]: Nein, Sie - Drucksache 13/3582 — haben den Zwischenruf nur nicht verstan Überweisungsvorschlag: den!) Innenausschuß (federführend) Der von der Bundesregierung - jetzt wäre es viel- Haushaltsausschuß leicht angebracht, daß Sie zuhörten - eingesetzte ZP5 Beratung des Antrags der Abgeordneten Sachverständigenrat „Schlanker Staat", der jetzt ei- nen Bericht vorgelegt hat, ist nach unserer Auffas- Dr. Antje Vollmer, Franziska Eichstädt-Bohlig, sung nicht die geeignete Lösung. Bei der Vorberei- Oswald Metzger und der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN tung von Vorschlägen sind die betroffenen Behörden und Beschäftigten nicht ausreichend oder gar nicht Umzug nach Berlin als Chance für eine Re- beteiligt. Außerdem kann dieser Sachverständigen- form der Bundesverwaltung und für ein zu- rat bestenfalls Neuerungsschritte vorschlagen. Ihm kunftsweisendes Personalkonzept fehlen aber die Kompetenzen zur Umsetzung der Re- - Drucksache 13/3902 — form. Überweisungsvorschlag: Wenn die Modernisierung der Bundesverwaltung Innenausschuß (federführend) ernsthaft in Angriff genommen werden soll, geht das Rechtsausschuß Finanzausschuß nicht mit der üblichen Resso rt- und Berichtsroutine. Haushaltsausschuß Dazu ist das Vorhaben zu schwierig. Es kann Ihnen dasselbe passieren wie mit der Dienstrechtsreform: Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für Es wird eine Reform angekündigt, und heraus die gemeinsame Aussprache eine halbe Stunde vor- - kommt ein Entwurf mit einigen Reparatur- und gesehen. - Dagegen erhebt sich offensichtlich kein Schönheitsarbeiten ohne die notwendigen tief gehen- Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. den Strukturänderungen. Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Kolle- Im übrigen wiederhole ich bei dieser Gelegenheit, gen Fritz Rudolf Körper das Wort. daß es ein grundsätzlicher Fehler ist, Verwaltungs- und Dienstrechtsreform unverzahnt nebeneinander Fritz Rudolf Körper (SPD): Herr Präsident! Meine herlaufen zu lassen. Damen und Herren! Heute steht der Antrag der SPD- (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der Bundestagsfraktion zur Modernisierung der Bundes- PDS) verwaltung als Projekt zur Diskussion, und ich be- ziehe mich auf diesen Antrag. An die Ausschüsse ist Selbstverständlich begrüßen wir, daß die Bundes- bereits ein weiterer Antrag von uns mit dem Titel regierung und die Koalition jetzt auch die Notwen- „Modernisierung der öffentlichen Verwaltung" über- digkeit einer Modernisierung der Bundesverwaltung 7994 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 90. Sitzung. Bonn, Freitag, den 1. März 1996

Fritz Rudolf Körper entdeckt haben. Mit Befriedigung stellen wir fest, nach weniger Staat hängen Sie einer A rt Neolibera- daß sich der von mir genannte Sachverständigenrat lismus und einer „Laisser-faire" -Ideologie an, die teilweise inhaltlich unseren Forderungen anschließt. meiner Auffassung nach wichtige politische Pro- Das gilt insbesondere für unsere Forderung, die Bun- bleme schleifen läßt und der gesellschaftlichen desministerien auf die ministeriellen Aufgaben zu Selbstregulierung überläßt. beschränken und die übrigen Aufgaben auf andere Stellen, vor allem auf vorhandene sogenannte obere Bundesregierung und Koalition sind der Auffas- Bundesbehörden, zu verlagern. Wir bieten der Bun- sung, daß offensichtlich alles schon im Lot ist oder desregierung unsere aktive Unterstützung an, dann ins Lot gerät, wenn man die staatlichen Aktivi- täten zurückschraubt. Sie meinen nämlich, daß da- (Otto Schily [SPD]: Na, das müssen wir uns durch eine privatwirtschaftliche Dynamik freigesetzt noch überlegen!) würde, von der die Bürgerinnen und Bürger automa- tisch profitieren. Ihnen geht es neben der Kostensen- aber machen Sie Nägel mit Köpfen! kung vor allem um Privatisierungen. Dazu verweise (Otto Schily [SPD]: Die haben die doch ich auf die Jahreswirtschaftsberichte 1995 und 1996. nicht! Die haben keine Köpfe!) Das bedeutet im Ergebnis, daß hinter dem jetzt Wenn Sie die Verwaltungsmodernisierung wirklich auch von Ihnen vorgeschlagenen Modernisierungs- in Angriff nehmen wollen, wagen Sie den Aufbruch, modell für die Verwaltungen nach wie vor grundsätz- indem Sie auch die für die Verwaltungsmodernisie- liche politische Ziele stehen, die sich nicht mit den rung notwendigen organisatorischen und personel- unsrigen decken. len Voraussetzungen schaffen! Wenn das Reformpro- (Wolf-Michael Catenhusen [SPD]: Das ist jekt noch in dieser Wahlperiode und im Zusammen- wahr!) hang mit dem Berlin-Umzug bewerkstelligt werden soll, muß schnell begonnen und zügig gehandelt Anders ausgedrückt: Wir wollen den handlungsfä- werden. Viel Zeit verbleibt nicht mehr. higen und sozial verantwortlich handelnden Staat, während Sie offensichtlich das Schwergewicht in der (Beifall bei der SPD) Einschränkung staatlichen Handelns sehen und Dieses Projekt muß eine zentrale Aufgabe werden diese Zielsetzung favorisieren. Das wird - da bin ich und kann nicht nur nebenbei, en passant, diskutiert sicher - in der Diskussion spannend werden und in werden. Die Modernisierung der öffentlichen Ver- konkreten Fällen auch zu Konflikten führen. waltung ist kein Selbstzweck. Angesichts der verän- Dessenungeachtet bin ich der Auffassung, daß es derten Aufgaben der Verwaltungen und der leeren im Interesse eines modernen Staates und einer mo- öffentlichen Kassen können die Zukunftsaufgaben dernen, leistungsfähigen und effektiven öffentlichen nicht mehr mit den alten Strukturen und Instrumen- Verwaltung unsere gemeinsame Aufgabe ist, diesen ten bewältigt werden. Es geht also um die Bewälti- von uns gewollten Modernisierungsprozeß endlich gung von Zukunftsaufgaben. Dafür brauchen wir in auch auf Bundesebene in Gang zu setzen. Ich hoffe, den Bundesministerien ein administratives Innovati- unser Antrag dient dazu. onsmanagement. Schlagworte wie „weniger Staat", „Beschränkung des Staates auf hoheitliche Aufga- Schönen Dank. ben" und ähnliches mehr sind rückwärtsgewandt (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE und verkennen, daß die gesellschaftlichen Probleme GRÜNEN und der PDS) des 20. und des 21. Jahrhunderts nicht mit dem Staat und den staatlichen Strukturen des 19. Jahrhunderts gelöst werden können. Das ist äußerst wichtig. Vizepräsident Hans Klein: Herr Kollege Schlee, Sie haben jetzt das Wo rt . Ich nenne Stichworte, die zeigen, wo Änderungen vorhanden sind: Globalisierung der Märkte, das Vor- (CDU/CSU): Herr Präsident! dringen neuer Wettbewerber, die weltweite Verbrei- Dietmar Schlee Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir debat- tung neuer Technologien, die zunehmende Mobilität tieren heute, Herr Körper, nicht zum erstenmal über von Kapital, Wissen und Arbeit, die globale Umwelt- die Modernisierung der Verwaltung, über den zerstörung, internationale Wanderungsbewegungen, schlanken Staat, über mehr Effektivität, mehr Ko- die Finanzkrise des Staates, die Gefährdung der so- stenbewußtsein in eben dieser Verwaltung. Ich erin- zialen Sicherungssysteme, die demographischen nere an unsere Debatte vom vergangenen Herbst. Verwerfungen und die zunehmende Begrenztheit Ich habe damals einen ganzen Katalog konkreter nationalstaatlichen Handelns. Das sind die Heraus- Punkte genannt: von der Deregulierung über die Ab- forderungen; Regierungen sind heute stärker als je- schätzung der Gesetzesfolgekosten über neue Tech- mals zuvor in unserer Geschichte herausgeforde rt. niken bei der Gesetzgebung bis hin zum Haushalts- Eine effektive Regierung ist nicht notwendigerweise recht und zum Kontrollrecht des Parlaments. eine große Regierung. Das Wort „regieren" meint: steuern und lenken. Dafür müssen Staat und Regie- Ich finde, wir sollten über all die Vorschläge, die rung, so gut es geht, für die Zukunft fit gemacht wer- ich damals gemacht habe, noch einmal detaillie rt dis- den. kutieren. Ich glaube, daß dies ein Ansatz ist, den wir gemeinsam weiterverfolgen sollten. Es ist kein Wunder, daß Sie, Herr Schlee - ich spre- che Sie einmal an -, das Thema so spät entdecken. Der jetzige Antrag der SPD zur Modernisierung Mit Ihrer seit den 70er Jahren erhobenen Forderung der Bundesverwaltung enthält in der Zielsetzung Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 90. Sitzung. Bonn, Freitag, den 1. März 1996 7995

Dietmar Schlee eine Reihe von Punkten, die man in ihrer Abstrakt- Wollen Sie das nach außen mittragen? Wollen Sie das heit und in ihrer Allgemeinheit nur unterschreiben auch in Richtung der Beschäftigten in der öffentli- kann: so weit, so gut. Was in dem Antrag als Ziel for- chen Verwaltung mittragen? Es geht um Auflösung muliert ist, Herr Körper - das will ich aber gleich da- und Zusammenlegung von Behörden. Daß das in den zusagen -, ist natürlich alles andere als neu. Es ge- einzelnen Wahlkreisen an der einen oder anderen hört zum Allgemeingut jeder Debatte und jeder Ver- Stelle schwierig sein mag, will ich gar nicht wegdis- öffentlichung zu diesem Themenkomplex. kutieren. Aber wir müssen es jetzt, in den nächsten Wochen und Monaten, entscheiden; denn so konkret (Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast [SPD]: Aber ist das. Über neue Steuerungselemente und Budge- nicht zum Handeln der Bundesregierung! tierung zu reden hört sich ganz modern an. Aber um Wenn das so alt ist, könnten Sie es doch zu sagen, welchen Freiraum wir der Verwaltung ge- schon längst umgesetzt haben!) ben wollen, wie es mit der Ergebnis- und Erfolgsver- Dort, wo die SPD zum wiederholten Male allge- antwortung ganz konkret, Herr Körper, aussehen meine Ziele formuliert, verkennt sie, daß sie etwas soll, brauchen wir Gesetze. Das muß entschieden formuliert, was die Bundesregierung in weiten Strek- werden. Da hilft das Diskutieren beim besten Willen ken bereits ins Werk gesetzt hat. Sie philosophieren überhaupt nichts. über konsensfähige Projektarchitektur, während die Meine sehr verehrten Damen und Herren, in Ihrem Bundesregierung konkrete Projekte umsetzt und Antrag und auch in der Begründung antworten Sie eine Vielzahl von konkreten Projekten bereits abge- auf unmittelbar anstehende Probleme nicht. Sie ge- schlossen hat. ben nicht zu erkennen, ob Sie den konkreten Geset- Manchmal habe ich den Eindruck, Herr Körper - zesprojekten der Regierung - die sind nicht irgend vielleicht tue ich Ihnen Unrecht -, daß Sie einfach etwas - zustimmen wollen oder nicht zustimmen wol- nicht den Mut haben, konkret zu werden. Jetzt müs- len. sen wir aber gemeinsam konkret werden, nachdem Nun legen Sie einen Antrag vor, man zugegebenermaßen viele Jahre die Dinge rela- tiv abstrakt diskutiert hat. Solange die SPD in einem (Fritz Rudolf Körper [SPD]: Der gut ist!) unendlichen Prozeß der Projektierung von Projekten bleibt, wird sich nichts ändern. mit dem den Bundesministerien, Herr Körper, von außen ein neues Strukturkonzept aufgedrängt wer- (Joachim Hörster [CDU/CSU]: So ist es!) den soll. Sie wollen einen besonderen Organisations- stab einsetzen. Er soll von den Ministerien völlig un- Politik bedeutet handeln, entscheiden, umsetzen. abhängig sein. Er soll, wie Sie sagen, ein zukunfts- (Otto Schily [SPD]: Ja, sagen Sie das doch orientiertes Reformkonzept vorlegen. Dann soll der einmal an die Adresse der Regierung! Da Deutsche Bundestag beschließen. bin ich wirklich einmal gespannt!) Herr Kollege Schily, ich will das nicht vertiefen; Sie Jetzt ist die Zeit des konkreten Handelns gekom- sollten sich die verfassungsrechtliche Ausgestaltung men. des Antrags noch einmal ansehen. Wir meinen, daß dieser Weg falsch ist. (Otto Schily [SPD]: Nach 13 Jahren sagt der Kollege Schlee, es ist Zeit zum Handeln! (Otto Schily [SPD]: Er lenkt ab!) Das ist interessant!) - Ich will davon überhaupt nicht ablenken, Herr Kol- Ich will Ihnen das einmal an ein paar Beispielen ver- lege Schily. Ich will nur sagen: Sie müssen sich die deutlichen. Herr Kollege Schily, Sie bekommen die verfassungsrechtliche Ausrichtung noch einmal Möglichkeit, sich zu bewähren und zu entscheiden. überlegen. Ich will Ihnen - wenn ich das darf - ein paar kon- Wir gehen einen anderen Weg. Ich skizziere ihn in krete Punkte nennen.' wenigen Strichen. Wir haben uns dafür entschieden, (Otto Schily [SPD]: Sie wollen uns also die das Organisationspotential in den obersten Bundes- Regierung überlassen? Treten Sie zurück, behörden, in den interministeriellen Gremien, in den wir übernehmen den Laden!) Behörden zu nutzen. Sie sind näher am Ball. Sie ha- ben tagtäglich damit zu tun. Sie können das heutige In den nächsten Wochen, meine Herren, werden Ist und das künftige Soll viel besser beurteilen, ge- hier Gesetzentwürfe über die Beschleunigung- von rade auch, was ihre eigenen Arbeitsstrukturen an- Planungs- und Genehmigungsverfahren zu debattie- geht. Sie können ressortbezogene Besonderheiten ren sein. Ich habe in dieser Arbeitsgruppe mitgear- besser aufnehmen. beitet. Ich will mich nicht selber loben, aber die Ar- beitsgruppe hat höchst beachtliche Ergebnisse vor- Die jeweilige Behörde einzuschalten ist nach mei- gelegt. nem Dafürhalten unerläßlich. Man sollte nicht an der (Beifall bei der CDU/CSU) Behörde vorbei von außen etwas installieren, von der rechtlichen Problematik einmal abgesehen. Jetzt werden Sie entscheiden müssen, ob Sie dem zu- stimmen wollen oder nicht. (Otto Schily [SPD]: Das haben Sie aber miß verstanden!) Ich will Ihnen ein zweites Beispiel nennen. In den Projekten, die die Regierung vorlegt, geht es natür- Daß Sachverstand von außen zugeführt werden muß, lich auch um Personalverringerungen. Ich frage Sie: darüber können wir uns ganz rasch einigen - aber 7996 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 90. Sitzung. Bonn, Freitag, den 1. März 1996

Dietmar Schlee doch nicht so institutionalisiert, wie Sie das mit die- Vizepräsident Hans Klein: Herr Kollege, gestatten sem Organisationsstab machen wollen. Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Schuster? Meine sehr verehrten Damen und Herren, das mit der Projektarchitektur klingt ganz gut. Aber das, was Dietmar Schlee (CDU/CSU): Nein, ich möchte das Sie dort installieren wollen, ist doch etwas Praxisfer- im Zusammenhang darstellen; nachher sicherlich nes. Da muß es Reibungsverluste geben. Da entste- gerne. hen natürlich Umsetzungsprobleme, wenn der Bun- destag am Ende entscheiden muß und der Bundesre- Herr Kollege Körper, wenn Sie hier dargestellt ha- gierung sagt: Ihr habt die Ministe rien und die nach- ben, wir hätten vom Staat ein völlig anderes Bild, so geordneten Behörden A, B, C und D so und so zu or- lassen Sie mich sagen: Bauen Sie doch nicht irgend- ganisieren. Das halte ich einfach nicht für in Ord- welche Geschichten auf, die total daneben sind. Ich nung. sage es Ihnen noch einmal: Der Staat muß sich auf seine Kernaufgaben konzentrieren, das heißt öffent- Herr Kollege Körper, ich appelliere in dieser liche Sicherheit und Ordnung, Verteidigung, Steuer- Stunde an Sie, nicht ständig mit neuen Modellen zu verwaltung, Arbeit und Soziales. Ich bitte Sie darum, versuchen, das Rad neu zu schaffen, sondern mitzu- nicht den Eindruck zu erwecken, als ob der letzte machen bei all dem, was wir Ihnen in den letzten Mo- Punkt einfach wegfallen würde und wir da sonstwas naten vorgeschlagen .haben und bei dem wir uns in installieren wollten. der Realisierungsphase befinden. Ich füge hinzu: Ein Schwerpunkt - ich sage das mit Ich nehme das auf, was vorhin gesagt wurde: Ich großem Ernst - muß mehr als in der Vergangenheit glaube, daß die Bevölkerung jetzt von uns Entschei- sein, über diese hundert Beispiele des Bundesinnen- dungen erwartet. ministers oder diesen Katalog des Bundesfinanzmi- nisteriums hinaus die Bundesministerien zu restruk- (Zurufe von der SPD und dem BÜNDNIS 90/ turieren, sie effizienter zu machen. Darüber kann DIE GRÜNEN: Jawohl! - Wolf-Michael man mit mir sehr wohl sprechen. Catenhusen [SPD]: Dann mal los, Herr Schlee! - Weiterer Zuruf des Abg. Hans Peter Kemper [SPD]) Vizepräsident Hans Klein: Herr Kollege, inzwi- schen ist Ihre Redezeit abgelaufen. Jetzt können Sie - Herr Kollege Kemper, Sie müssen doch an die Län- auch keine Fragen mehr beantworten. der denken. Sie werden doch nachvollziehen kön- nen, daß wir hier im Konsens etwas erreichen müs- sen. Da geht es nicht nur um die Zustimmung des Dietmar Schlee (CDU/CSU): Ich will noch einen Bundesrates; es geht in Teilbereichen auch um Ver- Satz sagen. fassungsänderungen. Das ist in weiten Bereichen be- reits jetzt absehbar. Das ist eine schwierige Aufgabe. Ich bitte die Bundesregierung, so eine A rt Modell- Jemand hat einmal formuliert, das sei eine Herkules- ministerium zu strukturieren - mit klarer Aufteilung aufgabe. Ich sage Ihnen, wir müssen uns da zusam- zwischen Leitungs- und Verwaltungsaufgaben, mit menraufen. dem Herausnehmen der einen oder anderen Hierar- chie. Darüber kann man doch reden. Aber was jetzt Lieber Herr Körper, es gibt ganze Kataloge des Fi- notwendig ist, sind keine theoretischen Planspiele, nanzministeriums und des Innenministeriums, was al- sondern jetzt muß gehandelt werden. Das ist unsere les umgesetzt wurde, wie von 1992 bis 1995 Stellen Aufgabe. abgebaut wurden, wie die Bundesvermögensverwal- tung, wie die Zollverwaltung, wie die Bundeswehr- Ich bedanke mich ganz herzlich. verwaltung neu strukturiert wurde, wie die Oberfi- (Beifall bei der CDU/CSU - Hans-Peter nanzdirektionen, wie das Technische Hilfswerk neu Kemper [SPD]: Alles alte Hüte, Herr strukturiert wurden, wie eine Neuorganisation des Zi- Schlee!) vilschutzes vorgenommen wurde, um Ihnen nur ein paar Beispiele zu nennen. Es hat doch gar keinen Wert, vor diesem Hintergrund immer wieder den Ein- Vizepräsident Hans Klein: Meine verehrten Kolle- druck zu erwecken, als ob überhaupt gar nichts ge- ginnen und Kollegen, auf der Diplomatentribüne hat schehen wäre. Das ist doch einfach nicht sachgerecht. besonders hoher Besuch Platz genommen. Es ist eine - Delegation hochrangiger Kollegen aus einem der (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) höchstgelegenen Staaten der Welt, aus dem mit Das wollen die Leute doch von uns auch nicht hö- Deutschland gut befreundeten Königreich Nepal. ren, sondern die Leute wollen von dem Parlament in Ich heiße Sie sehr herzlich im Deutschen Bundestag dieser Legislaturperiode in dieser, wie ich meine, au- willkommen. ßerordentlich wichtigen Frage Entscheidungen ha- (Beifall) ben. Die Politik kann ihre Leistungsfähigkeit unter Jetzt erteile ich zu einer Kurzintervention dem Kol- Beweis stellen, und sie kann unter Beweis stellen, legen Schily das Wort. daß sie in einer so schwierigen Materie auch kon- sensfähig ist. Das ist nach meinem Dafürhalten der richtige Ansatz; alles andere ist doch eine Augenwi- Otto Schily (SPD): Herr Kollege Schlee, Sie haben scherei; das kann man doch mit dem besten Willen mich persönlich angesprochen; deshalb hatte ich nicht anders sagen. mich gemeldet. Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 90. Sitzung. Bonn, Freitag, den 1. März 1996 7997

Otto Schily Sie haben verfassungsrechtliche Bedenken gegen Die Regierung - das entnehme ich dem Beitrag des unseren Antrag geltend gemacht. Damit zwischen Kollegen Schlee - sinnt, denkt, plant, redet in allen uns keine Mißverständnisse entstehen: Ich halte sehr möglichen Korporationen - viel davon, daß sich die verschiedenen Verfassungs- organe der Verfassungstreue befleißigen und auch (Joachim Hörster [CDU/CSU]: Gremien! die jeweilige eigene Organisationsgewalt respektie- Korporationen sind etwas anderes!) ren. auch über ihre Herkulestätigkeit -, aber dies landet Interpretieren Sie den Antrag bitte nicht falsch da- nicht in der Praxis, auch nicht in der Praxis von Ge- hin, daß der Bundestag in die Eigenorganisationsge- setzesentwürfen in diesem Parlament. walt der Bundesregierung eingreifen will. Darum (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN handelt es sich nicht. Vielmehr geht es darum, eine und der PDS) Projektentwicklung zu favorisieren, bei der man auch, wie Sie richtig sagen, Sachverstand von außen Herr Kollege Schlee, wenn ich Sie eben richtig ver- hinzuzieht - selbstverständlich unter Beteiligung der standen habe, haben Sie ja die Opposition direkt auf- Ministerien -, und dann im Bundestag einen Bericht gefordert, das grundgesetzkonforme Verhältnis der auf der Grundlage einer solchen Arbeit zu diskutie- Verfassungsorgane zueinander zu brechen, indem ren. Sie sollten nicht das Mißverständnis hervorrufen, Sie gesagt haben, wir sollten Ihnen die Ministe rien daß sich der Bundestag mit diesem Antrag einen Ein- neu organisieren. Das halte ich allerdings wirklich griff in die eigene Organisationsgewalt der Bundes- für Ihre Aufgabe. regierung anmaßen wollte. (Dr. Max Stadler [F.D.P.]: Das machen wir (Joachim Hörster [CDU/CSU]: Sondern?) auch!) Der Herr Bundesminister Kanther, der in dieser De- Vizepräsident Hans Klein: Herr Kollege Schlee zur batte nicht anwesend ist - was auch ein Hinweis dar- Replik! auf ist, daß er offensichtlich die Federführung bei diesem Thema bereits verloren hat -, meint, der Ab- Dietmar Schlee (CDU/CSU): Herr Kollege Schily, bau von öffentlichen Leistungen sei eine ernsthafte in Anbetracht der fortgeschrittenen Zeit mache ich es Aufgabenkritik. Auch meint er, daß der Stellenabbau kurz und lese Ihnen nur die entsprechende Passage per se besseres Personalmanagement produziere. in der Begründung Ihres Antrages vor: Wir sind nicht dieser Meinung. Im Gegenteil, man kann die Verwaltungsreform auf Grund setzen, in- Der Deutsche Bundestag sollte den von der Bun- dem man ihr von Anfang an den größten Widerstand desregierung vorzulegenden Bericht diskutieren von seiten der Beschäftigten entgegensetzt. und die wichtigsten Empfehlungen zur Verwal- tungsmodernisierung beschließen. Daher heißt auch die erste Regel für kluge Refor- mer nicht, möglichst viel Widerstand gegen eine Re- Das scheint mir eine höchst problematische Formu- form, sondern die höchstmögliche Motivation für lierung zu sein. diese Reform gerade auf seiten der Beschäftigten zu (Otto Schily [SPD]: Wir können doch Emp organisieren. fehlungen beschließen! Dürfen wir der Bun (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN desregierung nichts mehr empfehlen? Wo sowie des Abg. Otto Schily [SPD]) sind wir denn? - Gegenrufe von der CDU/ CSU - Otto Schily [SPD]: Wenn die Bundes Deswegen brauchen wir zuallererst Klarheit. Das regierung schon keinen Rat mehr annimmt, Bundeskabinett hat sich zwar in einer Unterrichtung Empfehlungen sollte sie doch wenigstens für die Straffung von Bundesbehörden ausgespro- entgegennehmen!) chen, und Herr Schlee hat ja vieles gesagt, was man sich alles vornimmt; Vizepräsident Hans Klein: Ich erteile der Kollegin (Dietmar Schlee [CDU/CSU]: Was gemacht Antje Vollmer das Wo rt. wurde, habe ich gesagt!) aber in der Praxis bleibt es vollkommen nebulös, wie Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): denn die Behörden besser organisiert werden sollen. Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und -Kollegen! Es Es geht also um Entscheidungen. Das ist das wichtig- fällt auf, daß wir heute erneut über den schlanken ste. Staat, dieses phantastische Fabelwesen, diskutieren, Der zweite Grundsatz heißt: Es muß ein grundsätz- (Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/ licher Reformansatz und nicht ein Stückwerk einmal DIE GRÜNEN]: Hört! Hört! Phantastisches hier und einmal da her. Auf dem Weg befindet sich Fabelwesen!) aber lediglich ein Entwurf zur Reform des öffentli- ohne daß von der Koalition ein Gesetzentwurf dazu chen Dienstrechtes und gerade nicht der von uns, vorliegt. Dabei war der schlanke Staat eines der er- und zwar von der gesamten Opposition, eingefor- sten und wichtigsten Reformversprechen dieser Le- derte grundsätzliche Ansatz einer Reform aller öf- gislaturperiode. fentlichen Verwaltungen. (Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/ Der dritte Grundsatz betrifft das Tempo. Wir disku- DIE GRÜNEN]: So ist es!) tieren hier nicht über das Jahr 2000 xy. Vom Berlin- 7998 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 90. Sitzung. Bonn, Freitag, den 1. März 1996

Dr. Antje Vollmer Umzug - deswegen möchte ich jetzt unseren Antrag Vizepräsident Hans Klein: Zu einer Kurzinterven- erklären - könnten ein deutliches Signal und auch tion erteile ich dem Kollegen Hans-Ulrich Klose das das notwendige Tempo für diese Reformen ausge- Wort. hen. Äußere Mobilität kann - das ist die Chance der Stunde, und man muß sie nutzen - große innere Mo- Hans-Ulrich Klose (SPD): Herr Präsident! Meine bilität und sogar Motivation bei den Beschäftigten er- sehr geehrten Damen und Herren! Ich beziehe mich zeugen. Man muß das aber auch wollen und darf auf den Diskussionsbeitrag von Frau Vollmer und diese Stunde nicht verstreichen lassen. spreche als derzeitiger Vorsitzender der Personal- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, und Sozialkommission. bei der SPD und der PDS) Natürlich muß man beim Umzug Bonn-Berlin spa- Der vierte Grundsatz für kluge Reformer: Wir set- ren. Natürlich muß man jeden Versuch unternehmen, um die Leistungsfähigkeit des öffentliches Dienstes zen auf gute Vorbilder. Deswegen haben wir in un- serem Antrag auch all das aufgegriffen, was der Bun- zu erhöhen und die administrativen Strukturen zu desrechnungshof der Regierung ins Stammbuch ge- verbessern. Vorrangig ist das Ziel, die Funktionsfä- schrieben hat, nämlich was die öffentlichen Institu- higkeit von Institutionen, Regierung und Parlament tionen auf Bundesebene an Vorbildfunktion für die aufrechtzuerhalten und, wenn es geht, noch zu ver- Verwaltungen auf Landes- und kommunaler Ebene bessern. erfüllen könnten, wenn sie es denn praktizierten. In (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) diesen Bereich gehört unser Vorschlag, den wir das letzte Mal gemacht haben: Sie müssen eine Muster- Es gibt aber - darauf weise ich mit Nachdruck hin - behörde, meinetwegen das Innen- oder das Finanz- formulierte Umzugsziele. Diese lauten: Der Umzug ministerium, benennen, die einmal zeigt, wie es soll, soweit wie eben möglich, freiwillig erfolgen. Er geht. soll jedenfalls sozialverträglich erfolgen. (Dr. [F.D.P.]: Richtig!) In Wahrheit wissen aber alle: Der Frühling der Re- formen der Verwaltungen ist in den Kommunen und Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sollen generell auch in einigen Ländern ausgebrochen. Die Aktivitä- nicht schlechter gestellt werden, als sie bei einem ten auf der Bundesebene fallen vor diesem Hinter- Verbleib in Bonn stehen würden. grund dramatisch zurück. Zu all diesen Punkten gibt es sehr dezidierte Aus- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) sagen der Bundesregierung, des Bundestages, der Kommission des Ältestenrates, des Haushaltsaus- Also: Die Chance für den großen Wurf gibt es nur schusses, der Fraktionen und auch der Personal- und jetzt. Leider macht die Regierung das, was sie sonst Sozialkommission der vorigen Legislaturpe riode. immer der Verwaltung vorwirft: Sie steuert nicht, sondern rudert. Ich möchte hier mit großer Deutlichkeit sagen: Zu- sagen sind, soweit das tatsächlich möglich ist, einzu- (Otto Schily [SPD]: Sie paddelt!) halten, Wir sind für eine Reform. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) (Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Wer rudert, auch gegenüber den Mitarbeiterinnen und Mitarbei- kann auch nicht steuern!) tern des öffentlichen Dienstes. Dies sage ich, obwohl oder gerade weil der öffentliche Dienst immer ein be- - Sie rudert, ohne voranzukommen. - Die konkreten liebtes Stammtischthema ist. Auch gegenüber unse- Vorschläge finden Sie in unserem Antrag. In den vier ren Mitarbeitern gilt das gegebene, nicht das gebro- Minuten Redezeit, die mir zur Verfügung stehen, chene Wort . kann ich dazu leider nichts sagen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie Ich möchte aber noch auf das Grundprinzip hin- bei der CDU/CSU und der F.D.P.) weisen. Grundprinzip aller unserer Überlegungen muß sein: Jeder, der umzieht, schleppt entweder das Zur Replik Frau Kolle- gesamte alte Gerümpel unsortiert mit, oder er tut, Vizepräsident Hans Klein: gin Vollmer. was vernünftig ist: Er entrümpelt, schafft Platz für neue Aufgaben und neue Perspektiven und setzt darauf, daß es in den Verwaltungen eine Menge in- Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): telligenter Leute gibt, die genau diese Chance zu Herr Kollege Klose, zu Beginn meiner Antwort nutzen verstehen. Wer unseren Mitarbeitern diese möchte ich zunächst einmal meinen Respekt vor der Perspektive nicht zutraut, der unterfordert sie total. sicherlich sehr schwierigen Aufgabe, die Sie als Vor- Eine solche Unterforderung wäre aber töricht und sitzender der Personalkommission haben, ausspre- läge übrigens unterhalb der Intelligenz, die auch chen. Ich weiß, daß Sie damit etwas ausführen, was vom öffentlichen Arbeitgeber dringend gefordert ist. dieses Parlament beschlossen hat. Danke. Ich möchte aber die Gelegenheit nutzen, daß fünfte Kriterium zu nennen, das ich in meiner Rede (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN aus Zeitgründen nicht mehr nennen konnte. Außer und der PDS sowie bei Abgeordneten der den Prinzipien der Klarheit, des Tempos, des gesamt- SPD) heitlichen Ansatzes und des Vorbilds gilt das Prinzip Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 90. Sitzung. Bonn, Freitag, den 1. März 1996 7999

Dr. Antje Vollmer der Ehrlichkeit. Ich finde, daß auch dieses Parlament heißt also: Stärkung der Befugnisse der einzelnen gegenüber den eigenen Mitarbeitern der Bundesbe- Dienststelle und des einzelnen Beamten. hörden in bezug auf das, was in der jetzigen Situa- tion einzuhalten möglich ist, ehrlich sein muß. Ich Die Kommunen - ich erinnere an den Artikel im glaube, daß manche der Versprechen - ich will es „General-Anzeiger" über die Gemeinde Wesseling einmal so sagen - etwas vollmundig waren und nicht bei Bonn oder an die Erfahrungen, die man als Kom- auf die wirklich schwierige Situation heute ange- munalpolitiker in Städten wie Passau mit Modellver- wandt werden können. suchen gemacht hat - haben mit ihren Reformvorha- ben und mit ihren Modellvorhaben zur inneren Ver- Es gibt - das weiß jeder - für die Betroffenen, die waltungsreform sehr gute Erfahrungen gemacht. Es umziehen müssen, eine ganze Menge großer sozialer ergab sich eine größere Motivation der Bediensteten, und auch persönlicher Härten. Die kann dieses Parla- und die Reformen führten zu Kosteneinsparungen, ment aber auch nur in dem Rahmen berücksichtigen, was wiederum allen Bürgerinnen und Bürgern zu- wie es auch bei Beschäftigten anderer Behörden oder gute kommt. Zu Recht zieht daher der Bund nach. anderer gesellschaftlicher Gruppen berücksichtigt Es ist nicht richtig, daß nichts geschehen ist. Es wird. Wir leben in einer Gesellschaft, in der eine gibt ja auch beim Bund Beispiele für die Budgetie- ganze Menge Leute ein ungeheures Maß an Mobili- rung. Ich nenne etwa: THW, Bundeszentrale für poli- tät und Veränderung abgezwungen wird. Dieses gilt tische Bildung, Bundesamt für Sicherheit in der Infor- auch für die Bediensteten in unserem Verantwor- mationstechnik. Wir müssen uns aber auch über ei- tungsbereich. nes im klaren sein: In dem Moment, wo wir finan- Deswegen denke ich, daß diese Debatte vielleicht zielle Verantwortung stärker nach unten delegieren, ein wichtiger Anfang ist, um mit denen ehrlich über nehmen wir unsere eigenen Mitwirkungs- und Mit- das zu reden, was einzuhalten ist, und sehr genau zu entscheidungsbefugnisse als Politiker zurück. Das ist sortieren, wo die Härtefälle sind, die Anspruch auf gewollt, und das ist auch ein Zeichen von weniger größte Schonung haben, und wo die Gruppen und Staat, zu dem wir uns bekennen, was wir aber auch die Besserbezahlten sind, denen man nun den Grad ganz klar ansprechen müssen. an Mobilität, und zwar ohne zusätzliche finanzielle Der Gesetzentwurf zur Dienstrechtsreform sieht Versüßung, abverlangen kann, den man anderen dagegen in einem Punkt keine Gefolgschaft gegen- Gruppen von Beschäftigten in anderen Gesell- über dem vor, was aus den Ländern kommt, nämlich schaftsbereichen jederzeit zumutet. Für diese Ehr- bei der Frage, ob künftig Führungspositionen im öf- lichkeit wollte ich plädieren. fentlichen Dienst nur noch auf Zeit vergeben werden (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sollen. Ich wundere mich insbesondere, daß die Grü- und der PDS sowie bei Abgeordneten der nen dieses Vorhaben, was in trauter Einhelligkeit SPD) von Frau Simonis und Herrn Stoiber gefordert wird, als fortschrittlichen Reformschritt mißverstehen.

Vizepräsident Hans Klein: Das Wort hat der Kol- (Dr. Antje Vollmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ lege Dr. Max Stadler. NEN]: Wissen Sie nicht, daß Herr Stoiber zu den Grünen gehört?)

Dr. Max Stadler (F.D.P.): Herr Präsident! Meine sehr In Wahrheit geht es hier doch um die Politisierung geehrten Damen und Herren! Bürokratieabbau, des öffentlichen Dienstes, die von jedem, der für eine schlanker Staat, Verwaltungsreform sind seit langem unabhängige Beamtenschaft eintritt, nicht ge- zentrale Themen der F.D.P.-Politik. Ich erinnere etwa wünscht werden kann. an die Initiative der F.D.P.-Innenpolitiker im Bundes- (Beifall bei der F.D.P. - Albe rt Schmidt tag vom April 1995. Die F.D.P.-Fraktion unterstützt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: daher mit Nachdruck die Bestrebungen der Bundes- Aber Herr Stadler, das glauben Sie doch regierung und der Koalition zur Reform der öffentli- selber nicht!) chen Verwaltung. Nun ist von Herrn Körper und anderen die zeitli- In einem wichtigen Teilbereich sind wir schon sehr che Abfolge unseres Vorgehens kritisiert worden. Ich weit. Noch in diesem Monat oder spätestens im Ap ril sage Ihnen aber eines: Wer in diesem komplexen Be- wird der Innenausschuß mit der bevorstehenden- reich alles auf einmal reformieren will, wird am Ende Dienstrechtsreform befaßt werden. Diese ersetzt überhaupt nichts bewirken. Deswegen ist es richtig, selbstverständlich nicht die notwendige innere Ver- daß wir jetzt do rt Entscheidungen treffen, wo die waltungsreform, steht aber damit in einem engen Zu- Vorarbeiten weit genug gediehen sind. Das ist eben sammenhang. Sie verfolgt nämlich die Leitziele: so bei der Dienstrechtsreform. Gleichzeitig gehen wir mehr Flexibilität im öffentlichen Dienst, höhere Lei- die innere Verwaltungsreform an und führen auch stungsanreize, größere Mobilität. dort Schritt für Schritt die notwendigen Entscheidun- gen herbei. All dies gehört untrennbar zur inneren Reform. Denn wir wollen mit der inneren Verwaltungsreform Eine gute Grundlage dafür ist der wirklich bemer- zum Beispiel die Einführung der kaufmännischen kenswerte Zwischenbericht des Sachverständigenra- Buchführung, die Budgetierung und damit insgesamt tes „Schlanker Staat" vom Januar 1996, auf dessen die Delegation von Verantwortung nach unten, auch Einzelheiten ich jetzt aus Zeitgründen nicht mehr und gerade im finanziellen Bereich, erreichen. Das eingehen kann. Wir werden den Empfehlungen die- 8000 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 90. Sitzung. Bonn, Freitag, den 1. März 1996

Dr. Max Stadler ses Sachverständigenrates im Innenausschuß ebenso Demgegenüber steht eine Bundesbürokratie mit größte Aufmerksamkeit schenken wie natürlich auch einer immer schneller laufenden Gesetzgebungsma- großen Teilen des Antrags der SPD und auch des An- schinerie, die inzwischen bei zirka 2 000 Gesetzen, trags der Grünen. 3 000 Rechtsverordnungen und 85 000 Einzelvor- schriften angekommen ist. In diesem Zusammen- Über den Berlin-Umzug wird allerdings auf Grund hang sind sowohl Normprüfungsverfahren als auch einer Großen Anfrage ohnehin gesondert noch ein- eine Zusammenarbeit - ich betone: eine Zusammen- mal debattiert werden müssen. arbeit - von Politik und Verwaltung sehr zu begrü- ßen. Lassen Sie mich zum Schluß noch eine kleine An- merkung machen, meine Damen und Herren, die vor allem die Juristen unter uns betrifft und die offenbar Die jährlichen Berichte des Bundesrechnungshofes alle nach einem oder zwei Semestern Jura in dieser belegen Verschwendung von Steuergeldern in Mil- Frage schon verdorben sind. Mir scheint, es ist auch liardenhöhe, ohne daß die Bundesregierung Konse- ein Bürokratieabbau in unserem eigenen Sprachge- quenzen zieht. Gespart wird immer noch bei den so- brauch notwendig. zialen Leistungen zu Lasten der Schwächsten. (Beifall des Abg. Albe rt Schmidt [Hitzhofen] Wenn der Innenminister in einem Inte rview mit [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) dem Deutschen Beamtenbund sagt, daß die Struktu- ren der öffentlichen Verwaltung insgesamt auf dem - Sie klatschen zu früh. - Wenn ich mir etwa den heu- Prüfstand stehen, dann frage ich mich, warum erst tigen Antrag der Grünen zu Gemüte führe, dann nach der Reform des öffentlichen Dienstrechts als wimmelt es dort nur so von „Ich gehe davon aus", zweiter Schritt die Reform der öffentlichen Verwal- „Es gibt besonders gelagerte Ausnahmefälle" und tung vorgesehen ist. Notwendige Verwaltungsrefor- ähnlichen Bürokratismen, so daß ich uns allen übers men lediglich mit Dienstrechtsregelungen zu begin- Wochenende als Pflichtlektüre die Broschüre nen bleibt zwangsläufig Stückwerk ohne bedeutsa- „Amtsdeutsch heute" von Walter Otto empfehlen men Nutzen. möchte. (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU Wenn ich mir alles richtig anschaue, geht es doch, sowie der Abg. Otto Schily [SPD] und soweit wir ehrlich sind, weniger um Reformen als im- Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/ mer wieder nur um finanzielle Einsparungen. Kurz, DIE GRÜNEN] - Dr. Antje Vollmer [BÜND die Personalkosten sind zu hoch, also muß gekürzt NIS 90/DIE GRÜNEN]: Was bürokratisch ist werden. So wird das aber alles nichts. Stellenabbau an dem Ausdruck „Ich gehe davon aus", und Privatisierung lösen dieses Problem nicht. Inso- weiß ich nicht!) fern ist es sehr wichtig, den Umzug nach Berlin für eine Reform der Bundesverwaltung tatsächlich zu - Das gehört ins Wörterbuch des Unmenschen. nutzen, und zwar eben nicht für einen Prozeß des Abstoßens sozialer Aufgaben und der Wahrung von Besitzständen der Bundesbeamten. Nötig ist eine Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Das Wort hat die Reform durch Demokraten - nicht durch Technokra- Kollegin Maritta Böttcher, PDS. ten -, die, gemeinsam mit den Beschäftigten durch- geführt, über eine gründliche Aufgabenanalyse mit Hilfe sinnvoller Reformprojekte zu effizienten Struk- Maritta Böttcher (PDS): Herr Präsident! Meine Da- turen für Bürgerinnen und Bürger und damit auch zu men und Herren! Mit den vorliegenden Anträgen mehr Motivation der Beamten und Angestellten wird an das Problem der Verwaltungsreform auf ei- führt. Diesen Weg weisen beide Anträge und finden ner Ebene herangegangen, die ich für außerordent- daher auch unsere Unterstützung. lich wichtig und notwendig halte. Sie stellen die Mo- dernisierung der Bundesverwaltung in den Mittel- (Beifall bei der PDS sowie der Abg. Dr. Antje punkt und unterbreiten durchaus brauchbare Vor- Vollmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) schläge, Herr Kollege Schlee, wie man da herange- hen kann. Wenn man das ganze Gerede vom schlanken Staat - Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Das Wort hat der einmal mit der Realität vor allem in den neuen Län- Parlamentarische Staatssekretär Horst Waffen- dern konfrontiert, so fällt auf, daß der Staat in erster schmidt. Linie dort abgebaut wird, wo er soziale Funktionen erfüllt, nämlich vor Ort, in den Kommunen. Es geht um nicht mehr und nicht weniger als um die Zerstö- rung der kommunalen Selbstverwaltung durch die Dr. Horst Waffenschmidt, Parl. Staatssekretär beim Kommunalisierung der Folgelasten der Massenar- Bundesminister des Innern: Herr Präsident! Meine beitslosigkeit. Die Ausgaben wachsen, die Einnah- sehr verehrten Damen und Herren! Ich habe mich zu men sinken, das Finanzierungsdefizit steigt. Selbst- Wort gemeldet. verwaltung von Städten und Gemeinden verkommt durch die gegenwärtige Finanzpolitik zum Schlag- (Dr. Antje Vollmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ wort. Um so lobenswerter sind die Initiativen und Ak- NEN]: Es handelt sich doch nicht um eine tivitäten der Mitarbeiter auf kommunaler Ebene. Aussiedlerfrage!) Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 90. Sitzung. Bonn, Freitag, den 1. März 1996 8001

Parl. Staatssekretär Dr. Horst Waffenschmidt - Liebe Frau Kollegin Vollmer, als Staatssekretär im haben, kann sich weiß Gott sehen lassen, auch Bundesinnenministerium ist man nicht nur für Aus- gegenüber den Grünen. siedler, sondern auch für viele andere Dinge zustän- dig. Das wissen Sie doch. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) (Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten Nun aber zur Straffung und Teilabschaffung von der CDU/CSU) Behörden. Gerade in der letzten Sitzungswoche - aber ich glaube, Herr Kollege Körper, Sie hatten Ich rede sehr gern heute morgen mit Ihnen, gerade nicht die Chance, hierzusein - hat die Bundesregie- auch mit Ihnen, Frau Kollegin Vollmer, über das Ge- rung in einem langen Bericht an das Parlament vor- setz für die Erleichterung von Verwaltungsverfahren getragen, was sie alles zur Straffung und Neuorgani- und über die Verwaltungsreform. Denn das ist ein sation der öffentlichen Verwaltung unternimmt. Es Testfall, der belegen kann, wie ernst Sie es mit Ihren hat breit in der Presse gestanden. Ich darf doch Absichten in bezug auf die Beschleunigung meinen. darum bitten, daß wir, wenn wir zusammenarbeiten wollen, uns gegenseitig konzedieren, wenigstens das (Beifall bei der CDU/CSU - Joachim Hörster zur Kenntnis zu nehmen, was alles auf den Weg ge- [CDU/CSU]: Das ist wahr!) bracht worden ist. In dieses Gesetzeswerk haben wir nämlich die Vor- schläge, die in wichtigen Kommissionen, auch von (Beifall bei der CDU/CSU) Fachleuten der Wirtschaft und Verwaltung, geprüft Wenn dann hier von der Dienstrechtsnovelle ge- wurden, aufgenommen. Nur, als das Gesetzgebungs- sprochen wird, möchte ich sagen: Das soll man doch verfahren eingeleitet wurde, sind viele Leute, die ge- nicht so kleinreden. Das ist ganz wichtig. Wir müssen rade Ihrer politischen Ansicht, Frau Vollmer, naheste- mit den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern darüber hen, aufgestanden und haben fälschlicherweise reden, und das geschieht. schon den Untergang des Umweltschutzes prophe- zeit, weil wir jetzt Erleichterungen bei Verwaltungs- Es gibt immer mehr Modelle für die Budgetierung. verfahren vorsehen. Wir hatten erst drei; jetzt haben wir schon sechs. Das stärkt ja gerade die Verantwortung der Mitarbeiterin- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) nen und Mitarbeiter im öffentlichen Dienst. Wenn sie Da sollten Sie einmal ganz gut hinhören. eine bestimmte Summe bekommen, machen sie es besonders gut, und wenn sie vielleicht noch etwas Ich möchte, daß wir einmal folgendes zur Kenntnis einsparen, haben sie zusätzlichen Spielraum. nehmen - das möchte ich auch dem lieben Kollegen Körper sagen -: Wir können nur dann zusammenar- (Wolf-Michael Catenhusen [SPD]: Etwas beiten, wenn wir wenigstens zur Kenntnis nehmen, völlig Neues!) was wir schon alles gemacht haben und machen. Ich finde, daß ein Budgetierungssystem, das Gott sei dank inzwischen auch bei Ländern und Gemeinden Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Herr Kollege eingeführt ist, ein ganz exzellentes Mittel ist, zu spa- Waffenschmidt, gestatten Sie eine Zwischenfrage der ren und voranzukommen. Kollegin Vollmer? (Otto Schily [SPD]: Sie sind doch gar nicht der Vorreiter! Sie bringen das doch völlig Dr. Horst Waffenschmidt, Parl. Staatssekretär beim durcheinander! - Dr. R. Werner Schuster Bundesminister des Innern: Der Kollegin Vollmer ge- [SPD]: Die Gemeinden haben angefangen!) statte ich das immer. - Ich bin doch sehr dafür, wenn auch Gemeinden hier etwas machen, Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Staatssekretär, darf ich das so verstehen, daß - (Wolf-Michael Catenhusen [SPD]: „Auch"? wie ich schon immer vermutet habe -, die Hauptab- „Auch"!) sicht Ihrer Deregulierungsvorschläge und der Reform der öffentlichen Verwaltung im Abbau von Errun- aber nehmen Sie doch bitte zur Kenntnis, daß die genschaften zum Beispiel im Bereich des Umwelt- Bundesregierung sechs Modelle erprobt. schutzes besteht? Wenn das so wäre, bestünde- unser Widerstand wohl zu Recht. (Otto Schily [SPD]: Das ist doch das Pro blem!) (Zuruf von der CDU/CSU: Blödsinn!) Das muß man doch auch hier sagen und zur Kenntnis bringen. Dr. Horst Waffenschmidt, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister des Innern: Frau Kollegin - das (Otto Schily [SPD]: Tun Sie nicht so arro- möchte ich als Antwort und Bitte vortragen -, da soll- gant, Herr Waffenschmidt, die haben ten Sie sich doch zurückhalten; denn Sie wissen, daß begonnen! Sie kommen sehr spät! - Wolf die Absicht der Regierung und der Koalition ist, Michael Catenhusen [SPD]: Sie sind die Erleichterungen im bürokratischen Ablauf zu schaf- Nachhut! - Dr. Antje Vollmer [BÜNDNIS 90/ fen. Was wir alles von uns aus an Vorschlägen für DIE GRÜNEN]: Zählen Sie die Budgetie den Umweltschutz vorgetragen und durchgesetzt rungsmodelle der Bundesregierung auf!) 8002 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 90. Sitzung. Bonn, Freitag, den 1. März 1996

Parl. Staatssekretär Dr. Horst Waffenschmidt Nächster Punkt. Herr Kollege Klose, der amtie- vorgeschlagen. - Keine Einwände. Dann ist so be- rende Präsident, hat schon darauf hingewiesen, daß schlossen. beim Berlin-Umzug gewisse Eckwerte einzuhalten sind. Nun muß ich aber sagen: Diese Eckwerte wer- Ich rufe Tagesordnungspunkt 12 auf: den natürlich eingehalten, aber wir sind doch gleich- wohl in den Ministerien dabei, zu prüfen: Was muß Beratung des Antrags der Abgeordneten unbedingt Ministeriumsaufgabe bleiben? Was kann Dr. Günther Maleuda, Eva Bulling-Schröter, in Behörden verlagert werden? Im Zuge dieser gan- Dr. Christa Luft, Dr. Gregor Gysi und der zen Arbeit wird das gemacht. Gruppe der PDS Privatisierung von Wald in Naturschutzgebie- Jetzt darf ich Ihnen noch etwas Interessantes er- ten zählen. Wir sind doch alle neugierig gewesen, was Sie so bringen würden. Da gab es viele alte Hüte. - Drucksache 13/2905 - Jetzt will ich Ihnen noch etwas Neues erzählen. Wir Überweisungsvorschlag: wollen bei der Ministerialverwaltung die Struktur Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten selbst überprüfen. Ich bin der Meinung, daß man (federführend) Rechtsausschuß zum Beispiel mehrere Referate in Arbeitsgruppen zu- Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit sammenfassen kann. Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat ist für die (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen, wobei und der F.D.P.) die Gruppe der PDS fünf Minuten Redezeit erhalten Das ermöglicht einen flexiblen Einsatz der wertvol- soll. - Kein Widerspruch. Dann ist so beschlossen. len Mitarbeiter. Ich eröffne die Aussprache. Das Wo rt hat die Kolle- (Dr. Antje Vollmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ gin Bulling-Schröter, PDS. NEN]: Ganz toll! - Wolf-Michael Catenhu sen [SPD]: Dann mal los!) Eva Bulling-Schröter (PDS): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn - Wir sind dabei. man § 1 der Verordnung über den Erwerb land- und (Otto Schily [SPD]: Seit 13 Jahren!) forstwirtschaftlicher Flächen - kurz: Flächenerwerbs- verordnung - liest, dann könnte man schnell zu dem Ich kann Ihnen einen Organisationsplan schicken, Schluß kommen: Über den Antrag der PDS ist die damit Sie gut informiert sind. Zeit hinweggegangen. Die in der Flächenerwerbs- Zwei Punkte zum Schluß. Der Sachverständigen- verordnung getroffenen Festlegungen berücksichti- rat „Schlanker Staat" unter Leitung unseres Kolle- gen die Forderungen des PDS-Antrags nach Nicht- gen Professor Scholz hat einen Zwischenbericht über privatisierung des Waldes. Die PDS hat ihren Antrag die Aktionen und Initiativen vorgelegt, die bereits jedoch aus guten Gründen nicht zurückgezogen. auf den Weg gebracht wurden. Das geschah übri- Neben der Bundestagsgruppe der PDS haben übri- gens auch unter sachverständiger Assistenz von Mit- gens auch die Landesregierungen hartnäckig auf arbeitern und Beratern, die nicht aus der öffentlichen den Forderungen nach Nichtprivatisierung der Na- Verwaltung kommen. turschutzflächen bestanden. Wir hoffen, daß sie des- Ich will eine letzte Feststellung treffen. Ich leite seit halb nicht mit einer Rote-Socken-Kampagne überzo- gen werden, wie das manchmal üblich ist. Die Hal- einigen Jahren eine Entbürokratisierungskommis- tung der Landesregierungen zeigt an dieser Stelle sion des Bundes. Wir haben da etliches zuwege ge- bracht. Gestern hatten wir die Freude, daß der Herr Realitätssinn und ein Stück Verantwortung für die Zukunft. Bundespräsident diese Kommission, in der auch Freunde Ihrer politischen Richtung mitarbeiten, emp- Dagegen predigt die Bundesregierung wieder ein- fangen hat. Er hat uns folgendes mit auf den Weg ge- mal altbekannte Rezepte: Privatisierung und freie geben, womit ich hier schließen will: Diese Aufgabe Marktwirtschaft als Allheilmittel. Die Folgen einer kann man nur wahrnehmen, wenn man versucht, solchen Strategie sind recht handfest und insbeson- tausend Schritte zu gehen - es wird also notwendig dere im Osten dieser Republik zu besichtigen. Die sein, viele, viele Einzelheiten zu erarbeiten -, und Tierproduktion fiel in den neuen Bundesländern auf wenn man in der gesamten Arbeit nie nachläßt.- Dazu unter 50 Prozent des Standes von 1989. Die Zahl der möchte ich uns alle einladen. Ich finde, es ist eine Beschäftigten in der Landwirtschaft ist im selben wichtige Aufgabe. Wir sollten zusammenarbeiten, Zeitraum auf unter 20 Prozent gesunken. gegenseitig aber auch wahrnehmen, was Gutes schon geschehen ist. Doch zurück zum Thema. Der Antrag der PDS und die jetzt von den Ländern durchgesetzte Regelung ist Herzlichen Dank. nur ein Schritt in der uns bevorstehenden Auseinan- dersetzung über das Wechselverhältnis von „Ge- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) währleistung des Eigentums" und „Gemeinwohl- pflicht des Eigentums", wie sie im Grundgesetz fest- Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Ich schließe die geschrieben sind. Solche Gesetzesvorhaben wie das Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung der Bodenschutzgesetz oder die Novellierung des Bun- Vorlagen auf den Drucksachen 13/3582 und 13/3902 desnaturschutzgesetzes kommen vor allem deswe- an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse gen nicht voran, weil die Ausgleichsansprüche der Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 90. Sitzung. Bonn, Freitag, den 1. März 1996 8003

Eva Bulling-Schröter Bodenbesitzer für Wirtschaftserschwernisse durch sens darüber, wie Naturgüter zukünftig in die Eigen- Umweltauflagen und deren Finanzierung ungeklärt tumsordnung der Bundesrepublik einzuordnen sind. sind. Die Notwendigkeit des ökologischen Umbaus der Wirtschaft wird von kaum jemandem bestritten. (Abg. [CDU/CSU] meldet Doch nach Auffassung der Landbesitzer sollen die sich zu einer Zwischenfrage - Wolfgang Kosten dafür die Gesellschaft, nicht jedoch die Schä- Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/CSU]: Herr diger der Umwelt tragen. Präsident!) - Nein, ich bin jetzt gleich mit meiner Rede am Ende. Die Bundesregierung beabsichtigte mit ihrem Ent wurf der Flächenerwerbsverordnung ursprünglich, Letzter Satz. Das Grundgesetz bietet mit seinen alle Bodenreformflächen zu Sonderkonditionen zu Art. 14 und 15 einen breiten Handlungsspielraum; er privatisieren, um danach den Eignern in Natur- muß unter Berücksichtigung der Überlebensinteres- schutzgebieten im Rahmen des Vertragsnaturschut- sen der Menschen in einer gesunden Umwelt und für zes Abfindungen zu bezahlen. eine nachhaltige Wirtschaftsentwicklung verantwor- tungsbewußt genutzt werden. Die jetzt gefundene Lösung erlaubt eine land- und forstwirtschaftliche Nutzung der Flächen auf Pacht- (Beifall bei der PDS) basis und gleichzeitig die Einhaltung gesellschaftlich erstrebter Regeln des Umwelt- und Naturschutzes. Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Das Wort hat Sie erleichtert regionalpolitische Entscheidungen jetzt der Kollege Wilhelm Dietzel, CDU/CSU. und festigt die wirtschaftspolitische Position demo- kratisch gewählter Vertretungen Wilhelm Dietzel (CDU/CSU): Herr Präsident! Die Pächter können im Rahmen der Vorgaben un- Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der vorlie- ternehmerisch tätig werden. Das Land hat in Form gende Antrag hat die Flächenerwerbsverordnung der Pacht regelmäßig fließende Einnahmen. Die als Grundlage. Diese ist am 29. Dezember 1995 im Pachteinnahmen haben gegenüber einmaligen Ver- Bundesgesetzblatt verkündet worden und seit kaufserlösen den Vorteil, daß unsere Kinder und En- 30. Dezember 1995 in Kraft. kel, alle unsere Nachfahren, die Möglichkeit haben, darüber zu entscheiden, wie die Einnahmen verwen- Wenn man sich die Entwicklung bis hierher einmal det werden sollen. ansieht, dann ist anzumerken, daß das Bundeskabi- nett diese Flächenerwerbsverordnung bereits am Der Antrag der PDS bleibt weiterhin aktuell, weil 4. Mai 1995 beschlossen hat. Der Bundesrat hat sich die Nichtprivatisierung auf Flächen beschränkt im September letzten Jahres hiermit befaßt. Wenn bleibt, die als Naturschutzflächen schon „festgesetzt ich davon ausgehe, daß es zwischen der Bundesre- oder einstweilig gesichert sind oder das Unterschutz gierung und den Bundesländern in vielen Bereichen stellungsverfahren förmlich eingeleitet ist". Der Pri- erhebliche Unterschiede gegeben hat, so muß ich vatisierungsprozeß wird sich jedoch über mehrere auch feststellen, daß diese unterschiedlichen Mei- Jahre hinziehen. In dieser Zeit können neue Anfor- nungen ausnahmslos ausgeräumt werden konnten, derungen an den Naturschutz entstehen. Auch dann so daß diese Verordnung pünktlich in Kraft treten muß es noch möglich sein, diese Anforderungen konnte. durch eine Nichtprivatisierung des Bodens zu reali- Ich darf anmerken, daß in diesem Verfahren der sieren. Antrag der PDS vom 7. November 1995 wohl verspä- (Günther Bredehorn [F.D.P.]: Um Gottes wil tet war. Wenn man hier einmal ein kurzes Zwischen- len!) resümee zieht, so ist zu sagen, daß dieses Thema für uns eigentlich erledigt ist. Für die weitere Beratung des PDS-Antrags spricht Wir müssen die Frage stellen, weshalb dieser An- auch der Umstand, daß die Flächenerwerbsverord- trag aufrechterhalten bleiben soll und welche Dinge nung ihre Prüfung vor dem Bundesverfassungsge- bezüglich des Ablaufs noch angemerkt werden sol- richt noch bestehen muß. len. Offensichtlich hat der Antragsteller den Zeit- punkt verschlafen, als die Diskussion noch im Gange (Günther Bredehorn [F.D.P.]: Das wird sie war und noch Einfluß genommen werden konnte. hoffentlich nicht bestehen!) - Oder es ist zu vermuten, daß bei diesem Thema ein Die Bundesregierung und die Landesregierungen billiges Nachkarten vorliegt. Machen wir uns nichts sind aufgefordert, bis zum 29. Februar dieses Jahres vor: Diesem wird die CDU/CSU nicht zustimmen. ihre Stellungnahme zum Antrag auf einstweilige (Beifall des Abg. Ulrich Junghanns [CDU/ Verfügung gegen die Flächenerwerbsverordnung CSU]) einzureichen. Die PDS hat deshalb im Agraraus- schuß den Antrag gestellt, die Bundesregierung Wenn ich die Entwicklung in diesem Bereich ein- möge den Ausschuß über die Stellungnahme der mal betrachte, daß das Kabinett im Mai letzten Jah- Bundesregierung informieren, und der Ausschuß res ein Konzept vorgelegt und der Bundesrat im Sep- möge dazu ein Votum abgeben. tember letzten Jahres mit - zugegebenerweise - 26 Veränderungen zugestimmt hat, dann, so meine Wir brauchen schließlich eine öffentliche Debatte ich, sollte man sich auch inhaltlich mit diesem Thema und einen möglichst gesamtgesellschaftlichen Kon- befassen. 8004 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 90. Sitzung. Bonn, Freitag, den 1. März 1996

Wilhelm Dietzel Dies dient der Umsetzung des Flächenerwerbspro- der Begründung - das halte ich schon fast für skan- grammes. Hier wird geregelt: Einzelheiten zum In- dalös -: Kommunales bzw. Landeseigentum an halt und Umfang der Erwerbsberechtigung ein- Grund und Boden hat den Vorteil, daß über Flächen- schließlich Regelungen zur Berechtigung des ver- nutzung demokratisch entschieden wird. Meine Da- günstigten Kaufpreises für land- und forstwirtschaft- men und Herren, gestatten Sie mir, daß ich zu diesem liche Flächen, zweiter Punkt: das Verfahren ein- Punkt eine andere Meinung habe. schließlich der Antragsfrist, dritter Punkt: kaufver- tragliche Regelung sowie der Grundbuchvollzug und (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) als letztes: Einzelheiten zu dem bei der BVVG einge- Zum einen ist die BVVG nicht befugt, kommunales richteten Beirat, der in Streitfällen gehört werden muß. und Landeseigentum zu verkaufen. Zum anderen ist Ihnen als Antragsteller sicher aufgefallen, daß wir Bei der Einigung mit dem Bundesrat wurden zu- jetzt in einer freien Sozialen Marktwirtschaft leben. sätzlich hineingebracht: Absenkung des Kaufpreises Das zeigt mir allerdings auch, wo die gedanklichen für Kiefernflächen, Einbeziehung auch von GmbH & und ideologischen Wurzeln der Antragsteller liegen. Co KGs als Berechtigte, zusätzlich, daß Berechtigte Es gilt dort das Motto: Der Staat macht alles besser. immer Vorrang vor Nichtberechtigten haben, daß aber an Nichtberechtigte bis zu 40 000 Hektar pro (Zustimmung bei der F.D.P.) Jahr zur Verfügung gestellt werden können. Meine Damen und Herren, ich glaube auch, daß Ich glaube, daß in der vorliegenden Verordnung all das ein Ohrfeige für viele Land- und Forstwirte ist, diese Dinge, die die Antragsteller in diesen Berei- die auf ihren Flächen Hervorragendes für Natur- chen vorgeschlagen haben, entsprechend geregelt schutz und Umwelt geleistet haben, ohne vom Staat worden sind. dazu gezwungen worden zu sein, und das in einer Qualität und zu Kosten, die der Staat nie hätte auf- Inhaltlich darf ich § 1 Abs. 2 letzter Satz der Ver- bringen können. ordnung zitieren, daß Waldflächen, die (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) als Naturschutzflächen ... festgelegt oder einst- weilig gesichert sind oder das Unterschutzstel- Meine Damen und Herren, die Flächenerwerbsver- lungsverfahren förmlich eingeleitet ist ..., ordnung von Bundesregierung und Bundesrat vom dann nicht veräußert werden dürfen, wenn ihre 30. Dezember des letzten Jahres ist praxisgerecht und gut. Wir sehen keinen Grund zu Veränderun- forstwirtschaftliche Nutzung ausgeschlossen ist gen. oder ausgeschlossen werden soll. Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit. Ein zweiter Punkt: § 17 sieht vor, daß Waldflächen auch an Träger von Naturschutzprojekten verkauft (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) werden können. Soweit Waldflächen im Rahmen ei- nes Naturschutzprojektes von dessen Träger erwor- ben werden, ist ein Ausgleich für naturschutzrecht- Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Das Wort hat der liche Nutzungsbeschränkungen ausgeschlossen. Kollege Ernst Bahr, SPD-Fraktion. Meine Damen und Herren, wir sind der Meinung, daß damit die Dinge für uns geregelt sind, so daß wir Ernst Bahr (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! auch in Zukunft nach unserem jetzigen Erkenntnis- Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Herr Diet- stand damit leben können. zel, ich stimme Ihren Ausführungen in weiten Teilen zu - inhaltlich auf jeden Fall -; das werden Sie an Ich will an die Ausführungen meiner Vorrednerin meinem Redebeitrag auch merken. anknüpfen und noch einen Punkt ansprechen. Die einstweilige Anordnung gegen diese Verordnung - Allerdings bin ich schon der Auffassung, daß staat- die Bundesregierung mußte bis gestern antworten - liche Einrichtungen sehr wohl rentabel und effizient hatte mit diesem Antrag und dieser Verordnung arbeiten können. Das ist schon bisher unter Beweis nichts zu tun, sondern ausschließlich etwas mit Ent- gestellt worden. Ich denke, daß das auch weiterhin eignungen bis zum Jahre 1949 und kann hier als Dis- gesichert werden kann. Es ist nur eine Frage, ob die kussionsgrundlage sicher nicht verwertet werden. Institutionen noch ordnungsgemäß geleitet werden. Meine Damen und Herren, lassen Sie mich noch Das ist heute aber schon Thema dieser Debatte ge- zwei Bemerkungen zum Antrag der PDS machen: wesen. Einmal wurde dort angemerkt, daß Naturgüter gene- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ rell nicht der Vermarktung zugeführt werden sollen, DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der weil sie Gemeingut sind. Diese Meinung teile ich PDS) ausdrücklich nicht. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Der Wald ist für uns Menschen in der Industriege- sellschaft ein besonderes Gut. Er trägt wesentlich zur Ein zweiter Punkt betrifft den Antrag, daß Treu- Verbesserung unserer Lebensqualität bei. Die vielfäl- handflächen in vorhandenen und geplanten Natur- tigen Funktionen des Waldes - zum Beispiel als Le- schutzflächen vom Verkauf ausgeschlossen sind benraum für Tiere und Pflanzen, als Klimafaktor, oder vom Verkauf ausgeschlossen werden sollen, mit Wasserspeicher und Erosionsschutz - sind wesentlich Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 90. Sitzung. Bonn, Freitag, den 1. März 1996 8005 Ernst Bahr für eine lebenswerte Umwelt. Darüber hinaus ist der der begünstigte Verkauf an Träger von Naturschutz- Wald aber auch ein wertvolles Wirtschaftsgut. projekten in diese Regelung einbezogen.

(Reinhard Freiherr von Schorlemer [CDU/ (Beifall bei der SPD) CSU]: Sehr wahr!) Auf Antrag des Landes Brandenburg wurde schließlich die Flächenerwerbsverordnung in § 1 Eigentum und Besitz dürfen deshalb diese vielfälti- Abs. 2 um einen Satz ergänzt, der sicherstellt, daß für gen Funktionen des Waldes für Natur und Gesell- Naturschutzzwecke Flächen aus dem Angebotspro- schaft nicht einschränken. Dies entspricht im übrigen gramm herausgenommen werden können: auch Art. 14 des Grundgesetzes, wonach Eigentum in besonderer Weise verpflichtet. Außerland- und außerforstwirtschaftliche Zwek- ke im Sinne dieser Vorschrift sind auch gegeben, Ich vertrete allerdings mit vielen Menschen in wenn Flächen als Naturschutzflächen Deutschland die Auffassung, daß Wald nicht unbe- a) festgesetzt oder einstweilig gesichert sind dingt und nicht in jedem Falle privatisiert werden oder das Unterschutzstellungsverfahren förm- muß. Denn hierzulande kann kaum jemand den lich eingeleitet ist und Wald ohne staatliche Förderung ordnungsgemäß und nachhaltig bewirtschaften. b) ihre land- und forstwirtschaftliche Nutzung ausgeschlossen ist oder ausgeschlossen wer- Insbesondere die Kommunen und Kreise in den den soll. neuen Ländern haben sich in Entschließungsanträ- Die Verankerung dieses Satzes in der Verordnung gen an ihre jeweilige Landesregierung gewandt, um erleichtert die Umsetzung des Entschädigungsgeset- dem großflächigen Waldverkauf entgegenzutreten. „Warum?" ist hier die Frage. Die Privatisierung in zes in der Praxis. Damit wird gleichzeitig auch eine schlüssige Verbindung zu der entsprechenden Lan- vielen Wirtschaftsbereichen und in der Industrie desgesetzgebung für den Naturschutz, den Wald so- durch die Treuhandanstalt und ihre Nachfolgeein- wie die Land- und Forstwirtschaft geschaffen. richtungen ist schlicht und einfach mißlungen. Wir alle kennen die negativen Folgen: Massenarbeitslo- Der zweite Teil der Formulierung - „ihre land- und sigkeit von real etwa 40 Prozent, brachliegende Indu- forstwirtschaftliche Nutzung ausgeschlossen ist oder striestandorte und Hunderte von Milliarden Verluste ausgeschlossen werden soll" - bedurfte jedoch der für den Bundeshaushalt. Klarstellung, daß Nutzung und Schutz nicht immer und grundsätzlich einander entgegenstehen. Auch in der Landwirtschaft waren die Strukturver- änderungen schmerzlich für alle Betroffenen. Etwa Mit einem Entschließungsantrag beabsichtigte das 75 Prozent aller früher in der Landwirtschaft Beschäf- Land Brandenburg, ausdrücklich zu sichern, daß Trä- tigten haben ihren Arbeitsplatz verloren. Alles in al- ger von Naturschutzprojekten entsprechende Flä- lem ist aber die Umwandlung der Landwirtschaft chen auch dann erwerben können, wenn ihre land- bisher noch relativ erfolgreich verlaufen, und ein und forstwirtschaftliche Nutzung nicht ausgeschlos- Verkauf des Produktionsmittels Bodens ist zur Stabi- sen ist. lisierung der neuen Betriebsformen - ich nenne hier Der Antrag hatte auch zum Ziel, die mißverständli- Wiedereinrichter, Neueinrichter sowie juristische che Formulierung der Ausnahmeregelung im § 17 Personen - und zur Umwandlung der ehemaligen der Flächenerwerbsverordnung, „Naturschutzflä- volkseigenen Güter notwendig. chen von gesamtstaatlicher Bedeutung", in dem Sinne zu interpretieren, daß Naturschutzgebiete in Die schnelle Umsetzung des Entschädigungs- und Deutschland per Definition von gesamtstaatlicher Be- Ausgleichsleistungsgestzes, EALG, unter Anwen- deutung sind. dung der hier zur Debatte stehenden Flächener- werbsverordnung ist deshalb erforderlich. Im ur- Die Bundesregierung hat im Agrar- und im Um- sprünglichen Entwurf der Flächenerwerbsverord- weltausschuß des Bundesrates zu Protokoll gegeben, nung hatte die Bundesregierung zunächst nur eine daß die Haltung Brandenburgs auch ihre Rechtsauf- bevorzugte Veräußerung an Alteigentümer und Re- fassung sei. Daraufhin erübrigte sich der Entschlie- stitutionsberechtigte vorgesehen. Letztlich ist es der ßungsantrag. Mehrheit des Bundesrates und meiner Fraktion zu Die Ausweisung von Naturschutzflächen ist in der verdanken, daß eine Einigung mit der Bundesregie- Regel immer auch mit einer Einschränkung von Ei- rung über insgesamt 23 von 26 Änderungsvor- gentumsrechten an den betroffenen Flächen verbun- schlägen erzielt werden konnte. So werden nun orts- den. In allen Bundesländern gibt es die Möglichkeit ansässige Landnutzer für den bevorzugten Erwerb des Flächenaustausches mit Landeswald im Rahmen vorgesehen. Mit der Neuregelung der Flächener- der Flurneuordnung. Dadurch können Eigentümer werbsverordnung wird den Land- und Forstwirt- von Wald, der unter Schutz gestellt werden soll, mög- schaftsbetrieben eine dauerhafte Bewirtschaftungs- lichen Einschränkungen entgehen. möglichkeit angeboten und damit ein Beitrag zur Existenzsicherung geleistet. Die vorliegende Verordnung ist praxisgerecht. Sie schafft eine Lösung für die Privatisierung, erhält die Um aber auch dem Naturschutz wirklich Genüge Möglichkeit der Unterschutzstellung bedeutsamer zu tun, war es notwendig, seine Belange in die Ver- Landschaften und sichert den Eigentümern ihre ordnung aufzunehmen. Deshalb wurde folgerichtig Rechte. 8006 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 90. Sitzung. Bonn, Freitag, den 1. März 1996

Ernst Bahr Der Boden als grundlegendes Produktionsmittel Diese Formulierung in der Flächenerwerbsverord- für die Land- und Forstwirtschaft muß den Betrieben nung ist sehr schlecht gewählt; denn sie orientiert endlich auf Dauer zur Verfügung stehen. Bis heute sich nicht am Text des bestehenden Bundesnatur- können viele Betriebe in den neuen Ländern nicht schutzgesetzes. Dadurch wird die Praxis sehr kompli- planen und investieren, weil sie nicht wissen, von ziert. Es muß nämlich nun jede einzelne Schutzge- welcher Produktionsfläche sie ausgehen können. bietsverordnung für jedes Naturschutzgebiet, Land- (Günther Bredehorn [F.D.P.]: Das ist alles schaftsschutzgebiet, jeden Nationalpark oder jedes Quatsch!) Biosphärenreservat daraufhin geprüft werden, ob darin für das ganze Gebiet oder auch nur einen Teil - Herr Bredehorn, Sie können sich das gern vor Ort davon tatsächlich ein Totalschutz festgelegt worden ansehen; dann wissen Sie, welche Probleme in der ist, der jegliche Nutzung verbietet. Landwirtschaft in Ostdeutschland zu bewältigen wa- ren. Das ist ein enorm aufwendiges Unterfangen. Die (Günther Bredehorn [F.D.P.]: 80 Prozent sind für die Privatisierungsverfahren zuständige Boden- langfristig verpachtet!) verwertungs- und -verwaltungs GmbH kann deshalb - Sie wissen, was diese Verpachtungsbedingungen auch bis heute keine Angaben darüber machen, wel- alles beinhalten, welche Unsicherheiten diese Be- che Flächen auf Grund dieser Bestimmungen nicht triebe haben, weil sie nicht wissen, wie lange diese verkauft werden dürfen und wie groß der Anteil die- Pachtverhältnisse zu halten sind. ser Flächen an den 0,8 Millionen Hektar Wald ist, die von der BWG privatisiert werden sollen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne ten der PDS - Günther Bredehorn [F.D.P.]: Hier haben wir wieder einmal ein Beispiel dafür, Doch, auf 18 Jahre!) wie der Gesetzgeber durch seine Formulierungen den Viele Land- und Forstwirte sind verunsichert, Ar- Vollzug von Bestimmungen äußerst schwierig gestal- beitsplätze sind in Gefahr, neue Arbeitsplätze kön- tet. Es wäre unserer Meinung nach wesentlich sinn- nen nicht geschaffen werden, und die Produktions- voller, die Flächenerwerbsverordnung bezüglich die- richtung der jeweiligen Betriebe kann nicht konkret ses Punktes an den Bestimmungen des Bundesnatur- festgelegt werden. Diese Unsicherheit muß endlich schutzgesetzes auszurichten. Dieses teilt die Natur- beendet werden. schutzflächen in Kategorien ein, und an diesen Kate- Mit der seit Dezember 1995 vorliegenden und seit gorien hätte man sich orientieren sollen. Das heißt dem 1. Januar 1996 rechtskräftigen Flächenerwerbs- konkret, in der Flächenerwerbsverordnung müßte ste- verordnung ist die längst schon fällige und zügige hen, daß alle Naturschutzgebiete nach § 13 Bundesna- Umsetzung des Entschädigungsgesetzes möglich. turschutzgesetz nicht privatisiert werden dürfen. Die Belange des Naturschutzes sind also in einem Auch die Nationalparke, die nach geltenden Be- Umfang berücksichtigt, der über die Forderung des stimmungen wie Naturschutzgebiete geschützt wer- PDS-Antrages deutlich hinausgeht. den sollen, sollten nicht veräußert werden. Natur- (Ulrich Junghanns [CDU/CSU]: Das stimmt!) schutzgebiete und Nationalparke sind unsere Deshalb können und sollten die bereits vorhande- strengsten Schutzkategorien. Es ist für eine sinnvolle nen Regelungen schnellstens umgesetzt werden. Ein Naturschutzplanung auf jeden Fall notwendig, daß Änderungs- oder Ergänzungsbedarf im Sinne des diese Flächen in staatlicher Hand bleiben und nicht Antrages der PDS ist nicht gegeben. privatisiert werden. Vielen Dank. Wenn sich die zu schützenden Gebiete bereits in Gemeineigentum befinden, ist es unsinnig, diese zu (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne ten der CDU/CSU) verkaufen; denn dann müssen für Auflagen, die den Düngereinsatz und den Einsatz von Schädlingsbe- kämpfungsmitteln beschränken, umfangreiche Aus- Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Das Wort hat die gleichszahlungen geleistet werden. Ich frage Sie, Kollegin Vera Lengsfeld, Bündnis 90/Die Grünen. meine lieben Kolleginnen und Kollegen - die Finanz- mittel in den öffentlichen Kassen sind bekanntlich Vera Lengsfeld (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr auf allen Ebenen knapp -: Woher wollen die Bundes- Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! regierung und die Regierungskoalition die Mittel für Wir sind der Meinung: Naturschutzgebiete- und öko- Ausgleichszahlungen nach einer Privatisierung zu- logisch wertvolle Flächen, die unter Schutz gestellt künftig nehmen? Davon habe ich noch nichts gehört. werden sollen, dürfen nicht verkauft werden, wenn sie sich glücklicherweise schon im Gemeineigentum Wir sollten uns davor hüten, uns zu weiteren, lang- befinden. fristigen Zahlungen für Auflagen über Düngung und Pestizideinsatz in wichtigen Naturschutz- oder Trink- Die Verordnung über den Erwerb land- und forst- wasserschutzgebieten zu verpflichten. Das ist am ein- wirtschaftlicher Flächen, die im vorliegenden Antrag fachsten, wenn die Flächen in Gemeinbesitz bleiben. angesprochen ist, schließt in § 1 Naturschutzflächen von der Privatisierung aus. Leider ist daran noch eine Vielen Dank. Bedingung geknüpft: Die Naturschutzgebiete wer- den nur dann vom Verkauf ausgenommen, wenn die (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN land- und forstwirtschaftliche Nutzung gänzlich aus- sowie bei Abgeordneten der SPD und der geschlossen wird. PDS) Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 90. Sitzung. Bonn, Freitag, den 1. März 1996 8007

Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Das Wort hat wir eine klare Privatisierungspolitik, die eigenverant- jetzt der Kollege Günther Bredehorn, F.D.P. wortliches Handeln zur Selbstverständlichkeit wer- den läßt. Der Begrenzung der Freiräume wirtschaftli- Günther Bredehorn (F.D.P.): Herr Präsident! chen Handelns der Bürgerinnen und Bürger in den Meine Damen und Herren! Der Antrag der Gruppe neuen Ländern muß ein Riegel vorgeschoben wer- der PDS zur Privatisierung von Wald in Natur- den. schutzgebieten, der am 7. November 1995 einge- Mit der Flächenerwerbsverordnung eröffnen wir bracht worden ist, war von Anfang an obsolet. Er Chancen. Die F.D.P. begrüßt dies. Ich sage aber auch wurde in den Deutschen Bundestag zu einer Zeit ganz klar und deutlich meine persönliche Meinung: eingebracht, als die Verhandlungen zur Verord- Ich bin ganz dezidiert anderer Auffassung, denn so- nung über den Erwerb land- und forstwirtschaftli- lange nicht über die Verfassungsbeschwerden gegen cher Flächen, das Verfahren sowie den Beirat nach das Entschädigungs- und Ausgleichsleistungsgesetz dem Ausgleichsleistungsgesetz so gut wie abge- entschieden ist - dieses Gesetz war ja die Grundlage schlossen waren. für die Flächenerwerbsverordnung -, sollten wir Erinnern wir uns: Ende 1994 lag bereits der erste nicht schon vorher vollendete Tatsachen schaffen. Entwurf vor; am 4. Mai 1995 erfolgte der Beschluß des Kabinetts. Nach ausführlichen Beratungen de- Herr Bahr, die Eile im Zusammenhang mit der battierte der Bundesrat am 22. September 1995 Pacht mag bei Waldflächen ja nicht so entscheidend über die Verordnung und verlangte 26 weitere sein. Aber bei landwirtschaftlichen Nutzflächen ist Änderungen, von denen das Bundeskabinett sie nun wirklich nicht angebracht. Fast 90 Prozent 22 Änderungswünsche akzeptierte. Anschließend der landwirtschaftlichen Nutzflächen sind langfristig sind bis zum 15. Dezember 1995, dem zweiten verpachtet. In den neuen Bundesländern gibt es Durchgang im Bundeskabinett, weitere intensive Pachtverträge mit einer Laufzeit von 12 bis 18 Jahren. Gespräche mit den Ländern geführt worden. Die Bei uns in Westdeutschland, wo auch über die Hälfte endgültige Verabschiedung der Flächenerwerbsver- der landwirtschaftlichen Flächen verpachtet ist, ha- ordnung erfolgte am 18. Dezember 1995 durch den ben wir Pachtverträge, die zum Teil Jahr für Jahr ver- Bundesrat. längert werden oder die eine sechsjährige Laufzeit haben. Wir haben in diesem Bereich etwas getan; so- Die Chronologie der Ereignisse zeigt deutlich, daß mit ist durchaus eine gewisse Sicherheit dafür gege- die PDS hier den rechten Zeitpunkt verschlafen hat. ben, daß nicht schon jetzt in allen Bereichen ent- Der alte Gorbatschow-Grundsatz - Wer zu spät schieden werden muß. kommt, den bestraft das Leben - gilt auch hier. Auch im Hinblick auf die zum Teil äußerst sensible Es ist gut für Ostdeutschland, daß sich die PDS- Situation der Wälder in Ostdeutschland ist die Ver- Vorstellungen von Ausschluß der Privatisierung von ordnung durchaus ausgewogen. Sie gibt ausreichend Wald in Naturschutzgebieten nicht haben durchset- Raum für eine Privatisierung forst- und landwirt- zen können. Sie sind Ausfluß planwirtschaftlichen schaftlicher Nutzflächen, schränkt die Bewi rtschaf- Denkens, das noch in den Köpfen derjenigen gei- tung aber dort ein bzw. untersagt sie dort, wo es sinn- stert, die die wirtschaftliche, politische und geistige voll und vernünftig erscheint. So ist zum Beispiel in Verwüstung zu Zeiten der DDR bet rieben haben und Totalreservaten, die im übrigen nur einen Bruchteil jetzt meinen, dies fortsetzen zu müssen. der Waldflächen ausmachen, keine Privatisierung Die Bundesregierung hat sich durchgesetzt und und damit auch keine privatwirtschaftliche Nutzung der Forderung nach einem generellen Verbot der Pri- möglich. vatisierung nicht entsprochen, auch wenn dazu er- hebliche Anstrengungen notwendig waren, da leider Aber dort , wo unter strenger Beachtung des Natur- die Vertreter einiger ostdeutscher Länder im Bundes- schutzgesetzes eine extensive land- und forstwirt- rat in den schwierigen Verhandlungen des Jahres schaftliche Nutzung Sinn macht, muß weiterhin pri- 1995 dies ebenfalls so wollten. vatisiert werden. Denn damit wird die Basis für Neu- investitionen geschaffen. Ohne den Anreiz, Eigen Unter dem Deckmantel der Umweltpolitik versucht tum zu bilden und zu erwerben, ohne die Verfügbar- die PDS hier abermals, alte Strukturen zu verfesti- keit des Produktionsfaktors Grund und Boden gibt es gen. 40 Jahre sozialistische Mißwirtschaft werden keine Investitionen und keine Arbeitsplätze. nicht zur Kenntnis genommen. Dabei geht- es darum, das heruntergewirtschaftete Potential der ostdeut- Schönen Dank. schen Forstwirtschaft auf nachhaltige Weise zu er- neuern. Entwicklungschancen sowie Entfaltungs- (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) möglichkeiten müssen auch sechs Jahre nach der Vereinigung weiter verbessert und konsequent ge- nutzt werden. Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Ich schließe die Aussprache. Bei den treuhänderisch verwalteten Forsten in der ehemaligen DDR - das sind zur Zeit immerhin noch Der Ältestenrat schlägt die Überweisung der Vor- 720 000 Hektar - liegt der vom Bund zu tragende lage auf Drucksache 13/2905 an die in der Tagesord- Verlust jährlich bei 400 DM je Hektar Waldfläche, nung aufgeführten Ausschüsse vor. Sind Sie damit während wir im Privatwald Gott sei Dank noch Ge- einverstanden? - Dann ist die Überweisung so be- winne zu verzeichnen haben. Von daher brauchen schlossen. 8008 Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 90. Sitzung. Bonn, Freitag, den 1. März 1996

Vizepräsident Hans-Ulrich Klose Ich rufe den Tagesordnungspunkt 13 auf: Krankenkassen und des Bundesgesundheitsministe- riums sehen wir den Schutz sensibler Daten der Ver- Erste Beratung des von den Abgeordneten sicherten nicht gewährleistet. Marina Steindor, Manfred Such, Monika Kno- che und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ NEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes CSU]: Sie wissen mehr als der Datenschutz zur Sicherung und Wahrung der Vertraulich- beauftragte!) keit von Patientendaten Wir sehen auch nicht, daß die gesamte Kassen- - Drucksache 13/3669 — ärzteschaft ihren Spitzenfunktionären im Umgang Überweisungsvorschlag: mit dem ICD 10 folgt. Die Klage vor dem Bundesver- Ausschuß für Gesundheit (federführend) fassungsgericht ist wegen juristischer Mängel im Innenausschuß Schriftsatz abgewiesen worden. In der Sache ist Rechtsausschuß keine Entscheidung getroffen. Ich glaube auch nicht, Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat ist für die wie Herr Schorre im „Ärzteblatt" schreibt, daß die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen, wobei Sache vom Tisch ist. die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen fünf Minuten Immer wieder wird behauptet, daß die Lehren aus erhalten soll. - Ich sehe dazu keinen Widerspruch. dem Volkszählungsurteil gezogen worden seien. Ich Dann ist so beschlossen. kann nicht erkennen, daß die Krankenkassen über- Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Kolle- haupt genügend Problembewußtsein hinsichtlich der gin Marina Steindor, Bündnis 90/Die Grünen. Daten entwickeln, die in ihren Rechnern stecken. Bei einer kassenübergreifenden Auswertung, für die es (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): bereits Modellprojekte gibt, besteht die Möglichkeit, Marina Steindor Daten fast der ganzen bundesdeutschen Bevölke- Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir rung mit Angaben über Gehalt, Lebensumstände bringen heute unseren Gesetzentwurf zur Strei- und Krankengeschichte in den Rechnern zusammen- chung des ICD 10 ein. Für uns hat die ad hoc anberaumte Expertenanhörung des Gesundheitsaus- zuführen. schusses deutlich gezeigt, daß eigentlich niemand so (Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Das stimmt genau wußte, was im GSG verabschiedet worden ist. doch gar nicht!) (Zuruf von der CDU/CSU: Das mag für Sie Für Computerspezialisten ist es durchaus möglich, in zutreffen!) diese Rechner hineinzukommen und die Daten zu re Als Universalinstrument für Abrechnungstranspa- personalisieren. renz, Epidemiologie und Qualitätssicherung ist diese Die Kassen haben ein Eigeninteresse an den Da- Kodierung unbrauchbar. Was da erfaßt wird, ist Da- ten, ebenso die Wissenschaft und die Politik. Die Kas- tensalat, der den Versicherten schadet. sen erwarten, daß ihnen die Versicherten, was den Die Proteste aus der Ärzteschaft, von Datenschüt- Schutz ihrer Daten betrifft, blind vertrauen. Dabei zern und Patienteninitiativen haben Sie, Herr Bun- können sie in der Tat in der Öffentlichkeit nicht aus- desminister, und auch Sie, Frau Staatssekretärin, reichend darstellen, was sie an Datensicherungsmaß- dazu gezwungen, zu handeln. Sie spielen seitdem nahmen überhaupt vorgenommen haben. Sie versu- zusammen mit der Regierungskoalition mit uns so chen, Politikerinnen und Politiker, die sich ernsthaft eine Art Hase-und-Igel-Spiel. mit Datenschutzproblemen auseinandersetzen, sofort der Kollaboration mit der Ärzteschaft, die sich der (Wolfgang Lehmann [Lüdenscheid] [CDU/ Transparenz entziehen und sich nicht in die Karten CSU]: Das ist wahr! Wenn ihr kommt, sind schauen lassen will, zu bezichtigen. Das ist meiner wir schon längst weg! - Jürgen W. Mölle Meinung nach eine etwas sehr pervertierte Form der mann [F.D.P.]: Sind Sie jetzt der Hase?) alten Klassenkampfrhetorik. Denn immer dann, wenn sich im Parlament etwas In den Fachblättern ist die Debatte sehr hitzig ge- rium: Wir sind schon da! Wir ha- regt, ruft Ihr Ministe führt worden. Ich möchte meine Einbringungsrede ben alles schon geregelt! - So spricht ein Staatssekre- zu unserem Gesetzentwurf tär vor der Anhörung im Gesundheitsausschuß mit dem Datenschützer und hat alles geregelt.- Und vor (Jürgen W. Möllemann [F.D.P.]: Haben Sie der Einbringung unseres Gesetzentwurfes in dieses jetzt einen Gesetzentwurf?) Hohe Haus hat die Selbstverwaltung schon einen Rahmenvertrag abgeschlossen, und zwar mit dem mit einem Zitat von einem politisch doch sehr unver Segen des Bundesministeriums für Gesundheit, das dächtigen Wissenschaftsjournalisten des Fachorgans auch noch die Datenschutzaspekte koordinieren will. „Ärztezeitung", Herrn Dr. Kubitscheck, abschließen: Mit dem GRG und dem GSG ist eine Vorhaltege- Wenn es jemals im Gesundheitswesen einen setzgebung zur Computerisierung des Gesundheits- zwingenden Grund gab, den zivilen Gehorsam wesens in Gang gesetzt worden. Sie reicht von der zu verweigern, dann ist dieser Zeitpunkt jetzt ge- Chipkarte über den IDC 10 bis zum Datenaustausch kommen. Der ICD 10 sollte sowohl aufgrund der und den Abrechnungsmodi. Wir sind der Auffassung, Unmöglichkeit eines wirksamen Datenschutzes daß die datenschutzrechtlichen Probleme nicht ge- als auch aufgrund der wissenschaftlich we rtlosen löst sind. Trotz der Beschwichtigungsrhetorik der Datenbasis weder in einer abgespeckten noch Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 90. Sitzung. Bonn, Freitag, den 1. März 1996 8009

Marina Steindor möglicherweise umbenannten Version einge- Diese Begründung ist eine schallende Ohrfeige für führt werden. die Autoren des Gesetzentwurfes. Ihr ist nichts hin- zuzufügen. Wir wollen den ICD 10 streichen. (Beifall bei der CDU/CSU) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Für die Union möchte ich hier erklären, daß wir diesem populistischen Gesetzentwurf der Grünen, Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Das Wort hat der die unter dem Motto „Wir sind die Datenschützer Kollege Wolfgang Zöller, CDU/CSU. Nummer eins in Deutschland" vielleicht nach Stim- men im liberalen Lager schielen, Wolfgang Zöller (CDU/CSU): Herr Präsident! (Jürgen W. Möllemann [F.D.P.]: Na, na!) Meine sehr geehrten Damen und Herren! Mit einer Abwandlung des berühmten Satzes von Michail Gor- eine klare und eindeutige Absage erteilen. batschow „Wer zu früh kommt, den bestraft das Nach den Irrungen und Wirrungen um den ICD 10 Leben" könnte man eigentlich den Gesetzentwurf in den letzten Wochen gibt es seit dem 2. Februar der Grünen überschreiben. 1996 eine Rahmenvereinbarung zwischen den Spit- Tolldreist finde ich allerdings die Formulierung zenverbänden der Krankenkassen, der Kassenärztli- zum Gesetzentwurf. Ich darf zitieren: chen Bundesvereinigung und der Deutschen Kran- kenhausgesellschaft. Die Vorschriften der § 295 Abs. 1 und § 303 Fünf- (Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ tes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) tangieren das CSU]: Das sieht das Gesetz ausdrücklich Recht auf informationelle Selbstbestimmung von vor!) Patienten und Ärzten nach Artikel 2 Abs. 1 in Verbindung mit Artikel 1 Abs. 1 des Grundgeset- Ausgangspunkt dieser Vereinbarung ist die grund- zes und sind somit verfassungswidrig. sätzliche Übereinstimmung aller Beteiligten darüber, daß bei der Übermittlung der zur Leistungsabrech- In der den Grünen eigenen Selbstherrlichkeit wird nung notwendigen Daten eine Verschlüsselung der hier die Tatsache unterschlagen, daß im Gesetzge- Diagnose im Interesse einer Modernisierung und Ra- bungsverfahren zum Gesundheitsstrukturgesetz we- tionalisierung des Abrechnungs- und Prüfungsver- der die Verfassungsressorts noch der Bundesbeauf- fahrens sinnvoll ist. tragte für den Datenschutz Zweifel an der Verfas- sungsmäßigkeit der beiden Paragraphen geäußert Es besteht auch darin Übereinstimmung, daß nie- haben. mand den sogenannten gläsernen Patienten will. Trotz gegenteiliger Behauptungen von interessie rten Die Grünen sind mit ihrer Gesetzesinitiative am Kreisen hat auch der Bundesbeauftragte für den Da- 2. Februar 1996 auch insofern „zu früh gekommen", tenschutz bei einer neuerlichen Prüfung keine als das Bundesverfassungsgericht am 7. Februar eine grundsätzlichen Bedenken gegen die Angabe von Verfassungsbeschwerde von Vertragsärzten gegen Diagnosen und ihre Verschlüsselung erhoben. Bei den ICD 10 nicht zur Entscheidung angenommen diesem Gespräch waren Sie selber dabei. hat. Ich unterstelle, daß die Begründung der Verfas- sungsbeschwerde juristisch und fachlich wesentlich Die Vertragspartner werden unter Einbeziehung substantiierter als die hier vorliegende Gesetzesbe- der entsprechenden Verbände und Körperschaften gründung der Grünen gewesen ist. Dennoch wurde einen Arbeitsausschuß auf Landesebene bilden, der die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung nur auf der Grundlage des ICD 10 bis spätestens zum angenommen. Ich darf aus den Gründen des Be- 31. Dezember 1996 einen Vorschlag erarbeitet, der schlusses zitieren: die praktische und sinnvolle Anwendbarkeit des Schlüssels sicherstellen soll. Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit der gesetzlichen Verschlüsselungspflicht gemäß Nach einer Erprobungsphase in einer repräsentati- § 295 Abs. 1 Satz 2 SGB V sind nicht hinreichend ven Anzahl von Praxen und Krankenhäusern soll dargetan. dann zum 1. Januar 1998 eine verbindliche Diagno- severschlüsselung auf der Grundlage der überarbei- Die Verfassungsbeschwerde geht nicht auf die teten Fassung sowohl im ambulanten als auch im sta- Nutzungs- und Weitergaberegelungen der tionären Bereich gleichzeitig eingeführt werden. §§ 284, 285, 295 bis 298 SGB V ein, die den Daten- zugriff zweckgebunden und bereichsspezifisch Diese von der Selbstverwaltung gefundene Lö- regeln und Vorsorge gegen zweckwidrige Ver- sung entspricht der Intention der Koalition in der drit- wendung treffen. ten Stufe der Gesundheitsreform, die unter dem Motto „Vorfahrt für die Selbstverwaltung" steht. Die (Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ Selbstverwaltung hat hier ihre Handlungsfähigkeit CSU]: So ist das!) unter Beweis gestellt. Daß ungeachtet dieser Regelungen grundsätzli- Das Bundesministerium für Gesundheit wird auch che Bedenken gegen die Verschlüsselung sämtli- bei der Überarbeitung des Diagnoseschlüssels die cher für die Abrechnung erforderlichen Angaben datenschutzrechtlichen Aspekte koordinieren. Die bestehen, ist nicht ohne weiteres erkennbar. Interessen der Patienten und der Ärzte sind gewahrt. 8010 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 90. Sitzung. Bonn, Freitag, den 1. März 1996

Wolfgang Zöller Der Gesetzentwurf der Grünen ist daher überflüs- kassen, der Rechtmäßigkeit der Leistungsabrech- sig. Wenn es Ihnen wirklich um die Sache und nicht nung der Ärzte sowie der Wirtschaftlichkeit der ver- um politisches Spektakel geht, dann müssen Sie ei- tragsärztlichen Versorgung durch Prüfungsaus- gentlich logischerweise Ihren Gesetzentwurf zurück- schüsse benötigt. ziehen. Nach dem Gesundheitsstrukturgesetz von 1992 be- Ich danke Ihnen. steht nun ab dem 1. Januar 1996 die gesetzliche Pflicht zur Diagnoseverschlüsselung nach dem (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) ICD 10. Diese Vorschrift stammt, wie gesagt, aus dem Jahre 1992. Nach meiner Kenntnis und nach der Ak- Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Das Wort hat die tenlage des Bundesbeauftragten für Datenschutz, Kollegin Petra Ernstberger, SPD. Dr. Jacob, gab es zur damaligen Zeit keine Diskus- sionen über den ICD. Das hat mir auch Herr Zöller bestätigt. Petra Ernstberger (SPD): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ein modernes, das heißt wirksa- (Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Ja!) mes und leistungsfähiges Gesundheitswesen braucht Spätestens seit der Jahreswende ist nun aber mas- angesichts der heutigen und auch zukünftigen Her- sive Kritik an der Verwendung des Diagnoseschlüs- ausforderungen ein Datenerhebungs- und -verarbei- sels ICD 10 laut geworden, und das Gespenst des tungssystem, das den Anforderungen gerecht wird. „gläsernen Patienten" geistert durch die Gazetten Jedoch liegen zwischen dem Anspruch und der Rea- und dient als Metapher für die Befürchtungen, daß lität der Umsetzung Welten. Mit Recht hat nämlich der Datenschutz nicht mehr gewährleistet sei. Eines Herbert Rebscher, Vorstandsvorsitzender des VdAK, möchte ich an dieser Stelle ganz klar zum Ausdruck im „Focus" gesagt, daß bringen: Bei der Verschlüsselung von Patientendaten Deutschland ... im internationalen Vergleich ein hat der Datenschutz alleroberste Priorität, Entwicklungsland in Sachen medizinischer Do- (Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Richtig!) kumentation und Transparenz und Erfassung, Verwendung und Übermittlung von ist. Daten sind einzig und allein für die in diesem Gesetz Es fehlen Grundlagen zur Steuerung des Lei- bestimmten Zwecke zulässig und auf das unerläß- stungsprozesses in Richtung Qualität, Wirtschaft- liche Minimum zu beschränken. lichkeit und Bedarfsnotwendigkeit. Für ein bes- Das bedeutet ganz konkret, daß die Datensätze mit seres Kostenmanagement benötigt man „Licht in den Abrechnungsdaten der Ärzte einschließlich der der Dunkelkammer", sprich: die für den Kunden kodierten Diagnosen, die an die Krankenkassen transparente Arztpraxis. übermittelt werden, weder die Namen der Versicher- Und das ist richtig so. In unserem Gesundheitssy- ten noch die Versichertennummer enthalten dürfen, stem bestehen nämlich erhebliche Defizite in der Lei- und Tatsache ist, daß dieses Verfahren mit dem Bun- stungs- und in der Kostentransparenz. Von daher desbeauftragten für Datenschutz abgestimmt worden stellt eine standardisierte Diagnoseverschlüsselung ist. die entscheidende Voraussetzung für eine Erhöhung (Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Eben, so ist der Transparenz der medizinischen Versorgung in es!) Deutschland dar. Sie dient der verbesserten Darstel- Die Krankenkassen erhalten in diesem Fall nun lung, Analyse und Steuerung des Leistungsgesche- eine Abrechnung ambulanter Leistungen mit zwei hens wie auch der Versorgungsstrukturen. Ferner lie- getrennten Datensätzen. Sie zusammenzuführen und fert sie ihren Beitrag für ein modernes Qualitätsma- dadurch sogenannte „Patientenkonten" aufzustellen nagement, für eine aussagekräftige Gesundheitsbe- ist technisch nicht möglich, weil nicht beide Daten- richterstattung und nicht zuletzt für die epidemiolo- sätze ebendiese Versichertennummer enthalten. gische Forschung. (Zuruf von der CDU/CSU: Ein sehr fairer Auch und gerade für die Versicherten und Patien- Beitrag!) ten ist das Leistungssystem nicht transparent. So ist eine einheitliche Systematik der Krankheitsbezeich- Außerdem ist es ganz schlicht und einfach gesetzlich nungen unabdingbar dafür, daß alle beteiligten Ver- verboten. tragsärzte und auch die Krankenhäuser leichter un- Aus den geschilderten Gründen ist es für mich tereinander kommunizieren können. nicht nachvollziehbar, warum auf die Angabe eines Die Angabe der Diagnose ist seit jeher ein selbst- Diagnosecodes verzichtet werden soll. - Frau Stein- verständlicher Bestandteil der Leistungsabrechnun- dor sprach davon, daß Bündnis 90/Die Grünen die gen der Ärzte sowohl mit den gesetzlichen als auch Streichung des ICD wollen. - Wir lehnen daher die mit den privaten Krankenversicherungen. Aus der Streichung des § 295 Abs. 1 und des § 303 SGB V ab. Gesetzesbegründung des Gesundheitsstrukturgeset- (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der zes geht hervor, für welche gesetzlichen Aufgaben CDU/CSU) im Rahmen des Vertragsgeschehens zwischen kas- senärztlichen Vereinigungen und den Krankenkas- Die Debatte um den „gläsernen Patienten" führt sen die Diagnose erforderlich ist. So werden die Auf- uns also in die Irre und verstellt uns den Blick auf da- gaben zur Prüfung der Leistungspflicht der Kranken- hinterstehende Beweggründe der politisch Agieren- Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 90. Sitzung. Bonn, Freitag, den 1. März 1996 8011

Petra Ernstberger den. So fühlte sich der selbsternannte — inzwischen Ministers Seehofer wurde die bereits benannte Rah- dritte - gesundheitspolitische Sprecher der F.D.P., menvereinbarung beschlossen, den ICD erst 1998 Herr Westerwelle, genötigt, auf den Zug des Daten- einzuführen. schutzes aufzuspringen und die Sau einer „erneuten datenschutzrechtlichen Überprüfung des ICD 10" Warum wird unter der fragwürdigen Verwendung durch das Dorf zu treiben. Selbst Minister Seehofer des § 303 SGB V nun ein Gesetz außer Kraft gesetzt, empfand dieses Drängen seines Koalitionskollegen das bereits im Bundesgesetzblatt steht? Bereits 1990 auf Aussetzung der Diagnoseverschlüsselung als hatte das mit der Bearbeitung der deutschen Fassung schlicht „unerfindlich" und „peinlich". beauftragte Institut eine Rohfassung vorgelegt und allen Beteiligten zugeleitet. Herr Schwoerer von der (Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Herr Wester Kassenärztlichen Vereinigung Südbaden glaubt den welle hat vielleicht den ICE gemeint! - Hei Grund zu kennen: „Die deutsche Ärzteschaft hat terkeit bei der CDU/CSU) nachhaltig geschlafen. " Diese Vermutung verdichtet sich, wenn man Dr. Schorre von der KBV dazu hört: Aber vielleicht gibt es einen anderen Grund als die Furcht vor dem „gläsernen Patienten", nämlich die So richtig begriffen, daß dieser ICD 10 so gar Sorge vor dem „gläsernen Mediziner". In der Tat er- nicht praktikabel ist, haben das die Kollegen, als leichtert es die computerlesbare Kodierung der Dia- sie im Dezember begonnen haben, sich auf den gnosen, die Arbeit des Arztes transparenter zu ma- 1. Januar 1996 vorzubereiten, und als sie ab dem chen. Dadurch werden das Verhalten und das Vorge- 1. Januar die ersten praktischen Erfahrungen hen bei Diagnose und Behandlung kontrollierbar, ge- machten. rade was unnötige Therapien anbetrifft. Es wäre also ein Überprüfungsinstrument, das angesichts der Kopfschütteln über so mannigfaltig verteilte Kompe- jährlichen Milliardenzahlungen der Kassen schlicht tenz und Flexibilität! und einfach recht und billig ist. Meine Damen und Herren, der Gesetzesauftrag Ist also der Aufstand der Ärzte mit flankierender des SGB V ist eindeutig. Die SPD ist nicht bereit, eine Deckung durch die F.D.P. nicht doch nur ein Teil ei- weitere Verzögerung zu Lasten von mehr Transpa- ner, wie der „Spiegel" vermutet, „seit Jahren mit Er- renz und Wirtschaftlichkeit hinzunehmen. Die Regie- folg geübten Verhinderungsstrategie: rung, Herr Seehofer und Frau Dr. Bergmann-Pohl, ist aufgefordert, für eine fristgerechte und praktikable (Jürgen W. Möllemann [F.D.P.]: Na, na, na!) Umsetzung der Diagnoseverschlüsselung zu sorgen. Die Doktoren wollen sich nicht in die Karten gucken (Beifall bei der SPD) lassen, ihre Abrechnungspraktiken sollen wirksamen Wirtschaftlichkeitsprüfungen entzogen bleiben." - Honni soit qui mal y pense! Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Das Wort hat der Kollege Jürgen Möllemann, F.D.P. (Jürgen W. Möllemann [F.D.P.]: Très bien!)

Die Anhörung vor dem Gesundheitsausschuß hat Jürgen W. Möllemann (F.D.P.): Herr Präsident! deutlich gemacht, daß der neue ICD-Schlüssel prak- Liebe Kolleginnen und Kollegen! Manchmal ist es so, tische Mängel in seiner Handhabung offenbart. So daß wir hier im Bundestag ein Gesetz beschließen, paßt die Aufgliederung des ICD 10 nicht immer zu dann aber, wenn es praktiziert werden soll, feststel- den Gegebenheiten der ärztlichen Praxis: Unzutref- len, daß Theo rie und Praxis nicht ganz miteinander fende Diagnosen werden evoziert, Ausschlußdiagno- im Einklang stehen, daß es Probleme gibt, die man sen können nicht gestellt werden, Vorsorge- und Be- im Moment der Einführung nicht bedacht hat. So ratungsleistungen finden keine Entsprechung in der scheint es mir jedenfalls auch hier zu sein. diagnoseorientierten Kodierung. Dies, Frau Kollegin, war von seiten aller Beteilig- Ich gebe zu, die Probleme sind erkannt, und sie ten keine Glanznummer; denn in der Tat sind die Be- sind eben auch da. denken, die jahrelang von uns hätten artikuliert wer- (Jürgen W. Möllemann [F.D.P.]: Stimmt!) den können, erst auf die Tagesordnung gekommen, als es unmittelbar bevorstand, diese Diagnosever- Es verwundert mich aber sehr, daß diese Schwierig- schlüsselung - das meint das Kürzel ICD 10: Interna- keiten erst jetzt thematisiert und diskutiert- werden. tional Classification of Diseases - einzuführen. (Beifall bei der SPD) Das erste Argument, das meines Erachtens aus Das Verhalten der Ärzte erscheint mir da doch als Sicht der niedergelassenen Ärzte nicht unvernünftig sehr merkwürdig. war - deren Interessen zu artikulieren ist nichts Ille- gitimes -, war, daß sie zum 1. Januar gleichzeitig mit Der Beschluß des Bundestages, diesen Diagnose- einer neuen Gebührenordnung für Ärzte, einem schlüssel einzuführen, stammt bekanntlich aus dem neuen einheitlichen Bewertungsmaßstab und der Jahre 1992. Auf massiven Druck der Ärzteschaft Diagnoseverschlüsselung konfrontiert wurden. Wenn wurde die auf den 1. Januar 1995 terminierte Einfüh- man weiß, daß viele Praxen nicht gerade große büro- rung des Vorgängermodells ICD 9 verschoben, um kratische Apparate haben, dann kann man sich vor- jetzt mit dem ICD 10 Nägel mit Köpfen zu machen. stellen, daß alle drei Dinge zusammen eine Überfor- Aber auch das Datum 1. Januar 1996 wurde nicht derung darstellen können. Deswegen war es ver- eingehalten, und mit „hilfreicher" Unterstützung des nünftig, dies mit in Betracht zu ziehen. 8012 Deutscher Bundestag - 13, Wahlperiode - 90. Sitzung. Bonn, Freitag, den 1. März 1996

Jürgen W. Möllemann Das zweite Argument, das dazu geführt hat, daß nen Schlüssel der Internationalen Klassifikation der wir das schon mehrfach angesprochene Verfahren Krankheiten jeweils sowohl für den spezifischen An- gewählt haben, betrifft die fachliche Aussagekraft wendungszweck als auch für die unterschiedlichen mancher dieser Schlüsselpositionen. Von seiten der Bedingungen eines Landes bearbeitet und angepaßt betroffenen fachlichen Seite ist dargelegt worden, werden müssen. Zu den Grundregeln ihrer Einfüh- daß die Aussagekraft zu Trugschlüssen führen müsse rung gehört es deshalb unter anderem, im Zusam- und eine spätere Auswertung gar nicht zulasse. Des- menwirken mit späteren Anwendern wissenschaft- wegen ist es vernünftig, daß die Beteiligten - die lich begleitete Probeläufe vorzuschalten. Ärzte, die Gesundheitsberufe Ausübenden, die Kas- sen und die Politik - zu einer Verschlüsselung kom- Aber alle Probleme wurden offensichtlich unter- men, die tatsächlich die Sachverhalte aufnimmt. schätzt oder bewußt mißachtet. Es kam, wie es kom- men mußte: Die Ärzte, die ohnehin von zahlreichen Das dritte Argument - das ist nichts Ungewöhnli- bürokratischen Reglementierungen geplagt sind und ches; insofern hat Herr Westerwelle mit Recht den die den „gläsernen Doktor" noch mehr zu fürchten Finger auf diesen Punkt gelegt - betrifft die durchaus haben als den „gläsernen Patienten", liefen im richti- nicht geringe Sorge vieler Bürger, daß ein immer grö- gen Moment Sturm und schalteten die Öffentlichkeit ßeres Maß an Datenverarbeitung und Datensamm- ein. lung auch die Risiken im Umgang mit eben diesen Daten steigern könne. Der Datenschutzbeauftragte Neben den dann üblichen Übertreibungen über hat eingeräumt, daß er seinerzeit keine Bedenken die vermeintlichen Gefahren der Verschlüsselung geltend gemacht habe, jetzt aber doch an einigen fehlte es ihnen angesichts der vorangegangenen ek- Punkten eine sorgfältige Erörterung wünscht. Dage- latanten Fehlleistungen auch keineswegs an sachlich gen ist nichts zu sagen. begründeten Kritikpunkten.

Insofern glaube ich, daß das gewählte Verfahren, Nun folgten tragikomische Rückzugsgefechte: zu- das der Kollege Zöller bereits erläutert hat, sehr ver- nächst Verschiebung des Vorhabens auf Anfang nünftig ist. Es bedarf keines neues Gesetzes, sondern 1996, dann Aussetzung der Kodierungspflicht bis einer vernünftigen, praktikablen Regelung. Mitte 1996 und zuletzt der Beschluß zur Überarbei- Im übrigen: Nach dieser leidenschaftlichen De- tung und Erprobung der ICD, also zu dem, was man batte zum ICD 10 werde ich jetzt mit dem ICE 524 bereits seit 1992 hätte tun müssen. nach Hause fahren. Endergebnis: Erstens. Regierungskoalition und (Heiterkeit und Beifall bei der F.D.P. und Administration in voller Flucht vor den Ärzten und CDU/CSU) ihren eigenen Beschlüssen; Einführung der Kodie- rung nicht vor 1998. - Zweitens. Gesetzliche Festle- Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Das Wort hat die gungen wandern erneut als Makulatur in den Papier- Kollegin Dr. Ruth Fuchs, PDS. korb. Wiederum zeigt sich, daß die Steuerung des Ge- Dr. Ruth Fuchs (PDS): Herr Präsident! Meine Da- sundheitswesens im großen wie im kleinen eben men und Herren! Mit dem Gesundheitsstrukturge- nicht allein der Selbstverwaltung mit ihren unter- setz war bekanntlich vorgesehen, die Verschlüsse- schiedlichen Interessengruppen überlassen werden lung der ärztlichen Diagnosen auf ambulanten Ab- kann. Ohne eine regulierende Funktion des Staates rechnungsscheinen und Arbeitsunfähigkeitsbeschei- geht es nicht. Allerdings gelten auch dafür qualita- nigungen zum 1. Januar 1995 einzuführen. Das sollte tive Mindeststandards. dazu beitragen, das Abrechnungsgeschehen zwi- schen Ärzten und Kassen transparenter zu machen. Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. Nun ist zwar die Zweckmäßigkeit dieses Herange- (Beifall bei der PDS sowie bei Abgeordne hens von vornherein zu bezweifeln; denn ohne Ein- ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) zelleistungsvergütung und die aus ihr systematisch resultierenden Mengenausweitungen könnte man gut und gerne auf die ebenso zeit- und kraftrauben- Das Wort hat die den wie ineffizienten Wirtschaftlichkeitskontrollen Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Parlamentarische Staatssekretärin Dr. Bergmann samt ihrer elektronischen Perfektionierung- verzich- Pohl. ten. Insofern könnten wir den Gesetzentwurf der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen durchaus als einen Schritt in die richtige Richtung betrachten. Dr. Sabine Bergmann-Pohl, Parl. Staatssekretärin Ungeachtet dessen hatte die Exekutive aber die beim Bundesminister für Gesundheit: Herr Präsident! Aufgabe, den Auftrag des Gesetzgebers wenigstens Meine Damen und Herren! Die Diskussion über die handwerklich richtig umzusetzen. Natürlich gehört Diagnoseverschlüsselung von Patientendaten hat dazu in erster Linie, daß die Aspekte des Rechts auf sich in den letzten Wochen leider darauf konzen- informationelle Selbstbestimmung von Patienten triert, wieder einmal das Schreckgespenst vom Da- und Ärzten strikt gewahrt werden. Mehr noch: Da tenmißbrauch in Großbuchstaben an die Wand zu die Kodierung von medizinischen Diagnosen inzwi- malen. Auch wer zur Gesundheitspolitik wie Pontius schen zur Routine gehört, ist es geradezu elementa- Pilatus zum Glaubensbekenntnis gekommen ist, hat res Wissen und übliche Praxis, daß die verschiede- dabei kräftig mitdiskutiert. Nicht immer stand der Ei- Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 90. Sitzung. Bonn, Freitag, den 1. März 1996 8013 Parl. Staatssekretärin Dr. Sabine Bergmann-Pohl fer der Diskussion in einem angemessenen Verhält- schlüsselung überhaupt nicht auseinandergesetzt nis zur Sachkunde. hat. Die Verfassungsrichter haben sich damit ausein- (Jürgen W. Möllemann [F.D.P.]: Jetzt wasche andergesetzt. Sie haben darauf hingewiesen, daß der ich meine Hand in Unschuld!) Zweck darin bestehe - ich zitiere -, - Herr Möllemann, ich habe nicht ausdrücklich Sie den Krankenkassen die Prüfung und Feststellung gemeint. von Leistungsansprüchen ihrer Mitglieder, den Kassenärztlichen Vereinigungen die Prüfung und In der Begründung zum Gesetzentwurf der Grü- Feststellung von Honoraransprüchen der Ver- nen wird der ganze Unsinn, den man bei den vielen tragsärzte zu ermöglichen. Diskussionen zu diesem Thema gehört hat, noch ein- mal fein säuberlich aufgelistet, bis zu der albernen Deutlicher kann man es nicht sagen. Behauptung, daß der ICD 10 keinen Code für die Was den Verfassungsrichtern einleuchtet, stößt Grippe enthalte. Aus dieser Verlegenheit, liebe Kol- aber ganz offensichtlich bei den Experten der Grü- leginnen und Kollegen von den Grünen, kann ich Ih- nen auf Verständnisschwierigkeiten, daß es nämlich nen hier sofort helfen: Frau Steindor, es ist der absolut unstimmig ist, auf der einen Seite das ge- Code J 06.9. Schreiben Sie es sich bitte auf. Bei ge- samte Abrechnungsverfahren der Krankenkassen nauerem Hinsehen hätte sich vielleicht schon dieser mit den Leistungserbringern auf elektronische Da- Irrtum vermeiden lassen können. tenträger umzustellen und zugleich für einen Teil Eine genauere Beschäftigung mit dem gesamten dieser Abrechnungsdaten, nämlich die Diagnosen, Komplex hätte noch abenteuerlichere andere Be- an dem herkömmlichen Verfahren der individuellen hauptungen vermeiden können, vor allem die der an- und zum Teil ausführlichen Diagnosebeschreibun- geblichen Verfassungswidrigkeit der Diagnosever- gen im Klartext festhalten zu wollen. schlüsselung nach ICD 10. (Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ Das Bundesverfassungsgericht hat zwei Verfas- CSU]: Zettelwirtschaft!) sungsbeschwerden von Ärzten gegen die gesetzli- - Ja. chen Regelungen zur Diagnoseverschlüsselung gar nicht erst zur Entscheidung angenommen. Auch der Bundesbeauftragte für den Datenschutz, zu dessen Beruf ein gesundes Mißtrauen in die Si- Im Unterschied zu den Autoren dieses Gesetzent- cherheit von Daten gehört, hat sich zu Sinn und wurfs der Grünen haben sich die drei Richter der Zweck der Diagnoseverschlüsselung ganz klar geäu- Zweiten Kammer des Ersten Senats des Verfassungs- ßert. Ich zitiere auch hier: gerichts mit den Fakten und mit den gesetzlichen Re- gelungen des Fünften Buches des Sozialgesetzbuchs Bislang wurden die Diagnosen, mit denen die ab- eingehend befaßt. Die Feststellungen der Richter zur gerechneten Leistungen als notwendig begrün- Verfassungsmäßigkeit der Diagnoseverschlüsselung det wurden, frei formuliert. Die dabei von Arzt zu lesen sich wie eine Stellungnahme zu den Begrün- Arzt verschiedene Wortwahl führte zu einer ge- dungen des Gesetzentwurfes der Fraktion des Bünd- ringen Transparenz und schloß automatisch Ver- nisses 90/Die Grünen. Eine Ohrfeige, Frau Steindor, fahren zur Unterstützung von Wirtschaftlichkeits- folgt der anderen. prüfungen aus. Dem Vorwurf, der ICD-Schlüssel verletze das Eigentlich sollte das denen zu denken geben, die Recht auf informationelle Selbstbestimmung von den Datenschutz wie eine Monstranz vor sich hertra- Patienten und Ärzten und sei verfassungswidrig, er- gen und vor lauter Eifer eine genaue Analyse des teilen die Richter eine Absage. Vorhabens aus dem Blick verlieren. Eine Absage erteilen sie auch den vorgebrachten (Beifall bei der CDU/CSU) Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit der Ver- schlüsselungspflicht. Da taugt auch die gute Absicht als Entschuldigung für eine fehlerhafte Lektüre der entsprechenden Pas- Genauso deutliche Worte haben sie auch zum Vor- sagen im Sozialgesetzbuch nicht mehr. Wer nein wurf eines mangelnden Schutzes vor dem Mißbrauch sagt, sollte ein gut begründetes, ein überzeugendes von Daten gefunden. Der Datenzugriff sei zweckbe- Nein sagen können. Der Gesetzentwurf der Grünen zogen. Darüber hinaus sei Vorsorge gegen eine ist weder begründet noch überzeugend. Er geht - ge- - zweckwidrige Verwendung getroffen worden. Der rade auch im Hinblick auf die Wirtschaftlichkeitsprü- Vorwurf, der Schutz von Daten sei nicht gewährlei- lung - in eine falsche Richtung. stet, bricht also in sich zusammen. Wenn man diesem Entwurf folgt, dann bliebe es Ein weiteres Beispiel für die Ignoranz, die den Au- nämlich bei der unwirksamen Wirtschaftlichkeitsprü- toren dieses Gesetzentwurfs die Feder geführt hat, ist fung wie bisher, obwohl die Ärzte selber Änderun- -die Behauptung, die Kodierung nach dem ICD-10 gen für dringend notwendig halten. Schlüssel sei für die Wirtschaftlichkeitsprüfung der Arztpraxen irrelevant. Die Wirtschaftlichkeitsprü- Die von den Ärzten geforderte qualitative Weiter- fung könne genausogut wie bisher mit der Klartext entwicklung der Wirtschaftlichkeitsprüfungen steht diagnose durchgeführt werden. und fällt aber damit, daß dafür eine tragfähige Daten- basis zur Verfügung steht. Bisher war diese Datenba- Frau Steindor, so etwas kann man nur behaupten, sis zwar vorhanden, aber sie war sozusagen begra- wenn man sich mit den Zielen der Diagnosever- ben in Tonnen von Papier, von Abrechnungsbelegen, 8014 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 90. Sitzung. Bonn, Freitag, den 1. März 1996

Parl. Staatssekretärin Dr. Sabine Bergmann-Pohl die in den Kellern der Krankenkassen vermoderten. nicht für Sanierungsvorhaben gedacht, da es hier Jetzt sollen diese Daten für die Steuerungsaufgaben nicht um eine zusätzliche Belastung der Umwelt verfügbar gemacht werden, die die Selbstverwaltung geht, sondern um eine Entlastung. Ich frage: Welche der Ärzte und Krankenkassen zu erfüllen haben. Gründe sprechen also dafür, die Wismut-Sanierungs- vorhaben in das UVP-Gesetz einzuordnen? Selbstverständlich muß dabei der Datenschutz ge- währleistet sein. Darum hat sich das Bundesgesund- Ich sehe vor allem zwei Gründe, einen inhaltlichen heitsministerium auch in den letzten Jahren mit äu- und einen formalen Grund. ßerster Sorgfalt bemüht, Zunächst zum inhaltlichen Grund. Die Umweltver- (Jürgen W. Möllemann [F.D.P.]: Und zwar träglichkeitsprüfung wurde ja 1990 ins deutsche Tag und Nacht!) Recht eingeführt, um Umweltauswirkungen von Vorhaben - so allgemein ist das da formuliert - früh- und zwar in nahtloser Abstimmung mit dem Bundes- zeitig und umfassend ermitteln und bewe rten zu beauftragten für den Datenschutz. Die Feststellun- können. Das Gesetz soll für diese Ermittlung und Be- gen des Bundesverfassungsgerichts bestätigen das. wertung einheitliche Grundsätze liefern, und die Be- Deshalb: Wir brauchen keinen Nachhilfeunterricht hörden sollen in die Lage versetzt werden, so frühzei- im Datenschutz, erst recht nicht von selbsternannten tig wie möglich die Umweltauswirkungen in ihre Lehrern, die sich dabei ertappen lassen, selber das Entscheidung einzubeziehen. Handwerkszeug nicht zu beherrschen, das sie ande- Im Geltungsbereich des UVP-Gesetzes sind schon ren beibringen wollen. heute - ich beschränke mich jetzt einmal auf der Wis- Ich danke Ihnen. mut-Sanierung ähnliche Vorhaben - die Stillegung und der sichere Einschluß oder der Abbau einer orts- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) festen kerntechnischen Anlage, die Errichtung und der Betrieb einer Anlage zur Sicherstellung und zur Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Ich schließe die Endlagerung radioaktiver Abfälle, aber auch zum Aussprache. Der Ältestenrat schlägt Überweisung Beispiel Abfallentsorgungsanlagen enthalten. Im des Gesetzentwurfs auf Drucksache 13/3669 an die übrigen hat der EU-Umweltministerrat kürzlich be- in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vor. schlossen, eine Ausweitung der UVP-Richtlinie vor- Anderweitige Vorschläge? - Keine. Dann ist die zunehmen. Bei den neu aufzunehmenden Projekten Überweisung so beschlossen. wie zum Beispiel ganz allgemein Abfallanlagen, Kläranlagen, Schlammlagerplätze spielen Größe des Ich rufe den Tagesordnungspunkt 14 auf: Projektes, Standort und Schwere oder Komplexität der Auswirkungen eine Rolle. Beratung des Antrags der Abgeordneten Chri- stoph Matschie, Ernst Bahr, Wolfgang Beh- Kehren wir zurück zur Wismut-Sanierung. Hier rendt, weiterer Abgeordneter und der Fraktion müssen ja riesige Mengen kontaminierter Stoffe für lange Zeit sicher eingeschlossen werden, zum Bei- der SPD spiel die Absetzbecken, die „tailings". Im Ergebnis Umweltverträglichkeitsprüfung bei Wismut der Sanierung entstehen also in diesem Fall Anlagen, Sanierungsprojekten die für Jahrzehnte, möglicherweise für Jahrhunderte den sicheren Einschluß kontaminierter Stoffe ge- - Drucksache 13/2651 — währleisten müssen und die zum großen Teil über Überweisungsvorschlag: lange Zeit auch abwassertechnisch betreut werden Ausschuß für Wirtschaft müssen. Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Nun handelt es sich hierbei zwar um die Abwehr Vereinbart ist eine Debattenzeit von einer halben von Gefahren - denn von den offenen Absetzbecken Stunde. - Kein Widerspruch. Dann ist so beschlossen. geht naturgemäß eine größere Gefährdung aus -; an- Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kol- dererseits entstehen Anlagen, die in ihren Auswir- lege Christoph Matschie, SPD. kungen teilweise weit bedeutsamer sind als viele an- dere Vorhaben, für die eine Umweltverträglichkeits- prüfung erfolgen muß. Ich sage es einmal ein biß- Christoph Matschie (SPD): Herr Präsident! Liebe chen überzogen: Der Gesetzgeber hat zu Recht vor- Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte gleich- zu Be- gesehen, daß für eine Legehennenanlage, die über ginn der Debatte über unseren Antrag zur Umwelt- eine bestimmte Größe hinausgeht, eine Umweltver- verträglichkeitsprüfung für Wismut-Sanierungsvor- träglichkeitsprüfung durchgeführt werden muß. Da haben die Fragen aufgreifen, die in der Diskussion erhebt sich doch die Frage, warum für die Anlagen, der letzten Wochen immer wieder gestellt worden die im Zusammenhang mit der Wismut-Sanierung sind. entstehen, nicht auch Umweltverträglichkeitsprüfun- Die erste Frage: Die Sanierungsvorhaben laufen gen vorgeschrieben sind. jetzt seit fünf Jahren im Bereich des ehemaligen (Beifall der Abg. Michaele Hustedt [BÜND Uranbergbaus. Alle Beteiligten haben enorme An- NIS 90/DIE GRÜNEN]) strengungen unternommen, um möglichst rasch zu Ergebnissen zu kommen. Warum jetzt ein neues Ver- Oder nehmen wir neben dem Einschluß der Ab- fahren? - Gleich danach kommt dann meist der Hin- setzbecken die Flutung der Gruben, die vorgenom- weis, die Umweltverträglichkeitsprüfung sei ja gar men wird. Wir haben es hier mit sehr langfristigen Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 90. Sitzung. Bonn, Freitag, den 1. März 1996 8015

Christoph Matschie und nur sehr schwer zu beurteilenden Auswirkun- GmbH selbst ist die Rede davon, daß solche Verzöge- gen dieser Flutungen zu tun. rungen zwei bis drei Jahre betragen könnten. Ich habe nach Rücksprache mit Genehmigungsbehör- Noch entscheidender als die inhaltliche Vergleich- den keine Anhaltspunkte dafür gefunden, im Gegen- barkeit mit anderen UVP-pflichtigen Vorhaben ist teil: Mir ist versichert worden, daß es diesbezüglich aber für mich die Frage angemessener Verfahren. nicht zu Verzögerungen kommt, da wir schon jetzt Die Komplexität der Sanierungsaufgabe, vor der wir der UVP sehr stark angenäherte Verfahren haben im Zusammenhang mit dem Uranbergbau stehen, und die rechtliche Einordnung der UVP nur für mehr verlangt ja geradezu ein integratives Prüfverfahren Sicherheit in diesem Zusammenhang sorgen würde. wie die Umweltverträglichkeitsprüfung, ein Verfah- ren, das in der Lage ist, die verschiedenen Aspekte Ich bitte Sie also, diesen Antrag ganz vorurteilsfrei der Prüfung zu koordinieren und zusammenzufas- zu prüfen und mit uns darüber nachzudenken, ob es sen. Gerade dafür eignet sich das Verfahren der Um- nicht sinnvoll ist - auch im Zusammenhang mit einer weltverträglichkeitsprüfung. Es ist sehr effizient, sehr Novellierung des Gesetzes über die Umweltverträg- gut ausgewogen und ausgeklügelt. lichkeitsprüfung nach der neuen Richtlinie der EU -, die Großsanierungsprojekte - zumindest die, die wir Schauen wir jetzt einmal in die Praxis der Sanie- in Ostdeutschland haben - in dieses Verfahren einzu- rung der letzten Jahre. Es zeigt sich, daß die Sanie- ordnen. Ich sehe Vorteile in dem Verfahren. Ich rung der Wismut ein Verfahren erzwungen hat, das glaube, daß es möglich ist, die komplexen Auswir- der Umweltverträglichkeitsprüfung sehr nahe- kungen, die komplexen Sanierungen besser zu be- kommt. Wir befinden uns also jetzt schon in einem werten und möglicherweise schneller zu Resultaten Zustand, wo sich Sanierer und Genehmigungsbehör- zu kommen. den bemühen, ein Verfahren zu wählen, das ganz eng an die Umweltverträglichkeitsprüfung ange- Ein Satz zum Schluß: Warum soll man aus den Er- lehnt ist. Das hat Gründe. Denn die Komplexität der fahrungen, die in Ostdeutschland gemacht worden Aufgaben verlangt ein solches Verfahren. sind, für die Gesetzgebung nicht etwas lernen kön- nen? Allerdings hat die Herausbildung eines solchen Verfahrens zwischen Sanierer und Genehmigungs- Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. behörden viel Kraft und Zeit gekostet. Hinzu kommt: Dieses Verfahren ist bis heute rechtlich nicht abgesi- (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE chert. Die Wismut GmbH und die mit der Sanierung GRÜNEN und der PDS) befaßten Behörden bieten genaugenommen ein Bei- spiel dafür, daß die Anwendung der Verfahren der Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Das Wort hat der Umweltverträglichkeitsprüfung im Rahmen von Kollege Ulrich Petzold, CDU/CSU. Großsanierungsprojekten sinnvoll ist. Ich denke, eine rechtliche Absicherung des bereits gefundenen Ver- fahrens würde zu größerer Eindeutigkeit und größe- Ulrich Petzold (CDU/CSU): Sehr geehrter Herr rer Sicherheit für alle an diesem Verfahren Beteilig- Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! ten führen. Herr Matschie, Kollegen von der SPD, die noch zu ihrem Antrag stehen, Sie haben in einem Punkt Ich kann mir durchaus vorstellen, daß wir im Ver- durchaus recht: Die Wismut ist gemeinsam mit dem lauf der Ausschußberatungen dazu kommen, diesen Bund und den betroffenen Ländern an die Lösung ei- Antrag auszuweiten, und zwar auf alle Sanierungs- ner weltweit einmaligen Sanierungsaufgabe heran- großprojekte in den neuen Bundesländern. Denn gegangen - nirgendwo ist auf einem so begrenzten auch bei der Sanierung des Braunkohletagebaus Raum eine solche Menge uranhaltiges Gestein abge- stellt sich durchaus die Frage: Ist es notwendig, alle baut worden; nirgendwo ist auf einer Fläche von viel- Flächen nur unter dem Aspekt bergbaulicher Sicher- leicht 150 mal 50 Kilometern die Umwelt dera rt be- heit zu betrachten und neu entstandene Biotope mit einträchtigt worden. Millionenaufwand einzuebnen? Oder ist es nicht sinnvoller, ein Verfahren wie die UVP zu wählen, um In einer Diskussion wie der heutigen muß man damit zu einer umfassenderen Betrachtung des Ge- aber auch darauf hinweisen, daß die Zuständigen samtvorgangs und der einzelnen Sanierungsschritte der DDR ab Januar 1954 eine Mitverantwortung für zu kommen? die Umweltzerstörung durch den Uranabbau tragen, ganz abgesehen von dem vielen menschlichen Leid, Da die UVP als unselbständiges Verfahren dazu das dadurch verursacht wurde. gedacht ist, die Auslegung und Anwendung der ein- schlägigen Fachgesetze zu optimieren, kann sie am Am 3. Oktober 1990 hat die Bundesrepublik frei- Ende sogar dazu beitragen, daß Verfahren beschleu- willig die Altlast des Uranabbaus quasi als Reparati- nigt werden. Die Bundesregierung geht in ihrer Be- onsleistung des Zweiten Weltkriegs übernommen. gründung für die Verwaltungsverordnung zur UVP Ähnlich wie bei der Wiedervereinigung wurden davon aus, daß damit Verfahren beschleunigt wer- keine langen Planspiele angestellt, sondern es wur- den können. den auch im Wismut-Bereich die Ärmel hochgekrem- pelt und die Probleme angepackt. „Planning by Oft ist die Angst geschürt worden, mit der Einfüh- doing" - wie es so schön heißt - war die Devise; denn rung der Umweltverträglichkeitsprüfung für solche die Situation, mit der die Bevölkerung über 40 Jahre Großsanierungsmaßnahmen könnten Verzögerun- in diesem Gebiet leben mußte, war für die Menschen gen entstehen. In einer Stellungnahme der Wismut so nicht mehr hinnehmbar. Es mußte schnell gehol- 8016 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 90. Sitzung. Bonn, Freitag, den 1. März 1996

Ulrich Petzold fen werden. Eine mehrjährige Planung wäre in der also eine wesentliche Reduzierung der Strahlenbela- Region nicht verstanden worden. stung der Bevölkerung. Außerdem hätten während der Planungsphase In der Abwägung einer raschen Sanierung, die Entlassungen von Mitarbeitern der Wismut vorge- eine Verringerung der Belastung um mehrere Milli nommen werden müssen, deren Fachwissen später sievert im Jahr bedeutet, gegenüber einer vielleicht gefehlt hätte. nach mehrjähriger Planung bis ins letzte ausgefeilten Sanierung, die die Strahlenexposition eventuell um Ein schnelles Herangehen unter Nutzung der einige Hundertstel Millisievert weiter herabsetzt, Fachgesetze, die in der DDR zwar vorhanden waren, muß man sich geradezu für eine schnelle Beseitigung aber leider nicht immer durchgesetzt wurden, war der Altlasten entscheiden. geboten. Da weder in der Strahlenschutzverordnung noch in dem Atomgesetz der Bundesrepublik die Das Argument des Antrages, daß bei dem Sanie- Aufsuchung, Gewinnung und Aufbereitung radioak- rungsverfahren der Wismut durch die Einführung tiver Materialien ausreichend geregelt war, war es der Umweltverträglichkeitsprüfung keine Zeitver- geradezu zwingend notwendig, die „Verordnung zögerung eintritt, ist für jeden, der jemals etwas mit über die Gewährleistung von Atomsicherheit und formellen Verwaltungsverfahren zu tun hatte, ein- Strahlenschutz" sowie deren Durchführungsbe- fach nicht glaubhaft, ja, geradezu lächerlich. Ein stimmungen und die Haldenanordnung der DDR zu förmliches Verwaltungsverfahren - gerade darum übernehmen. handelt es sich bei einer Umweltverträglichkeitsprü- fung - kann zwar, wie mit der „Allgemeinen Verwal- Für die Schaffung besonderer, bergbauspezifischer tungsvorschrift zur Ausführung des Gesetzes über Strahlenschutzvorschriften wurde bis zur Wiederver- die UVP" geschehen, gestrafft werden. Durch die einigung von den früheren Bundesregierungen kein formelle Öffentlichkeitsbeteiligung jedoch sind hier Regelungsbedarf gesehen, da es in der Bundesrepu- klare Grenzen gesetzt. Die Erfahrungen in den Alt- blik - anders als in der DDR - zu keinem nennens- bundesländern in atomrechtlichen Verfahren mit Öf- werten Abbau radioaktiver Erze kam. fentlichkeitsbeteiligungen zeigen, daß die Erörte- In der Begründung Ihres Antrages, der meines Er- rung und verwaltungsmäßige Bearbeitung erhobe- achtens nichts weiter ist als der Versuch, von einer ner Einwände ein wesentliches Hinauszögern der Verfassungsbeschwerde politisch zu profitieren, be- tatsächlichen Sanierung mit sich brächte. haupten Sie nun, daß diese übernommenen Fachge- setze unzulänglich sind. Hierzu muß bemerkt wer- Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Herr Kollege den, daß die Haldenanordnung, die VOAS und ihre Petzold, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kolle- Durchführungsbestimmungen den Empfehlungen gen Matschie? der Internationalen Strahlenschutzkommission so- wie den Euratom-Grundnormen entsprechen und (CDU/CSU): Aber immer, wenn es sie in ihren Anforderungen sogar überschreiten. Ich Ulrich Petzold mir auf meine Redezeit nicht angerechnet wird. kann Ihnen in diesem Zusammenhang nur empfeh- len, die Stellungnahme der Strahlenschutzkommis- sion vom 21. April 1994 zu lesen, in der die Kommis- Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Dies wird nicht sion diese Frage im Zusammenhang mit Strahlen- angerechnet. schutzrechtsbestimmungen der früheren DDR, die Bitte, Herr Matschie. für bergbauliche Tätigkeiten in den neuen Bundes- ländern fortgelten, beantwortet. Christoph Matschie (SPD): Herr Kollege Petzold, Ihre Behauptung, „die geltenden Bestimmungen haben Sie sich bei den Genehmigungsbehörden zu des Strahlenschutzes der DDR werden den verfas- der Aussage, daß sich die Genehmigungsverfahren sungsrechtlichen Anforderungen an den Schutz der dadurch verzögern würden, einmal kundig gemacht? menschlichen Gesundheit nicht gerecht", entpuppt Haben Sie einmal nachgefragt, wie die Auffassung sich so sehr schnell als schamlose Übertreibung und der Genehmigungsbehörden dazu ist versuchte Verunsicherung der Bevölkerung. Bei Ihrem Antrag hat man insgesamt - wenn Sie Ulrich Petzold (CDU/CSU): Ich muß Ihnen ganz immer wieder von „Vermeidung von Umweltschä- klar sagen: Ich habe an mehreren Verfahren - aller- den" sprechen - den Eindruck, daß durch- die Wis- dings nicht gerade an atomrechtlichen - teilgenom- mut-Sanierung eine Umweltschädigung eintritt, auf men. Ich habe es bisher noch nicht erlebt, daß etwas keinen Fall eine Verbesserung der Umweltstandards so glatt über die Bühne gegangen ist, daß es nicht zu der Region. Die hohe finanzielle Leistung der Bun- Verzögerungen gekommen ist. Meinen persönlichen desrepublik und der persönliche Einsatz vieler Wis- Erfahrungen widerspricht das ganz und gar. Ich muß mut-Kumpel werden nicht gewürdigt. hier entsprechend meinen persönlichen Erfahrungen urteilen. Man sollte dringend zur Kenntnis nehmen, daß die bergbaubedingt hohe, im Einzelfall pro Jahr bis zu Die Öffentlichkeitsbeteiligung an den Sanierungs- 6 Millisievert betragende effektive Äquivalentdosis vorhaben der Wismut, so wie sie mir von Bürgermei- der in der Region wohnenden Bevölkerung durch die stern, Verbänden und Gewerkschaftsmitgliedern ge- Sanierung unter den von der Internationalen Strah- schildert wurde, gestaltet sich als begleitende Öf- lenschutzkommission empfohlenen Grenzwert von fentlichkeitsbeteiligung. Durch eine frühzeitige 1 Millisievert gedrückt wird. Die Sanierung bedeutet Übersendung der Pläne für Sanierungsarbeiten an Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 90. Sitzung. Bonn, Freitag, den 1. März 1996 8017 Ulrich Petzold Bürgermeister und Gemeinderäte, durch die Einrich- Sanierung der Altlasten aus dem Uranbergbau der tung von Umweltbeiräten, in denen Verbände, Bür- DDR übernehmen mußte. germeister, Kreistags-, Landtags- und Bundestagsab- geordnete vertreten sind, und auch durch die Einset- Das UVP-Gesetz schreibt eine UVP für bestimmte zung des Vertrauensbevollmächtigten des BMWi für Vorhaben vor. Gedacht ist dabei zuerst einmal an Wismut-Fragen, Herrn Dr. Wollny, wurde hier in der neue Anlagen, an die Aufschüttung von neuen Hal- Öffentlichkeitsbeteiligung ein neuer Weg beschrit- den, an die Errichtung von neuen Endlage rn usw. ten. Die Verantwortung, die wir mit der Wiedervereini- Diesen Weg zugunsten einer einmaligen formell gung für zu DDR-Zeiten genehmigte umweltzerstö- starren Öffentlichkeitsbeteiligung im Rahmen einer rende Projekte übernommen haben, ist im UVP-Ge- UVP aufzugeben halte ich persönlich für einen Irr- setz und in den UVP-Verordnungen bisher leider weg, zumal im Gegensatz zu Ihren Behauptungen nicht berücksichtigt. Dies gilt nicht nur für die strah- sehr wohl jederzeit ein Rechtsschutz der Bürger ge- lenden Uranerzhalden. Auch bergrechtliche Geneh- gen die getroffenen Verwaltungsentscheidungen be- migungen, die zu DDR-Zeiten ausgesprochen wur- steht. den, gelten zum Teil für die nächsten 50 Jahre weiter, ohne daß nach Ansicht der Bundesregierung eine Den Bürger belastende Genehmigungsentschei- Umweltverträglichkeitsprüfung durchgeführt wer- dungen zum Beispiel der Bergämter oder des Strah- den muß. lenschutzamtes können in dem vorliegenden Fall ge- nauso angefochten werden, wie das die einschlägi- Eigentlich hätte schon in den Einigungsvertrag die gen Verfahrensordnungen auch sonst bei entspre- Pflicht zur Durchführung von Umweltverträglich- chenden Verwaltungsverfahren ermöglichen. keitsprüfungen für eine Vielzahl von zerstörerischen und bedrohlichen alten Anlagen und Vorhaben aus Als ebenso haltlos entpuppt sich die Feststellung in DDR-Zeiten aufgenommen werden müssen, anstatt Ihrer Antragsbegründung, daß eine Kontrolle der diese zum Teil sogar ausdrücklich von der Umwelt- Sanierung zum großen Teil durch den Sanierer selbst verträglichkeitsprüfung auszunehmen. erfolgt. Nachweisbar erfolgen regelmäßige Überprü- fungen durch die aufsichtsführenden Landesbehör- Die Sanierungsvorhaben selbst verursachen er- den. Inspektionen vor Ort und Kontrollmessungen hebliche Belastungen der Umwelt und der Bevölke- sind dabei so selbstverständlich wie der Abgleich der rung. Die Sanierungsarbeiten sind gleichzeitig sehr zu führenden Unterlagen. komplex und schwierig. Deshalb ist eine Umweltver- Leider wurde von Ihnen, sehr geehrte Kollegen der träglichkeitsprüfung als Planungsinstrument unserer SPD, die mögliche Befahrung vor Ort zu spät vorge- Ansicht nach unerläßlich; denn die UVP sichert am nommen. Es wäre wohl besser gewesen, erst zu se- ehesten eine umfassende Beschreibung und Bewer- hen und dann zu schreiben. tung der Umweltauswirkungen und eine angemes- sene Abwägung der technischen Verfahren. Daß Ihr Kollege Hampel nach Aussagen des Ge- samtbetriebsrates vor Ort so mutig war, sich von sei- Ganz besonders wichtig ist in diesem Zusammen- ner Unterschrift unter Ihren Antrag zu distanzieren, hang, daß mit einer Umweltverträglichkeitsprüfung ehrt ihn. Allerdings wäre es wohl besser, wenn er auch die Öffentlichkeit in die Sanierungsmaßnah- sein Wort hielte und sich stärker für die Zurückzie- men einbezogen würde. Sie wissen alle, nach §§ 6 hung des gesamten Antrages einsetzte. und 9 des UVPG werden die öffentliche Auslegung der Unterlagen und die Anhörung der Öffentlichkeit Ich appelliere daher aus den von mir aufgeführten vorgeschrieben. Gründen von dieser Stelle aus noch einmal an Sie, werte Kollegen von der SPD: Belasten Sie die Aus- Im Fall Wismut können wir auf eine lange Tradi- schüsse des Deutschen Bundestages nicht mit einem tion ungenügender Informationen der Bevölkerung falschen, unnötigen Antrag. Ziehen Sie Ihren Antrag und der Geheimhaltung extremer Gesundheitsbela- zurück. stungen zurückblicken. Auch der Wismut GmbH und den Bundesbehörden war und ist vorzuwerfen, daß Ich danke Ihnen. Unterlagen über Konzepte äußerst restriktiv behan- delt werden. Bisher gibt es nur eine (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Selbstkontrolle und Selbstverpflichtung des Sanierers. Außerdem muß der Sanierer den Behörden Rede und Antwort Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Das Wort hat die stehen. Angesichts der enormen Belastung der Be- Kollegin Vera Lengsfeld, Bündnis 90/Die Grünen. völkerung durch die radioaktive Strahlung reicht das aber nicht aus.

Vera Lengsfeld (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Es geht nicht nur um die Information der Bevölke- Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! rung. Die betroffenen Menschen, die diese extremen Die Forderung der SPD-Fraktion nach einer Umwelt- Belastungen zu ertragen haben, müssen an den Ent- verträglichkeitsprüfung für die Wismut-Sanierungs- scheidungen über die Verfahrensweise beteiligt wer- projekte ist voll und ganz zu unterstützen. Als der be- den. Durch die Mitwirkung der Öffentlichkeit bei der stehende Katalog von Vorhaben, die einer UVP un- Umweltverträglichkeitsprüfung der Sanierungskon- terliegen, erarbeitet wurde, war noch nicht bekannt, zepte könnte der in der Bevölkerung entstandene daß die bundesdeutsche Politik Monate später die Vertrauensverlust am ehesten behoben werden. 8018 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 90. Sitzung. Bonn, Freitag, den 1. März 1996

Vera Lengsfeld Eine Umwelt- und Gesundheitsgefährdung, wie „Splitting", da adäquate rechtliche Instrumentarien sie von den strahlenden Erzhalden oder den belaste- für das Gesamtprojekt nicht zur Verfügung stehen. ten Grundwasserleitern ausgeht, sprengt unserer Erst für Teilprojekte reichen die vorhandenen Rechts- Meinung nach den bestehenden gesetzlichen Rah- grundlagen aus, und sie werden seit fünf Jahren er- men, der nicht für eine solche gigantische Belastung folgreich angewandt. ausgelegt ist. Wir sind daher der Ansicht, daß eine Umweltverträglichkeitsprüfung für die Sanierungsar- Ich möchte einmal aufzählen: beiten allein noch nicht ausreicht. Denn es gibt eine Erstens. Bislang sind für die Sanierung rund 4 Mil- Reihe von Problemen bei der Wismut-Sanierung, die liarden DM abgeflossen. damit noch nicht gelöst werden. Zweitens. Die bis jetzt erzielten Erfolge finden Wir haben - daran möchte ich an dieser Stelle erin- auch vor Ort breiteste Anerkennung. nern - bereits in der 12. Legislaturperiode einen An- trag vorgelegt, in welchem wir ein Sondergesetz zur Drittens. Die festgestellten Planungen werden in Sanierung der Wismut-Altlasten gefordert haben. eigens festgelegten Verfahren miteinander abge- Dieses Gesetz zur Beseitigung der Altlasten des Uran- stimmt und zügig umgesetzt. bergbaus der ehemaligen SDAG Wismut, wie wir es Nach nunmehr fünf Jahren sichtbar erfolgreicher genannt haben, sollte eine klare gesetzliche Grund- Sanierung verfällt die SPD-Bundestagsfraktion auf lage für die Sanierung schaffen. Der Bund muß nach die für mich unbegreifliche Idee, die Sanierungsmaß- diesen Vorstellungen die finanzielle Gesamtverant- nahmen auf ihre Unve rträglichkeit zu überprüfen. wortung für alle Sanierungsarbeiten übernehmen, die Sanierungsarbeiten, also Schäden beseitigende Maß- im Zusammenhang mit dem Uranbergbau notwendig nahmen, die dazu führen sollen und führen werden, sind. Bisher hat der Bund nur die Verantwortung für daß in dieser verwüsteten Region weitgehend intakte die Sanierung der Altlasten der Wismut GmbH. ökologische Verhältnisse hergestellt oder wiederher- Die Wismut GmbH muß in einem Gesetz verpflich- gestellt werden, sollen einer Überprüfung nach dem tet werden, mit den Eigentümern betroffener Grund- Umweltverträglichkeitsprüfungsgesetz unterzogen stücke unentgeltliche Verträge zur Entsorgung der werden. kontaminierten Materialien abzuschließen. Abgesehen davon, daß die Umweltverträglich- keitsprüfung von Geist und Sinn des Gesetzes her zu Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Frau Lengsfeld, Beginn einer Maßnahme den Eingriff in Natur und schauen Sie einmal auf die Uhr. Landschaft bewerten soll, nicht den begonnenen Ein- griff in unvorstellbar mißhandelte Natur und Land- schaft mit dem Ziel ihrer Wiederherstellung, sollen Vera Lengsfeld (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ich aber laut Antrag bereits erteilte Genehmigungen Be- komme zum Schluß. - Man kann die Punkte, die wir stand haben, der Abfluß bereitgestellter Finanzmittel in der 12. Legislaturperiode vorgelegt haben und die nicht behindert und die Arbeitsplätze in der Wismut dieses Gesetz enthalten muß, nachlesen. Deswegen GmbH nicht gefährdet werden. möchte ich an dieser Stelle mit der Hoffnung schlie- ßen, daß wir, angelehnt an das, was wir im Bergrecht Die SPD-Fraktion scheut sich also nicht - wider geleistet haben, interfraktionell ein solches Sanie- besseres Wissen, daß eine Umweltverträglichkeits- rungskonzept erarbeiten. prüfung natürlich ergebnisoffen zu erfolgen hat -, bestimmte sichere und mögliche Konsequenzen a Vielen Dank. priori auszuschließen. Obwohl alle umweltrelevanten (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Belange in den angewandten Verfahren geprüft wur- den, könnte eine Umweltverträglichkeitsprüfung zu anderen Ergebnissen kommen und damit zu anderen Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Das Wort hat der konkreten Entscheidungen führen. Kollege Uwe Lühr, F.D.P. Selbstverständlich würde eine Umweltverträglich- keitsprüfung im laufenden Sanierungsprojekt den Uwe Lühr (F.D.P.): Herr Präsident! Meine sehr ver- Abfluß bereitgestellter Finanzmittel erheblich ins ehrten Damen und Herren! Die Hinterlassenschaft Stocken geraten lassen und, was in dieser Region der sowjetisch-deutschen Zwangsaktiengesellschaft nicht unwesentlich ist, Arbeitsplätze gefährden. Der zum Abbau von Uranerz in Sachsen und Thüringen listige Hinweis auf die Allgemeine Verwaltungsvor- ist eine gigantische Schändung von Natur und Land- schrift zur Ausführung des Gesetzes über die Um- schaft nach einem skrupellosen Raubbau an Boden- weltverträglichkeitsprüfung verfängt hier nicht; er ist schätzen und einem rücksichtslosen Umgang mit der meines Erachtens zu durchsichtig. Gesundheit der Menschen in dieser dichtbesiedelten Region. Ein ähnlich verwüsteter Landstrich mit aktiv Schließlich verlangt die SPD selbst für die Bewer- schädigenden Altlasten dürfte in der westlichen He- tung der Sanierungsmaßnahmen im Rahmen einer misphäre nirgendwo zu finden sein. Umweltverträglichkeitsprüfung - ich zitiere -: Wie gewaltig der Sanierungsbedarf ist, verdeut- Diese gesetzlichen Vorgaben müssen den Sach- licht der von der Bundesregierung eingeplante Be- verhalten im Uranerzbergbau angepaßt werden. trag von 13 Milliarden DM nur unzureichend. Die- Hier bleibt der Gesetzgeber aufgefordert, durch sem in der Geschichte der Bundesrepublik beispiel- Novellierung der entsprechenden Gesetze neue losen Sanierungsprojekt nähert man sich durch Normen zu setzen. Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 90. Sitzung. Bonn, Freitag, den 1. März 1996 8019

Uwe Lühr Und das soll alles ohne Verzug geschehen? Wen ausgleich kann die Einnahmeausfälle nur zu will die SPD das eigentlich glauben machen? Die 70 Prozent kompensieren. Bundesregierung schätzt den Umfang der Verzöge- rung auf rund drei Jahre. Ich vermute, sie liegt damit (Ulrich Klinkert [CDU/CSU]: Nehmt das aus richtig. dem Vermögen der PDS! Da habt ihr genug gutzumachen! Das ist ja wohl die Höhe, Wir wollen eine solche - unnötige - Verzögerung was Sie da erzählen! - Gegenruf der Abg. vor allem im Interesse der vor Ort betroffenen Men- Dr. Ruth Fuchs [PDS]) schen nicht. Deshalb wird die F.D.P. den Antrag im Auf der anderen Seite müssen aber ehemalige Wis- Wirtschaftsausschuß ablehnen. mut-Straßen zurückgebaut werden; die durch die Wismut-Tätigkeit zerstörte Kanalisation muß er- (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) neuert werden. Infolge der Einwirkung des Abbaus wurden die Stadtwasserversorgung, der Kurpark, der Forst und die Kurpromenade zerstört. Soll dafür tat- Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Das Wort hat die sächlich die Stadtkasse blechen? Kollegin Bulling-Schröter, PDS. Das Fazit kann nur lauten: Der Sanierungsauftrag der Wismut muß durch den Bundestag auf die ge- samten durch den Uranabbau in Mitleidenschaft ge- Eva Bulling-Schröter (PDS): Herr Präsident! Liebe zogenen Gebiete ausgedehnt werden. Die Finanzie- Kolleginnen und Kollegen! An einer Umweltverträg- rung ist durch den Bund entsprechend sicherzustel- lichkeitsprüfung für die Sanierungsvorhaben der len. Dies wird nicht nur der Umwelt und der Attrakti- Wismut schätzt die Bundestagsgruppe der PDS ins- vität der Standorte zugute kommen, sondern auch besondere die dringend notwendige Formalisierung Arbeitsplätze schaffen. In einer Region mit einer offi- der Genehmigungsverfahren. Wir sind uns aller- ziellen Arbeitslosenrate um die 20 Prozent wäre das dings nicht sicher, ob die UVP allein tatsächlich das ein nicht unwesentlicher Beschäftigungseffekt. für die Wismut-Problematik geeignete Instrument ist, und werden dies im Laufe der parlamentarischen Be- Die PDS-Bundestagsgruppe wird in Kürze einen ratungen prüfen. entsprechenden Antrag einbringen, da ja davon aus- zugehen ist, daß die PDS wie immer zu fraktions- Die umweltgerechte Sanierung durch die Wismut übergreifenden Gesprächen nicht eingeladen wird. GmbH ist jedoch nur die eine Seite des ökologischen (Beifall bei der PDS) Problems. Ein wahrscheinlich genauso schwerwie- gendes ist die ungelöste Frage, wer denn eigentlich für die Sanierung der Flächen verantwortlich ist, die Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Das Wort hat der vor 1962 von der Wismut AG genutzt und anschlie- Parlamentarische Staatssekretär Hein rich Kolb. ßend an die Kommunen übergeben wurden. Glei- ches gilt für indirekte Einwirkungen der Uranförde- Dr. Heinrich L. Kolb, Parl. Staatssekretär beim Bun- rung auf angrenzende Gemeinden. desminister für Wirtschaft: Herr Präsident! Liebe Kol- leginnen und Kollegen! Die Wismut GmbH hat in In der Region versteht niemand, daß die Sanie- den vergangenen fünf Jahren umfangreiche Still- rungskolonnen von Flecken zu Flecken springen legungs- und Sanierungsarbeiten durchgeführt und müssen, weil viele der dazwischenliegenden und beachtliche Fortschritte bei der Beseitigung der Hin- ebenfalls geschädigten Flächen zur Wende nicht terlassenschaften des ostdeutschen Uranbergbaus in mehr der Wismut gehörten. Sachsen und Thüringen erreicht. Selbstverständlich wollte die Bundesregierung mit Alle Maßnahmen - ich betone das ausdrücklich - ihrer Begrenzung des Wismut-Auftrages Geld spa- unterliegen der ständigen Aufsicht durch die Fach- ren, ähnlich wie damals die DDR. Es dürfte allerdings behörden der Länder. Bisher wurden knapp 1 400 klar sein, daß die Kommunen für die Sanierung der Genehmigungen durch die zuständigen Behörden Flächen keine Mittel haben. Also wird hier erst ein- erteilt. mal alles beim alten bleiben, mit den entsprechen- Vom Bund werden für das Umweltprojekt Wismut den Folgen für die Lebensqualität der Menschen und insgesamt rund 13 Milliarden DM zur Verfügung ge- die Umwelt. stellt. Seit 1990 sind bereits 4 Milliarden DM ausge- geben worden. Bei einzelnen Teilprojekten ist die Sa- Beispielsweise könnte die von Wismut-Flächen nierung inzwischen abgeschlossen. Die Belastung umgebene ostthüringische Stadt Ronneburg, selbst der Umwelt durch Schadstoffe konnte in den ver- wenn sie wollte, für die Reparatur der eigenen gangenen Jahren drastisch gesenkt werden. Ich Gemeinde keine Finanzmittel auftreiben. Sie erhält glaube, all das zeigt, daß wir auf dem richtigen Weg von der Wismut keine Gewerbesteuer, da diese kei- sind. nen Gewinn macht und die Gewerbekapitalsteuer in den neuen Bundesländern nicht erhoben wird. Die vor Ort geleistete Arbeit und der inzwischen Sie erhält keine Grundsteuer, da die Flächen wert- erreichte Sanierungsstand finden in den betroffenen los sind, und sie erhält nur unbedeutende Anteile Regionen große Anerkennung. Dies wurde übrigens an der Einkommensteuer; die noch aktiven Berg- auch bei Besuchen von Abgeordneten der SPD-Frak- leute wohnen nur selten in Ronneburg. Der Finanz- tion in jüngster Zeit gewürdigt.

8020 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 90. Sitzung. Bonn, Freitag, den 1. März 1996

Parl. Staatssekretär Dr. Heinrich L. Kolb Nach Auffassung der Bundesregierung würde die Nachdem Sie, Herr Kollege Matschie, gefragt ha- im Antrag geforderte Umweltverträglichkeitsprüfung ben, möchte ich doch feststellen - ich hoffe, daß wir bei Wismut-Vorhaben zu erheblichen Erschwernis- hier Konsens erreichen -, daß es auch in Ihrem Inter- sen in den ohnehin komplexen und schwierigen Ge- esse liegt - im Interesse der Bevölkerung in den be- nehmigungsverfahren führen. Ich bestätige, was be- troffenen Regionen liegt es ohnehin -, daß die riesi- reits vermutet wurde, daß die Bundesregierung mit gen Altlasten des Uranbergbaus so schnell wie mög- Verzögerungen bei den Sanierungsarbeiten von lich beseitigt werden. Durch Verzögerungen bei den etwa drei Jahren rechnet. Ich denke, das wollen wir Sanierungsmaßnahmen - diese sehen wir wirklich - nicht zulassen, und das darf auch nicht zugelassen würden die derzeitigen Umweltbelastungen an den werden. Standorten der Wismut GmbH durch radioaktive und andere Schadstoffe länger als geplant bestehenblei- Es ist schon erstaunlich, daß von der SPD eine For- ben. derung kommt, die ökologisch keine Vorteile bringt, sondern die Sanierungsarbeiten verzögert. Ich Hinzu kämen zusätzliche Kosten für den Bund, ins- denke, der Antrag ist bereits in sich widersprüchlich. besondere für die Aufrechterhaltung der Infrastruk- Umweltverträglichkeitsprüfungen an laufenden Sa- tur. Voraussichtlich wäre sogar ein Personalabbau nierungsvorhaben sind nun einmal mit den in Ihrem bei der Wismut unausweichlich. Im übrigen, Herr Antrag genannten Zielen, nämlich den Abfluß der Fi- Kollege Matschie, wissen Sie und viele Ihrer Kolle- nanzmittel zu sichern und Arbeitsplätze nicht zu ge- gen aus der Opposition, daß Belegschaft und auch fährden, nicht vereinbar. Betriebsräte der Wismut GmbH den SPD-Vorstellun- gen sehr deutlich entgegengetreten sind. Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Herr Staatsse- Die Bundesregierung sieht durch eine Umweltver- kretär, gestatten Sie eine Zwischenfrage? träglichkeitsprüfungspflicht für die Wismut-Sanie- rung keine materiellen Verbesserungen, da in den Dr. Heinrich L. Kolb, Parl. Staatssekretär beim Bun- jetzigen Genehmigungsverfahren alle bei einer Um- desminister für Wirtschaft: Ja. weltverträglichkeitsprüfung relevanten Aspekte Be- rücksichtigung finden. Die Öffentlichkeit vor Ort - das ist ja hier bemängelt worden - wird sehr wohl Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Herr Kollege durch zahlreiche Informationsveranstaltungen und Matschie, bitte. Publikationen über alle Sanierungsmaßnahmen und über die Ergebnisse der ständigen Umweltüberwa- Christoph Matschie (SPD): Herr Staatssekretär, chung unterrichtet. Anregungen der betroffenen würden Sie mir bitte kurz erläutern, wo Sie die Kommunen und von Privatpersonen werden geprüft Gründe für eine solch erhebliche Verzögerung se- und, soweit sinnvoll und realisierbar, bei der Sanie- hen? In der Öffentlichkeitsbeteiligung, die erwähnt rungsdurchführung berücksichtigt. worden ist, können sie ja wohl nicht liegen, da es für Ich glaube, die Ergebnisse der Umweltüberwa- die Betroffenen schon jetzt nach dem Bergrecht mög- chung zeigen, daß die durchgeführten Arbeiten den lich ist, verfahrensrechtliche Schritte zu unterneh- Anforderungen des Strahlen- und Umweltschutzes men. Auch bei der UVP sind die Fristen nicht länger. gerecht werden. Angesichts des in sich widersprüch- Würden Sie mir also bitte sagen, wo Sie Gründe für lichen Antrags, Herr Kollege Matschie, und der ne- eine Verzögerung sehen? gativen Auswirkungen einer Umweltverträglich- keitsprüfung für die Region empfehle ich der SPD- Bundestagsfraktion, ihren Antrag zurückzuziehen. Dr. Heinrich L. Kolb, Pari. Staatssekretär beim Bun- Die Bundesregierung sieht in diesem Bereich keinen desminister für Wirtschaft: Herr Kollege Matschie, gesetzlichen Regelungsbedarf. ich möchte Ihnen zunächst sagen, daß wir in ständi- gem Kontakt mit den Genehmigungsbehörden vor Vielen Dank. Ort stehen - wir sind keine Genehmigungsbehörde - (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) und daß auch die Genehmigungsbehörden selbst grundsätzlich von einer Verzögerung ausgehen. Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Ich schließe die Sie haben vorhin in Ihrer Zwischenfrage - ich ver- Aussprache. mute, das ist auch der Hintergrund Ihrer jetzigen Frage - gesagt, daß man mit der UVP-Verwaltungs- Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlage vorschrift möglicherweise bestimmte Beschleunigun- auf Drucksache 13/2651 an den Ausschuß für Wirt- gen herbeiführen könnte. Ich will hier ausdrücklich schaft und an den Ausschuß für Umwelt, Naturschutz bestreiten, daß das der Fall ist. und Reaktorsicherheit zu überweisen. Die Federfüh- rung ist strittig. Die Fraktion der CDU/CSU wünscht Die Möglichkeit, die die Bundesregierung auch in die Federführung beim Ausschuß für Wirtschaft, die ihrer Stellungnahme gegenüber dem Bundesrat ein- der SPD beim Ausschuß für Umwelt, Naturschutz gestanden hat, bezieht sich in erster Linie auf paral- und Reaktorsicherheit. lele Genehmigungsverfahren, aber nicht auf Verfah- ren mit Öffentlichkeitsbeteiligung. Ich glaube, daß Wir stimmen zunächst über den Überweisungsvor- das insgesamt schon zu der Befürchtung berechtigt, schlag der Fraktion der SPD ab. Ich bitte diejenigen, daß es hier zu erheblichen Beeinträchtigungen kom- die für die Federführung beim Ausschuß für Umwelt, men könnte. Naturschutz und Reaktorsicherheit stimmen möch- Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 90. Sitzung. Bonn, Freitag, den 1. März 1996 8021

Vizepräsident Hans-Ulrich Klose ten, um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Der für Wirtschaft und zur Mitberatung an den Ausschuß Überweisungsantrag ist mit den Stimmen der Koaliti- für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit über- onsfraktionen gegen die Stimmen der Opposition ab- wiesen. gelehnt worden. Damit sind wir, verehrte Kolleginnen und Kolle- Wer stimmt für den Überweisungsvorschlag der gen, am Schluß der Tagesordnung. Fraktion der CDU/CSU, also für die Federführung Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bun- beim Ausschuß für Wirtschaft? - Gegenprobe! - Ent- destages auf Mittwoch, den 6. März 1996, 13 Uhr ein. haltungen? - Der Überweisungsvorschlag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stim- Die Sitzung ist geschlossen. men der Opposition angenommen. Damit ist die Vor- lage zur federführenden Beratung an den Ausschuß (Schluß der Sitzung: 12.53 Uhr)

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Anlagen zum Stenographischen Bericht

Anlage 1 entschuldigt bis Abgeordnete(r) einschließlich Liste der entschuldigten Abgeordneten Schlauch, Rezzo BÜNDNIS 1. 3. 96 entschuldigt bis Abgeordnete(r) 90/DIE einschließlich GRÜNEN Andres, Gerd SPD 1. 3. 96 Schultz (Everswinkel), SPD 1. 3. 96 Reinhard Beck (Bremen), BÜNDNIS 1. 3. 96 Marieluise 90/DIE Schumann, Ilse SPD 1. 3. 96 GRÜNEN Sebastian, Wilhelm Josef CDU/CSU 1. 3. 96 Belle, Meinrad CDU/CSU 1. 3. 96 Simm, Erika SPD 1. 3. 96 Büttner (Schönebeck), CDU/CSU 1. 3. 96 Stiegler, Ludwig SPD 1. 3. 96 Hartmut Dr. Stoltenberg, Gerhard CDU/CSU 1. 3. 96 Caspers-Merk, Ma rion SPD 1. 3. 96 Tauss, Jörg SPD 1. 3. 96 Deß, Albert CDU/CSU 1. 3. 96 Thieser, Dietmar SPD 1. 3. 96 Doss, Hansjürgen CDU/CSU 1. 3. 96 Vogt (Duren), Wolfgang CDU/CSU 1. 3. 96 Dreßler, Rudolf SPD 1. 3. 96 Vosen, Josef SPD 1. 3. 96 Friedrich, Horst F.D.P. 1. 3. 96 Wettig-Danielmeier, Inge SPD 1. 3. 96 Dr. Glotz, Peter SPD 1. 3. 96 Wohlleben, Verena SPD 1. 3. 96 Großmann, Achim SPD 1. 3. 96 Haack (Extertal), SPD 1. 3. 96 Karl Hermann Hauser (Esslingen), Otto CDU/CSU 1. 3. 96 Anlage 2

Hermenau, Antje BÜNDNIS 1. 3. 96 Amtliche Mitteilungen 90/DIE GRÜNEN Der Bundesrat hat in seiner 693. Sitzung am 9. Februar 1996 beschlossen, den nachstehenden Ge- Homburger, Birgit F.D.P. 1. 3. 96 setzen zuzustimmen bzw. einen Antrag gemäß § 77 Dr. Hoyer, Werner F.D.P. 1. 3. 96 Abs. 2 GG nicht zu stellen: Kauder, Volker CDU/CSU 1. 3. 96 - Gesetz zur Übernahme befristeter Kündigungs- Dr. Kinkel, Klaus F.D.P. 1. 3. 96 möglichkeiten als Dauerrecht Kirschner, Klaus SPD 1. 3. 96 - Gesetz zur Verlegung des Sitzes des Bundesar- beitsgerichts von Kassel nach Erfurt Dr. Kohl, Helmut CDU/CSU 1.3. 96 - Siebtes Gesetz zur Änderung des Bundes-Seu- Lamers, Karl CDU/CSU 1. 3. 96 chengesetzes Leidinger, Robert SPD 1. 3. 96 - Gesetz zu dem Zusatzabkommen vom 12. Februar Dr. Maleuda, Günther PDS 1. 3. 96 1995 zum Abkommen vom 17. Dezember 1973 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Metzger, Oswald BÜNDNIS 1. 3. 96 dem Staat Israel über Soziale Sicherheit 90/DIE GRÜNEN - Gesetz zu dem Zweiten Zusatzabkommen vom Neumann (Berlin), Kurt SPD 1. 3. 96 6. März 1995 zum Abkommen vom 7. Januar 1976 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Dr. Pfaff, Martin SPD 1. 3. 96 den Vereinigten Staaten von Amerika über So- ziale Sicherheit und zu der Zweiten Zusatzverein- Pfeiffer, Angelika CDU/CSU 1.3. 96 barung vom 6. März 1995 zur Vereinbarung vom Dr. Pflüger, Friedbert CDU/CSU 1. 3. 96 21. Juni 1978 zur Durchführung des Abkommens Dr. Rappe (Hildesheim), SPD 1. 3. 96 - Gesetz zu der Resolution vom 15. Januar 1992 zur Hermann Änderung des Internationalen Übereinkommens Rennebach, Renate SPD 1. 3. 96 vom 7. März 1966 zur Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierung und zu der Resolution Schild, Horst SPD 1. 3. 96 vom 8. September 1992 zur Änderung des Über- 8024 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 90. Sitzung. Bonn, Freitag, den 1. März 1996

einkommens vom 10. Dezember 1984 gegen Fol- von Kernwaffen" - Drucksache 13/1465 - zurückge- ter und andere grausame, unmenschliche oder er- zogen. niedrigende Behandlung oder Strafe Der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses hat - Gesetz zu dem Abkommen vom 10. Juni 1993 mitgeteilt, daß der Ausschuß gemäß § 80 Abs. 3 Satz 2 zwischen der Regierung der Bundesrepublik der Geschäftsordnung von einer Berichterstattung zu Deutschland und der Regierung der Ukraine über den nachstehenden Vorlagen absieht: den Luftverkehr Drucksachen 13/1937, 13/2275 Nr. 1.4 - Gesetz über zwingende Arbeitsbedingung bei Drucksachen 13/2138, 13/2275 Nr. 1.7 grenzüberschreitenden Dienstleistungen (Arbeit- Die Vorsitzenden der folgenden Ausschüsse haben nehmer-Entsendegesetz - AEntG) mitgeteilt, daß der Ausschuß die nachstehenden EU- - Gesetz zur Änderung des Umsatzsteuergesetzes Vorlagen bzw. Unterrichtungen durch das Europäi- sche Parlament zur Kenntnis genommen oder von - Zweites Gesetz zur Änderung des Gesetzes über einer Beratung abgesehen hat: die Festlegung eines vorläufigen Wohnortes für Auswärtiger Ausschuß Spätaussiedler Drucksache 13/1614, Nr. 1.10 Zu dem letztgenannten Gesetz hat der Bundesrat Rechtsausschuß folgende Entschließung gefaßt: Drucksachen 12/6632, 13/725 Nr. 32 Der Bundesrat begrüßt die Änderung des Gesetzes über Drucksachen 12/7807, 13/725 Nr. 39 die Festlegung eines vorläufigen Wohnortes für Spätaus- Drucksachen 12/7809, 13/725 Nr. 41 siedler, mit der die aus der ungesteuerten Binnenwande- Haushaltsausschuß rung entstehenden Probleme bei der Integration der Spätaussiedler und der zusätzlichen finanziellen Bela- Drucksache 13/3286 Nr. 1.2 stungen der entgegen dem bundesweiten Zuteilungsver- Drucksache 13/3668 Nr. 1.20 fahren vom Zuzug betroffenen Kommunen durch eine Ausschuß für Wirtschaft Steuerungsregelung gelöst werden sollen. Drucksache 13/2494 Nr. 1.10 Im Hinblick auf die angestrebte Steuerungsfunktion der Drucksache 13/2988 Nr. 1.22 Neuregelung geht der Bundesrat davon aus, daß an dem Drucksache 13/3286 Nr. 1.8 von der Verteilung bzw. Zuweisung abweichenden Auf- Drucksache 13/3286 Nr. 2.13 enthaltsort die „nach den Umständen unabweisbar gebo- Drucksache 13/3286 Nr. 2.14 tene Hilfe " nach § 3 a Abs. 1 Satz 2 dieses Gesetzes in der Drucksache 13/3286 Nr. 2.16 Regel nur die Kosten für die Fahrt zum Zuweisungsort Drucksache 13/3286 Nr. 2.18 bzw. in das Zuweisungsland und die Verpflegungskosten umfaßt. Die Ansprüche nach dem Arbeitsförderungsge- Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung setz und dem Bundessozialhilfegesetz am Zuweisungsort Drucksache 13/2804 Nr. 2.4 bzw. im Zuweisungsland bleiben erhalten. Ausschuß für Gesundheit Des weiteren hat der Bundesrat in seiner Drucksache 13/2306 Nr. 2.8 693. Sitzung am 9. Februar 1996 zu dem am Drucksache 13/2306 Nr. 2.95 29. Dezember 1995 zugeleiteten Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicher- Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung der EG-Rahmen- heit richtlinie Arbeitsschutz und weiterer Arbeitsschutz Drucksache 13/2306 Nr. 2.24 Richtlinien Drucksache 13/2426 Nr. 1.12 Drucksache 13/3286 Nr. 2.8 und zu dem Ausschuß für Post und Telekommunikation Entwurf eines Achtzehnten Gesetzes zur Änderung des Drucksache 13/2426 Nr. 1.1 Bundesausbildungsförderungsgesetzes (18. BAföGÄndG) Drucksache 13/2426 Nr. 1.8 Drucksache 13/2988 Nr. 1.4 beschlossen, unter Berufung auf Artikel 76 Abs. 2 Drucksache 13/2988 Nr. 1.10 Satz 3 des Grundgesetzes eine Verlängerung der Drucksache 13/3286 Nr. 1.3 Frist zur Stellungnahme zu verlangen. Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Ent- wicklung Die Gruppe der PDS hat mit Schreiben vom Drucksache 13/2306 Nr. 2.55 „Völkerrechtswidrig-8. Februar 1996 ihren Antrag Drucksache 13/2306 Nr. 2.90 keit der Androhung des Einsatzes und des Einsatzes Drucksache 13/2674 Nr. 2.37

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